127 Ada Gruntar Jermol * UDK [811.112.2'276.6:34]:81'42 Universität Ljubljana DOI: 10.4312/linguistica.59.1.127-139 DENKEN WIE EIN PHILOSOPH, ABER REDEN WIE EIN BAUER. 1 – DAS NORMATIVE DER RECHTSSPRACHE 1 EINLEITUNG Meine ersten Erfahrungen mit der Rechtssprache reichen über zwei Jahrzehnte zurück, als ich mich bei meiner Doktorarbeit, die Herr Prof. Dr. Siegfried Heusinger betreute, entschloss, mich dem formalen und semantischen Aspekt dieser Sprache zu widmen. In meiner damaligen Leichtgläubigkeit – davor hatte ich keine allzu großen Erfahrungen mit der Rechtssprache – entschied ich mich für das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), obwohl mich mein Mitbetreuer von der Fakultät für Rechtswissenschaften vor diesem überaus anspruchsvollen Text warnte. Trotz dieser Warnung hielt ich aber an meiner ursprünglichen Entscheidung fest. Allein die Beschäftigung mit einem normativen Rechtstext stellt für einen rechtli- chen Laien eine große Herausforderung dar, zumal das BGB als Meilenstein des deut- schen Rechts auch für jemanden, der über gewisse Grundkenntnisse verfügt, eine große Hürde darstellt, vor allem, wenn man sich auch auf die semantische Ebene der Sprache einlassen wollte. Dank der vorzüglichen Betreuung konnte ich meine Forschungen intensiv und ziel- gerichtet betreiben und hatte so die Möglichkeit, über die Sprache einen, wenn auch nur kleinen Teil der weit gefächerten und mir bislang völlig unbekannten Welt des Rechts kennen zu lernen. Mit dem vorliegenden Beitrag, mit dem ich mich gleichzeitig auch bei meinem Doktor- vater bedanke, der mich gelehrt hat, die Sprache wissenschaftlich zu betrachten, möchte ich einige grundlegende Charakteristiken der deutschen normativen Rechtssprache darlegen. 2 DAS ENTSTEHEN DER WICHTIGEN KODIFIKATIONEN DES DEUTSCHEN RECHTS – EIN KURZER HISTORISCHER UMRISS 2 Zum leichteren Verständnis der normativen Rechtssprache sollen einführend kurz die historischen Umstände umrissen werden, in denen die bedeutendsten Kodifikationen des deutschen Rechts entstanden sind, allem voran das Bürgerliche Gesetzbuch als Kodifikation des deutschen Zivilrechts. * ada.gruntar@guest.arnes.si 1 „Der Gesetzgeber soll denken wie ein Philosoph, aber reden wie ein Bauer“ (Rudolf von Jhering – deutscher Rechtswissenschaftler, der Einfluss auf das deutsche Privatrecht hatte, zitiert in Pavčnik 2012: 313). 2 Nach Mattila (2006: 159–173). Linguistica_2019_FINAL.indd 127 9.10.2019 8:58:48 128 Die Zeit der Aufklärung brachte auch auf dem Gebiet des Rechts zahlreiche Neue- rungen: Es kamen Forderungen auf, dass auch der Bürger mündig sein müsse und er das Recht habe, über die in der Gesellschaft geltenden rechtlichen Regeln informiert zu sein. Der mündige Bürger solle seine Rechte und Pflichten kennen und somit bedurfte es auch einer klaren Rechtssprache und verständlich geschriebener Gesetzestexte. Die Rechtssprache sollte prägnant, einfach und verständlich, die Ausdruckweise klar und kurz nach Beispiel militärischer Befehle sein. Es wurden immer mehr Forderungen laut, dass die Rechtssprache verständlich und Rechtstexte klar abgefasst werden sollten, „geheimnisvolle“ Abkürzungen und komplexe Satzstrukturen sollten vermieden sowie die Verwendung des Lateins ein- geschränkt werden. Gleichzeitig sollten auch fremdsprachliche Ausdrücke durch deut- sche ersetzt werden. Ziel dieser Bestrebungen war auch die Stärkung des deutschen Nationalbewusstseins und der deutschen Einigkeit; in diesem Hinblick sollte von der Sprache auch eine identitätsstiftende Wirkung ausgehen. In Rechtskreisen stießen diese Bestrebungen anfänglich auf Widerstand, vor allem wehrten sich die Juristen gegen die Abschaffung des Lateins, das ihnen für eine präg- nante und präzise Begrifflichkeit und die Ausdrucksmöglichkeiten, wodurch sich das Römische Recht auszeichnete, unentbehrlich schien, weshalb Latein bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts weiterverwendet wurde. Dennoch begannen bereits zu Ende des 17. Jahrhunderts einige Gerichte Urteile in Deutsch zu erlassen und auch Notare, die innerhalb der Rechtspflege einen niedrigeren Status innehatten, begannen ihren Auf- gaben auf Deutsch nachzukommen. Ein Teil der lateinischen Terminologie wurde be- reits zur Zeit des Humanismus ins Deutsche übersetzt, z. B. proprietas – Eigentum, fidejussor – Bürge, ususfructus – Nießbrauch, societas – Gesellschaft. Zu Ende des 18. Jahrhunderts überwog das Deutsche über das Latein und wurde zur Standardsprache der deutschen Rechtskultur. In dieser Zeit etablierte sich auch die Verwendung von Doppelbenennungen, wel- che die Terminologie verständlicher machen sollten und die sich aus deutschen