ALFRED BAEUMLER Weltdemokratie imd Nationalsozialismus Die neue Ordnung Europas als geschichtsphilosophisches Problem DUNCKER & HUMBLOT/ BERLIN NW7 ALFRED BAEUMLER WELTDEMOKRATIE UND NATIONALSOZIALISMUS WELTDEMOKRATIE UND NATIONALSOZIALISMUS DIE NEUE ORDNUNG EUROPAS ALS GESCHICHTSPHILOSOPHISCHES PROBLEM VON ALFRED BAEUMLER DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN NW 7 I)4oo;u44«ro Sonderdruck aus Internationale Zeitschrift fiir Erziehung. XI.Jahrgang. Heft 4/5. 1942 D rti ek von A. Heine GmbH., Grafenhainichen 1 D ie so sehr klugen und geschaftigen Manner, die 1919 in Versailles betaubten und erschopften Volkern den „Frieden“ diktierten, besaBen Informationen aus aller Welt, ihre Schreib- tische waren bedeckt mit hochst „exakten“ Zahlen; was hatte es gegeben, das sich ihrer Neugier hatte entziehen konnen? Wer dachte realistischer als diese Finanzfachleute, Wirtschaftsex- perten und Diplomaten? Welcher Aufwand raffinierter Be- rechnungen, welche Anhaufung scharfsinniger Finten, welcher OberfluB an „entscheidenden“ Besprechungen und Konferen- zen! Und doch — wer ahnte, was eigentlich in diesen Wochen des Jahres 1919 vor sich ging? Wer lieB sich traumen, daB dieses iiberziichtete Spiel mit Werten, dieses hochrationali- sierteBorsengeschaft in Wirklichkeit der Totentanz eines Jahrtausends war? Die nuchternen Rechner, die die Welt unter ihren Fingern zu haben glaubten, hatten es mit Ironie abzu- \v’ehren gewuBt, wenn man sie fiir Gespenster erklart hatte. Aber was ist ein Gespenst anderes als ein Wesen, das nicht nach dem Gesetz im eigenen Innern sich bewegt, sondern von einem geheimnisvollen Irrealen in Bewegung gesetzt wird? Erscheinen sie uns nicht wie besessen von einer damonischen Macht, die sie zwingt, das Gegenteil von dem zu tun, was sie „eigentlich“ wol!en, diese peace-maker von Versailles? Ist nur ein einziger Reprasentant echter Macht unter ihnen, der als Vollstrecker eigenen Willens und Schicksals angesehen werden konnte? Alle Macht derErde war in ihren Handen — und doch vermochten sie nichts; sie bestimmten und ordneten an ohne 5 UnterlaB — aber nicht die Ordnung, sondern das Chaos trat hervor. Es sind die falschen Anbeter der Macht, die zuletzt er- kennen miissen, daB sie von ihrem Idol genarrt werden. Die eben noch so machtvoll Scheinenden haben einen Augenblick spater den Boden unter den FiiBen verloren, sie schweben im Nichts, sie sind Gespenster geworden. Niemals ist die im Wesen der Dinge begriindete Verwand- lung der Gewalt in die Ungewalt, der scheinbaren Starke in ganzliche Schwache in einem gigantischeren Falle sichtbar ge- worden, niemals hat es klaglichere Herren der Erde gegeben als die Sieger von Versailles, niemals hat sich die Gewalt selber so radikal ad absurdum gefiihrt. Ober den zahllosen prak- tischen Folgen der beriihmten Friedenskonferenz darf die sym- bolische Bedeutung dieses Ereignisses nicht vergessen werden. Wenn wir heute von der Geistigkeit nichts mehr wissen vvollen, die einmal im Abendlande triumphierte, dann liegt einer der wichtigsten Griinde fiir unsere Abwendung im vol- ligen Versagen der abendlandischen Ideologie vor der Erschei- nung und dem Begriff der Macht. Wir diirfen ohne Ober- treibung sagen: ware die Luge nicht in einem gewissen Sinne ein Grundelement des abendlandischen Geistes gewesen, dann hatte es zu einer so ungeheuerlichen, weil organisierten und bis in alle Einzelheiten durchdachten Liige wie dem „Friedens- werk“ von Versailles niemals kommen konnen. So etwas muB man gelernt haben, man kann es nicht aus dem Handgelenk. Nur Manner, die von Kindheit auf darin erzogen waren, Reali- taten zu verschleiern und eine Sprache der Irrealitaten zu sprechen, konnten es fertigbringen, dem brutalsten Instrument der Gewalt, das je da war, dem Friedensinstrument von Ver¬ sailles, eine begriffliche Form zu geben, die den Tatbestand und die Idee der Macht grundsatzlich ignoriert. Jede Wegnahme, jede Gebietsabtretung, jede Errichtung neuer Machtgebilde wurde mit Phrasen von Menschlichkeit und Gerechtigkeit be- 6 griindet, an die niemand glaubte. Dieselben Manner, die die Gewalt in jeder Form mit wahrer Virtuositat zu handhaben wuBten, auBerten sich offentlich und „verantwortlich“ stets mir so, als ob die Macht an sich bose sei. Es gibt nichts Korrum- pierenderes als das dauernde Auseinanderfallen von Sprache und Tat. Versailles war kein Zufall; nur ein System konnte dieses Verbrechen begehen. Das System, das die Liige aller Liigen hervorgebracht hat, wahnte sich am Ende des ersten Weltkrieges auf der Hohe seiner Macht; im zweiten Weltkriege kampft es vor unseren Augen seinen Todeskampf. Der Satz, daB die Macht an sich bose sei — die Formulierung stammt von einem treuherzigen deutschen Moralisten und ist von Jacob Burckhardt iibernommen worden —, wurde zur Ver- teidigung der Humanitat erfunden. In seinen Auswirkungen enthiillt dieser Gedanke sich jedoch als einer der inhuman- sten Irrtiimer der irregeleiteten abendlandischen Zivilisation. Durch ihn werden Wesensunterschiede verdeckt, die gemacht werden m ii s s e n , wenn eine menschliche Ordnung bestehen soli. Ist ali e Macht bose, dann kann keine Unterscheidung zwischen Macht und „Macht“, zwischen wirklicher und schein- barer Macht vorgenommen werden. Auf dieser Unterscheidung beruht aber jede wahre politische Ordnung. Wahr kann eine Ordnung nur dann genannt verden, wenn sie einem Zustand Form und Dauer verleiht, der im wirklichen Zusammenhang der Dinge gegriindet ist. Dieser Zusammenhang liegt nicht ein- fach zutage. Er ist in der Tiefe des Lebens verborgen und fallt mit den jeweils bestehenden Grenzen und Gewichtsverteilun- gen keineswegs immer zusammen. Freilich ist er sdrvverer zu sehen als die Summe der bestehenden Tatsachlichkeiten. In Ausschiissen und auf Konferenzen pflegen die Tatsachlich¬ keiten das Wort zu fiihren, wobei die tieferen Zusammenhange zum Schweigen verurteilt sind. Die Wirklichkeit der Dinge triu in den Kriegen hervor, die den Schein vernichten und die 7 Wahrheit enthiillen. Denn in den Kriegen messen sich die Vol- ker, und in diesem Ringen offenbart sich ihr wahres Verhaltnis zueinander — auch unabhangig von den Friedenskonferenzen. Die Macht ist weder gut noch bose, denn die Macht gibt es nicht. Die Macht ist ein Konstituens des Lebens; „bose“ kann die Macht genannt werden, die auf falschen, dem Leben wider- sprechenden Voraussetzungen beruht. Es ist aber richtiger, sie nicht bose, sondern verlogen und falsch zu nennen. Wenn man behauptet, daB jeder Machtzustand das Bose und den Wider- spruch in sich trage, so ist das eine Verleumdung des Lebens. Vielmehr ist jeder Machtzustand gut, der einem wirklichen Stand des Lebens entspricht. Politik ist die Kunst, die Macht- zustande des Tages mit dem, was in der Tiefe lebendig ist, in Einklang zu setzen. Das muB immer von neuem, mit standig wechselnden Zugriffen geschehen, das Leben wandelt sich und die Macht mit ihm. Was in diesem Wechsel beharrt, sind die natiirlich-geschichtlichen Gemeinschaften, die V o 1 k e r, und die Macht, von der wir hier reden, ist nicht ein subjektiver Machttrieb, sondern jenes objektive Grundelement im Dasein der Volker, ohne welches Bestandigkeit und Frieden immer ein bloBer Wunschtraum bleiben. 