DIE HANDSCHRIFT VON GRÜNBERG DAS ÄLTESTE SCHRIFTDENKMAL DER INDOSLOWENISCHEN LITERATUR (UM 400 N. CHR.) VON DAVORIN ŽUNKOVIČ DIE HANDSCHRIFT VON GRÜNBERG DAS ÄLTESTE SCHRIFTDENKMAL DER INDOSLOWENISCHEN LITERATUR (UM 400 N. CHR.) VON DAVORIN ZUNKOVIC Faksimile der 8. Seite (letzten) in Originalgrösse Motto: „Habent sua fata libelli“! Alle Autorrechte Vorbehalten druit >q-Hw; Maribor, 1935 Kommissionsverlag V. Weixl in Maribor (Jugoslawien) Druck der .Ljudska tiskarna' d. d., Maribor Í7H Geschicke der Handschrift. Über die Herkunft dieser Handschrift ist folgendes verlässlich bekannt. — Der Rentmeister Joseph Kovar der Colloredo-Manns-feldschen Domäne Grünberg (bei Nepomuk in Böhmen) fand im J. 1817 gelegentlich im Schlossarchive, das aus einem alten, im grossen Wirtschaftsgewölbe stehenden Kasten bestand, zwei schmutzige, sehr defekte Pergament-Doppelblätter. Da sie Schriftzüge aufwiesen, ging er damit in seine Kanzlei und reinigte sie vorerst mit einem feuchten Schwamme, erschrak aber heftig dabei, als die vermeintlich schwarze Tinte eine grünliche Färbung annahm. Er bemühte sich nun einige Zeit hindurch den Schrifttext zu entziffern. Als aber seine Mühe erfolglos blieb, ging er damit eines Tages zum Dechant Franz Boubel nach Nepomuk. Dieser aber fand mit der Zeit auch nur so viel heraus, dass es sich hier um irgendein Gedicht Lubusa’s handle, sowie dass darin bekannte Ortsnamen angeführt erscheinen, worauf Kovar wieder die Schrift zurücknahm und sie weiter unbeachtet liegen liess. Erst als am 15. April 1818 die feierliche Bekanntmachung der Gründung des Landesmuseums in Prag zugleich mit der Aufforderung zu Beiträgen hiefür erfolgte, erinnerte sich Boubel wieder an die Handschrift und riet nun Kovar, er könnte jetzt seinen Fund dem Museum zukommen lassen. Nachdem aber eine offene Einsendung seitens Kovar für ihn unangenehme Folgen haben konnte, da zwischen ihm und seinem Dienstherm ein nationaler Antagonismus herrschte, sandte er die Handschrift Ende Oktober 1818 unter Beischluss eines orientierenden Schreibens im Postwege an die Adresse des Burggrafen Kolovrat ein. Dieser übergab die Handschrift dem Grafen Gaspar Sternberg, der die Seele des entstehenden Museums war, und dieser übergab sie wieder dem gelehrten Anton Puchmayer, seinem Patronatspfarrer in Radnitz, zur Ent- zifferung, was letzterem auch in der Hauptsache gelang, doch passierte ihm dabei ein eigenartiges Versehen: er bog nämlich ein Doppelblatt so um, dass die 3. Seite zur 1. ward, daher er den Text wohl lesen aber keinen logischen Zusammenhang für die Handlung auffinden konnte. Schliesslich sandte er diese seine Lesung mit einem Faksimile, nachdem sich Graf Sternberg das Original selbst behielt, und einem ausführlichen Bericht an den Sprachforscher Dobrovsky. Dieser erkannte gleichfalls den Missgriff Puchmayers nicht und erklärte gleich die Handschrift, ohne noch das Original gesehen zu haben, für ein »elendes Machwerk und Geschmiere« und bezeichnete kurzerhand J. Jungmann, W. Hanka und Jos. Linda als die Urheber und Einsender der Handschrift. Im J. 1824 trat Dobrovsky mit dem Artikel »Literarischer Betrug« in Hormayrs Archiv bereits offen gegen die Echtheit der Handschrift auf, und gab darin besonders seinem Ärger Ausdruck, dass die Polen die Handschrift schon im J. 1820 abdruckten und sie zugleich als eines der wertvollsten Monumente des slawischen Altertu ms kommentierten, sowie dass sie im folgenden Jahre auch schon von der russischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht und zugleich in russischer Sprache ausgegeben wurde. Man wollte jedoch damals in schärferer Weise nicht mehr gegen Dobrovsky auftreten, da sich seine periodische Gemütskrankheit immer häufiger einstellte. Er starb auch bereits vier Jahre später in völliger Geistesumnachtung. Charakteristisch dafür, wie unsicher Dobrovsky jedoch bei alledem war, zeigt unter anderem folgendes Begebnis. Dobrovsky fühlte in sich den inneren Drang, dass die Handschrift doch chemisch untersucht werde, und erklärte der damalige Professor der Chemie am Technischen Institute in Prag, Steinmann, dass die Untersuchung, ob die verwendete Tinte alt oder neu ist, wohl unbedingte Gewissheit ergeben muss, nur werde dabei ein Teil der Handschrift zugrundegehen. Da stand Dobrovsky sofort davon ab mit den Worten: »sie könnte am Ende doch echt sein!