LINGUISTICA XXXV, 1 BESEDILNE VRSTE - TEXTSORTEN Ljubljana 1995 LINGUISTICA XXXV, 1 BESEDILNE VRSTE - TEXTSORTEN Ljubljana 1995 Revijo sta ustanovila t S tanko Škerlj in fMilan Grošelj Revue fondee par tStanko Škerlj et tMilan Grošelj Zbornik so uredili - Melanges rediges par Janez Orešnik - Mitja Skubic - Pavao Tekavčic Siegfried Heusinger - Niko Hudelja Natis zbornika je omogočilo MINISTRSTVO ZA ZNANOST IN TEHNOLOGIJO REPUBLIKE SLOVENIJE Ob sodelovanju ZNANSTVENEGA INŠTITUTA FILOZOFSKE FAKULTETE UNIVERZE V LJUBLJANI Sous les auspices du MINISTERE DES SCIENCES ET TECHNOLOGIES DE LA REPUBLIQUE DE SLOVENIE avec le concours de L'INSTITUT DE RECHERCHES SCIENTIFIQUES DE LA FACULTE DES LETTRES DE L'UNIVERSITE DE LJUBLJANA Oddelek za germanske jezike in književnosti Filozofske fakultete Univerze v Ljubljani Abteilung für germanische Sprachen und Literaturen der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana Zbornik mednarodnega simpozija PROTOTIPIČNOST BESEDILNIH VRST Ljubljana, 16.-18. novembra 1994 Sammelband zu den Beiträgen des internationalen Symposions PROTOTYPISCHES IN TEXTSORTEN Ljubljana, 16.-18. November 1994 Programski odbor - Programmausschuß prof. dr. JANEZ OREŠNIK član S AZU - Akademiemitglied prof. dr. ANTON JANKO predstojnik Oddelka za germanske jezike in književnosti - Vorstand der Abteilung für germanische Sprachen und Literaturen prof. dr. SIEGFRIED HEUSINGER gostujoči profesor - Gastprofessor prof. dr. STOJAN BRAČIČ vodja katedre za nemško jezikoslovje - Leiter des Lehrstuhls für deutsche Linguistik Organizacijski komite - Organisationskomitee prof. dr. ANTON JANKO prof. dr. SIEGFRIED HEUSINGER Tajništvo organizacijskega komiteja - Sekretariat as. mag. ADA GRUNTAR DARKO ČUDEN Vorwort "Prototypisches in Textsorten" - unter diesem Rahmenthema veranstaltete die Abteilung für germanische Sprachen und Literaturen, Lehrstuhl deutsche Sprache, an der Philosophischen Fakultät der Universität Ljubljana vom 16. bis 18. November 1994 ein Symposion mit internationaler Beteiligung. Sprachwissenschaftler aus Deutschland, Österreich, Tschechien, Kroatien und dem Gastland Slowenien befanden über Resultate der bisherigen Textsortenforschung und - dies vor allem - sie stellten ihre Positionen dazu und ihre eigenen Forschungsergebnisse zur Diskussion. Wir haben die Referate in diesem Sonderheft abgedruckt und erhoffen uns mit ihrer Veröffentlichung eine weiterführende Behandlung des keinesfalls unstrittigen Gegenstandes. Der Textsortenbegriff scheint an sich schon das Kreative und Geistvolle im Textgestaltungsprozeß zu verneinen. Zudem gelangte das Wort "Sorte" (aus franz. sorte "Art, Qualität" bzw. für den oberdeutschen Sprachraum aus ital. sorta mit gleicher Bedeutung) im 16. Jahrhundert als Terminus des Handels ins Deutsche. M. WIERSCHIN (sein Beitrag in diesem Heft) bezeichnet nach seinem Verständnis als Textsorte "antistilistisch determinierte, stereotyp-formelhafte Einzeltext-Komponenten, die aus Einzellexemen, subsyntaktischen Wortverbindungen, Einzelsätzen, asyntaktischen oder hypersyntaktischen Einheiten bestehen können." Sprachgestaltung als Gestalt werdende Denkkraft, als Persönlichkeitsausdruck, wird mit diesem Textsortenverständnis verneint. Andererseits bedurfte es (auch aus praxisnahen Erwägungen) mit der pragmatischen Wende Ende der 60er Jahre eines Begriffs in der sich etablierenden Textlinguistik, der eine Abstraktionsebene mit geringer Extension für den realen Einzeltext kennzeichnet. So wurde die Textsorte als "Prototyp", als "Muster" zum geläufigen Terminus. R. MÜLLER (sein Beitrag in diesem Heft) gibt unter anderem Antwort auf die Frage nach der Etablierung der Textsortenlehre in der Textlinguistik. Der so verstandene Textsortenbegriff wie auch die Annahme von "Grundtextsorten" (der Beitrag von G. M. DIEWALD in diesem Heft) und die recht konkreten Darlegungen zu einzelnen Textsorten, auch zu den literarischen (siehe die Beiträge in diesem Heft) standen im Zentrum der Konferenzdiskussion. Die internationale Textsortenforschung steht keinesfalls am Anfang. Das wurde auf dem Symposion sehr deutlich. Textsortengeschichtliche wie texttheoretische und methodische vs. methodologische Darlegungen kennzeichneten den erreichten Stand oder wiesen über ihn hinaus. Ein Neuansatz in der Textsortenforschung ist offenbar der interkulturelle Aspekt. Die Teilnehmer baten um eine Fortsetzung des Symposions in Ljubljana. Sie wurde für 1996 oder 1997 in Aussicht gestellt. Wir danken allen Beiträgern sehr herzlich. Siegfried Heusinger Anton Janko Ljubljana im März 1995 Siegfried Heusinger Universität Ljubljana UDK 801,73:008:007 TEXTSORTEN IN DER INTERKULTURELLEN KOMMUNIKATION - EIN PROBLEMAUFRIß 1. Jede Textklassifikation folgt dem Ziel, die unendliche Vielfalt realer Texte in der kommunikativen Praxis auf überschaubare Grundtypen zu reduzieren. Dieses Ziel ist von wissenschaftlichem, aber auch von pädagogischem Interesse; denn das, was wir genau kennen bzw. zu kennen glauben, läßt sich in einen übergreifenden Zusammenhang einordnen, es läßt sich beschreiben und auch lehren. Die Textsortenforschung steht keineswegs am Anfang, so daß sie durchaus Ergebnisse vorweisen kann, die bereits Lehrgegenstand in den Schulen und Hochschulen sind. Die Deutsch-Schulbücher des Cornelsen-Verlags für Schüler an deutschen Gymnasien verwenden wie selbstverständlich den Begriff der Textsorte und beziehen ihn auf nichtliterarische Texte, z.B. auf "Glosse", "Reportage", "Kommentar". Offenbar ist der textlinguistische Terminus "Textsorte" bereits zum populärwissenschaftlichen Fachbegriff geworden und gehört heute auch zur Schulterminologie. Der Textsortenbegriff ist ein Produkt der kommunikativen Sprachbetrachtung, das Textsortenwissen beruht auf überlieferter Alltagserfahrung aus unzähligen Akten sprachlich-kommunikativer Tätigkeit, das heißt, es ist im Alltagsbewußtsein verankert. Das Problem, das wir Linguisten uns anschicken zu lösen, besteht in seinem Kern darin, es aus dem Alltagsbewußtsein in wissenschaftliches Bewußtsein umzuwandeln, oder noch genauer gesagt, einen wissenschaftlichen Textsortenbegriff zu entwickeln, der die bekannten Schwierigkeiten bei der Handhabung des alltäglichen und individuell gespeicherten Textsortenmusters überwinden hilft (vgl. dazu E. Gülich 1986,15 ff.j. Die Fortschritte in der Textsortenforschung haben nicht nur neue Zielrichtungen aufgezeigt, sie haben auch das Problemfeld erweitert. Das spricht für ein nach wie vor aktuelles Forschungsinteresse. Soweit ich die Literatur übersehe - und das ist zur Gänze wohl kaum noch möglich - richten sich die Forschungen hauptsächlich auf folgende Ziele: (a) Textsortenforschung als Wegbereitung für die Ausarbeitung einer theoretisch, befriedigenden Texttypologie; (b) Erkundung des Textsortenpotentials einer kulturell homogenen Kommunikationsgemeinschaft (c) empirische Untersuchungen zu ausgewählten, kulturell homogenen Textsorten und Realisierungsvarianten (d) Forschung im Hinblick auf notwendiges Textsortenwissen für die kulturelle und interkulturelle Kommunikation; einzelsprachliche und übereinzelsprachliche Realisierungen (e) Textsortenwissen in einer Verstehensstrategie (f) Textsortenbeschreibung für alltägliche Lebensbereiche und praktische Bedürfnisse, z.B. berufliche Tätigkeit, Geschäftskorrespondenz, soziale Kontakte. Die Ziele reichen weiter als hier festgestellt werden kann, sie sind zumeist noch spezieller und differenzierter. Die Auffassungen darüber, was eine Textsorte sei, gehen noch immer weit auseinander. Zu Beginn der Textsortenforschung Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre wurde nahezu alles mit dem Textsortenbegriff belegt, was sich durch Abstraktion realer Textvorkommen zu Klassen vereinen ließ. Auf dem 1972 in Deutschland durchgeführten Kolloquium zu "Differenzierungskriterien für Textsorten aus der Sicht der Linguistik und einzelner Textwissenschaften" kamen die Veranstalter zu folgendem Resümee: "... zum Teil wird der Begriff der 'Textsorte' sehr eng gefaßt, wie etwa von Barbara Sandig, die u.a. 'Kochrezept', 'Arztrezept' und 'Gebrauchsanweisung' als verschiedene Textsorten ansieht. Von anderen wird der Begriff sehr weit gefaßt, etwa von Siegfried J. Schmidt, der fiktionale Texte als eine Textsorte behandelt, von Wolfgang Dreßler, der eine Textsorte 'Übersetzung' etabliert, von Werner Kummer, der eine Textsorte 'Argumentation' postuliert, und von der Konstanzer Gruppe, die ganz bewußt mit dem sehr vagen Oberbegriff 'Narrative Strukturen' arbeitet" (E. Gülich/ W. Raible 1972, 2). Zieht man zum Vergleich die aktuelle Diskussion heran, dann hat man zunächst den Eindruck, daß sich in der Textsortendiskussion der 80er Jahre kaum etwas bewegt hat. E. Oksaar kommt etwa zu dem gleichen Resultat, wenn sie registriert: "Die sogenannte pragmatische Wende, so vielversprechend wie sie auch gewesen sein mag, scheint jedoch in den 80er Jahren allgemein nicht wesentlich an Kreativität gewonnen zu haben" (1988, 14). Auf der Konferenz "Textsorten/Textmuster" 1990 in Leipzig wird teils Bilanz gezogen, teils aber auch nach weiterführenden Erklärungen zwischen Theorie und Praxis gesucht. Vor allem Wolfgang Heinemann resümierte seine Problemsicht. Dabei stellte er - hier nur thesenhaft wiedergegeben - folgende Probleme heraus: (1) Der Versuch einer typologischen Textsortenbestimmung in Termen distinktiver Merkmale, wie sie zum Beispiel von Barbara Sandig 1972 publiziert wurde (1972, 122), war zwar der am besten ausgearbeitete Vorschlag für eine kommunikativ orientierte Typologie, aber er erwies sich in dem Moment als unzureichend, als man versuchte, auf dieser Basis ein strigentes und in sich geschlossenes System von Textsorten zusammenzustellen. Es erwies sich, daß es vielfach Überlappungen von den in der kommunikativen Praxis erfahrenen Textsorten gibt, daß sie in Implikationsbeziehungen zueinander stehen, daß also letztlich dieses hypothetische System nicht ausbaufähig ist. Zum besseren Verständnis möchte ich verdeutlichen, wovon hier die Rede ist: Ein Gesetzestext hat die Merkmale *monologisch, *festgelegtes Thema, *bestimmte Form des Textanfangs, *bestimmte Form des Textendes, *enthält Nichtsprachliches (z.B. Zeichen für §). Ein Arztrezept unterscheidet sich davon durch die Merkmale ökonomische Formen und * weitgehend festgelegter Textaufbau (ebenda, 122). In den anderen Merkmalen stimmen beide Textsorten überein. (2) Die Vorstellungen für eine wissenschaftliche Klassifikation waren an mathematische Kriterien gebunden worden (beispielsweise von H. Isenberg): an Vollständigkeit des Systems, Homogenität, Monotypie, Striktheit. Dieses deduktiv hergeleitete System forderte starre Rahmenstrukturen für den Textaufbau, für die sprachliche Typik, für die kommunikativen Bedingungen. Von den Kommunizierenden mußte ein sehr genaues Textsortenwissen erwartet werden, wenn sie die Anforderungen an eine Textsorte erfüllen wollten.Dieses theoretische Konstrukt mußte schon deshalb aufgegeben werden, weil Stilentscheidungen ebenso variieren wie die kommunikativen Bedingungen, unter denen sich sprachliches Handeln vollzieht, - und natürlich auch variieren müssen. Für vollständig genormte oder teilweise genormte Gebrauchsformen wie tabellarischer Lebenslauf, Unfallanzeige per Formblatt, Steuererklärung, computergenormtes amtliches Schreiben können die oben genannten Kriterien zugrunde gelegt werden. Nur dann wären Textsorten als Gruppe von Textklassen zu bestimmen, die institutionell genormt sind und als Gebrauchsformen vorwiegend in der behördlichen Kommunikation Anwendung finden. Seitens der ethnomethodologischen Forschung wurden die starren Rahmenbedingungen für Textsorten in Frage gestellt. Man denke nur an Texte der spontanen, vornehmlich mündlichen Kommunikation. Das Problem besteht nach wie vor darin, daß Versuche der Textsortendifferenzierung erschwert werden durch die mehr oder minder ausgeprägte Variabilität in der Textgestaltung (in Sprache, Textaufbau, Textintention, Textthema). Offensichtlich aber ist mit dem Begriff des Prototypischen ein Lösungsansatz gefunden worden, der überlieferte relativ festgewordene psychische Orientierungsmuster, gewissermaßen Schemata, impliziert. Diese Schemata werden den situativen Bedingungen angepaßt und müssen deshalb variabel sein. Als Beispiel kann die Textsorte "Einladung" angeführt werden. Sie variiert in den Realisierungsformen "offizielle Einladung", "inoffizielle mündliche Einladung", "inoffizielle schriftliche Einladung". Dazu können Subformen genannt werden: "persönliche Einladung", "allgemeine Einladung". Die Subformen können durch die Angabe des Grundes weiter spezifiziert sein: "Partyeinladung", "Konferenzeinladung", "Einladung zum Empfang", "Einladung zu einer Ausstellung", Einladung zum Abendessen, zum Kaffee, zum Geburtstag. Alle genannten Realisierungsformen variieren mehr oder minder in der sprachlichen Struktur, sie werden unter verschiedenen situativen Bedingungen realisiert, also unter verschiedenen sozialen Bedingungen, unter den Bedingungen verschiedener Kommunikationsbereiche, beispielsweise Alltag, Wissenschaft, Diplomatie. Ebenso variieren auch die Intentionen, mit denen die Einladungen erfolgt sind. Dennoch läßt sich eine Invarianz feststellen, die es dem Rezipienten ermöglicht, die Textsorte zu erkennen: Es ist das Substantiv "Einladung" bzw. das Verb "einladen", und es ist die Angabe des Grundes. Für die Einladung dominiert offensichtlich die Varianz, für andere Textsorten kann es die Invarianz sein, z.B. für den Geschäftsbrief, für das Kochrezept, für alle formalisierten Textsorten. Das Beispiel der Einladung provoziert Fragen, die wiederum Probleme anzeigen: (a) Kann eine Klasse von Textvorkommen mit sehr geringer Invarianz und folglich hohem Verallgemeinerungsgrad als Textsorte wissenschaftlich beschrieben werden? Handelt es sich nicht vielmehr um Texttypen, wenn man den Typ als theoriebezogene Kategorie begreift, der über globale Invarianten definiert wird? (Ich komme darauf noch zurück) - Auch B. Sandig läßt das Invarianzkriterium weitgehend außer Acht, wenn sie den Brief als eine Textsorte undifferenziert neben Wetterbericht und Kochrezept stellt. Konsequenterweise müßten dann allgemeinere Formen wie Rezept und Bericht als Textsorten aufgefaßt werden. (b) Die Beispiele lenken uns auf eine generelle Fragestellung: Welches Textvorkommen in der sprachlichen Kommunikation soll eigentlich mit dem Begriff "Textsorte" belegt und beschrieben werden? Da sich Forschung nicht im Selbstzweck erschöpft, sondern ihre Ergebnisse von praktischem und theoretischem Wert sind (bzw. sein sollten), da die Textsorte - nach allem, was die Diskussion bisher erbracht hat - im Alltagsbewußtsein verankert ist und deshalb in der Hierarchie der Textklassen wohl die untere Ebene belegt, kann sie meines Erachtens nur als eine sehr spezielle Bezeichnung für eine Klasse von Texten verstanden werden. Der Begriff von der Textsorte ist - wie andere Begriffe auch - ein mehr oder weniger gesellschaftlich durchschnittliches Abbild im menschlichen Bewußtsein, das als Wissensmuster gespeichert ist und in kommunikativen Akten als Orientierungsrahmen dient. Wie das Wissensmuster beschaffen ist, hängt letztlich von den konkreten Anforderungen ab, die an den Sprecher/Schreiber in seiner Tätigkeit an ihn gestellt sind. Wer von Berufs wegen Protokolle zu schreiben hat, sei es nun ein stenographisches Protokoll, ein Verlaufsprotokoll oder ein Ergebnisprotokoll, hat dafür auch Wissensmuster erworben, die durch verbindliche Merkmale, durch Invarianten, gekennzeichnet sind. Die Linguisten sehen sich - unter anderem natürlich - vor die Aufgabe gestellt, solche Wissensmuster zu beschreiben und allgemein zugängig zu machen. Ich verweise nur auf die Fachtextsorten-Forschung, speziell auf Textsorten in der Wirtschaft und in der Diplomatie. Die allgemeinbildende Schule hat zweifellos sehr viel zur Ausbildung der Textsortenmuster beigetragen, ich erinnere nur an Muster für den "tabellarischen Lebenslauf", für "Protokoll", "Diskussionsbeitrag". Ich erinnere auch an Textsorten der Massenmedien wie "Pressenachricht", "Leserbrief', "Feuilleton". Doch die allgemeinbildende Schule muß sich auf die Vermittlung allgemeinen Wissens beschränken, das später ohnehin durch weiterführende Schulen für die konkreten Anforderungen der Berufspraxis ausgebaut wird. Es genügt offenbar zunächst zu wissen, wie ein Bericht sprachlich beschaffen und gegliedert ist. Im Schulbuch des Cornelsenverlags für das 7. Schuljahr, 1. Auflage 1991, wird "Bericht" wie folgt definiert: "Ein Bericht ist ein Gebrauchstext, der in erster Linie der sachlichen Information über einen Vorgang, ein Ereignis u.ä. dient. Der Berichtende sollte sich deshalb persönlicher Wertungen und Beurteilungen enthalten und sich auf die klare und möglichst genaue Darstellung des Geschehens oder des Sachverhalts beschränken." (Lesen, Darstellen, Begreifen. - Lese- und Arbeitsbuch für den Sprachunterricht, Ausgabe A, 7. Schuljahr, Frankfurt/Main 1991, Seite 357) Die Definition umreißt einen allgemeinen Wissensrahmen, ein Grundmuster, mit den Merkmalen "sachlich", der "Information dienend", "relativ frei von persönlichen Wertungen", "möglichst genaue Darstellung", "authentisch". Es werden Anforderungen an Proposition (Sachverhaltsdarstellung), Intention und Sprache gestellt, die gewissermaßen auf den Kern des Wissensrahmens bezogen sind. Selbst meine ich, daß diese Orientierung für viele Lebenssituationen ausreicht. Eine Textsorte ist mit diesen Merkmalen aber noch nicht umrissen, denn für die Praxis wird eine Differenzierung erwartet, aus der textsortenspezifische Merkmale hervorgehen, z.B. für ein Verlaufsprotokoll, einen Untersuchungsbericht, einen Fallbericht; eine solche Differenzierung ist zweckmäßiger. Berichte sind ergebnisorientiert und zumeist institutionsgebunden (vgl. B. Sandig 1986, 184). Das erklärt auch die zahlreichen Textsorten, die auf dem Grundmuster zum "Bericht" basieren. Wörterbücher, Lehrmaterialen und Lehrbücher, auch wissenschaftliche Abhandlungen weisen als berichtende Textsorten aus: Lebenslauf mit seinen Realisierungsformen "ausführlicher und tabellarischer Lebenslauf", Protokoll mit seinen Realisierungsformen "Verlaufs- und Ergebnisprotokoll", Untersuchungsbericht mit zahlreichen Realisierungsformen, die nach ihren Berichterstattern benannt sind, z.B. Untersuchungsbericht der Arbeitsschutzkommission, der Ärztekammer, des parlamentarischen Ausschusses, der Ärztekommission. Auch eine sogenannte "Befundung" nach medizinischen Untersuchungen kann der Textsorte "Untersuchungsbericht" entsprechen. Nebengeordnete Textsorten sind Anamnese (Krankengeschichte) und Krankenbericht. Variantenreich ist auch der "Fallbericht", mit dem ein Vorkommnis aufgezeichnet ist. Eine seiner Formen ist beispielsweise der "Unfallbericht". Nicht betont sachlich ist der "Sportbericht". Im Unterschied zur "Sportnachricht" (eine Mitteilung über ein Sportereignis in den Medien) ist der Sportbericht eher aktionsgeladen, er ist nicht frei von Wertungen und Emotionen. Medienberichte weichen vom Grundmuster des Texttyps "Bericht" ab. Das ist gewiß keine Opposition gegen Konventionen, sondern die "Abweichung" beruht auf Erwartungen an die Medienkommunikation. Damit wird ein textexternes Merkmal ins Spiel gebracht, das man als "situatives Merkmal" bezeichnen kann; situativ mit Bezug auf den Kommunikationsbereich, in dem kommuniziert wird. Verallgemeinernd läßt sich als Hypothese formulieren, daß die erwartete musterhafte Grundstruktur ein differenzierendes Merkmal einschließt, das auf den Kommunikationsbereich verweist. Danach wäre zu differenzieren zwischen institutionsgebundenem (das heißt offiziellem) Bericht, Medienbericht, Alltagsbericht. Die in Lehrbüchern verbreitete Auffassung vom Bericht bezieht sich eindeutig auf den "offiziellen" Bericht und das ihm entsprechende Grundmuster. Auch im Kommunikationsbereich "Wissenschaft" wird nach gleichem Grundmuster verfahren. Genannt sei die Textsorte "Forschungsbericht". Barbara Sandig geht bekanntlich von einer anderen Überlegung aus. Sie sieht in den verschiedenen, durch Kommunikationsbereiche mitgeprägten Grundmustern sogenannte "Mustermischungen" (B. Sandig 1986, 107). Danach weist ein Sportbericht Merkmale der Grundmuster für Bericht und Reportage aus. Der "Erlebnisbericht" ist eine Mischung aus Bericht und Erzählung. Aus unserer kommunikativen Erfahrung wissen wir, daß vom Kommunikationsbereich Erwartungen an die Intention, an die Proposition, an die Sprache bzw. den Stil des Textes, und auch an den Textaufbau ausgehen. Dieser Anspruch ist mit dem Begriff "Mustermischung" nicht ausreichend abgedeckt. Es genügt heute nicht mehr, Kommunikation als Austausch von Informationen zu erklären, die nach konventionellen Mustern verbalisiert und textual organisiert sind. Beschaffenheit und Durchführung einer sprachlichen Handlung werden entscheidend von Erwartungen geprägt, die vom Kommunikationsbereich und dem sozialen Verhältnis der Kommunikationspartner (zusammengenommen von der Kommunikationssituation) ausgehen. Der Einfluß der Kommunikationssituation auf Entscheidungen im sprachlichen Handeln ist gegenüber der Orientierung am überlieferten Textmuster primär. Das erklärt wohl auch, daß die "Mustermischungen" offensichtlich zahlreicher sind als die Muster. Mit dieser Anmerkung möchte ich nicht falsch verstanden werden. Zweifellos gibt es Textmuster, die der Sprecher/Schreiber als Abbild von Textsorten gespeichert hat und die für ihn Orientierungsbasis seiner Textgestaltungsprozesse sind. Es gibt auch weitgehend standardisierte Textmuster, die als Präskriptionen den Textgestaltungsprozeß steuern, z.B. Formulare. Aber in der Mehrzahl der Kommunikationsakte ist der Einfluß der situativen Erwartungen auf das Produkt, also auf den gestalteten Text, bestimmender. Deshalb wird eben der Sportbericht nicht an den Merkmalen eines "Behördenberichts" gemessen werden können. Sportbericht und "Behördenbericht" folgen verschiedenen Grundmustern, die in ihren situativen und deshalb auch in weiteren Merkmalen voneinander abweichen. Die Medienkommunikation trägt die Handschrift des jeweiligen Informationsträgers, in Deutschland beispielweise "Der Spiegel", "Die Zeit", "Bildzeitung", "ZDF" u.v.a. Ihnen allen ist werbende Information und werbende Unterhaltung für einen zumeist bestimmten Empfängerkreis eigen, sie unterscheiden sich aber darin, wie sie begrifflich thematisieren, Details auswählen und herausarbeiten (vgl. B. Sandig 1986, 278 f.), Wirkungen intendieren. Es ist aber nur zum Teil eine sendercharakteristische Realisierung medialer Textsorten, die sich in der Handschrift des jeweiligen Informationsträgers spiegelt; dennim Ergebnis, dem gestalteten Text, spiegeln sich auch die Erwartungen des Lesers/Hörers an die Medienkommunikation. Konkreter: Das Grundmuster zum Medienbericht schließt situative Merkmale der Medienkommunikation ein. Ich möchte jetzt eine Zusammenfassung meiner Überlegung versuchen, weil sich daraus weitere Fragen ergeben dürften. Abbildebene begriffliche Differenzierung Realisierungsebene I theoriebezogene Texttyp (z.B. Bericht) Kategorie II Grundmuster Textart (z.B. Medienbericht, - offizieller Bericht) III Textsortenmuster Textsorte z.B. Sportbericht z.B. Lebenslauf Eine Texttypologie arbeitet mit theoriebezogenen Kategorien. Mit Bezug auf sprachliche Handlungstheorien müßte sich folglich eine Typologie ableiten lassen zu Klassen möglicher Intentionen, z.B. informierender, normierender, aktivierender, appellierender, deklarierender Text. Unter wiederum anderem Aspekt können Bezeichnungen für komplex organisierte Handlungen die Basis für eine Typologie abgeben, z.B. Bericht, Erzählung, Erörterung, Beurteilung, Mitteilung, Beschreibung. Aus der Forschungsliteratur sind auch noch andere Vorschläge bekannt. Texttyp und Textart sind theoretische Konstrukte, die es in der Kommunikation real nicht gibt. Natürlich ist im Alltag und in der Berufssphäre beispielsweise von Berichten und Erzählungen die Rede, aber das sind sprachliche Verallgemeinerungen für eine Klasse konkreter Textvorkommen, eben einer Textsorte. Als eine Textklasse auf der unteren Ebene der begrifflichen Hierarchie ist ihre Bezeichnung ein Hyponym, das heißt ein "Unterbegriff", dem allenfalls noch Varianten zukommen können, z.B. zum "offiziellen Lebenslauf" der tabellarische oder der ausführliche Lebenslauf. Das ist offenbar auch einsichtig und am Bericht noch relativ leicht zu demonstrieren. Aber gerade die Textsortenbeschreibung mit der ihr inhärenten Spezifizierung - gemeint ist die Herausarbeitung artbildender Unterschiede zu anderen Textsorten - bereitet gewisse Schwierigkeiten. Als Beispiel sei nur die Abgrenzung des Lebenslaufs von der Biographie bzw. von der Vita angeführt. Zum anderen folgt die Textsortenbestimmung vorrangig funktionalen Gesichtspunkten, also ihrem Zweck und ihrer Verwendung. Schon deshalb wird es keine erschöpfende Vollkommenheit in der Beschreibung geben können. Heute ist weitgehend anerkannt, daß die Textsorte als eine stark spezifizierte Textklasse zu beschreiben ist, die auf einen Prototyp zurückgeht. Beschrieben wird der Prototyp. W. Heinemann und D. Viehweger nennen die Textsorte ein "prototypisches Phänomen" (1991, 170). Aus den Alltagserfahrungen im Umgang mit Textsorten sind Strukturmodelle und Merkmalkomplexe entwickelt worden (vgl. die Text-Typolo-gisierung ebenda, 145 ff.). Ich ziehe es gleichfalls vor, von einer Merkmalmatrix auszugehen. Typologische Textsortenbestimmungen sind zu allgemein und deshalb wenig praktikabel. Ich verweise auf Typologien* die von Tätigkeitsbereichen ausgehen und ihnen Textsorten zuordnen^ zum Beispiel zum Tätigkeitsbereich "Journalistik" der Texttyp "Zeitungstext" und dazu wiederum die Textsorten Nachrichtentext, Bericht, Leitartikel, Kommentar, Wirtschaftsteil einer Zeitung. Der tatsächlichen Vielfalt der Realisierungsformen wird nicht entsprochen. Aus handlungstheoretischer Sicht könnte die Textsorte nach folgenden Merkmalen beschrieben werden: Indexierung situationsgebundene (konventionelle) Rezipientenerwartung Textsortencharakteristik z. B. Lebenslauf offiziell authentisch Sprachhandlung -» I. situativer Kontext 1.1 Kommunikationsbereich (z. B. Direktive/Verwalt.) 1.2 Soziale Situation (z. B. "Bewerber'-Situat.) II. Intention tradierte, ggf. besonders dominant informativ (z. B. "werbende" Inform.) beanspruchte Textfunktion III. Proposition zweckdienlicher frei von Redundanz, Kommunikationsgegen- lückenloser, gewichteter stand Lebensbericht IV. Kanal sprachliche Existenzform, schriftlich Realisierungsform Sprachwahl, Gebrauch be- weitgehend konnotationsfreie V. Sprache/Stil VI. Komposition Lexik, Stilzug: sachbetont chronologisch oder thematisch geordnet, Themenbereiche chronologisch stimmter Wortklassen Stilzüge, Stiltyp der Textfunktion entsprechende (in der Regel tradierte) Gliederung/ Anordnung; Themaentfalung Es ist heute verbreitet üblich, die Textsortenbeschreibung nach textinternen und textexternen Merkmalen vorzunehmen (vgl. H. Bußmann 1990, 781), die der Textsorte eine zweckbestimmte, charakteristische semantische Struktur verleihen. Nur darf diese Struktur nicht als fixe Größe begriffen werden, wie das oft den Anschein hat. Ihre prototypische Basis, das Textmuster, wird im Prozeß der Sprachhandlung und unter den konkreten kommunikativen Bedingungen ihrer Realisierung zu einer dynamischen Größe mit einem mehr oder weniger eng gezogenen Realisierungsrahmen. Würde man beispielsweise nicht vom Texttyp "Bericht", sondern vom Texttyp "Erörterung" ausgehen, ließe sich kaum eine vergleichbare Textsortenstruktur nachweisen. In Schulbüchern ist deshalb nur undifferenziert von der Erörterung die Rede. Gemeinhin verbindet sich mit dem Begriff des Erörterns das Debattieren, das Darlegen des Für und Wider im Prozeß des Klärens oder Lösens von Problemen, das Argumentieren in der Auseinandersetzung um alltägliche und wissenschaftliche Sachverhalte. Wer die Differenzierung sucht, findet als erörternde bzw. argumentierende Textsorten allenfalls "Polemik", "Plädoyer", "Rechtfertigung". Hier stellt sich wiederum die Frage, ob man nicht zwischen "Erörterung" und "Argumentation" unterscheiden müsse. Offenbar kennt die Kommunikationspraxis zwar viele Textsorten, aber nicht so viele adäquate Bezeichnungen, so daß die Lücken durch allgemeinere Benennungen geschlossen werden. Offenbar besteht aber auch für eine "Differenzierung auf jeden Fall" weder ein alltägliches noch ein wissenschaftliches Bedürfnis. Eine "Abhandlung" zum Beispiel ist jeder Aufsatz, in dem sich der Verfasser auseinandersetzt, ist jede schriftliche wissenschaftliche Arbeit. Auch ein amtlicher Bericht, der Untersuchungsergebnisse und die Untersuchungsbedingungen darlegt, wird eine Abhandlung genannt. So undifferenziert wie die allgemeine Benennung ist dann auch die kognitive Existenz entsprechender Textmuster. Ihre sehr flexible Anwendung und folglich auch ihre Abwandlung ist zwingend. Diese Beobachtung hat mich veranlaßt, folgende Typen von Textsorten zu unterscheiden: 1. präskriptiver Typus (das sind weitgehend normierte Textsorten, z.B. Definition, Textsorten auf der Basis von Formularen) (nach W. Eichler, 1992, 341, werden Textsorten, deren Rahmen durch ein Formular vorgegeben wird, gesondert als "formatierte Textsorten" behandelt) II. usueller Typus (das sind Gebrauchsformen, die nach konventionellen, aber nicht streng verbindlichen Mustern gestaltet werden, z.B. Lebenslauf, Sportbericht) III. Rahmen-Typus (das sind Anwendungsformen, die nach einem rahmenhaften Grundmuster relativ frei gestaltet sind, z.B. Erörterung, Argumentation) Der nach einem Muster realisierte Text ist als ein Produkt einer kommunikativen Sprachhandlung immer auch ein Produkt aktueller Entscheidungen. Ein strigentes und in sich geschlossenes System von Textsorten gibt es wohl nicht. 2. Die Textsortenforschung hat bis heute einen Stand erreicht, der uns veranlassen muß, verstärkt über interkulturelle Bezugsmomente nachzudenken. Es geht um die Fragen, ob Textsorten (a) einzelsprachliche, (b) mit Universalien verbundene einzelsprachliche oder (c) übereinzelsprachliche Erscheinungen sind. Die Überlegungen sind nicht neu (ich verweise auf W. Krause 1988, 235 ff.), und es kann auch auf Forschungsergebnisse verwiesen werden. Nach einer Einschätzung von W.-D. Krause (1988, 236) "belegen die bisherigen - allerdings nicht sehr zahlreichen Analysen von kommensurablen Texten in verschiedenen Sprachen auf typologischer Ebene, daß Textsorten aufgrund ihrer historisch-gesellschaftlichen Herausbildung und Tradierung in aller Regel bestimmte Prägungen aufweisen, die nur für die entsprechende Kommunikationsgemeinschaft charakteristisch sind. Das betrifft vor allem die makro- und mikrostrukturelle Organisation der Textsorten, aber auch bestimmte sprachlich-formulative Eigenheiten." An anderer Stelle verweist er darauf, daß sich mit Blick auf die internationale Kommunikation, bedingt durch die Internationalisierung der Produktionsprozesse, Tendenzen der "Unifizierung von bestimmten Textsorten" feststellen lassen (ebenda, 237). Ein Einstieg in die interkulturelle Textsortenforschung könnte zunächst die vergleichende Betrachtung von Benennungsmotiven sein. Die Motive lassen gegebenenfalls erste, aber keinesfalls sichere Rückschlüsse auf Wesen und Funktion der jeweiligen Textsorte zu. Beispielsweise geht die im deutschsprachigen Raum übliche Bezeichnung "Protokoll" für die wörtliche oder dem Sinn nach erfolgte Mitschrift zu Verlauf und/oder Ergebnissen einer Beratung, Sitzung, Versammlung, Vereinbarung auf mlat. >protocollum< zurück. Das ist ursprünglich ein Blatt mit chronologischen Angaben, das einer amtlichen Papyrusrolle vorgeleimt war. Geblieben in der nur etymologisch erschließbaren semantischen Struktur ist der amtliche Charakter des Protokolls und die chronologische Anordnung der niedergeschriebenen Informationen. Eine adäquate Bezeichnung in der slowenischen Sprache ist "zapisnik", was wörtlich "Sitzungsniederschrift" bedeutet. Es ist eine Ableitung zu "zapisik" bzw. "zapis" mit der aktuellen Bedeutung "Niederschrift". Das Benennungsmotiv ist im Unterschied zur deutschen Bezeichnung morphologisch durchsichtig, und es ist mit der Beschränkung auf "Niederschrift zu einer Sitzung" weniger extensional. Strukturelle bzw. formulative Unterschiede zwischen slowenischen und deutschen Protokollen bestehen nicht. Traditionell üblich ist der Protokollkopf und die sachbetonte Form der Niederschrift. Adäquat zu deutsch "Lebenslauf" wird im Slowenischen "življenjepis" verwendet. "Pis" entspricht dem deutschen Wortstamm -schreib- (vgl. Schreiber - pisar). Das auch selbständig gebräuchliche Substantiv "življenje" ist in der semantischen Struktur identisch mit dem deutschen Lexem "Leben". Während die deutsche Textsortenbezeichnung "Lebenslauf" das Prozessuale heraushebt (Verlauf, Gang des Lebens; slow. "Lebensgang" = potek življenja), ist die slowenische Textsortenbezeichnung durch "Beschreibung, Niederschrift des Lebens" motiviert. Im Verständnis der slowenischen Sprachgemeinschaft ist "življenjepis" auf die schriftliche Form festgelegt. Untypisch, aber nicht ungewöhnlich ist die Bildung eines Kompositums, denn sie ist für slawische Sprachsysteme nicht wesenhaft. Neben den Unterschieden in den Benennungsmotiven fallen auch unterschiedliche sprachlich-formulative Eigenheiten auf. Deutsche ausführliche Lebensläufe beginnen -wenn auch nicht zwingend - mit der Präposition "am" und dem Geburtstag: "Am 28.09.1964 wurde ich in X geboren." Der Personenname als Apposition zum Pronomen "ich" erscheint in der Regel nicht mehr in dieser grammatischen Form. Insofern hat sich der Prototyp mit der Durchsetzung freierer Stilentscheidungen verändert. Der Liberalisierung bei der Anwendung von Gebrauchsmustern stehen aber Verbindlichkeiten entgegen, weil Textsorten Funktionen in der Kommunikation haben. Für den ausführlichen Lebenslauf eines Bewerbers werden angemessene Offizialität, sprachliche Neutralität (durch konnotationsfreie Lexik), Übersichtlichkeit, gekonnte Formulierung und eine der speziellen Funktion angemessene Auswahl von Lebensdaten erwartet. Zur Übersichtlichkeit gehört, daß die Textsortenbezeichnung und der Name der Person, um die es geht, in der Texteröffnung hervorgehoben sind. Die handschriftliche Fassung des Lebenslaufs kann verlangt werden. Die Erwartungen sind durch den Kommunika- tionsbereich, den Kommunikationspartner und die Konvention gesetzt. Wir wissen, daß die Erfüllung der formalen Ansprüche Entscheidungen beeinflussen kann. Für die vergleichbare slowenische Textsorte wird die Standarderöffnung gebraucht: "Podpisana Vida S..., roj. 28.09.1964 v X ..." (Unterzeichnete Vida S..., geb. am 28.09.1964 in X ...). Abweichungen davon bilden eine Ausnahme. Meine Studenten empfinden, daß der Grad des Sachlich-Offiziellen slowenischer Lebensläufe höher anzusetzen ist als im Deutschen. Die für den deutschen Lebenslauf herausgestellten Erwartungen gelten auch für den slowenischen. Zweifellos wird bei diesem recht oberflächlichen Vergleich der Mangel an formalen und semantischen Analysen in der interkulturell orientierten Textsortenforschung spürbar, und, indem wir das konventionelle Moment betonen, wird uns auch der Mangel an historischen Kenntnissen bewußt. Beispielsweise ist "živiljenjepis" zweifelsfrei eine systemfremde künstliche Bildung vermutlich im 19. Jahrhundert. Sie hat ihre historischen Ursachen, die für die Erklärung der Textsorten-Stilform wesentlich sein könnten. Die semantische Analyse der Textsortenbenennungen hat mehr einen methodischen als einen wissenschaftlichen Wert, weil sie keinen sicheren Hinweis über die Mikro- und Makrostruktur der Textsorten geben kann, auch nicht über ihre speziellen Formalia und ihre tatsächlichen Funktionen in der Kommunikation. Aber sie kann ein Einstieg in die Untersuchung sein. Der Vergleich von Sprachen auf Textebene hat einen textwissenschaftlichen wie auch praktischen Wert. Er liefert Aufschlüsse über die konstitutiven Eigenschaften von Texten in kommunikativen Zusammenhängen. Davon profitiert nicht nur die Textlinguistik. Auch die Ethologie (Lehre von den Sitten und Gebräuchen eines Volkes), die Soziologie und die Universalienforschung könnten ein Interesse daran haben. Außer Frage steht der Wert für die Translation. Ich meine sogar, daß die Überbetonung des Einzelsprachlichen wie auch die Überbewertung einzelsprachlicher Analyseergebnisse die Textsortenforschung nicht voranbringt, weil sie den konventionellen Rahmen für sprachlich-kommunikatives Handeln zu eng definiert. Über meine Ansicht mag man streiten, gleichwohl, ich akzeptiere auch das Praxis-Argument, daß jedes interdisziplinäre wie auch interkulturelle Herangehen relative Gewißheiten und eine eingehende Klärung auf disziplinarer und kultureller Ebene erfordert. Aber eben diese kulturelle Ebene werden wir in der Sprachverwendungs- und Textforschung nicht vor allem beibehalten dürfen. In einer Zeit, in der interkulturelle Kontakte über die Massenmedien, über die Internationalisierung der Wirtschaft, über den Tourismus intensiviert werden, sichert die Sprachbeherrschung allein keine erfolgreiche Kommunikation. Das Wissen um Sprachverwendungsregeln und kulturell geprägte Eigenheiten der Textbildung ist ebenso vonnöten. Die Sprache jedes Volkes ist ein Teil seiner Kultur; aber auch seine Geschichte, seine Religion, das erwartbare Sozialverhalten in der Kommunikation, überkommene Regularitäten im Zusammenleben, das sind wesentliche Elemente der Volkskultur, und es wird zu recht erwartet, daß man sie respektiert. Aus ihnen sind Verhaltensformen in der Kommunikation erwachsen, aber auch ethnisch geprägte Eigenheiten in den Textsortennormen, die unter dem Oberbegriff der "interkulturellen Verschiedenheiten" zusammengefaßt werden (vgl. auch E. Oksaar 1988, 5). Mit meinem Beitrag möchte ich mehr Forschungsbedarf für eine interkulturell gerichtete Textsortenforschung anmelden. Ich möchte den interkulturellen Verschiedenheiten aber auch kein Übergewicht beimessen, denn das Gemeinsame, das Übereinzel-sprachliche zu erkennen ist ebenso wichtig. Es fällt vor allem dort ins Gewicht, wo sich verschiedene Kulturen eng berühren. Literatur - Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart 1990 - Eichler, Wolfgang: Zum Zusammenhang zwischen gestalteten Aufsatzarten und prag- matischen Textsorten. In: Deutschunterricht. Heft 7/8, Berlin 1992, Seiten 338 -352 - Gülich, Elisabeth: Textsorten im Kommunikationsprozeß. - Kommunikationstypolo- gie. Handlungsmuster, Textsorten, Situationstypen. Jahrbuch 1985 des Instituts für deutsche Sprache. Düsseldorf 1986, Seiten 15 -46 - Gülich, Elisabeth/ Raible, Wölfgang (als Hrsg.): Textsorten, Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht. Frankfurt/Main 1972 - Heinemannn, Wölfgang: Textsorten/Textmuster - ein Problemaufriß. In: Textsorten und Textmuster in der Sprech- und Schriftkommunikation. Leipzig 1990, Seiten 8 - 16 - Heinemann, Wolfgang/ Viehweger, Dieter: Textlinguistik. - Eine Einführung. Tübingen 1991 - Krause, Wolf-Dieter: Zur Präzisierung eines sprachwissenschaftlichen Textsortenbe- griffs. In: Wiss. Ztschr. der PH Potsdam, Heft 5, Potsdam 1988, Seiten 233 - 240 - Lenk, Hartmut E.H. Praktische Textsortenlehre. Ein Lehr- und Handbuch der profes- sionellen Textgestaltung. Helsinki 1993 - Oksaar, Eis: Kulturemtheorie. - Ein Beitrag zur Sprachverwendungsforschung. Ham- burg 1988 - Sandig, Barbara: Zur Differenzierung gebrauchssprachlicher Textsorten im Deut- schen. In: E. Gülich/W. Raible (als Hrsg.): Textsorten. Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht. Frankfurt/Main 1972, Seiten 113-124 - Sandig, Barbara: Stilistik der deutschen Sprache. Berlin, New York 1986 Zusammenfassung Der Begriff der Textsorte ist an deutschen Schulen bereits als Schulterminus geläufig, dennoch ist er noch immer umstrittener Gegenstand in der wissenschaftlichen Diskussion. Relativ gesichert ist die Erkenntnis, daß Textsorten Klassen realer Textvorkommen sind, für die auf der Abbildebene teils überlieferte, teils aus der Erfahrung (bzw. der beruflichen Praxis) Muster angenommen werden können, nach denen z.B. Protokolle, Lebensläufe, Geschäftsbriefe geschrieben werden. Die Text- bzw- Kommunikationslinguistik sieht sich vor die Aufgabe einer wissenschaftlichen Beschreibung gestellt, was im Alltagsbewußtsein bereits recht fest, aber doch oft unbestimmt verankert ist. Der Beitrag stellt verschiedene Auffassungen zur Textsortenproblematik heraus, er verweist aber auch auf Fortschritte, die die wissenschaftliche Diskussion bisher gebracht hat. Dennoch muß man die Tatsache anerkennen, daß es ein strigentes und in sich geschlossenes System von Textsorten wohl nicht gibt. Textsorten sind nichts Statisches, denn sie unterliegen Entwicklungen in den kommunikativen Erwartungen, sie unterliegen aber auch den verschiedenen Anforderungen der Kommunikationsbereiche (man denke nur an die verschiedenen Funktionen, die offizielle Berichte in Verwaltung und Wissenschaft haben gegenüber Ansprüchen an Medienberichte). Ebenso kann auch der Textstil nicht gänzlich vorgeschrieben werden. Ihm ist immer auch Individuelles eigen. Der Beitrag nimmt die wissenschaftliche Beschreibung von Textsorten von ihrer Entstehung im Textgestaltungsprozeß (die Sprachhandlung) her auf und leitet daraus Charakteristika ab, die bezogen sind auf die Proposition, die Intention, den Kommunikationskanal, den Textaufbau und die sprachliche Realisierung des Textes. Ein deutlich weiterweisender Aspekt ist die Textsorte in der interkulturellen Kommunikation. Ansätze dafür werden aufgezeigt, z.B. die Realisierung der Textsorte "Lebenslauf im Deutschen und im Slowenischen. Der Verfasser meldet Forschungsbedarf für eine interkulturell gerichtete Textsortenforschung an. Povzetek BESEDILNE VRSTE V MEDKULTURNI KOMUNIKACIJI - ORIS PROBLEMA Pojem "besedilna vrsta" je v nemških šolah ze uveljavljen termin, vendar pa je v znanosti še vedno sporen. S precejšnjo gotovostjo lahko trdimo, da so besedilne vrste skupine konkretnih besedil; za njihovo abstraktno ponazoritev lahko služijo vzorci, ki so delno prevzeti, delno pa pridobljeni s pomočjo izkušenj (oziroma poklicne prakse). Ti vzorci služijo kot predloga pri pisanju denimo zapisnikov, življenjepisov in poslovnih pisem. Naloga besediloslovja oziroma sporočanja je znanstveno opisati to, kar je v vsakodnevni praksi že trdno zasidrano, česar pa pogosto ni moč točno določiti. V prispevku predstavljam različna pojmovanja problema besedilne vrste, obenem pa opozarjam na napredek, ki ga je znanost dosegla na tem področju. Vendarle pa je treba priznati, da zaprt sistem besedilnih vrst takorekoč ne obstaja. Besedilnih vrst ne gre pojmovati kot nekaj statičnega. Nanje namreč vplivajo razvojne tendence v komunikativnih pričakovanjih, pa tudi različna komunikativna področja (pomislimo le na različne funkcije uradnih poročil na področju uprave in znanosti v primerjavi z medijskimi poročili). Prav tako ni mogoče povsem predpisati besedilnega stila. V njem se vedno odraža tudi stil posameznika. Prispevek predstavlja znanstveni opis besedilnih vrst in sicer od zasnove v procesu oblikovanja besedila ter od tod izpelje značilnosti glede na propozicijo, namen, prenosnik, zgradbo besedila in njegovo jezikovno realizacijo. V okviru prispevka je jasno začrtan vidik besedilne vrste v medkulturni komunikaciji, pri čemer avtor poda nekaj iztočnic za tovrstne raziskave: denimo realizacija besedilne vrste "življenjepis" v nemščini in slovenščini, obenem pa opozori na potrebo po raziskavah na medkulturni ravni. Gabriele Diewald Universität Erlangen UDK 801.73:800:007 TEXTSORTENKLASSIFIKATION AUF DER BASIS KOMMUNIKATIVER GRUNDBEDINGUNGEN 1 Zielsetzung Im folgenden wird versucht, eine Basisklassifikation von Textsorten zu entwerfen, die umfassend und nichtwillkürlich ist. Mit "umfassend" ist gemeint, daß nicht nur ein bestimmter Ausschnitt aus dem Spektrum möglicher Sprachverwendungen untersucht wird, sondern daß alle Vorkommen dominant sprachlicher Kommunikation, mit denen ein Sprecher normalerweise konfrontiert ist, einbezogen werden.1 Mit "nichtwillkürlich" ist zum einen gemeint, daß die Wahl der Klassifikationskriterien nicht beliebig, sondern aus relevanten, textexternen Faktoren ableitbar ist.2 Zum anderen betrifft das Problem der Willkürlichkeit die Frage, ob ein Modell die schlüssige Zurückführung von Texteigenschaften auf entsprechende Klassifikationsmerkmale ermöglicht.3 Die hier herangezogenen Klassifikationsmerkmale sind aus denjenigen situativen Faktoren abgeleitet, die die kommunikativen Grundbedingungen jeder Sprachverwendung bilden, so daß man von ihrem universellen Charakter ausgehen kann. Diese kommunikativen Grundbedingungen sind für jedes Textvorkommen konstitutiv, und ihre unterschiedlichen Ausprägungen hinterlassen eindeutige Reflexe im Text. Die auf diese Weise entstehende Basisklassifikation teilt die Gesamtheit der Texte in wenige Großgruppen, die ich Grundtextsorten nenne. Der Terminus "Grundtextsorte" wird nicht in Opposition zu "Textsorte" gebraucht, er besagt nur, daß außer den Merkmalen der situativen Ebene keine weiteren Merkmale spezifiziert sind. Im folgenden werden die kommunikativen Grundbedingungen und die daraus ableitbaren situativen Merkmale genauer bestimmt und es wird gezeigt, welche Grundtextsorten sich aus den situativen Merkmalen ergeben und welche Texteigenschaften direkt von den situativen 1 Für das Bemühen um eine Gesamtklassifikation plädiert auch Weigand 1986. 2 Kritik an der Beliebigkeit und Willkürlichkeit vieler Klassifikationsversuche übt z. B. Ehlich 1986, der auch einen kurzen Überblick über die Textsortenforschung bietet. Weitere Forschungsüberblicke finden sich in Adamzik 1991, Diewald 1991, Franke 1991 und - sehr ausführlich - in Rolf (1993:81-124). 3 Eine diesbezügliche Kritik bringt z. B. Lux (1981:119) gegenüber dem Freiburger Modell vor; er meint, daß dort "eine Determination der Textsorte durch den Situationstyp [...] lediglich behauptet" werde. Merkmalen beeinflußt sind. Vorher sind jedoch einige grundsätzliche Anmerkungen zur Textsortenklassifikation am Platze. 2 Probleme der Textsortenklassifikation Eine Gesamtklassifikation aller Textvorkommen nach Maßgabe der Ausprägung verschiedener kommunikativer Grundbedingungen ist notwendig deduktiv. Das Ergebnis ist eine Klassifikation nach Grundtextsorten, d. h. die Einteilung aller Texte in idealisierte Großgruppen, die von vielen Einzelmerkmalen abstrahieren. Damit befindet sich dieser Ansatz auf den ersten Blick im Widerspruch zu den meisten aktuellen Forschungsbemühungen. Diese betonen im allgemeinen den nicht vorhersagbaren, historisch, sozial und konventionell bedingten Charakter von Textsorten - also die Unberechenbarkeit ihrer Merkmalskombinationen - und konzentrieren sich daher auf die empirische Forschung (z. B. Adamzik 1991:104ff., Fröhlich 1990, Harnisch 1990). Ich denke, daß diese im Bereich der Textsortenforschung besonders ausgeprägte Spaltung in deduktiv-theoretische und induktiv-empirische Klassifikationsansätze (dazu auch Ehlich 1986, Adamzik 1991) überwunden werden kann, da sie sich auf den - offenbar unbemerkt gebliebenen, aber entscheidenden - Unterschied zwischen System und Norm zurückführen läßt. Textsorten als historisch-konventionelle Textmuster sind Ausprägungen der sprachlichen Norm im Sinne Coserius, also dessen, "was tatsächlich gesagt wird und worden ist, beziehungsweise die Kenntnis einer traditionellen Realisierung". Diese Norm ist die konkrete Realisierung des Systems, das Coseriu bestimmt als das, "was man in einer Sprache sagen kann, ohne ihre Funktionalität anzutasten" (1974:116f.). Die Einteilung aller Textvorkommen in Grundtextsorten ist zu verstehen als eine Annäherung an die Beschreibung des zugrundeliegenden Systems, das m. E. aus dem grundsätzlichen Funktionieren sprachlicher Kommunikation deduziert werden kann. Die Einteilung in Grundtextsorten bildet die Voraussetzung für alle sich individuell und unvorhersehbar entfaltenden Textsortennormen. Die Erstellung einer solchen Basisklassifikation ist m. E. als Grundlage oder - wenn man so will - als Vorarbeit für jede differenziertere Textsortenklassifikation nötig. Damit ist zugleich gesagt, daß mit der Rekonstruktion der grundlegenden Oppositionen die Klassifikationsarbeit nicht beendet ist, daß man also in der Tat nur die Grundtypen sprachlicher Kommunikationsmöglichkeiten, die Grundtextsorten, erhält. Diese Arbeit muß jedoch vor jeder feineren Differenzierung getan werden, wenn eine einheitliche, nichtarbiträre Textsortenklassifikation angestrebt wird. Viele Klassifikationen gehen nicht von kommunikativen Grundbedingungen, sondern von Alltagsbezeichnungen für Textsorten oder von Textfunktionen als Klassifikationsbasis aus. Für das hier verfolgte Ziel einer integrativen Gesamtklassifikation ist dieser Weg nicht gangbar. Alltagsbezeichnungen für Textsorten, also umgangssprach- liehe Textsortennamen, können m. E. nicht als Ausgangspunkt der Suche nach Klassifikationskriterien verwendet werden,4 da oft außerlinguistische Kriterien maßgebend für die alltagssprachliche Benennung sind. Gerade die zugrundeliegenden Kategorien und Oppositionen des Sprachsystems, in diesem Falle also die Merkmalsausprägungen der kommunikativen Grundbedingungen, werden meist nicht benannt, da sie als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Oder sie sind - wie ein großer Teil unseres sprachlichen Wissens - den Sprachbenutzern nicht bewußt und daher auch nicht formulierbar.5 Für eine Textsortenklassifikation, verstanden als Rekonstruktion der Kompetenz, bedeutet dies, daß das Alltagswissen der Sprecher über Textsorten (wie es in Textsortennamen, Metadiskussion und didaktischer Vermittlung zum Ausdruck kommt) keinen eindeutigen Aufschluß über die fundierenden Merkmale liefert. Was nun funktionale Kriterien betrifft, so sind auch sie zur Erstellung einer Basisklassifikation nicht geeignet. Unter der Funktion eines Textes wird im allgemeinen das objektivierte Gegenstück der Intention des Produzenten verstanden (s. Rolf 1993:25), d. h. die Klassifikation ruht auf einer Einteilung der Texte nach Sprechakttypen (z. B. Franke 1987, Rolf 1993). Nun sind aber, anders als im Anschluß an Searle oft angenommen wird, Sprechaktbezeichnungen und -klassifikationen - und damit auch alle davon abgeleiteten Textsortenbezeichnungen - nicht universell, sondern kulturspezifisch. Wierzbicka 1991 stellt das deutlich heraus (150ff., 252) und betont, daß gerade auch Sprechakttypen wie "befehlen" oder "versprechen", die oft als universell veranschlagt werden, kulturspezifisch sind (15lf.). Eine Textsortenklassifikation, die auf Sprechakttypen aufbaut, analysiert also die kultur- und einzelsprachspezifischen Textsortennormen, nicht jedoch die universellen Merkmale der Grundtextsorten. Funktional orientierte Klassifikationsansätze haben ein weiteres, schwerwiegendes Problem: Wenn der Funktion klassifikatorische Kraft zukommen soll, dann muß jedem Text eine dominierende Funktion bzw. Intention zugeordnet werden. Während bei monologischen Texten meist eine Hauptfunktion zu finden bzw. zu interpolieren ist, sind dialogische Texte auf diese Weise nicht zu beschreiben, da sie ja per definitionem aus dem Wechselspiel von zwei Partnern und folglich zwei Intentionen aufgebaut sind. Funktional orientierte Klassifikationen - so z. B. Rolf 1993 - beschränken sich daher in der Regel auf die Untersuchung monologischer Texte. 4 Anders Adamzik (1991:107). Dimter 1981 unternimmt einen solchen Klassifikationsversuch auf der Basis umgangssprachlicher Textsortennamen (ausführlich besprochen in Diewald 1991). Ehlich (1986:53f.) rät insgesamt zur Vorsicht bei der Einbeziehung von Alltagswissen und weist darauf hin, daß eine Klassifikation auf der Grundlage von Alltagsbezeichnungen einer Vermischung von Ob-jekt-und Metasprache gleichkommt (1986:60). 5 Aus diesem Grunde kann auch der Versuch von Gülich 1986, Textsortenmerkmale aus metasprachlichen Äußerungen von Sprechern über Textsorten zu gewinnen, nicht zur Erstellung einer Klassifikationsgrundlage dienen. Entsteht doch auch hier - neben der Schwierigkeit der Materialgewinnung - das Problem, daß Textsortenwissen nur in Konfliktfällen, nicht jedoch bezogen auf die grundlegenden Prototypen, expliziert wird. Die Funktion ist also - zumindest beim jetzigen Forschungsstand - weder universell bestimmbar, noch kann sie auf alle Verwendungsarten von Sprache als primäres Differenzierungskriterium angewendet werden. Sie ist daher als Basis für eine integrative Gesamtklassifikation nicht geeignet. Für diesen Zweck kommen nur situative Merkmale in Frage, die im folgenden als kommunikative Grundbedingungen genauer zu bestimmen sind. 3 Die kommunikativen Grundbedingungen In Anlehnung an den Freiburger Ansatz, wie er z. B. in Steger [u.a.] 1974 erläutert ist,6 werden Textsorten als abhängige Variablen der jeweiligen Kommunikationssituation betrachtet. Dabei ist jedes Textexemplar die Realisierung einer Textsorte, jede aktuelle Situation die Realisierung eines Situationstyps (vgl. auch Adamzik 1994). Vor der Textsortenklassifkation steht also eine Situationsklassifikation. Ohne die Problematik der Definition des Situationsbegriffs hier erörtern zu wollen - dazu sei auf Diewald (1991:272-292) verwiesen, wo eine etwas andere Analyse der Situation vorgelegt wird -, ist festzuhalten, daß der Situationsbegriff für eine Gesamtklassifikation auf diejenigen Merkmale eingeschränkt werden muß, die ich die kommunikativen Grundbedingungen П nenne. Dies sind keine inhaltlichen Bestimmungen, sondern rein formale Merkmale der Kommunikationssituation, die a priori bei jeder sprachlichen Kommunikation gege- o ben sind. Sie werden aus der Beschaffenheit der prototypischen Kommunikationssituation abgeleitet. Q Diese unmarkierte, phylo- und ontogenetisch primäre Grundsituation jeder Sprachverwendung sei mit Lyons (1983:249) die "kanonische Äußerungssituation" genannt. Sie ist die typische Face-to-face-Situation, in der zwei Partner einen Dialog mit freiem Sprecherwechsel führen. Aus dieser Bestimmung der kanonischen Äußerungssituation lassen sich zwei klassifikationsrelevante Faktoren isolieren, nämlich das dialogische Prinzip und der Partnerkontakt. 6 Auch Steger 1983; für eine ausführliche Diskussion mit entsprechenden Literaturhinweisen s. Diewald (1991:265ff.). 7 Anders Harnisch (1990:2103), deren inhaltlich-sozial bestimmter Situationsbegriff u. a. auch Partnerbeziehungen wie Fachmann-Laie einschließt. 8 Die kommunikativen Grundbedingungen beziehen sich nur auf sprachrelevante Faktoren. Die Bedingungen, die zum Glücken jeglicher Art von Kommunikation vorauszusetzen sind, haben keine differenzierende Kraft. So gehen z. B. Faktoren wie die Existenz von (mindestens) zwei potentiellen Partnern, ihre Bereitschaft zu kommunizieren, ein gemeinsamer Code usw., nicht in die situative Merkmalsmatrix ein. Diese könnte man als Vorbedingungen der sprachlichen Kommunikation bezeichnen. 9 So auch Ermert (1979:53f.), Weigand (1993:146). Das dialogische Prinzip meint - wie Härtung 1987 sehr überzeugend darlegt10 -die Tatsache, daß sprachliche Kommunikation grundsätzlich partnerbezogen ist, da sie immer aus dem Gegenüber zweier Perspektiven und deren wechselseitiger Ausrichtung aufeinander besteht. Diese beiden Perspektiven werden von den Kommunikationspartnern eingenommen. Das dialogische Prinzip zeigt zwei Ausdrucksformen, zwei "Kommunikationsrichtungen" (Brinker 1985:126): Ist es in unmarkierter Form realisiert, liegt ein Dialog vor, seiner markierten Form dagegen entspricht der Monolog.11 Das für die Abgrenzung von Dialog und Monolog entscheidende Merkmal ist der Rollenwechsel, also der Austausch der Sprecher- und Hörerrolle bzw. der Produzenten- und Rezipienten-rolle. Wie Härtung (1987:100) zurecht betont, ist der Rollenwechsel "weder zufällig noch teleologisch" motiviert. Vielmehr ist er direkter Ausdruck der Art der Realisierung des dialogischen Prinzips. Gleichzeitig ist die Gestaltung des Rollenwechsels ein konstitutives Strukturierungsmittel des Textes. Das dialogische Prinzip ist somit ein situativer Faktor, der über die Realisierung des Wechselmechanismus zu eindeutigen Reflexen im jeweiligen Text führt und daher ein optimales Kriterium für die Textsortenklassifikation darstellt. Es wird hier als das hierarchiehöchste Kriterium zur Einteilung von Texten angesehen (so auch Steger 1983:52 und Weigand 1986:118). Der Dialog weist realen Wechsel der Sprecher- und Hörerrolle auf. Die Wichtigkeit dieses Merkmals, die schon in Grimms Bezeichnung des Dialogs als "wechselrede der beiden ersten personen" zum Ausdruck kommt (1866:239), wird in allen Definitionen des Dialogs hervorgehoben (vgl. z. B. Henne/Rehbock 1982:14, Mackeldey 1987:38, 42). Nicht so häufig wird jedoch bemerkt, daß dieser Rollentausch zwischen Sprecher 19 und Hörer die konkrete Identifizierbarkeit der beiden Partner füreinander erfordert. Nur dann ist der den Dialog konstituierende Rollenwechsel ohne Einschränkung vollziehbar. Konkrete Identifizierbarkeit bedeutet die Möglichkeit, ein wechselseitiges Ich 10 Hier wäre eine Vielzahl weiterer Autoren zu nennen. Schon Humboldt (1827/1988:137f.) erwähnt das dialogische Prinzip als Grundlage jeder Sprachverwendung. Tschauder (1986:111) spricht von "Pan-Dialogizität" und auch Hagege 1987 läßt keinen Zweifel an der fundierenden Qualität dieser Eigenschaft; schon der Titel seines Buches "Der dialogische Mensch" bringt seine Grundthese zum Ausdruck, daß "der Merfsch [...] von Natur aus dialogisch" ist (244, ähnlich 297). Ähnlich Weigand 1989; ihrer Beschreibung dieses Prinzips als "inhaltliches" und der dazugehörigen sprechakttheore-tischen Interpretation (1989:41) kann ich jedoch nicht zustimmen. Das dialogische Prinzip liegt vor jeder inhaltlichen und intentionalen Bestimmung; es ist ausschließlich in der Existenz und Aufein-anderbezogenheit zweier Kommunikationspartner begründet. Aus psychologischer Sicht hält Wygot-ski (1934/1971:337) fest, daß "die dialogische Sprache tatsächlich die ursprüngliche Sprachform ist." Auch die philosophisch ausgerichtete Untersuchung von Kim 1992 hebt das dialogische Prinzip, das dort unter den "komplementären Charakter" der Kommunikation subsumiert wird, als grundlegend hervor. 11 Ähnlich Härtung (1987:98), Hagege (1987:259) und Weigand (1989:40), die "zwischen einem formalen, situativen und einem inhaltlichen Begriff des Dialogischen" differenziert. 12 Weigand 1986 weist darauf hin. und Du zu konstruieren. Wenn dies nicht oder nur eingeschränkt möglich ist, dann ist der Rollenwechsel erschwert und der Dialog nicht mehr in seiner unmarkierten Form realisierbar. Die kanonische Äußerungssituation ist nun als diejenige Situation definiert, die den Dialog in unmarkierter Form, d. h. als gleichberechtigte mündliche Kommunikation zwischen zwei Partnern mit freiem Tausch der Sprecher- und Hörerrolle, ermöglicht. Sie ist also die unmarkierte Kommunikationssituation, der die unmarkierte Form der Sprachverwendung entspricht. Der Partnerkontakt als der zweite textsortenrelevante Faktor der kommunikativen Grundbedingungen kann in mehrere Aspekte untergliedert werden. Er betrifft die Zahl der Beteiligten, ihre soziale Beziehung und ihre räumliche und zeitliche Beziehung. Das Gemeinsame dieser Aspekte des Partnerkontakts ist, daß sie Einfluß auf die Konkretheit der Kommunikationspartner füreinander - und daher auf den Wechselmechanismus - haben. Wenn z. B. die Zahl der Beteiligten größer als zwei ist und somit eine markierte Situation vorliegt, verkompliziert sich der Wechselmechanismus. Auch der soziale Faktor des Bekanntheitsgrades der Partner beeinflußt die Marktiertheit der Situation und damit die Komplexität des Wechselmechanismus. Es ist durchaus denkbar, daß noch weitere Aspekte des Partnerkontakts berücksichtigt werden müßten, daß also an dieser Stelle die ansonsten eher minimalistische situative Merkmalsmatrix erweiterungsfähig ist. Die folgenden Ausführungen werden sich jedoch auf die raum-zeitliche Ausprägung des Partnerkontakts konzentrieren, da sie die deutlichsten Textreflexe erzeugt. Bezogen auf die raum-zeitliche Einordnung realisiert sich der Partnerkontakt entweder als direktes Gegenüber (gleichbedeutend mit "face-to-face"), d. h. als Ortsund Zeitgleichheit der Partner, oder als Situation, in der Ortsgleichheit und/oder Zeitgleichheit nicht gegeben sind. Dazu ist anzumerken, daß selbst bei diesem scheinbar objektiv definierten Faktor der Äußerungssituation die Situationsinterpretation durch die Teilnehmer eine große Rolle spielt (dazu auch Harnisch 1988:46). Innerhalb gewisser Grenzen steht es im Ermessen der Kommunikationspartner, zu beurteilen, ob sie sich am gleichen Ort und zur gleichen Zeit befinden oder nicht. Die raum-zeitlichen Gegebenheiten beeinflussen den Wechselmechanismus und damit die Textgestalt, insofern, als bei einer Abweichung von ihrer unmarkierten Realisierung der Wechselmechanismus verkompliziert wird. Allerdings muß beachtet werden, daß die Ausprägung der Kommunikationsrichtung als Dialog oder Monolog von den raum-zeitlichen Gegebenheiten zwar in ihrer Gestalt beeinflußt, aber nicht grundsätzlich determiniert wird. Die Konkretheit der Partner füreinander, die ja entscheidend für die Art der Realisierung des dialogischen Prinzips ist, setzt sich aus mehr als nur raum-zeitlichen Bedingungen zusammen. Direkten Einfluß auf die Textgestalt hat die Raum-Zeit-Komponente des Partnerkontakts jedoch im Hinblick auf das Medium. Unter Medium verstehe ich die Realisierung eines Textes in akustisch-auditiver also gesprochener bzw. mündlicher oder in optisch-visueller also geschriebener bzw. schriftlicher Form. Die mediale Ausprägung eines Textes ist also ein Textmerkmal, das von der Ausprägung eines situativen Merkmals, nämlich des raum-zeitlichen Partnerkontakts, determiniert wird. Die Orts- und Zeitgleichheit der Partner führt im Normalfall zur Realisierung des Textes als mündlich. Daß Situationen, die markierte Werte für den raum-zeitlichen Part-nerlcontakt aufweisen, also Ort- und Zeitungleichheit der Partner, überhaupt als Äußerungssituationen gelten können, ist technischen Hilfsmitteln zu verdanken, die die Kluft zur unmarkierten Situation überbrücken. Kim (1992:14) spricht von diesen Mitteln als "Fortsetzungen und erweiterte Formen des zwischenmenschlichen 'Gesprächs'". Sie erfordern zusätzlichen Aufwand vom Individuum und der gesamten Gesellschaft und erzeugen markierte Äußerungssituationen und entsprechend markierte Grundtextsorten. Bei Ort- und Zeitungleichheit erfolgt die Realisierung des Textes im Normalfall als schriftlich. Man kann die Schrift, d. h. die Vermittlung über den optischvisuellen Kanal, geradezu als das Standardmittel zur kommunikativen Bewältigung dieser markierten Äußerungssituation betrachten. Die Entwicklung neuer Kanäle, d. h. neuer technischer Träger, z. B. die Bandaufnahme, die verschickt und an einem anderen Ort zu anderer Zeit abgehört werden kann (der Tonbandbrief), führt dazu, daß nun auch der akustisch-auditive Kanal bei Ort- und Zeitungleichheit offen ist und der Text daher mündlich realisiert werden kann. Allerdings ist zu vermuten, daß gesprochene Sprache, die von vorne herein zum Zweck der konservierenden Aufzeichnung geäußert wird -Dimter (1981:43f.) spricht von Texten, die schon in ihrer "Originalsituation" als "Konserven" geplant sind -, durch die Aufhebung ihrer Flüchtigkeit letztlich dem schriftlichen Medium näher ist als der gesprochenen Sprache, die nur zum einmaligen Hören geäußert wird. Eventuell müßte man also beim Medium statt zwischen mündlich und schriftlich, zwischen flüchtig und konserviert unterscheiden. Obwohl dies auf lange Sicht vielleicht die bessere Lösung sein wird, bleibe ich bei den eingeführten Termini mündlich versus schriftlich bzw. gesprochen versus geschrieben. Bis zur Erfindung des Telefons kovariierten Ortsgleichheit und Zeitgleichheit miteinander. Eine Situation war entweder face-to-face oder sie war es nicht. Beim Telefon, das die Zeitgleichheit trotz Ortsungleichheit erlaubt, entsteht ein im echten Sinn gesprochener Text, d. h. die Sprache ist nicht konserviert, sondern wird direkt im akustisch-auditiven Kanal übermittelt und als gesprochene Sprache realisiert. Als Zusammenfassung dieses Abschnitts sei festgehalten, daß das dialogische Prinzip und der Partnerkontakt situative Faktoren sind, die in jeder Situation, in der sprachliche Kommunikation stattfindet, in der einen oder anderen Ausprägung realisiert sind. Sie werden hier als die kommunikativen Grundbedingungen bezeichnet und liegen, als objektive Gegebenheiten der Situation, vor den bewußten oder unbewußten Absichten der Sprecher. Sie sind insofern unhintergehbar und für den Beobachter leichter zugänglich als z. B. intentionale Faktoren. Für beide situativen Faktoren gilt ferner, daß ihre verschiedenen Ausprägungen sich auf die Gestaltungsmöglichkeit jedes Textes auswirken. Die Ausprägung des dialogischen Prinzips führt zur Realisierung des Textes als Dialog oder Monolog, d. h. zur Durchführung oder Unterlassung des Rollenwechsels. Die verschiedenen Ausprägungen des Partnerkontakts haben Einfluß auf die Art der Durchführung des Rollenwechsels. Außerdem - und das ist entscheidender -beeinflussen sie die Wahl des Mediums, also die Realisierung des Textes als mündlich oder schriftlich. Im folgenden wird gezeigt, wie verschiedene Kombinationen der Ausprägungen der situativen Grundbedingungen zu verschiedenen Kombinationen von Textmerkmalen, also zu verschiedenen Grundtextsorten, führen. 