2 Die Idee des Friedens gehort zu den Grundbegriffen der abendlandischen Zivilisation. Es ware unverstandlich, daB die tausendjahrige Herrschaft eines dem Menschen so niitz- lichen Gedankens, der noch dazu etwas Bestrickendes an sich hat, zu einem Zeitalter von Weltkriegen zu fiihren vermochte, wenn nicht die Struktur dieses Begriffes in der abendlandi¬ schen Form einen Fehler aufwiese. Priifen wir, die wir durch den Irrtum bis an den Rand des Verderbens und des Todes ge- fiihrt worden sind, die abendlandische Friedensidee mit unhe- 8 fangenem, durch die Gefahr etwas ermuntertem Verstande, so ergibt sich folgendes: Es besteht kein Zweifel dariiber, daB die abendlandische Idee vom Frieden den absoluten Frieden meint. Das Ideal ist ein Zustand ohne Streitigkeiten, ein Weltfriede ohne Kampf, ein Menschheitsausgleich ohne Konflikte. Friede in diesem Sinne ist ein Wert, iiber den eine Diskussion nicht zu- gelassen wird. Jeder, der einen anderen Begriff von Frieden hat, ist von vornherein der Storer des Friedens. Was muB nun aber aus einer Zivilisation werden, wenn ihr zentraler Begriff, der eine derartige Geltung besitzt — falsch ist? Die Antwort hat uns das Zeitalter der Weltkriege gegeben. Ist es nicht, als sei der zweite dieser Kriege notwendig gewesen, um jede Deu- tung des ersten als einer bloBen Ausnahme unmoglich zu machen? Nein, der erste Weltkrieg war kein Ungliicksfall, er war kein Versehen, er ist die Enthiillung des abgriindigen Widerspruchs, den wir so lange als den Geist des Abendlandes glaubig hingenommen haben. In der fiirchterlichen Krise hat nicht nur der einzelne Mensch versagt — ein System des Denkens ist an seine auBerste Grenze gekommen. Der Gedanke des absoluten („ewigen“) Friedens erwies sich nicht nur als unfahig, die Dinge dieser Welt zu gestalten, sondern auch als depravierend fiir die, die an ihn glaubten oder zu glauben vorgaben. Die Wirklichkeit laBt sich nicht mit unrichtigen Ideen verwalten. Gedanken, die politisch werden sollen, miissen zur Wirklich- keit in einer sachlichen Beziehung stehen. Auch der schonste Traum muB zerstorend wirken, wenn er den Bedingungen seiner Realisierung nicht entspricht. Die Idee des Friedens hat nur dann einen politischen Wert, wenn sie auf Wesen und Eigenart der Subjekte bezogen ist, fiir die der Friede da sein soli, der Menschen. Es war das Verhangnis des Abendlandes, 9 jahrhundertelang einer unmenschlichen Idee des Friedens nachzujagen. Unmenschlich ist nicht nur das, was unterhalb der Sphare menschlicher Werte und Ordnungen sich befindet, son- dern auch das, was dem Menschen zu verwirklichen nicht mog- Iich ist, das tibermenschliche. GewiB darf man niemals dabei stehenbleiben, sich mit dem zu begniigen, was im zufalligen Zu- sammenspiel der Dinge positiv gegeben ist. Der Positivismus, das Sichbescheiden im Tatsachlichen, entspricht einem ge- wissen Hang zur Tragheit, dem der Mensch immer wieder ver- fallt. Es sind die I d e e n, die den Menschen dem Banne der Tatsachlichkeiten entreiBen und seinen Willen auf ferne Ziele richten. Dieser hohe praktische Sinn der Idee darf uns Men¬ schen niemals verlorengehen. Es ware ein verhangnisvoller Irrtum, zu meinen, es sei genug, erhabene und prachtige Ideen zu besitzen, das iibrige konne man Gott iiberlassen. Derjenige, der eine Idee in das Geschehen einfiihrt, iibernimmt auch die Verantwortung fiir das, was unter der Herrschaft dieser Idee sich gestaltet. Man darf nicht wahnen, unter Berufung auf die Giite und Schonheit einer Idee sich dieser Verantwortung ent- ziehen zu konnen, indem man die Schuld dafiir, daB nur Un- gliick unter ihrer Herrschaft entsteht, in der Unzulanglichkeit der einzelnen sucht. Der Priifung der Ideen auf ihre Angemes- senheit zum Menschen und den ihm gegebenen Kraften sind wir niemals enthoben, und selbst eine heute noch vielen ehr- wiirdige Tradition darf uns an dieser Kritik nicht hindern. Der Traum vom absoluten Frieden ist deshalb ,,unmensch- lich“, weil er nicht nur iiber die tatsachlichen Zustande, son- dern iiber alle menschliche Wirklichkeit hinweg getraumt ist. Das tibermenschliche, das in keiner verantwortIichen Relation zum Menschen steht, wirkt sich ebenso verhangnisvoll aus wie das Untermenschliche, sobald es an die Stelle des Menschlichen gesetzt wird. 10 Der Friede hat gleichsam zwei Seiten: von der einen Seite her ist er Harmonie, von der anderen her ist er Macht. Eine Harmonie, die nicht zugleich Macht ware, ist kein politischer Zustand. Bei der Verherrlichung der Friedensidee wird die Machtseite jedes Friedenszustandes geflissentlich iibersehen. Man preist die Schonheit und die Vorteile einer kampflosen Ordnung, ohne nach den Mitteln zu fragen, durch die sie hergestellt werden konne. DasMittel konnteabernur eine absolute Macht sein. Nur wenn es moglich ware, alle Partikularitaten auszuschalten, konnte ein universaler Friede begriindet werden. Aber jeder Machtzustand ist ge- bunden an die Wesensart der Menschen, die ihn verwirklichen und fiir die er da ist. Der Begriff des absoluten Machtzustandes setzt das Yerschwinden aller natiirlichen und geschichtlichen Differenzierungen zwischen den Menschen, d. h. die Ausschal- tung der nationalen Individualitaten voraus. Wir sind nicht gegen den Traum vom ewigen Frieden, weil wir gegen den Frie- den sind, sondern weil er zugleich ein Traum von der absoluten Macht ist. Der absolute Friede scheint eine herrliche, iiber- menschliche Idee, die absolute Macht ist eine unmenschliche Vorstellung. Eine Macht, die jede Partikularitat und Indivi- dualitat verloren hat, ist keine menschlich-geschichtliche Macht mehr, Macht zu sein. Macht zu haben, gehort zum Be¬ griff des Menschen und der Gemeinschaft, in der allein er leben, sich entvvickeln und vollenden kann. Die Idee des ewigen Friedens ist abstrakt und universal, Machtzustande sind immer konkret und partikular. Eine Macht kann nicht bestehen, ohne daB ein Subjekt, ein Trager der Macht da ist. Diese Subjekte und Trager aber konnen nicht all- gemein sein, so wenig wie der Mensch ein allgemeines Subjekt sein kann. Der Gedanke eines allgemeinen Friedens ist daher, menschlich und geschichtlich betrachtet, ein Ungedanke, weil er ein unmogliches allgemeines Subjekt voraussetzt. Praktisch 11 bedeutet er die ideologische Ermoglichung des Versuchs, durch Errichtung einer absoluten Kontrollmacht die Volker als selbstandige politische Existenzen aufzuheben. Der Versuch ist von England unternommen worden, als es sich im 19. Jahr- hundert zur Polizeimacht der Welt aufschwang. Mit dem Schei- tern dieses gigantischen Unternehmens endet die Geschichte des „Abendlandes“. Geistig fiihrt der Versuch einer Realisierung des „ewigen“ Friedens mit Hilfe einer absoluten Macht zur grundsatzlichen politischen Heuchelei. Zu jeder wirklichen Macht gehort eine gewisse Seinstiefe, die verlorengeht, wenn der Trager der Macht auf unmenschliche und phantastische Weise universa- lisiert wird. Alles Sein will sich behaupten. Es ist ein Gesetz des Lebens, daB die nach Selbstbehauptung verlangende Seinstiefe niemals zugunsten irgendeiner Universalitat aufgegeben wer- den kann. Die Verleugnung des Willens zur Selbstbehauptung mag im Religiosen zu interessanten und geschichtlich wirk- samen Erscheinungen fiihren — im Politischen ist sie das, was von den Theologen der „Siindenfall“ genannt wird. Von jeher ist das Wesen der Macht in der Selbstbehauptung gesehen worden. Was man in den letzten Jahrhunderten, ge- blendet durch falsche Vorstellungen vom Menschen, nicht mehr zu sehen vermochte, war, daB Machtausiibung und Macht- gebrauch vom Menschen unabtrennbar ist und daB der MiB- brauch der Macht niemals dazu fiihren darf, die Macht iiber- haupt zu verneinen oder in dem Unbegriff einer absoluten Macht scheinbar zum Verschwinden zu bringen. Jeder MiB- brauch der Macht enthalt die Forderung in sich, die wahre Macht an die Stelle der falschen zu setzen und iiber die Be- dingungen echter Machtzustande und Machtverhaltnisse nach- zudenken — ein Nachdenken, das sich sinnvoll und mit Aus- sicht auf Erfolg nur im Rahmen eines unbefangenen Selbstver- standnisses des Menschen vollziehen kann. Die Macht ist an 12 sich weder gut noch bose, sie ist menschlich und muB nach den Gesetzen des Lebens gehandhabt werden. Niemals ist ein groBeres Verbrechen gegen das Leben be- gangen worden als durch den sogenannten FriedensschluB von Versailles. Damals wurde das Recht der Volker auf ihr eigenes Dasein nicht nur aufrechterhalten, sondern sogar zum Grund- satz erhoben. Zugleich aber wurde dieses Recht durch die „Idee“ des absoluten Friedens, d. h. der absoluten Macht auf die