(früher ..Allgemeine Eurregeln" betitelt) mit besonderer Berücksichtigung der atmosphärischen Cur Siebente verbesserte Auslage. 1890. Im Verlage des Verfassers und bei L. Fernau in Leipzig. Arnol'ü Wikl'i naturwissenschaftlicher Arzt in Veldes jOberkrain, Oesterreich) nnd in Florenz. Dir Grundlthren der Uaturheilkunde (frührr „Allgemeine Emregrln" betitelt) mit besonderer Berücksichtigung der atmosphärischen Cur. Molto: Die Ungleichheit bildet die Triebfeder der Bewegung im Weltgebiet. Von Arnold WikL'i naturwissenschaftlicher Arzt in Veldes (Oberkrain, Oesterreich) und in Florenz. Siebente verbesserte Auslage. Im Verlage des Verfassers nnd bei L. Fernau in Leipzig. Druck von Kleinmayr L Bamberg in Laibach. AbEeii'ungs-Weghter I. Abschnitt! Einleitung.2 II Abschnitt! Grundzüge der cm-mäßigen Anwendung der physikalischen Hilfs¬ mittel .ll) III. Abschnitt! Die einzelnen Heilelemente IV. Abschnitt! Verschiedene allgemeine Rück- und Vorausblicke.83 Alphabetisches "Register. Abhärtung und Hautkräftigung, die richtige, 42, 43, 46, 47, 54, 65. Abkühlungsformen, Indikationen derselben, 34. » Wirkung derselben, 35. Abreibung, Technik derselben, 106. Abtrocknung des Kopfes, 115. Abwaschung, Technik derselben, 106 Alpenstock, Nutzen desselben beim Bergsteigen, 159. Arbeit befördert die Verdauung, 152. Arzneigebrauch während einer Naturcur verdirbt dieselbe, 166, 175. Arzt, Wirkungssphäre desselben, 6, 20, 24, 111, 162. Augenbad, 125. Aussprüche zweier Autoritäten als Begründung unserer Erfahrungen, 72. Bad, kaltes, vor- und nachher, ist für Erwärmung zu sorgen, 157, 158. Bäder, erregende, müssen mit Reibungen verbunden werden, I2l. Barfußgehen, Wirkung desselben, 60, 61. » Berhaltungs- und Vorsichtsmaßregeln dabei, 61. Beinbad, Wirkung und Technik desselben, 123. Beischlaf beeinträchtigt die Cur, 167. Bekleidung während der Cur, 164. Bergsteigen, 156, 159. Bettdampfbäder nach Rikli, deren Vorzüge und Jndicationeu überhaupt, 52, 89. » Dauer und Wirkung derselben und allgemeine Verhaltungsmaßregeln, 90, 91. Bewegung, natürliche, 1, II, 12, 15, 156, 160. - durch Medicin erzeugte, schädliche, 16, 17. -> naturgemäß unterstützte, 17. Blut, entartetes, seine Ursachen und Folgen, 46. Blutwallungeu nach Kopf und Brust, 114. Blutwärme, 10. Brausebad, Wirkung und Jndicationeu desselben, 130. Cur-Diät, Beschaffenheit derselben, 154. Cur-Souuenbad, Anlage und Ausführung desselben, 80, 82. Cur-Sonnenbad, Dauer und Wirkung desselben, 82—84. » Modifikationen desselben und deren Indikationen, 85, 86. » erfordert Wasserabkühlung, 87. Dampfbäder (siehe Bcttdampfbäder). Diät, 144—155. Einpackungen, trockene nnd nasse, verschiedene Wirkung derselben, 92, 98, 99. » Dauer derselben, 103, 104. » Harn ist vorher abzulassen, 93. - kalte Fuße sind in einer solchen künstlich zu erwärmen, 96. » nächtliche, 103, 105. » partielle, Indikationen derselben, 95. 97. » unangenehme Erscheinungen derselben und Maßregeln zn deren Be¬ seitigung, 100, 101. Entzündung, Wesen derselben, 169. Erkältungskrankheiten, Wesen derselben, 55, 57. Erwärmungsfovmen, 27—29. » Hauptwirkung derselben, 30. » erregende Wirkung derselben, 31. » beruhigende Wirkung derselben, 32. >- Indikationen und Contra-Jndicationen derselben, 33. Fieber, künstliches, 31, 51. Fieber ist das Zeichen stärkster Heilungsenergie des Körpers, 163. Fieber, Wesen desselben, 169—171. Fußbad, Wirkung und Technik desselben, 123. Gänsehaut, 65. Gefäßsystem, 5, 6. Gehen bewirkt als die natürlichste Bewegung die beste Erwärmung, 156 — 158. Gesundheit, Begriff derselben, 1, 168. » meist nur relativ, 170. Halbbad, Technik, Dauer und Wirkung desselben, 110—112. Hautathmung, 40, 41, 46. Hautausdllnstung, gesteigerte, Ursachen und Wirkung derselben, 44 —49. Hautausstrahlung, die freie, Wirkung derselben auf das Blut, die organische Faser und den Geist, 41—43. Hautcultur, 39, 47. Hautfärbung, der Grad der, ist die beste Prognose, 88. Haut, geübte, 65. Hautreinigung, 50, 51. Haut, verkümmerte, und deren Folgen, 46. Heilen, 47, 48, 162, 163. Heilungselemente, 19. Heilungsverlauf, ist vorher nicht zu bestimmen, 188. Heilnngsvorgänge langwieriger Leiden beim Naturheilverfahren, 178-187. Hnngermangclkrisen, 153. Jugenderziehung, die richtige, 70. Kalte Füße, Maßnahmen zu deren Beseitigung, 96. Klysticre, Wassermenge und Wirkung derselben, 138, 140. Kopfbad, hinteres und seitliches, Technik nnd Jndicationen derselben, 125. Kopfwaschung, morgendliche, 111. Kraft, Begriff und Sitz derselben, 1, 2. Krankheiten, chronische, 171. Krankheit, Wesen und Ursachen derselben, 1, 18, 23, 47, 55, 179 171. Krisen sind Heilungsbestrebungen des Organismus, 171, 187. Leben, Begriff desselben, 1, 9. Lebensdauer, 7. Lebenskraft, 3, 176, 177. Leibbinde, 137. Licht, Einfluss desselben ans das organische Leben, 38. Lichtluftbad, 56, 72. - und Wasserbad, deren Verhältnis zu einander und deren verschiedene Jndicationen, 59. Lichtluftbad, Verhaltungsmaßregeln darnach, 62,63. » Requisiten, 73. besondere Ausübungsregeln, 73—79. ' » die den Bekleidungsgrad bestimmenden Unistände, 7-l. » Dauer desselben, 75. Unterhaltung und Gesellschaft während desselben, 76. Bewegung und Ruhe während und nach demselben, 77. Kopfschutz während desselben, 79. » und Cur-Sonnenbad verschieden, 87. Lichtlustcur, bei absoluter, die Eintheilung der Mahlzeiten, 78. Lüftung der Wohnräume, Kleider und Betten. 66, 68. Magensitzschaffeln, 119. Mahlzeiten, Zahl und Tageszeit derselben, 78, 149, 151. Mantelabreibung, Wirkung und Technik derselben, 107, 109. Medicin, schädliche Wirkung derselben, 16, 17. Mensch, der, ein Lichtluftgeschöpf, 38. Moleküle, Wesen derselben, 1. Morgenstund hat Gold im Mund, 160. Mundbad, Technik, Wirkung und Jndicationen desselben, 127. Nahrungsmittel, Auswahl individuelle Normaldiät ein Unding, 144, 147, 148. Nahrung, Menge derselben, 149. Nahrung muss gut gekaut werden, 152. Naturheilkunde ist an keine Jahreszeit gebunden, 161. Nervenkraft, 21, 37. Nervenkraft, Entwicklung derselben, 22. Nervensystem, 2, 6. Patient theilt außergewöhnliche Erscheinungen dem Arzte bald mit, 163, 165. Polarische Temperatnranwendung, Wirkung derselben, 25, 37, 45, 52. » » naturgemäß begründet, 52, 53. Prophylaxis, 51, 56, 7l. Regenbad ist mit Vosicht zu gebrauchen, 129. Reinigung, monatliche, 167. Ruhe, 160. Seele, 3. Schlafen bei offenen Fenstern, 67. Schmerzberuhigendes Verfahren, 133, 135. Schmerz, Wesen desselben, 168, 170. Schwammwaschung, Technik, Wirkung und Jndicationen derselben, 128. Schwäche, Wesen derselben, 169, 171. Schwitzen, 51, 82, 83, 94, 102. Schwnngathmen, 156. Sitzbad, gewöhnliches, Technik, Dauer und Wirkung desselben, 117, 122. Sitzbad, niederes, oder Aftersitzbad bei Hämorrhoidalbeschwerden, 120. Sonne, das vornehmste Lebenselemcnt, 69. Sonnenbad in Veldes, 84. Sonnenlicht, seine Eigenschaften und Wirkungen, 81, 88. Sonnenstich und dessen Behandlung, 88. Strahldusche, Technik und Wirkung derselben, Warnung vor deren Missbrauch, 131. Symptome werden meist mit der Krankheit verwechselt, 170. Tabakgenuss, 155. Temperaturveränderung, individuell begrenzt, 14. » Nothwendigkeit derselben, 13, 26, 36, 161. Thermalreize, Wirkung und Nothwendigkeit derselben, 58, 64. Triefmantel, 108. Umschläge, beruhigende, kalte Temperatur und Jndicationen derselben, 132, 134. Umschläge, beruhigende, warme, Temperatur und Technik derselben, 133. » erregende oder Wickelungen, 135, 136. Unterarmbad, Technik, Wirkung und Dauer desselben, 124. Unterhalbbad, 112. Unterleib (der) ist meist der Sitz, nicht aber immer der Herd der Krankheiten, 152. Vegetabil-Diät, meine Erfahrungen, Beobachtungen und Schlüsse über dieselbe, 145, 147. Verweichlichung, 54. Vollbad, Wirkung und Jndicationen desselben, 133. » Contra-Jndicationen und Verhaltungsmaßregeln, l16. Wassergnrgeln, Jndicationen desselben, 126. Wasserschnupfen, Jndicationen und Technik desselben, 126. Wassertrinken, 141, 143. Wärme, Wesen derselben, 9. Widerwillen gegen eine Cnrapplication ist stets zu beachten, 165. Wickel, siehe Einpackungen und Umschläge. Wollt gesund werden und ihr werdet gesund, 187. Vorwort ^(ach dem vorausgehenden Titel kann es nicht Zweck dieses Schriftchens sein, für alle möglichen Krankheitsfälle Anweisung in den verschiedenen Anwendungsformen von Licht, Luft und Wasser zu geben, sondern dies ist Sache der Verordnung oder eines sogenannten Hand¬ buches. Es wird ferner angenommen, dass man die wichtigeren Cur- anwendungsformen gesehen oder mitgemacht hat oder mehr weniger im Sinne hat, dieselben unter Anleitung zu gebrauchen, daher hier nur die seltener vorkommenden in ihrer technischen Beziehung näher beschrieben werden. In heilkundiger Beziehung handelt es sich bloß darum, die allgemein giltigen Grundsätze und die wichtigsten Svnder- regeln zur Kenntnis zu bringen, um sie nicht jedem Neuling wieder¬ holen zu müssen, sowie die Curleitnng im schriftlichen Wege (mit Hilfe exponirter Badediener) zu erleichtern. Dieses Schriftchen hat also wesentlich den Zweck, den Geist der Naturheillehre im allgemeinen klar zu legen, den Leser zu veran¬ lassen, auch zwischen den Zeilen zu lesen, nämlich mit Rücksicht auf seine eigenen Zustände folgerecht denken zu lernen, um richtige Schlüsse ziehen zn können. Je gründlicher dies erreicht wird, desto sicherer und rascher gelangen der Hilfesuchende und der Arzt zn einem beiderseits befriedigenden Ergebnis. 1 I. Abschnitt Einleitung. Leben ist Bewegung (der Stoffkleinsttheilchen, Moleküle),* Kraft heißt die Fähigkeit der Stoffbewegung, Gesundheit ist regelrechte Stoffbewegung, Krankheit bedeutet gestörte Stoffbewegung, folglich ist Kraft das Haupterfordernis zum Leben und der Gesundheit! -Wer Kraft hat, hat alles, wer keine hat, dem fehlt alles», sagt Jdeler. 2. Kraft wird beansprucht, um den Blutstrom durch den Körper zu treiben; Krast bedarf es, nm unfern Körper in Bewegung zu setzen, noch mehr, um außer dem eigenen Gesammtstoff (Körper) fremden Stoff zu bewegen, wie z. B. Lasten tragen, Erde bearbeiten rc. Nicht minder ist * Moleküle ist der Ausdruck für die denkbar kleinsten Theilchen unseres Körpers, ani besten als Blutdampf, Blutdnnst zertheilt oder aufgelöst sich vorgestellt; nur in diesem Form- oder Aggregatzustande vermag der Lebensstrom (Blut genannt) durch die Wände der Haargefäße normal sich verbindend und lösend durchzusickern (Exosmose und Endosmofe). Ed, Reich gibt in seinem Werke: «Der Mensch und die Seele» folgende De¬ finition über Atom und Moleküle: Alle Materie ist Aether; den Namen eines Atoms verdient nur das Atom des Aethers. Wenn eine Zahl von Aetheratomen zusammentritt, so resultirt erst ein Körperatom oder eigentlich ein Molekül, Der Aether ist ohne Qualität, ohne Anfang, ohne Ende, unerzcugbar, unzerstörbar: der Aether ist das Universum, Weil Un¬ veränderlichkeit das Wesen des Aetheratoms ausmacht, darum ist dieses absolut die Einheit, Achsendrehung des Aetheratoms ist der Pwtvthpns aller Erscheinungen, Seien wir specifisch menschlich und messen wir, vergleichen wir, bedienen wir Schwachen uns einer Krücke: Es enthalte der miltillionste Theil eines Cubik-Miltionimeters eine Miltillion von Atomen; nun drehe sich in jedem kleinsten Theile der Zeit, vielleicht im miltillionsten Theil einer Terze, ein jedes Atom einmal um seine Achse, Was resultirt daraus? Die Erklärung des letzten Grundes, die Erkenntnis des Alpha und Omega. Gibt es ein Sinnbild für das Begreifen dieser Verhältnisse? Für das Aetheratom ist vielleicht der miltillionste Theil einer Terze die Zeit¬ einheit, sür die Erde sind es 24 Stunden, sür ein Centralsonnensystem Billionen Jahre; für das Jnfusorium ist eine Minute dasselbe, was fünfzig Jahre für den Menschen sind, rc. rc. 3 Kraft vonnöthen, den Nahrungsstoff, welchen wir aufnehmen, regelrecht bis zu dessen Ausscheidung in Bewegung zu erhalten, nämlich den Verdauungsact, die Verähnlichung (Assimilation), die Rückbildung (in Ansscheidungsproducte) und die Ausscheidung selbst dnrchzuführen. Fragen wir nun: Wo ist der Sitz dieser Kraftquelle, welche alle möglichen Stoff¬ bewegungen, die sowohl im menschlichen Körper als durch denselben außerhalb ihm bewirkt werden? so lautet die Antwort: Das Gehirn und Rückenmark bilden dessen Mittelpunkt, von wo aus der ganze Körper, einem Telegraphennetz ähnlich, in feinen Nervenfäden und den feinsten Ausfaserungeu durchzogen wird. Die Haut als Grenzorgan unseres Körpers bietet ein vollständiges Nervenfasernetz (gewissermaßen einen Gegenpol zu Gehirn und Rückenmark), derartig, dass es in derselben keine Stelle gibt, wo ein Nadelstich oder ein Temperaturreiz nicht empfunden würde; mit anderen Worten, wo das innere Nervencentrum nicht dagegen mit gesteigerter Nervenbewegung rückwirkte (reagirte). 3. Allerdings kann man dem Nervensystem auch keine selbständige Bewegungsfähigkeit zuschreiben, sondern dasselbe ist jedenfalls ein be¬ wegtes Instrument, und fragen wir, durch was dasselbe bewegt wird, so bleibt uns kein anderer Ausweg, als die Antwort übrig: durch die Seele, deren Thütigkeit oder Aeußerungen wir Naturärzte gar oft mit «Lebenskraft» bezeichnen. Ob die Seele eine absolut gegebene Größe oder Kraft für die Lebensthätigkeit, beziehungsweise der Lebensdauer sei, oder ob dieselbe auch entwickelt, gesteigert werden kann, lassen wir hier als eine ungelöste philosophische Frage beiseite. Bezüglich ihres Haupt¬ instrumentes zwecks Zeugung und Belebung eines lebenden Einzel¬ wesens, Mensch genannt, nämlich bezüglich des Nervensystems, halten wir dies für einen unbestrittenen Grundsatz (Axiom). 4. Nachdem der Mensch das oberste Geschöpf auf dem Erdbälle dar¬ stellt und dieser letztere als ein Kind der Sonne sich erweist, lässt sich mit Fug und Recht der Satz aufstellen: Das Nervensystem ist verniöge seines feinen, räthselhaften Baues und seiner Wich¬ tigkeit im körperlichen Haushalte nicht nur das vornehmste Gebilde im menschlichen Körper, sondern überhaupt das höcyste vegetative Product der Sonne auf dem Erdkörper. Zur Begründung dürfen wir nur daran erinnern, dass die Lähmung eines kleinen Stückchens Nervenfaden, des Lungen-Magennervs (nurvus vugu«) oder des sympathischen Nervs, genügt, dem Leben ein Ende zu machen. Dies stimmt auch vollständig mit den durch den berühmten Chemiker Hensel in dem Schriftchen «Kurzer medicinischer Unterricht», Fol. 2, aufgestellten Satze: Heute aber wissen wir, dass es überhaupt bloß Nervenkrankheiten gibt. 4 5. Für nicht viel weniger wichtig, als das Nervensystem im organischen Haushalt, erkennen wir das Gefäßsystem oder das Blntröhrcnnetz, dessen Mittelpunkt das Herz darstellt. Von demselben aus verbreitet sich ein Aus- strömungs- und Rückströmungs-Röhrennetz, ebenfalls mit den feinsten Ausfaserungen (Haargefäße, Capillarien) versehen, in sämmtliche Körper- theile, selbst in die harten Zähne, um Neustoffe abzugeben und wieder Altstoffe anfzunehmen. Die übrigen Organe, nämlich Verdauungscanal, Lunge, Leber, Nieren, Milz, Drüsen, Schleimhaut rc., können wir grundsätzlich nur als verschiedenartige Anhäufungen des Nerven- und Gefä߬ netzes mit mehr oder weniger eingewebter Muskelfaser ansehen, deren eigenartige Thätigkeit mittels organischer Durchseihung (Endosmose und Exosmose) uns stets rüthselhaft bleiben wird. 6. Nachdem alle Bewegung vom Nervensystem ausgeht, so verhält sich auch das Gefaßnetz ohne die Anregung (Impuls) des ersteren trüge, unthätig. Beide sind in ihrem Wirken so eng verknüpft, dass sie sehr wohl sinnbildlich mit einem Ehebündnis verglichen werden können, wovon das erstere dem commandirenden, dirigirenden Manne, das letztere dem fruchttragenden, emsigen Eheweibe entspricht. Je har¬ monischer diese beiden Ehehälften zusammen arbeiten, desto schöner blüht der Baum der Gesundheit und trägt dementsprechend Früchte. Diese Harmonie bildet sowohl die Grundlage für die Gesundheitserhaltung, als sie das unverrückbare Ziel sein muss zwecks Wiedererreichung der verlorenen Gesundheit. Mehr als dies zu erlangen, ist für den Arzt unmöglich; über diese Wirkungssphäre hinaus bleiben ihm alle Thüren verschlossen, mit anderen Worten: Der Arzt sorgt (eurirt) für mög¬ lichste Unterstützung des Säftekreislaufes und — die Natur heilt! Einem berühmten Anatomen wurde von einem Laien gesagt: -Nun, Sie müssen den menschlichen Körper wohl genau kennen.» — «Ja», antwortete er, «wir kennen denselben wie die Straßen einer Stadt, allein was in den Häusern (sinnbildlich in den Zellen der Organe) vor¬ geht, das wissen wir nicht.» Wir können also nur dahin mitwirken, daß alle Straßen und Wege (Nerven- und Blutbahnen) rein, wegsam und belebt gehalten wer¬ den, damit der Lebenssaft regelrecht überallhin ströme; das übrige müssen wir der Mutter Natur überlassen. 7. Durch das bisher Gesagte schließen ivir, dass die Gesundheit und ein langes Leben bedingt wird durch: 1. ) eine starke Seele, 2. ) ein kräftiges Nervensystem, 3. ) ein hoch entwickeltes, regelrecht arbeitendes Gefäßsystem. 5 Es mag sein, dass diese einfache Darstellung der Grundlage ärztlichen Wirkens für den ärztlichen Stand ein zn offenes Bekenntnis in sich schließt, allein es ist überflüssig, sich deshalb sanguinischen Vor¬ stellungen hinzugeben, denn die praktische Durchführung, nämlich die individuelle Verwertung, bietet der Schwierigkeiten genug. 8. Alles in der Welt Bestehende ist nur von relativer Vollkommenheit, nämlich bestimmt, verbessert, entwickelt zu werden, von einer tieferen Stufe zu einer höhern zn gelangen. In dieser Beziehung lassen wir die Seele, wie schon früher erwähnt, als ein ungelöstes Problem außer Frage und halten nns bezüglich der Entwicklung an ihre zwei Haupt¬ instrumente, nämlich an das Nerven- und Gefäßsystem. 9. Unser Einleitungssatz lautet: Leben ist Bewegung der Kleinst- theilchen; gleichlautend heißt der Mayer'sche Lehrsatz: Wärme ist die Bewegung der Kleinsttheilchen, folglich ist Leben und Wärme-Erzeugung gleichbedeutend, was uns das alltägliche Leben vollauf bestätigt, denn beim Tode wird der Körper kalt. Mayer sagt nicht, eine bestimmte Wärme oder Temperatur bedeute die Bewegung der Kleinsttheilchen. Da aber jeder Sache oder Person eine Temperatur (positive und negative Wärme) eigen ist, so folgt dar¬ aus, dass die jeweilige Wärme eines Körpers oder Gegenstandes genau den Bewegungsgrad seiner kleinsten Theilchen darstellt. Demgemäß bewirkt jede Temperatur-Anwendung oder Uebertragung ans den mensch¬ lichen Körper (Abkühlung, Erkaltung, Erhitzung) eine vermehrte oder ver¬ minderte Bewegung seiner kleinsten Theilchen nach irgend einer Richtung. 10. Alles Pflanzen- und Thierleben gedeiht nur unter einer bestimmten Wärme der umgebenden Lnft oder des umgebenden Wassers, sowie bei eineni bestimmten Wärmegrad seiner Lebeflüssigkeit. Beim Menschen ist bekanntlich der normale, d. h. der durchschnittliche Wärmegrad seines Lebensstromes, Blut genannt, 29'//oder 37 ° (1. Ob die innern Organe dieselbe, d. h. eine höhere oder tiefere Wärme erzeugen, ist noch nicht aufgeklärt. Damit ist noch keineswegs gesagt, dass unser Blut normalerweise keine höhere oder tiefere Temperatur aufweisen dürfe; gegentheils sind wir der Ueberzeugung, dass, weil es in der Welt nichts Feststehendes gibt und namentlich unser Lebensmeer, die Luft, fort¬ währenden und großen Teinperatnrveränderungen unterworfen ist, eine tägliche Steigerung der Blntwärme durch Muskelbewegung oder Sonnen¬ schein und ein Niedergang derselben unter den Durchschnittsgrad durch 8 kühle und kalte Luft eiu Naturgesetz sei, welches, weuu wir es eiuhalteu, außerordentlich viel sowohl znr Erhaltung als zur Wiedererlangung der Gesundheit beiträgt. 11. Wenn Bewegung Leben ist, verstehen wir hierbei Bewegung im weitesten Sinne und nicht bloß die Distanzbewegung, nämlich von einem Punkte zu einem andern mittels der Beine. Es gibt noch eine andere ebenso wichtige, allerdings weniger in die Augen fallende Bewegung, nämlich die Pendel- oder Localbewegung. Dieselbe ist scheinbar keine Distanzbewegnng, und dennoch ist sie es, wenn sie genau angesehen wird, nämlich für die Kleinsttheilchen. Mit Ausnahme der Beine sind unsere sämmtlichen Organe auf die Local- oder Pendelbewegung, d. i. Zusammenziehung und Ausdehnung, angewiesen, was wir uns am besten an dem «Lunge» genannten Organe vergegenwärtigen. Bekanntlich besteht dieselbe aus einer eigenartigen Zusammensetzung feinster Nerven¬ fasern, Blutgefäße, Lustbläschen und Muskelgewebe. Beim Einathmeu der Luft wird diese sammt Blut in die Lunge gedrängt, wodurch das ganze Organ wesentlich ausgedehnt wird; die Ausdehnung besteht indes mir darin, dass alle Kleinsttheilchen sich von der Stelle begeben, be¬ ziehungsweise sich lockerer aneinander reihen, und bei der Ausathmung oder Zusammenziehung des Organes wieder an ihre Stelle zurückkchren. Es findet also eine Hin- und Herbewegnng, d. i. eine Pendelbewegnng der Kleinsttheilchen, statt. 12. Die Local- oder Pendelbewegung ist, genau besehen, ein Abschnitt (Segment) der Kreislaufbewegung und snmmirt sich durch ihre häufige Wiederholung zu einer vollständigen Kreislaufbewegung, weil schließlich in der Welt alles auf Kreislanfbewegung ausgeht und damit endet. Fahren wir z. B. mit einem Eisenbahnzug irgendwohin und wieder zurück, so legen wir einen Kreislaufabschnitt auf der Erde zurück; fahren wir geradeaus weiter und weiter, so begehen wir den directen Kreislauf uni die Erde. 13. Aus dem Vorausgehenden wissen wir, dass jede Temperatur¬ veränderung (Alteration), welche auf unfern Körper übergeht, zuerst stets das Gefühlsorgan, nämlich das Nervensystem, berührt und bewegt; blitzesschnell geht diese Bewegung auf das Gehirn-Rückenmark über und von da auf die verschiedenen innern Organe, in erster Linie auf das Gefäßsystem. Wie bekannt, wirkt die Kälte nach einem physikalischen Gesetz zusammenziehend, die Wärme ausdehnend auf alle Körper, beziehungs¬ weise Stoffe; dies findet in umso höherem Grade statt, je entwickelter organisirt ein Wesen ist, wie die höheren Thierclassen und der Mensch durch ein feingebautes Nervennetz! 7 Wir haben es sonach in der Hand, durch methodische Temperatur- anwendungen der uns umgebenden Lebensflüssigkeiten, Licht, Lust uud Wasser, gesteigerte oder verminderte Bewegung der Kleinsttheilchen oder verschiedene Wärme in unserem Organismus vermittelst des Nerven¬ systems hervorzurufen. Der Lebensprocess besteht ja überhaupt darin, dass wir durch ansgenommene Nahrung neues Bewegnngsmaterial zuführen, damit Wärme erzeugen, dieselbe wiederum durch Ausstrahlen, Ausdünsten (directe Abkühlung) und Schwitzen (indirecte Abkühlung) wieder abgebeu und so den Kreislauf der Stoffkleinsttheilchen aufrecht erhalten. 14. Weil unsere Natur nur bei der durchschnittlichen Temperatur des Blutes von 29'// kt bestehen kann, so liegt ihr stets das Streben inne, diesen Durchschnittswärmegrad zu erhalten; man kann sie deshalb durch künstliche und natürliche Kältereize (Wärme-Entziehungen), mehr oder- weniger zwingen, gesteigerte Wärme zu erzeugen, indem sie die ent¬ zogene rasch zu ersetzen strebt. Dies hat indes seine individuelle Grenze; wird die Wärme-Entziehung durch zu kalte Flüssigkeiten, zu oft wieder¬ holte Anwendung, zu lange Dauer derselben übertrieben, so ruft dies eine zu starke Zusammenziehung (Erstarrung) hervor, in erster Linie der Nervenmasse, und in deren Folge der Blutgefäße, der Muskeln, kurz, des ganzen organischen Gewebes; dessen Ausdehnungs-Spannkraft oder die Localbewegung (Elasticität) wird niedergedrückt, und es tritt das Gegentheil von dem ein, was man erzwecken wollte, nämlich statt ver¬ mehrter eine verminderte Wärme-Erzeugung. Aehnlich ist der Vorgang bei zu viel Wärme-Anwendung durch Warmwasserbäder, Dampfbäder, Heißluftbüder, Sonnenbäder und Schwitzpackungen. Die organische Faser wird allzusehr ausgedehnt, gelockert, dadurch die zusammen¬ ziehende Spannkraft ebenfalls niedergedrückt, in erster Linie im Ner¬ vennetz die Localbewegung verringert, in deren Folge weniger Wärme erzeugt und Frösteln hervorgerufen. Werden Kälte- und Würmereize vereint übertrieben, so tritt eine unnatürliche oder krankhafte Aufregung oder Abspannung des Nervensystems ein. 15. Dass Bewegung, nämlich die Localbewegung unserer Organe, ein rein physikalischer Vorgang, die Erst- und Hauptwirkung des Lebensprocesses sei und nur hierdurch die Erzeugung chemischer Pro¬ ducts hervorgerufen werden kann, werden wir handgreiflich durch ein Beispiel erläutern. Wollen wir essen, muss die Hand vom Teller zum Munde sich bewegen, hier kann wiederum nur durch Bewegung der Zunge, der Wangen, der Kaumuskeln das Kauen vor sich gehen uud der Saft der Unterzungendrüsen zur Einspeicheluug sich absonderu. Uni 8 den Speisebrei in den Magen zn befördern, bedarf es der vereinten Bewegung der Zunge und der Schlundmnskeln. Der Verdauungsact des Magens, d. i. die Absonderung des Magensaftes und die Abstoßung des Speisebreies in den Zwölffingerdarm, geht nur unter dessen kräf¬ tiger Zusammenziehung und Ausdehnung vor sich. Zur Einführung des Bauchspeichelsaftes uud der Galle in den Zwölffingerdarm bedarf es der Bewegung der Bauchspeicheldrüse und der Leber, ebenso der wurm¬ förmigen Bewegung der Gedärme, um den Speisesaft einzuzieheu und die Fäces zum After zu fördern, und endlich bedarf es hier der kräf¬ tigen Bewegung der Mastdarmmuskeln, des Zwerchfelles und der Bauch¬ decke, um den Aschenkasten zu leeren. So gibt es im Körper absolut keine Leistung (Function) eines Organes, wo nicht die Bewegung des¬ selben die Grundbedingung bildete, versteht sich: stets unter voraus¬ gehendem Impuls des Nervensystems (Innervation). 16. Die verschiedenen chemischen Erzeugnisse oder Arbeitsleistungen der Organe, wie: Kohlensäure aus der Lunge, Harnsalze aus den Nieren, Galle aus der Leber rc., sind doch wahrlich nur secundäre Wirkungen des Lebensprocesses. Die Bewegung, ein rein physikalischer Vorgang, ist überall die vorausgehende Lebensthätigkeit. Wenn wir daher, mit Aus¬ nahme der Nahrung, durch rein physikalische Mittel dem Organismus zu- hilfe kommen, so stehen wir der Wahrheit der Natur gewiss viel näher als die Chemiker (Mediciner). Offenbar verwechseln die letzteren die Wirkung mit der Ursache, wenn sie mit Chemikalien Bewegung in den Orga¬ nismus bringen wollen, wie z. B. durch ein Abführmittel Bewegung in die Gedärme. Allerdings kann durch ein chemisches Reizmittel, welches nicht Nahrungsmittel ist, sondern aus einem absoluten Fremdstoff für unfern Körper besteht, Bewegung oder Stillstand in die Gedärme gebracht werden; allein welcher Art ist diese Bewegung? Sie gleicht vollständig derjenigen, welche durch langen Haber (Peitsche) den Pferden bei¬ gebracht wird, der unvermeidlich Ermattung, Abschwächung nachfolgen mnss. Warum letzteres? Die Darmnerven, durch einen Fremdstoff gereizt, trachten, denselben so schnell als möglich los zu werden, aus dem Tempel zu schieben, zwingen das Gefäßsystem, außergewöhnlich viel Säfte zur Lösung und Transportfähigkeit abzusondern, und die Darm¬ muskeln, durch außergewöhnliche Zusammenziehung und Ausdehnung mitzuwirken. Sind sie alle drei vereint durch übermäßige Anstrengung einen Feind losgeworden, so folgt darauf Abspannung, wie nach jeder außerordentlichen Thütigkeit, bei häufiger Wiederholung Schwäche zurücklassend, wie die Erfahrung genügend lehrt. Nahrung verhält sich aber als Freund der Gedärme, statt als Feind, und erfordert keine übermäßige, unnatürliche organische Anstrengung. 9 17. Wie ganz anders ist das Verhältnis, besonders in der Nach¬ wirkung, wenn wir die Gedärme physikalisch unterstützen, nämlich durch Külte- uud Wärmereize, direct und indirect, wie durch Sitzbäder, Uuter- leibsbrausen, Klystire, Barfußgehen und überhaupt Fußbewegung; ferner dnrch veränderte Nahrung, längere Ruhepausen rc. Hierdurch werden die Darmnerveu, die Blutgefäße und Muskeln rc. naturgemäß unterstützt, denselben die Arbeit erleichtert, so dass Kräftigung als Nach¬ wirkung eintritt. Dieser getreuen Darstellung des Sachverhaltes entsprechen denn auch die großartigen Erfolge der Naturheilkuude, welche mehr und mehr die Aufmerksamkeit des Publicums auf sich ziehen. Ganz ähnlich verhält es sich, um weniger Bewegung in den Organismus zu bringen, resp. dieselbe zu dämpfen, wie z. B. in Neu¬ ralgien (Nervenkrämpfe) oder bei Fieberhitze. Die gewaltsame Nieder- drückung durch chemische Fremdstoffe, ganz gleichgiltig, wie sie heißen, bewirken alle mehr weniger Halb-Nervenlähmung (Parese), welche stets in andern Organen Schlaffheit oder Schwächung nach sich zieht, woraus mit der Zeit wieder neue secundäre Leiden, nicht selten Ganz- lähmnngen entstehen. Die physikalische Beruhigung der Nerven- und Blutbahnen lässt bei vernünftiger Anwendung stets Belebung und Kräf¬ tigung als Nachwirkung zurück, weil sie nicht mit Fremdstoffen (Giften) zu kämpfen gehabt haben, sondern in ihrem Streben direct unterstützt worden sind. 18. Im Eingänge sagten wir, Krankheit sei gestörte Stoffbewegung; vom philosophischen Standpunkte beurtheitt, müssten wir sagen: Krank¬ heit sei der Kampf der Seele gegen abgelebte Körpertheilchen. Dieser Zu¬ stand bildet die Einheit aller Krankheitsformen, wie es auch mir eine Gesundheit gibt. Die tausend verschiedenartigen Formen, unter welchen das Kranksein uns vor die Augen tritt, dürfen nicht mit dem Wesen derselben, nämlich der Kreislaufstörung der Säfte, verwechselt werden. Diese ist stets das Vorausgegangene, die Ursache der Erkrankung, die wirkliche Krankheit, daher kann das einzige Ziel der Corrigirnng nur die Wiederherstellung der Kreislaufströmung sein, ^ie äußern, sowohl sichtbaren als bloß empfundenen Erscheinungen (Symptome) bilden mei¬ stens nur das Leiden des Erkrankten, nämlich gesteigerte Nerven- und Gefäßthätigkeit zwecks Beseitigung der Kreislaufstörung. Leider werden die Symptome jedoch fast ebenso oft als das Wesen der Krankheit angesehen und mit allen nur erdenklichen Mitteln zum Nachtheile der Erkrankten bekämpft und niedergedrückt. 10 II. Abschnitt. Grundzüge der curmPgm Anwendung der physikalischen Hilfsmittel. 19. Die Heilungselemente. Streng genommen, gibt es absolut keine Heilmittel, am aller¬ wenigsten chemische, weil nur die Natur heilt, nämlich die seelische Lebenskraft vermittelst ihrer Hauptwerkzenge: Nerven- und Gefäßsystem. Was man gewöhnlich Heilmittel nennt, sind nur Beruhiguugs-, Däm- pfungs-, Unterdrückung^ oder Aufregungsmittel der organischen Thätig- keit. Welcher Art die chemischen Mittel wirken, haben wir beispielsweise im § 16 auseinandergesetzt und erwähnen derselben nicht weiter, weil sie, naturwidrig, nie in die Naturheilmethode eingereiht werden können. Die physikalischen Hilfsmittel heißen Licht, Luft, Dampf, Wasser, Bewegung, Ruhe, Magnetismus, Elektricität und veränderte Nahrung. Obenan steht das Licht (Sonnenlicht), die Mutter alles Lebens; ist dasselbe auch nicht von so unmittelbarer Lebensnothwendigkeit wie die Luft, so ist es dennoch wichtigerer, höherer und feinerer Natur, weil selbst die Luft ohne Besonnung verdirbt, die besonnte Luft, höher ent¬ wickelt, gesunder sich erweist. Ganz ein ähnliches Verhältnis besteht zum Wasser; außerdem gibt es ohne Sonnenlicht keinen Dampf oder Dunst in der Luft, welcher zum Leben unumgänglich nöthig ist. Kurz, denken wir uns den Erdkörper eine Spanne Zeit, z. B. nur eine Woche lang, ohne Licht, alles stürbe ab, sofort entstünde ein allgemeines Grab! Wie schon gesagt, können alle obgenannten physikalischen Hilfsmittel keinen Anspruch auf positive Heilmittel machen, ihrer Urbestimmung nach sind sie nur Lebenselemente. Durch deren methodische Anwendung zur Nachhilfe am menschlichen Körper hat man sich daran gewöhnt, dieselben Heilmittel zu nennen. 20. Laut Z 6 obliegt dem Arzte keine andere Aufgabe, als die Kreis¬ laufstörung ausfindig zu machen und zu deren Wiederherstellung sein Möglichstes beizutragen; wir müssen deshalb dieser Störung etwas näher treten. Dieselbe besteht stets in einer periodisch oder anhaltend unnatürlichen Anhäufung oder Durchkreisung der Lebenssäfte, Nervenöl und Blut, in irgend einem Körpertheil, dafür in einem andern Theile deren zu wenig kreisen. Natürlich schlussfolgernd haben wir dort, wo zu wenig Stoffbewegung sich bemerkbar macht, bewegungsanregend und im entgegengesetzten Falle bewegungsberuhigend vorzugehen, was einer bloß localen Behandlung gleichkäme; indessen ist hier ein wichtiges 11 aber» einzufügen; nämlich selbst diese einfache Krankheitserklärnng (Diagnose) ist selten mathematisch sicher festznstellen, und müssten wir häufig fehlgehen, wenn diese unsichere Diagnose die einzige Grundlage der Behandlung böte. Eine bloße Localbehandlung bei irgend wichtigerem Leiden beweist stets Kurzsichtigkeit des Arztes im organischen Haushalte, und müssen wir sie als eine stümperhafte Flickarbeit erklären. 