„Živa, Göttin der Liebe, die slowenische Venus": Ein Beispielfall literarischer Mythopoiesis Marko Marinčič France Prešeren's epic poem The Baptism at the Savica (1836) presents the goddess of love, Živa, as a central figure in the Slavic pantheon, the religion of the Ancient Slavs itself being imagined as a dualistic system centered around the conflict between Živa as a naturalistic principle of Life and Črti, »the Hating Ones«. There are at least three reasons for believing that Preseren's Živa is a literary construct esentially based on Virgil's Venus: 1) she is only mentioned in one historical source, 2) she is described as a »Slavic Venus« by the author himself, 3) a crucial scene leading to the conversion of the angry pagan warrior (Črto-mir, "the peace-hater") is based on the scene of Virgil's Aeneid (2.566 ff.) in which Venus prevents the angry hero from killing Helen. It is argued that Prešeren constructs the "pagan" antagonism between Love and Strife on the model of the traditional allegory of Venus and Mars, and that the syncretistic tendency of the Christian creed presented at the end of the poem can be explained by a reference to the Platonist allegory of duae Veneres. Die Göttin Živa wird außer in Linharts Versuch einer Geschichte von Krain (1788-1791)1 in keiner geschichtlichen Quelle erwähnt. Obwohl es sich nicht um eine rein allegorische Gestalt wie Jan Kollars Slava2 handelt, kann auch die slawische Liebesgöttin Živa als charakteristisches Produkt der literarischen Mythenschöpfung der Vormärzzeit betrachtet werden. Als der eigentliche Erfinder dieser Göttergestalt muß nämlich nicht Linhart, sondern der romantische Dichter France Prešeren gelten, der in seinem kleinem epischen Gedicht in 500 Versen Die Taufe an der Savica (1836)3 Živa als eine slawische Venus darstellt. Das Gedicht stützt sich durchaus auch auf antiquarisch-geschichtliche Quellen wie Valvasors Die Ehre des Herzogtums Krain (1689), doch wenn der Autor in den Fußnoten zum Text dreimal explizit Valvasor als »Zusatzlektüre« vorschlägt, so tut er es vor allem, um der frei erfundenen Geschichte über die Niederlage und Taufe des A. T. Linhart, Versuch einer Geschichte von Krain und den übrigen Ländern der südlichen Slaven Österreichs, B. II, Laibach 1791, 259: »Živa, die Göttin des Lebens; sie ward bei den Polaben verehrt. Die Krainer geben diesen Namen dem Planeten der Venus.« Mit Živa meint Linhart wahrscheinlich dieselbe Göttin wie Helmold of Bosau, der an einer Stelle Siwa dea Polaborum erwähnt (Helmoldipresbyteri bozoviensis Chronica Slavorum, hg. B. Schmeidler, Hannover, 31937, I, 52); es ist jedoch unklar, ob die Transliteration Živa etymologisch richtig ist; dazu vgl. N. Nodilo, Stara vjera Srba i Hrvata, Split 1981, 112; M. Marjanic, »The Dyadic Goddess and Duotheism in Nodilo's The Ancient Faith of the Serbs and the Croats«, Studia mythologica Slavica 6 (2003), 181-204, 182. Slava tritt in Kollars Gedicht Slävy dcera als die eponyme Göttin der Slawen auf. S. ferner G. Schaumann, »Kollars Panslawismus,« in: U. Steltner (Hg.), Deutschland und der slawische Osten. Festschrift zum Gedenken an den 200. Geburtstag von Jän Kollär, Jena 1994, 15-20. Der Inhalt des Gedichts wird in Kontext dieser Zeitschrift als bekannt vorausgesetzt; zu Prešeren un zu seinem europäischen Kontext s. ferner B. Paternu, France Prešeren: ein slowenischer Dichter, München 1994. letzten slawischen Heiden in Krain einen geschichtlichen Rahmen zu verleihen und sie als »legendär« zu legitimieren;4 denn die Erzählung als solche beruht fast ausschließlich auf literarischen Vorbildern. Der vorliegende Beitrag stellt sich die Aufgabe, auf die römischen Vorbilder von Prešerens literarischer Mythopoiesis in der Taufe an der Savica neues Licht zu werfen. Auf dem slawischen »Olymp« von Prešeren herrscht ein grundsätzlicher Dualismus zwischen den gut bezeugten Črti (»die hassenden Götter«), die der Hauptheld, der