269 Vlasta Kučiš (Hrsg.): Translation in Theorie und Praxis. Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2013. 277 S. ISBN 978-3-631-62903-1. In diesem Sammelband wird auf ein breites Spektrum von Fragestellungen der Translationswissenschaft und -didaktik sowie der Praxis des Übersetzens und Dol- metschens eingegangen. Die insgesamt 22 Beiträge stammen von deutschsprachigen Translationswissenschaftlern und Germanisten aus 13 Ländern, beziehen verschiedene Sprachenpaare ein und reflektieren somit das dem Band zugrunde liegende Anliegen, den grenzüberschreitenden Charakter der translatorischen Tätigkeit herauszustellen und, damit verbunden, den zunehmenden Bedarf an internationaler Zusammenarbeit der Translationswissenschaftler aufzuzeigen. Der Band gliedert sich in sechs Teile, die sich jeweils ausgewählten Fragen und Problemen der Translationsdidaktik (I), des Übersetzens (II-V) und schließlich des Dolmetschens (VI) zuwenden. Der „Translationsdidaktik“ betitelte erste Teil stellt zuerst die Frage nach der Re- visionskompetenz beim Übersetzen. Gyde Hansen (Copenhagen) behandelt hier ver- schiedene Aspekte der Übersetzungs- und der Revisionskompetenz und geht in der Dis- kussion um Methoden und Probleme der letzteren von der grundlegenden Unterschei- dung zwischen Eigenrevision und Fremdrevision aus. Die Übersetzungskompetenz ist auch Gegenstand des Beitrags von Stefanie Wimmer (Barcelona): Die Autorin stellt die Ergebnisse einer empirischen Studie zu dem von ihr entwickelten Modell zum Überset- zungsprozess beim Fachübersetzen in die Fremdsprache und diskutiert die möglichen V orteile der Anwendung dieses Modells im Übersetzungsunterricht. Vlasta Kučiš (Ma- ribor) erörtert die Möglichkeiten und Grenzen des Übersetzens als fremdsprachendi- daktischer Methode und plädiert für seinen verstärkten Einsatz im DaF-Unterricht, da das Potenzial der Übersetzungsübungen in der Entwicklung vielfältiger Kompetenzen (Kommunikationsfähigkeit, interkulturelle Kompetenz, Recherchierkompetenz usw.) durch die Abwendung von der Grammatik-Übersetzungsmethode der 1950er Jahre zu Unrecht in den Hintergrund geraten ist. Eine weitere Grundsatzfrage der Translations- didaktik, nämlich ob die Ausbildung von professionellen Übersetzern ein realisierbares Ziel ist, wird im Beitrag von Mariann Skog-Södersved (Vaasa) diskutiert und nach einem Überblick über den gesetzlich-institutionellen Rahmen und über die Praktiken und Probleme der Übersetzerausbildung in Finnland positiv beantwortet. Der „Herausforderungen des Fachübersetzens“ beschriftete zweite Teil beginnt mit dem Beitrag zur Theorie und Praxis der Fachübersetzens von Vlastimila Ptáčníková (České Budĕjovice). Die Autorin skizziert einige neuere theoretische Ansichten zum Fachübersetzen und den fachtextuellen Spezifika, wendet sich anschließend den sy- stembedingten Übersetzungsproblemen, die sie an der Gegenüberstellung einiger deutscher und tschechischer Komposita bzw. Syntagmen der Wirtschaftssprache ver- anschaulicht, und geht in diesem Zusammenhang auf die Rolle ein, die dem Über- setzer in der intersprachlichen Fachkommunikation zukommt. Die Veränderungen der Translationstätigkeit und des Berufsprofils ‘Übersetzerʼ im Zeitalter der Digitalisierung 270 kommen im Beitrag von Peter Sandrini (Innsbruck) zur Sprache. Dabei geht Sandrini insbesondere auf die Chancen ein, die in einem deutlich weiter gefassten Begriff der Translation liegen, die aber auch die Notwendigkeit einer Erneuerung der Translato- renausbildung nach sich ziehen. Vida Jesenšek (Maribor) befasst sich, ausgehend von der slowenischen Übersetzung des Romans „Am Hang“, mit den Verfahren, die der Phraseologieübersetzung zugrunde liegen. Mit besonderem Blick auf die Probleme der Übersetzungspraxis unterstreicht die Autorin die Bedeutung, die der empirischen Er- forschung der Phraseologismenübersetzung sowie der Erweiterung und Vertiefung der diesbezüglichen theoretischen Grundlagen zukommt. Pavao Mikić (Zadar) und Vlasta Kučiš (Maribor) widmen sich ausgehend von selbst konstruierten Kroatisch-Deutsch- Beispielen und von literarischen Übersetzungen dem Problem der Übersetzung von emotionsgeladenen Ausdrücken in verschiedenen Bereichen (z.B. V olks-, Rassen- oder Parteizugehörigkeit, Körperteile, Krankheit, Beruf) und führen insbesondere auch eine Reihe von Beispielen für Ausdrücke an, deren emotionaler Gehalt oder deren übertra- gene Bedeutung nur in einer der beiden Sprachen existiert, ferner für sprachtypische