Kentarö Otagiri WiEDERERiNNERN UND NACHAHMEN iM JAPANiSCHEN NÖ-SPiEL » Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.«1 1. schauplatz als Ort der Erscheinung der Vergangenheit Im Alltagsleben ahmen wir etwas mehrmals als Vorbild nach. Hierbei wird so verstanden, dass das Nachgeahmte original ist, während das Nachahmende nur sekundär. Dieses Verhältnis legt Platon metaphysisch aus: ein Verhältnis zwischen dem Nachgeahmten d.h. »paradeigma« der »idea« und dem Nachahmenden d.h. »eikon«. Dieser Auslegung zufolge wird das Individuum als das Abbild des Urbildes angesehen. Im Platonischen Gespräch findet sich folgende Aussprüche: »wenn du ohne Umstände einen Spiegel nimmst und ihn überall herumträgst: alsbald wirst du da eine Sonne machen und was sonst am Himmel ist, alsbald auch eine Erde, alsbald auch dich selbst und die übrigen Geschöpfe, Geräte, Gewächse und alles vorhin Genannte.«2 Solches Spiegelbild des Seienden ist das weitere Gespiegelte des Gespiegeltens, das nur der Schein bzw. »me on«, das nicht in Wirklichkeit ist. Individuum und Kunstwerk sind für ihm nichts 21 1 Thomas Mann, »Joseph und seine Brüder I«, in: Peter de Mendelssohn (Hrsg.), Gesammelte Werke in Einzelhänden, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1983, S. 7. 2 Platon, »Staat«, übers. von Otto Apelt, in: Otto Apelt (Hrsg), Sämtliche Dialoge, Bd.5, Felix Meiner Verlag, Hamburg 1993, S. 390. 22 anderes als Abbilder, die als solche durch das Wiedererinnern (anamnesis) der »id^ea« erkannt werden. Diese gewönlichen und Platonischen Verständnisse für das Nachahmen genügen nicht, wenn wir das Nachahmen in Nö-Spiel erklären, denn dieses Nachahmen steht nicht im Gegensatz zwischen den zwei Seienden, noch zwischen dem Urbild und dem Abbild im metaphysischen Sinne. In Bezug auf diese Problematik lässt sich eine bedeutende Bemerkung Heideggers (seine frühe Vorlesung von 1923) finden: »Das Dasein spricht von ihm selbst, es sieht sich so und so, und doch ist es nur eine Maske, die es sich vorhält, um nicht vor sich selbst zu erschrecken.«^ Hier wird die Maske als ein das eigentliche Selbst verdeckend uneigentliches Selbst nämlich »das Man« in der alltäglichen Umwelt angesehen. Diese Ansicht scheint mir jedoch nur einseitig zu sein. Denn er hält zugleich diese alltägliche Umwelt auch für den »ursprünglichen Schauplatz«. Er sagt, wohl auch unter Einfluss von Hölderlins Gedanken über die Tragödie,4 in seiner Vorlesung (1931/32): Die Enge und Unbeholfenheit und Ohnmacht der nächsten, aber doch offenen Umwelt des Menschen ist der ursprüngliche Schauplatz des Erscheinens der Weite, Weitheit, Übermacht und Verschlossenheit der Natur; diese nicht ohne jene und umgekehrt.5 Wie z.B. P. Szondi auch hinweist, »So deutet Hölderlin die Tragödie als Opfer, welches der Mensch der Natur darbringt, um ihr zur adäquaten Erscheinung zu verhelfen«,6 muss der Schauplatz des Spiels ein Ort sein, in dem sich Natur darstellt. Diese Natur erscheint selber mit der Hilfe des Menschen. Dieses Erscheinende muss nicht mehr als Abbild des Urbildes, sondern als das Erscheinende von der Natur selbst begriffen werden. Man soll daher die Erscheinung nicht mehr als bloßen uneigentlichen Schein bzw. Abbild auffassen. So kann man den Schauplatz des Spiels für einen Ort solcher Erscheinung halten, die weder im Gegensatz zwischen zwei Seienden, noch zwischen Urbild und Abbild liegt. Wir wollen auch im Nachahmen im japanischen Nö-Spiel solche Erscheinung bemerken. 3 Martin Heidegger, »Ontologie (Hermeneutik der Faktizität)«, in: Krfte Bröcker-Ortmanns (Hrsg.), Gesamtausgabe Bd. 63, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1988, S. 32. 4 Vgl. Friedrich Hölderlin, »Die Bedeutung der Tragödien«, in: Friedrich Beißner (Hrsg.), Hölderlin Sämtliche Werke, Große Stuttgarter Ausgabe, Bd.4,1, W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1970, S. 274. Vgl. Peter Szondi, »Die Bedeutung der Tragödien. Text und Kommentar«, in: Hölderlin-Studien. Mit einem Traktat über philologische Erkenntnis, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1970, S. 170-72. 5 Martin Heidegger, »Vom Wesen der Wahrheit, Zu Platons Höhlengleichnis und Theätet«, in: Hermann Mörchen (Hrsg.), Gesamtausgabe Bd. 34, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1988, S. 237. 