Slawenführer Črtomir im Namen trägt, und der Göttin Živa, der Črtomirs Geliebte Bogomila bis zu seiner Bekehrung zum Christentum als Priesterin dient. Der Autor stellt diesen Dualismus implizit als das Wesensprinzip des Heidentums hin, als etwas, das dem slawischen Paganismus ursprünglich innewohnt und erst durch die endgültige Niederlage und kollektive Christianisierung der letzten heidnischen Gruppe symbolisch aufgehoben wird. Trozdem bemüht sich der Autor nicht allzusehr, den Eindruck zu verhindern, seine »schöne Göttin« sei allem ein literarisches Fabrikat. Ganz im Gegenteil: Er verstärkt diesen Eindruck durch eine Fußnote, die von Živa erklärt, sie sei eine »slawische Venus«: (3) Živa, bognja ljubezni, slovenska Venera. Diese Fußnote kann als Hinweis genommen werden, daß die Vorbilder für Živa auch oder vor allem im römischen Pantheon zu suchen sind. Aber nicht nur die slawische Venus, auch ihre Priesterin Bogomila kann sich klassischer Vorbilder rühmen: Hči Bogomila, lepa ko devica, sloveča Hero je bila v Abidi ... Die Tochter Bogomila, schön wie einstens nur Hero von Abydos, die berühmte ... Es kann kein Zufall sein, daß Živa mit der römischen Göttin Venus und nicht etwa mit Aphrodite identifiziert wird. Denn das nächstliegendste römische Vorbild für Die Taufe an der Savica ist, wie vielfach angenommen wurde, Vergils Aeneis.s Ich sehe davon ab, die bereits genügend erforschten Paralellen zwischen Prešerens Erzählung über die letzten Tage der »Heidenburg« (»Ajdovski gradec«) und der Darstellung der Einnahme von Troia im zweiten Buch von Vergils Aeneis zu referieren.6 Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung beschränke ich mich auf einen Passus aus dem zweiten Buch er Aeneis, der über die literarische Genese der Živa-Gestalt einiges aussagen mag. Es handelt sich um die dramatische Szene, in der Venus ihrem Sohn, der Troia bis zum letzten zu 4 In der Tat hat Črtomir in der slowenischen Literatur bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Status eines echten, „volkstümlichen" Mythos errungen; zum literarischen Nachleben dieses slowenischen Nationalmythos M. Juvan, Imaginarij Kerfta v slovenski literaturi: medbesedilnost recepcije, Ljubljana, 1990. 5 B. Calvi, Fonti italiane e latine nel Prešeren maggiore, Torino, 1958, passim; J. Kos, Prešeren in njegova doba: študije, Koper 1991, 150-51; J. Kastelic, Umreti ni mogla stara Sibila: Prešeren in antika, Ljubljana, 2000, 203-9; vgl. meinen Beitrag »Il Battesimo presso la Savica di France Prešeren: un'Eneide 'harvardiana' avanti lettera«, Centopagine 1 (2007), 79-86 (http://www2.units.it/musacamena/centopagine07.php); »A Cross over the Ruin of Troy: Vergil and St. Augustine in Prešerens The Baptism at on the Savica«, in: V. Snoj (Hg.), Antiquity and Christianity: Conflict or Conciliation, Ljubljana 2008, 165-179. 6 Kos, a. a. O. 150-51; Kastelic, a. a. O. 205-8. verteidigen bereit ist, erscheint und ihm die Hoffnungslosigkeit seines Kampfes vor die Augen führt. Diese Szene wurde u. a. bereits von Benedetto Calvi als mögliches Vorbild für Prešeren herangezogen.7 Den betreffenden Abschnitt gebe ich hier zusammen mit der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts viel gelesenen Übersetzung von Johann Heinrich Voß (1751-1826; die Publikation der Aeneis-Übersetzung 1799) wieder. [Iamque adeo super unus eram, cum limina Vestae 566 seruantem et tacitam secreta in sede latentem Tyndarida aspicio ... exarsere ignes animo; subit ira cadentem ulcisci patriam et sceleratas sumere poenas. 