Aus- drücken oder fremdsprachigen Ausdrücken zusammensetzten und jeweils den fremd- sprachigen oder deutschen Ausdruck erklärten: publice und öffentlich, Bestätigung und Approbation, exequiren und vollstrecken, bona fides und guter Glaube. Es wurden aber auch radikalere Forderungen laut, wie die, dass die deutsche Spra- che vollends von allen Fremdwörtern zu reinigen sei – nicht nur Ausdrücke lateini- scher, sondern auch französischer Herkunft. Gemäß dieser Forderungen wurde die Rechtssprache einer konsequenten Eindeutschung unterzogen, mit welcher der Stand- punkt umgesetzt wurde, dass Lehnwörter nicht mehr erforderlich seien, da jedes Wort fremdsprachiger Herkunft durch ein originär deutsches Wort ersetzt werden könne. Christian Wolff (1679–1754) behauptete sogar, dass die deutsche Sprache für den wis- senschaftlichen Gebrauch angemessener als das Latein sei. Dieser Prozess der Ein- deutschung hatte die Bildung von Neubildungen zu wissenschaftlichen Zwecken – sog. Kunstwörter – zur Folge. Zur Zeit der Aufklärung kam auch der Gedanke auf, dass man die Welt konzeptu - alisieren und dementsprechend als rationales System regeln müsse. Im Recht wurde Linguistica_2019_FINAL.indd 128 9.10.2019 8:58:48 129 dieser Gedanke mit der systematischen Kodifikation umgesetzt. Der grundlegende Gedanke der Kodifikation lag nicht im Sammeln bereits angewandter Rechtssätze, sondern im Suchen oder Finden natürlicher, sinnvoller Lösungen für rechtliche Fra- gen. Aus diesem Grund hießen die Gesetzbücher dieser Zeit auch Kodifikationen des Naturrechts, mit denen das römisch-kanonische jus commune abgelöst wurde. Diese Kodifikationen erfolgten jedoch nicht auf Reichsebene – auf Ebene des Heiligen Rö- mischen Reichs – sondern in seinen einzelnen Territorien, als aufgeklärte Landes- herren neue, auf dem Naturrecht fußende Gesetze in Auftrag gaben. So entstanden etwa das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (1794), aber auch das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811), mit dem das österreichische Zivilrecht kodifiziert wurde. Ziel dieser Gesetzbücher war die Gewährleistung und Verbesserung der Rechtssi- cherheit, so dass der einzelne Bürger über seine Rechte und Pflichten Bescheid wusste. Diese Rechte und Pflichten mussten aus den einzelnen Normen unmissverständlich er- sichtlich sein, weshalb die so neu abgefassten naturrechtlichen Kodifikationen äußerst detailliert und konkret waren. Die Absicht der Autoren war nämlich eine höchst mög- liche Verständlichkeit in einer „natürlichen“ Sprache und einem klaren und pädagogi- schen Stil, wobei diesem Bestreben gelegentlich die geforderte rechtliche Genauigkeit der Rechtssätze zum Opfer fiel. Im 19. Jahrhundert folgten die Einigung Deutschlands und der Aufstieg zur Groß- macht. Mit dem aufkommenden Nationalbewusstsein schärfte sich auch das Bewusst- sein für die deutsche Sprache, womit auch verstärkt Bestrebungen zur Reinigung der deutschen Sprache von allen fremdsprachigen Einflüssen einhergingen. In den ein- zelnen Fachsprachen entstanden zahlreiche neue Termini, die fremdsprachliche Aus- drücke ersetzten (ihr Anteil fiel von 4 bis 5 % auf nur 0,5 %), was sich auch in der Rechtssprache widerspiegelte. Beispiele dieser Eindeutschung sind etwa: Alimentation – Unterhalt, Citation – Ladung, Kopie – Abschrift. So wurde mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch – BGB, das 1896 verabschiedet wurde und am 1. 1. 1900 in Kraft trat, der überwiegende Teil der deutschen Zivilrechtsterminologie eingedeutscht. Dies brachte dem BGB die Kritik eines Papierdeutsch – eines für die gesprochene Sprache unge- eigneten Deutsch – ein, dennoch wurde diese anfänglich künstlich wirkende Sprache in den Rechtskreisen akzeptiert, womit auch die Vorbehalte ihr gegenüber langsam ab- klangen. Gleichzeitig begannen auch zahlreiche Termini, mit denen die Bürger bei den verschiedensten Behörden in Kontakt kamen, in die Gemeinsprache Einzug zu halten. Aber dennoch blieb der Stil dieser Sprache äußerst abstrakt und grenzte sich somit von der Forderung der Aufklärung nach einer verständlichen Sprache stark ab. In vielerlei Hinsicht spiegelte die Sprache des BGB auch die verschiedenen Strö- mungen innerhalb der deutschen Rechtswissenschaften des 19. Jahrhunderts wider. Im 19. Jahrhundert löste die Historische Rechtsschule die Doktrin des Naturrechts ab, was den Wandel innerhalb der deutschen Gesellschaft während der Romantik ausdrückt, und zwar, dass das Recht der organische Kern einer jeden Gesellschaft sei. Denn in der Vergangenheit ist man von der Universalität des Rechts ausgegangen, die der ganzen Menschheit innewohne. Im 19. Jahrhundert rückte man