Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014 Christian KRUSE, Ph.D. Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Abteilungsleiter, Dozent an der Bayerischen Archivschule (Archivbau, Bestandserhaltung, archivische Reprographie, historisch-politische Bildungsarbeit), Deutschland, 80539 München, Schönfeldstraße 5 e-mail: christian.kruse@gda.bayern.de. Archival Education in Germany in 2014 ABSTRACT The so called Bologna Process had the consequence that in Europe education was brought into line. Even the archival education in Germany changed. The review presents the contemporary situation in Germany in 2014. Keywords: Germany, archival education, Bologan Process Formazione archivistica in Germania nel 2014 SINTESI Il cosiddetto processo di Bologna ha avuto come conseguenza che in Europa la formazione si e allineata. E pure in Germania la formazione e cambiata. L'articolo presenta lo stato dell'arte in Germania nel 2014. Parole chiave: Germania, formazione archivistica, processo di Bologna Izobraževanje na področju arhivistike v Nemčiji v letu 2014 IZV^LEČEK Posledica tako imenovanega Bolonjskega procesa je bilo poenotenje izobraževanja v Evropi. Tudi izobraževanje na področju arhivistike v Nemčiji se je spremenilo. Avtor v prispevku predstavlja pregled trenutnega stanja v Nemčiji. Ključne besede: Nemčija, arhivsko izobraževanje, Bolonjski proces Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014 ABSTRA^K^T Im Zuge des sogenannten Bologna-Prozesses wurden in ganz Europa Ausbildungsgänge einander angepasst. Dies gilt zum Teil auch für die Archivausbildung in Deutschland. Der Beitrag gibt einen Überblick über den gegenwärtigen Stand zu Beginn des Jahres 2014. Schlüsselbegriffe: Deutschland, Archivausbildung, Bologna-Prozess, 1 Einleitung Mit dem Bologna-Prozess, der nach der Bologna-Erklärung vom 19. Juni 1999 benannt ist, wird angestrebt, europaweit die Studiengänge und Studienabschlüsse anzugleichen. Dadurch sollen vor allem die Mobilität und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefördert werden. Wesentliche Merkmale des Bologna-Prozesses sind - neben anderem - die Einführung eines Leistungspunktesystem, des European Credit Transfer System (ECTS), zur fortwährenden Bewertung der erzielten Stu- Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 dienleistungen und die Zweistufigkeit des Studienabschlusses. Man kann das Studium in einer ersten Stufe mit dem Bachelor (BA) abschließen und bei Eignung in einer zweiten Stufe das Studium fortsetzen und mit einem Master (MA) beenden (Wikipedia, 2014). Die Ausbildungsbedingungen der drei deutschen archivischen Ausbildungsstätten wurden zum Teil entsprechend angepasst. Im Folgenden wird über den gegenwärtigen Stand der Archivausbildung in Deutschland berichtet. 2 Die Bayerische Archivschule in München Die Bayerische Archivschule in München wurde am 13. Februar 1821 unter der Bezeichnung "Archivalisches Unterrichtsinstitut" als erste deutsche Archivschule gegründet. Dr. Hans Rall hat deren Anfänge näher untersucht (Rall, 1959). Unter der Leitung des Reichsarchivars Franz Joseph v. Samet (1758-1828) als "Dirigent" der Schule unterrichteten dort der I. Reichsarchivadjunkt Johann Karl Sigmund Kiefhaber (1762-1837) und der II. Reichsarchivadjunkt Johann Nepomuk Buchinger (1781-1870) (Leesch, 1992). Von Beginn an unterrichteten an der Bayerischen Archivschule also Archivare ihre künftigen Kollegen. Die Bayerische Archivschule war nie eine selbstständige Institution, sondern war von Beginn in staatliche Archivbehörden integriert, zuerst in das Allgemeine Reichsarchiv, dann in das Bayerische Hauptstaatsarchiv, inzwischen in die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. Die Bayerische Archivschule bildet derzeit Abteilung 4 der Generaldirektion unter Leitung von Generaldirektorin der Staatlichen Archive Dr. Margit Ksoll-Marcon. Die Bayerische Archivschule bildet zielgenau für den staatlichen bayerischen Bedarf sowie - auf Wunsch - für andere, vor allem bayerische Archivträger aus. Dies gilt sowohl von der Anzahl der Studierenden innerhalb der Kurse, den zeitlichen Abständen der Kurse und der Differenzierung zwischen der zweiten, dritten und vierten Qualifikationsebene (QE), dem früheren mittleren, gehobenen und höheren Archivdienst, als auch von den Lehrinhalten her. Künftige Archivarinnen und Archivare bayerischer Kommunen, aber auch anderer Archivträger können das Referendariat zusammen mit den staatlichen Referendarinnen und Referendaren ableisten und erhalten auf Wunsch im Rahmen der Prüfüngen zum 2. Staatsexamen ebenfalls eine Platzziffer über das Prüfungsresultat. Gelegentlich haben auch außerbayerische Archivträger die Bayerische Archivschule beschickt, z.B. das Land Tirol und die Stadt Brixen (Pollach, 1992, p. 112). Der 1973 eingeführte mittlere Archivdienst ist ein bayerisches Spezifikum (Pollach, 1992, pp. 119-123), das sich im Laufe der Jahre bewährt hat und an dem festgehalten werden sollte - zu den Zulassungsvoraussetzungen, Unterrichtsinhalten und Aufgaben siehe weiter unten. Neben den mittleren Archivdienst ist vor einigen Jahren der Ausbildungsgang der Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste (FaMI), Fachrichtung Archiv getreten. Seit dem 1. Juni 2008 ist die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns innerhalb Bayerns die zuständige Stelle für deren Ausbildung. Die Ausbildung selbst findet nicht an der Bayerischen Archivschule statt, sondern bei dem nichtstaatlichen Archivträger, mit dem der künftige FaMI einen Ausbildungsvertrag geschlossen hat. Die