e?^4^^s^ Reise WH Nori-Brasilien im Jahre 1859. Won Dr. Ködert Ave-Mlleunrnt. Zweiter Theil, F. A. Brockhaus. 1 8 « o. Inhalt. Am Amazonenstrom. Erstes Kapitel. Abfahrt von Peruambuco. ^ Die Küste von dort bis Parä. — Parahyba bo Norte. — Rio-Grande do Nortc. - Ccara. — Maranhäo. — Das Leuchtfeuer vou Salinas............... 3 Zweites Kapitel. Ankunft iu Para. — Stadt nnb Uingegenb. — Das Pfiugstfest iu Caineta am Tocautius. -^ Rückkehr nach Para........... 24 Dritteö Kapitel. Der Amazoucustrom bis zur Mmidimg des Rio-Negro.,— An-tuuft in Manaoö ....................<.................. 67 Viertes Kapitel. Mankos ani Rio-Negro und Aufenthalt daselbst. — Lebenszustände der Indianer am Rio-Negro..................,...... 121 Fünftes Kapitel. Der Solimöens. — Fahrt bis Tabatinga an der Grenze vou Peru. — Coary. — Teffr. — Fonteboa. — Touantins. — VI Das Fort von S.-Antonio am Nio-Ica. — S.-Paulo oder Olivcn^a. — Antuet in Tabatinga....................... 203 Sechstes Kapitel. Tabatinga nnd die peruanische Grenze. — Handel daselbst. — Nüäkehr über S.-Paulo und Tefsc nach Mauaos............. 22^ Siebentes Kapitel. Rückkehr von Mauäos uach Parä und Pernambuco. — Irrfahrt znm Rio-da-Madeira. — Serpa. — Noch einmal Parä. — Colouie daselbst. — Die Zwischenhäfen. — Ankunft in Per-nambnco............................................. 253 Achtes Kapitel. Vetzter Aufenthalt in Peruambuco. — Rückkehr des'Berfasfcrs auf dem englischen Dampfboot Tyne über St.-Viucent und Lissabon nach England und über den Continent uach Viibcck.......... 313 Nachwort................................................ 344 Am Ama)onen5trom. Ave-Lallemant, Äcord-Vrafilic». If. ErNcs Kapitel. Abfahrt von Peruambuco. -^ Die Küste von dovt bis Para. — Pa-rahyba do Nrvtc. — Rio-Grande do Norte. — Eeara. — Ma-ranhao. — Das Leuchtfeuer von Salinas. ,^aum einige Stunden bedürfte ich in Peruambueo, um einzelne Angelegenheiten, meine weitere Reise betreffend, anzuordnen, in der Hoffnung, daß ich am Ende derselben noch einmal mehrere Tage dort verweilen würde. Am 31. Mai, nachmittags 5 Uhr, sollte der Oyapock, mit dem ich von Maecio nach Pcrnambuco zurückgekehrt war, seine fernere Reise nach Parä über die Nordhäfen fortsetzen, und ich machte mich bereit, wieder an Bord zu gehen. Das gab aber einige Schwierigkeiten. Die volle Springflut eines Wintermonats mit bedeutendem Ostwiud trieb gewaltige Wogen gegen das Recife des Hafens an. Haushoch spritzte der weiße Schaum am Felsendamm in die Höhe, und ungehindert rollten die höhern Wellen darüber hin in den Hafen -hinein. Das verursachte allerlei Anstoß im Hafen. Anch der Oyapock hatte einige Schwierigkeit gehabt. Ihm war selbst ein Ballastvoot mit Kohlen untergegangen, da er sehr dielet beim Lcuchtthurm liegen geblieben war. Viel trau- 1* 4 rigcr war ein anderes Unglück. Der Kapitän eines der außerhalb des Hafens im offenen Meere auf dcm sogenannten Lameiräo ankernden Schiffe wollte an Bord gehen, schlug bcim Verlassen deS Hafens inn nnd ertrank mit zwei Äla-trosen und einem Passagier. Eo kamen denn die Passagiere des Ovapock, wie dicht er auch am Ufer lag, nicht ohne einige Noth an Bord. Der heftige Wellenschlag und besonders die bedeutende Strömung des die Umgegend von Pernambneo überschwemmenden Ne-genwassers gefährdete und hinderte die heranrudcruden Voote; und wirklich hatte auch mein Bootsmann beim Anlegen au deu Ovapock die (Gefälligkeit, mir einen Manteli'ack mit Wäsche in das Wasser zu werfen, deu er jedoch wieder auf-fisclite. Nach 5' Uhr war unsere Reisegesellschaft mit mehr oder minder bedeutender Havarie au Bord gekommen, und der prächtige Dampfer machte sich los. So heftig aber war die Strömung in die See hinaus, daß sich das lauge Fahrzeug nicht umwenden konnte, sondern rückwärts bis nördlich vom Leuchtthurm trieb und dann, keine ^?