6 Szondi, op. cit., S. 171. Das Nö-Spiel ist das japanische traditionelle Theater, dessen Form und Theorie von Zeami (1363-1443) begründet wurde. Er war selber ein Schauspieler, zugleich aber auch Dichter und Theoretiker des Nö-Spiels. Hier klären wir auf anhand seines berühmten Stückes Izutsu (»Brunneneinfassung«) des Nö-Spiels, in dem das Wiedererinnern der Vergangenheit bzw. des Gedächtnisses und das Nachahmen die wichtige Rolle spielt.7 Das Wiedererinnern im Stück Izutsu kann als Nachahmen begriffen werden, weil sich eben durch Nachahmen in diesem Stück die Hauptperson an die Vergangenheit wiedererinnert. Und dieses Nachahmen übersteigt den gewöhnlichen Gegensatz zwischen dem Nachgeahmten und dem Nachahmenden, und es liegt überhaupt nicht mehr in den Platonischen Gegensatz zwischen »paradeigma« der »idea« und »eikon« als Schein. In diesem Wiedererinnern und Nachahmen erscheint die Vergangenheit bzw. das Gedächtnis ursprünglich. Diese These wird im folgenden erörtert. Im Stück Izutsu steht der Schauplatz des Nö-Spiels als der Ort der Erscheinung der Vergangenheit bzw. des Gedächtnisses. Wir werden dieses Wiedererinnern und Nachahmen in der wesentlichen Zusammengehörigkeit von ihnen finden, indem wir die japanischen bzw. ostasiatischen Gedanken von den europäischen Gedanken unterscheiden. 2. Izutsu und Wiedererinnern oder Nachahmen Nun berufen wir uns auf das Stück Izutsu (»Brunneneinfassung«) von Zeami, das man für das Hauptwerk von ihm schätzt, um das geschichtliche und mythische Wiedererinnern des japanischen Daseins zu erörtern. Der Stoff dieses Stückes stammt aus der Episode Nr. 23 in Ise-monogatari (»Ise-Erzählungen«). Dieses Werk des 10. Jahrhunderts, das aus 125 kurzen Episoden bzw. Anekdoten mit den lyrischen Gedichten besteht, ist ein Pfeiler der klassischen Tradition in der japanischen Kultur. Diese Erzählungen selbst gehörten schon zu dem gemeinschaftlichen, geschichtlichen und mythischen Gedächtnis der Japaner in der Zeit von Zeami. Als Zeami dieses Stück schuf, behielt er im Auge, dass jede Zuschauer die Episode Nr. 23 wissen. Diese Erzählungen weisen nicht deutlich auf den Namen der Hauptperson hin, aber es wird allgemein anerkannt, dass die Hauptperson Ariwara no Narihira (825-880) ist. Er ist ein Enkel von Heizei Tennö (Heizei Kaiser, 774-824), und bekannt als der berühmte, attraktive und leidenschaftliche Dichter. Die Episode Nr. 23 erzählt von zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen, deren 7 Zeami, »Izutsu«, in: Yoshiko Kagawa (Hrsg.), Nihon Koten Bungaku Zenshü 58. Yökyoku-shü i (Die Japanische Klassische Literatur Bd 58. Die gesammelten Stücke des Nö-Spiels i), Shögakukan Verlag, T^kyö 1997, S. 286-97. 23 24 Häuser nebeneinander standen. Es gab einen Brunnen vor den zwei Haustüren. Sie hatten bei dem Brunnen gespielt, bis sie erwachsen wurden. Der Jüngling hatte um das Mädchen geworben, und sie haben geheiratet. Dann hatte der Mann aber sein Herz an eine andere Geliebte verloren, bis seine Frau mit der rührenden Äußerung ihrer Liebe sein Herz wiedergewonnen hat. Dieser Mann und diese Frau sind Ariwara no Narihira und seine Frau, eine Tochter von Ki no Aritsune (815-877). Das Hauptstück von Izutsu erzählt von dieser berühmten Episode. Hier ist der Ort, in dem ich über das Stück Izutsu erklären werden soll. Außer einer Brunneneinfassung mitten auf der Bühne ist keine Ausstattung. Sie ist ungefähr leer im Ganzen. Die Zeit der Situation des Stückes ist die Gegenwart, in der die Zuschauer leben. Die Hauptperson im Stück ist die Tochter von Ki no Aritsune, die nicht mehr lebt, die also als Gespenst in die Gegenwart auftritt, und die Nebenperson ist ein wandernder Mönch, der in der Gegenwart lebt. Was im Stück thematisch stattfindet, ist kein Geschehnis wie Tragik, sondern nur der Tanz und der Gesang des Gespenstes der Tochter von Ki no Aritsune. Besonders ist der Gesang eine der schönsten Poesien von Zeami. Die Fasizination des Stückes, vor allem in der zweiten Hälfte, liegt mehr im Gesang und dem Tanz, als im Lauf der Handlung. Eben die Vergangenheit im Gesang, in der Narihira und seine Frau lebten, an die sich das Gespenst der Frau erinnert, und die auch jede Zuschauer wissen, wird besonders in der zweiten Hälfte des Stückes thematisiert. Am Anfang der ersten Hälfte dieses Stückes tritt der Mönch auf, und erzählt den Zuschauern, wer er ist, und darüber, dass er zur Besichtigung des Ort gekommen ist, wo sich der Ariwara Tempel befindet, der früher das Haus des Ehepaares war, und dass er die Geliebten trösten will.