21. Jedes Einzelwesen bildet ein unversehrbares (integrirendes) Ganzes, mithin ist auch jede Kreislaufstörung oder Krankheit das Merkmal (Kriterium) feiner Ganzheit und daher vernunftgemäß der Gesammt- organismus zur Verantwortung, d. i. znr Corrigirung der Störung heranzuziehen. Kraft (Nervenkraft) heißt, wie eingangs gesagt, die Haupttriebfcdcr des Kreislaufes oder der Stoffbewegung; somit bleibt Kraftentwicklung, Kraftförderung, nämlich kräftigende Ganzbehandlnng des Organismus, das Haupterfordernis und die Localnachhilfe das untergeordnete. Wird erstere dem Nervensystem beigebracht, dann versteht es Mutter Natur schon selbst, den Fehler zu finden, den wir Kurzsichtige häufig nicht bestimmen können; sie beseitigt denselben in mehr weniger Zeit, wenn überhaupt noch Heilung möglich, d. h. keine sogenannte organische Ent¬ artung vorliegt. Meistentheils verschulden wir selbst durch zahlreiche Lebensfehler die Schwächung, die Erkrankung; allein auch abgesehen hiervon, weil alles Erschaffene nur relativ vollkommen besteht, so kann auch das gesundeste Nervensystem Entwicklung und Kräftigung erlangen. 22. Stellen wir nun die Frage: Wie erreichen wir Kräftigung des Nervensyitemes, so gibt hierauf ein altes Sprichwort: «Uebung macht den Meister», die beste Antwort: nämlich Uebung seiner Bewegung, d. i. der Zusammenziehung und Ausdehnung durch natur¬ gemäße Einflussnahmen. Tie natürlichen Einflüsse bestehen in den Temperatur-Veränderungen (Variationen) durch Licht, Lust und Wasser, auf unsere Haut geleitet — diese übeu das Gefühls- oder Gefä߬ nervensystem, sowie Muskelthätigkeit das Bewegungs-Nervensystem, — endlich in Nahrungsveründerung, die, wie jede Äenderung (Differen- cirung), neue Bewegung hervorruft. Ebenso nothwendig und heilsam wirkt ein verändertes Gemüthsleben durch Unterhauung, Zerstreuung, Musik, Tanz, schöne Gegend, Ausflüge, Schiffahrt rc.; auch diese Lebensreize erzeugen neue belebende Bewegung im Nervencentrnm und dessen Ausstrahlungen. 23. Boni Standpunkte dieser einfachen Auffassung jeglicher Art des Krankseins verliert die Diagnosenstellnng nach medicinischer Namen¬ taufe den großen Nimbus (Schein), welchen man ihr beigelegt hat; sie entbehrt für die Naturärzte fast jedes praktischen Wertes, zumal soviel Begriffsverschiedenheit über ein und dieselbe Benennung herrscht 12 und enorme Irrungen dabei unterlaufen, wie die Erfahrung dies tausendfältig gelehrt hat. Nur eine falsch gelehrte Haarspalterei kann in jeder Krankheit etwas Besonderes sehen und sie deshalb in ein Ab- theilnngsystein mit Clasfen und Species zwängen wollen, welches in Wirklichkeit gar nicht besteht. Es ist dies eine menschliche Krücke, die, je mehr man sich ihrer bedient, dahin führt, den Wald vor lanter Bäumen nicht mehr zu erkennen und das Wesen des Krankseins aus den Augen zu verlieren. Mögen die Aeußerungsformen noch so ver¬ schieden sein, dieselben bedeuten stets den Kampf der Seele mit ab¬ gelebter Körpermaterie oder mit fremden, in unsere Körper eingedrun¬ genen Stoffen, oder auch Herstcllungsthätigkeit des verwundeten Körpers, kurz gesagt, eine Erneuerungsthätigkeit der Lebenskraft. 24. Die Einzelwesen (Jndividuitäten) unterscheiden sich darin, dass sie eine ihnen eigenthümliche Wahrnehmung, Empfindung und Vorstellung aller äußeren Einwirkungen besitzen, mithin auch die physikalischen, die chemischen (nahrungsstofflichen) nnd seelischen Einflüsse verschiedentlich aufnehmen und darauf rückwirkeu. Ans diesem Grundsatz fußend, gibt es keine absolute Heilungsvorschrist (Norm), weil alle äußeren Ein¬ wirkungen auf unfern Körper relativer Natur sind, was besagen will, dass der Arzt ebensoviel die Eigenheit der Jndividuität, als die Strömnngsstörnng in deren Körper zu studiren hat. — Alle in Lehr- und Handbüchern aufgestellten Vorschriften, Krankheiten nach medicinischer Benennung zu behandeln, siud daher sehr zweifelhaften Wertes, weil alles systemmäßig oder bestimmt hierüber Aufgestellte bestenfalls als ein Mehrheitsresultat gelten kann. 25. Die Naturheilkunde, insofern sie es mit der Anwendung verschie¬ dener Temperaturen zu thun hat, heißen wir auch Termotherapie. In derselben gilt als allgemeiner Grundsatz, dass große Temperatur¬ unterschiede erregend auf das Nervensystem und Gefäßsystem, kleine Unterschiede stärkend und beruhigend auf jene Strömungsnetze einwirken. Wird also dem Körper vor einer Abkühlung Wärme zngeführt, so kommt hiedurch ein größerer Temperaturunterschied ans der Haut zur Geltung; eine um so größere Nervenerregung geht vor sich, als man den Unterschied weit gewählt hat. Eine solche Doppel-Tcmperatnr- anwendung nennt man eine paarig entgegengesetzte oder polarische. 26. Einseitige Temperaturanwendnngen durch lange Dauer in einer bestimmten Form, wie z. B. kalte Umschläge, welche rasch erneuert werden, warme oder kalte Vollbäder, Sonnenbäder, Luftbäder, Feuchtwicklungeu iu längerer Dauer oder öfterer rascher Wiederholung, wirken beruhigend, erschlaffend, bei höherem Grade erdrückend, lähmend ans die vorbenannten Bewegungssysteme. Wir können daher den täglichen Kaltwaschungen 13 ohne ab und zu vvrgenommene Schwitzbäder, warme Vollbäder oder erhitzende Sonnenbäder gar nicht das Wort reden; über kurz oder lang werden sich Nachtheile, mitunter bedeutende, dieser einseitigen Kültc- praxis einstellen, wie wir dies mehrfach zn beobachten Gelegenheit hatten. Also im Wechsel, im allmählichen Steigen der Temperaturunterschiede beruht die Belebung, Kräftigung und Entwicklung; jede Einförmigkeit erzeugt Beruhigung, Erschlaffung, Stillstand und Tod. 27. Die Erwärmungs-Formen. Wir kennen folgende, wesentlich verschiedene Erwärmnngsarten: 1. ) durch Bewegung und Reibung, organische Erwärmung genannt, methodisch in Heilgymnastik durchgeführt auch Organik bezeichnet; 2. ) durch Anhäufung der Eigenwärme mittels Kleidung oder Einhüllung, in derCursprache Einpackung, auch Wicklung, Wickel genannt; 3. ) durch Zufuhr äußerer oder innerer fremder Wärme, als: Sonnenlicht, Kunstwärme in Dampf, Wasser, warmer Luft und mittels Nahrung und Getränken. 28. Keine dieser Erwärmungsarten kann die andere auf die Dauer ersetzen, sondern jede hat ihre bestimmte Eigenwirkung und daher eigene Berechtigung; doch kann bis zu einem gewissen Grade die eine für die andere eingeschaltet werden (cnratives Eingreifen), was jedoch Kenntnis und Erfahrung der verschiedenen Wärmewirkungen voraussetzt. 29. Die allgemeinste, naturgemüßeste Erwärmung bleibt immer die organische Erwärmung, nämlich durch Muskelbewegung; allein Kranke sind gar oft durch Schmerzen oder Schwäche verhindert, davon Ge¬ brauch zu machen. Diese Erwärmuugsart als die wichtigste und noth- wendigste gilt als Regel nach den meisten Abkühlungsbüdern; wir ver¬ spüren ihre weitere Besprechung auf ein besonderes Capitel unter dem Titel «Bewegung und Ruhe». Ihr zunächst kommt dm Erwärmung durch Sonnenlicht, dann durch Reibung, Pressung der organischen Gebilde, und hierauf folgt erst die Erwürmungsart durch Ansammlung der Eigenwärme und endlich die Zufuhr fremder, künstlicher Wärme. Bei letzterer unterscheiden wir als wesentlich, ob dieselbe in trockener oder feuchter Form geschieht, wodurch wieder stark verschiedene Wirkungen erzeugt werden. 30. Die Hauptwirkung der Erwärmung besteht in der Ansdehnung und Anschwellung der elastischen Gebilde, daher der Körper bei starker Erhitzung dicker, voller wird. 14 31. Starke, kurz dauernde Erhitzung wirkt in erster Linie erregend auf die Thätigkeit der Bewegungs-Hauptorgane, Nerven- und Gefä߬ system, besonders auf das letztere, so dass bedeutend gesteigerte Schwin¬ gungen in den Gefäßen und in den Nervenbahnen wahrnehmbar werden. Geschieht die Erhitzung über einen größern Theil des Körpers, so wird der Puls vollschwellend und zahlreich, die Athmung gesteigert wie im Fieber, kurz, sie erzeugt ein künstliches Fieber. 32. Eine anhaltende Wärme-Anwendnug wirkt in der Nach¬ wirkung abspanneud, erschlaffend auf die organische Faser und erlah¬ mend auf ihre Leistung, daher bei übermäßiger Nerventhätigkeit in Krämpfen, Convulsionen oder nervösen Schmerzen öfter sehr angezeigt. Sanfte Erwärmung, besonders in feuchter Form, von mäßiger und längerer Dauer wirkt direct beruhigend auf das aufgeregte Nerven¬ system. Beispielsweise sieht man dies auffallend bei gelinden Bettdampf¬ bädern, welche herrlichen Schlaf herbeiführen. Die milden Erwär¬ mungen wirken mehr bewegend auf das Blutwasser als auf die Blut¬ körperchen, daher mehr auflösend als neubildend. 33. Erwärmung, beziehungsweise Erhitzung, ist im allgemeinen die beste Vorbereitung für eine nachfolgende Külte-Anwendung, weil sie der Wärme-Aufsaugung der kalten Flüssigkeiten viel Wärme entgegensetzt und somit die Rückwirkung, d. i. die Wiedererwärmung des Körpers, sichert oder befördert. Unter welchen Umständen und wie dies zu ge¬ schehen hat, ist Sache der Erforschung der Eigenthümlichkeit des Einzel¬ wesens (Jndividualisirung). Künstliche Erwärmung oder Erhitzung findet heilend im allge¬ meinen da Anwendung, wo keine außergewöhnliche Wärme vorhanden ist, sondern eher mangelt, mit Ausnahme bei Erfrierungen oder im hoch¬ gesteigerten Froststadium, wie bei Wechselfiebern, Cholera rc.; in letztem Fällen müssen zuerst Kültereize, namentlich Abreibungen, die organische Erwärmung der Haut zurückbringen; ferner, wo die organischen Gewebe, hauptsächlich die Nerven und Muskeln, in zu gespanntem Zustande sich befinden.* * Merkwürdig ist, dass der geniale Priesnitz in seiner letztem Praxis die Wärme-Anwendung ganz anfgegeben hatte und vollständig in den Gegensatz, nämlich zur alleinigen Kälte-Anwendung, zur bloßen Abhärtungscur übergegangen ist, welches System seine fanatischen Anhänger noch lange beibehalten und in seiner vollen Einseitigkeit ausgeübt haben. Es ist doch bekannt, dass seine schönsten und schnellsten Curresultate in die Zeit fallen, da er vernünftig schwitzen ließ. Ferner sind unzählige Heilresultate der warmen Bäder zu allen Zeiten, dann die in Masse erstehenden öffentlichen Dampf- badanstalteu unleugbare Zeugen für die große Berechtigung der Wärmereize. 15 34. Die Abkühlungsformen. Zwecks Abkühlung des Körpers stehen uns die Lebensflüssigkeiten Luft und Wasser zugebote, außerdem wirkt Ruhe allbekanntlich ab¬ kühlend. Die künstlichen oder heilsamen Abkühlungen mittels Luft und Wasser werden grundsätzlich angewandt: 1. ) in Fieberzuständen, um die übermäßige Blutwärme zu entziehen; 2. ) wo die organischen Gewebe, insonderheit die Nerven, Gefäße und Muskeln, im Erschlaffungszustande sich befinden, zwecks Anregung und Versetzung in erhöhte Spannkraft; 3. ) bei fröstelnder Haut und in außergewöhnlichen Frostgefühlen, wie sie bei Wechselfiebern, der Cholera und bei erfrorenen Gliedern vorkommen, um Wärme hervorzurufen. Natürlich müssen hierbei die verschiedensten Formen und Grade in der Abkühlung Platzgreifen; in den beiden ersten Fällen kann die Abkühlung durch Luft jene durch Wasser öfter ersetzen und unter Um¬ ständen den Vorrang verdienen; hingegen in den Fällen unter Nr. 3 bedarf es eingreifender Kältereize, welche nur Wasser, Schnee und Eis gewähren. Wie Wasser und Luft als Thermalreize sich gegenseitig ver¬ halten, werden wir geeigneter im Abschnitt «Lichtluftbad» erörtern und können deshalb füglich weitergehen. 35. Die Hauptwirkungen der kurz dauernden raschen Abkühlungen auf unsere Bewegungs-Hanptorgane sind folgende: In der Erstwirkung heftig zusammenziehend, daher mehr erlahmend auf dereu Thätigkeit; in der Nachwirkung erregend, belebend, besonders auf das Nervensystem, stets vorausgesetzt, dass dieselbe die Erwärmuugs- fähigkeit des Einzelnen nicht übersteigt. Sanfte Abkühlung, besonders in nasser Form, bei mäßiger und längerer Dauer, wirkt vorzüglich beruhigend in Anfregungszuständen, bei Fiebern, Wallungen und nervöser Erregtheit. Wer die Naturhcilkunde, im engern Sinne die Temperaturheilkunde (Thermo¬ therapie), wahrhaft begriffen hat, weiß, dass es keine ausschü-ßliche Kaltwasser-Heil¬ methode gibt; er weist ihr darum keine so enge Grenzen an, sondern erkennt, dass das Wesen dieser großen Heilwissenschaft in den Temperatur-Aenderungen (Varia¬ tionen, Differenzirungen) beruht, so ausgedehnt sie der menschliche Körper nur ver¬ trägt, vom Eispunkt bis zu Wasser und Dampfen von 44" kt; Luft- und Sonnen¬ bäder von 50 bis 55". Der Erfahrene weiß ebenfalls, dass Kältereize ihn öfter sitzen lassen, d. h. den erwarteten Dienst nicht leisten, während dann der entsprechende WLrmereiz mitunter sogleich die gewünschte Wirkung hervorrnft. Im allgemeinen steht fest, dass Wärme, nämlich circa si, den feststehenden Ausdruck des organischen Lebens bildet, dass daher Wärme-Anwendung, wo es sich um Lösung von Stockungen handelt, was in den meisten langwierigen Leiden der Fall ist, die Hauptrolle spielen muss, während Kälte-Anwendung nur so weit zur Geltung kommen soll, um die Erschlaffung der organischen Faser zu verhüten. 16 Anhaltende durchgreifende Abkühlung wirkt geradezu ertödteud auf alle organische Bewegung oder Leistung, ist daher nur höchst selten anwendbar, wie z. B. bei Tobsüchtigen oder um eine sehr tiefgreifende Rückwirkung hervorzurufen. Eine flüchtige, scharfe Abkühlung scheint bewegender auf die Sauerstoff tragenden Blutkörperchen als auf das Blutwasser, daher mehr neubildend als auflösend zu wirken. Endlich haben wir noch zu erwähnen, dass Ruhe, weil sie in Bewegungsverminderung besteht, Abkühlung bewirkt. 36. In jeder gut geleiteten Cur wird man sich stets vor Augen halten müssen, die dem Einzelwesen angepasste Mischung von Erwär¬ mung und Abkühlung anzuwenden, je nachdem mehr anregende, bildende oder beruhigende auflösende Thütigkeit nothwendig ist. Nie kann aber einer dieser Gegensätze andauernd (extensiv) einseitig angewendet werden, ohne in eine nachtheilige Richtung zu verfallen. 37. Kurz dauernde intensive Hitze- und Kältereize sind in der Erst¬ wirkung und der äußern Erscheinung nach sehr ähnlich, nämlich beide ein Gefühl von Brennen und starke Röthe erzeugend, also die Blut¬ körperchen und das Blutwasser heftig bewegend. Uebermüßige Wärme- wie Kälte-Anwendung erzeugen auch ähnliche Nachwirkung, nämlich Frösteln, Abspannung, Mattigkeit, Gliederschwere, das eine durch zu große Ausdehnung, das andere durch zu weit getrie¬ bene Zusammenziehung der Nervenfasern; die beiden Extreme berühren sich. Nur in der mittleren Nervenspannung (Elasticität) empfinden wir das Vollgefühl unserer Kraft und Gesundheit. Die Elasticität, gleich¬ bedeutend mit Kraft, ist um so größer, je mehr die Fähigkeit weitschich¬ tiger Ausdehnung und Zusammenziehung, nämlich ausgiebiger oder anhal¬ tender Pendelbewegung, im ganzen Körper vorhanden ist. Wie wir am geeignetsten dahin gelangen, wird in der weiteren Abhandlung aus¬ einandergesetzt werden. Auv gefälligen WotizncrHme. Wie man aus dem nachfolgenden Titelblatt ersieht, haben wir den Artikel «Lichtluftbad-, weil sowohl für die Heilkunde als für die Gesundheitspflege von allgemein giltigem Grundwert, in Separatabdruck als selbständiges Schriftchen erscheinen lassen. Hierbei konnten wir nicht umhin, gewisse gewichtige Grundsätze, welche ebenso für die Heilkunde wie bloß für die Lichtluftbäder geltend sind, gleich- oder ähnlich lautend aufzunehmen. Aus diesen! Grunde wolle man daher die vorkommenden Wiederholungen entschuldigen. Der Verfasser. Das Lichtlustbad - Costum im Ausmarsch Nakurheilanstali ;u Vrldes in Oberkrain practicirt. F. K. Dandbeck. 17 III. Abschnitt. Die einzelnen Heilelemente. 38. Das Kchtlustbad oder das atmosphärische Dad. Motto: Wasser thuts freilich. Höher doch stehet die Luft, (Rauhe.) Am höchsten das Licht. (Rikli.) HheoretifcheR HHeib. Der Mensch, seinem Wesen nach das höchsterschaffene Lichtluft¬ geschöpf, hat bis in die jüngste Zeit die Wichtigkeit, mit welcher die edelsten Lebensflüssigkeiten: Licht und Luft, auf seine geistige und körper¬ liche Entwicklung und Kräftigung einzuwirken vermögen, beiweitem nicht erkannt, daher auch viel zu wenig benützt. Wie so häufig wir das Naheliegende unterschätzen und unser Heil vorzugsweise im Fernliegenden suchen, so geschah es auch leider hierin bis auf die jüngste Zeit; erst seit kurzem wendet man den wichtigsten Lebensreizen: Licht und Lust, größere Beachtung zu, jedoch viel zu ein¬ seitig, nur als Lungennahrung und beinahe gar nicht als ebenso wichtige äußerliche Belebungsmittel im Wege der in unserer Haut ausgebreiteten Nerven- und Gefäßnetze. Zur besseren Würdigung der letztem Sachlage beabsichtigen wir, hiermit Aufklärung zu verbreiten. Um der Meinung zu begegnen, als sei dies bloß unser Stecken¬ pferd, führen wir hierüber die gewichtigen Worte des berühmten Hufe¬ land als eines bedeutenden Gewährsmannes an. In seinem Enchridion. Fol. 162, sagt er: «Zur Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichtes in der Nerventhätigkeit (und Gefäßthätigkeit — der Verfasser) ist nicht zu verabsäumen viel Muskelbcwegung und Belebung der Nerven durch den allgemeinen feinen, unsichtbaren und imponderablen Lebensstoff der Atmosphäre vermittest täglicher Bewegung in freier Luft, Landluft, Fußreisen. Das tägliche Luftbad ist gewiss das stärkendste Mittel von allen, durch kein anderes zu ersetzen, mehr wirkend als alle andern und gar keine Gegenanzeige habend.» Unter dem allgemeinen feinen, unsichtbaren und imponderablen Lebensstoff der Atmosphäre ahnte er wahrscheinlich den damals un- s 18 'bekannten «Ozon» (durch Sonnenlicht höher entwickelten Sauerstoff); allein wir halten dafür, dass der directe Lichteffect auf unsere Haut weit wichtiger ich In feiner «Makrobiotik», 6. Auflage, Fol. 37, schreibt Hufeland: «Es existireu auch Wesen, die eine gewisse Freundschaft und Verwandtschaft zur Lebenskraft haben, sie erwecken, ermuntern, ja höchst wahrscheinlich ihr eine feine Nahrung geben. Diese sind vorzüglich: Licht, Wärme, Luft und Wasser, vier Himmelsgaben, die man mit Recht die Freunde und Schutzgeister alles Lebens nennen kann! «Obenan steht das Licht, unstreitig der nächste Freund und Verwandte des Lebens und in dieser Rücksicht von weit wesentlicherer Einwirkung, als man gewöhnlich glaubt. Ein jedes Geschöpf hat ein um so vollkommeneres Leben, je mehr es den Einfluss des Lichtes ge¬ nießt. Man entziehe einer Pflanze, einem Thiere das Licht, es wird bei aller Nahrung, bei aller Wartung und Pflege erst die Farbe, dann die Kraft verlieren, im Wachsthum zurückbleiben und endlich verbntten; selbst der Mensch wird durch ein lichtloses Leben bleich, schlaff und stumpf und verliert zuletzt die ganze Energie des Lebens.» 39. Die Haut, das Grenzorgan unseres Körpers, durch welches wir in beständiger Berührung mit der Außenwelt stehen, besteht als Wesen¬ heit aus einem reichhaltigen feinen Nerven- und Gefäßnetz. Diese beiden wirken durch Rückstrahlung in so hohem Grade in das Körperinnere, dass eine richtige Hautcultur nicht nur zur Hauptbedingung des Gesundseins wird, sondern auch als Grundlage der vollständigen Ent¬ wicklung unserer körperlichen und geistigen Kräfte bestimmt ist. Die Pflege der Haut, eigentlich besser und wichtiger bezeichnet: «des Grenz- organes», ist wesentlich eine dreifache und besteht in der Förderung 1. der freien Ausstrahlung; 2. der kräftigen Ausdünstung; 3. der gründlichen Reinigung. Ausstrahlung und Ausdünstung sind gewissermaßen Gegensätze, wie Tag und Nacht, die sich ebenso zeitweise ablösen müssen, nm das entsprechende Gleichgewicht in der Hautthätigkeit aufrecht zu erhalten; in diesem Gleichgewicht beruht der Höhepunkt der Haut¬ leistung. 40. Der lebende Körper ist schon oft mit einem geheizten Ofen verglichen worden, indessen hinkt das Gleichnis in einigen Beziehungen gewaltig; der Ofen strahlt (bei regelrechter Heizung) wohl Wärme, dünstet aber weder Gase noch Dämpfe aus, wie unser Körper; es hinkt ferner darin, dass der Kunstofen nur eine Einathmung durch das Feuerloch, gleich uns durch die Lunge, jedoch keine im äußern Umfang liegende oder umkreisende, wie nur durch die Haut, besitzt; endlich dass jener durch 19 den Nichtgebrauch, der Mensch hingegen sich nur bei richtigem Gebrauch seiner Heizungsorgane am längsten erhält. Nur dann ist ihm wohl, wenn das Feuer (die Lebenswürme) überall gleichmäßig durch seinen Körper strömt; seine Adern sind die Feuer- und Rauchgänge, die hiezu stets offen und rein gehalten werden müssen. Ausstrahlung wie Ausdünstung bedeuten Wärme-Abgabe, d. h. sie bewirken beide in letzter Berufung Wärmeverlust, sind indes in ihrer sachlichen Erscheinung und persönlichen Wahrnehmung ganz entgegen¬ gesetzter Natur. 41. Die freie Ausstrahlung der Haut nämlich die Entblößung derselben in: Lichtluftmeere, bewirkt eine ver¬ stärkte Anziehung der Blutkörperchen, der wirklichen Kernträger des Blutes, an die Leibesoberflüche und bei Empfindung der Abkühlung ein verhältnismäßiges Zurückdrängen der Blutflüssigkeit (Serum), des untergeordneten, gewissermaßen entgegengesetztenBlntträgers, nach den Jnnenorganen. Da jene die wesentlichen Träger des Sauerstoffes sind, den sie durch die Lungen nicht genügend erlangen, so muss ihnen derselbe iin Wege der Millionen Hauteanälchen in ergänzendem Maße zugeführt werden. Je weniger fest anliegend und minder luft¬ dicht unsere Bekleidung beschaffen ist, in umso vollständigerem Grade wird dies vor sich gehen.* Der Sauerstoff der Luft, der ununterbrochene Bildner und Zer¬ störer des Lebens, ist ein hochwichtiges Zugehör regelrechten Stoff¬ wechsels, so dass die vollständige Sättigung des Blutes mit demselben auf beiden Wegen, nämlich durch Lunge und Haut, von größter Bedeutung ist. An den Händen und Füßen, wo die Gefäßnetze reicher und oberflächlicher entwickelt sind, kann man sich diesen Vorgang am besten veranschaulichen. Werden die Fußplatten, welche bei der gebildeten Be¬ völkerung fast beständig bedeckt sind, oder die Hände bei solchen Städtern, die stets Handschuhe zu tragen die schlechte Gewohnheit haben, frei der Luft, namentlich bei kühler Temperatur, oder dem Sonnenschein aus¬ gesetzt, so nehmen sie in kurzer Zeit durch den Andrang der Blut¬ körperchen eine carminrothe Färbung an. Wird noch kräftige Muskel¬ bewegung damit verbunden, namentlich, wenn mit den Händen Arbeit verrichtet oder barfuß marschirt wird, so tritt die Blutkörperchenschwelluug noch energischer, ausdrucksvoller hervor und man fühlt hierbei deutlich in diesen Theilen eine gesteigerte behagliche Wärme. Also in der natür¬ lichen Röthung der Haut, in der energischen Blutkörperchenströmung in * Die neueren Metz'schen Filethemden der Fabrik C. Metz L Söhne in Frei¬ burg i. B. entsprechen in dieser Beziehung einem entschiedenen Bekleidungsfortschritte, und ans demselben Grunde empfiehlt es sich, im Winter leicht gekleidet im gut erwärmten Zimmer sich aufzuhalten, statt umgekehrt. 2« 20 den Körperumfang, durch directe Einwirkung der Lichtluftflüssigkeiten hervorgerufen, liegt der Schwerpunkt unseres natürlichsten und vor¬ nehmsten Bades. Wo Blut kreiset, da muss Luft, stets wechselnde neue Luft zugeführt werden, und wo es Nerven gibt, bedarf es des Lichtes, des unersetzbaren herrlichen Sonnenlichtes, welches sie als ihr feinstes Futter gierig einsaugen. 42. Wie leicht begreiflich, eignen sich zur Geltendmachung der mehr¬ fachen Wirkung des Lichtlustbades die mittleren Klimate am besten, und hier wieder die mittleren Temperaturveründerungen (Differenzen), indem zu kalte Luft das Blut von der Körperoberfläche allzusehr zurück¬ drängt, die gesummte organische Faser hart, spröde macht, ebenso wie heiße Luft Schlaffheit und Schwäche erzeugt. Tie geschichtlichen Thatsachen bestätigen uns auch, dass wir nur den mittleren Klimaten die edelsten Erzeugnisse des höchst entwickelteil Nervenmittelpunktes (Geistes) in Wissenschaft, Kunst und Dichtung zu verdanken haben. Die freie Ausstrahlung der Haut in der Luft ist indes noch von einer anderen wichtigen Doppelwirkung begleitet; durch deren Ab¬ kühlung wird im Verhältnis des Kältegefühles eine entsprechende Zusammenziehung ihres reichhaltigen Gewebes sowie ein Zurück¬ treten des Blutwassers (Serum) herbeigeführt. Unser beständiges ängstliches Warmhalten der Haut niittels Be¬ deckung schwächt und erhält sie einseitig ausgedehnt; sie verliert die leistungsfähige Spannkraft. Bei vernünftiger Uebung in kalter Luft erlangt dieselbe wieder ihre natürliche Dehnbarkeit und kann ihrer wichtigen Aufgabe des Austausches (Endosmose und Exosmose) als ansgebreitetstes Flächenorgan wieder regelrecht vorstehen. Das durch Verweichlichung entstandene, leicht empfundene Hantfrösteln macht nach längerer Uebung im Lichtluftbaden einem erhöhten Wärmegefühl Platz. Ein derart hautgekräftigtes Individuum wird staunend wahr¬ nehmen, wie es entblößt im Lichtluftmeer unter bedecktem Himmel, jedoch bei Windesstille, in einer Temperatur von 14" bis 16 ° U stundenlang angenehm aushalten kann; bei körperlicher Arbeit wird man leicht den ganzen Tag behaglich im adamitischen Kleide in solcher Atmosphäre verharren. Um sich dagegen im Zimmer wohl zu fühlen, nämlich bekleidet, also im Zustande der Ausdünstung, bedarf es einer Tem¬ peratur von 28° bis 29° U, direct um die Haut, d. i. unter der Klei¬ dung gemessen. 43. Allerdings kann man durch Kaltwaschungen, kalte Halbbüder, Abreibungen rc. ein oben besprochene Schwäche beseitigendes ähnliches Ergebnis, wie durch kühle und kalte Luft, erzielen; allein, wohlverstan¬ den, es bewirken die Wasserreize nur ein ähnliches, niemals ein 21 gleiches Ergebnis, indem verschiedene Ursachen nie absolut gleiche Wir- knngen Hervorrufen können. Das Wasser, mit 4'/^mal stärkerer Wärme- leitnngs- und mit 770mal größerer Würmeanfsaugungs-Fähigkeit als die Luft beschaffen, wirkt einerseits bald zu reizend für unser Nerven¬ system und anderseits zu rasch abkühlend auf das Gefäßsystem; es kann daher in demselben Verhältnis ungleich weniger ausgedehnt, d. i. Zeit- und Raum einnehmend, angewandt werden. Um die Haut und das Blut mittels Luft auf denselben Grad abzukühlen, wie durch Wasser von gleicher Temperatur, muss man in ersterer Flüssigkeit 20- bis 30mal länger entblößt verharren; hierdurch gewinnen eben Licht und Luft einen viel nachhaltigeren und naturgemäßeren Einfluss auf unser Grenzorgan und mittels der Rückstrahlung auf Gehirn und Rückenmark auch auf unfern Gesammtorganismus. Die Luftkühlung der Haut ist also durch Wasser¬ abkühlung niemals völlig zu ersetzen. 44. Die Ausdünstung der Haut d. i. ihre Ausscheidung der Gase und Dämpfe abgelebter und aufgelöster Bluttheilchen, geht hinwieder nur unter entsprechender Wärme derselben vor sich. Dieser Wärmegrad kann theils durch Muskelthütigkeit, also auf natürlichstem Wege, theils künstlich durch Bedeckung, Umhüllung der Haut oder durch Zufuhr äußerer Wärme, nämlich im Sonnenlicht oder mittels Warmwasser-, Dampf- und Heißluftbäder, herbeigeführt werden. Bei der Ausdünstung gelangt der untergeordnete wässerige Tbeil des Blutes (Blutserum) vorwiegend zur Bewegung unter die Haut; hierdurch werden die in derselben ausgebreiteten Nervenfasern, Gefäß- und Drüsennetze wesentlich erweicht und erweitert, bei anhalten¬ dem Wärmezustande also erschlafft, weshalb sowohl nach längere Zeit dauerndem mittlerem als auch nach kurzem hochgrädigem Wärmegrade, bei sogenanutem Schwitzen, mehr weniger Frösteln als Nachwirkung eintritt. 45. Jegliches anhaltende oder einseitige Warmhalten oder künstliche Erwärmen der Haut durch warme Zimmer, dichte Bekleidung, häufige oder langdanernde Warmwasserbäder, und namentlich das Schwitzen unter Bedeckung, d. h. bei Licht und Luftabsperrung in Betten, Trocken- wicklnngen, römischen Schwitzbädern, am auffallendsten in langdauernden Feuchtwicklungen und in Dampfbädern, bewirkt durch das Vorherrschen des Blutserums in der Haut, dass diese blass und matt, nämlich verhältnismäßig arm an Blutkügelchen wird. Eine merkwürdige Aus¬ nahme hievon macht einzig das directe Sonnenlicht (sieh Cnr-Son- nenbad, allgemeine Curregeln), welches gegentheils nicht nur die Blut¬ kügelchen, sondern gleichzeitig auch das Blntwasser energisch nach der 22 Körperoberfläche zieht, also große Anziehungskraft, beziehungsweise Ver¬ wandtschaft, zur ungetheilten (integralen) Blutflüssigkeit zeigt, der deut¬ lichste Beweis seiner Unersetzlichkeit und Unentbehrlichkeit. Erst wenn die künstlich erwärmte Haut mit kaltem Wasser oder kalter Luft in Berührung gebracht wird, treten die Blutkörperchen auf¬ fallend hervor, und zwar umso ausgesprochener, je größer der Wärme¬ unterschied zwischen der Haut und der abkühlenden Flüssigkeit besteht; dieselben bewirken mehr weniger Röthung, vom Carmin- bis zum Hoch- roth, gleichzeitig erneute Ernährung, Spannkraft und gesunde Wärme. Dies die Begründung, warum nach jedem Warmwasserbad unmittelbar eine kurze kalte Waschung oder kaltes Regenbad folgen sollte. 46. Ein anderes Beispiel, wie die künstliche Erwärmung der Haut unter Licht- und Luftabsperrung wesentlich nur das Blutserum an die Oberfläche zieht, sehen wir in der Blasenbildung durch enge Schuhe oder in den Handflächen infolge ungewohnter Führung von größeren Werkzeugen; in diesen Füllen sind nie die farbigen Blutkügelchen wahr¬ zunehmen. Sonach wird durch anhaltenden Aufenthalt in warmen Zimmern oder in Betten sowie bei stetigem Warmkleiden die Haut un¬ ausweichlich arm an Blutkügelchen, gleichbedeutend mit blutarm; der gesund erwärmende, an die Blutkügelchen gebundene Kreislauf im äußern Körperumfange verkümmert, die blasse Haut wird stets empfind¬ licher, fröstelnder und erheischt noch wärmere Kleidung; die wichtige Doppelleistung der Haut: Ein- und Ausathmung, sinkt und wird zunehmend einseitiger, indem die Ausathmung (Ausdünstung) der Ein- athmung nicht das Gleichgewicht hält, infolge dessen das Blut mehr und mehr entartet. Was ist natürlicher, als dass durch solche einseitige Hautpflege ein allgemein ungesunder Zustand entsteht, sodann Gegenwirkungs- Erscheinungen (Reactionssymptome) erwachen, welche wir Krankheiten nennen, die im besten Falle als sogenannte Katarrhe oder Rheumatismen auftreten werden. In vielen Fällen aber, wo die Blutkörperchen schon längere Zeit einseitig nach den Jnuenorganen geströmt, daselbst Blut¬ stauungen und Ablagerungen hervorgerufen haben, nimmt die in dem¬ selben Verhältnis zu schwach genährte Haut den höchsten Schwächegrad an; sie bewegt sich nur noch in den Extremen: entweder sie dünstet oder schwitzt gar nicht mehr oder aber lässt sie das Blutserum ohne allen Halt fahren, welchen Schwächezustand mau kalte oder profuse Schweiße nennt, die stets von schlimmer Vorbedeutung sind. So verhält es sich z. B. bei der Lungensucht, in manchen Herz-, Gehirn-, Hals- und vielen anderen inneren langwierigen Leiden. Eine richtige Auf¬ fassung der Lungensucht gebietet Entlastung der überbürdeten Lunge durch kräftige Rückführung der Blutkörperchen nach der Haut, mit anderen Worten: eine gesteigerte Hautathmung in methodisch geübter Ausstrah¬ lung und Ausdünstung. 23 47. Die Doppelleistung der Haut kann überhaupt nur dann regelrecht vor sich gehen, wenn die Gebilde, aus welchen sie zusammengesetzt ist, in der Zusammenziehung wie in der Ausdehnung naturgemäß geübt werden. Die Vollkraft erlangt sie, wenn Ausstrahlung und Aus¬ dünstung möglichst gleichzeitig sich im Gleichgewicht bethätigen, wie bei starker Muskelanstrengung derart entblößt, dass das Licht sowohl wie die Luft freien Zutritt zur Haut erlangen und dabei weder Frostgefühl noch Erhitzung einseitig zur Geltung kommen; hiezu bietet die Beschäf¬ tigung des Laudmannes die meiste Gelegenheit. Es wird dabei dem starken Wärmeverlust durch Ausstrahlung die energische innere Wärme-Entwicklung entgegengestellt oder nachgeschoben, so dass trotz des doppelten Wärmeverlustes empfindliches Frost¬ gefühl nicht aufkommen kann, weil die ebenso starke Ausdünstung mit der Ausstrahlung gleichen Schritt hält; beides vereinigt, bedingt einen kräftigen Kreislauf im Körperumfange. Dem mangelhaften äußeren Nerven- und Blutleben liegt, wie wir schon früher angedeutet haben, die Ursache einer sehr großen Zahl innerer Leiden zugrunde, weil Theile der Organe nicht rechtzeitig erneuert oder Blutschlacken ge¬ zwungen werden, in diesen letzteren sich abzulagern. Der Grundtou, das Charakteristische aller innern Leiden ohne Ausnahme sowie jeglichen Schwächegefühles ist stets ein Stauungszustand in den Nerven- und Gefäßbahnen. Zwecks Heilung kümmert sich die Natur blutwenig darum, ob wir dieses Grundmerkmal jeglichen Krankseins mit deutschen, lateinischen oder griechischen Namen bezeichnen oder gar nicht taufen wollen. Heilen, kräftigen bedeutet Zertheilung der Stauung oder Stockung, d. i. Wiederherstellung des Kreislaufes (Circu- lationsregulirun g). Was der Verstand des Verständigen nicht sieht, Erkennt oft ein einfach kindlich Gemiith! 