Prüfung wird in der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns abgehalten, die zu diesem Zweck einen Prüfungsausschuss ernennt (nähere Informationen siehe unter: www. ng staatl^iche-archive.bayern.de/ausbildung/fnmi) Die bisherigen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen der drei Dienststufen wurden durch die Verordnung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr und des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 3. Januar 2014 über den fachlichen Schwerpunkt Archivwesen (FachV-Arch) ersetzt, die rückwirkend ab dem 1. September 2013 in Kraft getreten ist. Sie ist auf der Internetseite der Staatlichen Archive Bayerns einsehbar: http://www.staatliche-archive.bayem.de/Ausbildung. Die Anwärterinnen und Anwärter aller drei Qualifikationsebenen beziehen während der verwaltungsinternen Ausbildung Anwärterbezüge. Zweite Qualifikationsebene (Einstieg als Archivsekretärin und -sekretär) Die zweite QE wird an der Bayerischen Archivschule ausgebildet (§ 9, Satz 1 FachV-Archiv). Es Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 handelt sich um einen Vorbereitungsdienst mit einer Anstellungsprüfung als Abschluss. Über die Einstellung wird nach dem Bedarf und nach dem Ergebnis eines besonderen Auswahlverfahrens entschieden (§ 22), in Verbindung mit einem Auswahlgespräch. Die Ausbildung dauert zwei Jahre. Sie besteht aus einem Einführungslehrgang (4 Monate), einer berufspraktischen Ausbildung mit begleitendem Unterricht an mindestens zwei Ausbildungsarchiven (16 Monate) und einem Abschlusslehrgang (4 Monate) (§ 23). Die fachtheoretische Ausbildung umfasst folgende Fächer: - Grundzüge der bayerischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte ab 1799, - Archivalienkunde der Neuzeit, - Archivwissenschaft: Aussonderung, Erschließung, behördliches Schriftgutwesen, - Deutsche Schriftkunde ab 1800, - Staatskunde, - Öffentliches Dienstrecht, - Wirtschafts- und Haushaltsführung des Freistaates Bayern und der bayerischen Kommunen, - Kostenwesen der staatlichen und kommunalen Archive, - Verwaltungspraxis, - Archivtechnik (Bestandserhaltung mit Archivbau, archivische Reprographie) - EDV und Archiv, - archivische Rechtsfragen, - nichtstaatliches Archivwesen (§ 24). Die Prüfung besteht aus einem schriftlichen Teil (drei dreistündige Klausuren, eine fünfstündige Klausur über nahezu das gesamte Fächerspektrum) (§ 26) und einem mündlichen Teil (30 Minuten) (§ 16). Dritte Qualifikationsebene (Einstieg als Archivinspektorin und -inspektor) Für die Ausbildung der dritten QE ist seit 1974 die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege, Fachbereich Archiv- und Bibliothekswesen (bzw. ihre Vorgängerin, die Bayerische Beamtenfachhochschule) zuständig (§ 9, Satz 1 FachV-Archiv). Es handelt sich um ein Fachhochschulstudium mit einem Diplom als Abschluss. Zulassungsvoraussetzung sind das Latinum oder gesicherte Lateinkenntnisse (§ 28). Über die Einstellung wird nach dem Bedarf und nach dem Ergebnis eines besonderen Auswahlverfahrens entschieden (§ 29). Die Ausbildung dauert drei Jahre. Sie gliedert sich in sieben Abschnitte, bei denen Unterricht (Fachstudienabschnitte) und Praktika wechseln, insgesamt sind es je 18 Monate Unterricht und Praktikum (§ 30). Als Teil der Ausbildung ist zu einem selbstgewählten Thema eine Lehrausstellung mit einem Katalog als wissenschaftliche Begleitpublikation anzufertigen, deren Bewertung in die Prüfungsnote einfließt (§ 35). Das Fachstudium umfasst folgende Lehrfächer: - allgemeine Archivlehre, - Archivgeschichte und Beständekunde, - nichtstaatliches Archivwesen, - behördliche Schriftgutorganisation, - Aktenaussonderung, - Erschließung von Archivgut, - Archivalienkunde, - Archivpflege, - archivische Bildungsarbeit, - deutsche und lateinische Schriftkunde, - Grundbegriffe der Wappen- und Siegelkunde, der Münzkunde und der Zeitrechnung, - Archivbau und Archiveinrichtung, - archivische Reprographie und Bestandserhaltung, - EDV und Archiv, - Grundzüge der historischen Landesgliederung, der Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte Bayerns, Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 - Grundbegriffe aus Rechtsgeschichte und Kirchenrecht, - Archivrecht, - allgemeine Rechtskunde, - Staatsrecht und Staatslehre, - Archivverwaltungslehre, - öffentliches Dienstrecht, - Wirtschafts- und Haushaltsführung des Freistaates Bayern und der bayerischen Kommunen, - Kostenwesen der staatlichen und kommunalen Archive, - Grundzüge der Bibliotheksverwaltung, - Informations- und Dokumentationswesen (§ 33). Die Prüfung besteht aus einem schriftlichen Teil (vier dreistündige Klausuren, drei fünfstündige Klausuren über nahezu das gesamte Fächerspektrum) (§ 38) und einem mündlichen Teil (45 Minuten) (§ 16). Vierte Qualifikationsebene (Einstieg als Archivrätin und -rat) Die vierte QE wird an der Bayerischen Archivschule ausgebildet (§ 9, Satz 1 FachV-Archiv). Es handelt sich um ein Referendariat mit dem Zweiten Staatsexamen als Abschluss. Zulassungsvoraussetzungen sind Kenntnisse der lateinischen Sprache im Umfang des Latinums und der französischen Sprache im Umfang der Stufe B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen, außerdem entweder die Erste Juristische Staatsprüfung oder die Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien mit einer Fächerverbindung mit Geschichte und einer schriftlichen Hausarbeit in Geschichte oder ein Diplom-, Magister- oder Masterabschluss im Bereich der Geschichtswissenschaft an einer Universität oder einen als gleichwertig anerkannten Abschluss, außerdem Kenntnisse