Allslavische Münzen. Fig. 1 a) (»en cekin«). Fig. 1 b) (*en cekin«). Fig. 1 („Rusov kouna«) Fig. 8 (»litav«). P1733 ROSLOVflN Heft 2. M. Zunkovic: Numismatische Etymologie. Ein Beitrag zur altslavischen Münzkun Kremsier, am 15. Juni 1913. ■L/as Gebiet des altslavischen Münzwesens liegt wissenschaftlich noch völlig brach da, denn bis vor kurzem wusste noch niemand etwas darüber, dass es eine beträchtliche Zahl altslavischer Münzen gebe, nachdem diejenigen, die den Schein von solchen boten, gleich als Falsifikate erklärt, diejenigen aber, die man als echt erkannt hat, nicht als siavisch agnosziert wurden. Viele hievon hat man nebstbei von allem Anfänge an falsch gelesen oder interpretiert, und konnten, wenn man sie auch richtig gedeutet hätte, schon deshalb nicht als altslavisch angesehen werden, wenn auch alles dafür sprach, weil dies bei den gangbaren geschichtlichen Voraussetzungen, namentlich der Völkerwanderungshypothese, die Überzeugung nicht aufkommen liess. Überdies half man sich ohne viele Skrupel darüber hinweg, dass man Münzen, die sich in gar keine sprachliche oder ethnographische Gruppe einfügen Hessen, als „barbarische“ bezeich-nete, ohne weiter nachzugrübeln, in welcher Relation diese münzprägenden „Barbaren“ in bezug auf Sprache und Namen zu den bekannten alten oder modernen Völkern stehen. Die in der Schule anerzogene allgemeine Voreingenommenheit, als hätten die Slaven in der weltgeschichtlichen Betätigung nie einen 1 nennenswerten Kultureinfluss geübt, brachte es in natürlicher Folge mit sich, dass man daher auch bei diesen immer von neuem auftauchenden Kulturbelegen die Slaven, als dabei gar nicht in Betracht kommend, gleich ausser Kalkulation liess. Nebstbei konnte man einen reellen Beweis auch deshalb schwer erbringen, weil man den Text der Münzaufschriften gewöhnlich nicht verstand, ihn zumeist schon fehlerhaft las oder aber überhaupt nicht lesen konnte, daher auch die Etymologie nicht orientierend und helfend einzugreifen imstande war. Der Verfasser befasste sich selbst zwar nie mit der Numismatik als Spezialwissenschaft, stiess aber auf den verschiedenen Forschungs- 6 nm gebieten fortgesetzt auf Münzen allslavischer Provenienz; es kann daher das Material für eine „Altslavische Münzkunde“ durchaus nicht so arm und belanglos ausfallen, wenn man schon, nur so vorübergehend, derart zahlreiche und über allen Zweifel echte, konkrete Beweise so leicht findet. Freilich ist jetzt, seit man der Lesemöglichkeit der alten Schriften so nahe gekommen, die elementaren Hindernisse daher aus dem Wege geräumt sind, auch die Feststellung und Deutung eine unvergleichlich sicherere geworden. „En cekin“-Münzen. — Eine der anscheinend ältesten slavischen Münzen dürften jene mit der Aufschrift „en cekin“ (= ein Dukaten) zu sein. Der erste offiziell bekannte Fund von Münzen dieser Art stammt vom Jahre 1796 von Bia, im ungarischen Komitate Feher; derselbe bestand aus 600 römischen Denaren und 80 „barbarischen“ Münzen. Letztere sind offenkundig die älteren und dürfte die ganze Sammlung etwa um das Jahr 50 n. Chr. vergraben worden sein, da die jüngste der römischen Münzen, die übrigens nur in einem Exemplare vorhanden war, sich als jene des Caligula (37—41) erweist. Die Münze „en cekin" beschrieb zuerst C. Michael ä Wiczai i. D. 1814, wie er sie im Museum „Hedervari“ in Budapest gesehen. Er selbst bezeichnete sie als „barbarische“, da ihm die Lesung der Aufschrift, bei aller Mühe, nicht gelingen wollte. — Im Jahre 1838 versuchte Franz Boczek in der Zeitschrift „Moravia“ (Brünn) eine neue Lösung derselben und kam zu dem Resultate, dass dies „sla-vische Goldmünzen, wahrscheinlich aus der Zeit des grossmährischen Reiches“ seien. Er entdeckte in der Schrift das Wort „pegnaze" (böhm. und poln. = Geld) und nahm an, nachdem die Münzen den mazedonischen gleichen, dass sie durch Cyrill und Method nach Mähren gekommen seien, oder von diesen hier nach jenem Muster weitergeprägt wurden, sowie dass die griechischen Buchstaben darauf einen slavischen Text darstellen. Boczek vereinigte nun beide Schriftteile und erhielt daraus „pegnaze“, wozu er allerdings eine Reparatur vorausgehen Hess, indem er den Anlaut |_ um 90° nach rechts umlegte und so das erwünschte | | erhielt. — R. Forrer (Jahr- buch der Gesell, für lothringische Geschichte usw., 1902) glaubt hingegen, es sei dies ein bedeutungsloses Monogramm. Wieder andere schrieben die Schrift dem rätorömischen Geschlechte Caecina zu, und sei auf der Münze der Name ihres Oberhauptes „Ciecinnos, Ciecinus" eingeprägt. Anderseits stellten jedoch Cohen und Babylon fest, dass es bis Ende des I. Jahrh. kein so vornehmes, für das römische Münzwesen massgebendes Geschlecht „Caecina“ gegeben habe, son- dem es sei eher „Caecilia“ zu lesen, aus welchem Geschlechte ein römischer Münzmeisler, namens Aulus Caecilius (um 189 v. Chr.) existier! habe usw., — durchwegs bestgemeinte Vermutungen, die phonetisch der Sache auch nahe kamen, aber jeder natürlichen oder motivierten Basis ferne stehen, denn die rätselhafte Inschrift ist kurz gesagt slavisch; sie lautet „en cekin“, und ist bei Fig. 1 a) (siehe Tafel I) etwa als „en cekinj“, bei Fig. 1 b) „en ciekinj“, bei Fig. 1 c) „en cekin“ zu lesen; die Schlusslaute sind in den dieser Arbeit vorliegenden Darstellungen recht undeutlich, daher entweder ungenau kopiert oder aber schon im Originale schwer leserlich.*) Der Begriff „cekin“ wird bei den Südslaven für die Bezeichnung einer Goldmünze allgemein gebraucht, ebenso nennt sie der Italiener „zechino“, sowie auch der Deutsche früher häufig nach „Zechinen" rechnete. — Geht man nun der Etymologie des „cekin“ weiter nach, so kommt man auf das slavische „sekati" (= schlagen, hauen, hak-ken), daher auch italienisch „zecca“ (= Münzpräge), deutsch „Zeche" (= Bergbaugesellschaft), und benannte man einst jene aus Gold, — mag dies nun Berg- oder Waschgold gewesen sein —, zu Münzen geschlagenen Stücke (man sagt noch immer: Münzen schlagen) „sekin, cekin“; dass „c" und „s“ in den slavischen Schriften oft wechseln, ist jedermann, der die slavischen Alphabete kennt, genügend bekannt. — Es hat daher auch keines dieser alten Münzexemplare dasselbe Gewicht, die gleiche Stärke, noch auch äusserlich eine konsequent gleiche Aufschrift, weil sie wohl einzeln und fallweise, je nach Einlauf des Goldmetalls, erzeugt wurden. — Eine solche Münze ist daher schon sprachlich nichts weiter als ein Stück geschlagenes Gold, also „ein Goldstück“, und gibt es irgendwo eine Münze mit der Aufschrift „en cekin", die nicht aus Gold ist, dann ist diese eher als Falsifikat anzusehen. Übrigens musste bei der Entzifferung gleich von vornherein der Umstand auffallen, dass auf jeder Münze das „en“ getrennt steht und sich in einer anderen Leselage präsentiert, als das folgende „cekin“. Nun wird es auch leichter, den unsinnigen und widerlichen Streit beizulegen, 'den einige böhmische Professoren mit den 18 Goldmünzen des Böhmischen Landesmuseums vom Zaune gebrochen haben, wobei schliesslich wieder Wenzel Hanka als Falsifikator nur deshalb herhalten musste, weil sich die Verleumder weiter gar nicht *) Trotz wiederholter Bemühungen konnte ich bisher leider weder eine solche Originalmünze käuflich erwerben noch auch leihweise zu Studienzwecken erhalten; ich konnte mich daher hiebei nur an Vorgefundene Illustrationen halten. umsahen, ob es nichf doch auch sonstwo oder gar viel früher bekannte Münzen dieser Art gab. Man weiss aber, dass Hanka diese Goldmünzen von einem Taglöhner aus Tremosna (bei Leitomischl), auf welche letzterer beim Ausheben eines Baumstrunkes gestossen ist, für das Landesmuseum erwarb und diesbezüglich auch eine vielseitige Korrespondenz führte. Trotzdem warf man ihm vor, dass er mit dem Worte „pegnaze“ einerseits beweisen wollte, dass die Böhmen schon in älterer Zeit eigene Münzen besassen, und dass er anderseits mit dem Namen „Rastica“ einen heimischen Münzherrn herbeischaffen wollte, denn der grossmährische Fürst Rastislav (846—870) wird in den Fuldaer Annalen in jener Namensform angeführt. — Ob aber in den alten Geschichtsquellen der Name „Rastica“ auch vorkommt, oder sich mit einem ähnlich klingenden Namen deckt, dies heute festzustellen dürfte seine Schwierigkeiten haben, weil die Namensform doch in Zeit und Gebrauch grossen Metamorphosen unterliegen kann. Demnach kann ein „Rastica“ ebenso viele Oahrhunderte v. Chr. regiert haben und hat sonach auch regiert, und ein anderer gleichen Namens ebensoviel Oahrhunderte n. Chr., denn es gibt doch auch Regenten des Namens „Philipp“, die im Altertum, Mittelalter wie in der Neuzeit regierten, und die doch niemand für identisch oder verwechselt hält. Nun steht aber das Wort „pegnaze“ dort überhaupt nicht, denn da müsste der Fälscher auf allen Münzen die Matritze | | kon- sequent verwechselt oder aus Versehen jedesmal auf die nämliche Seite verdreht haben, und solche „Druckfehler" wird auch ein prähistorischer Münzwardein nicht fortgesetzt gemacht haben. Wir wissen aber eben auch, dass solche Münzen bereits i. 0. 17% bekannt waren; Hanka war damals 5 Oahre alt, also gewiss nicht der Fälscher dieser Münzen. Wir haben sonach, falls jemand diejenigen des Landesmuseums in Prag durchaus nicht für echt halten will, doch viel ältere echte gleicher Art, und hiemit ist die moralische wie geschichtliche Integrität dieser Münzen klargestellt.*) Ein weiterer Anhaltspunkt für das Alter der „cekin“-Münzen bietet auch die Figur neben der Inschrift „Rastica“. (S. Fig. 1 c.) Es gibt nämlich mazedonische Münzen, welche dieselbe Gestalt darstellen, aber in unvergleichlich vorgeschrittener Ausführung ; hingegen *) In jüngster Zeit trat wieder Josef Smolik mit der Broschüre »Zlate mince s domnelym opisem »Pegnaze« (»Goldmünzen mit der vermeintlichen Inschrift »Pegnaze«. ■—- Prag 1906) erneuert mit dieser gewissenlosen Verdächtigung gegen Hanka auf, stellte aber hiemit nur seine eigene Unwissenheit als Numismatiker und als Custos der Münzsammlungen des Böhmischen Landesmuseums selbst ins Auslagefenster. trägt die Schrift auf beiderlei Münzen denselben Charakter und dieselbe Technik (s. beigegebene Figur), woraus man mit grosser Berechtigung folgern darf, dass die mazedonische Münze eine bereits verfeinerte slavische, letztere daher als die ältere anzusehen ist. Wir haben es demnach hier mit einer altslavischen Münze zu tun, deren Erzeugung allen ihren Prämissen nach höchstwahrscheinlich in die Ära weit vor die christliche Zeitrechnung zu verlegen ist, und da die beiden mazedonischen Könige des Namens Antigonus, welcher Name doch auf dieser Münze ersichtlich ist, in der zweiten Hälfte des III. vorchristlichen Jahrhun-dertes regierten, kann die Prägungszeit der sla-vischen Münze wohl keine unter das Jahr 300 v. Chr. fallende sein. „Kuna"-Münzen. — „Kuna, kouna, kona, kunica“ bedeutet im Russischen eine Münze von grösserer oder kleinerer Werteinheit, u. zw. stets eine Silbermünze, im Gegenteile zur „en cekin"-Goldmünze. Münzen dieser Art sind dem Verfasser bisher folgende bekannt geworden: a) ein Silber-Brakteat *) (s. Fig. 2 der Tafel 1) mit der Aufschrift „kunic"; b) eine vermutlich noch ältere Münze ist die in Fig. 3 abgebildete. Auf der Vorderseite steht: „mienok (oder „minnok") cunici", also „Wechsel-Kunica“, d. h. Geldmünze; auf der Rückseite wieder „mienok" und ein weiteres schwer leserliches Wort, daher eine sichere Etymologie darüber nicht geboten werden kann.**) — Man glaubt, es sei dies eine Münze des litauischen Königs Mendog (1242— 1263), doch sprechen die Umstände der Auffindung auf das Entschiedenste dagegen. Im Jahre 1826 fand nämlich ein Bauer nächst des Dorfes Ogrodniköw, Kreis Lida, russ. Gouvernement Vilna, drei Arien von Münzen, u. zw. jede in grösserer Zahl vereinigt, in der Erde. Die eine Art hatte keinerlei Aufschrift, scheint dem Wappenschilde nach litauisch zu sein und macht den Eindruck der ältesten Prägung *) »Brakteate« nennt man jene Münzen, die, meist aus dünnem Gold- oder Silberblech, nur einen Stempel tragen; das Bild der Vorderseite repräsentiert sich auf der Rückseite daher nur als Negativum. — **) Da nicht zu erfahren war, wo sich die Münze jetzt befindet, konnte auch keine neue photographische Reproduktion eingeholt werden. Sie ist in Th. Nar-butts Werke »Dzieje starozytne narodu litewskiego«. — Wilna 1835 (Bd. I.) angeführt und so hier wiedergegeben. von allen; die zweite Gruppe bilden römische Münzen des Antoninus Pius (138—168 n. Chr.); die dritte, d. i. die zuerst beschriebene, wäre sonach, wenn König Mendog als deren Münzherr anzusehen wäre, um 1110 Jahre jünger, was höchstunwahrscheinlich ist, denn es müssten da in einer Familie durch 33 Generationen nur Sparmeister gewesen sein, die aber trotzdem zum Schatze keine einzige Münze aus der grossen Interkalarzeit zuführten. Man kann daher mit grosser Berechtigung annehmen, dass jene Münze im II. oder III. Jahrhunderte n. Chr. in Russland kursierte.*) c) „Rusov kouna“. (S. Fig. 4.) Diese stammt aus der Zeit der russischen Fürstin Olga (945—969) und trägt das Bild derselben sowie jenes ihres Sohnes Svjatoslav. Die Münze befindet sich im Museum in Berlin. „Biat"-Münzen. — Münzen mit der Aufschrift „bial“ oder „biatec" werden sehr häufig gefunden und sind meist aus Gold oder doch vergoldetem Silber. Sie sind, wie die Fig. 5 und 6 zeigen, meist von unregelmässiger Form und von plumpem Aussehen; oben sind sie konkav und in dieser Mulde ist die erwähnte Aufschrift angebracht. Der Name selbst (biti, bijati = schlagen) sagt, dass es Münzen, also „Geschlagenes“ sind, was nicht befremdend sein kann, da man ja heute noch immer vom „Schlagen“ der Münzen spricht, und ist der Begriff „Münze“ selbst desselben Ursprunges (lat. „munitus - fest, und „moneta, monetäre“ = prägen, schlagen). — Etwas seltener sind gleiche Münzen mit der Aufschrift „biat“ in runischer Schrift. — Die Numismatik kennt diese Münzen, namentlich wenn sie keinerlei Aufschrift oder dieselbe unerkannt in Runen tragen, als „Regen-bogenschüsselchen“, denn einer skurrilen Sage nach lasse sie der Regenbogen fallen. Die Slaven hingegen bezeichnen sie ziemlich allgemein als „knofliky“ = (Knöpfe), was sehr richtig ist, denn viele dieser Münzen haben rückwärts einen schiefen Einschnitt, in welchen Lederriemchen eingezogen und durch Rückbiegung des Metalles fixiert wurden. Die Münzen selbst sind seinerzeit zweifellos an Gewändern, Ledertaschen („torba“), an Zaum- und Sattelzeugen als Schmuck getragen worden, und werden Riemchenreste oft noch heute — namentlich in Russland — in der Einkerbung vorgefunden. Man trug eben auf diese Art sein Geld mit sich („viaticum" ?), analog wie am Balkan und im Oriente auch das heiratsfähige Mädchen ihre ganze Mitgift in Münzen im Sonntagsstaate zur Schau trägt. — Desgleichen *) Der Finder verkaufte den Gesamtfund einem jüdischen Goldschmiede; zum Glücke behielt sich dieser von jeder Prägungsgruppe 2 Stück zum Andenken; alles übrige schmolz er ein. ist die bekannte Redensart, jemand habe alles bis auf den letzten „Knopf" vertrunken, noch bis vor kurzem wörtlich richtig gewesen, denn die Männer rissen sich nötigenfalls einen solchen Edelmetallknopf von ihrer Weste und warfen ihn hin an Zahlungs Statt. Die Bezeichnung „knoflik, Knopf" für eine solche Münze scheint aber aus dem Grundworte „kona, kouna" hervorgegangen zu sein, denn es gibt zahlreiche burgundische (z. B. jene des Theodosius, 379—395) und merowingische Münzen (z. B. jene des Childebert 11., 575—596), welche neben dem Regentennamen den Gattungsnamen der Münze als „conob, conop" eingeprägt zeigen.*) Die Wissenschaft erklärt sich diesen Satz dahin, dass dies eine Abkürzung sei, durch welchen die Ermächtigung des byzantinischen Kaisers ausgedrückt wurde, Münzen prägen zu dürfen. Auf welcher Quelle diese Auslegung beruht, ist nicht ersichtlich; augenscheinlich hat sie aber nicht die geringste Berechtigung. — „Lila, Litav"-Münzen. — Solche Münzen wurden in verschiedenen Prägungen gefunden. Der Aufschrift nach sind es litauische Münzen (Fig. 7 und 8), denn die Darstellung des typischen litauischen Reiters, der den Bogen und Köcher führt, lässt schon darauf schlie-sen, dass hier nur ein skythischer Krieger gemeint sein kann, denn die Griechen, Römer oder Gallier werden stets mit Schwert, Schild oder Lanze bewaffnet abgebildet. Überdies deutet schon der Münzname selbst dies an, denn der Begriff „litav" bezw. „litun" diente im Litauischen wie Russischen für die Bezeichnung des Herumstreifenden, des Reiters der Grenzbewachung, sowie doch auch „lit“ selbst sprachlich immer mit der Grenze im organischen Zusammenhänge steht, wie z. B. das lateinische „litus" = Ufer, Küste, Grenze; russ. „lif“ Taille, d. i. die Grenze des Ober- und Unterkörpers; das deutsche „Leithaus“ ( = Grenzwirtshaus) heisst im Slavischen „lituz"; „Leitha“, slav. „Litva" oder „Litava" bildet doch die österr.-ung. Staatengrenze usw. — Die „Lita“-Münze war sonach wohl auch die Grundeinheit für die Zollabgabe an der Grenze. — Wie bereits angedeutet, möge dies alles nur als ein Beleg eines Nichtnumismatikers zur altslavischen Münzkunde angesehen werden, um hiemit zu überzeugen, dass es da eine grosse Menge Münzen slavischer Provenienz geben müsse, die noch unbekannt oder unerkannt in Sammlungen und Museen erliegen. Dass aber gerade die in den nördlicheren Ländern Europas gefundenen Münzen slavisch *) Solche »knofliky« Münzen werden auch noch heute häufig ausgegraben und haben einen Goldmetallwert von cirka 30 K. — In Mähren werden derlei Münzen immer wieder am Hradek (Wisowitz), dann bei Misliowitz (Prossnitz) gefunden. sind und je allere Funde gemacht werden, umso slavischer sein müssen, geht mit logischer Konsequenz schon daraus hervor, dass diese Länder einst ausschliesslich von Slaven bewohnt waren, es können sonach die heimischen Münzen nur von slavischen Prägeherren stammen.*) Für jeden Fall erhält der präsumtive Verfasser einer „Altslavi-schen Münzkunde“ hiemit sehr willkommene Winke und dürfte die weitere Aufklärungsarbeit auf diesem so arg vernachlässigten Gebiete noch zahlreiche brauchbare sowie die Überzeugung bestärkende Beiträge über die wirklichen Kulturverhältnisse der Altslaven zuführen. — Noch zahlreicher sind altslavische Münzen mit Runenaufschriften ; diese werden jedoch im Werke „Slavische Runendenkmäler“ näher beschrieben, so weit sie eben schon sprachlich verlässlich geklärt sind. Es ist aber auch kein Zweifel, dass es in den öffentlichen sowie privaten Sammlungen noch zahlreiche Münzen gibt, die altslavischen Ursprungs sind, aber als solche bis heute wissenschaftlich noch nicht erkannt wurden, weil die Existenz von solchen bisher überhaupt nicht zur Sprache kam. — M. Zunkovic: »Odrin« oder »Adrianopel« ? In den verwichenen Monaten hatte jedermann Gelegenheit die abermals eine besondere kriegsgeschichtliche Rolle spielende Stadt Adrianopel je nach der angewendeten Sprache in den verschiedensten Namensformen zu lesen, ohne dass man sich eine Rechenschaft legte, welcher Name eigentlich der berechtigte, d. i. ursprüngliche oder historische, daher auch zutreffendste ist. Nachdem auch der Verfasser mehrfach aufgefordert wurde, in diesen onomastischen Wirrwarr eine wissenschaftliche Klärung oder Orientierung zu bringen, soll dies nun auch nachfolgend geschehen. Es besteht nämlich nicht der geringste Zweifel, dass der einzig richtige und historische Name der genannten Stadt „Odrin“ lautet, da er auch der natürliche ist, und sind alle sonstigen Varianten nichts weiter als künstliche Nachbildungen. *) Die älteste bekannte deutsche Münzaufschrift stammt erst ungefähr aus dem Jahre 1170 vom Markgrafen Otto von Brandenburg (»marcgrave Otto«). Dessen Zeitgenosse und Nachbar, der Wendenfürst Jaksa von Köpenik gab aber zu jener Zeit noch immer seinen Münzen die slavische Aufschrift: »Jakza coptnik cne«. (knez). — In etymologischer Hinsicht lässt sich folgendes feststellen: das Grundwort ist „drin“, das im Altslavischen Grenze, wie heute noch im Russischen Schutzdach, Wachhütte (an der Grenze) bedeutet. Die vielen „Drin"-Namen für Flüsse (wie auch Ortschaften) auf dem Balkan besagen also, dass diese eine Grenze bildeten, die bewacht wurde. „Odrin“ ist ein solcher Zentralpunkt, wo sich eben mehrere „drin“ vereinigen, denn das Präfix „o“ deutet im Slavischen immer auf eine Umschliessung, kreisförmige Umgrenzung, also auf eine Zentrale von Grenzpunkten, wie gerade hier, wo mehrere Flüsse, sonach natürliche Grenzen, zusammenstossen. Überdies versteht der Slave unter „oder“ heute noch: Lager, dann Bühne, d. i. der erhöhte, nur gegen die eine Seite offene Platz. — Am Zusammenflüsse der Marica, Arda (richtig „Varda“) und Tundza, deren Etymologie doch wieder diese Ansicht bestärkt („mar“ = Grenze, „var“ = Schutzpunkt, „tun, tin“ = Umzäumung), war sonach schon in den vorgeschichtlichen Zeiten eine grössere zentrale Verteidigungs-anhge, umsomehr als sich hier auch auf natürliche Weise ein bedeutender Strassenknotenpunkt ergeben musste. Die Meinung, dass die Stadt vom römischen Kaiser Hadrian (Adrian) erbaut wurde, ist daher eine völlig irrige, denn dieser Name wurde im Drange der Erklärungssucht lediglich an den gleichklingenden Namen „Odrin“ genau so angepasst, wie die Osmanen später die Stadt als „Edrene“ und „Edirne“ unter dem Eindrücke des Vorgefundenen „Cdrin“ benannten. —■ Die Namen „Adrianopel“ der Deutschen, „Adrijanopol“ der Russen, „Drinopol“ der Böhmen haben sonach alle „Odrin“ zur Grundlage, sind daher in dieser Form weder originell noch berechtigt, und ist das Suffix „pol“ (griech. „polis“ Stadt) wohl nur ein verkehrsgebräuchlicher Zusatz aus der Zeit des griechischen Einflusses. Der einzig richtige Name für „Adrianopel" ist daher „Odrin“, und liegt für die Nordslaven nicht die geringste Berechtigung vor, diesen bei allen Südslaven gebräuchlichen Namen willkürlich zu ändern oder dessen griechische Form vorzuziehen. Diese entschiedene Behauptung ist aber nicht nur sprachlich sondern auch geschichtlich begründet, denn es ist doch bekannt, dass die alte thrazische Völkerschaft, die an den Ufern der Marica, Tundza und Ergene wohnte, auch „Odrici“ hiess, und vereinigte deren König Teres doch schon im V. ¿Jahrhunderte v. Chr. das ganze thrazische Binnenland der „Odrici“ zu einem starken Reiche, dessen Zentrale eben „Odrin“ war. Es kann bei dieser Gelegenheit daher nur der gute Rat gegeben werden, es mögen wenigstens die Slaven ausschliesslich und allge- mein den historischen und altslavischen Namen „Odrin" anwenden, denn diese krankhafte und auch schon die Slaven ansteckende Sucht immer neue Formen für Ortsnamen zu konstruieren, hat bei den Slaven schon gar keine Berechtigung, da die Ortsnamen ohnehin fast durchwegs altslavischen Ursprunges sind, daher selbstredend schon einmal allen in derselben Form angehörten. Es sollen daher Schule, Forschung wie praktische Vernunft energisch dagegen arbeiten, dass diese Geschmacklosigkeiten in der Verballhornung der topischen Namen nicht auch bei den Slaven Eingang finden, denn ganz abgesehen von sonstigen Schwerfälligkeiten, die sich daraus ergeben, hat die slavische Ougend heute doch viel Wichtigeres zu lernen, als ein Dutzend läppischer Namensvarianten für ein und denselben Ort.*) Slavische Geschichtsquellen. I. L. A. Gebhardis Vorrede zur »Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten«. Erläutert von Dr. A. Kovačič. (Schluss.) Die verschiedenen Oazygen und Sarmaten erloschen nebst den freien Sarmaten am Berge Matra, die an dem gotischen Kriege keinen Anteil genommen hatten, in kurzer Zeit, und die letzten Sarmaten, die in zuverlässigen Annalen erscheinen, sind diejenigen Sarmaten, welchen der Kaiser das Schloss Castra Marlis in der Bulgare! eingeräumt hatte (s. meine „Geschichte des Reiches Hungarn“ I. T. S. 231) und die ihm im Oahre 465 Singidon auf kurze Zeit entrissen. Von ihrer Sprache weiss man nichts, und von auszeichnenden Sitten sehr wenig. *) Vor kurzer Zeit wurde z. B. offiziell festgelegt, daß ein Ort in Böhmen deutsch »Ossegg« und böhmisch »Osek« zu lauten habe. Wieso von Amts wegen solche Namens-Monstra geschaffen werden können, ist für jeden objektiv Denkenden ein Rätsel, denn der Deutsche kann doch auch das slavische Wort »Osek« gleichlautend aussprechen, und »Osseg« bedeutet auch in dieser Form für den Deutschen noch immer nichts etymologisch Orientierendes, Und weshalb soll der Ortsname nicht seine Genesis und Urbedeutung offen zur Schau tragen! — In Böhmen heißt z. B. der Ort »Nemaniče« deutsch »Wassersuppen«; was ist nun mit diesem komischen Worte sonst erreicht, als daß die Bewohner von den Nachbarn deshalb gehänselt werden! Die deutsche Form ist nämlich wieder aus Der Herr D. Anton leugnet, dass jemals eine Nation vorhanden gewesen sei, die sich selbst Sarmaten genannt habe („Erste Linien eines Versuches über der alten Slaven Ursprung“ S. 5) und Müller behauptet, dass es keine sarmatische Sprache gegeben haben könne („Abhandl. von den Völkern, welche in Russland gewohnt haben" in H. Oberkonsist. Büschings Magazine XVI. B. S. 289). ¡Jenem könnte man entgegensetzen, dass die Römer einen Bezirk Provincia Sarmalica, und einen Ort Colonia Sarmatica (Sarmiz in Dazien), nach dem Volke, aus welchem sie selbige errichteten, benannten, wenn die Inschriften, in welchen diese Namen stehen, nur allen Zweifeln gegen die Richtigkeit ihrer Erklärung und gegen ihre Zuverlässigkeit (meine „Beschichte des Reiches Hungarn“, I. T., S. 101 usw.) völlig entrissen wären. Die meisten heutigen Geschichtsschreiber, und unter diesen Gercken, Gatterer, Dobner und ¡Jordan, vorzüglich aber unter den älteren Cro-merus „De origine Polonorum (Edit. 3. 