4 Grundtextsorten Der Situationstyp der kanonischen Äußerungssituation wurde als die für sprachliche Kommunikation unmarkierte, natürliche Situation bezeichnet. Das dialogische Prinzip und der raum-zeitliche Partnerkontakt sind jeweils in ihrer unmarkierten Form, d. h. als Dialog und als Ort- und Zeitgleichheit realisiert. Die dieser Situation entsprechende Grundtextsorte, ich nenne sie auch Grundtextsorte I, ist der direkte Dialog, des- 13 sen sprachliche Strukturierung vom real vollzogenen Sprecherwechsel und vom mündlichen Medium geprägt ist. Man kann sagen, der Dialog ist die unmarkierte Grundtextsorte der unmarkierten Äußerungssituation. Texte mit markierter Ausprägung der Dialogizität sind auf eine markierte Sprechsituation zurückzuführen, also eine Sprechsituation, die von der kanonischen Äußerungssituation abweicht. Die markierteste Äußerungssituation ist diejenige, in der alle Merkmale abweichend von ihrer Ausprägung in der kanonischen Äußerungssituation besetzt sind. Das dialogische Prinzip ist als Monolog ausgeprägt, der Partnerkontakt ist nur mehr minimal konkret, was für seine raum-zeitliche Komponente Orts- und Zeitungleichheit bedeutet. Die diesem markierten Situationstyp entspringenden Texte werden zur Grundtextsorte V, zum schriftlichen Monolog, zusammengefaßt. Der schriftliche Monolog ist die am stärksten markierte Grundtextsorte. Seine Textstruktur ist vom Fehlen des Rollenwechsels und vom schriftlichen Medium geprägt. Dieser Grundtextsorte gehören die meisten Texte an, die sich in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen usw. finden. Schriftliche Monologe tendieren dazu, jeglichen Hinweis auf den außersprachlichen Kontext aus dem Text zu tilgen und in den Textraum zu verlagern. Unter Textraum verstehe ich den aus sprachlichen und nichtsprachlichen Elementen bestehenden Rahmen (z. B. Überschriften, Bilder usw.) schriftlicher Monologe, der die Rekonstruktion der Situation durch den Rezipienten ermöglicht. Mit ähnlicher Zielrichtung spricht Lerchner (1990:324) hier von der "Selbstkontextualisierung" der Texte, die ein Ausdruck von zunehmender Markiertheit und abnehmender Situationsanbin- 13 Vgl. Weigand (1989:42), die den Dialog als "nicht nur inhaltlich, sondern auch formal dialogisch" bezeichnet; ebenso Weigand 1986. dung ist. Der Grundtextsorte V gehört eine Vielzahl von Textsorten an, die sich z. T. stark darin unterscheiden, wie vollständig die Kommunikationssituation aus dem Text verdrängt wurde. Zwischen den beiden Endpunkten der Skala, dem direkten Dialog und dem schriftlichen Monolog, unterscheide ich drei weitere Grundtextsorten, die durch verschiedene Kombinationen der Realisierung des dialogischen Prinzips und des Partnerkontakts entstehen. Als deren prototypische Vertreter können das Tefelongespräch, der Brief und der mündliche Monolog gelten. Das Telefongespräch vertritt die Grundtextsorte II, die dem direkten Dialog am nächsten steht. Die ihm zugrundeliegenden situativen Faktoren sind die unmarkierte Ausprägung des dialogischen Prinzips und die teilweise markierte Ausprägung des Partnerkontakts, d. h. Zeitgleichheit bei Ortsungleichheit der Partner. Das Telefongespräch kann einerseits als ein der visuellen Komponente beraubter Dialog, andererseits als ein durch technische Mittel in Richtung Dialog optimierter Brief bezeichnet werden. Die damit korrelierenden Texteigenschaften sind die mündliche Realisierung und der reale Rollenwechsel, dessen spezifische Komplikationen direkt auf das Fehlen des visuellen Kontakts, also auf die Ortsungleichheit, zurückführbar sind (Diewald 1987). Der Brief als Prototyp der Grundtextsorte III nimmt die mittlere Position auf der Skala der fünf Grundtextsorten ein. Seine situative Merkmalsmatrix zeigt die unmarkierte Ausprägung des dialogischen Prinzips und markierten Partnerkontakt, nämlich Orts- und Zeitungleichheit. Aus der Ausprägung des Partnerkontakts ergibt sich die mediale Realisierung des Textes als schriftlich. Kontrovers wird jedoch die Frage beantwortet, ob der Brief bzw. der Briefwechsel im eigentlichen Sinn dialogisch ist oder nicht. Ennerts Ausweg (1979:62), den Brief bezüglich der Kommunikationsrichtung als "neutral" zu bezeichnen, ist keine Lösung, da die Definition des dialogischen Prinzips es verlangt, festzulegen, ob ein Wechsel und damit ein Dialog stattfindet oder nicht. Brinker 1985 bezeichnet den Brief als monologisch und hebt die Abgeschlossenheit und Selbständigkeit eines Einzelbriefes hervor (127, Anm. 25).14 Hier dagegen wird der Brief mit Weigand15 als dialogisch betrachtet, und zwar aus folgenden Gründen: Beide Partner haben die Absicht, als füreinander (wie gut auch immer) bekannte und identifizierte Individuen zu kommunizieren und erwarten einen mindestens einmaligen Rollenwechsel. Dieser ist jedoch durch raum-zeitliche Faktoren behindert, d. h. nicht als freie Wechselrede möglich. Der Brief ist damit ein versuchter, ein rudimentärer Dialog. 14 Ähnlich Tschauder (1986:110), der den Einzelbrief als monologisch, den Brief und die Antwort gemeinsam als dialogisch betrachtet. 15 Weigand (1989:42, Anm. 42) und (1986:119): "Ein Einzelbrief darf daher nicht isoliert werden, ist nicht als monologisch zu bezeichnen." Die Grundtextsorte IV, die ich auch als mündlichen Monolog bezeichne, umfaßt Vorträge, Reden und dergleichen. Ihre situativen Merkmale sind monologisch und ort-und zeitgleich. Wenn der Brief als ein den raum-zeitlichen Umständen trotzender Dialogversuch beschrieben wird, so ist der mündliche Monolog sein Gegenstück, nämlich die Einschleusung eines (schriftlich vorbereiteten) Monologs in eine Face-to-face-Situation. Auch hier gibt es viele Zwischenstufen und Variationen, doch der prototypische mündliche Monolog ist vorher entworfen, meist sogar schriftlich fixiert und schließt eine Wechselrede aus. Dennoch ist der mündliche Monolog eine deutlich ausgeprägte und vom schriftlichen Monolog abgesetzte Grundtextsorte. Die unmarkierte Ausprägung des Partnerkontakts als zeit- und ortsgleich ist von so großem Gewicht, daß in jedem mündlichen Monolog, wenn auch nur an dafür vorgesehenen, ritualisierten Stellen, auf die Situation Bezug genommen werden muß. Diese Grundtextsorte hält als Monolog dem Dialogdruck der Face-to-face-Situaticn stand, was dadurch begünstigt wird, daß die Vielzahl der Zuhörer (d. h. potentieller Dialogpartner) die markierte Ausprägung einer Komponente des Partnerkontakts darstellt. Theoretisch sind weitere Grundtextsorten denkbar, vor allem aufgrund der Tatsache, daß durch die Entwicklung neuer technischer Kanäle neue Möglichkeiten der Kombination der Merkmale des Partnerkontakts gegeben sind. Dies bedeutet, daß sich das Inventar der Grundtextsorten verschieben bzw. erweitern kann. Hier ist jedoch zum einen die Einschränkung zu machen, daß die oben erwähnten Beispiele nur die prototypischen Vertreter einer Grundtextsorte darstellen und daß neue Kombinationen der situativen Faktoren womöglich nur zu Textsorten führen, die als periphere Mitglieder bereits bestehender Grundtextsorten eingeordnet werden können (z. B. Tonbandbrief, Bildtelefon). Zum anderen sollte man die bloße Möglichkeit der Merkmalskombinatorik nicht allein als konstitutiv für eine Grundtextsorte betrachten, sondern auch die Forderung nach allgemeiner Gebräuchlichkeit und Zugänglichkeit erheben. Ein letztes Argument für die Auffassung, daß die dargestellte Skala der fünf Grundtextsorten eine im wesentlichen stabile Gliederung ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß die Grundtextsorten aus den Realisierungen der kommunikativen Grundbedingungen abgeleitet sind und daß diese - wenn sprachliche Kommunikation funktionieren soll -nicht beliebig veränderbar sind. Mit der vorgestellten Skala dürften also die wesentlichen Prototypen erfaßt sein, so daß fundamentale Änderungen des Bestandes nicht zu erwarten sind.16 16 In nichtschriftlichen Gesellschaften würde sich die Zahl der Grundtextsorten auf den Dialog und den mündlichen Monolog reduzieren, es würden jedoch auch hier keine völlig anderen Grundtextsorten auftreten. 5 Textsortenklassifikation und Textmerkmale In den letzten beiden Abschnitten wurde gezeigt, daß die kommunikativen Grundbedingungen, also das dialogische Prinzip und der Partnerkontakt, eindeutige Textreflexe verursachen. Die Ausprägung des dialogischen Prinzips als Dialog oder Monolog wirkt massiv auf die Strukturierung des Textes, die Art des raum-zeitlichen Partnerkontakts wirkt sich vor allem auf seine mediale Gestaltung aus. Diese Unterschiede wurden zur Konstituierung der Grundtextsorten herangezogen. Der Einfluß der kommunikativen Grundbedingungen beschränkt sich jedoch nicht auf diese globalen Textmerkmale, sondern er läßt sich auch in der Mikrostruktur des Textes an bestimmten sprachlichen Elementen nachweisen. Dies sind die deiktischen Markierungen,17 deren Bezug zu den situativen Faktoren man sich folgendermaßen verdeutlichen kann: Der Prozeß der Deixis ist umschreibbar als im Sprecher verankertes "sprachliches Zeigen" auf außersprachliche Kontextelemente. Der Sprecher bezieht sich von seinem Standpunkt, von - mit Bühler (1934/1982:102f.) gesprochen - seiner Origo aus, auf bestimmte Elemente des Äußerungskontexts, indem er sie relativ zu seinem Standpunkt lokalisiert. Das Gelingen dieser Lokalisierung ist direkt abhängig von den Gegebenheiten der aktuellen kommunikativen Situation. Ein deiktischer Ausdruck wie hier kann vom Rezipienten nur richtig interpretiert werden, wenn er die situativen Gegebenheiten kennt. Die Verwendung von hier ist also nur dann sinnvoll, wenn diese Kenntnis vorausgesetzt werden kann. Allgemeiner formuliert: Da Deiktika auf Kontextelemente verweisen, ist ihr Gebrauch nur in denjenigen kommunikativen Situationen angemessen, die den Zugang zu diesen Kontextelementen erlauben. Das Auftreten oder Fehlen von Deiktika in einem Text reflektiert daher die Kommunikationssituation, in der er produziert wurde, d. h. Deiktika sind direkte Indikatoren bestimmter situativer Merkmale und damit der von diesen Merkmalen gesteuerten Textsorte. Ein Teil der deiktischen Markierungen reagiert auf die Art der Ausprägung des Partnerkontakts, und hier wiederum besonders auf seine raum-zeitliche Komponente. Dies sind bestimmte lokale und temporale Deiktika sowie Deiktika, die die Referenz auf Gegenstände und sogenannte "dritte Personen" herstellen. Die Ausprägung des dialogischen Prinzips dagegen wird nur von einigen wenigen Deiktika reflektiert, die aber von großer Bedeutung für die Textsortendifferenzierung sind. Es handelt sich um die Personalformen der ersten und zweiten Person, die ja keine Pronomina, sondern - mit Braunmüller (1977:23) gesprochen - "Rollenvariablen" sind. Sie verweisen nicht auf eine Nominalphrase, sondern sie referieren auf den Sprecher bzw. den Hörer und wechseln ihre Referenz im Gleichklang mit dem Rollenwechsel. Ihre Verwendung und Verteilung ist nicht von der räumlichen und zeitlichen Ausprägung des Partnerkontakts 17 Die Textsortensensitivität von Deiktika wurde schon mehrfach erkannt und auch zur Textsortenbestimmung herangezogen. Dies geschah allerdings nur in Bezug auf einzelne Textsorten und nicht systematisch; hierzu und zu den entsprechenden Literaturhinweisen s. Diewald (1991:264). abhängig, sondern allein von der Ausprägung des dialogischen Prinzips (s. dazu Die-wald 1991:202-226). Ohne hier auf Details eingehen zu können, möchte ich kurz auf eine exemplarische Analyse in Diewald 1991 hinweisen, die die textsortendifferenzierende Potenz der Rollenvariablen untersucht. Sie beansprucht keine empirische Relevanz, ihre Ergebnisse zeigen aber doch, daß eine weitere Suche in dieser Richtung lohnend sein könnte. Pro Grundtextsorte wurde ein Beispieltext im Hinblick auf die Frequenz und Distribution verschiedener deiktischer Mittel analysiert. Die unterschiedlichen Werte wurden als textuelle Reflexe der die Grundtextsorten konstituierenden situativen Merkmale interpretiert. Insgesamt ergab sich, daß die Grundtextsorten bezüglich der Gesamtzahl der Deik-tika zwei Gruppen bilden: Dialogische Grundtextsorten zeigen einen deutlich höheren Anteil von Deiktika an der Gesamtwortzahl (über 8%) als monologische Grundtextsorten (unter 5%). Diese hohe Zahl bei den dialogischen Grundtextsorten ist auf den überproportionalen Anteil der Personalformen an der Summe der Deiktika zurückzuführen. Monologische Grundtextsorten weisen dagegen wenige oder gar keine personalen Deiktika auf. Dieser Befund bekräftigt die Relevanz des dialogischen Prinzips und rechtfertigt seine Einschätzung als dominanter Faktor der kommunikativen Grundbedingungen. Indirekt bestätigt wird er auch durch Gläser 1990. Sie untersucht nur monologische Fachtextsorten, stellt keinerlei Verbindung zwischen den Rollenvariablen und der Kommunikationsrichtung her und hat auch nicht das Ziel, die kommunikativen Grundbedingungen als relevante Klassifikationsbasis zu erweisen. Obwohl also ihr Erkenntnisinteresse in eine andere Richtung zielt, kommt sie zu dem Ergebnis, daß im Gegensatz zu allen anderen von ihr untersuchten sprachlichen Merkmalen (Passiv, rhetorische Figuren), gerade die "Verwendung der Pronomen der 1. Person Singular und Plural sowie der 2. Person" eine textsortenrelevante Distribution aufweist (Gläser 1990:301 und passim). Auch die zweite Merkmalsachse, der Partnerkontakt, zeigt direkte Reflexe in der Frequenz und Distribution der Rollenvariablen, allerdings in zunächst unerwarteter Weise. Auf die Gesamtwortzähl bezogen weist das Telefongespräch mit rund 13% den höchsten Anteil an personaler Deixis auf. Ihm folgen in deutlichem Abstand der Brief mit rund 7% und der direkte Dialog mit 5%. Die Erklärung für die zunächst erstaunliche Tatsache, daß Telefongespräch und Brief höhere Werte an Personaldeiktika aufweisen als der Dialog der kanonischen Äußerungssituation, liegt in der Beschaffenheit des raum-zeitlichen Partnerkontakts. Da beim Dialog direkter Kontakt zwischen den Partnern besteht, kann vieles implizit bleiben, was beim Telefondialog und beim Brief expliziert, d. h. versprachlicht, werden muß. So sind z. B. sowohl für das Telefongespräch als auch für den Brief stark normierte Rituale der Kontaktsteuerung - wie Anfangs-, Gruß- und Beendigungsrituale - obligatorisch, die einen hohen Anteil personaler Deixis enthalten. Beim Telefongespräch muß außerdem der Dialogrollenwechsel unter der markierten Bedingung der Ortsungleichheit der Partner stattfinden, was die Frequenz der Personaldeiktika ebenfalls erhöht. D. h. markiertere Formen des Partner- kontakts bei gleichzeitiger Realisierung des Dialogs führen zu einer im Vergleich zum unmarkierten Dialog starken Zunahme an personaler Deixis. Insgesamt unterscheiden sich die untersuchten Texte als Repräsentanten der fünf Grundtextsorten deutlich in der Frequenz und Distribution der auftretenden Deiktika. Die hier behandelten Unterschiede lassen sich direkt auf die Ausprägungen der Merkmale der kommunikativen Grundbedingungen zurückführen. 6 Schlußbemerkung Die obigen Ausführungen haben gezeigt, daß die kommunikativen Grundbedingungen relevante Klassifikationsmerkmale darstellen, die eine nichtwillkürliche Textsortenklassifikation erlauben. Zum einen sind sie universell auf jedes Textvorkommen applizierbar, zum andern verursachen ihre Varianten direkte Reflexe im Text, und zwar sowohl in seiner globalen Struktur und medialen Gestaltung, als auch bei den deiktischen Markierungen, vor allem bei den Rollenvariablen. Die diese Affinitäten widerspiegelnde Klassifikation der Grundtextsorten ist m. E. die Basis, auf der eine weitere Differenzierung der Textsorten erfolgen kann. In Diewald 1991 werden einige weitere Klassifikationsebenen benannt, die gesellschaftliche, funktionale und thematische Faktoren berücksichtigen. Ohne dies weiter auszuführen, möchte ich auf einen wichtigen Unterschied hinweisen, der zwischen diesen Faktoren und den kommunikativen Grundbedingungen besteht. Letztere stellen die nichthintergehbaren Grundfaktoren der Textproduktion dar, während erstere die Motive für die Texterzeugung liefern. Man will über ein Thema kommunizieren, eine Intention verwirklichen, oder man fühlt sich durch den sozialen Kontext zur Textproduktion veranlaßt. Aus der Situation dagegen lassen sich keine Motive zur Textproduktion ableiten. Sie ist vielmehr deren Grundlage und nur innerhalb der von ihr gesteckten Grenzen können die anderen Ebenen realisiert werden. Die Merkmalsausprägung der hierarchieniedrigeren Ebenen wirkt also subklassifizierend auf der Basis der Grundtextsorten. Das hier vorgeschlagene Modell ermöglicht also eine Klassifikation mit variablem Differenzierungsgrad, die bei Bedarf auch historisch-individuelle Textsortennormen erfassen kann und dennoch immer in die Gesamtklassifikation der Grundtextsorten integriert bleibt. LITERATUR Adamzik, Kirsten: Forschungsstrategien im Bereich der Textsortenlinguistik. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge 1, 1991, S. 99-109. Adamzik, Kirsten: Zum Textsortenbegriff am Beispiel von Werbeanzeigen. In: Satz -Text - Diskurs. Akten des 27. Linguistischen Kolloquiums, Münster 1992, Bd. 2. Hg. Peter-Paul König und Helmut Wiegers. Tübingen 1994, S. 173-180. Bahner, Werner, Joachim Schildt und Dieter Viehweger (Hg.): Proceedings of the Fourteenth International Congress of Linguists: Berlin/GDR, August 10 - August 15, 1987, Bd. 3, Berlin 1990. Braunmüller, Kurt: Referenz und Pronominalisierung. Zu den Deiktika und Proformen des Deutschen. Stuttgart 1977. Brinker, Klaus: Linguistische Textanalyse. 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Original 1934], Zusammenfassung Es wird eine integrative Basisklassifikation vorgeschlagen, die es ermöglicht, alle Textvorkommen einer von fünf Grundtextsorten zuzuordnen und die zudem auf nichtwillkürlichen Klassifikationsmerkmaien beruht. Die Grundtextsorten sind ausschließlich durch situative Merkmale bestimmt und bilden die Basis für eine feinere Differenzierung nach funktionalen, inhaltlichen und soziohistorischen Kritierien. Die klassifikationsrelevanten situativen Merkmale werden aus den kommunikativen Grundbedingungen abgeleitet, d. h. aus Bedingungen, die die Grundlage und Voraussetzung für jede Textproduktion bilden und daher als universell betrachtet werden können. Aus diesen Grundbedingungen werden zwei Klassifikationsparameter isoliert, nämlich das dialogische Prinzip und der Partnerkontakt. Mit ersterem ist die grundsätzliche Partnerbezogenheit der sprachlichen Kommunikation, d. h. die Gegenüberstellung zweier Perspektiven, erfaßt; letzterer bezieht sich vor allem auf die raum-zeitliche Beschaffenheit der kommunikativen Situation. Die verschiedenen Kombinationen dieser situativen Faktoren bilden die Situationstypen für die entsprechenden Grundtextsorten. Letztere sind in einer Skala zunehmender Markiertheit angeordnet, die mit der zunehmenden Markiertheit des jeweiligen Situationstyps korreliert. Der unmarkierten Kommunikationssituation - das ist die dialogische Face-to-face-Situation zweier Partner - entspricht die unmarkierte Grundtextsorte, der direkte Dialog; am markierten Ende der Skala steht der schriftliche Monolog, dem der maximal markierte Situationstyp entspricht, der in allen Merkmalen vom unmarkierten Situationstyp abweicht. Die Grundtextsorten weisen distinktive sprachliche Merkmale auf, die direkt auf die jeweilige Ausprägung der situativen Gegebenheiten zurückführbar sind. Povzetek KLASIFIKACIJA BESEDILNIH VRST NA OSNOVI TEMELJNIH SPOROČANJSKIH POGOJEV Avtorica predlaga osnovno integrativno klasifikacijo, s katero je mogoče vse pojavne oblike besedil uvrstiti v eno od petih temeljnih besedilnih vrst in ki temelji na danih klasifikacijskih značilnostih. Temeljne besedilne vrste so določene izključno s situacijskimi značilnostmi, ki oblikujejo osnovo za natančnejšo diferenciacijo glede na fukcionalne, vsebinske in sociozgodovinske kriterije. Situacijske značilnosti, relevantne za oblikovanje klasifikacije, so izpeljane iz osnovnih sporočanjskih pogojev, t.j. iz pogojev, ki so osnova in pogoj za vsako tvorjenje besedila in ki jih zato pojmujemo kot univerzalne. Iz teh osnovnih pogojev sta izvzeta dva klasifikacijska parametra, in sicer dialoški princip in stik s partnerjem. Prvi zajema načelno naravnanost jezikovnega sporočanja na partnerja, t.j. soočenje dveh perspektiv; drugi kriterij se nanaša predvsem na prostorsko-časovno strukturo sporočanjske situacije. Različne kombinacije ustrezne besedilne vrste. Slednje so razvrščene v lestvici rastoče označenosti, ki je povezana z rastočo označenostjo vsakokratnega situacijskega tipa. Neoznačeni sporočanjski situaciji - to je dialoška situacija "face-to-face" dveh partnerjev - ustreza neoznačena temeljna besedilna vrste, t.j. neposredni dialog; na označenem koncu lestvice je pisni monolog, ki mu ustreza najbolj označen situacijski tip, ki v vseh značilnostih odstopa od neoznačenega situacijskega tipa. Temeljne besedilne vrste vsebujejo razločevalne jezikovne značilnosti, s katerimi je mogoče neposredno razložiti vsakokratno izraznost situacijske danosti. Rolf Müller Universität Gesamthochschule Kassel UDK 801.73:82.08-17-9 TEXTSORTEN - NATÜRLICHE SPRACHFORMEN ODER KULTURELLE SPRACHFORMEN? Etablierung der Textsortenlehre in der Textlinguistik Hinsichtlich dieser Problematik befinden wir uns in der textlinguistischen Begriffsbildung. Textsorte ist ein Begriff der Textlinguistik, der seit der Wende von den 60er zu den 70er Jahren etablierten Disziplin der Sprachwissenschaft. Diese galt damals als neu.1 Beim zweiten Teil der Überschrift läßt sich nicht davon absehen, daß darin der Rückbezug auf den frühen Titel Andre Jolles (11930): Einfache Formen wirksam ist. Man kann bei Jolles eine frühe reflektierte Kategorisierung von Texten beobachten. Zwischen dem linguistischen Abstraktum Text überhaupt, dem Terminus für diese hochkomplexe verbale Erscheinung (Textbegriff), und dem konkreten Einzeltext, den man eigentlich erlebt (realisierter Text), wird eine weitere Abstraktions- bzw. Begriffsebene mit der Textkategorie Textsorte (Textsortenbegriff) eingezogen. Die Form (vom Text) bei Jolles entspricht der Textsorte in anderen Textaufkommen. Die einfache Form Witz z.B. ist das Paradigma für alle einzelnen Witze. Hier läßt sich auch gut die Koinzidenz zwischen Jolles'scher Textform und der später sogenannten Textsorte zeigen, denn fast ein halbes Jahrhundert später erleben wir die terminologische Metamorphose in der Studie Bernhard Marfurt (1977): Textsorte Witz. Zwar wurden bei Jolles aufgeführte Formen, so Märchen und Sage, schon bei Jacob und Wilhelm Grimm zusammengefaßt, jedoch unter einem anderen Interesse. Gibt Jolles eine literaturwissenschaftliche Betrachtung über textliche Erscheinung und Wirkung dieser sprachlichen Formen, so ist es den Grimms primär um die Dokumenta- 1 Vgl. Titel damaliger Beiträge: P. Hartmann (1968), Textlinguistik als neue linguistische Teildisziplin; K. Brinker (1971), Aufgaben und Methoden der Textlinguistik. Kritischer Überblick über den Forschungsstand einer neuen linguistischen Teildisziplin; K. Brinker (1972), Textlinguistik. Zum Forschungsstand einer neueren linguistischen Teildisziplin. An der von W. Dressler (1978) herausgegebenen Sammlung wird mit Aufsätzen von 1912 bis 1972 die Forschungsgeschichte einer Textlinguistik vor der Orientierung auf Textsorten bzw. Texttypik, Texttypologie gezeigt. Unter der Basisliteratur für das germanistische Studium werden bei W. Kürschner (1994: 87f.) Titel als Lehrbücher für die Textlinguistik genannt. tion der Belege für das volksgeistige Schaffen zu tun. Für die Grimms handelt es sich sozusagen um sprachliche Naturformen. Von dem von der Literaturwissenschaft etablierten Kanon dichterischer Texte, den diese nach Gattungen organisiert, sind die Einfachen Formen als Volkspoesie separiert und in fachwissenschaftlichem Zusammenhang der sog. Volkskunde (z.B. Hermann Bausinger, (1980): Formen der "Volkspoesie") gewürdigt worden. Das Anliegen von A. Jolles war, die literarische Dignität der von ihm beobachteten Textformen zu erweisen, auch wenn sie ihm der Gestaltung und Funktion nach als Einfache Formen galten. Er neigt dazu, sie zu den literarischen Gattungen zu rücken. Diese Aufwertung war für manche der Einfachen Formen wohl auch erfolgreich. Übrigens ist mit Gattung ein dritter Terminus aufgetaucht, der gemeinsam mit Textsorte und (Einfache) Form in den gleichen linguistischen Begriffshorizont gehört. Jeder Einzeltext der Dichtung bzw. poetischen Literatur beansprucht die Zuordnung zu einer literarischen Gattung. Die Begriffsdifferenzierung von Textsorte und Gattung gehört schon zu den traditionellen Zugriffen der Textlinguistik. Beleg dafür ist die Aufsatzsammlung Textsortenlehre - Gattungsgeschichte (1977), Hrsg. von W. Hinck, welche den Anregungen des Germanistentages 1976 entspringt. Später erscheint Textsorten und literarische Gattungen (1983) als Dokumentation des Germanistentages 1979. Ein in der Textlinguistik früher Versuch der Textklassifikation ist der von P. Kern (1969). Kern bemüht sich um die Klassifikation eines breiten Spektrums von Texten, und zwar in Text typen, wie er sie nennt. Der Terminus Typ für die Textklasse setzte sich aber nicht durch. Zu Beginn der Suche nach Prototypen oder Textklassen ist die Auffassung so, daß man die Menge der Texte auf Textsorten, Einfache Formen und Gattungen verteilt sieht. Für das System oder den Zusammenhang dieser Textklassifikation neigte man anfänglich zur Benennung Typik/Texttypik. Auch Texttypologie kommt auf, wird gar zum vorherrschenden Terminus in der Textwissenschaft. Die jüngste und erfolgreiche unter den Bezeichnungen für die Textklasse in der Typologie ist Textsorte; ihr Erfolg geht zu Lasten des synonymen Texttyp und hängt wohl mit dessen Vermeidung zusammen. Erinnerlich ist, daß gleichzeitig mit den Klassifikationsversuchen der Textlinguistik auch die Theologie versuchte, Zusammenhänge zwi- 2 In der Einführung zu dieser Aufsatzsammlung, Seite V, folgende Standortbestimmung: "Der Germanistentag 1976 hatte sich zur Aufgabe gesetzt, diese Lage kenntlich zu machen und die Notwendigkeit eines engeren Zusammenwirkens zwischen Sprach- und Literaturwissenschaft aufzuzeigen. An Schwerpunkten der gegenwärtigen Forschung sollte das neue Spektrum der deutschen Philologie vorgewiesen und dabei auch ein Begriff von der wiedergewonnenen Arbeitsenergie vermittelt werden." 3 Nachweisbar im terminologischen Lexikon und in der Bibliographie: H. Bußmann (21990: 782); H. D. Kreuder (31993: 91). sehen ihren Texten unter neuen Aspekten zu verstehen. Mit Hilfe der Termini Typ, An-tityp, Typos, Typologie wurde ein eigenes Textverständnis konzipiert, womit diese und ähnlich klingende Termini als besetzt erschienen. Erzählungen des Alten Testamentes als Typ werden als Vorausdeutungen solcher des Neuen Testamentes verstanden. Das Beziehungssystem insgesamt ist die Typologie. Der Zusammenhang ist repräsentativ bei Leonhard Goppelt (1939/Nachdruck 1990) dargestellt. Die linguistische Texttypik erscheint zunächst so aufgefaßt, daß den Gattungen die Texte der Dichtung, den Einfachen Formen die Texte der Volkspoesie und den Textsorten die sonstigen Texte der alltags-, fach- und sondersprachlichen Kommunikation zugeordnet werden. Der Erarbeitungsvorgang einer Textsortenlehre für das Deutsche läßt sich an einem linguistischen Unternehmen konkretisieren und veranschaulichen. Die Aufgabe der Textsortenklassifizierung bestand in dem von H. Steger initiierten Vorhaben "Grundstrukturen der gesprochenen Sprache" von 1966. Dieses Vorhaben war in den Gesamtzusammenhang des Projekts "Grunddeutsch", später "Grundstrukturen der deutschen Sprache", des Instituts für deutsche Sprache/Mannheim eingeordnet. In den Publikationen aus dieser Forschungsarbeit, die in der Forschungsstelle Freiburg des IDS-Mannheim durchgeführt wurden, findet sich der als Typik bezeichnete Begriff für die Resultate der Klassifikation. Auf frühere Titel und Stellen sei hingewiesen: Typik bei H. Steger (1967: 272, 276),4 H. Steger (1969: 82), P. Kern (1969: 8, 13, 19), U. Engel (1969: 81), K.-H. Bausch (1971: 9, 10, 15), P. Schröder (1973: 13, 15, 24, 25), R. Müller (1973: 67), K.-H. Deutrich (1973: 114), G. Schank/G. Schoenthal (21983: 4). Typologie bei H. Steger (1967: 291 durch Nennung von H. Zimmermann (1965)), P. Kern (1969: 8), P. Schröder (1973: 14), E. Werlich (21979: 12, 56, 100, 105, 106). Es hätte nahegelegen, die einzelne Textklasse Typ zu nennen, zumal Typik wie eine Ableitung davon erscheint. Auch von Typologie her, das gleichzeitig und immer intensiver benutzt wird, hätte sich das angeboten. Statt dessen wird aber der sehr innovativ wirkende Terminus Textsorte eingeführt. Das Prototypische ähnlicher Texte wird als Textsorte begriffen; und es gilt auch Textsorte, wenn die jeweils andere Ausprägung der Ähnlichkeit als bei Einfacher Form und Gattung vorliegt. Die Einführung von Textsorte vollzieht sich in Publikationen, die an das zuvor schon genannte Forschungsprojekt des IDS gebunden waren: Textsorte bei P. Kern (1969: 13, 14),5 K.-H. Deutrich (1971: 27), (1971b: 40, 41, 47), R. Müller (1971: 123, 124), P. Schröder (1973: 13, 15, 26, 40, 42), R. Müller (1973: 54, 63, 67, 68, 69, 72, 73), K.-H. Deutrich (1973: 114), Deutrich, Karl- 4 Die im folgenden aufgeführten Positionen der Termini können immer durch den Vermerk et passim ergänzt werden. 5 Entspr. Anm. 4. Helge/Schank, Gerd (1973: 251), H. Steger u.a. (1974: 39, 40, 41, 62, 65, 66, 69, 87, 89, 90, 91, 92, 93, 95), U. Elmauer u. R. Müller (1974: 98 bis 116), G. Schaiik/G. Schoenthal (21983: 4, 5, 40, 42). Texttyp ist auch zu beobachten: H. Steger (1969: 82,92, 99), P. Kern (1969: 13, 15, 20), W. Müller (1969: 71), K.-H. Deutrich (1973: 145, 146), H. Steger u.a. (1974: 39, 55, 66, 69, 87), E. Werlich (21979: 27ff., 37f., 44, 56, 70, 101). Textsorte findet sich bei Werlich auch, jedoch selten und mit Bezug auf andere Literatur zur Texttypologie; S. 116 wird ausdrücklich die eigene Vermeidung des Begriffs Textsorte konstatiert. Bei P. Schröder (1973a: 26) und R. Müller (1973: 67f.) sind erste aus der Zeit der Vördiskussion stammende Definitionen für Textsorte präsentiert. Sie gehen dahin, daß eine Textsorte solche Texte umfaßt, die mit übereinstimmenden situativen Merkmalen bzw. Äußerungsbedingungen beschrieben werden, also gleichen Situationen entstammen. Die Normsituation für eine Textsorte wurde Redekonstellationstyp genannt. Den einzelnen von den einer Textsorte zugesellten Texten wurde die Benennung Textexemplar zuteil. Es war also eine IVpik/Typologie gesprochener Texte entwickelt, in der z.B. das Textexemplar aus einer bestimmten Redekonstellation unter die Textsorte Interview eingeordnet wird.6 Graphische Textsortendarstellung in der Matrix Die Textklassifikation führte zu weitgehender Differenzierung, so daß sich anbot, durch graphische Darstellung die Übersicht auf einen Blick zu gewährleisten. Die eigentliche Ausprägung und entscheidende Publizität wurde dann durch die Präsentation im Funk-Kolleg Sprache II (1973: 250ff.) erreicht.7 Das Funk-Kolleg Sprache wurde ab Ende September 1971 gesendet. Diese Matrix ist Ergebnis einer längeren Entwicklung. Ein erster Entwurf ist im Beitrag K.-H. Deutrich (1971a: 27f.) veröffentlicht. Sehr anschaulich geht in Abb. 1 das Prototypische der Textsorten aus der Konfiguration der Plus- und Minusmarken hervor. Der definitorische Prozeß für Textsorte findet in dem Zusammenhang der Erforschung der Grundstrukturen gesprochener Sprache ihren Abschluß in G. Schank/G. Schoenthal (21983/11976: 4, 5, 40, 42). Es konnten natürlich nur Textsorten im Feld gesprochener Texte erkannt werden. Verlief dieser definitorische Prozeß also in der An-nährerung an eine Textsortengliederung der Texte gesprochener deutscher Standardsprache, so kam es alsbald zur Ausweitung auf andere sprachliche Kommunikationsbereiche mit hohem Textaufkommen. Dazu stelle ich als Nachweis eine weitere 6 Die dialogische Textsorte Interview ist unter diesen Aspekten intensiv untersucht von F.-J. Berens (1975). 7 Diese Matrix auch in H. Steger u.a. (1974: 94f.). Matrix vor (Abb. 2), die aufgenommen ist in Kleine Enzyklopädie. Deutsche Sprache (1983: 236). Abb. 1 (verkleinert) Merkmalsmatrix Redekonstellationstypen I II III IV V VI 1. Sprecherzahl 1.1 ein Sprecher + + + 1.2. mehrere Sprecher + + + 2. Zeitreferenz 2.1. zeitlos + + 2.2. vorzeitig oder nach zeitig + 2.3. simultan + 3. Verschrankung Text' soz. Situation (Situations-verschränkung) 3.1. keine + + + + 3.2. schwach 3.3. stark + + 4. Rang 4.1. gleicher Rang + + 4.2. Unterordng. od. Privil. + + + + 5. Grad der Vorbereitetheit 5.1. speziell vorbereitet + S.2. routiniert 5.3. nicht vorbereitet + 6. Zahl der Sprecherwechsel 6.1. null + + + 6.2. relativ wenig + + 6.3. relativ viel + 7. Themafixierung 7.1. Thema im voraus festgelegt + + + + (+) 7.2. nicht im voraus festgelegt + 8. Modalität der Themen behandlung S.l. deskriptiv + + 8.2. argumentativ + + (+) 8.3. assoziativ + 9. Öffentlichkeitsgrad 9.1. öffentlich + + + + 9.2. halböffentlich 9.3. nicht öffentlich 9.4. privat « + 7 Diese Matrix auch in H. Steger u.a. (1974: 94f.). Erläuterungen und Anmerkungen Zum Redekonstellationstyp I Zum Redekonstellationstyp II Zum Redekonstellationstyp III Zum Redekonstellationstyp IV Zum Redekonstellationstyp V Zum Redekonstellationstyp VI zur Merkmaismatrix: gehört z. B. die Textsorte .Vortrag" gehören z. B. die Textsorten .Bericht", „Erzählung" gehört z. B. die Textsorte „Reportage" gehört z. B. die Textsorte „öffentliche Diskussion" gehört z. B. die Textsorte „small talk, Unterhaltung" gehört z. B. die Textsorte „Interview" Die in Anführungszeichen gesetzten Termini - z. B. „Vortrag" sind nicht als alltagssprachliche Ausdrücke zu verstehen, sondern sie sind definiert als sprachstrukturelle Bedingungen der jeweils zu einem Redekonstellationstyp gehörenden Textsorte. Zur besseren Ubereicht wurde in der Merkmalsmatrix nur das Zeichen + gesetzt, an den Leerstellen ist ein - zu ergänzen. Die Klammer ( ) zeigt fakultatives Vorliegen einer Merkmalsausprägung an. Abb. 2 (verkleinert) E _ „ Sii C И i £ ,o K a iž C o 2 2 e o 3 e o a! 's « M •D C t» * t 1 ca v б s e o * H •a = £ u JZ "So JZ £ ■C e 16 g 2 1 T g a g spontan o o o E Ж 'S o Л '■5 u 1 3 0 1 a 1 j* n T3 g o u. ■a E o u. f3 So « 11 H Iper 2per Зрег « & Б Interview + + _ _ + + + + + _ + + + ■ + + Brief - + + - - - - + + - + + + + + Telefongespräch + ± - - - + + + + - ± + + + + Gesetzestext - - + - - - - + + - + - - + - Arztrezept - - + - - - - + + + + - - - - Kochrezept + - + - + + + + - + + - - + + Wetterbericht ± - + - - + ± + - + + - - + - Traueranzeige - - + - - - - + + + + + - + - Vorlesung(sstunde) + + + - + + + + + - -t- + + - + Vorlesungsmitschrift - - + - - - - + - - + - - + - Reklame ± + + + + + + + + - + + + + + Stelleninserat - - + - - - - i- + + + + + + ± Rundfunknachrichten + - + - - + + + + - - - - - Zeitungsnachrich t - - + - - - - + - - + - - + - Telegramm - - + - - - - + + - + ± + + Gebrauchsanweisung - - + - - - - + - - + - + + + Diskussion + + - - + + + + + - + + + + + familiäres Gespräch + + - + + + + + - - - + + + + Abb. 2.5.-3: Texttypenmatrix (nach Sandig) Sie ist von B. Sandig entworfen in Textsorten (1972). Textklassifikation wurde schon längst in der Didaktik des Schulfaches Deutsch geübt, und zwar im Aufsatzunter- o rieht. Repräsentativ ist dort die Matrix bei H. Helmers ( 1975: 228f.), die eine Gestaltungslehre für schriftliche und mündliche Schülertexte darstellt. Auch bei Ausschluß von Einfachen Formen und Gattungen wird man dennoch eine vollständige Erfassung aller Textsorten des übrigen Feldes nicht erreichen können. Dafür ist das Kommunikationsgeschehen zu vielfältig, auch hat man mit einer Metamorphose des Textsorteninventars zu rechnen, in deren Verlauf Textsorten vergehen und neu entstehen. Als ein Metier der Expansion sei z.B. auf das moderne Medium Tagespresse verwiesen; an der dort aufgekommenen Glosse wäre eine solche Textsorteninnovation zu verfolgen. Im Fachgebiet Textlinguistik bieten moderne Studienbücher selbstverständlich eine Besprechung von Textsorten. Von A. Linke/M. Nussbaumer/R R. Portmann ( 1994: 253) wird sogar ein "(intuitives) textsortenspezifisch.es Textmusterwissen" konstatiert. Es beruhe wahrscheinlich auf der Schaffung von Prototypen von Textsorten, welche die intuitive Zuordnung von Texten zu bestimmten Textsorten ermöglichten. Dort a.a.O., S. 252f. wird die Vielzahl von in die Textlinguistik eingeführten Termini für den Vorschlag einer gestuften Hierarchie genutzt: Texttyp - Textklasse - Textsorte. So wäre der unten besprochene Text 1 ein Textexemplar der Textsorte Glosse, welche dann der Textklasse Kommentar zugeordnet werden könnte; Pressetext wäre die alles umfassende Textklasse. Die Anzahl der Stufen einer solchen Hierarchie ist relativ, denn man könnte unter dem Hyperonym Gebrauchstext eine weitere Abstraktion anzeigen. Bei B. Imhasly, B. Marfurt, P. Portmann (1979: 170ff.) wird bereits eine entwickelte Textsortenlehre vorgestellt. In der Gegenüberstellung von Textexemplar und Textsorte werden, wie sonst bei linguistischer Systematisierung, von konkreten Ereignissen der etischen Sphäre die ab-straktiven der emischen abgeleitet: Phon - Phonem (Phonetik - Phonemik), Graph -Graphem (Graphetik - Graphemik), Morph - Morphem (Morphologie - Morphemik). So könnte man vorschlagen, Textexemplar einer Textetik (Textik?) und Textsorte einer g Textemik zuzuordnen. Exkurs zur Veranschaulichung der Textsorte Glosse Da die Textsorte Glosse ins Spiel gebracht worden ist, sollten ihre textlichen Charakteristika aufgezeigt werden. Wie schon gesagt, handelt es sich um eine verhält- 8 Diese Systematik ist ausgeführt bei R. Müller (1993) und könnte um den vorgeschlagenen Schritt zur Textemik-Textetik erweitert werden. Vgl. auch H. Steger u.a. (1974: 46f.) über Textern. nismäßig junge Textsorte. Als Textkategorie ist sie noch nicht entschieden identifiziert, obwohl ihre Texte häufig sind und deren Formulierung schon einer ausgeprägten Professionalität bedarf. Das mag daran liegen, daß es sich einerseits um Einfache Formen nicht handelt, daß sie andererseits als journalistische Äußerungen auch noch nicht die Dignität für die Gatamgszuordnung haben. Angedeutet wird, daß der Glosse die Funktion des Kommentars zukommt. Die Glosse ist ein kurzer Text, der aktuellen Problemen und Ereignissen in Politik oder Kultur zugewandt ist. Glossen stehen im Zusammenhang journalistischer Texte, denen der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens. Sie gelten als feuilletonistisch, insofern sie pointierende Betrachtungen bieten, welche nicht nur im Feuilleton plaziert sind, sondern auch Stellungnahmen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Lokales oder Sport bieten. Damit etwas Empirie in diese Erörterung gebracht wird, soll hier eine Glosse und ein Bezugstext angeführt werden: Text 1 aus Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Nr. 190, 14.12.1994, S. 35 (verkleinert) Polit Oh! logie Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden sucht, wie auch in dieser Zeitung mitgeteilt wurde, per Ideenwettbewerb einen sinnvollen und passenden Namen für „männliche Politessen". Dem maskulinen Pendant zur Knöllchen verteilenden Dame soll nicht länger der Tort (oder vielleicht die Torte?) der Na-menlosigkeit oder des umstandskrämerischen Derivativs angetan werden. Wichtig, so die hessischen Sprachpfleger. sei die echte Äquivalenz der Bezeichnung, die auch die Asymmetrie, wie sie etwa zwischen Entbindungshelfer/Hebamme auftrete, zu vermeiden helfe. Aber obwohl wir jetzt seit Tagen bergmäßig kreißen in der Hoffnung, endlich ein Vokalmäuschen zu gebären, von dem wir uns - als Hebammer - natürlich selbst entbinden würden, sind wir dem Ziel um keine Knöllcheniänge näher gekommen. Dabei liegt unser Problem nicht darin, daß uns die linguistische Novität des generischen Femininums, also dieses neuen Adams, der aus Evas Rippe geboren werden soll, sprachlos macht. Es liegt ganz einfach darin, daß die Nachbarparzellen im Schrebergarten des Lautstands allesamt vergeben sind: Polizist kommt nicht in Frage, Politur schafft Glanz, aber keine freien Straßen, Polier gehört der Gewerkschaft Bau, Steine, Erden an. Italienische Auswege wie Policchi-nello, Poltrone oder Politurione sind uns aus naheliegenden Gründen versperrt. Wäre das Gesuchte sachlicher Natur, kämen Lösungen wie Politüm oder Polistell in Frage. So bleibt zwar noch der Politeur, aber der klingt wie das Gegenstück zu Friseuse, die erst kürzlich wegen schlüpfriger Anklänge aus dem korrekten Vokabular verbannt wurde - von der Masseuse ganz zu schweigen, die seither nur noch in Bahnhofsnähe praktiziert. Und schließlich der Polit, der sehr edel wirkt und sich zum ordinären Polizisten ähnlich distinguiert verhält wie der Anarch zum Anarchisten, aber just wegen so viel kulturellen Adels bald den Neid der Politiker auf sich ziehen würde. Frustriert geben wir auf und warten auf den Helden, der uns der ultimativen Vokaldämmerung entgegenführen wird. Im übrigen ist der Ausweg aus all diesen sprachlichen Sackgassen längst gefunden. Die Berliner, bekannt für ihre linguistische Kompetenz, waren uns wieder einen Zungenschlag voraus. Die Politesse war noch kaum geboren, da hieß sie in Berlin schon die Bulette. Von dieser her rückwirkend das männliche Pendant zu bilden war ein Kinderspiel, zu dem der Volksmund keine drei Sekunden brauchte. Von irgendwelchen akademischen Ehrungen und Preisgeldern für diese Leistung ist uns nichts bekannt. ur Text 2 Aus Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Nr. 287, 10.12.1994, S. 11 (verkleinert) Männliche Politesse gesucht Wettbewerb der Sprachgesellschaft WIESBADEN, 9. Dezember (AP). Wie lautet die männliche Form von Politesse? Einen Ideenwettbewerb zur Lösung dieser kniffeligen Frage hat am Freitag die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden begonnen. Obwohl das Schreiben von „Knöllchen" inzwischen auch von Männern erledigt werde, habe man für sie weder in offiziellen Verzeichnissen noch in der Alltagssprache eine Bezeichnung gefunden, sagte Helmut Walther von der GfdS-Zeitschrift „Sprachdienst". Zugleich sucht die Sprachgeselischaft auch nach der männlichen Entsprechung für die „Postesse", eine neue Bezeichnung für Postangehörige, die ihr Unternehmen in der Öffentlichkeit repräsentieren. „Sie sind schon auf Kongressen und Tagungen aktiv und tragen schöne Postuniformen", sagt Walther. Während die Begriffe Steward und Stewardeß ein symmetrisches Wortpaar bildeten, fehlten die männlichen Formen bei der Postesse und der Politesse, offenbar weil diese Berufe überwiegend von Frauen ausgeübt würden. Text 1 ist die Glosse. Da er Textsortenexemplar einer Texsorte mit kommentierender Funktion ist, muß man, um seinen Zweck zu durchschauen, auch den kommentierten Text zur Kenntnis geben. Das ist Text 2, in diesem Fall eine Pressemeldung, eine Mitteilung, eine Nachricht. Das Datum erweist den Text 2 als den der Glosse voraufgehenden Anlaß. Im ersten Satz der Glosse wird der Zusammenhang durch ausdrücklichen Verweis hergestellt. In der Zeitung sind die beiden Texte unterschiedlichen Sachgebieten zugeordnet, wobei die Glosse in diesem Fall wegen ihres Themas in das Feuilleton eingebracht ist. Die Glosse erfährt üblicherweise gegenüber der Meldung bzw. den Meldungen eine Hervorhebung, sei es, daß sie durch Rahmung im eigenen "Kasten" erscheint, sei es, daß sie, - wie in diesem Fall -, an einer festen, für Glossen reservierten Stelle erscheint. Die Glosse wird gegenüber der Meldung auch ausgezeichnet, indem sie durch Nennung des Namens oder der Namensinitialen einem Autor zugesprochen wird. Das bewirkt die Unikalisierung des Textes. Die Glosse ist eine persönliche Meinungsäußerung. Übrigens teilt die Glosse hinsichtlich der Kommentarfunktion die Eigenschaften der nonverbalen Karikatur. Nicht nur, daß sie wie diese auf ein Bezugsereignis bzw. eine Bezugsäußerung gerichtet ist, sie ähnelt ihr darüber hinaus auch in stilistischer Hinsicht, insofern sie satirisch verfährt. Die in der Glosse geübte Kritik wird durchaus polemisierend, ironisierend und spottend vorgetragen. Im vorliegenden Beispiel ist ganz typisch, daß sie dem Inhalt der Meldung vor allem unernste Aspekte abgewinnt. Die Aufforderung zum wortschöpferischen Wettbewerb wird angenommen, dieser dann in ironischer Manier mit Vorschlägen lexikologisch akzeptabler, wahrscheinlich jedoch unerwünschter Analogien übertrieben. Mit dem Angebot eines gar nicht gefragten Resultats wird die Satire auf die Spitze getrieben. Das Prototypische einer Textsorte hat sich hier manifestiert, so daß man diese Q Glosse als dieser zugehöriges Textexemplar identifizieren kann. Natürliche Sprachformen oder kulturelle Sprachformen? Im Titel dieses Beitrags steht eine Frage, die aufgrund der bisherigen Feststellungen beantwortet werden soll. Man kann die Antwort kaum in der Art des "Entweder-Oder" geben, eher im Sinne der Positionsbestimmung in dem semantischen Differential zwischen "natürlich" und "kulturell". "Natürlich" soll hier nicht den Status eines Systems außerhalb der menschlichen Kommunikation bezeichnen, etwa dessen der sogenannten Bienenspra- 9 In der philologischen Terminologie ist Glosse polysem; vgl. Wilpert, Gero von (71989), Metzler-Literatur-Lexikon: Stichwörter zur Weltliteratur (1984). Die hier gemeinte Bedeutung wird mit der Intensivierung der Textlinguistik vorangig werden. Satirische Äußerungen werden didaktisch behandelt von Fritz, Jürgen (1980). che. Die gemeinte Qualität von natürlich trifft auf die Texte der Einfachen Formen eigentlich zu, gelten diese doch als naturgegeben, insofern man weder einen individuellen Autor namhaft machen, noch eine initiale Formulierung identifizieren kann.10 Die Texte der Gattungen sind artifiziell, vermitteln den Eindruck, einem zeitlichen Geltungsmoment enthoben zu sein. Sie sind Dokumente, als Unikate von Dichterautoren geschaffen. Insofern kann man für sie eigentlich die kulturelle Existenz konstatieren.11 Als eher kulturell müssen die Texte der Textsorten gelten, die aktuell und hinsichtlich ihrer zeitlichen Geltung in die gegenwärtige Situation verschränkt sind. Als Produkt von Klassifizierung hat die Textsorte eine begriffliche Realität gewonnen, die Realität eines philologischen Konstrukts. Das deutet auch auf kulturelle Installierung, was die Textsorte sogleich objektiviert zur Anweisung für konkrete Formulierung und als sprachdidaktischen Gegenstand. Dies heißt nicht, daß Textsorten nicht auch real wären im Sinne einer vorwissenschaftlichen Präsenz und mentalen Existenz; das deutet wiederum auf natürliches Vorhandensein. Zur Erläuterung dieses Paradoxes sei noch einmal auf den Witz verwiesen. Dies geschieht zu dem Zweck, die Metamorphose einer Textsorte von der Existenz als natürlicher Sprachform zu kultureller Sprachform zu beobachten. Der Witz ist eine in dieser Hinsicht gut untersuchte Erscheinung des sprachlichen Handelns. Die Studie B. Mar-furts (1977) wurde schon genannt. Auch ohne diese Studie und ohne die Inanspruchnahme als Einfache Form durch A. Jolles wäre der Witz als spezifische Form sprachlicher Äußerung Realität, sozusagen natürlich. Er zeigt sich als sprachliche Verwirklichung politischer Einstellung, und zwar vom Standpunkt der Beherrschten, als Form von Widerstand oder Affirmation für Vorurteile.12 Bei L. Röhrich (1980) ist eine weitergehende Subklassifizierung dieser Textsorte vorgenommen, z.B. ethnischer Witz, Irrenwitz, Professorenwitz etc. Ständiges, alltägliches, und massenweises Auftreten, also eine hohe Textfrequenz, ist dem Witz eigen. In der linguistischen Rezipierung des Witzes als eine Textsorte neben anderen, z.B. auch neben der ähnlichen Anekdote, wird schon seine Einführung unter die kulturellen Sprachformen vollzogen. Die zuvor angezeigte Objek- 13 tivierung und Didaktisierung hat diese Textsorte auch erfahren. Von D. Ader (1983) sind Didaktische Überlegungen zum Verständnis der Textsorte "Witz" in dem Zusammenhang Textsorten und Gattungen unter didaktischem Aspekt beigetragen worden. Schon von W. Ulrich (1980) ist eine Didaktik eigens des Witzes in einer Monographie 10 Als Antonym zu "natürlich" ist also mit Absicht nicht "künstlich (unnatürlich)" gesetzt worden; eher, - m.E. jedoch sicherlich nicht treffender -, wäre "künstlerisch" an die Stelle von "kulturell" zu setzen gewesen. 11 Das aufzuzeigen, was die Texte der Gattungen als kulturell erscheinen läßt, ist in R. Müller (1994) versucht. 12 Dafür stehen Titel von Sammlungen wie: H.-J. Gamm (1963); M. Dor/R. Federmann (1964). 13 Bei B. Imhasly/B. Marfurt/P. Portmann (1979:177ff.) wird als beispielhafte Textsorte der Witz präsentiert. vorgestellt. Witzrezeption, aber auch -produktion, werden Gegenstand von Lehre, was einen entscheidenden Schritt dahin bedeutet, diese Textsorte (auch von Ulrich so bezeichnet) als kulturell aufzufassen. Die Antwort hier, Textsorten seien "sowohl" kulturell "als auch" natürlich, scheint ambivalent und wirkt deshalb wenig zufriedenstellend. Das liegt daran, daß man die Prädikate "natürlich" und "kulturell" aus umgangssprachlicher Gewohnheit als oppositionell und das Oder als disjungierend (entweder - oder; lateinisch aut - aut; ausschließendes Oder) versteht. Man kann jedoch auch bedenken, ob hier die Prädikate nicht durch ein adjungierendes Oder (oder auch; lateinisch vel; nicht ausschließendes Oder) verknüpft verstehen soll (W. Kamlah/T. Lorenzen (1967: 145f.)). Es wäre gut, hier das Verhältnis der verknüpften Prädikate so aufzufassen, also im Sinne des ad-jungierenden Oder. Die Textsorten sind dann je nach der Perspektive, aus der man sie erlebt bzw. sie sich bewußt macht, natürliche Sprachformen oder kulturelle Sprachformen. Literatur Ader, Dorothea (1983): Didaktische Überlegungen zum Verständnis der Textsorte "Witz". In: Textsorten und Literarische Gattungen. 695-705. Bausch, Karl-Heinz (1971): Vorschlag zu einer Typik der gesprochenen Sprache. Mit Diskussion zum Vortrag. In: Forschungen zur gesprochenen Sprache und Möglichkeiten ihrer Didaktisierung. 9-39. Bausinger, Hermann (1980): Formen der Völkspoesie; 2. Auflage. Berlin. Berens, Franz-Josef (1975): Analyse des Sprachverhaltens im Redekonstellationstyp "Interview". Eine empirische Untersuchung. München. Bußmann, Hadumod (1990). Lexikon der Sprachwissenschaft. 2. Auflage. Stuttgart. Deutrich, Karl-Helge (1971a): Aufnahme und Archivierung gesprochener Hochsprache. In: Texte gesprochener deutscher Standardsprache I. 18-32. 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Beiträge der Konferenzen in Greifswald und Neubrandenburg 1992 (1993). Hrsg. von G. Bartels und I. Pohl. Frankfurt/M., Berlin, Bern u.a. Zimmermann, Heinz (1965): Zu einer Typologie des spontanen Gespräches. Syntaktische Studien zur baseldeutschen Umgangssprache. Bern. Zusammenfassung Der Beitrag unter diesem Titel soll zu einer Bestandsaufnahme der inzwischen arrivierten Textlinguistik beitragen. Texte als sprachliche Erscheinungsformen haben schon immer existiert. Sie sind auch immer bewußt gewesen, was insbesondere für die Literaturwissenschaft mit ihrem Engagement für poetische Texte gilt. Es können zumindest die Texte im vorliterarischen und nichtpoetischen Feld der Erfahrung als natürlich gelten. In den letzten drei Jahrzehnten ist nach intensiver Hinwendung zur Syntax als der Wissenschaft vom Satz, zur Semantik und zu einigen anderen Anwendungsgebieten der Text besonders interessant für die Sprachwissenschaft geworden. Das hat zur Etablierung einer Textlinguistik geführt. Als deren hauptsächlicher Ertrag zeigt sich die Identifizierung der Textsorten. Die Textsorten haben zwar auch schon wie die Einzeltexte immer existiert, erscheinen jedoch weniger natürlich, da sie insbesondere durch wissenschaftliche Reflexion bewußt gemacht sowie eher abstrakt und begrifflich präsent(iert) sind. Das Prototypische ähnlicher Texte wird als Textsorte begriffen. Mit Absicht ist im semantischen Differential nicht die Qualifizierung künstlich (unnatürlich) als antonymisch zu natürlich gesetzt worden, sondern kulturell. Als Konstrukte wissenscahftlicher Reflexion sind Textsorten kulturelle Sprachformen, was sich daran zeigen läßt, daß sie in diesem Prozeß der Erhebung von der unwillkürlichen Existenz zu willkürlicher Ver- oder Anwendung gelangen. An der Textsorte Glosse in den Medien Presse und Funk läßt sich dieser Zusammenhang veranschaulichen. Im Beitrag soll dieser Vorgang der Identifizierung der Textsorte wissenschaftsgeschichtlich aus der Perspektive der germanistischen Sprachwissenschaft verfolgt werden. Povzetek BESEDILNE VRSTE - NARAVNE ALI KULTURNE JEZIKOVNE OBLIKE? Članek s tem naslovom naj bi ugotovil, do katerih spoznanj je do sedaj prišlo besediloslovje. Besedila kot jezikovne pojavne oblike so vedno obstajala. Prav tako so se jih vedno zavedali, kar še posebej velja za literarne vede z njihovim angažmajem za poetična besedila. Za naravna lahko veljajo vsaj besedila v predliterarnem in nepoetičnem območju izkušenj. V zadnjih treh desetletjih je po intenzivni usmeritvi k stavku, semantiki in nekaterim drugim uporabnim področjem postalo besedilo še posebej zanimivo za jezikoslovje. To je pripeljalo do uveljavitve besediloslovja. Kot njegov bistveni rezultat se kaže prepoznavanje besedilnih vrst. Besedilne vrste so tako kot posamezna besedila sicer tudi že vedno obstajale, vendar pa se pojavljajo manj naravno, saj jih uzaveščamo predvsem z znanstveno refleksijo ter predstavljamo abstraktno in pojmovno. Prototipičnost podobnih besedil se pojmuje kot besedilna vrsta. Namenoma ni pri pomenskem razlikovanju uporabljena oznaka umetno (nenaravno) kot protipomenka izrazu naravno, ampak kulturno. Kot konstrukti znanstvene refleksije so besedilne vrste kulturne jezikovne oblike, kar se kaže v tem, da preidejo v procesu opustitve spontanega obstajanja k zavestni uporabi. To povezanost je mogoče razložti z besedilno vrsto glosa v tisku in radiu. Članek poskuša opisati proces prepoznavanja besedilne vrste znanstveno zgodovinsko s stališča germanističnega jezikoslovja. Martin Wierschin Universität Hradec Krälove UDK 801.73:800.1:82.081 SPRACHE, TEXT UND TEXTSORTEN: ZUR PROBLEMATIK VON TEXTTYPOLOGIE Textlinguistik und Texttheorie tun sich offenbar schwer damit, Grundsätzliches eindeutig zu definieren und auf diese Weise festzulegen. Was ich damit meine, ist die Tatsache, daß wir zwischen einer geradezu beliebigen Anzahl von Definitionen wählen können, wenn es um den zentralen Begriff 'Text' geht, abhängig nur von den isoliert bzw. kombinatorisch angewandten spezifischen textinternen oder textexternen Parametern, obwohl eine definitive 'Text'-Definition Basis aller Reflektionen über linguistische Textsorten und Texttypologien sein sollte. Sicher beruht die Schwierigkeit einer 'Text'-Definition unmittelbar auf der Schwierigkeit, das Phänomen 'Sprache' - per se als differentia specifica des Menschen und als einzelsprachliche Konkretisierung dieser differentia specifica- auf einen definitorischen Nenner zu bringen, weil die Komplexität dieses Phänomens 'Sprache' und die sinnlich-irrationalen Valenzen dieses geistigseelischen Intentionalitäts-Vehikels unseres Bewußtseins (im Sinne Edmund Husserls) unsere theoretisch-rationalen Festlegungsbemühungen immer wieder vereiteln, woraus Ludwig Wittgenstein die logische Konsequenz zog, neben die historisch gewachsene und 'verwachsene' 'Umgangssprache' eine schlicht-exakte philosophische 'Idealsprache' setzen zu wollen. Da das sprachphilosophische Phänomen 'Sprache' also, in seiner erwähnten doppelten Bedeutung, die linguistischen termini technici 'Text' und 'Textsorte' mit beinhaltet, ihnen logisch zugeordnet und übergeordnet ist, möchte ich, wie im Titel meines Beitrages angedeutet, meine Überlegungen zur Problematik von Texttypologien bei den Begriffen 'Sprache' und 'Text' ansetzen. Im Hinblick auf ihre irrational-sinnlichen Substrukturen ist es vielleicht nicht weiter erstaunlich, daß die 'Sprache' in der modernen Bewußtseinsphilosophie, von Rene Descartes bis zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel, durchaus vernachlässigt wurde, wofür etwa Immanuel Kants epochale "Kritik der reinen Vernunft" (1781) beredetes Zeugnis ablegt. Erstaunlich ist, daß bereits Piaton, der dem Phänomen 'Sprache' einen eigenen Dialog "Kratylos" widmete, der Sprache und ihren Worten als kognitives Vehikel und Medium - wohl aus den gleichen logischen Gründen wie Ludwig Wittgenstein - mißtraute: "Auf welche Weise man nun Erkenntnis der Dinge erlernen oder selbst finden soll, das einzusehen, sind wir vielleicht nicht genug, ich und du; es genüge uns aber schon, darin übereinzukommen, daß nicht durch die Worte, sondern weit lieber durch sie selbst man sie (die Dinge) erforschen und kennenlernen muß als durch die Worte."1 Es blieb dem philosophischen Geisteswissenschaftler, Theologen und Literaten Johann Gottfried Herder vorbehalten, 1770/72 in seiner "Abhandlung über den Ursprung der Sprache" Sprache per se als eine distinktiv-intelligente, besonnen-theoretisch strukturierte spezifische Fähigkeit des menschlichen Bewußtseins zu definieren, die es dem Menschen erlaubt, sinnliche Reize und emotionale Affekte nicht handlungsaktiv zu extrovertieren, sondern kognitiv zu introvertieren, in Sprache umzusetzen und sich ihrer als Sprache zu entäußern. Für Herder ist Sprache 'Ausdruck' der 'WahrNehmung' und der disjunktiven 'Unter-Scheidung' eines neuen Erlebnisses, und Sprache ist zugleich Fixierung dieses neuen kognitiven Erlebnisses, um so das Neu-Erfahrene permanent als konnotative Distinktion zu speichern, zu 'bannen'. Damit verleihen die Wort-Komponenten der Sprache, gewissermaßen als Zeichen-Symbole, den ständig wechselnden Bewußtseinsinhalten Dauer. Auf Herders anthropologischen Sprachvorstellungen aufbauend, entwickelte reichlich 60 Jahre später Wilhelm von Humboldt seine Sprach-Konzeption unter dem indikativen Titel "Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Men-schengeschlechtes"(1836), deren Grundideen sich noch - mutatis mutandis - in der "Inhaltsbezogenen Grammatik" Leo Weisgerbers und in der generativen Transformationsgrammatik Noam Chomsky's finden lassen. Wie Herder betont Humboldt die Relevanz der Sprache für das menschliche Selbstverständnis; sie ist ihm tiefster Ausdruck menschlicher Natur, mithin als "energeia" eine dynamisch-spontane Kraft: "Man muß die Sprache nicht sowohl wie ein todtes Erzeugtes, sondern weit mehr wie eine Erzeugung ansehen..."4 Wenn Humboldt ferner sagt, "daß er (der Mensch) nichts aus sich hinauszusetzen vermag, das nicht augenblicklich zu einer auf ihn zurückwirkenden und sein ferneres Schaffen bedingenden Masse wird...", dann ist diese Feststellung für den Staatsmann und Philosophen Humboldt das Grundgesetz menschlichen Daseins, ein dialektisches Prinzip von Wirkung und Rückwirkung, von Spontaneität und Rezep- 1 Piaton, Kratylos. In: Sämtliche Werke 2. Hg. von W.F.Otto/E.Grassi/G.Plamböck. Hamburg (Rowohlts Klassiker 14) 1957, S.180 (439b) - Diese kritische Einsicht Piatons klingt wie ein kontrapunktisches Präludium zu dem radikalen Sprach-Mißtrauen, das 2300 Jahre später Hugo von Hofmannsthal in seinem sog. "Chandos-Brief" 1902 als existentielle Krise beschrieb. Vgl.: Die deutsche Literatur-Texte und Zeugnisse. Bd. VII:20. Jh., 1880-1933. Hg. von W. Killy. München (Beck) 1967, S. 312-321. 2 Vgl.: J. G. Herder, Abhandlung über den Ursprung der Sprache. In: Werke. 3 Bde. (1984ff.). Hg. von W. Pross. Bd. 2. München 1987. 3 Es handelte sich ursprünglich um Humboldts sprachphilosophische Präambel zu seinem 3-bändigen Werk "Über die Kawi-Sprache auf der Insel Java" (1836-39), die 1836 als Sonderdruck erschien. 4 Zu diesem und allen folgenden Zitaten vgl.: W. v. Humboldt, Gesammelte Schriften. Hg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. 17 Bände. Berlin 1903-36. Bd. IV, bes. S. 14 - Im Hinblick auf meine späteren Definitionen und Nomenklaturen identifiziere ich vorwegnehmend Humboldts 'Wirkung/Spontaneität' mit meiner 'Stil'-Konzeption und Humboldts 'Rückwirkung/Rezeptivität' mit meiner Vorstellung von 'Genre'/'Textsorte'. tivität,5 dem er als ein grundsätzliches Prinzip logischerweise auch Gültigkeit für die Sprache zuschreibt, ebenso wie der anderen, analogen Einsicht Humboldts in die zweite, nur scheinbar paradoxe Antinomie menschlicher Existenz aus autonomer Freiheit und simultaner Gebundenheit durch ethisch-soziale Kategorien. Beide Antinomien wirken für Humboldt in der Sprache und durch die Sprache, die durch ihre geistig-sozialen Strukturen und Charakteristika kein bloßes Zeichensystem im Sinne unserer Semiotik ist, sondern: "Die Sprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Volker; ihre Sprache ist ihr Geist, und ihr Geist ist ihre Sprache." Ontoge-netisch postuliert Humboldt: "Der Mensch ist nur Mensch durch die Sprache; um aber die Sprache zu erfinden, mußte er schon Mensch seyn...Sie geht nothwendig aus ihm selbst hervor, und gewiß auch nur nach und nach, aber so, daß ihr Organismus nicht zwar als eine todte Masse, im Dunkel der Seele liegt, aber (=sondern) als Gesetz die Funktionen der Denkkraft bedingt, und mithin das erste Wort schon die ganze Sprache antönt und voraussetzt. Wenn sich daher dasjenige (=die Sprache), wovon es eigentlich nichts Gleiches im ganzen Gebiete des Dankbaren giebt, mit etwas andrem vergleichen läßt, so kann man an den Naturinstinct der Tiere erinnern, und die Sprache einen intel-lectuellen (Instinkt) der Vernunft nennen." Ich stelle diesen beiden, wie ich glaube und wie noch zu zeigen sein wird, fundamentalen philosophischen Sprachkonzeption, die alle wesentlichen Aspekte der Sprache bereits beinhalten, dennoch ergänzend zwei sprachtheoretisch-linguistische und zwei mehr pragmatische eigene Sprachdefinitionen zur Seite, aus argumentativen Gründen und um zu demonstrieren, wie auch hier methodologische Varianten die Ergebnisse variieren. Louis Hjelmslev schreibt in den erst 1974, also mit 31jähriger Verspätung aus dem Dänischen übersetzten "Prolegomena zu einer Sprachtheorie":6 "Die Sprache ist dasjenige Instrument, mit Hilfe dessen er beeinflußt wird, die letzte und tiefste Voraussetzung für die menschliche Gesellschaft; aber auch der fundamentale, unentbehrliche Halt des menschlichen Individuums, seine Zuflucht in einsamen Stunden, wenn die Seele mit der Wirklichkeit ringt und der Konflikt sich auflöst im Monolog des Dichters, des Denkers, des Grüblers... Die Sprache ist keine äußerliche Begleiterscheinung, sondern ein tief in der menschlichen Seele verwobener Faden, ein Schatz an Erinnerungen, dem Einzelnen und den Generationen vererbt, ein Gewissen, das wachsam erinnert und mahnt."- "Sie (die Linguistik) muß versuchen, die Sprache nicht als ein Konglomerat von nichtsprachlichen (z.B. physikalischen, physiologischen, psychologischen, logischen, soziologischen) Phänomenen zu erfassen, sondern als ein in sich ruhendes Ganzheitsgebilde, eine Struktur sui generis." 5 Siehe Anm. 4. 