FREMDE ZWISCHEN INTEGRATION UND ASSIMILATION Venčeslav Šprager Offentliche Debatten und grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen den politischen Parteien in den Immigrationslandern weisen auf die Problematik einer Entscheidung hin, ob sich die Fremden in der neuen »Luftheimat«1 integrieren oder assimilieren sollten. Integration bedeutet fur den Zuwanderer konfliktfreie und gleich-berechtigte Eingliederung in, beziehungsweise an allgemein gultige Wertmuster der neuen »Heimat«. Assimilation dagegen ist ein Vorgang der Verschmelzung, bei dem Immigranten sowohl Traditionen als auch Wert- und Verhaltungsmuster der neuen »Heimat« iibemehmen und somit in ihr aufgehen. Beide Gruppen: Immigranten und das Gastgeberland stehen zumeist ratios und widerspruchsvoll erwahnten Moglichkeiten des zukiinftigen Zusammenlebens gegen-iiber. Dies sind allerdings keine neuzeitige, sondem vielmehr uralte Verhaltensweisen. Den Sammlem, primitiven Jagem, spater den Viehziichtem und den ersten Sesshaften begegneten gleichgelagerte vielschichtige Probleme. Sie traten auf im Umgang mit den gefangenen Kriegem und eroberten Frauen bei den Auseinandersetzungen mit fremden Stammen und Gruppen. In Umkehrung traf das Gleiche die Gefangenen, die sich ur-plotzlich in einer vollig neuen Umgebung und in einer fremden Stammesgemeinschaft zurecht finden mussten. Dieser Riickschluss auf die uralten Verhaltungsweisen konnte bei den wissenschaftlichen Studien bei den noch vorhandenen Ureinwohnerstammen,2 die bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch keine Kontakte mit der »zivilisierten« Welt hatten und bei den australischen Aborigenes in Erfahrung gebracht werden.3 Gegenwartiger ist die Geschichte und mit ihr die Verhaltungsweisen unseres eige-nen Kulturkreises, des Abendlandes. So war im antiken Griechenland der Imigrant ein »Schutzsuchender«, wie ihn Aischylos nannte.'4 In der neuen Heimat wurden Fremde, die dem einheimischen Handwerk oder Gewerbe nutzlich waren, voll akzeptiert. Sie wurden als »Metoken« bezeichnet, diejenigen, die den Wohnsitz wechseln. So lange sie als Arbeitskraft zeitbegrenzt gebraucht wurden, war das Verlangen nach ihrer 1 Jean Apatride, Eine nicht nur deutsche Literatur, Piper Verlag, 1986, S. 33. : F. Nikola, P. M. Magazin, Februar 1998, S. 82. 3 M. H. Fries, The Evolution of Political Society, New York, 1967, S. 123. 4 Aischylos, Schutzsuchende, Zurich Verlag, 1979. Dve domovini • Two Homelands 19 • 2004, 215-218 Assimilation oder Integration nicht angefordert und die Konflikte zwischen ihnen und den Gastgebern auf ein Minimum beschrankt. Diese Variante der Immigration blieb bis zur Gegenwart bestehen. In den 50-er und 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts hegten Gastlander Deutschland und Frankreich eine sehr liberale Haltung gegentiber den Immigranten, in diesem Fall den sogenannten Gastarbeitem, die sie in ihre Lander gerufen hatten. Sie waren als billige Arbeitskraft willkommen. Zu jener Zeit gab es auf beiden Seiten keine Disskusionen fiber eine eventuelle Integration oder Assimilation. Politiker aller Coleur glaubten, dass die Gastarbeiter nach einigen Jahren wieder in ihre angestammte Heimat zuriick kehren wiirden. Als sie nach und nach ihre zahllosen Fimilienangehorige und Verwandte in das Gastgeberland nachkommen lieBen, entstan-den die ersten Konflikte und Schwierigkeiten mit der Behorde, Einheimischen und den Politikem und Uberlegungen iiber das Zusammenleben. Der einmaligen Zweideutigkeit des Begriffes »Fremder« begegnen wir in der jiidischen Glaubenswelt. Einerseits benennen Talmud5 und Midrasch den Fremden als »guer«, das heiBt: »derjenige, der gekommen ist mit euch zu leben«. Andererseits hieB »guer« auch »beisasse«, der Bekehrte. Aus diesem Begriff entwickelten sich nun zwei Bedeutungen im jiidischen Sprachgebrauch. »Guer«, derjenige Fremde, dereiner jiidischen Religionnation angehorte und in Israel lebte, und »«guer-tochav«, derjenige, der mosaische Glaubensgesetze beachtete und das unabhangig davon wo er lebte, also der Bekehrte. Sie muBten sich assimilieren und spielten in der jiidischen Geschichte eine wichtige Rolle. Diese konsequente Assimilation ist allerdings im Kontext mit dem bekannten jiidischen Begriff »Das auserwahlte Volk« zu sehen. So entstand hier eine hybride Konzeption der Auserwahlung, die sich auch in der Gegenwart durch die Vererbung und durch die Assimilation vollzieht. Der Einfluss Altagyptens auf das antike Griechenland in verschiedenen Berei-chen der Wissenschaft ist ein typisches Beispiel der Akkulturation, der Ubemahme bestimmter einzelner Elemente einer fremden Kultur, hier durch Kontakte Einzelner. Griechische Wissenschaftler studierten auf den Hofen der Pharaonen, wurden vom Wissenspotenzial fremder Gelehrten geformt