1568. L. I., c. 7) und Cluver (Germ, antiqua L. III, p. 188) halten die Sarmaten für wahre Wenden und Slaven, und unterstützen ihre Mutmassung mit folgenden Gründen: 1. Paulus Diaconus, Svidas, Adamus von Bremen, Helmoldus und alle böhmischen wie polnischen Chronikenschreiber versichern, dass die Sarmaten die neueren Slaven sind, aber diese Männer sind viel zu neu, als dass sie in dieser Sache zeugen könnten; 2. die Tabula Peutingeriana, welche zwischen den ¡Jahren 276 und 282 verfertigt ist (de ¡Jordan T. II., Pars III., p. 187) setzt in die Moldau Sarmatas Venados; aber v. Meermann hat im T. II „Anthologiae veter, lat. epigrammatum ad Epigr. 115. v. 12 Ponticae“ bewiesen, dass diese Tafel erst im IX. ¡Jahrhunderte von einem unwissenden Mönche gemacht ist, abgesehen davon, dass in der Tafel Sarmaten und Venaden, als zwei benachbarte Völker, nicht aber als ein zweinamiges Volk verzeichnet zu sein scheinen; 3. die alten Geschichtsschreiber 3or-nandes und Procopius verwechseln öfters die Slaven und Sarmaten, also waren beide eine Nation, aber Procopius gibt, gleich dem 3or-nandes, da, wo er absichtlich von den Wenden und Slaven redet, zu verstehen, dass diese ein ganz besonders bisher unbekannt geblie- dem lokalen »vas župa«, d. i. »Dorf Župa« entstanden, da dort vermutlich der »župan« mehrerer Gemeinden einst seinen Sitz hatte. Der volle slavische Name des Ortes war also: »vas župa Nemaniče«, also »Nemaniče, der Župan-Sitz«, wonach die Slaven den tatsächlichen Eigennamen behielten, die Deutschen hingegen nur den Gattungsnamen ihrer Sprache anpaßten, weil wahrscheinlich zur Zeit der Germanisierung die Bewohner den wirklichen Eigennamen weniger gebrauchten. — Da aber im Namen eines jeden Ortes zugleich die älteste Geschichte der Ansiedlung geborgen ist, sollte da schon die Wissenschaft gegen diese sprachvanda-lische Entstellung der lokalen Urgeschichte endlich ernstlich entgegenzuarbeiten beginnen, wenn sich die Gemeindevertretungen selbst darum nicht kümmern. benes Volk seien, und kannte doch die Sarmaten und dazygen sehr wohl, zum Beweise, dass sie diesen an Sitten, Sprache und anderen Merkzeichen ungleich gewesen sein müssen; k. Ptolemäus (Geogra-phia C. 5. Tabule Sarmatiae) lehrt, dass zu seiner Zeit die Wenden die grösste Nation in Sarmatia gewesen sind; allein abgesehen davon, dass die Römer alles ihnen unbekannte Land jenseits dem dezebalischen Dazien Sarmatien nannten, und daher irrig die Wenden zu den Sarmaten zählen konnten, so sagt Ptolemäus nur dieses, dass die Wenden zu seiner Zeit vieles vom Lande der alten Sarmater besessen haben, ohne dabei vorauszusetzen, dass ein solcher Besitz sich nicht auf Waffen oder andere zufällige Ursachen, sondern auf Erbschaft gründen müsse; 5. Plinius ordnet (Hist. nat. IV. 13) die Sarmaten und Wenden zusammen, (Cluver, Germ. ani. L. III. p. 188), woraus die Folge gezogen werden muss, dass sie Stammvetter gewesen sind. Aber diese Schlussfolge wird nicht jeder Kritiker zugeben, auch zeigt Plinius durch den Ausdruck: quidam haec habitari ad Vistulam usque fluvium a Sarmatis, Venedis, Scyris, Hirns tradunt,*) dass er nur ein Gerüchte, nicht aber eine gewisse Wahrheit aufgezeichnet habe; 6. die Wenden redeten nicht die teutsche, sondern die sarmatische Sprache. (Cluver I. c.) Aber man kennt die sarmatische Sprache nicht und findet auch nichts bei solchen allen Schriftstellern, die die Sarmaten und Wenden persönlich gekannt haben, was diese Annahme bestätigt; 7. im grossen asiatischen Sarmatien waren, nach des Ptolemäus Berichte, die Serbier und die Modoci. (Cromerus C. 7.) Clene sind aller Wenden und diese der Moscowiter Stammväter (nach Cromers Hypothese), folglich müssen die Wenden und Slaven Sarmater sein; endlich 8. die Anten waren Wenden, und erscheinen nach dem dahre 319 da, wo bisher immer Sarmaten sich aufgehalten hatten (de Jordan I. p. 30); ebenso fand man zu des dornandes Zeit überall, wo Ptolemäus Sarmaten antraf, Slaven und Wenden (de Jordan und Cromerus); die Geschichtsbücher melden nicht, dass die Wenden die Sarmater angegriffen und vertrieben haben, demnach müssen die Sarmater nur ihren Namen geändert, und sich Slaven, Wenden und Anten genannt haben. Dieser Hypothese steht entgegen, dass erstens die römischen Schriftsteller nichts von den Begebenheiten der Völker jenseits der Donau wissen konnten, so lange diese nicht auf römische Untertanen wirkten, und dass daher ihr Stillschweigen nichts für oder gegen den angeführten Satz entscheidet; zweitens, dass die Geschichte von vielen solchen Völkerwanderungen Nachricht gibt, *) D. h.: Einige behaupten, dass dieses (bezieht sich auf E n i n g i a, welchen Namen Plinius für Finland gebraucht) bis zum Weichselflusse von Sarmaten, Venedern, Scyren und Hirren bewohnt wird. welche Einöden veranlassen, die von den Wenden besetzt wurden; drittens, dass es unbegreiflich ist, wie den Römern der Name Slave hätte unbekannt bleiben können, wenn ein sarmatischer Stamm diesen geführt hätte, da sie nicht nur viele Sarmaten bekriegt, auch sich unterwürfig gemacht hatten, sondern auch Sarmater aller Arten in ihren Legionen dienten, oder als Knechte in ihren Häusern sich aufhielten; und viertens, dass keine so sehr freie, ausgearbeiteie und in mancherlei Stämme geteilte Nation den Gedanken haben und ausführen kann, plötzlich alle seine Stammnamen nebst dem allgemeinen Volksnamen abzulegen und dafür einen neuen anzunehmen. Müller (in Büschings Mag. XVI. Bd.) sucht zwar diesem Einwurfe dadurch zu begegnen, dass er annimmt, dass einige sarmatische Völker von slavischer Herkunft gewesen wären, und nun die übrigen Sarmaten überwältigt und dadurch ihren älteren Namen wieder erweckt und herrschend gemacht hätten, allein alsdann konnten die Sarmater nicht die Stammväter der Wenden sein. Cluver und einige andere, die ihm folgen, bedienen sich noch eines neunten Grundes, und halten sich an diejenigen sarmatischen Merkzeichen, die Tacitus, um seinem Ausspruche, dass die Wenden keine Sarmaten wären, ein Gewicht zu geben, anführt, nicht um ihm beizutreten, sondern um ihn zu widerlegen. Denn wenn Tacitus sagt, die Wenden sind stets zu Fusse, haben Häuser und kurze Kleider, und gebrauchen Schilde, da im Gegenteil die Sarmaten niemals vom Pferde oder Wagen kommen, sich in lange Kleider hüllen und alle Verteidigungswaffen verachten, so versetzen sie: aber die Polen, welche Wenden sind, tragen lange Kleider und fechlen nur zu Pferde, und müssen demnach Sarmater sein, ohne zu erwägen, dass die polnische lange Kleidung dem sarmatischen Gewände unähnlich, und wahrscheinlich von den Polen selbst erfunden und neu ist, und dass die Vorliebe der Polen für das Reiten sich auch bei anderen Nationen findet, die auf keine Weise mit den Sarmaten in Verbindung gebracht werden können, aber, gleich den Polen, ein Land besitzen, welches den Streifzügen benachbarter räuberischer Nationen stets offen steht, und nur von wohlberittenen und leichtbewaffneten Reitern geschützt werden kann. Cromerus (1. c. Kap. g. p. *'9 und 24) webt aus dem, was ihm als höchst wahrscheinlich vorkam, nicht aber als wahr erwiesen werden kann, nach der Weise seiner schriftstellerischen Zeitgenossen, folgende Legende zusammen: Sems Sohn, dectan, zeugte Asarmot, den Stammvater der Sarmaten. Spätere Nachkommen Asarmots, nämlich die Wenden, verbreiteten sich von Asien aus über alle Gegenden des neueuropäischen Russland und Polens, wurden von ihren alten Nachbarn, und durch deren Veranlassung auch von den Griechen, die Kinder Sarmal geheissen, legten sich aber selbst den Namen der Wenden bei, dessen Bedeutung unbekannt ist. Ein Zweig der Wenden drängte sich kurz vor des Tacitus Zeit in Germanien und Wandalien hinein, und behielt zwar seinen Namen, allein nicht seine Sitten, sondern lebte und kleidete sich nach teutscher Weise. Viele Wenden hingen sich an die teutschen Völker, die in Griechenland einbrachen, und diese vertauschten jenseits der Donau den wendischen alten Namen mit dem slavischen neuerfundenen, der vielleicht von einem ihrer Heerführer Slavinus Rumunensis herrührt. Hiermit kann zwar nicht das bestehen, was die böhmischen Chronisten behaupten, dass nämlich ihr Reichsarchiv eine Urkunde des Weltbezwingers Alexanders des Grossen besitze, wodurch dieser den Slaven alles Land vom Norden bis an Italien schenke; allein dieses Märchen verdient keine Widerlegung. 21. Die dazygen zwischen der Teys und Donau. (Herr Hofr. Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie, S. 954. Herr D. Anton, p. 7. de Jordan de Orig. Slav. T. I. p. 130.) Dieser sarmatische Stamm soll dasjenige Volk sein, das den Römern unter dem Namen Slaven bekannt war, weil die Slaven da zum Vorschein kamen, wo bisher die Sarmaten gewesen waren, nämlich nördlich an der Donau, und weil fast in allen slavischen Dialekten „jazyk“ die Zunge, also auch die Sprache andeutet. Unter den mannigfachen Ableitungen des Namens Slav findet sich auch eine von „slovo“, das Wort. Folglich ist Slav und dazyge ein einiger Volksname, und bedeutet ein redendes Volk. Herr D. Anton hält aus diesem Grunde auch die donischen dazygen nebst den Budinern, Udinen und Amazonen für Slaven; Herr Hofrat Gatterer aber vermutet, dass diese asiatischen dazygen unter dem Namen der Anten verborgen liegen. Gegen diese Mutmassungen spricht jedoch alles das, was gegen die Ableitung der Wenden von den Sarmaten angeführt wurde, besonders, dass die dazygen und Slaven nebeneinander an der Donau wohnten, und beide den dermaligen Geschichtsschreibern zu Gesichte kamen, die sie als solche Völker anführen, die nichts Gemeinsames weder in Sitten noch in der Sprache hatten. Dann ist auch ein jeder auf Wortforschung gegründeter Beweis zu unsicher, als dass man darauf Rücksicht nehmen könnte. Abgesehen davon, dass gerade im Lande der ungarischen dazygen lange nach ihrer Vertilgung ein neues asiatisches Volk, nämlich die Cumaner, den Namen „jazyg" zufälliger Weise erlangt hat, u. zw. ohne Rücksicht auf jene dazygen, bloss weil sie Bogenschützen waren und „jazyg" in der ungarischen Sprache einen Bogenschützen andeutete (meine „Geschichte des Reiches Hungarn, 1. T., S. 480 F). Auch isl es zu viel gefordert, wenn man bei jener Abteilung verlangt, dass die slavische Sprache als eine solche Sprache betrachtet werden sollte, welche die Oazygen geredet haben, bloss weil ein jazygischer Name sich aus selbiger mit einem Begriffe versehen lässt, dessen Dasein durch keine anderen Angaben erwiesen werden kann. 22. DieTeutschen.DaT acitus die Wenden, welche die Stammväter der Slaven waren, den Teutschen zuzählt, so scheint er selbige für einen teutschen, nur etwas ausgearteten Stamm gehalten zu haben. Die heutigen Ungarn nennen ihre Slaven und Wenden das Volk Tot f(töt ember), und einige Gelehrte erklären das Wort Tot durch Teutsch, und ziehen daraus die Folge, dass die ältesten Slaven Teutsche gewesen sind (Acta Societatis, Jablonovianae, Lips. 1772, p. 197). Allein andere behaupten, dass das Wort Tod oder Tud in alter ungarischer Sprache einen Hügel angedeutet habe, und also den Namen Kroate übersetze. Kranz (Wandalia) erzählt, auf Glauben des unterschobenen Berosus, dass Noas ältester Sohn Tuisco, von dem die Teutschen abstammen sollen, einen Sohn Vandalus gezeugt habe, und dessen Nachkommenschaft im Norden den Namen der Wandalen, und im Süden später den Namen der Slaven angenommen habe. Diese Erdichtung schmückte sein Zeitverwandter, der mecklenburgische Kanzler Nikolaus Marschalck, 1507 mit mehreren Fabeln aus (de Westphalen Mon. inedit. rerum Cimbricarum T. I, p. 198 und T. II, p. 1507)*) — Simonius, ein jüngerer Mecklenburger, veränderte sie ein wenig, und behauptete, dass die mecklenburgischen Wenden erst i. 3. 500 aus den Slaven und Wandalen entstanden wären (Van-dalia in: de Westphalen Mon. T. I, p. 1542). Allein Bernhard Latomus (Genealochronicon Megapolitanum in: de Westphalen Mon. T. IV, p.9,11 fj), welcher 1610 schrieb, übertraf alle seine Vorgänger an Dreistigkeit und dichtete eine andere Geschichte, die man lange nachher als wahr ihm nacherzählte, obgleich schon Micrälius, der sein Zeitgenosse war, (de Westphalen III, p. 1911) erwies, dass selbige eine Fabel sei-Und *) Es ist auffallend, daß die Traditionen der Genesis der Slaven fortgesetzt knapp bis an den Beginn der Menschheitgeschichte — natürlich im Biblischen Sinne genommen — führen. Es mögen diese immerhin durch ununterbrochene Überlieferungen in der Hauptsache begründet sein, aber Beweiskräftiges kann da nur die allgemeine Sprechforschung bringen, denn unsere Sprache ist auch unsere Urgeschichte. — Die volksgeschichtlichen Ursprungssagen hingegen gehören schon einem reiferen Völkeralter an, also einer Zeit, wo man sich bereits von der eigenen verdunkelten Vergangenheit Rechenschaft legen wollte, hiebei aber im Gegenteile, mangels der Fähigkeit die Wahrheit wissenschaftlich zu erfassen, den Wahrheitskern durch die phantastischesten Spekulationen unbewußt trübte. Helden und Tatsachen anführe, die sich nichi in Mecklenburg, sondern in Asien und Ulyrien gezeigt und ereignet hätten. Die Geschichte des Latomus lautet also: Zur Zeit der Zerstörung Trojas wanderten die Wandalen nach Paphlagonien, nannten sich darauf Henetos, und sandten nicht nur eine Kolonie unter Antenor nach Venedig, sondern auch einige andere Volkshaufen nach Griechenland. Die griechischen Wandalen entwichen vor Xerxes Waffen nach Thrazien, setzten sich bei Abdera, und wurden daher Abderiten (Obotriten) genannt. Anthy-rius, einer ihrer späteren Könige, war ein genauer Freund des mazedonischen Königs Alexander d. Gr. und des schwedischen Kronprinzen Barvan, den er an Alexanders Hofe kennen lernte. Da ihn nach Alexanders Tode -Cassander von Abdera vertrieb, so schiffte er mit allen abderischen Wandalen unter einer Flagge, auf welcher der Kopf Alexanders Bucephalus gemalt war, und die nachher in Mek-klenburg zum Wappen gebraucht wurde, erst nach Wallis, dann nach Mona, und endlich zum Barvan nach Schweden, nachdem er der Provinz Wallis den Namen Venedotia beigelegt hatte. Andere Wandalen, die Cassander gleichfalls verscheuchte, kamen zu Lande nach Sarmatien und Thule, und stiessen zu Anthyrius. Inzwischen hatte Barvan dem Anthyrius seine Schwester zur Gemahlin und einige wüste Inseln zur Bewohnung gegeben. Allein Anthyrius konnte sich mit diesen nicht begnügen, sondern nahm Mecklenburg in Besitz, baute Städte nach griechischer Weise, gab selbigen griechische Namen, z. B. Megalopolis (Mecklenburg) und Bucephalca (Bukow), und eroberte und stiftete für seine Söhne 13 Königreiche und 24 Fürstentümer. Endlich erbte er auch Schweden, Finland und Sarmatien, und sandte seinen Stammvettern, den Venetianern, die Cimbern gegen Marius zu Hilfe. Seine Nachfolger Hessen die Heruler, Wandalen und Burgundionen nach Italien ziehen, und da dadurch ihr Land entvölkert wurde, kamen sarmatische Wenden nach Mecklenburg und ver-anlassten die Enlstehung der Slaven oder einer neuen deutschsar-matischen Völkerschaft. — So weit Latomus! Marschalck, der den Anthyrius zuerst auf den Schauplatz gebracht hat, gab selbigem einen Heruler zum Vater, eine Amazonin zur Mutter, und die Gegend zwischen dem Don und dem Krim zum Vaterlande. Auch behauptete er, dass dieser Abenteuerer gleich in die Elbe geschifft sei, die Wenden, Windilos oder Wandalen verlrie-ben und darauf den wendisch-teutschen Staat Mecklenburg errichtet habe. Übrigens hielt schon Helmoldus im XII. Dahrhunderte die Wenden für Wandalen, nicht nur, wie es scheint, weil zwischen den zwei Wörtern Wandalus und Winulus eine Ähnlichkeit ist, sondern auch weil die Wenden in neuerer Zeit da herrschten, wo in älteren Zeiten die Wandalen wohnten. Kranz glaubte, dass das Teutsche, was in Polen und Böhmen seinerzeit stark geredet wurde, aber erst in neuerer Zeit durch teutsche Herren und Geistliche hineingebracht worden war, unwidersprechlich beweise, dass die wendische Nation teutscher Abkunft sei. Allein schon Cromerus, der seine Nation für keine Wandalen gehalten wissen wollte, hat ihn und andere, die ihm beistimmten, sehr umständlich widerlegt (de Orig. Polonor. L. I. C. 5. et 6.). Dubravius, der 1553 starb, lehrte, die Slaven wären erst nach Besetzung des von den Vandalen verlassenen nördlichen Teutschlands mächtig geworden, und hätten darauf nicht nur den Namen der Wenden oder Wandalen angenommen, sondern auch unter diesem sich in Spanien und Afrika als Sieger gezeigt. (Hist. Bojemica p. I. seq.) Allein diese Wandalen redeten und handelten überall als Teutsche, und waren demnach keine Wenden oder Slaven, sondern wirkliche Teutsche. (Herr P. Dobner ad Hagecium P. I. p. 123.) Schurzfleisch (de rebus Slavicis p. 466) äusserte, jedoch nur als Mutmassung, dass die Vandalen aus Asien bis an die Ostsee vorgedrungen, darauf aber durch die Waffen der Wenden, sowie diese von den Sarmaten überwältigt worden seien. Diese drei Nationen hätten später die bekannten grossen Unternehmungen in Spanien und Afrika ausgeführt, nach ihrem Unglücke aber, welches des Belisarius Siege veranlassten, den wandalischen Namen abgelegt und sich dafür die „Berühmten“ (Slaven) genannt. Den Latomus würdigte in neueren Zeiten Popowitsch*) eines so grossen Zutrauens, dass er (Vermischte Untersuchungen S. 49) bloss auf sein Wort, die alten unleugbar teutschen Heruler und Rugier für die neueren slavischen Werler und Rügen ausgab, wobei er als einen Beweis seiner Meinung die Bemerkung anführte, dass die österreichischen Wenden viele plattdeutsche Wörter unter ihre slavischen Reden mischten, und dass der Name „Werli“ im 51avischen: wackere Leute andeute, welche Benennung dem Name Slav angemessen sei.**) (Chummann, Untersuchungen über die alte Geschichte einiger nordischen Völker, S. 151.) ( *) Johann Popovič, geb. 1705 in Arclin (Untersteiermark), gest. 1774 in Perch-toldsdorf bei Wien, galt als der bedeutendste Slavist seines Zeitalters. Er übte auch einen bedeutenden Einfluß auf die Purgierung der deutschen Sprache. **) Die Slovenen und Kroaten gebrauchen noch heute den Begriff »vrl« in der Bedeutung: bieder, wacker, vortrefflich, schöngewachsen; mit der Etymologie »Slave« steht das Wort in keiner sprachlichen Relation. — Es fällt auch auf, daß »Teutsche« hier immer als Slaven gezählt werden. Die Hypothesen, woher eigentlich die heutigen Deutschen kamen, führen, da es doch erwiesen ist, daß die dermaligen Sitze derselben durchwegs einst von Slaven bewohnt waren, meist zum hohen Norden, trotzdem auch dort keine Belege hiefür vorliegen. Diese Lösungsversuche scheinen jedoch nach allem unzutreffend zu j-7KÜ dr^tvo-PtuI Sollten die Wenden des Taciius wirklich eine Abari der Teut-schen gewesen sein, so könnte nichts mit grösserer Wahrscheinlichkeit über die Entstehung der slavischen Wenden geäussert werden, als dasjenige, was Herr Hofrat Gatterer in seiner Einleitung in die synchronistische Universalhistorie S. 825 davon sagt, dass nämlich die Slaven von der Donau ab in das Land der Wandalen gekommen sind, und darauf den wendischen Namen angenommen haben. Die vom Herrn Hofrat für diese Mutmassung beigebrachten Gründe sind folgende: 1. diejenigen Schriftsteller, welche der Venedorum gedenken, (bloss Ptolemäus, denn Tacitus führt die Vandalios als eine schon erloschene Hauptnatiön im Anfänge seiner Germania an,) kennen keine Wandalen, und wiederum die, die von den Wandalen etwas aufzeichnen, gedenken keiner Wenden. (Plinii Hist. Nat. L. IV. Allein in diesem Buche setzt Plinius C. 13 Venetos neben den Scirren, Hirren und Sarmaten an die Ostsee, und nennt Cap. 14 die Vindilos einen Hauptstamm, zu dem die Burgundionen und Guttonen gehörten, die weit von jenen Veneten ansässig waren.); 2. gerade so weit als nach Plinius’ Berichte der Wandalische Name sich erstreckte, zeigen sich nach der Völkerwanderung die Wenden. Allein die Guttonen, welche Plinius als Wandalen bezeichnet, waren ehedem Besitzer von Schleswig, Holstein, Mecklenburg und Pommern, und die Burgundionen fand Tacitus in Obersachsen und Franken, zu einer Zeit, da die Ve-neden an die Fennen in Kurland grenzten, und durch die Scirren von der Weichsel abgesondert wurden; 3. Helmold (Chron. Slavorum L. I. c. 2) gebraucht den Ausdruck: eorum qui antiquiius Wandali, nunc autem Winuli appellatur.*) Nestor, ein noch älterer slavischer Schriftsteller, weiss nichts von den Wenden, versichert aber, dass die wendischen kleineren Stämme neue Namen nach den Ländern, die sie bevölkerten, angenommen hätten; allein beide Schriftsteller sind zu sein, sondern die deutsche Sprache bildete sich eher selbst, analog wie etwa das Schwäbische, Ladinische, Friaulische unter besonderen Bedingungen zu einer prononzierten Eigensprache aus der altslavischen heraus, braucht sonach durchaus nicht durch fremden Zuzug erklärt zu werden. Wer z. B. die althochdeutsche Konjugation mit der altslavischen vergleicht, findet noch nahezu keinen Unterschied; dasselbe gilt für die konkreten Begriffe, wie: maak (Mohn), katele (kotei, Kessel) u. ä. — Es handelt sich hier daher augenscheinlich um eine Sprach-sezession in den heutigen Sitzen, u. z. etwa in der Zeit des I. Jahrtausendes n. Chr., daher es vor dem Jahre 1000 n. Chr. auch keine spezivisch deutschen Ortsnamen, kein schriftliches Denkmal oder einen sonstigen Beleg gibt. — Die Ursprungsforschung nach allem, was heute als »teutsch« gilt, dürfte daher nur auf altslavischer Sprachbasis zu einem überzeugenden Resultate führen. *) D. h. die vorzeiten »Wandali«, jetzt aber »Winuli« genannt werden. neu, um von Gewichte zu sein; auch merkt man bei Helmoldus Belesenheit in der römischen älteren Geschichte, die er anzubringen sucht und hier unschicklich wirklich anbrachte. Im Gegenteil versichern Dornandes und Procopius, welche Wenden und Wandalen sahen und genau kannten, dass die Wenden den älteren slavischen Hauptstamm ausgemacht haben, und dass die ersten Slaven nur ein abgeleiteter Zweig der Wenden gewesen sind; endlich k. die heutigen Finländer belegen die Russen mit dem Namen Wenälainen, und nennen Russland Wena henmaa, folglich war der älteste Name dieses Reiches „Wena" oder „Wenden“. Aber wenn dieser Name alt und folglich von des Tacitus’ Wenden zurückgelassen ist, so zeigt diese Bemerkung vielmehr, dass die Wenden ehedem in solchen Gegenden ansässig waren, in welche niemals Wandalen gekommen sind. — Dieses mag hinreichen, um zu zeigen, dass vom Ursprünge der Wenden genug gesagt sei und nichts Zuverlässigeres gemeldet werden könne. — Lüneburg im Mai 1789. L. A. Gebhardi. II. Urkundliches über die Südgrenzen Alt-Böhmens.