-j— -— vati - - - Raimund Balzar Das flBE fc Pferdefreuncies von Raimund Balzar Hippolog. Marburg 1911. Druck von K. Rabitsch, Marburg-. Im Selbstverlage. Mit 14 Ahbildunsen iiach eigenen Federzeiclmungen. Alle Redite vorbelialten. Tersand durch Karl Rabitseh, Marburg. Vorvvort. Unglaublich, aber Tatsache ist es, dass keine Kunst mit so geringem Sach- verstandnis gehandhabt wird wie eben die schonste, die Reitkunst. Auf Grand meiner langjahrigen Fachstudien fiihle ich mich berechtigt, einige Worte iiber das Pferd und dessen Behandlung niederzuschreiben um sie der Offentliehkeit zu iibergeben. In meiner Arbeit will ich klarlegen, warum ein Pferd in so vielen. Fallen den Anforderungen des Reiters nicht nacbkommen ,,will“ oder besser gesagt, nicht nachkommen ,,kann“ und \varum Pferde, die in ihrer Jugend infolge ihrer Abstammung und Bauart zu den schonsten Hoffnungen berechtigen, diese nicht erfullen, andere dagegen, die nichts envarten lassen im reiferen Alter ganz uberraschende Resultate aufweisen, und diese Erscheinungen auf anatomischer Grundlage beweisen. Was die Autoren der anerkanntesten Pachwerke anlangt, so bekampfen die sich gegenseitig; und warum? Sie entbeliren einer gemeinsamen Grundlage in der Anatomie des Pferdes. Ich will nicht fiir meine Person als ein guter Reiter gelten, die Pahigkeit des Einzelnen emporheben, sondern fiir das Pferd will ich eine Lanze brechen, und fiir jeden, dem das Pferd eine Berufsnotvvendigkeit, eine Passion oder Liebhaberei ist, schreiben. Das Pferd selbst moge beweisen, dass es fehlerhaft behandelt wird, dass seine Leistungen um Bedeutendes unterschatzt werden und die Reitreglements veraltet sind. Ich lioffe, dass das ABC des Pferdefreundes das werde, was der Titel besagt, ein Freund des Pferdefreundes und ein Freund des Pferdes. ? Einleitung. Infolge meiner vieiseitigen Faclikenntnisse, die ich mir in Militar-, Renn-, Jagd- und Dressurstallungen des In- und Auslandes envorben, babe ich den Eindruck gewonnen, dass im allgemeinen Pferdeliebhaber und Pferdebesitzer nicht einmal die aller- nofcwendigsten Grundbegriffe auf hippologischem Gebiefce beherrschen. Dasselbe isfc in eine AVolke von Unklarheiten und Missverstandnissen gehullt. Traurig isfc audi die Tatsacbe, dass viele sich das Recht nehmen und das Recbt haben, liber ein Pferd zu urteilen, obwohl sie absolut keine Facbkenntnis besitzen. Dies ist aber auch nur moglieli, weil das Pach selbst jeder Basis entbehrt. In meiner Abhandlung will jeli niemand nahetreten, auch nichts charakterisieren, sondern nur die ldare nackfce Wahrheit nieder- schreiben und liber das psychische und organische Leben des Pferdes Neues liinzuffigen. Der Reiter sfcudierfc das Gebiet des Tierarztes; was niitzt ihm jedoch in der Ausiibung der Reitkunst die Bezoichnung der Korpertcile bis in die ldeinsten Einzel- heiten, wenn er die Hauplsache, die Gewichtsverhalr,nisse, die Entstehung der Gangart, die Schvverpunktiagen in der Bewegung des Pferdes nicht kennt? Der Tierarzfc lehrt die Erkrankungen des Tieres, stellt dieselben fest, doch niitzt die genaue Kenntnis dieser nicht, wenn man nicht vers telit, wie sie entstehen und wie man ihnen entgegen- treten karm,*) so dass sie uberhaupfc nicht eintreten? Allbekannt ist das Ergebnis, dass bei Distanzritten, wohl forcierten Leistungen, die Mehrzahl der Pferde erkrankt und einzelne aucli verenden. Die Erklarung hiefur wiil ich in meinen weiteren Ausfuhrungen geben und bei dieser Gelegenheit auch das Rennfach tangieren, denn