Ausdrucksmöglichkeiten durch Modalwörter, syntaktische und intonatorische Mittel, bildliche Ausdrücke usw. Neben literaturspezifischen Übersetzungsproblemen kommt im zweiten Teil auch die Übersetzung von Comics zur Sprache. So erörtern Daniela Müglová und Edita Gromová (Nitra) die Besonderheiten der Übersetzung von multimedialen Texten, weisen auf den funktionalistischen Ansatz der Skopostheorie als besonders geeignet für die Übersetzung von Comics hin und betonen schließlich die V orteile, die der Einsatz von Comictexten im Übersetzungsunterricht angesichts ihrer spezifischen Stilmittel haben kann. Die Beiträge des dritten Teils „Übersetzen im Tourismus“ beschäftigen sich mit den branchenspezifischen Textsortenkonventionen und den in diesem Bereich auftretenden Übersetzungsproblemen: So setzt sich Mary Snell-Hornby (Wien) am Beispiel einer Werbebroschüre in deutscher, englischer und französischer Fassung mit zeitgebundenen und kulturspezifischen Sprachverwendungs- und Textgestaltungsmustern auseinander, analysiert übersetzerische Eingriffe, die die Botschaft eines Werbetextes verfälschen und die Qualität beeinträchtigen können, und verweist schließlich auf das paradoxe Gefälle zwischen dem in der Regel hohen Investitionsaufwand für die professionelle Erstellung der Werbetexte und der Tendenz, an den Übersetzungskosten zu sparen. Mit Blick auf die Kulturmittler-Rolle des Übersetzers weitet Olga Wrede (Nitra) die viel- diskutierte Frage nach der Rolle der Landeskunde im Fremdsprachenunterricht auf die Übersetzerausbildung aus: Sie befürwortet eine mit den Zielen des Übersetzungsunter- richts kongruente Vermittlung landeskundlicher Informationen, welche nicht isoliert, als Selbstzweck behandelt, sondern zweckgebunden und praxisnah präsentiert werden sollen. Die Dynamik des Textsortenwandels thematisiert neben dem Beitrag von Snell- Hornby auch der von Alja Lipavic Oštir (Maribor): Sie problematisiert die Vielfalt der Benennungen und den schnellen Terminologiewandel im kulinarischen Bereich, welche besonders bei Internettexten zu beobachten sind und für Übersetzer eine echte Herausforderung bedeuten. Die Erörterung der Übersetzungsprobleme im Beitrag von Ljudmila Ivanova (Veliko Tărnovo, Bulgarien) nimmt hingegen ihren Ausgangspunkt 271 in den pragmatisch-kommunikativen und inhaltlichen Aspekten der Touristiktexte. So betont Ivanova u.a. deren Mehrfachadressiertheit, die sich besonders bei der Überset- zung ins Englische als Problem herausstellt: Da hinter Englisch als Lingua franca keine spezifische Kulturgemeinschaft steht, gestaltet sich die Berücksichtigung von Kennt- nis- und Kulturunterschieden bei der Vermittlung von kulturspezifischen Inhalten äu- ßerst schwierig. Der vierte Teil mit dem Titel „Aspekte der juristischen Übersetzungen“ umfasst drei Beiträge, aus denen, genauso wie aus den bisher erwähnten Texten, die interkulturelle Kompetenz als ein integraler Bestandteil der translatorischen Kompetenz hervorgeht: Ada Gruntar Jermol (Ljubljana) diskutiert die grundlegenden Probleme beim Über- setzen juristischer Texte und geht insbesondere auf Terminologie, usuelle Wortverbin- dungen und Unterschiede zwischen einzelnen Rechtssystemen ein. Dalia Bukauskaite (Vilnius) wendet sich der Äquivalenzproblematik im vertragsrechtlichen Bereich und ihren Lösungsmöglichkeiten zu, die sie an der Übersetzung der deutschen Komposita ins Litauische illustriert. Schließlich präsentiert Alenka Kocbek (Koper) ein theoreti- sches Translationsmodell, das einen dynamischen Rahmen für die Übersetzung von Verträgen liefern soll und gleichzeitig für potenzielle Translationsfallen sensibilisiert, die Qualität und Funktionalität der Übersetzung beeinträchtigen könnten. Den Aus- gangspunkt bildet dabei die Annahme, dass etablierte Formen von Vertragstexten als Kultureme zu interpretieren sind. Die vier Beiträge, die im fünften Teil des Buchs unter dem Titel „Literaturüber- setzen“ vereint sind, thematisieren unterschiedliche Gattungen und Textsorten: Petra Žagar-Šoštarić (Rijeka) untersucht die Rolle der multimedialen Prinzipien im Prozess der Inszenierung der Popliteratur sowie ihren Beitrag zur Popularität dieser Gattung und ihrer Autoren, die sich wiederum in einer großen Anzahl von fremdsprachigen Übersetzungen niederschlägt, so dass sich „Berühmtsein“ als V orstufe zum „Über- setztsein“ erweist. Im Beitrag von Lorenza Rega (Triest) werden zwei von der Autorin selbst angefertigte und 32 Jahre auseinander liegende (1980, 