Kurze H o m i l t e n z u r Erklärung des Wortverstandes der gewöhnlichen Sonn- und Festtagsevangelien im ganzen Jahre zum Beßten katholischer Prediger auf dem Lande. Herausgegrbkn von Johann Baptist Depisch, Pfarrers zu Altenbanz im Hochstifte Wirzbax- Cilli, 1795, bey Franz Joseph Jenko. Auf den vierten Sonntag nach Ostern. Evangelium Ioh. Xvl. 5 — iz. ^ch gehe nun hin zn dem, der mich gesandt hat, und niemand aus euch fraget mich : wo gehst da hin? sondern, weil ich solches zu euch geredet ha» de, ist euer Herz voll Traurens geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit, eö ist euch gut, daß ich hingehe, denn so ich nicht hingehe, kömmt der Tröster nicht zu euch, so ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden. Und wenn derselbe kömmt, wird er die Welt der Sünde wegen, der Gerech- tigk it und des Gerichts wegen bestrafen. Der Sünde halber zwar , weil sie an mich nicht glau¬ ben, der Gerechtigkeit halber aber, weil ich zum Vater gebe, und ihr mich nicht mehr sehen wer¬ det. Des Gerichts wegen aber, weil der Fürst dieser Welt gerechtet ist. Ich habe euch noch viel zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch auf alle Wahrheit führen, denn er wird nicht von sich selbst reden, sondern was er hören wird, das wird er reden, und daS Zukünf¬ tige wird er euch verkünden. A Z Ich — ( 6 ) — Ich gehe «un hin zu dem, der mich gesandt hat. Ioh. n- L. Z. Eingang. Das heutige Evangelium muß uns, meine werthe- sten Christen, aus zween Ursachen höchst schätzbar seyn. Erstens, aus der allgemeinenUrsache, welche alle Evangelien im ganzen Jahr angeht, weil es aus dem unfehlbaren Munde der ewigen Wahrheit geflossen, und durch Eingebung und mit Beystande des heili¬ gen Geistes niedergeschrieben worden. Zweitens aber, aus einer befonhern Ursache, welche ich euch in der Erklärung des letzten sonntäglichen Evangeli¬ ums schon anzeigte, weil es nämlich auch ein Stück von jener wichtigen Abschiedsrede ist, die unser Erlö¬ ser auf dem Wege zu seinem bittern Leiden hielt, folglich als der Inhalt seiner letzten Worte und als seine, uns hinterlassene Erbschaft zu betrachten ist. Wir können uns daher leicht einbilden, daß wir rei¬ chen Stoff zu wichtigen Betrachtungen darinn finden werden, und daß es folglich wohl verdiene, von je¬ dem Christen recht aufmerksam überdacht zu werden. Theils, weil wir wissen, daß man solche Dinge, die man ernstlich gehalten und erfüllet zu werden wün¬ schet, meistens beym Abschiede und Ausgange aus dieser Welt noch einmal anbefiehlt, theils, weites die wahre Freundschaft mit sich bringt , dasjenige wohl zu beherzigen, was uns gute Freunde bey ihrem Abschiede anbefohlen haben, und wir ein Kind als das unartigste Geschöpf von der ganzen Welt ansehen würden, das die letzten Worte und den letzten Willen seines Vaters vergessen und äusser Acht setzen wollte. In . - (7) - In der Thal, meine werthesien Christen, obschon unser göttlicher Erlöser in allen seinen Predigten die heilsamsten Ermahnungen und tröstlichsten Wahrhei¬ ten seinen Zuhörern vorlegte, so kann man doch sa¬ gen, daß er niemals sein Herz so eröffnet, niemals zu seinen Jüngern so freundschaftlich, niemals so tröstlich gesprochen habe, als in dieser letzten Rede. Denn welcher Vater hat jemals auf seinem Sterbe¬ bette seine Kinder so tröstlich verlassen, als unser Heyland hier seine Jünger verlaßt? Wie erquickend tröstet er nicht dieselben, daß sie nicht sollten traurig werden wegen seinem Hinscheiden ! Er zeiget ihnen den Himmel, jene reich erworbene Erbschaft, wohin er vorausgehe, um ihnen einen Platz allda zuzuberei- ten. Er verspricht ihnen den Tröster, der statt seiner bey ihnen stets seyn solle, der sie trösten, ihnen in allen ihren Trübsalen beystehen, und sie alle Wahr¬ heit lehren solle. Sehet, meine liehen Christen, so trostvoll ist dieses Stück von der Abschiedsrede Jesu, welches uns das verlesene Evangelium heute anführet. Unser Erlöser verspricht darinn seinen Jüngern den heiligen Geist, dieses große Gnadengeschenk, und sagt ihnen zugleich vor, was für herrlicheWirkungendiesergött¬ liche Geist in ihnen, und was für Verrichtungen er in der Welt haben werde. Diese beyden Stücke, die den ganzen Inhalt dieses heiligen Evangeliums aus¬ machen, sollen die zween Theile meiner heutigen Pre¬ digt seyn, wovon der erste von der tröstlichen Verhei¬ ßung des heiligen Geistes handeln wird, der zweyte aber die schönen Wirkungen dieses göttlichen Geistes in den Aposteln und frommen Christen, und desselben A 4 Verrich- c s Verrichtungenin der Welt erklären soll. Die Ursa¬ chen, warum ihr dieses alles mit Aufmerksamkeit an¬ hören sollet, habe ich euch schon angezeiget. Erster Th§il. Ahristus hatte es hier mit den ausserordentlich be¬ stürzten Gemüthern seiner Jünger zu thun, welche er in der Traurigkeit, die ihr Herz wegen seinem vorher¬ gesagten Ausgange aus dieser Welt befallen hatte, aufzurichten sich bemühete. Denn, ob er ihnen gleich diesen seinen Abschied mit den zärtlichsten Ausdrücken «»kündigte, und auf die angenehmste Art schilderte, da er denselben nicht einen Tod, sondern einen Hin¬ gang zum Vater nennte, so konnte er sie doch nicht sogleich von aller Betrübniß befreyen. Er kam des¬ wegen diesen seinen betrübten Freunden noch etwas naher, und suchte ihnen zu zeigen, wie gut es sey, daß er von ihnen Abschied nehme. Er bemühete sich, ihnen die tröstlichen Folgen vor Augen zu legen, die sein Hingang zum Vater für sie haben sollte. Er suchte sie also heute hauptsächlich durch einen der stärksten Beweggründe zu trösten und aufzurichten, daß er ih- nenJemandcn schicken werde, der seine göttliche Per¬ son , nachdem er sie seiner körperlichen Gegenwart nach, werde verlassen haben, bey ihnen vertretten solle. Er gab ihnen nämlich die tröstliche und sichere Zusage, daß er ihnen, nachdem er zum Vater werde aufgestiegen seyn, den heiligen Geist schicken werde, der künftighin statt seiner ihr Lehrer, ihr Meister, und ihr mächtiger Beistand seyn sollte. Damit ihr die Sache desto besser verstehen möget, meine lieben Christen, so will ich euch dieselbe etwas umstand- — ty ) - umständlicher erzählen , denn sie verhielt sich also: Die Apostel waren in eine ausserordentliche Traurig¬ keit verfallen, als ihnen Jesus seinen Tod ankündig- 1e, mit den Worten: daß seine Zeit nun da wäre, aus dieser Welt zu gehen, und zu seinem Vater zu¬ rück zu kehren. Er hatte ihnen dieses mit großer Für- sicht noch vor seinem Leiden vorhergesagt, und zwar nach gegründeter Meynnng, auf dem Wege nach dem Garten Gethsemane, damit sie jeden mochten, daß er alles voraus gewußt, was in dieser Nacht und dem folgenden Tage an ihm geschehen würde. Er hatte zu ihnen gesprochen, er gehe nun zu dem, der ihn ge¬ sandt , aber niemand unter ihnen frage ihn, wo er hingehc, sondern weil er solches geredet, waren sie so bestürzt, so wären sie empfindlich darüber gerührt, und ihr Herz so voll Traurens geworden, daß sie kei¬ ne weitere Nachricht davon, als von einer äußerst be¬ trübten Sache, verlangten. — Er zeigte ihnen aber, daß sie sich nicht so sehr betrüben sollten. Er suchte ihr beklemmtes Herz dadurch zu erleichtern, da er ih¬ nen den herrlichen Nutzen seines Ausganges aus die¬ ser Welt vorstellte. Denn nebst dem, daß er dadurch zu seinem himmlischen Vater komme, und zum feyer- lichen Besitze seiner Herrlichkeit eingeführet werde, so sey auch dieses ihnen nicht zum Schaden, sondern zum ausserordentlichen Nutzen, indem hernach der Tröster zu ihnen kommen würde. Er versicherte sie zu Wiederholtenmalen, daß er die Wahrheit sage, daß es gewiß für sie gut sey, wenn er sie verlasse, und zum Vater gehe; denn wenn er nicht hingehe, so kä¬ me der Tröster nicht, gehe er aber hin , so wolle er ihnen denselben senden; diesen göttlichen Geist, die- A L sen — c io ) — se ir allmächtigen Beystand , der ihre nothleidende» Herzen mit seinem göttlichen Troste mächtig erquicken könne, der sie durch seine Gnadengegenwart in allen ihren Nöthen starken, und durch seine innerliche Sal¬ bung also aufrichten und ermuntern werde, daß sie niemals verzagen, niemals kleinmüthig werden, und in Schwermuth fallen würden, sondern durch seinen Beystand getröstet und gestarket über all ihre Verfol¬ gungen siegen sollten. Dieser göttliche Geist sollte also nicht eher zu den Aposteln kommen, als bis Christus zu seinem himm¬ lischen Vater würde aufgestiegen seyn. Denn obgleich der heilige Geist auch im alten Testamente bey den Gläubigen Gottes mit seinen ordentlichen und ausser¬ ordentlichen Gaben war, mit welchen er dieselben er¬ leuchtete, im Guten starkete, und durch den Mund der Propheten und Bothen Gottes öfters redete, wie die evangelische Geschichte von dem alten Simeon ausdrücklich versichert, daß der Geist Gottes in ihm gewesen sey, so sollte doch nach Gottes weiser An¬ ordnung die sichtbare Ausgiessung des heiligen Geistes nicht geschehen, und die ausserordentlich großen und wunderbaren Gaben desselben sollten nicht eher den Aposteln und frommen Dienern Gottes mitgetheilet werden, als bis Christus durch seine glorreiche Him¬ melfahrt zu seinem Vater gegangen, und das Werk der Erlösung gänzlich vollendet hatte, damit es. offen¬ bar würde, und ein erleuchtender Beweis seyn möch¬ te, daß Jesus im Himmel lebe und regiere, daß ihm der Vater alle Macht, die Gaben des heiligen Geistes auszutheilen, gegeben habe, und daß von ihm, als urrserm erhöheten Heylands uns alles Gutes herkom¬ me, — ( II ) — me, und wir ihm und seinen göttlichen Verdienste» nlles zu verdanken haben. Ans diesem ersten Theile der heutigen Rede Jesu ersehen wir nun, meine werthcsten Christen, daß die Jünger nicht begriffen, wie Jesu Tod ihr Leben und ihre Seeligkeit seyn sollte. So verstehen wir auch oft nicht, was zu unserm Beßten und zu unserm wahren Glücke dienet. In Sachen auf den geheimen Wegen Gottes sieht unser natürlicher Verstand öfters nur äußerst dunkel. Wir betrüben uns öfters bey Bege¬ benheiten, bey welchen wir uns erfreuen sollten, bey Begebenheiten:, welche der gütige Gott zu unserem Beßten augeordnet hat, so wie sich die Jünger Jesu bey Ankündigung seines Hingangs zum Vater betrüb¬ ten, da er sie doch versicherte, sic hätten mehr Ursache sich zu erfreuen, wegen dem grossen Nutzen, den die¬ ser Hingang für sie haben würde. Wir sehen zweytens, daß die Jünger nichts von dem Leiden Christi hören wollten, denn ihr Herz wur¬ de bey Ankündigung desselben ganz mit Traurigkeit erfüllet. Wir Menschen können uns auch in nichts weniger als in Leiden und Trübsal schicken, da doch nicht allein das Leiden Jesu, sondern unser eigenes Leiden unsere ganze Wohlfahrt befördert, da es doch öfters geschieht, daß wir erst im Leiden uns selbst und unsere Schwachheiten erkennen , und dabcy an uns Fehler und Sünden entdecken, die uns vorher ganz verborgen waren, und die wir vielleicht sonst niemals erkannt hätten. Wie es den Söhnen Jakobs ergieng, die sich wegen ihrer anJofeph verübten Miss sethat nicht eher schuldig gaben, als bis sie in Aegyp¬ ten ihre Freyheitverlyhren hatten. Pharao wollte auch die ( rs ) — die Macht des Jehova nicht eher anerkennen, als bis er mit vielem Leiden und mit harten Plagen heimge- suchet wurde. So gieng auch der verlohrne Sohn nicht eher in sich, als bis er Mangel an Brod litt, und darben mußte. Sv geht auch noch heut zu Tage mancher Sundes nicht eher in sich, als bis ihn Gott züchtiget, bis ihn Gott auf das Krankenbett wirft, oder andere Kreuze und Leiden auf den Hals schicket, wodurch er wie Pharao den Arm Gottes erkennen, und sich vor dem Herrn demüthigen muß. Durch Krcu- He und Leiden werden wir vom sündlichen Anhänge Ln die Welt, von manchen Eitelkeiten und verbothe- nen Neigungen abgezogen, und durch, KreuHe und Leiden werden wir unserem Heylande ähnlich; „Chri¬ stus hat gelitten für uns, so müssen auch wir nach feinem Beyspiele leiden." (i.Petr. 2.) Durch Kreu^ He und Leiden werden wir der Herrlichkeit Jesu theil- haftig werden, und mit ihm einstens zu seinem Va¬ ter hingehen; „sterben wir mit ihm, so werden wir mit ihm leben", versichert uns Paulus in seinem 2ten Briefe an seinen Schüler Timotheus 2. K-; „dulden wir mit ihm, so werden wir mit ihm herrschen." Drittens, sehen wir aus dieser Rede Jesu an sei¬ ne Jünger, wie freudig er in seinen Tod gieng. Und mit welchen Schrecken denken wir öfters au unsern Tod, meine werthesten Christen!— Woher kömmt aber dieses? Von keiner andern Ursache, als weil wir entweder mit unsern Herzen der vergänglichen Welt zu sehr anhangeu, oder weil mir den Tod wegen un¬ fern Sünden zu sehr fürchten. Wir werden traurig, wenn uns eine Krankheit überfallt; wir bekümmern uns wegen dem bevorstehenden Tod, da doch dieser ein ein Uebergang zum ewigen Leben für uns ist, da wir doch von dem zeitlichen Tode Zu den himmlischen Freu¬ den, von der harten und sauren Arbeit zur erquicken¬ den Ruhe, und von dem gefährlichen Kampfe zum ewigen Frieden, und von der Welt zu unserm himm¬ lischen Datcrlande übergehen. Mertens sehen wir, meine Merkheften Christen, daß Jesus seine Jünger durch eines der kräftigsten Mittel getröstet, da er ihnen den heiligen Geist zu senden versprach. Denn wie groß , wie thener, wie herrlich und trostreich ist nicht dieses Geschenke? Trost¬ reich hat zwar Elias seinen Schüler Elisa verlassen, da er ihm seinen Mantel und seinen Geist bep seinem Ausgange aus dieser Welt schenkte, aber wie weit trostreicher verläßt hier nicht Jesus feine Schüler? da er ihnen keinen menschlichen Geist, sondern den göttlichen Geist sclbsten zu senden versprach, der ihnen in allenZufällendieses Lebens beystehen, sie alle Wahr¬ heit lehren, sie in allen ihren Betrübnissen trösten, und ihr Herz erfreuen sollte. — Groß zeigte sich die Liebe Gottes in Sendung des göttlichen Sohnes, aber eben so groß zeigte sich dieselbe in Sendung des heili¬ gen Geistes, der uns diese göttliche Liebe des Soh¬ nes zueignet. O, wenn wir dieses herrliche Geschenk hoch genug zu schätzen wüßten, und den Vater und seinen ewigen Sohn bitten möchten, daß sie auch uns diesen Geist mittheile», dessen Wirkungen bey einer frommen Seele so herrlich sind, wie wir im zwepken Lheile hören werden, Zwey- Zweyter L h eil. Ahristus sagt in wenigen Worten seinen Jüngern alle Wirkungen vor, die der göttliche Geist, den er ihnen nach seinem Hingange zum Vater zu senden versprach, Hervorbringen sollte. Andere Wirkungen, sagt er, würde er bey ihnen und bey allen seinen frommenAn- Hangern haben, andere aber bey der Welt und den gottlosen Menschen. Bey den frommen Gläubigen soll er sein gnadenreiches Lehr-und Trostamt ausüben, bey der Welt aber sein hartes Srafamt. Bey den frommen Jüngern würde er ein Tröster, denn so nenn¬ te er ihn, und ein Geist der Wahrheit seyn. Dieses doppelte Amt soll er bey den Frommen ausüben. Erstens zwar soll der göttliche Geist seine Jünger und alle frommen Christen trösten, ihnen ein mächti¬ ger Beystand seyn, in allen Nöthen helfen, ihre Ge¬ mächer beruhigen, die Traurigkeit in ihnen lindern, sie in dem Vertrauen auf Gott starken, und ihre See¬ len innigst getröstet erhalten. Und deßwegen nennt er ihn einen Tröster. Zweytens soll er auch seinen Jüngern und allen wahren Christen dir Wahrheit lehren. Er soll ihnen die wahre Erkenntlich Gottes beybringen, dessen hei¬ ligen Willen bekannt machen, und sie in allem, was zu ihrer Seligkeit und zur Verrichtung ihres Amtes gehöret, unterweisen. Er nennet ihn deßwegen den Geist der Wahrheit. Er habe ihnen noch vieles zu sa¬ gen , sie könnten es aber anjeho nicht vertragen. Er habe ihnen nämlich noch manche Sachen theils zu ent¬ decken, theils zu erklären, sowohl was seine eigene Person andelangt, von seinem Tode nämlich, von sei¬ ner ner Auferstehung und Himmelfahrt, von der zukünf¬ tigen Einrichtung und von dem Zustande seiner Kirche auf Erden, als auch was sie als seine Apostel anbe-- langt, von ihren Leiden, von ihren Trübsalen und Verfolgungen, die sie in der Welt auszustehen hätten, von der Berufung der Heyden, von der allgemeinen Ausbreitung des Evangeliums durch den ganzen Erd¬ kreis, und von andern Sachen mehr, die das Heil der Menschen und ihre eigene Wohlfahrt betreffen. Dieses alles habe er ihnen noch zu sagen. Sie könn¬ ten es aber anjetzo nicht ertragen, theils wegen ihrer gegenwärtigen Traurigkeit, welche ihre Herzen einge¬ nommen hätte, und ihnen die gehörige Aufmerksam¬ keit nicht gestattete, theils auch wegen ihrem schwa¬ chen Verstände, in geistlichen Sachen, und wegen ih¬ ren schädlichen Vormtheilen, denen sie noch anhicn- gen. „Wenn aber der Geist der Wahrheit kommen wird, der soll sie in alle Wahrheit leiten", der soll alle Finsternisse ihres Verstandes vertreiben, und ih¬ nen alles dasjenige, was sie bisher nur dunkel erken¬ net hätten, hell ciusehen und erkennen machen. „Dieser göttliche Geist soll nicht von sich sechsten reden, sondern was er hören wird, das soll er reden, und was zukünftig ist, das soll er ihnen verkünden. Was nämlich in den ewigen Rathschlüffen der heilig¬ sten Dreyfaltigkeit beschlossen worden, daß es dem menschlichen Geschlechte sollte geoffenbaret werden, das würde er reden, und was zukünftig ist, das würde er verkünden. Er würde ihnen noch man¬ che verborgene und zukünftige Dinge offenbaren. — Dieser göttliche Geist würde ihn verklären, wie, guich nach -em heutigen Evangelium, von dem Evangeli¬ sten — ( .6 ) — sten hiuzugesetzet wird. Er würde nämlich sein Mitt- leramt , seine Person und sein Werk verherrlichen, sein Versöhnungswerk in den Herzen der Menschen herrlich machen, dadurch, da er veranstalten würde, daß die Erkenntiiiß von der Erlösung allenthalben ausgebreitet, und von vielen heilsam und dankbar an¬ genommen werde. — Er würde es vou dem Seinigen nehmen, und cs ihnen verkündigen. Denn alles, was der Vater hat, das wäre auch sein, darum habe er gesagt, daß dieser Tröster, den er ihnen senden wer¬ de, es von dem Seinigcn nehmen, und ihnen verkün¬ digen würde. Dieses sollten die Verrichtungen des Trosts-und Lehramtes seyn, welches der heilige Geist bey den Aposteln und frommen Anhängern Jesu haben würde. So tröstlich aber, meine werthesten Christen, die Sendung des heiligen Geistes für die Freunde Gottes seyn würde, so schreckbar soll sie für die sündige Welt seyn. Höret, mit welchen schreckbaren Worten unser Erlöser dieses seinen Jüngern ankündiget, da er heute sagt, daß der Tröster die Welt bestrafen solle, und zwar nicht in einem, sondern in dreyen Stücken, ja auch nicht allein in dem, was jedermann für sträflich hält, sondern auch in dem, was die Welt manches¬ mal für gut hält, in der Gerechtigkeit nämlich, er soll ihr ihre falsche Gerechtigkeit vorhalten, um sie auf die wahre zu weisen. Er soll alles, was noch in dem Menschen Welt ist, bestrafen. Durch ihn und fein gepredigtes Wort solle offenbar werden, was ei¬ gentlich Sünde sey, und die richtige Kenntniß vom Rechte und Unrechte soll von ihm gegeben werden. Besonders aber würde er die Welt von dem Unglau¬ ben, sie« , durch welchen sie ihn als den Erlöser nicht er¬ kennen wollte, als von der allernnveraNtwortlichsten Sünde überzeugen. Lasset uns die eigenen Worte unsers Erlösers hö¬ ren , um dieselben desto reifer überlegen, und zugleich auf uns anweuden zu können. „Wenn der Tröster kommt, wird er die Welt der Sünde wegen, der Ge¬ rechtigkeit und des Gerichts wegen bestrafen. Der Sünde wegen zwar, weil sie an mich glaubet. Der Gerechtigkeit wegen aber, weil ich zum Vater gehe, und ihr mich nicht mehr sehen werdet. Des Gerichts wegen aber, weil der Fürst dieser Welt gerichtet ist." Erstens also soll der ankommende Geist Gottes die Welt der Sünde wegen bestrafen, weil sie nicht an Jesum glauben wollte. Er soll der Welt zeigen , wie thöricht sie gehandelt habe, daß sie seine Lehre verwor¬ fen, seinen Wunderwerken nicht geglaubet, und den Herrn der Wahrheit und des Lebens getobter hat. Las¬ set «ns, meine wcrthcsten Christen, hier bep diesen Worten etwas verweilen, und die Betrachtung auf uns anwenden. Gleichwie dieser Geist Gottes die Ju¬ den ihres schändlichen Unglaubens wegen bestrafe» konnte, so kann er noch jetzt die Welt wegen dem Un- ' glauben, dieser vergifteten Quelle aller Sünden, die¬ ser schädlichen Wurzel alles Nebels, bestrafe«. Den» man muß bekennen, daß der Abgang eines starke» lebendigen Glaubens der verdammliche Ursprung aller Sünden und Laster ist, die unter den Menschen noch herrschen. Denn würden die Menschen sich recht innigst von den göttlichen Wahrheiten überzeugen, würden sie recht mit ganzer Seele an Gott, an seinen Sohn und dessen Wort glauben , würden sie gewiß dafür ErMr.d.Evaug.H.Ts,. B halte». ( ls ) — halten, daß Gott das Gute, wie er versprochen hat, ewig belohnen werde, das Böse aber, wie er ange¬ droht hat, auf das Harreste und ewig strafen werde, so würden sie stch mehr vor Sünden und Lastern hüten, sie würden durch das Strafgericht Gottes erschreckt ih¬ ren bösen Neigungen mehr Widerstand thun, und von Sünden Massen. Weil sie aber keinen rechten leben¬ digen Glauben haben, so erschrecken sie weder über ih¬ ren Sündenstand, noch über die Gerichte GotteS, sie leben in Unzucht und anderen Lastern, als wenn es keinen Gott gäbe, der ihre Sünden sähe, und diesel¬ ben nach diesem Leben ewig bestrafe. So wie also der heilige Geist die Juden wegen ihrem Unglauben als der Quelle ihrer Verstockung und grossen Sünden be¬ strafen soll, so wird der nämliche Geist Gottes noch die heutige Welt wegen dieser Sünde des Unglaubens bestrafen. Zweytens sagt Christus, werde der ankommende Tröster die Welt bestrafen der Gerechtigkeit wegen, daß er zum Vater gehe. Er würde die Well nämlich bestrafen, weil sie die wahre Gerechtigkeit, die er er¬ worben, und durch seinen Hingang zum Vater bestät¬ iget hat, nicht erkennen und annchmen wollte. Er würde die Welt überführen, daß Christus durch sei¬ nen Tod, den er nicht für seine Sünden, deren er keiner fähig war, sondern für die Sünden der Welt ausgestandcn, die wahre Gerechtigkeit in die Welt wiederum eingeführet, und die alte Schuld der Sün¬ den bezahlet habe, und er würde die Welt überfüh¬ ren, daß der Mensch die Gerechtigkeit auf keine anders Weise, als durch Jesum den Mittler deS ganzen Men¬ schengeschlechtes, erhalten könne. Lasset uns aberma! diese ( ry ) diese Worte Christi auf uns anwenden, meine werthc- sten Christen, denn so wie der Geist Gottes die Juden bestrafen sollte der Gerechtigkeit wegen, die fte nicht erkennen und annehmen wollten, so wird er auch noch die jetzige Welt der Gerechtigkeit wegen bestrafen, weil sie sich die von Christo erworbene Gerechtigkeit nicht gehörig zu Nutzen macht, oder weil ihre Gerech¬ tigkeit öfters nur eine Scheingerechtiakeik ist. Er wird nämlich noch manche Menschen bestrafen auch wegen Werken, die Ihnen gerecht scheinen, wegen scheinge¬ rechten, wegen jenen an sich guten Werken, die aber von keiner aufrichtigen guten Mepnung begleitet wur¬ den, und die Liebe Gottes und des Nächsten nicht zum Beweggründe hatten. Er wird also Manche we¬ gen jenen an sich guten Werken, als Bethen, Fasten, Attmosengcben, Meß-und Predigkhören und anderen an sich tugendhaften, gerechten Handlungen bestrafen, wenn sie aus Zwange, oder bloßer Gewohnheit, oder gar aus eite!» nichtswürdigen Absichten » und nicht aus einer wahren, reinen Frömmigkeit herkamen. Drittens soll der ankommende Tröster die Welt des Gerichts wegen bestrafen, daß der Fürst dieser Welt gerichtet scy. Da diese Stelle eine von den schwe¬ rem in den Evangelien ist, so hat sie zu vielen Ausle¬ gungen Anlaß gegeben, unter welchen jene mir die wahrscheinlichste zu seyn scheinet, daß der Tröster die Welt bestrafen werde, weil sie nicht glauben wollte, daß Jesus durch seinen Tod die Macht des Satans zernichtet, sein Reich zerstöhret, und diesen Fürsten der Welt völlig gerichtet und besieget habe, da er durch sei» Leiden und Tod für die Sünden der Welt genug gethan, und die Menschen seiner Bvlhmäßigkeit glück- B « lich — ( 20 ) - lich entrissen hat. Durch die Wunderwerke des heili¬ gen Geistes soll die Welt besonders erkennen, daß der Satan seiner Herrschaft entsetzet worden, indem die Abgötterey, derer Urheber und Beförderer er war, der Religion Jesu wird Platz machen müssen. Auch sagen etliche ^chriftausleger: der heilige Geist werde die Welt durch Androhung des letzten Gerichts bestra¬ fen, er werde die Sünder durch diese Vorstellung er¬ schrecken, daß ihre Sünden bey der zweyten Ankunft Jesu in diese Welt der ganzen Versammlung der Men¬ schen vor Augen gelegt, nach der strengen Gerechtig¬ keit gerichtet, und nach der Scharfe abgestrafet wer¬ den sollten. Dieser göttliche Geist, meine werthesten Christen, Len Christus bey seinem Abschiede seinen Jüngern ver¬ sprochen, sollte die ersten Christen trösten, und alle Wahrheit lehren, aber die ungläubige Welt der Sün¬ de, der Gerechtigkeit und des Gerichts wegen bestra¬ fen. Dieses nämliche drepfache Amt übet dieser gött¬ liche Geist noch täglich in der christlichen Kirche auS, «r tröstet die Frommen , richtet sie auf in ihrer Trau¬ rigkeit, er hilft ihrer Schwachheit durch seine Gnade, steht ihnen bey in allen ihren geistlichen Kämpfen, und lehret sie noch jetzo alle Wahrheit. Sind seine Wundergaben gleichwohl nicht mehr so sichtbar, als ste zu den Apostelzeiten mitgctheilet wurden, so nimmt doch noch jetzo die ganze Kirche an diesem herrlichen Geschenke Theil. Er steht ihr als der Geist der Wahr¬ heit noch bey. Er lehret ihre Kinder, so wie ehedessen durch den Mund seiner Propheten und Apostel, nun durch den Mund seiner Diener. Er unterrichtet alle Glieder -er Kirche durch sein heiliges Wort, und nur durch - ( 21 ) — durch ihn wird der Unterricht von unserem ewigen See- lenhcile wirksam, da er denTrost des göttlichen Wor¬ tes recht kräftig an unser Herz leget, in unserem Ver¬ stände das Licht des Glaubens anzündet, und «ns auf den rechten Weg des Heils führet. — Glückselig sind wir, wenn wir uns seiner Führung allzeit überlas¬ sen, und überglückselig sind wir, meine werkhesten Christen, sage ich, wenn dieser göttliche Tröster in uns wohnet, den uns unser Erlöser durch sein Leiden und Tod verdienet hat, und wenn wir die seligen Wir¬ kungen seiner Gnade in uns verspüren. Glückselig sind wir, wenn wir das innre Zeugniß des Geistes Gottes in uns haben. Dieses herrliche Zeugniß haben wir aber in uns, wenn wir Ruhe und Friede in unserem Gewissen finden, wenn unser Gewissen uns sagt, daß unsere Seele rein von allen Sünden, daß wir droben einen versöhnten Vater haben, daß wir dem Tod und unscrm Richter ruhig entgegen sehen können, und daß wir uns die frohe Hoffnung machen können, jenseits dieser Welt unter die Kinder Gottes ausgenommen zu werden. So wie aber der Geist Gottes sein Trost, und Lehramt bey den Frommen noch jetzo ausübet, meine lieben Christen, so übet er noch bey der bösen Welt sein Strafamt aus. Er strafet noch jetzo die gottlosen Kinder der Welt wegen ihrer Sünden, er stellet ihnen die Häßlichkeit derselben und die Gefahr der Seele vor, er kündiget ihnen Gottes Drohung und scharfe Strafgerichte an, damit sie in sich gehen, und sich zu ihm bekehren möchten. Diese Bestrafung geschieht von ihm auf verschiedene Weise, bald durch die innere Stimme des Herzens, durch Gewissensbisse, die das B z Herz — ( 22 ) — Herz des Sünders zernagen, und ihm keine Ruhe lassen. Und dieses ist noch eine besondere Gnade für den Sünder, denn erschrecklich ist der Stand eines Menschen, welcher nach begangener schweren Sünde keine Gewissensängsten mehr fühlet, da dieses das untrüglichste Zeichen ist, daß er ganz vom Geiste Got¬ tes verlassen, und dem verkehrten Sinne übergeben sey. Bald bestrafet er durch sein göttliches Wort, welches er durch seineDiener, durch Prediaer, Beicht¬ väter, Seelsorger vortragen laßt. Bald durch das Beyspiel frommer Christen, die jemals in der Kirche gelebet haben, oder noch leben, die im gleichen Stan¬ de sich befinden, und mit gleichen Leidenschaften um¬ geben sind, deren unschuldiges Lebenden ausschwei¬ fenden Sünder beschämen mnß. Bald bestrafet er das sündige Weltkind durch Krankheiten, und durch ande¬ re Unglücksfälle, damit es, da es zuvor wenig an Gott gedacht, in sich gehe, und sich zu dem Herrn bekehre. — Gut ist es, wenn der Tröster den Sün¬ der also beschuldiget und bestrafet, aber noch besser, wenn sich dieser solche heilsame Beschuldigungen zu Nutzen macht, und sich vom Herzen zu Gott bekehret, damit er die angenehmen Wirkungen des heiligen Gei¬ stes, die süßen Wirkungen des Trostes und der Ruhe des Gewissens in sich empfinden möge. Sehet, meine rverthesten Christen, was ich euch über das heutige Evangelium zu sagen hatte. Sehet das große Gnaden¬ geschenk, das unser liebreicher Erlöser, unser großer Mittler Jesus Christus bey seinem Hingang zum Va¬ ter uns versprochen, und uns wirklich gegeben hat. Niemals, in Ewigkeit niemals, werden wir ihm da¬ für genügsamen Dank abstatken können. Die Kirche läßt laßt dieses Evangelium einige Zeit vor dem Pfingstft- ste verlesen, was ist dabey ihre Absicht? Keine andere, als daß wir mögen besorgt seyn, unser Herz zu reini¬ gen, damit dieser göttliche Geist seine Wohnung bey uns aufschlage. O daß wir alle also uns nach Kräf¬ ten bestreben mögen, unser Herz so gut zuzubereiten, damit wir gleich den ersten Christen an dieser großen Gnade Theil nehmen können! O daß dieser göttliche Geist unsere Herzen mit seinem göttlichen Troste und mit seiner reinen Liebe allezeit zu erfüllen, und unfern Verstand mit seinem himmlischen Lickte zu erleuchten sich würdige, damit wir unter seinerweisen Führung, in unserem Stande und Berufe Gott getreu dienen, und durch seine himmlische Kraft und Beystand gestär- ket, die Wege des Herrn unsträflich wandeln mögen, bis die Zeit kömmt, daß auch wir zu unserm himmli¬ schen Vater hingehen, um an der Herrlichkeit unser- Erlösers Theil zu nehmen , Amen l Auf den fünften Sonntag nach Ostern Evangelium Ioh XVI. az-Zs. ^bahrlich, wahrlich ich sage euch, so ihr den Va¬ ter etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird ers euch geben. Bisher habt ihr nichts gebe- Lhen in meinem Namen, bittet, so werdet ihr em¬ pfangen , auf daß eure Freude vollkommen sey. Dieses habe ich durch Gleichnisse zu euch geredet, es kömmt aber die Gründe, daß ich nicht mehr B 4 durch — ( 24 ) — durch Gleichnisse zu euch rede» werde, sondern euch frey heraus verkündigen werde, von meinem Va¬ ter. An demselbigen Tage werdet ihr in meinem Namen bitten. Und ich sage euch nicht, daß ich deu Vater für euch bitten werde, denn der Vater selbst hat euch lieb, darum, daß ihr mich geliebet, und geglaubt habet, daß ich von Gott ausgegangen scy, Ich bin vom Vater ausgegangen, und in die Welt gekommen. Ich verlasse wiederum die Welt, und gebe zum Vater. Seine Jünger sprachen zu ihm: sieh, nun redest du öffentlich, und sagest keine Gleichnisse. Nu» erkennen wir, daß du alle Dinge weißt, und nicht nöthig hast, daß dich Jemand frage. Darum glauben wir, daß du von Gott auögegange» bist. Wenn ihr dm Vater etwa,? bitten werdet in meinem Na¬ men, so wird ers euch geben- Ioh. i6. V. rz. Eingang. Auch dieses Evangelium ist ein abgebrochenes Stück von jener vortrefflichen Abschiedsrede, welche Jesus auf seinem Leidenswege zu seinen Jüngern hielt, und worinn er als der liebreichste Vater diese seine betrüb¬ ten Kinder auf alle mögliche Weise zu trösten sich be- mühete. Wir können daher sicher schliessen, meine werthesten Christen, daß wir wiederum solche schöne Lrostgründe darinnen antreffeu werden, die ganz ge¬ wiß im Stande waren, sie in ihrer großen Traurig¬ keit aufzurichten. Ju der That, welchen mächtigen Trost hinterließ er seinen Jüngern nicht darinn? um ihnen seinen Ausgang aus dieser Welt, den er einen Hingang — ( -A ) — Hingang zum Vater genennt hatte, recht nützlich vor¬ zustellen, verspricht er ihnen die Erhörung ihres Ge- bcthes, welches einer von den ersten Segen seines Hingangs seyn sollte, und welches alles reichlich er¬ setzen würde, was ihnen durch seinen Abschied entzo¬ gen zu werden schien. Alles, was ihnen mangle, und was sie von ihm begehren würden, wenn er noch bey ihnen wäre, um das sollten sie nur den Vater i» sei¬ nem Namen bitten, so würde ers ihnen gewiß geben. Zu diesem Trostgrunde von der Erhörung deS Ge- bethcs setzt er noch einen ander» hinzu, daß sic näm¬ lich bald nach seinem Ausgange aus dieser Welt alles klarer verstehe» würden, als sie cs bisher verstunden, er habe seinen bisherigen Unterricht von dem Reiche Gottes und den Sache», die das ewige Heil betref¬ fen , gar oft in Gleichnisse uud Sprüchwörter einge¬ kleidet, und dieses zwar wegen der Schwache ihres Verstandes, wobey ihnen doch noch manches dunkel und unverständlich verblieben wäre. Auch aus dieser Ursache hätten sie nicht alles begriffen, weil noch nicht alles an ihm erfüllet wäre. Es würde aber nun bald die Zeit kommen, wo dieser Vortrag in Gleichnissen aufhörcn sollte, wo er ihnen alles frcy von dem Va¬ ter verkündigen wolle, und wo sie alles klar, wie das Helle Mittagslicht einsehen würden, besonders, wenn sie die Gaben des heiligen Geistes würden empfangen haben. Er gibt ihnen auch zum Trost die Versicherung von der Liebe, die der himmlische Vater zu ihnen be¬ sonders trüge, weil sie seine Jünger wären. Sie wä¬ ren vorzüglich dem Vater bekannt und angenehm, B z weil — ( 26 ) — weil sie an ihn geglaubt hatten, daß er von ihm auS- gegangen, und in die Welt gesendet worden sey. Darinn bestehen, meine werthesten Christen, die heutigen Trostgründc, mit welchen Jesus , dieser gü¬ tigste Menschenfreund, seine bestürzten Anhänger anf- zurichten suchte. Diese können eigentlich in zween Theile eingetheilet werden, welche die zween Theile der heutigen Erklärung unsers Evangeliums ausma- cheu sollen. Erstens in die Verheissung, daß ihr Ge- beth jederzeit erhöret werden solle. Zweytens in die Verheissung, daß sie alle bisher vorgetragene Wahr¬ heiten klarer verstehen würden. Im ersten Theile also, wollen wir das Versprechen Christi von der Erhörung des Gcbethes, und im zweyten Theile sein Verspre¬ chen von dem kläreren Verständnisse der Religions¬ wahrheiten, welches er seinen Jüngern geben würde, vernehmen. Erster Th ei!. N8enn ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird crs euch geben. So spricht der lieb- volle Erlöser zu seinen Jüngern, als er vor seinem Leiben von ihnen Abschied nahm, um sie dadurch zum Gebethe, welches vieles vorz seiner körperlichen Ge¬ genwart ersetzen sollte, zu ermahnen. Er suchet sie dadurch zum öfter» Bethen auszumuntern und zu be¬ wegen, da er ihnen fcyerlich verspricht, ihr Gebeth solle allzeit erhöret werden, und da er besonders die¬ ser seiner Verheissung die größte Zuverläßigkeit gibt, indem er dieselbe um sie wegen der unausbleiblichen Erhörung des Gebethes ganz gewiß zu versichern, mit einem doppelten Eide bestättiget. Er unterrichtet sie anbey. — ( 27 ) — anbey, zu wem sie bethen sollen, und zeigt ihnen die Weis und Art, wie, und um was sie hetheu sollen. Las¬ set uns, meine wcrthesicn Christen, dieses alles mit den Worten des Evangeliums selbsten vernehmen. Wahrlich, wahrlich, sage ich euch, so ihr den Vater etwaF bitten werdet in meinem Namen, so wird ers euch geben. Konnte wohl unser Erlöser feinen Jüngern eine sicherere Zusage und fcyerlichcre Versi¬ cherung geben, als er durch diese Worte gethan? Eine Zusage, die er mit einer doppelten Betheurung befe¬ stigt , daß ihr Gebeth allzeit solle erhöret werden. Wahrlich, wahrlich, sage ich euch, wenn ihr den Va¬ ter um was bitten werdet in meinem Namen, so wird ers euch geben. Welch ein trostvolles Versprechen! Welche feyerliche Versicherung, aus dem Munde der ewigen Wahrheit selbst. Wenn ihr den Vater um was bitten werdet; er zeiget ihnen also, zu wem sie bethen sollen, zu Gott ihrem Vater nämlich. Und wie tröst¬ lich mußte dieses nicht für ihre niedergeschlagenen Ge- mütherseyn, da er ihnen Gott als einen liebvollen Vater vorstellt? Welch ein Vertrauen konnte dieses nicht in ihnen erwecken? Er hatte cs ihnen schon zur andern Zeit gelehrek, daß sie zu Gott bethen sollen. Vater unser der dn bist in den Himmeln. Anjeßo sagt ers ihnen noch einmal kurz vor seinem Tode, daß sie zu Gott bethen könnten mit dem Vertrauen eines Kin¬ des gegen seinen beßken Vater, der es herzinnigst lie¬ bet, und an dessen Hand es geleitet wird. Sic könn¬ ten das unaussprechliche Vergnügen haben, in allen Nöthen und Anliegen ihre Zuflucht zu ihm zu nehmen, rNe ein Kind seine Zuflucht zu seinem Vater nimmt. Sie könnten ihr Anliegen ihm jederzeit Vorbringen, ' - ihre - ( 28 ) — ihre Klagen vor ihm ausschütten, und von ihm begeh¬ ren , was sie bedürfen. Alles, was sie recht glücklich machen könne, werde er ihnen geben. Ja er werde ihnen mehr geben, als sie bitten und verstehen könn¬ ten. Und hiezu gab er ihnen seine göttliche Versiche¬ rung , mit einem doppelten Eide bekräftiget. Er zeiget zweutens seinen Jüngern, wie sie be- then sollen, auf daß ihr Gebeth jederzeit kräftig und wirksam sepn möge. Sie sollten nur in seinem Na¬ men bethcn. Sie sollten nämlich ihr Vertrauen und ihremGlauben auf ihn und seine Verdienst^ setzen, sie sollten ihr Gebeth auf seine Fürbitte gründen, nach seiner Vorschrift, die er ihnen im heiligen Vater un¬ ser gegeben, und aufseinen Befehl und seine Verheis¬ sung bethen. Sie sollten ihr Gebeth zu Gott dem Va¬ ter mit einem herzlichen Vertrauen auf sein Wort und göttliches Verdienst verrichten, so würden sie gewiß in ihrem Verlangen erhöret werden.— Bisher hät¬ ten sie noch nichts in seinem Namen gebethen, theils weil sie meistens nur um zeitliche Güter gebethen hät¬ ten, welches nicht hieße in seinem Namen bethcn. — So hatten z.B. die zween Söhne des Zebedäus, Ja¬ kobus und Johannes, gebethen, in seinem Reiche ne¬ ben ihm zu sitzen. Petrus hatte um die Gesundheit sei¬ ner Schwieger gebethen, ohne erst bestimmen zu kön¬ nen, um was die übrigen Apostel gebethen, weil das Evangelium davon schweiget. Theils aber, und haupt¬ sächlich, sagte Jesus seinen Jüngern, daß sie nichts, so lange er bey ihnen gewesen, in seiuem Namen ge¬ bethen, weil sie noch nicht so vollkommen verstunden, daß er ihr Mittler und Fürsprecher beym Vater sey, als sie es hernach verstanden haben, nachdem er als das — ( 2Y ) — -as am Krcutzc vollendete Opfer in dem Himmel eins gegangen, aufdaß er vor dem Angesichte seines himm¬ lischen Vaters für sie und für alle Menschen als ein Fürsprecher erscheine. Auch waren noch nicht alle ver¬ dienstliche Handlungen Jesu, besonders sein verdienst¬ volles Leiden noch nicht geschehen, Christus war noch nicht gestorben, daß sie durch seines Todes große Ver¬ dienste hatte» bcthen können. Drittens sagt er ihnen, um was sie bethen sollen. Um alles dasjenige nämlich, was ihnen nützlich un- heilsam, was ihnen zur Erhaltung der Seele und des Leibes nöthig wäre. Bittet, so werdet ihr empfangen, daß eure Freude vollkommen werde. Sie würden alles erhalten, und empfangen, was sie sich ausbäthen und was sie verlangten, so, daß sie eine vollkommene Freude darüber haben, und vollkommen in Gott zufrieden seyn würden. Diese Worte, M. lieb. Christen, können auch dahin ausgelegct werden, daß Christus seine Jünger ermahnte, mehr um geistliche als weltliche Güter zu bitten, als welche ihre Freude allein vollkommen ma¬ chen könnten, da im Gegentheil alle Güter der Erde, alles Gold und Silber der Welt, die höchsten Ehrcn- stufen und größten Reichthümer, auch mit einer an¬ haltenden vesten Gesundheit vergesellschaftet, unser Herz niemals ersättigen, und unsere Freude daher nicht vollkommen machen könnten. Aber bitten um Verge¬ bung der Sünden, und sie erhalten, bitten um Er- kenntniß Gottes und seines heiligsten Willens, um seine heiligmachende Gnade, und dieselbe erhalten, bitten, um in die Zahl der Kinder Gottes ausgenom¬ men, und einer ewig daurendcn Glückseligkeit theil- haftig zu werden, und in seiner Bitte erhöret werden, das — ( Zv ) — das sep allein im Stande , unsere Freude vollkommen zu machen. N utzanwemdung. Meine werthesten Christen, das Gebeth, welches die Jünger Jesu in seinem heiligsten Namen zu dem Vater verrichten würden, sollte, wie ihr gehöret habt, den Verlust des seligen Umganges mit ihrem göttlichen Lehrer ersetzen, den sie bey seinem Tode erlitten. Und wie rühmlich ersetzet dieses denselben nicht? Wie an¬ genehm ist nicht dieser Umgang mit Gott! Mit jedem Seufzer, mir jedem heilige» Gedanken und frommer Begierde tretten wir zu seinem Gnadenthrone. Gerne bethct deswegen der fromme Christ, mit Freuden ge¬ denket er als ein gutes Kind an seinen himmlischen Vater, um diesen angenehmen Umgang durch das Gebeth mit ihm zu unterhalten. Nicht nur die Noch lehrt ihn bethen, sondern der Empfang oder Genuß einer jeden Gabe Gottes, die aufgehende und nieder¬ gehende Sonne erinnert ihn daran. Das liebenswür¬ dige Bild eines Vaters im Himmel, und eines Für¬ sprechers allda verursachet, daß er sein Gemüth und seine ganze Seele immer dahin richtet. Bey allen sei¬ nen Geschäften denket er von Zeit zu Zeit dahin, freuet sich der Gnade und des Glückes der Kindschaft Gottes, schüttet sein ganzes Herz vor seinem Gnadenthron aus, nahet sich hin zum Allerhöchsten mit einem ganz kind¬ lichen Vertrauen, entdeckt ihm sein Verlangen, und halt um die Erlangung der nölhigeu Sache an. Und was dem frommen Christen zur Freude und zumLroste ist, das istPflicht für alleMeuschen. Gott als den Helfer in unfern Nöthen, als den Geber aller Güter ansehcn, ihn als den grossen Schöpfer der Na¬ tur ( Z! ) tur bewundern »nd anbethen, das ist allgemeinePflicht, für ieden Menschen, welchen die ganze Schöpfung da¬ zu ermahnet. Welcher da sieht, wie sich die Blume der Sonne entgegen öffnet, wie der Vogel sein Haupt und seinen Gesang zum Himmel hebt, und wie das gering¬ ste Gräschen bis zum hohen Zederbaume ihre Spröß- lingc empvrtrage». — Der Mensch, sage ich, der nach dem Baue seines Körpers sein Angesicht gen Him¬ mel tragt, dieser sollte sein Herz nicht mit Anbethung und durch liebvolles Vertrauen zu seinem himmlischen Vater erheben? Wohl thut also das Christenthum, daß es das Gebeth zu einem der vornehmsten Stücke des Gottes¬ dienstes bestimmte. Denn für uns Christen ist es noch mehr Pflicht zu bethen, als für andere Menschen, in¬ dem wir wissen, nicht nur zu wem wir bethen, son¬ dern auch wie und um was wir bethen sollen. Indem wir Christen den ausdrücklichen Befehl hiezu von Gott haben, auch die Versicherung des göttlichen Wohlge¬ fallens und den unlaugbaren Nutzen vom Gebethe ein¬ sehen. Wir wissen, zu wem wir bethen sollen. Wir wis¬ sen, daß wir einen Vater im Himmel haben, der uns helft» kann, uns helfen will und uns zu helfen ver¬ sprochen hat, der sich über die erbarmet, die ihn fürch¬ ten, wie der Psalmist spricht, der sich über uns erbar¬ met, so wie ein Vater sich über seine Kinder erbar¬ met. — Es ist wahr, daß der böse Christ, der von der Zahl der gehorsamen Kinder Gottes ausgestrichen ist, diesen süßen Vaternamcn zu Gott nicht ausspre¬ chen kann, aber der fromme, oder mit dem verlohr- nen ( Z2 ) nen Sohne zum Vater zurückkehrende Christ, kann es mit herzerhebcndem Troste lhun. Wir wissen zweyteus, wie wir bekhen sollen. Im Namen Jesu sollen wir bethen. Wir erkennen zwar unsere Unwürdigkeit vor Gott zu trctten, und etwas um eigenes Verdienst willen von ihm zu begehren, aber die unendlichen Verdienste Jesu ersetzen alle un¬ sere Schwachheit und Unwürdigkeit, diese geben uns das Vermögen, uns mit Gott freymükhig zu unter¬ halten. Denn, wenn wir in seinem Namen bethen, so bittet er für uns, der da sitzet zur Rechten Got¬ tes, der geneigt ist, uns zu helfen, der unsere Sa¬ che aufs beste seinem himmlischen Vater anempfiehlt, welcher ihm ohnehin alle Gewalt und Macht gege¬ ben hat. Wir wissen drittens, um was wir hauptsächlich bitten sollen, um Sachen, die unsere Freude voll¬ kommen machen können, um geistliche Dinge näm¬ lich, um die Güter des Heils, die unser ewiges Glück bestimmen. Nach jener Vorschrift, die uns Jesus anderwärts gegeben suchet zuerst das Reich Gottes, und seine Gerechtigkeit, und al¬ les übrige wird euch beygeleget werden. Bethen wir also, meine wertheste» Christen, so können wir an der Erhörung unsers Gebethcs nicht zweifeln. Denn unser Heyland hat nicht geradehin diese Erhörung uns versprochen, sondern er hat ein doppeltes Siegel der Wahrheit darauf gedrücket. Er hat seine Zusage mit einem feierlichen Eide bekräfti¬ get. Erhöret unsGott nicht, so ist gewiß dieSchuld nicht auf seiner, sondern auf unserer Seite. Dieses geschieht nämlich, weil wir entweder nicht recht auf die ( ZZ ) die vorgeschriebene Weise bethen, oder um Dinge, die wir als nützlich ansehen, uns aber wahrhaft schädlich sind, bclhen. Weil wir nicht im Na¬ men Jesu bethen, weil wir nicht mit einem reinen, oder wenigstens reumüthigen Herzen, nicht mit De- mnth, nicht mit Vertrauen auf die Verdienste Jesu, nicht mit Ergebung in den Willen Gottes, nicht mit Eifer und Beharrlichkeit bethen. Gott erhöret unS öfters nicht gleich, seine Hülfe bleibt aber doch nie¬ mals gar aus. Er scheint zu Zeiten uns nicht zn erhören, well er sich nach unseren wahren Bcdürf- nissen richtet, die er gewiß genauer kennet, als wir, nach diesen erhöret er unser Verlangen. Oft ken¬ nen wir nämlich unser eigenes größtes Anliegen nicht einmal, wir bitten Gott um eine minder nö- thige Sache, ja wohl gar nm etwas Schädliches, ohne daß wir es erkennen. Was soll der allgütigr Vater thun? soll er uns den Stein oder Skorpion geben, um welchen wir ihn gedeihen? — Er wird unser Gebeth nicht verschmähen, aber auf eine bessere Art die Erhörung ersetzen. Er gibt die gesuchte Sache zuweilen zu einer bequemeren Zeit, die seinen weisen Absichten und der Wohlfahrt des Bethen- den gemäßer ist. Oder wenn er die Bitte ab-- schlägi, so gewähret er eine bessere Wohlthat, als jene ist, um welche man gedeihen hat. — Handelt Gott nicht recht väterlich, wenn er uns, statt einer «achtheiligen, eine recht nützliche Sache gibt, oder wenn er statt einer geringer« Gnade uns eine grössere Gnade ertheilet. Dieses ist es, meine werthesten Christen, waS wir auS dem ersten Trostgrunde des heutigen Evan* Erklär, d. Evang. II. Thl. 8?" — < 34 ) — geliums für uns zu bemerken haben. Lasset uns noch kurz auch den zweyten Trostgrund vernehmen im Zweyten Theile. Der zweyte Trost, den der Heyland, nach der Er¬ zählung des heutigen Evangeliums, seinen Jün¬ gern zum Abschiede hinterließ, besteht darinn, wie ich euch schon sagte, daß er ihnen schon eine hellere Erkcnutniß jener Wahrheiten verspricht, die er ih¬ nen während seines Aufenthaltes auf dieser Welt, und besonders in dieser letzten Rede, vorgetragen hat. ,,Er habe bisher in Sprüchwörtern und Gleich¬ nissen zu ihnen geredet. Es käme aber anjetzo bald die Zeit, daß er nicht mehr in einem solchen, ihnen noch dunkeln Bortrage reden, sondern alles klar und frey heraus vom Vater verkündige» werde." Er würde sich künftighin keiner dunkeln Redensarten mehr bedienen, unter welchen er ihnen viele Gehe m- nisse, besonders seinen Tod und seine Auferstehung vorgestellet habe. Welches er bisher ihrer Schwach¬ heit halber thun mußte, da sie die hohen Geheim¬ nisse noch nicht verstehen konnten, da er ihnen gleich Kindern nur Milch und leichte Speisen geben, und sie von den nieder» Stuffen himmlischer Weis¬ heit zu den höher» führen mußte. Er habe sie auf eine liebreiche, freundschaftliche Art geschonet, da er, um sie nicht gar zu sehr zu erschrecken, ihnen nicht alles klar und umständlich gesagt, besonders hier auf dem Wege zu seinem Leiden, daß er näm¬ lich morgen um diese Zeit schon sollte gekreutziget, und ins Grab gelegt seyu. Aus einer schonenden Liebe habe er ihnen noch manches verheelet, oder nur — ( ZF ) Uür dunkel gefügt. Die Zeit käme aber anjeHo bald, wo er zu ihnen nicht mehr in dunkeln Sprüchwörtern und Gleichnissen reden, sondern ihnen alles klar von seinem himmlischen Daker verkündigen werde. —- Dieses würde er nämlich, theils selbst nach seiner Auferstehung thun, wo er ihnen auch wirklich dis Geheimnisse seines Leidens und Todes aus Mose und den Propheten erklärte, wo er ihnen daS ganze Eriösungswerk erst begreiflich machte, und ihrer Fassungskraft alles, was bisher dieselbe zu über¬ steigen schien, klar verlegte, wo er ihnen die grosse Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes, welche durch X die Sünde beleidiget wurden, seine und seines Va¬ ters Liebe gegen daS Menschengeschlecht, seineWeis- heit, seine Güte und Barmherzigkeit, welche die verlohrnen Seelen rettete, und seinen Vortrag ewi¬ ger Wahrheiten faßlich machte, — theils sollte es der Tröster thun, den er bey seinem Abschiede ihnen zu schicken versprochen. — Dieser würde ihnen ein neues und grösseres Maß der Erkenntniß mitthci- len, durch welches sie ihn weit besser erkennen wür« den, so, daß sie in seinem Namen, und durch seine Verdienste den Vater bitten würden, daß sie ihn nämlich als den Mittler des menschlichen Geschlech¬ tes erkennen, und durch seine unendliche Verdienste, welche er den Menschen durch sein Leiden und Lod erworben, dem Vater ihre Bitte vvrkragen würden. Er versicherte zu ihrem neuen Troste , „daß der Vater sie liebe, so, daß es nicht vonnöthen sey, daß er für sie bcp ihm eine Bitte rinlege. Der Vater aber liebe sie, weil sie ihn als seinen Sohn geliebct, und an ihn geglaubet hatten, daß er von Gott ans» C 2 ge- — ( Zv ) - gegangen sey." —- — Der Vater hat euch lieb, — so spricht der Sohu der Liebe zu seinen Freunden, meine werthesten Christen, um ihnen die unaussprech¬ liche Liebe Gottes gegen seine treuen Diener auszu- drücken. Die zärtlichste Neigung eines Vaters ge¬ gen das Beßte seiner Kinder sollte ihnen die zärtlich¬ ste Neigung Gottes gegen seine gehorsamen Kinder schildern. So lieb habe sic der Vater, daß er, ob er schon seine Fürbitte für die Menschen bey ihm ein¬ legen werde, doch nicht sagen wolle, daß es vonnö- then seh, für sie zn bitten, weil sie an ihn glaub¬ ten, daß er von ihm ausgcgangen sey. Denn, versichert er sie ferner, „er sey gewiß vom Vatek ausgegangen, und sichtbar in die Welt gekommen," um durch die angenommene menschliche Natur sein Leiden und Kreuz auf sich zu nehmen, und das Er¬ lösungswerk auszuführen. Anjetzo verlasse er aber die Welt wiederum mit seiner sichtbaren Gegenwart, «achdem er die grosse Sündenschuld derselben bezah¬ let, und kehre zum Vater wieder zurück. Zur Probe und zum Vorgeschmäcke, daß seine Jünger alle Wahrheiten, dir er ihnen geprediget, nach seinem Hingänge besser einsehen würden, sagte er ihnen dieses alles schon so deutlich, als er es ih¬ nen zuvor noch niemals gesagt hatte. Darum spra¬ chen die Jünger schon etwas getröstet zu ihm, „er rede anjetzo frey heraus, und sage keine Gleichnisse nnd Sprüchwörler. Sie erkennten anjetzo, daß er alles wisse, nnd nicht nöthig habe, daß ihn jemand frage." Sie erkennten, daß er ein Herzenskündi- ger sey, dem auch die geheimsten Gedanken offen liegen, da er ihnen nämlich dasjenige gesagt habe, was — ( 27 ) — was ste gerne von ihm hätten wissen wollen, und warum ste ihn gerne gefraget hatten, weil sie es zuvor nicht klar verstunden. Er bedürfe nicht, daß ihn jemand frage, er könne von freyen Stucken sa¬ gen, was man wissen wolle, und könne jeder gehei¬ men , auch nur im Herzen gehegter Begierde, etwas zu wissen, zuvorkommen. Deswegen glaubten sie mit völliger Gewißheit und Ucberzengung, daß er von Gott dem Vater ausgegange» sey. Nutzanwendung. Dieses ist, meine werthesten Christen, der zwei¬ te Theil unsers heutigen Evangeliums, und der zweyte Trost, den unser liebvolle Erlöser seinen Jün¬ gern bey seinem Abschiede hinterlassen hat. Lasser uns hierüber anjetzo eine kurze Betrachtung anstellen. Jesus verspricht hier seinen treuen Anhängern eine grössere Kcnntniß in den Wahrheiten deS Heils zu geben, die sie bis dahin nur dunkel oder gar nicht verstunden. Dieses zeiget uns an, daß wir die Glaubenslehren und diejenigen Sachen, welche un¬ ser ewiges Heil betreffen, von uns selbst nicht ver¬ siehe» können, daß sie lauter unbekannte Sprüch- wörter und dunkle Geheimnisse für uns ohne beson¬ dere göttliche Erleuchtung seyen, „daß der natürli¬ che Mensch, wie der Apostel sagt i. Kor. 2, nicht- vernehme von dem, was des Geistes Gottes ist." Daß wir also nothwendig Gott um seine Erleuchtung bitten sollen, damit wir den göttlichen Unterricht und die Lehren des Heils begreifen, dieselben mit frohem Herzen aunehmcn und willig vollziehen mö- Kcn, auch damit wir in der Kenntniß des Heils C z wach- wachse» mögen, so wie die Jünger in derselbe» wuchsen. — Man setze sich nur nicht den eitlen Wahn und die leere Einbildung in den Kopf, wie man in der Welt zu Hun pfleget, als wisse man al¬ les , was zum Christenkhume zu wissen nöthig. Ein eifriger Christ befleißiget sich täglich, seine Kenntniß in göttlichen Dingen zu erweitern, er laßt sich gerne eines bessern belehren, er bekennet es demüchig, wo er geirret und gefehlet hat, und nimmt es mit Danke an, wenn er liebreich zu rechte gewiesen wird. Der Vater hat euch lieb, sagte Christus seinen Anhängern. Welch ein Trost für wahre Diener Jesu! ha sie diese Versicherung aus dem unfehlbarenMnude der ewigen Wahrheit selbst haben. Der Daker selbst hat euch lieb. Welch ein erquickender Trost für fromme Seelen, da sie nun gewiß wissen, daß sie der Allmächtige seiner Liebe würdige, daß sie bey dem Allerhöchsten in Gnade stehen, der sie als seine wohlgerathene Kinder betrachte. Nun wissen wir, daß du alles weißt, sagten die Jünger in ihrer Betrübniß schon etwas getröstet zu Jesu. Abermal ein Trost für beklemmte Herzen, haß jenem Gott, der die Macht und den Willen hat, uns zu helfen, all unser Verlangen, all unsere auch geheimsten Anliegen bekannt sind. Aber auch, welch ein Mittel gegen alle sündhaften Gedanken, welch ein kräftiges Mittel, jenen Gott mit geheimen Sün¬ den nicht zu beleidigen, dem alle Gedanken und ge¬ heimste Begierden offen liegen? Welch ein Mittel, sich vor allen sündhaften Regungen, Begierden und Gedanken, vor aller Falschheit und Unredlichkeit des Herzens zu hüten, und stets so zn wandeln, daß wir — ( Zy ) — wir gedenken, Jesus wisse alles, bey dem wir ein¬ stens von allen unfern geheimen Thun und Lassen Rechnung ablegen müssen. Nun, meine wcrthesten Christen, um den gehö¬ rigen Nüßen ans diesem Evangelium für uns zu zie¬ hen, den wir für uns machen können, so lastet uns diese wenige» gemachten Anmerkungen in unserem täglichen Leben anwendcn, lasset uns täglich in der Kenntniß des Heils wachsen, und Gott deßwe- gen nm seine nöthige Erleuchtung bitten. Lasset uns öfters an diese Worte Jesu gedenken, der Va¬ ter hat euch lieb. Lasset uns mit der Liebe unfers Vaters im Hunmel trösten, nnd besonders nns das Gcbeth, diese so angenehme Unterredung und diesen so seeligen Umgang mit Gott, zn Nutzen machen. Unser göttlicher Erlöser hat es versichert und betheu- ret, daß, was wir den Vater in seinem Namen immer bitten würden, ers uns geben werde. Ach, daß wir diese Gnade und Wohlthat jederzeit so hoch, wie sie ^s verdienet, zu schätzen wüßten, daß wir unser Herz von Zeit zn Zeit zu unserm versöhnten Vater in Himmel richtete», unsere Hände von einer inbrünstigen Andacht gefaltet zu ihm ausstrecktcn, und unsere Knice aus Ehrfurcht vor dem Throne des Allgütigcn beugten! — Was für eine gnädige Ver¬ sicherung gab nns nicht der Sohn Gottes, da er uns dieses sagte, daß wir alles, was wir den Vater in seinem Namen bitten, von ihm gewiß erhalten wür¬ den! Welch eine gnädige Versicherung, sage ich, meine lieben Christen, daß, wenn sich das Geschöpf sunem Schöpfer nahet, wenn der Sünder vor dem Merheiligsten niederfällt, wenn der Wurm sich vor C 4 dem — L 4 — son der Wahrheit seiner Auferstehung vollkommen z» überzeugen, theils, um sie zu dem Lehramte vor¬ zubereiten, welches sie an seiner Statt und iu seinem Namen fortführen sollten. Er setzet die Wunderga¬ ben hinzu, welche sie zur Gründung der christlichen Kirchen empfangen sollten, und sagt, daß Jesus, nachdem er seine Apostel hinlänglich vorbereitet hatte, sein ganzes Mittlergeschäft auf Erden geendigct, und seinen herrlichen Einzug in Himmel gehalten habe. Sehet, meine Christen, den ganzen kurzen In¬ halt unseres heutigen Evangeliums, womit ich nun eure Andacht zu unterhalten und zu nähren gcsinnet bin. Der heilige Markus, der uns dieses große Geheimniß beschreibt, erzählet vorher eine besondere Erscheinung Jesu vor seinen Aposteln, hernach aber seine glorreiche Himmelfahrt. Diese beyden Theile des Evangeliums sollen die bepden Theile meiner. Anrede an euch heute ausmachen. Erstens also, wollen wir betrachten, was in jener besondern Er¬ scheinung geschehen, und zweptcns, was sich bey der herrlichen Himmelfahrt unsers Erlösers zugetragen. Vernehmet mich recht aufmerksam. Erster Theil. Nachdem Markus in seinem angeführten letzten Ka¬ pitel erzählet hatte, was sich am ersten Tage der Auferstehung Jesu zugetragen, wie der Heyland etli¬ chen frommen Weibern, die an sein Grab kamen, seinen Leichnam zu salben, durch einen Engel seine Auferstehung habe ankündigen lassen, wie er selbst darauf der Magdalena, von der er sieben Teufel aus¬ getrieben hatte, erschienen. Ferner wie er sich in Ge- — ( 4Z ) — Gestalt eines Wanderers den, über Land nach Cma- hus gehenden, zween Jungem gezeiget, und wie die Apostel weder den Weibern, noch den zween emahuntischen Jüngern einen rechten Glauben hätten beymessen wollen, daß Jesus wahrhaft von den Tob¬ ten aüferstanden sey. Sv kommt er in seiner Er¬ zählung auf das, was im heutigen Evangelium ge¬ sagt wird: "als die Eilfe zu Tische saßen, offenbar¬ te sich ihnen Jesus, verwiest ihnen ihren Unglauben, und ihres Herzens Härtigkeit, daß sie jenen nicht gcglaubet, die ihn nach seiner Auferstehung gesehen hatten.,, Meine werthestcn Christen, es ist noch nicht unter den Schriftauslegern ganz entschieden , ob hier der heilige Markus von jener ersten Erschei¬ nung rede, die sich am ersten Ostertage zutrug, wo unser Erlöser schon bey später Abendzeit, bey ver¬ schlossenen Thüren, seinen Jüngern erschien, und ein wenig Fisch und Honig, das sie auf dem Tische hatten, speisele, oder ob er hier von jener letzten Erscheinung rede. die sich am Tage seiner Himmel¬ fahrt zutrug. Dieß, sage ich, ist noch nicht aus¬ gemacht, von welcher aus bepden Erscheinungen der Evangelist hier rede. Es thut aber gar nichts zur Sache, ob wir dieses wissen oder nicht. Für uns ist nur interessant und wichtig, was er erzählet von dem, das sich in dieser Erscheinung zutrug, wie un¬ ter andern Dingen, die daselbst abgehandelt und von Jesu vorgetragen wurden, seine allererste Rede den Unglauben der Jünger betraf, wie er ihnen seine Allwissenheit bewiest, da er ihnen klar zeigte, daß er alle ihre zweifelhaften Reden wisse, und daß ihm alle ihre Gedanken bekannt sepen, und besonders, wie — ( 46 ) —- wie er sie deswegen mit Worten bestrafte, ihnen ihre Herzeushärtigkeit verwiest, weil sie denjenigen Personen nicht geglaubet, denen er nach seiner Auferstehung erschienen, und welche ihn wahrhaft gesehen und erkannt hatten, als der Magdalena mit ihrer frommen Frauengcsellschaft, dem Petrus, und den zween nach Emahus reisenden Jüngern. Er verwiest ihnen ihre Hartglaubigkeit, weilen sie alle diese gewissen Nachrichten noch in Zweifel zogen, da sie doch am allerersten seine Auferstehung hätten glau¬ ben sollen, als welche er ihnen so oft vorhergesagt hatte, und die sie aus seiner göttlichen Allmacht von sich selbst hätten »»gezweifelt schliessen können. Nachdem nun Jesus seinen Jüngern wegen ihrem Unglauben diesen Verweist gegeben hatte, so machte er die nökhigcn Anstalten zu der Verkündigung seines Evangeliums in der ganzen Welt. Eben seine Him¬ melfahrt sollte ein Beweis sepn, daß diese Anstalten bis zu seiner Wiederkunft in die Welt dauren sollten. Er befahl seinen Jüngern das Evangelium, welches sie von ihm gehöret hätten, allen Menschen zu predi¬ gen, "gehet hin in die ganze Welt, sagte er zu ih¬ nen, und prediget das Evangelium allen Kreaturen.,, Der Unterschied zwischen Juden und Heyden sey durch seiuen Tod, den er für alle Menschen ausgestanden, aufgehoben worden. — Zu seiner Verherrlichung sollten sie Wunderzeicheu thun können, welche mit ih¬ rem Predigtamte verbunden werden, und so lange, als sie »öthig wären, daüren sollten. Wenn sich der Satan ihnen widersetzte, so sollten sie ihm befehlen, und denselben austreiben können. Wenn sie in frem¬ de» Ländern predigten, so sollten sie die Sprachen re- ' / den ( 47 ) den können, welche sie auch nicht gelernet Hatten- Wenn sie ihre Reise durch Wüsten setzten, so sollten ihnen giftige Thiere nichts schaden. Wenn sie den Kranken die Hände austegteu, so sollte die Krankheit fliehen, und wenn ihnen Gift sollte gereichet werden, so sollte es ihnen nicht schaden. Er gab also sowohl in der ersten Erscheinung, als in den folgenden, besonders da er auf einem Berge in Galliläen mehr als fünf hundert Personen erschien, seinen Jüngern die nöthigen Befehle zu ihrem Apostel¬ amte, daß sie die ganze Welt ausgehen, und an¬ fangs zwar den Juden, hernach aber ohne Unterschied der Person, Juden und Heyden auf dem ganzen Erd¬ boden, das Evangelium verkündigen, und seine himmlische Lehre allen predige» sollten. "Welche an ihn glauben, und sich in seinem Namen taufen lies¬ sen, die sollten selig werden. Die aber seine Reli¬ gion nicht annähmen, diese würden sich die ewige Berdammniß zuzichen. Um seine Apostel nämlich zur eifrigen Besorgung ihres Amtes aufzumuntern, versprach er ihnen, daß sie seine Lehre, so wie er gethan, sollten mit Wun¬ dern bestättigen können. Sie sollten die Wunder¬ gaben bekommen, durch gläubige Anrufung seines Namens viele und große Zeichen thun, so daß ihre Zuhörer dadurch in Erftannung gesetzt, und zur An¬ nahme des Evangeliums würden beweget werden. Sie würden nämlich Teusel aus den Besessenen aus¬ treiben, das Wort Gottes in fremden, nie erlernten, Sprachen lehren. Sie würden Schlangen vertreiben. Gift ohne Schadkn trinken, und Kranke durch bloße Auflegung ihrer Hände gesund machen. All« —»» s 48 ) ----» Alle diese Wunder thaten auch wirklich die Jün¬ ger, wie wir aus der Apostelgeschichte wissen. PetruS machte den Lahmen, der an der Pforte des Tempels zu Jerusalem saß, dnrch den blossen Namen Jesu , ge¬ hend. Auf dem Pfingstfeste redeten sie verschiedene Sprachen, die sie in ihrem Leben nie gelernet hatten. Paulus schleuderte eine giftige Schlange, die sich auf der Jnfel Melita um seine Hand gewunden hatte, oh¬ ne Schaden von sich ins Feuer, zum grösten Erstau¬ nen aller deren, die dieses sahen. Durch den Schat¬ ten Petri wurden viele Kranken augenblicklich gesund. Aus der Kirchengeschichte wissen wir, daß etliche Vä¬ ter vom heiligen Johannes erzählen, er habe einen Becher mit Gift ohne Schaden ausgetrunken, und sey aus einem Kessel voll siedenden Oeles, in welchen er von den Heyden geworfen wurde, unverletzt heraus- gcgangen. Lese man nur die Apostelgeschichte allein, so wird man zum Gnügen überführet werden, daß das Versprechen Christi mit dem Erfolge ganz überein- traf. — Diese Zeichen aber, meine lieben Christen, welche die Apostel durch Anrufung des Namens Jesu wrkten, sind zu unseren Zeiten überfleißig, da die Kirche Gottes auf Erden genugsam gegründet, und ihre Lehre mit so vielen Tausenden der herrlichsten und unbezweifelten Wunderwerke schon bestätiget ist. Wer also zu unseren Zeiten nicht glaube» wollte, der wäre ebenso sträflich, als jene, die zu den Zeiten der Apo¬ stel nicht glaubten, da sie die Wunder vor ihren Au¬ gen sähe». Christus wird sreplich in seiner letzten Erscheinung noch manches mit seinen Jüngern gesprochen haben, das ihm noch am Herzen mag gelegen sepn. Was er s 4^ ) — er nämlich noch zum Beßren seiner Erlößten In der Welt eingeführet zu werden wünschte, oder was ihnen noch zum besonderen Troste dienen konnte. Wie Mat¬ thäus hier zusetzct, er habe ihnen versprochen, er wolle bey ihnen bis an das Ende der Welt seyn, er werde seine Kirche niemals verlassen, er werde als das Ober» Haupt seine Gemeinde auf Erden allzeit vertheidigen, er werde sorgen, daß seine Religion bis ans Ende der Welt, bis zu seiner zweien Ankunft in die Welt, unverletzt und unverfalschet fvrtdaure. — Nachdem er nun diese und noch viele andere nvthwendigenDin¬ ge, welche die Evangelisten nicht ausgeschrieben, mit seinen Aposteln gesprochen, und sie hinlänglich vor¬ bereitet hatte, daß sie seine Lehre, die das ganze menschliche Geschlecht beglücken sollte, mit Nachdruck fortsetzen und ausbrciten könnten, so beschloß er sei» ganzes wichtiges Geschäft aufErden , und stieg auf die feyerlichste und prächtigste Weise gen Himmel- Welches wir im zweyten Thcile betrachten wollen. Zweyter LH eil. Lcr heilige Markus fasset die Geschichte der Him¬ melfahrt Christi sehr kurz, da er spricht: "Der Herr Jesus, nachdem er mit seinen Jüngern geredet, ward aufgchaben gen Himmel, und sitzet zur RechtenGot» tes. „ Wir müssen deswegen, um sie zu ergänzen, aus anderen Evangelisten, besonders aus dem heili¬ gen Lukas, die nöthigen Umstande hinznsctzen. Lukas erzählet aber, theils in seinem Evangelium, mehr aber in seiner Apostelgeschichte, den ganzen Hergang dieser feyerlichste« und prächtigsten Handlung auffol- gcude Art. Nachdem Jesus nach seiner Auferstehung Erklär P.Evang ll.Th, D «och —' ( L« ) — noch vierzig Tage auf der Erde mit seinen Jüngern gewandelt, und sie bey verschiedenen Erscheinungen und Unterredungen von dem Reiche Gottes hinläng¬ lich unterwiesen hatte, so beschied er sie insgesammt aus Galiläen nach Jerusalem. Und nachdem er noch einmal in dieser Stadt mit ihnen gegessen hatte, führ¬ te er sie hinaus auf den Oelberg gen Bethanien , um auf jenem Berge das Ende von seinem Mittlergc- schafte zu machen, worauf er seines Leidens Anfang gemacht hatte. Da, auf diesem Berge, nahm er «och einmal einen feyerlrchen Abschied von ihnen, be¬ fahl ihnen nach Jerusalem zurückzukchren, und in die¬ ser Stadt zu verbleiben, bis sie die Gaben des heili¬ gen Geistes empfangen hätten. Er Hub alsdann seine Hand auf, segnete sie, und empfahl sie seinem himm¬ lischen Vater. Er ertheilte ihnen zu ihren zukünfti¬ gen apostolischen Verrichtungen seine Gnade, und versicherte sie seines beständigen Bepstandes. Nach¬ dem er sie also eingcfegnck hatte, fuhr er genHimmel. Er erhnb sich von der Erde in die Höhe, und wurde sichtbarer Weise allmälich gen Himmel aufgehoben, nicht plötzlich, nicht wie in einem Sturmwinde, son¬ dern langsam, allmälich, auf daß die Jünger, die Augenzeugen seiner Auferstehung waren, auch gewisse nud sichere Augenzeugen seiner glorreichen Himmel¬ fahrt sepn könnten. Auf daß die Jünger deutlich se¬ hen möchten, daß er sich gen Himmel begeben habe. Er ward vor ihren Augen immer höher und höher er¬ haben, bis ihn endlich eine hellglänzende Wolke auf¬ nahm,, und vor ihnen ganz verbarg. Die ( sr ) Die zurückgelassenen Apostel stunden da ganz ge¬ dankenvoll und entzückt, voll Sehnsucht sahen sie ih¬ rem Herrn nach, auch nachdem ihn die Wolke schon bedecket hatte. Sie hefteten ihre starren Backe im¬ mer nach jener Gegend des Himmels hin, wo sie ihn hatten aufstcigen gesehen, gleich als könnten sie diesen ihren Herzensfreund wiederum zu sich zurückruftn, oder als wollten sie ihm augenblicklich dahin Nachfol¬ gen. Plötzlich stunden ihnen aber zur Seite zwecn Engel in Gestalt zweener Männer mit weisen Kleidern, die sie mit Troste aufrichteten, nnd zu ihnen sprachen: ihr Manner von Galiläa, was steht ihr hier, und schauet gen Himmel? Eben dieser Jesus , den ihr jetzo gen Himmel aufsteigen sähet, wird mit ebender Herr¬ lichen Pracht und Majestät einstens wiederum zum allgemeinen Gerichte auf die Welt kommen. Unterdessen kam unser göttlicher Erlöser an dem Himmelan, öffnete denselben, der bis zu dieser Zeit verschlossen war, nnd hielt seinen seyerlichen Einzug. Die Seelen der Patriarchen, Propheten und anderer frommen Diener Gottes, die vor ihm auf der Welt gelebt hatten, und seitdem in der Vorhölle verschlos¬ sen waren, begleiteten ihn, und giengen mit ihm frohlockend hinein. Tausend und Tausend Engel zo¬ gen ihm entgegen, und empfiengen ihn mitFreudeu- entzückungen. Der himmlische Vater setzte ihn zu seiner Rechten, und gab ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden nach der Menschheit, denn der Gott¬ heit nach war er schon ohnehin in allem dem Vater gleich. Aber seine Menschheit, die bisher wegen den Sünden der Menschen so erniedriget gewesen, wurde v Nun auf das höchste verherrlichet und erhöhet. D s Die — ( L2 ) — Die Apostel, fährt Markus in seiner Erzählung fort, und beschliesset dadurch sein Evangelium, gicn- gen aus, predigten an allen Orten, und der Herr wirkte mit ihnen, «nd bekräftigte das Wort mit Wunderzeichen. Sie begaben sich nämlich von dem Oelberge, worauf die Himmelfahrt geschah, zurücke nach Jerusalem, verharreten allda zehn Tage im be¬ ständige» Gebethe, und nachdem sie die Gaben des heiligen Geistes empfangen hatten, fiengcn sie an, das Evangelium zu verkündigen. Zwar mit solchem Nachdrucke, und mit so vielen augenscheinlichen Wunderwerken, daß sie unter Juden und Heyden in der ganzen Welt Christo ungemein viele Seelen ge¬ wannen, und allenthalben zahlreiche Christengemein¬ den errichteten. Nutzanwendung. Dieß ist nun die Geschichte der glorreichen Him¬ melfahrt nnsers göttlichen Erlösers, meine werthe- sten Christen, was für hohe und. erfreuliche Gedan¬ ken können wir uns dabey nicht von unserm HeylanVe machen, welche selige Aussichten hat er uns nicht durch dieselbe eröffnet, er ist nun in seine ewige Herr¬ lichkeit eingegangen, er befindet sich nun an dem Orte, wo die Gottheit auf die allerbesonderfte Art gegenwärtig ist, wo sich seine unendliche Herrlichkeit offenbaret, an dem Orte, wo unaussprechliche Se¬ ligkeit, wo der unaufhörliche Genuß der reinsten Freuden ist. Er ist nun in das Haus seines himmli¬ schen Vaters eingcgangen, wo so viele Wohnungen, worauf er seine Freunde so zärtlich vertröstete, vor¬ handen sind. Er ist dahin aufgefahren, nm für uns auch — L FZ ) — auch alldq eine Statte zuznbereiten. Er hat allda Misere Menschheit verherrlichet, die er mit sich in daS ewige Leben genommen. Die Wundmahle, die er allda zu unserem Troste, zur Ehre und zum ewigen Denkzeicheu der vollendeten Erlösung verklart an sich tragt, diese heiligen Wundmahle zeigt er feinem himmlische» Vater auf, um dadurch die uns so nö- thigen Gnaden auszuwirkcn Dort ist er in seiner vollen Glorie Dort sitzt er zur Rechten seines Va¬ ters, als unser große Mittler, als unser mächtiger Fürsprecher. Da ihm aber, meine lieben Christen, dort in dem Sitze seiner Freuden alles zu seiner Herrlichkeit bereit ist, da ihn allda alle Engel und Heiligen Got¬ tes anbethen, sollten wir es unserer Seitü ermangeln lassen, ihn unseren Retter, ihn den Erlöser unserer Seelen unter uns auf Erden zu verherrlichen? Soll¬ ten wir ihm nicht ans dem Innersten unsers Herzens zu seiner Glorie Glück wünschen? Sollten wir nicht alle unsere Kräfte» aufbiethen, um seinen Namen unter uns zu verherrlichen? — Sollten wir uns aber nicht auch alle erdenkliche Mühe geben, ihm im Him¬ mel nachzufolgcn? Die Begierde zur Glückseligkeit ist uns ja angebohren, wir arbeiten ja, wir seufzen und schwitzen, um uns einigermassen aufErdenschon glücklich zu machen, um uns von einem Uebel, von einem geringen Schmerzen srep zu machen, und um uns einiges Wohl und Vergnügen zu verschaffen. — Wie vjele betrügen sich aber in dem Begriffe, den sie sich von der Glückseligkeit, machen, aufs wenigste zeigt es ihre Aufführung, daß sie sich hierum betrügen, z. B. der Wollüstige suchet seine Glückseligkeit in Ver- D Z ' gnü- — k L4 ) — gnügen, dre ost schädlich und einem vernünftigen Menschen entehrend sind. Der Herrschsüchtige sehet dieselbe in Ehren/die doch nur in der bloßen Ein¬ bildung bestehen. Der Geizige setzet seine Glückse¬ ligkeit in Schätzen, die er doch bey seinem Tode alle «erlassen muß. — Was sagt unser Herz zu diesen eingebildeten Glückseligkeiten? Strafet es uns nicht einer Lüge, wenn wir sagen, wir waren glückselig und vergnügt, wenn wir dieses alles besitzen? Wie kann unser Herz durch hinfällige Dinge erfüllet wer¬ den, das allein für Gott und für den Himmel ge¬ schaffen ist? Ist nicht unser Geist immer unzufrieden und unruhig, wie ein heiliger Augustin sagt, ist nicht unser Herz immer in Bewegung, bis daß es das Glück hat, bey Gott zu ruhen? Glaubet nur nicht, meine Christen, daß Leute glückselig seyn, die viele Reichthümer besitzen, deren Böden voll Früchte, de¬ ren Keller voll Wein, die große Hcerden Vieh zäh¬ len, oder deren Zimmer mit kostbarem Geräthe ans- gezieret sind, die große Schätze besitzen, die in präch¬ tigen Kleidern prangen, niedliche Tafel halten, spie¬ len und sich erlustigen, immer lustige Gesellschaften haben, glaubet mir, diese sind oft die allerunglück- feligsten Leute. Die einzige wahre Glückseligkeit des Menschen, die man kennet, und die hier in diesem Leben einen kleinen Anfang hat, in der glückseligen Ewigkeit aber sich erst in ihrer Völle zeiget, bestehet hienieden in der Ruhe eines guten Gewissens, in der Versicherung der Liebe und Gnade Gottes, und in der anderen Welt in dem Besitze des unendlichen Gutes , in der Anschauung Gottes und in dem Ge¬ nüsse der ewigen Freuden. Ich — ( 55 ) — Ich zweifle nicht daran, meine lieben Christen, ihr wollet alle einstens ewig glücklich seyn, und eu¬ rem Erlöser in den Himmel nachfolgen. Wie viele möchten aber gerne dahin, wollten sich aber deswegen keine Mühe geben, wie viele sitzen nicht wirklich in der Hölle, die in ihrem Leben sich den Himmel öfters gewünschet, nach demselben geseufzet, öfters große Anschläge gemacht, ihn zu gewinnen, öfters sich Vorsätze gemacht haben, Buße zu thnn und sich zu bessern, aber ihre Vorsätze niemals vollzogen, ach meine Christen, wir dürfen uns nicht mit dem blo¬ ßen Wollen begnügen. "Was stehet ihr da und schau¬ et gen Himmel, ihr Männer von Galiläa, ,, riefen d-ie zwecn Engelden Jüngern Christi zu, die gen Him¬ mel aufschancten. Gleiche Worte könnte man man¬ chem Christen zurufen, was stehet ihr da müßig, und schallet gen Himmel, mit Verlangen nach dem¬ selben , wollet aber das nicht thun, was denselben zu erlangen vonnöthen ist, begnüget sich wohl ein Ackersmann, seine Felder müßig anzuschauen, leger er nicht die Hand an den Pflug, schwitzet und arbei¬ tet er nicht, wenn er eine reiche Erndte machen will ? wird ein Wandersmann der an sein Ziel komme» null, sich unter den Schatten eines Baumes müßig hiiistrecken , oder wird er seine Schritte verdoppeln und lange Tagreise machen, begnüget sich der Kauf¬ mann, der was erwerben will, mit bloßen Wünschen, oder steht er frühe ans, machet weite und gefährli¬ che Reise zu Wasser und zu Land, bedenket dieses wohl, Christen, ach bedenket es oft, was lhutman nicht, um sich eine zeitliche Versorgung zu verschaffen, und bedenket anderer Seils, wie wenig man lhuc, D 4 um um sich ewig zu versorget,, um sich ewig glücklich zu machen. — Ach! lasset uns doch keine müssige An¬ schauer des Himmel seyn, kein unnützes, unthati- ges, fruchtloses Verlangen, dahin zu gelangen ha¬ ben. "Willst du zum Leben einachen, so halte die Gebothe,,, sagte Christus jenem jnngen Menschen, der ihn fragte, was-er zu chun habe, wenn er in Himmel kommen wollte. Merket euch dieses wohl, es sind nur zween Wege dahin, der Weg der voll¬ kommenen Unschuld, und der Weg der Buße. Zm Himmel sind nur große Büßer, oder reine Geister, unschuldige Seelen, und Gott, ein Gott der höch¬ sten, unendlichen Heiligkeit. Haben wir unsere Un¬ schuld nicht mehr, mit welcher wir in der heiligen Laufe sindbeschenketworden, o so müßen wirnvth- wendig die Buße ergreifen. Der Ort, wohin wir kommen wollen, verdie¬ net gewiß alle erdenkliche Mühe, die Glückseligkeit, deren man allda theilhaftig wird, übersteiget allen Menschen und Engclverstand, und dauret durch ei¬ ne ganze Ewigkeit. — So lasset uns dann alle mög¬ liche Kräfte anspannen, dieselbe zu erlangen, und unftrm Heylande im Himmel nachzufolgen. "Lasset uns mit Christo auferstehen, wie «ns der bis in den dritten Himmel entzückte Apostel vermahnet. Kol. Z> Kap. und wenn wir mit Chn'sto auferstanden, so las¬ set uns das suchen, was droben ist, wo Christus sitzet zur rechten Gottes. Lasset uns suchen, waS droben ist , nicht was auf Erden. -— Ganz welt¬ lich und irrdischgcsinnte Menschen bedenket dieses wohl, das höchste und letzte Ziel aller eurer Wün¬ sche , aller eurer Hoffnungen und Bestrebungen ft-p hier — ( Z/ )' —° hier Gortes Gnade und Beyfall, und dort die ewi¬ ge Seligkeit. Den Himmel sehet künftighin allein für euer wahres Vaterland und das ewige Leben al¬ lein als eure rechte Bestimmung an. Richtet eure Begierden nicht auf irrdische hinfällige Schcingüter, noch weniger auf sündliche Ergötzlichkeitcu, sondern heftet sie auf ewige Güter. Suchet euren Schatz, Ehre und Vergnügen im Himmel, und richtet euren ganzen Wandel und euer ganzes Verlangen dahin, denn euer Bürgerrecht ist nicht auf dieser Erde, sondern im Himmel. Stellet öfters Betrachtungen über euch sechsten an , und habt auf euch selbst acht, ob ihr dann so recht ernstlich euch bestrebet, diese Glückseligkeit im Himmel zu erwerben, ob ihr dann so recht herzlich für dieselbe besorgt seyd, oder ob euer Gewissen euch sage, daß ihr euch mehr und ernst¬ licher für die Welt, als für den Himmel, beschäfti¬ get. Bedenket öfters was würden euch alle Güter der Welt helfen, wenn ihr anjctzo krank solltet da¬ liegen, und aus dieser Welt gehen, wie würde euch dieses auf eurem Sterbebette und in der Ewigkeit quälen , wenn ihr bloß für die sündlichen Begierden gelebt, und für den Himmel nichts, oder gar we¬ nig gearbeitet hättet. Diese Betrachtung, meine werthesten Christen , treibe euch an , für euer ewiges Glück mit allem christlichen Eifer täglich zu arbeiten, die Welt als den Ort eurer Pilgrimfchaft anzusehen, eure Woh¬ nung hienieden nicht anders als den Ort eures Lei¬ dens zu betrachten, wo ihr Christo eurem Oberhaupt und Führer ähnlich werden müsset, und wo ihr mit Gelassenheit die Stunde erwartet, da es dem Herrn D § gefallt. — ( L8 ) — grsallt, bry dem Ende eures Erdenleberrs euch von allem Uebel zu erlösen, und in sein ewiges Reich aufzunehmen, Amen. Auf de« sechsten Sonntag nach Ostern. Evangelium Ioh. XV. r6 — 27. und XVl. 1 — 4. §benil aber der Tröster kommen wird, de« ich euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahr¬ heit, der von dem Vater ausgehet, derselbe wird von mir Zengniß geben. Auch ihr werdetZeugniß geben, wett ihr vom Anfänge bey mir seyd. Die¬ ses habe ich zu euch gesagt, auf daß ihr euch nicht ärgert. Sie werden euch auS den Synagogen stos¬ sen. Ja es wird die Zeit kommen, daß ein stgli- cher, der euch tödtct, meynen wird, er leiste Gott einen Dienst. Und solches werden sie euch thun, weil sie weder meinen Vater, noch mich erkennen. Dieses aber habe ich zu euch gesagt, damit, wenn dis Stunde kommen wird, ihr daran gedenket, daß ichs euch gesagt habe. Wenn aber der Tröster kommen wird. Ioh. 15. D. 26. ELtp — ( Z9 ) — Eingang. Das heutige Evangelium, meine werthesten Chri¬ sten, ist abermal ein abgebrochenes Stück von der Abschiedsrede Jesu an seine Jünger.- Johannes, ans dessen fünfzehnten und sechszehnten Kapitel es gezo¬ gen ist , erzählet uns„ daß unser Erlöser , vielleicht bey Gelegenheit, da er auf feinem letzten Gange von Bethanien nach Jerusalem beym Weinberge vorbeygieng, unter dem Gleichnisse eines Weinsio- ckes und seiner Reben, seine Jünger ermahnet habe, sich an ihn stets getreu zu halten. Gleichwie die Re¬ ben von sich keine Früchte bringen könnten, wenn sie keinen Zufluß des Saftes vom Stocke haben, so könnten sie auch keine gute Fruchte, keine gute Wer¬ ke hervorbringen, wenn sie sich nicht an ihn hielten, als woher sie den Zufluß der Gnaden empfangen müßten. Wer nicht in khm bleibe, würbe gleich un¬ nützen , fruchtlosen Reben abgeschnitken, und ins Feuer geworfen werden. Sie sollten daher nur in sei¬ ner Liebe bleiben. Wie der Vater ihn liebe , so lie¬ be er sie auch. Sie würde» ihn aber lieben, wenn sie seine Gebothe hielten, so wie er den Vater da¬ durch geltebet, daß er seine Befehle vollzogen habe. Eines seiner Hauptgebothe bestünde darinn , daß sie sich einander lieben sollten. Sie würden sich als sei¬ ne Freunde bezeigen , wenn sie thaten, was er ih¬ nen befohlen habe. Er wolle sie feine Freunde nen¬ nen , nicht seine Diener, denn der Diener wisse die Geheimnisse seines Herrn nicht, er habe ihnen aber alles gesagt, was er vom Vater gehöret, erhöbe sie in allen seinen Geheimnissen eingeweihet. Und ( 6o ) — Und nachdem er sie noch einmal zur Eintracht und Liede untereinander erwähnet hatte, so verkündigte er ihnen ihre zukünftigen Schicksale in der Welt. Er sagte ihnen, daß sie von der Welt würden gehasset, angefeindet und verfolget werden. Er setzt ihnen die Ursache dieses Hasses hinzu, weil sie die Gesinnun¬ gen der Welt nicht hatten, weil ihr Herz und Le¬ benswandel dem gemeinen Lauf der verkehrten Welk widerspräche, die Welt aber habe nur das Ihrige lieb. Wenn sie aber verfolget würden, so sollten sie gedenken, die Welt habe ihn eher verfolget. Der Die¬ ner sey ja nicht besser als sein Herr, habe der Herr so viele Verfolgungen gelitten, so sey es ja billig, daß der Knecht auch was gedultig ertrage. Hernach kam er darauf, was im heutigen Evan« gelio steht, wo er ihnen die besonder» Schicksale er¬ zählet, die ihnen um seinetwegen bevorstünden. Er nennt ihnen etliche besondere Verfolgungen , die sie seines Namens wegen auszustehen haben würden. Er bereitet sie aber auch durch die Verheissung eines kräftigen Bcystandes und Trostes dazu vor, da er ihnen den heiligen Geist zu senden verspricht, der sie bey ihren Verfolgungen stärken würde, so, daß sie al¬ les mit Geduld und Starkmukh ertragen könnten. Das heutige Evangelium enthalt also, meine werthesten Christen, zween Haupttheile in sich, von welchen der erste darinn bestehet, daß Jesus seinen Jüngern den Bepstand des heiligen Geistes verheisset, und der zweyte, daß er ihnen die Verfolgungen vor- hersagk, die sie seinetwegen von dem Hasse der Welt auszustehen hatten. Da ich euch diese beyden Theile etwas — ( 6i ) —. etwas mehr zu erläutern gedenke, so schenket nur eu¬ re gewöhnliche Geduld und Aufmerksamkeit. E r st e r T h e i l. Wenn der Tröster kommen wird, lautet der erste Theil unsers Evangeliums, den ich euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, derselbe wird von mir Zeugniß ge» den. Daß hier durch den Tröster Gotl der heilige Geist die dritte Person in der Gottheit, der mit dem Va¬ ter und Sohne von Ewigkeit wahrer Gott ist , ver¬ standen werde, dieses ist klar. Christus redet hier von zween Sachen, welche diesen heiligen Geist be¬ treffen, von dem Ausgehen dieses göttlichen Geistes nämlich, und von dessen Wirkungen. Das Erste zei¬ get uns an, daß der heilige Geist, als die dritte Person in der anbelhungSwürdigstcn Dreyfaltigkeit, sein göttliches Wesen von dem Vater und Sohne habe. So wie der göttliche Sohn von Ewigkeit her von dem Vater sein göttliches Wesen hat, so ist der heilige Geist von Ewigkeit her vom Vater und Sohn durch eine göttliche Licbsgcistung ausgegangen. Die¬ se Mittheilung der Gottheit, dieses Ausgehen von dem Vater und dem Sohne bleibt unS allezeit, mei¬ ne werthesten Christen, so wie die ewige Geburt des Sohnes, ein grosses uncrforschliches Gehcimniß, welches allen Menschen Eiigelverstand weit überstei¬ get. ES verlanget auch Gott nur von uns, daß wir dieses hohe Geheimniß mit demürhiger Unterwerfung «nftrs Verstandes glauben sollen. Dieses ist unsere Psticht und Schuldigkeit, und dieser unser Glaube — ( 62 ) — gründet sich auf das unfehlbare Wort Gottes, wel¬ ches uns Jesus im heutigen Evangelium selbst ver¬ kündet hat. Das Ausgehen des heiligen Geistes vondemVa- ter und Sohne geht auf sein göttliches Wesen und Person , aber die Sendung desselben in diese Welt geht eigentlich auf sein Amt und seine Wirkungen in den Menschen, daß er sie nämlich erleuchte, bekeh¬ re, wiedergebähre, erneue, heilige und erhalte. Wenn der Tröster kommen wird, der Geist der Wahr¬ heit, derselbe wird von mir Zeugniß geben. Gemäß seines Amtes und seiner Wirkungen, verspricht Chri¬ stus seinen Jüngern , soll er ihnen beysteheu, sie trösten und alle Wahrheit lehren. Nach diesem dop¬ pelten Amte gab er ihm den Namen eines Trösters, und eines Geistes der Wahrheit. Eines Trösters zwar, weil er die Apostel in ih¬ rer Betrübniß, die sic um Jesu willen ausstehen wür¬ den, trösten, und alle diejenigen, die um der Ge¬ rechtigkeit willen Verfolgung leiden, mit himmli¬ schem Troste erfüllen sollte. Dieses that er auch bcy den ersten Anhänger» Christi überflüßig, wie wir von den Aposteln wissen, daß sie sich in ihrer Ver¬ folgung , die sie von den Juden auszustehen hatten, dergestalt getröstet befanden, daß sie sichs für die größte Ehre und Freude hielten , um de» Namen Jesu willenetwas leiden zu können. Da sie doch vor¬ her , ehe sie den heiligen Geist empfangen hatten, die furchtsamsten und kleinmürhigsten Leute waren, die sich sogar ärgerten, wenn Christus von seinem Leiden was zu ihnen sprach, und die ob der Stim¬ me einer schwachen Dienstmagd bebten, und sich schon furch- ( 6z ) — fürchteten, sie möchten mit ihrem Meister gefangen werden. — Diese Wirkung des heiligen Geistes er¬ strecket sich aber nicht allein über die Apostel, son¬ dern auch über alle nachfolgende Christen. Er ist auch bey uns der beßte Tröster in allen Röthen. Er ist die reine Quelle der wahren geistlichen Freuden. Er unterstützet noch jetzt die Frommen und Gläubigen in ihre» Verfolgungen, tröstet sie in allen geistlichen und leiblichen Nöthen, richtet sie auf bey allen ih¬ rem Elende , beruhiget und erfreuet sie, daß sie al¬ le ihre Widerwärtigkeiten mit christlicher Geduld und Gelassenheit ertragen. Alles dieses kömmt von dem heiligen Geist und seinen Gnadenwirkungen her. So wie Jesus diesen Beystand feinen Aposteln beson¬ ders verheissen hat, so verheisset er denselben allen Gläubigen überhaupt. Jesus nennet zweitens den heiligen Geist, d.r er seinen Jüngern zu senden versprach , eine» Geist der Wahrheit, wenn der Tröster kommen wird, den ich euch vom Vater senden werde, der Geist der Wahr¬ heit. Und dieses zwar aus Ursache, weiler die Wahr-> heil selbst ist, uud zur Wahrheit führet. Bey den Aposteln erwieß er sich als einen solchen Geist, der sic bey ihrem Amte und bey ihrer Lehre, in allen Fallen und Gelegenheiten zur Wahrheit führte, und sie in derselben erhielt. Auch bey uns ist er ein Geist der Wahrheit, da er uns, die wir in dem Worte Gottes unterrichtet werden, die Wahrheit lehret, und da im Gegentheile der böse Geist stets ein Geist der Lüge ist: Jesus sagt ferner, daß dieser göttliche Geistvon ihm zeugen werde, und daß er die Apostel, nachdem sie —( L>4 ) °"» sie ihn empfangen hatten, werde ankreiöen, daß sie von ihm Zeugniß ablegen, sie, die vom Anfänge seines Predigtamts bey ihm gewesen wären. Der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, wird von mir Zeugniß geben , läuten seine Worte. Auch ihr werdet Zeugniß geben, weil ihr vom Anfangs bey mir seyd. — Dieses that der göttliche Geist schon im alten Testament durch häufige Weissagungen, die er durch den Mund der Propheten von der Person, von dem Amte, Stande, Leiden, und von der Auferstehung Jesu den Juden hatte verkünden lassen, und er zeug¬ te im neuen Bunde, daß dieses alles an der heilig¬ sten Person Jesu, als an dem wahren Meßias er¬ füllet scy. Er zeugte bey der heiligen Taufe Christi durch seine sichtbare Erscheinung allda, indem er sich in Gestalt einer Taube auf das heiligste Haupt Christi herablicß.. Er zeugte von Christo am Pfingst- feste, da er unter grossem Getöse, gleich einem Sturm¬ winde vom Himmel herabkam, und in Gestalt feu¬ riger Zungen über die Anhänger Christi sich sehen ließ, auch sie alsbald mit solchem Eifer beseelte , daß sie Christum auf den öffentlichen Gassen zu Jerusa¬ lem mit größter Freymüthigkeit verkündigten. Er zeugte ferner durch die Predigten der Apostel vor In¬ den und Heyden, und durch die Wunderwerke, dis er durch die ersten Christen wirkte, damit alle Men¬ schen erkennen möchten, daß Jesus der wahre Meßias sey. Auch die von ihm begeisterte Apostel scheueten nicht mehr das Angesicht des hohen Rathes der Ju¬ den, sonder» zeugten von Jesu öffentlich, als Zeu¬ gen seines heiligsten Lebens, seiner Lehre, seiner Auf- — ( 6L ) — crstrhung und seiner glorreichen Himmelfahrt. — — Auch zeiget dieser göttliche Geist noch jetzo in den Herzen der Gläubigen, da er durch seine kräftige Gnadenwirkung ein Zeugniß unserm Geiste gibt, da er uns versichert, und auf eine göttliche unfehl¬ bare Art überzeuget, daß wir Kinder Gottes, Er¬ ben des Himmels und Miterben Jesu Christi sind. WaS haben wir nun, meine lieben Christen, aus diesem ersten Theile unserS Evangeliums zu ler¬ nen, gebt acht, ich zeige es euch kurz. Aus diesem ersten Theile haben wir folgende Stücke für unS zu bemerken. Erstens , daß der heilige Geist ein wah¬ rer Gott sey, dem heute göttliche Eigenschaften zu¬ geschrieben werden, als da sind die Gnadengaben, die Gnadenwirkungen, die göttliche Fürsicht über die Kirche Gottes auf Erden , und über derselben Hirten, Lehrer und Vorsteher. Wir haben ihn also als einen wahren Gott zu verehren und anzubethcn. Zweitens lernen wir, daß der heilige Geist von dem Vater und dem Sohne ausgehe. Vou dem Va¬ ter steht es zwar mit klaren Worten da: wenn aber der Tröster kommen wird, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht. Von dem Sohne «berauch, weil er uns ihn senden will, den ich euch vom Va¬ ter senden werde. Drittens sehen wir, daß der heilige Geist unser, Tröster sey, der unS in allen Nöthen durch seinen Trost erquicke, und unserer Schwachheit aufhelfe. Daß er auch ein Geist der Wahrheit sey, dessenLei- tttug wir uns ganz überlasten können. Daß wir um seinetwillen allen guten Lcbreu in Predigten und im christlichen Unterrichte , a'len guten Ermahnungen Erklär d. Ev sem Evangelium liegen, noch einmal kurz zur Be¬ trachtung vorzulegen. Den Frieden, welchen Jesus seinen Jüngern zum Abschiede hinterließ, und die Tröstungen wegen dem Hingang zu seinem Vater , diese gibt Gott noch ta,glich allen seinen treuen Die¬ nern, die ihn aufrichtig lieben, die ihre Liebe da¬ durch thatig bezeigen, da sie sein Wort ballen. Die¬ se genießen »och jetzo diesen geistlichen Frieden, die¬ se heitere Seelenruhe, dessen Süßigkeit sich nur em¬ pfinden, aber nicht beschreiben laßt. Zn diesen kommt Gott noch jetzt, schlägt seine Wohnung bey ihnen auf, und erfreuet sie mit seiner Gnadengegenwart. Er schicket ihnen auch den heil. Geist, der sie erleuch¬ tet und tröstet, der ihnen die Wahrheiten der Reli¬ gion begreiflich macht, sie in ihren Pflichten unter¬ weiset, und sie auf den Weg der Tugend und Wahr¬ heit führet. Diese Wirkungen verspüren freylich jene Christen nicht, die von diesem göttlichen Geiste nicht erleuchtet und unterrichtet werden wollen, die seinem Lichte ihre Augen verschließen, und welche der Vorwurf trift, den Stephanus de» Juden mach¬ te, daß sie allzeit dem heiligen Geist widerstünden. Christen, deren Herz unempfindlich gegen die Gna¬ deneindrücke des heil. Geistes, die eben so verstockt wie die Juden seinen Einsprechungen widerstehen, seiner Stimme die Ohren verstopfen , und aus sei¬ nen Unterweisungen keinen Nutzen schöpfen. Diese wissen freylich auch nicht, wie jene Jüngerin der Apostelgeschichte, "was der heil. Geist sey,„ Die¬ se wissen nichts von seinem himmlischen Frieden, nichts von seinen süßen Tröstungen und Erleuchtungen. Aber Seelen, die voll thätiger Liebe gegen Gott sind, diese — ( 93 ) — diese sind cs, die er erleuchtet, die er seine Trö¬ stungen verspüren laßt, und denen er alle ihreTrüb- salen mit Geduld und Ergebung annehmcn, und die Beschwerden, die mit ihrem Stande vielleicht unzertrennlich sind, mit Freuden überstehen macht. Diesen mildert er die Bitterkeit ihrer Leiden, und macht oft den Gegenstand der Betrüblich zum Gegen¬ stand der Fr-ende. Wcrtheste Christen, wünschet ihr aufrichtig und ernstlich, daß Gott bey euch wohne,wie erbey from¬ men Seelen zu wohnen versprochen hat, wünschet ihr, daß der göttliche Geist zu euch komme, und die Früchte seiner Gnade und des Heils in euch hervor- bringe, o so folget dem Rathe Jesu im heutigen Evangelium, er ladet uns dariün ein, ihn zu lieben. Der heilige Geist, der nichts als die Liebe ist, kann nur in Herzen wohnen, die mit der Liebe zu Gott erfüllet sind. Er ermahnet uns, sein Wort zu hal¬ ten, der heilige Geist kann nur in biegsamen, un- terthanigeu Herzen wohnen. Er schenket uns seinen Frieden, und bittet uns, denselben zu bewahren. Der heilige Geist ist ein Geist des Friedens, er ist der Urheber des geistlichen Friedens, er laßt sich daher nur in ruhigen , friedsamen Seelen nieder. — Las¬ set uns also in unsern Herzen alles dasjenige aus dem Wege räumen, was ihn abhalten könnte, kräf¬ tig in dasselbe zu wirken. Lasset uns ihn bitten, daß er uns ein keusches Herz und einen reinen Leib ge¬ be, daß er jene Liebe in uns entzünde, die ihm wohlgefällig ist, wo wir uns aus allen Kräften be¬ streben, stets nach seinem göttlichen Worte zu leben. Lasset uns ihn bitten, daß er uns ein friedfertiges Herz — ( 94 ) —- Herz zebe, daß er unsere Sinne, unsere Einbil¬ dungskraft und ganze Seele reinige undHeilige.Da¬ mit wir stets ein würdiger Tempel für ihn seyn, und schon in dieser Welt seine Gnadeneinwohnung empfinden mögen, bis wir das Glück haben, ihn mit dem Vater und Sohne dort in dem Orte seiner Herrlichkeit zu sehen, und die Süssigkeit seiner Trö¬ stungen durch alle Ewigkeit zu geniessen. Amen. Auf den heiligen Pfingstmontag. Evangelium Joh. III. i6 — 21. der Zeit, sprach der Heer Jesus zu Nikode- nio: so hat Gott die Welt gelicbet, daß er sei¬ nen eingebohrnrn Sohn gab, auf daß ein jeglicher, der an ihn glaubt, nicht verlohre» werde , son¬ dern das ewige Leben habe. Den» Gott hat sei¬ nen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn se¬ lig werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet. Wer aber nicht glaubt, der ist schon ge¬ richtet , weil er nicht glaubt im Namen des ein- gebohrnen Sohns Gottes. DaS ist aber daS Ge¬ richt, weil das Licht in die Welt gekommen, die Menschen aber liebten die Finsterniß mehr, als daS Licht, denn ihre Werke waren böse. Ein jeg¬ licher, der da Böses thut, der hasset daS Licht, und kömmt nicht an das Licht, auf daß seine Werke — i 9.5 ) — Werke nicht bestraft werden. Wer aber nach der Wahrheit handelt, der kömmt an das Licht, da¬ mit seine Werke offenbar werden, denn sie sind in Gort gethan. So hak Gott dir Welk gelirbet, daß er seinen eingebohr- nen Sohn gab. Ioh. z. D. 16. Eingang. HJAr feyern das Pfingstfest zween Tag lang, mei¬ ne werthesteu Christen, weil die Gutthat, die Gott durch die Sendung des heiligen Geistes der Welt er¬ wiesen hat, so groß ist, daß sie wohl verdienet, daß wir ihm mehr denn einen Tag öffentlichen Dank da¬ für sagen. Auch geschieht dieses deswegen, damit wir mehr Zeit und Gelegenheit haben möchten, um von Gott die Gnade zu erlangen, daß der heilige Geist auch zu uns komme, unfern Verstand erleuch¬ te , und mit dem Feuer der göttlichen Liebe unsere Herzen entzünde. Das heutige Evangelium handelt zwar eigentlich nicht von der Sendung des heiligen Geistes , son¬ dern von der Sendung des göttlichen SohueS, der auf die Welt gekommen, um uns Menschen zu erlö¬ sen und selig zu machen. Da aber Gott seinen Sohu gesandt hat aus Liebe gegen uns, so schicket sich die¬ ses Evangelium ganz wohl auf das hohe Pfingstfest , wo wir besonders den heiligen Geist verehren, der die wesentliche Liebe in der heiligsten Dreifaltigkeit, und gleichsam der Ursprung ist, daß Gott die Men¬ schen — ( 96 ) — schen lieb har, und denselben zum Beßken fernen Sohn auf die Welt gesendet Hal, und der derjeni¬ ge ist, welcher dem Sohn Gottes seine Menschheit in dem Schoße Mariä gestaltet hat, wie unS sol¬ ches der Glaube lehret, empfangen vom heiligen Geist. — Wollen wir nun Gott unsere Gegenliebe erweisen, so muß der heilige Geist vorher bey uns einkehren, denn ohne ihn können wir weder an Gott glauben, noch ihn lieben. Wir müssen daher die¬ sen göttlichen Geist recht eifrig anrufen, damit er unsere kaltsrnnigen Herzen mit seiner Liebe erwärme, um uns gegen den göttlichen Vater und seinen Sohn einigermassen dankbar erzeigen zu können. Das abgelesene Evangelium ist aber, meine wer- theflen Christen, ein Theil von der Unterredung Chri¬ sti mit dem Nikodemus, einem vornehmen und ge¬ lehrten Juden , aus der Sekte der Pharisäer, wel¬ chem sich unser Heyland zu erkennen gab, daß er der vom himmlischen Vater in die Welt gesandte Sohn sey, der die Welt erlösen solle, wie ich euch gleich mit mehrerem erklären werde. Er sagte ihm , was für eine grosse Liebe Gott durch die Sendung seines SohncS der Welt erzeiget habe, und beklagte sich zugleich über die Undankbarkeit der meisten Menschen gegen diesen liebvollcn Gott, welche zwey Stücke die beydsn Theile unsers Evangeliums ausmachen, die ich euch anjetzo in den zween Theilen gegenwär¬ tiger Predigt mit mehrerem erklären werde. Und zwar im ersten Theile werde ich reden vom jenem Stücke des Evangeliums, wo Christus von der gro¬ ßen Liebe Gottes gegen die Menschen handelt, in dem zweyten Theile aber von jenem, wo er von dem deN undankbaren Verhalten der Menschen gegen die¬ sen liebpollen Gott spricht. Lasset uns anjetzo , mei¬ ne Christen , eine aufmerksame Betrachtung über Sepde Theile Gott zu lieb anstellen. Erster T h e i l. Achnstus hatte sich nicht nur von dem gemeinen Vol¬ ke , sondern auch von den vornehmer» Juden meh¬ rere Anhänger gemacht. Ja selbst in dem hohen Ra¬ che zu Jerusalem, welcher das höchste Gericht der Nation war . waren verschiedene, welche durch sei¬ ne vortreflichen Lehren und Wunder gedrungen, sei¬ ne Religion annahmen. Aber die Furcht, ihre Ehreu¬ stellen zu vcrliehren, oder aus der Gemeinschaft der Juden verstosse» zu werden, hielt sie noch zurücke, sich öffentlich zu derselben zu bekennen. — Zu die¬ sen geheimen Anhängern Jesu gehörte nun auch Ni¬ kodemus, einer der angesehensten Lehrer der Juden, und ein Mitglied des hohen Raths zu Jerusalem, aus der Sekte der Pharisäer , der strengsten und ange¬ sehensten der Nation. Dieser kam einsmal des Nachts zu Jesu, vermuthlich weil er sich vor den übrigen Juden fürchtete, sich zu der Religion Jesu öffentlich zu bekennen, und sprach zu ihm, er sey überzeugt, daß er ein von Gott gesandter Lehrer sey. Denn nie¬ mand könne die Wunder thun , die er thue, äusser Gottes Kraft wirke mit ihm. Er solle ihm daher sa¬ ge», was er, um selig zu werden , zu thun habe. Da hielt nun, meine werthesten Christen, unser göttlicher Erlöser eine längere Unterredung mit ihm, so» welcher das heutige Evangelium auch ein Stück Erklkr. d, Evang.ll. Th. G ist' — ( y8 ) — ist. Sr unterrichtete ihn mit mchrern Worten, und unter andern sagte er ihm, daß der Mensch , wenn er wolle selig werden , im Wasser und heiligem Gei¬ ste geistlicher Weise wiedergebohren werden müsse. Ferner, daß der Erlöser der Welt müsse am Kreuze erhöhet werden, gleichwie Moses in der Wüsten die eherne Schlange an einem Pfale aufgehängt und erhöhet hatte. So wie nämlich Moses auf Be¬ fehl Gottes eine Schlange von Metall an einem auf¬ gerichteten Pfale aufhangen mußte, mit dem Ver¬ sprechen , daß ein jeder, der ste mit Vertrauen ans Gott ansähe, nicht umkommen, sondern von jenen gefährlichen Wunden gehcilet werden sollte, welche viele der Israeliten durch giftiger Schlangen Biße, die ihnen Gott wegen ihrem Murren zufchickte, bekom¬ men hatten. Also sollte auch der Meßias am Kreuze aufgehangt werden, um die Menschen von jenen töd¬ lichen Wunden zu heilen, die ihnen die höllische Schlange beygebracht hätte, und auf daß alle, die ihr Vertrauen auf ihn setzten , das ewige Leben ha¬ ben möchten. Nach dieser Rede kam Jesus auf den heutigen Text, da er zum Nikodemus sagte: also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebohrnen Sohn gab, auf daß alle , die an ihn glauben, nicht verlohren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, nicht, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn se¬ lig werde. So lautet der erste Theil unsers heutigen Evangeliums, meine Christen, der von der überaus grossen, allumfassenden Liebe Gottes handelt, die der Ewige allen Menschen auf der Welt durch die Sen- Sendung seines Sohnes geoffenbaret und erwiesen hat. —- Und welche grosse, heilige Verwunderung muß uns nicht gleich dieser Anfang einflössen, da uns hier der Sohn Gottes selbst die unaussprechlich grosse Liebe seines himmlischen Vaters zur Betrach¬ tung vorstellet, die er bey seiner Sendung dersün- digen, abtrünnigen Welt, oder den gefallenen Men¬ schen, die dadurch verstanden werden, erzeiget hak. Betrachten wir alle Worte dieser rührenden Rede Jesu wohl, meine lieben Christen, untersuchen wir alle wichtige Umstande derselben , erstens kver ge- liebet hat, zweytenS wer geliebt worden, und drit¬ tens wodurch die Grösse der Liebe gezeiget worden. Erstens, wer hat geliebt, al.o hat Gott die Welt geliebt, Gott, Gott der himmlische Vater, -er unendlich erhabene, unumschränkte, unendliche, für sich allein ganz glückselige Gott. Der von dieser Liebe keinen Nutzen hatte, und keinen Nutzen haben konnte, dieser hat Liebe, Gnade und Barmherzig¬ keit erzeiget. Dieser hat, statt Rache zu nehmen , welche seine Gerechtigkeit forderte, sich als den barm¬ herzigsten, liebreichsten Gott bezeiget. Zweitens, wen hat er geliebet? die Welt, die bvshaftige sündige Welt. Also hat Gott dieWeltge- liebet. Die ganze Welt, das ist,' alle Menschen, die jemals in der Welk waren, und noch jetzo in der Welt sind , oder noch auf dieselbe kommen wer¬ den. Uns Menschen hat er geliebt, die wir seine Fein¬ de waren, die wir ungehorsame, rebellische Kinder gegen ihn als den beßten Vater waren, die wir mit A- Lam und Heva im Paradiese gcsündiget hatten. Uns, die wir -er verfluchte Gegenstand seines Haffes wa- G L re». s t ') ven, die ««e verdienet hatten, ewig von seinem An¬ gesichte verstoßen zu werden. Uns Menschen, die Wir ohne diese Liebe ewig wären verdammt gewesen, und über welche das Urtheil der Verdammung schon ausgesprochen war, welches de» zeitlichen und ewi¬ gen Fluch in sich faffete, schon ausgesprochen war, uns hat er geliebt. Uns, seine Geschöpfe, die sich aber als nngehorsame, als rebellische Geschöpfe be¬ tragen hatten. Uns, die er nach seinem Ebeubilde erschaffen, die aber dieses Ebenbild abscheulich ver¬ unstaltet hatten. Uns hat er nicht woken lassen za Grunde gehen , sondern hat uns Gnade und Barm¬ herzigkeit erzeiget. Und drittens, wodurch hat Gott seine übergro¬ ße Liebe gezeiget- dadurch, daß er seinen eingebohr- uen Sohn in die Welt gab. Hier redet Christus selbst gleichsam mit Verwunderung , daß die Liebe Got¬ tes soweit gieng, daß er seines eigenen Sohnes nicht verschonte. Welcher König würde dieß thun , und seine» einzigen Sohn für seine Feinde , für sei¬ ne rebellischen und widerspanstigen Unterthanen ge¬ ben, und zwar in den peinlichsten und schimpflichsten Lod dahingeben. Dennoch that es Gott für die sündige Welt. Er schickte seinen eingebohrnen , voa Ewigkeit unendlich geliebten Sohn in die Welt, daß er die menschliche Natur von der reinsten Jung¬ frau Maria aunehmen , sein Leben in größter Nie¬ drigkeit, in Armuth, in Elend und Verachtung hin¬ bringen , ja unter Hohn und Spott, unter tausend Schmerzen endigen, und gleich der kupfernen Schlau, gc Mosis in der Wüsten, an einem hölzernen Pfahle uafgehängt werden sollte. Welche »«- ( 1GL ) — Welche Liebe, meine werthesten Christen , wer kann diese fassen.— Seinen eingebohrncn Sohn hak Gott in die Welt geschicket. Keinen aus Gnaden an¬ genommenen Sohn, sondern jenen, der ihm ander göttlichen Natur, an allen göttlichen Vollkommen¬ heiten ganz gleich ist. — Wenn er mehrere Söhne gehabt hatte, so wäre diese Liebe schon ausserordent¬ lich gross, da er aber nur einen einzigen Hatte , und diesen mehr als Himmel und Erde, ja so wie sich sechsten liebte, so ist diese Gnade unaussprechlich und unbegreiflich groß. Er hat diesen in die Welt geschicket, nicht dass er die Welt richte, und die Menschen verdamme, wie er solches nach seiner Gerechtigkeit hätte thun können, sondern daß die Welt durch ihn selig wer¬ de, daß ein jeglicher, der an ihn glaubt, dasewige Leben habe. Nutzanwendung, Was lernen wir nun aus diesem ersten Theile unsers Evangeliums, meine werthesten Christen, diese drey folgenden Stücke lernen »vir aus demsel¬ ben, Erstens sehen wir, daß alle Menschen sich in einem verlohruen Anstande befanden, daß wir alle der Sünden wegen wären ewig verlohren gegangen, wenn nichtj Christus Gottes Sohn uns zu Liebe in die Welt gekommen wäre. Oder wie es Paulus mit andern Worten sagt, wir waren alle Kinder des Zorns von Natur, wie die andern Ungläubigen, Juden und Heyden, die unter dem Fluche Gottes sich befinden, noch jetzo dergleichen sind. — Dieses G Z große —- f »02 ) — große Elend kann uns billig zu Herzen gehen, und desto mehr aulreiben, unserm barmherzigen Gott den wärmsten Dank zu sagen, daß er uns von dem» selbe» befreyet, und aus Kindern des Zorns zu Kin¬ dern der Gnade gemacht hat. Zweitens lernen wir, daß Christus der einge- b ohrne Sohn Gottes des himmlischen Vaters sey; denn so nennet er sich selbst heute im Evangelium. Wir sehen, daß er, nach eigenem Bekenntniß, in die Welt gesendet sey, zum Heil der Juden und Hey¬ den , zur Seligkeit aller Menschen auf der ganzen Welt; daß er der Mittler sey zwischen dem beleidig¬ ten Gott und den Menschen, der unsere Sachezbey Gott ausgemacht, der sich selbst gegeben für alle zur Erlösung, der alle vom Fluche und Zorne Gottes befreyet, aus der Dienstbarkeit der Sünde herausge¬ rissen , und von der Sklaverey des Teufels befreyet hat. Drittens sehen wir, meine werthesten Christen, daß Gott ein barmherziger, grundgütiger Gott sey. Denn da die Menschen ihrer Sünden wegen ewig ge- strafet zu werden verdieneten, erbarmete er sich ih¬ rer , schickte seinen unendlich geliebten eingebohrncn Sohn in die Welt für sie, er gab ungerathenen Ge¬ schöpfen zum Heile das Kostbareste und Liebste, was er hatte.-O meine lieben Christen, bleibet hier ein wenig mit euren Gedanken stehen, und be¬ trachtet, ob sich die Liebe Gottes hier nicht in ih¬ rer völligen Größe und auf ihrer schönsten Sette zeige! — Konnte uns Gott mehr lieben, als da er seinen eigenen Sohn znm Opfer für uns Sünder her- gab? — O wenn in uns noch einige Empfindung liegt. -7 ( »«Z ) — liegt, so müssen wir bey dieser Betrachtung gerührt werden, unser Herz muß sich ganz zu Gott empor-- heben ! Hat uns Gott noch als Sünder so geliebet, wie sehr wird er uns ersi lieben, wenn wir Gerechte sind. Viertens. Welch einen Dank sind wir Gott für diese große Liebe schuldig? Können wir wohl eine so große Gnade genugsam jemals verdanken? — Er¬ zeigen sich alle Menschen dafür dankbar, so wie sie sollten? — Lasset uns Christum hierüber selbst hö¬ ren im Zweyten Theile. Ner andere Theil nnsers Evangeliums, meine wer- Lhesten Christen, handelt von der großen Undankbar¬ keit der Menschen gegen Gott den Herrn, von der schlechten Gegenliebe für seine unaussprechlich große Liebe, die er ihnen insgesammt erwiesen hat. Dieses lieblose, undankbare Verhalten der Menschen gegen Gott besteht aber darinn, wie es Christus selbst be¬ schreibt: Erstens, daß etliche gar nicht an ihn glau¬ ben, die Liebe Gottes gar nicht annchmen, unddaS ewige Leben nicht erhalten wollen. ZweytenS, daß andere zwar an ihn glauben, aber nur einen tobten Glauben haben, einen Glauben, der im beständigen Widerspruche mit ihren Werken ist. Denn hierüber beklaget sich unser Erlöser im Evangelium, da er sagt: daß solchen, die gar nicht an ihn glauben woll¬ ten, die ewige Verdammniß gewiß bevorstünde. "Wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, weil er nicht glaubt im Namen des eingebohrnen Sohns G 4 Got- Gottes. Das ist aber das Gericht, weil das Licht in die Welt gekommen, und die Mensche» liebten die Finsterniß mehr, als das Licht, denn ihreWer- ke waren böse. „ Es gab nämlich Menschen in der Welt, welche die Finsterniß mehr liebten als das Licht, die vor dem göttlichen Lichte die Augen ver¬ schlossen, die sich von dem göttlichen Heylande nicht wollten heilen, und von diesem göttlichen Lehrer nicht wollten belehren lassen, die gleich unvernünfti-- gen Kranken jenen Arzt verwarfen, der sie von ihrer Krankheit heilen wollte. Und dergleichen blinde und verstockte Lmte gibt es noch jetzt in der Welt, meine wcrthesten Christen! Ueber solche wird das Gericht kommen, durch welches Christus die ewige Ver- dämmniß versteht, und so viel sagen will, daß dieses die Hauptursachs sey, warum Gott solche Menschen strafen werde, weil sie das Licht nicht liebten, weil sie die Wahrheit nicht erkennen woll¬ te»,, daher in der Unwissenheit blieben, und von ei¬ ner Sünde in die andere fielen, oder wenn sie auch die Wahrheit erkannten, nach derselbe» nicht lebe» wollten. Daß Christus durch daS Licht, das in die Welt gekommen, sich selbst verstehe, ist klar aus anderen Worten, wo er vo» sich selbst sagt : "Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolget, der wandelt nicht in der F-insterniß, sondern wird das Licht des Lebens haben.,. Er ist das Licht, das allen Men¬ schen leuchten will, er will allen die nöthige und hin¬ längliche Kennlniß ertheilen, daß sie ihn als ihren Heyland erkennen, und dadurch zum ewigen Leben gelangen. Wenn sie aber nicht wollen erleuchtet wer- - ' dm, - ( 10F ) — den/ ft» ist die Schuld der Derdammniß allem auf ihrer Seite, und diese Schuld der Verdammniß wird bey ihnen desto größer feyn, je naher sie diesem Lichte gewesen, und je größeres Maß der Erkennt- mß ihnen Gott gegeben. Denn dieß muß nothwen- diger Weise die Strafe vermehren, wenn man das Licht hat, und demselben nicht nachgehen, sonder» lieber in der Finsterniß bleiben will. Der Knecht» der Christ, die Christin», die ihres Herrn Wille» mußten, und nicht darnach lebten, werden ein dop-- peltes Gericht bekommen. "Das ist aber das Gericht, weil das Licht in Vie Welt gekommen; die Menschen aber liebten die Finsterniß mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. ,, Christus erkläret sich hier selbst, mei¬ ne werthesten Christen, daß er durch die Finsterniß , welche die Menschen mehr als das Licht lieben, die Sünde und Laster verstehe, die in der Welt herrschen, und alles Böse, das von dem Fürsten der Finsteruiß, dem Satan, in die Welt gekommen: als Unglaube, Unzucht, Ungerechtigkeit und alle Sünden, die aus der Blindheit und Bosheit der Menschen Herkom¬ men. — So heißt auch die Sünde deßwegen eine Finsterniß, weil sie meistens im Finstern und im Verborgenen begangen wird. "Denn solche Leute , die Böses thun, die Haffen das Licht, und kommen nicht an das Licht, auf daß ihre Werke nicht bestra¬ fet werden,,, wie unser Erlöser ferner bemerket. Die bösen Menschen lieben ihr sündliches Wesen mehr, als die Wahrheit und Gottseligkeit, sic scheuen al¬ les, was sie verhindern kann, nach ihren bösenLü- G F sie» H— ( 106) sten z« leben. Sie Haffen das Licht gleich den Nacht¬ vögel», und wollen nicht zum Lichte, zur Erkennt- niß ihrer Sünden kommen. Sie Haffen das Licht, und hegen öfters eine große Feindschaft gegen die Wahrheit, und gegen alle, welche die Wahrheit lehren, und nach derselben leben; denn sie wollen nicht, daß ihre Werke untersuchet, ihre Sündenund Laster andern Menschen geoffenbaret, und sie deßwe- gcn bestrafet, und vor der Welt zu Schanden ge¬ macht werden. Sie Haffen die Strafpredigten, da¬ mit sie in ihrem Gewissen nicht beunruhiget, sondern ganz,ruhig in ihren Sünden fortleben können. Kurz, die Werke der bösen Menschen sind Werke der Fin¬ sterniß. "Die Frommen aber, die nach der Wahrheit handeln, die kommen an das Licht, damit ihre Wer¬ ke offenbar werden, denn sie sind in Gott gethan.,, Menschen, die gottselig handeln, die nach der Vor¬ schrift der Gebothe Gottes ihr Leben einrichten, fürch¬ ten sich nicht, wenn man ihr Thun und Lassen un¬ tersuchet, ja, sie untersuchen dasselbe vielmehr selbst »echt sorgfältig, sie suchen das Licht, sie hören gerne Gottes Wort, damit sie erfahren, wie ihr Le¬ ben nach demselben beschaffen sey, oder wie sie es in Zukunft nach demselben einrichten sollen, sie prüfe» ihre Handlungen, ihre Reden, ja selbst ihre Gedan¬ ken ganz genau im Lichte Gottes. So wie man et¬ was zur Nachtzeit an das Licht hält, wenn man es recht sehen will, so untersuchen sie ihre Werke bey dem göttlichen Lichte, um zu sehen, ob sie recht nach dem Befehle und nach der Richtschnur der Gebothe Gottes gethan sind. Nutz- — ( K>7 ) — Nutzanwendung. Aus diesem zweyten Theile ersehen wir, meine werthesten Christen, daß es viele Undankbare unter den Menschen gegen Gott und gegen seine Liebe ge¬ be, worüber sich Christus in dieser Unterredung mit dem Nikodemus empfindlich beklaget. Gott der Herr schickte seinen eingebohrncnSohn allen Menschenzum Beßten in die Welt , damit sie, die ewig wären ver¬ kehren gegangen, vom Untergange gerettet würden; aber die Wenigsten wollten einen rechten Glauben an ihm erzeigen. Das göttliche Licht kam in die Welt, aber die Menschen liebten die Finsterniß mehr als das Licht; sie liebten die Sünde, die zeitliche, ver¬ gängliche Wollust mehr, als Jefum ihre Seligkeit. Ein jeder prüfe sich hier selbst sorgfältig, meine lieben Christen, und gebe Acht auf sein Her; und Gewissen, diese werden ihm sagen, wie seine Werke beschaffen seyn. Ein jeder merke sich dieses, daß es kein gutes Anzeichen sey, wenn man das, was man vornimmt, gerne also thun möchte, daß es im Dun¬ keln geschehe, daß Niemand was davon erfahre, damit man nicht in Schänd und Strafe gebracht werde; oder wenn man das Geschehene verheimli¬ chen, verläugnen und nicht gestehen will. Diese und dergleichen Kennzeichen geben zu verstehen, daß man Böses thue, oder schon gethan habe: "Denn der Böses thut, der hasset das Licht, und kommt nicht an das Licht, sagt Christus, auf daß seine Werke nicht bestrafet werden.,, Hüten wir uns vor allen solchen Werken der Finsterniß, wir als Kinder des Lichtes dürfen nicht in der Finsterniß der Sünde, fon- s 168 sondern in dem Lichte eines auftrbaulichen, heilige» Lebens wandeln. Wir müssen nicht allein für uns in diesem Lichte wandeln, sonder« auch für andere ihnen zum guten Beyspiele, nach der Vorschrift Christi bey Matthäus am F. Kap. "Lasset euer Licht leuch¬ ten vor den Menschen, auf daß sie eure guten Wer¬ ke sehe», und euren Vater im Himmel dafür prei¬ sen. „ Ueberhaupt lasset uns, meine werthesten Chri¬ sten, aus dem heutigen Evangelium erlernen, wel¬ che grosse Gegenliebe wir unserem Gott schuldig sind. Gott dachte an uns, da wir noch nicht auf der Welt waren, ja ehe die Welt selbst ward. Wir konnten von ihm seine Liebe nicht verdienen, ja wir waren sogar seine Feinde, und dennoch liebte er uns sosehr, daß er seinen Sohn in den peinlichsten Tod für uns hahingab. Welche Dankbarkeit und Liebe sind wir mcht, nebst dem göttliche« Vater, dem uns zum Beßten geschickten Sohne schuldig, der sich für uns gegeben? Wir lieben ja denjenigen, der uns das verlohrne Gesicht oder Gehör wieder verschaffet, oder »ns eine» lahmen Fuß oder gebrochene Hand gehei- let hat; warum sollten wir Zesum nicht lieben, der unsere todkranke Seele geheilet, der uns vom ge¬ wissen Untergänge gerettet, und das ewige Heil er¬ worben hat? Wir lieben einen Menschen, der uns zu Liebe was gelitten und ausgestanden, oder sich wegen uns in eine Gefahr begeben hat; warum soll¬ ten wir Jesum nicht lieben, der für uns auf diese Welt gekommen ist, und sich in den schmählichsten Tod dahingegeben hat. Daß Ivy -) — Daß viel, sehr viel an der menschlichen Seele und derselben Heil müsse gelegen seyn, gibt uns auch das heutige Evangelium zu erkennen. Wenn Gott dessentwegen seinen Sohn nicht verschonet, sondern ihn zum Tode des Kreutzes dargegebcn hat, ,nm die verlohrncn Seelen der Menschen zu retten, so müssen wir nothwendig daraus schliessen, daß Gott an der¬ selbe» Heil sehr viel gelegen sey, daß sie von einem äußerst kostbaren Wertste seyn müssen. Denn welcher Fürst gibt seinen Sohn für seine Untcrkhanen , wenn ihm nicht sehr siel daran gelegen ist. Bedenket dieses wohl, meine lieben Christen , und befleißiget euch besonders eures Heils, für wel¬ ches Gott so viel getha» hat. Solltet ihr sorglos we¬ gen euren Seelen seyn können, an welchen Gott so Niel gelegen war? Solltet ihr eine Sache gering ach¬ ten können, welche Gott so hoch schätzte, daß er das Kostbarste, was er immer hatte, dafür gab.— Könnet ihr für eure Seelen nicht so vielthuu, als Gott gethan hat, o, so thnt wenigstens so viel, als in euren Kräften steht, nm sie ewig glücklich zu ma¬ chen. Wandelt allezeit im Lichte, und nnr niemals in den Finstcrnißen der Sünde, bittet Jesum, das Licht, welches in die Welt gekommen ist, den blin¬ den Menschen zu leuchten, daß er euch erleuchte , um alles dasjenige zu erkennen, was euch zu wissen nothwendig ist; bittet ihn, daß er euch so führe und leite bis ihr kommet an jenen Ort, wo ihr Gott das ewige Licht zu sebe« das Glück Haden werdet. A-nen Auf Auf das Fest der hochheiligen Dreyfaltrgkeit. Evangelium Niatth. XXVIIl. r8 — 20, ^n der Zeit sprach der Here Jesus zu seins« Jüngern : mir ist alle Gewalt gegeben im Him¬ mel und auf Erden. Gehet also hm, und kehret alle Völker, und taufet sie im Namen deS Va¬ ters, und des Sohnes, und des heiligen Gei¬ stes. Lehret sie halten alles, was ich euch befoh¬ len habe. Und sehet, ich bin bey euch alle Tage bis ans Ende der Welt. Lehret alle Völker, und raufet sie im Namen des Dakers, und des Sohne-, und des heiligen Geistes- Matth. 