« Besonders tragisch drohten aber die Geschicke dieser Handschrift in den Dreissigerjahren zu werden, als man die ernste Absicht hegte, sie kurzerhand zu verbrennen, um für alle Zeiten dieses Objekt des ständigen Zweifels und Anstosses für die damalige Gelehrtenwelt radikal zu beseitigen, was jedoch glücklicherweise durch einige besonnene Männer noch zeitgerecht abgewendet wurde. Als sich später noch der Slowene Kopitar und der Slowake Palkovic der Meinung Dobrovskys anschlossen, wonach die Handschrift unbedingt ein Falsum sei, traten hingegen Palacky und Sa-farik im J. 1840 in ihrem Werke: »Die alttschechischen Denkmäler der böhmischen Sprache« mit wissenschaftlichen Belegen verschiedenster Art für deren Echtheit ein, worauf für längere Zeit volle Ruhe eintrat. Erst im J. 1858 entfachte der Redakteur David Kuh des »Tagesboten für Böhmen« von neuem den Streit, indem er Hanka offen als Fälscher der Handschrift bezeichnete, wozu ihm jedoch der Berufskollege Hanka’s, der Bibliothekar Anton Zeidler hinterlistig das Substrat lieferte, was jedoch erst 55 Jahre später zur öffentlichen Kenntnis gelangte, als der Verleumder starb, der sich vorsichtshalber bis zu seinem Tode (1913) die redaktionelle Geheimhaltung ausbedungen hat. Hanka jedoch, der daraufhin gegen jene Anwürfe Schutz beim Gerichte suchte, erreichte zwar damit nicht die volle Genugtuung, erzielte aber doch den positiven Effekt, dass das Gericht deshalb bemüssigt war, den Tatbestand der Auffindung sowie die Person des Einsenders der Handschrift durch seriöse Augenzeugen festzulegen, was auch in einwandfreier Form erreicht wurde. Wir erachten es aber hier als überflüssig, die gerichtlichen Aussagen der verschiedenen Zeugen anzuführen, da sie der nähere Interessent bis zur Hypertrophie aus dem bisherigen Handschriftenstreite entnehmen kann. Nach Hanka’s Tode (1861) stellten sich zwar noch einige weniger beachtete Zweifel ein, bis im J. 1886 gegen die Handschrift die sogenannten »Realisten« der tschechischen Universität in Prag unter Führung der Professoren Joh. Gebauer und Thomas Masa-ryk, des heutigen Präsidenten der tschechoslowakischen Republik, eine Art Generalangriff vorgenommen haben, mit der positiven Behauptung, dass sie gefälscht bzw. unterschoben sei. Man bediente sich dabei einer genialen, geradezu überfallsartigen Taktik, was zugleich zur Folge hatte, dass eine nachhaltige Verteidigung daraufhin vollkommen versagte, als ein alarmierender Fälschungsbeweis dem anderen folgte, die jedoch, wie sich jetzt herausstellt, alles nur Vermutungen waren. Hiebei kam den Angreifern namentlich auch der Umstand zugute, dass das ungewöhnliche Aussehen der Schrift an sich schon auffiel, weil etwas Ähnliches bisher noch nicht bekannt war. Vertrauen erweckend war auch die mysteriöse Art der Einsendung durchaus nicht, und die vielen sprachlich unentwirrbaren Stellen mussten überdies jedermann darin bestärken, dass hier zum mindesten etwas Abnormes vorliegt, was vorerst doch noch einer nüchternen Aufklärung bedarf. Zu alledem kam noch der sonderbare Zufall, dass gerade damals von tschechischer Seite selbst der erste Schritt gegen die Aberkennung der Echtheit der beiden Handschriften unternommen wurde, als die Wiener Regierung eben nach Mitteln suchte, im tschechischen Volke, dessen sich eine ungeahnte nationale Begeisterung über die glückliche Auffindung der beiden Handschriften bemächtigte, diese weitgehendst abzukühlen, was auf diesem Wege auch unerwartet rasch erreicht wurde. Hiebei sollte auch der Verfasser miteinbezogen werden, denn als er im J. 1911 eben in Prag die Handschrift eingehender studierte, wurde er von einwandfrei patriotischen tschechischen Männern geradezu beschworen, als er sich auf das entschiedenste aussprach, dass jene Handschrift nur echt sein könne, dies unter keiner Bedingung laut zu äussern, denn sie ist: »a 1 s eine notorische Fälschung längst erkannt und als solche für alle Zeiten abgetan!« Nichtsdestoweniger wurde gerade hier erneuert der Beweis erbracht, dass jede Majorität mit einer Stimme beginnt, denn gerade jene Mystifikation war es, die mich dazu aufmunterte noch im gleichen Jahre die »Rehabilitationsschrift« zu veröffentlichen, in der alle Anwürfe gegen die Echtheit sachlich aufgeklärt bezw. als auf falschen Prämissen fussend zurückgewiesen wurden, doch war damals für eine allgemeine Ernüchterung noch kein tieferes Verständnis zu erzielen, weil der Verruf von der Fälschung schon zu weite Kreise erfasst hatte. Seither gingen über zwanzig Jahre nutzlos und unter fortgesetzten Plänkeleien vor sich, die die Klärung des wahren Sachverhaltes um keinen Schritt vorwärts brachten. Erst im J. 1930, als sich die Pression der grossen Öffentlichkeit immer intensiver dahin auszuwirken begann, dass die tschechische Akademie der Wissenschaften zu dem nun schon über hundert Jahre währenden Streite um unsere Handschrift endlich auch eine Stellung nehme, da veröffentlichte sie die dokumentierten Photographien, unserer, wie auch jener der Königinhofer Handschrift, aus denen allerdings kein Zweifel mehr hervorging, dass die Originaltexte echt sind, dochte fügte sie dem noch immer eine Sammlung von »Poznamky« (^Anmerkungen) von ungefähr 800 Begriffen bei, die angeblich noch immer linguistisch nicht genügend geklärt sind, daher sie sich, ehe nicht auch diese bereinigt sind, noch nicht zur offenen Echtheitserklärung entschliessen könne. Tatsächlich bedeuten aber diese »Poznamky« einen schweren wissenschaftlichen