® Und eine Frau tritt auf, um für Narihi-ras Seele zu beten. Der Mönch fragt sie, ob sie eine Beziehung zu Narihira hat. Sie antwortet mit Nein. Sie sagt, dass Narihira in der uralten Zeit lebte, also jetzt niemand eine Beziehung zu ihm haben kann. Dennoch erzählt sie dem Mönch (und den Zuschauern) die Episode von Narihira und seiner Frau in der Vergangenheit, nämlich ihrer Kindheit, als sie als Kinder bei der Brunneneinfassung spielten, und ihrem späteren Eheleben. Und am Ende der Erzählung gesteht sie dem Mönch (und den Zuschauern), dass sie die Tochter von Ki no Aritsune nämlich die Frau von Narihira ist. Dann verbirgt sie sich vor den Zuschauern hinter die Brunneneinfassung. Hier endet die erste Hälfte des Stückes. Um den Gehalt der zweiten Hälfte des Stückes Izutsu zu beschreiben, muss zuerst der folgende Punkt hingewiesen werden: in der ersten Hälfte werden die Ver- 8 Im Nö-Spiel erklärt der Schauspieler den Zuschauern im voraus manchmal die Situation des Stückes. gangenheit und die Erinnerung der Frau noch nicht thematisiert, die Frau, der Mönch und die Zuschauer bewegen sich noch auf der horizontalen Breite der Gegenwart. Die Frau, der Mönch und die Zuschauer befinden sich in der ersten Hälfte noch in der Gegenwart. So wird die erste Hälfte gleichsam in der Gegenwart gespielt, während die zweite Hälfte des Stückes gleichsam in der Vergangenheit stattfindet. Dieses zeitliche Unterscheidung zwischen der ersten und zweiten Hälfte ist zu betonen. In der zweiten Hälfte steht die Frau nicht mehr in der Gegenwart. Durch ihr Wiedererinnern verlässt die Frau diese horizontale Ebene der Gegenwart, und damit befreit sich sie aus der zwischenmenschlichen Beziehung der Umwelt. Mit anderen Worten übersteigt es das alltägliche Band, so geht sie über die Gegenwart in die Vergangenheit über, wann sie und ihr Mann Narihi-ra lebten, und zwar so dass, insofern sie eine Beziehung zu dieser Vergangenheit hat, sich auch die Zuschauer an diese gemeinschaftliche Vergangenheit gleichsam wiedererinnern. In der zweiten Hälfte tritt sie als Gespenst in der Nacht auf, während der Mönch im Freien träumt. Um die Brunneneinfassung mitten auf der Bühne tanzend, erinnert sich die Frau an ihren Mann Narihira, ihre Liebe, teuere Kindheit und ihr Eheleben, und sie singt davon mit dem Chor und mit Musik. Hierbei spielt diese Brunnneneinfassung auf dem Schauplatz eine entscheidend wichtige Rolle in ihrem Wiedererinnern. In diesem Stück ist diese Brunneneinfassung diejenige, die noch so geblieben ist, wie sie in der Zeit von Narihira war. So kann sich durch diese Brunneneinfassung die Frau mit der Vergangenheit verbinden. Die Frau tanzt um diese Brunneneinfassung, indem sie sich, ihren Mann nachahmend, an ihn erinnert. Dabei zieht sie die ihr von ihm zum Andenken hinterlas-senen Kleider und Krone (K^amuri^) an. Sie sieht im spiegelnden Brunnenwasser ihr Antlitz mit der Krone. Und sie sagt, dass zwar das Spiegelbild ihr Spiegelbild, aber auch Narihiras Spiegelbild ist. Der Chor singt auch, dass sich die Gestalt der Frau nicht als Weib darstellt, sondern sie ihr Mann selbst ist. Sie sieht in den Brunnen, die Vergangenheit, als sie und ihr Mann Narihira lebten.i° Dann lassen am Ende ihres Gesangs und Tanzes der Klang der Glocke im Tempel und die aufgehende Sonne den Mönch aus dem Traum erwachen, und sie verschwindet. Das Stück Izutsu endet hier. Am Anfang der ersten Hälfte des Stückes erzählt der Mönch den Zuschauern, wer er ist, und beschreibt die Situation. Der Mönch ist auf der Bühne gleichsam 9 Kamuri ist die japanische Krone, die sich aber nicht der König, sondern die Aristokraten aufziehen. 