FERDINAND OPLL: EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN Ein Beitrag zu vier Jahrzehnten Stadtgeschichtswissenschaft in Europa FERDINAND OPLL Der in urbanen Räumen lebende Anteil an der Weltbevölkerung ist in einem ermanenten Prozess der Ausweitung begriffen: 2006 ist bereits für mehr als die Hälfte der Menschheit die Stadt ihr Lebensraum, wobei selbstverständlich Ent­ wicklungsländer wie Länder bzw. Kontinente mit großen, für eine dichtere Be­ siedlung ungünstigen Landstrichen keinen so hohen Verstädterungsgrad auf­ weisen.1 Städte sind schon von alters her Zentren von Wirtschaftsführung und Wirtschaftsleben, sie sind weiters ein eminent wichtiger politischer Raum, aber auch der entscheidende Rahmen, innerhalb dessen Politik ganz generell vollzogen, umgesetzt wie auch weiter entwickelt und verändert wird. Städte sind zudem die Folie für ein ganz eigenes Lebensgefühl, für urban bestimmte Mentalität, für ganz spezifisches Denken und Fühlen.2 Ohne Zweifel strahlt das Phänomen Stadt somit Faszination aus, und allein schon deshalb kommt jeglicher auf Stadt fokussierter Forschung, sei es historischen, kulturellen, ökonomischen, politischen oder auch soziologischen Zuschnitts, Bedeutung zu. Welche Möglichkeiten hat man aber, sich des Phänomens »Stadt« — der eigenen ebenso wie der anderen — zu vergewissern, wie kann man sich diesem Phänomen annähern, es zugänglich, begreifbar, damit auch analysierbar machen? Im Kontext schriftlicher Aufzeichnungen geht es um das Schreiben über Stadt, um die Stadt als Gegenstand von Texten, als Objekt von Beschreibungen historischen wie dokumentarischen Zuschnitts.3 Es ist kein Zufall, dass sich die 1 http://www.dsw-online.de sowie http://de.wikipedia.org/wiki/Weltbev%C3%B61kerung (alles Status: 25. 6. 2007). 2 Vgl. etwa Daly, Mary E.: Images of Dublin - the Capital of a nation with a falling population 1850-1966. Bild und Wahrnehmung der Stadt (ed. Ferdinand Opll). Beiträge zur Geschichte der Städte Mittel ­ europas, Bd. XIX. Linz: Österreichischer Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung, 2004, p. 27 ff. 3 Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (ed. Peter Johanek). Städteforschung, A 47. Köln-Weimar-Wien: Böhlau, 2000; zur Stadtgeschichtsschreibung im wissen ­ schaftlichen Sinn vgl. Johanek, Peter: Tradition und Zukunft der Stadtgeschichtsforschung in Mittel ­ europa. Pro Civitate Austriae, Sonderheft, Linz: Österreichischer Arbeitskreis für Stadtgeschichtsfor ­ schung, 1997, p. 37 ff., weiters die Beiträge in: Pro Civitate Austriae N.F. 5, 2000, sowie Opll, Ferdinand: Zur österreichischen Stadtgeschichtsforschung. Bilanz und Perspektiven. Städteforschung, A 65. Köln- Weimar-Wien: Böhlau, 2005), p. 43 ff. 71 VILFANOV SPOMINSKI ZBORNIK intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Phänomen Stadt, mit der sie Gegenstand literarischer Betrachtung, zum Objekt des als beschreibenswen Erachteten wird, parallel zu den Konjunkturen städtischen Werdens und Seins seit dem hohen Mittelalter entwickelt. Der Stellenwert, den städtische Chroniken und Literatur, die sowohl ihrer Entstehung nach wie auch durch ihr Zielpublikum als »städtische Literatur« gelten dürfen, vor allem ab dem späten Mittelalter haben korrespondiert mit dem politischen Einfluss, welcher der städtisch-bürgerlichen Gesellschaft in der jeweiligen Epoche zukommt. Es ist daher auch nicht weiter zu verwundern, dass die Stadt ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deckungs­ gleich mit dem Aufschwung der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Weg zur politischen Partizipation, zum Gegenstand einer sich ausbildenden Stadt­ geschichtswissenschaft4 wird. Eine andere, in vielem als weitaus attraktiver empfundene Möglichkeit, sich des Phänomens »Stadt« ganz allgemein zu vergewissern, ist in den Kontext der bild­ lichen Vermittlung eingeschrieben. Dabei ist — gleichsam pauschal — darauf hin­ zuweisen, welche Bedeutung die in der Wissenschaftssprache als iconic tum be­ zeichnete Entwicklung hin zur Auswertung bildlicher Quellen gerade in den letzten Jahren erfahren hat.5 Neben dem klassischen Bild, d. h. Ansichten in Form von Zeichnungen, Fresken etc., die uns den Blick auf die ganze Stadt bzw. auf Teile und Bestandteile der Stadt eröffnen, existiert eine weitere Art von Abbildung in Form einer mehr oder minder ausgeprägten Abstraktion: Pläne und Karten,6 die im Zentrum unserer Überlegungen stehen, von denen Städteatlanten ihren eigent­ lichen Ausgang und ihre Begründung nehmen. Beweggründe für die Anfertigung von Stadtplänen gab es viele, wobei etwa anzuführen sind: - repraesentatio-, der Stadtplan als Sinnbild stadtherrlichen, dann auch bürgerlichen Selbstverständnisses und Repräsentationsstrebens; - memoria-, der Stadtplan als besonders eindringliches, gleichsam historio- graphisches Zeugnis; - Illustration und Ästhetik, der Stadtplan als schönes Ausstattungsstück, ja als Schmuckstück; Zu diesem Begriff Opll, Stadtgeschichtsforschung, p. 45 f. Imago urbis. L'immagine della cittä nella storia d'Italia. Atti del convegno internazionale, Bologna 5-7 settembre 