6 Übersetzt von R. Keller/U. Scharf/G. Stölzel. München (Hueber: Ling. Reihe 9) 1974, S. 7 und 9. Es ist offensichtlich und braucht nicht im einzelnen hervorgehoben zu werden, daß Hjelmslev - notwendigerweise - zu wesentlichen geisteswissenschaftlichen Gedankengängen Humboldts modifizierende Analogien entwickelt, etwa zu Humboldts "energeia"-Idee und zu seinen in der Sprache reflektierten Antinomien von Wirkung und Rückwirkung, von Spontaneität und Rezeptivität, von Freiheit und Gebundenheit, aber auch zu Humboldts Vorstellung von der Sprache als ganzheitliches existentielles "Gesetz", das "die Funktionen der Denkkraft bedingt", in seinem kritischen Kommentar zur Crux der Textlinguistik. Hans-Martin Gauger wählt in seiner Untersuchung "Wort und Sprache" einen interessanten, letztlich aber doch wieder auf Humboldt beziehbaren ontogenetisch-psy-chologischen Ansatz: "Sprache ist alles Sprachliche im individuellen Bewußtsein, das nicht nur individuell ist, alles, wovon dieses unwillkürlich annimmt, daß es in jedem anderen ebenfalls sei..., Sprache ist..., obgleich dem Individuum von außen her eingeübt, diesem nicht äußerlich; sie ist in ihm enthalten und in ihm zu greifen... Sprache gibt es nicht 'an und für sich'... es gibt sie nur als Besitz des individuellen Subjektes." Zu dem bei Humboldt und Hjelmslev variierten Grundgedanken vom totalen Individual-Besitz 'Sprache', der kommunikativ eingebunden ist und dadurch relativiert wird, kommt bei Gauger die Einschränkung: "obgleich dem Individuum von außen her eingeübt." Bevor ich diese Gaugersche Einschränkung anhand von empirischen Beobachtungen zur Ontogenesis von 'Sprache' kommentiere, eine eigene erste Definition von 'Sprache per se', die ich für eine Einführung in die Geistesgeschichte der deutschen Sprache benötigte: Sprache, differentia specifica des Menschen, ist der zentrale geistige Brennpunkt unserer menschlichen Existenz. Sie ist Ausdruck und Dokumentation des menschlichen Geistes; ohne Sprache gäbe es und gibt es keine geistige oder künstlerische Kultur. Sprache dient der Analyse und der Erkenntnis der inneren und äußeren Realitäten des menschlichen Seins. Sprache ist Wahr-Nehmung, Be-Zeichnung und AusDruck unserer Gedanken, Empfindungen, Gefühle, Emotionen. Sprache ist Bewußtsein des Bewußten, ist Bewußtwerden des Unterbewußten und Überbewußten innerhalb der Kategorien von Zeit und Raum. Sprache dient der Kommunikation und ist Kommunikation, mit dem Ich, dem Du, dem Wir, dem Sie, mit dem anderen und dem Anderen. Sie ist Organisation, Struktur und Form unseres Wissens, Denkens und Willens, unseres Empfindens und Fühlens. Was diese meine - zugegebenerweise didaktisch funktionalisierte - Sprachauffassung von den zuvor herangezogenen unterscheidet, ist eine - selbst gegenüber Hjelmslev - stärker betonte Historizität der Sprache, die - wie der Mensch selbst und notwendigerweise mit ihm zusammen - den Kategorien von Raum und Zeit unterworfen ist. Außerdem spreche ich bereits implizite - über den Begriff der 'Kultur' und ihrer geistig-künstlerischen schriftlichen Ausdrucksformen - die von mir später zu diskutierenden 'Sprache'-'Text'-Bezüge an. 7 Tübingen (Niemeyer: Konzepte der Sprach- u. Litwiss. 3) 1970, S. 6f. Schließlich benötigte ich - für meine Distinktion von 'Text' und 'Textsorte'- eine zweite Eingrenzung des Begriffs 'Sprache' im Hinblick auf die 'Textsorte' Phraseolo-gismus, und zwar nicht mehr für 'Sprache per se' als differentia specifica, sondern für 'Sprache' als konkretes einzelsprachliches Phänomen: Was die gemeinsame Grundstruktur aller 3000 bis 4000 menschlichen Einzelsprachen ausmacht, kann man als 'offenes' und paradoxerweise zugleich absolut 'geschlossenes' Zweiklassensystem aus 'Lexikon' und 'Syntaktik' bezeichnen. Das heißt, jede der menschlichen Einzelsprachen besitzt als erste System-Klasse ein 'Lexikon' (zu gr. "lexis"= Wort/Rede und gr. "lexikon"= Wörterbuch sowie gr. "legein'Vlat. "legere"= sammeln, auflesen, lesen), worunter man die Gesamtheit aller Wörter einer gegebenen 'Sprache' zu verstehen hat. Unter der zweiten System-Klasse 'Syntaktik' (zu gr. "syn"=zusammen, zugleich und gr. "syntaxis"= Anordnung sowie lat. "tactus"= Berührung; Gefühl) verstehe ich alle formalen Relationen der Sprachzeichen zueinander, alle logisch erlaubten und denkbaren Verbindungen der 'Lexikon'-Wörter zu Worten, Wortgruppen und Sätzen unter den Aspekten der äußeren Form, der inneren Struktur, der intentionalen Funktion und der Semantik. Dieses Zweiklassen-System aus 'Lexikon' und 'Syntaktik' ist 'offen', weil jede 'Sprache' ein historisch gewachsenes und historisch bedingtes System der Kommunikation und der Realitätsanalyse ihrer Sprecher ist, und zwar im Sinne meiner vorgegebenen Definition von 'Sprache per se'. Das heißt, was die Menschen einer gegebenen Sprachgemeinschaft vor 1000 oder noch vor 50 Jahren zu kommunizieren oder als äußere bzw. innere Realitäten ihres Daseins zu analysieren hatten, hat sich inzwischen, von den Kategorien Raum und Zeit determiniert, gewandelt, z.T. grundsätzlich verändert. Sachverhalte wie die Kaiserkrönung Ottos I. im Jahre 962 unterscheiden sich grundsätzlich von der Vereidigung des neuen SPD-Kanzlers Willy Brandt im Jahre 1969; Wörter wie "minne" und "staete", "veimen/feimen" und "ver/verje", wie "Kiepe" und "Kien", "Blust" und "Blümchenkaffee" sind längst, d.h. seit Jahrhunderten oder erst seit Jahrzehnten, keine im Sprachlichen zu analysierenden und zu realisierenden inneren und äußeren Realitäten unseres Daseins mehr. Mit anderen Worten: Das obsolete, unverständliche, weil auf keine präsente Realität mehr bezogene Wortmaterial des 'Lexikons' ist dem 'offenen' System unserer aktiven Gegenwartssprache herausgefallen; dafür sind andere Wörter, die unseren Großeltern wie böhmische Dörfer vorgekommen wären, durch eine stets 'offene Tür' in unser 'Lexikon' eingezogen, wie etwa: Computer, Software, Softie; Taschenrechner, Junkie und Aids. Und auch die moderne Syntax des Deutschen ist im Magazin "Spiegel" nicht mehr, was sie einst im "Nibelungenlied" oder bei Schiller war, d.h. auch in der System-Klasse 'Syntaktik' funktioniert die 'Offenheit' des Systems, die aus der jeweiligen Gegenwartssprache Altes eliminiert und dafür Neues aufnimmt. Konkret bedeutet das etwa, daß die chiastisch verschränkende Apokoinu-Struktur des 12. bzw. 18. Jahrhunderts ("do sprane von dem gesidele her Hagene also sprach." - "Was sein Pfeil erreicht, das ist seine Beute, was da fleucht und kreucht.") ersetzt wird durch Satzfragmente bzw. verselbständigte Glied- sätze ("Wer, Heiner Müller, der Dichter? Ein Gigant. Das Leben, die DDR? Weil es schwer war.") Anderseits ist jedoch jede Einzelsprache - und die deutsche Sprache wohl in besonderem Maße - etwas 'absolut geschlossenes' in ihrem historischen Gewachsensein. Was ich mit dem Ausdruck "absolut Geschlossenes" meine, ist die Tatsache, daß nichts, auch nicht das kleinste Jota, aus 'Lexikon' und 'Syntaktik' unserer Sprache wieder verlorengeht, sobald es einmal kreiert und im System unserer Sprache gespeichert worden ist. Mit anderen Worten: Was im Deutschen vor 200 Jahren (Goethe und Schiller), vor 460 Jahren (Luthers Gesamtbibel-Übersetzung, 1534), vor 660 Jahren (Meister Eckehart, die Sprachschöpfungen der Mystik), vor 780 Jahren (1. deutsche Klassik: Hartmann, Wolfram, Gottfried, Walther), ja selbst vor über 1200 Jahren (althochdeutsches "Hildebrandslied") bei den damaligen Zeitgenossen in 'Lexikon' und 'Syntaktik' hochaktuell war, ist zwar zum größten Teil für unsere Alltags- und Gegenwartssprache obsolet und inaktiv geworden, es ist jedoch im "absolut Geschlossenen" des historisch gewachsenen und ständig weiter wachsenden Gesamt-Wortschatzes, der Gesamt-Syn-taktik der deutschen Sprache latent in höchst viriler Weise auf Abruf potent geblieben, permanent gespeichert. Diese latent stets präsente, auf Abruf verfügbare Potenz und Virtualität der historischen Schichten des deutschen Gesamt-Wortschatzes und der deutschen Gesamt-Syntaktik zeigt sich zum einen bei so eminenten Autoren wie Thomas Mann ("Doktor Faustus"; "Der Erwählte") und Günter Grass ("Der Butt"; "Das Treffen in Telgte"), um nur zwei bekannte Beispiele zu nennen. Zum anderen verwendet jeder Benutzer des Deutschen jene in Phraseologismen historischer Provenienz gespeicherte Bildlichkeit des "absolut Geschlossenen" unseres Sprachsystems. Denn auch die im Goetheschen Sinne nur noch "ererbte" und nicht mehr "erworbene", laut Meister Eckehart nicht mehr "begriffene", historisch-idiomatische Bildlichkeit des Deutschen wird so lange weiterbenutzt, wie dadurch in unserer Gegenwart für den Autor und für den Rezipienten ein gerade noch verständliches semasiologisches Zeichen gesetzt wird, wobei allerdings kein wirkliches 'Erwerben' oder 'Begreifen' der semasiologischen 'Bedeutung' zwischen den sprachlich Kommunizierenden eine Rolle spielt, sondern lediglich eine allgemeine Übereinkunft der Sprachbenutzer über eine oberflächlich verstandene, vage semasiologische Chiffre. Es wird sich später zeigen, wie diese einzelsprachliche Antinomie aus 'Offenheit' und 'Geschlossenheit' bei der Ausbildung und Eingrenzung von 'Textsorten' mitwirkt. Ich greife zunächst auf die ontogenetischen Aspekte der 'Sprache'-Definitionen von Humboldt, Hjelmslev und Gauger zurück, weil der ontogenetische Vorgang der Primar-Realisierung von 'Sprache' als 'Rede' des Kindes für meine Distinktionen von 'Sprache', 'Rede', 'Text', 'Genre' und 'Textsorte' relevant ist. Der Unterschied zwischen der präzisen Feststellung Humboldts: "Der Mensch ist o nur Mensch durch Sprache ... Sie geht nothwendig aus ihm selbst hervor ..." und Hjelm- 8 Siehe Anm. 4. slevs Einschätzung der 'Sprache' als "auch der fundamentale, unentbehrliche Halt des menschlichen Individuums"9 ist ein wesentlicher. Während Humboldt die sprachliche Ontogenesis radikal individualisiert, ist die sprachliche Autonomie des Individuums bei Hjelmslev eingeschränkt durch ihre Festlegung als "letzte und tiefste Voraussetzung für die menschliche Gesellschaft" sowie relativiert und konditionalisiert als ein dem Individuum "auch" verfügbarer "Halt", "wenn die Seele mit der Wirklichkeit (der Kollektivität) ringt und der Konflikt sich auflöst im Monolog".10 Für Gauger ist 'Sprache' zwar ein "Besitz des individuellen Subjektes", sie ist "im individuellen Bewußtsein", aber sie ist ihm keine autonome Potenz oder Kreation des Individuums, sondern etwas Hetero- 11 nomes, "dem Individuum von außen her eingeübt". Und ihr entscheidendes Charakteristikum ist, daß sie "nicht nur individuell ist". Damit wird 'Sprache' durch eine paradoxe Antithetik bestimmt aus 'Besitz und Inhalt des individellen Subjekts und Bewußtseins' (Paraphrase) einerseits und ihrer a priori angesetzten kollektiven Genesis und Kollektivierung als Kommunikationsvehikel andererseits. Die Tatsache, daß es immer wieder Zwillinge, Geschwister, enge Freunde gegeben 12 hat - zuletzt die Zwillingsschwestern Jennifer und June Gibbons die sich weigerten, sprachlichen Konformitätszwängen ihrer Sprachgemeinschaft nachzugeben und statt dessen ihr eigenes, der Gemeinschaft entfremdetes Idiom kreierten, sprachen, schrieben, scheint Wilhelm von Humboldt zu bestätigen, Hans-Martin Gauger zu widerlegen. Man kann in diesem Zusammenhang auch an die in ihrer menschlichen Geistigkeit 'verirrten' Individuen denken - und 'Sprache' ist ja Ausdruck und Dokumentation des menschlichen Geistes, wie auch Humboldt betont -, deren 'Sprache' "idios, idiotikos", d.h. eigentümlich-eigen, geworden ist. (Man denke an Hölderlin, C.F.Meyer, Georg Trakl.) Dokumentarischer sind Beobachtungen zur sprachlichen Ontogenesis der 1 1/213 jährigen Esther Laura Franke. Im Vollzug Humboldtscher Sprachautonomie bezeichnet das Kind mit dem arbiträr gesetzten Kollektivum "Tockedas" alle gefiederten Freunde, die nicht "piep, piep" machen, also das Hausgeflügel der Gänse, Enten, Tauben und Hühner. Ebenso autonom-arbiträr gesetzt ist die Bezeichnung "Tockedis" für Tannenzapfen, obwohl hierbei ein für uns kaum zu rationalisierendes formales Bildungsprinzip mittels alliterierender und ablautender Suffigierung des Stammes "Tocke-" angewandt ist. Nach dem Prinzip der Sprachökonomie verfährt Esther, indem sie die früher von ihr benutzten alliterierenden vier Einzel-Lexeme heterogener Provenienz "Schlüssel", "Schuhe", "Schoß" und "Schnuller" durch das wiederum arbiträre, doch nunmehr nicht mehr autonome Pseudo-Kollektivum "Soße" ersetzt, das immerhin eine assonantische 9 Siehe Anm. 6. 10 Siehe Anm. 6. 11 Siehe Anm. 7. 12 Vgl.: M. Wallace, Als Jennifer starb, war June erlöst. Übers, von G. Kramper. In: ZEITmagazin 34(1994, 198), S. 20-25. 13 Vgl.: Nordbayerische Nachrichten, Nr. 198 v. 27./28. 8. 94, S. 16. Alliterationsbeziehung zu den von ihr kollektivierten Einzel-Lexemen aufweist. Das Kleinkind verfügt außerdem in seinem phonetisch adaptierten Lexikon heteronomer Wörter über die Lexeme "Beer" für Brombeere und "Mate" für kleine Kirschtomaten. Da Esther Brombeeren, Kirschtomaten und Obst überhaupt besonders gerne ißt, bildete sie aus "Beer" und "Mate" das neue autonome Kompositum "Beermate", um damit die erstmals in ihrem 1 1/2-jährigen Dasein als grüngelb-rundes Perzeptions-Phänomen auf sie einwirkenden Weintrauben sprachlich-kognitiv 'wahr'-zunehmen und - durch kon-notative Geschmacksanalogien zu "Beer" und "Mate" motiviert - von ihren Eltern zu verlangen. Diese ontogenetischen Beobachtungen am Falle der Esther Laura Franke zeigen, daß die absolute sprachliche Individual-Autonomie Humboldts zwar als sprachphilosophische Idee und als geistesgeschichtliches Ideal-Axiom durchaus einleuchtend und nachvollziehbar ist. Denn das Kind hat diese sprachliche Individual-Autonomie ja tatsächlich praktiziert; allerdings nur partiell praktiziert und praktiziert innerhalb der offenbar strukturimmanenten, dem Kinde absolut unbewußten, doch intuitiv benutzten generativen Parameter der objektivierten Einzelsprache, auf die ich bereits kommentierend hingewiesen habe. Außerdem wird das Kind schon jetzt hinsichtlich seines Lexikons von den kollektiven Konformitätszwängen seiner Sprachgemeinschaft in seiner individuellen Sprach-Autonomie begrenzt und relativiert. Es wird also letzten Endes den individuellen sprachlichen Autonomie-Freiraum, den ihm die liebevolle Zuwendung der Eltern gewährt, indem sie alle autonom-arbiträren kindlichen Idiotismen als Intelligenzindizien begrüßen und verständnisvoll interpretieren, verlassen müssen, um - im Sinne der Antinomien Humboldts, nach dem bereits eddischen Motto "Den Menschen freut der Mensch."14 und dem humanen Bequemlichkeitssyndrom gehorchend - als Zoon politikon kollektiv zu existieren und das heißt zu kommunizieren. Es sei denn, Esther Laura Franke realisiert ihre sprachliche Autonomie-Potenz als asoziales Individuum, wie die Zwillinge Gibbons, oder wird geistig-existentiell "idiotikos", wie Virginia Woolf. Wir müssen also einräumen, daß den ontogenetischen Sprach-Aspekten Hjelm-slevs und Gaugers neben der Humboldtschen Autonomie-Idee ebenfalls eine partielle Relevanz für das Gesamt-Phänomen 'Sprache' zuzuschreiben ist, obwohl Gaugers von "außen kommende Einübung" zu hinterfragen wäre und, auch zeitlich, von sekundärer Bedeutung ist, weil sie die - wie immer relativierte und modifizierte - prinzipielle Sprach-Autonomie des Individuums nicht beeinträchtigt. Grundsätzlich hat sich wiederum die erstaunliche Komplexität des Phänomens 'Sprache' - selbst auf der ontoge- 14 Vgl.: Edda. Übertragen von F. Genzmer. Bd. 2: Götterdichtung und Spruchdichtung. Thüle: Altnordische Dichtung u. Prosa, Bd. 2. Düsseldorf/Köln 1963, S. 127, Str. 35: "Jung war ich einst, einsam zog ich, da ward wirr mein Weg; glücklich war ich, als den Begleiter ich fand: den Menschen freut der Mensch." netischen Primarstufe - gezeigt, die Hjelmslev "als ein in sich ruhendes Ganzheitsgebilde, eine Struktur sui generis" angesprochen hat. Von dieser Vorstellung der 'Sprache' als "in sich ruhendes Ganzheitsgebilde", das alle potentiellen Ausformungen als 'Rede', 'Text', 'Genre' und 'Textsorte' beinhaltet und subsumiert, die lt. Humboldt "als Gesetz die Funktionen der Denkkraft bedingt", "nicht sowohl wie ein todtes Erzeugnis, sondern weit mehr wie eine Erzeugung"3) gehe ich im folgenden aus. Dabei setze ich als Axiom, daß diese allumfassende und komplexe 'Sprache an sich', wie sie von allen sprachphilosophischen und sprachtheoretischen Überlegungen und Konzeptionen - meine eigenen eingeschlossen - erfaßt und vorgestellt wird, nur als philosophisch-theoretisches Konstrukt, als Platonische Idee, nicht als zeit-räumlich gebundenes Kantsches Phänomen gibt. Außerdem ist festzuhalten, daß die 'Sprach-Idee' jener philosophisch-theoretischen Überlegungen sich exklusiv auf 'Sprache' als etwas potentiell Gesprochenes bezieht, also auf etwas, was bei Ferdinand de Saussure als "parole" (Sprechen, Sprachverwendung, performance) und als "langage" (menschliche Rede, menschliche Sprechfähigkeit) umschrieben wird. Die Frage ist also: Wie verhält sich dieses so definierte potentiell Gesprochene, diese abstrahierte, mit der Humboldtschen dynamisch-spontanen Kraft der "energeia" ausgestattete 'Sprache' zu dem Begriff 'Text'? Ist jene 'Sprache' die kompositionelle Gesamtheit, die Universalität aller potentiellen 'Texte'? Oder sind 'Sprache' und 'Text' zwei divergierende, disjunktive Konzeptionen; bzw. ist 'Text' ein phänomenologischer oder der einzige phänomenologische Aspekt von 'Sprache'? Die Antwort auf diese Fragen ergibt sich aus dem Wie des Objektivationsprozesses von 'Text', sie ergibt sich aus einer generativen Definition von 'Text'. Bevor ich die eben gestellten Fragen durch meine angesagte Definition von 'Text' beantworte, möchte ich zur Eingrenzung und Kontrastierung aus der - wie eingangs angedeutet - beliebigen Zahl divergierender linguistischer 'Text'-Definitionen Weniges selektiv referieren und kommentieren: Klein und von Stutterheim erfanden für ihre 'Text'-Defmition 1991 den Terminus "Gesamtvorstellung", womit sie ziemlich genau das meinen, was Andre Jolles schon 1930 als "Geistesbeschäftigung" festlegte, nämlich ein jeweils spezifisches geistigmentales, sich folglich sprachlich realisierendes Konzept, das für die thematische, globale und lokal-formale Struktur eines 'Textes' verantwortlich ist: "A text... differs in two respects from an arbitrary collection of utterances: A. It obeys certain global constraints which primarily result from the fact that the utterances in their entirety serve to express, for a given audience and to a given end, a complex set of information, a 'Gesamtvorstellung'... The nature of the 'Gesamtvorstellung', on the one hand, and the specific purpose the speaker has in expressing it, on the other, impose special constraints on the overall organization of the text. B. The way in which the text proceeds from one utterance to the next obeys local constraints, depending on which information is introduced, maintained or elaborated on... Each utterance selects a segment from the 'Ge- samtvorstellung' and puts it into words."15 Für Klein/von Stutterheim ist 'Text' damit Gesprochenes, das ein Sprecher ("speaker") für ein bestimmtes Publikum zu einem bestimmten Zweck ("for a given audience and to a given end") ausspricht ("express'Ves), wobei der 'Text'-Sprecher logischerweise die textuale Sprachobjektivation steuert; Sprecher, Publikum und 'Text' sind kopräsent. Dem widerspricht K. Ehlich in seinem Aufsatz "Zum Textbegriff". Für Ehlich ist 'Text' noch immer etwas Gesprochenes. Aber 'Text' bedeutet ihm eine zum Sprechakt parallele und davon quantitativ verschiedene kommunikative Größe. Denn der "einfache Sprechakt umfaßt normalerweise einen Satz. Demgegenüber ist der Text... eine übersatzmäßige Einheit." - "Der Text ist nicht mit dem Sprecher und Hörer kopräsent, sondern er verselbständigt sich beiden gegenüber."16 Wiederum verweisen diese 'Text'-Eingrenzungen auf Andre Jolles, der seine 'Einfachen Formen' als hypersyntaktische vorliterarische 'Text-Archetypen' verstand, "die sich, sozusagen ohne Zutun eines Dich- 17 ters, in der Sprache (von) selbst ereignen", mittels der zugehörigen 'Geistesbeschäftigung', und die folglich weder grammatischen (da hypersyntaktisch) noch poe-tologischen (da vorliterarisch) Kategorien unterworfen sind. Die Idee einer Verselbständigung des Gesprochenen findet sich freilich erstmals - zusammen mit einer Vorwegnahme des 'globalen Konzepts'- in Heinrich von Kleists "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden": "Aber weil ich doch irgend eine dunkle Vorstellung habe, die mit dem, was ich suche... in einiger Verbindung steht, so prägt, wenn ich nur dreist damit den Anfang mache, das Gemüt, während die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung zu völliger Deutlichkeit aus, dergestalt, daß die Erkenntnis, zu meinem Erstaunen, 18 mit der Periode fertig ist..." Das ist eine frühe dichterische Einsicht, die einige Jahrzehnte später von Humboldt wieder in nuce philosophisch-anthropologisch ausgedrückt wird (s.o.) und die auch in der modernen Sprachphilosophie eine Rolle spielt.19 Ein generalisierendes, von der Semiotik beeinflußtes 'Text'-Verständnis präsentiert K.Hausenblas, wenn er behauptet, es gäbe drei 'Text'-Arten, nämlich: 1. "linguale 15 W. Klein/Ch. v. Stutterheim, Textstructure and Referential Movement. In: Sprache u. Pragmatik 22(1991), S. 1-32; s. lf. 16 K. Ehlich, Zum Textbegriff. In: Text-Textsorten-Semantik. Linguistische Modelle u. maschinelle Verfahren. Hg. von A. Rothkegel/B. Sandig. Hamburg(Buske) 1984, S9-25; s. 13ff. u. 17. 17 Vgl.: A. Jolles, Einfache Formen. 2 Tübingen (Niemeyer) 1958,bes. S. 10 und A. Jolles/W. Porzig, Rätselforschungen. In: Fs. Sievers (Halle 1925), S. 632-60, bes. S. 633, 646. 18 H. V. Kleist, Werke in einem Bande. Hg. von H. Sembdner. München (Hanser) 1966, S. 810-14; s. 810. 19 Vgl. etwa: F. Kainz, Psychologie der Sprache. Bd. 3. Stuttgart 1963, S. 121, wo darauf verwiesen wird, daß der Inhalt, die kommunikative Planung, einer mündlichen oder schriftlichen Textaussage zum großen Teil erst bei der mündlichen oder schriftlichen sprachlichen Realisierung selbst formuliert wird, daß Denken und sprachliche Äußerung des Gedachten also synchron ablaufen und nicht diachron. Texte (immer mit paralingualen Elementen)" - 2. "außerlinguale Texte (sprachlose Comics)" - 3. "gemischte Texte (entweder mit Dominanz von lingualen oder außerlin-20 gualen Elementen)". Daß für mich "außerlinguale" bzw. "sprachlose Texte" Con-tradictiones in adiecto, deshalb als Definitionen inakzeptabel sind, "Comics" zudem aus sprachlogischen Gründen keine 'Texte' sein können, sei meiner 'Text'-Definition vorweggenommen. Selbst Hausenblas identifiziert jedoch - schließlich bedeutet lat. "lingua": Zunge, dann metonymisch: Rede und Redegabe, schließlich als Metalepsis: Sprache - für seine Definition 'Text' mit dem Gesprochenen, obwohl er das Gesprochene grundsätzlich mit andersartigen, auch optischen Sinnesreizen koppelt (man bemerkt den multimedialen Einfluß), letztere sogar als 'Comic-Text' verabsolutiert und karikiert. Ich beschließe meine Teichskopie mit 'Text'-Definitionen, die mir wegen ihrer Kürze und Prägnanz, wegen ihrer Konzentration auf einen singulären Aspekt, auch wegen ihrer Nähe zu meiner eigenen Definition relevant erscheinen: E.Agricola fordert 21 "relative Abgeschlossenheit" als 'Text'-Kriterium; G.Klimonow "überlegt" in ihren "definitorischen Kriterien (!) des Textbegriffes", daß "der Text als Ganzes in kommuni- 22 kativer Hinsicht vollständig zu sein hat"; M.A.K.Halliday und R.Hasen erklären den Begriff 'Text' als "used in linguistics to refer to any passage, spoken or written, of what- 23 ever length, that does form a unified whole", wobei man "unified whole" nicht als "Abgeschlossenheit" übersetzen darf, sondern als "in sich schlüssiges Ganzes". Das verlangt die Logik des Englischen und die Tatsache, daß "Abgeschlossenheit" etwas Fertiges, Unzugängliches meint, das keine Kohärenz-Affinität, keine Intertextualität aufweist. In dieser britischen Definition erscheint erstmals ein 'Text'-Kriterium ("...or written"), das sonst ganz vernachlässigt wurde: die Schriftlichkeit des 'Textes'. Auf die Gefahr hin, meine eigene 'Text'-Definition im voraus zu diskreditieren, zitiere ich noch C.Knobloch, "Zum Status und zur Geschichte des Textbegriffes" (1990): "('Text' gehört) zu den aspektheterogenen und offenen Grundbegriffen der Sprach- und Literaturwissenschaften, die nicht abschließend definiert werden können, weil ihre theoretische Produktivität vorwiegend heuristischer Natur ist und sich nur innerhalb bestehender Axiomatisierungen entfaltet." Dieser Einsicht folgt aber wenig später die Auffassung, 'Text' sei ein "materiell abgeschlossenes und schriftlich wiedergegebenes Sprachwerk".24 20 K. Hausenblas, Zu einigen Grundfragen der Texttheorie. In: Probleme der Textgrammatik II (Studia grammatica XVIII). Hg. von F. Daneš/D. Viehweger. Berlin (Akademie) 1977, S. 147-58, s. 148. 21 E. Agricola, Text-Textaktanten-Informationskern. In: ebd., S. 11-32, s. 11. 22 G. Klimonow, Überlegungen zu einigen definitorischen Kriterien des Textbegriffes. In: ebd., S. 18184, s. 183. 23 M. A. K. Halliday/R. Hasan, Cohesion in Englisch. London (Longman) 1976, S. 1. 24 In: LiLi 77(1990), S. 66-87, s. 68f. Ich halte es bei dem Begriff 'Text' mit der Schriftlichkeit und als Philologe (zu gr. "philos"= Freund, "philein"= lieben und "logos"= Vernunft, Wort, Rede, Berechnen, Grund etc.) mit der "etymologia" (zu gr. "etymos"= wahrhaft, wirklich und "to etymon'^ die ursprüngliche wahre Bedeutung). Das deutsche Wort 'Text' ist spätmittelhochdeutsch aus dem lateinischen Wort "textus" entstanden; und das bedeutete: Gewebe oder Geflecht; Verbindung, Zusammenhang; zusammenhängender Inhalt einer Rede oder einer Schrift; daher auch der Name "Textura" für die spitzbogig-verwobene, prunkhafte gotische Buchschrift, in der die damaligen bedeutendsten und bedeutsamsten Objektivationen der 'Sprache' im Herderschen Sinne 'gebannt', d.h. zur Dauer gebracht, 'textualisiert' worden sind. Außerdem gehört zu dem deutschen Wort 'Text' das lateinische Verb "texere" mit dem "etymon": fügen, planvoll-harmonisch zusammenfügen. Mit anderen Worten: Wo immer das lateinische Lehnwort 'Text' in allen gegebenen abendländischen Volkssprachen auftritt, ist es kulturell-funktional und historischzeitlich unlöslich verbunden mit der Genesis einer volkssprachlichen Schriftkultur. 'Text' ist schriftlich gewordene 'Sprache', ist das Fundament, das Wesentliche, die Struktur, die entscheidende Dokumentation jeder Schriftkultur. Deshalb, denn 'Sprache' ist "logos", können wir einen 'Text' lernen, hersagen, herunterbeten, vorlesen, rezitieren, vortragen, interpretierend vortragen; wir können einen 'Text' konzipieren, zusammenstellen, kürzen, erweitern, entwerfen, überarbeiten, redigieren, korrigieren, herausgeben; wir können ihn verstehen, begreifen, deuten, analysieren, interpretieren. Es gibt den 'Text' eines Liedes, einer Oper, einer Rede, eines Vortrages, eines Romans, eines Gedichtes, eines Dramas, eines Filmtextbuches. Wir können eine deutliche Sprache reden oder sprechen. Doch wir können - obwohl doch scheinlegitime Figura etymologica -, weil wie "nasses Wasser" oder "alter Greis" ein sprachlich alogischer Pleonasmus, keine "Rede reden". Und wir können keinen "Text reden", lediglich als Texter 'Texte' texten. Denn "Reden" einerseits - als eine akustischdynamische, folglich transitorische Ausformungs-Kategorie des philosophisch-theoretischen Konstrukts 'Sprache'- und 'Text' andererseits - als Makro-Konzeption einer konkreten schriftlichen Ausformung, als eine wegen ihrer Schriftlichkeit atransitori-sche, Permanenz anstrebende Ausformungs-Kategorie des gleichen Konstrukts -schließen sich als Contradictio in adiecto im "logos" sprachimmanenter Strukturen gegenseitig aus. Meine Beispiele zeigen auch, wie sich der "logos" kategorialer MakroStrukturen der 'Sprache' in den Mikro-Strukturen sprachlicher Pragmatik analogisiert. Zur generativen Definition meiner 'Text'-Vorstellung gehören als notwendige kon-notative Ergänzungen das lateinische Wort "stilus" und dessen deutsche Entsprechung "Griffel". "Stilus" und "Griffel" - im Computer-Zeitalter nur noch symbolisch zu verstehen, obwohl bei aller elektronisch mechanisierten Umsetzung realiter doch existent -drückten bzw. drücken das als 'Text' aus, was die thematisch-geistige, aus der 'Sprache' kommende "energeia" der individuellen Sprach-Beherrschung mittels der Hand nach dem wirkenden Gesetz der Denk- und Sprachkraft determinierte und tatsächlich heute noch - selbst auf dem kollektivierenden Computer - determiniert. Das entscheidende Instrumentom der 'Text'-Ausformung aus der kompositionellen Universalitäts-Kategorie der 'Sprache' ist mir also der 'Stil'. Ohne 'Stil' bleibt 'Text' integrierter Bestandteil der Kategorie 'Sprache'. Denn "Griffel" (zu ahd. "grifan", mit der Werkzeugsilben-Suffigierung "-il"= greifen, begreifen), als "stilus"-Entsprechung und als Ding-Symbol des 'Begreifens' sprachlicher Strukturen, und "Hand", als archetypisches metonymisches Symbol des Individuums, des Ich, zu dem Geist und damit 'Sprache' als konstituierende Wesensmerkmale gehören, verweisen auf eine notwendige kooperative Leistung der geistigen und der sinnlich-physikalischen Komponenten des Menschen im Sprachlichen. Mit 'Stil' bezeichne ich mithin einen thematisch determinierten Akt kreativer sprachlicher Autonomie des menschlichen Individuums in den quantitativen und allen sonstigen Bereichen der 'Sprache' nach einheitlich-kategorialen Selektionsprinzipien sowie das textimmanente Resultat dieses Aktes. Damit ist 'Stil' im eigentlichen Sinne 'bewußte Sprache', da 'Sprache' ohne 'Stil' unbewußte Repetition vorgegebener Sprach-Muster bleibt. Zu diesem 'bewußten' Akt des 'Stils' gehört folglich auch die 'bewußte' und 'gewußte', also kognitiv-integrierte und selektiv-einsichtige Verwendung von 'stilistischen Fertigteilen', d.h. 'Textsorten' (s.u.), obwohl es sich dabei letztlich um einen plagiatorischen Vorgang handelt, wobei die 'Textsorten' sich mit der unendlichen Tastatur eines Klavieres vergleichen lassen, auf deren Mithilfe der durchschnittliche 'Stil'-Pianist für seine Eigenkompositionen angewiesen ist. Die qualitativen Kriterien stilistischer Selektionsprinzipien hat Goethe 1789 in der Abhandlung "Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil" zwar für die Kunst (in Anlehnung an die Aristotelische "Mimesis"), aber durchaus auf das menschliche Individuum per se übertragbar (s.u.), so formuliert: "Gelangt die Kunst (= das Individuum) durch Nachahmung der Natur..., durch genaues und tiefes Studium der Gegenstände selbst endlich dahin, daß sie (= es) die Eigenschaften der Dinge und die Art wie sie bestehen, genau und immer genauer lernt, daß sie (= es) die Reihe der Gestalten (= Ausformungen, Phänomene) übersieht und die verschiedenen charakteristischen Formen nebeneinander zu stellen und nachzuahmen weiß, dann wird der Stil der höchste Grad, wohin sie (= es) gelangen kann... So ruht der Stil auf den tiefsten Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern uns erlaubt ist, es in sichtbaren und 25 greiflichen Gestalten (s.o.) zu erkennen..." Man wird und kann gegen meine Individual-Definition der Kategorie 'Stil' einwenden, daß es doch einen National-, einen Zeit-, einen Epochen-, einen Gattungsstil etc. gäbe. Sicher gibt es diese a priori-Lexeme; aber es gibt sie nur als recht vage Abstraktionen der Summen aller Individual-'Stile' einer bestimmten Nation, einer bestimmten Zeit, Epoche, Gattung usw., wobei man nicht weiter gekommen ist - weil man nicht weiter kommen kann -, als die 'Stil'-Individualitäten einer x-beliebigen Zahl stilautonomer Autoren durch statistische Manipulationen auf den kleinsten, d.h. erstaun- 25 In: Der Teutsche Merkur, Feb. 1789; und: Goethes Sämtliche Werke. Jubiläums-Ausgabe in 40 Bänden. 33. Bd. Stuttgart/Berlin (J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger) o. J., S. 54-59. lieh ungenauen gemeinsamen Nenner zu bringen. National-, Zeit-, Epochen-, Gattungsstil werden durch diese statistischen Determinierungsversuche nicht zu auf Eigenleistungen beruhenden, qualitativ erfaßbaren Größen. Denn das 'schöpferische Kollektiv' gibt es nicht, weder als räumliches noch als zeitliches Phänomen. Anders ausgedrückt: Der literarhistorische Streit um die oder den Nibelungenlied-Dichter ist inzwi- 26 sehen längst zugunsten des Singulars entschieden worden. Den 'stilistischen Griffel' oder "stilus" kann man eben nur mit einer Hand führen. Und wenn Autoren wie Arno Holz und Johannes Schlaf 1889 versucht haben, es mit zwei Händen zu tun, so ist dabei nur eine platte, stillose Ablichtung äußerlicher, 'naturalistischer' Alltagsrealitäten herausgekommen, die heute niemand mehr interessiert, weil das 'Stil'-bezogene "Wesen der Dinge" Goethes fehlt. Aufgrund der von Humboldt als Antinomien erfaßten (s.o.) Bedingtheiten der - die 'Sprache' einschließenden - Gesamtexistenz des Menschen, Bedingtheiten, die Humboldt konstituiert aus Wirkung (also: 'Stil') und Rückwirkung (also: 'Genre/Textsorte'), aus Spontaneität (also: 'Stil') und Rezeptivität (also: 'Genre/Textsorte'), aus Freiheit (im gesamten Lebens-'Stil' des Menschen, einschließlich seines 'Rede'- und 'Text'-'Stiles') und aus simultaner Gebundenheit durch historisch-ethisch-soziale Kategorien sowie durch historisch gewachsene und bedingte Rahmen-Strukturen von 'Sprache', 'Rede' und 'Text' (auf letztere komme ich bei meiner 'Textsorten'-Definition zurück), gibt es natürlich gewisse Parameter und Einschränkungen, über die sich der autonome 'Stil'-Wille des Individuums nicht hin- 27 wegsetzen kann - oder nur in Ausnahmefällen hinwegsetzen kann. Und es sind eigentlich diese zeitlich-räumlich variierenden Parameter und Einschränkungen selbst, die im Bereich der 'Gattungen' als 'Stil'-Merkmale herhalten müssen. Nun gibt es neben den drei Grundgattungen Epik, Lyrik, Dramatik eine fast beliebige Vielzahl von Untergattungen, die Goethe "Dichterarten" nennt - unter Betonung der Gegensätzlichkeit von "Naturform"/Grundgattung und "Dichtart"/Untergattung. Es gibt Heldenlieder, Zaubersprüche, Reimchroniken, Spielmannsepen, Artusepen, Minnelieder, Spruchdichtung, Predigten, Fachprosa, Romane, Novellen, Tragödien, Komödien, Elegien, Oden, Fabeln, Märchen, Rätsel usw. Für Goethe und für Emil 28 Staiger sind die drei "Naturformen'VGrundgattungen anthropologisch (Goethe) bzw. 'stilistisch' (Staiger) bestimmt. Wobei Staiger einen zu meinem disjunktiven 'Stil'-Begriff verwendet, analog zu den drei Zeit-Kategorien Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Der 'Stil' des Lyrischen ist ihm: Erinnerung, des Epischen: Vörstellung/Ver- 26 H. Fromm, Der oder die Dichter des Nibelungenliedes? In: Accademia Nazionale dei Lincei: Atti dei Convegni Lincei 1. Roma 1974, S. 63-77. 27 Bei diesen Ausnahmefällen uneingeschränkten oder fast uneingeschränkten autonomen Stils denke ich etwa an Wolfram von Eschenbach, Gottfried von Straßburg; Meister Eckehart; Gottfried Benns "Statische Gedichte2; die 'Konkrete Poesie' Morgensterns, der Dadaisten Ball, Schwitters und Arp, Gedichte von Mon, Gomringer und Jandl. 28 Grundbegriffe der Poetik. 2 München (dtv-WR 4090) 1972. gegenwärtigung, des Dramatischen: Spannung/pathetische Zielstrebigkeit. Das heißt, die "Dichtarten"/Untergattungen - die ich im folgenden 'Genres' nenne (zu lat. "genus, generis"= Klasse, Geschlecht, Art, Sorte) - werden wiederum in der sogenannten 'Gattungspoetik' unter drei abstrahierende a priori-Kategorien subsumiert, die als distanzierte theoretische Abstrakta - per definitionem meam - mit 'Stil' wenig, nur aus großer Ferne zu tun haben, weil sie mit dem eigentlichen 'stilistischen Akt' des autonomen 'Text'-Autors nichts zu tun haben. Doch jedes 'Genre' ist mir stilistisch determiniert, durch den 'Stil' seiner Einzel-'Texte'. Und natürlich schränke ich den Terminus 'Genre' nicht auf literarische 'Text'-Klassen ein; auch pragmatische 'Text'-Klassen, wie Privat- oder Geschäftsbriefe, Unfallprotokolle, Sitzungsberichte, Vortragsmanuskripte usw. sind mir 'Genres'. Dagegen läßt sich wiederum einwenden, daß etwa die 'Genres' Heldenlied, Märchen, Rätsel doch von meinem "Akt kreativer sprachlicher Autonomie eines menschlichen Individuums", 'Stil' genannt, nicht betroffen würden. Denn Heldenlied, Märchen, Rätsel sind doch angeblich Kollektiv-'Texte' mit 'Textsorten'-Charakter (s.u.). Daß das nicht stimmen kann, daß zu jedem Einzel-'Text' eines wie immer gearteten 'Genres' ein individueller Autor gehört, weil es kein 'schöpferisches Kollektiv' gibt, habe ich eben bei meiner Diskussion von National-, Zeit-, Epochen-, Gattungsstil gezeigt. Hinzu kommt das empirische Faktum, daß gerade wegen der potentiell x-beliebigen Anzahl individueller, stilistisch aktiver 'Genre'-Autoren bei den drei genannten 'Text'-Klassen zahlreiche Einzeltext-Varianten überliefert sind, obwohl das überwiegende Gros, d.h. eine Unzahl von Einzeltext-Varianten, durch ihre transitori-sche vorschriftliche Oralität, durch ihr prätextuales 'Vor-Leben' als 'Rede', für unsere Schriftkultur verloren gegangen ist. Diese Beobachtungen zu den Einzel-'Texten' von 'Genres' verweisen auf ein weiteres phänomenologisches Faktum: Den 'Text per se' gibt es nur als sprachphilosophisch-induktive Kategorie. Deshalb konnte Hjelmslev 'Text' definieren als "alle faktischen und möglichen Äußerungen einer Sprache". 'Text' muß sich zwangsläufig, synchron mit seiner durch den 'Stil' bewirkten Genesis, zu einem phänomenologischen Einzeltext-Bestandteil seines 'Genres' realisieren. Das heißt, auch jedes 'Genre' ist eine konzeptionelle Kategorie im Sinne Kants, eine Hypothese. Die 'Genre'-Kategorie ist aber doch eine 'naheliegende', direkte Komposition, ein Konzentrat aus dem 'Stil' ihrer Einzel-'Texte'. Indem ein Rätsel aufgeschrieben wird, aus 'Rede' zum 'Text' wird, objektiviert sich ein seinem 'Genre' über den 'Stil' zugeordneter Einzel-'Text' dieses Rätsels. Doch das Rätsel selbst - als geistig-thematische Konzeption, als sprachliche Konkretisierung einer Jolles'schen 'Geistesbeschäftigung'- ist zurückgetreten in die geistige Abstraktion der 'Sprache'. Von dort, aus der 'Sprache', kann es wieder objektiviert werden über den 'Stil' eines kreativ-aktiven Individuums. 'Genres' sind mithin durch spezifische inhaltliche, thematische und formal-strukturale Gegebenheiten ausgezeichnete, historisch determinierte 'Text'-Klassen, die sich unter poetologisch-ästhetischen Kriterien zu den drei "Naturformen" bzw. Grundgattungen der Literatur zusammendenken lassen - sofern sie unter poetologisch-ästhetische Kriterien fallen und nicht zu den pragmatischen 'Text'-Klassen bzw. pragmatischen 'Genres' gehören. Das heißt, in meiner Nomenklatur bedeutet das Wort 'Gattung' nur und ausschließlich eine der drei hypothetischen "Naturformen" oder Grundgattungen der poetologischen Literaturtheorie. Es wird von mir nicht - wie in der Poetik und sonst allgemein üblich - als Synonym für 'Genre' benutzt. Denn der Begriff 'Genre' steht mir für jede durch distinguierte 'Stil'-Gleichheiten bzw. 'Stil'-Analogien verwandte Gruppe von Einzel-'Texten', ganz gleich, ob sie aus dem kommunikativ-pragmatischen, theoretisch-spekulativen oder ästhetisch-literarischen 'Text'-Bereich oder einer Überlagerung dieser 'Text'-Bereiche kommen. Die 'Textsorten'-Klassifikationen und 'Textsorten'-Definitionen der Textlinguistik 29 präsentieren sich entweder als Gordischer Knoten oder als definitorische Resignation,30 was zum größten Teil auf dem eingangs erwähnten und selektiv vorgeführten Dilemma konkurrierender 'Text'-Definitionen beruht. Ich kann mir, weil dadurch für meine eigene Definition nichts gewonnen wäre, eine Diskussion ersparen. Festzuhalten ist, daß der Terminus 'Textsorte' - wie der 'Text'-Begriff-ohne distinktive Eingrenzung ist und daß er - zwischen 'Text' und 'Rede' stehend - alles bedeuten kann, was ich eben als kommunikativ-pragmatische, theoretisch-spekulative oder ästhetisch-literarische 'Genres' bezeichnet habe. In meinem System, in dem aus der 'Sprache' durch 'Stil' entweder stilistisch Geformtes als 'Rede' transitorisch objektiviert wird oder aus der 'Sprache' durch 'Stil' sich 'Genres' als Klassen der 'Text'-Kategorie und als direkte stilistische Kompositionen von Einzel-'Texten' schriftlich-atransitorisch objektivieren, bezeichnet 'Textsorte' antistilistisch determinierte, stereotyp-formelhafte EinzeltextKomponenten, die aus Einzellexemen, subsyntaktischen Wortverbindungen, Einzelsätzen, asyntaktischen oder hypersyntaktischen Einheiten bestehen können. Anders, kürzer formuliert: 'Textsorten' sind gekennzeichnet durch die Abwesenheit eines stilistischen Aktes, im Sinne meiner Definition. Man könnte 'Textsorten' phylogenetisch einteilen in zwei Kategorien: 1. in eine historisch-metaphorische, im Schillerschen Sinne 'naive' Kategorie; 2. in eine ahistorisch-abstrakte, im Schillerschen Sinne 'sentimentalische' Kategorie. Zu den 'Textsorten' zähle ich alle sondersprachlichen und fachsprachlichen Cliche-Formulierungen; alle allgemeinen Gemeinplätze und Platitüden in 29 Ich verweise exemplarisch auf den Typologisierungsversuch von Interview, Brief, Telefongespräch, Arztrezept, Kochrezept, Inserat, Vorlesung etc. durch B. Sandig: Zur Differenzierung gebrauchssprachlicher Textsorten im Deutschen. In: E. Gülich/W. Raible (Hgg.), Textsorten: Differenzierungskriterien aus linguistischer Sicht. Frankfurt/M. 1972, S. 113-24 sowie auf den Artikel "Textsorte" in: Metzler-Lexikon-Sprache. Hg. von H. Glück. Stuttgart/Weimar 1993,S. 638 (mit Bibliographie). 30 K. Ermert meint in seinem Aufsatz "Briefsorten: Untersuchungen zu Theorie und Empirie der Textklassifikation". In: German. Ling. 20 (Tübingen 1979), S. 50: "Eine Textsorte... ist formal als eine Klasse oder Menge von virtuellen Texten zu bestimmen, die eine oder mehrere gemeinsame Eigenschaften haben." - S. 66: "Eine Textsorte kann allgemein als eine Klasse von Texten beschrieben werden, die einem komplexen Muster sprachlicher Handlungen zuzuordnen sind." Einzel-'Texten'; alle von Ernst Robert Curtius als 'Topoi',31 d.h. als feste clichehafte Denk- und Aussageschemata, definierten vorgefertigten Formeln, Phrasen, Zitate, Wendungen, alle tradierten stereotypen Motive, Bilder, Embleme, einschließlich 'locus amoenus' und 'captatio benevolentiae'; alle Phraseologismen und Sprichwörter in Einzel-'Texten' usw. usw. Das Paradoxe dabei ist, daß eigentlich all diese antistilistisch-stereotypen Versatzstücke in Einzel-'Texten' ursprünglich konstituierende Bestandteile des individuell-autonomen 'Stils' gewesen sind, während nunmehr lediglich die Art und Weise ihrer - plagiatorischen - Benutzung in Einzel-'Texten' einen sekundären Bezug zum absoluten 'Stil'-Begriff herstellt. Das heißt, daß 'Textsorten' entstanden sind, und entstehen, als durchaus einmalige, aktiv-autonome 'Stil'-Leistung eines Individuums, das zumeist in die Anonymität zurückgetreten ist und seine 'Stil'-Leistung der 'Sprache per se' als Allmende zum allgemeinen Gebrauch übereignet hat. Solange man die Begriffe 'Textsorte' (zu lat. "sors, sortis"= das Gegebene, Geschickte, Anteilige) und 'Genre' nicht über multiplexe, konkurrierende Definitionsansätze vermischt und verunsichert, sehe ich keine eigentliche deflatorische 'Textsorten'-Problematik. Schwieriger sind dagegen oft eindeutige 'Genre'-Definitionen. Auch dieses Dilemma scheint mir jedoch in der Regel lösbar, wenn man auf phänomenologisch-deskriptiver Basis, d.h. unter bewußter Zurückweisung aller spekulativen Versuchungen, logisch-distinktive sowie sozialhistorisch und kulturgeschichtlich fundierte Typologien und Terminologien entwickelt. Ich habe das seinerzeit für die Strickerschen Einzel-'Texte' des mittelhochdeutschen 'Genre' bispel getan, angeregt durch die Tatsache, daß dieses 'Genre' auch als Exempel, Fabel, Fablel, Schwank, Significatio-Erzählung bezeichnet wurde und wird. Es hat sich dabei ergeben, daß der Einzel-'Text' bispel zwar den 'Genres' Exempel, Fabel, Spruch verwandt ist, aber phänomenologisch deutlich eigene sprachlichstilistische und thematisch-formale Strukturen zeigt, die ein 'Genre' sui generis konstituieren, für das man am besten - unter sozialhistorischen Aspekten - den kulturhistorisch sinnvollen mhd. Terminus 'bispel' beibehält, wobei "bi-" (wie das ags. "bi und das moderne engl, "by") eine instrumentale Funktion signalisiert, das 'bispel' also ein 'Genre' 32 ist, durch das eine didaktisch-thematische Intention besonders akzentuiert wird. Nachzutragen habe ich noch eine genauere Definition dessen, was ich mehrfach als 'Rede' angesprochen habe. Wie die 'Text'-Kategorie objektiviert sich mir die 'Rede'-Kategorie über und durch meinen 'Stil'-Begriff, wobei das 'verstandene Wissen' um 'Textsorten' noch wichtiger ist als für den schriftlichen, mithin korrigierbaren 'Text'. Es ist sogar zu fragen, wieweit sich 'Stil' heutzutage - über 2050 Jahre nach Marcus Tullius Cicero - in der freien, d.h. 'Text'-unabhängigen 'Rede' des Menschen noch objektivieren kann. Daß 'Stil' eine besondere Affinität zum 'Text' besitzt, läßt sich dagegen z.B. belegen durch die sieben erhaltenen 'Stil'-Versionen, denen Conrad Ferdi- 31 Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. 6 Bern/München (Francke) 1967. 32 Vgl.: "Einfache Formen beim Stricker". In: Werk-Typ-Situation. Stuttgart (Metzler) 1969, S. 118128. nand Meyer sein Gedicht "Der Brunnen/Der schöne Brunnen/Der römische Brunnen" unterwarf (vgl.: Sämtliche Werke. München/Zürich o J.). Als Analogon zu meiner 'Text'-Kategorie ergibt sich also eine ebenso theoretischideale und übergreifende 'Rede'-Kategorie, die über 'Rede'-Klassen und die den 'Rede'-Klassen stilistisch zugeordneten gesprochenen Einzel-'Reden' zum aktualisierten 'Sprach'-Phänomen wird. Attributiv ordne ich den aktualisierten Einzel-'Reden' das Adjektiv 'lingual' zu. Die Einzel-'Rede' existierte und existiert als transitorische Einheit vor und außerhalb der 'textualen' Schriftkultur. Sie hat jedoch seit dem Entstehen volkssprachlicher Schriftkulturen (auf dem Gebiete des heutigen Deutschland in Ansätzen seit der Karolingischen Renaissance) das Bestreben, aus dem transitorisch-lin-gualen Bereich in den permanent-textualen Bereich der Schriftkultur überzutreten, wodurch sie ihren speziellen 'naiven' Charakter sui generis, im Sinne Schillers, verliert. Jede aufgeschriebene Einzel-'Rede' wird kausaliter zum Einzel-'Text'. In den europäischen und nordamerikanischen Schriftkulturen des Medien-Verbundes existiert folglich nurmehr der pleonastische Zwitter einer 'Text'-'Rede'. Auf das ursprüngliche, sehr enge Verhältnis zwischen 'Sprache' und 'Rede' verweist das mittelhochdeutsche Wort "rede", das - noch nicht Lexem, sondern Idiom - bedeutete: Sprache; Vernunft, Verstand; Rede, Gespräch, Erzählung, Widerrede, Ausrede; Rechenschaft, Verantwortung; Verabredung, Versprechen, Abkommen, Vertrag; Text eines gesungenen Gedichtes; Thema des Gesprochenen, Sache; Handlung; Nachrede, Kunde, Nachricht. In dieser Semasiologie von "rede" ist eine 'Sprache'-'Rede'-Beziehung ausgedrückt, die Walther von Wartburg so formulierte: "Nur durch das Medium der Rede können wir ihr (der 'Sprache') näherkommen. Sie tritt immer nur in Teilstücken in Erscheinung. Es ist gewissermaßen so, daß das Gesamte der Sprache dauernd in Dunkel gehüllt ist, daß aber jeweils der Teil von ihr konkret wird, der durch den Lichtkegel der Rede herausgehoben wird."33 Was ich unter 'Textsorte' als Einzellexem verstehe, läßt sich aus jedem Einzel-'Text' des kommunikativ-pragmatischen 'Genres' "Zeitungsartikel" entnehmen. Aus einem "ZEIT"-Artikel vom 30.9.9434 zitiere ich als Beispiel die folgenden 'Textsorten'-Lexeme, die den Text als importierte Fremdwörter-Cliches durchsetzen: "Billboard, Talkmaster, Showkarten, Gagschreiber, Entertainer, zappen, Talentpool, Superstar, Babyboomer-Hipness, Bandleader, Sunnyboy". Eine noch dichtere 'Textsorten'-Be-setzung mit Einzellexemen findet sich in den vom "ghostwriter" vorgestanzten Einzel-'Text'-'Reden' der sogenannten (wieder ein 'Textsorten'-Lexem) "Talkshow", weil das Lexikon dieser Produkte so weit minimalisiert ist, daß etwa das über das Amerikanische entlehnte, ursprünglich lateinische 'Textsorten'-Lexem "super" (präfigiert, adjektivischadverbial und nominal gebraucht) als polysemantisches Universal-Cliche für alle virtuellen positiven Superlativ-Referenzen auftritt, wobei - analog zum Amerikanischen - 33 Einführung in die Problematik und Methodik der Sprachwissenschaft. 2 Tübingen 1962, S. 196, Anm. 1. 34 "Die Zunge in der Zahnlücke". In: Die Zeit 40 (30. 9. 94), S. 90. gegenüber dem Lateinischen eine willkürliche Wortklassen-Negierung stattgefunden hat. Das Cliche-Einzellexem ist als 'Textsorte' in der Regel ahistorisch-abstrakt. Dazu gehören auch alle fach- und sondersprachlichen 'Kunstwörter' (wie: Akrostichon, il-lokutionär, Paralinguistik, Kardiolyse, Leukotomie), die einen betont theoretisch-fachidiomatischen Charakter besitzen. Subsyntaktische 'Textsorten' sind mir alle - grundsätzlich historisch-metaphorischen - Phraseologismen, idiomatischen Wendungen, Redensarten, Redewendungen etc., alles, was seit 1993 35000-fach belegt als "Deutsche Idiomatik" erfaßt ist und was eine syntaktisch-thematische Einbindung benötigt, um referentiale Valenz zu gewinnen. Ich wähle eine exemplarische Redewendung, deren kulturgeschichtliche Etymologie noch unbekannt ist36 und deren Kontext aus einem Einzel-'Text' des 'Genres' "Zeitungsartikel" stammt: Bis zum Ende dieses Jahrhunderts werden die neuen Länder bei den alten "tief in der Kreide stehen". Warum Textproduzenten auf die Idiomatik der 'Textsorte' zurückgreifen statt zu schreiben: "bei jemandem hoch verschuldet sein; jemandem großen Dank schulden", hat mit stilistisch-thematischen Intentionen zu tun: Die 'Textsorten'-Phrase "bei jemandem tief in der Kreide stehen" verfügt über eine bildhaft-sinnliche Valenz, die durch die Metaphorik der Phrase etabliert wird und die dem sonst banal-langweiligen Einzel-'Text' des 'Genres' "Zeitungsartikel" eine aufhellende Farbigkeit, eine Verlebendigung verleiht; und zwar gerade dadurch, daß der unbekannte oder zu mindest obskure se-masiologische Kern der Phrase nicht mehr kognitiv begriffen, sondern nunmehr intuitiv über die adverbial emphatisierte Metapher empfunden wird, daß nämlich eine Person metonymisch für eine Schuldsumme "in der Kreide steht" neben einer anderen Person. Durch die unbekannt-obskure Etymologie der 'Textsorten'-Wendung, die vor Jahrhunderten stilistisch-bewußt und individuell-autonom fixiert wurde, ist in der Phrase eine latent-immanente Bildlichkeit chiffriert, auf die der naive 'Text'-Rezipient mit unbewußter Neugier und Spannung reagiert; die Redewendung stimuliert sein Interesse, das der Kontext längst verspielt hatte. Um zu demonstrieren, welche Chiffrierungen innerhalb des paradox 'offengeschlossenen' Systems 'Sprache' möglich sind, referiere ich verkürzt die sozialhistorischen und kulturgeschichtlichen Koordinaten der zitierten Redewendung: Beim Besuch der zahlreichen, gut erhaltenen mittelalterlichen Burgen im Fränkischen kann man Räume finden, die noch immer mit spätmittelalterlichem Mobiliar ausgestattet sind. Zu derartigen Räumen gehört auch das Schlafzimmer des einstigen Burgherren 35 H. Schemann, Deutsche Idiomatik: Die deutschen Redewendungen im Kontext. Stuttgart/Dresden (Klett) 1993. 36 Zu diesem Phraseologismus (und anderen) vgl. meinen Aufsatz: "Kulturgeschichtliche Kommentare zu historisch bedingten idiomatischen Redewendungen im heutigen Medien-Deutsch". In: Beiträge zur germanistischen Pädagogik 1. Hradec Krälove 1994, S. 74-91. auf Lauenstein, der ein sehr vermögender Herr gewesen sein muß. Zu den im verbotenen Schlafgemach der Burgherrschaft verwahrten Wertsachen gehörten auch die Unterlagen über verliehene Geldbeträge, d.h. dort befanden sich u.a. die Schuldkonten der Schuldner. Im frühen und hohen Mittelalter verbuchte der Gläubiger die Darlehen seiner Schuldner, indem er bestimmte, eigenartige Längskerben in ein Holzbrettchen schnitt, in das sogenannte "Kerbholz". Diese Kerbhölzer wurden dann durch Brechen oder Schneiden halbiert, Gläubiger und Schuldner bekam je eine identisch gekerbte Hälfte des Kerbholzes als hölzernen Beleg. Man hatte also "wenig auf dem Kerbholz" oder "viel auf dem Kerbholz". Bei Tilgung der Schuld durch den Schuldner oder sonstigen Zahlungsverhandlungen wurden die beiden Kerbholz-Hälften zur Verifizierung ihrer richtigen Übereinstimmung zusammengehalten; sie mußten zu einander passen; das Kerbholz wurde damit zum 'Schuld-Symbol', was es bis heute im Phraseologismus geblieben ist. - Von den Kerbhölzern ist nichts geblieben; sie wurden nach der Schuldentilgung verheizt. Zudem ging man im Spätmittelalter auf ein anderes, bequemeres Buchungssystem über: Man brachte an der Schlafzimmerwand mit Hilfe von Scharnieren drei oder vier etwa 30x40 cm große schwarze Holztafeln an, auf die der Gläubiger die ausstehenden Schulden der einzelnen Schuldner mit Kreide "ankreidete", und zwar in römischen Ziffern. Dabei war es für den Schuldner wichtig, sich später -durch betrügerische Verlängerung der beiden Striche der römischen Fünf (V), die zugleich das mittelalterliche Graphem für den Vokal "U" war, nach unten zu einer römischen Zehn (X)- "kein X für ein U vormachen" zu lassen. - Die Burgherren auf dem fränkischen Lauenstein waren, wie gesagt, vermögende, geradezu reiche Herren. Deshalb findet man noch heute an der Wand des burgherrlichen Schlafgemaches vier der besagten schwarzen Holztafeln an Scharnieren, wie aufschlagbare Buchseiten, angebracht. Und dieses vier Tafeln tiefe hölzerne Schuld-Hauptbuch hatte System: Auf Tafel I standen die Schuldner mit einstelligen Schuldbeträgen, auf Tafel II die mit zweistelligen Schulden, auf Tafel III die mit dreistelligen Schuldsummen, auf Tafel IV schließlich die Schuldner, die wirklich, auf dieser 'tiefen Tafel', "tief in der Kreide standen", nämlich mit einem vierstelligen Schuldbetrag. Was der 'Textsorte' Phraseologismus fehlt, ist eine didaktische Intention; sie ist insofern nicht kognitiv, als sie keine allgemeine Erkenntnis enthält. Statt dessen bleibt sie in ausgesprochen 'naiver' Weise verbunden mit einer zwar historisch-bildhaft erfaßten, aber dennoch überzeitlichen, weil allgemein existentiellen Erfahrung des menschlichen Individuums. Phraseologismen sind also ursprünglich eindrucksvolle individuellautonome 'Stil'-Leistungen, deren kulturgeschichtlich fixierte stilistische Brillanz seit Jahrhunderten von ihren Benutzern als 'Textsorte' plagiatorisch ausgenutzt worden ist. Im Falle des "Tief-in-der-Kreide-Stehen" ist es die metaphorisch kodifizierte Erfahrung der Schuld und der Schuldigkeit; bei der Wendung "auf den Hund kommen" die Erfahrung einer moralischen, materiellen oder existentiellen Not und Hoffnungslosigkeit; "einen Korb bekommen/erhalten" belegt die Erfahrung der Zurückweisung usw. Wegen dieser, einen allgemein-menschlichen Erfahrungs-Aspekt der conditio humana abbil- denden und vergegenwärtigenden Metaphorik sind Phraseologismen als 'Textsorte' oft international und übertragbar. Die als autonomer Einzelsatz, als abgeschlossene syntaktische Einheit realisierte und benutzte 'Textsorte' der Sprüche, Sprüchwörter, Sprichwörter, Proverbien, Sentenzen, Geflügelten Worte etc. ist nicht minder zahlreich als die Mitglieder der subsyntaktischen 'Textsorte'. Im Gegensatz zu den metaphorisch-bildhaften, existentielle Erfahrungen kodifizierenden Phraseologismen belegt die 'Textsorte' Sprichwort eine kognitive, streng-didaktisch verarbeitete existentielle Erkenntnis des menschlichen Individuums. Auch das Sprichwort ist eine ursprünglich individuell-autonome 'Stil'-Lei-stung, die alle virtuellen Lebens-Erkenntnisse des Menschen, zusammen mit einer historischen Dimension, ein für alle Mal fixiert hat. Doch diese historische Dimension ist - im Gegensatz zum Phraseologismus - nicht auf metaphorische Weise kulturgeschichtlich evident, sie ist latent, in den Hintergrund getreten, oft verschwunden. Das heißt, das Sprichwort besitzt im Normalfall weder eine metaphorische Signifikanz noch einen evidenten historischen Bezug. Auch im 'Stil' unterscheiden sich die 'Textsorten' Phraseologismus und Sprichwort. Während der Phraseologismus durch komplexe, textimmanente, weil metaphorische Bildlichkeit sinnlich beeindruckt und erst dadurch zum apperzeptiven Nachdenken über kodifizierte Erfahrungs-Inhalte stimuliert, ist das Sprichwort von einer prägnant-durchsichtigen, prosaisch-schlichten, durch Autoseman-tika determinierten Stilistik, die - weil ursprünglich innerhalb einer 'Redesorte' realisiert - mnemotechnische Bindungen mittels Rhythmik, Alliteration und Reim einsetzt. Zum Spruch oder Sprichwort wird, mit betont didaktischer Intention und in leicht faßbarer, prägnanter Kürze stilistisch geformt, was eine von jedem einsehbare existentielle Erkenntnis, eine Weisheit oder eine moralische Lehre enthält. Die meist nötige apperceptive Eigenleistung des wiederum plagiatorischen Benutzers und die apperceptive Eigenleistung des Rezipienten eines derartigen Spruches oder Sprichwortes liegt darin, daß die auf einer stets banal-alltäglichen propositionalen Basis aufbauende didaktischintentionale Erkenntnis-Aussage eines historischen Sprichwortes erst durch die in Benutzer und Rezipienten kognitiv zu realisierende thematische Transparenz konstituiert: wird; wobei ich das Attribut "historisch" als "vorindustriell" verstehe. Das Sprichwort "Die Katze läßt das Mausen nicht" z.B. ist eine banale, historisch allgemein gültige (in der Postmoderne allerdings durch Katzenfutter widerlegbare) AlltagsErkenntnis aus dem Bäuerlichen. Erst die zu realisierende thematische Transparenz stellt den Bezug zum Menschlichen her über die ahistorische sprichwörtliche Cliche-Erkenntnis: "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier." und evtl. zugleich über ein tiefenpsychologisches Wissen um die instinktiven archetypischen Normen menschlichen Verhaltens. Unter diesem Aspekt sind historisch determinierte Sprüche und Sprichwörter 'syntaktische Symbole'. Ich betone dabei den Unterschied zwischen historischen und ahistorischen Sprichwörtern. Denn "Der Mensch ist ein Gewohnheitstier." ist zwar Sprichwort, oder besser: Sentenz-Cliche, aber diesem Satz-Cliche fehlt, mit der historischen Dimension, die thematische Transparenz; es ist eine in sich abgeschlossene Banalität des ausgehenden 19Jahrhunderts, auf der Milieutheorie Hippolyte Taines und dem Determinismus Emile Zolas beruhend. Die syntaktische 'Textsorte' ist im eigentlichen Sinne eine 'prosaische' (zu lat. "prosus"= gerade, schlicht). Und da sich im Sprichwort ein virtuelles Gesamtwissen für 'prosaische Gemüter' als 'Redesorte' und dann (seit dem späten 13.Jahrhundert) auch als 'Textsorte'- objektivierte, ist es nicht überraschend, daß der gelehrte Stadtsyndikus und Magister Johannes von Tepl im Jahre 1400 in seinem "Ackermann aus Böhmen" seine didaktische Gelehrsamkeit in ganzen Sentenzen-Katalogen zur Schau stellt; 37 das gleiche Verfahren wendet die "Historia von D. Johann Fausten" 1587 an. Ich zitiere aus dem Anfang des 20.Kapitels des "Ackermannes": "DER TOT. Mit guter rede werden gesenftet die leute; bescheidenheit behelt die leute bei gemache; gedult bringet die leute zu eren; zorniger man kan den man nicht entscheiden...Anfanges geswisitreit (Bruder) ist das ende. Wer ausgesant wirt, der ist pflichtig wider zu kumen. Was ie geschehen sol, des sol sich niemant widern (widersetzen). Was alle leute leiden müssen, das sol einer nicht widersprechen..." etc. Dieses Zitat belegt zum einen, daß sich Sentenz und Sprichwort, obwohl formal der gleichen 'Textsorte' zuzurechnen, thematisch unterscheiden: Der Sentenz fehlen grundsätzlich historische Dimension und thematische Transparenz des historisch determinierten Sprichwortes. Zum anderen belegt das Zitat, was ich unter hypersyntaktischen 'Textsorten' verstehe. Sentenzen-Kataloge (wie bei Johannes von Tepl) und Sprichwörter-Sequenzen, die (wie im "Faustbuch") mit Sentenzen vermischt sein können, gehören ebenso dazu wie Geburts-, Heirats- und Todesanzeigen, Urkunden und Diplome, der 'locus amoenus', die 'captatio benevolentiae', Briefanfänge und Briefschlüsse, Mustersammlungen von Brief-Sorten und Predigten; Sitzungs-, Gerichts- und Unfallprotokolle; Kochrezepte und Bedienungsanleitungen; der Märchenanfang und der Märchenschluß (sofern das dafür benutzte 'Textsorten'-Cliche aus mehr als einem Satz besteht) sowie alle sonstigen hypersyntaktischen Schemata, die als Rahmen-Cliches benutzbar sind, und dgl. mehr, etwa die Roman-Cliches bzw. die Cliche-Romane der "Gartenlaube", besonders der Hedwig Courths-Mahler. Die 'Textsorte' wird asyntaktisch, wenn zwar eine Häufung von vorgegebenen Cliches nach einem bestimmten Gliederungs- oder Struktur-Schema stattfindet, jedoch keine Syntaktik realisiert wird, also eine Form der Ellipse vorliegt, sofern Syntaktisches vom Rezipienten zu ergänzen ist. Als eindrucksvollste und umfänglichste asyntaktische 'Textsorte' fällt mir Franz Dornseiff, Der deutsche Wortschatz nach Sachgruppen (Berlin 1959, 5) ein, wobei ich vor allem an die 20 Hauptabteilungen mitje 20-90 Begriffsnummern denke. Außerdem gehören dazu: alle Wörterbücher, Synonymen- und Reimlexika, Bibliographien, Literatur-Kalender, Gelehrten-Kalender, die asyntakti- 37 Vgl. Kapitel II: "Wie der böse Geist dem betrübten Faust mit seltsamen spöttischen Scherzreden u. Sprichwörtern zusetzt." sehen Einleitungsparagraphen der Literatur-Lexika (z.B. KLL), schließlich alle Telephon- und Adreßbücher, Versandhauskataloge, Radio- und Fernsehprogramme etc. Die 'Textsorte', gleich welcher Art, ist - wie gesagt - ein wichtiges und konstituierendes, potentiell stilistisch benutzbares Strukturelement jedes Einzeltextes, und sie ist -als 'Textsorte'- per se unabhängig von dem einem Einzeltext übergeordneten 'Genre'. Als Regel gilt, daß die 'Textsorten'-Frequenz mit dem pragmatisch-kommunikativen oder dem abstrakt-theoretischen Charakter eines Einzeltextes zunimmt. Anders ausgedrückt: Je größer die aktive 'Stil'-Kompetenz oder der individuell-autonome 'Stil'-Wille eines Einzeltext-Autors, desto geringer ist die 'Textsorten'-Frequenz seines Textes. Ich belege diese Feststellung durch einen eigenen Einzeltext, den ich als Anhang bringe. Der Text ist entstanden, als ich beabsichtigte, für eine stilistische Übung die Symbol-Dimensionen von "Hand" zu demonstrieren. Weder wollte ich mit diesem Text eine 'Stil'-Kompetenz unter Beweis stellen noch beherrschte mich irgendein 'Stil'-Wille. Ich notierte mir also zu dem Phraseologismus "mit leeren Händen" - der mir aus Schillers "Wallenstein" einfiel - eine volle Seite mir konnotativ einfallender Hand-Phraseologismen. Und da es sich bei der 'Stil'-Übung um die stilistische Interpretation eines Liebesgedichtes handelte, fielen mir - wieder analog-assoziativ zu der subsyntaktischen 'Textsorte' Phraseologismus - zwei oder drei passende hypersyntaktische 'Textsorten' als Rahmen-Cliches ein. Wie bei 'Textsorten' üblich, schrieb sich dieser Einzeltext 'von selbst'. Am Ende waren noch genügend Hand-Phraseologismen für 38 einen zweiten 'Textsorten'-Text übrig. Schwierig war die Frage meiner Studenten zu beantworten, zu welchem - ja schließlich stilistisch determinierten - 'Genre' denn dieser Einzeltext zu rechnen sei. Denn 'Stil' hatte bei der Produktion des Textes per definitionem direkt nicht stattgefunden. Die einzige 'Stil'-Leistung war eine höchst indirekt-sekundäre, eine eigentlich über die benutzten 'Textsorten' heteronom gesteuerte, plagiatorisch 'sich von selbstereignende': Ich hatte innerhalb der Rahmen-Cliches 'Erfolgsbiographie', 'Kalendergeschichte', 'Liebesgeschichte' idiomatische Cliches in didaktisch-logischer Absicht arrangiert. Folglich läßt sich dieser Einzeltext auch keinem der drei genannten 'Genres' zuordnen. Es ist vielmehr - phänomenologisch betrachtend - ein pädagogisch-didaktisches Exemplum, in dem die übliche dogmatisch-moralische Exemplum-Lehre durch eine pädagogisch-didaktische ersetzt worden ist. Je größer die aktiv-kreative 'Stil'-Kompetenz oder der individuell-autonome 'Stil'-Wille eines Einzeltext-Autors, desto geringer ist die 'Textsorten'-Frequenz eines Textes: Daraus müßte man nach dem 'logos' der Sprache folgern, daß es zu dem 'MinimalStil' bzw. dem 'Negativ-Stil' meines Textes als Antithesis den 'Puren Stil' als Einzeltext zu geben hat und daß dieser 'Pure Stil' in einem literarisch-ästhetischen Einzeltext zu 38 Hg. von F. Genzmer. Stuttgart (RUB 7666) 1967, S. 21. suchen ist. Mir fallen dazu eine Reihe von Beispielen 'Puren Stils' ein. Ich nenne nur drei allgemein bekannte: den Prolog Gottfrieds von Straßburg zum "Tristan"; den Prolog Wolframs von Eschenbach zum "Parzival"; Rainer Maria Rilkes Epitaph-Inschrift. Da die beiden ersten Beispiele wegen ihrer - als und im 'Stil' ihrer Autoren realisierten - komplexen mittelhochdeutschen Semasiologie, wegen ihrer - um mit Gottfried zu sprechen - 'kristallinen' Durchsichtigkeit, ihrer polyvalenten Referen- tialität und wegen ihrer kulturhistorisch etablierten eigenwilligen Bildhaftigkeit eigent- 39 lieh nicht angemessen ins Neuhochdeutsche übersetzbar sind, möchte ich an Rilkes kurzem Text demonstrieren, was man unter textsortenfreiem 'Purem Stil' verstehen kann. "Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern."40 Rilkes Text besteht aus einem einzigen, in seiner Prädikation durch das Fehlen der finiten Verbalform "ist" elliptischen, und damit emotional verdichteten Satz. "Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern" ist "reiner Widerspruch", ist "Lust" und ist letzten Endes "Rose". Doch das wäre als 'Stil' für Rilke nicht 'pur' genug. Denn es würde ja eine 'normalisierte', damit clichehafte Syntaktik etablieren; und das durch seine enorme Frequenz clichehaft-farblose finite Kopula-Ist würde - als im Deutschen am häufigsten gebrauchtes verbales Lexem - das Ästhetisch-Esoterische des Textes 39 Für Wolframs "Parzival"-Prolog habe ich den Versuch einer angemessenen nhd. Übersetzung unternommen: Sind Herz und Intellekt eines Menschen erfüllt von kritisch suchender religiöser und ethischer Unruhe, dann ist die Seele dieses Menschen notwendigerweise geistigen Wehen und schmerzhaften Zweifeln unterworfen, ist die Seele doch das Organ unseres religiösen und ethischen Bewußtseins. Wenn also eines Menschen geistige Fundamente durch die eben genannten inneren Turbulenzen erschüttert werden, dann gleicht seine Seele symbolisch dem weißen und schwarzen Gefieder der Elster. Denn seine verunsicherte, gleichsam 'flatternde' Seele kann sich - aufgrund des menschlichen freien Willens - entweder richtig (d. h. 