*) Erläutert von DUC. B. Snejd. Insoweit historische Berichte über Ober- und Nieder-Österreich erhalten sind, ist es uns möglich, durch alte Urkunden zu beweisen und zu belegen, dass hierselbst tatsächlich Böhmen nicht nur wohnten, sondern sogar dass die von ihnen besiedelten Gegenden, die an der Grenze Böhmens und Mährens jenseits der Donau lieqen, grösstenteils durch lange Dahrhunderte auch zu Böhmen gehörten. Das wird durch Urkunden und alte Annalen ganz klar erwiesen, obwohl die Deutschen, insbesondere in letzter Zeit, mit Eifer daran arbeiten, dass jede Spur von Böhmen und Slaven überhaupt aus denselben verschwinde. Da wurden entweder mit Absicht beim Kopieren alter *) Dieser auf historische Belege aufgebaute Artikel wurde hier, obschon er teilweise bereits in einem Tagblatte erschien, deshalb auf genommen, weil er mehr als eine ephemere Beachtung verdient, und würde sich sehr empfehlen, auch andere historisch und sprachlich strittige Gebiete in analoger Weise urkundlich wie auch toponomisch-sprachlich zu durchforschen. — Damit manche Daten noch verständlicher werden, umsomehr als viele Leser des Lateinischen unkundig sind, wurden von der Redaktion einige Anmerkungen zugefügt. Urkunden und bei deren Herausgabe die auf Böhmen bezughabenden Bemerkungen ausgelassen, oder die slavischen Namen bald eliminiert und für selbe andere eingefügt, oder aber wurden dieselben aus Unverständnis bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. Jedoch selbst das, was von diesen Urkunden erhalten blieb, genügt vollkommen, um zu beweisen, dass Böhmen die ursprünglichen Bewohner dieser Gegenden waren. Eine der ältesten Aufzeichnungen über die in Österreich siedelnden Böhmen enthält die Gründungsurkunde des Klosters Chremisy (jetzt Kremsmünster) aus. dem Jahre 777, in welcher der Bayernherzog Tassilo jene Gegenden widmet, in denen Slaven angesiedelt wohnen (zwischen den beiden Ybbsflüssen am Flusse Todich und Sirnich-Saerbling). Ausserdem erfahren wir aus dieser Urkunde, dass diese Slaven unabhängig waren, ihren eigenen Župan (Ule Jopan) hatten, der unter dem Namen „Physo“ angeführt wird, und dass diese Slaven die ersten waren, welche diese Gegenden urbar und fruchtbar gemacht haben (cultam fecerant). Weiters wird hier der slavische Fürst dieser Gegend, namens Grun-ziuwit, erwähnt, u. zw. mit folgenden Worten: „ . . . Ego Tassilo vir iluster Dux Bavariorum anno ducaiui mei tricentésimo . . . tradimus autem et decaniam Sclavorum cum opere fiscali vel tributo justo, quod nobis antea persolui consueuerant. Hos omnes praedictos Sclavos, quos sub illos actores sunt, qui vocatur „taliup“ et „sparuna“, quos infra terminum manet, que coniuravit Ule Jopan (Supan), qui vocatur physo ..." „.. . et XXX. slavos ad Todicha cum iure fiscali vel tributo justo. Tradimus autem et terram, quam illi Sclavui cultam fecerant ad Todicha et Sirnicha ... et ad Grunziuwiten Sclavum tributo justo ..." d. h.: „Ich Tassilo, der berühmte Mann, Fürst der Bayern, im 30. Jahre der Herzogswürde . . . übergeben hingegen die slavische Dekanei mit der Lehensarbeit und den bestimmten Abgaben, welche an uns ehedem zu leisten waren. Alle diese vorerwähnten Slaven, die unter jenen Wirtschaft betreiben, des Namens „Taliup“ und „Speruna“, die tiefer an der Grenze verbleibt, was jener Älteste, genannt Physo, beschworen hat . . . und 30 Slaven zu Todicha mit der Lehensarbeit und festgesetzten Abgabe. Wir übergeben dagegen auch das Gebiet, das jene Slaven urbar gemacht haben zu Todicha und Sirnicha . . , und jenes beim Slaven Grunzvit mit der festgesetzten Abgabe.“ — (Codex trad. eccl. Patav. II. Monumento Boka XXVIII. Pag. 196.) Wichtig für uns ist auch die Bestätigung dieser Dotation durch Kaiser Karl den Grossen, in welcher besagt wird, dass die erwähnten Slaven fortziehen können, wohin sie wollen, falls sie nicht Untertanen des genannten Klosters sein möchten, was soviel heisst, als dass diese Slaven „Freie“ waren und keineswegs „Unfreie“, wie nun deutsche Forscher gerne behaupten, nachdem sie es nicht bestreiten können, dass wir Slaven in Österreich die ursprünglichen Einwohner waren, indem sie wohl anerkennen, dass zwar Slaven hier vorhanden waren, aber eben als „Unfreie“, während die Deutschen die „Herren“ waren. Die Deutschen lieben es sich hiebei auf die lateinische Bezeichnung des Slaven (Slavus = sclavus = Sklave) zu berufen.*) Diese vollständig unrichtige Ansicht können wir jedoch durch die unmittelbar nachfolgende Urkunde widerlegen. Es ist dies die Zollordnung Kaiser Ludwigs aus dem Dahre 906, die wiederum von Slaven spricht, welche in jenem Teile Österreichs ansässig sind, der damals bis zur Enns zu Bayern gehörte, und ausserdem von Slaven, die jenseits der Donau in Böhmen und anderswo wohnen. Diese Urkunde besagt nun ganz bestimmt, dass die Slaven vollkommen gleichwertig mit den übrigen Bewohnern Bayerns waren, denn in gleicher Weise wie die bayrischen Kaufleute, durften auch sie zu keinem Zolle gezwungen werden, und durften, wie alle übrigen, wo immer Handel treiben; das galt von den Slaven, die in den bayrischen Ländern ansässig waren {„istius patriae“, d. i. desselben Vaterlandes waren), zum Unterschiede von den ausländischen slavi- . sehen Händlern, die aus Böhmen, Mähren und anderswoher kamen, für welche Zölle vorgeschrieben waren, wenn sie in Orte längs der Donau handeltreibend kamen.**) *) Die Form »sclavus« hat sich erst im mittelalterlichen Kanzleilatein gebildet. — Gegen diesen schriftlichen Unfug trat schon Aug. Schlözer, der Begründer der neueren deutschen Geschichtschreibung, in seinem Werke »Allgemeine Nordische Geschichte« (Halle 1771, S. 221) auf, der da wörtlich sagt: »Mit Erlaubnis meiner Leser schreibe ich »Slavisch« und »Slavonisch«, nicht »Scla-vonisch«, denn die letztere Schreibart ist erweislich ungereimt. Der erste, der so schrieb, war ein Hochdeutscher, der kein gelindes s vor einem Konsonanten aussprechen kann, und daher für Stein — S c h t e i n liest (aber nicht schreibt), und für slagen — schlagen sagt (und auch schreibt). Das c in Sclavonisch sollte ursprünglich nur das grobe deutsche sch andeuten, und daher »Schlavonisch« gelesen werden, gerade wie die Rechtschreibung »Schlesien« für »Slesien« üblich geworden; aber in der Folge sah man dieses c für ein k an. — Man vergass, dass ehedem die Deutschen sc für sch geschrieben haben; man fand dabei, dass auch die Griechen »Sklaboi«, nicht »Slaboi« schreiben, denn auch diese haben kein Wort in ihrer Sprache, das mit »sl« anfing, aber wohl »skleros« u. ä. — Man träumte, dass »Slav« (populus = Volk) und »Sklav« (man-cipium = Knecht) verwandte Wörter wären, so wie einst ein Klosterbruder bei den grimmigen Tataren an die Hölle — den Tartarus — dachte und seit der Zeit »Tartaren« schrieb.« **) Wurde schon S. 44 näher besprochen. — Diese Urkunde ist auch in anderer Hinsicht für die Beurteilung der damaligen Grenzen zwischen Böhmen und Österreich wichtig. Ausdrücklich von Slaven und Böhmen spricht auch der Codex des Passauer Bischofs Pilgrim (983—991), in welchem die Grenzen des Passauer Bistums bezeichnet sind; danach ging die Grenze entlang des jetzigen Flüsschens Perschling (damals Persinicha), welches sich unweit Tulln in die Donau ergiesst, und an diesem Flüsschen und in der Tullner Niederung werden Böhmen erwähnt, die diese Gegend bebauen und beackern, u. zw. geschieht dies mit folgenden Worten: „ . . . deinde Traisimani civiiatem sancti Hypoliü martyris . . . postea Persinicha sicut Wilhelmus in proprium possidebat, quod tempore praesenti bo'emani insidendo arabant . . . !*) (Monumenta Boica XXVIII. Pag. 87.) Wir haben also in allen Tälern an der Donau in Österreich offensichtliche Spuren und historische Aufzeichnungen über Slaven. Sehr interessant ist auch der Schenkungsbrief Kaiser Ottos II. aus dem Oahre 979, welcher die Beschreibung der dem Regensburger Bischof Wolfgang geschenkten Ländereien zwischen den Flüssen Erlaff und Ibiss (Ybbs) enthält, mit der Bestimmung, an dem Orte, der „Zvisila“ (jetzt Wieselburg) genannt wird, eine Befestigung gegen , die Magyaren zu erbauen. Diese Urkunde sollten auch insbesondere jene Deutschen beachten, welche böhmische Ortsbezeichnungen in Österreich nicht zulassen wollen; mögen sie sich dessen bewusst werden, dass unsere Ortsbezeichnungen die ursprünglichen sind und die ihrigen eben verstümmelte slavische, und ferner mögen sie daran denken, dass noch zu Ende des X. Gahrhunder-tes hier überhaupt keine deutschen Ortsbezeichnungen existierten, dass die Deutschen selbst, wenn sie eine Gegend hier bezeichnen wollten, sich des slavischen Namens bedienten, wie dies z. B. Kaiser Otto II. tut: „. . . ubi praenominati jluvioli confluunt usque ad Ibisam, ubi ipsum flumen huic confluvio Erlafarum proximum est et sursum per litus Ibisae usque in rivum qui vocatur „Zucha“ (Suchä). Et per hunc usque in montem, qui dicitur slavonice „Ruznice“ . . d. h.: „ ... wo die erwähnten Flüsschen zusammenfliessen bis zum Flusse Ibis, wo ihr Lauf am nächsten der Erlaf ist und oben entlang der Ibis bis zu dem Bache, den man „Suchä“ nennt, und diesen entlang bis zu dem Berge, der den slavischen Namen „Ruznice" trägt.“ *) . . . dann (passiert die Grenze) das Traisen-Gebiet bei St. Pölten . . . dann Perschling, wie es Wilhelm zu eigen besass, das aber in der gegenwärtigen Zeit die Böhmen innehaben und bebauen. Waren demnach die Täler südlich der Donau von Böhmen bewohn!, wie dies die oberwähnten historischen Belege erweisen, so ist umsomehr anzunehmen, dass auch die Gegend an der jetzigen böhmischen Grenze von ihnen besiedelt war, denn nur durch dieses Gebiet konnten erst die Böhmen in die Täler südlich der Donau gelangen. Die Gegend nördlich der Donau bis zur gegenwärtigen böhmischen Grenze war damals mit undurchdringlichem Urwald bedeckt, „silva nortica“ genannt, und deshalb war dieses ganze Gebiet nur sehr dünn besiedelt. Jedoch selbst diese spärlichen ursprünglichen Ansiedelungen haben uns sichtbare Spuren ihres slavischen Ursprunges hinterlassen, und entlang der böhmischen Grenze hat sich sogar bis heute die alteingesessene böhmische Bevölkerung erhalten. Die oberwähnte Gegend war jedoch nicht allein von Böhmen besiedelt, sie hat auch als ein Teil des Böhmerwaldes zu Böhmen gehört, bis die Deutschen kamen, unsere entlegenen Ortschaften bedrängten, sie germanisierten, und als die Böhmen ihre Ansiedlungen weiterhin nicht mehr freiwillig verlassen wollten, zogen Soldaten gegen sie aus, besiegten sie und bemächtigten sich des eroberten Gebietes. Danach besetzten die Deutschen das Land dichter mit Kolonisten. Einen grossen Teil des gegenwärtigen Österreich nahm das böhmische Gebiet „Vitoraz“ ein, denn dieses reichte ursprünglich bis über den Fluss Kouba (Kamp); dieses gehörte bis zum Ende des Xlll. Jahrhundertes zu Böhmen. Dass die Person des Begründers dieses Gebietes eine historische ist und dass derselbe ein böhmischer Fürst war, das bezeugen die Annalen von Fulda, in denen um das Jahr 857 von Vitoraz und seinen Söhnen gesprochen wird: „ . . . Olganus episcopus et Hrnoldus comes palatii ei Ernestus jilius Ernesti ducis cum hominibus suis in Bo'emanos missi, civitatem Wiztrachi, ducis ab annis multis rebellem occupaverunt expulso ab ea Slavitago, filio Witztrachi, qui iyrannidem tune in ea exercebat. Quo perfuga lapso et ad Rastizen se conferente, frater eius qui ab eo patria pulsus apud Zistiboron Sorabum exulabat, ad regem jideliter veniens, loco fratris dux constituitur . . d. h.: „ ... Otokar der Bischof, Arnold der Reichsgraf und Ernst, Sohn des Herzogs Ernst, die mit ihren Kriegern gegen die Böhmen entsandt wurden, haben die Ansiedlung Vitorads, eines seit vielen Jahren rebellierenden Herzogs, eingenommen und den Slavitah, Sohn des Vitorad, der in dieser Gegend als unabhängiger Fürst herrschte, verjagt. Als dieser sich durch die Flucht gerettet und bei Rostislav verborgen, weilte sein aus der Heimat vertriebener Bruder bei dem Serbenfürsten Cestibor in der Ver- bannung und nahm sodann im Vertrauen zum Könige bei diesem Zuflucht, der ihn neuerlich mit seiner früheren Herrschaft belehnte.“ Daraus ist auch ersichtlich, dass das Witorader Gebiet ein g r o s-ses Fürstentum war und keineswegs nur das Gebiet der gegenwärtigen Stadt, da doch sonst der Kaiser kaum ein grosses Heer zu deren Eroberung ausgesandt hätte. Über die Böhmen im Vitorazer Gebiete erfahren wir noch mehr aus den „Annales Claravallenses“, welche mit dem Jahre 1083 beginnen. Diese erzählen, wohl auf Grundlage anderer Quellen, dass die Böhmen diese ganze Gegend nach den Bojern bis zur Donau besetzten und sich deren Sitze hauptsächlich im Tale der Stadt Rohy (Horn) und Bejdov (Boidhofium, Baidhofium, daraus das jetzige Waidhofen), ausbreiteten. Eine der ältesten Ansiedlungen ist S v e 11 ä (Zwettl), von welcher die alten Chroniken besagen, dass sie bereits ein Mittelpunkt der Bojer gewesen sei. Dass sich die Böhmen nach ihnen auch hier niederliessen, das beweist uns schon der Name, und wer es nicht glauben will, möge nur die erwähnten Annalen zur Hand nehmen, er wird dann sicherlich die Lust verlieren, auf etymologischem Wege beweisen zu wollen, dass „Zwettl“ nicht slavischen Ursprungs sei, wie dies die deutschen Forscher getan haben, wobei sie lieber ihre eigene Unkenntnis zugestanden haben, da sie hiemit bewiesen, nicht einmal so wichtige Quellen der eigenen Geschichte ihrer Heimat zu kennen, als der Wahrheit die Ehre zu geben. Im Jahre 1084 erzählen die Zwettelschen Annalen: „Nizo igitur praedium sibi aedijicavit aut destructum reaedificavit nomine „Zwetelam“, quod ab origine bohemicum est. . (Deutsch: Nizo baute sich eine Burg oder liess die verfallene wieder aufrichten, namens Zwettl, welches seinem Ursprünge nach böhmisch ist.) Ausserdem sagt uns eine alte Mappe, welche die Gründung des Zwetteler Klosters darstellt, dasselbe nur noch deutlicher in ihrer Inschrift, welche lautet: „Mo-nasterium Zwetelense nomen suum accepit a vocabulo bohemico: Swietlo, quod lumen significat, unde Claravallis Austriae vocatur“. (Zu deutsch: „Das Zwetteler Kloster hat seinen Namen von dem böhmischen Worte „svetlo“ erhalten, woher auch der lateinische Name Claravallis stammt.“) Zu Beginn unserer Darlegung sagten wir, dass wir uns in Österreich nicht nur zuhause fühlen sollen, da unsere Vorfahren hier die ursprünglichen Bewohner waren, wie vorstehend genau bewiesen worden ist, sondern auch deshalb, weil ein grosser Teil von Österreich zu Böhmen gehörte; fassen wir daher die früheren Grenzen ins Auge, ln dieser Angelegenheit kann uns das merkwürdige Schweigen der deutschen Gelehrten nur bedeutungsvoll erscheinen. Wenn wir deren Schriften einsehen, finden wir gar selten eine Erwähnung über die alte Zeit der an Böhmen grenzenden Gegend jenseits der Donau. Warum sie wohl ihre Forschung durch die Donau begrenzen, weshalb tuen sie bei der Verarbeitung einer allgemeinen Geschichte Österreichs davon, was hier jenseits der Donau vor Jahrhunderten geschehen ist, mit keinem Worte Erwähnung? Und diejenigen von den späteren, die hievon schreiben und der Wahrheit die Ehre geben, dass sie nämlich zum grössten Teile zu Böhmen gehörte, die werden gewöhnlich von ihren eigenen Stammesgenossen angefallen und ernten wenig Dank dafür. (Siehe Heyrenbach, Pröckel usw.) Doch fragen wir die deutschen Forscher, wenn sie so gerne die Existenz der alten hiesigen böhmischen Ansiedelungen leugnen, auf welcher Grundlage sie dies tun. Wem von ihnen sind die wirklichen nördlichen Grenzen ihrer alten Mark bekannt? Kann jemand behaupten, dass schon zu Zeiten Karls des Grossen die böhmischmährische Grenze dieselbe war wie heute? Die schon erwähnte Zollordnung Ludwigs aus dem Jahre 906 führt uns zu einer vollständig anderen Ansicht. Schon in dieser ist von Gegenden die Rede, welche zu Bayern gehören, zum Unterschiede von fremden; hier werden die heimischen Slaven (istius patriae) und andere Slaven (de Boemanis et Rugis) als fremde erwähnt und zwischen diesen wird als Grenze die Donau gesetzt. Wir lesen da wörtlich nachstehendes: „ . . . Ubicumque juxta ripam Danubii (wo immer längs des Ufers der Donau). Sicherlich hätte Ludwig andere Orte genannt, bei deren Überschreitung die böhmischen Kaufleute hätten Zoll zahlen müssen, wenn er nicht als die eigentliche Grenze zwischen seinen Ländern und Böhmen die Donau anerkannt hätte. Es ist möglich zu verfolgen, wie die Deutschen nach und nach die Grenzen verschoben: Im Jahre 1010, also hundert Jahre nach der genannten Zollordnung, verlautbart Kaiser Heinrich II. eine neue Verordnung, in welcher als Grenze Böhmens in Österreich der erwähnte Nordwald (Silva Nortica) bezeichnet wird: „ ... portionem silvae, quae vocatur Nordwald a jonte fluminis Iltza sursum usque ad terminum prae-dictae silvae, quae separat duas terras Baioariam videlicet et Boemiam.“ (Deutsch: „...wir schenken einen Teil des Waldes, der Nordwald benannt wird, von den Quellen des Flusses Iltza bis zu der bezeich-neten Stelle des genannten Waldes, der zwei Länder, nämlich Bayern und Böhmen, teilt.“ Monumenta Boica Heinrich II. 1010.) Dieser Wald ist allgemein als damalige Grenze auch von den Deutschen anerkannt worden. Da es aber damals nicht möglich war, in einem so ausge-gedehnten Urwalde eine strikte Grenze zu bestimmen, haben dies die deutschen Bewohner der Mark (Ostarichi Österreich) ausgenützt und später den grösseren Teil dieses zu Böhmen gehörigen Waldes eingenommen. In jüngerer Zeit sind ihnen auch die modernen österreichischen Historiker zu Hilfe gekommen. Diese konnten zwar nicht leugnen, dass der Nordwald die böhmische Grenze war; damit sie aber nicht einzugestehen brauchen, dass die Deutschen unser böhmisches Land zur Erweiterung ihrer Mark annektierten, schufen sie die Tradition, es sei allerdings wahr, dass der Nordwald die Landesgrenze bildete, aber dieser lief entlang der jetzigen Grenze Böhmens. Sie haben sonach aus dem Nordwald einen ganz unbedeutenden Wald gemacht und wollten damit erklären, dass die Grenze Böhmens nicht viel weiter gehen konnte, als es jetzt der Fall ist. Aber diese Tradition stimmt mit der Wahrheit nicht überein. Dank alten Aufzeichnungen sind wir in der Lage genau zu beweisen, dass sich der Wald über das ganze Gebiet bis zur Donau ausstreckte und dass die Österreicher erst im XII. ¿Jahrhunderte sich daselbst zahlreicher ansässig machten. Noch in dieser Zeit verlegen ihre eigenen Aufzeichnungen Krumau an der Kamp in den Nordwald: „praedium in Chrumpenawe, quod in nórtica silva ad Campium fluvium situm est“ (Annal. Clarav.), d. h.: „die Krumauer Herrschaft, welche im Nordwald längs des Kampflusses liegt“, was sonach sehr weit von den heutigen Grenzen Böhmens entfernt ist. — Auch Zwettl wurde damals als in der Mitte des Nordwaldes gelegen bezeichnet. Bei dieser Gelegenheit wurde neuerlich von den Böhmen als den ursprünglichen Bewohnern dieser Gegend gesprochen. Die Annalen von Zwettl erzählen von Azon, dem Gründer des mächtigen Stammes der Kuenringer, der die Böhmen bekriegte und diese in den genannten Wald zurücktrieb, als sie sich gegen die deutsche Invasion wehrten und ihre Niederlassungen den Österreichern freiwillig nicht überlassen wollten. Dafür bekam er als Lehen die ganze Gegend, die er von den Böhmen erobert hatte. Dort begann er Burgen zu bauen und die Deutschen anzusiedeln. Seinem älteren Sohne gab er Krumau und dem jüngeren Zwettl, wie aus den Aufzeichnungen folgenden Wortlautes hervorgeht: „ .. . Deinde colli-gutur Nizonem, natu minorem filium suum, in ipsam silvam Norticam constituisse, illique castrum seu praedium, quod aedijicasse nomine Zwet-tela, ubi forte antea Boemi Slavi residerunt. . *) (Anuales Claravall.) Daraus ist also zu ersehen, dass die Behauptung der Deutschen, als hätte sich der Nordwald nur an den jetzigen böhmischen Grenzen ausgebreitet, nicht mit der Wahrheit übereinstimmt. *) D. h.: »Dann veranlasste er seinen jüngeren Sohn Nizo sich im Nordwalde niederzulassen und dort, wo ungefähr früher die böhmischen Slaven sassen, eine Burg oder eine Ansiedlung des Namens »Zwettela« zu erbauen.« Richtig dagegen isi die Anschauung des einzigen deutschen Professors Pröckel, welcher die südlichen Grenzen Böhmens im XL Dahr-hunderte an den Kampfluss verlegt, und sicherlich hatte auch er seinen Landsleuten nicht weniger geben wollen. Wenn wir jedoch die alten Handschriften mit Verständnis lesen, so erkennen wir, dass noch im XII. ¡Jahrhunderte die böhmische Grenze tief in das eigentliche Österreich hineinlief. Im Dahre 1110 wurde die Pfarre Grimhartstettin (Gramatstetten) in Oberösterreich an der Donau gegründet, ln dem Gründungsbriefe sind die Grenzen der Pfarre genau bezeichnet, und da wird auf der einen Seite die böhmische Landesgrenze angegeben, sonach diese Pfarre unmittelbar an das böhmische Gebiet grenzen musste. Heute ist sie, wie bekannt, sehr weit davon entfernt. Gehen wir nun zu Niederösterreich über, so finden wir hier in dieser Zeit noch das selbständige böhmische Vitorazsko, an der böhmischen und mährischen Grenze das selbständige Österreich („Rakousy", nicht zu verwechseln mit dem heutigen Begriffe von Österreich!). Es ist dies das Gebiet, für welches unsere Benennung „Rakousy“ die ursprüngliche ist. Erst als die Herzoge der alten Mark sich dieses Gebiet angeeignet halten, ging unsere ursprüngliche Benennung auf ihr ganzes Land und von hier auf die ganze Monarchie über, welche wir „Rakousko“ nennen. Das Dahr 1131 wird in der Chronik von Kosmas mit dem Zuge des Bischofs von Münster nach Rom in Verbindung gebracht, welcher daselbst den Papst Paul benachrichtigen sollte, dass die Hilfstruppen des deutschen Kaisers Lothar im Anzuge seien; da dieser Gesandte vor dem Rivalen Lothars, Konrad, Furcht hatte, reiste er auf einem Umwege nach Böhmen und von hier über das Gebiet des österreichischen Markgrafen, „marchionis Racd’sis“, zurück: . . . Anno Dominice Incarnationis mit. CXXXI. III. Calendas Apri-lis . . . Qui ob metunx jalsi regis Conradi una ab recta via deviando venit in Bohemiam . . tandem a duce Sobieslao decenier donalus per regionem Racd’sis marchionis iransiit, sicque per multas provincias tran-siens rediit ad sua. (Continuatio Chron. Bohem. Cosmae), d. h.: der aus Furcht vor dem Pseudokönig Konrad vom richtigen Wege abweichend nach Böhmen kam . . . Nichtsdestoweniger wurde er vom Herzog Sobeslav freigebig beschenkt und kehrte über das österreichische Gebiet nach Passierung einiger Länder nachhause zurück.“ Zuerst müssen wir wissen, wo sich jenes Gebiet „marchionis Racd’sis“ befand. Das Wort „Racd" findet sich im Mittelalter in lateinischen Chroniken und Dokumenten in verschiedenen Formen, wie: Racd, Racz, Rachz, Rakz, Rags, Ragez, Rakez, und bedeutet unsere alte Benennung einer Burg „Ragus“ oder „Rakös“ an dem Zusammenflüsse der Taya, die wir heute richtig „Rakous“ benennen; die Deutschen haben dieselbe zu „Raabs“ verstümmelt. Also dieses Gebiet hiess ursprünglich nach der dortigen Burg „Rakousy“, und hätte dasselbe zur Mark (Ostarichi) gehört, so hätte es unser Geschichtsschreiber sicherlich nicht als ein Gebiet bezeichnet, das einen eigenen Herrscher hat. Daraus geht klar hervor, dass damals noch ein grosser Teil des Landes Österreich, wo die Deutschen nicht einmal eine böhmische Benennung zulassen wollen, ihnen gar nicht gehört hat. Noch damals im XII. Jahrhunderte konnte anfangs die Nordgrenze der Mark höchstens der Kampfluss bilden, über die Städte Horn und Eggenburg aber die Flüsschen Pulkau und Taya. Am längsten erhielt sich uns das Weitragebiet (Vitorazsko), welches im Jahre 1185 von dem böhmischen Herzog Friedrich Hadamar II. von Kuenring zum Lehen gegeben wurde dafür, dass er diesem unserem Herzoge die Hilfe des österreichischen Heeres in seinem Kampfe um den Thron Böhmens gebracht hatte. Unter der Herrschaft der Herren von Kuenring wurde das Weitragebiet rasch germanisiert, gehörte jedoch auch weiterhin zu Böhmen, da es ein Lehen des Landes Böhmen blieb. Erst im Jahre 1279 wurde es dauernd an Österreich angeschlossen, und zwar unter folgenden Umständen: Der Weiiraer Zweig der Herren von Kuenring hielt treu zum König Ottokar II. in seinen Kämpfen um das österreichische Erbe, einerseits gebunden durch die Treue als Lehensherr, hauptsächlich jedoch deshalb, weil es diesen stolzen Herren mehr gefiel, dem berühmten und mächtigen Könige Ottokar zu dienen, da er wohl ihren Bestrebungen mehr entgegenkam, als der österreichische Herzog; ausserdem waren die Kuenringe auch mit ihm verwandt. Wie bekannt, schloss Premysl Ottokar II. noch als Prinz eine morganatische Ehe mit einer Hofdame, der allgemein bekannten „Palcarik" (nach dem Zuschnitt der Haare), welche mit ihrem wahren Namen Agnes von Kuenring hiess. Aus dieser Ehe stammten drei Kinder, und zwar zwei Töchter und ein Sohn. Die Tochter Agnes wurde von Ottokar II. Hamadar V. von Kuenring zur Frau gegeben. Deshalb sehen wir auch auf dem unglücklichen Marchfelde (1278) die Kuenringe an der Seite unseres Königs, durch dessen Fall auch sie ihres Beschützers beraubt waren, so dass das Heer Rudolfs von Habsburg zur Eroberung von Weitra nicht vieler Mühe bedurfte, da es hier damals niemanden gab, der die Lehen des Landes Böhmen beschützt und die Konfiskation der Kuenringschen Güter verhindert hätte. Die Kuenringe mussten überdies landflüchtig werden. Das Weitragebiet wurde damit für immer i. 0. 1279 von Böhmen abgetrennt und die Güter der Kuenringe fielen der Krone zu, von denen sich z. B. Gmünd bis heute im Besitze eines Erzherzogs befindet. Wie wir sehen, haben daher die Grenzen Böhmens und der Ostmark erst i. 3. 1279 ihre jetzige Gestalt bekommen. Allerdings liess sich das böhmische Element nicht so leicht verschieben, wie die Grenze; dieses Element lebt hier auch naturkräftig weiterhin, und wo sich kein anderes Denkmal nach unseren Vorfahren erhalten hat, dort sind wenigstens die Namen geblieben, welche deren Ansiedlung melden. Von diesen Namen haben sich uns viele durch mündliche Überlieferung erhalten oder wir kennen sie aus alten Büchern. Dass die Zahl solcher Orte ungewöhnlich gross ist, davon zeugt die Abhandlung von Prof. Sembera (Blätter für die Landeskunde von Niederösterreich 1871, S. 62—69), welcher die Anzahl der Namen verschiedener Ortschaften, aus denen ihr slavischer Ursprung erkannt werden könne, allerdings auf einfacher etymologischer Grundlage, auf ungefähr tausend abschätzt. Aber die Deutschen kommen in dieser Hinsicht gleich mit Beweisen für das direkte Gegenteil; ob jedoch ihre Angaben nur einiger-massen wahrscheinlich sind, darum kümmern sie sich allerdings nicht. Sehen wir uns ein Beispiel an: wer imstande ist aus dem alten Zwettl den Ursprung „Zweiental“ abzuleiten, trotzdem der eigene Vater ihm zum ewigen Gedächtnis ins Buch geschrieben hat, dass seine wahren Vorfahren diesen Namen von dem böhmischen „swietlo“ genommen haben, oder wer in dem Namen „Witoraz“ nach dei deutschen Benennung „Weitra“ den Ursprung „Veitrache" (!) zu suchen imstande ist, obgleich die alten Chroniken ausdrücklich von dem Begründer „Vitorad“ sprechen, der ignoriert einfach die Geschichte und wird zu einem willkürlichen Etymologen, bei dem allerdings von irgendwelchem Ernste nicht die Rede sein kann! Die Deutschen wollen uns die Richtigkeit unserer eigenen Benennungen nicht zulassen, welche angeblich erdichtet sein sollen und in Wirklichkeit nie existiert hätten! Deshalb wollen wir nur einige von ihnen als Beispiel bringen und zeigen, welche Namen hier früher waren und schliesslich dieselben mit unseren jetzigen und den deutschen Namen vergleichen. Wir werden sofort sehen, wer die Namen gefälscht hat und wem die korrumpierten, daher unberechtigten Namen angehören. Im Dahre 859 schenkt der deutsche Kaiser Ludwig einen Teil des Gebietes, welches „Tullina“ genannt wird (qui vocatur Tullina),. 