JACOB HANDL - GALLUS UND DAS DEUTSCHE LIED MARKO MOTNIK Institut für Musikwissenschaft, Universität Wien Izvleček: V različnih rokopisnih in tiskanih virih iz 16. in 17. stoletja je pod Gallusovim imenom ohranjenih trinajst nemških pesmi. Prispevek se sooča z vprašanji avtorstva, kompozicijskimi tehnikami in stilom, razširjenostjo, recepcijo in namenom nastanka teh v strokovni literaturi doslej komaj opaženih del. Ključne besede: Jacob Handl - Gallus, nemška pesem, protestantizem, Nicolaus Selneccer, Sethus Calvisius. Abstract: Thirteen compositions with German texts attributed to Jacob Handl are preserved in a number of music manuscripts and printsfrom the sixteenth and seventeenth centuries. The transmission history, reception, compositional techniques, style, authorship and possible intended purposes of these hitherto little-noticed works will be discussed in the present article. Keywords: Jacob Handl - Gallus, German song, Protestantism, Nicolaus Selneccer, Sethus Calvisius. Es ist wohl kein Zufall, dass die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Person und dem Werk Jacob Handls im ausgehenden 19. Jahrhundert durch einen aus Slowenien stammenden Forscher erfolgte. Der entscheidende Impuls für die auch nach Josef Mantuani kontinuierliche Beschäftigung der slowenischen Wissenschaftler mit Handl war zweifelsohne die Herkunft des Komponisten. Es ist nicht zu leugnen, dass dies die Forschung ungemein bereicherte, gleichzeitig wurde jedoch als Mittel zur Etablierung einer nationalen Identität ein angepasstes Handl-Bild entworfen. Die Behauptungen von Mantuani und später die von Dragotin Cvetko erlangten eine Autorität, an denen lange Zeit nicht gerüttelt wurde. Abgesehen von beiläufigen Erwähnungen in der Literatur sind die Kompositionen mit deutschen Texten während der mittlerweile 120 Jahre andauernden wissenschaftlichen Beschäftigung mit Handl nicht diskutiert worden. Anders als das wert-neutrale Latein stieß - bedingt durch die sozial-politische Lage - alles Deutsche in Slowenien bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert auf Ablehnung. Wie ein Zugeständnis klingt Mantuanis Behauptung zu Handls Vertonung des Liedes „O Herre Gott: [...] Gallus, obschon kein Deutscher, [war] der deutschen Sprache mächtig [..-]."1 Abgesehen von 1 Josef Mantuani, Einleitung, in: Jacob Handl (Gallus), Opus musicum, Motetten für das ganze ideologischen Beweggründen sind die Ursachen für die bisherige Nichtbeachtung dieses Repertoirebestandes auch in ungünstiger Überlieferungssituation, unsicherer Autorenzuweisung und einem geringeren Stellenwert der Vertonungen innerhalb des Œuvres Handls zu suchen. Für gewisse Skepsis über die Autorschaft sorgte schließlich die vom Komponisten selbst bezeugte Bevorzugung der lateinischen Sprache auch für die Werke weltlichen Inhalts.2 Die Favorisierung des Lateinischen scheint allerdings bloß für die gedruckten Werke zu gelten und schließt somit das gelegentliche Vertonen deutscher Texte nicht aus. Nach heutiger Quellenkenntnis sind dreizehn Kompositionen mit deutschen Texten unter Jacob Handls Namen nachgewiesen. Davon sind drei lediglich dokumentarisch belegt, bei zwei weiteren Vertonungen handelt es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Fehlzuschreibungen, wobei der endgültige Beweis der Autorschaft überhaupt für keines dieser Werke erbracht werden kann. Andererseits ist anzunehmen, dass in den handschriftlichen Quellen noch mehr deutsche Lieder von Handl unter den anonymen Kompositionen erhalten sind, eine sichere Identifizierung auf Grundlage der stilistischen Vergleiche ist in diesem Fall aber kaum möglich. Bis auf zwei Kompositionen sind Handls Lieder lediglich in Handschriften überliefert, davon zwei allein in intavoli-erter Form. Drei Kompositionen sind torsohaft erhalten. Nicht in die Kategorie der von Handl komponierten Werke mit deutschem Text fallen die während des 17. Jahrhunderts weitverbreiteten deutsch textierten Kontrafakturen seiner Motetten. Bei Handls deutschen Liedern handelt es sich wahrscheinlich um Gelegenheitskompositionen, über deren Entstehungszweck, -zeit und -raum lediglich Vermutungen geäußert werden können. Dem textlichen Gehalt nach ist zwischen geistlichen und weltlichen Liedern zu unterscheiden, wobei die zwei überlieferten Hochzeitsgesänge beziehungsweise Werke zur Verherrlichung des Ehestandes etwa dazwischen einzuordnen sind. Der vorliegende Beitrag stellt einen ersten Überblick über die bisher bekannten deutschen Lieder von Jacob Handl dar. Ihre Beschaffenheit, die wichtigsten Merkmale und ihre Quellenlage sollen zusammenfassend skizziert werden, um tiefergreifende philologische, analytische und stilistische Untersuchungen anzuregen.3 Kirchenjahr, Vom 1. Adventsonntag bis zum Sonntag septuagesimae, hrsg. von Emil Bezecny und Josef Mantuani, Denkmäler der Tonkunst in Oesterreich 6/1, Wien, Artaria, 1899, S. XXVII (Anm. 2). 2 Vorwort zu Harmoniœ morales (RISM A/I: H 1983). Vgl. Faksimile in: Iacobus Gallus, Harmoniœ Morales, hrsg. von Edo Skulj, Monumenta Artis Musicœ Sloveniœ 26, Ljubljana, ZRC SAZU, 1995, S. 2. 