2012) Übersetzungen von Franz Bleis „Bestiarium der modernen Literatur“ (Erscheinungsjahr 1920) analysiert. Die Komplexität der skizzierten übersetzerischen Entscheidungen zeigt, wie die Zeit- und Kulturgebundenheit der Texte das Textverstehen und somit auch das Textüberset- zen bestimmen. Auch andere Gattungen werden in diesem Kapitel behandelt: Der Beitrag von An- dreja Pignar Tomanič (Maribor) gilt dem Übersetzen für das Theater. Im Mittelpunkt steht das Phänomen des Übersetzer-Habitus, das sie in Anknüpfung an Bourdieus Ha- bitus-Begriff konzipiert und ausgehend von den gesellschafts-historischen Entwick- lungen und der vorherrschenden Übersetzungspolitik zur Zeit der nationalen Emanzi- pation und Konstituierung des slowenischen V olkes im 19. Jh. aufzuarbeiten versucht. Manuela Svoboda (Rijeka) illustriert am Beispiel der Übersetzung von Franz Bachs „Otočaner Regimentsgeschichte“ (1854) die Herausforderungen, die die Übersetzung von historischen Texten darstellt, besonders mit Blick auf die Problematik der Adaption von Wortschatz (militärische Ausdrücke, kirchliche Feiertage und Würdenträger, Lehn- wörter, zeitspezifische Maßeinheiten) und von Eigen- und Ortsnamen. 272 Das Buch schließt mit zwei Beiträgen zur Methodik des Dolmetschunterrichts (Teil VI „Dolmetschen“). Annette Đurović (Belgrad) erwägt den Einsatz des kognitiven Shadowing, das sich nach ihrer Auffassung im Rahmen der translatorischen Ausbildung in mehrfacher Hinsicht als geeignet erweist: im Verfahren zur Selektion geeigneter Studierender, im Laufe des Studiums als Übung, die Studierende allmählich an die Erfordernisse des Simultandol- metschens heranführen soll, und in einem späteren Stadium als Diagnoseinstrument für die berufliche Orientierung. Emina Avdić (Skopje) befasst sich anhand konkreter sprachkultu- reller Stolpersteine aus dem Sprachenpaar Deutsch-Mazedonisch mit der Möglichkeit der Kulturkompetenz-Erweiterung im universitären Dolmetschunterricht und weist in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit hin, nicht nur das Fremd- sondern auch das Eigen- bild explizit zu thematisieren, da die Dolmetschtätigkeit nicht nur eine Begegnung mit der fremden Kultur, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen ist. Mit Blick auf die Methoden und Fragestellungen der Translationswissenschaft zeigt der Band an mehreren konkreten Beispielen, wie sich grundlagen- und anwendungsori- entierte Forschung im Hinblick auf ihre Ziele sowie V orgehensweisen sinnvoll ergän- zen können, wie fruchtbar die Ergebnisse der Translationswissenschaft für die Didaktik des Übersetzens und des Dolmetschens und nicht zuletzt für den Fremdsprachenunter- richt im allgemeinen sein können und schließlich wie wichtig es ist, die Perspektiven anderer wissenschaftlichen Disziplinen und insbesondere die der interkulturellen Kom- munikationsforschung einfließen zu lassen. Die teilweise nicht ganz einleuchtende thematische Einordnung der einzelnen Bei- träge (z.B. Jesenšek und Mikić/Kučiš im Teil „Herausforderungen des Fachüberset- zens“), die sich z.T. sicher auch durch das breite Themenspektrum und die Themenplu- ralität der einzelnen Texte erklärt, schmälert nicht den Wert dieses Bandes, der sowohl im Bereich der Theoriebildung als auch in dem der translatorischen Praxis und der Translationsdidaktik vielfältige Anregungen bietet. Abschließend sei noch die Bedeutung des vorgestellten Projekts vor dem Hinter- grund der zunehmenden sprachlichen und kulturellen Globalisierung unterstrichen: Eine internationale Sichtbarmachung der Vielfältigkeit, der Schwerpunkte und der Ergebnisse der translatologischen Beschäftigung mit Sprachenpaaren wie Deutsch- Slowenisch, Deutsch-Kroatisch, Deutsch-Tschechisch, Deutsch-Litauisch usw., wie sie in diesem Band geleistet wird, stärkt die Stellung des Deutschen und der europäischen Kleinsprachen in der internationalen Kommunikation und fördert darüber hinaus die regionale Kommunikation, deren unbestreitbare, wenn auch im Zuge der Anglisierung der Wirtschaftskommunikation zuweilen an den Rand gedrängte sozioökomische und geopolitische Bedeutung in diesem Band voll zur Geltung kommt. Somit gelingt es in diesem Band nicht nur, den interdisziplinären Charakter der Translationswissenschaft und ihre Offenheit für Fragestellungen an der Schnittstelle zu anderen Disziplinen aufzuzeigen, sondern auch, einen konkreten Beitrag zur sprachli- chen und kulturellen Vielfalt im vereinten Europa zu leisten. Goranka Rocco Universität Triest