Missgriff, denn in dieser Schrift, die dem Prof. V. Flajshans zur Ausführung überantwortet wurde, folgt ein sprach-genetischer Fehler dem anderen und mussten diese vom Verfasser in einer eigenen Schrift: »Abschluss des tschechischen Streites um die Handschriften« (Brno, 1933) kurz dahin zurückgewiesen werden, wonach alle darin aufgezählten Belege für die Fälschung lediglich auf Trugschlüssen, Anachronismen und äusserst mangelhafter Sprachforschung beruhen, denn gerade auf diesem Fehlerwege ist es für alle Zeiten ausgeschlossen den Beweis für die Fälschung je zu erbringen. Die Akademie selbst hat zwar den fatalen Missgriff bei der Wahl ihres Mandatars bisher noch nicht offen zugegeben, doch bedarf die grosse Welt hiezu keines höheren Mentors, wonach eine Handschrift nicht im J. 1818 gefälscht wordenseinkann, dieschonim4. Jahrhunderten. Chr. urkundlich bekannt war. Dass es aber nicht gleich damals schon zu einer offenen Erklärung kam, dies heischten gewisse persönliche Rücksichten, für die aber die Zukunft kaum ein weiteres Verständnis aufbringen wird. Kulturgeschichtliche Daten. Die Handschrift besteht aus zwei inhaltlich lose zusammenhängenden Oedichtfragmenten, denen beiden der Schluss fehlt. Das erste Bruchstück zählt nur 9 Verse und spielt dessen Inhalt lediglich auf allgemeine Satzungen der eigenen sozialen Organisation in Böhmen an. Im zweiten Gedichte (Vers 1—112) wird hingegen ein Erbfolgestreit um die Herrschaft in Böhmen behandelt, dessen Ausgang aber ungeklärt bleibt, weil im kritischen Momente der Text abbricht. Als Versmass ist hiebei der fünffüssige Trochäus der südslawischen Epik angewendet. Als Alphabet wird hier das lateinische verwertet, das die gleichen Schrifttypen in Majuskelschrift (s. Illustration) zur Schau trägt, wie sie sich in altlateinischen Handschriften bereits vom 4. vor- bis zum 5. nachchristlichen Jahrhundert vorfinden und erinnert unsere Handschrift überdies äusserlich stark an die aus dem 5. Jahrhunderte stammende Ulfila-Bibel, mit der sie sogar drei vollkommen konforme Buchstaben (e,h,n) gemein hat. Was die Rechtschreibung betrifft, zählt sie zusammen 19 Laute, die aber verschiedene Bewertung haben, daher vom slawischen Leser verlangen, dass er sie fallweise dem Texte gemäss sprachlich richtig einreiht. Wortkürzungen werden nur vier gebraucht (pra, pro, pri, pre). Eigentliche Initialen finden sich gleichfalls nur vier vor, doch enthält die Handschrift auch eine Menge roter Anfangsbuchstaben, jedoch ohne eine fühlbare Regelmässigkeit. Alle diakritischen Zeichen sind aus der Schrift ausgeschieden. Das »g« ist noch in keinem Falle durch »h« ersetzt. Ansonsten ist unsere Handschrift an eine paläographische Eigenart gebunden, die wir sonst nur bei althebräischen gottesdienstlichen Handschriften vorfinden, die oft förmliche Mosaikbilder der Texte darstellen; diese sind: a) es darf kein Buchstabe den benachbarten berühren; b) die Schrift gilt nur dann als authentisch, wenn sich in ihr kein Fehler und keine Rasur befindet. Der Bedingung ad a) entspricht unsere Handschrift, da sich dies schon im allgemeinen mit unbewaffnetem Auge — bis auf einige stärker beschmutzte oder verblasste Stellen — sicher festlegen lässt. Desgleichen muss das Original als fehler- und rasurenfrei angesehen werden, sobald folgendes aufgeklärt erscheint. Im Verse 105 musste der eigenmächtige autographische Zusatz Hankas »krutu«, der dieses Wort zeitlebens als für das Verstehen jener Stelle für unentbehrlich hielt, belassen werden, da er ober dem Texte »zu« als Miniatur mit Tinte eingefügt ist, das eigentliche Original aber unberührt lässt. Im Verse 49 befindet sich eine derb zerstörte Stelle, die aber zweifellos nur den Text »u niei ste« ursprünglich enthalten haben kann, da sowohl der logische Zusammenhang des Inhalts wie auch die Zahl der dort unterzubringenden Laute diesem Texte entspricht. Man wäre vorerst geneigt, diese exotische Berichtigung, die später sogar seitens der Realisten die Verulkung erlebte, wonach hier ein »V. Hanka fecit« verborgen liege, einem Pedanten zuzuschreiben, der über die Richtigkeit des Duals hier im Zweifel war, daher sich bemüssigt fühlte, diese zu berichtigen, um den Text fehlerlos zu gestalten, dabei aber selbst gründlich fehlgriff. Auf diese Vermutung verfiel der Verfasser deshalb, weil er wusste, dass sich alle Ausleger dieser Stelle bis zum J. 1911 über den dort angewendeten Dual tatsächlich keinen Rat wussten. Im Verse 45—46 fällt der Dichter plötzlich aus dem normalen Versmasse (»procni stupi rozenia die svego«), weil ihm die Stelle augenscheinlich zu prosaisch für den Beibehalt des angewendeten Versmasses dünkte, was man namentlich in altindischen Dichtungen wiederholt antrifft. Eine weitere Abnormität, die bisher selbst bei sehr alten Handschriften noch nicht beobachtet wurde, besteht hier darin, dass die Anfangsbuchstaben der einzelnen Wörter mit roten rechtsgerichteten