3 Verschiedene Aspekte dieses Themas wurden vom Verfasser dieses Beitrags bereits in seiner unlängst verfassten Dissertation behandelt. (Marko Motnik, Jacob Handl-Gallus. Werk und Überlieferung, Wien (Universität Wien und Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Univ. Dissertation), 2009). An dieser Stelle werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammenge-fasst und um einige neue Belege erweitert. Eine Edition der Kompositionen ist für das Jahr 2012 in der Reihe Monumenta Artis Musicœ Sloveniœ (hrsg. von Marc Desmet und Marko Motnik) geplant. 1. Geistliche Kompositionen mit deutschen Texten Bereits Hermann Kretzschmar, der in seinem Aufsatz über die Denkmäler der Tonkunst in Österreich die Einleitung Mantuanis zu Handls Opus musicum zwar als „eine durch Scharfsinn, Fleiß und Umsicht ausgezeichnete Leistung, einer der besten Beiträge, welche die neuere biographische Literatur besitzt" bezeichnete,4 beklagte das nicht erörterte Verhältnis des Komponisten zu den Protestanten. Obwohl in neuerer Zeit die Handl-Rezeption in protestantischen Gebieten etwas beleuchtet werden konnte,5 lässt das spärlich überlieferte Quellenmaterial keine endgültigen Aussagen zu. Das in der Literatur vorherrschende Bild, das Handl als einen stark dem katholischen Glauben verpflichteten Komponisten zeichnet, ist neu zu überdenken. Zwar können die Dedikationen seiner gedruckten Sammlungen an hohe Würdenträger der katholischen Kirche, die Formulierungen in den Vorworten und nicht zuletzt die inhaltliche Konzeption der Messen- und Motettenzyklen in der Tat als eine Demonstration des Katholizismus bezeichnet werden, die archivalischen Zeugnisse deuten allerdings auch darauf hin, dass Handl dem großen Interesse an seinem Werk, das ihm vonseiten der Protestanten entgegen gebracht wurde, nicht abgeneigt gewesen ist. Einige erhaltene Rechnungen belegen beispielsweise, dass er seine Musikdrucke an die protestantischen Gemeinden in Görlitz, Leipzig oder Naumburg verkaufte.6 In dem Zusammenhang besonders aufschlussreich scheint auch seine Reise nach Sachsen von 1588 zu sein. Über ihren Zweck und Verlauf ist wenig bekannt, lediglich ein Rechnungsbericht der Kantorei in Oschatz bezeugt für das Jahr 1588 „I fl. 3 gr. aus der Lade, da etliche der Cantorei dem Herrn Jacob Händell dem Componisten Gesellschaft leisteten".7 Es ist kaum vorstellbar, dass Handl den weiten Weg aus Prag auf sich nahm, nur um einen Vorort von Leipzig zu besuchen. Oschatz war wohl eher eine Zwischenstation, und so ist anzunehmen, dass er um die Zeit auch in Leipzig weilte. Am 8. Januar 1588 zahlte die Leipziger Stadtkasse „Jacobo Hendel, so dem Rathe Kirchengeseng offeriert 13 Gulden und 15 Groschen".8 Hatte er sein gedrucktes Opus musicum dem Leipziger Rat persönlich überbracht? Auffällig nahe zu diesem Datum liegt die Widmungsvorrede an Fürstin Catharina, Markgräfin zu Brandenburg (auf die heiligen Weynachten 1587) im Gesangbuch Christliche Psalmen/Lieder/vndKirchengesenge des Leipziger Superintendenten Nicolaus Selneccer (auch Selnecker oder Sellenecker).9 Selneccer nahm neben wenigen mehrstim- 4 Hermann Kretzschmar, Die Denkmäler der Tonkunst in Österreich, Gesammelte Aufsätze über Musik und Anderes 2, Gesammelte Aufsätze aus den Jahrbüchern der Musikbibliothek Peters, Leipzig, C. F. Peters, 1911, S. 93. (Erstmals publiziert in Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 6, Leipzig, C. F. Peters, 1899). 5 M. Motnik, op. cit. 6 M. Motnik, op. cit., S. 52-58. 7 Rudolf Wustmann, Musikgeschichte Leipzigs 1, Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, 2. Auflage, Leipzig, Teubner, 1926, S. 204; Johannes Rautenstrauch, Luther und die Pflege der Kirchenmusik in Sachsen (14.-19. Jahrhundert), Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1907, S. 210. 8 Vgl. R. Wustmann, op. cit., S. 204. 9 Nicolaus Selneccer, Christliche Psalmen/ | Lieder/ vnd | Kirchengesenge/ In | welchen die migen Gesängen in den zweiten Abschnitt („Tröstliche Lieder aus dem Catechismo") auch die Vertonung eines dreistrophigen deutschen Liedes O Herre Gott in meiner noth mit dem ausdrücklichen Vermerk „Jacob Handl Comp." auf. Auch in der „Ordnung dieses Gesangbuchs" ist die Angabe „Componiert mit vier stimmen/ durch Jac. Handel" zu finden.10 Handl ist in diesem Druck der einzige genannte Komponist. Die Nennung des Dichters fehlt zwar, doch ist der Text wohl eine Schöpfung von Selneccer. Die Mehrzahl der Gedichte im Gesangbuch stammt von ihm und O Herre Gott ist bereits in seinem Psalter Dauids von 1578 vorhanden.11 Der persönliche Kontakt zwischen Selneccer und Handl kann zwar nicht nachgewiesen werden, die Präsenz der Komposition im Gesangbuch ist jedoch nur durch einen von Selneccer erteilten Auftrag, einen von ihm geäußerten Wunsch um Vertonung oder auch als musikalisches Geschenk von Handl erklärbar. Das Lied ist eine Bitte um Errettung durch die heilige Dreifaltigkeit, wobei in der ersten Strophe Gott Vater, in der zweiten Gott Sohn und in der letzten der heilige Geist aufgerufen wird. Handl vertonte jede Strophe in Form von motettischen Sätzen neu. Die homophonen und homorhythmischen Partien wechseln sich kunstvoll mit imitativen Einschüben und melismatischen Auflockerungen der Struktur ab. Die in Chorbuchanordnung gedruckte Fassung (Abbildung 1) weist an mehreren Stellen Unklarheiten hinsichtlich der Verteilung der Textsilben sowie der Setzung von Akzidenzien auf. Eine geringfügig abweichende Fassung des Liedes erschien 1597 in der von Sethus Calvisius herausgegebenen und für die Leipziger kirchenmusikalische Praxis bestimmten Sammlung Harmonia Cantionum Ecclesiasticarum. Die Veränderungen der Textur stammen zweifelsohne von Calvisius.12 Während der Name des Komponisten in dieser Quelle fehlt, wird „D. Nicol. Selnec." als Textdichter angegeben.13 Die von Calvisius revidierte Fassung nahm auch Erhard Bodenschatz unter die Grabgesänge in seine Christliche Lehre zusam gefasset vnd | erkleret wird/ Trewen Predigern in Stedten vnd | Dörffern/ Auch allen frommen Christen zu diesen letzten | vnd schweren Zeiten/ nütz vnd tröstlich. | Durch | D. Nicolaum Selneccerum. | Libellus ad Lectorem | [...] | Gedruckt zu Leipzig durch Johan: | Beyer/Im JahrM. D. CXXXVIJ. | Cum Priuilegio. RISM B/VIII: 158710, RISM A/I: S 2772. 