1283 (Annal. Claravall.) Tulna, 1275 Tulna, 13% Tulna, böhmisch bisher auch Tulnä (von „dol, dül“ = Tal); auch die Deutschen haben jetzt „Tulln“ und wollen für sich den Ursprung des Namens von „Thal“ nachweisen. Noch besser sehen wir dies, wessen Namen erdichtel sind, bei dem Orle „Slunice“; es war dies eine der ältesten Burgen des Adels desselben Namens im dahre 1160 Pabo de Slunize (Slunice), 1207 de Sleynce, 1217 de Slennize, 1234 Otto de Slenitz, 1259 Chrofto de Sleuntz, 1268 Cunradus de Slunz. Hier ist gut zu sehen, wie die Deutschen die Namen schrittweise verstümmelten. Heute heisst der Ort „Schleinitz“ bei Eggenburg. Im dahre 1175 Kiow (Kyjov), 1188 Chiow, 1268 Kyaw, 1282 Chyaw, heute „Kaja“, eine uralte Ruine bei Retz. Den böhmischen Ursprung zeigt auch der Sitz eines alten mächtigen Geschlechtes aus dem heutigen Meissau: 1273 schrieb und hiess dieses noch Mischow (Mišov, Annal. Claravall.) Ursprünglich ist auch unser Name Ličov: lateinische Annalen bezeichnen dasselbe im dahre 1229 Litschow, 1232 Litschow, 1335 Litschaw, heute „Litschau“. (Annal. Claravall.) An den böhmischen Namen Medlik wird noch 1206 erinnert: de Me-delico, 1228 de Medlico, 1268 de Medlico (Annal. Claravall.) 1261 de Medlico (Monum. Boica). Was für einen Grund haben also die Deutschen für die dermalige Benennung „Melk“ statt „Metlika“ ? — Wachawa: 977 schenkt Otto die Gegend der jetzigen Wachau und beschreibt dieselbe u. a. mit den Worten: „hoc esl in loco, qui dicitur Wachawa in ripa Danubii“ (deutsch: d. i. in der Gegend welche „Wachawa“ genannt wird, am Ufer der Donau). Auch anderswo in alten Dokumenten lesen wir einzig „Wachawa“ und nun haben daraus die Deutschen ihre „Wachau“. Von der Burg Raküs oder Rakous war schon die Rede; diese Burg war der Sitz des „župan“ der dortigen Gegend, deren Bewohner danach „Rakusy“ Wessen, und bereits bei dem griechischen Ptole-mäus genannt werden, welcher sagt: „Luna silva, • sub qua gens magna Boemi usque Danubium, qui-bus continui sunt juxta fluvium Teracatriae et penes campo Racatae ..." (d. h.: „Der Mondwald-Manhart, unterhalb dessen die grosse Nation der Boemi bis zur Donau siedelt und bis zum Flusse March reicht und auf der weiteren Ebene die Rakati ...“) Im Mittelalter taucht für diese Burg der Name Rakez, Ragez, Ragus auf, was mit unserem Rakus vollkommen übereinstimmt. Die jetzige deutsche Bezeichnung „Raabs“ zu begründen ist allerdings unmöglich; die Geschichte bietet hier nicht die geringste Stütze und müssen die Deutschen neuerdings ihre Zuflucht ausschliesslich zur willkürlichen Etymologie nehmen. Für „Svetlä“ und „Vitoraz“ genügt auch sicherlich das, was darüber früher angedeutet wurde, und dies sind durchwegs Orte, deren originale Bezeichnung uns die Geschichte selbst erhalten hat. — Aber die Deutschen wollen auch nicht die Benennungen von anderen kleineren Orten zulassen und da lässt sich allerdings die Richtigkeit unserer Benennungen nicht immer durch alte Urkunden belegen, da diese Orte meist keine hervorragende Rolle in der Geschichte gespielt haben. So z. B. der Ort „Rapsach“ im Weitragebiete, welcher bis heute überwiegend böhmische Bevölkerung hat! Unser Volk hat ihn niemals anders genannt — was durch einwandfreie Zeugen bewiesen werden kann — als „Rapsach“, und unweit davon „Hrabanos“ ; erst unverhältnismässig später erscheinen die deutschen Bezeichnungen „Rottenschachen“ und „Zuggers" (bei Gmünd). Wie auffällig muss es sein auf einmal die Behauptung zu hören, dass die jetzigen Deutschen diese Benennungen nicht zulassen wollen, da diese niemals existiert hätten; die lokale Volksüberlieferung hat bei ihnen keinen Wert. Aber auch hier war uns ein ganz besonderer Zufall hold. Als wir unter anderem auch ein Verzeichnis der Pfarreien des Passauer Bistums sorgfältig durchsahen, zu welchem früher auch die Pfarre Rapsach gehörte, lasen wir den eigentlichen Namen dieser Pfarre „Rapischach“. Aber noch auf eine andere Quelle kann hingewiesen werden. Wir bekamen eine alte Mappe von Österreich aus dem XVII. ¡Jahrhunderte in die Hand, welche an dieser Stelle ausdrücklich die Ortschaft „Rapschachen“ (also durchaus kein „Rottenschachen“, wie es die Deutschen also erst nach dieser Zeit umgetauft haben) anführt. Weiters befindet sich bei Gmünd eine von den Deutschen „Has-lau“ genannte Ortschaft; die Böhmen benennen diesen Ort von alters-her „Cählava“ (Annal. Claravall.), vom Oahre 1336 wurde diese Ortschaft „Zaglava" (Cahlava) eingetragen. Richtig ist, dass unser „3am-nik“ (Annal. Claravall.) im Oahre 1352 Zamnik (Codex Patav.) später „Gemnik“ benannt ist. Die Deutschen nannten diese Ortschaft „Ga-ming“. Also hier wollten die Deutschen die Richtigkeit unserer Benennungen bestreiten und haben hiezu eine gewiss zweischneidige Waffe gewählt, die, wie zu ersehen ist, zu ihrer eigenen Enttäuschung wurde, denn schon aus diesen kleinen Beispielen haben wir erkannt, dass gerade die deutschen Benennungen jüngeren Datums sind und früher überhaupt nicht existierten, r;.-. '^3CO . xio-Ptol und dass hingegenunsere bohmischen Benennungen die Originalnamen sind. Belrachien wir noch kurz die Originalbenennungen des deutschen Adels; schon die Namen ihrer Stammsitze sind oft von einem sonderbaren Deutsch! — Im ¡Jahre 1168 sind bei einer Dotation des Klosters Zwettl folgende Adelige dieses Kreises unterfertigt: Mein-hardus de Radechow, Wolker de Grifza, Azzo de Chocendorf (Cho-ceh), 1272 Chozen, 1272 Choscen, und heute ist daraus das deutsche Kotzendorf! ... Pabo de Slunic, das heutige deutsche Schleinitz! Eu-chebertus de Gors (Gorse = Gorice), das jetzige deutsche Gars. Dedal-rich de Borekheim (Borek), Ulricus de Radune (Radun). Wir glauben, dass das wenige, was hier objektiv aus der Geschichte herausgehoben wurde, vollkommen genügt, um uns und unseren Gegnern zu beweisen, dass wir nicht blosse Gäste oder Einwanderer hier sind, sondern eine altangesessene Nation, deren Väter als erste den Boden Österreichs urbar machten und ihre Wohnsitze hier aufschlugen, deren Benennungen ursprünglich auch böhmisch waren, daher einzig und allein für diese Zeit berechtigt sind. — M. Zunkovic: »Die Geschichte von Igors Kriegszuge.« Das älteste russische Heldengedicht. Graf Alexei Ivanovic Musin-Puskin (1774—1817), ein unermüdlicher Forscher in der Geschichte und Literatur des russischen Altertums, verwendete seine reichen Mittel dazu, sich zu diesem Zwecke möglichst viel Materialien zu verschaffen. So gelang es ihm auch alle alten russischen Bücher eines Klosters zu erwerben. In dieser Sammlung wurde nun im Oahre 1795 obige Dichtung, in der Literatur als „Slovo o polku Igorevje“ bekannt, entdeckt und im ¡Jahre 1800 zum erstenmale veröffentlicht. Bei dem Mangel an philologischen wie pa-läographischen Kenntnissen der damaligen Kommentatoren konnte es aber nicht anders kommen, als dass die Ausgabe völlig unkritisch und fehlerhaft ausfiel. Beim grossen Brande von Moskau im Dahre 1812 ging jedoch diese Handschrift nebst anderen wertvollen Stücken der Sammlungen des genannten Grafen zugrunde. Zum Glücke wurden zwei Kopien verfasst; i. 3. 1861 fand man unter den Papieren der Kaiserin Katarina II. (1762—1797) sogar ein weiteres Faksimile. Die auf Glanzpapier geschriebene, zugleich mil Handschriften anderer Art in einem Bande befindliche Dichtung kann nur in der Zeit von 1186—1194 verfasst worden sein, weil dies aus bestimmten Stellen des Inhaltes untrüglich hervorgeht. Die gefundene Handschrift ist selbstredend eine Kopie, welche einige Paläographen dem XIV., andere dem XVI. Dahrhunderte zuschreiben. Wie bei jedem anderen altslavischen Kulturdokumente, ist auch bei dieser Dichtung weder das Alter noch die Echtheit oder Ursprünglichkeit von der willkürlichsten Kritik unbestritten geblieben. Vor allem hat der Universitätsprofessor Michael Kacenovski in Moskau um das dahr 1840 mit seiner Pauschalverdächtigung, dass die ganze russische Kirchen- und Profanläteratur aus der vormongolischen wie mongolischen Zeit (1224—1480), sonach also auch das Igor-Lied, ein Machwerk der Mönche späterer Zeit sei, eine vorübergehende Aufregung verursacht; doch nahm man die Sache sehr bald wieder von der heiteren Seite, als unwiderlegliche Beweise von der Unhaltbarkeil seiner Behauptungen erbracht wurden.1) Die Dichtung gehört in die Kategorie der feierlich getragenen, poetischen Prosa und hat die Grundidee und Tendenz auf die Nachteile der unaufhörlichen Zwiste unter den Teilfürsten aufmerksam zu machen, und die Vereinigung des ganzen Russenlandes unter einem Fürsten als das Erspriesslichste darzustellen. Der Inhalt ist kurz folgender: Igor, der Teilfürst von Novgorod-5jeversk, unternimmt im Dahre 1185 einen Kriegszug gegen die heidnischen Polovzer und schlägt sie. Doch die nach diesem Siege zur Schau getragene militärische Sorglosigkeit der Russen benützen die Polovzer, überfallen mit Erfolg das Lager derselben und nehmen Igor gefangen; dieser ent- *) *) Es ist übrigens nicht unbekannt, dass bisher eigentlich kein Werk der Weltliteratur unangefochten blieb. Immer finden sich krankhaft ehrgeizige Männer mit inferiorem Gesichtskreise, die, sobald sie an eine unüberwindliche Wissensoder Urteilsgrenze stossen, lieber das Hindernis ihrer vorgefassten Urteile beseitigen, statt offen zu bekennen: »ich verstehe es nicht«. — Es seien nachstehend noch einige solche konkrete Entgleisungen pathologischer Uberkritik angeführt. Der Typus eines solchen literarischen Nihilisten war z. B. Jean Har-douin (1646—1729). Dieser erklärte alle alten Kirchenschriftsteller sowie die gesamten altklassischen Werke — bis auf vier minderwichtige — für gefälscht und unterschoben, und wusste auch zu erzählen, dass sie alle im 13. Jahrhunderte unter der wissenschaftlichen Führung eines gewissen Severus Archontius von verschiedenen Mönchen verfasst seien. Überdies erklärte er alle alten Münzen, die wo ausgegraben wurden, für Nachmachungen. Die ungeheure Aufregung in der Gelehrtenwelt, die sich daraus ergab, legte sich aber bald, denn als Hardouin als angesehener Jesuitenpater auch alle Konzile bis zum Tridentinischen (1545—1563) als fingiert erklärte, somit auch jenes von Konstanz (1414—1418) negierte, wo kommt jedoch später mit knapper Not durch Mithilfe eines Getreuen aus der Gefangenschaft. Die Frage, ob hier nicht etwa welches Versmass angewendet sei, nachdem der Text doch fortlaufend geschrieben ist und auch, wie alle alten Handschriften, keine Interpunktionen aufweist, zog einen langen Streit nach sich, der eigentlich noch heute nicht beendet ist. Es lässt sich aber darüber doch ein Schlusswort aussprechen, denn jede Partei befindet sich von ihrem Standpunkte aus im Rechte. Ein bestimmtes Versmass, ja selbst ein bewusster Stabreim ist aus der Dichtung absolut nicht herauszufinden; ist jedoch in einer Dichtung jeder Vers anders, dann ist es eben keine metrische Dichtung im gangbaren Sinne, und dies ist hier offenkundig der Fall. Es ist daher eine volkstümliche Dichtung, die sich durch keine äusseren Formgesetze drosseln lässt, sondern den Inhalt zur Hauptsache macht. Es zeigen daher auch Stellen besonders poetischen Inhaltes einen gewissen, die Begeisterung des Dichters zur Schau tragenden rhyt-mischen Wohlklang, den noch Tropen und Figuren reichlich erhöhen; die prosaischen Stellen des Inhaltes entbehren jedoch derselben. — Das ist einmal bei der bodenständigen und natürlichen Volksdichtung überall so und obwalten genau dieselben Verhältnisse auch bei den altböhmischen epischen Dichtungen der Grünberger und Königinhofer Handschrift, denn der Naturdichter subordiniert immer die Form dem Inhalte. — Wer jedoch unter dem Einflüsse unserer schablonenhaften Schulerziehung steht und eine Dichtung in Prosaform nicht für denkbar hält, der sehe sich die Ilias an. Diese ist bekanntermassen in Hexametern geschrieben, doch welche Gesetze gelten da in bezug auf die Metrik? Nahezu gar keine, und würde man diese Dichtung zusammen- doch Hus nicht in effigie verbrannt wurde, erkannte man ihn schliesslich als gelehrten Querkopf und nahm ihn weiter nicht mehr ernst. — Ähnlich stand es mit Dobrovsky (1817), der die Grünberger Handschrift beim ersten Anblicke als Fälschung erklärte, aber auch dann nicht seine Meinung ändern wollte, als man ihn auf den Missgriff aufmerksam machte, dass er erst das »gemalte« Faksimile gesehen. — Ähnlich war es auch mit der Königinhofer Handschrift und sonstigen allböhmischen Literaturdenkmälern, welche von den Prager Universitätsprofessoren Gebauer und Masaryk (1886) als Fälschungen erklärt wurden. Die Öffentlichkeit nahm dies zum Teile ernst, doch hat die neuere Nachprüfung nachgewiesen, dass jedes Argument der Einwendung gegen die Echtheit unbegründet ist, denn die Fälschungs-»Beweise« waren zum Teile höchst naiv, ja mitunter recht läppisch, zum Teile aber nur die Frucht unglaublicher Wissens- und Forschungsmängel. Man sucht zwar heute diese wissenschaftliche Schande auf jede erdenkliche Art zu verhüllen, aber die nüchterne Intelligenz hat sich über den wahren Sachverhalt längst ihr richtiges Urteil gebildet. hängend und ohne Interpunktionen niederschreiben, so wird sie sofort auch zur poetischen Prosa, denn ein Vers, der aus 5 Daktylen und einem Trochäus bestehen soll, aber dabei ebenso beliebig 1—5 Spondeen anwenden kann, ja sein metrisches Paradigma nahezu nie einhält, kann eigentlich auch nicht zur Kunstmetrik gezählt werden! Wenn aber jeder Vers, wie in der Ilias, ein anderes Bild bieten kann, dann lässt sich wohl auch im Igor-Liede irgendeine Prosodie herauskonstruieren, denn wahrscheinlich hat die Ilias ursprünglich auch nicht anders ausgesehen, und erhielt erst in den mittelalterlichen Klosterzellen die heutige äussere Form. Die beiden Dichtungen verhalten sich daher zu einander wie der englische Park zum französischen ; der eine wächst frei, der andere wird fortgesetzt beschnitten, ■doch bleibt jeder dabei ein — Park. Gerade der Mangel der rhytmischen Gesetze und der metrischen Knebelungen ist es aber, der allen .altslavischen Dichtungen denCharakter und die Punze jener alten, entlegenen Zeit gibt, die sich mit solchen Zieraten noch nicht befasste, daher auch bei keiner derselben schon deshalb von einer modernen Fälschung die Rede sein kann. Dass dabei dem einen Dichter das rhytmische Gefühl mehr im Blute lag, wie dem anderen, das sei aber hier auch nicht bestritten, denn z. B. der Text der Grünberger Handschrift lässt sich zum grossen Teile auf Verse von 5 Trochäen reduzieren; hingegen ist im Igor-Liede oder in den epischen Gedichten der Königinhofer Handschrift kaum eine partielle Gesetzmässigkeit herauszufinden. Wer daher Sinn für Poesie hat, der findet dieselbe auch in einem Opus, das keinen metrischen Kunstschliff hat, leicht heraus; wem aber als Poesie nur das gilt, was reine Vers-füsse und allerlei Reime hat, der kann auch kein ernster Kritiker und Geniesser einer volkstümlichen Dichtung sein. Da nun unsere herrliche, den kriegerischen Geist so edel hervorhebende, ungemein bilderreiche geschichtliche Erzählung, die für die Kultur- und politischen Verhältnisse so reale Daten bietet, ihrem tieferen Inhalte nach bei den Nichtrussen höchst mangelhaft bekannt ist, dann dass viele Stellen auch im Russischen noch heute nicht geklärt sind oder noch immer falsch interpretiert werden, dies gab den Impuls, dieses hochpoetische Denkmal altslavischer Epik von neuem ins Deutsche zu übertragen. Zugleich werden aber hier auch zweifelhafte, unklare wie unlogische Stellen an der Hand der neuesten sprachwissenschaftlichen Forschungen aufgehellt, sowie die zahlreichen, durch die Mythologie und sonstige phantastische Wassertriebe 8* überwucherten Auslegungen entfernt. — Etliche Stellen blieben auch: dem Verfasser noch unklar; es ist aber zu hoffen, dass auch diese mit dem fortschreitenden Erfolge der nun auf eine neue Basis gestellten sprach- und kulturgeschichtlichen Forschungen endlich in den, Lichtkegel gelangen. Alles Nähere bieten die Erläuterungen an Crt und Stelle. Überdies empfiehlt es sich, um über den geographischen Raum des Kriegszuges eine Orientierung zu erhalten, die Lektüre unter Zuhilfenahme einer Karte des südwestlichen Russland vorzunehmen. Der leichteren Übersicht wegen wird, obschon das Original keine Abschnitte aufweist, der Text, analog wie es die bisherigen Kommentatoren taten, in zwölf Teile geteilt. — Zum Vergleiche der Sprache des Originales zur alislavischen oder zu den modernen slavischen Sprachen im allgemeinen, werden hier drei inhaltlich wesentlich verschiedene Stellen in der einfachsten phonischen Transkription, d. i. nach dem slovenischen Alphabete, beigefügt. Abschnitt 1 (Einleitung): Ne Ijepo li ni bjašet, bratje, načjati starimi slovesi trudnih povjestij o piku Igorevje, Igorja Svjatslavliča ? Na-čati že sja ti pjesni po bilinam sevo vremeni a ne po zamišleniju Bojanju! — Abschnitt IX (Mitte): .Na sedmom vječje Bojani vrže Vseslav žrebij o djevicju sebje ljubu. Ti kljukami podprsja. o koni i skoči k gradu Kievu, i dotčesja stružiem zlata stola Kievskavo. Skoči od nih ljutim zvjerem k polnoči iz bjela grada, objesisja sinje mglje, utr že vozzni strikusi ottvori vrata Novugradu, razšibe slava Jaroslavu, skoči vikom do Nemigi s Dudutok. Na Nemizje snopi steljut golovami, molotjat čepi haralužnimi, na tocje život kladut, vjejut dušu od tjela . . . Abschnitt X (Mitte): Jaroslavna rano plačet v Putivlje na za-bralje, arkuči: „O vjetrje, vjetrilo! Čemu, Gospodine, nasilno vjeeši? Čemu mičeši hinovskija strjelki na svoeju trudnoju krilcju, na moeja ladi voj? Malo li ti bjašet gor pod oblaki vjejati, leljejuči korabli na sinje morje? Čemu, Gospodine, moe veselie po kobiliju razvjeja? . . . Text der Dichtung. I. Brüder, wäre es für uns nicht geziemend, mit ehrwürdigen Worten die traurige Geschichte vom Kriegszuge Igors, des Igor Svjatslavlic zu beginnen? Doch dieses Lied muss mil den zeilgemässen Begebnissen beginnen und nichi nach Bojans1) Erdichtungen, denn Bojan war ein Seher, und wollte er jemand besingen, da verbreitete er sich im Gedankenwalde, gleichend dem stichelhaarigen Wolfe auf der Erde oder dem grauen Adler unter den Wolken, wobei er wohl der Weitkämpfe früherer Zeiten gedachte. Damals liess man zehn Falken auf einen Schwarm von Schwänen los; wer einen erreichte, der sang zuerst ein Lied dem alten CJaroslav,2) dem tapfern Mstislav,3) der Rededja niederstreckte vor den Kasogen-Scharen,4) oder dem schönen Roman Svjatslavlic.5) — Brüder! Bojan jedoch, der liess nicht zehn Falken auf einen Schwarm von Schwänen los, sondern er legte seine kundigen Finger auf die lebendigen Saiten ; diese verkündeten dann selbst dem Fürsten den Ruhm. Beginnen wir also, o Brüder, diese Erzählung mit dem alten Viadimer6) bis zum jetzigen Igor,7) der mit seiner Kühnheit den Geist anspannte und mit dem Mannesmute seines Herzens verschärfte; beseelt vom kriegerischen Geiste führte er seine tapferen Scharen bis ins Gebiet der Polovzer,8) jenseits des Russenlandes. II. Da blickt Igor zur hellen Sonne, sieht aber alle seine Scharen vom Schatten bedeckt. Igor spricht nun zu seinen Gefährten: „Brüder und Kameraden! Besser ists für uns niedergehauen zu werden, als gefangen zu sein! Besteigen wir unsere flinken Rosse und sehen 1) Bojan war allen Andeutungen nach jedenfalls ein allgemein bekannter altrussischer Barde. — Diese Stelle zeigt auch, dass es in Russland längst Dichterwettkämpfe gegeben; erhalten hat sich jedoch von diesen poetischen Erzeugnissen nichts, sofern jene alten russischen Volkslieder, die einen Kunstdichter verraten, nicht dieser Provenienz entstammen. 2) Jaroslav Svjatoslavic (1019—1054). 3) Mstislav, Fürst von Tmutorokan, tötete i. J. 1022 den Fürsten der Kasogen, Rededja, einen ungewöhnlich starken Mann, im Zweikampfe. 4) Kasogen, eine Völkerschaft am Azovschen Meere. ä) Roman Svjatoslavic, Fürst von Tmutorokan, mit dem Beinamen der Schöne. 6) Vladimir Monomach (1053—1125), Fürst von Kiev. 7) Igor Svjatoslavic, der Held dieser Dichtung. Die Worte »bis zum jetzigen Igor« besagen deutlich, dass der Verfasser ein Zeitgenosse Igors war, der von 1151—1201 lebte; hingegen lebte der Zeitgenosse Svjatoslav, der 1194 gestorben ist, damals noch; das Gedicht kann also nur in der Zeitspannung von 1186—1194 entstanden sein. s) Polovzer, ein mongolischer Volksstamm, an der unteren Volga und im Mündungsgebiete des Don wohnend. wir uns den blauen Don an!“ — Befeuert vom Tatendrang war des Fürsten Geist und die Sehnsucht, sich mit dem grossen Don zu messen, trat an die Stelle des Omens.9) „Ich will doch," spricht er, „mit euch, Russen, eine Lanze brechen an der Grenze des Polovzer-Fel-des; will mein Haupt dort niederlegen oder aber mit dem Helme den Don austrinken!“ 0 Bojan, o Nachtigall verwichener Zeit! Hättest doch du diese Heere besungen, mit deren Ruhme durch den Gedankenwald schreitend, den Geist bis unter die Wolken erhebend, beide Pole dieser Zeit mit dem Ruhme umwindend! Den Spuren Bojans10) folgend über Feld und Berg, geziemt es dem Enkel nun Igor das Lied zu singen: „Nicht der Sturmwind trieb die Falken über die weiten Felder, sondern Dohlenschwärme flogen dem grossen Don zu." Oder hätte man singen sollen, du Seher Bojan, du Enkel des Veles11): „Die Rosse wiehern hinter der Sula12); es tönet der Ruhm in Kiev; Trompeten schmettern in Novigrad; die Fahnen in Putivl13) stehen.“ Igor harrt Vsevolods,14 15) seines lieben Bruders. Und es spricht zu ihm der kühne Recke]6) Vsevolod: „Einzger Bruder, einzges Licht, du erleuchteter Igor; wir beide sind Söhne Svjatoslavls16)! Sattle, e) »Znamenie« kann hier nur die Bedeutung Omen haben. Die Annahme, dass es sich hier um eine zufällig eingetretene Sonnenfinsternis handle, ist kurzweg abzuweisen, denn es heisst doch; »Igor blickt in die helle Sonne«. — Die Situation ist wohl folgend gewesen; zwischen der Sonne und Igors Scharen stand eine dunkle Wolke, daher sich diese im Schattenkegel befanden, was man eben, als eine schlimme Vorbedeutung auslegte; hingegen war der weiter davon stehende Igor schon ausserhalb des Bereiches des Wolkenschattens. 10) In der Kopie steht hier, wie noch weitere dreimal, sonderbarerweise »Trojan«. Obschon es auch dem Zusammenhänge nach offenkundig ist, dass hier immer »Bojan« gemeint sein muss, führte dies trotzdem zu den sonderbarsten Auslegungen. Die Erklärung ist jedoch sehr einfach; es wurde eben das cyrillische »B«, da die Handschrift an vielen Stellen schon schwer leserlich war, als »Tr« gelesen, was die Form des erwähnten Buchstaben an sich erklärlich macht. 11) Trotzdem es ausdrücklich heisst, dass der Grossvater Bojans »Veles« hiess, will man hier gegen alle Logik, ja sogar gegen die Bestrebungen des Dichters, der sich selbst in die Phantastereien Bojans zu begeben wehrt, den slavischen Hirte n g o 11 entdeckt haben. 12) S u 1 a, linker Nebenfluss des Dnjepr. 13) Putivl, Stadt im Gouvernement Kursk. lä) Vsevolod, jüngerer Bruder Igors. 15) »Tur« wurde bisher allgemein als Ur oder Auerochs ausgelegt. Diese Auffassung ist bedingungsweise richtig, aber »tur« bedeutet ebenso auch; Held, Recke, Mann von grosser Körperstärke, analog wie »turati« auch kämpfen heisst, und ist im vorliegenden Falle diese Auslegung jedenfalls die zutreffendere. 16j S v j a t o s 1 a v, Fürst von Kiev (gest. 1194). Bruder, deine flinken Rosse; auch die meinen slehen bereil, gesatielt schon vorne bei Kursk.17) Und meine Kurjanen sind verlässliche Krieger,18) bei Trompetenschall geboren,19) unter Helmen gewiegt, mit der Lanzenspitze gepäppelt. Vertraut sind sie mit den Wegen, bekannt sind ihnen die Schluchten; die Bogen halten sie gespannt, die Köcher geöffnet, die Säbel geschärft, und sie selbst wetteifern, wie die grauen Wölfe auf dem Felde, suchend die Ehre für sich und den Ruhm für den Fürsten.