'weiß') oder falsch (d. h. 'schwarz') entscheiden. Die 'weiße' Entscheidung führt zu Lob und Preis, Ehre und Erlösung; die 'schwarze' Entscheidung bedeutet Schande und Verdammnis. Doch gerade wegen dieser symbolischen Schwarz-Weiß-Fakultäten der menschlichen Seele, gerade weil sowohl Himmel als auch Hölle um die Vorherrschaft in der Seele streiten, hat der Mensch allen Grund, optimistisch und zuversichtlich zu sein, weil er aus freiem Willen die richtige Entscheidung fällen kann und wird, die ihn erlöst. Der entscheidende geistige Faktor in diesem Entscheidungs-Prozeß ist jedoch eines Menschen intellektuelle Tugend unbedingter Treue zu sich selbst. Denn sie ist die notwendige Grundlage seines beständigen, unbeirrbaren Strebens nach dem Guten, Richtigen. Besitzt ein Mensch jedoch diesen entscheiden geistigen Faktor nicht, suchen ihn statt dessen Wankelmut und Unbeständigkeit heim, dann wird die Schwärze religiösen und ethischen Versagens den Sieg gewinnen; und der Mensch wird in der Hölle enden, d. h. in seelisch-geistiger Verzweiflung, Umnachtung und sozialer Misere. 40 R. M. Rilke, Werke in drei Bänden. Bd. II. Frankfurt(M)/Leipzig (Insel) 1991, S. 185 - Die von vielen Interpreten bemühte Homophon-Identifikation von "Liedern" gibt interpretatorisch nichts her, sie widerspricht geradezu (s. u.) dem metaphorischen 'logos' Rilkes in diesem Text. kontaminieren. Folglich hat der Stilist des Textes die zu erwartende 'normale' grammatische Prädikation in eine logisch-durchsichtige metaphorisiert und sie textimmanent-infinit - d.h. in einer umfassenden, wenn man so will 'globalen' Funktion - untergebracht in dem Verbum essendi "zu sein" der komplexen Subjekt-Gruppe seines Satzes.41 Im einzelnen beginnt der Text mit dem scheinbaren Subjekt "Rose", das sich aber bei der interpretatorischen Apperzeption als syntaktisches Paradoxon erweist, denn dieses Schein-Subjekt "Rose" ist realiter allegorisches Bild-Zentrum der Prädikation. Denn "Rose" ist Allegorie; sie bedeutet nicht, sondern sie ist ästhetisch erfaßtes Sinnbild des mit emphatischer Apostrophe ("oh") eingeführten, dann synästhetisch-metaphorisch realisierten "reinen Widerspruches", zu dem als Klimax und als zweite appositionelle Amplifikation der zweite allegorische Aspekt von "Rose" gefügt ist. "Rose" ist nicht nur "reiner Widerspruch", sie ist zugleich - als Steigerung der Synästhesie "reiner Widerspruch" - "Lust", d.h. nicht Neigung oder Verlangen, nicht Freude oder Wohlgefühl, sondern äußerste 'Be-Friedigung', eine metaphorisch "Unter-soviel-Lidern" 'tief' versinnbildlichte, 'ver-innerlichte' 'Be-Friedigung'. Damit nicht genug: Auch "Schlaf zu sein" ist eine, verbal finalisierte, Allegorie, indem der Schlaf durch das Verbum essendi zu einer Seinsform erhoben wird, die sich metaphorisch mit "Niemandes" verbindet. Wobei zu fragen ist, ob der Stilist mit "Niemand" auf "Nemo/Outis" verweisen wollte, auf den namenlos umhergetriebenen Odysseus als Präfiguration des namenlosen Viator mundi der christlichen Seinsexegese, d.h. auf den Menschen an sich, wodurch mystisch-paradox mit dem "Niemand" ein "Jedermann" gemeint wäre, besonders der "rühmende" Dichter als Viator mundi und Mensch an sich. Rilkes ganzes Satz-Gebilde erweist sich so als expansive Metapher, d.h. als eine bildhaft-kristalline 'Stil'-Komposition, deren einzelne Motive zusammengefügt sind zu einem in sich stimmigen, harmonischen Ganzen und deren Sinnbildlichkeit eine maxi-malisierte, komplexe Imaginations-Referentialität aufweist. Das zeigt sich letzten Endes auch in der chiastischen, über die 'Stil'-Syntaktik objektivierten Bild-Struktur dieser Inschrift: Wie ich bereits sagte, ist "Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern" zugleich "reiner Widerspruch" und "Lust" und ist letzten Endes "Rose" - weil "Rose" Allegorie von "reiner Widerspruch" und Allegorie von "Lust" ist sowie Symbol von "Niemandes Schlaf...unter soviel Lidern". Aber "Rose" ist auch - chiastisch objektiviert - "Niemandes Schlafi.unter soviel Lidern", und sie ist - eben deshalb - ein emphatisch bewußter "reiner Widerspruch" und ist "Lust". Die äußerste, 'ver-innerlichte', deshalb metonymisch als "Lust" empfundene 'Be-Friedigung' - die allegorisch "Rose" ist, weil sich diese als Symbol der "sovielen Lider" 'offenbart'- wird einzig erreicht - so will es die stilistische Versinnbildlichung des Textes - in der "Lust" oder 'Be-Friedigung' durch den Schlaf, der ein Schlaf des "Niemandes" oder des 'Jedermanns' ist und der in 41 Das 'verbum essendi' in seiner 'infiniten' Form trägt in dieser Grabinschrift eine zusätzliche escha-tologische Symbolik. diesem Epitaph-Text als euphemistisch-mythische Metonymie für den Tod steht. Denn Hypnos und Thanatos sind - wie Rilke wußte - seit je Brüder. Auf diese Weise wird aus der Opposition, aus dem stilistisch-syntaktisch axial gesetzten "reinen Widerspruch" zwischen der "Lust" auf der einen Seite - die als tiefe 'Be-Friedigung'Schlaf, damit Tod bedeutet - und der "Rose" - die ja vor allem auch Liebe und Leben symbolisiert - auf der anderen Seite der Opposition, auf der anderen Seite des "reinen Widerspruchs" eine über die Paradoxa christlicher Mystik und Symbolik vollzogene Coincidentia oppositorum. Ich bin mir bewußt, daß Typologie und Nomenklatur dieses Beitrages nicht mehr und nicht weniger sind, sein können, als 'stilistische Versuche', die - wie alle Stilistik, wenn ich mich nochmals auf Rilkes Epitaph beziehen darf - zum Nachdenken stimulieren möchten, besonders hinsichtlich unserer pädagogisch-didaktischen Aufgabe. Denn Textlinguistik hatte ursprünglich einen dezidiert pragmatischen Aspekt und sollte nicht - um nochmals 'Textsorte' zu benutzen - zum Glasperlenspiel im Elfenbeinturm werden. Anhang Peter konnte bereits mit jungen Jahren in allen Dingen eine glückliche Hand beweisen. Das verdankte er seinem Vater. Der hatte Peter zwar eine feste Hand spüren lassen, aber er hatte auch die vorzügliche Erziehung seines Sohnes von langer Hand vorbereitet und zum richtigen Zeitpunkt stets selbst in die Hand genommen. Und wenn immer möglich, ließ er dem Sohne bei persönlichen Entscheidungen freie Hand. So kam es, daß Vater und Sohn bereit waren, für einander die Hand ins Feuer zu legen. Peters Selbstvertrauen ging so weit, daß er glaubte, alles mit der linken Hand oder, wenn nötig, unter der Hand erledigen zu können. Peters Vater brauchte seine Hand folglich bald nicht mehr über seinen Sohn zu halten, vielmehr wurde der Sohn mit 21 des Vaters rechte Hand. Doch eines Tages hatte sich Peter nicht mehr in der Hand. Das war, als er Petra begegnete, die eigentlich bereits in festen Händen war. Zuerst sagte sich Peter: "Es ist wohl besser, ich lasse die Hände davon, sonst geht es mit schließlich wie Werther, und ich lege Hand an mich." Aber das Mädchen ging ihm nicht aus dem Sinn, so daß es sogar sein Vater merkte, der meinte: "Hand aufs Herz, Peter, bist du verliebt?" Peter beschloß, die Hände nicht länger in den Schoß zu legen, sondern sein Herz in beide Hände zu nehmen. Fühlte er doch, daß er es in der Hand hatte, um Petra zu werben. Und er hatte Erfolg. Zum entscheidenden Besuch bei Petras Eltern kam Peter nicht mit leeren Händen, sondern mit Orchideen für die künftige Schwiegermutter, der er die Hand küßte. Dann drückte er Petras Vater die Hand. Nach dem Abendessen kam Peter zur Sache: "Petra hat versprochen, mir die Hand fürs Leben zu reichen. Wir beide wollen Hand in Hand durchs Leben gehen. Ich halte deshalb bei Ihnen um Petras Hand an und verspreche Ihnen zugleich in die Hand, daß Petra bei mir in guten Händen sein wird, ich werde sie geradezu auf Händen tragen." - "Gib mir die Hand darauf, Peter", sagte Petras Väter. Und die bewegte Mutter legte den Hände haltenden Verlobten die Hände auf, um ihnen Glück zu wünschen. Zusammenfassung Die multiplexen, miteinander konkurrierenden 'Text'-Definitionen der Textlinguistik und Texttheorie machen es unmöglich, mit ihnen wissenschaftlich oder pädagogisch zu arbeiten. Mein Beitrag zur Problematik von Texttypologien mußte deshalb am Grundphänomen 'Sprache' ansetzen und, ausgehend von den sprachphilosophischen Ideen Herders und Wilhelm von Humboldts sowie den sprachtheoretischen Überlegungen L.Hjelmslevs und H.-M.Gaugers, eine Konzeption von 'Sprache' als logische Basis für eine darauf aufbauende eigene, kohärent strukturierte Nomenklatur entwickeln, in der die sprachtypologischen Phänomena 'Stil', 'Text', 'Rede', 'Gattung'-'Genre' und 'Textsorte' definitorisch eingebunden sind. Dabei zeigt sich, daß das Phänomen 'Stil' für die übrigen sprachlichen Kategorien instrumentale Bedeutung besitzt. Alle typologischen Definitionen werden durch exemplarisch-empirische Argumente gestützt, so auch abschließend antithetisch - wegen ihrer besonderen Relevanz- 'Textsorten-Stil' (anhand eines eigenen Textes) und 'Purer Stil' (anhand R.M.Rilkes Epitaph). Povzetek JEZIK, BESEDILO IN BESEDILNE VRSTE: O PROBLEMATIKI BESEDILNE TIPOLOGIJE V besediloslovju in besedilni teoriji obstaja več različnih, med seboj konkurenčnih definicij pojma "besedilo", zato jih v znanstveni in pedagoški praksi ni moč uporabiti. Zato sem moral v svojem prispevku o problematiki tipov besedil pričeti z osnovnim pojmom "jezik", ki ga utemeljujem z jezikovnofilozofskimi nazori Herderja in Wilhelma von Humboldta kot tudi z jezikovnoteoretičnimi razmišljanji L. Hjelmsleva in H.-M. Gaugerja. Poleg tega je bilo potrebno razviti lastno zasnovo pojma "jezik" kot logično podlago za koherentno strukturirano nomenklaturo, ki vključuje tudi jezikovnotipološke pojme "slog", "besedilo", "govor", "zvrst" - "žanr" in "besedilna vrsta". Pri tem seje pokazalo, daje pojem "slog" temeljnega pomena za druge jezikovne kategorije. Vse tipološke definicije sem utemeljil z zgledi, prav tako poslednji, nasprotujoči si, ključni definiciji "slog besedilne vrste" (z lastnim besedilom) in pojem "čisti slog" (z "Epitaphom" R. M. Rilkeja). Stojan Bračič Universität Ljubljana UDK 801.73:800.1:007 DER TEXT - EIN MAKROSPRECHAKT? Einleitendes: Im folgenden Beitrag wird mittels einer kurzen Textanalyse auf die Möglichkeiten und Grenzen einer Übertragung der Sprechakttheorie auf den Text eingegangen. Dabei wird von dem zentralen Begriff der Illokutionshierarchien ausgegangen. Allgemeines: Wenn Sprechen als eine Sonderform der Kommunikation regelgeleitetes Handeln bedeutet (vgl. Beisbart et al. 1976: 137), dann sind nicht nur einzelne isolierte Äußerungen als Sprachhandlungen zu betrachten, sondern es muß das Grundkonzept der Sprechakttheorie auch auf Texte übertragbar sein, denn wenn wir miteinander kommunizieren, dann geschieht dies bekanntlich auf der Textebene. Diese Behauptung hat nicht die Ambition, die Sprechakttheorie von Austin und Searle in irgendeiner Weise zu bestreiten, sondern es geht vielmehr darum, anhand einer kurzen Textanalyse zu demonstrieren zu versuchen, wie die Erkenntnisse der Sprechakttheorie auf den Text anwendbar sind, bzw. auch zu überprüfen zu versuchen, wo einer solchen Parallelziehung Grenzen gesetzt sind. Schon die einfache Feststellung, daß zwischen Sätzen und Sprechakten keine l:l-Relation herrscht (vgl. Beisbart et al. 1976: 166) berechtigt zu der Annahme, daß Sprechakte als "kleinste Einheit/en/ der Kommunikation" (vgl. Sowinski 1983: 75) als eine übersatzmäßige Kategorie zu betrachten sind und umgekehrt - Texte "in die Nähe zum Sprechakt" (Vater 1992: 16) geraten. Texte sind komplexe Sprechakte, sie bestehen aus Sprechaktfolgen (vgl. Sowinski, a.a.O.). Die Problematik, wie diese Sprechaktfolgen aufeinander abgestimmt sind, ob dabei Gesetzmäßigkeiten und welche eine Rolle spielen und wie sich das auf die Textsortenspezifik auswirken mag, soll in der folgenden Musteranalyse erörtert werden. Der Mustertext: Fünf Todsünden Gehaltsverhandlungen sind immer diplomatische Gratwanderungen. Was Sie vermeiden sollten. I. 1. Erpressungsversuche sind für die meisten Chefs ein rotes Tuch. 2. "Wenn Sie mir nicht mehr bezahlen, dann kündige ich!" ist das schlechteste Argument. II. 3. Gehaltsvergleiche wie "Frau Schmidt verdient mehr als ich ..." bringen nichts. 4. Das dürfen Sie eigentlich nicht wissen. 5. Außerdem spielt es keine Rolle. III. 6. Betriebsfeiern sind tabu. 7. Sie bitten den Vorgesetzten "ganz spontan" um mehr Geld, weil er dort offener wirkt - und am nächsten Tag erinnert er sich nicht mehr daran. IV. 8. Mitleid zieht nicht. 9. Wenn Sie Schulden haben oder wenn die Miete ständig steigt, ist das Ihre Privatsache. 10. Setzen Sie damit nicht den Arbeitgeber unter Druck. V. 11. Spitze Bemerkungen über das mickrige Gehalt lassen Ihren Chef kalt, denn er weiß: 12. Wer viel jammert, der zieht sowieso nie die Konsequenzen. Es ist dies ein Text im Text, weil er gekoppelt mit einem umfangreicheren Beitrag im Berufsjournal der Zeitschrift "freundin" (Nr. 22/94, 12.10.94) erschienen ist, und zwar in der Sparte "Erfolgs-Strategien". Die Überschrift des umfangreicheren Rahmentextes (der hier aus Platzgründen nicht aufgeführt werden kann), lautet "Mehr Geld? Tips, die sich auszahlen". Dieser umfangreichere Text (im weiteren Text A), der "die optimale Taktik für Verhandlungen" (a.a.O.) um die Gehaltserhöhung bringt, enthält neben einer allgemeinen Einführung vier weitere Unterkapitel: "Die Vorbereitung", "Das Timing", "Das Gespräch" und "Die Ablehnung". Darin werden Strategien entwickelt und unterbreitet ("So gehen Sie am besten vor", a.a.O.), wie man an dieses heikle, an eine Gratwanderung erinnernde Problem einer Gehaltsverhandlung herangehen soll, damit diese komplexe sprachliche Handlung auch gelingt bzw. im Fall einer Ablehnung nicht "der Kopf in den Sand" (a.a.O.) gesteckt werden muß, sondern man sich selbstkritisch und konstruktiv auf neue Verhandlungen vorbereiten kann. In sprachlicher Hinsicht enthält der Text A sehr viele Imperativformen und ihre Äquivalente, z. B. Modalverben wie sollen (im Konjunktiv), müssen, können, auch Infinitive, d. h. hauptsächlich Ausdrucksmittel, die unmittelbar den auffordernden inten-tionalen Charakter, die direktive illokutive Rolle der einzelnen Teilsprachhandlungen signalisieren: der Imperativ: überlegen Sie sich vorher, welche Argumente ...; versuchen Sie auch, sich in den Arbeitgeber hineinzudenken; bereiten Sie sich auf Einwände vor; überlegen Sie, wie Sie kontern können; bitten Sie; erwähnen Sie; der Infinitiv: den passenden Termin ausloten; Strategie ausarbeiten; Ziele und Vorstellungen festlegen; den richtigen Gesprächspartner wählen; im Gespräch überzeugen; die Empfehlung mit "sollte": dann sollten Sie sich mit Ihren Gehaltswünschen lieber ein wenig zurückhalten; Sie sollten nicht mit einer Kollegenschelte reagieren; dabei sollten Sie weder zu bescheiden sein, noch zu hoch pokern; Sie sollten auf jeden Fall mit Ihrem Anliegen zum direkten Vorgesetzten gehen; das Modalverb "müssen": dabei müssen Sie Überzeugungsarbeit leisten. Wie aus dem Obigen zu ersehen ist, geht es hier auf der Äußerungsebene hauptsächlich um direktive Sprechakte, in denen die Intention verfolgt wird, den Hörer zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen. Bei einer globalen Übersicht muß jedoch eingeräumt werden, daß es sich dabei um einen Text mit beratender Funktion handelt, d. h., der Rezipient wird nicht aufgefordert, die Empfehlungen zu befolgen, sondern es liegt in seinem Ermessen, inwiefern er die erteilten Ratschläge als Information anzunehmen bereit ist. Hierbei sei auf drei bemerkenswerte Phänomene hingewiesen. Erstens, daß die Akzeptabilität, d. h. die von den Erwartungsnormen abhängigen Einstellungen des Re-zipienten, in Beratungstexten eine zentrale Rolle spielt. Zweitens, daß sprachliche Handlungen auf der elementaren Äußerungs- einerseits und auf der Textebene andererseits auseinanderklaffen: die Diskrepanz besteht darin, daß Sprachhandlungen auf der Äußerungsebene hauptsächlich direktiven illokutiven Charakter aufweisen, während die Textebene informativ-assertiv ausgerichtet ist. Drittens: es handelt sich offenbar auf der Textebene um einen indirekten Sprechakt, wobei die Transposition eigenartigerweise in Richtung vom Direktiven (Wort-Welt-Relation) auf der Ausdrucksseite zum Assertorischen (Welt-Wort-Relation) auf der Inhaltsseite verläuft, was für eine Seltenheit gehalten werden kann, denn üblicherweise werden gerade inzitative Intentionen in der kommunikativen Praxis nach Möglichkeit verschiedentlich umschrieben. Direkter Ausdruck als typische Formulierung appellativischer Intentionen ist auf einige Textsorten beschränkt, z. B. auf juridische Texte aus dem Direktivstil (Vorschriften, Verbote usw.), auf Religionstexte (Die Zehn Gebote), auf medizinische Beratungen, auf Gebrauchsanweisungen. Der Rezipient reagiert auf direkt ausgedrückte Aufforderungen im allgemeinen negativ, sie sind nur angemessen, wenn es sich um unumgängliche, streng normierte Verhaltensregeln handelt oder wenn beim Rezipienten ein Interesse an der Befolgung der Vorschriften vorauszusetzen ist, was auch auf den soeben besprochenen Text A zuzutreffen scheint. Auch die Werbesprache ist ein Beispiel dafür, daß direktive Intentionen nur ausnahmsweise direkt versprachlicht werden, im Regelfall dafür jedoch unzählige andere Ausdrucksvarianten ausgeklügelt werden, um den Adressaten als potentiellen Käufer ja nicht abzustoßen, sondern nach Möglichkeit zu fesseln und für den Kauf zu gewinnen. (Vgl. Beisbart et al. 1976: 160 f.) Vor diesem Hintergrund fällt auch unser Mustertext (Text B) auf, der in den umfangreicheren Beratungstext A integriert und in der Zeitschrift optisch davon mit dicken orangefarbenen Strichen hervorgehoben ist. (Vgl. die Bedeutung der Intertextualität als Textualitätskriterium bei de Beaugrande/Dressler 1981: 118 ff.) Für diesen Text im Text ist zweierlei charakteristisch: 1. Es kommt darin zu einer Situationsverschiebung, zu einer Dichotomie (vgl. Bračič 1993: 57; Vater 1992: 30 verwendet den Terminus "zerdehnte Sprechsituation"): während im Rahmentext A die Kommunikation einerseits hauptsächlich zwischen dem Textautor, der vermutlich ein erfahrener Fachmann, ein Arbeitspsychologe ist, und andererseits zwischen dem zu beratenden Arbeitnehmer verläuft, (mit diesem letzten können wir uns als Leser auch kurzerhand identifizieren), tritt im Text B neben dem Arbeitnehmer auch der Arbeitgeber deutlicher als eine potentielle Figur in der kommunikativen Interaktion auf. Der Texter sieht aus einer Metaebene mögliche Sprachhandlungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber voraus, und zwar so, daß er eine Art Antiregeln formuliert (das erinnert an Tucholskys "Ratschläge für einen schlechten Redner", s. in Tucholsky 1961: 103), mit anderen Worten, gerade jene sprachlichen Handlungen des Arbeitnehmers werden thematisiert, die keinesfalls vollzogen werden dürfen und dadurch metaphorisch als Todsünden charakterisiert sind: sie führen nämlich garantiert zum Mißlingen der Kommunikation, so daß das Scheitern der Sprachhandlung in diesem Fall quasi vorprogrammiert ist. 2. Ratschläge werden auch sprachlich nicht direkt formuliert (einzige Ausnahme ist Satz 10 ("Setzen Sie damit nicht den Arbeitgeber unter Druck"), sondern auf eine indirekte Art: die Sprachhandlungen des Arbeitnehmers werden in kondensierter, nomi-nalisierter Form dem jeweiligen perlokutiven Effekt, d. h. einer jeweils verhängnisvollen Reaktion des Chefs gegenübergestellt. So haben wir einerseits sprachliche Handlungen des Arbeitnehmers wie Erpressungsversuche, Gehaltsvergleiche, das Erwecken von Mitleid, spitze Bemerkungen über das niedrige Gehalt (Betriebsfeiern im 3. Absatz deuten insbesondere auf ein ungeeignetes Situationsmoment in der Kommunikation zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber hin). Auf der anderen Seite werden perlokutive Teilakte beim Arbeitgeber als abschreckende Beispiele visualisiert: "für die meisten Chefs ein rotes Tuch", "bringen nichts", "der Chef erinnert sich am nächsten Tag nicht mehr daran", "zieht nicht", "lassen Ihren Chef kalt". In jeder der fünf Todsünden (Absätze I bis V) gibt es ein weiteres Strukturmerkmal: die Explizierung der kondensiert dargestellten Sprachhandlung des Arbeitnehmers durch den Arbeitspsychologen als Textemittenten, begleitet von seinem fachmännischen Argument, weshalb die jeweilige inkriminierte Sprachhandlung des Arbeitnehmers von vornherein zum Scheitern verurteilt ist: Im I. Absatz ist "Wenn Sie mir nicht bezahlen, dann kündige ich" eine explizierte Drohung, "ist das schlechteste Argument" dagegen der darauf bezogene kritische Kommentar des Arbeitsberaters. Im II. Absatz ist "Frau Schmidt verdient mehr als ich ..." eine hypothetisch explizierte vergleichende Sprachhandlung des Arbeitnehmers, worauf wiederum das Argument des Psychologen folgt: "Das dürften Sie eigentlich gar nicht wissen. Außerdem spielt es keine Rolle." Im III. Absatz ist die Formulierung "Sie bitten den Vorgesetzten 'ganz spontan' um mehr Geld, weil er dort offener wirkt" die Explizierung des Sprechaktes des Bittens und die Formulierung "und am nächsten Tag erinnert er sich nicht mehr daran" der angeschlossene perlokutive Teilakt, der sich mit dem Argument des Textverfassers deckt. Im IV. Abstaz wird eine hypothetisch explizierte Sprachhandlung, die unter Berufung auf Schulden und die ständig steigende Miete Mitleid erwecken soll, ebenfalls von einem Gegenargument entkräftet: "Wenn Sie Schulden haben oder wenn die Miete ständig steigt, ist das Ihre Privatsache." Eine Explizierung der nominal kondensierten Sprachhandlung des Arbeitnehmers fehlt im 5. Absatz, dafür ist die Argumentierung des Beratenden um so deutlicher: "denn er (der Arbeitgeber, S.B.) weiß: Wer viel jammert, der zieht sowieso nie die Konsequenzen." Die Thesen Aufgrund der obigen Analyse lassen sich thesenhaft folgende Beobachtungen zusammenfassen: 1. Die theoretischen Prämissen der Sprechakttheorie sind zwar auf Texte anwendbar, jedoch nicht direkt übertragbar. 2. Der Kontakt zwischen Sprecher und Hörer bei elementaren Sprechakten ist auf der Äußerungsebene direkt, während der Text sich verselbständigt, d. h., der Text ist nicht mit dem Sprecher und Hörer "kopräsent" (vgl. Vater 1992: 23). (In der obigen Textanalyse ist dieses Phänomen mit dem Begriff "Situationsverschiebung" bezeichnet worden.) 3. Der Text ist keine willkürliche Sprechaktfolge (vgl. Sowinski 1983: 75), sondern einzelne Sprechaktsequenzen stehen im Text in gegenseitiger Abhängigkeit, so daß hierarchische Beziehungen entstehen (vgl. Sandig 1986: 57, 173), aus denen sich ein Hypersprechakt (Beisbart et al. 1976: 168) oder mit van Dijk ein Makro-Sprechakt (1980: 212) herauskristallisiert, der die wahre (Beisbart et al., a.a.O.) kommunikative Intention durchklingen läßt, ohne daß diese übergeordnete Gesamtillokution mit sprachlichen Mitteln explizit performativ signalisiert werden müßte. 4. Der Text verfügt ähnlich wie die Einzeläußerung über ein Illokutionspotential (Beisbart et al. 1976: 140, 167), das von der jeweils dominierenden Illokutionsrolle bestimmt wird und zugleich die kommunikative Funktion des Textes festlegt (vgl. Brinker 1988: 18 und Sowinski 1983: 42). Illokutionshierarchien dürften sich somit als nützlich bei der Herausarbeitung von Textsorten-Kriterien erweisen (Beisbart et al. 1976: 167), indem mehrere "token", konkret vorkommende Texte nach Abstraktion von unwesentlichen Merkmalen, in einem "type" fokussiert werden. 5. In unserem Fall geht es um einen Beratungstext mit folgenden konstanten prototypischen Merkmalen: a) Wissensvermittlung - im hier nicht aufgeführten Textkomplement A ist dies in der Äußerung "So gehen Sie am besten vor" prägnant zum Ausdruck gebracht. Bei solchen Wissensvermittlungen geht es um informierende Teilsprachhandlungen, die zwei weitere Merkmale postulieren: b) zukünftiger Akt des Adressaten wird erwartet, c) das Bedürfnis des Adressaten nach Beratung wird subsumiert (z. B. eine Notsituation, in der sich der zu Beratende befinden mag). Daraus ist ergänzend festzustellen, daß in beratenden Texten nicht nur die Akzeptabilität und die Intertextualität als Textualitätskriterien (vgl. de Beaugrande/ Dressler 1981) eine wichtige Rolle spielen, sondern darüber hinaus auch die Inforaia-tivität und die Situationalität. Variable Parameter von Beratungstexten ergeben u. a. folgende Variationen des Prototyps: Beratungstexte im Berufsleben (Kommunikationsbereich): medizinische Beratungstexte, psychologische Beratungstexte, Modeberatungen, kulinarische Beratungstexte (Kochrezepte), Gebrauchsanweisungen, touristische Prospekte. Beratungstexte können schriftlich und mündlich sein, dialogisch (Beratungsgespräch), monologisch (Kanal, Realisationsweise). Der jeweiligen Kombination von Merkmalen eines prototypischen Beratungstextes liegt das Bestreben des Textproduzenten zugrunde, einen Beratungstext so zu gestalten, daß er beim Rezipienten optimal ankommt. Diese Beschaffenheit des Textes, beim Rezipienten potentiell eine Handlung als Reaktion auszulösen, möchte ich mit dem Begriff Perlokutionspotential des Textes bezeichnen. Dieses sog. Perlokutionspotential des Textes hängt ab von der richtigen Einschätzung der kommunikativen Situation seitens des Textproduzenten (Adressatenbedürfnisse u.a.m.) sowie von dessen Fähigkeit, innertex-tuelle Merkmale mit den außertextuellen Gegebenheiten in Einklang zu bringen. Es gilt jedoch auch auf der Textebene, daß dieselbe illokutionäre Rolle verschiedene Perloku-tionen hervorrufen kann (vgl. Beisbart et al. 1976: 143), so daß zwischen dem Illokutionspotential eines Textes einerseits und dem Perlokutionspotential desselben Textes andererseits keine 1:1- Relation nachweisbar ist. Bibliographie: De Beaugrande, Rober-Alain/Dressler, Wolfgang Ulrich (1981): Einführung in die Textlinguistik. Tübingen. Beisbart, Ortwin et al. (1976): Textlinguistik und ihre Didaktik. Donauwörth. Bračič, Stojan (1993): Kommunikative Funktion der gegenwärtigen deutschen Umgangssprache in Pressereiseerzählungen. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien. Brinker, Klaus (1988): Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Berlin. van Dijk, Teun A. (1980): Textwissenschaft. Tübingen. Sandig, Barbara (1986): Stilistik der deutschen Sprache. Berlin, New York. Sowinski, Bernhard (1983): Textlinguistik. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz. Tucholsky, Kurt (1961): Zwischen gestern und morgen. Reinbek bei Hamburg. Vater, Heinz (1992): Einführung in die Textlinguistik. München. Povzetek BESEDILO - MAKRO GOVORNO DEJANJE? Teoretične premise teorije o govornih dejanjih je mogoče uporabiti tudi za besedila, vendar niso kar avtomatično prenosljive na besedilno raven. Medtem ko je stik med govorcema na ravni posameznih izjav neposreden, se besedilo "osamosvoji", se pravi, da časovno in krajevno od govorcev ni odvisno. Besedilo ni naključen splet posameznih govornih dejanj, ampak so le-ta v besedilu praviloma razporejena na podlagi hierarhičnih razmerij, ki zagotavljajo, da besedilo deluje kot celota z nekim razpoznavnim, hierarhično nadrejenim govornim dejanjem. Njegov ilokucijski potencial se tem bolj ujema z njegovim perlokucijskim potencialom, čim bolj dognan je bil proces besediljenja. Christina Janz Dresden UDK 801.73:008:007 ZU EINIGEN ASPEKTEN EINER TEXTSORTENBESCHREIBUNG MIT BEZUG ZUM BEGRIFF 'PROTOTYP' Anlaß für die folgenden Überlegungen ist die Suche nach einem theoretischen Zugang zur Beschreibung und Erklärung des Einflusses situativer Elemente auf die sprachliche Ausprägung von Merkmalen von Textsorten. Wenn Textexemplare bestimmten Textsorten zugeordnet werden sollen, ergeben sich bei einer Anzahl von Texten mehrere Möglichkeiten der Zuordnung. Wissen um diese Varianten in der Zuordnung muß z.B. Sprachlehrern vermittelt werden, damit sie in der Lage sind, Merkmale von häufig vorkommenden Textsorten zu erfassen und lehrbar zu machen. Außerdem erwerben Lerner Wissen über Merkmale von Textsorten, indem sie Erfahrungen bei der Lösung ausgewählter kommunikativer Aufgaben sammeln. Die Ergebnisse der Textkonstitution werden z.B. vom Lehrer eingeschätzt. Der Maßstab für diese Einschätzung ist noch zu wenig davon geprägt, daß sprachliche Realisierungen auch Textsortenmerkmale verdeutlichen und nicht nur relativ festgelegte Schritte in der Lösung kommunikativer Aufgabenstellungen. Bisherige Ansätze der Textklassifikation eignen sich noch nicht in ausreichendem Maße dafür, daß Merkmalsbeschreibungen einer Textsorte für die Bewertung von sog. Ausdrucksleistungen im Schulunterricht herangezogen werden können. Sie lassen weiter die Frage offen, warum einzelne Textexemplare mehreren Textsorten zugeordnet werden können. Ein Grund für diese Probleme kann möglicherweise in der Auswahl der Klassifizierungskriterien für Texttypologien gesehen werden. W. Heinemann (1988, S. 14) meint, daß "Klassifizierungsansätze zu kurz (greifen), die ausschließlich textexterne Gegebenheiten (etwa die Ziele der Textproduzenten) als Klassifizierungskriterium ansetzen. Sie gehen im Grunde an der eigentlichen Textspezifik vorbei, da man dasselbe Anliegen u.U. mit Hilfe ganz unterschiedlich strukturierter Textexemplare erreichen kann. Umgekehrt erweist sich auch eine Typisierung, die sich ausschließlich auf sprachliche Daten stützt, als nicht zureichend, da nichtsprachliche Komponenten (beispielsweise situative oder intentionale Spezifika) keineswegs immer unmittelbar aus der jeweiligen Textstruktur abgeleitet werden können. Daher gehen wir von der Annahme aus, daß das Textklassenwissen durch multidi-mensionale Zuordnung von prototypischen Repräsentationen auf unterschiedlichen Ebenen konstituiert wird. Danach können Texte unter unterschiedlichen Aspekten typisiert werden: auf einer funktionalen und einer situativen Ebene, unter generellen und speziellen Verfahrensaspekten, aus der Sicht der Textstruktur i.e.S. und - nicht zuletzt - ausgehend von unterschiedlichen Formulierungsmustern." Dieser Ansatz der mehrdimensionalen Textklassenbeschreibung ließe neben der Zuordnung von Textexemplaren zu verschiedenen Textsorten auch zu, daß die unterschiedliche Ausprägung der Merkmale einer Textsorte in konkreten Texten in Abhängigkeit von situativen Gegebenheiten beschreibbar wird. Dabei kann berücksichtigt werden, daß Quantität und Qualität von Textsortenmerkmalen durch außersprachliche Bedingungen beeinflußt werden. Sprachliche Realisierungen von Textsortenmerkmalen in konkreten Texten unterscheiden sich, weil einerseits die Sprecher oder Schreiber von einer unterschiedlichen Zuordnung der Texte zu Textsorten ausgehen und somit unterschiedliches Textklassenwissen aktivieren, das dann in den Texten zum Ausdruck gebracht wird. Ein Textexemplar wird von verschiedenen Individuen nicht nur anders verstanden und unterschiedlichen Textsorten zugeordnet, sondern umgekehrt entscheiden diese Individuen von ihrem Wissen ausgehend unterschiedlich bei der eigenen sprachlichen Äußerung, je nachdem welche Merkmale sie der Textsorte zuordnen, welche Merkmale sie als unbedingt zu realisieren ansehen und welche für sie von untergeordneter Bedeutung sind. So zeigen sich beispielsweise Unterschiede in Schüleraufsätzen in der Weise, daß, obwohl die gleiche kommunikative Aufgabe zu lösen ist, zum einen eine Vorgangsbeschreibung deutlich wird, des weiteren auch Berichte über den vorgeführten Vorgang entstehen und sogar einige Texte Merkmale von Kommentaren aufweisen. Unterschiede in den Texten kommen teilweise dadurch zustande, daß die Schreiber unterschiedliches Textsortenwissen besitzen und aktivieren können (vgl. Janz, 1987). Wenn sich der Sprachunterricht unter anderem das Ziel stellt, die Lernenden zur aktiven und angemessenen Kommunikation zu befähigen, so kann über die Textsorte die Vermittlung zwischen Parametern der kommunikativen Situation und der entsprechenden Verwendung sprachlicher Mittel zur Realisierung von Textsortenmerkmalen erfolgen. Eine Grenze von Erklärungsansätzen für das Entstehen von Realisierungsvarianten von Textsortenmerkmalen besteht z.B. darin, daß von vornherein von normgerechten und abgestuft defizitären Realisierungen eines Handlungstyps (wie beim Beschreiben von Vorgängen) ausgegangen wird. Damit bleibt offen, in welcher Art und Weise Normen im Prozeß der Textkonstitution im Hinblick auf das Entstehen von Varianten wirken. Offen bleibt ebenfalls die Frage, inwiefern in der konkreten Kommunikationssituation Normabweichungen entstehen, die sofort auf die Textkonstitution Einfluß haben können, die evtl. zu variablen Merkmalen der Textsorte werden können. Nach Brinker (1985, S. 124) sind Textsorten "konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschreiben. Sie haben sich in der Sprachge- meinschaft historisch entwickelt und gehören zum Alltagswissen der Sprachteilhaber; sie besitzen zwar eine normierende Wirkung, erleichtern aber zugleich den kommunikativen Umgang, indem sie den Kommunizierenden mehr oder weniger feste Orientierungen für die Produktion und Rezeption von Texten geben." Textsortenwissen gehört nach dieser Definition zum Alltagswissen. Der Muttersprachler bildet dieses Wissen vor allem für solche Textsorten aus, die im individuellen und Sozialisierungsalltag eine Rolle spielen. Dieses Wissen wird in der Regel empirisch erworben und kann eigentlich nicht expliziert werden. Im Sprachunterricht soll aber darüber hinaus Textsortenwissen erworben werden für Textsorten, die in vielfältigen Kommunikationsbereichen Bedeutung besitzen, und die Lernenden sollen befähigt werden, wenigstens Teile des Wissens explizieren zu können. Dadurch können Kriterien für die Einschätzung der Angemessenheit in der Lösung von kommunikativen Aufgaben abgeleitet werden, so daß z.B. bewertet werden kann, ob wesentliche Merkmale der Textsorte zum Ausdruck kommen und welche Varianten in der Realisierung der Merkmale noch angemessen erscheinen. Um die kurz charakterisierten Zwecke zu erfüllen, ist eine Textsortenbeschreibung notwendig, die sowohl wesentliche Merkmale von Textsorten erfaßt, als auch die variable Realisierung der Merkmale in Texten in Abhängigkeit von z.B. situativen Bedingungen erklärbar macht. Vorteile einer solchen Beschreibung wären darin zu sehen, daß Lernenden nicht nur wesentliche Merkmale einer Textsorte bewußt gemacht werden könnten, sondern auch Varianten in der Realisierung der Merkmale, die durch konkrete Kommunikationssituationen hervorgerufen werden können. Ein Ansatz zur Beschreibung von Textsorten über den Begriff Prototyp soll hier theoretisch diskutiert werden, ohne daß sich schon Möglichkeiten für empirische Überprüfungen andeuten lassen. Um den Einfluß situativer Elemente auf die Ausprägung der Textsorte zu erfassen und Beziehungen zwischen Situativem und sprachlichen Realisierungsweisen aufzudecken, ist der angenommene Zusammenhang von Textsorte und zugehörigen Textexemplaren ein Ausgangspunkt für die Beschreibung. Wir nutzen folgende Problematisierung für einen Beschreibungsansatz: Harnisch u. Friese (1986, S. 52) gehen davon aus, daß "mit der Abbildung von Textsorten und ihren Sprach"mustern" in variabel ausfüllbaren Modellen allerdings das Problem (zusammenhängt), daß sich diese Modelle nur auf Grundmerkmale der thematischen, handlungstypischen und stilistisch-formulativen Seite der Texte beziehen und außerdem nur eine geringe Garantie dafür geben, daß im Modell der jeweiligen Textsorte die Menge aller zur Textsorte gehörenden Textexemplare erfaßt sind. Wirklich allgemeingültige Muster beispielsweise von Appellen, Festreden ... usw. führen meist zu äußerst merkmalsarmen Modellen, die auch nur von geringer Effizienz für die Handlungsanleitung sind. Viel wirksamer und für die ontogenetische Ausbildung von Textnormen viel entscheidender sind innerhalb eines auf konstanten, allgemeinen Merkmalen beruhenden Textmodells typische, exemplarische Ausprägungen, die eine Textsorte und ihre sprachliche Ausprägung zwar nicht als logische Klassenbildung auf der Basis invarianter Merkmale, sondern als Prototyp auf der Basis dominanter Merk- male widerspiegeln." Textsorte wird hier als Kategorie verstanden, wobei sie aus dominanten Merkmalen gebildet wird. Die dominanten Merkmale finden sich im sog. besten Exemplar der Klasse von Textexemplaren, die die Textsorte als Modell oder Muster konstituieren. Der Begriff 'Prototyp' wird als bestes Exemplar bzw. Beispiel, bester Vertreter oder zentrales Element einer Kategorie eingeführt. Weiter heißt es bei Kleiber (1993, S. 31): "Es handelt sich also um eine Fachbedeutung, die sich von der umgangssprachlichen Bedeutung "erstes, vor der Serienproduktion hergestelltes Exemplar eines Modells (einer Maschine oder eines Autos)" unterscheidet. Die grundlegende Idee besteht darin, daß sich die Kategorien nicht aus Exemplaren zusammensetzen, die im gleichen Verhältnis zur überdachenden Kategorie stehen, sondern daß es Exemplare gibt, die bessere Vertreter sind als andere. So ergaben die Antworten der von E. Rosch (1973) befragten Personen, daß der Apfel das beste Exemplar für die Kategorie Obst... darstelle, während Olive am wenigsten repräsentativ sei; dazwischen findet man (in der Reihenfolge absteigender Repräsentativität) Pflaume, Ananas, Erdbeere und Feige. Wie dieses Beispiel zeigt, hängt der Begriff des Prototyps ursprünglich in höchst bedeutsamer Weise mit den Individuen zusammen: Der Prototyp ist das Exemplar, das von den Sprechern als bestes anerkannt wird." Es muß hier die Frage aufgeworfen werden, inwiefern der Grad der "Vertrautheit" mit den Exemplaren und inwiefern die Vorstellungen über sie nicht eine große Rolle spielen, wenn ein Exemplar als Prototyp benannt wird. Wenn Textsorten als Muster für komplexe sprachliche Handlungen betrachtet werden, die sich in der Sprachgemeinschaft historisch entwickelt haben und zum Alltagswissen der Sprachteilhaber gehören (s.o.), dann besteht ihr Wesen darin, daß sie Klassen von Objekten bilden, die invariante Merkmale besitzen. Diese Merkmale lassen die Zuordnung von jedem Textexemplar zu einer Textsorte zu, sagen aber nichts aus über die unterschiedliche Qualität der Merkmale und über die unterschiedliche Ausprägung der Merkmale in Textexemplaren in Abhängigkeit von nichtsprachlichen Bedingungen in der Kommunikation. Wenn wir invariante Merkmale von Textsorten annehmen, die eine Abstraktion über einer relativ homogenen Menge von Textexemplaren zulassen, und bei der Beschreibung auch davon ausgehen, daß es Merkmale von Textsorten gibt, die unterschiedlich in Texten ausgeprägt sind und die unter Umständen durch bestimmte situative Bedingungen erst konstituiert werden, dann müßten auch diese Merkmale zu erfassen sein. Die konkreten Ausprägungen einer Textsorte, die in ihrer Gesamtheit nicht erfaßt werden können, weisen in der sprachlichen Realisierung von Textsortenmerkmalen diese dominanten Merkmale in unterschiedlichen Ausprägungsgraden auf. Wenn wir die theoretischen Überlegungen zum Begriff des Prototyps in der Logik nutzen, die in der linguistischen Semantikforschung (Blutner 1985), (Kleiber 1993), (Meinhard 1984) und in der kognitiven Psychologie (Klix 1976, S. 169 f.) modifiziert werden, ergibt sich eine mögliche Erklärung für das Auftreten von Ausprägungsgraden oder von Varianten einer Textsorte. Möglicherweise ist auch eine Erklärung für die unterschiedliche Zuord- nung von Textexemplaren zu mehreren Textsorten zu finden. Meinhard (S. 60) stellt fest, daß sich "durch die Einführung des Begriffs der varianten Merkmale, der neben den üblichen der invarianten Merkmale der Wortbedeutung tritt,... prototypische Merkmale als ausgezeichnete Teilmenge der invarianten und/oder varianten Merkmale darstellen" lassen. Wichtigstes Element der Definition von Prototypen, das genutzt werden könnte, ist: "Prototypische Merkmalsstrukturen erfassen die Eigenschaften, die einem besonders typischen Vertreter einer Objektklasse zukommen, somit auch Eigenschaften, die nicht allen Mitgliedern der Objektklasse zukommen müssen, die also nicht invariant sind" (Meinhard, S. 61). Auch Klix (1976, S. 170) hebt diese möglichen Eigenschaften eines Prototyps hervor, wenn er feststellt: "Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß einer derartigen Prototypbildung auch eine bildlich-anschauliche Repräsentation entsprechen kann ... Etwas grundsätzlich Neues ... besteht darin, daß die relevanten Merkmale einer Klasse nicht notwendig bei jedem Exemplar der Klasse vertreten sein müssen. Mit anderen Worten: Die Merkmale und ihre Ausprägungsgrade sind -bezüglich des Zugehörigkeitsgrades - untereinander kompensierbar." Diese Bestimmung von Prototypen ließe sich auf eine Textsortenbeschreibung wie folgt übertragen: Eine Textsorte weist invariante Merkmale auf, die sich aus der Zuordnung zu dem oder den in der Textsorte dominierenden Handlungstypen ergeben und die jeweils typische Verbindungen von kontextuellen, kommunikativ-funktionalen und strukturellen Textmerkmalen reflektieren. Merkmale der Textsorte, die nicht in jedem Textexemplar realisiert werden und/oder in unterschiedlicher qualitativer Ausprägung in den Textexemplaren auftreten, sind dann aus Differenzierungen zwischen den verschiedenen Individuen und aus verschiedenartigen situativen Gegebenheiten bei der Lösung von kommunikativen Aufgaben ableitbar. Auf diese Weise wäre stärker die Veränderlichkeit der Textsorten zu kennzeichnen. Wir würden dann evtl. der Beschreibung von Textsorten nach D. Neuendorff (1988, S. 544) nahe kommen. Sie sagt: "Textsorten sind zu verstehen als historisch und kulturell sich verändernde Verständigungskonzepte einer Gesellschaft, die mit mehr oder minder stark festgelegten Funktionen verbunden sind. Sie werden realisiert durch Textsortengroßstrukturen, welche die Verlaufsstruktur einer Textsorte wiedergeben. Diese wiederum sind geprägt durch das Wissen der Kommunizierenden über Handlungsmuster und deren Sequenzierung. Indem diese aber als auf mindestens einer (mit der konventionellen Funktion der Textsorte in Beziehung stehenden) dominierenden illokutiven Handlung und den sie stützenden illokutiven Handlungen basierend interpretiert werden, die sich wiederum im konkreten Textexemplar einer Textsorte realisieren, stellt sich die Beziehung zum konkreten Text her." Ausgehend von diesen Überlegungen zur Standardversion des Begriffs Prototyp in der Semantiktheorie könnten neue Erklärungsrichtungen in der sog. erweiterten Version der Prototypensemantik (Kleiber, S. 109 ff.; vor allem S. 114 ff.) Beachtung in der Textlinguistik finden. LITERATUR Blutner, R.: Prototyptheorien und strukturelle Prinzipien der mentalen Kategorisierang. In: LS/ZISW/A, H. 125. Berlin 1985. Brinker, K.: Linguistische Textanalyse. Berlin 1985. Harnisch, H.; Friese, E. (Mitarbeit): Funktional relevante Faktoren bei der variablen Verwendung von Lexik und Grammatik in Handlungstypen und Textsorten. In: Potsd. Forschungen, Reihe A, H. 82, Potsdam 1986. Heinemann, W.: Zur Rolle des Stils bei einer Mehrebenenklassifikation von Texten. In: Textlinguistik, Heft 14, Dresden 1988. Janz, Chr.: Untersuchungen zur Ausprägung des Kommunikationsverfahrens Beschreiben in Klasse 5 und 9 in Abhängigkeit von Elementen der konkreten sozialen Situation. Ein Beitrag zur Erfassung soziolinguistischer Aspekte in der funktional-kommunikativen Sprachbeschreibung. Diss. (A), Dresden 1987. Kleiber, G.: Prototypensemantik. Eine Einführung. Tübingen 1993. Klix, F.: Psychologische Beiträge zur Analyse kognitiver Prozesse. Berlin 1976. Meinhard, H.-J.: Invariante, variante und prototypische Merkmale der Wortbedeutung. In: Zs. für Germanistik 5 (1984) 1. Neuendorff, D.: Textsorte als Handlung - Zu einigen Aspekten einer prozeduralen Textsortenbeschreibung. In: Neuphilologische Mitteilungen, 4 LXXXIX 1988, Helsinki. Zusammenfassung Theoretische Überlegungen zum Begriff 'Prototyp' in der Logik, in der linguistischen Semantikforschung und in der kognitiven Psychologie werden in bezug auf die Bestimmung von Textsorte als Kategorie diskutiert. Die sog. Standardversion in der Prototypensemantik bietet Ansatzpunkte für eine Textsortenbeschreibung unter prozeduralem Aspekt. Diese und die sog. erweiterte Version können Erklärungsrichtungen zu folgenden Problemen weisen: Warum können einzelne Textexemplare mehreren Textsorten zugeordnet werden? Wie lassen sich Differenzierungen in der Ausprägung von Textsortenmerkmalen in konkreten Textexemplaren oder das Nichtausgeprägtsein von Merkmalen erklären? Povzetek NEKATERI VIDIKI OPISA BESEDILNIH VRST Z OZIROM NA POJEM "PROTOTIP" Teoretični pojem "prototip" je obravnavan v logiki, v raziskavah na področju jezikovne semantike in v kognitivni psihologiji v okviru besedilne vrste kot kategorije. Tako imenovana standardna inačica prototipične semantike služi kot izhodišče za opis besedilnih vrst s proceduralnega vidika. Ta in t.i. razširjena različica sta možni iztočnici za pojasnitev naslednjih vprašanj: zakaj lahko uvrstimo nekatera besedila v različne besedilne vrste, zakaj se značilnosti določene besedilne vrste v nekaterih konkretnih besedilih pogosteje pojavljajo kot v drugih in kako pojasniti dejstvo, da v določenih besedilih tovrstnih značilnosti ni? Ingo Warnke Universität Gesamthochschule Kassel UDK 801.73:803.0(091) TYPOLOGISCHE AUFGABEN DER HISTORISCHEN TEXTLINGUISTIK 1. Zum Verhältnis von Historiolinguistik und Textlinguistik Die gegenwärtige germanistische Historiolinguistik ist geprägt durch eine pragmatische Ausweitung ihres traditionell sprachstrukturellen Erkenntnisinteresses. Ausdruck dieser Entwicklung ist z.B. die gänzliche Neubearbeitung der Sprachgeschichte von P. von Polenz (1991 und 1994), die an Stelle der wiederholt neu aufgelegten und auf H. Sperber (1926) gründenden Geschichte der deutschen Sprache (von Polenz 1978) erschienen ist und insbesondere eine "sozial- und mediengeschichtliche Fundierung" (ebd., 3) anstrebt, wobei neben anderen Aspekten als Schwerpunkt der Darstellung explizit die Sprachpragmatik genannt wird (ebd.). Sind die konzeptionellen Ecksteine einer solchen pragmatischen Sprachgeschichtsschreibung auch schon Anfang der 1980er Jahre insbesondere mit H. Sitta (1980) und D. Cherubim (1984) gesetzt, so verstärkt sich das sprachhandlungsbezogene Interesse an der Geschichte des Deutschen erst in jüngster Zeit. Die Entwicklung läuft dabei parallel zur Konstituierung eines pragmatischen Paradigmas, das als Gemeinschaftswerk geisteswissenschaftlicher Forschung ebenfalls in den 1980er Jahren an Bedeutung gewann und als dessen notwendige Folge H. Stachowiak ([Hg.] 1986, XVII) einen "'Paradigmawechsel' großen Stils" prophezeit hat.1 Bei den Pragmatisierungstendenzen sprachgeschichtlicher Fragestellungen kommt der historischen Dimensionierung textlinguistischer Erkenntnisfelder besondere Bedeutung zu. Es ist bekannt, daß die in den späten 1960er und 70er Jahren begründete Textlinguistik zunächst ebenso ahistorisch gewesen ist, wie die Historiolinguistik apragmatisch. Doch mit der fortschreitenden Rezeption sprach-handlungsorientierter Ansätze in der Sprachgeschichte gewann der Text i.S. einer komplexen sprachlichen Handlung (vgl. u.a. Sandig 1978, 69f., 99ff., 157f.) als Analyseobjekt für die pragmatische Orientierung der Sprachgeschichte zunehmend an Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist die Forderung nach textlinguistischer bzw. textsortenbe- 1 Für den interdisziplinären Aspekt der Pragmatik im Rahmen geisteswissenschaftlicher Forschung ist insbesondere die von H. Stachowiak ([Hg.] 1986ff) herausgebene Handbuchreihe pragmatischen Denkens von Wichtigkeit, sowie der in das Projekt Pragmatik einführende Aufsatz von H. Stachowiak (1986). zogener Fokussierung der Sprachgeschichtsschreibung vielfach formuliert worden. Als Beispiel sei hier aus H. Stegers (1984, 200) grundlegendem Aufsatz Sprachgeschichte als Geschichte der Textsorten/Texttypen... zitiert: "Zusammenfassend betrachtet stellt sich die deutsche Sprachgeschichte (auch) dar als Geschichte der Ausgliederung und des Ausbaus von funktionalen Sprachvarietäten und Texttypen-/Gattungsinventaren, Nun fällt auf, daß der Vielzahl programmatischer Forderungen nach einer Textorientierung sprachgeschichtlicher Fragestellungen nur wenige konkrete Textanalysen gegenüberstehen. Es scheint also, als sei zwar ein neues historiolinguistisches Paradigma eröffnet, das jedoch weder durch empirische Befunde ausreichend gedeckt noch in Frage gestellt ist. Es mag verschiedene Gründe für diesen Praxis-Theorie-Bruch der gegenwärtigen textorientierten Sprachgeschichtsschreibung geben; drei Aspekte sollen hier zunächst als Thesen formuliert werden: (1) Die bisherigen sprachgeschichtlichen Forderungen nach einer Darstellung der Textsortengeschichte des Deutschen sind nicht hinreichend in den Zusammenhang übergreifender sprachhistorischer Problemstellungen gerückt. Historische Textlinguistik ist aber letzthin erst legitimiert, wenn sie über die Systematisierung von Quellen hinaus zur Beantwortung sprachhistorischer Fragestellungen beiträgt. (2) Das Programm Sprachgeschichte als Textsortengeschichte ist bisher nicht in genügendem Maße mit der Konzeption eines pragmatisch orientierten Verfahrens zur Analyse historischer Texte verknüpft. Ausnahmen, wie J. Schwitallas (1983) Untersuchung zur Textsorte 'Flugschrift' gibt es zwar, doch haben sie noch nicht zu einer grundsätzlichen textlinguistischen Theorieorientierung pragmatischer Sprachgeschichtsschreibung beigetragen. (3) Die bisherige Sprachgeschichtsschreibung des Deutschen hat noch nicht aufzeigen können, daß die Genese eines Textbereiches in unmittelbarem Zusammenhang mit sprachhistorischen Entwicklungsprozessen steht, so daß die traditionelle grammatische Erklärung von Sprachwandlungsvorgängen nicht grundsätzlich modifiziert bzw. in Frage gestellt ist. Weitere Gründe für das Auseinanderfallen von programmatischen Forderungen und tatsächlichen textorientierten Untersuchungen in der germanistischen Sprachgeschichtsschreibung gibt es zweifellos - so mag etwa der erhebliche philologische Arbeitsaufwand bei einer systematischen Erschließung historischer Texttypeninventare schnelle Fortschritte im empirischen Bereich erschweren -, doch die nachfolgende Argumentation wird allein von den drei Thesen ausgehen und von hier aus konzeptionelle Vorschläge für historisch-pragmatische Textanalysen entfalten. Für die Thematik des vorliegenden Bandes ist eine Auseinandersetzung mit These (2), also mit dem Desiderat eines textlinguistischen Konzepts zur Analyse historischer Texte am wichtigsten, zumal damit nicht nur ein diachroner Problembereich anschaulich gemacht werden kann, sondern die prinzipiellen Fragestellungen zur Texttypologie und Textsortenklassifikation angesprochen sind. Die auf These (1) und (3) bezogenen Auseinandersetzungen werden mithin auf den nötigsten Umfang beschränkt. Außer acht können sie jedoch im Argumentationszusammenhang nicht gelassen werden, da ihre Behandlung Bedingung der Möglichkeit einer sinnvollen textbezogenen Historiolinguistik ist. Entsprechend soll zunächst auf die mit These (1) bezeichneten Probleme knapp eingegangen werden. 2. Zum sprachgeschichtlichen Problembezug historischer Textlinguistik Textsortengeschichtliche Darstellungen der letzten Jahre haben bisher eher einen Beitrag zur Systematisierung des Quellenbestandes von raum-zeitlich definierten Sprachperioden geleistet, als eine Beschreibung der historischen Dynamik sprachlicher Handlungsverfahren. Exemplarisch ist dies an den textsortengeschichtlichen Beiträgen im sprachgeschichtlichen Handbuch von W. Besch/ O. Reichmann/ St. Sonderegger (1984/85) abzulesen. Obgleich das Handbuch angemessene Vollständigkeit "erstens im Hinblick auf den zu beschreibenden Gegenstand und zweitens im Hinblick auf die Forschungssituation" anstrebt (ebd., Bd. 1, DC), bleibt die Behandlung des Stellenwertes 9 der Textsortengeschichte im Rahmen sprachhistorischer Leitfragen marginal. Wenn W. Sanders (1985) z.B. für das Altniederdeutsche die vier Textgruppen Bibeldichtung, Klein- und Merkversdichtung, kirchliche und weltliche Gebrauchsprosa sowie Glossen unterscheidet und H. Kästner/ E. Schütz/ J. Schwitalla (1984) als Textgliederungsraster für das Frühneuhochdeutsche Alltagswelt, Religion, Wissenschaft und Dichtung nennen, so mögen derartige Klassifizierungsbasen zur Gruppierung der Fülle überlieferter Texte brauchbar sein, sie lassen jedoch nicht deutlich erkennen, welche sprachgeschichtlichen Problemstellungen qua textorientierter Untersuchungen zu bewältigen sind. Folglich sollte es zunächst darum gehen, zentrale Funktionen der historischen Textlinguistik für die Sprachgeschichtsschreibung des Deutschen deutlich zu machen; andernfalls steht Text- bzw. Textsortengeschichte eben in der Gefahr, lediglich verschieden differenzierte Systematiken zur Quellenordnung zu erarbeiten. Im Zusammenhang dieser Darstellung soll ein zentraler Problembereich germanistischer Sprachgeschichtsschreibung herausgegriffen und in Bezug auf textlinguistische Erkenntnismöglichkeiten dargestellt werden. Es handelt sich dabei um die Frage nach der Formierung der deutschen Kultur- und Hochsprache, die wir Neuhochdeutsch nennen. Bekanntlich beschränken sich die traditionellen Erklärungsversuche zur Konstituierung des Neuhochdeutschen fast gänzlich auf die Nennung grammatischer Faktoren; historische Phonologie,3 Morphologie,4 Syntax5 und Lexikologie6 sind daher die 2 Der bereits erwähnte Aufsatz von H. Steger (1984) stellt dabei eine Ausnahme dar, allerdings ist er auch vornehmlich konzeptionell orientiert. Die Analyse von Textsorteninventaren wird im Sammelband mithin im Rahmen einzelner Epochen jeweils gesondert dargestellt. klassischen Felder zur Beantwortung der Frage, warum und wie sich deutsche Kultur-und Hochsprachigkeit entwickelt hat. Die entsprechende Erklärungsfolie setzt dabei weithin den Parameter grammatischer Überregionalität als Kriterium hochsprachlicher Existenz an, mithin werden in der Regel Leitvarietäten als Muster von Ausgleichsprozessen beschrieben. Die nachfolgende Argumentation geht jedoch davon aus, daß Hoch- und Kultursprachigkeit nicht nur den zweifellos wichtigen Aspekt überregionaler Inventare voraussetzt, sondern daneben noch ein Bündel anderer Faktoren, von denen hier fünf näher genannt werden sollen: (a) Literalität: Allgemeinste und zugleich notwendigste Voraussetzung von Kultur- und Hochsprachigkeit ist die Existenz eines Schriftsystems, das die grammatischen Eigenschaften gesprochener Sprache faßt bzw. spezifische schriftsprachliche Grammatikalität bedingt. Unter diachroner Perspektive erscheint das Verhältnis von oraler und literaler Sprache als beachtenswerter Faktor im Prozeß der Konstituierung des Nhd. Es stellt sich die Frage, ob nicht die Anverwandlung eines normierten Schriftsystems, einer Orthographie und Interpunktion als spezifischer Teilvorgang bei der Herausbildung des Nhd. anzusehen ist. (b) Multifunktionalität: Die kommunikative Leistungsfähigkeit in unterschiedlichsten Domänen gesellschaftlicher Organisation ist Kennzeichen jeder Kultur- und Hochsprache. Als sprachgeschichtliche Problemstellung ist in diesem Zusammenhang insbesondere zu untersuchen, welchen Anteil die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Funktionsdifferenzierung des Deutschen bei der Herausbildung des Nhd. hatte. (c) Intersozialität: Neben der unter (b) genannten horizontalen, domänenspezifischen Funktionalität einer Sprache ist die kommunikative Eignung in vertikaler Richtung, also bezüglich der sozialen Gruppenstruktur als Voraussetzung von Kultur- und o Hochsprachigkeit anzusehen. Erst eine Sprache, vermöge derer über die Grenzen differenter Wissensniveaus Austausch möglich ist, kann als Medium der allgemeinen nationalen Verständigung entfaltet werden und sichert sprachlich manifestierte nationale Identität. 3 Z.B. die Bescheibung der frnhd. Diphthongierung und Monophthongierung als charakteristische Variante des Frnhd. und Nhd. gegenüber dem Mhd. 4 Als aktuelles Beispiel historischer Morphologie sei M. Habermann (1994) angeführt. 5 Vgl. W. Admoni (1990), A. Betten ([Hg.] 1990). 6 Vgl. D. Wolf (1984), O. Reichmann (1984). 7 Vgl. R. Müller (1991). 8 Zu den Begriffen 'Horizontalität' und ' Vertikalität' in der Lingusitik vgl. S. Wichter (1994). (d) Literarizität: Die literarische Ausbildung des Deutschen ist ausgehend von den frühen volkssprachigen Texten bis hin zur Existenz eines literarischen Kanons Aspekt der Herausbildung gegenwärtiger Hochsprachigkeit. Für die Sprachgeschichte stellt sich die Frage, welche Quellen des vornhd. Status den aktuellen Sprachstand mitbegründen. (e) Philologisierung: In der Entwicklungsgeschichte von Hoch- und Kultursprachen bedingt erst die philologische Reflexion ein Bewußtsein der je eigenen Sprache. Mit der Zunahme an Sprachbewußtsein gehen die deskriptiven und normativen Beschreibungen der Entwicklungsvorgänge jeweiliger Sprachen einher, die sich in Wörterbüchern, Q Grammatiken, Stillehren etc. niederschlagen. Sprachgeschichte kann hier nach dem Anteil bewußter Steuerung der sprachlichen Genese durch die Reflexion ihrer Erscheinungsformen fragen. Jeder dieser Faktoren ist mit Detailaufgaben sprachgeschichtlicher Forschung verbunden, die hier nicht alle in ihrem spezifischen Profil zu erörtern sind. Greift man jedoch z.B. den Aspekt der Multifunktionalität heraus, so ist bereits festzustellen, daß grammatische Erklärungsweisen allein nicht ausreichend zur Beschreibung der Entwicklung dieses Aspektes sind. Denn zu fragen ist hier nach der funktionalen Differenzierung etwa des Deutschen, die als Voraussetzung einer Formierung von Hochsprachigkeit anzusehen ist. Für die germanistische Sprachgeschichtsschreibung geht es in diesem Zusammenhang um die Frage, welche funktionale Differenziertheit das Deutsche infolge der Ausweitung auf kommunikativ zentrale Bereiche entwickelt hat und welches die Ursachen dieser Entwicklung sind. Daß grammatische Ausgleichstheorien dieses Problem nur verkürzt fokussieren können, ergibt sich bereits aus der Beobachtung, daß die Ablösung des Lateinischen als der mittelalterlichen Koine durch deutsche Volkssprache weit vor der Konstituierung grammatischer Einheitlichkeit des Deutschen beginnt. Die Beschreibung von Entwicklungslinien der Multifünktionali-sierung des Deutschen wird damit zum unabdingbaren Bestandteil einer Klärung der Formierung des Nhd. Da Multifunktionalität, also die linguale Funktionstüchtigkeit in unterschiedlichsten Domänen gesellschaftlicher Organisation erst über das Handlungspotential einer Sprache bzw. den kommunikativen Gebrauch sprachlicher Mittel erkennbar ist und Texte i.S. obiger Ausführung als komplexe sprachliche Handlungen anzusehen sind, muß der Text als maßgebliche Größe in der Genese des Nhd. eingeordnet werden. Ebenso wie das phonologische und morphologische Inventar bestimmend für die Herausbildung etwa von überregionalen Varianten ist, ist der Text als entscheidender Parameter der Formierung von lingualer Multifunktionalität anzusehen. Diese Bestimmung der sprachgeschichtlichen Relevanz von Texten trifft sich mit I. 9 Dazu gehört auch die editorische Auseinandersetzung mit den Quellen eigener Volkssprache, vgl.z.B. Martin Opitz als Herausgeber des Annoliedes. Rosengrens (1983) Theorie der Textstruktur als einem Ergebnis strategischer Überlegungen des Senders. Hier wird davon ausgegangen, daß die textuelle "Struktur von dem unmittelbaren Ziel des Senders determiniert wird" (Rosengren 1983, 166), womit historische Texte als Realisationsexemplare intendierter sprachlicher Handlungen zu verstehen sind, deren Folge dann eine linguale Funktionsdifferenzierung ist. Aus dieser Überlegung läßt sich eine der zukünftigen Aufgabenstellungen der historisch-germanistischen Linguistik präzise formulieren: Sie hat zu klären, wann, aufgrund welcher Ursachen und wie multifünktionale Leistungsfähigkeit des Deutschen angelegt wurde und wie die damit verbundenen geschichtlichen Ecksteine im diachronen Prozeß ausgebaut wurden. Eine so verstandene textorientierte Sprachgeschichtsschreibung geht über die bloße Quellensortierung hinaus, sie eröffnet eine pragmatische, weil sprachhandlungsbezogene Perspektive in der z.T. noch immer strukturell dominierten Historiolinguistik. Die Fragen nach den Ursachen und den zeitlichen Bezügen der Entwicklung von lingualer Multifunktionalität sind nun allerdings nicht über die Analyse der textinternen Strukturcharakteristika zu beantworten. Denn konkrete Texte sind in ihrer jeweiligen Realisation immer schon Ergebnisse des u.U. ursächlichen Bestrebens, die deutsche Sprache in zuvor lateinisch besetzten Domänen zu gebrauchen. Die textinterne Organisation ist also nicht Ursache von Multifunktiona-lisierungstendenzen, sondern Folge derselben. Demgegenüber bezieht sich die Frage nach dem 'wie' der Multifunktionalisierung des Deutschen auf konkrete Texte als denjenigen sprachlichen Einheiten, die eine kommunikative Ausweitung auf weite Bereiche des sozialen Verbandes realisieren. Im folgenden soll daher nicht nach den Ursachen von Multifunktionalisierungstendenzen in der Geschichte des Deutschen gefragt werden, verließe man damit doch unweigerlich den hier interessierenden textlinguistischen Rahmen. Behandelt werden soll vielmehr der Text als Realisationsform von Multi-funktionalisierungsprozessen, womit es darum geht, die durch textuelles Handeln unmittelbar determinierten Textkonstituenten ins Auge zu fassen, also jene zentralen universalpragmatischen Strukturen, mittels derer ein Textproduzent seine kommunikative Absicht handelnd realisiert. Zur Bewältigung dieser Aufgabe ist ein leistungsfähiges Textanalysekonzept notwendig, das den Besonderheiten der sprachhistorischen Problemstellung entspricht. Vorschläge zur Konzeption eines solchen sind Gegenstand des weiteren Argumentationsganges. 