10 Ibid., Ordnung dieses Gesangbuchs, [fol. 1v]. 11 Beim Psalm 116. Vgl. Albert Friedrich Wilhelm Fischer, Kirchenlieder-Lexicon, Hymnologisch-literarische Nachweisungen über ca. 4500 der wichtigsten und verbreitetsten Kirchenlieder aller Zeiten in alphabethischer Folge nebst einer Übersicht der Liederdichter 2, Gotha, Friedrich A. Perthes, 1879, S. 170. Überprüft wurde die 6. Auflage des Psalters: Der Psalter | Dauids/ | Mit kurtzen Summarien vnd | Gebetlein/ für die Hausveter vnd | ihre Kinder/ Durch | Nicolaum Selneccerum D. 15 92 | Leipzig, [Michael Lantzenberger]. 12 Franz Kaern, Die Harmonia Cantionum Ecclesiasticarum des Sethus Calvisius im Lichte seiner musiktheoretischen Schriften, hrsg. von Gesine Schröder, Tempus musica - tempus mundi. Untersuchungen zu Seth Calvisius, Studien zur Geschichte der Musiktheorie 4 (2008), S. 70. Auf S. 71-75 ist eine Transkription der Fassung von Calvisius enthalten und die beiliegende Audio-CD enthält eine Einspielung des Werkes (Vocalconsort Leipzig, CD-Track 9). 13 Die Harmonia von Calvisius erschien in weiteren Auflagen in den Jahren 1598, 1604, 1612 und 1622. Harmoniae Angelicae Cantionum Ecclesiasticarum von 1608 sowie in sein Florilegium Selectißimorum Hymnorum et Psalmorum von 1622 auf.14 Abbildung 1 Jacob Handl, O HErre Gott, erster Teil, in Nicolaus Selneccer, Christliche Psalmen, Lieder vnd Kirchengesenge [...], Leipzig, Johann Beyer, 1587 (Österreichische Nationalbibliothek, Sammlung von Handschriften und alten Drucken, 1617-B. Alt Mag, mit Genehmigung) Außer im Gesangbuch Selneccers sowie den Cantional-Sammlungen von Calvisius und Bodenschatz ist die Vertonung des Liedes O Herre Gott von Handl noch in einigen zeitgenössischen Abschriften überliefert. Albert Friedrich Wilhelm Fischer nannte in seinem Kirchenlieder-Lexikon zwar eine Vielzahl an weiteren Quellen, doch umfasst diese Auflistung auch Publikationen, die lediglich den Text des Liedes oder auch spätere Vertonungen anderer Komponisten enthalten.15 Die Unklarheit bezüglich der Urheberschaft des Textes herrschte bereits im 17. Jahrhundert. So wurde auch Handl von verschiedenen Herausgebern von Gesangbüchern als Textdichter angeführt. David Gregor Corner 14 In den Harmoniae Angelicae (RISM B/I: 16083, S. 542-551) nannte Bodenschatz Jacob Handl als Autor, während im Florilegium (RISM B/VIII: 162213, Nr. 94) lediglich der Vermerk D. Nicolaus Selneccerus Reverenda Memoria vorhanden ist. Trotz weiteren geringfügigen Eingriffen beweisen die Lesarten die Verwendung der Harmonia von Calvisius. 15 Einige weitere Vertonungen beziehungsweise Cantus firmi mit Quellen sind angeführt in: Johannes Zahn, Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder aus den Quellen geschöpft und mitgeteilt 5, Gütersloh, Bertelsmann, 1892, Nr. 8193-8200. bemerkte beispielsweise im Groß Catolisch Gesangbüch zum abgedruckten Text: „Deß berühmten Musici Jacobi Galli, sonst Händl genannt/ Vorbereitung zum sterben/ an die heilig Dreyfaltigkeit."16 Über die weiteren Kontakte Handls zu den Gelehrten aus den protestantischen Reihen verfügt man nur über vage Indizien. Er scheint mit dem von Selneccer als Kantor nach Schulpforte empfohlenen und nach 1594 in Leipzig tätigen Calvisius in persönlicher Beziehungen gestanden zu haben und trug offenbar zu der im Jahr 1592 veröffentlichten musiktheoretischen Abhandlung MEAOnOIIA zwei Exempla bei.17 Eine bisher nicht eingehend untersuchte Sammelhandschrift aus dem Stadtarchiv Kamenz, D 14 185 (olim I 929) beinhaltet zwanzig Kompositionen, die Jacob Handl zugeschrieben werden beziehungsweise nachweislich von ihm komponiert wurden.18 Der Hauptschreiber dieser Quelle ist Thomas Lochau, der ab 1593 in der Stadt Freiberg in Sachsen und ab 1595 als Rektor der Lateinschule in Tetschen (heute Decin in Tschechien) wirkte. Er stammte aus der Stadt Engeln im heutigen Sachsen-Anhalt.19 Lochau versah mehrere Einträge mit genauen Datums- und Ortsangaben. Die eingetragenen Kompositionen von Handl wurden, sofern datiert, zwischen 1594 bis 1598 aufgenommen. Nicht bekannt ist, wann diese Quelle in die Oberlausitzer Stadt Kamenz gelangte. Unter der Nr. 98 liegt in den Stimmbüchern eine sechsstimmige Vertonung des deutschen Pfingstliedes Nun bitten wir den heiligen Geist vor. Im Altus sind der Stimme vier Textstrophen unterlegt und vor dem Beginn ist der explizite Autorenvermerk „ Jacob. Händl" angebracht (Abbildung 2). Die Nennung des Komponisten findet sich auch im Tenor. Bis auf die Textmarke Nun bitten wir fehlt der Gesangtext. Die Eintragung blieb