2001 (ed. Francesca Bocchi/Rosa Smurra). Roma: Viella, 2003; Das Bild und die Wahrn ­ ehmung der Stadt und der städtischen Gesellschaft im Hanseraum im Mittelalter und in der frühen Neuzeit (ed. Roman Czaja). Toruh, 2004; Bild und Wahrnehmung der Stadt (ed. Ferdinand Opll). Linz: 2004. Vgl. Lexikon zur Geschichte der Kartographie, 1-2 (ed. Ingrid Kretschmer/Johannes Dörflinger/Franz Wawrik). Die Kartographie und ihre Randgebiete. Enzyklopädie, Bd. C/l und 2. Wien: Deuticke, 1986, hier: Bd. 2, p. 768 ff. 72 FERDINAND OPLL: EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN militärische Beweggründe-, der Stadtplan als Mittel und Ausdruck militärischer Planung; administrative Beweggründe-, der Stadtplan als Grundlage des administrativen Zu­ griffs; Stadtmarketing. der Stadtplan nicht nur als Orientierungshilfe, sondern als Mittel, Jje Stadt im Umfeld des mit Fremdenverkehr und Tourismus verbundenen Wettbewerbs zu positionieren. Es gibt also eine grosse Vielfalt an Möglichkeiten, die Stadt in den Blick zu nehmen. Unsere Überlegungen waren bisher nur insofern historisch ausgerichtet, als wir den Wandel dieser Möglichkeiten nach Technik und Darstellungsform beachtet haben. Dies ist freilich beileibe nicht alles, und unser Interesse sei im folgenden darauf gerichtet, was der Inhalt von Stadtplänen und Stadtansichten aus verschiedenen Epochen zu unserem historischen Wissen über den betreffenden platz beizutragen imstande ist. Und genau in diesem Kontext soll analysiert werden, welche Bedeutung Städteatlanten für die Stadtgeschichtsforschung zu­ kommt, vielleicht besser: zukommen könnte und sollte. Daher zunächst einige Hinweise auf die Ausbildung einer regelrechten eigenen historischen Disziplin, die neuerdings zur Verdeutlichung ihres wissenschaftlichen Anspruchs und Rangs als »Stadtgeschichtswissenschaft«7 bezeichnet worden ist. Die großen Strömungen, von denen deren Entwicklung seit dem frühen 19. Jahrhundert bestimmt war, zunächst die Ableitung von und der enge Dialog mit der Rechtsgeschichte, in weiterer Folge der von den Blickwinkeln der Ökonomie wie bald auch der Sozialgeschichte maßgeblich beeinflusste Zugang der National­ ökonomie wie dann die bis heute zu Recht als klassisch geltende Annäherung von Max Weber an das Phänomen Stadt — all das ließ in reger Wechselwirkung mit einer allgemeinen Zunahme des Grades an Urbanisierung die Stadt stärker denn je zuvor in den Brennpunkt wissenschaftlichen Interesses rücken. Während freilich im Kontext der allgemeinen Geschichte schon früh an der Verfügbarkeit der Über­ lieferung in Form wissenschaftlich-exakter Editionen gearbeitet wurde, sollten ver­ gleichbare Aktivitäten auf stadtgeschichtswissenschaftlichem Feld — mit manchen Ausnahmen, darunter den ab 1862 herausgegebenen »Chroniken der deutschen Städte« — erst im 20. Jahrhundert einsetzen. Zu nennen ist als wahres Grundlagen­ werk an hervorragender Stelle das von Erich Keyser 1939 begonnene, dann ge­ meinsam mit Heinz Stoob abgeschlossene »Deutsche Städtebuch«, das nach dem Zweiten Weltkrieg auch in und für Österreich fortgeführt wurde.8 Wie oben Anm. 4. 8 Vgl. dazu: http://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/Publikationen/Lexika/Staedtebuch.shtml (Status: 25. 6. 2007) und http://www.oeaw.ac.at/habskomm/pubhkationen/staedtebuch.html (Status: 25. 6. 2007). 73 VILFANOV SPOMINSKI ZBORNIK Die Zeit nach 1945 — geprägt von Wiederaufbau, zumal in den frühen Jahren bald von Dynamik und Optimismus wie auch vom Willen zum, auch wissen, schaftlichen, Miteinander, zu Austausch und Kooperation und einem regelrechten Streben hin zu neuen Ufern — sollte dann erst so recht die Grundlagen dafür bieten dass auch für die Stadtgeschichtsforschung eine gewisse Institutionalisierung neuen Projekten den Boden bereitete. Die Initiativen gingen in einer für die Nach­ kriegszeit durchaus kennzeichnenden Art und Weise nicht von einzelnen Ländern oder bestehenden Forschungseinrichtungen aus, die Basis wurde vielmehr zu­ nächst auf internationaler Ebene gelegt. Zugleich waren es Einzelpersönlichkeiten einzelne Forscherinnen und Forscher, die den Weg bereiteten, darunter etwa Hektor Ammann9 10 oder Edith Ennen.11’ Auf dem 10. Internationalen Historiker­ kongress in Rom 1955 war ein Innovationsschub deutlich zu registrieren. Gleich ob es um die grundsätzliche Infragestellung des Historismus oder auch den enormen steigenden Einfluss der Sozialwissenschaften ging, man stieß damals sowohl konzeptionell als auch institutionell zu neuen Ufern vor.11 In diesem fruchtbaren Klima einer Aufbruchs Stimmung war die Situation für neue Ideen, für neue Kon­ zepte, für neue Projekte günstig, man rief im Rahmen des Comité internationale des Sciences historiques eine Arbeitsgruppe für Stadtgeschichte, die heutige Commission internationale pour l'Histoire des villes (CIHV) ins Leben.12 Gerade die politische Entwicklung in Europa seit den 1950er Jahren, die mit Ereignissen wie dem ungarischen Aufstand von 1956, der Errichtung der Berliner Mauer 1961 und dem Ende des »Prager Frühlings« 1968 streiflichtartig zu benennen ist, war freilich dem hohen Ziel nicht durchwegs förderlich, galt insbesondere für ein auch in der scientific community gegebenes Pendant zum »Eisernen Vorhang«. Im Rahmen der von den Gründervätern und -müttern der Kommission ange- stellten Überlegungen einigte man sich neben den allgemeinen Zielsetzungen auf drei große, in den Mitgliederländern zu realisierende wissenschaftliche Vorhaben: die Herausgabe nationaler Städtebibliographien, die Edition der frühen stadt­ geschichtlich relevanten Quellen unter dem Titel eines »Elenchus fontium historiae urbanae« und das Projekt nationaler Städteadanten13 — all das Grundlage für die 9 1894—1967; zu seiner Vita vgl. http://www.afz.ethz.ch/handbuch/nachl/nachlaesseAmmannHektor.htm (Status: 25. 