“ Da steigt Fürst Igor in den goldenen Bügel und reitet über das leere Gefilde. Die Sonne vertritt ihm mit der Dämmerung den Weg; die Nacht ächzt ihm mit Schaudern entgegen; den Vogel scheucht das Geheul der Tiere im Schlupfwinkel auf; der Uhu20 21) ruft im Baumwipfel und mahnt achtzugeben auf die unbekannten Gebiete der Volga, des Meeresstrandes, der Sula, des Surogäl) und Korsun,22) sowie auf dich, du Koloss von Tmutorokan.23) Die Polovzer rannten hingegen auf ungebahnten Wegen zum grossen Don; es kreischen die Wagen um Mitternacht wie aufgescheuchte Schwäne. Igor führt sein Heer zum Don. Und schon weidet an dessen Unglück sich der Vogel; die Wölfe in den Schluchten deuten gleichfalls Schrecken an; die Adler rufen krächzend die Tiere zum Knochen-frasse; die Füchse bellen die rötlichen Schilde an. 0 Russenland, du bist schon fern vom Schutze! 17) Kursk, Stadt im gleichnamigen Gouvernement. Die Krieger dieses Gebietes nannte man »Kurjani«. 1S) »Kmet« = waffenfähiger Bursche, Wehrmann, Krieger; hat im Russischen noch heute nicht die Bedeutung Bauer, wie bei den anderen Slaven. —- 19) »Poviti« hat bei den Slaven allgemein die Bedeutung »gebären«, nicht aber, wie deutscherseits immer übersetzt wurde, »einwindeln«, obschon der Begriff selbst etymologisch der letzteren Bedeutung Recht gibt. Es gilt nämlich bei den Slaven als unfein, namentlich in Frauenkreisen, von »poroditi« (= gebären) zu sprechen; man weicht daher auf diese Art der Anspielung auf den Geburtsakt aus. — 20) »Div« wurde bisher immer zu einem mythologischen Vogel gemacht. Es ist aber hier eben nur der als Unglück bringender Vogel bekannte Uhu (Kauz, Eule) gemeint, dessen Augenbau derart ist, dass ihm ein scharfes Sehen im Dunkeln möglich wird. Er gilt daher auch als Symbol der Gelehrsamkeit, weil letztere in dunkle Wissensgebiete dringt. 21) Suroz, ein Gebiet am Azovschen Meere. 22) Korsun, ein Gebiet des alten thaurischen Chersones, jetzt: der Krim ¡nicht: die Krim). 23) Tmutorokan, Gebiet und Stadt am Azovschen Meere. Lange dunkelte die Nacht; die Morgenröte zündete das Licht an; der Nebel bedeckte die Ebene; das Lied der Nachtigall verstummt, das Krächzen der Dohlen erhebt sich. Die Russen schliessen das grosse Feld mit den rötlichen Schilden ab, suchend die Ehre für sich und den Ruhm für den Fürsten. — III. Am Freitag morgens schlugen sie das heidnische Heer und breiteten sich mit ihren Geschossen auf dem Felde aus, mitschleppend schöne Polovzer Mädchen, und mit ihnen Gold, Teppiche und kostbare Samtgewebe. Mit Schnüren, Kleidern und Pelzen begannen sie nun Übergänge herzurichten über aufgeweichte und moorige Stellen, und allerlei Polovzer Musterarbeiten, wie: rote Fahnen, weisse Standarten, rote Roßschweife und silberne Einlegarbeiten dem tapferen Svjatslavlic (bringend).24) Im Felde schläft Olegs tapferer Stamm, weit umher zerstreut; er war nicht im Elend geboren, weder vom Falken, noch vom Geier oder von dir, schwarzer Rabe, du heidnischer Polovzer! Gzak flüchtet wie ein grauer Wolf; Koncak25) zeigt ihm die Spur zum grossen Don. Sehr zeitlich am kommenden Morgen kündigt blutige Morgenröte den Tag an; schwarze Wolken ziehen vom Meere her, als wollten sie vier Sonnen verhüllen, und in ihnen schwirren blaue Blitze. Ein heftiger Donner stellte sich ein und es regnete gleich Pfeilen vom grossen Don. Hier brechen Lanzen, dort am Kajala-Flusse,26) beim grossen Don, schlagen Säbel ein auf die Polovzer Helme. 0 Russenland, du bist schon fern vom Schutze! — Sieh, die Winde, Stribogs Enkel,27) wehen vom Meere mit Geschossen auf die tapferen Scharen Igors; die Erde erbebt, die Flüsse rinnen trübe, Staubwolken bedecken die Felder, die Fahnen werden zu Fetzen, denn die Polovzer rücken heran vom Don und vom Meere 24) Es handelt sich hier augenscheinlich darum, Igor, ihrem Führer, im Lager durch Belegen der Wege mit Teppichen u. drgl. zu ehren. 25) Gzak und Koncak waren jedenfalls wohlbekannte Namen der Führer der Polovzer. 2C) K a j a 1 a, Nebenfluss des Don im Polovzer-Gebiete, jetzt K a g a 1 n i k. 27) Die Bezeichnung »Stribogs Enkel« wurde bisher immer im mythologischen Sinne aufgefasst. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Stribog der Grossvater Gzaks oder Koncaks war, denn die rasche, windartige Bewegung des Gzak wird kurz zuvor angedeutet, und handelt es sich hier doch nur um Krieger, die mit dem Winde verglichen werden. und von allen Seiten, das russische Heer umzingelnd. Die Söhne des Teufels28) schliessen unter Geschrei das Feld ab, aber die tapferen Russen umschliessen jene mit den rötlichen Schilden. Der kühne Recke Vsevolod stand da zur Wehr, sprühend Pfeile auf das Heer und donnernd um die Helme mit den stählernen Schwertern. Wohin der Recke zusprang, hervorleuchtend mit seinem goldenen Helme, dort liegen Polovzer Heidenköpfe und zusammen-geschweisste29) Helme, gespalten mit gehärteten Säbeln von dir, du grimmiger Recke Vsevolod. Welch teure Wunden, o Brüder, zu vergessen Ehre und Leben, und die Stadt Cernigov,30) den väterlichen goldenen Thron und seine geliebte Gattin, die schöne Gljebovna, die Gewohnheiten und Gebräuche! IV. Verwichen sind die Zeiten Bojans, vorüber sind die dahre daro-slavs; dies waren Olegs Scharen, des Oleg Svjatoslavlic. Denn dieser Oleg hat mit dem Schwerte Aufruhr geschmiedet und Pfeile gesäet im Lande. Er bestieg den goldenen Bügel in der Stadt Tmutorokan; und dieses Klingen hörte der selige, grosse daroslav, der Sohn Vse-volods, und Vladimir verstopfte sich in Cernigov jeden Morgens die Ohren. Doch Boris Vjaceslavlic31) führte die Ruhmbegierde vors Gericht und streckte ihn aus auf den grünenden Teppich Kanins,32) für die Beleidigung Olegs, des tapferen, jugendlichen Fürsten. — Von dieser Kajala nun führte Svjatoplk33) seinen Vater durch die Ugorskische Reiterei34 35) zur hl. Sofija nach Kijev. — Damals wurde bei Oleg Gorislavlic36) gesäet und gezüchtet der Familienzwist, der das Leben des Enkels Dazdbog36) vernichtete, denn bei den Rei- 2S) »Bes« = der Böse, der Teufel. 29} »Ovarskija« dürfte von »ovariti« (= zusammenschweissen) stammen, ist demnach kein Eigenname (»avarisch«). 30) Cernigov, Stadt und Gouvernement in Russland. 31) Boris Vjaceslavic, Sohn des Fürsten Vjaceslav von Smolensk. ,?*) Kanin, scheint eine Lokalität bei Cernigov zu sein, oder ist ein anderer topischer Name für Njezatin, wo eben Boris i. J. 1078 fiel. 33) S v j a t o p o 1 k, ein Sohn Izjaslavs. 34) »Ugorskische« Reiterei, wie später »Ugrische« Berge, deuten auf das Gebiet der ungarischen Karpaten, denn die Slaven nennen die Ungarn eben: Ogri, Ugri, Uhri. — 35) über diesen ist geschichtlich nichts Näheres bekannt. 3e) Dazdbog wird allgemein als ein mythologischer Name angesehen. Dies trifft schon dem Inhaltszusammenhange nach nicht zu, sondern es handelt sich hier offenkundig um den gewaltsamen Tod eines jugendlichen Fürsten, umsomehr als kurz nachher angedeutet wird, wie sich die Rache für diesen Mord einstellte. bungen der Fürsten verkürzte sich die Lebensdauer der Menschen. Damals jauchzte im Russenlande selten der Landmann, hingegen krächzten oft die Raben, sich teilend in die Leichen; und wollten die Dohlen zum Frasse fliegen, so besprachen sie dies in ihrer Sprache. So sah es aus in diesem Kriege und bei diesem Heere; von einem ähnlichen Kriege war noch nicht zu hören. V. Vom frühen Morgen bis zum Abend, vom Abend bis zur Morgendämmerung fliegen gehärtete Pfeile, donnern die Schwerter und Helme, splittern stählerne Lanzen auf dem unbekannten Felde inmitten des Polovzer Landes. Besäet war die schwarze Erde unter den Hufen mit Knochen, getränkt mit Blut; mit dem Seufzer nach dem Russenlande endeten sie. Was summt, was läutet mir (im Ohr) früh lange vor der Morgenröte? — Igor wendet die Heere, denn leid ists ihm um den lieben Bruder Vsevolod. Sie kämpften den Tag hindurch, sie kämpften den zweiten, und gegen Mittag des dritten Tages, da sanken Igors Fahnen. Hier trennten sich die Brüder am Ufer der reissenden Kajala; hier war kein Blutwein mehr zu haben, hier beendeten die Russen ihre Hochzeit; sie haben getränkt ihre Gäste und sanken nun selbst hin fern vom Russenlande. — Das Gras verdorrte vor Trauer und den Baum beugte der Kummer zur Erde. — VI. Schon ist, o Brüder, die freudelose Zeit gekommen, schon hat Grabesstille die Macht verhüllt. So stellte sich ein die Rache in der Gewalt des Enkels Dazdbog. Er betrat in Mädchengestalt Bojans Land, flatternd wie mit Schwanenflügeln auf dem blauen Meere am Don, und weckte fruchtbarere Zeiten, denn die Gehässigkeit gegen die Heiden legte sich nun bei den Fürsten. Hingegen sprach der Bruder zum Bruder: „Das ist mein und das ist auch mein!“ Und die Fürsten begannen eine Kleinigkeit als etwas Grosses hinzustellen und selbst untereinander Ränke zu schmieden; und daraufhin rückten die Heiden von allen Seiten siegreich herein ins Russenland.37) 0, weit verirrte sich der Falke, die Vögel ans Meer verfolgend; so ersteht auch Igors Heer nicht wieder. Ihm nach ruft die Vergeltung, und Trauer beschreitet das Russenland, Brände schleudernd in die Familienzwiste. 37j Hier wird satirisch auf die neue Situation angespielt: früher befehdeten die Fürsten die Nachbarvölker, nun aber sich selbst untereinander, was noch nachteiliger ist. Die Russenfrauen weinlen und sprachen: „Schon können wir uns unserer lieben Galten in Gedanken nicht mehr erinnern, noch derer im Geiste gedenken, noch sie mit den Augen ansehen; und auch vom Golde und Silber fällt nicht wenig ab.“ 0 Brüder, Kiev seufzt im Trübsal und Cernigov im Unglücke; Schrecken ergiesst sich über das Russenland, schwerer Kummer strömt durchs Russenland, und trotzdem schmieden die Fürsten selbst Ränke untereinander, und die Heiden selbst sprengen siegreich herein ins Russenland, auferlegend einen Silberling von jedem Hofe als Steuer.3 * * 38) Diese beiden tapferen Svjatoslavlic, Igor und Vsevolod, verursachten schon Leid, das aber deren Vater, der grimmige, gfosse Svjatslav von Kiev abwendete. Es war schrecklich; er kam herangerasselt mit seinen gewaltigen Scharen und stählernen Schwertern, dringt ein in das Polovzer Land, durchstampft Höhen und Schluchten, trübt Flüsse und Seen, legt trocken Bäche und Sümpfe, und reisst aus den eisernen Polovzer Scharen den heidnischen Kobjak39) wie ein Sturmwind von der Meeresbucht heraus; und Kobjak endete in der Stadt Kiev im Gewahrsam Svjatoslavls. Da sangen die Deutschen und Venetier, da die Griechen und Mährer dem Svjatoslavl Ruhm, tadelten hingegen den Fürsten Igor, weil er das Beste versenkt in das Belt der Kajala, des Polovzer Flusses, und vollschüttete mit russischem Golde. Hier setzte sich Fürst Igor aus seinem goldenen Sattel in jenen Koscejs40); Trauer verbreitete sich in den Städten und die Freude schwand dahin. VII. Und Svjatoslavl sah einen trüben Traum auf den Höhen von Kiev; er erzählte: „Am Abende dieser Nacht habt ihr mich mit einer schwarzen Decke auf einem Bette von Ebenholz bekleidet; man schöpfte mir bläulichen Wein mit Bitternissen gemischt; man schüttete mir aus leeren Köchern von heidnischen Muscheln eine grosse 3S) Es ist völlig unverständlich, weshalb jeder Ausleger den Begriff »bjel« als »weisses Eichhörnchenfell« übersetzt, da dies an sich unlogisch ist, denn gab es so zahlreiche weisse Eichhörnchen, so hatten die Felle keinen Wert, gab es wenige, so konnten die Hofbesitzer ihrer Pflicht nicht nachkommen. »Bjel« bedeutet aber auch im Russischen Silber, weisses Geld, wie ebenso im Böhmischen, Slovenischen (»belic«) u. s. w. also eine Silbermünze heute unbekannten Wertes. 3Ö) K o b j a k, ein Chan der Polovzer. 40) Koscej, ein Chan der Polovzer. Der Vergleich will wohl besagen: früher war Koscej der Besiegte, jetzt ist es Igor, d. h. sie tauschten die Rollen. Perle in den Schoss und pflegte mich; die Dielen in meinem gold-gipfligen Palaste waren ohne Stützen; vom Abend an die ganze Nacht hindurch krächzten hungernde41) Raben bei Pljesensko42); es war dort ein Hain mit Aas,43) daher sie nicht zum blauen Meere fortzogen.“ Die Bojaren sprachen nun zum Fürsten: „Schon hat, o Fürst, der Gram die Sinne gefangen genommen; ach, die zwei Falken sind vom goldenen väterlichen Throne ausgeflogen um zu erobern die Stadt Tmutorokan oder lieber mit den Helmen den Don auszutrinken. Schon haben die beiden Falken durch die Heidensäbel die beiden Flügel eingebüsst und wurden selbst gefesselt in eiserne Netze, denn finster war es am dritten Tage; zwei Sonnen verfinsterten sich, beide Feuersäulen erloschen, und mit diesen wurden zwei junge Monde, Oleg und Svjatoslavl, von der Finsternis umhüllt. Am Flusse Kajala hat Dunkel das Licht bedeckt. Im Russenlande verbreiteten sich die Polovzer wie eine Pantherbrut; sie versenkten alles ins Meer, die grossen Schätze aber übergaben sie den Hinen. Schon erhob sich Schande über Ruhm, schon riss die Gewalt an der Freiheit, schon wirft sich der Totenvogel auf die Erde. Und die schönen gotischen44) Mädchen beginnen zu singen am Ufer des blauen Meeres, klingend mit russischem Golde; sie besingen die heiteren Zeiten und feiern die Rache mit Schellengeläute.45) Wir aber, Kameraden, wir haben keine Freude!“ Da warf der grosse Svjatoslavl das goldene, mit Tränen gemischte Wort ein, indem er sagt: „0 meine Söhne, Igor und Vse-volod, früh begannt ihr das Polovzer Land mit dem Schwerte zu quälen und Ruhm zu suchen, doch nur Schande habt ihr errungen und zur Unehre vergosst ihr Heidenblut. Eure tapferen Herzen sind wohl aus gediegenem Stahl geschmiedet und im Ungestüm gehärtet, doch was tatet ihr meinen silbernen Haaren? Denn schon sehe ich 41) »Bosuvi« dürfte hungrig bedeuten; im Slovenischen heisst »posunjen« = heisshungrig, gierig. 42) P 1 j e s e n s k, eine verschollene, vermutlich nächst Podhorcze gelegene oder mit dieser identische Stadt. 43) »Kisanju« wurde bisher verschiedenst ausgelegt. Es kann aber hier der Situation nach nur sauer werden, in Gährung übergehen, verwesen, d. i. »kisati« bedeuten, umsomehr als die Raben des Aasvorrates wegen eben nicht fortziehen wollen. 44) Die Goten sassen schon im 3. Jahrhunderte auf Taurien. Um das Jahr 1050 wurden sie von den Polovzern unterjocht. 4°) »Sarokan« wurde bisher immer als ein Eigenname aufgefasst; »sarok« heisst aber doch im Russischen noch heute; Schellentrommel, Tamburin. nicht mehr die Länder des gewaltigen, tapferen und kriegerreichen Bruders, meines üaroslav, mit den Haudegen von Cernigov, mit den Moguten, Tatranen, Selbiren, Topcaken, Revugen und Olberen,46) denn diese siegten ohne Schilde mit Lederüberzug, nur mit Feldgeschrei über die Scharen, kündend den Ruhm der Ahnen. Ihr aber sagtet nicht: „Wir haben doch Männer und können den früheren Ruhm selbst erringen und den letzten teilen wir allein.“ — Und wäre es ein Wunder, Brüder, wenn sich das Alter verjüngt! So lange der Falke mausert, treibt er das Gevögel hoch und lässt sein Nest nicht verunglimpfen. Doch böse ists, weil mir die Fürsten nicht beistehen; die Zeiten haben sich zu nichts gewendet! Diese rufen aber erst unter den Polovzer Säbeln zur Eintracht47) und Volodimir erst unter den Wunden; Kummer und Gram ward dem Sohne GIjebs!48) VIII. Grosser Fürst Vsevolod! Möchtest du doch in Gedanken hieher-schweben von weitem, um zu schützen den goldenen Thron der Väter! Denn du konntest mit Rudern die Volga verspritzen und den Don mit dem Helm ausschöpfen. Wenn du da wärest, dann gälte die Caga49) soviel wie eine Nogata50) und Koscej einen Resan,31) denn du konntest mit lebendigen Wurfgeschossen, mit den ergebenen Söhnen GIjebs, auf dem Festlande schiessen! 0 du kühner Rjurik und David !52) Sind eure goldenen Helme nicht im Blute geschwommen? Haben eure tapferen Genossen nicht wie Stiere gebrüllt, verwundet mit gehärteten Säbeln auf fremder Erde? Tretet ihr Herren in den goldenen Bügel für die Schmach dieser Zeiten, für das Russenland, für Igors Wunden, des kühnen Svjat-slavlic! '*6) Krieger der Bezirke gleichen Namens. 47} »Rim« = Ring, das Zusammenhalten; an »Rom« ist hier nicht zu denken, wie viele Übersetzer meinten. 4S) Hljeb Jurjevic; regierte von 1169—1171. 4!)) »Caga« hiess eine grosse russische Goldmünze. Sie ist noch in mehreren Exemplaren in den Museen Nordeuropas vorhanden; ihre Aufschrift »cagk«, auch »cagja« konnte aber bisher niemand lesen, weil sie in nordslavischen Runen dargestellt ist. Dass »Caga«, wie man bisher immer annahm, der Name eines Polovzer-Chanes gewesen wäre, ist daher falsch, und soll hiemit der grosse Wertunterschied der zwei Münzen und demnach auch vergleichend der Polovzer Koscej taxiert werden. 50) »Nogata«, eine kleine russische Münze. 51) »Rezan« eine kleine, minderwertige russische Münze; 2yi davon geben erst eine »nogata«. 52} Rjurik und David waren Enkel Mstislavs d. Gr. Du achtfach denkender Jaroslav von Galizien!63) Hoch sitzest du auf deinem goldbeschlagenen Throne, stütze die Ugrischen Berge mit deinen eisernen Scharen, vertretend dem Könige den Weg; ver-schliesse die Tore des Don,64) schleudernd Lasten durch die Wolken, Recht sprechend bis zum Don! Deine Schrecken verbreiten sich über die Lande, öffnend die Tore von Kijev, beschiessend von deinem goldenen Throne Saltan66) jenseits der Grenze; schiesse, Herr auf Koncak und auf den heidnischen Koscej für das Russenland und für Igors Wunden, des kühnen Svjatslavlic! Auch du mutiger Roman53 54 55 56 57 58) und Mstislav67)! Heldensinne trugen euren Geist zur Tat; hoch schwebtet ihr in Kühnheit zum Tatendrange, gleich einem Falken sich in den Winden ausbreitend, sobald er verwegen einen Vogel überwinden will; denn ihr hattet eiserne Spangen unter den lateinischen68) Helmen; von diesen erbebte die Erde und viele hinische, litauische, jalvjagische und deremelische Gegenden, und die Polovzer warfen ihre Lanzen weg und beugten ihre Häupter unter deren stählerne Schwerter. Doch schon schwand das Licht der Sonne und der Baum warf unwillig seine Blätter ab. An der Rsa59) wie an der Sula verteilte man die Städte, doch Igors tapfere Scharen, sie erstehen nicht wieder. Dieser Don aber ruft den Fürsten zu und ruft die Fürsten auf zum Siege: die Söhne Olegs, tapfere Fürsten, sie treffen ein zur Wehr. Ingvar60) und Vsevolod und alle drei Söhne Mstislavs, Sechs-flügler61) aus keinem niederen Neste; habt Ihr nicht durch ein siegreiches Geschick Länder erbeutet? Wie sehen eure goldenen Helme und ljazkischen Lanzen und Schilde aus? Schliesst ab die Tore des Kampffeldes mit euren scharfen Pfeilen für das Russenland und für die Wunden Igors, des kühnen Svjatslavlic! — 53) Jaroslav Vladimirovic, Grossfürst von Galizien, Schwiegervater Igors, des Helden der Dichtung. 54) Im Texte »Dunaj«. Hiemit ist ausschliesslich das Don-Gebiet gemeint; mit der Donau im heutigen Sinne hat dieser Name in der Dichtung nichts zu schaffen. 55) »Saltan« scheint eine Veste oder ein Ort am Donec (jetzt «Saltov«?) gewesen zu sein. 56) Roman Mstislavic, Grossfürst von Galizien (seit 1197). 57) Mstislav Jaroslavic, Stiefbruder Romans. 58j Unter »lateinisch« verstand man Erzeugnisse, die aus Ländern des römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses kamen. 59) Rsa, rechter Nebenfluss des Dnjepr (bei Kiev). 60) Ingvar und Vsevolod waren Söhne des Fürsten Jaroslav Izjaslavlic von Luck. G1) »Sechsflügler«, also in der Auffassung als Vögel — jeder mit zwei Flügeln. Die Sula fliessi nicht mehr in silbernen Strömen zur Stadt Pere-jaslavl62) und die Dvina63) fliesst schmutzig zu jenen furchtbaren Polovcanen mit dem heidnischen Geschrei. Nur Izjaslav64 65) allein, der Sohn Vasilkos,66) dröhnt mit seinen scharfen Schwertern an den litauischen Helmen; er erringt Ruhm seinem Ahnen Vseslav,66) doch er selbst ward niedergerungen unter den rötlichen Schilden auf blutigem Rasen durch litauische Schwerter. Und als man ihn aufs Bett legte, sagte er: „Deine Genossen, o Fürst, deckten die Vogelschwingen und die Tiere leckten das Blut; Bruder Bracislav war aber nicht hier und auch nicht der andere Vsevolod.“ — Allein verhauchte er die edle Seele aus dem tapferen Leibe durch den goldenen Halskragen. Die Stimmen verstummten, die Freude legte sich. Die Trompeten von Grodno67) schmettern: „Daroslav und ihr alle Enkel Vseslavs, senket schon eure Fahnen, versorget eure schartigen Schwerter, denn schon seid ihr vom Ahnenruhme ausgesprungen; ihr habt doch mit euren Fehden das Eindringen der Heiden in das Russenland verschuldet, wie auch das Leben Vseslavs! Welcher Druck stellt sich da ein vom Polovzer-Lande!“ — Im siebenten Zeitalter68) Bojans warf nämlich Vseslav das Los um das ihm teure Mädchen.69) Er klemmte sich mit den Hacken ans Pferd, sprengte zur Stadt Kiev und erreichte durch das Flussbett den goldenen Sitz von Kiev. Von diesem springt er auf, wie ein wildes Tier um Mitternacht, aus der weissen Burg, sich in grauen Nebel hüllend, und rennt am Morgen mit fahrbaren Mauerböcken die Tore von Novigrad70) ein, vernichtet den Ruhm Daroslavs, und eilt wie ein Wolf zur Nemiga71) aus Dudutki.72) An der Nemiga streut man Köpfe als Garben hin und drischt mit stählernen Flegeln; auf die 62) P e r e s 1 a v 1, Kreisstadt im russ. Gouvernement Poltava. e3) Der Fluss Dvina (Düna) fliesst bei der Stadt Polock vorüber. 64) I z j a s 1 a v, Sohn des Vasilko, Enkel des Vseslav (gest. 1183). 65) Vasilko war i. J. 1132 Fürst von Polock. 6e) Vseslav, Fürst von Polock (gest. 1101). °7) Grodno, Gouvernements-Haupstadt in Westrussland. 6S) Eine nicht näher bekannte Zeitrechnung, anscheinend ähnlich den Olympiaden oder Lustren. °9) Novigrad, d. i. Novgorod. 70) Darunter scheint die Stadt Kiev gemeint zu sein. 71) Nemiga, identisch mit dem N j e ni e n-Flusse. 72) Dudutki, Ortschaft unweit Novgorod; dort befindet sich noch heute ein Kloster, genannt »na Dudutkah«. Tenne legt man das Leben und worfelt73) die Seelen vom Leibe. Die blutigen Ufer der Nemiga waren nicht mit Schlamm besät, sie waren besät mit den Sebeinen der Russensöhne. Fürst Vseslav sprach das Recht dem Volke, verteilte an die Fürsten die Städte, selbst aber eilte er nachts, wie ein Wolf; er erreichte bis zum Hahnenrufe Tmutorokan und überholte den grossen Chrs74) nach Wolfsart auf dem Wege. Ihm läutete man bei der heiligen Sofija in Polock zur Frühmesse die Glocke, aber er hörte noch in Kiev das Läuten.75) Mag nun auch in einem freundlichen Körper eine kluge Seele wohnen, so leidet sie doch oft an Gebrechen. Diesem hat der Seher Bojan daher schon früher in einem sinnigen Liede gesagt: „Nicht der Kluge, nicht der Schnelle, nicht der Vogelschnelle entgeht dem Gerichte Gottes.“ 0 seufzen muss das Russenland, gedenkt es der ersten Zeiten und der ersten Fürsten. Denen alten Vladimir konnte man nicht annageln an die Berge von Kiev, dessen Fahnen wurden zu jenen Rjuriks und andere zu jenen Davids, und die Stämme trugen deren Rüssel zur Weide.76) X. Die Speere ziehen gegen den Don. — Da hört man Daroslavnas77 *) Stimme; sie ruft des morgens, verborgen wie ein Kuckuck: „Ich will fliegen,“ sagt sie, „wie ein Kuk- 73) »Worfeln« bezeichnet die Scheidung des ausgedroschenen Kornes von der Spreu. Dies geschieht durch Verwerfen mit einer Handschaufel in der Tenne von einer Ecke in die diagonal gegenüberliegende; die Spreu fällt schon auf dem halben Wurfwege ab, das Korn gelangt ob seiner Schwere hingegen rein an die Wand. Dieser poetische Vergleich eines blutigen Kampfes mit dem Dreschprozesse ist geradezu hervorragend bilderreich und vorbildlich konsequent durchgeführt. 7’) »Chrs«, sonst auch »Chors«, wurde bisher allgemein als ein mythologischer Name für die Sonne oder für den Sonnengott angesehen. Offenkundig lautete aber so der Funktionsname des Führers einer »kora, horda« oder »orda«, also einer Schar von Kriegern (Chor), und bestand bei den Tataren doch auch die sogenannte »goldene Horde«, eine Heeresabteilung Dzucis, welche das Chanat Kipcak gründete. 7r’) Damit deutet der Dichter dessen Raschheit in seinen Unternehmungen an, d, h. begann man in Polock zur Frühmesse zu läuten, wenn er den Ort passierte, so war er beim Schluss des Geläutes schon nahe von Kiev. 70) Hiemit will der Dichter unter Gebrauch einer damals geläufigen Redensart andeuten, dass die Untertanen den erwähnten Fürsten alles zuliebe taten. 77) J a r o s 1 a v n a, die Gattin Igor's, Tochter des Fürsten Jaroslav, sonst auch Euphrosine genannt. kuck zum Don, will den Biberärmel im Flusse Kajala eintauchen und dem Fürsten seine blutenden Wunden am erstarrten Körper reinigen.“ Oaroslavna weint des Morgens auf dem Söller in Putivl und spricht: „0 Wind, o Segelwind! Weshalb, o Gott, wehst du so stark? Weshalb wirfst du die hinischen Pfeile auf deinen leichten Flügeln auf meines Liebsten Krieger? War es dir zu wenig oben unter den Wolken zu wehen, oder die Schiffe zu schaukeln auf dem blauen Meere ? Weshalb, o Herr, verwehst du meine Freude über das Steppengras?“ Jaroslavna weint des Morgens auf dem Söller in der Stadt Putivl und spricht: „0 Dnjepr, du ruhmvoller! Du hast Felsenberge durchbrochen durch das Polovzer Land; du hast geschaukelt auf dir Svjatoslavls Schiffe gegen Kobjaks Scharen78); schaukle doch wieder, o Herr, meinen Geliebten zu mir, damit ich nicht Tränen am Morgen ans Meer zu ihm senden muss!