von diesem Verständnis ab und Linguistica_2019_FINAL.indd 129 9.10.2019 8:58:48 130 besann sich darauf, dass das Recht mit der kulturellen und geschichtlichen Entwick- lung eines Volkes wachse bzw. sich weiter entwickele. Diese Auffassung der deutschen Historischen Rechtschule rückte erneut das Römische Recht in den Mittelpunkt – was paradox erscheinen mag –, das bis heute nachwirkt, zumal das Römische Recht den we- sentlichen Teil des deutschen Rechtserbes darstellte und einen maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung des nationalen Rechts hatte. Aus der zuvor erwähnten Auffassung ging die Pandektenwissenschaft 3 hervor, die das Römische Recht erforschte und aus diesem abstrakte Rechtssätze und -begriffe ableitete und systematisierte. Die Pandek- tistik fand auch außerhalb der Grenzen des damaligen Deutschlands zahlreiche Anhän- ger und beeinflusste die Rechtswissenschaften in Frankreich, Italien und Österreich. Die Auffassungen der Historischen Rechtsschule hatten auch eine größere Rolle des Staates als Gesetzgeber zu Folge. Der Rechtspositivismus vertrat die Auffassung, dass allein die staatlich gesetzten und kodifizierten Rechtsnormen als geltendes Recht bzw. als wesentliche Rechtsquelle gelten, wobei die Rechtspositivisten auch Montesquieus Theorie von der Gewaltenteilung in die Legislative, Exekutive und Judikative teilten. Parallel zur Pandektistik entwickelte sich auch die Begriffsjurisprudenz, die davon ausgeht, dass eine Rechtsordnung aus einem geschlossenen System von hierarchisch angeordneten Begriffen bestehe, aus dem durch logisches Vorgehen Lösungen für je- den einzelnen Fall ermittelt werden können. Als Reaktion auf diese Lehre entwickelten sich die Interessenjurisprudenz und die Freirechtsschule, die die Auffassung teilten, dass das Recht nicht Selbstzweck sei, sondern der Gesellschaft dienen müsse. Trotz der verschiedenen Rechtschulen waren es vor allem die Pandektistik und Begriffsjuris- prudenz, welche die Sprache des BGB nachhaltig prägten. Das BGB stellt in der Entwicklung der deutschen Rechtsordnung einen Meilenstein der deutschen Moderne dar. Es zeichnet sich durch seinen streng logischen Aufbau (nach naturwissenschaftlichem Vorbild) aus und seine Verfasser orientierten sich vor allem am rechtskundigen Richter, was es für rechtliche Laien nicht leicht verständlich macht. Eine besondere Charakteristik des BGB ist sein Begriffssystem (hierarchische Begriffspyramide), das viele Befürworter, aber ebenso viele Kritiker fand. Zentrale Begriffe des BGB sind etwa das Rechtsgeschäft (dieser Begriff ist der angloamerika- nischen Rechtsordnung völlig unbekannt, wovon auch die zahlreichen Übersetzungs- varianten für diesen Begriff zeugen: legal act, juristic act, legal transaction usw.; siehe Kocbek 2011: 114) und die Willenserklärung. Das BGB hat so auch im 20. Jahrhundert, trotz eines umwälzenden gesellschaft- lichen und wirtschaftlichen Wandels, weiterhin Bestand und blieb in der Deutschen Demokratischen Republik bis 1976 in Kraft, als es vom Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik abgelöst wurde. Der hohe Abstraktionsgrad des BGB spiegelt sich auch in seiner Sprache wider. Obwohl sich diese durch einfache Satzkonstruktionen und eine hohe sprachliche Prä- gnanz auszeichnet, ist die Sprache gleichzeitig stark durch abstrakte Termini geprägt. Um diese verstehen zu können, ist ein ausreichendes Wissen von den Strukturen und 3 »Pandekten sind Rechtssammlungen im Römischen Recht“ (Heidinger et al. 1993: 23). Linguistica_2019_FINAL.indd 130 9.10.2019 8:58:48 131 Institutionen erforderlich, auf die sich diese Termini beziehen, weshalb das BGB für rechtliche Laien mitunter völlig unverständlich erscheinen kann. 3 GESETZ ALS ANSPRUCHSVOLLSTE JURISTISCHE TEXTSORTE Im Folgenden soll an einigen Beispielen erläutert werden, weshalb Gesetzestexte Laien in der Regel so schwer zugänglich sind. 3.1 Bestimmung der außersprachlichen Kriterien Nach Heinemann/Viehweger (1991: 153–158) lässt sich der Situationstyp der normati- ven Textsorte Gesetz wie folgt bestimmen: • es handelt sich um eine geistig-theoretische Tätigkeit, die institutionell 4 geprägt ist; • die Tätigkeit wird im Kommunikationsbereich Rechtswesen vollzogen; im Ge- gensatz zu einigen anderen juristischen Textsorten (wie etwa Vertrag, Urteil oder Rechtslehrbuch) wird beim Gesetz die Tätigkeit im sog. Sub-Kommunika- tionsbereich Legislative vollzogen; • in Bezug auf die Anzahl der Kommunikationspartner richtet sich das Gesetz an eine Großgruppe von Rezipienten, weshalb man in diesem Fall von einer Mas- senkommunikation spricht; • in Bezug auf das soziale Verhältnis der Interagierenden 5 