raffinierteste und brutalste Art vergewaltigt. Die Idee des ewigen Friedens proklamieren und zugleich an der Wirklich- keit der Volker festhalten, heiBt einen Wiederspruch begehen. In der politischen Praxis verwandelt sich der Widerspruch in die Luge. Versailles bedeutet in der Tat so etwas wie einen Hohepunkt in der abendlandischen Geschichte, auch in der Luge gibt es ja eine gewisse Konsequenz. Der fluchbedeckte Name, unter dem die Luge aller Liigen in die Welt ging, war der der Societe des Nations. Es ist ein Ruhmestitel des deutschen Geistes, daB dieser Be- griff, der die abscheulichste Hybris der absoluten Macht be- zeichnen solite, in der deutschen Sprache nur durch das schlichte und schone Wort „Volkerbund“ wiegergegeben wer- den kann. Am Ende jedes ehrlich durchgefochtenen Streites muB der „Bund“ der Volker stehen, die miteinander gerungen haben. So verlangt es die Gerechtigkeit des Lebens. Falsche Konsequenzen aus einer voriibergehenden Uberlegenheit zu ziehen, ist unvorsichtig undpflegt sichzurachen; einen schlech- ten Frieden zu machen ist eine politische Dummheit. Ein Ver¬ brechen gegen die Menschlichkeit aber ist es, wenn die brutale Gewalt sich als die Verkorperung des ewigen Friedens ausgibt und ein vieljahriges blutiges Ringen durch die Griindung einer Gesellschaft der Nationen kront. Die Friedenskonferenz von Versailles ist nicht nur iiber den ewigen Lebenswillen vieler Nationen zur Tagesordnung iibergegangen, sie hat auch die 13 Ehre und den Verstand der Volker mit Verachtung behandelt. Denn der Verstand sagt uns, daB es wohl eine Gerechtigkeit des Lebens gibt, daB aber nur eine betriigerische Manipulation dahinterstecken kann, wenn behauptet wird: das Ziel des Kampfes ist eine herrliche, immerwahrende Ordnung gewesen — die unter der Diktatur der Bank von England und unter der Polizeiaufsicht der Macht GroBbritanniens steht. Der „ewige Friede“ des Volkerbundes enthiillte nicht nur die Unzulang- lichkeit der Politiker, die ihn machten, sondern zugleich die Verstelltheit des abendlandischen Denkens, welches es gestat- tete, daB vor das wiirdeloseste System der Gewalt, das pluto- kratische, die Fassade der Gerechtigkeit gelegt vverden konnte. Der Versammlungssaal in Genf, der nur das verachtetste und unansehnlichste Vorzimmer der Londoner Raume war, in denen von einer geistig und politisch herabgekommenen Herren- schicht die Politik der Welt gemacht wurde, wird immer das Symbol eines MiBbrauchs der Macht bleiben, mit dem sich wenige andere in der gesamten Weltgeschichte messen konnen. Wenn die Machte, die die Gesellschaft der Nationen erfanden und den freien Volkern Europas aufzwingen wollten, heute wieder das Stichwort Demokratie gebrauchen, so ist das ein Zeicben einer geistigen Tragheit; es ist aber zugleich eine Fiigung, denn der unvermeidliche Untergang jener Machte wird auch der schmahlichen Phrase der Demokratie das Ende bereiten, die die Volker dem Moloch der absoluten Macht zum Opfer brachte. Gegen den Willen ihrer Urheber hat die Luge von Versailles vermoge der Dialektik der Geschichte eine ungeheure Reini- gung der Atmosphare herbeigefiihrt. Die Volker selber erhoben sich und gaben ihre Antwort auf das Machwerk der Politiker. Durch die torichte Vergewaltigung ihres Lebensrechtes war der Lebenswille der Nationen zum Fanatismus angefacht worden. Im unmittelbaren AnschluB an das Friedensdiktat und als seine 14 Folge erreichte die Bewegung ihre Vollendung, deren Tiefe schon im 19. Jahrhundert keinem Klarblickenden verborgen bleiben konnte, der Nationalismus. Mit dem Jahre 1914 beginnt die klassische Epoche des europaischen Nationalismus; das 19. Jahrhundert ist ihre archaische Vorstufe. Die Verlet- zung der Rechte der Volker in Versailles hat eine Entwicklung auf ihren Hohepunkt gebracht, die in die Geburtsstunde der Geschichte des Abendlandes zuriickreicht. 3 An der Schwelle der abendlandischen Geschichte steht nicht das BewuBtsein einzelner Volker von sich selbst, sondern die Vorstellung von einer allgemeinen Kulturmission. „Abend- 1 a n d“ ist nicht ein Inbegriff werdender Nationen, sondern der Begriff einer iiber alle Nationen hinausgehenden religiosen Aufgabe. Aus der Durchfiihrung dieser Aufgabe erwachst jene Kultureinheit, innerhalb deren aus einigen Rassenkernen die Volker sich zusammenschlieBen, die die Geschichte Europas bestimmen. Daraus ergibt sich der merkwiirdige Doppel- charakter dieser Geschichte: die Entstehung der partikularen nationalen Einheiten vollzieht sich im Rahmen einer univer- salen Kulturidee. Mit Ungestiim drangen die nationalen Charakere ans Licht; alle ihre AuBerungen jedoch werden von einem geistigen Universalismus aufgefangen, der zwar der Formung vieler Regungen nicht entgegensteht, aber gerade im entscheidenden Punkte der gesunden und geraden Entwick- lung zu einem klaren volkischen BewuBtsein keinerlei Hilfe- stellung zu leisten vermag. Der religiose Universalismus, der nur eine Kehrseite des religiosen Individualismus ist, muB die volkischen Gemeinschaften bei ihrer realen Entfaltung und bei der Ausdeutung ihres Seins sich selber iiberlassen. Die Folge ist, daB die politische Geschichte und die geistige Entwicklung getrennte Wege gehen: die wesentlich von der Religion be- 15 stimmte Geistesgeschichte geht ihren Gang, die politische Geschichte, die hauptsachlich in der Ausbildung der Nationen zu autonomen Sozialkorpern besteht, geht den ihren. Das Wer- den der einzelnen Volker und die Entwicklung der Ideologien arbeiten, weil sie nicht denselben Antrieben entstammen, ge- geneinander. Das ist kein zufalliges Auseinanderklaffen. Der Ideologie, unter deren Herrschaft die europaischen Volker ihren Weg antreten, ist es unmoglich, dem innersten An- iiegen der Volker, si eh selber als geschichtliche Einheiten zu verstehen, gerecht zu werden. Andererseits ist es fiir die ein¬ zelnen Volker eine Existensfrage, ein einheitliches nationales Bewu8tsein auszubilden. Dieser ProzeB muB sich gleichsam in der Unterwelt vollziehen, da die religiose Ideologie politisch nicht gestaltend ist. Sie fiihrt die allgemeinen Begriffe der Liebe und des Friedens mit sich, die eine gewisse erzieherische Wirkung ausiiben, muB jedoch die konkrete politische For- mung ebenso wie die Entwicklung der nationalen Sprachen den immanenten Kraften iiberlassen. In den Spannungen, die sich hieraus ergeben, werden die europaischen Volker groB. Die nationale Konsolidierung geht unerbittlich ihren Gang, die universale Ideologie behauptet sich mit Hilfe ihrer Organi- sationen mit groBter Zahigkeit. Die Religion wird von den na¬ tionalen Einheiten als Mittel des Zusammenschlusses benutzt, sie greift tief in die Volksbildung ein und verbindet sich mit dem Volksleben. Dies alles kanu jedoch nicht verhindern, daB der Widerspruch zwischen Politik und Geist bestehen bleibt. Aus derVerquickung nationaler und religioserTendenzen ent- stehen die Religionskriege, die charakteristische Erscheinung der europaischen Geschichte. In dem Zeitabschnitt, in welchem diese Kampfe ihren Hohepunkt erreichen, im 16. und 17. Jahr- hundert, formt sich endgiiltig das Gesicht der Volker, die das heutige Europa ausmachen. Die der abendlandischen religiosen Idee eigentiimliche Ohnmacht zu politischer Gestaltung fiihrt 16 dazu, da8 die geistig gleichsam unmiindigen nationalen Machte sich der religiosen Glut bedienen und auf diese Weise ein un- natiirliches politischesPathos ausbilden. Auf diesenVorgang ist die kiinstliche Uber-Spannung des Nationalismus in Europa zuriickzufiihren. Es ist ein historischer Irrtum, diese Spannung aus einer den Nationen angeborenen Anlage abzuleiten. Sie ist eine geschichtlich einmalige Erscheinung; da sie aus bestimm- ten Voraussetzungen entstanden ist, kann sie sich mit ihnen auch wandeln. Schwerer zu sehen als die positive, wenn auch verhangnis- volle Einwirkung, die der Universalismus auf die Entwicklung der Nationen ausgeiibt hat, ist das, was durch