10 Vgl. Tetsuaki Kotö, Aru-koto no Hushigi (Das Mysterium des Seins), Keisöshobö Verlag, T^kyö 1992, S. 299 ff. 25 26 der Vertreter der Zuschauer." Dies besagt, wie oben schon erwähnt, dass in der ersten Hälfte des Stückes die Frau, der Mönch und die Zuschauer in derselben Gegenwart stehen. In der zweiten Hälfte des Stückes offenbart die Frau dem Mönch und den Zuschauern, dass sie die Frau von Narihira war. Nach diesem Geständnis erzählt die Frau nicht unmittelbar dem Mönch und den Zuschauern die Vergangenheit, sondern vielmehr ihr selbst. Die Erzählung der Frau ist in der ersten Hälfte der Dialog mit dem Mönch (und den Zuschauern), aber in der zweiten Hälfte der Monolog. Die Frau vertieft sich im Wiedererinnern an Narihira. Ihr Blick, der bis zu diesem Zeitpunkt gleichsam auf den Mönch und die Zuschauer in der Gegenwart gerichtet war, sieht nur Narihira selbst in ihrem Gedächtnis im Brunnen der Vergangenheit. Das eigentümliche Wiedererinnern und Nachahmen im Tanz und Gesang von der Frau, die hier erörtert werden soll, liegen in der zweiten Hälfte des Stückes. Dieses Nachahmen besagt, nicht die Frauenrolle zu spielen, sondern ihren Mann Narihira zu imitieren. Im diesem Sinne ist der Tanz die Nachahmung.12 Auch dass im Tanz die Frau ihr Antlitz als Narihiras Antlitz im spiegelnden Brunnenwasser erscheinen lässt, kann für das Nachahmen gehalten werden, denn, wie in der deutschen Sprache, auch in der japanischen Sprache »spiegeln« kann manchmal »nachahmen« bedeuten. Die Imitation als im Tanz und als Spiegeln kann zugleich als Wiedererinnern verstanden werden, insofern sich im Nachahmen die Vergangenheit zeigt. Was sich im Brunnenwasser spiegelt, ist das Antlitz von der Frau und ihrem Mann. Insofern er sich in der Vergangenheit befindet, und das Brunnenwasser sein Antlitz widerspiegelt, kann man sagen, dass sich die Vergangenheit im Brunnenwasser darstellt. Solches Nachahmen (Spiegeln) liegt so in der Beziehung der Frau zur Vergangenheit, und zwar so, dass die Frau gleichsam als ein Spiegel die Vergangenheit spiegelt (nachahmt). Das Nachgeahmte in diesem Nachahmen ist ihr Mann in der Vergangenheit. Kein strenger Unterschied zwischen dem Nachgeahmten und dem Nachahmenden liegt in diesem Nach- 11 Man kann eine Frage stellen: gehören die Zuschauer wesentlich und eigentlich zum Spiel, oder hat das Wesen des Spiels eine Beziehung mit der Zuschauer überhaupt? Mindestens antwortet Zeami darauf mit Ja. Er erörtert es in seinen Schriften, dass das Wesen des Spiels im Zusammenhang mit den Schauspielern, den Zuschauern, der Zeit und dem Wetter usw. nämlich mit allen Elementen liegt. Nach ihm gibt es kein Spiel ohne Zuschauer. Diese Entdeckung von ihm muss als wichtige Leistung in der Historie der Theorie des Spiels anerkannt werden. Vgl. Zeami, the flowering spirit, Classic Teachings on the Art of No, übers. von William Scott Wilson, Ködansha International, T^kyö 2006, p. 138-39. Vgl. Zeami, »Kakyö (A Mirror Held to the Flower)«, übers. von Thomas Rimer und Masakazu Yamazaki, in: Thomas Rimer und Masakazu Yamazaki (Hrsg.), On the Art of the Nö Drama, Princeton University Press, Princeton 1984, p. 81-82. 12 Vgl. G. F. Else, »'Imitation' in the fifth century«, Classical Philology, Vol. 53, No. 2 (1958), p. 73-90. Nach ihm bedeutet das griechische Wort »mimesthai« eigentlich die direkte Repräsentation durch den Tanz oder Gesang im Drama oder Protdrama. Dieses Verhältnis verweist wohl auf die wesentliche Zusammengehörigkeit der Nachahmung und des Tanzes oder des Gesanges. ahmen, weil das Nachgeahmte d.h. das Gespiegelte als Antlitz nicht nur von ihrem Mann, sondern zugleich auch der Frau ist. Im Spiegelnden d.h. im Brunnenwasser ist das sich Spiegelnde die Frau und zugleich ihr Mann, und in diesem Verhältnis ist das Nachahmende (die Frau) zugleich auch das Nachgeahmte (der Mann). In diesem Nachahmen liegt kein gewöhnlicher Gegensatz zwischen dem Nachgeahmten und dem Nachahmenden. Man soll dieses Nachahmen nicht im Sinne der metaphysischen Unterscheidung wie bei Platon verstehen, denn hier steht überhaupt kein Gegensatz, und das Spiegelbild in Izutsu ist also weder Abbild noch etwas sekundäres. Man muss dabei vielmehr sagen, dass durch das letztere sich auf gründliche Weise das erste realisieren kann, weil sich im Nachahmen die Vergangenheit spiegelt. In diesem Sinne können wir das Wiedererinnern als Nachahmen verstehen. 