während des Kommu- nikationsakts kann man von einer asymmetrischen Beziehung sprechen, d. h. von der Dominanz eines Interaktionspartners (z. B. Gesetzgeber – Fachleute/ Bürger); • es handelt sich um eine Aufzeichnungskommunikation, bei der die Kommunika- tionspartner lokal und temporal getrennt sind. Obwohl sich das Gesetz inhaltlich an die Allgemeinheit richtet (so beispielsweise das Strafgesetzbuch, das Bürgerliche Gesetzbuch, das Straßenverkehrsgesetz, die Ver- fassung und einige andere), bedeutet dies aber nicht zwingend, dass es auch von jedem verstanden werden kann. 3.2 Gesetz als normativer bzw. performativer Texttyp In der Rechtssprache hat sich grundsätzlich eine dichotome Textklassifikation durch- gesetzt, nach der Rechtstexte entweder eine regulative (präskriptive/normative, auch performative) oder eine informative (deskriptive) Funktion erfüllen. So schlägt Wiesmann (2004: 60ff.), die von der Funktion des Ausgangstextes aus- geht, in Anlehnung an Kjær (1992) eine dichotome Texttypologie vor, der folgende vertikale Gliederung der Rechtssprache zugrunde liegt: 4 Der Begriff „Institution“ wird bei Heinemann/Viehweger (1991: 155) als „gesellschaftliche Einrichtung zur Lösung spezifischer Aufgaben der Gesamtgesellschaft“ definiert. 5 Mit dem sozialen Verhältnis ist nicht der soziale Status der Partner gemeint, obwohl dieser oft „in engem Zusammenhang mit der Rollenverteilung“ im Kommunikationsprozess steht (Heinemann/ Viehweger 1991: 156). Linguistica_2019_FINAL.indd 131 9.10.2019 8:58:48 132 1. Bestimmungsebene/E. der Festlegung (z. B. Gesetz); 2. Handlungsebene/E. der Rechtspraxis (z. B. Vertrag); 3. Beschreibungsebene/E. der Rechtswissenschaft (z. B. Lehrbuch). Bei der Bestimmungs- und Handlungsebene handelt es sich um mehrfachadressierte Texte der fachinternen und fachexternen Kommunikation mit performativer Funk- tion, mit denen Juristen rechtlich handeln. Der Bestimmungsebene gehören Texte an, mit denen rechtliche Normen geschaffen werden, der Handlungsebene indes aber Tex- te, mit denen nach rechtlichen Normen gehandelt wird. Der Beschreibungsebene gehören Texte der fachinternen Kommunikation mit in- formativer Funktion an, mit denen Juristen über Recht sprechen. Gesetze unterscheiden sich von allen anderen juristischen Textsorten durch die stark normierte sprachliche Formulierung. Da sie abstrakte und allgemeine Rechts- normen begründen, zeichnen sie sich außerdem auch durch einen hohen Grad der Abstraktheit aus. 3.3 Thematische Entfaltung bei Gesetzestexten Der Begriff der thematischen Entfaltung wird von Brinker (2001: 61) als gedankliche Ausführung des Themas definiert. Die Entfaltung des Themas zum Gesamtinhalt des Textes kann als Verknüpfung bzw. Kombination relationaler, logisch-semantisch definierter Kategorien be- schrieben werden, welche die internen Beziehungen der in den einzelnen Textteilen (Überschrift, Abschnitten, Sätzen usw.) ausgedrückten Teilinhalte bzw. Teilthemen zum thematischen Kern des Textes (dem Textthema) angeben (Brinker, ebd.). Die thematische Entfaltung (die Folge von Propositionen) gewährleistet – unter anderem – die semantische Kohärenz des Textes. Von diesen theoretischen Grund- lagen Klaus Brinkers 6 ausgehend kann somit gesagt werden, dass bei einem Gesetz nur schwer von einer Themenentfaltung die Rede sein kann. Es liegt auf der Hand, dass die Rezeption von Gesetzestexten (seitens der Laien) u. a. auch aufgrund der „mangelnden“ Textkohärenz gestört bzw. erschwert wird. Ge- setzestexte zeichnen sich in der Regel durch eine klare Makrostruktur aus (so z. B. das BGB, das in Bücher, Abschnitte, Titel, Untertitel und Kapitel gegliedert ist), die auf jeden Fall zur Überschaubarkeit des Textes beiträgt. An diesem Punkt beginnt die Transparenz von Gesetzestexten, aber exakt an demselben endet sie auch, zumal die Transparenz und somit auch die Verständlichkeit des Textes in hohem Maße auch da- von abhängig ist, wie das Thema präsentiert bzw. gedanklich entfaltet wird. Die Möglichkeiten der thematischen Entfaltung (dazu vgl. Brinker 2001: 61) sind verschieden und stets von der kommunikativen Situation abhängig: von der kommunika- tiven Absicht, der Funktion, von den Kommunikationspartnern und ihrer Beziehung zu- einander u. a. m. Darüber hinaus nimmt bei den Kommunizierenden ihr Wissenshorizont 6 Vgl. Brinker (2001: 65ff.: 3. 