Schattenstrichen versehen sind und zweifellos als Worttrennungszeichen dienten, doch befleissigt sich der Rubrikator auch hier keiner Konsequenz, denn einmal versieht er mehrsilbige Worte, wie z. B. »bratroma, suditi, moje« mit zwei Trennungsstrichen, ein andermal vergisst er aber auch einem einsilbigen den Schattenstrich zuzusetzen, vorausgesetzt, dass dies nicht dem Einflüsse der Sonne zuzuschreiben ist. Hiemit erscheint die paläographische Eigenart dieser alten Efandschrift insoweit nach jeder Richtung aufgeklärt, soweit wir heute eben noch darüber Bescheid wissen. — Nachdem aber unsere Dichtung bisher ausschliesslich als »abgetane Fälschung« angesehen wurde, konnte deren tiefere Würdigung in kultureller wie ästhetischer Richtung, wozu sie ansonst wohl jedermann herausfordern müsste, auch zu keiner gründlichen kritischen Überprüfung gelangen, daher wir dieses Versäumnis nun anschliessend auch noch in dieser Richtung gutmachen wollen. Der hier vorliegende epische Stoff behandelt, wie nahezu alle epischen Volksdichtungen, den Ruhm des eigenen Fürstengeschlechtes und die Erinnerung an die Heldentaten des heimischen Ades als Hauptthema, gehört demnach seinem äusseren Charakter nach einer adeligen Standespoesie an. Sehen wir aber unsere Dichtung selbst als ein Gebilde der Sage an, so dürfen uns deren historische Bestandteile doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns dabei in ständig umrissenen Linien der Wirklichkeit bewegen, d. h. in der erzählenden Geschichte, wobei auch alle Mystik ferngehalten ist, denn ausser den »ewiglebenden Göttern« erfahren wir hier nur, dass die Handlung vom Christentum noch völlig unbeeinflusst dasteht, obschon eine Begegnung mit dem Christentum bei ihrem Alter in dieser Zeit auch nicht als direkt ausgeschlossen angenommen werden dürfte. Es liegt hier lediglich eine zyklische Vereinigung kleiner Episoden vor, daher sich hier auch keine zusammenhängende Heldensage herausbilden konnte, wie dies auch bei der Ilias, der indischen Mahabharata oder den altdeutschen Sagenstoffen nicht der Fall ist. Hier ist mit der Schilderung des Bruderzwistes, der die Einberufung des Landtages notwendig macht und den Verzicht Lubusa’s auf den Thron abschliesst bereits der Höhepunkt der Tragik überschritten. Hingegen müssen unsere besondere Aufmerksamkeit noch andere Momente fesseln. Hiezu gehört einerseits die bewunderungswürdige Tiefe der Gedanken und die überlegene Meisterung aller Register der Sprache, andererseits aber auch die scharfe Beob- achtung der Natur, der landschaftlichen Szenerie sowie die grosszügige geographische Orientierung des Dichters. Nicht minder muss uns auch die sich selbstbeherrschende Kraft der Männer auffallen, die selbst im Augenblicke des höchsten Affektes ruhiges Blut bewahren und dabei nicht im geringsten die Grenzen des natürlichen Taktes überschreiten, denn auch Hrudos sagt Lubusa in seiner Aufwallung nichts, was nicht als gangbare Ansicht im sozialen Leben unter freien Männern Gültigkeit hätte, denn im gleichen Momente, als in einem anderen Falle, wie z. B. im Nibelungenliede, alle Bewaffneten vom Leder gezogen hätten, obsiegt doch Edelmut und ein hoher ritterlicher Sinn über die geschaffene kritische Situation. Völlig unfassbar erscheint uns aber heute die Tatsache, wie man im J. 1886 die positive Behauptung aufstellen konnte, dass das tschechische Altertum keinen Burgenbau, daher auch keinen Adel im gangbaren Sinne kannte. Stehen sie doch als feste Bollwerke oder doch als Ruinen der alten Landesverteidigung noch heute jedermann sichtbar im offenen Lande da, und für einen wohlorganisierten Adel in Böhmen gibt uns das Zeugnis jener Landtag, der sogar im schroffen Gegensätze zu den deutschen Verhältnissen steht, denn hier sind alle Adeligen schreibkundig, was bekanntlich beim deutschmittelalterlichen eher als Ausnahme galt. Solche grundlose Behauptungen machen aber eher den Eindruck, als hätte den Inhalt unserer Dichtung, namentlich seither sie mit Dobrovsky’s Bannflüche belegt war, nimand mehr zu überprüfen gewagt, denn sonst hätte man es unmöglich übersehen können, dass auch die Tschechen, analog wie die Russen, eigene »rodoslovnija« und »rozrjadnija knigi« (Genealogien und Adelsranglisten) geführt haben müssen, was doch aus dem Epos selbst klar hervorgeht, wo sich die Adeligen einzeln, d. i. jeder für sich, nach ihrem Geburtsrange gruppieren, ehe sie vor die Fürstin treten. Wenn aber dieser Handschrift je ein solches unwürdiges Schicksal zuteil werden konnte, so ist hiefür darin vor allem die Schuld zu suchen, dass sich seit dem J. 1818 seitens der tschechischen Intelligenz niemand eingehender um sie kümmerte und dürfen wir bei diesem Epos, das uns bei tieferem Eindringen in dessen Geheimnisse wie eine herrliche Choralmelodie einer alten, niemals wiederkehrenden gemütsreichen Menschheit anmutet, nur das Befremden aussprechen, dass es die später