auch hier gibt es mancherlei Irrtumer, die teuer zu stehen kommen. An der Hand anatoiniscber Abbildungen will ich die Geheimnisse des Pferdeorganismus aufdecken und so wird der Leser leicht entnehmen konnen, dass die Reitkunst eigentlich einfach isfc, dass viele bifctere Stunden der Enttauschung nur auf die mangelhaften Kenntnisse ihrer Lehrer zuruckzufiihren sind und die Unkenntnisse in der Anatomie des Pferdes dem- selben viele unnotige Leiden und intensive Schmerzen zufugen, ja selbst dessen Lebens- faden verkiirzen. In der Ausiibung meines Berufes als Reitlehrer, wurde mir des oftern die Frage vorgelegt, wieso ich so rasche Ei-folge erziele, da doch die Reit¬ kunst eine internationale Kunst sei. Sie ist auch keine nationale Kunst, aber ihre Er- lernung und Beherrscbung lhingt hauptsachlich ab von der individuellen Auffassung des Lehrers und diese kront den Erfolg. *) Gemeint sind natttrlich Berufskiankheiten und nicht Infektionslcrankheiten. 7 1. Kapitel. Das Innere eines normalen Pferdes. Vorerst eine Frage an die Reiter. Wisset Ilir, warum Ihr dem Pferde Hilfen gebet und was diese bezwecken sollen? Bedenket Ihr, wenn Ihr Im Sattel sitzet, was im Pferdekorper vor sich geht? Ihr vergleicht ihn mit einer Maschine. Ja, er ist eine Maschine, aber keine solche, die ein Techniker konstruieren kann oder jernals konnen wird. Denn jedes Bein, jede Sehne und jeder Muskel birgt nur soviel Kraft in sich, dass das Pferd die ihm von Natur aus auferlegte Arbeit zu leisten, seine Nahrung zu verschaffen und sich gegen seine Feinde zu schiitzen imstande ist. Friihzeitig hat der Mensch das Pferd sich dienstbar gemaeht, wobei ihm nicht allein der Korperbau des letzteren sondern auch dessen Charaktereigenschaften sehr zustatten kamen. So ist das Pferd Jahrtausende hindurch ein steter Begleiter des Menschen in Leiden und Freuden, ein treuer Freund im Kriege und eine sichere Stiitze 8 itn Erwerb. Wie erwahnt, liat die Natur dem Pferde soviel Kraft verliehen, dass es sicli ernahren und vrehren kanu. Durch den Schutz, die Pflege und Ernahrung, die der Mensch ihm angedeilien lasst, kann nun diese jetzt uberflussige Kraft des Pferdes iti Arbeitsleistung fiir den Menschen umgesetzt werden. Docli ist die Arbeitsleistung, die man vom Pferde fordert, eine unnatiirliche; denn soli das Pferd einen Reiter tragen oder einen Wagen zieben, so werden seine Korperteile iiberlastet. Docli steht es in der M.-icht des Menschen, dem Korper des Pferdes fiir die zu leistende Arbcit zu stahlen und zu starken. Bei richtig gestelltem Ivorper ltaben Avir ein gutes Reit- oder Wagen- pferd. Um den Korper des Pferdes zu den verscliiedenen Diensten tauglicli zu niachen, ist ein Vorgang notig, der irrtiimlichenveise oft „Dressur“ genannt wird, Avahrend dabei. wobl das Hauptgewicht auf die ,,Gymnastik“ zu legen ist. Sehen wir uns nun den Bau eines normalen Pferdes an (Figur 1, S. 7.) Das Tier steht wie auf 4 geraden Siiulen. Der massige Korperbau bat. seine riclitig stehenden Stiitzen. Auf den ersten Blick sehen wir, dass die Hinterbeine starkere Knochenbildungen auftveisen als die Vorderbeine, auch sind sie es, auf ivelchen der Korper, hauptsachlich ruht. Sie tragen den Korper, Avahrend die Vorderbeine denselbcn nur stiitzen. Diese werden mittelst Muskelbander am Korj^er festgehalten, konnen daher eigentlicli zu einer Kraftleistung niclit gut vorgestellt rverden. Die Hinterbeine zeigen uns VVinkeibildungen, von denen die wichtigsten nach vorne gerichtet sind. Der erste Winkel (Kniegelenk) in Verbindung der anderen Beimvinkeln gestattet dem Pferde, das Hinterbein unter seinen Rumpf zu schieben, Avahrend der z\veite im Beuken, der bis zum Kreuzbein reiclit, die Hebelkraft des ersten ubernimmt und sie nach vorne auf den vom Schulterblatt und Oberarm gebildeten Gfegemvinkel ubertragt, von dem sich dann das Gegenspiel zum Ausgangspunkt der Kraft vollzielit; denn die Winkelsymmetrale der Hinterbeine deckt sicli, vvie die Figur zeigt, mit der der Vorderbeine. Der Riickenliegt einem Wagenbalken gleiclt, auf den Einterbeinen, die mit einem Pederbau verglichen rverden konnen. Er steht den rvichtigsten Teil fiir den Reiter dar und erfordert daher das eingehendste Studium. Er ist der Uberbrager der Kraft, das Verbindungsglied nach vorne. Seine Konstruktion gibt das Mass des Seitenganges, gibt dem Pferd den Gang. Er kann sich Avolben und strecken und neigt sicli, eine Stiitze suchend, um seine Fortsetzuug, den Hals und den Kopf zu tragen, nacli vorne. Diese Stiitze ist ihm in den Vorderbeinen gegeben. De? Hals, die Fortsetzuug des Riickens, unterscbeidet sich rvesentlich von diesem. Er ge¬ sta tlet dem Pferd, da er nur auf einem Stiitzpunkt ruht, eine grossere Bervegungsfrei- lieit als der Riicken, rviervolil auch dieser aus einer von etastischen Zivischenraumen unterbrochenen Knocliensaule gebildet wird. Der Kopf, dem Halse aufgesetzt und nach allen Seiten liin drehbar, rvird in seiner zum Reitdienst erforderlichen Stellung durcli Muskelbildungen sovvie durcli die Olirspeicheldriisen stark behindert. Schon aus dieser kurzen Betrachtung ergibt sich ohnerveiters, dass das Pferd sein Eigengewicht rvie das des Reiters vorzugsiveise mit den Hinterfiissen fort- beivegt und dass die Vorderbeine in der Hauptsache nur als Stiitzen venvendet Averden. Es ist daher Ptlicht des Reiters, die von Natur aus bestimmten KrafttrSger vor allem :zur Arbeitsleisfcung heranzuziehen. Der Eeiter karm denmach nur durcli vollsfcandige Beherrschung der Hinterbeine des Pferdes dasselbe selbst beherrschen. Wir hatten bisher vorzugsweise das Knocbengerust des Pferdes im Auge und wenden uns nun zur Besprechung der ubrigen fiir unsere Zwecke in Betracht kommen- den Korpert.eile. Die ausiibende Kraft erzengen die Muskeln (Fig. 6). Sie iiberspannen das Knochengeriiste und sind je nach dem Knochenbau und der von ibnen zu leisten- den Arbeit verschieden gesfcaltet, ebenso wie sich die inneren Organe in ihrer Lagerung allem die Ohrspeicheldrusen unsere Aufmerksamkeit auf sich, da sie, wie wir gleich sehen werden, eine sehr wichtige Rolle spielen. Sie liegen zwischen dem Kopf und dem lefczten Halswirbel und werden durch die unkorrekte Stellung des Kopfes in einen ^»kiiv leidenden Zustand versetzt. Sie verursachen, da ibnen ihr Lager zu rvenig Raum bietet, entweder Schmerzen, die den Widerwillen des Tieres hervorrufen, oder beein- trachtigen, \venn sie aus ihrer Lagerung gebracht werden und auf den KehlkopP) ‘) KehIkopfschwund. 10 drucken, die Atmung, was wir facbmannisch als das Roliren bezeichnen .