6. 2007). 10 1907—1999; vgl. zu ihr: Mitteleuropäisches Städtewesen in Mittelalter und Frühneuzeit. Edith Ennen gewidmet (ed. Wilhelm Janssen/Margret Wensky). Köln-Weimar-Wien: Böhlau, 1999. 11 Vgl. http:/ /www.dhi-roma.it/tagungsberichte.html (Status: 25. 6. 2007). 12 Vgl. Székely, György: Über die Zusammenarbeit in vergleichender Stadtgeschichte in einer geteilten Welt (http://www.historiaurbium.org/english/bollett_en.html — Status: 25. 6. 2007). — Sergij Vilfan war von 1981—1991 Präsident dieser Forschungseinrichtung. 13 Zu den Städteatlanten siehe: http://www.wien.gv.at/ma08/dt_leit.htm (Status: 25. 6. 2007). 74 FERDINAND OPLL: EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN leichende Stadtgeschichtsforschung in einem europaweiten Kontext. Die Theiten an diesen drei Projekten wurden von unterschiedlichen Einrichtungen wie cp Einzelpersönlichkeiten in den vertretenen Ländern angegangen, wobei Großbritannien und Deutschland unter den ersten waren. Maßgeblich war und ist Kommissionsarbeit des weiteren von der Behandlung eines im Zusammenhang mitden jeweiligen Internationalen Historikerkongressen beschlossenen speziellen Themas geprägt, seit 2006 werden dabei mit Blickrichtung auf den Internationalen flistorikerkongress in Amsterdam 2010 Fragen von »Stadt und Kommunikation« behandelt.14 Die CIHV ist heutzutage keineswegs die einzige internationale Organisation auf dem Felde der vergleichenden Stadtgeschichtsforschung, gar ein globalplayer, aller­ dings kommt ihr auf diesem Felde die Rolle eines Pioniers zu. Ohne jeden An­ spruch auf Vollständigkeit seien hier einige wenige Hinweise auf das ungeheuer gestiegene wissenschaftliche Interesse an städtischer Entwicklung geboten: So entstand 1985 das auf Forschung wie zugleich Lehre fokussierte »Centre for Urban Eistory« an der Universität Leicester, 1988 bildete sich in Cincinatti eine spezielle Vereinigung unter der Bezeichnung »The Urban History Association« und ein Jahr später wurde die »European Association for Urban History« ins Leben gerufen, die seit den frühen 1990er Jahren alle zwei Jahre einen großen Kongress veranstaltet und deren Vorsitz je nach dem Ort dieser Kongresse wechselt. 1994 entstand mit dem »International Seminar on Urban Form (ISUF)« eine wissenschaftliche Platt­ form für Forschungen zur und Nutzanwendung von Stadtmorphologie, wobei mit der Teilnahme von Vertretern von Architektur, Geographie, Geschichte, Sozio­ logie und Stadtplanung ein hohes Ausmaß an Interdisziplinarität gegeben ist.15 Der ebenfalls seit 1994 jährlich durchgeführte International Medieval Congress in Leeds war im Juli 2007 im übrigen dem Thema »The medieval City« gewidmet.16 — Das Spezifische an der CIHV hat sich im Lauf der fünf Dekaden ihres Bestehens gewandelt, ist in seiner Kombination aus der Patronage über auf nationaler Ebene realisierte, methodisch klar definierte Projekte zum einen und der turnusmäßig gestalteten Konzentration auf eine bestimmte Thematik zum anderen dennoch bis heute unverwechselbar. 14 Vgl. http://www.historiaurbium.org/english/congressi_en.html (Status: 25. 6. 2007) und im Hinblick auf das 2005 beschlossene Thema »Stadt und Kommunikation«: http: //www.historiaurbium.org/english/bohett_en.html (Status: 25. 6. 2007). 3 Siehe http:/ /www.le.ac.uk/ urbanhist/home/ uk_text.html , http://uha.udayton.edu/index.htm , http:/ /www.historia.su.se/ urbanhistory/eauh/ und http://odur.let.rug.nl/ ekoster/isuf2/index.html (alles: Stauts: 25. 6. 2007). Siehe: http://www.leeds.ac.uk/ims/imc/imc2007.html (Status: 25. 6. 2007). 75 VILFANOV SPOMINSKI ZBORNIK Unter den genannten nationalen Projekten kommt dem Städteatlasproje^ tatsächlich ein ganz besonderes Gewicht zu. Seine geläufige Bezeichnung als »Europäischer Städteatlas« hat in den Anfängen ein hohes Ziel beschrieben, ist in der Gegenwart dagegen zu einer Realität geworden. Im Folgenden seien Antworten auf einige wichtige Fragen zu den Städteadanten gegeben, darunter vor allem: Wie ist aus der Idee ein Projekt entstanden, wie stellt sich die Entwicklung der Vep öffentlichungen dar, was ist das Zielpublikum von Städteadanten und was können sie leisten? In gewisser Weise geht die Idee, Städte zum Objekt kartographischer odet künsderischer Darstellungen zu machen, weit zurück, doch blieb lange der zeitgebundene Blick, die Abbildung der schönen oder — ganz allgemein — in - teressanten Stadt oder auch die