3. Konzeption eines pragmatisch orientierten Verfahrens zur Analyse historischer Texte Ziel des hier zu erörternden pragmatischen bzw. kommunikationsorientierten Konzepts zur Analyse historischer Texte ist die Freilegung des pragmatischen Potentials einer Sprache zu einem gegebenen Zeitpunkt als Teilaspekt der Erklärung diachroner Vorgänge bei der Konstituierung von Hoch- und Kultursprachigkeit. Beantwortet wer- den muß für die deutsche Sprachgeschichte damit zum einen, welche Textkonstituenten die kommunikative Substanz des sprachlichen Handelns ausmachen, also welche pragmatische Organisationsstruktur die an der Multifunktionalisierung des Deutschen beteiligten Texte aufweisen und zum anderen, von welchem Entwicklungsstand des Textypenrepertoires in der Frühgeschichte nhd. Gemeinsprachigkeit auszugehen ist. Die Problemstellung sei zunächst durch ein Beispiel anschaulich gemacht. Die überlieferten ahd. Quellen gehören vielfach zum Typ der Übersetzungsliteratur, so etwa die in Folge der Admonitio generalis entstandenen Übersetzungen elementarer katechetischer Texte aus dem Lateinischen. Es gelingt den Übersetzern bekanntlich dabei häufig nicht, die lateinischen Vorlagen adäquat zu übertragen. So in den fälschlichen präsentischen Verbformen des 123. Psalms in der alemannischen Psalmenübersetzung (um 820) bzw. der dort ebenso nachzuweisenden Mißachtung des Konjunktivs der Vülgata-Vorlage.10 Solche morphologischen Fehlübertragungen führen dann in der frühen ahd. Übersetzungsliteratur u.a. dazu, daß Sprachhandlungstypen und argumentative Muster der lateinischen Vorlage nicht korrekt wiedergegeben werden; die Volkssprache der Übersetzer bzw. die volkssprachige Norm ist kommunikativ undifferenzierter als das Lateinische der Zeit; dem Lateinischen wächst zunächst durch deutsche Volkssprache keine Konkurrenz zu. Dies ändert sich jedoch aufgrund hier nicht zu behandelnder Faktoren im 13. und 14. Jahrhundert, denn gesellschaftlich zentrale Vertextungsbereiche werden volkssprachig besetzt, das Lateinische wird in seiner funktional weiten Fächerung anfänglich zurückgedrängt. Frühe deutsche Fachprosatexte sind Folge dieser Entwicklung, ihre Strukturierung steht infolgedessen im Zusammenhang sprachgeschichtlicher Erkenntnisinteressen. Die konkreten Problemstellungen im Zusammenhang einer allgemeinen Konzeption zur Beschreibung der pragmatischen Organisationsstruktur von Texten ordnen sich vier konzeptionellen Subbereichen zu: (a) Eine Analyse von Texten, die infolge der Entwicklung von Multifunktionalität existieren, hat zu klären, welche illokutive Differenzierung frühe volkssprachige Prosa leistet, denn die sprachliche Realisation der kommunikativen Absicht eines Textproduzenten ist wesentliches Element der pragmatischen Organisation von Texten. Dabei wird davon ausgegangen, daß Texte als über die Einzelillokution hinausgehende Illokutionskomplexe bzw. Illokutionsstrukturen anzusehen sind.11 Es besteht also für (a) die Aufgabe, textuelle Dominanzfelder von Illokutionen zu ermitteln. Dabei sind insbesondere die subsidiären Funktionen von Sprechakten auf "macro-speech acts" i.S. T.v.Dijks (1977, 215) zu beziehen. Eine solche Illoku-tionsanalyse, die mit A. Wagner (1994) Sprechakte als historisch variable Größen 10 Vgl. hierzu die Edition des Textes und den Kommentar in W. Haug und B.K. Vollmann [Hg.] (1991, 32; 1056). 11 Zur Relevanz sprechaktheoretischer Modelle bei der textlinguistischen Analyse vgl. den in diesem Band enthaltenen Aufsatz von Stojan Bračič. ansetzt, ermöglicht die Beschreibung einer wesentlichen pragmatischen Textkonstituente. (ß) Als weiterer Beschreibungsbereich ist die propositionale Struktur von Texten zu untersuchen. Die thematische Substanz von Texten, ihr Komplexitätsgrad ist Hinweis auf die kommunikative Leistungsfähigkeit einer Sprache, denn für den Zeitpunkt, wo differenzierte Propositionskomplexe über die Grenzen enger Domänen gesellschaftlicher Organisation textuell gefaßt werden, ist zumindest von einer partiellen Multifunktionalität auszugehen. Die Realisation komplexer und u.U. fachspezifischer thematischer Strukturen mit volkssprachigen Mitteln ist Folge, der Verwendung des Deutschen in zentralen gesellschaftlichen Bereichen seit dem beginnenden Spätmittelalter, (y) Neben der Illokutions- und Propositionsstruktur ist der argumentative Aufbau von Texten, also die Strukturierung von Behauptungen mit ihren impliziten und expliziten Rechtfertigungen eine weitere Konstituente der pragmatischen Organisation von Texten. Da hier mit K. Brinker (1983, 138) davon ausgegangen wird, daß zwischen Sprachhandlung und zugrunde liegendem Muster "prinzipiell kein 1:1-Verhältnis besteht", werden Illokutions-/Propositionsstruktur und Argumentstruktur als distinkte Beschreibungsebenen des Textes angesehen. Entsprechend wird davon ausgegangen, daß die argumentative Differenziertheit eines Textes notwendiges Analysefeld für die Beschreibung textueller Strukturierung ist. Die drei Aspekte (a-y) werden im folgenden als textinterne Konstituenten der pragmatischen Organisationsstruktur angesehen. Der funktionale Entwicklungsstand bedingt aber nicht nur jeweilige textinterne Strukturebenen, sondern steht auch in direktem Zusammenhang mit der Referenz von Texten auf bzw. der Determinierung durch textexterne Faktoren. (б) Diese sollen hier unter dem Begriff des pragmatischen Kontextes zusammengefaßt werden, worunter eine typologische Größe textexterner Variablen vorzustellen ist. Die konzeptuellen Subbereiche (a-d) gilt es nun näher zu behandeln, wobei gleich der letzte Punkt konkretisiert werden soll. 3.1 Pragmatischer Kontext Vom pragmatischen Kontext soll gesprochen werden, da Texte in inzwischen weit verbreitetem textlinguistischen Verständnis immer in Bezug zu einem Handlungsumfeld stehen, denn Textualisierung ist linguale Handlung, die notwendigerweise in einem pragmatischen Kontext geschieht. Für die Beschreibung der Beziehung von textueller Handlung und pragmatischem Kontext sind zwei Relationsformen zu unterscheiden. Einerseits determinieren jeweilige situative Umstände die textuelle Handlung, die Organisation von Texten ist mithin als situationsabhängig zu beschreiben. Die situativen Variablen sind dabei auf den Begriff der textuellen Situation bezogen. Andererseits wird durch textuelles Handeln wiederum selbst Bezug auf die pragmatischen Umstände genommen. So wird etwa ein mittelalterlicher Text über die Ständeordnung auf exi- stente Privilegskorporationen referieren. Die Zielgröße der Referenz textueller Handlungen auf die sozialen Organisationsformen des pragmatischen Kontextes wird im folgenden als textueller Organisationsbereich bezeichnet. Textuelle Situation und textueller Organisationsbereich bilden zusammen die relationalen Verbindungen zwischen textueller Handlung und pragmatischem Kontext. Die Aspekte selbst stehen in komplementärem Verhältnis zueinander: Der pragmatische Kontext determiniert einerseits die textuelle Handlung durch die textuelle Situation, andererseits referiert die textuelle Handlung auf den pragmatischen Kontext durch Bezug auf einen textuellen Organisationsbereich. Die Bestimmung des textuellen Organisationsbereichs hat grundsätzlich im Rückgriff auf die im Text explizierten Informationen zu erfolgen. Solche textkonstitutiven Daten können als Variablen in einer Matrix erfaßt werden, wobei es jedoch nicht sinnvoll erscheint, einen deduktiven Katalog zu erarbeiten, der dann auf verschiedene Texttypen zu übertragen ist. Der pragmatische Kontext von Texten und die damit gegebenen Referenzbeziehungen sind zu zahlreich und verschieden, um sie mit einer Generalmatrix erfassen zu können. Institutionelle Texte (Verordnung) haben z.B. wesentlich normiertere Daten der Referenz auf den sozialen Organisationsbereich als private Texte (Liebesbrief), womit auch deren Bestimmung ein anderes Maß an Genauigkeit ermöglicht. Entgegen einem deduzierten Variablenraster wird hier vielmehr von induktiv ermittelten Variablen des sozialen Organisationsbereichs ausgegangen. Diese sind nicht generell zu formulieren, sondern lediglich für sozial komparabel funktionierende Texte als Vergleichsgrößen zu bestimmen. Für die deutschsprachige Rechtsprosa des Spätmittelalters ergeben sich die Variablen etwa aus den Fragen, ob im Text explizite Angaben zur arealen Geltung der Aussagen enthalten sind, wie der sachliche Geltungsumfang der Aussagen, also in der Regel die Zielgruppe des Textes expliziert ist und welche Informationen zur zeitlichen Geltung normierender Rechtsaussagen gegeben sind. Damit ergeben sich räumlicher, sachlicher und zeitlicher Geltungsbereich als mögliche Bezugsgrößen auf den sozialen Organisationsbereich der entsprechenden Rechtstexte. In den jeweiligen Texten sind nun nahezu immer klassenbildende Explikationen zu den Kriterien enthalten, die Texte als Handlungsmuster in einem je spezifischen pragmatischen Umfeld erkennen lassen. Eine differenzierte Bestimmung des sozialen Organisationsbereichs setzt allerdings noch die Formulierung der eigentlichen Variablen voraus, die erst Vergleichbarkeit von Texten eines sozialen Typs (z.B. Rechtstexte) ermöglicht. Nach Anzahl und Verteilung sind diese Variablen heuristische Größen und stehen wie gesagt in enger Bindung an je konkret ausgewertete Texte. Für die Rechtsprosa des Spätmittelalters wäre etwa folgende Darstellung der Variablen in einer Matrix möglich:12 12 Unter 1. ist etwa anzugeben, ob es sich um gemeine also auf das gesamte mittelalterliche Reichsgebiet bezogene Rechtssetzung bzw. Auslegung handelt oder um partikulares Recht. Unter (2) ist aufzuführen, ob die Aussagen des Textes eine generelle sachliche Geltung haben, also jede im räumlichen Geltungsbereich lebende Person betreffen, oder ob die sachliche Geltung nur spezifizierte 1. räumlicher Geltungsbereich 1.1 Reich + 1.2 Region + 1.3 Stadt ± 1.4 definierter Sonderbereich (Seerecht etc.) ± 2. sachlicher Geltungsbereich 2.1 generell ± 2.2 speziell ± 3. zeitliche Geltung 3.1 bestimmt + 3.2 unbestimmt Auf der Grundlage derartiger Matrizes ist eine analytische Zuordnung zu einem textuellen Organisationsbereich möglich. Damit ist eine Relation von textueller Handlung und pragmatischem Kontext erfaßt. Die textuelle Situation als zweite Relationsform resultiert nun wie ausgeführt aus den situativen Variablen, die als textdeterminierende Daten eingeordnet sind. Unter 'Situation' werden hier die expliziten Rahmenbedingungen textuellen Handelns angesehen. Die so verstandene Situation stellt sich dabei allerdings nicht als ungeordnete Vielzahl situativer Komponenten dar, sondern als geordnete Menge situativer Aspekte. Es führte über den hier behandelten Gegenstand weit hinaus, im einzelnen diese Aspekte erläuternd darzustellen. Da es in der momentanen Argumentation lediglich darum geht, Texte hinsichtlich ihres zweifachen Bezuges zu einem jeweiligen pragmatischen Kontext zu beschreiben, mag es genügen, die anzunehmenden Situationsvariablen unkommentiert in einer wiederum auf spätmittelalterliche Rechtsprosa bezogenen Matrix darzustellen, zumal diese weithin selbsterklärend sind und in der textlinguistischen Diskussion als vertraut gelten dürfen. Erklärend sei nur darauf hingewiesen, daß die einzelnen Daten zur textuellen Situation drei Situationsbereichen zugeordnet sind: Zum Situationsbereich der sozialen Situation gehören alle Determinanten, die die Konnexion des Textes mit dem gesellschaftlichen Handlungsrahmen betreffen; zu erfassen sind damit der Grad gesellschaftlicher und zeitlicher Bindung des Textes, sowie die mögliche Intertextualität. Die soziale Situation ist dabei nicht mit dem textuellen Organisationsbereich zu verwechseln. Während dieser als Referenzgröße des Textes definiert ist, determinieren die Variablen der sozialen Organisation die textuelle Handlung. Gegenüber der sozialen Organisation ergibt sich die formale Situation eines Textes aus dem kommunikativen Status des Textproduzenten und der Wähl der Kommunikationsmittel. Von beiden Situationsbereichen ist die interpersonale Situation unterschieden. Sie ergibt sich aus der für einen Text jeweils bestimmenden Kommunikationskonstellation, also dem Verhältnis von Produzent und Personengruppen bzw. Einzelpersonen betreffen. Die Variablen unter (3) ergeben sich aus der zeitlichen Bestimmung der Textaussagen, also auf Angaben zur ausdrücklich vorübergehenden Gültigkeit (z.B. Zeitgesetze) und solche zur unbestimmten zeitlichen Geltung; bei vorhandener Zeitbestimmung ist diese in der Regel wesentlicher Bestandteil der Promulgation. dem bei Schrifttexten zumeist antizipierten Rezipienten; damit sind die Handlungsakteure selbst als Bestandteile der Situation angesehen. Neben den Situationsbereichen differenziert die Matrix noch zwei prinzipiell unterschiedliche Situationsarten: die variablen, je Text verschiedenen Situationsmerkmale und die konstanten, für alle Texte eines homogenen Korpus zutreffenden Daten. Da für einen historisch abgeschlossenen Zeitraum nur schriftliche Texte untersucht werden können, ergeben sich für die formale Situation als Konstanten der Rechtsprosa des Spätmittelalters das schriftliche Medium, eine monologische Kommunikationsrichtung und eine situationsgebundene Festlegung des Redegegenstandes. Die konstanten interpersonalen Situationen sind ein gebundenes Rollenverhältnis und ein raum-zeitlich differenter Partnerkontakt. Damit sind fünf der zwölf situativen Textdeterminanten konstante Größen, also durch einen für alle Texte eines Korpus der deutschen Rechtsprosa des Spätmittelalters zutreffenden Eintrag gekennzeichnet. Als variable Daten der Matrix sind demzufolge die Aspekte der sozialen Situation zu bestimmen sowie für die interpersonale Situation der soziale Raum, das Verhältnis der Kommunikationspartner, die Sprecherzahl und die hierarchische Relation von Produzent/Rezipient. Als Variable der formalen Situation ist der kommunikative Status des Textproduzenten zu untersuchen. Die textanalytische Beschreibung der Situation kann demzufolge für spätmittelalterliche Rechtsprosa mittels Differenzierung von drei Situationsbereichen geschehen, denen mindestens 13 Situationsaspekte bei Differenzierung von zwei Situationsarten zugeordnet sind. In der Übersicht ergibt sich die folgende Matrix: Situationsbereich Situationsaspekt variable Situationsart konstante Situationsart 1. soziale Situation 1.1 gesellschaftliche Bindung [keine/schwach/stark] 1.2 zeitliche Bindung [vorzeitig/nachzeitig/simultan] 1.3 Textkonnexion [belegt/nicht belegt] 2. formale Situation 2.1 Status des Textproduzenten [expliziert/anonym] 2.2 Themenwahl [mittelbar] 2.3 Kommunikationsrichtung [monologisch] 2.4 Medium [schriftlich] 3. interpersonale 3.1 sozialer Raum Situation [öffentlich/privat] 3.2 Verhältnis der Kommunikationspartner [soziale Nähe/soziale Ferne] 3.3 Rollenverhältnis [gebunden] 3.4 Art des Interaktionskontaktes [raum-zeitlich different] 3.5 Anzahl der Sprecher [einer/mehrere] 3.6 hierarchische Relation von Produzent und Rezipient [symmetrisch/asymmetrisch] In der Zusammenfassung ist also für den konzeptionellen Subbereich (d) festzuhalten, daß der pragmatische Kontext von Texten in zweifacher Relation zum Textexemplar bzw. zur textuellen Handlung steht: Wir unterscheiden Situationsdetermination zum einen und zum anderen die Referenz auf einen sozialen Organisationsbereich. Die jeweiligen Belegungen der Matrizes sind dabei als Daten zur Bestimmung des pragmatischen Kontexttyps einzelner Texte heranzuziehen. Die binäre Bezugsetzung von textueller Handlung und pragmatischem Kontext widerspricht situationsdeterministischen Textauffassungen, die die Kombination außersprachlicher Textbedingungen als alleinige Bestimmungsgröße für Textsorten, -typen etc. an- 13 führen. Einer solchen Auffassung kann hier schon aufgrund der Integration des sozialen Organisationsbereichs von Texten nicht entsprochen werden. Darüber hinaus spricht gegen einen absoluten Situationsdeterminismus, daß die drei textinternen Strukturcharakteristika (a-y) in Korrelation gedacht werden müssen, die Ebenen 'Illoku-tions-/Propositions-/Argumentstruktur' sind durch textinterne Binnendetermination gekennzeichnet. Demzufolge wird hier davon ausgegangen, daß eine Texttheorie, die Situationstypen als allein merkmalbildend einordnet, zu kurz greift. Die weitere Behandlung des kommunikationsorientierten Verfahrens zur Analyse historischer Texte hat nun die konzeptionellen Subbereiche (a-y) näher zu bestimmen. 13 Vgl. etwa das Freiburger Redekonstellations-Konzept. Hier wird der außersprachliche Teil der Situation, der als 'Redekonstellation' bezeichnet wird und "die in einem bestimmten Kommunikationsakt auftretende Kombination außersprachlicher Verhaltenselemente" (Steger et al. 1974, 60) umfaßt als Determinante der 'Textsorten' beschrieben, die ihrerseits typologisches Äquivalent der konkreten 'Textexemplare' sind. Die Texterzeugung ist demzufolge in unmittelbarer und alleiniger Abhängigkeit von den Redekonstellationstypen gesehen. Als situationsdeterministische Texttheorien sind auch M. Halliday (1978,185), B. Marfurt (1978) und G. Diewald (1991,271) anzuführen. 3.2 Illokutionsstruktur (a) Im Lunder Forschungsprojekt 'Fachsprachliche Kommunikation' (s. Schonebohm 1980) wird davon ausgegangen, daß Grammatik und Pragmatik in einem modularen Verhältnis zueinander stehen, mithin als autonome sprachliche Komponenten einzuordnen sind. Diese Annahme kommt der hier beabsichtigten Konzipierung eines Modells zur Analyse historischer Texte im Kontext der sprachgeschichtlichen Multifunktionali-sierungsvorgänge insofern entgegen, als auch für diese Problemstellung von der prinzipiellen Unterschiedlichkeit grammatischer und pragmatischer Faktoren im Prozeß der Konstituierung des Nhd. ausgegangen wurde. Die modulare Distinktion von Grammatik und Pragmatik ergibt sich im theoretischen Entwurf, doch in Texten agieren Grammatik- und Pragmatikmodul miteinander, so daß bei der Analyse des Funktionspotentials zunächst die Konstituenten des Pragmatikmoduls bestimmt werden müssen. M. Brandt und I. Rosengren (1992) gehen davon aus, daß als zentrales Submodul des Pragmatikmoduls das Illokutionssystem anzusetzen ist. Im folgenden wird dieser Bestimmung gefolgt, da Illokutionen - i.S. kommunikativer Absichten eines Produzenten -als wesentliche Indikatoren des funktionalen Handlungspotentials einer Sprache zu verstehen sind. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Ausformung von Sprechaktklassen und ihre interne Differenziertheit im Ausschnitt erkennen lassen, mit welchen kommunikativen Mitteln eine Sprache operiert. Wenn nun im Zusammenhang der hier beabsichtigten textanalytischen Konzeption von Illokutionen gesprochen wird, so sind damit allerdings nicht singulare Komponenten von Sprechakten gemeint, sondern vielmehr textuell verknüpfte Sprechaktsequenzen. Denn erst die sequentielle Organisation von Illokutionen ist Hinweis auf die kommunikative Realisation allgemeiner Intentionen sprachlicher Handlung; der Zweck einer Einzelillokution wird erst relational zum illokutionären Kontext erkennbar. Die sprachliche Handlung eines Sprechers wird daher, sofern kein initialer Sprechakt vorliegt, im relationalen Bezug zu vorausgehenden Sprechakten organisiert sein; dies ist zunächst eine triviale Erkenntnis. In Bezug auf die hier leitende Problemstellung bedeutet dies allerdings, daß nicht die summarische Erfassung von singulären Illokutionen Erkenntnisse zur textuellen Strukturierung ermöglicht, sondern erst die Analyse der relationalen Verknüpfung von Illokutionen, jedenfalls wenn wir in diesem Zusammenhang davon ausgehen, daß linguale Multifunktionalität die sprachliche Existenz differenzierter und auch domänenspezifischer Illokutionsarchitekturen bestimmt. Also in nuce: Illokutionen stellen in der Regel keine Unikate dar, sondern sind als im Text hierarchisch aufeinander bezogene Einheiten zu untersuchen, womit die historische auf den Zusammenhang von Text und Multifunktionalität fokussierte Textlinguistik die Illoku-tionsarchitektur historischer Texte zu untersuchen hat. Diese ergibt sich aus den strukturbildenden Relationen der singulären Illokutionen, so daß auch von Illokutionsstruk-turen gesprochen werden kann (vgl. Brandt/Rosengren 1992, 13). Sie sind im Text durch ein hohes Maß interner subordinativer Abhängigkeit gekennzeichnet, so daß die einzelnen Illokutionen in der Regel keine koordinativen Verbände bilden, sondern viel- mehr Hierarchien. Die kommunikative Absicht eines Sprechers wird also zumeist via Reihung von Einzelillokutionen vorgenommen, die miteinander solche übergeordneten Illokutionen konstituieren, denen der Illokutionszweck einer textuellen Handlung entspricht. Mithin realisiert sich der generelle Handlungszweck der Textformulierung über die Bezugsetzung einzelner, spezieller Illokutionen zu diesem übergeordneten Ziel. Bekanntlich sind in der Textlinguistik derartige textdominante Illokutionen, die den Handlungszweck des Gesamttextes realisieren, den "macro-speech acts" (van Dijk 1977, 215) oder dem "global speech-act" (ebd., 238) bzw. dem "dominierenden Handlungstyp" (Motsch/Viehweger 1981, 140) zuzurechnen. Sowohl T. van Dijk als auch W. Mötsch/ D. Viehweger gehen dabei in ihren diesbezüglichen Entwürfen von subsidiären Konstituenten der übergeordneten Sprechakte aus: "We may have sequences of speech-acts, but some of such sequences may be interpreted as one speech act, consisting of several component or auxiliary acts, (van Dijk 1977, 215) "Ein Text wäre somit eine Folge von 1-n pragmatisch verknüpften Sätzen oder Satzkomplexen, von denen ein Satz oder Satzkomplex die kommunikative Funktion des gesamten Textes bestimmt und die übrigen subsidiäre Funktion erfüllen." (W. Motsch/D. Viehweger 1981,140) W. Mötsch/ D. Viehwegers hier formulierte Auffassung der unikalen Realisation des dominanten Sprechaktes über einen Satz bzw. Satzkomplex ist modifiziert in W. Koch/I. Rosengren/M. Schonebohm (1981), wo von mehreren diktiven Handlungen14 ausgegangen wird. Den Entwürfen gemeinsam ist die Modellierung von Sprechaktbzw. Illokutionshierarchien und ihren subsidiären Konstituenten. Die entsprechenden textuellen Strukturen gilt es also zu berücksichtigen, wenn Texte in den Zusammenhang einer funktionsorientierten Erklärung sprachgeschichtlicher Vorgänge gestellt werden. Das Ziel sollte eine korpusbezogene Deskription il-lokutiver Strukturen im beschriebenen Sinn sein, die Antworten zu den historischen Fragen nach dem Zusammenhang von sprachlicher Funktionalität und der jeweiligen Strukturierung von Illokutionen durch koordinative oder subordinative Verknüpfung15 ermöglicht. Im konkreten Vorgehen muß es also darum gehen, die Einzelillokutionen ausgehend von illokutionsmarkierenden Einheiten wie z.B. den Interrogativpronomina, Modalverben und insbesondere den performativen und referierenden Ausdrücken auf dominante Illokutionen zu beziehen. So ist die im Mainzer Landfriedensgesetz von 123516 dreizehnmal wiederholte Formel "Wirfezzen und gebiten" als explizit performa-tiver Ausdruck zugleich Äußerungsform des direktiven Handlungstyps GEBIETEN und 14 W. Koch/ I. Rosengren/ M. Schonebohm (1981, 169) definieren wie folgt: "Die diktive Handlung soll die untereinander zu einer funktionalen Einheit verbundenen Illokutionen umfassen." 15 Vgl. W. Mötsch (1987), der die verschiedenen hierarchischen Ordnungen von textuellen Handlungsplänen an Feststellungstexten untersucht. 16 Mainzer Reichslandfriede. Handschrift W August 1235. Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300. Hg. v. F. Wilhelm. Bd. I, 4W„ 14-17. des deklarativen Handlungstyps IN KRAFT SETZEN. Die Textanalyse ergibt nun, daß eine Vielzahl untergeordneter, da argumentativ subordninierter Sprechakte die direktive Handlung stützen, so daß GEBIETEN als dominante Illokution anzusetzen ist, deren Zweck (illocutionary point) dahingeht, den Textadressaten auf eine zukünftige Handlung festzulegen. Der mit der Promulgation einhergehende deklarative Sprechakt - der zwar die proklamatorische Funktion des Textes indiziert (vgl. E.U. Große 1976, 60) -ist gegenüber dieser Absicht indirekt, denn die Direktion wird hier einfach qua Deklaration vollzogen. Dies ändert nichts am zentralen Illokutionszweck des Textes, der in der Aufforderung an den Empfänger liegt, einer Anweisung Folge zu leisten. Die Dominanz dieses Ziels läßt sich übrigens u.a. auch an der hochfrequenten Verwendung des Modalverbs 'sollen' ablesen: "der richter fal en in die achte tvn der den vride gebrochin hat" (16,26f) "tut des der richter nicht das fal der keifer richten alfe recht ift" (16,43f). Der gesellschaftlichen Funktion des Landfriedensgesetzes, soziale Gegenbenheiten positiv verändern zu wollen, entspricht die beschriebene Relation von Direktiva und Deklarationen vollständig. Wie an diesem Ausschnitt empirischer Analyse bereits erkennbar wird, ist die Beschreibung von illokutiven Dominanzfeldern und der Okkurenz spezifischer Stützungsrelationen unmittelbar auf die Frage nach der funktionalen Differenziertheit einer Sprache zu beziehen. So bedingt eben die volkssprachige Rechtsbildung und damit die funktionale Relevanz des Deutschen für die Formulierung juridischer Normen z.B. pragmatische Potentiale, ohne die eine sachgemäße, überzeugende Aussage nicht möglich wäre. Die Verkündung des Mainzer Reichslandfrieden in deutscher Sprache auf dem Reichstag im August 1235 und das gleichzeitige Existieren einer lateinischen Fassung, "die als amtlicher Text... in staufischer Zeit angesehen und verwendet wurde" 17 (Buschmann 1988, 110) verdeutlicht die funktionale Relevanz des Deutschen im konkurrierenden Verhältnis zum Lateinischen. Bezüglich der Illokutionstruktur historischer Texte des Deutschen sollte es also zunächst darum gehen, Illokutionskomplexe bzw. -Zentren als Nuclei des textuellen Handlungsziels auf eine bzw. einige dominante Illokutionen zu beziehen. Die Textorganisation ist dann darauf zu untersuchen, welche Illokutionsrelationen diese kommunikative Absicht des Textes stützen. Auf diese Weise kann ein wesentliches Submodul der pragmatischen Bedingungen sprachlicher Entwicklung erfaßt werden, wobei in diesem Zusammenhang auch B. Schlieben-Langes (1976, 114) These neu zu überdenken 17 Zu den Problemen der deutschen und lateinischen Fassung des Mainzer Reichslandfrieden vgl. A. Buschmann (1988). R. Schmidt-Wiegand (1992) hat dargelegt, daß vieles dafür spricht, daß die Verdeutschung des Textes "zum Zwecke der allgemeinen Verkündung" (ebd., 355) aufgeschrieben wurde. Daß die vorliegende deutsche Fassung diesem Ursprungstext nicht entspricht, braucht hier nur am Rande vermerkt zu werden, weil es für die Verwendung des Textes im Argumentationszusammenhang dieses Aufsatzes nebengeordnet ist. ist, wonach es "keine universellen sprachlichen Handlungen" gibt, "sondern nur je historisch bestimmte, unterschiedene, konventionalisierte sprachliche Handlungen". 3.3 Propositionsstruktur (ß) Zur illokutionären Rolle eines Textes gehört im funktionalen Verständnis von Texten immer auch eine propositionale Struktur. Diese wird im vorgestellten Konzept mithin auch als zweite Konstituente der pragmatischen Struktur von Texten behandelt. Wie bereits für den strukturbildenden, relationalen Bezug von singulären und textdominanten Illokutionen ausgeführt, ist auch bezüglich der Propositionen eines Textes von hierarchischen Beziehungen auszugehen, die sich aus dem textspezifischen Verhältnis von Einzelpropositionen über Teilinhalte bis zum Textthema ergeben. Entsprechend geht es wie bei der Analyse von Illokutionstrukturen darum, strukturelle Hierarchien für den thematischen Gehalt von Texten aufzudecken, determiniert dieser doch den inhaltlichen Komplexitätsgrad eines Textes bzw. indiziert die zeitgebundenen Strategien zum Konnex von Einzelpropositionen. Wesentliches Ziel ist es dabei, die im textuellen Prädikat-Argument-Verband realisierten Propositionen auf die inhaltliche Makroebene des Textthemas zu beziehen. Dazu werden Propositionen als kleinste Einheiten der thematischen Textebene aufgefaßt (vgl. Koch/Rosengren/Schonebohm 1981, 170) deren Konstituenten Prädikate und valenzgebundene Argumente sind. Solche singulären Propositionen bilden nun i.d.R. mikrothematische Komplexe bzw. Teilinhalte von Texten, die wiederum zusammengenommen den Textinhalt i.S. des auf einen oder mehrere Gegenstände bezogenen Gedankengangs eines Textes bilden. Das Textthema ist dann 1 Q als Kern des Textinhaltes zu formulieren. Wie an dieser Stufung bereits zu erkennen ist, ergibt sich der thematische Gehalt eines Textes nicht immer unmittelbar aus den Relationen einzelner Propositionen. So weisen etwa komplexe Texte, mit denen bei der historischen Analyse gerechnet werden muß, in der Regel nicht nur ein Thema auf, ihr Informationsgehalt ist vielmehr oft heterogen, also durch Komposition von Subthemen bzw. Teilinhalte organisiert. In solchen Fällen ergibt sich der thematische Gehalt eines Textes zwar auch ausgehend von singulären Propositionen, doch entscheidend ist der analytische Schritt über die textuellen Subthemen. Die propositionalen Strukturen von Texten realisieren sich mithin oft als hierarchischer Verbund von Ober- und Nebenthemen. Nochmals am Beispiel des Mainzer Landfriedens von 1235 sei das Verfahren in aller Kürze verdeutlicht: Das Textthema wird hier durch 13 Subthemen realisiert, die ihrerseits teilweise bis zu sieben mikrothematische Komplexe enthalten, die über einzelne Propositionen realisiert sind. Geht man z.B. von den Ausführungen "Von des keifers hoferichtere" (17, 7-34) aus, die thematisch besonders dicht organisiert sind, so ist erkennbar, wie die singulären Propositionen zunächst subthematische Einheiten erster Ordnung bilden: 18 Zu den Termini 'Textinhalt' und 'Textthema' vgl. K. Brinker (1980, 138f). 110 singulare Propositionen subthematische Einheit 1. Ordnung 1 Hof hat Hofrichter Beschreibung des Hofrichteramtes (17,7-19) 2 Hofrichter ist freier Mann 3 Hofrichter ist im Amt 4 Hofrichter sitzt zu Gericht 5 Hofrichter behandelt Klagen 6 Hofrichter richtet allein Diese erste Stufe der Teilinhalte konstituiert wiederum subthematische Einheiten höherer Ordnung, so daß sich eine hierarchische Inhaltsstruktur ergibt, die als Baumgraph darzustellen ist; hier wird nur ein Ausschnitt der Inhaltshierarchie des Mainzer Landfriedens wiedergegeben: etc. Hofgerichtsordnung Gültigkeitserklärung Münzrecht (17,7ff) (16,34ff) (16,19ff) etc. Hofrichteramt Hofgerichtsschreiber (17,7ff) (17,19ff) kaiserliche Zuständigkeit (17,26ff) Amtsbeschreibung Zuständigkeit Befugnisse Schwurgebot Aufgaben (17,7-10) (17,10-12) (17,12-13) (17,14-15) (17,15-18) An der Spitze des Baumgraphen hat das Thema als inhaltlicher Kern der gesamten propositionsbasierten Struktur zu stehen. Dessen Formulierung ist allerdings selten per Transformation von Textaussagen zu leisten, wenn auch evtl. existente Teil- und Gesamtüberschriften die Funktion thematischer Zusammenfassungen haben können. Der hierarchischen Struktur thematischer Substanzen entsprechend, wird in den meisten Texten das Thema nicht explizit genannt. Es ergibt sich in solchen Fällen erst als diskrete Bezugsgröße der propositionalen bzw. teilinhaltlichen Stufung in Folge einer Inhaltsanalyse und ist insofern Produkt eines wissenschaftlichen Prozesses. Da so ermittelte Inhaltskerne je Text neu zu formulieren sind und die thematischen Strukturen weit mehr vom Gegenstand der Textaussagen als von prädeterminierenden Strukturcharakteristika abhängen, wird hier kein formalisiertes Verfahren zur Themenformulierung vorgeschlagen. Hier kann Brinker (1980, 139) gefolgt werden, der für die Bestimmung des Themas als Inhaltskern eine "'mechanische' Prozedur' ..., die nach endlich vielen Schritten automatisch zur Themenformulierung führt", ausschließt. Viel- mehr sollte die Bestimmung des Themas in Abhängigkeit von den singulären Inhaltsstrukturen jeweiliger Einzeltexte erfolgen. Als Bedingung an dessen Formulierung muß lediglich das Prinzip der hierarchischen Dominanz gestellt werden. Ein Thema muß danach immer die subordinierten Inhaltskomponenten dominieren. Ist dies nicht gegeben, weil Teilinhalte nicht als Teilmengen eines Themas zu verstehen sind, muß von einem polythematischen Text ausgegangen werden; mehrere thematische Richtpunkte dominieren dann verschiedene Inhaltshierarchien. Für die Prüfung inhaltlicher Hierarchien, gleich ob mono- oder polythematisch organisiert, muß nun bedacht werden, daß die Analyse ihre Grenzen in der Existenz von thematischen Strukturen hat. Denn Texte weisen durchaus nicht zwangsläufig linearkonstante Themenstrukturen auf, beispielweise können Redundanzen oder kommunika-tionssichernde Formeln etc. für die thematische Substanz irrelevant sein. A. Lötscher (1987) zeigt eine Reihe von Faktoren auf, die Texte als inkohärente thematische Gebilde erscheinen lassen und kommt zu dem Schluß: "Alle diese Überlegungen zeigen, daß es kein sinnvolles Ziel sein kann, jeden Text vollständig mit allen seinen Teilen als vollkommen kohärente thematische Struktur darstellen zu wollen. In einem Text kann nur eine thematische Struktur gefunden werden, soweit er überhaupt eine aufweist." (Lötscher 1987, 232) Es ergibt sich auch aus diesen Aussagen, daß die Verfahren zur Analyse von propo-sitonalen bzw. thematischen Strukturen in jedem Fall offen für die je spezifischen Erscheinungsformen historischer Texte sein sollten. Auf diesem Weg ist die Analyse von gestuften Inhaltsorganisationen empirisch adäquat zu leisten. Die Auseinandersetzung mit Multifunktionalisierungstendenzen in der Geschichte der deutschen Sprache sollte derartige thematische Hierarchieverbünde als historische Kommunikationsverfahren systematisch beschreiben, sind diese doch Beobachtungsfeld für den Entwicklungsstand an thematischer Multifunktionalität. Ebenso wie textspezifische Illokutionsstrukturen als Indikatoren der sprachlichen Verarbeitung von Handlungszielen anzusehen sind, sagt die sprachliche Bewältigung propositionaler Hierarchien etwas über den sachlichen Verwendungshorizont einer Sprache aus. Die thematische Kohäsionen von Teil- bzw. Gesamtinhalten, die thematische Dichte von Texten usw. sind Indikatoren für das kommunikative Funktionieren einer Sprache in einem gegebenen historischen Zustand einer Sprache, ihre Untersuchung ist mithin Bedingung der Möglichkeit von Aussagen zum historischen Prozeß der Multifunktion-alisierung des Deutschen. 3.4 Argumentstruktur Als dritte Konstituente der pragmatischen Organisation von Texten wird hier die Argumentstruktur angesehen. Dabei wird davon ausgegangen, daß subsidiäre Illoku-tionen und subordinierte Elemente des Textthemas in ihrem Bezug zu jeweiligen übergeordneten Hierarchiestellen auch im Funktionszusammenhang von Begründungsstrategien zu sehen sind. Daraufhat I. Rosengren (1987, 181) hingewiesen, die Begründungen als sprachliche Operationen bezeichnet, "die auf den Einheiten des Textes, den IR [illokutiven Rollen] und PS [propositionalen Strukturen] operieren." Ganz allgemein sind Argumentationen immer Verfahren zur überzeugenden Vermittlung eines kommunikativen Anspruches, der durch illokutive Rollen und propositionale Gehalte bzw. thematische Hierarchien realisiert ist. Argumente sollen also immer den Anspruch eines Textproduzenten auf Gültigkeit der von ihm formulierten Aussagen sichern und den Textrezipienten von der Richtigkeit des Gesagten überzeugen. Bedingung der Möglichkeit dazu ist eine sachgemäße Versprachlichung von Argumenten. Steht damit die Notwendigkeit argumentativer Verfahren in Abhängigkeit vom Anspruch, eigene Aussagen zu stützen, so finden sich sprachlich gefaßte argumentative Strukturen natürlich nicht in allen Texten. Ein religiöses Bekenntnis weist z.B. in der Regel keine Argumente für die Gültigkeit der Aussagen auf, wohingegen etwa ein wissenschaftlicher Text i.d.R. substantiell argumentativ ist. Allerdings ist die Okkurenz argumentativer Strukturen nicht an spezifische Domänen gebunden. Das zeigt unter historischer Perspektive gerade die Existenz stringent argumentierender Texte im an und für sich glaubenszentrierten Bereich von Theologie und Religion. So ist es das Ziel vieler scholastischer Texte, den Anspruch auf Wahrheit religiöser Aussagen qua Argument zu sichern. Thomas von Aquin führt etwa in der »Summa contra Gentiiis«19 aus, daß die argumentative Stützung der Existenzbehauptung Gottes, also der Gottesbeweis möglich ist, auch wenn es Theologen gäbe, die allein den Weg des Glaubens und der Offenbarung als Existenzüberzeugung anerkennen: Dicunt enim quod Deum esse non potest per rationem inveniri, sed per solam viam fidei et revelationis est acceptum. 0 Ostenso igitur quod non est vanum niti ad demonstrandum Deum esse, procedamus ad ponendum rationes quibus tam philosophi quam doctores Catholici Deum esse probaverunt.21 Es folgt aus dem Beispiel, daß prinzipiell jede Aussage qua Argumentation gestützt werden kann, argumentative Strukturen mithin potentielle Konstituenten jedes Textes sind. Thomas von Aquins Gottesbeweise werden nun in lateinischer Sprache tex-tuell realisiert. Die Beweisschritte und argumentativen Stützungsrelationen der entsprechenden Texte zeigen das Lateinische dabei als geeignete Sprache für die Handlungsziele des Autors. Betrachtet man vor diesem Hintergrund nochmals die sukzessive 19 Thomas von Aquin: Die Gottesbeweise in der "Summe gegen die Heiden" und der "Summe der Theologie". Text mit Übersetzung, Einleitung und Kommentar herausgegeben von Horst Seidel. Lateinisch-Deutsch. 2., verb, und erw. Aufl. Hamburg 1986. 20 Sie behaupten nämlich, es könne nicht durch die Vernunft gefunden werden, daß Gott ist, sondern dies sei allein auf dem Wege des Glaubens und der Offenbarung angenommen, (ebd., lOf) 21 Nachdem wir also gezeigt haben, daß es nicht vergeblich ist, sich um den Beweis zu bemühen, daß Gott ist, wollen wir zu den Gründen übergehen, mit denen sowohl die Philosophen als auch die katholischen (Lehrer) bewiesen haben, daß Gott ist. (ebd., 14f) Ablösung des Lateinischen in gesellschaftlich zentralen Bereichen durch deutsche Volkssprachigkeit seit dem beginnenden 13. Jahrhundert, so ist davon auszugehen, daß das Deutsche infolge der Multifunktionalisierung zunehmend komplexe fachspezifische Argumentationsstrukturen textuell zu fassen hat. Denn die Multifunktionalisierungsten-denzen des Deutschen seit dem 13. und 14 Jahrhundert bedingen die volkssprachige Realisierung argumentativer Stützungen von Aussagen. Gerade die Ausweitung des Deutschen im gesellschaftlich zentralen Rechtsbereich - der im übrigen auch heute noch substantiell durch argumentativ dichte Texte repräsentiert ist - deutet darauf hin. Die Textanalyse zeigt, daß manche frühen volkssprachigen Fachprosatexte tatsächlich argumentativ differenzierte Strukturen aufweisen. So kann davon ausgegangen werden, daß die sprachliche Realisierung argumentativer Strukturen eine der Folgen von Entwicklungstendenzen zur Multifunktionalität ist: Eine Sprache, mittels derer nicht komplex argumentiert wird, ist kommunikativ nur sehr eingeschränkt verwendet. Mithin ist eine Analyse der sprachlichen Verarbeitung von Argumenten unabdingbarer Bestandteil der auf Multifunktionalisierungstendenzen gerichteten historischen Textlinguistik. Bevor auf die Elemente und Relationen solcher Strukturen einzugehen ist, soll kurz auf den Zusammenhang zwischen Argumenten und Sprechaktklassen eingegangen werden. Im engen Verständnis von 'Argumentation' bezieht sich die Stützung von Aussagen auf Repräsentativa, insbesondere auf Assertionen. Deren Akzeptanz, d.h. das Wissen um Gültigkeit setzt immer eine Argumentation voraus. Das heißt jedoch nicht, daß Argumentationen nur zur Stützung von Behauptungen fungieren können. In einem weiteren Verständnis von 'Argumentation' weisen insbesondere auch direktive Sprechakte argumentative Stützungsstrukturen auf. So muß auch eine Anordnung generell begründbar sein, sie hat nur auf der Basis von Begründungen überzeugende Gültigkeit und erreicht oft nur ihr Ziel, wenn entsprechende Argumente ihren Anspruch rechtfertigen: A: "Spring aus dem Fenster!" B: "Warum?" A: "Es ist die einzige Möglichkeit dein Leben zu retten, das Haus brennt." Bei fehlender Begründbarkeit sind Direktiva immer anfechtbar. Damit sind argumentative Strukturen also hier als Konstituenten von Texten mit unterschiedlichen dominanten Illokutionen gekennzeichnet. Was nun die Beschreibung der Elemente und Relationen von textuell präsenten Argumenten angeht, zeigt sich das aristotelische Syllogismusmodell [Prämisse 1/ Prämisse 2 => Konklusion] als ungeeignet für die Deskription textueller Argumente, ist deren Struktur doch oft komplexer. Benötigt wird ein Argumentationsmodell, das die hierarchische Stufung subsidiärer Elemente bei der Begründung von Aussagen berücksichtigt. Ein solches - das haben u.a. K. Brinker (1983) und insbesondere L. Huth (1975) aufgezeigt - liegt mit St. Toulmins (1975) sechsstufigem Argumentationsmodell vor. Geht St. Toulmin auch von der argumentativen Stützung von Repräsentativa aus, so folgt aus dem bereits Gesagten, daß seine hier als bekannt vorausgesetzten Argumenta-tionspositonen mutatis mutandis auch auf andere Sprechaktklassen übertragbar sind. Was St. Toulmin daher über die Gültigkeit von Behauptungen sagt, ist z.B. auch auf Direktiva zu beziehen: "Wie bei einem Rechtsspruch hängt die Tauglichkeit des Geltungsanspruchs einer Behauptung ab von der Tauglichkeit der Argumentation, die man zu seiner Stützung vorbringen könnte -..." (Toulmin 1975, 17) Für die Auseinandersetzung mit den Folgen von Multifunktionalisierungstenden-zen ist dieser Aspekt deshalb so wichtig, weil eine Auswirkung der Multifunktionalität von Sprache die Existenz von sprachlichen Mitteln für die angemessene Architektur von Begründungszusammenhängen ist. Daß Toulmins Argumentationslayout dabei geeignet für die empirisch orientierte sprachgeschichtliche Arbeit ist, sei an einem letzten Beispiel verdeutlicht. 22 Der Mainzer Landfrieden spricht eine generelle Verpflichtung zur Zeugenschaft in Angelegenheit des gebotenen Generationenfriedens aus (15,1 Iff), die richterlich erzwungen werden kann (14,38f). Diese gesetzliche Bestimmung ist entsprechend der bereits erwähnten Sicherung des gebotenen Vollzugs von Direktiva durch Daten, Schlußregeln, Operatoren etc. gestützt und entspricht exakt St. Toulmins Argumentationspositionen. Der argumentative Anspruch ist dabei die Anordnung der generellen Zeugenpflicht, die der aristotelischen Konklusion [K] entspricht. Als argumentative Daten [D] führt der Mainzer Landfrieden ex negativo an, daß fehlende Zeugen eine Verurteilung verbieten (14,20ff). Dieses Argument ist im Text als Ausnahmebedingung einer weiteren, im folgenden noch beschriebenen Argumentation realisiert. Das argumentative Datum stützt die Konklusion aufgrund einer Schlußregel [SR], wonach Straftaten aufgrund von Zeugenaussagen zu bestrafen sind (14,20ff). Die argumentative Stützung [S] dieser Schlußregel ergibt sich aus dem Gesetzescharakter des Mainzer Landfriedens (14,1 lf). Dem entspricht der modale Operator »notwendigerweise«, der durch die Ausnahmebedingung des Schwurs eigenen Nichtwissens (14,39f) relativiert ist. Die Argumentation lautet also: Da bei Fehlen von Zeugen die Verurteilung einer Straftat verboten ist [D], denn Straftaten gelten entsprechend der gesetzlichen Regelung [S] nur aufgrund von Zeugenaussagen als bewiesen [SR], besteht notwendigerweise [O] eine generelle Verpflichtung zur Zeugenschaft [K], es sei denn, ein Schwur des Nichtwissens entbindet davon [AB]. Die nachfolgende Darstellung zeigt das entsprechende Argumentationslayout nach Toulmin, wobei die graphische Darstellung zu erkennen gibt, daß das Datum dieser Argumentation als Ausnahmebedingung einer weiteren Ar- 22 vgl. Fußnote 16. gumentation realisiert ist. Diese nennt als Datum [D] den Fall, daß ein Sohn seinen Vater getötet hat (14,28ff) woraus entsprechend der Schlußregel [SR] - jeder Sohn der seinem Vater nach dem Leben trachtet ist gesetzlos (14,32f)- aufgrund der Stützung [S] des geltenden Rechts (14,1 lf) durch den Operator [O] »notwendigerweise« vermittelt die Konklusion [K] folgt, daß der Sohn gesetzlos ist (14,32), es sei denn, es greift die Ausnahmebedingung [AB] fehlender Zeugen (14,20ff) zum Beweis der Straftat. An dieser Argumentation ist deutlich zu erkennen, daß bereits in frühen volksprachigen Fachprosatexten die argumentative Struktur komplexer als ein Syllogismus sein kann. Der Text argumentiert eben nicht nach dem Muster "Jeder Sohn der seinen Vater tötet ist gesetzlos/ Sohn hat seinen Vater getötet => Sohn ist gesetzlos". Vielmehr wird der Modus Ponens Sohn hat Vater getötet (p), wenn Sohn Vater getötet hat dann ist er gesetzlos (p —> q), also ist Sohn gesetzlos (I—q). durch die Stützung des geltenden Rechts sowie durch Operator und Ausnahmebedingung ergänzt. Überdies zeigt die Darstellung die gestufte Konnexion verschiedener Argumentationen. Allerdings entspricht der argumentative Aufbau nicht der Linearität des Textes, der durch ein hohes Maß an Verweisen gekennzeichnet ist. Anaphorische Formulierungen wie "... wirt he des vor fime richtere vorzuget alfe hi vor gefcribin if t..." (14,30ff) oder "... an allen difen fachen di hi vor gefchribin fint..." (15,11) bzw. kata-phorische Hinweise wie z.B. "Dis recht ist do von das fich nimant felbe reche" (15,28) sind dabei ein Mittel der Textkomposition. Die Darstellungen des Argumentslayouts von Texten sollte demzufolge nicht als Textpartitur gelesen werden, denn die rekonstruierten Argumentationsstrukturen entsprechen nicht zwangsläufig der linearen Textgestalt. Sohn hat Vater getötet (D) — notwendigerweise (O) ■ Sohn ist gesetzlos (K) Wer seinem Vater nach dem Leben trachtet ist gesetzlos (SR) aufgrund des gesetzten Rechts (S) Zeugen fehlen (AB) fehlende Zeugen verbieten Verurteilung (D) Straftaten gelten nur durch Zeugenaussage als erwiesen (SR) aufgrund des gesetzten Rechts (S) notwendigerweise (O) - Schwur des Nichtwissens es besteht eine generelle Verpflichtung zur Zeugenschaft (K) Derartige komplexe juristische Argumentationsstrukturen in frühen deutschsprachigen Fachprosatexten sind also ebenso eine Folge der funktionalen Ausweitung des Deutschen auf den gesellschaftlich fraglos zentralen Rechtsbereich, wie die textuelle Realisation von komplexen, meist direktiven Illokutionen und der pro-positionsbasierte, thematische Bezug von Texten auf rechtliche Gegenstände bzw. Sachverhalte. Es sollte deutlich geworden sein, wie die damit bestimmten universalpragmatischen Textkonstituenten als historisch variable Größen in der Geschichte des Deutschen in Abhängigkeit von Mukltifunktionalisierungstendenzen ausgebildet sind. Illokutionen, Propositionen und Argumente sind natürlich der Möglichkeit nach überzeitliche Strukturcharakteristika aller Texte, doch stehen sie eben im Bedingungsfeld sprachgeschichtlicher Prozesse, womit der Text über seine universalpragmatischen Konstituenten im Kontext jeweiliger textexterner Bedingungen zu sehen ist; dies ist im vorgestellten Analysemodell durch die Typisierung des pragmatischen Kontextes berücksichtigt. Soweit der Abriß zum Konzept eines kommunikationsorientierten Verfahrens zur Analyse historischer Texte. Von den anfangs dargestellten drei Desideraten textorientierter Sprachgeschichtsschreibung bleibt damit nur noch etwas zur Frage nach dem Zusammenhang der Ausbildung eines Textbereiches und der Konstituierung der nhd. Kultursprache zu sagen; dies kann abschließend nur in aller Kürze geschehen. Für die Herausbildung von Multifunktionalität kommt dem Rechtsbereich besondere Bedeutung zu, das haben die vorangehenden Beispiele bereits andeuten können. Nicht nur, daß wir hier die ersten volkssprachigen Fachprosatexte finden, darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, daß die präskriptive Steuerung von Rechtsnormen auch sprachlich normierend wirkt, denn die dem Rechtsbereich eigene Intention, verbindliche Reaktionen beim Kommunikationspartner hervorrufen zu wollen, setzt explizite sprachliche Handlungsmuster voraus. Neben dieser qualitativ herausragenden Stellung der Rechtstexte spricht ein quantitatives Argument für eine textlinguistisch fundierte Analyse von Rechtsquellen: Rechtstexte bilden den größten spätmittelalterlichen Textblock, das funktionale Inventar der Rechtsquellen ist damit als zentrale Größe im Prozeß der Funktionsdifferenzierung des Deutschen anzusetzen. Es spricht somit einiges dafür, den eingangs beschriebenen Praxis-Theorie-Bruch der historischen Textlinguistik u.a. dadurch zu überbrücken, daß für den Rechtsbereich eine exemplarische Analyse der durch die Multifunktionalisierung des Deutschen bedingten Texte entsprechend der vorgestellten Konzeption in Angriff genommen wird. Bei einer derartigen empirischen Analyse ist dann sicherlich mit heuristisch bedingten Modifikationen des dargestellten Modells zu rechnen. LITERATUR Admoni, Wladimir G. (1990), Historische Syntax des Deutschen. Tübingen. Besch, Werner / Reichmann, Oskar / Sonderegger, Stefan [Hg.] (1984/85), Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 2 Bände. Berlin/New York. Betten, Anne [Hg.] (1990), Neuere Forschungen zur historischen Syntax des Deutschen. Referate der Internationalen Fachkonferenz Eichstätt 1989. Tübingen. Brinker, Klaus (1980), Textthematik als spezifisch textlinguistischer Forschungsbereich. in: W. 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Zwischen den ersten zwei Versen kann es zu einer Zäsur kommen; dann entsteht zu den nächsten beiden Sätzen klarer ein konsekutives und ein adversatives Verhältnis. Auch zwischen dem dritten und dem vierten Vers kann man ein kopulatives und ein Zwei Aussagesätze, der zweite elliptisch zato(deswegen), in(und), toda(aber) toda(aber), zato(deswegen), in(und) zato (deswegen) konsekutives Verhältnis annehmen. Eine Folge ist immer mit einer Ursache verbunden, beides ist eine logische Einheit. Das komplexe inhaltliche Verhältnis ist in der deutschen Übersetzung im syntaktischen Bau zwar wirklich sehr ähnlich wie im slowenischen Gedicht, aber nur bis zum dritten Satz. Auch da könnte man zwischen dem zweiten und dritten Satz von einem kopulativen oder von einem konsekutiven Verhältnis sprechen. Aber dann kommt plötzlich die eingeschobene elliptische Frage und die kurze Verneinung mit der Abtönungspartikel: Auch ruhig glücklich? Nein. Der letzte Satz ist dann wieder eine Folge, die aber formal nicht mit einer Konjunktion der konsekutiven Parataxe eingeleitet wird, sondern mit einer Interjektion -einer Partikel. Diese und die beiden kurzen Bildungen (Frage mit Ellipse, Verneinung mit der Abtönungspartikel) zerstören zwar ein wenig den Rhythmus, wenn man das Gedicht rezitiert, den gedanklichen Rhythmus beleben sie aber. Es ist eine plötzliche kurze gedankliche Gliederung eingeschoben. Dieses rhetorische Mittel spricht von der intellektuellen Rolle der deutschen Sprache beim Dichter. Er hatte ja die Schulbildung in deutscher Sprache erhalten, Slowenisch gab es bei ihm als Unterrichtsfach. Das Studium der Rechtswissenschaften absolvierte er auch nur in deutscher Sprache. Man spürt etwas vom juristischen Hauch in der plötzlichen Frage und in der kurzen Antwort. Es ist aber sofort wieder die Gefühlsregung da, mit einer Interjektion eingeleitet, die den tiefsten Wunsch bekräftigt. Im ersten und zweiten Vers gibt es in der deutschen Übersetzung außer dem Hilfsverb sem (habe) keine einzige Wortart des slowenischen Originals. Das ist eine Übertragung in eine Satzstruktur mit einer neuen Wortwahl und Wortstellung. Man könnte das eine Umschreibung, sogar eine Deutung nennen. Das Wort Lebewohl als ein Abschiedsgruß (eine Grußformel), aber nicht direkt in einer Kommunikation gebraucht, ragt ein wenig aus dem Kontext. Vielleich hat der Dichter im dritten Vers auch deswegen das slowenische Wort prazno (leer) mit dem deutschen Wort/rei übersetzt. Dieses klingt im ersten Moment als eine größere Entlastung, aber nach der adversativen Satzstruktur mit zwei elliptischen Fragesätzen, wo die beiden Prädikatsadjektive ruhig, glücklich und die sofortige kurze Antwort Nein folgen, was alles vom seelischen Ringen zeugt, wird das Wort frei schon vor der Verneinung negiert. Das klingende Prädikatsadjektiv frei ist also nicht die Feststellung einer solchen Lage, daß der Dichter alles vergessen hätte und nun glücklich wäre, sondern es schließt sich der ganze komplexe Satz mit seinen Aussagen dem slowenischen Wort prazno adäquat (leer - in dem Fall nicht glücklich leer) an, was sofort mit dem adversativen Satz bestätigt wird. Auffallend ist im letzten Satz der Konjunktiv, der unmittelbar der Interjektion folgt. Einerseits spielt er die Rolle des akustischen Eindruckes mit dem langen ö, anderseits ist damit die sprachliche Information, die im Slowenischen mit dem Verb želi im Indikativ (wünscht) ausgedrückt ist, zustande gekommen. Es wäre im Deutschen un- möglich, dieselbe sprachliche Struktur zu bilden, weil dann die Silbenzahl und der Rhythmus, das Metrum im Vergleich mit dem Original noch zerhackter wirken würden. Das Wort Hoffnung hat gegenüber dem slowenischen Adäquat up drei Silben. Auch das Syntagma nazaj si želi ist im Vergleich mit dem entsprechenden deutschen Syntagma, wenn dieses gebraucht worden wäre (wünscht sich zurück), kürzer, was die Laute betrifft 11 : 13. Gewiß ist aber der Gebrauch des Konjunktivs in diesem deutschen Vers bei Prešeren auch eine Sache des intellektuellen Bereiches, weil der Konjunktiv im Deutschen von den einfachen Leuten im süddeutschen Sprachraum nicht so oft gebraucht wird. Im Slowenischen gibt es den Konjunktiv als eine besondere grammatische Form nicht, die sprachlichen Mittel für den Ausdruck einer Möglichkeit, eines Wunsches, einer Bedingung, eines Zweifeins im weitesten Sinne sind anders. Prešeren hat im slowenischen Gedicht ein reflexives Verb als ein semantisches Mittel gewählt (želi si = wünscht sich), in der deutschen Übersetzung steht dafür ein grammatisches Mittel des Modus. Solche Mittel hat er in der Schule erworben. Überwiegende Ausdrucksweisen: Prosto srce verbal 2. upal se bal habe gehofft habe mich gefürchtet slovo upu strahu nominal der Hoffnung der Furcht Abschied gegeben 4. 1. 2. 3. 4. srce je —> ni —> das Herz ist ist nicht up strah die Hoffnung die Furcht verbal (Prädikatsadjektive) si želi nominal am Herzen hab'ich das Herz ist zögen Hoffnung Lebewohl —» Nein Hoffnung Das freie Herz Furcht ("lebe wohl") gesagt Furcht ein nominal verbal verbal (Prädikatsadjektive) nominal Wir sehen da die gleiche Zahl von Sätzen mit überwiegend nominaler und überwiegend verbaler Ausdrucksweise, jedoch sind sie in einer anderen Reihenfolge gegliedert. Die typischen Vorgänge und die typischen Zustände (seelische Vorgänge) werden in den beiden ersten Zeilen wechselseitig verbal-nominal, nominal-verbal ausgedrückt, in den beiden letzten bleibt aber die gleiche Reihenfolge. Im letzten Vers ragen die beiden konträren seelischen Zustände wie Antonyme heraus. Damit bekommen sie eine sehr starke inhaltliche Betonung, werden als die wesentlichen Elemente der Aussage noch besonders deutlich. Es können zwar kleine Abweichungen im Metrum und Rhythmus bei den einzelnen Lesern vorkommen. Im Original ist das kaum möglich. Etwas mehr Möglichkeiten gibt es in der Übersetzung. Aber auch da nicht allzuviele. Der Abschiedsgruß (hier nominal - das Lebewohl oder verbal - "Lebe wohl" empfunden) kann wegen einer starken adversativen Einleitung auch stärker, vielleicht besonders stark betont werden. Auch das vorangehende Hilfsverb hab und das Zahladjektiv beiden können einen stärkeren dynamischen Akzent tragen, damit kommt nämlich der plötzliche Gegensatz, der starke Entschluß ganz besonders deutlich zum Ausdruck. Die Ikten müssen besonders stark in den Wörtern frei, ruhig, Nein! gefühlt und ausgedrückt werden. Das Ganze wirkt wie ein tiefes Stöhnen, ein gedämpftes Aufschreien. Der letzte Vers ist rhythmisch und metrisch gleichmäßiger; als wäre der Dichter nach dem dramatischen Abbrechen mit den ständig sich wechselnden Gefühlen der Liebe, der Hoffnung, der Angst zur Einsicht gelangt, daß es doch besser ist zu fühlen als entleert zu sein. Er drückt nun diese reife Erkenntnis mit klaren, bedachten, sich aussöhnenden Gefühlen und Gedanken aus. Der slowenische Literaturwissenschaftler Anton Slodnjak, ein Prešeren-Spezialist, charakterisiert Prešerens deutsche Übersetzung dieses Gedichtes (Mottos) mit den folgenden Bemerkungen: "Im Vergleich mit der elegischen Melodie des Originals ist die Übersetzung dramatischer und un- 28 ruhiger bewegt." Schlußbemerkungen Die deutsche Übersetzung wirkt intellektueller, das Original ist natürlicher, unmittelbarer, geläufiger. Die Begriffe natürlich und intellektuell sind aber keine Werturteile, bedeuten auch nicht immer etwas Einfaches, Primitives und etwas Höheres; in der Kunst schon gar nicht. In einem Motto wie dieses, wo es gedankliche und gefühlsmäßige Äußerungen gibt, kommt es bei der Übersetzung, die immer zusätzliche gedankliche Anforderungen verlangt, zu vielen wechselseitigen Wirkungen. Wenn man die sozio- und psycholinguistisch anders erworbenen Sprachen bei vielen Menschen erforscht, spürt man sehr oft unterschiedliche Kompetenzen in der Alltagssprache. Zu einem kommunikativen Schaden kann es aber nur kommen, wenn ein Partner eine starke Diglossie mit Restringierungen in einer Sprache aufweist, besonders wenn beide Partner durch verschiedene Vorurteile geprägt sind. 28 France Prešeren. Pesmi in pisma. Redigiert von Anton Slodnjak. Ljubljana. Mladinska knjiga 1960, S. 279. Ein viel schlechteres Beherrschen der Zielsprache kann zu schlechten oder falschen Übersetzungen führen. Aber es ist beim Übersetzen sogar wichtiger, daß man die Muttersprache gut beherrscht. Prešeren hat beide Sprachen hervorragend beherrscht, wie das alle seine Schriften und seine Biographie beweisen. Auf eine besondere Art auch dieses Motto. Auch der Leser muß beide Sprachen gut kennen, dazu noch die historischen und die sozialen Umstände, aus denen die sprachlichen Kompetenzen und Handlungen zu verstehen und zu bewerten sind. Im Kunstwerk muß der Leser, wenn er das Werk besser verstehen und erleben will, auch den individuellen künstlerischen Stil, der aus vielen Werken (Gedichten) eines Autors zu ergründen ist, gut kennen. Die Rezeption eines Kunstwerkes ist zwar bei jedem Leser anders, aber pauschale Werturteile überzeugen nicht. Wissenschaftliche Analysen vermeiden sie. Wir haben die sprachliche Charakterisierung der deutschen Fassung des hier behandelten Mottos von Prešeren, wie sie der brillant zweisprachige große Literaturwissenschaftler Anton Slodnjak ausgedrückt hat, schon erwähnt. Slodnjaks Kennzeichnung kann man auch als eine Rezeption betrachten. Umfangreicher, mit vielen analytischen philologischen Details, hat diese Studie einen Vergleich zwischen den beiden Texten zu ziehen versucht. Unterschiede gibt es trotz Prešerns koordinierter Zweisprachigkeit ohne Diglossie im sprachlichen künstlerischen Ausdruck dieses Mottos doch. Einige psychische und soziale sowie intellektuelle Einflüsse auf die sprachlichen Äußerungen in der Kompetenz von Prešeren sind auch in den künstlerischen Werken ersichtlich, ohne daß der künstlerische Wert verlorenginge. Eine Art Diglossie zwischen den beiden Sprachen zeigt Prešeren damit, daß er in der deutschen Fassung eine schärfere intellektuelle Gliederung gewählt hat. Aber die psychische, gesellschaftliche, materielle Lage Prešerens war ja bei seiner großen Liebe und bei allen Hoffnungen nicht nur vom Gefühl geprägt, sondern auch eine objektive soziale Wahrheit, was analytische-intellektuelle Elemente auslöste. Das wird aber nicht direkt ausgedrückt, sondern mit den Schilderungen der seelischen Vorgänge, in der die objektiven Verhältnisse mitklingen. Von diesen Verhältnissen und von den vielen Ausbreitungen und Details der damit verbundenen Gefühle erfährt der Leser in den folgenden Gedichten des ganzen Bandes, dessen Motto das hier behandelte Gedicht ist. Von der Übersetzung hört man bisweilen, daß das Wort genagt zu prosaisch klingt. Aber diese Kritik kann man auch mit der These von den stärker ausgedrückten dramatischen Elementen widerlegen. Auch das Wort Lebewohl klingt wie ein unmittelbarer Dialog in einer dramatischen Situation. Dann grübelt der Dichter, ringt mit sich selbst, er kommt zu einem Entschluß, ergibt sich nicht in der Entleerung, gerät nicht in eine Resignation, sondern trachtet zumindest nach einer neuen Aktivität, nach der Veränderung der Lage. Auch das ist etwas Intellektuelles und Dramatisches. Wie dem Dichter diese Veränderung gelang oder mißlang, wissen wir aus seiner Biographie. Jedenfalls geriet er innerlich und äußerlich in eine schwierige Lage, wollte aber im geistigen und psychischen Bereich sowie sonst im Leben noch sehr aktiv bleiben. Es ist ein Entschluß, für die seelischen Aktivitäten noch zu ringen, ob es gelingt oder nicht. Kein gänzlicher Zusammenbruch oder Tod sind schon da. Man lebt weiter, mit viel Verlust, doch mit der Hoffnung, wieder hoffen zu können, wieder etwas vom volleren Leben in sich zu wecken, einfach weiterzuleben. Jedenfalls bezieht das alles auch etwas mehr gedankliche Elemente in den deutschen Aussagebau ein. Der slowenische Aussagebau enthält bei Prešeren lexikalisch denotativ und konno-tativ Semanteme aus der allgemeinen europäischen und aus der slowenischen volkstümlichen Kultur, die ein Teil der europäischen im alpinen und subalpinen Raum ist, aber so, daß der Dichter seine individuell geprägte Metaphorik schuf und den eigenartigen Stil fand. Das Original dieses Mottos ist wirklich elegischer, zarter. Als würde der Dichter immer wieder in die Sprache seiner Jugend mit den Gefühlen der frühen Liebe, mit dem Klang der dörflich gehobenen Sprache, die ihn mit der schönen Natur verband, wo Menschen lebten, mit denen er intimer fühlte, wo es für den Dichter noch keine größeren sozialen, intellektuellen Konflikte gab. Das spätere intellektuell reiche Leben bereicherte aber diese elementare Ausdruckskraft. Musikalischer sind die slowenischen Verse, der Dichter hat ja die Muttersprache auch mit einem elementaren Klang, in Verbundenheit mit dem Heimatort und der herrlichen Umgebung (die er oft besungen hat), mit den nächsten Verwandten, mit der Mutter empfunden. Es war aber nicht nur Melodie, auch Erwägungen als gedankliche Elemente gab es immer auch auf dem Lande, in der Familie Prešeren. Auf den ersten Blick waren sie kärglicher, aber desto unmittelbarer, prägnanter, trefflich bildhaft auch in alltäglichen, jedoch immer intensiv erlebten innerlichen und äußerlichen Situationen. Das alles spürt und erfaßt man im Original dieses Gedichtes und in vielen anderen slowenischen Gedichten Prešerens. Gespräche mit Einschiebseln von Erwägungen, mit Fragen und Antworten, mit Schlüssen kennen auch die einfachen Leute. Oft werden dafür Sprüche und Textteile, auch Gedichte verwendet, etliche aus dem Volksmund, aus der religiösen und weltlichen Lektüre übernommen. Auch spontane selbständige, immer wieder neu geschaffene sprachliche Äußerungen gab es und gibt es auf dem Lande. Zur Zeit Prešerens war das geistige Leben auf dem Lande noch viel reger. Die meisten slowenischen Intellektuellen kamen vom Lande. All das spürt man im Original dieses Mottos und in der Übersetzung von Prešeren, als Folge der intensiven Erlebnisse, der Belesenheit und der Reife seiner damaligen Al- tersstufe. Besonders in der Übersetzung bemerkt man die Belesenheit des Dichters, das sprachliche Kommunizieren mit Intellektuellen in deutscher Sprache. Die deutsche Fassung des Mottos muß man wirklich als eine Übertragung betrachten. Nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern auch in einer komplexen situativen Hinsicht. Es handelt sich gleichzeitig um eine Adäquanz und um ein Komplement. Eine Einheit in Parallelen, die von einem reichen Kern ausgehen und konvergent zu einem Kern führen. Povzetek PREŠERNOV LASTNI PREVOD KASNEJŠEGA MOTA PROSTO SRCE (DAS FREIE HERZ). MATERINŠČINA IN DRUGI JEZIK V PESNIŠKEM KONTEKSTU Pesniški jezik je vedno grajen iz strukturalnih prvin jezika. Res gre za posebno organizacijo jezika in za različne konotacije, vendar so v vseh jezikovnih variantah in zvrsteh v taki ali drugačni meri ter obliki izražene čustvene, intelektualne in retorične prvine. Pri ustvarjanju besedila je treba graditi enote hierarhične stopnje v dimenzijah jezikovnega zaporedja. Tudi vzporednost igra pomembno vlogo. Čeprav je težko vzdržati popolnoma enotne strategije za različne besedilne zvrsti, je vendarle možno najti besedila, kijih lahko razvrstimo po tipologiji. Pri pojmu moto najdemo v virih včasih enačenja s pojmi vodilni motiv, volilo, epigram, sentenca, geslo ipd. Vsekakor pa gre pri motu, pa najsi ga obravnavamo kot posebno besedilno zvrst ali ne, za besedilni tip s komunikacijskim horizontom namena. Vsebuje kratko sporočilo, stališče, čustvo, kar naj vnaprej karakterizira besedilo (prozno ali pesniško), ki sledi. Za vsako jezikovno komunikacijo, za recepcijo literarnega besedila še posebej, velja, da mora komunikacijski partner poznati pravila (jezikovni sistem) jezika, v katerem piše pesnik ali pisatelj, nekatere zunajjezikovne dejavnike iz socialnih in psiholoških položajev pesnika in (če obstajajo) oseb, o katerih piše, tudi odnose do sveta in moralne kodekse pa še nekaj drugih življenjskih podatkov o pesniku. Vse to mora recipient poznati, če hoče dobro razumeti literarno delo. V umetniški komunikaciji pa se seveda lahko ob recepciji v bralcu pojavijo specialni kodi, ki omogočijo interpretiranje sistema znakov, ki niso vnaprej kodirani. Vendar je vedno treba obvladati temeljni sistem znakov, pri prevajanju dva sistema znakov. Pri prevajanju pesmi obstaja že od davnega dilema, ali naj prevajamo tako, da dobimo kar najbolj verno besedno in stavčno zvezo, se pravi, da bralec takoj spozna izvirnik (to imenujejo nekateri strokovnjaki "učeni prevod"), ali pa prepesnimo pesem tako, da dobimo ton in sugestivno estetsko moč izvirnika tudi z drugačnimi jezikovnimi strukturami (to imenujejo "pesniški prevod"). Prešeren je uporabil v svojem prevodu pesmi (mota) Prosto srce oba principa, vendar daleč prevladuje pesniški princip. Pri natančni analizi opazimo, da obstaja tudi v prevodu miselno-izpovedni sistem izvirnika, ki se kaže v menjavanju prevladujočega samostalniškega ali glagolskega izražanja, kjer so zajeti vsi temeljni pojmi pesnikovega duševnega stanja, povezani s socialnim, čustvenim in intelektualnim ozadjem v odnosu do Julije. Prejšnje in novo duševno stanje kaže v opozicionalnem zaporedju še vedno dinamiko, željo po duševno bogatem življenju. V vsem besedilu je čutiti kljub mirnim tonom verzov določeno napetost, tudi dramatičnost. Več slednje začutimo v nemškem prevodu, medtem ko je v izvirniku več elegičnosti. Prevod ima več ostrih cesur, modalnih členkov, ki ustvarijo bolj razsekan ritem, dajejo več miselnih ostrin in dramatičnosti. Tudi v dialoškem smislu izraženo slovo od preteklega trpljenja (čeprav ne direktno v dialogu), dve vprašanji in ostro zanikanje dajejo prevodu več dramatičnosti. Zadnji verz pa kaže z uporabo nemškega glagola v konjunktivu, ki ima posebno zvočen korenski samoglasnik in ki mu je Prešeren dodal še medmet Ach, posebno žalost in globoko željo po vrnitvi bolj polnega duševnega življenja. Tako deluje prevod kot nekakšen komplement ali paralela izvirnika z istim izhodiščnim jedrom in konvergenco v isto jedro. Jezikovno je pri tem opaziti bolj tekoč, naravno občuten, na prvotno intimno socialno in zemljepisno okolje vezan jezik izvirnika. Pri tem sta lepo vidna vloga in moč materinščine (jezika prve socializacije). Zametke umetniškega izražanja v materinščini najdemo pri Prešernu že pred objavo pesmi. Po B. Paternuju jih kaže tudi pismo staršem iz 1. 