auch im Bassus sowie in der Quinta und Septima vox unvollendet. Hier fehlen sämtliche Angaben (Nennung des Komponisten, Nummerierung sowie der Liedtext). Der Cantus fehlt. Das aus dem Cantus firmus gewonnene motivische Material wird in imitativpolyphoner Stimmführung verarbeitet. Ob es sich hier um eine Fehlzuweisung handelt, war bisher nicht zu klären. Könnte die Autorschaft Handls bestätigt werden, würde dies auf die Kenntnis hinsichtlich seiner konfessionellen Ausrichtung ein neues Licht werfen, zumal die Strophen 2 bis 4 von Martin Luther stammen20 und das Lied eng mit dem protestantischen Glaubensbekenntnis verknüpft ist. 16 David Gregor Corner, Groß Catolisch Gesangbüch [...], Nürnberg, Georg Enders d. J., 1631, RISM B/VIII: 16312, Nr. 476, S. 971. Weitere Gesangbücher mit ähnlichen Vermerken sind genannt in: Albert Friedrich Wilhelm Fischer, Kirchenlieder-Lexicon, Hymnologisch-literarische Nachweisungen über ca. 4500 der wichtigsten und verbreitetsten Kirchenlieder aller Zeiten in alphabethischer Folge nebst einer Übersicht der Liederdichter 2, Gotha, Friedrich A. Perthes, 1879, S. 170. 17 Vgl. M. Motnik, op. cit., S. 131f. 18 Cantus, Sexta und Octava vox fehlen. 19 Angaben laut Robert Eitner, Biographisch-bibliographisches Quellen-Lexikon der Musiker und Musikgelehrten christlicher Zeitrechnung bis Mitte des 19. Jahrhunderts 6, Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1902, S. 196. Lochau publizierte im Jahr 1606 in Dresden eine Schrift mit dem Titel Janua musicalis, Kurtze Anleitung zur Musica, für junge Knaben / gestelt durch Thomam Lochavium Eglensem [...]. 20 Geystliche gesangk Buchleyn, RISM B/VIII: 152418, Nr. 1. Abbildung 2 Jacob Handl, Nun bitten wir den heiligen Geist, Altus (Stadtarchiv Kamenz, Musikhandschrift D 14 185, Nr. 98, Altus, mit Genehmigung). Handl vertonte dreimal die Verse des 150. Psalms und schuf drei Fassungen der Motette Laudate Dominum in sanctis eius.21 Mehrere Handschriften süd- und mitteldeutscher Provenienz beinhalten darüber hinaus eine doppelchörige Handl zugeschriebene Komposition mit der deutschen Textfassung Lobet den Herren in seinem Heiligtum. Die älteste Quelle mit diesem Werk, entstanden zwischen 1585 und 1589 in Schleusingen und Tübingen, ist das Tabulaturbuch von Christoph Leibfried.22 Der Schreiber kam mit der Komposition wohl im mitteldeutschen Raum in Berührung, wo sie auch heute in mehreren Abschriften späteren Datums überliefert ist.23 Für gewisse Skepsis hinsichtlich der Autorschaft sorgt die Nennung von Bartholomäus Gesius bei dieser Komposition in der 21 RISM A/I: H 1980, Nr. 31, a 16; H 1982, Nr. 50, a 4 und H 1985, Nr. 144, a 24. 22 Universitätsbibliothek Basel, F. IX. 44, Nr. 10, fol. 149v-149r. Vgl. John Kmetz, Die Handschriften der Universitätsbibliothek Basel. Katalog der Musikhandschriften des 16. Jahrhunderts. Quellenkritische und historische Untersuchung, Basel, Verlag der Universitätsbibliothek Basel, 1988, S. 160f. 23 Heute in der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden: Mus. Schw 41, Nr. 8 (Schwarzenberg), Mus. Gri 2, Nr. 3 (Grimma), Mus. Löb 4, Nr. 125 (Löbau). Weitere Abschriften sind in einer Quelle aus Helmstedt (August Herzog Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 324 Mus. Hdschr., Nr. 244) sowie in einer vermutlich aus dem Gymnasium poeticum in Regensburg herrührenden Quelle (Bischöfliche Zentralbibliothek Regensburg, A.R. 728-732, Nr. 96) erhalten. Sammelhandschrift aus Löbau (Mus. Löb 4). Da die Löbauer Abschrift erst im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts entstanden ist24 und zudem die Komposition in keinem von Gesius autorisierten Druck nachgewiesen werden kann, deutet die Überlieferungssituation stärker auf Handl hin. Christoph Leibfried war maßgeblich an der Entstehung des im Jahr 1617 in der Druckerei von Johann Jacob Genath in Basel publizierten dreiteiligen Tabulaturbuches Nova musices organicw tabulatura beteiligt, obgleich in dessen Titel lediglich Johannes Woltz als Herausgeber genannt wird.25 Woltz war Organist in Heilbronn und stand mit Leibfried in verwandtschaftlichem Verhältnis.26 Die Komposition ist als letztes Werk des zweiten Teils des Buches abgedruckt (Abbildung 3).27 Die bereits in der Handschrift von Leibfried komprimierte Satzstruktur wurde für den Druck noch weiter reduziert. Es entstand ein durchgehend vierstimmiger Satz, in dem die alternierenden Chorpartien mit den Zahlen 1. und 2. markiert sind. Die Bezeichnung O. steht wohl für omnes und zeigt die Tutti-Stellen an. Anders als bei Leibfried ist im Druck dem Satz der Gesangtext unterlegt. Die gedruckte Fassung eignet sich sowohl zum Begleiten als auch zur solistischen Aufführung auf den Tasteninstrumenten. Sowohl die Intavolierung von Leibfried als auch die gedruckte Fassung weisen eine hohe Anzahl von Schreib- beziehungsweise Druckfehlern auf. Die Redaktionsarbeit wurde keineswegs sorgfältig durchgeführt und im Bemühen um die Verbesserung der Vorlage sind den Herausgebern zusätzliche Unzulänglichkeiten unterlaufen. Der ursprüngliche Verlauf der einzelnen Stimmen ist aus keiner der beiden Fassungen rekonstruierbar. Die Komposition ist ein für Handl charakteristisches doppelchöriges, weitgehend homophones Werk mit kurzen Koloratureinschüben. Stilistisch betrachtet spricht wenig gegen seine Autorschaft, rätselhaft bleibt aber freilich der Entstehungsanlass dieser deutschen Motette. Es könnte sich um ein Auftragswerk zu einem konkreten Anlass oder auch eine musikalische Verehrung an eine bestimmte Person oder Institution handeln. Auch eine Kontrafaktur einer nicht überlieferten lateinischen Motette ist nicht undenkbar. Ein in kompositorischer Sicht interessantes Werk enthält das im oberösterreichischen Ried im Innkreis entstandene Tabulaturbuch des Organisten Erasmus Hofer.28 Unter den 24 Wolfram Steude, Die Musiksammelhandschriften des 16. und 17. Jahrhunderts in der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Leipzig, VEB Deutscher Verlag für Musik, 1974, S. 107. 