Verfügbarkeit eines möglichst exakten wie aktuellen Stadtplans im Zentrum der Bemühungen. Nicht ohne deutliche Interferenzen mit der Entwicklung der historischen Wissenschaften ganz allgemein fand die Re­ dexion der historischen Analyse im Kartenbild zusehends Verbreitung, wurde vor allem bei Stadtgeschichten Teil des üblichen Kanons und Repertoires. In Deutsch­ land entstanden schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erste regionale Städteadasunternehmungen, darunter vor adern der vom Braunschweiger Museumsdirektor Paul-Jonas Meier in den zwanziger Jahren ins Leben gerufene »Niedersächsische Städteadas«.17 Aber erst im Kontext der 1955 in Rom ent­ standenen CIHV kam die Idee auf, einen nach- einheidichen Grundsätzen strukturierten Städteadas für Europa zu initiieren. Solche guidelines wurden ab den frühen 1960er Jahren diskutiert, 1968 schdeßdch bei der Generalversammlung der CIHV in Oxford verabschiedet. Sie bestanden für jede in den Adas aufgenommene Stadt aus der verpflichtenden Aufnahme einer Neuzeichnung des Urkatasters, der Reproduktion des Urmesstischblattes als Umlandkarte aus der Epoche der Kata­ steraufnahme, einzelnen Beikarten und einem Textkommentar. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt halten wir bei 17 Ländern Europas, die sich an diesem Projekt beteiligt haben, insgesamt liegen bereits Bearbeitungen für 435 Städte in Europa vor. Als wichtige Promotoren für den Werdegang dieser Unter­ nehmungen zeigten sich die Gründungen verschiedener einschlägiger Instituti­ onen, darunter aus dem deutschen Sprachraum das Münsteraner Institut wie die Zusammenarbeit zwischen dem Wiener Stadt- und Landesarchiv und dem Ludwig- Boltzmann-Institut für Stadtgeschichtsforschung in Wien, oder auch die 17 Siehe http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C17462665_L20.pdf ; des weiteren Ehbrecht, Wilfried: 30 Jahre Westfalischer Städteadas. Ein regionaler historischer Städteadas im Kontext europäischer Forschung. Westfähscher Städteadas, Lieferung IX, Einleitungsfaszikel. Altenbeken: Städteadasverlag, 2006, Anm. 11. 76 FERDINAND OPLL: EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN Bindung des irischen Unternehmens in das Programm der Royal Irish Aca- Weiterhin absolut grundlegend sollten Dynamik, Elan und Einsatz­ einzelner Forscherpersönlichkeiten bleiben, die solche Unternehmen erst so recht ins Leben riefen. Reiht man die Anfänge der Atlasprojekte18 zeitlich, erlebten nach Großbritannien Adanten in Deutschland und Finnland den Start, in den achtziger Jahren in Frankreich, den Niederlanden und Österreich (alle 1982), pänetnark und Schweden (beide 1983), in Italien (1986) sowie — im selben Jahr 1986 - ifl Wand und schließlich 1988 in Island. Bis 1989 hatte es kein Städte­ atlasunternehmen für ein osteuropäisches Land gegeben, was sich mit der po­ litischen Wende dieses Jahres sehr rasch änderte: Polen (1993), die Tschechische Republik (1995), Rumänien (2000), nach der Jahrtausendwende Kroatien (2003) kamen hinzu, Belgien, die Schweiz und jüngst ein eigener Städteatlas für Hessen gehören seit 1990 gleichfalls neu dazu. Weit gediehen sind in der Zwischenzeit die Vorbereitungen für einen Ungarischen Städteatlas, der von Katalin Szende mit einem jungen, kleinen, aber äußerst initiativen Team an der Central European University in Budapest vorangetrieben wird. Nehmen wir die einzelnen Unternehmungen etwas genauer in den Blick, so zeigen sich durchaus manch unterschiedliche Herangehensweisen an das gemein­ same Ziel der Schaffung einer Atlasgrundlage für die vergleichende Stadt­ geschichtsforschung. So ist zunächst zu konstatieren, dass man dem Bemühen um möglichst detaillierte Darstellungsformen nicht nur topographischen, sondern eben auch thematisch-inhaltlichen Zuschnitts in unterschiedlicher Form Rechnung getragen hat. Seit den frühen 1970er Jahren gibt es mit dem Modell des Rheinischen Städteatlas eine Atlasserie mit regionaler Verankerung, die mittels eines äußerst umfassenden Textkommentars, der Aufnahme thematischer Karten sowie vieler Ansichten und auch Luftbilder weit über das Kernprogramm hin­ ausgeht. Vergleicht man die verschiedenen Atlasprojekte miteinander, so ist zu konstatieren, dass etwa der Irische, der Italienische, der Polnische und der Tschechische Städteadas sich gleichfalls eines umfassenderen Zugangs bei der Gestaltung der Adanten befleißigen. Im wesentlichen am Basisprogramm fest­ gehalten haben der Deutsche, der Westfälische, jüngst der Hessische und der Österreichische Städteadas, und in beiden Unternehmen nimmt die von Heinz Stoob propagierte Karte zur topographischen Siedlungsentwicklung von den 18 Vgl. Simms, Anngret — Opll, Ferdinand: Plistoric Towns Adases. Urban History through Maps. Complete list of Historie Towns Atlases. Brussels: Crédit Communal de Belgique, 1995; Id., Historische Städteatlanten: Stadtgeschichte in Karten. Siedlungsforschung. Archäologie - Geschichte - Geographie, Bd. 15. Bonn: Geographisches Institut der Universität Bonn, 1997, p. 303-325; Simms, Anngret: http://www.historiaurbium.org/english/bollett_en.html (Status: 25. 