eingetretenen Verhältnisse sogar n soweit brachten, dass man schliesslich den Inhalt der Dichtung der reiferen Jugend nationalpädagogisch fernzuhalten begann. — Eben so kann über deren heutiges Alter nur im allgemeinen gesprochen werden. Wir wissen zwar, dass sie schon mindestens tausend Jahre alt ist, wofür das grüne Äussere der Schrift untrüglich spricht, doch die weitere Zeitdatierung ist uns dabei doch vorenthalten. Eine zeitliche Ergänzung könnte uns allenthalben auch die Erfahrung bringen, wenn wir wüssten, welche äusserste Zeit das Pergament dem eigenen Verfalle trotzt, doch hat bisher auch in dieser Frage kaum noch jemand welche verlässliche Beobachtungen gemacht. Desgleichen wissen wir wohl, dass es in alter Zeit in Böhmen eine überaus hohe Kultur gegeben haben muss, denn wir stossen dabei schon auf das Vorhandensein von geschriebenen Gesetzen, auf ein eingelebtes Hof- und Gerichtszeremoniell, und hören von grossen Wehr- und Profanbauten, doch alles derlei kann uns noch in keiner Richtung etwas Konkretes bieten. Hingegen verfügen wir über zahlreiche chronographische Daten, die sich uns aus verschiedenen Jahrhunderten erhalten haben; hiezu gehören: a) als ihr unterstes datiertes Alter darf das J. 1125, d. i. das Todesjahr des tschechischen Chronisten Cosmas angenommen werden, was logisch daraus hervorgeht, dass er die beiden Textverse 105-—106 schon persönlich gekannt haben muss, denn in seiner »Chronica Boemorum« schildert er die gleiche Szene, die sich auf jenem Landtage abspielte, wie ihn auch die Handschrift darstellt, begeht aber genau denselben Lesefehler bei der Stelle, wie später Hanka und alle ihm blind folgenden Interpreten volle 800 Jahre nachher, die beim Lesen jener Stelle fälschlich »zu« ebenso mit »žele« verbanden, daher schliesslich ein »železo« lasen und daraufhin von »Eisenstäben« (virgo ferrea) zu phantasieren begannen, sowie sie sich auch mit dem hier fehlerhaft angebrachten Vorworte »po« keinen Rat wussten, weil er sprachwidrig eingestellt war und dabei auch das fehlende Prädikat »zu« übersahen. Jene Handschrift muss demnach schon damals mit genau demselben Texte existiert haben, doch nahmen sowohl Cosmas wie Hanka darin nicht den Widersinn wahr, weil beiden als Tschechen das Wort »železo« geläufiger war als der Begriff »žele« in der Bedeutung »Wunsch«, das der Tscheche überhaupt nicht kennt, daher es a priori ein Missgriff war, in der Fälschung einen modernen Tschechen zu vermuten! Überdies ist es natürlich ausgeschlossen, dass zwei zeitlich über 700 Jahre von einander getrennte Leser hier nicht den vollkommen gleichen und dabei noch höchst exotischen Gegenstand gelesen haben können, und kann aus allem nur gefolgert werden, dass es Cosmas selbst war, der mit seiner falschen Ausdeutung Hanka suggestiv zur gleichen Lesung verführte, weil sich letzterer anticipando an die ältere Quelle auch als die richtigere hielt, was uns nun in dieser Streitfrage gut zustatten kommt, denn so erfahren wir, dass der gleiche Text schon Cosmas bekannt war, demnach der heutige auch unmöglich erst als ein Erzeugnis Hanka’s aus dem J. 1817 angesehen werden kann; b) eine Zeitbegrenzung ergibt allenthalben auch die Tatsache, dass der Kronrat Svatoslav von Lubice auf den Landtag berufen wird, welche Burg aber schon im J. 995 zerstört war, daher wir die Existenz dieser Handschrift schon vor das J. 994 n. Chr. ansetzen dürfen; c) die Gegner stiessen sich auch fortgesetzt an das Wort »tetva«, das sie als eine »Erfindung« Hanka’s erklärten, da es angeblich in der ganzen Weltliteratur unauffindbar sei, was aber eine arge Übertreibung war, denn sie haben sich diesbezüglich nicht einmal im nächstliegenden polnischen Wörterbuche darnach umgesehen und noch weniger in den ferner gelegenen, denn der Verfasser fand schon im J. 1911 das Wort in Orgelbrand’s Wörterbuche (Wilna, 1861), der es wieder aus einem weit älteren polnischen Lexikon heraushob. Ein weiterer Beleg wurde im J. 1933 auch noch in der »Chronica Saxonica« zum J. 854 vorgefunden, demnach unsere Handschrift schon mindestens bis zu diesem Jahre schriftlich beglaubigt ist; d) sie ist weiter auch noch bis zum J. 407 n. Chr. durch die glagolitische Handschrift des hl. Hieronymus erwiesen, denn in dieser wurden im J. 1933 mehrere Begriffe aufgefunden, wie: »iskati, naricaje, trut, unie«, die die Gegner auch fortgesetzt als literarisch unbekannt erklärten; e) ein noch älterer Beleg wurde überdies auch schon im J. 1916 im sogenannten Eusebius-Fragment in Lwow entdeckt, wo uns das Wort »sira zori« (= Morgenröte) erhalten ist, das in einer Be-■schreibung von altslowenischen Märtyrerakten, die der um das J. 340 n. Chr. verstorbene Kirchenschriitsteller Eusebius von Casa-rea verfasst haben soll, das aber in der slawischen Literaturgeschichte bisher völlig unbeachtet geblieben ist. Wir verfügen daher über die oberste Existenzgrenze unserer Handschrift bereits über zwei, nahezu