*) Durch diese beeinflussende Wirkungen der Ohrspeiclreldrusen und den vom Pferde hervorgerufenen Widerstand treten M u s k e l v e r s t a rk u n ge n in der Driisengegend auf, die einen starkeren Druck auf die Arterien und Venen verursaclien und so eine Blutstauung hervorrufen, die in der starkeren Bewegung oder hoheren Temperatur ihren Ausdrnck tindet. Wir ersehen also, dass auch ein vollkonimen normal gebautes Pferd bei un- richtiger Behandlung ein falsches Bild seines Charakters und seiner Leistungen geben kann. Beobachten wir nun ein gerades Pferd in seiner Bewegung. Wir werden sofort des leichten Untergreifens der Hinfcerbeine unter den Korper gewahr. Infolge der geraden Ruckenstellung kann der Sclnvung ungehindert von ruckwarts nach vorn ubertragen werden, da auch sovvohl die oberen wie unteren Ruckenmuskeln gleich- massig gespannt und gestreckt werden konnen. Die in den Hinterfussmuskeln erzeugte Kraft kann ohneweiters durch den Rucken wie es bei Maschinen durch die elastischen Riemen geschieht, nach vorne ubertragen werden. Die Vorderbeine konnen wie Gegen- federn den Schwung aufnehmen und ihn mit Hilfe der Gegenmuskeln wieder zuruck- geben, so dass eine volle Harmonie der Streck- und Beugemuskeln herrscht. Das Pferd bewegt sich gieichsam auf gleichmassig arbeitenden Bedern und diese ltennzeichnen den Gang des Riiekengangers. Das sichere Kennzeichen des Riickengangers ist somit die normale Haltung des Kopfes, in der der Nasenrucken mit der Vertikalen einen. VVinkel von ungefahr 10° bildet, so\vie die ruhige und gerade Haltung des Sctrvveifes, der Fortsetzung des Ruckens. Ausser der eigenen Fortbewegung bat das Pferd abcr noch die Aufgabe, den Reiter zu tragen. Wir wollen nun betrachten, \vie es diese- Aufgabe lost. Der Rucken des Pferdes ist von Natur aus nur zum Eigengebrauch desselben. bestimmt. Nimmt es nun die Last des Reiters auf, so muss es sich unter diese beugen, einbiegen. Dabei darf unter keiner Bedingung der Rucken des Tieres, der Ubertrager der Kraft, leiden. Daher muss auch der Reiter da.rauf bedacht sein, eine auftreibende, seiner Last entgegenvvirkende Kraft bervorzurufen. Dies vollfiihrt er, indem er die Ruckenmuskeln zu grosserer Kraftcntfaltung zwingt und die Bauchmuskeln zur Auf- nabme und Tragfahigkeit seines Gewichtes anspannt und starki. Von dieser Hilfe gegen das Reitgewicht, die ich als Gegengewichtshilfe bezeichnen mochte, wird hier, glaube ich, wohl zum erstenmal gesprochen. Aus ihr resultierl. die gerade Riicken- stellung. Es ist demnach auch ganz naturlich, dass das Pferd sich der von uns er- ■dachten Zaumung bedient, an diese sich anlehnt, um den Rucken in seine normale Lage empordrucken zu konnen. Dieses Anlehnen des Pferdes wird in der Fachsprache die Ante h nun g am Zugel genannt. Sie ist unter normalen Verhaltnissen nichts anderes als die Relation der Gegengevvichtshilfe zum Reitergewicht. Das Gesagte gilt natiirlich fiir Pferde mit geradem Rucken. Ein grosser Prozentsatz weist ausser Biegungen in der Langsrichtung auch andere Abnormitaten in *) Das Rohven kann jedoch auch eine k'oIgeerscheinung einer inneren Erkrankung sein, wie Brustseuche, Influenza etc. u -der Horizontalen auf. Die Abvveichungen der ersten Art sind in der natiirlichen Biegung ■ eines jeden Korpers, in der natiirlichen Schiefe, begriindet, gleich wie beim Menschen die linke Seite anders ansgebildet ist wie die rechte, die letzteren dagegen verdanken ihre Existenz einer minderen Entwicklung, hervorgerufen durch die Aufzucht und gekennzeichnet durch zu starke oder zu selnvache Ruckenformen. 