6. 2007). 77 VILFANOV SPOMINSKI ZBORNIK Anfängen bis zur Zeit des Urkatasters, die so genannte »Wachstumsphasenkatrte" (Abb. 1) einen wichtigen Platz ein. Romerstadt Aelium Cctium (2Jh.) - in spätrömischer Zeit auf den angege­ benen Umfang verkleinert und befestigt . tfülUJ.V) Judiiem Sit ř K.*UucřK»»iííaUnr (IJJS/81) Abb 1 Abbildung — http:/ / www.wien.gv.at/ ma08/ wtph.htm In den 1990er Jahren begonnene Projekte, etwa der Polnische oder der Tschechische Adas, haben einen durchaus gelungenen Mittelweg gewählt, indem thematischen Karten und Erläuterungen wie auch der Berücksichtigung vor­ handenen originalen Kartenmaterials in Form von Reproduktionen mehr Raum gewidmet wurde. 78 FERDINAND OPLL: EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN jjehr als einVierteljahrhundert, nachdem man sich in Oxford (1968) auf das ethodische Grundgerüst für die Atlasarbeiten verständigt hatte, war der Auf- des Atlasprojekts bereits an der Entwicklung der nationalen Teilnahme bzulesen. Trotz grundsätzlicher Bezugnahme auf das Oxforder Programm waren eine Reihe von Abwandlungen und Modifikationen eingetreten. Im Rahmen der CIHV wurde bei deren Generalversammlung in Trier im September 1993 eine Atlasarbeitsgruppe eingerichtet, deren Aufgabe es fortan sein sollte, sich im eziellen der Koordination der Atlasarbeiten zu widmen und auch Maßnahmen itn Hinblick auf eine Propagierung des Arbeitens mittels und mit diesen Atlanten zu setzen. Gemeinsam mit Anngret Simms vom Irischen Städteatlas darf der Referent nunmehr seit beinahe anderthalb Jahrzehnten diese Atlas Working Group führen. — Zwei Ziele waren es, die gemeinsam mit den anderen Atlasverant­ wortlichen verfolgt wurden: (1) Die Erstellung von — zunächst noch gedruckten — Bibliographien über die Städteatlanten in Europa, die ab 1996/97 auf der Homepage des Wiener Stadt- und Landesarchivs geführt und regelmäßig auf den aktuellen Stand gebracht werden. (2) Anregung zu und Organisation von Workshops und Tagungen in enger Kooperation mit den Verantwortlichen vor Ort, wie sie bislang 1995 in Münster, 1997 in Bologna, 1999 in Bordeaux, 2006 in Dublin und im Februar 2007 abermals in Münster stattfanden. Mit den Treffen der Arbeitsgruppe gelang die Schaffung einer Plattform für Diskussionen über Inhalte, Methoden und Marketing der Städteatlanten. Schon beim ersten dieser Treffen, das mit einer wissenschaftlichen Konferenz verbunden war (Münster, Mai 1995), wurde Übereinstimmung im Hinblick auf eine neue Festlegung des grundsätzlichen Atlasprogramms erzielt. Die neuen Richtlinien erhielten in Reverenz gegenüber dem Tagungsort den Titel eines »Vertrags von Münster« und zeichnen sich durch möglichst allgemein gehaltene, in drei große Punkte gegliederte Formulierungen aus: (1) Im Hinblick auf das Kartenprogramm wird vom Grundsatz her an der aus Vergleichsgründen völlig unverzichtbaren Identität der gewählten Maßstäbe festgehalten; zusätzlich soll nach Möglichkeit eine von der parzellenscharfen Karte aus vorindustrieller Zeit getrennte, aber auf dieser aufbauende Interpretationskarte zur topographischen Entwicklung der Stadt im Maßstab 1:5000 oder 1:2.500 enthalten sein, ein Punkt, der die Durchsetzung des Konzepts der Stoob’schen »Wachstumsphasenkarte« widerspiegelt. (2) Der Textkommentar wird weiterhin als unverzichtbarer Bestandteil be­ trachtet, kann allerdings sowohl nach Umfang wie auch thematischer Vielfalt variabel gehalten werden. 79 VILFANOV SPOMINSKI ZBORNIK (3)Möglich ist darüber hinaus die Aufnahme zusätzlicher Teile, etwa Repr(K duktionen weiterer historischer Stadtpläne und/oder Ansichten. Mit diesem »Vertrag« war es in überzeugender Weise gelungen, bei prinzipiellem Festhalten am eigentlichen Ziel, für die Stadtgeschichtswissenschaft eine feste Grundlage zur Verfügung zu stellen, die verschiedenen Stränge der Entwicklung welche das gesamte Projekt seit Oxford in den Atlas produzierenden Ländern genommen hatte, wieder zu bündeln. Das gemeinsame Dach war wieder her- gestellt, unter dem sich die Projekte in all ihrer Vielfalt finden konnten und können. Und dennoch — der Eindruck, alle möglichen Probleme wären gelöst, man könnte einer neuen Projektgruppe zur Publikation eines Städteatlas in einem anderen europäischen (gar außereuropäischen) Land gleichsam eine Art von Anweisung oder Leitfaden übermitteln und schon wäre die Zahl der Städteatlanten von neuem vermehrt — dieser Eindruck wäre falsch. Abgesehen von den gewaltigen finanzi­ ellen Erfordernissen zur Begründung solch eines Vorhabens, gar den Mühen, in Zeiten projektorientierter wie -finanzierter Wissenschaft ein Kernteam über eine entsprechend lange Dauer halten zu können, bleiben eine Reihe von Schwierig­ keiten weiter bestehen, für die ganz unterschiedliche oder auch bislang nur wenig befriedigende Lösungsansätze gefunden worden sind. So stellt etwa die Bear­ beitung der jeweiligen Stadtentwicklung vom Zeitpunkt des Urkatasters, zumeist dem Beginn der Industrialisierung, bis zur Gegenwart ein bis heute nicht wirklich gelöstes Problem dar; auch die Aufnahme wirklich großer Städte in die Atlasunternehmen ist — und