“ Daroslavna weint des Morgens auf dem Söller in Putivl und spricht: „Helle, dreifachhelle Sonne! Allen willst du warm und schön; weshalb, o Herr, hast du dich mit deinem sengenden Strahle auf des Geliebten Krieger gelegt? In wasserlosen Gefilden trocknen ihnen ein die Bogen, und die Köcher sind ihnen durch Entbehrungen verschlossen !“— XL Aufschäumte das Meer um Mitternacht; es ziehen wie Wogen die Wolken. Dem Fürsten Igor zeigt Gott den Weg aus den Polovzer Gauen ins Russenland zum goldenen väterlichen Throne. Die Abendröte erlöschte. Igor schläft, Igor wacht, Igor erwägt. Die Gefilde vom grossen Don zum kleinen Donec79) misst ein Pferd um Mitternacht. Ovlur80) pfeift jenseits des Flusses, gibt dem Fürsten das Zeichen. ' Fürst Igor war nicht da. — Es toste, es dröhnte die Erde, es knisterte das Gras, die Polovzer Zelte hoben sich. Da springt Fürst Igor wie ein Wiesel ins Schilf, oder wie eine weisse Ente auf dem Wasser; er wirft sich auf das schnelle Ross, springt dann von ihm wie ein hungriger Wolf, eilt zur Donec-Au und flieht dann, wie ein 7S) Hier handelt es sich um einen siegreichen Kriegszug Svjatoslavl's gegen den Pclovzer-Chan Kobjak i. J. 1184. 7”) Donec, rechter Nebenfluss des Don. 80) Ovlur, V 1 u r war nach der Ipat'schen Chronik, die ihn jedoch L a v r nennt, zwar ein Polovzer, aber dessen Mutter war eine Russin, daher sie ihren Sohn veranlasste Igor aus der Gefangenschaft zu befreien. 9 Falke im Nebel, töiend Gänse und Schwäne zum Frühmahl, zum Mitlag wie zur Clause. Indess Igor wie ein Falke fliegt, rannte Vlur wie ein Wolf, mit sich abstreifend den kalten Tau, um die Fährte des schnellen Pferdes zu unterbrechen.81) Der Donec sagt: „Fürst Igor, nicht wenig hast du des Ruhmes, Koncak des Verdrusses und das Russenland der Freude!“ Igor erwidert: „0 Donec, nicht wenig hast du des Ruhmes, der du den Fürsten gewiegt auf deinen Wellen, der du ihm grünes Gras auf geschüttet auf deinen silbernen Ufern, ihn umhüllt mit warmen Lüften im Schatten grüner Bäume, ihn bewachend durch den Tauchvogel auf dem Wasser, die Möve über der Strömung und der Schwarzente in den Winden. Nicht so,“ sagt er, „ist der Stugna-Fluss82); dieser hat eine scharfe Strömung; er hat fremde Bäche verschlungen und sein Bett ausgedehnt über das Ufergestrüppe. Dem jungen Fürsten Rostislav83) verschloss der Dnjepr die dunklen Ufer. Es weinte die Mutter Rostislavs nach dem jungen Fürsten Rostislav; es verwelkten die Blumen vor Leid und der Baum neigte sich in Kummer zur Erde, und die Elstern schwatzten nicht mehr." Gzak ritt mit Koncak Igors Spuren nach. Da krächzten nicht die Raben, die Dohlen verstummten, die Elstern schwatzten nicht; auf den Ästen wiegten sich nur die Spechte, die den Weg zum Flusse mit ihrem Hacken weisen; Nachtigallen verkünden das Licht mit frohen Liedern. Da sprach Gzak zu Koncak: „Sobald der Falke in das Nest fliegt, so erschiessen wir den jungen Falken mit unseren goldenen Pfeilen!“ — Koncak erwidert zu Gzak: „Sobald der Falke zum Neste fliegt, werden wir den jungen Falken durch eine schöne CJungfrau fesseln!" — Da bemerkt Gzak zu Koncak: „Wenn wir ihn fesseln durch eine herrliche Dungfrau, so bleibt uns weder der junge Falke noch das schöne Mädchen, sondern die Vögel werden uns auf dem Polovzer Gefilde zu bekämpfen beginnen.84) 81) Es waren dies Vorkehrungen, um den Verfolgern Igor's Fährte zu verwischen und für dessen Flucht einen Zeitvorsprung zu gewinnen. 82) Stugna, linker Nebenfluss des Dnjepr, südlich Kiev. 83) Rostislav, Sohn des Grossfürsten Vsevolod I, warf sich nach einem Kampfe mit den Polovzern, um der Gefangenschaft zu entgehen, in die Stugna, und ertrank darin, erst 22 Jahre alt, infolge der schweren Leibesrüstung. S4) Es scheint darin die Befürchtung zu liegen, dass dann die Sprossen hie-für an den Polovzern Rache nehmen könnten. — Vladimir, der Sohn Igor's, nahm später tatsächlich die schöne Tochter Koncak's zur Gemahlin. Bojan sagt, anspielend hiebei an SvjatoslavI, den Dichter der Vorzeit, Daroslavl und die Gemahlin des Olegschen Sprossen85): „Schlimm ists dem Kopfe ohne Schultern, böse dem Körper ohne Kopf, und dem Russenlande ohne Igor!“ Die Sonne leuchtet am Himmel; Fürst Igor ist im Russenlande; Mädchen singen am Don ; deren Stimmen verbreiten sich übers Meer bis Kiev. Igor geht über den Boricev86) zur heiligen Muttergottes von Pirogosc.87) Die Gaue sind zufrieden, die Städte freuen sich; sie singen ein Lied den alten Fürsten, um dann den jungen zu singen: „Ruhm dem Igor Svjatslavlic, dem kühnen Helden Vsevolod und dem Viadimer Igorevic.88) Seid gegrüsst ihr Fürsten und eure Kameraden, die gekämpft für die Christen gegen die heidnischen Scharen! Ruhm den Fürsten und deren Mitkämpfern!“ Amin.89) — Wissenschaftliches Allerlei. Ein kelto-slavischer Grenzstein in England. Im Werke „Runic Monuments“ des Professors George Stephens {London-Kopenhagen, 1866) ist eine Porphyrpyramide beschrieben, die in der Gemeindeflur von St. Dogmaeis, Bez. Cardigan auf Wales, gefunden wurde. Dieselbe zeigt folgende Inschrift im lateinischen Alphabete: „Zagrani jili Cunotami“; derselbe Text wiederholt sich überdies auf der linken Kante in der Ogam-Schrift, und wurde bisher allgemein als eine Inschrift in lateinischer Sprache, „Sagrani, Sohn des Cunotam“ besagend, ausgelegt, der Stein also als ein Grabstein angesehen. 85) Diese Stelle ist unklar, denn es ist zweifelhaft, ob »kogan« als Eigenname oder als: Kind, Sprosse aufzufassen ist; in letzterem Falle ist unter »hoti« (Gemahlin) hier die Jaroslavna zu verstehen. 86) Boričev, Name eines Abhanges des Dnjepr-Ufers, von welchem man zu einer Überfuhr gelangte. 87) Pirogošč hiess der Mann (Kaufmann), der dieses Bild von Konstantinopel nach Kiev brachte, wo es in der i. J. 1131 erbauten Marienkirche aufge-stellt wurde. S8) Vladi mir, Sohn Igors, des Helden der Dichtung. 89) Der Schluss gleicht den Ansprachen in griechischen Kirchen bei feierlichen Anlässen, welcher Umstand zur Annahme führte, dass der Dichter ein Mönch war, doch kann sich ebensogut ein weltlicher Dichter die oft gehörte Ansprache zum Muster genommen haben. 9* Diese Deutung muss aber in jeder Hinsicht bezweifelt werden, denn der Text selbst enthält nicht nur derbe grammatische Fehler, sondern auch sonstige wichtige Bedenken in bezug auf die Eigennamen. Augenscheinlich ist die Inschrift kelto-slavisch und besagt dieselbe: „Grenzstein der Gemeinde (oder Herrschaft) Cunotam“, und ist der Begriff „zagrani“ (=sagrani) doch das slavische Wort für die G r e n z e, G r e n z 1 i n i e oder den Grenzstein, denn das russische „zagranicnij“ kennzeichnet noch immer hiemit jenen, der jenseits oder an der Grenze wohnt; „fili" kann aber in dieser Form ebenso als „vili“ gelesen werden, denn zwischen „f“ und „v“ wurde früher in der schriftlichen Darstellung vielfach kein Unterschied gemacht, und „vila“ bedeutet in den meisten Sprachen etwas Analoges, wie bei den Römern ein Landhaus oder ein Landgut, bei den Griechen als „phile“ die Sippe, Gemeinde oder das Aufgebot (eines Volksstammes); bei den Südslaven hat „vilajet" die Bedeutung von Bezirk, Kreis, und im Deutschen ist derselbe Wortstamm zu „Weiler“ geworden; im Französischen ist „ville“ = die offene Stadt, der nicht mit Mauern umgebene Ort. — Aber auch das Wort „Cunedda“ kommt in der ältesten Geschichte Cardigans als der Name eines Adelsgeschlechtes (oder Adelssitzes) vor, daher diese Lesung in allen Teilen sprach-geschichtlich begründet ist. Hingegen ist die Annahme der Gelehrten, dass „Sagranus" soviel als „grosser Angreifer" bedeute, auch nur im slavischen Sinne richtig, denn die Grenze sowie derjenige, dem der Schutz derselben obliegt, tragen nahezu grundsätzlich Namen derselben Sprachwurzel. Dieser Stein diente, soweit bekannt, zuerst als Türstock, dann als Auftritt bei einer Wasserschöpfstelle; jezt befindet er sich in der Vi-karie von St. Dogmaeis. War er aber je ein Grabstein, so hätte ihn niemand als Türstock benützt, denn der Glaube, dass man das, was auf den Friedhof gehört, nicht ins Haus nimmt, ist doch ein allgemeiner, und wurde früher wohl noch genauer eingehalten, wie vielleicht heute. Wahrscheinlich ist es aber, dass der Stein einmal bei einer Grenzregulierung oder Besiizarrondierung entbehrlich wurde und sodann die erwähnte profane Verwendung erhielt. Die Og am-Schrift besteht aus einem primitiven Strichsyslem, d. h. jeder Buchstabe ist aus 1—5 parallelen Strichen ober, unter oder auf der Zeile (hier Kante) gebildet, und wurde das Alphabet von einem Bischof von Limerick (Irland) eben nach diesem Steine konstruiert. Ob aber dieser Schlüssel zutreffend ist, müsste erst an den zahlreichen sonstigen Schriftdenkmälern dieser Art nachgewiesen werden, denn man hält auch die sonstigen Inschriften für lateinisch und schreibt sie dem IV. Jahrhunderte zu; wurden aber auch die übrigen so falsch gelesen wie dieser Grenzstein, dann ist anzunehmen, dass sie alle kelto-slavische Aufschriften haben. Vielleicht findet sich auf dieses hin jemand in England oder Frankreich, der diese Überprüfung oder Vergleichung an den Originalen neuerdings vornimmt; im Jahre 1865 waren angeblich schon 56 solcher Steine bekannt. — M. Z. Slavische Mildtätigkeit in barbarischen Zeiten. Paul Warnefried, Diakonus von Forum Tulii (Aquileja), in der zweiten Hälfte des VIII. Jahrhundertes lebend, Notar des letzten Königs der Longobarden, gibt in der von ihm verfassten Geschichte dieses Volkes ein erschütterndes Bild der damaligen Kulturzustände, der Feindseligkeiten gegen die Grenznachbaren, der unaufhörlichen Kämpfe, verübten Gewalttaten und der grausamen Behandlung der Kriegsgefangenen, welche stets das Los der Sklaverei traf. Umsomehr sticht hievon die liebevolle Behandlung ab, welche sein Vorfahre als Fremdling im slavischen Lande erfuhr. Über seine Voreltern Kunde gebend, schreibt Paul Diakonus: „Zur Zeit, als das Volk der Longobarden aus Pannonien zog, kam auch Leochis, mein Ahnherr, der Vater meines Urgrossvaters, ein geborener Longobarde, mit nach Italien. Er lebte einige Jahre daselbst, starb darauf und hinterliess fünf kleine Söhne. Diese wurden beim Einfall der Avaren gefangen genommen und ins Land der Hunnen abgeführt, woselbst sie das Joch der Knechtschaft trugen. Zum Mannesalter gekommen, verblieben vier in der Gefangenschaft, der fünfte aber, mit Namen Leupechis, der nachher mein Urgrossvater wurde, entfloh und wollte wieder nach Italien gelangen, wo das Volk der Longobarden wohnte. Er trug nichts bei sich als einen Köcher, einen Bogen und etwas Lebensmittel. Diese gingen bald aus, der Hunger machte ihn kraftlos und schon verzweifelte er am Leben. Endlich fand er menschliche Wohnungen; Slaven nämlich hielten sich daselbst auf. Da fiel er einer alten Frau auf; aus Mitleid ward er aufge- nommen und im Hause geborgen. Die Frau gab ihm von Stunde zu Stunde zu essen, damit er sich erholen könne. Sobald dies geschehen, reichte sie ihm Lebensmittel auf den Weg und sagte ihm, wohin er sich wenden müsse. Nach einigen Tagen langte er in Italien an und kam wieder zu seinem Geburtshause.“ 3. v. M. „Certüv kämen“. Als ergänzenden Beleg zur Richtigkeit der Etymologie in „Ger-tüv kämen“ (s. S. 11) sandte der Oberlehrer R. Indra aus Brezüvky (Bez. Ung.-Brod) das Bild eines solchen Felskolosses ein, über dessen „Certuv kämen“, Grenzstein zwischen Holleschau und Ung.-Brod (Mähren). höchsten Punkt die Grenzen der Bezirkshauptmannschaften Ung.-Brod und Holleschau laufen und in dessen nächster Nähe die Grenzen von von k Gemeindefluren zusammenstossen. Eine weitere Bestätigung für diese zutreffende Etymologie der altslavischen Sprachwurzel „cer“ sandte auch der Inspektor Fr. Eberle aus Wildenschwert zu. In jenem Gebiete finden sich die topischen Namen: Cernovir, Certova bräzda, Cermnä und Cernä stezka vor. Der Name „Cernovir“ (= Grenzwach-, Grenzschutzpunkt) wiederholt sich mehrmals (z. B. so hiess auch ein altes Fort der äussersten Umfassung der Festung Olmüfz). Bei Černovir fällt aber diese Etymologie besonders auf, weil sich hinter dem Dorfe auch ein tiefer Graben von bedeutender Länge zieht, der nahezu den Eindruck eines engen Tales macht, aber doch offenkundig von Menschenhand herrührt; er ist allgemein als „Teufelsfurche“ (= Čertova brazda) bekannt. ln der Nähe befindet sich auch das Dorf „Cermnä“, das als „Rotwasser“ ins Deutsche übertragen wurde. Ein Dorf gleichen Namens liegt auch in der Nähe von Boruhrädek (vergl. „bor“ und „hrä-dek“, also: Verteidigungsschutzpunkt, vorbereiteter Kampfplatz); es muss also da auch der Einfluss irgendeiner Grenze zu besonderen Verteidigungsvorsorgen Anlass gegeben haben. Überdies wiederholt sich der Name „Cermnä“ in Österreich wie auch sonstwo ungemein oft, deutet aber weder auf „schwarz“ noch auf „rot“, sondern eben auf eine Grenzrelation. — „Cerna stezka“ war ein Nebensteig, welcher aus Mähren über Leitomischl und Hohenmaut nach Böhmen (Königgrätz) führte. Dieser Weg bildete tatsächlich noch im Dahre 1248 die Grenze gegen das Gebipt von Leitomischl, und wird derselbe auch im CJahre 1292 als Grenzlinie zwischen dem Klosterbesitze Zbras-lav und dem „Klostergrund“ von Leitomischl erwähnt. Er führte durch den „Markwald“, welcher Name noch ergänzend besagt, dass dies ein Wald an der Grenze („Mark") war. — ln deutschen Kanzleien übersetzte man diesen Namen in Unkenntnis der wahren Etymologie modern wörtlich in „Schwarzer Steg“, und ergänzte dies dahin, es sei dies der Weg, den die Schwärzer zwischen Sachsen, Böhmen und Mähren benützten, was aber selbstredend eine Kontradiktion ist, denn das gefährliche Gewerbe des Grenzschmuggels setzt gerade das Ausweichen von gebahnten Wegen voraus, und müssten die einstigen Grenzzollwachen geradezu blind gewesen sein, wenn sie nicht wussten, welchen Weg der Schmuggel nimmt. Für die Wissenschaft ist aber dabei die Hauptsache, dass hiemit das tatsächlicheBe-stehen eines längs der Grenze führenden Wöges unbewusst zugegeben wird. Ein weiterer Interessent teilt das Vorkommnis mit, dass am „Scharmützelsee“ in Brandenburg vor kurzem ein grosses Urnenfeld entdeckt wurde. Dass in Brandenburg einst Slaven sassen, ist zweifellos und muss demnach die Originalform jenes Namens ursprünglich entweder „Čarnica, Černiča“ ( = Grenzgebiet) oder aber „Žarnica" ( = Urnenfeld) gelautet haben. — „M i r o s 1 a v“. ln dem Artikel „Der Grabstein der kroatischen Königin Delena“, im 1. Hefte des „Staroslovan“ (S. 6^) bietet Doh. Ev. Chadt, heute wohl der bedeutendste slavische Fachschriftsteller für die Geschichte des Forst- und Jagdwesens, folgende Ergänzung: „Der Personenname „Miroslav“ stand einst auch bei den böh-misch-stavischen Stämmen im allgemeinen Gebrauche. Derselbe finde! sich in den ältesten Urkunden wiederholt vor, wie z. B. im Jahre 1049 als „Mirzlau, homo eccl. Olomuc“; 1142 als „Mirzlau, urb. Boh. fundator monastirii Sedlec“; 1144 als „Mirozlav, testis“. (Reg. I. 669, Codex dipl. Bohemiae I., 505.) — Es wäre daher angezeigt, wenn der „Staroslovan“ auch die Verfassung und Ausgabe eines Verzeichnisses aller notorisch slavischen Vornamen in sein grosses Programm aufnehmen würde.“ — Anmerkung d. Red. Diese Anregung ist nur zu begrüssen und wird derselben möglichst Rechnung getragen, umsomehr, als es immer klarer wird, dass auch die slavischen Vornamen heute vielfach übersetzt erscheinen, und ist die slavische Originalität eben aus der falschen Auslegung erkennbar, denn „Miroslav" wurde wohl nur deshalb im Deutschen zu „Friedrich“, wdil der Translator „mir“ für Friede nahm und nicht für Grenze oder Gemeinde, da ihm diese letztere Etymologie schon zu ferne lag. — Für jeden Fall muss aber zuvor eben die Entstehung, Verbreitung, sowie der wirkliche, allgemeine Gebrauch solcher Namen bei den Slaven in ähnlicher Weise, wie bei „Miroslav“, nach jeder Richtung hin einwandfrei geklärt sein. — Nachdem aber der Anreger selbst im weiteren mitteilt, dass er Tausende solcher historisch beglaubigter Namen schon exzerpiert bereit habe, so erscheint er wohl heute als der berufenste diesem Vorschläge selbst die Tat folgen zu lassen. —- Gesetzliche Bestimmungen über Schatzfunde. Fast tagtäglich ist zu lesen, dass irgendwo bei einer Erdarbeit Schmucksachen, Münzen oder sonstige antiquarische Gegenstände ausgegraben wurden, und ist es zweifellos, dass heute erst ein sehr geringer Teil jener Objekte entdeckt und gehoben ist, die man seit den ältesten Zeiten in der Erde, als dem sichersten Versteck, zu the-saurieren pflegte. Leider sind die Finder der Natur der Sache nach fast immer Arbeiter, welche den Fundwert selten richtig taxieren können, daher Geld und Geldeswert rasch und heimlich verschleudern, für sie wertlos scheinende Dinge wie Urnen, Knochen, zerfallene Bronzegegenstände, gravierte Steine u. dgt. aber zertrümmern, unbeachtet lassen oder wieder vergraben, also im ersteren Falle nicht wissen, dass sie hiemit eine strafbare Handlung begehen, im letzteren aber sich selbst schädigen, denn solche Funde haben bis zu einer gewissen Grenze auch immer einen materiellen Wert, und wenn schon nicht immer für die allgemeine Wissenschaft, so doch zum mindesten für die Lokalgeschichte. Es täte daher im Interesse der Wissenschaft wie der persönlichen Vorteile des Finders dringend not, schon die Dugend in der Schule, das Volk aber bei jeder passenden Gelegenheit, wie bei Vorträgen, Versammlungen, ja selbst von der Kanzel herab,'zu belehren, dass das österreichische Gesetz über Schatz- und archäologische Funde folgendes sagt: Der Schatz, worunter man Geld, Schmuck oder andere Kostbarkeiten versteht, die so lange im Verborgenen lagen, dass man ihren einstigen Eigentümer nicht mehr feststellen kann, gehört zur Hälfte dem Finder, zur Hälfte dem Besitzer des Grundes.*) Es hat sich nämlich infolge Unkenntnis des Gesetzes, d. h. der Unterlassung jeder Belehrung, allgemein die Ansicht eingebürgert, dass solche Funde ohneweiters vom Fiskus eingezogen werden, was jedoch, wie das „Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch“ für Österreich (§ 398—401) bezeugt, vollkommen unzutreffend ist. — Allerdings fügt das Gesetz auch zu, dass die Entdeckung eines Schatzes, dann numismatische und antiquarische Funde der politischen Behörde angezeigt werden sollen, was aber doch wieder nur dem Finder zum Vorteile gereicht, denn hat das Fundobjekt ausser dem Edelmetallwerte auch eine grössere wissenschaftliche Bedeutung, so wird dem Finder eben auch eine höhere Ablösung zuteil, als sie jemand bieten kann, der den archäologischen Wert weder kennt noch richtig einschätzt. Es ist daher selbstredend, dass der Finder bei der Geheimtuerei vor allem sich selbst schädigt. Desgleichen ist es notwendig, volkstümliche Belehrungen auch dahin zu erweitern, dass archäologische Funde ohne effektiven Geldwert, wie Urnen, Grabbeigaben aus Stein, Ton, Horn oder Bronze, ungewöhnliche Skelette (z. B. solche von prähistorischen Tieren) u. dgl. für den Finder durchaus nicht wertlos sind, denn es ist immer ein Museum oder ein Liebhaber hiefür zu finden, der ihm diese Objekte gern und gut abkauft. Durch dieses Geheimtun sowie die Unterlassung der Anzeige erleidet aber namentlich bei numismatischen oder sonstigen Schatzfunden die Wissenschaft fast immer eine Einbusse, weil solche Edelmetallfunde meist von Goldarbeitern gewonnen und eingeschmolzen *) Im Grossen gelten auch in anderen Staaten ähnliche Bestimmungen, da sie alle auf das gleichlautende römische Recht aufgebaut sind. werden, obschon darunter in ihrer Art einzige Exemplare gewesen sein konnten. Es soll daher hiemit der Impuls zu einer allgemeinen Aufklärung in dieser Richtung gegeben werden, denn es ist kein Zweifel, dass auf diese Art viele und dabei fast ausschliesslich sla-vische Kulturbelege für alle Zeiten verloren gehen. Am wirksamsten kann in diesem Sinne die Volksschule, als die Grundlage aller Volksbildung und Aufklärung, eingreifen, und können mangels eigener Erfahrungen z. B. nachstehende zwei typische Vorkommnisse angeführt werden. Vor etlichen Oahren fand in Untersteiermark ein Winzer beim Rigolen seines Weingartens eine Reihe von Gräbern mit guterhaltenen Urnen und allerlei Grabbeigaben; da aber dabei kein Geld oder etwas von Geldeswert war, zertrümmerte er alles in seiner Enttäuschung. Archäologen jedoch, die davon erfuhren, stellten die verstreuten Trümmer wieder mühevoll zusammen, und der Mann, der für die intakten Urnen gewiss eine vornehme Arbeitszulage erhalten hätte, ging dabei leer aus. — Ein Anderer stiess beim Ackern seines Feldes auf einen Topf, der 600 alte, zum Teile sehr seltene Silbermünzen enthielt. Er verkaufte dieselben heimlich einem Trödler, das Stück um 6 Kreuzer; der Käufer, der über den Wert besser orientiert war, soll über 1000 Gulden dafür eingelöst haben, welchen Betrag der Finder ebensogut hätte erhalten können, wenn er damit offen aufgetreten wäre. — Dr. R. B. „S o k o 1“. Man glaubt allgemein, dass die Bezeichnung „sokol" für diejenigen, welche den Turnsport gesellig betreiben, von „sokol" (= Falke) herrühre, daher auch die äusseren Merkmale jenes Vogels als Abzeichen eingeführt wurden. Tatsächlich ist aber „sokol“ die altslavi-sche, daher einst allgemeine Bezeichnung für einen jungen, kräftigen, kampffähigen Mann, wie oft auch für einen befestigten Punkt, eine Wallburg, eine Schanze, eine Feste u. ä. Der älteste klare Beleg für diese Etymologie ist in russischen Volksdichtungen zu finden, wo es z. B. heisst: „Uz kako to mnje vsjo mutno ne bii — razpustil ja svojih jasnih sokolov, jasnih sokolov, donskih kazakov .. (d. h.: „Wie soll ich nicht betrübt sein, habe ich doch entlassen meine herrlichen Krieger, die herrlichen Krieger, die Don’schen Kasaken..."). In gleicher Bedeutung gebrauchen aber den Begriff „sokol“ auch die älteren südslavischen Volkslieder, ein weiterer Beleg, dass diese Etymologie die einzig richtige ist. Wenn sich hingegen die bulgarischen „sokoli“ als „junaci“ ( = junge Krieger) benennen, so bestätigen sie hiemit, dass sie die Bedeutung von „sokol“ richtig erfasst, jedoch ihrer 5prache angepasst haben. Ob nun Tyrs, Fügner oder sonst jemandem bei der Wahl und Festlegung des Namens „sokol“ für den ersten böhmischen Turnverein die Urbedeutung dieses Wortes vorschwebte, ist vielleicht heute nicht mehr verlässlich festzustellen; Tatsache ist es aber, dass die Benennung „sokol“ in diesem Falle auch sprachgeschichtlich vollkommen zutreffend ist, daher bezeichnender überhaupt nicht hätte gewählt werden können. M. Z. Wissenschaftliche Fragen und Antworten. Hier werden ausschliesslich solche einlaufende Fragen veröffentlicht und fallweise beantwortet, die das Gepräge eines breiteren wissenschaftlichen Interesses tragen. Zur Frage 5. (S. 73.) — Als Ergänzung zur Etymologie des Begriffes „lapak" teilt V. Sokol (Wien) mit, dass sich im Bezirke Bochnia (Galizien) zwei Orte namens „Lapczyce“ befinden, die gleichfalls an der Peripherie von auffallenden, zum Teile durch den Raba-Fluss verstärkten alten, zweifellos prähistorischen Befestigungen liegen. — Die Situation ist aus der umstehenden Karte zu ersehen, und befindet sich bei A (Chetm-Berg) eine grosse Wallburg, die mit Ausnahme von Osten, d. i. dem Zugänge vom Orte, überall steil abfällt ; die spiralförmig gewundenen Ringwälle sind noch ziemlich deutlich sichtbar. Südöstlich hievon ist eine kleinere Wallanlage, noch heute als „Walek“ gekennzeichnet. — Bei C ist ein gut erhaltener Tumulus. — Auf der Höhe B (Cote 2%) sind gleichfalls kleine Wallanlagen; jetzt befinden sich auf diesem hervorragenden Aussichtspunkte, — die Kuppe selbst scheint durch Abgrabungen künstlich steil gemacht, — der Ortsfriedhof und die Kirche. — Diese sowie noch weitere Schutzbauten machen den Eindruck einer systematisch angelegten Beobachtungs- und Verteidigungsanlage, deren Zentrum der Chetm-Berg war. Frage 10. — Slovakische Runeninschriften. — In der Slovakei wurden etliche Felsinschriften in Runen gefunden, die nun schon zum grössten Teile entziffert sind. Die belletristische Zeitung „Sokol" von Turcansky-Sv. Martin (Turocz-Szt. Marlon) vom Dahre Maßstab; 1 cm 1861 führt aber an, dass auf den nachbezeichneten Punkten noch weitere Felsinschriften sein sollen: a) bei Liptau auf der „Havranna Skala“; b) an der Grenze des Zvolensko-Novohradsko-Malohonier Komi-lates, etwa k Stunden Gehweges südlich von Hronec entfernt;; c) in Mittel-Tekov, nördlich von Inovec; d) im Bezirke Han dl gegen Nova Lhota; e) im Bezirke Boglar bei Bardijov befinden sich angeblich „na Banisku“ auf einer Waldlichtung ungedeutete Felsinschriften; f) in der Umgebung von S a b i n o v sollen auf einem Felsen Runeninschriften sein; g) unter dem Krivan, genannt „na zopole“, also an der Komi-tatsgrenze, befinden sich auch Runeninschriften; h) eine solche befindet sich auf „na holach“ von Rosenberg. Es wurden zwar in den letzten Dahren slovakische Literaten wie Archäologen wiederholt animiert diese Angaben zu überprüfen und gegebenenfalls Zeichnungen oder Gipsabklatsche zu besorgen,, aber es fand sich leider niemand, der sich hiefür interessiert hätte. — Vielleicht findet sich aber auf dieses hin sonst jemand, der im Laufe des heurigen Sommers dieser Nachforschung mit Ausdauer und Erfolg nachgeht. M. Z. Frage 11. — Dramatische Pflege des Altslaven-tums. — V. St. (Prag) schlägt vor, es möge der „Staroslovan“ auch die Pflege von dramatischen Themen aus der altslavischen Geschichte, Sage, Volkskunde u. dgl. in sein Programm aufnehmen, damit solche historische Unwahrheiten nicht auf unsere Bühne geraten, wie jüngst der notorisch kroatische Held Nikola Zrinski in der gleichnamigen, sogar von einem Kroaten komponierten Oper, als magyarisierter Kroate. Antwort. Das Angebot richtet sich immer nach der Nachfrage, und wäre das Publikum kritischer, würden die Theaterdirektoren derlei auch nicht bieten; es muss daher vor allem das Publikum zum Geschmacke erzogen werden. — Zur Freude des Anregers können wir aber eröffnen, dass dessen Vorschlag zum Teile schon,realisiert wurde, denn die Aufführung des romantischen Ballettes „Zlatoiog“, dieser vielleicht schönsten unter allen Sagen, am 23. April 1. 