48. Wenn dem nicht so wäre, wie ließe es sich dann erklären, dass die nach medicinischer Eintheilung verschiedenartigsten Krankheitsformen, z. B. Entzündungen und Neuralgien, Typhus uud Veitstanz, Hypo¬ chondrie und krankhafte Aufgeregtheit, Rückenmarksreizung und Blattern, Syphilis und Katarrh rc. re., mit ein und demselben grund¬ sätzlich gleichen Verfahren geheilt werden? In der einfachen Durchführung obigen Grundsatzes, nämlich in der regelmäßig wiederholten Röthung und Erhitzung der Haut iin Sonnenlicht, bis zur Schweißbilduug getrieben, wozu nothfalls die übrigen Erhitznngsmethoden zu Hilfe gezogen werden können, vereint mit nachfolgenden Abkühlungen durch Luft oder Wasser, gelingt es nicht 24 selten, die verwickeltsten Krankheitserscheimingen zur Lösung zu führen. Freilich, wenn die Stauungen durch zu lange Dauer oder durch ihre Heftigkeit organische Entartungen (Verhärtungen oder Erweichungen) bewirkt haben, dann ist die Grenze der Heilung überschritten; allein Mutter Natur ist geduldig und langmüthig, sie lässt stets Warner, Mahner vorausgehen, darum: Wer Horen will, der höre! 49. Da sowohl Ausstrahlung wie Ausdünstung Würmeverlust des Körpers mit sich bringen, welcher nur durch Ausbildung des Nahrungs¬ saftes zu Blut und Fleisch sowie durch deren Rückbildung zu den Aus¬ scheidungsstoffen ersetzt wird, so erhellt daraus, dass die tägliche regel¬ rechte Pflege der Doppelleistung unserer Haut oder das verständig aus¬ geführte atmosphärische Bad das natürlichste und beste Stoffumsatz¬ mittel bietet und zu einer vorzüglichen Quelle der Gesundheit wird. Diese Auffassung wird verstärkt, wenn man in Berücksichtigung zieht, dass bei kräftiger Hautthätigkeit alle übrigen inneren Werkzeuge (Organe), bis zur kleinsten Zelle hinab, gleichen Schritt halten müssen. Wie die Ausstrahlung eine directe Abkühlung der Haut, jedoch erhöhtes Wärmegefühl in der Nachwirkung erzeugt, so be¬ wirkt die Ausdünstung eine directe Erwärmung mit nachfolgendem Fröstelgefühl. Deren übereinstimmende Pflege ist die einzig richtige Anwendung; jede einseitige Uebung führt unausweichlich auf schaden¬ bringende Abwege, welche man früher oder später gewahr werden muss. 50. Die Reinigung der Haut. Jedes Organ, welches in Aufnahme des Stoffes, Verarbeitung desselben und Stoffabgabe anhaltend arbeitet, behält leicht mehr oder weniger Stoffschlackenrückstünde in sich, die zeitweise entweder durch eine natürliche freiwillige Reinigung (Krise) weggefegt werden, oder wenn dies nicht geschieht, irgend ein langwieriges Leiden Hervorrufen. Dies ist nun bezüglich der Haut, dem so ausgedehnten Ausscheidnngs- und Auf¬ saugungs-Gebilde, von besonderer Wichtigkeit; allein ebenso entsprechend ist sie als äußerliches Grenzorgan unserer freiwilligen Nachhilfe in dieser Beziehung freigegeben. Die Nachhilfe der Haut¬ reinigung ist von so hoher Bedeutung auf unser Geistes- wie Körper¬ leben, dass diejenigen Völkerschaften, welche sie allgemein pflegen, zu den entwickeltsten und gebildetsten zählen, wie hierauf schon in 8 42 hingewieseu worden, und dass man ohneweiters den Satz aufstellen kann, die bei einem Volke übliche Hautpflege sei der Maßstab feiner allgemeinen Bildungsstufe. 25 51. Die künstliche Hantreinigung kann auf zwei wesentlich verschiedene Weisen vorgenommen werden, nämlich auf trockenem und nassem Wege. Zn ersterem wählt man trockene Reibnngsmittel, Hantbürsten, Hant- handschuhe, Flanellflecke rc. Bei kräftiger Handhabung bewirken dieselben nicht nur eine gründliche Reinigung der abgestorbenen Oberhaut (Epi¬ dermis), sondern auch einen im Körperumfange verstärkten Kreislauf der Blutkörperchen, wobei die Haut sich mehr oder weniger röthet. Behufs letzteren Weges werden Waschungen, Regenbüder, kalte und warme Wasserbäder, endlich Schweißbäder durch Dampf, heiße Luft und Sonnenschein gewählt. Es unterliegt nun keinem Zweifel, dass sümmt- liche Hautreinignngen, welche nicht mit dem Schweißacte verbunden sind, mehr oberflächlich wirken, wogegen die Schweißbüder nicht nur äußer¬ lich trefflich reinigen, sondern das ganze Unterhaut-, Gefäß- und Drüsen¬ netz energisch ausfegen; dies besonders, wenn man im höchsten Schwei߬ stadium tüchtig durchgerieben oder mit eingeseiften Bürsten gereinigt wird. Die Schweißbäder haben ferner den Vortheil, dass sie durch die Erhitzung der ganzen Blutsänle sowie der festen Theile den Körper auf kurze Zeit in ein künstliches Fieber versetzen, wodurch sämmtliche Ansscheidungsgebilde, stärker angeregt, eine üppigere Absonderung be- thätigen und so nebst der Schweißabsonderung, welche bei Erwachsenen im Gewicht zwischen bis 1 Kilogramm schwankt, auch in allen anderen Beziehungen an der Reinigung theilnehmen. So z. B. bringen starke Dampfbäder nnd Sonnenbäder, längeres Tanzen u. s. w. häufig am folgenden Tag fähigen Harn znm Vorschein. Ein Schweißbad ist deshalb nicht nur ein äußerliches, sondern auch ein inneres (organisches) Rei- nignngsbad, eine Theilerneuerung des Blutwassers, wenn wir berück¬ sichtigen, dass das Blut zu circa aus Wasser besteht; man fühlt sich daher nach einem Schweißbade, vorausgesetzt, dass es in vernünftigem Grade ausgeführt worden, außerordentlich gehoben und verjüngt, trägt in der Regel auch merklich verstärkten Appetit davon. Als gesund erhal¬ tendes Reinigungsmittel, d. h. 2- bis 4mal monatlich, namentlich in der kälteren Jahreszeit, angewendet, bieten die Schweißbäder ein vor¬ zügliches Pflegemittel nicht nur zur Vorbauung (Prophylaxis) vieler Krankheiten, sondern auch zur Entwicklung der Jugend jeglichen Alters. Im Sommer sind die Sonnenschweißbäder (sieh Cursonnenbäder) den Dampfbädern unbedingt vorzuziehen, sollten daher auch öfter, 6-, 8- bis lOmal monatlich vorgenommen werden. 52. Zu ausführlicher Belehrung über die Theildampfbäder verweisen wir ans die Schrift «Rikli's Bett- und Theildampfbäder», 4. Aufl., im Selbstverläge nnd bei L. Fernau in Leipzig, Preis 2 Mark. Der in derselben beschriebene einfache Schwitzapparat sollte in keinem Hause fehlen, in welchem das Naturheilverfahren angenommen worden ist; mit Hilfe desselben kann man sich den Arzt vielfach entbehrlich machen. 26 Wie männiglich bekannt, hat nach dem Schwitzen durch ein Schweißbad stets sofort eine mehr oder weniger eingreifende Abkühlung der Haut durch kaltes Wasser oder kalte Luft nachzufolgen, ansonst dieselbe zu sehr erweicht, erschlafft bleiben würde. Es folgen sich also bei den Schweißbädern rasch nacheinander Erhitzung und kräftige Ab¬ kühlung, welche mehr weniger schroffe Wärmegegensätze nicht nur ein erregteres Leben in die Haut bringen, sondern auch manche innere, tiefer liegende Stauungen zu lösen vermögen. Durch zeitweilig, auf unsere Haut angeweudete rasche größere Wärme-Unterschiede schaffen wir eine künstliche Nachahmung des in der uns umgebenden Erdnatur. (Atmo¬ sphäre) herrschenden Naturgesetzes der schroffen Temperaturwechsel. 53. 8. Allgemeine Wetrnchtungen bezüglich des atmosphärischen Wades. Fragen wir: Wo liegt die Ursache der stetigen Wärmeveründerung in der Atmosphäre, der verschiedenen Windströmungen und der Bildung der Atmosphärilien Regen, Schnee, Nebel, Reif, Hagel? so lautet die Antwort: Die Mutter Sonne ist die Urheberin aller dieser Bewegungen oder Veränderungen im Lichtluftmeer. Auf der stetig sich ändernden Achsenstellung der Erde zur Sonne beruht eine ungleiche Erwärmung der Luft und der Erde, wodurch die verschiedenen Windströmungeu als Wärme-Ausgleichungen hervorgerufen werden, welch letzteren wieder die Bildung der übrigen Atmosphärilien zugrunde liegt. Die atmosphä¬ rischen Abwechslungen sind sonach ein tiefes Naturgesetz für die auf der Erde lebenden Pflanzen, Thiere und Menschen, ein absolut noth- wendiger Stimmungs- oder Spanuungsreiz. Sie bewirken durch ihre stetige Veränderung eine fortwährende Anregung der Kleinsttheilchen- Bewegung, welche beim Menschen zuerst das Nervensystem trifft. Die möglichste Entziehung von denselben, wie es durch die zunehmende Ver¬ weichlichung geschieht, hat Mangel an natürlicher Nervenbewegung oder Schwächling und mit letzterer ein Heer von Krankheiten zur Folge. 54. Unsere Kurzsichtigkeit, in den Erkältungen die Krankheitsursachen zu erblicken, hat zu den allerverkehrtesten und schlimmsten Maßnahmen geführt, die just das Gegentheil von dem herbeiführen, was wir ver¬ meiden wollen, nämlich Krankheitsbegründung. Wer sich regelmäßig erkältet, erkältet sich nicht mehr, d. h. es wird ihn keine Krankheit als Nachwirkung treffen. In der Abhärtung liegt daher ein ganz wissen¬ schaftlicher Begriff, nämlich Uebung, Kräftigung des Nervensystems und als Folge regerer Stoffwechsel. Eltern, welche ihre Kinder durch Anhängen 27 aller möglichen Schutzkleider vor Abkühlung bewahren wollen, thnn denselben einen sehr schlechten Dienst. Die Jugend soll frieren lernen, wie es im Winter im Gang zur Schule und von derselben zurück und bei Jugendspielen vorzügliche Gelegenheit gibt. Je mehr die Jugend in den Atmosphärilien sich übt, nämlich so wenig als möglich bedeckt im Lichtluftmeer frei sich bewegt, desto nerviger entwickelt wird sie daraus hervorgehen. Die heute so allgemein gewordene Klage über Nervosität schreiben wir zum größten Theil dem Mangel an natürlicher Nerven¬ bewegung, also einem unbefriedigten Nervenleben, beziehungsweise der Verweichlichung zu. Abhärten bedeutet «sich hart anthun», nämlich den Atmosphärilien sich regelmäßig aussetzen, auch wenn sie unangenehm werden, und zwar nach den beiden Polen (Hitze und Kälte); nur bei solcher Uebung erwachsen gehärtete und dehnbare Nerven. Das schmeckt freilich nicht süß! Das dieser Theorie gerade entgegengesetzte Jäger'sche Bekleidungs¬ system hat wesentlich darum so großen Erfolg, weil es der Weichlich¬ keit durch angenehmes, gleichmäßiges Warmhalten entgegenkommt, förm¬ lich schmeichelt; doch die Schädlichkeit, welche in der enormen Einseitig¬ keit dieses Systems liegt, wird allmählich aufgedeckt werden und es seiner¬ zeit zu Fall bringen. In der Wahrung der Gegensätze liegt die Wahr¬ heit. Je mehr wir uns gewöhnen, leicht bekleidet, beziehungsweise un¬ bekleidet, uns mit den Temperaturveränderungen der Atmosphäre vertraut zu machen, desto dankbarer zahlt sie uns diese Bekanntschaft mit Rü¬ stigkeit und Gesundheit heim. 55. Hier scheint uns nun auch der geeignete Ort zu sein, die so¬ genannten «Erkältungskrankheiten» näher ins Auge zu fassen. Wenn eine verweichlichte, also therinal ungeübte Haut von einem kalten Luftzug berührt wird, so werden sich die in derselben liegenden Nerven¬ fasern, Blutgefäße und Drüsen nicht nur verhältnismäßig zu stark zusammenziehen, sondern auch mehr weniger verschlossen bleiben, eben weil sie in der Localbewegung nicht geübt sind. Die Folge hiervon wird sein, dass in der betreffenden Hantfläche die Gas- und Dünste- Ansscheidung stockt und nach rückwärts strömt. Je mehr Schlacken nun im Blute sich vorfinden, desto reichlicher werden solche durch die Rückströmung aufgelöst und zur kritischen Aus¬ scheidung angeregt werden, woraus Unwohlsein verschiedensten Grades sowie auch schwere Krankheiten entstehen müssen; letztere umso tiefer¬ greifend, je mehr die Haut verweichlicht, eben dadurch der Stoffwechsel vernachlässigt, die Stoffschlacken angehäuft sind. Vermag die natürliche innere Wärme die betroffene Hautfläche nicht bald wieder aus ihrer Starrheit oder Halblähmung zu befreien, so wird im besseren Fall so¬ fort Fieberhitze, im schlimmeren Nervenschmerz, wie Rheumatismus rc., entstehen; dieser letztere bedeutet eine außergewöhnliche Anstrengung 28 der betreffenden Gefäßnerven, die erstarrten Blutgefäße und Drüsen wieder in Bewegung zu setzen, nämlich loeal gesteigerte Wärme hervor- znrnfen. Um diesem Streben der Natnr nach erhöhter Wärme-Erzeugung nachzukommen, bildet bei frischen Rheumatismen und anderen Neu¬ ralgien künstliche Wärmezufuhr durch Sonnenlicht, Dampf oder Warm- wasser-Umschlüge das natürlichste Heilmittel. Wohl vermag manchmal ein kurzdauernder eingreifender Kältereiz, wie z. B. Reibung mit kaltem Wasser oder Schnee, ein erregender Um¬ schlag, kalte Brausen, Duschen re., ebenfalls erhöhte Wärme hervorzu- rnfen, doch lehrt die Erfahrung, dass in der Mehrzahl solcher Fälle directe Wärme-Anwendung sicherer, rascher und wohlthnender zum Ziele führt. 56. Die beste Vorbaunng (Prophylaxis) gegen Rheumatismus und viel anderes Körperweh beruht daher in der natürlichen Thermal¬ übung der Haut, welche, methodisch durchgeführt, wir am richtigsten atmosphärisches Baden oder Thermodiätetik benennen. Zu einer Erkältungs-Nachkrankheit bedarf es also stets einer un¬ natürlichen Ansammlung der Blut- oder Stoffschlacken; die Erkältung wirkt zunächst nur heftig erregend auf die Gefäßnerven, deren außer¬ gewöhnliche Bewegung sie zuerst und am stärksten auf die außerhalb des normalen Kreislaufes lagernden Stoffschlacken überträgt, was wir durch die verschiedenartigsten krankhaften Empfindungen vom leichten Schnupfen bis zur schwersten Erkrankung gewahr werden. Wo keine krankhafte Stoffschlackenansammlung vorliegt, kann sich das Einzelwesen (Individuum) enormen Erkältungen aussetzen, ohne das mindeste Nachweh wahrznnehmen. 57. Als Nagelproben hiefür führen wir Folgendes an: In unserm 42. Lebensjahre begannen wir niit täglichem Licht¬ luftbad morgens früh; Sommerszeit in Veldes unmittelbar nach dem Aufstehen, Winterszeit nach dem Frühstück; dasselbe wurde durchschnitt¬ lich auf wenigstens 2 Stunden ausgedehnt. Kein Wetter, mochte es noch so schlimm sein, konnte uns davon zurückhalten. Im Winter, damals in Triest wohnend, wurde die Lichtluftbadtour stets an dem 500 Meter hohen Karstberg hinauf ausgeführt. Nur wer die furchtbaren Winter¬ stürme am adriatischen Meerbusen kennt, weiß es, was das sagen will, täglich lichtluftbadmäßig die Karstspitze zu besteigen. Oben angelangt, war es zwecks Erwärmung im Rückwege nöthig, im Freien ohne jeglichen Schutz sich vollständig zu entblößen, um Unterkleider anzuziehen. Nicht gar so selten ereignete es sich, dass die Bäume an der Umkleidnngs- stelle infolge Borasturmes von oben bis unten mit durchsichtigem Eise 29 bedeckt waren. So vollbrachten wir durch 19 Winter mit allem mir erdenklichen Witterungswechsel über 3000 atmosphärische Bäder, wovon die Mehrzahl bedeutende, einzelne beispiellose Erkältungen mit sich brachten, denen gegenüber gewöhnliche Erkältungen im bürgerlichen Leben, wie solche angeblich vor Lungenentzündungen und vielen andern Krankheiten vorkommen, ein wahres Kinderspiel sind. Nicht nur erlitten wir von diesen zahlreichen außergewöhnlichen Thermalexperimenten keinen Schaden, sondern befanden uns nie gesunder und rüstiger, als in dieser vom 42sten bis 60. Lebensjahre dauernden Periode. Obwohl wir von Constitution keineswegs zu den Riesen zählen, indem uns Mntter Natur mit einem sehr schwach entwickelten Gefä߬ systeme ausgestattet hat, befinden wir uns, Gott sei Dank, im 68. Jahre in einem Gesundheitszustände, der von wenigen unseres Standes und Alters erreicht wird! Ebenso ist es Wahrheit, dass bei den vielen Tausenden atmosphärischer Bäder, richtig gesagt methodischer Erkältungen, welche von unseren Curgästen in Veldes seit 20 Jahren ausgeführt worden sind, nicht eine einzige gefährliche Nachwirkung, wie Lungen¬ entzündung, Schlaganfall re., sich eingestellt hat; allerdings wurde bei diesen letztem als «Nichtgesunden» darauf gesehen, wenige Stunden nach dem Erkültungsbad das Wärmegleichgewicht durch ein Sonnen- oder ein Dampfbad regelmäßig wieder herzustellen. Diese Tausende tatsächlicher Beweisproben an Gesunden und Kranken erhärten unseres Erachtens genügend die oben gestellte Grnnd- lehre (Theorie). 58. Bekanntlich ist jede Theorie grau, d. h. wertlos, so lange dieselbe nicht durch ausreichende Erfahrung bestätigt wird. Als einen Beweis, wie die stärkere Hautabkühlung in der Luft durch Nervenrückstrahlnng auf die Jnnenorgane wirkt, diene folgendes Beispiel' Sowohl eine rasche, heftigere als auch eine milde, andauernde Abkühlung macht sich be¬ reits immer zuerst an der Harnblase bemerkbar; deren Zusammenziehung geht verhältnismäßig so stark vor sich, dass man selbst einen geringen Inhalt derselben bald und öfter entleeren muss. Ein ähnlicher Vor¬ gang kann Husten Hervorrufen, indem die Brustschleimhaut durch Zu¬ sammenziehung gezwungen wird, den in ihr angesammelten Schleim abzustoßen. Uebereinstinimend geht die zusammenziehende Rückwirkung auf sümmtliche Organe über. Wird Erhitzung im Gleichgewicht mit der Abkühlung eingehalten, so ruft dies eine energische vollständige Leistung der Organe hervor, was einem regelrechten Kreislauf der Säfte gleich¬ kommt. Die Moral hiervon ist, dass, wenn unsere Organe auch ohne unser Zuthun sich bewegen, diese angeborene Bewegung nicht genügt, den Stoffwechsel geregelt aufrecht zu halten, sondern ein Naturgesetz will, dass wir durch naturgemäße Erhitzung und Abkühlung des Kör¬ pers dem Kreislauf nachhelfen. Die Vernachlässigung in der Thermal- übnng der Haut, d. i. im atmosphärischen Baden, zieht nicht nur Schwä¬ chung dieser, sondern des ganzen Körpers «Organismus) nach sich. 30 59. Nachdem das atmosphärische Bad nur in Gottes freier Natur ausgeführt werden kann und es dafür absolut keinen künstlichen Ersatz gibt, sollten die gymnastischen Schulübungen sowie die Gebirgstouren weislich dazu ausgenützt werden, um das Gesundheitscapital der jungen Leute wesentlich zu erhöhen. Wenn einmal die Erkenntnis in die Massen eingedrungen sein wird, dass im atmosphärischen Baden mehr Wert als im Wasserbaden liegt, dann werden für die Städter Lichtluftbad¬ parke, für die rauhe Jahreszeit Lichtluftbad-Arenen erstehen; letztere mit Glas bedeckte Baulichkeiten, welche eine Mittelstufe zwischen Treib¬ häusern und Reitschulen einhalten. Unbestreitbar hat das Wasser eine große Berechtigung, mit unserm Körper in Berührung gebracht zu werden, als Reinigungsmittel, zwecks Abkühlung im Sommer und in Fiebern, als Wärme-Anwendungsmittel (Warmwasser-Umschläge) bei Nervenschmerzen. Krämpfen rc.; kurz, in diesen und anderen Fällen vorübergehender Art gebürt ihm sogar der Vorrang vor der Luft und dem Lichte; allein wenn es sich um Kraftgeben, um Nervenkraft-Ent¬ wicklung handelt, das Haupterfordernis zum Leben und Gesundsein, dann muss dasselbe vor den erhabeneren Elementen Luft und Licht weit zurückstehen. In dieser Beziehung ist das Wertverhältnis dieser drei Flüssigkeiten für unfern Körper gleich ihrer Bewegungsfähigkeit oder Geschwindigkeit. Das Licht besitzt die höchste, die Luft eine mittlere, das Wasser die schwerfälligste Bewegung. 60. Zu richtigem Lichtluftbaden gehört als Hauptsache das Barfu߬ gehen, wogegen das Barhauptsein einigermaßen bedingt ist. Unsere Fußplatten sind nicht umsonst mit einem reichhaltigen Nervenfasernetz ausgestattet. Die atmosphärische Thermalübung der Fußnerven ist von vielfältiger Rückwirkung auf den ganzen übrigen Körper, wie es nur derjenige zu würdigen weiß, dem Gelegenheit Angebote stand, zahl¬ reiche Beobachtungen darüber anzustellen. Nicht nur bewährt es sich als das beste Mittel gegen chronisch kalte Füße, sondern wirkt lebhaft anregend auf die Unterleibsfunctionen, stärkend auf das Rückenmark und ableitend von der Brust, dem Hals und dem Kopf. Einer großen Anzahl Leiden würde durch tägliches (diätetisches) Barfußgehen nicht nur vorgebengt, sondern ebenso zu deren Heilung wesentlich beigetragen, namentlich bei Kopfleiden. Mutter Natur hat uns auf diesem einfachen Wege eine mächtige Hilfe in die Hand gelegt, den vielfältigen Gehirn¬ leiden entgegenzuarbeiten. Es ist so einfach, und doch oder gerade des¬ halb denkt weder ein Arzt noch ein Professor (der chemischen Schule) daran, dasselbe den Kopfleidenden zu verordnen, noch werden die Jünger Aeskulaps darüber belehrt. Da wir häufig in den Fall kommen, das Barfußgehen als physikalisches Heilmittel zu verordnen, ist es am Platz, Neulingen darin hier Anleitung zu ertheilen. 31 61. Individuen, welche für Erkältung an den Füßen empfindlich oder überhaupt reizbarer Natur sind, sollten zuerst ihre Füße gewissermaßeu vorbereiten; hiezu eignen sich kühle bis kalte Abreibungen mittels grober Handtücher, wozu je zwei Minuten Reibung an jedem Fuß genügen; nach dem Anziehen frischer Fußsocken und Schuhe erwärme man sich sofort durch ausgiebige Bewegung. Ist man mit der Fußabreibung bei Wasser von 10 bis 8 Ick angelangt, dann beginne man in der rauhen Jahreszeit mit directem Barfußgehen auf Zimmerböden, Hansgängen, Teppichen; in der bessern Jahreszeit auf trockenem Rasen und trockenen Fußwegen durch etwa fünf Minuten, lege täglich eine bis zwei Minuten zu und mache darauf gut fußbekleidet den Erwärmungsmarsch. Zu viertelstündigen: Barfußgehen auf trockenem Boden vorgerückt, kann man dasselbe bei mäßig kaltem Wetler auch auf feuchtem oder nassem Boden oder im Hause auf kalten Steinplatten vornehmen. So oft sich nun Gelegenheit bietet, auf rauherem Boden, wie auf Feldwegen, Landstraßen, barfuß zu gehen, versäume man dies nicht, in kurzer Zeit vollzieht sich dies bei den meisten leicht. Wo es nöthig und möglich ist, trachte man in der Folge in der Früh ini Morgenthau, alsdann aber auch, um das Gleichgewicht einzuhalten, mittags auf der heißen Straße barfuß zu gehen. Betreibt man diese gesundheitlichen Märsche im Winter, versäume inan nicht, die Gleichgewichtsherstellung ab und zu durch Fußdampf¬ bäder oder warme Fußbäder herbeizuführen; im Unterlassungsfälle würden die Füße nach kürzerer oder längerer Zeit kälter statt Würmer werden. Unmittelbar nach den Mahlzeiten ist das Barfnßgehen nicht angezeigt, wenigstens nicht bei kühleren Temperaturen. Regelmäßiges Barfußgehen, namentlich im Freien* bringt die Füße infolge verstärk¬ teren Blutzuflnsses in geschwellteren Zustand, so dass manchmal die bisher getragene Beschuhung zu enge wird. In dieser Erscheinung liegt auch der Beweis der Ableitung von den oberen edleren Organen, nämlich vom Kopf, Hals nnd Brust. Durch Entblößung der Füße bis an die Knie hinauf tritt die ableitende Wirkung in erhöhtem Maße ein. Geistig angestrengt Arbeitenden ist es sehr zu empfehlen, die Füße zeitweilig zu entblößen, indem schon der bloße Luftzutritt und Lust¬ wechsel genügt, mehr Blut in die Füße zu ziehen, wovon man sich durch ihre merklich stärkere Röthung bereits nach '^stündiger Befreiung von der Luftabsperrung überzeugen kann. Werden die Füße hierbei auch kalt, so ist dies entschieden vorzuziehen, als dieselben unter der Beklei¬ dung blasskalt, d. i. blutleer, werden zu lassen. Rasche Wiedererkaltung der Füße nach einem Erwürmuugsgang bedeutet, dass derselbe zu kurzdauernd war, oder aber, dass mau gegen¬ über der Erwärmungsfähigkeit auf zu kalten: Boden oder zu lange bar- suß gegangen ist. Bei anhaltender Uebung in: Barfnßgehen wird inan * Es ist praktisch, hierzu ein Stückchen, cirea '/2 Meter, braunen Baumwoll- sarsenet mitznuehmen zwecks Fußreinigung vor dem Wiederanziehen der Fußbekleidung. 32 staunen, wie bald man es zu großer Fertigkeit bringt, rauhen, steinigen Boden zu überschreiten. Vornehme Damen haben es hierin in Veldes zu wunderbarer Leistung gekracht. Der Verfasser dieses hat im Jahre 1866 den Rigi, den Piz Languard und Piz Ott im Engadin nicht nur bergauf, sondern auch bergab vollständig barfuß bestiegen, was damals als Tonristen-Helden- stnck in mehreren der verbreitetsten europäischen Zeitungen, selbst im mexikanischen Moniteur mitgetheilt wurde — eine nach unserer Ansicht unverdiente Aufmerksamkeit! 62. Ein Lichtluftbad, bei heiterem Himmel, ruhiger Luft uud mittlerer Wärme (16 und 12° U), selbst im Schatten vorgenommen — erzeugt das wonnigste Gefühl körperlichen Daseins. Die mittleren und angenehmeren Temperaturen des atmosphärischen Bades regen das Nerven- und Blutleben im Körperumfange so wohl- thätig elektrisch an, dass man direct den wirklichen Auskühlungsgrad des Blutes nicht wahrnimmt; erst in der gewohnten Kleidung nach Hause zurückgekehrt, falls man dabei keinen langen Marsch vollzog, kehrt die bis in die Knochen eingedrungene Abkühlung allmählich in die Haut zurück. Die belebende Erstwirkung des Lichtluftbades erfüllt die meisten Badenden mit hoher Begeisterung für dasselbe und lässt sie, wie oben erwähnt, sich des Abkühlnngsgrades, dem sie sich unterziehen, nicht sofort bewusst werden. Dieser wird allerdings in der Cur zu Veldes durch ein unmittelbar, längstens in ein paar Stunden nachfolgendes Sonnenbad oder Dampfbad wieder ausgeglichen. Indessen ist der Sach¬ verhalt hier zu erwähnen nöthig, weil uns die Erfahrung belehrt hat, dass nicht selten unsere in ihre Heimat zurückgekehrten Cnranten nur die abkühlenden atmosphärischen Bäder betreiben, zu einem Schwei߬ marsch oder Schweißbad sich jedoch nicht die Zeit nehmen und durch diese einseitige Praxis mehr Schaden statt Vortheil daraus ziehen. Zur Ausführung der Lichtluftbüder außerhalb einer Curanstalt, nämlich bei Hause, sollte man stets wollene Unterkleider am Gürtel oder unterm Arm getragen mit sich nehmen und sie dann bei Beginn des Rückmarsches anziehen, um in vollem Schweiß zurückzukehren, ver¬ steht sich, mit nachfolgendem Wäschewechsel. Ist die Abkühlung stark aus¬ gefallen, sorge man selbst für Nachdüustung durch ein paar Stunden. Diese Regel ist umso strenger einzuhalten, je älter man ist, weil mit dem zunehmenden Alter nach überstandenem Lebenszenith die Elasticität der organischen Faser abnimmt. Bravourstückchen in der Auskühlung sollen oder dürfen sich bloß gesunde und nur im atmosphärischen Baden geschulte Leute erlauben. 63. Treten trotz dieser Umsicht nachträglich unbehagliche oder krank¬ hafte Rückwirkungserscheinungen auf, so sei man außer jeglichem Zweifel versichert, dass Körper oder Blutschlacken in Bewegung gesetzt worden 33 sind, und je früher diese austreten, desto besser, indem nur die Veraltung und Ansammlung derselben schwere Krankheiten begründet. Bei Erschei¬ nungen nicht heftiger Art setze man unbedingt die Lichtluftbader ganz gleichmäßig fort, wobei mau ohneweiters als Sieger und gekräftigt aus der Krise hervorgehen wird. Ist die Rückwirkung von Bedeutung, so rufe man, vorausgesetzt, dass man sich nicht selbst zu helfen weiß, einen Arzt, welcher die Erscheinungen natürlich auffasst und, die Natur unterstützend, nur auf Lösung der Schlacken, beziehungsweise auf Ableitung und Zertheilung der angehäuften Blut- und Nerven¬ flüssigkeit bedacht ist, nicht aber durch Abschwächungs- oder Lühmungs- maßregeln mit Todtschlag über die Nerven herführt. 64. Allerdings, je größere Wärme-Unterschiede zwischen atmosphärischer Abkühlung und Erhitzung ohne Nachwehen vertragen werden, desto kräftiger ist und wird das Nervensystem. Dies gilt keineswegs absolut von den mittels Wassers hervorgernfenen Temperaturwechseln, wie z. B. zwischen Dampfbadhitze und kalten Regendouchen. Auf heftige Reize, wie es die letzteren sind, antwortet ein träges, schwaches oder stumpfes Nervensystem oft recht gut, dagegen schlecht oder sogar rückwärts auf die milden atmosphärischen Reize. Es verhält sich hier ganz ähnlich wie bei einem schwachen, trägen Magen, welcher auf ein reizendes Glas Wein gut, dagegen auf ein reizmildes Glas Wasser schlecht rückwirkt, nämlich Magendrücken, Krampf rc. hervorruft. Wo Lichtluftbäder im Freien unausführbar sind, räumen wir denselben, im Zimmer genommen, vor¬ ausgesetzt, dass sie richtig ausgeführt werden, vor den Kaltwaschungen entschieden den Vorrang ein. Wenn man hierbei ab und zu ein kräftiges Trockenreiben der Haut mit bloßen Händen oder Reibhandschuhen ver¬ bindet, so wird dadurch die wichtige Blutkörperchenströmung in die Haut befördert und der Lichtlufteffect einigermaßen ersetzt. Für Städter können immerhin sogenannte Kleidungsluftbäder als wertvolles Abhärtungs-, beziehungsweise Kräftigungsmittel empfohlen werden. Sie bestehen darin, täglich ein- oder mehrmals recht leicht gekleidet auszugehen, um die Haut merklich abzukühlen. Bei voraus¬ sichtlich intensiver Abkühlung erwärme man sich auf dem Rückwege kräftig mittels mitgenommener Oberkleider oder auch durch nochmaligen Ausgang in schwerer Bekleidung. Bei milder Abkühlung genügt nach der Rückkehr der Aufenthalt im warmen Zimmer in dichter Bekleidung oder das Lagern im warmen Sonnenschein. Bergsteiger, welche im atmosphärischen Bad eingeschnlt sind, wer¬ den ihre Collegen, welche dasselbe nach bisheriger Bekleidungsschablone ausführen, bedeutend überholen und viel erfrischter auf der Höhe an¬ langen. Fühlen sie wegen starker Auskühlung beim Steigen ein Schwei߬ bedürfnis, so befriedigen sie dieses beim Bergabsteigen, da in der Regel im Thale unten zu einer längeren Ruhezeit, sowie nm die Wüsche zu wechseln und die Haut durch ein Bad zu reinigen, weit mehr Gelegenheit geboten ist. 3 34 65. Eine geübte Haut, d. h. das in ihr ausgebreitete Nervenfasernetz, spielt in der Zusammenziehung und Ausdehnung beinahe eine ebenso sichtbare Rolle, wie beispielsweise eine Handharmonika. Rasch vollzieht sie diese Doppelbewegung, je nachdem bald Sonnenschein, bald kühle Schatten oder Winde sie bestreichen; großen Hirsekörnern ähnlich treten dann die wichtigen Hautdrüschen hervor, deren circa 7 Millionen im ausgewachsenen Körper vorkommen sollen. Es lässt sich leicht vor¬ stellen, dass die volle Arbeitsleistung derselben, nämlich in der Aus- athmung abgelebter Gase und Dünste und in der Einathmung reiner Luft (Exosmose und Endosmose), für die Gesundheit von Bedeutung sein muss. Das massenhafte Heraustreten der Hautdrüschen nennt man gemeinhin Gänsehaut. Diese Erscheinung methodisch hervorznrnfen und wieder auszugleichen bildet eine wahre Hautgymnastik, wissenschaftlich aus¬ gedrückt: die zeitweilige Uebung der Gegensätze in der Hank ist, wie überall, auch hier ein lebenerhaltendes Gesetz. Von den in Europa lebende» Völkerrasseu habeu es jedenfalls die Zigeuner in der Abhärtung am weitesten gebracht, und dürften sie, wahrscheinlich unbewusst, die höchste Stufe darin erreicht haben. Es ist wahrhaft staunenswert, dass bei diesen Halbwilden beinahe alle Körper- theile dieselbe Widerstandskraft gegen heftige atmosphärische Einwir¬ kungen erlangt haben, wie bei uns das Gesicht, welches wir ebenfalls schutzlos fast allen Atmosphärilien preisgeben. Auch die Neger sowie andere Völker, trotzdem sie im tropischen Klima leben, geben uns durch ihre Kraftleistungen den Beweis, wie nervenstärkend atmosphärisches Baden wirkt, beziehungsweise, wie sehr schwächend übertriebenes Bekleiden und das Absperren von Sonnenlicht und Luft bei uns Europäern sich gestaltet. Zweifellos erfordert es für die traurigen europäischen Nervencon¬ stitutionen einen gewissen moralischen Muth, täglich, d. h. sozusagen bei jeglichem Wetter, sich lichtlnft zu baden, allein ebenso gewiss verleiht diese Methode nicht wenig moralische Kraft bei längerer Durchführung derselben. 66. Zur Vervollständigung in der Lichttuftaneignung gehört ferner, unseren Wohnrüumen, besonders den Schlafzimmern, in welchen wir circa des Lebens verbringen, Licht und Luft methodisch zugänglich zu machen, ebenso unsere Bekleidung und namentlich das Bettzeug systematisch auszulüften und einznsonnen. Die Besonnung unserer Leibeshüllen ist das beste, herrlichste Mittel, um sie von der in dieselben, eingedrungenen Leibesausdünstung, welche den bekannten ekelhaften Geruch verursacht und die Ursache vieler epidemisch wie einzeln anftretender Krankheiten bildet, zu reinigen. Der köstliche Ozongeruch, welchen alle besonnten Bett- und Kleidungsstücke anfnehmen, ist durch 35 kein Kunstmittel ersetzbar. Werden die betreffenden Gegenstände vor dem Besonnen noch befeuchtet, so ist der Zersetzungsprocess der ein¬ gesogenen Ausdünstungen, bei gänzlicher Austrocknung an der Sonne, ein noch vollständigerer, daher sonnengetrocknete Wüsche vor jeder andern Trockenmethode den Vorzug verdient. Das Bettzeug sollte regelmäßig täglich zwei bis vier Stunden licht- gelüftet werden, ebenso, wenn nur möglich, die je einen Tag getragenen Kleider, und zwar die Innenseite nach außen gewendet. In den Städten ist bei deren jetziger dichter Bauart beides leider beinahe unmöglich, wenigstens so lange die Polizeivorschriften Wäsche und dergleichen aus den Fenstern zu hängen verbieten; ein deutlicher Beweis, wie sehr das dichte Aneinanderwohnen der Menschen gesnndheitsstörend wirkt. Wo das Lichtlüften absolut unmöglich ist, vertheile man sofort nach dem Aufstehen die Bettstücke im Zimmer herum und lasse sie so bei offenen Fenstern wenn möglich bis abends, ebenso die tagszuvor getragenen Kleider. 