575 talia iactabam et furiata mente ferebar,] cum mihi se, non ante oculis tam clara, uidendam obtulit et pura per noctem in luce refulsit alma parens, confessa deam qualisque uideri caelicolis et quanta solet, dextraque prehensum continuit roseoque haec insuper addidit ore: "nate, quis indomitas tantus dolor excitat iras? quid furis? aut quonam nostri tibi cura recessit? non prius aspicies ubi fessum aetate parentem liqueris Anchisen, superet coniunxne Creusa Ascaniusque puer? quos omnis undique Graiae circum errant acies et, ni mea cura resistat, iam flammae tulerint inimicus et hauserit ensis. non tibi Tyndaridis facies inuisa Lacaenae culpatusue Paris, diuum inclementia, diuum has euertit opes sternitque a culmine Troiam. aspice (namque omnem, quae nunc obducta tuenti mortalis hebetat uisus tibi et umida circum caligat, nubem eripiam; tu ne qua parentis iussa time neu praeceptis parere recusa)": eripe, nate, fugam finemque impone labori; nusquam abero et tutum patrio te limine sistam.' dixerat et spissis noctis se condidit umbris. 620 apparent dirae facies inimicaque Troiae numina magna deum. Schon war dort ich übrig allein, da die Schwelle der Vesta Hüten und still im Schutz des versteckten Ortes sich bergend Tyndarus Tochter erschien ... 590 595 600 605 Calvi, a. a. O. 181-84. Rasch entbrennt mir die Seele von Glut, und ich wünsche zu rächen Unser gefallenes Reich in des frevelnden Weibes Bestrafung. 575 Also stürmte die Seel', und ich flog, wie rasenden Mutes: Als mir hell, wie nimmer zuvor, sich dem Auge zu sehen Bot, und in lauterem Lichte die Nacht durchstrahlte die Mutter, Herrlich und hehr, als Göttin, wie schön sie den Himmlischen jemals, 590 Und wie hoher Gestalt sie erscheint. An der Rechten mich fassend, Hemmete jen' und freundlich mit rosigem Munde begann sie: Sohn, wie so heftiger Schmerz empört unbändigen Zorn dir? Was so getobt? und wohin ist die Sorge für uns dir entflohen? Willst du zuvor nicht schaun, wo matt von lastendem Alter 595 Blieb dein Vater Anchises? ob lebt die Gemahlin Creusa, Auch ob Ascanius lebt? Sie all' umwühlet der Grajer Schlachtengewühl ringsher; und wenn nicht meine Beschirmung Waltete, raffle die Flamme bereits und vertilgender Mordstahl. Nicht die verhaßte Gestalt der Laconerin, Tyndarus Tochter, 600 Noch der gescholtene Paris; o nein, ungütige Götter, Götter zerstörten die Macht, und schmetterten Troja zu Boden. Schau umher! denn alles Gewölk, das jetzo verdunkelnd Dir den sterblichen Blick abstumpft und mit dunstigem Nebel Dick umflort, entreiß' ich dem sehenden. Du, unerschrocken, 605 Höre der Mutter Befehl und leist' ihr willig Gehorsam. Sohn, o beschleunige Flucht und mach ein Ende der Arbeit. Nirgend dir fern, werd' ich sicher zur Vaterschwelle dich leiten. Venus sprach's und verschwand in der Nacht tiefschattendes Dunkel. 620 Sieh, Erscheinungen drohn graunvoll und Mächte der Götter Feindlich dem troischen Volk. Die entsprechende Szene der Taufe bei der Savica spielt nach dem Fall der letzten heidischen Festung. Črtomir wartet beim Wasserfall von Savica auf seine geliebte Bogomila. Er weiß noch nicht, daß sie während der Umlagerung der Heidenburg zum Christentum übergetreten ist, daß die ehemalige Priesterin von Ziva nunmehr eine Verehrerin der Jungfrau Maria ist und daß der heidnische Kult auf der Insel des Bohinj-Sees durch den Kult der Jungfrau Maria ersetzt wurde. Plötzlich erscheint in der Ferne eine Gruppe von Menschen; Črtomir erkennt den Fischer, der ihm versprochen hat, Bogomila zu ihm zu begleiten, und hinter ihm - statt Bogomila - einen christlichen Priester! Beim Anblick der christlichen Insignien erwacht in Črto-mir wieder der alte (»heidnische«) Zorn. Schon greift er nach dem Schwert, um sich exemplarisch zu rächen, in diesem Augenblick aber erscheint Bogomila und weckt ihn aus seinem schlafartigen Zustand: Zbudi ga 'z misel teh mož govorica, ki bližajo se z blagam obloženi, spozna koj ribiča poštene lica; neznan mož pride po stezi zeleni; talar in štola, znamenja poklica, povesta mu, de služi Nazareni. Po meč bi desna se bila stegnila, v ti priči se prikaže Bogomila. Ne združenja, ločitve zdaj so časi ... Povedat moram ti, de sem kristjana, malikov zapustila vero krivo ... Al ena skrb me je morila vedno, de ti med njimi si, ki Bog jih črti (!) Iz spanja svoj'ga, Črtomir! se zbudi, slovo daj svoji