5 Grundformen thematischer Entfaltung). Linguistica_2019_FINAL.indd 132 9.10.2019 8:58:48 133 eine bedeutende Rolle ein, da dieser die Position bestimmt, in der die Kommunikations - partner zueinander stehen – symmetrisch oder asymmetrisch (vgl. hierzu Heinemann/ Viehweger 1991: 156). Gerade Gesetzestexte zeichnen sich aber durch einen spezifischen Rezeptionsprozess aus, da diese in der juristischen Praxis nämlich nicht – bildlich ge- sprochen – von A bis Z gelesen werden. Außerdem setzt die faktische juristische Arbeit nie am Gesetzestext, sondern stets an einem konkreten Fall an (vgl. Busse 1992: 119); oder mit anderen Worten ausgedrückt: „In der juristischen Praxis geht kein Richter zuerst vom Paragraphen aus, sondern immer von einem zu entscheidenden Fall“ (vgl. ebd.). Auf Grund der oben erwähnten Tatsachen ist der Umgang mit normativen Textsorten – ins- besondere mit Gesetzestexten – wesentlich anspruchsvoller als der Umgang mit informa- tiven Texten – selbst für Fachleute, geschweige denn für juristische Laien. 3.4 Gesetz als hochabstrakter Rechtstext Die erste und wichtigste Eigenschaft des Gesetzes ist sein hoher Grad der Abstrakt- heit. Als Einführung in die Erörterung dieser Problematik soll kurz aus Punkt 10 der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes der Republik Slowenien, Az. U-I-64/97, 7 zitiert werden: „Einer der wesentlichen Grundsätze des Rechtsstaates ist, dass Geset- zesnormen klar, verständlich und eindeutig zu sein haben. Dies gilt insbesondere für Vorschriften, die unmittelbar die Rechte und die Rechtsstellung eines weiten Kreises von Bürgern regeln …“ Zu diesem Grundsatz macht sich Marijan Pavčnik (2012: 315), Professor an der Fakultät für Rechtswissenschaften in Ljubljana, folgende Gedanken: Die Rechtssprache erhält einen besonderen Ton und Auftrieb durch die Sprache der Verfassung und der Gesetze. Es wäre wunderbar und es klingt naiv romantisch, dass Verfassung und Gesetze hochsprachlich und unter Berücksichtigung des jeweiligen Adressaten geschrieben werden sollten. Der Gegenstand der rechtlichen Regulierung ist fachlich zu anspruchsvoll und in seinem Inneren zu kompliziert, um jedermann zugänglich zu sein. Die Antwort hängt vorwiegend davon ab, um welches Rechtsge - biet es sich handelt und auf welcher Ebene uns das einzelne Gebiet interessiert. Ohne ein Gebiet und/oder jemanden zu unterschätzen, wird wahrscheinlich allgemein gelten, dass die Verfassung derjenige Rechtsakt sein solle, der wenigstens im Großen und Ganzen leichter verständlich und lesbar als andere Rechtsakte ist, als etwa die Finanzgesetzgebung, die oft auch für gewöhnliche Juristen eine harte Nuss darstellt. Obwohl derartige „allgemeinere“ Gesetze für die Allgemeinheit auf sprachlicher Ebene grundsätzlich verständlich sein dürften, so sind sie es auf inhaltlicher bzw. kon- zeptueller Ebene in der Regel nicht (so ist z. B. für einen Laien der wesentliche Un- terscheid zwischen den Begriffen Haftung und Gewährleistung nur schwer verständ- lich), um von der System-Ebene ganz zu schweigen. Auf dieser müssen nämlich die einzelnen Rechtsbegriffe innerhalb des Systems korrekt eingeordnet werden, wofür ein 7 Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes der Republik Slowenien, Az. U-I-64/97 = Odločba Ustavnegasodišča Republike Slovenije, št. U-I-64/97. Linguistica_2019_FINAL.indd 133 9.10.2019 8:58:48 134 entsprechendes Verständnis ihrer Relationen Voraussetzung ist. Diese Problematik soll anhand des folgenden Beispiels kurz erläutert werden: § 242 StGB 8 Diebstahl (1) Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheits- strafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Auf sprachlicher Ebene erweist sich die obige Definition der Straftat Diebstahl als ein- fach sowie als mehr oder minder verständlich. Nur bedeutet die reine Tatsache, dass Per - son A Person B eine bewegliche Sache wegnimmt, bei Weitem noch nicht – wie ein Laie schließen könnte, dass es sich auch um diese Straftat handelt. Um diesen Schluss ziehen zu können, muss man sich noch weitere rechtlich relevante Umstände vor Augen halten, die einem Laien weniger geläufig als einem Juristen sein dürften. Zu diesen Umständen zählen u. a. die Schuld, Delikts- und Zurechnungsfähigkeit, ein möglicher Notstand, eine mögliche Verjährung sowie eine mögliche Amnestie oder Begnadigung. Das Verständnis eines (fast) jeden einzelnen Rechtssatzes ist somit in der Regel durch das Verständnis und die Berücksichtigung anderer Rechtssätze bedingt, welche die Bedeutung einer einzelnen oder mehrerer Bestandteile einer konkreten Rechtsbestimmung (mit)bestimmen. 9 Wie gesagt, zeichnet sich auch das BGB durch einen hohen Grad der Abstraktheit aus, was sich anhand des folgenden Beispiels beweisen lässt: a) normativer Rechtstext (Gesetzestext): § 164 BGB 10 Wirkung der Erklärung des Vertreters (1) ... (2) Tritt der Wille, in fremdem Namen zu handeln, nicht erkennbar hervor, so kommt der Mangel des Willens, im eigenen Namen zu handeln, nicht in Betracht. 