gleich alte Belege, d i e beide über das vierte nachchristliche Jahrhundert hinausreichen, und alle indes aufgelaufenen Zeitkalkulationen zu reinen Phantastereien machen. — Schliesslich tritt an uns die ernste Pflicht heran, den Originaltext in einwandfreier Weise festzulegen, der bisher ständig durch einzelne willkürliche Interpolationen und sonstige subjektive Auslegungen korrumpiert war, und dem man später noch eine Menge diakritischer Zeichen anfügte, von denen in der Urschrift keine Spur zu finden ist. Der reine Urtext hat, wie er nunauch in Prof. Dr. Vojtéch’s offizieller, dokumentierter Photographie vorliegt, folgenden Wortlaut, und steht niemandem das Recht zu, daran etwas abzuändern noch zuzu-setzen, wie es namentlich Hanka seinerzeit praktizierte. Faksimile der 8. (letzten) Seite der Grünberger Handschrift in Originalgröße »Aj, Vletavo, če mutiši vodu, če mutiši vodu strebropenu, za te luta rozvlajaše bura, sesipavši tuču šira neba, oplakavši glavi gor zelenih, viplakavši zlatopiesku glinu? »Kako bih jaz vodi nemutila, kegdi se vadita rodna bratri.« Vadita se kruto mezu sobu, luti Hrudoš na Otave krive, na Otave krive zlatonosne, Štaglav hraber na Radbuze hladne, oba bratri, oba klenovica, 15 roda stara tetvi Popelova, jenže pride s pleki s Čehovimi v seže žirne vlasti preš tri reki. — Prileteše družna vlastovica, prileteše ot Otavi krivi, 20 sede na okenco rozložito, v Lubušine otne zlate sedle, sedle otne, svete Višegrade, beduje i naricaje mutno. Kdi se sliše jeju rodna sestra, 25 rodna sestra v Lubušine dvore, sprosi knežnu utr Višegrade na popravo ustaviti pravdu i pogntti bratri jeja oba i suditi ima po zakonu. — 30 Kaže knežna vipraviti posli po Svatibor ot Lubice bele, ideže su dubrovini une, po Lutobor s Dobroslavska hlmca ideže Orliču Labe pie, 35 po Ratibor ot gor Krekonoši, ideže trut pogubi san lutu, po Radovan ot Kamena mosta, po Jarožir ot bred vletorečnih, po Strezibor ot Sazavi ladni, 40 po Samorod se Mže srebronosne, po vse kmeti, lehi i vladiki i po Hrudoš i po Štaglav bratri rozvadema o dedini otne. — 45 Kda se snehu lesi i vladiki v Višegrade, prokni stupi rozenia dle svego, stupi knežna v belestvuce rize stupi na stol oten v slavne sneme. Dve veglasne deve viučene veščbam vitcovim, 50 u jednej su deski pravdodatne, u vtorej meč krivdi karajuci, protiv ima plamen pravdozvesten i pod nima svatocudna voda. Poče knežna s otna zlata stola: 55 Moji kmete, lesi i vladiki! Se bratromi rozrešite pravdu, jaže vadita se o dedini 0 dedini otne mezu sobu. Po zakonu vekožiznih bogov ■60 budeta im oba v jedno vlasti, či se razdelita rovnu meru. — Moji kmete, lesi i vladiki, rozrešite moje vipovedi. budeteli u vas po razumu? 65 Nebudete’l u vas po razumu, ustavite ima novi nalez, kibi smeril rozvadena bratri. Klanehu se lesi i vladiki 1 počehu tiho govoriti, 70 govoriti tiho mezu sobu, i hvaliti vipovedi jeje. Vsta Lutobor s Dobroslavska hlmca je se tako slovo govoriti: »Slavna knežno s otna zlata stola! 75 Vipovedi rozmislehom, seber glasi po narodu svemu! I sebraste glasi deve sudne, sberaste je u osudie svate i daste je lehom provolati. 80 Vsta Radovan ot Kamena mosta, je se glasi čislem pregledati i večinu provolati v narod, v narod krosuzeniu na snem sboren. »Oba rodna bratri klenovica, 85 roda stara tetvi Popelova, jenže pride s pleki s Čehovimi v seže žime vlasti preš tri reki: smirita se tako o dedini: budeta im oba v jedno vlasti! — 90 Vstanu Hrudoš ot Otavi krivi, zleč se jemu rozli po utrobe, trasehu se lutostu vši udi, mahnu ruko zrve jarim turem: »Gore ptencem, k nimže zrni ja vnori, 95 gore mužem, imže žena vlade; mužu vlasti mužem zapodobno, prevencu dedinu dati pravda. Sta Lubuša s otna zlata stola, vece: »Kmete, lesi i vladiki, slišeste 100 zde poganenie moje, sudte sami po zakonu pravdu, u nebudu vam suditi svadi. Volte muža mezu sobu rovna, ki bi vladi vam po žele, 105 devčie ruka na vi k vlade slaba. Vsta Ratibor ot gor Krekonoši je se tako slovo govoriti: »Nehvalno nam v Nemcih iskati pravdu, u nas pravda po zakonu svatu, 110 juže prinesehu otci naši v seže . . . Vsak ot svej čeledi voje vodi, mužic pažu, ženi rubi stroja, I umreli glava čeledina 115 deti vse tu zbožiem v jednu vladu vladiku si z roda viberuce, ki plezne dle v snemi slavni hodi, hodi s kmetmi, lehi i vladikami. — Vstanu kmete, lesi i vladiki 120 pohvalihu pravdu po zakonu.