2. Kapitel. Der Einfluss des Reitergewichtes auf die Bewegung und Parade, Fuhrung und Zaumung. Im ersten Kapitel habe ich auf die abnormalen Ruckenstellungen hinge- wiesen. Eine eingehendere Besprechuug derselben muss ich auf spiitere Kapitelu ver- legen, da es fiir jetzt von grosster Wichtigkeit ist, den Mechanismus eines mit dem Reiter belasteten normalen Pferdes in seiner Tatigkeit zu beobachten. Naturlich kann hier nur von einem normalen Pferde, wie es im vorangegangenen Abschnilt geschildert wurde, gesprochen werden, denn abnormale Stellungen gehoreri ja nicht mehr in das Gebiet der eigentlichen Reiterei, sondern deren Vorarbeit, der Gymnastik und in letzter Linie der Dressur un. Schon das Werk „Die nattirliche Reitkunst" behandelt die Gewichtshilfe als Haupthilfe und, ich glaube, mit vollem Recht. Denn der Reiter wirkt mit seinem Gewicht konstant auf das Pferd ein, was fiir ihn keine besondere Kraftentfaltung erfordert aber doch immer wirksam ist. Besteigt der Reiter ein durch- lassiges Pferd, so stelle er die Ziigel an und lasse seinem Gewiohte entsprechend Gerten-, Schenkel- oder Sporenhilfe wirken. Hat die Spannung den Grad der notvven- digen auftreibenden Hilfe ubersehritten, so wird das Pferd sich zu bewegen trachten, doch weiss es nicht, \vas der Reiter nun mit seiner forttreibenden Hilfe bezwecken will, vorausgesetzt, dass sein Gevvicht in den Schwerpunkt des Pferdes fallt. Das Pferd befindet sich jetzt im Moment der Sammlung. Der Schwerpunkt liegt bei einem stehenden normalen Pferde ungefahr eine Handbreite hinter dem Ub er ga n g des Wider- ristes*) zum Rucken. Neigt sich nun der Reiter bei gleichmiissiger Belastung beider Hinterfiisse des Pferdes mit seinem Oberkorper gegen die Hinterbeine des Tieres, also hinter die normale Sclnverpunktlage, so werden diese mit grosserer Sclnvere bedacht und bei fortdauernder auftreibender Hilfe die Sammlung des Tieres in zwei moglichen Ari en kennzeichnen. Hat. der Reiter angestellte Ziigel, so wird die uberfliissige Kraft, *) Ver Widerrist ist die Erhohung des Rtickens Uber der Schulter und verlauft in den Huls. 12 — .die er mit der Hilfe erzeugt, durch den Zaum zu ihrem Ausgangspunkt reflektiert.. Das Pferd vvird sich mit der Vorband im Verhaltnis zur Belastung der Hinterbeine- heben. Es entsteht ein Gang aus der hohen Schule, . die Levade. Bei losen Ziigeln wird der Schwung der nun einmal angeregten Muskeln der Stiilze nach vorne entbehren,. das Pferd wird den Scbwerpunkt zu erhalten trachten und die Hinterbeine unter die Schwere stellen, dem natiirlichen Impulse folgen und sich vorvvarts bewegen; es entsteht die Fortbewegung. Allerdings ist der Moment des Uberganges der Ruhe zur Bewegung eine Sache der Dressur. Belastet der Reiter ein rohes, von der Reiterei nocli nicht beeinflusstes Pferd, so wird dieses der natiirlichen Schwere folgen. Befindet sich der Schwerpunkt vor der Mittellinie, so werden die Vorderbeine die Funktion der Hinterbeine ubernehmen und es entsteht die Bevvegung nach riickwarts. Wir haben demnach drei Moglichkeiten in der Bewegung: 1. Die Bewegung im Schwerpnnkt, in der hohen Schule Piaffer genannt, eine schwunghafte Bewegung auf der Stelle mit allen vier Beinen; 2. Das Heben der Vorhand bei Belastung der Hinterhand (die Levade), und 3. Die Ruekwartsbewegung des Pferdes, wenn der Sclnverpunkt vor seiner nor¬ malen Lage liegt. Bei roben Pferden wird die Sammlung wahrscheinlich in ein negative« Resultat ausarten, sich im Boeken, Uberschlagen oder Niederlegen des Tieres aussern. Hochinteressant ist es, eine Abteilung junger Pferde zu beobachten, die das erstemal von Reitern belastet wird (Reglement). Die Bauart des Pferdes und der Sitz des Reiters kennzeichnet sich dabei in der Bewegung. Man sieht Pferde in der Levade, Pferde im Schritt, Trab und Galopp nach vor- und riickvvarts, normal vorgehende Pferde und auch solche, die sich bis zur