11 Der in Textausschnitt a) dargestellte Sachverhalt wird im Rahmen eines Rechtslehr- buches wie folgt entfaltet: b) informativer Rechtstext (Rechtslehrbuch): Der Vertreter muss dem Dritten gegenüber erklären, dass er im Namen und auf Rechnung eines anderen handelt (Offenlegungsgrundsatz). Im Zweifel liegt ein Eigengeschäft des Handelnden vor. 8 StGB = das Strafgesetzbuch der BRD. 9 Für diese Erläuterungen bedanke ich mich bei Doz. Dr. Aleš Novak von der Fakultät für Rechtswissenschaften in Ljubljana. 10 BGB = das Bürgerliche Gesetzbuch aus dem Jahre 1896, das die wesentlichen Regelungen auf dem Gebiet des deutschen Zivilrechts enthält. 11 Quelle: http://dejure.org/gesetze/BGB/164.html. Linguistica_2019_FINAL.indd 134 9.10.2019 8:58:48 135 Die Unterschiede zwischen den Texten a) und b) sind mehr als offensichtlich. Für normative Texte ist allgemein ein unpersönlicher Stil mit der Verwendung von Inde- finitpronomina und des Passivs sowie nominalisierter Strukturen charakteristisch, was einen verdichteten sowie konzisen und somit einen schwerer verständlichen Stil zur Folge hat. Im Gegensatz dazu können bei einem informativen Text die Passivstrukturen stellenweise durch das Aktiv ersetzt werden. Darüber hinaus überwiegt eine explizite Vermittlung von Sachverhalten (u. a. mit Hilfe von Beispielen) und es werden auch Fremdwörter verwendet, während normative Texte – vor allem Gesetzestexte – primär auf die Nationalsprache beschränkt sind. Allem voran unterscheiden sich beide Text- typen aber ihrer Funktion nach: normative Texte drücken Verhaltensvorschriften aus, indem sie ein bestimmtes Tun oder Unterlassen gebieten, verbieten oder gewähren, wohingegen die Funktion informativer Texte darin besteht, juristische Sachverhalte mehr oder weniger explizit darzustellen. Diese eher generellen Tatsachen können auf Grundlage der oben erwähnten Text- beispiele durch folgende Feststellungen ergänzt werden: Obwohl derselbe Inhalt be- handelt wird, erfolgt die Erklärung im informativen Text b) durch die Nennung der Handelnden (der Vertreter, der Dritte), während im normativen Text a) ausschließlich abstrakte Begriffe verwendet werden (der Wille, der Mangel des Willens), was den Text weniger „griffig“ und umso abstrakter macht. 3.5 Lexikalische Besonderheiten der deutschen Rechtssprache Im Folgenden wird nicht nur die Lexik der Gesetzessprache behandelt, sondern es wer- den auch einzelne Termini, die für informative Rechtstexte, wie z. B. die Rechtswissen- schaft, charakteristisch sind, vergleichend gegenüber gestellt. Die deutsche Rechtsterminologie zeichnet sich durch ihren überaus großen Bestand an Termini aus und im Gegensatz zum Slowenischen verfügt das Deutsche über äu- ßerst flexible Wortbildungsmöglichkeiten, da insbesondere Komposition und Deriva- tion (dank vieler Präfixe wie ver-, ent-, zer-, be- un- …) zahlreiche Möglichkeiten zur Bildung neuer Termini anbieten. So ist die deutsche Rechtsterminologie im Vergleich zur slowenischen weitaus detaillierter, z. B.: Das deutsche Recht unterscheidet bereits auf terminologischer Ebene zwischen zwei Formen der Notwehr (slow.: silobran), und zwar zwischen der Notwehr, bei welcher der Täter einen rechtswidrigen Angriff von sich selbst abwendet, und der Nothilfe, bei welcher der Täter einen derartigen Angriff von einer anderen Person abwendet. Im Gegensatz dazu kennt das slowenische Straf- recht für beide Formen der Notwehr nur einen Ausdruck – silobran. Ähnlich unter- scheidet die deutsche Rechtssprache auch zwischen dem Notstand und der Notstands- hilfe, während im slowenischen Rechtssystem nur der Ausdruck skrajna sila existiert. Eine weitere große Herausforderung für rechtliche Laien sind polyseme Termini. Um Polysemie im Recht handelt es sich dann, wenn ein und derselbe Terminus in ver- schiedenen Rechtsgebieten bzw. in verschiedenen juristischen Kontexten vorkommt, wobei er aber jeweils anders definiert wird – so beispielsweise Gewalt, die je nach dem Kontext eine andere Bedeutung hat; in der slowenischer Sprache gibt es dafür jeweils ein anderes Äquivalent: Linguistica_2019_FINAL.indd 135 9.10.2019 8:58:48 136 • exekutive, legislative, judikative Gewalt (slow.: izvršilna, zakonodajna, sodna veja oblasti/oblast) ‚Gewalt als Macht und Befugnis, Recht und die Mittel, über jemanden oder über etwas zu bestimmen, zu herrschen‘; • Jegliche Gewaltanwendung gegen Personen, deren Freiheit in irgendeiner Weise beschränkt ist … ist untersagt. (slow.: Prepovedano je vsakršno nasilje nad oseba- mi, ki jim je prostost kakorkoli omejena … (Verfassung der Republik Slowenien, Art. 21)) ‚Gewalt als rücksichtslos angewandte Macht; unrechtmäßiges