67. Für die Schlafzimmer genügt es durchaus nicht, dass deren Fenster den ganzen Tag offen sind, sondern man gewöhne sich, mit Ausnahme der wenigen kältesten oder stürmischen Nächte, regelmäßig bei offenen Fenstern zu schlafen, indem es wahrlich für den Zustand unseres Blutes nicht gleichgiltig ist, ob wir täglich 8 Stunden reine, sauerstoffgesättigte, oder aber von unseren Ausdünstungen verpestete Luft einathmen. Hier ist das Sprichwort: «Die schlechteste Luft draußen ist besser als die beste drinnen» von voller Giltigkeit; wenigstens in Großstädten und dichten Ortschaften ist die Nachtluft vermöge des Still¬ standes der vielen Rauchfänge und der gewerblichen Ausdünstungen ent¬ schieden reiner als die Tagesluft. Das Schlafen bei offenen Fenstern bedarf allerdings etwelcher Vorsichtsmaßregeln. Erstens soll die einströmende Luft nicht direct an den Kopf anschlagen; wo dies nicht zu vermeiden ist, muss derselbe durch eine spanische Wand oder einen Vorhang geschützt werden; zweitens ist manchen Personen eine mehr weniger dichte Nachthaube anzurathen, indem ohne solche die Abkühlung der Kopfhaut so stark sein kann, dass Sinnesstörung, chronische Schnupfen, Halsleiden re. daraus enstehen. Für Schwächliche, Reizbare in den Halsorganen und alle katarrhalisch Erkrankten ist es angezeigt, über Nacht auf eine gemäßigte Wärme der Schlafzimmerluft zu halten. Um bei herrschenden Nebeln das stärkere Eindringen der Feuch¬ tigkeit hintanzuhalten, lasse man mit feinem Fliegengas überzogene Fensterrahmen einsetzen, an welchen der Nebel größtentheils hängen bleibt. Die gute Sitte des Schlafens bei offenen Fenstern, wozu man allerdings eine Decke mehr benöthiget, weckt allmählich ein sehr scharfes Geruchsorgan, wodurch man die unreine Luft in den Wohnräumen viel schärfer wahrnimmt und zum fleißigeren Lüften derselben unwill¬ kürlich gedrängt wird. 3« 36 68. Die Wohn- und Arbeitszimmer sollte man täglich morgens und mittags gründlich lüften, was am besten mit Durchzug geschieht, wozu einander gegenüber liegende Fenster oder Thüren, welche ins Freie münden, geöffnet werden müssen. Mit Dnrchzug gelüftet, wird in der halben Zeit ein gründlicherer Luftwechsel erzielt, als ohne Durchzug in der doppelten Zeit, so dass im erstem Falle durchschnittlich 10 bis 15 Minuten genügen. Mit Ausnahme der extrenien Hitzestunden halte man die Sonne weder durch Vorhänge noch Balken vom Eindringen in die Wohnränme ab. Ein italienisches Sprichwort sagt: «Wo die Sonne einkehrt, kehrt der Arzt umsoweniger ein.» Ihre Licht¬ strahlen sind die vorzüglichsten, Bewegung ertheilenden Triebfedern und Verbesserer selbst der eingesperrten Luft, daher sonnseitige Wohnungen stets einen großen Vorzug vor den nach Norden gelegenen verdienen. Von selbst versteht es sich nun, dass das Tragen von Sonnen¬ schirmen, wenigstens in unserem Klima und besonders von Seite der Männerwelt, ein arger Missbrauch, ein wirklicher Verstoß gegen die Ge¬ sundheitsgesetze ist. Man kleide sich leichter (eben durch gewohnheits¬ mäßiges Luftbaden eingeführt), nähre sich weniger erhitzend in mäßi¬ gerem Genuss von Fleisch und geistigen Getränken, dann wird man den Sonnenschein in der Regel nicht nur nicht fliehen, sondern gerne noch aufsuchen! 69. Forbes Winslow hat in seinem Werke: lligllt, its in- flu oiroo on lits unci llsullk, London 1867, S. 34 u. w., den großen Einfluss des Sonnenlichtes auf das Wachsthum der Menschen nach¬ gewiesen. Den Kindern kann man in keiner andern Weise, als durch frühzeitige Einführung methodischen Lichtluftgenusses, das höchstmögliche Gesundheitscapital mit auf den Lebensweg geben, und wir fragen: Was ist wertvoller als Gesundheit im harten Kampf ums Dasein? Ja selbst Eltern ohne Kinder oder mit schwächlichen, ungesunden Kindern kann eine Lichtluftcur zwecks Erzeugung kräftiger Sprossen nicht genug empfohlen werden! Ueberhaupt gewährt eine solche bei verhältnismäßig kurzer Dauer eine Kraftvorrathskammer für den folgenden Winter, beziehungsweise eine Aussaat, deren Ernte man erst später mit großer Befriedigung einheimst. Die göttliche Sonne ist und bleibt das vornehmste Lebenselcment, davon haben wir in unserer naturärztlichen Praxis innerhalb 43 Jahren die mannigfaltigsten Beweise erlebt? * Während der Curperiode lasse man sich, auf die Erstwirkung allein gestützt, nie zu einem adsprcchendcu Urtheil verleiten, sondern man lege ebensoviel, wenn nicht mehr Gewicht, besonders bei älteren Leiden, auf die Nachwirkung, welche nach unseren bisherigen Erfahrungen sich auf die 4- bis 8fache Zeit der durchgeführten Curperiode theils nut heftig auftretendem (kritischem), theils mit nnbemerkbar vor- sichgehendem (lytischem) Charakter erstreckt. 37 70. Zur Heranziehung eines kräftigeren, rüstigeren Geschlechtes, als die jetzige traurige Generation sich erweist, sind folgende Regeln bei der Kinderwelt, überhaupt bei der Jugend einzuführen nöthig: 1. ) Täglich 1- bis Mündiges, absolut nacktes Luftbaden, im Winter im warmen Zimmer, in der besseren Jahreszeit und sobald die Kleinen ordentlich bewegungsfähig sind, in einem Gartenpark oder Walde. 2. ) Leichte Bekleidung im allgemeinen, meistens barfuß und bar¬ haupt. 3. ) Die Jugend so viel nur möglich, selbst bei rauhem Wetter, im Freien gehalten. 4. ) Monatlich 2 bis 4 Reinigungsbüder, am besten Bettdampf- bäder (Mangels an Sonnenschwitzbädern). 5. ) Kräftige einfache, vegetabilische Kost, hauptsächlich aus Milch-, Mehl- und Obstspeisen bestehend. Bürgerliche und adelige Familien, welche diese unsere Rathschläge getreu an ihren jungen Sprossen befolgten, sind voll des Lobes über die erlangten Resultate. Wer aber gleich uns oftmals Gelegenheit hatte, sich zu überzeugen, wie abergläubisch das Volk, hohen wie niederen Ranges, noch an dem Ablasskram der in der Apotheke käuflichen Mittel hängt, wie es durchtränkt ist vom Medicinalsiechthum, durchseucht vom Jmpfgift und Alkoholismus, vergiftet von schlechter Luft und verfälschter Nahrung, den wird es nicht wundern, dass der großen Menge der richtige Ausblick zur Erkennung des geraden Weges nach dem schönen Lande «Gesundheit» abhanden gekommen ist; der wird es auch begreifen, dass wir, von höherem Standpunkt aus, begeistert für echte Gesundheitslehre in die Schranken treten, zu deren Verbreitung im Volke mitzuwirken wir alle Gebildeten, namentlich die Kinderfreunde, dringend auffordern! 71. Es ist ungleich leichter, Krankheiten zu verhüten, als zu heilen, ersteres aus mehrfachen Gründen klüger und vortheilhafter. Allein dazu gehört in erster Linie das Aufgeben des Aberglaubens, dass Krankheiten zufällig von außen angeflogene Uebel seien (wozu auch die in unseren Augen total morsche Lehre der absoluten Ansteckungen gehört), ander¬ seits die Aneignung der Grnndlehre, dass alle Krankheiten aus Ver¬ stößen gegen die Naturgesetze hervorgehen, deren Wurzeln häufig schon jahrelang im Körper sich eingenistet haben, und zugegeben, dass sie leider auch manchmal durch Eltern auf Kinder übertragen werden. Das Forschen nach den Gesetzen gesunden Lebens, sowie das strenge Prüfen unserer Lebensweise, wenn wir krank geworden sind, muss daher als erstes Gebot wahrer Lebensweisheit erscheinen, — wert¬ voller, wichtiger als die Kunst, Kranken zur Gesundheit zu verhelfen; leider aber ist ersteres — weit undankbarer! In dieser Beziehung handeln die Chinesen klüger: sie Honoraren ihre Aerzte für die Periode der Gesundheit! 38 72. Schlusswort. Zur Begründung der vorliegenden Abhandlung scheinen uns die passenden Aussprüche zweier wissenschaftlicher Männer sehr erwähnens¬ wert, nämlich jene des Astronomen Ginzler, welcher erklärte: «Wenn jemand mit einer aus Beobachtungsreihen gefundenen Wahrheit austritt, dafür eine Erklärung gibt und hinreichende stichhaltige Gründe für seine Ansicht beibringt, so ist dies Verfahren logisch und darum , wissen¬ schaftlich', jedes andere Beginnen ist unwissenschaftlich»; ferner Dr. Fischhofs: «Was ist denn noch im Staate zu vertheidigen, wenn es nicht die Gesundheit und der Wohlstand seiner Bürger ist? Der Bildung verdanken die Völker wie Individuen die gesteigerte Fähigkeit, den sie überall umlauernden Gefahren und Schädlichkeiten zu widerstehen; die mittlere menschliche Lebensdauer hat in Europa mit der Volksbildung zugenommen. Sie beträgt derzeit in der hochcivilisirten Schweiz 34, in Russland nur 19'/z Jahre.» Muthig vorwärts auf der Bahn, Die uns führt von Nacht zum Lichte! Machet — alles setzet d'ran — Jedes Wahn-Idol zunichte! Statt nach allopath'schem Stil Oder sonst fanat'scher Weise, Lieber man genesen will Treu in der Natur Geleise. Statt nur in der nassen Flut, Lerne baden — auch im Lichte! Lichtes Wärme Wunder thut, Schöpfung lehrt es und Geschichte! Heut — in unserer Dampf-Lichtzeit, Wo man weiß mit Blitz zu schreiben — Soll das Heil von Seel und Leib Wahrlich nicht dahinten bleiben. Wasser — freilich — thuts zur Noth, Doch wir sind ja keine Fische, Denen Luft Verderben droht, Licht wir lieben selbst am Tische! So mit Wasser, Luft und Licht Sich Bewegung taktvoll einet — Leben oft den Sieg erficht, Da man schon den Tod vermeinet! — 39 — 73. O. Wesondere AusübrrngsregeLn, narnentLich für unsere LicHtLuftcurunten in Weldes. Um die Lichtlustbäder curmäßig, d. i. regelniäßig bei jedem Wetter durchzuführen, muss mau mit dem nöthigen Zubehör versehen sein; gehört gleichwohl für die Sommermonate allein bedeutend weniger hierzu, wie für das ganze Jahr, so gibt's immerhin auch zu dieser Jahres¬ zeit so gewaltige Wetterveränderungen, dass Folgendes unumgänglich, wenigstens für die entfernteren Lichtluftbadstationen, nöthig ist: 1, ) Ein dünneres und ein dichteres Unterleib!; 2. ) eine dünnere und eine dichtere Unterhose; 3,s eine weite leichte Hose, noch besser offene weite, sogen. Kniehose; 4. ) eine dünnere und eine dichtere Jacke (Röcke sind höchst unpraktisch); 5. ) ein kurzes Luftbadhemd mit offener, weit ausgeschnittener Brust und kurzen Aermeln; 6. ) ein langes Luftbadhemd, wozu jedes alte, noch gute Hemd tauglich ist; 7. ) ein Paar recht niedrige Schuhe mit breiten flachen Absätzen, sogenannte Feldpantoffeln; 8. ) eine Feldkappe mit Tuchschirm; 9. ) ein Schuhwickler, d. i. ein Stück Baumwollzeng, nm die Schuhe ein¬ gewickelt am Gurt zu tragen, sowie nm zur Reinigung der Füße zu dienen; 10. ) zwei Paar Baümwollsocken und ein Paar wollene Strümpfe; 11. ) ein Regenschirm; 12. ) ein Luftbadgurt, falls man es nicht vorzicht, sein Gepäck durch einen Jungen tragen zu lassen; 13. ) ein Alpenstock zur kräftigen Uebung der Arm- und Brustmuskeln; 14. ) ein oder zwei Stück Oel- oder Kautschuktuch, um bei voraussichtlichem Regen die gerollt mitzunehmenden Kleider hinein zu wickeln; 15. ) unterhaltende Lectüre in kleinem Format. Für die rauhen Herbst- und Frühjahrstage bedarf es jedenfalls noch einer dritten Serie von Unterkleidern, nämlich wollener, sowie einer schweren Oberjacke und schwererer Oberhose. Alle Hilfsstücke sind in Veldes theils vorräthig, theils schnell beschafft, wie die Feldpantoffeln, Lichtbadhose. 74. Zu gewisfenhafteni Lichtluftbaden ist es erforderlich, im Sommer spätestens stz Stunde vor Sonneitaufgang aufzustehen, da die Ausrüstung wenigstens '/4 Stunde benöthigt und man doch in die kühlste Morgen¬ luft zu gelangen trachten soll. Nach dem Aufstehen ist stets das Erste, den Thermometerstand abzulesen und das voraussichtliche Wetter abzuschätzen, um sich ent¬ sprechend zu bekleiden und die richtig gewählten Unterkleider zwecks Erwärmung bei der Rückkehr an den Luftbadegurt anzuschnalleu. Hier¬ bei macht es indes einen großen Unterschied aus, ob man zur Sommer¬ zeit um 7, 8, 9 oder 10 Uhr zurückzukehren gedenkt, indem bei schönem Wetter die Sonne jede spätere Stunde merklich stärker erwärmt, sonach verhältnismäßig weniger Kleider mitzunehmen sind; bei schlechtem 40 Wetter wiederum, ob die Luft ruhig, in mittelmäßiger oder starker Bewegung ist. Kurz, bei dem verschiedenartigen Wetter, welches besonders im Frühjahr herrscht, treten für den Bekleidungsgrad vielfältige Ver¬ änderungen ein, welche die tägliche Erfahrung am besten lehrt. Bei gutem Sommerwetter hat der Lichtluftbadende von seiner Wohnung aus leicht bekleidet und barfuß zu gehen, nm das Schwitzen unter Kleidern strengstens zu vermeiden, womöglich gekühlt auf der Stätte anzulangen. 75. Bei unfreundlichem Wetter kann für schwächliche Anfänger, sowie bei anhaltendem Regen überhaupt für alle, ein Aus- und Rückmarsch in leichter Kleidung von 1 bis 2 Stunden Dauer genügen. Bei wahr¬ scheinlich vorübergehendem Regenwetter wartet man dasselbe ab, sollte man dabei auch erst um 8 Uhr auf die Lichtluftbadstätte gelangen und wegen unfreundlichen Wetters nur '/4 Stunde lichtluftbaden können, so genügt dies und ist immer besser, als sich demselben ganz zu entziehen. Bei mittelmäßigem Wetter hat man das Lichtluftbad auf l bis 2 Stunden auszudehnen, und bei schönem Wetter strebe man, nicht vor 10 Uhr zu Hause zu sein. Hier ist die Zeit, d. h. die Ausdauer, das Ausschlaggebende und nicht eine kurzdauernde, mehr weniger heftige Einwirkung, ähnlich den Kaltwasser-Anwendungsformen. Wesentlich aus dem letztangegebenen Grunde soll man nur aus¬ nahmsweise, als Neuling oder bei anhaltendem Regen, zu Hause früh¬ stücken; die Regel und sonach Curgebot ist, in allen anderen Fällen draußen zu frühstücken, also das Frühstück mitzunehmen. Ein Entgegenhandeln werden wir stets rügen und schließlich nicht dulden, indem verschiedene Nachtheile daraus entstehen, nämlich: 1. ) Wegen regen Hungergefühls wird stets zu früh nach Hanse gedrängt, dadurch das Lichtluftbad verkürzt; 2. ) weil mau hierdurch zu Hause verhältnismäßig spät zum Früh¬ stück gelangt, wird umso tapferer zugesprochen; der Magen bleibt als¬ dann zum nächstfolgenden Sonnen- oder Dampfbade nicht nur zu be¬ laden, sondern auch bis zum zweiten Frühstück zu wenig ausgeruht, beziehungsweise fallen dann alle drei Mahlzeiten bei der Veldeser Haus¬ ordnung zu nahe zusammen, was bei öfterer Wiederholung von ent¬ schiedenem Nachtheil für die allgemeine Curwirkung ist. 76. Da man in dem gegebenen Zeitraum von 2 bis 6 Stunden nicht stets auf den Beinen sein kann, so ist es angezeigt, für die längeren Ruhepausen eine erheiternde (keine Studien-) Lectüre bei sich zu haben, falls sie nicht durch Gesellschaftsgespräche ausgefüllt werden. Die entfernteren Lichtluftcuren ist nicht rathsam in größerer Gesellschaft zu machen; dies darf nur ausnahmsweise geschehen, weil 41 die Bedürfnisse in Beziehung auf Bewegung, Ruhe, Abkühlung, Er¬ wärmung, Frühstückszeit sehr verschieden sind. Ausgedehnte Lichtluft¬ badtouren ins Gebirge sollten höchstens in Gesellschaft von ein oder zwei gut harmonirenden Collegen vereinbart werden. 77. Da die Thermo-Elektrik im Wärmewechsel beruht und hierin die höchste Nervenkräftigung zu suchen ist, so darf man weder anhaltend im Sonnenschein liegen, noch im kühlen Schatten schwelgen oder frö¬ steln, ebensowenig durch Marschieren sich abstrapaziren, als beständiger Ruhe pflegen. Die richtige Mitte in allen Wechseln trachte jedermann nach seiner Eigenheit zu bethätigen. Im allgemeinen ist Bewegung angezeigter als vieles Ruhen, und kann erstere ab und zu, je nach dem Krästezustand, durch einen Dauerlauf gesteigert werden. Nach regelrechter Ausführung des morgendlichen atmosphärischen Bades erfolgt bei schönem Wetter die Rückkehr circa um 10 Uhr; es ist alsdann vor dem nächstfolgenden Bade ein ordentliches Ausruhen am Platz und daher angezeigt, sich für 1 bis 2 Stunden auf dem Bett auszustreckeu. 78. Bei absoluter Lichtluftcur, also ohne jegliche regelmäßige Wasser¬ anwendung, darf in manchen Fällen nur einmal, dafür reichlicher und später gefrühstückt werden. Circa um 1 Uhr wird alsdann das zweite Lichtluftbad (sieh allgemeine Curregeln, bei schönem Wetter das sogen. Natursonnenbad) angetreten, welches bis 4 oder '/§5 Uhr auszudehnen ist und keineswegs mit vollem Magen ausgeführt werden darf; nebstdem hat die längere Magenruhe, vom Frühstück bis zur Hauptmahlzeit circa 8 st? bis 9 Stunden dauernd, gleichzeitig den wichtigen Zweck, den ganzen Verdauungstract zu energischer Zusammenziehung zu veranlassen, was wesentlich zu dessen Reinigung und Kräftigung beiträgt. 79. Als allgemeine Regel im Lichtluftbad gilt ferner, dass, wenn man die Füße bedeckt, dies mit dem Kopfe ebenfalls geschehen soll, sowie es überhaupt richtiger ist, hie und da den Kopf allein bedeckt zu halten, die Füße hingegen frei zu lassen, nicht aber umgekehrt. Solche, welche an Blutandrang zum Kopf oder auch bloß zu den Augen leiden, thun gut, beim Ausruhen im Sonnenschein den Kopf leicht zu bedecken, hingegen beim Gehen gegen das Sonnenlicht, falls dasselbe nicht erhitzenden Grades ist, bloß einen Augenschirm (wie solche in der Anstalt vorräthig sind) zu tragen; wenn sie den Sonnenschein im Rücken haben, den Augenschirm über den Hinterkopf zu legen oder den Kopf ebenfalls unbedeckt zu lassen. 42 80. Das Lur-Sonnenbad. Unter Cur-Sonnenbad versteht man, mit entblößtem Körper sich in den Sonnenschein legen, wobei man die Rückstrahlung von nahen Wänden möglichst zuhilfe zieht. Ein solches Bad lässt sich an der Südseite jedes Hauses errichten; dies geschieht durch Aufstellung von spanischen Wänden oder zwei Meter hohen Bretterwänden, welche, den nöthigen Zwischenraum gewährend, zu beiden Seiten an die Hausmauer anschließen. Natürlich muss der freie Flächenraum innerhalb der Wände und der Blauer immerhin so groß sein, dass der Schatten der Wände am Boden des Baderaums genügend besonnten Raum frei lässt, um den ansgestreckt liegenden Körper vollständig zu besonnen; gut ist es, einen hölzernen Boden hineinzugeben, wodurch niehr Wärme rückgestrahlt wird, und sollte derselbe in der Richtung von Kopf zu Fuß bei Körperlänge um 15 Centi¬ meter schief liegen. Da die meisten Kranken den Kopf in Schatten zu legen haben, sorgt man für ein kleines Dach, welches diesen Schatten bietet, falls er nicht schon durch eine Seitenwand hervorgebracht wird. Für Schwerkranke wird ein Strohsack oder eine Matratze auf den Boden und darüber eine Wolldecke (Kotze) ausgebreitet, für Leichterkrankte genügt letztere allein. Zum Antritt des Sonnenbades legt man sich nackt längs der Wand, welche von Ost nach West aufgestellt ist, indem diese die stärkste Rückstrahlung bietet; hierbei ist es Regel, sich mit auseinander gehaltenen Beinen auf die Seite zu legen und circa alle fünf Minuten zu wenden; ab und zu kann auch Bauch- und Rückenlage genommen werden. Da die Lichtstrahlung sowohl von den Wänden als vom Himmelsgewölbe für die Augen mehr weniger angreifend ist, so thut ein Augenschirm noth, oder es wird ein Strohhut lockerluftig über die Augen gelegt. 81. Hnnt stellt Folgendes als Ergebnis seiner lüngern Forschungen hierüber auf: Im Sonnenlichte sind dreierlei Strahlen: wärmende, leuchtende und chemisch zersetzende. Diese drei wesentlichen Eigenschaften des Sonnenlichtes machen uns erst die Wirkung der Sonne auf die Pflanzen- und Thierwelt deutlich. Sie bedarf der wärmenden Strahlen bei allen ihren Lebensvorgüngen, da Wärme und Wasser die lösenden, verflüchtigenden Naturmächte sind, durch deren Thätigkeit die chemische Verwandtschaft, der Stoffwechsel, erregt wird, welche bei ganz bestimmten Temperaturen vor sich gehen; aber ebensosehr bedarf sie der zersetzenden und leuchtenden Strahlen, indem jede derselben gewisse Verbindungen und Lösungen begünstigt. Im Frühjahre herrschen die zersetzenden Strahlen vor; später mehren sich die leuchtenden und wärmenden, 43 welche im Sommer den ersteren das Gleichgewicht halten; gegen Herbst vermindern sich die leuchtenden und zersetzenden Strahlen, wogegen die wärmenden zunehmen und vorherrschen. 82. Handelt es sich darum, im Sonnenbad zn schwitzen, was in allen langwierigen Leiden sehr angezeigt ist, so sind natürlich die heißen Mittagsstunden zwischen 11 und 3 Uhr die geeignetsten. In dieser Tageszeit dauert das directe Sonnenbad zwischen 20 bis 40 Minuten; hierauf wird die von der Sonne gut erwärmte Wolldecke einfach über den Körper gelegt, am Rande desselben, besonders bei den Füßen und am Hals, gut zugestopft. So bedeckt bleibt man, ohne sich umzuwenden (indirektes Sonnenbad), 10 bis 30 Minuten liegen, damit die warme Luftschichte zwischen der Wolldecke und der Haut nicht bewegt wird, wobei in der Regel der Schweiß sehr leicht und in angenehmer Weise fließt. Gegen Sonnenwärme empfindliche oder sehr geschwächte Personen haben natürlicherweise mit dem kleinern Zeitmaß zu beginnen und all¬ mählich die Dauer des direeten uud indirekten Sonnenbades zu verlängern. 83. Bei aufmerksamer Untersuchung wird man im direkten Sonnenbad stets beobachten, dass der der Sonne zugewendete Körpertheil infolge des starkem Zudranges des Blutes gerötheter und angeschwellter ist, dagegen der dem Sonnenlicht abgewendete Theil mehr schwitzt und blasser wird. Der erstere Zeitabschnitt, nämlich das Nacktliegen im Sonnen¬ licht, ist sonach stets wichtiger und sollte deshalb von entsprechend längerer Dauer als das mittelbare Sonnenbad sein. Ist also das Schwitzen eines bestimmten Körperteiles oder des ganzen Körpers erforderlich, so muss der betreffende Theil eine Zeitlang stets mittelbar, nämlich unter einfacher Bedeckung, der Sonne ausgesetzt werden. 84. In der offenen Sonnenbad-Gallerie in Veldes in Oberkrain erreicht die Temperatur gewöhnlich iu der ersten Woche des September zwischen zwei und drei Uhr die höchsten Hitzgrade, nämlich 55 bis 60 o U. Bei schöner Herbstwitterung kann man daselbst bis 21./22. Oktober noch ziemlich schwitzen. Wir kennen keine wonnigere Belebung als jene, welche der Abkühlung nach einem kräftigen Sonnenbad durch ein mildes Halbbad oder Vollbad folgt. Welch entzückendes Leben rieselt dann durch Nerven und Adern!!! Dieses Doppelbad täglich ein- bis zweimal vorgenommen, bildet eine wahre Stärkungscur, selbst für sehr alte Leute. Das Cur-Sonnenbad ist auch im Winter, im gut geheizten Zimmer (auf 18 bis 22° um die 44 Mittagszeit hinter Hellen Fenstern ausgeführt, von großem Nutzen und allgemein die vorzüglichste, durch kein Kunstmittel ersetzbare Vorbereitung für nachfolgende Abkühlung mit kühlem und kaltem Wasser. Wenn es nicht übertrieben wird, ist dessen Rückwirkung heilbringender, als nach jedem andern Erhitzuugsbad, wofür wir interessante Beispiele auführen könnten. 85. Wenn schmerzhaft leidende Körpertheile in der Nachwirkung des Sonnenbades erregter, geschwächte Theile sich schwächer zeigen, so sind dieselben in Zukunft im directen Sonnenbad besonderer Behandlung zu unterziehen, d. h. sie müssen entweder mit gelinde kühlenden Umschlägen kühl gehalten oder durch trockene Schattenumschläge zum Schwitzen ge¬ bracht und nur allmählich dem directen Sonnenbad zugeführt werden. Z. B. bei krankhaften Pollutionen sind in der Regel das Rückenmark in der Hüft- und Kreuzgegend oder die Schamtheile nebst den Vor¬ steherdrüsen (Prostata) die überreizten Organe, weshalb es augezeigt ist, diese Theile eine Zeitlang trocken oder nass kühlend im directen Sonnenbade zu behandeln. Ueber den Grad und die Ausdehnung dieser Ausnahmerücksicht sind die nächtlichen Nachwirkungen maßgebend. 86. Größere Empfindlichkeit gegen ein und dieselbe kühlende Wasser - und Lufttemperatur in dem nachfolgenden Abkühlungsbad und nament¬ lich baldiges Frösteln beweist das zu lange Schwitzen, also übertriebenes indirectes Sonnenbad (in der Wolldecke); auffallende Mattigkeit oder Erregtheit ist die Folge des zu sehr ausgedehnten Bades in einem der beiden Abschnitte, bei Erregtheit namentlich des unmittelbaren Sonnen¬ bades. Unseren p. t. Veldeser Gästen empfehlen wir daher, wohl zu be¬ achten, dass, wenn in den Monaten Juli und August die Sonnenbäder von Tag zu Tag zunehmend hell und schwüler werden, je nach der Nachwirkung des vorausgegangenen Bades das nächstfolgende ent¬ sprechend abzukürzen, d. h. später zum Sonnenbade sich einzufinden. 87. Das Cur-Sonnenbad ist mit dem früher beschriebenen Lichttuft- bad keineswegs auf eine Stufe zu stellen. Ersteres soll grundsätzlich ein Erhitzungs-, letzteres ein Abkühlungsbad sein; durch die künstliche Sammlung der Sonnenstrahlen, die Abhaltung der freien Luftströmung mittels der Wände, ferner durch das ruhige Liegen, also den voll¬ ständigen Abgang von Muskel- und Bewegnngs-Nerventhätigkeit, wirkt ersteres einseitig, künstlich erhitzend. Kommt es dabei zu einer kräftigen Erhitzung, namentlich zum Schwitzen durch Bedeckung, so bedarf es dann auch einer wirksameren Abkühlung darauf, nämlich durch Wasser statt durch Luft. 45 Hierbei sind nun die Form nnd die Wärme der Wasierabkühlung, je nach der Persönlichkeit nnd dem zn erzielenden Zwecke, so mannig¬ faltiger Art, dass diesbezüglich nur auf die allgemeinen Grundsätze der Naturheilkunde verwiesen werden kann. Jnsoferne, als beim Lichtluftbad der directe Sonnenschein zur erwärmenden Wirkung gelangt, sollte man dieses dem mehr weniger künstlichen Cur-Sonnenbad gegenüber — Natur-Sonnenbad benennen. 88. Ein nicht geringer Wert für die Beurtheilnng des Krankheits¬ grades liegt in der Hautveränderung während des Sonnenbadcurses, nämlich in der Röthung, beziehungsweise Entzündung und Bräunung der Haut. Vom Liuuenweiß bis zum Mulattenbraun kommen alle mög¬ lichen Schattirungen zum Vorschein. Je mehr die Haut eines Cnranten weiß verbleibt, desto schwerwiegender, lebensgefährlich ist sein Leiden, und umgekehrt: je mehr die Haut sich entzündet und bräunt, ein desto weniger lebenbedrohendes Leiden steckt unter derselben, umsomehr steht dessen Beseitigung in Aussicht. Man kann zwar nicht den Grundsatz aufstellen, dass eine starke Hautbrännung absolute Heilung verspricht, wohl aber nebst einer wesentlichen Besserung, dass der betreffende Leidenszustand noch ein länger dauerndes Leben zulässt. Die nächste Ursache einer merklichen Hautfarbe-Aenderung liegt jedenfalls in einer höheren Entwicklung des Blutfarbestoffes (Pigmentes). Das Sonnenlicht übt eine starke Anziehungskraft auf die Blutkörperchen aus, so dass nach und nach die ganze Blutmasse, an die Körperober¬ fläche gezogen, daselbstvollstündiger ausgebildet wird, falls dieselbe nicht durch schwer krankhafte Processe innerlich gebun¬ den ist. Die erstbezeichnete Erscheinung geht Hand in Hand mit der binnen kurzer Frist eintretenden rosigeren Gesichtsfarbe, besonders bei Bleichsüchtigen. Ein höherer Grad der Blutentwicklung liegt in dem häufig vorkommenden, sonst so gefürchteten Sonnenstich, eine Erscheinung, über welche der Curant, obwohl sehr unangenehm, recht zufrieden sein darf. Meistens ist dieselbe mit Fieber begleitet, steigert sich ausnahmsweise bis zur Blasenbildung, dauert indessen selten über 3 bis 5 Tage. An den entzündet gewesenen Stellen schält sich die Oberhaut in kleineren Schuppen oder auch in größeren Lappen ab, sobald sich darunter eine neue Oberhaut gebildet hat. Dieser Neubildnugsvorgaug liefert den schlagenden Beweis des hohen Wertes des Lichteultus. Keine andere Heilart als die Natnrheilmethvde, selbst die Wassercur nicht aus¬ genommen, kann eine so handgreifliche Probe her Neubildung (Rege¬ neration) leisten. Welches andere Lebenselement als das Sonnenlicht übt einen so gewichtig belebenden Einfluss ans die Blut- nnd Nerven¬ massen? Bedeutend auftretender Sonnenstich muss mit entschieden warmem Wasser behandelt werden, weshalb der Zustand dem Arzt zu melden ist. Die Behandlung mit kühlem oder kaltem Wasser ist direct wohl an¬ genehmer, ruft indes iu der Nachwirkung eine heftigere Aufregung, 46 Brennen hervor. Der curmäßige Gebrauch der Sonnenbäder steigert auch wesentlich die Fähigkeit guter Rückwirkung in den Feuchtwicklungen, so dass Personen, welchen die letzter» allein genommen peinlich waren, sie alsdann gut vertragen. 89. Das Dell-Dampfbad. Das von uns erfundene und im Laufe von 42 Jahren vielfach verbesserte Bett- und Theildampfbad hat vor den uns bis jetzt bekannt gewordenen anderen Schwitzapparaten den Vorzug, dass man dasselbe jedem Kranken, ohne ihn übertragen zu müssen, anpassen und jedes be¬ liebige Theildampfbad damit ertheilen kann; ferner, weil die Brust- und Kopforgane besondere Berücksichtigung dabei finden können. Dieses einfache Bett-Dampfbad verdient in jeder Familie Ein¬ gebürgert zu werden, nm nach bedeutenden Verkühlungen sogleich einen leichten, sichern und ausgiebigen Schweiß zu erzielen, wodurch oft schlimmen Krankheiten vorgebeugt würde.* Wie viele Kranke gibt es doch, die nothwendigst bald oder schnell in Schweiß gebracht werden sollten, die keine trockene Einpackung zu diesem Zwecke vertragen, wie Asthmatische, Wassersüchtige, Nervenkranke rc., zu einer Zeit, wo Sonnenlicht mangelt! Hier hat das Bett- Dampfbad einen außerordentlichen Wert, und wir verdanken demselben manche glückliche, sogar glänzende Heilwirkungen durch einen schnell und leicht, ja sogar angenehm erzeugten Schweiß. 90. Die Wirkung desselben ist je nach der Anwendung eine sehr verschiedene. In der Temperatur von 30 bis 34" k bei mäßiger Dauer, nämlich von 30 bis 40 Minuten, wirkt es häufig als wahrer Nerven- üther beruhigend; bei manchen Individuen auch mit längerer Dauer. Hochgradig, 35 bis 42° 0, vou kurzer Dauer (d. i. 20 bis 30 Minuten) wohlthütig erregend selbst für geschwächte Individuen, so dass diese wie neu belebt daraus hervorgehen, ohne in eine wahrnehmbare Ermattung zurückzufallen; versteht sich, stets mit nachfolgender Wasser- oder Luft¬ badabkühlung. Hochgradig von langer Dauer oder öfter wiederholt, kann man jede noch so entartete Haut damit zum Schweiß bringen, doch in diesem Falle ist öfter Mattigkeit für einen halben bis einen Tag als Nachwirkung wahrnehmbar. Wenn üppiger Schweiß erstrebt wird, ist es manchmal rathsamer, sobald der Patient bis zu einem gewissen * Wir erinnern hier nochmals auf die im Z 52 angegebene Schrift, welche mit Zeichnungen zu allen möglichen Theiidampfbädern und zwölf interessanten Bei¬ spielen ausgestattet ist, und bemerken zugleich, dass wir auch solche Apparate zu den darin verzeichneten Preisen liefern. 47 Grad erhitzt ist, denselben ohne Dampf, bloß durch Niederlassen der erwärmten Decken, im sogenannten Nachschweiß liegen zu lassen, dessen Dauer von '/4 bis zu 2 Stunden schwanken kann. Für das halbe, Dreiviertel- und Ganz-Dampsbad ist es am zweckmäßigsten, darin auf der Seite zu liegen, welche Lage man circa alle 5 bis 10 Minuten wechselt, damit der Dampf der ganzen Rückenlänge sowie abwechselnd beiden Seiten gehörig znkommt. Die letzten 3 bis 5 Minuten wird man durch einen Diener von der Zehe bis zum Nacken kräftig durchgerieben, derart, dass keine kalte Luft in den Dampfraum einströmen kann, wes¬ halb der Diener, am Bett kniend, den Arm gut umschlossen in den Dampfraum einzuführen hat.* 91. In unserm Bett-Dampfbad bleibt der Kopf stets außerhalb ves Dampfraumes, und es können zur Kühlung desselben nebstdem noch ein oder mehrere Fenster geöffnet werden. Wer durch das Dampf¬ bad directe Beängstigung oder nach demselben eingenommenen Kopf bekommt, der lasse sich in Zukunft während desselben fortgesetzt stark nasse kühlende Umschläge, je nach Bedürfnis, entweder auf Kopf oder Brust oder auch auf beide zugleich anlegen. Ebenso sollen leidende Stellen des Körpers, wenn sie durch die locale Erhitzung sich verschlimmern, während des Dampfbades mit kalten Umschlägen belegt und letztere bei gelinder Erwärmung gewechselt werden. 92. Die trockene und nasse Einpackung auch Wickel genannt. Wie wir schon früher erwähnt haben, können verschiedene Ursachen niemals gleiche Wirkungen Hervorrufen. Es ist daher ein bedeutender Jrrthnm und zeugt von oberflächlicher Prüfung, wenn man Aehnlich- wirkendes für Gleichwirkendes erklärt, nämlich hier z. B. den Schweiß durch Dampfbad, Sonnenbad und Wicklungen in einen Topf wirft und für gleichwertig hält. * Es ist nicht zu leugnen, dass die öffentlichen Dampfbad-Anstalten viel Gutes stiften, wo ihre allgemein übliche Anwendung gerade passt. Allein sie sollten dann doch überall von wirklichen Natur-Aerzten geleitet werden, da wir öfter Gelegenheit hatten, durch übertriebene oder einseitige Anwendung schlimme Folgen zu beobachten, wie z. B. in den Kopf gezogene Gicht, Verlust oder Verschlechterung des Augenlichtes, vermehrte Kopfcongestioneu, zerrüttete Haut, welche in der Badekunst geschulte Aerzte hiutanhalten würden. Häufig rührten solche unglückliche Verordnungen von Medicin- Aerzten her, welche die Naturheilkunde weder gelernt noch ausgeübt hatten und deshalb ganz falsche Begriffe hegten und pflegten. — Ein Mittel, das bei richtiger Anwendung Großes leisten kann, muss uothweudigerweise bei verkehrter Anwen¬ dung ebenfalls schaden. 48 Der scharfe Beobachter wird zwischen allen drei Erhitzungsarten einen wesentlichen Unterschied feststellen und je nach der Persönlichkeit bald die eine, bald die andere Art verwerten. Das Dampfbad und der Sonuenbadwickel bewirken einen viel rascheren und aufregenderen Schweiß, als die Trocken- oder Feucht- wicklnngen; in beiden letzteren gebangt bloß die Eigenwärme zur Geltung; sie wirken viel langsamer, aber milder, und haben daher in allen tief chronischen Leiden einen nicht zu unterschätzenden Wert. Ueberhaupt ist es ein Verkennen dieser Anwendnngsformen, wenn man stets nur das Schwitzen als Zweck im Auge hat; ebenso gewichtig, wenn nicht mehr, ist öfter das Erhitzen, weil allgemein in der höheren Erwärmung die abgelebten Kleinsttheilchen (Todmoleküle) sich lebhafter bewegen und lösen, dadurch den neuen Platz machen. 