3. »ima« und »mukashi« (Jetzt und Vergangenheit) Wir haben gezeigt, in welchem Sinne das Wiedererinnern als Nachahmen im Stück Izutsu begriffen werden kann. Für die weitere Erklärung dieses Wieder-erinnerns ist es eine wichtige Sache, den Unterschied von der geschichtlichen mythischen Vergangenheit und der Gegenwart im Stück Izutsu deutlich hervorzuheben, denn, wie im folgenden gezeigt, liegt dieses Wiedererinnern in der Vergangenheit im besonderen Sinne: »»mukashi«. Zur Erläuterung dieser Vergangenheit von »»mukashi« berufen wir uns auf den Gedanken von Megumi Sakabe (1936-2009), ein berühmter japanischer Philosoph der Gegenwart, und machen uns dadurch zuerst den Unterschied der zwei Arten von Vergangenheit in der japanischen Sprache klar: »»koshikata« (Vergangenheit) und »»mukashi« (Vergangenheit).i3 Nach Sakabe gehört die Vergangeheit als »»koshikata« zur Breite der Gegenwart von »ima« (Jetzt), und die Vergangenheit von »mukashi« gehört nicht zu dieser Breite der Gegenwart. Dieses Verhältnis der Vergangenheit von » mukashi« und die Breite der Gegenwart von » ima« lässt sich mit dem folgenden Schema erklären: (Vergangenheit von koshikata)-»ima«-(Zukunft vonyukusue)-. horizontale Breite |: vertikales Verhältnis von »ima« und »mukashi« Vergangenheit von »mukashi« 27 13 Vgl. Megumi Sakabe, Katari: monogatari no bunpo (Erzählen: Die Grammatik der Erzählung), Chikumashobö Verlag, T^kyö 2008, S. 57-106. 28 Wie oben gezeigt, gehört zur Breite der Gegenwart als »ima« auch die Zukunft von »yukusue«.i4 Das japanische Wort »ima«, das normalerweise mit dem deutschen Wort »jetzt« übersetzt wird, kann oft auch den mathematischen JetztPunkt bedeuten, aber es heißt eigentlich diese oben gezeigt horizontale Breite der Zeit. Wir leben in dieser horizontalen Breite der Gegenwart als »ima«.^^ Die Vergangenheit von »koshikata« steht im Verhältnis zu der Zukunft von »yu-kusue«, wie in der deutschen Sprache das Wort »Vergangenheit« im Verhältnis zum Wort »Zukunft« steht. »Koshikata« und »yukusue« werden in der japanischen Sprache als Paar verstanden. Also gibt es in der japanischen Sprache die bestimmte Redewendung: »koshikata-yukusue« (Vergangenheit-Zukunft). Dagegen steht die Vergangenheit von »mukashi« nicht im Verhältnis zur Zukunft wie »koshikata-yukusue«, sondern im Verhältnis zur Gegenwart von »ima«. »Muka-shi« und »ima« sind wohl dasjenige Paar, das in der deutschen Sprache mit der Redewendung wie »das Sonst und das Jetzt« oder »das Einst und das Jetzt« verstanden werden kann. Wenn die Breite der Gegenwart von »ima« als horizontal, und die Beziehung zwischen »mukashi« und »ima« als vertikal begriffen werden, kann man mit dem oben gezeigten Schema leicht die vertikale Beziehung zwischen der Vergangenheit von »mukashi« und der horizontalen Breite der Gegenwart von »ima« verstehen. Sakabes Ansicht zufolge ist die Breite der Gegenwart als »ima« der zeitliche Horizont der Lebenswelt, in der, wie in der »Alltäglichkeit« bei Heidegger, es um das alltägliche Interesse geht. Wir leben normalerweise in dieser Lebenswelt bzw. dem Horizont als der Breite der Gegenwart. In einer derartigen horizontalen Breite von »ima« liegt -laut Sa^ka^be - die Wiederholungsmöglichkeit und Umkehrmöglichkeit. Zum Beispiel kann man in deiesem Horizont als »ima« sagen, »wenn ich Zeit gestern gehabt hätte, wäre ich ins Kino gegangen«. Dieser Ausdruck besagt, dass man wohl unter Umständen heute oder morgen ins Kino gehen kann. Hierbei ist die Vergangenheit als »koshikata« wiederholbar. Nach der Etymologie bedeutet das Wort »mukashi« eigentlich das Wohin, auf das das Wiedererinnern sich richtet, und es besagt die überlieferte Vergangenheit der 14 Sakabe, op. cit., S. 63. 15 Sakabe erklärt diesen Horizont »ima« unter Berufung auf Gedanken von Augstinus: »es gibt drei Zeiten, nämlich Gegenwart von Vergangenem, Gegenwart von Gegenwärtigem und Gegenwart von Zukünftigem« (Aurelius Augustinus, Was ist Zeit? (Confessiones XI/Bekenntnisse 11), übers. von Norbert Fischer, Felix Meiner Verlag, Hamburg 2000, S. 35). Diese horizontale Breite besteht aus der »Gegenwart« von Vergangenem, der Gegenwart von Gegenwärtigem und der Gegenwart von Zukünftigem. Gemeinschaft und des individuellen Gedächtnisses.16 Kein Interesse wie in der Alltäglichkeit steht in dieser Phase von »»mukashi«. Diese Phase gehört, wie Saka-be sagt, zur mythischen Welt. Sie kann als Zeit der Geschichte und der Einbildungskraft gehalten werden.