25 RISM B/I: 161724. Der Druck liegt in einer Faksimile-Ausgabe vor: Johannes Woltz, Nova musices organicw tabulatua, Tabulatura originale, Bibliotheca musica bononiensis 4, 53, Bologna, Forni, 1970. 26 Manfred Hug, Johann Woltz und seine Orgeltabulatur, Tübingen (Universität Tübingen, Univ. Dissertation), 1960. 27 Der ander Theil | Dieses Tabulatur Buchs. | Welcher | Etliche schöne vnd liebliche Teutsche Geistliche | Motteten vnd Gesäng/ von vornehmen Musicis | mit 4. 5. 6. vnd 8. Stimmen/ theils auff | Fugen weiß/ componiert/ in sich | begreift. 28 Library ob Congress, Washington DC, 1490. H7 Case. Zur Quelle vgl. Marko Motnik, Der Organist Erasmus Hofer und sein Tabulaturbuch - Beitrag zur älteren Musikgeschichte Rieds im Innkreis, Der Bundschuh. Schriftenreihe des Museums Innviertler Volkskundehaus 13, hrsg. von Museum Innviertler Volkskundehaus, Ried im Innkreis, Mosebauer, 2010, S. 70-75; sowie Reinald Ziegler, Die Tabulatur (1602-1614) des Erasmus Hofer aus Ried im Innkreis, SchützJahrbuch 26, Kassel, Bärenreiter, 2004, S. 205-236. Abbildung 3 Jacob Handl, Lobet den Herren, Ausschnitt aus der Intavolierung in Nova mvsices organicw tabv-latvra, Der ander Theil, Nr. 53. (Bayerische Staatsbibliothek München, Musikabteilung, 2 Mus. pr. 64., mit Genehmigung). Weihnachtsgesängen im ersten Teil der Handschrift ist unter Nr. 17 ein fünfstimmiger, nicht textierter Satz mit dem Vermerk „In dülci jubilo: | Nun singet vnnd seitt fro, unsers. | 5. vocüm. author | Jacobus Gallus" notiert. Die Secunda pars lautet „O Jesu parüule Nach | dir Ist mir so wehe."29 Der Text und die Melodie dieses volkstümlich anmutenden Weihnachtsliedes mit alternierenden lateinischen und deutschen Textpartien stammen aus dem 14. Jahrhundert. Es war seit dem 16. Jahrhundert sowohl im katholischen als auch im protestantischen Umfeld verbreitet. Da der Schreiber beim Intavolieren kaum Veränderungen der Vorlagen vornahm, lässt sich der Vokalsatz daraus leicht rekonstruie -ren. Der Satz beginnt mit sukzessivem Eintritt der frei imitierenden Stimmen und weist nach wenigen Mensuren die Bevorzugung der homophonen Setzart auf. Der bekannte Cantus firmus ist darin nicht vorhanden. Aus stilistischen und formalen Gesichtspunkten ist die Autorschaft Handls zwar nicht auszuschließen, ungewöhnlich ist jedoch, dass die 29 Entspricht der 2. Strophe dieses Kirchenliedes. Komposition bislang in keiner konkordanten Quelle ermittelt werden konnte und erst in dieser, nicht vor dem Jahr 1602 entstandenen Handschrift auftaucht. Das Tabulaturbuch weist außerdem eine hohe Anzahl an Fehlzuschreibungen auf und ist hinsichtlich der Autorenzuweisungen als unverlässlich zu betrachten.30 Auch die im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert offenbar außerordentlich beliebte achtstimmige Komposition mit dem deutschen Text Da der Sabath vergangen war, die einzig im sogenannten ersten Tabulaturbuch des Organisten Samuel Markfelner mit dem Autorenvermerk „Handeli" versehen ist,31 stammt wohl nicht von Handl. Mit dem Werk setzte sich vor einigen Jahren Elena Kmet'ová auseinander und kam zu dem Ergebnis, dass es sich bereits aus stilistischen Gründen nicht um eine seiner Kompositionen handeln kann.32 Auf die Existenz eines weiteren vermeintlich von Handl komponierten deutschen Liedes weist eine Schrift von Laurentius Stiphelius hin. Stiphelius war seit 1595 Kantor in Naumburg an der Saale und veröffentlichte in den Jahren 1607 und 1612 zwei Gesangbücher,33 denen er jeweils ein „Manuale Laurentii Stiphelii Numburgensis Cantoris" als Anhang beifügte. Diese nach dem Kirchenjahr geordnete Auflistung der für die Gottesdienste und andere kirchliche Versammlungen empfohlenen Gesänge nennt eine hohe Anzahl an Kompositionen von Handl. Darunter tauchen auch einige nicht identifizierbare lateinische Kompositionen und ein deutsches Lied auf. Beim sechsstimmigen Christ ist erstanden für das Osterfest könnte es sich um eine Fehlzuweisung oder um eine Kontrafaktur der Motette Surrexit Christus et illuxit handeln.34 Es existieren mehrere aus dem 16. und 17. Jahrhundert herrührende Vertonungen des Liedes Zion spricht: der Herr hat mich verlassen. Eine angeblich von Handl stammende fünfstimmige Fassung war in der Musikaliensammlung von Friedrich August Gotthold (1778-1858) in Königsberg in zwei Handschriften vorhanden. Im Katalog des Bestands von Joseph Müller (1870) nannte der Verfasser vier Singstimmen und einen Basso continuo. 35 In Folge des Zweiten Weltkriegs wurde die Sammlung in alle Winde zerstreut und die beiden Quellen mit den vermeintlichen Kompositionen von Handl sind seitdem nicht auffindbar. 