1924. V vsem se zrcali tudi Prešernov stik z dotedanjo slovensko književnostjo. Nemški jezik je bil Prešernu jezik študija in širših komunikacij v srednjeevropskem prostoru, tudi komunikacij z evropsko in svetovno književnostjo. Izdelanost standardne nemščine je obvladal Prešeren v vseh izraznih tančinah. Intelektualne prvine in strokovno izražanje, tudi v književnih teorijah, je bolje obvladal v nemščini. Globoka lirična izpovedna moč pa je večja v slovenskih pesnitvah. V tem se tudi zaznava vloga jezika prve socializacije in drugega jezika. A tudi v slednjem je zaradi vseh življenjskih okoliščin Prešernovo izražanje dovolj močno. Na trenutke je enako slovenskemu, v nekaterih prvinah zaradi kompetence in duhovne podobe uporabnikov ter Prešerna samega semantično in slovniško strukturalno izjemno izdelano. Sama različnost prvin ob poglobljeni analizi ne daje povodov in pravic za pavšalne vrednostne sodbe, take, ki slone na individualnih vtisih. Razlike v recepciji pa obstajajo vedno. Poznavanje psiho-, socio- in etnolingvističnih vidikov (pri tem tudi geneze slovenskega jezika) omogoči boljše razpoznavanje razlik med obema jezikoma pri Prešernu in nam odpira tudi dodatne poglede na dejstva in fenomen velike umetniške moči Prešernovih slovenskih pesmi, a tudi dovoljšnje moči nemških pesmi. Željka Matulina Universität Zadar UDK 801.316.6:659.1:801.73 PARÖMIE ALS TEXTORGANISATORISCHES MITTEL 0. Einführung Ausgewählte Werbetexte aus zehn verschiedenen deutschen, österreichischen und kroatischen Zeitungen und Zeitschriften werden einer Analyse unterzogen, die Antworten geben auf die Fragen: (1) Wo im Kontext der Werbung werden Parömien eingesetzt? (2) Wie werden sie dort gebraucht? Es konnte festgestellt werden, daß parömische Mittel eine wichtige stilistische und textorganisierende Funktion haben. Die Parömie wird zumeist variiert, d.h., weniger in der originalen Version gebraucht. 1. Das Ziel der Untersuchung Aufgrund der parömiologischen Untersuchungen an verschiedenen deutschen, österreichischen und kroatischen Zeitungen in den letzten 7 Jahren hat sich herausgestellt, daß die beliebtesten Bereiche für den Gebrauch von parömischen Mitteln in der Zeitung die Politik, die Werbung und der Sport sind.1 Während in den untersuchten kroatischen Zeitungen die meisten Parömien im Kontext der Politik und des Sports vorkommen, ist die Werbung der beliebteste Kontext für die deutschen Parömien. 1 Vgl. folgende Arbeiten: Wolfgang Mieder (1979): "Sprichwörtliche Schlagzeilen in der Wochenzei-Üing". in: Muttersprache, XXXVIII, S.93-105; Wolfgang Mieder (1973): "Verwendungsmöglichkeiten und Funktionswerte des Sprichworts in der Wochenzeitung", in: Muttersprache, LXXXIII, S.89-119; Željka Matulina (1991): "Upotreba poslovica u sportskim novinama s hrvat-skog ili srpskog I njemačkog govornog područja". in: Novi Sad, S.216-224; Željka Matulina (1991): "Sprichwörter in Artikelüberschriften der 'Slobodna Dalmacija' und einiger vergleichbarer österreichischer Tageszeitungen", in: Znanstvena revija, 1, Maribor, S.97-108; Željka Matulina (1991): "Upotreba poslovica u dnevnim novinama". in: (Hrsg.) Branko Tošović "Jezik I stil u sredstvima in-formisanja", Sarajevo, S.48-66; Željka Matulina (1992): "Der Gebrauch von Sprichwörtern in der Zadarer Wochenzeitung 'Narodni list'", in: Proverbium 9, Vermont, USA, S.139-158; Željka Matulina (1992): "Upotreba poslovica u naslovima austrijskog tjednika 'Wochenpresse'", in: Radovi Filozofskog fakulteta u Zadru, Heft 30, Zadar, S.69-91; Željka Matulina (1993): "Upotreba poslovica u osječkom dnevnom listu 'Glas Slavonije'", in Radovi Filozofskog fakulteta u Zadru, Heft 31, Zadar, S.155-176. Gerade diese Tatsache hat mich angeregt, eine ausgewählte Zahl von Werbetexten aus verschiedenen deutschen, österreichischen und kroatischen Zeitungen einer Analyse zu unterziehen, mit dem Ziel, auf zwei Fragen näher einzugehen: (1) Wo im Kontext der Werbung werden Parömien eingesetzt? und (2) Wie werden sie dort gebraucht? 2. Der Korpus Um die gestellten Fragen beantworten zu können, habe ich einen Korpus von Zeitungstexten aus 10 verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften erstellt. Der Korpus enthält mehrere Ausgaben von folgenden deutschen, österreichischen und kroatischen Zeitungen: "Školske novine" aus Zagreb, "Der Spiegel". "Burda". "Freundin" und "Die Zeit" aus Hamburg, "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" aus Essen, "Wirtschaftswoche" und "Wochenpresse" aus Wien, "Sportske novosti" aus Zagreb und "Sport-Bild" aus Hamburg. Es handelt sich um insgesamt 11 754 Seiten Zeitungen, vgl. hier die Tabelle Nr. 1. Die Auswahl verschiedenartiger Zeitungen ist absichtlich gemacht worden. Werbung ist in verschiedenen Zeitungen nicht gleich vertreten. Es gibt Zeitungen mit mehr Werbung darin, es gibt Zeitungen mit weniger Werbung. Die Anwesenheit von Werbetexten in einer Zeitung ist vom Inhalt der Zeitung und von ihren Adressaten abhängig. Es spielen aber auch die ökonomischen und marktwirtschaftlichen Interessen und die finanziellen Möglichkeiten des betreffenden Landes eine Rolle. Für die kroatischen Zeitungen bzw. Zeitschriften gilt im Allgemeinen, daß in ihnen viel weniger von der Reklame Gebrauch gemacht wird als in den entsprechenden österreichischen oder deutschen Zeitungen/Zeitschriften. So sind z.B. in den kroatischen Zeitungen "Školske novine" und "Sportske novosti" keine Werbetexte zu finden im Unterschied etwa zur deutschen speziellen Zeitung "Sport-Bild". Vgl. auch die Tabelle Nr. 2. Aus der Analyse der zur Verfügung stehenden Texte geht hervor, daß die beiden österreichischen Zeitschriften "Wochenpresse" und "Wirtschaftswoche" von der Werbung und dementsprechend von der Parömie am meisten Gebrauch machen. Ganz stark in parömiologischer Hinsicht ist daneben auch die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung", wie das der tabellarischen Übersicht Nr. 1 zu entnehmen ist. 3. Wo und wie werden Parömien im Werbetext verwendet? Parömien trifft man vor allem in Titeln der Zeitungsartikel bzw. in Überschriften 2 der Werbungsannoncen. Von allen Sprichwörtern in Titeln/Uberschriften im Kontext 2 In eine detailliertere Abgrenzung zwischen den beiden Begriffen "Titel" und "Überschrift" ist in dieser Arbeit nicht eingegangen worden. der Werbung erscheinen 73% Sprichwörter und 27% Sprichwörter innerhalb der Zeitungsartikel. Hier ein paar Beispiele: Lachende Dritte (WW, 1994; Quelle: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte.) Unkraut verdirbt nicht (WP, 1989; Quelle: Unkraut verdirbt nicht. Es handelt sich um einen Werbetext, in dem über das Konzert der Musikgruppe "Brennesseln" die Rede ist.) Der Klügere liest nach (SPIE, 1994; Quelle: Der Klügere gibt nach. Es wird für eine Zeitung geworben.) Wohnen und leben lassen (Zeit, 1994; Quelle: Leben und leben lassen. Werbung für Möbel.) Warme Füße! Alles gut! (FREU, 1993; Quelle: Ende gut, alles gut! Werbung für Damenstrümpfe.) Verändern ist Silber. Verbessern ist Golf. (SB, 1989; Quelle: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Werbung für die Automobilindustrie.) Im Titel/in der Überschrift wird die ursprüngliche Form der Parömie gerne geändert. Sehr häufig kommen Veränderungen im lexikalischen Bereich vor. So wird z.B. ein Wort der Parömie oft durch ein außerhalb der Parömie genommenes Element ersetzt. Meistens steht gerade in diesem neuen Element der Name des Produkts, wofür mit dem Werbetext bzw. mit der Überschrift geworben wird. Von insgesamt 77 Parömien in den Titeln der Werbetexte aus unserem Korpus werden 39 Parömien auf diese Art und Weise umformuliert - das ist der sog. III Strukturtyp. Vgl. hier die Tabelle Nr. 4. Es scheint wichtig, zuerst eine Übersicht über die bis jetzt festgestellten Typen der formalen Variierung von Parömien zu geben.3 ITyp Die originale Form der Parömie wird beibehalten. II Typ Man übernimmt das syntaktische Modell der ursprünglichen Parömie und die Lexik ist vollkommen geändert. 3 Eine Unterscheidung bzw. Klassifikation von verschieden strukturierten Werbetexten ist hier nicht gemacht worden. Es ist aber offensichtlich, daß es Werbetexte gibt, die aus nur einem Satz bestehen, z.B. aus einer Überschrift und einem Photo, oder aus zwei Überschriften und einem Photo, usw. Illiyp Man übernimmt das syntaktische Modell der ursprünglichen Parömie, aber die Lexik ist nur teilweise geändert; nur ein Bestandteil der Parömie wird durch ein außerhalb der Parömie genommenes Element ersetzt. IV Typ Partielle oder völlige Umstellung der innerhalb der Parömie schon vorhandenen Bestandteile. VTyp Das syntaktische Modell ist geändert, aber die Lexik ist völlig erhalten. VI Typ Das syntaktische Modell und die Lexik sind beide geändert; wenigstens ein Element entweder vom syntaktischen Modell der ursprünglichen Parömie oder von ihrer Lexik muß erhalten bleiben, um die ursprüngliche Parömie assoziieren zu können. VII Typ Kombination zweier Parömien oder einer Parömie und einer anderen verwandten Art (z.B. einer Redewendung). VIII TVp Ein Teil der ursprünglichen Parömie wird eliminiert. IX Typ Verschiedene Erweiterungen der Parömie werden vorgenommen, z.B. Einfügung eines neuen Elements oder komplexerer Einheiten vor oder nach der Parömie (prä- und postpositionierte Erweiterungen der Parömie). Und wo sind Parömien im Werbetext selbst loziert? Wie sehen sie dort aus? Um die zur Verfügung stehenden Werbetexte durchsichtig machen zu können und sie dementsprechend analysieren und beschreiben zu können, habe ich jeden Text in drei quantitativ gleiche Abschnitte eingeteilt - in drei Drittel des jeweiligen Textes: in das erste Drittel des Textes, worin die Einführung in den Gesamttext steckt, in das zweite Drittel oder den mittleren Teil des Textes und in das dritte Drittel des Textes, der den Schluß des gesamten Werbetextes enthält. Das erste Drittel des Textes Aus der Analyse des ersten Drittels des Textes geht hervor, daß die Parömie oft schon im ersten Satz erscheint. Von insgesamt 29 Sätzen mit Parömien, stehen 10 Sätze gerade am Anfang des gesamten Textes. Das bedeutet statistisch mehr als ein Drittel aller Fälle, wie es in der Tabelle Nr. 3 steht. Auch hier kann man feststellen , daß die Parömie gerne variiert wird. Nur in 4 von insgesamt 10 Fällen erscheint hier die Parömie in ihrer originalen Form (I Typ). Der III Typ ist in diesem Teil des Zeitungsartikels meistens vertreten, Das heißt, daß hier das Sprichwort am liebsten durch eine Substitution im lexikalischen Bereich geändert wird. Neben dem III Typ erscheint hier oft auch der IX Typ und dessen Kombination mit an- deren Typen, was bedeutet, daß das Sprichwort gerne durch einen vor- oder nachgestellten Satz erweitert wird (vgl. Tabelle Nr. 6). Hier einige Beispiele: Sind Sie schon einmal vom Himmel gefallen? Nein? Dann sind Sie auf dem besten Weg, ein Meister zu werden. (WP, 1989; Quelle: Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.) Wo gehobelt wird, das weiß jeder, fliegen Späne. (WP, 1989; Quelle: Wo gehobelt wird, da fallen Späne.) So viele Sprachen du sprichst, soll der alte Geheimrat Goethe einmal gesagt haben, so oft lebst du. (WP, 1988; Quelle: Wie viele Sprachen du sprichst, so vielen Menschen du giltst; Der erste Satz der Werbung für "Superlearning Sprachkurse".) Auch hier gilt im allgemeinen, daß die zu erweiternde Parömie schon eine Variation der Quelle ist. Das zweite Drittel des Textes Im mittleren Teil des Werbetextes scheinen die parömischen Mittel nicht besonders gerne gebraucht zu werden. Im untersuchten Korpus erscheinen nur 2 Parömien in diesem Teil des Textes und zwar als erster Satz (vgl. die Tabelle Nr. 7). Der VI Typ der strukturellen Umformulierung ist der einzige, der in diesem Teil des Textes erscheint. Das bedeutet, daß die Parömie so stark variiert wird, daß von ihr nur ein Element der lexikalischen bzw. syntaktischen Mittel noch geblieben ist, um die ursprüngliche Form der Parömie zu assoziieren. Zum Glück bieten Ihnen alle unsere Drucker so viele dieser Vorteile, daß die Wahl ganz sicher nicht zur Qual wird. (WW, 1993; Quelle: Wer die Wahl hat, hat die Qual.) Das dritte Drittel des Textes Im letzten Drittel des Werbetextes erscheinen 13 Parömien und davon sind 10 im letzten Satz loziert, vgl. die Tabelle Nr. 3. Das bestätigt die These, daß die Parömie eine schlußfolgernde textabschließende, gleichzeitig auch eine resümierende, konklusive Funktion im Text hat. Auch hier erscheint die Parömie nicht in ihrer originalen Form. In diesem Teil des Zeitungstextes überwiegen der IX Typ und die Kombination des IX mit dem III Typ. Das bedeutet, daß das Sprichwort durch einen Satz erweitert wird. Diese Erweiterung erfolgt von vorne (prä-positionierter Satz), von hinten (post-positionierter Satz) aber auch eingeschobene Sätze sind häufig in Rahmen dieses Typs. Hier einige Beispiele für die Erweiterung durch einen prä-positionierten Satz: Für diejenigen, die der neuen Lernmethode immer noch skeptisch gegenüberstehen—haben wir schließlich noch ein Sprichwort parat: Probieren geht über Studieren. (WP, 1989; Quelle: Probieren geht über Studieren; der allerletzte Satz des Textes, womit, für die neue Fremdsprachen-Lernmethode geworben wird.) Bei alldem sollten Sie jedoch nicht aufs Aufhören vergessen und sich hie und da an die alte Managerweisheit erinnern, wonach Zeit Geld ist. (WP, 1988; Quelle: Zeit ist Geld.) Die Erweiterung kann aber auch hinter der Parömie vorkommen; Gutes Rad ist teuer, unser Rat kostenlos: Eine Leserclubmitgliedschaft zahlt sich aus. (WP, 1988; Quelle: Guter Rat ist teuer; Werbimg für eine Walkie-Talkie-Anlage fürs Fahrrad "Bikeman".) 4. Schlußwort (a) Zusammenfassend kann man sagen, daß die parömischen Mittel innerhalb eines Werbetextes nicht zufällig erscheinen. Sie haben in einem solchen Text eine sehr wichtige stilistische und textorganisatorische Funktion. Über ihre stilistischen Werte zeugen Variationen im strukturell-syntaktischen und lexikalischen Bereich, über ihren textorganisatorischen Charakter ihre Lozierung im Text. In Titeln der Werbetexte erscheinen Parömien 77 mal, was 28% von allen Titeln im ganzen untersuchten Korpus ausmacht. In Zeitungsartikeln kommt die Parömie 10 mal als erster Satz des Textes vor und das bedeutet 35% von allen Parömien in Werbetexten. Auch im letzten Satz des Textes kommen 10 Parömien vor, und das sind wieder 35% von allen Parömien in Werbetexten. Die Lozierung der Parömie im Text der Werbung kann durch die folgende Graphik veranschaulicht werden: PARÖMIE INNERHALB DES ZEITUNGSARTIKELS erstes Drittel zweites Drittel drittes Drittel * *i II J l l III Up erster Satz Übriges letzter Satz (b) Was die Form der Parömie im Werbetext anbetrifft, wird sie weniger in der originalen Version gebraucht und mehr als Variation der Quelle. Am häufigsten scheinen in (untersuchten) Texten die strukturellen Umformulierungen des III und des IX Typs bzw. deren Kombination zu sein. Das heißt, daß meist das syntaktische Modell der Quelle übernommen wird und die Lexik teilweise verändert wird. Oder es wird die auf diese Art und Weise umformulierte Parömie noch weiter erweitert. Das geschieht, wenn neue Sätze oder Wortgruppen vor oder hinter die Parömie zugefügt oder zwischen die Teile der Parömie eingeschoben werden. (c) Es können zuletzt die im Korpus der Werbetexte häufigst gebrauchten Parömien genannt werden (hier in ihrer originalen Form): 1 Liebe geht durch den Magen. (11 mal) 2 Aus den Augen, aus dem Sinn. (6 mal) 3 Kein Meister ist vom Himmel gefallen. (4 mal) 4 Veni, vidi, vici. (4 mal) 5 Wer die Wahl hat, hat die Qual. (3 mal) 6 Sicher ist sicher. (3 mal) 7 Ende gut, alles gut. (3 mal) 8 Guter Rat ist teuer. ( 3 mal) 9 Dabeisein ist alles. (3 mal) 10 Früh übt sich, wer ein Meister werden will. (3 mal) ABKÜRZUNGEN SN "Školske novine" WAZ "Westdeutsche Allgemeine Zeitung' SPIE "Der Spiegel" WW "Wirtschaftswoche" BUR "Burda" WP "Wöchenpresse" FREU "Freundin" SN "Sportske novine" ZEIT "Die Zeit" SB "Sport-Bild" LITERATUR Beyer, Horst und Annelies (1986): Sprichwortlexikon. Verlag C.H.Beck, München Röhrich, Lutz / Mieder, Wolfgang (1977): Sprichwort. J.B.Metzlersche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart Simrock, Karl (1988): Die deutschen Sprichwörter. Reclam, Stuttgart Skarpa, Vicko (1909): Hrvatske narodne poslovice. Šibenik Tabelle Nr. 1: ALLGEMEINE ANGABEN UBER DEN KORPUS Name der Zeitung Skolske Der Spiegel (SPIE) Hamburg Burda (BUR) Hamburg Freundin Die Zeit Westdeutsch Wirtschafts- Wirtschafts- Sportske novosti (SN) Zagreb Sport- Bild insgesamt novine (SN) Zagreb (FREU) Hamburg (ZEIT) Hamburg £ Allgemeine Zeitung (WAZ) Essen woche (WW) Wien presse (WP) Wien (SB) Hamburg Art der Zeitung Wochenzeitung Wochenzeitung Monatszeitschrift erscheint alle zwei Wochen Wochenzeitung Tageszeitung Wochenzeitschrift Wochenzeitschrift Tageszeitung Wochenillustrierte Inhalt der Zeitung Pädagogik, Unterricht Politik, Wirtschaft, Kultur Frauenmode Frauenmode Politik, Wirtschaft, Kultur Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport Wirtschaft Politik, Wirtschaft, Kultur Sport Sport Zahl der analysierten Ausgaben 14 11 14 2 8 25 15 35 19 13 Jahrgang 1993,1994 1994 1993,1994 1994 1994 1991 1993,1994 1987-1990 1989 1989 Zahl der Seiten einer Ausgabe 16 ca. 250 ca. 180 ca. 180 ca. 140 + ca. 50 (Beilage) ca. 90 ca. 90 ca. 80 16 ca. 50 ca. 11 574 Seiten Gesamtzahl der festgestellten Sprichwörter 9 14 3 4 13 33 39 105 36 14 270 Zahl der Sprichwörter im Kontext der Werbung 0 8 (=57%) 1 2 4 19 (=58%) 21 (=54%) 44 (=42%) 0 7 (=50%) 106 Tabelle Nr. 2: SPRICHWÖRTER IM KONTEXT DER WERBUNG Zeitung ŠN SPIE BUR FREU ZEIT WAZ WW WP SN SB insgesamt Sprichwörter in Titeln/ Überschriften 6 10 3 4 8 18 36 66 8 12 171 Davon nur im Kontext der Werbung 0 8 1 2 3 16 19 22 0 6 77 Prozent in Titeln/ Überschriften 0% 80% 33% 50% 37% 89% 51% 33% 0% 46% 45% Sprichwörter innerhalb der Artikel 3 4 0 0 5 15 3 39 28 2 99 Davon nur im Kontext der Werbung 0 0 0 0 1 3 2 22 0 1 29 Prozent innerhalb der Artikel 0% 0% 0% 0% 20% 20% 67% 56% 0% 50% 29% Sprichwörter insgesamt 9 14 3 4 13 33 39 105 36 14 270 Tabelle Nr. 3: LOZIERUNG DES SPRICHWORTS IM KONTEXT DER WERBUNG Zeitung SN SPIE BUR FREU ZEIT WAZ WW WP SN SB insgesamt Prozent Sprichwort im Titel/ in der Überschrift 0 8 1 2 3 16 19 22 0 6 77 (=28%) 28% Sprichwort innerhalb des Zeitungsartikels ERSTES DRITTEL DES ARTIKELS erster Satz 1 3 6 10 (=32%) 14 Sprichwörter oder 50% letzter Satz Übriges 3 1 4 ZWEITES DRITTEL DES ARTIKELS erster Satz 2 2 2 Sprichwörter letzter Satz Übriges DRITTES DRITTEL DES ARTIKELS erster Satz 13 Sprichwörter oder 45% letzter Satz 10 Übriges 3 insgesamt innerhalb der Artikel 0 0 0 0 1 3 2 22 0 1 29 (=10%) 00 Ol Zeitung Strukturtyp SN SPIE BUR FREU ZEIT WAZ WW WP SN SB insgesamt I 5 1 1 7 2 2 18 II III 3 2 4 12 13 5 39 (=50%) IV V VI 2 1 5 1 1 10 VII VIII 2 2 4 IX 2 1 3 Kombinationen mehrerer Strukturtypen 3 3 insgesamt 0 8 1 2 3 16 19 22 0 6 77 Tabelle Nr. 5: FORM DES SPRICHWORTS INNERHALB DER ZEITUNGSARTIKEL IM KONTEXT DER WERBUNG Zeitung Strukturtyp SN SPIE BUR FREU ZEIT WAZ WW WP SN SB insgesamt I 1 2 3 6 II III 5 5 IV V VI 2 2 VII VIII 1 1 IX 1 5 1 7 Kombinationen mehrerer Strukturtypen 8 8 insgesamt 0 0 0 0 1 3 2 22 0 1 29 Tabelle Nr. 6: FORM DES SPRICHWORTS IM ERSTEN DRITTEL DES ZEITUNGSARTIKELS Zeitung ZEIT WAZ WP SB insgesamt erster Satz I IX, I, I III + IX, III III + IX, III VI + IX, III insgesamt 1 3 6 letzter Satz 0 insgesamt Übriges III + IX, IX, I IX 4 insgesamt 3 1 14 Tabelle Nr. 7: FORM DES SPRICHWORTS IM ZWEITEN DRITTEL DES ZEITUNGSARTIKELS Zeitung WW insgesamt erster Satz VI, VI 2 insgesamt 2 letzter Satz insgesamt Übriges insgesamt 2 Tabelle Nr. 8: FORM DES SPRICHWORTS IM DRITTEN DRITTEL DES ZEITUNGSARTIKELS Zeitung WP insgesamt erster Satz insgesamt letzter Satz I, VIII III + IX, III + IX insgesamt 10 Übriges VI + IX, IX, III 3 insgesamt 3 13 Povzetek PREGOVOR KOT SREDSTVO ZA OBLIKOVANJE BESEDILA Analiza izbranih besedil iz desetih različnih nemških, avstrijskih in hrvaških časopisov in revij daje odgovor na vprašanji: (1) Kje se v kontekstu reklame pojavljajo pregovori? (2) Kako se uporabljajo pregovori v reklamah? Ugotoviti je bilo mogoče, da imajo pregovori pomembno stilistično funkcijo kot tudi funkcijo oblikovanja besedila. Pregovor se večinoma uporablja spremenjeno, t.p. manj v originalni verziji. Arno Rußegger Universität Klagenfurt UDK 82.08-293.7:801.73 DAS DREHBUCH ALS LITERATUR I. Vorbemerkungen Ich gestehe ein, daß der gewählte Vortrags/Aufsatztitel irgendwie tautologisch klingt, ergibt sich daraus doch unweigerlich die Frage, als was denn sonst ein Drehbuch überhaupt betrachtet werden könnte, wenn nicht als Literatur. Man mag sagen: als Gebrauchstext zum Beispiel, nach dem Muster von Kochbüchern, die zwar die Voraussetzung für die schmackhafte Zubereitung bestimmter Speisen darstellen, weil sie die dafür notwendigen Informationen und Direktiven enthalten, zugleich aber darauf angewiesen bleiben, daß es Leute gibt, die deren fachgerechte Umsetzung beherrschen. Der Vergleich scheint ausbaufähig zu sein, zumal nach der Fertigstellung und Kon-sumation eines Gerichts im Normalfall kein Mensch mehr den genauen Wortlaut des zugrundeliegenden Rezepts berücksichtigt (geschweige denn gar würdigt), und die ganze Ehre (oder Schmach) fällt in ähnlicher Weise dem Koch bzw. der Köchin zu, wie einem Regisseur beim Film. Beides ist, nebenbei bemerkt, meiner Meinung nach höchst ungerecht und läßt mich der Gebrauchstexttheorie für Drehbücher entgegenhalten, daß diese ihr sprachliches Material niemals nur in pragmatisch-deskriptiver Weise verwenden, sondern vor allem in fiktiver. Unabhängig davon, ob ein Drehbuch überhaupt zu einem Film gemacht wird oder nicht, ob seine (kamera)technischen, Schauspieler- oder Regieanweisungen in die Tat umgesetzt werden oder nicht, tragen diese bereits auf der Ebene der Lektüre dazu bei, daß sich ein Leser aufgrund seiner (Film)Erfahrung und Imaginationskraft in eine Welt voller mehr oder weniger abenteuerlicher Geschichten versetzt fühlt. Dieses Vermögen macht Drehbücher narrativen Textsorten gleich und keineswegs Kochrezepten - nicht einmal solchen, die hin und wieder in Romanen auftauchen und ihre wahre Funktion aus ebendiesen literarischen Kontexten beziehen.1 Zurück also zu meinem Thema: "Noch vor nicht allzu langer Zeit mußte man den Philistern erst beweisen, daß der Film eine selbständige Kunst mit eigenen Prinzipien und Gesetzen ist. Wie es heute scheint, muß auch noch bewiesen werden, daß die literarische 1 Vgl. Johannes Mario Simmel "Es muß nicht immer Kaviar sein" oder Laura Esquivel "Bittersüße Schokolade". Grundlage dieser neuen visuellen Kunst eine selbständige, eigene literarische Kunstform darstellt, genau so wie etwa das geschriebene Drama. Das Drehbuch ist nicht nur ein technisches Hilfsmittel, es ist nicht wie ein Baugerüst, das man wieder abträgt, wenn das Haus fertig steht, sondern es ist eine der Arbeit von Dichtern würdige literarische Form, die ohne weiteres als Lektüre in Buchform publiziert werden kann." So stand es bereits im Jahre 1949 in einem Buch eines der ersten Filmtheoretiker deutscher Sprache zu lesen, des aus Ungarn (Szeged) gebürtigen Alt-Österreichers Bela Baläzs (1884-1949). Der in dem Zitat angesprochene Kampf, den der in seiner Heimat berühmte Märchen- und Opernlibretti-Dichter seit den frühen zwanziger Jahren gegen die Geringschätzung und Diffamierung des Mediums Film von Seiten bildungsbürgerlicher Kunstlobbies führte, schloß publizistische und praktische Maßnahmen als Filmautor4 ein. Diese - neben vielen anderen - scheinen allerdings bis in unsere Tage herein nicht richtig gegriffen zu haben. Denn obwohl es sich bei einem jeden Drehbuch - egal, ob es als Original/manu/typo/skript in einer Bibliothek aufbewahrt wird oder (was glücklicherweise immer häufiger der Fall ist) in einem belletristischen Verlag herausgebracht und so einem größeren, nicht berufsspezifischen Publikum zugänglich gemacht worden ist - in erster Linie einmal um ein Buch handelt, das sich an Leser (!) (und wenn zugegebenermaßen ursprünglich vielleicht tatsächlich nur an einen einzigen, den späteren Regisseur...) wendet, gibt es praktisch keine systematische poetologische Auseinandersetzung mit einer Gattung namens Drehbuch;5 zum Glück auch - oder, besser gesagt: wenigstens - nicht im Bereich der Trivialliteraturforschung. Es entbehrt nicht der Ironie, daß ausgerechnet das Drehbuch, dessen poetisches Potential sich sozusagen an einer Schnittstelle von Wort- und Bild-Semantik, von individuell-künstlerischer und kollektiv-industrieller/'konfektioneller'6 Produktionsweise, entfaltet, die 2 Baläzs, Bela: Der Film. Werden und Wesen einer neuen Kunst. Wien 19806, S. 229. 3 Vgl. Baläzs, Bžla: Schriften zum Film. Hrsg. von Helmut H. Diederichs, Wolfgang Gersch und Magda Nagy; Bd.l: Der sichtbare Mensch. Kritiken und Aufsätze 1922-1926. München, DDR-Berlin, Budapest 1982; Bd.2: Der Geist des Films. Artikel und Aufsätze 1926-1931. München, DDRBerlin, Budapest 1984. 4 Zu seinen bekanntesten Arbeiten bzw. Beteiligungen an Filmprojekten zählen: "Kaiser Karl" (1921), "Moderne Ehen" (1924), "Abenteuer eines Zehnmarkscheins. K 13413" (1926), "Narkose" (1929), "Die 3-Groschen-Oper" (1931), "Das blaue Licht" (1931/32) und "Karl Brunner" (1935/36). 5 Man glaubt es sich beispielsweise ohne weiteres leisten zu können, die Drehbücher eines Peter Tur-rini nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit nach formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten zu analysieren, wie seine Theaterstücke oder seine Lyrik. Das gleiche Manko betrifft Exil-Autorinnen wie Gina Kaus (1894-1985), deren heutiges Vergessensein wohl nicht zuletzt auch mit der Unlust und Unfähigkeit zusammenhängt, sich mit ihren Hauptwerken, die im Bereich der Filmskripts liegen, zu befassen. 6 Vgl. Pluch, Thomas: Am Anfang war die Story. In: Ernst, Gustav und Schedl, Gerhard (Hrsg.): Nahaufnahmen. Zur Situation des österreichischen Kinofilms. Wien/Zürich 1992, S. 61-68; hier S. 62. Funktion eines blinden Flecks innerhalb des literaturwissenschaftlichen Forschungsben triebs einnimmt. Bemerkenswerterweise recht konträr zu diesem Befund ist die Situation des Dramas und des Hörspiels, die zwar mittlerweile auch erhebliche Prestigeverluste haben hinnehmen müssen (Stichworte: die ökonomische und künstlerische 'Krise des Theaters', die eigentlich seit der Jahrhundertwende heraufbeschworen wird; und die totale Verkommerzialisierung des Hörfunks und die heutige Unpopularität radiophoner Kunstformen), aber zumindest als historische Größen im Bewußtsein der Literaturwissenschaftler gespeichert sind. Dabei dienen beide Gattungen um nichts weniger primär der Belieferung szenischer Künste mit Textvorlagen, auch sie wurden und werden von Dramaturgen, Regisseuren und Technikern verändert, gekürzt, mitunter verstümmelt, jedenfalls noch irgendwie weiterbearbeitet, bevor sie ihr Publikum erreichen; und doch wird ihr Wert als selbständige Textsorte im großen und ganzen akzeptiert, ja er wird - zumindest, was das Drama betrifft - im Grunde weit über demjenigen von konkreten Inszenierungen/Realisierungen angesetzt und mit einer unüberschaubaren Fülle von wissenschaftlichen Theorien und einschlägigen Publikationen untermauert. Die Gründe für dieses Ungleichgewicht sind mannigfach und liegen wohl in der allgemeinen psycho-kulturellen Verfaßtheit unserer Gesellschaft: man hat offensichtlich dem Film seine proletenhafte Herkunft aus Jahrmarktbuden und Varieteetablissements niemals ganz verziehen; ebensowenig seine Momente der Sinnlichkeit und Schaulust, welche so zynisch gut geeignet und einsetzbar sind, um die bürgerliche Doppelmoral zu entlarven; ebensowenig seinen Hang zur direkten Thematisierung und Aufdeckung von Gewalt, und vor allem nicht die ihm zugesprochene Zerstörung der 'Aura'8 (Walter Benjamin) der 'alten' Künste. Wenn nun jemand wie ich einen weiteren Anlauf unternimmt, um vielleicht einen neuen, dem Gegenstand angemesseneren Umgang mit Drehbüchern anzuregen, muß vorweg klargestellt werden, daß es vor allem Bücher zu Kinofilmen sind, die ich für eine eigenständige Textsorte halte. Sollte es demnach Filmemacher geben bzw. jemals gegeben haben, die entweder bloß beiläufig mit losen, später in Verlust geratenen bzw. vernichteten Notizzetteln arbeite/te/n oder die beim Drehen gänzlich ohne schriftliche 7 Symptomatisch für die ablehnende Haltung gegenüber einer ganzen Gattung ist die abfällige Einschätzung der avantgardistischen Leistung des von Kurt Pinthus 1913 herausgegebenen "Kinobuchs", jener legendären Anthologie von Filmszenarios aus der Feder einiger bekannter Literaten jener Zeit (von Walter Hasenclever bis Albert Ehrenstein, von Else Lasker-Schüler bis Max Brod), durch Viktor Žmegač; siehe: Über Beziehungen zwischen Dramen- und Filmtheorie in der Frühzeit des Kinos. In: Ders.: Tradition und Innovation. Studien zur deutschsprachigen Literatur seit der Jahrhundertwende. Wien 1993, S. 224-238, bes. S. 227. 8 Vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt am Main 19773, S. 13ff., bes. S. 15.: "Es empfiehlt sich, den oben für geschichtliche Gegenstände vorgeschlagenen Begriff der Aura an dem Begriff einer Aura von natürlichen Gegenständen zu illustrieren. Diese letztere definieren wir als einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie sein mag." Unterlagen zurandegekommen sind bzw. die die Verwendung anderer als visueller Ausdrucksmittel im Film nicht zulassen woll/t/en, so interessiert es in dem hier gebotenen Zusammenhang nicht. Was die alte Diskussion über die 'reine Kinematographie'9 und die Beurteilung der Ergebnisse antiliterarischer Filmkonzepte angeht, entzieht sich eben unserer fachlichen Kompetenz als Literatur- bzw. Sprachkundler. Ebenfalls beiseite gelassen wird von mir ein Umstand, obwohl dieser die herrschende Ignoranz Drehbüchern gegenüber zu desavouieren vermöchte und indirekt für deren sehr wohl statthabende Wirkung als eigenständige Schreibweise innerhalb der Moderne spricht, nämlich daß es - von Peter Handkes "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" bis zu Marguerite Duras' "Der Liebhaber", um zwei willkürlich gewählte, immerhin bekannte Beispiele anzuführen - eine Vielzahl von Prosawerken gibt, von denen behauptet wird, sie hätten gewisse Eigenschaften eines Drehbuchs quasi übernommen, sie würden sich sozusagen "wie ein Film" lesen, "jeder Satz eine Einstellung".10 Doch selbst wenn solche Aussagen wie in unserem Zitat aus dem Mund eines so renommierten Filmregisseurs wie Wim Wenders stammen und insofern stichhaltig sind, als er sicherlich viel genauer weiß, wovon er spricht, wenn er literarische und filmische Verfahrenstechniken zueinander in Analogie setzt, als das gemeinhin Literaturwissenschaftler mit ihren naiven, pauschal-unzulässigen Kurzschlüssen (ab)tun, könnte damit ein Sekundärphänomen überbetont und mein beabsichtigtes Plädoyer zugunsten einer eingehenderen Beschäftigung mit den originalen Drehbüchern11 letztlich doch wieder unterlaufen werden. Grundsätzlich gesagt, empfiehlt es sich, der Unterscheidung zwischen der Entstehungsgeschichte eines Drehbuchs und seiner Verwertungsgtschichte zu folgen, wie eine solche der Schriftsteller Peter Märthesheimer einmal getroffen hat, wobei nur erstere 12 Gegenstand von Analysen im literaturwissenschaftlichen Sinn sein kann. Märtheshei-mers Unterscheidung ist ein Reflex auf dreierlei: 9 Vgl. Baläzs: Der Film, a.a.O., S. 142f. 10 Brunow, Jochen und Wenders, Wim: Mauern und Zwischenräume. Ein Gespräch über das Schreiben von Drehbüchern und den Umgang mit ihnen. In: Brunow, Jochen (Hrsg.): Schreiben für den Film. Das Drehbuch als eine andere Art des Erzählens (= edition text + kritik, Literatur und die anderen Künste Bd. 2). München 1988, S. 95-107, hier S. 95. 11 Vgl. Schaudig, Michael: Literalität oder Poetizität? Zum Textstatus von 'Filmtexten'. In: Schwarz, Alexander (Hrsg.): Das Drehbuch. Geschichte, Theorie, Praxis (= diskurs film. Münchner Beiträge zur Filmphilologie Bd. 5). München 1992, S. 9-15, hier S. 10: ">Drebuch< ist genuin als eine aufnahmepraktische Anweisung zu verstehen, die im Hinblick auf den intendierten Film schriftlich vorformuliert, was und wie audiovisuell realisiert werden soll; >Roman< hingegen verweist auf die epische Großform innerhalb der literaturtheoretischen Gattungslehre." 12 Dieser Ansatz muß unweigerlich zu anderen Klassifizierungen von Texten führen, als sie in der Filmwissenschaft vorgenommen werden; vgl. Schaudig, a.a.O., S. 11 ff., der drei Textgruppen (Texte für Filme, Texte zu Filmen, Texte über Film und Filme) differenziert. 1. auf traditionelle Vorstellungen vom inspirativen Ursprung des dichterischen Akts;13 2. auf das Selbstverständnis eines Autors, dem es auch bei der Abfassung eines Drehbuchs um nichts anderes geht als das Erzählen einer Geschichte und der trotzdem permanent gezwungen ist, seine Position gegenüber jenen Kollegen zu rechtfertigen, die (aus Standesdünkeln oder Neid) mit den modernen, neuen Kommunikationsmedien möglichst wenig zu tun haben wollen;14 und 3. korrespondiert diese unbefriedigende Situation in fataler Weise (vgl. oben) mit einer weit verbreiteten Ablehnung alles Literarischen im konkreten Herstellungsprozeß eines Films. Dort nämlich gilt und dient ein Drehbuch für viele lediglich als lästiges Hilfsmittel zur kostenmäßigen Vorausplanung eines Projekts, das erst nach Sicherstellung seiner Finanzierung von den 'echten' Experten (= Produzent und Regisseur) in die Hand genommen wird. Dem Urheber der Geschichte wird dann selten genug das Recht zugestanden, Einfluß auf die endgültige Umsetzung seiner Ideen zu nehmen. Die bisher getroffenen Einschränkungen meines Themas sind notwendig, weil der Film im Laufe seiner hundertjährigen Geschichte zu einem äußerst vielgestaltigen Phänomen mit ganz verschiedenartigen Beziehungen zur Sprache, zum geschriebenen Wort und zur Literatur geworden ist.15 Die daraus resultierende Facettenhaftigkeit wäre durch mein besonderes Forschungsinteresse im Rahmen dieses Aufsatzes bei weitem nicht abzudecken. Dasselbe gilt auch für das weite Gebiet des Fernsehens, auf dessen Werdegang und Probleme (Stichwort: 'Fernsehspiel') ich hier überhaupt nicht eingehe. Außerdem konzentriere ich mich auf den deutschsprachigen Raum, wobei ich einen weiteren Schwerpunkt auf die österreichischen Verhältnisse setzen möchte.16 Mit diesem Hinweis soll der Nachholbedarf gegenüber Ländern (wie Frankreich oder solchen aus dem anglo-amerikanischen Raum), die sich in Produktion und (wissen- 13 Vgl. Märthesheimer, Peter: Herr Schmidt schreibt einen Film, und keiner weiß es. Zum Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis des Drehbuchautors und seinem öffentlichen Ansehen. Ein Versuch, hinter der subjektiven Larmoyanz die objektiven Strukturen zu erkennen. In: Brunow, a.a.O., S. 1022, hier S. 14: "Die Entstehungsgeschichte des Drehbuchs hat alle Merkmale eines künstlerischen Prozesses: Der Autor erzählt eine Geschichte; er erzählt sie nach eigener Maßgabe, einzig den ästhetischen Regeln des Genres unterworfen; er organisiert sein Erzählmaterial in der ihm gemäß erscheinenden Form; das Drehbuch verdankt sich der Phantasie und der Kreativität einer Person. Die Verwertungsgeschichte des Drehbuchs nun spielt sich auf einer grundsätzlich anderen Ebene ab -sie trägt alle Merkmale eines wirtschaftlichen Prozesses, und zwar in der Form des entfremdeten Warentausches. [...]" 14 Vgl. Pluch, a.a.O., S. 63f. 15 Vgl. Ernst, Gustav (Hrsg.): Sprache im Film. Wien 1994. 16 Vgl. Berecz, Peter: Selbstmord oder Psychotherapie. In: Buchkultur, Heft 17/5/92 (= Themenschwerpunkt: Schreiben für den Film), Wien 1992, S. lOf. In dieser Ausgabe finden sich auch Interviews mit den österreichischen Drehbuchautoren Gerald Szyszkowitz, Ernst Hinterberger, Hilde Berger, Peter Berecz, Kitty Kino. schaftlicher) Rezeption durch einen qualitativ höher- bzw. hochstehenden Umgang mit dem Kulturfaktor Film auszeichnen, bewußt bloß angedeutet worden sein. Wenn heute trotz der genannten Widrigkeiten eine Diskussion über Drehbücher im Gange ist, sind es häufig die unmittelbar betroffenen Autorinnen und Filmschaffenden selbst, die sie initiieren. Freilich sind ihre Motive und Zielsetzungen dabei höchst unterschiedliche. So haben Symposien, Workshops, Seminare und Publikationen, veranstaltet und herausgegeben von (z.T. erst jüngst entstandenen) Organisationen wie der ARGE Drehbuch (Wien) und deren Proponenten,17 oft etwas von (ohne Zweifel berechtigtem!) Selbsthilfegruppen-Aktivismus an sich. Sie bilden Foren, in denen eher sozialrechtliche Probleme ihrer Mitglieder behandelt werden als ästhetische Fragestellungen, ohne auf diese Weise die fehlende wissenschaftliche/künstlerische Akzeptanz wettmachen zu können. Parallel dazu gibt es ein immer stärkeres Engagement, den offensichtlich vorhandenen, auf Kosten der Schriftsteller von Kino-Produzenten und TV-Anstalten spitzfindigerweise zuerst herbeigeführten und nun heftig beklagten Mangel an brauchbaren Drehvorlagen zu beheben. Zwischen Selbstzweifeln und Rechtfertigungszwang hin-und hergerissen, werden in jüngster Zeit von professionellen Schreibern immer wieder Versuche unternommen, gemeinsam mit 'Laien' Stories, Exposes und Treatments zu entwickeln; dadurch erweckt man aber den trügerischen Eindruck, das Verfassen von Drehbüchern sei eine (von jedermann?) erlernbare, rein handwerkliche Fertigkeit und Dienstleistung im Bereich der Filmindustrie. Bestimmt haben solche, womöglich in Wochenendkursen durchgeführte Schreibwerkstätten u.ä. das Mißtrauen auf Seiten der Literaturwissenschaft noch verstärkt, zumal es aus denselben Gründen durchaus vorkommen mag, daß Drehbuchautoren selbst die Literarizität ihrer Texte leugnen. П. Der Drehbuchautor als Schrift-, Bild- und Tonsteller Welche Argumente ließen sich dennoch anführen, um Filmtextbücher als eine literarische Gattung per se zu legitimieren, die bestimmte Spezifika des inneren und äußeren Baus aufweist und der autonome Kompositionsmöglichkeiten und -erfordernisse zugrunde liegen? 17 Vgl. folgende Publikationen mit schwerpunktmäßiger Ausrichtung auf die Verhältnisse in Österreich: Ernst, Gustav und Pluch, Thomas (Hrsg.): Drehbuch schreiben. Eine Bestandsaufnahme. Wien/Zürich 1990. Ernst und Schedl: Nahaufnahmen, a.a.O.; darin vor allem: Pluch, Thomas: Am Anfang war die Story, S. 61-68; Cencig, Michael: Drehbuchworkshops oder geschützte Werkstätten, S. 320-323. Wie gelernt, versuchte ich diese Fragen historisch zu ergründen. Sogleich haben mich meine Recherchen zu der Tatsache geführt, daß es eine relativ lange Entwicklungsgeschichte des Drehbuchs gibt, wie sie erstmalig von Jürgen Kasten in einem 18 Buch zusammengefaßt worden ist. Die von ihm untersuchten Aspekte behandeln jedoch keineswegs nur die wechselvollen historischen, soziologischen oder ideologischen Hintergründe der Filmproduktion seit dem Aufkommen von Drehbüchern im heutigen Sinn in den zehner Jahren unseres Jahrhunderts, sondern auch Veränderungen in der Aufbereitung und Stilistik der Szenarios. Als bahnbrechend hervorgehoben wird übrigens das Oeuvre des aus Graz stammenden Österreichers Carl Mayer (1894-1944), der heute als "einer der innovativsten und eigenwilligsten Autoren des Films",19 des so- 20 genannten Stummfilms wohlgemerkt, wiederentdeckt und anerkannt wird: "Sein eigenwilliger Sprachstil versuchte - bevorzugt in substantivischen und Partizip-Wendungen - eine ungemeine Satzverknappung bei gleichzeitiger höchster Bildhaftigkeit und Präzision in der Szenenbeschreibung. Ungewöhnliche Inversionen (besonders Verbumstellungen) und Reihungen, häufig in einfachen 'Und'- oder 'Dann'-Konjunktionen, scharf einschneidende Ausrufe, wie 'So', 'Doch' oder 'Jetzt', und regelrecht sezierende Satzzeichen geben dem Text einen unnachahmlichen, bereits Personen- 21 und später Kamerabewegungen andeutenden Rhythmus." Mayers legendäre, ausgesprochen artifizielle Entwürfe, deren Dynamik expressionistische Ekstatik, Zerstückelung, neologistische Experimentalität sowie die ra-tional-kalkulierteste Fassung sprachlicher Wendungen in sich vereint, was die sonst üblichen Zwischentitel fast überflüssig machte, blieben individuelle Einzelleistungen und eigneten sich in der Folge freilich nicht, so etwas wie eine Norm für einen standardisierbaren Drehbuchstil abzugeben. Sie zeigten jedoch in der Subtilität ihres formal- 18 Kasten, Jürgen: Film schreiben. Eine Geschichte des Drehbuchs. Hrsg. von Eva H. Plattner und der Österreichischen Gesellschaft für Filmwissenschaft. Wien 1990. Vgl. auch: Witte, Karsten: Direktor Musenfett, Ein Volksfeind und Die Ästhetik der Nebensachen. Zur Geschichte und Theorie des Drehbuchschreibens in Deutschland. In: Brunow, Schreiben für den Film, a.a.O., S. 40-72. Und: Schwarz, Alexander: Der geschriebene Film. Drehbücher des deutschen und russischen Stummfilms (= diskurs film Bd. 6). München 1994. 19 Kasten, Film schreiben, a.a.O., S. 66. 20 Vgl. Kasten, Jürgen: Carl Mayer: Filmpoet. Ein Drehbuchautor schreibt Filmgeschichte. Mit Beiträgen von Carsten Schneider und Oliver Schütte. Berlin 1994. Und: Scholl, Sabine: Der Filmautor Carl Mayer. In: Amann, Klaus und Wallas, Armin A. (Hrsg.): Expressionismus in Österreich. Die Literatur und die Künste. Wien, Köln, Weimar 1994, S. 199203. Und: Frankfurter, Bernhard: Entfesselung des Grauens. Ein Portrait Carl Mayers. In: Buchkultur, a.a.O., S. 16f. Und: Schwarz, a.a.O., S. 304ff. 21 Kasten, Film schreiben, a.a.O., S. 71. inhaltlichen Auftaus die inspirative Kraft auf, die von einer neuen Technik wie dem Film ausging, und bewiesen damit eine Analogisierbarkeit ästhetischer Strukturen, die jenseits einer oberflächlichen gegenseitigen Anbiederung verschiedener Künste zu suchen ist. Es genügt nicht, wenn in einen Drehbuchtext willkürliche Hinweise auf filmische Kategorien wie Einstellungsgrößen (Weit, Total, Halbtotal, Halbnah, Amerikanisch, Nah, Groß, Detail), Perspektiven (Normal-, Unter-, Aufsicht), Kamera- und Objektbewegungen, Achsverhältnisse, Mise en scene, Beleuchtung, Kulissen, Requisiten, Musik, Geräusche oder Montage eingebaut werden. Ein Drehbuch soll und braucht nicht als Gängelband des künftigen Regisseurs fungieren oder dessen kreative Leistung schmälern; es "versucht vielmehr, die Momente herauszuarbeiten, auf die sich eine Arbeit im visuellen Bereich stützen kann, ohne in die narrative Struktur eingreifen zu 22 müssen." Die poetische Herausforderung besteht darin, eine mit literarischen Kunstgriffen imaginierte Vorwegnahme durchorganisierter visueller und akustischer Wahrnehmungen zu skizzieren; partiturhaft synchrone oder asynchrone Wort-Bild-TonBeziehungen sich auszudenken, wie sie das Wesen dessen ausmachen, was auf der Leinwand im Kino geschieht, sodaß die Bedeutungen der Worte im Drehbuch weder allein aus ihren begrifflichen noch aus 'metaphorischen' Zusammenhängen resultieren. Dem Drehbuch verbieten sich Redeweisen des Uneigentlichen geradezu; seine ästhetischen Strategien basieren stattdessen spiegelbildlich auf einer Erfüllung der folgenden Hauptkriterien: Sie sollten beschreibend kinematographische Techniken assoziieren lassen, indem die beschriebenen Vorgänge und Aktionen so wirken, als würden sie durch ein Bewußtsein registriert, das automatisch und ausschließlich intentionale Sinneswahrnehmungen produziert (nicht: re-produziert!, siehe unten) und deshalb einen Eindruck von der Welt vermittelt, wie er sonst nur mit Hilfe von Filmapparaten (darunter verstehe ich eine Kombination aus Kamera + Schneidetisch + Projektor + Tonanlage) hervorgebracht wird. Die beliebte Formel, ein Drehbuchautor agiere mit einem 'Kamerablick', greift zu kurz. Die fiktive Formalisierung der Wahrnehmung in einem Drehbuch beruht nämlich darauf, daß in der Gliederung und Abfolge einzelner 'Bilder', die praktisch wie Bühnenszenen behandelt werden, ohne daß sie an die theatralische Zeit-Raum-Trägheit gebunden wären, ein verzweigtes Netz von akustischen und optischen Konnotationen entworfen wird, die den Wörtlaut des Texts infiltrieren und die Semantik/Symbolik des beschriebenen Wahrzunehmenden mitbestimmen. Zur Illustration ein kurzer Ausschnitt aus der Anfangssequenz von Helmut Zenkers Buch "Drohbriefe", das zur Kriminalserie "Kottan ermittelt" gehört: 22 Aumont, Jacques: "Mehr Licht!" Zu Murnaus "Faust" (1926). In: Albersmeier, Franz-Josef und Roioff, Volker (Hrsg.): Literaturverfilmungen. Frankfurt am Main 1989, S. 59-79, hier S. 60. "Das ORF-Zeichen ist zu sehen. Darunter steht in einer anderen Farbe präsentiert. Im O des ORF-Zeichens ist der Kopf einer Katze zu sehen, die ihr Maul weit aufreißt. Dazu: lautes M.G.M.-Löwengebrüll. Büro. - Kottan, Schrammel und Schremser stehen (für den Zuschauer von links nach rechts) nebeneinander. Schrammel hat seine rechte Hand auf der linken Schulter Kottans. Schremser hat seine rechte Hand auf der linken Schulter Schrammeis. Sie pfeifen das Hauptthema aus For A Fistful Of Dollars. Auch auf der linken Schulter Schremsers liegt eine rechte Hand, die allerdings bandagiert ist. Schremser erschrickt, als er die Hand entdeckt, und schaut in die Kamera. Die Person, die zur bandagierten Hand gehört, kommt nicht ins Bild."23 Weil es sich bei einem Drehbuch eher um die Beschreibung fertiger/vorgefertigter, bewegter Bilder mit eingepaßten Gesprächspartien handelt und nicht um Erzählung im herkömmlichen Sinn, läßt sich der grammatikalische Gebrauch des Präsens als 'Erzähl'zeit erklären. Darüberhinaus ist die Handlung - quasi ä priori - geprägt durch eine stillschweigend vorgenommene Eingrenzung/Rahmung/'Kadrierung' des Gesichtsfelds, was für den Rezipienten eine weitreichende, wenn auch meist unreflektierte Wirkung zeitigt, wird die wahrnehmbare Welt infolge dieses Settings unweigerlich einer (im weitesten Sinne) ideologischen Färbung unterworfen. Der Drehbuchtext umschreibt einen Blick, der entweder anonym, abstrakt bleibt oder einem/r bestimmten Protagonisten/in zuzuordnen ist. Dabei braucht sich ein Autor nicht dahingehend zu verausgaben, seine Welt 'diegetisch'24 bis ins kleinste zu rekonstruieren; er weiß/vermutet, was der Leser schon einmal gesehen hat und vertraut darauf, daß er es wiedererkennt; außerdem ist es müßig, es im Bereich der Nachahmung mit dem Film aufnehmen zu wollen, weil diesen von Haus aus eine viel stärkere 'perzeptive Ähnlichkeit' zwischen Signifikanten 25 und Signifikaten auszeichnet als das Wort. 23 Zenker, Helmut: Drohbriefe. Aus der Kriminalserie "Kottan ermittelt". (Fernsehspiel-Bibliothek, hrsg. vom ORF [Dr. Gerald Szyszkowitz]) Salzburg und Wien 1979, S. 9. Hinzuweisen wäre übrigens auf den Klappentext: "Fernsehspiel-Bibliothek nennt sich diese gemeinsame Publikation des ORF mit dem Residenz Verlag. Sie geht von der Tatsache aus, daß in der letzten Zeit erfreulicherweise immer mehr junge Schriftsteller der Aufforderung des ORF nachgekommen sind, Drehbücher für abendfüllende Fernsehspiele zu schreiben. Dabei sind Textbücher entstanden, die über ihre Funktion als Vorlage für einen Film hinaus einen literarischen Wert besitzen, der es nahelegte, sie auch in Buchform zu veröffentlichen. Zusätzlich zum Drehbuch werden in wechselnder Folge Standfotos, Treatments und Aussagen der Autoren, Regisseure und Produzenten zum jeweiligen Film gedruckt." 24 Der Begriff Diegese geht wie der Mimesis-Begriff auf Aristoteles und Plato zurück. Während der letztere aus der Tragödien-Theorie stammt, bezeichnet der erstere eine narrative Methode, Fiktion zu erzeugen. 25 Das macht die starke denotative Bedeutung des Films aus; vgl. Metz, Christian: Semiologie des Films. Frankfurt am Main 1972, S. 325ff. Ein Drehbuchautor befindet sich einerseits in einer Erzählsituation, die gemäß F.K. Stanzeis Einteilung am ehesten als 'auktorial' zu bezeichnen wäre, doch nicht aufgrund von angestammter Souveränität, sondern von etwas, das man persönliche 'Unwillkür' nennen müßte: die Sinne bewehrt mit einer nahezu vollkommen funktionierenden Reproduktionsmaschinerie, kann ihm (paradoxerweise) nichts anderes widerfahren als eine Neuschaffung der Welt. Andererseits schreibt er auch wieder so, als bewegte er sich - unsichtbar - inmitten dieser pseudorealen Welt, von der er erzählt und die ihn mitreißt; als tauchte er tief in sie ein, um sie zu dynamisieren und neu zu arrangieren, Überraschungen und Unbekanntes an die Oberfläche der Erscheinungen zu holen.und sichtbar zu machen. Der Erzähler/Beschreiber/Arrangeur geht in seinen Text -prinzipiell gesagt - nur als stilisierte Funktion seiner Sinne ein; reflektierende Kommentare zum Text als solchen erübrigen sich völlig. Es genügt ihm, Vorkommnisse und Abläufe ganz nüchtern und knapp zu markieren, ohne sie erklären zu müssen. Er gibt nicht damit an, mehr zu wissen, als sich dem Leser in der Phantasie ohnehin auch vom (literarisch vorweggenommenen) äußeren Augenschein her kundtut. Aus der nur mit kombinatorischen Ergänzungen des Lesers zu bewerkstelligenden Überbrückung der Bruch- und Nahtstellen, die sich zwischen den (meist durchnumme-rierten) 'Bildern'/Einstellungen befinden, resultiert eine sozusagen 'induktive' Zusammengehörigkeit des Ganzen. Dieses fungiert, obwohl nie wirklich faßbar, als Hintergrund, vor dem die genau dosierten Informationen des Auges/des Ohrs/des Gehirns eine zusätzliche semantische Qualität erhalten. Dazu kommen noch alle Komponenten des Sprechfilms im engen Sinn des Wortes, d.h. Dialoge, deren Funktion und Struktur sich von denjenigen eines Theaterdialogs unterscheiden, und gegebenenfalls Erzählerkommentare aus dem on oder off, des weiteren die Beachtung von (bzw. der vorsätzliche Bruch mit) äußeren (i.e. beispielsweise eine Filmdauer von durchschnittlich 90 bis max. 120 Minuten!) und inneren/inhaltlichen dramaturgischen Genrestrukturen, die sich im Laufe der Filmgeschichte herausgebildet haben und zu differenzieren sind: z.B. Melodram, Western, Kriminalfilm, Thriller, Actionfilm, Science-fiction-film, Erotikfilm, Horrorfilm u.ä. Obwohl etwas unexakt, weil es allzu leichtfertig gleich mehrere Kennzeichen des Filmischen in sich vereinigt, wird in der Fachliteratur für das soeben umrissene Konglomerat konzeptionell zu koordinierender Phänomene mit Vorliebe der Topos von einem "Erzählen in Bildern"27 verwendet, wie beispielsweise auch Jochen Brunow eine seiner Abhandlungen zum Thema nennt. Er meint damit folgendes: "Im Kino entsteht die Handlung, die Geschichte erst aus den Bildern heraus und durch die Bilder hindurch. Sie entsteht aus Vorübergehendem, aus Andeu- 26 Vgl. Field, Syd: Das Handbuch zum Drehbuch. Übungen und Anleitungen zu einem guten Drehbuch. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Kramer. Frankfurt am Main 19924, S. 81ff. 27 Brunow, Jochen: Erzählen in Bildern. Das Drehbuch als Nahtstelle zwischen literarischer und filmischer Narration. In: Ernst/Pluch, a.a.O., S. 21-30. tungen, die kaum das Bewußtsein erreichen, aus der Verteilung von Licht und Schatten oder den Zweigen, die sich im Wind bewegen. Die Geschichte entsteht natürlich auch aus dem, was die auftretenden Figuren sagen, aber wirklich zu sprechen beginnt der Film als Film erst auf der Ebene, wo sich Einsicht und Unentwirrbares verbinden, Heroisches sich mit Banalem mischt und 28 wo Erkenntnisse nur als Rhythmen erscheinen." Bei Durchsicht publizierter Drehbücher zeigt sich, daß eine explizite Erwähnung der oben aufgezählten filmtechnischen Medienspezifika im Buch eine letztendlich unerhebliche Rolle spielt. In seiner Textur, die entweder synoptisch in eine reine Bild-und eine Dialogspalte geteilt ist oder nicht, können Dinge, die in der Natur getrennt auftreten, in jedem Fall auf eine Weise miteinander konfrontiert bzw. kombiniert werden, daß ihre Auswahl und Konstellation als signifikant im Hinblick auf eine Verflechtung mehrerer Rezeptions- und daher Bedeutungsebenen erkennbar wird. Der entscheidende Punkt ist die Herausstellung dessen, was Bela Baläzs einst als das 'Physio- 29 gnomische' bezeichnet hat: Jede Nennung eines Bild- und Tondetails (d.h. von Menschen, Tieren, Landschaften, Gegenständen) muß wie eine Geste sein, damit in den 'Bildern' eines Drehbuchs das skizzierte Leben durchsichtig wird für eine andere, ästhe-tisierte Welt mit unmittelbarem Erlebniswert. Je intelligenter, origineller, geheimnisvoller, spannender, grotesker die semantischen Einheiten sind, die ein Filmautor zusammenbaut und aufeinander abzustimmen vermag, je mehr Geschichten er quasi gleichzeitig erzählt, desto schwerer wird man sich seinem Plot entziehen können. Das, was dem Film oft vorgeworfen wird - er schränke die Phantasie ein, indem in ihm alles, was man überhaupt zu sehen und hören bekommt, vorgegeben wird - ist zugleich auch seine Stärke und beeinflußt natürlich die Konzeptionen von -зл Drehbüchern, die auf einen 'idealen Zuschauer' zugeschnitten sind, ganz anders als beispielsweise diejenige von Romanen. Letztere haben noch (oder gerade!) in der ausführlichsten, realistischsten, anschaulichsten Schilderung etwas Beliebiges und müssen es dem Leser anheimstellen, sich eine Szene geistig auszumalen. Dem Roman vergleichbar ist in dieser Hinsicht das traditionelle Theater, wo man sich mehr oder weniger nach eigenem Gutdünken und Interesse das vom Zuschauerraum völlig abgetrennte Bühnenbild zu erschließen hat und mit Konflikten konfrontiert wird, die im wesentlichen unter Einsatz des gesprochenen Worts geschürzt und gelöst werden. Das ist, wenn man so sagen will, der geistig-spirituelle Bereich der Literatur, der sie im Zeitalter des auf Intimität bedachten bürgerlichen Individualismus, also im Laufe des neun- 28 Ebd., S. 24. 29 Vgl. Baläzs, Schriften zum Film, Bd.l, a.a.O., S. 92ff. 30 Vgl. Esslin, Martin: The Field of Drama. How the signs of drama create meaning on stage and screen. Great Britain 19946, S. 95. zehnten Jahrhunderts, zur wichtigsten Kunstform werden ließ. Gute Drehbücher hingegen dürfen nichts dem Zufall überlassen; sie konstruieren ihre Geschichten im Hinblick auf eine jeweils konkrete Anschauung der Welt und liefern damit immer auch eine Weltanschauung freihaus, der man sich nicht ohne weiteres entziehen kann. Darin liegt die Anziehungskraft von Filmen und eine Gefahr, was die Manipulation des Rezipienten angeht, wenn er der Suggestivität der filmischen Präsentationweisen aus Unkenntnis ihrer Wirkungspotentiale nicht gewachsen ist. Die wissenschaftlich-analytische, aber auch die spielerisch-produktive Arbeit mit und an Drehbuchtexten (bzw. nachträglich angefertigten Filmprotokollen) könnte daher eine entscheidende medienpädagogische bzw. mediendidaktische Rolle übernehmen und zu einer wohl als dringend notwendig zu erachtenden Verbesserung im kritischen Umgang mit Massenmedien beitragen. Ш. Zusammenfassung und 'Abspann' Drehbücher beruhen stärker als andere Texte auf der Voraussetzung einer Verwandlung bereits der bestehenden Wirklichkeit in eine ästhetische Montage; sie adaptieren das Kinematographische in Gestalt einer übernommenen Form der Anschauung, der Analyse und der künstlichen Synthese der Elemente der Welt. Sie antizipieren den Inhalt einer bestimmten Wahrnehmungsform und bringen diese (implizit oder explizit) mit literarischen Mitteln zur Darstellung. Sie sind Ausdruck einer historisch vermittelten, durch das Medium Film installierten kollektiven Bewußtseinsstruktur, in welcher die zivilisationstechnischen Konditionierungen der Sinne und deren Rückwirkungen auf das Subjekt, d.h. die Dialektik von Subjekt und Objekt im Bereich des Sinnenhaften (= Ästhetik31), Spuren hinterlassen haben. Sie ziehen die Konsequenz aus dem Umstand, daß das scheinbar höchst Authentische kinematographischer Reproduktionen und das Künstlich-Künstlerische ihrer Abstraktionsmechanik (Reduktion von Drei- auf Zweidimensionalität, Wegfall der Größen- und Formkonstanz, Wegfall der räumzeitlichen Kontinuität u.ä. ) bei der Vorführung eines Films in eins fallen, und machen ihr Programm daraus. So verstanden, zielt die Poetik von Drehbüchern weniger ab auf Mimesis, d.h. die scheinbar unmittelbare Nachahmung der gegenständlich-natürlichen Wirklichkeit, als 31 Vgl. Welsch, Wolfgang: Ästhetisches Denken (= Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8681). Stuttgart 1990, S. 9/10, wo "Ästhetik genereller als Aisthetik", das sich vom griechischen aisthesis (als dem Gegebenen der Sinneserscheinung) herleitet, aufgefaßt wird; d.h. eine "Thematisierung von Wahrnehmungen aller Art, sinnenhaften ebenso wie geistigen, alltäglichen wie sublimen, lebensweltlichen wie künstlerischen." 32 Vgl. Arnheim, Rudolf: Film als Kunst. Mit einem Vorwort zur Neuausgabe. Nachwort zur Taschenbuchausgabe von Helmut H. Diederichs, Frankfurt am Main 1979, S. 21ff. vielmehr auf Semiosis, d.h. die Hervorbringung von spezifischen Bedeutungen, die aus inszenierten Gegenmodellen zur gewöhnlichen/gewohnten Wahrnehmung resultieren. Diese Haltung rückt Drehbücher in die Nähe der Lyrik. Die Grenzen zwischen Leben und Kunst fließen sprachlich ineinander, die Dinge des 'Realen' werden vor jedem wirklichen Wahrnehmungsvollzug als 'Bilder' ausgestellt. Wer noch niemals einen Film gesehen hätte, könnte deshalb ein Drehbuch kaum mit Gewinn und Verständnis lesen. Hier offenbart sich auch der entscheidende Unterschied zwischen Drehbuch und den anderen Gattungen der Literatur. Er liegt darin, daß etwa ein Roman fiktiv eine Geschichte vergegenwärtigen soll, die in der/irgendeiner Realität spielt/spielen könnte, während ein Drehbuch so tut, als bezöge es sich auf eine Geschichte, die schon in einem anderen Medium Gestaltung gefunden hat. Pier Paolo Pasolini sprach einmal 33 vom Drehbuch als von einer "Struktur, die eine andere Struktur sein will." Mit anderen Worten ausgedrückt, heißt das: das Signifikat eines Signifikanten (= Begriffe) in einem Drehbuchtext ist nicht etwas in der 'normalen' Lebenswirklichkeit, sondern ist seinerseits ein Signifikant in einem anderen komplexen ästhetischen Code-System. Die Ebenen der BedeutungsVermittlung potenzieren sich, sodaß es lohnend sein könnte, Drehbücher einmal in ihrem Verhältnis zu frühromantischen Dichtungstheorien zu untersuchen. Diesbezüglich kann auch kein Dramentext mithalten, der zwar - das ist einzuräumen - auf eine bestimmte Kommunikationssituation im Theaterraum hin geschrieben werden muß (wie immer dieser beschaffen sein mag), dem jedoch der Verweischarakter auf eine (zumindest) 'doppelte' Wirklichkeit fehlt. Der ästhetische Reiz eines Drehbuchs entspricht jener Distanz - nicht Identität (!) - die es zwischen dem sinnlichen Erlebnis eines Films im Kino und dessen 'Transkription' in der Schrift herstellt. Es trifft daher sicherlich zu, daß (gute) Drehbuchtexte von einer Beherrschung der filmischen Darstellungsmittel ausgehen, die der Leserschaft nicht immer zueigen ist. Der Text eines Drehbuchs bezieht sich jeweils auf einen fensterhaften Ausschnitt der Außenwelt, in dem sämtliche Handlungen und Geschehnisse das Schauspielhafte der Realität demonstrieren. Er ist Ergebnis einer Wahrnehmung, die alles, was jemand aufnimmt, zu nichts anderem als einer Widerspiegelung seiner psychischen Prädis-potion(en), seiner Wünsche, Träume, Begierden und Ängste macht. Drehbücher sind literarische Umsetzungen eines Erkennens, in dem sich die Phänomene der 'äußeren' und der 'inneren' Welt vermischen. Dem Drehbuchautor geht es nicht primär um die Übernahme des Filmischen im Sinne der Imitation bestimmter technischer oder stofflicher Eigentümlichkeiten, sondern um das Erlebnishafte, das dem Medium Film eignet. Drehbücher entwerfen ein 33 Zitiert nach Brunow, Erzählen in Bildern, a.a.O., S. 25. Denken in Anschaulichkeit, einen Diskurs in Bildern, in denen sinnliche Erscheinung und Allgemeinbegriffe zu einer kohärenten Einheit verschmolzen sind. Ich hoffe, wenigstens einige Gründe nachvollziehbar gemacht zu haben, warum meiner Meinung nach Drehbücher weit ausführlicherer Theorien bedürften, als sie heute zur Verfügung stehen, und neuer literaturwissenschaftlicher Analysemethoden, die nicht von den nach wie vor gängigen dualistischen Vorstellungen ausgehen, die wertend Wörter versus Bilder oder einen Text versus Film stellen. Zusammenfassung Es entbehrt nicht der Ironie, daß bislang ausgerechnet Drehbücher, deren poetisches Potential sich sozusagen an einer Schnittstelle von Wort- und Bild-Kultur, von individuell-künstlerischer und kollektiv-industrieller Produktionsweise entfaltet, die Funktion eines blinden Flecks innerhalb des Literaturforschungsbetriebs einzunehmen scheinen. Doch ausgehend von der Überlegung, daß es sich bei einem jeden Drehbuch - grundsätzlich gesagt! - in erster Linie einmal um ein Buch handelt, das sich an Leserinnen wendet, werden in dem vorliegenden Aufsatz einige Kategorien für eine Poetologie einer Gattung namens Drehbuch zu entwickeln versucht. Dabei wird ersichtlich, daß es einen eigenständigen ästhetischen Reiz von Drehbüchern gibt, der nicht aus der mehr oder weniger präzisen Formulierung filmaufnahmepraktischer Anweisungen resultiert, sondern aus dem Zusammenspiel bestimmter literarischer Kunstgriffe, deren sich der Drehbuchautor bedienen muß, um den komplexen filmischen Code aus sprachlichen, bildlichen und akustischen Elementen in anschaulicher Weise (vor)strukturieren zu können. Povzetek SCENARIJ KOT LITERATURA Ne gre brez ironije ob dejstvu, da so imeli doslej ravno scenariji, katerih poetični potencial se razvija takorekoč na prerezu besedne in slikovne kulture ter individualno-umetniškega in kolektivno-industrijskega produkcijskega načina, funkcijo slepe pege na področju raziskovanja literature. Izhajajoč iz prepričanja, da gre -načeloma rečeno! - pri vsakem scenariju v prvi vrsti za knjigo, ki se obrača na bralce, poskuša pričujoči članek razviti nekaj kategorij za poetologijo literarne vrste, imenovane scenarij. Pri tem se pokaže, da imajo scenariji svoj lasten estetski čar, ki ne nastaja zaradi bolj ali manj natančnega oblikovanja praktičnih navodil za snemanje filma, ampak zaradi součinkovanja določenih literarnih prijemov, ki jih mora avtor scenarija uporabiti, da lahko na nazoren način iz jezikovnih, slikovnih in akustičnih elementov strukturira celoten filmski kod. Ada Gruntar Universität Ljubljana UDK 803.0-086.6:796.5:659.1:801.73 STRUKTURCHARAKTERISTIKA IN REISEPROSPEKTEN 1. AUFBAU UND GLIEDERUNG DES TEXTES (Ermittlung der Makrostruktur des Textes) "Textbausteine" Der Terminus "Textbaustein" (Nord, 1991a, 235) bezieht sich auf alle Teiltexte, die in der betreffenden Textsorte vorkommen, u. z.: - Titel, - Intexte, - Zitate und Anlehnungen, - Slogans, - *Tabellen, Listen, - *Stadtpläne bzw. Lagepläne der Sehenswürdigkeiten, Wegepläne, - *Bildmaterial und -erklärungen, (* Nonverbale und semiverbale Textmerkmale) 1.0. OPTISCHE GLIEDERUNG Die Makrostruktur des Textes ist zunächst durch optische, nonverbale Markierungen wie Abschnitte, Kapitelkennzeichnungen und dergleichen zu erkennen. 