93. Vor jeder Einpackung schlage man das Wasser ab, und wer es trotzdem durch 1 bis 4 Stunden während der Einpackung nicht halten zu können glaubt, der lasse sich eiue Urinflasche mit einpacken. 94. Wenn jemand schon vor der Wicklung zu schwitzen beginnt, so hat diese zu unterbleiben, besonders die nasse; es genügt alsdann, sich recht gut zudecken und die Deckenründer gehörig unterstopfen zu lassen, um den schon eingetretenen Schweiß möglichst zu fördern. Ist der Schweiß zur Einpackuugszeit bereits im Zurückgehen oder beginnt er peinlich zu werden, dann lasse man sich sogleich eine starke nasse Ab¬ reibung oder Abwaschung mit bisher gewohnter Wärme geben. 95. Die Einpackungen werden nicht immer als ganze verordnet, sondern gar oft als sogenannte Dreiviertel-Packung (unter den Achseln durch), wobei der Kopf, die Arme, der Hals und der oberste Theil der Brust frei bleiben; dann als halbe Packung, wo nebst den obigen Theilen die ganze Brust frei ist, und endlich als Rumpfeinpackung, nämlich von den halben Oberschenkeln bis unter die Achseln. 96. Sind die Füße zur Zeit der nassen Einpackung kalt, so sind die¬ selben, soweit sie kühl, nicht ins nasse Leintuch, sondern bloß in die trockene Decke einzuwickeln. Gelingt es durch diese Vornahme nicht, die Füße nachhaltig zu erwärmen, so muss die Zufuhr künstlicher Wärme vorgenommen werden. Ein mit Wasser von 60 bis 80° gefüllter Stein¬ krug (Plutzer) oder eine Metallflasche, je nach der Wärme des Wassers 49 mit zwei- bis vierfachem, stark feuchtem Umschlag umwickelt, innerhalb der Wolldecke direct an die Fußsohlen gelegt, ist dann das beste Hilfs¬ mittel, dieselben zu erwärmen. Will man außerhalb einer Packung kalte Füße erwärmen, so spannt man die Decke derart über den Wärmer und die Füße bis über die Knie hinauf, dass sich ein hohler Raum um die nackten Waden bildet, in welchem der auf solche Weise erzeugte Dunst um die Beine bis an die Knie hinauf spielen kann; diese Art Füße-Erwürmnng wirkt einem gelinden localen Dampfbad ähnlich.* Es gibt allerdings Ausnahmen, wo gerade das nasskalte Leintuch schnell Rückwirkung, d. i. warme Füße erzeugt, doch sind dies seltene Fälle und können nur durch Probe festgestellt werden. 97. Bei stärkeren Kopf- oder Brnstleiden sind zum Beginn der Be¬ handlung die ganzen nassen Einpackungen nur selten zur Anwendung geeignet; dagegen bei ersteren die Dreiviertel-, bei letzteren die halben Wicklungen. 98. Die nasse Einpackung soll nie zum Zweck des directen Schwitzens gegeben werden, sondern gegentheils die Haut zu tränken und durch Einsaugung des sich um dieselbe bildenden Dunstes geschmeidiger zn machen; ferner, damit innerlich zn lösen und so erst zu späteren frei¬ willigen kritischen Schweißen vorzubereiten, wozu allerdings auch die trockenen Einpackungen und andere künstliche Wärmezufuhren, wie Sonnen- und Dampfbäder, persönlich angepasst, ebenfalls sehr günstig mitwirken können. 99. Zu deu trockenen Wicklungen, welche frühmorgens vorgeiwnunen werden, ist es zweckmäßig, sich schon abends vorher die Schwitz-Decke ins Bett legen zu lassen, um in der Frühe, schon auf der erwärmten Decke liegend, dieselbe sofort umwickeln zu können. Diese Vorsicht, sowie öfter wiederholte Reibungen der Beine aneinander und der Arme am Körper während der Wicklung, fördern wesentlich die Erwärmung, beziehungsweise Schweißerzcugung, wenn solche beabsichtigt wird. Die trockene Packung hat nicht immer den Zweck der Schweißbildung, sondern öfter bloß des Erhitzens durch Eigenwärme zwecks Lockerung innerer Stauungen und Stockungen, sowie um bessere Wärme-Erzeugung nach dem folgenden Abkühlungsbad zu sichern. * Es ist lächerlich, wenn man von Kaltwasser-Fanatikern behaupten hört, dies gehöre nicht zur Wassercur. Wie wohl thnt der erwähnte Kunstwärmer an den kalten Füßen, wenn alle kalten Reizungen nicht imstande sind, Selbstwärme in die Füße zu bringen. In Fiebern, und namentlich bei Kindern, hat er häufig seine wohlthätigste Anwendung; es versteht sich, dass man denselben nach erreichter Fu߬ durchwärmung allsogleich wieder wegnimmt und darauf jedesnial die Haut der Füße durch eine sehr kalte, kurz dauernde Abreibung mit feuchten Handtüchern wieder stärkt. 4 50 100. Vor dem Ausbruch des Schweißes befällt den Eingepackten mit¬ unter eine vorübergehende kurze Beängstigung, welche ohne Bedeutung ist. Wenn aber jemand von großer oder anhaltender Beängstigung, Ueblichkeit, Kopfweh oder anderen heftigen Schmerzen befallen wird, so lasse er sich zuerst ein Glas frisches Wasser reichen und die Fenster öffnen; bessert sich der Zustand nicht bald, so verlange man sofort, ansgepackt zu werden, und warte unter mäßiger Bedeckung ab, bis die vorgeschriebene Abkühlung bereitet ist. Sollten aber die üblen Zustände nicht abnehmen, so wird bei Brustleiden eine halbe (d. i. von der Brust abwärts), bei Kopfleiden eine totale nasse Abreibung (Kopf ausgenommen) am ehesten Erleichterung verschaffen. 101. Durch die directe Berührung der Wolle in der trockenen Packung sowie überhaupt durch das Beengende der Wicklungen werden einzelne nervös aufgeregt, was sie am Schwitzen hindert. Solchen wird entweder ein trockenes Baumwolltuch in die Wolldecke gegeben oder sie werden, in ihren gewöhnlichen Betten liegend, nur gut anschließend zugedeckt, bei welchem Vorgehen sie in der Regel viel leichter in Schweiß gerathen. Fließt dieser ordentlich, so ist es angezeigt, dann und wann eine leicht vertragbare Portion frischen Wassers sich reichen zu lassen und möglichst viele Fenster offen zu halten. 102. Die Einathmung erwärmter Luft wirkt auf die Schweißbildung wesentlich fördernd, und darin liegt auch der Hauptgrund, warum man im Sommer und in geheizten Zimmern eingepackt viel leichter den Zweck erreicht; denn die Eindeckung des Körpers soll dabei so dicht ausgeführt sein, dass weder kalte noch warme Luft einen merklichen Einfluss durch dieselbe hindurch auszuüben vermag. 103. Die am Morgen und über Tag vorgenommenen feuchten Wicklungen dauern '/2 bis 4 Stunden, je nachdem man einen beruhigenden, bele¬ benden oder lösend erregenden Einfluss bezweckt. Die nächtlichen Packun¬ gen dauern mitunter die ganze Nacht. Die länger dauernden erregenden Wicklungen sollten, wo nur möglich, zur gewohnten Schlafzeit vor- genommeu werden, da durch den Schlaf die Wicklung scheinbar viel abgekürzt wird. Hierbei wirkt die Ruhe des Gehirnes, als des einen Nervenpoles, entschieden steigernd ans die Thätigkeit des andern Poles, nämlich auf das Nerven-Blutgefüß- und Drüsennetz in der Haut. Im wachen Zustande, besonders wenn man sich in der Wicklung voll Langweile hin und her wirft, ist ihr Einfluss ein entschieden ungünstiger, wenn 51 nicht nachtheiliger. Kinder ohne Fieberzustand werden daher stets am besten abends zur gewöhnlichen Ruhezeit eingepackt. Bei Fieber wird ohne Rücksicht der Tageszeit gewickelt. 104. Als allgemeiner Grundsatz für alle Feuchtwicklungen gilt, dass, sobald deren nervenberuhigende Einwirkung aufhört, man sich nämlich anhaltend unbehaglich fühlt, oder wenn Kinder darin nicht mehr zu beruhigen sind, der Moment günstiger Einwirkung vorüber ist und man deshalb alsbald airsgewickelt werden soll. Der wichtige Anstanschvorgang in der Haut, nämlich der Ein¬ saugung der Leintuchfenchtigkeit einerseits und der Ausstoßung abgelebter Dünste, Gase und Stofftheilchen anderseits, wovon die farbig werdenden und übelriechenden Leintücher hinlänglichen Beweis geben, geht nur so lange vor sich, als man sich darin beruhigt fühlt; sowie die Unruhe, die Aufregung anhaltend wird, ist der Zweck der Feuchtwicklung voll¬ endet. Bei früherem Auswickeln würde man den Effect nicht vollständig ausnützen, sowie bei längerem zwangsweisen Darinverharren ebenso im Verhältnis nachtheilig einwirken; in beiden Füllen entgegengesetzten Handelns gibt man kund, dass man entweder das geheimnisvolle Walten, die Sprache der Natur nicht versteht oder aber seine eigene (ärztliche) Meinung höher stellt, als die deutlichen Fingerzeige des Naturgenins! 105. Nach Z 104 können die nächtlichen Wicklungen jederzeit, selbst mitten in der Nacht, in Wegfall kommen. Die Erfahrung gab uns den Fingerzeig, dass, wo ein beruhigendes Verfahren erstrebt wird, es am Platz ist, die nachfolgende Abkühlung (nämlich Abwaschung, Abrei¬ bung, Halbbad), nm den Schlaf nicht noch mehr zu stören, nicht un¬ mittelbar, sondern erst morgens beim Aufstehen vornehmen zu lassen. Ausnahmen sind nur dann zu machen, wenn die Wicklung wegen Fieberhitze vorgenommcn wurde oder falls kritische Schweiße in derselben eingetreten sind; in allen anderen Fällen nächtlicher Auswicklung kehre man sofort ins trockene Bett zurück uud halte auf gute Erwärmung zur morgendlichen stärkenden Wasseranwendung.* 106. Die Abreibung, die Abwaschung und das Trieftuch. Man unterscheidet eine sogenannte theilweise Abreibung, in welcher alle Körper-Haupttheile einzeln nacheinander abgerieben werden, und zwar in 7 Abteilungen, nämlich von unten beginnend, * Ausführlicheres über die nassen Wicklungen in den Fieberlrankheiten findet man in unserer Schrift: «Lehrbuch der Natnrheilkunde, l. Theil, die Fieberkrank¬ heiten.» 4* 52 jedes Bein, dann jeder Arm einzeln; hierauf, den Patienten auf eine Seite legend, Bauch, Brust und Hals zusammen, diesem folgend Kreuz, Rücken uud Genick vereint und schließlich der Kopf. Das Abreiben geschieht mit drei- bis vierfach zusammengelegten Handtüchern in der angegebenen Reihenfolge, ebenso das sofortige Abtrocknen und Wieder¬ bedecken. Hiezu legt man am besten den Patienten in eine wollene Decke aufs Bett, deren Flügel mau nach vorne umschlügt, um alle Körper¬ teile der Reihe nach bequem entblößen und bedecken zu können. Zwecks der Rückenwaschuug lässt man den Patienten aufsitzen oder sich ganz auf eine Seite legen. Zur theilweisen Abreibung gehören, wenn immer möglich, zwei Diener, nämlich einer, welcher das je entblößte Glied reibt, während der andere die Handtücher zu kühlen und auszuwinden hat. Da das Handtuch, mit welchem jeweilig gerieben wird, nach wenigen langen Zügen sich erwärmt, so muss es gewendet oder seine Lage gewechselt und nach je einer halben oder einer Minute durch ein erfrischtes ersetzt werden, nämlich sobald die Reibfläche desselben nicht mehr kühlend wirkt. In dieser Weise genügen in der Regel, je nach der Körperfülle und der Hautwärme, für jeden Arm zwei bis drei, jedes Bein drei bis vier, auf die vordere und rückseitige Rumpffläche drei bis fünf gewechselte Handtücher, wovon das erste ziemlich stark, das zweite mittelmäßig, das dritte schwach ausgewunden wird; für den Kopf genügt eines. Werden zu dieser Abkühlung statt Handtücher größere Badschwümme verwendet, so heißt man es die theilweise Abwaschung. Diese letztere Abkühlungsart des ganzen Körpers ist eine höchst wert¬ volle Anwendung des Wassers für die meisten Schwerkranken sowie für empfindliche Naturen, auf welche jede andere Anwendungsform zu erregend einwirkt. Nur dem erfahrenen Arzt ist es bekannt, welch tief empfundenen Unterschied reizbare Kranke oft wahrnehmen, ob man zu dieser Ab¬ kühlungsform Handtücher oder Schwämme wühlt, dass also für solche Empfindliche Abreibung oder Abwaschung keineswegs gleichwertig ist. Sterbenden kann die theilweise Abwaschung noch ein wahres Labsal bieten; es ist uns vorgekommen, dass dieselbe von solchen verlangt wurde. 107. Eine Ganzabreibnng oder Mantelabreibnng nennt man jene, wo der ganze Körper von einem stark feuchten Leintuch oder Bademantel überhängt und gerieben wird. Hierbei unterscheidet man wieder zwei wesentlich verschiedene Formen, nämlich die mehr beruhigend und eine erregend wirkende Form. Zu ersterer nimmt man stets ein Leintuch von nicht zu grobem Faden, wickelt es genässt möglichst gut anschließend um die stehende Person, worauf die Bedienenden mit den flachen Händen über die Leinwand streifen, beziehungsweise leicht reiben; wird mit den flachen Händen leicht geklopft, heißt man diese Anwendungsform eine Abklatschung. Zur erregenden Abreibung wählt man statt des Leintuchs 53 besser einen Bademantel von mittelgrober bis grober Leinwand * um mit derselben die Haut zu reibem Die Abreibung erfolgt gliedweise schulmäßig, deren Beschreibung hier zu weit führen würde. Man unterscheidet noch eine Dreiviertel- Abreibung, wobei die Arme, Achseln und der Hals frei bleiben, und endlich eine halbe oder sogenannte untere Abreibung, bei welcher nur der Unterkörper vom untern Brustende an leicht gerieben wird. In den zwei letzten Fällen bleibt der Bademantel für die betref¬ fenden oberen Theile trocken. 108. Ein Trieft nch oder Triefmantel besteht aus einem ans dem Wasser gehobenen unausgewundenen Bademantel, mit dem man sofort überhängt und abgerieben wird. Der Triefmantel wird häufig wie die Abreibung als ableitende Form nur bis an die unteren Rippen reichend, sogenannter Untertriefmantel, oder bis unter die Arme gehend als Drei¬ viertel-Triefmantel angewendet. Bei der ganzen, Dreiviertel- und halben Abreibung sowie beim Trieftuch ist es gut, wenn der Kranke sich selbst mit dem einen freien Arm den Bauch und die Brust reibt. Die Dauer dieser Anwendungsform schwankt bei Kranken zwischen 3 bis 6 Minuten; der Mehrzahl nach 4 bis 5 Minuten. 109. Die Mantelabreibnng ist wesentlich erregender Wirkung, daher sie meistens nur mit den nieder» Wärmegraden erfolgt und für viele so¬ genannt Nervöse sich nicht eignet; die dazu verwendeten Bademäntel werden bald stark, bald mittelmäßig oder schwach ausgewunden, je nach¬ dem man eine kräftige oder milde Anregung geben will. 110. Das Halbbad. Unter allen Wasser-Anwendungsformen ist das Halbbad vermöge seiner vielfältigen Verwertung in den kurzdauernden wie langwierigen, namentlich in den Fieber-Krankheiten, die wichtigste. Seine Form ist folgende: Der Patient setzt sich mit ausgestreckten Beinen in eine geräumige Wanne,** die nur 10 bis 15 Centimeter hoch mit Wasser gefüllt ist, begießt sich fortwährend mittels einer Kanne * Neue Bademäntel werden in Mällnerbrunn bei Veldes vorräthig gehalten oder besorgt zum Preis von fl. 3 80 bis fl. 4'20. ** Die zweckmäßigste Form der Halbbadwannen haben wir mittels Zeichnung in drei Größen, nämlich als Männer-, Franen- und Kinder-Wannen, in unserem sud Z 105 angemerktcn Schriftchen aufgcsührt. 54 oder einem großen Schwamme den Oberkörper, besonders diejenigen Theile, die außerhalb des Wassers eben der Reibung unterzogen werden, welch letztere von wenigstens einem, wenn möglich zwei Dienern schul¬ mäßig durchgeführt wird. Nicht nur, wenn man öfter Halbbäder nimmt, so besonders nach den Sonnenbädern und Dampfbädern, versäume man nicht, im Halbbad sich den Kopf gehörig zu benüssen, nämlich zu begießen, und zwar sofort, wenn man sich in der Wanne niedergesetzt hat, sowie öfter im Lauf des Bades und zum Schluss desselben. Die Vernach¬ lässigung dieser Regel drängt das Blut zum Kopfe und bewirkt das Ausfallen der Haare. Die Damen sollten deshalb nach dem Halbbad die Haare zwecks rascher Austrocknung frei ausgekämmt tragen. Das Unterlassen oder Verringern der Reibung, wie z. B. bloß durch einen Diener, die kleinere oder größere Wassermenge, das Benässen mittels Schwamm statt durch Begießen mittels Kanne, die kürzere oder längere Dauer, alles dies ändert seine Wirkung und macht es bald zu einem beruhigenden, bald zu einem anregenden oder aufregenden Bade. 111. Bei allen Personen, welche an Blutandrang nach Kopf, Hals und Brust oder an großer Empfindlichkeit dieser Theile leiden, dürfen dieselben entweder gar nicht oder doch nur mit Wasser, welches 6, 8, 10 Grad wärmer ist, als das für den Unterkörper bestimmte, benässt wer¬ den. Das zu diesem Zwecke getrennt gehaltene Wasser gibt man dem Badenden am besten in einem länglichrunden Eimer zwischen die Oberschenkel. Der wahre Naturarzt hat in seinen Maßnahmen stets mehr die Eigenheit der Person, namentlich die Rückwirkungsart nach den verschiedenen Curbädern, zn erforschen und nicht die Krankheit als einen sachlichen, vom Individuum trennbaren Gegenstand zu behandeln. Wie schon in der Einleitung erwähnt wurde, verwerfen wir vollständig, die Hauptbehandlung nach Krankheitsnamen oder Krankheitstaufen in Medicinerart zn vollziehen, sondern wir behalten die Einheit und Eigenheit (Integrität) des Kranken im Auge. Es gehört zur Folgerichtigkeit, dass jenen Personen, welchen zum Halbbaden, Triefmantel oder Vollbad wärmeres Kopfwasser verordnet ist, auch die morgendliche Gesichtswaschung nur mit lauwarmem Wasser vornehmen dürfen. Steht ihnen kein solches zu Gebote, so thun sie besser, sich das Gesicht bloß trocken abzureiben, als kalt zu waschen. 112. Wo der Oberkörper (vom Zwerchfell oder von den untersten Rippen an aufwärts) gar nicht benässt werden darf, wie dies mitunter bei persönlich genau unterscheidender Behandlung vorkommt, heißen wir dieses Bad dann Unterhalbbad. Die Dauer der Halbbäder schwankt in der Regel zwischen 3 bis 6 Minuten, bei Fieberhitze bis zu 10 Minuten. 55 113. Das Vollbad. Das kalte Vollbad gehört zu den kräftig anregenden, beziehungs¬ weise aufregenden Anwendungsformen; mit sogenannt kühlendem, also nicht empfindlichem Wärmegrad, kann es auch ausnahmsweise bei Fiebern und verschiedenen anderen Leiden sehr beruhigend wirken. Laue und warme Vollbäder langdauernd genommen oder oft wiederholt, wirken erschlaffend, sind daher in manchen Zuständen auf¬ geregter Nerven (ohne Hitzebegleitung) ganz angezeigt. In den letzten 20 Jahren ist man allgemein von der Anwendung kalter Vollbäder als Heilmittel außerordentlich abgekommen. Nur in Anstalten, wo die Behandlung fabriksmäßig durchgeführt wird, sind dieselben noch ziemlich beibehalten worden. 114. Personen, welche an Blntwallungen nach Kopf und Brnst leiden, gehören nur ausnahmsweise ins Vollbad; wer überhaupt Wallungen unterworfen ist, soll, ehe er die Füße benässt, sich mit einem Schwamme so lange den Kopf und die Brust durch sanftes Uebergießen kühlen, bis die Empfindlichkeit vorüber ist, hierauf noch ein Glas Wasser trinken und sich dann mit eincmmale ins Wasser werfen. Das langsame Hin¬ einschleichen ins Vollbad ist sehr verwerflich, weil eben dadurch das Blut Zeit gewinnt, sich übermäßig von unten nach oben zu ziehen und die edleren Organe, als Brust- und Kopfeingeweide, zu überfüllen. Das 'Hineinstürzen mit dem Kopfe voran ist als höchst unnatürlich ent¬ schieden verwerflich; dagegen ist es wohl für die meisten nothwendig, den Kopf gleich anfangs sowie im Laufe des Bades öfter nnterzutanchen. — Je mehr man geschwitzt oder den Kopf erhitzt hat, wie nach Son¬ nenbädern, Dampfbädern, langdanernden Packungen, um so wichtiger ist letztere Regel. Versäumt man dieselbe, was namentlich die Damen gerne thun, um der Mühe des Austrockneus enthoben zu sein, treten dieselben Nachwehen ein, wie beim Halbbad angegeben wurde. 115. Für Frauenzimmer ist es daher zweckmäßig, die Haare L la Titus, für Herren, sie ganz knapp abgeschnitten zu tragen, um das jedesmalige Austrocknen zu erleichtern, welches, wenn es nicht gehörig geschieht, ebenfalls das Ausfallen der Haare bewirken kann. Es gibt jedoch Aus¬ nahmen, die gar keine Benässung des Kopfes vertragen oder doch nur mit merklich wärmerem Wasser, ähnlich wie im Halbbad. Jedes regel¬ mäßig sich einstellende Kopfweh nach Halbbad oder Vollbad sollte dem Curarzte bald gemeldet werden. 56 116. Wer sich beim Eintritt ins Vollbad ergriffen (erschüttert) fühlt, oder wem es Athembeklemmnng verursacht, so dass unwillkürlich tiefe Seufzer ausgepresst werden, thnt gut, gleich wieder aus dem Vollbad zu steigen, sich eine Minute lang den Körper mit den bloßen Händen zu überreiben und dieses kurze Eintunken und Ueberreiben mehrmals zu wiederholen, bis das endliche Darinbleiben ganz leicht wird; es kann auch dem Betreffenden der Wärmegrad des Vollbades nicht an¬ gepasst sein, oder die Person eignet sich überhaupt nicht für das Voll¬ bad, wenn sich die genannten Erscheinungen stets wiederholen. Bei diesen Vorsichten werden nachtheilige Folgen vermieden. Befindet sich jemand nach Ablauf der vorgeschriebenen Bademinuten noch recht behaglich im Vollbad, so darf er dasselbe auch nach Befinden ohneweiters verlängern. Wird das Vollbad in einer Wanne statt in einem Schwimm¬ becken genommen, so sollte die freie Bewegung, welche in letzterem statt¬ finden kann, durch Reibung von zwei Dienern im Wannenbad ersetzt werden. 117. Das Sitzbad. Im stärkenden und erregenden Sitzbad ist es nothwendig, eine gewisse Ordnung iu der Reibung und Knetung der dem Wasser aus¬ gesetzten Theile einzuhalten. Vor dem Einsitzen ins Bad reibt man sich die ganze Bauchfläche mit ein wenig Fett ein, um sie gleitend zu machen. Ohne dieses Hilfsmittel würde die Haut schmerzen oder wund gerieben, da es sich darum handelt, die Eingeweide fest zu streifen, be¬ ziehungsweise zu kneten. Nach dem Einsitzen und Zudecken beginnt man mit der wagrechten Bauch-Knetung. Mit geballter Faust macht man drei Parallelzüge, nämlich: einen obersten und längsten hart unter den letzten Rippen, die Leber und die Milzgegend streifend. Zu diesem obersten Querstrich legt man den Daumen bis zum vordern Gelenk auf den Zeigefinger an, das vordere Daumenglied wird über die Faust vorstehend hinausgestreckt; zum zweiten Querstrich über die Bauchmitte wird der Daumen wieder eingezogen und unter die anderen Finger ge¬ legt, ebenso zum untersten Querstrich oberhalb des Schambeins. Hierauf geht man zur senkrechten Knetung über; dazu bedarf es fünf Züge, nämlich: den ersten kürzesten knapp an dein rechten Hüftbein herunter, den zweiten zwischen der eben genannten Stelle und der Bauchmitte, den dritten und längsten auf der Bauchmitte, den vierten und fünften wie den zweiten und ersten über der linken Bauchhälfte. In beiden Rich¬ tungen, nämlich wagrecht und senkrecht, knetet inan am besten hin und her, das ist zuerst wagrecht, oben anfangend und wieder oben endend, dann senkrecht, rechts anfangend und rechts wieder aufhörend; nebstbei 57 wechsle man auch mit den Händen ab. Der oberste Querzug ist der wichtigste, und sollte man denselben öfter wiederholen, ja selbst bis zum leichten Schmerz tief eindriugend ansführen, weil er die bei den meisten Unterleibskranken trägen oder angeschoppten Organe Leber, Milz und Quergrimmdarm erregt. Etwa von zwei zu zwei Minuten wechselt man zwischen den wagrechten und senkrechten Streichungen. Diese methodische Bauchknetnng ist auch außer der Cur zeitweise im Bett in Halbliegender Stellung, täglich durch etwa fünf Minuten ausgeführt, Unterleibskranken obiger Art sehr zu empfehlen. 118. Allein nicht bloß der Bauch, sondern alle Theile, welche dem Wasser ausgesetzt sind, selbst der Magen, der im Sitzbad meistens über dem Wasser steht, müssen abwechselnd gerieben werden. Nach dem Bauch geht man ans die Rückseite des Unterleibes über, welche allgemein, doch am meisten über der Mitte mit der flachen Hand zu reiben ist, um ans die Unterleibsnerven anregend zu wirken. Endlich gelangt man an die Oberschenkel, welche um und nm mit der flach gebogenen, fest anliegenden ganzen innern Hand bestrichen werden. Selbst die Bearbeitung dieses Theiles ist wichtig, namentlich bei Blutüberfüllung des Unterleibes und höherer Eingeweide. Sie bewirkt Zertheilung der krankhaft angehäuften Blutmasse und leitet diese mehr in die Schenkel. Im kalten und kühlen Sitzbad, welches selten über 20 Minuten dauert, bearbeite man den Unterleib die ganze Zeit. Im warmen Sitzbad, dessen Dauer bis auf eine Stunde sich erstrecken kann, genügt es, nach circa je fünf Minuten Knetung und Reibung wieder eine ebenso lange Ruhe¬ pause eintreten zu lassen. Nach den warmen Sitzbädern bedarf es auch keiner so absolut nothwendigen Bewegung, wie nach den kalten. 119. Wo der Magen gekräftigt werden soll, bedarf es eigener Bade¬ gesäße, sogenannter Magen-Sitzschaffeln, in welchen das Wasser bis über den Magen steht. Wenn man kein solches Gefäß besitzt, schöpft man das Wasser mit der hohlen Hand fleißig ans die Magengegend und reibt es, je nach Vertragung, daselbst schwächer oder stärker ein. Solche, denen beim Einsitzen ins Sitzbad Kopf- und Brustbeschwerden vermehrt oder, wenn auch nur auf kurze Dauer, hervorgerufen werden, müssen schon vor demselben und während der ersten Dauer dieses Bades kühlende Umschläge ans den erregten Theil sich anlegen lassen. Das gewöhnliche oder hohe Sitzbad sollte immer in einem möglichst tiefen Schaffel ge¬ nommen werden, so dass dessen vorderer Rand hart unter die Kniekehle geht und das Wasser 5 Centimeter unter diesen Rand reicht. Besser noch sind jene Sitzschaffel, welche, wenn man darin sitzt, um und um so hoch sind wie die Knie, mit eigenen Ausschnitten für die Knie¬ kehlen versehen, wie sie in unserer Anstalt üblich sind. 58 120. Das sogenannte niedere oder Aftersitzbad enthält nnr 5 bis 9 Centi¬ meter hoch Wasser und wird meistens bei inneren Hämorrhoidal- beschwerden znr Ableitung nach außen gegeben; die Geschlechtstheile müssen außerhalb des Wassers bleiben und werden eigens zu diesem Zwecke mit einem passenden Ziegelstein- oder Holzstück unterstützt. Die Dauer dieses Bades ist durchschnittlich 2- bis 3mal so lang als jene des hohen, und werden nur die im Wasser befindlichen Theile gerieben, besonders der After. Eine kurze kalte Brause nach Schluss des After¬ sitzbades auf die im Wasser gewesenen Theile verstärkt entschieden die Nachwirkung. 121. Richtig angewandte Reibungen in allen erregenden Bädern sind ein wesentlich unterstützendes Curmittel. Erregend sollen alle diejenigen Bäder sein, nach welchen man eine erhöhte Wärme-Rückwirkung erstrebt, nicht aber solche, in denen ein schmerzhafter Theil, welcher selbst dem Bade ausgesetzt ist, beruhigt werden soll, wie z. B. der Unterleib im Sitzbad bei Unterleibs-Entzündungen rc. 122. Das erregende Sitzbad nimmt man nie vor vier Stunden nach beendeter Mittags- oder einer üppigen Mahlzeit, noch vor zwei Stun¬ den nach einem mäßigen Frühstück, am besten im nüchternen Zustande. Mit keinem Bade wird so viel Missbrauch und Unsinn getrieben, als mit dem Sitzbade, wenn es auf eigene Faust ohne Sachkenntnis genommen wird, so dass oft unheilbarer Schaden daraus entsteht. Meistens wird es zu kalt, zu lange ohne Abwechslung mit warmen Bädern oder ohne die nöthige Knetung genommen. Wir beobachteten schon sehr übel endende Versetzungen des Krankheitsstoffes (Metastasen) nach dem Rückenmark, den Nieren und den Lungen als Folge der Ueber- treibungen. Kalte, anregende Sitzbäder verordnen wir durchschnittlich mit 18 bis 16° kl durch 20 bis 15 Minuten; von 15 bis 13° U — 15 bis 10 Minuten; von 12 bis 10° U — 10 bis 6 Minuten; von 9 bis 8 ° U — 6 bis 4 Minuten. Beruhigende warme Sitzbäder von 29 bis 31° U durch 30 bis 45 Minuten. 123. Das Fußbad und das Beinbad. Wie in den M 60 und 61 anseinandergesetzt wurde, ist das atmo¬ sphärische Fußbaden jedem anderen Fußbad als Heilmittel gegen lang¬ wierige Leiden höherer Organe vorzuziehen; da indes ersteres vielorts nicht durchführbar ist, kann es theilweise durch kalte Fußbäder ersetzt werden. 59 Empfindliche Personen dürfen nie sogleich die Füße in ein stark kaltes Fußbad stecken, weil der Stoß auf die Nerven viel zu heftig ist, selbst peinlich im Gehirn verspürt wird. Sehr Verweichlichte müssen einen Uebergang einhalten; anfangs werden sie sich die Füße täglich ein paarmal abreiben lassen, hierauf gehen sie zn gemüßigt kalten Fu߬ bädern über, bei welchen sie zuerst die Füße bloß einigemal kurz ein¬ tauchen, um sie nach jedem Herausziehen mit den Händen etwas zu überreiben, bis die heftigere Empfindung vorüber ist; dann erst ist es am Platze, die Füße bleibend ins Wasser zu halten und sich beständig einen Fuß mit dem andern zu reiben. Für Personen, welche an Blut¬ andrang nach Kopf und Brust leiden, ist es unstatthaft, sich selbst mittelst der Hände die Füße im Bade zu reiben, weil durch die gebückte Stellung der Blutandrang nach Kopf und Brust vermehrt, mithin der Zweck des ableitenden Fußbades vereitelt würde. Das Fußbad reicht gewöhnlich bis zum Knöchel, das Beinbad eine Handbreit über das Knie hinauf. Am besten ist es, beide in aufrechter Stellung, d. i. stehend, zu nehmen, und wenn es das Leiden erlaubt, stets selbst einen Fuß am anderen, beim Beinbad auch mit einer Fußspitze je den gegenseitigen Schenkel, in langen, kräftigen Zügen um und um bis ans Knie hinauf zu reiben. Bei schlimmeren Erscheinungen in Kopf und Brust oder bei Hinderung durch Schwäche und Schmerz soll dies durch einen oder zwei Diener, natürlich mit den Händen, vollzogen werden. Das Fußbad zeigt sich öfter als ableitendes Bad (von Kopf und Brust) wirkungslos, während das Beinbad durch seine ausgedehntere Umfassung vieler und großer Blutgefäße entschiedener wirkt. Viele Leidende haben uns dies bestätigt; zu unserm Bedauern fanden wir bis jetzt dieses wichtige ableitende Bad in keiner andern Natnrheilanstalt eingeführt. 124. Das Unterarmbad. Hierzu bedarf es eines Blechgefäßes, welches wenigstens 10 Centi¬ meter länger ist, als der Unterarm vom Ellbogen bis an die Finger¬ spitzen gemessen, im Boden circa 25 Centimeter breit und mit einem circa 15 Centimeter hohen konischen Rand versehen ist. Es dient sowohl bei örtlichen Hand- und Unterarmleiden als auch zur Ableitung von Kopf und Hals. Seine Anwendung kann, wie alle andern Theilbäder, Beruhigung oder Erregung zum Zweck haben, daher bald mit warmem, bald mit kaltem Wasser gegeben werden. Als rasch ableitendes Bad wird es 28 bis 31° U warm und circa 30 Minuten lang genommen, mit nachfolgender kurzer Kaltwaschung von 18 bis 14° U. Zu nach¬ haltiger Ableitung in langwierigen Leiden mnss es kühl bis kalt in der Dauer von 20 bis 10 Minuten angeweudet werden, worauf man 60 für kräftige Erwärmung durch Hände-Arbeit, Einwickümg oder Sonnen¬ bad zu sorgen hat. In gewissen Fällen ist es ebenso gnt oder besser, letzteres Bad voransgehen zu lassen. 125. Das Hinterkopfbad und das Seitenkopfbad. Dasselbe nimmt man in einem stark ausgeschweiften tiefen Wasch¬ becken, welches man am Ende einer Matratze 4 bis 5 Centimeter erhöht ans den Boden stellt und in das man als weichere Kopfnnterlage ein dick zusammengelegtes Handtuch einlegt. Das Hinterkopfbad findet seine Ver¬ wertung bei Äugenschwäche, Blutandrang zu den Augen und Störung des Geruchssinnes. Das Seitenkopfbad, welches Erregung der Ohrgegend oder Stärkung der Augen zum Zwecke hat, nimmt man in gleichen Gefäßen, doch bequemer als liegend an einem nieder» Tische sitzend. Zur Erregung der Ohrengegend sowie beim Hinterkopfbad lasse man sich von jemandem darin reiben. Beim Augenbad schließe und öffne man die Augen öfter, jedoch die Mehrzeit sollten sie offen gehalten werden; alle fünf Minuten wechselt man die Kopfseite.* Das Augenbad nimmt man stets, indem man die Augen gegen die dunkle Seite des Zimmers richtet; nach demselben lässt man das Auge in gedämpftem Lichte, im Schatten oder im Grünen unter Bäumen ausrnhen. 126. Das Wassergurgeln, das Wasserschnupfen. Das Gurgeln findet häufige Anwendung bei Schlund- und Kehl¬ kopfleiden, bei Geschmacks- und Geruchsstörung, bei Stockschnupfen; durchgehends wird dies mit kühlen und kalten Wärmegraden vollzogen. Das Wasserschnupfen geschieht am einfachsten, indem man die Nasenspitze in ein mit Wasser gefülltes Waschbecken steckt und mit geschlossenem Munde den Athem kräftig anzieht. Anfängern geht es leichter, wenn sie die Nasenlöcher nicht ganz ins Wasser senken, sondern etwas Luft mitströmen lassen. Mehr als sechs Züge mit kleinen Zwischenpausen sollten nicht auf einmal gemacht werden. Bei den obgenannten Leiden ist das Wasserschnupfen ebenso angezeigt wie das Gurgeln. Mangel¬ hafte Nasenschleimabsonderung bildet häufig die Ursache hartnäckiger * Gegen heftige Zahnschmerzen entzündlicher Art ist das Seitenkopfbad mit Einlegen der Kieferngegend häufig ein sehr wirksames Mittel, wenn man schnell dazu greift, recht kaltes Wasser nimmt, dieses fleißig wechselt und so eine bis zwei Stunden aushält. 