strašni, dolgi zmoti, po potih se noči temne ne trudi, ne stavi v bran delj božji se dobroti. in njene milosti dni ne zamudi, de sklenete se enkrat najni poti, ljubezen brez ločitve de zazori po smrti nama tam v nebeškem dvori. Aus den Gedanken wecken ihn die Stimmen von Mannern, die sich schwer beladen nähern, in einem sieht er seinen treuen Fischer, doch auch ein Unbekannter ist zugegen: Talar and Stola zeigen einen Priester, der offenbar im Dienst des Nazareners. Schon will die Rechte nach der Waffe greifen, da sieht er Bogomila nahereilen. So wisse, daß ich Christin bin, verworfen hab ich der Vater falschen Götzenglauben, Nur eine Sorge war's, die stets mich quälte: daß du zu jenen zählst, die Gott verdammte (črti). Aus deinem Schlafe, Črtomir, erwache, du must von deinem Irrtum dich befreien; bemüh dich nicht auf Wegen finstrer Nachte, der Güte Gottes Widerstand zu leisten; versäume so den Tag nicht seiner Gnade, daß dermaleinst sich unsre Wege einen, daß dort im Himmel, nach dem Tod hienieden, uns Liebe ohne Trennung sei beschieden. (Übers. K. D. Olof) Die wichtigsten strukturellen Parallelen, in denen die Venus-Gestalt als Vorbild eine Rolle spielt, lassen sich folgenderweise zusammenfassen (A: Aeneis; T: Die Taufe bei der Savica): 1) Der Protagonist findet sich auch nach dem Fall der Burg (A: Troia; T: Heidenburg) mit der Niederlage nicht ab; der Zorn wird als Ausdruck einer Verblendung gedeutet, die in beiden Fällen metaphorisch beschrieben wird (A: Wolke; T: Schlaf); 2) der Held richtet seinen irrationalen Zorn gegen eine Gestalt, die er irrtümm-licherweise als (mit)verantwortlich für die Zerstörung der Stadt/Festung betrachtet (A: Helena ist eine Trojanerin und steht unter dem Schutz von Venus; T: der Priester ist ein bekehrter Druide und vertritt im Gegensatz zu Črtomirs Gegner Valjhun das echte, evangelische Christentum); 3) die Gestalt, die mit dem Held eng verbunden ist (A: Venus als Mutter von Aeneas; T: Bogomila als Črtomirs Geliebte) und die göttliche Liebe repräsentiert (A: VenusAphrodite; T: Bogomila als ehemalige Priesterin der slawischen Venus, jetzt Verehrerin von Maria) greift ein, erleuchtet den Held über den wahren Stand der Dinge und beruhigt seinen Zorn; 4) sie erklärt dem Protagonisten, daß sein Vertrauen zu den Göttern gegenstandslos ist (A: die Götter sind ungerecht, alle außer Venus haben Troia verlassen; T: die heidnischen Götter sind eine menschliche Erfindung). Betrachtet man nun die zum Vergleich herangezogene Szene der Aeneis in ihrem breiteren Kontext, so entdeckt man, daß die Parallele überhaupt nicht auf die allgemeine situative Ähnlichkeit beschränkt ist. Innerhalb der Dramaturgie von Aeneis II bildet Aeneas' Begegnung mit Venus einen zentralen Punkt: Erst hier wird der zürnende Held endgültig mit der Notwendigkeit konfrontiert, Troia innerlich zu begraben und im Westen für seine Familie eine neue politische Identität zu suchen. Die vorangehende Szene,8 die den Eingriff der Venus motiviert, stellt den Helden als Opfer einer Verblendung dar: Aeneas stürzt sich in einem unkontrollierten Zornausbruch auf Helena als die Ursache des Krieges. Die ganze Passage bezieht sich offensichtlich auf die Szene der Ilias, in der Achilles, das Paradigma des zornigen (!) Helden, schon im Begriff, das Schwert gegen Agamemnon zu zücken, im letzten Augenblick von Athena abgehalten wird (Il. 1.188-195).9 Der Versuch des Aeneas, sich durch Gewalt von dem trojanischen Erbe zu trennen, erweist sich als gegenstandslos: nicht nur deswegen, weil Helena als eine irdische Hypostase der Liebesgöttin10 unter dem Schutz der Venus steht, sonder vor allem deswegen, weil Venus 8 Da die Helena-Szene (567-88) in den ältesten Aeneis-Manuskripten fehlt (sie ist nur beim Vergil-Kommenta-tor Servius überliefert), ist die Vergilische Autorschaft nicht gesichert; der Passus wurde jedoch bereits in der editioprinceps einbezogen (Rom, 1473). Neue Argumente zugunsten der Echtheit bei G. B. Conte, »L'episodio di Elena nel secondo dell'Eneide: modelli strutturali e critica dell'autenticitä«, Rivista di Filologia e di Instru-zione Classica 106 (1978), 53-62 (=Il genere e i suoi confini: cinque studi sulla poesia di Virgilio, Torino 1980, 109-21; englische Übersetzung The Rhetoric of Imitation: Genre and Poetic Memory in Virgil and Other Latin Poets, Ithaca, NY, 1986, 196-207). 