30 Vgl. R. Ziegler, op. cit., S. 211. 31 Evanjelicka cirkevna knižnica, Levoča (Slowakei), Ms. 13991 (6A). Der Hauptteil der Handschrift ist um 1640 entstanden. 32 Elena Kmet'ova, Jacob Handl Gallus (1550-1591) a Slovensko, Bratislava, (Univerzita Komenskeho, Diplomarbeit), 1999, S. 80-98. 33 RISM A/I: S 6438; RISM B/VIII: 161219. 34 RISM A/I: H 1981, Nr. 29. 35 Ms. 24814 und Ms. 13763 (16). Joseph Müller, Die musikalischen Schätze der Koeniglichen-und Universitaets-bibliothekzu Koenigsberg in Pr, Aus dem Nachlasse Friedrich August Gotthold 's, Nebst Mittheilungen aus dessen musikalischen Tagebuechern, Ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der Tonkunst, Bonn, Marcus, 1870, S. 18 und S. 194f. 2. Deutsche Hochzeitsgesänge oder Werke zur Verherrlichung des Ehestandes In einer unversehrt erhaltenen Handschrift aus dem Umfeld der St.-Elisabethkirche in Breslau (heute Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. mus. Bohn 357A/B),36 die aus sechs umfangreichen Vokalstimmheften und einem dazugehörigen Tabulaturband besteht, befindet sich ein singulär überliefertes sechsstimmiges Werk mit dem Titel Der Ehlich stand durch Gottes Hand. In allen Stimmen ist der Autorenvermerk „Iacobus Gallus" vorhanden.37 Der vertonte Text erzählt von der Begründung des Ehestands und ist als eine Ermutigung für das (neuvermählte?) Ehepaar zu verstehen. Die polyphone doch nicht streng imitatorische Struktur des Satzes erinnert stark an Handls sechsstimmige Motettensätze sowie Kompositionen aus den Moralia. Die Polyphonie wird bald von homophonen und homorhythmischen Partien abgelöst und es kommen charakteristische alternierende dreistimmige Gruppierungen vor. Der Satz schließt mit einem Abschnitt im Dreier-Metrum. Eine in der Gesamtanlage dem vorhergehenden Werk ähnliche Komposition über die Begründung des Ehestandes ist ebenfalls in der Breslauer Handschrift Ms. mus. Bohn 357A/B erhalten und lautet Der ehliche Stand ist ehren werdt38 Hier taucht die ungewöhnliche, in den zeitgenössischen Quellen jedoch nicht einmalige Namensvariante „Iacobus Galliculus" auf. Gleichermaßen wird der Komponist bei diesem Werk auch in einer weiteren Breslauer Quelle (Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. mus. Bohn 12, Nr. 41) genannt. In drei weiteren Abschriften ist das Werk anonym überliefert.39 Die wichtigsten Stilmerkmale des sechsstimmigen Motettensatzes von Handl sind auch hier deutlich ausgeprägt und seine Autorschaft ist daher sehr wahrscheinlich. Ob es sich bei den beiden genannten Kompositionen um Hochzeitsgesänge handelt, die anlässlich einer Vermählung von Personen aus dem Umkreis von Handl hätten entstehen können, oder bloß um Lieder zur Verherrlichung des Ehestandes, ist kaum zu beurteilen. Es fällt auf, dass der Charakter beider Werke wider Erwarten keineswegs heiter ist. Die genaue Untersuchung von Textüberlieferung und Vertonungen wäre einer eigenständigen Studie wert, ist aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert doch eine Reihe von Textvarianten bekannt. Ein deutsches Tenorlied mit dem Textbeginn „Der ehlich Stand ist billich genannt" vertonte bereits Ludwig Senfl. Die Vertonungen des Textes 36 Vgl. Richard Charteris, Newly Discovered Music Manuscripts from the Private Collection of Emil Bohn, Musicological Studies and Documents 53, hrsg. von Ursula Günther, Holzgerlingen, Hänssler, 1999. 37 Nr. 139 (Vokalstimmen), Nr. 408 (Tabulatur). 38 Nr. 99 (Vokalstimmen), Nr. 377 (Tabulatur). 39 Die Komposition ist noch im Tenor-Stimmbuch in der Lycealna knižnica in Kežmarok (Slowakei), N 69 192, als Nr. 14 überliefert. Die Handschrift deutet auf eine schlesische Provenienz hin. Vgl. Marta Hulkova, Hudobny konvolüt z Lycealnej knižnice v Kežmarku. Prispevok k problematike renesančnej hudby na Slovensku v 16. Storoči, Slovenska hudba, revue pre hudobnü kultüru 24 (1998), S. 264-308. Weitere Abschriften finden sich in den Stimmbüchern aus der ehemaligen Bibliothek des Königlichen Gymnasiums zu Brieg (Ms. 36 und Ms. 54), heute Universitätsbibliothek Breslau (51360 Muz. und 51435 Muz.). Vgl. Friedrich Kuhn, Beschreibendes Verzeichnis der Alten Musikalien - Handschriften und Druckwerke - des Königlischen Gymnasiums zu Brieg, Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1897, S. 21 und 37. „Der ehlich Stand sein Ursprung hat" stammen von Valentin Haußmann und Johannes Schultz,40 und von Gregor Lange rührt das Lied Der ehlich Stand ist lobenswert her.41 3. Deutsche weltliche Lieder Zwei Handschriften schlesischer Provenienz beinhalten unter Handls Namen eine vierstimmige Fassung des Liedes Die Pauern von S. Pelten.42 Die äußerst kurze und für Handl in jeder Hinsicht untypische Komposition ist ausgesprochen einfach. Der homophone Satz wird lediglich durch einige rhythmische Synkopierungen belebt. Den vier Stimmen sind jeweils elf Strophen unterlegt, in denen auf spöttisch scherzhafte Weise das Treiben der Bauern bei einer Hochzeit geschildert wird (Abbildung 4).43 Das Lied wurde womöglich beim von Pfeifenspiel, Gesang und Tanz begleiteten Kirchgang, also bei den außerkirchlichen Umzügen durch die Straßen anlässlich der Hochzeiten verwendet. Beim kurzen Refrain „Wüste hotta ho" in der Brieger Handschrift, das nach jedem Vers gesungen wird, handelt es sich um einen Bauernruf an die