in Rechtsgeschichte bzw. in historischen Hilfswissenschaften, insbesondere der Schriftkunde und Urkundenlehre. Darüber hinaus soll eine Promotion mit einer möglichst unter Verwendung archivalischer Quellen angefertigten Arbeit aus der deutschen, insbesondere bayerischen Geschichte nachgewiesen werden (§ 40). Der Beginn des Vorbereitungsdienstes wird im Bayerischen Staatsanzeiger ausgeschrieben (§ 41). Über die Einstellung in den Vorbereitungsdienst entscheidet die Ernennungsbehörde, d.h. die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns (§ 42). Das Referendariat dauert zwei Jahre. Es ist im Wechsel in drei theoretische Abschnitte und zwei praktische Abschnitte untergliedert; insgesamt sind es 14 Monate Theorie und 10 Monate Praktikum (§ 43). Der theoretische Unterricht erstreckt sich auf folgende Fächer: - Archivlehre, - Archivwissenschaft: Aussonderung und Bewertung von Archivgut, Erschließung, behördliche Schriftgutverwaltung, - Archivalienkunde, - geschichtliche Hilfswissenschaften, - deutsche, lateinische und französische Paläographie, - Bestandserhaltung (mit archivischer Reprographie) - Archivbau und Archiveinrichtung, - EDV und Archiv, - Archivrecht, - Verwaltungslehre, - historisch-politische Bildungsarbeit, - Verfassungs-, Verwaltungs- und Territorialgeschichte, - Wirtschafts- und Sozialgeschichte, - Rechtsgeschichte, - Kirchenrecht (§ 43). Die Prüfung besteht aus einem schriftlichen Teil (acht Klausuren über nahezu das gesamte Fächerspektrum, davon je vier dreistündig und sechsstündig) (§ 45) und einem mündlichen Teil (90 Minuten, einschließlich der zehnminütigen Vorbereitungszeit für den zwanzigminütigen Kurzvortrag zu einem Thema, das zu Prüfungsbeginn bekannt gegeben wird) (§ 16). Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 Die unterschiedlichen Aufgabenspektren der drei Qualifikationsebenen, bzw. damals noch des mittleren, gehobenen und höheren Archivdienstes hat Professor Dr. Hermann Rumschöttel schlagwortartig umrissen mit: - "Mitarbeit unter Anleitung" (zweite QE), - "Anspruchsvolle Sachbearbeitung mit einem unterschiedlichen Grad an Selbständigkeit" (dritte QE) und - "Selbständige Grundsatz- und Entscheidungskompetenz auf wissenschaftlicher Basis" (vierte QE) (Rumschöttel, 1992, p. 100). Ein Charakteristikum der Bayerischen Archivschule ist der Unterricht durch Archivkolleginnen und -kollegen mit dem Ziel eines erfahrungsgesättigten Unterrichts. Die Praktika werden vor allem im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und im Staatsarchiv München abgeleistet. Dadurch erhalten die Auszubildenden eine Anleitung von erfahrenen künftigen Kolleginnen und Kollegen. Seit etlichen Jahren werden auch Archive anderer Träger zu den Praktika herangezogen, beispielsweise das Stadtarchiv München, das Archiv des Erzbistums München und Freising oder das Landeskirchliche Archiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nürnberg. Die Prüferinnen und Prüfer kommen vor allem aus den Staatlichen Archiven Bayerns, aber auch von bayerischen Kommunalarchiven. Das System der Bayerischen Archivschule hat sich sehr bewährt. Es ermöglicht, dass unmittelbar für den jeweiligen Bedarf ausgebildet wird und die Ausbildung auch inhaltlich genau auf die bayerischen Anforderungen zugeschnitten ist. Dadurch werden finanzielle und personelle Ressourcen geschont. Da die Bayerische Archivschule Teil der Staatlichen Archive Bayerns ist, können bei Erfordernis inhaltliche Änderungen ohne langwierige Gremienarbeit rasch umgesetzt werden. Somit bleibt die Ausbildung auf der Höhe der Zeit. Beispielsweise konnten in den Bereichen der IT, der elektronischen Aktenführung und des Digitalen Archivs umgehend neue Inhalte angeboten werden. 3 Die Archivschule Marburg Die "erste" Archivschule Marburg wurde 1894 als Teil des Staatsarchivs Marburg gegründet. An ihr unterrichteten Professoren der Universität Marburg, die auch heute ihren Rang in der Wissenschaftsgeschichte besitzen: Paul Fridolin Kehr, Michael Tangl, Karl Brandi und Johannes Haller. 1904 wurde die Archivschule von Marburg an das Geheime Staatsarchiv nach Berlin verlegt. Dr. Walter Heinemeyer (Heinemeyer, 1989) hat anlässlich des 40jährigen Bestehens der "zweiten" Archivschule Marburg an diese Vorgeschichte erinnert. Er betonte, dass man, als man nach 1945 daran ging, erneut eine staatliche Archivschule zu gründen, mit der Wahl des Ortes auf diese erste Archivschule in Marburg zurückgegriffen hat. Insofern spielt für das Selbstverständnis der heutigen Archivschule Marburg die Geschichte ihrer Vorgängerin durchaus eine Rolle1. Die heutige zweite Archivschule Marburg wurde 1949 als selbstständige Institution gegründet, die vom Land Hessen finanziert wurde und dem hessischen Kultusministerium unterstellt war. Der Archivschule Marburg stand bis 1994 jeweils in Personalunion der Leiter des Hessischen Staatsarchivs Marburg vor. Als Aufgabe wurde ihr die archivische Fachausbildung für die Länder der Bundesrepublik Deutschland ohne Bayern zugewiesen, das über eine eigene Archivschule verfügt (s.o. Abschnitt 1). Erst nach und nach beteiligten sich auch die übrigen Bundesländer an den finanziellen Unkosten, 1963 wurden "freiwillige finanzielle Beiträge zu den Sachkosten" festgelegt (Heinemeyer, 1989, p. 636, 648). An der Archivschule Marburg werden zentral Archivarinnen und Archivare des gehobenen und höheren Archivdienstes in den archivischen Fächern unterrichtet. Die Praktika werden in unterschiedlichen Archiven absolviert: vor allem im Bundesarchiv und in staatlichen Archiven der entsendenden Länder. Durch die Satzung von 1963, in der die Archivschule Marburg den Untertitel "Institut für Archivwissenschaft" erhielt, wurde der Archivschule als weitere Aufgabe die archivwissenschaftliche Forschung zugewiesen (Heinemeyer, 1989, pp. 647-648). Seit 2012 lautet der Untertitel "Hochschule für Archivwissenschaft". 