9 Cf. Conte, ebd.; daß der Eingriff der Göttin nach dem Homerischen Vorbild motiviert wird, ist ein gewaltiges Argument für die Vergilische Autorschaft der Helena-Szene. Auch Prešeren scheint durch die Nachbildung der kausalen Kette Zorn und Verblendung - Angriff - Intervention der Göttin die organische Stellung der Helena-Szene im Gesamtzusammenhang zu unterstützen. 10 Vgl. N. Austin, Helen of Troy and her Shameless Phantom, Ithaca, 1994; M. Bettini, C. Brillante, Il mito di Elena. Immagini e racconti dalla Grecia a oggi, Torino, 2002. von Aeneas eine noch viel radikalere Loslösung von dem trojanischen Erbe verlangt. Venus hat ein doppeltes Motiv für ihr Eingreifen: In ihrer »homerischen« Eigenschaft als die göttliche Verführerin schützt sie die Konkubine des Trojaners Paris; in ihrer neuen Funktion als Aeneadum genetrix, als die Mutter des ersten troischen Königs in Italien und als die Urmutter der Römer hat sie sich vom trojanischen Erbe bereits emanzipiert. Was aus trojanischer Sicht als endgültiger Bruch mit der Vergangenheit erscheint, kann aus einer proto-römischen Perspektive als eine (oder: als die einzig mögliche) Form der Kontinuität aufgefaßt werden. Auch bei Prešeren kommt der Aspekt der Kontinuität vor allem bei der weiblichen Protagonistin klar zum Ausdruck, die als ehemalige Priesterin der heidnischen Liebesgöttin ihren Übertritt zum Christentum als eine unproblematische, natürliche Verwandlung sieht. Für Črtomir ist der Wandel auch deswegen viel traumatischer, weil er nicht nur einen religiösen Identitätswechsel, sondern auch einen doktrinär fundierten Verzicht auf irdische Liebe und damit auf Bogomila erfordert; dieser Verzicht wird durch das Versprechen der Wiedervereinigung der Geliebten im Paradies, mit dem Bogomila Črtomir tröstet, nur unzureichend kompensiert. Auf der anderen Seite erleichtert der theologisch suspekte, in einigen Punkten fast häretische Charakter von Bogomilas christlichem Glaubensbekenntnis11 den Wandel der heidnischen Priesterin in eine christliche Ordensschwester und Verehrerin der Jungfrau Maria. Das von Bogomila vertretene hyperevangelische Christentum verspricht nicht nur die ewige Herrschaft von Liebe und Frieden, sondern auch die volle Vergebung aller Sünden. Diese sozusagen überkonfessionelle Kontinuität zwischen dem heidnischen und christlichen Kult der Liebe nimmt durch den Bezug auf (die Vergilische) Venus als universelles Paradigma bereits Züge eines religiösen Synkretismus an: Die pazifistische Version des Christentums, zu der sich die Bogomila und der ehemalige Druide bekennen, steht sozusagen unter den Auspizien der Venus. Es leuchtet ein, daß Prešerens Gedicht in diesem Punkt sich nur sehr selektiv auf die Aeneis berufen kann: Wenn Venus ihren Sohn davon abhält, im Zornausbruch Helena zu töten, bedeutet das noch nicht, daß sie Aeneas zum Träger eines religiös fundierten Pazifismus machen will; die Friedensideologie der Aeneis entspricht vielmehr dem traditionellen si vis pacem, para bellum. Doch ist diese Verschiebung der Akzente aus einer christlichen Perspektive durchaus verständlich, und es bleibt zu zeigen, daß sie in der traditionellen allegorischen Deutung der Venus-Gestalt begründet ist. Als die Mutter von Aeneas tritt Venus zunächst ganz unproblematisch dem Kriegsgott Mars, dem Vater des Stadtgründers Romulus zur Seite, aber nur bis zu dem Augenblick, wo sie mit der Homerischen Aphrodite identifiziert wird: Denn in der Odyssee wird Aphrodite als die ehebrecherische Geliebte des Ares dargestellt.12 Bei den Griechen wurde diese als anstößig empfundene Liebesverbindung vielfach allegorisch interpretiert und u. a. auf die Empedokleische Theorie von der Liebe und vom Streit als den Prinzipien aller Dinge bezogen.13 In der römischen Dichtung wird die illegitime Beziehung zwischen den Ureltern des römischen Volks (Ares > Mars, Aphrodite > Venus) oft scherzhaft als ein 11 J. Kos, Prešeren in krščanstvo, Ljubljana 2002, 139-147. 