28° V. 19- Eingang. Nachdem Matthäus in seinem acht und zwanzigste« Kapilel die Geschichte der Auferstehung Jesu erzählt hatte, wie nämlich der Engel des Herrn den from¬ men Weibern, die Christi Leichnam zu salben an das Grab gekommen waren, erschienen sey, und ihnen besohlen habe, den Aposteln zu sagen, daß sie sich — (!!!) — sich von Jerusalem nach Galiläen begeben sollten, da würden sie ihren erstandenen Herrn und Meister wie¬ derum sehen, so setzet er hinzu, daß die Eilfe, das ist, die Apostel, diesen Befehl vollzogen, nach dem bestimmten Lande gegangen wären, und auf den angezcigten Berg sich begeben hätten Da hät¬ ten sie auch wirklich jene merkwürdige Erscheinung gehabt, wo Jesus sich ihnen gezeiget, sie aber vor ihm niedergefallen wären, und ibn angederhct hät¬ ten. Alsdann beschliesset er sein ganzes Evangelium mit den Worten des heutigen Evangeliums, daß Christus zu seinen Jüngern gesprochen habe, ihm sey alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden, sie sollten in die ganze Welt ausgehen, zu lehren alle Völker, und sie zu taufen im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes. Sie sollten sie lehren alles zu halten, was er ihnen be¬ fohlen habe. Er aber wolle bey ihnen seyn alle Tage bis ans Ende der Welt. Ein kurzes Evangelium, meine lieben Christen, welches aber die wichtigsten, für das ganze mensch¬ liche Geschlecht interessantesten Sachen in sich begreift, als da sind die Sendung der Apostel in die ganze Welt, um alle Völker zu belehren , sie von Lastern und Jrrthümern abzuziehen, und auf den Weg der Wahrheit und Tugend zu führen. Ferner die Stif¬ tung der christlichen Kirche auf der Erde, und das tröstliche Versprechen des göttlichen Beystandes, wel¬ cher dieser Kirche niemals fehlen soll, nebst dem Be¬ fehle alle Menschen zu taufen, und zugleich die Verkündigung des erhabensten und wichtigsten Ge¬ heimnisses unsrer Religion, der heiligsten Drepfai- rig- tigkeit, dieses allerhöchste» Geheimnisses, welches die Apostel bey Verkündigung -es Evangeliums zu-^ erst den Gläubigen erklären sollten, weil es allen «ru¬ dern Wahrheiten der Religion zum Grunde dienet, und den Menschen allein alle jene unschätzbare Gut- thaten vor Augen stellet, mit welchen uns die drey göttlichen Personen überhäufet haben, als die Gut- Hat der Erschaffung und Erhaltung von Seiten des Vaters, die Gutthat der Erlösung von Seiten des Sohnes, und die Gutthat der Heiligmachnug, der Erleuchtung und Belehrung vsn Seiten des heiligen Geistes. Dieses Evangelium schicket sich also ungemein schön auf diesen feyerlichen Tag, Heils weil es den Befehl in sich enthält, der den Apostel« gegeben wur¬ de, die Lehre Christi in der ganzen Welt zu verkün¬ digen, wovon sie gleich nach dem Pfingstfeste, nach Empfangung des heiligen Geistes - den Anfang mach¬ ten, Heils, weil es von dem allerwichtigsten Geheim¬ nisse der heiligsten Dreyfalligkeit handelt, welches die Apostel zuerst der Welt aukündigten, und welches zu feyern wir uns heute Hier versammelt haben. Der Befehl also, die Lehre Christi auf Erde» auszubreiten, und der Befehl zu lehren und zu tau¬ fen im Namen eines dreyemigen Gottes, welche den Inhalt des heutigem evangelischen Textes ausmschen, sollen die zween Gegenstände, worauf sich meine Er¬ klärung beziehen wird, auch ausmachen. Erstens zwar werde ich euch, meine werthesten Christen er¬ klären, wie Christus seinen Aposteln befohlen hat, seine Lehre allen Völkern zu verkündigen, und auf der ganzen Welt seine Kirche, welcher er stets seinen Bey- — ( HZ ) -°- Beystand leisten werde, auszubreiten. Zweytens werdet ihr vernehmen , wie Christus seinen Jüngern befohlen, das Höchste unter allen Geheimnissen, ei¬ nen Gott, der einfach in der Natur und dreyfach in Personen, der Welt anzukündigen, und in dessen Na¬ men zu taufen. Vernehmet diese zween wichtigen Gegenstände mit gebührender Aufmerksamkeit. Erster Th eil. Ahristns hielt sein Versprechen, das er seinen Jün¬ gern im Leben gegeben hatte, sie nach seinem Tode in Galilaen zu sehen, getreu, da er auf einem in diesem Lande bestimmten Berge ihnen erschien, und ihnen zu wissen machte, daß ihm alle Gewalt gege¬ ben sey, im Himmel und auf Erden. Als Gott hak¬ te er zwar diese uneingeschränkte, unendliche Gewalt über alle seine Geschöpfe von Ewigkeit her, als Mensch aber hatte er diese Gewalt, die er besonders nach seiner Auferstehung auszuüben anfieng von sei¬ nem himmlischen Vater empfangen. Er übte diese Gewalt, die er der Menschheit nach empfangen hatte, im Himmel aus, da er, nach seiner Erhebung über alle Engel, von da den heiligen Geist seinen Jüngern sendete. Auf Erde» aber übte er noch diese seine Macht aus, da er, um seine Herrschaft über die Menschen zu zeigen, seine Apostel in die ganze Welt sendete, daß sie allen Menschen, Inden und Hey¬ den sein heiliges Gesetz und seine Gebothe verkünden sollen, gehet hin in die ganze Welt, und lehret alle Völker. Dadurch befahl er seinen Jüngern der gan¬ zen Welt jenes Evangelium kund zu machen, welches er bey seinem Aufenthalte auf dieser Erde den Juden, ll'rMr.b.Evmig.H.Th. , H de- -- t ri4 ) — denen als Nachkömmlinge Abrahams das Verspre¬ chen auf den Messias gegeben war, allein gepredi¬ gt hatte. Der Unterschied zwischen Juden und Hey¬ den sollte in diesem Betracht aufhören. Alle Men¬ schen, sie möchten der Geburt nach seyn, wer sie wollten, sollten an seiner Lehre Theil haben , sie soll¬ ten alle auf den Weg der Wahrheit und Tugend ge¬ leitet, und durch ihn beglücket werden, weil er alle mit seinem Blute theuer erkaufet habe, und weil ihm die Gewalt über alle gegeben worden. Die Apostel sollten eben diese göttliche Lehre, die sie aus seinem heiligsten Munde gehöret, die er mit so vielen Wunderwerken bekräftiget, mit Wunder¬ werken von allerley Gattung, die vor bewahrten Zeugen ohne Zahl, die vor dem Angesichte der ganzen Welt geschehen waren, bestätiget hatte, eben diese vor¬ treffliche Lehre sollten sie predigen, von jener reinen erhabenen Liebe Gottes und des Nächsten, ebendiese Lehre von jener ungeheuchelten Liebe der Feinde, von jener vernünftigen Selbstverläugnung, von jener De- muth und Sanftmuth, von jener Eingezogenheit, Barmherzigkeit, Friedsamkeit, und von allen jenen erhabensten Tugenden, die sie in seiner Schule wah¬ rend dem Unterrichte von dreyen Jahren vernommen hätten. Diese nämlichen Lehren sollten sie allen Völkern der ALelt vortragcn, dadurch sollten sie das Angesicht der Erde ändern, das Licht der Wahrheit den in der Finsterniß des Unglaubens sitzenden Na¬ tionen der Welt anzünden. Sie sollten die Abgöt- terey aus so weitschichtigeu Ländern vertreiben, die den Menschenverstand entehrenden Götzen zerschmet¬ tern, und die Weisen dieser Erde ihrer Lhorhcit und Blirrd- Blindheit überfuhren. Sie sollten Menschen bekeh¬ ren, welche den fleischlichen Lüsten und andern Lei¬ denschaften schändlichst ergeben, die, mit lauterVor- urtheilen und Aberglauben angefüllt, in der größten Dummheit wandelten, solche sollten sie unterrichten, erleuchten und zu glücklichen Menschen machen. Grim¬ mige Wölfe sollten sie in sanfte Lämmer, Ruchlose in Gottesfürchtige, Sünder in Heilige umschaffen nnd umandcrn. Diese sollten sie alles das zu erfüllen lehren, was er ihnen gesagt habe, lehret sie halten alles, was ich euch befohlen. Sie sollten alle Neubekehrten, welche sie von der Wahrheit seiner Religion überfüh¬ ret hatten, anhalten, daß sie auch das thun, was er ungeordnet, daß sie auch eben so licbvoll gegen Gott und den Nächsten sepn, wie er gewesen, eben so sanft und dcmüthig von Herzen, eben so liebreich gegen ihre Feinde, wie er gewesen, eben so gedul¬ dig im Kreuz und Leiden, und eben so friedsam und dienstfertig gegen andere, wie er gewesen. Die A- postel sollten alles dieses andern Völkern lehren, was er sie gelehrct hakte, welches nämlich, um selig zu werden, zu beobachten nothwendig sep. Sie sollten seine Kirche in allen Theilen der Welk aufrichten, er wolle ihnen in allem beystehen, er werde bep ihnen, und nach ihrem Lode bey ihrer gestiftete» Kirche, bis ans Ende der Welt sepn. Er würde als das unsichtbare Haupt der Christenheit sie und ihre Nachfolger niemals verlassen, sondern ih¬ nen in ihren Lehren, und in ihren Verfolgungen und Widerwärtigkeiten stets bepstehen, so lange die Welk dauret. Er würde sie besonders durch den heiligen H « Geist — ( ri6 ) — Geist, den Geist der Wahrheit, in ih^cn Anordnun¬ gen und Lehren regieren, und alle Wahrheit lehren. Was Christus hier versprochen, meine wcrthe- stcu Christen, daö hielt er seinen Apostel» sowohl, als in nachfolgenden Zeiten seiner Kirche, getreu. Er stund seinen Aposteln irr ihrem beschwerlichen Predigkamte bey, stärkte sic durch seine unsichtbare Gnade gegen die grausamen Verfolgungen, tröstete sie in ihren Widerwärtigkeiten, von welchen sie ganz außerordentlich befallen wurden, regierte sie durch seinen heiligen Geist in ihrem Lehramtc, und nach ihrem Tod setzte er diesen seinen Beystand fort bei¬ der Kirche, die sie gestiftet haben. Er erhielt dieselbe gegen alle Anfälle der Holle, gegen die blutigsten Verfolgungen der heydnischcn Wntriche, gegen alle spitzfindigen Einwürfe der abgöttischen Wcltwcisen, und gegen alle Stürme dcrKctzerey und Spaltungen, so, daß der wahre Glaube, die reine Lehre seiner Kirche, allzeit gegen Heyden und Juden, gegen Ke- tzerey und Spaltung gcsieget, und rein erhalten wur¬ de, und noch rein, einförmig und unveränderlich erhalten wird. Nutzanwendung Wie tröstlich sind nicht diese Worte für uns, meine Christen, die Jesus zu seinen Jüngern gespro¬ chen, ihm sey alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden, welch ein Vertrauen flössen sie uns nicht gegen ihn als unser Oberhaupt ein, waS können wir nicht von ihm, wenn wir anders bey ihm in Gnaden stehen, in diesem und jenem Leben erwarten? Von ihm, der so vieles für uns rhat, der uns so zärtlich liebte, da er nun der Menschheit nach alle Gewalt hat — ( II/ ) — hat im Himmel und auf Erden, uns alles zu geben, und in allem zu unterstützen. Wie nützlich war auch der Befehl für uns, den er seinen Aposteln gab , sein Evangelium der ganzen Welt zu'predigen? Was waren wir ohne diesem Befehle? Wären wir nicht noch blinde Heyden, und schändliche Götzendiener, wie unsere Voreltern ge¬ wesen? — Die Apostel, denen dieser Befehl gege¬ ben war, erfülleten nach empfangenen heiligen Geiste ihre Schuldigkeit genau. Sie hielten sichzwar noch eini¬ ge Zeit im jüdischen Lande auf, weil denJuden, als dem vormaligen anscrwählten Volke, die göttliche Lehre zuerst geprediget werden sollte. Da sie aber von dem größten Haufen der Juden aus blinder Verstockung verfolget wurden, so geschahS aus gött¬ licher weiser Führung, daß sie sich in der ganzen Welt zersireueten. Petrus, das Oberhaupt der Apostel, wurde zur Heydenbekehrung in der Stadt Joppe in dem Hause des Gerbers Simon aufs neue durch ein himmlisches Gesicht aufgemunkert, da er ein großes leinenes Tuch vom Himmel sich herablaffen sah, wor- inuen allerhand vierfüffjgc und kriechende Thicre, und Vögel waren, zugleich auch eine Stimme hörte, die ihm befahl, von diesen Thieren zu schlachten, und zu essen, da er aber nichts davon essen wollte, aus Ursach, daß er nichts Gemeines und Unreines esse, so versicherte ihn die himmlische Stimme, es wäre nichts unrein, was Gott gerciniget habe. Zu eben der Zeit kamen die dreyGesandten des heydni- schen Hauptmanns Cornelius zu ihm, da verstund er nun auf einmal ganz klar, daß Gottes ernstlicher Wille sey, die Heyden zu bekehren, Der gute Erfolg Hä i" °--- ( rrZ ) — rn dem Hause dieses Hauptmanns stärkte ihn noch mehr, so, daß er und die übrigen Apostel sich in den damals bekannten dreyen Welttheilen zerstrcneten, und aus dem Heydenthum Millionen Seelen Christo gewannen. Die Wo.rte Christi zu seinen Jüngern, lehret sie alles halten, was ich befohlen, erinnern uns, mei¬ ne liebe Christen, an eine der wesentlichsten Pflich¬ ten des Christenthums,daß wir nämlich nicht allein an Christum glauben, sondern auch alles halten sol¬ len, was er befohlen hat. Daß unfcr Glaube in unsere Aufführung seinen ganzen Einfluß haben, und wir denselben in unsern Werken zeigen müssen, daß wir die Unterwerfung des Willens mit der Uuterwbr-- fung des Verstandes verbinden, und daß sich unsere Gesinnungen, die wir von den göttlichen Dingen, von der Hoheitdes Christenthumes, von der Hofuung zum Himmel, von der Reinlichkeit der christlichen Sitten haben, daß sich diese Gesinnungen sichtbar in unserm Lebenswandel ausdrücken müssen. Da die Apostel eine thatige Religion predigten, so folget, daß, wenn mir die Gebothe Christi nicht beobachten, unsere Religion ein Schatten, eine Scheinreligion sey, daß unser Glaube ohne gute Werke ein betrüg- licher Glaube, nur ein Zeremonialglaube, keiner durch die Liebe und Werke beseelter Glaube sey, daß der Glaube, wie sich der Apostel Jakobus ansdrücket, tob sey, wenn er uns nicht antreibt, dasjenige zu erfüllen , was Christus befohlen hat, daß ein solcher Glaube, der nicht von guten Werken begleitet wird, der Glaube der Teufel sey, welche auch glauben, und bey Betrachtung der ewigen Wahrheit zittern, und in — i Hy ) — in die äusserste Furcht gefetzet werden. Jhrsaget, daß thr glaubet, fügetdieser Apostel hinzu, ihr thut wohl daran, so zeiget dann euren Glauben durch gute Werke, Ist aber dieses die Religion aller heutigen Chri¬ sten? Diese thätige Religion, welche die Apostel auf Befehl Christi predige» mußten? Ach! Welch eine abscheuliche Ungleichheit zwischen dem, was die Christen glauben, und zwischen dem, was ein gros¬ ser Lheil derselben thut. Betrachtet man einer Seits, was der Glaube lehret, anderer Seits, was viele Christen thun, o so könnte man manche für Betrüger ansehen. Glauben z. B., daß es einen Gott gebe, der alles fehe »nd höre, und dennoch ein gottloses Leben führen, dennoch fo handeln und so reden, als wenn Gott das Böse nicht sehe und höre, als wenn er die Sünden nicht bestrafe. Glauben, daß der Zorn, die heftigen Gemüthsbewegungen, von wel¬ chen man stch einnehmen laßt, daß die abscheulichen Ausschweifungen, denen man sich ergibt, der Weg zum Untergänge sey, und dennoch sich so wenig Mü¬ he geben, um vor denselben sich zu hüten. Glauben und wissen, daß Christus in dem heiligsten Sakra, mente des Altars gegenwärtig sey, und fo wenig Ehrerbiethung vor den Altären bezeigen. Wissen, daß dieses das allerheiligste Sakramentsey, und sich dem¬ selben im Sündenstande näher». Glauben und wis¬ sen, daß nichts wichtig, als was die Ewigkeit be- trift, daß alles in Vergleich derselben nichtig, ver¬ gänglich, von gar geringer Beträchtlichkeit sey, daß bas menschliche Leben kurz, daß bey dem Tode alles Zeitliche so vor uns verschwinde, als wenn es nie¬ mals »or uns gewesen wäre. Glauben, daß nach H 4 dem — ( 120 ) — Lem Tode die Uebertretter des göttlichen Gesetzes ein fürchterliches Gericht und eine Ewigkeit von erschreck-- liehen Peinen zu gewarken haben, daß eine einzige Todsünde schon genug sey, sich ohne Rettung ins Verderben zu stürzen, und nichts desto weniger un- gescheuk drauf sündigen. Glauben und wissen, daß man keinen einzigen Augenblick auf sein Leben Rech¬ nung machen könne, und daß die Stunde des Todes äusserst ungewiß sey, und dennoch ruhig im Sün- denstande verbleiben, gauzeMonathe und Jahre dar¬ inn verharren, sich ganz an die Erde ankleben, als wenn man sie niemals verlassen müsse, sich so betra¬ gen, als wenn man niemals sterben müßte, in An¬ sehung des Himmels, jenes glückseligen Standes, jenes unbegreiflichen Glückes, das man allda genies¬ set, ganz gleichgültig seyn, sich keine Gewalt anrhun wollen, desselben sich würdig zu machen. — Ist dieses der lebendige Glaube, den die Apostel predi¬ gen mußten? — Ach, meine werthesten Christen, verblendet und betrüget euch nicht sechsten, eröffnet eure Augen, und sehet, ob ihr diese thätige Religion habt, wel¬ che die Apostel der Welt verkündigten. Saget nicht, ihr glaubet, ihr seyd Christen, ihr seyd Jünger Jesu Christi, wenn ihr nicht alles erfüllet, was er befoh¬ len hat. — Wollet ihr eine ächte Religion haben, wollet ihr wahre Jünger Christi seyn, so seyd sauft- müthig und demüthig von Herzen, seyd friedfertig und liebreich gegen jedermann, kreutziget euer Fleisch Mit seinen Begierlichkeiten, tödtet ab in euch alle böse Neigung, trageteuer Kreuz Jesu geduldig nach, seyd nüchtern, verzeihet leicht und von Herzen alles Uu- — ( 12! ) — Unrecht, das man euch angethanhat, und machet, daß man wahre Christen und Christinnen an eurem sittsamen Betragen, und an euren crbauungsvolleu Gesprächen erkenne. Dieses sind, meine werthesten Christen, die heilsamen Lehren, welche uns der erste Theil unsers Evangeliums darbiethet. Lasset uns nun zum zwey- ten schreiten, und sehen, wie die Apostel das Gc- heimniß der heiligsten Dreysaltigkeit verkündigen, und in dessen Namen taufen mußten. Zw e y L er Theil. wichet hin, lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des hei¬ ligsten Geistes, lautet der zweyte Befehl, den der Hcyland seinen Jüngern gab. Und dieses ist, meine werthesten Christen, die deutlichste Offenbarung von dem anbethungswnrdigsten Gchcimniße der heiligsten Dreysaltigkeit, die uns der Sohn Gottes selbst gab. Er hatte dieses zwar schon an andern Orten gcoffcn- baret, und, als er sagte, er »nd der Vater wären eins. Er wolle ihnen den heiligen Geist senden, der vom Vater ansgehe. Bey seiner Taufe am Jordan erschienen der Vater und der heilige Geist, aber niemals hatte er dieses erhabene Geheimniß so klar, so deutlich geoffenbaret, als da er seinen Aposteln befahl, dasselbe der ganzen Welt zu verkündigen, und das erste und nothwendigsie unter allen Sakra¬ menten, die Taufe nämlich, durch Aussprechung dieses Geheimnisses zu ertheilen. Im Namen deS Vaters, des Sohnes, und des heiligen Geistes soll- H s tcu ( I2S ) — ten alle Menschen getaufet werden. Im Ramen die¬ ses drei-einigen Gottes sollte den Erwachsenen die Firmung, den Bußfertigen die Lossprechung erthei- let werden. Diese heiligsten Worte sollten den we¬ sentlichen Thcil von den mehresten Sakramenten aus¬ machen, und bep Ausspendung derselben gebraucht werden. Die Kirche bediente sich auch dieser Worte von den ersten Zeiten an, als eines Zeichen, die Gläubige» zu unterscheiden. Und djeses Geheimniß ist das öf¬ fentliche Bekenntniß, welches die ganze Kirche Chri¬ sti ablegct. Dieses ist als die Erblehre der Kirche, und als der Hauptpunkt, worauf sich ihr ganzer Glaube gründet, anzufthen. Dieses ist auch die Lehre, meine lieben Christen, welche ihr euren Kin¬ dern schon beybringet. Denn obschon dieselbe über allen Menschenverstand weit erhaben, und das größte unter allen Geheimnißen ist, so beobachtet ihr hier doch jene bey andern Wissenschaften eingcführteOrd¬ nung nicht, wo man vom Leichtern anfangt, und zum Schwerer» fortschreitct, sondern ihr fanget eu¬ ren Religionsunterricht bey d'esem Geheimniße an, weil man von demselben sagen kann, daß das Kind davon eben so viel verstehe und erklären könne, als der geschickteste Kirchenlehrer. Und weil ihr wün¬ schet, daß eure Kinder die ersten Töne ihrer Stim¬ me, die ersten Versuche ihres Gedächtnißes, und die ersten Seufzer ihres Herzens dem dreyeknigen Gotte widmen möchten, aus der nämlichen Ursache fanget ihr kein wichtiges Geschäft an, ihr hättet dann zu¬ vor diese Worte ausgesprochen: im Namen des Va¬ ters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes. . Die- — ( I2Z ) — Diese lasset ihr all euren Handlungen, all euren Ge- bethen vorangehen, und verlanget, daß sie so viele Beweise der Anbethung seyn sollen, die ihr der hei¬ ligsten und aubethungswürdigsten Dreyfaltigkeit ab- stattet. — Dieses ist auch jenes Geheimniß, das uns Gott allein unmittelbar durch sich selbst offenba¬ ren konnte, der ein unendlich weises und verständiges Wesen ist, der uns weder betrügen, noch betrogen werden kann, dem wir allen Glauben in allem bey- meffen müssen, und dieses noch vielmehr, wenn er von sich selbst redet. Durch diese Gefangennchmung unsers Verstandes aber, wie der Apostel sich ausdrü- ket, durch diese blinde Unterwerfung bringen wir ihm das angenehmste Opfer, wenn wir ihm das Edelste, das Vornehmste, was wir haben, unfern Verstand unterwerfen. Ich habe gesagt, meine werthesten Christen, dieß sey ein Geheimniß, das Gott allein offenbaren konnte, denn er übersteiget nicht allein all nufere Sinne und unsere ganze Einbildungskraft, sondern auch all unfern Verstand. Durch unsere Sinne und unser» Verstand erkennen wir wohl aus den Geschö¬ pfen, daß cs ein höchstes Wesen gebe, welches wir Golt nennen, seine Vollkommenheiten leuchten aus allen Werken hervor, und fallen in die Augen. Die unermeßlichen Himmelskugeln, die sich über unfern Häuptern so regelmäsig bewegen, die Gestirns, die Tag und Nacht scheinen, die, ohne ihre Kreise zu verlassen, wechsclweis unsere Erde beleuchten, die, ohne sich zu erschöpfen oder zu schwächen seit Jahrtau¬ senden ebendenselben Glanz von sich werfen, die, ohne anszmnhen, alle Tage, zu allen Zeiten, alle Iah- ( 124 ) Jahre eben denselben Lauf beobachten. So viele lausend und tausend Pflanzen, von welchen eine jede ihre besondere Kraft und Eigenschaft hat. So viele Metalle, die alle ihren Nutzen haben, so viele Thiere, von welchen ein jedes seine besonder« natürlichen Ei¬ genschaften und Naturtriebe hat. Elemente, die an sich einander zuwider, deren wunderbare Vermischung aber die Ordnung und Uebereinstimmung aller Theile des Weltgcbaudes ausmacht. Der wunderbare Bau des menschlichen Körpers, so viele unzähliche Wun¬ der der Natur, alles dieses sagt uns, meine werthe- flen Christen, daß es einen Gott gebe, der alles die¬ ses gemacht und angeordnet habe, der unendlich wei¬ se, unendlich mächtig und gütig seyn müsse. — Die Vernunft setzet noch hinzu, daß es unmöglich mehr als einen Gott geben könne, es könne nur ein höch¬ stes Wesen geben, zween würden einander vernich¬ ten, und die wesentlichen Vollkommenheiten, die sie von einander unterscheiden. würden bey allen beyden etwas Mangelhaftes voraussetzen, welches wider den ersten Begriff von Gott ist, wie solches sogar viels von den Heyden eingesehen haben. Aber über alle Vernunft ist erhaben, und die Offenbarung Jesu lehret uns allein, daß es drey gleich ewige, in allen Dingen vollkommen gleiche, nur in ihren persönlichen Eigenschaften unterschiedene Personen gebe, ein dreymal heiliger, ein einziger wahrer Gott in dreyen verschiedenen Personen. Dieß ist ein Geheimniß, welches wir nicht ergründen kön¬ nen, sondern nur mit einem ehrfurchtsvollen Still¬ schweigen anbcthen sollen. Dieß ist ein Gclffimniß, von welchem Paulus zu den Kolosser» i. K. sagt, das ( ) "das vor allen Geschlechtern bisher verborgen gewe¬ sen, nun aber den Heiligen geoffenbarek worden.,,— Dieses Geheimniß offenbaret uns nun Christus heute mit wenigen Worten, da er zu seinen Jüngern spricht: "gehet hin, «nd lehret alle Völker, und taufet sie im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes.,, Denn daraus sehen wir deutlich, daß alle diese drcy Personen nur eine Natur haben, weil die Apostel nur in einem Namen, nicht in meh¬ reren Namen taufen sollten, und daß jede dieser drcyen Personen wahrhaftig Gott scy, weil im Na¬ men einer jeden dieser dreyen Personen das vornehme Sakrament der Taufe mitgetheilet werden sollte. Nutzanwendung. Dieses ist also, meine rverthesten Christen, das hohe Geheimniß, welches heute Christus seinen Jün¬ gern offenbarte, und der Welt zu verkündigen, und in demselben alle Völker zu taufen befahl. Unsere Vernunft bleibt freylich hier vvllVcrwuuderung stille stehen, und schwindelt voll Erstaunen in sich zurück. Kein natürlicher Lichtstrahl derselben kann in diese heiligen Dunkelheiten eindringen, wir hoffen aber, daß wir jenen Zeitpunkt erreichen werden, wo wir diese große Wahrheit, welche uns jetzt der Schleyer des Glaubens verhüllet unfern Augen aufgeschlossen sehen werden. Wenn wir nur in Ansehung dessen, was uns Gott von sich selbst geoffenbarek hat, un¬ serer Verminst vollkommen unterwerfen, und gemäß jenem öffentlichen Bekenntniße leben, das wir da¬ von beym Eintritte in das Christenthum, beym Em¬ pfang der heiligen Taufe abgelegt habe», wenn wir dieses unerforschliche Geheimniß der allerheiligsieu Dreyfaltigkeik nicht allein fest glauben, sondern auch — ( 126 ) » die Heiligkeit unseres Lebens mit der Hoheit der Leh¬ re üdereinstimmen lassen, wenn wir alles beobachten/ was Christus befohlen hat, wenn wir dieß göttli¬ che Geheimniß auch inbrünstig verehren, den Na¬ men der drey göttlichen Personen bessm Anfänge ei¬ nes jeden wichtigen Geschäftes andächtig und mit Vertrauen aussprechen, wenn wir den dreyen göttli¬ chen Personen öfters danken für die empfangene!» Wohlthaten, dem Vater für die Gnade der Erschaf¬ fung und Erhaltung, dein Sohne für die Erlösung , und dem heiligen Geiste für die Gnade der Erleuch¬ tung und Hriligmachung , mit einem Worte, wenn wir durch Erfüllung aller Pflichten eines Christen, durch eine wahre thätige Religion diesen dreyeini- gen Gott allzeit verehren, so können wir hoffen, daß, gleichwie diese Worte im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, welche der Prie¬ ster bepm Anfänge unteres Lebens, unter Ausgiessung des Guadenwassers über unser Haupt, ausgespro¬ chen hat, Worte des Heils und der ewigen Selig¬ keit waren, auch dieselben beym Ende unsers Lebens für unströstlich und heilsam ftyn werden, wenn näm¬ lich der Diener des Herrn zu nnserm, mit den To¬ desängsten kämpfenden Geiste sprechen wird : fahre aus christliche Seele, verlaß diesen deinen sterblichen Leib, und kehre znrück,zn deinem drei-einigen Gott, fahre ans im Namen des Vaters, der dich erschaf¬ fen , im Namen des Sohnes, der dich erlöset, und im Namen des heiligen Geistes, der dich in der heiligen Laufe und andern Sakramenten geheiliget hat, daß auch alsdann diese Worte, Worte des Heils und des ewigen Lebens sepn werden. Amen. Auf ( 127 ) Auf den ersten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. VI. z6 — qr. <^Hn der Zeit sprach der Herr JesuS zu seinen Jüngern, feyd barmherzig, wie euer Vater barm¬ herzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet werden. Verdammet nicht, so werdet ihr auch nicht verdammet werden. Vergebet, so wird euch vergeben werden. Gebet, so wird euch gegeben werden. Eine volle, gedruckte, gerüttel¬ te und überflieffende Maß wird man euch in eu¬ ren Schoos geben , denn mit eben dem Maße, womit ihr ausmeffet, wird man euch wieder eiu- messen. Er sagte ihnen auch ein Gleichniß, kann wohl ein Blinder den andern führen, fallen sts nicht beyde in die Grube. Der Jünger ist nicht über den Meister, sondern e»n jeglicher wird voll¬ kommen seyn, wenn er wie sein Meister ist. WaS siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, siehst aber den Balken nicht m deinem eigenen Auge, oder wie kannst d» sagen zu dei¬ nem Bruder: Bruder laß mich den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du stehst den Balken in deinem Auge nicht, du Gleißner, zieh zuvor den Balken auS deinem Auge, alödann steh, wie du den Splitter auö deine- Bruders Auge ziehest. Scpd — L ) — Seyd also bsrmhrrzig , wie mer Vater barmherzig ist. Luk. 6. V. Eingang. 9?ebst dem grossen Grboche der Liebe Gottes ist nichts, meine wertheste»-Christen, was unser Hey- land seinen Zuhörern mehr anempfohlen hat, als das Gebothder Nächstenliebe. Die Ausübung dieses Gebothes , welches zur Beförderung der Ruhe und Wohlfart der menschlichen Gesellschaft ans Erden so unentbehrlich ist, will er für das sicherste Kennzei¬ chen seiner wahren Schüler angesehen wissen. Er will, daß seine Anhänger alle Einwohner der ganzen Welt, so gar ihre Feinde, die sie Haffen, und ih¬ nen zu schaden suchen, von Herzen lieben sollen. Er will, daß sie es mit allen Menschen gut und wohl meyncn , an ihrem Unglücke wahres Mitlcidcn, an ihrem Glücke aber aufrichtige Freude haben sollen, ja, daß sie das Glück und Vergnügen ihres Näch¬ sten auch mit manchem beschwerlichen Dienste zu be¬ fördern suchen, sie in ihrer Krankheit pflegen, in ih¬ rer Noch unterstützen, mit einem Worte, ihnen alle möglichen Liebsdicnste erweisen sollen. Er will, daß sie auch da großmüthig wohlthun sollen, wo ihnen nichts vergolten werden kann , wo sie von ihrer Lie¬ be keinen Vortheil, keinen Ruhm, kein Lob oder anderen Lohn zu hoffen haben. Besonders empfiehlt er diese Nächstenliebe in je¬ ner berühmten Bergpredigt, die er nahe bey Kaper- »aum auf einem Berge hielt, von welcher das heu¬ tige Evangelium ein Stück ist, und von welcherLn- kas — ( 129 ) — kas m seinem sechsten Kapitel Meldung thut , wo er feinen Jüngern ein neues , bis dahin den Juden un¬ bekanntes Geboth gilb , sogar ihre Feinde zu lieben, liebet eure Feinde, sagt er ihnen, thut Gutes denen, die euch Haffen, lobet und segnet diejenigen, dieeuch fluchen, und bethet für die, welche euch verleumden. Denn, wenn ihr nur diejenigen liebet, welche euch lieben , euch wohl thun, die mit euch befreundtsind, welchen Lohn werdet ihr davon haben. Da auch die größten Sünder dieses thun , wenn ihr nur wohl-- thut denen, die euch wohlthun, welchen Dank habt ihr davon, thun dieses nicht auch die härtesten, grau¬ samsten Menschen, oder wenn ihr nur auslehnet de¬ nen, von welchen ihr mit Wucher zu bekommen hof¬ fet , thun dieses nicht auch die größten, sündhaf¬ ten Wucherer, gebt einem jeglichen, der euch bittet. Alles, was ihr wollet, daß euch die Menschen thun sollen, das thut ihnen auch. Thut Gutes, wo ihr auch nichts zu bekommen hoffet, so wird euer Lohn groß seyn im Himmel. Ihr werdet wahre Kinder Gottes seyu, der auch gnädig ist gegen Böse und Undankbare. Nachdem der Heplaud in solchen noch etwas all¬ gemeinen Ausdrücken die Liebe des Nächsten anem-- pfohlen hatte, so kam er im heutigen Evangelium auf besondere Pflichten dieser Liebe, die er seinen Zuhörern erklärete. Und besonders rügete er,jenen grossen Fehler, dem viele Menschen auf der Welt, besonders die Pharisäer zu seiner Zeit, unterworfen waren, und noch jetzo unterworfen sind, da fle die kleinen Fehler an dem Nächsten gleich beobachte» , die grossen Mangel aber a-n sich selbst nicht sehen. Erklär. L. Evang. ll. Thl. 3 Diese Diese beyden Stücke, welche die zween Theile rrn- ftrs evangelischen Textes ausmachen, bin ich gesin- net, meine werthesten Christen, euch heute zu erklä¬ ren. Erstens zwar will ich euch die besonderen Pflich¬ tender Nächstenliebe, die Christus hier anführet, auslegen. Zwevtens aber, will ich euch zeigen, wie unser Erlöser besonders an den Pharisaernjenen merk¬ lichen Fehler bestrafte, da sie an dem Nächsten die kleinen Fehler sahen, die grossen eigenen Fehler aber an sich nicht erkennen wollten. Vernehmet beyde Theile mit der gebührenden Aufmerksamkeit. Erster Theil. Vier besondere Pflichten der Nächstenliebe lehkels hier Christus seine Zuhörer. Erstens, ein barmher¬ ziges Herz gegen den Nächsten zn haben. Zweykens den Nächsten nicht zu richten, und nicht zn verdam¬ men. Drittens dem Nächsten gerne das zngefügte Unrecht vergeben, und viertens von den Seinigen dem Nächsten gerne mittheilen. Lasset uns, meine lieben Christen, diese Pflichten durchgehen, und die¬ selben gleich auf uns auwcnden. Erstens fordert Jesus heute von einem wahren Christen ein barmherziges, gütiges Herz gegen sei¬ nen elenden nud dürftigen Nächsten. Seyd barm¬ herzig, wie auch euer Vater im Himmel barmher¬ zig ist. — Gott sollen wir in der Liebe gegen andere Menschen ähnlich werden. Nach seinem Muster sollen wir gegen unsere Mitmenschen gütig scyn, sollen sie als Mitgeschöpfc, als Miterlößte und-Freunde Got¬ tes — ( rAi ) —i Les betrachten, und uns, gleich Gott, gegen sie gä¬ rig beweisen, -er nns alle mit einer unaussprechli¬ chen Langmuth, Gütigkeit, Herablassung undWohl- thätigkeit täglich behandelt, der seine Sonne aufge¬ hen laßt über Fromme und Böse, der regnen laßt über Gerechte und Ungerechte, und der die verstok- kesten Sünder zu Gnaden aufnimmt. Der alle» hel¬ fen, der alle aus ihrem Elende retten, allen alles Gute zuwenden will, wenn sie seine Erbarmnisse nur annehmen wollen. Nach diesem hohen Muster sollen wir Menschen auch ein erbarmnißvolles , gütiges Herz gegen unsere Mitmenschen haben, bey ihrem Elende ein herzliches Mitleid bezeigen, und darauf bedacht seyn, ihnen nach Möglichkeit mit Rathund That zu helfen, in ihrer Noch sie zu retten, oder wenigstens dieselbe ihnen zn lindern, und alles Nütz¬ liche und Gute denselben zu erweisen. Sepd barm¬ herzig , wie euer himmlischer Vater barmherzig ist. — O wie fähig sind nicht diese Worte, meine wer- thesten Christen, unseren Herzen Barmherzigkeit ge¬ gen unsere Mitmenschen einzuflössen, wie nachdrück¬ lich versichern nns nicht diese, daß wir dem barm¬ herzigen Vatcrherze Gottes durch nichts naher kom¬ men, als wenn wir ebenfalls ein barmherziges Herz gegen unsere Mitgeschöpfe haben , wie nachdrücklich ermahnet uns Christus nicht durch diese Worte, dem «llgütigen Gotte nachzufolgcn, der seinen Ruhm da¬ rinn suchet, seine Erbarmungcn über alle seine Wer¬ ke zu verbreiten > der ein wahrer Vater der Barm¬ herzigkeit ist, und der uns hier anzeigen laßt, daß wir uns ihm vorzüglich wohlgefällig machen, wenn wir uns gegen andere barmherzig erzeigen. — I » Können < eZL ). Kennen wir wohl eine größere nnd würdigere pflicht gegen andere ausüben, als diese, was ist wohl erhabener, was ist göttlicher, als stets bereit seyn, jedem Elenden aufzuhelfen, im Gegentheile, was ist niederträchtiger, als ein hartes, unempfind¬ liches, gefühlloses Herz haben, sollte wohl der Mensch dessen Herz von dem Schöpfer zu Empfindungen fä¬ hig geschaffen worden, zu dem Elende seiner Mit¬ menschen unempfindlich seyn können? Sollte er nicht schon ein natürliches Mitleid in sich empfinden, wie Vielmehr sollte der Christ, da ein achtes Kind seinen Estern an Gesichtszügen und Handlungen ähnlich ist, seinem himmlischen Vater an Barmherzigkeit ähnlich «erden. — Seyd barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist. Welche große Ermunterung zur Barmherzigkeit liegt nicht in diesen Worten , wiederhohle ich noch einmal, meine lieben Christen, wir sollen das Bild der Barmherzigkeit Gottes gleich¬ sam au uns tragen, wir sollen seine Erbarmungen ausbreiten, und die Werkzeuge seiner Gütigkeit seyn, er will den Elenden au uns weisen, damit wir Ge¬ legenheit hatten, gleichsam gemeinschaftliche Sache mit ihm zu machen, und Barmherzigkeit an ihm zu chun, damit auch wir von ihm Barmherzigkeit er¬ langen, und er uns in unserer Noch helfen könne. Die zwote Pflicht der Nächstenliebe aber, meine werthesten Christen, von welcher, nach dem Berichte des heutigen Evangeliums, Christus zu seinen Zn-°, Hörern auf dem galiläischen Berge sprach, besteht da¬ rinn, daß wir ein gewisses gehässiges Betragen ge¬ gen den Nächsten, das lieblose Richte» und Urtheilen über denselben vermeiden sollen. Richtet nicht, so werdet — ( 1ZZ ) — werdet ihr auch nicht gerichtet, verdammet nicht,sd werdet ihr auch nicht verdammet werden. Wir sollen nämlich voll unserm Nächsten niemals was Böses ohne Grund und Ursache denken oder reden- Wir sol¬ len niemals aus Partheylichkcit von ander« lieblos urtheilen, oder aus persönlichem Hasse oder Argwöh¬ ne des Nächsten Reden und Verhalten verdammen, sondern nach der Wahrheit das Gute vielmehr an ihm loben, menschliche Schwachheiten und Fehler mit christlicher Liebe zudecken und ertragen, bey andern dieselbigen entschuldigen, oder mit sanftmülhiger Liebe zu bessern suchen. — Der Mensch kann ohne¬ hin nicht richten, noch weniger verdammen, den» welch eine Unordnung würde in der Welt herrschen, und welche Verwirrung, wenn es'allezeit auf die Ur- theile der Menschen ankäme, was der eine tadelt, lobt der Andere, und was der eine belohnet, bestra¬ fet öfters der Andere. Zudem, wie unvernünftig ist meistens dieses Richten und Urtheilen über des Näch¬ sten Thun und Lassen, kann wohl der Mensch in das Innere der Herzen Anderer einsehcn, kann er die Ab¬ sichten und Mcynungen Anderer allezeit erkennen, und wer hat ihm das Recht gegeben, daß er in sei¬ nem Herzen einen Richterstnl setze , und sich zum Richter über seinen Nebenmenschen aufwerfe; seinen Nebenmenschen richten, heißt das nicht Gott, dem alleinigen höchsten Richter, in sein Amt greifen , dem allein ein solches Urtheil zukömmt, der die Men¬ schen allein kennet, und allein das Recht hat, über sie zu urtheilen , folglich allein recht richten kann. Verrath ein solcher der über seinen Mitmenschen ein liebloses Urtheil fällt, der bösevon ihm urtheilet, fti- I Z rw -- ( IA4 ) ne Handlungen übel ausleget und verdammet, ver- rath ein solcher nicht selbst fein eigenes böses Herz, ist nicht die Mißgunst und der Haß meistens der ein¬ zige Grund von der üblen Mepnung, die er von an¬ deren fasset, oder ist es nicht der böse Wunsch , daß der Nächste das wäre, was ihm Schuld gegeben wird, wird nicht durch ein solches ungerechtes Ver¬ fahren der Unschuldigste öfters gerichtet und verdam¬ met. — Der rechtschaffene, liebvolle Christ wird auch deßwegen feinen Nächsten niemals richten und ver¬ dammen, und dadurch kann er hoffen, daß ihn auch Gott nicht richten und verdammen werde. Da uns Christus den Nächsten zu richten vcr- biethet, wollte er aber keineswegs die brüderliche Bestrafung verdammen, da ein Christ dem andern sein Vergehen, seine Unart, Sünde und Laster vor¬ halt, ihm seine Fehler aus Gotkeswort vorstellet, ihn davon abmahnet, ernstlich warnet, und auf bes¬ sere Wege zu bringen suchet. Dieses hat Jesus nicht allein nicht verbothen, sondern in andern Orken des Evangeliums ausdrücklich gelehret und gebolhen. Nur eine boshafte Tadelslicht und sündiges Richten, ohne Nutzen und Besserung des Nächsten, hat er seinen Anhängern verbothen, und dieses ist die zmo¬ te Pflicht der Nächstenliebe, die Christus von seinen Zuhörern forderte. Die dritte besteht darinn, meine werthesten Chri¬ sten, daß wir das von unfern Nebenmenschen uns zugefügte Unrecht gerne und von Herzen verzeihen. "Vergebet, fo wird euch auch vergeben werden..,, Nicht allein was unser Nächster aus Ucbereilung, ans Unwissenheit oder Unverstand in Reden und Wer¬ ken — ( IZF ) — ke» uns zu Leid gethan hat, müssen wir ihm von Herzen vergeben, sonder» wir müssen auch denjeni¬ gen, die aus Bosheit und Vorsatz unS beleidiget haben, gerne verzeihen, und uns keineswegs an ih¬ nen zu rachen suchen. Wenn wir in dem Gebethe des Herrn, in dem heiligen Vater unser Gott nm Ver¬ zeihung jenes Unrechts bitten, das wir ihm durch unsere Sünden zngefüget haben, so setzen wir jedes¬ mal hinzu, wir wollten auch nnsern Beleidigern ver¬ geben, und dieses thun wir nach der Vorschrift des Herrn selbst. Unser Bitte nm die Vergebung unserer Eündcn 'st also mit der Pflicht der Vergebung gegen den, au uns sich versündigenden Bruder fest verbunden. Wir würden wider uns selbst bckhcn, wenn wir nicht nnsern Schuldnern verzeihen wollten, wir würden gleichsam von Gott fordern, er solle uns unsere Schul¬ den nicht vergeben, wenn wir unfern Beleidigern auch nicht vergeben wollten. Wir können auch Gott unfern Dank für die erhaltene Gnade und Vergebung der Sünde auf keine andere Art besser und deutli¬ cher an de» Tag legen , als wenn wir seinen väter¬ lichen Gesinnungen ähnlich zu werden, suchen, und auch unserm Nebenmenschcn, der sich an uns ver¬ sündiget, verzeihen, "Verzeihen müssen wir also, so wird uns Gott auch verzeihen,„ welches diedritte besondere Christenpflicht ist, die unser Erlöser von uns im heutigen Evangelium fordert. viertens endlich, meine werkhesten Christen, müssen wir auch alles Gute, das wir unserm Näch¬ sten geben und verschaffen können, nach der Vor¬ schrift Jesu gerne, mit gutem und geneigtem Herzen geben. "Gebt, so wird euchgegebenwerdeu.,, Dar- I 4 durch — ( IZ6 ) — durch fordertderHeyland alle Arten der Dicnstfertigkcit und Mildthätigkeit für unsere Ncbenmenschen von uns ab, er will, daß wir von den Gaben, die wir von ihm empfangen, gerne mittheilcn, daß wir zur Führung eines gemeinschaftlichen Lebens einander hülfrciche Hand reichen sollen, und so, gleichwie er gekommen, nicht, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene, und sein Leben gebe zur Erlösung vie¬ ler, daß auch wir einer dem andern dienen. „ Er füllet deßwegen die Hände der Reichen und Begüter¬ ten, und segnet ihr Haus und Haabe, damit sie dem Dürftigen mittheilen können. Er segnet sie reich¬ licher, damit sie reichlich geben. — Damit wir aber diese Pflichten desto williger erfüllen möchten, so setzet er die stärksten Bewegungsgründe hinzu, er versichert, mit eben dem Maße, mit welchem der Mensch ausmeffe, solle ihm auch eingemeffen wer¬ den. Wie sich der Mensch gegen seinen Nächsten ver¬ halte/ so werde sich auch Gott gegen ihn verhalten. Wer gegen feinen Nächsten barmherzig seye, gegen den werde sich auch Gort barmherzig erzeigen. Wer sich vom sündigen Richten und Verdammen gegen sei¬ nen Nächsten hüte, der soll auch von Gott nicht ge¬ richtet und verdammet werden. Wer sich an seinem Feinde nicht räche, sondern demselben alles zuge¬ fügte Unrecht von Herzen verzeihe, dem werde auch Gott seine Sünden, und das durch die Sünde zn- gefügte Unrecht verzeihen. Und wer seinem Nächsten von den vom Himmel erhaltenen Gütern gutherzig mittheile, dem werde Gott alles reichlich ersetzen. "Ein volles, gedrucktes, gerütteltes und überflie¬ ßendes —- ( iZ/ ) — ßendes Maß soll in eines solchen Schoos ausgs- schüttet werden. „ Das ist: so wie man in stutzigen Sachen das Maß vollschüttet, daß es überfleußt, und in trockenen es rüttelt, oder gar die Sachen zusam¬ mendrücket, wenn man gut messen will, also werde Gott mit einem solchen häufigen Maße demjenigen alles belohnen, der sich gutherzig gegen seinen Näch¬ sten gezeiget. Das Allmosen werde das reicheste Ka¬ pital seyn, das wir, dem höchsten Geber alles Gu¬ ten zu Liebe, unserm Nebenmenschcn gleichsam lei¬ hen. Ein Kapital, von welchem wir die reichest«» Zinsen bekommen werden, die unsere Gabe unend¬ lich weit übersteigen. Hierum besteht, meine wertheften Christen, die Aufmunterung Jesu zur Erfüllung dieser besonder» Pflichten der Nächstenliebe, und der Inhalt des er¬ sten Theiles unsers Evangeliums. Lasset uns nun se¬ hen, wie Christus in dem zweyten Theile desselben «ns lehret, daß wir, wenn wir andere mit Nutzen bestrafen wolle«, selbst fehlerfrey seyn müssen. Da er an den Pharisäern jenen großen Fehler rügte, daß sie an andern die kleineren Fehler sahen, an sich selbsten aber die größten Laster nicht sehen wollten. Zweyter Theil. Da die Pharisäer aus Mißgunst, aus Neid und Schadenfreude sich öfters zu lieblosen und hämischen Urtheilen, besonders gegen Christum und seine Jün¬ ger verleiten ließe», so suchte er ihnen dirrch folgen¬ de drey Gleichnisse diesen großen Fehler zn entdecken. Er verstund sie unter dem Gleichnisse von den Blin¬ kt .5 den, —M ( 1Z8 ) — dm, die einander den Weg weifen. Daste zuvor seine Jünger getadelt, und es ihnen zur Entheili¬ gung des Sabbaths angerechnet hatten, weil sie an einem Sabbath Aehren ausgeraufek, dieselben mit den Händen gerieben und gegessen hatten. Auch weil sie sich ein andersmal darüber aufgehalten hatten , Laß seine Jünger, wenn sie Bryd aßen, die Hande nicht wüschen, und dadurch der Nettesten Gesetze überträten. — Da sie nun öfters dergleichen kleine Fehler seinen Jüngern vorwarfen, so sagte er ih¬ nen, wie sie, die Blinde und blinde Führer wären, andere Lente anzuführen sich anmassen wollten. Wie sie seine Jünger so lieblos beurtheilcn wollten, da sie doch in noch größeren Fehlern und Lastern, als jene, deren sie den Nächsten beschuldigten, begriffen wären. Denn, sperm sie seine Jünger zu Ucberkrct- rern des Menschengesetzes der Aeltern machen woll¬ ten, da sie doch sogar das Gesetz Gottes um ihrer Aufsätze willen überträten, so wäre ja dieses eben so viel, als wenn ein Blinder dem andern den Weg weisen wollte. Seine Jünger sollten sich nur nicht darüber aufhalten, es wäre ihm als ihrem Meister auch so ergangen, sie wüßten ja, daß der Jünger nicht über seinen Meister sey,wenn der Jünger so ist, wie sein Meister, so wäre er ja vollkommen. Sie sollten nur diese menschenfeindlichen Urtheile und Verleumdungen geduldig ertragen, und daraus de» Grundsatz lernen, daß man voc allem auf sich selbst sehen, und beobachten mässe, ob man nicht selbst Fehler an sich habe, die größer waren, als jene, die man an andern tadelt. Alle Strenge der Unter¬ suchung und des Tadels müsse man auf sich selbst rich- richten, und vor allen Dingen seine eigene Blindheit heilen, und sich selbst bessern. Seinen irrenden Ne- bcnmenscheu verächtlich behandeln, sep eben so thöricht, als wenn ein Blinder den andern leiten wollte, oder als wenn der Lehrling klüger als der Meister zu scyn verlangte», oder als wenn Jemand mit einem unbemerkten großen Balken in seinem Au¬ ge den kleinen Splitter aus dem Auge seines Ne- benmenfchen ziehen wollte. Da wir, meine werthesten Christen, dieAbsicht unsers Heplandcs bey dieser Rede daraus nun ver¬ stehen, so lasset uns sein dreifaches Gleichniß selbst änjetzt etwas genauer einsehen. Das erst» lautet al-. so: "Wenn ein Blinder einem andern Blinde» den weg weiset, werden sie nicht alle Beyde in die Gru¬ be fallen?,, Gleichwie nämlich ein Blinder dru an¬ dern ohne Lebensgefahr nicht führen könne, so komme auch ein irriger Lehrer, dergleichen die Schriftgelehrten wären, einem andern den richti¬ gen Weg zum ewige» Leben nicht weisen, weil er denselben selbst nicht kenne. Es geschehe nothwendi- gcr Weise, daß er sich sammtseincm blinden Führer in das Verderben, in die Grube des ewigen Unglückes stürze. Ein solcher Lasterhafter werde andere auf den Weg, der Tugend nicht führen können, da er selbst die Tugend nicht kenne. Er werde andere nicht mit Ruhen und Besserung des Lasters wegen bestrafen können, da er selbst demselben ergeben sey; erwer¬ be vielmehr andere zum Bösen verführen, und iuS Verderben stürzen. Das —— ) ""E" Das zweyte Gleichniß lautet also: "Der Jün¬ ger ist nicht über seinen Meister, sondern wenn der Jünger ist, wie sein Meister, so ist er vollkommen.., Der Sinn, den Christus hierbey hatte, mag wohl dieser scyn, daß er sagen wollte, es sey eben so thö- richt, andere ihrer Laster wegen bestrafen wollen, da man noch größere an sich habe, als thöricht es wäre, wenn der Lehrling über seinen Meister, uud vollkommener als derselbe seyn wollte. — Oder gleich mag Christus seine Jünger dadurch haben trösten wollen, da sie von den jüdischen Schriftgelehrten lieblos beurthcilt wurden, sie sollten gedenken, sie hatten es ihm als ihrem Meister auch so gemacht, der Jünger wäre ja nicht über seinen Meister. Das dritte Gleichniß ist daS deutlichste unter diesen dreyen, wodurch Jesus diejenigen bestrafet, die den Splitter in des Nächsten Auge, das ist, kleine geringe Fehler an demselben gleich gewahr wer¬ den, aber große Balken in ihren Augen nicht sehen, das ist, weit größere Fehler und Sünden au sich selbst nicht bemerken. Dieses zeiget recht anschaulich, wie unanständig, wie unverschämt und thöricht es sey, wenn man andere zu besser» sich erfreche, da man doch selbst größere Fehler an sich hat. "Wie kannst du dich unterstehen, zu deinem Nächsten zu sagen, halt still Bruder! Ich will dir den Splitter ans deinem Auge ziehen.,, Ich will dirs sagen, wo es dir fehlt, worinn du dich bessern sollst. Und dir Frecher! Siehst deine großen Fehler, den Balken in deinem Auge nicht? Solltest du nicht die Besserung an dir selbst anfangen, ehe du andere beurtheilen, radeln und richten willst? "Du Heuchler! Zieh zuvor den — ( ) — Zen Balken ans deinem Auge, alsdann sich, ob km den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen mö¬ gest. „ Ob du nämlich denselben mitSanftmuth bes¬ sern, und auf deu rechten Weg bringen mögest. Nutzanwendung. Obschon cs nun sehr thöncht ist, meine lieben Christen, anderer Leute kleine Fehlersehen, und sei¬ ne eigenen nicht bemerken wollen, wie aus dem an¬ geführten Gleichniße Christi offenbar ist, so gibt es doch sehr viele Menschen, die diesem Fehler ergeben sind. Denn wie viele sind nicht zu finden , die , wie der heil. Franz von Sales schreibt, aus Bitterkeit des Herzens von andern urtheilen, oder aus Hoffart ohne Unterlaß sich selbst bewundern, sich selbst hvch- schaHen, in ihrem Herzen sich selbst erheben, andere aber geriugachtcn, ja für bös halten, wie der Pha¬ risäer dem Publikan that. Wie viele gibt es nicht, die bloß aus Leidenschaft urtheilen, alles loben, was sie lieben, und alles verdammen, waS sie has¬ sen? Wie viele sind nicht, die den Leuten gleichen, welche von dem Safte eines gewissen afrikanischen Krautes getrunken haben, und dadurch so weit in die Verwirrung kommen, daß sie nichts als Schlan¬ gen, und andere giftige, abscheuliche Thicre vor sich zu sehen glaubeu, oder den Kranken, die an der Gelbsucht liegen, gleichen, welchen alle Gegenstände gelb Vorkommen? Gehts nicht jenen Mensche» eben so, denen die Hoffart, der Ehrgeiz, Haß und Reid, und andere Seelenkrankheiten das Herz verdorben haben? y ab en? Sehen sie nicht manchmal Fehler an ihrem Nächsten, die nur in ihrer verdorbenen Einbildungs¬ kraft bestehen? O daß wir uns selbst benrtheilten , fahrt dieser heilige Bischof fort, wie Paulus uns er¬ mahnet: "Daß wir nicht vor der Zeit urtheilten , bis der Herr die verborgenen Geheimnisse und An¬ schläge des Herzens entdecken wird.,, O daß wir es alle so machten, wie Leute , die ihr Gewissen in Ordnung bringen wollen! Diese beschäftigen sich mit sich selbst, diese sind we^t entfetnt, anderer Hand¬ lungen zu untersuchen, sondern sie gleichen den Bie¬ nen, die sich bep einem dunkeln, wolkichten Him¬ mel in ihre Korbe zurückziehen, um allda an ihrem klemen Werke zu arbeiten. O daß wir öfters be¬ trachteten, daß, wenn wir andere richten und ur-° theileu, wir umsonst arbeiten, uns öfters irren , und öfters versündigen, anstatt wenn wir uns selbst durchforschen und richten, wir allezeit uns mit Frucht beschäftigen! O daß wir öfters zu Gemükhe führten, daß, wenn wir etwas von den Schwachheiten uu- fers Nächstens auszustehcn haben, wir wiederum andere Schwachheiten haben, wegen welchen andere von uns leiden müssen, daß es ein gemeiner Fehler' von uns sep, daß wir andere Menfchen vollkommen wünschen, und unser eigen Herz nicht bessern, daß Uns die geringste Bestrafung wchethue, und wir andere doch gerne bestrafen, da wir doch nicht als Sittenrichter über sie geseHet sind. — Richten wir also unsere-Angen auf uns selbst, und bedenken wir wohl, daß unsere Eigenliebe uns meistens verblen¬ de, daß wir Menschen, wie ein gewisser heydnischer Sittenleheer sehr schön sagt, an uns fast nichts als Gutes , Gutes, an andern aber fast nichts als Böses sehen;, daß wir die Fehler in einem Quersacke tragen, un¬ sere eigenen hinter dem Kücken, damit wir sie nicht sehen, jene aber anderer Menschen vorne, um be¬ ständig auf sie zn sehen. Merket euch, meine werthesten Christen, diese Sitteulehren, die ich euchanjetzo erkläret habe, recht wohl. Ich will sie euch zur Erleichterung eures Ge- dächknißes zum Beschlüße noch einmal kurz wieder¬ holen. Sich barmherzig und gutthatig gegen den Ne- benmeuschen erzeigen, und sich vor allem unbefug¬ ten, lieblosen Splitterrichken gegen denselben hüten, ist die doppelte, kurzgefaßte Moral, die uns das heu¬ tige Evangelium einscharftt. "Seyd also barmher¬ zig gegen euren Nebenmenscheu, wie euer himmli¬ scher Vater barmherzig ist gegen euch.,, Der sich der¬ jenigen, die ihn fürchten und lieben, erbarmet, wie sich ein Vater über sein Kind erbarmet. Habt ein gutthätiges Herz gegen jedermann, gedenket öfters an den Spruch Jesu: "Selig sind die Barmherzi¬ gen , denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Ver¬ gebet, fo wird euch auch vergeben werden. So ihr den Menschen ihre Fehler vergebet, so wird euch der himmlische Vater eure Fehler auch vergeben. Gebt, so wird euch auch gegeben werden, und zwar ein recht volles, übcrfliessendes Maß wird euch Gott, der Belohner alles Guten, in euren Schoos aus¬ schütten. Richtet und verdammet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet, und nicht verdammet wer¬ den. Ziehet erst den Balken aus eurem Auge, Ehe ihr den Splitter aus dem Äuge eures Nächsten zie¬ het.,, Gedenket oder redet niemals böse von eurem Nack- Nächsten, leget ab allen Haß und persönlichen Wi¬ derwillen, schreibet seine Fehler und Schwachheiten nicht so hoch an, sondern ertraget ste mit Geduld und Nachsicht, gedenket, daß wir öfters die kleinen Fehler unsers Nächstens sehen, die großen Sünden aber, die wir selbst begehen, an uns nicht gewahr werden, gedenket, wie schändlich es sey, einen an¬ dern strafen, und seiner Fehler überzeugen wollen, und selbst in Sünden und Lastern stecken, andere auf den rechten Weg führen wollen, und selbst nicht auf demselben wandeln. Gedenket öfters an die Worte Jesu: "Du Heuchler, zieh zuvor den Balken aus deinem Auge, und hernach sieh, wie du den Split¬ ter auS dem Auge deines Bruders ziehest. „ — Er¬ innert euch stets dieser vortrefflichen Lehren, die ihr^ heute gehört habt, und bestrebet euch mit aller Sorg¬ falt , stets nach denselben W leben. Der barmherzige, allgütigeGott aber,, der uns heute gelehret hat, nach seinem göttlichen Muster ge¬ gen ullsern Nächsten Liebe und Erbarmung zu bezei¬ gen, auf unsere eigenen) Vergehungen und Verbre¬ chen aber ein scharfes Auge zu haben, dieser gebe uns, meins lieben Christen , seine Gnade dazu, daß wir diese zwcy Lehrstücke stets beobachten und im Werke erfüllen mögen. Er giesse uns den Geist der wahren Menschenliebe in unser Herz ein, und schenke unserm Verstände die so nöthige Selbstkenutniß. Sein gött¬ liches Wort bringe in uns diese Früchte hervor, daß wir wohlkhätig gegen unser» Nächsten, und scharf gegen uns selbst seyn mögen, daß wir unsere eigenen Mängel sorgfältig zu erkennen und zu verbessern su¬ chen, unsere eigenen Fehler vor uns niemals ver¬ bergen. —- ( ) — bergen, sondern unfern Seelenzustand selbst genau prüfen. Er verleihe uns seine mächtige Gnade, daß wir unfern Verstand vor allen lieblofen Urtheilen, unser Herz vor aller Bitterkeit, und unsere Zunge vor allen leichtsinnigen Reden über das Verhalten anderer Menschen bewahren. Sanftmuth und Liebe bey ihren Schwachheiten erweisen, und in allen Stü¬ cken ihnen uns barmherzig erzeigen mögen , auf daß wir auch von ihm, unscrm Gott der Gnade und Gü¬ te, wenn er einstens kommen wird, uns nach un¬ fern Handlungen zu richten , Barmherzigkeit erlan» gen mögen. Amen. Auf den zweyten Sonntag nach Pfingsten» Evangelium Luk XIV. — 24. Es war ein Mensch, der machte ein grosses A- bendmahl, und lud viele dazu. Und er schickes seine» Knecht zur Stunde des Abendmahls aus, nm den Geladenen zu sagen, kommet, denn c6 ist alles bereit. Und sie siengen alle nacheinander an, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu «hm, ich habe einen Acker gekauft, und muß hinausge- hen, ,hn zu besehen, ich bitte dich, entschuldige Erklär, d. Evang, II, Lhl. K Mich. «— ( 146 ) mich. Und ein anderer sprach, ich habe fünf Joch Ochsen gekanfet, nnd gehe jetzt hin, sie zu prü¬ fen, ich bitte dich, entschuldige mich. Und ein anderer sprach, ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam, und sagte das feinem Herrn wieder. Da ward der Hausherr zornig, und sprach zu seinem Knechte, gehe alsbald hinaus auf die Strassen und Gassen der Stadt, und führe die Armen und Preßhaften, die Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach, Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast, es ist aber noch Platz da. Und der Herr sprach zu dem Knechte, gehe hin¬ aus auf die Landstrassen und an die Zäune, und uöthige sie herein zu kommen, auf daß mein Haus voll werde. Ich sage euch aber, daß der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl koste» , werde. ES war rin Mensch, der machte ein großes Abendmahl, und lud viele dazu. Luk. 14. V. 16. Eingang. Aesus wurde einsmal von einem reichen Pharisäer zu einem Gastmahle geladen, dergleichen diese schänd¬ lichen GeseKverdreher öfters am Sabbath anzustellen pflegten, wobey sic weit prächtiger als sonst schmau- seten und tranken, und davon sogar einen besondern Lohn von Gott hoffeten. Jesus wußte zwar, daß man ( i47 ) man ih» nicht aus Freundschaft, sondern aus ver¬ stelltet Arglist dazu geladen, und daß man bos¬ hafte Entwürfe gegen ihn geschmiedet habe, die un¬ ter der Hülle der Freundschaft schlau verstecket wur¬ den, nm ihm desto leichter eine Rede odereine Lhat bey dieser Gelegenheit abzulocken, wodurch man ihm desto feindseliger hernach schaden könnte. — Demun- geachtet gieng er auf dieses Gastmahl, um alle Ge¬ legenheit zu benutzen , das Reich Gottes zu verkün¬ digen , und das Heil der Menschen zu befördern. Er zeigte dabey ganz deutlich, daß es ihm mehr um Seelen zu gewinnen, undWohlthatcn auszuthei- lcn sep, als um Essen, Trinken und sich zu ergötzen. Er suchte allda theils seine Tischgenossen mit erbau¬ lichen Reden zu unterhalten, theils durch Wunder Wohlthatenum sich herzuverbrciten. Vier merkwür¬ dige Stücke erzählt Lukas in dem angeführten Kapi¬ tel von ihm auf diesem Gasimahle. Erstens, die Heilung eines Wassersüchtigen, den diese boshaften Leute heimlich bestellt hatten, um ihn anklagen zu können , wenn er denselben am Sabbath heilen würde. Diese Heuchler waren näm¬ lich in Kleinigkeiten pünktlich, sie durchseigren Mü¬ cken, um mich des Ausdruckes Christi von ihnen zu bedienen, aber Kameele verschluckten sie ganz, das ist, in großen wichtigen Dingen waren sie äusserst nachläßig. Da sie die Sabbathsfeper bis zum Aber¬ glauben hielten, verschlungen sie der Wittwe und Waisen Häuser und Güter mit ruhigem Gewissen. -— Als Jesus diesen Wassersüchtigen erblickte, und zugleich ihre arglistigen Geoauken wußte, so fragte er sie, ob es erlaubt sey, diesem Elenden amSab- K « bath — ( i48 ) — bakh zu helfen. Und als sie heimtückisch schwiegen, zeigte er ihnen ganz klar, daß man an diesem gott- geheiligten Tage viel Gutes thun könne, besonders auch dadurch, wenn man dem nothleidenden Näch¬ sten zu Hülfe käme. Er ertheilte diesem Wassersüch¬ tigen auf der Stelle die Gesundheit, und beschämte die Pharisäer dadurch, da er ihnen sagte, wenn ih¬ nen am Sabbath ein Ochs oder Esel in Brunnen fiel, ob sic dadurch den Sabbath, wenn sie densel¬ ben herauszöge», zu übertretken glaubten. Zweytens erzählt Lukas, daß Jesus den Hoch¬ muth der Pharisäer beschämet habe. Denn da er den Rangstreit unter ihnen sah, wer nämlich den ober¬ sten Platz einnehmcn sollte, da er bemerkte, wie die¬ se Leute, die als Muster der Tugend und Demuth wollten angesehen werden, so kindisch nach dem Vor¬ sitze strebten, so gab er ihnen eine schöne Sittenleh¬ re der Demuth, da er zu ihnen sprach , wenn sie zu einem Hvchzeitmahle geladen würden, sollten sie sich nicht auf den vornehmsten Platz setzen, denn es könnte sepn, daß ein Vornehmerer käme, alsdann müßten sie demselben mit Schande und Spotte den Platz räumen, sondern sie sollten sich gleich aufden untersten Platz setzen , ans daß der Gastmeister zu ihnen sagen könne, Freund! setze dich weiter hinauf. Denn der sich demüthige, würde erhöhet, der sich aber erhöhe, würde gedemüthigel werden. Drittens bemerkte Christus, nach der Erzäh¬ lung des heiligen Lukas, daß die Tischgesellschaft ans lauter Freunden und reichen Anverwandten be¬ stünde, er gab daher dem Hausherrn selbst eine Er¬ mahnung, daß er seinen Tisch nicht allein für solche, die die ihn wieder laden, sondern auch für die Armen, die es ihm nicht vergelten können, bereiten solle. Wohlthnn ohne Eigennutz und ohne Hinsicht aufsich selbst, dieses mache selig, dieses mache, daß es nach der Auferstehung dem Gerechten werde vergolten wer¬ den. Die uneigennützige Wohlthatigkeit sey das ein¬ zige Mittel sich Gott gefällig zu machen, und sei¬ nes Gnadcnlohncs im Himmel sich zu versichern. Viertens endlich , da Jesus von dem Sabbath- gastmahlc redete, brach einer von den Mitgasten aus, und rief über Tisch: selig ist, der da Brod isset im Reiche Gottes, der ein Gast ist an der Ta¬ fel Gottes im Himmel. Da öffnete sich sein göttli¬ cher Mund zu dem vortrefflichen Gleichnisse von dem großen Abendmahle, und stellte unter diesem reihen¬ den Bilde eines herrlichen Gastmahles den Beruf zu dem göttlichen Reiche der Gnade sowohl, als der Glorie im Himmel seinen Mitgasten vor. Zwei) Stücke, die unser göttlicher Lehrer in die¬ ser Gleichnißrede vorstellte, solle», meine werthe- sten Christen, die zween Ruhcpunkte unscrs Gedächt¬ nisses , und die zwcen würdigen Gegenstände unserer hcutigenBetrachtnug werden. Die Gütigkeit Gottes nämlich in Berufung der Menschen zu diesem Abend- mahle, und die Nachläßigkeit und Verachtung der Menschen gegen diese göttliche Einladung. Lasset uns diese beyden Stücke, zwar erstens das gütige Ver¬ halten Gottes bcy sorgfältiger Berufung und Einla¬ dung zu,seinem großen Abendmahle im Himmel, zweytens aber das undankbare, nachlaßige Verhal¬ ten der Menschen gegen diesen göttlichen Beruf auf¬ merksam betrachten. K z Erster — ( ILO ) — Erster T h eil. Gewiß ist dieses heutige Gleichniß eine der schönsten Tischreden, die jemals bey einem Gastmahle gehal¬ ten wurden. Unser göttlicher Erlöser, der immer den grossen Zweck, die Ehre seines Vaters bey jeder Ge¬ legenheit zu befördern und zuvcrbreiten , vor Augen hatte, dachte seine Tischgenossen an der Seele mit guten Gesprächen zu speisen, wahrend dem ihre Lei¬ ber von dem reichen Pharisäer mit guten Speisen er¬ götzet wurden. Er nahm von dem leiblichen Gast¬ mahle Gelegenheit, von dem Himmlischen zu reden, wozu sein göttlicher Vater alle Menschen, vor allen aber die Juden, berufen habe, die aber aus uner¬ hörter Verstockung und mit dem schwärzesten Undan¬ ke diese gütige Einladung ausschlngen, und dadurch sich selbst dieses himmlischen Freudenmahles beraub¬ ten. — Alles dieses that er, um diese vornehmen Ju¬ den, die seine Tischgcnoffcn hier waren , auf die Gnade Gottes , mit welcher sie vor andern Völkern gcwürdiget waren, aufmerksam zu machen, damit sie dieselbe erkenntlich annehmen, und dadurch vom ewigen Untergange gerettet werden möchten. Gewiß konnte er seine Liebe bey dieser Gelegenheit aufkei- ne bessere Weise an den Tag legen, als er hier that, und gewiß konnte er seinen Mitgästen unter keinem reizender» Bilde die Güte Gottes, die alle Men¬ schen zum Himmel beruft, vorstcllen, alsdurchdas Bild eines herrlich vergnügenden Abendmahles. Las- setuns, meine werthcsten Christen, erstens das schö¬ ne Gleichniß an sich im Zusammenhänge, hernach aber dessen Auslegung etwas aufmerksamer betrach¬ ten. Es —) - Es war ein Mensch , sagte der gütige Heyland zn seiner Tischgesellschaft , der machte ein grosses, herrliches Abendmahl, zu welchem er viele Gäste cinlnd. Und da alles bereit war, schickte er seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahles, um den geladenen Gästen anzudeuten, daß sie aujetzt kom¬ men sollten, denn cs wäre alles bereit. Da aberdie Geladenen verschiedene nichtige Entschuldigungen vor- brachken, und zu kominen sich weigerten, so hinter¬ brachte dieses der Knecht seinem Herrn, der darü¬ ber eine» billigen Zorn und Unwillen schöpfte, und gleich darauf dem Knecht befahl, hinaus an die Gas¬ sen und Straffen der Stadt zu gehen, und allda die Armen, die Krüppel, die Lahmen und Blinden zu versammeln, und sie in den Speisesaal zu führen. Als aber dieses geschehen, und noch Raum an der Tafel war, so befahl der Herr des Gastmahles sei¬ nen Bedienten, noch einmal hinauszugchen, und zwar auf die Landstrasse» und an die Zäune, um allda alles, was sie fänden, einzuladen, ja zu nöthigen, zu ihm zu kommen, auf daß sein Haus voll werde. Die Auslegung von dieser Parabel ist, meine wcrthesten Christen, der Hausherr, der dieses gros¬ se Abendmahl zubcreitet, ist Gott selbst. Durch das Abendmahl aber wird der Himmel verstanden, der hier unter dem Bilde eines grossen Gastmahles vor¬ gestellt wird , theils, weil dieses herrliche Frenden- mahl allda der ewige, allmächtige, größte Herr zu¬ bereitet, theils, wegen der grossen Menge der Gä¬ ste, die dazu eingeladen wurden , da nämlich alle Menschen, Heyden und Juden dazu von Gott gnä- K^4 digst — ( IL2 ) — digst berufen sind, Heils soll der Himmel ei» gros¬ ses Abendmahl seyn, wegen der herrliche» Zuberei¬ tung dazu, da die größten und kostbarsten Gaben, die Gottes Sohn selbst für uns hat erwerben kön¬ nen, darinnen genossen, und zwar ewig genossen werden sollten. — In diesem herrlichen Reiche Got¬ tes, zu welchem alle Menschen eingeladen sind, soll der ewige Genuß der größten Gnadengüter, als himmlische Freude, innigstes, entzückendstes Ver¬ gnügen, wonnevolle Ruhe der Seele und des Ge¬ wissens , und völlige Sättigung aller unserer Wün¬ sche und Hofnungcn, so daß wir weiter nichts mehr werden verlangen können, gestattet werden, so daß unsere ganze Seele dadurch wird vollkommen erqui¬ cket und ergötzet werden, gleichwie bey einem irrdi- schen Gastmahlc, bey einer munteren, sittsamen Gesellschaft der Körper durch die aufgesetzten Spei¬ sen und Getränke erqnicket und gestärket, auch durch gute Gespräche und durch die Freundlichkeit der Gä¬ ste ergötzet und vergnüget wird. Gott, der dieses grosse Gastmahl, sein Reich der Gnaden auf Erde», und sein Reich der Herr¬ lichkeit im Himmel für alle Menschen zubereitet hat, schickte seine Knechte aus, um die Gäste einzuladen, und um ihnen anzukünden, daß alles für sie bereit sep. Und dieses that er zwar drepmal, erstens, an die zuerst geladenen Gäste, unter welchen die Juden verstanden werden, die er zu seinem grossen Reiche durch seine Diener, durch verschiedene fivmme Leu» te und Propheten, endlich durch seinen eingebohrnen Sohu selbst einladen ließ. Weil aber die Vornehm¬ sten ( 15Z ) -- sten rind Obersten des jüdischen Volkes, die Ho¬ henpriester und Schristgelehrten den wahren Mcßws verwarfen, den sie doch vor allen übrigen Menschen zu erst hatten annehmen sollen, da sie mehr Reli- gionskeuntniß als" jene von Gott erhalten, und ih¬ nen die Person des Meßias und das Reich Gottes in den Schriften der Propheten so deutlich vorgezei- get war, da diese vornehmere Juden verschiedene nichtige Entschuldigungen machten, und, nicht zu diesem Gastmahle kamen, so wurde Gott, derHerr des Abendmahles, durch ihre halsstarrige Weige¬ rung dergestalt beleidiget, daß er seine Knechte, die Apostel, und ersten Anhänger Christi seines Sohnes ausschicklc, um auf den Gasten nnd Straffen der Stadt die Armen, Krüppel, Lahme und Blinde da¬ zu einzuladeu. Wodurch die geringern Leute im jü¬ dischen Volke verstanden werden, wie Christus an¬ derwärts sagt, den Armen werde das Evangelium gcprcdiget, die zwar noch zu der Bürgerschaft Isra¬ els gehörten, aber vor der Welt gering geachtet wur¬ den. Von welcher Klasse auch mehrere, als von den Schriftgelehrten und Vornehmem diese Einladung onnahmen. Weil aber noch Platz genug an der Tafel des himmlischen Gastmahles war, so schickte der göttliche Vater seine Knechte, seine Apostel, Prediger und andere apostolische Männer zu den Heyden, die äusser der Stadt Gottes und Bürgerschaft Israels sich auf- hiclten, und hier als die auf den Landstrassen und an den Zäunen vvrgestellet werden. Diese Heyden, die lange Zeit auf dem Wege des Verderbens wan¬ delten, die keine Kenntniß der Geheimnisse Gottes K L und < IL4 ) und der ewigen Wahrheiten hatten, und deßwegeir als wilde, ohne Gesetze lebende Völker angesehen wurden, diese sollten nun als Gaste berufen, und an die Stelle der ersteren, der Juden nämlich gcsctzet werden, um die ewige Glückseligkeit, die auch für sie bestimmet ist, zu geniessen. Der Unglaube der Juden sollte der übrigen Welt nichts schaden. DaS Reich Gottes sollte den Samaritern und Heyden, allen Völkern des ganzen Erdbodens ohne Unterschied gcprcdiget werden, und bey ihnen eine günstige Auf¬ nahme finden. Was Christus in dieser Gleichnißrcde vorherfag- te, meine lieben Christen, dieß traf hernach pünkt¬ lich zu. Die Apostel predigten zuerst den Juden daS Evangelium, welchen als wahren Nachkömmlingen Abrahams das Versprechen vondemMeßiaS gegeben war, und die folglich vor allen zum himmlischen Frcudcnmahle eingeladen waren. Weil sie aber diese Einladung gering achteten, ja unter manchcrley Vor¬ wänden ganz verwarfen, so kamen die fürchterlichen Strafen Gottes bald über sic. Der Zorn Gottes brach über die ganze Nation aus, ihre Hauptstadt wurde geschleifet, ihr ganzer Staat aufs erschreck¬ lichste zcrstöhrct, und das Volk durch alle Lauder deS ganzen Erdbodens gleichsam als Gefangene zer¬ streuet. Und noch immer gehen diese Unglücklichen als lebendige Denkmahlcr der strafenden Gerechtig¬ keit GotteS unter uns herum, die wir wegen ihrer Verblendung bedauren, und durch Gebeth bey Gott zu gewinnen suchen sollen. An ihrem betrübten Bey- spielc aber lernen wir, was das scy, die angebo- thenen Gnaden Gottes ausschlagcn. Nach- ( '5Z ) — Nachdem aber die Juden die Einladung zum Reiche Gottes blind ausgeschlagen, so kehrten die Apostel zu den Heyden , sie gicngen hinaus auf die Landstrassen und an die Zäune, und versammelten diese armen, dem Geist nach blinde Menschen, und führten sic in den himmlischen Spcisesaal ein. N utz an wen düng. O welch eine Dankbegierde soll uns dieses nicht einflösen, meine werthesten Christen, da wir hören, daß die unendliche Güte Gottes den Befehl gegeben, "gehet auf die Strassen u»d an die Zaune, und nöthiget sie hereinzukommcn, damit mein Haus voll werde.,, Was würden wir noch seyu, wenn nicht die Heyden durch diesen gnädigen Befehl zu dem himm¬ lischen Gastmahlc eingeladen,nnd zur Erkcnntniß der wahren Religion gebracht worden waren? Ach wir würden noch am Geiste arm nnd blind, an den Zäu¬ nen und Landstrassen als Verworfene, und vom Pa¬ radiese Gottes verstossen liegen, wenn sich Gott un¬ serer hier nicht gnädigst erbarmet hätte! Wir würden noch wie unsere Voreltern blinde Heyden seyn, wir würden noch wie sie Holz und Steine anbethen, und von dem himmlischen Gastmahle ausgeschlossen seyn, Soll uns dieses nicht zur demüthigen Lobpreisung der unermeßlichen Güte Gottes führen, die alles gethan, um uns glücklich zu machen. Kommet, cs ist alles bereit, laßt uns der Herr des Abendmahles verkündigen, meine werthesten Ehristcn, herrliche Schätze und Wohlthaten GotteS stehen für uns bereit. Groß ist das Abendmahl, wels¬ ches — ( r^6 ) — ches uns die unendliche Güte Gottes zubcreitet, nnd groß ist der Ernst und die Gnade Gottes bey diesem Berufe und dieser Einladung dazu. Mit größter Be¬ gierde nach unscrm Heil, wünschet Gott nichts, als freudige und dankbare Annehmung einer so unver¬ dienten Gnade. Er wendet alles an, um unser Heil und Seligkeit willen. Auf seiner Seite ist alles be¬ reit, was wir zu unserer Glückseligkeit brauchen. Es sieht alles zu uuserm Empfang, wir haben weiter nichts zu thun nöthig, als daß wir kommen , und die Gnaden annehmen. Gehen wir verlohren, so haben wir es Niemand, als uns allein zuzuschrciben. Werden wir von dieser göttlichen Mahlzeit ausge¬ schlossen, so geschiehts lediglich aus dieser Ursache, weil wir undankbar die Einladung nicht angenom¬ men haben. —- O daß wir uns, meine wcrthesten Christen, nur niemals so undankbar verhalten möch¬ ten, wie die Gäste in dem heutigen Gleichnisse, die allerhand wichtige Entschuldigungen vorbrachten, um diese gütige Einladung Gottes auSzuschlageu, wie ich euch im zweyten Thcile zeigen werde. ZweyLer Theil. Die zuerst geladenen Gäste brachten in der heutigen Parabel, wie ihr im Vorlesen gehöret habt, drryer- ley Entschuldigungen vor, deren eine so nichtig wie die andere, und die alle von nichts anders, als von ihrer boshaften Verachtung der angebolhcnen Gnade zeugten, besonders, da sie bey der Vorbereitung zum Gastmahle von dem Herrn schon eingeladcn waren, da sie also ihre Geschäfte darnach hatten einrichlcn sollen , — ( ) -- Men, um dabey erscheinen zu könnrn. Höret an- jetzo, meine lieben Christen, ihre nichtige Entschul¬ digungen noch einmal, und zugleich, was sie für uns bedeuten. Als der abgeordnete Knecht des Hausvaters zum ersten Gaste kam, und ihm sagte, es stehe alles in Bereitschaft, der Herr der Mahlzeit warte seiner mit Ungeduld, da sprach dieser: "er habe ein Landgut gekauft, er müsse hingchen, und es besichtigen, er »volle ihn dießmal bep seinem Herrn entschuldigen.,. Er habe es zwar zugesagt und versprochen zu kom¬ men, er habe aber anjetzo unmöglich Zeit, und kön¬ ne wegen dieser dringenden Verrichtung unmöglich kommen. —- Dieser Gast, der sich unter dem schlech¬ ten Vorwande, daß er auf sein Landgut gehen müsse, weigerte, bcy dem Gastmahle sich einzufinden, be¬ deutet, meine werthesten Christen, alle irrdischge- sinnke Menschen, welche die Einladung Gottes zu den ewigen Gütern vcrnachläßigen, denen näm¬ lich ihre zeitliche Güter, ihre Ehre und Herrlich¬ keit, die sie auf der Welt haben, auf gewisse Art lieber sind, als der Himmel und die ewige Glorie. Denn solche Jrrdischgesinnte verachten öfters wegen den hinfälligen Gütern das grosse Abendmahl Got¬ tes. Sie glauben, sich vm nichts weiters beküm¬ mern z-n dürfen, wenn sie nur Schatze und Güter genug auf dieser Welt hatten. Sie nehmen sich we¬ nig Zeit, sich um den Himmel zu bemühen, da sie sich fast einzig mit ihren zeitlichen Gütern beschäfti¬ gen, um dieselben in Ordnung zu bringen, und init ihren Früchten sich zu bereichern. Sie ziehen meistens das — t iL8 ) — das Gegenwärtige dem Zukünftigen vor, das Zeit¬ liche dem Ewigen, das Vergängliche, Hinfällige den allzeit daurenden grossen Gütern und Schaßen des Himmels. Sic sind öfters dergestalt auf das Zu- sammenscharren der Wcltgüter versessen, daß sie die Güter der andern Welt ganz vergessen, und ihr Herz ist von den irrdischen Begierden dergestalt erfül¬ let, daß cs scheinet, als dürsten sic diese zeitlichen Güter niemals verlassen, als waren ihre Rcichthü- mcr und Schätze, die vom Rvste doch gefressen wer¬ den, weit höher zu schätzen, als die unvergänglichen Schätze im Himmel, auf welchen ihre Seele einen gerechten Anspruch machen kann. Die nichtige Entschuldigung des zweyten gelade¬ nen Gastes bestund darin», daß er zu dem Knechte des Hausherrn sagte: er habe fünf Joch Ochsen ge¬ kauft!, er müsse hingehen, sie zu sehen, und zu prüfen, ob er einen guten Handel getroffen oder nicht, er möchte ihn doch auch bey seinem Herrn ent¬ schuldigen. Meine lieben Christen, dadurch mag unser Erlöser jene Geitzigcn verstanden haben, derttn das Kaufen und Verkaufen, ihr Handel und Ge¬ winn lieber ist, als himmlische Güter, und selige Wonne an der Tafel des Herrn. Geitzigc, die sich so sehr in ihre zeitlichen Gewerbe und weltlichen Ge¬ schäften vertiefen, daß sie darüber das wichtigste Ge¬ schäft ihres ewigen Heils vergessen, daß sie den Got¬ tesdienst, das Gebeth, die Anhörung des Worts Gottes, den Genuß des heiligen Abendmahles und die Erfüllung anderer norkwenbigen Christenpflichten dabey verabsäumen. Der — ( lF9 ) -- Der dritte Gast endlich brachte noch dieallcrschlech- teste Entschuldigung vor, da er dem einladenden Knechte sagte: er wolle ihn bcy seinem Herrn ent¬ schuldigen, daß er von der Mahlzeit ausblcibe, er habe sich oerehlichet, er habe ein Weib genommen, darum könne er nicht kommen. Diese dritte Klasse der geladenen Gaste, die sich nichts an die gütige Einladung des Hausvaters kehrten, und vorgaben, sie waren ihrer Weiber wegen verhindert, bedeuten fene üppigen, eitlen, wollüstigen Weltkindcr, wel¬ che nur ihren fleischlichen Begierden folgen, und sich so von dem Sinnlichen beherrschen lassen, daß ihnen für göttliche Dinge nur die äusserste Abneigung übrig bleibt, und daß, wenn es anfdie Ausübung guter Werke ankömmt, sie sich mit tauscnderley Hindernis¬ sen beschweret finden. Ast cs Wunder, daß derglei¬ chen Leute den Zorn dc^ himmlischen Hausvaters auf sich laden, daß er den Ausspruch rhut, sie soll¬ ten von seiner herrlichen Mahlzeit nicht einen Bissen verkosten. Ist es Wunder, sage ich, wenn derglei¬ chen eitle, leichtsinnige und wollüstige Menschen den Zorn Gottes auf sich laden, welche die zeitlichen Vortheile den ewigen, die geringen hinfälligen Gü¬ ter den unschätzbaren, ewig daurenden Gütern, die schnöden, unreinen Wollüsse den reinen, den Men¬ schen allein ganz ergötzenden Freuden des Himmels verziehen? Gewiß ist eS kein Wunder, wenn der grosse Gott solche Beleidigung, solche Verachtung seiner angebothcnen Gnaden sehr übel aufnimmt, und dieselbe dadurch nachdrücklich bestrafet, daß er solche Verächter seiner Liebe von der himmlischen Mahlzeit, die für seine Auserwählcen bereit ist, für allzeit aus- , schlief- ----- f i6o ) —- schliesset , daß er sie nicht den geringsten Antheil mehr an seiner Gnade nnd ewigen Seligkeit haben läßt, nnd zu ihnen bey feinem Gericht spricht^ eS sey kein Raum und Platz mehr für sie bey feiner himmlischen Tafel. Nutzanwendung. Gewiß ist dieses ein fürchterliches Schicksal, meine lieben Christen, welches Jesus über die un¬ gläubigen Jude» seinen Mitgästen an der Tafel des Pharisäers voraussagte. Aber ein eben so fürchter¬ liches erwartet alle diejenigen, die den Gnadenruf zum Reiche Gottes nicht annehmen, sic mögen Inden, Heyden oder Christen seyn. Wie gefährlich ist es also, den göttlichen Einsprechungen, die uns zum bessern Leben ermuntern, nicht gehorsamen. Wie gefährlich, vor den göttlichen Erleuchtungen seine Augen verschliessen, nnd gegen den göttlichen Gna¬ deneindrücken sein Herz verhärten? O wie sehr ha¬ ben wir zu fürchten, wenn wir dieses thun, daß ein anderer die Krone erlange, die für uns bestimmet war, daß ein anderer an jenen Platz der himmli¬ schen Freudentafel gesetzet werde, welcher für uns bereitet war, und daß wir davon für allzeit ausge¬ schlossen werden. So gnädig Gott gegen diejenigen ist, welche seine Gnade annehmen, so erzürnt ist er über die, welche seine Gnaden verachten. Denn Un¬ gnade und Zorn, sagt Paulus zu den Römern 2, B. 9. "Trübsal und Angst läßt der Herr kommen über alle Seelen, die der Wahrheit widerstreben, die Böses thun, und GvtteS Gnade verachten,,, wel- welches dergleichen Verächter der Gnade Gottes bil¬ lig verdienen. Lasset uns dieses öfters erwägen, meine lieben Christen, besonders lasset uns die Ursachen öfters betrachten, warum die zuerst geladenen Gäste den Zorn des Hausvaters gegen sich reizten, und weß- wegen sie von dem Abendmahle ausgeschlossen wur¬ den. Die allzngrosse Neigung zu den Gütern der Erde nämlich, die närrische Verwicklung in die Welt- gcschäfte, und allzugrosse Liebe der vergänglichen Eraötzlichkeiten waren die Ursachen dieser Verstoss s»ng. — Die Güter -er Erde sind zwar an sich nicht böse, sondern sie sind vielmehr schätzbar und Ge¬ schenke Gottes, und können uns zu Mitteln dienen, viele große und edle Tugenden anszuüben, wenn wie sie dankbar gegen Gott, und wohlkhatig gegen un- sern Ncbenmenschen gebrauchen. Aber sie sind flüch¬ tig, hinfällig, vergänglich, tausend Zufällen gänz¬ licher Vernichtung für uns mitcrworfen, und über¬ haupt unzulänglich, unfern unsterblichen Geist zu sättigen. Auch können sie uns äusserst schädlich wer¬ den, indem sie uns in die Sünde, und welches ci- uerley ist, in das größte Unglück stürze», wenn wir sie nicht nach der Vorschrift des Schöpfers gebrau¬ chen. — So sind auch die Geschäfte der Welk ai» sich unschuldig, und kcineswegeus dem Christenthu- me entgegen. Die geladenen Gäste hätten immer ihre Haushaltung besorgen, Güter und Vichc kau¬ fen, und dennoch dem Gasimahle beyrvohnen können. Die weltlichen Geschäfte und das Lyrislenthum kön¬ nen gar wohl bcnsamnienstehcn, ja Stand - und AmtSgeschastr sind Anordnungen Gortes, treue und Erklär. d.Evang.ll. LH. L fromme -° ( 162 ) — fromme Ausübung derselben ist eine Hauptpflicht des Christenthums, welches, nebst dem Glauben an die von Christo geoffenbarten Wahrheiten, in dem besteht, daß wir all unsre Handlungen, Geschäfte, Ergötzungen, Mahlzeiten, kurz, unser ganzes Le¬ ben zu einem Gottesdienste machen, aber die An¬ hänglichkeit des Herzens an irrdischc Dinge zieht allemal die Vernachlässigung uusers ewigen Heils nach sich. Diese Anhänglichkeit war die Ursache der Ver¬ achtung des Gnadenmahles, alle Entschuldigungen kamen daher, diese verleitete die heutigen Gäste, die angebothene Wohlthat zu vernachlässigen. Irrdischc Geschäfte, Aecker kaufen, Handthierung treiben, hcurathen sind an sich keine sündlichen Handlungen, wie ihr wohl wisset, aber sie können Ursache zur Vernachlässigung unsers Heils werden, wenn wir den Gottesdienst, das Gebeth, die Anhörung des Worts GotteS, den Genuß der heiligen^Sakramente, und andere Christenpflichten darüber versäumen, und unS in dieselben zu sehr verwickeln. — Und wie viele dergleichen undankbare Gäste gibt es nicht noch zu unsern Zeiten? Wie viele werden nicht gefunden, welche die Reichthümer der Erde, einen zeitlichen Gewinnst, die vergänglichen Ehren und Wollüste mehr lieben, als den Himmel, die sich in das Irrdischc so sehr vertiefen, daß sie darüber die Pflichten des Ehristenthums, das Gebeth, "die Anhörung der hei¬ ligen Messe und des Worts Gottes, und die Em- pfangung des heiligen Abendmahles ganz verab¬ säumen. Lasset Lasset uns aber, meine wertesten Christen, bes¬ sere Gesinnungen fassen, als dergleichen Leute, de¬ ren undankbares Verhalten uns in dem heutigen Evangelium ist beschrieben worden. Wenn wir mit den undankbaren Gästen, mit diesen Verächtern der Gnade Gottes von dem himmlischen Gastmahle nicht wollen ausgeschlossen werden, so dürfen wir durch allzugroffe Anhänglichkeit an die irrdischen Güter und Wollüste die Pflichten, die wir Gott schuldig sind, niemals versäumen, wir dürfen die Welt nicht mehr lieben als den Himmel, und müssen uns beson¬ ders vor dem Geitze, Hoffart, und den Wollüsten dieses Lebens hüten: "Habt die Welt nicht lieb, er¬ mahnet der heil. Johannes in seinem ersten Brief 2. Kap., noch was in der Well ist: als Augenkust, Fleischeslust, und Hoffart des Lebens.,, — Erwägen wir öfters, meine lieben Christen, daß der Verlust unaussprechlich groß scy, wenn wir durch Anhäng¬ lichkeit an das Vergängliche, ewige und unschätzbare Güter verscherzen. Erwägen wir öfters die Worte unsers Hcplaudes: "Ich sage euch, daß dei^Män- ucr keiner, die geladen sind, und undankbar meine Einladung ausgcschlagen, mein Abendmahl verko¬ sten werde.,, Verachten wir nur niemals die Gna- deugüter, die uns der barmherzige Gott anbiethet, Bewahren wir nur sorgfältigst unse.r Herz gegen jene gefährliche Thorheit, in welche so manche Menschen fallen, da sie bepm Genüße ihres zeitlichen Segens das Himmelreich verachten, und dafür ewig darben wollen, hcßwegcn sie nicht das Geringste von jenem seligen Vergnügen kosten werden, welches Gott de- ue» gönnet, die seine Einladung dankbar annehmen. L L L>! — s I64 ) - O! Lasset uns doch öfters bedenken, meine lie¬ ben Christen,- Gott sende seine Knechte aus, nm uns zu dem grossen Freudenmahl im Himmel, das sein Sohn so theuer für uns erworben hat, einzuladen. Lasset uns öfters bedenken, so lange er unS seine Gnadenstimme Horen läßt: "Kommet, denn es ist alles bereitet,,, so lange siche uns die Gnadenthür offen, so lange wolle er uns zu seinem Freudenmahle einlaffen, aber nach diesem Erdenleben werde diese Thür uns verschlossen, wenn wir diese gnädigeEin- ladung ausgcschlagen haben. Sollten wir eine solche unverdiente Gnade nicht erkennen und annchmcn? Sollte wohl etwas in der ganzen Welt seyn, das unS verleiten könnte, diese gnadigeAnerbiethung sol¬ cher ewigen Schatze zu verachtend O! Hinweg von uns mit solchen undankbaren Herzen, die solche gna¬ denvolle Einladung ausschlagen könnten? Lasset uns dieselbe vielmehr mit sehnlichstem Verlangen und mit begierigstem Herzen annehmen, lasset uns wil¬ lig und gehorsam erzeige», alles das mit freudig¬ stem Danke anzunehmen, was uns unser gütigster Hcpland erworben und zubereitet hat. Und im Ge- gentheile, lasset uns alles dasjenige mit tapferem Muthe ausschlagen, was uns an der Erlangung der für uns zubereiteten Glückseligkeit hindern könnte, damit wir verdienen mögen, bey dem Abendmahls des Lammes als ringeladene Gaste zu erscheinen, und jene holdselige Stimme zu vernehmen: "Kommet her, ihr Gesegneten des Herrn, kommet zu meinem ewigen Freudcnmal I Esset meine Freunde, und trin¬ ket, meine Lieben, sättiget und erquicket euch an den Gütern meines Hauses in alle Ewigkeit.,, Amen. Auf ( »6Z ) Auf den dritten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. XV. i —1->. nährten sich aber zu ihm Zöllner und Sün¬ der, irm ibn zu hören. Uud die Pharisäer und Schriftgelehrten nrurreten uud sprachen : dieser nimmt die Sünder auf, und iffet mit ihnen . Er aber sagte zu ihnen dicß Gleichnis;, und sprach : welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schaa- fe hat, und wenn er eines davon verliert, die neun und neunzig nicht in der Wüste verläßt, und dem verlohrnsn nachgeht, bis erö findet ? Und wenn ers gefunden hat, so nimmt er es auf seine Achseln mit Freuden, und wenn er nach Hanse kömmt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen, und sagt ihnen : freuet euch mit mir , denn ich Ha¬ bs mein verlohrnes Schaaf wieder gefunden. Ich sage euch , eben so wird auch Frende seynim Him¬ mel über einen Sünder, der Buße thut, mehr alS über neun und neunzig Gerechte, welche die Bu¬ ße nicht nöhtig haben. Oder welch Weib ist, die zehn Groschen hat, die nicht, wenn sie einen da¬ von verlohren hat, ein Licht anzündet, daS Haus auskehret, und genau nachsuchet, bis sie ihn findet» llnd wenn sie ihn gefunden hat, rufet sie ihren LZ Freun- ----- ( i6ä ) — Freundinnm und Nachbarinnen , und spricht : freuet euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen gefunden,den ich verlobren hatte. Eben also, sa^ ge ich euch, wird Freude seyn bey den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße thut. Dieser nimmt die Sünder auf, und ißt mit ihnen. Luk. iz- D. 2. Eingang. Wir höre» das Jahr hindurch oft genug, mei-- ne lieben Christen, wie unser göttlicher Erlöser, als öffentlicher Lehrer und Messias, bey seinen Amts¬ verrichtungen von den Juden angegriffen, und an¬ gefeindet worden. Er öffnete fast nie seinen Mund, er that fast kein Wunder, wo er nicht bereit seyn mußte, solches vor seinen Verfolgern, die ihn stets umgaben, zu verantworten. Seine Feinde gicngen sogar so weit, daß sie seine Gesinnungen und seine Mittlerliebe «ntasteten. Heute höre» wir wiederum, wie die Pharisäer und Schriftgelehrtcn gegen ihn ein liebloses Urtheil fällten. Die Pharisäer, welche, wie ich euch schon gesagt habe, durch pünktliche Beobach¬ tung derAussenwerkeder jüdischen Religion, derglei¬ chen Fasten, allerlei) Waschen und andere körperli¬ che Handlungen waren, sich den Ruhm der Heiligkeit zu erschleichen suchten, und die Schriftgelehrten, das ist^ solche Leute, die sich besonders mit Ausle¬ gung — ( r6/ ) — yung des mosaischen Gesetzes beschäftigten, und sich einbildeten, grosse Kenner des Gesetzes Gottes zu seyn, diese murreten, daß Jesus mit den Zöllnern und Publikanen zu Tische säße, und daß viele von den Sündern zu ihm kämen, Zuhörer seiner Predig¬ ten zu seyn. Siemnrreten: "Dieser nimmt die Sün¬ der auf, und ißr mit ihnen.,, Sie dachten in ih¬ ren Herzen: schämet sich dieser nicht, solche Leute in seinen Umgang aufzunehmen? Weiß er denn nicht,' daß sie Unbarmherzige, Betrüger, Diebe, Unge¬ rechte sind? Schämet er sich nicht, bey einer ganzen Tischgesellschaft von solchen nichtswürdigen Menschen sich einzufindcn? weiß er denn nicht, daß man sich verunreinige, wenn man mit solchen Leuten, die man aus der Gemeinschaft ausschliessen muß, um¬ geht? So dachten, und so sprachen Pharisäer und Schrifkgelehrte über den Umgang Jesu mitPublika- nen, meine werthesicn Christen! Die Publikanen nämlich, oder Zolleinnchmcr, waren bey ihnen äu¬ ßerst verhaßte Leute; jemanden einen Zöllner nennen, war bey ihnen eben so viel, als jemanden einen Erzbösewicht schelten. Es waren freylich unter die¬ sen Publikanen manche Boshafte, die von den Rö¬ mern die Zölle um grosse Geldsumme abgcpachtet hatten, nachmals aber, um sich schadlos zu halten, und sich noch zu bereichern, den Juden manches Unrecht anthaten, sie übernahmen, sie auf den Stra¬ ßen und Wegen hinderten, ihnen mancherlei) Maa¬ ren abnahmen, oder bey erhöhten Zollgcldcrn sie z» übermäßigen Ausgaben nöthigten, wenn sie anders ungehindert fortkommen wollten. Dieser Klaffe Leute L 4 nun ( i68 ) nun kamen etliche zu Jesu, die vielleicht zuvor böse waren, aber anjetzo von ihrer Bosheit abstehen woll¬ ten, und seine Predigte» anhörten, mit wahrer Be¬ gierde sich zu bekehren, und von ihm zn erfahren, auf was Weise sie Buße thun sollten, um die ver- lohrne Huld und Gnade Gottes wiederum zu erlau-, gen. Obschon also das Verhalten Jesu ganz unsträflich und untadelhaft, ja, recht lobenswürdig war, da er diese bußfertige» und heilsbegierigen Sünder gnä¬ dig aufnahm, so mußte er solches dennoch gegen das Murren seiner Feinde vertheidigcn. Und dieses that er besonders durch drey Gleichnisse: erstens von einem Hirten, der sein verlyhrnes Schaaf, Zwei¬ tens von einer Frau, die ihre» verlohrnen Groschen sorgfalkg aufsuchte, und drittens von einem Vater, der seinen verlohrnen, sich aber bessernden Svhn mit Freuden aufnahm. Das heutige Evangelium handelt nur von den zweyen erster», von dem verlohnen Schaafe näm¬ lich, und verlohrnen Groschen. Da die Veranlassung zn denselben einerlei), auch beyde die nämliche Ab¬ sicht haben, so wollen wir, meine werthesten Chri¬ sten, beyde nicht von einander trennen, und im er¬ ste» Theile heutiger Predigt die Erklärung davon höre», im zweyten Theile aber unsere Betrachtun¬ gen darüber machen. So wie die Publikanen Jesum aufmerksam anhörten, so höret auch ihr dessen gött¬ liches Wort aufmerksam an. Erster — ( iKy ) «— Erster Th eil. Aas Murre» der Schriftglehrten, wie ihr, meine werthesten Christen, schon gehöret habt, gab dis Veranlassung zu den zweyen wichtigen Gleichnissen des heutigen Evangeliums, welche uns die erhaben¬ sten und angenehmsten Begriffe von der Güte und Barmherzigkeit Gottes geben, und die väterlich mil¬ den Gesinnungen des Allerhöchsten gegen uns sün¬ dige Menschen so ganz anschaulich an den Tag le¬ gen. Zwey ganz deutliche Gleichnisse, wodurch un¬ ser Erlöser ganz klar zeiget, wie groß seine Crbarm- niß gegen reumükhige Sünder sey, und wie er nur deswegen auf die Welt gekommen, um jene, d^e verlohreu gegangen waren, aufznsuchen, um jene, die der Gnade abgestorben waren, lebendig zu ma¬ chen, und um jene, welche die Sünde von Gott gctren- nct, und von dem Haufen der Gerechten zerstreuet hatte, durch das Baud dxs lebendigen Glaubens und der Liebe mit ihm wiederum zu vereinigen. — Dieses zeiget er un¬ ter den schönen und rührenden Bildern eines Hirten, der sein verlohntes Schäfchen, und einer Frau, die ihren verlohrnen Groschen suchten, wodurch er sein barmherziges Verhalten gegen irrende Sünder , Wider den unbilligen und ungerechten Tadel der Pha- risäef so schön und einleuchtend vcrtheidiger. Da die Juden nebst dem Ackerbau sich besonders auf die Schaafzucht legten, uud besonders im Lande jenseits des Jordans, aufden dasigen bergigten gra- siglen Gegenden, unzählbare Heerden Schaafe wei¬ deten, so trug Jesus nach dieser Landesark, ein ih° uen wohl begreifliches Gleichnis, vor, wie ein Hirt L S näm- — ( i/c» ) — nämlich sein verlohntes Schäfchen mit größter Sorg¬ falt anfsuche, und seinen Nachbarn mit Freuden er¬ zähle, wenn ers gefunden habe. Lasset uns seine ei¬ genen Worte noch einmal hören, meine werthesten Christen! "Welcher Mensch ist unter euch, sagt er, der hundert Schaafe hat, der nicht, wenn er eines da¬ von verliehrt, die neun und neunzig auf der Weide läßt, und hingeht, um daö Verlohrne zu suchest, damit ers finde. Und wenn ers gefunden, so legt er dasselbe auf seine Achsel, tragt es mit Freuden zurücke. Und wenn er nach Hause kömmt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen, und spricht zu ihnen: freuet euch mit mir, denn ich habe mein Schaaf gefunden, das vcrlohren war. „ Wen ver¬ steht wohl hier Christus unter dem Menschen, der hundert Schaafe hak, anders, als sich selbst? Er ist jener liebvollc Hirt, dem die Schaafe, das heißt hier, die Seelen der Menschen, von seinem himm¬ lischen Vater anvcrtrauet worden. Er ist jener lieb¬ volle Hirt, der die irrenden Schaafe mit größter Mühe aufsuchet, und sich so sehr erfreuet, wenn er eines von den Verlvhrnen, wiederum findet, weil er sie so thcuer mit seinem Blute als sein Eigenthum erkaufet hak. Er als der wahre Oberhirt kennet sei¬ ne Schaafe genau, er weiß derselben Anzahl genau. Er kennet nicht allein seine guten, getreuen Schaa¬ fe, die wahrhaft an ihn glauben, und in Beobach¬ tung seiner Befehle ihm getreu sind, sondern er ken¬ net seine irrenden Schaafe, die sich von der gläubi¬ gen Heerde verirret haben, unter welchen er hier alle Sünder versteht, die durch Unachtsamkeit oder Vcr» füh- führung in die Irre gereichen, die durch böse Gele¬ genheit und Versuchung in Sunden gefallen, und sich von ihm abgesondert haben. — Die Sünder, sage ich, versteht hier Christus durch das verlohrne Schaaf, weil sie sich von der frommen Heerde Got¬ tes abgetrennet, und auf den gefährliche» Wegen des Lasters hernmirren. Durch die neun und neun¬ zig Schaafe aber versteht er die frommen und gläu¬ bigen Kinder Gottes, welche ihm, ihrem Hirten be¬ ständig nachfolgen, seinen Befehlen getreu nachkom¬ men, seine guten Ermahnungen und Warnungen annehmen, das wilde Leben der Sünder hassen, den bösen Lüsten nicht nachgehen, und Gott beständig getreu anhangen. Diese laßt Christus auf ihrer geist¬ lichen Weide, und suchet die verirrten Seelen mit möglichster Sorgfalt auf. ''Denn deßwegen ist er auf die Welt gekommen, wie er selbst von sich sagt, zu suchen und selig zu machen, was verlohren war.,,— Er ruft diese irrenden Schaafe wiederum zurücke, biethet ihnen Vergebung ihrer Sünden an, und wir¬ ket durch seine kräftige Gnade so stark in sie, bis sie sich bekehren, ihre Sünden gleich dem verlohrnen Sohne aufrichtig bekennen, und sich wahrhaft und ernstlich bessert. Wenn sich aber ein Sünder bekehret, wenn sich ein solches irrendes Schaaf finden läßt , so bringt er selbes mit Freuden zurücke zu seiner frommen gläubigen Heerde, er laßt es wiederum Antherl neh¬ men an seinen Gnaden, und schützet und bewahret es, wie seine übrigen frommen Schaafe. Darüber entsteht nun ganz natürlich eine große Freude unter den Freunden Jesu, das ist, unter deu heil. En¬ geln - ( *72 ) Zeln und Auscrwählten, die sich über einen bußferti¬ gen Sünder und über eine bekehrte Sünderin in- nigst erfreuen, sobald ihnen diese frohe Bokhschaft im Himmel bekannt gemacht wird. — Und derBe- wegnngsgruud zu dieser unaussprechlich grossen Freu¬ de l-ey den Einwohnern des Himmels ist wohl kein anderer, meine werthesten Christen, als dieser, weil sie bcy der Bekehrung des Sünders hoffen, ihre An¬ zahl werde vermehret, die Platze der verstossenen En¬ gel werden wiedcriun erfüllet, das Blut Jesu sey nicht unnütz vergossen, und die fromme Heerde Je¬ su auf Erden habe wiederum einen neuen Zuwachs bekommen. Dieß wollen die Worte unscrs Erlösers sagen: "Ich sage euch, also wird Freude seyn im Himmel über einen Sünder, der Buße thnt, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.,, Und dieses stellet Christus so ganz na¬ türlich seinen Zuhörern vor, indem wir gemeiniglich eine größere Freude haben, wenn wir was Verlohr- ucs finden, als über Sachen, die wir niemals ver- lohren haben. Das zweyte Gleichniß von dem verlohrnen und wiedcrgefundenen Groschen hat die nämliche Absicht, wie das vorige. Wir wollen die Worte des Evan¬ geliums auch noch einmal davon hören, meine lieben Christen: "Welch Weib ist, die zehen Groschen hat, davon aber einen verliehet, die nicht ein Licht an- zünde, das Haus auskehrc, und mit allem Fleiß suche, bis sie ihn finde. Und wenn sie ihn gefunden, so ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen zu¬ sammen, und spricht, freuet euch mit mir, denn ich habe meinen Groschen gefunden, den ich vcr- lohren — ( -73 ) —r lohren Katke. — Auch dadurch wollte Jesus die un¬ ermeßliche Sorgfalt Gottes für das Heil irrgehen- -cr Sünder uns vor Augen legen. So, wie man ein verlohntes Stück Geld recht ängstlich suchet, ebenso ängstlich suche er die vcrlohrne Seele des Menschen. Und so wie Key dem Weibe und bey ihren Freundin¬ nen über das gefundene Stück Geld eine große Freu¬ de entstehe, eben so freue er sich, wenn ereinevcr- lohrne Seele wiederum finde. Der ganze Himmel, alle seligen Geister und Auserwählten allda erfreuen sich, daß Gottes gütige Absicht an einer kostbaren menschlichen Seele erreichet worden, und ihre selige Gesellschaft in diesem glücklichen Orte dadurch ver¬ mehret werde. Der himmlische Vater freue sich, daß der vcrlohrne Sohn, oder die verlohrne Tochter wie¬ der gefunden worden, wie er sich in der folgenden Parabel ausdrücket. Er, als der Erlöser der Men¬ schen, freue sich, daß eine von ihm so theuer erkaufte Seele gesunden, und zu seiner Gemeinde gebracht worden. Der heilige Geist freue sich, daß er wieder einen neuen Tempel bekommen, und seine Wohnung ill den Herzen eines bekehrten Sünders, oder einer bekehrten Sünderin aufschlagen könne. Meine werkhesten Christen, wie schön überführte nicht Jesus durch diese beyden Gleichnisse die Pha¬ risäer ihres bösen Unheiles, da sie seine Bemühung und Freude über die Bekehrung der Sünder tadel¬ ten. WaS konnten sie darauf antworten? Mußten sie sich nicht vielmehr schämen, daß sie hier als böse Hirten bestrafet wurden, welche die'Schaafc in der Irre hcrumgehcn und verschmachten lü-ße-n? — Wie schön zeigt er uns aber auch, daß wir Menschen jene vcr- vcrlohrnc Schaafe gewesen, die er so mühsam aufgesu- chet, daß wir der verlohnte Groschen gewesen, die wir das Gepräge Gottes in unserer Seele, das Bjidniß un- sers Gottes an uns verunstaltet, und ganz ausgelöschek hatten? Daß wir durch die Erbsünde verlohren, durch Ungehorsam ans dem Stande der Gnade gefallen, von ihm aber mit vieler Mühe und Sorgen, mit vielem Schweiße und großen Beschwerden wiederum gefun¬ den- worden; denn er verließ in gewissem Verstände seine Engel im Himmel, kam auf diese Erde, um uns Irrende aufzusuchen , und nachdem er uns nach vieler beschwerlicher Arbeit, und mit vielem mühse¬ ligen Suchen wiederum gefunden, so hatte er große Freude darüber. Seine treuen Diener, die seligen Gei¬ ster, hatten nicht mindere Freude, welche sie ihm be¬ sonders am Tage seiner Himmelfahrt bezeigten, weil die Menschen durch seine Vermittlung bep Gott wie¬ derum zu Gnaden gekommen, und ihr erstes Recht zum Erbtheil des Himmels erlangt hakten. Soviel zur Erklärung beyder Parabeln, meine werthesten Christen! Lasset uns nun noch im zwey- ten Theile unsere Betrachtungen darüber anstelle». Zweyter Th eil» Ach theile meine über die beyden Parabeln gemach¬ ten Betrachtungen der Deutlichkeit halber in vier Hauptpunkte. Erstens, über das barmherzige Ver¬ halten Gottes gegen alle Sünder. Zweitens, wie wir uns nach diesem hohen Muster gegen unsere sün¬ digen Mitmenschen zu verhallen haben. Drittens, über den Werth der menschlichen Seele, und vier¬ tens über die Bxwcgungsgründe, welche den Sün¬ der — ( ) "" der zu seiner schleunigen und aufrichtigen Bekehrung antreiben sollen. Was das Erste anbelangk, meine wcrthesten Christen, so hatte Jesus seine göttliche Barmherzig¬ keit nicht deutlicher, nicht anschaulicher uns vorAu- gen legen können, als durch diese beyden Parabeln. So wie ein sorgfältiger Hirt sein verlohrnes Scha-af, und so wie ein bekümmertes Weib ihren verlohrncn Groschen aufsuchet, mit eben so großer Sorgfalt su¬ che er die verlohrne Seele eines Sünders auf. "Die Starken und Gesunden, spricht er an einem andern Drtc, bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kran¬ ken. Er^sey gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen, und nicht die Gerechten.,, — Er wird also keinen reumüthigen Sünder verstossen, sondern "sie alle zu Gnaden ausuehmeu, wenn ihre Sünden auch noch so groß, und noch so viel waren. Die Zöllner und andere, deren im heutigen Evangelium gedacht wird, waren vielleicht große Sünder, da sic sich aber bekehrten, da sie von ihren Sünden ab- stuuden , und mit wahrer Begierde, ihr Lebe» zu andern, sich zu ihm näheren, so nahm er sie liebreich m Gnaden auf. Auch dieses will er noch jeno allen bußfertigen Sündern thnn, denn er ist allen Sün¬ dern zum Troste und Heile in die Welt gekommen, nach dem Zeugnisse dcS heiligen Paulus, der in sei¬ nem ersten Briefe zu seinem Schüler TimotheuS r. Kap. r5. V. schreibt: "Das ist gewiß ein thcures und wcrthes Wort, daß Jesus Christus gekommen ist in die Welt, die Sünder, wenn sie sich ernstlich bekehren, selig zu machcu.„Er, der das Glück eines jeden Menschen iunigft wünschet, ertragt nicht nur mit ( 176 ) Mil einer ganz unbegreiflichen Langmukh ihre Süll» den und Bosheiten, sondern arbeitet auch unermü¬ det an ihrer Besserung, er braucht alle nur ersinn- liche Mittel mit einer ganz göttlichen Geduld, um den Sünder zu bessern, und ihn dadurch zu beglücken. Mit einer unermeßlichen Gnade vergibt er dem sich bes¬ sernden Sünder alle seine vorigen noch so groben, und noch so zahlreichen Vergehungen, und mit einer Zärt¬ lichkeit, die alle Vorstellungen übersteigt, freuet er sich, wenn es seinemGtschöpfe für Zeit undEwigkeit wohl ist. Gleich einem zärtlichen Vater, wie er sich in der Parabel vom verlohrnen Sohne, die er zur näm¬ lichem Zeit den Pharisäern erzählte, ausdrücket, gleich einem zärtlichen, liebvolleu Vater, welcher seinem sich bessernden Sohne entgegen eilet, ihn in seine Arme schließt, in sein Haus zuräckführel, und ein herrliches Freudenfest anstellet: "weil dieser sein Sohn tod war, und wiederum lebendig geworden, weil er verlohren war, und wiederum gefunden worden.,, Eben mit solcher Liebe nimmt er alle sei¬ ne reuvollen Kinder auf, ja die Zärtlichkeit eines Vaters, oder einer Mutter, gegen ein einzi¬ ges hoffnungsvolles Kind ist nichts, in Be» tracht seiner großen Liebe gegen eine verlohrne Seele. D wie getrost könnet ihr also seyn, ihr reuvollen Seelen! Ihr, die ihr eure Sünden betranret, sie Verabscheuet, »nd zur Besserung redlich zurückkch- rit. Wie getröstet könnet ihr seyn, sage ich, wenn ihr diese zwo Parabeln aufmerksam betrachtet. Kön¬ net ihr noch verzagen, wenn ihr eure Sünden leb¬ haft erkennet, schamvoll bereuet, sehnlichst nach der verlohrnen Gnade Gottes seufzet, eure Missethateu mit -- L 177 ) -- mir zerknirschten Herzen bekennet, und euch redlich entschliesset, sogleich den Anfang z» machen, em ganz neues Leben nach Gottes Gesetzen zu führen? O wenn ihr euch jn die Arme eures barmherzigen himmlischen Vaters werfet, so wird er euch mit Freu¬ den zu Gnaden aufnehmen. Das bildet euch aber hier nicht ein, meincwer« thesten Christen, daß diese Liebe Gottes gegen den Sünder eine unweise Liebe sey, daß Gott eben so gesinnet sey gegen Lasterhafte, wie gegen tugendhaf¬ te, daß er, gleich einer unverständigen Mutter, die aus thörichter Liebe gegen manche Laster ihrer Kin¬ der blind ist, eben so nachsichtig sey gegen den Sün¬ der. Nein, nicht so, er liebt den Sünder nicht als Sünder, sondern weiter eine Seele hat, die so kostbar, so edel ist, die er so vornehm nach seinem Ebenbilde geschaffen, und so theuer mit seinem Blute erkaufet hat. Deßwegeu suchet er den Sünder so liebooll auf, um ihn zu bessern. Bildet euch auch nicht ein, Gott strafe die Sünde niemals, weil er gütig ist, oder er lasse sich durch fruchtlose Seufzer und unnütze Thränen erweichen, den Sünder bei) allem fortwährenden Sündenleben zu beglücken, oder er werde ihn nach einem schändlichen gemeinschad- lichen Leben von mehreren Jahren ohne aufrichtige Buße im Himmel aufnehmen. Nein, dieses nicht, dieses wäre eine unweise, eine ungerechte Liebe, de¬ ren Gott nicht fähig ist; Jesus gieng mit den Zoll¬ einnehmern nm, um sie zu bessern. So wünschet er noch die Besserung und das Glück des Sünders, er suchet ihn noch unermüdet, rind wenn er sich bessert, Erklär, d. Evang-II. TU. M sv — ( 1/3 ) so nimmt er ihn mit Liebe auf, und so ist Freude hey Gott und den Engeln. Zweitens zeigt uns das Beyspiel Christi, mei¬ ne werthesten Christen, wie auch wir gegen unsere sündigen Mitmenschen uns verhalten sollen. Er zei¬ get uns durch seinen Umgang mit Publikanen und Sündern das rechte Betragen gegen Gottlose und La¬ sterhafte. Eine genaue und vertraute Gesellschaft mit Gottlosen haben, die sich nicht auf den rechten Weg bringen lassen, gottlose Gesellen zu Vertrauten ma¬ chen, mit ihnin beständigen und genauen Umgang -pflegen, dieses kann nicht nur gegründeten Verdacht erregen, und andern ärgerlich seyn, sondern mau stürzet sich selbst dadurch in die Gefahr, verdorben und böse zu werden. JesuS gieng zu den Zöllnern nur, als sie ihn suchten, und aß mit ihnen, um an ihrer Besserung zu arbeiten. Wir sollen also nach dien fern Beyspiele lasterhafte Nebenmenschen nicht hassen, sondern ihr geistliches Elend tief zu Herzen nehmen > und an ihrer Besserung arbeiten. Wir sollen öfters au jene Worte denken, mit welchen der heilige Jako¬ bus seinen Brief beschließt: "Meine Brüder, wenu jemand von euch von dem Wege der Wahrheit ab- wcichet, und einer von euch ihn wiederum bekehret, der soll wissen, weil er einen Sünder von seinen Hosen Wegen zurückgebracht hat, daß er viele Sün¬ den verhindern, die Menge seiner Miffethaten zu¬ decken, und seine Seele von dem Tode retten wird. Und welch ein Glück ist es nicht, eine Menge Sün¬ den und Beleidigungen Gottes hindern, und eine Seele vom Tode retten? Eine verlohrne Seele wie¬ derum finden, M»ß dieß nicht ein ganz himmlisches Ver-° — ( -79) "" Vergnügen seyn? Einen Sünder von seinen bösen Wegen zurückführen, ist dieses nicht der größte Be¬ weis der Liebs gegen unfern Nebenmenschen? Kön¬ nen wir ihn von einem größer» Unglücke retten? Welch ein unaussprechlich großes Vergnügen empfand nicht der Heyland in den Tagen seiner Wanderschaft auf dieser Welt, als er eines seiner verlohrnen Schäfchen wieder fand? Wie unersättlich war hier- inn nicht sein Eifer? Trieb ihn nicht seine Begier¬ de so weil, daß er, um Sünder zu erlösen, und Ge¬ rechte aus ihnen zu machen, die Schuld und Strafe der Sünder auf sich nahm? Wie angenehm und herz¬ erfreuend war ihm nicht die Erbauung und Bekeh¬ rung eines einzigen Menschen? Durchwanderte er nicht deßwege» Städte nnd Dörfer? Vergaß er nicht öfters darüber Essen und Trinken? — Meine lie¬ ben Christen! Liegt aber nicht auch einem jeden aus uns die Bekehrung der Sünder ob? — Hat nicht ein jeder den Beruf, und öfters die bcßte Ge¬ legenheit dazu, einen Irrenden zurechtzuweisen, unk» einen Gefallenen aufzurichten ? Hat der Väter nicht Kinder um sich, hat der Hausherr keine Knechte und Mägde in seinem Dienste, haben wir keine Bekann¬ te und Freunde, an deren Besserung wir arbeiten könnten? Welches Vergnügen, wenn unsere Ermah¬ nungen und Warnungen, unser Unterricht, Gebelh, und unsere Arbeit an dem Nächsten nicht vergeblich sind? Wie sich Engel freuen über die Buße eines Sünders, so muß sich unser Herz mit himmlischer Wonne erheben, wen» uns der Bekehrte zuruft: habe Dank, du Werkzeug meiner Bekehrung, du Retter meiner Seele! Welches selige Gefühl dort in M s den ( ^Lo ) -ca Wohnungen-er Auserwahllen, wenn das Kind seinen Vater und seine Mutter mit den brünstigen Freuden umarmet, und spricht: gesegnet seyd ihr, haß ihr mich, wenn ich Böses that, bestraftet, daß ihr mich, wenn sch auf bösen Wegen wandeln woll¬ te , auf den Weg der Tugend zurücke führtet, und dadurch zu einem Kinde des Himmels erzogen habt! Gesegnet seyd ihr, die ihr mich vom ewigen Unter¬ gänge gerettet habt! L> wie muß dieses Glocke freu¬ en, Retter einer Seele vom ewigen Tode zu seyn! Gewiß eine ganz entzückende Engelfreude! Das dritte Stück, welches uns die zwey heuti¬ gen Gleichnisse zeigen, meine'wsrthesten Christen , -st der Werth der menschlichen Seele/ Denn wie viel muß an einer menschlichen Seele und ihrem Heile ge legen seyn, wenn Gott und die Engel so große Freu¬ de haben, da sie wiederumgefunden wird, gewiß können wir uns von dem Werthe der menschlichen Seele durch nichts besser überzeugen, als durch die¬ se Parabel. Und wir können es unserm Heylande nie genug verdanken, daß er uns eine so hohe Kennt- niß von uns selbst gegeben hat, zu welcher wir nie würden gelanget seyn, wenn er «ns dieselbe nicht vom Himmel mitgebracht hatte. Wir können von dem wahren Werthe unserer unsterblichen Seelen nicht richtiger urtheilen, als wenn wir nach dem Werthe urkheilen, den sie bey Gott selbst haben, der nur wahrhaft kostbare Sachen zu schätzen weiß, »ndsich nur über ein wahrhaftes Gut erfreuen kann. Nun erfahren wir aber, daß unsre Seelen jenes kostbare Kleinod sind, welches aufzusuchen der Sohn Got¬ tes vom Himmel auf diese Erde gekommen. Wir er¬ fahren. — ( tZr ) —> fahren , daß sie mit dem Blut Jesu theuer erkaufte Seelen sind, daß ihr Werth kurch den Werth des kostbarsten Blutes des Sohns Gottes muffe geschähet werden, daß der Werth der ganzen Welt gegen die¬ selben für nichts zu achten sey , wie nns Christus durch die bekannten Worte einer andern Stelle sei¬ nes heiligen Evangeliums ausdrücklich sagt, was hilft es dem Menschen, wen» er die ganze Welt ge¬ winnet, an seiner Seele aber Schaden leidet. Gan¬ ze Lander und Königreiche, ja ganze Welt verlieh- ren, ist also geringer zu achten, als eine einzige Seele verliehren. Die ausserordentlichen Bemühun¬ gen Gottes um unsere Seelen können uns ganz ge¬ wiß keinen anderen, als den erhabensten Begriff von denselben beybringen. Wenn wir nämlich recht ernst¬ lich überlegen, was das sorgfältige Suchen nach dem verlohrnenSchaafe undGroschen anzeigen wolle, wenn wir recht ernstlich überlegen, was der Sohu Got¬ tes , dieser liebvolle Hirt, unserer Seele» wegen gethan hat, weun wir seine Bemühungen recht ernst¬ lich überdenken, die er wegen denselben während seines ganzen Aufenthalts auf dieser Welt über sich genommen, o was müssen unsre Seelen nicht seyn, da sie Freudenquellen für den ganzen Himmel sind. Sollten wir aber, meine lieben Christen, mit denselben nicht als mit dem kostbarsten Kleinode um¬ gehen, sollten wir daraus nicht -en Schluß machen, daß der Seclenzustand auch den wahren Zustand des Menschen ausmache, daß, wenn die Seele glücklich oder »»glücklich ist, auch der Mensch glücklich oder unglücklich zu nennen sey, daß der Mensch auch bep gesundester Beschaffenheit seines Körpers, bep de» M Z beßten -— ( ) --°- beßten äussern Umstande» des Glückes, bei) dem Ge¬ nüsse eines täglichen Wohllebens, und bey allen glänzenden Vorzügen seines Standes, dennoch der unglücklichste, elendeste Mensch sey, wenn seine Seele krank und schwach ist. Aber daß derjenige der vergnügteste und glückseligste Mensch sey, dessen See¬ le, obschon ihm körperliches Wohl und zeitliches Glück mangelt, in einem guten Zustande sich befin¬ det, da in derselben Ruhe, Friede und Überzeu¬ gung der Gnade Gottes herrschet. Mertens endlich die Früchte, die der Sünder aus diesem Evangelium für sich ziehen soll, bestehen darinn, daß er, nachdem er die Güte, Langmuth und Barmherzigkeit Gottes gegen sich betrachtet, dadurch gerühret werde, feine Verirrungen erkenne, und mit aufrichtiger Rene zu diesem liebvollen Gott zurückkehre. Sollte ihn wohl die Güte eines seinen Beleidiger selbst suchenden Gottes nicht bewegen können, sollte er gleichgültig gegen eine so große Liebe seyn können, sollte er diese Gnade Gottes mit einer neuen Beleidigung vergelten können, sollte ihm nicht jede Sünde als der schändlichste, vcrab- schenungswürdigste, strafbarste Undank Vorkommen, denn was sind die irrdischen Wohlthäter, mit allen ihren Wohlthaten zufammengenommen, gegen un¬ fern allgütigen Wohlthäter^ o meine lieben Mit- christen , die wir dieses erkennen, die wir die un¬ aussprechliche Liebe unsers Gottes einsehen, sollten wir für jenen Gott nichts thu», der so unerme߬ lich viel für uns gethan hat, der so unvermeßlich viel noch immerfort für uns thut, und ewig thun will, sollten wir uns noch entschliessen können, fer¬ nerhin --- ( '-dZ ) — nerhin böse zu seyn, darum , weil Gott so gut ui-b gnädig gegen uns ist, sollten wir uns entschließen können, noch einmal unsern grossen Wohlthater zu beleidigen, weil er so viel Liebe und Geduld gegc« uns erzeiget, ach nein, nie soll ein solches schwar¬ zes , undankbares Betragen eine christliche Seele schänden. Diese Geneigtheit Gottes, jeden sich bes¬ sernden Sünder zu Gnaden anfzunehmen, soll viel¬ mehr jeden Sünder zur Buße ermuntern, und ihm Muth und Kraft einstösen , daß er sich aus allen Kräften bestrebe, jede Beleidigung eines so liebvollcrr Gottes zu meiden, und seinen Lebenswandel ganz und gar zu ändern, sich von einem ungerechten zu einem ge¬ rechten, von einem hochmütigen zu einem demüthigen, von einem unzüchtigen zu einem keuschen, tugend¬ haften, von einem rachgierigen zu einem versöhnli¬ chen und sanftmüthigcn Menschen umzubilden. Die¬ se große Güte Gottes , sage ich , soll jeden Sünder bewegen , schleunige Buße zu thun, und den Weg der Tugend ungesäumt zu betretten, und auf dem¬ selben unermüdet von Vollkommenheit zur Voll¬ kommenheit fortzuschreiten, um dadurch sein ewiges Heil zu sicher», und Gott und seinen Nuserwahl- ten eine so erwünschte Freude zu verschaffen. : c Ach meine werthesten Christen, lasset doch diese zwo heutigen Parabeln die gehörige Wirkung bey euch haben, fasset besonders wohl zu Herzen jene Worte, Jestrs nimmt die Sünder an, er sucht sie auf, wie ein Weib ihren verlohrrien Groschen, und wie ein licbvoller Hirt sein verlohrnes Schäfchen aufsuchet. Lasset diese Worte ein heisses Verlangen nach seiner Gnade i» euch erwecken, lasset sie vermögend seyn, M 4 Seufzer L- ( i§4 ) — Seufzer der Buße aus euren Herzen zu erpressen, die ihr zu eurem liebenden Goll aufsteigen lasset, Jesus nimmt die Sünder an, er erfreuet sich über unsre Bekehrung, er gibt uns darüber sein und sti- ues himmlischen Vaters Wohlgefallen zu erkennen. Wie oft hat er uns nicht Buße predigen lassen, um uns von den Irrwegen der Sünde abzuziehen, wie oft verhängte er in diesem Leben gewisse Zufälle, als Krankheiten, Verfolgungen und dergleichen, um uns von den Wegen der Bosheit abzuziehen, und zu sich zu bringen, sollte eine so große, so unver¬ diente Liebe unser Herz nicht erweiche» können. * Ja, o göttlicher liebvoller Heyland, und theu- rer Erlöser unserer Seelen, sieh, wir eilen zu dir bußfertig , da du uns schon oft zu dir hast ziehen wollen. Ach , erhöre heute unfre Seufzer, wir sind irrgehende Schäflein, suche uns o Herr, wir sind verlohnte Söhne von dir, sieh, wir stehen heute auf, um zu dir unserm liebreichen Vater zurück zu kehren, liebvollster Hirt nuferer Seelen, der du gekommen bist, zu suchen und selig zu machen, was vcrlohren war, laß uns deine unermüdete Sorgfalt an unseren Seelen mit demüthigenHerzen verehren, und daraus erkennen, wie theuer unsere Seelen von dir geachtet sind, noch jetzo gehest du nach dem Ver¬ lohnten, und rufst den Sünder von den Wegeudes Verderbens ab. Noch jetzo freuen sich deine wahren Diener im Hitpmel über einen Sünder , der Buße thut, ach um dieser Liebe willen, um dieser Freu¬ de willen wollen wir umkehren, und deine Hirteu- lrrue an uns nicht verlohren stylt lassen. Amen. Auf ( rSL ) A ttfd e tt vierten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. V. r — n. ^s begab sich aber, daß das Volk zu ihm drang, daö Wort GorteS zu hören, und er stund am See Genezareth, und sahzwey Schiffs am See stehen, die Fischer aber waren ausgetretten, und wuschen ihre Neye. Er trat aber in eines von den Schiffen, welche-Simonis war, und bat ihn, ein wenig vom Lande zu fahren. Und er setzte sich, und lehrte daS Volk auS dem Schiffe. Als er aber zu reden aufgehoret hatte, sprach er zu Simon, fahr auf die Höhe und werfet eure Netze aus, daß ihr einen Zug thut. Und Simon antwortete, und sprach zu ihm, Meister, wir haben die ganze Necht gearbeitet, und nicht- ge? fangen, auf dein Wort aber will ich daö Ne- auswerfen. Und da fie das thaten, beschlossevsie eine grosse Menge Fische, und ihr Ney zerriß. Und sie winkten ihren Gesellen, die im andern Schiffe waren, daß sie kamen und ihnen hülfen ziehen. Und sie kamen, und fülleten bey'oe Schiffe also an, daß sie sänke«. Da Simon Petr us die¬ ses sah, fiel er Jesu z« Füßen, und sprach-Herr geh vo« mir hinweg, denn ich bin ein sündiger Mensch. Denn eS war ihm ein Schrecken ange¬ kommen, und alle die, welche mit ihm waren, nber diesen Fifchzug, den sie mit einander grthan M 5 hatten, l r86 ) Hatte», deßgleicheir auch den Jakob und Johan¬ nes, die Söhne de-Zebedäus, die Simonis Ge- fellenwaren. UndIesus sprachzu Simon: fürch¬ te dich nicht, von nun an wirst du Menschen fanqrn. Und fle führten die Schiffe ans Land , -erließen alles und folgten ihm nach. Auf drin Wort will ich das Netz auswerfm. Luk. 5- v- Ein gang. Ans andern Evangelisten bemerken wir, meine wer- thesten Christen, daß das verlesene Wunder gleich bey dem Anfänge des Lehramtes Jesu geschehen seh. Nachdem nämlich unser göttlicher Heyland stch in Galiläa bis in das dreyßigste Jahr seines Lebens aufgehaltcn, und im Schweift seines Angesichtes, uns zum Bepftnele, mit feinem Nährvater Joseph und Maria seiner lieben Mutter sein Brod gewonnen hatte, so gieng er hin an den Jordan zum Johan¬ nes, und ließ sich von ihm taufen. Er bereitete sich darauf vierzig Tage durch Fasten und Bethen zur gesegneten Führung seines göttlichen Predigtamtes, und nach überstandener dreyrnaligen Versuchung, trat er endlich als öffentlicher Lehrer im Judenland auf. Bald darauf kehrte er nach Galiläa zurücke, und wirkte in diesem Lande zg Kana auf einer Hoch¬ zeit sein erstes Wunderwerk, auf welches hernach mehrere folgten, unter denen das heutige auch eines von den ersteren war. Dieses machte aber im gan¬ zen Lande so viel Aufsehens, daß das Volk haufen¬ weise ( »s? ) weist Jesti zulief, so, daß er diescsmal wegen dem häufigen Andringen der Leute nuf dem Lande kei¬ nen Plah mehr hatte, sein göttliches Wort ungestört vorzutragen. Cr setzte sich deswegen auf ein Schiff, und lehrte aus demselben das am Ufer stehende Volk, Petrus that hernach auf seinen Befehl und mit sei¬ nem göttlichen Segen einen so reiche» Fischzug , daß er darüber ganz erstaunend, alles verließ, und Jesu nachfolgte. Dieß ist die Gelegenheit und kurze Geschichte des heutigen Wunders, meine werthesten Christen, las¬ set uns aber anjetzo dasselbe etwas umständlicher aus dem Evangelium betrachten, und zwar erstens, was vor und bey dem wunderbaren Fischzuge geschehen, und zweyrens, was unmittelbar darauf sich zugetra* gen, was dieser nämlich für einen Eindruck auf Si¬ mon Petrus und.seine Gesellen gemacht 'hat. Die Lehrbegierde des Volkes, das zu Christs hindrang, um seine Predigten zu hören, soll eins Ermunterung für euch sepn, und ein Beyspiel, das Wort Gottes aufmerksam, andächtig und stillschwei¬ gend anzuhören. Erster Theil. Au Galiläa, welches nebst Samaria und Judäa das gelobte Land diesseits des Jordans ausmachts, war ein grosser Landsee, der wegen seiner Grösse das galiläische Meer genannt wurde, und der wegen der starken Handelschaft, die darauf getrieben wurde, da der Jordan, der Hauptfluß des ganzen Landes, durch dessen Mitte sich ergoß, in den damaligen Zei¬ ten. — ( r88 ) — ten sehr berühmt war, welches deßwegen bemer- kenswürdig ist, weil unser göttlicher Erlöser nach dem Antritte seines öffentlichen Predigtamtcs sich meistens hier aufhielt, aus Ursache, weil er äusser den hohen Feste» zu Jerusalem , auf welche er sich auch begab, allhier die beßte Gelegenheit hatte, s' ne heilsamen Lehren am geschwiudesten im ganzen Lande zu verbreiten. Dieser See wurde auch zu den damaligen Zeiten, von der daranliegenden Stadt Tiberias, das Meer oder der See bey Tiberias, und im heutigen Evangelium , von der darangran- zendcn Gegend Gennezar, der See Genezareth ge¬ nannt. An diesem See geschahs nun, daß Jesus gleich beym Anfang seines Predigtamtes einstens predigte, und wie es ihm niemals an Zuhörern fehl¬ te, so hatte er auch hier au diesem Meere deren ge¬ nug. Der Zufluß vom Volk war zwar bey dieser Ge¬ legenheit so groß, daß ergänz ausserordentlich gc- dranget wurde, indem ein jeder der Nächste beyihm stehen wollte, um seine Worte desto besser verstehen zu können. Ersah sich daher gezwungen, das Land zu verlasse», und sich auf das Meer in ein Schiff zu begeben, deren er zwey am Ufer stehen sah, wovon das eine dem Simon Petrus und seinem Brnder An¬ dreas, das andere aber den Söhnen des Zebedaus, dem Jakob und Johannes zngehörte. Da diese Hr- fcherkahnc leer waren, denn die Fischer waren aus¬ getreten, wuschen ihre Netze, reinigten dieselben von dem Schlamme und Unrathe , indem sie die vorher¬ gehende Nacht hindurch gefischet hatten, so bestieg JesuS einen von denselben, und bathden Eigenthü- mer davon, dm Simon Petrus, denselben ein we¬ nig —— s rZa ) nig vom User zu entfernen , auf daß er von allen könne gesehen und gehöret werden. Aljfdiesem Schiffe fitzend lehrte er nun eine Zeitlang das Volk, und nachdem er aufgehöret zu reden, und seine Predigt beschlossen hatte, befahl er dem Simon, weiter in die See hinein zu fahren, wo das Wasser tiefer wä¬ re, um allda sein Netz auszuwerfen, und einen gu¬ ten Fischzug zu thun. Simon Petrus war zwar bereit, diesen Befehl Jesu zu vollziehen, aber, um das folgende Wun¬ der äusser allen Zweifel zu setzen, mußte er aus göttlicher Anordnung die Unmöglichkeit, jetzt einen guten Fischzug zu thun, vorstellen, weil er nämlich nicht einmal in der Nacht etwas-gefangen habe, wel¬ che doch eigentlich die bequemste Zeit, wo die Fische die Netze nicht so leicht gewahr werden, etwas zu fangen wäre. Es wäre also am Hellen Tage, wo die Fische das Netz ohnehin fliehen, eine solche Arbeit natürlicher Weise noch vergeblicher. — Meister, war seine Antwort, wir haben die ganze Nacht gearbei tet, und nichts gefangen, doch, auf-ein allgewal¬ tiges Wort, -essen wunderbare Wirkung ich schon so ost gesehen, will ich das Netz auswerfen. — Und da er dieses im Name» Jesu that, fieng er eine sol¬ che Menge Fische, daß sein Netz anfieng HU zerreissen, so, daß er mit denjenigen , die in seinem Schiffe waren, nicht im Stande war, das Netz zu ziehen, sondern seinen Gesellen- den Söhnen desZebedäus, die im andern Schiffe waren, winken mußte, daß sie kämen , und ihnen ziehen hülfen. Und da sie ka¬ men, fülleten sie beyde Schiffe so voll Fische, baß sie also beschwert fall zu Boden sanken. Wer Wer sieht hier nicht meine lieben Christen, wo- rinn die weisen Vorbereitungen zu dem wunderba¬ ren Fischzuge , und worinu das Wunder selbst besie¬ he. Petrus mußte zuvor aussagen, daß an diesem Tage keine Fische zu fangen waren, denn, wenndie Arbeit in der Nacht, als in der schicklichsten Zeit Fi¬ sche zu fangen, umsonst gewesen wäre, wie viel¬ mehr werde sie am Hellen Tage vergeblich sepir.Dem ungeachtet ließ der Herr am Tage, als zur Unzeit das Netz auswerfen. Es ist also klar, daß es auf ein Wunder angesehen war, welches er abermalzum Beweis seiner göttlichen Sendung aufstellen wollte. Anf seinen Namen wurde das Netz ausgeworfe», und man that einen solchen Fischzug, deßgleichen -noch nie geschehen war, und nie geschehen wird. Er der Herr der Natur geboth, und seine Geschöpfe ge¬ horchten augenblicklich. Ganze Schaaren von Fischen sirömeten in dem Augenblicke herbey, und liessen sich in dem Netz beschliessen. Und dieses geschah im An¬ gesichte vieler Menschen, um dieses Wunder mit mehreren Zeugen zu bestattigen. Die Absicht aber, die Zesns bey diesem Wunder hatie, war ohne Zweifel diese, um die Menschen von seiner göttlichen Sendung zu überführen, und um Prediger seiner Religion, Apostel oder Welkbo- thcn zu bestellen , welche seine, Gott höchst anstän¬ dige, und den Menschen unaussprechlich heilsame Re¬ ligion verkünden sollten, welchen letzten Zweck er da- bcy besonders erreichte, wie wir hernach im zweyten Theile hören werden. Auch mag er die Absicht gehabt haben, die ganze Nachwelt zu lehren , baß an sei¬ nem Segen alles gelegen sey, daß sein Segen reich mache. ----» s mache, auch ohne sonderbare Mühe, wie Salomo in seinen SprüchwörkcrN r c>. Kap. sagt, oder wie der gekrönte Prophet singt: daß es umsonst sey , ohne Segen. Gottes früh aufzustehen, daß man den¬ noch sein Brod in Kümmerniß essen werde, da im Ge- gentheile diejenigen, die von Gott gesegnet sind, ihr Brod so zu sagen schlafend, das ist, ohne ängst¬ liche Arbeit gewinnen werden. Petrus hatte die gan¬ ze Nacht mit seinen Gesellen auf der See herumge¬ fahren, er hatte viel gearbeitet, er hatte sein Netz öfters auSgeworfen, und dieses war alles umsonst. Sobald ihm aber Christus seinen Segen errheilte. And zu ihm sprach: "Fahret in die Hohe des Mee¬ res, und werfet euer Netz aus, „da beschloß er er-- cke große Menge Fische. Lsutzan wend Ung. Die Absicht Jesu bey dieser wunderthatigenHand¬ lung in Rücksicht auf uns, ist also klar, meine lie¬ ben Christen, da er dem Simon Petrus seinen beson¬ deren Segen angedeyhen ließ, wollte er uns zugleich dabey lehren, daß wir über unfern Fleiß Md Arbeit seinen göttlichen Segen erwarten sollen, daß wir uns niemals allein auf unsere Arbeit und Geschick¬ lichkeit verlassen, sondern den Segen, das Gedenken, und den glücklichen Ausgang derselben vom Himmel erbitten sollen. Damit die Fischer auf seinen Segen merken möchten, ließ er ihnen einen außerordentlich reichen Fifchzug thun. — Und wer wird von uns daran zweifeln könnucn, daß der glückliche Ausgang unserer Geschäfte und Handlungen lediglich rvn Eot- s IA2 ) — Gottes Segen abhange'? Indem wir nicht allein wis¬ sen, daß Gott allein die Kräften und Gelegenheit zum Arbeiten und zu unfern Handthierungcn geben kann, sondern auch ganz deutlich sehen, daß er den Fortgang und Ausgang all unserer Arbeiten ganz besonders regiere. Denn wer anders, als er, gibt uns die nöthigcn Kräften zu unfern Stands - nnd Berufsgeschästen? Wer anders, als er, gibt uns den Gebrauch unserer gesunden Glieder? Wer an¬ ders , als er, gibt und erhält uns unsere gesunden Augen, Ohren, Hände, Füsse, unsere Vernunft, unsere thätige Munterkeit, uad die mannichfaltigen Kräfte unsers Leibes und unserer Seele, wodurch wir in Stand gesetzet werde», alle unsere Arbeiten zu verrichten? Könnte wohl der Ackersmann feine Feldarbeiten verrichten? Könnte wohl die Hausfrau ihrer Haushaltung vorstehen? Könnte wvhlder Hand- werksmann durch seine Handarbeit sich sein Brod verdienen, wenn ihnen nicht Gott ihre gesunden Glieder gegeben hätte, und dieselben in Gnade» bewahrte? Könnten sie ihre Berufsgeschäfte verrich¬ ten, wenn ein Zufall ihre Augen blind gemacht, oder ein Schlagsiuß ihre Hände und Füsse gelähmer hätte. — Und nebst dem, daß uns Gott die Kräf¬ ten geben muß zu unfern Arbeiten, so muß er uns auch die Gelegenheit geben, diese wundervollen Kräf¬ ten auzuwenden. Denn was wüHcn uns diese hel¬ fen, wenn wir nicht Gelegenheit zu Geschäften fän¬ den? Wenn uns Gott keine Güter, keine Haushal¬ tung und kein Vieh bescheret«? Oder wenn er sonst den Fortgang «nd Ausgang unserer Geschäfte nicht segnete. Denn woher kömmt es, daß gewissen Leu¬ ten ( i 9Z ) — te» ihre Geschäfte und Arbeiten überaus glücklich anS-, schlagen, da hingegen anderen, die eben so geschäf¬ tig, ja vielleicht noch klüger, fürstchtiger und ge¬ schickter sind, fast alles verunglücket? Woher komme es, daß dieser mit einem einzigen Handel sich grosse Reichthümer erwirbt, jener aber, der eben so ge¬ schickt und erfahren ist, sich nichts erwirbt? Sind dieses nicht sichtbare Beweise, daß all der glückliche Ausgang und Erfolg unserer Geschäfte und Bemü¬ hungen lediglich von Gottes Segen abhange? — Sollten wir aber bey Verrichtung unserer Stands » und Berufsgeschaste nicht öfters an diese Wahrheit gedenken? Sollte es nicht Pflicht für uns seyn, die-, se von Golt uns verliehenen Kräfte lediglich' zu sei¬ ner Ehre zu verwenden? Sollten wir nicht öfters diese unsere gesunden Augen, diese unsere geschäfti¬ gen Hände, dicß rege Herz, diesen denkenden Ver¬ stand und Geist gegen Himmel erheben, und den gutthätigen Gott demüthigst und dankvoll dafür prei¬ sen, und ihn um seinen Segen aller unserer Arbei¬ ten und um glückliche Anwendungen dieser von ihm uns verliehenen Kräfte bitten. Was ist aber dieser göttliche Segen, könnte ich euch hier fragen, meine lieben Christen? Versteht ihr wohl allzeit recht, wenn ihr saget, das ist der Segen des Herrn, dieß ist ein gesegneter Mensch , Gott hat mich gesegnet, u.dgl. Ist das recht, wenn ihr bloß darunter die Glücksgüter, die Reichthümer verstehet, und jene nur für gesegnete Leute haftet, welche viele derselben besitzen? Solltet ihr nicht be¬ denken, daß der Segen Gottes nicht allein in Ge¬ sundheit und Zuwachs von leiblichen Gütern, son» EeNiwEm-my.N.Th. N dern ---» s ry4 ) — Lern hauptsächlich in geistlichen Gütern der Seele, in dem inner» Frieden des Gewissens, in der Recht¬ fertigung von Sünden, in der Gnade Gottes, im Wachsthum in der Tugend, in der Kindschaft Got¬ tes, und seligen Hoffnung ewiger Güter bestehe, daß dieses der eigentliche Segen Gottes sey, den uns Christus so theuer erworben, daß jene also noch keine wahrhaft von Gott gesegnete Leute seyn, die zwar in guten äußerlichen Umstanden stehen, aber an geistlichen Güter» Mangel leiden. Und wem ertheilt Gott diesen doppelten Segen, könnte die andere Frage seyn, die ich an euch stelle? Worauf ich antworte, nur die frommen Diener Got¬ tes sind seines doppelten Segens fähig. Die Gott¬ lose» nehmen zwar auch zu Zeiten au dem leiblichen Segen Antheil, allein, dieses haben sie lediglich Gottes schonenden und zur Bnße einladenden Lang- muth, und dem Gebethe der Frommen zu verdan¬ ken. Gott hat nämlich noch Gedu d mir ihnen, da¬ her geniessen sie noch mit den Frommen gemeinfchäst- lich seine Fürsorge und Erhaltung. Er erzeigt ihnen noch Gutes, aber in der Absicht, daß sie sich zu ihm wenden, und zur Buße leiten lassen; erwachtes wie ein Vater, der allen seinen Kindern, den guten und bösen, Brod gibt, so lange sich aber die Bö¬ sen dadurch nicht bekehren lassen, geniessen sie seine Güter unwürdig, und leben vom Raube, da im Gcgentheile die Frommen des Guten, als eines gött« lichen Segens, rechtmäßiger Weise genießen. Ein anderes Lehrstück, das wir aus dem ersten Theil des heutigen Evangeliums ziehen können, mei¬ ne werthesten Christen, gibt uns das Volk. Wir be- wun- — L *95 ) — wundern nämlich -en grossen Eifer dieses Volkes, welches von allen Seiten herbepdrang, um das Wort deS Lebens, welches aus dem Munde Jesu kam, anzuhören. Sollte dieses Beyfpicl nicht den Kaltsinn und die Lauigkeit im Dienste Gottes von so manchen Christen verdammen, und ihre Trägheit, Jesum in seinen Tempeln zu besuchen, ihren schlechten Eifer zur Anhörung der Wahrheiten. welche er ihnen all¬ da durch seine Diener verkünden lasset, beschämen?