und gepragt und setzten das erworbe-ne Wissen in ilirer Heimat um. Das war, wie die spatere Hellenisierung des Orients zwischen 323 und 83 vor unserer Zeitrechnung oder die spatere Wechselbefruchtung zwischen dem Islam und dem Abendland, ein bedeufender Prozess. Die Wechselwirkun-gen zwischen Europa, dem Vorderen Orient und dem Femen Osten iiber die Seerouten oder transkontinentale Verbindungen, wie der SeidenstraBe, sind einige der gangigen Beispiele fur die Ubemahme bestimmter Elemente fremder Kulturen. Diese kamen nicht nur durch friedliche Kontakte einzelner Personen und Gruppen, sondem ebenso durch kriegerische Eroberungen und Wanderungsbewegungen einzelner Gruppen und Volker zustande. Das Gleiche gilt fiir die Kolonisierung von den Europaem eroberter Kontinente, Lander und Gebiete insbesondere in Afrika. Die Vemichtung, Zerstorung und Auslo- 5 Talmud, Pesalim 87 b. schung fremder Kulturen, und Religionen in Nord- und Siidamerika durch die Europaer und die katholische Kirche gehort allerdings in die Kategorie des Fundamentalismus. Die Missionierung, die Hand in Hand mit der blutigen Erobemng fremder Lander zwischen dem Ende des 15. Jahrhunderts undMitte des 20. Jahrhunderts vollzogen wurde, lieB offiziell selten den Angehorigen fremder Religionen und Kulturen Spielraum fur eigenstandige Entscheidungen iiber ihr Leben. In den letzten Jahrzehnten ist vor allem bei den afrikanischen Volkern vennehrt die Riickbesinnung an die eigenen Kulturwerte und religiose Traditionen durch den Nativismus zu beobachten. Erwahnte religiose Assimilationstendenzen sind in den fundamentalistischen Gruppierungen aller fiinf Weltreligionen, mit Ausnahme des Buddhismus, seit Jahr-hunderten zu beobachten. Parallel dazu vollzieht sich im Laufe der Geschichte eine politische »Weltmissionierung«. Gegenwartig ist das Inhalt und Richtung der ultra-ortodoxen amerikanischen Regierungspolitik. Allerding ist erwahnenswert, dass in den 20-er und 30-Jahren des 20. Jahrhunderts in Nordamerika der »melting pot« die Vereinigung verschiedener Kulturen in eine neue Kultur der multiethischer Staatsform angestrebt wurde. In den 70-er Jahren ersetzte diese Vorstellung des Zusammenle-bens zwischen den Immigranten und dem Gastland, nicht nur in USA, Canada und Australien, sondern ebenso in Schweden das Konzept der Multikultur. Nach diesem Konzept sollten per Gesetz autonome Kulturrechte der Immigranten abgesichert werden. Der nachste Schritt, der in den letzten zwei Jahrzehnten zu beobachten ist, fiihrt zu einem Interkulturalismus. Dabei geht es nicht mehr nur urn die Erhaltung der Kultur einer Minoritat, sondern um die gleichberechtigte Eingliederung dieser in das offentliche Leben des Gastlandes. Diese erfreuliche Entwicklung wird gerade in den USA zurzeit von den stark verbreiteten fundamentalistischen christlichen Gruppierungen wie, »Neue Christliche Rechte«, »Moral Majority« und »Brain Trust« mit Erfolg untergraben.6 Selbst in der liberalsten Gesellschaft konnen fundamentalistische Ziige entstehen, vor allem dann, wenn sie unter dem Deckmantel der Tolleranz eine Weltanschauung macht und diese als einzig richtige Lebens- und Gesellschaftsform missioniert. Dadurch wurde eine Integration der Immigranten wieder in Frage gestellt. Die Problematik der Integration und der Assimilation wird in den westlichen Indus-triestaaten zunehmend gleichbedeutend und gleichbewertend werden. Die abklingende Modeme, die immer starker durch die hegemonistischen Ziige gekennzeiclinet ist, sei nach Meinung mehrerer Philosophen und Soziologen eine landnehmende Macht und vollzieht die Vereinheitlichung der »westlichen« Welt.7 Dadurch ist das hier behan-delnde Phanomen ein zwei geteiltes: das der »westlichen« und jenes der »Restwelt«. In der letzteren ist die Integration kaum wahmehmbar und realisierbar. Die politischen 6 Pressedienstbuch Deutschland, Redaktionsteil, 06.06.1987, S. 1; Dto, R. C. Liebmann - R. Wuth-now, 08.04.1983, S. 4; »Noticias Aliadas«, Redaktionsteil, 29.01.1989,‘S. 2. 7 S. Žižek, Die Tticke des Subjekts, Suhrkamp Verlag, 1997; T. Assheuer, »Piraten der Neuen Welt«, DieZeit, 50/2001, S. 17. Umstande des Fundamentalismus bevorzugen die bedingungslose Assimilation sowohl in prophanen als auch in religiosen Fragen. Es ist zweifelsohne erstrebenswert die Zukunft des Interkulturalismus schrittweise gesetzlich zu realisieren. Dazu gehoren unter anderem neben der kulturellen Gleich-berechtigung aller im Gastland vorhandenen Sprachen, Veroffentlichung iibersetzter Literatur und mehrsprachige Schulbildung. So konnten Kulturen der Imigranten gleich-berechtigt mit der Kultur des Immigrationslandes nebeneinander die pluralistische Kultur des Gastlandes bilden, sie befruchten und ein friedliches Zusammenleben nicht nuLennaglichen, sondem auch garantieren.