das beileibe nicht nur aus Gründen des schieren Formats — schwierig. Das Format ist ja in doppelter Hinsicht eine wahre crux: Zum einen stoßen Städte mit großer Flächenausdehnung schon seit den mittelalterlichen Anfängen angesichts des gewählten Maßstabs für den Urkataster relativ bald an die Grenzen noch einigermaßen vernünftiger Papierformate. Zum anderen gelten aber Städteatlanten zurecht als schwer zu handhaben, gehören in jedem Fall zu den von Bibliothekaren ganz besonders wenig »geschätzten« Druckwerken. Das »Ei des Kolumbus« ist keinesfalls gefunden und auch noch nicht in Sicht — Lösungs­ versuche für die thematische Problematik gibt es etwa mit der Vorlage spezieller Atlanten, etwa dem »Historischen Atlas von Wien«, und auch bei den Formaten hat man — freilich bescheidene — Schritte in Richtung einer Verkleinerung zu setzen gesucht.19 19 Vgl. die neue Serie des Deutschen Städteatlas unter der Bezeichnung »Deutscher Historischer Städte ­ atlas«: http:/ /www.wien.gv.at/ma08/dt_dt.htm (Status: 25. 6. 2007). 80 FERDINAND OPLL: EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN Wir haben von einer »Erfolgsgeschichte« des Projekts der Städteatlanten rochen, und dies lässt sich auch an einem Faktor ablesen, der bislang nur ganz gesprochen in angesprochen wurde: der Zahl der bereits publizierten Stadtmappen. Anogret Simms hat in ihrem für die Generalversammlung der CIHV im September 2005 in Kiel Bericht über das internationale Forschungsprojekt der Städteatlanten eine Auflistung der Zahl an publizierten Stadtmappen im Vergleich zwischen den Jahren 1998 und 2005 geboten und ist auf eine Steigerung von 312 auf 398 Stadtmappen, das ist ein Plus von rund 28% binnen sieben Jahren, ekommen.20 Eine um die Jahreswende 2006/07 durchgeführte Überprüfung im Einblick auf den aktuellen Stand hat ergeben, dass aktuell insgesamt 435 Stadt- jnappen vorliegen, wobei das Ranking nach absoluten Zahlen von Deutschland angeführt wird (Abb. 2)^ Europäische Städteatlanten nach Projekten (1969-2007) - Stand: August 2007 ■ BELGIEN ■ DÄNEMARK □ DEUTSCHLAND A □ DEUTSCHLAND A1 ■ DEUTSCHLANDS □ DEUTSCHLAND C ■ DEUTSCHLAND 0 □ FINNLAND ■ FRANKREICH ■ GROSSBRITANNIEN □ IRLAND □ ITALIEN A ■ ITALIEN B ■ ISLAND ■ KROATIEN ■ NIEDERLANDE ■ÖSTERREICH ÖSTA □ ÖSTERREICH HAW □ POLEN l-lll □ POLEN IV □ RUMÄNIEN □ SCHWEDEN ■ SCHWEIZ □ TSCHECHIEN Abb. 2 Simms: http://www.historiaurbium.org/english/bollett_en.html (Status: 25. 6. 2007). Vgl. dazu künftig: Opll, Ferdinand: Die Stadt sehen. Städteatlanten und der Blick auf die Stadt Städteforschung. Köln-Weimar-Wien: Böhlau (einstweilen vgl. http://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/Veranstaltungen/feb2007.shtml-Status : 25. 6. 2007). 81 VILFANOV SPOMINSKI ZBORNIK Solch ein statistisches Bild ist freilich dazu angetan, die tatsächlichen Ver hältnisse mehr zu verschleiern als zu dokumentieren, bleibt bei den bloßen Zahlen doch die Größe und Komplexität der im einzelnen bearbeiteten Städte völlig unberücksichtigt, und auch der Umfang der einzelnen Bearbeitungen ist dergestalt nicht zu erkennen. Als mit dem Projekt der Städteatlanten seit drei Jahrzehnten aufs engste verbunden, darf ich mir an dieser Stelle gestatten, auch das persönliche Erleben und die eigene Erfahrung im Umgang mit den bei Atlanten zu bewältigenden Problemen in meine Ausführungen einzubringen:22 Im wesentlichen wirken atn österreichischen Vorhaben drei Arbeitsgruppen bzw. -teams mit: die wissen­ schaftliche Redaktion in Verbindung mit den Herausgebern, das Team von kartographisch ausgebildeten Fachleuten und die Spezialisten für die Geschichte der jeweils ausgewählten Stadt. Organisatorisch ist das in Wien durch die Einbindung der Arbeiten in eine enge Kooperation zwischen dem Wiener Stadt- und Landesarchiv und dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Stadtgeschichts­ forschung geregelt, und dazu gehört auch der regelmäßige Kontakt zu den unterschiedlichsten Forschungseinrichtungen, Universitäten ebenso wie Archiven und landeskundlichen Vereinen. Die unmittelbare Zusammenarbeit mit Karto­ graphen hat große Vorteile. Bei anderen Atlasunternehmungen wird dies ähnlich gehandhabt. Der Kooperation mit der staatlichen Vermessung oder anderen Einrichtungen dieses Bereichs kommt grundlegende Bedeutung zu, wie etwa die Zusammenarbeit des Irischen Atlasses mit dem Ordnance Survey Ireland sowie dem Ordnance Survey of Northern Ireland zeigt. Dabei hat gerade auch die Kartographie in den Jahrzehnten seit 1970 einen tief greifenden Wandel erlebt. Geradezu revolutionäre Neuerungen im Rahmen der Ablöse der Gravur von Karten auf Glasplatten hin zur EDV-gestützten digitalen Erarbeitung waren und- das sei gleich hinzu gefügt — sind auch weiter zu verzeichnen, haben einen tech­ nischen Quantensprung, zugleich eine Beschleunigung der Arbeiten möglich gemacht. Worin liegen nun die wissenschaftlichen Ziele des Projekts der Städteatlanten, worin die Probleme für die Erreichung derselben? Zunächst ist nochmals auf den Anfang der vorliegenden Ausführungen zurück zu verweisen und die Bedeutung des bildhaften Zugangs zum Lebensraum Stadt, der Verbildlichung städtischer Entwicklung im historischen Zugriff hervorzustreichen. Ebenso ist zu betonen, dass mit den Rahmenkonzepten für den Atlas, wie sie 1968 in Oxford und 1995 in Münster diskutiert und verabschiedet wurden, eine zuvor nicht gegebene Basis für 22 Vgl. Opll, Ferdinand: Der Österreichische Städteatlas. Ein Werkstattbericht. Nordost-Archiv. 