Verzrveiflung der Aufnahme des Reitergewichtes vvider- setzen. Beobachten vvir den Bau der einzelnen Tiere und die. zu ihrer Abrichtung ervvahlten Reiter, so konnen wir sehen, dass jedes nach seinem Bau und seiner Be- lastung gehandelt hat. Unser osterreichisches Reglement enthalt die vvohl im hochsten Grad durchdachte Massenausbildung, ohne jedoch auf die individuelle Eigenschaft des Reiters oder des Pferdes nur irgendwie Rucksicht zu nehmen. Es erklart auch nicht die Gewichtshilfen, nicht die Anatomie des Pferdes, nicht die Schvverpunktlagen und ist daher auch vollkommen unzureichend. Daraus erklaren sich auch die viden Schtiden die vvir am Pferdematerial beobachten konnen, sovvie die vielen Stunden, die eigentlich nutzlos und ohne Erfolg in der Reitschule zugebracht vverden.*) Ein schlagender Bewcis hiefiir sind die alljahrlich zur Ausmusterung gelangenden Pferde. Bekanntlich bevvegt sich das Pferd in drei verschiedenen Gangarlen fort, im Schritt, Trab und Galopp. Welches Verhalten zeigt nun der Schwerpunkt in den einzelnen Fallen? In der vorausgeschickten kurzen Skizzierung desselben glaube ich bevviesen zu haben, dass die Schvvere des Reiters entscheidend auf die Bevvegungsart ') Infanterie-Equitation. 13 — isfc. Selien vvir uns nun die Schrittbewegung an; wir kčnnen an ihr deutlich vier Aufeinanderfolgen feststellen. Die Bewegung geht von der Hinterhand aus; der eine Hinterfuss ist die Treibkraft und bat seine Gegenfolge in dem ih m diagonal gegen- uberstehendem Vorderbein. Nach der Arbeitsleistung dieses ist das andere Hinterbein die Triebkraft und tindefc wiederum in dem ihm schrag gegeniiberstehenden Vorderfuss seine Gegenfolge. Der Riicken verhait sich dabei passiv. In der Trabbevvegung arbeitet gleichzeitig. ein Vorder- mit dem ihm entsprecbenden Hinterfuss. Der Riicken ist dabei nicht mehr passiv, sondern in Mitschvvingungen versetzt. In beiden Bewegungen gibt das Hinterbein die Schrittweite des vorderen und das Eeitergewicht oder besser, der nun herrschenda Sch\verpunkt, die Schrittlange an. Fallt der Sclnverpunkt des Reiters und der des Pferdes zusammen, danu wird das Tier stampfen. Kommt er jedoch liinter den des Pferdes zu liegen, so muss dasselbe mit dem Hinterbein unter sich greifen, um das Gleichgewicht zu erlialten und die Lange des Schrittes wird sich nach dem Verhaltnis der riickvviirtigen Belastung gestalten. Beim Galopp erzeugt mir ein Hinterbein die Triebkraft, denn der Galopp ist eine seitliche, sprungartige Beivegung. Das Pferd stosst sich mit einem Hinterfuss vom Boden ab und stiitzt sich auf den anderen, der zu diesem Zwecke im Moment des Absprunges vor dem ersten, die Kraft ausiibenden, zu stehen kommt. Im weiteren Verlauf der Beivegung stiitzt sich das Tier auf beide den Hinterbeinen entsprechend gehaltenen Vorderbeine. Die Wirkung des Scliwerpunkt.es aussert sich hier gerade in umgekehrter Weise wie in der Schritt- und Trabbewegung. Je weiter ruckwSrts die Schwere auf das kraftausiibende Hinterbein ivirkt, desto kiirzer muss dessen sprungartige Bewegung sein, um die Sclnvere zu erlialten, je weiter vor, desto langer. Je weiter riickwarts also die Sclnvere im Trab und Schritt, desto langer die Schritt- und Trabfolge, je weiter vor im Galopp, desto langer der Galoppsprung. Eine wohl ganz unnaturliche Bewegung ist die Marschmarsch- Bevvegung. — Reglement! In dieser leisten beide Hinterbeine gleichzeitig die Arbeit; das Pferd schnellt sich lancadenartig nach vor, das Gewiohtsverhaltnis ist jedoch dem im