61 Halsleiden, der Geruchsstörung und anderer Kopfleiden. In diesem Falle dürfen nur warme Grade von 29 bis 31 "K zum Schnupfen an- geweudet werden, bis die Schleimabsondernng eine Zeitlang außer¬ gewöhnlich stark, dann regelrecht (normal) auftritt. Allerdings müssen hierbei noch andere Wasserauwcndungs-Formen damit verbunden werden, wie erregende Kopfhaube, Kopfdampfbnder, Halsnmschläge rc. 127. Das Mundbad. Das regelmäßige Mundspülen nach jeder warmen Mahlzeit mit kühlem und kaltem Wasser trügt wesentlich bei zur Erhaltung der ge¬ sunden Zähne bis ins höhere Alter hinauf. Das Genießen warmer Speisen und Getränke, welches bei jeder Mahlzeit durchschnittlich '/4 bis '/2 Stunde dauert, wirkt erschlaffend auf die Nerven und Gefäße, sowohl des Zahnfleisches als auch des Zahuinnern. Durch diese Erschlaffung wird der Stoffwechsel des Zahnfleisches und des Zahnmarkes träge; je nach dem Körperbau und der Blutbeschaffenheit werden mit der Zeit die Zähne entweder von innen heraus angegriffen (eariös) oder das Zahn¬ fleisch zieht sich durch seine Schlaffheit vorzeitig von den gesunden Zähnen zurück, wodurch diese wesentlich an Halt verlieren und aus¬ fallen. Um diesen Uebelständen theils vorzubengen, theils abzuhelfen, ist dringend zu rathen, nur ausnahmsweise heiße Getränke und Speisen zu genießen und die gekochten Nahrungsmittel in der Regel nur lauwarm oder kalt zu sich zu nehmen. Als Hauptsache empfehlen wir, nach jeder Mahlzeit die Mundhöhle durch ein Glas frischen Wassers gründlich abzukühlen, indem man solches bei halbgefüllten: Munde hin- und her¬ spült, bis es lau geworden ist, und dann erneuert. Diese Abkühlung bringt neues Leben in den Kreislauf der Mundhöhle und trügt wesentlich zur Erhaltung der Zähne bei. Ist die Mundhöhle stark erhitzt oder das Wasser sehr kalt, so nehme man je zur ersten Abkühlung wenig Wasser in den Mund oder abgeschrecktes Wasser, damit Schmerz, die Folge zu grellen Würmewechsels, vermieden werde. Die äußere Reinigung der Zähne, welche mehr weniger gleich¬ zeitig damit bewirkt wird, ist hierbei von untergeordneter Bedeutung gegenüber der Abkühlung, nämlich der Verleihung neuer Spannkraft an die Zahnorgane. Das Mundbad findet ferner oft glückliche Anwen¬ dung bei verschiedenen Kopf- und Halsleiden und sogar bei Magen¬ leiden, wenn es mit Ausdauer durchgeführt wird. Ju diesem Falle wird frisches Wasser dazu genommen und dasselbe jedesmal so lange im Munde behalten, bis es von Schleim gesättiget ist, und dann erneuert. Bei langwierigen Leiden hat diese Art Mundbad täglich 1 bis 2 Stunden zu dauern. 62 128. Die Schwammwaschung. Außer der Theilwaschung des ganzen Körpers nach ß 106 gibt es noch eine große oder Schwamm-Vollwaschung des Körpers. Hierbei steht man in einer trockenen Rnndwanne (Teller) von circa 1 Meter Durch¬ messer und wird von einem Diener mit einem vollen Schwamm, welchen er die erstenmale über den Kopf und die Achseln ausdrückt, in kräf¬ tigen Zügen von oben nach unten gewaschen. Sind zwei Diener hierbei thätig, desto besser. Diese Vollwaschung muss öfter das Halbbad ersetzen, wo letzteres nicht zu beschaffen oder wegen schmerzhafter Hautleiden nicht zu geben gestattet ist. Außerdem findet dieselbe auch als Theil¬ waschung mit verschiedenen Wärmegraden statt. Wo Leidenszustünde schon längere Zeit in den edleren Organen des Kopfes und der Brust bestanden haben oder in heftiger Weise sich geltend machen, ist es sehr angezeigt, die ableitende Waschung oft zu wiederholen. Zu diesem Zweck lassen wir häufig nach den Halbbädern, bloß auf die Beine oder auf den Unterkörper beschränkt (von den Rippen abwärts), die Vollwaschnng vornehmen, und zwar 6 bis 10° kälter als das HaMadwasser, oder falls kein Halbbad voransgieng, zuerst eine 6 bis 10° wärmere Waschung des Oberkörpers in der Dauer einer Minute und dann des Unterkörpers in der Dauer von zwei Minuten. Die Vollwaschnng der Beine oder des Unterkörpers mit Wasser zwischen 20 bis 12° U in der Dauer von circa zwei Minuten vor dem Schlafengehen oder auch in der Nacht vorgenommen, bewährt sich häufig vorzüglich, Schlaflosigkeit zu beseitigen, beziehungsweise durch Ableitung schlafberuhigend zu wirken. 129. Das Regenba-. Dasselbe zählt zu den ziemlich stark erregenden Badeformen, besonders wenn es mit kaltem Wasser vorgenommen wird. Man nehme es daher ohne besondere Anordnung oder Zustimmung des Arztes nicht auf den Kopf, wenigstens alle diejenigen nicht, welche Kopfleiden haben. Am besten ist es für die meisten, wenn sie sich mit einem großen Schwamme den Kopf gehörig benüssen und dann mit diesem Schwamme auf dem Kopfe, noch besser mit einer leinenen Kopfhaube unter die Rose gehen, so dass der Wasserstrahl nie direct, sondern nur mittelbar den Kopf trifft. Eine Erregung des Kopfes ist bei den wenigsten statt¬ haft, wohl aber eine Beruhigung, gelinde Kühlung. Die Nachwirkung entscheidet über den Heilwert einer jeden Anwendungsform und nicht die Erstwirkung. Als tägliches Anregungsmittel längere Zeit genommen, bewähren sich die Regenbäder selten gut, selbst mit milderem Wärme- 63 grade genommen, eben weil sie zu erregend wirken. Man ist deshalb von deren Gebrauch zu Hause mit Zimmerapparaten im allgemeinen sehr zurückgekommen. 130. Das Brausebad. Diese mittels großen Wasserdrucks durch eine groblöcherige Rose gebildete Wasseranwendungsform ist entschieden bloß erregenden Cha¬ rakters und sollte daher nur mit ganz kaltem oder heißem Wasser ver¬ wertet werden. Dessen Anwendung findet meistens nur örtlich statt, nämlich ans Körpertheile, denen Schlaffheit, Trägheit, Schwäche zu¬ geschrieben wird, oder auch, um durch energische Erregung eines Theiles von einem andern abzuleiten. So z. B. auf die Unterschenkel, die Beine oder den ganzen Unterkörper geleitet, kann das Brausebad sehr be¬ ruhigend auf Kopf-, Hals- und Brustleiden wirken; mitunter auch durch (peripherische) Ableitung von innen nach der Haut, direct über dem leidenden Theil angewendet. Hie und da eignet es sich, dessen erregende Reizung ans de» ganzen Körper zu leiten, wie z. B. bei allgemeiner Nervenstumpfheit oder Trägheit, bei eigenthümlicher Nervosität durch Blutauhüufung im Körperinuern begründet. Die Wirkung der Brause erweist sich am stärksten in derjenigen Entfernung von der Rose, wo der Strahlbogen am höchsten ist und wenn derselbe rechtwinklig auf den Körper geleitet wird. Im allgemeinen passt das Brausebad als Uebergang zur local angewendeten Strahldusche, obwohl letztere von manchen leichter vertragen wird als die Brause. 131. Die Strahldnsche. Dieselbe gilt als eine absolut heftig erregende Badeform, welche zu diesem Zweck nur mit kaltem Wasser ausgeübt wird, daher vor Missbrauch oder ohne Sachkenntnis zu duschen zu warnen ist. Unter Prießnitz' Zeiten wurde die Dusche enorm übertrieben angewendet, und haben sich hiedurch manche schwere Kopfleiden, sogar Irrsinn, einzelne den Tod eingednscht. Am Kopf Empfindliche sollten zum Duschbad eine Kopfhaube aus Kautschuk oder dicker Leinwand anziehen, nm namentlich den Hinterkopf zu schützen, damit dieser durch das Abspritzen von: Rücken und den Armen nicht gereizt wird. Noch weniger als das Regenbad leite man die Dusche auf den Kopf, sondern man beobachte ungefähr dasselbe Verfahren wie dort, d. h. um den Kopf wohl abznkühlen, fängt man gleich anfangs den Strahl mit geschlungenen Händen über demselben ans, wodurch er zertheilt wird und das Wasser träufelnd auf den Kvpf^abfällt, bis er entsprechend gekühlt ist. Hierauf erst leite man den Strahl auf die 64 verordneten Körpertheile. Derselbe übt seine Vollgewalt dann ans, wenn er im rechten Winkel, nämlich senkrecht und nicht schief, auf die Körper¬ fläche füllt. Man hat es sonach in seiner Gewalt, jeden Körpertheil, je nach dem Winkel, unter welchem man den Strahl anschlagen lässt, nach Belieben stärker oder schwächer zu duschen. Magen und Scham¬ gegend sowie andere empfindliche Theile, wie Brüste (z. B. wenn sie verhärtet sind), werden nur durch sogenannte Rückstrahldusche erregt, d. h. man lässt den Strahl in die geschlossenen Hände oder auch auf ein Brettchen so aufschlagen, dass nur der rückschlagende Strahl, welcher weniger scharf ist, die bezeichneten Theile trifft. Unter dem Brausen-, Regenbad- und Dusche-Strahl hat man sich fortwährend hin und her zn bewegen, damit derselbe keine Stelle zu anhaltend kühlt, wodurch das organische Leben mehr todtgeschlagen als belebt würde. Dagegen soll man sich direet unter demselben nicht reiben, um die erschütternde Wirkung nicht zn stören, wohl aber kann dies an den entgegengesetzten Körperstellen geschehen, wo der Strahl nicht anschlägt. Eine Ausnahme wäre nur dann zu machen, wenn derselbe allzuempfindlich trifft. Bei Empfindlichkeit gegen Regenbad, Brause und Dusche ist es angezeigt, so wie beim Vollbad erwähnt wurde, zu verfahren, nämlich das Wasser jedesmal nur '/2 bis 1 Minute eiuwirkeu zu lassen, dann, seitwärts tretend, die vom Wasser gereizten Stellen durch eine Minute tüchtig zu reiben oder vom begleitenden Diener reiben zu lassen, hierauf neuerdings '/2 bis 1 Minute dem Wasserstrahl sich auszusetzen und so weiter die Abkühlung mit Pause zwei- bis dreimal zu wiederholen. Zwecks Durchduschung des ganzen Körpers hat mau sich mit der Bauchseite nach unten ausgestreckt auf den Boden zu legen und unter dem Strahl, ans den Hand- und Fußspitzen federartig sich bewegend, nämlich nach rechts und links rollend, auf und abwärts sich schiebend, stets in Bewegung zn sein. Mit einer Fußspitze an der Sohlenseite fängt man die Beduschung an, lässt den Strahl über den rückseitigen Schenkel hinauf, den andern Schenkel hinab und wieder hinauf, sonach über Kreuz, Rücken und Rippenseiten, dann über die Hinterseite beider Arme anschlagen. Nun wendet man die Vorderseite des Körpers nach oben und lässt den Strahl in gleicher Weise von einer Fußspitze an nach oben durchlaufen. Hierbei werden die Schamtheile gar nicht, der Magen und die weiblichen Brüste gelinde, nämlich nur bei mittelmäßig starkem Strahl, die Wirbelsäule des Oberrückens nur mäßig geduscht. Eine Beduschung des ganzen Körpers sollte höchstens fünf Minuten dauern. 132. Die beruhigenden Kallen nnd warmen Umschläge. Es ist eine ziemlich allgemein bekannte Sache, wie man kalte Umschläge handhabt, sowie dass dieselben, wenn sie stark nass auf ent¬ zündete Körpertheile aufgelegt werden, beruhigend wirken. Weit weniger 65 bekannt hingegen ist, dass keineswegs stets das kälteste Wasser hierzu das beste sei, sondern häufig gemäßigt kaltes Wasser von 16 bis 12" U dem erstern vorzuziehen ist. Man hat nämlich wohl zu unterscheiden, ob die Entzündnngsstelle im Körperinnern oder oberflächlich vorliegt. Im ersteren Falle, wie z. B. bei Lungen-, Gehirn-, Gedärm-Entzündung re., wo eine mehr weniger dicke Fleisch- und Knochendecke über dem Entzündungsherd liegt, welche von der Wasserkülte erst durchdrungen werden muss, da eignet sich das kältere Wasser, doch nie bis zu dem Grade, dass es dem Leidenden wehe thut, auch muss es ganz dessen Gefühl entsprechend erfrischt werden. Eiskaltes Wasser oder Eisbeutel sind zu diesem Zwecke unbedingt verwerflich und lassen nicht selten schlimme langwierige Leiden zurück. Brunnenkaltes Wasser von 8 bis 7 ° U sollte nie unterschritten und bei Verwundungen nie länger als bis zur Blutstillung angewendet werden. Sind oberflächliche Entzündungen, wie der Augen, der Ohren, bei Rothlauf oder anderer Art, auf und in der Haut zu beruhigen, so dient dazu meistens mäßig kaltes Wasser von 14 bis 18 ° U besser als das kältere. Bei allen durch Kühluug beruhigenden Umschlägen ist es in der Regel rathsam, dieselben vor dem Wechsel ein bisschen warm werden zu lassen, jedenfalls dem Leidenden mit dem zu rascheu Wechsel nicht Gewalt anzuthun. 133. Die warmen, beziehungsweise heißen Umschläge werden am besten folgendermaßen bereitet: Man nimmt drei thönerne Töpfe oder noch besser hölzerne Geschirre, wovon zwei mit Deckel versehen sind. In eines derselben gibt man siedendes Wasser, in dem zweiten bereitet man solches von 32 ° U, legt ein Thermometer und zwei entsprechend große 6- bis 8fache Umschläge hinein, damit der eine Umschlag stets warm sei, während der andere am Körper aufliegt, welch letzterer mit dickem Wollstoff zu bedecken ist. Damit die Umschläge beim Auswinden nicht auskühlen, muss man rasch damit zuwerke gehen und sie mit den Händen umwickelt halten, bis jeweilig der frühere Umschlag vom Leibe abgehoben ist. Hier handelt es sich darum, dem Körper örtlich Wärme zuzuführen, weshalb die Umschläge alle 2, 3 bis 4 Minuten zu wechseln sind. Da die Wärme-Empfindung unter den Umschlägen stets mehr oder weniger abnimmt, so muss das Wasser im Umschlagtopf circa alle 5 bis 8 Minuten um 1° wärmer gemacht werden, zu welchem Zweck man einen Becher voll aus demselben in das leere Gefäß übergießt und so viel heißes Wasser aus dem Vorrathstopf zugicßt, bis die an¬ gestrebte erhöhte Wärme erreicht ist; dieserhalb hat das Thermometer beständig im Umschlagtopf zu verbleiben. In dieser Weise geht man durch circa bis 1 Stunde vor, das Umschlagwasser allmählich so weit erwärmend, bis es dem Leidenden lästig wird, was meistens zwischen 38 bis 40° U einzutreten pflegt. L 66 Gelingt es innerhalb dieses Zeitraumes, die Schmerzen zu beruhigen, so lässt man den letzten Umschlag als dünstenden so lange liegen, bis er ein unangenehmes Fröstelgefühl bewirkt, worauf trockene Abreibung und gute Bedeckung zwecks Nachdünstens für 2 bis 3 Stunden zu folgen hat. Sollte man darauf ins Freie ausgehen wollen, so ist die betreffende Stelle früher mäßig feuchtkalt durch circa eine Minute abzureiben, bis sich dieselbe womöglich etwas röthet. 134. Die warmen Umschläge finden vielfach günstige Verwendung, nämlich hauptsächlich bei alleu Schmerzzuständen, denen nicht wirkliche Entzündung, namentlich in den verschiedenen Eingeweiden, zu Grunde liegt, also in allen Schmerzen nervöser Art (Neuralgien), Krämpfen, bei hysterischen Anfällen aus die Magengegend und die untere Wirbelsäule gelegt. Wie schon oben erwähnt, kann bei leichten äußerlichen Entzün¬ dungen hie und da auch lauwarmes Wasser mehr beruhigend wirken, als kühles und kaltes Wasser. Eine genaue Grenze hierüber anzugeben ist unmöglich, dies kann nur persönlich (individuell) in jedem einzelnen Falle erprobt, beziehungsweise festgestellt werden. Es unterliegt aber auch keinem Anstand, in ein und demselben Schmerzansall von warmen zu kalten Umschlägen und umgekehrt überzugehen, wenn man nur einen gewissen Uebergang beobachtet. Soll ersteres vorgenommen werden, so wählt man zuerst temperirt kaltes Wasser von 20° bis 18° U und stellt dasselbe allmählich kälter. Im letzteren Fall nimmt man zuerst wieder mittelmäßig warmes Wasser von 28 ° bis 29 ° U und richtet dasselbe allmählich heißer. Es ist ein Sprung gegen die Natur in allen Fällen, wenn man sofort mit extremen Wärmegraden beginnt, seien es dann warme oder kalte, und gerade diejenigen Medicinürzte, welche die Naturheillehre uicht studirt haben, sind es, die sich in den Extremen auszeichnen. Häufig gelaug es uns, heftige nervöse oder neuralgische Kopf¬ schmerzen mit warmen Umschlägen nach oben beschriebener Methode theils gänzlich, theils vorübergehend zu beseitigen, wo die sogenannte Wissenschaft verkehrterweise kalte Umschläge anwendete, von der fal¬ schen Furcht geleitet, warme Umschläge müssten stets gefährlichen Blut¬ andrang Hervorrufen. Hier und da kommt es indessen vor, dass warme Umschläge nur vorübergehend Schmerzen beruhigen, also eine fortgesetzte Anwendung derselben nichts fruchtet. In solchem Falle ist dann ent¬ weder locales Dampfbad angezeigt, indem man den betreffenden Körper¬ teil über einen Topf oder ein Schaffe! mit 60- bis 70grädigem Wasser hält, über dem zu dämpfenden Körpertheil einen Hvhlraum veranstaltet und diesen mit Wollstoff überdeckt, falls man keinen Rikli'schen Bett- und Theil- dampfbad-Apparat besitzt, oder aber indem man nach und nach wieder zu kalten Umschlägen übergeht, wie dies oben auseinandergesetzt wurde? * Hier können wir es nicht unterlassen, einen Fall mitzutheilen, wie wenig die alte Medicinschule in ihrem Unfehlbarkeitsdünkel die Sprache der Mutter Natur r ersteht, zu deren Fußen ihre Jünger als Lernende doch sitzen sollten. 67 135. Die erregenden feuchten kleinen und großen Umschläge, beziehungsweise Wicklungen. Unter dieser Benennung versteht man mehr weniger dick zusam¬ mengelegte Leinwand oder Baumwollzeug, welches in kaltem Wasser geweicht, fest ausgewunden und unter guter Bedeckung zwecks Erwär¬ mung irgendwo auf den Körper gut anschließend gelegt wird. Zwei Hauptwirkungen gehen hierbei vor sich, nämlich es wirkt die Kültewahr¬ nehmung beim Auflegen zusammenziehend auf die Nerven und Blut¬ gefäße der betroffenen Stelle; bei größerer Ausdehnung der Abknhlungs- fläche oder bei Empfindlichkeit findet selbst eine rückstrahlende Wirkung nach den Jnnenorganen statt, welche sich durch verschiedene Erscheinungen, wie z. B. plötzliche Athembeklemmung, vorübergehende Schmerzsteigernng, Blutandrang u. s. w. bemerkbar machen. Die Lebensthätigkeit strebt die der Haut entzogene Wärme zu ersetzen, und lässt zu diesem Zweck mehr Blut in jener Gegend durch kreisen, so dass bei günstiger Rückwirkung des Körpers nicht nur ein Ersatz der Wärme, sondern ein Ueberschuss (gegenüber dem Vorzustand) hervorgerufen wird, welcher Fall sich durch ein recht behagliches Gefühl kundgibt. Tritt die Erwärmung rasch und kräftig ein, so wird der Umschlag trocken und lästig und fordert zu einer Erfrischung auf. Eine langsame, andauernde, milde Erwärmung Ein Fremder (Russe), welcher in der Nähe von Veldes mit dem Wagen umstürzte, sich dabei ein Schultergelenk ausrenkte, wurde zu uns in die Anstalt gebracht. Wie in solchen Fällen in der Regel zu geschehen Pflegt, ließen wir dem Leidenden, welcher über starke Schmerzen klagte, kalte Umschläge über das ausgerenkte Gelenk machen; nach kurzer Zeit jammerte der Patient und beklagte sich, dass die Schmerzen nicht nur nicht abnähmeu, sondern sich steigerten. — Dies sowohl als der Umstand, dass gar keine abnorme Wärnie um die verletzte Stelle wahrzunchmen war, überzeugte uns, dass hier kein entzündlicher Schmerz (wie in solchen Fällen gewöhnlich angenommen wird) vorliege, sondern dass dieser krampfhaften neuralgischen Charakters sei, und ließen daher warme Umschläge von 30" II aufwärts auflegen; richtig ließen die Schmerzen rasch nach und verschwanden ganz. Abgerufen, wurde mittlerweile der Wundarzt geholt, welcher die Einrenkung vollziehen sollte. Dieser ließ aber sofort wieder kalte Umschläge machen, und als wir nach ein Paar Stunden zurückkehrten, war die Einrenkung noch nicht gelungen, auch klagte der Patient wieder über heftige Schmerzen. Als wir den Wundarzt auf das Ungeeignete der kalten Um¬ schläge aufmerksam machten, erhielten wir zur Antwort: -Die Wissenschaft schreibt es so vor.» Saubere Wissenschaft, welche weiser sein will, als die höchste Instanz aller Wissenschaft! Da wir das Jammern als die Folge einer verkehrten Maßregel nicht länger anhören konnten, machten wir auf eigene Faust wieder warme Unischläge, und siehe, die Schmerzen beruhigten sich alsbald wieder. Der Verwundete besaß eine sehr starke Muskulatur, es wirkten in diesem Fall die kalten Umschläge zweifelsohne zu stark zusam¬ menziehend. Die Einrenkung des Gelenkes wurde dadurch merklich erschwert und ver¬ zögert, so dass sie erst nach mehreren harten Versuchen, resp. nach den letzten warmen Umschlägen gelang. Nach der vollzogenen Einrenkung waren wir ganz einverstanden mit den kalten Umschlägen; da verursachten sie keine Schmerzen mehr und konnten nur stärkend auf die übermäßig ausgedehnten Muskeln und Gelenkbänder einwirken. 68 führt indes allmählich das Erschlaffnngsstadium herbei, welcher Zu¬ stand durch leichtes Frösteln unter dem Umschlag sich zu erkennen gibt und ebenfalls als das Zeichen zur Erfrischung oder Weglegung des Umschlages gilt. Hatte der weggelegte Umschlag nicht den Zweck der Beruhigung örtlicher Schmerzen, sondern der verstärkten Wärme-Erzeu¬ gung, so wird der belegt gewesene Körpertheil kurz aber kalt abgerieben, was besonders bei den durch mehrere Stunden getragenen Leibbinden nicht zu unterlassen ist. Tritt gar keine befriedigende Erwärmung ein, so war derselbe entweder zu kalt, zu nass, zu wenig bedeckt aufgelegt, oder die Lebenskraft ist überhaupt zu geringe gegenüber diesem Wasserreiz. 136. Die maßgebende Hanptwirknng des erregenden Umschlages ist sonach der Zeitabschnitt der angenehmen Dünstung unter demselben, in welchem ein lebhafterer Stoffwechsel durch Austausch, wie schon bei den nassen Wicklungen erwähnt wurde, vor sich geht. Letztere fallen über¬ haupt unter dieselbe Theorie wie die Umschläge, nämlich als würme- entziehende oder beruhigende und wärniefördernde oder erregende Nass¬ packungen. Streng genommen ist die Benennung «erregender Umschlag» keine richtige, weil derselbe im Dünstungszustande so gut wie der kühlende Umschlag, am richtigen Platz, Beruhigung der Schmerzen und der Auf¬ regung herbeiführt. Die richtige Bezeichnung würde wärmeerregen¬ der Umschlag heißen müssen, womit der scheinbare Widerspruch behoben wäre. Häufig in Gebrauch kommende wärmeerregende Umschläge werden aufgelegt und getragen: über den Bauch (sogenannte Leibbinde), auf der Brust, dem Hals, dem Kopf (Kopfhaube) und auf den Fußplatten und Unterschenkeln. In verschiedenen Fällen, namentlich bei Geschwür- und Ausschlagbildung, bei Verwundung und inneren Schmerzen, können auf allen übrigen Körpertheilen wärmeerregende Umschläge zur Verwertung gelangen.* 137. Die Leibbinde, ein so allgemein getragener wärmefördernder Um¬ schlag, bedarf noch etwelch besonderer Besprechung. Eine Verstärkung der Wärme-Ansammlung sowie des nach innen rückwirkenden Dunstes, welcher unter den erregenden Umschlägen sich * Gut geschlossen angelegte erregende nasse Binden (am besten Fatschen von doppeltem feinen Banmwollzeugs um Hände und Fuße, allenfalls mit Pelzhandschuhen oder sonstiger warmhaltender Umwicklung (wie Flanell) bedeckt, sind das beste Mittel gegen die große Plage der Frostbeulen und Hautrisse. Diese Binden, abends angelegt, bleiben die ganze Nacht ohne Abwechslung und nebstdem sollen die Hände am Körper liegend unter der Decke gehalten werden. Unbedeutendere Frostbeulen weichen diesem Verfahren oft in einer Nacht, bedeutendere in ein bis zwei Wochen. 89 entwickelt, wird bestens erzielt, indem man Wachstaffet »der Kautschuk¬ papier oder Berliner Oeltuch unmittelbar über den feuchten Umschlag legt und hierüber erst die Flanellbedeckung gibt. Dies gilt besonders bei der Leibbinde, wenn dieselbe über Tag getragen wird. Eine feucht erregende Binde ist, mit Ausnahme von Schmerz¬ zuständen, nicht bei Tag und Nacht zu tragen, sondern sie muss ab¬ wechselnd mit trockenen, meistens flanellenen vertauscht oder doch die Leibstelle eine Zeit frei gelassen werden, damit auch die natürliche Aus¬ dünstung des betreffenden Körperteiles abziehen kann. Die trocken erregende Binde hat daher hauptsächlich ihren Platz unmittelbar nach kalten erregenden Bädern für eine bis zwei Stunden. Eine Leibbinde, welche längere Zeit hindurch über die ganze Nacht getragen wird, bringt den Nachtheil mit sich, dass das dunstende Wärmestadium gar zu lange ohne Erfrischung an hält. Es liegt deshalb ein Vorzug darin, die Leibbinde über Tag zu tragen (nämlich außer¬ halb der Curperiode), weil dieselbe alsdann nach Bedarf erfrischt werden kann. Das Tragen ist besonders nachmittags angezeigt, in welcher Zeit- periodc stets mehr Blutwärme im Uuterkörper und weniger im Ober¬ körper herrscht. Eine Ausnahme mit dem nächtlichen Tragen erregender Binden oder Umschläge ist nur dann zu machen, wenn man solche über Tag nicht gehörig erwärmen kann, oder sehr hartnäckige Stockungen, respec- tive Verhärtungen unter ihnen liegen, in welch letzterem Falle man doch darauf bedacht sein sollte, sie wenigstens einmal über Nacht zu erfrischen. Tritt Frösteln bald nach dem Erfrischen ein, war zu wenig Be¬ wegung damit verbunden, und wenn es trotz dieser stattfindet, so ver¬ sucht man, entweder einen kleineren Theil davon zu benässen, z. B. bei den Brust- und Bauchbinden bloß die Vorderseite re., oder man nimmt die Unterlage statt von Leinwand aus Baumwolle oder feiner Wolle, als schlechteren Wärmeleitern, und wenn alles dies nicht hilft, so sind solche zu tragen überhaupt nicht angezeigt. Ein ziemlich allgemeiner und großer Missbrauch ist es, unmittel¬ bar nach dem Sitzbade die erregende feuchte Leibbinde auzulegen. Diese sowohl sowie überhaupt größere erregende Umschläge nach bedeutend auskühlenden Bädern anzuziehen, sollte nur nach besonderer Verordnung geschehen. Wo diese unterblieb, ist es richtiger, nach dem Sitzbade die trockene Flanellbinde bis zur eingetretenen kräftigen Erwärmung anzuziehen und erst hierauf wieder die feucht erregende. Nicht genug kann Reinhaltung der getragenen erregenden Um¬ schläge und Leibbinden empfohlen werden. Länger als zwölf Stunden sollte kein Stück direct am Leibe liegen, ohne wieder in heißes Wasser gelegt, rein gewaschen, gesonnt und gelüftet zu werden. Für die Be¬ deckungen der feuchten Umschläge genügt letzteres allein. Nach je längstens einer Woche bei täglichem Gebrauch eines Umschlages ist ein solcher kunstgerecht durch eine Wäscherin gründlich zu reinigen. 70 138. Die Walferklystire. Auch diese innerliche Wasser-Anwendnngsform theilt sich wesentlich in beruhigende warme und in erregende kalte Klystire. Wie überall, sind auch hier der Wärmegrad und die zur Verwendung kommende Wasser¬ menge maßgebend für die Nachwirkung (Reaction). Für Erwachsene genügt als höchster Betrag (Maximum) eine einmalige Portion Wasser im Gewichte von 160 bis 200 Gramm; für Kinder bis zu einem Jahre von 30 bis 40 Gramm. Die in unserer Anstalt üblichen und verkäuflichen einfachen Klystirspritzen mit Bogen¬ rohr tragen auf dem Stößel eine Zeicheneintheilung für je 40 Gramm. Wer ein solches Instrument nicht besitzt, kann sich das Maß der an¬ gegebenen Wasser-Gewichte durch Abwügen in einem Glas vergegen¬ wärtigen. Mit deni Klystiren werden verschiedene Zwecke verfolgt, als Ableitung von Kopf, Hals, Brust und Bauch, Beruhigung von Unter¬ leibsschmerzen, Linderung oder Mäßigung weicher Stuhlgänge, wohl am häufigsten die Förderung trockener harter Stuhlgänge, beziehungs¬ weise die Beseitigung der Stuhlverhaltungen. Hierzu ist indess ein ganz anderes Vorgehen nothwendig, als die Vertreter der Medieinwissenschaft dies allgemein handhaben. Unglaubliche Thatsachen sind uns hierüber zur Kenntnis gekommen, wie z. B. die Verordnung, sich täglich ein bis zwei Liter brunnenkaltes Wasser in den Leib zu pumpen!!! Das thaten Graduirte, welche die Menschennaturlehre (Physiologie) officiell studirt haben und nicht einmal wissen, dass eine solche Menge für ein Pferd zuviel ist, hinreichend, um bei einem Menschen den Mastdarm durch übermäßige Ausdehnung und erdrückende Kälte vollständig zur Lähmung zu bringen. 139. Wo eine längere Nachhilfe durch Klystire nöthig ist, da sind die auf plötzliche Entleerung hinzielenden Einspritzungen untergeordneten Ranges, dagegen die einsaugenden sogenannten Bleibe-Klystire die Hauptsache. Solche dürfen nur in kleiner Wassermenge gegeben werden, deren Gewicht für Erwachsene durchschnittlich zwischen 120 bis 160 Gramm schwankt. Drängt das Wasser zum Abgehen, sei es mit oder ohne Stuhl¬ gang, so wird sofort ein zweites, aber um cirea 40 Gramm kleineres Klystir genommen, welches in der Regel leicht im Leibe verbleibt. Man fördert die Einsaugung, wenn man sich alsbald für 5 bis 10 Minuten auf die linke Seite aufs Bett legt und den After mit den Fingerspitzen leicht hineindrückt. Bleibt auch dieses nicht im Leibe, so kann noch ein drittes, abermals kleineres Klystir versucht werden. Bei langwierigen Leiden genügen gewöhnlich täglich zwei, höchstens drei Bleibe-Klystire; in heftigen oder hartnäckigen Fieberkrankheiten werden deren drei bis fünf in 24 Stunden nothwendig. Es ist angezeigt, nm die gewohnte 71 Entleerungszeit, also bei den meisten Personen morgens, die anregenden kühlen und kalten Klystire zu nehmen, etwa mit 20° 11 zu beginnen und je nach Empfindlichkeit wöchentlich um 1° oder 2° zurückzugehen, bis der Kältereiz peinlich wird. Sind täglich zwei Klystire nöthig oder geeignet, so nehme man das zweite 8 bis 12 Stunden später, mit Wasser von der Blutwärme, also 29° kl, und da das warme in der Regel leichter eingesogen wird als das kalte, kann es auch um 'Z bis Vz mehr Wasser enthalten. Der Wärmegrad des letzteren kann allenfalls allmählich auf 32 ° 11 gesteigert werden. Sind mehr als zwei Klystire täglich am Platze, so entscheidet über deren Wärmegrad, ob Beruhigung, Lösung oder Anregung und Stärkung erzweckt werden soll. 140. Zn große, zu tvarine und zu kalte Klystire erzeugen verschiedene un¬ angenehme Erscheinungen, als Bauchschmerz, Krampfzustünde, Brechreiz rc., letzteren deswegen, weil der Mastdarm in enger Beziehung zum Gehirn steht. Da die Bleibe-Klystire vom Pfortadersystem nufgesogen werden, muss das Wasser die Leber durchströmen, daher dieselben den Leber¬ leidenden sehr zu empfehlen sind; indirect erstreckt sich dadurch ihre Wirkung auf die höher gelegenen Organe der Brust, des Kopfes und des Magens. Bei aufmerksamer Behandlung lassen sich selbständige Klystircuren in der Dauer von zwei bis drei Monaten mit gutem Erfolge durchführen; indes muss man sich zu rechter Zeit davon zurückzieheu, um sie nicht zur Gewohnheit zu stempeln. Dazu gehört in erster Linie, dass die kalten Klystire die warmen entschieden überragen; ferner ist darauf zu achten, ob das Wasser nach kürzerer oder längerer Zeit im Mastdarm aufgesogen wird. Fühlt man es daselbst noch nach drei bis vier Stunden, so bedeutet diese Erscheinung beginnende Sättigung, wor- nach die Klystire in zunehmend geringerer Menge oder seltener zu geben sind. Bei den gewöhnlichen Klystirspritzen achte man darauf, nach jedesmaligem Gebrauch den Stößel bis an den Kolben aus dem Rohre zu ziehen, damit er trocknen kann; ferner verabsäume man nicht, den Kolben selbst ab und zu mit Seife zu schmieren und nach längerem Gebrauche von einem Drechsler neu filzen zu lassen. 141. Das curmäßige Waßertrinken. Es ist nicht zu leugnen, dass solches manchen Personen gute Dienste thut. Allein man ist vom seinerzeitigen übermäßigen Wasser¬ trinken, wie es einmal in Gräfenberg üblich war, nicht nur gänzlich abgekommen, sondern man hat die Erfahrung erlangt, dass eher das Gegentheil, nämlich das zeitweise Dursten, allgemein zu besseren Ergeb¬ nissen führt, besonders bei Vieltrinkern, indem hierdurch das ganze Ge- 72 füß-System, besonders aber das aufsangende Lymphgefäß-Netz sowie die Schleimhäute, in die größte Spannung versetzt und damit zu erhöhter Thätigkeit gebracht werden. Ein-, zwei- bis dreitägiges Dursten, hernach wieder Sattrinken (indes darf dann kalte Flüssigkeit nur vorsichtig, d. h. allmählich, in den zusammengezogenen und erhitzten Magen gebracht werden), ruft eine zeitweilig stärkere Zusammenziehung und Ausdehnung, beziehungsweise eine Dehnungsübung der gesammten organischen Faser, besonders des Magens hervor. Durch diese verstärkte Localbewegung werden sowohl innere als äußerliche Stauungen und Geschwülste sicherer zur Aufsaugung und in Kreislauf gebracht. 142. Der menschliche Körper besteht zu mehr als drei Viertheilen aus Wasser, sonach muss der regelrechte Stoffwechsel dieser Flüssigkeitsmasse für die Erhaltung der Gesundheit von Wichtigkeit sein. Die naturgemäße Erneuerung derselben hat zum guten Theil durch directes Wassertrinken zu geschehen und nicht einseitig aus künstlichen Flüssigkeiten, als Suppe, Thee, Kaffee, Bier, Wein rc., zu bestehen. Dieser letztem schlechten Gewohnheit verdanken schon viele ihre Erkrankung und ebensosehr andere, weil sie sich zu wenig Durst in naturgemäßer Weise, nämlich durch Schwitzen, beschaffen; beide Mängel begründen ungenügenden Stoffwechsel. Wie es ein Hochgenuss ist, mit Appetit zu essen, so nicht minder, bei starkem Durst ein frisches Trinkwasser zu sich zu nehmen; bei gesundem Geschmack kann letzteres durch kein Kunstgetränk ersetzt werden. Allein man mache es sich zur guten Gewohnheit, auch ohne Durst ein gewisses Maß Wasser (ein bis zwei Trinkgläser voll) zu trinken, namentlich in den nüchterneren Stunden vor dem Frühstück und vor dem Mittagsmahl, was besonders dem Magen zugute kommt, näm¬ lich zu seiner Kräftigung dient; auch der Gesundeste wird Nutzen hiervon ziehen. Magenschwache, die angeblich kaltes Wasser nicht vertragen, dürfen freilich nur mit kleinsten Portionen, esslöffelweise, beginnen, und sollen dieselbe allmählich steigern. Bei anhaltender Durchführung dieser guten Sitte, dem leeren Magen täglich zweimal frisches Wasser zu¬ zuführen, werden sie mehr Magenkräftigung erreichen, als durch alle berühmten Elixire. 