-— Kann man sich wohl des Seufzens enthalten, wenn man das Betragen so mancher Menschen ansieht, die, wenn sie die Welt zu verabredeten Lustbarkei¬ ten ruft, so geschwind laufen , ja gleichsam zu den¬ selben mit größter Begierde hinfiiegen, ganze Nächte dabep zubringen, und öfters wünsche», ewig dabey verbleiben zu können? Sollen sie aber einige Augenblicke des Tages anwenden, ihren Schö¬ pfer den schuldigen Dienst abzustatten, sollen sie eine halbe Stunde ihre Aufmerksamkeit darleyhen, um in ihren Schuldigkeiten und in den Geheimnissen der Re¬ ligion unterrichtet zu werden, o so verdrießt sie al¬ les, alles fällt ihnen äusserst schwer, die Augen¬ blicke scheine» ihnen ganze Jahre zu sepn, sie seuf¬ zen nach nichts, als nach jenem Zeitpunkte, der sie von einem Joche befreyet, daö ihnen unerträglich vorkömmt. Grosser Gott! Welch außerordentlich verkehrtes Verhalten! Ist es möglich, daß Schüler Jesu dieses thun können? Beschämet solche Christen nicht das heutige Judenvolk, das sich so eifrig zu Je¬ su hinorang, um sein heiliges Wort anzuhöreu. Ach! Ich muß hiervon abbrechen, meine lieben Christen, worüber ich gerne noch mehr sagen möch- N n le. — - s >y<> ) — um zu dem andern Theile nnsers Evaugelnttns zu kommen, und euch noch zu zeigen, was für ei¬ nen Eindruck das grosse Wunder des reichen Fisch- znges auf Petrus und seine Gesellen gemacht hat, Zweyter Th eil. Uls Petrus dieses große Wunder sah, daß sein Netz ganz voll Fische aus dem Wasser gezogen wur¬ de, und dieses beym hellenlichken Tage, da er doch die ganze Nacht hindurch, als der beßten Zeit zu fischen, in sein Netz nichts beschließen konnte, so er¬ kannte er alsbald , daß hier die Wunderhand Jesu mitgewirket habe. Es überfiel ihn deßwegen eine hei¬ lige und schaudervslle Ehrfurcht und Freude, daß et fast nicht mußte, was er sagen, oder wie er sich de- müthig genug gegen Jesum beweisen sollte, da er so augenscheinlich sah , daß dieses nicht natürlich zerge¬ hen konnte, einen solchen Fischzng zu thnn, derglei¬ chen er in seinem Leben nicht gethan hatte. Auch die andern Fischer, die Söhne.des Zebe- -äus, Jakobus und Johannes, die Simons Ge¬ sellen waren, die einander bcystunden, und hülfrei- che Hand in der Fischerey leisteten, und die mit Pe¬ trus Augenzeugen dieses Wunders waren, überfiek ei» grosser Schrecken, weil sie aus diesem Wunder deutlich erkannten, daß Christus nicht ein bloßer Mensch, sondern daß er ein großer Wunderthätcr sey, und göttliche Kraft in sich haben müsse. Sie achteten sich daher für unwürdig, daß Jesus länger bey ihnen im Schiffe bleiben sollte. Simon fiel vor ihm auf seine Kniee nieder, und sprach : "Herr, gehe s gehe von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch.,, Wodurch er sagen wollte, er habe es nicht verdienet, daß ein so grosser Wundermann in sein schlechtes Fischerboot gekommen, und er verdiene diese große Gnade nicht, daß er langer bey ihm blei- be. er wäre dieser grossen Gnade, die er ihm hier bewiesen, völlig unwürdig, weil er ein sündiger Mensch se,y. Jesus aber antwortete dem Simon ganz tröstlich: "Er sMe sich nicht fürchten, denn von nun alles verließen, und ihm uachfolgten, welches man nicht für eine so geringe Sache ansehen muß," denn, obschon sic keine ansehnliche Güter und Reichthmner besaßen, und nur ein mittelmäßiges Vermögen Je¬ su zu Liebe verließen, so gehörte doch eine große Ue- bcrwindung und Selbstverläugnung dazu, daß sic shrc ordentliche und gewöhnliche Nahrung aufgebcn, R Z »m — ( 198 ) — UM Jesu beständig nachzufolgen. Petrus bildete sich deswegen auch etwas darauf ein, da er sich einstens rühmte, Christo seine Liebe dadurch bezeigt zu ha¬ ben , wie wir in einer andern Stelle des Evange¬ liums lesen können, wo Christus ihn liebreich zu rechte wies, und ihn tröstete, er solle wegen dieser löblichen Lhat reichlich belohnet werden. Nutzanwendung Petrus wurde durch diesen ausserordentlichen Fifchzug in Verwunderung und Erstaunen geseHet, meine lieben Christen, so erstaunen wir Menschen noch, wenn wir was Ausserordentliches, was Wun¬ derbares sehen, während dem wir die Allmacht Got¬ tes vergessen, die sich eben so herrlich in den täglichen Wundern, welche stets um uns herum geschehen, sehen läßt. Da doch die ausserordentlichen Wunder, wenn wir die Sache genau betrachte» wollen , Gott nicht so sehr verherrlichen, als der gewöhnliche Lauf der Dinge in seiner Schöpfung, indem die ausseror¬ dentlichen Begebenheiten in der Natur meistens nur ein Beweis seiner Allmacht sind, die ordentlichen Naturbegebenheiten aber zugleich ein Beweis seiner Güte und Weisheit. So ist gewiß z. B. die Erhal¬ tung so vieler Fische in den Flüsse» und im Meere nicht weniger wunderbar, als der reiche Fischzug deS Petrus. So beweiset gewiß Gott nicht minder seine Allmacht, da er in so viele Pflanzen eine Heilkraft legte, die so vielen Kranken täglich sowohl zu stat¬ ten kömmt, als da er durch einen einzigen Macht- sprnch einen Kranke» gesund machte. So ist das tägliche — < *99 > — tägliche Anf-und Untergehe» der Sonne kein gerin¬ gerer Beweis seiner unendlichen Macht, als das un¬ erwartete Stillstehen derselben, denn es ist gewiß nicht leichter, diese ungeheuren Körper, die Erde und Himmelskuqeln, in regelmäsigen Laufbahnen zu erhalten , als sie in ihrem Laufe zu hemmen. So zeiget auch gewiß das jährliche Wachsthum des Ge- traides, und die Hervorbringung der Nahrung für so viele Millionen Geschöpfe, eben so sehr vonGot- ' tes Allmacht, als wenn er uns unser Brod, sowie erS den Israeliten in-er Wüsten thak, vom Him¬ mel regnen ließ. Wir sollten dcßwcgen meine rverthesten Christen, über die täglichen Wunder Gottes nicht minder er¬ staunen. Wir sollten seine Allmacht in denselben er¬ kennen, und unser Gemüth bey Betrachtung dersel¬ ben zu ihm erheben. Diese täglichen wunderbaren Wohlthaten Gottes sollten für uns eine kräftige Er¬ munterung seyn, an unfern Schöpfer öfters zu deu- ken, und sie sollten uns zur Gelegenheit dienen, unsere Richtigkeit einzusehen, und seinen Segen in Dcmuth zu erkennen. Denn dieses that Petrus, so bald er -en reichen Segen Gottes bey seinem Fisch- zuge sah, da fiel er Jesu zu Füssen, und sprach, Herr geh von mir hinaus, denn ich bin ein sündiger Mensch. So sollten auch wir bey Erblickung der wunderbaren Gutthatcn Gottes uns jederzeit vor Gott demüthigen, und uns ganz und gar seiner Gna¬ den unwürdig halten. Besonders wenn wir eine sei¬ ner größten Gutthaten geniessen, nämlich wenn wir das heilige Sakrament des Altars empfangen, wen» wir -a die Macht, -ie Heiligkcitdeßjenigen betrach- N 4 reu, — ( 2k>0 ) — len, der in demselben sich «ufhalt, vor welchem selbst die Engel nicht rein sind , und vor welchem sie Von Furcht und Ehrerbiethung eingenommen werden, so sollten wir alsdann das Bekenntniß unserer Um Würdigkeit ablegcu, und mit diesem Apostel sprechen: Herr geh von mir hinaus, denn ich bin ein sün¬ diger Mensch. Auch bey anderen leiblichen Wohlta¬ ten, mit welchen uns der liebe Gott überhäufet, sollte dieß unser erste Gedanke seyn. daß wir Got¬ tes Allmacht und unsre Niedrigkeit erkennen. Wenn «ns der Allerhöchste segnet, und bey der Gelegen¬ heit, wo wir auf den Feldern durch seinen Segen wandeln, wo wir die reichen Saaten mit dickem Ge- traide aufwallen sehen, wo wir die blumigten Tha¬ ler und grasigten Hügel erblicken, die für unser Vieh eine vergnügende Weide geben, wenn die Bäume und der Weinstock die süssesten Früchte für unsere La¬ bung darbiethen, wenn wir eine gesunde, von Blu- rnengcrüchen ganz durchgewürzte Luft einathmen, und beym Gefühle eines gesunden Körpers und leich¬ ten Umlaufe des Geblütes fröhlich unsre Berufsar¬ beit verrichten, o da sollten wir an die Macht und Güte des Schöpfers denken, meine lieben Christen, und unfre Niedrigkeit und Schwachheit in Demuth einsehen, daß wir nämlich nicht einmal im Stande find, ein Gräschen, welches die Weide unsers Vie¬ hes ist, und welches wir mit Füssen treten, hervor¬ zubringen. Ferner, da Petrus dieses grosse Wunder sah, wurde er dergestalt dadurch gerührt, daß er und sei¬ ne Gesellen alles verließen, und Jesu nachfolgten. So müssen auch wir, wenns vonnöthen wäre, und der - ( LSI ) — der göttliche Beruf es forderte, Jesu zu Liebe alles verlassen, um seinen himmlischen Vorschriften nach- zufolgen. So müssen auch wir lieber Vater und Mut¬ ter, Weib und Kinder, Geschwistrige und Blutsfrenn- de, und- all unsere zeitlichen Güler verachten, uns und unfern eigenen Willen verläugnen, als Lftvas wider uusre Christenpflichten begehen. So müssen auch wir dem Willen Gottes alle auch noch so schätz¬ bare Güter der Erde willig und froh aufopfern. Da¬ durch erzeigen wir Gott unsre feyerlich sie Huldigung, wenn wir so in der That bekennen, daß er den grö߬ ten Verlust zum reichesten Gewinn machen könne. Ei» solches Vertrauen wurde schon der/, bruham zum grossenBerdienste angerechnet, und drm Petrus wur¬ de deswegen der herrlichste Lohn versprochen. Dieses ist nun die-Sittenlehre, meine werthr- sten Christen, die wir aus dem zweyten Theile des heutigen Evangeliums für uns ziehen können. Wenn wir auf diese Art die evangelischen Wundergcschich- tcn, welche das Jahr hindurch vorgelcsen werden, für uns zu benutzen suchen, so werden sie keine blo¬ ße Geschichten bleiben, die nur zum Anstaunen ge¬ höret werden, sondern sie werden auch einen gros¬ sen Einfluß in unsre Sitten bekommen, sie, werden nicht nur für unfern Glauben, sondern auch lehr¬ reich für unsre Sitten und anwendbar für unfern Wandel sehn. Da aber die Hauptsittenlehrc, die wir ans der heutigen Wundcrgcschichte ziehen, diese ist, daß an dem Segen Gottes bep unseren Arbeiten und Be¬ rufsgeschäften alles gelegen ftp, so ist mir noch ü- drig, dass ich euch bepm Beschlüsse dieser Erklärung N Z noch - ( 20S ) - «och aus dem Verhalten des h. Petrus zeige, auf was Weise ihr diesen himmlischen Segen erhalten könnet. Erstens zwar müsset ihr vor allem euer eige¬ nes Unvermögen bcy euren Standsgeschaften erken¬ nen , und euer ganzes Vertrauen allein auf Gottes Allmacht, Güte und Weisheit richten, der euch an Leib und Seele segnen will. Petrus erkannte sein Unvermögen beym Tage auf dem Meere etwas zu fangen, er richtete aber sein Vertrauen auf Jesum, auf dein Wort sprach er zu seinem göttlichen Meister, will ich mein Netzanswerfcn. Dieses müsset ihr dem h. Petrus nachsprechen, mit dem Vertrauen dieses Jüngers müsset ihr eure Arbeiten und Geschäfte an¬ greifen, so wird Gott dieselben auch segnen. Und mit dem Segen Gottes werdet ihr in einer Stunde Mehrgewinnen, als andere, die sich vom Schlaft abbrechen, sich müde und matt arbeiten, und im¬ mer iu Aengsten sind, ob ihnen die Arbeit wohkge- lingcn möge, die nur auf ihren Fleiß, und nicht auf Gottes Segen ihr Vertrauen setzen. — Um die¬ ses Vertrauen aber in euch zu erwecken, so bedenket nur die grosse Macht, die Gott über alle seine Ge¬ schöpfe hat, bedenket feine Weisheit, nach welcher er alles ausrichten kann, und seine Liebe, nach wel¬ cher er geneigt ist , uns jederzeit Gutes zu thuu. Zweytcns, um den Segen Gottes zu erhalten, müsset ihr alle eure Arbeiten im Namen Jesu anfan- gcn, dieselben in diesem heiligsten Namenfortsetzen und vollenden. Petrus sprach, Herrin deinem Na¬ men will ich das Netz auswerfen. Bittet Gott öf¬ ters im Namen Jesu, daß er euch segnen wolle, daß er euch Verstand , Lust, Kraft und Starke verleihe, eure - ( 20Z ) — eure Standsarbeiten mit Segen zu verrichten, und dieselben redlich und unverdrossen auszuführen. Pe¬ trus, der die ganze Nacht umsonst arbeitete, hatte grossen Segen, da er sein Netz im Namen Jesu aus¬ warf. Gewöhnet euch öfters unter der Arbeit an Gott zu gedenken, und zu ihm zu seufzen , euch und eure Arbeit ihm anzubefehlen, und denket öfters, daß aller wahre Segen nicht von eurer Arbeit, nicht von eurer Weisheit und Geschicklichkeit, sondern allein von Gott herkomme. Drittens thut eurer Seits da- Eurige, was ihr zu thun schuldig seyd, verrichtet eure Geschäfte ge« duldig, fleissig und unverdrossen, verbindet einen emssgen, klugen, gewissenhaften Fleiß mit einem demüthiaen Vertrauen und Gebethe, so wird Golk auch das Seinige thun, und euch segnen. Ohne Arbeit will uns Gott nicht segnen, der Heyland be¬ fahl zuerst dem Simon Petrus, in die Höhe des Meeres zu fahren, und das Netz auszuwerfen, ehe er ihm feinen Segen ertheilte. hätte befehlen kön¬ nen, daß die Fische ohne alle Arbeit in das Netz Pe¬ tri, ja in sein Schiff gekommen waren, allein der Herr wollte solches nicht, sondern befahl dem Pe¬ trus zu arbeiten, und das Fischen ordentlich vorzu- nehme». Ihr müsset also auch eurer Seits eure Ge¬ schäfte mit klugem Fleipe verrichten, und die von Gott angcordneten Mittel anwenden, wenn ihr sei¬ nen Segen erwarten wollet. Viertens aber, müsset ihr eure Arbeiten gedul¬ dig verrichten, wenn sie euch auch hart und sauer vorkommen sollten. Petrus , obschon ihm seine Ar¬ beit nicht gut von statten gieng, da er die ganze Nacht 'umsonst —- ( 204 ) - umsonst gearbeitet, murrete doch nicht, er ward nicht -ungeduldig, noch weniger brach er in Fluchen oder Bildliche Reden aus, sondern da ihm der Herr aufs neue zu fischen befahl, that er solches willig. Fünftens endlich, verrichtet all eure Arbeiten .als einen Dienst und Befehl Gottes. Petrus warf sein Ney auf Befehl Jesu aus. Verrichtet eure 'Ge¬ schäfte mit einem Herzen, das soll Liebe zu Gott und zu eurem Nebenmenschen ist, heiliget dieselben mit einer guten Meynung. An jedem Morgen opfert ihm die Geschäfte des Tages, und bepm Anfang ei¬ ner jeden Arbeit schenket ihm eure Mühe, und flehet ihn um. seinen Segen an, so wird.er auch seinen Segen euch gewiß ertheilen. Vor allem aber befleis¬ set euch eines reinen Gewissens, denn Leute, die in schweren Sünden dahin leben, oder bey harter Ar¬ beit keine gute Meynung machen, gewinnen mit all ihrem mühseligen Leben nichts dabey, da sie doch durch eine aufrichtige Meynung, Gott zu gefallen, gleich manchen Märtyrern einstens im Himmel gekrö- net werden könnten. Weil sie aber gezwungener Wei¬ fe, mit Unwillen , und nicht aus Gehorsam zu Gott arbeiten oder leiden, so werden sie beym Beschlüsse ihres mühseligen Lebens einstens seufzen , und zu ih¬ rem innigsten Schmerzen bekennen, was Petrus im Evangelium heute bekennet hat, wir haben die gan¬ ze Nacht unsers Lebens gearbeitet, und nichts ge¬ fangen. Meine werkhesten Christen, gewöhnet euch da¬ her an, alle eure Geschäfte nach dieser Vorschrift zu verrichten. Besonders befleißet euch allzeit eines rxnren, sünden^reyeu Gewissens, und machet alle frühe frühe Morgens eine gute Meynung, opfert alles / was ihr den Tag über leiden oder thmr werdet, Gott zu Ehren auf, und wiederholet etlichemal im Tage diese gute Meynung, so werdet ihr euch auch durch die allergeringsten Werke einen ewigen LohnimHim- mel erwerben, da euch ohne die heiligmachende Gna¬ de und gute Meynung auch die beschwerlichsten Wer¬ ke nichts vor Gott gelten. Gedenket öfters daran, daß euch all eure Mühe und Arbeit ohne Segen Got¬ tes nichts fruchte, befleißet euch daher durch ein tu¬ gendhaftes Leben euch desselben würdig zu machen , suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtig¬ keit, und alles Uebrige, aller zeitliche Segen wird euch zugegeben werden. Flehet den Allerhöchsten öf¬ ters um seinen mächtigen Beystand an, wartet mit Geduld und Sanftmuth auf ihn, was er euch zu¬ wenden werde, setzet all euer Vertrauen mit einem heil. Petrus auf ihn, so wird er, der reich an Er¬ wärmungen ist, euch seine Kinder an Leib und Seele stets segnen, er wird seinen Segen über euch, und -über sein ganzes Volk ausgießen, hier in der Zett , tzrnd dort in der Ewigkeit. Amen. Wf ( L»6 ) Auf das Fest Les heiligen Johannis des Täufers. Loangelium Luk. I. §7 — 69- Elisabeth kam die Zeit, -aß sie gebühre» sollte, und sie gebahr einen Sohn. Und ihre Nachbarn und Vefreundte horsten, daß der Herr grosse Barmherzigkeit an ihr gethan habe, und sie er- freueten sich mit ihr. Am achten Tage kamen sie, das Kind zu beschneiden, und hießen es nach sei¬ nes Vaters Namen Zacharias. Seine Mutter aber antwortete und sprach: nicht also, sonder« er soll Johannes heißen. Und sie sprachen zu ihr: es ist -och Niemand in deiner Freundschaft, der also Heidt. Und sie gaben semem Vater durch Zeichen zu verstehe», wie er ihn wollte heißen lassen. Er aber forderte ein Schreibtäfchen, und schrieb diese Worte: Johannes ist sein Name. Und sie verwunderten sich alle. Und alsbald wurde sein Mund und Zunge aufgethan, und er redete, und lobere Gott. Und es kam eine Furcht über alle Nachbarn. Und alle diese Begebenheiten wurden auf dem ganzen jüdischen Gebirge ruchbar. Alle aber, die es höreten, nahmen eS zu Herzen und sprachen, was wird wohl aus diesem Kinde wer¬ den , denn die Hand des Herrn war mit ihm. Za- — s s«/ ) —. Zacharias aber sein Vater ward mit dem heili¬ ge» Geiste erfüllet, und weissagete und sprach : geprresen sey Gott der Here Israels, denn er hat heimgesucht und erlöset sein Volk. Wo« wird wohl aus diesem Kinde werde», den» die Hand des Herrn war mit ihm. Luk- i. V. 66. Eingang. Nlfo fragte einer den andern von de» Befrenndten ernd Nachbarn der Elisabeth, die bey dem Geburts¬ feste Johannis zugegen waren, oder zu deren Ohren das Gerüchte dieser wundervollen Geburt gebracht wurde. Was wird wohl ans diesem Kinde werden, wenn Gott seine Geburt und seine Kindheit schon mit so grossen Wunderwerken verherrlichte? Voll Verwunderung und mit einer heiligen Furcht befallen riefen sie aus, als sie das sahen oder Hörelen, waS vor, bey und nach der Geburt dieses Borlliufers Christi sich zutrug.Meine lieben Christen! Wenn wir ans dem heutigen Evangelio diese herrlichen Wunder hören werden, so werden wir finden, daß sie Ursache über Ursache hatten, also auszurufen. - Der heil. Evangelist Lukas , der den heutigen evan¬ gelischen Text geschrieben hat, erzählt gleich im An¬ fänge seiner heiligen Geschichte diese merkwürdige Geburt Johannis ganz umständlich. Da er eine ganze Lebensbeschreibung Jesu unftrs Erlösers liefern woll¬ te. E 2c>« ) — te, so dachte er, es schicke sich kein besserer Eingang für dieselbe, als wenn er sie mit der Geburt seines Vorläufers anfienge. Bevor cr aber die wirkliche Geburt dieses Vorläufers zu erzählen begann, be¬ schrieb er erst seine wunderbare Empfangniß, welche ich euch auch, noch ehe ich das heutige Evangelium zu erklären unternehme, nothwendiger Weise erzäh¬ le» muß, well jene Erzählung mit diesem ein » ge¬ wißen Zusammenhang hat. "Zur Zeit des Königs Herodes, sagt der heil. Geschichtschreiber, war ein Priester mit Name» Za¬ charias , einer von jenen Israeliten, die sich bey dem allgemeinen Verfalle der Religion und Sitten eines unsträflichen Wandels beflissen. Elisabeth war seine Ehegattin , die auch in gerader Linie von Aaron ab- stammte. Beyde waren gerecht vor Gott, und wan¬ delten in allen Gcbothen und Satzungen des Herrn unsträflich. Wie sehnlich sie bey ihrer Frömmigkeit nach der Ankunft des Meßias werden geseufzet ha¬ ben, laßt sich leicht einbildcn. — Sie lebten lange Zeit ohne Erben in der Ehe, und die Unfruchtbar¬ keit der Elisabeth hatte ihnen längst die Hoffnung ei¬ ner Nachkommenschaft benommen.,, Bey einer Na¬ tion, wo mqn fruchtbare Ehen so vorzüglich fürden Se¬ gen des Himmels hielt, und wo jeder an der Ge¬ burt des Meßias Antheil zu haben hoffte, mußte ih¬ nen dieses sehr empfindlich fallen; lange war daher dieß des Priesters und der Priesterinn sehnlichstes Verlangen gewesen, einen Erben zu haben.— Es flel ihnen besonders schmerzlich , daß dieses priester¬ liche Haus mit ihnen ausgehen sollte.— Aber mit anrückendem hohem Alker war die Hoffnung einer Nach- «»»E ( 2 OP ) — Nachkommenschaft völlig gar verschwunden, siefchke- nen nichteinmal mehr bestimmt zuseyn, die Tage des Meßias zu erleben, geschweige, die Eltern seines Vorgängers zu werden. Allein, so wie Isaak, Samuel und Simson i» solchen Umstanden zur Welt gebohren wurden, welche augenscheinlich zeigten, daß bep ihrem Werden eine besondere Fürsehung Gottes gewaltet hatte, so mußten auch Zacharias und Elisabeth in ihrem hohen Alter noch einen Sohn bekommen. Und dieses wurde den^ Vater gerade da¬ mals , als er in dem Tempel sein Gebeth für die Nation gen Himmel schickte, angeknndet. "Denn es begab sich, fahrt der Evangelist fort, da Zacharias zur Zeit seiner Ordnung bas priester¬ liche Amt vor Gott verrichtete.,, Er war nämlich aus der Pricsterklaffe Abia, welche die achte von jenen vier und zwanzig Ordnungen der Priester war, in welche sie David eingetheilet hatte. Weil jede dieser Klaffen eine Woche den Dienst des Herrn im Tem¬ pel versehen mußte, und alle sieben Tage eine neue abwechselte, so mußte jeder Priester das Jahr we¬ nigstens zweymal nach Jerusalem sich begeben. Die Reihe hatte so eben wiederum die Klaffe Abia getrof¬ fen. Zacharias hatte sich wiederum nach Jerusalem begeben, um seine Priestcrdienste allda zu ver¬ sehe». — Da die Priester an jedem Tage verschiede¬ ne Verrichtungen hatten, die sie durch das Loosaus- theilten, so traf ihn nun nach Gewohnheit des Prie- sierthums daS Loos, daß er räuchern sollte, und er gieng in den Tempel des Herrn, das Rauchwerk aufbem Altäre des großen Gortes anzuzünden. Wäh- Erklär, d. Evang. H. Tl,>l. D kend .— ( SIV ) — rmd dem eine grosse Menge des Volkes draussen, ausserhalb des Vorhofes der Priester in dem Vor¬ hofe der Israeliten,, unter der Zeit, da geräuchert wurde, ihr Gcbeth verrichtete.— Aber sehet Wun¬ der ! " Da er räucherte, erschien ihm der Erzengel Gabriel, und versicherte ihn, daß Gott sein Ge- beth erhöret habe, daß seine unfruchtbare Gaktinn ohne Rücksicht ihres hohen Alters ihm noch einen Sohn, dessen Namen er Johannes heissen soll, ge« bahren würde, dieser werde ihm und vielen andern grosse Freude bringen, denn er werde groß vor dem Herrn seyn, er werde keinen Wein, noch ein an¬ deres berauschendes Getränk trinken, und werde vollkommen als ein Nasiräer leben., er werde noch im Mutterleibe mit dem heiligen Geiste erfüllet wer¬ den, er werde im Geiste und Mukhe des Elias vor dem MeßiaS hergehen, und ihm ein vollkommenes Volk znbereiten.,,— Weil aber Zacharias diesen Worten -es Engels nicht glauben wollte, so wurde er theils zum Zeichen, daß alles gewiß eintrcffen werde, was ihm der hmmlische Both vorsagte, theils zur Strafe seines Mißtrauens, so lange seiner Sprache beraubt, bis dieses angekündigic Kind ge- bohren wurde. — Und weil er wegen dieser Erschei¬ nung etwas zu lange in dem Heiligen des Tempels verweilte, so wurde dadurch die Aufmerksamkeit des draussen versammelten Volkes außerordentlich ge- spannet. Ja, alle Anwesende geriethen ganz in Er¬ staunen, als er herauskam, und den priesterlichen Segen, weil er erstnmmct war, nach der Gewohn¬ heit nicht sprechen konnte. Jedermann erkannte nun, daß — < sit ) — daß was Ausserordentliches mit ihm in dem Tem¬ pel müsse vvrgefallen sepn, und daß er eine Erschei¬ nung des Herrn müsse gehabt haben. Nachdem nun Lukas die Ankündigung der Ge¬ burt Johannis auf diese Weise erzählet Hot, so be¬ schreibt er durauf die wunderbare Empfangniß Jesu Christi selbst, wie auch die Reise Mariä nach Hebron zu ihrerBaase Elisabeth, und nach diesem kömmt er auf den heutigen evangelischen Text, den ich euch an- jetzt meine lieben Christen mit Gottes Beystande er¬ klären will. Da ich euch von der Person Johannis, von der Würde seines Amtes, von seinen vortreffli¬ chen Predigten, von seiner Taufe, von seiner tiefen Dcmuth, da er sich nicht einmal würdig achtete, au Christo die geringsten Sklavendienste zu thun, und ihm die Schuhricmen aufzulösen, von der Heiligkeit feines Lebens, von seiner strengen Buße bey grö߬ ter Unschuld, von seinem Starkmuthe in Bestrafung deS Lasters, und endlich von seinem Martyrertode, anfden zweyten, dritten und vierten Adventssonntage schon gepredigek habe, so will ich dieses alles heute über¬ gehen, und mich ganz allein an dasjezt verlesene Evan¬ gelium, das seine Geburt und Beschneidung beschreibt, halten. Ich will erstens dasselbe mit euch von Verse zu Verse durchgehen, und euch alles darinn deutlich erklären, zweitens aber will ich Mit euch einige Betrachtungen zu unserer Erbauung darüber anstel- len, und euch zeigen, was für Sittenlehren wir aus demselben für uns zu ziehen haben. Da Johannes einer der wichtigsten Menschen ist, die je auf Erlen gelebt haben, so verdient seine Geschichte ganz ge- O s wiß. — ( 212 ) — wiß , daß ihr sie mit rechter Andacht und Aufmerk¬ samkeit vernehmet. E r st e r T h eil. Da Johannes von der göttlichen Fürsicht dazu be¬ stimmt war, daß er der erste Gnadenprediger des neuen Bundes ftyn sollte, der dem Meßias, Jesu Christo uuserm Erlöser durch seine Predigten und Tauft zur Buße den Weg bereiten, und das Volk Israel bewegen sollte, daß es ihn als seinen Retter ohne Zweifel und Bedenklichkeit gerne und willig an¬ nehmen , und seine Lehre befolgen sollte. Da Jo¬ hannes , obschon er nicht selbst das Licht war, doch von dem Lichte Zeugniß geben, und die wirkliche Ankunft -es ewigen Worts Gottes der Welt ver¬ künden sollte. Da er das Lamm Gottes nicht in der Ferne, wie die alte» Propheten, sondern mit fei¬ nen Fingern als gegenwärtig zeigen sollte, so ver¬ diente allerdings, daß einer unter den Evangelisten seine, mit so vielen Wundern bezeichnete Geburt umständlich beschreiben möchte.-Dieses thut nun der heilige Lukas in dem gegenwärtigen Evan- gclio. Lasset uns, meine lieben Christen, dasselbe von Verse zu Verse durchgehen, und diese merk¬ würdige Geschichte darinn aufmerksam betrachten. Gebt auf alles wohl Acht! Der heilige Evangelist beschreibt hier in einer bündigen Kürze die Herkunft Johannis, seine Geburt und Beschneidung, und al¬ les, was sich bey derselben Merkwürdiges zugetra- gen, was für einen Namen, und wie er denselben be- — ( 2IZ ) — bekommen habe, wie sich seine Freunde und Anver¬ wandte dabey betragen haben, und was mit seinem Vater Wunderbares dabey geschehen ist. "Elisabeth kkm ihre Zeit, daß sie gebahren soll¬ te , und sie gebahr einen Sohn. „ So hebt LukaS seine Erzählung a». Die Mutter Johannis war die alte Elisabeth, eine Ehegattinn des alten Priesters Zacharias, wie ihr schon gehört habt, da sie beyde, wie der Evangelist zuvor gesagt hatte, vom priester¬ lichen Geschlechte waren, so gab dieses ihrem Kinde unter der jüdischen Nation gleichsam einen Adel. Denn Joseph, der jüdische Geschichtschreiber, sagt ausdrücklich: das Herkommen aus priesterlicher Fa¬ milie sey bey den Juden eben das, was bey ander» Nationen der Adel ist. — Was die Zeit dieser Geburt betrift, so wissen wir, daß dieselbe sechs Monate vor der Geburt Jesu Christi geschah. Als der Elisa¬ beth Schwangerschaft zu Ende gieng, sagt der Evan¬ gelist, und die gewöhnliche Zeit, die Niederkunft er¬ schien, welche drey Monate nach der Empfängniß Jesu eintraf, zu welcher Jahreszeit aber dieselbe ge¬ schehen, kann ich euch nicht ganz gewiß bestimmen, Aus vielen Zeugnissen des Alterthums erhellet zwar, daß die Geburt Jesu und Johannis auf jene Zeiten eingefallen, auf welchen sie von der christlichen Kirche gefeyert werde.!. Doch lläßt sichs auch vcrmuthcn, daß die Kirche das Geburtsfest Johannis auf diese Zeit im Sommer verlegt habe, wo die Tage wiede¬ rum anfangen kürzer zu werden, das Gebnrtsfest Jesu aber auf jene Jahreszeit gefetzt habe, wo die Tage wiederum anfangen länger zu werden, uud die¬ ses vermuthlich aus Ursache, weil Johannes von sich D Z sagte,- — ( rr4 ) -- sagte , er müsse geringer, Jesus aber müsse größer werden. — Dem scy aber, wie ihm wolle, denn daran liegt uns eben nicht viel, ob wir die Jahres¬ zeit dieser Geburt gewiß wissen, oder nicht. Dieses sst schon weit wichtiger für uns daß uns Lukas er¬ zählt , was sich bei) derselben zugetragen hat. "Ihre Nachbar» und Befreundte hörten, daß der HerrgroßeBarmhcrzigkeitanihrgethanhabe, und sie freuete» sich mit ihr.,, Bekannte, Nachbarn, Verwand¬ te, als sie hörten, daß Elisabeth mit einem Sohne niedergckommen, nahmen den wärmsten Antheil an ihrer Freude, und kamen, sie zu beglückwünschen, -aß der liebe Gott Barmherzigkeit an ihr gekhan, sie aus derZahl der Unfruchtbaren herausgenvmmen, und von der Schmach, die sie bisher leiden mußte, befreyet hat. Sie wünschten ihr Glück und Segen zu ihrem kleinen Söhnchen, auch ihr als einer Kind- betterinn Gesundheit, Kraft, Starke und gute Wo¬ chen, wie es in solchen Fälle» gewöhnlich ist. Den» der Herr hatte grosse Barmherzigkeit an ihr gethan, da er ihr in einem so hohen Alter noch einen Sohu bescheerte, welches von allen billig als ein besonde¬ rer Wundersegen angesehen wurde.-Welch ei¬ ne große Freude dieses auch für die lieben Eltern Johannis gewesen sey, könnet ihr selbst leicht er¬ messen. Denn die Unfruchtbarkeit wurde bey den Ju¬ de» imruer als ei» Zeichen der göttlichen Ungnade betrachtet, und dieses zwar vornamlich aus dem Grunde, weil Gott die Fruchtbarkeit der Mütter z. Mos. als eine» Segen verheiße» hatte. Viele Kinder haben, war daher große Ehre vor den Menschen , und Unfruchtbarkeit wurde Schande. Diese Gedan¬ ken -- ( riL ) — ken setzten Ehegattinnen, die keine Kinder hatten, in die größte Bekümmerniß. — Nachdem Lukas dieses ganz kurz von der Her» kunft und Geburt Johannis gesagt hat, so erzählt er, was sich darauf am achten Tage zugetragen. "Am achten Tage kamen sie, sagt er, das Kind zu be¬ schneiden, und hießen es nach seines Vaters Namen Zacharias. „ An dem Tage der Beschneidung näm- lich, welcher ein Familienfest war, wo die Be- frcundte und Nachbarn zusammenkamen, und we¬ nigstens zehn Personen gegenwärtig seyn mußten, gaben sie dem Kinde seinen Namen. Denn so wie wir Christen heute unfern Kindern bey der Taufe ihre Na¬ men geben, also wurden in dem alten Testamente den Kindern bey der Beschneidung, die am achten Tage nach der Geburt vorgenommcn wurde, ihre Na¬ men gegeben, daher blieben sie auch hier bey der löblichen Gewohnheit, und gaben nach der Vorschrift des Gesetzes dem Kinde, an dem von Gott bestimm¬ ten Beschneidungstage, seinen Namen.— Bey der Aufgabe des Namens geschah aber etwas ganz Außer¬ ordentliches, denn es war jüdische Sitte, daß der Vater seinem Kinde den Namen wählte, und auf¬ gab. Ihr habt aber gehört, meine werthesten Chri¬ sten , daß der Vater Johannis bey der Ankündigung seines Sohnes stumm und vcrmuthlich auch taub ge¬ worden war, folglich seinem Sohne den Namen nicht aufgeben konnte. Die Freunde und Bekannte, welche bey der Beschneidung zugegen waren, woll¬ ten also das Kind nach seines Vaters Name» Zacha¬ rias heissen, weil sie nicht mit dein Vater reden konn« len, so überlegten sie cs mit der Mutter Elisabeth« L 4 wie . - ( 216 ) - wie sie ihr Söhnchen heissen wollte. Die gutenLeu- le dachten, weil dieses Kind der einzige Zweig dieses Priesterhauses wäre, und die ganze Nachkommen¬ schaft Zacharia auf ihm berührte, so wollten sie ihm auch den väterlichen Namen beylegcn, dieser Name schicke sich zu der gegenwärtigen Beschaffenheit der Sache ohnehin sehr wohl, da Gott bey der wun¬ derbaren Geburt dieses Kindes an dieses Haus in Gnaden gedacht habe. Denn Zacharias heißt auf deutsch, der Herr ist eingedenk, oder Gedenkcgott, wie die Namen Fürchtegott, Traugott auch unter den deutschen Christen zu Zeiten Vorkommen. — Die anwesenden Personen dachten also bey der Beschnei¬ dung alles recht gut zu machen, wenn sie ihm diesen aufgäbe». Allein Elisabeth, die Mutter, wollte solches durchaus nicht zugeben, und sprach: "Nicht also, sondern er soll Johannes heißen,,, weil Gott ihrem Ehegatten im Tempel durch einen Engel nickt allein hatte ankünden, daß sie einen Sohn gebährcn wür¬ de, sondern auch befehlen kaffen, daß man ihn Jo¬ hannes heißen sollte. — Daher müssen wir hier be¬ merken, meine werthesten Christen, daß Johannes unter die wenigen Personen gehörte, deren Namen Gott vor ihrer Geburt hatte anmelden und weissa¬ gen lassen, von welchen folgende gezählet werden können: "Isaak, Ismael, Josias, Cores oderCy- rus, Johannes, uud endlich der allerheiligste Na¬ me Jesus.,,— Der Name Johannes schickte sich auch weit besser für dieses Kiud, denn Johannes heißet so viel als ein Gnadcnkind, ein Begnadigter, den der Herr begnadigt hak. Im Deutschen könn¬ te — ( 217 ) — le mas diesen Namen also ausdrücken: Gnaden¬ reich, Huldreich, so wie man sagt: Friedrich, oster Friedenreich, Freudenreich. — Billig wurde der er¬ ste Prediger des neuen Bundes Johannes genennt, weil er der ganzen Welt die Gnade Gottes verkündi¬ gen sollte, welche durch Jesum Christum geschehen ist, wie eS in dem Evangelio Johannis i.V. 17. lautet: "Das Gesetz ist durch Moses gegeben, die Gnade aber ist durch Jesum Christum ertheilet wor¬ den.,, Dieser Name schickte sich also ganz vorzüglich auf das Amt Johannis.— Wie konnte aber Elisa¬ beth diesen Namen wissen, könntet ihr mich fragen? meine lieben Christen, worauf ich euch antworte: diesen Namen konnte sie von dem Zacharias wissen, der ihr denselben vor der Geburt des Kindes ohne Zwei¬ fel wird aufgeschrieben, und sie von der ganzen Bege¬ benheit in dem Tempel wird benachrichtiget haben, oder gleich kann es feyn, daß ihr Gott diesen Na¬ men selbst eingegeben hat, damit sie dadurch ihre Dankbarkeit gegen ihn recht an den Tag legte, hauptsächlich aber, damit auf solche Weife durch das übereinstimmende Zeugniß der bepden Eltern die Auf¬ merksamkeit der Anwesenden desto mehr aufgereget würde. — Die Freunde wollten es aber Anfangs gar nicht geschehen lassen, daß das Kind Johannes genennt würde, und sie sprachen zu der Elisabeth: "Es ist doch Niemand in deiner Freundschaft, der also heißet. — Da sie sich also nicht vereinigen konnten, winkten sie seinem Vater, gaben ihm durch Zeichen verstehen, wie er ihn wollte heißen lassen; dieser sollte nun in diesem Streite den Ausschlag geben. Zacharias aber forderte ein Schreibtafelchen, und D L schrieb ( -lZ ) schrieb darauf diese Worte: "Johannes ist sein Na» me,„ Er zeigte dardurch an, daß er an dem Name» seines Kindes nichts andern könne, indem Gott selbst denselben anbefohlen hätte. — Und die Anwesenden verwunderten sich alle, Heils über diesen Namen, der in der ganzen Freundschaft des Zacharias unbekannt war, theils aber über die besondere Sache, daß Zachariä Schrift mit der Elisabeth Rede so genau übcreinstimmte, sie konnten nicht begreifen, wie beyde Eltern in diesem Namen Übereinkommen konnten, da doch Zacharias auch taub war, wie aus dem Vor¬ hergehenden zu schließen ist, da sie ihm durch Zeichen zu verstehen geben mußten, wie er sein Kind nennen wollte. Als aber dieses alles vorbey war, und Jo¬ hannes seinen Namen bekommen hatte, da geschah erst das allerauffallendste Wunder bey dieser ganzen Begebenheit, indem Zacharias, gegen aller Anwe¬ senden Bermutheu, auf einmal wiederum zu rede» ansieng. "Und alsbald wurde sein Mund und seine Zunge aufgethan, und er redete und lobte Gott. „ Dieses war ganz gewiß was äußerst Rührendes und Wunderbares, daß er in diesem Augenblicke zu re¬ den ansieng. Und dieser Umstand mußte ohne Zwei¬ fel außerordentlich viel zur Bekanntmachung dieser Begebenheit beylragen, wie der Evangelist versichert: "Und es kam eine Furcht über alle Nachbarn, und alle diese Begebenheiten wurden auf dem ganzemjü- dischen Gebirge ruchbar.,, Alle Anwesende wurde» von dem großen Wunder, daß der stumme Zacha¬ rias alsobald zu reden ansieng, ganz besonders ge¬ troffen, so, daß sie dabey eine heilige Ehrfurcht und großer — ( ri- ) — großer Schrecken überfiel, indem sie nicht anders glauben konnten, als daß alles diese- von Gott br- svnders müsse gewirket worden seyn, dessen Macht und Weisheit sich so merklich dabey fühlen lasse.— Undalle, welche dieses sahen oder hörten, schlossen daraus, daß an diesem Kinde was Sonderliches seyn müsse, und noch mit ihm Vorgehen werde. "Sie »ah¬ mens zu Herzen, und sprachen: was wird wohl aus diesem Kinde werden, denn die Hand des Herrn war mit ihm.,. Jedermann mußte die besondere Fürsor¬ ge und Gnadenwirkung Gottes gegen dieses Kind erkennen und einsehen, den» alle Umstande zeigten so was ganz Besonderes bey dieser Geburt an, daß man Gottes Hand offenbar dabey sehen mußte. — Diese außerordentliche Begebenheit machte daher viel Aufsehens, viel Redens und Nachfragen-, und er¬ weckte allenthalben große Verwunderung; sie wurde nicht allein auf dem jüdischen Gebirge, worauf He¬ bron lag, ruchbar, sondern auch nach und nach im ganzen jüdischen Lande bekannt. — Und zum Voll- maße der Wunder wurde Zacharias mit dem heil. Geiste erfüllet, weissagte, «nd sprach: "Gepriesen sey Gott der Herr Israels, denn er hat heimgesiicht und erlößt sein Volk.,, Hier schließet.sich zwar unser heutiges Evange¬ lium, meine werthesien Christen, Lukas setzt aber in den gleich darauf folgenden Versen das ganz« Danklied hinzu, welches der begeisterte Zacharias bey dieser Gelegenheit im prophetischen Geiste und mit dankerfüllten Herzen absang^ und dessen Anfang der Schluß von unserm Evangelium ist. Der Inhalt dieses -— ( L20 ) -— dieses ganzen Gesanges lautet aber kurz also, gelobt sey Gott, der Herr Israels, der sich seines Volkes annimmt, und ihm nun die erwünschte Rettung sen¬ det. Einen mächtigen Retter hat er uns aus seines Dieners Davids Hause erwecket. Einen, den er uns langst durch seine Propheten verheissen hat. Einen -er uns von unsern Feinden retten, und uns von der Gewalt aller, die uns hassen , entreissen soll. Er will jetzt jenes gnadenvolle Versprechen , das er unsern Vatern that, erfüllen, und wird aujetzt jene grosse Anstalt ausführen, wozu er sich endlich gegen unsern Stammvater Abraham verpflichtet hat, uns in den glücklichen Zustand zu setzen, wo wir aus der Gewalt unserer Feinde errettet, ohne sie weiter fürch¬ ten zu dürfen, ihm in Unschuld und Heiligkeit le¬ benslang dienen können. Und du mein Kind, sprach der Priester darauf zum Johannes seinem Sohne, wirst ein Prophet des Höchsten heissen, vor dem Herrn, den wir erwarten, wirst du als ein Herold einhergehen, um ihm den Weg zu bahnen, wirst sein Volk die grosse Erlösung, die es zu erwarten hat, Verzeihung seiner Sünden zum voraus kennen lehren, und ihnen ansagen die barmherzige Men¬ schenliebe Gottes, daß er uns jenes göttliche Licht vom Himmel geschicket hat, um jenen zu leuchten, die da in den Finsternissen und in dem Schattendes Todes sitzen, und um uns auf der Bahne, die zur Glückseligkeit führet, wandeln zu lehren. — Nach¬ dem Lukas diesen Lobgesaug beschrieben hatte, si> beschließt er sein erstes Kapitel mit diesen Worten, und das Kind Johannes wuchs, nahm an Leibskräf- ten zu, ward stark am Geiste, und war in der Wü- Wüsie, — ( 22t ) — ste, bis daß er vordem Volke Israel auftreten soll¬ te. Es war nämlich je langer, je mehr an dem Knaben selbst wahrznnehmen, daß er zu was ausser¬ ordentliches bestimmt seyn müsse. Nicht mrr, weil ihn seine Eltern nach der Anordnung des Engels in dem genausten Nafiräat erzogen, sondern auch, weil er schon frühe Proben von Geistesstärke gab, die etwas Grosses versprachen. Auch in den Jünglings¬ jahren blieb er immer Gott abgesondert, und sein männliches Alter, bis zur Zeit, wo er öffent¬ lich zu predigen anfieng, brachte er meistens äusser seiner Vaterstadt in der Einsamkeit des gebirgigen' Theiles von Judäa zu. Dieses ist es, meine werthesten Christen, was ich euch zur Erklärung des heutigen Evangeliums zu sagen hatte. Lasset uns nun auch Ne Umstände der Geburt Johannis für unser Herz und zu unserer Er¬ bauung betrachten, und sehen, was wir für Lehr¬ stücke aus demselben ziehen können. Zweyter Theil. Dreycrley nützliche Betrachtungen können wir über die heutige evangelische Geschichte machen, über die Eltern JohanuiS, über die Anverwandten und Nach¬ barn, die bey dem Geburtsfcste Johannis zugegen waren, und über den Johannes selbst. Bevor wir aber diese drepfache nützliche Betrachtung anstellen, muß ich euch eine wichtige Bemerkung über diese wei¬ se Leitung der göttlichen Fürsicht in Betreff dieser Ge¬ schichte erklären. Denn wie viele Spuren der göttli¬ chen - ( SLS ) — chcn Weisheit liegen nicht in dieser Begebenheit, und in dem Zusammenhänge aller Umstände dersel¬ ben.—- Wenn Gott die Geburt seines Dieners mit so vielen Wundern verherrlichte, wenn ein Erzengel vom Himmel kam, seine Geburt anznkünden, wenn der Vater zum Zeichen erstummte, wenn eine Un¬ fruchtbare in ihren alten Tagen gesegneten Leibes ward, wenn ihr Kind schon vor Freuden aufsprang, ehe es gebohren ward, wenn die Elisabeth in Ge¬ genwart der Mutter Jesu begeistert ward, wenn Za¬ charias zur bestimmten Zeit seine vorige Sprache wic- d«rum bekam , in das feurigste Lob Gottes aus¬ brach, mit dem heil. Geiste plötzlich erfüllet ward, und zu weissagen anfieng, daß sich der Meßias schon wirklich auf dem Wege befinde, dessen Vorläufer sein Sohn sey, wenn alle Anverwandte, die bey der Geburt Johannis gegenwärtig waren, von einer so ungewöhnlichen Begebenheit ganz betroffen, und mit einer heil. Ehrfurcht überfallen wurden, und wenn diese vielfältigen Wunder sich nach und nach in dem ganzen Lande verbreiteten, y sv können wir hier, meine liebeu Christen, den Finger Gottes nicht miß» kennen, wir müssen mit tiefester Ehrfurcht die weist Fürsicht unsers großen Gottes anbethcn, denn alles dieses that der Allweise, um die Welt zur Aufmerk¬ samkeit zu erwecken, damit , wenn Johannes sei» heil. Amt antreten, und die Ankunft des ewige» Wortes anmeldcn würde, sie hernach daran gehörig denken, und seine Gnadenpredigten und seine Taufe zur Buße willig annehmen möchte. Der gütige Gott unterließ nichts, schon vom Anfänge an, die Ankunft seines Sohnes unter Israel bekannt zn machen- ! Wenn Wenn er, schon bey der Ankündigung der GeburkJv» Hannis, den Zacharias ersinmmen ließ, so sollte die¬ se Stummheit nicht allein ein Zeichen seyn, daß der Engel wahrhaft auf Gottes Befehl mit ihm geredet habe, auch nicht allein sollte sie eine Züchtigung sei¬ nes Mißtrauens seyn, sondern hauptsächlich ließ es Gott aus dieser weisen Absicht geschehen, damit die Sache, da sie unfeinem öffentlichen Orte geschah, desto bekannter würde. - Der Ausgang entsprach auch als¬ bald der weisen Absicht Gottes, denn es entstund auf der Stelle eine außerordentliche Bewegung unter dem Volke im Tempel, da der erstummte Priester aus dem Heiligen herauskam, und den Segen spre¬ chen sollte, aber nicht reden konnte. Alle sagten in dem Augenblicke, es müsse was Außerordentliches mit ihm vorgegangen seyn, er müsse eine Erscheinung, oder ein himmlisches Gesicht gehabt haben. Dadurch suchte der allwcise Gott die Welt auf die Zeichen der damaligen Zeiten aufmerksam zu machen. Er ließ drßwegen den Ruf von all diesen Wundern recht ver¬ breitet werden , damit die Juden zur guten Aufnah¬ me seines Sohnes, welchen Johannes als den wah¬ ren Meßias zeigen sollte, vorbereitet werden möch¬ ten.-"- Diese Wunder geschahen also vorzüglich un¬ sertwegen, meine lieben Christen, damit wir unser» göttlichen Erlöser desto eher erkennen, und von der Wahrheit seiner göttlichen Sendung desto vesterüber- zeugk werden möchten.— Diese allgemeine Bemerkung über die wunder¬ bare Begebenheit des heutigen Evangeliums voraus- geschickt, lasset uns nun sehen, was für schöne Lehr¬ stücke aus den einzelnen Stelle» dieses Evangeliums sich c 224 z sich für uns ziehen lassen. Ich habe euch schon ge¬ sagt, daß wir hier zu unserer Erbauung über dreper- ley Personen^ unsere Betrachtung machen können; erstens über die Eltern Johannis, zweitens über die Befteundte Johannis, die bep seiner Geburt und Beschneidung zngcgen waren, und Lr-ttens über den Johannes selbst. Erstens von den Eltern Johannis können wir lernen, daß Eltern ihre Kin¬ der als Geschenke Gottes betrachten sollen. Elisabeth gebahr nicht eher, als bis sie Gott segnete, und bis die von Gott bestimmte Zeit zu gebühren kam. Da der Mensch das edelste Geschöpf in der' sichtbaren Welt ist, und zur Haupkabsicht Gottes auf derselben mitgehört - so steht auch seine Geburt unter der be- sondern Fürsicht Gottes. Die Schrift sagt es in meh¬ reren Stellen, und zeigt es den Elter» in mehreren Beyspielen, daß Kinder eine Gabe des Herrn sind , daß die Leibesfrucht sein Geschenk ist. Gort läßet der¬ gleichen außerordentliche Fälle geschehen , damit El¬ tern desto deutlicher ihre Kinder als Geschenke Got¬ tes erkennen möchten. Abraham und Sara wa¬ ren alt, und Gott verhieß ihnen einen Sohn. Dieß schien unmöglich, und Gott that es dennoch. Eben so ergieng es bey der Geburt Simsons, Sa¬ muels und Johannis. In allen diesen Fällen zeigte sich Gott als Schöpfer, der das Leben gibt, wem und wann er will, der unfruchtbar bleiben lasset, und Frauen, die nach dem Laufe der Natur zu ge¬ bühren unfähig sind, durch seine Allmacht segnet. Eben darum mußte Elisabeth bis in ihr hohes Alter phne Kind bleiben , damit an ihr und an ihrem Kin¬ de ( S2A ) de auch von dieser Wahrheit der deutlichste Beweis gegeben würde.— Ihr christliche Eltern betrachtet dieses wohl, sehet eure Kinder allezeit als Geschenke Gottes an , und bewahret dieselben als köstliche Gaben Gottes mit aller möglichen Sorgfalt, bewei¬ set gegen dieselben alle schuldige Treue, und stattet Gott für dieselben öfters den wärmsten Dank ab» Elisabeth rechnete es für eine große Barmherzigkeit Gottes, daß der Herr sie mit einem Sohne erfreuete, und Zacharias lobte Gott nach der Geburt Johan¬ nis, sobald das Band seiner Zungegelöfet wurde.— Erkennet es aber vorzüglich, ihr Eltern, daß es eine große Gnade Gottes sey, fromme und gottselige Kin¬ der zu haben. Elisabeth freuetr sich vorzüglich, daß sie einen solchen Sohn, wie Johannes war, von Gott erhalten hatte, und man hörte den gottesfürch¬ tigen Zacharias, nachdem seine Sprachlosigkeit ge¬ hoben war, nicht allein für die Beseligung seines Alkers durch die Geburt eines Sohnes, sondern mehr für die Geburt eines so heiligen Sohnes danken, wo¬ durch der ganzen Nation eine Wohlthat erwiesen würde.— Ihr Eltern, bittet also Gott öfters herz¬ lich um diese Gnade, daß eure Kinder rechtschaffen, und wahrhaft fromm werden, daß sie wohl gera¬ den, und eine gute Zücht an ihnen wohl anschlageu möge. Ihr müsset aber selbst fromm seyn, wenn ihr gute und fromme Kinder hoffen wollet, denn nicht weit vom Stamme fallt der Apfel, sagt das alte Spruch- wort, ist der Stamm gut, so wird auch die Frucht gut werden, ist aber der Stamm wild und böse, so wird auch die Frucht wild und böse werden. Der Vater und die Mutter Johannis waren fromm. Das Evan« ErMr.d.E»a»g.Il.IH. P «elium — s 2.26 ) -- gelrum legt ihnen das Lob bep: "Sie waren Beyde gerecht vor Gott, und wandelten in allen Gebothen und Satzungen des Herrn unsträflich.,, Deßwegen beschenkte sie auch Gott mit einem so frommen Kin¬ de.— Ihr christlichen Eheleute aber, die ihr keine Kinder habt, lernet von dem Beyspikle des Zacha¬ rias und der Elisabeth in ihrer Kinderlosigkeit stets ein kindliches Vertrauen auf Gottes Fürsehung und Güte zu setzen, seyd bereit, alles, was er euch gibt, mit frohem, dankbaren Herzen anzunehmen, sehet Kinder als Geschenke Gottes an, entbehret «berauch dieselben mit Gottergebenheit, oder gebt sie ihm, wenn sie frühzeitig sterben, mit ruhiger Ge¬ lassenheit wieder zurücke, ihr wisset ja, daß der Ak- weise immer alles zum Bestien lenket, daß die wah¬ re Ehre im Christenthume nicht darinn bestehe, viekd Kinder haben, daß auch Unfruchtbare Gott ange¬ nehm sind, wenn sie ihn in gläubigem Vertrauen ehren, und ihm mit willigem Herzen gehorchen, und daß er uns Christen einen besseren Segen verheissen habe, als derjenige der Juden war, der in einer zahlreichen Nachkommenschaft bestund.— Zweitens von den Anverwandten und Nachbarn der Elisabeth haben wir zu lernen, daß wir uns freuen sollen , wenn es unfern Nächsten, insonderheit unfern Nach¬ barn, wohlgeht. So machten es die Nachbarn der Elisabeth : "Sie freueten sich mit ihr, und wünsch¬ ten ihr Glück zu ihrer Niederkunft und zu ihrem klei¬ nen Sohne. „— Befleißet euch ebenfalls, meine lieben Christen, mit euren Nachbarn friedsam, ei- ing und freundschaftlich zu leben; es ist nichts un- christlichers, als wenn die nächsten Nachbarn ein- ^tN- — r 227 ) ander feind sind, vor einander vorbeygehen, ohne sich zu grüffen, einander nicht ansehen, oder gar al¬ les zu Leide thun. — An dem Glücke anderer Theil nehmen, ist ja ohnehin eine der wichtigsten und an¬ genehmsten Pflichten des Christenthums, deren Aus¬ übung nicht nur ein Zeichen eines guten Herzens ist, sondern auch euer eigenes Vergnügen vermehrt. Denn so oft ihr sehet, daß es andern wohlgeht, so oft habt ihr Anlaß zu angenehmen Empfindungen, weil ihr euch mit den Fröhlichen freuet. Nur neidische Seelen betrüben sich über das Glück des Nächsten. und sind ihre eigene Peiniger.-Es ist aber nicht ge¬ nug, daß ihr euch bloß freuet bey dem Glücke eures Nächsten, sondern ihr müsset ihm auch beystehen.^ Die Nachbarn zu Hebron stunden der Elisabeth bey der Beschneidung ihres Kindes bey, sie nahmen sich ihrer an, geriethen über den Segen, mit welchem ihr Haus erfüllet wurde, in Verwunderung, und priesen deßwegen Gott, ihren Wohlthäter; so müs¬ set auch ihr eurem Nächsten beystehen, und Gott preisen, wenn ihm waS Gutes wiederfährt.— Fer¬ ner können euch diese lieben Nachbarn und Befrcund- te der Elisabeth zum Beystnele, dem ihr nachfolgen sollet, dienen, da sie bey dem Geburtsfeste Johan¬ nis so nützliche und heilige Gespräche führten, so soll¬ ten auch eure Gespräche beschaffen seyn, wenn ihr bey der Geburt eines Kindes zusammenkommet. Be¬ denket nur selbst, wie wenig sich die weltlichen, ei- teln, öfters unzüchtigen Gespräche zu-en Mahlzei¬ ten schicken, die man euch indergleichen Umständen zubereitet; ihr esset und trinket öfters unmäßig da- bey, uud redet von Dingen, worüber die Hölle P 2 froh- frohlocket, und die Engel sich betrüben.— Jhrmüst sei selbst einsehen, wie sehr es sich geziemete, daß, wenn ihr den Ellern zur glücklichen Geburt ihres Kindes glückwünschet, ihr auch zugleich Gott für die- , se Wohlthat lobtet und danktet, besonders wenn ihr > bey der Taufhandlung erscheinet, daß ihe Gott für die Gnade -er h. Taufe, die er dem Kinde ange» deihen ließ, den wärmsten Dank sagtet, und ihn mit ganzer Seele anflehtet, daß er das Kind in der Gnade dieses heil. Sakramentes erhalten wolle. — Die Frage, welche die Anverwandten und Nach¬ barn über das Kind Johannes machten, da sie spra¬ chen : "Was wird wohl anS diesem Kinde werden.,, Diese Frage solltet ihr Eltern hauptsächlich über eu¬ re Kinder machen, und dabey Acht geben, wozu sie vorzüglich geneigt sind, ob sie sich mehr auf das Bö. se, als auf das Gute hinneigen, es spitzt sich bey Zeiten, was zum Dorne werden will, sagt ein altes Sprüchwort, die Fehler zeigen sich an Kindern bey Zeiten, aber auch die tugendhaften Neigungen. Be¬ sonders können dieselben von unparthcyischen Beob¬ achtern leicht bemerket werden, auch von Eltern, deren Augen die Eigenliebe nicht verblendet hat. — Böse Leidenschaften müsset ihr gleich in der Kindheit ersticken, tugendhafte Neigungen aber mit aller Sorg¬ falt nähren.— Wenn aber manche Eltern die Frage der Anverwandten Johannis über ihre Kinder auf¬ werfen wollten, o welch eine himmelweit verschie¬ dene Antwort würde nicht ausfallen von jener, wel¬ che man auf das Kind -es Zacharias geben konnte's Denn, anstatt daß man vom Johannes antworten konnte, es werde ein berühmter Mann, ein großer Hei- — ( -Sy ) — , Heiliger aus ihm werden, so könnte «an bey man¬ chem Kinde, wenn man fragen sollte, was aus ihm werden würde, antworten: es werde ein böft^ Christ, ein übler Nachbar, ein schlechter Bürger aus ihm werden. Denn es geht schon wirklich neben der Schu¬ le und neben der Kirche, wie ihr euch ausdrücket, es bekhet nicht gerne, geht nicht gerne zum christli¬ chen Unterrichte, und führet sich, wenn's dabey er¬ scheinet, äußerst «nehrerbiethig auf, es kann sich iu der Gesellschaft mit andern nicht vertragen.— Bep einem andern könnte man sagen, es werde ei» Lüg¬ ner, ein Betrüger, ein Flucher aus ihm werden, denn es lügt jetzt schon gerne, fluchet jetzt schon.— Bep einem andern könnte man antworten: es werde ein Taugenichts, ein Dieb aus ihm werden, denn es fängt jetzt schon an zu stehlen.— Sehet, meine lieben Christen, zu dergleichen Betrachtungen können euch die Anverwandten und Nachbarn, die bey dem Geburtsfoste Johannis zugegen waren, Anlaß ge¬ ben. Heber den heil. Johannes selbst aber können wir drittens noch folgende Betrachtungen machen. So wie der Morgenstern der beliebte Vorbothe der Son¬ ne ist, derselben vorangeht, und durch die Ankün¬ digung ihrer baldigen Ankunft die in den Finsterni- ßen liegende Welt erfreuet, also erfteuett Johannes durch feine Geburt die bey viertausend Jahre in den dftkcsten Finsternißen liegende Welt, als ein längst erwünschter Vorbothe kündigte er die nahe Ankunft des Erlösers der Welt an. —- Wie viele Ursache« hakten daher die Menschen nicht, daß sie sich bey sei¬ ner Geburt aufs höchste freueten? — Henn, wenn P z May — i -A« ) — man sich bey der Geburt eines Kronprinzen xrfteuet, wenn der Donner des schweren Geschützes dieselbe anküudiget, wenn ganze Lander Freudenfeste dabey anstetten, wenn die Erleuchtung ganzer Städte und das frohste Freudeugeschrey des Volkes dieselben ver¬ herrlichen, und ganze Höfe sich versammeln, um ih¬ re Glückwünsche abzustatten, — warum sollten sich die Menschen bey einer solchen Geburt nicht freuen/ und wer wird es der Kirche verdenken können, wenn sie sich anfdem GcburtstageJohannis jetzt noch freu¬ et, und an demselben Freudengesänge anstimmet, da sie denjenigen zur Welt gebohren sieht, der der Vorläufer des Welterlösers seyn, und demselben den Weg zubereiten sollte. Wenn man alljährlich den Ge¬ burtstag eines Fürsten mit vieler Pracht begeht, ihn beglückwünschet, daß er an solchem Tage ein Leben angefangen/ in welchem er zu einer so hohen Eh- renstuffe vor der Welt erhöhet wurde, warum sollte man diese Ehre nicht auch einem Manne erweisen , den die Gnade Gottes schon in seiner Geburt durch so viele herrliche Wunder bezeichnet hat? Warum sollten wir seinen Geburtstag nicht auch mit feyerli- cher Andacht begehen, an demselben die grossen Gna¬ den, mit welchen der Herr seinen Diener überhäufet hat, nicht auch zu Gemüthe führen, seine Freyge- bigkeit gegen ihn bewundern/ den Allgütigen dafür preisen, und von ganzem Herzen mit freudigem Ge¬ müthe danken? — Die großen Wunder, welche diese Geburt begleiteten, könnten schon hinlängliche Ursache seyn, dieselbe feyerlichst zu begehen. Denn da die Kirche bey andern Heiligen den Tag ihres Tot- des feyert, so geschieht dieses/ weil derselbe ihre Hei- ( SZI ) --- Heiligkeit erfüllte, nnd sic in dem Himmel krösete. Beym Johannes sieht man aber schon in seiner Ge¬ burt offenbare Merkmale einer erhabenen Heiligkeit, mit welcher er so viele Menschen, übertreffen ft>llte; man feyert also mit Recht seinen ersten Eintritt in dis Welt. Noch mehr verbindet uns hiezu die Dankbar¬ keit, weil uns bey seiner Geburt die nächste Ankün¬ digung von unserer Erlösung gemacht wurde. Wir sohlen also auf diesem Tage dem Ewigen für diese Wohlthat danken, nnd uns dabey mit Freuden er¬ innern, daß die Zeit des neuen Bundes eine rechte Gnadeuzeit sey, daß Johannes nicht umsonst seinem Namen von der Gnade Gottes bekommen habe, daß er die gnädige Ankunft Jesu und die allgemeine Gna-' de Gottes derWeltpredigcnund verkündigen sollte.— Noch zu einer andern Betrachtung gibt uns daS heutige Evangelium Anlaß, mciue werthesten Chri¬ sten, es erinnert uns nämlich, welch ein großer Un¬ terschied zwischen der Geburt Johannis, und der Ge¬ burt der übrige» Menschenkinder seh. Der Erstge- bohrne eines Königs, der sich rühmen kann, daß in seinen weitläusigen Staaten die Sonne niemals un¬ tergeht, ist jedoch am Tage seiner Geburt, wie Pau¬ lus sich ansdrückt, ein Kind des Zornes. Johannes war aber schon am Tage seiner Geburt ein Kind der Gnade, ein Gegenstand des göttlichen Wohlgefallens. "Er wird.noch in seiner Mutterleibe mit dem heil. Geiste erfüllet werden,,, sagte der Engel von ihm voraus. Seine Geburt wurde Mit der Gegenwart Mariä, dieJefum unter ihrem Herzen trug- beeh¬ ret, und noch ehe er zur Welt kam, wurde er von der Erbsünde gereinigt, und mit himmlischen Gna- P 4 den — ( -ZS ) — dennnd seltenen Vorzügen ausgezicret,—- Dieft hei- ligmachende Gnade aber, welche er schon vor seiner Geburt erhielt, ist jenes kostbare Kleinod, welches die edle Seele des Menschen aufs schönste schmücket und zieret, und fie vor den Augen Gottes wahrhaft groß machet, sie ist es, welch« den Menschen zum Ehrenstande der Kinder Gottes erhebt, und ihm das unschätzbare Vorrecht eines Erben des Himmels und Miterben Jesu Christi in dem Reiche der ewigen Glo¬ rie gibt. — Da wir nun iu der Erbsünde empfan¬ gen und gebohren wurden, und ohne diese heiligma¬ chende Gnade auf die Welt kamen, so waren wir bey unserer Geburt vor den Augen Gottes ganz klein, geringschätzig, ja ganz elend und verwerflich, wir brachten den Fluch mit uns auf die Welt, die Erb? fände schändete unser ganzes Wesen, «ud machte es vor den Airgen Gottes häßlich und abscheulich. -- Aber nach unserer Geburt wurden wir such von der Sünde gereinigt, wir wurden aus Kindern des Zyrns Kinder Gottes, Tempel und Wohnungen des heili¬ gen Geistes, wir empfiengen auch in der h. Taufe die heiligmachende Gnade, und mit derselben das Recht und den Anspruch zur ewigen Seligkeit. Obschon also unsere Geburt nicht durch so scheinbare Wunderwerke verherrlichet wurde, wie jene des Herl. Johannes, so erzeigte sich doch der Herr bep derselben auch gna¬ denreich gegen uns. Wurden wir gleich nicht im Mut¬ terleibe geheiligt, so wurden wir doch durch das Was¬ ser der heil. Taufe geheiligt, und mit dem heil. Gei¬ ste erfüllet. O erkennet die Größe dieser Gnade, mei¬ ne lieben Christen, welche euch der Allgütige, auch hep eurer Geburt, schon erzeigte, betrachtet diese «n- ( SZZ ) -- unaussprechliche Wohlthat, mit welcher euch der liebe Gott vor so vielen tausend und tausend Juden pnd Heyden aus purer Barmherzigkeit begnadigte. Wie viele, auch VW den Christenkindern, stürben vor dem Empfange der heil. Taufe? Habt ihr Gott jemals den schuldigen Dank dafür abgestattct? — Heute noch thut dieses, und wiederholet diese eure Dankbarkeit jährlich an dem Tage, da ihr gebvh- ren und getanfet wurdet; euer Geburtstag sey euch künftighin jederzeit heilig, begebt euch auf demsel¬ ben alljährlich in die Kirche, und preiset Gott mit dankerfülltem Herzen für die grosse Gnade, die er euch an demselben wiederfahren liess, und gebt Acht, daß ihr diese Gnade nicht mehr verscherzet, daß ihr nicht wieder aus einem Kinde Gottes ein Kind de§ Zornes, aus einer Wohnung des heil. Geistes eine Wohnung des Teufels werdet, und durch die Sünde die heiligmachende Gnade und das Recht zum Him¬ mel vermehret. Bedenket, wie glücklich derjenige sey, der dieser Gnade mitwirket, und dieselbe, wie Johannes, bis ans Ende getreu bewahret; beden¬ ket, wie glücklich derjenige sey, der gleich in der Jugend zeigete, und diese Frager "Was wird aus dem Kiude werden,,? mit einem tugendhaften Le¬ benswandel beantwortet, wie Johannes gethan hat. Wie dieser Vorläufer Jesu die in feiner Kind¬ heit empfangene Gnade augewendet, habe ich euch schon iu andern Predigten gezeigef. Dieser kostbar? Saame fiel bey ihm auf ein gntes Erdreich, und trug vielfältige Frucht. Hb er gleich vor seiner Geburt schon geheiligt war, floh er dennoch die Welt, begab stch in die Einöde, «m seine Unschuld. P F dtp — ( -Z4 ) -- dey dem damaligen großen Sittenverderbniß zu be¬ wahren , und widmete sich daselbst ganz dem Dienste Gottes durch Fasten, Bethen, Stillschweigen und Betrachtungen. Wollet ihr, meine lieben Christen, eure Unschuld, und die gleich nach eurer Geburt em¬ pfangene Gnade Gottes bewahren, o so entfernt euch von der bösen Gesellschaft, gewöhnet euch von Jugend auf zum andächtigen Gebethe, und zum ei¬ frigen Dienste Gottes, und haltet euch von Zeit zu Zeit zu Hause in einer gewissen Einsamkeit, beden¬ ket wohl, welch einen großen Schatz ihr an der Gnade Gottes bey euch herumtraget, und wie un¬ gewiß es sey, ob ihr diesen Schatz, wenn ihr ihn einmal verlohren habt, wiederum erhalten werdet.— Von seiner strengen Buße habe ich euch ebenfalls schon anderwärts gesprochen, er übte eine so harte Buße, er, der nicht einmal eine geringe Sünde begangen hatte. — Und wie hart kömmt uns die die geringste Buße schon an, die wir doch so große Sünder sind, und da uns doch Christus Matth, i r. versichert: "Von den Tagen Johannis des Täufers leibe das Himmelreich Gewalt, und die Gewalt übe», die reissen es an sich.;,— Bedenket alles dieses wohl, meine lieben Christen, so wie ihr die Geburt Johan¬ nis bewundert, so lasset euch sein Leben zum Bey- spiele sepn, erkennet daraus, wie getreu ihr gegen den Herrn handeln, und was ihr Gott zu Liebe und zur Versicherung eures Heiles thun sollet. Sein hei¬ liger Lebenswandel wecke euren Eifer, und ermun¬ tere euch, daß ihr eben so fleißig der Gnade, die ihr gleich nach eurer Geburt empfangen habt, mitwir¬ ket, und derselben bis an das Ende eures Lebens getreu verbleibet. Amen. Auf L -SZ ) Auf den fünften Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Matth. 20 — 24. sage euch: wenn eure Gerechtigkeit nicht vollkommener feyn wird, «lS derSchriftgelshr-, ten und Pharisäer ihre, so werdet ihr nicht in daS Himmelreich eingehen, Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist worden: du sollst nicht tödten, wer aber tödtet, der soll des Ge¬ richts schuldig seyn. Ich aber sage euch, daß ei« jeder, der gegen seinen Bruder zürnet, des Ge¬ richts schuldig ist. Wer aber zu seinem Bruder sagt Racha, der ist des Raths schuldig. Wer aber sagt, du Rarr, der ist des höllischen FeuerS schuldig. Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opfern willst, mch wirst allda eingedenk, daß dein Bruder etwas wider dich habe, so laß alloa vor dem Altar deine Gabe liege», und ge¬ he zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bru¬ der, und alsdann komm, und opfere deine Ga¬ be. M-'r» -"°" t SZ6 ) Wenn «ure Gerechtigkeit nicht vollkommener seyn wird, als der Schriftgelehrten und Pharisäer ihre > so wer¬ det ihr nicht in das Himmelreich eingehen. Matth. Z- D. rc>. Eingang. W?it innigstem Vergnügen lese ich jederzeit das Evan¬ gelium, besonders wenn es aus jener lehrreichen Pre¬ digt genommen ist, die Jesus bald nach dem Anfän¬ ge seines Lehramtes auf einem Berge in Galiläa vor einer zahlreichen Versammlung gehalten hat, und die von dem Orte, wo sie gehalten wurde, den Na¬ men der Bergpredigt unter uns bekam, wie ich euch schon, meine werthesten Christen, in einer andern Predigt gesagt habe. Denn welch eine unerschöpfliche Quelle von gemeinnützigen, wichtigsten Lehren ist nicht diese Rede? Welche vortreffliche, für das mensch¬ liche Geschlecht so nützliche, und der Majestät Got- les so würdige moralischen Grundsätze liefet man nicht darinn? Welche edle Sittenlehre und erhabene Vorschriften der Tugenden liegen nicht dapinn be¬ schrieben? Welch edle Neigungen und GesinnunM« suchte der göttliche Hehrer darinn nicht seine» Zuhö¬ rern einznflöße»? — Wie schön, wie deutlich zeigt nicht Jesus allda, daß seine pom Himmel mitge¬ brachte Lehre die Lehren der Mensche» weit übertref¬ fen? Wie deutlich zeiget er dieses, ohne von ande¬ ren Stellen zu reden, nur i» den: heutigen Stücke seiner Predigt, da er bey der Erklärung deS fünften Oebothes seine» Zuhörern sagte, daß sie nicht mit einer gemeinen, noch weniger mit einer pharisäischen Gerechtigkeit zufrieden seyn sollten, sondern sich ei¬ ner — ( 2Z? ) — «er erhabenen Tugend befleißen müßten. Da er Key dieser Gelegenheit zeigte, daß er zwar den Religions¬ unterricht des alten Testamentes nicht aufheben, aber denselben erweitern, vervollkommnen, und in ein hel¬ leres Licht stellen wolle, ja daß alles, was dieVer- nunft und das mosaische Gesetz lehre, noch unvoll¬ kommen sey, gegen die reine, edle und vollständige Lugend, die er lehre, und von seinen Anhänger» fordere. Alles dieses sehen wir klar, meine lieben Chri¬ sten, indem heutigen Evangelium, das ein kleines Stück von jener erhabenen Rede ist. Die drey Thei- le, aus welchem es besteht, und die ich euch anje- tzo erklären, und zu eurer Betrachtung vorstellen will, zeigen dieses ganz deutlich. Denn erstens, sagt Jesus allgemein, daß die Gerechtigkeit seiner Anhänger vollkommener, als jene der Pharisäer seyn müsse. Zweitens zeigt er dieses durch ein Beyspicl in Erklärung des fünften Gebothes, und drittens setzet er diesem noch ein anderes Beyfpiel hinzu von der Versöhnlichkeit und von der Liebe der Feinde, die er von allen Christen fordere. Vernehmet diese drey Stücke in beliebter Kürze recht aufmerksam. Erster Theik Asus lehret uns heute, welchen großen Vorzug das Gnadeugcsetz, in welchem wir leben, vor dem alten Gesetze habe, und wie vollkommener die Gerechtig¬ keit eines Christen gegen die Gerechtigkeit eines Pha¬ risäers oder jüdischen Schriftauslegers sepn müsse. Er . — ( 2Zä ) — Cr zeiget u«S, wie das alte Gesetz sich öfters mit dem Verbothe der äußeren That begnüge,, ohne in das Innere des Menschen allzeit einzudringen. Das neue Gesetz begnüge sich aber niemals mit dem Aeu« ßern allein, sondern verdamme auch die innere» Sünden, die gar nicht von aussen gesehen werden, als die bösen Gedanken und Begierden, und den bloßen Willen, das Laster zu begehen, es schreibe sogar dem Herzes und den inneren Regungen Regeln vor. Wenn man sich ehedem schon für einen recht¬ schaffenen Israeliten hielt, da man äußerlich sich nicht gegen das Gesetz versündigte, und keine Aer- gerniß gab, so sollten Christen auch in den verbor¬ gensten Begierden und in den geheimsten Bewegun¬ gen ihrer Seele Gott zu gefallen trachte«. Wenn das alte Gesetz auf diejenige nur Strafen legte, die sich äußerlich gegen dasselbe versündigten, so strafe sein Gesetz nicht nur diejenigen scharf, welche Böses thnn, sondern sogar diejenigen, welche Böses zu thun im Sinne hätten. Das alte Gesetz wäre zu¬ frieden, die Nächstenliebe anzubefchlen, ohne so deutlich von der Liebe der Feinde zu sprechen, das Seinige aber verlange ausdrücklich, seine Widersa¬ cher und Feinde aufrichtig, recht innigst von Herzen zu lieben. Meine werthesten Christen! dieses sagte aber Chri¬ stus keineswegs in der Absicht, als wollte er das al¬ te Gesetz nach seinen moralischen Grundsätzen verdam¬ men und aufheben, sondern nur um zu zeigen, daß er gekommen sey, dasselbe vollkommener zu machen- Die Juden sollten ihr böses Vorurthcilablegeu, wel¬ ches sie gegeu ihn gefastet hatten, als sey er ein Feind des < rZy ) des mosaischen Gesetzes; deswegen zeigte er ihnen - daß er seine Jünger anhalte, nicht nur dasselbe, als welches wahrhaft gütlich war, zu beobachten, sondern auch mehr zu thnn, als daffelb e fordere. Hauptsäch¬ lich aber wollte er hier diejenigen rügen, welche das alte Gesetz fchiefauslegten, dergleichen Leute die Pha¬ risäer und Schristgelehrten waren , das ist, solche Menschen, wie euch , meine werthesten Christen , schon bekannt ist , die von einer gewissen Sekte un¬ ter den Juden waren, welche zu dem göttlichen Ge¬ setze viele Menfchensatznngcn hinzuthaten, und durch eine gewisse äußere Scheinheiligkeit sich ein großes Ansehen zu machen suchten. Solcher Leute eingebil¬ dete, falsche Gerechtigkeit prüfet hier Christus, da er dieselbe mit der wahren Gerechtigkeit, die allein vor Gott gilt, in Vergleichung stellet. Was für ei¬ ne Gerechtigkeit aber die Pharisäer suchten, dieses ist zur Genüge bekannt, nämlich eine solche, die der Welt in die Augen leuchtete, und wodurch sie sich bey derselben den Ruhm der Frömmigkeit und Hei¬ ligkeit erschleichen konnten. Wider eine solche, bloß äußere Gerechtigkeit eifert hier Christus, und war¬ net seine Zuhörer sehr nachdrücklich vor derselben. Er macht in dieser Absicht einen Versuch in der Erklä¬ rung des fünften Gebokhes, welches wir hernach hö¬ ren werde,! , um zu zeigen, wie unvollkommen die Gerechtigkeit dergleichen Heuchler sey, welche das Gesetz nicht nach seinem Geiste, sondern nur nach dem Buchstaben verstünden, und auch aufdiese Weise «s anderen erklärte». Jesus — ( -4v ) — Jesus spricht deßwegen zu seinen Jüngern und zu allen, die das ewige Leben ernstlich haben wol¬ len: "Ich sage euch, wenn eure Gerechtigkeit nicht unvollkommener seyn wird, als der Schriftgelehrten und Pharisäer ihre, so werdet ihr nicht in das Him¬ melreich eingehen. „ Als wollte er sagen, wenn euer Leben und Wandel nicht vollkommener und heiliger seyu wird, als jene der Schriftgelehrten und Phari¬ säer, so steht es schlimm mit euch. Wenn ihr nicht mehr für de» Himmel thut, als jene, wenn ihr euch keiner vollkommenem Tugend befleisset, als dicft Leute, so kann euch Gott nicht für gerecht und un¬ schuldig erklären, noch euch die ewige Seligkeit zusprechen. Und ist es Wunder, Meine werthesten Christen, wenn Jesus hier als Lehrer des neuen Gesetzes also spricht, wenn er alle seine Anhänger gegen solch« eingebildete Gerechtigkeit warnet, wie jene derPha» risäer war, die fich schon für gerecht und heilig hiel¬ ten, wenn sie sich nur vor äußeren groben Sündert hüteten, zum Beyspiele, wenn sie nur nicht in der Thal jemanden todschlugen, wenn sie nur die Ehe nicht wirklich brächen, auf dem Sabbath keine knecht- lichen Werke verrichteten, auf keine grobe, gewalt¬ same Weise Diebstähle begiengeu, wie die Räuber und Diebe gewöhnlich thun, u. dgl. Sie dachten, sie wären alsdann schon gerecht vor Gott, und könnte» selig werden, wenn sie auf diese Art nur dem äußerlichen Buchstaben nach das Gesetz beobach¬ teten. — Sie setzten zwar auch noch ihre Gerechtig¬ keit und Frömmigkeit in gewissen Werken der An¬ dacht, die aber meistens bloß äußerliche, iü dieAu- gcn — ( 24» ) — gen fallende Werke waren, als im praferifchen Fa¬ sten und Allmosengeben, in langen Gebethern auf öffentlichen Gaffen, in öfterem Waschen, in gewis¬ sen äußerlichen Zeremonien nnd alten Satzungen, und glaubten einen großen Vorzug vor anderen Men¬ schen dadurch zu haben, und ohne Anstoß in Him¬ mel zu kommen. Sie verrichteten dabey diese ihre vcrmeynten guten Werke meistens ans dieser Absicht öffentlich vor den Augen der Welt, um von dersel¬ ben sich große Lobeserhebung zuzuziehen, und für fromm und heilig gehalten zu werden, lebten aber bey diesem äußerlichen Scheine ihrer Heiligkeit in großem Hochmuthe, übertriebener Pralerey, und öfters auch in großer Lieblosigkeit gegen andere, welche nicht von ihrer Parthey waren, denen sie öfters mit besonderer Verachtung und Unbarmher¬ zigkeit begegneten. N utz a nw e n d ung. Wir sehen und lerneu hier, meine werkhestcn Christen, daß dergleichen Gerechtigkeit ein Greuel vor Gott sey, daß Gott von »ns Christen billig ei¬ ne vollkommenere und erhabenere Gerechtigkeit for¬ dere, kraft welcher wir nicht allein das göttliche Gesetz dem Aeußerlichen nach halten, uns nicht allein vor äußerlichen Sünden hüten, sondern auch unser Herz, unsere Gedanken und Begierden heiligen. Wir sehen, daß Golt nicht sowohl auf unsere Werke , als auf unser Herzsehe, denn die Pharisäer rhaten dem äußerlichen Scheine nach mehr, als sie schuldig waren, bey dem allen blieben sie große Sünder vor Erklär. d.Eoang. II. 1hl. Q Gott, —°— ) — Gott, ihre guten Werke verlohren vor dem göttli¬ chen Angesichte all ihr Verdienst, weil sie dieselben, wie Christus von ihnen sagt, indcrMeynung verrich¬ teten, um von den Menschen gesehen und gelobtzu wer¬ den. Wir Christen müssen daher, wenn wir bethen, fasten, Allmoftn geben, oder sonst ein gutes Werk verrichten, solches niemals thun, um von den Leu¬ ten gesehen und gelobt zu werden, sondern bloß in der Meynung, um Gott dardurch zu ehren, und ihm dadurch zu gefallen. Liese gute Meynung und heilige Absicht unserer Handlungen ist, nach der Er¬ klärung Christi selbst, wie unser Auge im Kopfe, ist dasselbe licht nnd hellsehend, so ist unser ganzer Leib erleuchtet, ist dasselbe aber finster und blind - so kömmt uns unser ganzer Leib auch verfinstert vor. Eben so verhält es sich mit unserer Absicht und Mey¬ nung , die wir bey unser» Werken haben, diese kamr unsere Handlungen nach verschiedener Beschaffenheit entweder erleuchten und veredeln, oder verfinstern, und ihres ganzen Verdienstes bey Gott berauben» Ohne einer guten, reinen und heiligen Absicht gelten «uch die beßten Werke nichts vor Gott. Wir Christen müsse» also aufeine vollkommenere Weise gerecht, unschuldig und heilig vor uüserm Gott wandeln, wir müsse» uns nicht allein vor äu¬ ßerlichen groben Sünden hüte«, sondern auch un¬ ser Herz, unsere Gedanken und Begierden heiligen, und alle unsere Werke bloß iu der Absicht verrichten, um Gott zu gefallen, und darinn soll die christliche Gerechtigkeit die pharisäische Gerechtigkeit weit über¬ treffen. Cbri- — < «4Z ) — Christus zeiget aber heute, wie weit dis« se christliche Gerechtigkeit jene übertreffen müsse, in zweyen Beyspiclen noch deutlicher , wovon er daS erste iu der Erklärung des fünften Gebokhes gibt, welches wir in dem zweyten Predigttheile hören wol¬ len. ZweyLer Theil. Die Pharisäer und etliche damalige Lehrer der Ju-> den behaupteten, nur der wirkliche Menschenmord sey eine Todsünde, durch welche man Gottes Gnade verliehre, und sich der ewigen Höllenstrafc schuldig mache. Bloße Feindschaft, Groll und innere Rach¬ begierde hingegen seyen keine so beträchtlichen Sü-n» ' den , sondern nur Fehler menschlicher Schwachheit, die Gott dem Menschen nicht so hoch aufrechne. Je¬ sus widerlegt aber, und verdammet mit ganz edlem Muth und erleuchtetem Eifer diese höllische Lehre, und zeiget, wie viel vorzüglicher die Tugend eine- Christen sey müsse, er geht stuffenwcise in seinem Vortrage, und unterscheidet dreyerley Gattung deS Zorns und der Sünde gegen das fünfte Geboth. Die erste Gattung sey, wenn man sich schlechthin wider den Nächsten erzürne, ohne ihm Schmähreden anzuhängen, noch etwas Uebels zu wünschen, oder was Leids zu thun. Nichts destvweniger versichert er, dieser Zorn verdiene, so gering er auch man¬ chem Pharisäer zu scyn scheine, eine schwere Strafe. Die zwote Stuffe des Zorns sey, wenn man sich darin» so weil vergehe, daß man den Nächsten Q s mit - ( L44 ) — mit Schmähreden überhäufe, und dieses verdiene eine beträchtlichere Abstrafung. Endlich die dritte Stuffe des Zorns sey, wenn man in eine solcheHcf- trgkeit verfalle, daß man gar nicht mehr vernünf¬ tig handle, sondern sich bloß von dem Triebe dieser heftigen Leidenschaft fortreiffen laste, und nicht nur harte Scheltworte gegen den Nächste» ansstoffe, son¬ dern denselben gar Mißhandle. Uebrigeus richtet sich Jesus in seiner Erklärung dieses Gebothes nach den bey den Inden be'ndlichen Gerichten, wo die Verbrechen nach dem Un erkchiede ihrer Schwere Und Schwarze untersuchet und bestra¬ fet wurden, und dieses thut er in der Absicht, um fcinerrlZuhvrprn die stuffenmäßige Bosheit der Sün¬ de gegen das fünfte Geboth begreiflicher zu machen. Durch das Gericht versteht er die Untergerichte, de¬ ren in jeder Stadt eines war, die meistens aus drcy und zwanzig Richtern bestunden, welche über bür¬ gerliche und peinliche Sachen zu verhören halten, und am Leben strafen konnten. Durch den Rath ver¬ steht er den hohen Rath zu Jerusalem, das höchste Gericht der Juden, darinn zwey und siebenzig Rich¬ ter saßen, welche die vorzüglich gröbern Verbrechen untersuchten, und mit schwereren Todesstrafen be¬ legten. Durch das höllische Feuer aber deutet er auf jene schwere Strafe bey den Juden, wo die Leiber der großen Missethäter in das nahe bey Jerusalem gelegene Thal Hinnon nach geschehener Hinrichtung geworfen, und durch das Feuer verbrennet wurden, welches Hinnen die Juden die Feucrhölle, oder das Höllenfeucr zn nennen pflegten, weil in diesem Orte beständig Feuer, Rauch und Dampf war, indem auch — ( S4F ) auch alle Unreinigkeiten aus der Stadt Jerusalem dahin gebracht, und verbrannt wurden. Oder viel¬ mehr mag dieses daher gekommen seyn, daß man ehedem in dem Thale, Benennom odevBehinnon ge¬ nannt, dem Gößen Moloch Kinder opferte, und verbrannte, und aus dieser Ursache in den folgenden Zeiten dieses Thal von den Juden so verabscheuet wurde, daß sie den Ort der ewigen Qual rtach die¬ sem Namen benannten. Dieses zum besseren Verständnisse der Erklärung Christi vorausgesetzt, lasset uns nun, meine lieben Christen, seine eigenen Worte hören, um zu sehen, wie er zeiget, daß man den Todschlag nicht allein mit der Thal, sondern auch mit dem Munde, wenn man se nen Nächsten fluchet und ihn lästert, ja so¬ gar mit dem Herze», wenn man ein unversöhnliches zorniges Herz gegen ihn hat, begehen könne. "Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist, lauten sei¬ ne Worte, du sollst nicht tödten, wer aber tddtet > soll des Gerichtes schuldig seyn. Ich aber sage euch: wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerich¬ tes schon schuldig.,, Durch die Alten versteht hier Jesus nicht das Gesetz Mösts, sondern die Men- schensatzungen der jüdischen Lehrer ; er sagt, es fey zu den Alten gesagt worden, weil die damaligen Ge¬ lehrten unter den Juden sich öfters auf die Ausle¬ gung ihrer Vorfahrer beriefen, um ihren Schrift» ausleguugen ein Gewicht zu gehen, als wenn sie nämlich das Gepräge des Alterthums hätten. Jesus behauptet aber gegen diese Auslegungen, daß nicht allein der wirkliche Todschläger sich gegen das fünfte Gebokh Gottes versündige, »nd vor das Gericht ge- Q Z stellet. —» ( 2^6 ) — stellet, und am Leben gestrafet zu werden verdiene, sondern daß auch derjenige, welcher nur mit seinem Bruder zürnet, schon des Gerichtes schuldig sey. "Wer aber zu seinem Bruder sagt Racha, der ist des Rathes schuldig.,, Wer seinen innern Groll und Feindschaft gar in Schmähungen ausbrechen läßt, und seinen Nächsten einen nichtswürdigen Men« scheu sch rupfet, der verdiene gar dem hohen Rache zu Jerusalem vorgestellct, und von ihm hart bestra¬ fet zu werden. Diesem höchsten Gerichte der Juden nämlich, vor welchem nur die wichtigsten Falle der Nation kamen, wo nur die größeren Verbrechen un¬ tersuchet und abgestrafet wurden, die in den Unter¬ gerichten nicht abgethan werden konnten. "Wer aber zu seinem Bruder sagt, dn Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig.,. Wer seinen Bruder mit noch härteren Schimpfwörtern lästert und schmähet, ihn einen Narren schimpfet, das ist, nach dem eigentlichen Sinne dieses Wortes in der Bibelsprache r wer seinen Nächsten einen gottesvcr- geffcnen Menschen, einen verruchten Bösewicht schillt, der ist gar des höllischen Feuers schuldig, -er verdienet jene Fcu rstkafe, welche man den groß, ten Uebelthäkern im Thale Hinnon anthut, oder ehe¬ dem den Kindern authat, da man sie allda zu Ehren des Götzen Molochs verbrennte. Nutzanwendung. Aus diesem erhellet nun, meine lieben Christen, -aß das Gesetz Gottes nicht allein den äußerlichen , stmdem auch den innerlichen Gehorsam von uns son¬ dere,. -°- ( L47 ) Sere, daß wir uns nicht allein vor äußerlichen suuds haften Werken, sondern auch vor bösen Worten unN Gedanken, vor falschen Urkheilen, vor bösen Be¬ gierden nnd Neigungen mit aller christlichen Sorg«» falt uns hüten sollen. Dahin geht diese Erklärung Jesu über das fünfte Geboth, wodurch er die man¬ gelhafte Lehrart der Pharisäer, die sich nur auf die äußerlichen Werke erstreckte, verbessern wollte. — Lbschon ein böser Gedanke nicht so sträflich, als ei» böses Worfl, und ein böses Wort mcht so strafllich ist, als die böseThat, so machen doch alle dreff schuldig vor Gott, und ziehen »ns große Strafe» zu. Das erste macht uns des Gerichtes schuldig fordert uns vor den Richtcrstuhl des höchsten Rich«- ters, um allda nach dem Maß unserer Bosheit gerich¬ tet zu werden, und das Urthcil der Verdammniß, das wider uns ergehen wird, anzuhören, welches Urtheil um so erschrecklicher seyn wird, je mehr sich unser Verstand bey verbythenen Gedanken, und iw zornigen, rachsüchtigen, unreine» Begierden wirv aufgehalken haben. Das Zwcyte macht uns des Ra- thes schuldig, das ist, bey dem Zweyten wird die Strafe desto strenger seyn, je sündhafter, ärgerli¬ cher, verleumderischer unsere Reden gewesen seyn werden. Je mehrere Beschimpfungen gegen den Ne¬ benmenschen unsere Zunge wird hervorgebracht haben, oder je mehr sie sich i zweydeutige Worte, in fre¬ che, unflätige Gespräche, in Spöttercyen, Lügen, und unnützes Geschwätz wird ergossen haben. Das Dritte, das böse Werk selbst, ist noch verdammli- cher als die vorigen, weil es mehr Bosheit und Ab-, Q 4 schon- —- ( 248 ) — scheulichkeit anzeigct, und der Schaden, den ei verursachet, weit beträchtlicher ist. Ferner sehen wir aus dieser Erklärung Christi, -aß der Zorn gegen unfern Nebenmenschen ein Greuel vor Gott, und wenn er zu einem gewissen Grade kömmt, eine große Sünde sey, vor welcher wir uns mit allem Fleiß hüten sollen, denn wer mit seinem Bruder zürnet, wer Groll nnd Rache gegen ihn im Herzen trägt, der ist des Gerichts schuldig, der ladet sich große Strafe auf den Hals. Und dieses ist ganz billig, meine Christen, daß Gott dhese Sünde gehörig abstrafe, denn was ist abscheulicher als der Zorn? der de« Menschen, welcher sich ihm ergibt, anßeist beschimpfet und verunstaltet, dessen abscheuliches Bild sich aufden Gesichtszügen und allen Gliedern des Kör¬ pers ausdrücket, der den Menschen, welcher sich von ihm einnehmen läßt> in ein unbändiges, wüthendes Thier verwandelt, so daß er nicht mehr, seinen Hand¬ lungen nach einem vernünftigen Geschöpfe, sonder« einem reissenden Löwen, einem grimmigen Tiger, oder einem andern wüthenden Thiere gleichet, der machet, daß der Mensch öfters alle Vernunft wcg- wirft, alle Pflichten gegen Gott und den Nebenmen- schen vergißt, alle Hochachtung gegen Obere bepscite setzet, und keines Menschen schonet, gleich einem Raubthiere, das alles, was ihm in den Weg kommt, angreifet, und erwürgen will. Ist es Wunder, sage ich, wenn Gott das Laster des Zorns so scharf ab¬ strafet, der so betrübte Folgen schon gehabt, der so großen Schaden schon in der Welt ungerichtet hat, und der noch täglich so erschreckliche Zerrüttungen auch m den Wohnungen der Christen anrichtct, welche doch — ( -49 ) die Wohnungen der Eintracht und des Friedens seyn sollten, der die Häuser der Menschen in eine Art von Hölle verändert, wo Vorwürfe und Flüche, Schre¬ cken und Unordnung, Wnth und Rasercy herrschen. Ihr werdet euch gar nicht mehr darüber verwundern, meine lieben Christen, daß unser sanftmüthigcr Erlö¬ ser heute so schreckliche Strafen dem Zorne androhrt, wenn ihr bedenket, welches Unheil diese unbändige Leidenschaft öfters unter Gottes Familie auf Erden anstellet, denn wie wehe ist es nicht öfters einem Manne, der ein zorniges Weib hat, und wie wehe einem sanftmüthigen Weibe, das einen zornigen Manu hat. Wie sehr sind nicht Kinder und Dienstbochcn zu bedauern, die zornige Elter» oder Hausherren haben, die keine Vernunft im Zorn erkennen. Wie viele Zan- kereyen, Schellworte, schimpfliche Reden, Schiagc- reyen und Görichtsstreite emstchen nicht aus demZor- ne, die ganze Häuser verderben, und um all ihr Hab und Gut bringen! Wahrend dem grimmige Thiere, die auf dem Felde rasend hernmschweifen, in ihren Höhlen aber, bcy ihren Jungen, ihre wilde Art ver¬ lassen, thun dergleichen zornige, wilde Menschen öf¬ ters das Gegenthcil, wenn sie äusser ihrem Hause zu Zeiten fanflmülhig zu seyn scheinen, so sind sie. solche nicht mehr, wenn sie sich unter den Ihrigen befinden, -daschreyen sie, da schwören, fluchen, schlagen sie^ gleich rasenden Menschen, und sind schlimmer, als die schädlichsten unbändigsten Thiere. Kann es euch, sage ich noch einmal, nach dieser Betrachtung noch wunderbar vorkommen, wenn ihr heute höret, daß sich Christus so scharf gegen den Zorn ausdrücket, und so scharfe Strafen auf denselben setzet! L> daß L A doch — ( -5» ) — Hoch dergleichen Unglückselige, die sich von diesem La¬ ster beherrschen lassen, ein wenig an die heutigen Worte Jesu denken möchten, daß sie doch ein wenig bedenken möchten, wie eS ihnen in der Ewigkeit erge¬ hen werde, wenn sie sich nicht ändern, und diese Lei¬ denschaft des Zorns in sich nicht zu unterdrücken su¬ chen, daß doch dergleichen Zornige bedenken möchten, welch ein erschreckliches Gericht ihnen Christus im heutigen Evangelium androhet, daß sie den Zorn Gottes und den Zorn der höllischen Geister, dem sie in der Ewigkeit deßwegen werden ausgeseßet seyn, und zugleich ihrx eigene unaussprechliche Wuth, in welche sie allda gegen sich selbst ausbrechen werden, betrachten möchten , daß sie doch alles dieses wohl beherzigen, dieser wilde», viehischen Leidenschaft wi¬ derstehen, sich an die christliche Sanftmuth, und zu¬ gleich an die Versöhnlichkeit gegen diejenigen, die sie beleidigen, gewöhnen möchten; denn auch dieses Letztere fordert Christus von allen seinen Anhängern, wie wir im dritten Theile höre» werden. Dritter LH eil. Die Vortrefflichkeit der christliches Moral zeiget Chri¬ stus heute auch besonders dadurch, da er sagt, daß er von allen seinen Anhängern fordere, daß sie ihre» Feinden verzeihen, und dieselben von Herzen lieben sollten, da doch die Juden glaubten, es sey ihnen er¬ laubt, wenigstens sey es nicht verbothen ihre Feinde zu Haffen. Er aber wolle sogar, mau soll Gott kein Opfer bringen, wenn man sich zuvor mit seinem Nächsten nicht ausgesöhnet habe. Wenn du deine Gabe auf dem Altar opfern willst, sind seine hcuti- t -ZI ) heutigen Worte, und wirst allda eingedenk. öaff dein Bruder etwas wider dich habe, so laß dein« Gabe vor demAltar, und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder, und alsdann komm und opfere deine Gabe. Selbst das frey- willige Opfer, die edelste Art des äußern Gottes¬ dienstes, soll vor dem Altar gelassen werden, und ohne V rzug soll man gehen, fich mit seinem Näch¬ sten auszusöhnen, uud das Herz von aller Feindselig¬ keit zu säubern. Meine lieben Christen, wie sehr Jesu dieses Stück seiner heiligsten Moral am Herzen gelegen sep, zeiget er öfters sowohl durch Worte als durch Bey- spiele in seinem heil. Evangelium. Denn nicht nur mit diesen heutigen Worten, sondern mit noch meh¬ reren anderen empfiehlt er allen seinen Gläubigen die Versöhnlichkeit an. In eben diesem fünften Kapitel des Mathaus fgt er: "Ihr habt gehöret, daß mau nach der alten pharisäischen Auslegung des Gesetzes gesagt habe, man solle seine Freunde lieben, seine Feinde aber hassen, ich aber befehle euch, eure Fein¬ de zu lieben, und hierinn eurem himmlischen Vater nachzufolgen, der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen läßt, ich befehle euch, denjenigen Gutes zu thun, die euch Ucbcls thun, und für jene zu be- thcn, die euch verfolgen und verleumde». Denn wenn ihr nur diejenigen liebet, die euch liebe», welchen Lohn habt ihr zu hoffen? Thun nicht eben dieses die Publikane» und Sünder? Wenn ihr allein eure Brüder uud Freunde grüsset, was thut ihr Großes ? Die Heyden und Ungläubige, thun ße nicht eben s» viel? Ja, ( -F- > Ja, diese Tugend der Versöhnlichkeit und Fein- hesliebe schärfte er feinen Jüngern dergestalt ein, daß er ihnen sagte, er wolle an diesem Zeichen und Merkmale die Seimgen von den übrigen Menschen unterscheiden, und sie dadurch zu würdigen Aindm Gottes machen, und damit er seine Jünger und al¬ le feine Nachfolger zu diesem hohen Grade der Til¬ gend desto mehr ermuntern möchte, füget er wichti¬ ge Versprechungen und grosse Drohungen hinzu. Versprechungen, daß er denjenigen auch gnädig alle Sünden verzeihen wolle, welche ihrem Nebenmen¬ schen wahrhaft verzeihen, Drohungen aber, daß er ohne alle Barmherzigkeit diejenigen verdammen wol¬ le, die ihren Brüdern keine Barmherzigkeit wieder- fahren lassen. Denn was lehret er anders in jenem Glcichniße von einem Könige, der seinem Knechte zehn Talente nachgelassen, weil dieser nämliche Knecht aber seinem Mitknechte nicht einmal hundert Denarien schenken wollte, so ließ ihm der König, nachdem er ihm seine Grausamkeit vorgerückek hatte, gebunden in einen finstern Kerker werfen, und ihn so lange darinn gefangen halten, bis er alles bis auf den letzten Heller bezahlete. Eben so werde es fein himmlischer Vater, setzet er hinzu, auch machen mit jenen unversöhnlichen Menschen, die ihrem Bru¬ der die Unbilden, welche sie von ihm empfangen, nicht verzeihen wollen. Dem Petrus befahl er, sei¬ nem Bruder nicht nur siebenmal, sondern siebenzig- rnal siebenmal zu verzeihen, und uns lehret er im Heiligen Baker unser die Nachlassung unserer Sün¬ denschuld nicht anders, als mit dem Bedingniße zu begeh- < LLZ ) - begehren, daß wir selbst jene Unbilden, die wir von andern empfangen haben, verzeihen und nachse¬ hen wollen. Sein ganzes heiliges Leben war eine beständige Lehre von der Versöhnlichkeit und Verzeihung der Un¬ bilden, er war selbst ein beständiges Muster der zärtlichsten Liebe gegen seine Feinde, denn wie vie¬ le Schmähungen empfieng er nicht während seinem öffentlichen Leben von Seiten seiner undankbaren Geschöpfe? Wie viele Lästerungen gegen seine anbe- thungswürdigste Person? Wie viele ehrenrühnfche Verleumdungen und boshaften Gespräche wider sei¬ nen unschuldigen Lebenswandel? Wie viele teufli¬ sche Empfindungen, seine Ehre zu schmähen? Wie vielmal stellten ihm seine Feinde nicht nach dem Le¬ ben? Und wie hat er sich a» denselben gerochen? Er Ihat ihnen Gutes, er bethete für sie, er sammlete noch am Kreuhe die Neberbleibsel seiner Kräften , um Verzeihung für sie zu erbitten. Wie kann sich ein Christ ihn in diesen Umstanden denken, wo er seine erloschene« Augen noch einmal gen Himmel richtete,, und seine st rbende Stimme dahin erhub , um seinen Todsfeinden Verzeihung zu erhalten? Müßte ein Herz nicht von Eisen und eine Seele von Erz ftyn , unempfindlicher als Felsen und Marmor, wenn cs einem solchen Beyspicle widerstehen, und «ichtanch seine Feinde zärtlich umfangen, ihnen nicht alles, was sie ihm Boses angethan haben, verzei¬ hen wollte. Betrachtet man noch dazu, was uns Christus heute und sonst versichert, und durch seine Apostel versichern laßt, daß eines unversöhnlichen Mensche» Opfer, — ( 2L4 > — Dpfer, GeVeth, Fasten, und Empfahunz der hei» sigen Sakramente unnütz seyen, daß alle seine Mühe« seligkeiten, alle seine guten Werke und Abtödtungcn, alles, was er thut und leidet, verlohren sey, ja, wenner all seinHaab und Gut unter die Armen aus- theilte, wenn er die strengste Buße übte. Berge versetzte, die größten Wunderdinge wirkte, seinen Leib den grausamsten Peinen für den Glauben aus- setzte, so würde ihm alles dieses in Ansehung des ewigen Lebens nichts nützen, so lauge sein Herz von -er Liebe leer, nnd die Rachgier das Gute vergället, verbittert und vergiftet. Nutzanwendung. Eine ^der Hauptlehren der christlichen Moral ist also, m.wertheft. Christen, daß wir unsere Feinde lie¬ ben, uns mit ihnen aussöhnen, und ihnen, wenn sie uns gleich alles Uebel zugefüget hätten, von Herzen verzeihen sollen, daß wir nie die Sonne über unser« Zorn untergehen lasten, sondern «och denselben Tag mit unserm Nächsten uns versöhnen sollen. Nach den Vorschriften dieser unserer christlichen Moral ist es nicht genug, wenn wir sagen können, wir ließe« unsere Feinde gehen, wir wünschen ihnen nichts Übels, sondern wir muffen sie, wenn wir anders in Him¬ mel kommen wollen, von Herzen lieben, wir müssen sie freundlich grüßen, für sie bethen, ihnen Gutes wün¬ schen , sie für unsere Brüder halten, eine innerliche gute Neigung zu ihnen hegen, Leid haben, wen« ihnen ei» Unglück begegnet, oder wenn man gegen sie redet. Wir müssen die alte Kaltsinnigkeit ablc- gen. — i 2ZL ) — Herr, mir äußerlichen Merkmalen und Zeichen der Liebe, mit freundlichen, ungeheuchclten Gebärden «nd Begrüssungen ihnen zu verstehen geben, daß wir ein gutes Herz gegen sie haben.-Nach dieser christlichen Moral dürfen wir es nicht bey dem Äu¬ ßerlichen bewenden lassen, sonder« beyde Personen, der Beleidigte und Beleidiger müssen einander von Herzen lieben, der Beleidigte muß von ganzem Her¬ zen vergeben, der Beleidiger aber muß das Unrecht erkennen, eingcstehen, bereuen, und deßwegen um Verzeihung bitten, auch nach Umstanden den zugc- fügten Schaden ersetzen. Noch vielmehr aber müssen wir allen Haß gegen unsere Feinde aus dem Herzen schaffen, wenn wir das heilige Abendmahl empfangen wollen. Denn , wenn Christus das Geboth der brüderlichen Liebe bey den Opfern des alten Bundes so genau beobach¬ tet haben wollte, daß man seine Gabe nicht dar- kringen sollte, ohne sich zuvor mit seinem Bruder Nusgesöhnet zu haben, wie vielmehr müssen wir die¬ ses thun, wenn wir uns dem Opfer des neuen Te¬ stamentes , des Fleisches und Blutes Jesu Christi ckähern, welches ein Sakrament der Liebe, der Ei¬ nigkeit. und des Friedens ist. Wie erschrecklich wä¬ re es nicht, wenn jemand zu diesem Liebesmahle mik kinem grimmigen Herzen gehen, und das Blut des Friedens und der Versöhnung mit einem unversöhn¬ lichen Gemüche trinken wollte. — Der Gott des Friedens, der Liebe und Versöhn¬ lichkeit bewahre uns also, meine werthesien Christen, von aller Unversöhnlichkeit, er beschütze uns wider alle anfwallende Hitze und Heftigkeit gegen unsere Bc- ' l >tz6 ) — Lediger, und gebe uns die Gnade, daß wir Je» Hermann in Frieden und Freundschaft leben mögen, er bewahre auch unsere Herzen wider alle Einbil¬ dung einer Scheingercchtiakeit, wider alles nichtige Vertrauen auf unsere guten Eigenschaften und Schein¬ verdienste, er gebe unS die Gnade, daß wir allezeit wahrhaft fromm vor ihm wandeln, und von ihm rechtschaffen gefunden werden wögen. — Flehet ihn öfters um diese Gnade an, meine lieben Christen, und fasset besonders einen Ekel ge¬ gen das Laster des Zornes, erwäget öfters, was euch heute im Evangelium ist gesagt worden: "Daß, der mit seinem Bruder zürnet, des Gerichtes schul¬ dig fty, wer aber im Zorne seinen Bruder fluchet, des erschrecklichen Rathes schuldig werde, wer aber zu ihm Worte sagt, die ihn schwerlich betrüben könn¬ ten, des höllischen Feuers schuldig werde,, Be- trachtet dieses öfters wobl, und grabet diese Worte tief in eure Herzen, um euch in jenen Augenblicken daran zu erinnern, wo euch eine jähe Hitze anflie- ger, wo euch die viehische Leidenschaft des Zornes anfallen will, führet öfters zu Gemüthe, wie schäd¬ lich diese Leidenschaft sey, was für böse Wirkungen und nachtheilige Folgen sie habe, schämet euch, daß ihr solchen Ausschweifungen jemals ergeben gewesen scyd, und bereuet solches von Herzen. Wenn euch jemand beleidiget, gedenket, wenn ihr verzeihet , wurde euch Golt auch verzeihen, und zu Gnaden aufnehmen. Werfet eure Augen öfters anfJesum das Muster der Sanftmuth, und gedenket an seine» Deuksprnch: "Selig sind die Sanstmüthigen, denn sie werden das Reich Gottes besitzen, Amen. Auf ( 2A7 ) Auf den sechsten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Mark. VIII. 1—9. ^)n der Zeit, da viel Volks da war, undnichts zu esse« hatte, rief JesuS seine Jünger zu sich, und sprach zu ihnen: mich jammert des Volke-, denn sie haben nun drey Tage bey mir verhar¬ ret, und haben nichts zu essen. Und wenn ich sie ungespeiset von mir nach Hause gehen liesse, wür¬ den sie auf dem Wege verschmachten, denn etli¬ che unter ihnen find von Ferne gekommen. Sei¬ ne Jünger antworteten ihm aber, woher neh¬ men wir Brod hier in der Wüsten, daß wir sie sättigen? Und er fragte fie, wie viel habt ihr Brod? Sie sprachen, sieben. Und er geboth dem Volke, sich auf die Erde niederzulassen. Und er nahm die sieben Vrode, dankte, und brach sie, und gab sie seinen Jüngern, daß sie dieselben vorlegten. Und fie legten sie dem Volke vor. Sie hatten auch etlich» wenige Fischlein, er seg¬ nete sie, und hieß demselben auch vorlegen. Sie aßen aber, und wurden latt, und Huben von den übergebliebenen Stücklein sieben Körbe auf. Es waren aber ihrer bey viertausend, die da ge¬ gessen hatten, und er Ueß sie von sich. Erklär, d. Evaug.1I. Thl- R ES ( LSs ) - Es jammert mich brs Bolkes- Mark. 8- V. 2. Eingang. Aas heutige Evangelium, Meine werthesteu Chn» steu, handelt von jenem berühmten Wunderwerke, durch welches Jesus viertausend Mann, ohne die Weiber und Kinder mitzirrechnen, mit siebe» Bro- dcn und etlichen Fischen gcspeiset hat, wie uus sol¬ ches Markus allhier erzählet. Dieses Wunder trug sich ein Jahr vor seinem Leiden zu, wie die Schrift¬ ausleger behaupten, nicht weit von dem galiläischen Meere, und kurz vor dem Lauberhüttenfeste, auf welches Fest vcrmnthlich die große Menge von meh¬ reren tausend Menschen, die sich bey Jesu einfand, reisen wollte. Nicht lange zuvor hatte Jesus ein glei¬ ches Wunder gethan, doch mit diesem Unterschiede, daß er fünftausend Manu mit fünf Gerstenbrod und zween Fischen gespeiset hatte , wo zwölf Körbe voll übrig blieben. Heute aber speisete er viertausend Mann mit siebenBroden und etlichen Fischen, deren An¬ zahl nicht bestimmt wird, wobey sieben Körbe voll übrig blieben. Die Umstände, in welchen sich der Hepland mit seinen Jüngern und dem Volk befand waren jenen bcym vorigen Wunder sehr gleich, der Ort war auch eine Wüste, und die Ordnung, in welcher der gü¬ tige Heyland dieses Wunder ausstellte, war ebendie¬ selbe. Was aber bey diesem Wunder recht merkwür¬ dig ist, und dasselbe erhöhet, besteht darinn, daß Jesus seine» Bewegungsgrund, solches zu wirke», da bey 2A9 ) -E» dabey ausdrücket: mich jammert des Volkes. Er warf nämlich einen mitleidigen Blick auf das hunge- rige Volk, drückte feinen Jüngern seine Empfindung des Mitleids aus, stellte ihnen den gefährlichen Zu¬ stand vor, wenn er fie ungesättiget von sich heimge- hen ließe, hielt darüber eine Unterredung mit ihnen, auf was Art eine so große Menge in einer Wüste ge- speiset werden könnte, und wirkte endlich das Wun¬ der selbst. Wir wollen anjetzo. meine werthesten Christen, unsere Betrachtung darüber anstellen, und sehen," was für nützliche Lehren wir aus demselben für uns ziehen können. Denn solche wunderbare Thaten an- sers Erlösers sind nicht bloß deßwcgen in den Evan¬ gelien ausgezeichnet, und für uns aufbehalteu wor¬ den, daß wir fie nur anstaunen und bewundern sol¬ len, sondern unser göttlicher Erlöser wollte uns so¬ wohl durch seine Worte, als auch durch scineHand- lungen und Wunderwerke lehren. Wir wollen also anjptzo betrachten, was er uns durch das gegenwär¬ tige Wunder lehren wollte. Um unsere Betrachtung aber desto behaltbarer für unser Gedächtnrß zu machen, theile ich die Erzählung des heil. Markus in zwecn Theile, wovon der erste die Unterredung enthalt, welche der Herr mit seinen Jüngern über die vorha¬ bende Speisung des Volkes gehalten hat. Der zweyte The l aber handelt von der wunderbaren Speisung selbst, und von dem, was dabcp vorgefallen ist Lasset uns die Unterredung und Anstalten zu diesem Wunderwerk sowohl, ais das Wunder selbst auf¬ merksam betrachten. R 2 Erster —— ( 2Ü0 ) Erster Theil. Neoor Jesus die wunderbare Speisung vornahm , hielt er eine kleine Unterredung mit seine» Jüngern, worin» er ihnen sein Verlangen äußerte, das bey ihm versammelte hungrige Volk zn speisen. Die Ge¬ legenheit dazu gab ihm, wie ihr aus dem Evange- lio selbst vernommen habt, eine große Menge Leute, die sich bey ihm versammelt hatten, um seine Wun¬ der zu sehen, und die ihm bis in die Wüste nach- gegangen waren, um seine Predigten anzuhören. Ich will eben heute nicht behaupten, daß alle die viertausend Menschen aus rühmlichen Absichten zu ' Jesu gekommen sehen; einige von ihnen, wie es un¬ ter den Menschen zn gehen pflegt, mag die bloße Neugierde dahin getrieben haben- andere mögen die Befreyung von ihren Krankheiten, oder sonst etwas für ihren Eigennutz bey ihm gesuchet haben, andere gierigen vielleicht bloß dahin, weil andere vorangien- gen, und vielleicht waren gar manche aus Bosheit und tückischen Absichten dahin geschlichen. — Gewiß aber waren die meisten aus der edlen Absicht ge¬ kommen , den Unterricht Jesu zu hören, und für ihre Seelen zu sorge». Denn unserm Erlöser gefiel dieser Eifer, er wollte seiner Seils für ihre leibli¬ chen Bedürfniße sorgen, und diesen ihren großen Ei¬ fer besonders belohnen, den sie dadurch an den Tag legten, weil sie drcy Tage bey ihm verharreten, und die Sorge für ihre leibliche Nahrung dabey verga¬ ßen. Denn, obschon sie etwas Brod und andere Spei¬ sen aufdieReise mit sich genommen hakten, wie aus den Körben, die sie mit sich führten, zu schließen ist, in — t r6' ) — in welchen die Juden gewöhnlich ihr Essen und ihre Reisebedürfnisse auf dem Äege mit sich trugen, so war doch alles, bis auf sieben Brode, aufgezehret. Sie verharretcn dennoch bey dem Herr», wurden nicht müde, seine Predigten anzuhören, und dachten nicht einmal daran, wo sie Essen für sich hernehmen wollten. Sie vergassen die Sorge für ihren Körper, da sie die Sorge für ihre Seele so ganz beschäftige! und eingenommen hatte. Der Erlöser, der mehr als ein Barer für die Sei« nigen besorgt war, und stets alles genau überlegte, damit ihnen kein Leid begegnen möchte, berief deß- wegen seine Jünger zusammen, und sagte ihnen, daß er sich über diese Leute, hie schon so lange Zeit bey ihm verharretcn, und nichts zu essen hätten, erbarme» Er könne cs istcht über sein Herz bringen, sie unge- speiset nach Hanse gehen zu lassen, besonders da zu fürchten wäre, es möchten etliche von ihnen auf dem Rückwege liegen bleiben, und vor Mattigkeit sterben, weil sie weit nach Hause hätten, und keine ordentli¬ chen Herbergen imLande wären. Mich jammert des Volks, waren seine Worte, denn sie haben nun drey Tage bey mir verharret, und haben nichts zu es¬ sen. Und wenn ich sie ungespeiset nach Zause ge¬ hen liesse, würden sie auf dem Wege verschmach¬ te» , denn etliche unter ihnen sind von ferne ge¬ kommen. Unser gütiger Erlöser entdecket hier in dieser An¬ rede an seine Jünger nicht nur sein Verlangen, daß das Volk noch vor seiner Heimreise gespeiset werde», möchte, sondern auch die Bewcgursacheu, dieses zir thu», wovon ich eigentlich drey bemerke; erstens sei- R z «e — ( s62 ) — «e Liebe und sein herzliches Mitleiden gegen das Volk. Mich jammert des Volks. Er sagte, er fühle einen Schmerzen im Herzen, ein großes Mitleid, daß das eifrige, lehrbegierigc Volk nichts mehr zu essen habe. Die zwote Bewegursache, die ihn zur Speisung be¬ wegte, nahm er von des Volkes Eifer und Bestän¬ digkeit her, da es seinen Predigten schon so lange zu- gehörcthabe, sie haben nun drev Tage bey mir verharret, um mein Wort anzuhören, und sind nicht «lüde, noch verdrossen darüber geworden , noch des Hungers wegen davon gegangen, sondern haben be¬ ständig bey mirausgchaltcn. Den dritten Bewegungs¬ grund zur vorhabendcn Speisung nimmt er aber selbst von der Nothwcndigkcit der Sache selbst her: wenn ich diese, abgematteten und entkräfteten Leute, bep warmer Witterung ungefpeiset nach Hause gehen ließe, würden sie aufdem Wege verschmachten, weilen etliche von ferne gekommen sind. Jesus wußte nämlich nach seiner göttlichen Allwissenheit, daß viele von den anwesenden Personen einen weiten Weg nach Haufe vor sich hätten, und dieses sein Mit¬ leid entdeckte er seinen Jüngern in der Absicht, damit er sie zu einem gleichen Mitleiden bewegen, und sie desto williger machen möchte, für das arme Volk zu sorgen, und ihm Essen zu verschaffen. Allein dieJün- ger hatten kein so mitleidiges Herz, wie er. Sie machten aus der vorhabenden Speisung einer solchen Menge Volks eine gänzliche Unmöglichkeit. Woher »ehmen wir Brod, antworteten sie, hier in der wüste, wo keine Städte und Dörfer sind, daß wir etwas herholcn könnten, auf daß wir sie sättigen. Da der Leute so viele Tausende sind, die dabey sehr hungrig — ( SöZ ) — hungrig styn müssen, weil sie in dreyen Lagen keine ordentliche und volle Mahlzeit genommen haben, folg¬ lich viele Speisen erfordert werden, ihren Hunger zu stillen. Die unmitleidigen Jünger wollten näm¬ lich, man solle das Volk forkgehen lassen, und ein jeder möge in den nächstgelcgcnen Flecken und Städ¬ ten sich selbst so viel Brod und Speisen kaufen, als er bedürftig wäre. Da nun aber die Jünger kein Mitleiden haben, noch Anstalten zur Speisung machen wollten, so irghm sich Jesus der Sache selbst an, und fragte sie: wie viel Brod sie bey sich hätten. Obschon ihm wohl be¬ kannt war, wie viel Brod sie bey sich halten, so stell¬ te er dennoch diese Frage an sie, nm ihre Antwort zu hören, und um durch ihr Bekennkniß von dem weni¬ gen Vorrathe der Lebensmittel das vorhabcnde Wun¬ der desto einleuchtender zn machen, und alle Anwe¬ sende zu überführen, daß er kein blosser Mensch, son¬ dern zugleich der Allmächtige Gott sey, der durch sei¬ ne Allmacht wenig Brod so sehr vermehren könne, daß es zur Sättigung vieler tausend Hungrigen hin¬ reichend werde. Die Jünger ärgerten in ihrer Antwort einen klei¬ nen Glauben, und zeigten mit ihrem ganzen Verhal¬ ten bey dieser Gelegenheit, daß sie noch schwache Menschen waren, besonders da sie nicht einmal an jene erste wunderbare Speisung dachten, die vor kur¬ zer Zeit, nicht lange vor Ostern, geschehen war. Hätten sie da nicht zu ihrem liebenHerrn und Meister sagen sollen: Herr, du hast ja unlängst so viele tau¬ send Menschen mit wenigen Brode» gcspeisek, thue auch anjeHo desgleichen mit diesen wenigen Broden, R 4 die —- ( 264 ) — die noch hier vorhanden sind. Du bist ja der Schöpfer des Brvdes, wir haben dieses schon erfahren, und glauben, daß du auch dergleichen noch jetzo thun kön¬ nest. Allein diese Gedanken hatten sie nicht, sondern sie sagten : wir haben nicht mehr als sieben Brode bey uns, und wie werden diese hinreichen, eine so große Menge Volkes zu sättigen? Nachdem nun Jesus diese Antwort vernommen hatte, so befahl er ihnen, diese sieben Brode herbeyzuhringen, um sie ihres schwachen Glaubens zu beschämen, und ihnen zu zeigen, daß ihm, ungeachtet ihrer vorgestellten Unmöglichkeit, ganz leicht sey, mit wenigen Lebens¬ mitteln viele seiner Geschöpfe zu sättigen. Er befahl zugleich, nachdem diese Brode herbeygeschaffet waren, dem Volke zu sagen: daß es sich auf die Erde nieder¬ setzen solle, damit alle gespeiset, und Niemand bey der Austheiluug des Brodes übersehe» werden möch¬ te , welches das Volk in sehnlicher Erwartung der Speise bey zunehmenden». Hunger auch ganz willig that. So weit gehen die Veranstaltungen Jesu zu sei¬ nem vorhabenden Wunderwerke, davon ich euch, meine lieben Christen, die Ausführung hernach erzäh¬ len werde. Die Sittenlehre aber, die wir für unS aus die¬ sem ersten Theile ziehen können, theile ich in drey Stücke, erstens, was wir von dem Volke, zweytenS, was wir von Jesu, und drittens was wir von seinen Jüngern zu lernen haben. Von dem Volke haben wir erstens zu lernen, daß wir einen heiligen Eifer und eine heilige Begierde nach den» Worte Gottes, nach den Gütern des Heils und der ewigen Seeligkeit ha¬ be»» — ( 2ÜF ) -— bei, sollen, denn diese Leute im Heinigen Evangelium giengen Jesu mit großem Eifer nach, sie folgten ihm bis in dieWüfie, und hielten drey ganze Tage bey ihm aus, damit sie seine Lehre genug anhören könnten, sie vergaßen sogar , aus Eifer für ihre Seele, für die Nahrung ihres Leibes zu sorgen. Von dergleichen sagt Christus Matth, z. Kap.: Selig sind die Zunge- rigen und Durstigen nach der Gerechtigkeit, denn ske werden gesättiget werden. Wir müssen nach diesem schönen Beyspiele ungezwungen , willig und gerne dem ordentlichen Gottesdienste beywohneu, und mit Eifer das Wort Gottes anhören, um diesen Eifer aber in uns zu erwecken, müssen wir öfters bedenken, daß die Lehre, die uns auf den Soun - und Feyertagen aus dem Evangelium vorgctragc» wird, eben jene Lehre sep, welche anzuhören das heutige Volk unserm Erlöser bis in die Wüste folgte, und drey Tage bey ihm verharrete, daß es eben jene Lehre sey, welche der Sohn Gottes vom Himmel auf die Erde gebracht, und mit so vielen Wunder¬ werken , unter welchen die heutige wunderbare Ver¬ mehrung des Brodes gewesen, bestättiget und be¬ kräftiget hat.— Thun wir dieses, hören wir das Wort Gottes gerne, willig und mit Eifer an, so wird «ns Gott auch unsere Arbeiten, Geschäfte und zeitliche» Güter segnen, so wie er den Eifer des heu¬ tigen Volkes mit häufigen Segen belohnete. Solcher Menschen gibt eS aber zu jetzigen Zeiten wenige, die dem Eifer dieses Volkes nachkommen, welches ohne Zweifel daher rührt, weil man die Lehre des Evan¬ geliums nicht hoch genug achtet, oder weil man die zeitlichen Güter und Nahrungssorgen mehr im Herzen R L Kat, —— s 2Ü6 ) —— har, als die Güter des Heils und die Sörgen für die ewige Seligkeit. Man veruachläßiget öfters die Anhörung des Worts Gottes ans schlechte» Ursachen, begnüget sich an Sonn-und Feyertagen mit einer Stillmesse, wohnet selten dem ordentlichen Pfarr¬ gottesdienst vom Anfaüge bis zum Ende bey, und bringt lieber mit Müssiggehen , oder gar mit üppi¬ gen sündhaften Dingen, als mit Anhörung oderLe- sung seines heiligen Wortes Pie Tage des Herrn zu. Wie sehr beschämet nicht solche laue Christen der Ei¬ fer des jüdischen Volkes, welches so lange bey Chri¬ sto ausharrete, und lieber Hunger litt, als daß eS von ihm weggehen sollte, und welches ihn nicht eher verließ, als bis er seine heilige Lehre beschlossen hat¬ te. Dieses ist es, was uns das lehrbcgierige Volk heute lehret, meine werthesten Christen, von Jesu selbst aber sollen wir lernen, daß wir auch ein barm¬ herziges, mitleidiges Herz gegen andere Menschen haben sollen. Ls jammert ihn des Volkes. Die Roth dieser guten Leute, welche so lange bey ihm verharrcten, daß sie nun Hunger litten, und in Le¬ bensgefahr geriethen, drang ihm zu Herzen, so soll auch »ns die Noth unsers Nächstens zu Herzen gehen, in diesem Stücke sollen wir unserm Heylande ähn¬ lich werden, wir sollen auch barmherzig werden, wie er barmherzig war, weil ein barmherziger Va¬ ter keine unbarmherzigen Kinder leiden kann. Wik sollen niemals so unempfindlich bey der Noth des Nächsten seyn, wie hier die Jünger waren, die »ur das Volk sich vom Halse schaffen wollten, ohne wei¬ ters zu sorgen, was es für ein Schicksal auf dem Wege haben würde. Dieses war gewiß von Jüngern eines — ( 267 ) eines so barmherzigen Lehrmeisters nicht gut gehan¬ delt, da sie dachten, wenn sie nur für sich Brod ge¬ nug hätten, möge es andern Leuten gehen, wie es wolle.— Eben so denken allp Unbarmherzige, wenn sie satt sind, wenn sie reich sind, und genug haben, wenn sie gesund und stark sind 5 und anderer Hülfe und Mitleidcn nicht bedürfen, alsdann gedenken sie, es sey auch bey andern Leuten so,, und daher bekümmern sie sich nicht viel um dieselben, sie wissen nicht, oder wollen nicht wissen, wie andern elenden Menschen zu Muthe ist, an deren Stelle sie sich doch fetzen, und wohl bedenken sollten, wie es ihnen ge¬ fallen würde, wenn sic im Elende saßen, und kei¬ ner Erbarmung gewürdiget würden. Ferner haben wir heule von Jesu den Trost, daß wir uns in allen unfern Nöthen und Anliegen si¬ cher und gewiß auf seine Allwissenheit verlassen, und uns mit derselben beruhigen können, der alles weiß, wird auch wohl wissen, was unS nützlich und deil- sam ist. Er wußte, daß die heutigen Leute zum Theil sehr weit nach Hause hätten, daß cs ihnen an Lebensmitteln fehle, daß sie auf ihrer Rückreise ver¬ schmachten würden, u. dgl. hat er dieses alles ge¬ wußt, so wird er auch unser Anliegen wissen, und uns nicht mit seiner Hülfe verlassen, er wird uns zu rechter Zeit helfen, wir können uns sicher auf sein barmherziges, mitleidiges Herz verlassen, und sei¬ nes Bepstaudes getrösten. Geht unsere Noth Nie¬ manden zu Herzen, so geht sie doch gewiß Jesu zu Herzen, er weiß, wie es einem Armen zu Mulhe ist, weil er selbst arm war, und nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegke, er weiß, wie cs einem Hungrigen zn zu Muthe ist, weil er selbst vierzig Tage und Nach- te gefastet, und es ihm gehungert hat, er weiß, wie einem Betrübten zu Muthe ist, weil er selbst ausrief: meine Seele-ist betrübt bis in den ilod. Er weiß, wie eS um einen Verachteten und Verfolg¬ ten steht, weil er selbst verachtet und verfolget wur¬ de, er weiß, wie cs Verlassenen zu Muthe ist, weil er selbst von allen Menschen, sogar von seinen Jün¬ gern verlassen wurde, er weiß, wie es Sterbenden zu Mnkhe ist, weil er selbst sein Haupt geneiget, und am Stamme des heiligen Krentzes verschieden ist. Wir können uns also sicher in allen Zufällen die¬ ses Lebens auf seine Hülfe verlassen, er kennet die rechten Freudenstunden, er weiß, was, wo und wann nun dieß und jenes nützlich sey. Aus dem Verhalten der Jünger haben wir end¬ lich zu lernen, meine werthesten Christen, daß wir nicht kleingläubig werden sollen , wie sie, daste da sagten: woher nehmen wir Brod, daß diese ge- fattiget werden, sondern daß wir uns auf die all¬ mächtige Hand des Herrn in allen Zufällen unsers Lebens verlassen sollen. Gott, der uns das Leben gegeben, wird es uns auch erhalten, der die Raa- bcn speiset, wird auch die Menschen, sonderlich je¬ ne, die ihn lieben, mit Brod versorgen. Wie viele Proben seiner zeitlichen Versorgung und Fürsehuug haben wir -richt? Wie wunderlich hilft er nicht so vielen armen Leuten, Witkwen und Waisen fort? Wie wunderbar erhielt er nicht den Abraham in theu- ren Zeiten? Wie wunderbar mußte nicht Joseph sei¬ ner ganzen Familie Retter und Versorger werden? — ( LÜY ) — Wie wunderbar versah er nicht den Elias, die Pro-, phetenkinder und andere Personen in nahrungslosen Zeiten mit Brod? Und wie wunderbar ernährte nicht Jesus bey seiner größten Armuth seine zwölf Apo¬ stel, daß sie bekennen mußten, es habe ihnen in seinem Dienste niemals gemangelt?— Sch^t, mei¬ ne wertesten Christen, auf solche Spuren göttlicher Versorgung müssen wir in gefährlichen Zeiten und be» unserer Dürftigkeit Acht geben, und nicht so un¬ achtsam seyn, wie die Jünger Christi, welche bald nach der ersten Wunderspeisung schon nicht mehr an die mächtige Versorgung ihres Meisters dachten. Wir müssen niemals kleingläubig werden, sondern unser ganzes Vertrauen auf denjenigen setzen, der nach der heutigen Erzählung des heiligen Markus so viele tausend Hungrige in einer öden Wüste mit we¬ nig Brod gespeiset hat- wie wir in dem zweylen Lheile noch hören werden. Zweyter LH eil. Der andere Theil des heutigen Evangeliums han¬ delt von der wunderbaren Speisung der vier Tau¬ senden selbst. Nachdem nämlich die Jünger die sie¬ ben Brod, die sie noch bey sich hatten, herbeyge- bracht hatten, nahm sie der Heyland in seine all¬ mächtige Hande, schauete gen Himmel, dankte, sprach seinen Segen darüber, und rief seinen himm¬ lischen Vater an, daß er diesen wenigen Vorrath so vermehren möge, damit er zur Sättigung so vieler Hungrigen hinreichend werde. Und nachdem er sein Gcbeth verrichtet Hatto, bnrch er die Brode, theilte sie," -- 2/D ) — fix, und gab em Stück nach dem andern seinen Jün¬ gern, die solche wiederum in kleinere Stücke brechen, und dem Volke, welches sich auf seinen Befehl auf die Erde hingclagert, und gleichsam zu Tische gele- get hatte, vorsetzen mußten. Die Jünger legten nun das Brod dem Vol¬ ke vor, giengcn von einer Reihe zur andern, und theiltcn alle» ans. Sic gaben auch die wenigen Fische, die sie noch hatten ihrem Meister, der sie ebenfalls in seine scgcnreiche Hande nahm, seinem himmlischen Baker dankte, den Segen darüber sprach, und sie, wie das Brod, vorleaen ließ. Bep dec ganzen Handlung gieng alles ordentlich zu, das Volk aß, und ward satt. Dieses Gastmahl schmeckte die¬ sen Hungrigen ganz herrlich, und sie wurden so voll¬ kommen gesattiget, daß sie nur nichts mehr zu essen begehrten, sondern auch noch vieles übrig ließen. Die Brode und Fische vermehrte» sich nämlich wah¬ render Zeit in den allmächtigen SchöpfershändenJe- su dergestalt, daß es offenbar wurde, wie er dec Hepland und Helfer, ja der wahre Sohn Gottes fey, der auch in seinen Händen göttliche Kraft und Wundermacht habe. Nachdem nun alle gegessen hatten, so versam¬ melten die Jünger die übergcbliebenen Stücklein zu¬ sammen , und füllten von denselben noch sieben Kör¬ be. Es wurden also mehr abgetragen , als war auf¬ gesetzt worden. Das Volk hatte sich bey seinem gro¬ ßen Hunger nicht nur satt gegessen, sondern hatte auch, welches noch mehr zu bewundern war, von diesem geringen Vorrathe noch übrig gelassen. Das Wunder war also einleuchtend; denn wie viele Wä¬ gen gen voll Brod würden nicht erfordert worden seyu, wenn man ohne Wunder viertausend Mann hätte speisen wollen? Dieses hatte aber Jesus nicht nöthig, da er selbst Brod schaffen, und aus Wenigen Diel ma¬ chen kann. Er, derdajährlich aus einem einzigen Saa- menkorne hundert hervorwachscn läßt, und täglich auf dieser Welt tausend Millionen Menschen speiset. Ans allen Umständen leuchtet die merkwürdige Grö¬ ße dieses Wunders vor andern hervor, und die Ge¬ wißheit desselben wird nach Gottes weiser Anordnung von so vielen tausend Menschen als Zeugen bestätti- ger. Hauptsächlich auch die Jünger selbst, welche die ganze Sache für unmöglich gehalten hatten, mu߬ ten dieses nun bezeugen, niemand dachte, daß der¬ gleichen möglich wäre, und gleichwohl geschah es, daß so viele von diesem kleinen Vorrathe gesättiget wurden, und noch dazu mehr übrig blieb, als auf- gesetzet wurde; es war deswegen große Freude bey den Jüngern und bey den gesättigten Gästen, die -alsdann, von der Größe Jesu ganz eingenommen , 'ganz vergnügt nach Hause giengen. Nutzanwendung. Aus diesem Wunder erkcnncn-wir nun abermal. Meine lieben Christen, Jesu Allmacht und Güte, seine Allmacht zwar, daß er uns mehr thun kann , als wir uns einbiiden und ihn zu bitten unterstehen, seine Güte aber, da er uns mehr thun will, als wir verdienen. Wir sehen, daß wir an seiner gött¬ lichen Versorgung auch bey geringem Vorrathe nie¬ mals zweifeln sollen, denn es ist ihm gleich viel, durch —° ( 27- ) - durch Wenig oder durch Viel zu helfen. Der die sie¬ ben Brode so reichlich segnen konnte, daß Tausende der Menschen satt wurden, kann auch unfern kleinen Vorrath gedeyheu lassen, daß wir essen, satt wer¬ den , und übrig behalten Wir müssen nur ein vestes Vertrauen auf ihn setzen, wie das Volk, das ßch mit vollem Vertrauen auf die Erde lagerte, und sei¬ ne Speise von ihm erwartete, da Gott bereit ist, uns Menschen, wenns vonnöthen ist, auch wunder¬ barer Weise zu erhalten, das ist, uns auch ohne die, zu unserer Versorgung verordneten Mittel zu er¬ nähren, so will er dieses auch gewiß durch ordent¬ liche, von ihm selbst bestimmte Mittel thun. Wir Menschen sind sowohl in unserem Ursprünge, als auch in unserer Erhaltung von Gott ganz beson¬ ders ausgezeichnete Geschöpfe, und wir können sa¬ gen , daß wir seiner besonder» gütigen Fürsorge und Regierung geniessen. Wie wir in der Schöpfnug sein besonders Augenmerk waren, und gleichsam ein be¬ sonderes Schöpfungswerk ausmachten, also sind wir auch in der Erhaltung ein besonderer Gegenstand seiner Macht und Güte, alle andere Geschöpfe auf dem ganzen Erdboden find -zu unserem Beßten da, ehe mußte Manna vom Himmel fallen, ehe Gott sein Volk in der Wüsten verhungern ließ, ehe mu߬ ten sieben Brode so vermehret werden, daß sie Tau¬ sende sättigten, ehe ein einziger derselben verschmach¬ ten sollte. — Sollte aber diese besondere Fürsorge Gottes für uns Menschen nicht unsere ganze Auf¬ merksamkeit rege machen können? Sollten wir nicht öfters unsere Augen zu demjenigen gen Himmel hiu- richten, der uns die Speisen gibt, der den Segen in — ( S/Z ) — in unsere Nahrungsmittel legt, die ein keständigetz Beweis seiner Allmacht, seinerWeisheik, Güte und Liebe gegen uns sind? Verdienet er nicht, daß wir ihn als unfern einzigen Versorger, Speiser und Er¬ halter erkennen, seine Güte gegen uns verehren, und seine Gukthaten nur zu seiner Ehre geniessen. Was will er uns auch anders selbst durch fein heiliges Beyspiel heute lehren, meine werthesten Christen, als daß wir besonders bey dem Genüße seiner Gukthaten an ihn gedenken, und ihn als un¬ fern alleinigen Erhalter erkennen und verehren sollen? ehe.er das Volk speisete,dankte er, wie der heilige Text sagt, er verrichtete zuvor sein Gebeth zu seinem himmlischen Vater. Er will uns also durch dicß sein Beyspiel lehren, daß wir vor dem Essen unser Ge¬ beth zu unscrm Erhalter absenden sollen, daß wir ihn vordem Tische bitten sollen, er wolle unsere Spei¬ sen segnen, damit sie uns zur leiblichen und geistli¬ chen Wohlfahrt gedeihen mögen, und daß wir diesen seinen Segen durch ein andächtiges, langsam und mit geziemenden Gebärden verrichtetes Tischgebeth vom Himmel herabziehen, nach dem Tische aber ihm danken, daß er unö mit Spciß und Trank erquicket hat, und ihn aufs neue bitten sollen, er wolle uns auch in Zukunft Gutes thun, auch daß wir wah¬ rend dem Essen unser Gemüth und unsere Gedanken zu ihm erheben, denn gewißlich thät dieses das heu¬ rige Volk, das bey dem Essen Jesum seinen wunder-- thatigcn Brodvaler nicht aus den Äugen ließ. Durch ein andächtiges Gebeth, welches wir unserm Essen vorausschicken, werden die Speisen gleichsam gehci- ligek, daß sie Gott segnet, und seine Kraft hine'nlq- Erklkir.d.Evang.H.Lh. S get, ( 274 ) " Net, damit wir gesättiget werden, und unsere Kraf- ,cken erneüren, seinen göttlichen Dienst fortsetzen zu können. Durch ein solches Tischgcbeth erkennen wir Gott als «ufern Wohlrhäter und Erhalter, und be¬ wegen ihn dardurch, uns ferner Gutes zu thnn. Da¬ vid setzte sich niemals zu Tische ohne das Gebeth: "'Aller Augen warten auf dich, o Herr, und du gibst ihnen ihre Speise.,, Und PaulnS nahm ohne Bethen nicht ein Stück Brod zu sich, und ermah¬ net alle: möget ihr essen oder trinken, so thut al¬ les zur Ehre Gottes. Ein Mensch, der iffet, und nicht bethet uich danket, ist gleich einem, der Gott bestiehlt, da er etwas nimmt, was ihm nicht zuge¬ höret, und Gott nicht darum ersuchet, dessen Gabe und Geschenke es doch ist, er gleichet dem Verra- kher Judas, der vom Tische aufstund, und davon gieng. Wer bey dem Genüße der Wohlthaten Got¬ tes nicht bethet, hat den Fluch zu befürchten, wel¬ chen Gott in der heiligen Schrift androhet: "Daß .sie viel aussäen, aber wenig einärndten, daß sie es¬ sen, aber nicht satt werden, daß sie sich kleiden, aber nicht erwärmet werden sollen, daß sie Geld ver¬ dienen, aber solches gleichsam in einen löcherichte» Beutel stecken, um es zu verlieren, und sich nichts damit zu Gute thun zu können.,, — So soll es in Haushaltungen zugehen, ipo keine Andacht und Gottesfurcht herrschet, und der Segen'des Allerhöch¬ sten nicht ist, wie solches Gott selbst durch seinen Propheten Haggai ganz deutlich hat androhen lassen. Merket euch dieses wohl, meine werthcsten Chri¬ sten, und erhebet öfters euer Gemüth und eure Au¬ gen zu Gott eurem Erhalter, vergesset niemals bepm Genüße — ( 2/L ) — Genüße der Gabe» Gottes ein andächtiges Gebeth zu verrichten. Lasset in eurem Hause stets die wahre Gottesfurcht herrsche», verlasset euch hernach auf euren Gott, und habt stets ein kindliches Vertrauen auf seine erbarmende Fursicht, er selbst suchet euch, solches Vertrauen durch das heutige Evangelium ein- zuflößen. Er, der euch erschaffen, und auf diese Welt gesetzet hat, daß ihr ihm in derselben dienen sollet, wird euch auch erhalten und väterlich ernäh¬ ren, wenn ihr ihm als gehorsame Kinder den schul¬ digen Dienst leistet. Suchet nur mit dem heutigen lrhrbegicrigcn Volke vor allem das Reich Gottes, so wird euch alles andere, aller zeitliche Segen, zu- geleget werden, und ihr werdet verdienen, daß euch Gott, nachdem ihr ihm aufrichtig in diesem Leben gedienet habt, nach demselben zu sich in den Him¬ mel, in sein Reich der Frendeu, aufnehmen wird, , wo er euch mit dem Brode der Engel ewig erquicken, und mit einem ganzen Strome himmlischer Wonne tranken wird, so, daß ihr weiter nichts mehr von der Welt, von ihren Gütern, Speisen und Geträn¬ ken werdet begehren noch verlangen, sondern allein durch Gott ewig werdet vollkommen gefättiget wer¬ den. Amen. . - — r 276 - Auf den siebenten Sonntag nach Pfingsten. EvMigelimn Matth. VII. 15 — 21. ^n der Zeit sprach der Herr Jesus, hütet euch vor den falschen Propheten, die in Schaafsklei- dern zu euch kommen, inwendig aber reissende Wolfe sind. Aus ihre« Früchten sollet ihr sie erkennen. Kann man wohlTrauben lesen von den Dorne», oder Feigen von den Disteln? Also bringt ein jeglicher guter Baum gute Früchte, ein wilder Baum aber bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte brin¬ gen, nnd eil» wilder Baum kann keine gute» Früchte bringen. Ein jeglicher Baum, der keine guten Früchte bringt, wird abgehauen, und ins Feuer geworfen werden. Darum an ihren Früch¬ ten sollet ihr sie erkennen. Nicht ein jeglicher, der zu mir sagt: Hrrr, Herr, wird eingehen in das Himmelreich. Sondern wer den Willen mei¬ nes Vaters thut, der im Himmel ist, der wird inS Himmelreich cingehen. Aus — ( ) — Aus ihren Früchten sollet ihr sie erkennen. Match. 