1. Ich danke Frau Dr. Irmgard Christa Becker, Leiterin der Archivschule Marburg, für diesen und weitere Hinweise. 133 Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 Zum Jahresbeginn 2014 wurde die Finanzierung der Archivschule Marburg dahingehend geän- dert, dass das Land Hessen nur noch 35 Prozent der jährlichen Ausbildungskosten durch Haushaltsmittel finanziert. 65 Prozent der Ausbildungskosten muss die Archivschule Marburg nun durch Entgelte erwirtschaften, d.h. durch Entgelte für die Lehrgänge des gehobenen und höheren Dienstes sowie durch Teilnahmegebühren der Fortbildungsveranstaltungen und Weiterbildungsstudiengänge, die künftig kostendeckend zu organisieren sind (vgl. http://www.archivschule.de/DE/wir-ueber-uns/ rechtsgrundlagen). Die Archivschule Marburg wird seit 2010 von Ltd. Archivdirektorin Dr. Irmgard Christa Becker geleitet. Ihr unterstehen vier Archivare des höheren Dienstes als Studienleiter und Koordinatoren für bestimmte Fächergruppen sowie (ohne Berücksichtigung von Teilzeitstellen) neun weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (http://www.archivschule.de/DE/wir-ueber-uns/mitarbeiterinnen). Über grundlegende Fragen der Archivschule Marburg berät ein Beirat unter Leitung eines Vertreters des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst. Dem Beirat gehören außer diesem derzeit 23 Archivarinnen und Archivare an, nämlich die Leiterinnen und Leiter des Bundesarchivs, des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz und der 16 Länderarchivverwaltungen, zwei Vertreter der Kommunalarchive, zwei Vertreterinnen der Kirchenarchive (evangelisch, katholisch) sowie ein Vertreter des Berufsverbandes, des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare (VdA) (Organi-sationserlass, 2013, § 7, vgl. auch: http://www.archivschule.de/DE/wir-ueber-uns/beirat. Ausbildung im gehobenen Dienst Die Ausbildung dauert drei Jahre, von denen die Hälfte, 18 Monate, an der Archivschule verbracht wird, die andere Hälfte mit Praktika im Ausbildungsarchiv. Einstellungsvoraussetzungen sind Fachhochschulreife oder Abitur. Die Teilnehmenden werden jeweils vom Ausbildungsarchiv (in der Regel das Bundesarchiv oder ein staatliches Archiv der Länder) nach Marburg entsandt. Auf die Zwischenprüfung in Marburg folgt die Laufbahnprüfung im Ausbildungsarchiv mit dem Abschluss einer Diplom-Archivarin, eines Diplom-Archivars. Die Ausbildung beginnt mit einem praktischen Teil im Ausbildungsarchiv. Es folgt die theoretische Ausbildung an der Archivschule Marburg. Geprüft werden dort folgende Fächer: - Archivwissenschaft mit Bestandserhaltung, Archivrecht und Archivgeschichte, - Historische Hilfswissenschaften des Mittelalters und der Neuzeit, - Historische Fächer wie Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte und Rechtsgeschichte in Auswahl (schleiter, Gehobener Dienst, 2013). Ausbildung für den höheren Dienst Die Ausbildung dauert zwei Jahre, von denen die Hälfte, 12 Monate, an der Archivschule Marburg verbracht werden. Einstellungsvoraussetzung ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium mit einem Master oder einem vergleichbaren Abschluss; nähere Details werden in den Ausbildungs- und Prüfungsordnungen des Bundes und der Länder geregelt. Die Teilnehmenden werden jeweils vom Ausbildungsarchiv an die Archivschule Marburg entsandt. Die Ausbildung besteht aus - berufspraktischen Studien im Ausbildungsarchiv, das gegebenenfalls weitere Einrichtungen heranzieht, mit vier Modulprüfungen (§ 8 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung, 2012), - aus den Fachstudien in Marburg mit den Fachgebieten Archivwissenschaft, Verwaltungswissenschaft und Archivmanagement sowie Historische Hilfswissenschaften mit neun Modulprüfungen (§ 10) - sowie einer Transferphase, in der die selbstständige Transferarbeit über ein ^ema aus der Archivwissenschaft von höchstens 30 Seiten Umfang anzufertigen ist, mit einer Modulprüfung (§ 12 und 16). Die Ausbildung endet mit der archivarischen Staatsprüfung an der Archivschule Marburg. Sie besteht aus den 14 Modulprüfungen, die während der genannten Ausbildungsabschnitte abgelegt wurden, und aus einer mündlichen Abschlussprüfung von maximal 90 Minuten Dauer. Diese besteht im Einzelnen aus einer Leitungsübung von 20 Minuten Dauer (mit einer Vorbereitungszeit von 30 Minuten), in der "die erworbenen Fach- und Führungskompetenzen als Leiterin oder Leiter eines Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 Einzel- oder Gruppengesprächs in mündlicher Form" nachgewiesen werden, und aus einer mündlichen Prüfung von 40 Minuten Länge, in der je zur Hälfte die Transferarbeit verteidigt sowie Fragen aus der Archivwissenschaft, der Verwaltungswissenschaft und dem Archivmanagement beantwortet werden (§ 16 und 19 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung, 2012; Schleiter, Höherer Dienst, 2013). Bereits vor längerer Zeit hatte die Archivschule Marburg ihr Angebot an Fort- und Weiterbildungen, an der Qualifizierung sogenannter beruflicher Quereinsteiger, d.h. in der Regel Historikerinnen und Historikern ohne archivische Fachausbildung, sowie an verschiedenen Möglichkeiten der Nachschulung deutlich erweitert. Die Teilnahme steht auch ausländischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern offen. Durch die Neuerung, dass zwei Drittel der benötigten Mittel für Personal und Geschäftsbetrieb durch Gebühreneinnahmen erzielt werden müssen, wird die Position der Archivschule Marburg aus meiner Sicht zumindest mittelfristig geschwächt. Es kann dadurch zu einer institutionalisierten Unterfinanzierung kommen, mit der Gefahr des Rechtfertigungszwanges, wenn die Rendite nicht erbracht und damit die eigene Existenz nicht gesichert werden kann. Darüber hinaus könnte die Archivschule vor schwierigen Entscheidungen stehen: Soll sie verstärkt und in erster Linie Veranstaltungen anbieten, die sich rentieren? Kann sie künftig noch Veranstaltungen anbieten, die zwar notwendig wären, aber kostenintensiv sind und möglicherweise ein Defizit verursachen würden, was aber durch den Organisationserlass untersagt ist? Der höhere Archivdienst wird an der Archivschule Marburg im Rahmen eines Referendariats ausgebildet. Dies sollte trotz allem Finanzierungsdruck auch künftig so bleiben (s.u. Abschnitt 4). 4 Die Fachhochschule Potsdam Die Fachhochschule Potsdam wurde 1991 vom Land Brandenburg gegründet, das die Fachhochschule finanziert. Einer von heute fünf Fachbereichen ist der Fachbereich Informationswissenschaften (bis 1998: Fachbereich Archiv - Bibliothek - Dokumentation). Er entstand im Wintersemester 1992/1993 mit dem Diplomstudiengang Archiv und wurde bis zum Wintersemester 1993/1994 um die Diplomstudiengänge Bibliothek und Dokumentation erweitert. Als Folge des Bologna-Prozesses wurde im Wintersemester 2007/2008 das achtsemestrige Diplomstudium durch die drei siebenseme-strigen Bachelor-Studiengänge Archiv, Bibliotheksmanagement sowie Information und Dokumentation abgelöst2 (Freund, 2011; Freund, 2014). Amtierender Dekan des Fachbereichs Informationswissenschaften ist Professor Dr. Günther Neher, zuständig für Webtechnologie und Semantic Web. Leiterin des Bereichs der Archivwissenschaft ist Professorin Dr. Susanne Freund. Die Studierenden der Fachhochschule Potsdam erhalten keine Anwärterbezüge wie bei den verwaltungsinternen Ausbildungen an der Bayerischen Archivschule und der Archivschule Marburg. Sie studieren - wie alle anderen Studentinnen und Studenten - auf ihr eigenes Risiko. Der Studiengang Bachelor-Archiv hat eine Regelstudienzeit von sieben Semestern. Er beginnt mit einem zweisemestrigen Grundstudium, in dem intensive EDV-Kenntnisse und Grundlagen der Informationswissenschaften vermittelt werden. Darauf folgen im Hauptstudium die Bereiche Archivwissenschaft und Archivmanagement sowie ein Überblick über die deutsche Geschichte, der Vermittlung von Kenntnissen in den historischen Grundwissenschaften, insbesondere in Paläographie, der historischen Bildungsarbeit und weiteren Fächern. Während des Hauptstudiums sind zwei Praktika abzuleisten, eines der Semester wird als Praxissemester bezeichnet. Das Studium endet mit der Erlangung des akademischen Grades eines Bachelors (BA) (http://informationswissenschajten.jh-potsdam.de/ iw-archivbachelor). Dem Bachelor-Studium kann seit April 2011 ein dreisemestriger Masterstudiengang in Informationswissenschaften folgen. Ein vergleichbarer Studiengang in Archivwissenschaften wird derzeit nicht angeboten. 2. Ich danke Frau Professor Dr. Susanne Freund für die Überlassung der zwei Vorworte mit Informationen zur Geschichte der Fachhochschule und des Fachbereichs Informationswissenschaften sowie für weitere Hinweise. Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 Stattdessen ist es seit dem Wintersemester 2009/2010 möglich, an der Fachhochschule Potsdam in einem sechs Semester dauernden Masterstudiengang berufsbegleitend, d.h. überwiegend als Fernstudium, Archivwissenschaften zu studieren. Der Studiengang wendet sich an Mitarbeitende in Archiven meist nicht-staatlicher Träger, die über keine archivische Fachausbildung verfügen, den auch auf der Internetseite der Fachhochschule Potsdam so bezeichneten "SeiteneinsteigerInnen". Zugangsvoraussetzungen sind ein Studium mit dem Abschluss Bachelor, Diplom, Magister Artium oder Master, eine einjährige Berufserfahrung in Vollzeit in einem Archiv sowie ein Arbeitsvertrag in einem Archiv von mindestens zwei Jahren Dauer zu Beginn der Ausbildung (http://informationswissenschajien.fh-potsdam. de unter dem Pull-down-Menü "Archivwissenschaften (Master)"). Die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Studiums mit der Erlangung eines Magistertitels bietet in Deutschland nur die Fachhochschule Potsdam an. Das Spektrum der deutschen archivischen Fachausbildung wurde dadurch in sinnvoller Weise bedarfsorientiert erweitert. 5 Die Notwendigkeit der archivischen Fachausbildung Im Folgenden wird am Beispiel des Ausbildungsganges der Archivarinnen und Archivare des höheren Archivdienstes bzw. der vierten Qualifikationsebene (QE) in Bayern erläutert, weshalb eine archivische Fachausbildung nach wie vor erforderlich ist. Die künftige Archivarin, der künftige Archivar des höheren Dienstes beginnt seine Berufsausbildung nach dem Abitur entweder mit einem Studium der Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Landesgeschichte oder mit einem Jurastudium mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsgeschichte. Er schließt dieses Studium in der Regel mit einer Promotion über ein landes- oder rechtsgeschichtliches Thema ab. Bis dahin unterscheidet er sich nicht von den übrigen Studierenden seines Faches. Am Ende seines Studiums ist er promovierter Historiker oder Jurist, hat nachgewiesen, dass er selbstständig wissenschaftlich arbeiten kann. Er ist damit Teil der