diesen ProzeB ver- hindert worden ist. Die Idee der universalen Religion kann wohl durch die Ubertragung ihres Universalismus auf einzelne nationale Partikularitaten zu maBlosen Ubersteigerungen und Erhitzungen der nationalen Leidenschaft fiihren, sie kann je- doch niemals aus sich heraus den Begriff einer der Geschichte der Volker selber innewohnenden Gerechtigkeit erzeugen, weil sie die Voraussetzung dazu, die Vorstellung von menschlich- geschichtlichen Gemeinschaften mit einem Schwerpunkt und eigenem Recht, gar nicht entstehen zu lassen vermag. Es kann kein Zweifel dariiber bestehen, daB der Universalismus die politische Schwarmerei begiinstigt und im Zeitalter des Natio¬ nalismus der Heuchelei gute Aussichten gegeben hat. Niemand kann sagen, was geschehen ware, wenn die Volker auch geistig sich selber iiberlassen geblieben waren. Die Entwicklung hiitte in vielen Beziehungen einen langsameren Verlauf genommen; daB es aber den Volkern unmoglich gewesen ware, eine ihnen angemessene Vorstellung von nationaler Existenz und von zwischenstaatlichen Beziehungen auszubilden, kann niemand behaupten. Was vor unseren Augen liegt, ist ein Vorgang, der sich nur aus der politischen Schwerpunktlosigkeit der einzelnen Na- 2 Baeumler 17 tionen erklaren laBt. Die abendlandische Zivilisation besaB zu- letzt eine glanzende ideologische Fassade; geistig ungefiihrt und unbeaufsichtigt rangen hinter der ehrwiirdig-gIeiBenden Schauseite im Dunkeln die nationalen Willensrichtungen mit- einander. Das von einer politischen Idee nicht geleitete Abend- land steuerte dem Abgrund zu. Das letzte Ereignis dieser Zivili¬ sation sind die furchtbarsten Kriege, die die Weltgeschichte kennt. Die beiden Weltkriege werden von seiten der „Demo- kratien“ unter Ausniitzung alter Erinnerungen bewu8t als Reli- gionskriege gefiihrt. Ob es sich um die „Mittelmachte“ handelt oder um die „totalitaren Staaten“ — die Weltdemokratie, die sich zur absoluten Macht konstituiert hat, erklart den Krieg an die „Anderen“ im Namen der ewigen Gerechtigkeit und des ewigen Friedens. Wenn das Leben sich deduzieren lieBe, vollzoge sich unter der Herrschaft des Universalismus die Verstandigung zwischen den nationalen Willenssubjekten nach der Art eines Syllogis- mus. Das Verbindend-Allgemeine braucht nicht erst miihevoll gesucht zu werden, es ist gegeben und tritt allen mit der hoch- sten Wiirde umkleidet, als unbedingte moralische Forderung entgegen. Scheinbar ist eine giinstigere Bedingung fiir die Aus- bildung einer allen partikularen Tendenzen iiberlegenen poli¬ tischen Macht nicht denkbar. Und doch lehrt uns der reale ge- schichtliche Ablauf, daB es sich gerade umgekehrt verhalt. Die Nationen sind nicht die Untersatze in einem logischen SchluB, sondern unergriindliche Realitaten, die aus eigener Seinstiefe aufsteigen; sie sind nicht der Idee entsprungen und fiigen sich daher auch nicht der Idee. Das nationale Sein laBt sich nicht von etwas fiihren, das von auBen kommt. Nicht in der Unter- werfung unter eine von oben kommendeForm erfiillt sich dieses Sein, sondern im Suchen nach der eigenen Gestalt. Nur auf dem Wege iiber ihre Geschichte, nicht durch die Realisierung eines vorgegebenen Allgemeinen, kommen die Volker zu sich 18 sefbst. Ihre Grundtendenz ist nicht die der Einordnung, son- dem die der Selbstbehauptung, von der jede Unterwerfung unter das Universale aufs scharfste abgelehnt wird. Am Anfang der Politik steht der gesunde Egoismus der Volker. Es bleibt bei der Definition Friedrichs des GroBen (aus dem Testament von 1752): „Die Politik ist die Kunst, mit allen geeigneten Mit- teln stets den eigenen Interessen geinaB zu handeln.“ Der Herrschaftsanspruch einer universalen Idee kann so zum Gegenteil dessen fiihren, was den Inhalt dieser Idee ausmacht. Das Universale siegt nicht iiber das Partikulare, wohl aber nimmt das Partikulare das Pathos und die Unbedingtheit des Universalen gern zur Kenntnis und bedient sich ihrer fiir seine Zwecke. Nur aus dieser Dialektik wird die eigentiimlich ver- wickelte Struktur des SelbstbewuBtseins der europaischen Na- tionen erklarlich. Die universalistischen Ideale der e i n e n Menschheit und des e i n e n Friedens haben die geschichtliehe Aufgabe gehabt, den werdenden Nationen gerade durch deren inneren Widerspruch zu diesen Zielsetzungen die eigene Individualitat nachdriicklich zum BewuBtsein zu bringen. Nun mag eine solche Zuspitzung der Individualitat auf dem Felde der Kultur fruchtbare Folgen haben — politisch muB sie sich verhangnisvoll auswirken. Jede natiirliche Kraft tragt von innen her das Bestreben nach Be- hauptung und Entfaltung in sich; eine Steigerung dieser natur- gegebenen Tendenzen ist nicht zu wiinschen. In der Sphare des Geistes vermag eine auf die Spitze getriebene Individualisie- rung vielleicht kostbare Bluten aufbrechen zu lassen, in der Sphare der Politik fiihrt sie zur Ohnmacht oder zu einem alles aussehlieBenden Hochmut (die groBen europaischen Beispiele dafiir bieten Frankreich und England). In beiden Fallen wirkt sie politisch zerstorend. Der hochste Wert des politischen Han- delns ist das M a B. Im MaB allein liegt die Gewahr der D a u e r, auf die alles Handeln, das der Selbstbehauptung dient, ge- 2 * 19 richtet ist. In jedem Machtzustand ist die Tendenz leben- dig, sich zu erhalten. Keine Macht gibt sich selber auf, nie- mals tritt eine Macht freiwillig ab. Dauer gehort zum Wesen jedes Machtzustandes. „MaB“ meint im Politischen nicht einen Abglanz ewiger Harmonien, sondern etwas sehr sehlichtes und realistisches: ein Gesetz des Lebens, die Voraussetzung der dauernden Selbstbehauptung. Alles UnmaB verzehrt sich selbst. Das Sein fiigt sich in MaB und Zahl und ist deshalb ewig. Die Ideale des Universalismus miissen politisch zerstorend wirken, weil sie dieses Lebensgesetz verdecken. Durch ihre All- gemeinheit wird der Blick getriibt, so daB er das natiirliche Streben der konkreten Machte nicht mehr faBt. Das politische Denken verliert durch den Universalismus den Boden unter den FiiBen, es wird bodenios, maBlos, fanatisch, es bewegt sich in Fiktionen, nicht mehr in Wirklichkeiten, Die Entfremdung vom konkreten Machtdenken ist die Wurzel alles politischen Unheils. Sich selbst in seinem Sein zu erhalten ist die Grundtendenz aller Macht. Die Problematik der Macht und die poli¬ tische Problematik iiberhaupt beginnt mit der praktischen Aus- legung dessen, was im einzelnen Fali der Erhaltung dient. Das Leben kennt ein stehendes, sich selber gleiches Sein nicht, es ist immer ein Hin und Her, ein Auf oder Ab, ein Mehr oder Weniger; es vermag nur vorwarts oder riickwarts zu gehen, nicht aber stehenzubleiben. „Stillstand ist Riickschritt.“ Das MaB liegt nicht in der Macht selbst, es muB an sie herange- bracht werden. In sich selber tragt die Macht eine Unruhe, die sie unablassig iiber sich hinaustreibt. Das ist die „Pleonexie“ der Macht, von der schon Aristoteles gesprochen hat. Die Ten¬ denz der Erhaltung bekommt in der Realitat fast immer die Auslegung, daB nur eine Erweiterung der Macht ihre Be- wahrung zu garantieren vermag. Das Problem der Politik ist die Begrenzung der Macht, d. h. die Zuriickfiihrung der natiir- 20 lichen Erhaltungstendenz in der Form des Mehr-Wollens auf das MaB des Seins. Die Macht kann nicht sich selber iiberlassen bleiben. Wie der Reiche sich niemals reich genug ist, ist der Machtige sich nie- mals machtig genug. Das Verhangnis des abendlandischen Geistes bestand darin, daB er die Pleonexie als einen Fluch an- sah und nicht erkannte, daB darin der gesunde Wille zur Selbst- erhaltung verborgen war. Der zweite Irrtum bestand darin, daB man das falsch beurteilte tibel mit falschen Mitteln zu besei- tigen trachtete. Logisch ist dem Partikularen das Universale entgegengesetzt, politisch aber laBt sich das Streben der parti¬ kularen Machte nicht durch das Universale bandigen. Denn eineMacht kann immer nur durch eine andereMacht oder durch etvvas derMachtVerwandtes gebandigt werden, nicht aber durch etwas, das in einer ganz anderen Ebene liegt. Die politische Ohnmacht aller universalen Ideen ist zur Geniige erwiesen. ¥o soli nun aber das gesucht werden, was in derselben Seins- ebene liegt wie die Macht und doch die Fahigkeit besitzt, die Macht zu bandigen? Eine universale Macht kann es nicht sein, denn eine solche gibt es nicht. Solange lediglich Macht gegen Macht steht, ist der Krieg in Permanenz erklart; ein Prinzip der zwischenstaatlichen Ordnung, das eine Begrenzung des Krieges mit sich fiihrte, ware unvorstellbar. 