1.1. Titel Eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit der Makrostruktur spielen Titel, die innerhalb des Textes als Gliederungssignale fungieren können. Der Titel ist ein selbständiger Text, der auf einer Metaebene oberhalb des Ko-Textes angesiedelt ist. Er ist Text "über einen Text" und muß daher als "Metatext" bezeichnet werden. Titel können unterschiedliche kommunikative Funktionen erfüllen, die sich aus der jeweiligen Intentionalität ergeben. Neben der metatextuellen Funktion kann der Titel den Text identifizieren (= distinktive Funktion). Er kann weiter den Text klassifi- zieren und beschreiben, über ihn informieren (= referentielle oder Darstellungsfunktion). Außerdem lassen sich durch den Titel die Einstellungen des Senders zum Text und zu den Faktoren der Situation, auch zum Empfänger, feststellen (= emotive / Ausdrucksfunktion). Der Titel soll den ersten Kontakt zum Empfänger herstellen (= pha-tische Funktion). Schließlich soll der Titel ein möglichst starkes Interesse wecken und den Empfänger möglicherweise dazu bewegen, den Text zu lesen. Sehr oft stecken hinter der Formulierung eines Titels starke materielle Interessen (Werbesprache!). Es handelt sich hier um die konative oder Appellfunktion des Titels (vgl. hierzu ausführlicher Nord 1989 und 1993). 1.2. "Intexte" Ähnlich unabhängig vom Gesamttext wie Titel sind auch eingebettete Teiltexte, die Schmidt (1971, 50) als "Intexte" bezeichnet. Zu den Intexten rechnet Nord (1990, 117) auch Zitate. 1.3. Zitate Zitate sind eine Erscheinungsform der "Intertextualität" (vgl. Beaugrande / Dressler, 1981, 193): "In einen Text wird ein bestimmter, bereits geäußerter oder vorliegender Text aufgenommen, auf dessen eigene Situationalität zumeist verwiesen wird: durch Anführungszeichen, durch metakommunikative Verben und Ausdrücke oder durch formelhafte Wendungen ('xy schreibt', 'so xy',...)" ( Nord, 1990, 3). Zitate werden in einen neuen Redekontext eingebettet und erhalten dementsprechend eine neue Funktion: a.) informative Zitate, die über einen Gegenstand referieren (informieren), b.) expressive Zitate, bei denen die persönliche Stellungnahme des Zitatsenders im Vordergrund steht, c.) appelllative Zitate; sie suchen, beim Empfänger eine bestimmte Wirkung zu erreichen, ihn zu beeindrucken und d.) phatische Zitate, mit Hilfe deren der Sender den Kontakt zum Empfänger herzustellen und aufrechtzuerhalten versucht. Sehr häufig treten Mischformen auf, in denen mehrere Funktionen gleichzeitig wirksam sind. 1.4. Anlehnungen Als eine Art des Zitierens sind auch Anlehnungen zu betrachten. Sie sind als Verweise auf allgemein bekannte (literarische) Zeugnisse gemeint. Bei der Anlehnung wird ein Teil bekannter (oder als bekannt vorausgesetzter) Texte, häufig in modifizierter Form, wiedergegeben (z. B. Anlehnung an einen Bibeltext). Da es keine metakommunikativen Hinweise gibt, sind sie oft schwer zu erkennen. 1.5. Slogans Slogans sind knappe und einprägsame Formulierungen und dienen der kom-merzialen oder politischen Werbung. Sie zeichnen sich vorwiegend durch phatische Funktion aus. Es wird oft eine Werbeaussage zusammengefaßt, wobei jedoch emotionale Komponenten eine größere Rolle spielen als sachliche Argumente (vgl. Bußmann 1983). Man verwendet gerne "Wörter mit unscharfer lexikalischer Bedeutung, unspezifischer Verwendung und emotiven Bestandteilen, die als Auslöser von Gefühlsregungen wirken" (Lewandowski 199(f). Ihre wichtigsten Zwecke sind: Aufmerksamkeit erregen, das Produkt darstellen, sich vom Empfänger leicht einprägen lassen, Kauf- oder ähnliche Entscheidungen auslösen. Folgende Merkmale sind bei Slogans besonders wichtig: a.) Aussage Die wichtigsten Eigenschaften des Produkts werden genannt oder durch Symbole suggeriert. Der Rezipient wird entweder direkt oder indirekt angesprochen. b.) Form Der Einprägsamkeit dient die Kürze, poetische Mittel wie Reim, Alliteration, Assonanz, rhythmische Muster, Reizwörter usw. Slogans können in einem Text mehrfach wiederaufgenommen und auch in anderen Texten zitiert werden (Nord 1991a, 232). 1.6. Tabelen, Listen, Pläne, Bildmaterial Tabellen, Listen, verschiedene Pläne und Bildmaterial sind sprachbegleitende bzw. -komplementäre nichtsprachliche Mittel; sie gehören dem Bereich "nonverbale Textmerkmale" an. Sie dienen der Ergänzung, Verdeutlichung, Disambiguierung und Intensivierung der Textaussage. Verschiedene Pläne, insbesondere aber Fotos, sind für die ausgewählte Textsorte typisch und in hohem Maße empfängerbezogen. Sie können sowohl textbegleitende Funktion als auch textergänzende und textersetzende Funktion erfüllen. Man darf nicht vergessen, daß Fotos eine starke appellative Funktion besitzen und zusammen mit dem Text viel überzeugender wirken. 1.7. Textanfang und -Schluß Da Textanfang und -Schluß sowohl für Verständnis als auch Interpretation eines Textes besonders wichtig sind, verdienen sie bei den empirischen Untersuchungen besondere Beachtung. Sie können durch bestimmte sprachliche Mittel gekennzeichnet werden, die zum Teil auch konventionell vorgeschrieben sind, z. B. die "Moral" am Ende der Fabel oder der Märchenanfang "Es war einmal...". 2. ERGEBNISSE DER EMPIRISCHEN ANALYSE Das untersuchte Korpus setzt sich aus 10 Reiseprospekten zusammen. 2.1. (Zwischen)Titel Die meisten der analysierten Texte bestehen aus mehreren Teiltexten, die durch Zwischentitel graphisch und thematisch klar voneinander getrennt sind. Die Zwischentitel besitzen die Funktion der thematischen Kennzeichnung. Die semantische Beziehung zwischen Zwischentitel und Ko-Text kommt hier klar zum Ausdruck. Es sollte aber gleich zu Anfang vermerkt werden, daß der Themenwechsel nicht unbedingt Textwechsel bedeutet, "obwohl semantische Textbegrenzung an der Einheit der thematischen Referenz orientiert ist" (Plett, 19792,104). Das ist aber nur dann der Fall, wenn kein semantisches Merkmal das erste Thema mit dem zweiten verbindet. Es handelt sich hier vielmehr um eine Textkombination mit einer Anzahl unterschiedlicher, aber kompatibler Themen. "Kompatibel" bedeutet, daß sie in bezug auf bestimmte referentielle Merkmale kongruent sind (vgl. Plett 1979*, 103). Neben der thematischen Kennzeichnung erfüllt der Zwischentitel noch folgende Funktionen: er liefert bestimmte Vorinformationen und hier kommt seine präreferentielle bzw. prä-darstellende Funktion zum Ausdruck. Außerdem kann gerade durch den Titel ein erster Kontakt zum potentiellen Publikum hergestellt werden (= phatische Funktion). Der Titel soll beim Empfänger ein möglichst starkes Interesse an einer weitergehenden, über den Text realisierten Handlung wecken, so daß der Empfänger dazu bewogen wird, die im Text dargestellte Stadt zu besuchen. Hier haben wir es mit der konativen oder Appellfunktion des Titels zu tun. Zusammen mit Fotos ( und Zitaten) spielt gerade diese Funktion die Hauptrolle. Die Titel zeichnen sich sowohl durch spezifische sprachliche Merkmale aus wie Kürze ("Speyer heute", "Mittelalter", "Klein Jerusalem", ...), Elliptik ("Bühne frei für Ihr Theaterwochenende", "Klein, aber fein: Kulinarische Tage im Markgräfler Hof.", "Wetten, daß ...", ...), Nominalität (."Kaiser und Bischöfe", "Das 20. Jahrhundert", "Bildung, Kunst, und Kultur", ...), Verwendung von Reizwörtern ("Schwetzingen -Perle der Kurpfalz", "Die Exotik", "Freiburg - Wo die Sonne daheim ist", "München -Magnet Europas", ...) als auch durch nonverbale Merkmale (Fettdruck, Sonderstellung, Zentrierung ). Weiterhin sind die Titel einfach und knapp formuliert, wodurch eine größere Appellwirkung erreicht wird. Ihrer Form nach sind sie: nominale Titel ("Feste und Bräuche", "Oase der Gemütlichkeit", ...), satzartige Titel ("In Mosbach wird Kultur großgeschrieben", "Studier' mal Marburg",...), adverbiale ("In der Fachwerkstadt... und in den Stadtteilen",...), attributive ("Mosbach innovativ", "Freizeit aktiv", ...) und verbale Titel ("Freiburg und seine Umgebung entdecken", "In bester Atmosphäre tagen -...",...). 2.2. Zitate Einige Zitate heben sich vom Ko-Text graphisch (Sonderstellng, Kennzeichnung durch Anführungszeichen, Kursiv-, Fettdruck) ab (1.), die anderen sind im Text eingebettet (2.) und dienen manchmal als Gliedsätze (3.). In beiden Fällen weisen sie aber eine andere Funktion auf; hier steht die Funktion Werbung im Vordergrund. Der Zitattyp und seine Funktion sind eng mit der Textsorte verbunden. Meiner Meinung nach erfüllen die im Korpus vorkommenen Zitate nicht nur die appellative, sondern auch die phatische Funktion; oft dienen sie nämlich als "Aufhänger" zu einem Thema und regen gleichzeitig den Empfänger zum Weiterlesen an, z. B.: 1. "Zu Marburg muß man seine Beine rühren und treppauf, treppab steigen." Jacob Grimm (in: Marburg") 2. "Eine Stadt liegt an dem Rheine, die ist so wonnesam, sie ist geheißen Worms, die kennt so mancher Mann." (Autor nicht genannt) (in: "Worms") 3. "Wir fahren im Frühling die Bergstraß' entlang", heißt die musikalische Liebeserklärung unserer Chöre an ihre Heimat. (in: "Heppenheim...") Einige im Text eingebettete Zitate weisen die informative Funktion auf. Die Mitteilung über den Gegenstand, die sie in den Text einbringen, steht im Vordergrund; sie dienen zur Bestätigung der Aussage / Meinung des Produzenten. Nicht selten bringt der Produzent seine Meinung zum Ausdruck, indem er ein Zitat in den Text einbettet und den Zitatautor sprechen läßt. 2.3. Anlehnungen Die Anlehnungen fungieren als "Aufhänger" zu den Teiltextthemen. Sie sind optisch erkennbar, u. z. durch nonverbale Elemente wie Fettdruck und Sonderstellung (über dem Ko-Text angesiedelt). Im Unterschied zu den Zitaten sind sie nicht durch Anführungszeichen markiert.Die Anspielungen wirken appellativ an den Rezipienten, indem sie seine "Texterfahrung" aktivieren (= appellative Funktion). Oben angesiedelt, stellen sie einen ersten Kontakt zum Adressaten her und enthalten in diesem Sinne auch die phatische Funktion: Reisender, kommst Du Zu jeder Stunde, nach Marburg, so grüßt die die alte Kunstuhr Dich schon aus der Ferne schlägt, bläst der das Schloß hoch über der Wächter und dreht Stadt. der Tod die Sanduhr. Von den Zeiten als das Wünschen noch geholfen hat. (in: "Marburg") Als "Aufhänger" zum Teiltextthema fungieren nicht selten die Sätze, die weder Zitate noch Anlehnungen sind; sie sind vom Ko-Text abgesetzt und durch den Fettdruck kenntlich gemacht: Weber, Bäcker, Müller, Gerber, Messerschmiede, Küpfer und andere Handwerkszünfte förderten im 16. Jahrhundert die Bedeutung der Stadt. (in: "Mosbach", "Aufhänger" zum Teiltextthema "Marktfleck, Handwerkerstadt...") 2.4. Slogans Um nur einige paar zu nennen: "Konstanz zum Aufatmen", "München - Magnet Europas", "Oase der Gemüüichkeit", "Freiburg - Wo sie Sonne daheim ist", "Folgen Sie einfach der Sonne", "Studier' mal Marburg", "Schwetzingen - Perle der Kurpfalz", ... Anhand der Ergebnisse der Analyse kann man Folgendes feststellen: - die phatische Funktion überwiegt, - der Rezipient wird indirekt / direkt angesprochen (für direkt vgl. Beispiele): "Studier' mal Marburg", "Folgen Sie einfach der Sonne", "Ihr Rendezvous mit der Sonne","Machen Sie Ihr Wetter selbst", - sie fungieren als Haupttitel; noch häufiger als Zwischentitel, - die emotionale Komponente kommt zum Ausdruck, indem Reizwörter und einprägsame Formulierungen, die kurz und bündig sind, verwendet werden, - die als Haupttitel dienenden Slogans werden im Text einmal / mehrmals wiederaufgenommen, während die Slogans, die als Zwischentitel fungieren, im Teiltext sehr selten wieder auftauchen, - manchmal knüpfen die "Zwischen" slogans als eine Art Anlehnung an den "Haupt"slogan an: "Freiburg - Wo die Sonne daheim ist" (= "Haupt"slogan) "Freiburg: der graue Alltag hat Pause", "Folgen Sie einfach der Sonne", "Ihr Rendezvous mit der Sonne", "Sonne im Glas : Freiburger Weinkost", "Machen Sie Ihr Wetter selbst" (="Zwischen"slogans), - die Form der Slogans: dem Eigennamen folgt die Spezifizierung bzw. Ergänzung in Form eines Gliedsatzes ("Freiburg - Wo die Sonne daheim ist"), einer Apposition bzw. Parenthese ("Schwetzingen - Perle der Kurpfalz", "Ladenburg - Stadt seit 98 n. Chr."), einer Präpositionalgruppe ("Konstanz zum Aufatmen"). 2.5. Bildmaterial und -erklärungen, Stadt- und Wegepläne Wichtiger als die Fotos selbst sind in diesem Zusammenhang die dazugehörenden Bilderklärungen, die unterhalb (seltener oberhalb, rechts oder links) der Fotos angesiedelt sind. Durch die Bilderklärungen werden die Namen der Sehenswürdigkeiten angegeben, die zur besseren Übersichtlichkeit manchmal durch Anführungszeichen bzw. Kursive hervorgehoben sind. Einige Namen der Sehenswürdigkeiten sind manchmal durch Appositionen (Parenthesen) spezifiziert bzw. erläutert; häufig steht bei dem Namen ein Attribut, das örtliche oder zeitliche Umstände kennzeichnet: "Heiliger Sand, ältester Judenfriedhof Europas", "Siegfriedstein, mittelalterlicher Kelterstein", "Denar des Kaisers Trajan (98 - 117 n. Chr.)", "Alte Synagoge in der Judengasse", "Stadtsiegel von 1550". Die Bilderklärungen sind ihrer Form nach meistens Einzelwörter (Eigennamen) oder Wortgruppen (Eigennamen +...). Im Korpus kommen auch einige Ellipsen vor, während vollständige Sätze seltener zu finden sind. Sowohl bei Bilderklärungen als auch bei Stadt- und Wegeplänen ist der Nominalstil zu beachten. Die beiden letzten dienen der übersichtlichen Anordnung von Informationen. Wichtig ist hier weiterhin: - die Hervorhebung der Sehenswürdigkeiten, Hotels,... durch die Numerierung, - die Legende: Untereinanderschreiben (Nebeneinanderschreiben) der Nummern und Sehenswürdigkeiten. 2.6. Textanfang und -Schluß a.) Textsortenspezifische Anfangsmerkmale: 1. "Aufhänger" zum Thema: (vgl. Zitate, Anlehnungen) 2. Slogans:(\gl. dort) 3. Teiltextthema: "Geschichte" (50 % aller untersuchten Texte: Mosbach, Marburg, Schwetzingen, Speyer, Ladenburg), "Vielfalt oder Mach' Dir ein Bild" (50 % aller untersuchten Texte: Konstanz, München, Heppenheim, Worms, Freiburg). b.) Textsortenspezifische Schlußmerkmale: 1. nonverbale Textmerkmale: Stadtplan, Wegeplan (= 70 % aller untersuchten Texte: Mosbach, München, Freiburg, Schwetzingen, Speyer, Heppenheim, Ladenburg), 2. Empfängerreferenzen (direkte, indirekte): sie finden sich - in den Überschriften zu den Wegeplänen: "So finden Sie uns", - im Informationsblatt: "Die Anzahl der zu entwertenden Streifen zeigt Ihnen die Informationstafel an den Automaten.", "So buchen Sie Freiburg komplett.", - in den textabschließenden Sätzen. Obwohl Bezugnahmen auf den Adressaten in den untersuchten Texten immer wieder vorkommen, scheinen mir diese am Textschluß besonders wichtig zu sein; an dieser Stelle sucht der Produzent, den Appell noch stärker zum Ausdruck zu bringen als woanders im Text. Die direkte Anrede, deren sich der Autor bedient, suggeriert dem Leser, daß er ganz persönlich gemeint ist; er fühlt sich geschmeichelt, ins Vertrauen gezogen, als Individuum respektiert und reagiert positiv auf den Appell. Um seine Intention möglichst gut zu verwirklichen, verwendet der Sender bestimmte Schlußstrategien: Es überwiegen die Satzarten: - Behauptungssatz "... die Atmosphäre der Stadt wird Sie gefangennehmen." (in: "Konstanz") "Wir sind sicher, Sie werden gerne wiederkommen." (in: "Ladenburg") - Imperativsatz "Überhaupt, genießen Sie die schon sprichwörtliche Heppenheimer Gastfreundschaft." (in: "Heppenheim") Dann die Strategien, die dem Leser schmeicheln sollen (hier wird der Rezipient indirekt angesprochen): "Erste Adresse für Gäste unserer Stadt" "Freiburg zum Mitnehmen : Bücher für Freiburg - Freunde" (in: "Freiburg") solche, die ihm Vertrauen einflößen sollen: "Ladenburg, Stadt seit 98 n. Chr., lädt Sie ein: Stöbern Sie durch 2000 Jahre Geschichte,..." (in: "Ladenburg") und die Strategien, die durch Auslassungen Spannung wecken: "Sie werden bald in's Loblied der Sänger miteinstimmen ^J' (in: "Heppenheim") 3. indirekter Appell (Einladung): "Die historische Innenstadt gibt den reizvollen Rahmen für eine abwechslungsreiche belebte Zone, die zum Bummeln, Schauen, Einkaufen und Genießen einlädt." (in: "Speyer") "Spätestens bei einer Weinprobe wird deutlich, daß zwei Dinge zusammengehören: Wein und Herzlichkeit." (in: "Worms") Eine wichtige Rolle spielt hier die Lexik; es werden gerne Reizwörter, wertende Wörter (Adjektive) und interessante Wortpaare (Wein und Herzlichkeit) benutzt. Sie alle mobilisieren die Gefühle und erhöhen so die Bereitschaft zum Engagement für den Redegegenstand; hier Besuch der Stadt (vgl. dazu auch Reiß 1978). Quellenverzeichnis "Mosbach - Machen Sie sich ein Bild", "Konstanz zum Aufatmen", "München", "Freiburg - Wo die Sonne daheim ist", "Studier' mal Marburg", "Schwetzingen - Perle der Kurpfalz", "Speyer - 2000 Jahre Speyer", "Kreisstadt Heppenheim an der Bergstraße", "Worms am Rhein", "Ladenburg - Stadt seit 98. n. Chr.". Literaturverzeichnis Beaugrande, R. A. de / Dressler, W. U. (1981): "Einführing in die Textlinguistik", Tübingen. Bußmann, H. (1983): "Lexikon der Sprachwissenschaft", Stuttgart. Lewandowski, Th. (19905): "Linguistisches Wörterbuch", Heidelberg; Wiesbaden. Nord, C. (1989): "Der Titel - ein Mittel zum Text. Überlegungen zu Status und Funktionen des Titels", in Reiter, N. (ed.): Sprechen und Hören, Akten des 23. Linguistischen Kolloquiums in Berlin, Tübingen 1989, 519-528. Nord, C. (1990): "Zitate und Anspielungen als pragmatisches Übersetzungsproblem", in TextconText 1 / 1990, 1-30. Nord, C. (1991a): "Übersetzen lernen - leicht gemacht. Ein Kurs zur Einführung in das professionelle Übersetzen aus dem Spanischen ins Deutsche", Band 2, Heidelberg. Nord, C. (19912b): "Textanalyse und Übersetzen", Heidelberg. Nord, C. (1993): "Einführung in das funktionale Übersetzen. Am Beispiel von Titeln und Überschriften", Tübingen; Basel. Plett, H. F. (19792): "Textwissenschaft und Textanalyse", Heidelberg. Reiß, K. (1978): "Die Sprache der Werbung", in Lebende Sprachen, Vol. 23-24 / 1978, 100-103. Schmidt, S. J. (1971): "'Text' und 'Geschichte' als Fundierungskategorien", in Stempel (ed.): Beiträge zur Textlinguistik, München 1971, 31-51. Povzetek STRUKTURNE ZNAČILNOSTI TURISTIČNIH PROSPEKTOV Odstavki in poglavja so tista nejezikovna znamenja, ki optično najbolje ponazarjajo makrostrukturo besedilne vrste "turistični prospekt". Pri zunanji zgradbi besedila imajo pomembno vlogo naslovi, ki imajo poleg razdelitvene funkcije tudi metajezikovno, prereferencialno, fatično in apelativno funkcijo. Citati kot pojavna oblika medbesedilnosti se grafično ločijo od sobesedila ali pa so vanj vpeti, pri čemer je največkrat v ospredju apelativna funkcija. Pri sloganih sta pomembna zlasti sporočilo in oblika, značilni zanje sta fatična funkcija in čustvena komponenta, prevzamejo pa lahko tudi vlogo glavnega ali vmesnega naslova. Tabele, seznami, načrti mest oziroma poti in slikovni material so nejezikovna sredstva, ki dopolnjujejo, ponazorijo, poudarijo besedilo ter omogočijo njegovo enopomenskost. Začetek in konec imata zelo pomembno vlogo pri zunanji zgradbi besedila. Pogosti uvodni elementi so med drugim citati in slogani, zaključni pa nejezikovna sporočila, poziv naslovniku in specifična leksika. Zrinjka Glovacki-Bernardi Universität Zagreb UDK 803.0-086.6:651(083.1):801.73 GEBRAUCHSANWEISUNGEN Die Sprache ist die Mitte, in der sich die Verständigung der Partner und das Einverständnis über die Sache vollzieht. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode Bereits vor 20 Jahren stellt Renate Mann fest, daß nur eine Kombination sprachlicher und außersprachlicher Merkmale Kriterien für die Unterscheidung von Textsorten bereitstellen kann.1 Die Textsorten wurden definiert "(•••) als charakteristische, überindividuelle Sprech-oder Schreibweisen, die an wiederkehrende und sozial verfestigte (vorgeprägte) Redekonstellationen gebunden sind".2 Deshalb ist die Untersuchung der in Texten objektivierten, in einer Gesellschaft kodierten sozialen Rollen ihrer Mitglieder, die im Sinne konstitutiver Regeln die Sprecher-Hörer-Beziehung in einem Kommunikationsakt präskribieren, ein wichtiger Bereich der Linguistik. Die zeitgenössische linguistische Pragmatik sowie auch die Textlinguistik, ausgehend von der Sprechakttheorie Austins und Searles, begreift die sprachlichen Interaktionsformen und die entsprechenden Textsorten als Manifestation sozialer, institutionalisierter Verhaltenskodes. Wenn man das Funktionieren der Sprache im Prozeß des Sprechens und Schreibens, Lesens und Hörens untersucht, stößt man auf Funktionskreise, die sich im Medium der Sprache etabliert haben. "Aus den Kooperationsprinzipien ergeben sich Geltungsansprüche wie Wahrheit, Wahrhaftigkeit und Normativität, die den Hintergrundkonsens funktionierender, auf Partner orientierter Sprachspiele ausmachen."3 Auf der Ebene der Textsorten können je spezifische Aspekt-und Bedingungskataloge erstellt werden, die in der Analyse der Strukturen von Textsorten und ihren Realisationsformen zu berücksichtigen sind. Die zwei Momente, die den Text als Aussage 1 Renate Mann: Textsorten - Aspekte der Textkonstitution. In: Die Neueren Sprachen 6/76. S. 577ff. 2 Uwe Pörksen: Textsorten, Textsortenverschränkungen und Sprachattrappen. In: Wirkendes Wort 4/74, S. 219ff. 3 Hanspeter Ortner: Nachdenken über die Funktionen der Sprache. In: ZGL 3/92, S. 271ff. definieren, sind die Absicht (Intention) und die Funktion sowie die Realisierung dieser zwei Momente. Die Intention und die Funktion der Aussage bedingen einander. Was das Prototypische einer Textsorte betrifft, so ergeben sich daraus zunächst die folgenden Fragen: Wie sind die Relationen zwischen den allgemeinen, universalen "Sprachfunktionen" und der Funktion des empirischen Stereotyps "Textsorte" zu bestimmen, gibt es überhaupt pragmatische Äußerungsinhalts-Typen, also Textsorten, die nur eine Funktion haben? Die Textsorte, die mir zur Beantwortung dieser Fragen besonders geeignet schien, war die Gebrauchsanweisung, denn ich war fest davon überzeugt, daß es sich um eine völlig schabionisierte Textsorte handelt, die nur eine Funktion hat, die der instruktiven Funktion der Sprache entspricht und die sprachlich immer nach ein- und demselben Muster realisiert wird. Um das Prototypische dieser Textsorte genauer bestimmen zu können, habe ich ein Korpus untersucht, das aus Gebrauchsanweisungen für Arzneimittel besteht, die in deutschsprachigen Ländern und in Kroatien produziert werden, d.h. die in zwei unterschiedlichen Sprachen verfaßt sind. Das Korpus wurde unter Berücksichtigung folgender Aspekte analysiert: die Art der übermittelten Information, syntaktische Konstruktionen, morphosyntaktische Besonderheiten, phorische Relationen. Die Gebrauchsanweisungen übermitteln immer die folgenden Informationen: Zusammensetzung, Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln, Dosierungsanleitung, Haltbarkeit. Diese Art von Information findet man in allen Packungsbeilagen und zwar sowohl in deutschen wie auch in kroatischen Gebrauchsanweisungen. Diese Übereinstimmung von Informationsübermittlung ist textextern bestimmt - nämlich durch die Regelung der Arzneimittelbehörden. Die Gebrauchsanweisung ist ein schriftlich fixiertes Sprachgebilde. Da die Art der übermittelten Information textextern bedingt ist, ist diese Textsorte in der Regel immer nach einem vorgeschriebenen Muster strukturiert und streng schematisiert kodiert. Die strenge Strukturierung hängt einerseits von der textexternen Bestimmung ab und andererseits von den konkreten Folgen, die sich im Fall der Arzneimittelpackungsbeilage direkt auf die Gesundheit des Rezipienten auswirken. Deshalb soll die textextern bedingte Information deutlich und logisch argumentativ präsentiert werden. Diese Anforderung bedingt die syntaktische Strukturierung des Textes. Vor allem finden wir Kausalsätze, die den Grund für das Geschehen im Hauptsatz erklären Da noch keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen, dürfen X Tropfen in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft sowie während der Stillzeit nicht eingenommen werden. X aerosol je pogodan za suzbijanje bronhospazma i u bolesnika s popratnom bolesti srca ili hipertenzijom, jer u propisanim dozama ne povečava rad srca niti potrošak kisika. Es folgen Relativsätze, die Beziehungen signalisieren Nebenwirkungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit der Anwendung von Cromoglicinsäure-haltigen Arzneimitteln beobachtet wurden, werden im folgenden genannt. Zbog toga spektar djelovanja amoksicilina postaje širi ик-Ijučujući i mikroorganizme koji bi inače bili rezistentni zbog produkcije betalaktamaze. und Konditionalsätze, die Voraussetzungen für das Geschehen im Hauptsatz angeben; besonders häufig kommen Konditionalsätze in kroatischen Texten vor Fragen Sie daher Ihren Arzt, wenn Sie andere Mittel ständig anwenden. Gastrointestinalne pojave, ako se pojave, mogu se smanjiti uzi-manjem na početku obroka. sowie Finalsätze, die den Zweck des Geschehens im Hauptsatz erläutern Damit der Arzt sorgfältig prüfen kann, ob Gegenanzeigen bestehen, muß er über Vorerkrankungen, Begleiterkrankungen sowie über Ihre besonderen Lebensumstände und Gewohnheiten unterrichtet werden. Bočica se zatvori i sadrzaj u njoj se dobro promućka da se dobije jednolična suspenzija. Vereinzelt kommen Konzessivsätze vor, die den Gegengrund anführen, trotz dem das Geschehen im Haupsatz realisiert wird Auch wenn Untersuchungen zeigen, daß die Wirkung von Alkohol nicht verstärkt wird, sollten X Tropfen nicht zusammen mit Alkohol eingenommen werden. Mučnina, premda se rijetko javlja, uglavnom je povezana s velikim dozama. Mit nur einem Beispiel ist in deutschen Texten der Komparativsatz und in kroatischen Texten der Temporalsatz vertreten In sehr seltenen Fällen kann der Bronchialkrampf so ausgeprägt sein, daß die Therapie unterbrochen werden muß. Neposredno nakon sto se djetetu da sirup, treba mu dati nekoliko gutljaja čaja, mlijeka ili stično. Die Nebensätze, die in den analysierten Gebrauchsanweisungen vorkommen, erläutern Voraussetzungen, Zweck, Gründe und Gegengründe, die für die informative und aufklärende Funktion dieser Textsorte von besonderer Bedeutung sind. Eine besondere morphosyntaktische Eigenschaft der Gebrauchsanweisungen für Arzneimittel sind die Modalverba. Der häufige Gebrauch der Modalverba ist genauso durch die Intention und die Funktion dieser Textsorte bedingt Das Arzneimittel soll nach Ablauf des Verfalldatums nicht mehr angewendet werden. Kod ponovljenog liječenja treba kontrolirati broj leukocita. Die Gebrauchsanweisung hat die Referenz zur empirischen Wirklichkeit mit allen nicht-fiktionalen Texten gemeinsam. Wegen ihrer Grundfunktion kann sie auf die elementare Sprachform des Befehls nicht verzichten Soweit nicht anders verordnet, lösen Sie täglich 1 Brausetablette in 1/2 Glas Wasser Čuvajte na hladnom mjestu Um das ständige Wiederholen der Imperativformen zu vermeiden, werden Konstruktionen mit Modalverben verwendet, in deutschen Texten oft mit Passivformen des Hauptverbs Die Tropfen sollen mit Flüssigkeit am Abend eingenommen werden. X Tropfen können unabhängig vom Abendessen eingenommen werden. X Tropfen sollen nach Ablauf des Verfalldatums nicht mehr angewendet werden. In deutschen Texten werden die phorischen Relationen durch Pronomina und durch Pronominaladverbien sowie durch Konjunktionen realisiert. Für das Textverständnis ist wichtig, daß durch die Pronomen auf gerade Gelesenes verwiesen wird. Die Konjunktionen verbinden Textteile. Dadurch wird dem Leser ermöglicht, einen Zusammenhang herzustellen und das Gelesene als eine Einheit aufzufassen Xsind homöopathische Arzneimittel. Sie enthalten Grundstoffe... Diese Nebenwirkungen waren nicht gravierend. Auch bei längerer Anwendung von X kommt es nicht zur Wirkungsminderung. In kroatischen Texten werden die phorischen Relationen durch Pronomina und durch Wiederholung realisiert Po potrebi ta se doza ponavlja. X rijetko uzrokuje nuspojave. Večina opaženih nuspojava blage je prirode. Die Beispiele zeigen, daß es sich ausnahmslos um anaphorische Relationen handelt. Die grammatische Verknüpfungsstruktur ist nämlich die Trägerstruktur für die thematischen Zusammenhänge des Textes. Die Gebrauchsanweisungen sind, wie die bisherige Analyse gezeigt hat, textextern bedingte Texte mit informativer und berichtender Funktion. Die Bezeichnung "Gebrauchsanweisung" ist eigentlich irreführend, denn nur ein geringer Teil des Textes der Packungsbeilage erklärt die Anwendung. Die Bezeichnung "Gebrauchsanweisung" ist der Überrest aus einer unterschiedlichen Kommunikationssituation - sie ist ein Überrest aus der Zeit, wo die Arzneimittel in der Apotheke hergestellt wurden. Die kurze Gebrauchsanweisung wurde auf die Packung geklebt und der Apotheker konnte Erläuterungen direkt übermitteln sowie eventuelle Fragen sofort beantworten. Diese kurzen Hinweise waren Teil des institutionalisierten kommunikativen Verkehrs. Heute ist dieser institutionalisierte kommunikative Verkehr indirekt, schriftlich und unpersönlich. Die Arzneimittel sind auf dem Markt Ware. Diese Tatsache bedingt eine neue Funktion der Packungsbeilage - der Text dient auch als Werbetext. Diese neue Funktion -Werbung - bedingt eine neue Art der Textgestaltung. Immer mehr Texte simulieren direkte Anrede Ihr Arzt hat Ihnen X verordnet, weil Sie an Beschwerden leiden, die auf eine Allergie oder allergieähnliche Reaktionen zurückzuführen sind. Die Anredepronomen sind sprachliche Mittel der Etablierung von interpersonellen Beziehungen und von Identitäten. Durch den Gebrauch weisen sie dem Angesprochenen einen sozialen, interpersonellen Status relativ zum Sprecher zu und umgekehrt sich selbst auch einen Status relativ zum Angesprochenen. Der Gebrauch des Pronomens "Sie" im angeführten Beispiel signalisiert eine formale, asymmetrische kommunikative Beziehung - wie beim Arzt. Diese Art von Verhalten entspricht einem spezifischen interpersonell-sozialen Wahrnehmungsmuster, das sprachlich so kodifiziert wird, daß die Interaktanten gezwungen sind, dieses Wahrnehmungsmuster in ihren jeweiligen Interaktionen zu verwenden.4 Einen weiteren Versuch, der objektiven Textsorte Gebrauchsanweisung, einen mehr subjektiven Charakter zu verleihen, stellen die Frage-Antwort-Sequenzen dar Wie verwenden Sie X? Wo erhalten Sie X? Welche Packungen sind erhältlich? In den kroatischen Texten fehlt im Moment noch diese Dimension der Werbung. In einigen deutschen Texten setzt sie sich immer mehr durch Ihr Arzt, X und X (die Herstellerfirma) wünschen Ihnen gute Besserung. Aufgrund der vorliegenden Analyse kann man die Gebrauchsanweisung als eine Textsorte mit der dominanten berichtenden, informativen und aufklärenden Funktion bestimmen, die der indikativ-informierenden Funktion und der instruktiv-direktiven Funktion der Sprache entspricht. Eine neue Funktion, die sich durchsetzt, ist die appellative Funktion, die das Strukturieren der Packungsbeilage als Werbetext bedingt. Allgemeine, universale Sprachfunktionen beeinflussen offensichtlich die Gestaltung der Textsorten, wobei auch die einfachsten Textsorten mehrere Funktionen haben. Es hat sich auch gezeigt, daß die sprachlichen Merkmale, obwohl spezifisch und funktional bedingt, zur distinktiven Beschreibung einer Textsorte nicht ausreichen. Erst die Kombination von textinternen und textexternen Merkmalen führt zur Konstituierung einer Textsorte. Zusammenfassung Die Textsorte ist eine charakteristische, überindividuelle Sprech- oder Schreibweise, die an wiederkehrende und sozial verfestige Redekonstellationen gebunden ist. Das Korpus der Gebrauchsanleitungen wird nach den Aspekten der Intention und der Funktion analysiert. Die Art der übermittelten Information, syntaktische Konstruktionen, morphosyntaktische Besonderheiten und phorische Relationen reichen zur distinktiven Beschreibung nicht aus. Erst die Kombination von textinternen und textexternen Merkmalen führt zur Konstituierung einer Textsorte. Povzetek NAVODILA ZA UPORABO Besedilna vrsta je značilne, individualne posebnosti presegajoč način govorjenja in pisanja, ki se veže na ponavljajoče se in socialno utrjene govorne položaje. Korpus navodil za uporabo avtorica razčlenjuje glede na vidike njihovega namena in vloge. Vrsta sporočenega besedila, stavčna zgradba, oblikoslovno-stavčne posebnosti in forična razmerja ne zadoščajo za razločevalen opis. Šele kombinacija znotrajbesedilnih in zunajbesedilnih značilnosti omogoča določitev besedilne vrste. 4 Klaus Zimmermann: Der semiotische Status der Anredepronomen. In Kodikas/Code Ars Semeiotica 13/90, S. 89ff. Ingo Thonhauser-Jursnick Universität Graz UDK 803.0-086.6:796.5(436):659.1:801.73 ABENTEUERLICHES UND IDYLLISCHES ÖSTERREICH. TOPISCHE TEXTMUSTER UND TEXTSORTEN Zusammenfassung Im Zentrum des vorliegenden Beitrags steht die Darstellung eines Modells topischer Textmuster. In einem ersten Schritt werden Textmuster in Abgrenzung zu Textsorten, die als globalere Textmodelle gesehen werden, als kleinere, weniger komplexe Elemente sprachlichen Wissens bezeichnet, die von den Kommunikationsteilnehmerinnen in unterschiedlichsten Zusammenhängen der Textproduktion und -rezeption gebraucht werden. Textmuster (Abb.l) bestehen aus konstanten und variablen Merkmalen: Konstant sind die Merkmale der Habitualität, der Potentialität/Intentio-nalität und der Symbolizität. Diesem Bereich zugeordnet werden Phänomene der Verwendungstraditionen (Bindung an Textsorten, funktionale Aspekte, Merkmale der Produktion und Rezeption) und der Textformulierungen (sprachliches Repertoire). Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht als konkretes Beispiel das Textmuster des locus amoenus (Abb. 2 u. 3), dessen Wirksamkeit anhand eines Beispiels aktueller österreichischer Fremdenverkehrswerbung ("Tauplitz - Wo der Wildbach rauscht") demonstriert wird. 1. Topische Textmuster Österreichdarstellungen finden sich in verschiedensten Texten und Textsorten, zieht man sich jedoch die Broschüren der "Österreich-Werbung" als Informationsquellen heran, so ergibt sich schon bei einer raschen Durchsicht des Materials, daß die Alpenrepublik in erster Linie mit Hilfe der Kategorien "idyllisch" und "abenteuerlich" zu beschreiben ist. In Österreich finden sich nämlich noch "unberührte Natur", "glasklare Bäche und donnernde Wasserfälle [...] eine einzigartige Blütenpracht" und nicht zu vergessen die letzten Abenteuer "in Höhlen und Felsen".1 Dieses Österreich wird von den Herstellerinnen der Werbetexte erzeugt und, wie die alljährlichen Bilanzen der Tourismusindustrie zeigen, mit überzeugendem Erfolg. Ich möchte im Rahmen dieses Beitrags den textuellen Verfahren nachgehen, die diesen Texten zugrunde liegen und stelle dazu ein Modell topischer Textmuster vor. Zwei konkrete Textmuster - der locus amoenus und das literarische Abenteuer -gehören, wie ich meine, zu den zentralen konstitutiven Elementen dieser Texte, im Mittelpunkt dieses Beitrags steht allerdings ausschließlich der locus amoenus, abenteuerliche Bezüge erwähne ich nur am Rande. Diese Behauptung wirft im wesentlichen zwei Fragen auf: Einmal wäre zu klären, was denn unter dem Begriff "Textmuster" zu verstehen ist und welche Eigenschaften diese Strukturen aufweisen. Haben sie konstante oder variable Bestandteile oder beides? Wie können ihre Konstituenten beschrieben werden, wie wird über deren Gewichtung entschieden? Ist der Hirt mit der Panflöte eine Konstante oder eine Variable des locus amoenus? Auf welchen Modellbildungen beruht die Vorstellung von Textmustern und aus welchen Quellen werden die Merkmale gewonnen? Zweitens stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Textmuster zu Textsorten stehen. Sind sie diesen übergeordnet oder untergeordnet, gehören sie dem textinternen oder dem textexternen Bereich an? Nicht alle diese Fragen können hier in der (eigentlich gebotenen) Ausführlichkeit diskutiert werden, das Hauptaugenmerk soll auf der Vorstellung des Modells liegen, seine konkrete Anwendung wird anhand eines Textes der Fremdenverkehrswerbung demonstriert. Zuerst zum Verhältnis Textmuster vs. Textsorte: Die Diskussion darüber, was denn nun Textsorten eigentlich sind und wie man sie klassifizieren könnte, ist weitläufig und wird hier nicht im einzelnen nachgezeichnet. Ich verweise an dieser Stelle auf einige Positionen, die beispielhaft für gegenwärtige Tendenzen stehen und den Rahmen für die Beantwortung der Frage ergeben. Wolfgang Heinemann und Dieter Viehweger greifen in ihrer "Textlinguistik" Horst Isenbergs 1978 erhobene Forderung4 nach einem komplexen Text-Klassifikationssystem auf und entwerfen eine "Mehrebenenklassifikation", die fünf in sich homogene Text-Typologisierungsebenen enthält. Textsorten sehen sie in diesem Zusammenhang "als globale sprachliche Muster zur Bewältigung von spezifischen kommunikativen Aufgaben in bestimmten Situationen"5. Diese stellen die formale Grundlage des Textes dar und sind "mit bestimmten interaktionalen Konstellationen korreliert". Zu ähnlichen Schlußfolgerungen kommt, und dies ist bemerkenswert, die literaturwissenschaftliche Gattungstheorie: Wilhelm Vosskamp sieht Gattungen als "literarisch-soziale Institutionen"6, d.h. als kommunikative Modelle, deren Gültigkeit im Wechselspiel zwischen Gattungsnormen/traditionen und den Bedürfnissen der Kommunikationsteilnehmerinnen festgelegt ist. Peter Kuon legt die terminologische Unterscheidung von Gattungen und Textsorten überhaupt ad acta und hält diese schlicht für die "komplexeste Ausprägung"7 jenes Wissens, das den Kommunikationsteilnehmerinnen in ihrer sprachlichen Interaktion zur Verfügung steht. Diese Aussagen treffen sich mit Heinemann/Viehwegers "globalen Modellen", und ich folge diesen Begriffsbestimmungen in dem Sinne, daß ich jene Textmuster, die Gegenstand dieses Beitrags sind, als dem Bereich der Textsorten untergeordnet ansehe. Es handelt sich um kleinere, weniger komplexe Einheiten sprachlichen Wissens, die in unterschiedlichsten Texten bzw. Textsorten verwendet werden können. Sie bilden gleichsam ein Reservoir von Mustern, die den Produzentinnen und Rezipientlnnen jederzeit zur Verfügung stehen und zum Einsatz kommen, wenn dies im Kommunikationsprozeß ratsam erscheint. Damit komme ich zum zweiten Problemkreis, nämlich zur Beschreibung des Modells: Topische Textmuster, wie sie hier definiert werden sollen, sind, wie gesagt, Teilstrukturen von Texten, Elemente, die im Rahmen textkonstituierender Verfahren zur Anwendung kommen. Es handelt sich im Grunde genommen um die Reformulierung der literaturwissenschaftlichen Kategorie des "Topos" auf textlinguistischer Grundlage. Ich stütze mich daher in der Erstellung des Textmuster-Modells (s. Abb.l) im wesentlichen auf zwei theoretische Grundlagen - auf Marvin Minskys "Frame-Konzept" und auf o Lothar Bornscheuers Kategorien zur Beschreibung topischer Phänomene. Minsky definiert den Frame wie folgt: "A frame is a data-structure for representing a stereotyped situation, like being in a certain kind of living room, or going to a Q childs birthday party." Diese Frames speichern Informationen und sind hierarchisch aufgebaute Netzwerke, wobei die höchsten Ebenen ("top levels") jene Wissenselemente enthalten, die für die in Frage stehende Situation immer zutreffen. Auf den niedrigeren Ebenen ("lower levels") sind zahlreiche Terminals ("slots") angesiedelt, die erst mit spezifischen Daten versehen werden müssen. Mit anderen Worten, es gibt Elemente, die immer gleich bleiben, Konstanten, die gewährleisten, daß der Frame identifizierbar bleibt und Variablen, die ein Spektrum an Varianten innerhalb dieses Frame abdecken. Normalerweise sind die variablen Terminals schon mit Standardannahmen ("default assignments") versehen, die ebenfalls komplexer Natur sein können und dann als Subframes bezeichnet werden. Sie sind leicht modifizierbar und haben fallweise überhaupt reine Beispielfunktion. Aus dem Blickwinkel der Rezeption kann der Frame definiert werden als "a collection of questions to be asked about a hypothetical situation; it specifies issues to be raised and methods to be used in dealing with them."10 Die hier vorgenommene Unterscheidung von Konstanten und Variablen findet im vorliegenden Modell des Textmusters ihren Niederschlag, indem eine "höchste Ebene" mit zwei konstanten Bereichen und "niedrigere Ebenen", die variable Einheiten enthalten, unterschieden werden. Die einzelnen Ebenen enthalten bestimmte Kategorien, die zum Teil auf Lothar Bornscheuers Arbeiten zum Topos zurückgehen. Mit diesem Begriff werden sprachliche Muster beschrieben, die äußerst variabel einsetzbar sind und zur Erreichung unterschiedlicher Ziele Verwendung finden können, wie Bornscheuers (etwas breit angelegte) Definition zeigt: Topoi sind [...] durch Sozialisierungs-, Bildungs- und Kommunikationsprozesse vermittelte und diese Prozesse ihrerseits rückwirkend steuernde Grundelemente der gesellschaftlich-ideologischen Selbstkonstitution.11 Die Gültigkeit des folgenden Modellvorschlags wird nicht universal für alle topischen Muster behauptet: Der locus amoenus und das Abenteuer, die hier als Eckpunkte des von der Fremdenverkehrsindustrie inszenierten Diskurses zur Nutzung der Natur im Sinne des Privatvergnügens und des Konsums gesehen werden, gehören in den Bereich der materialen12, der "literarischen" Topoi, und nur für diesen Bereich gilt das vorliegende Textmuster. Textmuster Allgemeines Modell Höchste Ebene Potent Intenti Allgemeiner Bereich Habitualität ialität/ Symb< Mialität jlizität * kons Verwendur , Spezifischer Bereich tante kons igstradition Textformi r tante liierungen K O N S T A N T E N r Niedrigere Ebene 1 variable Verwendungstraditionen variable Textformulierungen V A R Niedrigere Ebene 2 variable Verwendungstraditionen variable Textformulierungen I A B L Niedrigere Ebene 3 v variable Verwendungstraditionen variable Textformulierungen E N У Abb. 1 In Abb.l wird auf der "höchsten Ebene" ein "allgemeiner Bereich" von einem "spezifischen" unterschieden. Im "allgemeinen Bereich" sind grundlegende konstante Merkmale topischer Textmuster festgelegt. Er enthält drei Eigenschaften (Habitualitäf, Potentialität/Intentionalität und Symbolizität), denen die beiden Merkmalskomplexe des "spezifischen Bereichs" (die "Verwendungstraditionen" und die "Textformulierungen") zugeordnet sind. Unter Habitualität ist zu verstehen, daß topische Textmuster als feststehende Konstituenten im sprachlichen Repertoire der Sprachteilhaberlnnen anzusehen sind und als "kommunikative Selbstverständlichkeiten" in dem Sinn bezeichnet werden können, daß sie historisch gewordene, mithin auch veränderbare gültige Standards darstellen. Die Bereiche der Potentialität bzw. Intentionalität und der Symboli-zität sind dem ersten hierarchisch untergeordnet. Mit Potentialität ist gemeint, daß ein topisches Textmuster zwar in unterschiedlichsten Zusammenhängen einsetzbar ist, dabei aber nicht abgelöst werden kann von jener Einbettung in bereits bestehende Gebrauchszusammenhänge und Bedeutungszuweisungen, die Intentionalität genannt wird. Diese beiden Merkmale werden aufgrund ihrer engen Verknüpfung als ein einheitliches allgemeines Charakteristikum angeführt. Ich spreche daher insgesamt von den Verwendungstraditionen eines Textmusters, die im Modell im "spezifischen Bereich" angesiedelt sind, und unterscheide drei Aspekte: die Bindung an Textsorten, den Bereich der Funktion und Zusammenhänge der Rezeption bzw. Produktion. Es ergeben sich daher spezifische Konstanten oder spezifische Variablen, je nachdem, ob eindeutig festlegbare und daher konstante Verwendungstraditionen oder zahlreiche veränderliche, mehr oder weniger ausgeprägte variable Vörstruk-turierungen erkennbar sind. Konkret kann das bedeuten, daß der locus amoenus in verschiedenen Textsorten Verwendung finden kann, aber, um ein bekanntes Beispiel zu nehmen, im 18. Jahrhundert dominant der Idylle zugeordnet wird. Diese Verwendung ist mittlerweile als Variable im Textmuster enthalten und kann in der weiteren Anwendung eine Rolle spielen. Ähnliches gilt für die dritte allgemeine Eigenschaft, die der Symbolizität, die festhält, daß für jedes Textmuster ein Fundus feststehenden sprachlichen Inventars existiert. Im "spezifischen Bereich" sind dieser Eigenschaft die Phänomene der Textformulierung zugeordnet, wobei auch hier gilt, daß dominante Merkmale spezifische Konstanten darstellen, zahlreiche Erscheinungen aber als Variablen auf niedrigeren Ebenen einzuordnen sein werden. Es handelt sich hierbei um die Formulierung räumlicher und zeitlicher Dimensionen sowie um das erzählte Geschehen und die beteiligten Figuren. Zuweisung zu konstanten bzw. variablen Bereichen erfolgt in der Aufarbeitung relevanter Forschungsergebnisse, wobei hier an einen möglichst breiten, interdisziplinären Ansatz - vor allem in den Bereichen der Literaturwissenschaft und der Linguistik - gedacht ist. In der Analyse der Textbeispiele geht es vor allen Dingen um den "spezifischen Bereich", da dieser die für das jeweilige Textmuster charakteristischen Merkmale formuliert. Um das bisher Gesagte zu konkretisieren, stelle ich in etwas gekürzter Form ein Textmuster des locus amoenus (Abb.2) vor, das in der eben skizzierten Vörgangs-weise erstellt wurde. Als Hauptquellen dienten dabei literaturwissenschaftliche Arbeiten, was auf der Hand liegt, aber auch verschiedene kunsthistorische Monographien. Wie sich dieses Muster in der gegenwärtigen Fremdenverkehrswerbung niederschlägt, zeige ich danach anhand eines Beispiels der "Steiermark Werbung" mit dem klingenden Titel "Wo der Wildbach rauscht". 2. Das Textmuster des locus amoenus Der locus amoenus kann als literarischer Topos auf eine lange Tradition zurückblicken, dementsprechend reichhaltig ist das Angebot an verschiedenen Formen der Gestaltung. Die folgende Darstellung bietet einen groben Abriß und enthält die wichtigsten Merkmale, die dieses Textmuster in seinen vielfältigen Erscheinungsformen identifizierbar machen. "locus amoenus" Spezifischer Bereich Verwendungstraditionen konstante Verwendungstraditionen Textsorten Funktionen Produktion/Rezeption 0 textintern: Gegenbildfunktion 0 variable Verwendungstraditionen Textsorten Funktionen Produktion/Rezeption Bestandteil von Prosatexten (utop.) Wunschbild Verwendung in nicht-fiktionalen Textsorten (v.a. textintern:) städt. Bereich vs. ländl. Bereich massenhafte Prod. & Rezeption eigenständiges TS-Schema; 18. Jhd. hochliterar. Verwendung bis in die Gwt. Abb.2 Abb.2 zeigt, daß sich im Bereich der konstanten Verwendungstraditionen weder eine feststehende Bindung an eine bestimmte Textsorte noch konstante Charakteristika im Rahmen der Produktions- und Rezeptionsbedingungen feststellen lassen. Textintern gilt allerdings, daß in funktionaler Hinsicht mit dem locus amoenus durchwegs ein "Gegenbild" entworfen wird, sofern er als Mikrostruktur verwendet wird und nicht als das den Gesamttext dominierende Muster: Der Aufenthalt am locus amoenus erscheint dann als Ideal, vor dem die übrigen, in den Texten dargestellten Verhältnisse verblassen. Diese Funktion kann sich auf unterschiedliche Art und Weise in Variablen niederschlagen: Der locus amoenus kann die Funktion eines Wunschbildes übernehmen und als Träger utopischer Vorstellungen fungieren oder textintern dazu verwendet werden, ein ländliches Ideal der negativ besetzten Stadt gegenüberzustellen. Dominante variable Textsortenzmi&mmgtn sind die Bindung an Prosatexte, wenngleich sich auch die Lyrik des Schemas bedient, die Bindung an "pastorale Textsorten" gehört ebenfalls zu einer höheren variablen Ebene, während die Verwendung des locus amoenus als domi- nantes Muster für die Textsorte der "Idylle" im 18. Jahrhundert niedriger anzusiedeln ist. Im variablen Bereich der Produktion und Rezeption ist die Ausweitung des Anwendergebietes eine charakteristische Tendenz, der locus amoenus - einst ein eindeutig hochliterarisches Muster - findet verstärkt Eingang in die sogenannte Trivialliteratur bzw. in andere massenhaft produzierte und verbreitete Textsorten, wie im vorliegenden Textbeispiel. In der Gestaltung von Raum und Zeit (Abb.3) ergeben sich deutlich konstante Textformulierungen: Die Betonung von Ruhe und Statik an einem engen, von der (jeweiligen) Außenwelt abgegrenzten Ort ist eine Konstante, der eine große Anzahl an Variablen zugeordnet ist. Es ist vor allem ein ländlicher Ort, dessen klassisches Inventar auf die Kurzformel "Bach, Bäume und Fels" gebracht werden kann, aber durchaus ein ganzes Spektrum unterschiedlicher Flora und Fauna enthält. Die Betonung von Ruhe und Statik führt dazu, daß vor allem "zyklische Zeitvorstellungen" vorherrschen, die sich in der Darstellung der immer wiederkehrenden Jahreszeiten oder gar eines ewigen Frühlings niederschlagen. Die Kategorien des Geschehens und der: Figuren erfassen schließlich die Vorgänge am locus amoenus und die Beteiligten. Die Muße ist eine Konstante, die nur jenen zuteil wird, die den locus amoenus - stets in geringer Zahl -bevölkern. Kontemplative Tätigkeiten, die Rast, die Erholung gehören zu den wichtigsten Variablen, Harmonie prägt die zwischenmenschlichen Beziehungen der Bewohner des "lieblichen Orts". Die Natur ist den Menschen freundlich gesinnt und erfreut sie i.d.R. mit ihren Gaben. "locus amoenus" Spezifischer Bereich Textformulierungen konstante Textformulierungen Raum und Zeit Geschehen und Figuren räumliche Enge, Abgeschlossenheit Ruhe; Statik; Muße Überschaubare Anzahl variable Textformulierungen Raum und Zeit Geschehen und Figuren Ländlichkeit (vs. Stadt) Zyklische Zeitvorstellungen; Bach, Bäume, Fels Kontemplative Tätigkeiten Rast harmon. zwischenmenschliche Beziehungen ländliche Bevölkerung ewiger Frühling Lauf der Jahreszeiten Hinterhof Fauna & Flora einer freundlichen, segenspendenden Natur Abb.3 225 Doch nun zum "Naturerlebnis Tauplitz": Die erste Doppelseite präsentiert unter dem Motto "Und ewig blüht die Alm" die "Naturschönheiten unserer zauberhaften und unberührten Region im steirischen Salzkammergut". Eine "farbige Blütenpracht, die man sonst nur mehr in Büchern bestaunen kann", die "märchenhafte[n] Bergseen, eingebettet in Alpenplateaus" und "kristallklares Wasser aus felsenkühlen Quellen" [TAU 2] sind die Merkmale des erzählten Raums. "Tauplitz ["] bis heute ein idyllisches Dorf" [TAU 3] ist jedoch trotz seiner Abgelegenheit leicht zu finden, eine Übersichtskarte am Ende des Prospekts hilft dabei. Ob dadurch der Ruhe und Statik in diesem unberührten "Paradies" und "Naturschauspiel zu jeder Jahreszeit" [TAU 1] Beeinträchtigung droht, wird nicht beantwortet, es scheint vielmehr, daß dort, wo "die Lederhose ["] jede Mode überlebt" [TAU 3] auch der Massentourismus keine Folgen hinterläßt. Den "Wanderfreundefn]" und "Betrachtern]" [TAU 1], die "mit der Familie, mit Freunden und Bekannten" die Muße genießen, bleibt genügend Zeit zu Erholung: "ausspannen, abschalten, die Natur einatmen und erleben" [TAU 3], sind die empfohlenen Betätigungen. Die Abbildungen zeigen blühende Wiesen, einen von Felsen eingerahmten See und glückliche Urlauberpärchen oder -familien. Einheimische werden grundsätzlich in traditioneller Kleidung präsentiert und auch nicht in Farbe, sondern in Brauntönen, die an vergilbte Fotoalben erinnern. Dieser Gesamteindruck wird noch ergänzt um den "Ruf des Abenteuers" [TAU 2], dem ich aber an dieser Stelle nicht folge, sondern die Realisierung des Textmusters abschließend zusammenfasse. Unschwer sind Elemente aus dem Bereich der Textformulierung des locus amoenus zu erkennen: Die Darstellung des ländlichen, abgeschlossenen und paradiesisch-ursprünglichen Raums in den Alpen erfolgt unter den Vorzeichen der Betonung von Kontinuität und Tradition. Unterstützendes Bildmaterial ist den Texten jeweils zugeordnet. Einer heilen Welt gehören auch jene kontemplativen Tätigkeiten an, die den Urlaubern empfohlen werden. Sie sollen sich im engen Familien- und Freundeskreis erholen und werden - natürlich - als Gäste der Einheimischen erwartet. Daß es sich um die Verwendung in einer Textsorte handelt, die massenhaft produziert und rezipiert wird, liegt auf der Hand. In funktionaler Hinsicht wird eine Gegenwelt inszeniert, eine "gute alte Zeit", jenseits des Massentourismus und seinen ökologischen Auswirkungen, die jedoch allen Komfort aufzuweisen hat ("vom 4**** Hotel bis zur idyllischen Selbstversorgerhütte" [TAU 3]). Textintern steht dieser Raum in Opposition zu jenen Regionen, aus denen die dargestellten Gäste stammen und die, wie anzunehmen ist, weniger idyllische Züge aufweisen. In textexterner Hinsicht konstituieren die Produzentinnen dieser Werbebroschüre mit Hilfe eines wohlverdienten Textmusters eine fiktionale Gegenwelt, die nichtsdestotrotz zu realen Buchungen veranlassen soll. Eine Versuchung in der Tat, der man sich - bei aller Distanz der Analyse - nur schwer entziehen kann. LITERATUR 1 "Wo der Wildbach rauscht." Die Tauplitz - ein Naturerlebnis. Hrsg. v. Tourismusbüro Tauplitz. Graz: Dorrong o.J. Die Broschüre liegt seit 1992 in Tourismus Informationsbüros auf. In der Folge wird die Sigle [TAU] benutzt, die Zahl gibt die jeweils zitierte Doppelseite an, da im Original keine Seitenzahlen vorhanden sind. o Begriffe, die als termini technici Verwendung finden, werden kursiv wiedergegeben. 3 Vgl. dazu: Wolfgang Raible: Was sind Gattungen. Eine Antwort aus semiotischer und textlinguistischer Sicht. In: Poetica 12 (1980), S. 320-349. Er sieht Gattungen als komplexe Zeichen, die konventionalisierte Modelle darstellen. Diese Modelle weisen einen bestimmten Komplexitätsgrad auf und unterliegen einer textinternen Ordnungsstruktur, die wiederum durch einen textexternen Bereich ergänzt wird, der Eigenschaften der Kommunikationssituation, in der diese komplexen Zeichen produziert bzw. rezipiert werden, erfaßt. 4 Horst Isenberg: Probleme der Texttypologie. Variation und Determination von Texttypen. In: Wiss. Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 5 (1978), S. 565579. Eine erweiterte Fassung dieser Arbeit enthält wesentliche Hinweise, wie in der Frage der Typologisierung konkret vorgegangen werden könnte: Horst Isenberg: Grundfragen der Typologie. In: Ebenen der Textstruktur. Hrsg. v. Frantisek Danes u. Dieter Viehweger. o.O. 1983 (=Linguistische Studien. Reihe A. Arbeitsberichte. 112.), S. 303-343. 5 Wolfgang Heinemann u. Dieter Viehweger: Textlinguistik. Eine Einführung. Tübingen 1991 (=Reihe Germanistische Linguistik. 115. Kollegbuch.), S. 170. Das gesamte Zitat lautet: Textsorten stellen sich daher in einer Typologie als idealtypisch/prototypische Phänomene dar, als Verallgemeinerungen, die auf Durchschnittserfahrungen (von Sprechern einer bestimmten Kommunikationsgemeinschaft) basieren; sie können daher als globale sprachliche Muster zur Bewältigung von spezifischen kommunikativen Aufgaben in bestimmten Situationen umschrieben werden. Dabei soll der Terminus "globales Textmuster" verstanden werden als Abbreviatur von "globalem Textstrukturmuster", also einer bestimmten formalen Grundlage des Textes, die mit bestimmten interaktio-nalen Konstellationen korreliert.. (Hervorhebung auch im Original). 6 Wilhelm Vosskamp: Gattungen als literarisch-soziale Institutionen. In: Textsortenlehre - Gattungsgeschichte. Hrsg. v. Walter Hinck. Heidelberg 1977, S. 27. 7 Peter Kuon,: Gattung als Zitat. Das Paradigma der literarischen Utopie. In: Zur Terminologie der Literaturwissenschaft. Akten des IX. Germanistischen Symposions der Deutschen Forschungsgemeinschaft Würzburg 1986. Hrsg. v. Peter Wagenknecht. Stuttgart 1989 (=Germanistische Symposien Berichtsbände. IX.), S. 310. Die Aufgabe einer terminologischen Unterscheidung von Textsorten und Gattungen bzw. Genres kann ich an dieser Stelle als Beitrag zur Reduktion der vielfach beklagten babylonischen Begriffsverwirrungen und Zeichen einer Annäherung von Linguistik und Literaturwissenschaft nur begrüßen. o Lothar Bornscheuer: Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt a.M. 1976. Für den hier angesprochenen Zusammenhang vgl. bes.: "Kap. II. Vier Strukturmomente eines allgemeinen Topos-Begriffs", S. 91-108. 9 Marvin Minsky: A Framework for Representing Knowledge. In: The Psychology of Computer Vision. Hrsg. v. Patrick Henry Winston. New York, Toronto 1975 (=McGraw-Hill computer science series.), S. 212. 10 Minsky, Framework, S. 246. 11 Bornscheuer: Topik, S. 108. Ich beziehe mich vor allem auf seine Definition der vier allgemeinen Merkmale topischer Phänomene (Habitualität; PotentialitätHntention-alität und Symbolizität). 12 Vgl. dazu die Unterscheidung von "formalen" und "materialen" Topoi in Peter von Moos: Geschichte als Topik. Hildesheim, Zürich, New York 1988, S. 424ff. D I E Und ew i (j hlübt i e Ein Geheimtip für K I e t f e r f r e u n d e ist der „Sturzhahn" mit seiner m a j e s f ä t i s e h e n Westwand. Heinrich Harrer bestieg nie als erster Mensch. ■ Ш ШВШш Ш жттшт ■ л 'ШННк H H f— ■i Märchenhaft schön: Eine farbige Blütenpracht, die man sonst nur mehr in Büchern bestaunen kann. Glasklare Bäche und donnernde Wasserfälle, märchenhafte Bergseen und eine einzigartige Blütenpracht, abenteuerliche Höhlen und Felsen - Sie werden überrascht sein von den Naturschönheiten unserer zauberhaften und unberührten Region im Steirischen Salzkammergut. Der „Steirische Himmel" wie die Tauplitz auch genannt wird, bekennt das ganze Jahr über Farbe. Und wie hoch Sie hinaus wollen hängt ganz von Ihnen ab: Drei Höhenlagen stehen dabei zur Verfügung: Das Dorf, die Alm oder unsere Berggipfel. Die Tauplitz -ein Naturparadies zu jeder Jahreszeit! Sechs Bergseen, eingebettet in Alpenplateaus, glänzen wie efgrüne Turmaline und rfrcuen die Herzen der Betrachter. ШШШШШШк ШШШШЛ шШШт Narzissen soweit das Auge reicht. Die Tauplitz-ein Naturerlebnis zu jeder Jahreszeit. D i E Tauplitz ist bis heute ei idyllisches Dorf geblieben. So richtig zum Wohlfühlen. e i m Gemütliches Beisammensein mit der Familie, mit Freunden und Bekannten. Mit Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft sorgen wir dafür, daß Sie bei uns ausspannen, abschalten, etwas erleben, glücklich sein können und sich dabei ganz wie zu Hause fühlen. Die herzliche Betreuung und das individuelle Angebot - vom 4**** Hotel bis zur idyllischen Selbstversorgerhütte -bieten für jeden das Passende. Wir legen Wert auf Tradition - und gehen doch mit der Zeit. Jei uns können Sie die Natur einatmen und leben. Ausbrechen in die stille Größe der Bergwelt. ШШИШШШршжр шШШШшШШВшт!1 ШШШш NN M —Лр шЖ mm m јш ч i Stück Alltag - und was für eines! Die Lederhose hat jede Mode überlebt. So finden Sie unsere Idylle Anfahrt von Wien: Wien - Amstctten -Waidhofen - Admont - Liczen - Tauplitz Anfahrt M ü theo: München - Salzburg - Bad Ischl - Bad Aussee - Tauplitz Anfahrt von Jugoslawien: Maribor - Graz - Bruck -Liczen - Tauplitz Anfahrt 11 a I i Udine - Villach - Spittal -Katschberg - Radstadt -Schiadming - Tauplitz A } 4?c»tautobjiin A 2 Südaulobihn A 9 fyKfnautohehr A JO Tau. A 13 A 13 aehster Fl ug h Salzburg Anfahrt von der CSFR: Ces Budjovice - Linz - Wels -Ebensee - Bad Ischl - Bad Aussee - Tauplitz Anfahrt von Ungarn: Graz • Bruck • St.Michael -Liezen - Tauplitz Anfahrt von der Schweiz: Brcgenz - Innsbruck -Salzburg - Bad Ischl - Bad Aussee - Tauplitz Informationen: Tourismusbüro Tauplitz-, Tel.; 03688/2446, Fax: 05688/2826 Htretisgehtr- Toitrismusbiiro TauplHs, Fol OS: Peter Manninffer. Archiv der Steiermark - Werbung, Salz. Kufferath Gei.m.b.H, Graz, KfpWiiktion. BilJ * Text, Graz. Druck- Dnrrcuj, Od KoitZfJH u. CataltuniJ: Josef + Maria - Die Werbeagentur, Graz. Povzetek PUSTOLOVSKA IN IDILIČNA AVSTRUA. TOPIČNI BESEDILNI VZORCI IN BESEDILNE VRSTE Pričujoč članek predstavlja model topičnih besedilnih vzorcev. V primerjavi z besedilnimi vrstami, ki so globalnejši besedilni modeli, opredeli avtor v prvem delu besedilne vzorce kot manj kompleksne elemente jezikovnega vedenja, ki jih udeleženci komunikacije uporabljajo v najrazličnejših kontekstih tvorjenja in recepcije besedil. Besedilni vzorci (si. 1) so sestavljeni iz stalnih in spremenljivih značilnosti: stalne so značilnosti habitualnosti, potencialnosti/intencionalnosti in simbolnosti. Temu področju pripadajo fenomeni v okviru tradicije uporabe (vezanost na besedilne vrste, funkcijski vidiki, značilnosti tvoijenja in recepcije) in v okviru oblikovanja besedil (jezikovni repertoar). V središču drugega dela pa stoji kot konkreten primer besedilni vzorec "locus amoenus" (si. 2 in 3), katerega učinkovitost avtor predstavi na primeru aktualnega avstrijskega turističnega reklamnega besedila ("Tauplitz - Wo der Wildbach rauscht"). Karmen Teržan-Kopecky Universität Maribor UDK 803.0-559:801.73 TEXTSPEZIFISCHE DISTRIBUTION DER VERBALTEMPORA Aus dem Buch DIE VERBALKATEGORIEN DES DEUTSCHEN von Elisabeth Leiss, welches immer wieder zu Reflexionen und Konfrontationen anregt, führe ich als Auftakt und Leitgedanken, auf den ich noch des öfteren zurückgreifen werde, den folgenden Satz an: "Die Zeit verstehen heisst also, durch geistige Beweglichkeit das Räumliche überwinden." Nachdem ich in meinem Aufsatz den Versuch unternehme, die Kategorie des Tempus textsortenspezifisch näher auszuleuchten (im besonderen die Tempora Futur und zukunftsbezogenes Präsens sowie Präteritum und haben-Perfekt als seine analytische syntaktische Variante), sei mir erlaubt, vorerst einige grundlegende Bemerkungen über die Eigentümlichkeiten der Verbalkategorien im allgemeinen vorzubringen, um mich danach näher der Kategorie Tempus zuzuwenden, und zwar in Form einer Konfrontation der Beschreibungs- und Erklärungsweise, wie sie im besagten Buch von Leiss (1992) vorzufinden und jener die von der slowenischen Schule der NATÜRLICHEN SYNTAX entwickelt worden ist. Nach Leiss, ja, schon nach Jakobson, lassen sich komplexere bzw. markiertere Kategorien auf weniger komplexe / weniger markierte Kategorien zurückführen. Aufgegriffen und weiterentwickelt wurde diese Theorie von der NTS, welche wie auch die Kategorisierungstheorie von Leiss, auf der die Einzelkategorien überschreitenden Zusammenhänge und die Bestimmung der zwischenkategorialen Relationen aufbaut. Es werden kategoriale Überschneidungen und Affinitäten einzelner Kategorien zueinander festgestellt. In diesem Punkt stimmen auch meine bereits des öfteren vorgeführten Thesen, die aus einer umfangreichen Datenanalyse abgeleitet worden sind, mit den Überlegungen von Leiss überein. Leiss, wie übrigens auch Jakobson, lassen sich bei der Sprachbeschreibung stark von ihrer sprachlichen Intuition leiten. In der Zusammenfassung ihrer Thesen über kategoriale Entfaltungsprozesse liest man den Satz "Die Funktion hat ein Primat gegenüber der Form". Genau dieselben Schlüsse ziehe ich selbst im Laufe meiner empirisch angelegten Untersuchungen, die verschiedene distinktive kategoriale Merkmale explizieren, vor allem was die Kategorie des Tempus, genauer der Kollokationspräferenzen der verschiedenen Möglichkeiten der Versprach- Natürlichkeitstheorie lichung des Futurs und des Präsens im Deutschen, in ersten Ansätzen aber auch der Vergangenheitstempora Präteritum und Perfekt, anbelangt. Die beiden voneinander anfangs unbeeinflußten Theorien, speziell über die Dreigliedrigkeit des Tempussystems, wonach neben der Opposition Vergangen gegenüber Nichtvergangen auch ein grammatikalisiertes Futur vorzufinden ist, unterscheiden sich von denen vieler anderer Autoren gerade dadurch, daß sie der analytischen werden+ Infinitiv- Konstruktion den Stellenwert einer grammatikalisierten Tempuskategorie einräumen und die Behauptung, das Futur im Deutschen sei ein Modus, entschieden zurückweisen. Ich darf also vorwegnehmend feststellen, dass sich unsere theoretischen Erwägungen weitgehend decken und, was die Sprachbeschreibung anbelangt, ein sehr ähnliches Lösungsverhalten anstreben. Jene Ansätze jedoch, in denen sie sich ergänzen lassen bzw. sie als komplementär aufzufassen sind, kann man dem Vergleich beider theoretischen Postulate entnehmen. Daher fasse ich nun, bevor ich auf die diesbezügliche Argumentation von Leiss näher eingehe, meine aus umfangreichen Auszählungen grammatischer Einzelinformationen abgeleiteten Überlegungen zu kategorialen Entfaltungsprozessen und deren Koexistenz, im besonderen die des Tempus, wie folgt zusammenfassen: 1.1. Es besteht ein ständiger Konkurrenzkampf zwischen verstärkten syntaktischen Varianten einerseits und ihren weniger verstärkten bzw. schwächeren da weniger markierten Oppositionspartnern andererseits. Es muß dabei zwischen der inhaltlich angesetzten Markiertheit und der formal angesiedelten Merkmalhaftigkeit unterschieden werden. Es kommt gerade diesbezüglich oft zu vermeintlichen Störungen, die das als geltend postulierte Prinzip der Ikonizität zu widerlegen scheinen. 