3. im Nationaltheater in Prag, bedeutet wohl schon den hoffnungsvollen Beginn der Dramatisierung schöner slavischer Sujets und Verwertung der immensen Volksliederschätze für die Bühne. Es wurde uns auch schon ein fertiges Werk eingesendet, das Szenen aus der mythischen Zeit der Altslaven mit oratoriumartiger Musik bietet. Überdies wurden bereits Paradigmata für eine ernste und eine komische Oper, dann ein Musikdrama zur Vertonung übergeben, die zum Teile noch in diesem Sommer fertiggestellt werden dürften, um darzulegen, dass unsere Theaterzettel künftighin durchaus nicht fast ausschliesslich fremde Stücke anzuzeigen brauchen. — Bibliographie. Alle einlangenden Werke werden grundsätzlich mit Titel, Verlag und Preis angeführt; jene, welche altslavische Themata berühren, auch kurz besprochen, eventuell noch später eingehender gewürdigt. — Unaufgefordert zugesendete Werke werden nicht zurückgestellt. JH’ (Stendard Celtique. („Die keltische Standarte.“) — Monats-schrijt der kelto-französischen Liga. — Paris, 39, rue d’ Artois. — Jahresabonnement: 5 K. Zu gleicher Zeit, als sich bei uns das Bedürfnis zu einer systematischen wissenschaftlichen Pflege der altslavischen Sprache, Geschichte und Kultur einstellte, was eben zur Gründung der Revue „Staroslovan“ führte, bildete sich, gegenseitig völlig unbeeinflusst, auch in Frankreich eine mit reichen Mitteln ausgestattete Liga („Ligue Celtique Française“), die es sich zur Aufgabe machte, die Ursprungstradition des französischen Volkes wieder unmittelbar an die keltische Grundlage zu knüpfen, da endlich erkannt wurde, dass die Franzosen durchaus keine Romanen, sondern direkteNach-kommen der Kelten, daher echte Stammesbrüder der Siaven sind. — Hat nun die Ratlosigkeit, wer eigentlich die Kelten waren, in der Wissenschaft so lange angehalten, so ist es umso erfreulicher zu hören, dass sich gerade jetzt, namentlich unter dem Eindrücke der jüngsten weltgeschichtlichen Ereignisse auf dem Balkan, das alte hereditäre Gefühl der sprachlichen Zusammengehörigkeit der Kelten und Siaven so kraftvoll und überzeugend zu regen begann. Hiemit bricht aber zugleich wieder ein grosser Teil jener Völkerwanderungshypothese, die auch die Keltenvölker wie eine verlorene Herde durch ein ¿Jahrtausend in der Geschichte heimatlos herumtrieb, zu einem Phantom zusammen. Diese Hypothesen waren eben nichts weiter als ein Verlegenheitskniff, der stets in jenem Momente wie ein deus ex machina wirken musste, wenn das logische Schliessen versagte, oder, um noch deutlicher zu sein, wenn die Beweise für den Autochthonismus der Siaven allzu greifbar zu werden begannen. Wir dürfen es aber auch nicht verschweigen, dass die neuen, so akut auftretenden wissenschaftlichen Enuntiationen über den Kern der Völkerwanderung, die Keltenfrage, die geschichtliche Soziologie, die Runenprovenienz, die Unhaltbarkeit der dermaligen Grundsätze der Archäologie u. a. durch Zunkovics epochales Werk: „Die Slaven, ein Urvolk Europas“, das ganz unerwarteterweise in wenigen CJahren sechs Auflagen erlebte, systematisch vorbereitet wurden, es daher nur mehr eines äusseren effektvollen Impulses bedurfte, um offen anerkannt zu werden. Wir gehen daher im Sturmschritte einer völligen Umwertung alles menschengeschichtlichen Wissens entgegen, und wer sich diesem elementaren Durchbruche des fortschreitenden Zeitgeistes mit dessen nüchternen Kausalitäten entgegenstellt, wird durch die Zahl wie Kraft der Beweise schonungslos niedergerannt. Dr. E. Wisinger. ¿Achleitner ¿Art., „¿Reisen im slavischen Süden“. — Berlin 1913, 8°, 310 S. — Verlag Gebrüder Paetel. — Preis brosch. K 6'—, geb. K 7-20. Der bekannte Glorifikator der österreichischen Alpenwelt führt uns diesmal, nachdem er uns durch seinen hervorragenden Roman „Der Waldkönig“ sozusagen als Zwischenstation noch das Kulturleben des verwichenen dahrhundertes im steirisch - slovenischen Bachergebirge gezeigt, nach Dalmatien und Montenegro. Bei der so überraschend zunehmenden Erstarkung des Slaventums, das sich seit den glänzenden Waffenerfolgen der Balkanvölker allerorts festlich rührt, kann auch eine genauere Kenntnis jener Völkerschaften, die nicht lediglich angrenzen, sondern auch ethnographisch dazugehören, nur jedermann von Nutzen sein. — Die Art und Weise aber, wie Achleitner hier seine Mentorschaft erfasst, kann als vorbildlich angesehen werden, denn er stellt sich dem Leser vor allem als Freund vor, der ihm die kaleidoskopartig wechselnden Landschaftsbilder, das Volk und den Boden, Natur und Kultur, Geschichte und Kunst stets in objektiver Fassung und überdies mit ungezwungenem Humor gewürzt, darlegt. — Angenehm fällt auch der würdige Ton auf, den der Autor über Montenegro anschlägt, im Vergleiche zu jenen, oft mit Unflat durchsetzten Schilderungen solcher Verfasser, die das Land nie betreten haben, und nur einem gewissen Publikum gegenüber jene Glocken läuten, die es zu hören wünscht. . Wir können daher nur jedermann ernstlich raten, mit Achleitners Buche vertraut, und zugleich Goethes Rate folgend, wonach man ein Land erst verstehen kann, wenn man es selbst kennen gelernt, jene für den Uneingeweihten geradezu unverständlichen und ohne Autopsie märchenhaft bleibenden Gebiete selbst aufzusuchen und erst dann ein offenes Urteil zu fällen. — Dr. A. Kovačič. Mitteilungen der Redaktion. Widmungen. Auf unsere Bitte um Überlassung von selten gewordenen Werken für die Mitarbeiter sind uns etliche wertvolle Bücher zugekommen, die wir ihrer Bestimmung gemäss nutzbringend verwerten wollen. Ausserdem kamen uns in richtiger Würdigung dessen, dass unsere Veröffentlichungen zum. grossen Teile kostspielige Vorarbeiten und Reisen, dann vielfach ad hoc anzuschaffende, mitunter seltene Studien- und Illustrationsbehelfe erfordern, folgende Geldspenden zu: 1. 400 SK vom Herrn Landesgerichtsrat Franz Brdek in Novo-sady (bei Olmütz) mit der Bestimmung, den bisher eingehaltenen Weg in der Ortsnamenforschung kräftigst fortzusetzen und die Fertigstellung des angekündigten „Etymologischen Ortsnamenlexikons“ zu beschleunigen, „da in den Ortsnamen zweifellos die sprechendsten Beweise für den Au-tochthonismus der Slawen ruhen“. — Der hochherzige Spender verspricht dieses Forschungsgebiet tunlichst noch in Hinkunft weiter zu fördern, und „hofft hiemit den Impuls gegeben zu haben, dass auch von anderer Seite das Möglichste beigetragen werde, um diese überraschend uhd zugleich überzeugend an den Tag gelegte Wahrheit über den Altslavismus, die der „Staroslovan“ so sachgemäss und wohldurchdacht zu heben begonnen, fortgesetzt und dessen zielbewusstes Programm in positive Tal umgesetzt werden könne“. — 2. 30 SK von einem unbenannt bleiben wollenden slovakisehen Oberlehrer mit folgender Zuschrift (auszugsweise): „Ich las im 1. Hefte des „Staroslovan“, dass es auch slov aki sehe Runendenkmäler gebe. Ich übersende, darüber erfreut, hier einen kleinen, meinen sehr bescheidenen Verhältnissen entsprechenden Betrag behufs Förderung der slo-vakischen Runenforschung.“ — Da die bis heute bekannt gewordenen slovakischen Runeninschriften bereits geklärt vorliegen, glauben wir dem edlen Zwecke des Spenders am besten zu entsprechen, wenn wir diesen Betrag jenem zuweisen, der eine oder mehrere der auf Seite 141 angeführten Runeninschriften auffindet und uns hievon einen Gipsabklatsch, eine Photographie oder doch eine verlässliche Skizze einsendet. Wir sprechen zugleich den beiden Spendern unseren tiefgefühlten Dank aus und wollen wir alle Widmungen dieser Art im Sinne und Geiste der gewünschten Verwendung rationellst verwerten. Allgemeines. Die nordslavischen Runendenkmäler können unter Beiziehung der beigegebenen Tabelle „Wendisches Runenalphabet“, in welcher Tafel i. die hauptsächlichsten Buchstabenformen und Schriftvarianten aufgenommen sind, von jedermann selbst gelesen und verlässlich überprüft werden. — Das Lesen dieser Schriften ist im allgemeinen nicht erheblich schwer, da sich aus mehreren Jahrhunderten genug wendische Runenalphabete erhalten haben; hingegen ist aber die Deutung der Texte oft eine äusserst mühsame, weil die originalslavischen Begriffe in Bezug auf ihre primäre Form schwer sicher erkennbar und namentlich betreffs ihrer Bedeutung recht schwankend geworden sind, zumal doch jede Wortform in Raum und Zeit bedeutende, ja oft radikale Änderungen erfahren kann. So haben wir es gerade bei den wendischen Runen vorwiegend mit der altpreussischen und slo-vinzischen Sprache zu tun, die eine um die andere ausgestorben sind. Jede absterbende Sprache ist aber schon vor ihrem Kollaps durch die vorausgehende, meist jahrhundertelange Diffusion der ablösenden Sprache gründlich verballhornt. Es stellen sich daher oft hartnäckige sprachgenetische Schwierigkeiten in die Quere, die proportionel! mit dem Schwinden der Originalität einer Sprache wachsen, daher auch die älteren Denkmäler leichter zu agnoszieren und zu deuten sind als die jüngeren. Und auch dies ist historisch begründet, denn ganz Deutschland ist in Wirklichkeit doch nur ein grosses slavisches Gräberfeld und sind hiebei die Preussen (Prusi, Borussi) die jüngsten germanisierten Slaven. So sind z. B. die altpreussischen Totenklagetexte, die auch dem Polnischen sprachlich am nächsten kommen, noch heute dem Nordslaven vollkommen verständlich, wie: „Halele, leie, y procz ty mene umral? Y za ty nie miel szto iesty albo pity, y procz ty umarl? Y za ly nie miel krasi mlodzice, y procz ty umarl“ usw. — Hingegen liess Herzog Albert von Preussen um das Jahr 1550 die lithurgischen Gebete der preussischen Slaven gleichzeitig in zwei Redaktionen Zunkovic: „Slavische Runendenkmäler“. 2 niederschreiben. Diese Texle, die schon jeder für sich starke Unterschiede aufweisen und zur berechtigten Ansicht führen, dass die beiden Verfasser die eigentliche Volkssprache gar nicht oder in recht unzulänglicher Weise verstanden haben konnten, kann ein Slave von heute kaum mehr auch nur als entfernt verwandt ansehen, denn das Vaterunser lautet, wie es Hartknoch (Chronicon Pmssiae, 1679) wiedergibt, folgendermassen: Thavve nouson kas thou aesse aendengon. Svvyntits wirse tvvais emmens. Pareysey noumans tvvayia vieky. Tvvais quaits audaseysin na zemmiey usw. Allerdings müssen sich die beiden Redakteure dabei auch eine Schwerfälligkeit in der Transskription zurechtgelegt haben, die den Originaltext jedermann als fremdsprachig suggerieren musste. Überdies sind die Vergleiche und Nachprüfungen selbst umso schwieriger, weil die Literatur dieser abgestorbenen Sprachen über einen äusserst dürftigen Nachlass verfügt. — Ein kleines Wörterbuch der wendisch-preussischen Sprache hat sich von Plato erhalten, welcher im Kreise Lüchow lebte und dort einige sprachliche Aufzeichnungen machte. Das Vaterunser, wie es sich ansonst in der Tradition bis vor etwa 120 dahren im Lüchower Kreise erhalten, läutete nach den phonischen Aufzeichnungen des Grafen dohann Potocki (1794) folgend: „Nesse wader, to ioy Jiss, wa nebiss hay, siungia Woarda Tygi Cheyma tujae Rick kommae. Tia wiliae szymweh Rok wa nebiss hay, kak no zimie. Un Wy by doy nam nesse chrech kak moy Wy by dayne nessen Chresmarym. Ni bringwa nass na Wasskonie day lizway nes Wit Wyskak chan-dak. Amen.“ — Die zahlreichsten, ältesten und kulturgeschichtlich wertvollsten wendischen Runendenkmäler sind in Mecklenburg u. zw. im Gebiete nächst des Tollensees gefunden worden; in der Wissenschaft sind sie allgemein als „Rhetra“-Altertümer benannt und bekannt. Sie bilden drei Gruppen u. zw.: a) die wendisch-heidnischen Devotionalien (Sammlung des A.Masch); b) die wendisch-heidnischen Grab-Amulette (Sammlung Sponholtz); c) die wendisch-heidnischen Urnensteine (Sammlung Sponholtz). a) Die wendisch-heidnischen Devotionalien. Name. Im Museum zu Neustrelitz (Mecklenburg) befinden sich 66 eigenartige Bronze-Statuetten und sonstige zugehörige Nippes, die man bisher meist unter der Bezeichnung „Die gottesdienstlichen Altertümer der Obotriten von Rhetra“ kennt. Dieser Titel muss aber hier in allen Teilen umgangen werden, weil ein begründeter Zweifel besteht, ob es eine Stadt oder Ansiedlung des Namens „Rhetra" je gegeben, denn die Annahme einer solchen baute sich augenscheinlich auf die falsche Übertragung und Auslegung der so lautenden Runeninschriften auf, und ob sie gerade von den Cbotriten stammen, kann auch niemand behaupten, denn es steht nur fest, dass die Inschriften auf diesen Fundobjekten slavisch sind, daher sicherlich von den Wenden näherer oder weiterer Umgebung herrühren. Überdies werden sie hier als Devotionalien, also Weihobjekte bezeichnet, weil deren augenscheinliche Bestimmung dadurch prägnanter ausgesprochen erscheint. Geschicke der Devotionalien. Sie wurden in den dahren 1687—1696 beim Ausheben einer Grube im Pfarrhofgarten in Prilwitz (Mecklenburg) gefunden. In diesem Dorfe befand sich vordem ein grosser Hügel und an dessen Hange lag jener Garten. Über die nähere Situation weiss man, dass sich alle Fundobjekte in einem Kessel befanden, der wieder, vermutlich zum Schutze des Eindringens von Erde und Wasser, mit einem gleichartigen zweiten Kessel zugedeckt war. Um die Kessellage herum fand man überdies an zwei Zollzentner altes Eisengerät, ein Hinweis, dass die ganze Sammlung mit Vorbedacht hier vergraben wurde. — Als der damalige Pastor Friedrich Sponholtz im dahre 1697 starb, übergab dessen Witwe die beiden Kessel, die überdies reiche Runeninschriften aufgewiesen haben sollen, die Eisengeräte sowie alle Bronzegegenstände einem Verwandten in Neubrandenburg, der das Eisen im Haushalte verbrauchte, die beiden Kessel aber einem Glockengiesser verkaufte. In dieser Familie, namens Palcken, verblieben nun die Devotionalien; nur einige Stücke wurden eingeschmolzen, um sich zu überzeugen, ob sie kein Edelmetall enthalten, welche Probe aber negativ ausfiel. — Später erfuhr der Medikus Hempel davon und erwarb 46 Stück; etliche wurden ihm verschwiegen, doch diese brachte später der Superintendent A. Masch in seinen Besitz. — Dieser interessante Fund wurde nun im dahre 1768 im „Allonaer Mercurius“ und ein dahr darauf im „Rostocker Wochenblatt“ veröffentlicht. Die Runeninschriften, welche die meisten ‘Objekte .aufweisen, wurden nach den Runenalphabeten von Cluver („Beschreibung des Herzogtumes Mecklenburg" 1757) und Westphals („Monumenta inedita“) 'lateinisch transskribiert und vom Oberpfarrer Letochleb in Peitz, der die böhmische Sprache vollkommen beherrschte, ins Deutsche übersetzt, da sonst niemand den Text verstand. Man bewunderte nun allgemein diese eigenartigen und doch unerklärlichen Denkmäler aus altwendischer Zeit. Aber bald fand sich in Pastor Lense aus Warlin ein Mann, der diesen Altertümern allen Wert absprach und sie als Fälschungen eines Gelbgiessers be-zeichnete („Nützliche Beiträge zu den Intelligenzen." Neustrelitz 1768). D. Taddel in Rostock setzte sich jedoch für die Ehrenrettung des Pastors Sponholtz wie der Altertümer selbst beweiskräftig ein (1769), worauf im Jahre 1770 der Präpositus Genzmer die Echtheit dieses Fundes noch weiter überzeugend nachwies, was umso leichter war, da man doch wusste, dass weder der Gelbgiesser noch sonst jemand altwendisch kannte, sowie auch von der Runenschrift keine Ahnung hatte. Da diese Altertümer im Pfarrhofgarten vergraben gefunden wurden, lässt annehmen, dass sie der Priester des dortigen Tempels in einer gefahrdrohenden Zeit, um sie zu retten, selbst hier vergraben habe. Die meisten dieser Objekte waren einmal einem starken Feuer ausgesetzt, wobei viele durchbrannten oder abtropften; am wahrscheinlichsten dünkt es, dass sie jemand nach dem Tempelbrande aus der Asche hob und sicherheitshalber vergrub. Es dürfte dies vermutlich zur Zeit der Einführung des Christentums gewesen sein, denn die Chronisten wissen, dass der Tempel schon einmal aus diesem Grunde niedergebrannt wurde; doch kurz nach dem Jahre 1131 Hessen Fürst Niklot und Graf Adolf von Holstein den neu aufgebauten Tempel abermals in Feuer aufgehen, weil die Wenden sehr bald rückfällig wurden. Geschichtliches über „Rhetra“. Der älteste Chronist, der über „Rhetra“ schrieb, war Thietmar, Bischof von Merseburg (f 1018). Dieser hat „Rhetra“ selbst nicht gesehen, sondern wusste vom Hörensagen, dass im Gau der Redarier eine Burg mit drei Toren sei, die man „Riedegast“ nenne. Beim dritten Tore befinde sich ein Heiligtum mit vielen Götzenslandbildern; die Namen derselben stehen auf den Fussgestellen aufgeschrieben. Der vornehmste Gott heisse „Zuarasici“. — Adam von Bremen (f 1076) hingegen erzählt, dass in der alten Burg „Rhetre“ der Sitz der Abgötterei war; der Hauptgötze hiess „Radegast“; sein Bild war von Gold, sein Lager mit Purpur belegt. Die Burg hatte neun Tore und war allseits von einem liefen See umgeben; zum Tempel führte eine hölzerne Brücke. — Diese sich zum Teile widersprechenden Daien besagen, in die Wirklichkeit übersetzt, folgendes: der Tollensee bildet die Grenze gegen Mecklenburg - Schwerin. Prilwitz, der Fundort der Altertümer, liegt an dem genannten See; auf einem Hügel daselbst, dem vermeintlichen Tempelberge, stand zum Grenzschutze von altersher eine Burg, denn man weiss, dass noch im Mittelalter daselbst ein gemauerter Wartturm, doppelte Wälle, tiefe Gräben, dann allerlei Mauerwerk zu sehen waren. Der Punkt war für die Verteidigung auch schon von Natur aus begünstigt, denn er war ringsum teils vom See, teils von tiefen Sümpfen umschlossen. Alles weitere ergänzt die Etymologie. Der Ortsname „Prilwitz" ist gleichbedeutend mit befestigter Berg. Helmberg, denn „prilbica“ heisst im Russischen noch heute Helm, also ein Schutzmittel. Der bei den Wenden als „Prilbica“ benannte Burgberg diente sonach der Ansiedlung daselbst als Schutzpunkt bei feindlicher Gefahr. — Desgleichen wussten alte Chronisten nicht mehr, dass „Rhetra", richtig „Rjetra", kein Ortsname ist, sondern eine Hoheitsbezeichnung, wie etwa Beschützer, Retter (slov. „redar“ = Wächter, Aufseher) bedeute. Die Namen „Riedegast" (Thietmar) und „Rhetra“ (Adam von Bremen, Helmold) sind daher im Prinzipe keine topischen Namen, können aber die Bedeutung von solchen erlangen, analog wie eine Höhe, auf welcher „Maria“ eine Kirche geweiht ist, schliesslich den Namen „Marienberg“ annehmen kann. — Aus dem Ganzen geht aber unbedingt hervor, dass schon zu Thietmars Lebenszeit (975—’018) über die Prilwitzer Burganlage sehr verworrene Ansichten herrschten, d. h. der Ortsname war kein einheitlicher mehr. Beschreibung der Altertümer. Diese bestehen teils aus Figuren, teils aus Waffen, Geräten sowie sonstigen Nachbildungen. Alle sind aus Bronze, mitunter mit etwas Silberzugabe hergestellt; die metallische Zusammensetzung ist fast überall eine andere ; desgleichen ist die Technik der Ausführung sehr verschieden. Die Figuren erreichen im Maximum die Höhe von 20 cm; ebenso sind alte übrigen Objekte nur Miniaturen. Die angesetzte Patina lässt auf ein hohes Alter rückschliessen; sie trägt aber nicht dieselbe blaugrüne Farbe zur Schau, wie bei Gegenständen, die mit der Erde in direkter Berührung standen, weil die Oxidierung im Kesselhohlraume vor sich ging. Die Figuren sind fast durchwegs bekleidet, oft auch mit Sturmhaube, Panzer und Waffen versehen. Die meisten Figuren sind hohl gegossen, woraus man deduzierte, die kugelförmige Höhlung an der Basis hatte den Zweck, dass sie analog wie die römischen Legionsadler, als Feldzeichen dienten und im Kriege, auf Stangen aufgesteckt, vorangetragen wurden. Die Unscheinbarkeit der Figuren spricht jedoch entschieden dagegen und lässt vermuten, dass man vor oder nach wichtigen Ereignissen einer bestimmten Gottheit eine solche Statuette widmete, die man im Tempel selbst auf einen Dorn aufsetzte. Bestimmung als Devotionalien. Dass dies Weihobjekte waren, ersieht man nicht nur aus den Dimensionen sondern auch aus den Inschriften. In dieser Hinsicht haben sich die Verhältnisse auch bis heute nicht geändert. Man widmet ja doch noch immer einer Kirche aus bestimmten Anlässen eine Christus- oder Marienstatuette, eine Hand, ein Herz u. drgl. aus Edelmetall; der gewesene Lahme hängt seine Krücken in der Kirche zum Danke für seine Genesung auf; auf dem Balkan lässt man die Waffen kirchlich weihen; nach einem glücklichen Waffengange widmet man sie oft selbt der Kirche. Hervorragende Gnadenorte besitzen doch ganze Schatzkammern und Museen solcher Provenienz. — Andererseits schaffen wir uns doch auch heute Miniaturbüsten von Herrschern, berühmten Feldherren, Dichtern, Musikern u. ä. an; es ist da somit absolut nichts Verwunderliches daran, sondern nur ein Zeichen, dass man einst hohen, verdienstvollen Personen in ganz analoger Weise seine Verehrung zum sichtbaren Ausdruck brachte, wie heute. Diese Bestimmung ist auch aus den darauf angebrachten schriftlichen Widmungen zu ersehen, denn die meisten Weihobjekte haben teils eingravierte, teils schon mitgegossene Inschriften. Die Schriften, die sämtlich von links nach rechts zu lesen sind, stammen von verschiedener Hand, aus verschiedener Zeit sowie auch aus verschiedenen Gegenden, nachdem dieselbe Wortform mitunter stark variiert; überdies wurden dabei drei Alphabetarten angewendet. Alters- und Echtheitsbeweise. Obschon natürliche Vernunftsgründe für die Unmöglichkeit einer solchen Fälschung sprechen und in archäologischen Dingen höchst erfahrene und äusserst gewissenhafte Gelehrte (wie z. B. die Brüder Grimm) jeden Zweifel in dieser Hinsicht zerstreuten, fanden sich doch immer Männer, welche diese ehrwürdigen Altertümer ohne allen Grund weiter verdächtigten. Wie unbegründet, ja für die Wissenschaft höchst beschämend und kompromittierend diese fortgesetzte krankhafte Hetze gegen jene altslavischen Kulturbelege ist, wird später beim Namen „belbog“ des Näheren erörtert. Was das Alter betrifft, so kann mit berechtigter Sicherheit ausgesprochen werden, dass der Götzendienst von „Rhetra“ sowie die Erzeugung dieser Götzenminiaturen eine geraume Zeit, also wohl etliche Jahrhunderte vor Thietmar zurückzuverlegen sei, denn dieser, der doch v. 3. 975—1018 lebte, erzählt als der älteste Chronist, dass die Götzenbilder in „Rhetra“ auf der Basis Runeninschriften hatten; was dieselben besagen, wusste er nur vom Hörensagen, denn er selbst hat die Figuren nie gesehen. Aus dem ganzen geht aber hervor, dass man zu seiner Zeit, also schon zu Beginn des XL Oahr-hundertes sehr nebelhafte Umrisse über den Götzendienst in „Rhetra“ haben musste, sowie dass man schon damals die wendische Runenschrift nicht mehr verlässlich zu lesen verstand, sie nicht mehr anwendete, oder dass doch schon die Tradition darüber empfindlich getrübt war. Überdies ist auch schon hier die sprachliche Originalität gestört, denn z. B. der Name „belbog“, wie er auf diesen Statuetten wiederholt zu lesen ist, kann ursprünglich nur „velbog" (oder „vilbog“) gelautet haben, worin uns der Umstand bestärkt, dass das lateinische „b“ im Altslavischen immer als „v“ bewertet ist, und heisst es in einer uralten rhätischen Schrift noch immer „velpan“ und nicht „bel-pan“. Die wendischen Bronzefiguren gehören sonach schon in die Zeit des Verfalles der wendischen Sprache, d. h. in jene Zeit, als man nicht mehr das Sprachgefühl hatte, dass man richtiger „velbog“, statt „belbog“ sagen müsse. Obschon nun für den logisch Denkenden jede Verteidigung der Echtheit dieser Fundobjekte überflüssig ist, so muss hier doch für alle Fälle auf folgendes hingewiesen werden: a) es ist vor allem nicht einzusehen, weshalb Deutsche, die kaum irgendein slavisches Wort verstanden, Kulturzeugnisse für die Slaven durch Fälschungen vermehrt hätten; überdies war die wendische Sprache, wie anfangs Beispiele geboten wurden, schon im XVI. Dahrhunderte derart entstellt und verballhornt, dass auch ein Slave da nichts mehr derartig Sprachreines hätte schaffen können; b) haben die Gegner der Echtheit selbst ihre Unwissenheit in dieser Richtung damit dokumentiert, dass sie gerade jene Inschriften als Fälschungsbelege anführten, die sie bis heute falsch gelesen haben, also die Fälschungssubstrate selbst konstruierten; c) Herzog Carl von Mecklenburg war es, der sich selbst dieser Streitsache um das Oahr 1769 annahm und die wissenschaftliche Behandlung dieser Altertümer anregte; es ist da wohl anzunehmen, dass man damals über die allenthalben auftauchenden Echtheitszweifel beruhigt hinwegging und dass der Landesfürst gewiss nicht seine Autorität dafür einsetzte, einem Schwindel Vorschub zu leisten. Das erste diesbezügliche Werk wurde sogar der Königin von England, Charlotte Sophie, einer Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, mit folgenden Versen gewidmet: „Monarchin, die mit scharfen Blicken Die Dunkelheit des Altertums erhellt, Und die von übertriebnen Stücken Der alten Kunst ein richtig Urteil fällt; Hier naht ein Buch sich Deinen Augen, Das Überbleibsel alter Welt ln richtgen Bildern dargestellt; 0 möcht’ es Dir doch zu gefallen taugen!