^^ Also ist in solcher Zeit die Phase von »»mukashi« unwiederholbar, unumkehrbar und also entscheidend prägend, während die Vergangenheit von »»koshikata« in der horizontalen Breite von »ima« noch wiederholbar, umkehrbar und realistisch ist. »Mukashi« ist solche eigentümliche Phase. Narihira wird im Stück Izutsu zugleich »mukashi-otoko« (Mann der Vergangenheit) genannt. Das japanische Wort »otoko« besagt »Mann«. Dieser andere Name von Narihira ist traditionell in aller Munde. Dieser Name stammt aus einem Verhältnis, dass die meisten Episoden in Ise-monogatari (»Ise-Erzählungen«) mit derselben bestimmten Redewendung beginnen: »mukashi, otoko arikeri«, d.h. »es war einmal ein Mann«. Wie in den meisten Erzählungen oder Überlieferungen, hat auch die Vergangenheit als »mukashi« keine unmittelbare Beziehung zu unserem alltäglichen Leben. Die Vergangenheit als »mukashi« ist diejenige Phase, wohin sich rein unser Wiedererinnern richtet. Diese Vergangenheit der Erzählung und Überlieferung liegt mehr im gemeinschaftlichen als im individuellen Gedächtnis. Sie liegt also in der Erinnerung nicht nur der Frau sondern auch der Zuschauer. Dieser gemeinschaftliche Charakter gehört zur Vergangenheit als »mukashi«. In Izutsu steht Narihira (mukashi-otoko) in solcher Phase. Nun stellen wir fest, dass sich in der ersten Hälfte des Stückes Izutsu die Zuschauer, der Mönch und der Frau gleichsam auf dieser horizontale Breite der Gegenwart bewegen, und ihre Perspektiven in dieser Breite haben, und dass Narihi-ra in der Phase von »mukashi« steht. Und in der zweiten Hälfte velässt die Frau die horizontale Ebene, und sie begibt sich auf eine andere Ebene. Das Wiedererinnern als Nachahmen von der Frau geht über die Gegenwart auf die mythische Vergangenheit von »mukashi« hinüber, in der sie und ihr Mann Narihira lebten. Das Wiedererinnern der Frau übersteigt die Breite der Gegenwart von »ima«, in der es um unser alltägliches Interesse geht, nämlich befreit sich die Frau aus dem alltäglichen Band der Umwelt, in dem wir zumeist leben. In diesem Sinne liegt das Wiedererinnern als Nachahmen im die Gegenwart von »ima« überschreitenden Übersteigen in die Vergangenheit von »mukashi«. 4. Erscheinen der Vergangenheit im Schauplatz des Nö-Spiels Wie oben ausgeführt, singt die Frau, um den Zuschauern ihre Erinnerungen zu erzählen, während sie ihr Antlitz im spiegelnden Brunnenwasser sieht, und 16 Vgl. Susumu Ono, Akihiro Satake und Kingorö Maeda (Hrsg.), Iwanami Kogo Jiten (Iwanami Wörterbuch der klassischen japanischen Sprache), Iwanamishoten Verlag, T^kyö 2008, S. 1279 f. 17 Vgl. Sakabe, op. cit., S. 64. 29 30 sie ihren Mann Narihira nachahmt. In diesem Wiedererinnern als Nachahmen überschreitet die Frau das alltägliche Band der Umwelt. Man kann auch so sagen, wer sich aus dem alltäglichen Band des Interesses befreit, sind vielmehr die Zuschauer selbst. In solcher Weise, dem Stück zuschauend, haben auch sie die Beziehung zu »mukashi«. So lässt sie die Zuschauer das sehen, was sie ihnen vermittelt. Ihr Mann Narihira stellt sich nur durch die Wörter des Gesanges und durch den Tanz der Frau dar. Also ist es möglich zu sagen, dass sie den Zuschauern die Vergangenheit als »mukashi« erscheinen lässt.^® Eben durch diese Frau kann der Mann dem Mönch und den Zuschauern auf der Bühne erscheinen. Dieses Erscheinen kann durch das Wiedererinnern als Nachahmen realisiert werden. Dass sie, die horizontale Breite der Gegenwart von »ima« verlassend, in die Vergangneheit von »mukashi« hinüber schreitet, kann begriffen werden vielmehr als dass durch das Vermitteln von der Frau die Ebene von »mukashi« als solche erscheint, weil sich durch ihr Wiedererinnern als Nachahmen diese Vergangenheit erscheint. Diese Erscheinung der Vergangenheit als »mukashi« soll nicht als Schein »eikon« wie das Spiegelbild im Platonischen Sinne begriffen werden, die im strengen Gegensatz zu »idea« als Urbild stehen, weil das Nachahmen, in dem die Vergangenheit erscheint, wie schon erwähnt, nicht überhaupt im Gegensatz zwischen dem Nachgeahmten und dem Nachahmenden steht. Man mag vieleicht diese Nachahmung auch