«-------- Schliesslich stehen wir am Ende einer Frage, für die wir vorerst keine brauchbare Lösung wissen, da sich diese Dichtung in kein bestimmtes Sprachfach einreihen lässt. Man behauptete bisher zwar nahezu allgemein, dass sie, so weit man sie nicht überhaupt als Fälschungmärchen abtat, dass hier die alttschechische Sprache als grundlegend anzusehen sei, was sich aber später als eine schwere sprachgenetische Verfehlung herausstellte, als man erkannte, das sie geradezu kein Wort enthält, dass als ein spezifisch tschechisches Sprachgut bezeichnet werden könnte, und wobei einige tschechische Slawisten noch weiter abirrten, die darin ein Neutschechisch entdeckt haben wollten, was bereits sprachlich das pathologische Gebiet streifte. Man versuchte es weiter, auch die angewendete Sprache kurzweg als Altslowenisch im Sinne der Klassifikation Miklosich’s hinzustellen, doch hat sich hiezu von allen in seinem »Lexicon pa-laeoslovenicum« auf S. V—XXI angeführten, etwa 450 Stück zählenden Handschriften auch kein Paradigma als hiezu vollbrauchbar erwiesen, obschon niemand im Zweifel ist, dass alle slawischen Sprachen automatisch ähnlicher werden, je weiter wir sie alteraufwärts verfolgen. Es bleibt daher hier nur übrig, den gordischen Knoten schonungslos durchzuhauen und geradewegs zu bekennen, dass die gesuchte Sprache der Grünberger Handschrift am zutreffendsten nur als die »indische« bezeichnet werden darf, d. i. a 1 s d i e S p r a-che jener Slowenen von heute, die ihr heutiges Wohngebiet in ihren alten Volksliedern als »Indija« bezeichnen, die sich in ihren altslowenischen Chroniken der Biblischen Völkertafel als »Indijane« eingruppierten, von den Römern gelegentlich als »Indi« angeführt erscheinen, von den Aegyptern als »Indi« (oder »Inti«) gekannt wurden, da sie mit ihnen Kriege führten, deren Land die altdeutschen Epen nur als »India« kennen, die von den Deutschen seit vielen Jahrhunderten nur als die »Winden«, also als jenes Volk, das man ethnologisch seit den ältesten Zeiten nur als das »indische« kannte, und das Safafik in seinen »Staroslovanske starozitnosti« (S, II, 8) gleichfalls noch als »Indi« anführt. Der nun 118 jährige, mitunter leidenschaftlich geführte Streit um jene Handschrift, die bisher auch niemand als ausschliessliches Eigentum anerkennen wollte oder konnte, darf aber nun auch als beendet angesehen werden, denn das vielbefehdete Literardenkmal ist schliesslich sprachlich als uraltes Kulturerbe den Slowenen von selbst in den Schoss gefallen, weil man in letzter Stunde doch erkannte, dass hier die indo-slowenische Sprache mit ihrem immensen Wortreichtum dabei nur die führende Rolle gespielt haben kann, und wobei die Existenz jener Handschrift schon mindestens um das Jahr 400 n. Chr. zeitlich eingereiht werden darf, wovon aber das slowenische Volk als der glückliche Besitzer jenes Literaturschatzes bis zum heutigen Tage keine Ahnung hatte. Über die Tatsache jedoch, dass hier alttschechische heimatkundliche Verhältnisse nicht unbeachtet bleiben dürfen, kann einstweilen nicht ausführlicher gesprochen werden, um nicht den Zündstoff eines erneuerten Zwistes anzufachen, da hier noch immer ein alter Antagonismus zwischen den »Nemci« und »Cehi« seit unergründlichen Zeiten in der Luft liegen muss, und man auch nicht weiss, welche Völker die alten Römer als »Nemeti« bezeichneten und noch weniger, welche als »Nemci«, und wird sich auch kaum je mehr ein Aeropag finden, der letzten Endes in die strittige Sache noch entscheidend eingreifen könnte. Hingegen dürfen wir hoffen, dass die seriöse Sprachwissenschaft, wenn sie je wieder diese Wege betritt, aus unserer Handschrift noch ein mächtiges Bergwerk erstehen lassen kann, sobald einmal die dermalen vollkommen auf Irrwegen wandelnde konstruktive Slawistik zur Ernüchterung zurückkehrt, wonach die wahre Vergangenheit der Altslawen durchaus nicht jene ist, die die falschen Propheten von heute als solche hingestellt wissen möchten, sondern jene, die wir schon als uralt kennen, deren letzte Geheimnisse aber im Buche mit den sieben Siegeln noch immer nicht beim letzten angelangt sind! — Der genaue Text der Handschrift für den deutschen Leser lautet: Ai, Moldau, was trübst du dein Wasser, was trübst du dein Wasser, das silberschäumige? Hat dich ein wilder Sturmwind aufgepeitscht, ausschüttend den Guss des weiten Himmels, 5 abspülend die grünen Bergesgipfel, ausspülend den goldigsandigen Ton? — 10 15 20 25 30 35 40 45 »Wie soll ich mein Wasser nicht trüben, wenn hadern zwei leibliche Brüder, leibliche Brüder ums väterliche Erbe, der wilde Hrudos an der sich schlängelnden Otawa, an der sich schlängelnden Otawa, der goldführenden, und der tapfere Staglav, an der kühlen Radbusa, beide Brüder, beide Kienssöhne, des alten Stammes der Dynastie Popel’s, der da kam mit seinen Tschechen-Regimentern über drei Flüsse in dieses fruchtbare Land! — Da kam eine gesellige Schwalbe geflogen, geflogen von der sich schlängelnden Otawa, setzt sich ans geöffnete Fenster in Lubusa’s goldenem väterlichen Sitze, dem väterlichen Sitze, dem heiligen Vysegrad, und jammert und wehklagt traurig. Als dies vernimmt die leibliche Schwester, die leibliche Schwester am Hofe Lubusa’s, erbittet sie die Fürstin im Vysegrad, dem Rechte zu verschaffen die Geltung, und vorzuladen beide ihre Brüder und ihnen Recht zu sprechen nach dem Gesetze Boten auszusenden befahl nun die Fürstin: um Sutoslav von der weissen Lubica, wo mächtige Eichenhaine stehen, um Lutobor vom Dobroslavsky chlemec, wo die Elbe von der Adler trinkt, um Ratibor vom Riesengebirge, wo der Held den grimmen Drachen erschlug, um Radovan von der Steinbrücke, um Jazozir von den hürdenreichen Breda’s, um Strezibor von der lieblichen Sazava, um Samorod von der silberführenden Mies, um alle Kmeten, Lechen und Vladika’s und auch um die Brüder Hrudos und Staglav, die ob des väterlichen Erbes entzweiten. — Als die Lechen und Vladika’s beisammen waren auf dem Vysegrad, trat jeder einzeln seinem Geburtsrange vor. Die Fürstin tritt vor im weissschimmernden Gewände und besteigt den Thron derVäter in der hohen Versammlung. Bei ihr sind zwei weise Jungfrauen, vertraut mit ritterlichen Gebräuchen. 