4 Eines der wenigen Dinge, auf die sich die Demokratie ver- steht, ist die Ausniitzung der geistigen Tragheit zugunsten einer deutschfeindlichen Propaganda. Es ist so einfach, der Welt klarzumachen, daB der Nationalsozialismus den Frieden ab- lehnt, weil er das Gesetz des Kampfes anerkennt, daB er ein Gegner der Verstandigung ist, weil er die Vorstellung einer mit Polizeigewalt aufrechterhaltenen Weltordnung lacherlich fin- det. Niemand hat es leichter als derjenige, der an alte Denkge- 21 wohnheiten appelliert. Es ist die Schwache des Nationalsozia- lismus, daB er vom Menschen verlangt, zu denken. Alles tut der Mensch, den wir nicht zufallig ein Gewohnheitstier nennen, lieber als denken — denn Denken heiBt sich von Gewohnheiten losreiBen. Die siiBe Gewohnheit, jeden konkreten Frieden als bloBe Vorbereitung auf den ewigen Frieden zu betrachten, sich iiber jedem Machtzustand einen noch hdheren zu denken, durch den er im Zaum gehalten wird, der Wahn, eine Macht konne durch Ideologien dazu gebracht werden, sich selber Grenzen zu setzen — das alles ist durch den Nationalsozialismus fiir immer ver- abschiedet worden. Unsere Weltanschauung verlangt von jedem die Ablegung aller Vorurteile und einen Verstand, der die Welt zu erkennen vermag wie sie ist. Wenn wir Rasse sagen, dann denken wir nicht nur an die Vielfaltigkeit der rassischen Typen, die uns die Erfahrung darbietet, sondern vor allem an ein allgemeines Gesetz des Lebens: das Gesetz, daB Gleiches nur von Gleichem hervorgebracht wird und daB die lebendigen Krafte konstant sind. Durch die Entdeckung der Rasse ist in den Geisteswissen- schaften ein Zustand beseitigt worden, der an die Alchimie des Mittelalters erinnerte. Solange man die Konstanz der Krafte nicht kannte, war es moglich, sich phantastischen Vorstellun- gen iiber die Entwicklung und Yerwandlung natiirlicher Krafte hinzugeben, Vorstellungen, die denen der Goldmacher glichen. E i n m a 1, so meinte man, miisse doch die Herstellung des Goldes gelingen; einmal, so meinten die Philosophen und gaben die Politiker wenigstens vor zu meinen, miisse doch der Zustand des ewigen Friedens zu verwirklichen sein. Die Er- kenntnis der rassischen Krafte als des Dauernden und Schopfe- rischen in jedem Volkstum setzt das Denken der modernen Wissenschaft an die Stelle mittelalterlicher Traume. Diese Er- kenntnis raumt alte Irrtiimer beiseite und gibt dem Denken 22 neue und fruchtbare Impulse. Die menschliche Geschichte er- scheint nun nicht mehr als eine Anhaufung von Irrtum und Ge- wa!t; noch in ihren schrecklichsten Verirrungen erkennen wir das waltende Gesetz. Indem wir die Tatigkeit der menschlichen Krafte in ihrer GesetzmaBigkeit erkennen, offnet sich unser Auge fiir eine realistische Betrachtung der geschichtlichen Wirklichkeit iiberhaupt. Zugleich mit den Bedingungen der Rasse treten die Bedingungen des Raumes in unseren Gesichts- kreis ein. In einem Gebiet, wo bisher geheimnisvolle Wesen- heiten sich umhertrieben, ordnen sich mit einem Schlage die Erscheinungen zu klar erfaBbaren Einheiten, deren Verkniip- fung zu begreifen dem Verstande neue Aufgaben stellt. Das Geschichtsbild, das durch die Wirklichkeiten Rasse und Raum bestimmt wird, ist dynamisch. Vo immer Menschen zu- einander in Beziehung treten, sehen wir Krafte miteinander ringen. Die Geschichte ist nicht die Evolution irgendeiner Ein- heitssubstanz, sondern ein lebendiges Gegeneinander und Mit¬ einander substanzieller Krafte. Krafte sind es, die die Macht- gebilde aufbauen, deren Entstehung, Ausbreitung, Verfall oder Selbstbehauptung zu verfolgen die Aufgabe des Geschichts- schreibers ist. Eine von der Idee der Rasse befruchtete Ge- schichtsphilosophie hat erkannt, wieviele Verwirrungen da- durch angerichtet worden sind, daB man die Kategorien Kraft und Macht nicht gesondert hielt und die Bestimmungen der einen Wirklichkeit immer wieder auf die andere iibertrug. So wurde das Gesetz der Macht, durch Erweiterung (Expansion) sich zu behaupten, stets mit dem Streben einer Kraft nach Be- tatigung gleichgesetzt. Die richtige Einschatzung beider Wirk- lichkeiten wurde dadurch unmoglich gemacht. Dem abgeleite- ten Gebilde der Macht wurde eine Wiirde zugeschrieben, die es nicht besitzt. Den natiirlichen schopferischen Kraften da- gegen wurde die Last alles dessen aufgebiirdet, was die durch keine Riicksicht gebandigte Macht jemals verschuldet hat. Die 23 Zerstorung, die durch dieses MiBverstandnis angerichtet wurde, reicht bis auf den Grund des Seins. Die Macht wurde um ali das vermehrt, was der Kraft gehort, und dann mit Fluch bedeckt; die Sphare der Unschuld, in der die lebendigen Krafte sich frei bewegen, wurde in die Finsternis dieses Fluches hinein- gerissen und verfiel der Verachtung. Damit wurden die Vor- aussetzungen vernichtet, auf Grund deren allein eine mensch- liche und saclientsprechende Behandlung der politischen Pro¬ bleme moglich ist. Die Macbt bat ihr eigenes Gesetz. Gerade w e i 1 sie nicht eine Kraft ist, sondern eine Realitat von eigener Struktur, zeigt sie jene Eigenschaft, die ihr immer wieder zum Vorwurf gemacht wird, die Pleonexie. Ein Machtzustand vermag lange Zeit in einer gewissen Unabhangigkeit von den Kraften zu bestehen, die ihn hervorgebracht haben, und er vermag aus sich selbst heraus sich zu steigern. In diesem Falle lost die Macht sich von den lebendigen Kraften los, wird abstrakt und beginnt zu vvuchern. Wenn eine Herrschaft einmal anerkannte und brauch- bare Formen ausgebildet hat, dann bestehen diese Formen gleichsam aus eigener Vollmacht weiter — oft g e ge n alle lebendigen Krafte, die in der Gemeinschaft sich regen. Das ist jene Erscheinungsweise der Macht, die dieses an und fiir sich so menschliche und notwendige Gebilde dem HaB der Zeiten preisgegeben hat. 5 Es kommt nicht darauf an, die Macht zu unterdriicken, son¬ dern ihr eine menschliche Gestalt zu geben. Ist es denn so ge- fahrlich, daB jede Macht sich zwar gern freiwillig ausdehnt, aber niemals freiwillig sich selbst beschrankt? Verhangnisvoll ware dies ja nur dann, wenn es nichts gabe, was der Expansion Schranken setzt. Solange man freilich warten muB, bis eine andere Macht aufsteht, um die sich ausdehnende Macht in Grenzen zu halten, kommen wir aus dem Zustand des Krieges 24 nicht heraus. Es ist gerade das Kennzeichen der modernen, der Idee des Friedens huldigenden Welt, daB sie der Pleonexie nichts entgegenzusetzen weiB. Unter dem Deckmantel der hu¬ manitaren Phrasen verbirgt sich die hemmungsloseste Ver- ehrung der Gewalt, die die Weltgeschichte jemals gesehen hat: „Kampf“ und „Krieg“ sind verponte Begriffe, der Soldat gilt als ein Uberbleibsel aus riickstandigen Zeiten, der Bauer ist verachtet. Der demokratischen biirgerlichen Gesellschaft ist mir der Handel und das Geldgeschaft heilig. Borse und Zivilisa- tion sind hier untrennbare Vorstellungen, der Bann des Goldes beherrscht die Gemiiter. Die Wirtschaft ist das Schicksal. Ein offenhares Geheimnis, an das von niemandem geriihrt werden darf, ist der Schiiissel zu allen Erscheinungen des demokrati¬ schen Systems: Macht darf nirgends sichtbar werden. DasPrin- zip desFuhrertumswirdhinterdemParlamentarismus versteckt, Herrschaft wird nur in der unredlichsten, grausamsten und er- barmlichsten allerFormen zugelassen — als H e rr sch a f t des Geldes. Die Macht nimmt die Form der Aussaugung an. Es gibt nur Reiche, die allesbesitzen, undArme, die nichts besitzen. Die demokratische „Freiheit“ besteht darin, die Nichtbesitzen- den in dem Glauben zu erhalten, daB sie auf dem Wege iiber den freien Eriverb einmal in die Zalil der Besitzenden aufsteigen konnen. Jeder kann tun, was ihm beliebt, so verkiindet die Ideologie dieser Gesellschaft, Aufsteigen oder Verhungern ist in jedermanns Wahl gestellt. In Wahrheit halt eine kleine Schicht unermeBlich reicher Manner die Herrschaft, von der bffentlich nicht geredet werden darf, in ihren erbarmungs- losen Handen. Wer Geld hat, nimmt an der Herrschaft teil, wer keines hat, gehort zu den Millionen Sklaven des plutokra- tischen Systems. Da das Prinzip der wirtschaftlichen „Freiheit“ herrscht (jeder kann kaufen und verkaufen soviel er „will“), ist das Svstem der nackten Gewalt zugleich das System der Freiheit. 