7. L. 16. Eingang. Das Evangelium, welches ich anjeHv das Vergnü¬ gen hatte, euch vorzulesen, meine werthesten Chri¬ sten, ist ein Theil von dem Beschlüße der vortreffli¬ chen Bergpredigt Jesu, worinn dieser göttliche Leh¬ rer seine Nachfolger noch einmal ernstlich ermahnet, sich an seine Lehre zu halten, und von falschen Pro¬ pheten nicht verführen zu lassen. Sein ganzer Vor¬ trag ist eigentlich darinn gegen die falsche Lehre der Pharisäer gerichtet, die ihre eigenen Aufsätze den göttlichen Gesetzen vorzogen, und mit ihrer äußeren eingebildeten Heiligkeit viele Seelen irre machten, und an sich zogen. Christus hatte nämlich in dem Verkaufe dieser Predigt seinen Zuhörern die besonder» Pflichten des Christenthums erkläret, er hatte ihnen die schönste Gebethsformel, das heilige Vater unser gelehret., und ihnen gezeiget, wie siebethen, fasten nnd All¬ mosen geben sollten, er hatte ihnen die Lehre gege¬ ben, daß. wenn sie ihr Gebeth verrichteten, sie sel¬ biges nur niemals in der Absicht, um von den Men¬ sche» gesehen, und gelobt zu werden, verrichten soll¬ ten, daß, wenn sie Mmoseu gäben, ihre linke Hand nicht wissen sollte, was die rechte gebe, das heißt, daß sie ihre Barmherzigkeit den Nebenmenfchen be¬ weisen sollten, nicht aus sener eiteln pharisäischen Absicht, um Menschenlob dadurch zu erhaschen, daß sie nicht fasten sollten, um vor der Welt heilig zu , S z schei- —— s 2/8 ) —— scheinen, daß sieffich nur Schatze im Himmel sam^ mein sollten, welche allein vom Roste oder von den Motten nicht verzehret, und von den Dieben nicht gestohlen würden, daß sie ihr ganzes Vertrauen auf Golt fetzen sollten, der die Vögel der Luft nähret, und die Blumen aufdem Felde so schön kleidet, und daß sie sich liebreich, dienstfertig und nachsichtig gegen alle ihre Nebenmenschen verhalten sollten. Nachdem nun Jesus seinen Zuhörern diese und noch viele andere besondere Pflichten des Christen- thnms erkläret, und ihnen zugleich gezeiget hakte, welch einen ganz andern Weg, als die falschen Leh¬ rer angäbc», man gehen müsse, wenn man in Him¬ mel kommen wolle , und wie der Weg der Jrrleh- rer, weil sie Manchem Laster Zügel und Zaum lie¬ ßen, zwar bereit und gemächlich sey, aber zuletzt zum Verderben führe, der Weg, den er zeige, sey zwar schmal und hart, da er eine härtere Sitten¬ lehre vorschreibe, als jene, aber er führe zum Le¬ ben. Nachdem er diese Lehren gegeben, so beschließet er seine ganze Predigt durch eine ernstliche Ermah¬ nung, daß seine Zuhörer nach demselben leben, und sich nur nicht durch falsche Lehrer irremachen lassen möchten, und gibt ihnen zugleich heute den Unter¬ richt, wie sie sich vor solchen Lehrer» in Acht nehmen könnten, da er ihnen die Kennzeichen augibt, wor¬ an sic zu erkennen wären, und ihnen die Strafen zu Gemüthe führet, welche auf solche Leute in der an¬ dern Welt warteten, auch zugleich zeiget, wie das wahre Christenthum beschaffen seyn soll, und wie es sich von falschen Lehren auszeichne, beyde erkenne mau ans den Früchten : aus den Kruchten Met ihr — ( »79 ) ihr sie erkennen. Lasset uns also, meine werthestctr Christen, erstens hören, wie Christus die Seinigen gegen die falschen Lehrer und gegen das Scheinchri- stenthum warnet, und zwcytens, wie er feinen Zu¬ hörern das wahre und thätigcChristenthum beschreibt, und stc zu demselben aufmunkert. Vernehmet beyde wichtigen Stücke mit der gehörigen Aufmerksamkeit, E r st e rT h e rl. Ahristus füget feiner Warnung gegen falsche Pro¬ pheten die Merkmale hinzu, woran sie erkennet wer« den könnten, und setzet die dringendsten Beivegungs- gründe beh, warum man solche fliehen solle. Hüter euch vor den falschen Propheten, sagt er, scyd klug und fürsichtig, lasset euch nicht von den falschen Propheten hintergehen, nehmet weder ihre Lehre an, noch ahmet ihnen in ihren Sitten nach. Hütet euch vor den falschen Propheten, die in Gehaafsklei- dern zu euch kommen, inwendig aber reissende Lpolfe sind.— Wen Christus hier durch falsche Propheten verstehe, ist klar, meine werthesteu Chri¬ sten, er versteht nämlich unter diese» Worten alle irrigen, falschen Lehrer, besonders die damaligen Pharisäer und jüdischen Schriftgelchrten, welche, weil die alten wahren Propheten meistens in Schaaf- pelzen schlecht gekleidet, und vrm Fasten aäsgezeh- ret einhergiengen, ihre Angesichter durch allerhand Künste bleich zu machen, und in der äußern Lebens¬ art diesen wahren Propheten nachzufolgen suchten , innerlich aber bößgesinnke Leute waren, und gott¬ lose, schädliche Lehren in ihrer Moral führten, als S 4 da — ( r8» ) — da find z. B. innere Feindschaft und Groll, Rach¬ sucht, böse unzüchtige Begierden und dergleichen wären keine Sünde. Solche wären wegen diesen schädlichen Lehren und geheimen bösen Thate» den reissenden Wölfen zu vergleichen, sagt Christus, und so wie diese schädlichen Thiere zu fliehen. Falsche Propheten nennet er sie aber, aus Ursache, weil sie zwar in ihrer Lebensart den wahren Prophe¬ ten nachzuäffcn suchte», ihr Charakter aber und ihre Aufführung jenen der wahren Propheten ganz entge¬ gengesetzt wären. Denn, da die wahren Propheten im alten Testamente außerordentliche Gesandten und Bothen Gottes waren, die seinen Willen den Men¬ schen kundmachken, die aufGotres Befehl predigten, den Königen, Fürsten »nd dem gemeinen Volke die Wahrheit im Namen des Herrn sagten, sie wegen ihre» Sünden bestraften, Wunder thaten, zukünf¬ tige Dinge vorhersagten, durch Vorstellung der be¬ vorstehenden S/rafcn Gottes den Menschen die Noth- wendigkeit der Buße vorstellten, sie zur Besserung ihres Lebens ermahneten, und ihnen den Weg zur Seligkeit zeigte», auch ihre Lehre mit einem guten Wandel bestättigten, jenes selbst crfülleten, was sie ihren Zeitgenossen aus Gottcswort und Befehl vor- trugen, also wären falsche Propheten, vor welchen man sich sehr zu hüten habe, diejenigen, die gegen Gotteswvrt lehreten, pder daffelbige verkehrten, die auf Satzungen der Menschen mehr Acht hätten, als auf die Satzungen Gottes, und die ihren Lebens¬ wandel nach dem Gesetze Gotteö nicht wahrhaft, son¬ dern nur dem Scheine nach einrichteten. — Die — s L81 ) — Die Ursachen aber, warum Christus die Gelin¬ gen warnet, sehe aufihrerHuth znseyn, daß sie nicht von den falschen Propheten, besonders den damaligen Pharisäern hintergangen würden, sind diese, thcils, weil die falschen Lehrer listig wären, sich als heilige und fromme Diener Gottes ««stellten, in Schaafs- kleidern daherkämen, durch ihre verstellte Andacht, durch scheinheilige Reden, rechtscheinende Lehren und durch einen äusserlich frommen Wandel andere Leute betrügen, theils, weil es sehr schädliche Leute waren, inwendig sind sie reissende Wolfe. Denu gleichwie ein Wolf, wenn er in einen Schaafstall eingelassen wird, die Schaafe zerstreuet, zerreisset, würget und tödtet, also machten es auch die falschen Lehrer, wen« sie in den Schaafstall, in die Gemeinde Gottes auf Erden eingelassen würden, sie zerstreueten die See¬ le« , tödteteu dieselben, beraubten sie ihrer einigen Güter, und stürzten sie in das äusserste Verderben. Unter denn Kennzeichen aber, an welchen man die falschen Propheten erkennen könne, gibt Christus das sicherste und deutlichste an, da er sagt: an ihren Kruchten sollet ihr sie erkennen. Er nimmt das Gleichniß von einem Baume, den mau nicht besser erkennen kann, ob er gut oder böse sey, als wenn man seine Früchte, die erträgt, betrachtet. Ist die Frucht gut und zur Nahrung des Menschen dienlich, so hält man auch den Baum für gut, ist aber die Frucht schlecht, unschmackhaft, zur Speise der Men¬ schen nndienlich. so ist auch der Baum zu nichts an¬ ders nütze, als daß er ins Feuer geworfen werde, weil er nur darum da ist, daß er Brennholz abgebe. Die Art der Frucht lehre also die Natur und Beschaff S .5 fercheit — ( 2ZS ) — ftnheit des Baumes kennen. Auf gleichc Weift könne man auch die falschen Propheten an ihren Früchten, die sie trügen, erkennen, an ihrer Lehre nämlich und an ihren Werken. Dahin gehen auch die Worte des Heylandes, da er spricht: kann man wohl Traubs» lesen von den Dornen, oder Feigen von den Di¬ steln, das ist, gleichwie einDornstranch keine Wein¬ trauben, und keine Distelstaude keine Feigen hervor¬ bringt , fo tragen auch böse Menschen keine gute» Früchte. Und gleichwie Feigenbäume und Weinrebe» edle Fruchte hervorbringen, so tragen auch gute, fromme Menschen gute und edle Früchte. Denn ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte, aber sin Fauler, wilder und unnützer Baum bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann keine ar¬ gen Früchte bringen, und ein schlechter, wilder Baum kann keine guten Früchte tragen, denn sol¬ ches ist wider seine Natur. Wie es aber den falschen Propheten und allen je¬ nen Menschen, die keine guten Früchte bringen, er¬ gehen werde, zeigte Christus auch seinen Zuhörern an, da er sagte: man werde eben dasjenige mit sol¬ chen schlechten Leuten thun, was man mit schlechten und bösen Baumen thut: ein jeglicher Baum, der keine guten Früchts bringt, wird abgehauen, und ins Feuer geworfen werden, weil er zu nichts anders gebraucht werden kann. Also werde es auch den bösen Menschen ergehen, die keine guten Früchte brachten, welche doch unumgänglich nothwendig wa¬ ren, wenn man in Himmel kommen wolle; denn nicht ein jeder, der nur zu Gott sagt, Herr, Zerr, wird in Himmel eingehen, sondern der La thut — ( 28Z ) - thut öen willen meines Vaters, der im Kimme? ist. Solche Heuchler, die sich mit dem Munde rüh¬ men, als dieneten sie Gott, seinen heiligsten Wil¬ len aber in der That nicht erfüllen, sollen keinen An- theil an der ewigen Seligkeit haben. Wenn sie auch die Menschen durch ihre Verstellung im Leben habe» tauschen können, solle» sie doch am Tage ihres Ge¬ richtes als Uebelthäter vom Angesicht Gottes ver¬ stossen werden. NlutzanwenöuttA. Was Christus hier von den falschen Propheten sagt, meine lieben Christen, dieses ist nicht allein von den Jrrlehrern zu verstehen, welche falsche Leh¬ re» predigen, sondern auch von alle» jenen Gleiß- nern, die unter dem Dekmantel der Tugend ein ver¬ derbtes Herz haben, auch von jenen Personen, die unter der Larve einer wahren Liebe unschuldige See¬ len verführen, und von allen Heuchlern, die sich vor andern fromm «»stellen, die in Schaafsklcideru ein- hergehen, inwendig aber reissende Wölfe sind. Chri¬ stus warnet durch diese Worte alle seine Nachfolger gegen Henchelep, als eines der schädlichsten und strafbarsten Laster, er vergleicht einen Heuchler mit einem Wolfe i» Schaafskleidern, und zeiget durch dich Gleichnisi, daß solche Leute eben so gefährlich als die Gottlosen waren, ja öfters weit gefährlicher als jene, denn diese betrügen doch Niemanden un¬ ter dem Scheine der Gottlosigkeit. Eiyem Wolfe könne man entgehen, wenn er in feiner Wolfshaut kömmt, wenn er sich aber in einem Schaafspelzs vor- — ( 284 ) — verstecke, so sey er weit gefährlicher, und sein Raub gewisser. Sollten wir dieses nicht wohl zn Herzen nehmen, meine werthesien Christen, und öfters die Worte Je¬ su betrachten, um daraus zu ersehen, welch ein Greuel der Heuchler vor den Augen Gottes sey, vor den Augen eines Gottes, der da das Herz ergrün¬ det , und den bloß angenommenen Schein der Gott¬ seligkeit als eine Verspottung seines Namens an- steht. — Da Christus so oft das Wehe den Gleiß- nern und jedem verstellten Menschen audrohet, sollte das uns nicht bewegen, sorgfältig über unser Herz zu wachen, jede Verstellung besonders in der Reli¬ gion und Frömmigkeit zu fliehen, und allzeit auf¬ richtig mit unserm allwissenden, allsehenden, allge¬ genwärtigen Gott umzugehen, der die Herzen und Nieren prüfet, und uns nach unfern innern und geheim¬ sten Absichten richten wird Z Sollte uns dieses schimpfli¬ che Bild des Heuchlers, eines Wolfes in Schaafs- pclzen, nicht antreiben, daß wir allzeit mit einem guten aufrichtigen Gewissen vor Gott und vor den Menschen daher wandeln, und uns vor allem Schein- christenthume sorgfältigst hüten. Um euch aber desto eher vor aller Heucheley, oder, welches ebendasselbe ist, vor allem Schein- christenkhume hüten zn können, so merket wohl auf die Beschreibung, die Christus heute davon mache, und auf die Kennzeichen, die er davon an- Ü'.bt. Man ist ein Heuchler oder Scheinchrist, wenn man von aussen gut und fromm zu seyn scheinet, aber innen böse ist, und nichts tauget. Die falschen Propheten find ein Bild aller Schcinchristen, von wel- — < 28L ) — Welchen Christus sagt: sie kommen zu euch in Schaafskleidern, inwendig aber sind sie reissende Wölfe. Sie stellen sich wohl äußerlich fromm, sanft- mükhig und geduldig, wie die Schaase beschaffen sind, an, in der That aber sind sie schalkhaft, un¬ artig, boshaft, arglistig und grimmig, wie die Wölfe, das Innere mid Acussere stimmt bey ihnen keineswegs überein, sic scheinen vor der Welt gut gesittet, sind aber voll verborgener Untugend und Heucheley, sie treiben wohl den äussern Gottesdienst gleich andern Christen, aber in ihrem Herzensgrün¬ de sind sie Schalke, da hegen sie die händlichsten Nei¬ gungen, sie bethen, fasten, geben Allmoscn, aber nur darum, damit sie nicht für böse gehalten wer¬ den, oder damit sie einiges Menschenlob erhaschen möchten. Man erkennet zweyteus das Scheinchnstenkhum daran, - wenn man zwar zu Christo sagt: Herr, Herr, aber den Willen Gottes in der That nicht erfüllen will. Die Heuchler oder Maulchristen be¬ kennen zwar Christum mit dem Munde für ihren Herrn und Erlöser, dienen ihm aber nicht als seine Erlösete in Heiligkeit und Gerechtigkeit, sie rufen zwar Jesum als ihren Herrn an, bethen zu ihm, verrich¬ ten aber solches Gebeth mit einem unbußfertigen, sündhaften Herzen, sie nennen sich Christen, sind aber lasterhaft wie die Ungläubigen, und führen sich in Geheim auf, wie die Heyden, sie reden zu Zei¬ ten manches Gute vou der Lugend und Religion , verabsäumen aber dabey ihre Pflichten zu erfüllen, sie haben die Nachfolge Jesu öfters auf den Lippen , »ber die Liebe der Welt und der Wollüste in ihrem Her- — ( -86 ) Herzen, sie haben eine geschäftige Zunge, aber lä- ßige Hände, sie brennen in Worten, frieren aber in den Werken der Andacht, haben das Gesetz und Work Gottes im Kopf, richten aber ihren Wandel niemals nach demselben gehörig ein. Thun sic gleich öffentlich nichts Böses, so khun sie es doch in Ge¬ heim, da wahre Christen auch geheime Sündeuso gut vermeiden, als öffentliche. Sie sind in Gegen¬ wart ihrer Eltern und Vorgesetzten öfters Engel und Heilige, sind sie aber alleine, oder bey ihrer bösen Gesellschaft, so sind sie die ärgsten Teufel, sie sind im Umgänge mit Fremden, vor welchen sie einige Furcht haben, sanstmüchigc Lämmer und keusche Jo¬ sephs, sind sie aber in ihren Häusern oder bey ihren Bekannten, so sind sie grimmige Löwen und nnkeu- sche Susanneubrüder, sie haben den Name» , daß sieleben, sind aber tod, sie sind Dörner, schlechte Frucht bringende Distel, und faule Baume. Nun eine solche Heuchele») und ein solches Schein« christenthum verwirft und verdammet heute Chri¬ stus. Denn die nut zu ihm sagen, Zerr, Herr, und den Willen seines Vaters im Himmel nicht thun, werden nicht ins Himmelreich eingehen. Da solche Christen keine wahre, sondern nur faule Glieder des Gnadenreiches Gottes auf Erden sind, so werden sie auch einstens keine Glieder von dem Reiche der Herrlichkeit Gottes werden. Jesus wird solchen am grossen Tage seines Gerichtes sagen, was er beym Matthäus gleich nach unserm Evangelium spricht: er kenne sie nicht, solche Uebelthater sollen von ihm weichen.— Wenn ihr falsches Christenthum vielen auf der Welt verborgen gewesen, so werde sol- — ( SÄ7 ) — solches am jüngsten Tage zu ihrer größte» Beschä¬ mung vor aller Welt kund werden. Zu ihrem grö߬ ten Schrecken würden sie alsdann hören müssen, daß sie Christus nicht für die Seinigcn erkenne, daß er sie verwerfe, und daß er das Urthcil über sie spre¬ che, sie sollten in alle Ewigkeit keinen Theil an ihm und an der von ihm erworbenen Seligkeit haben. Ich habe euch nun gezciget, meine werkhesten Christen, wie Jesus die Scinigcu gegen die falschen Propheten, gegen Heuchelei) und gegew das Schein- christenthum gewarnct hat, ich habe euch seine Be¬ wegungsgründe, diese zu fliehen, und seine Kenn¬ zeichen, die er angegeben, diese zu erkennen, er¬ kläret. Es ist mir also nur noch übrig, euch zu zei¬ gen, wie er den Sei-iigen das wahre thatige Chri- ssenthum beschreibt, und'sie zu demselben aufmun¬ tert, und dieses werde ich indem zwepteu Theile Hun. Zwey ter LH eil» Ahristus gibt in der Anweisung zu dem wahren Christenthmnc zugleich die Kennzeichen an, woran man einen wahren Christen erkennen könne. An den guten Früchten nämlich, so wie man den bösen Men¬ schen an den bösen Früchten kenne, so kenne man den guten Menschen au den guten Früchten. So wie man den Baum an den Früchten, die Blume an dem Gerüche und ander Farbe, den Vogel an seinen Fe¬ dern und an seinem Gesänge kenne, so erkenne man den Menschen an den Sitten nnd an der Tugend. Mn gutes Herz lasse sich aus guten Worten und Hand- — < L 8 6 ) Handlungen, und ein böses aus böse» Worten und Handlungen erkennen. Einen Christen erkenne man nicht allein an dem, wenn er dem äußern Gottes¬ dienste der Christen beywohne, und an den übrigen christlichen Hebungen es nicht fehlen lasse, sondern auch hauptsächlich daran, daß seine Werke, seine Worte und Handlungen mit dem Christenthumeüber- rinstimmen. Wenn er zu Zeiten bethe, etwas faste, und Allmofen gebe, dabey aber noch böse Früchte hervorbringe, wen» er sein Herz noch zu sehr in welt¬ liche Dinge verstricke, noch nachsinne, wie er sich an seinen Feinden rächen könne. wenn er seinen bö¬ sen Begierden noch nachgehe, wenn er noch unkeusch lebe, dem Trunke, dem Zorne, oder andern bösen Leidenschaften noch ergeben sey, so sey dieses kein wahrer Christ, sondern er müsse den Willen seines himmlischen Vaters thun,, und gute Früchte hervor¬ bringen. Meine lieben Christen, Jesus fordert also ei¬ gentlich zwey Stücke in seinem heutigen Unterrichte zu einem wahren Christen. Erstens, daß er den Wil¬ len seines Vaters im Himmel erfülle, und zweitens, daß er als ein guter Baum gute Früchte bringe. Die also wahre Christen seyn wollen, müssen sich vor al¬ lem bestreben, den Willen des göttlichen Vaters im Himmel zu thun. Der wahre Christ muß nicht nur einen Theil von sich, sondern sich ganz zum Dienste des Herrn hcrgcben, nicht nur seine Lippen, die un¬ rein sind, sollen sage», Herr, Herr!— Nicht ei» Paar leere Töne, nicht ein Paar Worte am Mor¬ gen und Abend oder beym Essen gesprochen, sollen seine ganze Religion ausmachen. — Wer ein wah¬ rer ( -89 ) rer Anhänger Christi und Freund Gottes seyn will, der darf nicht zufrieden seyn, daß er die Religions¬ lehren wohl wisse, und diefelben eifrig bekenne^ sondern er muß auch den Willen Gottes, der in den Evangelien ausgeschrieben zu lesen ist, genau zu er¬ füllen suchen, es darf ihm nicht genug seyn, daß er nach, einigen Gebothen lebe, sondern er muß sich aus allen Kräften bestreben, das ganze christliche Ge¬ setz ungetheilt, ohne einige Ausnahme und Einschrän¬ kung zu erfüllen, er muß den Wille» Gottes aus reinen Absichten thun, um sich dadurch gegen Gott für seine große Liebe dankbar zu bezeigen, und er muß denselben immer und unaufhörlich thun, jenen Willen Gottes, der darinn bestehe, daß wir an ihn glauben, auf ihn unsere ganze Hoffnung, Zuver¬ sicht und Vertrauen setzen, ihn über alles lieben , unsere begangenen Miffethatcn von Herzen bereuen, daß wir sanftmüthig und demüthig vom Herzen, keusch und rein, eingezogen, sittsam und heilig seyn, wie er heilig ist, denn dieß ist der gesetzliche Wille Gottes, daß wir heilig sepen, wie Gott heilig ist.-— Der wahre Christ suchet in allen Gebothen des Herrn unladelhaft und unsträflich einherzugehcn, und täg¬ lich so viel immer möglich ist, heiliger zu werden. Schicket ihm Gott Kreutz und Leiden, so bemühet er sich durch geduldige Ertragung derselben den Wil¬ len GotteS zu thun, begegnen ihm feine Feinde hart, verfolgen sie ihn boshaft, so trachtet er durch eia sanfk- muthigcs, liebvolleS Betragen gegen sie den Willen Gottes zu thun, und so von allen andern zu redm. Er thut den Willen Gottes nicht allein in Vermei¬ dung des Bösen, sondern auch i» Ausübung deS Erklär. d.Evang, II. Lhl. T Gu- - ( 290 ) — Guten, welches er immer thun kann, und welches er niemals unterläßt, er weiß, daß die, welche das Gute nicht thun, und dach thun könnten, gleich den Müssiggängern sind, welche die Hände in den Schoos legen und faullenze», und gleich den faulen Bäumen, die keine Früchte tragen, sondern nur unnütz die Erde beschweren. Es ist ihm nicht genug, daß er kein Dieb, kein Ehebrecher, kein Säufer, kein Flu¬ cher und dergleichen sey, sondern er gibt sich auch alle Mühe, ein gottesfürchtiger, wahrhaft frommer Mensch zu seyn, der die Pflichten gegen Gott, ge¬ gen sich selbst, und gegen den Nebenmenschen thä- tbig ausubet, es ist ihm nicht genug, seinen Kindern nichts Böses anrathen, sondern er bestrebt sich auch dieselben zu lehren, daß sie auf den Wegen deS Herrn unsträfflich wandeln, er weiß, daß cs keine geringe Verantwortung sey, wenn man seine Pflichten gar nicht kennet, aber wenn man sie kennet und ver- nachläßiget, das mache die Verantwortung amschwe- resten: der Rnecht, der seines Herrn willen weiß, und denselben nicht thue, der werde viele Strei¬ chs leiden müssen. Fast das nämliche will Christus durch das zweyte Stück sagen, meine lieben Christen, daß der wahre Christ gleich einem guten Baume gute Früchte hcr- vorbringe. Ein böser Baum bringt böse Früchte hervor, ein guter Baum aber gute Früchte. Ein jeglicher Baum aber, der keine guten Früch¬ te bringt, wird ausgehauen, und ins Feuer ge¬ worfen werden. Der Baum, von welchem hier Christus redet, bedeutet uns Menschen, die Früchte bedeuten unsere Werke. Das Aushauen des Baums und — ( 2YI ) — und das Verbrennen desselben bedeutet, daß wir von dem göttlichen Richter, wenn er uns ohne gute Werke findet, in das höllische Feuer werden gewor¬ fen werden. — Was find aber dieß für Früchte, die der wahre Christ hervorbringen soll? Der heil. Apo¬ stel Paulus nennt dieselben in seinem Briefe an die Galater Z.Kap., da er sagt, daß wir uns hüten sollen vor den bösen Früchten, vor den Werken des Fleisches, als da sind: Unverschämtheit, Unzucht, Unlauterkeit, Wollust, Feindschaft, Hader, Zank, Eifersucht, Uneinigkeit, Zorn, Zwietracht, Neid, Fressen, Sauffen und dergleichen. Aber daß wir die Früchte des Geistes bringen sollen, als da find: Liebe, Einigkeit, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Eingezogenheit, Sanftmuth, Keusch¬ heit und dergleichen. Solche Früchte der Tugend müssen wir tragen woran der liebe Gott ein Wohl¬ gefallen hab n kann. Befleißet euch, meine Brüder, ermahnet Petrus so nachdrücklich in seinem zweyle» Briefe r.K., daß ihr euren Beruf und eure Aus¬ erwählung durch gute Werke gewiß machet. - Es ist nicht genug, daß mir das Böse unterlassen, son¬ dern wir müssen auch Früchte der Tugenden hervor¬ bringen. Es ist nicht genug, daß der Unkensche seine vorigen Sunden nicht mehr thue, sondern er muß auch sein Fleisch durch Fasten und Bußwerke abtöd- tcn, der Zornige muß nicht nur keine Rache mehr suchen, sondern auch sanftmüthig seyn, der GeiHige muß nicht nur nicht mehr betrügen, sondern auch freygebig seyn, und Allmosen geben, der Feindse¬ lige muß nicht nur keinen Groll wehr haben, son¬ dern auch Zeichen der Versöhnung von sich geben, L - für - < «9* ) — fHk seine Feinde aufrichtig Gott bitten, und ihnen Gutes lhun, der Ungeduldige muß mit Geduld und Ergebung in de« Willen Gottes sei« Kreutz Christo Nachträgen, der Hochmüthige muß sich jetzo dcmü- thjgen, die Verachtung willig annehmen, und so^ von allen andern zu reden. Dadurch wird nämlich die Wurzel der Sünde, und die böse Gewohnheit «m beßten nnsgerottet. Nutzanwendung. Ist nun dieses das Chrisienthum in der heutiges Welt, weine wcrthesien Christen, welches Jesus hier von allen seinen Zuhörern fordert? — Ist die Zahl der Scheinchristen nicht größer, als die Zahl der wahren Christen? Wie betrübt sind nicht jene Worte unscrs Erlösers, die gleich nach dem heuti¬ gen Evangelium beym Matthäus stehen? Ls wer¬ den viele an jenem Tage des Gerichtes zu mir sa¬ gen , Herr, Herr, in deinem Namen haben wir viel Gutes gethan. Ach werde ihnen aber sagen, geht von mir, ihr UebelthLter. Zeigen diese Wor¬ te nicht an, daß die Heuchler und Scheinchristen ei¬ nen großen Haufen in der Kirche ausmachen wer¬ den? Daß es viele solche Leute geben werde, die dem äußern Scheine nach Christen sind, und die auch ein äußerliches gottseliges Wesen an sich ha¬ ben, die aber in Geheim Böses lhun, und vor dem allwissenden Gott ein wahrer Greuel sind. Daß es viele solche Christen geben werde , die dafürhalten, es seye genug, daß sie getauft sind und an Christum glauben, um die Erfüllung seiner Gebothe sich aber wenig — ( SYA ) — wenit, bekümmern, sich wenig Mühe geben, ihrem Gott Früchte der Tugenden darzubringen.— Ach! Wenn doch dieser unselige Haufen solcher Leute be¬ dachte, daß der Baum, der keine guten Früchte her- vorbringt, ausgehauen, und ins Feuer geworfen werde, daß Christus, ihr göttlicher Richter, zu -essen Religion sie sich nur mit dem Munde beken¬ nen, einstens an dem Tage seines Gerichtes zu ih¬ nen sprechen werde: er kenne sie nicht als Christen, sie sollten von ihm weichen. Daß doch solche Schein¬ christen öfters an jene-bittere Klage dächten, welche Christus bey Luk. 6. K. führet: was nennet ihr mich einen Herrn, und thut nicht, was ich euch befehle. Daß sie doch öfters erwagten, was jenem Feigenbaum geschah, der durch den Fluch des Herrn "an eben jenem Tage verdorrete, an welchem ihn der Herr besichtigte, und nur Blatter und keine Früchte fand, und daß der Herr seinem Gärtner befohlen, jenen Baum, der drey Jahre unfruchtbar war, aus- zuhauen. Daß sie doch erwagten, daß der Hausva¬ ter keine Müssiggänger, sondern Arbeitsleute, die fleißig im Weinberge gearbeitet hatten, rufen ließ, um ihnen den versprochenen Lohn zu geben, und daß wir selbst auf unfern Gütern keine müssige, faule und trage Arbeiter lieben, wie wir also von Gott einen Lohn hoffen wollten, wenn wir in dem Geschäfte des Heils Müssiggänger wären. Daß doch alles dieses jene Christen bedächten, die keine guten Früchte hervorbringen wollen, die jwar dir ganze Woche für ihre zeitlichen Geschäfte anwendcn, aber kaum eine oder die andere Stunde ihrem Gott und den göttlichen Dingen schenken, denen Tz eine - ( 2Y4 ) - eine Halbe Stunde des Tages zu viel scheinet, eine heilige Messe anzuhören, die eine Predigt, die et¬ was zu lange ist, mit Eckel und schläfrig anhören, die den heiligen Sakramenten der Buße und des heiligen Abendmahls sich kaum einmal im Jahre nä¬ hern, und dieses nur gezwungen thun, denen eine kurze Zeit, in der Frühe und am Abend zu Gott be- thcn, zu lange vorkömmt , da sie doch des Gebcthes so bedürftig sind. — Die da glauben, es sey genug, um sich selig zu machen, wenn sie ein paarmal rie¬ fen: Herr, Herr! Die ihr gutes Verlangen und Vorhaben, das sie zu Zeiten machen, Buße zu thun, dieses oder jenes Laster- zu vermeiden, diese Tugend und guten Werke auszuüben, jene schwere Sünde, welche sie noch nicht gebeichtet haben, dem Priester zu eröffnen, jenes ungerechte Gur zurückzu- siellen, und von der nächsten Gelegenheit zu sündi¬ gen abzustehen, solches Vorhaben aber niemals aus¬ führen, ihre guten Vorsätze, die sie bey Anhörung einer Predigt, im Beichtstühle oder auf dem Kran¬ kenbette machen, nie ins Werk setzen. Kurz, die da rufe«, Herr, Herr! Aber es bepm Rufen bewenden lassen, die zwar Blätter, aber keine Früchte brin¬ gen, weil sie die Wollüste, die Liebe zu dep zeitli¬ chen Gütern und irrdischen Freuden davon noch ab¬ halten. Ach, meine lieben Christen, feyd nur keine sol¬ che falschen Christen, täuschet euch in dem wichtig¬ sten Geschäfte der ewigen Seligkeit nicht selbst, gebt keine Komödianten in eurem Christenthum ab, die das nicht sind, was sie zu seyn fürgeben, das Reich Got- ( ?9F ) Gottes besteht nicht in Worten, Horchern in der Kraft. Seyd keine Heuchler, lasset an euch keinen Schein, sondern ein wahres, achtes Christenthmn erscheinen, gedenket, daß Gott ein allwissender Gott ist, dem nichts verborgen, dem jeder geheime Anschlag des menschlichen Herzrns bekannt ist- der Herzen und Nieren prüfet, und dem alles Verborgene aufge¬ deckt, und Heller als von der Mittagssonne bestrah¬ let daliegt. Bedenket, daß er die Heuchler sowohl, als jene, die es aufrichtig gut mit ihm meynen, aufs innigste kenne, f) wer sollte sich nicht vor ihm fürch¬ ten, da er alles, was im Finstern verborgen ist, vor sein Gericht bringen wird. — Er will, daß wir vor seinem Angesicht aufrichtig fromm wandeln , und gute Christen seyn sollen. Dienet ihm also mit aufrichtiger Seele, und ungefärbten Glauben, seyd nicht zufrieden, zu ihm zu sagen: Herr, Herr, sondern dienet ihm in Wahrheit nud in den Werken. Habt Acht auf allen Selbstbetrug, entfernet von euch allen falschen Schein der Religion, lasset hin¬ gegen eine thatige Religion jederzeit an euch erschei¬ nen, tretet in die Fnßstapfen Jesu, der mächtig war in Worten und in der That, und bringet als fruchtbare Bäume eurem Gott Früchte der Gottse¬ ligkeit, so wird er euch am Tage seines Gerichtes für die Seinigen erkennen, und euch zu sich in Him¬ mel aufnehmen. Amen. L 4 Auf s ry6 ) Auf den achten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. XVI. 1 — 9. der Zeit sprach JesuS z» feinen Jünger»: es war ein reicher Mann, der batte einen HauS- Halter. der ward vor ihm berichtiget, als hätte er ihm seine Güter durchgebracht. Er berief ihn also zu sich, und sprach zu ihm: was höre «ch von die? Gib Rechenschaft von deiner Haushaltung, denn du wirft künftig mein Haus nicht mehr ver¬ walten können. Der Haushälter aber sprach bey sich selbst, was soll ich rhun? Mein Herr nimmt die Haushaltung von mir, graben mag ich nicht, und zu betteln schäme ich mich. Ich weiß, was ich thun will, wenn ich von meiner Haushal¬ tung abgeseyet werde, daß sie mich in ihre Häu¬ ser aufnehmen. Und er berief einen nach den an¬ dern von de» Schuldnern seines Herrn zu sich, und sprach zu dem erste«: wie viel bist du mei¬ nem Herrn schuldig? Er sprach, hundert Ton¬ nen Oels. Und er sagte ihm: fege dich alsogleich nieder, und schreib fünfzig. Hernach sprach er zu dem Zweyten: du aber, wie viel bist du schul¬ dig? Er sprach: hundert Malter Waizen. Und er sagte ihm, nimm deine Schrift, und schreib achtzig. Uud der Herr loste den ungerechten Vee- wal- — ( LY7 ) — Walter, daß ers klua gemacht hotte, denn dis Kinder dieser Welt sind klüger, als dre Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht. Und ich sage euch, machet euch Freunde mit dem nngerechtrn Mam¬ mon, auf daß, wem? ihr darbet, sie euch a»f- »khmeu in die ewigen Hüttru. Die Kinder dieser Welt find klüger: als die Kinder des Lichtes. Luk- r6. v. 8- Eingang. Ahristus Hat sehr weislich, daß er seineu Vertrag von deu erhabenen göttlichen Wahrheiten in Gleich¬ nisse oder sogenannte Parabeln cinkleioete. denn da¬ durch qeschahs, daß er seine heiligen Lehren nicht nur faßlicher und anfchauender für den Verstand seiner Zuhörer, sondern auch behaltbarer für ihr Gedächtniß machte. Durch dergleichen sinnliche Vorstellungen be¬ wirkte er, daß seine Jünger, die ohnehin ungelehrte Leute waren, die Wahrheiten, die er ihnen Vorlagen wollte, eher verstunden, und weit länger behielte», als wenn er sie ihnen ohne Gleichnißreden vorgctra- ge» hätte. Unter diesen Parabeln ist die heutige von dem ungerechten und zugleich schlauen, listigen Haushäl¬ ter eine der merkwürdigsten, wodurch er eigentlich seine» Zuhörern den rechten Gebrauch der zeitliche» Güter lehren, und sie zur christlichen Fürsicht auf das künftige Leben ermahnen wollte. Die Gelegenheit da¬ zu mag ihm gegeben haben, Heils der Geiz der Pha¬ risäer , Heils der Reichthum vieler zu ihm bekehrten Publikanen und Zöllner. Den Pharisäern hatte er im L L vorher- ( 298 ) vorhergehenden fünfzehnten Kapitel des heiligen Lu¬ kas ihren Stolz und Hochmuts gegen die Sünder vorgehalten , und in diesem Kapitel halt er ihnen ihre Ungerechtigkeiten vor. Den Publikanen aber, welche meistens sehr reiche Leute waren, und vielleicht auch manches ungerechter Weise an sich gezogen hatten, wollte er den rechten Gebrauch ihrer Güter lehren. Da diese Gleichnißredc Jesu sehr wichtig und auch sehr lehrreich für uns ist, meine werthesten Christen, so wollen wir anjetzo unsre Betrachtung darüber an¬ stelle«. Damit wir aber den Sinn derselben richtiger fassen mögen, müssen wir sie von der Lehre, die Je¬ sus darinn vortragr, wohl unterscheiden. Ein jeder von euch wird, da ich sie euch vorgelesen habe, be¬ merket haben, mit welchen Worten unser Erlöser die¬ se Gleichnisirede eigentlich endiget, und wo er anfangt die Lehre herauszuziehen. Wir wollen also, erstens, das Gleichniß an sich durchgehen, zweytens aber die wichtige Lehre und den Schluß, welchen Jesus daraus ziehet, betrachten. Wendet auf beyde Gegenstände die gehörige Aufmerksamkeit. Erster Theil. Ein reicher Mann hatte einen Haushalter, der bey ihm einstens angeklagek wurde, als verwalte er sei¬ ne Güter ungerecht. Er ließ ihn deswegen vor sich kommen, und forderte von ihm, daß er seine Rech¬ nung ablege. Dieser ungetreue Haushälter aber war schlau, weil er wohl wußte, daß er in feiner Rech¬ nung nicht bestehen würde, so sann er auf eine List, damit er nach seiner Absetzung auch seine Nahrung finden möchte. Und was that er? Das Feld anzubau- eu E ( Lpy ) — en fand er sich zn schwach, zu betteln schämete er sich. Damit die Schuldner seines Herrn ihm Nahrung und Wohnung .geben möchten, berief er einen nach dem andern zu sich, und schenkte einem jeden etwas von seinen Schulden, dem, der hundert Tonnen Oels schuldig war, ließ er in seine Handschrift schreibe» fünfzig. Dem, der hundert Malter Waitzen schuldete, ließ er nur achtzig schreiben. Er schenkte also dem Ersten fünfzig Tonne» Oels, und dem Zweyten zwan¬ zig Malter Waitzen, und so dem Dritten, Vierten und Fünften verhältnißweife ein gewisses Stück von ihren Schulden, damit sie ihm ans Dankbarkeit nach seiner Absetzung seinen Unterhalt verschaffen möchten. So weit geht die eigentliche Parabel, meine lieben Christen, um diese zu verstehen, braucht es nicht viel Erklärung. Da nebst dem Ackerbaue die Oelbäume den stärksten Nahrungszweig der Juden im gelobten Lande ausmachte», indem sie mit diesem Olivenöle ihre Speisen schmalzten, so sehen wir, daß unser Er¬ löser seine Gleichnisse sammt ihren Umstanden mei¬ stens aus dem gemeinen Leben herholte, um sich sei¬ nen Zuhörer» desto verständlicher zu machen. Wer ein getreuer , und wer ein ungetreuer Haushälter sey, dieses wird ohnehin jedermann verstehen. Derjenige nämlich, der.die Güler, welche ihm der Hausherr an¬ vertrauet, getreu verwaltet, und zum Nutzen seines Herrn anwendet, der sich alle Mühe gibt und alle Vorsicht brauchet, daß dieselben keine» Schaden lei¬ den, sondern daß sie erhalten und bcßtmöglichst verbes¬ sert werden, auch die Ausgabe und Einnahme getreu in Rechnung bringet. Der diese Pflichten alle erfüllet, heißt ein getreuer Haushalter. Wer aber nur in einem Stücke — ( Zoo ) — Stücke das Gegentheil thut, der verdienet schon den Namen eines ungetreuen Verwalters, wie der heu¬ tige war, der die ihm anvertrauten Güter seines Herrn verschwendete, und init denselben eine böse Wirthschaft trieb und sie küderlicher Weise durchbrach- te, so, daß er mit Grund und Wahrheit von gewissen Personen, die sein schlechtes Verhalten seinem Herrn zu Ohren brachten, angeklagctwurde. Welches Ange¬ ben entweder aus gutem Herzen und aus Liebe gegen den Herrn, oder aus Hasse gegen den Haushalter und aus bösen Absichten geschehen isi, welche zwccn Bewegungsgründe die Menschen gemeiniglich zu der¬ gleichen Anklagen antrciben. Als der Herr aber diese Anklage hörte, forderte er augenblicklich den Haushalter zu sich , beschwerte sich sehr über sein ungerechtes Verfahren, und kündig¬ te ihm an, daß er das Amt eines Verwalters werde niederlegen müsse», dafern er die Anklage bey Able¬ gung der Rechnung gegründet finden werde. Er werde seines Dienstes entsetzet werden, indem nach dieser An¬ klage seine fernere Verwaltung ohne seinem äusserste« Schaden und völligem Verderben seiner Güter nicht bestehen könne. Er soll nun sogleich feine Rechnung ablegen, damit er wisse, wie nngetreu er seine Güter verwaltet, auch wer und wie viel ihm ein jeder noch schuldig scy. AlS Per ungerechte Haushalter aber diesen uner¬ warteten Befehl seines Herrn hörete, wurde er von einem großen Schrecken überfallen, besonders weil ihn sein böses Gewissen drückte , das ein gewisser Zeng und scharfer Richter seiner Ungerechtigkeiten war. Er verfiel aber gleich auf einen schlauen Anschlag, wodurch — ( ZSt ) - wodurch er sich wiederum etwas aus dem Gedränge Helfen könnte, damit er nämlich nach seiner Absetzung nicht Noth leiden, sich nicht mit dem Taglohuc oder gar mit Betteln schlecht ernähren müßte, so sprach er bey sich selbst: graben mag ich nicht, des Bettlens schäme ich mich. Ich weiß aber, was ich thun will, wenn ich von meiner Haushaltung abgesetzet werde, daß sie mich in ihre Häuser ausnehmen. Er dachte nämlich nicht, wie er auf eine rechtmassige Art sich und die Seinigen durch die Arbeit ehrlich er¬ nähren möchte. Er war des Arbeitens nicht gewohnt, sondern nur dazu aufgestellt , damit er auf die Arbei¬ ter sehe, und ihnen den verdienten Loh-- anszahle, es kam ihm also zu schwer und zu ungewöhnlich vor, anjetzs einen Arbeiter oder Taglöhner abzugeben, so wollte er auch Niemand «»sprechen und sein Brod bet¬ teln, hiezu war er zu stolz; was würden dieLeute reden dachte er bep sich, wenn sie mich betteln sahen? wie würden sie über mich spotten und mir übel begeg¬ nen , die mich als einen abgesetzte»Verwalter erkenn¬ ten? wie viele würden mich als einen untreuen Men¬ schen abweisen, der durch eigene Schuld in Armukh gerathen und es besser hatte haben können, wenn er nur getreu hausgehalten hätte? — er konnte sich al¬ so weder zu dem einen noch zn dem andern entschlies¬ sen, sondern wie jeder andere Ungerechte seine Un¬ gerechtigkeit nicht bald lassen wird, so machte er es auch; er kam auf den arglistigen, bekrüglichen un¬ gerechten Anschlag, etwas von den Gütern feiins Herrn wegzuschenken, damit sslcheLeutc hernach an» Dankbarkeit ihn in ihre Häuser aufnel mcn, und für das geschenkte Kapital und Zinsen ernähren möchten. .Diesin - ( Z02 ) — Diesen Anschlag führte er auch ohne Verweilen aus , er ließ die Schuldner seines Herrn Zusammenkom¬ men , und nahm von dem Ersten seine Schulden- vcrschreibung von hundert Tonnen Oels zurücke, und ließ ihm statt derselben nur eine von der Halste schreiben. Dem Andern ließ er einen Schnldenbricf von achtzig Malter Wachen ausfertigen, da er doch hundert schuldig war, nnd so machte ers mit meh¬ reren andern Schuldnern, dadurch gewannen diese Leute viel, mußten sich aber verbindlich machen , ihn für diese Wohlthat hernach zu ernähren Dieses war freylich eine neue Ungerechtigkeit und, wahrer Diebstahl, denn diese Summe der Schuld, die er den Schuldnern schenkte, entwendete er seinem Herrn aufs neue. Auch jene waren Betrüger und höchst ungerechte Menschen, welche dieses Geschenk von ihm annahmen, da sie wohl wußten, daß der Verwalter von seines Herrn Gütern nichts verschen¬ ken könne. Und dennoch, als dieses arglistige Ver¬ fahren dem Hausherrn zu Ohren kam, lobte er sei¬ nen ungerechten Haushalker, daß er klüglich gethan habe. Der Herr lobte nämlich seinen Verwalter nicht wegen der Ungerechtigkeit, die er da aufs neue ge¬ gen ihn begieng , sondern seiner Klugheit nnd Für- srchtigkeit wegen, weil er noch zur Zeit, da er sei¬ nes Amtes noch nicht entsetzet war, an sein künfti¬ ges Leben dachte, wie erdaffelbegemächlich, ohne Noth, ohne Arbeit und Bettelngehen erhalte» möch¬ te. Seine That an sich betrachtet war allemal ver¬ achtungswürdig und strafbar, die Sorge aber für die Zukunft, und die Bemühung sich Freunöe;» machen, abgezogen von den ungerechten Miteln, wa- — t ZOZ ) — waren etwas kluges, und in dieser Rütksicht konnte man ihm das Lob eines klugen Verfahrens nicht ab¬ sprechen. Jenes lobte der Herr, die Ungerechtigkeit aber nicht. Auch wir, meine werthesten Christen, sind Haushalter, und zwar von dem höchsten Herrn im Himmel und auf Erden, von Gott sechsten, der uns über gewisse Güter geseHet, und seine Gaben an¬ vertrauet hat, damit wir solche zu seiner Ehre ge¬ treu verwalten und gebrauchen möchten. Solche Ga¬ ben sind die Güter der Seele: als der Verstand, das Gedachkniß, der freye Wille, die göttlichen Gnaden und Einsprechungen und das Wort Gottes. Und die Güter des Leibes: als da sind Gesundheit, Ncichthum, Geld, Gut, Ansehen und Vermögen. Diese Güter müssen wir als Haushalter Gottes je¬ derzeit treu verwalten, unfern Verstand müssen wir gebrauchen, Gott und seine Vollkommenheiten im¬ mer beßcr kennen zu lernen; unfern freyen Willen müssen wir anwenden, Gott damit zu lieben, un¬ ser Gedachkniß müssen wir verwenden, um uns sei¬ ner Wohlthatcu stets zu erinnern, seinen Gnaden und Einsprcchungen müssen wir stets getreu Nach¬ kommen, und alle seine Güter nur allein zu seiner Ehre verwenden; wir müssen gedenken, daß Gott unser Herr einstens genaue Rechechenschaft von uns fordern wird, um zu sehen, wie wir seine Güter verwaltet, und seine Gaben angewendet haben. Je- ^u, die damit Gutes gethan haben, wird er sa- gku: e? du frommer und getreuer Knecht, weil du über Wenig getreu gewesen bist, so will ich dich über Vieles fstzsn, geh ein in die Freude deines — < Z04 ) — Leines Herrn. Jenen aber, welche seine Guter un¬ getreu verwalket, dieselben unnütze verwendet und geinißbrauchet haben, wird er statt der Belohnung große Pein anthun lassen. Jene aber, die unter weltlichen Herren stehen, als Knechte und Mägde, erinnert das Gleichniß von dem ungerechten Haushalter ihrer besonder» Treue, die sie ihrem Hausherrn schuldig sind, daß sie nämlich mit ihren Gutherren jederzeit getreu nm- gehen so wn, wie der heilige Paulus sie nachdrück¬ lich ermahnet, da er sagt: ihr Rnechte und Mäg¬ de fevd gehorsam euren leiblichen Herren und Frauen in allen Dingen, nicht mit dem Dienste vor den Augen ; welches wäre, wenn ihr nur Gu¬ tes thnt und fleißig seyd, da eure Herren gegen¬ wärtig sind, und euch zusehen, sondern erweiset ih¬ nen auch in ihrer Abwesenheit Treue und allen Fleiß um Gotteswillen, wie es Christen geziemet, mit Gottesfurcht in Einfalt und Lauterkeit des Herzens, und handelt niemals mit untreuen, falschen Absich¬ ten gegen sie. Koloss. Z. Diese kurze Anwendung wollte ich der erzählte» Parabel von mir selbst bcyfügen, meine wertheflen Christen. Lasset uns aber nun in dem zweyten Pre- digttheile sehen, welche Anwendung und welche» Schluß Jesus unser göttlicher Lehrmeister selbst aus derselben macht. Zwey- — < Zo§ ) — AweyLer Theil- Nachdem der Heyland gesagt hatte, daß der reiche Mann seinen ungerechten Haushälter wegen seiner schlauen Fürsicht auf die Zukunft gelobet habe, weil er nämlich auf eine geschickte Art für seinen künftigen Unterhalt zn sorgen wußte, so setzet er ei¬ nen Schluß und eine Ermahnung hinzu. Der Schluß, den er hinzufüget, lautet also: die Rinder dieser Tvelt sind klüger, als die Rinder des Lichtes in ihrem Geschlechte. Seine Ermahnung aber besteht in folgenden Worten: und ich sage euch, machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten. Durch den Schluß will er sa¬ gen, daß die Kinder der Welt mehr für ihre zeit¬ liche Wohlfahrt sorgten, als die Kinder des Lichtes für ihre ewige Glückseligkeit. Durch die Kinder der Welt versteht er aber jene irrdischgcsinnten Menschen, welche ihre Hauptsorge auf das Jrrdische und Ver¬ gängliche setzen, welche nur für die Güter der Welk und für ihr zeitliches Fortkommen sorgen, auch im¬ mer nur darauf all ihren Verstand und mögliche Klugheit richten, und wenig an die Ewigkeit denken, wenig sich um ein immerwährendes Glück beküm¬ mern. Dergleichen irrdischgesinntes Weltkiud der Haushalter in der heutigen Parabel war, der für seinen zeitlichen Unterhalt und für seine Gemächlich¬ keit auf dieser Welt mehr sorgte, als für die «reue Ausübung seiner Pflichten gegen Gott und den Näch¬ sten, dxr um sein Fortkommen auf dieser Welt zu haben, die Sorge für seine Seele und derselben ewi- Erklär, d. Evaiig.ll. Th. U ges ges Wohl ganz außer Acht setzte, Durch die Kin¬ der des Lichts aber versteht der Heyland die from¬ me» Menschen, welche durch das Licht des Glau- Lens erleuchtet sind , und durch ein tugendhaftes Le¬ ben wandel». — Die Worte Christi zehen nun da¬ hin, meine lieben Christen, daß die gottlosen Wclt- kinder in ihren Geschäften weit klüger und fürsichti- ger oft handeln- als die frommen Kinder Gottes in ihren heiligen Verrichtungen thun, daß sie öfters mehr Fleiß anwenden, ihre Reichtümer, ihre Eh¬ ren und zeitlichen Vortheile zu vermehren , als man¬ cher Fromme anwendet- um die himmlischen Reich¬ tümer, um die ewige Belohnung, die Vorzüge bey Gott und die ewige verheissene Herrlichkeit im Him¬ mel zu erlangen. Christus will uns an der Klugheit der Wcltmenschen in irrdischen Dingen ein Bild zei¬ gen , was für Klugheit, Sorgfalt und Geschäftig¬ keit wir auf die Ewigkeit wenden sollen , er macht hser einen Schluß von dem Geringer» zu dem Grö¬ ßer» , und will sagen, wen» die Menschen für ihre leibliche Wohlfahrt alle Kräften des Körpers und des Geistes anspannen, wie vielmehr müssen wir der¬ gleichen thun, um uns auf das Ewige vorzusehen, und unser ewiges Glück zu besorgen. Er zeiget an dem Bilde des ungerechten Haushalters, wie klüg¬ lich wir handeln, wenn wir für das Zukünftige, für die bevorstehende Ewigkeit besorget sind, und er wünschet, daß diese unsere künftige ewige Fortdauer all unsere Handlungen und Absichten allhier bestim¬ men möchte, daß wir recht einsehen möchten, wie diese Welt mit der künftigen, diese Zeit mit der Ewigkeit, und dieses Lebew mit dem künftigen nach dem — ( Z»7 ) dem Tode in einer genauen Verbindung stehe, und, daß wir recht fühlen möchten, wie viel wir hier thun könnten, um uns dort recht glücklich zu machen.— Er zeiget uns, wie der Mensch zwar für das Zu¬ künftige sorge, aber nicht allezeit für das Ewige. So bauet z. B. der Mensch Hauser, pflanzet Bäu¬ me, besäet seine Felder, sorget für seine Kinder , und machet Entwürfe auf künftige Zeiten, wie der heutige Haushalter auch dergleichen getha» hat. Al¬ les dieses betrift das Zukünftige, aber nur so lange, als das Haus stehen kann , nur so lange als der Baum dauert, als die Frucht des Saamens eingeärndtet ist, und als die Familie besteht, damit ist aber noch nicht für die Ewigkeit gesorget. Christus will uns also hier anweisen , daß wir vielmehr für jene Zukunft sorgerr sollen, die allzeit dauert, dahin sollen wir uns seh¬ nen, dahin sollen wir unsere Wünsche und Hauptsor» gen richten, und unsere irrdischc Geschäfte so ein- richteu, daß sie uns keine Hinderniß in der Sor¬ ge für das Ewige sepen, sondern daß sie diese Sorge vielmehr erleichtern und befördern, damit, wenn dieses indische Haus unserer sterblichen Hütte zer¬ brochen wird, wir ein Haus finden mögen, das nicht mit Menschenhänden gcbauet, sondern von Gott selbst gemacht ist, und ewig dauert im Himmel, Und dieses ist es, was uns Jesus durch den Schluß seiner heutigen Parabel sagen wollte: die Rinder dieser well sind klüger, als die Rinder des Lich¬ tes in ihrem Geschlechte. Um uns aber von der Wahrheit dieses Schlußes recht zu überführen, meine wcrlhcsten Christen, ist nichts anders nöthig, als daß wir unsere Augen aufthun, und sehen, was in der Welt geschieht. U x Was r ZOZ ) Was Hut nicht der Mensch für seinen zeitlichen Un¬ terhalt? Wie viele Mühe gibt er sich nicht , um sich auf ein Paar Jahre glücklich zu machen? Wie viele Nachte bringt er nicht deßwegen schlaflos zu? Wie lauft,, wie rennet, wie schwitzet er nicht für das Zeitliche? Ist nicht alles bey ihm in Bewegung , um ein Glück zu erhaschen, das ihn bald wiederum verlassen wird? Was thut das ehrgeitzige Weltkind nicht, nm sich ans einen erhabenen Ehrenposten zu schwingen? Wie viele Mittel wendet es nicht an , wie demükhiget es sich nicht, wie kriecht es nicht, um die Gunst anderer zu erhaschen?— Der reiche Geiz-^ hals, was thut dieser nicht, seinen Geldschatz zu vermehren? — Was thut ihr nicht selbst, meine lieben Christen, nm eure zeitliche Wohlfahrt zu be¬ fördert!, um eines eurer Kinder auf eine Zeit zu ver¬ sorgen, oder um einen geringen Gewinnst zu ma¬ chen? Bedenket dieses selbst bey euch, welche Mühe ihr euch gebet, wie viel Hitz und Kälte ihr deßwe- gen ansstehet, und sie gerne und willig ausstehet, welche saure Arbeiten ihr deßwegen unternehmet. Thut ihr auch so viel für die Ewigkeit! — Wenn ihr so viel für den Himmel thun müßtet, wie sehr würdet ihr euch darüber beklagen? O, wie wahr ist cs also, was Christus heute sagt: die Rinder die¬ ser Welt sind kluger in ihrer Art, als dieRin- der des Lichts. — Wie sehr sollte uns dieses aber nicht beschämen, daß wir um geringe, vergängliche Sachen mehr Lärmen machen, mehr für dieselben besorget sind, als für Dinge von der größten Wich¬ tigkeit, und von ewiger Dauer! — Sollte unS dieses nicht antreibeu, daß wir als Kinder desLichks für — ( für jene Zukunft, die allzeit daurek, hinkühro grö¬ ßere Sorge tragen, als die Kinder der Welt für er-^ ne Zukunft sorgen, die nur eine Zeitlang dauret. Durch die Ermahnung, weiche Christus seiner heutigen Gleichnißrede noch beyfüget, will er uns den rechten Gebrauch irrdischer Gitter lehren. Denn da unter seinen Zuhörern viele geitzige Pharisäer und reiche Publikanen waren, die vor ihrer Bekeh¬ rung beym verpachten Zvllwesen vielleicht manches Geld ungerechter Weise an sich gebracht hatten, in¬ dem sie mehr, als ihnen gehörte, forderten, um den römischen Kaiser bezahlen zu können, und den¬ noch großen Ueberschuß und Vortheil für sich zu ha¬ ben, so richtete Christus zu solchen diese letzten Wor¬ te des heiligen Evangeliums: ich sage euch, ma¬ chet euch Freunde mit dem ungerechten Mam¬ mon, auf daß, wenn ihr darbet, sie euch auf- nehmen in die ewigen Hütten. Und in diesen Wor¬ ten liegt eigentlich die Anwendung des ganzen Gleich- nißes, wodurch unser Erlöser alle seine Anhänger er¬ mahnen will, daß sie die zeitlichen Güter so gebrau¬ chen möchten, damit sie dauerhafte Vortheile und ewige Belohnungen im Himmel davon erwarten könn¬ ten, denn das syrische Wort Mammon bedeutet in unserer Sprache einen Schatz, oder Rcichthum. Den Reichthum nennet Christus aber ungerecht, entwe¬ der weil er mit Ungerechtigkeit, wie bey den dama¬ ligen Zöllnern und geitzigeu Pharisäern, erworben worden , oder weil er mit Unrecht und auf eine un- rechte angewendet wird, oder auch, weil die urdischen Reichthümer unser rechter und wahrer Schatz nicht sind, da sie von geringem Werthe in Verglei- U Z chui'S — ( Zi« ) — chung der geistlichen und ewigen Güter, auch nicht unser ewiges Eigenthum sind, sondern nur ein an- vertrautes Gut, das bald vor unfern Augen verge¬ hen und verschwinden wird. Mit diesem ungerechten Mammon, mit den irrdische» vergänglichen Gütern sollen wir uns dauerhafte Schatze im Himmel zu er¬ werben suchen, welches geschieht, wenn wir diesel¬ be» zur Ehre Gottes, zu unscrm Seelenheile und zum Beßren unscrs Nächsten verwenden; denn cs kömmt eine Zeit, wo das Irrdische und Sicht¬ bare vergehen wird, es kömmt eine Zeit, wo wir darben, wo Gold, Silber, Hansgeräth und alles, was wir auf dieser Welt besitzen, uns entzogen und vor uns verschwinden wird. Nur der gute Gebrauch von diesen Gütern wird uns bleiben, und mit einer ewigen Guadenbclohnung vergolten werden. Ach sage euch, machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon. Nach dieser nachdrückli¬ chen Ermahnung Christi müssen wir uns Freunde mit unfern zeitlichen Gütern machen. Dieß geschieht aber, meine lieben Christen, durch die Armen, die wir uns zu Freunden machen, wenn wir von unfern Gü¬ tern ihnen etwas mittheilen, und sie in ihrer Dürf¬ tigkeit damit erquicken, dadurch gewinnen wir sie zu Freunden, daß sie für uns bethen, und vor dem göttlichen Richter einstens gute Zeugen unserer Barm¬ herzigkeit für uns abgebcn, damit auch wir hernach Barmherzigkeit erlangen. Durch eine gute Verwen¬ dung unserer Güter machen wir zwar hauptsächlich Gott selbste» zu unserm Freunde, der allein die Macht hat, uns in die ewigen Hütten, in die ewige Glück¬ seligkeit aufzttnchmer». -- Wenn wir darben, das heißt, -— ( Zri ) — heißt, wenn wir diese Welt sammt den Gütern, die wir in derselben im Besitze und in unserer Ver¬ waltung hatten, verlassen müssen, und es mit uns zum Ende geht, alsdann wird er uns in die ewigen Hütten aufnehmen, wenn wir nämlich durch eine christliche Freygebigkeit ihn uns zum Freunde wer¬ den gemacht haben, und vor seinem Gerichte als treue Haushalter bestehen werden. Nutzanwendung. Dieses ist die Anwendung, die Jesus selbst von seiner heutigen Gleichnißrede gemacht hat. Ich will seine ganze Sittenlehre zum Beschlüße meiner Pre¬ digt noch einmal kurz zusammenfassen, meine lieben Christen, merket euch alles recht wohl, was ich noch hierüber sagen werde. — Unser Erlöser sagte, daß der Hausvater seinen Verwalter wegen seiner schlauen Vorsicht ans das Zukünftige gelobt habe; dadurch will er uns lehren, daß wir auf die zu¬ künftige Ewigkeit eine kluge Vorsicht haben sol¬ len , daß wir in der Zeit, da wir uns in der Ver¬ waltung der Güter Gottes auf dieser Welt befinden, mit christlicher Klugheit darauf denken sollen, wie wir alle diese, sowohl geistlichen als leiblichen Gü¬ ter wohl gebrauchen, sie zur Ehre Gottes, zu un- serm und des Nächsten Beßten verwenden mögen, aufdaß wir uns Freunde im Himmel machen, und in die ewigen Hütten ausgenommen werden. Der Haus¬ halter war vorsichtig für sein zeitliches Wohl, der Christ soll daher weit vorsichtigerseyn fürsein ewigcs'Wohl. Die Rinder der Welt sollen nicht klüger seM, denn die Rinder des Lichts. Wenu die Kinder der U 4 Welt — ( Zr- ) — Welt viel arbeiten, viel wachen, laufen und schwi¬ tzen für eine Glückseligkeit, die nur einige Jahre dauret, so solle» die Kinder des Lichtes auch klug seyn, und sollen sich nicht weniger bemühen um eine Glückseligkeit, die ewig dauret. Gott hat uns seine Gaben anvertrauet, daß wir mit denselben getreu Haushalten sollen. Je mehrere Gaben er uns aber anvertrauet, desto mehr werden wir zu verantworten haben. — Wir zittern über die Rechenschaft, welche der HauSvater im Evangelium von seinem ungetreu¬ en Haushalter forderte, wie wird es uns erst zu Muthesepn, wenn nach unserm Tode der himmli¬ sche Hausvater zu uns sagen wird: gib Rechenschaft vsn deiner Haushaltung! Gib Rechenschaft von dem, was unter deiner Verwaltung stund, von dei» nen Talenten, von den Gnaden, die ich dir so man- nichfaltig mitgekheilet habe, von allen Augenblicken des Lebens, die ich dir verliehen habe, von so vie¬ len Gedanken, Worten uud Werken, die deinen Verstand und Her; beschäftigten, von allen Pflichten deines Standes und Amtes. Gib Rechenschaft, wie du gelebt hast als Mensch, als Christ, als Vater, als Mutter, als Vorsteher, als Unterthan, wie du gelebt als Ehemann, als Ehefrau, als ein Kind, als ein Hausherr, und als eine Hausfrau. Du hast gewußt, was du zu thuu hattest, du hast die Mittel gehabt, mir getreu zu sepn, fromm zu le¬ ben, und heilig zu werden. Nun verantworte dich, wie du meine Gaben und Gnaden angeweudet hast, wie du meine Guter gebrauchet hast, ob du sie all¬ zeit zu meiner Ehre, zu deinem und deines Nächster; Heile verwendet hast. Wie ( ZiZ ) — Wie sehr erschrecket uns nicht dieser Gedanke, meine lieben Christen, wie viele Ursachen haben wir nicht mit David zu bekhen: „Herr, geh mit deinem Diener, mit deiner Dienerin», nicht zu Gerichte, denn vor deinem Angesichte wird kein Mensch beste- hen können, wenn du unS nach deiner strengen Ge¬ rechtigkeit richten wirst." Wir erkennen unsere Feh¬ ler, »Herr, unser eigenes Gewissen sagt es uns, daß wir bisher in manchen Stücken ungetreu, und in dem wichtigsten Geschäfte unsers Heils nachläßig gewesen, daß wir weit weniger für die Ewigkeit ge- sorget haben, als die Weltkinder für ihre zeitliche Wohlfahrt sorgen. Wir bereuen aber vom Grunde unsers Herzens diesen Fehler, und versprechen dir, führohin auf die zukünftige Ewigkeit vorsichtiger und in Verwendung deiner Güter getreuer zu seyn , wir wollen mit uns selbst öfters Rechnung halten, wie wir deinen Gnaden nachkommen, und deine Gü¬ ter verwenden, auf daß wir ein gelindes und gnädiges Urthcil von dir bekommen, und wenn du kommen wirst, die Welt zu richten, wir von dir hören mögen jene tröstlichen Worte: ev du frommer und getreuer Rnecht, weil du über Wenig bist getreu gewesen . will ich dich über Vieles setzen, geh ein »n die Hreude deines Herrn. Amen. U L Auf — ( Zl4 ) Auf den neunten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. XIX. 41 — 47. Äls Jesus nahe zu Jerusalem kam, sah er die Stadt au, weinete über sie, und sprach: wenn du es erkanntest, und zwar an diesem deinem Lage, welcher dir zum Frieden ist, nun aber ist es vor deinen Augen verborgen. Denn es wer¬ den die Tage über dich kommen, daß dich deine Feinde mit einem Walle umgeben, dich allent¬ halben rinschlicßen, und auf allen Seiten beäng¬ stigen werden. Und sie werden dich fammt deinen Kindern, dis in^n dir sind, zur Erde werfe», und in dir keinen Stein auf dem andern lassen, weil du -re Zeit deiner Heimsuchung nicht erken- uet hast. Und er gieng in den Tempel, und sieng an auszutreibeu, die darinn verkauften und kauften, und sprach zu ihnen : eS steht geschrie¬ ben, mein Haus ist ein Vethhaus, ihr aber habt es zur Mördergrube gemacht. Und er leh- kkte täglich in -em Tempel. Er — ( ZlL ) — Cr sah die Stadt an, und wrinetr über sir. Luk- rZ. L- 4r- Eingang. Diese rührende Geschichte, die ich ench anjetzt vor- gelesen habe, meine werthesten Christen, trug sich in den letzten Tagen des heiligsten Lebens nnftrs Er¬ lösers zu, da cr nämlich seine letzte Reise nach Je¬ rusalem machte, und am Montage in seiner Leidens¬ woche seinen feycrlrchen Einzug in diese Stadt hielt. Nachdem er zuvor seinen Jüngern angekündet hatte. Laß cr anjetzo nach Jerusalem gehe, um sein Lei¬ den zur Erlösung der Welt allda vorzunehmen. Und nachdem er bey dieser seiner letzten Reise bey Jericho den Blinden sehend gemacht hatte, auch beym Za- chäus eingekehret war, so kam er nach Bethanien, von da er, ans dem Hanse des Lazarus, der Mar- Ha und Maria, nach Jerusalem gieng, auf welchem Wege ihm seine Jünger bey Bethphage auf ein jun¬ ges Füllen einer Eselinn setzten, und ihn lriumphi« rend in die Stadt cinführeken. Bey dieser Gelegenheit nun geschah es, was ich euch anjetzo aus dem Evangelium vorgelescn habe. Jesus legte fast nirgendwo sein gefühlvolles Herz, seine mitleidige Liebe gegen die Menschen, und sei¬ nen brcnnenden>Eifer für die Ehre seines himmlischen Vaters so deutlich an den Tag, als bey dieser Ge¬ legenheit. Seine mitleidige Liebe gegen die Menschen zwar, da er den Untergaug jener Stadt so zärtlich beweinte, in welcher seine Erzfeinde und grausam¬ sten Mörder wohncten, die schon lange Zeit Bos¬ heiten — ( Zr6 ) — heitenmit Bosheiten gegen ihn häufeten, und nun iur Begriffe stunden, ihn auf die allerschmählichste und peinlichste Art zu ermorden. Den feurigsten Eifer für die Ehre seines himmlifchen Vaters aber zeigte er da¬ durch, daß er die Käufer und Verkäufer aus dem Gott geheiligten Tempel zu Jerusalem hinausschenchte. Bepde merkwürdige Handlungen unscrs göttli-r chen Erlösers, die den Inhalt des heutigen Evan¬ geliums bestimmen , wollen wir zu de» beyden Ge¬ genständen unserer gegenwärtigen Betrachtung ma¬ chen. Erstens zwar wollen wir Jesum betrachten, wie er wehmüthige Thränen wegen dem Untergänge der verstockten und unglückliche» Stadt Jerusalem weinet. Zweitens aber wollen wir ihn betrachten, wie er sich aus einem brennenden Eifer für die Eh¬ re seines himmlischen Vaters der Entheiligung des Tempels entgegengesetzet. Vernehmet, meine wertesten Christen, bcyde gegenwärtigen Stücke mit der gebührenden Aufmerk¬ samkeit. Erster Theil. Da unser Erlöser bey seiner letzten Reise, wo er seinen feyerlichen Einzug in die Hauptstadt des jüdi¬ schen Landes halten wollte, sich Jerusalem, dieser Stadt nahte, und denOelbcrg hinabzog , wo er die¬ sen schönen Ort ganz übersehen konnte, so weinte er aus herzlichem Mitleiden gegen die Einwohner die¬ ser Stadt, er vergoß bittere Thränen, weiter daS schwere Schicksal und die grauliche Verwüstung vor¬ aussah, welche bald über diese unseli-je Stadt kom¬ men — ( 5^ ) — men sollte, und dieses zwar als eine gerechte Strafe- ihrer Unbußfertigkeit und Widerspenstigkeit. O wenn du, unglückliche Stadt wüßtest! sprach er unter mitlci- digcnZähren, o wenndu wüßtestwasdirbevorstehet, so würdest du es bedenken zn dieser deiner Zeit, die zu deinem Frieden dienet; du würdest es wohl zu Her¬ zen nehmen, an diesen Tagen, die noch zu deiner Bes¬ serung dienen können, da d» noch durch diese meine Thräucn, durch meine letzten Lehren und Wunder¬ werke hcimgesuchet wirst. O wenn du es doch diese wenigen Tage, wo ich mich noch aufdieser Welt bry dir aufhalten werde, bedenken wolltest, an diesen Tage» die zn deinem Friede», zu deinem Wohlsepn und Ru¬ hestände, und zu deiner ganzen Glückseligkeit dienen können! — Aber nu» ist es vor deinen Augen verbor¬ gen, denn du willst es nicht sehen »och verstehen, was zu deinem wahren Besten und Wohlsepn dienen kann. Wegen deiner großen Halsstarrigkeit aber, und we¬ gen deinem gehäuften Sündenmaße wird das ent¬ setzliche Strafgericht Gottes über dich losbrechen, es wird die Zeit über dich kommen, daß deine Feinde um dich und uni deine Kinder, die in dir o halsstarrige Stadt, versammelt find, eine Wagenburg schlagen werden, es werden die Tage kommen, daß sie dich allenthalben mit einem Walle umgeben und einschlief- sen, und von allen Seiten beängstigen werden. Sie werden dich zur Erde werfen, sie werden diH) schlei¬ fen und keinen Stein auf dem andern lassen, darum, daß du die Zeit deiner Heimsuchung und deiner Gna¬ de nicht erkennet hast. Sv — ( Z-8 ) — So lautet der erste Theil unsers heutigen Evan¬ geliums, meine wcrthesten Christen! Um ihn zu ver¬ stehen braucht es nicht, daß ich euch viele Anmerkun¬ gen mache, da er ohnehin für sich selbst ganz klar ist; dieses wenige finde ich nur für nöthig euch zu sagen, daß der Heyland durch die Zeit der Heimsuchung jene Gnadenzeit verstanden habe, in welcher er noch bey den Juden war, um ihnen seine letzten Lehren zu ge¬ ben, ihnen das letztemal zu predigen, und noch ein¬ mal mit allen Kräften an ihrem Heile zu arbeiten, seine heißen Thranen waren die gültigsten Zeugen, daß er herzlich wünschte, sie möchten doch diese Gna¬ denheimsuchung erkennen, dadurch könnten sie dem schweren Strafgerichte das ihnen bevorstünde, noch entgehen, und de» Untergang der Stadt Jerusalem abivenden, denn da Jesus dieses redete, predigte er den Juden noch drey Tage nach einander in dem Tempel, allein auch diese letzten Bemühungen waren an dem größten Theile dieses Volkes vergeblich. Die Vornehmsten ans demselben hatten fest beschlossen, ihn dießmal von dem Osterfeste nicht lebendig aus der Stadt gehen zu lassen, und führte» auch diese grauliche Mordthat am fünften Tage darauf wirklich an seiner heiligsten Person ans. Dem ungeachtet ver¬ längerte Gott noch diese Gnadenzeit fast auf vierzig Jahre, er ließ sie noch durch seine Apostel und durch verschiedene große Wunder ermahnen , um sie zu ge¬ winnen und vom Untergange zu retten. Es war aber alles ermahnen, alles warnen und drohen an diesen verstockten Leuten vergeblich, bis endlich die schwere Weissagung Christi an ihnen in Erfüllung gieng, denn das Work des Herrn bleibt nie unerfüllet, so wie die — ( Zix> ) -- die Weissagungen der Propheten an Christo, als dem wahren Messias, auf das pünktlichste eintrafcn, so hatten die Thränen Christi den Untergang Jerusa¬ lems nicht umsonst geweissaget. Es waren nach dem Tode Jesu noch keine vierzig Jahre verflossen, so er¬ folgte das durch diese Thränen vorausgesagte trau¬ rige Schicksal dieser Stadt. Die verblendete» Ju¬ de», durch falsche Meßiassc verführet, empörte» sich gegen die Römer ihre rechtmäßige Oberherrschaft, sie führten etliche Jahre lang Krieg gegen dieselbe, bis endlich der geschickte Feldherr der Römer und nachmaliger Kaiser Titus um die Ostcrzeit die rebel¬ lische Stadt mit einem zahlreichen Kriegsheere cin- schloß, und von allen Seiten beängstigte. Die In¬ den verließen sich zwar auf ihre starken Mauren und auf die Festung des Tempels, allein die Römer er¬ oberten die Stadt und endlich auch den Tempel durch einen Sturm, stürzten die Thürme und Mauren um, verbrannten die Stadt und den Tempel, und mach¬ ten sic dem Erdboden gleich, wie ihr schon bey einer andern Gelegenheit gehöret habt, und sonst nochum- ,stündlicher hören werdet. Die häufigen Thränen, welche der göttliche Hen- land bey Erblickung der Stadt Jerusalem vergoß, und der Bewegnngsgrund, der ihn zur Vergießung derselben anrrieb, sind die rührendsten Umstände un- scrs Evangeliums, meine lieben Christen, sic solle» also auch billig heute den vornehmsten Gegenstand unserer Betrachtung ausmachen. Ihr wisset, daß die Ursache von so vielen Thränen Jesu keine ande¬ re, als der Untergang einer sündhaften Sradt, die Blindheit der Jude», ihre große Verstockung, der Miß- — ( Z2Ü ) -' Mißbrauch der Gnaden Gottes, und dieVerachtung, mit welcher sie seiner Heimsuchung begegnet, gewe¬ sen. Es waren also Thranen der Religion, des Ei¬ fers für die Ehre Gottes, Thranen des MittleidenS und der Liebe gegen die Menschen, und Thranen des Schmerzens wegen den Sünden. Denn, wenn wir unfern Erlöser bcpnr Anblicke einer gottlosen Stadt Thranen vergießen sehen, müssen wir uns nicht ein- bilden, daß die Vorstellung des Jammers, der sich über diese herrliche und volkreiche Stadt bald ver¬ breiten sollte, ihm diese Thränen ausgepresset habe. Er hatte ja diese Stadt öfters angesehen, und un¬ fehlbar das Bild ihres bevorstehenden harten Schick¬ sales betrachtet; denn da seinem Geiste alles gegen¬ wärtig war, so erinnerte er sich auch jederzeit an das Unglück der Juden , das nach den göttlichen Ge¬ richten über sie fallen würde. Warum stund hier aber Jesus, besah die Stadt, und weinete über sie? Hätte er seine Thranen feycrlicher vergießen können, als zu dieser Zeit? Er war nicht allein, sondern beym Gefolge seiner Jünger und vielen Volkes, das ihn unter Jauchzen und triumphirenden Singen be¬ gleitete, es waren also keine in der Einsamkeit aus¬ geschüttete Thranen und Seufzer. — Er weinte nicht nur, sondern gab auch die Ursachen davon unteraus¬ drücklichen Klagen an: wenn du wüßtest, sprach er: o du undankbare Stadt, wenn du erkann¬ test die Zeit, welche zu deinem Frieden und Heile äst. — Es war die letzte^Woche seines heiligsten , Lebens, er hatte nur noch wenige Stunden übrig, an der Uebcrzcugung und Bekehrung eines Volkes , zu dem er gesandt war, zu arbeiten, er betrach¬ tete. — ( ZS! ) — tete, wie er bisher alles gethan, um es zu gewin¬ nen, und von seinen Sünden abzuführen, ersah, wie verstockt dieß sein Volk sey, wie vergeblich seine unermüdete Sorgfalt und selbst die Macht seiner Wunder nunmehro an ihm sey; dieses betrachtete er, und dieses war es, was ihm die heißen Thronen aus- pressete, die wir als die deutlichste Probe feines mit¬ leidigen, liebvollen Herzens, und als die Bestakti- gung des Eides ansehen können, den er bey dem Propheten Hefekiel im ZZ. Kap. von sich gegeben: so wahr, als ich lebe, spricht der Herr, habe ich kein Wohlgefallen an dem Tode des Sünders, sondern daß erlebe, und sich von seinem bösen Wesen bekehre. wutzan Wendung. Mit diesen Tchränen hat also der Heyland die ganze Fülle seines mitleidigen Herzens gegen ein Volk, das schon am Rande des Verderbens stund, ansgeschüttet, und sie sind von uns, meine wxrthesten Christen, wie ich euch schon gesagt habe, nicht allein die stärksten Zeugnisse seines liedvollen Herzens, sondern auch als Thronen der Religion, als Thronen des Eifers für die Ehre Gottes, und als Thronen des Schmer¬ zens wegen den Sünden zu betrachten. Sie reden al¬ so auch zu uns, und ermahnen uns zur Besserung unsers Herzens, und zur besseren Anwendung der Gnade Gottes. Sie ermahnen uns, die Abscheulich¬ keit der Sünde und derselben Bosheit einzuseheu, und Buße zu thun; sie ermahnen unS, den gefährlichen Zustand der Sicherheit im Bösen und der bald dar- Erklär.d.Evaug.ll.Lhl. auf — ( K22 ) —- auf erfolgenden Verstockung z» erkennen, und auf das möglichste zu eilen, unsere Seelen zu retten, sie warnen uns, uns sorgfältigst vor allen Sünden zu hüten. Denn sollten wir nicht also schließen? Wa¬ ren die Sünden der Stadt Jerusalem die Ursache der schmerzlichen Thränen Jesu, was muß die Sün¬ de nichtfür ein großes Uebel und für eine großeBe- leidigung Gottes seyn? Was für betrübte Folgen muß sic nicht nach sich ziehen? Sollten wir ein so großes Uebel thun, und wider unscrn Gott sündigen? Sollten wir den Geist Gottes betrüben können? ß - Sollten diese Thränen Jesu uns nicht auch lehren , einen Schmerzen in uns zu empfinden, wenn wir den verderbten Seelenzustaud anderer Menschen ansehcn? Sollte das nicht auch unsere Seele betrübt machen, wenn wir an andern Christen Thorheiten, Ausge¬ lassenheiten, Laster und Verstockung erblicken? Wir sollren wir das mit gleichgültigem Gemüthe anse¬ hen können, was an und für sich fast allein bewei¬ nungswürdig ist? Was für ein schreckenvolles Bild haben wir aber an Jerusalem und dem ganzen jüdischen Volke, mei¬ ne lieben Christen, ein warnendes Bild für die Ver¬ ächter der Gnade Gottes, welche die Gnadenzeit nicht erkennen und nicht anwenden wollen. An die¬ sem Volke sehen wir, wie ernstlich Gott den Men¬ schen seine Gnade anbiethe, wie er zu allen Zeiten, auch gegen ein ungehorsames Volk seinen Gnaden-- arm anSstrecke, und, so zu sagen, nnr gezwun¬ gen strafe. Die Juden, welche die Gnaden GotkeS auf mancherley Art verachteten, sind noch jetzo ein fürchterliches Bild aller Verächter der göttliche» Gna- —' < ) — Gnaden , sie wandeln unter uns zur Warnung hem nm, Jerusalem ist feit vielen Jahrhunderten nicht mehr, aber das Jammergeschrey seiner ehemaligen Einwohner ist noch nicht verstummet, wir sehen die Nachkömmlinge der ehemaligen Einwohner Juden« landes unter uns herumgehen, wir kennen dieses Volk, das sich an Sprache und Sitten vor allen so auözeichnet, und mit keinem, als mit seinem Ge¬ schlechte , übereinkömmt, wir sehen an diesen un« glücklichen Menschen die Zeichen der göttlichen Stra¬ fe, denn sie sind dhne König, ohne Regierung, oh¬ ne Tempel, ohne Opfer, sie sind Knechte und dienen fremden Völkern, die ein Abscheu ihres Herzens siud, sie sind von dem Zorne Gottes gebrandmarket, und dem Spotte ihrer Feinde gleichsam preisgegeben. Wer har ihnen diese schweren Fesseln angelegt, wel¬ che zu ertragen sie nunmehr in der Verhärtung ih¬ res Herzens gewohnt sind. Sehet, meine lieben Christen, welches Unglück die Verächter der Gnaden Gottes öfters ihren Kin¬ dern und Nachkömmlingen zuziehen. Lastet uns die¬ ses Bild, das fast täglich vor unfern Augen schwebt, zur täglichen Warnung und Ermahnung gebrauchen, um die Gnade» Gottes, die er uns so reichlich zu- siicßen laßt, hochzuschätzen, um das Wort Gottes, die heiligen Sakramente, die göttlichen Einsprechuu- §en und Erleuchtungen niemals zn vernachläßigen, und die Gnade Gottes als das schätzbarste Gut za erkennen und recht wohl anzuwcnden. Lasset uns öf¬ ters erwäge», welche entsetzliche Strafe solche Ver¬ achtungen nach sich ziehen, lasset uns öfter- erwä- gen, daß Gott, wenn ersieht, daß man seine Wohl» — ( Z24 ) — thaten gering achtet, dieselben endlich entziehe, daß er den Sünder, der seine Gnaden verachtet, auch von seinen geistlichen, Feinden umringen lasse, die ihn dergestalt beängstigen, daß er fast keine Hoffnung mehr sicht, ihren Händen zu entrinnen, die ihn mit der erschrecklichen Vorstellung der Menge und Schwe¬ re der Sünden, die erbegangen, und der fürchter¬ lichen Strafen, die auf ihn warten, in die größte Angst versetzen, daß Gott dieses zur gerechten Stra¬ fe auf den Sünder kommen lasse, weil er die Zeit nicht erkennen wollte, in welcher er ihn in seiner Gnade und Barmherzigkeit heimsuchte, weil er so viele gottselige Begierden und heilige Einsprechungcn, und so viele Antriebe des heiligen Geistes äusser Acht ließ. Des heiligen Geistes, der ihn bald mit seinem göttlichen Lichte erleuchtete und unterrichtete, bald seine Sünden ihm vorrückte, bald ihn durch einige Lrübsale, durch den Verlust der Ehren, der zeitli¬ chen Güter, der Gesundheit, der Befreundte» von seinem Sündenschlumrner aufzuwecken, und vomLa» ster abwendig zu machen suchte, der bald auf eine andere Art in ihn drang, ihn anlsckte, und durch Vorstellung der göttlichen Belohnung ermunterte, den Weg der Tugend und Gottseligkeit zu wandeln.— Daß Gott jeden Sünder endlich der Gewalt seiner Feinde übergebe, wegen dem sündhaften Gebrauche, den er von allen Heilsmitteln machte, und wegen der schlechte» Sorgfalt, aus seinen heilsame» War¬ nungen Nutzen zu ziehen. Lasset uns dieses alles wohl erwägen, meine werthesten Christen, und die Gnaden Gottes wohl gebrauchen. Dieses sollen uns die Thränen, die Je¬ sus — k 2-5 ) — sus über Jerusalem vergoß, und die Drohungen, die er dieser verstockten Stadt machte, lehren. Und soviel von der ersten Handlung, welche das heutige Evangelium von unserm Erlöser erzählet, lasset uns nun auch über die zwote Handlung, die sich im Tem¬ pel zutrug, unsere Betrachtung anstellen, und dieses in dem Zweyten LH eile. lAobald Jesus in die Stadt Jerusalem kam, gienF er gleich auf den Tempel zu, um das allda versam« melte Volk zu lehren, und zum Dienste Gottes zu ermahnen. Aber sehet, was geschah, als er allda ankam, wie sehr ereiferte er sich nicht, als er in den Vorhöfen des Tempels einen Marktplatz erblickte, wo viele Kaufleute und Geldwechsler ihre Kaufladen aufgefchlagen hatten, theils um Tauben, Lämmer, und andere Opferthiere zu verkaufen, theils um sol¬ ches Geld, das iu dem Tempel gangbar war, den ausländischen Juden zu verwechseln. — Die Vor¬ steher des Tempels, die solchen Personen in diesem heiligen Orte zu handeln und Wechselbäncke zu errich¬ ten die Erlaubniß ertheilcten, folglich dieses Haus Gottes zu einem Sammelplätze von Käufern und Verkäufern machten, gaben zwar vor, es geschehe den Fremden znm Beßten, damit sie desto bequemer das Opfervieh anschaffen, und den Seckel des Hei- liglhumeS, den sie dem Herrn geben mußten, ein- lvsen, also dadurch ihre Opfer und Abgaben an den Tempel entrichten könnten. Der Heyland wußte aber wohl, daß Geitz und Betrug hinter dem Vorwande X z der — ( Z-6 ) — -er Religion verborgen sey, daß die Oberstender Tempels einen großen Dortheil daraus zögen, nnd daß solche privilegirte Kaufleute, welche ihre Frey- heit zu handeln erkaufen mußten, wiederum andere, die etwas zum Opfer kaufen wollten, presseten, und alles im Preise übersetzten. Sobald er daher diesen Marktplatz erblickte, unternahm er jene merkwürdige Handlung, welche das heutige Evangelium von ihm erzählet, wodurch er die Ehre des Hauses Gottes rettete, und den Vorstehern des Tempels den wah¬ ren Eifer für dieses Gott geweihte Gebaud zeigte, und dieses Lhat er zwar auf eine Art, daß jeder¬ mann dadurch in das größte Erstauiren gesetzet wur¬ de. ,,Lr gieug nämlich in Tempel, und fieng an auszutreiben, die darinn kaufte» und verkauften, und sprach zuihnen: „es steht geschrieben, meinHauS ist ein Bethhaus, ihr aber habt es zu einer Mör¬ dergrube gemacht." Wenn wir hier bey dieser Begebenheit bedenken, meine werthesten Christen, daß der Heyland bey ei¬ ner zahlreichen Versammlung von Menschen dieß that, ohne einigen Widerstand zu finden, so können wir dieses allein seiner göttlichen Kraft zuschreiben, wel¬ che das anwesende Volk, um seinem Eifer diese» Nachdruck zu geben, mit einer heiligen Ehrfurcht gegen ihn erfüllete, er zeigte sich durch diese Handlung als den Herrn des Tempels, da er -en Wechslern ihre Tische umschnttete, und die Tempelkrämer ver¬ scheuchte, welche dieses sein Haus entheiligt hal¬ ten. — Nachdem er aber diesen seinen Tempel ge- reiniget hatte, fieng er an zu predigen, und setzte dieses — ( ZS)' ) — dieses drey ganze Tage nach einander fort, deuMorr- tag nämlich, Dienstag und Mittwochen vor seinem Leiden. „Und er lehrete täglich im Tempel." Er widmete diese letzten Tage seines Lebens noch ganz dem Unterrichte eines Volkes, das im Begriffe stund, ihn grausamer Weise zu ermorden, und dieses Hat er ganz unbesorgt für sich, gleichsam, als wenn sein Leiden noch weit entfernt wäre. Den Abend, nach¬ dem er den Tag über im Tempel gelehret hatte, gierig er allzeit aus der Stadt hinaus, um in dem Flecken Bethanien zu übernachten, den Mittwoche» nahm er aber in vollem Ernste von den Juden Abschied, und verließ ihren Tempel für allzeit. — Dieses ist nun das zweyte Stück unsers heutigen Evangeliums. Was für Lehrstücke haben wir nun daraus zu ziehen? Meine werthesten Christen, wenn wir hören, daß der Hepland, der dieSanftmuth, die Gütigkeit selbst war, mit der Peitsche in der Hand in den Tempel gicng,dieTische der Wechsler und Taubenkrämer all¬ da umwarf, und alle die Kaufleute als Räuber und Gottlose hinausjagte, ob sie sich gleich nur in dem äus- scrnVorhofe und bcym Eingänge des Tempels befan¬ den, ob sie gleich nur solche Sachen verkauften, die man zu den Opfern beym Gottesdienste nöthig hat¬ te , und obgleich dieses Gewerbe und diese Gewohn¬ heit von den Priestern und Schristgelehrten geduldet wurde, so müssen wir aus diesem Verhalten, das Jesus gegen solche Leute beobachtete, und aus seinem heiligen Unwillen womit er erfüllt zu seyn schien, de» Schluß machen, wie empfindlich ihm erst die un¬ anständige und religionswidrige Art fallen müsse, mit wacher manche Christen in unfern Kirchen erscheinen, K 4 von — ( A-S ) — vonrvelchender Tempel zu Jerusalem doch nur ein Vor¬ bild war, weil er nur den Schatten von jenen Güter» i» sich faßte, welche heut zu Tage unsere Kirchen so heilig und ehrwürdig machen. Wie empfindlich muß es ihm nicht fallen, ihm, der für die Ehre seines Hau¬ ses so beeifert ist, wenn er einen so großen Mangel der Ehrerbiethnng und so viele Entheiligungen und Aer- gerniffe sehen muß, die von manchen an seiner heil. Städte begangen werden ? Wenn er scheu muß, all jenes ausgelassene Schwatzen und Lachen, jenes her« umgaffen, jene unanständige Lcibessteünng, die man an Manchen wahrnimmt, jenen sträflichen Mangel der Aufmerksamkeit, jenes freche ausgelassene Wesen, die Manche an sich blicken lassen, wenn er sehen muß, wie man an seiner heiligen Stätte neugieriger Weise bald zur Rechten, bald zurLinken umschauet, und zu Zei¬ ten mit einem von irrdischen Dingen oder gar mit Dünsten berauschender Gstranke ««gefüllten Kopfe sich einfindet. S meine lieben Christen, sollte uns wohl dieser Unwillen und Zorn, mit welchem Jesus die Enthei- liger des Tempels zu Jerusalem auslrieb , nicht leh¬ ren, mit welcher Eingezogenheit, mit welcher Ehr¬ furcht und Gemüthsverfaffung wir in unfern Kirchen uns einfindcn sollen, wo der Heiligste aller Heiligen feinen Thron unsere Wünsche zu erhören, und den Dienst unserer Aubethung anzunehmen, aufgeschlagen hat ? Wenn wir zu jemand gehen, der wegen seines Ranges oder wegen seiner Geburt weit über uns er¬ haben ist, um unsere Pflicht und Schuldigkeit gegen ihn zu beobachten, oder um uns eine Gnade von ihm auszubitten, o so denken wir ja schon unterwegs, was - ( Z2Y ) — was wir ihm sagen wollen, wir denken an die Sa» chen, wovon wir mit ihm zu sprechen haben, wir schicken uns an, mit der rhrerbiethigen und bescheide¬ nen Miene zu erscheinen, welche die Gegenwart ei¬ nes Obern von uns fordert. Sollten wir nicht auch , wenn wir unS anschicken , in den Tempel des Herrn zu gehen, an die Sachen denken, die uns dahin führen, und an die Größe und Hoheit des allmäch¬ tigen GotteS, der darinnen wohnet? Sollten nicht daran denken, daß wir hier nicht etwa zu ei¬ nem großen Herrn dieser Welt gehen, nicht in das Haus eines irrdischen Fürsten, sondern in das Haus des Herrn aller Herren, vor welchem sich ganze Legi¬ onen der Engel zu Füssen legen, und vor welchem die ganze Welt nicht mehr als ein Sandkörnchen ist ? Sollten wir nicht bedenken, daß wird» gehen an den Ort, den der grosse Gott sich zur Wohnung auSer- wahlt hat, an einen Ort, der seinem Dienste beson¬ ders gewidmet ist, und welchen er mit seiner ewigen Majestät erfüllet, an einen Ort, wo er unsere Be¬ suche annimmt, unsere Wünsche und Geberhe erhö¬ ret, seine Gnaden unter uns auskheilet, wo seine Augen über uns offen stehen, wo seine Ohren auf unser Schreyen hören, wo er seine Hände bereit hall, uns mit seinen Wohlthaten zu erfüllen, kurz, wo alle Schatze feiner Gütigkeit und seines Segens für uns bereit stehen? Sollten wir nicht daran ge¬ denken, was für wichtige Dinge wir mit ihm zu re¬ den, um wie viele Gnaden wir ibn zn bitten , und wie vielen Dank wir ihm abzustatten haben? Unsere Gesundheit, unsere Güter, unser Schicksal, un¬ ser ganzes Leben, ja unsere Ewigkeit, alles dis* L § fts — ( ZZo ) — fes steht in seinen Händen, er kann uns in unserer Schwachheit starken, in unseren Tr'übsalen trösten , unsere Sünden vergeben, unsere Haushaltung seg¬ nen, und unsere Unruhen und Widerwärtigkeiten vertreiben. O lasset uns, meine lieben Christen, alles die¬ ses wohl überdenken, wenn uns die Pflicht der Re¬ ligion in die Kirche rufet, und wenn wir uns au- schicken, uns in diese heilige Statte zu begeben, lasset uns öfters betrachten, was Christus im Tem¬ pel zu Jerusalem jenen that, welche das Haus Got¬ tes entheiligten. Wie ost würde er nicht Gleiches in unfern Tempeln thnn, wenn er noch sichrbarlich un¬ ter uns Menschen wandelte. — Reden wir uns beym Eingänge in das Haus Gottes mit einem gekrönten Propheten selbst also an: freue dich, meine Seele, wir gehen in das Haus des Herrn, ihn allda an- zubethen, seinen heiligen Namen zu preisen, fein Lob zu besingen, sein Wort allda anzuhören, und -ihm unser Elend vorzutragen. Sprechen wir öfters in denselben die Worte des Patriarchen Jakobs: o wie schrecklich ist dieser (!>rt! Hier ist wahrhaf¬ tig das Haus Gottes, und die Pforte des Him¬ mels. Verhalten wir uns darinn jederzeit so einge¬ zogen, wie es die Heiligkeit des Ortes, und die Moral des heutigen Evangeliums von uns fordert. Denke» wir öfters an das strenge Verhalten Jesu ge¬ gen die Einhelliger des Tempels zu Jerusalem, er¬ innern-wir uns aber auch öfters an das, was wir rn dem ersten Predigtkhcile gehöret haben, wie näm¬ lich der allmächtige Gott die Verächter seiner Gnaden AjMsuche, wie er sogar seine Strafen öfters bis auf — ( ZZr ) Mtf ihre letzten Nachkömmlinge ausdehne, wie er wegen dieser Verachtung sein geliebtesZion zerstöh-- ren ließ, wie er sein auserwahltes Volk, das er mit mächtiger Hand aus der Dienstbarkeit Aegyptens führte, deßwegeu so sehr züchtigte, daß er es von sich verstieß, und dem harten Willen seiner Feinde übergab, weil es nämlich seine Gnaden undankbar verachtete. Erkennen wir an diesem traurigen Bilde, daß Gott zwar öfters lange dem Sünder barmherzig zusehe, aber ihn endlich mit den fürchterlichsten Stra¬ fen Heimsuche, wenn er den Reichthum seiner Güte, seiner Geduld und Langmuth verachtet, erkenne» wir anjetzt dankbar die gütige Absicht nnsers Gottes, damit wir nicht einstens als Verächter seiner Gnade von ihm im Zorne angesehen und gestraft werden. Bis hierher stehe» wir noch, unter dem Schutze sei¬ ner Barmherzigkeit, er schenket uns noch seine Gua- . de im reiche» Maße, um uns zur Buße und Besse¬ rung unsers Lebens zu bewegen. — O daß wir, meine werthesten Christen, diese heilsame Zeit, wor¬ in» uns Gott mit seinen Gnaden noch heimsuchet, dankbar erkennen möchten, v daß jene bittere Thro¬ nen, die unser allerheiligster Mittler über die ver¬ stockten Sünder weinete, unsere Herzen erweichetcn, damit wir seinen heiligen Einsprechungen stets Platz geben, uud den heilsamen Trieben seiner Gnade in allem folgen und gehorsamen möchten. O daß jene Worte immer in unserm Sinne seyn möchten, die . unser Erlöser unket liefgehvhlten Seufzern im Ange¬ sichte der Stadt Jerusalem, die seine Gnade lange Zeit verachtete, gesprochen! wenn du erkänntesr -jo — t ZZ2 1 —: bie Zeit, öie zu deinem Frieden und zu deinem Keile dienet. Die Tage Jesu waren nämlich den damals lebenden Juden noch ein besonderes Gnaden¬ geschenk, die alten Gläubigen hatten nach denselben geseufzet, und die Zeitgenossen des Mcßias selig ge¬ priesen, so haben auch wir, meine werthesten Chri¬ sten, unsere Gnadenzeit, mit welcher uns Gott ein köstlich Geschenk machet, von deren guten oder üblen Gebrauche unser ewiges Wohl oder Weh abhaugt. Ist diese Zeit der Gnade einmal vor uns verschwun¬ den, so kann sie nicht mehr zurückgerufen werden, sie ist auf ewig verlohren, die Zeit unsers Lebens ist die Zeit der Gnade Gottes, wo wir auf die Ewig¬ keit besorgt seyn müssen, diese ist die Zeit der Heim¬ suchung Gottes, wo uns der Allmächtige zur ewigen Wohlfahrt verhelfen will. "Wenn du erkanntest c» Mensch, und zwar an diesen deinen Tagen, welche zu deinem Keile und Frieden dienen. Wenn wir recht erkannte», welche Gelegenheit Gutes zu thun uns das menschliche Leben darbiethet, wenn wir die Gnadenzeit der Jugend, unsers muntern Al¬ ters , die Gnadenzeit unserer Stärke und Gesund¬ heit, die Gnadenzeit der Krankheit und des Alters, die Gnadenzeit der Arbeit, der Ruhe, des Wohler¬ gehens, und selbst der Trübsal wohl erkannten, gut eiutheilten und anweudcten, dieselbe zur Ehre Got¬ tes und zum Nutzen unsers Nächsten anlegten, o was für einen Nutze» würden wir in der Ewigkeit davon ziehen, ein Augenblick, eine Minute, darinn wir etwas Gutes verrichteten, würde uns alsdann ewig Lrösten. So ( ZZZ ) So lasset uns dann, meine lieben Christen diese unsere Gnadeiizeir erkennen und hochschatzen, eine Zeit, die so nahe an die granzcnlose Ewigkeit gränzet, lasset uns nach der Ermahnung des heil. Paulus Galat. 6. in derselben Gutes thun, ohne Ermüden, denn zu seiner Zeit werden wir auch einärndten ohne Aufhören. Amen. Auf den zeherrten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. XVIH. 9 —14. ^N der Zeit sprach der Herr Jesus zu Etlichen, -,e auf sich selbst vertrauten, als wenn sie ge¬ recht wären, und andere verachteten, dieses Gleichniß: es giengen zween Menschen hinauf in den Tempel zu bethen, einer ein Pharisäer, der andere ein Pnblikan. Der Pharisäer stund, und bethete bey sich selbst also: ich danke dir, 0 Gott, daß ich nicht bin wie andere Leute, Räu¬ ber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie die¬ ser Publika». Ich faste zwcymal in der Woche, und gebe den Zehend von allem, waS ich habe. Der Publikan aber stund von ferne, und wollte die Augen nicht gen Himmel aufheben, sondern schlug an seine Brust, und sprach: Gott sey mir Sünder — l ZZ4 ) — GündeL gnädig. Ich sage euch, dieser grenz hin¬ ab geeechtfertrget in sein Haus vor jenem. Denn wer sich selbst erhöhet, der wird erniedriget wer¬ den, und wer sich selbst erniedriget, der wird er- Met werden. M gienzen zween Menschen hinauf in den Tempel zu bi^ then- Luk. i8- D. ics. Eingang. Aas heutige Evangelium enthält übermal eine vor» rreffliche Gleichnißrede, meine werthesten Christen , wodurch uns Christus eines der vornehmsten Stücke unserer Religion lehren will, die rechte Art nämlich unser Gebeth Gott wohlgefällig zu verrichten, nach¬ dem er in den vorhergehenden Versen des angeführ¬ ten Kapitels des heiligen LukaS gesagt hatte, dass ein beharrliches und anhaltendes Gebet!) höchst nütz¬ lich sey, daß man durch das Gebeth ganz sicher er¬ halte, was man verlanget, wenn man in demselben verharret, wenn man so anhaltend bethet, wie jene Witkwe, die lange Zeit ihre Klage bey einem un¬ gerechten Richter anbrachte, aber jedesmal abgewie- ses wurde, endlich aber noch Hülfe erhielt, weil sie beharrlich bethetc, und nicht nachließ, den Richter durch ihr Bitten und Flehen anzugehcn. — Nach¬ dem Jesus dieses tröstliche Versprechen einem beharr¬ lichen Gebethe gegeben hatte, so kam er darauf, daß — < ZZL ) — -aß er uns ein?» Unterricht gibt, wie unser Gebeth beschaffen ftyn soll, damit es Gott erhöre. Und die-» ses thut er in der heutigen Parabel von dem Pharisäer und offnen Sünder, unser Gebeth müsse nämlich de-- müthig ftp». Wir sollen allen Hoffart au- unserm Herzen verbannen, und in Erkenntniß unserer Sun¬ den und Armseligkeiten uns vor Gott erniedrigen, wenn wir unser Gebeth zu ihm verrichten, denn nur die demüthig Bittende erhöre Gott. Au- dem Anfänge unser- Evangeliums ersehen wir, daß dieseGleichnißrede besonders aufdie heuch¬ lerischen Pharisäer gerichtet gewesen, deren etliche unter den Zuhörern Jesu waren, zu deren Beschämung und Besser: ng er dieselbe vertrug, weil sie nämlich dem äußerlichen Scheine nach gottesfürchtig waren, aber sich etwas auf ihre Werkhciligkeit einbildeten, sich allein für fromm, und andere Leute, die nicht wie sie lebten, für Sünder, für böse Menschen hiel¬ ten, so heißt cs, daß Jesus zu etlichen, die auf sich selbst vertraueren, als wenn sie gerecht wären, und andere verachteten, dieses Gleichniß gesprochen habe. Solche erkannte er als der Herzcnskündiger, dem alle geheimen Falten unserer Herzen offen liegen, solchen gab er einen vortrefflichen Unterricht in diesem heutigen Gleichnisse von zween Menschen, die hinauf in Tempel, der zu Jerusalem auf einem Berge ge- banck war, giengen, um daselbst ihr Gebeth zu verrich¬ ten , und nach dem damaligen alttestamentischen Gebrauche, bey den gewöhnlichen Opferhandlunge» ihre Andacht zu halten; er zeigte ihnen gar schön in bcr Person dieser zween, an Tilgend und Aufführung sehr verschiedenen Menschen, wie sehr ihm der Hoch* muth L 2Z6 ) «nuth mißfalle, «nd im Gegentheile wie sehr er die Demuth liebe, da das Gebeth des hochmüthigen Pharisäers verworfen, jenes des demüthigen Publi« kauens aber in Gnaden erhöret wurde. Meine werthesten Christen, wir wollen anjetzo beyde zum Gegenstände unserer Betrachtung machen, und zwar im ersten Theile gegenwärtiger Predigt den Pharisäer mit seinem hochmüthigen Gebethe, im zweyten Theile aber den Publikan mit seinem demü- thigen Gebethe betrachten. Unser Erlöser will, daß wir darauf aufmerksam feyn, und daraus lernen sollen, wie unser Gebeth gut oder böß sein könne. Erster Theil. Ach habe ench, meine werthesten Christen, schon gesagt, daß der Endzweck und Sinn des heutigen Gleichnisses von dem heiligen Lukas in diesen War« ten angegeben sey. Jesus sagte zn etlichen, die»auf sich selbst vertrauten, daß sie fromm wären, und an¬ dere verachteten, folgendes Glcichniß. Die Perso¬ nen, die unser Erlöser in dieser Parabel zu unserer Betrachtung aufstellet, sind so beschaffen, daß sie als ganz und gar einander entgegengesetzte Leute, eben so wie ein Armer gegen einen Reichen, wie ein Gesunder gegen einen Kranken, oder wie ein Hoher gegen einen Niedrigen betrachtet werden können. Dec Pharisäer ist dem Zöllner entgegengestellt, nnd die¬ ses war damals der weiteste Unterschied, den man unter Menschen machen konnte, und der nolhwendi- ger Weise jedermann stark in die Augen fallen mußte. Denn da die Pharisäer Leute waren, die wegen ih¬ rer — ( Z27 ) — rer auffern Frömmigkeit beym Volke in großem An¬ sehen stunden, indem sie sich vornämlich von gewissen sinnlichen Dingen enthielten, und sich von der Ge¬ sellschaft der Sünder entfernten, so konnte der Er¬ löser kein größeres Beispiel der äusseren Heiligkeit, als einen Pharisäer aufstcllen. Die andere Person war ein Publikan, oder Zöllner, dessen Nähme schon, wenn er ausgesprochen wurde, einen widrigen und gehässigen Begriff damals erweckte, denn Zöll¬ ner waren in den Augen der Pharisäer besonders nichtswürdige Leute. Um nun dem Werkheiligen, der in der äuffern Frömmigkeit seine ganze Gerech¬ tigkeit zu finden vermeynte, seine falsche Einbildung und Thorhcit recht begreiflich zn machen, that es Je¬ sus in diesen vorgeleqten, ganz und gar entgegen¬ gesetzten Bildern eines Pharisäers und eines Publi- kans auf eine so vortreffliche Art, daß er uns zugleich ein Bild von unserer wahren und falschen Frömmig¬ keit oder Gerechtigkeit, wie sie vor Gott gilt, vor Augen leget. Lasset uns zuerst die Person des Phari¬ säers betrachten, und an derselben sehen, was wir zu vermeiden haben. Die Pharisäer waren, so viel man heute an ih¬ nen bemerke» kann, solche Leute, die von andern Menschen als fromm und heilig angesehen seyn woll¬ ten, die eine selbsterwählte, äusserlich strenge und scheinheilige Lebensart beobachteten, und sich ein¬ bildeten, als ob sie allein fromm waren, welche falsche Einbildung sich besonders auf die genaue Beob¬ achtung gewisser äusserlichen Ceremonien und auf die Abbethung langer Gebekher gründete, welche sie unter vielem Wortmachen herabsprachen, dabep aber Erklärb.tkvang.H.LH. N ein — < ZZ8 ) — sin aufgeblasenes Herz hatten, indem sie andere ne¬ ben sich verachteten, die keine solche Lebensart wie sie führten, welches wir aus dem Vergleiche, den der heutige Pharisäer in seinem Gebethe zwischen sich und andern machte, klar ersehen können. Den» daß die¬ ser Pharisäer ein hochmnthiger Mann war, der viel auf seine Werke vertrante, der in seinen Augen an Verdiensten sehr reich war, der sich selbst für fromm und gerecht, andere aber für ungerechte, für böse »der wenigstens für schlechte Leute hielt, solches leuch¬ tet auS seinem ganzen Gebethe hervor, da man ihn in seinem Gebethe nichts von seinen Sünde«, nichts von der Gnade Gottes, wohl aber von seinen vor¬ trefflichen Werken viel sprechen höret. Er getraucle sich mit seiner eingebildete» Gerechtigkeit vor Gott zu bestehen, er stund, wie Christus ihn beschreibt, mit großer Vermessenheit da, und bethete bey sich selbst, sich sber'auch selbst zur Ehre und zum Ruh¬ me mit folgenden Worten: ich danke dir o Gott! daß ich kein Mensch bin vo» der Art, wie andere gemeiniglich sind, die in groben Sünden leben, die Ungerecht, Räuber und Ehebrecher sind. Ich nehme niemand was, sonder» lasse einem jeglichen das Seiuige. Wider das sechste und siebente Geboth, wi¬ der welches sich die Menschen am meisten vergehen, verfehle ich mich nicht im geringsten. Ich bin nicht ein Mensch, wie dieser gegenwärtige Zöllner, der auch allhier im Tempel seine Andacht verrichten will. So ein Sünder bin ich nicht, der unter dem Deck¬ mantel obrigkeitlicher Einnahme und herrschaftlicher Zölle manchen Leuten unrecht thut. So ein Mensch Lm ich nicht, ich unterlasse nicht allein das Böse, sondern — ( ZZ9 ) —' sondern thue auch viel Gutes, denn ich faste zwey» mal in der Wochen, von einem Sabbathe zu dem andern beobachte ich richtig zween Tage ein strenges Fasten, und gebe den Zehend, von allem was ich ha¬ be. Ich mache bey den gottesdienstlichen Abgaben und den priesterlichen Gebühren nicht den geringsten Abbruch, sondern entrichte alles ordentlich was ich zu geben schuldig bin. Ich gebe von allem was ich bekomme und was mir wächst, es scy was es wol¬ le, weuns auch die geringsten Feld - oder Gartenge¬ wächse wären, den zehnten Theil richtig. Und so lebe ich in allem nach dem Gesetze ordentlich, und getraue mir dadurch vor dir, o mein Gott, als ein Gerechter zu bestehen. So lautet das Gebeth des Pharisäers, mciue lieben Christen, so hochmüthig sprach er von sich selbst, und zwar im Gebekhe zu Gott! — Sollte man diese Prahlerey nicht vielmehr für eine Lobrede auf sich selbst, als für ein Gebeth halten? war die Heiligkeit auf welche sich dieser Stolze verließ und so sehr brüstete, wohl jene Heiligkeit die vor Gott gilt? — Oder war sie eine falsche, eingebildete Hei¬ ligkeit? — Christus versichert uns deutlich des Letz- tern. Denn obschon dieser Pharisäer von einigen anwesenden Personen als ein großer Beobachter des Gesetzes angesehen wurde, so war er doch bey Gott mit seinem hochmüthigen und scheinheiligen Gebethe nicht allein nicht angenehm, sondern vielmehr äußerst ver¬ haßt. Die Menschen sehen nur auf das, was vor Augen liegt, und können auch nicht weiter sehen , aber Gott dringt bis in das Innerste der Seele ein, dieser kennet unsere Mepnungen und Absichten bey un- 2) s fern — ( Z4o ) — fern Handlungen, und sieht das Herz an, welches an dem Pharisäer nichts nütze war. Nutzanwendung. An der Person dieses Pharisäers haben wir deß- rvegen verschiedenes auch für uns zu bemerken, meine lieben Christen, welches wir nothwendiger Weise, wenn wir anders Gott gefallen wollen, zu vermei¬ den haben. Erstens zwar, zeiget uns Christus, daß das Gebeth des Pharisäers, ein Gott mißfälli¬ ges Gebeth gewesen sey. Er dankte Gott, daß er nicht sey wie andere Leute, die in diesen und jenen gro¬ be» Sünden lebten. Gott danken für seine Gnade, durch welche er uns vor Sünden und Lastern behütet, ist allerdings löblich, ja große Pflicht für uns, wir müssen dem Allerhöchsten danken und vor ihm bekennen, daß. wenn er uns nicht mit seiner Gnade erhalten hätte, wir in die schwercste» und aller¬ schändlichsten Sünden, die je ein Mensch begangen hat, gefallen seyn würden. Dieß that aber der Pha¬ risäer nicht, er verrichtete feine Danksagung nicht in diesem Sinn, sondern er schien vielmehr seinen eigenen Kräften und seiner eigenen Stärke alles zu- zuschreibe». Er erkannte seinen Hochmuth und seine Heuchelry nicht für eine Sünde. Er redete auch nur von etlichen groben, öffentlichen, in die Augen fal¬ lenden Sünden, von heimlichen aber schwieg er still. So sprach er auch nur von solchen guten Werken, die vor den Menschen Aufsehen machen. Er erkann¬ te sich nicht für einen Sünder, der er doch wirklich vor Gott war, sonder» dachte nnr an anderer Leute Feh- — ( Z4' ) — Fehler, und verachtete deswegen dieselben, beson¬ ders den bußfertigen, renmüthigen Zöllner, er hatte eine große Hochachtung von sich selbst, und von sei¬ ner vcrmeyntcn Heiligkeit, und bildete sich ein, er habe das ganze Gesetz erfüllet, wenn er etliche Stü¬ cke desselben erfüllcte. — Lauter Dinge, welche Gott mißfallen, und welche wir nothwcndiger Weise zu vermeiden haben. Zweitens sehen wir, meine werthesten Chri¬ sten, daß es nicht genug sey, sich vor gewissen äu¬ ßerlichen, in die Schande bringenden, Sünden zu hüten, wie der Pharisäer that, sondern daß wir alle Gattungen der Sünden, auch die verborgensten, die niemals vor der Welt bekannt werden, vermei¬ den müssen. Mancher spricht wohl, er sey kein Ehe- > brechcr, kein Dieb, kein Trunkenbold, kein Ver¬ schwender, u. dgl. Damit will er sich rechtfertigen, als ob es gut mit seinem Christenthume stehe, er bildet sich deßwegen schon ein, gerecht zu seyn, wie der Pharisäer that. Gleichwohl lebt er in andern Sünde», ist hochmüthig, zanksüchtig, zornig, mur¬ ret gegen Vorgesetzte, tobet in seinem Hause, ist hark «nd ein Tyrann gegen die Seinigen, schwöret «nd fluchet leichtsinniger Weise, n. dgl. Es ist nicht ge¬ nug, nach einigen Vorschriften des Gesetzes leben, sondern Man muß dasselbe in allen Stücken erfüllen. Drittens lernen wir ans dem Verhalten deS Pha¬ risäers, daß wir auf unsere eigenen Fehler mehr se¬ hen sollen, als auf die Fehler anderer Lente. Einjc- der sehe auf sich selbst, und nicht ans andere, wenn er nicht über dieselben gesetzet ist. Wir Menschen sind insgemein sehr geneigt, anderer Leute Fehler zu se- Z) Z he», - ( Z42 ) — he», unsere eigenen Mängel aber vor uns zu verbergen. Wir betrügen uns meistens in dem llrtheile, das wir so¬ wohl über uns als über andere fallen. Der Phaisäer hielt den Publikan für einen Sünder, da er doch bu߬ fertig war, und mehr bey Gott galt, als er, sich a- ber hielt er für gerecht, da er doch ein Sünder vor Gott war. Die Eigenliebe verleitet uns leicht, daß wir nichts als Gutes von uns denken, daß wir un¬ sere Fehler vor uns verbergen , nnsere Verdienste a- ber mit einem Vergrößerungs - Glase ansehen, un¬ serer Nebenmenschen Verdienste aber verringern, ihre Fehler vergrößern, und sie deßwegen bey uns selbst verachten, wie der Pharisäer ebenfalls that, der sich in seinen Gedanken weit beßer und höher als andere Leute hielt Etliche Temperaments - Tugenden , die wir an uns bemerken, machen zu Zeiten, daß wir uns schon für gerecht und vollkommen halten, andere aber verachten, die gleiche Tugenden nicht besitzen, weil sie ein gleiches Temperament mit uns nicht ha¬ ben. Kein Mensch soll in unser« Auge« so gering seyn, daß wir ihn auch nur in Gedanken verachteten, und uns über ihn erhüben, wir sollen bedenken, daß der¬ jenige, den wir verachten, bey Gott höh-r als wir, in Gnaden stehe. viertens endlich sehen wir, daß mir uns auch bey einer wahren Frömmigkeit, wegen unfern guten Werken vor Gott nicht rühmen, noch deßwegen vor ihm gerechtju scyn, uns einbilden sollen. Ein Christ, wenn er auch noch so vielGutes gethan hatte, muß doch allzeit denken, daß er keines Ruhmes werth sey, son¬ dern daß er allein dasjenige gcthan habe, was seine Pflicht von ihm fordere, wie unferErlöfer bep dem Coan- —- ( Z4z ) --- Evangelisten Lukas im 17. Ä. sagt : wenn ihr alles gethan habt, was euch befohlen ist, so sprechet , wir sind unnütze Unechte, aber wir haben ge- than, was wir zu thun schuldig waren. Wir müs¬ sen die Ehre und den Ruhm vo» unfern löblichen Tha- ten allein dem Allerhöchsten zuschreibcn, und mit Da¬ vid uz Ps. sprechen : nicht uns Zerr! nicht uns, sondern deinem Namen gib die Ehre. Wir sollen bedenken, wie viel dazu gehöre, wenn wir sagen wol¬ len, daß wir alles gethan, was uns zu thun befoh¬ len ist. Wer kann dieses mit Recht und Grunde der Wahrheit sagen ? Der rechtschaffene Christ wird sich niemals für fromm nnd vollkommen halten, sondern er wird gewahr werden und eingcstehen , daß ihm noch vieles fehle, daß er sich wider seinen Gott öfters ver¬ sündige, daß er beym Guten öfters das Wollen, a» der nicht allzeit das Vollbringen habe, daß er weit nicht so viel thuc, als er thun könnte, und thun soll* te. Sehet, meine lieben Christen, zu solchen Gedan¬ ken gibt uns das Betragen deS heutigen Pharisäers Anlaß, so viel lernen wir von diesem Hvchmüthigen , das wir zu vermeiden haben. Lasset uns nun auch se¬ hen, was wir an dem Publikan nachzuahmen bcn, und dieses in dem ZweyLen Th eile. TaS Betragen des Publikaucns benm Gebcthe im Tempel war ganz anders beschaffen, als jenes des Pharisäers. Dieser Zöllner zeigte nichts als tiefe De- I 4 muth. — c Z44 ) — Muth, Erniedrigung seines Geistes und seinesHerzens» Er war von der Reue über seine Sünden ganz durch¬ drungen, er blieb aus Schaam und Dcmuch von fer¬ ne stehen, er schätzte sich unwürdig, näher beyzutre- len, er wollte seiner Miffethaten wegen die Augen gen Himmel nicht aufhebcn, weil es ihm schmerzte, denjenigen beleidiget zu haben, dessen Wohnsitz der Himmel ist, er bekennte sich öffentlich als eine» Sün¬ der, schlug vor Schmerz, vor großer Betrübniß und Traurigkeit auf seine Brust, in welcher sein von Reue und Leid über seine Sünden beklemmtes Herz lag, aus welchem er wußte, daß seine Miffethaten ihren Ursprung hatten, er sprach mit wehmüthiger Stimme: Gott sey mir Sünder gnädig. Erzeig¬ te durch sein Schlagen auf seine Brust öffentlich an, daß er seine Fehler im Herzen aufrichtig bereue, daß es ihm in seiner Seele schmerze und wehethue, sei¬ nen beßten Gott beleidiget zu haben, er bekannte und berenete aber nicht allein seine Sünden, sondern bath auch Gott inbrünstig um Verzeihung derselben. O Gott, sey mir Sünder gnädig und barmherzig, rief er mit reuvvllem Herzen und unter tiefgeholten Seufzern auf. O Gott, der dn gnädig und barmher¬ zig bist, sey mir große« Sünder auch gnädig, und vergib mir meine vielen und großen Sünden, wel¬ che ich erkenne, von ganzem Herzen bereue und verabscheue. Diese Verzeihung läßt mich deine grän¬ zenlose Güte hoffen, denn bey dir, o Herr, ist Barm¬ herzigkeit zu finden. So bethele dieser Bußfertige, er berief sich nicht auf andere Leute, seine Augen schlug er ans Demuth auf die Erde, er klagte Niemanden anders, als sich selbst —° ( Z4z> ) selbst als einen Sünder an , und bejammerte seinen betrübten Seelenznstand, aus welchem ihn Niemand, außer Gott allein, mit feiner Gnade ziehen könne. Weil er sich dann so vor Gott demüthigte, sich als einen Sünder bekannte, und Gott um Verzeihung in- brünstigst anflehete, sowurde er in seinem Gcbethe erhö¬ ret, er wurde gerechtfertiget, von seinen Sünden im Gottes Gerichte losgesprochcn, und zum Kinde Gottes, und zum Erben des Himmels gemacht. Dieses versichert uns die ewige Wahrheit selbst durch die heutigen Wor¬ te: „Ich sage euch, dieser offene Sünder gicng von dem auf dem Berge erbauten Tempel hinab in sein Haus gerechtfertiget vor jenem, dem Pharisäer näm¬ lich." Da dieser wahrhafte Verzeihung seiner Sün¬ den, und die wahre Gerechtigkeit erhielt, jener aber nur eine Scheingerechtigkeik hatte, die vor Gott nichts gilt. Nach diesen Worten beschloß Christus das Gleich- niß, und gab die Ursache an, warum des Einen Gc- bcth erhöret, des Andern aber seines verworfen worden scy. Denn wer sich selbst erhöhet, sagt er, der wird erniedriget, und wer sich selbst ernie¬ driget, der wird erhöhet werden, wer sich selbst erhöhet, das heißt, wer von sich selbst eine hohe Meynung hat, sich in seinen Gedanken, in seinem Sinne über andere Mitmenschen erhebt, mehr aus sich macht, als er ist, sich groß macht wegen den Gaben, die ihm Gott verliehen hat, sich deßwegen andern vorziehet, oder von andern suchet gelobt zu werden, oder andere verachtet, ein solcher wird erniedriget werden. Gott wird solchen Menschen noch auf dieser Welt zu Schanden machen, und in N S der — ( Z46 ) — der andern Welt gar ewig demüthigen, wie ers ei¬ nem Pharao, einem Holofernes, einem Haman, einem Nebukadnezar, einem Antiochus, jenen, die den babylonischen Thurm baueten, einem Luzifer, und vielen andern gemacht hat. — Der sich aber er- niedrigst , der von sich sclbsi keine stolze Meynung heget, seine Sünden und Mangel erkennet, und sich selbst deswegen verachtet, auch nicht bösewird, wenn er von andern verachtet wird, der das Gute, welches er an sich hat, als eine pure Gabe und Schenkung Gottes ansieht, sich durch das Lob der Menschen darüber nicht aufblasen laßt, dieser wird nach dem Versprechen Christi erhöhet werden, Gott wird ihn nämlich öfters in diesem Leben schon zu Ehren kom¬ men lassen, wie es einem David, einem Mardo- chai, einer Esther, sonderlich aber Maria der Mut¬ ter Jesu geschah, die deswegen in ihrem bekannten Lobgesange Magnifieat von sich selbst sagt: derAerv hat die Demuth seiner Dienstmagd angesehen, und große Dinge an mir gethan, er hat die Ge¬ waltigen von ihrem Throne abgesetzet, und die Demüthigen erhöhet. Läßt aber Gott die Demü- thigen in diesem Leben nicht zu Ehren kommen , so geschieht es, um sie in dem andern Leben desto mehr zu erhöhen. Daher uns auch der heil. Petrus in sei¬ nem ersten Briefe L. K. ermahnet, daß wir uns unter der mächtigen Aand Gottes demüthigen, und seiner Anordnung unterwerfen sollen , auf daß er uns am Tage der Heimsuchung, wenn er uns richten wird, erhöhen möge. Tsiutzan» — ( A47 ) -°- Nutzanwendung. Nun vsn diesem bußfertigen Publikan haben wir, meine werthcsten Christen, zu erlernen, wie wir bey Gott dem Herrn Verzeihung unserer Sünden erlan^ gen, und gerechtfertiget werden können. Der Publi¬ ka» erkannte nämlich seine Sünden, betrübte sich da¬ rüber, und schlug zum Zeichen seines Schmerzens und seiner Reue an seine Brust. So müssen auch wir un¬ sere Sünden erkennen, bekennen, bereuen und ver¬ abscheuen. Wir müssen nach seinem Beyspiele unsere Zuflucht zur Barmherzigkeit Gottes nehmen, und mit ihm ausrufen: o Gott! sry mir Sünder gnädig, v Gott, sey mir nach deiner unendlichen Güte barm¬ herzig , und tilge all meine Missethaten nach deiner großen Barmherzigkeit, wasche mich von meiner Mis- sethat, und reinige mich von meinen Sünden. Wir müssen aber auch nach erhaltener Verzeihung unser Leben andern, wie derPublikan gelhan hat. Er gierig hinab in sein Haus, besserte sein Leben. Wenn er auch bey seinem Zollamts verblieb, so that er -och Niemand mehr unrecht. Wir lernen ferner von dem bußfertigen Zöllner, mit welchen Gesinnungen wir in den Tempel des Herrn gehen sollen, daß wir nämlich nach seinem Beyspiele mit einem Geiste der Demuth und Buße vor dem Herrn erscheinen, ihn mit tiefcsterEhrfurcht allda anbethen, um Verzeihung unserer Sünden bep ihm inständigst anhaltcn, unsere Augen vor seinem Throne allda auf die Erde schlagen, und mit Schmerzen und Reue über unsere Sünden auf unsere sündigen Herzen schlage» sollen, auf daß wir nicht mit dem Pharisäer leer von der Kirche hinweg, sondern mit -em reumüthijM Zöllner — ( Z48 ) — Zöllner gerechtfcrtiget in unser Haus gehen mögen. Wir lernen ferner von ihm, auf was Weife wir un¬ ser Gebeth mit Nutzen verrichten sollen. Er bekhete mit großer Demuth, er wollte seine Augen aus De» mukh, aus Schamhaftigkeit und Betrübniß über sei¬ ne Sünden nicht gen Himmel aufheben. Er bethete mit bußfertigem Herzen, er bethete mit demüthigem Vertrauen und Zuversicht auf die unendliche Güte Gottes. Auf gleiche Weise müssen auch wir unser Ge- bcth zu Gott verrichten, Demuth, Vertrauen, bu߬ fertige Gesinnungen müssen es begleite», wenn wir anders verlangen, daß cs Gott gefallen, und uns er¬ sprießlich seyn soll. Wir müsse» in unserm tägliche» Gcbcthe, nach der Vorschrift Christi, Gott mit wah¬ rer Buße um Verzeihung unserer Sünden bitten: Vater, vergib uns unsere Schuld, als auch wir vergeben unfern Schuldiger«. Gott wird alsdann unser demükhigeS und zerknirschtes Herz in Gnaden ansehen. " Merket euch diese Sittenlehren wohl, meine lie¬ ben Christen, und vernehmet zum Beschlüße noch ei¬ nige Betrachtungen, die ich bey aufmerksamer Durch- lesung des ganzen heutigen Gleichnisses, sowohl über die Person des Publikans als des Pharisäers, zu gleicher Zeit bey mir gemacht habe. Nebst dem, waS Christus von dem Pharisäer spricht, lehret uns die tägliche Erfahrung, daß wir ungemein viel Eigenliebe zu uns und zu unfern Hand¬ lungen haben. Wir sind auch ungemein geneigt, uns über alles, auch das Bose nicht ausgenommen, zu rechtfertigen. Es ist bekannt, daß schon die ersten Menschen ihren Ungehorsam gegen den Schöpfer auf ' alle — ( Z49 ) — alle mögliche Art zu rechtfertigen suchten. Wir sst-> chen noch immer Ausflüchte, wenn wir unseres Be¬ tragens willen zur Rede geflellet werden. Wird aber auch dadurch die That allzeit gerechtfertiget? Wenn wir uns rechtfertigen wollen, o so müssen wir unsere Rechtfertigung vor Gott suchen, der das Innerste un- fers Herzens kennet. Wir müssen vor ihm unser Un¬ vermögen und unsere Ungerechtigkeit bekennen, uns als arme Sünder nur an seine Barmherzigkeit und an die heiligsten VerdiensteJesu halten. Der Zöllner, der auf seine Brust schlug, und sprach: Gott sep mir Sünder gnädig, gieng hinab in sein Haus.gerecht- fertiget. Werden wir in die Nothwendigkeit versetzet, uns vor unserem Nächsten zu rechtfertigen, o so mu^ dieses mit aller möglichen Liebe geschehen, die Wahr¬ heit muß unsere Zunge führen, wir müssen unser Ver¬ gehen, zumal wenn es Beleidigungen des Nächsten ' sind, bekennen, und um derselben Verzeihung bitten. Wir dürfen uns niemals einbilden, als wären wir ganz fehlerfrey, denn wer sollte sich einfallen lassen, daß er gar keilte Fehler habe? oder wer sollte seine Fehler gegen de§ Nächsten seine abmessen und für ge¬ ring halten? Werden wir wohl dadurch besser, wenn wir dieses thun? oder betrügen wir uns nicht viel¬ mehr dadurch, indem wir uns gar leicht für etwas ansehen, was wir doch nicht sind? Unser Nächster hat zwar auch seine Fehler, aber was gehen sie unS an? Warum sollten wir unsere Fehler gegen dieSei- nigen halten? In der heiligen Schrift finden wir wohl, daß wir uns anderer Sünden nicht thcilhaftig machen sollen, daß wir den Sünder zurecht weisen, ermahnen und bestrafen sollen, aber nirgendwo lesen wir, — ( ZL» ) — wir / daß wir seine Sünden gegen die Unfrigett hal¬ ten, und wenn sie uns größer scheinen, uns für besser halten sollen. Kein Sünder bat vor dem andern einen Vorzug, obgleich eine Sünde vor der andern mehr oder weniger sirafbarisi. DasUrthcildarübcr kömmt nur Gott, und nicht dem Menschen zn. Es isi also eine vergebliche. ja gefährliche Sache, aus anderer Leute Fehlern für die Seinigen sich einen Trost oder Vcrtheidigung suchen wollen. Besser ist es, wenn man seine Fehler erkennet, bekennet, und verbessert. Der Zöllner war deßwcgen besser, als der Pharisäer, obgleich dieser jenen für einen verabschcuungswürdi- gen Menschen hielt; dieser gieng hinab gerechtser- tiget vor jenem in sein Haus. Das ganze Gleichniß, und besonders fein Schluß zeiget uns ferner, wie abscheulich die Hoffart vor den Augen Gottes, und wie wohlgefällig und ange¬ nehm hingegen die Demukh sey. wer sich selbst er¬ höhet, der wird erniedriget werden, und wer sich selbst erniedriget, der wird erhöhet werden, be¬ schließt Christus das Gleichniß. Der Pharisäer, der sich gerecht zu sepn glaubte, wird nicht erhöret, und der Publika», ob er gleich ein großer Sünder war, erhält seine Gerechtigkeit, und warum dieses? Der Hochmuth des Einen und die Demuth des Andern ist Ursach an diesen verschiedenen Wirkungen des Gebe- thcs. Jener steht aufrecht, mit dreuster Sicherheit vor Gott da, dieser zittert, steht zur Erde gebeugt da, und getrauet sich nicht, weiter vor sich zu tretten. Je¬ ner hält mit vielem Wohlgefallen selbst eine Lobrede auf sein frommes Leben, dieser wird durch das An¬ denken an das Scinige schamroth. Jener sieht seine» Neben- °— ( ZFr ) Nebenmenschen mit Verachtung an, dieser verachtet nur sich selbst. Jener ist stolz und unbußfertig, dieser renvvll und zerknirscht. Die Kennzeichen des Stolzes aber, welche den Pharisäer verdammen, und welche wir zu vermeiden haben, meine werthesteu Christen, sind folgende: Er prahlet mit seiner Gerechtigkeit, da er doch nicht weiß, ob er der Liebe oder des Has¬ ses würdig ist. Er lobt sich selbst, und halt andere Menschen für ungerecht und boßhaft, welches schnur- grad dem Evangelio zuwider ist, das nicht erlaubet, über jemand zu urtheilen. Erachtet sich höher, als alle übrige Menschen, wider die Lehre Jesu, welcher will, daß man den unterste» Platz nehme, und sich minder, als alle andere, schätze. Er lobt sich selbst, wider das ausdrücklichste Verboth des Weisen, wel¬ cher spricht: Hein 4.ob soll von dem Munde eines andern, und nicht von dem Deinigen ausgehen. Der Pubiikan hingegen gibt alle Merkmaale eines wahrhaft Demüthigen und Bußfertigen von sich. Er getrauet sich nicht, seine Augen gen Himmel aufzuhe¬ ben, in Betrachtung seiner Sünden, durch welche er den Unendlichen, der im Himmel thronet, beleidiget hat. Er ist weit entfernt, daß er sich andern vorzöge, er hält sich vielmehr der Gesellschaft anderer unwür¬ dig, ersteht im Tempel bepseits, und getrauet sich nicht, andern näher zu tretteu. Er hat an sich selbst das höchste Mißfallen, und bekennet öffentlich unter Seufzern und Thränen seine Fehler. Er schlägt auf seine Brust, um allen Anwesenden zu zeigen, daß er seine Sünden von Herzen, aus welchem sie ihre» Ur¬ sprung haben, aufrichtig verabscheue und bereue. Lasset — ( ZL2 ) — Lasset uns, meine lieben Christen, dieses bußfer¬ tigen Zöllners Bepspicle Nachfolgen, und mit seinen Worten, die er mit vielen Seufzern zu Gott sprach, diese Predigt endigen. G Gott! se? uns Sündern gnädig. Lasset uns diese Worte gleich in dem öffent¬ lichen Geberhe, das wir anjetzo bethen werden, wie¬ derholen, da wir mitdem Publikan uns als Sünder vor Gott bekennen, und auf unsere reumüthigen Herzen schlagen wollen, sprechend: o Gott, sey uns Sün¬ dern gnädig und barmherzig! O Gott, vor welchem kein Mensch ganz gerecht ist, erzeige uns nach deiner unendlichen Güte, Gngde und Barmherzigkeit! Herr, der du unsere Gerechtigkeit bist, der du gnädig ver¬ gibst Misscthat und Sünde, schau herab vom KreuHe auf uns, so wie du ehedem aufPetrus geschauet hast, und erweiche unsere Herzen, daß wir alle Uebertret- tungen deiner Gebothe aufrichtig beweinen mögen. Erhöre uns aber auch gnädig, da wir mit dem Publi¬ kan rcumüthig zu dir seufzen. Erfreue uns mit dein Tröste deiner Gnade, da wir mit ihm in demüthigem Gcbethe vor dir liegen. Gib, daß wir alle- gleich ihm, gerechtferkiget in unser HanS gehen, und nach¬ dem wir uns hienicden stets im Geiste der Buße und Demuth vor dir erniedrigen, nach diesem Leben zu der ewigen Glorie im Himmel erhöhet werden mö¬ gen. Amen. Auf ( ZLZ ) Auf den eilften Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Mark. VII. zi—37. -^a JesuS wieder aus den Grenzen von TyruS und Sydon gieng, kam er an das galiläische Meer, mitte» unter die Grenze der zehn Städte. Und sie brachten zu ihm eine« Tauben, verstumm war, und sie bathen ihn, daß er die Ha«d auf ihn legte. Und er nahm ihn von dem Volke auf die Sette, legte ihm die Finger in die Ohren , spie auS, berührte seine Zunge, und sah auf gen Himmel, seufzet« und sprach zu ihm: Hephata, das ist, thue dich auf. Und alsbald thaten sich seine Ohren auf, und daS Band seiner Zunge ward los, und er redete recht. Und er Verbots» ihnen, sie sollten es Niemand sagen. Je mehr rrS ihnen aber verboth, desto mehr breiteten sie es ans. Und sie verwunderten sich über die Ma¬ ßen und sprachen, er hat alles wohl gemacht, die Tauben machet er hörend, und die Sprach¬ losen redend. Erklär, k. Evaug, II. II». L Sie —- ( ZA4 ) M« brückten zu ihm einen Tauben, der stumm war. Mark. 7- L»- Eingang. Tie Wunderwerke Jesu waren nicht bloß Beweise feiner Allmacht nnd seiner göttlichen Sendung, wie ich euch schon einmal, meine werthcsten Christen, ge¬ sagt habe, sondern sie waren zugleich die größten Wshlthaten für elende Personen, und sind noch jetzo die schönsten Lehren für uns. In diesen wunderba¬ ren Handlungen zeigte sich das mitleidige, wohlthä- tige, liebvolle Herz unftrs Erlösers ganz sonderbar in seiner völligen Größe. Sie zielten alle zum Be߬ ren preßhafter Menschen ab. Kein einziges seiner Wunder war so beschaffen, wie die Wunder Mö¬ sts, die nur zur Strafe Aegypkenlandes, und zum Beweise der Größe des wahren Gottes gewirket wur¬ den. Hielt es Jesus für nöthig, seine göttliche Ge¬ sandtschaft durch ein Werk der Allmacht zu bestäti¬ gen, so verrichtete er dasselbe an einem Elenden, und zwar an einem solchen, dem nicht anders, als durch seinen wunderthatigen Beystand geholfen wer¬ den konnte, woraus wir nicht allein die Größe feiner Macht, sondern auch die Größe seiner Güte und Barmherzigkeit beurtheilen können. Und je größer das Elend war, wovon er einen Menschen befreyeke, für desto größer und herrlicher müssen wir das Wun¬ der selbst ansehen und betrachten. Aus diesem Gesichtspunkte nun müssen wir auch das heutige Wunderwerk, welches unser Erlöser an einem Taubstummen verrichtete, betrachten, und dasselbe als eines seiner größeren wohlthäkigenHand- lun- — ( ZFL ) —- lungen ansehen. Denn wie groß das Elend eines Menschen sey, der nichts höret, nnd zugleich nichts reden kann, steht jedermann ein; jedermann betrach¬ tet einen solchen als ein erbarmungswürdigstes Gc» schöpf, taube Menschen sind gemeiniglich dabey auch einfaltig, weil fie von andern nicht gehörig unter¬ richtet werden können, da ihnen jener Sinn abgcht, durch welchen die meisten Begriffe in die Seele ein- gehen, sie sind der Anhörung des Worts Gottes be¬ raubt, sie können keinen Antheil an den menschli¬ chen Gesellschaften nehmen. Ihr Unglück wird noch sehr vermehret, wenn sie, wie derjenige, den Je¬ sus heilte, auch zugleich stumm sind, und ihre Ge¬ danken andern durch die Sprache nicht mittheilen, ihre Begierden ihren Mitmenschen nicht an Tag le¬ gen können. Wir sehen also, daß das Elend, von welchem Jesus den Taubstumme» bcfreyte, sehr groß und erbarmungswürdig gewesen. Gedenket also, meine lieben Christen, diese wunderbare Geschichte verdiene anjeyo wohl eure ganze Aufmerksamkeit, gedenket, daß auch dieses Wunder nicht als bloßes Wunder zu betrachten sey, als welches nur deßwegen von den Evangelisten niedergeschrieben wäre, damit es die menschliche Nachkommenschaft anstaunen könnte, und damit unsere Neugierde dadurch unterhalten würde. Rein, Gott hatte ein höheres Ziel und End, da er es uns in seinem Evangelium aufbewahren liess; es soll uns auch zur Lehre und zum Unterricht dienen. Diesem nach will ich euch erstens die wunderbare Geschichte von der Heilung des Taubstummen erzäh¬ len, und alsdann zweitens auch die Lehren vorle- I s gen, — ( ZL6 ) —. gen, die sich auS diesem Wunder ziehen lassen. Ver¬ nehmet mich recht aufmerksam. Erster Theit. Da Jesus einstens die ganze Landschaft Galiläa von Sonnenaufgang bis Niedergang durchzog, in allen Städten und Flecken predigte und viele Wunder that, kamer endlich auf dieser seiner Reise an die Grenzen der beyden hcydnischcn berühmten Handelsstädte Ty- rus und Sydo», die wegen ihrer Lage an dem mit¬ telländischen Meere zum Handel ungemein geschickt, und jenes, was in unfern Zeiten die Hollander sind, in der alte» Welt waren. Sein Ruhm hatte sich auch bey seiner Herannäherung unter diesem altkananäi- schen Volke ausgebrcilet, deßwegen, als ein gewi¬ ßes Weib, welche eine Tochter hatte, die vom Teu¬ fel besessen war, und sehr geplagt wurde, erfuhr, daß dieser berühmte Wundermann an den Grenzen ihres Landes sich aufhalte, gieng sie zu ihm mit Vertrauen hin, und trug ihm ihre demüthige Bille vor, er möge doch auch ihre Tochter von diesem schreck¬ lichen Uebel befreyen, so wie sie gehört, daß er viele Juden von gleichem Uebel befrepet hätte. — Als aber Jesus sagte, er sey gekommen zum Beßten der gläubige» Jude», diesem seinem auserwahlten Volke müsse er besonders seine göttliche» Wohlthaten er¬ zeigen, und nicht so viel den Heyden: es sey nicht gut, das Ärod den Rindern hinwegnehmen, und es den Hunden hinwerfen, so ließ sich diese Frau in ihrem Vertrauen auf seine Macht dennoch nicht stöh- -°- k ZF7 ) stöhren, sondern wiederholte ihre demüthige Bitte mit jenen bekannten Worten: die Kunde lebten ja auch von den Brosamen, die von dem Tische ih¬ rer Herren fielen. Wodurch sic so viel sagen wollte: ein mächtiger und gütiger Herr, wie Jesus wäre, hatte Reichthum und Güte genug, auch für seine geringen Thiere zu sorgen, er könne den Juden Wun¬ der genug thun, und auch durch feine Macht einigen geringen Heyden helfen, ohne daß seine Macht da¬ durch erschöpfet würde. — Da Jesus nun diesen star¬ ke» Glauben sah, erhörte er die demüthige Bitte dieses kananaischeu Weibes, und machte ihre Toch¬ ter völlig gesund, daß sie ruhig und munter auf ih¬ rem Bette, zum Zeichen ihrer gänzlichen Genesung, liegen konnte, da ihr zuvor der böse Geist, oder ih¬ re schwere Krankheit gar keine Ruhe gelassen hatte. Nach diesem Wunder, sagt unser heutiges E- vangelium, kehrte Jesus wiederum von den Gren¬ zen der beydcn hcydnischen Städte Tyrus und Sp- don zurücke, machte seine Rückreise durch Galilaen, hin zu jenem bekannten Landsce, der von dieser Land¬ schaft das galiläische Meer genannt wurde, und se¬ het, da er sich mitten unter den Grenzen der zehn Städte befand, geschah es, daß erliche gutherzige Leute eine» elenden Menschen hcrbeybrachtcn, der wederhörte, noch reden konnte, folglich auch von Jesu Wunderwerken nichts vernommen hatte, noch auch seine Bitte ihm vortragen konnte. Diesen Taub- stummen stellten sie Jesu vor, mit der Bitte, daß " die Hand auf ihn legen, und ihm den Gebrauch seiner Zunge und seiner Ohren ertheilen möge. Z A Der — k ) —- Der Heyland hakte nämlich in dieser Landschaft schon so viele Wunder gethan, daß man von seinem bloßen Machlworte und von seiner Berührung der Kranken alles erwarleke. Und obschon er durch ein einziges Wort auch diesen Kranken hätte gesund ma¬ chen können, so brauchte er dennoch hier besondere Umstände - deren er sich bey Heilung anderer Elen¬ den nicht bediente. ,,Er nahm nämlich diesen Taub¬ stummen von dem Volke besonders, sonderte ihn von dem ihm nachfolgenden Haufen ab, legte ihm seinewunderwirkende Finger in die Ohren, spie aus, und berührte mit feiner, vermukhlich mit Speichel, benetzten Hand seine Zunge, sah auf gen Himmel, seufzete und sprach: Hephata, das heißt, eröffne dich, thu dich auf." Dieser göttliche Wunderarzt bediente sich hier die¬ ser Zeremonien nicht, als wenn sie ihm wären von- nöthen gewesen, sondern »in das gegenwärtige Volk auf das Wunder, welches er verrichten wollte , auf¬ merksam zu machen, und um ihm zu zeigen, wie ge¬ schäftig und arbeitsam seine Liebe sei), preßhaften Geschöpfen zu helfen. Er nahm aus dieser Absicht diesen Elenden von dem Volke bepseiks, damit je¬ dermann sehen könnte, was für einen unzweifelhaf¬ ten Beweis seiner Gottheit er anjetzo ablegen wolle, welches in dem Gedränge des Volkes nicht so genau hätte bemerket werden können. Er legte-seine Finger diesem Tauben in die Ohren, um zu zeigen, daß durch seine göttliche Kraft ihm das Gehör ertheilet werden sollte, weil, wie die Evangelisten an andern Stellen anmerken, aus seinem Leibe eine göttliche Kraft ausgieng, die seiner Menschheit, wegen Ver- bin- — ( AFY ) bindung mit der Gottheit, mitgetheilet war, er fpie aus, um gleichsam anzuzeigen, daß nichts so ge¬ ring und schlecht an ihm wäre, welches nicht eine außerordentliche Kraft in sich habe; denn was ist ge- ringer als der Speichel, und dennoch ercheilte er damit diesem Stummen die Sprache, ersah gen Himmel, nm sein inbrünstiges Gebetß zu seinem himmlischen Vater dahin abzuschicken, er seufze», um zu zeigen, wie sehr er vondem großen Elend dieses Menschen gerührek sey.