Vorgehen‘; • Wer mit Gewalt (slow.: sila) gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde beweg- liche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. (StGB, Art. 249, Raub) ‚Gewalt als körperlich wirkender Zwang durch die Entfaltung von Kraft‘. Ein weiteres Hindernis für den rechtlichen Laien stellt die Synonymie dar. Betrach- tet man die Rechtssprache genauer, so kann man feststellen, dass Synonyme im Recht doch nicht so ganz selten vorkommen. Obwohl Synonymie „ein erhebliches Hindernis für die fachliche Verständigung“ (Arntz/Picht/Meyer 2002: 126) bedeutet, wird sie ab- sichtlich oder nicht absichtlich eingesetzt. Ein Grund für den Gebrauch von Synonymen ist der pragmatische Aspekt: längere Begriffe – vor allem Mehrwortbenennungen – werden oft durch kürzere ersetzt: Un- vermögen statt subjektive Unmöglichkeit; Unmöglichwerden statt nachträgliche Un- möglichkeit usw. Im Text alternieren sie, ohne den Rezipienten darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um synonyme Ausdrücke handelt. Des Weiteren kommt es bei einigen synonymen Ausdrücken darauf an, unter welchem Blickwinkel der juristische Sachverhalt betrachtet wird: Schuldnerverzug und Leistungsverzug sind Synonyme: beim ersten wird betont, dass der Schuldner in Verzug gerät, beim zweiten dagegen, dass der Schuldner mit seiner Leistung in Verzug kommt. Ferner existieren auch sog. textsortenspezifische Synonyme, wobei es sich bei den einen um Legalbegriffe und bei den anderen dagegen um rechtswissenschaftliche Begriffe handelt. Rechtssatz- oder Legalbegriffe werden vom Gesetzgeber geprägt und in Gesetzes- oder Vertrags- texten eingesetzt. Rechtswissenschaftliche Begriffe, von der Rechtswissenschaft und Lehre eingeführt, sind vor allem in theoretischen bzw. rechtswissenschaftlichen Dis- kursen (z. B. Lehrbüchern) zu finden. Sie können später auch in Gesetzestexte aufge- nommen werden, wo sie oft entsprechend neu definiert bzw. angepasst werden müssen. Im Gegensatz zu Legalbegriffen sind rechtswissenschaftliche Begriffe meist lateini- scher Herkunft, z. B: Wahlschuld – Alternativobligation, Gattungsschuld – Genus- schuld, Stückschuld – Speziesschuld, Abtretung – Zession, Schuld – Obligation, Ver- kürzung über die Hälfte – laesio enormis usw. Dabei soll betont werden, dass bei der Textproduktion juristischer Texte das Wissen darüber, welches Synonym in welcher juristischen Textsorte vorzuziehen ist, von großer Bedeutung ist. Die Ebene der Lexik weist selbstverständlich noch weitere erwähnenswerte Beson- derheiten auf, zu denen auf jeden Fall auch die festen Wortverbindungen gehören dürften, Linguistica_2019_FINAL.indd 136 9.10.2019 8:58:48 137 die aufgrund ihrer Spezifik in der Gemeinsprache weitgehend unbekannt sind. Jedoch ist dieser Aspekt zu umfangreich, um in diesem Beitrag detaillierter behandelt zu werden. 4 ABSCHLIESSENDE GEDANKEN Meine Beschäftigung mit der Rechtssprache setzte sich nach dem Abschluss meiner Dissertation fort, wenn auch in veränderter Form. Die gewonnenen Erkenntnisse er- weiterte ich – zuerst bei meiner pädagogischen und darauf bei meiner wissenschaft- lichen Arbeit – mit nicht wenigen Erfahrungen sowie Studien zum Thema Übersetzen und machte mich so mit neuen Rechtstexten unterschiedlicher Texttypen und Text- sorten bekannt. Beim Übersetzen von Rechtstexten ist linguistisches Wissen unerläss- lich; jeder Texttyp verlangt eine besondere Übersetzungsstrategie und einzelne Texte unterscheiden sich in Abhängigkeit vom Texttyp vor allem in ihrer Funktion. So unter- scheidet sich die Übersetzungsstrategie bei einem normativen Text von der bei einem informativen Texttyp, was ebenso auch für (verschiedene) Textsorten gilt und ent- sprechend zu beachten ist. Das Übersetzen von Rechtstexten verlangt darüber hinaus auch entsprechende Kenntnisse über die Gesetzmäßigkeiten zweier unterschiedlicher Rechtssprachen und zweier – mehr oder minder verwandter – Rechtssysteme: So bei- spielsweise unterscheidet das deutsche Strafrecht zwischen Verbrechen (= es handelt sich dabei um schwerere Fälle von Straftaten) und Vergehen (dieser Begriff umfasst leichtere Straftaten und bestimmte schwerste Übertretungen), während das sloweni- sche Strafrecht nur kaznivo dejanje kennt; Verbrechen (gegen die Menschheit) ist in einem völkerrechtlichen Kontext nur als zločin (zoper človečnost), nicht aber als kaz- nivo dejanje zu übersetzen, da diese letzte Benennung dem Strafrecht vorbehalten ist. Als weiteres Beispiel zur Veranschaulichung der zahlreichen Herausforderungen und Dilemmata beim Übersetzen von Rechtstexten sollen abschließend noch die deutschen Termini Bundestag, Bundesrat und Länder erwähnt werden. Bei diesen handelt es sich um spezifische deutsche und in anderen Rechtsordnungen unbekannte Ausdrücke, wes- halb sich auch hier erneut die Frage stellt, wie solche Ausdrücke zu übersetzen sind. Literatur ARNTZ, Reiner/Heribert PICHT/Felix MEYER (2002) Einführung in die Terminologiear- beit. 4. gründlich bearbeitete Aufl. Hildesheim/Zürich/New York: Georg Olms Verlag. BRINKER, Klaus (2001) Linguistische Textanalyse: Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. 