1.2. Die Deutungsstrategie der syntaktischen Vorgänge wird ergänzt durch die Einbeziehung der breiter angelegten ko- und kontextuellen, diskursiven, aber auch außersprachlichen Merkmale (wie etwa Kollokationsaffinitäten zu gewissen grammatischen Kategorien: z.B. Präsens mit Zukunftsbezug mit Nebensätzen, nichtdritten Personen, nonadditiven Aspektvarianten usw.; Intentionen der Diskursteilnehmer, Einsetzen des Weltwissens, das sich unter anderem im sprachökonomischen Verhalten niederschlagen kann, da vom bereits Geleisteten oder Bekannten Gebrauch gemacht wird, und desgleichen mehr...). Alle diese sprachlichen Gegebenheiten können mitunter von essentieller Bedeutung für die Herstellung von semantischen Rollen bzw. refe-renziellen Ebenen einzelner grammatischer Kategorien sein. Um diese Behauptung mit einem Beispiel zu illustrieren sei hier der kameleonartige Charakter des Zeitadverbums "jetzt" angeführt. Seine inhaltliche Struktur wird nämlich entweder vom betreffenden Verb definiert, wenn dieses an sich temporale Bezüge aufzuweisen vermag, also eine grammatikalisierte, im Tempussystem fest verankerte Realisierungsmöglichkeit darstellt. Bei Kollokation mit eher neutralen Verben wird der jeweilige Zeitbezug in umgekehrter Richtung vom besagten Zeitadverb hergestellt oder redefiniert: ich beende jetzt meine Arbeit, jetzt denkt sie intensiv nach, du hast jetzt erreicht, was du wolltest usw. (= starke Abhängigkeit von der Aktionsart des jeweiligen Verbums). 1.3. Der kategoriale Entfaltungsprozess entwickelt sich eher zu Gunsten der Gram-matikalisierung von verstärkteren / markierteren, aber auch merkmalhafteren Konstruktionen, die sich, nachdem dieser Prozeß abgeschlossen worden ist, nicht mehr vorzugsweise mit komplexeren grammatischen Werten / Parametern verbinden, da sie in gewissen Zusammenhängen, aber auch nur in bestimmten Textsorten, üblich geworden sind und daher zusätzliche Markierungen redundant wären, außer, sie werden durch stilistische Vorhaben motiviert. So hat z.B. die perfektive Aktionsart die Eigenschaft, Zukunftsbezug herzustellen, also wäre das umständlichere analytische Futur in solchen Fällen vermeidbar, es sei denn, daß besonderer Nachdruck beabsichtigt wird oder etwa eine größere Distanz in Richtung Nachzeitigkeit. 1.4. Eine Konstruktion kann dann als grammatikalisiert gelten, wenn die neue Funktion bereits überzeugend überwiegt und die besagte Konstruktion relevant häufiger in markierterer grammatischer Umgebung auftritt, falls es sich um eine verstärkte Konstruktion handelt. Schwächere Konstruktionen weisen gegensätzliche Verhaltensweisen auf. 1.5. Die für gewisse Textsorten typischeren Kategorien werden von ihrer unmittelbaren grammatischen Umgebung mit weniger Aufwand aufgenommen, d.h. die Verbali-sierungsvariante einer gewissen Kategorie kann für jene Textsorten als die typischere Geltung beanspruchen, wo sie weniger häufig mit markierteren grammatischen Parametern kollozieren muß, da diese für die Erzeugung der zentralen semantischen Rolle durch gewisse textuelle oder diskursive Vorleistungen neutral geworden sind. In anderen Textsorten dagegen kann man von solchen Vorleistungen nicht Gebrauch machen oder sie als produktiv einsetzen. Die Affinität gewisser grammatischer Parameter zueinander ist daher nicht arbiträr. (Konkret: Zusammenwirkung von Aktionsart und Zeitrefferenz.) Die Frequenz des Auftretens ist in typischeren Textsorten größer. 1.6. Die eruierten prozentuellen Werte erwiesen sich im Sinne der o.a. Postulate als weitgehend hypothesenfreundlich. (Die durchgeführten empirischen Untersuchungen liefern zur Zeit insgesamt annähernd 85.000 grammatische Einzelinformationen.) Nun wieder zurück zur "Kategoriesierungstheorie" von Leiss, die ich in ihren wesentlichen Merkmalen aufgreifen möchte. Die Autorin loziert die dynamischsten sprachlichen Vorgänge in dem, wie sie treffend formuliert, "auf den ersten Blick unscharfen Raum zwischen den klarer abgezeichneten Einzelkategorien, welcher ein hohes Maß an Ordnung aufweist." Zwischenkategoriale Relationen sind demnach regelgeleitet. Sie behauptet weiter, daß sich alle Kategorien aus einer Grunddifferenzierung, d.h. der Basiskategorie, die vom natürlichen, egozentrischen Standpunkt des Sprachproduzenten erzeugt wird, ableiten lassen. Die Entfaltung der Differenzierung, die zum schrittweisen Aufbau der unterschiedlichen Kategorien führt, sieht auch sie in den Markiertheitsrelationen. Laut Leiss funktioniert die Sprache als ein symbolisches und ein deiktisches bzw. indexikalisches Zeichensystem. Durch deiktische sprachliche Zeichen wird die Verbal- handlung / das Verbalgeschehen in bezug zur Wirklichkeit gebracht, und zwar auf Grund der Einbeziehung des sogenannten Betrachters, der als Vermittler zwischen Handlung / Geschehen und Texterzeuger "eine für die Erzeugung der semantischen Kernrolle unabdingbare Entität darstellt". Symbolische Zeichen dagegen sind kontextunabhängig. Tempus und Modus sind stark deiktisch, daher faßt sie Leiss als komplexer auf wie etwa Aspekt als ihre Basiskategorie, die ihrerseits ein einfacheres Zeitbild darstellt. Diese Argumentation veranschaulicht sie am Beispiel des Kindspracherwerbs und des Zweitspracherwerbs. Beide bewegen sich nachweislich in Richtung Aspekt'-Tempus -Modus. Diese Abfolge zu Gunsten der Komplexitätssteigerung wird als eine der wesentlichsten Eigenschaften der kategorialen Entfaltung vorausgesetzt. In diesen Punkten ist die Ähnlichkeit mit Erklärungsstrategien, wie sie von der natürlichen Syntax eingesetzt werden, kaum zu übersehen. Die wesentliche Funktion aller grammatischer Kategorien, so faßt Leiss ihre These zusammen, besteht einerseits in der Entarbitrarisierung von Sprache und andererseits in der Rekonstruktion des Ortes, von dem aus auf die Welt verwiesen wird. Nun, welche Kategorie vermag diese Funktionen besser wahrzunehmen als gerade die des Tempus? Man kann also mit grammatischen Zeichen, die die Eigenschaften des Tempus ausweisen, unabhängig von "hier" und "jetzt" auf den außersprachlichen Kontext verweisen. Der Rekonstruktion des Referenzausgangspunktes wird demnach eine entscheidende Funktion eingeräumt, weil sie durch ihre Orientierungshinweise die Einschränkung der möglichen Kontexte liefert und auf diese Weise die Einführung von Weltwissen zusätzlich zum vorgegebenen sprachlichen Wissen. In diesem Zusammenhang spielen die Erwartungshaltungen des Adressaten eine wichtige Rolle, denn Abweichungen oder gar Verstöße gegen diese Präsuppositionen haben zunächst in der Grammatik den Status einer neuen Information, die zusätzliche Markierungen erforderlich macht. "Einen eigenen Informationswert erzeugt auch die notwendige Linearität der materiell realisierten sprachlichen Seqünzen. Entspricht die sprachliche Sequentionalität der natürlichen, kognitiven Sequentionalität, so haben wir Formen der natürlichen, nichtarbiträren Kodierung vor uns", meint Leiss weiter. Wiederum ist die Aufgabe der Kategorien, Verstöße gegen diese natürliche Serialisierung durch zusätzliche Markierung auszugleichen. Jede Kategorie müßte auch die Inhalte Vorher und Nachher zum Ausdruck bringen können, sowie über anaphorische und kataphorische Kapazitäten verfügen. Leiss stellt weiter fest, indem sie die Kategorienentfaltung nachvollzieht, daß der essenzielle Inhalt der jeweils vorausgegangenen kategorialen Ebene erhalten bleibt und lediglich einer neuen Lesart unterworfen wird. Konkret heißt das, daß Kategorien auch nichtoptimal eingesetzt werden können. (Zum Beispiel das Verbinden terminativer Verben mit Kataphorik.) Solche Situationen werden durch Umkategorisierungsprozesse bzw. neue Lesarten getilgt. Dadurch entstehen vorerst Übergangskategorien, wie etwa Präsens in seiner Funktion als Prätempus oder das Perfekt, welches ursprünglich als perfektive Aktionsart, nicht als Tempus gelesen wurde, oder modale Lesarten beim Futur. Nach dem abgeschlossenen Grammatikalisierungsprozeß, der laut Leiss erst dann erfolgt ist, wenn alle Verben zu einer Kategorie Zugang finden (auch solche, die ursprünglich Unverträglichkeit manifestiert haben), ohne daß die grundlegende refferen-tielle Komponente sich wesentlich verändern würde. Diese Vorgänge bezeichnet die Autorin als kontinuierliche Reinterpretationsprozesse, die potentiell unabgeschlossen sind. Beim von mir eruierten Status des analytischen Futurs findet diese These ihre Bestätigung, was heißt, daß sich auch in diesen Punkten beide Theorien erneut begegnen und den kreativen Aspekt menschlicher Sprache, jede auf ihre Weise und mit anderer Forschungsmethode, zu definieren versuchen. 3. Nun konkret zum Tempus: Es wird als innenperspektivierende Kategorie mit phorischen Kapazitäten beschrieben. Sie ermöglicht die fiktive Lösung vom jetzt und ist äußerst aspektsensibel. Nur inhärent innenperspektivierende und imperfektive bzw. additive Aspektverben besitzen nämlich die Fähigkeit, temporale Referenzen zu erzeugen, d.h. nur sie sind prototypische Tempora. Jedoch ist eine Tempusform erst dann im System fest verankert, wenn sie auch nonadditive Aspektverben als produktiv zuläßt. Ist das nicht der Fall, handelt es sich um eine Übergangskategorie bzw. ein Prätempus, wie zum Beispiel das bereits erwähnte Präsens, das sich als Schnittpunkt von Tempus und Aspekt ausweist. (So haben z. B. perfektive Verben im Präsens Zukunftsbezug, durative/additive Verben aber Gegenwartsbezug.) Die Kategorie Tempus erzeugt eine Trennung von Sprechzeit und Betrachtzeit, wobei die Letztere als temporal interpretierter, dem Adressaten zugewiesener Standpunkt zu verstehen ist. Der Sprecher versetzt sich fiktiv als Betrachter an den Ort der Lokalisation des Ereignisses, er wechselt also seinen Standort entweder zurück oder nach vorne. Das Präsens ist jedoch durch Gleichheit von Betrachter- und Ereignislokali-sation, die als Gleichzeitigkeit gedeutet wird, zu erkennen. So ist die Tempuskategorie letztlich von räumlichen Vorstellungen abgeleitet. Nun zu den Kodierungsmöglichkeiten der Sphäre vergangen und der Sphäre zukünftig im Einzelnen. Bei den Vergangenheitstempora liegt, auch wenn imperfektive / additive Verben in die Tempuskategorie eintreten, so expliziert Leiss ihre Thesen weiter, eine Begrenzung der Handlung vor. Genau dasselbe ist auch bei den zukunftsbe-zogenen Tempora der Fall. Diese Begrenzung ist aber in beiden Fällen nach einer Seite offen. Denn, "die Tempora begrenzen eine Handlung oder ein Geschehen an der Nachstelle zur Gegenwart." Auch diese Überlegung rechtfertigt die o.a. Behauptung, wonach es sich beim Präsens um ein Prätempus handelt. Es liegt nämlich auf der Hand, daß besonders die morphologischen Präsensformen additiver Verben stark kontextsensitiv sind. Sie können in Abhängigkeit vom Ko- und Kontext entweder futurischen oder präsentischen Zeitbezug herstellen. Nonadditivität dagegen ist mit präsentischem Zeitbezug inkompatibel. Solche Verben erzeugen auch Modalität, sobald sie nicht mit optimaler Tempusform verwendet werden. Das analytische Futur stößt aber seinerseits Ver- ben nonadditiver Aspektualität ab. Ist das nicht der Fall, wird Modalität erzeugt. Die werden + Infinitiv-Konstruktionen werden daher vorzugsweise von additiven (imperfektiven) Verben gebildet, da perfektive / nonadditive Verben eine Verweisungskapazität nach vorne - in die Zukunft haben. Daher vermag Nonadditivität bei morphologischen Präsensformen auch ohne andere, auf die Zukunft verweisende Semanteme Zukunftsbezug zu realisieren. Man kann tatsächlich in Abhängigkeit von spezifischen Textsorten genug Belege für nichtmodalisiertes zukünftiges Futur finden. Das formal weniger markierte und daher ökonomischere Präsens pro futuro wird vor allem im gesprochenen Gegenwartsdeutsch favorisiert. Hier muß ich jedoch ergänzend einlenken, denn es hat sich auf Grund meiner Datenauswertungen, die ich der Textsorte Erzählung / Roman und prototypisch für das gesprochene Gegenwartsdeutsch der Textsorte Talkshow entnommen habe, erwiesen, daß morphologische Präsensformen, auch wenn sie mit nonadditiven Verben gebildet werden, nicht durchweg kontextunabhängig zukunftsbezogen sind. Es gibt immer wieder sprachliche und außersprachliche/ suprasegmentale Signale, die den jeweiligen Zeitbezug herstellen oder ihn sogar aufheben können. Es handelt sich um inhaltliche Verweisungen, die sich gerade in textsorten-spezifischen Untersuchungen besonders gut ausdifferenzieren lassen. Das, was zum Beispiel im Roman auf der lingualen Ebene geleistet werden muß (wie etwa nichtdritte Personen, entsprechende Zeitadverbien, bestimmte Arten von Nebensätzen oder auch entsprechende lineare Serialisierungen usw. als komplexere grammatische Entitäten, welche den höheren Markiertheitsgrad der merkmallosen synthetischen Präsensformen mit Zukunftsbezug als Ersatzleistung, von der keinesfalls abgesehen werden kann, ausweisen). Anders verhält es sich bei der Textsorte gesprochenes Gegenwartsdeutsch, wo diese erforderliche Markierungssteigerung eben auch extralingual geleistet werden kann. Denken wir dabei nur an den Satz heute tagen in Bruxelles die 12 Außenminister.... Da das prototypische Präsens das Präsens der additiven, teilbaren und nichtholi-stischen Verben ist, bezeichnet es einen homogenen Zeitraum, in dem sich sowohl der Standpunkt des Betrachters als auch der Ort des Verbalgeschehens befinden, ist es im Gegensatz dazu klar, meint Leiss, daß sich bei nonadditiven Verben die Aktzeit immer außerhalb des Sprech- und Betrachtzeitraums befindet, daher werden nichtadditive Verben auch mit den Morphemen der Vergangenheitstempora bevorzugt verwendet, denn durch ihre Außenperspektivierung bewirken sie eine Trennung der Lokalisation des Ereignisses / Zustandes von der des Betrachters. Hier ist auch der Grund dafür zu suchen, daß die vergangene temporale Ebene, welche die Merkmale - präsentisch, -futurisch. + holistische Semantik und + Außenperspektive verbindet, ganz gut auch mit dem Perfekt realisiert werden kann. Die eben aufgezeigte Dynamik innerhalb des deutschen Tempussystems verweist auf noch immer andauernde große Turbulenzen und Umkategorisierungsprozesse. Denken wir dabei an die besonders in der Umgangssprache überaus häufige Verwendung des zukunftsbezogenen Präsens oder etwa an die Behauptung von Leiss, wonach das Präteritum von den analytischen Formen des Perfekts zunehmend verdrängt wird, am massivsten wohl im süddeutschen Raum, und mit ihm unter gewissen Voraussetzungen - genauer dem haben-Perfekt additiver Verben - synonym ist. Das Präteritum nonadditiver Verben ziehe sich zu Gunsten des Perfekts vor allem in der gesprochenen Sprache zurück. Bei der Beschreibung des Tempussystems müßte man auf Grund der oben explizierten Erklärungsstrategien die aspektuellen Verhältnisse unbedingt mitberücksichtigen, da sie laut Leiss für das Erzeugen der refferenziellen Ebene der Tempora eine entscheidende Rolle spielen. Das alte Aspektsystem, das noch in den althochdeutschen Sprachdenkmälern durch Aspektpaare, wie wir sie in den slawischen Sprachen vorfinden, gekennzeichnet wurde, ist mittlerweile zerfallen. Bei aspektneutralen Verben können Tempora nämlich übergeneralisierend verwendet werden und sich somit auf den Weg ihrer Grammatikalisierung begeben. Auf diese Weise wird die Herausbildung der neuen analytischen Konstruktionen motiviert. Eine Entwicklungsstrategie, für die Leiss übereinzelsprachliche Geltung beansprucht. Diese größtenteils auf der Sprachintuition beruhenden Behauptungen von Leiss empirisch zu überprüfen war das Hauptanliegen meiner jüngsten Textanalysen, in denen ich mich diesmal ausschließlich dem grammatischen Parameter Aspekt zuwende. Die Opposition additiv vs. nonadditiv überprüfte ich unter Berücksichtigung der von der NTS explizierten Markiertheitsrelationen und anderer o.a. Postulate, die für syntaktische Erscheinungen Geltung beanspruchen. Die zentrale Fragestellung läßt sich wie folgt formulieren: a/ Gibt es eine Korrelation zwischen additiven / markierteren und nonadditiven / weniger markierten Aspektverben und den Distributionstendenzen vom analytischen Futur und futurischem Präsens einerseits sowie dem Präteritum und dem haben- Perfekt andererseits? b/ Wie zeichnet sich auf dem Hintergrund dieser gemeinsamen Verbalkategorie das Konkurrenzverhalten der merkmalhafteren analytischen und der formal einfacheren synthetischen Tempusformen ab? c/ Gibt es diesbezüglich relevante Unterschiede zwischen den Textsorten Erzählung. die durch zwei Romane aus dem 20. Jahrhundert vertreten und stichprobenweise untersucht worden sind (Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz: 12.500 Sätze - untersucht wurden beide Futurvarianten; Ernst Nowak, Addio Kafka: 2.900 Sätze - untersucht wurden beide Varianten zum Ausdruck der Vergangenheit) und die Textsorte Talkshow (RTL EXPLOSIV und TALK IM TURM: zusammen etwa 120 Minuten Sendezeit, produziert wurden ca. 3000 Sätze; erneut sind beide Futurvarianten untersucht worden und CLUB 2 mit etwa 90 Minuten Sendezeit und 2.900 produzierten Sätzen, hier fokusierte sich die Aufmerksamkeit wieder auf beide Varianten zum Ausdruck der Vergangenheit). d/ Welche Ergebnisse bezüglich der Fortgeschrittenheit der oben besprochenen syntaktischen Prozesse lassen sich aus den Korpusanalysen ableiten? Alle in Prozentsätzen ausgewiesenen Werte, die der anliegenden statistischen Datenauswertung zu entnehmen sind, bestätigen die Produktivität der verbalen Aspek-tualität bei der Erzeugung von temporalen Referenzen im Sinne von Leiss. (Die Unterschiede würden sich sicherlich noch als relevanter erweisen, wenn man bei der Statistik auch die diesbezüglich noch sensibleren Indexe der Verschiedenheit mitberücksichtigte. Diese werden bei der Weiterführung der Untersuchungen eingesetzt, die auch eine Erweiterung der Korpora voraussetzt.) Es besteht also eindeutig eine Korrelation zwischen additiven und nonadditiven Verben und der Distribution von Tempusformen. Einige Ergebnisse liefern zwar keine Relevanz, jedoch verweist keines auf eine, den Postulaten entgegenwirkende Tendenz. Überraschend sind eigentlich nur die statistischen Ergebnisse, die sich auf die Austauschbarkeit des haben-Perfekts mit dem Präteritum beziehen. Leiss räumt diesbezüglich dem gesprochenen Gegenwartsdeutsch mehr Flexibilität ein. Jedoch sind die beiden Vergangenheitsformen gerade in der Talkshow zu etwa 20 % austauschbar, wogegen im Roman dieser Prozentsatz bei 40 % liegt, was konkret heißt, daß sich gerade in dieser Textsorte das additive Perfekt und das nonadditive Präteritum, die als synonym gelten, prozentuell die Waage halten. Die Begründung hierfür kann man unter anderem auch darin finden, daß in der untersuchten Talkshow die beiden Vergangenheitsformen am Bestand aller Tempusformen nur mit etwa 3 % beteiligt sind, im Roman dagegen mit 25 %. Ein solcher Tatbestand verweist auf die Unverträglichkeit der Verwendung vor allem des Präteritums in einer engagierten Besprechung der zumeist auf hier und jetzt bezogenen Ereignisse oder Zustände, wie etwa im besagten Club 2, wo heftig über den Themensschwerpunkt diskutiert wird, ob Krankenschwester zu sein, ein Traumberuf oder ein Alptraumberuf sei. Das Perfekt ist hier wesentlich üblicher als das Präteritum, wie man das den Handouts entnehmen kann, weil es zu über 60 % häufiger auftritt als im Roman. Für das gesprochene Gegenwartsdeutsch ist daher anzunehmen, daß es erwartungsgemäß prototypischer ist für das haben-Perfekt, daher finden hier auch die untypischeren additiven Verben massiveren Zugang zu dieser Konstruktion, als das beim Präteritum für seine untypischere Variante - die nonadditiven Verben - der Fall ist. Das Präteritum erwies sich in der Textsorte Erzählung als die nach wie vor üblichere Ober-flächenrealiserung der Zeitsphäre vergangen. Das Gleiche gilt auch für die nichtmodalen werden + Infinitiv Konstruktionen als dem grammatikalisierten Futur im Deutschen. Der Umstand, daß auch nonadditive Verben massiven Zugang sowohl zum Perfekt als auch zum analytischen Futur haben, bestätigt einerseits die These, daß beide analytischen Konstruktionen schon als Aktualisierungsvarianten sowohl der imperfektiven als auch der perfektiven Vergangenheit (Perfekt) und der nichtmodalisierten Zukunft grammatikalisiert worden sind. Andererseits aber auch die Verdrängungsthese des Präteritums durch das Perfekt, denn sie sind auch in der weniger veränderungsfreundlichen Textsorte Erzählung zu fast 40 % weitgehend synonyme Varianten. Dieser Prozeß muß auch schon relativ weit fortgeschritten sein, denn die in beiden Textsorten vorgefundenen Unterschiede sind nicht derart gravierend, um die Annahme zu rechtfertigen, daß der besagte Prozeß erst allmählich einsetzt. Auch was die Markiertheits-verhältnisse anbelangt, kann festgestellt werden, daß beim analytischen Perfekt, welches hauptsächlich verschiedene Präsensvarianten zum temporalen Hintergrund hat, dieses temporale "shifting" durch die formale Merkmalhaftigkeit gekennzeichnet wird, weitere Markierungen sind redundant, daher ist die Konstruktion auch im gesprochenen Gegenwartsdeutsch ökonomisch genug, und wird entsprechend häufig verwendet. Beim zukunftsbezogenen Präsens hingegen wird die erforderliche Ersatzmarkierung durch die auf den ersten Blick weniger transparenten außersprachlich angelegten situativen Impulse geleistet. Diese kann man besonders effizient in natürlichen Gesprächsabläufen realisieren, wo sie auch überzeugend häufiger vorzufinden sind als ihre umständlichere analytische Variante. Wiederum kann man also feststellen, daß sich sprachliche Vorgänge stark von Ökonomieprinzipien motivieren lassen. STATISTISCHE DATENAUSWERTUNG: TEXTSORTE: ROMAN = Ernst Nowak, Addio Kafka (Wien 1987) 1 2 haben-Perfekt: 12,5% A = 39,3% /N = 60,7% Präteritum: 87,5% A = 63,2 % /N = 36,8% - mit 25 % am Bestand aller Tempusformen im Korpus vertreten TEXTSORTE: TALKSHQW = CLUB 2 (ORF) vom 9. März 1993 haben-Perfekt: 80 % A = 42,1 % / N = 57,9 % Präteritum: 20% A = 84,2 % /N=15,8% - mit 3 % am Bestand aller Tempusformen im Korpus vertreten TEXTSORTE: ROMAN = Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz (Ölten 1980) werden + Inf.: 28% A = 45,1% /N = 54,9% Präsens pro futuro: 72 % A = 27,6 % / N = 72,4 % - mit 6 % am Bestand aller Tempusformen im Korpus beteiligt TEXTSORTE: TALKSHOW = RTL-Explosiv vom 25. Februar 1993, Talk im Turm -SAT 1 vom 31. Jan. 1993 werden + Inf.: 11,4% A = 68% /N = 32% Präsens pro futuro: 88,6 % A = 43,3 % / N = 56,7 % - mit 8 % am Bestand aller Tempusformen im Korpus vertreten 1 = additive Verben 2 = nonadditive Verben ZUSAMMENFASSUNG Die von Leiss (1992:226) aufgestellte These über die Dreigliedrigkeit des Tempussystems im Deutschen wird mit den vom slowenischen Modell der Natürlichen Syntax aufgestellten Postulaten konfrontiert, wonach sich der syntaktische Wandel im Durchsetzen entweder verstärkter oder geschwächter Konstruktionen durchsetzt. Beide Entfaltungsmöglichkeiten sind in spezifischer Weise regelgeleitet. Der Themenschwerpunkt ist auf zwischenkategorialen Affinitäten fokussiert sowie der textsortenspezifischen Bedeutung des Ko- und Kontextes und anderer diskursiver Elemente zur Herstellung von semantischen Rollen. Die aufgestellten Postulate werden am sprachlichen Material ausgewertet, welches die Textsorten deutsche Sprechsprache der Gegenwart (TALKSHOWS) und deutschsprachiges literarisches Schaffen (Romane) durch die Kategorie des Tempus (analytisches Futur - Präsens mit Zukunftsbezug; Präteritum -haben Perfekt) miteinander konfrontiert. LITERATUR Comrie, Bernard: Aspect. Cambridge 1976. Döblin, Alfred: Berlin Alexanderplatz. Ölten 1980. Dressler, Wolfgang U.: Grundfragen der Morphonologie, Wien 1970 Jakobson, Roman: Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze. Frankfurt/M. 1969. Jakobson, Roman: Selected Writings II. The Hagü, Paris 1971. Leiss, Elisabeth: Die Verbalkategorien des Deutschen. Berlin 1992. Mayerthaler, Willi: Morphologische Natürlichkeit. Wiesbaden 1991. Nowak, Ernst: Addio, Kafka. Wien 1987. Orešnik, Janez: Periphrasen sind verstärkte Konstruktionen. In: Beiträge zum 5. Essener Kolloquium über "Grammatikalisierung, Natürlichkeit und Systemökonomie", Bochum 1990. Teržan-Kopecky, Karmen: Kategorialer Entfaltungsprozess im Lichte seiner distinktiven Merkmale. In: Untersuchungen zum Deutschen als Fremd- und Zweitsprache. Graz 1992. Wurzel, Wolfgang U.: Flexionsmorphologie und Natürlichkeit. In: Studia grammatica XXI, Berlin 1984. Povzetek PORAZDELITEV GLAGOLSKIH ČASOV GLEDE NA BESEDILO V članku se soočajo teza E. Leiss (1992:226) o tročlenskosti časovnega sistema v nemščini in postulati slovenskega modela naravnostne skladnje, po katerem se uveljavlja skladenjsko spreminjanje bodisi okrepljenih bodisi ošibljenih konstrukcij. Obe možnosti razvoja potekata po pravilih na specifičen način. Tematsko težišče je osredotočeno na medkategorialne afmitete kot tudi na pomen ko- in konteksta, specifičnega za besedilno vrsto, in drugih diskurzivnih elementov za oblikovanje semantičnih vlog. Vrednotenje postulatov je potekalo na jezikovnem materialu, ki med sabo sooča besedilne vrste moderni nemški govorni jezik (TALKSHOWS) in nemškogovoreče literarno ustvarjanje (romani) preko kategorije časa (analitični futur - prezent z ozirom na prihodnost, preterit - perfekt "haben"). Teodor Petrič Universität Maribor UDK 803.0-28-559:801.73 INDEXIKALISCHE LEISTUNGEN DER MODALPARTIKELN UND IHRE NATÜRLICHKEITSTHEORETISCHE BEWERTUNG 1. MODALPARTIKELN ALS PROTOTYPISCHE ERSCHEINUNG BESTIMMTER TEXTSORTEN Statistische Auszählungen zeigen, daß Modalpartikeln (Abtönungspartikeln) als eine prototypische Erscheinung bestimmter Textsorten angesehen werden können. Insgesamt läßt sich sagen, daß die Partikeln und selbst die zahlenmäßig kleine Funktionsklasse der Modalpartikeln in Texten erstaunlich oft vorkommen. Zu den 5000 in Kaedings Korpus häufigsten Wörtern gehören die Partikeln eben, denn, doch, ja, nur, schon, vielleicht (Meier 1978). Der Hauptverwendungsbereich von Modalpartikeln (MPn) ist die umgangssprachliche natürliche Konversation (vgl. Franck 1980:24). Dies zeigen bereits Weydts Befunde (1969:99f.): - MPn kommen häufiger in gesprochener Sprache vor und seltener in geschriebener Sprache, - MPn treten häufiger in umgangssprachlicher-alltäglicher Sprache auf und seltener in gehobener Sprache, - MPn erscheinen häufiger in spontaner Sprache und seltener in geplanter, vorformulierter oder ritueller Sprache, - MPn sind häufiger in dialogischer Sprache und seltener in monologischer Sprache. Aber auch innerhalb der mündlichen Kommunikation müssen Unterschiede in der Verwendung von MPn angenommen werden. Hentschel (1986:238ff) vermutet, daß zwischen dem Vorkommen von MPn und dem Privatheitsgrad eines Textes Zusammenhänge bestehen. Der Privatheitsgrad eines Textes kann mit Faktoren wie den folgenden bestimmt werden: - dem Grad der Vertrautheit der Kommunikationsteilnehmer untereinander, - dem Grad der Situationsvertrautheit, - der persönlichen Betroffenheit durch das Gesprächsthema und Interesse am Gesprächsthema, - Differenzen im sozialen Rang der Teilnehmer, - Vertrautheit des Kommunikationsortes und -mediums, - Häufigkeit der Interaktion ('Lebhaftigkeit') und - Arten des Gesprächsverlaufs (z.B. deskriptiv, argumentativ, assoziativ). Die Häufigkeit, mit der MPn verwendet werden, steigt in dem Maße, wie die Kommunikation einen informellen, persönlichen, vertrauten und argumentativ-assoziativen Charakter annimmt, d.h. mit steigendem Privatheitsgrad (Hentschel 1986:243). Für Texte mit hohem Privatheitsgrad ist der Gebrauch von MPn also prototypisch, d.h. auch natürlich. Im Dialog Unterhaltung beim Morgenkaffee, einem Text mit hohem Privatheitsgrad, waren 5,13% aller Textwörter MPn, in der Diskussion Schulklasse mit Präses Scharf, einem Text mit niedrigem Privatheitsgrad, hingegen nur 0,91% aller Textwörter (beide Texte aus: Heutiges Deutsch 1975). 2. MODALPARTIKELHALTIGE ÄUSSERUNGEN IM NATÜRLICHKEITSKONZEPT 2.1 GRUNDANNAHME In der Arbeitshypothese, derer ich mich bediene, wird die Existenz von einerseits verstärkten und entsprechenden nichtverstärkten syntaktischen Konstruktionen und andererseits die Existenz von geschwächten und entsprechenden nichtgeschwächten syntaktischen Konstruktionen postuliert. Die Grundannahme besagt folgendes: Am Anfang (d.h. im Stadium, in welchem eine Konstruktion nur als eine syntaktische Variante eines anderen Ausdrucks zu werten und noch nicht grammatikalisiert ist) behaupten sich verstärkte Konstruktionen vorzugsweise unter relativ komplizierten (markierten) grammatischen Verhältnissen und verbreiten sich in ihrer späteren Entwicklung unter Umständen auch unter weniger komplizierten grammatischen Verhältnissen. Geschwächte Konstruktionen dagegen behaupten sich am Anfang vorzugsweise unter relativ einfachen (weniger markierten) grammatischen Verhältnissen und verbreiten sich später möglicherweise auch unter weniger einfachen grammatischen Verhältnissen (Näheres zum theoretischen Hintergrund ist in Orešnik/Snedec/Teržan/Trobevšek-Drobnak 1990 und in Orešnik 1990 zu finden). 2.2 SEMIOTISCHE GRUNDLAGEN Peirce (vgl. Dressler 1989:23, Nöth 1975:16ff) unterscheidet drei Stufen in der Objektrelation von Zeichen: das Ikon, den Index und das Symbol. In der Hierarchie der drei Zeichentypen steht das Symbol (als konventionelles Zeichen) am höchsten, denn die Herstellung der Objektrelation ist allein vom Interpreten des Zeichens abhängig. Diese Stufung der Zeichentypen entspricht also ihrem Arbitraritätsgrad. MPn können als indexikalische Ausdrücke angesehen werden. Wie alle sprachlichen Zeichen sind sie zugleich auch Symbole. Für MPn ist eine reduzierte Semantik charakteristisch, d.h. sie sind aus Lexemen mit voller referentieller (adjektivischer, adverbialer) oder expliziter synkategorematischer Bedeutung (Konjunktionen, Gradpartikeln, Steigerungspartikeln, Gliederungspartikeln) entstanden. Trotz ihrer reduzierten Semantik verfügen sie noch über einige gemeinsame Merkmale mit ihrem Ausgangswort. War das Ausgangswort schon deiktisch verwendbar, behielten die MPn die endophorische Verweisrichtung in der Regel bei (meist die anaphorische). Als neue Verweisrichtung kommt bei den MPn die exophorische hinzu, d.h. der Verweis auf die interaktionellen Beziehungen, auf die kommunikative Situation. Die exophorische Verweisrichtung wird bei den MPn zur dominierenden (und nach meiner Meinung markierten) Verweisrichtung. MPn sind sprachliche Symbole, die gleichzeitig Zeichenfunktionen von niedrigerer Semiotizität erfüllen. Solche Zeichen nennt Peirce degenerierte Zeichen (Nöth 1975:17). Betrachten wir die drei Zeichentypen hinsichtlich ihrer Generalisierungskraft, dann ist es das Symobl, das auf der höchsten Stufe steht, während der Index auf der niedrigsten Stufe in der Zeichenhierarchie steht, denn nach Peirce ist der Index direkt von seinem Objekt abhängig, das deshalb auch in der Kommunikationssituation vorhanden sein muß. Das Ikon steht hinsichtlich seiner Generalisierungskraft zwischen Index und Symbol (Nöth 1975:19). Im Gegensatz zu Nöth 1975 sieht Peirce das Merkmal der Kontiguität als wesentliches Merkmal an, um Indices auf eine höhere Stufe in der Zeichenhierarchie zu stellen als das Ikon. Letzteres zeigt nämlich größere oder kleinere Übereinstimmungen mit seinem Objekt, während Indices keine Ähnlichkeit mit ihrem Objekt zu haben brauchen (vgl. auch Dressler 1989:13ff). Allein das Merkmal der Kontiguität sichert, daß ein Index mit seinem Objekt verbunden wird. Nöth 1975:19 betont, daß die Objektrelation beim Index wegen dessen perzeptueller Nähe zu seinem Objekt einfacher herzustellen ist. Dies läßt sich anhand der Genese des Zeichengebrauchs bei Kindern verdeutlichen, die nach Piaget 1962:163, 278 (Nöth 1975:19) durch zunehmende Differenzierung von Zeichen und Objekt gekennzeichnet ist. Am Anfang der Entwicklung steht eine pars-pro-toto-Relation, d.h. Zeichen (Indices) bestehen zunächst nur aus Teilen oder Teilaspekten des Objektes. Zeichen und Objekt sind in dieser Entwicklungsphase noch undifferenziert. Ein weiteres Argument dafür, daß Indices als einfachste Zeichen angesehen werden können, ist die Tatsache, daß indexikalischer Zeichengebrauch (mit wenigen Ausnahmen) der einzige Zeichengebrauch ist, der in verschiedenen Formen der Tierkommunikation vorkommt. Das Ikon impliziert hingegen eine stärkere Differenzierung von Zeichen und Objekt, denn es setzt eine geistige Umstrukturierung des Objektes voraus. Wenn man mit Nöth 1975:19 situationsbe-zogene Bedingungen der Zeichenhaftigkeit ebenfalls berücksichtigt, dann kann der Index nach dem Arbitraritätsgrad als Zeichen eingestuft werden, das in der Zeichenhierarchie am weitesten unten steht. 2.3 ARBEITSHYPOTHESE Zunächst habe ich angenommen, daß die folgenden Eigenschaften für die Hypothese sprechen könnten, eine MP-haltige Äußerung sei im Vergleich zu einer MP-losen propositionsgleichen Äußerung eine verstärkte Konstruktion: 1. Eine MP-haltige Äußerung ist nicht so zeit- oder platzsparend wie eine MP-lose Äußerung, denn sie enthält eine zusätzliche syntaktische Stelle. 2. Eine MP-haltige Äußerung hat eine engere Bedeutung, denn durch das Hinzufügen der MP wird die Bedeutung des Äußerung genauer bestimmt bzw. modifiziert. 3. Dem Sprecher bereitet die Auswahl einer dem kommunikativen Sinn entsprechenden MP Schwierigkeiten. 4. Dem Hörer hingegen erleichtert die MP das Verständnis des kommunikativen Sinnes der Äußerung. Historisch gesehen sind MPn (aufgrund ihrer reduzierten Semantik) in einfacheren grammatischen Umgebungen entstanden, wirken nun aber in den Äußerungen, in denen sie auftreten, als verstärkende Elemente auf der Beziehungsebene. Anhand der Arbeitshypothese über die Komplexität von MP-Äußerungen habe ich Vorhersagen abgeleitet und diese mit Hilfe eines sprachlichen Korpus statistisch überprüft. Das sprachliche Korpus bestand aus den Telefongesprächen von Brons-Albert (1984) und den gesprochenen Texten des IdS (Freiburger Korpus in: Heutiges Deutsch 1975). Die 14 überprüften Vorhersagen beschränken sich vor allem auf morphologische und syntaktische Eigenschaften MP-haltiger und MP-loser Äußerungen, und zwar auf die Satzlänge, die Äußerungslänge, auf die Struktur der Äußerung (d.h. Anzahl der Sätze einer Äußerung, Subordination von Sätzen), auf das Verhältnis zwischen Haupt-und Nebensatz, auf das Verhältnis zwischen den Satzmodi, auf das Verhältnis zwischen affirmativen und negierten Sätzen, auf das Verhältnis der Sätze mit und ohne Satzklammer, auf das Verhältnis zwischen den Werten der einzelnen morphosyntaktischen Kategorien des Verbs (Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus verbi). Die statistischen Ergebnisse sind in Petrič (1993) und in Petrič (1995) veröffentlicht und sollen hier nicht (detailliert) vorgeführt werden. Die Unterschiede zwischen Grundsample (mit MP-hal-tigen Äußerungen) und Kontrollsample sind in den folgenden Fällen signifikant (in Klammern stehen die Ausgangshypothesen): 1. Äußerungen, in denen ein MP-haltiger Satz auftritt, sind kürzer (Längere Äußerungen sind markierter). 2. Äußerungen, in denen ein MP-haltiger Satz auftritt, enthalten seltener einen Nebensatz (Äußerungen mit Hypotaxe sind markierter als Äußerungen mit Parataxe). 3. MPn treten häufiger in selbständigen oder abhängigen Hauptsätzen auf und seltener in Nebensätzen (Nebensätze sind markierter als Hauptsätze). 4. Der Anteil von Nicht-Aussagesätzen ist im Grundsample größer (Fragesätze, Imperativsätze, Wunschsätze und Exklamativsätze sind markierter als Aussagesätze). 5. Der Anteil negierter Sätze ist im Grundsample größer (Negierte Sätze sind markierter als affirmative Sätze). 6. MP-haltige Sätze kommen häufiger ohne Satzklammer vor (Der Satzrahmen ist eine zweiteilige diskontinuierliche Konstruktion und ist im Vergleich zu einer einteiligen Konstruktion oder einer zweiteiligen kontinuierlichen Konstruktion markierter). 7. Der Anteil der dritten Person ist im Grundsample größer (Die erste und die zweite Person sind markierter als die dritte). 8. Der Anteil des Präsens ist im Grundsample größer (Die Vergangenheits- und Zukunftstempora sind markierter als das Präsens). 9. Der Anteil des Indikativ ist im Grundsample kleiner (Der Imperativ und der Konjunktiv sind markierter als der Indikativ). Nur die Ergebnisse unter Punkt 4,5 und 9 entsprechen den aus den oben genannten Eigenschaften abgeleiteten Vorhersagen. Der Umstand, daß die meisten Vorhersagen nicht bestätigt wurden, soll in den folgenden Abschnitten kommentiert werden. 2.3.1 Nach meinen statistischen Ergebnissen ist es zu bezweifeln, ob der Platzoder Zeitverlust bei so kurzen Funktionswörtern wie den MPn eine wesentliche Rolle spielt. Relativiert werden muß auch die Behauptung, daß eine zusätzliche syntaktische Stelle für eine Zunahme der semantischen Komplexität einer Äußerung ausschlaggebend ist. MP-haltige Äußerungen enthalten zwar eine zusätzliche syntaktische Stelle (nämlich die MP, also eine Adverbposition), aber eine MP ist in ihrer semantischen Bedeutung so weit reduziert, daß die syntaktische Bereicherung der Äußerung keine semantische Bereicherung mit sich bringt. 2.3.2 Grundlegend ist die angemessene Bewertung der Bedeutung von MPn. Ich nehme an, daß eine MP-haltige Äußerung im Vergleich zu einer propositionsgleichen MP-losen Äußerung eine engere Bedeutung hat, denn durch das Hinzufügen der MP wird die Bedeutung der Äußerung genauer bestimmt bzw. modifiziert. Diese Behauptung stützt sich auf folgende Überlegung: MPn sind zwar semantisch (d.h. denotativ, referentiell, propositional) ausgebleicht, aber dennoch nicht bedeutungsleer. Die MP doch zum Beispiel verfügt über zumindest zwei Bedeutungskomponenten: über die der Anaphorizität und die des Gegensatzes. Bei MP-Kombinationen in einer Äußerung addieren sich die Bedeutungen der einzelnen MPn (Freges Kompositionsprinzip). (1) Ich bin ja doch deine Mami. (2) Komm doch mal! Die Anzahl der Bedeutungskomponenten, die zum Satz durch MP-Kombinationen hinzugefügt werden, ist also noch größer, als dies beim Einsatz einer einzelnen MP der Fall war. Zu entsprechenden Ergebnissen kommen wir auch bei anderen MPn. Einige unserer statistischen Ergebnisse zeigen eher Anhaltspunkte dafür, daß MP-haltige Äußerungen syntaktisch und semantisch einfacher sind als MP-lose Äußerungen (vgl. etwa die Ergebnisse unter den Punkten 1-3 und 6-8). Die semantischen Merkmale der MPn sind von so allgemeiner Natur, daß sich das Hinzufügen von MPn im Komplexitätsgrad der Äußerungsstruktur und Äußerungssemantik kaum niederschlägt. Ich habe den Eindruck, daß es eher umgekehrt ist, d.h. daß MP-haltige Äußerungen einfacher sind als MP-lose Äußerungen. Es erhebt sich die Frage, ob die Hinzufügung von semantischen Merkmalen durch die MP dennoch eine Beschränkung für die MP-Äußerung zur Folge hat und ob man dennoch behaupten kann, daß MP-haltige Äußerungen (zumindest einige) Eigenschaften verstärkter Konstruktionen aufweisen. Eine Beschränkung für die MP-Äußerung ist vor allem in Bezug auf die Fortsetzungsmöglichkeiten im Text zu sehen, d.h. auf textlinguistischer Ebene. Da eine MP semantische Merkmale, wenn auch sehr unspezifische Merkmale, zur Äußerungsbedeutung beisteuert, sollte eine MP-Äußerung kontex-tuell eingeschränkter verwendbar sein als eine MP-lose Äußerung. Die Verwendung der MP-Äußerung auf bestimmte Umgebungen wird durch die indexikalische Kraft der MP eingeschränkt. Die MP ist dabei auf einen Vortext und einen Situationszusammenhang angewiesen, der seinen Gebrauch auslösen kann, und eröffnet ein bestimmtes Fortsetzungsraster bzw. bestimmte Fortsetzungsraster. Nach dem Kohärenzprinzip werden die Ausgangsbedingungen des ersten Sprechakts zu den Eingangsbedingungen des nächsten Sprechakts (Franck 1980:44). Der Sprecher hat immer eine beschränkte Anzahl von Fortsetzungsmöglichkeiten - vom Inhalt und vom Ausdruck her. Bei der Analyse von Gesprächssequenzen kann man sich etwa folgende Fragen stellen (Franck 1980:169d): - Ist die MP-haltige Äußerung mit der Vörgängeräußerung verbunden oder ist sie kataphorisch zur Folgeäußerung ausgerichtet? (Die anaphorische Verweisrichtung kann man als unmarkiert ansehen, die kataphorische als markiert.) - Wird durch die MP-haltige Äußerung eine bestimmte Präferenz bezüglich des Fortsetzungsrasters angezeigt? (z.B. rhetorische Fragen als Beispiel indirekter Sprechakte, die als markiert angesehen werden können; die MPn erleichtern die Dekodierung eines indirekten Sprechaktes) - Welche Eigenschaften hat der vorhergehende Gesprächszug und welche hat der folgende Gesprächszug? Ist vor der MP-haltigen Äußerung Sprecherwechsel notwendig oder bestehen bestimmte syntaktische und/oder semantische Beschränkungen in der Vorgängeräußerung? Welche kommunikative Rolle hat der Vorgängerzug? (Macht ein Element Sprecherwechsel notwendig, dann kann man es als pragmatisch markiert ansehen) Die grammatischen Parameter, die ich im statistischen Vergleich herangezogen habe, sind vor allem auf morphologische und syntaktische Eigenschaften von MP-haltigen Äußerungen beschränkt. Um die Analyse auf die Textebene auszuweiten, wäre es sinnvoll, statt einzelner Äußerungen ganze Gesprächssequenzen miteinander zu vergleichen. Analog könnten wir behaupten, daß eine MP-haltige Gesprächssequenz im Vergleich zu einer MP-losen Gesprächssequenz eine verstärkte Gesprächssequenz ist, denn der Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen einer Sequenz wird für den Adressaten hör- und/oder sichtbar markiert. Aufgrund dieser Annahme könnten bestimmte Vorhersagen für das Verhalten von MP-Äußerungen in Sequenzen abgeleitet werden: z.B. - daß die meisten Gesprächssequenzen Äußerungen mit solchen MPn enthalten, die die MP-haltige Äußerung stärker mit der nächsten Äußerung verbinden (Die meisten MPn sind allerdings anaphorisch, daher wäre wohl eher eine stärkere Bindung an die vorangehenden Äußerungen zu erwarten); - daß die meisten Gesprächssequenzen solche MP-Äußerungen enthalten, die eher initiativ und nicht reaktiv sind; - daß die meisten Gesprächssequenzen solche MP-Äußerungen enthalten, die nur bestimmte Fortsetzungsmöglichkeiten vorschreiben oder sogar nur eine einzige; - daß die meisten Gesprächssequenzen solche MP-Äußerungen enthalten, die ganz bestimmte Eingangsbedingungen verlangen oder sogar nur eine einzige; daß die meisten Gesprächssequenzen solche MP-Äußerungen enthalten, die Sprecherwechsel auslösen usw. Diese Vorhersagen betreffen vor allem die endophorische Verweisrichtung von MPn. 2.3.3 Es ist zu bezweifeln, daß der Gebrauch von MPn eine wesentliche Kodierungsschwierigkeit für den Sprecher darstellen. Ich nehme an, daß sie zumindest für den erwachsenen (deutschen) Sprecher leicht zu produzieren sind, was mit ihrer reduzierten Semantik zusammenhängen könnte. Ein weiteres Indiz für die Einfachheit von MPn könnte die Tatsache sein, daß Sprecher MPn weniger bewußt verwenden (höherer Automatisierungsgrad) als sprachliche Mittel mit ausgeprägter referentieller semantischer Bedeutung, etwa die Autosemantika (Verben, Nomina). Eine andere Frage ist, ob der Erst- oder Zweitspracherwerb von MPn leicht ist. Man muß nämlich erst entsprechende pragmatische (kommunikative) Erfahrungen gemacht haben, um die MPn angemessen in verschiedenen Situationen und Textsorten einsetzen zu können. Es ist (zumindest mir) unklar, wie schwierig der MP-Erwerb ist. Lindner 1983 führt einige Belege an, in denen bereits 2-3-jährige Vorschulkinder zuerst in Dialogen MPn wie mal und denn verwenden, d.h. zwei der häufigsten deutschen MPn. Das wäre ein Anzeichen dafür, daß MPn ihrer Bedeutung nach keine komplizierten sprachlichen Zeichen sind; das würde auch mit der Vorstellung von MPn als indexikalischen Zeichen übereinstimmen. In der Natürlichkeitstheorie hält man ein Element, das sich auf den illokutiven Bereich bezieht, für markierter als ein Element, das sich auf den lokutiven Bereich bezieht (vgl. Dotter 1990). Das MP-Paradigma zeigt meiner Meinung nach, daß sich Marlciertheits werte im Leben eines Menschen, d.h. nicht nur im Kindesalter, sondern auch im Erwachsenenalter, verändern können und daß die MPn (als endo- und exo-phorische Indices) mit zunehmender kommunikativer Erfahrung des Individuums an Markiertheit verlieren. 2.3.4 Dekodierung von MP-haltigen und MP-losen Äußerungen. Die oben angeführten Eigenschaften von Indices, zu denen auch die MPn gehören, sind ein Zeichen dafür, daß MPn recht einfache sprachliche Mittel sein müßten. Sie stehen auf der Stufe von Signalen, d.h. sie drücken nicht selbst bestimmte Beziehungen aus, sondern sie zeigen nur auf sie. Viele unserer statistischen Ergebnisse scheinen diese Vorstellung von der Einfachheit dieser sprachlichen Mittel zu stützen. Die Verweisungsfunktion ist auch für Personalpronomina, Possessivpronomina oder Lokal- und Temporaladverbien charakteristisch. Modalpartikeln zeigen jedoch nicht auf ein Objekt in Raum und Zeit, sondern auf Beziehungen, die zwischen Objekten in Raum und Zeit bestehen, d.h genauer auf interaktionelle, interpersonale, illoku-tive und attitudinale Bestandteile der Kommunikationssituation. Hentschel 1986 hat diese Art des Verweises als metakommunikative Deixis bezeichnet. Die Annahme, daß Modalpartikeln als indexikalische Ausdrücke einfache sprachliche Mittel sind, steht jedoch nicht in Einklang mit der weitverbreiteten Ansicht, daß Modalpartikeln eine beträchtliche Schwierigkeit darstellen, zumindest für DAF-Lerner und Kinder im Vörschulalter. Betrachtet man zunächst isolierte propositionsgleiche Äußerungen mit und ohne Modalpartikeln, kann man feststellen, daß man zur Interpretation einer MP-haltigen Äußerung eine bestimmte geistige Anstrengung machen muß, denn man muß sich eine Situation oder entsprechende Vörgängeräußerung vorstellen, in der die MP-haltige Äußerung verwendet werden kann. Die Tatsache, daß der Hörer zur Dekodierung der isolierten MP-Äußerung mehr Denkarbeit investieren muß, ist ein Merkmal geschwächter Konstruktionen. Eine isolierte MP-haltige Äußerung kann mit einer propositionsgleichen MP-losen Äußerung und ihrem Ko(n)text verglichen werden. In diesem Vergleich wäre die MP-haltige Äußerung als geschwächte Konstruktion aufzufassen, weil die MP auf abstrakte und generalisierende Weise all das zusammenfaßt, was im Ko(n)text ausgedrückt wird. Eine MP-haltige Äußerung müßte demnach eine Komplizierung für den Hörer darstellen. Bei einer MP-losen Äußerung entfällt das Problem, daß man sich eine geeignete Kommunikationssituation vorstellen muß, bis zu einem gewissen Grade, da diese in ihrem situationeilen Gebrauch meist weniger spezifisch ist. Da aber Äußerungen gewöhnlich nicht isoliert vorkommen, sondern eingebunden in einem Textzusammenhang, muß die Frage, ob Modalpartikeln einfache oder komplizierte sprachliche Mittel sind, auch noch von einer anderen Seite aus betrachtet werden. Vergleicht man nun einen Situationszusammenhang, in dem eine MP-haltige Äußerung auftritt, mit einem Situationszusammenhang, in dem eine MP-lose propositionsgleiche Äußerung in derselben Funktion auftritt, dann kann man meiner Meinung nach eher feststellen, daß die geistige Anstrengung bei der Dekodierung des kommunikativen Sinnes der Äußerung geringer wird, wenn die MP realisiert wird. Eine Situation braucht man sich gewöhnlich nicht vorzustellen, man befindet sich ja in ihr. Die Situation beseitigt bestimmte mögliche Lesarten der Äußerung. Auch die Interpretation der MP ist von dieser Monosemantisierung und Monopragmatisierung betroffen. MPn kön- nen von dieser Perspektive aus wohl eher als ein ökonomisches Mittel für die Indizierung und (Re)Aktualisierung von relevanten Kommunikationshintergründen angesehen werden. Mit einer MP signalisiert der Sprecher dem Hörer, daß dieser lokal relevante Kommunikationszusammenhänge erschließen soll, wobei in Texten meist nicht ausgedrückt wird, welche Zusammenhänge das sind, wohl aber werden diese durch den Ko(n)text nahegelegt. (3) B: Lieb von dir, daß du an uns denkst! - Aber was anderes: Was macht ihr heute abend ? A: Em, wir haben noch nichts Festes vor! B: Habt noch nichts Festes vor. Ich weiß o noch nich, was los is, nur, eh, um neunzehn Uhr dreißig is so ein interessanter LeichtathletikWettkampf. A: Ah so, ja dann kommt rüber! (BA 2) (4) Odnosi med državama so v tem trenutku res precej zapleteni. Na neki način gre za dialog gluhih, saj je pri težkih zunanjepolitičnih vprašanjih vedno vmešana tudi notranja politika in v tem hipu je to na italijanski strani močno izraženo. Prišlo je do sprememb v italijanski politiki, do večjega vpliva skrajnih sil;... (Tageszeitung DELO, 17.9.1994: 23) Die Beziehungen zwischen den beiden Staaten sind im Augenblick wirklich sehr kompliziert. Irgendwie handelt es sich um einen von Taubheit geprägten Dialog, denn mit schwierigen außenpolitischen Fragen ist immer auch die Innenpolitik verbunden, und in diesem Augenblick ist dies auf italienischer Seite stark ausgeprägt. Es ist zu Veränderungen in der italienischen Politik gekommen, zu einem größeren Einfluß radikaler Kräfte;... (5) To brigado potrebujemo, imeli jo bomo tudi v prihodnje, čeprav si nekdo zelo prizadeva, da bi jo oblatil. Nekdo si želi, da pričnemo sankcije proti tej brigadi, da bi to uporabil v svoje politične namene. (Tageszeitung DELO, 24.9.1994:2) Diese Brigade benötigen wir und werden sie auch in Zukunft erhalten, obwohl jemand danach trachtet, sie in den Schmutz zu ziehen. Jemand wünscht sich . daß wir gegen diese Brigade Disziplinarmaßnahmen erheben, um dies für seine politischen Ziele auszunutzen. MPn sind als sprachliche Indices zu bezeichnen, die dem Hörer auf ökonomische und unauffällige Weise argumentative Sprünge signalisieren (Abraham 1991:375; Krivonosov 1977, 1983). Nach dieser Annahme sind Modalpartikeln Signale (Signan-tia) für unvollständige Inferenzschritte in Texten. Allgemeinwissen wird häufig ausgespart, weil der Hörer es relativ leicht erschließen kann. Mit dem Gebrauch von MPn wird der Hörer in das pragmatische Wissen des Sprechers eingeweiht. Einige (Sprach)Kulturen machen von der Möglichkeit, unvollständige Textpassagen sichtbar zu machen, häufiger Gebrauch, andere weniger. 3. Komplexität und Markiertheit von Texten und MP-Gebrauch Die letzte These führt uns zurück zu einer bereits oben genannten, nämlich daß MPn häufiger in Dialogen auftreten, die einen höheren Privatheitsgrad aufweisen (Hentschel 1986). Die Tatsache, daß MPn häufiger in Texten mit Sprecherwechsel vorkommen, ist meiner Meinung nach ein weiteres Anzeichen dafür, daß MPn recht einfache sprachliche Zeichen sind, denn ich gehe von der Annahme aus, daß der Dialog die primäre Form der sprachlichen Kommunikation und der Monolog die sekundäre Form darstellt, d.h. daß der Dialog im Vergleich zum Monolog als unmarkierte sprachliche Form angesehen werden kann. Die Sprache dient vor allem der Verständigung zwischen Menschen, d.h. dem Informationstransport zwischen Kommunikationsteilnehmern, und im geringeren Maße der Verständigung eines Menschen mit sich selbst (Für letzteren Zweck wäre Sprache wohl überhaupt nicht notwendig). Der Transport von Informationen mit Hilfe eines semiotisch reichen Zeichensystems ermöglicht erst die Organisation und Koordinierung verschiedener menschlicher Tätigkeiten in einer Gemeinschaft. Der primäre Charakter des Dialogs wird daran sichtbar, daß auch der Monolog über dialogische Elemente verfügt: z.B. der Textproduzent versucht sich (bewußt oder unbewußt) in die Lage des Rezipienten zu versetzen (z.B. kann er Fragen stellen, die er dann selbst beantwortet). Darüber hinaus zeigt sich der primäre Charakter des Dialogs auch daran, daß selbst der Monolog immer einen Adressaten hat, der mit dem Textproduzenten nicht deckungsgleich ist. Sogar in sehr esotherischen Texten kann man davon ausgehen, daß der Textproduzent für einen Adressaten schreibt, nämlich für jemanden, der ähnlich denkt und fühlt wie der Textproduzent. Der primäre Charakter des Dialogs ist meiner Meinung nach auch daran erkennbar, daß die Anzahl von Sprechakten, die das verbale oder nonverbale Verhalten des Kommunikationsteilnehmers beeinflussen sollen (z.B. Warnung, Ratschlag, Vorschlag, Dank) wesentlich größer ist als die Anzahl von Sprechakten, die sich lediglich auf den Textproduzenten beziehen (z.B. Schimpfen, Überraschung, Resignation). Kinder erlernen ihre Muttersprache durch den Dialog, Selbstgespräche (z.B. beim Spielen) entwickeln sich oft erst auf einer späteren Entwicklungsstufe. Auch historisch gesehen sind viele monologische Textsorten jünger als die meisten dialogischen. Aus der Unmarkiertheit des Dialogs folgt noch nicht, daß der Dialog als weniger komplizierte Kommunikationsform anzusehen wäre (In gewisser Weise ist der Unterschied vergleichbar mit dem zwischen Hauptsatz und Nebensatz: der Hauptsatz ist zwar strukturell komplizierter, der Nebensatz ist jedoch im Hinblick auf seinen Aufgabenbereich spezialisierter und kein prototypischer Satz, sondern selbst Teil eines Satzes). Aber der Dialog ist eine Kommunikationsform, die der menschlichen Kognition näher steht als der Monolog. Dafür kann man mehrere (psychologische und soziologische) Gründe verschiedener Art anführen: z.B. das Individuum will Anerkennung und Achtung in der Gemeinschaft finden, das Individuum will einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, das Individuum will sein Wissen und das Wissen seines Partners über- prüfen, die Aufmerksamkeitsdauer und damit auch die Zuhörbereitschaft ist teilweise vom Arbeitsspeicher des Individuums abhängig u.a. Auf der Darstellungsebene kann man wohl kaum behaupten, die eine oder andere Kommunikationsform sei komplizierter, denn diese Art von Komplexität ist von den äußeren Umständen und den Teilnehmern abhängig. Im Hinblick auf die Beziehungsebene könnte man jedoch behaupten, daß der Dialog im Vergleich zum Monolog eine unkompliziertere Form ist, denn der Hauptunterschied zwischen beiden Formen ist die stärkere Berücksichtigung (lokal) relevanter Ziele des Adressaten und der Beziehungen zwischen Sender und Adressat. In einem Dialog sind Wissenskorrekturen und Diskursrichtungsänderungen prinzipiell jederzeit möglich. Während ein authentischer Dialog mit all seinen Zielen und Ergebnissen ja nicht vorgefertigt ist, sondern während des Verständigungsablaufs entsteht, ist für den Monolog grundsätzlich eine zeitliche Diskrepanz hinsichtlich der Ziele und Inhalte, die von Produzent und Rezipient angestrebt werden, charakteristisch. Wenn der Textproduzent einen monologischen Text bildet, dann ist zunächst nur er selbst der Adressat ('innerer Adressat'). Die Bewertung der Ziele und Inhalte des Textes sind vor allem von ihm abhängig, d.h. von seinen Vorstellungen über die Welt. In einer heterogen zusammengesetzten Gemeinschaft kann der Textproduzent jedoch nicht gleichzeitig den prototypischen Rezipienten darstellen, denn die Interessen, Ziele und angestrebten Inhalte der übrigen Mitglieder der Gemeinschaft können sich wesentlich von den seinen unterscheiden. Damit der Text auch von der Gemeinschaft anerkannt wird (d.h. außerhalb des Bewußtseins des Textproduzenten), benötigt der Produzent eines monologischen Textes auch einen ' äußeren Adressaten'. Die MPn gehören zu den indexikalischen Zeichen, die auf der Beziehungsebene operieren. Sie treten häufiger in dialogischen Texten auf als in monologischen. Der Gebrauch dieser indexikalischen Zeichen ist demnach natürlicher (weniger markiert) in Texten, in denen es mehr Möglichkeiten gibt, den Kommunikationspartner, sein Wissen und die jeweiligen Beziehungen zwischen den Teilnehmern zu berücksichtigen, d.h. in Dialogen. In dieser Hinsicht bestehen allerdings zwischen dialogischen Textsorten auch beträchtliche Unterschiede. In Dialogen mit höherem Privatheitsgrad sind situative Hinweise häufiger als in Dialogen mit niedrigerem Privatheitsgrad. Ein weiterer Unterschied zwischen Dialog und Monolog ergibt sich aus der Begrenztheit des Arbeitsspeichers eines Gesprächsteilnehmers. In spontan entstehenden Dialogen ist der Zeitdruck wesentlich größer. Dies führt dazu, daß die Sprecher viele Dinge unausgedrückt lassen und sich mit Andeutungen begnügen oder sich auf die Erschließbarkeit implizierter Inhalte verlassen. In Dialogen mit höheren Privatheitsgrad und betont assoziativem Gesprächsablauf ist das besonders typisch. Das führt zu einem vermehrten Auftreten von MPn. Zum Schluß sollen noch einige Annahmen über die Komplexität von Texten und ein Vorschlag zu deren Markiertheitsbewertung vorgeführt werden. Dabei gehe ich von Kriterien aus, die in der Literatur zur Unterscheidung verschiedener Textsorten etabliert worden sind (Heutiges Deutsch 1975). Unsere Grundannahme am Anfang des zweiten Abschnitts möchte ich für diesen Zweck folgendermaßen umformulieren: Verstärkte Konstruktionen behaupten sich vorzugsweise unter relativ komplizierten (markierten) grammatischen und/oder relativ komplizierten pragmatischen Verhältnissen und verbreiten sich in ihrer späteren Entwicklung unter Umständen auch unter weniger komplizierten grammatischen und/oder pragmatischen Verhältnissen. Geschwächte Konstruktionen dagegen behaupten sich am Anfang vorzugsweise unter relativ einfachen (weniger markierten) grammatischen und/oder relativ einfachen pragmatischen Verhältnissen und verbreiten sich später möglicherweise auch unter weniger einfachen grammatischen und/oder pragmatischen Verhältnissen. Für eine verstärkte Konstruktion beispielsweise können dann die folgenden Behauptungen gemacht werden: Die sprachliche Kodierung einer Proposition, eines Teils einer Proposition oder der Ausdruck von Beziehungen zwischen den Kommunikationsteilnehmern kann in einer bestimmten Kommunikationssituation nur mit Schwierigkeiten mit der angestrebten Genauigkeit realisiert werden. Die Beschaffenheit der Kommunikationssituation bzw. der Textsorte erschwert dem Sender die Textproduktion: z.B. - das Globalziel oder die angestrebten Teilziele der Teilnehmer (bestimmte Globalziele, z.B. jemanden zu etwas veranlassen, sind schwieriger zu erreichen als andere Globalziele, z.B. jemanden über etwas informieren, insbesondere dann, wenn die Absichten der Teilnehmer einander ausschließen); - die Teilnehmerzahl (eine größere Teilnehmerzahl erschwert den Kommunikationsablauf); - das Verhältnis zwischen den Teilnehmern (große Unterschiede im Alter der Teilnehmer, in der Ausbildung, Autoritätsgefälle zwischen den Teilnehmern, hinsichtlich der Vertrautheit bzw. der Bekanntheit der Teilnehmer); - die Situationsvertrautheit (die NichtVertrautheit mit einer Kommunikationssituation erschwert die Textproduktion); - die Situationsdistanz (Situationsdistanz erleichtert die Textproduktion, Betroffenheit erschwert sie); - das Kommunikationsmedium (kein Sichtkontakt, akustische Störungen, Einwegkommunikation); - der Kommunikationsort (ein nicht vertrauter Ort kann sich störend auf die Textproduktion auswirken); - der Öffentlichkeitsgrad ■ (Kommunikation in der Öffentlichkeit erschwert die Textproduktion); - die Art der Themenbehandlung (die argumentative oder explikative Themenbehandlung ist für den Textproduzenten schwieriger als als die assoziative oder deskriptive). Die Merkmale der Kommunikationssituation, die die Textproduktion erschweren, stufe ich als markiert ein. Die Textproduktion wird durch die Markiertheit sprachlicher (grammatischer) Mittel und/oder durch die Markiertheit der Kommunikationssituation erschwert. Wahrend ein für den Textproduzenten kompliziertes sprachliches (grammatisches) Mittel für den Textrezipienten Dekodierungshilfe bieten kann, ist eine für den Textproduzenten schwierige (nichtsprachliche) Kommunikationssituation prinzipiell auch für den Textrezipienten schwierig. MPn scheinen häufiger in solchen Textsorten aufzutreten, die aufgrund der meisten oben angeführten Textkonstellationskriterien als unmarkierte Texte eingestuft werden könnten. 4. ZUSAMMENFASSUNG Die Ergebnisse im zweiten Abschnitt zeigen, daß MP-haltige Äußerungen nur in ganz bestimmten Aspekten als verstärkte Konstruktionen angesehen werden können, und zwar in bezug auf ihre illokutiven und attitudinalen Funktionen, d.h. in bezug auf die Funktionen der MPn, als Indikatoren für bestimmte Sprechhandlungen und als Regulatoren für bestimmte Einstellungen dienen zu können. Wenn sprachliche Ausdrücke semantische Merkmale verlieren, dann verhalten sie sich wie geschwächte Formen bzw. Konstruktionen. Sie geraten in einfache grammatische Umgebungen. Hierbei handelt es sich um Markiertheitsabbau auf morphologischsyntaktischer Ebene. Indexikalische Ausdrücke wie die deutschen MPn zeigen jedoch, daß auf einer anderen Ebene als der Darstellungsebene, d.h. auf der Beziehungsebene, sprachliche Elemente auch an Markiertheit gewinnen können. Die statistischen Ergebnisse zeigen eine Affinität der MPn zu modalen Kategorien und lassen meiner Meinung nach die Interpretation zu, daß MPn in illokutiv markierten grammatischen Umgebungen auftreten. Die MPn wären demnach ein Fall von Markiertheitsabbau und Markiertheitsaufbau zugleich, obwohl auf verschiedenen sprachlichen Ebenen. MPn sind als sprachliche Indices zu bezeichnen, die dem Hörer auf ökonomische und unauffällige Weise argumentative Sprünge signalisieren. Der Gebrauch dieser in-dexikalischen Zeichen ist demnach natürlicher (weniger markiert) in Texten, in denen es mehr Möglichkeiten gibt, den Kommunikationspartner, sein Wissen und die jeweiligen Beziehungen zwischen den Teilnehmern zu berücksichtigen, d.h. in Dialogen, insbesondere in solchen mit höherem Privatheitsgrad. 5. LITERATUR Abraham, Werner: The Grammatization of the German Modal Particles. In: CLOSS TRAUGOTT, Elizabeth / HEINE, Bernd (eds.): Approaches to Grammaticaliza-tion. Volume I and II. Amsterdam, Philadelphia 1991. Volume II. S. 331-380. Brons-Albert, Ruth: Gesprochenes Standarddeutsch. Telefondialoge. Studien zur deutschen Grammatik 18. Tübingen 1984. Dotter, Franz: Nichtarbitrarität und Ikonizität in der Syntax. Hamburg 1990. Dressler, Wolfgang Ulrich: Semiotische Parameter einer textlinguistischen Natürlichkeitstheorie. Wien 1989. Franck, Dorothea: Grammatik und Konversation. Königstein/Ts. 1980. Hentschel, Elke: Funktion und Geschichte deutscher Partikeln. Ja, doch, halt und eben. Tübingen 1986. Heutiges Deutsch: Texte gesprochener deutscher Standardsprache П/3. IDS Mannheim Forschungsstelle Freiburg i. Br. München, Düsseldorf 1975. Krivonosov, Aleksej T.: Deutsche Modalpartikeln im System der unflektierbaren Wortklassen. In: WEYDT, Harald (Hg.): Aspekte der Modalpartikeln - Studien zur deutschen Abtönung. Tübingen 1977. S. 176-216. Krivonosov, Aleksej T.: Zur Rolle der Partikeln bei der Einsparung des Sprachmaterials. In: WEYDT, Harald (Hg.) Partikeln und Interaktion. Tübingen 1983. S. 40-45. Lindner, Katrin: Sprachliches Handeln bei Vorschulkindern. Tübingen 1983. Meier, Helmut: Deutsche Sprachstatistik. Hildesheim, New York 1978. Nöth, Winfried: Semiotik. Eine Einführung mit Beispielen für Reklameanalysen. Tübingen 1975. Orešnik, Janez: Periphrasen sind verstärkte Konstruktionen. In: Boretzky N./Enninger W./ Stolz T. (Hgg.): Spielarten der Natürlichkeit - Spielarten der Ökonomie. Beiträge zum 5. Essener Kolloquium über "Grammatikalisierung: Natürlichkeit und Systemökonomie" vom 6.10.-8.10.1988 an der Universität Essen. Bochum 1990. Zweiter Band, erster Halbband, S. 85-99. Orešnik, Janez/Snedec, Andrej/Teržan, Karmen/Trobevšek-Drobnak, Frančiška: Introduction to the Subsequent Three Papers in the Present Volume. In: Linguistica XXX. Ljubljana 1990. S. 5-12. Petrič, Teodor: Stavki z naklonskimi členki kot okrepljene skladenjske zgradbe