143. Curmäßiges Wassertrinken bringt am sichersten bei solchen Per¬ sonen gute Wirkung hervor, welche in ihrer Lebensweise überhaupt wenig getrunken haben, und wenn sie dasselbe mit entsprechender Be¬ wegung und Schwitzen in Verbindung setzen. Das Maß cnrmäßigen Wassertrinkens unterliegt einer großen Verschiedenheit, um jeder Per¬ sönlichkeit richtig zu entsprechen. Es darf weder Magem noch Kopf¬ beschwerden, weder Frösteln noch Ohrensausen erzeugen. Ist eine dieser Erscheinungen eingetreten, so war es mit zu viel oder zu wenig Bewegung 73 verbunden. Das individuell höchste Maß, welches curmäßig täglich eine Zeitlang mit Nutzen getrunken werden kann, beträgt circa drei Liter, ein Maß, welches im Sonnenschein arbeitende Landleute häufig vertilgen. Die Einzelportion darf höchstens zwei volle Curgläser betragen, wovon fünf auf einen Liter gehen. Vor einer Stunde darf jedoch dieses Maß nicht erneuert werden, und nach 6 Uhr abends ist es nachtheilig, curmäßig, nämlich ohne Durst zu trinken. Wiederholt man von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends alle Stunden eine Portion von ein bis 1^ Gläsern, unmittelbar vor dem Frühstück nnd vor dein Mittags¬ essen eine Trinktour aussetzend, so erhält man auf diese Weise neun bis zehn Wiederholungen, in welchen die höchste zulässige Menge ge¬ nossen werden kann. Wie schon erwähnt, muss viel Wassertrinken mit viel Bewegung verbunden werden, da es nicht bloß wie in einen Schlauch hinuntergegossen, sondern verdaut und in kräftige Circulation gebracht sein will, wenn es erregend und organisch auflösend wirken soll. Es versteht sich, dass nur wenige das erwähnte höchste Maß vertragen und dass dasselbe genau der wohlthätigen Allgemein¬ wirkung und Rückwirkung angepasst werden muss. Außerdem gibt es Magenzustände, wie übermäßige Empfindlichkeit und Magenkatarrh, wo das frische Trinkwasser mit heißem Wasser auf 12" bis 16° k ab¬ geschreckt werden muss. Nach den vorausgegangenen Grundsätzen und Regeln kann mancher zu Hause eine Trinkcur von gewöhnlichem Brunnenwasser mit gutem Erfolg durchführen. Allerdings wird eine solche, unter Luftveränderung vorgenommen und mit geistiger Ruhe verbunden, entschieden wirk¬ samer sein. 144. Nahrung und Trank (Diät). lieber Diät im engern Sinne, nämlich über die Wahl der Speisen, richtige allgemein giltige Vorschriften zu geben, ist ein Ding der Unmöglichkeit, weil die Bauart, d. i. die Eigenheit im Geschmack, in der Verdauungsart, im Bedürfnis zur Blutbeschaffenheit, so ungeheuer verschieden ist, dass jeder Einzelne durchstudiert werden müsste, um ihm absolut richtige Diät vorschreiben zu können. Die Nahrungsmittel bloß nach ihrer chemischen Zusammensetzung oder ihrem Nahrungswert zu taxieren und zu verordnen, erweist sich als ein ganz einseitiger, unhaltbarer Standpunkt, welcher in der Theorie sich wunderschön ans- nimmt, in der Praxis aber sich durchaus nicht bewährt. In Beziehung auf Verdauung und Sichaneignnng (Assimilation) walten noch Geheim¬ nisse, d. h. persönliche Verschiedenheiten, die wahrscheinlich ungelöst blei¬ ben werden. So wollen wir nur ein Beispiel erwähnen: Ein Individuum verträgt die Eier ausgezeichnet nnd liebt sie; einem anderen wiederum widerstehen sie, und wird dasselbe jede Speise, in welcher ihm un¬ bewusst auch nur eine Kleinigkeit von einem Ei dargereicht wird, 74 erbrechen. So gibt es Tausende Räthsel bezüglich der Speiselnst nnd deren Zukömmlichkeit, die ganz persönlicher Natur sind und mit keiner Schablonentheorie gelöst werden können. 145. Hier ist nun auch der geeignete Orsi die in der neueren Zeit so vielfältig aufgeworfene Frage der Vegetabildiüt zu besprechen. Der Ver¬ fasser dieses Werkes hat derselben persönlich durch 18 Jahre streng ge¬ huldigt sowie durch 30 Jahre der Mehrzahl seiner Curgäste verordnet und deren Wirkung beobachtet, kann daher immerhin über etwelches maßgebendes Erfahrungsmaterial verfügen. Das Ergebnis desselben wollew wir kurz und bündig wiedergeben. Mit dem 38. Lebensjahre, also noch im Kraftalter lebhafter Blntbildnng, nahmen wir die vege¬ tarische Lebensweise an. Die erste Zeit brachte ein außerordentlich wohliges Gefühl körperlicher und geistiger Elasticität mit sich, welche, wie natürlich, uns begeistern musste im Glauben, diese Leichtigkeits¬ wahrnehmung würde immer so fortdauern. Unter diesem Enthusiasmus des ersten Jahrzehntes verfassten wir denn auch verschiedene begeisterte Aufsätze für Fachblätter sowie das Capitel über Diät in der fünften und sechsten Auflage unserer allgemeinen Curregeln. Viele neugebackene Vegetarianer ließen sich viel früher zu voreiligen nnd keckeren Urtheilen über die angeblich ungeheure Wohlthat der Vegetabildiät hinreißen; sie haben damit weit über das Ziel hinausgeschossen! Der erwähnte Wohlthätigkeitszustand hielt bei uns mehr weniger 12 Jahre an, vom 13. bis 15. Jahre bewirkte diese Diät ein ungefähr neutrales Verhältnis, und vom 16. bis 18. Jahre vegetarianischer Lebensweise stellten sich verschiedene Erscheinungen ein, welche einen Rückschritt in der Ernährung, an Kraft und Schwung bekundeten, obwohl wir einen gut nährenden vegetarianischen Tisch führten, nämlich Milch, Butter, Eier und nahrhafte Mehlspeisen vom Genüsse nie ausgeschlossen hatten. Die erwähnten schlimmen Erscheinungen, welche sich in den letzten Jahren dieser Diät einstellten, waren folgende: 1. ) Uebersüurung des Blutes; damit war häufiges Erbrechen saueren Wassers verbunden und entwickelte sich zunehmender Wider¬ willen gegen alles Obst. Diesem Säuer-Erbrechen gieng stets ein 1 bis 2 Stunden dauerndes Frösteln sowie Schmerzen in den Rücken- und Rippeumuskeln, schließlich im Bauche voran. 2. ) Fast permanenter Mastdarmkatarrh mit periodischer heftiger Diarrhöe, durch welche wahrscheinlich ebenfalls Blutsäure abgesondert wurde. 3. ) Eine für unser Alter unnatürliche Schwäche, welche sich durch Zittern beim Schreiben und relative Impotenz kundgab. 4. ) Zunahme von Verstimmung, schlechter Humor und schlechtes Aussehen. 75 5. ) Unnatürlicher Warmemangel, welcher sich im raschen Erkalten der Extremitäten geltend machte, sobald wir ohne anhaltende Bewegnng verblieben. 6. ) Schlaflosigkeit bei Nacht, dafür umsomehr Schlafbedürfnis bei Tag, und wenn dieses unbefriedigt blieb, vollständige Energielosigkeit. 7. ) Gieriges Verlangen nach säuretilgenden Speisen, wie: Milch, Käse, Eier, Fett, Zucker und nach Fleisch. Die vegetabilischen Speisen, ans ähnlicher Zusammensetzung wie das Fleisch bestehend, nämlich: Erbsen, Bohnen, Linsen, Gerste, Haber, Polenta, befriedigten uns nicht mehr, sondern wir empfanden ein ausgesprochenes Verlangen nach Speisen von mehr anregender, reizender Beschaffenheit. 8. ) Auffallende Sprödigkeit und Abspringen der Fingernägel und ebenso merkwürdiges Spalten der Enden der Schnurrbarthaare, als wenn es ihnen an einem fetten Bindemittel fehlte. 9. ) Herzklopfen beim Besteigen mittelhoher Berge, eine Erscheinung, die uns als geübtem Bergfexe, der viele Hochgebirge bestiegen hatte, bisher ganz unbekannt war; dieses letztere Symptom konnten wir nur einer Blntschwächc, wie sie bei den Bleichsüchtigen besteht, zuschreiben. 146. Theoretisch begeistert für die Vegetabildiüt und überzeugt, sie sei die einzig menschenwürdige Diät, dauerte es volle drei Jahre, ehe wir zur Einsicht gelangten, dass nur die vegetarianische Nahrung die Ur¬ sache der obgenannten Leidenserscheinnngen sei. Nachdem wir unter moralischen Kämpfen diese Ueberzeugung endlich erlangt hatten, kehrten wir zur frühem gemischten Diät zurück, genossen wieder täglich eine gewöhnliche Portion Fleisch, müßig Wein, Bier, Kaffee und Thee rc. Im Verlaufe von zwei Jahren nach der Wiederaufnahme ge¬ mischter Diät erloschen allmählich die vorerwähnten Uebelstände. Unter Bekanntgabe letzterer zeigten wir vor zwölf Jahren (1878) gleichzeitig unfern Austritt aus dem Vegetarierverein öffentlich im «Naturarzt» an, ebenso in einem sogenannten Flugblatt unter dem Titel: «Meine Er¬ fahrungen, Beobachtungen und Schlüsse über Vegeta¬ bildiät.» 147. Wüthend fielen die Fanatiker über uns her und ließen kaum ein gutes Haar an uns. Ein Herr E. Rieger, welcher uns persönlich gar nicht kannte, verflieg sich so weit, öffentlich zu schreiben, wir müssten in einer schlechten Haut stecken, da wir jetzt wieder Fleisch äßen, und würde man bald einer Katastrophe an uns entgegensetzen müssen. Inzwischen sind viel früher die Hanptapostel des Vegetarianismus: Hahn, Baltzer, Wolbold, zur großen Armee eingerückt, und hoffen wir, trotz dem über uns ausgesprochenen Anathema der Ultravegetarier und 76 trotz dem bisschen Fleisch- und Weingenuss noch ein paar Iährlein unser» Ameisenbeitrag der menschlichen Gesellschaft leisten zu können! Unser Standpunkt über Vegetabildiät ist heute noch derselbe wie vor zwölf Jahren, nämlich wenn dieselbe als Curperiode, d. i. als Gegensatz oder Abwechslung ausgeführt wird, kaun sie Vorzügliches leisten; je mehr man aber durch deren strengere oder längere Beibehaltung vom Neureiz, beziehungsweise dem Gegensätze, sich entfernt, desto mehr wird die Blut¬ bildung eine einseitige und krankhafte werden. Die Vegetabildiät aber als Einzelreform in unser bürgerliches Leben, ohne gleichzeitig andere wichtige Lebensweise-Reformen einführen oder anfpfropfen zu wollen, bekundet blinden Fanatismus!* Der im Freien Arbeitende, wie z. B. ein Landmann oder ein Zimmermann, allenfalls noch ein Schmied, wird die voluminöse Vegetabildiät gut verdauen; aber wie steht es da bei den Millionen geistig oder im geschlossenen Raum arbeitenden Beamten, Gelehrten, Kaufleuten, Handwerkern und namentlich den Millionen Frauen, welche den weitaus größten Theil ihres Lebens innerhalb der. schattigen, dumpfen Mauern verbringen müssen? Da hapert's gewaltig, oder es geht mit der Verdauung und Ernährung nur für eine kürzere Zeit, eine Periode lang befriedigend.** 148. Jedermann muss sich daher in der Speisenwahl der Hauptsache nach Selbstarzt sein, und alle vernünftigen Eltern werden hierin dem besonder», energisch ausgesprochenen Jnstincte ihrer Kinder gebürend Rechnung tragen, letztere nicht als eine Caprice erklären, sondern als einen sich kuudgebenden Naturwillen berücksichtigen. Hiermit wollen wir keineswegs den vielgehörten Satz bestätigen, dass, was gut schmeckt, auch gut bekommt; die Zunge der an die heutige Küche gewöhnten Europäer ist ein arg verführtes Organ, welches bei den Erwachsenen den gesun¬ den Jnstinct vielfach eingebüßt hat. Selbst wenn der Magen eine * Aus obigen Gründen bestreiten wir auch, dass die einfachste Einerlei¬ diät, z. B. Schrotbrot und Obst, zum Normalleben, d. h. zur höher» Entwicklung des Menschen, die geeignetste Diät sei, wie dies von Seite einiger enragierter Vege¬ tarianer als neue Lehre aufgestellt wurde. Dies kann als Curperiode ganz am Platze sein, genügt aber keineswegs für die Entwicklungspcriode (Jugend), noch für das productive Leben des reifern Menschen. Auch hier spielt die Differenzierung, d. i. die Veränderung, Abwechslung, eine mächtige Züchtung?- und Entwicklungs¬ rolle; je mehr dem Menschen Einerleidiät, überhaupt einförmiges Einerleileben auf- crlcgt ist, auf desto niedrigerer thierischer Stufe bleibt er stehen. Das Reisen und Ver¬ setztwerden in die verschiedensten Gegenden gehört daher zu den vorzüglichsten Bildungs-, Entwicklung?- und Genesungsmitteln. ** Soeben vernehmen wir, dass ein Herr Dr. Med. Alauns aus Berlin, welcher durch mehrere Jahre als ein begeisterter Vegetarianer sich gerierte, den Vegetarianern einen Absagebrief zusandte. Derselbe machte ebenfalls die Wahrnehmung einseitiger krankhafter Blutbildung an sich und anderen, u. zw. in entgegengesetzter Richtung, nämlich in auffallender Verkalkung der Arterien. Trotzdem stimmt auch er dafür, die Vegetabildiät als Curperiode zeitweise anzunehmen. 77 Speise ohne jegliche Beschwerde verdaut hat, gilt dies noch nicht als Beweis, dass dieselbe auch der Blutbeschaffenheit, dem Aufbau (Con¬ stitution) der Person entspricht. Hierüber kann nur längere und gründ¬ liche Beobachtung entscheiden. 149. Außer der Speisenwahl gibt es noch andere wichtige Gesichts¬ punkte zur Besprechung der Diät, nämlich 1.) die Zahl und die Tages¬ zeit der täglichen Mahlzeiten; 2.) die Zahl und die Menge der zu sich zu nehmenden Speisen. Den erstern Punkt halten wir für wenigstens ebenso wichtig als die Wahl der Speisen; es zählt zu den schlechtesten Gewohnheiten, den Magen, eigentlich den Geschmackssinn, über Tag beinahe ineinemfort zu beschäftigen, um ja kein Hungergefühl aufkommen zu lassen, eine Unsitte, die in manchen Familien zu Hause ist! Wer täglich nicht wenigstens einmal mit Hungergefühl, nicht bloß mit Appetit, zu Tische geht, der gelangt zur Uebernährung und wird über kurz oder lang sicherer Erkrankung entgegengehen. Der Magen bedarf, wie der Arbeits¬ zeit, so auch der genügenden Ruhezeit, andernfalls derselbe sich nicht gehörig zusammenziehen und reinigen kann, woraus vorzugsweise mit der Zeit verschiedene Magenleiden, namentlich Magenkatarrhe, ent¬ stehen. Außer dieser Schattenseite des zu oftmaligen Essens und Trin¬ kens besteht eine andere darin, dass ohne tägliches Hungergefühl, beziehungsweise bei bereits entstandener Uebernährung, das aufsaugende Gefäßnetz (Venen- und Lymphgefäße) seiner Schuldigkeit in der Auf¬ saugung abgelebter Blut- und Körpertheile (Mauserschlacken) nicht Nach¬ kommen kann, sich demnach unfehlbar Stoffwechselrückstände ansammeln müssen, welche entweder zu heftiger (acuter) oder zu langwieriger Krank¬ heit führen. Das zu rasch wiederkehrende Essen und Trinken, beziehungsweise das Nichtabwarten des Hungers, bringt ferner den großen Nachtheil mit sich, dass uns das richtige Sättigungsgefühl, und zwar nicht allein für den Magen, sondern auch rücksichtlich des wahren Ernährungs- bedürfnisses gegenüber dem Stoffwechsel, abhanden kommt; wir leben dann, nm zu essen, statt dass wir essen sollten, um zu leben. Bei manchen Personen zeigt der Magen eine überwiegend kräftige Organisation gegenüber der Aneignungskraft (Assimilation) und Ausscheidungsthätigkeit der übrigen Organe. Solche Individuen neigen zur Fettsucht oder zu krankhafter Blutüberfüllung. Ebenso gut, wie zu geringe Ernährung, zieht Uebernährung Schwächung nach sich, weil Stoffüberfluss von der Nervenkraft in Be¬ wegung gesetzt werden muss, also ein nnnöthiger Kraftaufwand in Anspruch genommen wird. Die Schwächung kann schleichend einkehren oder aber durch eine heftige (acute) Krankheit sich geltend machen. 78 150. Jedwede Person, welcher es um die Gesundheit ernst zu thun ist, strebe nach der Verringerung der Zahl seiner Mahlzeiten so viel als möglich und mache es sich zum unverbrüchlichen Gebot, zwischen¬ hinein absolut nichts zu genießen. Hatte man sich gewöhnt, sechs- oder fünfmal im Tag am Speisetisch zu erscheinen, so versuche man es, die Mahlzeiten auf vier zu reducieren, wer deren vier gewöhnt war, auf drei, und von drei auf zwei Mahlzeiten, was namentlich mit dem vor¬ rückenden Alter leichter eingehalten werden kann. Wir kennen Leute von mittlerem Alter, welche nur eine Mahlzeit täglich zu sich nehmen, allenfalls morgens einen schwarzen Kaffee trinken, dabei ihre Tages¬ aufgabe so gut wie andere leisten. Mit ein bisschen festem Willen geht die Sache leichter vor sich, als man es sich vorstellt, und zweifelsohne gewinnt auch die moralische Kraft, wenn man sich gewöhnt, täglich eine halbe oder eine Stunde lang das Hungergefühl über sich ergehen zu lassen! 151. Der Verfasser dieses hat mit dem 30. Lebensjahre sich ans drei und mit dem 50. Lebensjahre auf zwei Mahlzeiten beschränkt, und zwar letztere so eingetheilt, dass um 8 Uhr das Frühstück, dann 9'/2 bis 10 Stunden lang durchaus nichts und um halb 6 oder 6 Uhr die Haupt¬ mahlzeit, die durchschnittlich nicht reichhaltiger ist, als bei Leuten des Mittelstandes, eingenommen wird. Dabei fühlen wir uns in der neunten oder zehnten Stunde der Nüchternheit keineswegs hinfällig oder schwach, sondern gegentheils recht elastisch frisch. Jedesmal, wenn wir durch Einladung oder Reisen veranlasst werden, dreimal zu Tische zu gehen, ruft dies Unbehaglichkeit hervor. Wird der zweite Schwerpunkt in der Diät, nämlich die Haupt¬ mahlzeit mit Hunger einzunehmen, consequent eingehalten, dann ergibt sich der dritte Hauptpunkt, nämlich bezüglich der Nahrungsmenge, von selbst, d. h. mit jenem ist zugleich auch die Müßigkeit gesichert. 152. Als ein Ergebnis zahlreicher Beobachtungen und auch theilweise bekannte Thatsache kann festgestellt werden, dass eine entschieden natur¬ gemäßere Lebensweise, als das bürgerliche Leben in der Mehrheit mit sich bringt, nämlich in erster Linie mit viel Bewegung und Arbeits¬ verrichtung im Freien verbunden, die Verdauung weit kräftiger ge¬ staltet und dass man alsdann viel weniger pedantisch in der Wahl der Speisen vorzugchen hat. Ans demselben Grunde sind bei nicht wenigen Magen- und Unter¬ leibskranken die betreffenden Eingeweide wohl der Sitz des Leidens, indes nicht der eigentliche Krankheitsherd. Die Ursache besteht gar oft nur in einer Rückstrahlung mangelhaften Stoffwechsels, welcher namentlich 79 von der Haut ausgeht, woruach solche Individuen ihre Heilung wesent¬ lichste in der Arbeitsleistung und in der Pflege der Haut zu suchen haben. Ein häufig vorkommender Diätfehler liegt auch im schnellen, gierigen Essen; langsam gegessen, ist halb verdaut, denn durch klares Zerkauen der Speisen wird sowohl der Mund- als später auch der Magenspeichel, zwei wichtige Verdauungssäfte, reichlicher unter den Speisebrei gemischt sowie gleichzeitig der Geschmackssinn früher befriedigt. 153. Im allgemeinen regt die Natnrheilmethode den Appetit lebhaft an, und darf demselben auch die Mehrzahl der Curanten entsprechen; nur Magen- und Unterleibskranke müssen sich bis zu einem gewissen Grade znrückhalten, Charakterfestigkeit in der Beherrschung zeigen. Indessen tritt hie und da auch das Gegentheil, nämlich acute Appetitlosigkeit ein, welche sich auf mehrere Wochen ansdehnen kann. Wir hatten schon Fülle, welche 30, 35 und 40 Tage dauerten, wobei jegliche Speise verschmäht wurde. Dieser Zustand hat stets eine kritische Bedeutung und wird Hungermangelkrise benannt. Es ist nöthig, hierauf aufmerksam zu machen, damit man diesem Hungerinangel nicht mit Reizmitteln, wie Spirituosen, Schinken, Käse, Salz, Pfeffer rc., entgegenarbeite, sondern gegentheils durch volle Enthaltsamkeit dem Winke der Natur nachkomme und solches sogleich seinem Arzte mittheile. Dies bezieht sich namentlich auf Kranke, die man im Correspondenzwege behandelt. Die Hnngermangelkrisen sind jedoch nicht so zu nehmen, als giengen sie stets direct vom Magen aus, sondern meistentheils nur in- direct vom ganzen Verdaucanal. Wenn der Organismus innerlich eine bedeutende außergewöhnliche Lösung vornimmt, so stellt er die Ver¬ dauungsarbeit, den umfangreichen Aneignungsvorgang (Assimilation), ein, macht blntreinigende Ausschwitzungen auf die Schleimhaut des ganzen Verdanungscanales, vom Mund bis zum After, womit wahrscheinlich eine bedeutende Ganzerneuernng (Jntegralerneuernng) vor sich geht. 154. Sowohl aus dem Vorangehenden über Diät als auch, weil die Mehrzahl der Curanten zu reizend und üppig gelebt hat oder speciell Verdanungsleidende sind, erhellt, dass die Cnrdiät den Charakter der Einfachheit und der milden Reize tragen muss. Die Entbehrung stärkerer Reizmittel soll durch möglichste Abwechslung erleichtert werden. Indem wir überhaupt eine streng individualisierte Behandlung durchführen, ist dies nicht minder bei der Diütverordnung der Fall, in welcher Vegetabildiüt, Fleischgenuss, Magerkost, Durstdiüt, selbst Wein rc. verordnet wird! Eine Cur umfasst stets den Inbegriff einer uoth- wendig gewordenen ausnahmsweise!: Lebensperivde, daher man nie in eine solche eiutrcten soll in der Absicht, um sogenannt gut, pikant 80 zn leben. Im Gegentheil, sie verlangt, dass man vorschriftsgemäß außer¬ gewöhnlich lebe, nnd wer nicht so viel Beherrschung über sich besitzt, letzterem nachzukommen, der verzichte auf Wiedererlangung der Gesund¬ heit, dem gebürt das Fortleiden, weil er es aus Mangel an Willens¬ kraft nicht besser verdient! 155. In dieses Capitel «Diät» (im weiteren Sinne) gehört auch noch die Besprechung des Tabakgenusses, sei es als Schnupf-, Kau- oder Rauchtabak. Die Naturheilmethode bezweckt meistens eine Entreizung und Be¬ freiung der iunern Organe, eine Ausgleichung mit dem äußerlichen Nerven- und Blutkreislauf; der scharfe Fremdreiz des Tabakes in jeder Form (dass er unnatürlich ist, beweist der Ekel jedes Anfängers) tritt aber diesem Heilungsbestreben entgegen. Er erzeugt nicht nur örtliche Nerven- und Gefäß-Ueberreiznngen in Kopf und Brust, sondern wirkt auch direct vergiftend, indem er mehr oder weniger Schärfe (Nikotin) ins Blut führt, an welcher ohnehin schon die meisten Kranken leiden. Förmliche Tabakausschlags-Krisen, wie sie hie und da bei starken Rauchern und Schnupfern vorkommen, bestätigen dies. Wir verlangen nicht, dass starke Raucher, Schnupfer, Kauer sich plötzlich dieses Reizes begeben, allein dass sie sich fest vorsetzen, denselben allmählich, etwa innerhalb 2 bis 3 Wochen, abzulegen und zu diesem Zwecke alle Tage eine bestimmte Menge weglegen. Nie kann diese Entwöhnung leichter durchgeführt werden, als während der Cur, indem diese dem gewohnten innern Reiz allmählich einen starken Außen¬ reiz entgegensetzt; aber wir müssen es als Charakterschwäche erklären, wenn jemand der Aufforderung, diesen! oder jenem ungesunden Genuss für eine bestimmte Zeit zu entsagen, entgegnet: «Lieber will ich leidend bleiben, als diesen Genuss ablegen.» Gerade eine solche Genuss-Sclaverei beweist, dass das Individuum weit entfernt vom «Gesundsein» ist, in¬ dem es ihm an Willenskraft mangelt, dem höchsten irdischen Gut, der Gesundheit zulieb auf eine Zeitlang einem mehr oder weniger un¬ natürlichen Genuss zu entsagen. 156. Bewegung und Ruhe. «Leben ist Bewegung der Kleinsttheilchen» lautet die Grnndlehre dieser Schrift, und diese gibt sich im thierischen Leben durch einen be¬ stimmten Wärmegrad zu erkennen. Im § 9 wurde auseinandergesetzt, dass Wärme identisch mit Kleinsttheilchen-Bewegung sei. Wir wissen ferner aus der bisherigen Abhandlung, dass jegliches Kranksein in zu seiner Zeit ungenügender Bewegung der Körperstoffe seine Ursache hat und dass der Zweck der Cur kein anderer sein kann, als diese rück- 81 ständige Bewegung nachzuholen. In allen fieberlosen Leiden besteht sonach der Curzweck stets darin, durch die verschiedenste» Maßnahmen gesteigerte Wärme zu erzeugen und abzugeben. Die Ganzbewegung des Körpers mittels der Beine, das sogenannte Gehen, erzeugt bekanntlich in vorzüglicher Weise Wärme, die allgemeine Kleinsttheilchen-Bewegnng, und kann der Ausspruch eines Arztes: «Wenn wir mehr gehen würden, würde alles besser gehen», nicht genug beherzigt werden. Letzteres ist demnach haupsächlich da am Platze, wo durch ein Kültereiz der Organismus zu verstärkter Wärme-Erzeugung angeregt oder gezwungen werden soll. Wir wissen aber laut § 14, dass dieser Zweck gerade ins Gegentheil umschlägt, wenn wir das Kältegefühl zu andauernd oder zu oft wiederholt hernmtragen, weshalb rasche Wieder- erwürmuug nach jedem Abkühlungsbad dringend angerathen werden muss, und zwar, wo es nur möglich ist, durch Körper-Gesammtbewegung. Letzterer, durch Gehen bewirkt, muss im allgemeinen vor den gymna¬ stischen Uebungen entschieden der Vorrang eingeränmt werden, besonders dann, wenn bergauf und bergab gestiegen und das sogenannte Schwung- athmen damit verbunden wird. Das Schwungathmcn besteht in einem taktförmigen Vor- und Rückwärtswerfen der Arme, der Achseln und der Brust zwecks möglichster Erweiterung und Verengerung des Brust¬ kastens. Wir sind gerne bereit, diese einfache Lungengymnastik jedem unserer Gäste persönlich vorzumachen, dem daran liegt, sie kennen zu lernen. Jede richtige oder rechtzeitige Förderung der Wärmebildung bewirkt eine Annäherung zum Curziel. Leider sind nicht alle veralteten Stockungen, die sich bereits zu festeren Verhärtungen angehäuft haben oder in organische Erweichungen übergangen sind, wieder in regelrechte Kleinsttheilchen-Bewegung zu versetzen, woraus die absolute Unheilbarkeit ersteht. 157. Die Erwärmung vor dem kalten Bade durch sanfte Bewegung zählt zu den besten Vorbereitungen, indem sie die Wiedercrwärmung nach dem Bade wesentlich begünstigt. Hierbei ist indes zu beachten, dass, wenn man durch Bewegung erwärmt beim Bade anlaugt, man sich ja nicht früher auskühlen soll, wie dies auf den öffentlichen Badeplätzen zu geschehe» pflegt; gegentheils, man behalte die erhöhte Wärme durch Bedeckung schön beisammen, bis Herz und Lunge keine Aufgeregtheit fühlbar machen, und steige daun getrost erhitzt ins kühle Bad.* Die schnelle Bewegung ist nicht immer die beste, sondern eine nach dein Leiden, Kraft und Alter entsprechende Bewegnngsgeschwindigkeit. Ge¬ schieht solche zu rasch, so wird eine Art Krampfzustand in den Nerven¬ bahnen und Blutgefäßen bewirkt und damit ein gleichmäßiger Blutkreislauf * Au trüben, kühlen Tagen versäunie man diese Vorerwärmung ja nicht, sewst falls Dampfbad verordnet wurde. 6 82 nicht nur verhindert, sondern mehr oder weniger Gereiztheit des lei¬ denden Theiles oder einseitiger Blutandrang (Congestion) herbeigeführt, wodurch selbst mitunter alle Bewegungsfähigkeit aufgehoben wird. Eine zu langsame Bewegung hinwieder verspätet die Vollerwärmung. Jeder¬ mann muss sonach seinem Zustande entsprechend diejenige Bewegnngs- geschwindigkeit und diejenigen Geführten, welche für ihn passen, selbst ausfindig machen. Für die Bewegungsunfähigen bleibt die beste Wieder¬ erwärmung jene durch Sonnenbad, Reibung oder im Bett, um das Würmegleichgewicht wieder herzustellen. 158. Es ist nicht genug, dass man nach dem Bade sich nicht kalt fühlt, wie manche wähnen und dies erwidern, wenn man sie auf¬ fordert, sich kräftige Bewegung zu machen, sondern es handelt sich darum, wenn nur immer möglich, das Blut schwellend in den Körperumfang und bis zur Schweißbildnng in die Haut zu bringen. Als Beweis, dass dieser Anforderung genügt worden sei, gilt, dass man mit gerötheten, warmen Fingerspitzen und Zehen zurückkehrt. Bei warmem Wetter soll dies in einer halben bis einer Stunde, bei kaltem in ein bis anderthalb Stunden geschehen können; wo nicht, war das Bad zu kalt oder zu langdauernd, vorausgesetzt, dass man seine Fußbewegung unaufgehalten und wo möglich in bergansteigender Richtung vorgenommen hat. Die Erfahrung lehrt, dass das Zögern oder Aufschieben kräftiger Bewegung unmittelbar nach kalten Bädern, z. B. durch langes Toilette¬ machen, durch vorheriges Essen, durch öfteres Aufgehaltenwerden von begegnenden Freunden, die Wiedererwärmung erschwert und nachtheilig wirkt, so dass jede Viertelstunde Verzögerung das Doppelte bis Dreifache der verspäteten Zeit erheischt. Bei starkem Wind und großer Kälte sollen nur solche sich im Freien ergehen, die sich überhaupt sicher und leicht erwärmen, und be¬ sonders diejenigen nicht, die köpf- oder brustleidend sind. Bei starker Hitze ist Kranken letztgenannter Art zu rathen, sich mehr im Schatten oder im Sonnenschein nur barfuß zu ergehen. 159. Bei steilerem Bergan- und Bergabsteigen ist der Gebrauch eines Alpenstockes, in dessen richtiger Handhabung man sich aber unter¬ richten lassen muss, sehr zu empfehlen, indem Brust- und Armmuskeln dabei kräftig geübt werden und die Last sohin nicht bloß auf die Beine fällt; man geht damit gewissermaßen, statt auf zwei, ans vier Füßen, wodurch der Gewichtsdruck getheilt uud das Steigen sehr erleichtert wird. Das Bergabsteigen wirkt durch eingreifende Erschütterung im allgemeinen sehr vortheilhaft; manchen Kranken ist es daher zu rathen, 83 dass sie kleinere Strecken im Trabe laufend, beziehungsweise hüpfend zurücklegen, um dadurch die allgemeine Erschütterung zu erhöhen. Dies ist besonders solchen, die an Anschoppungen des Unterleibes leiden, zu empfehlen. 160. Starkem Bedürfnis nach Ruhe gebe man immer nach, und es ist besser, dasselbe zu befriedigen, als rücksichtlos der Badetour nach- znjagen; besonders wohlthätig ist die vormitternächtliche Ruhe, daher in allgemeiner Regel der Schlag 9 Uhr als Zapfenstreich für die Curgäste angesehen oder vielmehr angehört wird; hierdurch wird man in den Stand gesetzt, früh ausgeruht in die herrliche Morgenluft zu gelangen, die in nüchternem Zustande jedermann recht ausgiebig zu benützen sich bestreben soll! «Morgenstnnd hat Gold im Mund!» dieses Sprich¬ wort gilt ganz besonders vom Morgenspaziergang. Im nüchternen Zustande hat derselbe nicht bloß für den Curanten, sondern auch für denjenigen, der sich wohl fühlt, eine besondere Wichtigkeit, weil das Gesetz der Gegensätze hier in sein Recht tritt; durch die andauernde Nachtruhe ziehen sich die schweren Bluttheile mehr in die großen Gefäße, in die inneren Organe zurück, und es tritt daher die Nothwendigkeit ein, diese aus ihrer Ruhe heraus wieder kräftig in die Körperoberfläche zu treiben, was nur durch eingreifende Bewegung (körperliche Thätigkeit) geschehen kann. Die Wahrheit dieser Regel lässt sich anch folgerichtig vergleichsweise dadurch feststellen, dass, wie auf langen Sonnenschein gegensätzlich Regen folgt, ebenso auf längere Ruhe nothwendig wieder ausgiebige Bewegung folgen soll. Nach einem aus¬ giebigen Morgenspaziergang macht sich meistens auch lebhafter Appetit und ein viel heitereres Befinden für den ganzen Tag geltend. IV. Abschnitt. 161. Verschiedene allgemeine Rück- und Vorausblicke. Die Naturheilmethode ist bekanntlich an keine Jahreszeit gebunden, nur hat die wärmere Jahreszeit vor der kälteren voraus, dass in ihr die Wiedererwärmung leichter eintritt, während in der kältern die erste Berührung mit kaltem Wasser oder kalter Luft weniger erschütternd wirkt, indem man durch die anhaltend kältere Luft der Winterszeit schon mehr oder weniger vorbereitet ist. e» 84 Die Luft- und Kaltwasserreize erzeugen durch ihre belebende An¬ regung und Hervorrufung das Gefühl des «Gestähltseins», welches den meisten Bädern auf dem Fuße nachfolgt, in manchen Persönlichkeiten einen einseitigen Enthusiasmus mit dem Wahne: «Je mehr, desto besser!» Mehrfach haben wir aufmerksam gemacht, dass dem uicht so sei, sondern dass das Wohlgefühl nach einseitigen Kültereizen nur bis zu einem gewissen Grade andauert, daun aber nach und nach ins Ge- gentheil umschlügt. Um den nachtheiligen Folgen möglichst vorzubengen, bringen wir noch Folgendes zur Kenntnis oder in Erinnerung. 162. Sind überhaupt die Grundbedinguugen zur Heilung eines lang¬ wierigen Leidens vorhanden, nämlich entsprechender Vorrath an innerer Lebenskraft ohne sogenannte organische Entartungen, so wird sie nur dadurch erreicht, dass das Blut durch die mehrfach erwühnteu Lebens¬ elemente zur höchsten Ansbildnng gebracht, die Nerven in die ge¬ eignetste Stimmung (Ton) versetzt werden, den Heilungskampf anf- znnehmen, mit anderen Worten: das langwierige Leiden in ein kurz¬ dauerndes (acutes), d. i. mehr weniger heftiges, umzuwandeln. Den Grad der Nervenverstimmung zu erkennen und das ihrer Reizfühigkeit wohlthnend passendste Maß der Erhitzungen und Ab¬ kühlungen zu bestimmen, das bleibt immer die wichtigste Kunst des Naturarztes und erst in zweiter Linie die Bestimmung der Anwendungs¬ formen. 163. Ein heftig erregender Cnrbeginn ist daher in langwierigen Leiden eine ungebürliche Zumuthung für das Nervensystem und als ein Sprung von einem Gegensatz in den andern unbedingt zu verwerfen. Eine gute Cur muss stets schwüchern Grades beginnen und je nach dem Grade der Erstarkung des Einzelnwesens allmählich gesteigert werden; in gleicher Weise sind die unstatthaften alten Gewohnheiten allmählich (besser noch schnell) abznlegen. So erreicht man nach und nach die höchste Nervenkraft, allerdings selten während der Curperiode, meistens erst längere Zeit nach derselben, und dann — beginnt der Heilkampf, der, wenn er mit Fieber begleitet ist, das Zeichen stärkster Heilungsenergie trägt. Mittels Fieber, wenn solches gut geleitet, bringt die Lebenskraft stets ausgiebigere kritische Ausscheidungen durch Schweiß, Geschwüre, Durchfall, Brechen, Schleimflnss, Harnfluss, Blutungen rc., aber auch Neubildungen zuwege, als es ohne Fieber der Fall ist; das Fieber erfüllt daher eine wichtige Aufgabe.