als das verstehen, was sich im Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem Objekt befindet, das sich z.B. mit dem Satz »Subjekt imitiert Objekt« ausdrückt. Auch diese Meinung entspricht aber nicht dieser Sache, solange die Nachahmung in Izutsu nicht im Verhältnis zwischen dem Nachahmenden und Nachgeahmten liegt. Es ist jedoch fraglich, wie denn solche Erscheinung ohne das Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Nachahmung möglich ist. In Bezug auf dieses Problem kann man eine beachtliche Anmerkung Heideggers in Aus einem Gespräch von der Sprache-Zwischen einem Japaner und einem Fragenden von 1953/54 finden. Hier wird es angegeben, dass die Bühne des Nö-Spiels leer ist, und dass diese Leere eine ungewöhnliche Sammlung verlangt. Dementsprechend wird von dem Japaner so gesagt: »Dank ihrer [Leere] bedarf es dann nur noch einer 18 Zeami behauptet, dass die Wörter des Gesangs vom Spieler diejenige sind, die den Zuschauern den Tanz vom Spieler sehen lassen. Er halt dieses »sehen lassen« für die wichtige Rolle der Wörter im Spiel. Er sagt, dass der Schauspieler die Zuschauer zuerst Wörter des Gesangs hören lassen muss, um sie das Sein des Tanzes sehen zu lassen. Die Funktion der Wörter liegen im Sehenlassen. Damit stößt er wahrscheinlich auf dieselbe Bestimmung des logos wie Heidegger: »Sehenlassen« (Sein und Zeit, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006, S. 32). Vgl. Zeami, op. cit., p. 76-82. Vgl. Shelly Fenno Quinn, Developing Zeami: the noh actor's attunement in practice, University of Hawai'i Press, Honolulu 2005, p. 201-207. geringen Gebärde des Schauspielers, um Gewaltiges aus einer seltsamen Ruhe erscheinen zu lassen.«i9 und »Wenn z.B. eine Gebirgslandschaft erscheinen soll, dann hebt der Schauspieler langsam die offene Hand und hält sie in der Höhe der Augenbrauen still über dem Auge.«2° Diese Gebärde in diesem Verhältnis ist, Heideggers Ansicht zufolge, als »Versammlung eines Tragens«2id.h. als »die in sich ursprünglich einige Versammlung von Entgegentragen und Zutrag«22 verstanden zu werden. Nämlich tragen der Schauspieler dasjenige entgegen, was »uns sich erst zu-trägt«.23 »In einem selbst unsichtbaren Schauen, das sich so gesammelt der Leere entgegenträgt, daß in ihr und durch sie das Gebirge erscheint.«24 Diese Beschreibung Heideggers erläutert nach japanischem Urteil in sachlicher Weise die Gebärde im Nö-Spiel. Diese im Nachahmen ist das Tragen, was nicht im Gegensatz zwischen dem Subjekt und dem Objekt liegt. Wir können vielmehr so verstehen, der Schauspieler ist nicht nur Subjekt, sondern ein Vermittler der Erscheinung.25 Um diese Erscheinung im Wiedererinnern als Nachahmen (Spiegeln) von der Frau zu erläutern, das sich nicht im Verhältnis zwischen dem Nachahmenden (Subjekt) und dem Nachgeahmten (Objekt) befindet, berufen wir uns auf das Wort in Izutsu. Darum ist das japanische Wort »utsuri-mai« (Übertsteigen-Tan-zen oder Sich-Übertragen-Tanz), das in ihrem Gesang vorkommt, so ein Anhaltspunkt. Dieses japanische Wort »utsuri-mai« besteht aus zwei Wörtern »utsuru« und »mai«. »Mai« heißt »Tanz«, »utsuru« heißt hier »übersteigen« und »nachahmen«. Dieses Wort »utsuri-mai« verweist in der Stück auf den Tanz, in dem die Frau ihren Mann Narihira nachahmt. Der Tanz »utsuri-mai« kann hier für denjenigen gehalten werden, in dem die Frau die Gegenwart als »ima« überschreitet, 19 Martin Heidegger, »Aus einem Gespräch von der Sprache«, in: F.W. v. Hermann (Hrsg.), Unterwegs zur Sprache, Gesamtausgabe Bd. 12, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1985, S. 101. 20 Ibid. 21 Ibid., S. i02. 22 Ibid. 23 Ibid. 24 Ibid., S. 103. 