— Endlich sprach er fein gött¬ liches Machtwort aus, und gab seinen allesvermö- gcndcn Befehl, daß sich die Ohren dieses Menschen, die bisher verstopfet Md verschlossen waren, auf- thun, und die Bande, die bisher seine Zunge gefes¬ selt hielten, gelöset und zerrissen werden sollten. He- phata, lautete dieser Machtspruch, das ist, thu dich auf, und sehet, kaum war dieses kräftige Wort ausgesprochen, so thaten sich, wie das Cvau- gclium versichert, seine Ohren auf, daß er hörte, wie andere Leute, und das Band seiner Zunge ward los, daß er anfieng zu reden, und zwar so deutlich und vernehmlich, daß ihn jedermann verstehen konn¬ te. Was dieser wunderbarer Weife geheilte Mensch gesprochen habe, sagt uns zwar die heilige Geschichte nicht, doch ist es zu vcrmutheu, eine seiner erste« Reden werde gewesen seyn, daß er Jesu mit innig¬ ster Freude den wärmsten Dank gesagt hat für die außerordentliche Wohlthat, da er. ihm das Gehör und die Sprache ertheilte, er wird den Herrn,- der ihn von seinem großen Elende befrepte, gelobt, und seine große Güte und seine Allmacht hoch gepriesen Z,4 ha» — ( Z6o ) — haben. — Worauf er ohne Zweifel mehreren Unter¬ richt von Jesu erhielt, daß er an ihn glauben, und durch ihn selig werden konnte. Gewiß ein außerordentliches Wunder, meine lieben Christen, durch ein einziges Wort einen Tau¬ ben hörend machen, und ihm die Sprache zugleich ertheilcn, die doch nicht anders als durch lange Ue- bung, und durch anhaltendes Vernehmen und For¬ men der Töne erlernet werden kann, wie wir aus der Erfahrung wissen, und an den Kindern täglich sehen Es ist also leicht begreiflich, daß diese wun¬ derbare Handlung einen außerordentlichen Eindruck auf alle Zuschauer gemacht habe. — Jesus aber, der diese Verwunderung bemerkte, geboth dem Vol¬ ke, nichts von dem, was es hier gesehen, zu sa¬ gen; und dieses that er, um durch dieses Verbots) alle zu lehren, daß er durch dergleichen Wunder nicht seine Ehre und seinen Ruhm, sondern bloß das Heil und die Wohlfahrt der Elenden suche, und daß er nur, insofern es zur Ueberzeugung von feiner Gott¬ heit nöthig wäre, diese Proben von seiner, alle Kräfte der Natur übersteigenden, Macht ablege. Auch gab er dieses Verbolh, um dadurch alles un¬ nütze Aufsehen, alles fruchtlose Bewundern und Rüh¬ men zu verhüten, vornämlrch aber, um allem Auf¬ ruhr bevorzukommen, zu welchem das jüdische Volk ohnehin um diese Zeit sehr geneigt war, weil es gerne das Joch der weltlichen Herrschaft der Römer, die Heyden, und ihm deßwegen äußerst verhaßt wa¬ ren, abschüttelte, und sich den Meßias als einen solchen Mann verbildete, der es von der zeitlichen Dienstbarkeit dieser Herren befteyen würde. Der — ( Z6i ) — Der Eindruck, de» dieses Wunder beym Volke machte, war aber zu stark, daß es diesem Befehle Jesu nicht gehorche», sondern je mehr cs der Herr diesen Leuten verboth, das Wunder nicht auszubrci- ten, desto mehr breiteten fic es aus, und verkün¬ digten überall, was sie bey dieser Gelegenheit gese¬ hen hatten. Sie verwunderten sich über die Mas¬ sen darüber, und sprachen: der Herr hat alles wohl gethan, die Tauben machte er hörend, und die Sprachlosen redend. Das ist nun, meine werthesten Christen, die wunderbare Geschichte, die uns der heilige Markus heute erzählet, soll sie aber bloß Geschichte für uns bleiben, die von diesem Evangelisten nur deswegen ausgeschrieben wäre, damit wir unsere Neugierde dadurch unterhielten, und uns bey Anhörung oder Lesung derselben verwunderten und ergötzten? Ach nein, diese Absicht wäre zu gering für einen heiligen Geschichtschreiber, und zu schlecht für den Geist Got¬ tes, mit dessen Beystande das Evangelium geschrieben wurde. — Lehren sollen wir daraus ziehen, die wir in unserm Lebenswandel befolgen müssen. Verneh¬ met dieselben, ich will sic euch im zweyten Theile meiner Predigt vortragcn. ZweyLer Theil. Die Wunder Jesu waren nicht allein vorthcilhaft und lehrreich für seine Zeitgenossen, sondern sie sind ks noch für die ganze christliche Nachkommenschaft, dis ans End der Welt. Den Elenden wurde durch dergleichen Wunder geholfen, sie erhielten dadurch Z L de» —. ( z62 ) — den Gebrauch ihrer Sinne, und ihrer Glieder, de* Gebrauch der Augen, der Ohren, der Hände, der Füsse, und die so schätzbare innere Gesundheit ihres Körpers. Alle übrigen aber, die zu gleicher Zeit mit Jesu auf der Welt lebten, konnten daraus seine göttliche Sendung und seine Gottheit erkennen, und innigst überzeuget werden, daß er der wahre Meßias fey. Und als solche Beweise der Gottheit Jesu sind diese Wunder auch für die ganze nachkommende Welt niedergcschrieben, auch liegen darinn unzählig viele Lehrstücke enthalten, welche nach der Absicht Jesn die Nachwelt daraus ziehen sollte. So können wir, zum Beyspiele von dem heutigen Wunderwerke vieles zu unserm Seelenheil erlernen, denn andere Lehr¬ stücke könne« wir von der Person Christi, andere von der Person des Taubstummen, und wiederum andere von jenen Personen hcrnehmen, welche diesen Elenden zu Jesu hinführten. Au der Person Jesu bemerken wir, daß er zwar vorzüglich zum Bcßten der Inden, aber auch zum Heile aller übrigen Erdbürger gekommen sey, denn er durchreiscte nicht allein das Land der Juden, und verbreitete allda durch seinen Unterricht und durch seine Wunderwerke seine göttlichen Wohlthaten aller Orten, sondern er nahete sich auch den Grenzen heid¬ nischer Völker, erfreuete allda eine traurige Mutter durch die Gesundmachung ihrer Tochter, und zeigte sich als den Heyland aller Menschen. Er zeiget uns durch die Heilung des Taubstummen seine Wunder- kraft,- welche uns aus allen Nöthen Leibs und der Seele retten kann; auch da, wo alle menschliche Hülfe stiüsteht, indem sein mächtiges Hephata die Kraft — ( Z6Z ) — Kraft hatte, verschlossene Ohren zu öffnen und eine gebundene Zunge in einem Augenblicke zu lösen.— Welche schöne Bcyspiele der Tugenden gibt er unS noch dazu, meine werthesten Christen, bey dieser wunderbaren Handlung. Ein drcyfaches Beyspiel nämlich, ein Beyspiel des Vertrauens auf Gott, ein Beyspiel der Menschenliebe, und ein Beyspiel der Demuth. Erstens zwar gibt er uns ein Beyspiel des Ver¬ trauens aufGort: denn er schauete aufgenHimmel, seufzte, verrichtete sein innerliches Gebeth zu feinem himmlischen Vater, um uns zu lehren, daß wir auch unsere Herzen und Augen in all unsern Nöthen und Anliegen dahin richte« sollen. Ich hebe meine Augen zu den Bergen, spricht der Psalmist, und meine Hülfe kömmt von dem Herrn, der Himmel und Er» de gemacht hat. Die Seufzer eines vertraueiwollen Herzens nimmt Gott als ein vollkommenes Gebeth auf. Ja die Seufzer müssen öfters ganz die Stelle des Gebethes vertreten, sie find öfters die ersten Be¬ gierden nnsers Herzens, und gehen dem Vorträge unsers mündlichen Gebethes voraus; ein zu stark beklemmtes Herz kann nicht bethen. Gewisse Leiden¬ schaften, als bange Furcht, Schrecken und heftige Schmerzen, wenn sie unser Gemüth in eine starke Bewegung setzen, hemmen die Sprache , wie ihr selbst schon bey euch werdet empfunden haben, man kann ihnen keinen andern Ausbruch, als in Seuf¬ zer, die man zu Gott abfchickct, gestatten. So konn¬ te jene unglückliche Hanna im alten Testamente nicht bethen, sondern nur seufzen und weinen. Die Büs- ftrinn Magdalena ließ ihre Reue nur in Seufzer und Thrä-- — ( ^6-t ) — Thränen an "brechen. Der auf dem Sterbbette un¬ ter der Folter der schneidenden Schmerzen liegende Kranke kann öfters nur durch Seufzer seine Noch dem Herrn klagen. So können wir auch, wenn wir gleich nicht allzeit bethen können, doch zu allen Zeiten und a» allen Orten, zu Hause und auf dem Felde, auch sogar im Getümmel der irrdischen Geschäfte unsere Begierden zu Gott in kurzen Seufzern erheben. Zweitens gibt uns Jcfus ein schönes Beyspiel der Menschenliebe. Denn wie geschäftig war er nicht bey der Heilung des Taubstummen? Er hatte ihm durch ein einziges Machtwort Hülfe geben können. — Allein, wie herrlich wurde dadurch nicht seine Liebe, da er sich bep dem Gebrauche der verschiede¬ nen Zeremonien so geschäftig zum Beßten dieses Un¬ glücklichen bezeigte. -- Welche starke Ermunterung liegt für uns hierin» nicht zur Nachfolge, meine werthesten Christen, daß wir uns nicht scheuen noch schämen sollen, unserm bedrängten Nächsten uns zu nähern, mit ihm umzugchen, und hülfreiche Hand an ihn zu legen. Wie viele Versuche fordert nicht die Liebe gegen Elende, um ihrer Noth beyzukom- men, wenn man anders das himmlische Vergnügen über den guten Erfolg seiner geschäftigen Liebe fühlen will. Zur wahren Menschenliebe wird nicht bloffeS Wünschen und Wohlwollen, sondern eine ernste Ge¬ schäftigkeit erfordert, um der Noth des Nächstens wirksam zu steuren. Diese äussern Umstände, die Jesus bey der Heilung des Taubstumme» brauchte, sollten seine Geschäftigkeit um diesen Elenden bewei¬ sen. Nächstenliebe, herzliches Mitleiden und Erbar¬ men müssen nicht frostig, sondern thätig scyn. Auf Hülfe — ( ) — Hülfe müssen wir nicht nur denken, sondern auch, wo immer möglich, die Hand ans Werk legen. Der Blick des Jammers bey nnserm Nächsten muß uns nicht abschrecken, sondern herbeplocken. Nur eine solche thatige Liebe kann wahre edclmüthige Handlungen und Lugenden hervorbringen.Da nehmen wir uns recht der Noch unscrs Nächstens an, wenn wir mit Kranken und andern Nothlcidendcn auf eine ähnliche Art um¬ gehen, wie der Heyland mit dem heutigen Elenden umgieng; wenn wir unfern Nächsten von seinem Uebel zu befrcycn trachten , ohne Absicht auf eine Belohnung, und ohne den Gereiteten zu einem Ge¬ gendienste verbindlich zu machen. Drittens gibt uns Jesus ein Beyspiel der De- mulh, da er bey dieser herrliche» That nicht seine Ehre, sondern nur das Wohl des Elenden suchte. Er vcrboth es seinen Zuschauern, daß sie dieses Wun¬ der nicht ausbreiten sollten. Er wollte ernstlich, daß sie kein grosses Geschrey davon machten, und das Ge¬ rücht davon im Lande nicht ausbrciten sollten. Also solle» auch wir damit zufrieden seyn, dem Nächsten einen Dienst gethan zu haben, ohne auf einen Nach¬ ruhm oder etwas anders eigennützig zu sehen; wir sollen in allen unser» löblichen Handlungen uns kei» ne Ehre zuschreiben, wenn wir gleich glauben, noch so viel verdienet zu haben. Nicht uns, Herr! Nicht uns, sondern deinem Nahmen gib die Ehre, sol¬ len wir allezeit sprechen. Wir sollen die Demuth lie¬ ben, Stolz aber, und Eitelkeit in unfern Werken fliehen. — An der Person -es Taubstummen ersehen wir aber, meine werthesten Christen, welche grosse Gna¬ de — 4 Z66 ) — dö Gottes es sey, daß er »ns das Gehör und die Sprache mittheilte. Wie groß war daS Elend dieses Menschen nicht, in Ansehung seines zeitlichen Lebens und in Betreff der menschlichen Gesellschaft, da er weder hören noch reden konnte? Und um wie viel grösser war das Elend seiner Seele, da er nichts von dem Worte Gottes, nichts von der vortreffli¬ chen Lehre Jesu vernehmen konnte? Wie groß ist also unsere Glückseligkeit, meine lieben Christen, da wir mit unseren Ohren besonders den Trost Got¬ tes in seinem heiligen Worte vernehmen, dadurch besser zur Erkenntniß unsers Schöpfers , unserer Be¬ stimmung und unserer selbst kommen, und mit un¬ fern Zungen Gott loben und preisen können. Gott läßt von Zeit zu Zeit noch unter uns dergleichen Unglückliche gebohren werden, damit wir den Gebrauch unserer Sinne desto höher achten möchten. — Der Anblick des menschlichen Elendes soll uns also eine Erinnerung und Anweisung seyn , die Wohlkhaten Gottes recht zu schätzen. Der Taube erinnert uns an das herrliche Geschenk des Gehöres, ohne welches der Mensch in der Gesellschaft mit andern fast unbrauch¬ bar und beynahe einer Bildsäule gleich ist. Der Stum¬ me zeiget uns die Glückseligkeit derjenigen, die ihre Gedanken mit Worten ausdrücken, ihre Noch andern klagen und ihre Begierden andern eröffnen können, und so von allen andern körperlichen Mängeln des Näch¬ sten zu reden. Wir müssen also bey jedem Anblicke der Unvollkommenheiten unserer Mitmenschen auf den grossen Werth der göttlichen Wohlthatcn schlies¬ sen, und uns sichtbar überzeugen, daß wir alle diese Geschenke von Gott haben. — Zur Dankbarkeit ge¬ höret —- < Z6? > — Höret aber vorzüglich, daß wir diese Glieder und guten Werkzeuge unserer Sinne alle wohl anwenden, und zur Ehre des Allmächtigen gebrauchen, der uns dieselben geschenket hat, wir müssen nämlich mit unseren Ohren gerne auf das Gute hören , mit der Zunge gerne was Gutes reden, und auf gute Weise all unsere Gliedmassen wohl gebrauchen, auch mit an¬ dern Elenden gerneGeduld undMitleiden haben, dersel¬ ben nicht spotten, sie nicht auslachen, noch verhöhnen, vor welcher Verspottung, als vor einer Sünde, die Gott einstens scharf bestrafen wird, wir uns ernst¬ lich hüten, und däbey bedenken sollen, daß wir nicht wissen, was für Schicksale uns noch auf dieser Well begegnen und wiederführen können, die wir voraus¬ zusehen gar nicht im Stande sind. — Solche Men¬ schen aber, die das edle Glied der Zunge zum Doll- metscher ihrer unreinen, verleumderischen und mit Hasse erfüllten Herzen mißbrauchen, sollen von dem Stumme» lernen, das feurige Lob auszusprechen, welches er dem grossen Schöpfer darbrachte, als das Band seiner Zunge gelöset wurde. Sie sollen ler¬ nen , ihre Glieder nicht nur als Werkzeuge zu ihren zeitlichen Verrichtungen , sondern auch zur Verherr¬ lichung der Weisheit und Güte Gottes zu gebrau¬ chen, und ihr Gemüth -eßwegen mit warmem Danke zu erfüllen. Dieser Taubstumme, der von Jesu wunderbarer Weise heute geheilet wurde , stellt uns aber nicht al¬ lein das leibliche Elend vor, in welches dieMenschcn gerathcn können, sondern er wird auch von den hei¬ ligen Vätern als das Bild des geistlichen Elendes -er Sünder betrachtet, denn auch die Sünder sind taub — ( Z68 ) — taub und stumm dem Geiste nach; taub zwar bey Anhörung des Worts Gottes und gegen die göttli¬ chen Eiusprcchungen, stumm aber in Bekenntniß ih¬ rer Sünde». Solche schädliche Wirkungen hat bey dem Menschen gemeiniglich die Sünde, daß sie ihm auf diese Art das Gehör und die Sprache benimmt. Die heilige Schrift, um uns gegen solche Taubheit zu warnen, zeiget uns die traurigsten Folgen der¬ selben. Und Gott beklaget sich öfters empfindlichst gegen jene, die ihre Ohren seiner Stimme verstopfen, um seinen heiligsten Willen nicht zu hören, und um desto ungestörter den Wollüsten und dem Verderb¬ nisse ihres Herzens sich ergeben zu können. Diese letz¬ tere Gattung der Taubstummen ist aber viel gemeiner, als jene, die an ihrem Körper also elend sind. Denn wie lange ermahnet Gott schon diesen und jenen Sün¬ der, der mich vielleicht anhöret? Wie lange schon machet er ihm geheime Vorwürfe, wegen der gefähr¬ lichen Gesellschaft, die er besuchet, wegen des sünd¬ haften Umganges, den er pfleget, wegen der Schwel¬ gerei) und Ausschweifungen, denen er sich ergibt, wegen des ungerechten Gutes, das er seinem Näch¬ sten boshafter Weift noch vorenthält? Vorwürfe we¬ gen seiner jähen Zornhitze, wegen seiner Rachgierde und Feindschaft, die er wider seinen Nächsten näh- pet , wegen seiner Zügellosigkeit im Reden, in Ver¬ leumdungen, unzüchtigen Worten, u. d. m. — In¬ dessen ist er taub, seine Ohren sind verschlossen zu der göttlichen Stimme, er höret nicht auf die Ein¬ sprechungen deS heiligen Geistes , der ihn zur Er¬ füllung seiner christliche» Pflichten antrcibet, Wi¬ derstand zu thun, er will lieber die Strafe deS Him- '— ( Z6-) ) — Himmels über sei» Haupt Haufen, und im Laster zu Grunde gehen, als seine Missekhakcn durch eine de- uiükhige und reuvolle Beicht tilgen, und durch eine aufrichtige Sprache sich bey seinem Gott in Gnaden setzen. O daß doch solche sittlich Taubstumme wohl betrachten mochten, wie gefährlich diese ihre geistliche Taubheit sey, wie schwer sie zu heben , daß sie ein desto gefährlicheres Ucbel sey, je weniger man sie wahrnimmt, oder je weniger man sie achtet, und daß sie insgemein zur Verstockung des Herzens und gänz¬ licher Unbußfertigkeit führe. O! daß doch Gott auch in dem Geiste solcher Verstockten sein mächtiges He- phata möge ertönen lassen, damit sie ihre Ohren öff¬ nen, seinen Einsprechungen Gehör geben, und sich aufrichtig zu ihm bekehren ! Endlich haben wir, meine wcrthesten Christen, von jenen Leuten, welche denTaubstummenJesu Vor¬ fahrten, zu lernen, daß auch wir uns liebreich gegen unsere Nebenmenschen erweisen solle», daß auch wir lttis der Noch unsers Nächsten aunchmen, und für i!)y bitten sollen. Diese Leute suchten diesem Elenden j» helfen, sie ließen sich seine Noch zu Herzen gehen, uud weil sie keine andere Hülfe wußten, so führten sie ihn hin zu dem beßten Helfer, und legten ihre Für¬ bitte allda für ihn ein. So sollen auch wir, wenn wir unfern Nächsten im Elende sehen, uns seine Noch zu Herzen gehen lassen, und wenn wir ihm im Wer¬ ke nicht helfen können, ihm wenigstens diesen Liebes¬ dienst erzeigen, daß wir für ihn bey Gott bitten, und dieses sollen wir für alle Menschen thun, für Bekann¬ te und Unbekannte, allen sollen wir mit unferm Ge¬ deihe, mit eifriger Fürbitte bey Gott zu helfen suchen. Erklär. d.Lvang. II. Lhl. A» Ferner E** E A ) «"«E Ferner haben wir von diesen Leuten zu lernen, Laß wir bey dem Empfange einer jeden Wohlthat Gottes uns dankbar erzeigen , denn als sie von Jesu in ihrer Bitte erhöret wurden, riefen sie dankvoll aus: der Herr hat alles wohlgethan, er hat die Tauben hörend, und die Sprachlosen redend gemacht. Lasset uns, meine werthestcn Christen, diese Worte, der Herr hat alles wohl gekhan, öfters wenigstens zu unserm Herzen sagen, um uns zum Lobe unsers himm¬ lischen Vaters dadurch aufzumuntern. Das Volk, durch diese wunderbare Wohlthal in Erstaunen gese- tzet, brachen dieses feurige Bckcnntniß aus. Wir wissen, daß Gottes Allmacht und Güte eben so groß in den alltäglichen Dingen, als in den ausserordent¬ lichen Wundern ist, daß er uns eben so seine Allmacht und Güte in Erhaltung unserer Sinne, unserer Au¬ gen , Ohren, und des Gebrauches der Zunge und Sprache zeiget, als er sie in der Heilung des Taub¬ stummen gezeiget hat. Der nämliche Gott, der in den Werken der Schöpfung alles wohl gemacht, be¬ hauptet diese seine Ehre bis auf den heutigen Tag. Es steht alles, was er erschaffen, noch in der weisen Ordnung und schönen Verbindung vor unfern Augen. DieWohlthatcn seiner Allmacht, mit welchen er uns täglich überhäufet, sind so mannigfaltig. daß wir sie zu übersehen gar nicht im Stande sind. Danken sollen wir diesem unserm himmlischen Wohlthäter, der wegen uns und für uns alles wohl gemacht hat, und noch täglich fortfährt, alles wohl zu machen. Dan¬ ken, sage ich, sollen wir ihm mit einem Herzen, das mit der allertiefsten Ehrfurcht gegen seine Majestät, und mit innigster Gegenliebe erfüllet ist. Danke» sol¬ len — ( Z7r ) len wir ihm mit unferm Munde, der ihm in der Ein¬ samkeit täglich Lobgebethe darbringt. Danken sollen wir ihm in dem Umgänge mit andern, bey jcderschick- lichen Gelegenheit sollen wir Gottes Güte erheben, und gleiche dankbare Gesinnungen andern einzuflößen suchen. Sille Tage, in der Früh, am Abend, im Laufe des Tages, da wir uns an die Wohlthaten Gottes erinnern, sollen wir daukvoll sprechen: der Herr hat alles wohl gethan. Dieses ist es, was wir dir, o großer Gott! für jene Wohlthaten darbringen können, mit welchen du uns überhäufest. Wie groß sind nicht die täglichen Wunder deiner Allmacht und Güte? Wie geschäftig ist noch anjetzo dein göttliches Vaterherz, nm uns recht viel Gutes zu erweisen, und jede Noch, die im¬ mer der Gegenstand deines Mittleids seyn kann, von uns zu entfernen? Wir erkennen dieses, und sehen es an, als so viele Proben deiner erbarmenden Liebe. Fahre nur fort, dich unser zu erbarmen. Dir, als dem Herzenskündiger ist das Anliegen unsers Herzens bekannt. Kein einziger Seufzer deiner Kinder ist dir verborgen, du nimmst sie an, und erhörest sie gnä¬ dig. Heile nur anjeho so viele, die geistlicher Weise taub und stumm sind! Oeffne jene Ohren, die zu dei¬ ner göttlichen Stimme, zu deinen heiligen Einspre- chungcn verschlossen sind! Mache, daß jene Stumme ihre Sünden aufrichtig bekennen , und löse ihnen das Band ihrer Zunge, daß sie dir das gehörige Lob mit uns wiederum verkünden. Gib uns allen heute be¬ sonders diese Gnade, daß wir treue Nachfolger dei¬ ner Liebe werden, daß wir die Noth unsers Nächste» wahrhaft zu Herzen nehmen, ihm mit Rach und Lhat Aas bey- — ( Z72 ) — beyspr Ingen, und stets als deine wahre« Kinder vor dir wandeln, damit wir auch einstens vor dir Barm¬ herzigkeit erlangen, und jenen seligen Geistern beyge- fellet werden mögen, mit welchen wir ewig dankvoll «rnsrufen werden : derAerr, unser großer Gott, hat alles wohl gethan. Amen. Auf den zwölften Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. X. 2z — Z7. ^esns wandte sich zu seine«» Jünger» und sprach zu ihnen: selig sind die Augen, die das sehen, was ihr sehet, denn ich sage euch, viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr sehet, und habenS nicht gesehen, und wollten hören, was ihr höret, und habens nicht gehöret. Und steh, da stund ein Gchriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach : Meister! was muß ich thnn, daß ich das ewige Leben zürn Erbtheile bekomme? Er aber sprach zu ihm: waS steht im Gesetz geschrieben? Wie lie¬ sest du? Er antwortete und sprach: du sollst Gott deinen Herr«« lieben von deine«» ganzen Herzen, vo«t deiner ganzen Seele, aus allen deinen Kräf¬ ten , und aus deinem ganzen Gemüthe, und dei¬ nen Nächsten wie dich selbst. Er aber sprach zu ihm: dl« hast recht geantwortet, thue das, so wirst du leben. Der Schriftgelehrte wollte sich aber rechtfertigen, und sprach zu Jesu: wer ist denn mrm Nächster? Da antwortete Jesus und sprach? es ( 27Z ) rs gieng ei« Mensch von Jerusalem nach Jericho hinab, und fiel unter die Mörder, diese zogen ibn aus, schlüge» rhn wund, und gierigen davon, und ließen ihn halb todt liegen. Es begab sich aber ungefähr, daß ein Priester dieselbe Straffe hin- abzog, und da er ihn sah, gieng er vorüber; des¬ gleichen auch ein öevit, da er an die Stätte kam, gieng er hin, sah ihn an, und gieng vorbey. Ein Samariter aber reifete, und kam dahin, und da er ihn sah, erbarmte er flch feiner, er trat zu ihm hinzu, verband ihm seine Wunden, goß Wein und Oel darein, Hub ihn auf sein Thier, führte ihn in die Herberge und sorgte für ihn. DeS an¬ dern Tages zog er zween Groschen heraus, gab sie dem Wirrhe, und sprach zu ihm: sorge für ihn, und wenn du etwas mehrerS anSzeben solltest, will ich es dir wieder geben, wenn ich wieder kom¬ me. Was deucht dir nun? Welcher auö diesen Dreyen ist demjenigen der Nächste gewesen, der unter die Mörder gefallen y>ar? Er sprach: der¬ jenige, der Barmherzigkeit an ihm that. Da sprach Jesus zu ihm: so geh hin, und thu desgleichen. Du sollst Gott deinen Herrn sieben von deinem ganze» Herzen, von deiner ganzen <^rele, aus allen deinen Kräften, und aus deinem ganjen Gemüthe, und dei¬ nen Nächsten als wir dich selbst. Luk. ro. v. 27. Eingang. Da ich euch bisher, meine lieben Christen, in der Erklärung der Evangelien die Gelegenheit zu den¬ selben , wie auch die Zeit und den Ort meistens an¬ gegeben habe, wann nämlich , bey welcher Veran- A a .z lassung. —° ( Z74 ) —- lassung, und in welchem Orte, oder in welcher Land¬ schaft unser Erlöser dieses gesagt, oder jenes gethan hat, so will ich euch heute abcrmal, bevor ich zur Erklärung des evangelischen Textes schreite, die Ge¬ legenheit dazu sagen, welche folgende gewesen ist. Jesus hatte nebst seinen zwölf Aposteln, noch zween und siebenzig Jünger sich auserwählet, die er Paar und Paar in die Städte und Dörfer vor sich her sendete, auf daß dadurch seine vortreffliche Lehre desto geschwinder möchte ausgebreitet werden. Er hatte ihnen die Gewalt ertheilet, gefährliche Krank¬ heiten in seinem Namen zu heilen. Bey Gelegenheit nun, da etliche von diesen zween und siebenzig Jün¬ gern zu ihm zurücke kamen, und ihm mit Entzücken meldeten, daß sie nicht allein viele Kranke und Elende geheilet und gesund gemacht hätten, sondern daß ih¬ nen auch selbst die Teufel unterthänig und gehorsam gewesen, indem sie dieselben im Namen Jesu und durch seine mitgetheilte Kraft aus den Leibern der Besessenen ansgetrieben hätten. — Da freuete sich der Heyland vorzüglich über diesen großen Segen, er dankte deßwegen von Herzen seinem himmlischen Vater, und preisete ihn öffentlich, daß er solchen geringen, ungelehrten Leuten, wie seine Jünger wä¬ ren, so große Gewalt durch ihn ertheilet, und ihnen die Geheimnisse des Reichs Gottes geoffenbaret ha¬ be, da im Gegentheile so viele, in den Angen der Welt angesehene, große und kluge Leute, die ihn mit seiner Lehre und seinen Wunder» verachteten, aus gerechter Strafe Gottes in ihrer Blindheit und verkehrten Vormtheilen verbleiben, und zur wahren Er- — < Z7L ) -- Erkenntniß Gottes und der Geheimniße seines Rei¬ ches niemals kommen würden. Nachdem Jesus sich nun bey dieser Nachricht sei¬ ner Jünger erfreuet, und ihnen die Warnung gege- ben hatte, daß sie sich deßwegcn, weil ihnen die bö¬ sen Geister unterwürfig wären, nicht übervchmen sollten. Nachdem er auch sein Dankgebeth deßwegcn zu seinem himmlischen Vater abgeschicket hatte, so fuhr er darauf in seinem Gespräche mit seinen Jün¬ gern fort, prieß ihren Zustand glücklich, und han¬ delte hernach bey Gelegenheit zwoer, von einem jü¬ dischen Schriftgelchrten vorgelegter, Fragen, was man nämlich thun müßte, damit man das ewige Le¬ ben erlange, und wer dann unser Nächster sey, den wir nach dem Gebothe Gottes lieben müßten, von den zweycn größten Gebokhen im Gesetze, von der Liebe Gottes und des Nächsten, und erklärte beson¬ ders durch die vorgctragene Parabel von dem barm¬ herzige« Samariter das Geboth der Nächstenliebe. Ich theile also das Evangelium nach seiner na¬ türlichen Lage in drey Theile ein: erstens, was Chri¬ stus von der Glückseligkeit seiner Jünger sagte, zwei¬ tens, was er von dem Gebothe der Liebe Gottes, und drittens, was er von dem Gebothe der Liebe des Nächstens bekräftigte und erklärte. Vernehmet alle drey äußerst wichtige Stücke recht aufmerksam. Erster LH eil. Jesus wandte sich zu seinen Jüngern, sagt das heutige Evangelium im Eingänge, und sprach zu ihnen insonderheit: selig sind die Augen, die das Aa 4 sehen, — ( Z/6 ) — sehen, was ihr sehet, denn ich sage euch, viele Propheten und Rönige wollten sehen, was ihr sehet, und habens nicht gesehen, und wollten hören, was ihr höret, und habens nicht gehö¬ ret. - Dadurch wollte er sagen, meine lieben Jun¬ ger, welche große Glückseligkeit ist dieses nicht für ' euch, daß ihr den, zum Heile der Welt, im Fleische erschienenen Sohn Gottes sichtbar sehen, mit ihm ver¬ traut umgehen, seines eigenen Unterrichtes genießen, und seiner besondcrn Gesellschaft euch erfreuen könn¬ tet? Welche Glückseligkeit für euch, daß ihr von so vielen Tausenden jetzt lebende Menschen, auch Jsrac- . litcn, zu meinen vertrauten Jüngern, zn meinen Lieblingen und Begleitern seyd auserwählt worden? Da es schon für alle anjetzv lebenden Menschen ein großes Glück ist, den versprochenen Heyland der Welt, nach welchen so viele Millionen der Verstor¬ benen seufzeten, zu sehen , ihn zu sprechen, mit ihm unizugehen, und von ihm die Lehre, die sie ewig beglücken kann, zu vernehmen.-Die Größe dieser Glückseligkeit könnet ihr daraus abnehmen, meine lieben Jünger, weil ihr denjenigen Herrn auf der Welt mit leiblichen Augen sehet, ans welchen die Gläubigen so viele tausend Jahre gewartet, und doch nicht gesehen haben. Bedenket, wie viele Pro¬ pheten und heilige Manner Gottes, die der unmit¬ telbaren göttlichen Offenbarungen gewürdiget wur¬ den, haben diese eure Zeit zu leben sich gewünschet? Wie viele mächtige Könige und große Fürsten der Welt, die mit Neichthum, mit Ehren und großer Herrlichkeit ganz umgeben waren, haben herzlich gewünschet dasjenige zu sehen, was ihr sehet, und haben -- ( Z77 ) — haben es nicht sehen können, sie haben bey all ihren Vorzügen das Glück nicht gehabt, den Meßias per¬ sönlich zu sehen, und die frohe Bothschaft von der Erfüllung der göttlichen Verheißungen und seine vor¬ trefflichen Lehren zu vernehmen. Betrachtet also wohl, mit welcher ausnehmender Ehre euch Gott gewür- diget, welche vorzügliche Gnade cr euch geschenket hat. So sprach Jesus zu seinen Jüngern bey Gelegen¬ heit, als sie ihm die Wunder erzählten, die sie in seinem Namen gewirket hatten. — Doch merket, meine wcrthesten Christen, da er zu ihnen sagte, se¬ lig sind die Auge», die das sehen, was ihr sehet, und selig sind die Ohren, die das hören, was ihr höret; so preiset er hier seine Jünger nicht sowohl selig, weil sie ihn mit leiblichen Augen sahen, und mit körperlichen Ohren, was er ihnen sagte, h vre¬ ten. Das leibliche Sehen allein konnte seinen Jün¬ gern den Vorzug nicht geben , sonst könnten sich alle damaligen Juden, auch seine Feinde, dieses Vor¬ zuges rühmen; denn auch die heuchlerischen Phari¬ säer und ruchlosen Sadduzäer, auch Kaiphas und Herodes, Pilatus und andere mebr sahen Jesum in seiner Menschheit, welche doch deswegen Niemand selig preisen wird, ja über welche zum Theile Jesus selbst das Weh ausgesprochen hat. Unser Erlöser richtete hier seine Absicht zugleich auf den Glauben seiner Jünger, und prieß sie nicht allein selig, weil sic ihn mit ihren leiblichen Bugen, und mit ih¬ ren leiblichen Ohren hörten, sondern vielmehr, weil sie ihn mit den geistlichen Augen des Glau¬ bens sahen, weil sie an ihn glaubten, und fei¬ nen Unterricht in der Religion mit gelernigcm Her- A a F zen . — ( Z78 ) — zen^annahmen. Wegen diesen beyden Stücken zu- sammengenommeu, prieß er sie selig vor allen Pro¬ pheten und Königen, die so sehr nach der Erschei¬ nung des Welterlösersim Fleische seufzeten, die zwar an ihn glaubten, ihn aber nicht sahen, da im Gegentheile viele seiner Zeitgenossen ihn sahen, aber nicht an ihn glaubten. An dieser Glückseligkeit haben auch wir, meine Werthesten Christen, einigen Antheil. Denn obschon wir Jesum mit unser» leiblichen Augen nicht mehr sehe», und dieses vorzügliche Glück, welches die zu seiner Zeit lebenden Jünger hatten, nicht geniessen können, da sie mitJesu vertraulich und freundschaft¬ lich umgehen, und seine höchstschätzbare Gesellschaft beständig geniessen konnten, so sind wir doch auch selig, wenn wir an ihn einen lebendigen nnd thäti- geu Glauben bezeigen: denn selig sind die, welche mcht sehen, und doch glauben, sprach der Herr auch zum Thomas. An dieser großen Glückseligkeit haben wir also auch Antheil, wenn wir Jesum mit geistlichen Augen sehen, seine» heiligen Lebenswan¬ del betrachten, sein göttliches Wort in den Predig¬ ten und christlichen Lehren gerne und aufmerksam an- hören. Denn da sehen und hören wir Jesum, welches für uns im neuen Bunde Gottes ein besonderes Glück iß, da wir alles dasjenige deutlich sehen und hören können, wovon jene» im alten Bunde vieles nur un¬ ter Bildern, und unter einer heiligen Hülle noch verdeckt, vorgestellet wurde. — Diejenigen, die vor der Ankunft Jesu in der Welt lebten; waren auch «ur Kinder in der Kenntniß Gottes und seiner Offen¬ barungen gegen uns gerechnet; ja, man kann schon von — ( Z79 ) — von unfern Kindern sagen, daß sie in der Religio» mehr wissen, als die größten Weltweisen des Ak- terthums, und die erleuchtetsten Propheten im alten Testamente, und nie hat irgend ein Volk, nie ir¬ gend ein Menschenalter so viele richtige Kenntnisse in Sachen der ewigen Seligkeit gehabt, als wir Chri¬ sten. -Wir nehmen also an dieser Glückseligkeit der Jünger den größten Antheil; denn was die Jün¬ ger im Fleische sahen, das sehen wir Christen im Glauben, was jene mit Ohren hörten, ebendieses Wort der Wahrheit und des himmlischen Trostes hö¬ ren wir in den Predigten des Evangeliums. Petrus hak deßwegen schon zu seiner Zeit jenen geantwor¬ tet, die vorgeben wollten, daß ihrer Glückseligkeit die sichtbare Gegenwart Christi fehle, da er in sei¬ nem ersten Briefe i. Kap. 8-9. V. schreibt, daß der Mangel des Sehens durch den Glauben ersetzet wer¬ de, welchen Jesum ihr nicht gesehen, und doch lieb habt, lauten seine Worte, und an welchen ihr nun glaubet, wiewohl ihr ihn nicht sehet, so werdet ihr euch freuen mit unaussprechlicher Areude, und das Ende eures Glaubens davon¬ bringen, nämlich der Seelen Seligkeit. Wird aber eben dieses vorzügliche Glück, meine werthesten Christen, nicht die Strafbarkeit des un- heiligen Lebens so mancher Christen vermehren? Ware es nicht besser für einen unheiligen Christen, daß er die christliche Religion nie erkannt hätte? Wird er nicht eben so strafbar seyn, als die heuch¬ lerischen Pharisäer und ruchlosen Sadduzäer, und als alle verstockten Juden, die Jesum sahen und hör¬ ten, aber nach srilirr Lehre nicht lebten? — Lasset uns — ( 38» ) —- «ns dieses wohl beherzigen, meine lieben Christen, lasset unS besonders bedenken, welche große Glück¬ seligkeit auf uns warte, wenn wir Jesum einst mit unfern Augen persönlich in seiner Glorie sehen wer¬ den. Wenn Christus zu seinen Jüngern schon sprach , daß sie vor den Propheten und Königen glückselig zu schätzen wären, weil ihre Augen den Meßias im Fleische sähen, daß ihre Glückseligkeit weit größer sey, alsjene, welche die Propheten bey ihren himm¬ lischen Gesichtern hatten, oder welche den glänzen¬ den Thron der alten Könige umgab, wie weit grö¬ ßer wird erst unsere Glückseligkeit seyn, wenn wir Jesum in dem Glanze seiner Herrlichkeit einst sehen werden. Dahin richtete Hiob schon seine Augen, dieß war sein Trost, welcher ihn bey seinem große» Unglücke labte, und sein beklemmtes Herz erquickete. Ich weiß, sprach er, daß mein Erlöserlebt, und mich aus der Erde auferwecken wird, und ich werde mit meiner Haut umgeben werden, und in meinem Fleische Gott sehen, und denselben werde ich sehen, meine, und keine fremde Augen werden ihn an- fchauen." Dieses ist es, was wir ans dem ersten Theile unsers Evangeliums zu lernen haben. Die Frage des Schriftgelehrten steht mit demselben in einer gewißen Verbindung, ob sie gleich von demselben sehr un¬ terschieden zu seyn scheinet, denn auch diese Frage bekrift die Seligkeit, von welcher dieser Schriftge¬ lehrte Jesum reden hörte. Lasset uns dieselben ver¬ nehmen in dem Zwey- — ( ) — Zweyten Theile. Nachdem Jesus seine Jünger selig gepriesen hatte, weil sie ihn als den Hcylaud der Well zu sehen und zu hören das Glück hätten, so stund, wie das Evan¬ gelium ferner sagt, ein jüdischer Schriftgelehrter auf, und sprach: Meister! was muß ich thun, daß ich das ewige Netzen habe? D-ese Frage aber that er nicht aus Lehrbcgierde, sondern um Jesum zu versu¬ chen, erdachte entweder bep sich, Jesus würde auf diese Frage nicht geschickt antworten können, oder gleich, war es bloß Neugierde, um zu hören, was er darauf antworten würde; oder wollte er sich recht¬ fertigen, man könne ihm nichts sagen, was ihm noch zum ewigen Leben mangle. Dieser arglistige Feind ergötzte sich vermuthlich schon im Geiste daran, wie der Heylaud durch diese Frage in Verlegenheit und zum Stillschweigen gebracht, oder sonst etwa in eine Falle gcstürzet, und von der Versammlung hernach verachtet, er aber als ein wahrer Schriftgelehrter mit Beyfak anerkannt würde. Dieser arglistige war vermuthlich auS der Sekte der Pharisäer, die unter den Juden einen gewissen Geist der Spitzfindigkeit eingeführet hatten, wodurch sie die kläresten Gesetze Gottes so lauge dre- heten, bis sie nach ihrem Eigeuuntze und nach ihren verkehrten Neigungen stimmten. Von diesem Geiste der Spitzfindigkeit angetrieben, legte er diese Frage vor, nicht um sich belehren zu lassen, wie ich schon gesagt habe, sondern um seine Gelehrsamkeit, und gleichsam seine Überlegenheit über Jesum zu zeigen, um sich einigen Ruhm zu erhaschen, und seine Kennt¬ nisse und Geschicklichkeit zur Schau auszulegeu. Es -°- ( Z8" ) — Es ist aber kein bequemers Mittel einen unver¬ schämten Mund zum Stillschweigen zu bringen, als wenn man ihn mit seinem eigenen Geständnisse über¬ führen kann, und dicß that Jesus jederzeit seine» Feinden auf eine ganz vortreffliche Art. Statt der Antwort legte er diesen Schriftgelehrten eine andere Krage vor, durch welche er entweder zum Schwei¬ gen genöthiget würde, oder sich selbst seine Frage nothwendiger Weise beantworten müßte. Er sprach nämlich zu ihm: wie steht im Gesetze geschrieben? TVas liesest du ? Jesus wies ihn nämlich auf das Gesetz aus welchem er als ein Gelehrter wissen mußte, was die Menschen zu thun und zu lassen hätten , wenn sie selig werden wollten. Woragf der Schrift» gelehrte den ganzen Inhalt des Gesetzes anfuhrte, der in der dankbaren Liebe zu Gott, und herzlichen Liebe zu den Nächsten bestehet. Er sprach: daS finde ich im Gesetze geschrieben, daß man nothwen¬ diger Weise thun muß, wenn man selig werden will. Du sollst Gott deinen Herrn lieben von deinem ganzen Herze«, von deiner ganzen Seele, aus allen Urästen, und von ganzen deinem Gemüthe, und deinen Nächsten, als wie dich selbst Auf welche Antwort Jesus ihm sagte, er habe recht ge¬ antwortet ,er solle dieses nur thun, so werde er daS ewige Leben haben. Wenige aber wichtige Worte, meine liebe» Christen, die wohl verdienen, daß wir uns anjetzo et¬ was länger dabey aufhalten, und unsere Betrach¬ tung darüber anstelle». Gott sollen wir lieben, be¬ kräftigte Christus bey der Antwort des Schriftgelehr- len, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ' ganzem < Z8Z > ganzem Gemüthe und aus allen Kräften. Durch die¬ se verschiedene und gehäufte Ausdrücke wird uns an- gezeiget, daß Gott die größte, die aufrichtigste,die innbrünstigste, ungetheilteste, herzlichste und eifrigste Liebe, die uns immer möglich ist, von uns fordere, und dieses mit allem Rech e. Alle unsere Gedanken und Begierden, alle Kräften unserer Seele und nnsers Leibes sollen wir dahin anwenden, daß wir Gott ge¬ fallen, ihn nicht beleidigen, ihm nichts zuwider thun. Nimmermehr sollen wir etwas so hochschten und lie¬ ben als Gott, ihn allein sollen wir für unser aller¬ höchstes Gut halten, und es für unser größtes Un¬ glück ansehen, wenn wir uns wider diesen höchste« liebenswürdigsten Herrn versündigen. Unser Leib und Leben, unsere Ehegatten und Kinder, unsre Anver¬ wandten und Freunde, unsere Ehre, unser Ansehe«, vnserHab und Gut sollen wir unendlich geringer achten., als Gott, und lieber alles in der Welt eiubüffen und verlieren, als Gott und seine Gnade. Wir solle» Nie¬ mand zu Gefallen, er sey, wer er immer wolle, et¬ was Böses thun, auch wenn wir viel Gold und Gut, ja die ganze Welt gewinnen könnten. Alle Schätze der Welt sollen dem Willen und Befehle Gottes hin¬ tangesetzt werden. Die starke Liebe der Eltern gege« ihre Kinder, die starke Liebe frommer Ehegatten ge¬ gen einander, und die zärtlichste Liebe frommer Kin¬ der gegen ihre Eltern, die sich mit aller Sorgfalt be¬ streben, mit keinem Worte, mit keiner Miene, mit keinem Schritte oder Werke einander zu betrüben, o- der etwas zu thun, das ein Zeichen wäre, daß sie sich nicht herzlich liebten, alles dieses soll nichts ge¬ gen dis Liebe Gottes sepn, diese soll über alles gehen, Gott — ( Z84 ) —- Gott müssen wir lieben, meine wertesten Chri¬ sten , das heißt, unser ernstlicher Wille, unser auf¬ richtiges Wünschen und Trachten muß dahin gehen, daß Gott von uns und von allen gepriesen, daß sein Name gcheiliget, sein Reich aufErden erweitert, und sein heiligster Wille in allen vollkommen erfüllet wer¬ de, dieses ist das vornehmste Geboth. Lasset unS alle Worte davon noch besser betrachten. Dir sollst Gott deinen Herrn lieben. Gott sollen wir lieben, das ist, jenen unendlich erhabenen vollkommenen Geist, der für sich betrachtet einer unendlichen Liebe würdig ist. Gott, der von lauter Güte seinen Namen hat, dessen Güte an uns elenden Menschen sich mehr, als an ir¬ gend einem Geschöpfe hervorthut. Du sollst Gott deinen Herrn lieben. Gott unfern Herrn uud Gebie- kher, unfern Schöpfer und Erhalter, unfern Versor¬ ger, den Regierer unsers Wesens und unserer Wohl¬ farth. Lieben sollen wir ihn, das heißt, alle Zunei¬ gung unsers Herzens ihm schenken, und alles, waS wir Gutes besiyen, zu seiner Ehre aufopsern und ver¬ wenden. Und diese Liebe verdienet Gott gewiß von uns, denu da jedes Gute aus einem zwiefachen Ge¬ sichtspunkte betrachtet werden kann, einmal in fo fern xs an sich selbst gut, in seinem Wesen und in seinen Eigenschaften vortrefflich ist, und das andremal in so fern es uns zum Nüßen gereicht, so finden wir, daß Gott nach beyder Betrachtung würdig ist, auf die vollkommenste Art geliebt zu werden. Er verdienet sowohl, daß wir seine wesentliche Güte und Vollkom¬ menheit mit innigstem Wohlgefallen betrachten, als auch, daß wir seine milde Güte mitinnbrünstigerLie¬ he uns zurignen., und nach derselben immer begieri¬ ger — ( Z8A ) ger werden. Niemand ist gut, denn der einige Gotk. Ohne Gott,istchichts, und von Gott kommt alles, was gut ist. Äusser Gott ist nichts, als Mühe, Sor¬ ge, Mangel, Schwachheit, Vergänglichkeit, und Dinge, dadurch unserZustand nicht gebessert, sondern nur immer beschwerlicher gemacht wird. Auch die an¬ genehmsten Güter dieser Erde haben ein gewisses Uc« bel bey sich, denn hienieden ist nichts vollkommenes, und das Wenige, was die Kreaturen zu unserer Er¬ götzung beytragen können, haben ste nicht von sich selbst, sondern von Gott. Nichts ist so weise, so gü¬ tig, so heilig, so wahrhaft und treu, so gerecht und unveränderlich, kurz, so vollkommen und liebens¬ würdig, als Gott. Wir haben nichts im Himmel und auf Erden, was zu unserem Vergnügen gereichen kann, ohne Gott. Er ists allein, der unser Verlan¬ gen stillen kann. Wenn wir ihn besitzen, so haben wir gewiß, was uns ewig erfreuen kann. Er ist also wohl unserer ganzen Liebe würdig. Wie sollen wir ihn aber lieben? Auch dieses sagt uns das heutige Evangelium; von ganzem Her¬ zen sollen wir ihn lieben, unser ganzes Herz sollen wir ihm unzertheilt schenken, alle zärtlichen Nei¬ gungen desselben seiner Ehre widmen , unser ganzes Vergnügen sollen wir in ihm und in seiner Gnade suchen, von ganzer Seele sollen wir ihn lieben, das ist, alle Kräften unserer Seele sollen zu seiner Ehre verwendet werden, unser Verstand soll zur Erkennt- niß und Bewunderung seiner Vollkommenheit, unser Gedachtuiß znr Erinnerung an seine Wohlthaten, und unser Wille zur Erfüllung seines heiligsten Wil¬ lens angewendet werden. Aus allen Kräften sollen Erklär. b.Evaug.H.Th. Bb wir — s Z86 ) °— Wir ihn lieben, basist, nicht mit Worten nnd mit der Zunge allein, sondern mit der Thar und Wahr¬ heit sollen wir ihm unsere kindliche Hochachtung be¬ zeigen. — Ihm zu Ehren sollen wir unser Aeusserstes wagen , wenn es vonnöthen ist. Wir sollen es nicht bey leeren Wünschen, und nicht bey blossen Vorsätzen nnd kraftlosen Bemühungen bewenden laßen. — Wir sollen ihn endlich aus ganzem Gcmüthe lieben, das heißt, all unsre Gedanken und Gesinnungen, all unsre Geinüthsbewegungen sollen entweder mittelbar oder unmittelbar auf Gott gerichtet werden, wir sollen immer in unsrem Gemüthe bey uns nachden¬ ken, ob wir denn unsere Pflichten gegen ihn unfern Schöpfer'treu in Acht nehmen, ob wir ihn aufrich¬ tig lieben, wie wir sollten, und ob nicht etwa eigen¬ nützige Absichten mehr Theil an unserer Liebe gegen ihn haben, als die Betrachtungen seiner wesentli¬ chen Güte und Herrlichkeit. Sehet meine wcrthesten Christen, so muß unsere Liebe zu Gott beschaffen seyn. Diese Regeln hat er uns heute selbst vorgeschriebcn. — Wenn ich mich in der Erklärung des heutigen Evangeliums etwas lan¬ ger, als sonst aufhalte, so werdet ihr mir dieses verzeihen, denn es bctrift hier die zwey wichtigsten Gebothe im Gesetze, die zween Hauptgrundsätze der ganzen christlichen Moral. Ich muß euch daher noch etliche Eigenschaften und uokhwendige Folgen dieser Liebe zu Gott erklären, bevor ich zur Ltebe des Nächsten schreite. Merket daher noch folgende Stücke. Erstens, da Gott uns befiehlt, ihn aus ganzem Herzen zu lieben, ihm unser Herz unzertheilt zu schen¬ ken ( Z8/ ) E- ken, will er zwar nicht, daß wir seine Kreaturen, die »ns gut und zu unserer Wohlfahrt von ihm ver¬ ordnet sind, ganz von unserer Zuneigung ausschlies¬ sen sollen, aber er will doch, daß wir sie unendlich weil unter ihn setzen sollen, daß wir bereit seyu sol¬ len, lieber alles als ihn und seine Gnade zu Ver¬ lierern Lieben wir Gott, so müssen wir auch das lieben, was ihm angehörig ist, und was wir als Wirkungen seiner Macht und Weisheit bewundern, dabep muß aber all unser Absehen beständig auf den Schöpfer gerichtet ftyn, und alles als sein Werk und Eigenthum betrachtet werden. Zweitens, diese Liebe ist genau verbunden mit einem immerwährenden Andenken an Gott, und mit einer steten Erinnerung an seine höchste Allgegenwart. Die Menschen stellen sich immer das vor, was sie lieben, was sie wünschen und hoffen, sie denken stets daran, und reden stets davon. Wenn wir nun Gott aufrichtig lieben, so werden wir stets an ihn gedenken, wir werden gerne von ihm reden, und ihn unausgesetzt uns vorstellen. Nichts als eine ge¬ wisse Gsktesvergcffcnheit ist Ursache von dem lieblo¬ sen kalksinnigen Betragen mancher Menschen. Drittens, diese Liebe wird in uns immer ein grösseres Verlangen entzünden, mit unserm Golk näher vereiniget, und deßwegen heilig zu werden, weil er heilig ist. Sie wird aber auch ein gewisses Vertrauen in uns erwecken, daß all seine Anordnun¬ gen zu unserem Besten abzielen, daß er unser lie¬ benswürdiger Schöpfer, niemals was Nachlheiliges, sondern lauter nützliche Dinge von uns fordere. Und dieses Vertrauen wird in uns eine gewisse Seelenhei- Bb a terkeit — ( zss ) — Kerkert, eine gewisse Freudigkeit des Gemüthes und Bereitwilligkeit des Geistes erwecken , wodurch die lauterste Begierde in uns entzündet wird, dem lies brn Gott immer mehr und mehr zu gefallen. Viertens, fordert diese Liebe ein eifriges Be¬ mühen von uns, alle Gebothe Gottes zu erfül¬ len , und »ns Gott immer gefälliger zu machen; denn dieß thun die Menschen gegen diejenigen, die sie aufrichtig lieben. Lieben wir Gott redlich , so werden wir ihn niemals mit Bedacht beleidigen, wir werden ihm mit beständiger Treue ergeben bleiben, und stets dafür sorgen, daß unser Betragen ihm all¬ zeit gefällig sey. Wenn wir aber seine Gebothe hal¬ ten, so thnn wir, was ihm gefällig ist. Und da EineS seiner Gebothe so heilig, wie das Andere ist, so müsse» wir uns bestreben, sie alle zu erfül¬ len. Wollten wir nur in einem Stücke thun, was ihm wohlgefällig ist, und hingegen auf eine andere Art uns ihm mißfällig machen, so wäre ja dieses ein offenbarer Widerspruch in unserer Aufführung gegen Gott. Diese Liebe wird nns antreibcn und an¬ reizen, dahin zu trachten, daß wir dem, den unsre Seele liebt, auf alle Weise gefällig werden, welches unmöglich geschehen kann, wenn wir nicht allen sei¬ nen Befehlen gehorsamen. Und dieses wird dem wah¬ re» Liebhaber Gottes nicht schwer seyn, denn wir wissen, und sehen es an dem Patriarchen Jakob, daß die mühsamsten Verrichtungen für denjenigen, der sie aus Liebe unternimmt, nicht die mindeste Be¬ schwerlichkeit haben. Seine Gebothe werden uns nicht schwer seyn, wir werden keine Arbeit, keine Pein , feine Gefahr dabcy scheuen, wenn wir uns mit wil¬ ligem — ( 289 ) — ligem, liebvollem Geiste dazu bequemen. Die Jah¬ re unserer kummervollen Pilgrimschast werden uns wie dem Jakob als einzelne Tage vorkommen- wenn wir uns ein Vergnügen machen, den Willen Got¬ tes zu thun. Wir werden uns durch nichts znrSünde reizen lassen, denn nur zeitliche Vortheile und irr- dische Lüste reizen zur Sünde, wer aber seinen Gott über alles liebet, dem ist alles, was die Welt ihren Liebhabern geben, oder vielleicht nur zeigen und versprechen kann, nichts gegen Gott und seine Huld. So ist und soll die Liebe gegen Gott beschaffen seyn, meine werthesten Christen. Da aber der Schrift¬ gelehrte dieser Liebe zu Gott dieLiebe zu dem Näch¬ sten beysetzte, .mit den Worten : du sollst deinen Nächsten Lieben wie dich selbst, und Christus ihm antwortete, er habe recht gesagt, er solle dieses thun, so werde er selig werden, jener aber, um sich zu rechtfertigen und zu zeigen, daß er diesed Geboth bisher erfüllet, die Frage aufwarf, wer denn sein Nächster sey, so antwortete ihm Jesus durch das heutige Gleichniß von einem halbtodten Menschen, dessen sich weder der Priester, noch der Levit, son¬ dern nur der Samariter annahm, und zeigte ihm dadurch wie diese Nächstenliebe von den Juden bis¬ her noch nicht erfüllet worden, sondern wie sie in Zukunft nach der Vorschrift des göttliche» Gesetzes erfüllet werden solle. Lasset uns noch dieses in dem dritten Lheile vernehmen. Dritter Theil. Damit ihr das Gleichniß von dem barmherzigen Samariter besser verstehen möget, so muß ich euch Bb Z etliche — < Zyo ) — etliche Sachen zuvor erklären, die zum deutlicheren Verständnisse desselben nothwendig sind. Erstens, ob es schon im Gesetze Mosiö den Juden deutlich gebo¬ ten war, alle Menschen zu lieben, weil sie alle von einem Gott geschaffen, und durch das Baud der nämlichen Natur mit einander verknüpfet waren , so verstunden doch die vornehmsten Schriftgelehrten der Juden, nach der verfälschten Lehre der Pharisäer, durch den Nächsten nicht alle Menschen, sondern nur ihre Landsleute, ihre Religionsverwandte, die Ju¬ den nämlich, und unter diesen zwar nur die Freun¬ de, nicht aber die Feinde. Mit diesem Vornrrheile behaftet fragte der heutige Gesetzkuudige, wer sein Nächster sey. Jesus zeigte ihm aber gar schön, wie sehr die Juden fehlten, da sie ihre Liebe nicht auf alle Menschen verbreiteten. Zweitens ist zu bemerken, wie euch schon be¬ kannt seyn wird, daß die Juden und Samariter ge- schworne Feinde gegen einander waren. Denn den Juden war auf der Welt nichts verhaßter, als ein Samariter, die der Religion nach halb Heyden und halb Juden waren, sie aßen und tranken nichts mit ihnen, und versagten ihnen sogar die gemeinsten Höflichkeiten und Dienstleistungen. — Und einen sol¬ chen stellt Jesus hier liebvollcr, als die Juden vor. Einen solchen mußte selbst eiu Jude, ja ein Gesetz- verständiger, bewundern und loben. Ferner ist zu bemerken, daß in den damaligen Zeiten, ja, schon lange Zeit vorher, die Straffe von Jericho nach Jerusalem wegen Mördern und Strassenraubern unsicher gewesen, weil man allda eine — ( Zyr ) — kine große Wüste, eine große bergigte und waldigte Gegend , durchreisen mußte, wo sich die Räuber hinter den Strauchen und Gebüschen versteckt hiel¬ ten, und dic Vorbeyreisenden anfielen und ausplün- derten. Und das war doch der Weg, den vieleLeute nach Jerusalem auf die hohen Feste, auch Priester und Levite», auf ihren bestimmten Zeiten zu ihren Gottesdienstlichen Verrichtungen machen mußten.— Nun dieses wenige vorausgesetzt, lasset uns jetzo, meine werthesten Christen, das Gleichniß in kurzem selbst vernehmen, und hernach die für uns nützlichen Lehren herausziehen. -— Es war ein Mensch, sprach Jesus, der gieng von Jerusalem nach Jericho hinab, da fiel er auf dem gefährlichen Wege unter die Mör¬ der. Diese plünderrrn und zogen ihn aus, schlugen ihm gefährliche Wunden, und gicngen davon, ließen ihn halb todt liegen. Es begab sich aber, daß ein Priester dieselbe Strasse hinabzog, und da er diesen verwundeten Menschen sah, gieng er unbarmherzig vorüber. Den nämlichen Weg gieng auch ein Levit, das ist, von derjenigen Klasse Leute einer, die den Priestern in dem Gottesdienste und Unterrichte des Volkes an die Hand gierigen. Dieser Levit kam auch an diese Stätte, wo der unglücklich Verwundete lag, er sah ihn, staunte ihn an, und gieng auch unbarm¬ herzig vorüber. Ein Samariter aber ritt die nämli¬ che Strasse hinab, und als er diesen Unglücklichen sah, regte sich gleich sein gefühlvolles Herz, es jam¬ merte ihn des Elenden, er stieg ab, gieng hin zu ihm, verband ihm seine Wunden, goß Wein und Delhinein, um sie auszuwaschen und zu heilen, er Hub ihn, nachdem er ihn verbunden hatte, auf sein Bb 4 Thier, Thier , gierig zu Fuß neben ihm her , führte ihn in dieHcerberge, und pflegte ihn die Nacht hindurch sehr wohl, da ihn aber des andern Tages seine Geschäf¬ te weiter zu ziehen nöthigten, bezahlte er den Wirth, und gab ihm noch zween Denarien, das nach der damaligen Zeit viel war, und sagte zu ihm, er soll¬ te damit des Kranken pflegen, und wenn es mehr kosten sollte, so wollte er alles, wann er zurückekä- me, bezahlen. — Wer deucht dich nun, fragte Chri¬ stus den Schriftgelehrtcn, aus diesen Dreyen, der seinen Nächsten wahrhaft geliebt hat, der Priester, der Levit, oder der Samariter? Da mußte dieser beschämt antworten, der Samarit, der die Barm¬ herzigkeit an ihm gethan hak. — Da sprach nun Je¬ sus zu ihm: so geh dann hin, und thu deßglei- chen. Das ist Nun die Parabel, meine lieben Chri¬ sten, was haben wir aber für uns daraus zu ler¬ nen? Lasset uns eines nach dem andern hören: Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst, das heißt, wirfollenmitandernMenschenso umgehen, wie wir mit uns selbsten umgehen, und wie wir wün¬ schen, daß andere mit uns zu unserer Wohlfahrt umge¬ hen. Wir sollen Andern dasjenige thun, was wir wünschen, das uns von andern geschähe, und sol¬ len andern alles dasjenige nicht thun, was wir nicht gerne hatten, wenn es uns von andern ge¬ schähe. Dieß ist eine Pflicht, die uach der heiligen Schrift ein königliches Gesetz genannt wird, eine Pflicht, wozu uns die Natur und das Christenthum zugleich verbinden, und wodurch alle äußere Ruhe, gute Ordnung und Glückseligkeit in der Welt muß beför- ( Z9Z ) befördert werden. Unser» Nächsten zu liebe», -habe» wir als Menschen und als Christen die größte Ver¬ bindlichkeit, und ziehen selbst den größten Nutze» für uns daraus, alle Unglückliche sind unsers Glei¬ che«. Jesus suchet diesen Umstand bey der Erzählung der Parabel sehr weislich anzubringen: es war ei» Mensch, sagt er, ohne übrigens ihn zu nennen, ob er ein Jude, oder Hepde gewesen, er suchet dadurch den Schriftgelehrten in seinem Gewissen durch diese Erinnerung zu belehren, sieh, das war «in Mensch, wollte er sagen, der du auch bist, so ist er daun dein, und du bist sein Nächster. — Wir haben alle einerlcy Natur und Weseu an uns, wir haben alle den nämlichen Schöpfer, Herrn und König im Him¬ mel , einem jeden menschlichen Leibe ist eine ver¬ nünftige Seele zugeordnet, der Vornehme hat vor dem Geringen, der Glückliche vor dem Unglücklichen hierinn nichts zum Voraus, sind wir nun alle glei¬ ches Wesens und gleicher Natur, hat uns alle der nämliche Gott erschaffen, warum sollte» wir den» einer den andern verachten, oder bey des andern Unglücke gleichgültig sepn? — Haben wir alle un¬ fern Aufenthalt in einer und ebenderselben Welt, sind die Guter dieser Welt sowohl»zu des Einen, als des Andern Dienste und Nutzen geschaffen, nur mit dem Unterschiede, daß sie die Weisheit Gottes ver¬ schieden zu besserer Ausübung dieser Nächstenliebe vcr- thcilct, sollten wir nicht auch gemeinschaftlich die Glückseligkeit der menschlichen Gesellschaft zu erhal¬ ten und zu befördern suchen? Stehen wir alle unter einem Gott, dessen Vorsehung und Güte über uns waltet, von dessen Güte wir Leben und Athcm ha» B b L beu. —- ( Z94 ) ben, wie sollte Einer dem Andern noch etwas mi߬ gönnen? — Erwarten wir alle eine Ewigkeit, die uns bevorsteht, wo wir in dein Reiche einer voll¬ kommenen Liebe mit einander ewig zu leben geden¬ ken , warum sollten wir hier in der Zeit einander die Pflichten entziehen, die wir einander schuldig sind? Warum sollten wir hier uns ein Leben unerträglich machen, welches schon an sich mühselig genug, und von kurzer Dauer ist? — Sind wir nicht auch der¬ gleichen Unglücksfällcn, wie unsere elenden Brüder, unterworfen? Wer hat uns eine Versicherung gege¬ ben, daß wir nicht auch in Unglück gerathen wer¬ den, wie andere? Wie leicht können Armuth, Krank¬ heit, Unglück und Verwüstung uns eben so treffen, wie jene Nothleidende, die ihren Kummer in der Stille beseufzen müssen, da wir uns zur Zeit noch im Wohlstände befinden?— Was erwarten wir von unserm Nächsten, wenn wir dereinst sollten unglück¬ lich werden? Wünschten wir uns alsdann nicht auch gute Begegnungen von Anderen? Wird uns die Barmherzigkeit unserer Mitmenschen nicht alsdann wohl zu statten kommen? Wird uns alsdann ihr Miklciden nicht trösten, ihr Schutz und Hülfe er¬ freuen?— Solche Betrachtungen rufen uns mit lau¬ ter stimme zu: liebe deinen Nächsten, wie dich selbst. Das Christenthum erhöhet noch mehr diese Pflicht, die uns die Menschheit auficget, und machet dieselbe znr wahren Tugend -es Glaubens, die ihren Lohn einst bey Gott findet. Durch diese Nächstenliebe fol¬ gen wir dem Beyspiele Gottes, der allen seinen Ge¬ schöpfen Gutes thut, durch dieselbe suchen wir dem- - - ( Z 95 ) jenigen ähnlich zu werden, der mit vielem Erbarmen die Seufzer der Elenden erhört, der allen Nothlei- denden zu seiner Zeit Hülle und Rettung schaffet, der uns mit unaussprechlicher Geduld erträgt, und mit vielem Verschonen regieret. Wenn dieses unbegreifli¬ che Erbarmen Gottes nur einen kleinen Eindruck in unsere Selen machet, so können wir uns unmöglich lieblos gegen unsere unglückliche Brüder bezeigen, wir würden uns von Gott, dem Muster der Liebe, entfernen, wir würden allen Glauben verläugnen , und selbst aufhören, Christen zu scyu, wenn die thätige Liebendes Erbarmens und Wohlthuns unser Her; nicht regierte, wezn uns Menschheit und Chri- stenthum, Religion und Vernunft so sehr verbinden. Wie soll aber diese Liebe ausgeübet werden? — Christus lehret uns dieses auch in dem heutigen Evan¬ gelium , da er die Beschreibung von einem Unglück¬ lichen, von Mördern, Ausgeplünderten und Verwun¬ deten macht, worüber sich der Samarit liebvoll er¬ barmte. Unglückliche sind cs also, die ^urch aller¬ hand Zufälle um ihre zeitliche Wohlfahrt gebracht sind, oder daran gehindert werden, die an ihöem Leibe, an ihrer Gesundheit oder an ihren Gütern beschädiget worden, es mögen ihnen diese Zufälle unmittelbar von Gott zugeschicket, oder von andern aus göttlichem Verhängniße zugefüget worden seyn , oder sie mögen selbst durch ihre Schuld etwas dazu bcygctragen haben oder nicht; solche Unglückliche sind es , über welche unsere Liebe sich erbarmen soll. —- Und wo ist der Ort, wo cs an Unglücklichen fehlet? — Die Liebe zu den Unglücklichen gibt sich aber nach der l I i-6 ) — heutigen Beschreibung Christi auf folgende Ar! zu er¬ kennen. Erstens, wenn wir gegen die Noch unserer un¬ glücklichen Nächsten nicht unempfindlich noch gleich¬ gültig sind. Priester und Levit waren hier Personen, von welchen man nach ihrem Amte, nach den Vor¬ schriften ihres Standes hätte erwarten sollen, daß sic die Noch dieses elend Verwundeten zu Herzen nehmen, ihn wenigstens durch einen Zuspruch tröstli¬ cher Wahrheiten aufrichten, und wo möglich, ihm einen menschlichen Beystand verschaffen würden, so aber gereichet es ihnen zu einem schlechten Ruhme, daß sie ihn zwar sahen, aber unbarmherzig vorüber giengen. Jesus will hiermit ein Bcyspicl zur Be¬ schämung derjenigen Menschen anführen, bey welche» öfters am wenigsten Mitlciden und Erbarmen ange- troffeu wird, da man cs doch bey ihnen ihres Ver¬ mögens und Standes wegen, am ersten erwarten und vermuthen sollte. Gott hat schon gewiße Triebe der Natur in unsere menschliche Seele geleget, die durch den Anblick unglücklicher Geschöpfe und nothleiden- der Menschen in mitleidige Bewegungen und Mitge¬ fühle gesehel werden. So geschah es dem Samari¬ ter, von dem es heißt, da er den Verwundeten sah, jammerte es ihn seiner. — Fehlt es uns auch am Vermögen, dem Dürftigen aufzuhelftn, de» Verwundeten zu heilen, den Nackenden zu kleiden, dem Beraubten zu seinen Gütern zu verhelfen, st lasset uns ihm wenigstens ein mitleidiges Herz zeigen, welches seine Noth nicht gleichgültig, sondern ge¬ rührt ansieht, wir werden den Elenden dadurch ei¬ nigermassen beruhigen, wenn er nur sieht, daß es uns — ( Z97 ) uns an Willen, ihm zu helfen, nicht fehle, er wird uns wenigstens in seinem Herzen segnen, wenn wir uns bey seinem Unglücke gerührt bezeigen, und ge- gen ihn erbarmende Gesinnungen äußern. Zweitens , zeiget sich unsere Liebe zu dem noth- leidendc» Nächsten, wenn wir ihm sein Kreutz und Elend nach Möglichkeit zu lindern suchen. Das thak der Samant, er gieng hin zu dem unglücklich Ver¬ wundeten, wusch seine Wunde mit Wein ans, goß Del hinein, verband ihn, nahm ihn mit sich in die Heerbcrge, und pflcgie seiner allda auf alle mögliche Art, bey dieser Handlung zeigte sich seine edle, groß- müthige Seele in ihrem ganzen Glanze. — So müssen such wir unfern elenden Nächsten werkthätig zu helfen suchen, wir müssen ein thatiges Mitleiden all jenen Trostlosen erzeigen, die mit Händeringen, mit seufzenden Wehklagen uns den Jammer, der sie quält und drücket, Vörstetten, und von uns Erbar- mnng und Linderung zu erflehen, wir müssen ihnen so viel Mittel, als immer in unfern Händen sind , gewähren, wodurch ihre Noth wenigstens gelindert und erleichtert wird, und wenn wir ihnen gar nicht helfen können, müssen wir sie wenigstens durch einen freundlichen Zuspruch zu trösten und zu beruhigen suchen. Drittens, fordertJesus vou uns, daß wir in sol¬ cher Liebe gegen Unglückliche auch ohne Ansehen der -Person, ohne Rücksicht eines Nutzen handeln sollen. Dieses that ein Samarit gegen einen Menschen, der vermuthlich ein Jude war, er zog nicht erst in Betrach¬ tung, ob der Verwundete Freund oder Feind wäre, vb er aus seiner Hülfe einen Nutzen haben würde, oder -- ( ZH8 ) oder nicht. Cs war ihm genug, daß et unglücklich war, daß er seiner Liebe bedurfte, und feiner Hülfe nörhig hatte, je redlicher und aufrichtiger die wohl- thuende und erbarmende Liebe ist, je weniger macht sie eine» Unterschied unter Personen, denen sie Gu¬ tes erweisen will. Freunde, Angehörige, Glau¬ bensgenossen gehen uns freplich natürlicher Weise am meisten zu Herzen, sie haben das Recht, einen nähern Anspruch auf unfern Bepstand und auf unse¬ re Hülfe in ihrem Unglücke zu machen, aber «uch Fremde und Feinde müssen von unserer Liebe nicht aus¬ geschlossen bleiben. Fordert es die Lehre Jesu, selbst Feinde und Beleidiger, die uns Böses erweisen, zu lieben, und ihnen Gutes zu erweisen, wie vielmehr wird es das Gewissen erfordern, gegen unschuldig Verunglückte, gegen liebloser Weise Unterdrückte, von welchen wir nicht die geringste Beleidigung em¬ pfange» haben, Liebe und Erbarmung zu kragen. Dieses sind die wichtigsten Lehren, meine wer- khesien Christen, die wir anö dem heutigen Evange¬ lium, nach der Absicht Jesu, für uns ziehen sollen. Lasset uns dieselben noch einmal zum Beschlüße kurz wiederholen. Wir haben heute gesehen, was achte Nächstenliebe sep, wir haben gesehen, auf was Weise diese müsse ausgenbet werden, daß sie müsse mitlei¬ dig, allgemein, thakig und uneigennützig scpn^wir haben gelcrnet, daß derjenige kein wahrer Men¬ schenfreund sep, der zwar im Umgänge höflich und gefällig scheint, und gegen jene, die ihm nicht im Wege stehen, sich liebreich erzeiget, gegen seine Fein¬ de aber unbarmherzig ist, denn dieses ist nur Näch¬ stenliebe des Pharisäers, nicht aber des Samariters- Alle — i Z99 ) -E- Me unsere Nächsten müssen wir lieben, ohne Rück¬ sicht auf die Person, auch unsere Feinde, die auf unser» Schaden und Untergang sinnen; der Sama- rit erzeigte seine Liebe einem Juden, der sein ge- schworner Feind war. — Thätig müssen wir unser» Nächsten lieben , nicht bloß mit süssen Wotten und gefälligen Reden, sondern wir müssen uns bestreben, so viel wir können, zu seinem Glücke bepzntragen- Zer Pharisäer und Levit disputirte viel von der Näch¬ stenliebe , der Samariter aber übte sie. Lieben müs¬ sen wir unfern Nächsten, wenn es auch mit unserer Ungemächlichkeit geschieht, wenn wir auch unfern Vortheil dabey aufopfern, Ungemach leiden, und einige Beschwerden übernehmen müssen. DerSama- rit hatte viele Mühe mit dem Verwundeten, er ver¬ band ihn , Hub ihn auf sein Thier, gicng neben ihm zu Fuße her, pflegte seiner in der Nacht in dcrHecr- berge, und zahlte für itzn. Also solle» auch wir oh¬ ne Rücksicht eines zeitlichen Gewinnstes und Nu¬ tzens dem Nächsten uissere Liebe erweisen. — uHRck- les dieses sollen wir thun einzig und Gott, den wir, wie wir auch heute hörten, von ganzem Aerzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüthe, undaus allen Kräften lieben sollen, den wir folglich aufrichtig, ungckheilt, inbrünstig und unaufhörlich lieben sollen. Fragen wir also nicht mehr, was muß ich thun, damit ich das ewige Leben habe? Ob dieses schon eine der vernünftigsten Fragen ist, die jeder Christ , der am Ende seiner Tage recht viel Gutes gethan zu haben wünschet, und seine Absichten erreichen, und das Geschäft seines ewigen Heils ordentlich verrich¬ te» — ( 4oo ) — teir will, Afters an sich stellen soll: Mas soll ich thun, daß ich das ewige Leben habe? Wir wissen es , was wir thun sollen, dieses ist uns heute gesagt worden.—- Nicht genug aber es wissen, thnn müs¬ sen wir es auch, dem Schriftgelehrten ist gesagt worden: geh hin, und thu deßgleichen. Meine wcrthesten Christen, ihr habet es gehöret, was ihr thnn sollet: Gott sollet ihr lieben von eurem gan¬ zen Aerzen, von eurer ganzen Seele, von eu¬ rem ganzen Gemüthe, und aus allen euren Rräf- ten, und euren Nächsten sollet ihr lieben, wie euch selbst. Eeyd ihr davon heute überzeuget wor¬ den, hat euch die Parabel von dem barmherzigen Samariter gerührct, o so gehet hin, und thut deßgleichen. Auf diese Art werdet ihr eben so glück¬ lich werden, wie die Jünger, die Jefum mit ihren Augen sahen, ihr werdet auch Jesnm in seiner ver¬ herrlichten Menschheit einstens zu sehen das Glück habM» Amen. Auf den dreyzehnten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. XVII. 11 — 19. begab sich, als Jesus nach Jerusalem rei¬ fere, zog er mitten durch Samaria undGalfläa. Und da er in einen Marktflecken kam, begegne¬ ten ichm zehn aussätzige Manner, die von Ferne stun- — ( 4oi ) — stunden, ihre Stimme erhüben, and sprachen: Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: gehet hin, und zeiget euch den Priestern. Und es geschah, da sie hiugiengrn, wurden sie rein. Einer aber aus ih¬ nen, da er sah, daß er gesund worden, kehrte um, und preisete Gott mit lauter Stimme, und fiel auf fein Angesicht zu seine» Füssen, und dankte ihm. Und dieß war ein Samariter. Je¬ sus aber antwortete und sprach: sind ihrer nicht zehn rein geworden, wo sind die neune? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder zurückkehr¬ te, und Gott dieEöre gäbe, denn dieser Fremd¬ ling? Und er sprach zu ihm: steh auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen. Es begegneten ihm zehn aussätzige Männer- Luk« 17. V-ir. Eingang. 4 Übermal ein herrliches Wunderwerk, meine werthesien Christen! Mermal ein deutlicher ganz klar in die Augen leuchtender Beweist der Gottheit Jesu, und abermal ein schönes Beyspiel von einem edeldenkenden Sa» mariter. Vor acht Tagen hat unser Heylaud uns ein herrliches Beyspiel der Menschenliebe von einem Sa¬ mariter erzählet, und heute stellet er uns abermal ein Beyspiel von andern Tugenden, von der Dank¬ barkeit nämlich, und von einem starken thätigeu Glauben, an eben einen Samariter vor, erzeiget «ns dadurch, daß, obschon diese Leute »och manche Erklär-, d. Evang.lt. Ih. C c irrige ( ) irrige Begriffe in ihrer Religion, und weit weniger Kenntniß von göttlichen Dingen, als die Juden hal¬ ten , es dennoch unter ihnen weit Edlerdenkende ge¬ geben habe, als selbst unter den Juden, und dieses will vielleicht Jesus, daß es uns zum Lehrstücke die¬ ne, wie daß nicht alle Menschen, die das Gute er¬ kennen, dasselbe auch üben, er will uns vielleicht dadurch an dasjenige erinnern/ was wir noch heut zu Tage öfters unter den Christen sehen, welche, ob sie gleich weit mehr Kenntniß von Gott und von der wahren Tugend, als Heyden und Irrgläubige ha¬ ben, dennoch öfters gottloser, als solche leben, da unter den blinden Heyden manche tugendhafter als sie waren. Wir wollen anjctzo dieses schöne Bcyspicl des dankbaren Samariters, und das große Wunderwerk, welches Jesus nach der Erzählung des heutigen Evan¬ geliums an zehn Aussätzigen gewirket, nach der Vorschrift der christlichen Kirche betrachten. Wir wcr^n hier einerseits das gnädige Betrage» Jesu gegen diese zehn Aussätzige, anderseits zwar das dankbare Verhalten des Samariters, aber auch zu¬ gleich das undankbare Wesen der neun übrigen Ge¬ nesenen finden. Um nun ordentlich zur Sache zu gehen, wollen wir im ersten Theile gegenwärtiger Predigt die Geschichte von der wunderbaren Reini¬ gung der zehn Aussätzigen vernehmen, im zweyten Theile aber wollen mir das schöne Beyspiel der Dank¬ barkeit des Samariters, und die Undankbarkeit der neun geheilten Juden betrachten. Ihr habt schon aus dem Eingänge vernommen, daß alles dieses eure gan¬ ze Aufmerksamkeit verdiene. Erster — k 40Z ) — Erster Th eil. Jur Zeit, als Jesus das letztemal nach Jerusalem rei« sete, um allda sein Leiden für daS Menschliche Ge¬ schlecht anzufangen, zog er mitten durch Samaria und Galiläa, um diese beyden Provinzen des gelobten Landes noch einmal mit seiner himmlischen Lchrezu er¬ leuchten, mit seinen göttliche» Wunderwerken zu be¬ glücken und mit seinem heiligsten Wandel zu erbauen. Da bey dieser Reise, trug sichs zu, daß, als er iu einem gewissen Flecken oder kleines Städtchen einge¬ hen wollte, ihm zehn Aussätzige auf einmal begeg¬ neten, die ihn um die Befreyung von ihrer schändli¬ chen Krankheit anfleheten. Daß der Aussatz eine ab¬ scheuliche, sehr eckelhafte, sehr schmerzliche und pein¬ liche, äusserst ansteckende, öfters ganz unheilbare fürchterliche Krankheit gewesen, wodurch der Leib, der damit behaftet war, nach und nach ganz, wie von dem bösartigsten Ausschlage, mit Geschwüre» und Eiter bedecket wurde , die Haut aber zu faulen anfieng , und die damit behafteten Glieder endlich von dem übrigen Leibe abfielen, dieses habe ich euch meine werthrsten Christen, schon bey einer andern Gelegenheit gesagt, wie auch daß diese Krankheit bey den, gegen Sonnenaufgang wohnenden Völker» sehr stark regierete, weil einer den andern damit ansteck¬ te, daher es sich nicht zu verwundern ist, daß nach der Erzählung des heutigen Evangeliums nur bey einem einzigen Orte deren zehn beysammen stunden, von der Ferne stunden sie aber, wie die evangelische Geschichte ebenfalls anmerket, weil diejenigen, die mit dem Aussatze behaftet waren , von der Gesell- Er s schäft — ( 4o4 ) schäft der übrige» gesunden Menschen ausgeschlossen waren, damit dadurch die Ansteckung und Ausbrei¬ tung dieses Uebels verhütet würde. Diese zehn Unglückliche nun, als ste Jesum dem Flecken zugehen sahen, erhüben insgesammt ihre Stimme, und riefen aus : Jesu, lieber Meister, er¬ barme dich unser! Sie setzten ihr gänzliches Vertrau¬ en auf den Heyland, und baten ihn inständigst, er wolle sich ihrer erbarmen, weil sie wohl wußten, daß, wenn er sich ihrer erbarmcte, sie bald Hülfe haben, und von ihrer schändlichen Krankheit befrey- et seyn würden. Als nun der Hcplaud auf ihr Zuru¬ fen auf sie aufmerksam wurde, sie mit feinen barm¬ herzigen Augen erblickte, und ihre wiederholte Bit¬ te hörte, erbarmte er sich auch gleich über sie, und ertheilte ihnen seine göttliche Hülfe, doch nicht in demselben Augenblicke, denn er sprach nicht, seyd gereiuiget! Ihr sollt geheilet seyn, wie er sonst zu den Kranken sprach, sondern er sagte zu ihnen : ge¬ hst hin, und zeiget euch den Priestern. Er wies sie hin zu den Priestern, diesen sollten sie sich nach der Vorschrift des mosaischen Gesetzes zeigen, nach welchem Gesetze, wie ich euch ebenfalls schon gesagt habe, den Priestern, welche die Aerzte der jüdischen Nation waren, anfgctragen war, die Aussätzigen zu besichtigen, die Unreinen von den Gesunden ab¬ zusondern, und wenn jemand von dem Aussätze ge- reiniget war, ihn abermal zu besichtigen, ob die Reini¬ gung vollkommen sey oder nicht, ihn für rein zu er¬ kennen und zu erklären, das gewöhnliche Opfer für ihn zu opfern, nud ihm die Erlaubniß zu ertheilen , mit den übrigen Leuten wiederum Umgang pflegen — ( 4oF ) — zu dürfen. Nach dieser Verordnung des göttlichen Gesetzes, befahl Jesus den Aussätzigen, daß sie sich fügen hin zu den Priestern gehen, von ihnen sich be¬ sichtigen und für rein erslären lassen sollten. Dieses mag er aber befohlen Haben , theils um sich nach al¬ len Gebothcn des damals noch gültigen, alten Gese¬ tzes zu richten, theils um den Klauben und Gehor¬ sam dieser Elenden zu prüfen, um zu sehen, ob sie auch glauben würden, daß er ihnen abwesend helfen könne, und ob sie seinen Worten gehorsam seyn, und sogleich auf seinen Befehl zu den Priestern zu ge¬ hen , sich willig zeigen würden. Und sehet, da nun diese Aussätzigen willigen Gehorsam und starken Glauben bewiesen, und diesen Befehl Jesu zu vollziehen, keine Bedenklichkeit tru¬ gen, so geschah es, daß sie unterwegs rein wurden, und schon gesund waren, bevor sie zu den Priestern ' kamen, welche sie hernach besichtigten, und ihr Ur- thcil über sie sprachen, daß ihre Genesung vollkom¬ men scy, welches unserm Erlöser zu desto grösserer Verherrlichung gereichte, da das unparthcpische Ur- theil mehrerer Priester dieses Wunder bcstättigte, das er an einer äusserst selten heilbaren Krankheit, ohne Anwendung natürlicher Mittel, in der Ferne, bloß durch einen Machksprnch gewirket hatte. Dieses ist die kurze Geschichte von der wunderba¬ ren Heilung der zehn Aussätzigen. Lasset uns nun, meine werthesten Christen, unsere Betrachtungen darüber machen, und zwar erstens über das Verhal¬ ten Jesu bep diesem Wunder, zweytens, über diese Gattung der Krankheit, die Jesus hier heilte, und C c Z drit- — ( 406 ) — drittens über -as Verhalten der Aussätzigen, da sie um ihre Gesundmachung bei) Jesu anhielten. Erstens an der Person unsers Erlösers sehen wir, daß sich hier, so wie bey all seinen Wundern, sei» mildreiches und liebvolles Herz im vollen Glanze zei¬ ge. Kaum hatte er die zehn Aussätzigen erblicket, kaum hatte er vernommen, daß sie ihre Zuflucht zu ihm nehmen, und ihn nm Hülfe und Barmherzigkeit anflehen, kaum hatte er sie in der Ferne rufen gehö¬ ret, Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser, so regte sich gleich sein mitleidiges Herz, er erbarmte sich gleich dieser Elenden, und ließ ihnen seine Hülfe ««gedeihen. Wie viel läßt uns dieses nicht von seinem göttlichen Vaterherz hoffen? Wird er sich nicht auch unser erbarmen 5 und uns Barmherzigkeit erzeigen, wenn wir in unser» Nöthen unsre Zuflucht zu ihm .nehmen? Rammet her zu mir, ihr alle, die ihr mit Mühe und Arbeit beladen seyd, und ich will euch erquicken, ruft er uns ja mit ausdrückliche» Worten zu. Die besondere Art, nach welcher er die zehn Aussätzigen heilte, verdienet auch zur Betrach¬ tung gezogen zu werden, denn seine Weisheit leuch¬ tet besonders bey dieser Handlung hervor, da er die¬ se Elenden, welche er mit einem einzigen Machtspruche auf der Stelle hätte heilen können, zu den Priestern hinwies. Denn da es nach dem Gesetze Mosis verord¬ net war, wie ich euch schon gesagt habe, daß jene, die von dem Aussatze gereiniget wurden, sich den Prie¬ stern zeigen und die Gabe opfern sollten, welche Mo¬ ses im Namen des Herrn befohlen hat, jene Aussätzi¬ ge aber, die ihn um ihre Reinigung anflehcten, In¬ den und Samariter waren, so hatte er gegründete Ursache — ( 4»7 ) — Ursache, ihnen zu befehlen, sich nach dem Gesetze zu richten, weil er nicht gekommen war, das Gesetz auf¬ zulösen, sondern dasselbe zu erfüllen. Es konnte auch diese Reinigung die Priester aufmerksam machen, die¬ selbe als ein deutliches Kennzeichen anzusehen, daß Jesus der wahre Messias sey. Seine vornehmste Ab¬ sicht aber scheint er auf die Aussätzigen selbst gerichtet zu haben. Sie erhielten anfangs keine Hülfe von ihm, ja es schien, als wenn er sie gar abgewiescn hatte, da er sie fortgehen und sich den Priestern zeigen hieß. Dieß that er aber, um ihren Gehorsam zu prüfen, der ei¬ ne Folge ihres Glaubens seyn mußte. Und da sie un¬ ter Wegs gesund wurden, so war dieses die Beloh¬ nung ihres Gehorsames und ihrer vollkommenen Un¬ terwerfung, und gibt uns zu erkennen, wie glücklich wir uns machen, wenn wir uns den Befehlen Gottes gehorsam unterwerfen. Denn daß alle Befehle Got¬ tes, so wie jener, den die zehn Aussätzigen erhielten, für uns höchst nützlich und heilsam, ja die größten Wohlthaten, die reichsten Duellen zeitlichen und ewi¬ gen Glückes seyen, ist längstens ausgemacht. Die tägliche Erfahrung lehret uns dieses, da wir durch die Erfüllung der Pflichten gegen die Ncbenmenschen, die uns Gott,befohlen, unsere Mitmenschen zu Freun¬ den gewinnen, da wir durch den, von Gott befohle¬ nen Gehorsam gegen die Obrigkeit ein ruhiges stilles Leben führen, und da wir durch Vermeidung der von Gott verbothenen Laster der Unzucht, deS Zornes, des Geitzes, u. d. viele Uebel an Leib und Seel von uns abwenden, und so von allen andern Befehlen Gottes zu reden. Indem uns Gott nur befiehlt, was C c 4 «ns — t 408 ) — uns höchst nützlich, und nur verbeut, was für uns abscheulich und höchst schädlich ist. Zweytens über die Gattung der Krankheit, dir Jesus heilte, über den AuSsatz nämlich, machen die heiligen Väter verschiedene Betrachtungen, von wel¬ chen ich euch etliche vorkragcn will. Sie sagen, daß die Zeremonie des alten Gesetzes, da sich die Aussä¬ tzigen den Priestern zeigen mußten, ein Vorbild dessen sey, was im neuen Gesetze geschehen sollte. Obschon Jesus, unfern Sündenaussatz allein heilen könne, so wolle er dennoch, daß wir uns seinen Dienern dar¬ stellen , ihnen unfern Aussatz entdecken, so geheim und abscheulich er immer seyn möge , das ist, daß wir den Beichtvätern unser Gewissen eröffnen, ihnen all unsere Vergehungen in Gedanken, Worten und Werken offenherzig bekennen sotten. Denn ihnen sey die Gewalt gegeben, den Aussatz zu untersuchen, ob er zu heilen oder nicht, ob sie sagen können, wir sollten hingehen, wir wären geheilet oder nicht.— Ferner sagen bie heiligen Vater, der Aussatz des Lei¬ bes erinnere uns an den Aussatz der Seele, der in der Sünde bestehet, er mache uns einigermassen die Häßlichkeit einer Seele begreiflich, die vondemSün- Lenaussatze befallen ist. Denn gleichwie der leibliche Aussatz auS verderbten Säften dcS Körpers entstehe, also entstehe der geistliche Aussatz aus einem bösen verderbten Herzen, das von der Sünde vergiftet und verunreiniget ist. Gleichwie der leibliche Aussatz sich durch weißlichte, eingefallene Flecken und garstige Geschwüre offenbare, die um sich fressen und einen häßlichen Gestank verursachen, also zeige sich der geist¬ liche Aussatz äusserlich durch sündliche Geberdcn, Worte — ( 4oy ) — Worte und Werke, welche den Ange« Gottes und frommer Seelen abscheulich anzusehen, und die gan- ze Seele des Menschen, die an sich so schön ist, äus¬ serst verunstalten. Ferner, gleichwie der leibliche Aussatz nicht bry einem Gliede des Körpers bleibe, sondern nach und nach den ganzen Leib des Menschen einnehme, so nehme auch der Sündenaussatz die gan¬ ze Seele ein, und mache sie vor Gott zum Greuel und Abscheu. Und gleichwie der leibliche Aussätzige alle Oerter, woraus er sich legte oder setzte, alle seine Kleider, die er anzog, und alle Menschen, mit denen er umgieng, mit seinem schädlichen Gifte verunrei nigtc, so, daß er deßwcgen von der Gemeinschaft der Gesunden ausgeschlossen , in einem entlegenen Hause, oder Hütte sich aufhalten, und auf dem Wege, wenn ihm jemand begegnete, ausrufen mußte: Unrein l Unrein! damit ihn niemand beym Vorübergehen be¬ rühren möchte, so beflecke auch der Sündenausfatz alle die Handlungen deS unbekehrte» Menschen, und schliesse ihn von der Gemeinschaft Gottes und seiner Kinder aus. Auch sollte sich jedermann von sol¬ chen hüten, und ihnen aus dem Wege gleichsam ge ¬ hen, damit er nicht von ihnen angesteckek und verfüh¬ ret werde. Endlich wie der leibliche Aussaß eine ecket- hafte und abscheuliche Krankheit vor den Augen der Menschen scp, so mache der geistliche Aussatz den Sünder zu dem allerabscheulichstcn Geschöpfe, so, daß keine Kreatur vor den Augen Gottes so abscheulich und häßlich aussehe, als der Teufet und eine mit ei ? ner schweren Sünde befleckte Seele. Solche Betrachtungen haben wir, meine lieben Christen, bep dem gütigen und weisen Verhalten Je-- C c s s« —° ( 4io ) — su in dieser wunderbaren Handlung, und bey der Gattung der Krankheit, die er heilte, zu machen. Was lehren unS aber hier die zehn Aussätzigen ? Mer¬ ket auf, ich will es euch noch kurz sagen , bevor ich den zweyten Theil anfange. Diese zehn elende Män¬ ner lehren uns, daß wir gemeiniglich in der Noch uns zu Gott wenden, und bethen lernen; waren diese Leute nicht in solcher Noch und quälender Krank¬ heit gkstecket, so wären sie vielleicht niemals zu Je¬ su gekommen, sie würden ihn niemals so flehentlich um seine Barmherzigkeit gcbethen haben. Solchen Nutzen haben die Krankheiten und andere Wider¬ wärtigkeiten, sie führen uns zu Gott, lehren uns betden, und ziehen uns aus der schändlichen Got- tesvergesscnheit: Herr, wenn die Trübsal da ist, so suchet man dich, und wenn du sie züchtigest, so rufen sie ängstlich zu dir) sagte schon seiner Zeit der berühmte Prophet Jesaias. Dieses ifl auch ge¬ meiniglich die weise Absicht Gottes bey uuserenKrank- heiten, bey unseren siechen, elenden Lebensumsiän- deu, und andern Lrübsalen, die er uns zuschicket; dadurch will er uns zu sich ziehen, er will uns vom Verderben retten, zur Buße bewegen, oder, wenn wir fromm sind, noch mehr prüfen und reinigen. Wohl dem, der sich in der Noch zu Gott ziehen läßt, der die Zucht des Herrn zur Rettung seiner Seele annimmt, und sich zu ihm mit solchem Glauben und Vertrauen wendet, wie diese zehn aussätzige Män¬ ner thaten. Diese zehn Elende geben uns noch z» einer an¬ dern, ungemein nützlichen Betrachtung Anlaß. Wir sehen nämlich an ihnen, daß der Mensch die Wohl¬ fahrt — ( ) — fahrt weit seltener zum Beßten seiner Seele ertrage, als die Trübsal, daß der Mensch sich in guten Ta, gen meistens nicht sowohl gegen seinen Schöpfer ver¬ halte, als in bösen Tagen, in den Tagen der Trüb¬ sal. In der Stunde der Noth kamen die Zehne ge¬ meinschaftlich zu Jesu, und riefen nm Erbarmung, nach erlangter Hülfe aber, und bey gesundem Kör¬ per erinnerte sich nur Einer von ihnen, wie wir noch hören werden, der Wohlthat GvtteS. In den bösen Tagen trieb sie die Noth zusammen, so, daß sie sich auch nicht weigerten, einen Samariter in ihrer Gesellschaft zu leiden, da sie sich in den guten Tagen stolz gegen sie betrugen, und sich von ihnen absonderten. So macht es der Mensch überhaupt, in gen bösen Tagen, in den Tagen, wo ihm das irr- dische Vergnügen der Welt entzogen wird, wo er die Bitterkeit der Leiden kosten muß, da erkennet er sich selbst, da sieht er seine Nichtigkeit und sein Elend ein, er demüthiget sich vor Gott, und schreyet nach Hülfe, die Welt scheinet ihm eitel, die Ehren kom¬ men ihm gering vor, es eckelt ihm vdr den irrdischeu Lüsten, er wird liebreicher gegen seinen Nächsten, versöhnlicher gegen seine Feinde, frömmer und tu- gcnghafter in Allem, wo er hingegen in den guten Tagen öfters seine Pflicht vergißt, nnd ausgelassen, lieblos und lasterhaft wird, welches ich euch noch besser in dem zweyten Theile zeigen werde, wo ich euch das schöne Beyspiel der Dankbarkeit deS Sama¬ riters, und die schändliche Undankbarkeit der neun übrigen geheilten Juden vorstellcn will. An.es- ( 4^2) —-M- Zweyter Theil. Einer von den Zehn, fahre der Evangelist in sei¬ ner Erzählung fort, da er sah, daß er gesund geworden, kehrte um zu Jesu, siel, nach Art der Morgenländer, vor ihm auf die Erde, und zwar auf sein Angesicht hin, dankte ihm mit ge¬ fühlvollem Herzen für seine Genesung, weil er em¬ pfand, und innigst überzeugt war, daß Jesus in sei» ncr schweren Krankheit sein wnnderbarer Arzt gewe¬ sen, daß er allein durch seine Kraft, ohneHülfc der Menschen und der Natur gesund worden scy. Er preisete Gott mit lauter Stimme; da der Aus¬ satz die Stimme auch gemeiniglich heischer machte so wandte er nun seine reine, gesunde Stimme.-um Lobe Gottes an, er erzählte öffentlich und allenthal¬ ben mit dankbarem Gemüthe. daß ihn Jesus von Nazareth gesund gemacht habe. Und dieser dankbare Mensch, der so gute Gesin¬ nungen vor den übrigen neun Personen an Tag legte, war ein Samant, das ist, ein Mensch, der jn jener Provinz des gelobten Landes gebohrcn und erzogen war, wo die jüdische Religion zwar auch angenommen, aber mit vielen heydnifchen Lehrsätzen vermischet war, der folglich keinen so reinen Glau¬ ben, keine so gereinigte Begriffe von Gott und von den Sachen des Heils, wie die Juden, hatte, aber dennoch ein gutes Herz hier an den Tag legte. Ein Umstand, welchen der Evangelist mit Fleiß hier an¬ merket, und welcher auch Jefum bewogen , zu die-- sein Dankbaren zu sprechen: sind ihrer nicht zehn rein geworden? PHo sind aber die neun übrigen? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder um« kehre, und Gott die Ehre gäbe, denn dieser Fremdling? Sollte diese erlangte Wundergenesung nicht so hoch zu schätzen seyn, daß die übrigen Neun« diese kleine Bemühung nicht auch über sich hatten neh¬ men können, um Gott ihre demükhiae Ehretbie hung zu bezeigen, und ihm schuldigst zu danken, daß er ihnen durch mich wunderbare Hülse hat zukommen lassen. Der Heyland äußert hier Mit klaren Worten , daß er sich wegen dem Undanke der übrigen wunder¬ bar geheilten Aussätzigen beleidiget finde, er fraget deßwegen nach ihnen, er legt deutlich an den Tag, wie wehe es ihm thue, wie empfindlich es ihm falle, daß die übrigen Neune, die doch von Geburt Israeliten waren, und bessere Kenntnisse von Gott und von dem Mcßias haben mußten, auch die Pflicht besser einschen mußten, nach erlangter Gesundheit sich dankbar gegen Gott zu verhalten, sich dennoch gegen ihren göttlichen Wohlthater undankbar bezeigten, der ihnen eine so große Wohlthat durch ein außeror¬ dentliches Wunder erzeiget hatte. — In der That war es auch von diesen Leuten sehr gefehlt, sey es, daß cs Menschcnfurcht gewesen, da sie sich vor den Priestern, welche Feinde Jesu waren, und ihnen vielleicht verbothen hatten, zu ihm zurückzukehrcn, fürchteten, oder sey eS, daß eS Leichtsinn, Faul¬ heit oder Bequemlichkeit gewesen, so bleibt es allzeit der schwärzeste Undank gegen Jesnm ihren Wunder¬ arzt, daß sie nicht kamen, und ihm dankten, da doch, zu ihrer ewigen Schande, ein Samant die Pflicht der Dankbarkeit genau erfüllte, ein Sama¬ nt , — ( 4>4 ) — rit, sage ich, den derHeyland einen Fremdling nen¬ net, weil es damalige Sitte bep den Juden war, alle, die nicht von Israels Stämmen lind Geschlech¬ tern herkamen, folglich alle Heyden und die halb-- hcydnische Samariter Fremdlinge zu heißen. — Die Dankbarkeit dieses Fremdlings gefiel deßwegen Jesu sowohl, daß er sie öffentlich belobte, da er zu ihm sprach: er solle aufstehen, und hin zu den Scini- gen gehen, sein Glaube habe ihm geholfen, sein großes Vertrauen nämlich, das er ans seine Macht und Barmherzigkeit gesctzet hatte. — Dieser Dank¬ bare wird auch ohne Zweifel Gottes Gnade und Gü¬ te bey den Seimigen und in feiner Gegend verkün¬ det haben, und in seinem Glauben an Jefum den Sohn Gottes stets verblieben seyn. Was nun in dieser Geschichte am meisten verdie¬ net angemerket zu werden, ist dieses, meine Merkhe¬ ften Christen, daß abcrmal ein Samant, wie ich im Eingänge meiner Rede gesagt habe, zum Mu¬ ster nnd Beyspiele vvrgestellet wird, heute im Glau¬ ben und in der Dankbarkeit, wie lehthin in dcrNach- stculicbe und Barmherzigkeit, und zwar in bepden vor den Israeliten, die weit bessere Religionskennt- nisse als die Samariter hatte», uns zur Warnung , daß Manche außerhalb der wahren Kirche Gottes durch einen auferbaulichen Lebenswandel diejenigen beschäme», die zwar durch den wahren Glauben mehr erleuchtet find, aber ein roheres, ein gegen Gott undankbareres, ein nnchristlichcres und weni¬ ger gottesfürchtiges Leben führen. Was — ( ) — Was wir aber aus diesem zwcytcn Theile unsers Evangeliums hauptsächlich für uns zu lernen haben, besteht in folgenden. Erstens, daß wir dem, von Jesu selbst uns vorgestcllteu Beyspiele des Sama¬ riters in der Dankbarkeit nachfolgen sollen, so oft Ms Gott in einer Angelegenheit erhöret, und uns seine Hülfe und Gnade erzeiget, so oft sollen wir ihn dafür loben und preisen, auch alsdann, wenn er uns durch Lrübsale zu sich zu ziehen, und unser ewi¬ ges Wohl zu befördern gesucht hat, wir sollen ge¬ denken, vielleicht waren wir ewig zu Grunde ge¬ gangen, wenn er uns nicht durch dieses oder jenes zeitliche Nebel zur Buße gebracht hätte. — In al¬ lem, nnd für alles, sollen wir Gott stets herzlichen Dank sagen, dieses/ordert Vernunft und Religion von uns. Wenn die Heyden ihren Götzen Dankopfer brachten, wie vielmehr sollen wir Christen unserem Schöpfer dankbare Herzen darbringen? Denn, wenn ihr Götzendienst ver^lbscheuungswürdig ist, so müs¬ sen wir doch ihre Dankbarkeit gegen ihre'Göttcr be¬ wundern. Wir Christen erkennen den wahren Gott, wir müssen auch die Pflicht der Dankbarkeit gegen dieses höchste Wesen erkennen und ausübcn, wir Christen sind es, welche die göttlichen Wohlthaten »ach ihrer Menge, .nach ihrer Größe und nach ih-- rem inner» Werthe besser schätzen können, als alle andere Menschen, wir wissen, daß alle Wohlthaten Gottes äußerst wichtig seyen, und uns ganz unver¬ dient, aus purer Gnade, gegeben werden, wir wis¬ sen, daß alles, was unser liebvoller himmlischer Water thut, zu unserm Beßten abziele, daß viele seiner Wohlthaten die ganze Ewigkeit hindurch für uns — ( ffi6 ) — uns dauren sollen, wir wissen, daß die Wohllhaken Gottes für unsere Seelen unbegreiflich groß sind, daß siedem Vater seinen Sohn, und dem Sohn sein Blut gekostet haben, und daß der göttliche Geist selbst sich noch mit dem Heile unserer Seelen beschäf¬ tige. Wir müssen also diesem liebvollcn Gott wegen seiner Sorgfalt für unfern Leib und Seele den schul¬ digsten Dank stets abstaktcn, ihm ein durch seine Wohlthaten gerührtes Herz erweisen, und alles Gute aus seiner Valerhand als ein unverdientes Ge¬ schenk annehmen, wir müssen ihm nicht allein in geheim, sondern auch öffentlich danken, öfters mit dem Psalmistcn sprechen: rvie soll ich dem Herrn alle die IVohlthaten vergelten, dis er an mir gethan hat. Aweytenü, da von diesen zehn Aussätzigen, die ihre Gesundheit wunderbarer Weise erlangt hat¬ ten, nur ein Einziger zurückc kommt, seinem lieb¬ reichen Arzte zu danken, dieser aber auch deßwegen, Nene Gnaden zu empfangen, und geistlicher Weise gehcilet zu werden verdienet, so lernen wir daraus, meine werthesten Christen, daß cs sehr wenige unter den Menschen gebe, welche sich der Gutthaten Got¬ tes dankbar erinnern, da doch das einzige Mittel neue Gnaden von Gott zu erlangen, eine grosse Dank¬ barkeit für die bereits empfangenen Gnaden ist. Die Klage Jefu wegen der Vergessenheit der neun übrigen zeiget uns deutlich an, wie mißfällig ihm der Un¬ dank fey, und die Kundmachung, durch welche er den Samariter vollkommen bcfreyet erklärte, gibt uns zu erkennen, daß er nur diejenigen, welche ihm für seine Geschenke Beweise eines gefühlvollen Her- -- ( 4>7 ) — Herzens geben, neue Wirkungen seines allmächtigen Bepstandes empfinden kaffe. Drittens, da die nenn Juden in ihrem Elende zu Gott zwar schrieen, aber nach erlangter Genesung nicht mehr zu ihm kamen, so erinnert uns dieses, wie ich schon im erfien Theile gesagt habe, daß sich der Mensch in den Lrübsalcn eher zu Gott wende, als in dem Wohlergehen. Und dieses bestättiget fast die alltägliche Erfahrung, denn wie mancher Kranke verspricht alles Gute in seinen Schmerzen? Was thut er aber, wenn er zur Gesundheit gelangt und die Noth vorüber ist? Wie viel laßt er von sei» ncm Eifer Gott zu dienen nach? Wie viel läßt er von seinem Versprechen fahren? Wie selten erfolget die versprochene Besserung? Wenn die bösen Neigungen sich wiederum merken lassen, wenn die Versuchungen wieder komme», wenn man wiederum in die alken Verbindungen versetzet wird, so vergißt man seine in der Noth gemachten Versprechungen, man läßt seine angefangene Andacht bald fahren, und wird wiederum der alte undankbare Sünder ge¬ gen Gott. Viertens, da die freywilligc Rückkehr des Sa¬ mariters Jesu so wohl gefallen, so wird uns gezei¬ gt, daß ein freywilliger Gottesdienst Gott höchst gefällig sep. Es ist nicht genug, daß wir in der Noth an Gott gedenken, zu ihm seufzen, ihm mit Hcr- zensfrömmigkcit dienen, und uns seiner Gnade ver> sichern, sondern wir müssen dieses auch frcywillig thnn, ohne nnS allzeit von dem Drucke eines Elen¬ des dazu anlreiben zu lassen. Die Tage der Trnb- sale fuhren gemeiniglich einen Zwang bep sich, die Erklär.d.Eoang.H.Lh. D d Noth — L 4r8 ) — Noch presset Seufzer aus, die Schmerzen bringen in unS eine Begierde nach Hülfe hervor, und das Gefühl unserer eigenen Ohnmacht treibt uns an, uns in die Arme des Allmächtigen zu werfen. So war das Gebeth der neun Aussätzigen Juden beschaffen. >— Konnten sie aber in der Noch Jesum suchen, wa¬ rum suchten sie ihn nicht auch in gesunden Tagen, da sie ihm doch mit freywikigem Herzen auf eine weit be¬ quemere Art hätten dienen können? Hatten sie gleich keinen Trieb mehr von der Noch, so konnte es ihnen doch an andern Ermunterungen nicht fehlen, ihre Ehrfurcht und Liebe gegen den Meßias fortzusctzen. Sie waren grosse Schuldner wegen ihrer erhaltene» Gesundheit, dieses forderte eine unvergeßliche Dank¬ barkeit. Sie sahen an sich das Wunder , dieses mu߬ te sie zum Glauben an den Meßias führen. — So kann es jedem freywilligen Diener und Verehrer Got¬ tes niemals an Ermunterung zur Andacht und znin Dienste Gottes fehlen. Gott hat solche Vollkommen¬ heiten, die es verdiene», daß wir ihn freywillig lie¬ ben , und alles um seinetwillen, wenn es uöthig wäre, verlassen. Er hat sich deutlich genug als das liebenswürdigste Wesen zu erkennen gegeben, das unsern Geist reizen und ermuntern kann, sich frei¬ willig zu ihm zu erheben. Wie groß, wie schön muß er, der Schöpfer, nicht sepn bey so manuichsaltigcn Schönheiten in der Natur? Wie weise, wie gütig muß er nicht sepn, da er alles so eingerichtet'hat, daß ein jedes ein Beweis seiner gütigen und weisen Fürsorge für uns, und ein Mittel unserer Erhaltung ist? Kann dieses ein Heyde ungerührt betrachten ? — Und wir, mit einer, näheren Kenntniß von ihm be gna- gnadigte Menschen, wir sollten nicht mehr thnn, wir sollten demjenigen, der sich täglich durch neue Wohlthaten gegen uns liebreich erweiset, nicht dank¬ bar ergeben scyn, diesem sollten wir nicht freywillig unsere Liebe und unser Vertrauen schenken? — Was für ein Wohlgefallen er an einem frcywilligen Geiste der Frömmigkeit habe, zeiget er selbst heute ganz deutlich , denn was zeigen jene Worte, die er zu dem aufseincm Angesichte liegenden Samariter sprach, anders an? Hat sich sonst keiner gefunden, der um¬ kehre und Gott die Ehre gebe, denn dieser Fremd¬ ling? Wie zufrieden sprach sein Mund, steh auf, geh hin, dein Glaube hat dir geholfen. So nimmt ein Vater sein Kind, das sich ihm mit freywilligem Gehorsame darstellet, mit ausserordentlichem Ver¬ gnügen auf, und setzet es vor seinen andern Kindern, die sich nur zu ihrer Schuldigkeit zwinge» lassen, in seine Gunst und väterliche Liebe. Wollen wir uns also des Wohlgefallens unscrs himmlischen Vaters am zuverläßigsten versichern, o so müssen wir ihm freywillig gehorsamen, wir müssen freywillig uns vor ihm demüthigen, freywillig zu ihm bekhen, freywil- lia vor ihm gerecht wandeln und fromm seyn, ohne uns erst von einer dringenden Noch dazu zwingen zu lassen. Fünftens endlich, was in dieser wunderbaren Geschichte unsere Aufmerksamkeit noch an sich ziehen kann, ist der wesentliche Unterschied des Glaubens der zehn Aussätzigen. Alle legten einen Beweis von demselben ab, indem sie den Heyland üm die Hei¬ lung ihrer Krankheit bathen, welches ohne Glauben und Vertrauen nicht geschehen konnte. Dennoch ver- Dd - dien- — ( 420 ) — diente nur ein Einziger die Gesundmachung seiner Seele zu erlangen, und ans dem Munde Jesu diese tröstlichen Worte zu vernehmen, dein Glaube hat dir geholfen. Woher kömmt dann also diese Un¬ gleichheit, daß alle Zehn die Heilung ihres Leibes erlangen, nur einer aber die Heilung des Geistes? Meine wcrthesten Christen, sie kömmt bloß von der Ungleichheit ihres Glaubens her. Dieser Fremd¬ ling belebte seinen Glauben durch die Dankbarkeit, durch die Liebe und guten Werke, er wurde daher unter allen nur allein an der Seele gesund. Wollen wir also auch einstens ans dem Munde unsers Hcy- lands diese tröstlichen Worte vernehmen, dein Glau¬ be hat dir geholfen, so müssen wir unser» Glau¬ ben durch gute Werke lebendig zn machen suchen, und demselben durch ein sündhaftes Lebe» keinen Schandflecken anhängen. Wir dürfen nicht zufrieden seyn, die Lehrsätze des Glaubens in derJugcnd aus¬ wendig gelernt zu haben, sondern müssen immer mehr und mehr trachten, unsere Kenntnisse in der Religion zu erweitern und erleuchteter zn machen. Auch darf das nicht genug für uns scpn, daß wir unser» Glaube» verstehen, die neun Aussätzigen ver¬ stunden ihn auch, lebten aber dennoch undankbar gegen Gott. Wir müssen daher nach unserm Glau¬ ben leben, und denselben zur gehörigen Zeit und Gelegenheit bey uns wirken lassen. Wir müssen an seine Grundsätze in der Zeit der Versuchung, bey der Gelegenheit zum Guten, bey den Anfalle» der Un¬ geduld und Aufwallungen des Zorns, u. d. g. ge¬ denken, und müssen nach seinen Vorschriften stets einen tugendhaften, frommen Lebenswandel führen, s» s cha i ) — so werden wir auch verdienen, jene Worte zu Horen, deiu Glaube hat dir geholfen. Sehet, meine werthesten Christen, dieses ist die Sittcnlehre, die uns Jesus durch das heutige Evan¬ gelium geben will. Merket euch dieselbe wohl, und lebet stets nach derselben. Schicket in euren Nöthen mit den zehn Aussätzigen eure Seufzer zu dem Herrn, stehet ihn an mit Thränen um seine Gnade und Er¬ wärmung. Wenn ihr in der Trübsal den Herrn suchet, und ängstlich zu ihm rufet, Jesu, lieber Meister erbarme dich unser, so wird er sich gewiß gegen euch barmherzig erzeigen, er wird auf eure Bitte eilen, eurer Noth zu steurcn, er wird euch von der Tiefe des Verderbens retten, ans welcher ihr zu ihm fchreyct, und wenn er auch euren Glauben und kind¬ lichen Gehorsam eine Zeitlang prüfen sollte, so wie er den Gehorsam der Aussätzigen gcprnfct hat, so wird er dennoch euer Gcbeth endlich in Gnaden er¬ hören. — Wenn er euch aber in euren Wünschen er¬ höret, so seyd nicht von der Zahl jener neun Un¬ dankbaren, die ihren göttlichen Wohlthäter verga¬ ßen, sondern kehret auf der Stelle zu eurem Gvkt zurücke^und sparet nichts, ihm eure Dankbarkeit zu beweise«. Gehet öfters im Glauben zu ihm, eure Huldigung uud Aubethung ihm abzustattcn, und ihm herzliche» Dank für all jene Gnaden zu bringen, mit welchen er euch stündlich überhäufet. Betrachtet ruch stets als Fremdlinge, so wie der Samariter that, und haltet eben danmt dafür, daß alle Gna¬ den, die euch Gott mitthe/ct, euch ganz unverdient gegeben werden. Denn dieses sind die Gesinnungen eines gefühlvollen, dankbaren Christen, der nach D d Z dem -( 422 ) —- -cm Glauben lebt. Erzeiget euch treu und beständig iu dem Guten, welches ihr in den Tagen der Trüb¬ sal von euch blicken liesset. Zeiget, daß euer Glau¬ be und Gebell) aufrichtig und rechtschaffen waren, und daß eure guten Entschlüsse mit der Roth sich nicht endigen. Nehmet die göttliche Hülfe stets mit einem dankbaren Herzen an. Dienet dem großen und güti¬ gen Gott mit einem freywilligen Geiste. Wandelt immerdar in feinem Gehorsam, und haltet die Voll¬ ziehung seines heiligsten und gnädigsten Willens für eure größte Glückseligkeit, so werdet ihr auch ver¬ dienen, am Ende eures Lebens aus dem holden Mun¬ de eures Erlösers jene trostreichen Worte zu hören: steh auf, und gehe hin, dein Glaube hat dich selig gemacht. Amen. Auf den vierzehnten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Matth. VI. 24 —zz. Niemand kannzween Herren -jenen, denn er wird entweder den einen bassen, und den andern lieben, oder er wird einem anhangen, und den andern verachten. Ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mammon. Darum sage ich euch, sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, noch für euren Leib was ihr anziehen werdet. ( 42Z ) werdet. Ist nicht daSLeben mehr, als die Spei¬ st, und der Leib mehr, als die Kleidung? Se¬ het die Vögel unter dem Himmel an, fie säen nicht, sie ärndte» nicht, sie sammle» nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernäh¬ ret sie doch, seyd ihr denn nicht viel mehr, denn sie, wer ist unter euch, der durch seine Sorgen seiner Lebenslange eine Elke zusttzen kann? und warum seyd ihr für die Kleidung sorgfältig? Be¬ trachtet Vie Lilien auf dem Felde, wie sie wach¬ sen. Sie arbeiten nicht, sie spinnen auch nicht, doch sage ich euch, daß auch Salomo in all seiner Herrlichkeit nicht so bekleidet gewesen, wie eines aus denselben. Wenn denn Gott das Gras auf dem Felde also bekleidet, das doch heute steht, und morgen in den Ofen geworfen wird, wie vielmehr wird er daS euch thun? Q ihrKleingläu- bigen! Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen, was werden wir essen, oder was werden wir trinken , oder womit werden wir uns bekleiden. Nach solchem allem trachten die Heyden, denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr dieses alles bedürfet. Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach'seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles dieses zugeleget werden. Dd 4 Suchet — ( 424 ) — Suchet also zuerst das Reich Gotte«, und seine Gerechkig keit, so wird euch alles dieses zugcleget werden Matth- VI. D. zz. Eingang. Nachdem unser Erlöser in seiner vortrefflichen Rede auf dem Berg in Galilaa seinen Zuhörern die Weis und Art zu bethen gelehret hatte, so ermahnte er sie, ihre guten Werke nicht vor den Augen der Menschen, wie die Pharisäer zu thun, sondern wenn sie fasten oder bethekcn, sollten sie cs bloß aus Liebe zu Gott, um diesem höchsten Wesen zu gefallen, thun. Ihre Hauptforgc solle dahin gehen, nicht sich Schätze auf der Erde zu sammeln, welche Motten und Rost zcr- fressen, oder Diebe ausgraben und hinwcgnehmen, fvildern sich Schätze im Himmel zu fammlen, welche ihnen Niemand mehr nehmen könne. Er ermahne sie aber deßwegcn, sagte er, sich im Himmel Scha¬ tze zu sammeln, weil ihr Herz und ihre Hanptab- sicht dahin, und nicht auf irrdifche Dinge müsse ge¬ richtet seyn, denn wo unser Schatz sey, da sey auch unser Herz. Ferner, wenn ihre Absicht rein wäre, so waren auch ihre Handlungen rein, wenn aber die Absichten bey ihren Werken nicht heilig, sondern un¬ edel waren, so taugten auch ihre Handlungen nichts. Denn wenn das Auge, welches die Leuchte des Körpers ist, rein und licht ist, so scheine auch der ganze Körper dem Sehenden hell, taugt aber das Auge nichts, ist es dunkel und finster, so werde auch der ganze Leib dunkel seyn. Nach diesen Worten kam Jesus auf das heutige Evangelium, meine werthesten Christen, das eines der — ( 42L ) — der troilreichesten im ganzen Jahre ist, wo er auf eine recht angenehme, überzeugende und einnehmen¬ de Art seine Zuhörer ermahnet, eine kindliche Zuver¬ sicht auf die gütige Fürsorge ihres göttlichen Vaters im Himmel zu setzen. Sie sollten Gott nur von gan¬ zem Herzen und ungetheilt diene», die überflüssigen Sorgen für das Zeitliche fahren lassen, und das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit vor allem su¬ chen, so werde Gott schon für das Zeitliche sorgen. Sie würden sich durch ein solches vernünftiges Be¬ tragen in Zeit und Ewigkeit glücklich machen. Das gegenwärtige kurze Leben, welches nur ein kleiner Anfang und die erste Kindheit des zukünftigen Lebens ist, solle in ihren Augen deßwcgen von weit gerin¬ gerer Bedeutung seyn, als das künftige, da es mit einer ewigen Dauer gar in keine Vergleichung kom¬ me, folglich au<^ nicht verdiene, daß wir für das- selbige so sorgen, als für das Ewige. Meine werlhcstcn Christen, unsere christlichen Vorfahrer haben vermuthlich dieses vortreffliche Stück der Bergpredigt Jesu in der Kirche vorzulesen und zu betrachten befohlen, zu dieser Zeit, wo wir nnS mit den Früchten auf den Feldern, als dem allge¬ meinen Segen Gottes, vergnügt zu beschäftige» pflegen, damit wir nus zur Betrachtung der Größe Gottes in seiner Fürsorge und zum Vertrauen ans dieselbe ermuntern mögen, so wie es die Absicht Je¬ su war, in demselben seine Zuhörer im Glauben an diese göttliche Fürsicht zu befestigen. — Da die Lehr¬ et, deren sich dieser himmlischeLehrer bedienet, nm die Wahrheit von dieser göttlichen Fürsorge begreif¬ lich zu machen, schon an sich klar, angenehm und D d 5 über- —— s 42 6 ) überzeugend ist, so habe ich heute bey der Erklärung des Evangeliums weiter nichts zu thun, als daß ich euch erstens dieselbe zur Betrachtung verlege, zwei¬ tens aber die Absichten Jesu bey derselben in Be¬ treff unseres sittlichen Verhaltens deutlicher ausein¬ ander sehe. Da diese Materie in allen Vorfällen die¬ ses Lebens so trostreich ist, so wird euch die Ver¬ nunft von selbst eingeben, daß ihr derselben eure ganze Aufmerksamkeit schenken sollet. Erster Theik. Achristus bringt heute verschiedeneBewegungsgrun-- de vor, um seine Zuhörer von den unnützen Welt- sorgen abzuzichen, und sie anzutreiben, daß sie ih¬ re Hauptsorge darauf verwenden, wie sie Gott ernst¬ lich dienen, und ihr ewiges Seelenheil in Sicherheit setzen möchten. Erstens zeiget er ihnen die Unmög¬ lichkeit, mit dem Dienste Gottes den übermäßigen Weltdienst zu vereinigen. Zweitens suchet er seine Zuhörer zu ermuntern, daß sie ihre Hauptsorge auf Gott und das Ewige richten, da er ihnen verspricht, daß, wenn sie Gott eifrig dienen würden, er gewiß für sie sorgen werde. Er zeiget ihnen, daß sie ihr ganzes Vertrauen auf ihn setzen könnten, dieses sähen sie ja daraus, weilGott ihnen größere Gaben, als Kleider und Nahrung schenke, worauf doch die Menschen am meisten besorgt wären, und durch wel¬ che Sorgen sie öfters den Dienst Gottes vernach- läßigten. Drittens zeiget er ihnen die Unnützlichkeit der allzugroßcn Weltsorgcn, da sie ohne Gottes Segen und Zuthun nichts fruchteten. Viertens end¬ lich. —- ( 42/ ) -— lich , zeigt er ihnen die Schändlichkeit dieser unnü¬ tzen Sorgen für seine Anhänger; die Heyden sorgten hauptsächlich für das Hinfällige, weil sie in der Zu¬ kunft nichts bessers hoffctcn, Christen «ber'müßten auf das Ewige ihre Hauptsorge setzen. — Lasset uns nun, meine wertesten Christen, von diesen Bewe¬ gungsgründen einen nach dem andern vernehmen. Niemand kann zween Herren dienen, saA Chri¬ stus im Anfänge unsers Evangeliums, entweder wird er einen hassen, und den andern liefen, oder wird einem anhangen, und den andern verachten. Ihr könnet also nicht Gott dienen und dem Mammon. Ich habe hier nicht nöthig, mich in eine Worterklä¬ rung des Mammons ernzulaffen, da uns die Sache an sich deutlich genug ist, wovon der Heyland in dieser Stelle rede. Wir verstehen nämlich unter die¬ sem syrischen Worte die Schatze diesen Erde, die Reichthümer, so, daß es nach dem Sinne Christi dem Mammon dienen, eben soviel heißt, alsdemJrr- dischen ganz ergeben seyn, all sein ängstliches Trach¬ ten nnd Dichten, all sein Arbeiten und Bemühen, alle Sorge undBekümmerniß bloß dahin richten, wie man zeitliche Güter gewinnen, reich werden, und viele Reichthümer besitzen möge, nnd sich von dem Irrdi- schcn so einnehmen lassen, daß man, so zu sagen, nicht mehr desselben Herr, sondern Sklave sey. — Niemand kann zween Herren dienen, aus diesem bekannten Satze also, denjedcrmann einräumt, zieht der Heyland diese Wahrheit, ihr könnet nicht Gott dienen und dem Mam¬ mon, denn dieses ist der größte Widerspruch der von gewissen, einander eutgegenstehenden Dingen gesagt werden kann. Gleichwie nämlich Niemand sich zu zween — ( 428 ) — zween Herren vermiethen und in Dienst begeben, noch bepden redlich und zugleich, besonders wenn sie sich einander widersprechen, dienen kann, also kann auch ein Mensch nicht zugleich sein höchstes Vertrauen auf Gott und auf den Reichthum setzen, und bcpden den höchsten Dienst erweisen. Wer also zuviel um daS Zeitliche besorget ist, und sein Herz daran hanget, der wird des Dienstes Gottes gewiß vergessen, er wird das Vergängliche mehr lieben und höherschätzeu, als Gottes Gnade und seine ewig daurende Güter. Er wird, um Mtliche Vvrcheile zu erhaschen, keine Ungerechtigkeit scheuen. Er wird bey den vielen zeit¬ lichen Sorgen nicht an Gott und seine» Dienst, nicht an das Gebcth noch au seine Pflichten mit Ernste denken, und wenn er gleich äusserlich Gott etliche Andachtsübungen zu erweisen scheinet, so wird dicß doch bloß ein Zeremonienwerk sepu, da ein Herz, welches von weltlichen Sorgen ganz eingenommen und belästiget ist, keiner achten andächtigen Empfin¬ dung fähig ist. — Des einen Herrn Dienst also, derDienst von Gott oder van der Welt, müsse noth- wendig aufgegeben werden. Zweitens', um seine Zuhörer noch mehr zum Dienste Gottes zu ermuntern, und sie von der skla¬ vische» Anhänglichkeit an die Güter der Erde abzu¬ ziehen , zeiget er ihnen, wie sie nicht nökhig hätten, so ängstlich für ihre Kleidung und Nahrung zu sor¬ gen. Sorget nicht für den Unterhalt eures Le¬ bens, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren.Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr, als die Speise, und der Leib mehr, als die Llerdung? Jesus macht hier — ( 429 ) — hier den Schluß von dem Grösser« auf das Kerikl- gere , da nämlich der allgütige Golt uns wichtigere Güter, als Speise und Trank gäbe, so sollten wir sicher hoffen, er werde nach seiner unendlichen Weis¬ heit, Macht und Güte uns die geringem Güter auch geben. Der Leib sep ja höher zu achten, als seine Kleidung, und das Leben sey wichtiger, als sein Unterhalt, die Speise. Habe uns nun Gott das Leben gegeben, so werde er uns auch dasselbe durch Spciß und Trank erhalten. Habe er uns den Leib gegeben, so werde er uns auch die nöthigen Kleider gestatten, um denselben gegen Hitze und Kalte zu schützen. Er müßte ja kein weiser, kein gütiger Gott seyn, wenn er uns Leib und Leben nur zur Plage gegeben hatte, und uns die Mittel zur Erhaltung derselben versagen wollte. Wir sollten nur in seinem Dienste getreu verbleiben, und die übermäßigen Sor¬ gen für Nahrung und Kleidung fahren lassen, Gott werde schon selbst dafür sorgen, und uns damit ver¬ sehen. Nähret Gott unvernünftige und weit geringere Geschöpfe, als der Mensch ist, fährt Christus wei¬ ter fort, nähret er die unvernünftigen Vögel, deren Schöpfer er ist, wie vielmehr wird er die Menschen «ähren, deren Vater, und zwar unendlich zärtlich lie¬ bender Vater er ist. Schauet auf gen Himmel, se¬ het die Vogel der Lust, sie säen nicht , sieärnd- ten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und dennoch ernähret sie euer himmlischer Va¬ ter. Seyd ihr denn nicht vielmehr denn sie? — Hat der allgütige Gott so weise Einrichtung gemacht, daß die unvernünftigen Thiere leben können, und eia — < 4Z0 ) — ein jedes nach seiner Natur die gehörigen Lebens¬ mittel findet , sollte er wohl als der Vater der Men¬ schen, für diese vernünftigen Kreaturen, für diese seine Kinder, wenn sie ihm redlich dienen, nicht mehr sorgen? — Sind sie nicht vorzüglichere Ge¬ schöpfe, als jene?