22/97, Hamburg: IKGN, 1989, p. 305—316. 82 FERDINAND OPLL: EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN den Vergleich geschaffen worden ist. Und es sind diese guidelines, die zugleich eine Abgrenzung zu so manchen anderen Publikationen gleichen oder ähnlichen Titels rdeutlichen, Publikationen, die gleichfalls Karten als maßgebliche Quellen für die Erforschung städtischer Geschichte im Blick haben, denen aber der gleichmäßige, kanonhaft bestimmte Rahmen mit Einhaltung vorgegebener Maßstäbe fehlt.23 Zu all dem kommt höchst vorteilhaft hinzu, dass man mit Karten ein Medium hat, das ungldch weniger von sprachlichen Voraussetzungen abhängt und damit viel einfacher gleichsam translingual verwendet werden kann als dies für Texte gilt, ßines der zugegebenermaßen niemals sehr konkret formulierten Ziele, nämlich die Schaffung einer entsprechenden Zahl an Städteadanten quer über Europa — Hektor Ammann meinte Jahrzehnten, man müsse etwa 400 Städtemappen publizieren, um eine entsprechende Grundlage zu haben24 —, dieses Ziel wurde bereits erreicht. Ein Streben nach Vollständigkeit — so hehr man solch ein Ziel auch empfinden mag - wird freilich kaum je realistisch und wohl auch nicht sinnvoll sein. Überzeugungsarbeit im Hinblick auf den Start neuer Städteatlasunter- nehmungen in weiteren Ländern ist zum einen mit der Vorlage neuer Exempla, zum anderen mittels der Kommunikation innerhalb des Netzwerks der scientific community möglich. Dabei hat die Einrichtung der Atlas Working Group innerhalb der Internationalen Kommission für Städtegeschichte durchaus Früchte getragen. Finanzielle und organisatorische Vorbedingungen sind auf einer transnationalen Ebene allerdings nicht zu schaffen, sie sind vielmehr das Ergebnis eines unglaub­ lichen Einsatzes und bewundernswerter Initiativkraft im Rahmen der einzelnen Atlasprojekte. Abgesehen von der erforderlichen finanziellen wie organisatorischen Basis gibt es eine ganze Reihe von »objektiven« Problemen, die eine Realisierung von Städteadanten erschweren, und dabei ist — abermals — die Frage des Formats, zum anderen — mit der Formatfrage eng verbunden — die Bearbeitung großer Städte, ja von Metropolen bei Beachtung des Rahmenprogramms mit den vor­ gegebenen Kartenmaßstäben zu nennen. Einen maßgeblichen Faktor für die Ziele des Projekts und deren Erreichung bildet die Reflexion betreffs des Zielpublikums. Dabei lässt das Ringen um das Festhalten an bestimmten Grundsätzen wie die damit durchaus gegebene Rigo­ rosität des an wissenschaftlichen Überlegungen orientierten Programms erkennen, dass bei den Planungen stets das wissenschaftliche Publikum, die Schaffung einer Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten, im Zentrum stand. Über die Jahre 23 Vgl. Atlas histórico de ciudades europeas: Peninsula Ibérica (ed. Manuel Guärdia/Francisco Javier Monclús/José Luis Oyón). Barcelona: Centre de Cultura Contemporänia de Barcelona, 1994; Atlas historique de villes européennes: Atlas historiqe des villes de France (ed. Jean-Luc Pinol). Barcelona: Centre de Cultura Contemporänia de Barcelona, 1996). Vgl. dazu Ehbrecht: 30 Jahre Westfälischer Städteatlas, Anm. 7. 83 VILFANOV SPOMINSKI ZBORNIK hinweg und durch vielfache Erfahrungen bestätigt hat sich jedoch gezeigt, dass der Wissenschaftsbegriff weit mehr umschließt als Stadtgeschichtswissenschaft, Städte­ atlanten vielmehr wegen ihres stark editorisch-dokumentarischen Charakters ge- rade auch von Archäologie, Denkmalpflege, Stadtplanung und für die Wissens­ vermittlung hoch geschätzt und herangezogen werden. Und schließlich sprechen Städteatlanten weit über das wissenschaftliche oder auch professionell interessierte Publikum hinaus in ganz besonderer Weise die Öffentlichkeit in der jeweils behandelten Stadt selbst an, und damit sind nicht nur die Sammler gemeint. In diesen für den Gesamterfolg des Projekts keineswegs unwichtigen Bereich ist weiter zu investieren, und dies sehr viel weniger aus geschäftlichem Interesse als vielmehr im Bewusstsein einer generellen Verpflichtung zur Dienstleistung von Wissenschaft für die und an der Gesellschaft. Was kann in Zukunft getan werden, was ist in Hinkunft möglich und zu erwarten? Im Bewusstsein der Schwierigkeit aller Vorhersagen seien hier doch einige wenige Prognosen gewagt: Zunächst ist angesichts der Entwicklung der neu erscheinenden Städtemappen innerhalb der letzten Dekade mit einiger Gewissheit davon auszugehen, dass das Projekt durchaus Zukunft hat. Bei den vorliegenden Atlasunternehmungen ist mit deren Fortsetzung zu rechnen, wobei sich Schwerpunkte an den Neuerscheinungen der letzten Jahre gut ablesen lassen. Der Start neuer Projekte ist dagegen ungleich weniger gewiss, allerdings geben neue Initiativen — etwa