25 Zeami sagt in seiner Schrift, »das Sein ist das sichtbare Phänomen, und Nichts ist das Gefäß. Das Nichts ist ein Ursprung, aus dem heraus das Sein erscheint«, und »ein Meister der Darstellung muss das ,Ge-fäß' genannt werden«. Vgl. Zeami, »yügakushüdöhüken (An Effective Vision of Learning the Vocation of Fine Play in Performance)«, übers von Tom Hare, in: Tom Hare (Hrsg.), Zeami, Columbia University Press, New York 2008, p. 186. Er nennt diesen Zustand (Gefäß) des Schauspielers auch mit Wort »mu-shin« (Sub-stanz-losigkeit). Damit stößt er wohl auf dieselbe Sache wie Kitarö Nishida, die traditionell mit dem japanischen Wort »m«« (Nichts) aufgefasst wird. Vgl. K. Nishida, »Ort«, übers. von Rolf Elberfeld, in: Rolf Elberfeld (Hrsg.), Logik des Ortes, Der Anfang der modernen Philosophie in Japan, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999, S. 92 f. 31 32 und in die Vergangenheit als »mukashi« übersteigen, indem sie ihren Mann Na-rihira nachahmt und sich an ihn wiedererinnert. Dieses Wort »utsuru« wird in Izutsu nicht nur im Sinne »übersteigen« und »nachahmen« sondern auch im Sinne »sich spiegeln im Brunnenwasser« verwendet. Nach Etymologie stammt diese Bedeutung aus der eigentlich ursprünglichen Bedeutung wie »sich offenbaren«, »sich darstellen« und »erscheinen«. Das Wort »utsuru« heißt eigentlich »sich darstellen« oder »erscheinen«. Man soll es also nie als wie »Abbilden« verstehen. In »utsuri-mai« stellt sich die Erscheinung der Vergangenheit von »mukashi« dar. Dieses Wort »utsuru« stammt aus derselben Wortwurzel wie die Wörter »utsusu« (spiegeln und tragen), »utsutsu« (Wirklichkeit) und »utsushi« (ersichtlich oder offensichtlich). Das Wort »utsusu«, das auch zugleich »spiegeln« und »tragen« bedeutet, heißt eigentlich »erscheinen zu lassen«.26 Das Tanzen von »utsuri-mai« ist auch als dasjenige zu verstehen, in dem sich die Erscheinung der Vergangenheit von »mukahsi« als solche darstellt. Hier besagt nämlich »utsuru« nicht nur das Nachahmen, das Übersteigen, das Sich-Tragen nicht nur von der Frau, sondern auch von der Vergangenheit und von ihrem Mann. Und »utsuru« kann hier als »utsusu« d.h. das Erscheinenlassen von der Frau begriffen werden, insofern das Wort »utsuru« hier das Nachahmen (Spiegeln) bedeutet. Das Wort »utsuru«, das eigentlich der japanischen Grammatik zufolge bloßes Intransitivum ist, hat doch hier zugleich auch den transitiven Sinn des Wortes »utsusu«. Das Subjekt von »utsuru« und »utsusu« ist die Frau und zugleich ihr Mann, mit anderen Worten ist sie kein Subjekt, sondern vielmehr eine Vermittlerin der Erscheinung von »mukashi« und ihrem Mann. Durch oder in »utsuri-mai« in diesem Sinne erscheint »mukashi« auf dem Schauplatz. 5. Schlussbemerkungen Zuerst haben wir die These aufgestellt, dass der Schauplatz des Nö-Spiels für den Ort der Erscheinung der Vergangenheit gehalten werden kann, dass das Wiedererinnern als das Nachahmen zu begreifen ist, und dass dieses Nachahmen weder im gewöhnlichen Gegensatz zwischen dem Nachgeahmten und dem Nachahmenden noch im metaphysischen Gegensatz zwischen »paradeigma« der »idea« und »eikon« wie bei Platon steht. Um diese These zu erörtern, haben uns wir auf das Wiedererinnern und das Nachahmen im Stück Izutsu von Zeami berufen. In der ersten Hälfte dieses Stückes befindet sich die Frau mit dem Mönch und den Zuschauern in der Gegenwart. In der zweiten Hälfte des Stückes überschreitet das Wiedererinnern der 26 Vgl. Susumu Ono, Akihiro Satake und Kingorö Maeda (Hrsg.), op. cit., S. 176 f. Frau das alltägliche Band der Gegenwart von »ima«, und steigt in die Vergangenheit von »mukashi« über, indem sie ihren Mann Narihira nachahmt (spiegelt). Hier haben wir das Wiedererinnern als Nachahmen festgestellt. Wir haben mit Heideggers Beschreibung von der Gebärde im Nö-Spiel erläutert, dass dieses Wiedererinnern als Nachahmen nicht im gewöhnlichen und metaphysischen Gegensatz zwischen dem Nachgeahmten und Nachahmenden, sondern im die Gegenwart von »ima« überschreitenden Übersteigen in die Vergangenheit von »mukashi« liegt. Dann haben wir uns auf das japanische Wort »utsuri-mai« (Übersteigen-Tanzen) berufen. Dadurch ist es festgestellt worden, dass es das Wiedererinnern als Nachahmen von der Frau ist, die Vergangenheit von »mukashi« erscheinen zu lassen, und zwar so, dass sich diese Erscheinung, die Gegenwart von »ima« überschreitend, darstellt, und auch dass dieses Nachahmen nicht im Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt liegt. Durch dieses Wiedererinnern als Nachahmen im Tanz »utsuri-mai« erscheint die Vergangenheit als »mukashi« auf den Schauplatz. Im diesem Sinne lässt es sich bestätigen, dass der Schauplatz des Nö-Spiels als Ort der Erscheinung der Vergangenheit begriffen werden kann. Damit haben wir den Nachweis für unsere ^ese dieses Aufsatzes geführt. 33