— Wie kann man an ihrer Ver¬ sorgung zweifeln? — Nach seiner Macht kann ers thun, und nach seiner Güte und Erbarmung will ers thun. Schauet die Lilien auf dem Felde. Nun kömmt Jesus von den unvernünftigen Thieren auf die Blu¬ men und Gewächse der Erde, und nimmt auch von diesen einen Bewcgungsgrrind, seine Zuhörer zum Vertrauen auf die weise Fürsorge Gottes zu ermun¬ tern. Schaust die Lilien und Blumen auf dem Felde, wie sie wachsen, sie arbeiten nicht, fpim nen auch nicht, und dennoch sind sie auf das schönste gekleidet, ja, man kann sicher sagen , daß Salomo, dessen Hofstaat doch der glänzendste in Israel war, mit all seiner Herrlichkeit nicht so gekleidet gewesen, als eine einzige derselben. Der prächtigste König kann mit all seiner schönen und kostbaren Kleidung , in seinem königlichen Pur¬ pur und Pracht lange nicht der Schönheit und den glänzenden Farben der Blumen beykommen, da es ausgemacht ist, daß die größte Kunst die Natur niemals ganz nachahmcnwird. — wenn denn Gott dieBIumen und das Gras aufdem Felde fopriich- tig kleidet, dag doch heute dasteht, und morgen in den Mfen zur Hcitzung geworfen wird, wie vielmehr wird er euch das thun, und euch mit 110- thigen Rleidern versehen? Wie sollte er den Men¬ sch en ) — schen vergessen können, den er so sehr liebt? Wie sollte er seine Kinder nicht speise« und kleiden, wenn er so viel an den Vögeln und Blumen thut? — Be¬ trachtet dieses wohl, und nehmet es wohl zu Her¬ zen! Und betrachtet noch drittens', sagt Christus, wie unnütze, wie vergeblich eure Sorgen sind. DOer ist unter euch, der durch seine Sorge» seiner Län¬ ge eine Elle zusetzsn kann? Und warum seyd ihr für die Kleidung und Nahrung sorgfältig ? So wenig nämlich ein Mensch durch all seine Sorgen sein Leben auch nur um das Geringste verlängern könne, da Gott die Zahl unserer Lebenslage bestim¬ met, die wir zwar verkürzen, aber auf keine Weise verlängern können, und so wenig ein Mensch der Länge seines Körpers durch seine Sorgen eine Ette zusetzen könne, da ein Kleiner durch all sein Sorgen und Bekümmern nicht nm das Geringste größer wer¬ de, so unmöglich sey es, durch ängstliche Sorgen für das Zeitliche etwas zu gewinnen, so wenig werde der Mensch durch sein ängstliches Bestreben und Be¬ kümmern sich die Nahrung und Kleidung, ohne Got¬ tes Zuthun, verschaffen können. Vergebens werde der Mensch , dem Gott wenige Güter' bestimmet, sch abhäemen und kümmern, vergebens werde er sorgen, und Tag und Nacht arbeiten, um dadurch ein gro¬ ßes Vermögey zu gewinnen, wenn Gott nicht selbst für ihn sorget. — Nachdem nun der Heyland seinen Zuhörern auf diese einnehmende und überzeugende Art diese Vor¬ stellungen gemacht hat, so zeiget er ihnen noch vier¬ tens ( 43- ) lens die Schändlichkeit -er unnützen Weltsorgen, und spricht ihnen Much ein, auf die weise und gü¬ tige Fürsorge Gottes zu vertrauen, er bemühet sich, mit der Sprache der Zärtlichkeit sie aufzurichten, die mau noch in diesen Worte» zu hören glaubet, welche er darauf zu ihnen sprach: O ihrRlein- gläubigen! Sorget also nicht so ängstlich für das Vergängliche, sprechet nicht sorgfältig, was werde» wir essen, oder was werden wir trin¬ ken, und, mit was werden wir uns kleiden? Nack solchen allen trachten die Aeyden, die nur dieses Leben erkennen, folglich ihr ganzes Glück im Ueberfluße der Speisen, in kostbaren Getränken und andern irrdischen Gütern suchen, die Gott den Herrn nicht recht erkennen, und nicht viel von seiner güti¬ gen Fürsorge wissen, kein Wunder also, wenn die¬ se jede Nolh und Bedrängniß im Zeitlichen in ängst¬ lichen Sorgen, in Schrecken und Verzweiflung stür¬ zet; hcydnisch also ist es, seine vornehmsten Wün¬ sche und Sorge» ans das Vergängliche setzen. — Euch aber, die ihr Gott kennet, und wisset, daß er für die Seinigen sorge, steht es nicht zu, so ängstlich euch zu bekümmern, und euer Herz an das Zeitliche zu hängen, ihr wisset ja, daß euer himm¬ lischer Vater all eure Bedürfnisse kenne, daß er weit besser, weit vollkommener und weit eher, als ihr, wisse, was euch mangelt, und was für euch gut ist. Darum lasset diesen Allwissenden, diesen Allmäch¬ tigen und Attgütigen dafür sorgen, und richtet eure bessere und nöthigere Sorge auf das Reich Gottes, sorget für eure Seelen, daß diese nicht darben und verschmachten. Suchet zuerst »nd vor allen Dingen daö ( 4ZZ ) düs Reich Gottes, Und seine Gerechtigkeit, wen¬ det die nöthigcn Mittel an, dieses zu erlangen, die - in einem vollkommenen Gehorsam gegen Gott und in einer treue» Beobachtung seiner Gebothe bestehen, Und alles übrige soll euch alsdann beygeleget werden. Alle zeitliche Nothdurft eures Lebens wird' euch alsdann gewiß gegeben werden, wenn ihr für das Heil eurer Seele sorget, und auf den Dienst, , Gottes eure Hanptsorge richtet, denn Gott wird da- Zeitliche als etwas Geringers zu -en größer« un¬ wichtiger!, Gnadengütcrn alsdann ohne Zweifel bey- legen. Dieß wäre nun alles, weine werthcsten Chri¬ sten, was ich euch zur Erklärung unsers Evange¬ liums zu sagen hätte. Vernehmet anjetzt die Absich¬ ten Jesu bey demselben in Betreff unserö sittlichen Verhaltens in dem Zweyten LH eile. Aie Absicht Christi in diesem Evangelium geht da¬ hin, uns eine drcyfache ernstliche Ermahnung zn ge¬ ben, erstens, daß wir uns bestreben, Gott allein, nngetheilt, von ganzem Herzen zu dienen. Zwei¬ tens, daß wir unsere Hauptsorgen, Absichten und Anstalteu nicht aufdas gegenwärtige, schnell vorüber¬ gehende, sondern auf das zukünftige, ewig danken¬ de Leben richten? Und drittens, damit wir nicht von diesem wichtigsten Geschäfte durch die so nöthig scheinenden Sorgen und Bekümmernisse deS gegen¬ wärtigen Lebens abgehalten würden, so ermahnet er Uns, daß wir auf die allmächtige und allcrgütigstr Erklär, d. Evang. II, Ehl, E e 8m- — < 4Z4 ) — Inrsicht unsers himmlischen Vaters ganz vertrauen sollen, als dessen ewige Weisheit und Liebe die klei¬ nen zeitlichen Bedürfnisse allen denjenigen gewiß mil¬ theilen werde, die ihm mit Aufrichtigkeit dienen, und mit allem Fleiße nach dem Ewigen trachten. Erstens also ermahnet uns Christus, Gott al¬ lein und von ganzem Herzen zu dienen. Die Liebe Gottes und der Welt, die indischen und himmli- 'schen Absichten können nicht mit einander bestehen, da beyde den ganzen Menschen fordern. Niemand aber zween Herren diene» könne, die einander so sehr zu¬ wider sind, als Gott und die Welt. Der Christ müsse also durch eine kluge Wahl, es koste auch was es im¬ mer wolle, lieber alles zeitliche hintansetzen, um seinem Gott wahrhaft zu dienen, als vieles auf der Welt zu gewinne» suchen, und seinen Gott verlieren. Noch weniger könne der Dienst Gottes und der Dienst der Sünde und des Teufels bcpsammeu stehen, ihr könnet nicht Gott nnd dem Mammon dienen, cs sey das atterungercimteste und allerunvcrnünftigste, das ein Mensch unternehmen könne, wenn erden Dienst der sündhaften Welt mit dem Dienste des Allerhöchste» vereinbaren, nnd zween so verschiedenen Herren zu¬ gleich dienen wolle, es sey das allerunvcrnünftigste, wen» der Unkeuschc, der Wollüstige, der Geitzige, der Hochmüthige, der Verlanmder, der Säufer geden¬ ke, er könne bey seinem sündhafte» Leben Gott die¬ nen und ein guter Christ sey«. Solche sollen wissen, daß, wenn sie Gott dienen wollen, solches mit un- gctheiltemHcrzen geschehen müsse, m»d daß sie, nach dem ersten und größten Gebothe, Golt vvu ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüthr und -- ( 4ZF ) -°- und aus allen Kräften lieben müssen. Der Geizige hänge aber sein Herz nur an seine Güter und Reich- thümcr, der Wollüstige an das, was seinem Fleische und Blute schmeichelt, der Hochmüthige, was sci^ ner hohen Einbildung Nahrung gibt, und so von andern, die der Sünde dienen, zn reden. — Es sey also ein wahrer Widerspruch, wenn sie sagen wollten, sie diencten auch Gott. Wir sollen also klug sepn, dieses einsehen, und unserm Gott von gan¬ zem Herzen allein anhangcn, folglich auch bereit seyn, ihm zu Liebe in der Welt alles zn verlaugncn, und lieber alles, als ihn und seine Huld zu verlie¬ ren; und da diese Zeit der Zubereitung zur Ewigkeit kurz und ungewiß ist, so sollen wir unsern Fleiß und Eifer verdoppeln, und jeden Augenblick der kostba¬ ren Zeit zum Dienste Gottes sorgfältig verwenden. Zweytens ermahnet uns heute Christus, daß das kluge Verfahren aller Bekenner seiner Lehre da¬ rin» bestehen müsse, daß sie ihre Hauptabsicht und Hauptsorge auf das zukünftige bessere Leben richten. Seine Ermahnung ist hierum klar und ausdrücklich, trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und an einem andern Orte befiehlt er, ihr sollet euch Schätze sammeln, nicht aufErden, sondern im Himmel. Wenn wir also, meine lieben Christen, nach dem Sinne des Evangeliums Weisheit und wahren Verstand zei¬ gen wollen, so müssen wir bcy allen unsern Handlun¬ gen auf das Zukünftige sehen, und das gegenwärti¬ ge Leben so anwcnden, daß es der Grund zu einem zukünftigen bessern Leben werde; ^wir müssen bey dem Gebrauche und Genüsse des Gegenwärtigen das Zn- E c 2 künftige r 4Z6 - Kuftige m'emals aus -m Angen setzen - «m nicht in der langen Ewigkeit einstens zu darben, wir muf¬ fen gedenken, daß das zukünftige Leben unstreitig un¬ sere allerwichtigste Angelegenheit sey, folglich, daß wir alsdann weise und klug handeln, wenn wir in der gegenwärtigen kurzen Zeit solche Zubereitungen und Anstalten machen , daß es uns in dem darauf folgenden ewigen Leben wohlgehe, und wir allda kei-- «e Urfache einer späken.Reue finden, wir müssen be¬ denken , daß, so klug sich auch immer die Kinder der Welt in ihrem Geschlechte, in ihren Absichten und Einrichtungen denken mögen, es doch immer wahr bleibt, daß derjenige, der nicht für seine Seele und für seine Ewigkeit sorget, der höchst unglücklicheThor fey. Gesetzt auch , er erreichte in den wenigen Ta¬ gen seines so schnell vorübergehenden Lebens, den Zweck aller seiner Wünsche, und wäre seiner Mep- rmng nach der vergnügteste Mensch auf Erden, was würde ihm dieses alles nützen, wenn er hernach jen¬ seits deS Grabes nichts als Pein und Reue fände? Was Hilst es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet. Mit «achdrücklichen und vielbedeutenden Worten ermah¬ net uns daher Christus, vor allem das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit zn suchen, unfern zukünfti¬ gen Zustand zu unserer Hanptabsicht und unserem Hauptverlangen zu machen, und dieses so ernstlich, -aß wir demselben alle andere Absichten und Verlan¬ gen aufopfern, weil uns unendlich mehr daran gele¬ gen sey« muß, daß es «ns m der Ewigkeit besser ergehe, als in dies« Welt. Um "°°° ( 4Z7 ) Unr sbe^diese AbsichtJesu hler recht zu verstehe», dürfet ihr euch nicht «»bilden, meine lieben Christen, Laßer, indem er von uns eine beständige Zubereitung zu dem künftigen ewigen Leben fordert, dieMeynung habe, als wenn wir alle zeitliche Geschäfte Zeystits» setze» sollten. Nein, dieses fordert er nicht von uns, sondern nur, daß wir bey unseren irrdischeu Geschäft rem uns nicht mit unnützen Sorgen und Kummer pla¬ gen, und all unsre Sorgen und Verrichtungen unsers zeitlichen Berufes so einrichten, daß unser ewiges Wohl dadurch nur keinen Schaden leide. Es ist Pflicht für nns Christen, auch unsre zeitlichen Geschäfte und Arbeiten jmit Treue und Redlichkeit z» verrichten, «brr diese unsere irrdischen Berufsverrichtungen dür¬ fen wir nicht als unser Hauptgeschäft ansehe», dazu wir allein geschaffen und bestimmt waren, sondern wir müssen dieselben nur als Nebenvcrrichtimgen auf unserer Reise nach der Ewigkeit betrachten, und alle so verrichten, daß sie uns nicht allein an uuftrm ewi¬ ge» Heile nicht hindern, sondern auch die Ehre Got¬ tes und den Nutzen unserer Mitmenschen, unserer Rei¬ segefährten, bestmvglichst befördern. Drittens, damit uns aber die Welt-sorgen an dem Dienste Gottes und an dem Geschäfte unsers ewigen Heils nicht hinderlich seyn mögen, so ermahne! uns Christus diese Sorgen zu mäßigen , und unser Ver¬ trauen auf die mächtige und gütige Fürsicht GotteS in allem zu setzen. Um in uns dieses Vertrauen aber zu erwecken, halt er sich länger bey dieser Materie auf, und zeiget uns klar und anschaulich, wie überflüßig, wie unnütz, ja schändlich unsere ängstlichen Nahrungs- ssrgen und Bekümmernisse seyen, wie sie ohne alleWir- E e Z kung — ( 4Z8 ) — kung in Absicht auf unsere Erhaltung , und wie wir dabcy nicht das Geringste ausrichten. So wie die Zahl unserer Lebenstage und die Grösse unftrS Kör¬ pers von Gott bestimmt ist, so sey auch unser Loos auf dieser Welt von einer ewigen Weisheit bereits eingerichtet und bestimmet, und es sey ohne uns schon dafür gesorgt, wie viel von zeitlichen Gütern, Ehren und Vergnügen wir auf unserer Reife nach jenem bes¬ seren Leben haben sollten, so, daß wir mit all unser» Sorgen, Kummer und Gram weder mehr noch we- niger.bekommcn würden. Gott, der allein die Welt regieret, und dessen Kinder wir sind, habe schon für alles dieses geforget. Jesus zeiget uns bcynebens, wie unschicklich, wie unanständig, ja schändlich für einen Christen solche übermäßige Weltsorgen ssyen. Nach solchem allem trachten die Heyden, die in der Finsterniß, in der Un¬ wissenheit leben, und weder von dem Allerhöchsten Wesen, von desselben weifen Fürsicht und Vaterliebe gegen die Menschen recht deutliche und gesunde Be¬ griffe, noch von dem zukünftigen bessern Leben hin¬ längliche und überzeugende Erkenntnisse haben. Sol¬ chen Menschen, wie die meisten Heyden sind, die nach ihrer Meynung nur für die kurze Zeit des gegenwär¬ tigen Lebens geschaffen, und über das Grab hinaus, wie sie sich einbildcn, keine Hoffnung und Erwartung ^aben, solchen blinden heydnischen Gemülhern können rrrdische Sorgen und Kümmernisse, als eine Strafe ihrer Thorheit, zu ihrer eigenen Pein überlassen wer¬ den. Allein Christen, die von der allgemeinen weiss¬ sten Fürfehung Gottes eine fo herrliche Kenntniß ha¬ ben, denen der überaus tröstliche und große Begriff geoffen- - — ( 4ZY ) -°- geoffenbaret worden , daß sie Gott als ein Vater lie¬ be, und sie zu einem bessern Leben bestimmet habe, diesen Kindern der Vorsehung seyen ängstliche Nah-- rungssorgen eben so unanständig, als einem kleinen Kinde unanständig seyn würde, wenn cs sich mit der Sorge quälen wollte, ob seine Eltern ihm noch mor¬ gen Brod und Nahrung geben würden. Euer himm¬ lischer Vater rveis, daß ihr dieß alles bedürfet, er weis es,, und dieß fey genug zu eurer Beruhi¬ gung; o ihr kleingläubigen! Wir sollen uns also, meine lieben Christen, über¬ all und in allem auf die weise und gütige Vatersorge Gottes verlassen. Diese allgemeine und überall wirk¬ same Vorsehung Gottes sorge selbst, und zwar ganz allein, für die Bedürfnisse aller Geschöpfe, und ins¬ besondere der Menschen. Wir sollen nur unsere Au¬ gen öffnen, und die Werke der Natur betrachten , wir würden überall Spuren der göttlichen Weisheit und Güte sehen. Wir sollen die Vögel in der Luft betrachten, so wie sie der Schöpfer ernähre, so werde er auch uns die Nahrung nicht versagen. Wir sollen die Lilien nnd das Gras auf dem Felde betrachten, wie schön sie gekleidet, welche schöne Farben sie zieren, und wir könnten mit größerer Zuversicht auch unsere Kleidung von dem Schöpfer erwarten. Hat die Weis¬ heit und Güte Gottes an geringe Geschöpfe so viel verwendet und gleichsam verschwendet, was werde an uns edler» Geschöpfen, die wir das Bild Gottes an uns tragen, nicht erst geschehen ? Der Gott, der Vieh und Raben nähret, werde gewiß uns Mensche» nicht unbesorgt lassen. Wir sollen aus seiner uner¬ schöpflichen Schatzkammer, daraus alle Kreaturen E e 4 ihre» —- ( 440 ) ---- ihren Unterhalt bekommen, auch unsere Nahrung und Kleidung erhalten, wenn wir ihm nur mit aufrichtig gem Herzen dienen , nach seiner Vorschrift das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit vor allem und in allem suchen. Welche schöne, herzerhebende Lehre ist nun die¬ ses, meine werthesten Christen! Wer kann diese be¬ trachten, ohne zur Liebe und zum Vertrauen aufGott ganz hingerissen zu werden? Wie vortrefflich ist nicht unsere Religion, welche uns so erhabene, und zugleich so trostreiche Begriffe von Gottes milder Vatersorge über uns mittheilet? Welchen Dank sind wir nicht uuserm großen Mittler schuldig, daß er uns ein so Helles Licht in einer so trostreiche» Lehre von dieser göttlichen Fürsicht angezündet, wodurch wir in den verwirrtesten Umständen der Welk, da den Leuten auf Erden bange wird vor Furcht, Schrecke» und Sorgen, ganz unbewegt und mit einer ruhigen Ge- müthsvcrfaffung auf jene unsichtbare Hand Hinsehen können, welche die Welt regieret, wohlfeile und theu- re Zeiten bestehlt, und alles zu seiner Verherrlichung und zu uuserm Nutzen hinausführet? Welchen großen Dank, sage ich, sind wir nicht unserm Erlöser schul¬ dig, der uns heute diese erhabene Lehre, auf eine so schöne, so deutliche, so angenehme und rührende Art vorgetragcn hat? O lasset uns dieselbe niemals ver¬ gessen , sondern sie tief unserem Herzen eindrückcn, und uns ihrer in allen Vorfällen dieses Lebens stets erinnern. Mag es uns gut oder übel gehen, so lasset Uns gedenken, es walte über uns ein Gott, der alles dieses über uns verhänget. Wenn wir die Vögel un¬ ter dem Himmel in ihrer Zufriedenheit, und die Blu¬ men —( 44 1 ) »E» men aufdem Felde in ihrem Schmucke unter der mil^ den Fürsorge des Schöpfers erblicken , so lasset uns gedenken, daß wir als edlere Geschöpfe einen größer» Anspruch auf diese besondere Fürsorge Gottes haben. 'Lasset uns gedenken, so lange der Vogel in der Luft, der nicht säet noch arndet, sein Futter findet, und so lange die Blume mit ihren Farben die Fluren schmü¬ cket, so lange werde derMensch . als der besondere Gegenstand der Weisheit und Güte Gottes in der Schöpfung, seinen zeitlichen Unterhalt auch finden. Und da Jesus selbst aus dem Reiche der Natur diesen Beweis der Fürsorge Gottes nimmt, so lasset uns hierin» nicht gleichgültig seh», sondern bey der Betrachtung jeden Geschöpfes, das um uns ist, zur Betrachtung des Schöpfers anfsteigen. Denn ans den wannichfaltigen Werken seiner unendlichen Allmacht, Weisheit und Güte lernen wir den großen Schöpfer kennen, seine Werke können wir als einen Spiegel seiner Vollkommenheiten anschen , die verschiedenen Arten und Geschlechter der Geschöpfe, ihr Zweck und Ansehen, ihre Erhaltung und Versorgung lehren uns feine Weisheit und gütige Fürsicht bewundern, die sich uns auf die mannichfaltigste Art offenbaret. Die Schönheit der Natur lehret «ns auf die Schönheit des Schöpfers schließen, jeder Tag, jede Jahreszeit gibt uns Gelegenheit, an diese gütige Fürficht Got¬ tes zu denke», im Winker sehen wir die Natur aus¬ ruhen , und sich zur neuen Fruchtbarkeit vorbereiten, im Frühling scheu wir die Welt gleichsam wiederum aufieben, sie erquicket uns allda mit der vergnügte« sten Hoffnung reicher Aerndten von so mancherlcy Früchten zu unserer Erhaltnng, wir erblicken als- C e L dann s 442 ) —- dann in den Fluren, an den Hügeln irnd in dm Wäldern die Fußstapfen dieser väterlichen Sorge Gottes für uns. Im Sommer und Herbste, wen» die Zeit der Reife kömmt, wo wir unsere Hände mit diesem Segen füllen, sollen wir mit dankvvllem Her¬ zen an die Worte Jesu denken, euer himmlischer Vater nähret sie, sevd ihr dann nicht vielmehr als sie? — O wie weit vergnügter würden wir unser Leben hinbringen, wenn wir bey Betrach¬ tung der Welt, dieses Schauspieles der Macht, Gü¬ te und Weisheit Gottes, das Andenken der göttli¬ chen Fürsorge in uns öfters erneuerten, welches Vertrauen auf Gott würde unser Herz nicht einneh¬ men, und welchen häustgen Segen würden wir uns nicht durch ein solches Betragen vom Himmel herab¬ leiten ? Sehet also, meine werthesten Christen, auf die¬ se Weise muß unser Verhalten gegen Gott eingerich¬ tet siyn, wenn wir den Absichten Jesu, beym Ver¬ trage der heurigen evangelischen Lehre, gemäß le¬ be» wollen. Merket euch dieses wohl, es wird euch m Zeit und Ewigkeit glücklich machen, setzet jeder¬ zeit eure Hauptsorge, nach der Ermahnung Jesu, aufdas Geschäft eurer Seele, trachtet vor allem nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, richtet enrg, vornehmste Sorge auf das zukünftige Leben, gedenket, daß ihr geschafft seyd zu einem Leben, das weit glücklicher und vergnügter seon wird, als das gegenwärtige immer sepn kann, daß euer Glück und Theil nicht nach dem Ziele dieses irrdischen Le¬ bens , sonder» nach Ewigkeiten bestimmt sey , wen¬ det also eure beßteu Begierden dahin, um euch allda glück- — ( 443 ) — glücklich zu machen, um eure Seele, dieses vortref¬ fliche Kleinod, das mit dem kostbaren Blute Jesu so theucr erkaufet worden, ewig zu bewahren. — Dieß ist das Einzige und Nothwendige, von welchem Jesus beym Lukas im roten Kapitel redet. Alles andere, wenn es gleich noch so nothwendig scheinen sollte, ist minder nothwendig, und gehöret unter das Zufällige dieses Lebens; ihr könnet arbeiten, essen, trinken, die Güter dieser Erde geniesten, aber ihr könnet dieses nicht mit Segen, noch mit ruhigem Gewissen thun, wenn ihr nicht nach dem Reiche Gottes, und nach dem Besitze einer unaufhörlichen Glückseligkeit trachtet. Meine werthesten Christen! trachtet also zuerst nach dem Reiche Gottes und seiner Gerechtigkeit, und alles übrige wird euch bevgeleget werden. Wisset aber, was Paulus in feinem Briefe an die Römer i4ken Kap. sagt: daß das Reich Gottes nicht im Essen und Trinken, sondern in der Ge¬ rechtigkeit, in Frieden, in der Freude tzes hei¬ ligen Geistes, und in dem, was den Nächsten erbaut, bestehe. — Lasset euer Hauptgeschäft die Sorge für eure Seligkeit scyn, trachtet Tag und Nacht darnach, daß ihr Gott fleißig dienet, und als fromme Kinder stets gerecht vor ihm wandelt; denn nur die wahren Kinder Gottes können auf die zärtliche Fürsorge ihres himmlischen Vaters ein wah¬ res Vertrauen setzen. Lasset bey all euren Arbeiten zu Hause, auf dem Felde, in Gesellschaft und in der Einsamkeit Gott niemals aus den Augen, hütet euch mit aller Sorgfalt vor jeder ktebertretlnng sei¬ ner Gebothe, und führet euch bey alle» euren Ver« rich- —' s 444 ) Dichtungen treu und redlich auf. — Auf solche Weift werdet ihr nach dem Reiche GotteS trachten, und euch um das Zeitliche nicht gramen, noch ängstlich sorgen dürfen, sondern euer Vertrauen auf den Schö¬ pfer setzen, und euch ganz seiner Führung überlassen können. Er, der euch das Leben und Athem gegeben, wird euch auch die Nahrung und Kleidung geben. Sein göttlicher Sohn selbst hat euch heute versichert, daß ihr alles von seinem zärtlichen Vatcrhrrz er¬ warten könnet, daß er genau eure Roth und Be¬ dürfnisse wisse, daß ihr aus dem unermeßlichen Reich- Ihume seiner Güte alles erhalten werdet, kurz, daß er ganz väterlich für euch sorgen werde, wenn ihr ihm als seine frommen Kinder getreu dienet, die Pflichten eures Standes erfüllet, und euer ganzes Vertrauen auf ihn setzet. . Meine lieben Christen , erinnert euch nur öfters au diese tröstliche Worte eures Heylandes im heuti¬ ge« Evangelium. So oft khr die unvernünftigen Thiere und königlich geschmückten Blumen auf dem Felde, in den Wiesen und Gärten betrachtet, gebest- kct, daß der liebe Gott, der diese Geschöpfe so wohl besorget, auch euch nicht vergessen werde, daß ihr von ihm, dafern ihr auf das Vornehmste, was eu¬ er Heyland euch erworben, auf das Reich seiner Gnade und Glorie nämlich eure Hauptsorge richtet, ihr von ihm zeitlich und ewig bestens werdet versor¬ get werden. Amen. Auf t 44L ) , Auf -en fünfzehnten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. VII. n —16. Es begab sich, daß Jesus in eine Stadt gieng, welche Naim genannt wird, und seine Jünger und viel Volk giengen mit ihm« Als er aber nahe an bas Stabtthor kam, sieh, da trug man ei¬ nen Todte» heraus, der der einzige Sohn feiner Mutter war, nnd sie war eine Wittwe-, Und viel Volks aus der Stadt gieng mit ihr» Und da sie der Herr sah, jammerte ihn derselben, und sprach zu ihr: weine nicht. Und ec trat hin¬ zu, rührte den Sarg an, die Träger aber stun¬ den still. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf. Und der Todte richtete sich auf, und sieng an zu reden, und er gab ihn seiner Mut¬ ter. ES kam sie alle aber eine Furchtan, und sie priese» Gott, und sprachen: es ist ein gro¬ ßer Prophet unter uns auferstanden, und Gott hat fein Volk heimgesucht. Jüngling, ich sage dir, steh auf. Luk. 7. D» r^« Eiq- ------ ( 446 ) ----- Eingang. Aieses ist jenes Machtwort, mit welchem unserEr- löser den todten Jüngling zu Naim zum Leben er¬ weckte. Welch ein herrliches Wunder, meine wer- thesten Christen! Welch eine außerordentliche Wnn- derkraft wird nicht dazu erfordert, einem Verstorbe¬ nen befehlen zu können, daß er auf der Stelle zum Leben znrückkehrc? — Konnte wohl der Erlöser den Juden ein klareres und nachdrücklicheres Zeichen ge¬ be», daß er der Sohn Gottes sey, als diese, durch eigene Macht bewirkte Erweckung eines Todten zum Leben? Ein einziges solches Wunder vor einer gro¬ ßen Menge Volks, wie dahier versammelt war, mir eigener Kraft gewirket, ist dieses nicht im Stande, die Gottheit Jesu sonnenklar darzuthun? - Christus scheinet auch in dieser Absicht dieses Wunder gewir- kct zu haben, denn, nachdem er des Hauptmanns Knecht zu Kapcrnaum gesund gemacht hatte, so gieng er, wie anS des heiligen Lnkas Erzählung erhellet, darauf nach Naim einer kleinen angenehmen Stadt in Galilaa, ungefähr zwölf Meilen von Jerusalem entlegen, seine Jünger begleiteten ihn, und eüm große Menge Volkes zog ihm nach. Als er nun an dem war, in die Stadt Naim cinzugehen, so be¬ gegnete ihm unter der Stadkpforte die Leiche eines jungen Mensche», den man aus der Stadt zum Be- gräbnißorte hinaustrng. Durch das Weinen der tief¬ gebeugten Leichengäste, besonders der betrübten Mur¬ rer herzinnigst gerührt, weckte er diesen todten Jung ling zum Leben, da er sein göttliches Kraftwort er¬ tönen ließ: Jüngling, ich sage dir, steh auf. Die- —- ( 447 ) Diefts herrliche Wunder machte auch im ganzen Lande so viel Aufsehen , daß bald nach demselben die Jünger Johannis, von welchen vielleicht etliche Augenzeugen dieser Auferweckung gewesen waren, und es ihrem Meister erzählet hatten, zu Jesu kamen, und ihn auf Befehl Johannis fragten, ob er nicht der Meßias fey, den man so lauge schon in der Welt erwartete. — Jesus berief sich in seiner Ant¬ wort auf die Auferweckung dieses todken Jünglings, indem er den Gesandten Johannis sagte: gehethin, und kündiget es eurem Meister an, was ihr bey mir gesehen und gehöret habt: die Blinden se¬ hen, die Nahmen gehen, die Aussätzigen werden gereiniget , die Tauben Horen, die Todten ste¬ hen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. Wodurch er ihnen zu verstehen geben wollte, daß sie nichts als seine Wunder dem Johan¬ nes erzählen sollten, dadurch würde er gleich verste¬ hen, wer er scp, und wen er an ihm zu verehren habe. Da nun dieses Wunderwerk so herrlich, nnd Christus sich selbst bey der Gesandtschaft Johannis darauf berief, so verdienet es gewiß, daß wir über dasselbe heute eine reifere Betrachtung anstelle«. Wir wollen demnach anjetzo dieses thun, und im ersten Predigtthcile diese wunderbare Auferweckung des Jüngling von Naim an und für sich selbst betrachten, hernach wollen wir im zweytenTheile sehen, was für Lehrstücke uns Christus durch dieselbe geben wollte. Vernehmet bepdes recht aufmerksam. Erster § 448 ) ErsterLheil. Mer -er Jüngling gewesen, von dem heute Zit j Rede ist, daß er in dem Städtchen Naim gestorbcu, wie sein Name, sein Stand und Herkommen gewe¬ sen, dieß ist uns alles unbekannt, meine werthesteii Christen; so viel wird nur im Evangelium gesagt! daß er der einzige Sohn einer Wittwc gewesen , die ohnehin schon betrübt genug wak- weil sie ihren Ehegatten verlohrcn hatte. Ls begab sich, sagt un¬ ser Text, daß Jesus in eine Stadt gieng, welche Naim genannt wird, und seine Jünger und viel Volk giengen mit ihm. Als er aber nahe an da« Gtadtthor kam, sieh, da trug man einen Tod» ten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Wittwe. JcsuS kam zwar dem äußerlichen Scheine n,ach ungefähr an das Stadt- thor von Naim zu eben der Zeit, als sich diese trau« rige Begebenheit allda ereignete, allein es war alles mit Fleiß und weisester Fürsicht von ihm so einge¬ richtet, daß er in eben dem Augenblicke allda ein» traf, und das Stadtthor erreichte, als man dir Leiche dieses Jünglings heraustrug. Er, der den To- feines Freundes Lazarus in der Ferne wußte, wußte auch den Tod dieses Jünglings, ihm war bekannt, daß zu Naim Thränen, bittere Thränen bcy einer Wittwe flössen, die ihren einzigen Sohn verlohrcn hatte, de» sie noch sehr nökhig gehabt hätte, uM sich in ihrem Wittwenstande durch seine Hülfe und seinen Bepstand in der Welt fortznbringen, ihm war bekannt, daß der Verlust bedaurens - und bejam¬ mernswürdig ftp, den diese Wittwe bey dem Tode ihres — ( 449 ) — ihres Sohnes erlitten, da sie die einzige Stütze und den Stab ihres Alters verlohrcn, worauf sie sich noch in ihrer Unvermögenheit und Schwachheit hatte ver¬ lassen können. Auch die Stadt Naim sah es ein, daß die Um¬ stände dieser Mutter äußerst betrübt und hcrzrührend wären, denn es gieng deswegen sehr viel Volks aus derselben mit dem Leichenbegängniß dieses Jünglings, theils um dem Verstorbenen die letzte Ehre und Lie¬ be anzuthun, rheils um der betrübten, leidtragen¬ den Mutter ihr herzliches Beplcid zu bezeigen. — Eltern können sich einigermassen einbilden, wie eS dieser verlassenen Mutter ums Herz gewesen, denn wie groß ist nicht ihr Schmerz, wenn sie eines ihrer Kinder, wenn sie gleich deren mehrere haben, ver¬ lieren? Wie weit größer ist der Schmerz, wenn sie uur ein einziges Kind haben, und der Tod cs ih- nen entreißt? Wie betrübt waren erst die Umstände dieser von Schmerzen tiefgebeugten Mutter, da sic nun eine von allem verlassene Wittwe war? Ihr einziger Sohn, ihre ganze Hoffnung war dahin, seine Augen waren geschlossen, und schienen für all¬ zeit geschlossen zu sepn , er war des Todes erblichen, jedermann war von der Gewißheit seines Todes über¬ zeuget , niemand konnte ihr hierin« helfen, sie war nun von allen verlassen. — Man hatte schon die Leiche ihres geliebtesien Sohnes in den Sarg gele- get, die Freunde und Bekannte hatten sich bey dem Trauerhausc versammelt, ja, die Leiche wurde schon unter vielem Heulen und Weheklagen von dem Hause fvrtgetragen, um dieselbe äusser der Stadt zu brin- nuw.r. d. Evang. II. lh. L f aen, gen, denn bey den Inden waren dieBegrabnißstattL alle ausserhalb der Dörfer und Städte. v Der Leichenzug war wirklich schon unter dem Stadtlhore, und siehe, datrugsichszu, daß Je¬ sus , von seinen Jüngern und vielem Volke beglci tet, demselben begegnete, als er eben in die Stadt eingehen wollte, und dieses geschah nicht von un¬ gefähr, meine werthesicn Christen, wie ich euch schon gesagt habe, sondern aus weiser Veranstaltung seiner göttlichen Fürsichk. Da er in allen seinen Hand¬ lungen die Ehre feines himmlischen Vaters und das Heil der Menschen zum Endzwecke hatte, so wollte er dieselbe auch durch diese Begebenheit befördern , er hatte die Sache mit Fleiß so eingerichtet, daß er eben bey der Stadkpfsrte eintraf, als man diesen tobten Jüngling heranstrug, um ein großes Wunder an ihm zu thnn, und durch dasselbe das Volk, wel¬ ches ihn begleitete, von der Göttlichkeit seiner Sen¬ dung zn überführen, und zur klareren Kennkniß Got¬ tes zu bringen. Als er nun beym Eingänge in die Stadt diesen Leichenzug erblickte, und vor allem die herzlich be¬ trübte Mutter, die unter tiefgeholten Seufzern und Schluchzen häufige Thränen vergoß, weil sie ihren lieben und einzigen Sohn, an dem sie ihrem Alter einen Stab zu haben glaubte, in der bcßtcn Blü- the seines Alters zum Grabe begleiten mußte, da sie dieses bey weitem nicht geglaubet, sondern vielmehr gemepnet hatte, daß er sic zur Ruhe bringen, und ihr das Geleit zum Grabe geben sollte. Als Jesus , sage ich, diese Wittwe in solchem Jammer erblickte, wie sie so ganz in Thränen zerfloß, und vor innig¬ stem — r 4Li ) stcm Schmerzen «nd Betrübniß überlaut schrie, da wurde sein zartes Vakerhcrz durch einen solchen rüb- rendcn Auftritt ganz zerschmettert. Es jammerte ihn äußerst dieser beklemmten Tvittwe, er trat hinzu, und sprach zu ihr: weine nicht. Dieses sagte er ihr nicht in der Absicht, um sie mit Worte» zn bestrafen, als wollte er solches Weinen, das die Natursprache des Schmerzens ist, als etwas unan¬ ständiges bestrafen, nein, dieses nicht, sondern er redete ihr mit diesen Worten liebreich zu, um sie zu trösten und zü ermahnen, ihren Thränen Einhalt zu khun, und dieselben zu stillen, cs würde diesem Unfälle Noch können abgeholfen werden, sie solle nicht weMu, sondern sich beruhigen, und ans seine Hülfe vertrauen. Nachdem er diese betrübte Mutter auf diese Art ein wenig getröstet hatte, so trat er hin zu ihrem todteu Sohne selbst, und rührte den Sarg an, darin» er lag. Die Trager, als sie dieses sahen, stunden still, jedermann war begierig, was Jesus anjctzt vornehmen würde. — Hierauf sprach er mit lauter Stimme: Jüngling, ich sage dir, steh auf. Er redete diesen todteu Menschen an, so, wie Man jemanden auredet, den man vom Schlafe auf- wccken will; Und in Wahrheit, war es ihm eben so leicht, diesen tobten Jüngling zum Leben zn erwecke», als es uns leicht ist, jemand von Schlaf zu erwecken, — Er, als der allmächtige Gcbiether der Na¬ tur, wollte durch diese Worte so viel sagen: ich, der ich Macht habe, die Tobten zu erwecke», ich, der ich der Herr des Lebens und des Todes bin, be¬ fehle dir Jüngling, daß du gleich vorn Tode zum Le¬ ben wieberkehrest. Ff - ilnd ( 4AS ) — Und, was Jesus befahl, geschah auch. Kaum waren diese Worte ausgesprochen, ss richtete sich der Jünglipg zum Erstaunen aller Anwesenden in fernem Sarge auf, öffnete seine Augen, verwun¬ derte sich, daß so viel Volks um ihn herum versam¬ melt war, und zum klarsten Zeichen, daß er wahr¬ haft lebe, fieng er an zu reden. — Worauf ihn Jesus feiner Mutter übergab, daß sie sich durch dieses Geschenk trösten und erfreuen möchte, wie sie denn auch diesen ihren lebendig gemachten Sohn nicht anders, als ein besonders Gnadengeschenk Gottes ansehen konnte. — Wie angenehm und wie erfreu¬ end aber dieser betrübten Mutter dieses Geschenk wird gewesen segn, laßt sich leicht denken, ihr könnet euch leicht cinbilden, meine lieben Christen , daß es ihr wird lieber gewesen feyn, als wenn man ihr einen großen Schatz von vielem Gold und Silber gebracht hatte. — Vielleicht wollte auch der Heyland durch die Uebergabe des Sohnes an seine Mutter diesem auferweckten Jüngling zeigen, daß er unter dem Ge¬ horsam seiner Mutter wiederum stehe, und deswe¬ gen derselben mit aller kindlichen Liebe, Treue und Pflege an die Hand gehen, ihr gehorsamen, ihr in ihrem Wittwenstaude helfen, und sie in ihrem Alter trösten und erfreuen solle, so wie es jedem recht¬ schaffenen Kinde zustünde, besonders wenn die El¬ tern alt und unvermögend, die Kinder aber erwach¬ sen sind, damit er nach dieser seiner Auferweckung glücklich, gesegnet feyn, und lang leben möchte, wie Gott solches alles verlanget, und wohlgeratenen, gehorsamen Kindern dergleichen Glückseligkeit ver¬ sprochen hat. Nach — ( 452 ) — Nachdem der Evangelist diese wunderbare Ge- schichte erzählet hat, so meldet er auch, was für ei- nen Eindruck dieselbe auf die Gemüther der Anwe- senden gemacht habe. Es kam sie alle eine Furcht an, sagt er, und sie priesen Gott und sprachen, es ist ein großerProphet unter uns auferstanden, und Gott hat sein Volk heimgefucht.' Daß alle Anwesende eine heilige Furcht angewandelt, und jedermann bey die¬ ser unerwarteten Auferweckung des tobten Jünglings wird voll Erstaunen dagestandcn seyn, läßt sich leicht denken. Es ist etwas ganz natürliches, daß man sich über eine solche wunderbare Begebenheit entsetzet. Es würde einem jeglichen ans uns eben so ergehen, wenn zu unscrn Zeiten etwas dergleichen geschehen sollte, eS würde uns auch eine Furcht anwandeln, wenn wir eine Leiche auf der Bahre erwachen, sich in die Höhe richten sähen, und reden hörten. — Sie priesen Gott, und dankten ihm für die Gnade die er dixfer betrübten Mutter erwiesen hat, und schlos¬ sen ganz natürlich daraus , daß Christus der wahre Prophet sey, der große Prophet nämlich, der in die Welt kommen soll, um die Welt glücklich zu machen. Es ist ein großer Prophet unter uns auferstan¬ den, sagten sie, und Gott hat sein Volk durch ihn in Gnaden heimgefuchet. Sic erzählten diese Geschichte allenthalben, wo sie hinkamen, so, daß nicht allein in ganz Galiläa, sondern anch im jüdi¬ sche» Lande, ja in allen umliegenden Gegenden da¬ von geredet wurde. Denn es war dergleichen Wun¬ der, daß ein Todker auferwecket wurde, seit den Zeiten der alten Propheten nicht erhöret worden. Da¬ her glaubte eben das Volk, daß die Tage des Mcs- Ff 2 sias — ( 4.54 ) — fias da fcyn müßten, weil ein solches, außerordentliches in vielen Jahrhunderten in Israel unerhörtes, Wun¬ derwerk von Jesu verrichtet worden, zumal da noch so viele andere Wunderkuren an unheilbaren Kran¬ ken von ihm geschahen. So weit geht meine werthcsten Christen, die Erzählung des Evangelisten von der wunderbaren Auferweckung des todten Jünglings zu Naim. Lasset uns nun sehen, was für Lehrstücke wir aus derselben abnchmen sotten. Z W e y L e r T h eil. Sie Thaten Jesu, sagt der heilige Gregorius, sind nicht allein als Wunderwerke, und als ausserordent¬ liche Handlungen auzustauncn, sondern ste find auch als Lehrstücke für uns zu betrachten. Unser göttlicher Erlöser wollte uns nämlich nicht allein durch seine heiligen Reden, sondern auch durch seine auferbau- lichen Werke belehren. Die Lehrstücke, welche ich aus der heutigen Wnndergeschichtc ziehe, lassen sich in vier Theile abtheilen, nach eben so vielen Perso¬ nen, die in derselben verkommen, denn wir haben an Jesu, an derWittwe, an dem auferweckten Jüng¬ ling, und an dem anwesenden Volke verschiedenes zu unserer Erbauung zu bemerken. Erstens zwar an'Jes» sehen wir, meine werthe- sten Christen, daß er siöss gegen alle Elende barm¬ herzig erzeigte, daß er stets geschäftig gewesen, je¬ den Betrübten zu trösten, jedem Beklemmten aufzu¬ helfen, und überall um sich Wohlrhaten zu verbrei¬ ten. Da er die betrübte, weinende Wittwe erblickte« konnte -°- k 4AL ) °°°" konnte er ohne Jammer und Mitleide» nicht bey ihr vor-- übergehen. Eben so ist er noch jetzo gegen alle Noth- leidende gesinnct. Dieser gütigste Heyland wist sich noch aller erbarmen, welche in ihrer Noch ihre Zu¬ flucht zu ihm nehmen, und ihn mrt Gcbcthe und Thränen um seine Hülfe anflehen, kommet her zu mir, ruft er asten Beklemmten zu, dis ihr mit Mühseligkeit und Arbeit beladen seyd, ich will euch erquicken. Matth, n. K. — Er sieht noch je¬ den unter dem Joche der Trübsal Gedrückten mit barmherzigen Augen an. Verlassene Wittwen, arme Waisen, unheilbare Kranken, schmachtende Gefan¬ gene, und alle andere auf vielerlei) Art geplagte, nothleidende, gekrankte Menschen und bekümmerte Herzen können noch jetzo die wirksamste Hülfe bey ihm erhalten. Dieses gibtnms also, meine werthesten Christen, den besten Trost in unserer Trübsal und die¬ net uns zugleich zum Muster, wie wir unsere be¬ trübten Nebenmenschen in ihren Nöthen trösten sollen, da er die betrübte Wittwe mit jenen trostreichen Wor¬ ten aufrichtete, weine nicht gibt er uns eiu Beyspicl, wie wir mit andern betrübten Menschen ein wahres Mitleid haben sollen, nach der Ermahnung seines Apostels Paulus Röm. 12. K. weinet mit den'Mei¬ nenden. Wir sollen nämlich unsere betrübten Nebcn- mensche» auf alle mögliche Art zu trösten suchen, wir sollen uns bemühen, ihnen durch bewegliches Zure¬ den , durch eiudringende Vorstellungen u»d Bitte ihre Noth zu lindern, damit sie ihre Betrübniß und Schmerzen über diese und jene traurigen Zufälle Mäßigen, und sich in Gottes Willen gelassen erge¬ ben. — Da er aber der betrübten Wittwe wirkliche Ff 4 Hülfe — l 4L6 ) — Hülfe verschaffte, lehret er uns, daß wir nicht allein mit Worten, sondern hauptsächlich mit Werken un¬ sere betrübten Mitmenschen zu trösten uns bestreben sollen, daß unser Trost kein leerer Worttrost, son¬ dern ein thätiger wirksamer Trost seyn müsse, da wir nämlich der Noth Anderer in der That, so viel uns immer möglich, werkthätig zu steuern uns be¬ mühen, wie schon längst Hiob zu trösten pflegte, da er von sich selbst sagte, er habe von Kindsbeinen an gerne getröstet. Wir sehen ferner an Jesu bep dieser Auferweckung des Jünglings zu Naim, daß er der Herr über Le¬ ben und Tod sey, denn mit ein Paar Worten und aus eigener Macht einen Todten auferwecken, kann Niemand als Gott allein, der allein dem Menschen das Leben gibt, ihm solches erhält, und dasselbe wenn er gestorben, wieder zu geben im Stande ist. Wirsehen, daß unser Leben, dessen Erhaltung und Fortdauer, ja unser ganzes Schicksal auf dieser Welt, wie auch unser Tod und künftige Auferstehung unter Gottes gütiger Fürsicht und Gewalt stehe. Ferner bemerken wir an Jesu bey dieser feiner wunderbaren Handlung, daß Gott, wenn es auch scheint, als gehe die Sache so ganz natürlich zu, mit dem Menschen mit größter Fürsicht handle. JesuS richtete es so ein, daß er nicht eher und nicht später an das Stadtthor von Naim kam, bis man die Lei¬ che dieses Jünglings heraustrug, um allda dieses herrliche Wunderwerk öffentlich vor einer großen Men¬ ge Volks zu wirken, damit jedermann sehen möchte, daß er der große Prophet sey, der zur Rettung des Menschengeschlechtes in die Welt kommen sollte, auch damit — ( 4L7 ) — damit, wenn dieses Wunder vor einer großen Menge Volks geschehe, der Ruf davon desto eher, auch in den benachbarten Landern, ausgcbreitet würde, auf daß die Einwohner derselben von ihrem Schlummer aufgewecket, und zur Erkenntniß GotteS gebracht werden möchte«. So wie Gott ehedem durch die Wunder, die er durch Moses, Elias, Elisa und andere Propheten geschehen ließ, seine wahre Reli¬ gion auf der Erde auszubreiten suchte. An der Wittwe von Naim sehen wir, meine wer- thesten Christen, daß"den Menschen selten cinUnglück allein treffe, sondern insgemein mehrere über ihn zu¬ gleich kommen, und, so zu sagen, eines dem an¬ dern die Hand biete. Denn so ergieng es dieser Wittwc, fie hatte mit vielen Thränen ihren Mann zu Gra¬ be tragen lassen, und mußte also in dem verlassenen Wittwenstande leben. Allein dieß war nicht genug, es kam bald ein anderes Herzenleid über sie, daS noch größer zu seyn schien, als das erstere, indem ihr einziger Sohu auch dahin starb, der ihren er¬ sten Schmerzen etwas hatte lindern, und ihren Witt- wenstand erträglich machen können. — So geht es insgemein mit den Menschen, daß fie mehrere Un¬ glücke zugleich treffen, daß sie mit dem unglück¬ lichen Hiob bep dem Verluste ihrer Kinder, ihrer Anverwandten und ihrer Güter zu klagen haben, der Herr hat mir eine Wunde über die andere ge¬ schlagen , oder daß sie mit David seufzen müssen Ps. 41. Herr! deine Fluthen rauschen daher, daß hier eine Tiefe und dort eine Tiefe brauset, und alle deine Masserwogen und Mellen sind über mich zusammen gegangen. — Don dieser Wittwe F fS lcr- — ( 458 ) — lernen wir ferner, daß. wir Gott hey solchen schweren Schicksalen stille halten sollen, da wir voraus nicht wissen, warum Golt dieses oder jenes über uns verhänget habe, solches aber wenigstens gewiß nach diesem Leben erfahren werden, daß er alles wohl um uns gcrhan habe, wie diese Wittwe nicht wußte, daß Gott ihren Sohn an seiner Krankheit darum sterbei ließ, damit hernach seine Allmacht durch des¬ sen wunderbare Auferweckung verherrlichet werden möchte, fo schicket uns Gott manchesmal ein Kreuz zu, nm uns, wenn wir uns in seinen heiligsten Wil¬ len ergeben, vieles Gute daraus zuzuwenden. So sterben öfters nöthige Personen, es sterben den Kin¬ dern licbvolle Eltern, und den Eltern fromme Kinder, die sie lieb hatten, und die ihnen ans Herz gewachsen waren, allein am Ende sieht man öfters, daß es Gott gutaemevnet habe. Denn wie gut war es nicht, daß manche Kinder, die von ihren Eltern sehr be¬ dauert wurden, dahin stürben, da hernach auch selbst die Eltern, oder wenigstens eines von beyden früh¬ zeitig darauf diese Welt verlassen mußte, wie würde es öfters den Kindern, wenn sie beym Leben geblie¬ ben wären, ergangen seyn, wie elend würde ihre Erziehung , und wie groß die Gefahr der Verführung in der Welt gewesen seyn? wie wohl wären sie also aufgehoben, daß sie in der Kindheit und in ihrer Un¬ schuld zu Gott kamen, eben also würde im Gegen- theile aus manchen Kindern nicht viel geworden seyn, wenn der frühzeitige Tod ihr Versorger sie nicht in Elend, in Armuth und Verachtung der Welleitelkeit geseßet, und sie zurDemuth, zum Fleiße und zur Gottesgelassenheit angetrieben hatte. — Dergleichen Br- — L 439 ) — Betrachtungen lassen sich über andere Verfügungen Gottes vielfältig anstellen. An den Thränen dieser Wittwe sehen wir, daß uns Gott solche bey dem Tode unserer Eltern, Kinder oder Besreundte zwar nicht verbiete, daß wir unsere verstorbenen guten Freunds zwar beweinen können, allein, daß wir uns dabep nicht untröstlich zeigen sollen. Denn Jesus wollte, daß diese Wittwe nicht übermäßig trauren sollte, darum sprach er zu ihr, weine nicht. Ein.solches vernünftiges Betragen zie¬ met besonders Christen, denen es besonders zusteht, daß sie bey dergleichen Tranerfälle» nicht übermässig trauren wie die Heyden, die keine Hoffnung des künf¬ tigen Lebens und der Auferstehung haben, wie Pau¬ lus in seinem erste» Briefe an die Thessalonicher im vierten Kap. erinnert. Christen sollen sich damit trö¬ sten , daß sie einander auf dieser Welt verlassen, um sich in jener wiederum zu sehen; und miteinander ewig zu erfreuen. Verlassene Wittwen haben aus dem heutige» Evangelium den besonder» Trost , daß sich Gott ihrer insonderheit amiehme. So wie Jesus die weinende Wittwe von Naim tröstete, und ihr auch wunder- thätige Hülfe erzeigte, eben so wird er sich barm¬ herzig gegen alle fromme bedrängte Wittwen erzei¬ gen. Sirach sagt schon in seinem ZFten Kapitel die Thcanen der DOittwen fließen zwar die Ba¬ cken hinab , aber sie schrieen über sich um Aache wider den, der sie auügepresset , und David sagt, Gott sey ein Richter der Wittwen, und ein Vater der Waisen. An — ( 46o ) — An dem Jüngling von NUm, besonders an feinem frühzeitigen Tode bemerken wir, daß kein Stand und Alter vor dem Tode sicher sei), daß auch junge Leute von demselben nicht verschonet werden. Dieser Jüngling war in der bcßtenBlüthe seiner Jah¬ re, aber ehe er sichs versah, ward er durch den Tod von dieser Welt hinweggenommen. Der Tod wird da¬ her gemeiniglich als ein Gerippe, ohne Augen und Ohren abgemahlet, weil er blind darein geht, und NicmWd verschonet. Junge und Alte, Große und Kleine, Reiche und Arme, Schöne und Ungestaltete, Edle und Unedle sind ihm unterworfen. Er höret we¬ der Klagen, noch Gefchrey, wenn er anrücket, so muß gestorben sepn. Auch die jungen Leute sollen da¬ her öfters an den Tod gedenken, sich vor Sünde und Laster hüten, und auf die Ewigkeit sich wohl bereitet halten. Die Tage des Menschen gehen wie ein Schatten dahin, singet der heilige Dichter im hun¬ dert und drey und vierzigsten Psalm , und in einer andern Stelle sagt er, das Leben des Menschen sey mit einer Blume zu vergleichen, die heute blühet, morgen aber verdorret und dahinwelket. Ferner haben wir an dieser Auferstehungs-Ge¬ schichte des Jünglings von Naim ein Bild unserer zu¬ künftigen Auferweckung. Wir sehen cm Jesu die Ur¬ sache unserer künftigen Auferstehung. Seine Stim¬ me Horen die Todten , und stehe» auf. Bep unserer Auferstehung wird es meistens auch so zugehen, wie hey der Auferweckung dieses Jünglings, unsere Seclcir werden sich wiederum mit ihren vorigen Leibern ver¬ einigen, die Trennung von den Unsrigen wird anf- hören, und wir werden wiederum in die vorige Ver- , bindung -bindung und Freundschaft kommen, die hernach durch keinen Tod mehr wird aufgehoben werden. Wir kön¬ nen es unserm Heylande nicht genug verdanken, daß er uns ein so herrliches und deutliches Bild von unserer künftigen Auferstehung aus dem Grabe gegeben, und solches durch das wunderbare Zeugniß seiner lebendig- machendcn Stimme bestattiget hat. Wie traurig wä¬ re unser Hingang zum Tode, ohne diesem Troste ei¬ ner künftigen. Auferweckung aus dem Grabe ? Was waren alle unsere Hoffnungen ohne die Liebe und Macht Gottes, unser» Staub im Grabe wiederum zu belebe» ? Was halfen dem Menschen feine in der Welt gehabten Sorgen, seine mit vielem Kummer durchlebten Jahre, wenn die Ruhe im Grabe, die Verwesung und die Auflösung des letzten Stäubchens, die einzige Belohnung der vielen Mühe für seinen Körper seyn sollte ? — Nein, meine werthesten Chri¬ sten, wir können uns auf etwas Besseres freuen, wir haben besseren Trost und seligere Aussichten für un¬ seren siechen Körper. Der Glaube an Jesum sagt uns, daß er uns durch seinen Tod und durch seine Auferste¬ hung das Leben gebracht habe, daß er auch unfern -Leib, so wie den Leib des Jünglings von Naim auf- ermeckcn werde. Von dieser unserer Auferstehung hat uns der Schöpfer, nebst diesem, noch viele reitzcnde Bilder, gegeben, da wir z. B. nach unserer Arbeit in einen süssen Schlaf dahinsinken, und mit dem Ge¬ fühle neuer Kräfte wiederum answachcn, könne» wir an uns selbst das Bild unserer künftigen Auferstehung bemerken. Da wir nach der Nacht den Tag wiederum kommen sehen. können wir bcy dem ersten Strahle der aufgehenden Sonne an das Licht des ewigen Ta¬ ges — ( 46- ) --- ges gedenken, das wir bey unserer Auferweckung er- blicken werden. Oder, da wir nach dem Winter die erstorbene Natur wiederum auflebeu sehe», können wir uns erinnern, wie unsere Körper einstens wiede¬ rum aufleben werden. Auch da das in die Erde ge¬ streute Saatkorn anfangs erstirbt, hernach aber her¬ vorkeimet, können wir uns bey diesem Bilde mit der Hoffnung unserer zukünftigen Wiederaußebnng un¬ terhalten. Gott hat vielleicht dergleichen Bilder in die Natur, mit welcher wir täglich umgehen, gelegt, um uns an unser End, und an unsere Wiederaufle- bnilg zu erinnern. Er wird begraben verweßlich, sagt Paulus von unsermLeibe- r. Kor. iL.Kap. und wird auferstehen unverweßlich, er wird begraben ungerhret, und wird.aufcrstehen in Herrlichkeit, er wird begraben in Schwachheit, und wirdauf- erstehen in Uraft, es wird begraben ein natürs licher Leib, und wird auferftehen ein geistlicher Leib. Der nämliche Heplaud, der den Jüngling von Naim zum Leben erwecket, wird auch uns alle einstens aus unfern Gräbern auferwecken, und diese sichere Hoffnung ist es, die uns die Betrachtung des Todes vcrsüssen muß, die an sich zwar traurig und betrübt ist, aber milder Betrachtung der Auferstehung ver¬ bunden, uns großen Trost, große Zufriedenheit und Unerschrockenheit des Herzens einflößen kann, so, daß wir den Lod nur als einen wvhlthakrgen Schlaf, und unser Grab nur als eine sichere Ruhekammcr ansc- hen, aus welcher wir zum Genüsse ewiger Freuden anfcrwecket werden, wo wir alsdann, so wie der Jüngling von Naim nach seiner Auferstehung seine lie¬ be Mutter, seine Befreundte und all das Seinigr wiederum ( 46Z ) wiederum erhielt, auch nebst unserm Leben wieder¬ um die Unsrigen, und alles was wir um Jesu willen veranlassen haben, erhalten, ja weit schöner, weft dauerhafter und herrlicher erhalten werden. Endlich von dem zahlreichen Volke, das dem Leichenbegängnisse bepwohnte, lernen wir noch meine werthesten Christen, zrvey Stücke, erstens, daß auch wir dem Begräbnisse der Tobten aus heiligen Absichten beywohnen sollen, denn die Tobten begra¬ ben ist ein Werk der Barmherzigkeit. Dergleichen Leichenbegleitungen sind sehr heilige Handlungen, denn nebst dem, daß eS den hinterlassenen betrübten Freunden zu einem nicht geringen Troste gereichet, mehrere Zeugen des Mitleides um sich zu sehen, so wächst der größte Vortheil den Begleitern selbst dar¬ aus zu, dadurch wird nämlich der Eindruck des To¬ des, dessen Bild wir uns nicht tief genug eindrücken können, erwecket. Dort auf dem Leichcnhofe ist es, wo wir an jenen Zeitpunkt erinnert werden, wo wir unser Sterbebett besteigen werden, und wo man un¬ fern Leichnam in sein Grab, als in feine Ruhekam- mer versenken wird. Dort bep solchen Gelegenheiten, dort auf dem Todtenfelde ist es, wo wir zu dem Herrn recht innigst nm ein seliges End seufzen sotten, wo uns jeder Verstorbene der zum Grabe getragen wird, gleichsam zurufet, die Reihe sey heute an ihm, sie wer¬ de aber vielleicht auch bald an uns kommen. Die auf der Todtenbahre brennende Kerze soll uns daher er¬ innern, auf den ungewissen Tag unfers Endes stets in Bereitschaft zu stehen. Damit uns nun dergleichen Trauergesellschaften heilsam und ersprießlich werden mögen, so lasset uns denselben auf diese Art beywoh- USkt ( 464. ) — - Ren, lasset uns dergleichen heilsame Gedanken dabey machen, und fleißig an den Tod gedenken, beson¬ ders wenn man junge starke Leute zu Grabe trägt. Lasset uns die Leichen der Armen und Reichen ohne Unterschied begleiten, und niemals solche heilige Hand¬ lung, wie öfters zu geschehen pflegt, in darauf fol¬ gende Unordnungen ausatten lassen. Zweytens, lernen wir von dem Volke, welches die Leiche dieses Jünglings begleitete, nach seiner Auferweckung Gott pries, und sprach: es ist ein gro¬ ßer Prophet unter uns auferstanden, und Gott hat sein Volk heimgesuchet, daraus lernen wir, daß wir die Wunder Gottes hochachten, und für die Gnaden, welche Gott uns oder unfern Nebenmenfchcn augedeihen ließ, den Schöpfer preisen, und ihm den schuldigen Dank darbringen sollen. Dieses ist es, meine werthesten Christen, was wir aus der wunderbaren Geschichte des heutigen E- rangeliums für uns zu lernen habe». Beobachtet die¬ se schöne Sittenlehren fleißig, ahmet besonders Jesu in seinem mitleidigen Herzen gegen Betrübte »nd Be¬ drängte nach, und setzet in euren eigenen Nöthen eu¬ er ganzes Vertrauen auf sein gütiges Vaterherz. Las¬ set vorzüglich eure heutige sonntägliche Andacht dahin gehen, daß ihr diesen euren liebvollcn Erlöser bittet, er wolle euch auch trösten, wenn ihr kraurek, und euch Unglücke befallen, so wie er dieWittwe getröstet hak. Er wolle euer Herz durch feinen himmlischen Trost er¬ quicken , und euch bey unerwarteten Unglücksfällen Äufrichten. Er wolle euch in den Trübsalen dieses Le¬ bens mit der seligen Hoffnung einer zukünftigen Auf¬ erstehung starken, wovon die Auferweckung des Jüng¬ lings — ( L6Z ) — lings von Naim ein trostreiches Bild ist. Er wolle diese selige Hoffnung an euch erfüllet werden lassen, -aß, wenn sich am Ende der Welt, an dem Tage sei¬ ner Herrlichkeit, eure Graber öffnen, und ihr aus denselben, so wie dieser Jüngling ans seinem Sarge aufstund, auch auferstehkn werdet, daß alsdann die¬ se eure Auferweckung für euch erfreuend seyn möge, daß ihr alsdann, wenn ihr die Stimme des Sohns Gottes in euren Grabern hören werdet, mit Freuden aus demselben eurem Gott entgegen eilen, euren in der Welt verlassenen Freunden wiederum beyaesellct werdet, und euren Erlöser dort in der seligen himm¬ lischen Versammlung dafür ewig loben und preisen möget. Amen. Auf den sechszehnten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Luk. XIV. l—n. Es begab sich - daß Jesus M einem Sabbath in das Haus eines Obersten der Pharisäer kam, um bey ihm zu essen, und sie gaben acht auf ihn. Uud sieh, es stund ein wassersüchtiger Mensch vor ihm. Da antwortete Jesus und sprach zu den Schrift¬ gelehrten und Pharisäern: ists erlaubt am Sab¬ bath gesund zu machen? Sie aber schwiegen still. Und er griff ihn an, heilte ihn, und ließ ihn ge¬ hen, sprach aber zugleich zu ihnen: wer ist unter euch, drffen Ochs oder Esel in den Brunnen fällt, der ihn nicht alsbald herauszieht, auch am Sab- LrMckd.Evung.ll.TH. G g bath- . t q.c»6 hathtage? Und sie konnten ihm darauf nicht ant¬ worten. Er sagte aber zu den Gästen ein Gleich- mß, da er merkte, wie sie sich die vornehmsten Sitze ausfuchten, und'sprach zu ihnen: wenn du von jemand zur Hochzeit geladen wirst, so setze dich nicht oben an, daß nicht etwa ein Vornehmerer, als du, von ihm geladen sey, und wenn der kä¬ me, der dich und ihn geladen hat, zu dir spräche: weiche diesem, und du müßtest alsdann mitSchand unten an sitzen. Sondern, wenn du geladen wirst, so geh hin, und setze -ich unten a», damit wenn -er kömmt, der dich geladen hat , zu dir spreche, Freund, rücke hinauf, -u sodann Ehre haben mögest vor denen, die mit dir zu Tische sitzen, denn ein jeglicher, der sich selbst erhöhet, wird erniedriget werden, und der sich selbst erniedriget, -er wird erhöhet werden. Es geschah, daß Jesus an einem Sabbath in da« Haus > eines der vornehmgen Pharisäer kam , um bey ihm zu essen, da gaben sie acht auf ihn. Luk. 14. v- r- Eingang. §ukas hatte m dem vorhergehende» drcyzehuten Ka¬ pitel seines Evangeliums schon eine Geschichte von einer Wunderkur erzählet, die unser Erlöser an ei¬ nem Sabbath, an einer achtzehn Jahre lang krän¬ kelnden Weibsperson gethau hat, welche Elende durch ihre langwierige Krankheit dermassen geschwä¬ cht worden, daß sie ganz gebeugt einhergieng, und sich nicht einmal aufrichten, und gen Himmel sehen konnte. Nachdem Christus dieses Weib durch Aufle¬ gung seiner Hände, in einem Augenblicke so gesund gemacht — ( 4^7 ) — gemacht hatte, -aß sic ganz munter und gerade ein« hergieng, so mußte er sich gegen den Vorsteher der Synagoge vertheidigen, der darüber zürnte, und eS ihm übel nahm, daß er dieser Elenden an einer Sab- bathsfeyer geholfen, und der aus großem Unwillen zu dem versammelten Volke sprach : es wären sechs Tage i» der Woche, an welchen sie komme» könnten um sich helfen zu lassen, und nicht auf dem Sabbath. Die Vertheidiguug Ghristi, die uns ernannter Evan¬ gelist auch aufbehalten hat, war kurz und bündig, und bestund in jenen bekannten Worten : ihrGleiss- ner ! Ein jeder aus euch lö et am Sabbath fei¬ nen Ochsen oder Esel vou der lirippe, und füh¬ ret ihn hin zu tränken und zu erquicken, und ich sollte diese Tochter Abrahams, die der Satan durch eine schwere Rranßheit achtzehn Jahre lang angebunden hatte, an diesem Tage nicht auflosen dürfen. Diese Vertheidiguug brachte sei¬ nen Gegner mit seinem Anhänge zum Stillschweigen, und trieb ihm die Schaamröthe in- Angesicht. Heute erzählet Lukas abermal eine solche Wun- dcrknr, die Jesus auf einer Sabbathsfeyer gethan hat, nicht zwar in eiuer Synagoge, sondern in dem Hause eines vornehmen Pharisäers, wo er abermal angegriffen wurde, und wegen dieser Licbcserzei- gung sich gegen die Anfälle seiner Feinde vertheidigen mußte. Wir werden heute hören, wie vortrefflich er dieses that. Wir werden heute sehen, mit welcher Sanftmut- er mit seinen tückischell Feinden umgieng, ohne sich durch ihre Falschheit, die er erkannte, er¬ bittern zu lassen. Wir werden nebst dem noch hören, was für schöne Vorschriften der Demukh er uns gab, G g L / wir — < 463 ) — wir werde» finden, mit welchem sehnlichen herzliche» Verlangen er überall die Ehre seines himmlischen Va¬ ters und das Wohldes Menschen, selbst unter dem unartigen Geschlechte der Pharisäer zu befördern such¬ te ; wir werden sehen wie lehrreich und tröstend sein Umgang mit den Menschen, und wie sanft und aufer- daulich seine Reden auch gegen seine versteckten Wi¬ dersacher waren, wir werden finden, wie er uns über¬ all ein Vorbild zurück ließ, dem wck Nachfolgen sollten. Als ein eifriger Lehrer himmlifchcr Tugenden wan¬ delte er nämlich nicht allein stets im kindlichen Ge¬ horsam und reinster Liebe zu seinem himmlische» Va¬ ter , sondern gab uns auch überall in allen Orlen und bev allen Gelegenheiten Bepspiele der Tugend; heute besonders, wie wir uns im Umgänge in der Gesellschaft mit andern verhallen sotten, und wie wir andere mit gutenBeyfpiclcnundLehren erbauen mögen. Dieses alles will ich euch anjetzl meine werthesten Christen, aus dem heutigen Evangelium zeigen, wel¬ ches ich zu größerer Deutlichkeit in zwerm gleiche Ab¬ schnitte abtheile, in deren ersteren ich euch erzählen werde, wie Jesus indem Haufe eines Pharisäers am Sabbath einen Wassersüchtigen gesund machte, und sich deßwegen bündig, aber doch saustmüthig gegen seine Feinde vertheidigte, in dem zweyten aber wer¬ de ich euch erkläre», was für schöne Vorschriften der Demuth er in dem nämliche» Hause bey dem Gast¬ mahle seinen Tischgenossen ertheilte. Vernehmet bey- de Stücke mit geziemender Aufmerksamkeit. Erster - ( 46y ) - Erster LH eil. Man kann fast keine Gattung der Krankheiten und Gebrechen an dem menschlichen Körper mehr nennen, meine werthesten Christen, die unser Erlöser wäh¬ rend seines Aufenthaltes auf dieser Erde durch seine' Wunderkraft nicht geheilet hatte. Nebst den vielen Blinden, Tauben, Stummen, Lahmen, Glieder¬ süchtigen und Gichtbrüchigcn, hat er Fieberhafte , Mondsüchtige, Dörr-und Wassersüchtige, Blutflü- ßige, Aussätzige, und andere dergleichen Elende mehr, durch.einen bloßen Machtspruch seiner göttli¬ chen Kraft gesund gemacht. Ein solches Wunder that er abcrmal heute an einem Wassersüchtigen; denOrt und die Zeit, wann und wo dieses Wunder an dem heutigen Wassersüchtigen geschehen, kann ich euch nicht mitGcwißhcitbcstimmen, vermuthlich aber mag es sich zugetragen haben zur Zeit, da das allerbest-> ligste Leben Jesu sich schon zum Ende neigte, kurz vor seiner letzten Reise nach Jerusalem. Die Gele¬ genheit aber, bcy welcher, und der Tag, an wel¬ chem sich solches zugetragen, werden von dem hei¬ ligen Geschichtschreiber deutlich angegeben : an einem Sabbath nämlich, und bey einem Gastmahle, in dem Sause eines gewissen vornehmen Pharisäers. Es begab sich, sagt die heilige Geschichte, daß Aesus in das Saus eines Obersten, eines reichen und vornehmen aus der Sekte der Pharisäer kam, aufeinem Sabbath Las Brod be? ihm zu essen, das ist, die gewöhnliche und ordentliche Mahlzeit vcy ihm einzunehmcn. Die Pharisäer pflegten näm¬ lich am Sabbath prächtigere Mahlzeiten zu halten , G g z als — ( 470 ) — als au anderen Taaen in der Woche, wozu sie öfters mehrere Gaste einluden, uno auf diese ArtdcnSab- bath desto mehr zu heiligen glaubte». Daß unserm Heylande von den Pharisäern, die doch, wie ihr wißet, seine ärgsten Feinde waren, manchmal äu¬ ßerlich höflich begegnet wurde, darf euch nicht be¬ fremdend Vorkommen, denn dieses geschieht auch noch heut zu Tage von vielen versteckten Feinden un¬ ter uns. — Unter andern Merkmalen solcher ver¬ stellten Freundschaft war auch diese, daß sie ihn zu Tische bakhen, Jesus trug auch kein Bedenken, ihre Einladung anzunehmen, ob er gleich ihre falschen Absichten , und die Fallstricke, die sie ihm bcy sol¬ chen Gelegenheiten legten, gar wohl kannte. Unser Text sagt für dießmal ausdrücklich , daß sie anf ihn lauerten: und sie gaben Acht auf ihn, wie sie ihm nämlich eine Falle stellen möchten, wodurch sie sein Ansehen beym Volke vermindern könnten. Warum es aber Jesu gefallen, meine werthesten Christen, sich seinen Feinde» auf solche Art zu na¬ hen, können wir ans seinem licbvoüen Verhalten bei) dieser Gesellschaft abnehmen. Sein Eifer für die Eh¬ re seines himmlischen Vaters, sein Verlangen, je¬ dermann, ohne Ansehen der Person, zu beglücken, seine Freundlichkeit, feine Offenherzigkeit sollten ihn bey allen beliebt machen, und seine Heiligkeit, sein Eifer jedermann zu nützen, und seine Treue, eine unverbrüchliche beobachtete Treue in seinem Amte, trieben ihn an, diese Einladung seiner Feinde an¬ zunehmen. tztz — ( 47^ ) — Es ist freylich sehr auffallend, wenn man sich seine heiligste Person bey einer solchen Gesellschaft denket, wenn man seine offene, unschuldige Ge- müthsart gegen jene der Pharisäer seiner Ässchgenos- sen sich verstellet. Uns muß dieses schon auffallend Vorkommen, wenn wir diese Tischgesellschaft nur den¬ ken, wie vielmehr, wenn wir sie mit Augen anse¬ hen sollten; denn die Pharisäer saßen da, ganz ge- heimnißvoll, mit einem gewissen steifen und finstern Wesen, mit einer gewissen Zurückhaltung und Ver¬ schwiegenheit, mit einer gewissen, auf AndercrRe- den und Thaten laurenden Miene. Jesus aber saß da mit seiner heiligen Offenherzigkeit, mit einer un¬ schuldigen heitern Miene, mit einem gefälligen We¬ sen, in welchem^lle lesen konnten, daß er nur eine Gelegenheit ausspäe, sich wohlthätig uud liebreich gegen andere zu bezeigen. Die Falle aber, welche die Pharisäer dießmal Jesu legten, beschreibt der heilige Lukas mit folgen de» Worten: und sieh, es stund ein Wassersüch¬ tiger vor ihm. Diese versteckten Feinde hatten näm¬ lich diesen wassersüchtigen Menschen mit Fleiß in das Hans kommen lassen, um das Verhalten Jesu gegen ihn aufdcmSabbath zu beobachten, und seine Recht¬ fertigung darüber zu vernehmen, sie dachten bey sich, entweder wird er diesen Kranken heilen, oder nicht, in beyden Fällen werden wir ihn in die Falle brin¬ gen, und sein Ansehen bey dem Volke vermindern können; wird er diesen Wassersüchtigen heilen, so können wir ihn der Entheiligung des Sabbaths bc schuldigen, und ihn verlästern, daß er kein recht¬ schaffener Israelit sey, weil er de» Sabbalh nick G g 4 genau — ( 4^2 ) — genau beobachte. — Heilet er aber diesen Kranke» nicht, so können wir vvrgebcn, er könne ihn entwe¬ der nicht heilen, oder er wolle ihn nicht heilen, folg¬ lich können wir ihn einer Unbarmherzigketz beschuldi¬ gen, wenn er diesen elenden Menschen ohne Hülfe von sich gehen laßt. So dachten diese arglistigen Feinde. Jesus aber^ dem ihre Herze» offen stunden, »nd der ihre Tücke genau kannte, machte dieselben auf die geschickteste Weise zu Schanden, da er zur Sache mit aller je¬ ner Fürsicht schritt, deren er allein fähig war; denn ehe er das Wunder verrichtete, legte erden Schrift- gelehrten und Pharisäern die Frage vor, ob es er¬ laubt sezt, am Sabbath einen Rranken zu heilen? Diefe Frage war aber diesen Glcißnern so unerwar¬ tet, daß sie nichts darauf antworteten, entweder, weil sie nicht konnten, oder boshafter Weise nicht darauf antworten wollten: und sie schwiegen still. Jesus aber achtete dieses ihr boshaftes Stillschwei¬ gen nicht, sondern rührte den Wassersüchtigen an, der an den boshaften Anschlägen der Pharisäer keinen Antheil hatte, er heilte ihn auf der Stelle, und ließ ihn gefund von sich gehen, so, daß jedermann sähe, daß er durch seine Berührung und Wnnderkraft ge¬ sund gemacht worden. Und weil sie aufscine Frage, ob es auf dem Sab¬ bath erlaubt sey, einen Kranken zu heilen, nicht geantwortet hatten, so gab er selbst die Antwort darauf, da er durch folgendes Gleichniß aus der ei¬ genen Lehre der Pharisäer sich vertheidigte. N)er ist unter euch, dessen Ochs oder Esel in eine Grube oder in einen Brunnen fällt, der ihn nicht als¬ bald, — r 47Z ) — Halb, auch am Sabbath, hsrauszieht? — Er berief sich nämlich auf die Lehre der Inden selbst, nach welcher erlaubt war, gewisse Nothwerke auch am Sabbath zu verrichten, wenn man, znm Bep- spiele, eine Seele dadurch retten könne, worunter sie auch das Leben der Thicre mitrcchneten, ergab ihnen den deutlichsten Fingerzeig, von den Werken der Noth auf die Werke der Liebe einen Schluß zu machen? sie sollten bedenken, ob das Gesetz unsere Liebeswerke gegen den Nächsten verbicthen könne, wenn cs, wie sie selbst eingcstüuden, die Nothwerke erlaube. — Er wollte ihnen nämlich durch diese we¬ nigen Worte so viel sagen, wenn ihr nicht unrecht thut, da ihr einen Ochsen oder einen Esel, (deram Sabbath in einen Brunnen gefallen,) gleich heraus- zichet, damit er nicht zu Grunde gehe, so folget vielmehr, daß ich nicht unrecht thuc, wenn ich einen kranken Menschen, der leicht an seiner Krankheit ster¬ ben kann, auf einem Sabbath heile. Jenes, was ich von unglücklichen unvernünftigen Thiercu sagte, ist eure Lehre und durchgängige Gewohnheit, wel¬ ches ihr mir selbst nicht widersprechen könnet. So ist dann auch die Gesundmachung eines unglücklichen Menschen auf einem Sabbath gesetzmäßig, und wie das Erste von euch für gut und recht zu halten. Sehet, meine werthesten Christen, so vortref¬ flich war die Verthcidignng Jesu für fein heutiges Wunder, so überzeugend war sein Vortrag von der Wahrheit, die er von dem Rechte des Sabbaths seinen Widersachern lehren wollte. Konnte er wohl auf eine schicklichere Art die Tücke dieser Arglistigen aufdecken und beschämen? Konnte er ihnen von der G g F Hei- — ( 474 ) — Heiligkeit seiner Handlung einen klareren, und mehr einleuchtenden Beweis» geben, als diesen? Daß es nämlich an der Erhaltung eines Menschen mehr, als an der Erhaltung eines unvernünftigen Thie- res gelegen sey, sie konnten auch, wie aus der evan¬ gelischen Geschichte erhellet, kein Work darauf ant¬ worten, so beschämet wurden sie dadurch. Was lernen wir aber nun für uns aus diesem erste» Theilc des Evangeliums? Zwep Lehrstücke ha¬ be» wir daraus vorzüglich für uns zu ziehen. Erstens, da unser Erlöser die Arglist seiner Feinde mit Geduld erträgt , und sie nicht anders , als mit einer sanften Ueberzegung ihres Fehlers bestrafet, so gibt er uns ein schönes Beyspiel der wahren Sanstmuth , mit welcher wir unser» Widersachern und arglistigen Fein¬ den jederzeit begegnen solle». Zweitens, da er an einem Sabbakh einem E- lenden seine göttliche Hülfe augedeyhen läßt, so zei¬ get er uns an, wie wir den Sabbath gottgefällig zubringen sollen. Erlaubet mir hier, meine lieben Christen, daß ich mich bcy dieser Materie etwas langer aufhaltc, um euch den nöthigem Unterricht hierin» zu geben, und dieses zwar hier bey dieser so schicklichen Gelegenheit, da der göttliche Stifter un- sers Glaubens die Rechte des SabbakhS heute so klar und so schicklich bestimmte, und besonders aus Ursache, da noch etwas von dem, was ich sagen werde, zur besseren Erklärung des heutigen Evange¬ liums hieher gehöret. Durch den Sabbath , welches hebräische Wort soviel als Ruhe heißt, wird jener Ruhetag in der Woche verstände»;, de» Gott selbst segnete, und zu Hal- ( 47L ) halten befahl, da er denselben wegen dem großen Vergnügen, das er an demselben nach der Schö¬ pfung über die Werke feiner Hände empfand, für einen ihm geheiligten Tag erklärte, und ihn deß- wcgen von den sechs übrigen ? Tagen gleichsam ab¬ sonderte, auch jene reichlich zu segnen versprach, die ihn feyern würden. — Bor dem mosaischen Gesetze wurde der Sabbath gefeyert, da die alten Patriar¬ chen mit ihren Familien sich an demselben bald nm dankbarer Erinnerung der Wohlthaken Gottes be¬ schäftigten, die sie durch die Schöpfung und Ver¬ sorgung genossen, bald mit Opfern und gläubiger Betrachtung der Wohlthaten, die noch dem ganzen menschlichen Geschlechte durch das Erlösungswerk Zu¬ fällen sollten, bald mit hoffnungsvoller Beschauung der künftigen Ruhe im Himmel, wornach sie sich so sehr sehnten. — Auf eine andere Art wurde der Sab¬ bath im mosaischen Gesetze selbst gefeyert, da wurde er auf eine recht strenge Art gehalten, denn, nebst dem, daß nach dem göttlichen Befehle, kein Mensch oder Thier unter Todesstrafe an demselben eine Ar¬ beit verrichten durfte, so verbothen die Gesetzverstän¬ dige sogar jene Gottgefälligen Werke, welche die Liebe des Nächsten zum Beweggründe hatten, als die Heilung der Kranken und dergleichen. Im neuen Testamente gieng aber eine doppelte Veränderung mit dem Sabbath vor, denn erstens wurde statt des siebenten Tages in der Woche der Erste dazu ver¬ ordnet, und dieses wegen dem feycrlichen Andenken der Auferstehung unfers Erlösers. Zweitens aber hörte jene strenge, besonders jene pharisäischstrengL Art, den Sabbath zu feyern, auf. Wir — < 476 ) — Wie sollen wir aber den Sabbath nach dem Sin¬ ne des Evangeliums feyern, dazu gibt uns Chri¬ stus heute eine Anweisung, da e-r aus demselben ei» Werk der Liebe gegen den Nebenmenschen ausübte.— Die Heiligung des Sabbaths darf also nicht allein eine Wohlthat für den Leib seyn, daß dieser auf dem¬ selben ausruhen, und seine durch die wöchentliche Arbeit erschöpften Kräfte wiederum gewinnen könne, sondern er soll auch eine Wohlthat für die Seele seyn, er soll ein Gott geheiligter, seinem Dienste und zu unserem und unserer Nächsten Beßten gewidmeter Tag seyn. —> Und wie kann er dieses werden? — Nicht anders, als wenn man auf demselben solche Werke verrichtet, die Gott gefallen, die zur Ehre Gottes, zu unserem Seelenheil und zur Wohlfahrt unsers Nächsten abziclen. Dergleichen sind, wenn man auf demselben Vormittags dem öffentlichen Got¬ tesdienste, der Pfarrmeffe und der Predigt, Nach¬ mittags aber der christlichen Lehre und derBethststun- de beywohnet^, nebst diesem aber zu Hause seine An¬ dacht fortsetzet, der in der Predigt vernommenen Wahrheit nachdenket, die Bibel oder sonst ein geist¬ liches Buch liefet, sein Gewissen prüfet und durch¬ forschet, wie man die Woche zugebracht, bethet, singet, die Kranken besuchet, die Untergebenen in dem Christenthume belehret, seine Kinder ausfor¬ schet, was sie sich in dem Katechismus und in der Predigt gcmerket, mit seinen Freunden und Hans- geuvffen gute, anferbauliche Gespräche führet. Gottesfürchtige Christen feyern also den Sab¬ bath mit einem kindlichen Gehorsame gegen Gott, und mit khätiger Liebe gegen den Nebenmenschen, sie hei- —' ( 477 ) — Heiligen denselben durch Deywohnung des ordentii- chen Gottesdienfies, durch Gebeth, durch Anhörung des Evangeliums, sie gehen gerne und mit Freuden in die Kirche zu den "heiligen Versammlungen, ver¬ halten sich in denselben eingezogen, hören dem Wor¬ te Gottes aufmerksam zu, denken nach der Predigt demselben nach, hüten sich mit besonderer Sorgfalt vor allem Bösen, zerstreuen sich nicht so sehr im Um¬ gänge mit andern, sondern wiederholen die verkün¬ digten Wahrheiten mit den ihrigen, und sehen den Gottesdienst bey ihrer Hausandacht fort, denn sie wissen, daß cs der Tag des Herrn ist, nicht unser Tag, folglich, daß er zu seinem Dienste müsse ge¬ widmetwerden, sie wissen, daß er nicht bloß ein Ruhetag ftp,' damit der Körper an demselben aus¬ ruhe, sondern daß die Arbeit auf demselben haupt¬ sächlich um dieser Ursache willen verbothcn ftp, da¬ mit man an demselben desto bequemer und unge¬ hinderter Gott dienen, und sein Seelenheil desto flei¬ ßiger besorgen könne. Pharisäisch gesinnet sind also jene Christen, wel¬ che diesen Tag nicht durch gottgefällige Werke heili¬ gen, welche den Sabbath nicht nach dem Sinne Je¬ su,' den er heute äußerte, feyern, welche ihn mit den Pharisäern zwar äußerlich fepern, ihn, so zu sa¬ gen, als einen bloßen Ruhetag betrachten, oder viel¬ mehr zu einem Müssiggangstage machen, und welche zwar in der Frühe dem Gottesdienste beywvhneu, aber dieses sehr trage und nachlässig, da sie unter demselben schlafen, schwätzen, oder mit vielen eitlen öfters gar sündhaften Gedanken sich beschäftigen, «ach hem Gottesdienste aber recht wild und wüste nach Hause -°--- ( 4/8 ) — Hause gehe», und die übrige Zeit recht verkehrt zu¬ bringen. Denn da sie müßig sind , findet der Satau leichten Eingang bey ihnen, und verleitet sie zum Saufen, zum Spielen, zu Schlägereycn, zu bösen Gesellschaften, zum Uebelnachreden, zu weltlichen sündhaften Zusammenkünften, wodurch sie den Tag des Herrn gar zu einem Sündenkag machen, solche könnte man mit größtem Rechte Sabbathsschänder im christlichen Sinne heissen, solche ermahnet heute Christus durch sein heiliges Beyspiel zur Besserung, und zeiget ihnen, wie sie diese gottgeheiligken Tage Mit guten Werken zubringen sollen. Es ist wahr, Christus war auch am Sabbath auf einem Gastmahle, aber er hielt nützliche Gesprä¬ che auf demselben, durch seine Thaten und Worte verschiedene Tugenden, dieses zeiget uns, daß die Befuchung guter Freunde und ehrbare Gesellschaften auf demselben zwar nicht verbothen seyen, daß sie aber nach dem Gottesdienste und aus nützlicher heili¬ ger Absicht geschehen, und mit nützlichen auferbau- licheu Gesprächen gottgefällig gemacht werden müssen. Dieses ist es nun, meine lieben Christen, waS wir aus dem ersten Theile unsers Evangeliums zu lernen haben, lasset uns anjetzo hören, was Chri¬ stus in dem Hause des Pharisäers ferner gesprochen > und dieses in dem Zweyten LH eile- Eine andere Gelegenheit ereignete sich bey diesem nämlichen Gastmahle, bey welcher Jesus feinen Um¬ gang den mitgeladeuen Gästen nützlich zu machen, und ( 479 ) und ihnen vortreffliche Lehrstücke zu ertheilc« suchte > der Rangstreit nämlich > den er unter den Gästen beobachtete, wie ste die Plätze am Tische wählten, wie einer den andern nöthigte, obenan zu sitzen, oder gar wie ste nach den vornehmsten Plätzen liefen. Dieses gab ihm Anlaß, das Schändliche des Hoch¬ muths ihnen vorzustellen,. und die Ehre der Demuth anzupreisen, da er überall und bei) allen Gelegen¬ heiten sich nützlich zu machen suchte, so gab er hick unter andern heilsamen Tischreden eine schöne Er¬ mahnung zu einer gottgefälligen Demuth, Und lehrte zugleich eine vortreffliche Regel, wie jeder gesittete Mensch sein Verhalten in den Gesellschaften in Be¬ treff der Rangordnung einrichten solle, eine Regel, die wir noch täglich gebrauchen können. — Er ermahnte aber die hochmüthigen Pharisäer, die seine damalige Tischgesellschaft ausmachten, auf eine zweyfache Art, daß sie allen Stolz und eitle Ehrbegicrde aus dem Herzen verbannen möchten. Erstens durch ein Gleichniß, und zweitens, durch einen merkwürdigen Denkfpruch, da er merkte, sagt das Evangelium, daß die Gäste wählten obenan zn sitzen, daß sie sich nach den vornehmsten Plätzen beym Tische drängten, sprach er zu ihnen folgendes Glcich- niß. wenn du von jemand zur Hochzeit geladen wirst, so setze dich nicht aus Ehrgeiz obenan, «s möchte etwa ein vornehmerer als du von dem Hausherrn geladen seyn, und so alsdann der Herr deS Gastmahlü kommt, der ihn und dich geladen hat, und zu dir spricht, weich diesem, und rücke herunter, darüber würdest dubeschamt werden, und genöthjget seyn, mit Schaam un¬ tenan — ( 48o ) — tena» zu sitzen. Sondern wenn du geladen rvirst, so geh hin, und setze dich untenan, auf Laß, wenn derjenige kommt, -der dich geladen hat, zu dir spreche, Kreund, rücke hinauf, du sodann Ehre haben mögest vor denen, die mit dir zu Tische sitzen. Das Hinaufrücken wird dir im Ange¬ sichte derjenigen Ehre bringen, die zugleich zum Hochzcitmahle geladen worden, das Hinabrücken aber würde verächtlich machen. — Jesus wollte näm¬ lich durch dieses Gleichniß so viel sagen, ein Mensch solle nicht so hochmüthig sepn, und sich nach der Dberstelle drängen, sondern er solle sich vielmehr de- müthigen und warten, bis er rechtmäßiger Weise da¬ hin gcführet werde, das erste wäre unvernünftig und lhöricht gehandelt, das Letzte aber wäre nach den Regeln des Wohlstandes und der Klugheit, nie¬ mand solle sich seiner Vorzüge wegen über andere erheben, und seinenNächsien verachten, sondern sich vielmehr vor ihnen demnthigen. Und diese schöne Lehre fastet Jesus zweytenS noch bündiger in einem kurzen Dcnkspruche, in welchem er zugleich den dringendsten Bcwcgungsgrnnd, den Hochmuth zu fliehen und die Demuth zu üben, angibk, denn wer sich selbst erhöhet, lautet der Spruch, der soll erniedriget werden, und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet werden, da dieser göttliche Denksprnch ganz klar ist, da das darinn enthaltene Versprechen von der Erhöhung des Demnthigen, und die Drohung von der Er¬ niedrigung des Hochmüthigen ganz deutlich ist, so braucht cs nicht, daß ich euch dieses, meine werthcstcn Christen/ "erkläre, Wir wollen vielmehr anjetzo — ( 48r ) anjetzo diesen schönen Denkspruch, sammk dem Gleichnisse auf uns anwenden, wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget werden, und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet wer¬ den , merket euch dieses wohl, Christus wollte dadurch nicht allein den Pharisäern, sondern auch uns die Dcmuth vor Gott und vor den Menschen an¬ empfehlen, und den HochMukh verabfcheuungswürdig abschildern, er lehrte hier bey dem Gastmahle nicht allein mit Worten, sondern auch mit feinem heilig¬ sten Bcyspicle diese schöne Tugend, dicDemuth, denn er war ohne allem Zweifel die vornehmste Person bei¬ der Tischgesellschaft des Pharisäers, da er der Herr aller Herrschaften, der König aller Könige war, er begehrte aber dennoch nicht, obenan zu sitzen, son¬ dern sah vielmehr den stolzen Pharisäern eine Weile zu, wie sie um dieObcrstelle herumgicngen, und dar¬ nach strebten, die ersten Platze einzunehmcn, er be¬ schämte sie also durch sein heiligstes Bcyspiel, und da sie dieses nicht merken wollten, bestrafte er sie noch deutlicher mit Worten in seinem vorhin ange¬ führten Gleichnisse, er versicherte sie, daß Gott die Demüthigen gewiß erhöhen, die Stolzen aber ernie¬ drigen werde. — Und die Wahrheit dieser seiner Ver¬ sicherung zeiget uns sowohl die weltliche als geistliche Geschichte, wo «nS unzählige Beyspiele erzählet wer¬ den, von Demüthigen, die erhöhet wurden, und von Hochmüthigen, die tief erniedriget wurden. Ich will euch nur etliche Beyspiele aus der heiligen Ge¬ schichte anführcn, woraus ihr abnehmen könnet, daß dieses Versprechen und diese Drohung Christi öf¬ ters in Erfüllung gehen. Luzifer, der jetzige Obersts ErMr. d. Evang. II. Ihl. H h der — s 482 ) derTeufel, wurde vom Himmel in die Hölle gestnrzet, worüber der heilige PetruS inftinem zweyten Briefe 2 Kapitel eine merkwürdige Anmerkung machet, wenn Gott seinen Engeln, seinen Günstlingen, seinen Hofher¬ ren, einer so großen Menge vortrefflicher Geister nicht verschonet, weil ste hoffärtig waren, wie wird er den hochmüthigcn Mensche» verschonen? —Unsere ersten Eltern wurden aus dem schönen Eden in eine Gegend, wo nur Distel und Dörner von sich selbst wuchsen, oerstossen. Sie wollten vortrefflicher und erhabener werden, und sie wurden geringer, verächt¬ licher, und sehr erniedriget. Der hoffartige Hainan mußte fein Leben schändlich am Galgen endigen, der stolze König Ncbukahnezar wurde gleich den unver- nüuftigen Thicrcn in den Wald verwiesen, und mu߬ te gleich einem Ochsen in Zeit von sieben Jahren Krauter fressen, dem hochmüthigen Feldherrn Nika- nor wurde seine großsprcchende Zunge ausgerissen, sein Haupt abgeschlagen, und seine Hände abgeschnitr ten. —Wie viele Kaiser und Könige, wie aus der weltlichen Geschichte bekannt ist, wie viele mächtige Kriegshelden und Große der Welt , die allzu aufge¬ blasen waren, und sich zu sehr erhoben hatten, wur¬ den auf das tiefste gedemüthiget, und wurden in den Abgrund der Erniedrigung gestürzet, da sie entweder indemGcfolgeihrerUebcrwinder zum größtenSpotte uachgcschleppet wurden, oder da sie ihr Leben in ei¬ nem stinkenden Kerker endigen mußten. — So fehlet es uns auch nicht minder an Beyspiclen von jenen, die sich selbst demüthigten und erniedrigte», aber von Gott erhöhet wurden, so wurde Joseph, der demü- thigste unter seinen Brüdern, aus den zweyten Stuhl Aegyp- — ( 48Z ) — Aegyptens erhoben , David , der kleinste und ver- achtekste unter seinen Brüdern, auf den Thron Israels, Esther, eine demüthige Waise, zu einer grossen Kö» niginn, und Maria, die dcmüthigste unter allen Jungfrauen, gar zur Würde einer Mutter Gottes erhöhet, so, daß ste selbst diese Erhöhung ihrer Dc- muth zuschrieb, in jenea bekannten Worten, der Herr hat die Demuth seiner Magd angesehen, und hat große Dinge an mir gethan, sie wurde die erhabenste unter allen Kreaturen, weil sie unter allen die demüthigste war. — Ein dcmüthigeö Be¬ tragen hat allezeit wehr Leute glücklich und beliebt gemacht, als eine hochmüthige und stolzeAufführung. Gott gibt nur den Demüthigen seine Gnade, und zeiget sein Wohlgefallen an ihnen öfters öffentlich vor der ganzen Welt. Wertheste Christen, merket euch diese vortreffli¬ che Sittenlchre, des zwcyten Theils unsers Evange¬ liums sowohl, als jene des ersten Theils, und drü¬ cket dieselbe eurem Gedächtnisse tief ein, denket wohl und öfters daran, welchen vortrefflichen Lehrer und welches herrliche Muster von einem auferbaulichcn Umgänge mit andern wir an unscrm Erlöser haben. Jesus verband mit dem Umgänge mit andern jeder¬ zeit einen heilsamen Unterricht, er lehrte nicht nur in den Synagogen, sondern auch in den Häusern, nicht nur in der Versammlung der Apostel und seiner heili¬ gen Anhänger, sondern auch in der Gesellschaft der Heuchler und Gottlosen, uns zum Muster, wie wir unfern Umgang mit unftrm Nächsten erbaulich und nützlich cinrichten sollen, uns zum Beyspicle, daß wir die Erbauung nicht auf die Kirchen und gottes- H h 2 dienst- — ( 484 ) — dienstliche Versammlungen einschrenken, sondern daß wir auch im Umgänge, und in jeder Zusammenkunft uns einander gelcgenheitlich unterrichten und erbauen sollen, ein auferbaulicher Wandel muß einen Chri- sten vor andern kennbar machen, durch einen erbau¬ lichen Umgang müssen die Wahrheiten nnsers Glau¬ bens in Ausübung kommen, mH die Liebe des Näch¬ sten thätig und kennbar werden. — Und wie manchem unserer Nächsten könnte man auf solche Art nützlich werden, wie viel Gutes könnte auf diese Art gestif¬ tet werden, wie viele Sünder könnten von dem Ran¬ de ihres Verderbens zurückcgezogen werden, wenn sie, nachdem es die Umstände erfordern, freundschaft¬ lich ermahnet, bedrohet, oder bestrafet würden, ein guter Christ unterscheidet sich leicht auch im Reden und Gesprächen von dem Welkmenschen, er ahmet hierinn seinem Heplande nach, er hält es für noth- wendig, seine Gottesfurcht in seinen Reden und Handlungen blicken zu lassen, Liebe, Aufrichtigkeit, Wahrheit und Sanstmuth ist seine Sprache, die er mit seinem Nächsten führet. Er läßt nach der Vor¬ schrift des heiligen Paulus Ephes. 4. kein böses Ge¬ schwätz aus seinem Munde gehen, sondern redet nur, was zur Auferbauung des Glaubens, und denen Gnade zu verschaffen dienet, die znhören. Die Haupkabsicht, warum Jesus diese Phari¬ säer, die von den verstockten Juden waren, mit sei¬ ner Gegenwart und mit seinem vertrauten Umgänge beehrte, gieng dahin, um sie von ihrerBlindhcit zu befreyen, und von dem Abgrunde ihrer Sünden hcrauszuziehen, uns zur ewigen Lehre, daß wir de» Umgang, mit den Sündern nur in so weit pflegen sol- — l 48L ) — solle», damit wir sie mir Worten und guten Bey- fpielen zur Bekehrung bringen, ihnen die Augen über ihre Verirrungen offnen, einen Abschen vor den La¬ stern und eine Liebe zur Tugend einflößen möchten. — Und wenn wir auch .einige Beschimpfungen und Spötterepcn von ihnen leiden müßten, wie die Pha¬ risäer auf Jesus Worte lauerten, um ihn in Scha¬ den und Schande zu bringen, so soll uns dieses doch nicht abschrccken, sondern wir sollen vielmehr hoffen, Gott werde durch seine Gnade ihre Herzen endlich rühren, daß sie ihr ungerechtes Verfahren bereuen, und uns endlich Gerechtigkeit wiederfahreu lassen. Endlich zeigt uns Jesus auch heute die Weise und Art, wie wir uns auf der Welt in Gesellschaft gegen falsche und verstellte Menschen verhalten sollen, deren cs noch immer unter unS gibt, welche sich äusserlich freundlich »»stellen, aber im Herzen es nicht gut mit uns mepnen. Christus selbst war von solchen nicht frei). Wenn wir nämlich mit solchen zu thuu. haben, so sollen wir behutsam im Reden, und für- sichtig in all unserem Thun und seyn Lassen, denn so machte es Christus im heutigen Umgänge mit seinen versteckten Feinden, den Pharisäern, sie konnten ihm daher nicht beykommen, weil er in all seinem Lhyn und Lassen auferbaulich lebte, wenn solche verstellte Leute nichts als Gutes an uns sehen, wenn wir ihnen all- zeit sittsam, höflich, freundlich und bescheiden be¬ gegnen, so werden sie beschämt, und werden ihre Feindseligkeit endlich bereuen. — Dieses ist nun die ganze vortreffliche Moral,,die Jesus seinen Feinden, und auch uns seinen Freunden H h Z ber» — ( 486 ) — bey der Mahlzeit eines reichen Pharisäers gegeben hat, vergesset dieselbe niemals, meine werthesien Christen, sondern erinnert euch stets an diese schöne Weise und Art, rvie Jesus den Stolz seiner , aufge¬ blasenen Tischgenossen zu Schanden gemacht hat. Bestrebet euch künftighin, nach seinem heiligsten Beyspiele, auch liebreich mit euren Feinden umzu¬ gehen, befleisset euch, in eurem Umgänge mit an¬ dern, im Rede», in Geberden und Handlungen euch auferbaulich zu bezeigen, um die Ehre Gottes und das Heil eures Nächsten, so viel in euren Kräfte» steht, zu befördern. — Lasset eure Gedanken ernstlich dahin gerichtet seyn, den Sabbath recht nach dem Sinne des Evangeliums zu fer-eru, fern scy von euch, ihn jemals durch Müssiggang, oder gar durch sünd¬ hafte Werke zu entheiligen, lasset eure ernsthafte Bemühung dahin gehen, daß ihr ihn stets durch lau¬ ter solche Werke heiliget, die Gott gefallen, und euer eigenes, wie auch eures Nächsten Heil beför¬ dern, und bestrebet euch vorzüglich, allen heimlichen Hochmuth in euch zu zernichten, und um Jesu willen euch hienieden zu demüthigen, so werdet ihr gemäß dem heutigen Versprechen Jesu einstens von Gott in Himmel erhöhet, und auf den Thron der Herr¬ lichkeit erhoben werdem Amen. Auf ( 487 ) Auf den sieberrzehntenSonrrtag nach Pfingsten. - * M »I » Evangelium Matth XXH. z§—46. Einer von denGrsetzverständigen fragte Jesum, um ihn zu versuchen, u«d sprach zu ihm, Mei¬ ster , welches ist daö vornehmste Gcboth im Ge¬ setze? Jesus aber sprach z« ihm, du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüthe, dieses ist daS größte und erste Gebo'th. Das zweyte aber ist diesem gleich, du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst. An diesen zweyen Gebo- then hängt das ganze Gesetz und die Propheten. Da nun die Pharisäer beysammen waren, fragte sie Jesu§ , «nd sprach , was danket euch von Christo, wessen Sohn ist er? sie sagten zu ihm, Davids, er sprach zu ihnen, wie nennet ibn denn David im Geiste einen Herrn, da er spricht, der Herr hat gesagt zu meinem Herrn, setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße, weuu nun David ihn einen Herrn nennet, wie ist er sein Sohn, und niemand konnte ihm ein Wort darauf antworten, noch unterfieng sich jemaud Voa demselben Tage an, ihn ferner zu fragen. Hh 4 Einer — ( 485 ) — Einer von ibren Gesetzverstandigen fragt» Jesum, um ihn -u versuchen, Meister, welche« ist da« vornehmste Gr- both im Gesetze. Matlh. XXI l. v. ZZ. z6. Eingang. Ahristus hatte wahrend seines öffentlichen Predigt- armes mit seinen Feinden fast beständig zu streiten und zu kämpfen, die Pharisäer undSaddncäer, zwo Hauptsekten der Juden, schienen gleichsam zusam- rnengeschworen zu haben, daß sie alles anwenden wollten, was seinen Ruhm verdunkeln, und ihm die Liebe des Volkes rauben könnte. — In kurzer Zeit hatte er drey solche Anfalle auszustehen, zween von Scireu der Pharisäer, und einen von Seiten der Sadducäer, nachdem er nämlich die Pharisäer in ih rerFrage we^eu den Zinnßgrvschen beschämet hakte, wie uns solches Matthäus in dem nämlichen Kapitel erzäh¬ let, so traten bald hernach die Sadducäer auf, um auch durch eine Frage, welche besonders die Aufer¬ stehung der Tobten betraf, die ste nicht glaubten, in Verlegenheit zu setzen, sie erzählten ihm nämlich eine , alberne Fabel von einem Weibe, das sieben Männer nacheinander gehabt hatte, wenn nun dieses Weib mit ihren Männern auferstehen sollte, fragten sie,' welchem aus diesen sieben würde cs zugehören.— Durch diese Frage und diesen scheinbaren Einwurf dachten sie, die Lehre von der Auferstehung der Tob¬ ten lächerlich zu machen, und zngleich Christum, der für einen großen Lehrer angesehen wurde, vor der Wett zu Schanden zu machen, wenn er, wie sie sich thöricht einbildeten, diesen Einwurf nicht auf- löfeu könnte. Chri- °— ( 489 ) — Christus verstopfte ihnen gar bald den Mund dergestalt, daß sie ganz beschämt dastunden. Ahr irret, sprach er zu ihken, nach der Auferstehung heurathen die Menschen nicht mehr, sonder» werden seyn wie die Engel Gottes. Ahr versteht auch die Schrift und Rraft Gottes nicht. Ihr wollet euren Verstand, nm die göttlichen Schriften zu verstehen, nicht gebrauchen. Habt ihr nicht ge¬ lesen, was in den Büchern Mosis, die ihr doch als göttlich annehmet, zu lesen ist, daß sich Gott einen Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs nennet? Sind diese aber nicht schon lange todt? Gott ist aber kein Gott der Lobten. Wenn sich also Gott einen Gott Abrahams^Jsaaks, Jakobs nennet, so muffen diese heiligen Patriarchen in jener Welk noch leben. Ihr ir¬ ret also, und wisset die Schrift nicht. — Ihr irret auch, und versteht die Kraft Gottes nicht; ihr habt gewiß niemals recht »achgedacht, wie groß die All¬ macht Gottes in den Werken der Schöpfung ist, da^ er den Menschen auS einem Erdklohe gemacht und be¬ lebt hat? Hat Gott nach seiner Kraft, da der Mensch noch nichts war, ihn znm lebendigen Wesen schaf¬ fen können, o! so wird es ihm ja weit leichter sepn, den Menschen aus dem Staube, in welchen er nach sei¬ nem Tode zerfällt, wieder hervorzubringen und auf- siehen zu machen. Mit diesem Wenigen waren die Saddueäer so einleuchtend widerleget, daß sic ganz beschämt, ohne rine Antwort darauf geben zu können, -avongiengen» und daß alle Zuhörer über die Gelehrsamkeit Jesu er-^ staunreu. — Kaum aber war unser Erlöser mit die¬ sem Thcile feiner Feinde fertig, so stund schon die an» H h F dere — (49<>) — dere Parthey gegen ihn auf. Die Pharisäer nämlich, neidisch über diesen Sieg Jesu, versammelten sich, setzten all ihre Spitzfindigkeit zusammen, und schikten einen von ihnen zu ihm hin, um ihn durch eine ande¬ re schwere Frage aufdie Probe zu stellen. Das heu¬ tige Evangelium handelt nun meine werthesten Chri¬ sten, von dieser Frage, welche die Pharisäer aus Haß und Feindschaft unferm Heylande vorlegten, die er aber zur allgemeinen Befriedigung beantwortete. Zweytens aber handelt es noch von einer andern Frage, welche Christus den Pharisäern vorlegte, die sie aber nicht auflöseten. Beyde Fragen nun, sowohl jene der Pharisäer, als jene Christi werden die beyden Theile der heutigen Erklärung des Evangeliums aus¬ machen. Schenket mir in beyden eure gewöhnliche Geduld und Aufmerksamkeit. Erster Th eil. Aie Pharisäer waren geschmorne Feinde von den Sadducäern, indem ihre Lehre und Lebensart der ihrigen ganz und gar zuwider und entgegengesetzt war. Da die Sadducäer aus allen Büchern des alten Te¬ staments nur die fünfBüchcr Mopses annahmen, auch sogar die Vorsehung Gottes, die Unsterblichkeit der Seele, und die Auferstehung der Todten läugneten, folglich keinen Himmel und keine Hölle für den Men¬ schen glaubten, und also ihren falschen Grundsätzen gemäß, ihre Tage in Wollüsten, als worin« sie ih¬ re höchste Glückseligkeit setzten, zubrachten, weil sie sich eiubildeten, diese ihre Glückseligkeit endige sich ganz and gar - mit diesem gegenwärtigen Erdenle- ben. Die — ( 4t>r ) — Die Pharisäer aber hatten eine ganz entgegenge¬ setzte Lehre und Lebensart; sie glaubten an alle Bü¬ cher des alten Testamentes, an die Vorsehung Got¬ tes, an die Unsterblichkeit der Seele, und behaup¬ teten die Belohnungen und Bestrafungen des Gese¬ tzes betreffen Leib und Seele, und erstreckten sich über die Gränzen dieses Lebens hinaus; sie führte» auch eine, wenigstens äusserlich strenge Lebensart, und galten bey dem Volk viel, da jene bey den Vor¬ nehmen in Gunst und Ansehen stunden. Es laßt sich also aus dem heutigen Evängclium leicht ermessen, meine werthesten Christen, wie sehr die Rotte der Pharisäer auf die Person Jesu müsse verbittert gewesen seyn, da sie sich lieber zu dcnSad- ducäern, denen sie spinnefeind waren, schlagen woll¬ ten , um Jesum anzugreifen, als ihm seinen erworbenen Ruhm lassen. Sie sahen es mit schielen Augen an, daß Jesus eine» so herrlichen Sieg über die Sadducäer erworben, sie beneideten ihm die Eh¬ re, die er im Streite mit jenen davongetragen, und wollten seinen Ruhm, der dadurch bcym Volke ver- gröffert worden, verdunkeln. In dieser Absicht ver¬ sammelten sie sich, um sich zu berathschlagen, auf was Art sie ihm am füglichsteu schaden könnten. Sie sannen auf eine recht schwere Frage, wodurch sie ihm eine Falle legen möchten , wenn er diese nicht gehö ¬ rig beantworten könnte, daß er seine Liebe, seine Hochachtung und seinen Beyfall bey dem Volke vcr. liereu , und in Schänd und Verachtung gebracht wer. den möchte. So -- < 49« ) So dachten die Boshaften! Mein der Herr machte ihre Bosheit zu Schanden. Sie meynetendie Sache recht schlau anzustellen. Sie wollten nicht al¬ le zugleich zu Jesu hingehen, er möchte sonst ihre Arglist alsbald entdecken, sondern sie schickten nur einen Schriftgelehrten von ihrer Sekte an ihn ab. Sie dachten bey sich selbst also, wird dieser siegen, so wird ihm die Ehre nicht allein seyn, sollte er aber etwa wie die Sadducaer zu Schanden gemacht wer¬ den, so können wir sagen, er sey nur ein junger Schriftgelehrter, er sey nur ein Schüler und Anfän¬ ger im Gesetze, und die Schande wird nicht ans die ganze Sekte fallen. Die Frage aber, oder vielmehr die Falle, in welcher sie Jesum zu fangen glaubten, bestund darinn, daß dieser abgeordnete Schriftgelehrte sagen mußte, Meister, welches ist das größte Geboth im Ge¬ setze ? Sie halten zwar diese Frage, dem äusserli¬ chen Ansehen nach, listig ausgesonnen, denn weil die Sadduzäer die Auferstehung der Todten läugnc- tcn, so stellte sich dieser an, als wäre er nicht so bößartiZ, wie jene, er glaube die Auferstehung, wäre aber nicht begierig zu wissen, welches Geboth er vor allen andern zu halten habe, wenn er in der Auferstehung des ewigen Lebens theilhaftig werden wolle. Um sein tückisches Herz desto mehr zu verber¬ gen, sprach er: Meister! Welches ihm gewiß nicht von Herzen gieng, denn dafür hielten die Pharisäer J'esum nicht, sie sagten vielmehr, woher kann die¬ ser die Schrift, da er sie nie gelernet hat. Sie maßten sich diesen Titel und diese Würde allein an, da sie Rabbi heißen wollten. Allein er dachte viel¬ leicht, — ( 495 ) — leicht, es kömmt mir auf das Wort nicht an, ich werde ihn durch diese Schmeicheley desto eher zur Offenherzigkeit bringen. . „Meister, welches ist das größte Geboth im Ge- setze?" Mancher aus uns, meine wcrthesten Chri¬ sten, wird vielleicht bey stch denken, ist denn dieses eine schwere Frage, welche dieser Schriftgelehrte Christo vorlegke? Darauf ist ja leicht zu antwor¬ ten. — Nach der gegebenen Auflösung von Christo kann sie uns freylich nicht schwer scheinen, aber in dem Sinne der pharisäischen Lehrer, welche der Ge- bothe so viele, als Tage im Jahre, hatten, und der Verbothe fast ebenso viele zusammengesetzt und hinzugedacht hatten, war sie allerdings'schwer und wichtig. —- Dieses war eine ihrer gelehrtesten Streit¬ fragen, welche zu endlosen Streitigkeiten Gelegen¬ heit, und Stoff zu fast eben so vielen Mepnungen gab, als Gcbothe in dem Gesctzbuche Mosis waren, denn der Eine hielt dieses Geboth, der Andere jenes für das wichtigste, der Eine entschied für das Ge¬ both der Beschneidung, der Andere für den Sabbath, der Dritte hielt das Geboth von den Opfern für das wichtigste im Gesetze, so, daß sie sogar erlaubten, die Gabe, welche den Eltern zu ihrer Unterhaltung gegeben werden sollte, hinwegzunehmcn und zu opfern, andere hielten wiederum andere Stücke für die wichtigsten. — Sie dachten vielleicht, Jesus mö¬ ge eine Parthey ergreifen , welche er wolle, so wer¬ de er eine andere wider sich bekommen; so weit kam ihre Bosheit, daß sie sogar das Wort Gottes zum Netze machen wollten, Jesum den Redlichsten unter den Menschen zu fangen. Allem — ( 4y4 ) "°- Allein diese ihre Arglist lief zu ihrer eigenen Be¬ schämung aus; denn Christus kehrte sich nicht lange an ihre vielen Streitigkeiten, sondern wies ihnen kurz den Inhalt aller Gcbothe vor, und beschämte sie damit auf einmal, zeigend, wie unnöthig und thöricht ihre Zäukerenen darüber wären. Gott und den Nächsten lieben, dahin zielten alle Gebothe; dieses habe Gott selbst schon längstens entschieden , sie sollten sich also nur dahin bestreben, diese Gebothe zu halten. Du sollst Gott deinen Kerrn lieben, war seine Antwort., von ganzem Herzen, von gan¬ zer Seele, und von ganzem Gemüthe, dieß ist das vornehmste und größte Geboth. Das anders aber ist dem ersten gleich, du sollst deinen Näch¬ sten lieben, als wie dich selbst. In diesen zweien Gebothen hängt das ganze Gesetz und die Pro¬ pheten.— Wodurch er sagen wollte, jenes ist ohne Zweifel das größte Geboth , welches befiehlt, Gott für das höchste liebenswürdigste Gut anzusehen, alle Kräften Leibs und der Seele dahin zu verwenden , daß man ihn liebe, daß man seinen Witten khue, ihn nicht beleidige, daß man au seinen Worten uu^ Befehlen, an seinen Werken und Wohlthaten den größten Wohlgefallen habe, und durch alle seine Ge¬ danken, Begierden und Handlungen zeige, daß man ihn über alles Hochschatze, und lieber alles verlieren wolle, als ihn das höchste Gut. — Das andere Ge- Lokh von der Liebe des Nächsten ist auch eines der größten, und hat einen Vorzug vor allen andern, die ihr Pharisäer irriger Weise für die größten Ge¬ bothe haltet. In diesen zweycn Gebothen der Liebe ist das ganze Gesetz begriffen, den» das ganze Ge¬ setz — ( 495 ) — fetz zielt zur Liebe Gottes und des Nächsten. Die zehn Gebolhe sind in zwo Tafeln getheilet, diedrey Gcbolhe auf der ersten Tafel betreffen alle die Liebe GottcS, die sieben Gebothe auf der zwotcn Tafel betreffen alle die Liebe des Nächsten. Diese zwcy Ge¬ bothe machen also die Summe und den ganzen In¬ halt aller anderer Gebothe aus. Nutzanwendung. Sehet, meine wcrthesten Christen, auf solche Art entgieng nuscr Erlöser der Falle seiner Feinde , und beschämte durch seine schöne Antwort ihre Arg¬ list. Da aber diese zwey Gebothe, von welchen er hier redet, die wichtigsten im ganzen Gesetze sind , so verdienen sie gewiß wohl von uns betrachtet zu werden. Wir haben es zwar schon einmal in diesem Jahre gethan, doch, weil sie so wichtig sind, und wir uns nie genug zur Liebe Gottes und des Näch¬ sten ermuntern können, so wollen wir es heute noch einmal lhun. Unter allen Pflichten, die uns Gott anferlegct, ist gewiß keine so verbindlich, als die Pflicht ihn zu lieben. Um Gott aber recht zu lieben, ist es nnr nöthiq, ihn recht zu erkennen. Du sollst Gott deinen Herrn lieben von gan¬ zem Herzen, von ganzer Seele, und von ganzem Gemüthe. Betrachtet diese Worte alle wohl, so wie sie Jesus ausgesprochen hat. — Du sollst Gott dei¬ nen Herrn lieben. Jesus will, wir sollen Gott als Gott und als unfern Herrn lieben. Er ist Gott, alles also, was gut, was schön, was vollkommen ist, kömmt nur allein von ihm her, er ist unser Herr, Herr, unser Regierer, unser Erhalter, unser Va¬ ter, unser Beystand und Alles. Er ist Gott, das ist, ein unendliches, unermeßliches, ewiges, allmäch¬ tiges, höchstvottkommcnes Wesen, das alle mögli¬ che Vollkommenheiten in sich ei'nschließet, folglich ein unendlich liebenswürdiges Wesen. Alles, was immer an den Geschöpfen Großes, Schönes, Or¬ dentliches, Liebenswürdiges zu sehen ist, kömmt nur von ihm, unserm Gott, als der ewigen Quelle alles Guten und Schönen, her. Alles, was auf Erden unsere Liebe reitzen kann, als Rcichthümer, Hoheit, Macht, Schönheit, Güte, Geschicklichkeit, alles dieses, so reihend und bezaubernd es uns im¬ mer an erschaffenen Dingen vorkomme« kann, ist doch nur ein unvollkommener Schatten von der Macht, Größe Güte und Schönheit Gottes. Als Gott sollen wir ihn lieben, das ist, als das aller¬ höchste Gut, welches allein unserer Liebe würdig ist, weil es allein unser Herz ersattigen kann, ein Herz, welches in seinen Begierden gewissermassen unendlich ist, und welches zwar eine Zeitlang mit irrdischen Gütern unterhalten, niemals aber begnü¬ get werden kann. — Gott, dessen Liebe zu uus un¬ endlich ist, und keine Grenzen hat, der uns von Ewigkeit her, ehe wir ihn lieben konnten, schon liebte, diesen sotten wir lieben, ihm unsere ganze Herzensneigung schenken, wir sollen lieben, was er liebt, hassen, was er hasset, thun, was er will, das wir thu» solle», und unterlassen, was er uns zu unterlassen gebiethet. Auch — ( 497 ) — Auch das Maaß dieser Liebe zu Gott bestimmet heute Christus. Aus ganzem Herze», aus ganzer Seele, und aus ganzem Demiithe sollen wir ihn lie¬ ben. Aus ganzem Herzen, das ist, daS kostbarste und liebste, was wir haben, unsere ganze Zärtlich¬ keit und all unsere Neigungen sollen wir ihm schen¬ ken. Aus ganzem Herzen, das ist, ohne alle Thei- lung sollen wir ihn lieben, weil, er einzig und allein unser Gott ist, weil jede Theilung in der Liebe für ihn beleidigend ist, da unser Herz für ihn allein ge¬ machtist, so will er's ganz haben, wir dürfen es daher nicht zwischen ihm und den Geschöpfen theilen, noch weniger ihm ein geringes Geschöpf vorzichen. Aus ganzem Herzen müssen wir ihm zu gefallen su¬ chen, aus demselben alles, waS ihm mißfällig ist, alle böse Neigungen und Leidenschaften verbannen , wir müssen gegen alles dasjenige, was ihn angeht, niemals kaltstnnig oder gleichgültig, sondern auf¬ merksam und gefühlvoll sepn, denn'so verhält man sich gegen dasjenige, was man von ganzem Herzen liebet. Zweitens aus ganzer Seele sollen rvir ihn lieben, das ist, alle Kräften unserer Seele, unfern Verstand, Willen und unser Gedächtniß müssen wir zu seiner Ehre verwenden, aus Liebe zu ihm müssen wir alles thun, alles leiden, alle Unglücksfälle und Beschwernisse dieses Lebens seinetwegen geduldig er¬ tragen, uns alle mögliche Mühe geben seine Ehre zu befördern, ihn allen irrdischen Gütern weit vorzie¬ hen, lieber alle Güter, alle Ehren, ja das Leben selbst verlieren, als etwas begehen, das wider sei- «cn heiligsten Willen wäre. Aus ganzer Seele, das EEr.d.Evang.U.IH. I' ist, ( 4y8 ) ist, aufrichtig müssen wir ihn lieben, nicht bloß in Gedanken, oder bösen Willen und Worten, nicht ' allein mit zärtlichen AnmukhuNgcn des Herzens, sondern in Werken, so, daß wir ihm zu Liebe mehr thun , als wir in der Welt thun- einer gewissen Per¬ son zu gefallen. Drittens aus ganzem Gemüthe sollen wir ihn lieben, das heißt, wir sollen all unsere Gedanken und Begierden auf ihn richten, öfters und Mit Ver¬ gnügen an ihn denken, mit Freuden und Ehrfurcht von ihm reden, und uns gerne mit ihm in unserem Gemüthe beschäftigen, denn so verhalt matt sich ge¬ gen denjenigen, welchen man von ganzem Gemü¬ the liebet/— Auf solche Weife will Jesus- daß wir Gott lieben sollen, meine werHcsten Christen. Und die Regel der Nächstenliebe, die er uns ge¬ geben, wie lautet diese? Du sollst deinen Näch¬ sten lieben wie.dich selbst, das ist, auch mit einet l aufrichtigen, beständigen, kräftigen Und Hakigen Liebe; er sagt nicht, du sollst deinen Nächsten lie¬ ben, wie ein Freund den andern, oder wie ein Bi n¬ der seinen Bruder liebet, denn die Freuudschastett werden öfters leicht gctrenuet, und die brüderliche Liebe ist ost dem Hasse und Neide unterworfen; er sagt auch ljicht, du sollst deinen Nächsten lieben, wie ein Sohn seinen Vater, oder wie Vater und Mutter ihre Kinder liebe», denn die Erfahrung lehret, daß diese von Anfällen des Zorns und der Feindschaft nicht allzeit frey sind, und sich zu Zeiten einander betrü¬ ben. Daher gibt er jene Regel nicht, sondern diese: du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst. Sich selbst hasset nnd betrübet man niemals, mer¬ ket — ( 499 ) — kct daher diesen Ausdruck wohl. Die Liebe, die wir zu uns selbst haben, ist gewiß die stärkste Liebe, die wir zu was Erschaffenes trügen, jede andere Liebe muß dieser, die wir zu unS selbst tragen, weichen. Lasset uns nur, meine werthesten Christen, in We¬ nigen betrachten, wie wir uüs selbst lieben, um das Maaß der Liebe, die wir unscrm Nächsten schuldig sind, besser bestimmen zu können. Wir verlangen , daß Uns andere thun, was nnS nützlich und ange¬ nehm ist, und im GegeNtheile, daß ste uns niemals was thun, was uns schädlich oder unangenehm ist, wir verlangen, daß Man uns niemals einen Scha¬ den znfüge, daß man uns niemals beleidige, nie¬ mals betrübe, uns nichts sage, was uns Mißfallen vder verdrießen könnte, wir verlangen, daß man uns Gefälligkeiten erweise, Unsere Fehler und Schwachhei¬ ten nachsehr» uns entschuldige, und leicht verzei¬ he. >— Wir müssen also Mich uns so gegen unseren Nächsten verhalten, wir müssen ihm alles Gute gönnen, und herzlich wünschen - und zu seinem Glü¬ cks und Wohlseyn werkthatig beförderlich seyn, wir Müssen uns hüten , ihm etwas zu khuN, was Uns verdrießen würde, wenn Man es nns thäke, wir Müssen seine Schwachheiten, Fehler und ttnvollkom» »Neuheiten geduldig ertragen, kurz, wir müssen uns Nach jenen zwoen bekannten Vorschriften verhalten, Unserem Nächsten alles dasjenige erweisen, was wir wünschten, daß matt es uns erwiese, wenn wir in gleichen Umständen uns befänden, und im Gegen» theilc ihm nichts thun, was wir wünschten, daß matt es uns auch nicht chate. Ji s Dieses —- ( AOS ) - Dieses ist nun olles, meine wertesten Christen, «,as ich zur Erklärung der schönen Antwort, die Je¬ sus auf die Frage des Pharisäers gab, zu sagen für nöthig erachtete. Es ist nur anjetzo noch übrig, daß ich euch auch jene Frage erkläre, die Jesus dem Schriftgelehrten hinwieder aufgab. Lasset mich dieses in dem zweyteu Predigttheilc thun, ich werde mich da etwas kürzer fassen, weil ich im ersten Thcile etwas weitläuftiger gewesen. ZweyLer LH eil. Ahristuö nicht zufrieden, die Pharisäer durch An« gebung und Erklärung des größten Gebothes von ei¬ nem wichtigen Jrrthume befreiet zu haben, wollte sie auch zur Erkenntniß des Meßias, und folglich zur Erkenutniß ihres wahren Heils bringen. In die¬ ser Absicht legte er ihnen eine wichtige Frage vor, sie hatten ihm eine Frage vorgeleget, die den Grund des alten Gesetzes betraf, er legte ihnen hinwiede¬ rum eine andere vor, die den Hauptgrund des neuen Testamentes, des Evangeliums betrist, er hatte die¬ se seine arglistigen Feinde, die verschiedet unnütze Streitfragen über das Gesetz aufzuwerfen pflegten , das Gesetz aber dennoch nicht recht beobachteten, son¬ dern Menschensatzungen, die ihre Väter gemacht hat¬ ten, emporzubringen trachteten, diese seine Feinde hatte er durch Erklärung des Gebothes der Liebe heimlich bestrafet, und durch die Vorlegung seiner Frage suchte er ihnen zu Gemüth zu führen, daß sie sich um eine wichtigere Sache, nämlich um die Er- kenntniß des Meßias, anjetzt bekümmern sollten. Dieses — ( ) — Dieses wäre in den gegenwärtigen Tagen wohl die allcrwichtigste Frage, da Christus nicht allein in der Welt schon angekommen, sondern ihnen npn wirklich gegenwärtig sey, igid heute das letztemal im Tempel mit ihnen rede, es wäre also Zeit, daß sie diese Fra» ge wohl überlegten, und Christum erkannten und arr^ nahmen, die Betrachtung und Erörterung dieser Frage wäre also gewiß in diesen Zcitumständen für jüdische Schriftgelehrte die allerwichtigsie, die sie immer er¬ sinnen konnten. Was dunket euch von Christo, sprach er daher zu den in dem Tempelgebäude versammelten Pha¬ risäern, wessen Sohu ist er, von wem stammt er ab? — Sie antworteten ihm, er ist ein Sohn Davids, er wird ans dem königlichen Stamme Davids ab- stammen, sie waren nämlich noch in der irrigen Mry- nung, daß der Mcßias ein blosser Mensch, aber mit sonderbarer Heiligkeit und Macht von Gott be¬ gabt sey, der aus dem Geschlechte Davids als ein mächtiger Herr und Held abstammeu, das jüdische Volk von der Oberherrschaft seiner leiblichen Feinde der Römer befrepen, und dasselbe auf dieser Welt in einen glücklichen und herrlichen Stand versetzen wer» de. — Christus suchet aber sie eines Bessern zu be¬ lehren, da er aufihre Antwort spricht, wie nennet ihn aber David im Geiste einen Herrn, da er in seinem r oyten Psalme spricht, der Herr hat gesagt zu mei¬ nem Herrn, setze dich zu meiner Rechten, bis daß ich deine Feinde überwinde, und dir zum Schemel deiner Füße lege, so ihn nun David einen Herrn nennet, wie kann er sein Sohn seyn, David hätte nämlich im Geiste aus Eingebung Gottes vorherge- Ji Z sehen, — ( A02 > — sehen, daß der Mcßias aus seinem Geschlechte soll¬ te gebohren werden „^a er ihn aber einen Herrn heiße«, so folge daraus, daß der Meßias kein blosser Mensch sey, denn David hatte als König der Israeliten auf der Welt, äusser Gott, keinen Herrn über sich- da nun Christus ein Herr Davids genennet werde, so sey klar, daß er wahrer Gott seyn müsse, indem ihn der große König David seinen Herrn, seinen Er-, loser und König nenne. Da die Pharisäer die schlimmsten Absichten hat¬ ten, wenn sic Jesu eine Frage vorlcgken, ss hatte Christus hier.die beste, die heiligste Absicht, da er ihnen seine Frage vorlegte, er wollte sie zu der ih-. tien so nöthigen Kenntniß des Mcßias bringen, er suchte ihnen dadurch Gelegenheit zu geben, mehrere Fragen an ihn zu thun, um dadurch diese so nöthige Erkenntniß zu erlangen, diese Worte Davids hatten der Grund seyn sollen, auf welchem er seinen Un¬ terricht von dem wahren Meßias baue» wollte, er beinühete sich dadurch, sie zur Erkenntniß zwoer Wahr¬ heiten zu bringen, auf welchen sich nythwcndig un¬ ser Glaube und unsere Seligkeit gründet, Christus sey nämlich Davids Sohn, und doch Davids Herr- das ist, ein wahrer Mensch, und ein wahrer Gott, er forderte nicht nur ihre Wißbegierde auf, machte auch ihre Aufmerksamkeit auf die Erklärung dieser wichtigen Worte eines ihrer größten Propheten rege, damit sie doch seine heiligste Person erkennen möchten. Aber sie schwiegen still, ihre Verstockung war schon zu groß, sie erkannten die liebreichen Absichten Zesu nicht, ihre Heilsbegicrde wurde nicht erwecket, da sie zu sehr mit ihrer Beschämung beschäftiget wa¬ ren- — ( LOZ ) — ren, ja von diesem Augenblicke an unterstund sich keiner mehr von ihnen, Jesu eine Frage vorzulegcn, weil sie befürchteten, sie möchten öffentlich ihrer Un¬ wissenheit wegen beschämet werden, da sie sahen, daß allePartheyen, die Herodianer, Sadducaer und sie, diePharisaer, mit Schande abgewiesen worden, desto mehr aber wurden sie heimlich erbittert, und suchten Jesum mit Gewalt zu tödten, da sie ihn mit ihren Streitfragen um seine Liebe und um sein An¬ sehen beym Volk nicht bringen konnten. Dieses ist nun -er zweyte Theil nnsers heutigen Evangeliums, meine werthestcn Christen, wie trost¬ reich ist dieses nicht für uns, da wir aus der Erklä¬ rung Christi selbst von den Worten Davids sehen, daß diese Wahrheit, ,von Jesu Gottheit und Menschheit, schon von den Propheten anerkannt worden, wie sehr muß dieses unfern Glauben starken, wenn wir sehen, daß mehrere hundert Jahre vor der Ankunft dxs Sohns Gottes in die Welt diese Wahrheit alS eine Grundlage anerkannt worden, daß Mes¬ sias Davids Sohn und Herr sey, — ist dieses nicht die allertheuerste Wahrheit, und das gottseligste Ge-- heimniß, wodurch wir wissen, daß Jesus nicht allein wahrerMensch sey, und als solcher von David durch Maria abstamme, sondern daß er auch nach seiner menschlichen Natur von sein,cm himmlischen Vater über alle Geschöpfe erhaben, zu seiucr Rechten ge- setzet, und zum Herrn über Himmel und Erde ge¬ macht sey, und daß alle seine Femde geschlagen, , und unter seine Füße geleget seycn. — Soll aber diese Wahrheit bloß eine Wahrheit für unseren Ver¬ stand seyn, ohne auf unser Herz einen Einfluß zu Ji 4 haben, — ( Fo4 ) — haben, nein, meine liebenChristen, diese theuersteWahr- heit muß auch für unser Herz seyn, sie muß unser» Glau¬ ben an Jesnm starken, unser Vertrauen auf ihn vermeh¬ ren,und muß uns antreiben,daß wiruns mit aller mög¬ lichen Sorgfalt bestreben, sein «ns hinterlassens Gesetz in allem zu erfüllen, und besonders ihn als unfern Gott und Herrn auf die Weise zu lieben, wie er nns heute selbst vorgefchrieben hat, das ist, ihn aufrichtig, innbrünstig, beständig, und ungetheilt, aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, und aus ganzem Gemüthe zu lieben. — Täuschen wir uns aber nur nicht selbst in einer so wichtgen Sache, daß wir glauben, wir liebten Jcsum unfern Gott schon ge¬ nug, wenn wir dieses mit Worten zu ihm sagen, wenn wir des Morgens und Abends uns vor ihm agrf unsere Km'ee niederwerfen und zu ihm sprechen: mein Gott, ich liebe dich von Herzen, Gott will an¬ dere Proben von unserer Liebe gegen ihn Haben , als blosse Worte sind, denn wir wissen aus der Erfah¬ rung, daß nicht alle die Wahrheit reden, die also sprechen, daß öfters die Zunge, die Gott ihrer Lie¬ be versichert, bald hernach durch böse Reden, durch Verläumdungen, durch Lügen, durch Fluchen und Schwören Gott beleidige, daß jene Hände, die zu dem liebenswürdisten Gott ausgestrecket waren, bald hernach geöffnet werden, um strafbare Frey- heiten zu begehen, um das Gut des Nächsten zu rauben, oder demselben sonst einen Schaden zuzufü- gcn, wir wissen, daß öfters jenes Herz, welches Gott seiner aufrichtigen Liebe versichert, bald her¬ nach dem allerhöchsten Gute ein geringes Geschöpf vorziehe. Täuschen wir uns also, sage ich noch ein¬ mal. — ( Z ) — mal, in einer so wichtigen Sache nur sicht selbst, Gott will eine aufrichtige und thätige Liebe von «ns haben, ans ganzem Herzen, aus ganzer Seele, und aus allen Kräften sollen wir ihn lieben, in der bat und in Werken sollen wir ihm unsere Liebe bezeigen-. Diese Liebe Gottes können wir aber ohne Näch¬ stenliebe nicht ausüben, da Gott nichts bedarf, so können wir ihm an seiner Person keine Dienste lei¬ sten, es bleibt uns also noch eine andere Art, iöur- rmserc Liebe zu erweisen, übrig, wenn wÄ nämlich unfern Nächsten, die seine Ebenbilder, feine Ge¬ schöpfe, seine Unterthanen , seine Erlößten find, Gefälligkeiten erweisen, er will alles, was wir un¬ seren Nächsten erweisen, so aufnehmen, als geschehe es ihm selbst , unseren Nächsten was Gefälliges er¬ weisen , das ist, Gehorsam gegen Gottes Befehle, der Gehorsam gegen Gottes Befehle aber ist nichts anders, als ein äusserlicher Beweis unserer Liebe gegen ihn , wer feine Vorgesetzte unter den Menschen nicht ehret, der ehre auch gcwißlich-Gott nicht, und wer seinen Nächsten hasset, ihm Schaden zufüget, der hat auch keine Liebe zu Gott, wer ein wahrer Freund Gottes sey« will, muß auch ein wahrer Men¬ schenfreund seyn. Alle Tugenden, die wir gegen un¬ sere Nächsten ausüben können/ entstehen ans der Liebe zu Gott, als da sind Wahrheit, Billigkeit, Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit, Gutthätigkeit, Mit leiden und Dicnsifertigkeit. Fasset dieses wohl zu Gcmnthe, meine lieben Christen, und befleißet euch stets, euren Gott übev alles, und euren Nächflcü wie euch selbst zu lieben. Fasset diese Worte wohl, wie euch selbst. Betrach- I i L ttt k Lv6 ) tet wohl, was sie sagen wollen. Setzet euch jeder, zeit in Gedanken in jene Umstände, in welchen euer Nächster sich befindet, und betrachtet, was ihr wünsch, tet," das euch geschehen sollte, oder was man euch nicht thun sollte, das nämliche rhut ihm, oder un¬ terlasset es ihm zu thun, ziehet als Auserwählte Gottes, nach der Ermahnung des heiligen Paulus Kolos. Z. K. ein herzliches Erbarmen, Gütigkeit, Demuth, und Sanftmuth und Geduld an , ver- trage einer den andern, vergebet einander, so wie Gott euch vergeben hat, also vergebet auch, habt die Eiebe gegen einander , welche das Band christlicher Vollkommenheit ist, Seyd nicht zufrie¬ den , euren Nächsten mit der Zunge und mit Worten zu lieben, sondern liebet ihn im Werke und in der Wahrheit, sehet ihr ihn in einer Noth stecken, so kommet ihm zu Hülfe, lebt er in einer Bctrübniß, so tröstet ihn, ist er in Gefahr, unterdrücket zu wer¬ den, so beschützet ihn, suchet nicht nur cureVorthei- le, sondern befördert auch den Nutzen anderer, schauet nicht allein auf euch sondern denket auch auf daS Wohl eures Nächsten, habt stets eine gegenseitige Liebe zu einander, kommet denen, die in einer Ge¬ meinde mit euch leben, stets mit Liebesdiensten zu¬ vor, und erwiedert allen denjenigen Gutes, die euch mit dergleichenDiensten zuvorgekommen sind, trach¬ tet jedem zu helfen, und jeder Noth so viel euch im- wer möglich ist, zu steuren, ist jemand krank, so be¬ suchet ihn, lebt jemand in Kummer und Sorge, ge¬ het ihm mit Rath und Thal an die Hand. Beschützet alle gegen Schaden, Hunger, Blosse, Ehrverletzun¬ gen und Unglücke jeder Gattung, stillet die Unei¬ nig- ( §07 ) nigkciten, Feindschaften und Streithändel, kurz, thut für euren Nächsten, was ihr immer für euch sclbst thun würdet, und thun könnet, dieß ist Reli- giynspflicht, wovon sich Niemand frey sprechen kann. Wie glücklich würde eine Gemeinde sep», meine lieben Christen, wenn ste der Geist einer solchen auf¬ richtigen und thätigen Liebe beseelte, wenn eine sol¬ che christliche Liebe diejenigen, welche beysammen wohnen, zu einer wabren Bruderschaft, zu einem Herz und zu einer Seele gleichsam vereinigte, wie sie es bcy den ersten Christen that, — welcher süsse Friede, welche angenehme Ruhe und Eintracht wür¬ de nicht in solcher Gemeinde herrschen, wenn jeder derselben dieses Geboth auf solche Art, beobachtete, wie viele Mißverständnisse, wie viele Streitigkeiten, Prozesse, Feindschaften, Eifersüchten und Treulosig¬ keiten würde» nicht aus solcher Gesellschaft verbannet werde»? Christen betrachtet dieses wohl, und bittet heute Gott durch Jcsttm Christum seinen Sohn, daß er vns diesen Geist der Liebe schenken wolle, bittet in¬ ständig, daß er uns diese^roße Gnade tzerleihe, daß wir diese zwcy wichtigsten Gebothe der Liebe jeder¬ zeit i» ihrem ggnzcn Umfange erfüllen, daß wir auf die Art, die unser Erlöser heute selbst vorgeschrieben, Golt und unfern Nächsten stets in diesem Leben lie¬ ben, und dieses Leben einstens nur verlassen, da¬ mit wir diese Liebe dort in Hinnyel fortsetzen , wo wir erst derselben ganze Glückseligkeit empfinden werden. Amen. Auf t Zoz ) Auf den achtzehnten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Matth. IX. i —F. trat Jesus in das Schiss, fuhr wieder herüber ,und kam in seine Stadt. Und sieh, da brachten sie zn ihm einen Gichtbrüchigen, der auf einem Bett lag. Da nun Jesus ihren Glau¬ ben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen, sty getrost »rein Sohn, deine Sünden sind dir ver¬ geben. Und sieh, etliche unter den Schriftgclehr- ten sprachen bey sich selbst, dieser lästert Gott. Als aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: warum denket ihr Arges in eurem Herzen? WaS ist leichter zu sagen, dir siud deine Sünde» ver¬ geben, oder zu sagen, steh auf, und war-dle? Damit ihr ckber wisset, daß deZ Mensche« Sohu Macht habe, auf Erden die Sünden zu verge¬ ben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: steh auf, nimm dein Bett, und geh nach Hause. Und er stund auf, und gieug in sein Haus. Da öaS Volk diese-sah, fürchtete cS sich, und verherr¬ lichte Gott, der solche Macht den Menschen ge¬ geben hat. Sie — ( ) "" Tie brachte« zu ihm einen Gichlkrüchigen, der auf einem Bette lag* Matth. 9- D. 2, Eingang. Es ist -nichts herrlicheres, meine werthesten Chri-- sscn, nichts zu unserer Erbauung zuträglichers, als dasLeben und die ThakeuJesu betrachten; denn was sehen wir da anders, als eine ununterbrochene Reihe > von lauter heiligen und wohlthätige» Handlungen?— Wüs finden wir da anders , als daß dieser, in un¬ serem Fleische erschienene göttliche Sohn überall deutlich zeigte, daß er nur bloß auf diese Welt ge¬ kommen sey, um seine himmlischen Gnaden unter den Menschen auszuspenden, und um seine göttliche Macht bloß zum Besten preßhafter elender Geschö¬ pfe , und zur Gesundmachung unheilbarer Kranken zu verwenden? — Wir finden allda, daß er sich bloß deswegen von einem Orte zu dem andern ver¬ fügte, um die Menschen durch seine himmlische Leh¬ re zu beglücken, und überall Spure» seiner unend¬ lichen Barmherzigkeitzurückzulasseu. Kaum hatte die¬ ser Wohlthätige in dem Lande der Gcrgeftner zween Besessene gesund gemacht, da er die bösen Geister, welche diese zween Menschen lange Zeit erstaunlich geplagct hatten, in eine Heerde Schweine verbann¬ te , und mit derselben in das galiläische Meer stürzte. Kaum, sage ich, hatte er diese wohlthätige Hand¬ lung verrichtet, so denket er schon wiederum auf eine andere. Er setzet sich auf ein Schiff, und fährt wiederum herüber nach seapernaum, welches an- jcho seine Stadt genennl wird, weil er allda, nach» . -em — ( LI« ) deiner Nazareth verlassen, seine ordentliche Wo^ NUng aufgcschlagen Hütte, und dieses zwar, viel¬ leicht aus Ursache, weil Kapernaum eine Seestadt war, wo mehrere Leute des Handels wegen zusam¬ menkamen, damit er also seine himmlische Lehre desto geschwinder verbreiten, und desto mehrere Lie- beswerke den Menschen erweisen könnte, hakte et rinsweileit diese Stadl zu seiner Wohnung auser- wahlt. Kaum war er auch in dieser feiner Stadt von seiner Reise wiederum «»gekommen, so fieng et abcrmal an, düs Volk zit unterweisen, Kranke zu heilen , und verschiedenen Preßhaftenaufzuhelfen.