25 Diese abgefeimte Heuchelei ist nur moglich, weil die Herrschafi die Form der wirtschaftlichen Ausbeutung angenommen hat und gleichsam unsichtbar geworden ist. Eine echte Repraseti- tation findet nicht statt — die Parlamente sind ja nur dazn da, um jede Reprasentation zu verhindern. So ist die moderne De- mokratie in jedem Zuge das System der absoluten Verlogenheit —• Zwang, umgeben von dem schonen Schein der „Freiheit“. Dasselbe Prinzip der Aussaugung herrseht auch in der AuBen- politik, die wesentlich Kolonialpolitik ist. Die Kolonien werden riicksichtslos ausgebeutet, sie haben Rohstoffe und Soldaten zu liefern; was aus den Volkern wird, die die eroberten Gebiete in den anderen Erdteilen bewohnen, ist gleichgiiltig. Ebenso gleichgiiltig ist es, ob die Rohstoffquellen sachgemaB ausge- schopft werden oder nicht und ob die gewonnenen Produkte Bediirfnisse befriedigen, die an anderen Stellen der Erde be- stehen. Entscheidend ist allein der gegenwartige Profit. Die plutokratische Gesellschaft ist in ihrem Goldhunger unersatt- lich; Volker sterben, Landstriche veroden, aber die Papiere steigen. Die Zunahme des Reichtums, die mit ihr garantierte Sicherheit des Wohlstands und der Luxus, den man sich ge- statten darf, ist das einzige, was interessiert. Ein Staat demokratischen Stils besteht aus einer kleinen Zahi unmaBig reicher Menschen, die es als ihre einzige politigche Aufgabe betrachten, andere fiir sich arbeiten zu lassen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die anderen Volksgenossen, Kolonialsklaven oder Bundesgenossen sind. Das Netz der Ga- rantievertrage, mit dem GroBbritannien zuletzt die Volker zu umspinnen suchte, ist ein charakteristischer Ausdruck des va- rasitaren Denkens der Plutokratie. Ihre Macht sucht sich, dem Wesen des Kapitals entsprechend, immer weiter zu iibergipfeln, sie wuchert ins Unbegrenzte. Ein Garantievertrag hat nur dann einen Sinn, wenn irgendwelche realen Krafte hinter ihm stehen. Die Vertrage, die GroBbritannien zuletzt jedem erreichbaren 26 Staate anbot, entbehrten jeder Deckung durch Realitaten. Der groBbritannischen Macht brachten sie einen Augenblick lang Nutzen, fiir die kontrahierende Macht bedeuteten sie den TJn- tergang. Welche lebendigen Krafte in diesen staatlichen Unter- gang mit hineingezogen wurden, ob wertvolles Volkstum dabei zerstort wurde, kiimmerte die demokratischen Politiker nicht einen Augenblick. Der kalteste Herrschaftswille machte seine Rechnung im eisigen Raum der leeren Macht. Ein Englander kann unbefangen sagen: Wir besitzen keinen Quadratmeter Roden auBerhalb unserer eigenen Grenzen; was wir haben, ist lediglich die Freundschaft derer, denen der Boden gehort. Er vergiBt lediglich eine Kleinigkeit hinzuzu- fiigen: die Freundschaft — und die Kontrolle iiber das Geld, d. h. iiber die Arbeit derer, denen wir zum Zwecke der Be- arbeitung das Land gelassen haben. Von der Macht des Geldes spricht man nicht. Man gesteht zwar zu, dah der Handel der Flagge folgt, aber nicht, daB die Freundschaft als politisches Phanomen den sanften Zwang des Kapitals zur Voraussetzung hat, ohne den sie vermutlich doch allzu starken Schwankungen unterworfen ware. Jede Macht ist zugleich verneinend und bejahend, sie kann nur aufbauen, indem sie ablehnt oder bekampft, was ihr im Wege steht. Die Macht des Kapitals unterscheidet sich von jeder anderen Form der Macht dadurch, daB sie zwar blendende Augenblickserfolge erringt, aber niemals aufbauend wirkt. Ihr Hauptmittel ist der Kredit, der sich als Hilfe tarnt, die aus purer ,,Sachlichkeit“ und reinem „Verstandnis“ gegeben wird. Tatsachlich ist er die Schlinge, die sich dem „wirtschaftlich Schwacheren“ um den Hals legt. Es bedarf nur eines leisen An- ziehens — die Anwendung von Gewalt ist ja verboten — und das Opfer zappelt am Boden. Eine demokratische GroBmacht ist dadurch gekennzeichnet, daB sie Kredite getvahren kann. Solange die Menschen so toricht sind, an das Geld zu glauben, 27 solange konnen sie auch durch Kreditentziehungen regiert wer- den — das ist die Formel der jiidisch-demokratischen Welt- herrschaft. Wenn alles Geld und Geld alles ist, kann die „Welt” nichts anderes sein als das Betatigungsfeld von Wirtschaftskon- zernen und Bdrsenspekulanten. Den Finanzimperien ist ein menschliches Interesse an Land und Leuten unbekannt. Das Kapital will immer nur sich selbst vermehren; es geht auf seinem Wege iiber alle Sachzusammenhange riicksichtlos hin- weg. Schonung der lebendigen Krafte, seien es die Krafte eines Volkstums oder des Bodens, Achtung vor der Natur, Riicksicht auf den Lebenswillen anderer sind ihm lacherliche Begriffe. Das reine Finanzdenken erringt Erfolg auf Erfolg und zieht alle destruktiven Menschen in seinen Kreis —- um eines Tages doch auf die von ihm verleugneten Wirklichkeiten zu stoBen. Die abstrakteste Form der Macht, die wir kennen, deren Stre- ben nach m e h r scheinbar nichts Einhalt gebieten kann, schei- tert zuletzt an der Wirklichkeit der lebendigen Krafte, die sie verleugnet hat. Recht genommen kann von ,,Staaten“ demokratischen Stils iiberhaupt nicht gesprochen werden. Ein Staat ist nur dann vor- handen, wenn eine eigenwiichsige politische Ordnung auf ein lebendiges Volk bezogen ist. Demokratische Staaten gibt es nicht, es gibt nur eine demokratische Gesellschaft, die mit Hilfe ihrer Banken iiber sogenannte Staaten die Aufsicht fiihrt. Diese Gesellschaft ist eine; sie hat ihre Vertreter iiberall auf der ganzen Erde in Europa so gut wie in Afrika, in Amerika so gut wie in Australien. Historisch betrachtet ist sie die Nach- folgerin der iibernationalen feudalen Herrenschicht friiherer Zeiten. Dem geglaubten Universalismus des Mittelalters ent- sprach die iibernationale ritterliche Gesellschaft; dem nicht mehr geglaubten Pseudo-Universalismus der neueren Zeit ent- spricht die plutokratische Oberschicht, die bis vor kurzem noch die Rohstoffproduktion und den Handel auf der ganzen Erde 28 entweder besaB oder kontrollierte. Der Mittelpunkt dieser geld- besitzenden Herrenschicht ist bis heute London. In Amerika bat sich mit der Zeit ein zweiter Mittelpunkt gebildet, auf den man noch gestern von London aus mit kaum verhiillter Ver- achtung herabsah. Das Ideal des rich man ist hiiben und driiben das gleiche. Die Schicht der rich men gibt den Ton an; wie sie denken, wie sie leben, wie sie sich kleiden ist schlechthin maB- gebend fiir alle, die auf dieser Erde fiir etwas gelten wollen. Unter einem rich man darf man sich dabei nicht nach europa- ischer Weise einen Millionar vorstellen. Von armen Leuten ist hier nicht die Rede. Was Reichtum ist, weiB man nur dort, wo die Plutokratie ihren Ursprung hat. Menschen, die keine Vor- stellung davon haben, was es heiBt, Agypten und Indien auszu- beuten, konnen sich von dem Reichtum eines englischen Lords kein Bild machen. Und noch weniger konnen sie ahnen, welche magische Wirkung von diesem Reichtum ausgeht. Nicht von den liberalen „Ideen“ oder von den englischen Lebensformen ist die Welt in den letzten Jahrhunderten erobert worden (das alles folgte nur nach) — sie wurde von den rich men erobert. Die Freimaurerei ist wohl eine, aber bei weitem nicht die ein- zige Form, unter der die rich men auf die „Staaten“ EinfluB nahmen. Erst wenn das Idol des Geldes die Welt nicht mehr be- zaubert, ist es mit der Herrschaft jener kleinen Schicht vorbei, die in jeder sogenannten Hauptstadt ihre Vertreter, ihre Bank- noten und noch einiges andere umlaufen lieB. Das Ende der Plutokratie ist die Geburtsstunde der nationalen Staaten. Nach derEntmachtigung der geldbesitzenden internationalen Schicht konnen iiberall Manner die Herrschaft iibernehmen, denen „Friede“ etwas anderes bedeutet als eine moralistische Phrase zur Tarnung von Geschaften. Diese Manner sind die Fiihrer ihrer Volker. Sie haften mit ihrem Leben dafiir, daB mit dem Frieden die Ehre und Sicherheit der Nation gewahrt bleibt. Flugzeuge, denen sie ihr kostbares Dasein anvertrauen konnen, 29 wenn es gefahrlich wird, stehen nicht fiir sie bereit. So etwas gehort zum Lebensstil jener internationalen Gruppe von Poli- tikern, die sich von iiberallher jederzeit auf den Mittelpunkt der Weltdemokratie als in ihre wahre Heimat zuriickziehen konnen. 