50 Die eine hält die Tafeln des Gesetzes, die andere das Schwert, das Unrecht strafende, beiden gegenüber die Recht kündende Flamme, unter ihnen das heilige Wunderwasser. Die Fürstin beginnt vom goldenen Throne der Väter: 55 »Meine Kmeten, Lechen und Vladika’s, entscheidet hier über das Recht den Brüdern, die da streiten um das väterliche Erbe! Nach dem Gesetze der ewiglebenden Götter, sollen sie beide gemeinsam regieren, 60 oder sich teilen in gleichem Masse. Meine Kmeten, Lechen und Vladika’s, entscheidet über meine Vorschläge, wenn sie eurer Auffassung entsprechen; entsprechen sie nicht eurer Auffassung, so bietet ihnen eine neue Lösung, 65 die die entzweiten Brüder versöhne! — Es verbeugen sich die Lechen und Vladika’s, und beginnen leise zu sprechen, leise zu sprechen untereinander und deren Vorschläge zu billigen. — 70 Da tritt vor Lutobor von Dobroslavsky chlemec, und beginnt folgende Worte zu sprechen: »Erlauchte Fürstin vom goldenen Throne der Väter: Deine Vorschläge haben wir erwogen; sammle die Stimmen von deinem Volke! 75 Es sammelten diese die zwei Losjungfrauen, legten sie in eine geheiligte Urne und reichten sie den Lechen zum Ausrufen. Da erhob sich Radovan von der Steinbrücke und begann die Stimmen zu überprüfen, 80 und den Volksbeschluss dem Volke zu verkünden, dem zur Entscheidung am Landtag versammelten. »Ihr beide, leibliche Brüder, beide Kienssöhne, des alten Stammes der Dynastie Popel’s, der da kam mit seinen Tschechen-Regimentern, 85 über drei Flüsse in dieses fruchtbare Land, gleicht euch folgend über das Erbe aus: Beide sollt gemeinsam darüber herrschen! Da erhebt sich Hrudos von der sich schlängelnden Otawa, die Galle ergoss sich ihm über das Eingeweide, 90 ihm bebten vor Zorn alle Glieder; er hebt den Arm und brüllt wie ein gereizter Ur: »Weh’ jungen Vögeln, zu denen sich eine Schlange verirrt, wehe Männern, denen ein Weib gebietet! Dem Manne ziemt es über Männer zu herrschen; 95 rechtens ist’s dem Erstgeborenen das Erbe zu geben! Stehend spricht Lubusa vom väterlichen goldenen Throne: Kmeten, Lechen und Vladika’s, ihr habt meine Beschimpfung vernommen! 100 Sprecht nun selbst das Recht nach dem Gesetze, Wählet unter euch einen ebenbürtigen Mann, der euch nach Wunsch regieren möge, zu schwach sind Mädchenhände euch zu lenken! — 105 Da stand auf Ratibor vom Riesengebirge und begann folgende Worte zu sprechen: »Unlöblich wäre es bei den Deutschen das Recht zu suchen, es besteht bei uns das Recht nach dem heiligen Gesetze, welches unsere Väter brachten in dieses ... 110 Jeder Älteste führt die Kämpfer seiner Sippe, die Männer stählen sich,dieFrauen besorgen die Wirtschaft. Und stirbt einmal das Haupt der Sippe, so wählen sich alle Kinder einträchtig zu einer Leitung einen Vladika aus dem Stamme, 115 der weiter fürsorglich an den rühmlichen Beratungen teilnimmt mit den Kmeten, Lechen und Vladika’s. — Es erheben sich die Kmeten, Lechen und Vladika’s und billigen das Recht nach dem Gesetze. — Namen- und Sacherklärungen. Breda: Hochweiden. Wahrscheinlich kein Eigen-, sondern nur ein Gattungsname. Dobroslavsky chlemec, ältester Name von Königgrätz. Kameny most: Steinerne Brücke im Bez. Schlan (Slany), schon im J. 1057 bekannt. K 1 e n o v i c, der Sohn eines »Kien« (dem Hochadel Angehörigen).. K m e t: etwa Regierungsrat. Lech: etwa gleichbedeutend mit Bezirkshauptmann. L u b i c e: einstige Burg an der Cidlina bei Podebrady. Mze: Mies, linker Nebenfluss der Moldau. Nemci: die Deutschen im heutigen Sinne, hier antagonistisch erfasst. O r 1 i c a: Adler, linker Nebenfluss der Elbe. P o p i e 1: sagenhafte Dynastie in Polen. Pres tri reki: unklare geographische Bezeichnung, worunter man die Weichsel, die Oder und die Elbe verstehen wollte, jedoch alle ohne konkrete Begründung. R a d b u z a: Nebenfluss der Mies. Tetva: alte, schon der heidnischen Zeit entstammende polnische Bezeichnung für: Dynastie. Trut: der Wächter. In den nordischen Sprachen: trutin, trutar, in der Bedeutung: Herr, König, Krieger. Tschechenscharen. Dass dieser Name auf den Stammvater »Cech« anspielt, wird allgemein angenommen. Vladika: etwa Sippenführer in polit. wie religiöser Richtung. Vysegrad: alte Hochburg in Prag.