Galopp analog. Die Einstellung der jeweiligen Bewegung, ob Schritt, Trab oder Galopp ist Saclie der Dressur, die Massigung derselbeu in kurzere Fussfolgen dagegen nur durcli die direkte Eiinvirkung des Reiters mittelst seiner Schwere durchfuhrbar. Interessant ist die Beobachtung der Reiter in ihren Metiers. Der geubte Schulreiter trachtet mit seinem Kčrper unwillkurlich die moglichste Ausbeutung seines Gewichtes zu erzielen und sucht das Pferd durch seine weit hinter die Gurte zuriick- greifenden Hilfen zur Verlegung seiner Schwere zu zwtngen mit Untersetzen des Kreuzes. Dadurch entsteht der cliarakterislische Sitz des Suliulreiters, der jedoch bei naherer Betrachtung stabil ist. Der Jockei im Flachrennen trachtet, sein Gewiclit un- willkurlich weit nach vorne zu verlegen; dadurch entsteht der amerikanische Reitsitz, der, genau betrachtet, im allgemeinen ebenfalls stabil ist. Der Hindernis-Jockei nimnit gerne die Eigenschaften des Flachrenn-Jockeis an, was bei stabiler Haltung zur Katastrophe fuhrt. Wenn das Pferd den Sprung auch leicht absetzt, so wird es trotz- dem im Moment des Landeus durch das stabile Gewiclit seines Reiters infolge der Oberlastung der Vorhand niedergedruckt; rolliert hinter dem Hindernisse. 14 Wie bereits ervvahnt, ist zu einer richtigen ubergehenden Parade die An- wendung der Gewichtshilfe unbedingt erforderlicli, die Einstellung der Bewegung dagegen ist Sache der Dressur. Nehmen wir an, das Pferd befindet sicli in der Galopp- bewegung. Die Last liegt auf dem die Bewegung ausubenden Fusse. Der Bbergang aus der seitlichen Bewegung (Galopp), in welcber das Pferd infolge der Bewegungsart eine leichte Biegung des ganzen Organismus auf\veist, zum Trab erfolgt durch das- Geradestellen des Korpers, somit du r ch die gleiche Belastung beider Hinterbeine des Tieres. Der Reiter kann nun in zweifa,elier Weise auf das galoppierende Pferd ein- wirken, indem er es gleichinassig belastet oder seinen Einfluss durch den Zugei einseitig und entgegengesetzt dem kraftausiibenden Fuss geltend maclit. Das Tempo geben dabei die treibettden Hilfen, die Lange des Sptunges dagegen die momentane Einwirkung des Gewichtes an. Beim Ubergang vom Trab in den Schritt vrird das Pferd vom Ge\vicht des Rekers wohl nicht beeinflusst. Fflr die momentane Parade muss der Reiter den Schwung durch die Zaumung aufhalten und ihn an den Aus- gangspunkt zuruckwerfen, das Pferd also in liohere Sammlung nehmen. Des oftern wurde bereits der Zaumung gedacht.*) Die normale Zaumung bestelit aus einem Doppelgebiss; der wičhtigste Bestandteil an demselben ist die Stange, auch Kandare genannt. Sie bestelit aus einem nngefahr l'/ 2 cm dicken Mund- stiick, dessen mittlerer Teil eine halbmondformige Wolbung besitzt, in der die Zunge des Pferdes Platz findet. Dasselbe liegt den beiden zahnlosen Stellen des Unterkiefers auf und besitzt an den Enden zwei hebelartige Fortsetzungen, Hebelarme, von denen der kiirzere an die Halfter genaht oder geschnallt wird, der langere aber als Anhalts- punkt. der Zflgel dient. An den kiirzeren Enden befinden sieh zwei Hacken belmfs Aufnahme der Kinnkette, die bei richtiger Zaumung in der Ivinnkettengrube liegt und an beiden Enden mittels der Kinnkettenhacken an die Stange gebunden ist. Bei normaler Stangenlage sollen die Stangenarme 85° zur verlangerten Kinnladenlinie ge- neigt sein ; vor dieser Linie slrotzt die Stange, ilire Wirkung aussert sicli zu stark, vvahrend sie binter ihr ga,nz aufiiort. Die Liinge des kleinen Stangenhebels, (des