für Ungarn — Anlass zu vorsichtig positiven Erwartungen. Die Fortsetzung und Ausweitung einschlägiger Unternehmungen bildet allerdings nur die eine Seite der Möglichkeiten für weiteren Erfolg. Ungleich wichtiger scheint es, den Weg einer Propagierung des Arbeitens mit Städteatlanten weiter zu be­ schreiten, um auf diesem Weg das Zielpublikum in all seiner Vielfalt noch besser und effizienter zu erreichen. Bei allen Schwierigkeiten der Umsetzung, die sehr massiv aus den permanenten technischen Veränderungen resultieren, darf man wohl davon ausgehen, dass der Schritt der Städteatlasunternehmen in die Welt einer digitalen Verfügbarkeit der Produkte der aussichtsreichste und zukunfts­ trächtigste sein dürfte. Im Idealfall: Sämtliche vorhandenen und zukünftigen Städteatlanten in CD-ROM- bzw. DVD-Versionen mit Vorkehrung für interaktive Zugänge zu den reichen, in ihnen enthaltenen Informationen und mit der Möglichkeit des maßstabsgetreuen Vergleichs zwischen Stadtplänen — dies wäre ein höchst erstrebenswertes Ziel. Am besten — um den Gedanken des Ideals bis zu seinem Ende auszuspinnen — wäre es freilich, überhaupt sämtliche Adanten über eine allgemein zugängliche Website abrufen zu können. Dergestalt wäre nicht nur die Verfügbarkeit der Adanten unabhängig von der hinderlichen Formatfrage sehr viel einfacher zu gewährleisten. Auf diesem Wege ließe sich auch sehr viel eher das im analogen Medium so schwierige Problem der Bearbeitung wirklich großer 84 FERDINAND OPLL: EUROPÄISCHE STÄDTEATLANTEN gtädte/Metropolen lösen. — Den Weg, Städteadanten in digitaler Form zu ver­ öffentlichen, ist bislang vor allem das italienische Unternehmen mit dem 1999 p ublizierten Fallbeispiel Bologna25 gegangen. In Österreich wird derzeit an einer entsprechenden Veröffentlichung für Lienz gearbeitet. Die gedruckte Stadtmappe dieser Osttiroler Stadt ist bereits 2004 im Rahmen der 8. Lieferung des Öster­ reichischen Städteadas erschienen.26 Für die Digitalversion ist geplant, die für die Wachstumsphasenkarte verwendeten Zeitstufen sowie auch die Zusatzinfor­ mationen, wie Texte, Bildmaterial, Pläne, Literatur etc., getrennt abrufbar zu machen. Für dieses Projekt arbeitet das österreichische Atlas-Team mit der Stadt­ verwaltung von Lienz wie auch einem Lienzer Vermessungsbüro eng zusammen. Jedenfalls zeigen sich bereits anhand dieses einen Beispiels, das zudem work in progress ist, die Komplexität des Unterfangens und der damit verbundene Aufwand sehr deutlich. Und dennoch oder — vielleicht gerade deshalb: Das Projekt eines europäischen Städteatlas, wie es in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ange­ dacht, im Jahrzehnt darauf realiter initiiert und angegangen wurde und seither eine äußerst erfreuliche Entwicklung genommen hat, hat uns einen neuen Blick auf die Stadt aufgetan, hat uns gelehrt, die Stadt — wie sie für so viele Menschen der natürliche Lebensraum ist — in ihrem Werden und Sein besser zu begreifen. SUMMARY EUROPEAN TOWNS ATLASES A Contribution to Four Decades of Urban Historical Research in Europe Starting with some basic deliberations about the importance of towns and urban life's sphere the paper is focused on the ample representation of towns (town-views and town-plans). A sketch of the organisational and institutional frame-work for the development of the respective research, i.e. urban historical science, for the last Century is being given. With respect to this the »International Commission for the History of Towns« founded at the International Historical Congress in Rome, 1955, which was under the presidency of Sergij Vilfan during the 1980's, is taking centre stage. The Commission with its big research-projects, especially the Towns Atlases meanwhile being published in 17 European countries, has contributed essentially in forming a decisive basis for respective research-activities. This is not only true with 25 Atlante storico multimediale di Bologna: La storia, i luoghi, le persone, Cronologia e bibliografia, I-II. Bologna: Gratis Edizioni, 1999. Pizzinini, Meinrad: Lienz. Österreichischer Städteatlas, Lief. 8. Wien: Österreichischer Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung, Wiener Stadt- und Landesarchiv, 2004. 85 VILFANOV SPOMINSKI ZBORNIK regard to the actual »spatial turn« of cultural Sciences. The function of Towns Atlases is much wider, in some respect they can be characterised as proper editions for urban research-work, and even far beyond historical disciplines. The advancement of this Atlas-project from the late 1960’s onwards, from the mere idea to its manifold realisation, is being illustrated, and it is by no meatis exaggerated to speak about a real history of success. At the moment Towns Atlases for no less than 435 European towns are already published — on the whole a propej and plan-based editorial fundament for comparative analyses and studies. The possibilities to make use of the Adases are another focus of the presentation, in the end culminating in some cautious forecasts to the future development. Sergij Vilfan na mednarodnem kongresu v Spoletu leta 1982 (vprivatni lasti) 86