—- Da geschah es nun, daß er unter andern Wunder¬ kuren die Heilung eines elenden Gichtbrüchigen vor¬ nahm , wie uns das verlesene Evangelium heute er¬ zählet, Matthaus, der dieses Wunder, als eines der merkwürdigsten ausgezeichnet, Merket dabep an, daß Jesus bey dieser wohlthäkigcn Handlung an dem Gichtbrüchigen eine kleine Anrede an die Pharisäer gehalten habe. Dieses, als den eigentlichen Inhalt nnsers heutigen Evangeliums, wollen wir nun zuM Gegenstände unserer jetzigen Betrachtung machen , in deren erstem Thcile wir die wunderbare Befrey- ung eines kranken Menschen von seinem Gichte nebst der Unterredung Christi mit den Pharisäern verneh¬ men wolle», in dem zweytenTheile aber wollen wir alles, was aus diesem Wunder sowohl, als aus der Rede Jesu dabei) zu unserer Erbauung abzunehmen, getreulich auf uns anwenden. Seyd, wie es sich bei) einer so wichtigen Sache geziemet, recht aufmerk¬ sam. Erster ( Lil ) Erster Theil. sich irgend die heiligste Person Jesu einfand , da versammelte sich auch eine Menge Volks um ihn herum. War er auf der Reise, so begleitete ihn auf derselben eine zahllose Menge, begab er sich in die Wüste und Einöde, so zogen viele mit ihm dahin , litten Hunger und Durst, um seine heiligen Predig¬ ten anzuhören, hielt er sich in einer Stadt oder in einem Flecken auf, so wurde er gleich von unzähli- gen Menschen umgeben, die theils körperliche, theils geistliche ÄeVürfnisie zu ihm hintrieben, ja, sogar auf der See segelten sie ihm Nach- Etliche kamen zu rhm, um mit seiner göttlichen Lehre ihren Geist zu nähren , und ihre Seelen heilen zu lassen, andere, von körperlichen Unglücken gcdrücket, kamen, um sich von ihren leiblichen Schwachheiten und Kranke beiten heilen zu lassen. Und von dieser letzten Gattung waren cs vielleicht ihrer mehrere, als von der er¬ sten, weil leibliche Uebel bey den Menschen allzeit starkem Eindruck Mächen, als geistliche Mangel, die nicht in die Sinne fallen. Gleiches geschah Nun nach der heutigen Erzäh¬ lung des Evangeliums zu Kapernaum. Denn kaum war Jesus in dieser Stadt zu Wasser angckvmmeu, kaum war er aus seinem Schiffe gestiegen, so ver¬ sammelte sich alsbald eine große Menge Volks um ihn herum, entweder um zu hören, was er ihnen wiederum nützliches sagen würde, oder um sich von leiblichen Schwachheiten heilen zu lassen. Unter an¬ dern war auch in dieser Stadt, oder von der Gegend derselben ein gewisser Kranker, der lange Zeit von einem ( Li2 ) — einem reissrudar Eichte geplaget wurde , ja, dessen Glieder von dieser schmerzliche» Krankheit ganz ge- lähmek, oder, wie andere Schriftauslegcr behaup¬ ten , gar vom Schlagfluße so getroffen waren, daß er weder stehen noch gehen, und sich weder regen noch bewegen konnte, sondern viele Jahre lang auf feinem Bette liegen, und sich von andern hin und her tragen lassen mußte., — Als nun dieser hörte, daß JefuS der große Wuuderthater wiederum in die Stadt gekommen, ließ er sich voll Vertrauen zu ihm hinkragen, in Hoffnung, von seiner langwierigen, äußerst beschwerlichen und schmerzlichen Krankheit ge- heilek zu werden. Was der heilige Matthaus in dieser Geschichte ausgelassen, das ergänzen hier zween andere Evan¬ gelisten, Markus und Lukas nämlich, die de» Um¬ stand hinzustßen, daß etliche Manner, zwar »all¬ dem heiligen Markus deren viere, de» nach seiner Genesung schmachtenden Gichtbrüchigen in seinem Bette liegend, herbeygekragen, und als sie durch die Menge des Volks nicht durchdringen, und zu Jesu nicht kommen konnten, hinauf auf das Dach des nächsten Hauses gestiegen, ein Stück desselben abge- decket und de» Kranken in seinem Bette an Seilen vor den Fussen Jes» hinabgelasscn haben. -r- Um dieses recht'zu verstehen, meine werlhesten Christen, dürfet ihr euch die Häuser im gelobten Lande nicht denken, wie die unsrigen, mit schiefen Dächern , mit Latten, Sparren und Ziegel» gedeckct, nein, die Bauart war im Judenlande, so wie noch jetzt zu nnfern Zeiten in den heißen Ländern von der unfti- ge» verschieden, die Häuser hatten flache, platte Dächer, — ( L'Z ) — Dächer, auf welchen die Lenke sich öfters aufhielten, viele häusliche Geschäfte verrichteten, und besonders die kühle Abcndluft genoßen. Diese platte Decke deS Hauses war gemeiniglich mit einem Geländer oder mit einer Brustwehr umgeben, damit niemand so leicht hinuntcrfallcn konnte. Nun auf ein solches Dach brachten die dienstfertigen Männer diesen Kranken, und ließen ihn durch das Geländer, wovon sic etwas abbrcchen mußten, vor den Füssen Jesu nieder, da¬ mit er ihn gesund machen möchte. Denn, da er schon mehrere Wnndeekuren an unheilbaren Kranken ver¬ richtet hatte, so Hoffeten sie, er werde auch diesen E- lcndcn durch seine Wundcrkraft gesund machen. Und was sie hoffctcn, dicß geschah auch. Denn als Jesus des Gichtbrüchigen sowohl, als der mitlei¬ digen Männer, die ihn von dem Dache zn seinen Füs¬ sen hinabgelassen hatten, großes Vertrauen sah, er-' barmte er sich dieses Elenden, und machte ihn nicht allein am Leibe, sondern auch an der Seele gesund. Zwar heilte er seine Seele zuerst, weil an derselben mehr, als an dem Leibe gelegen ist, da sie ein unsterb¬ licher, vortrefflicher Geist, der für Ewigkeiten bestim¬ met ist. Er sah bey diesem Kranken mehr auf den Zu¬ stand des Herzens, den er kannte, und der seine vor¬ habende Hülfe mehr verherrlichen sollte, als auf den Jammer, den der äussere Anblick dieses bey jedermann erweckte. Daher, da alle Anwesende «ufdie wunder¬ bare Heilung des Kranken, und auf das Machtwort des allmächtigen Arztes warteten, wandte sich Jesus zuerst auf den geistlich Kranken , denn er sah die Noch nnd Angst seiner Seele beym Gefühle seiner Sünden- Er suchte zuerst die Schmerzen in seinem verwundeten Eeklär.b.Evang.H.Th. K k Gewiß- -- i 5 - ) — Gewissen zu lindern und wegzufchassen, ehe er ihm die leiblichen Qualen abnaym. Er heileke aber die Seele dieses Gichtbrüchigen, da er ihm seine Sün¬ den vergab, und zu ihm sprach: se^ getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben. Durch diese trostreiche Anrede ertheilte er diesem Bedrängten die gnädige Verzeihung seiner Missethaten, und mun¬ terte ihn zum Vertrauen gegen Gott auf, der ihn nun, da er ihn zu seinem Erben und Kinde angenommen, auch am Leibe gesund machen werde. Es scheinet, der Kranke habe bcym Andenken über seine Sünden große Seeleuangst gehabt, und sey kleinmüthig gewe¬ sen, da er seine Krankheit als ein besonderes Zeichen der gerechten Strafe Gottes angesehen, besonders da die durchgängige Meynung der Inden war, daß schwe¬ re Krankheiten als Folgen schwerer Sünden anzuse¬ hen feycn. Jesus wußte ohne Zweifel diese seine Be¬ ängstigung über seine begangenen Sünden, darum kündigte er ihm Vergebung derselben an, Und ertheil- te ihm zur gänzlichen Beruhigung seines Gewissens den wahren Frieden mit Gott, und süße Ruhe in sei¬ ner Seele und in seinem Gemüthe. Und nachdem er die Seele dieses Elenden auf die¬ se Art gehcilet hatte, so machte er auch seinen Leib gesund, da er seinen und seiner Träger großen Glau¬ ben sah. Denn als der Herzenskundigc wußte er oh¬ nehin, was in der Seele des Gichtbrüchigen vorgicng, daß er sein ganzes Vertrauen aufseine Hülfe gesctzet habe. Es gefiel ihm auch besonders, daß er seine» Glauben äußerlich und öffentlich an den Tag legte, da er sich zu ihm hintragen ließ, und die Träger ganz gewiß um diesen Liebesdienst aebethen hatte. Die Träger — ( Trager hakten aber ihr großes Vertrauen dadurch ge- offcnbaret, da sie mit so großer Mühe den Kranken zu seinen Füssen vom Dache hinabließen. Nun durch dieses starke Zutrauen auf seine göttliche Hülfe bewo¬ gen, ertheiltc er diesem Armseligen seine Gesundheit, da er jene wunderbare Kraftworte ertönen ließ: steh auf, nimm dein Lett und geh nach Haufe. Denn in dem nämlichen Augenblicke, wo diese Worte aus¬ gesprochen wurden, stund der Kranke auf, nahm sein Bett und gieng nach Hause. Eben jener Mensch, der zuvor sich nicht regen, viel weniger gehen konnte, der von vier Mannern zu seinem göttlichen Arzte getra¬ gen werden mußte, dieser wurde auf einmal so ge¬ sund und so stark, daß er nicht allein gehen, sondern fein Bett ganz munter wegtragen konnte. Darinn besteht nun, meine werthesten Christen, die eigentliche Geschichte von der wunderbaren Ge¬ sundmachung des Gichtbrüchigen. Bey dieser Gele¬ genheit hielt aber unser Erlöser auch eine kleine Anre¬ de an die Pharisäer, die nicht minder merkwürdig ist, die sich zwar noch eher zugetragen, als das Wunder an dem Leibe des Gichtbrüchigen geschah, und wo¬ durch er einen klaren Beweis seiner tiefsten Kenntniß der Gedanken und Anschläge des menschlichen Herzens vor allen Anwesenden an den Tag legte. Denn, da etliche von den Pharisäern, von diese» seinen arglisti¬ gen Feinden, die ihn in allen seinen Handlungen be¬ obachteten, und auf alle seine Worte, ob sie nicht et¬ was an denselben zu tadeln finden möchten, Acht hat¬ ten, da etliche von diesen seinen Feinden bey diesem Wunderwerke zugegen waren, und ihn zu dem Gicht¬ brüchigen sprechen höreten: sey getrost, mein Sohn, K k s dein« — ( Z1Ü ) — deine Sünden sind dir vergeben . so dachten sie bey sich im Herzen, dieser lästert Golt, niemand kann die Sünden vergeben, als Gott allein. Sic rechne¬ ten daher in ihren Gedanken diese Worte Christi als eine Gotteslästerung aus. Da sic ihn für keinen Gott, sonder» für einen blossen Menschen hielten, glaubten sie, er habe sich der Macht, Sünden zu vergeben, hochmüthig angemaffet, welches aber gewiß die aller- sträflichste Unwissenheit dieser boßhasten Leute war, da sie Christum bis zn derselben Zeit so viele und herr¬ liche Wunderwerke thun sahen, die gewiß alle Kräf¬ te eines blosse» Menschen weit überstiegen. Auch da sein gottseliger Lebenswandel handgreiflich zeigte , daß er wahrhaft heilig, folglich von der geringsten Beleidigung, noch vielmehr aber Gotteslästerung, ganz und gar rein seyn müsse. Zudem gab er ihnen nebst seiner Allmacht auch den deutlichsten Beweis seiner Allwissenheit, da er ihre verborgenen Gedan¬ ken entdckte, und ihnen öffentlich zeigte, was sie Bö¬ ses im Herzen von ihm dächten. Hieraus hätten sic, wenigstens von nun an, den Schluß machen sollen, daß er wahrer Gott sei), weil niemand, als Gott al¬ lein, die Gedanken der Menschen wissen kann. In der That konnte er ihnen auch keine überzeu¬ gendere Proben seiner Gottheit geben, als da er ih¬ nen zeigte, daß ihm ihre Gedanken gegen ihn bekannt feyen, indem er zu ihnen sprach: was gedenket iHv Roses in euren Herzen? Warum habt ihr so üble Gedanken und so bösen Argwohn von mir, als wenn ich mich eines Dinges anmaßeke, oder mir eine Ge¬ walt beylegcn wollte, die ich nicht hätte. Damit ihr aber gewiß sehet, daß ich wahrhaft die Macht habe, den — ( Li? ) —' den Mensche» die Sünden zu vergeben, so spreche ich zu dem Kranken: steh ans, nimm dein Bett und geh nach Hause. Denn, wenn meine Worte die Kraft ha¬ ben, und in der That erfüllet werden, da ich zu dem Kranken sage: steh auf, und werde gesund, so werden sic auch die Kraft haben, wenn ich spreche: dir sind deine Sünden vergeben. Zu beyden wird eine göttli¬ che Macht erfordert. Dieser Beweis mußte jedem, der nur den gesun¬ den Menschenverstand brauchen wollte, einlcuchten, denn zur augenblicklichen Gesundmachung eines un¬ heilbaren Kranken war ebenso große Kraft vonnöthen, als zur Nachlassung der Sünden. Ja, in den Umstän¬ den, wo sich Jesus befand, war cs, wie er selbst an- merkct, weit leichter zu sagen: dir sind deine Sünden vergeben, als zu sagen: steh auf, und wandle. Da die Nachlassung der Sünden nicht in die Augen fällt, wohl aber die körperliche Heilung eines Kranken. Und aus eben dieser Ursache hielten die Anwesenden die augenblickliche Gesundmachung dieses unheilbaren Kranken für etwas weit größeres, als die Reinigung der Seele von ihren Sünden, welche als etwas in¬ nerliches und unsichtbares ihnen nichts in die Augen fiel. Christus zeigte also seinen Feinden handgreiflich, daß er die doppelte Gewalt habe, den Leib und die Seele gesund zu machen, da auf sein mächtiges Kraft¬ wort der Kranke vor ihren Augen aufstund, sein Bett nahm, und nach Hause gieng, er, der sich zuvor nicht einmal in seinem Bette regen oder wenden konnte. Dieses machte einen solchen Eindruck auf alle Zu¬ schauer, daß sie vor Verwunderung ganz versteinert K k Z dastlm- — ( 5'8 ) dastunden, und von einer heiligen Ehrfurcht befallen Gott priesen und danketen, der solche Macht den Mensche» gegeben, eine Macht, die schweren Krank¬ heiten zn heilen, und die Sünden zu vergeben. Dieses ist nun, meine lieben Christen, die ganze Geschichte der wnnderthätigen Gesundmachung des Gichtbrüchigen, und der, bep dieser Gelegenheit ge¬ haltenen Anrede Christi an die Pharisäer, seine Fein¬ de. Lasset uns anjetzo sehen, was wir aus bepdcn für uns , zu unserer Besserung oder Erbauung zu be¬ merken haben, und dieses in dem ZweyLen LH ei le. Wir sehen heute wiederum an der heiligsten Person Jesu, da er dem elenden Gichtbrüchigen seine göttliche Hülfe angedeihen ließ, daß er allen Bedrängten hel¬ fen könne, und helfen wolle, welches unserm Ver¬ trauen auf seine Macht und Güte neue Stärke noth- wendiger Weise einfiössen muß. Da wir aber schon öfters unsere Betrachtung hierüber gemacht haben, so übergehe ich heute dieses, und halte mich mehr bey den andern Umständen dieses herrlichen Wunders auf, als z. B. bep dem Gichlbrüchigen, bep den liebvol¬ len Männern, die ihn zu Jesu hinbrachten, bep dem Volke, das bep dieser wunderbaren Handlung an¬ wesend war, und bep andern merkwürdigen Umstän¬ den, ja sogar bep den Pharisäern, den geschwornen Feinden Jesu, und sage euch meine darüber gemach¬ ten Beobachtungen, und zwar fange ich von diesen Letzten zuerst an. An diesen Feinden Jes», den pharisäischen Schrift- gelehrten, bemerken wir bep dieser Gelegenheit, so wie — ( ) — wie durchgehends, so oft sie in der Lebensgeschichw unsersErlösers auftretten, daß dieGottlosen die From¬ men zn schmähen und zu lästern suchen, wo sie nur immer können, denn so machten es die Boshaften, die, sobald sic nur hörcten, daß Jesus dem Gicht¬ brüchigen seine Sünden verzeihe, bey sich dachten, und hernach auch ohne Zweifel cs würden ausgestren- et haben, er lästere durch diese Rede Gott den Aller¬ höchsten. Dieses dienet den frommen Dienern Christi zum Tröste, da sie hier sehen, daß sic keine Ursache haben, sich zu verwundern, wenn sie von bösen Chri¬ sten geschmähet werden. Sie wissen ja ohnehin was Christus selbst ihnenvorherfagtc;haben siedenHaus- vater Beelzebub geheißen, wie vielmehr werden sie seine Hausgenossen also heißen. Womit sich wahrhaft fr o nune , unschuldige Seelen ermuntern kön¬ nen, um dergleichen Schmähungen in der Nachfolge Jesu geduldig zu ertragen. Zweytcns bemerken wir an diesen Pharisäern, daß wir unfernNachsten niemals freventlich beurtheilen sollen, denn cs war ein gottloser Frevel bey diesen boshaften Leuten, es war ein äusserst ungegründc- tcs, vermessenes Urtheil, da sie dergleichen schwarze, ja teuflische Gedanken von Jesu führten. Hättey sie nur aufseine göttlichen Werke und auf seine heiligsten Lehren genauer Acht gegeben, und solche nach den Weissagungen der Propheten abgemessen, so würden sie bald eingesehen haben, daß Jesus ein wahrer göttlicher Wunderthäter seye, und auf diese Art wür¬ den sie diese höllischen Gedanken von der Gotteslä¬ sterung ans ihrem Sinne verscheuchet haben, allein, Reid und Mißgunst verblendete sie, und verleitete sie Kk 4 j» ( 520 ) — zu diesem allernngcgrüudetsten teuflischen UrLhcilc. So geht es noch heut zu Tage bey uns Menschen, Neid, Haß und Mißgunst verblenden Manchen, daß er das Thun und Lassen seines Nächsten übel ausleget und für bose halt, ohne dabey zu untersu¬ chen, ob die Sache sich also verhalte, wie er bey sich gedenket. Sollte es sich aber begeben , daß wir selbst von einem andern also falsch bcurtheilt würden, so dür¬ fen wir uns darüber nicht allzusehr bekümmern, weil wir wissen, daß auch die atterunschuldigsten Leute von dergleichen falschen Urtheilen und Verläumdnn- gen nicht frey geblieben sind, denn wer war unschul¬ diger und heiliger, als Jesus? Und dennoch hatte man immer an ihm etwas auszustellen. Ferner sehen wir an den Pharisäern, daß die bösen Gedanken vor Gott wahre Sünden scpen, den» Jesus bestrafte dcßwegcn diese seine Feinde mit jenen bekannten Worten: was denket ihr Arges in eu¬ rem Herzen? Wir lernen also daraus, daß wir uns vor allen bösen Gedanken sorgfältigst hüten sollen, daß wir, wenn unS dergleichen cinfallen ihnen ernstlich widerstehen , und uns gute heilsame Gedanken von Gott, der Herzen und Nieren prüfet, mit Ernst und Eifer ausbilten sollen. Diese sind dieLehren, meine werthesten Christen, die wir heute an den Feinden Jesu abnehmeu können. Die Betrachtungen aber, die wir über den Gicht¬ brüchigen machen können, sind folgende: Erstens haben wir an ihm ein wahres Bild des menschlichen Elends, in welches wir nach der Sünde am Leibe und an der Seele gerathen sind. Denn nebst dem, daß — ( F2r ) — daß wir dem Leibe nach verschiedenen Krankheiten unterworfen sind, so wird auch unsere Seele von ver¬ schiedenen Schwachheiten bedrücket. Gleichwie der Gichtbrüchige weder Hande noch Füsse regen konnte, sondern wo er hingehen wollte, sich von andern mu߬ te tragen lassen, und gleichwie er voll inniasiem Be¬ kümmerniß in seiner Seele wegen seinen Sünden war , so sind wir Menschen nach der Lehre der heili¬ gen Vater, in unserer Seele nach dem Falle Adams insgesammt beschaffen. Wir sind dem Geiste »ach ganz krank und schwach, wir können uns ohne Got¬ tes Hülfe und Gnadenbeystande znm Gitten nicht re¬ ge», noch bewegen, sondern, wohin unsere sündli- chen Lüste uns tragen, dahin folgen wir. Dieser un¬ ser Zustand ist höchst elend und gefährlich, ja dieses Elend unserer Seelen ist das größte und bejammerns¬ würdigste. — DcrGichtbrüchigc lehretuns aberzwey- tenü, bey wem wir in demselben sichere Hülfe finden können, bey Jesu nämlich, unserm göttlichen Arzte Leibes und der Seele, bey diesem finden wir für unsere kranken Seelen bey all unserer Gewiffensnokh, bey all unserer geistlichen Schwermukh und Traurigkeit allzeit sichere Hülfe und Rettung. Durch sein göttli¬ ches Blut werden wir von allen unfern Sünden rein gewaschen, rind durch sein kräftiges Wort werden wir geheiliget, und vor Golt gerecht gemacht. Drittens, haben wir an dem Gichlbrüchigen ein Beyspiel der Geduld und des Vertrauens in zeitlichen Röchen zu nehmen. Wenn unS nämlich Gott bey unserem Sün- denzustande einige leiblichen Uebel zu unserer Züchti¬ gung znschicket, so müssen wir dieselben zu unserer Lebensbesserung annchmen, und eben so geduldig er- K k § trage» , — ( F2S ) rrage« , wie der Gichtbrüchige, der sich geduldig hin¬ tragen, wohin ihn die Leute trugen, und alles ge¬ fallen ließ, was sie mit ihm vornahmen; auch seine schneidenden Schmerzen, die er besonders bep dem Tragen und herablassen von dem Dache muß empfun¬ den haben, mit größter Geduld ertrug. Auch sollen wir in unfern Nöthen einen so festen Glauben, und eine so sichere Zuversicht auf Gottes Macht und Gü¬ te haben, wie dieser Gichtbrüchige; denn als der Herr, sagt das Evangelium, seinen und seiner Träger Glauben sah, verschaffte er ihm die Ge¬ sundheit. Besonders aber, wenn uns Gott Krankhei¬ ten zuschickek, so sollen wir vor allen Dingen besorget scyn, daß unsere Seele gesund werde, das heißt, daß wir Vergebung unserer Sünden von Gott erlan¬ gen. Der Gichtbrüchige war krank an feinem Leibe, und seine Trager verlangten vor allem die Genesung feines Körpers , aber Christus heilte ihu erst an sei¬ ner Seele, da er ihm die Verzeihung seiner Sünden ertheilte, welche vielleicht die giftige Duelle seiner Krankheit war. Dieses lehret uns, daß wir bey leib¬ lichen Krankheiten, an die Krankheit unserer Seele gedenken, und den barmherzigen Gott um die Ver¬ zeihung unserer Sünden bitten sollen. Wenn uns Gott leibliche Schwachheiten zuschickek, so müssen wir «ns wohl prüfen, ob wir nicht etwa durch Ausschwei¬ fungen, durch Unmäßigkeit, durch Zorn oder an¬ dere Leidenschaften, durch ein sündhaftes böses Leben die Krankheit uns zugezogen haben. Wir müssen su¬ chen, zur heilsamen Erkenntuiß unserer Sünden zu gelangen, und Verzeihung derselben zu erhalten, da- «rit die Zucht Gpttes auf diesem Wege des Kreutzes uns — t A2Z ) — miš ersprießlich und heilsam werde. — Viertens sehen wir, daß der Heyland eS sehr gut gemeynet habe, da er ohne Vergebung der Sünde diesen Gicht» brüchigen nicht heilen wollte, denn was würde ihm seine Gesundheit geholfen haben, wenn die Unruhe seines Herzens nicht gestillet worden wäre, er wollte ihm die größere Gnade zuvor ertheilcn, her¬ nach erst die kleinere, denn die Vergebung der Sün¬ de ist aus allen die größte Wohlchat, und der Grund zu allen andern Gnaden, da die Sünde das größte unter allen Uebeln in der ganzen Welt ist. - Und je- niehr der Mensch dieses Uebel in seiner Größe und Abscheulichkeit erkennet, desto mehr sieht er auch diese Wohlthat cin, denn, wenn sein Gewissen gereiniget ist, so fällt die Angst weg, die Furcht vor dem göttlichen Gerichte und vor den ewige» Strafen ver¬ schwindet, und, selbst Heyden unvermeidlichen Uebeln dieser Welt, ist er, als ein begnadigter Sünder, voll Zufriedenheit in seiner Seele, er empfindet die göttliche Kraft der heutigen Worte Jesu, sey getrost, mein Sohn, deine Sünde» sind dir vergeben, und welch eine unschätzbare Wohlthal ist nicht ein getrö- stctesHerz. — Viele wissen aber dennoch nicht, was diese Wohlthat in sich fasse, da sie die Abscheulich¬ keit der Sünde nicht einsehe», und nicht erkennen, was es dem Sohne Gottes gekostet hat, die Schuld derselben zu tilgen, da sie auch den süssen Frieden, der in der Vergebung der Sünde liegt, noch nicht kosteten, und sich noch nicht mit David erfreuen konnten, wohl dem, dem seine Missethaten vergeben sind. — Wir bemerken endlich hier fünftens, daß Krankheiten und andere leibliche Uebel oft aus de» Sun-- — ( 524 ) — Sünden entspringen, da wir hören, daß derHeyland > dem Gichtbrüchigeu, ehe er ihn an dem Leibe gchei- let, seine Sünden, die vielleicht die einzige Quelle seines Gichtes waren, verziehen hat , auch jenem Kranken im Evangelium, der acht und dreyßig Jahre krank lag, sagte er die Worte, geh hin du bist nun gesund, sündige anjetzo nicht mehr damit dir nicht etwas AergereS wiederfahre, alles Ucbel auf der Welk hat seinen Ursprung von der Sünde, durch die Sünde nnserer ersten Eltern sind der Tod, die Krank-' heilen nnd Schmerzen, und alle Gattung der Müh¬ seligkeiten in die Welt eingegangen, so strafet auch Gott noch stets die Menschen wegen ihren Sünden, die sie wider ihn begehen. Hunger, Krieg , Pest und andere ansteckende Seuchen, Dürre und Ueberschwem- mullgen, Hagel, Viehseuche nnd andere allgemeine und besondere Plagen sind gemeiniglich die betrübten Strafen seiner beleidigten göttlichen Gerechtigkeit, denn Gerechtigkeit erhöhet das Volk, sagt die Schrift, dieSünde aber ist derLeuteVerderbeu. —Diefe find nun die Betrachtungen, meine lieben Christen, die wir bep dem Gichtbrüchigeu zu unserm Nutzen anstel¬ le» können. Von den Mannern aber, welche diesen Glieder- sichtigen zu dem Heylande brachten, haben wir zu lernen, daß wir dergleichen Barmherzigkeit mit un¬ serm nothleidcnden Nächsten haben, und ihm in sei¬ nen Krankheiten und andern betrübten Zufällen die¬ ses Lebens dergleichen Licbsdicnste erweisen sollen, wäre es auch, daß wir mit ihm grosse Beschwernisse hätten, so dürfen wir es als Christen nicht achten , diese Leute hatten auch nach der Beschreibung der Evan- — ( ) — Evangelisten mit dem heutigen Kranken viele Mühe, bis sie ihn hin an den Ort brachten, wo Jesus sich befand, es war ihnen gewiß äusserst beschwerlich, denselben auf das Dach zu tragen, und von da aus mit Seilen hinabzulassen, dieß konnte gewiß ohne ausserordentliche Mühe und Beschwerniß nicht ge¬ schehen, dennoch ertrugen sie dieses alles mit Lieke und Geduld, nm diesem Elenden Hülfe zu verschaf¬ fen. — Eben so geschäftig soll auch unsere Liebe für das Beste unserer nothleidenden Nächstensepn, eben so werkthätig sollen auch wir Andern zu helfen suchen, wenn es uns auch manchen mühsamen Gang, man¬ che saure Bemühung und Sorge kosten sollte, so müssen wir uns dieses bey Tag und Nacht gefallen lassen, und solches gerne und willig auf uns neh¬ men, wenn es darum zu thun ist, um einem Kran¬ ken oder andern Dürftigen anfzuhelfen, dieses er¬ fordert von uns das christliche Gesetz, zu welchem wir uns verbunden haben, welches im vorzüglichen Verstände ein Gesetz der Liebe ist. — Können wir unserem Nächsten mit Werken nicht helfen, so müs¬ sen wir durch unsere Fürbitte bey Gott und bey den Menschen ihnen Hülfe zu verschaffen suchen. Von dem anwesenden Volke endlich, welches nach geschehenem Wunder Gott mitLobe verherrlichte, lerne» wir die Dankbarkeit, die wir nach jeder em¬ pfangenen Gntthat , sie sey leiblich oder geistlich, Gott abstatteu sollen, nach diesem Muster sollen wir nach jeder überstandenen Krankheit, nach jeder er¬ haltenen Verzeihung unserer Sünden in dem Sakra¬ mente der Buße, nach jeder anderer Gnade anLeibe und Seele uns dankbar gegen die göttliche Barmher¬ zig- — ( 5-6 ) — zigkeit erzeigen, unscrrn gütigen Gott dafür loben und danken, und zu seinem Dienste um so mehr uns ermuntern, desto unverdienter alle seine Gnaden sind, besonders sollen wir mit diesem Volke Gott danken, der solche Gewalt den Menschen gegeben, wie es bcy dem Beschlüsse unsers Evangeliums lau¬ tet, kraft welcher Christus nicht allein dem Gicht- brüchigen seine gefunden Glieder, sondern auch die Verzeihung seiner Sünden ertheilete. Danken, sage ich, sollen wir Gott besonders dafür, daß er den Menschen, den Priestern nämlich, solche Gewalt, die Sünden zu vergeben, crtheilte, herzlich sol¬ len mir Gott dafür danken, daß er das Amt der Ver¬ söhnung eingesetzet, und durch Menschen an unserem Heile arbeiten laßt, welche uns in unseren Gewis¬ sensängsten trösten, beruhigen, in Zweifeln unter¬ richten, und durch die Kraft seines göttlichen Wor¬ tes die Vergebung unserer Sünden ertheilcu können. Besonders auf diesem heutigen Sonntage wollen wir also meine werthestcn Christen, für diese große Gutthat gegen unfern barmherzigen Gott uns dank¬ bar erzeigen, da er den Priestern die Gewalt, in sei¬ nem Namen unsere Sünden zu verzeihen, ertheilet, und sie als die Richter und Aerzte unserer Seelen eingesetzet hat, wir wollen diese große Gnade mit dankbarem Gemüthe erkennen, und unsern bisheri¬ gen Undank, den wir etwa durch schlechte Zuberei¬ tung zu dem Sakramente der Buße, durch Unge¬ horsam gegen unsere Seelenarzte, oder durch schlechte Erfüllung unseres , in dem Beichtstühle gegebenen Versprechens, gegen Gott bezeigten, von ganzem Herzen bereuen , wir wollen künftighin denjenigen, denen ( A27 ) denen Jesus die Gewalt die Sünden zu vergeben mitgelheilct hat, alle Wunden unserer Seelen ent¬ decken, damit wir wahrhaft davon geheilt werden, und jene trostreichen Worte des Evangeliums hören mögen, sey getrost mein Sohn Heine Sünden find dir vergeben. Amen. Auf den neunzehnten Sonntag nach Pfingsten» Evangelium Matth XXII. i — 14. ^Hesus redete abermal durch Gleichnisse zu ihnen und sprach, das Himmelreich ist gleich einem Kö¬ nige, der seinem Sohne Hochzeit machte, dieser sandte seine Knechte aus, die zur Hochzeit gela¬ denen Gäste zu berufen , und sie wollten nicht kommen; abermal sandte er andere Knechte aus und sprach, saget den Gästen, sehet, meins Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen sammt demMastviehe sind geschlachtet, und alles ist be¬ reitet, kommet zur Hochzeit. Sie aber verachte¬ ten es , und giengen hin, einer auf seinen May- rrhof, der andere zu seiner Handthierung, die Uebrjgen aber ergriffen seine Knechte, und nach¬ dem sie ihnen Schmach angethan, tödtcten sie dieselbigen; als aber der Köiug dieses Hörete, ward — ( 528 ) ward er zornig, und schickte sein Heer auö, brach¬ te die Mörder um, und zündete ihre Stadt an, alsdann sprach er zu seinen Knechten, die Hoch¬ zeit ist zwar bereitet, aber die Eingeladsnen wa¬ ren derselben nicht würdig, deßwegen gehet hin auf die Strafft«, und ladet zur Hochzeit, wen ihr immer findet; und die Knechte giengen auS auf die Strassen, und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute, und dec Hochzeit¬ saal wurde mit Gästen angefüllet, dec König aber gieng hinein, die Gäste zu besehe«, und er sah allda einen Menschen, der kein hochzeitlich Kleid anhatte, und er sprach zu ihm, Freund', wie bist du da hereingekommen, da du doch kein hochzeitlich Kleid anhast, er aber verstummte, da sprach der König zu seinen Dienern, bindet ihm Hände und Füsse, und werfet ihn in dis äusserste Finsterniß, da wird Heulen und Zähn¬ klappern seyn, denn viele sind berufen, aber we¬ nig sind auserwählet. Cr schickte seine Knechte aus, die zur Hochzeit geladenen Gäste zu rufen, jie aber wollten nicht kommen. Matth. 22. v> 3- Eingang. ^'cfus brachte die letzten Tage seines Daseyns auf dleser Welt noch ganz zumBcßten des judischenVol- kes zn, er doch noch einmal kurz vor seinem Leiden, da — ( §2Y ) — da er schon seinen feperlichen Einzug in Jerusalem ge- halten hatte, seinen ganzen Eifer auf, um die irrge- hendcnSchaafe des Hauses Israels zu sich zn verfam- meln, er hielt noch einmal die eindringendsten Rede« im Tempel vor den hohen Priestern uud Vornehmsten des jüdischen Volkes, um sie von ihrer Blindheit zu befreyen, und ihre verstockten Herzen zu erweichen, er sagte ihnen durch verschiedene Gleichnisse die üblen Folgen ihres beharrlichen Unglaubens voraus, um sie noch vor seinem Leiden zn seiner Erkenntniß zu bringen, und vor ihrem bevorstehenden Unglücke, vor der gänzlichen Zerstörung ihres Staates und Verwerfung ihres Volkes zn warnen, er machte ihnen in dieser Absicht bald die derbsten Vorwür¬ fe, da er ihnen besonders sagte, daß die Publi- kanen und Sünder die göttliche Lehre williger an¬ nähmen, als sie, dieses that er in jenem Gleich¬ nisse von einem Manne, der zween Söhne hat¬ te, von welchen der erste, der dem Befehle seines Vaters in Weinberg zu gehen, und allda zu arbeiten zwar anfangs zu gehorsamen sich weigerte, aber bald darauf in den Weinberg gieng und seinen Un¬ gehorsam bereuete, die Sünder und Publikancn vor¬ stellte, welche doch endlich den Wille» Gottes noch erfüllet?» , der zweyte Sohn aber, der sagte, er wolle gehen, und doch nicht gieng, die.verstockten Juden vorbildete, die sagten, sie wollten den Willen Gottes thun, ihn aber doch nicht thäken. — Bald sagte er ihnen voraus,daß das ReichGoltes von ihnen genommen,und den Heyden, die der Herr an ihrer statt zu seinem Volke erwählen würde,übergeben werden sollte,und dieses that er in dem Gleichnisse vonjenen gottlose« Weingartnern, Erklür. b. Evang. Il, Ih. E I die — ( AZ« ) — hie aüe zn ihnen gesandten Bothe» des Herrn des Weinberges, endlich auch seinen einzigen Sohn und Erben tödtetcn, weßweaen aber der Weinberg ihnen himvcggenommen, und andern übergeben wurde. — Dahin zielte auch das Gleichniß von jenem von Gott selbst bestimmten Ecksteine, den die Bauleute verwarfen, aber deßwegen zur Strafe sich daran ver¬ letzten, und von demfelbc» zerschmettert und zer¬ malmet wurden. Die Schriftgelehrten verstunden zwar, daß sie durch diese Gleichnisse gemeynet wären, daß ihre Väter, als jene gottlose Winzer, die zu ihnen ge¬ sandten Bothen Gottes getödtet, sie aber den Sohn Gottes sechsten endlich tobten, und den von Gott bestimmten Grundstein Christum Jesum verwerft» würden, aber deswegen auch erschrecklich gestrafet werden sollten. — Sie verstunden dieses alles, al¬ lein ihre Verbitterung gegen die heiligste Person Je¬ su, ihre Verblendung und Verstockung war zu groß, als daß dieses einen Eindruck auf sie hätte machen sollen. JesuS setzte aber dennoch aus brennender Liebe gegen sie, und aus heftigem Sccleneifer, sie noch vor seinem Tode zu gewinnen, seine Rede an sie fort, und machte gleichsam den letzten Versuch, ihre ei¬ senharten Herzen zu erweichen, da er ihnen in dem heutigen Gleichnisse von einem König, der seinem Sohne Hochzeit machte, die unendliche Liebe Gottes gegen sie, und ihren schwarzen Undank gegen Gott noch einmal zu beherzigen gab, aber auch deswegen die größte» Strafen, die Verbrennung nämlich und Verheerung ihrer Stadt, und den Untergang ihres gau- — ( 52' ) — ganzen Staates ihnen voraussagte. Dieses vortref¬ fliche Glcichniß, das ich euch, meine lieben Chri¬ sten, aus dem Evangelium des heiligen Matthaus vorgelesen habe, will ich heute zum Inhalte meiner Predigt machen, die aus zween Thcilen bestehen soll, von welchen der erste von jenem Stücke des Gleichnisses handeln wird, welcher die undankbaren Juden betrift, der zweyte aber soll euch jenes Sluck erklären, das die undankbaren Christen betrist. Bep- de Theilc machen den ganzen Inhalt des heutigen Evangeliums, und den ganzen Gegenstand eurer je¬ tzigen Aufmerksamkeit aus. Erster Th eil. Ach habe euch schon angezeigct, meine wertheflen Christen, daß das heurige Evangelium eine Fortse¬ tzung von jenen Gleichnissen sei), von denen ich in dem Eingänge meiner Predigt gesprochen, wvdurch Jesus den Juden anküudete, daß das Reich Gor¬ tes von ihnen hinweggenommen, und andern Völ¬ kern übergeben werden solle, wenn sie in ihrer Ver¬ stockung und in ihrem Unglauben beharren würden. Er wollte in dem heurigen Gleichnisse ihnen haupt¬ sächlich beweisen, daß Gott an ihrer Verstossung kei¬ ne Schuld habe, er habe ihnen seine Gnade im Ue- bcrflußc mitgetheilet, sein Eid, durch welchen er ih¬ ren Vätern sein Versprechen bestattigle, sei) nunmehr genug durch seinen Sohn erfüllet. Da sie alle gött¬ lichen Gnaden verachtet und von sich gestossen, so müßten sie cs sich selbst ganz allein zuschreiben, wenn diese in Zukunft von ihnen genommen wür- L l 2 den. ( FZ2 ) —- -en. Er stellte ihnen ihren bisherigen Vorzug recht anschaulich vor Augen, mit welchen sie vor allen an¬ dern Völkern des Erdbodens begnadet worden, und dieses zwar unter einem so erhabenen, so prächtigen Bilde, daß Gott gleichsam wie ein König sein Reich bel¬ ohnen aufgerichtet, und seinen Sohn, der nach der Menschheit von ihnen abstammen sollte, unter sie ge- fchicket habe, daß es also natürlich sey, daß sieden nächsten Anthcil an seinem Reiche haben, und die ersten zum himmlischen Gastmahle geladenen Gäste sei-n sollten. Lastet uns von einem so rührenden Gleichnisse die Erzählung des heiligen Matthaus selbst noch ein¬ mal hören, so wie ich sie euch zuvor aus dcm Evan- gelienbuche vorgelesen habe. Jesus redete abermal durch Gleichnisse zu den Juden, und sprach: das Himmelreich ist gleich einem Könige, der sei¬ nem Sohne Hochzeit machte, und seine Diener aussandte, daß sie die Gäste zur Hochzeit laden sollten. Die aber geladen wurden , wollten nicht kommen. Abermal sandte er andere Diener aus, und sprach: saget nun den Gästen, meine Mahl¬ zeit sep bereit, die Ochsen und das Mastvieh sepen geschlachtet, und alles stehe schon in Bereitschaft, es sep nun Zeit, zur Hochzeit zu kommen. Die geladenen Gäste verachteten aber alles dieses, und giengen hin. Einer auf feinen Maperhof, der Andere zuseinerHandthierung. Die übrigenaber ergriffen seine Diener, und nachdem sie ihnen Schmach angethan hatten, tödteten siedieselben. Als aber dieses der König hörte, wrad er zor¬ nig, schickte sein Heer aus, brachte die Mörder um, — ( LZZ ) — um, zündete ihre Stadt an, und verheerte sie. Dass hier die Juden verstanden werden, ist so klar und so deutlich, meine lieben Christen, daß jemand ver¬ blendeter, als sie seyn mußte, wenn er es nicht einsehen wollte. Denn die Juden waren das auser- wählte Volk, das von Gott vorzüglich geliebte Volk. Gott hatte gleichsam sein Reich unter ih¬ nen aufgerichtct, sein göttlicher Sohn, der Erlö¬ ser der Welt, würdigte sie, sein Fleisch und Blut von ihrem Geschlechte anzunehmen, Gott hatte ih¬ nen öfters sein Reich der Gnaden angebothen, und sie zu seinem Reiche der Herrlichkeit einladen lassen. Er hatte seine heiligen Diener, seine Propheten, zu allen Zeiten zu ihnen geschicket, um sie einzuladen und zu bewegen, daß sie an seinen Gnadengütern Theil nehmen möchten, rr hatte sie abermal durch den heiligen Johannes den Vorläufer seines göttli¬ chen Sohnes von neuem lassen einladen, daß sie doch die angebvthene Gnade erkennen, an Christum glau¬ ben, und sich seiner himmlischen Schätze theilhaftig ltlachcn möchten, allein sic schlugen alle diese Einla¬ dungen ans. — Der Sohn Gottes selbst hörte nicht auf, Zeit seines sichtbarenWandelö unter ihnen in sie zu dringen, sie zu warnen, sie zu bitten und zu ermahnen, und er schickte, auch nachdem sie ihn er¬ mordet hatten, noch seine Apostel und Jünger unter sie aus, er wollte, daß ihnen zuerst sein Evangelium sollte geprediget werden, ehe seine Bothen sich unter den übrigen Nationen des Erdkreises ausbreiteten, und den Heyden sein Wort des ewigen Heils vor trügen. L l Z Allein,. "°- ( 5Z4 ) — Allein, sie wollten abcrmal nicht kommen, sie verharrten in der Verachtung der angebothenen Gna¬ de. Etliche aus ihnen, aus diesen geladenen Gasten, verachteten das angebothene göttliche Hochzeitmahl zwar nur aus Leichtsinn, oder allzugroßem Hange zu dem Jrrdischen: sie giengen hin zu ihren May¬ erhofen, zu ihren indischen Gütern, zu jhrerHand- thisrung, trieben ihren Handel und indische Ge¬ schäfte, andere aber schlugen die augcbothene Gnade Gottes aus größerer Bosheit und härterer Versto¬ ckung aus, sie verfolgten die zu ihnen gesandten Bo- then Gottes, verschmähcten, verspotteten und tödle- ten sic endlich gar ans die grausamste Weise. Und die¬ ses harte blutdürstige Verfahren der Obersten der Ju¬ denschaft wird uns in der Apostel - und Kirchengc- schichte zum äussersten Schrecken und Abscheu genug beschrieben, da wir in diesen ersten Schriften der Christenheit lesen, wie dieselben aus der boshafte¬ sten Verstockung die Apostel und und übrigen Diener Jesu aufs grausamste verfolgten, verhöhnten, ver¬ spotteten, in finstere Kerker werfen, schlagen, gei¬ ßeln, und etliche aus ihnen tödten ließen, wie uns vom heiligen Stephanus, Jakobus, und von an¬ dern bekannt ist. Die Strafe erfolgte aber endlich auch für diese boshaften Verächterder göttlichen Gnaden, das Ge¬ richt Gottes brach endlich über sie los: der Rönig ward zornig, schickte sein Zeer aus, brachte die Mörder um , zündete ihre Stadt an , und ver¬ heerte dieselbe. Nachdem nämlich das Sünbenmaaß dieses halsstarrigen Volkes voll war, so brach der gerechte Zorn Gottes über dasselbe aus, die Kriegs- Heere , — ( LZS ) — Heere, deren sich die gereihte göttliche Gerechtigkeit bediente, diese Boshaften zu strafen, waren die Heere der Römer, die Obcrherren im jüdischen Lande waren, gegen welche, aus Zulassung GotkeS, die Juden als rebellische Untertbancu sich empören, der römische Feldherr Titus nahm aber ihre Hauptstadt Jerusalem mit Sturm ein, ließ dieselbe durch seine Soldaten rein ausplündern, und die meisten Ein¬ wohner durch Feuer und Schwerdt aufreibe», auch der Tempel wurde angezündet,, und mit der Stadt zum Stein - und Aschenhausen gemacht. Auf diese Weise wurden gleichsam durch das Wicdervergel- tungsrecht so viele Tausende von diesem mörderischen Volke, das die Bvthen Gottes verfolgte und kodie¬ re, auch grausam hingerichtct und gctödket. Nutzan wend ltn§. Db nun schon, meine werthcstcn Christen, die¬ ser erste Theil uuscrs heutigen Gleichnisses eigentlich die Juden betrift, so können wir dennoch auch für uns manche gute Lehrstücke auszjehen, denn diese Ju¬ den sind ein erschrecklich warnendes Beyspicl für alle Verächter der Gnaden Gottes, deren auch noch un¬ ter unS angetroffcn werden. Alle verstockte Menschen, die sich der Gnaden GotteS nicht bedienen, können an dem gestraften Israel noch ein Beyspiel nehmen , und an ihm sehen, was diejenigen zu befürchten haben, die Gottes liebvolle Einladung nicht annch- men. — Auch uns läßt Gott zu seinem himmlischen Gastmahle einladen, und zwar öfters auf verschie¬ dene Weise, und zu verschiedenen Zeiten. Er laßt Ll 4 uns — ( LZ6 ) — uns sein Reich verkünden, und uns anzeigen, daß alles bereit sey, daß die Pforten des Himmels für uns offen stehen, und daß man uns allda mit Ver¬ langen erwarte. Wie viele Gnaden gibt er uns nicht in dieser Absicht? Wie viele gute Gedanken, heilige Einfprechungen, Einleuchkungen und Gewissensun¬ ruhen schicket er uns deswegen nicht zu?-— Man gibt aber auf diese gute Gedanken nicht Acht, sie verschwinden hernach zum größten Unglücke, die hei¬ ligen Begierden, die man sich öfters verspüret, ha¬ ben keinen Nutzen, weil sie nicht znr Ausführung kommen, und nicht ins Werk gefetzet werden, die Gewissensbisse suchet man gemeiniglich in sich zu er¬ sticken, auch die äußern Gnaden, die Gott zuschi¬ cket, verachtet man öfters auf die verstockteste Wei¬ se, denn er sendete seine Lehrer und Prediger aus, auf daß sie unterrichten, warnen und ermahnen sol¬ len, aber ihr Unterricht und ihre Ermahnungen fruch¬ ten öfters nur bey Wenigen. Er schicket Trübsale und Widerwärtigkeiten, damit man in sich gehen, und ihn erkennen möge, man wird aber uach den¬ selben nicht klüger, sondern geht seine» gewöhnlichen Sündenweg eben so verstockt fort; kurz, man wi¬ dersetzet sich den Gnaden Gottes unter uns vielfäl¬ tig, und verachtet den Reichthum feiner Güte und Langmuth gleich den verstockten Juden. Und dieses auf eben so verschiedene Weise und Art, wie jene thaten; denn es gibt etliche unter uns, die die Gnade Gottes nicht annehmen, und davon wei¬ ter keine Ursache anzugeben wissen, als weil sie nicht wollen: und sie wollten nicht kommen. Sie stos¬ sen das Wort Gottes von sich, wie sich der Apostel aus- — ( SZ7 ) -- ausdrücket, und achten sich selbst des ewigen Lebens nicht wcrth, andere vernachlaßigen die Gnade Got¬ tes der irrdischen Güter wegen. Die unter dem Vor¬ wande, zu ihren Mayerhofen und zu ihrer Hand- thürung zu kommen, das königliche Gasimahl aus- schugen, bedeuten noch jene Wcltkinder, die von der Begierde Reichthümer zu sammeln ganz einge¬ nommen, den Eitelkeiten, Tandeleyen und falschen Lüsten der Welt ganz ergeben, die geistlichen und ewigen Güter ganz äusser Achtung lassen. — Seine Zeitlichen Geschäfte verrichten, seine Felder bauen, seine Handthierung treiben sind zwar von Gott ange¬ ordnete Mittel zu unserer Erhaltung, folglich Werke des göttlichen Berufes, aber sie werden sündhaft, wenn man sich dadurch abhslten läßt, seine ewige Wohlfahrt zu besorgen. — Andere widersetzen sich der Gnade Gottes boshafter Weise, die Haffen so¬ gar die zu ihnen gesandten Bothcn Gottes, da sie die Wahrheit hassen, hassen sie auch diejenigen, welche ihnen dieselben predigen. Möchten aber doch dergleichen Verächter der göttlichen Gnaden auf die erschrecklichen Strafen der Juden aufmerksam gemacht werden, aus die Ein¬ äscherung und Verheerung Jerusalems nämlich, auf die Ermordung ihrer Einwohner, auf die Zerstreuung des ganzen jüdischen Volkes in der Welt, und auf die Verstoßung dieses sonst so geliebten Volkes von Gottes Angesichte. — Möchten doch dergleichen Leute betrachten, mit welche» fürchterliche« Strafender beleidigte Gott noch jetzo solche Verachtung züchti¬ get. Denn wem muß man noch zu unseren Zei¬ le» jene blutigen Kriege, jene Einäscherungen ganzer L l Z Städlv -- r 5Z8 ) — Städte und Dörfer, jene Thenrung der Lebensmit¬ tel, jene Uebcrschwemmungcn und Dürre, jene an¬ steckende Seuche, und andere allgemeine Landpla¬ gen zuschreiben? Wem anders , als dieser Verach¬ tung der göttlichen Gnaden? Oder, da Gott uns Christen empfindlicher strafet, wenn er uns an der Seele strafet, wem sollen wir jene Unempfindlichkeit gegen das ewige Heil, jene Verblendung des Ver¬ standes, jene Verstockung des Herzens, und jene Unbüßfertigkeit bis ans Ende, die man bey Man¬ chen bemerket, zufchrciben, als dieser nämlichen Verachtung der göttlichen Gnaden? — Wenn wir heut zu Tage noch, sogar in dem Schoose des Chn- stenthums, Menschen antreffcn, die, weil sie den Eingebungen der Gnade Gottes öfters Widerstand gethan haben, von nichts mehr gerührer werden, di», weil sie ihre Gewissensbisse vielmals ersticket haben, fast keine mehr haben, und im Laster ruhig dahin leben, die der Unterricht im Worte Gottes, das gute Bepspicl anderer rechtschaffenen Mitchristen, und alles, was sic sonst rührte, gar nicht mehr rühret, was zeiget dieses anders an, als daß sich Gott von solchen entfernet, und ihnen seine Gnade, nachdem sie dieselbe halsstarriger Weise so lange verwarfen, entzogen habe. Und es ist wohl zu verwundern, daß Gott auch seinerseits endlich verachte, nachdem man ihn lange Zeit mit seiner Gnade verachtete. Handelt er unbil¬ lig, wenn er thut, was er bey einem seiner Pro¬ pheten androhete, wo er sagt: ich habe euch geru¬ fen, ihr aber habt mich nicht hören wollen. Ich habe meine Hände zu euch ausgestrecket, ihr habt aber — ( 539 ) — über eure Augen von mir übgewendet, damit ihr mich nicht sehe» mochtet. Ich bin euch nach¬ gegangen, ihr seyd aber von mir geflohen. Die Reihe wird aber auch an mich kommen, wo ich mich rächen werde. Ich werde meine Gnade von euch hinwegnehmen, und ihr werdet in Blind¬ heit verfallen. Ihr werdet auf mich sehen, ich aber werde meineAugen von euch abwenden. Ihr werdet alsdann zu mir rufen, ich will euch aber nicht mehr erhören. Ihr werdet mich suchen , aber nicht mehr finden, sondern in euren Sün- öensterben. Ach! Daß doch allejeneChristen, welche der göttlichen Gnade sich widersetzen, dieses beherzi¬ gen möchten, daß sie doch bedenken möchten , wie empfindlich der beleidigte Gott die Inden dieser Ver¬ achtung wegen züchtigte, die doch sein auserwähltes Volk waren, gegen welche er zuvor alle väterliche Sorgfalt und Güte hatte blicken lassen, und deren Untreue er so lange Zeit mit einer unbegreiflichen Langmuth ertragen hatte. — Aber nachdem diese verstockten Leute all seine Gnade vergeblich gemacht, gegen all seine Vaterliebc sich verhärtet erzeiget hat¬ ten, so verließ er sie endlich, und setzet noch jetzo an ihren Nachkömmlingen seine Strafe fort, da sie heut zu Tage jene wüste Weinberg sind, den der Hausvater nicht mehr wartet und pfleget, da ihre Stadt eingcäschcrt, ihr Staat zerstöret, und sic un¬ ter allen Völkern des Erdkreises zerstreuet, ohne Kö¬ nig und ohne Tempel leben müssen, und die Strafe ihrer Vater gleichsam auf der Stirne tragen. — O daß doch, meine wcrthesten Christen, solche erschreck¬ liche Strafen, die Gott über die Verächter seiner Gnade» ----- s z 40 ) — Gnaden schicket, einen jeden aus uns mit einer sol¬ chen heilsamen Furcht durchdringen möchten, daß wir künftighin keine einzige seiner Gnaden frucht¬ los vorbeygchen, und uns niemals umsonst von nn- serm liebvollen Gott zu seinem himmlischen Gastmahle einladen ließen, sondern daß wir gleich auf den er¬ sten Wink seiner Gnade Folge leisteten, und uns ge¬ gen dieselbe stets so verhielten, wie es von ächten Christen gefordert wird, welches wir indem andern Stücke der heutigen Gleichnißrede Christi anjetzo hö¬ ren wollen. ZweyLer Th eil. Nachdem Christus den Obersten und den Schriftge- lchcten der Juden die Verstossung ihres Volkes an- gekündet hatte, so fuhr er in feinem Gleichnisse fort, und erzählte, wie die Heyden statt ihrer zum wahren Glauben sollten berufen, und zum geliebten Volke Gottes auserwählet werden. Weil die Gäste, sagte er, die man vor allen zu Wiederholtenmalen zur Hochzeit hatte einladen lassen, sich weigerten zu kom¬ men, so sprach der König zu seinen Dienern: die Kochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren derselben nicht werth; sie habe» durch ihre Verach¬ tung, durch ihren irrdischen Sinn, durch ihren Un¬ glauben, durch Verfolgung und grausames Verhal¬ ten gegen meine Diener sich des Genusses meiner zu- bereitcken Güter unwürdig gemacht. Darum gehet hinaus auf die Strassen, und ladet zur Kochzeit ein, wen ihr findet, damit meine Zubereitung nicht umsonst sepn möge. Die Knechte erfüllten nun diesen Befehl — ( ) —° Befehl ihres Königs, sie giengen hinaus auf öle Strassen, und luden alle zum Gastmahle ein die sie fanden, Bose und Gute. Und sie brachten der Gaste so viele zusammen, daß die Tische alle voll wurden. Da nun der König hörte, daß seine neu- geladenen Gaste beysammeu waren, so gieng erhin- ein in den Saal, um dieselben zu sehen. Und als er allda einen Menschen erblickte, der kein hochzeitliches Äleid anhatte, so sprach er zu ihm: Freund, wie bist du da hcreingekommen, da du doch kein hochzeitlich Rleid anhast? Der König halte entweder einem jeden Gast ein Feperkleid ge- schenket, wie etliche glauben, daß bey denMorgen- ländern Sitte gewesen, bey gewissen großen Feyer- lichkeitcn neue Kleider zu schenken. Dieser Mensch hatte also aus Leichtsinn und strafiicher Nachlaßig- kcit das angebokhene Feperkleid anzuziehen sich keine Mühe gegeben, oder wahrscheinlicher, hatteersträf¬ licher Weise unterlassen, zu einer solchen Fcyerlich- keit sich zuzubereiten, und hatte sich erfrecht in sei¬ nem schmutzigen Kleide vor dem König zu erscheinen. Deswegen gab ihm auch der König diesen derben Verweis: Freund, wie bist duhereingekommen, und hast kein hochzeitlich Aleid an? Als aber dieser Unglückliche diesen bittern und gerechten Vorwurf hörte, da verstummte er, und konnte sich nicht verantworten. Da sprach nun der Ronig zu seinen Dienern: bindet ihm Künde und Füsse, und werfet ihn in die äusserste Finsterniß, da wird sein Keulen und Zähnklappern. Die Be¬ diente» sollten nämlich zur gerechten Strafe diesen Nach- — ( A42 ) — Nachlaßigen aus dem erleuchteten Saale, werinit daS Gastmahl gehalten wurde, hinausführeü, und in die dickeste Finsterniß verstossen, wo wegen großer Kalte Heulen undZähnklappcrn scyn wird. — Wel¬ chen Befehl die Bedienten auch genau vollzogen. Darauf beschloß aber Christus das Gleichniß mit jenem merkwürdigenDcnkfpruche, in welchem er allen Menschen, Juden und Heyden, die zu seiner Gna¬ denhochzeit berufen sind, eine nachdrückliche Wahr¬ heit mit wenigen Worten sagte: Viele sind berufen, aber Wenige sind auserrvählt. Wodurch er sagen wollte, daß Gott zwar alle Menschen zu seincrwah- rcn Religion und zur ewigen Seligkeit berufen habe, daß aber Wenige, in Anbetracht des übrigen Hau¬ fens, diese Religion annehmen, und sich dadurch des himmlischen Gastmahles rhcilhaftig machen wer¬ den. In diesem zweyten Theile des Gleichnisses sagte also Christus eigentlich zwo Sachen voraus, meine wcrthesien Christen! Erstens die Aufnahme seiner Religion unter den Heyden, und zrveytens die Be¬ strafung derjenigen, die zwar auf das Hochzeitmahl gehen , aber ohne hochzeitlich Kleid darauf erscheinen würden, das ist, die zwar die christliche Religion an- nehmen, aber nach derselben Vorschriften nicht lebe» würden. So wie die erste Weissagung genau erfüllet wurde, so wird auch die zwvte genau erfüllet werden. Die Knechte sollten ansgehen auf die Strassen, und sollten ohne Unterschied der Person, des Standes und der Geburt, zum Gastmahle einladen. Unter denen , die an den Strassen sind , wird jene Men¬ ge der verschiedenen Völker verstanden, welche äus¬ ser > — ( ZckZ ) "°- ser dem jüdischen Lande wohnten, und an der Reli¬ gion der jüdischen Nation keinen Antheil hatten, und diese Weissagung gieng bald nach Christi Himmelfahrt in Erfüllung, wo die Apostel durch die Verfolgung der Juden gezwungen, sich zu den übrigen Völkern des Erdkreises wendeten , den Heyden das Evange¬ lium predigten , und viele Tausende derselben Christo gewannen. Von einem Jahrhunderte zu dem andern gierigen andere Diener Gottes aus, und brachten cs durch ihre eifrigen Predigten dahin, daß ganze Lau, der und Provinzen die christliche Religion annahmen. Gott läßt es nämlich seinerseits nicht fehlen, er will nachdrücklich, daß alle menschliche Seelen, die durch das Blut seines göttlichen SohneS so thrner erkaufet sind, zu seinem himmlischen Gastmahle eingeladen, und desselben theilhaftig werden sollen. Zu den Zei¬ ten der Apostel wurde, wie ich schon gesagt habe, hiezu der gesegnetste Änfang gemacht, die in den dreyeir damals bekannten Welttheilen, Asien, Afrika und Europa, ansehnliche Christengemeinden stifteten. Die Dothen des Herrn brachten in den heydnischen Län¬ dern und Städten alles zusammen, waS sic fanden, die Tische wurden alle voll. Wenn gleich die Juden das Hochzeirmahl verachteten, bekam doch Gott Leu¬ te genug, welche das Evangelium annahmen. Da das Fell des Gideons in der ersten Nacht ganz allein von dem himmlischen Thauc benetzet wurde, und die übrige umliegende Erde trocken war, so wurde nach Christi Tod durch die übrige Erde, durch welche die Heyden verstanden werden, vom Gnadenthaue des Himmels befeuchtet, und das Fell Gideons aber, durch welches das jüdische Volk verstanden wird, blieb tro¬ cken uud unbefruchtet. Es — ( F44 ) — Es fanden sich freylich Gute und Böse in der christliche» Kirche ein, so wie Christus sagte,daß im Speisesaal unter den geladenen Gästen Gute und Bö¬ se gewesen wären, und dieses ist noch wirklich derZu- stand seiner Kirche auf Erden, in welcher cs noch gute und böse Christen gibt. Fromme und Gottlose, Rechtschaffene und Scheinheilige. Auch gibt es noch manche Gäste an der göttlichen Tafel, die kein hoch¬ zeitlich Kleid anhaben, manche Maul und Afterchri- stcn, die sich zwar äusserlich zu der christlichen Ge¬ meinde bekennen, und ander göttlichen Gnadentafel Lhcil nehmen wollen, aber kein hochzeitlich Kleid an¬ haben, das ist von den schönen christlichen Tugenden nichts an sich tragen, weder einen lebendigen Glauben, noch eine thätige Christenliebe, weder Sanftmuth noch Geduld, weder Demuth und Reinigkeit, noch christliche Eingezogenheit an sich haben, weßwegen ih¬ nen auch Gott jenen derben Vorwurf machen könnte, den der König jenem Menschen machte, der in dem Speisesaale mit einem schmuHigen Kleide zu erscheinen sich erfrechte, Freund ! wie bist duda hereinge¬ kommen, da du kein hochzeitliches Rleid anhast? Die Verstummung des nachläßigen Gastes ans diesen gerechten Verweis des Königs, und die schreck¬ liche Bestrafung desselben, da er von dem erleuchte¬ ten Saale hinaus in die dickeste Finsterniß geworfen wurde, diese stellen uns deutlich vor, meine wer« thesten Christen, was am strengen Tage des Gerich¬ tes, bey dem Endurtheile der Menschen sich zutra¬ gen wird, wie nämlich allda alle bösen Christen auf den Verweis ihres Richters verstummen, und nicht das Geringste zu ihrer Entschuldigung werden ant¬ worten ( Z4Z ) Worten können, wegen der muthwilligeit Vernach- laßigung der Lehre Christi, die ihnen so oft verkün¬ det, und der Gnade, die ihnen so reichlich ist mit- getheilet worden. Denn wenn der Herr die Muste¬ rung zwischen Guten und Bösen vornehmen wird, wenn er das Endurkheil aussprechen, und einen je¬ den der gebührenden Strafe unterwerfen wird, da werden die Bösen in ihrem Gewissen überzeugt seyn, daß sie gröblich gefchlet, und werden nicht das Gering¬ ste zu ihrer Verantwortung vorbringen können, so wie der nachlässige Gast überzeugt war, und nicht das Ge¬ ringste zur Entschuldigung seiner Nachlässigkeit Vor¬ bringen konnte. Und so wie der König zu seinen Dienern spracht Nchlüct diesen schlechten Gast hinweg, schaffet ihn fort aus dem Spnscsaal, weil er meine Gnade mißbrauchet, thutihnaus meinem Angesichte hinweg, bindet ihm Hände und Aüße, und werfet ihn in die äusser¬ ste Kinfterniß, auf gleiche Weise wird der göttliche Richter zu seinen dicnstbaren'Geisiern sprechen, thu! diese bösen Christen hinweg aus meinem Angesichte, fort mit ihnen von meiner angenehmen frommen Ge¬ sellschaft, bindet ihnen Hande und Füße, und wer¬ fet sie in die dicksten Finsternisse. Hinein mit ihnen in jenen ewigen Kerker, wo die äusserste Finsterniß, Betrübniß und Quaal seyn wird, allda werden sic heu¬ len wegen den großen Schmerzen, die sie zu leiden haben, sie werden mit den Zähnen knirschen wegen dem großen Verluste, den sie gemacht, sie werden jammern, seufzen und sich abhärmcn, daß sie sich aus eigner Schuld ein so großes Ucbel zugezogcn , und eine so große Seligkeit verscherzet haben. Sie ErMr. d. Lvang. H, Lhl. M m wer. — ( L46 ) — werden allda jenes ewigen Lichtes, der klaren An¬ schauung Gottes, beraubt werden, es werden ihnen allda Hande und Füsse gebunden werden, sie werden in Ewigkeit ihre vorige unschätzbare Frcpheit ver¬ scherzet sehen, sie werden allda durch die düstersten Vorstellungen, durch marternde Betrachtungen ihres großen Elendes, in welches sie versenket worden, ge¬ quakt, und vor Verzweiflung, welche ihnen die E- wigkeit ihrer Peinen verursachet, dem greulichen Heulen nnd Zähneknirschen überlassen werden. Dieses sind die Vorstellungen und die Betrach¬ tungen, die wir für uns, meine werthcsten Christen, bey dem zweyten Theile des heutigen Gleichnisses zu machen haben. Was den Denkspruch endlich anbc« langt, den Christus hinzusetzte, da er sein Gleich- niß schloß; so sehen wir daraus, daß unser Erlöser diesen Ausspruch gethan, um uns in wenigen Wor¬ ten das gnädige Verhalten Gottes gegen die Men¬ schen, und das undankbare Verhalten der Men¬ schen gegen den göttlichen Ruf zu ihrer Seligkeit zu Gemüthe zu führen: denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Der Wille Gottes näm¬ lich, alle Menschen ewig glücklich zu machen ist ge¬ wiß, kräftig und ernstlich, und leidet keine Verän¬ derung, er verlanget, alle selig zu machen, und wünschet sehnlichst, daß keine einzige Seele verloh- ren gehe; aber der Wille der Menschen, sich selbst selig zu machen, ist öfters nicht ernstlich. So wie die kostbarsten Sachen auf der Welt öfters viele Liebha¬ ber haben, aber wenige Besitzer, so hat auch die ewige Seligkeit viele Liebhaber, aber nicht alle diese Liebhaber werden sie auch besitzen. Wenn es mit blos¬ sen — ( F47 ) sen Wünschen ausgerichtet wäre, so wäre es freylich keine Kirnst in Himmel zu kommen, und es würden mehrere selig werden, als wirklich geschieht. Chri¬ stus zeiget es uns zur Genüge, daß die Schuld nicht an Gott liege, wenn Wenige auserwählt werden, da Gottes ernstlicher Wille ist, alle selig zu machen, da er seinen eigenen Sohn zu diesem Ziele und Ende in die Welt schickte, um alle durch sein kostbares Blut zu erlösen, da er alle berufet, alle zu seinem himmlischen Gastmahle ernstlich einladen läßt; daß er aber Niemand zur Seligkeit zwingen will, ist die Ursache, weil man Wohlthaten und Gnadenbezeu- gungcn Niemand mit Gewalt aufdringt. Wollen die Menschen diese Wohlthat nicht annehmen/ wollen sie dieselbe mißbrauchen, wollen sie die angebothe- ne» Gnaden Gottes verachten, und ewig zu Grunde gehen, so haben sie es sich selbst zuzuschreiben, ihr eigener böser Wille, dem sie nicht widerstehen, son¬ dern blindlings folgen, verführet und verdammet sie. viele sind berufen, aber wenige sind aus¬ erwahlt. Ach, meine werthesten Christen, merket euch diesen Denkspruch Jesu wohl. O wie nöthig ist cs, daß wir diese Wahrheit in einem guten Herzen sorgfältig aufbewahrcn, und öfters an dieselbe ge¬ denken! Wie fürsichlig, wie eifrig, wie wachsam und sorgfältig für unser künftiges Heil muß uns die¬ ses nicht machen? viele sind berufen, und unter dicsenVielen sind wir alle. Gott will uns alle ewig glück¬ lich machen, die Pforten des Himmels stehen uns offen, es ist alles für uns da bereitet, es liegt nur an uns, daß wir dahin gehen, und an der göttli¬ chen Gnadcutafel Theil nehmen wollen. Aber we- M m ü nige — ( 548 ) mge sind auserwählt. Wie unsicher ist eS alsd, sich nach dem gemeinen Hausen zu richten? Wie viele Ursachen haben wir also, unser Heil in Furcht und Zittern zu wirken, und uns zu Gott, der uns Gna¬ de zurufet, schleunigst zu bekehren, damit wir nicht als Verächter seiner Gnade den Zorn seiner Gerech¬ tigkeit empfinden mögen. Ach! Christen, bewundern wir heute urisers himm¬ lischen Königs, unsers großen Gottes erbarmende Liebe, die so sehr um unser ewiges Glück beschäftigt ist, bewundern wir seinen »nermessenen Aufwand der Gnaden, den er für uns macht, da er uns alles gibt, alles für uns thut, was uns ewig glücklich machen kann? — Wie liebreich laßt er uns noch da¬ zu zur Annehmung dieser seiner Gnaden einladen? Wir sollen nur kommen, so will er uns geben, was uns immer zu unserem ewigen Heile bchülflich seyn kann; keine von unfern Seelen soll verlohren gehe», sondern alle sollen sich mit ihm ewig erfreuen. —> So gütig, so mild ist sein Herz gegen uns geneigt, so gerne steht er, daß es uns seinen Kindern wohl ergehe. — Ä daß doch alle, welche seinen Ruf nicht hören, welche die Ancrdicthung seiner Gnaden ver¬ achten, welche einen zeitlichen Nutzen, einen schlech¬ ten vergänglichen Vortheil, oder gar eine schändliche Wollust dieser seiner Einladung vorziehen, oder sich gar aus bösen Willen derselben widersetzen, daß doch alle diese durch eine solche Liebe und Barmher¬ zigkeit ihres großen Gottes beweget werden möchten, oder, wenn ihre Felsenherzen eine solche Liebe und Güte nicht rühren kann, daß sie doch durch die har¬ ten Züchtigungen eines verstockten Israels gewarnct, aufhö- — ( F4Y ) — gufhören möchten, die Gnaden Gottes ferner zuver< achten, und ihre bisherige Widersetzlichkeit gegen Gottes gütige Einladung von Herzen bereuen möch¬ ten, daß sie doch dadurch gerühret, ihren groben Un¬ dank verfluchen, und erkennen möchten, wie sie sich der Ungnade Gottes durch die zeithcrige Vernachlä¬ ssigung ihres ewigen Heils schuldig gemacht, wie sie verdienet, daß der verachtete Gott ihnen die Güter seiner Gnade völlig entziehe, weil sie ihren großen Werth nicht anerkannt, und dieselben nicht nach sei¬ nen liebreichen Absichten verwendet haben. O daß doch, sage ich noch einmal, alle Verächter der Gna¬ den Gottes dieses erkennen , in sich gehen, und in dem Lichte wandeln möchten, da es noch Zeit ist, und da sie das Licht noch haben , ans daß sie die er¬ schrecklichen Finsternisse nicht überfallen, o daß sie doch der rufenden Stimme ihres Gottes künftighin allzeit getreu Nachkommen möchten, damit sie ver¬ dienten, nicht allein unter der Zahl der Gerufenen zu seyn, sondern auch der Auserwahlten, und endlich zum großen Abendmahle des göttlichen Lamines im Himmel zngelassen würden. Amen. Auf den zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Joh. Vl. 46 — 5;. Es war ein gewisses Königlein, dessen Sohn krank lag zu Kapernaum. Da dieser hörte, daß . M m z Jesus — ( FL» ) — JesuS aus Judäa in Galiläam gekommen wäre, gieng er zu ihm, und bath ihn, er möchte hin- «nterkommen, und seinen Sohn heilen, denn er war todtkrauk. Da sprach Jesus zu ihm: wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubt ihr nicht. Und der königliche Bediente sprach zu ihm: Herr, komm hinunter, ehemein Sohn stirbt. JefuS aber sprach zu ihm : geh hin, dein Sohn lebt. Und der Mensch glaubte dem Worte , das Jesus zu ihm sagte, und gieng hin. Indem er aber hjnabgieng, kamen ihm seine Knech¬ te entgegen, brachten ihm die Nachricht, und sprachen: dein Sohn lebt. Da forschste er von ihnen die Stunde, in welcher es besser mit ihm geworden war. Und sie sprachen zu ihm: gestern um die siebente Stunde verließ ihn daS Fieber. Da erkannte der Vater, daß es eben die Stunde war, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: dein Sohn lebt. Und er glaubte deswegen mit seinem ganzen Hause. Geh hin, dkin Aoh» lebt. Ioh. 4. V. 50« Eingang. Unsere Sonntagsevangelien erzählen uns, meine werthesten Christen, ein Wunder nach dem andern, die unser Erlöser hienieden auf unserer Erde , wäh¬ rend seines sichtbaren Aufenthaltes daselbst gewirket hak. Vor vierzehn Tagen haben wir erst die Wun¬ der- — ( FFr > — derkur eines unheilbaren Gichtbrüchigen vernommen, heute erzählet uns Johannes schon wiederum ein anderes, wie nämlich JesnS den am Fieber gefähr¬ lich krank liegenden Sohn eines königlichen Beam¬ ten zn Kapernaum mit einem einzigen Machtsprnche gesund gemacht hat. Das heutige Wunder war zwar eines von den erster», die Jesus wirkte , daszwey- te von denen, die in Galiläa geschahen, und von den Evangelisten ausgeschrieben wurden. Denn, nach¬ dem Jesus seine Jugendjahre zu Nazareth in der Landschaft Galiläa in heiliger Stille zugebracht, und bereits das dreyßigsteJahr erreichet hatte, so mach¬ te er von seinem göttlichen Prcdigtamte in der Land¬ schaft Judäa den Anfang. Nachdem er nämlich die Taufe vom Johannes seinem Vorläufer im Jordan empfangen hatte, begab er sich in die Wüste, und nach überstandenem vierzigtagigen Fasten und drcy- maliger Versuchung trat er'das erstemal als öffent¬ licher Lehrer unter den Juden auf; bald darauf gieng er zurücke nach Galiläa, und verrichtete allda zu Ka¬ na sein erstes Wunderwerk, wo er auf eingelegte Bitte seiner lieben Mutter auf einer Hochzeit das Was¬ ser in Wein verwandelte. Von Kana gieng er nach Jerusalem auf das Osterfest, wo er einige Zeit unter vielen Wunderwerken und mit großem Erfolge pre¬ digte; bey seiner Rückreise mußte er durch Samaria < gehen, weil diese Provinz zwischen Judäa nnd Ga¬ liläa, den beyden übrigen Provinzen von Palästina, in der Mitte lag, da hielt er sich bey der Stadt Si- char oder Sichem etwas auf, wo das Gut war , das Jakob seinem Sohne Joseph geschenket, und wo er bey dem Brunnen Jakobs das berühmte Gespräch M m 4 mit — ( LZ2 ) -- Mit der Samariteriun hielt. Nach zwcen Tagen be¬ gab er sich endlich in die Landschaft Galiläa, wo ihn die Einwohner, von welchen etliche auf dem Oster¬ feste zu Jerusalem gewesen, und Augenzeugen seiner allda gewirkten Wunder waren, mit vieler Freude aufnahmen; er gieng aber nicht gleich nach Naza¬ reth, wo seine heilige Mutter wohnte, aus Ursache, wie er selbst sagte, weil kein Prophet in seinem Va¬ terlands was gilt, sondern er hielt sich in andern Gegenden dieses Landes auf. — Welch ein Schade war aber dieses nicht für die Einwohner von Naza¬ reth , meine lieben Christen, daß Jesus nicht gerne zu ihnen gieng? Welch einen Verlust erlitten sic nicht dadurch, daß sie sich selbst dieser unschätzbaren Ge¬ genwart beraubten? Wie schlecht muß es nicht mit ihrem Verstände, oder mit ihrem Herzen, vielleicht mit beyden zugleich gestanden scyn, da sie denjeni¬ gen verachteten, desgleichen die Welt »och nie gese¬ hen hatte, und die Nachwelt nie sehen wird, und bloß darum verachteten, weil er ihr Landsmann, und unter ihnen erzogen war. Jesus hielt sich also in andern Sbadten Galiläens auf, und zwar kam er wiederum nach Kana, wo er das Wasser in Wein verwandelt hatte. Hier wirkte er nun das zweyte Wunderwerk in Galiläa an dem tvdtkranken Sohne eines königlichen Hvfhcrrns, wie uns in dem verlesenen Evangelium ist erzählet wor¬ den. Da dieses Wunder so viel Aufsehen in der gan¬ zen Landschaft erregte, und Christum so berühmt machte, so verdienet es auch gewiß, daß wir uns heute etwas länger mit unser« Betrachtungen dabcy aufhaitcn, und dieses wollen wir, meine werthesten Chri- — t FAZ ) — Christen, inden beydenTheilen meiner heukigenPre- digtthun, wo ich euch erstens die Erklärung dieser Geschichte und derselben Umstände geben, zweitens aber meine darüber gemachten Betrachtungen und Nutzanwendungen mittheilcn werde. Erster Theil. Au der Zeit, als Jesus von seinem sogenannten er¬ sten Osterfeste nach Galiläa zurückkam , und zu Ka¬ na einem kleinen Städtchen sich aufhielt, geschah es, daß der Sohn eines Hofherrn des Königs Herodes Antipas an einem hitzigen Fieber gefährlich krank lag, und schon an dem war, daß er bald sterben sollte. Herodes war zwar nur ein Fürst von Gali¬ läa, er wurde aber gemeiniglich, vielleicht weil er die Schmeichelet) liebte, mit dem Namen eines Kö¬ nigs beehret, deswegen wird dieser sein Beamter oder Hofherr, dessen Sohn gefährlich krank darnie¬ derlag, und der zu Kapernaum einer gleichfalls ga¬ liläischen Stadt wohnte, wo er vermuthlich ein kö¬ nigliches Amt von Herodes verwaltete, im Evange¬ lia ein Königlicher, oder ein Königlein genannt. Es läßt sich leicht denken, welch ein großes Kreuz die¬ ses für den Vater gewesen sey, da sein Sohu so gefährlich krank wurde, besonders da er sah, daß alle natürliche Mittel an ihm nichts helfen wollten, daß alle bisher angewandten Arzneyen vergebens wa¬ ren , und die Aerzte durchgehends an seinem Auf¬ kommen verzweifelten, unddafürhielten, dieser von ihm so geliebte Sohn werde an seiner Krankheit si¬ cher sterben, wenn ihm nicht auf eine wunderbare M M A Weis- — ( .554 ) — Weise geholfen werden sollte, — Wie bange es sei¬ nem väterlichen Herzen in diesen Umständen wurde, läßt sich leicht denken. Denn was war diesem be¬ drängten Vater übrig? Wo sollte er sich hinwenden? Die beßtenArzneyen waren vergebens. Bey den leib¬ lichen Aerzten konnte er also keine Hülfe mehr finden, um das Leben seines Kindes zu retten. Was sollte er nun in diesen betrübten Umständen anfangen? Bey wem sich Raths erholen, oder Hülfe suchen? Aber getrost, dachte er ans einmal, ich weiß, was ich thue. In Mitte seiner herzbeklemmenden Aathlofigkeit kam ihm nämlich auf einmal der trost¬ volle Gedanke i» Sinn, zu Jesu zu gehen, und bey ihm Hülfe zu suchen, von welchem er gehöret hatte, daß er ein großer Prophet und Wunderthäter sey , wie dann besonders das Wunder zu Kana auf der Hochzeit damals noch ganz neu und im frischen An¬ denken war, zu diesem dachte er, gehe ich, viel¬ leicht erhalte ich auch für mein todtkrankes Kind Hülfe bey ihm. — Dieser Gedanke flößte heilenden Bal¬ sam in sein blutendes Vaterherz, und richtete sein niedergeschlagenes Gemüth wiederum etwas auf. — Erwachte sich auch unvcrweilt, nachdem er den Ort des damaligen Aufenthaltes Jesu erfraget-hatte, auf de» Weg, unternahm die Reise von etlichen Meilen bis nach Kana, begab sich hin zu diesem Wundarzt, und bath ihn inständigst, mit ihm in seine Stadt hinabzureisen, um seinen todtkranken Sohn allda ge¬ sund zu machen. Allein, da Jesus de» Vortrag dieses Hofherrn hörte, ließ er sich nicht sogleich auf seine erste Bitte bewegen, ihm in seiner Noth Hülfe zu leisten, und dieses < L55 ) dieses aus der weisesten Absicht, denn so ost er ein Wunder an elenden Personen verrichtete, so ost thak er dieses in solchen Umstanden, die dasselbe mit ei¬ nem neuen Glanze gleichsam verherrlichten und merk¬ würdig machten. Das Vertrauen dieses Mannes schien ihm hier in diesen Umstanden nicht stark ge¬ nug, denn er glaubre zwar, daß er Kranke wun¬ derbarer Weise heilen könne, aber in seinen Augen war Jesns nur ein leiblicher Arzt, seine Kenntniß von ihm war noch nicht genug erleuchtet, sein Glau¬ be reichte nicht weiter, als seine Augen sahen, er glaubte, Jesus müßte in sein Haus gehen, wenn er seinen Sohn gesund machen wollte. Was der Hey» land im Geiste und in der Entfernung thun konnte, was sein bloßes Wort vermochte, dahin reichten sei¬ ne Einsichten nicht , er sah mehr ans das Sichtbare als aufs Unsichtbare, mehr auf die leibliche Gegen¬ wart des Heplandes, als auf seine allmächtige Hülfe, die sich auch in der Entfernung wirksam zeigen konnte. Fast auf eben die Art, wie es hernach Martha die Schwester des verstorbenen'Lazarus machte, als sie zu dem Heylande sagte: Herr, wärest du hier ge¬ wesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben. Die Schwachheit des Glaubens dieses Hofhcrrus mißfiel also Christo, er wollte ein größeres Vertrau¬ en von ihm haben, deswegen ließ er sich nicht als¬ bald auf die erste Bitte bewegen, mit ihm fortzu- reiscn, sondern blieb zu Kana, wo er war, erstellte sich, als ob er nicht so besonders aufseine Bitte ach¬ tete, noch seine Noch sich zu Herzen gehen lasse, er that, als ob die Gefahr nicht so groß wäre, daß er sich so eilig mit ihm auf den Weg machen müßte, — ( LZ6 ) — wiedie leiblichen Acrzte zu gefährlichen Patienten sick- eilig zu begeben pflegen, ja, er redete ihn sogar mit eiwas harten Worten an, da er zu ihm sprach: wenn ihr nicht Zeichen und Wunder sehet, so glaubet ihr nicht. Dieser Verweis, den Jesus hier gab, war al¬ lerdings gerecht, denn die Inden konnten zwar Wun¬ der von ihm begehren, um seine göttliche Sendung zu erkenne», aber nicht Wunder über Wunder, Er hatte schon deren genuggewirkct, nm sievvyderGött- lichkcit seiner Sendung zu überführen, und dennoch waren viele von den Anwesenden, die nicht an ihn glaubten. Dieser königliche Hofherr selbst hätte sich vielleicht wenig um ihn bekümmert, wenn sein Sohn nicht in eine tödtliche Krankheit gefallen wäre. Er hatte zwar den Anfang des Klaubens, welches er durch seine Anherkunft zu Jesu, durch sein Vertrau» en auf seine Hülfe, durch sein anhaltendes Bitten , und durch sein gläubiges Bezeigen im Weggehen be¬ wies. Allein sein Vertrauen war noch nicht stark ge¬ nug, sein Glaube war noch zu schwach, und noch nicht erleuchtet genug; denn, wie ich schon gesagt habe, er hielt dafür, Christus müsse zu seinem Soh¬ ne hinabgehen, er könne in seiner Abwesenheit ihm nicht die Gesundheit ertheilen, sondern er müsse per¬ sönlich zu dem Kranken gehen, und ihn sehen, wie die andern Aerzte zu thuu pflegen. Wegen diesem schlechten Glauben scheinet ihm Jesns diesen Verweis gegeben zu haben-, wenn ihr nicht Wunder und Zeichen sehet, so glaubet ihr nicht. Zum — t LZ)" ) Zum Glücke aber, meine lieben Christen, ließ sich dieser Vater durch diese Worte nicht abschrecken, sondern blieb beständig in seiner Bitte. Die nagende Sorge für seinen kranken Sohn machte vielleicht, dass er gar nicht auf den Verweis merkte, den ihm Jesus wegen seinem Unglauben gab. Er stellte dem Hey« lande die Noth und Gefahr seines Kindes noch ein¬ mal dringend vor und bath ihn noch einmal flehent- lichst, Herr! Komm doch hinab, ehe dann mein Rind stirbt. Christus hatte ihn auf seine erste Bitte nicht erhöret, und dieses weislich, wie ich euch schon gezeigt habe, um ihn zu prüfen, um zu sehen, ob er gläubig und beharrend in seinem Ansuchen sey, und ob er in seinem Glauben und Vertrauen wachse» und znnehmeu würde. Nachdem er ihn aber genug geprü- fct hatte, so erhörte er ihn, nachdem er ihn nämlich daszweytcmalum seine Hülse angeflehct hakte, sprach er zu ihm: gehe hin, dein Sohn lebt. Wodurch er ihm sagen wollte, daß sein Sohn an dieser Krank¬ heit nicht sterben , sondern wieder aufkommen werde, ja er versicherte ihn, daß er schon wirklich frisch und gesund sey; denn eben in dem Augenblicke, da er die¬ ses zu dem Vater sagte, wirkte seine göttliche Kraft auf seinen zu Hause krank liegenden Sohn so mäch¬ tig, daß er auf einmal frisch und gesund von feinem Bette aufstund. Der Vater, als er die Worte, dein Sohn lebt, von Jesu gehöret hatte, wurde ganz getrost, er zwei¬ felte nicht mehr, daß sein Sohu bald genesen werde, daher gieng er gleich nach Hause, legte den Worten Christi festen Glauben bey, und gab sich damit zu¬ frieden. Und als er nach Hause kam, fand er, baß er —- < 558 ) — er sich in diesen seinem Vertrauen nicht betrogen, ja Unterwegs erfuhr er dieses schon von seinen Knech¬ ten , die ihm entgegen eilten um ihm die fröhliche Bothfchaft zu hinterbringen, daß sein Sohn lebe, und zu Kapernaum frisch und gesund sein Krankenlager verlassen habe. Die Bedienten dieses Hofherrn müssen entweder aus der urplötzlichen, noch nie gesehenen Art einer so vollkommen augenblicklichen Genesung vermuthek haben , daß der Vater bey Jesu angekommen sei), nnd Hülfe erhalten habe, daher sie ihm diese freudi¬ ge Bothfchaft entgegen bringen wollten, oder auch kann es feyn, daß sie ihm entgegengefchicket wurden, um ihm zu sagen, eS sey nun nicht vonnökhen, Je- sum zu bemühen, daß er diesen Weg hinabgehe. Dem sey nun wie ihm wolle. Auf diese Weise erfuhr doch der Vater alsbald, daß fein Kind durch Jesu Wun¬ derkraft gesund geworden; denn als er sich nach den Umstanden dieser Genesung bey seinen Bedienten er¬ kundigte, besonders nach der Zeit, zu welcher sein Sohn gesund geworden, so fand er, daß die Zeit genau mit den Worten Jesu übereintraf. Gestern um die siebente Stunde, sagten die Bedienten, ver¬ ließ ihn das Fieber, welches nach unserer deutschen Stundenordnung, ein Uhr Nachmittags war. Da merkte nun der Vater ganz klar , daß eben diese die Stunde sey , zu welcher Jesus ihm sagte, daß sein Sohn lebe. Hicmit hatte er die handgreiflichste Pro¬ be, daß das Wort Jesu auf feinen kranken Sohn ge- wirkct, daß also Jesus ein allmächtiger und allwis¬ sender Gott. und der versprochene Heyland der Welt sey. Dieses — k .5L9 ) — Dieses wohlthatige Wunder machte auch eine» so starken Eindruck auf ihn, daß er mit seiner ganze» Familie an Christum glaubte. Von einem besonder» himmlischen Gnadenlichte erleuchtet, erkannte er näm¬ lich Jcsum als den wahre» Messias, nahm mit sei¬ nem Sohn und dem ganzen Hause seineLehre an, und richtete nach derselben seinen Lebenswandel ein, wie solches das Evangelium ausdrücklich sagt: der Va¬ ter glaubte und sein ganzes Zaus. Besonders schien ihm dieses desto wunderbarer, daß JefuS einen ab¬ wesenden Kranken die Gesundheit ertheilen, und sei¬ ne Macht in die Ferne wirken könne; dieses über¬ zeugte ihn besonders von seiner Gottheit, und bewog ihn, fest au ihn zu glauben. Dieses ist nun, meine werthesten Christen, was ich euch zur Erklärung der Geschichte von der wun¬ derbaren Gesundmachung des kranken Sohnes, des Königleins vonKavernaum sagen mußte. Vernehmet anjetzo noch meine darüber gemachte Betrachtungen in dem Zweyten TheNe. Viererlep Betrachtungen sind es, die wir über die heutige Wundergeschichte des Evangeliums zu machen habe», als über eben so viele Personen, die dabey Vorkommen. Erstens nämlich überJesum den göttli¬ chen Arzt, zwevtens über den Hofherrn, der von ihm Hülfe begehrte, drittens ü^er des Hofherrn Be¬ dienten, und viertens über desselben kranken Sohn, Was die erste Betrachtung anbelangt, meine lieben Christen, die wir bey diesem Wunder über Je- sum zu machen haben, so ist es diese folgende. JesuS zeiget — ( L6o ) —- zeiaetsich uns bcy dieser Gelegenheit abermal als de» wohlthätigsten Meuschciifteund, dessen Herz bey je¬ der Noch gerichret wurde. Er zeiget sich uns als den großen Wundarzt in allen uiisern Krankheiten, und als den rechten Helfer in allen unseru Nöthen. Ergibt «ns hier eine neue Probe nicht allein von seiner Allmacht, sondern auch von seiner großen Güte, und weisen Fürsicht; von seiner Allmacht zwar, da er einen ab¬ wesenden ködtiich Kranken in einem Augenblicke ge¬ sund machte, wodurch er unS zeiget, daßeraufci- ne unsichtbare Weise in uns wirken könne, und in der Thal wirke, da er auf etliche Meilen weit in den Kranken gewirket hak. Von seiner Güte aber, da er sich durch die Bitte dieses Hofherrn bewegen ließ , ihm ausserordentliche Hülfe zu leisten , die er vielleicht wegen Schwachheit seines Glaubens nicht verdient hatte. Und eine Probe seiner weisen göttlichen Vor¬ sicht, die daraus erhellet, da er durch dieses Wun¬ der den Hof deS Königs Herodes zur Erkcuiitniß der Wahrheit zu bringen suchte, indem er den Sohn ei¬ nes vornehme« Hofhcrrn desselben, augenblicklich gesund machte, welches an diesem Hofe gewiß nicht unbekannt verblieb. So wie ehedem der Prinz des Jerobcams erkranken mußte, damit dieses Königs Gemahlin von dem Propheten eine Strafpredigt be¬ käme, und dadurch etwa bekehret werden möchte. Alles dieses zeiget unS vorzüglich, daß, obschon Gott den Thron seiner sichtbaren Herrlichkeit im Himmel auf- geschlagen, er dennoch bei) unS auf Erden überall sey, und mil seiner unsichtbaren Allmacht inunswirke- und uns erhalte. Durch ihn bewegen wir uns, sagt der Apostel, durch ihn lebe«» wir, und haben unser -—- s ^6r ) — Unser U)esen. Er schlagt uns Wunden^ heilet sie aber wiederum, er läßt uns erkranken, machet uns aber durch seine unsichtbare Macht wiederum gesund. Er ist uns überall mit seiner Hülse gegenwärtig, ob¬ gleich Kapernaum von Kana eine Tagreise entfernet war, so wirkte doch die Kraft Jesu dahin, und fein mächtiges Wort mußte allda erfüllet werden. Welch eiiiZnwachs von Vertrauen undLiebe zu unferm Er- löscr, meine werthestcn Christen, kann uns diese Be¬ trachtung nicht mitthcilcu? Und wie viel kann dieses Vertrauen auf seine Macht zur Erlangung unserer Ge¬ sundheit nicht bepkragen, wenn wir erkranken sollten? Denn, wenn das blosse Vertrauen auf menschliche Hülfe viel zur Gesundheit hilft, wenn ei» Kranker zu seinem Arzt ein großes Vertrauen heget, sich von seiner Erfahrenheit, Sorgfalt und Redlichkeit viel Gu¬ tes verspricht, wie viel mehr wird dieses Vertrauen auf die göttliche Macht und Güte Jesu viel zur Ge¬ nesung beytragen ? Wie oft har ein verkraucnvollcs Gebeth gesund gemacht? Herr, mein Gott! bethc- te David 29 Psalm, da ich zu dir schrie , mach¬ test du mich gesund. So hat insgemein eine Gott gefällige Frömmigkeit den größten Einstuß auf die Gesundheit. So ist bekannt, daß ein ruhiges und zufriedenes Gemükh zur Verlängerung der Gesund¬ heitgar vieles beptrage. Ein gottseliger Mensch aber ist allein eines solchen stillen Gemüthcs fähig; in ei¬ nem solchen wohnet allein die wahre Seelenruhe, in¬ dem er, von der Gnade Gottes überzeuget, bey al¬ len seinen äuffern Umständen und Veränderungen im¬ mer zufrieden ist. Auch selbst die Werke der Fröm¬ migkeit gegen Gott sind zur Erhaltung der leiblichen Erklär b.Evttug.lll.Th. Nn Gesund- — ( Lk>2 ) — Gesundheit äusserst vortheilhaft, und könne» , so zu sagen, als Gesundheitsregeln mit angesehen werden. Die Pflichten der Mäßigkeit beym Gebrauche unserer Nahrungsmittel, unserer Ruhe und Ergötzlichkeiten, wie auch die Pflichten der Arbeitsamkeit zielen alle zugleich auch dahin. So wie im Gegentheile die Ge¬ sundheit störende Laster der Trunkenheit, des Zorns, deS Neides und derHurerey, welche des menschlichen Körpers größte Feinde sind, von Gott unter den här¬ teste» Ahndungen, und bey Verlust der ewigen Wohl¬ farth vcrbothen sind. Wir sehen ferner aus dem Betrage» Jesu bey diesem Wunder, daß Gott die Seinigen nicht allzeit sogleich, wie sie es verlangen, erhöre, sondern sie in ihren Nöthen und Trübsalen öfters langer klagen las¬ se, wie es Christus mit dem königlichen Hofherrn machte, da er ihn nicht augenblicklich erhörte, son¬ dern zweymal bitten und anhalten ließ. Dieses thul er, um die Seinigen zu prüfen, und ihnen zur rech¬ ten Zeit Proben seiner Güte und Weisheit an den Tag zu legen. Gott gibt auch öfters den Gläubige» nicht das, um was sie bethen, gibt ihnen aber was deffers. So kam Jesus nicht in das Haus des Hof¬ herrn, um welche Gnade er ihn gebethen hatte, son¬ dern kehrte bey seiner Seele ein, erleuchtete dieselbe, machte ihn zum Gläubigen, und befreyte noch dazu seinen Sohn von seiner leiblichen Krankheit, bewieß ihm also seine Güte in leiblichen und geistlichen Din¬ gen, da er doch nur um das Leibliche gebethen hatte. Oft gibt auch Gott das geistliche Gut allein statt des Leiblichen, um welches wir ihn gebethen, und ver¬ wechselt also die Gabe» zu unserm Beßten, leget das der — ( §6Z ) — der Seele bey, was wir fsir den Leib gewünschet ha¬ be». Und dieses alles thut er aus besonderer Güte zu uns, weil er allein weiß, was uns nützlich und heil¬ sam ist. Au dem königlichen Hofherrn sehen wir, meine werthesten Christen, daß jeder Stand sein Kreutz und seine Trübsale habe, daß auch die vornehmsten Leute davon nicht srep sepn. Es war dieser ein vor¬ nehmer , angesehener, wohlhabKrder Herr an dem Hofe des Fürsten Herodes. Es gieng ihm zwar nichts ab, an Gütern, anReichthum, Ansehen und Ehren, aber er hatte ein anderes Kreuz, welches ihm vielleicht weit schwerer fiel, als wenn er arm gewesen wäre, sein Sohn, vielleicht sein einziger Sohn, war krank, und zwar tödtlich krank. Dieses HanSkreuz war aber sein Glück, denn er würde vielleicht niemals zu Jesu gekommen seyn, nie an ihn geglaubet haben, wenn nicht diese tödtliche Krankheit seines Kindes ihn gleich¬ sam dahin getrieben hatte. Wirsehen daher zweytens an diesem königlichen Hofherrn, wie groß die Vor¬ theile des Leidens und der Trübsal öfters bey dem Menschen find, denn nie würde eine solche Freude, rin solcher Segen und so großes Glück in seinem Hau¬ se eingekehret seyn, wenn Schmerz und Leiden immer daraus verbannet gewesen wären. So sind uns die Trübsalen gemeiniglich die heilsamsten Gaben Gottes, da sie uns von Sünden und Lastern entfernen, und zu Gott leiten, wie sie diesen Hofyerrn zu Jesu ge- führet haben, da im Gegentheile beständiges Ver¬ gnügen und anhaltende Freude uns nicht sclien von Gott entfernen, uns gottvergessen, gefühllos gegen seine Gnaden und verhauet gegen sein heiligstes Ge- N n s setz - — c ) — setz machen , uns immer tiefer in den Schlamm der unvernünftigen Sinnlichkeit, und von einer Sünde in die andere stürzen. Wodurch wir nuS selbsten zur Last, und unserm Nebenmenschen zur (Leisel und Pla¬ ge werden. Wo hingegen Kreuz und Leiden das be¬ währteste Mittel sind, den Sünder aus seinem Schlum¬ mer zu erwecken, ihn zu einem frommen, glücklichen, guten und nützlichenMenschen umzubilden, und den Frommen noch mehr in feiner Tugend und Rechtschaf¬ fenheit zu stärken. Dieses zeigen uns David, Ma- nasses, Nebukadnezar und taufend andere in der Ge¬ schichte, die im Wohlstände in Sünde und Laster fie¬ len, zur Zeit der Trübsal aber Busse thaten. Auch'" -en heutigen Hofherrn lehrte die Noch bethen, als das Kreuz über ihn kam, so konnte er zu Jesu lanfen, zu welchem er vielleicht sonst niemals gekommen wä¬ re. Da geschah es, was Jesaias sagt: Herr, wen« die Trübsal da ist, so suchet man dich, und wenn du sie züchtigest, so suchen sie dich ängstlich. Oder was Gott selbst beymHosea sagt 6. K. wenn es ihnen übel geht, so werden sie mich früh suchen und sa¬ gen: kommet, wir wollen wiederum zum Herrn kehren. Er hat uns verwundet, er wird uns auch heilen. Er hat uns geschlagen, er wird uns auch verbinden. Auf diese Art bringen Trübsale öfters den größten Segen, wenn sie der Mensch zu seinem Nutzen wohl verwendet. Wohin wir uns aber zur Zeit der Trübsal wenden, und bey wem wir Hülfe su¬ chen sollen, lehret uns drittens auch dieser Hofherr, der zur Zeit der gefährlichen Krankheit seines Soh¬ nes sich zu Jesu wendete. So sollen wir in all unserm Kreuze und Leiden Hülfe bep Gott suchen, und in alle» — k ) — allen unfern Nöthen zu ihm jene Worte rufen, die er uns selbst zu bethen gclchrct: Herr, erlöse uns von dem Nebel- Wenn Gott uns nicht hilft, so ist alle menschliche Hülfe vergebens. Wenn Gott die Ar- zcneyen bey unfern Krankheiten nicht segnet, so ist alle Mühe der Aerzte eitel. Wir müssen aber, wie dieser Hofherr, in unseren Nöthen mit Geduld, mit Demuth, mit Vertrauen und mit Beharrlichkeit be- then. Dieser wurde auf den Verweis, den ihm Chri¬ stus gab, nicht unwillig, sondern wiederholte feine Bitte in Demuth und Erniedrigung. Als Christus zu ihm sagte: geh hin, dein Sohn lebt, so gieng er mit Vertrauen fort, und Hoffete ganz zuversichtlich, daß sein Sohn gesund werde. Er bethete auch mit Be¬ harrlichkeit, denn ob er schon das erstemal durch sein Gebeth nichts erhielt, so trug er dennoch seine Bitte bey dem Heylande das zweytcmal vor. Viertens ler¬ nen wir von diesem Hofherrn auf die Wohlthaten Gottes zu merken, denn so machte es dieser königli¬ che Beamte, als ihm seine Bedienten sagten, sein Sohn lebe, so forschte er.von ihnen die Stunde, in welcher es besser mit ihm geworden war, weil es nun die siebente Stunde gewesen, so merkte er, daß es eben die Stunde wäre, in welcher Jesus zu ihm ge¬ sagthatte: dein Sohn lebt. So sollte ein jeder Mensch sich es zur Pflicht rechnen, ja für ein angenehmes Ge¬ schäft halten, auf das zu merken, was Gott an ihm thut. Gott erzeiget einem jeden Menschen so viel gu¬ tes , daß er täglich Gelegenheit und Ermunterung hat, an ihn als seinen Schöpfer, Erhalter und güti¬ gen Vater zu denken. Und er thut dieses auf eine so merkliche Art, daß man verstaudlos scpn müßte, wenn N u Z man — ( F66 ) — man nicht merken wollte, daß es Gott gethan. Was unserem Leibe an Gesundheit, an Nahrung und Be¬ schirmung zu gute kömmt, das gewahret uns unser himmlischer Vater. Was unser Hauswesen erhält, und in die Aufnahme bringt, alles Vergnügen, das wir geniessen, das haben wir als eine Gahe des Herr« anzusehen, und können es niemand anders als unserm i himmlischen Vater zuschreiben. Wohl dem, der auf diese Wohlthaten acht hat, und der auf die Wege sieht, die ihn die Fürsicht Gottes führet! Wohl dem, der durch die Gutthatcn Gottes gerühret, sich dank¬ bar gegen den göttlichen Wohlthäter erzeiget, so wie es dieser Vater that, der mit seinem ganzen Hause an Jesum glaubte. Wohl dem, der sich demjenigen mit Vertrauen und mit Liebe ergibt, von dem er so viele Proben der Macht und Liebe empfängt! Wohl dem, der dankbar gegen Gott jene Stunde bemerket, wo er durch Hülfe Gottes von einer gefährlichen Krankheit aufgeftanden, oder wo er sonst von einem Unglücke gerettet worden, wo ihn Gott am Zeit¬ lichen gesegnet, oder im Geiste innerlich erleuchtet, oder von einer Gefahr der Seele befteyet hat. Fünf¬ tens endlich lernen wir von diesem Hofherru, daß wir die empfangenen Wohlthaten Gottes bey andern an¬ rühmen sollen, mit der Absicht, damit sie mit uns Gott loben und preisen mögen,-denn so machte es dieser Vater des wunderbar genesenen Sohnes. Es war ihm nicht genug, dass er sich zu Jesu bekehrte, sondern er suchte auch durch die Erzählung der em¬ pfangenen Wohlthat, sein ganzes Haus zu ihm zu be¬ kehren , nach welchem Muster sich besonders HauSvä- ter «nd Hausmütter zu bestreben haben, ihre Kinder uud — ( L6? ) — und ihr Hausgesinde zum Glauben und zur Gottsi> ligkeil anzuführen; denn aus diesem Beyspicle erhel¬ let, wieviel das gute Betragen eines gottseligen Haus¬ vaters und einer frommen Hausmutter bey den Un¬ tergebenen vermöge, daß nämlich das ganze HauS, die sammtlichen Hausgenossen sich nach dem Vater oder der Mutter im Hause richten, wie wir heute ge¬ höret, daß sich das ganze Haus zu Christo bekehret habe, weil der Vater und Herr im Hause, seinen Hausgenossen mit einem guten Beispiele vorangieng. Von den Knechten aber, die ihrem Herrn cntge- gengiengen, haben heute alle Dienstbothen zu lernen, daß sie sowohl an guten und fröhlichen, als auch an betrübten und traurigen Zufällen ihrer Herren An- theil nehmen sollen, daß sie ihnen alles Gute, wel¬ ches ihnen Gott bescheeret, gönnen , nnd sich von Herzen erfreuen sollen, wenn es ihnen wohl ergeht, denn so machten es die Bedienten, sie freueten sich über die Gesundmachung des SohuS ihres Herrn, sie liefen dem Vater entgegen, und überbrachten ihm mit herzlicher Freude die frohe Bothschaft davon. Auch sollen christliche Dienstbothen ihren Herren ge¬ treu, und in. ihrem Dienste fleißig seyn, «icht nur wenn dieselben ihnen zusehen, und acht auf sie ha¬ ben, sondern auch, wenn sie eine Arbeit allein ver¬ richten , und dieses nach dem ausdrücklichen Befehl des heil. Paulus in seinem Briefe zu den Kolossern Z. K. Ihr Rnechte gehorchet euren Herren in allem , nicht mit dem Dienste vor den Augen, um den Menschon zu gefallen, sondern mit Gottes¬ furcht, in Einfalt und Aufrichtigkeit desHerzens. Go machten es diese Knechte im heutigen Evangelium. Nn 4 Sie --- ( L68 ) Sie warteten dem kranken Sohne auch in Abwesen¬ heit ihres Herrn so getreu auf, und gaben so genau auf ihn acht, daß sie sogar die Stunde genau zu nen¬ nen wußten, in welcher ihn das Fieber verlassen. — Ferner sollen Dienstbothen hier lernen, dem guten Bcyspiele ihrer Herren und Frauen willig zu folgen, wenn sie von ihnen zur Gottesfurcht angeführet wer¬ den, da der Hausherr heute an Jcsum glaubte, wur¬ den alle seine Hausgenossen, sein ganzes Haus gläu¬ big , so sollen es alle Dienstbothen machen, und sollen ihren gottesfürchtigen Hausvätern in allem Guten Nachfolgen, es ist in der Thal ein Glück, ein sehr großes Glück für Dienstbothen, wenn sie in einem Hause dienen, wo Herr und Frau gottesfürch¬ tig sind, wie wir eben an diesen Knechten die Probe haben, die vielleicht niemals zur Erkenntniß Jesu würden gekommen seyn, wenn sie nicht bey diesem Herrn gedienet hakten, der sie dazu brachte und da¬ hin anführke. Was den Dienstbothen gesagt wird, betrift noch vielmehr die Kinder im Hause, die dem guten Bcy¬ spiele ihrer frommen Eltern fleißig folgen sollen, wel¬ ches die Kinder besonders von dem Sohne zu lernen haben, der heute wunderbarer Weise gesund gemacht wurde, denn dieser nahm alfobald den Glauben Je- sum an, so bald sein Vater denselben angenommen, so sollten es alle fromme Kinder machen, und dem Beyfpicle ihrer gottesfürchtigen Eltern folgen, denn gleichwie es frommen Eltern zusteht, ihre Kinder in der Tugend und Furcht Gottes zu erziehen, so steht es hingegen den Kindern zu, ihren Eltern zu folgen, wenn sie zum Güten von ihnen angewiesen werden. Alle (569) Alle Menschen aber haben von dem gesundgemach- ten Sohne zu lernen, daß sie nach einer glücklich überstandenen Krankheit frömmer werden, und Gott fleissiger dienen sollten, als etwa vorher geschehen, wie dieser Sohn nach seiner Genesung gethan hat, denn es wäre äusserst undankbar gehandelt, wenn man in der Krankheit Gott alles Gute versprochen hatte, nach erhaltener Gesundheit aber wiederum auf den allen Sündenweg znrückekchren wollte, derglei¬ chen Undankbare hatten zubefürchten, daß sie Gott wiederum aufs neue krank werden, sterben und aus gerechter Strafe ewig zu Grunde gehen ließ, wie Je¬ sus zu jenem von ihm gcsundgemachten Menschen bey Joh. L. K. gesprochen, sieh, du bist nun gesund geworden, fündige nun nicht mehr, damit dir nicht was ärgeres wiederfähre. Meine werthestcn Christen, dieses sind nun die Betrachtungen alle, welche wir über die vier ver¬ schiedenen Personen, die in der heutigen evangeli¬ schen Wundergeschichte vorkommen, zu machen ha¬ ben. Lasset dieselben den gehörigen Einfluß in euer Betragen gegen Gott und in eure Sitten haben, setzet in all euren Anliegen euer ganzes Vertrauen auf Je- fum den besten Arzt nnd Helfer, der euch mit seiner Hülfe überall gegenwärtig ist, der auch da, wo alle menschliche Hülfe vergeblich ist, helfen kann, erzei¬ get euch nach dem Beyspiele des Hofherrn, nach je¬ der empfangenen Gnade dankbar gegen Gott, durch seine Wohlthatcn aufgemuntert, bestrebet euch ihm stets eifriger zu dienen, und seyd allzeit aufmerksam auf die Gaben Gottes, die ihr stündlich erhaltet. Rufet öfters dankbar auf, wie groß, 0 Herr, ist N uz deine — ( ) — deine Gute, die du uns in jedem Augenblicke erzeigest, täglich beweisest du an uns armen Menschen Wun¬ der deiner Macht und Liebe, o wie sind deine Werke so groß und edel , o daß wir «ur immer darauf merkten, und sagen möchten, das hat unser Gott gcthan, du bist zu jeder Stunde unser Gutthäter, du hilfst zu allen Zeiten , o daß diese Stunde, diese Gelegenheit, diese? Ort, wo du unser Retter wä¬ rest, für uns ein ewiges Deukmahl deiner Erbarmung seyn möchte- So sprechet öfters dankbar zu Gott, und beson¬ ders an der heutigen Sonntagsfeyer bittet ihn, daß wir in dem Glauben, zu welchem der Hofherr ist be¬ kehret worden, leben und sterben mögen, und daß alle Vorgesetzte, alleVäter und Mütter ihren Unter¬ gebenen mit einem guten Beyspiele Vorgehen , und sie zur wahren Gottesfurcht so auführen mögen, wie der Vater heute gethan hat. Bittet Gott, daß er allen Kin¬ dern und Diensibothen solche folgsame Herzen gebe, da¬ mit sie den guten Ermahnungen ganz willig nach¬ kommen , wie die heutigen Hausgenossen gethan ha¬ ben, bittet Gott vom Grunde eures Herzens, daß alle Haushaltungen so eingerichtet seyn mögen, wir die heutige war, wo Eltern und Kinder, Knechte und Magde und alle Hausgenossen Jesum erkannten, sich zu ihm bekehrten, und nach seiner heiligen Lehre zu leben anfiengen. Diese eure Bitte und diesen meinen Herzenswunsch erhöre heute der liebe, gütige Gott» Amen. Auf ( A7> ) Auf den ein und zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Matth. XVHI. sz — zz. DaS Himmelreich ist gleich einem König, der mit feinen Knechten Rechnung halten wollte, nnd als er zu rechnen anfieng, ward ihm einer vor- geführet, der ihm zehntausend Talente schuldig war, da er nun solche nicht bezahlen konnte, befahl der Herr ihn, sein Weib, seine Kinder, und alles, waS er hatte, zu verkaufen, um da¬ durch bezahlt zu werden, da fiel der Knecht nie¬ der , bath ihn und sprach, Herr, habe Geduld mit mir, ich will dir gern alle- bezahlen; da er¬ barmte sich der Herr über den Knecht, entließ ihn, und schenkte ihm die Schuld. Ebenderselbe Knecht gieng aber hinaus, und fand einen seiner Mitknechte, der ihm hundert Denarisn schuldig war, und er griff ihn an, würgte ihn, und sprach, bezahle mir, waS du mir schuldig bist, da fiel sein Mitknecht nieder, bath ihn, und sprach , habe Geduld mit mir, ich will dir alles bezahlen , er aber wollte nicht, sondern gieng hin, und warf ihn ins Gefängniß, big er das bezahlte, was er ihm schuldig war. Da aber seine Mitknrchte sol¬ ches sahen, so wurden sie sehr betrübt, kamen z und — ( L72 ) !— und brachten vor ihren Herrn alles, waS sich be¬ geben hatte. Da rief ihn -er Herr zu sich, und sprach zu ihm, du boshafter Knecht, ich habe dir die ganze Schuld erlassen, weil du mich bathest, solltest du denn nicht auch dich über deinen Mit¬ knecht erbarmen, wie ich mich über dich erbar¬ met habe? Und fein Herr ward zornig, und überantwortete ihn den Peiniger», bis daß er alles bezahlte, waS er ihm schuldig war. Also wird euch mein himmlischer Vater auch thun, so ihr nicht vergebet von eurem Herzen, eiy jegli¬ cher seinem Bruder seine Fehler. Das Himmelreich ist gleich einem König, der mir seine« Knechten Rechnung halten wollte. Matth e8- V. 2Z. Eingang. Achristus hatte gleich nach seiner Verklarung auf dein Berge Thabor in Galiläa jenen mondsüchtige» Jüng¬ ling geheilet, den seine Jünger, wegen Abgang des starken Glaubens, nicht heilen konnten, hernach hatte er zu Kapernaum für sich und für den Petrus mit einer in dem Munde eines Fisches gefundener Münze den Zoll bezahlet, und die dadurch entstan¬ dene Eifersucht unter seinen Jüngern gestillet, da er ein Kind mitten unter sie hinstellte, und sagte, daß derjenige im Himmelreich der größte seyn werde, der sich so demüthigen, und so klein würde, wie dieses Kind; nachdem er sie auch alsdann nachdrück¬ lich vor dem Aergernisse gewarnet, und ihnen daS Gleich- Gleichniß von dem verlohrnen Schaafe erzählet haf¬ te, so kam er darauf,daß er ihnen die Weise iindArt zeig¬ te, wie sie die Ermahnungs-und Bestrafungspflichk an ihrem Nebenmenschen ausüben sollten, daß sie nämlich ihren Nächsten, wenn er sich verfehlte und ver¬ sündigte, anfangs ganz heimlich ermahnen, hcrnach über, wenn er sich nicht besserte, in Gegenwart zwey- er oder dreyer Zeugen bestrafen, und wenn auch die¬ ses nichts fruchtete, bev der ganzen Versammlung anklagen sollten. Nach diesem kündigte er ihnen an, wie er ihnen die Gewalt zu lösen und zu binden ge¬ ben werde, daß alles was sie auf Erden lösen oder binden würden, auch im Himmel gelösct oder gebun¬ den scyn sollte. Da Peteus dieses letztere, von Binden und Lö¬ sen, oder welches eben so viel hier ist, von Verzeihen und nicht Verzeihen, hörte, so trat er hervor , und that jene wichtige Frage: wie ost er denn seinem Bruder, wenn sich dieser gegen ihn verfehlen wür¬ de, verzeihen sollte, ob es genug wäre, ihm sei¬ ne Beleidigung siebenmal zu vergeben, wenn er sich siebenmal verfehlen sollte. — Da antwortete ihm Jesus, ich sage dir Simon, nicht nur siebenmal, sondern siebenzig siebenmal sollst du vergeben, das heißt, zu allen Zeiten, auch die gröbsten, und unzahligemal wiederhohlten Beleidi¬ gungen sollst du deinen Beleidigern vergeben, hier gilt kein Rechnen, keine Ausflucht, entweder mußt du verzeihen, oder aufhören mein Jünger zu seyn, entweder mußt du auch Gnade deinen Widersachern willfahren lassen, oder wirst auch von aller Verge¬ bung und von meinen Gnaden ewig ausgeschlossen seyn. — L L74 - seyn. — Dreß war freylich eine neue Moral für Pe¬ trus und seine Mikapostel, da ihnen das jüdische Gesetz erlaubte, Unbilden zu rachen, wie aus dem Gesetze von den Blutrachern bekannt ist, aber auch dieses sollte ihnen die Vortrefflichkeit der christlichen Moral vor jener des alten Bundes zeigen.— Und da dieses den Jüngern etwas hart vorkommen konnte, so erzählte Christus, um ihnen diese Moral etwas zu erleichtern, und sie desto eher zur Verzeihung der Unbilden zu bewegen, das heutige Gleichniß von ei¬ nem König, der Rechnung mit seinen Knechten hielt, und einem derselben alle seine Schuld nachließ. Ein führendes Gleichniß, meine werthesten Christen, das einen jeden, der es so zu sagen nur obenhin anhöret, bewegen kann, seinem Nächsten alle Beleidigungen von Herzen zu verzeihen. Und dieses hat eben die christliche Kirche bewo¬ gen, daß sie diese wichtige Parabel auf den heutige» Sonntag in den christlichen Versammlungen öffent¬ lich vorzuleseu befahl, welches auch mich bestimmet, dieselbe zum alleinigen Gegenstände meiner heuti¬ gen Predigt zu machen; da aber zwey Haupt- ! stücke in derselben Vorkommen, das sanfte Verhalte» des Königs nämlich gegen seinen bösen Knecht, und das harte Verhalten dieses schalkhaften Knechtes ge¬ gen seinen armen Mitknecht, so sollen diese bcyden Stücke die Abtheilung derselben ausmachen, daß wir also im ersten Theile gegenwärtiger Predigt das gnädige Betragen des Königs gegen seinen schuldigen Knecht, und im zweiten Theile das grausame Betra¬ gen dieses Knechtes gegen seinen Mitknecht betrachten werden. Vernehmet eine so wichtige Sache, die auf euer — < S7L r — euer tägliches Verhalten gegen eure Nebenmenscheu «inen so großen Einfluß haben kann, mit gebühren- -er Aufmerksamkeit. Erster LH eil» Aas Himmelreich ist gleich einem König, der mit seinen Knechten Rechnung halten wollte. So hebt derHeyland seine heutige schöne Parabel an, durch welche er uns auf eine ganz einnehmende Art eines der vornehmsten Stücke der christlichen Moral, die Versöhnlichkeit nämlich, lehren will. Ein König, sagte er, wollte einstens mit seinen Bedienten und Knechten Rechnung halten, um zu sehen, ob sie auch seine Güter mit der gehörigen Treue verwaltet hat¬ ten, als er nun mit ihnen zu rechnen anfieng, kam ihm unter andern einer vor, der in seiner Rechnung gar schlecht bestund, da er seine Güter so untren ver¬ waltet, und ihn noch dazu so beträchtlich bestohlen hatte, daß er ihm zehntausend Talente schuldig blieb. Eine erstaunliche Summe von mehreren Millionen Reichsthalern, wenn man auch das Talent nur zu sechshundert Reichsthaler rechnet, eine Schuld also, die er niemals zu bezahlen im Stande war, da we¬ der sein ganzes Vermögen, noch das Verdienst von seinem ganzen Leben, so groß auch dieses immer ge¬ wesen wäre, dahin gerichtet hatte, diese ungeheure Summe abzntrageu, gesetzt auch, er hätte noch so elend und kümmerlich leben, und die ganze Zeit sei¬ nes Lebens umsonst dienen wollen. — Da nun der König einsah , daß dieser untreue Knecht seine große Schuld übzulragen nicht im Stand ftp, so gab er den ( 576 ) den Befehl, -aß man all das Seinige verkaufe», nnd ihn samt Weib und Kindern zu Sklaven oder Leibeigenen machen solle, damit ihm auf diese Wei¬ se nur etwas von dieser Summe bezahlet werden möchte. Dieser Befehl des Königs war allerdings gerecht, meine lieben Christen, so hart er uns auch scheinen sollte, denn es war in den damaligen Zeiten gewöhn¬ lich, Menschen zu Sklaven zu verkaufen, wie solches noch heute zu Tage bey den Mohren und andern Völkern in der Welt im Brauche ist, wer schuldig war, und nicht bezahlen konnte, mußte sechs gefallen lassen, daß man nebst seinen Gütern nnd seinem Viehe, ihn samt Weib und Kindern verkaufte, wo manchmal für solche Leibeigene viel Geld gegeben wurde, nach¬ dem sie Geschicklichkeiten oder Wissenschaften besaßen, und ihren Herren viel nützen und verdienen konnten, wenn also der König diesen seinen Schuldner hätte verkaufen lassen, so würde er nicht unrecht gehandelt haben, er hätte nichts anders gelhan, als was ihm die Rechte erlaubten, doch that er's nicht, sondern wollte nur durch diese Drohung seinen ungerechten Knecht zur Erkennlniß seines Fehlers bringen, und gleichsam zwingen, daß er sein Unvermögen, eine so ungeheure Schuld zu bezahlen, eingestehcn, und um die Erlassung derselben bitten möchte. Welches derKnecht auch that. Denn als er hör¬ te, daß ihn sein Herr samt alldem Seinigen verkau¬ fen wolle, so fiel er vor ihm nieder, that auf eine wehmüthige und erbarmungswürdigcWeise einen Fu߬ fall vor ihm, und bath ihn flehentlichst, daß er ihn nnd die Seinigen nun nicht zu unglücklichen Sklaven machen — ( L77 ) — machen wolle. Er sprach unter Thronen und Seuf¬ zern: Herr, habe Geduld, habe Nachsicht mit mir, ich will dir nach und nach alles bezahlen, was ich dir schuldig bin. Obschon die Erfüllung dieses Versprechens un¬ möglich, da er eine so große Schuld zu tilgen nie¬ mals im Stande war, so gefiel dieser gute Wille dem König doch so wohl, daß er ihn wiederum los ließ, und ihm die Freyhcik samt seiner ganzen Schuld schenkte, ihm also eine doppelte ganz unverdiente Gnade zugleich erzeigte- da er ihm die Strafe, die er verdienet als Leibeigner verkaufet zu werden- und zugleich seine ungeheure Schuld, die er durch seine Diebercycn und Ungerechtigkeiten gemacht hatte, schenkte, Und ihn Mich noch dazu bey seinem Dienste und seiner vorigen Einnahme ließ- daß er sich mit den Scinigen ehrlich ernähren konnte- welches gewiß eine ausserordentlich «stoße Gnade dieses Herrn gegen seinen Unwürdigen Diener war, da er besonders mehe vn ihm that, als er verlangt hatte, und sich auszu- bitlen erfrechen konnte. Sehet, meine werthesten Christen, den ersten Theil des heutigen Gleichnisses. Betrachtet hier das gnädige Betragen des Königs gegen seinen untreuen Knecht, betrachtet hier eine Sache, die uns alle an¬ geht, denn Gvtt ist dieser König, Und wir stud diese untreuen Knechte, wir sind alle große Schuldner un- scrs Gottes. So wenig der Knecht die zehn tausend Talente abtragen konnte, eben so, und noch viel weniger- können wir unsere Schulden- die wir bey Gott gemacht haben, drstch eigene Verdienste bezah¬ len und abtragen, dennoch ist er jederzeit bereit, un- EMSr. -.Evang.il, Th. -O v stre — ( Z78 ) — sere Aussöhnung mit ihm anzuuehmen. Er hat dir Macht und das Recht, uns zur Rechenschaft zu zie¬ hen, mit uns nach den strengsten Gesetzen, seinem Ge¬ rechtigkeit umzugehen, er ist aber geneigt, uns die Schuld und die Strafe gnadigst zu erlassen, wenn wir ihn mir darum bitten, unsere Fehler bekenne», und einen guten Willen zeigen, uns zu bessern, er handelt nicht nach unseren Missethaten, sagt der Psalmist, sondern nach dem Reichthume seiner gro¬ ßen Barmherzigkeit. So eine große Summe zehn tausend Talente waren, so erbarmte sich doch der Kö¬ nig, und ließ dieselbe dem demüthige» Schuldner nach. Eben so macht es der gütige Gott mit uns, so groß unsere Schuld bey ihm scyn mag, so erbarmt er sich doch unser, und laßt uns dieselbe nach seiner unendlichen Güte in Gnaden nach. Meine werlhesten Christen, damit ihr von einer so wichtigen Wahrheit desto eher gerühret werden möget, so wird cs gutseyn, hier eine kurze Be¬ trachtung über die Größe unserer Schulden anzustel- lcn, um die Größe der Barmherzigkeit Gottes desto leichter einzufehen und kennen zu lernen, und diese Betrachtung wird vielleicht desto nolhwendiger und nützlicher seyn, je weniger die Meisten von uns an jene große Schuld gedenken, die wir bey Gott unser Leben hindurch schon gemacht haben. In der Thal, wenn Gott mit uns zur Rechnung schreiten sollte, welch eine Schuldcmnenge würde er nicht bey uns antressen? Zehn tausend Pfunde war der Knecht seinem Könige schuldig, eine Summe, die er in sei¬ nem ganzen Leben nicht im Stande war zu zahlen, und gerade in diesem Falle befinden wir uns alle. Daß — ( 57') ) — Daß wir aber dieses nicht erkennen, kömmt daher, weil wir weder die Größe, noch die Menge unserer Sünden gegen Gott recht bedenken. Wir erwägen öf¬ ters nicht, wie oft wir Gott beleidigen, und wie viele Sünden wir begehen, wir erwägen öfters nicht, daß nicht nur die äusserlichen Thaten, sondern auch die innen« Lüfte, Gedanken und Begierden, daß nicht nur die groben unreinen Ausdrücke im Reden, sondern auch die zweydentigen Worte sündhaft seyn. Wir bedenken nicht recht, wie oft wir uns gegen die verschiedenen Gebvthe des Herrn durch Gedanken, Worte und Werke, durch Unterlassungen des Guten, und durch Ausübung des Bösen versündigen. — Wie oft fallt nicht der Gerechte selbst in Schwach- heitS - und Uebereilungssünden? Wie oft fallt nicht der Fromme wenige Augenblicke hernach in eben jene Fehltritte, um welche er kurz zuvor seinen Golt um Verzeihung gebethcn hatte? — Setzet mau zu diesen bekannten Sünden »och die unbekannten, die ver¬ borgenen, die wir aus sträflicher Unwissenheit bege¬ hen; setzet man zu unseren eigenen Sünden noch die fremden, o so wird gewiß Mancher gezwungen, mit David zu bekennen Ps. Z<-., daß seine Sünden die Haare auf seinem Haupte an der Zahl übersteigen. — Bedenket man ferner nebst dieser Menge der Sün¬ den noch die Größe derselben, bedenket man, daß eine einzige Beleidigung Gottes die Schuld von zehn tausend Talenten weit übersteige, daß eine einzige Sünde eine so große Schuld vor Gott mache, daß wir dieselbe, uns selbst überlassen, die ganze Zeit unsers Lebens abzutragen nicht im Stande sind, be¬ denket man, daß jede Sünde der widerspenstigste Un- Oos gehör- ( Z8o ) — gehorsam gegen unseren höchsten Herrn, der schwär¬ zeste Undank gegen unsern besten Gutthäter, die bos¬ hafteste Geringschätzung der höchsten Majestät, die sträflichste Verachtung und Beleidigung des unendli¬ chen Wesens, der schändlichste Mißbrauch der gött¬ lichen Gnaden- und ein so teuflischer Haß gegen den liebvollsten Gott, und ein so großer Fehler scy, deu die göttliche Gerechtigkeit selbst an dem unschuldigen Sochne Gottes so erschrecklich bestrafte. — Ukber- denken wir dieses alles - rechnen Mir dieses alles zu¬ sammen, o so werden wir finden, daß wir niiserni Gott weit mehr, als der Knecht seinem König, schul¬ dig sind, wir werden finden, daß wir tausend Ursa¬ chen haben, mikDavid in seinenPsalmeii zubetheü? Herr, wenn du willst uns unsere Sünden zürechnen, wer wird vor dir bestehen? Herr, gehe nichtmit dei¬ nem Knechte, mit deiner Magd zu Gerichte, denn »vr dir wird kein Lebendiger gerecht befunden- Bey dieseit Gedanken müßten wir, meine wer- thesten Christen, nothwcndiger Weise ganz muthlos werden, und in Verzweiflung fallen, besonders weit Ü wir recht betrachteten, daß wir unsere Schuld- gleich dem untreuen Knechte, von uns selbst niemals im Stande sind zu bezahlen- und daß uns Gott, wenn er uns nach der Strenge seiner Gerechtigkeit behcin- deln wollte, nicht nur zu elenden Sklaven auf die kurze Zeit dieses gegenwärtigen Lebens machen könn¬ te , wie der König seinem untreuen Knechte andro- hete, sondern daß er uns auch die ganze Ewigkeit hindurch von seinem heiligsten Angesichte verstossen , und mit den größten Strafen belegen könnte. Wenn wir alles dieses recht überdächten, sage ich, müßten wir — ( L8l ) — pur nothwendiger Weise ganz muthlos werde». Ater das heutige Evangelium richtet uns wiederum auf, da es uns versichert, und den Trost au die Hand gibt, daß Gott jener gnädige König scy, der unS die Schuld von zehn tausend Pfunden erlassen, und all unsere Sünden verzeihen wolle. Da es uns durch das heutige Glcichniß lehret, daß uns Gott all un¬ sere Sündeuschuld, das ist, nicht nur unsere Schwach- heitssünden, die wir ausUcbereilung, aus Unwis¬ senheit oder Unverstand begangen, sondern auch un¬ sere Boshcitssündeu nachlassen wolle, dje wir mit Vorsatz und Vorbedacht gethan haben, daß er den größten Sündern und Sünderinnen all ihre Schuld schenken wolle, wenn sie sich zu ihm bekehren, mit dem untreues Knechte ihm zu Füssen fallen, ihre Schuld ejnsehen und eingcstchen, ihr untreues Verhal¬ ten gegen ihn verabscheuen, von Herzen bereuen, und um Vergebung desselben dcmükhig bitten. Was Gott ehedem durch seinen Propheten He- sekiel ZA. Kap. mit einem Eide versicherte: so wahr er lebe, habe er keinen Wohlgefallen an dem To¬ de des Gottlosen, sondern daran habe er einen Wohlgefallen, daß sich der Gottlose bekehre, von seinem bösen Wesen abslehe, und lebe. Eben diese trostvolle Wahrheit läßt er uns heute durch sei¬ nen göttlichen Sohn aufeinc weit angenehmere Weise versichern, da er uns das gnädige Verhalten eines -Königs gegen seinen schuldvollen Knecht zu betrach¬ ten gibt, wodurch er uns auf eine weit einnehmen¬ dere Art lehret, daß er uns alle Schuld vergeben wolle, wie dieser seinem Knechte seine große Schuld gescheuter hat. Dafern wir uns nur nicht gegen nn- O o Z fern — k Z82 ) — fern Nächsten so hart verhalten, wie dieser sich gegen seinen Mitknecht verhalten hat, welches das zrveyte Stück der Parabel ist, das wir in dein zrveytrn Theile zu betrachten hgbeg, ZweyLer Theil. Ahristus setzet bey diesem Gleichnisse zum voraus, daß unsere Schulden gegen Gott mit den Schulden unsers Nächsten gegen uns in einer großen Ungleichheit stehen, daß unsere Schulden, die uns Gott Nachlasse, ge¬ gen die Schulden unseres Nächsten wie zehn tausend Pfunde gegen hundert Groschen waren. Wenn nun der Knecht von seinem König zehn tausend Pfund, die er ihm schuldig war, erlassen bekäme, so könnte er leicht hundert Groschen, welche noch lange nicht ein einziges Pfund ausmachken, seinem Nächsten schenken, hingegen, wenn der Schuldner die hundert Groschen nicht schen¬ ken wollte, so könnte ihm auch der König die zehn laufend Pfund nicht erlassen. Wenn wir Menschen also wollten, daß Gott uns unsere Sünden verge¬ ben solle, so müßten wir auch unserem Nächsten sei¬ ne Fehler von Herzen vergeben. — Und dieses ist es, was der Heyland in dem zweyteu Theile des Gleich¬ nisses sagen will, und was er bey dem Beschlüsse desselben mit klaren Worten ausdrücket. — Der un¬ treue Knecht war begnadiget, ihm war seine große Schuld erlassen, aber seine Unbarmherzigkeit gegen seinen Mitknecht, der. ihm nur hundert Groschen schuldig war, und davon er nicht das Geringste woll¬ te fahren lassen, machte ihn der erhaltenen Gnade seines Königs wiederum verlustig. — Gott kann unmöglich zugeben, daß wir Menschen in Unversöhn¬ lichkeit mit einander leben, er ist ein Gott der Liebe, es — ( F8Z ) — es streitet wider seine Liebe, und er kann unmöglich znlassen, daß seine Familie auf Erden durch Haß und Feindschaft zerstöret und zerrüttet werde. Er läßtUPS nicht allein durch seinen geliebten Jünger i. Joh. 4. versichern: daß derjenige ein Lügner sey, der sagt, er liebe Gott, und doch seinen Bruder hasset, sondern er laßt uns auch nur mit dem Be- dingnissc um Vergebung unserer Sünden bitten, daß auch wir unfern Nächsten ihre Fehler verzeihen. Ver¬ gib uns unsere Schulden, als auch wir vergeben unfern Schuldiger», lautet die göttliche Vorschrift zu bethen in dem heiligen Vater unser, und in dem heutigen Gleichnisse laßt er unö keine Barmherzigkeit von ihm hoffen, wenn wir nicht auch Nachsicht und Barmherzigkeit mit unserm Nächsten haben. Lasset uns, meine lieben Christen, diefs zweyte Stück des Gleichnisses noch einmal aus dem Evan¬ gelium wiederholen, so wie cs unser göttlicher Leh¬ rer selbst erzählet, um dasselbe desto besser betrachten zu können. Ganz zum erstaunen ist es, was Christus in der Folge dieser Parabel sagt, daß der untreue Knecht, der doch gewiß muß empfunden haben, wie wohl ihm Gnade und Barmherzigkeit zu statten gekommen, von seinem König nichts weniger als Barmherzigkeit und Nachsicht erlernet habe; denn kaum war ihm seine große Schuld nachgelassen, kaum war er der Gefahr, mit den seinigeu als Sklave verkaufet zu werden, entgangen, so gieng er ganz selbstvergessen hinaus, da begegnete ihm einer seiner Mitknechte, der ihm hun¬ dert Denarien schuldig war, eine ganz geringe Sum¬ me gegen seine zehn tausend Talente, die ihm ge- O 0 4 scheu- — ( L84 ) — schenket worden, da diese hundert Denaricn nicht einmal der hundertste Theil von einem einzigen Ta¬ lese waren, und diese ganze Schuld nach unseres Münze etwa zwölf Thaler betrug. Also gewiß eine kleine Summe gegen jene Millionen Thaler, die ihgr erlassen waren, und dennoch wollte er dieses Wenige seinem Mitknechte nicht nqchlassen, sondern er griff ihn an, faßte ihn so feste bey seinem Kleide, daß er nicht entwischen konnte, würgte ihn, und sprach mit drohenden Worten, daß er ihm in dem Augenblicke alles bezahlen solle, was er ihm schuldig sey. - Dg »»suchte ihn nun der Mitknecht ganz demüthig uns Nachsicht und Aufschub, er fiel ihm zu Füssen und bgth ihn, er wolle doch Geduld mit ihm haben, er wolle ihm alles bezahlen, wenn er ihm nur noch ei? nige Zeit gestatte, so wolle er die ganze Schuld ab¬ tragen, und ihm nach und nach in allem genugthun, — Er aber wyttte nicht, bey diesem untreuen Knechte wgr keine Barmherzigkeit zu finden, er ließ ihn nicht einmal aus seinen Händen los, sondern schleppte ihn vor Gericht, und'yerklggte ihn bey dem Richter, und da der Mitknecht die Schuld zu läugnen zu gewissen¬ haft, in dem Augenblicke zu zahlen aber äusser Stan¬ de war, sq ließ er ihn in das Gefäugniß werfen, bis daß ep ihm alles bezahlet, was er ihm schuldig wgr, indem aber dieses harte Verfahren seine andere Mitknechte sahen, wurden sie deßwegen betrübt, und gegen den Unbarmherzigen, wie billig, ganz entrü¬ stet, und kamen nach Hause, erzählten dem Könige ihrem Herrn alles, was sich zugetragen, da ließ ihn nun der Herr zu sich kommen, und sprach zu ihm, du Schalksknecht! du boshafter, tükischer Menschs alle — ( Z8L ) — M deine Schuld, die so groß war, habe ich dir harmherzig erlassen, weil du mich buchest, und mir zu Füssen fielest. Solltest du dich denn nicht auch dei¬ nes Mitknechts erbarmet haben, wie ich mich über dich erbarmet habe, hättest du nickt von mir könne» Barmherzigkeit erlernen, da ich dich nicht zu Schan¬ den gemacht, dir das Deinige nicht genommen, oder verkaufen lassen, noch dick und deine Kinder zu Sklaven gemacht, wie ich gekonnt hätte, weil du Nun keine Nachsicht und Barmherzigkeit gelernt hast, so verdienest du auch keine, du sollst auch keine habe», ich überantworte dich mithin denPeinigcrn, die dich so lange quälen sollen, bis du mir alles bezahlest, was du mis schuldig bist, Kommet anjetzo her, ihr unversöhnlichen Chri¬ sten, sehet hjcr euer Bild, und höret eure Verdam¬ mung , wie der unbarmherzige Knecht mit seinem Mitknechte verfuhr, also verfahret ihr auch öfters mit asseu jenen unversöhnlich, die euch beleidiget haben, ihr wollet, daß euch der liebe Golf ganze Millionen der Beleidigungen, mit welchen ihr seine unendliche Majestät entehret und beschimpfet habt, Nachlasse und verzeihe, und ihr wollet nicht die geringste Be¬ leidigung, die euch euer Nächster angethan hat, ver¬ gebe».— Höret aber eure Verdammung, höret, was euch Christus beym Schluffe der heutigen Parabel audrohct, also wird euch mein himmlischer Va¬ ter auch thun, so ihr nicht vergebet von euren Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Kehler, Er versichert euch allda, daß, gleichwie der unbarm¬ herzige Knecht, weil er seinem Mitknechte nicht ver¬ zeihenwollte, den Peinigern «bergeben wurde, die Oo L ihn -°*" s ) — ihn so lange plagen mußten, bis er alles bezahlet, also werde auch der himmlische Vater einem jeglichen Menschen, und besonders einem jeglichen Christen thun, wenn er nicht seinem Nebenmenschcn von Her¬ zen alle Beleidigungen verzeihe, erwerbe ihn auch den Peinigern übergeben, den höllischen Geistern nämlich, die ihn in den höllischen Kerker schleppen, und durch alle Ewigkeit plagen werden. Lernet also hier, ihr Unversöhnlichen, daß eS Gottes ernstlicher unveränderlicher Wille, und sein gemessenster Befehl sey, daß wir alle und jede, anch die allerärgstcn und boßhaftestcn Beleidigungen unser» Nebenmenschen als unser« Mitknechten verzeihen soll len, und zwar aufrichtig von Herzen verzeihen sol¬ len, daß wir nie gegen unsere Gegner, die uns be¬ leidiget , und einen Haß oder inner» Groll hegen sollen, ja wenn sie uns anch um all unsere Güter, um all unsere Ehre, Ansehen und guten Namen ge¬ bracht hätten, wenn sie uns auch mit einer höllischen Boßheit verfolget hätten, daß, da diese Boßhcit den¬ noch nichts ist, gegen jener, die wir bey unserm Sündigen gegen Gott erzeigen, wir ihnen dieses al¬ les verzeihen sollen, ihnen nie dcßwegen Böses wün¬ schen, nie an ihrem Unglücke einen Gefallen haben, oder ihnen zu schaden suchen, nie mit ihnen brechen, und in Widerwillen und Feindschaft leben sollen, son¬ dern allen Haß und innerlichen Groll unterdrücken, ihnen alles Gute herzlich anwünschen, den Umgang mit ihnen nicht vorsätzlich aufheben, für ihr Wohl herzlich zu Gott bitten, sie aufrichtig lieben, sie durch Wohlthun und Liebe zu gewinnen, und durch Wohl¬ taten ihre Boßheit zu besiegen suchen sollen, lernet heute — ( L87 ) — heute aus dem Evangelium, daß dieses Gottes ernst¬ licher Wille seh, daß wir dieses alles erfüllen. Eine für unsere verdorbene Natur zwar etwas schwere Pflicht und barte Moral, aber welche starke Bewegungsgründe gibt nicht Jesus in der heutigen Parabel an die Hand, um uns dieselbe zu erleich¬ tern , ein jeder soll seinem Milknecht, seinem Bru¬ der v rzeihen, das ist, wir sollen bedenken, daß, wenn Gott uns, seinen geringen Geschöpfen, ver¬ zeihet, wir vielmehr unfern Mitknechten, Mikge- schöpfen verzeihen sollen, wir sollen unsere Feinde nicht als Feinde, sondern als unsere Brüder betrach¬ ten, die den nämlichen Daker, wie wir im Himmel habe» - der wohlthatig gegen alle, der seine Sonne über Gute und über Böse aufgehen laßt, wir sollen unsere Feinde als unsere Brüder betrachten, das ist, als solche, die nach dem Ebenbiide Gottes er¬ schaffen, wie wir, die durch das Blut Jesu Christi erlöset, wie wir, die in der heiligen Taufe zuGna- denkindern ausgenommen, und zu Erben des Him¬ mels gemacht worden, wie wir. Wir sollen beden¬ ken, daß, wenn uns Gott schon zehn taufend Ta¬ lente, schon mehr als eine Million der Schulden nachgelassen, wir auch unser» armen Mitknechten et¬ liche wenige Groschen der Schuld oder Beleidigung vergeben können, denn, wenn wir auch nur eine einzige Sünde begangen hatten, so wäre dieses doch millionenmal mehr, als wenn uns unsre »erbittertste» Feinde die allergröbston Unbilden angethau hatten, wir sollen bedenken, daß, wenn wir nicht verzeihe^ Gott uns auch nicht verzeihen werde, daß dieses eine der Hanptpflichten des neuen Gesetzes seh, und daß also — ( L38 ) — Mo derjenige, der dieselben nicht erfüllet, kein Chris! sey, daß die Erfüllung dieser Pflicht den Christen von dem Nichtchristen unterscheide, daß die Feinde? liebe die Vollkommenheit der christlichen Moral zeige« und daß derjenige, der seinen Beleidigern nicht ver¬ zeihe, keinen Antheil an Gott und an seinem Erlöser haben könne, und nothwepdiger Weise allen Gna¬ den Gottes entsagen müsse. Sehet meine lieben Christen, durch solche starke Bcwegungsgründe suchet uns Christus heute anzu- treiben, daß wir unser» Nächsten alle Unbilden von Herzen verzeihen, auf solche Art suchet er uns eine an sich schwere Pflicht zu erleichtern, lasset uns da¬ her öfters an dieselben gedenken. Wenn es sich zu¬ tragen sollte, daß unsere Feinde arg uns mitsviel- tcn, wenn es sich ergeben sollte, daß unsere näch¬ sten Freunde unsere ärgsten Feinde ipürden, uns grob behandelten, und empfindlich quälen sollten, o so lasset uns gleich an die heutige Parabel denken, las¬ set uns bedenken, daß wir gewiß gröbere Unbilden Gott durch unsere Sünden schon angcthan haben, da er dennoch dieselbe nnS schon verziehe», so wollten wir auch unsern Nächsten verzeihen. So oft die uns angethane Unbilden uns in de» Sinn kommen, so oft lasset uns zu nnscrm gllgütige» Gott jene Worte des heiligen Vaterunsers bethen; Vater! Ich ver¬ zeihe von Herzen alle diese Unbilden, vergib aber auch mir meine Schulden, gleichwie ich vergebe mei¬ ne» Schuldiger«. Lasset uns dabey bedenken, daß wir, so lange wir uns mit unser» Nächsten nicht versöhnen, diese Bitte i» dem Gebethe des Herr» uie- — — n^einals bethen können, daß dieselbe, statt einer Bitte, ein schrecklicher Fluch für uns werde. Lasset'also, meine werthcsten Christen, von der heutigen Predigt, und von der darinn erklärten vor¬ trefflichen Parabel Christi diese Frucht und Wirkung bey uns seyn, daß wir alle Unbilden, die uns un¬ sere Feinde jemals angethan haben, und noch än- thun werden- ihnen von Herzen verzeihen. Die Sonne solt künftighin niemals über unsere Feindse¬ ligkeiten untergehen, ja, hier wollen wir nicht von einander gehen, ohne daß ein jeder zuvor seinem Mitktiechte vor Gott aufrichtig verzeihe, und allen Groll und alle Feindschaft aus seinem Herzen ver¬ banne , und unsere Hauptandacht soll auf diesem Sonntäge dahin gerichtet seyn, daß wir uns die nö- thigr Stärke dazu durch ein inbrünstiges Gebeth von Gott zu erlangen suchen.