“ — Eine Mystifikation oder ein Pasquill ist daher bei einer derartig ernsten und dabei auch kostspieligen Behandlung geradezu ausgeschlossen; d) handelt es sich bei jeder Fälschung doch um die Frage, wer dabei ein positives Interesse oder einen persönlichen Vorteil hat. Wollte aber jemand vor etwa 180 CJahren die Kenntnis von der hohen alten Kultur der Slaven auf diese unredliche Art verbreiten und hie-mit zugleich beweisen, dass die Slaven die Runenschrift gebrauchten, so mussten doch zum mindesten echte Vorbilder dagewesen sein; doch auch dieses war überflüssig, da man ja hiefür andere Beweise wie z. B. die Chronisten Thietmar, Adam von Bremen, Helmold u. a., dann Münzen hatte; übrigens hatte man zu jener Zeit noch eine so hohe Meinung von der altslavischen Kultur, dass man diesen Nimbus durch fragliche Fälschungen schwerlich erhöht, sondern eher herabgesetzt hätte; e) ist jede weitere Erörterung an sich hinfällig, wenn man erwägt, dass der Gelbgiesser alle diese verschiedenartigsten Objekte modelliert, mit prächtigen Reliefs schmückt, giesst, in einer unbekannten Sprache richtig beschreibt, nach der kostspieligen und zeitraubenden künstlerischen Leistung aber ins Feuer wirft, wo sie wieder zu unförmlichen Metallklumpen schmelzen, denn auf eine so pathologische Art wird niemand die alte slavische Kultur nachweisen wollen. Für die Anzweiflung der Echtheit liegt daher nichts als Missgunst, Bosheit oder Unverstand vor, und der Moment allein, dass etwas, was man nicht versteht, falsch sein müsse, ist das bedauerlichste Argument für die Wissenschaft, die auf diese gewalttätige Art einen Knoten zerhaut, statt ihn durch Weiterforschung natürlich zu lösen. — Nachstehend werden nun, da es sich hier lediglich um die Runenschrifttexte handelt, jene Objekte angeführt und bildlich dargestellt, die eine besondere Aufschrift aufweisen; Wiederholungen nur dann, wenn sie orthographisch variieren; Objekte, die infolge Abschmel- zung nur mehr für die Lesung unsichere Schrififragmenie bieten, wurden nicht aufgenommen, da sie keinen reellen sprachlichen Beitrag geben. — Die Figuren sind durchschnittlich um ungefähr Vs verkleinert dargestellt. A. STATUETTEN. „Rjetra“. Mitunter als „rietra, rijetra“ (nicht aber „rhetra“) geschrieben, kommt hier zehnmal vor. Es scheint, dass der Name als: Beschützer, Retter aufzufassen ist, aber keinesfalls als Ortsname, wie dies sonst allgemein angenommen wird. Da diese Inschrift auf verschiedenen später dargestellten Figuren miterscheint, wird dieselbe hier nicht separat illustrativ angeführt. „Radegast." — Kommt auch in der Form: „Radegost, Ride-gast, Rjadegast" vor. — Etymologie: „rat“ = Krieg, Kampf; „rada“ = Rat, Ratgeber; „gost“ = Gast, d. i. der zu Beschützende; „gosudar, gospod, gospodar" = Herr, daher etwa: Kriegsherr, Schutzherr, Feldherr bezeichnend. Dieser Name kommt hier zehnmal vor. — Bei allen Statuetten mit dieser Inschrift fällt es auf, dass jede solche Figur auf dem Kopfe eine Gans („gos" = Gans) und einen Ochsenkopf als Brustschild zu Symbolen hat; der Kopf selbst aber ist trotz der sonst menschlichen Gestalt jener eines Löwen. Diese Attribute zeigen die Eigenschaften der Wachsamkeit, da die Gans als äusserst empfindlich für nächtliche Geräusche gilt,*) der Ochsen- oder Stierkopf die physische Stärke und der Löwenkopf den Mut an. Fig. 1 hat folgende Inschriften (Vorderseite): „z“ auf dem Gansflügel, „bei" auf dem linken Arme, „belbog“ auf dem linken Oberschenkel; Rückseite: „ridegast" und „rjetra“. (Abbildung siehe Seite 2k und 25). Fig. 2 (Vorderseite): „cern . . . ." und ein Schriftfragment an Kleiderrändern; Rückseite von oben nach unten: „radegast, belbog, rjetra“. (Abbildung siehe Seite 26.) i Fig. 3 hat vorne die Aufschrift „rjeam“ (anscheinend „ich ritze"; riti = ritzen, einmeisseln) und rückwärts „ridegast“. (Abbildung siehe Seite 27.) Diese drei Statuetten scheinen in erster Linie „Radegast“ gewidmet zu sein, da dieser Name bei gleichen Attributen, namentlich jenem der Gans, immer auf der Rückseite eingraviert ist. Die kräftige Mannesgestalt lässt überdies vermuten, dass der Urtypus dieses *) Die Gänse auf dem Kapitolium in Rom dürften wohl auch nur zur Ergänzung des nächtlichen Wachdienstes gehalten worden sein. Götzenbildes ein vorsichtiger, starker und tapferer Führer des Volkes war, dessen vornehmste Eigenschaften aber hier schon durchwegs symbolisiert erscheinen. Es zeigt dies zugleich, dass zwischen der Zeit des irdischen Wandels des Originales und dessen bürgerlich- Fig. 1. (Vorderseite.) kriegerischer Funktion als Regent oder Feldherr bis zur Goltwerdung, ja bis zur völligen Transsubstantation in attributive Symbole eine bedeutende Epoche liegen müsse. — Die Beisetzung anderer Funktionsnamen, wie „belbog, rjetra“ haben überdies auch ihre Analogien, denn Zeus, Jupiter, Wodan u. a. haben doch auch Attribute für Spe- zialfunktionen, ja selbst die laurelanische Litanei ist nichts weiter, als eine-Ergänzung von ähnlich symbolisierten Eigenschaften und Tugenden. — Fig. 1. (Rückseite.) „Belbolg, Bilbog.“ — Etymologie: grosser, hoher Sott. Sprachlich richtig müsste der Name jedoch „velbog“ („vel, vele" = gross, hoch) lauten, analog wie man auch „velehrad, velmož, velpan u. ä.~ spricht und schreibt. — Die moderne Auslegung von „belbog" als weissefr Golt („bel" slav. weiss) ist falsch und wohl dadurch entstanden, dass das altslavische „b“, das als „v“ ausgesprochen wird, später den Wert von „b" erhielt. Die Burg „Viligrad“ in Mek-klenburg wurde folgerichtig auch nicht, wie anderswo zu „Belgrad“ oder „Weissenburg“, sondern zu „Megalopolis“, also zu grosse, feste Burg. — Die Schreibweise „bocg“, die sich öfters wiederholt, (Vorderseite.) Fig. 2. (Rückseite.) ist nichts Ungewöhnliches, denn ein hartes „g“ wurde am Schlüsse eines Wortes von altersher vielfach mit „cg“ verstärkt geschrieben, wie z. B. „rinnewecg“ ( = Rennweg) i. U. 1259. — Der Name „belbog, belbocg, bilbog“ kommt in dieser Sammlung fünfmal vor. — Bei der Entzifferung dieser Inschrift ist jedoch der Gelehrtenwelt ein sehr bedenkliches und folgenschweres Versehen passiert. Die Aufschrift auf der Rückseite — auf der Vorderseite steht nur „rjetra“ — las man schon i. 3. 1768 „schwayxtix belbocg“, und seit dieser Zeit ist niemand mehr daraufgekommen, dass das exotische Wort „schwayxtix" dort absolut nicht steht, sondern „licjevajam tim bilbocg“ (kann auch „licjovajam" gelesen werden), d. h. ich stelle hiemitdenbilbocg dar, denn „licjovajatj“ bedeutet im Russischen noch heute: modellieren, Umrisse machen, darstellen. Bei den nordischen Runendenkmälern wurde bei etwa 15°/0 festgestellt, dass der Verfertiger eines Grabsteines, eines Schmuckgegenstandes u. drgl. in dieser oder jener Weise sein „fecit“ anfügte, dieser Fall also durchaus nicht vereinzelt dasteht. — Da aber das Wort (Vorderseite.) Fig. 3. (Rückseite.) „schwayxtix“ ein „sch“ enthält, also einen in alten, namentlich aber in slavischen Schriften ganz unmöglichen Laut, wurde dies sofort zum Kronzeugen der Unechtheit aller dieser Bronzeobjekte gestempelt. Der Slavist Dr. Dagic fuhr sogar eigens nach Neustrelitz, überprüfte an Ort und Stelle die Inschriften und fand daselbst, wie er dies im Artikel „Zur slavischen Runenfrage“ (Archiv für slav. Philologie, 1881) darlegt, wirklich auch ein „schwayxtix“. Er erklärte daraufhin dieses Objekt wie die ganze Sammlung für eine Fälschung der Neuzeit und fügte sogar noch bei, dass die Erzeugung selbst der ältesten Stücke nicht vor das 3ahr 1737 fallen kann. Wie man da nun so konsequent ein „sch“ lesen konnte, wo deutlich ein „lic“ steht, ist ebenso ein Rätsel, wie die Tatsache, dass man den Laut „m“ stets für ein nicht existierendes „x“ las. Man scheint eben in der krankhaften Sucht alle auftauchenden altslavischen Kulturbelege möglichst rasch zu beseitigen, damit sich niemand weiter um eine Nachprüfung bemühe, bewusst tunlichst viel Einwände erhoben und gesucht zu haben, oder fehlten aber Allen, die diese Funde zu beurteilen hatten, die primitivsten Runenkennlnisse, daher nicht blinde Vorurteile, sondern geradezu eine doppelte Zurückhaltung in der Schlussentscheidung geboten waren. Der alten Überlieferung nach stellte diese Figur einen Hauptgott dar, was auch richtig ist, weil es die Etymologie gleichfalls bestätigt. Es darf daher auch nicht auffallen, dass gerade diese Statuette eine sehr grosse Kunstfertigkeit zeigt; sie ist überdies stark silberhältig, und trägt auf dem Kopfe Goldspuren, ein Hinweis, dass sie einst eine Krone oder etwas Ähnliches aus Gold aufgesetzt gehabt haben dürfte. Desgleichen scheint der Verfertiger dieser Figur nicht identisch zu sein mit jenem der übrigen Objekte; die Sprache der Inschrift selbst weist mehr gegen Osten, also auf eine Provenienz von Russland. — Erwähnenswert ist es auch, dass von der Verehrung einer Gottheit des Namens „Schwayxtix“ in der ganzen Geschichte Mek-klenburgs keine Spur zu finden ist, weil dieser Name eben nur einem Lesefehler der jüngeren Zeit seine Existenz verdankt. (Fig. s. S. 23.) „Cislbog“. — Etymologie: Grenzschutzherr oder verehrungswürdiger Gott. Der Slovene versteht noch heute unter „čislo“ — den Grenzstreifen, unter „čislati“ — verehren, respektieren (die Grenze). Grenzhöhen führen mitunter den Namen „Gislova Skala“, deutsch „Zeiseiberg“. —- Im primären Sinne war dies also der Schutzherr, dem ein Gebiet zur Sicherung gegen äussere Feinde anvertraut war, im erweiterten ein Schutzgott überhaupt, dem man hohe Verehrung zollte. — Nebst diesem Namen ist auf der Rückseite noch „rjetra“ eingraviert. Die Vorderseite trägt nur die Aufschrift „gricci" oder „kricci“, also „kriči“. Unter „grid" verstand man früher im Russischen den Leibwächter, unter „gridba" die Leibwache; es war sonach „griči“ (oder „kriči“) der Funktionsname irgendeines Grenzgebietskommandanten, eines Warners oder Beschützers, denn „krič“ bedeutet im Slavischen: Ausruf, Schreckruf, „kričati“ (griechisch „krico“) rufen, warnen, und sind vermutlich auch im Deutschen die sogenannten „grit-, krit-, kred- und kreid-Feuer" etymologisch nur die Fanale, welche bei Feindesgefahr an den Grenzpunkten angezün-bet wurden. — Transskription der Inschrift: LICJEVflJRM TIM BILBOCG. Statuette „Bilbog“, fälschlich „Schwayxtix“ genannt. „lpabog“. Diese Sialuette hat auf der Vorderseite keine sichtbare Aufschrift, auf der Rückseite hingegen „rjetra“ und „ipabocg“. — „Ipa" muss ursprünglich etwa Racihe, Vergeltung, Schutz be- Statuette „Cislbog“ (Vorderseite). deutet haben, in der Personifikation somit einen Hohen, der die Unbill bestraft. Im Slovenischen versteht man unter „ipiti“ noch heute: jähzornig, rachsüchtig sein, während das russische „ipat“ der Bedeutung Statthalter gleichkommt, das auch sprachorganisch mit dem griechischen „hypatos“ (=der Oberste, der Höchste) und „hy- pateia“ (= Würde, Amt, Konsulat) eng verwandt ist. — Dass aber dieser Begriff urslavisch ist, ersieht man sowohl daraus, weil er sich hier in Verbindung mit „bog“ befindet, als auch aus einer alten etru- Statuette ,,Cislbog“ (Rückseite.) rischen Grabinschrift, wo „ipatin a krul“ (= Statthalter und König) auch unmittelbar verbunden sind. — Die beigegebene Figur zeigt auch zwei schöne Reliefs, von denen das obere einen von einem Hunde verfolgten Hirsch, das untere eine Wildschwein-Jagd und eine nackte Frauengestalt (Diana ?) darstellt. Zunkovic: „Slavisclie Runendenkmäler“. 3 „Nemisa.“ — Etymologie: Schutzgott, Grenzbeschützer (kelt. „nem" = Einfriedung, gesicherter Platz; „nemet“ = ein mit Pali- Statuette ,,Ipabog“ (Rückseite). saden gesicherter Bau). Dieser Name kommt zweimal vor. — Ausser dieser Inschrift ist noch zu lesen „rab“ (anscheinend ein Wortfragment), dann „arkon“ ( = Ältester) und „spa . .“ vermutlich „span" (= Führer, Kreisvorsteher, deutsch: Gespan). „Podaka, Po dag a.“ — Diese Sialueile irägi mehrere Inschriften, doch ist ausser „rjetra" und „podaka", welcher Name sich viermal wiederholt, keine vollständig. Ob letzteres nun als „Geber alles Statuette „Nemisa“ (Vorderseite). . I Guten" (vergl. das slavische „podatelj" = Geber) zu deuten, oder als „vodak, vodaka" ( = Führer), zu lesen ist, kann nicht entschieden werden, bis nicht ein Vergleichsmaterial anderer Provenienz vorliegt. Die Figur trägt auf beiden Seiten einen Löwenkopf, den einst eine Sirahlenkrone geziert zu haben scheint. „Prizri“. Diese Statuette ist ein Kniestück; der Kopf ist wieder der eines Löwen (oder Hundes?). Inschriften (Vorderseite)^„belbocg“,, „prizri“ (= Beobachter; prezreti = überblicken); (Rückseitef am Halse „rinn . dann „rjetra“ und „cern . . ; tiefer unten ist das Relief Statuette „Podaka“ (Vorderseite). einer nackten Mädchengestalt mit der Beischrift „eci . ; an der Basis, neben der Figur eines kämpfenden Kriegers, steht „as . . ri“, vermutlich, da nur zwei Buchstaben dazwischen Raum haben, „askari“ (= Krieger, Kämpfer); „asker“ heisst bei den Balkanslaven,^Osmanen, Arabern noch heute: Soldat. (Vorderseite.) Statuette „Prizri“. (Rückseite.) „Perkun“.— Die Vorderseite, die ¡einen freundlichen bärtigen Männerkopf darstellt, hat die unterbrochene Inschrift „sa . . und dann am unteren Teile: „Perkun, devvei ne duse . u neman . .", Statuette „Perkun“ (Vorderseite). doch ist diese Transkription bei mehreren Lauten unsicher, weil sie infolge des Feuers auch verstümmelt sein können; aus demselben Grunde ist daher auch der Text nicht verlässlich lesbar. Möglicherweise ist hier jenes wendische Gebet verzeichnet, das Masch (1771) folgend anführt: „Percune, devaite niemuski, ma na diewu melsu, ta vipal ti miessu“, was er nachstehend übersetzt: „Halte ein, Perun, und beschädige meinen Acker nicht, ich will dir auch dieses Fleisch opjern.“ Statuette „Perkun“ tRückscite,. Diese Übersetzung ist aber sowohl inhaltlich unnatürlich als auch sprachlich unzutreffend, denn der Satz besagt eher: „Perun, gib acht auf den Nachbar (Feind), er hat die Gräber im Auge, der brenntfr dir die Grenze nieder.“ Die „Lotwacy“ (Litauer) nennen die Hünengräber (Grenzhügel) „milsu kappi"; „niemuski“ = unmännlich, feindlich; „meza“ = Grenze. Auf der Rückseite steht „perkunust“ = Grenzbeschützer („pera“, slav. Grenze, das Gegenüber) und „en romau“ = (Vorderseite.) Statuette „Sieba, Siva“. (Rückseite.) ein Krieger, Grenzwächter („roma, rama", slav. Grenze.) Überdies kann „melsu“ auch Rache bedeuten. „Sieba, Siva“. — Die Inschrift „Sieba“ kommt fünfmal, „Siva" einmal vor. — Inschriften (Vorderseite): „Sieba“, (Rückseite) „Sieba, razivia, istia“. Es scheint, dass ,,razivia“(m) = geritzt („raziti" schlagen, einmeisseln) und „istia“ ^ wahr, echt bedeutet, was also besagen würde: „Sieba, dargestellt als wahr", d. h. „ein wahres Bild der Sieba“, was umso glaubwürdiger erscheint, da dies alles auf der Rückseite steht, wo sich der Künstler normal zu verewigen pflegte. — Man nimmt allgemein an, dass dies eine weibliche Gottheit u. zw. die Beschützerin der Liebe und Ehe sei, worauf die feminine Form deutet, doch kann dies nur eine spätere Auslegung oder Anpassung sein, denn in der indischen Mythologie ist „Živa“ doch noch eine männliche Gottheit. Ob daher die landläufige Etymologie von „Živa“ (= Leben) zutreffend ist, ist daher sehr zu bezweifeln. „Roste". — Diese vom Feuer besonders stark beschädigte Statuette wird nur deshalb angeführt, weil sie die kunstvollste der ganzen Sammlung zu sein scheint, denn sie weist eine Menge Attribute und Reliefs auf, die sich sonst nur einzeln wiederholen. Lesbar sind nur mehr die Schriftfragmente „. . tbas“ . .“ und ,,. . . roste“ (oder „rosta“); es ist möglich, dass letzteres einst „starosta“ (-^Ältester) lautete. — (Eine Illustration wurde nicht beigegeben, da sich die Relieffeinheiten mangels einer guten Photographie nicht hervorheben Hessen.) B. TIERFIGUREN. „Čer nebo cg.“ — Auf einer Löwenfigur ist nebst sonstigen Schriftfragmenten „černebocg" eingraviert. Schon auf den Statuetlen Fig. „Černebocg“. kommen wiederholt Teile dieses Wortes, wie „čern . . ., čir . . .“ vor, aber der volle Name ist — nebst einigen später angeführten Grabamuletten — nur hier zu lesen. Da „čer, čir“ im Altslavischen Grenze bedeutet, kann sich diese Bezeichnung sonach nur auf einen Grenzbeschützer, also einen Schutzgott beziehen. — Die bisherige allgemeine Annahme, dass dies ein Gott des bösen „schwarzen“ Prinzips sei, ist schon deshalb unhaltbar, weil er sich immer in Begleitung von Götzennamen des guten Prinzips findet. „Siegs a.“ Auf einer Tierfigur steht auf der linken Seite „siegsa", auf der rechten „barstu“ ; die Etymologie beider Begriffe ist dermalen noch nicht verlässlich bekannt. (Linke Seite.) Fig. ,,Siegsa“. (Rechte Seite.) Fig. „Mita“. „Vei devot“. — Eine satyrartige Gestalt mit einem hundeähnlichen Kopf und Pferdefüssen trägt links die Aufschrift „vei-devot“ (=vojevod, d.i. Feldherr, Heerführer) und „krivol“, falls die Lesung infolge Brandeinflusses so richtig ist. Dieser letztere Begriff sowie „berstuk“ auf der rechten Seife sind dermalen sprachlich noch nicht verlässlich gedeutet. „Mita“. Ein buldoggar-tiger Hund auf einem Postamente träqt die Aufschrift „mita“, was^ety-mologisch Grenze, hier alSO Fig. „Veidevot“. Wachhund, Grenzwächter, Beschützer zu bedeuten scheint. Fig. „Svantevitj“. den auch als Funklionsname; „vid“ (=das Sehen, das Gesicht) ist der zur Beobachtung Berufene, also der Allesüberblickende. — Aus diesem Grunde wurde Svantevitj oft auch mit 2 oder U Köpfen dargestellt. (Vergl. auch die Sammlung Sponholtz.) „Svantevitj." — Ein etwa 13cm langes, gebogenes Messer trägt die Gravierung „svantevitj“. - „Zvan, svan" bedeutet etwa der Auserwählte, Hohe, Stolze und galt „svante“ einst in Schwe- Fig. „Vodja“. „Vodja". — Ein dreiflächiges, 7 cm langes Messer trägt die Inschrift „vodja" (= Führer). „Siva". — Eine etwa \h cm lange Lanzenspilze trägt diese Inschrift. Auf einer Seite ist ein Affe, wie er auch sonst beim Namen „Sieba“ vorkommt, und unter diesem ein Käfer in Relief zu sehen; letzteres Attribut ist jedoch ansonst nur dem „belbog“ beigegeben. — Andere Waffen tragen Namen, wie: radegast, podaga, sieba.^ Stange „opora“. Fig. „Prove“. „Prove“. — Dieser Name kommt in dieser Sammlung zweimal vor u. zw. auf dem hier dargestellten, etwa 10 cm langen Messer, dann auf einem Teller, auf dem sich alle bisher bekannten Götzennamen zusammen eingraviert befinden. — „Prove“ galt den Wenden als der Gott des Rechtes und der Ordnung ; nach Helmold fand man sich in einem Haine bei Stargard (Pommern) jeden Dienstag zu einer Gerichtssitzung bei ihm ein. — Der Begriff ist sprachlich gleichen Stammes, wie das slavische „pravo“ (= Recht), das lateinische „probus“ ( = rechtschaffen), das deutsche „brav“ und das französische „brave“ (= tapfer). — D. SONSTIGE GERÄTE. Stange mit der Inschrift „opora". Obschon ein slavisches Wort ( Stütze, Krücke, Funktionsstab), ist „opora“ hier mit griechisch-russischen Buchstaben geschrieben. Man muss daraus schliessen, dass diese Weihobjekte zu verschiedenen Zeilen, namentlich aber von verschiedenen Seiten hier zusammengetragen wurden. Es mag dies eine Art Ehrenstab, wie wir sie noch jetzt als Bischofsstab, Marschallstab u. ä. kennen, dargestellt haben, doch konnte er keine praktische Schale mit allerlei Reliefs. „radegast"; oberhalb ein gekrönler Vogel; rechls davon ein Mundskopf mit der Beischrift „zobok" (=Hund, russ. „sobaka"); diesem gegenüber ist eine nackte Mädchengestalt mit der Beischrift „nemis"; unten in der Mitte ist eine Traube zu sehen; links davon ein Käfer mit der Beischrift „beibog" und rechts davon ein Ammonit (Muschel- Bewertung gehabt haben, da er nur eine Miniatur — ist kaum 26 cm lang — darstellt. Schale mit allerlei Reliefs, schon bekannte Attribute darstellend. So steht in der Mitte unter dem Bilde der Gans die Inschrift Versteinerung) mit der bisher noch nicht bekannten Bezeichnung „japan“ d. i. Väterchen (slov. „japa" = Vater). — Die übrigen Zwischenschriften sind bis auf „ . . . ga“ („podaga“) durch Feuer bis zur Unkenntlichkeit zerstört worden. — Die Schale ist 18 cm lang und 13 cm breit. — Teller, mit den Inschriften „sieba, rjetra“ usw. (Oberseite.) Teller mit den Inschriften: „sieba, rjetra, podaga, radegast, prove“ und einigen sonstigen abgeschmolzenen Schrifttragmenten auf der Oberseite. Auf der Unterseite sind Schriftreste „... belmt..., . . . zigjo . ..“ zu lesen, deren sprachliche Klärung unter diesen Verhältnissen nicht möglich ist. — Der Teller misst 16 cm im Durchmesser. Es sind weiter noch Geräte da mit den Inschriften „jint, tsibaz, beimok“, wobei jedoch nicht erkennbar ist, ob und welche Teile der Schrift fehlon; sie werden hier auch nur deshalb angeführt, weil es möglich ist, dass sich noch Objekte finden, auf denen diese Namen deutlicher geschrieben erscheinen, um zu einer verlässlichen Ety-mologisierung schreiten zu können.*) — Teller, mit den Inschriften „sieba, rjetra“ usw. (Unterseite.) “) Die Redaktion bedauert es, daß hier keine modernen Reproduktionen der Originale geboten werden konnten, weil ihr dies, trotz Bemühungen, von der Leitung des Großherzoglichen Museums in Neustrelitz verweigert wurde; die gebotenen Illustrationen sind daher nur photographische Vervielfältigungen der Handzeichnung des Hofmalers Daniel Woge, aus dem J. 1770, der sie allerdings, wie er selbst beifügt, »nach den Originalen auf das genaueste gemahlet und in Kupferstichen ausgegeben«. Es muß daher abgewartet werden, bis am genannten Museum ein wissenschaftlich objektiveres Regime durchgreift, obschon die Schrifttexte selbst bisher stets, als von Woge richtig wiedergegeben, angesehen wurden. b) Die wendisch-heidnischen Grab-Amulette. (Sammlung Sponholtz.) Gideon Sponholtz, der kurz nach dem (Jahre 1796 gestorben sein muss, war ein namhafter Archäologe in Mecklenburg und von (Jugend auf ein fleissiger Sammler von Altertümern und Sehenswürdigkeiten, wozu ihn wohl auch der Umstand animiert haben mag, dass ihm als Verwandten des schon bekannten Pastors Friedrich Sponholtz die Devotionalien von „Rhetra“ durch Erbschaft zufielen ; im Volksmunde war er seiner Grabungen wegen allgemein als „Schatzgräber“ bekannt. Bei seiner jahrelangen archäologischen Tätigkeit machte er nun auch selbst sehr zahlreiche Funde von Bronzegegenständen sowie Münzen, Waffen, beschriebenen Steinen u. dgl. Seine Sammlung von Bronzen, die Masch wohl noch nicht bekannt war, bestand aus 118 verschiedenen Stücken. Als nun i. 3. 1794 Graf Clohann Potocki auf einer Reise nach Neu-Brandenburg, den Wohnort Sponholtz’ kam, erfuhr er von diesen Altertümern, zeichnete dieselben ab und veröffentlichte sie nach den gemachten Skizzen in einem eigenen Werke.*) Auch diese Funde wurden gleich ob ihrer Echtheit angezweifelt und aus diesem Grunde in den (Jahren 1827 bis 1829 — angeblich gründlich — untersucht und schliesslich als gefälscht erklärt. Die Belastungsgründe waren etwa folgende: a) Ein Töpfer in Neu-Brandenburg, namens Pohl, habe Sponholtz für jede Figur die tönerne Gussform erzeugt; letzterer war jedoch so vorsichtig und vernichtete die Formen sofort nach dem Gebrauche, so dass man keinen konkreten Beweis hiefür finden konnte (?) ; b) die Runeninschriften auf den Bronzen besorgte etwa der Goldarbeitergehilfe Neumann daselbst, dem Maschs Werk zur Vorlage diente. Dem sei folgendes entgegengestellt: ad a) dass ein Archäologe, der diese Wissenschaft nebstbei aus Liebhaberei und nicht aus Geschäftsgründen betreibt, falsche Antiquitäten für seine Sammlung erzeugen und dazu einen Töpfer einweihen wird, ist an sich eine derart skurrile Behauptung, dass man ihr von vorneherein den Stempel der Erfindung ansieht, da jedermann weiss, dass man schon bei Ab- oder Umgrabungen von prähistorischen Gräbern immer allerlei und zahlreiche Beigaben findet, *) »Voyage dans quelques parties de la Basse-Saxe pour la recherche de 1' antiquités Slaves ou Vendes«. — Hambourg 1795. —