Wissenschaftsgemeinschaft. Nach diesem Studium trennen sich die Wege: Ein Teil der Studierenden bleibt an der Universität, spezialisiert sich entsprechend des gewählten Fachbereichs und qualifiziert sich für Forschung und Lehre etwa durch eine Habilitation oder auf andere Weise. Er ist weiterhin Historikerin und Historiker. Ein Teil der Studierenden strebt den Schuldienst an und qualifiziert sich dafür im Rahmen eines Lehramtsreferendariats weiter mit den für den Lehrberuf erforderlichen pädagogischen, fachdidaktischen und sonstigen Kenntnissen. Er wird als Pädagoge Geschichtslehrerin und Geschichtslehrer, bleibt aber Historikerin und Historiker. Ein Teil wird in anderen Bereichen tätig, etwa im Bereich der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens oder der Museen und sonstigen Forschungseinrichtungen, oder er macht sich selbstständig mit einer Firma für historische Forschungen (zum Beispiel Erbenermittlung, Familien-, Häuser- und Ortsforschungen). Ein Teil schließlich wählt eine spartenspezifische Zusatzausbildung für den Archiv- und den Bibliotheksdienst in einem Referendariat oder im Bereich der Informationswissenschaften, beispielsweise im Bereich der Dokumentation, in der Regel ohne Referendariat. Der kleine Teil der studierten und in der Regel promovierten Historikerinnen und Historiker, der den Archivdienst wählt, wird in einer zweijährigen Ausbildung im Rahmen eines Referendariats zur Archivarin, zum Archivar des höheren Dienstes ausgebildet. Er wird damit in einem neuen, eigenen Beruf tätig, bleibt durch sein Studium aber Historikerin und Historiker, auch wenn er als solcher wegen der vielfältigen archivischen Berufsaufgaben häufig nur selten tätig wird, tätig werden kann. Der Archivar des höheren Dienstes unterscheidet sich vom Historiker durch die Doppelqualifikation als Archivar und Historiker. Es besteht also keine Veranlassung für die immer wieder gehörte Äußerung in der Kollegenschaft, man sei ja "nur Archivar": Sie trifft so nicht zu. Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 Worin besteht nun die Zusatzausbildung zur Archivarin, zum Archivar des höheren Dienstes? Folgende Stichpunkte mögen genügen, um wesentliche Bereiche dieser Berufsausbildung zu veranschaulichen: 1. Ziel der Ausbildung ist eine Erweiterung bisheriger Kenntnisse mit soliden theoretischen Grundlagen und einer besonderen Berücksichtigung der praktischen Anwendbarkeit, damit die künftige Archivarin, der künftige Archivar im Berufsleben als "Universaldilettant" (Gerhard Heyl)3 wirken kann. Mit diesem positiv gemeinten Begriff wird pointiert veranschaulicht, dass Archivarinnen und Archivare in ihrem Beruf zeitlich von Karl dem Großen bis zur unmittelbaren Gegenwart tätig sind, inhaltlich mit dem schriftlichen Niederschlag des gesamten Spektrums menschlichen Lebens, von der Landwirtschaft, über die Kulturgeschichte bis hin zum Vermessungs- und Eichwesen. Sowohl bei der Arbeit an den Archivbeständen als auch im Bereich der Benützung wird dieses breite Spektrum verlangt und ist somit erforderlich. 2. Die Ausbildung umfasst die Archivwissenschaft mit allen ihren Bereichen, von den Erschließungsstufen bis zur Archivalienkunde. Professor Dr. Robert Kretzschmar hat kürzlich zu Recht deutlich mahnend auf die stagnierende archivwissenschaftliche Diskussion in Deutschland hingewiesen (Kretzschmar, 2013); die Stagnation mindert aber weder deren grundsätzliche Bedeutung noch deren Notwendigkeit. Bei dieser Gelegenheit danke ich meinem inzwischen pensionierten Kollegen Dr. Gerhard Leidel für zahlreiche anregende Gespräche zu diesem ^ema (Leidet, 2001). 3. Teil der Archivwissenschaft ist die Bewertung. Eine der Hauptqualifikationen von Archivarinnen und Archivarinnen ist die Fähigkeit zur fundierten, auf Grundsätzen wie der Federführung und auf Aktenanalysen beruhenden Entscheidung über die Archivwürdigkeit der schriftlichen Überlieferung insbesondere der Behörden und Gerichte. Dies ist häufig der Hauptpunkt, an dem die Geschichtswissenschaft Kritik an der Tätigkeit der Archive übt, weil viele Historikerinnen und Historiker davon träumen, dass die Gesamtheit der schriftlichen Überlieferung aufgehoben wird, ohne zu ahnen, welche gewaltigen Mengen dann bei der Quellendurchsicht auf sie zukämen. Nur wer die Registraturen großer Behörden und Gerichte kennt, kann die Dimensionen des Aktenausstoßes ermessen, etwa, dass bereits ein Jahrgang der archivwürdigen Prozessakten des Oberlandesgerichts München I einen Umfang von 250 laufenden Metern haben kann, die Gesamtheit der in diesem Gericht innerhalb eines Jahres entstehenden Akten somit weit umfangreicher ist. Der Historikertraum, das Überliefern aller entstehenden Unterlagen in ständig zu erweiternden Archivmagazinen, wäre weder volkswirtschaftlich vertretbar noch wäre er aus Steuermitteln finanzierbar. 4. Ein weiteres zentrales ^ema ist die Bestandserhaltung, gelegentlich auch als Substanzerhaltung bezeichnet, d.h. alle Maßnahmen im weitesten Sinn, die zum Erhalt des den Archiven anvertrauten Kulturgutes, den Archivalien, beitragen. Zur Bestandserhaltung zählen - nach dem stringenten Modell von Mario Glauert und Sabine Ruhnau (Glauert and Ruhnau, 2005) - die Bereiche der Schaffung eines Problembewusstseins für Fragen der Bestandserhaltung, der Planung, der Lagerung (mit dem großen Feld des Archivbaus), der Verpackung, der Schutzmedien (archivische Reprographie), der Konservierung und der Restaurierung (sowohl Einzel- als auch Massenverfahren, wie beispielsweise unterschiedliche Methoden zur Massenentsäuerung säurehaltigen Industriepapiers nach 1840). 