Stangenoberarmes) soli sicli zu der des Grossen (Stangenunterarmes) wie 1 : 2 verhalten. Die Stange wirkt bebelartig und zwar auf beiden Seiten gleichmassig und beherrscht, durch ilire hebelartige Einrichtung in ihrer Wirkung verstarkt, ein geradriickiges Pferd durch die inneren Riickenmuskeln hindurch bis in den Hinterbeinen. Der zvveite nicht minder wichtige Bestandteil der Zaumung ist die Trense. Als ein in sich geteiltes Gebiss \virkt sie nicht hebelartig, wohl aber seitlich. Wahrend die Stange die Stellung des Pferdes erhalt, ermoglicht die Trense dieselbe. Von einer richtigen Ztigelhaltung kann nur die Rede sein, soferne sie der Anatomie des Pferdes entspriclit. Davon vvird jedocli spater gesproc-hen iverden. Ob die gebrauchliche deutsche oder franzosisehe Zugelfuhrung . die vorteilhaftere ist, daruber werden die Meinungen der Reiter wohl immer auseinandergehen. Beide in ihren Grundlagen gleich, schrc-iben tur die Wendung des Pferdes eine Drehung der zugelfuhrenden Hande vor und erheisehen *) Sielie Gi'af Wrangels „Das Buch vom Pferde“. 15 iagonalbewegung, t&uschender Gang. Fig. 6. Muskelgebilde eines riickenschwachen Pferdes. Fig. 7a. Abweichung des linken Vorderbeines von der normalen Beinhaitung. Aa Durchschnittslinie des normalen Beines, Bb Durchschnittslinie des Beines eines zehenvveiten Pferdes. C Knochenausbauchung (tjberbein), Folgeersclieinung der zehen- weiten Stellung. DD Ausbauchung der Ge- lenkskapsein infolge Oberdehnung im Gange (Galle). E Hufbildung der zehenweiten Stellung (schiefer Huf). F Normaler Huf (Bodenflacne). Fig. 7 A Normale Fusshaltung, B Fusshal- tung eines riickenschwachen Pferdes (Anlage zur Sehnenentzttndung). Fig 8. Haltung des Huf-, Kronen- und Sessel- beines eines riickenschwachen Pfer¬ des. VVinkel VV’ kleiner als 45°. Die Schnittlinien der einzelnen Knochen (1, 2a) verlaufen nicht parallel, die Mittellinie scbneidet dieselben. Die rotbezeichneten Stellen stellen Gelenkslilcken vor. (Anlage zum Ringbein). Fig. 9. Oberansicht eines riickenschwachen Pferdes in Verbindung mit der na- turlichen Schiefe. AB Mittellinie. Die natflrliche Schiefe und die Riickenstellung haben KOrperstellungen zur Folge wie sie Fig. 7, 7a und 8 veranschaulichen. Anmerk. Fig. 5, 6, 7, 7a, 8 und 9 zeigen die ein¬ zelnen KOrperteile des riiekenschwachen Pferdes. Das Pferd ist im Gebrauche min- dervvertig, hat geringe Fresslust, ein aufge- regtes Grundtemperament, da die inneren Organe durch die KOrperhaltung nachteilig beeinflusst w er d en. Fig. io. Knochengeriist eines riickenstarken Pferdes. Die Winkelsymmetralen (Aa,Bb) schneiden einander oberhalb der Verbin¬ dungslinie beider Winkel. Prellende, liarte Bewegung, die Vorderbeine hangen im Knie. Fig u. Oberansicht eines riickenstarken Pfer¬ des in Kombination mit der natiir- lichen Schiefe. Fig 12. Sprunggelenk eines riichenstarken Pferdes. Die Mittellinien der einzelnen Knochen (1, 2) schneiden die Durchschnitt- linie des Gelenkes (AB), es entstehen Ge- lenksliicken (rot bezeiohnet) und gedrangte Stellen im Gelenke (Spatanlage). Fig. 13. Gelenksstellungen des Huf- u. Kronen- gelenkes bei riickenstarken Pferden. Die Durchschnittslinien 1, 2, 3 schneiden. Winkel VV’ ist grdsser als 45°. Anlage zur Schaie. Die rotbezeichneten Stellen zeigen die Gelenksliicken an. Anmerk. Fig. 10,11,12 und 13 stellen Korperteile des riickenstarken Pferdes vor. Das Pferd ist in seiner Bewegung hart und nicht voll- wertig. Anatomisch-hippologische Anschauungstafei von Raimund Balzar.