12 Od. 8.266-366; der Grieche aus Tarent Livius Andronicus hat die Odyssee in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt. 13 Zu den allegorischen Deutungen der Episode vgl. F. Buffière, Les mythes d'Homère et la pensée grecque, Paris, 1956, 168-72, 464-65, 548. symbolisches Urbild für die schizophrene Zerrissenheit der Römer zwischen »Liebe« und »Krieg« gedeutet, die man auch im Palindrom AMOR-ROMA widerspiegelt sah.14 In der Kunst der Renaissance wird die Episode gewöhnlich allegorisch als »Triumph der Venus« aufgefaßt (z. B. in Botticellis Venus und Mars15); der literarische Ausgangspunkt für diese Deutung ist der Prolog zu De rerum natura des Lukrez, ein Schultext, der dem gebildeten Publikum Preserens sehr wohl bekannt war. In diesem Text unterwirft sich Venus symbolisch den Vater des Romulus, und zwar in einer dreifachen Rolle als Venus physica (die belebende Kraft des Universums), als Venus genetrix und als eine Personifikation der epikureischen voluptas:16 Aeneadum genetrix, hominum divomque voluptas, alma Venus ... nam tu sola potes tranquilla pace iuvare mortalis, quoniam belli fera moenera Mavors armipotens regit, in gremium qui saepe tuum se reiicit aeterno devictus vulnere amoris, atque ita suspiciens tereti cervice reposta pascit amore avidos inhians in te, dea, visus eque tuo pendet resupini spiritus ore. hunc tu, diva, tuo recubantem corpore sancto circum fusa super, suavis ex ore loquellas funde petens placidam Romanis, incluta, pacem DRN 1.31-40 Mutter der Äneaden, du Wonne der Menschen und Götter, Lebensspendende Venus ... Es lenkt ja des Kriegs wildtobendes Wüten Waffengewaltig dein Gatte. Von ewiger Liebe bezwingen Lehnt sich der Kriegsgott oft in den Schoß der Gemahlin zurücke; Während sein rundlicher Nacken hier ruht, schaut gierig sein Auge, Göttin, zu dir empor und weidet die trunkenen Blicke, Während des Ruhenden Odem berührt dein göttliches Antlitz. Wenn er so ruht, o Göttin, in deinem geheiligten Schöße, Beuge dich liebend zu ihm und erbitte mit süßesten Worten, Hochbenedeite von ihm für die Römer den lieblichen Frieden. (Übers. H. Diels) 14 Siehe z. B. A. Barchiesi, Ilpoeta e ilprincipe, Roma-Bari, 1994, 45-55, über die Rolle der Venus in Ovids Fasti IV; vgl. S. Hinds, »Arma in Ovid's Fasti«, Arethusa 25 (1992), 81-153. 15 E. Panofsky, Studies in Iconology: Humanistic Themes in the Art of the Renaissance, New York, 1939, 63 Anm. 77; 162-165. 16 Zum Venus-Prooemium E. J. Kenney, Lucretius, Oxford 1977 (Greece and Rome, New Surveys in the Classics 1), 13-17; D. Sedley, Lucretius and the Transformation of Greek Wisdom, Cambridge, 1998, 23-34. Zum Schluß sei nur kurz darauf hingewiesen, daß auch der synkretistisch anmutende Kult der Liebe, den Venus als Vorbild für Bogomila zu implizieren scheint, wahrscheinlich an die antike, mittelalterliche und frühneuzeitliche Tradition der allegorischen Mythendeutung anknüpft. Im Mittelalter und in der Renaissance wurde Venus im Allgemeinen und insbesondere die Vergilische Venus oft allegorisch als eine doppeldeutige Gestalt aufgefaßt: man unterschied mit Bezug auf Platons Symposion und auf die neuplatonische Mythenallegorese eine himmlische (Ourania, caelestis) und eine »gemeine« Venus (Pandemos, vulgaris);17 die Theorie von duae Veneres, die insbesondere bei den Florentiner Neuplatonikern sich einer großen Popularität erfreute, hat u. a. in Kunstwerken wie Botticellis Primavera ihren Niederschlag gefunden.18 Bereits Petrarca hat in seinem Brief Seniles 4.5 die