5. Die im Geschichts- oder Jurastudium erworbenen Kenntnisse werden erweitert und vertieft, insbesondere in den Bereichen der Rechtsgeschichte (deutsches Recht, römisches Recht, Kirchenrecht), der Territorien- und Dynastengeschichte, der Verfassungsgeschichte, der Verwaltungsgeschichte4 und der Historischen Hilfswissenschaften, einschließlich der lateinischen, deutschen und französischen Paläographie. 6. Außerdem werden umfassende Kenntnisse über den gesamten Bereich der Informationstechnologie (IT) - mit starken technischen Aspekten - vermittelt, ohne die die gegenwärtige und künftige Überlieferung der Behörden und Gerichte verloren gehen würde. In relativ vielen Bereichen bewegen sich Verwaltung und Gerichte bereits seit Jahren jenseits des klassischen Schriftträgers Papier. Auch 3. Dr. Gerhard Heyl (1924-1995), zuletzt Leiter der Abt. IV Kriegsarchiv des Bayerischen Hauptstaatsarchivs, verwendete das Wort des "Universaldilettanten" 1988 mehrfach in seinem Unterricht an der Bayerischen Archivschule. 4. Die Verwaltungsgeschichte ist ein Bereich, der in der oft inhaltsfixierten historischen Forschung immer wieder - mit negativen Folgen für die Forschungsergebnisse - vernachlässigt wird. Wer die sachliche Zuständigkeit historischer wie gegenwärtiger Behörden kennt, findet rascher den Weg zur entsprechenden archivischen Überlieferung. Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 die Staatlichen Archive Bayerns nützen seit einigen Jahren eine rein elektronische Aktenführung. Im Herbst 2014 wird das Digitale Archiv der Staatlichen Archive Bayerns der Öffentlichkeit vorgestellt, in dem vor allem die bereits elektronisch entstandene Überlieferung (born digitals) Aufnahme findet. Durch diese technische Entwicklung erweitern sich die Berufsaufgaben in einer früher nicht gekannten Geschwindigkeit. Die Archivarinnen und Archivare müssen sich nun nicht mehr nur um die Bewertung der Inhalte kümmern, sondern auch um den Erhalt von meist temporären IT-Fachanwendungen, ohne die die Daten nicht lesbar gehalten werden können, um die Transformierung der Daten in dauerhaftere Formate. Außerdem sind sie gehalten, bereits bei der Schaffung neuer IT-Anwendungen mitzuwirken, damit von Beginn an Schnittstellen geschaffen werden, über die der automatisierte Datenexport an die Archive gewährleistet werden kann. Sie müssen die Behörden und Gerichte im Blick behalten, um auf interne Änderungen angemessen reagieren zu können. Sind in Behörden und Gerichten nach dem Ablauf von Fristen Datensätze erst einmal gelöscht, sind sie für die Archive und damit auch für die historische Forschung und die Gesellschaft verloren. Diese wenigen Beispiele mögen in diesem Zusammenhang genügen. Alle diese Bereiche werden in den archivischen Ausbildungsstätten als notwendiges Rüstzeug des Archivarsberufes als Fachausbildung vermittelt, sowohl dem höheren Dienst (4. QE) innerhalb des Referendariats als auch - zum Teil mit gestrafftem Zuschnitt - dem gehobenen und dem mittleren Dienst (3. und 2. QE). In der auf die Ausbildung folgenden praktischen Berufsarbeit wird die Fachausbildung je nach Tätigkeitsschwerpunkt weiter vertieft, da Spezialkenntnisse erforderlich sind, um den zunehmend komplexeren Anforderungen gerecht zu werden und beispielsweise mit IT-Spezialisten oder auch mit Juristen auf Augenhöhe argumentieren und danach entscheiden zu können. Es wäre ein Fehlschluss zu glauben, man könne einen Historiker ohne archivische Fachausbildung die Aufgaben eines Archivars "miterledigen" lassen. Bei Umfragen der letzten Jahre wurde deutlich, dass Archivleiterinnen und -leiter ohne archivische Fachausbildung von staatlichen Archivverwaltungen und vom Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., der deutschen berufsständischen Vertretung, immer wieder eine Erweiterung des Angebots archivfachlicher Fortbildungen sowohl auf Länder- wie auf Bundesebene einfordern, in denen sie die ihnen fehlenden Informationen erhalten können. Fortbildungsangebote der Archivschule Marburg, des Deutschen Archivtags, des Bayerischen Archivtags, der Bayerischen Verwaltungsschule und - grundlegender - das Fernstudium der Fachhochschule Potsdam dienen primär diesem Zweck. Wir können daher meines Erachtens auf unseren Berufsstand als Archivarinnen und Archivare stolz sein. In unserem Tun versuchen wir, meist mit Erfolg, den Anforderungen der heutigen Zeit gerecht zu werden. Etwas mehr Selbstbewusstsein wäre daher durchaus angebracht, auch um der Gefahr zu begegnen, dass von Politik und Verwaltung das Erfordernis einer qualifizierten archivischen Fachausbildung als weniger wichtig angesehen oder gar bestritten werden solte. Diese Fachausbildung ist auch künftig erforderlich. Sie bedarf daher sowohl institutioneller Strukturen als auch einer angemessenen finanziellen Ausstattung. Nur so können die gemeinsamen Aufgaben erfüllt werden, das schriftliche Kulturgut für Gegenwart und Zukunft zu erhalten und zugleich zu garantieren, dass unserer Gesellschaft nicht die zahlreichen Informationen aus den Verwaltungsbehörden und Gerichten, aus den Kommunen, den Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften, dem Adel, der Wirtschaft, den Parlamenten, Parteien und Verbänden, den Medien, den Hochschulen und den wissenschaftlichen, kulturellen uns sonstigen Institutionen verloren gehen. Beim Erhalt des Kulturgutes und der Informationen geht es nicht nur um eine Dokumentation der Vergangenheit. Weniger im Bewusstsein steht der nicht seltene unmittelbare Nutzen der Archive für die gegenwärtige und zukünftige Gesellschaft, etwa beim