Zugpferde: „wüste" bedeutet links und "hott" rechts zu gehen.44 In der Breslauer Quelle lautet der Ruf allerdings „Wieda ho da hein."45 Allem Anschein nach handelt es sich um ein altes niederösterreichisches Volkslied im sogenannten Neidhart-Stil, das während des 16. Jahrhunderts in der Gegend um St. Pölten bekannt war. Handl könnte es während seines Aufenthalts im Stift Melk kennengelernt und mit nach Schlesien gebracht haben. Die ursprüngliche Weise ist nicht zu ermitteln. In einem Quodlibet aus dem Musicalischen Zeitvertreiber von Nikolaus Zange46 ist ein Abschnitt mit dem unterlegten Text „Die Bauern von St. Pelten" erhalten. Dieses Motiv ist in der Fassung von Handl nicht vorhanden. Eine weitere, erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts in der Liederhandschrift von Johannes Werlin notierte Melodie weist den 40 Valentin Haußmann (RISM A/I: H 2392, Nr. 25); Johannes Schultz (RISM A/I: S. 2329, Nr. 59). 41 Überliefert u. a. in Breslauer Handschriften Ms. mus. Bohn 9, Nr. 20, Ms. mus. Bohn 12, Nr. 61 und Ms. mus. Bohn 15, Nr. 12. Vgl. Emil Bohn, Die musikalischen Handschriften desXVI. und XVII. Jahrhunderts in Breslau, Breslau, Julius Hainauer, 1890, S. 31, 38 und S. 44. 42 Discantus und Bassus sind in der Brieger Quelle (Ms. 51), heute Universitätsbibliothek Breslau (51418 Muz., Nr. 25), erhalten. Im Bassus findet sich die Autorenangabe J. Handel und im Discantus die Initialen J. H.. (F. Kuhn, op. cit., S. 32). Die Breslauer Handschrift (Staatsbibliothek zu Berlin, Ms. mus. Bohn 10, Nr. 50) enthält in der Quinta vox (identisch mit Discantus der Brieger Quelle) die Initialen J. H. C. (Jacob Handl Carniolus). Im Altus ist über den Beginn der Vermerk „2 d Melodia" angebracht. (E. Bohn, op. cit., S. 32). 43 Der Text ist widergegeben in: Franz Magnus Böhme, Deutscher Liederhort, Auswahl der vorzüglichen Deutschen Volkslieder, nach Wort und Weise aus der Vorzeit und Gegenwart gesammelt und erläutert von Ludwig Erk 3, Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1894, S. 378; Max von Boehn, Der Tanz, Berlin, Wegweiser, 1925, S. 181f. Zu den Hochzeitsbräuchen in Niederösterreich siehe beispielsweise Leopold Schmidt, Volkskunde von Niederösterreich 2, Horn, Ferdinand Berger, 1972, S. 413-423. 44 F. M. Böhme, op. cit., S. 378f. 45 Die letzte Silbe wird gelegentlich der Schlusssilbe des vorangehenden Verses angepasst (z. B. Gemein - hein, nicht - hieht). 46 RISM B/I: 160928, Nr. 12. Abbildung 4 Jacob Handl, DiePauren von S. Pelten, Bassus (Biblioteka Uniwersytecka, Wroclaw, 51418 Muz., Nr. 25, mit Genehmigung). ständigen Wechsel von geraden und ungeraden Metren auf. Weder das motivische Material noch der bewegte Rhythmus finden sich in der Handl zugeschriebenen Vertonung wieder.47 Die Sammelhandschrift aus Brieg (Ms. 51) enthält neben dem Lied Die Pauern von S. Pelten noch zwei Jacob Handl zugeschriebene vierstimmige deutsche Gesänge. Als Nr. 36 liegt darin das Lied Gott wolt ihr thun verleihen und anschließend unter Nr. 37 eine Vertonung des Textes „Schöns Lieb was hab ich dir gethan" vor. Die beiden Kompositionen sind unvollständig überliefert, da lediglich Discantus und Bassus erhalten und weitere konkordante Quellen bislang nicht bekannt sind. Soweit es sich anhand der erhaltenen Außenstimmen beurteilen lässt, handelt es sich bei dem Lied Gott wolt ihr thun verleihen um einen einfachen homophonen Satz mit einkomponierten Atempausen zwischen den Versen. Die Strophe ist ein schlichter Sechszeiler mit der Reimfolge ababcc. Das Gedicht enthält ein Treueversprechen an die in dritter Person umschriebene Geliebte. Eine anonyme Vertonung des einstrophigen Klageliedes über eine wortbrüchige Geliebte, Schöns Lieb was hab ich dir gethan, ist in der 1535 von Christian Egenolf in 47 Vgl. F. M. Böhme, op. cit., S. 378. Frankfurt am Main gedruckten Sammlung Gassenhawer vnd Reutterliedlin enthalten.48 Denselben Text verwendete später auch Johannes Eccard, der 1578 eine vierstimmige Fassung im Druck Newe deutzsche Lieder veröffentlichte.49 In der Breslauer Handschrift Ms. mus. Bohn 357A/B, Nr. 96/373 ist eine weitere Vertonung Johannes Vesalius zugeschrieben. Die unvollständig erhaltene Komposition von Handl in der Brieger Handschrift beinhaltet im Gegensatz zu anderen Fassungen auch eine Secundapars (Aber mein Schatz). Da zwischen Prima und Secunda pars Unterschiede in der Reimform und im Silbenmaß festzustellen sind, handelt es sich dabei wohl um einen späteren textlichen Zusatz. Der über die weibliche Untreue enttäuschte Liebhaber relativiert hier seine Aussage und seine Verbitterung wandelt sich in neue Hoffnung. Er beschwört die Geliebte mit den Worten: „Ich bin der dein, und du die mein, biß vns zwey der Todt wird scheiden." Die erhaltenen Stimmen weisen komplexe polyphone Satzstruktur auf. In der Secunda pars sind am Ende auch ein kurzer Einschub in Dreier-Bewegung und ein abschließender, offenbar homophon gesetzter Abgesang vorhanden. Über die Existenz des vierstimmigen Liedes Ein edler Jeger von Handl gibt lediglich ein Musikalienverzeichnis des Landgrafen Georg I. von Hessen-Darmstadt aus den Jahren 1587-1595 Auskunft.50 Das darin erwähnte Manuskript hat sich nicht erhalten und weitere konkordante Quellen sind bisher nicht bekannt. Es handelte sich um einen im 16. Jahrhundert weit verbreiteten und