^' * Personen, welche sich näher nm die Fieberkrankheiten interessieren, machen wir auf unser Schriftchen aufmerksam: -Die Natnrheilkunde, I. Theil, die Fieber¬ krankheiten», im Selbstverläge und bei L. Fernan in Leipzig. Preis 2 Mark. 85 Um die persönlich richtige oder beste Nervenanregung zu erfahren, achte der Curant mehr noch auf die Nachwirkung (d. i. die nächsten sechs bis zwölf Stunden), als auf die Erstwirknng der Temperaturreize und theile missbehagliche oder außergewöhnliche Erscheinungen dem Arzte bald mit. Letzterer, wenn er durch viel Erfahrung befähigt ist, wird sich bald klar sein, welche Curänderung er einzuleiten hat. Ueberhaupt ist ein öfterer persönlicher Verkehr zwischen Arzt und Patient für letz¬ teren ersprießlich, weil das Krankheitsbild vielseitiger erörtert wird. 164. Die Putzsucht, eine Zwangsjacke der großen Bäder, passt gar nicht in Naturheilanstalten, denn eine gewisse Freiheit der Bewegung und namentlich der Kleidung ist ein nothwendiges Erfordernis für die Gesundung. Es liegt daher im Interesse unserer Gäste, die Kleidungs¬ eitelkeit der großen Bäder nicht anzunehmen, sondern natürliche, anstän¬ dige Einfachkeit beizubehalten, wie es in den meisten Wasserheilanstalten geschieht. Die Bekleidung sei im allgemeinen eine leichtere als unter- gewöhnlichen Verhältnissen, doch der Jahreszeit, der Witterung und der Erwärmungsfähigkeit entsprechend; bei schwerer Wiedererwärmung unmittelbar nach jedem Bade eher etwas wärmer (mittels Anlegen von Ueberkleidern), damit die Vollwärme schnell und andauernd erfolge; belästigt dieselbe, so wird das Ueberkleid wieder abgelegt. Die Kleidung sei nie eng und fest anliegend, sondern weit, damit der Säftekreislanf überall freie Bahn habe und eine größere Luftschicht zwischen Körper und Kleidung Platz finde, wodurch der Abzug der Ausdünstung beför¬ dert wird. Das Tragen von Miedern ist deshalb unbedingt verwerflich, nicht viel weniger um die Hüften geschnallte Hvsenriemen oder eng zn- geschnürte Unterhosen. Letztere sollten immer mittels innerer Knöpfe an den Oberhosen befestigt werden. Ein müßig weites Kleid ist ferner im Winter wärmer, im Sommer kühler, weil die zwischen Körper und Kleid eingeschlossene Luft einen schlechten Wärmeleiter bildet. 165. Deut licher Widerwille (Schauer) gegen ein Curbad, sei es aus wirklichem Bedürfnis nach Ruhe oder wegen Nichterwärmnng nach einer vorausgegangenen Curanweudung, sei es durch außergewöhnlich kühles oder kaltes Wetter re. hervorgerufen, ist ohuewciters zu beachten und die Verordnung auszusetzen. Besteht ein auffallender Widerwille gegen eine gewisse Curform oder tritt regelmäßig schlechtere Nachwirkung ein, sollte dies jedenfalls dem Arzte mitgetheilt werden. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass später dieselbe Curform nicht wieder sehr günstig wirken kann. 86 166. Arzneien während der Naturcur und längere Zeit nach der¬ selben anzuwcnden, ist grundsätzlich und der Wirkung nach ein voll¬ ständiger Widerspruch, wie dies schon im Z 16 anseinandergesetzt wurde. Geheimer Arzneigebrauch kann deshalb nur verderblich wirken. 167. Mit Eintritt der monatlichen Reinigung ist allsogleich die starke Cnr auszusetzen, nämlich alle langdauernden Bäder und das Schwitzen in Kotze und Dampfbad; einzig Sonnenbäder mit warmen (28° bis 30° k) Waschungen können fortgesetzt werden. Doch missverstehe man hier ja nicht den Sinn dieser Regel. Die Naturheilmethode (besonders Halbdampfbüder), geeignet angewendet, bietet das sicherste Mittel, die ausgebliebeue Reinigung wieder hervorzurufen sowie zu stark oder schmerzhaft auftretende zu beruhigen. Des Beischlafes hat man sich während der Cur gänzlich zu enthalten, um die betreffenden Säfte und Kräfte zu anderweitiger Thätigkeit für den Heilungsprocess zu ver¬ werten. Beim Abtrocknen nach jedem Bade versäume man nicht, zwischen den Zehen sich besonders gut auszutrocknen, da sonst die Haut daselbst sehr leicht wund wird. 168. Ueker die Begriffe: Gesundheit — Wohlsein und Nttgesnndheit — Kranksein. Einer englischen graduirten Doctorin, welche bei uns einen Lehr- curs durchmachte, legten wir einmal die Frage vor: -Was ist ,Schmerz-, was ist ,Schwäche- nach der Lehre Ihrer Universitäten?» — -Ja, darüber hat man uns gar nichts gelehrt, deshalb weiß ich es auch nicht,» lautete die Antwort. Nicht wenig waren wir über diese Ant¬ wort erstaunt, nämlich dass der Schwerpunkt aller Krankheiten, dass dasjenige, dessen Beseitigung der heißeste Wunsch aller Kranken ist, zu dessen Erfüllung so ungeheuer viel wissenschaftliche und materielle Kraft in Bewegung gesetzt wird —- nicht einmal auf einer Hochschule wissenschaftlich erörtert werden sollte! -Nun, so wollen wir Ihnen hierüber die Antwort geben,» erwiderten wir. Dieselbe lau¬ tete: Jede Erscheinung auf diesem Erdenrunde beruht auf irgend einer Moleküle- oder zu deutsch Kleinsttheilchen-Bewegung, und zwar, wenn die Erscheinung eine sachliche ist, auf einer vorausgegangenen oder ver¬ gangenen Bewegung; betrifft die Erscheinung eine eigenschaftliche, so fußt dieselbe aus einer gegenwärtigen Bewegung. Z. B. wir sehen einen Tannenbaum als etwas Sachliches vor uns, so konnte derselbe nur durch Tannenbaum-Moleküle-Ansammlung aus der Erde uud der Luft 87 gebildet werden; oder betrachten wir als weiteres Beispiel einen Tisch von Tannenholz, so wurde hierbei noch die Kleinsttheilchen-Bewegung des denselben verfertigenden Tischlers hinzugefügt; es gibt überhaupt gar keine Arbeitsleistung, welche nicht auf der Kleinsttheilchen-Bewegung beruht, selbst die feinste Arbeit, die Denkarbeit geht nur unter Moleküle- bewegung des Gehirnes vor sich. Besehen wir uns eine eigenschaftliche Erscheinung, z. B. wie «Tönen» (Ton, Schall), «Leuchten» (Licht, Farbe), so lässt sich ersteres nur aus der verschiedenen Kleinsttheilchen-Bewegung der den Ton hervorrufenden Instrumente, welche auf die Luftmoleküle übertragen werden, erklären; ebenso die Farben aus der verschiedenen Bewegung und Gruppierung der Lichtmoleküle, denn ohne Licht gibt es überhaupt keine Farbe. Nehmen wir noch ein fünftes Beispiel: Woraus entsteht die Wärme und der Lichtschein eines brennenden Holzes? Ant¬ wort: Aus der Kleinsttheilchen-Bewegung, unter welcher die Verbindung des Kohlenstoffes mit dem Sauerstoff der Luft vor sich geht. Ebenso beruht der Schmerz nur auf einem außergewöhnlichen, d. i. heftigeren Bewegungsvorgang in unseren Gefäß- oder den Gefühls¬ nerven, und zwar zwecks Beseitigung eines Kreislauf¬ hindernisses (Stauung, Stockung). Diese Auffassung bietet die natür¬ lichste, einfachste Erklärung, und ist kaum eine andere zulässig. Wenn jemand uns eine bessere Erklärung zu geben vermag, sind wir gerne bereit, dieselbe anzunehmen. Allgemein werden die Begriffe Ges und sein und Wohlsein zum Unglück vieler für gleichbedeutend genommen, und noch unglücklicher ist die Vorstellung, dass Kranksein, nämlich Schmerz, Beschwerde und Schwäche, eine Sache sei, die bloß zufällig durch Verkühlung, Er¬ hitzung oder Aerger n. s. w. herbeigeführt worden. Von einem Lebewesen, dessen Dasein auf dem Stoffwechsel be¬ ruht, zu verlangen, dass dasselbe stets wohl und gesund sei, ist über¬ haupt eine unnatürliche Idee, eigentlich ein Ideal. Wie leicht wird doch bei unserer complicierten, so häufig naturgesetzwidrigen Lebensweise das Gleichgewicht im Stoffwechsel gestört, welches die Lebenskraft (sieh Z 23) wieder herzustellen strebt! Sehen wir ja sogar die stets im Freien und ohne allen Civilisationszwang lebenden wilden Thiere, wie die Hirsche, Gemsen, Rehe, Füchse, sogar die Fische und Krebse, nicht nur einzeln, sondern selbst massenweise (epidemisch) erkranken! Absolut gesunde Menschen gibt es daher nur sehr wenige, wie überhaupt alles Vollkommene für unsere Welt ein schönes Ideal bleibt, welches zu erreichen aber nichtsdestoweniger unser beständiges Bestreben sein muss, wenn wir uns glücklich fühlen und unserer höchsten Bestimmung nachkommen wollen. 169. Beim Wohlbefinden ist die Nervenbewegnng eine regelrechte (nor¬ male); sobald Unwohlsein sich einstellt, muss dieselbe irgendwo im Körper eine veränderte, d. i. entweder schnellere oder langsamere sein. 88 Tritt gleichzeitig erhöhte Warme in einem Körpertheil (Entzündung) oder im Gesammtkörper (Fieber) ein, dann hat sich das arterielle Ge¬ fäßsystem der gesteigerten Nervenbewegung angeschlossen, und wir sehen im ersten Falle entzündliche Anhäufungen (Geschwülste, Geschwüre) sich bilden und lösen, im letztem Falle eine mächtig gesteigerte Bewe¬ gung im ganzen Blut, mit allgemeinem Unwohlsein, beziehungsweise allgemeinem Schmerz begleitet. Wie Schmerz ein gesteigertes Nervenleben bedeutet, so umgekehrt beruht Schwäche, Beschwerde auf verminderter Nervenbewegung in einem Körpertheil oder im Gesammtorganismus. Hieraus können wir ent¬ nehmen, dass «Schmerz», allgemein genommen, eine viel günstigere Erscheinung (Reaction) zur Wiedererlangung der Gesundheit als die «Schwäche» bietet, und harmoniert dies vollständig mit unserm Ein¬ leitungs-Thema: «Kraft ist das Haupterfordernis zum Leben und zur Gesundheit.» Mithin bleibt Kraftförderung die Haupt¬ aufgabe des Arztes, soll es sich nicht bloß um eine vorübergehende Flickarbeit handeln! 170. Der gesunde Mensch wird weder durch Verkühlung noch durch Erhitzung krank, sondern diese beiden Vorgänge sind für ihn nnr an¬ regende Lebensreize, wie dies in den Zß 54 und 55 auseinandergesetzt wurde. Der große Haufe ist nur relativ gesund, eigentlich un¬ gesund, wenn auch im Zustande des Wohlseins. Jeden Augenblick kann in solchem Zustande die Natur aus eigenem Antriebe oder gelegentlich durch Erhitzung, Erkältung, Ver¬ letzung, Aerger, Freude, atmosphärische Anlage (epidemische Disposition) re. angeregt, eine außergewöhnliche Thätigkeit oder Unthätigkeit (Krank¬ heit) entwickeln, und der Getäuschte denkt dann: «Hätte ich mich nicht erkältet oder erhitzt re., so wäre ich nicht krank geworden.» — Unse¬ liger Wahn! über kurz oder lang muss der abgelebte Stoff (in Blut und Säften oder Organen) nach außen sich bahnbrechen oder sich weiter zersetzen und schlimmeres Weh Hervorrufen. Das Nngesundwerden ist in der Regel ein nur allmäh¬ lich, uns unbewusst sich vollziehender Vorgang, größten¬ teils durch unsere Schuld, manchmal auch durch Einflüsse von Klima und Erdboden in uns erzeugt, ein Vorgang, den wir am besten als eine langsame Vergiftung bezeichnen können. Wenn wir z. B. unsere eigenen oder andere schlechte Ausdün¬ stungen in unseren Wohnungen (Mangels guter Lüftung) einathmen, oder alle Tage ein wenig zu viel oder zu scharfe Dinge essen oder trinken, oder mehr ruhen und weniger schwitzen als wir sollten, oder unnatürliche Genüsse, wie des Tabakes, zu vielen Beischlafes rc., uns erlauben, oder unsere Haut zu wenig pflegen, so sind das tagtäglich sich wiederholende Fehlerchen gegen die Gesnndheitsgesetze, welche die Natur durch leise gesteigerte Thätigkeit der organischen Leistung aus¬ zugleichen sich bestrebt. 89 Fahren wir aber fort, immer gegen die Gesnndheitsgcsetze zn ver¬ stoßen, so müssen endlich einzelne überbürdete Organe erschlaffen, die naturwidrige Blntbeschaffenheit nimmt zu, und es kann die Naturheilkraft auf dem leisen Wege (Lysis) die Ausgleichung nicht mehr erreichen; sie wird dies in außerordentlicher Anstrengung, in einzelnen Anläufen, in kleineren und größeren Stürmen versuchen, es werden außer- gewöhnlicheBewegungen der kleinsten Körpertheilchen, mit Fieber, Schmerzen, Beschwerden, Schwächen verschiedener Art begleitet, entstehen, was wir gewöhnlich Krankheit nennen. Leider, leider wird hierbei fast durchgehends, wie im Z 18 er¬ wähnt, das Leiden, d. i. die Erscheinungen (Symptome), mit der Krank¬ heit verwechselt, und man ist vollständig zufrieden und beruhigt, wenn nur die Leidenssymptonie wegcuriert werden! Die Krankheit, nämlich die Kreislaufstörung in den Nerven- und Blntbahnen, lässt man fortbestehen, woraus über kurz oder lang noch schlimmere Leiden erstehen müssen. Nehmen wir einige Beispiele: Allgemein wird Fieber nicht nur als das Leiden, sondern auch als die Krankheit angesehen und daher mit Chinin, Antipyrin re. niedercuriert, d. h. unterdrückt, statt darin eine Correcturthätigkeit des gesummten Blutes zu erblicken und demgemäß zu unterstützen. Ebenso wird bei der Fallsucht (Epi¬ lepsie) das Hinfallen und die Convulsionen als die Krankheit auf¬ gefasst, statt dieselbe in einem mächtigen Stauungszustande (Circulations- hemmnis) in den Nervencentren zn suchen, welchen die Lebenskraft mit heftiger Anstrengung in den Anfällen zn überwinden strebt. Weiters sehen wir häufig Kopfleidende, deren Krankheitsursache im Magen, im Unterleibe oder im Rückenmarke sitzt, auf locale Kopfkrankheit behandeln u. s. w. Kurz, so gibt es unzählige Erscheinungen, wo die Krankheiten mit dem Leiden verwechselt werden, weshalb das Specialistenthum der Aerzte allgemein genommen, bei der Verblendung der im Ge- snndheitsfach denkfaulen Menge wohl ein dankbares Geschäft ist, allein als ein Aftergewächs unserer Civilisation angesehen werden muss. 171. Fieber und Schmerzen sind anfänglich immer als kräftige Gegenwirkung (Heilungsbestreben) gegen einen ungesund ge¬ wordenen Zustand, Beschwerden und Schwächen verschiedenster Art, als trüge Gegenwirkung zu betrachten. Bei vollkommeneren Naturen wird die Lebenskraft ohne alles Zu¬ thun der Kunst zum Siege gelangen, das Unreine des Organismus ansstoßen (Krisenbildnng), das Mangelnde ersetzen (Neubildung von Blut, Substanz, Kraftzunahme). Bei unvollkommeneren Naturen bedarf es einer curmäßigen Unter¬ stützung durch Licht, Luft, Wärme, Kälte, gutes Wasser, veränderte Nahrung, durch Reibung, Knetung (Massage), entsprechende Bewegungen (Heilgymnastik) re.; andernfalls werden diese außergewöhnlichen An- 90 strengungen zur zeitweisen Regel (habituell), so lauge sie keine ge¬ nügende kritische Bildung zustande bringen oder die gewohnheitlichen Lebensfehler als Vergiftungsursachen fortdauern. Diese gewohnheitsmäßige außerordentliche Anstrengung der Natur¬ heilkraft oder die andauernde Wiederholung von Leidenserscheinungen bildet den Begriff langwieriger Krankheit. Die häufige Wiederholung muss nothwendig den Körper ent¬ kräften. Der Zeitabschnitt der Wiederholung kann regelmäßig sein nach Stunden, Tagen, Monaten, Jahren oder auch unregelmäßig, durch Witterungswechsel, Aerger, Erhitzung, Erkältung rc. angeregt. Es ist eine Seltenheit, dass der Körper, durch die Cur umgestimmt, solche zur Gewohnheit gewordenen Bewegungen (sogenannte Anfälle) plötzlich ab¬ legt, um sie nicht wiederkehren zu lassen. Je glänzender oft die Anfangs- Wirkung der Cur sich zeigt, desto mehr warnen wir vor der begeisterten Erwartung, es werde das Leiden nicht wiederkehren. Ja, es wird und muss wiederkchrcn, allein in den meisten Fällen wird es milder, kürzer oder nach längeren Pausen erscheinen, solange, bis ent¬ scheidende kritische Bildungen, Absonderungen von Schleim, Blutwasser, Blut, Eiter, riechenden Schweißen, trüben Harnen statt¬ gefunden haben und damit die Ursache des Leidens gehoben ist. 172. Neue Bewegungsarten, nämlich veränderte Schmerzen, sowie geänderte Zeitabschnitte und andere neue Erscheinungen gelten als Zeichen, dass der Organismus aus der schlimmen Gewohnheit gerissen sei, sollten daher stets willkommen sein. Je mehr dieselben den kräftigen Fiebercharakter an sich tragen, desto zufriedener sei man. Hiervon sind jedoch die Auflösungskrankheiten, die nicht leicht zu verkennen sind, bei denen lebenswichtige Organe zerstört werden, wie Abzehrung rc., aus¬ genommen. 173. Das Vorstehende wird genügen, um sich im allgemeinen den Ver¬ lauf der Genesungscur nicht zu rosig auszumalen, sondern um zu be¬ greifen, dass der Kranke, wenn auch nicht in allen Fällen, öfter ge¬ wohnheitsmäßige und kritische Stürme durchmachen muss; erstere kommen umso gewisser und nicht selten heftiger zurück, wenn sie, wie z. B. Entzündungen, Krämpfe rc., in früheren Euren durch Medicinen und Hausmittel nur unterdrückt worden sind. 174. Ebenso die Steigerung der alten Leiden (Exacerbationen) auf kürzere Zeit während der Cur ist öfter kritischen Charakters, d. h. bei außergewöhnlich heftigem Auftreten stellt sich meistens Besserung, hie und da gänzliche Heilung ein; der deutlichste Beweis, dass im Schmerz, wie in ZZ 168 und 169 angegeben worden, das Heilungsbestreben liegt. 91 Zaghafte und Schwankende kann man nicht genug daran erinnern, dass es so kommen muss und dass es für sie keinen andern Weg der Wiedergeburt gibt, als mit mehr weniger Schmerzen gepaart. Nur wenigen ist es vergönnt, ihre Leiden in Lysen (stille, unbemerkte Bil¬ dungen) von neuem Blut und Substanz, durch mild vermehrte Hautaus¬ dünstung, gesteigerte Athmung, gesättigtem Harn, reichlicheren Stuhl re. sich lösen zu sehen. Wohl dem, der also geneset, aber keiner gebe sich unbedingt dieser Hoffnung hin. 175. Geradezu gefährlich ist es aber, wenn kritische Stürme kommen, von der natürlichen Unterstützung (Naturheilmethode, Physiatrik) ab¬ zustehen und wieder in eine andere Lebens- und Behandlungsart, besonders ins allopathische Lager überzugehcn. Nicht wenige dieser Un¬ beständigen haben dies entweder durch noch schlimmere Leiden oder mit dem Tode gebüßt, weil mangels der äußeren stärkenden und zertheilenden Elementarreize die Lebenskraft vorzeitig verbraucht wurde, wie z. B. bei Fiebern, oder die Krisis einseitig auf einzelne Organe sich warf und sie zerstörte. 176. Die Grundbedingung der Gesundung und des hohen Alters. Wie die Gesichtsausdrücke und die Charaktere verschieden sind, ebenso verhält es sich mit dem Maß der Lebenskraft, welche jeglichem Menschen zugetheilt ist; wir sehen eine Menge Kinder wie Eintags¬ fliegen dahinwelken, dagegen Einzelne 120 bis 150 Jahre erreichen. Aehnliches beobachten wir an den Obstbäumen, wie deren Erzeugnisse in allen Entwicklungsgraden, nämlich vom zartesten Knospenstand bis zu dem der reifen Frucht, und selbst letztere wieder in verschiedenstem Alter abfallen und der Auflösung entgegengehen. An diesem feststehenden Naturgesetz wird weder die natnrgemäßeste Lebensweise noch das ausgesuchteste Heilverfahren grundsätzlich etwas ändern. Beide können nur das durchschnittliche Lebensalter oder das Leben jedes Einzelnen im Verhältnis zu seiner Lebenskraft möglichst lang erhalten, nie aber verhindern, dass die Menschen vom zartesten Kindesalter an in allen Altersgraden wegsterben werden. 177. Die natürliche, auch die vegetarianische Lebensweise kann mithin keinen anderen Zweck haben, als den jeweilig erhaltenen Lebensfond möglichst auszunützen, das ist, durch Fernhaltnng schädlicher Einflüsse wirksam zu machen, niemals aber wird sie imstande sein, der gegebenen Lebenskraft um Haaresbreite zuzusetzen! 92 Ebenso kann in Krankheitsfällen die beste Heilmethode nur so lange wirksam sein, als der vorhandene Lebensfond auf die angewandten Curreize günstig antwortet. Allerdings wird unser Körper auf einen chemischen (medicinischen) Cnrreiz häufig ungünstig rückwirken, während er auf einen physikalischen oder naturgemäßen, z. B. Wärme- oder Kälte¬ reiz günstig erwidern wird, wodurch das Leben des Einzelnen erhalten oder merklich verlängert werden kann. Wenn aber der Körper nachlässt, auf die geeignetsten natur¬ gemäßen Reize günstig zu antworten, so kündet dies das Zurücktreten oder Sinken der Lebenskraft an sowie das Heraunahen des unvermeidlichen Todes, wenn dieselbe auf die verschiedensten Curreize gar nicht mehr rückwirkt. Hier wird nun den Aerzten im allgemeinen, besonders aber den Naturärzten, viel Unrecht angethan, indem man ihnen so häufig die Ursache des eingetretenen Todes da in die Schuhe schieben will, wo er naturgemäß erfolgen musste. Den Naturürzten widerfährt dieses Unrecht durch das uneingeweihte große Publicum beinahe bei jedem Todesfälle, indem dieses die althergebrachte chemische Staatsheilkunde als die einzige ansieht, welche den Menschen in richtiger Weise vom Leben zum Tode hinüberleitet. 178. Die Heilungsvorgange langwieriger Keiden beim Naturheitverfahren. Um die Hauptcharaktere der Heilnngsvorgänge anschaulicher zu machen, geben wir zu deren kurzen Beschreibungen Linienskizzen (sieh Tabelle), deren Anfsteigen das Besferwerden, deren Senkungen oder Ver¬ tiefungen das Uebelbefinden durch Leidensrückfälle und Krisen bedeuten. Das höhere Wohlbefinden, welches nach Krisen stets eintritt, ist hier durch eine plötzliche oder allmähliche Erhöhung der Linie (gegen¬ über der Versenkung) angedeutet, während bei Leidensrückfällen die Höhe unmittelbar vor und nach der Senkung sich gleich bleibt. Wir unterscheiden sieben Hauptarten verschiedenen Verlaufes in der Besserung oder Heilung langwierig Kranker bei natur¬ ärztlicher Behandlung. 179. 1.) sFig. I.j Eine erste Gruppe von Leidenden wird gleich von Anfang an beinahe alle Tage besser; sie fühlen sich leichter, kräftiger, schmerzfreier rc., und so geht es ein, zwei drei, vier und mehr Wochen vorwärts; sie wähnen sich schon mit Extrapost der Genesung nahe. Plötzlich nun tritt entweder Stillstand ein, den sie sich nicht erklären können, oder die Besserung ist von nun an langsam, oder es tritt ein plötzlicher Anfall ihres alten Leidens ein oder auch wirklich kritisches Fieber, wobei sie sich ein oder mehrere Tage recht schlecht befinden; 93 alles Momente, bei denen die Mehrzahl dieser Kranken herabgestimmt, ja selbst ein guter Theil kleinmüthig verzagt wird. Nach solch trüben Tagen folgt dann meistens wieder anhalten¬ der Sonnenschein, es geht wieder aufwärts in Kräften, Säften und Stimmung, es kommt eine längere schmerzfreie Pause, bis wieder die eine oder andere der genannten Verschlimmerungen eintritt, welche aber beim zweitenmale gewöhnlich schon milder oder in kürzerer Zeit ver¬ läuft, u. s. w. 180. 2. ) sFig. 2.s Eine zweite Krankengruppe befindet sich anfangs gar nicht besser, sondern ihr Grnndleiden bleibt beständig, während andere Zustände sich bessern, nämlich Appetit, Schlaf, Kräfte, Aussehen, bis sich endlich der Körper allgemein so weit erholt hat, dass er zu einem kritischen Sturme fähig ist, welchen er alsdann auch loslässt und nach welchem, wenn er überstanden ist, in der Regel wesentliche Besserung eintritt. In dem Leidensznstande tritt dann wieder für einige Zeit Still¬ stand oder relative Verschlimmerung ein, bis wieder eine scharfe, kurz¬ verlaufende kritische Entladung und mit ihr wieder ein Stück Besserung u. s. w. folgt. 181. 3. ) sFig. 3.) Eine dritte Gruppe bleibt durch den ganzen ersten Curcyklus, welcher höchstens 4 Monate umfasst, in ihren eigentlichen Leiden fast unverändert. Kranke dieser Art erholen sich nur im all¬ gemeinen, und erst in der Nachwirkung der ganzen Cur; in der Ruhe- periode zu Hause, treten entweder kritische Stürme und Ausscheidungen ein, oder das Leiden bessert sich erst in d er Ruh epause all mählich (d. h. auf dem Wege der «Lösung», Lysis). Nichts ist für uns ärgerlicher, als wenn solche Kranke ungeduldig und unbeständig, kaum zu Hause angelangt, in ein anderes Heilverfahren sich stürzen oder gar medicinisch gegen ihre Uebel verfahren und dann den günstigen Erfolg den zuletzt angewandten Heilmitteln zuschreiben, statt der atmosphärischen Cur, deren Nachwirkung häufig gerade mit deren Aussetzen (Ruhepause) rührig einzutreten pflegt. Warum können denn diese Taktlosen nie vor derselben das herr¬ liche Kraut finden, nach dem sie doch meistens jahrelang suchten — warum immer erst nach einer Naturcur? Antwort: Weil der Körper durch die während mehrerer Monate angewandte naturgemäße Pflege selbstthätiger geworden und nun, nach Verbesserung des Süftekreislaufs und dessen Ausscheidungen, im Ruhe¬ zustände manche Störungen leichter beseitigt, als in der Curzcit. Während der letzteren hatte er seine Kraft größtentheils auf Verarbeitung der Curreize zu verwenden; jetzt aber, befreit von denselben, erhebt sich 94 die angeregte Lebenskraft allmählich, wirft sich ausschließlich auf die alten Fremdstoffe nnd besiegt nun häufig manches nachträglich besser als während der Reizperiode. Mit anderen Worten: Es gleicht die Cur der Bebauung eines lange vernachlässigten Ackers, dessen Aussaat zum Keimen, Wachsen eben Zeit braucht, daher man die Ernte erst später einheimsen kann. Bis über ein volles Jahr erstreckt sich die kritische (stürmische) nnd lytische (still, ruhig-lösende, bessernde) Nachwirkung einer zwei- bis dreimonatlichen Naturcnr, daher alle Erfolge innerhalb Jahresfrist und darüber nur der Rechnung dieser Behandlung zukommen, wovon wir bei getreuen nnd beharrlichen Cnrgästen uns zu überzeugen genug Gelegenheit fanden. Die Kranken dieser dritten Gruppe bedürfen allerdings öfter eines zweiten und dritten Curcyklus, wenn auch von kürzerer Dauer als der erste, um wirklich gänzlich geheilt zu werden. 182. 4. ) (Fig. 4.) Bei einer vierten Gruppe von Leidenden schwankt der Zustand beständig, nämlich an einem Tage geht es besser, am andern ist das alte Leiden wieder da, am dritten besser, am vierten schlechter u. s. w. Die Besserung ebenso wie die Abnahme des Leidens ist an einzelnen Tage nur gering, d. h. die wirkliche Besserung ist nicht von einem Tag zum andern in einer gleichmäßig aufwärts steigenden, sondern in wellenförmig steigender Linie wahrzunehmen, und nur bei einem längeren Ueberblick und Rückblick ist zu bemerken, dass wirkliche Besserung zunehmend vorhanden ist, indem die Leidens¬ anfülle seltener werden und milder verlaufen, oder dadurch, dass eine örtliche sowie allgemeine Kräftigung sich deutlich heranbildet. 183. 5. ) sFig. 5.s Einer fünften Gruppe Kranker geht es von Anfang an schlechter: nicht nur das alte Leiden tritt heftiger und häufiger ein, sondern auch viele andere, früher gehabte, längst für geheilt gehaltene Uebel, namentlich die medicinisch unterdrückten, kommen wieder zum Vorschein, nnd zwar meistens gerade in umgekehrter Ordnung, als sie seinerzeit erschienen sind, nämlich ein letztcuriertes Leiden erscheint zuerst wieder, eiue vorletzte Erscheinung folgt darnach, u. s. w. Endlich tritt infolge der anhaltend verstärkten Ausscheidungen durch die Cur mittels Schweiß, Urin, Athmung rc. allmähliche Lin¬ derung ein, oder es geschieht auch, dass durch einen kritischen Sturm (heftiger Schmerz mit irgend einer Ausscheidung verbunden), beziehentlich mit kritischem Fieber, plötzlich bedeutende Besserung sich wahrnehmbar macht. Für einige Zeit ist dann Ruhe, nnd nun füngt's wieder an, schlechter zu geheu, wenn auch in geringerem Grade als das erstemal, 95 bis wiederum ein Fieber oder kritischer Sturm die Krankheit zum Besseren wendet. Besonders bei Kranken dieser Gruppe kommt es vor, dass gerade das alte Leiden in einem außergewöhnlich heftigen Anfall auftritt, dadurch, dass es acut wird (d. h. einen schnellen Verlauf nimmt). Hierbei vergegenwärtige man sich stets, wie schon früher erwähnt wurde, dass im Schmerz oder iin Anfall die Correctivthätigkeit, ein Streben zur Beseitigung des Kreislaushindernisses liegt. Wenn es der Natur dabei gelingt, eine kritisch wichtige Ausscheidung zuwege zu bringen, so tritt darnach wesentliche Besserung ein. Dies gibt unwillkürlich den Ein¬ druck, als müsste es manchmal erst sehr schlimm oder das Maß des Wehes recht voll werden, ehe Besserung eintreten kann. Aehnliches sehen wir mitunter bei langwierigen Leiden auch ohne Cur, gerade wie bei einem Gewitter, bei dem nur nach starker Anhäufung schwerer Dünste die Reinigung erfolgt. 184. 6. ) sFig. 6.) Eine sechste Reihe von Kranken bessert sich langsam, sozusagen von Tag zu Tag oder von Woche zu Woche, ohne alle auf¬ fallende Erscheinungen, weder mit Fieber noch mit kritischen Stürmen und Verstimmungen begleitet. Auch hier kann die Besserung nur auf geregelterem Stoffwechsel beruhen, allein sie tritt nirgends sehr sichtbar als Krisis, sondern nur als Lysis auf, nämlich für unsere unbewaffneten Erkennungsorgane unmerklich und nur bei genauer Untersuchung erkenn¬ bar durch einzelne oder alle Ausscheidungsorgane. Hierher gehört freilich die kleinste Zahl der Fülle. 185. 7. ) sFig. 7.) Eine siebente Gruppe hat ungewöhnlich viel todten Stoff an und in sich, als: krankhafte Fettmasse, Flüssigkeits- und Gas¬ anhäufung u. s. w., wodurch Aufgedunsenheit erzeugt wird, oder es waltet eine unnatürliche Nerven-Erregtheit vor, welche manchem als Kraft erscheint, die jedoch nur als Scheinkraft anzuseheu ist. Diese Kranken müssen erst scheinbar heruntergebracht werden; der Körper der ersteren mit seinem massenhaften todten Material muss gewissermaßen eingeschmolzen, die Nerveuüberspanuung der letzteren erst herabgesetzt werden, ehe von einer directen Besserung oder von kritischer Rückwirkung die Rede sein kann. Bei den ersteren tritt mit der Ab¬ nahme an Körperfülle gleichzeitig das Gefühl größerer Leichtigkeit und Kraftzunahme, bei letzteren scheinbare Kraftabnahme ein. Wir sagen scheinbar, weil eine unnatürliche Erregtheit der Nerven (wie beispiels¬ weise im Fieber oder von spirituosen Getränken, von übertriebenen Kaltwasserreizen rc. herrühreud) noch nicht die wahre Kraftänßernng darstellt; denn unter Kraft verstehen wir immer eine andauernde Leistung ohne nachherige auffällige Abspannung und Erschlaffung. 96 Diese unnatürlich Erregten beschleicht in der Cnr für einige Zeit das Gefühl von Mattigkeit, welches der wahre Ausdruck der ihrer Krank¬ heit entsprechenden Nerveukraft ist — ähnlich wie nach einem Fieber, bei dem nach vorausgegangener Erregung natürliche Abspannung eintritt, d. h. der wirklich vorhandene Kraftzustand nun erst znm Bewusstsein gelangt. Nachdem dieser Abspannungszustand einige Zeit gedauert, nehmen sie an wahrer Kraft zu, und niit ihr tritt entweder directe Genesung ein oder gleichzeitig die Fähigkeit zu Krisen. 186. Kurz und gut, der Grundcharakter des Heilungsverlaufes aller langwierigen wie der meisten heftigen, kurz dauernden Leiden ist die Wellenform; bald sind es langgedehnte, sanfte, ruhige Wellen, bald kurze, unruhige, rasch sich folgende oder auch hochschlagende und tief¬ wühlende Wellen mit gewaltigem Toben und Gischt rc. rc. Aus alledem erhellt, dass ein sogenanntes stilles, ruhiges Genesen zu den Seltenheiten gehört, sondern dass mehrentheils der Weg oder die Reise zum schonen Lande «Gesundheit» über ein Meer führt, auf welchem wir durch allerlei Wetter, vom schönsten bis zum allerschlechtesten, in die verschiedensten Seelenstimmungen versetzt werden. Neulinge, Sanguiniker, schwache Charaktere können wir nicht genug hierauf aufmerksam machen und empfehlen ihnen, dieses Capitel öfter zu lesen und sich fest einzuprägen, damit, wenn die trüberen Stunden und Tage kommen, sie doch mit einiger moralischen Kraft gewappnet sind; denn diese erwächst stets aus klarem Bewusstsein und aus Ueberzeugnug. 187. Wesentlich wirkend gegen langwierige Krankheiten ist ein Geist des Wollens, ein entschiedenes: «Ich will gesund werden!» Wo dieses fehlt, ist oft die Alleinwirkung der Mittel sowie alle Bemühungen der Kunst vergeblich. Die Erfahrung hat gezeigt (wie wir schon snd Heilungsverlauf Nr. 3 ausführlicher erörtert haben), dass mit dem Abschlüsse einer ordentlichen Cur nicht auch ihre Wirkung zu Ende ist, sondern gegen- theils, dass bei der Mehrzahl der Kranken die sogenannte dritte oder Allgemein-Nachwirknng nun erst beginnt und entwender ein größeres, entschiedeneres Wohlbefinden mit sichtbarer Veränderung des Aussehens sich allmählich geltend macht, oder aber Krisen sich entwickeln, die mit Intervallen manchmal über ein Jahr anhalten. Wir erinnern hier noch einmal kurz an die Gefahr, diese Krisen anders als niit Wasser (neben Diät, Luft u. s. w.) zu behandeln, und empfehlen darum jedem Curanten Ausdauer und Beharrlichkeit. Ausdauer darum, weil es unnatürlich ist und wenig Verstand bezeugt, 97 die Schnellheilung eines langwierigen Uebels zu verlangen, denn was sich langsam ausgebildet, kanu sich auch nur langsam zurückbilden. Gelingt es je, die Erscheinung solchen Leidens schnell zu beseitigen, so sei man versichert, dass die Krankheit (d. h. die Lebens¬ kraft oder das Naturheilbestreben gegen verdorbene Säfte) nur unter¬ drückt oder in einen andern Winkel verdrängt worden ist und über kurz oder lang in gleicher oder in einer schlimmern Form auftauchen wird. 188. Gar oft wird der Arzt gefragt, wie viel Zeit erforderlich sei, nm diese oder jene Krankheit zu heilen. Durch keine Frage wird er in größere Verlegenheit gesetzt, als durch diese, weil es bis jetzt au allem und jedem Maßstabe fehlt, die organische Heilkraft (Lebenssond) des Individuums abzumessen. Das äußere Aussehen eines Menschen hat durchaus nur einen relativen Wert, denn wir sahen schwächlich Aussehende mit starker und blühend Aussehende mit schwacher Heitungskraft, ja sehr wurmstichig einhergehen. Bei gleichen Leiden bekommt oft eine Persönlichkeit schon nach sechs Tagen kritische Erscheinungen, während eine andere ebenso viele Monate benöthigt. Wichtiger zur Beuriheilung der Heilung ist: 1.) die Dauer des Leidens, 2.) das Alter des Kranken, 3.) seinen früheren Gesundheitszustand im allgemeinen, 4.) die wahrscheinliche erste Ursache des Leidens zu wissen, nm nur annähernd einen Zeitpunkt der Heilung oder Besserung angeben zu können. Jeder Arzt, der hierüber mit bestimmten Versicherungen auftritt, ist ein Schwindler. 189. Die Naturheilkraft (organische Kraft, Lebenskraft), welche jedem Lebewesen innewohnt, heilt allein; die Naturheilmethode ist bloß das Mittel, diese Kraft zu entwickeln und zu erregen, beziehentlich anzu¬ fachen oder auch zu beruhigen, und zwar theils allgemein, theils örtlich. IN I_INWkHH-s-N5> ^I2NIL5I 6SSSSSS3S? ^III Berlage von L. Jernerrr in Leipzig sowie beim Ver¬ fasser Zst. 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