Nachweis von gegenwärtigen und bereits seit längerem aufgelassenen Industriebetrieben und Müllkippen, die vor Neubauprojekten unbedingt eingesehen werden sollten, um einen Bau von Wohnungen auf Grundstücken mit Umweltbelastungen zu vermeiden (Kruse 2011). Deutschland kann sich glücklich schätzen, drei archivische Ausbildungsstätten in München, Marburg und Potsdam zu besitzen, die mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten den verschiedenen Anforderungen gerecht werden. Christian KRUSE: Die Archivausbildung in Deutschland im Jahr 2014, 129-140 Der bayerische Weg einer eigenen Bayerischen Archivschule hat sich bewährt, da dadurch ohne großen Aufwand und ohne Gremien eine rasche Anpassung an neue Entwicklungen möglich ist. Bedauerlich ist nur, dass die archivische Fachausbildung in Deutschland derzeit nahezu ausschließlich vom Staat getragen wird. Sehr zu begrüßen wäre es, wenn daneben auch die deutschen Kommunen, die zumindest im Ländervergleich ja durchaus stark sind, zudem gut organisiert, künftig ein größeres Gewicht auf ausgebildete Archivarinnen und Archivare legen und selbst Kandidatinnen und Kandidaten an eine der beiden Archivschulen entsenden würden. Aus der Sicht eines staatlichen Archivars wäre hier ein Umdenken wünschenswert. Das von Kommunen häufig proklamierte Subsi-diaritätsprinzip sollte keine Einbahnstraße sein. Finanzierungsgerechtigkeit täte not. Die archivische Fachausbildung ist gegenwärtig und zukünftig besonders dringlich, um die vielen spezialisierten Aufgaben in einer technisierten Welt fachgerecht und zukunftsorientiert Lösungen zuführen zu können. Llteratur Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den höheren Archivdienst in Hessen (APOhDArchiv) vom 14. Dezember 2012 - - - - - - - - - - ....... hessen.de Ausbildungs- und Prüfungsordnung, 2012). Eingesehen am 11.4.2014 auf http://rv.hessenrecht. Freund, S. (2011). Vorwort. In: 20 Jahre Fachhochschule Potsdam. Potsdam (DVD) Freund, S. (2014). Vorwort. In: InfOrmationswissenschaften. Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft. Potsdam (DVD) Glauert, M., Ruhnau, S. (2005). Bestandserhaltung beginnt im Kopf, nicht im Geldbeutel. Zur Einführung. In: Glauert, M. and Ruhnau, S. (eds.), verwahren, sichern, Erhalten. Handreichungen zur Bestandserhaltung in Archiven. veröff^;ntlichungen der brandenburgischen Landesfachstelle für Archive und öffentliche bibliotheken, vol. 1, Potsdam, S. 1-12 Heinemeyer, W. (1989). 40 Jahre Archivschule Marburg 1949-1989. In: Archiv für Diplomatik, 35, S. 631671. Zur ersten Archivschule Marburg (1894-1904). S. 636-638 Homepage der Archivschule Marburg. Zugänglich auf http://www.archivschule.de Homepage des Fachbereichs Informationswissenschaften der Fachhochschule Potsdam Zugänglich auf http:// informationswissenschaften.fh-potsdam.de Homepage der Staatlichen Archive Bayerns Zugänglich auf http://www.staatliche-archive.bayern.de Kretzschmar, R. (2013). Quo vadis - Archivwissenschaft? Anmerkungen zu einer stagnierenden Diskussion. In: Archivalische zeitschrift, 93, S. 9-32 Kruse, C. (2011). Vom Nutzen des Einzelfalls. Archive als Wissenspeicher für die Gesellschaft von heute. In: Atlanti. R^eview of modern archival theory and practice, 21, S. 197-204 Kruse, C. (1997). Die Ausbildungssituation von Archivaren des mittleren, gehobenen und höheren Archivdienstes an der Archivschule München bzw. an der Beamtenfachhochschule München und deren Berufsbild. In: Der Archivar. Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen. beiband 2: 50 Jahre verein deutscher Archivare. bilanz und Perspektiven des Archivwesens in Deutschland, S. 55-64 Leesch, W. 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Eingesehen am 26.3.2014 auf http://de.wikipedia.org/wiki/Bologna-Pro- zess SUMMA^RY The Bavarian Archives School in Munich founded in 1821 is the oldest archives school in Germany. Here, Bavarian archivists of the 2nd, 3rd and 4'h qualification levels, the former intermediate, higher intermediate and higher grades of the German civil service, are trained. The training for the 4th qualification level is practical training (with the completion of a 2nd state examination). The training for the 3rd qualification level at the College for Public Administration and Law, Department of Archives and Library Sciences with lecturers from the Bavarian Archives School ends with a diploma. The training for the 2nd qualification level is a practical training period. The Archives School in Marburg was founded in 1949. Here, archivists of the higher intermediate and ligher grades of the German civil service are trained, potentially from all states of the Federal Republic of Germany (with the exception of Bavaria); in recent years, at least the states of Brandenburg and Berlin have switched to the University of Applied Sciences in Potsdam. A second major focus of the Archives School in Marburg is job-specific further training courses. The Department of Information Science of Potsdam University of Applied Sciences was founded in 1992. It offers a course in Archive Studies with a Bachelor's qualification (after seven semesters), alongside a six-semester long-distance course in Archive Studies for people who are already working in archives without any training and want to get specialist training with a Master's qualification alongside their work. With these three training centres and their different focuses, Germany offers a broad range of specialist archive training. Typology: 1.01 Original scientific research Submitting date: 19.12.2013 Acceptance date: 07.02.2014