bekannten Text, der mindestens durch fünf zeitgenössische Vertonungen überliefert ist.51 Das Lied huldigt einem wohlgeborenen Jäger, welcher sich mit seinen Hunden auf die Jagd begibt und einen Hirsch erlegt. Schlussbetrachtungen Über die Textdichter der von Jacob Handl vertonten deutschen weltlichen Liedern kann an dieser Stelle wenig Relevantes gesagt werden, da bislang keine Namen ermittelt werden konnten. Dieser Umstand scheint keineswegs zufällig zu sein, das anonyme Zirkulieren und das ständige Wandeln (ersichtlich beispielsweise an den mannigfachen Textfassungen der Lieder Der ehlich Stand) ist für die deutsche lyrische Dichtung bis in das 16. Jahrhundert geradezu charakteristisch. Die Literaturwissenschaft konnte die damit zusammenhängende Problematik bisher nicht zufriedenstellend lösen.52 48 Nr. 15 unter Reutterliedlin. RISM B/I: 153510, 153511 und [c.1535]13. Vgl. Gassenhawerlin und Reutterliedlin zu Franckenfurt am Meyn bei Christian Egenolf 1535, hrsg. von Hans Joachim Moser, Augsburg, Köln, Filser, 1927. 49 RISM A/I: E 170, Nr. 9. 50 [...] 4 Voces Ein Edler Jeger duch Jac. Gallus. Vgl. Elisabeth Noack, Musikgeschichte Darmstadts vom Mittelalter bis zur Goethezeit, Beiträge zur Mittelrheinischen Musikgeschichte 8, hrsg. von Arbeitsgemeinschaft für mittelrhenische Musikgeschichte, Mainz, Schott, 1967, S. 44. 51 Melchior Schramm, Neue außerlesene Teutsche Gesäng, 1579, RISM A/I: S 2108; Johannes Knöfel, Newe Teutsche Liedlein, 1581, RISM A/I: K 992; Leonhard Lechner, Neue Geistliche und Weltliche Teutsche Lieder, 1589, RISM A/I: L 1304; Nikolaus Rost, Der Ander Theil Newer Lieblicher Galliardt, 1594, RISM A/I: R 2773; Melchior Franck, Deutsche Weltliche Gesäng, 1604, RISM A/I: F 1650. 52 Vgl. Harald Haferland, Frühe Anzeichen eines lyrischen Ichs, Zu einem Liedtyp der gedruckten Es soll abschließend festgehalten werden, dass die Überlieferung der deutschen Lieder von Handl eher zufällig ist. Die Bedeutung dieses Befundes lässt sich unterschiedlich bewerten: Einerseits mag die geringe Anzahl an erhaltenen Kompositionen als ein Indiz für das geringe Interesse Handls am deutschen Lied gelten. Andererseits sind die etwaigen Quellenverluste heute kaum abzuschätzen. Die zentralen Liedquellen des ausgehenden 16. Jahrhunderts enthalten jedenfalls keine Kompositionen von Handl. In jedem Fall aber ist die Anzahl der greifbaren Werke zu gering, um daraus gemeinsame gattungsspezifische Merkmale abzuleiten. Im Gegenteil, die erhaltenen Kompositionen weisen äußerst unterschiedliche kompositorische Verfahren auf. Der kompositionstechnische und stilistische Vergleich mit den von Handl im Druck publizierten lateinischen Werken gelingt nur in wenigen Beispielen und ist daher als Methode zur Klärung der Autorschaft nicht zielführend. Es kann ferner davon ausgegangen werden, dass Handl beim Komponieren von deutschen Liedern andere Stilmittel anwandte als in seiner repräsentativen lateinischen Kirchenmusik oder in den gedruckten Moralia. Auch ist das Erfüllen der charakteristischen Merkmale des kompositorischen Satzes von Handl nicht als endgültiger Beweis der Autorschaft zu betrachten, da andere Komponisten ebenso ähnliche Stilmittel hätten anwenden können oder seinen Kompositionsstil sogar imitiert haben. Die Autorenzuweisungen sind also weder voreilig zu bestätigen noch zu verwerfen, und genauere Erkenntnisse dazu könnten allenfalls in weiteren vertiefenden Studien erlangt werden. Festzuhalten bleibt aber, dass sich Handl offenbar in durchaus ernstzunehmendem Umfang auch mit dem deutschen Lied befasst hat und seine entsprechenden Kompositionen an verschiedenen Orten lebendig rezipiert wurden. Sein Beitrag zur Gattung scheint also doch bedeutender zu sein, als von der Handl-Forschung bisher anerkannt wurde. JACOB HANDL - GALLUS IN NEMŠKA PESEM Povzetek O vlogi nemške pesmi v skladatelj skem opusu Jacoba Handla - Gallusa v literaturi doslej ni mogoče zaslediti obsežnejših razprav. K nepoznavanju je gotovo najbolj pripomogla raztresenost skladb v težko dosegljivih virih. Razloge za manjkajoče diskusije pa je deloma mogoče iskati tudi v nacionalno obarvanih težnjah slovenske muzikologije v toku preteklega stoletja. Pričujoči prispevek nudi kratek pregled doslej poznanih nemških cerkvenih in posvetnih pesmi, ki so v rokopisih in nekaj glasbenih tiskih ohranjene pod Gallusovim imenom. Namen, čas in kraj nastanka skladb ostaja nepoznan. Gallus sicer ne kaže velikega zanimanja za nemško pesem, njegov prispevek k tej zvrsti pa je Liedersammlungen aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Erhart Öglin, Peter Schöffer, Arnt von Aich, Christian Egenolff, Heinrich Finck, Georg Forster, Johann Ott), Chloe: Beihefte zum Daphnis, Deutsche Liebeslyrik im 15. und 16. Jahrhundert, hrsg. von Gert Hübner, Amsterdam und New York, Editions Rodopi, 2005, S. 169-200. vsekakor bolj obširen kot pa je bilo poznano doslej. O priljubljenosti nekaterih skladb priča njihova razširjenost v prepisih po vsej Evropi, med drugim tudi v tabulaturah. O Gallusovem tipu nemške pesmi ni mogoče govoriti, saj ohranjena dela kažejo izjemno pester izbor besedil, različne kompozicijske tehnike, stilne prijeme in formalne oblike. Kljub ali ravno zaradi upravičenih dvomov o Gallusovem avtorstvu bo potrebno ta dela v prihodnosti še natančneje preučiti.