doppelte Allegorese der Venus-Gestalt auf die Interpretation der Aeneis angewandt und die Rolle der Göttin im Gedicht teilweise negativ, teilweise positiv bewertet; dabei hat er der Helena-Szene spezielle Aufmerksamkeit gewidmet und den Eingriff der Venus apologetisch, d. h. positiv gedeutet.19 Wie J. C. Warner in seiner 2005 veröffentlichten Arbeit über die »augustinische« Vergil-Rezeption in der mittelälterlichen und frühneuzeitlichen Epik überzeugend dargelegt hat, hat die platonistische Doppelinterpretation der Venus-Gestalt in der interpretativen und produktiven Vergil-Rezeption seit Petrarca eine hervorragende Rolle gespielt;20 der theologisch zu überwindende Spaltung innerhalb der heidnischen Venus-Gestalt wurde dabei oft auf das als typologische Einheit aufgefaßte christliche Paar Eva und Maria übertragen.21 Es ist demnach durchaus möglich, daß sich Prešeren auf die traditionelle Allegorese der Venus stüzt, indem er die paradigmatische »Erleuchtung« des Aeneas durch Venus in einen christlichen Zusammenhang transponiert. Bogomila, die Dienerin der Jungfrau Maria, besetzt dabei selbstverständlich die Rolle der Venus caelestis. Die explizit pazifistische und leicht synkretistische Tendenz ihres Credo verbietet es jedoch, den überflüßig gewordenen heidnischen Kult der Ziva mit der negativen Symbolik der Venus vulgaris in Verbindung zu bringen. Der Dualismus, der durch den Sieg des Christentums überwunden wurde, ist vor allem der zwischen Ziva und den hassenden Črti; im Einklang damit wird auch Valjhun, der grausame Eroberer der Heidenburg, nachträglich fast als Häretiker verurteilt. Allein die Tatsache, daß Bogomila die neue Religion als einen stark pazifistisch geprägten Kult der allumfassenden Liebe darstellt, rückt den Aspekt der Kontinuität in den Vordergrund. Es läßt sich grob vereinfachend sagen, daß die christliche Mythenallegorese, auch von Petrarca oder Milton geübte christliche Vergil-Deutung, trotz ihrer apologetischdidaktischen Tendenz für die heidnischen Götter vor allem eine Form des Überlebens darstellt. Umsomehr gilt das für die slawische Göttin Ziva, die als die slawische Venus erst erfunden werden mußte, um einer christianisierten Venus caelestis ihren Platz abtreten zu können. 17 E. Wind, Pagan Mysteries in the Renaissance, New York, 1968; E. G. Schreiber, »Venus in the Medieval Mytho-graphic Tradition«, Journal of English and Germanic Philology 74 (1975), 519-535; G. Economou, »The Two Venuses and Courtly Love«, in: J. M. Ferrante, G. D. Economou (Hg.), In Pursuit of Perfection: Courtly Love in Medieval Literature, Port Washington 1975, 17-50. 18 E. H. Gombrich, „Botticelli's Mythologies", in: Symbolic Images, London, 1972, 31-81. 19 F. Petrarca, Opera quae extant omnia, Basel 1581, 786-89. Die Epistolae seniles liegen jetzt in einer neuen Ausgabe vor: S. Rizzo (Hg.), Francesco Petrarca, Res seniles. Libri I-IV, Firenze 2006. 20 Vgl. J. C. Warner, The Augustinian Epic, Petrarch to Milton, Ann Arbor, 2005, 51-73; zu Petrarca 53 und 208 Anm. 5. 21 ebd. 53. »Živa, bognja ljubezni, slovenska Venera«: Vzrorčni primer literarne mitotvornosti Marko Marinčič Edini zgodovinski vir, v katerem se omenja slovanska boginja ljubezni Živa, je Linhartov Versuch einer Geschichte von Krain (1788-1791). Čeprav Živa ni povsem alegoričen lik kot Slava Jana Kollarja, gre za značilen proizvod literarne mitotvornosti, ki ji je v predmarčnem obdobju mogoče najti vrsto vzporednic. Na Prešernovem slovanskem »Olimpu« vlada oster dualizem med (dobro izpričanimi) Črti, ki jih ima glavni junak v imenu, in boginjo Živo, ki ji Bogomila do spreobrnitve služi kot svečenica. Prešeren prikazuje ta dualizem kot bistveno vsebino slovanskega poganstva; šele s pokristjanjenjem zadnje poganske skupine se antagonizem med »sovraštvom« in »ljubeznijo«, predvsem pa agresivna komponenta v tem paru, simbolno umakne vladavini krščanske ljubezni. Zgodba Krsta je že v 19. stoletju prešla v mit, Živa ima po Linhartovi, predvsem pa po Prešernovi zaslugi častno mesto v praslovenskem pan-teonu - in vendar Prešeren sploh ne prikriva dejstva, da je njegova »lepa bognja« predvsem literarni fabrikat: v opombi pod črto jo izrecno opiše kot »slovensko Venero.