5. durchgesehene und ergänzte Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag. BUSSE, Dietrich (1992) Recht als Text: Linguistische Untersuchungen zur Arbeit mit Sprachen in einer gesellschaftlichen Institution. Tübingen: Max Niemeyer Verlag. dejure.org. http://dejure.org/gesetze/BGB/164.html. [15. 1. 2019]. GRUNTAR JERMOL, Ada (2013) „Linguistisches Wissen als Conditio sine qua non beim Übersetzen juristischer Texte: zur Bedeutung des Texttyps und der Textsorte im Recht.“ Muttersprache 123/1, 290–315. 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Als normative Texte zeichnen sie sich durch einen hohen Grad der Abs- traktheit aus, was einen verdichteten sowie konzisen und somit einen schwerer ver- ständlichen Stil zur Folge hat. Außerdem unterscheiden sich Gesetze von allen anderen juristischen Textsorten durch die stark normierte sprachliche Formulierung: Für sie ist allgemein ein unpersönlicher Stil mit der Verwendung von Indefinitpronomen und des Passivs sowie nominalisierter Strukturen charakteristisch. So ist der Umgang mit Gesetzestexten wesentlich anspruchsvoller als der Umgang mit informativen Rechts- texten – selbst für Fachleute, geschweige denn für juristische Laien. Im vorliegenden Beitrag werden einige grundlegende Charakteristiken der deut- schen normativen Rechtssprache dargelegt, und zwar am Beispiel des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), das als Meilenstein des deutschen Rechts gilt. Schlüsselwörter: Rechtssprache, Gesetz, Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), normativer Texttyp, Abstraktheit Linguistica_2019_FINAL.indd 138 9.10.2019 8:58:48 139 Abstract THINK LIKE A PHILOSOPHER AND TALK LIKE A PEASANT. – THE NORMATIVE CHARACTER OF LEGAL LANGUAGE Legislative acts are considered the most demanding types of legal texts. As norma- tive texts, they express rules of conduct by ordering, prohibiting or granting certain ac- tions or omissions. Although most of them have a clear macrostructure, their reception is made much more difficult by their “lack” of coherence. Like other normative texts, they are characterized by a high degree of abstraction, which results in a condensed and concise style that can be difficult to understand. Also, legislative acts differ from all other types of legal texts in that they are highly standardized in terms of language.They are generally characterized by an impersonal style with the use of indefinite pronouns and the passive voice as well as nominalizations. In general, normative legal texts are much more demanding than informative legal texts – even for experts, let alone for laypersons. In this article some basic characteristics of the German normative legal language are presented by taking into consideration the German Civil Code (BGB), which is regarded as a milestone of German law. Keywords: legal language, law, German Civil Code (BGB), normative text type, abstraction Povzetek MISLI KOT MODREC IN GOVÔRI KOT KMET. – NORMATIVNA NARA V A PRA VNEGA JEZIKA Zakoni sodijo med najzahtevnejša pravna besedila. Skladno s svojo normativno naravo vsebujejo pravila vedenja in ravnanja ter določeno storitev ali opustitev za- povedujejo, prepovedujejo ali dovoljujejo. Čeprav večino zakonskih besedil odlikuje jasna makrostruktura, pa je njihova recepcija zaradi „pomanjkljive“ koherence precej otežena. Kot normativna besedila so zakoni tudi zelo abstraktni; njihov slog je zgoščen in koncizen ter tako zelo težko razumljiv. Poleg tega je za zakone značilna strogo nor- mirana formulacija – neoseben slog z rabo nedoločnih zaimkov, trpnika ter številnimi nominalizacijami, zaradi česar se le-ti bistveno razlikujejo od drugih pravnih besedil. Zakonska besedila so tako veliko zahtevnejša kot informativna pravna besedila – tudi za strokovnjake, še toliko bolj pa za pravne laike. V pričujočem prispevku so predstavljene nekatere temeljne značilnosti nemškega normativnega pravnega jezika, in sicer na primeru Nemškega državljanskega zakonika (BGB), ki velja za mejnik na področju nemškega prava. Ključne besede: pravni jezik, zakon, Nemški državljanski zakonik, normativni bese- dilni tip, abstraktnost Linguistica_2019_FINAL.indd 139 9.10.2019 8:58:48