6 Auch die Politik ist an Gesetze gebunden; sie darf ihr eigenes Wesensgesetz nicht verleugnen, wenn sie nicht nur Erfolge, sondern Erfolg haben will. Echte Macht ist auf Dauer ge- richtet. Vergeht sie sich gegen das Gesetz ihres eigenen Wesens, so ist sie zum Untergang verurteilt. Was wir heute erleben, ist nicht nur der Zusammenbruch einiger demokratischer Staaten, es ist der Untergang des demokratischen Systems. In gewaltiger Arbeit hat ein politisches Genie alle Krafte zusammengefaBt, die von der Demokratie verachtet worden waren. An erster Stelle steht die Kraft des lebendigen Volkstums. Der National- sozialismus iibt nicht Kritik an den Fehlern der Demokratie. sondern verwirklicht ein dem plutokratischen entgegengesetz- tes Prinzip des Aufbaus. Im Mittelpunkt seines Denkens steht der schopferische Mensch. Er laBt sich durch die Scheinmacht der Banken und des Kolonialbesitzes nicht von der Uberzeu- gung abbringen, dah es zuletzt immer die Menschen sind, ihre natiirlichen Anlagen, ihre Arbeit, ihr FleiB und ihr Geist, die iiber den Wert und den Bestand eines Staates entscheiden. Nicht von aufgehauften Machtmitteln, sondern von der Kraft der Menschen hangt es ab, ob ein Staat Dauer besitzt. Staa¬ ten sind nur sich wandelnde Organisationsformen, die sich die Volker geben. Den Kern jedes Volkstums bildet die natiir- liche Wiedererzeugungskraft, in der sich ein tief verborgener, geheimnisvoller Lebenswille ausspricht. Sodann ist entschei- dend, welche Richtung dieser Lebenswille einschlagt und welche Leistungen er vollbringt. Jede lebendige Kraft hat eine 30 bestimmte Eigenart, ist qualitativ bestimmt. Kraft ist nicht ein quantitativer, sondern ein qualitativer Begriff. Ein zahlenmaBig kleines Volk, das von starkem Lebenswillen erfiillt ist und Men- scben von hoher Qualitat und besonderem Leistungswillen her- vorbringt, kann einem quantitativ starkeren Volke doch an Kraft iiberlegen sein. Die Anlage zur Technik, zu Kunst und Wissenschaft ist von ausschlaggebender Bedeutung fiir die Ge- samtqualitat eines Volkstums. In der heimischen Sprache und Sitte, im Rechtsgefiihl, in den iiberlieferten Lebensformen und in der Erziehung, in der nationalen Dichtung und in dem Be- wu8tsein, das ein Volk von sich selber hat, wurzelt die Energie, mit der es sich durchzusetzen vermag. Nicht zu allen Zeiten tritt die lebendige Kraft eines Volkes gleichmaBig in Erscheinung. Die Bewegung des Lebens reiBt auch die nationalen Krafte in den Rhythmus von Ebbe und Flut, Zeiten des Mutes und der GrdBe wechseln mit Zeiten ge- ringerer Unternehmungslust. Aber in der Tiefe beharrt uner- schiitterlich die lebendige Schopferkraft. Sie ist die unzerstor- bare Wirklichkeit, aus der der nationale Mythus seine Kraft zieht, sie gibt den groBen Einzelnen, die reprasentativ vor ihr Volk treten, um es zu fiihren, den alles mit sich fortreiBenden Schwung des Glaubens, der notwendig ist, um die Welt aus ihrem „Schlaf“ aufzustoren, um die festgefahrenen Verhalt- nisse der Macht wieder in Einklang mit den Forderungen des Lebens zu bringen. Zu den Kraften, mit denen eine echte Machtpolitik zu rech- nen bat, gehort der Raum, den ein Volk bewohnt, der Boden. den es bebaut, gehoren die Schatze an natiirlichen Stoffen, die in der Tiefe schlummern. Zwar ist der Raum niemals bestim- mend, denn bestimmend ist allein der Mensch; aber eine giin- stige Verkehrslage, gliickliche Grenzen, fruchtbare Erde und reiche Bodenschatze fiigen der Menschenkraft, die sich ihrer zu bedienen weiB, die Kraft der Elemente hinzu. So erwachsen 31 aus Blut und Boden, Rasse und Raum jene gewaltigen Energien der nationalen Gemeinschaften, deren Auseinanderhaltung und Verstandigung den Inhalt der Weltgeschichte ausmacht. Eine Politik, die diese Energien unberiicksichtigt laBt oder verneint, werde sie nun von Freimaurern, Finanzjuden, Borsen- spekulanten, Schiffsreedern oder Lords gemacht, kanu wohl durch einige Generationen hindurch in einzelnen Hausern Reichtiimer anhaufen; sie tragt jedoch den Keim der Zer- storung in sich, weil sie ohne jeden Zusammenhang mit den auf- bauenden Kraften ist. Der Nationalsozialismus wird von der Demokratie und von dem internationalen Kapital, das mit ihr identisch ist, bekampft, weil er entschlossen ist, den Neuaufbau Europas mit denjenigen Kraften durchzufiihren, die in jedem Volke bereit sind, der unwahren Herrschaft des Gekles cin Ende zu machen und eine neue politische Ordnung auf den Grundlagen des Volkstums zu errichten. Das entscheidende Kennzeichen des politischen Systems, das in diesem Kriege bereits Gestalt anzunehmen beginnt, ist der neue Sinn, den es der Macht verleiht. Der Nationalsozialismus setzt der verwirrenden und zerstorerischen Theorie ein Ende, als sei Macht immer Macht, und als komme es nicht darauf an, wie eine Macht konstruiert sei. Er lehrt zwischen Macht und Macht zu unterscheiden. Aus seinen eigenen Voraussetzungen und Prinzipien heraus bejaht er jeden Machtzustand, der sich auf die natiirlichen Krafte eines gesunden Volkstums stiitzt und auf die Notwendigkeiten der Lebensraume der Vblker griindet. Er eroffnet damit nicht ein neues Zeitalter des Impe- rialismus, sondern schlieBt das Zeitalter der kiinstlichen Macht- bildungen fiir immer ab, um einem neuen Zeitalter der Macht, die durch die Kraft gebunden ist, den Weg zu bereiten. Nur die lebendigen Krafte sind imstande, die Macht in den ihr gebiihrenden Grenzen zu halten. Sich selbst iiberlassen geht die Macht ins Grenzenlose; Krafte hingegen verlangen zwar 32 nach Betatigung konnen aber nie der Pleonexie verfallen, die der Macht eigentiimlich ist. Die Macht ist eine Schopfung des Menschen, Krafte hingegen sind ein Geschenk der Natur und tragen das MaB ihres Ursprungs in sich. Der Mensch vermag weder seine eigene Kraft noch die Krafte des Bodens ins Un- gemessene zu steigern. Es ist das Leben selber, das ihm rat, die natiirlichen Krafte nicht auszubeuten und zu iiberspannen, son- dern mit ihnen hauszuhalten. Wenn der Mensch lernt, auf die Stimme des Lebens zu horen, wird er maBvoll, weil er nur noch das Natiirliche und Gesunde anstrebt. Der Irrtum der Vergan- genheit war, den Kraften zu miBtrauen und ihnen ein Streben ins Unendliche anzudichten, das sie nicht haben. So wie der Mensch als Personlichkeit sich am reinsten erfiillt, wenn er aus dem Vertrauen zum Leben sein Dasein fiihrt, so bedarf auch die Politik dieses Vertrauens, um sich vor Verkrampfungen und Ubersteigerungen zu bewahren. Indem der Politiker zuerst stets die lebendigen Wirklichkeiten ins Auge faBt, b i n d e t er die Macht an die Kraft. Er geht nicht weiter, als die lebendigen Krafte es gestatten, er hiitet sich, die Macht zu iiberspannen und Augenblickserfolge zu erringen. Bindung der Macht durch die Kraft bedeutet die Beschrankung der Macht — nicht