« Tudi primerjava Bogomile z mitično Afroditino svečenico Hero ima izrazito klasicistični nadih in bralca usmerja k antičnim literarnim zgledom. Navezava Uvoda h Krstu pri Savici na Vergilijev opis padca Troje v 2. spevu Eneide je nesporna (Kos, 150-51; Kastelic, 205-8), o genezi slovanske Venere pa je mogoče več sklepati iz prizora 2.566 ss. V tem prizoru se Venera prikaže svojemu sinu Eneju, ki se sredi goreče Troje brezupno upira prodirajočim Grkom in v navalu jeze pred Vestinim svetiščem napade Heleno; tedaj mu božanska mati potegne izpred oči »oblak slepote«, ga odvrne od simbolnega maščevanja nad spartansko prešuštnico in mu razkrije pravi razlog za poraz: »krivični« bogovi so zapustili mesto. - V enem ključnih prizorov Krsta Črtomir, ki po porazu pod slapom pričakuje Bogomilo, ob pogledu na prihajočega duhovnika že skoraj potegne meč, tedaj pa se prikaže še Bogomila, mu poroča o svoji spreobrnitvi in o utopitvi kipa Žive ter mu oznani, da so poganski bogovi brez moči. Enejevo soočenje s Heleno je ključna točka v dramaturgiji in idejni strukturi Eneide: šele na tem mestu boginja svojega sina in varovanca simbolno odtrga od trojanske preteklosti in njegovo pot usmeri proti zahodu. Enejeva iracionalna gesta, ko v zaslepljenosti uperi orožje v zemeljsko hipostazo svoje matere, in boginjin poseg sta upodobljena po zgledu prizora v 1. spevu Iliade, ko Ahil, paradigmatični »jezni junak«, potegne meč zoper Agamemnona, a v dogajanje zadnji hip poseže Atena (Il. 1.188-195; prim. Conte). Enejev poskus, da bi se z nasilnim dejanjem distanciral od trojanske preteklosti (Helena), je brezpredmeten predvsem zato, ker Venera od njega zahteva še radikalnejšo ločitev od Troje: ne samo simbolne, temveč fizično. Venera ima namreč dve vzporedni funkciji: kot rimska ustreznica Afrodite ščiti prešuštno žensko, ki jo je Parisu namenila za ženo; kot Venus genetrix, pramati rimskega ljudstva in mati prvega trojanskega kralja v Italiji, se je trojanske dediščine, ki jo simbolizira Helena, že osvobodila. Iz Enejeve trojanske perspektive ta Venerina identitetna preobrazba pomeni boleč prelom s preteklostjo, iz proto-rimske perspektive pa (edino možno) obliko kontinuitete. Tudi v Prešernovi pesnitvi se identitetna preobrazba ženske akterke, Živine svečeni-ce Bogomile, zdi manj travmatična od Črtomirove, med drugim tudi zato, ker Bogomilina odločitev za redovništvo za poganskega junaka pomeni, da se mora v imenu krščanske doktrine odreči zemeljski ljubezni. Bogomilina obljuba o snidenju v onostranstvu je neprepričljiva tudi zato, ker je v hudem neskladju z doktrino, na kateri temelji zahteva po ločitvi. Toda z Bogomiline strani neortodoksni, vseodpuščajoče pacifistični krščanski credo pomeni nekakšno nadkonfesionalno, skoraj sinkretistično kontinuiteto: veroizpoved, ki jo (pod avspiciji Vergilijeve Venere) učita Bogomila in spreobrnjeni druid, je vsekakor zelo drugačna od Valjhunove. Bogomilina pacifistična različica krščanstva pomeni tudi zelo selektivno navezavo na Eneido: če Venera Eneja odvrne od nesmiselnega maščevanja nad Heleno, to še ne pomeni, da je sporočilo njenega posega pacifistično: »mirovniško« sporočilo Eneide slejkoprej temelji na tradicionalnem si vis pacem, para bellum. Prešernova interpretacija Venere se zato po eni strani zelo verjetno navezuje na Lukrecijevo »pacifistično« alegorijo Marsa in Venere (Lucr. DRN 1.1 ss.), ki je pustila globoke sledi tudi v renesančni ikonografiji (Botticelli), po drugi pa na (neo)platonistično teorijo o »dveh Venerah« (Venus caelestis / Venus vulgaris), ki je od Petrarke naprej (prim. Warner) odločilno vplivala na interpretacijo in produktivno recepcijo Vergilijevega epa.