— Von wem, und durch wen können skür aber bessere Hülfe und Gnade da¬ zu erlangen, als durch und von nnserm am Kreutz^ seinen Feinden zu Liebe sterbenden Hcyland. Zu dir also, gekreutzigter Jesu, wenderi wik uns Zirm Beschlüsse, wir bekennen hier vor dir un¬ sere große Schulden, wir stehen hier vor deinen»- Angesichte als jene untreuen Knechte, welche dir mehr als zehn tausend Pfund schuldig sind. Wir wer¬ fen uns dir aber mit zerknirschten Herzen zu Füssen, und bitten siehentlichst i Herr, habe Geduld mit UNS, handle nicht nach unfern Sünde» , und vergilt uns nicht nach unfern Missethaten, sey nnS gnädig, wenn du Rechenschaft von uns forderst, und habe Geduld mit deinen Kindern, können wir dir nicht zahlen, was wir dir schuldig sind, so hast du ja selbst am Kreutze — ( .598 ) -- gen, was ihnen am Herzen liegt. Dieses thatcn sie also, nm ihn desto eher zu betrügen und ins Unglück zu bringen , denn daß er ein Herzenskündiger sey, daran dachten fie nicht, und als einen solchen woll¬ ten sie ihn auch niemals erkennen. Nachdem sie nun glaubten, durch dieses Lok- ihn aufgemunkert zu haben, daß er sich gegen deir Lberherrn erklären möchte, so rückten sie mit de» Sache selbst heraus, und legten ihm ihre bedenkli¬ che Staatsfrage vor: ists erlaubt, sagten sie, daß man dem Kaiser Len Ans gebe, oder nicht? Unter dem Zins verstunden sie alle landesherrschaftlichen Abgaben und Steuern, die sie den römischen Rent¬ meistern entrichten mußten. Die Juden waren schon lange erbittert, daß sie unter fremder Herrschaft stün¬ den , ja es war eine Parthey unter ihnen, die es als schimpflich für das auserwählte Volk hielt , den Hcpdea zu gehorchen, und ihnen Abgaben zu entrich¬ ten. Diese Sklaverey schicke sich nicht für sie, da sie bei) dem Tempel ihre Abgaben entrichten müßten. Sie fragten deßwegen, was Jesus in dieser Sache meyne, ob man dem heydnischen Kaiser die Steuer geben solle, oder nicht. Der römische Kaiser, der Dberherr des jüdischen Landes, war damals Tiberi¬ us , unter dessen Regierung Christus sein öffentli¬ ches Lehramt führte, und hernach gekreutziget wurde, wie er unter dessen Vorfahrer, dem Kaiser Augustus gebohren worden, wie wir aus einer andern Stelle des Evangeliums wissen. Die Pharisäer dachten hiehep, ihr Vorhaben recht fein eingerichtet zu haben, ihr Anschlag könne ihnen dießmal nicht fthlschlagen, JesuM in die Falle z» — ( F99 ) — zu bringen; er würde sich bey der Antwort Entweder bey dem Volke verhaßt machen, oder sich die Ungna¬ de der kaiserlichen Parthey zuzichen, denn entweder würde er die Frage bejahen oder verneinen; würde er sagen, man soll dem Kaiser den Tribut geben , so würde er den Haß des Volkes auf sich ziehen, weil das Volk gerne von des Kaisers Dienstbarkeit und von den Abgaben, die es ihm als der Landesobrig¬ keit geben mußte, frey seyn wollte. Wenn er nun bepm Volke in Verachtung käme, daß es ihm nicht mehr so treu anhicnge, so könnten,sie sich sei¬ ner leichter bemächtigen, und ihn tödten; würde er aber sagen, daß man dem Kaiser keine Steuer ge¬ ben solle, so könnten sie ihn geradehin der Obrigkeit Übergeben, ihn beym Kaiser anklagcn, daß er ein Aufwiegler des Volkes, ein Aufrührer scy, der der Obrigkeit die Abgaben zu entrichten verbiete, wie sie denn wirklich zween Tage hernach vor dem römi¬ schen Landpfleger Pilatus ihre falsche Hauptanklage dahin richteten, daß er das Volk gegen den Kaistr aufwiegle, deßwegen nahmen sie auch die Diener Herodis sogleich mit sich, damit sie auf alles was er sagen würde, genau acht geben, und ihrem Herrn hinterbringen möchten, woraufJesus als ein unruhi¬ ger, seiner rechtmäßigen Obrigkeit widerspenstiger Mensch angesehen, verurtheilet und getödtet werden möge. Sehet meine werthestenChristen, hierin« besteht das boshafte Verhalten der Pharisäer bey dem Vor¬ träge ihrer verfänglichen Frage. So wie es aber die¬ se arglistigen Heuchler machten, so machen eS noch täglich die Gottlosen zu unserrr Zeit, denn diese suche« P p 4 noch —— ( 6oo ) noch auf verschiedene Weise die Frommen zu fangen, zu bestricken und ins Verderben zu stürzen, wie Da¬ vid auch schon langst in seinem Zg. Psalnze sich em¬ pfindlich darüber beklagte, sie haben mir ohne Ur« fache ihr Netz gestellet, mich zu verderbe«, und haben ohne Ursache meiner Seele Gruben gegra¬ ben. Die Gottlosen, so uneinig sie gemeiniglich un¬ ter einander sind, rotten sich dennoch wider die Un¬ schuldigen zusammen, die Pharisäer waren sonst Fein¬ de der Herodianer, aber Christum zu verfolgen kom¬ men sie zusammen, so wie auch Herodes und Pilatus bey dem Tode dieses Allerunschuldiastcn wiederum Freunde wurden. --- So führen auch die Gottlosen dieJhrigen insgemein noch zum Bösen an, da die Pharisäer Christum hassetcn , so führten sie auch ih¬ re Schüler zum Hasse gegen ihn an. Aus den Lobsprüchen aber, welche die pharisäi¬ schen Abgesandte» aus falschem Herzen Christo beyleg- teu, aber wahres und gegründetes Lob in sich ent¬ hielten, lernen wir, daß Christus der rechte und wahrhafte Lehrer gewesen sei), und von vielen sei¬ ner Zeitgenossen als ein solcher anerkannt worden, der die Wege Gottes richtig zeige, um das Ansehen der Menschen sich nichts bekümmere, und die Wahr¬ heit mit einer heiligen Scelengröße und Unerschro¬ ckenheit predige, hievon gaben ihm selbst seine Fein¬ de das beßteZcugniß. Wir müssen ihn also als einen solchen Lehrer verehren und anhören, auch ihm darum Nachfolgen, daß wir, wenn es die Wahrheit, die Gerechtigkeit und das Seelenheil betrist, keine Mcn- schenfurcht haben, und weder Reichthum noch Ar- uutth, weder Ehre noch Beschimpfung achten. Fer- «--- ( 6oi ) —- Ferner lernen wir aus diesen verstellten Lvbsprü« chen der Pharisäer, daß wir uns vor der Verstellung der Gottlosen in Acht nehmen sollen, daß wir ihnen nicht alles glauben, was sie uns schmeichelhaftes ins Gesicht sagen, daß wir ihre Schmeichcleyen für verdächtig halten, uns durch ihre Lvbsprüche nicht zu sündhaften Gefälligkeiten bethören, noch durch ihre guten Worte zum Bösen verleiten lassen sollen, sondern, daß wir, nach der Ermahnung Christi, klug wie die Schlangen, die ihren Kopf besonders vor der Gefahr bewahren, und ohne Falschheit wie die Tauben seyn sollen, die von der Art nicht sind , wie die Raubvögel, welche andern nachstellen. — Die Heuchler geben zwar öfters gute Worte, aber in ihren Herzen führen sie böse Anschläge, wir sollen also mißtraurisch werden gegen jedes Lob, das man uns geradehin ins Angesicht sagt, es ist fast niemals wahre Hochachtung, man beschimpft uns wenigstens dadurch, daß man uns für eine» eitel» Menschen an? stehl, der sein Lob gerne höret, und sich durch eitle Lobsprüche betäuben, bethören und aufblahen laßt, — Auch sollen wir Niemanden in seiner Gegenwart loben, äusser in der Absicht, um ihn zu neuen guten Thaten aufzumuntern, ans allen andern Absichten ist es mehr Schimpf als wahres Lob. Dieß ist nun die Moral, meine werthesten Chri¬ sten, die wir aus dem boshaften Betragen der Pha¬ risäer bey Vorlegung ihrer Frage für uns ziehen können, ich habe euch schon gesagt, daß, so wie die Pharisäer der Unschuld Christi nachstellten, die Gottlosen noch jetzo den Fommcn auf mauchcrlcy Weise nachstellen < um sie in ihre Netze zu ziehen, Pv 5 das — ( 6vr ) das dienet aber den Unschuldigen zum Troste, daß die Anschläge der Bösen zuletzt zu Schanden werden, wie es nach der Erzählung des heutigen Evangeliums den Pharisäern ergieng, welche dachten, Christum in seiner Rede zu fangen, aber selbst gefangen wur- den; ihm eine Grube zu graben, aber selbst in die Grube fielen, da sie äusserst beschämt von ihm hin- weggienge», und kein Wort mehr antworten konn¬ ten, wie wir in dem zweiten Theile vernehmen »erden. Zweyter Lheil. Es geschickt die Pharisäer ihr arglistiges Vorhaben versteckt zu haben glaubten, so entdekte doch Christus gleich ihre Bosheit und gab ihnen neue Proben feiner Gottheit und göttlichen Eigenschaften, indem er ih¬ nen wiederum durch Offenbarung, ihrer bösen Gedan¬ ken feine Allwissenheit bewies; er zeigte ihnen zugleich seine Unerschrockenheit, da er ihnen aufrichtig die Wahrheit sagte, welches sie verstellter Weise von ihm verlanget hatten, und er legte ihnen seine Weis¬ heit und Fürsicht an Tag., da er weder mit Ja, noch mit Nein auf ihre verfängliche Frage antwortete, gegen das, was sie sich vorgestellt hatten, sondern, er drang ihnen selbst auf eine geschickte Art die Ant¬ wort ab, so, daß sie selbst die Frage entscheiden und bekennen mußten, daß es nicht allein erlaubt, son¬ dern auch eine Pflicht und Schuldigkeit scy, dem Kaiser die Steuer zu geben. Ihr Heuchler, sprach er zu ihnen, was versu« chet ihr mich, ihr Gleißner, die ihr euch äusserlich fromm —- ) — fromm anflellet, mich lobet, und mir wollet glauben machen, als meynet ihrs gut mit mir, aber in euren Herzen böse Anschläge wider mich gemacht habt. Zei¬ get mir die Zinsmünze, mit welcher ihr enre Ab¬ gabe» und Steuer zu zahlen pfleget. — Und als sie ihm einen römischen Denarius, nach unserer Münze ei» drei) bis vier Groschenstück, hinzeigten, mit welcher Münzsorte sie das kaiserliche Steuergeld zu zahlen pflegten, so fragte er diese Gesandte der Pha¬ risäer , wessen Bild und Umschrift auf dieser Münze wäre. Und als sie ihm antworteten, daß sie des rö¬ mischen Kaisers Bildniß im Gepräge und seinen Na¬ men in der Ueberschrift habe, so sprach er: so gebt dann demKaiser, was des Kaisers ist, undGott, was Gottes ist. — Aus der Nothwendigkeit römi¬ sches Stcuergeld zu führen, welches sie ihm herwie- fen , konnte Christus mit allem Grunde die Schul¬ digkeit folgern, dem Kaiser die Stenern zu geben, weil es in den damaligen Zeiten gewiß war , daß demjenigen das Land zugehörte, dessen Mün¬ ze in demselbigen gebräuchlich war, indem dir Lander noch nicht so, wie zu unfern Zeiten, mit einander handelten, auch nicht so zerstückelt waren, wie in nnserni Deutschland«, wo fremde Münze noth- wendig ist. Die Römer hakten die Oberherrschaft über die Hälfte des damals bekannten Erdbodens , folg¬ lich konnte man aus den römischen Münzen auch auf die Oberherrschaft der Römer schliessen, wie noch heut zu Tage in den meiste» grossen Königreichen dir Steuer nur in der Münze des Landesherr» «strichlet werden kann. Zu dem würden die Juden gewiß kei¬ ne Münze der Heyden, wenn sie nicht »nter ihrer Ober- ( 6(-4 ) Dberherrschaft gestanden wären, in ihrem Lande ge-^ duldet haben, weil auf denselben manchmal abgöt¬ tische Bildnisse gepräget waren, gegen welche sie den größten Abscheu trugen. Jesus wollte also durch seine Antwort so viel sagen: ihr Juden bekennet, daß ihr bey eurer Steuer das Geld deö römischen Kaisers geben müsset, also bezeuget ihr selbst, daß ihr seine Unterthancn seyd , und unter feiner Oberherrschaft stehet. So ist es dann nicht nur erlaubt, sondern auch eine Pflicht für euch, wenn ihr euch als treue und gehorsame Unterthemen bezeigen wollet, den Römern als eurer rechtmäßigen Obrigkeit Zins und Zoll zu geben. Gebt also dem Kaiser, was des Kaisers ist, gebt aber auch Gott, was Gottes ist, die Tempelsteuer nämlich, die jede Person nach der Vorschrift entrichten muß, um alles Gehörige zu den Opfern und zu dem gewöhnlichen Gottesdienste anschaffen zu können. Und dieses war die schöne Antwort, die Christus seinen versteckten Feinden gab. Um uns aber, meine rverthcsten Christen, von der Weisheit derselben recht zu überzeugen, müssen wir noch einige Umstände da- bey etwas besser erwägen. Erstens ist es bekannt, wie wenig die Pharisäer besorget waren, die Rechte der Obrigkeit, besonders der römischen zu vertheidi- gen, sie waren vielmehr darauf bedacht, das Joch der Romer von sich abzuschütteln. Zweitens waren die Abgeordneten zweyerlep Gattung Leute, die des Zilisgroschen wegen nicht einerley Meyuung waren, die Pharisäer stritten für den Tempel, und Herodis Parthey für den Kaiser, jene sagten man müsse das Geld zum Opfer des Herrn geben, diese aber, man müsse - —- s ÜOL ) --E. müsse dem Kaiser seinen Tribut zahlen. Was thak nun der Hepland in solchen Umständen? Er gab ei¬ nem jeden das Seinige, und sagte einem jeden die Wahrheit. Die Antwort an sich selbst ist höchst klug und weise eingerichtet, er antwortet erstens auf ihre falsche schmeichelhafte Anrede, da ste ihn Meister hiessen, ihr Heuchler, was versuchet ihr mich? Die Frage selbst ließ er von ihnen bey Vorzeigung der Zinsmünze entscheiden, denn da sie bekannten, daß dieMünze dcs KaisersBildniß imGcpräge habe, so bekannten sie zugleich, daß sie schuldig wären, dem Kaiser den Zins zu geben, besonders wenn man überleget, daß die Juden zu den damaligen Zeiten keine fremde Münze würden geduldet haben, wie ich schon gesagt habe, da sie nun die römischen leiden mußten, so konnten sie nicht läugnen, daß sie dem Kaiser gehuldiget hätten, aber eben hieraus nahm Christus die merkwürdige Entscheidung dieser Frage, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, aber auch Gott, was Gottes ist. Auf solche Art cntgieng er nicht allein den Nach¬ stellungen seiner Feinde, er zeigte nicht allein, daß kein Rath, kein Verstand und keine Weisheit der Menschen etwas gegen Gottvermöge, wie es in den Sprüchwörtern Lite» Kapitel lautet, sondern er be¬ schämte sie auch, ficng sie in ihrer eigenen Rede, worinn sie ihn zn fangen glaubten, und schlug sie mit ihren eigenen Worten, daß sie ihn verließen, daß sie ganz beschämt von dannen giengcn', und sich nicht getrauten, noch etwas von der Sache mit ihm zu sprechen, sie hatten nämlich eine solche gegründete und einleuchtende Antwort von Jesu nicht erwartet, noch —» ( Äo6 ) —°- noch sich darauf gefaßt gemacht. Sie konnten nicht das Geringste darauf einwenden, noch Jcfum beschul¬ digen , als ob er einer Parthey das Wort geredet hatte. Ihre gelegten Fallstricke waren entdecket, und ihre tückischen Anschläge waren zernichtet. Jesus sag¬ te ihnen die Wahrheit, und beleidigte weder des Kai¬ sers noch des Volks Parthey. Meine werthestrn Christen! Aber anch für uns ist diese Antwort merkwürdig : gebt dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist. Denn Christus lehret uns dadurch kurz und bündig erstens die Pflichten eines getreuen rechtschaffenen Unterthans. Wir sollen nämlich unserer Landesobrigkeit geben, was wir ihr schuldig sind. Wir sind ihr aber Ehre, Liebe und Gehorsam schuldig, nach der Vorschrift des heiligen Paulus in seinem Briefe zu den Römern r g. K. seyd der Obrigkeit unterthan, nicht allein der Strafe willen, sondern auch des Gewissens willen. Denn es ist keine Obrigkeit, die nicht von Gott verordnet, und nach seiner weisen Vorsehung dazu bestimmt ist, um über andere zu herrschen. Wer sich also der Obrigkeit widersetzet, der widersetzet sich Gottes Ordnung. Ein rechtschaffener Christ muß also seinen Landesherrn ehren, ihn lieben, ihm von Herzen ergeben seyn, und alles Gute gönnen, seinen Befehle» getreu gehorsamen, und die befohlene Scha¬ tzung und Steuer gerne entrichten, denn alsSchutz- und Oberherr im Lande hat er das Recht, vou seinen Unterthanen Steuer zu fordern, die er nöthig hat, um Beamte und Gelehrte zu unterhalten, welche die Gerechtigkeit befördern, die Prozesse ausmachen, und den Unterdrückten bcpstehcn , auch um eine gewisse Anzahl -— s 6v? ) — 'Mz ah l Soldaten zu unterhalten, dre zurBernhigniig midVertheidigung des Landes dienen können. Daher sagte Christus den Juden, daß sie den römischen Kai¬ ser ihrem Oberherrn die Steuer geben sollten; gebt dem Kaiser was des Kaisers ist. Diese Worte be¬ greifen alle'Pflichten in sich, die einUnterthan seiner Obrigkeit schuldig ist. Paulus erläutert dieselben weitschichtiger in dem schon angeführten dreizehnten Kapitel seines Briefes an die Römer, wo er seine neuen Christen ermahnet: so gebt dann jedermann, was ihr ihm schuldig seyd,Steuer, demdieSteu¬ er gebühret, Zoll, dem der Zoll gehört, Furcht, dem die Furcht, und Ehre, dem die Ehre gebühret. ObrigkeitlicheGefälle abtragen, sehen manche aus euch, meine lieben Christen, so wie ehemals die Juden, als etwas Beschwerliches und Erzwungenes an, aber der erleuchtete Christ rechnet diesen Abtrag seiner Pflich¬ ten gegen die Obrigkeit zn den nützlichsten Anwendun¬ gen seines Vermögens, er gibt dieselben gerne und willig, weil es Gott befohlen, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Er weiß, daß keine Obrigkeit ohne Gott ist, daß Gott durch dieselbe regiere, daß es die Wohlfahrt des ganzen Landes und einer jeden Person insbesondere erfordere, daß es eine Obrigkeit gebe. Er steht ein, daß einem jeden daran gelegen sey, in seinem Hause sicher und ungestöhrt zu leben, und seine Geschäfte zu treiben, dieses könne aber nicht erhalten werden, wenn keine Obrigkeit wäre, welche den Unterthanen den Frieden gewahre, und sie wider die Stöhrer der Ruhe schütze. Es sep also billiger und leichter einen geringen Abtrag von seinem Vermögen den Obern zu geben, damit sie in den Stand gesctzet werden ( 6c>8 ) werden, uns in dem ruhigen Besitze unsres Lebens, unserer Güter, ja selbst »nsers Gottesdienstes zu be¬ schützen^ als in beständigen Unruhen zu leben. Der erleuchtete Christ sicht ein, daß der Friede eine der größten leiblichen Wohlthaten sei), daß aber auch Niemand anders als die Obrigkeit sey, welche dem geschäftigen Bürger, dein arbeitenden Landmann und dem Wanderer auf seinen Reisen diesen Frieden und diese beseligende Ruhe verschaffet, daß sie aber dieses nicht thuu könne, wenn sie durch die Abgaben dcrUn- terthanen nicht dazu in Stand gesetzet wird. Zweytcns lernen wir aber auch aus dieser Ant¬ wort Christi, daß wir Gott, und zwar ihm vornäm¬ lich das Seinige geben sollen; gebet Gott was Got¬ tes ist. Gott sind wir aber alles schuldig, was wir find, und was wir haben. Wir sind ihm die größte Hochachtung, die tiefste Unterwerfung, Ehrerbielhig- keit und Anbethung, den wärmsten Dank, die in- brünnstigste Liebe und höchste Verehrung schuldig, die uns immer möglich ist. Wir müssen ihn hochach- tcn wegen seinen unendlichen Vollkommenheiten, ihn als das höchste Wesen erkennen, und als den Herrn über Leben und Tod verehren. Wir müssen uns ehr- erbicthig gegen ihn bezeigen, unsere Nichtigkeit vor ihm erkennen, an ihn glauben, auf ihn hoffen, un¬ ser ganzes Vertrauen auf ihn setzen, und ihn von gan¬ zem Herzen über alles lieben. Wir müssen ihm unser ganzes Wesen schenken, wir müssen Leib und Seele und alle Kräften derselben zu seiner Ehre verwenden, unsere Augen, Ohren, Hände, Füße, Zunge und alle Glieder unsers Körpers nicht anders als zu seiner Ehre gebrauchen, und ui^ere Seelenkrästen nicht aus ders — ( 6r>9 ) — ders wirken lassen, als um ihm den schuldigen Dienst zu erzeigen/ unfern Verstand, Willen und unser Ge- dachtniß nur allein zn seiner Ehre verwenden. Dieses ist es nun, meine lieben Christen, was wir aus dem heutigen Evangelium zu lernen haben. Lasset daher unsere heutige Sonntagsandacht dahin gerichtet seyn, daß wir von Gvtt die Gnade erhalten, diese bcyden Pflichten in ihrem ganzen Umfange recht zu erfüllen, daß wir nns als gehorsame Unterkhanen gegen unsere Obrigkeit bezeigen, und als rechtschaffe¬ ne Christen gegen unser» Gott betragen. Lasset uns auch heute die Gnade von Gott ausbitten, daß wir jederzeit von dergleichen falschen Freunden bewahret werden, wie die Pharisäer waren, die unter Heuche- lcy und Falschheit, vielleicht auch Schmeichelet), uns zu schaden suchen. Besonders lasset uns Gott bitten, daß er alle liebe unschuldige Seelen von dergleichen verführenschen Lockstimmeu der Gottlosen bewahre, welche sie unter herrlichen Lobsprüchen und Schmei- chelcpcn in die Sünde und ins Verderben zu stürzen trachten. Lasset uns Gott bitten, daß er uns gute aufrichtige Freunde,schenke, die es wohl mit uns mep- Nen, so wohl in Freuden und Wohlergehen, als im Leiden und zur Zeit der Widerwärtigkeit, die nicht pharisäisch gcsiunet sind, die nicht anders reden, als sie denken. Lasset uns den Herrn besonders bitten, daß er uns die Gnade verleihe, daß wir einem jegli¬ chen das Seiuige geben, den Menschen, was wir den Menschen schuldig sind, und besonders ihm als un- scrm Gvtt, was wir ihm schuldig sind, auf daß er unS auch das Uusrige gebe, was er uns nämlich ver« sprochcn hat, die ewige Seligkeit. Amen. Erklär. d.Eomig.ll.CH, O a Uus < 6io ) Auf den drey und zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten. Evangelium Matth. IX. 18 — 26. !^a Jesus dieses mit ihnen redete» steh, da kam der Obersten einer, nnd fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, meine Tochter ist setzt gestorben, aber komm, und lege deine Hand auf ste, so wird sie lebendig werden. Und Jesus stund auf, und folgte ihm nach. Sieh, aber ein Weib, das zwölf Jahre den Blutgang hatte, trat von hinten za ihm, und berührte den Saum seines Kleides, denn ste sprach bey sich selbst: kann ich nur sein Kleid anrühren, so werde ich gesund werden. Da wandte sich Jesus um, und als er ste sah, sprach er: sey getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen. Und daS Weib ward gesund zu dcr- felbigen Stunde. Und als er in des Obersten Hans kam, und die Pfeifer und das Getümmel des Volkes sah, sprach er zu ihnen, weichet von hier, denn das Mägdlein ist nicht todt, sondern eS schlaft. Und ste verlachten ihn. Nachdem aber das Volk hinausgeschaffet war, gieng er hineiw und ergriff es bey der Hand, da stund das Mägd¬ lein auf, und das Gerücht erscholl davon in dem ganzen Lande. Der - ( ÜiL ) — Der Ruf erscholl hievon in demselben ganzen Lande. Matth. 9- D. 26. Eingang. Es ist sich keineswegs zu verwundern , meine wer» thesten Christen .daß sich das Gerüchte von den Herr» lichen Thaten Jesu in dem ganze» Lande Galiläa, wo er sich befand, verbreitet, da er auf einem Tage zwey so große Wunder wirkte, als da sind, nach der Erzählung des heutigen Evangeliums, die Auf¬ erweckung eines verstorbenen Mädchens, und die Heilung eines kränkelnden Weibes von ihrem nnheil- bareu Blutfiusse. Kein Wunder , sage ich, daß das Gerüchte von zwoen so herrlichen Thaten in der gan¬ zen Gegend erscholl, in welcher sie sich zugctragen hatten, daß sich Jesus dadurch einen großen Ruhm erwarb, und Jedermann an ihm was göttliches er¬ kannte, besonders da denselben noch andere Wun¬ der vorangiengen; denn aus der Erzählung des hei¬ ligen Matthäus erhellet, daß Jesus diese zwey herrli- chenWunder gewirket, bald nachdem er den Gichtbrü¬ chigen zu Kapernaum gesund gemacht hatte. Auch hatte er sich kurz zuvor durch andere Thaten und Re¬ den in diesem Lande berühmt gemacht. Er hatte kurz zuvor den berühmten Zöllner Matthäus von seinem Zollstocke abberufen, zu seinem Jünger gemacht, und ihn bewogen, daß er alles ihm zu Liebe verlassen, und bey dieser Gelegenheit hatte er die Pharisäer, die sich darüber aufhiclten und murreten, daß er mit Publikanern und Sündern zu Tische säße, zurecht gewiesen, da er ihnen sagte, die Kranken hätten nur des Arztes nvthig, nicht aber die Gesunden; er wä- Ls rr ( 6is ) re gekommen die Sünder zu berufen und zu bekehren, nicht die Gerechten, die solches nicht nöthig hatten. Auch hatte er die Jünger Johannis, die zu ihm ka¬ men und sich beklagten, daß sie mit den Pharisäer« strenge fasteten, seine Jünger aber nicht fasteten, zu« recht gewiesen, da er ihnen sagte, daß seine Jünger, weil sie den Bräutigam, ihn nämlich selbst, noch bey sich hätten, anjetzo nicht fasteten, daß aber die Zeit auch für sie kommen würde, wo der Bräutigam von ihnen hinweggeiiommen werde, wo sie alsdann in Trübsal, Anfechtungen und Verfolgungen fallen, und deßwegeu auch fasten würden. Die Unwürdig, ja verderbliche Lehre der Pharisäer, welche das Haupt¬ verdienst in äusserliche Werke und Zeremonien setzten, verhalte sich zu feiner neuen Lehre, wie ein Stück von einem neuen Tuche zu einem alten Kleide, oder wie ein junger Wein, der in alte morsche Schläuche, in welchem die Orientaler auf ihren Reisen ihre Weine zu kragen pflegten, gefallet wäre. Seine himmlische Lehre, die er seinen Jüngern gebe, sep mit einem guten starken jungen Weine, und mit einem neuen Kleide zu vergleichen, die verdorbene Lehre der Pha¬ risäer aber mit morschen Weinschläuchen, und al¬ ten zerrissenen Kleidern. Der Werth und das Ver¬ dienst ächter Tugend bestehe nicht in bloßen äusserli¬ chen Werken, als Wachen, Fasten, und ähnlichen körperlichen Handlungen, wie die Pharisäer glaub¬ ten. Aensserliche Zeremonien ohne innerliche Tugend, Fasten ohne einem tugendhaften Herzen, Allmosenge¬ ben und Bethen mit einem hochmütigen Gemüthe, und Waschen ohne Reinigung der Seele, führen nicht zum L 6lZ ) — zum ewigen Leben, ja seyen eben so ungereimt und unschicklich, wie ein neuer Fleck auf einem alten Klei¬ de. Da er dieses und dergleichen mit den Jüngern Johannis redete, sich, da kam der Obersten einer, wie unser heutiges Evangelium sagt, und bath ihn fußfällig, daß er seine, nur erst verstorbene Tochter zum Leben erwecken möchte; und als er sich auf den Weg begab, dieses zu thun, da kam ein blukflüssiges Weib, berührte mit Vertrauen den Saum seines Klei¬ des, und wurde indem Augenblicke von ihrer un¬ heilbaren Krankheit befrcyet. Diese bcyden berühm¬ ten Wunder, wovon das Gerücht in ganz Galiläa ausgieng, wollen mir meine lieben Christen, aujetzo betrachten, und zwar erstens die Auferweckung der verstorbenen Tochter des Obersten der Synagoge, und hernach die wunderbare Befreyung des Weibes von ihrem Blutgange. Da diese beyden Stücke den ganzenJnhalldes heutigen Evangeliums ausmachen, sollen sie der ganze Gegenstand eurer Aufmerksamkeit scpn. Erster Th eil. Abschon die wunderbare Auferweckung der verstor¬ benen Tochter des Vorstehers der Synagoge zu Ka- pernaum der Zeitordnung nach erst geschah, nachdem das am Blutflußc kränkelnde Weib schon gcheilet war, so will ick doch, da das Evangelium in sei¬ nem ersten Theile dieses Wunder vor jenem zu er¬ zählen anfängt, dasselbe auch zuerst erzählen, und zu besserer Erklärung der Geschichte alles beysammrn Qq Z behal- — l 6l4 ) — behalten, uud zugleich sagen, was von den Evange¬ listen auch nach dem Vorgänge mit dM kranken Wei¬ be erzählet wird; bey welcher Gelegenheit dieses Wunder sich zugetragen habe, habt ihr schon, mei¬ ne werthesten Christen, im Eingänge meiner Rede gehöret. Als Christus nämlich mit den Jüngern Jo¬ hannis von dem Fasten chrach, da Jeslls dieses mit ihnen redete, sieh, da kam ein Oberster der Syna- gog, ein Vorsteher der Schule, den Lukas Jainis nenuet, um ihm eine Bitte vorzntragcn. DieJuden hatte« zwar nur einen Tempel im ganzen Lande, zu Jerusalem nämlich, wo sie ihren öffentlichen Gottes¬ dienst hielten, und ihre Opfer verrichtete», und wo¬ hin alle Mannspersonen das Jahr dreymak, auf die drey höchsten Feste, Ostern, Pfingsten undLauber- hüttenfest, reifen mußten. In den Dörfern und Städten aber hatten sie ihre Schulen, wo sie sich alle Sabbathe versammelten, die heilige Schrift la¬ sen , und ihr Gebeth verrichteten, so, daß diese Schulen oder Synagogen ihre ordentlichen Bethhau- ser waren. Der Vornehmste, der die Aufsicht über die Lehrer und den Gottesdienst darinn hatte, wur¬ de der Oberste, oder Oberaufseher der Synagoge genannt, ein solcher war nun der Vater des heute zum Leben erweckten Mädchens. — Diesem Obersten fehlte zwar an seiner Person nichts, da er reich war, und in Ansehen stund, aber er hatte ein großes Kreuh au seiner Tochter, die dem Tode nahe war. Nach der Erzählung des heiligen Lukas, der die Er¬ zählung des heiligen Matthaus ergänzet, und jene Umstände , welche dieser ausgelassen, hinzufetzet, war sie seine einzige Tochter, und zwar erst zwölf Jahr - ( 6lA ) — Jahr alt, folglich sollte sie ihm in der zartesten Blüthe ihrer Jugend durch den Tod entrissen wer¬ den, da sie durch eine gefährliche Krankheit schon in die letzten Züge ihres Lebens gekommen war; dieses schmerzte nun sein Vaterherz äußerst, und erfüllte feine Seele mit bitterster Traurigkeit. In diesem hülflose» Zustande nun wußte er nir¬ gendswo Rettung und Hülfe zu finden, als bev Je¬ su, dessen wunderbare Kuren bey den Kranken schon bekannt waren. Er gieng deswegen in aller Eile zu ihm , fiel vor ihm zur Erde nieder, klagte ihm mit großem Vertrauen sein Anliegen, und bath demü- thigst um seine schleunige Hülfe. Herr, meine Toch¬ ter ist jetzt gestorben , oder sie wird anjetzs gewiß gestorben seyn, denn sie war schon in den letzten Zü¬ gen, als ich von ihr hinweggieng , komm aber, und lege deine Hand auf sie, so wird sie leben. Jesu gefiel die demüthige Bitte dieses Vaters, er ließ sich alsbald durch seinen Glauben und sein großes Vertrauen bewegen, daß er seine Unterredung mit den Jüngern Johannis abbrach, und ihm nach- fslgte, um in feinem Hanse ein größeres Werk der Liebe zu verrichte» ; auf dem Wege tröstete er den Jairus. Da ihm seine Bedienten entgegen kamen, und ihm den wirklichen Tod seiner Tochter ankündig¬ ten, sagte er ihm, er solle über diese traurige Both - schäft nicht kleinmüthig werden, seine Tochter werde schon wiederum lebendig, und gesund hergestcllt werden. Als er aber wirklich in dem Hause dieses Obersten ankam, und die Pfeifen, die Achalmey- en hörete, und den Tumult des Volkes sah , sprach er zu ihnen: weichet von dannen, das Q q 4 Nad- — ( 6r6 ) — Mädchen ist nicht todt, sondern schläft. Es war nämlich auch bcy den Juden der orientalische Gebrauch, daß man unter dem Schalle der Flöten und Schalmeyen bey den Verstorbenen klägliche Tran- erliedcr sang, was bey andern abendländischen Völ¬ kern die Klageweiber thnn mußten, welche den Lod- len unter vielen Klagen und Heulen in seinem Hause beweinten; dieses geschah sowohl zur letzten Ehren¬ bezeugung für den Verstorbenen, als auch zur Auf¬ richtung und zum Troste der Leidtragenden. Daß aber hier viel Volk zufammengelaufen, und sich um die Leiche der einzigen Tochter des Vorstehers der Sy¬ nagoge, eines angesehenen Mannes unter ihnen, versammelt habe, um die Traurigen zu trösten, ih¬ nen ihr herzliches Beyleid zu bezeigen, und die Lei¬ che zum Grabe zu begleiten, dieses kann man sich leicht vorstellen. JefuS befahl aber diesen Lenken hinauszugehen, weil die Trauermusik zur Unzeit da wäre, da es nicht nöthig wäre, die todte Tochter zu beweinen und zu beklagen, weil sie bald wiederum zum Leben würde erwecket werden. Diefe leichtsinnigen Leute lachten aber unyer/chämt überfeine Worte, da er sagte r das Mädchen ist nicht todt, sondern schläft nur, weilen sie dieselben nicht recht verstunden, sie zeigten aber dadurch, haß es gewiß und eine ausgemachte Sache sey, daß diese Person wirklich verschieden. Ihr Lachen dieneke also zu Christi Verherrlichung, indem hernach das geschehene Wunder Niemand laugncn konnte; das Mädchen war auch wirklich todt, Chri¬ stus sagte nur deßwegen, es schlafe, weil aste Todte vor Gott nichts als Schlafende sind, pnd weil es ' ihm s 6l7 ) —- ihm eben so leicht ist/ einen Tobten zum Leben zu er- wecken, als cs uns leicht ist, einen Schlafenden aufznwecken. — Er machte cs auch wirklich so mit dieser Tochter des Jairus , wie wir einen Schlafen¬ den aufzuwecken pffeaen. Denn als das Volk ans dem Zimmer hinaus war, und nach der Erzählung des heiligen Lukas niemand zugegen war, als die Eltern des Kindes, und die drey Apostel, Petrus , Jakobus und Johannes, damit diese wunderbare Handlung desto genauer betrachtet, und aufmerksa¬ mer untersuchet werden könnte, so ergriff Jesus die verstorbeneTochterbey derHand, undsprach: Mäd¬ chen! Steh ans.— Und sieh, kaum waren diese paar Worte gesprochen, so fieng sic wiederum an Athen« zu schöpfen, ihre Seele, die den Leib schon verlassen hatte, kehrte wiederum in denselben zurück, sie richtete sich in ihrem Bette in die Höhe, und stund frisch und gesund auf. Auch zum handgreiflichen Beweise, daß sie bey völligen Lebenskräfte» scye , befahl Jesus den Eltern, ihr etwas zu essen zu ge¬ ben, und sic aß, wie gesunde Menschen zu thun pflegen, und ward zum innigsten Vergnügen ihrer Eltern frisch und gesund. — Meine werlhcstcn Christen! Dieses ist nun das erste Wunder, das ich euch aus dem heutigen Evan¬ gelium zu erklären hatte, Von Christo, von dem Obersten der Synagoge, und von seiner Tochter ha¬ ben wir dabey verschiedene schöne Lehrstücke für uns abzunehmcu. Erstens zwar an Christo sehen wir bcy diesem Wunderwerke, daß er der allmächtige Gort ftye, der die Tobten aus eigener Kraft erwecken kann» O a L wcl- --- ( 6iz — welche- allein Gott zugehöret/ der das Leben gege¬ ben hat, und dasselbe, wenn es verloren ist, wie¬ derum Herstellen kann. Merkwürdig ist es unterdessen, daß von so vielen Todten, die er in seinem Leben er¬ weckte, nur drcy in den Evangelien ausgezeichnet sind, nämlich die erst verschiedene Tochter desOber- sten der Synagog zu Kapernaum, zweitens der zum Grabe getragene Jüngling von Naim, und drit¬ tens der schon in Verwesung gehende Lazarus. Die Evangelisten glaubten, sie hätten von dieser Art Wunderwerke genug geschrieben, wenn sie die Aufer¬ weckung dieser drey so verschiedencrTvdtenausgezeich¬ net hätten. —- So wie aber Jesus diese Todte zum Leben erweckte, so wird er einst am Ende der Welt alle Todte, die in der Erde liegen, und zum Staube und Aschen geworden sind, auferwecken. Es wird die Stunde kommen, sagt er selbst bey Joh. L., daß alle, die in den Gräbern sind, die Stimme des Sohnes Gottes hören, und hervorgehen wer¬ den, die daGutes gethan, zur Auferstehung des Lebens, die aber Boses gethan, zur Auferste¬ hung des Gerichtes. Von dem Jairus lernen wir, daß wir in aller Noth bey Gott Hülfe suchen, und in allen Trübsa- len zu ihm bethc» sollen. Er setzte selbst jette Worte: erlöse uns von dem Uebel, in das-Vater unser, auf daß wir sie bethen sollen. Ist auch gleich bey den Menschen keine Hülfe, so ist sie doch gewiß bey Gott , er selbst versichert uns, daß er in der Noth unser Retter scyn wolle, da er in dem yoten Ps. verspricht: wenn der Mensch zu mir rufen wird, so will ich ihn erhören. Ach bi» b ey euch im Leiden, ich will — ( 6iy ) — will ihn daraus erretten. Wir können also sicher in allen Nöthen, auch in den verzweiflnngsvollsten Umstände» unser Vertrauen auf ihn sehen. — Auch alsdann, wenn wir in unfern Hauskreuzen erlaub¬ te leibliche Mittel brauchen, und uns in unfern Krankheiten der Arzneyen bedienen, sollen wir un¬ ser ganzes Vertrauen auf ihn sehen, und nicht ver¬ gessen, uns seinen Segen dazu auszubitten.— Daß uns aber auch die Trübsalen zu Gott antreiben, se¬ hen wir wiederum aus dem Verhalten des Ober¬ sten der Synagog, er hatte vielleicht Christum oft ters predigen gehört, da er zu Kapernanm lange Zeit seine ordentliche Wohnung hatte, wer weiß aber, ob er an ihn geglaubt hat, da aber seine Tochter mit dem Tode rang, da konnte er zu Christo laufen. So verhalten wir uns auch in manchen Stücken öfters, so lange wir gesund und ohne Hauskreuh sind, denken wir öfters we»ig an Gott, zur Zeit der Noth aber lernen wir ihn erkennen, und unsere Zuflucht zu ihm zu nehmen. — Dieser Jairus lehret anch alle El¬ tern, wie sie für ihre Kinder Sorge tragen sollen; nicht allein für das zeitliche, sondern auch für das ewige Wohl derselben. Denn sorgte dieser Baker so sehr für das vergängliche Leben feiner Tochter, so sollen christliche Eltern noch vielmehr für das ewige Leben ihrer Kinder sorgen, und sie in dieser Absicht von allem dem abhalten, was ihnen dieses ewige Lebe» nehmen könnte. Die zwölfjährige todte Tochter des Jairus er-, mahnet aber alle jungen Leute, daß sie öfters an ih? re Sterblichkeit denken sollen, sie erinnert sie, daß, gleichwie die Alten stcrbeu müssen, also die Jungen sicr- ( 620 ) sterben können, daß sie auch bey all ihren jugendli¬ chen Freuden, bey all ihren erlaubten Ergühlichkci- ten daran denken sollen, wie sie unter Gottes Ge¬ walt stehen, wie sie keine Stunde vor dem Tode sicher seyen, und gleich einer zarten Blume unser- host dahinwelkcn können. Die Worte Jesu endlich, das Mädchen ist nicht tsdt, sondern schläft, lehren uns, daß der Tod des Frommen einem Schlafe zu vergleichen sey, so wie der Tod dieses unschuldigen Kindes einem Schla¬ fe von unscrm Erlöser verglichen wurde. Gleichwie nämlich ein Mensch nach einer harten Arbeit sanft ru¬ het und dahin schlaft, so schlaft auch der Gerechte sanft in dem Herrn, wenn er stirbt, er ruhet nach seinen sauren Arbeiten, nach seiner strengen Buße und vielen Leiden selig in seinem Gott. Wie jene himmlische Stimme zu dem heiligen Johannes in sei¬ ner geheimen Offenbarung 14. Kap. sagte: selig sind dis Todten, die in dem Herrn sterben, denn sie ruhen von nun an von all ihren Arbeiten aus, bis ihre Leiber bey ihrer seligen Auferstehung ans ih¬ rer Ruhestätte wiederum freudig herporgehcn wer¬ den. — Der Tod des frommen Christen ist also nur ein Schlaf: das Mädchen ist nicht todt, sondern schläft. So sagte Jesus auch von dem verstorbe¬ nen Lazarus zu seinen Jüngern: Lazarus, un¬ ser Freund schläft. Der Tod ist nicht allein für uns nöthig, sondern auch tröstlich. Dazu ist Christus gestorben und auferftanden, und wiederum le¬ bendig geworden, daß er über Lebendige und Todte herrschte, sagt Paulus zu den Römern 14. K. Die Schmerzen des Todes gehören mit zu den Lei¬ den ( 6st ) —> den dieser Welt, sie gehen nicht in die Zukünftige mik über, sie sind die letzten für den guten Christen, wie es auch die letzten unscrs Mittlers am Kreu¬ ze waren, darauf folget eine Ruhe, eine selige Stille, die nichts mehr stöhrcn kann, und wer ein¬ mal die Freuden in jenem Lande der Glückseligkeit verkostet hat, der kennet keine Wünsche mehr zu dem irrdischen Leben.— Jairi Tochter war todt, sie lag noch auf ihrem Sterbebette, JcsuS gieng mit dem Vater hin zu seiner Tochter, und hier verrichtete er das an der einzigen Person, was er einmal an allen Todren thun wird, er erweckte sie vom Tode. Diese Tochter ist also das Bild unserer zukünftigen Aufer¬ stehung, und die Hoffnung dieser unserer Auferstehung zum ewigen Leben ist unsere angenehmste Hoffnung, Christen hoffen auf ihre Auferstehung, und diese Hoffnung laßt sie nicht zu Schanden werden. O lasset uns an dieser herrlichen Hoffnung fest halten, wie bitter muß derLod seyn für jene, die diese Hoffnung nicht haben, —der fromme Gläubige kann nun mik dem Apostel mit Zuversicht sprechen, ich weiß, an wen ich glaube, und wem ich mich anvertrauet ha¬ be. Ich bin gewiß, daß er meine Beylage bewahren kann, bis an jene» grosse» Tag seines Gerichtes, Christus ist mein Leben, und Sterben mein Gewinn. So viel haben wir , meine werthcsten Christen, von der wunderbaren Auferweckung der Tochter des Jairus zu erlernen, es ist uns noch übrig, daß wir das zweyte Wunder betrachten, welches Jesus auf dem Wege nach dem Hause dieses Spnagogenvorste- hcrs an einem blutflüffigen Weib wirkte, wie rin¬ der andere Theil des heutigen Evangeliums erzählet, und ) — und Ivie wir NI dem zweyte» Thcil meiner Predigt bören werden. Zweyter Theil» Aesus hatte durch seine göttliche Allmacht machen können, daß die Tochter des Jairns an ihrer gefähr¬ lichen Krankheit nicht gestorben wäre, oder er hätte durch seine Wunderkraft in der Ferne auf dieses todlc Kind würben, und es abwesend wieder zum Lebe» erwecken können. Allein er wollte bey dieser Gele¬ genheit ein anderes wvhlthätiges Wunder an einer elenden Person wirken, darum entschloß er sich, selbst in das Haus, wo das tvdte Kind lag, zu gehen, er wußte nämlich , daß er auf dem Wege einer an¬ dern nothleidcnden Person helfen könne, darum gieng er gleich mit dem Obersten Jairns fort, um in sei¬ nem Haufe selbst die Auferweckung seiner Tochter vorzunehmen, und da, auf diesem Wege, geschah es, daß er das andere Wunder vornahm, welches uns das heutige Evangelium erzählet. Denn als ein sieches, elendes, am Blulstuße kränkelndes Weib sah, oder von andern vernommen hatte, was Je¬ sus wiederum für ein Wunder vorhatte,.so dachte sie bey sich selbst, er könne ihr ja auch helfen, und sie von ihrer bösen Krankheit befreyen, obschon dieselbe langwierig und den Menschen unheilbar wäre, denn sie litt schon zwölfJahre lang an derselben, hatte auch all ihr Vermögen unter die Aerzte ausgetheilet, und dieses Uebel wurde dadurch nicht nur nicht ge¬ hoben , sondern immer arger und schlimmer, so, daß sie durch diesen anhaltenden Zufall äusserst abgemat- ict ' Mmrd geschwächet wurde, und fast all ihre Kräfte» ver¬ kehren hatte. Obschon ihre Krankheit den Menschen un¬ heilbar wäre, dachte siebe») sich, sokönne siedoch Jesus, dicsergroßcWunderthäterdavon befreyen; sie ermannte sich also mit festem Vertrauen und sicherer Hoffnung, und suchte sich seiner anbethungswürdigen Person zu nahen, sie sagte Niemanden ein Wort, sondern be¬ hielt stillschweigend ihr festes Vertrauen im Herzen, und da Jesus mit sehr viel Volk umgeben war, sie also kaum durch diese Menge durchdringen konnte, so dachte sie, wenn es ihr nur gelänge, den Saum seines Kleides anzurühren, so würde sie schon ge¬ sund, sie versammelte daher all ihre übrig gebliebe¬ nen Kräfte, arbeitete sich durch das Volk durch, und kam bis zu Jesu hin, trat, weil sie schüchtern war, und sich ihm im Angesichte zu zeigen, sich nicht ge- trauete, vorn Rücken bey, daß sie nicht von ihm gesehen werden konnte, und rührte den Saum sei¬ nes Kleides vollVertrauen an, und sehet, in diesem Augenbicke wurde .sie von ihrer langwierigen Krank¬ heit befreyet, bekam auf der Stelle ihre vorigen Kräften, und wurde ganz frisch und gesund. Jesus, der nach seiner Allwissenheit nicht allein wußte daß ihn jemand angcrühret, sondern auch durch seine göttliche Allmacht ihre Genesung bewirket hatte, blieb auf einmal gegen alle Erwartung derje¬ nigen, die ihn umgaben, sichen, wendete sich nm . gegen daö ihm naHfolgende Volk zu, und fragte, w» ihn angerührt hätte. DieJünger, die von dem Hergänge der Sache nichts wußten, folglich auch die Absichten ihres göttlichen Meisters bcp dieser Fra¬ ge nicht einsahen, antwortete» etwas ungeduldig- daß ( 624 ) daß niemand wissen könne, wer ihn in diesem Ge¬ dränge angerühret, indem er von allen Seiten her von dem Volke gedrückct und berühret würde; Jesus aber, der wohl wußte, wer ihn berühret, und diese Frage nur in der Absicht gethatt hatte, damit er die Anwesenden auf seine Allwissenheit Und Allmacht auf¬ merksam machen möchte, und zugleich» dem starken Glauben und der bescheidenen, klugen Aufführung des siechen Weibes das gehörige Lob sprechen könnte, ihat einen holden Blick auf diejenige hin, die er wunderbarer Weise gcheilet hatte, und sah sie einige Zeit mit unverwandten Augen an. Da kam sie nun vom Dankgefühle innigst durchdrungen, 'warf sich ihm im Angesichte des gegenwärtigen Volkes Zu Fü¬ ßen, und bakh ihn dcmüthigst, daß er ihr solches zu gute halten möchte, sie habe bcy ihrem großen Elende bep niemanden mehr Hülfe stndcn können, sie habe aber ihr ganzes Vertrauen auf ihn gcsctzet, und sic müsse bekennen, daß sie wirklich dadurch von ih¬ rem Ucbel bestehet worden sey, sie dankte ihm also für diese große Wohlthat, die er ihr so unverdienter Weise erwiesen habe. — Worauf ihr Jesus diese Gnade bestättigte, vor dem Volke ihres großen Glaubens wegen das gebührendeLob sprach , und zu ihr mit holderStimme sprach: sey getrost,meineToch- ter, Leim Glaube hat dir geholfen, geh nun in Frieden nach Hause, und sey versichert, du wirst von deiner bisherigen Krankheit künftighin allzeit bestehet bleiben. Wertheste Christen, dieses ist nttn die kurze Ge¬ schichte von dem zwepten Wunderwerke des heutigen Evangeliums, lasset uns nun auch sehen, was für Lehr- — ( 6LL ) — Lehrstücke wir aus derselben für uns zu ziehen haben. Aus dieser wunderbaren Geschichte ersehen wir erstens, daß Jesus wahrend seines sichtbaren Wandels auf dieser Erde seine größte Freude dann» suchte, ver¬ lassenen, nothleidenden, elenden Menschen zu Hülfe zu kommen , uns zur Lehre, daß auch wir ihm hierin» nachfolgen sollen, daß wir uns nicht mit ei¬ nem trockenen Glauben an ihn begnügen, sondern unS bemühen sollen, ein thätiges^hristenthum aus¬ zuüben, welches darinn besteht, dass man Betrübte tröste, den Weinenden die. Thränen abtrockne, den Beklemmten die Seufzer abnehme, den Noth¬ leidenden zu Hülfe komme, und durch rühmliche Un¬ terstützung die Unterdrückten erfreue. Jesus zeiget uns hier in der That, was er uns durch feinen Jün¬ ger Jakobus in seinem Briefe e. Kapitel mit Worte» lehren ließ, daß wahre Religion bey Gott dem Va¬ ter aller Menschen sey, VOittwen undTvaisen trö¬ sten , klothleidenden aller Art zu Hülfe kommen, und sich von dieser Welt unbefleckt bewahren. Wir bemerken zweitens, an dem kranken Weibe, welches bey ihrer Krankheit verschiedene Aerzte brauch¬ te, aber bey Jesu allein Hülfe fand, dass wir zwar bey unfern Krankheiten natürliche Mittel brauchen können, ja, daß es Pflicht sey, bey erfahrnen Aerz- zen Hülfe suchen, indem Gott in so viele Krauter dieser Erde seine Heilkraft gclegct, um die Krank¬ heiten aus dem menschlichen Körper zu vertreiben, daß wir aber vor allem, und in allein, unser Ver¬ trauen dabey auf Gott setzen, ihn um seine Huche anflehen, uns in dieser Absicht bey ihm in Gnaden setzen, und gedenken sollen, daß, weun Gott seine Erklär, d, rkvang.lt. Th. r Hand — ( 626 ) — Hand von uns abziehe, alle leiblichen Arzencyen ver¬ geblich seyen, daß, wenn er seinen Segen nicht dazu gebe, wir die Aerzte umsonst brauchen, eben so, wie daS blutflüßige Weib, das dieselben zwölf Jahre lang umsonst brauchte. Drittens, diese Wor¬ te, wenn ich nur den Saum seines Rleides an¬ rühre, so werde ich schon gesund, diese vertrauens¬ volle Worte, die das kranke Weib bey sich mit star¬ kem Glauben sprach', als sie sich zu Jesu nahet?, sol¬ len auch uns ein Vertrauen einstößen, wenn wir uns besonders bey dem Empfange der heil. Kommunion der anbethungswürdigsten Person Jesu nahen, denn, wenn das bloße Anrühren des Saumes vom Kleide Jesu das kranke Weib schon gesund machte, welche Gnade und Starke werdrn wir nicht erst erhalten, wenn wir in dem heiligen Abendmahle Jesum nicht allein berühren, sondern mit Leibe und Seele, mit Gott und Menschheit in uns empfangen. Viertens aus dem, daß das sieche Weib ihre Noth nicht mit Worten Christo klagte, sondern nur stillschweigend im Herzen ihr Vertrauen auf ihn setzte, und dennoch in ihrer Bitte erhöret wurde, sehen wir, daß uns Gott erhöre, wenn wir ihm gleich unsere Noch nicht mit dem Munde, sondern nur Mit demHerzen klagen können, daß er die Sprache unsers Herzens verstehe, - und die stillen Seufzer der Frommen erhöre, daß er, wenn wir einstens in unserer Krankheit nicht mehr mit dem Munde bethen, und mit der Sprache un¬ serer Zunge ihm nicht mehr unsre Noch werden kla¬ gen können, unsere letzten Seufzer, die wir noch zu ihm abschicken werden, in Gnaden anfzunehmen- -ereit sey. fünftens die langwiehrige Krankheit die¬ ses — ( 62/ ) — fts Weibes kann uns noch zu verschiedenen Betrach¬ tungen Anlaß geben, meine werthesten Christen, die Krankheiten, der Jammer und die Leiden sind unter «Ns Menschen öfters so groß und so anhaltend, daß kein menschlicher Beyständ bep gewissen Nothleiden- den mehr hinrcicht. Dieses Weib hatte verschiedene Aerzte umsonst um Hülse angerufen, zwölf Jahre lang war sie hülflos, und er» bloßer Gegenstand des Mitleides Anderer. Warum sind solche Bilder des Jammers unter uns ausgestellt, warum scheinen Etli- che nur deßwegen auf die Welk gesetzt zu scpn, um vor der Weit ein elendes Leben zu führen, und war¬ um bereist es öfters die Kinder GvtteS, können uns I dergleichen Bilder des Elendes nicht nützlich sepn, was für Absichten hak wohl der Schöpfer bey derglei¬ chen, die wir bemerken und befördern sollen, keine andere, als diese, daß der^Nnblick der Elenden in uns das Gefühl des Mitleides rege machen. Und unS znm thätigen Christenthnme Gelegenheit geben sollte, auch daß, wenn wir uns von dem Schöpfer in gün¬ stigere Umstände versetzet sehen, wenn wir eine dauer¬ haftere Gesundheit haben, an nusern Gliedern nichts Mangelhaftes »och Beschädigtes empfinden, wir die¬ ses als besondere Wohlthaten Gottes betrachten, unsere schuldige Danksagung gegen seine Güte dafür abstatten, und die Kräften, die uns vor den andern eienden Mitmenschen verliehen sind, zu seiner Ehre Und zum Dienste des Nächsten anwenden sollen , fer¬ ner, daß, wenn uns dergleichen Leiden treffen sollten, sivir darüber nicht murren, nicht deßwegen in Un¬ geduld ansbrechcn, sondern in dieselbe uns geduldig schicken, sie als den, uns zugemessenen Theil des Rr L Kreuzes, . ( 628 ) Kreuzes, der vielleicht gegen das Elend unserer Brü¬ der für gar nichts zu rechnen ist, zufrieden annehmen, und gedenken sollen , daß viele weit elender leben a!S wir, und dennoch dabey geduldig seyen, und daß viel¬ leicht die Hülfe Gottes alsdann am nächsten sey, wenn die Noch auf das höchste gestiegen, wie dieses die zwey Wunder im heutigen Evangelium bestättigcn. daß es der weisen Regierung gemäß sey, die Noch auf das höchste steigen zu lassen, wenn wir erfahren sollen, daß Gott, und sonst keiner, unser mächtiger Beystand und Helfer sey, daß es bisweilen so kommen müsse, daß wir von aller menschlichen Hülfe verlassen, unsere Ohnmacht fühlen, nach Gott fragen und nach seiner Erbarmung schreyen, damit unser Glaube befe¬ stiget, und unser Vertrauen auf Menschenhülfe zer¬ nichtet, oder wenigstens geschwächet werde. Diese ist die kurzgefaßte Sittenlehre, meine wer- thesten Christen, die wir aus dem zwcyten Wunder¬ werke unsers heutigen Evangeliums für uns abneh¬ men sollen. Lasset uns dieselbe zum Beschlüsse der Predigt noch einmal wicderhohlcn, und mit jener des ersten Theils verbinden. Wir haben heute einer¬ seits gesehen, wie bewundernswürdig, wie weise , wie wvhlthätig und menschenfreundlich das Betragen Jesu gegen das kranke Weib beschaffen gewesen, und wie ermunternd dasselbe für uns, daß wir dieses sein liebvolles Verhalten so viel in unser» Kräften steht, nachahmen, und unser thätiges Christenthuin «u Prcßhaftcn und Rothleidenden ausübe» sollen. Anderer Seits habe» wir den großen Glauben an dem blulflüßigen Weibe bewundert, der im Stande ist, manche Christen, die doch weit erleuchteter als dasselbe — ( 629 ) -- dasselbe sind, fchamroth zu machen, ihre Ungeduld und ihren Mißmuth in den schweren Leiden dieses Le- bens zu verdammen, und ihnen mehr Vertraue» auf Gottes Macht und Güte einzuflvßen. Im allgemei« ncn haben wir bemerket, daß dieses Evangelium from¬ men Seelen einen außerordentlichen Trost einzuflvßen im Stande sei). Wir sahen zwar an dem kranken Weibe, daß wir die Zeit unserer Pilgrimschaft aufdie- str Erde ungemein vielen Nebeln unterworfen, und an der verstorbenen zwölfjährigen Tochter des Jairus sahen wir , daß wir keinen Augenblick, auch in der besten Blüthe deS Alters, vor dem Tode sicher seyen, daß unsere Tage sehr geschwind dahingchen, daß unser Leben wie eine Blume verblühe, wie das GraS verdorre, wie der Schatten entweiche, und wie der Rauch in der Luft vergehe. Allein diesen Trost flößen uns die heutigen zwo evangelischen Wun- dergeschichkcn ein. daß wir bey allen unfern Leiden Hülfe. sichereHülfe bey Gott suchen können, und daß nach der Nacht des Todes der frohe Morgen der Aufer¬ stehung für uns anbrechcn werde, daß. gleichwie Chri¬ stus zu derverstorbenenLochter des Jairns gesprochen: Mädchen, steh auf.' und sie auf dieses Machtwort aus ihrem Bette aufgcstanden, daß auch wir alle, wenn die Stimme des Sohns Gottes erschallen wird: ihr Todten stehet auf! einst aus unserer Wohnung der Verwesung, auS unser» Grabern, auferstchen werden, daß fromme Christen, anstatt der kranken, schwachen, siechen Leiber, die sie vielleicht in ihrem zeitlichen Leben mit sich herum schleppten, alsdann gesunde und schöne Leiber bekomme» werden, daß ihr Körper, der in den» Stande des Süudenfalls oft Rr Z ein — ( 6^0 ) — ein beschwerlicher Kerker für die Seele war, ihnen alsdann zur angenehmen Wohnung feyn werde, daß der verweßliche Leib zum uuverweßlichen. der verun¬ staltete zum schönen und glorreichen, der thierische zum geistlichen umgebildct werde, daß sie, so zu sa¬ gen, nicht sterben, sondern nur in dem Herrn ent¬ schlafen, und durch die Stimme Gottes, gleich der Tochter des Jairus, von ihrem Schlummer aufer¬ wecket werden, um von dieser Freude in ihr himmli¬ sches Vaterland überzugehen. Diese Hoffnung meine lieben Christen, die Gott einstens dem Hiob, um ihn bey seinem Leiden zu stärken, in den Busen ge¬ legt hat, diese selige Hoffnung muß auch uns in un¬ fern kurzen Leiden hienieden stärken, sie muß uns bey unserer Traurigkeit trösten, und ein heilender Bal¬ sam in allen betrübten Zufällen dieses Lebens seyn, In der That, welch ein Trost ist dieses nicht für den rechtschaffenen Christen? — O daß doch an uns al¬ len eine solche selige Hoffnung einstens erfüllet werden möchte! O daß wir wie alle eine solche glückliche Auf¬ erstehung einst bekommen, und zu dem ewigen selir gen Leben einst qirferryecket werden möchten. Amen, rruf ( 6Zr ) — Auf den Vier und zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten, Evangelium Matth. XXIV. 15 — 35. Abenn ihr nun -en Greuel -er Verwüstung sehen werdet, der durch den Propheten Daniel ist vorausgesaget worden, daß er an der heili¬ gen Stätte feye, (werdalieöt, dcrmerkeauf,) alsdann fliehe auf die Berge, wer im jüdischen Lande ist, und wer auf dem Dache ist, -erstei¬ ge nicht herunter, etwas aus seinem Hause zu holen. Und wer aus dem Felde ist, dec kehre nicht zurücke, seine Kleider zu holen. Weh aber den Schwängern und Säugenden in denselben Tagen! Bittet aber, daß eure Flucht nicht ge¬ schehe im Winter, oder am Sabbath. Denn es wird alsdann eine große Trübsal seyn, derglei¬ chen von Anfang der Welt bis auf diese Zeit njcht gewesen ist, nnd auch künftig nicht seyn wird. Und wenn diese Tage nicht würden verkürzet, so käme kein Mensch davon. Aber um -er Aaser¬ wählten willen werden diese Tage verkürzet. Wenn alsdann jemand zu euch sagen wird, sieh, hier ist Christus, oder dort, so glaubet es nicht; denn es werden falsche Christusse und falsche Prophe¬ ten aufftehen, und große Zeichen und Wunder Rr 4 ' thun ----- ( 6Z2 ) —- thnn, alfo, -aß auch die AuSerwählten, wenn «s möglich märe, zum Jrrthum Verführer wär- -en. Sehet, ich habe eS euch zuvor gesagt, dar- vm, wen« sie zu euch sage» werde«, sieh, er ist in der Wüste, so gehet nicht hinaus, sieh, er ist in dem Kammern, so glaubet eS nicht. Denn gleichwie der Vliy vom Aufgange ausgebt, «ud bis zum Niedergänge scheinet, also wird auch die Ankunft des Menfcheusohnes seyn. Wo rin Körper ist, Ha versammeln sich die Adler. Aber bald nach der Trübsal drrselbige« Tage wird die Sonne verfinstert werden, und der Mond wird keinen Schein mehr von sich gebe», und die Sterne werde» vom Himmel falleu, und die Vesten der Himmel werden erschüttert werden. Und alsdann wird das Zeichen des MenschensohneS am Him¬ mel erscheinen, und alle Geschlechter auf Erden werden heulen, und werden den Sohn deS Men¬ schen mit großer Macht und Herrlichkeit auf dru Wolken des Himmels kommen sehen. Und er wird seine Engel mit einer Posaune, nnd mit großem Schalle senden, die seme Auserwähltev von den vier Winden, und von einem Ende deS Him¬ mels zu dem andern Ende versammeln werden. Lernet aber an dem Feigenbäume ein Gleichniß: wenn feine Zwe»ge geschmeidig werden, und die Blätter herauSsprossen, so wisset ihr, daß der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr die¬ ses alles sehen werdet, so wisset, daß es nahe vor der Tbüre ist. Wahrlich, ich sage euch: die¬ ses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dieses al¬ les -°- ( 6ZZ ) le- geschieht. Himmel und Erde werden verge¬ hen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Wen» ihr nun den Greuel der Verwüstung sehen werden Matth. 24. V, 15. Eingang. Da wir heute den letzte» Sonntag nach Pfingsten feyern, folglich das Kirchenjahr beschliessen, meine werthestcn Christen, so wird dieses Evangelium sehr schicklich auf demselben vorgelesen , indem wir da¬ durch an das Ende der Welt erinnert werden, zu welchem wir mit jedem Jahre einen großen Schritt näher kommen. Die Absicht der christlichen Kirche, die solches beyin Beschlüße ihres Jahres vorzuleseu befohlen, geht dahin, daß wir uns dabey an das zukünftige Ende der Welt erinnern, und durch Ge¬ deih und gute Werke darauf beßtmöglichst vorbe¬ reiten möchten. Das Evangelium aber selbst, wel¬ ches uns dieses fürchterliche Ende der Welt verkün¬ det, ist ei» Stück von den allerletzten Reden Jesu, die er hier auf Erden hielt; denn, als er am Mitt¬ wochen vor seinem Leiden den Pharisäern noch ein¬ mal ihre» Hochmuth und ihre Scheinheiligkeit vor gerücket, und ihnen gesagt hatte, daß sie Insekten saugten, Kameele aber verschluckten, daß sie zwar ans kleine Sachen vom Gesetze, die in die Augen fal¬ len, hielten, aber größere und wichtigere Gebothr, R rL als « ( 6^4 ) "" als die Gebothe der Gerechtigkeit, her Menschen» liebe, der inner» Heiligkeit, u. dgl. vernachläßig- tcn, nachdem er sie mit übertünchten Grabern, die von aussen schön anzusehen, inwendig aber voll Un¬ sauberkeiten wären verglichen, und ihnen gesagt hatte, daß sie die Eß - und Trinkgcschirre von aus¬ sen zwar rein wüschen, inmvcndig aber voll Unsau¬ berkeiten ließen. Nachdem er ihnen dergleichen bit¬ tere Vorwürfe gemacht hatte, so kam er darauf, daß er der verstockten Hkadt Jerusalem, weil sie die Propheten, die ihr zum Beßten gesendet worden, verfolgte und lödtete, da,s erschreckliche Wehe andro- hete, und einen fürchterlichen Untergang voraus- sagte. Und als er diese letzte scharfe Strafpredigt die¬ sem verstockten Geschlechte gehalten hatte, so gieng er ans dem Tempel hinaus, und verließ denselben für allezeit. Beym Herausgehen aber zeigten ihm fei¬ ne Jünger die Pracht dieses Tempels, der in der Thal ein herrliches Gebäude war, und billig unter die damaligen sogenannten Wunderwerke der Welt gczählet wurde. Herodes der Große hatte ihn sehr verschönern lassen, »m die Gunst der Juden zu ge¬ winnen, welche cs sehr schmerzte, daß der zweyte Tempel, der nach der babylonischen Gefangenschaft sufgerichtet worden, geringer und schlechter, als der erste, den Salamo gebauet hatte, seyn sollte; man hatte schon über vierzig Jahre daran gearbeitet, ihn, sozusagen, ganz umgcbauet, mit vielen Nebenge¬ bäude» verschönert, und war noch nicht mit der Ar¬ beit zu Ende.— Christns versicherte aber seineJün- Zer, die ihm dieses schöne Gebäude zeigte», daß nicht ( 6ZL ) — nicht ein Sleiit von demselben über dem andern blei¬ ben werde, daß er ganz vom Grunde aus werde zer¬ störet, und dem Boden gleichgemacht werden. Diese Rede schlug nun den Herzen der Jünger eine tiefe Wunde, sie gierigen , mit diesem Gedan¬ ken einzig beschäftigt, ganz niedergeschlagen und be¬ trübt mit ihrem göttlichen Lehrmeister die Stadt hinaus, stiegen mit ihm den Oelberg hinauf, und als er sich auf der Höhe dieses Berges niedersetzle, um etwas auszuruhe», fasteten sie Muth, und glaubten, daß es jetzt die schicklichste Zeit fe>), ihn, da sie nun alleine waren, zu fragen, wann dann die Zerstörung Jerusalems, und wann feiueAnkunft geschehen, und das Ende der Welt erfolgen sollte. Sie verbanden diese zwo Fragen vielleicht deswegen mit einander, weil sie glaubten, daß der Tempel bis an das Ende der Welt stehen, nud die Welt mit ihm zugleich uukergchen würde. Obschon nun unser Erlöser seinen wißbegierigen Jüngern die bestimmte Zeit von diesen zwocn wich¬ tigen Begebenheiten nicht entdeckte, so gab er ihnen doch auf ihre doppelte Anfrage eine zweyfache Ant¬ wort, da er ihnen die Zeichen und Vorbothcn von diesen zwoeu wichtigen Veränderungen angab. Und diese zwo Antworten sind es, meine wxrthesten Chri¬ sten, die uns das heutige Evangelium erzählet, und die wir anjctzo in den zween Theilen meiner Predigt betrachten wollen. In dem ersten Theile zwar wollen wir die Antwort Jesu vernehmen, welche die Zer¬ störung Jerusalems, und denUntergang des jüdischen Staates betrist. In dem zweiten aber wollen wir jene Antwort hören, welche den Untergang der Welt, und L 6Z6 ) und die darauf folgende Ankunft des göttlichen Rich¬ ters bekrist. Vernehmet beyde recht aufmerksam, die Sache ist zu schreckbar, als daß man sie schläfrig sollte anhören können. Erster Th eil. Nachdem unser Erlöser am Mittwoche vor seinem Leiden das letztemal im Tempel geprediget, und beym Hexausgehen seinen Jüngern die Weissagung von dem Untergänge des Tempels und der Stadt eröffnet hat¬ te, so nahm er seinen Weg den Oelberg hinauf, um zu Bethanien, einem Flecken , der auf diesem Berge lag, bey dem Lazarus zu übernachten. Als er aber den Oelberg hinaufstieg, setzte er sich auf der Anhöhe desselben, um allda auszuruhen, nieder, da geschah es nun, daß er von seinen Jüngern , die ihn umga¬ ben, gefragt wurde, wann dann das von ihm vor¬ ausgesagte Unglück über die Stadt Jerusalem, dis vor ihnen da lag, und die man von der Anhöhe die¬ ses Berges ganz übersehen konnte, losbrechen sollte. Sage uns, bathen ihn seine Jünger, wann wird dann dieses alles geschehen, was du uns voraus- gesaget hast? VOas für Zeichen werden deiner An¬ kunft und dem Ende der Zeiten vsrausgehe»? — Christus eröffnete nnn auf diese Bitte seinen Jün¬ gern, als seinen Freunden, die Zeichen und Vorbo- then, die dem traurigen Schicksale Jerusalems vor- ausgchen sollten, dergleichen Verführungen der noch Frommen durch falsche Propheten, Empörungen der jüdischen Nation gegen ihre rechtmäßige Oberherren, schwere, blutige Kriege, große Hungersnoth, Pest, harte —' ( ) "" harte Verfolgungen, die seine Anhänger von Seiten der Juden ausznstehen hatten, Ausbreitung seines Evangeliums in mehreren Ländern, u. d. m. waren» Sehet zu, daß euch Niemand verführe, laute¬ ten seine Morte, denn viele werden in meinem Namen kommen, werden sagen, sie feyen Chri¬ stus , und werden viele verführen. Ihr werdet viel vom Kriege und von Schlachten Horen, er¬ schrecket aber nicht; denn dieses muß geschehen, es wird aber das End noch nicht feyn. Es wird «in Volk gegen das andere ausstehen, ein Reich gegen das andere, und es wird an vielen Orten Pest, Sungersnoth und Erdbeben seyn. Dieß alles ist aber nur ein kleiner Anfang von der gro¬ ßen Trübsal, die darauf folgen rmrd. Ihr wer¬ det alsdann von allen wegen meinem Namen ge¬ hastet werden, sie werden euch hart verfolgen und tödten. Und es werden viele falsche Pro¬ pheten sich sehen lassen, die viele verfuhren wer¬ den; denn, weil die Bosheit überhandgenom¬ men, so wird die Liebe erkalten. pi)er aber ge¬ treu bis an das Ende verharren wird, der wird selig werden. Und mein Evangelium wird in der ganzen Welt verkündet werden, zum Zeugniß allen Völkerschaften, und alsdann wird das En¬ de kommen. Nachdem nun Christus seinen Jüngern auch die traurigen Vorbothcn, die dem Untergange Jerusa¬ lems vorausgehen sollten, angekündiget hatte, so kam er darauf, daß er sie lehrte, wie sie sich ver¬ halten sollten, und sie warnte, wie sie sich mit der Flucht rette» sollten, wenn diese betrübten Zeiten her- »°-- s 6^8 ) hrreinbrstchen, und diese Ermahnung und Watnurijs ist es eigentlich, welche deck ctsten Theil unskrs Heu-« tigen Evangeliums ausmachet. Wenn ihr »un den Greuel der Verwüstung sehen werdet, der durch Len Propheten Daniel ist vorausgesagt worden, Laß er an die heilige Stätte kommen solle, wer La liest, der merke aus, fuhr er in seiner Rede mit seinen Jüngern fort, und verwies sie auf die Weissagung, die bey dem Propheten Daniel im ytcn Kap. von der Verwüstung, welche der Hauptstadt Judenlandcs bevorstünde, zu lesen sey. Wer diese Stelle, sagte er, des Propheten Daniels von dieser greulichen und entsetzlichen Verwüstung liefet, der merke wohl auf. wenn iHv sehet den Greuel der Verwüstung heranrücken, wenn ihr sehet, daß daS feindliche Kriegsherr, welches allenthalben Verwü¬ stung um sich verbreitet, und schon mehrere Städte in der jüdischen Landschaft wird eingenommen und verwüstet haben, daß dieser Greuel der Verwüstung gen Jerusalem, die heilige Statte heranrückte, da such sich ein jeder mit schleuniger Flucht aus der Stalst und aus dem Lande zu retten, ehe er dem alles verheerenden Feinde in die Hände fallt. Wer im jüdischen Lande ist, der fliehe auf die Berge, wer in der Stadt auf dem Dacheifl, der steige nicht in das Haus, um etwas zu holen, der verweile sich nicht dadurch, sondern begebe sich eilends auf die Flucht, um nicht in der Stadt eingeschlossen zu wer¬ den. Wer sich aber ausserhalb der Stadt befindet, und aus dem Felde beschäftiget ist, der kehre nicht in die Stadt zurück, um seine Kleider oder sonst etwas daraus zu bolen, sondern mache sich eilends auf de» Weg ( 6^9 ) —» Weg link nm sein Leben zu retten. — Weh in diesek betrübten Zeit den Schwängern und Säugenden, die sich nicht so geschwind, wie andere, mit der Flucht retten können. Bethet, bestrebet euch durch ein eifri¬ ges Gebcth wenigstens noch dieses von Gott zu er¬ halten, daß eure Flucht nicht int Winter geschehe, wo wegen Kürze der Tage und schlimmer Witterung schwerer forkzukommen ist, als im Sommer, oder daß ste nicht am Sabbath geschehe, wo ihr glaubet, daß es euch nicht erlaubt sep, weite Reisen zu ma¬ chen, denn ich sage euch, es wird alsdann eine so grosse Trübsal über die Stadl kommen, dergleichen nie vom Anfänge der Welt bis auf diese Zeit gewe¬ sen, und nie bis an das Ende der Welt kommen wird. Und wenn dieses Elend länger fortdanren soll¬ te, so käme kein Mensch mit dem Leben davon, eö würden alle durch das Schwerdt, oder durch Hun¬ ger und Pest umkommen, aber um der Frommen und Gerechten willen, die etwa noch unter den Belager¬ ten seyn werden, sollen diese Tage abgekürzek wer¬ den.— Wenn alsdann jemand zu euch sagen wird, sieh, hier ist Christus, oder dort, so glaubet eS nicht, denn es werden falsche Christusse und falsche Propheten aufstehen, und große Zeichen und Wunder zu khun sich anmassen, also, daß auch die Christen, meine Auserwahlten, wenn ich sie nicht durch meine Gnade unterstützte, verführet würden. Sehet, mer¬ ket euch dieses wohl, denn ich habe es euch deswe¬ gen vorausgesagt, damit, wenn sie zu euch sagen, sich, der Meßias ist draussen in der Wüste, ihr nicht hinausgehet, oder er ist dort in einem geheimen Or¬ te, ihr es nicht glaubet.— Ws das Aas ist, da vrr- —( 646 ) »— versammeln sich die Adler. Christus, um seinen Jüngern das zukünftige Elend der Stadt Jerusalem recht begreiflich zu machen, beschloß die Beschreibung davon mit diesem greulichen Gleichnisse, er wußte, so zu sagen, nicht Worte genug auszusinden, um es ihnen recht lebhaft vor Augen zu mahlen, darum be¬ diente er sich dieses schrecklichen Ausdruckes: wo das Aas ist, da versammeln sich die Adler. Gleichwie nämlich die Adler als fleischfressende Thiere das AaS begierig aufsuchen, also würden die Römer, die Feinde der Juden, die das Zeichen des Adlers auf ihren Fahnen führten, sich blutgierig um Jerusalem herum versammeln. Welche Stadt voll kodier Kör- per'sepn würde, da so viele Taufend und Taufend darinnen durch das Schwerdt, und durch Hunger und Pest umkommen würde», und darinn alles voll Gestank, voll Unflath und Greuel seyn würde. Merkhefte Christen! mit diesen schrecklichen Wor¬ ten sagte Christus seinen Jüngern das betrübte Ende der verstockten Stadt Jerusalem vorher, und war- nete sic ganz väterlich, wie sic dabey der Gefahr entgehen, und durch die Flucht ihr Leben retten möch¬ ten. Eine erschreckliche Prophezephung, die so ge¬ nau, so pünktlich in allem hernach erfüllet wurde, wie wir aus dem gleichzeitigen Geschichtschreiber Jo- scphus wissen, der ein Jude war, und selbst als ein Gefangener in dem Lager der Römer der Belage¬ rung Jerusalems zusah, und ihre Zerstörung be¬ schrieb, aber nicht Worte g nug zu finden wußte, mn das große Elend, das seine Nation dabep be¬ traf, zu beschreiben. Nach einer Zeit von etwa vier¬ zig Jahren, von dieser Weissagung an gerechnet, stund — ( 64» ) — stund der Tempel schon nicht mehr, die Römer hat- len ihn stammt der Stadt zerstöret, und dem Erdbo¬ den gleich gemacht. Alle Zeichen und Vorbokhen, wie sie Christus angekündiget hatte, giengen voraus, die Anhänger Christi wurden von den Juden hart ver¬ folget, dieses war aber ein großes Glück für andere Län¬ der, die christlicheNeligion wurde dadurch unter andern Nationen der Welt aiisgcbreitet, so, daß noch vor der Zerstörung Jerusalems in allen Welktheilen häu¬ fige Christengemeinden errichtet wurden. Es stunden auch unter den Inden viele falsche Propheten auf, die sich für den Messias ausgaben, sich Anhänger warben, viele verführten, und das Volk zur Empö¬ rung reizten, daß cs seinen rechtmäßigen Herren, den Römern, nicht mehr gehorsamen sollte, daraus ent¬ stund rinn ein blutiger Krieg zwischen bepden Völ¬ kern. Die Römer aber wurden endlich Obsieger auf dem Lande, und schlossen die Hauptstadt Jerusalem, welche damals wegen dem Dsterfeste mit einer er¬ staunlichen Menge Leute augcfüllet war, mit ihrem Kriegshcere ein, der Vorrath an Lebensmitteln wur¬ de daher bald aufgezchret, die großen Uneinigkeiten unter den Belagerten, die feindseligen Verbitterun¬ gen der verschiedene» Partheyen, die in der Stadt einander blutgierig verfolgten, die sich untereinander selbst bekriegten und aufrieben, auch die «och vor¬ handenen Magazine und Vorräthe boshafter Weise verderbten und anstecktcn, die erstaunliche Hungers- norh, die dadurch bald übcrhandnahm, so, daß sie sich von dem Fleische derjenigen Lhicre nähren mu߬ ten, wovon sie zuvor den größten Abscheu hatten, ja, daß sogar Mütter das Fleisch ihrer eigenen Kin- ErMr. b. lkvaug. II. Thl. S s der — < 642 ) — der verzehrten , alles dieses zeuget von der Wahrheit der Prophezeyhung Christi. - Endlich nach einer Be¬ lagerung von etwa fünf Monaten wurde die Stadt eingenommen, gcschleifet und dem Erdboden gleich gemacht, nachdem eilfmal hundert tausend Juden ihr Leben dariun eingebüsset, und sieben und neun¬ zig tausend dabey gefangen worden. Titus, der Feldherr der Römer, als er in die Stadt triumphi- rend einzoz, und so viele Tobte auf den Strassen der¬ selben liegen sah, rang seine Hande gen Himmel, und rief ganz bestürHt aus, daß dieses nicht daS Werk seiner Hände sey, daß er unmöglich so viele Menschen mit seinen Soldaten habe tödten können. Eben dieser Feldherr wollte zwar den Tempel, weil er ei» schönes Gebäude war, und eine gute Festung für die Römer abgeben konnte, verschonen, allein die Hartnäckigkeit der Juden, die sich in demselben verschanzet hatten, zwange» seine Soldaten, daß sie Feuer »«legten, Titus kam zwar hcrbeygeeilct, um die Feuersbrunst zu löschen, allein es war um¬ sonst. — Auch der Tempel wurde daher in die Asche geleget, und dem Erdboden gleich gemachct. Nutzanwendung. Wer soll hier nicht erschrecken, meine lieben Christen, bis in das Innerste seiner Seele erschrecken, wenn er dieses alles höret oder liefet, wer soll sich nicht vor den Gerichten Gottes furchten, wenn er sieht, daß diese erschreckliche Prophezeyhung Christi bey dem Untergänge Jerusalems so genau erfüllet worden, wer kann dieses alles überdenken, ohne mit Christo eine Lhrane über diese Stadt zu weine«, gewiß — ( 64Z ) — gewiß, ein großer Greuel der Verwüstung/ gewiß eine fürchterliche Strafe Gottes! —Aber auf grosse Sünden gehörten auch grosse Strafen, die Einwoh¬ ner Jerusalems hatten sich sehr gegen Gott versündi¬ get, darum wurden sie auch erschrecklich von ihm gcstrafek, Gott bediente sich der Römer zu Werk¬ zeuge» seiner Rache gegen diese verstockten Leute, ge¬ gen diese hartnäckigem Verfolger seines Evangeliums und seiner Christen, gegen diese boshaften Mörder seines Sohnes, Gott ist zwar ein langmükhiger Gott, er sieht oft lange zu, aber er ist auch ein gerechter Gott, er strafet hart und empfindlich, wenn keine Besserung folget, die Einwohner Jerusalems wur¬ den oft und lange zur Buße ermahnet, Christus that cs selbst während seinem ganzen Predigkamte. Rach seinem Tode ließ er es »och durch seine Apostel thun, aber alle Ermahnungen, alle Warnungen, und selbst diese erschreckliche Prophezerchmig waren umsonst, es erfolgte keine Besserung, daher brach das erschreckliche Zorngcricht Gottes über diese laster¬ hafte Stadt endlich los. Darau sollten sich billig alle Sünder spiegeln, und öfters au diesen erschrecklichen Greuel der Ver¬ wüstung denken, alle verstockten Christen sollen hier ein Bepspiel nehmen, und wohl bedenken, daß die strafende Gerechtigkeit Gottes nichts vergesse, wenn sic gleich lange schweiget, daß Golt öfters lange zusehe, aber doch endlich strafe, und desto empfind¬ licher strafe, je längerer zugesehen. Daraus sollten auch alle lernen , daß, so lange Frömmigkeit und Gottesfurcht in einer Stadt, oder in einem Dorfe herrschen, auch Wohlfahrt und Gottes Seegcn da- S § 2 rinn — ( 64'4 ) — rinn herrschen werde, -aß aber, sobald Sunde und Lästerin einer Gemeinde einreissen, sobald Unzucht Bosheit, Haß und Feindschaft bis auf einen gewis¬ sen Grad steige», alsdann auch die Strafe Gottes nicht mehr ferne sey, daß Sittenverderbniß und Gottesvergeffenheit die sichersten Vorbothen der na¬ hen Strafe Gottes und des Unterganges für eine Gemeinde seyen. — Daraus haben auch alle From¬ men zu ihrem Tröste zu lernen, daß, wen» gleich Gott die Bösen bestrafet, er doch an sie, als an seine treuen Diener denken, und sie von dem Untergänge retten werde, so wie er ehedessen den Noah und den Loth von dem Untergange der Gottlosen rettete, und so wie er bey der Zerstörung Jerusalems seine Jün¬ ger und ersten Christen von der Gefahr zu retten such¬ te, indem er ihnen die Zeichen angab, die Vorbo- then von dieser Zerstörung voraussagte, und ihnen anrieth, sich durch die Flucht zu retten, da er un¬ terdessen die verstockten Inden zur gerechten Strafe zu Tausenden umkommen ließ, mit eben so großer Liebe wird er noch jetzo sich seiner treuen Diener an¬ nehmen, und sie von dem Untergänge und von der Strafe, die den Gottlosen gehöret, bcfreyen. Alles dieses lernen wir, meine werthesten Chri¬ sten, aus der Weissagung Christi von der Zerstörung des Tempels und der ganze» Stadt Jerusalem. Da aber der Untergang dieser Stadt gleichsam ein Bild ist von dem Untergange der Welt, sa wollen wir auch die Antwort Christi über diese andere Begeben¬ heit, die noch schrecklicher ist, als die erste, in dein zwevten Theil betrachten. Zwepter — ( 64L ) — Z tveyter Theil. Ahristus verhielt sich bey der Antwort, die er fei¬ nen Jüngern in Betreff des Unterganges der Welt gab, eben so, wie er sich bey der Antwort über die Zerstörung Jerusalems verhalten hatte, er ließ ihnen nämlich ebenfalls in Betreff dieser, noch fürchterli¬ chem Begebenheit die Zeit, den Tag und die Stunde unbekannt, und sagte ihnen nur dieZeichen undVor- bothcn, welche das Ende der Welt nnd seine zwote Änkunft in dieselbe andeuten sollten vorher, dieVor- bothen-aber und dieZeichen, welche er seinen Jün¬ gern davon angab, kann man in Entferntere, und in Nähere einthcilm. Entferntere sind z. B. das vie¬ le falfcheMessiasse und Lügenpropheten aufstehen soll¬ ten, welche sich Anhänger machen, und viele verführen würden, obschon dieses, wie ich euch schongesagt habe, auch vor der Zerstörung der StadtJerusalems geschah, da sich viele damals für den Messias fälschlich auS- gaben, viele zu ihren Anhängern machten und zur Empörung gegen die rechtmäßige Oberherrschaft dcS Landes verführten, so legen doch die heiligen Väter SicseWorte auch von demEnde derWelt aus, und sagen, daß auch alsdann viele dergleichen falsche Propheten aufstehen werden, die sogar mit Beyhülfe deS Teu¬ fels , oder durch Blendwerke viele Scheinwunder thun, so, daß sie auch die Frommen und Auserwähl¬ ten würden verführen, wenn sie Gott nicht erleuch¬ tete , und durch seine Gnade besonders stärkere. Christus sagte dieses den Seinigen zuvor, damit alle diejenigen, welche diese betrübten Zeiten erleben werden, sich nicht von dergleichen Verführern hin- S s Z tergehen — ( 646 ) — iergehen lassen. Er sprach deßwegen: sehet, ich habe es euch vorhergesagt, um euch zu warnen, daß ihr euch nicht verführen lasset. Wenn sie zu euch sagen: sehet, hier ist Christus, oder dort, so glaubet es nicht. Lasset euch von dergleichen Jrrlehrern nicht hinterge¬ hen, und von der Wahrheit abwendig machen, ob¬ schon sie euch sehr verfolgen , und viele Trübsal und Angst werden ausstehen lassen. Zu diesen entfernteren Zeichen gehöret noch, daß die Welt mit noch vielen anderen Drangsalen wird heimgesuchet werden, als da sind blutige Kriege, Pest und ansteckende Krankheiten, Erdbeben, Hungers- noch und dergleichen. Dieses deutet Christus durch die Worte «n: nach der Angst dieser Tagen, nach der Trübsal derselben Tage, fahrt er fort, werden Zeichen am Himmel geschehen , welche die näheren Vorbothen des Weltendes seyn werden. Die Sonne wirb sich verfinstern, der Mond wird schwarz werden, und keinen Schein mehr von sich geben, die Sterne wer- denihre Laufbahn verlassen, und aus ihren Kreisen fal¬ len, und alle Kräften des Himmels, alle Himmels¬ körper werden bewegt und erschüttert werden. Alle Geschlechter der Menschen werden vor Furcht und Schrecken heulen und ganz vergehen, und das schreck¬ liche Ende der Welt wird alsdann erfolgen. Hernach wird des Menschen Sohn, Jesus Christus, das zwcy- temal in die Welt kommen, aber ganz anders, als er das erstemal in dieselbe kam. Denn bey seiner er¬ sten Ankunft, da er als ein unmündiges Kind im Stalle zu Bethlehem gebvhren wurde, erkannten ihn wenige, aber bey seiner zwoten Ankunft wird er von allen Menschen anerkannt werden. Alle Geschlechter auf — t 647 — anfErden werden den Sohn des Menschen mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen. Sein Zeichen, das heilige Kreuzzei- chen nämlich, wird am Himmel erscheine n, auf daß alle Menschen sehen mögen, daß er, Jesus von Na¬ zareth der Gekreuzigte ihr Richter seyn werde. Gleich einem Blitze, der in Osten aufgeht, und in eben dem Augenblicke in dem Abendlande gesehen wird, eben so geschwind und unverhoft wird die Ankunft des Menschen Sohns feyn. Er wird seine Engel mit Po¬ saunen senden, die mit starkem Schalle die Todtcn aus ihren Grabern rufen, und die Auserwahlten von den vier Winden, von den vier Weltgegenden, von einem Ende des Himmels bis zum andern versammelt werden. Alsdann werden alle Leiber aus ihren Gra¬ bern hervorgehen, sich mit ihren Seelen vereinigen, und alle Geschlechter der Menschen werden des Men¬ schen Sohn als ihren Richter, auf einer lichten Wol¬ ken sitzend mit vieler Kraft und Herrlichkeit ankom¬ men sehen. Von dem Feigenbäume lernet das Gleichniß, fahrt Christus in seiner Rede mit seinen Jüngern fort, wenn die Zweige dieses Baumes anfangen zu grünen, Knospen und-Blätter treibe», so ist es ein Zeichen, daß der Sommer herannahe. Eben also , wenn ihr die Zeichen, die ich euch gesagt habe, sehen werdet, so glaubet, daß das Ende der Welt herannahe. Wahrlich, ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dieses alles geschehen wird. Himmel und Erde werden vergehen , aber meine Worte wer¬ den nicht vergehen. — Ein feyerlicher Schwur, wo¬ durch Christus seinen Jüngern die Wahrheit seiner S s 4 Worte — ( 648 ) — Worte auf das stärkste bekräftigte, und wodurch wir versichert werden, daß seine Ankunft auf die von ihm beschriebene Weise gewiß geschehen werde. Gleichwie nämlich viele von den damaligen Juden die Zerstö¬ rung Jerusalems noch erlebten, und seine Weissagung davon genau erfüllet sahsk, so werde auch das ganze Menschengeschlecht nicht vergehen, bis alle diese Zei¬ chen und Vorbothen, die seine zwote Ankunft in die Welt als Richter ankünden, und das Ende der Welt begleiten sollten, ankommen würden. So gewiß nun seine Worte bey der Zerstöhruug Jerusalems wären genau erfüllet worden, eben so gewiß sollten wir glau¬ ben, werde alles bey dem Ende der Welt, was er von demselben in dem heutigen Evangelium gesagt habe, in Erfüllung gehen. Denn Himmel und Erde wären eher der Veränderung unterworfen, und könn¬ te» eher vergehen, als daß seine Worte nicht sollten erfüllet werden. N" utzanwendung. Das ist nun die eigentliche Prophezeyhung von dem Untergänge der Welt, und von der Ankunft des göttlichen Richters. Was gedenken wir dabey, meine lieben Christen? Unser. Erlöser sagte zwar seinen Jün¬ gern die Vorbothen dieser fürchterlichen Begebenheit vorher, die Zeit aber, den Tag und die Stunde ließ er ihnen verborgen. Hatte er dabey nicht die weise Absicht, nm uns Mensche» anzutreiben, daß wir uns allzeit zu seiner Ankunft bereit halten, und ein from¬ mes, tugendhaftes, sündenfreyes Leben führen möch¬ te», damit wir uns alsdann nichts zu fürchten hät¬ ten, wenn die Zeit dieser Trübsalen uns überfallen? Wollte er uns dieses nicht deutlich genug sagen, durch dre — < 649 ) — die darauf folgenden Worte: wachet also, weil ihr nicht wisset, zu welcher Stunde des Menschen Sohn kommen wird. Wollte er uns nicht das näm¬ liche sagen durch die seinen Jüngern gleich darauf er¬ zählte Parabel von den zehn Jungfrauen, die des Nachts auf den Bräutigam warteten, um ihm mit brennenden Lampen entgegen zu gehe», weil er näm¬ lich , nach der damaligen Sitte der Inden, zu Nachts unter Begleitung seiner Befrcundten seine Braut ab¬ holte, und diejenigen Jungfrauen, die ihm mit bren¬ nenden Lampen entgegen giengen, zumHochzeikmale einlud. Was wollte uns Christus durch dieses Gleich- niß anders lehren, als daß wir allezeit bereit und wachsam scyn möchten, daß wir jederzeit in unfern Lampen das Ocl der Tugenden und guten Werke tra¬ gen möchten, damit wenn er, der himmlische Bräu¬ tigam* unverhofft ankäme, er uns dennoch bereit fände. — Dazu ermahnte ebenfalls schon der heili¬ ge Johannes die Christen seiner Zeit, in seinem ersten Briefe 2tcn Kap. meine lieben Rinder, es ist die letzte Stunde, es ist die letzte Hälfte der Welt, die wir leben, die letzten Zeiten der Welt, dessen Unter¬ gang nähert fich uns immer mehr und mehr, haltet euch daher allezeit bereit, und lasset euch von dem Bösen nicht verführen. Bleibet in dem, was gut ist, damit wenn er erscheinen wird, wir ein Ver¬ trauen haben, und nicht von ihNt, bev seiner An¬ kunft, zu Schanden gemacht werden. — Liebste Brüder, rief der heilige Petrus in seinem aten Brie¬ fe Z. Kap. aus : liebste Brüder, weil der Tag de« Herrn kommen wird unverhofft, wie ein Dieb, «n welchem Tage die Himmel mit großem Rrache» S s L verge- — ( 6zo ) — vergehen, und die Elemente von der Kitze zer¬ schmelzen werden, die Erde aber, und was darin¬ nen ist, von dem Heuer wird ausgebrennet wer¬ den. Dieweil nun dieses alles zergehen wird, wir geziemet es euch nun im heiligen Wandel und in gottseligen Werken euch bereit zu halten? Indem ihr wartet und euch der Zukunft des Tages des Kerrn immer mehr nahet. Darum, Allerliebste, befleisset euch ernstlich, daß ihr von ihm unbe¬ fleckt und ohne Mangel im Hrieden gefunden wer¬ det, und haltet die Eangmuth unsirs Kerrn für eure Seligkeit, als wollte er sagen: ihr alle, die ihr auf die Ankunft des Herrn wartet, wandelt alle¬ zeit nüchtern, gerecht und gottselig in diesem Leben, saget ab den bösen Lüsten, und bleibet standhaft im Guten, auf daß der Richter, wenn er in seiner gro¬ ßen Herrlichkeit kommen wird, euch unschuldig fin¬ den möge. Beschluß. Wertheste Christen! Fasset nun zum Beschlüße noch einmal alles kurz zusammen, was ich bisher ge¬ sagt habe. Ihr habt gehöret, welche erschreckliche Dinge das heutige Evangelium in sich enthalte, wie fürchterlich fich Gott in seinen Gerichten zeige, die er über die Sünder, welche seinen Ermahnungen kein Gehör geben, seinen Warnungen nicht nachkommen, Und zur Besserung ihrer Gesinnungen und ihres Her¬ zens nicht schreiten wolle», ergehen laßt. Ihr habt gehöret, wie erschrecklich Gott die verstockte Stadt Jerusalem gestrafft, weil sie alle seine guten Ermah¬ nungen v I ) -»«-» uungen verachtete. Könnet ihr ihren Untergang ohire Zähren uni» ohne Wehmnkh eures Herzens denken? Sollte euch das große Unglück, welches diese laster¬ hafte Stadt getroffen, nicht stets vor Augen schwe¬ ben , und euch zur Warnung dienen, daß Gott zwar ein langmüthiger Gott fty, aber daß er auch ein ge¬ rechter Gott sey, der doch endlich strafe, und desto empfindlicher strafe, je länger man ihn verachtete? Die unglücklichen Juden, die hie und da unter uns ver¬ streuet leben, zeugen noch von der Strafe ihrer Ur¬ vater , sie zeugen noch von dem Untergange ihrer Stadt, und »Sn der gänzlichen Verscheuchung ihrer Nation aus dem gelobten Lande. O daß doch dieses schreckliche Bild einer so sehr gezüchtigten Stadt so tiefen Eindruck in eure Seelen machte, daß ihr euch in Zukunft mit aller Sorgfalt vor jedem Ungehorsam gegen Gott, vor jeder Vernachkäßigung seiner Gna¬ den, und vor jeder Uebertrettung seiner Gcb-thc hü¬ ten mochtet! — O daß aber auch dicProphezeyhung Christi von dem zukünftigen Ende derWelt, und von der darauf folgenden Ankunft des göttlichen Richters, euch christlich klüger machen möchte, auf daß ihr nach der Vorschrift des Apostels , diese vergängliche Welt nur so gebrauchtet, als gebrauchtet ihr sie nicht, auf daß ihr euer Herz nicht an die hinfällige» Güter dieser Erde heften, sondern auf eine bessere, glück¬ seligere, in ihren Gütern beständigere Welt richten möchtet. Der Gedanke, wir nähern uns mit jedem Jahre «inner mehr dem Ende der Welt, dieser Gk danke, wir kommen immer näher zu dem Untergän¬ ge dieser Erde, die wir bewohnen, jeder Schritt ist ein näherer Schritt zu unserem zukünftigen Gerichte, dieser — ( 6Z2 ) — dieser Gedanke beschäftige öfters eure Seele, meine lieben Christen, er mache euch wachsamer und eifri¬ ger für euer ewiges Glück, er starke euch im Guten, halte euch ab von allen Sünden und Lastern, und treibe euch zur Ausübung der guten Werke, die Gott in eurem Stande von euch fordern kann; er bringe die selige Wirkung in euch hervor, daß ihr je¬ derzeit untadelhaft und unsträflich vor eurem Gott wandelt, und auf jeden Augenblick euch bereit hal¬ tet, eurem ankommenden Richter mit Freuden ent¬ gegen zu gehen, damit er euch alsdann in Gnaden aufnehmen, und ein gnädiges Urtheil über euch spre- chen möge, welches ich euch allen, besonders bey dem Beschlüsse dieses Kirchenjahres, von Herzen wün¬ sche. Amen. Zweyte Predigt auf den nämlichen Sonntag , für jene, welche das Evangelium nach der neuern gemeinen Meynung lieber auf den Untergang des jüdischen Staates ganz auslegen wollen. Wenn ihr nun den Greuel der Verwüstung scheu werdet. March. 24. L. 15- Eingang. Gerichte Gottes find nicht nur für jene fürch¬ terlich und schrecklich, welche sie wirklich treffen, sondern auch für jene, welche derselben Beyspicle nur Lesen oder Horen. Sic treffen aber bald einzelne Per¬ sonen, — c 6AZ ) — sonen, die sich der Gottlosigkeit ergeben, wie dem Herodes nach der Erzählung der? heiligen Lukas in der Apostelgeschichte^,» sten K. geschah. Baid treffen sie ganze Dörfer und Städte, wie wir cin Bcpspiel an Sodom und Goinorha haben, bald ganze Län¬ der, wie wir unter vielen andern, an dem Lande der Anden ein so betrübtes Bepspiel haben, ja zu Zeiten kommen sie über die ganze Welt, wie zur Zeit der Sündfluth geschah, und bey dem letzten Weltgerichte noch geschehen wird. Es stehen ost ganze Königrei¬ che und Völker in dem Wahne, sic wären so gewal¬ tig, und hätten von innen und von aussen solche Ver¬ fassung gemacht, daß sie nicht überwältiget und aus- gcroltet werden könnten, wie Babel ehedem bcvm Jefaias 4/ten Kap. sprach : es werde unüberwind¬ lich seyn, und ewig herrschen. So dachten auch die Juden, ihr Staat werde ewig stehen, sie versprachen sich die herrlichsten Dinge auf dieser Welt von dem Messias, den sie noch erwarteten, sie hofften näm¬ lich, der Messias werde ihr Reich weit glänzender machen, als zu den Zeiten Davids und Salomons gewesen; er werde dasselbe so befestig.cn, daß nichts mehr im Stande seyn könnte, es im Geringsten zu erschüttern. Allein, gleichwie andere Länder wege» Sünden und Lastern durch Ueberschwemmungen, durch Pest, Hunger oder Kriege von Gott gestrafet und verwüstet wurden, so geschah es anch ihrem Staa¬ te, daß die Gerichte Gottes wegen dem angehäuften Sündenmaße über sie loobrachen; zwar nicht ganz unoermuthet, indem ihnen es Jesus so deutlich vor¬ hersagte, welche Weissagung er in dem heutigen Evan¬ gelium seinen Jünger» wirklich mit mehreren erkläre^ denn ( 6§4 ) denk in demselben spricht er nicht sowohl von dem allgemeinen Weltgerichte, meine werthesten Christen, als vielmehr von der Zerstörung der Stadt Jerusa¬ lems, wo er nnter gewissen , aus Propheten entlehn¬ ten Bildern,die göttlichen Strafgerichte, welche über die Juden und über ihr ganzes Land in kurzem erge¬ hen würden, vorhergesagt. Er kündigt darinn seine geistlichen und leiblichen Gerichte über das verstockte Judenvolk an.seine-geistlichen Gerichte zwaralsVer¬ blendung im Geiste, so, daß viele durch falsche Me» ßiasse und falsche Propheten verführet werden sollten, und seine leiblichen Gerichte, wie nämlich die Juden durch Schwcrdt, Hunger, Krieg und Verwüstung, bald heimgesuchet werden sollten. Er warnet zugleich seine Anhänger, daß sie auf die Vorbvthen dieser Ne¬ bel, die er ihnen zugleich anzeigte, Acht haben, nnd sich durch Gebcth, durch Wachsamkeit und durch die Flucht von dem bevorstehenden Untergänge retten sollten. Werthcste Christen! Lasset uns in gegenwärtiger Predigt erstens diese fürchterliche WeissagungJefu, sowohl aus dem heutige» Evangelium, als auch aus dem, was demselben unmittelbar beym Matthäus vorausgeht und nachsolget, vernehmen, zweitens aber lasset uns sehen, wie diese schreckliche Prophe- zeyhung unsers Erlösers pünktlich an dem jüdischen Volke eingetrvffen. Die Sache ist so beschaffe», daß sie die Aufmerksamkeit auch des Gedankenlosesten und unaufmerksamsten Menschen uothwcndig rege ma¬ chen muß. Ihr werdet dieselbe also recht aufmerksam vernehmen. Erster — ( Erster Theil. Aer Prophet Daniel mußte schon wahrend der baby¬ lonischen Gefangenschaft den Untergang Jerusalems seinen Glaubensgenossen, in einem fremden Lande ankündigen, und das Helle Auge unserS Erlösers sah -nicht nur den ganzen Greuel der Verwüstung des jü¬ dischen Staates in dem lebhaftesten Bilde vor sich, sondern er entdeckte auch denselben den Juden, und offenbarte die besonder« Umstande davon, seinen lie¬ ben Jüngern, warnete auch dieselben) gleich einem liebvollcn Vater, der seine Kinder v,or bevorstehenden Unglücken warnet. Dieses thäk er noch besonders kurz vor seinem Hingang zu seinem Leiden, dä er ihnen den Untergang jenes göttlichen Bethhauses vor- aussagte, welches die Juden zu einer Mördergrube gemacht hatten, auch ihneu zugleich die Zeichen an¬ gab , die jenen trübseligen Zeiten, welche über Je¬ rusalem und das ganze jüdische Land einbrechcn soll¬ ten, vorausgeheu würden. Die Absichten, die er dabcy hatte, als er dieses seinen Freunden offenbar¬ te, mögen vcrmuthlich folgende gewesen seyn. Er¬ stens ists bekannt, daß seine Jünger von dem Reiche des Messias noch sehr schiefe Begriffe hatten , welche darinn bestunden, daß er als der Messias die hryd- nischeu Römer, welche die Oberherrschaft über das jüdische Land hatte», vertreiben, den Tempel präch¬ tiger machen, das jüdische Reich regieren, und so befestigen, und so glänzend machen würde, als noch nie gewesen. Sie priesen ihm dcßwcgen die Herrlich¬ keit des Tempels, und wünschten sich Glück zu dieser Zierde ihres Vaterlandes. Da sie aus dem Prophe¬ ten — ( 6L6 — ken HaggaiLken Kap. wußten, daß die Herrlichkeit deszwcpten Tempels größer sepn würde, als jene des ersten, so glaubten sie, sie würden Thcil daran neh¬ men, und versprachen sich also goldne Zeiten. Chri¬ stus suchte deswegen ihnen den Jrrthum zu beneh¬ men, und diese eitle, obgleich süsse Träume zu zer¬ nichten. Er stellte ihnen in dieser Absicht das Bild der zukünftigen traurigen Schicksale des jüdischen Lan¬ des recht lebhaft vor Augen. Seine zwote Absicht war, nicht seine Anhänger zu schrecken, sondern sie vielmehr aufzurichten, ihren Glauben zu starken, nud sie väterlich zu warnen , wie sie sich in diesen betrüb¬ ten Zeiten um nicht in dieselben mit verwickelt zu werden, verhalten sollten, denn hätte ers ihnen nicht vorhergesagt, so hätten sie bepm Eintritte dieser müh¬ seligen Zeiten gar leicht auf den Gedanken kommen können, er fey entweder der wahre Messias nicht, oder Gott schütze seine Kirche auf Erden nicht, oder eS sey vergeblich, auch für den Frommen, in diesen Unfällen Golt anzurufcn, u. d. er ermahnte sic deß- wegen zur Beständigkeit im Glauben an ihm, sie sollten, wenn auch Jemand an diesen Zeiten falsche Hoffnungen ausstreuele, sich nicht von ihm verführen lassen. Er versicherte sie, die Kirche Gottes würde sich in Mitte dicfer Unfälle erhalten, ja noch weit mehr auS- gebrcitet werden. Er ließ es auch in keinem Stücke an Vorschriften fehlen, nach welchen sie sich in solchen betrübten Zeiten halten sollten. Er machte es mit den Seinigen, wie cS die Engel mitLoth und seiner unschuldigen Familie machten, die aus Sodom flie¬ hen mußte, wenn sie nicht mit verderben und zu Grun¬ de gehen wollte. Er befahl ihnen nämlich, daß sie nicht — ( 6§7. ) -°- nicht nut ihr Leben mit -er Flucht retten möchten, sondern daß sie auch Gott inständig bitten sollten, er wolle ihre Flucht zu keiner unbequeme»Zeit geschehen lassen. Lasset uns, meine werthesten Christen, seine ei¬ genen Worte selbst hierüber hören, so wie sie uns Mat¬ thaus in seinem -4tenKap. ausgezeichnet hat. Ihr wisset schon die Zeit und Gelegenheit, wann sich die¬ se wichtige Unterredung Jesü mit seinen Jüngern zn- getragen hat. Am Mitwoche, nämlichin seiner Lei- -enswochc, nachdem er den Pharisäern die letzte Straf¬ predigt über ihre Verstockung im Tempel gehalten hat¬ te, so gieng er aus demselben hinaus, um^ sich nach Bethanien zu begeben, wo er die letzten Tage vor seinem heiligsten Leiden in dem Hause des Lazarus , den er von dem Tode erwecket hakte, übernachtete. Beym Hersusgehen aus dem Tempel zeigten ihm sei¬ ne Jünger. die ihn nach Bethanien begleitete», die prächtige Bauart des Tempels, vielleicht, weil sie sich seiner Worte erinnerten, die er im Tempel gesagt hatte, sehet , euerAaus wird wüste gelassen wer¬ den. Sie glaubten, er werde sich vielleicht bep die¬ ser Gelegenheit etwas umständlicher erklären, allein er erklärte sich hier nicht weiters, als daß er sie ver¬ sicherte, von diesem prächtigen Gebäude werde kein Stein über dem andern bleiben. Er ließ also seine Jünger mit diesem traurigen Gedanke» sich noch län¬ ger beschäftigen, und gieng mit ihnen die Stadt hin¬ aus, bestieg deu Oelberg, auf welchem Bethanien lag, und dort oben auf der Anhöhe dieses Berges, wo man Jerusalem ganz übersehen konnte, setzte er sich nieder, nm durch seine, den ganze» Tag hindurch Erklür.d.rvaug.II.LH. T t gehal- — ( 6z8 ) — gehaltenen Predigten ermüdet, etwas auszuruheu. Da glaubte» nun seine Jünger die beßte Gelegenheit zu haben, ihren beklemmten Herzen Luft zu machen, und ihn zn befragen, wann denn dieses große Un¬ glück, von welchem er zuvor gesprochen, überden Tempel kommen sollte. Sage Uns, balhen sie ihn, wann wird dieses alles geschehen ? Da antwortete ihnen Jesus, und sagte ihnen zwar die Zeit nicht be¬ stimmt, aber doch, daß sie nicht ferne mehr scy, weil dieses gegenwärtige Menschengeschlecht sie noch erle¬ ben werde. Sehet zu, ermahnte er sie, daß euch nie¬ mand verführe, denn es werden viele in meinem Namen kommen, und viele verführen, da sie sagen werden, sie wären Christus. Ihr werdet vieles von Rriege und Schlachten Horen, erschre¬ cket aber nicht, denn dieses alles muß geschehen, bevor das Ende von Jerusalem herankömmt, denn diesem müssen traurige Borbothen vorausgchen, ein Volk wird wider das andere aufstehen, ein Keich gegen das andere, das jüdische Volk wird sich gegen die Römer, ihren Oberherren empören, Pest, Hun¬ ger, Krieg und Erdbeben werden viele Oerter in diesem Lande verwüsten, dieses ist aber noch nicht alles, sondern nur der Anfang der großen Ne¬ bel, welche über diese Gegend kommen werden. Zu diesem traurigen Vorbolhen gehöret auch, daß sie euch verfolgen , und auf die grausamste lVeise hi,«richten werden. Ihr werdet wegei« meinem Namen, weil ihr meine Jünger seyd, von ihnen aufs äusserste gehastet werden; auch manche meiner Anhänger werden in dieser harten Verfolgung abfal- len, und werden Andere ihnen ausliefern, den»« weil — ( «59 ) — weil die Bosheit überhanönimmt, wird die Lie¬ de erkalten, wer aber von euch verharren wird bis ans» Ende, der wird selig werden. Seyd nicht besorget wegen meiner Kirche, ich werde sie in Mitte dieser trübseligen Zeiten allzeit aufrecht erhalten. Denn noch ehe der Tempel wird zerstöret werden, soll mein Evangelium in dev ganzen Welt zum Zeugniß aller Völkerschaften verkündet werden , und alsdann wird das Ende von Jerusalem und dem ganzen jüdischen Staate herannahen. Wenn ihr nun sehet den Grmel der Verwü¬ stung, von welchem Daniel schon vorhergesaget hat, wenn ihr nun sehet das fürchterliche Kriegs¬ herr der Feinde, das überalVerwüstung um sich her verbreitet, gen Jerusalem herannahcn, so suchet euch, wenn ihr noch nicht entflohen, mit schleuniger Hülfe mit schleuniger Flucht zu retten. Diejenigen von euch, die sich zu dieser Zeit im Iudenlande befin¬ den, die fliehen lauf die Berge, wovon das Land voll ist, und suchen allda in den Höhlen sich einr si¬ chere Zufluchtsstätte. Der aufdem Dache sich be¬ findet, der steige nicht in daSKauö, um sich et¬ was daraus zu holen, sondern steige eilends her¬ ab. Eben so derjenige, der sich auf dem Felde befindet, kehre nicht zurücke in die Stadt, um seine Lleidcr daraus zu holen, sondern begebe sich eilends auf die Flucht. Wehe den Schwän¬ gern und Säugenden in dieser betrübten Zeit, die entweder vor Furcht niederkvmmen, oder wegen ih¬ ren Säuglinge» sich nicht so geschwind, wie andere Leute, davon machen können. Bittet nur inständigst euren himmlischen Vater, daß diese eure Flucht T t s nicht — ( 66s ) — nicht zur unbequemen Zeit, weder im Wintrrnoch am Sabbath geschehe. Nicht im Winter, wo es wegen schlimmer Witterung nicht so leicht forkzuksm- mcn ist, auch nicht am Sabbath, wo cs nach jüdi¬ scher Sitte weite Reisen zu machen nicht erlaubt ist. Denn es wird alsdann ein solches Elend seyn desgleichen vom Anfänge der Welt dis jetzt nicht gewesen, und nicht feyn wird bis an das Ende der Welt. Und wenn die Tage nicht abgekürzet würden, so käme von den Belagerten kein Mensch mit dem Leben davon, aber der Auserwählten willen, wegen meinen Anhängern, sollen diese Tage des Elendes abgekürzet werden. Sepd als¬ dann auf eurer Hut, und lasset euch nicht verfüh¬ ren , wenn sie zu euch sagen, sehet, hier ist Thristus, oder dort ist er, so glaubet es nicht. Denn es werden viele falsche Propheten und fal¬ sche Meßiasse aufstehen, und werden Zeichen und Scheinwunder thnn, fo, daß sie euch, wenn es möglich wäre, und Gott euch nicht durch seine besondere Gnade nicht erhielte, in Irrthum führ¬ ten. Ich habe euch dieses in dieser Absicht vor¬ ausgesagt, auf daß, wenn sie zu euch sagen, se¬ het, draussen in der Wüste ist Lhristus, oder dort im Verborgenen hält er sich auf, ihr es nicht glaubet.— So geschwind und unverhoft sich ei» Blih am Firmamente sehen läßt, der im Mor¬ gen aufgeht, und in demselben Augenblicke bis in den Abend leuchtet, so geschwind und unverhofft wird meine Ankunft über dieses verstockte Volk seyn, und so unverhofft wird meine Rache über dasselbe ausbre¬ chen. — Ich weiß mich, um euch das zukünftige große Elend — ( 66i ) — Elend dieses Volkes genugsam zu beschreiben, keines schicklicher» Gleichnisses zu bedienen, als desjenigen, das schon bey dem Hiob und dem Propheten Haba¬ kuk gefunden wird: wo das Aas ist! da versam¬ meln sich die Adler. Gleichwie nämlich die Adler als fieischfressendeVögcldas Aas begierig aufsuchen und verschlingen, also werden die z»m Zorne gereihte» Oberherren des Landes, die Römer, deren Legionen ein goldener Adler auf Stange» als daS Kriegszei¬ chen vorgetragen wird. die Inden allenthalben zu Grunde zu richten, und zu lobte» aufsuchen. Wertheste Christen! bis hieher sprach Jesus mit seinen Jüngern in unserm gewöhnlichen verständlichen Volkstone, nun aber bediente er sich etlicher ver¬ blümter Ausdrücke, welche allein bep den morgen- ländischen Völkern im Brauche waren, als da sind, es werde nach der Trangsal dieser Tagen die Sonne sich verfinstern, der Mond wird keinen Schein mehr von sich geben, die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Vesten des Himmels wer¬ den erschüttert werden. Durch welche Bilder, die bey den biblischen und andern Schriftstellern gewöhn¬ lich sind, er seinen Jüngern die fürchterliche Staats- veränderung, die gänzliche Verwüstung deS jüdischen Staates, den Untergang der vornehmste» Städte, und den Sturz der mächtigsten Personen, welche mit Sonne, Mond und Sternen verglichen werden, au- zeigen wollte, wie man diese Bilder bey den Pro¬ pheten Jesaias, Hesekiel, Micha und andern mehr sehen kann. Dadurch wollte er nämlich soviel sagen, daß bald nach dem Ende jener Tage, der Belagerung Jerusalems nämlich, die ganzejüdische Nation furch. Tt Z ttr- — ( 662 ) — terliche Veränderungen leiden würde, daß die mäch¬ tigsten Personen derselben von ihrer Höhe herabge- stürzet, die vornehmsten Städte verwüstet, und ihr Staat vom Grunde ans würde erschüttert und zer¬ störet werden, und alsdann würden die Juden, wie¬ wohl ganz anders, als sie Hoffeten, die majestäti¬ sche Ankunft des Meßias sehen. Da sie gehoffet hat¬ ten, der Meßias werde mit Pracht und Majestät von dem Himmel herabfahren, sich an die Spitze ihrer Nation stellen, sie von der Herrschaft der Römer befreyen, und zu Gebiethern der Welt machen. da sie diesen prächtigen Aufzug vou ihm in seinem Leben öfters zum Beweise seiner meßianischen Würde ver¬ langt hätten, so würden sie alsdann Wunderzeichen vom Himmel erblicken, aber ganz andere, als sie er¬ warteten, fürchterliche und schreckbare nämlich, die auf de» ganzen Verfall ihres Staates hindeuten soll¬ ten. Alle Stamme der unglücklichen Nation wür¬ den in Wehklagen ausbrechen, wenn sie den Men¬ schen Sohn, den sie so grausam verfolget, mit so großer Pracht und Majestät über sie ankommen sehen werden. Auch werde alsdann des Menschen Sohn seine Bofhen küssenden, welche mit mäch¬ tiger Stimme seine heilige 4ehre predige», und ihm aus allen vier lVeltgegende», von de« äußer¬ sten Enden der Well Anhänger sammel» werden. Nehmet von dem Feigenbäume eine Gleich? niß, beschließt endlich Christus seine Unterredung mit seinen Jüngern über diesen Gegenstand: wenn seine Zweige geschmeidig werde», und seine Rlättey hcrvorgrünen, dann wisset ihr, daß der Gom¬ mer nahe ist; eben also, wenn alle jene Begeben¬ heiten — ( 66z ) — Heiken sich ereignen, so seyd versichert, -aß mm-er ganze Untergang Jerusalems unausbleiblich, und ohne Verzug erfolgen werde. Ich betheure es euch. Las jetzt lebende Menschengeschlecht wird nicht absterben,, bis alles dieß geschehen ist. Ehe köm nen Aiminel und Erde zerfalle», als meine Re¬ den durch den Erfolg widerleget werden. Die An¬ kunft meiner strafenden Gerechtigkeit wird die Juden eben so treffen, als die Sündfluth die Menschen zu den Zeiten des Noah getroffen hat. Gleichwie die Menschen damals vor der Sündfluth, bis an den Lag, als Noah ins Schiff gieng, schwelgten, soffen, heurathete» und ausstatteten, und es nicht beobachteten, bis die Ueberschwemmung wirklich her¬ rinbrach, und sie dahinriß, so wird es auch bey mei¬ ner Ankunft seyn. Zween werden alsdann auf dem Acker sich befinden, der Eine wird gefangen ge- führet werden, und der Andere entfliehen. Zwo , werden in der Mühle seyn, die Eine werden die Feinde ergreifen, die Andere wird sich mit der Flucht retten. Seyd also wachsam, weil ihr die Zeit nicht wisset, wann diese grossen Trübsalen her- einbrechen werden, und euch die Stunde unbekannt ist, wann des Menschen Sohn kommen wird. Meine werthcsten Christen! dieses ist nun die Weissagung Jesu unsers Erlösers von dem Unter¬ gänge Jerusalems, und von der Zerstörung des jü¬ dischen Staates. Lasset uns jetzt hören, wie pünkt¬ lich dieselbe in Erfüllung gegangen, und dieses in dem r r 4 Zwey- 1 664 ) Zweyterr Lheike. Die Hauptumstande dieser Weissagung Jesu lassen sch in folgende Punkte cintheilen: erstens würden seine Anhänger von den Juden grausam verfolget wer¬ den , aber dennoch sollte die christliche Religion, noch Bor dem Ende des jüdischen Reiches, schon in allen bekannten Welktheilen den Heyden geprediget wer¬ den. Zweitens sollte kurz vorher die Zeit anfangen, wo viele falsche Propheten sich fälschlich für denMc- ßias angeben von einer großen Anzahl der Juden dafür anerkannt, und durch dieselben in das größte Elend verführet würden. Drittens sollten die Juden in einen blutigen Krieg verwickelt werden, in wel¬ chem die Stadt Jerusalem eine erschreckliche Belage¬ rung auszustchen habe, bey welcher Belagerung die darin« sich befindende Juden aufs fürchterlichste ge- ängstiget, die Stadt aber selbst vom feindlichen Hee¬ re verwüstet, und der Tempel ganz zerstöret werden würde, so, daß kein Stein über den andern bleibe» sollte. Viertens sollte dieses alles noch bep Lebzeiten des damaligen Menschengeschlechtes geschehen. Alles dieses, sagte Christus zuvor, sey untrüglich bevor, stehend, und seine Worte könnten hierinndurch nichts an der Erfüllung gehindert werden. Daß aber auch alles dieses pünktlich erfüllet wer» den, wissen wir theils aus der Apostelgeschichte und aus den Briefen der Bvthen Jesu, theils, und Haupt- sächlich, aus dem jüdische» Geschichtschreiber Jose- phus, der die Veranlassung und den Ausbruch des jüdische» Krieges bis zu seinem traurigen Ende und dem Untergange Jerusalems beschrieben hat, in wel¬ cher — s 6ÜL ) —. Her Beschreibung die Erfüllung dreser Prophezeiung so einleuchtend ist, daß, wenn der Verfasser ei» Christ gewesen wäre, man glauben sollte, es wäre eine bloße Auslegung von der Rede Christi. Jose- phus, der selbst ein Jude war, konnte alles dieses genau beschreiben, weil er beym Ausbruche des Krie¬ ges in Galiläa selbst vielen Begebenheiten verstund, und der Belagerung Jerusalems mit Augen zusah, in¬ dem er als ein Gefangener den römischen Feldherrn Titus begleitete. Es schien zwar eine Zeitlang, als ob die Juden in ihrer Bosheit triumphirten, sie wurden stolz, froh, sicher und wollüstig, sie hakten Christum gctöd- tet, da meynten sie nun, sie hatten gewonnen Spiel, sie hatten die Apostel, die Zeugen der Wahrheit, von sich geschoben, sie dachte« nun, die Weissagung Christi werde ganz zu Schanden werden. Gott gab ihnen nach der Kreutzigung seines Sohnes fast noch vierzig Jahre zur Buße, also fast eben so viele Jah¬ re, als erden Rinivitern Tage gegeben hatte. Die Riniviter bekehrten sich aber in diesen vierzig Tagen, die Juden aber bekehrten sich nicht in der langen Zeü von fast vierzig Jahren; deswegen sagte Christus schon beym Matthäi 12. Kap., die Einwohner von Ninive würden vor dem Gerichte mit diesem Ge¬ schlechte anfstehcn, und dasselbe verdammen, weil sie auf die Predigten des JvnaS Buße gethan hak¬ ten, die Juden hingegen die Bothen Gottes auf das grausamste verfolgten. — Welche harte Verfolgung wir aus der Apostelgeschichte, zum innigsten Abscheu gegen diese Verstockten, lesen können. Weßwegen sich die göttlichen Bothen in andere Länder begaben, und T 1 Z Vie —- s 666 ) « die Heyden zu Tausenden Christo gewannen, so, daß noch vor der Zerstörung Jerusalems, in den drepen Haupttheile» des damals bekannten Erdbodens, große Christengemeinden gestiftet wurde», es wurde also das erste Stück von der Weissagung Christi ge¬ nau erfüllet. Auch das zweite, von den falschen Propheten, gierig genau in Erfüllung, denn der jüdische Geschicht¬ schreiber Josephus sagt ausdrücklich, daß viele Be¬ trüger und Lügenpropheten, welche sich für göttliche Gesandte ausaaben, das unglückliche Volk verblen¬ deten, daß str nicht auf jene Zeichen, die Gott am Firmamente habe erscheinen lassen, merkten, son¬ dern ste vielmehr gleich Unsinnigen verachteten, sie suchten das Volk zur Empörung gegen die Oberhcr» ren des Landes zu reihen, etliche von ihnen führten das Volk hinaus in die Wüste, predigten draussen ihre falsche Lehre, andere suchten sich in den Städte» Anhänger zu machen. Aeusserst traurig, und, wie es eben dieser Josephus beschreibt, über alle Vor¬ stellung entschlich war das Betragen der sogenannten Zeloten, oder Rcligionsvertheidiger unter den da¬ maligen Inden, welche ein Haufe Schwärmer und abergläubischer Betrüger waren, und als die Haupt¬ ursache des Unterganges des Volkes angesehen wer¬ den können, denn diese waren die Anstifter des Kriegs mit den Römern sowohl, als auch die Ursache der innerlichen Kriege unter den Juden selbst, die ganze Menschheit bebt in sich zurücke, wenn man die ent¬ setzliche Grausamkeit ließt, welche sie in dem bela¬ gerten Jerusalem verübten, wo sie nicht nur die ge¬ meinen Jude»-en Tausenden nach ermordeten, son¬ der» — s 667 ) — dern auch die Häupter derselben aus dem Wege räum« teu, Hohepriester absetzten, und Leute, die ganz ungelehrt und keine Priester waren- dazu machten, auch den Tempel zu ihrem Waffenplatz entheiligten, und mit vom Blute rauchenden Händen in das Hei- ligthum ciugiengcn. Josephus sagt, alle menschlichen Rechte zertraten sie, auch alles Göttliche ward von ihnen verlacht, und alle Orackel der Propheten ver¬ spotteten sie, wie Lügen-, die heiligen Geschirre schmelzte» sie ein, den Opferwein und dasOel Heil¬ ten sie aus, ihre Landsleute ermordeten sie schaaren- wcis, ftlbst gegenTodte wütheten sie, und niemand durfte sie begraben, deßwegen lagen alle Strassen der Stadt und alle Hauser voll faulenden Leichnamen der Ermordeten, sie prybirten ihre Schwerter an den Todten noch, und durchstachen sie zurLust, sierissenden vor Hunger sterbenden Greisen und Kindern den letzten Bissen aus dem Munde. Ihre Bosheit war so groß, drücket sich Josephus aus, daß, wenn die Römer verzögert hätten, diese Bösewichte zu stra fen, die Stadt entweder von der Erde würde ver¬ schlungen, oder überschwemmet, oder durch Blitze, wie Sodom zerstöret worden seyn. Solchen entsetzli¬ chen Schaden thaken die falschen Propheten, ja, als der Tempel schon brannte, folgten noch sechs tau¬ send Menschen, Manner, Weiber und Kinder, ei nem falschen Propheten, und bestiegen mit ihm eine» Gang bcym Tempel, allwo ihnen, dem Versprechen des Betrügers zu Folge, Errettung von Gott wi¬ derfahren sollte, die Römer aber setzten diesen Gang in Feuer, und es kam kein einziger der Betrogenen mit dem Leben davon. Laich -s?» ( 66Z ) —— Auch die Worte Christi, wahrlich ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dieses alles geschehen wird, wurden erfüllet, denn es waren noch keine vierzig Jahre verstosse» , eigent¬ lich sieben und dreyßig Jahre nach dem Tode Jesu , so stund Jerusalem und der Tempel nicht mehr. Auch jene Worte gierigen genau in die Erfül¬ lung , das Elend werde so groß se?n, als es nie gewesen voür Anfang der U)elt, bis hieher, es werde auch nie also seyn, und wann die Tage nicht würden verkürzet werden, so würde kein Mensch gerettet, aber seiner Anhänger willen, werden die Tage verkürzet, denn äusserst mitlew dcns und bejammernswürdig war der Zustand des damaligen jüdischen Volks, seine Trübsal hatte irr der ganzen Geschichte nicht ihres Gleichen, nnd wäre die Belagerung Jerusalems nicht bald geendiget wor- den, so würde kein einziger der Belagerten am Leben geblieben seyn, eine ungeheure Menge Juden wurden hin und wieder bey den Belagerungen kleiner Städte getödtet, sie wurden zu Tausenden ermordet, stürzten sich zu Tausenden von den Felsen herab. Zu Jerusa¬ lem ermordeten die Zeloten in einer Nacht über acht lausend, die drey Partheyen in dieser Stadt, die ein¬ ander bekriegten, und einander spinnefeind waren, suchten sich darin» sclbst zu Grund zu richten, in dieser Belagerung büsseten eilfmal hundert tausend durch Schmcrdt und Hunger das Leben ein. In allem rieb der Krieg eine Million drepmal hundert und siebe» und dreyßig tausend Juden auf, während der Bela¬ gerung war die Hungersnoth so groß , daß Elter» und Kinder sich einander die Nahrungsmittel mit Ge¬ walt svait entrissen, viele sich mit Leder, Heu, ja mit Koch den Mage» füllten, und die Strassen voll Leiche mame waren, die vor Hunger stürben. Josephus er¬ zählet einBeyspiel dieser Noch, welches auch die ärg¬ sten Feinde der Juden zum Mitleid«, bewegte, und die Wahrheit des Ausrufes Jesu von den Schwän¬ gern und Säugenden auf eine schreckliche Art bestä¬ tigte. Maria eine vornehme und reiche Fra» tödtete vor Hunger und Wuth ihr eigenes säugendes Kind, nm sich mit seinem Fleische einige Tage zu nähren. TitnS der römische Feldherr ward dadurch so gerührt, daß er Gott zum Zeugen seiner Unschuld an diesen. Elende anrief, und zugleich bethcuerte, er wolle das Andenken dieser entsetzlichen Thal, und der hart¬ näckigen Bosheit der Belagerten, welche dieselben verursachte, unter der Schutt der Stadt begraben. Eben diese Hartnäckigkeit der eingeschlosseneu Juden, welche sich auf alle noch so gütigen Fric densvorschläge des Titus nicht ergeben wollten, nö thigte diesen sonst menschenfreundlichen Prinzen, ihre Bosheit durch härtere Strafen zu bkecheN. Er ließ daher eine große Menge von denen, welche sich zur Stadt hinausgeschlichen hatten, um etwas zu ihrer Nahrung zu suchen, im Angesichte der Belagerten kreutzigen, und andere schickte er, nachdem er ihnen die Hände hatte abhauen lassen, wiederum zurucke, um durch diesen Anblick ihren Mitbrüderr, Schrecken einzujagcn. — Zu diesen Unglücksfällen gesellten sich noch verschiedene andere Qualen, welche die erbitter¬ ten Feinde den Inden zufügten, die römischen Sol daten schnitten in einer Nacht zwey tausend dieser Unglückseligen die Bäuche auf, durchwühlten ibre Einge^ —— s 6"ü j Eingeweide , in welchen sie das verschluckte Gold zu finden Hoffeten, und nach der Einnähme der Stadt wurden die gefangenen Juden zu Hunderten bey den öffentlichen Schauspielen zu Rom den wilden Thiereu vorgeworfen. Josephus sagt- es habe keine Stadt vom Anbeginne der Welt ein so großes Unglück, als wir Jerusalem getroffen, es sei) aber auch von jeher kein Menschenalter so fruchtbar an Bosheit ge¬ wesen , als wie die Einwohner desselben. Diese schreckliche Belagerung dauerte bey fünf Monache, und endigte sich mit gänzlicher Zerstörung der Stadt und des Tempels. Titus wollte zwar den TeMpel gerne schonen, aber wider seinen Willen wurde er von den Soldaten angezüudet, der Feld¬ herr eilte herbey, den Brand zu löschen, aber alles umsonst, es war keine Rettung mehr möglich, alle Reichthümer desselben, die der Flamme noch entgienr gen, wurden geplündert, dieser heilige Ork wurde mit dem Blute der Juden gefärbet, und das ganze Gebäude in die Asche gelegt- die Römer steckten nun ihre Fahnen an dem Platz des Tempels auf- und opferten daselbst ihren Göttern, die Stadt aber ward nach Titi Befehl bis auf den Grund verwüstet, und da wurde erfüllet, daß alles dem Erdboden gleich gemacht, und weder von der Stadt, noch von dem Tempel ein Stein anf dem andern bleiben sollte, die Christen aber flohen bey der Annäherung des römi¬ sche» Kriegsheerö, der Warnung Jesu z» Folge, nach Pella, eine Stadt jenseits des Jordans, und so geschah es , daß keiner von seinen Anhängern das Leben hiebcy verlohr. — Die Juden genießen zwar anjetzo, so wie alle übrigen Sekten, unter den Tür¬ ken —s 671 ) o»»» keu alle Religionsfreyheit, allein, die Erlaubniß, ihren Tempel zu Jerusalem wiederum aufzubauen, Minen sie nicht erhalten. Nutzanwendung. Wertheste Christen, lasset nnS hier die gerechten Gerichte Gottes erkennen, und i« tiefster Demuth anbethen, lasset uns hier mit Jesu eine Thräne des Mitleids über die unglückliche Stadt Jerusalem wei¬ nen, aber mehr über ihre Verstockung und Wider¬ spenstigkeit gegen Gottes Erbarmung, als über ihre Bestrafung. - Lasset uns aber auch hier ein war¬ nendes Bcyspiel nehmen, und einfehen, wie em¬ pfindlich Gott diejenigen züchtige, welche sich seiner Gnade widersetzen, da es noch jetzo in der Welk au Sündern nicht fehlet, so fehlet es auch an scharfen Gerichten Gottes nicht, denn Gott bleibt immer der alte gerechte Gott, seine Gerichte kommen noch jetzt bald über einzelne Personen, und werden manchmal so offenbar, daß man sie, so zu sagen, mit Handelt greifen kann. Bald zeige» sie sich durch allgemeine Plagen über ganze Länder, wegen den darinn über- handnehnrenden Sünden und Lastern. — Diese Ge¬ richte sind aber allezeit heilig und gerecht, so schreck¬ lich und so unbegreiflich sie uns immer vorkommen mögen. Gott beweiset dabep nicht sowohl seine Ge¬ rechtigkeit, als auch seine Liebe, seine Gerechtigkeit zwar, denn diese fordert Genugthuung und Strafe von den Uebelthatern, seine Güte sieht hingegen auf Besserung der Bösen, und aufReltung der Fromme». Er läßt deßwegen seine Gerichte öfters voraus ver¬ kündigen, und die Menschen vor denselben warnen, fein l Ü72 ) slin göttlicher Sohn selbst sagte ddr verstockten Stadt Jerusalem den Untergang lange Zeit deutlich vorher', dem Noah befahl er, die bevorstehende Strafe der verdorbenen Welt mehr, als hundert Jahre vorher , zu verkünden, dem Loth ließ er durch Engel sein Vor¬ haben wissen, die Städte Sodom «nd Gomorrha zu vertilgen, rind Loth zeigte diese Gerichte den Laster¬ haften Einwohnern an. Eben so verkündigten die Propheten den Stämmen Juda und Israel ihre Ge¬ fangenschaft zu Ninive und Babel lange voraus, und so sind diePredigten treuer Diener Gottes noch jetzo solche Verkündigungen. Die licbvolle Absicht Gottes hiebey ist, die Menschen vor dem bevorstehenden Unglücke zu warnen. Jerusalem stünde noch, wen» es seinen Messias Und die angebothene Gnade Got¬ tes nicht verworfen hätte, eben wie Ninive stehen -lieb, weil es ans die Predigten des Ionas Buße thak. Gott verfährt also nicht allein mit der größten Billigkeit, sondern auch mit der größten Liebe, wenn er feine Gerichte nicht eher ansbrechen läßt, als bis er, so zü sagen, von den Gottlosen gezwungen und zur Rache anfgefsrdert wird, er handelt also desto ge¬ rechter, wenn er den Sündern, die er lange zuvor warnen laßt, endlich ihren verdiente» Lohn gibt, den Greuel ihrer Sünden und Laster desto empfindli¬ cher ahndet, Und die Verächter seines Wortes und seiner Gnaden desto scharfer züchtigett Wenn aber Gott die Sünder strafet, so sorget er doch dabey ganz väterlich für seine frommen Die¬ ner, denn diese erleuchtet er, daß sie, wenn sich ein Land wider Gott versündiget, und vom Tage zu Ta¬ ue an Bosheit junimmt, auf die Landplagen mer¬ ken, ( 6/Z ) — ken, welche bald hier, bald dort sich zeigen, und daß sie daraus abnehmcn, die Gerichte Gottes seyen nun vor der Thüre, und wenn auch die Frommen bisweilen in die Gerichte Gottes mitgezogen werden, so geschieht cs in dieser Absicht, um sie in der Gott¬ ergebenheit und in der Geduld zu prüfen, damit sie in dem andern Leben desto reichlicher dafür belohnet werde» möchten, er wendet aber dabey niemals seine Gnade ganz von ihnen ab, sein Auge wachet dabey über sie sorgfältig, er ist und bleibt ihre Zuflucht, er führet sie bey der Hand und aus dem Verderben, er erhöret ihr Gebeth, und verkürzet wegen ihnen die Lage des Elendes. So machte esJefns bey dem Untergange Jerusalems mit seinen treuen Dienern , er kündigte ihnen das grosse Unglück, welches über die Juden verhänget war, lange vorher an, er warn¬ te sic, ermahnte sie, aüf die Berge zu fliehen, und zu bitten, daß ihre Flucht nicht gehindert werde, und rettete sie alle in der Stadt Pella, ferne yo» die¬ sem Greuel der Verwüstung. Werthcste Christen, wenn wir nun scheu, daß die Sünder noch jetzt Gott zum Zorn reitzen, und , so zu sage», nichts thun, als daß sie zu dem Rich¬ ter um Rache schreycn, o so lasset uns zu unserem gütigen Gott nns wenden, lasset uns seine Barm¬ herzigkeit anflchen, und mit dem Psalmiste» zu ihm bethen: Herr, geh nicht mit nns Sündern ins Gericht, denn vor dir ist kein lebendiger gerecht, wolltest du strafen nach unfern Sünden, und vergelten nach unfern Miffethaten, ach, fo wür¬ den wir vergehen. Darin» wenden wir unS zu dem Throne deiner Gnade und Barmherzigkeit, und fle- Erklär, b. Evanz.lt. Th. Uu he», — s 674 ) — Herr: ach! schone, schone, sttrafe uns nicht nach unsern Sünden, sondern habe Geduld mit uns nach deiner Barmherzigkeit, nach welcher du nicht willst den Tod des Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe. Ist cs aber bcy deiner Gerechtigkeit beschlos¬ sen, von den Sündern, die sich durch deine Güte nicht wollen rühren lassen, Rache zu nehmen, 0 so maßgc wenigstens nach deinem erbarmenden väterli¬ chen Herzen die Strafe, nimm dich deiner Kinder an, die zu dir Tag und Nacht, Gnade, Gnade, rufen, verkürze wenigstens die Lage des Leidens der From¬ men wegen, und wenn es also in deinen ewigen Rathschlüssen festgesetzt ist, uns hier zu strafen, so küssen wir in tiefster Lcmuth deine züchtigende Va- . terhand, und bitten mit Thranen, uns gleichwohl hier zu unserer Besserung zu strafen, aber nur dort in der Ewigkeit zu verschonen: Amen. Ende des zweiten Thrils» Inhalt des zweyten Theiles. . ' Seite Auf den vierten Sonntag nach Ostern. Joh. r6.5— iz § Auf den fünften Sonntag nach Ostern Joh- 16. rz-zo. sz Auf das Fest der Himmelfahrt Christi. Mark-16.14—20. 41 Auf den sechsten Sonntag nach Hstern. Joh. iZ- 26. - 27. und 16. i — 4. Z8 Auf den heiligen Pfingstsonntag. Joh. 14- 2z—zi. 74 Auf den heiligen Pfingstmontag. Joh Z- 16—21. 94 Auf das Fest der hochheiligen Dreyfaltigkeit. Matth. 28. 18—20. no Auf den ersten Sonntag nach Pfingsten. Luk- 6. z6—42. 127 Aufden zweyten Sonntag nach Pfingsten. Luk. 14. 16—24. 145 Aufden dritten Sonntag nach Pfingsten. Luk. 15.1—10. 165 Auf den vierten Sonntag nach Pfingsten. Luk. 5.1—11. 18Z AufdaS Fest drS heiligen Johannes des Täufers. Luk. 1. 57—69. 206 Aufden fünften Sonntag nach Pfingsten. Matth. 5- 20—24. 2ZZ Auf den sechsten Sonntag nach Pfingsten. Mark. 8. 1 -9. 257 Aufden siebenten Sonntag nach Pfingsten. Matth. 7. iZ—21. 276 Aufden achtenSonnlag nach Pfingsten. Luk. 16. 1 -9. 29S Auf den neunten Sonntag nach Pfingsten. Luk. 19. 41—47. 3r4 Auf den zehrnten Sonntag nach Pfingsten. Luk. 18. 9—14. ' 333 Aus den rillten Sonntag nach Pfingsten. Mark. 7- Z1-Z7- 3§3 Aufden zwölften Sonntag nach Pfingsten- Luk. 20. 23-37. , . 37? Aufden dreyzehnten Sonntag nach Pfingsten. Luk. 27- Seite Auf den vierzehnten Sonntag nach Pfingsten. Match. 6. -4—3Z. 4-2 Aufden fünfzehnten Sonntag nach Pfingsten. Lnk. 7. 11—26. 44Z Auf den fechszrhnten Sonntag nach Pfingsten. Luk-14- r—n. 465 Auf den fiebenzehnten Sonntag nach Pfingsten. Matth. 22. 35—46. 487 Ausden achtzehnten Sonntag nach Pfingsten. Matth- 9- t—8- 508 Aufdrn neunzehnten Sonntag nach Pfingsten. Matth. 22. 1—14. 527 Aufden zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten. Ioh. 6. 46—54. 549 Aufden rin und zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten. Matth- iZ. 23—35. 57l Aufdrn zwei, und zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten. Matth. 22. l5—2i. 592 Aufden drey und zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten. Matth. 9. 18—26. 610 Aufden vier und zwanzigsten Sonntag nach Pfingsten. Matth. 24. 15—35 631 Zweyte Predigt aufden nämlichen Sonntag für jene, welche das Evangelium nach der neuern gemei- neu Mevnung lieber auf den Untergang de« jüdischen Staate« ganz auslegm wollen. Matth. 24. 15. 6ZL