durch sich selbst, denn das ist unmoglich, wohl aber durch das MaB, das in der Wirklichkeit selber liegt. Die Politik der Bindung der Macht durch die Kraf t ist die Politik des Nationalsozialismus. Auch dieser Politik konnen Konflikte nicht erspart bleiben. Es ist jedoch etwas anderes, ob Konflikte vom Standpunkt der nackten Macht be- handelt werden und, sich selber iiberlassen, irgendeiner gewalt- samen Losung entgegentreiben, oder ob sie im Lichte eines groBen und wahren Grundsatzes gemeistert werden. Wenn ein Volk zur richtigen Zeit sich Kolonien zu erwerben und auf dieser Basis eine seinen natiirlichen Kraften nicht ent- sprechende Finanzmacht zu errichten verstand, so ist das ein Vorgang, den man bisher, befangen in kurzsichtigen Vorstel- 3 Baeumler 33 lungen vom Wohlergehen der einzelnen, fiir sehr erfreulich oder wenigstens fiir unschadlich hielt. Ein Denken, das die Nationen als Wirklichkeiten betrachtet und nicht nur als Kulissen fiir blut- und bodenfremde Machte, erkennt in einem ProzeB der Reichtumsbildung dieser Art eine Gefahr fiir alle. Denn eine kiinstliehe, nicbt durch die Kraft eines Volkstums, sondern nur durch eine geldbesitzende Schicht aufrechterhal- tene Macht wird selbstverstandlich AnschluB und Sicherheit bei anderen Machten suchen, die die gleiche Struktur besitzen. Auf diese Weise entwickeln sich Querverbindungen, Pakte, Paktsysteme, kurz ein politischer Konzern von Geldmachten, der seine eigenen Interessen verfolgt und alle Bemiihungen um sachliche Losungen ethnischer oder geopolitischer Probleme verhindert, weil der Imperialismus des Goldes andere Gesichts- punkte neben sich nicht duldet. Die Beziehungen zwischen den Staaten werden auf Geldbeziehungen reduziert, in allen ent- scheidenden Fragen wird das Kapital ausschlaggebend, der Zu- stand der internationalen Politik wird vollig korrupt. Es bedeutet eine Entgiftung der politischen Atmosphare in jeder Hinsicht, wenn die durch die Kraft legitimierte schlichte und klare Macht in den zwischenstaatlichen Beziehungen aus¬ schlaggebend wird. Was ein kleineres Kapital gegeniiber einem groBeren zu sagen hat, ist bekannt, namlieh nichts. Die Be¬ ziehungen zwischen Kapitalmachten sind ebenso eindeutig wie nichtssagend, da sie reineGewa!tbeziehungen sind. DasSpielvon Quantitat und Quantitat ist immer langweilig. Nur wenn die Macht getragen wird von einer eimnaligen, unverwechselbaren und unaufhebbaren Kraft, erhalt das Spiel der Beziehungen zwischen den einzelnen Machten menschlichen Charakter. Denn das Machtverhaltnis, das gegriindet ist auf eine nicht weiter ableitbare, natiirliche Rangordnung von Kraften, ent- behrt jedes aufreizendenMoments. Wahrend die kleinereQuan- titat gegeniiber groBeren Quantitaten jedes Ansehens bar ist, behauptet eine natiirliche Kraft immer ihre Wiirde. Auch die 34 schwachere Kraft ist eine Offenbarung des unergriindlichen Seins. Ein kleines Volk, so stellte Reichsleiter Alfred Rosen- berg in einer Rede am 13. Marž 1940 in Wien fest, unterwirft sich einem annahernd ebenso groBen ungern oder niemals; es vergibt sich aber in seiner Selbstachtung nichts, wenn es sich in den Lebensraum eines groBen Volkes stellt und sein Schick- sal an das dieses Volk kniipft. „Dieses Volk hat dann die politi- scheundmoralischePflicht, dieSeeledes in seinem Lebensraum lebenden kleineren Volkes und dessen Kultur nicht zwangs- ■vveise umgestalten zu woilen. Es muB dieses Volkstum, wenn es sich schopferisch zeigt, ehren und achten als ein Gebilde der Natur und der Geschicnte.“ Unter der Herrschaft von Demokraten ist es verboten, von Macht iiberbaupt zu reden. Die Machtverhaltnisse des demo- kratischen Zeitalters waren auch derartig, daB man besser nicht von ihnen sprach. Eine so brutale Macht, wie es das Kapital ist — das Zeitalter des Imperialismus ist zugleich das Zeitalter des Kapitalismus —, muB schweigend am Werke sein. Die Macht¬ verhaltnisse, die sich aus den natiirlichen und geschichtlich be- dingten Beziehungen der ivirkenden Krafte ergeben, braucht niemand zu verheimlichen. Es besteht kein AnlaB, das BewuBt- sein des Vorhandenseins von Abhangigkeiten zu verdrangen, wenn diese Abhangigkeiten in der Natur der Dinge begriindet sind und niemals zu der Antastung einer seinsmaBig gegebenen Wiirde und Eigenart fiihren. DaB ein Volk, in welchem unge- heure seelische und geistige Energien schlummern, eine Macht auszubilden vermag, die andere iiberragt, kann den nicht be- irren, der die Gesetzlichkeit des Lebens anerkennt. Wenn kleinere Volker sich in den Schutz groBerer begeben, so werden sie nicht tributpflichtig, wie die schwacheren Kapital- machte gegeniiber den starkeren, sondern sie behaupten sich innerhalb der Grenzen, die ihnen die Natur gesetzt. hat in einer Ordnung, die der politische Wille schafft, ohne die Ehrfurcht vor der Natur zu verletzen. 3 * 35 Die Demokratie gab vor, die Verkorperung der ewigen Ge- recbtigkeit zu sein. Der Natioaalsozialismus verachtet die un- wahren Phrasen. Er vertraut auf die Gerechtigkeit des Lebens, das uns den Kampf niemals herabzusetzen oder gering zu achten, aber auch niemals als Selbstzweck zu betrachten lehrt. Der Kampf wird gekampft, damit eine richtigere Ordnung au die Stelle einer ausgehohlten Scheinordnung treten kann. Jeder Krieg hat den Frieden zum Ziel und Zweck. Nicht den Frieden um jeden Preis und nicht den ,,ewigen“ Frieden, aber den Frie¬ den, der jedem Volke sein Dasein und s e in e n Lebensspiel- raum garantiert. Eine tausendjahrige Epoche geht zu Ende, im Morgenlicht eines aufsteigenden Tages liegt Europa. Es bedarf der abend- landischen „Einheit“ nicht mehr, die in so furchtbare Kriege ausmiindete. Aus einem geographischen BegriflF ist Europa ein politischer Begriff geworden. Die jung gebliebenen Volker sam- meln sich unter einem neuen Zeichen. Das ideenlose Hin- und Herschieben von Machtpositionen hat fiir immer ein Ende, eine neue Ordnung kiindigt sich an. Es ist die Idee der Nation, die diese Ordnung aus sich hervorbringt. Die lebendigen Krafte des Volkstums, die sich bisher nur gehemmt und gebrochen durch die abendlandische universale Ideologie politisch entfalten konnten, gewinnen zum ersten Male freien Raum. Die neue Ordnung beruht nicht auf einer neuen „Ideologie“, sondern auf der Anerkennung jener Wirklichkeiten, durch welche die Na- tionen geschaffen worden sind. Auf einem festen Grunde, der allen gemeinsam ist, werden neue Staatengebilde entstehen. Durch die Idee der Nation, die jeder bloBen Ideologie iiber- legen ist wie die Wirklichkeit der Einbildung, tverden sie be- lebt, durch das Prinzip, daB jede echte Macbt den lebendigen Kraften entsprechen muB, die sie tragen, werden sie begrenzt. Die neue Ordnung tragt ihr Prinzip in sich selbst, ihr inneres MaB ist eins mit der Gerechtigkeit des Seins. 36 NRRODNA IN UNIVERZITETNA KNJIŽNICA 550 150 ,,Weltanschauung und Schule“ wird —" gegeben das zur Zeit 4 Jahreshefte J .__ B «, n * ao *u- schaftliche Organ Internationale Zeitschrift fur Erziehung Rivista Internazionale di Pedagogia /Revue Internationale de Pedagogie / International Education Review Herausgegeben von Alfred Baeumler Professor der Philosophie und politischen Padagogik an der Universitit Berlin Schriftleitung: Dr. phil. Dr. iur. Theodor Wilhelm Die ..Internationale Zeitschrift fiir Erziebung“ ist die fiihrende er- ziehungswissenscbaftlicbe Zeitschrift Europas. Sie umfafit das Ge* samtgebiet der Erziehung und Kultur und stellt sich mitten hinein in die gewaltige Bewegung unserer Zeit. Ihre besonderc Aufgabe erblickt die Zeitschrift darin, die geistigen Krafte der europaischen Neuordnung sichtbar zu machen, sie in kritischer Besinnung zu verdeutlichen und durch wissenschaftliche Auseinandersetzung mit abweichenden weltanschaulichen Positionen zur geistigen KMrung zwischen denVolkem beizutragen. Bezugspreis jahrlich 12.- RM DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN NW 7 AuBer der imZentralverlag derNSDAB Ž)