<) Fuß vou der berüchtigte« Klippe Tartaruga entfernt, geradeaus das Weite suckle. Mächtig bäumte sich das Dampfroß der Meere — dcuu so erschien mir wirklich in dem Augenblick uuser Schiff — auf gegen die Wellen. Mit einiger Mühe giug unser ^ootse vom Vord, uud bald lagen die Brandungen, das malerisch schone Pernambuco nnd Olinde, einst die Königin jeuer Gewässer, jetzt ciu Name olmc Bedeutung, weit hinter nns, und nur ein noch weit in den Abend nnd in die Ferne hinaus-blinkendes Drehfener erinnerte nns daran, daß wir einen bedeutenden Hafen verlasseu hatten. Von Pernambueo nördlich beginnt ein neuer Abschnitt des brasilianischen Kaiserreichs. Peruämbueo und Olinde bilden den östlichsten Punkt des südamerikanischen Continents, 5 dm Punkt, in welchem der Süowesten am weitesten nach dem Nordosten, nach Europa und dessen Scgensspendungen die Hand ausstreckt. Aber ganz verschieden sind diese Segens-svcnduna.cn nach Norden und Süden von diesem merkwürdigen Promontonum ausgegangen. Von jeher suchte Europa den kühlern Süden der weiten Küste und baute schnell ein .Vultnrmonnmcnt nach dem andern ans von Oliude bis zu den Gestaden des Rio-dc-la-Plcita, jeue Monumente, deren hoben Werth, deren gewissenhafte Pflege die dort wohnenden und in einer von Europa politisch unabhängigen Lage und Versassung lebenden Völkerstämme noch immer nicht sorgsam anerkennen und weiter entwickeln wollen. Wenn aber dennoch von Olinde nach dem Süden zu ein unverkennbarer Europäismus vorherrscht und wenigstens dem offenen Bekenntniß nach allsgesprochen wird, ist die Entwickelung von Pernambuco nach Norden und Nordwesten hin eine ziemlich verschiedene geworden und geblieben. Der heißere, ungesundere Norowesten hielt, wie anziehend und gcwinnver-sprechend auch die dortigen Distriete waren, dennoch die europäischen Normannen der damaligen Zeit, Spanier, Portugiesen und Holländer, fern, und kaum zeigte sich in einzelnen Punkten irgendeine kräftige Entwickelung nach nordischen Normen. Man hätte nun erwarten sollen, daß das von Europa ausgehende und längs der Südknste sich entwickelnde Leben rückwirkend auf den Norden von Brasilien, auf die vom Cap Roqne nordwestlich liegenden Distritte bedeutenden Einfluß gehabt hätte. Manchen Einfluß allerdings, sehr bedeutenden aber eigentlich nicht! Bevor die Kraft des Dampfes Strömungen uud Gegenwinden auf weiten Meeren Trotz bot, litt jener Norden Brasiliens unter einem höchst eigenthümlichen Verhältniß der physischen Geographie, dessen nachtheiliger Einfluß zwar nicht 6 gehoben werden kann, aber dennoch dnrch regen Dampfschiffsverkehr vermindert worden ist nnd inimermehr vermindert werden wird. Die gewaltige oceanische Masse, die sich im Meerbusen von Gninea dnrch den Insammensiuß dortiger vom Süden nnd Norden kommender Strömungen anhänft, folgt nicht mit gleicher Schnelligkeit dem Aeqnatorialnmschwnng der Erde, sondern wälzt sich in voller Menge nach Westen. Hier wird sie von den ersten Vorposten des südamerikanischen Continents, dem Panlsfelsen, der Insel Fernando de Noronha nnd den stachen Klippen der Roecas gespalten nnd einestheils zn einer Nordwestrichtnng gezwungen, andererseits nach Südwesten nnd Süden abgelenkt; erstere ist die heftigere, gleichmäßigere, letztere die weniger starke nnd selbst manchen Mo-diftcanonen unterworfene Strömnng. Die Strömnng von Pernambnco nach dem Süden variirt je nach Lokalitätsverhältnisseu nnd Witterungszuständcn zwischen 46 bis 24 englischen Meilen in 24 Stnnden. Das war gerade das Verhältniß, was auf den verschiedenen Schiffen, mit denen ich in jenen Gewässern gefahren bin, beobachtet ward. Reisen mit Segelschiffen, selbst mit guten, von Rio nordwärts längs der Küste können, wenn nicht ausgezeichnete Windverhältnisse vorherrschen, deswegen recht lange dauern. Denselben Weg, den ich im April 1859 mit dem trefflichen Dampfschiff Cruzeiro do Snl von Rio nach Bahia in 69 Stnnden machte, habe ich im Januar und Februar 1855 auf dem gnten Segler Galathce, einer französischen Corvette, in 18 Tagen znrückgelegt. Wir verloren nördlich von den Abrolhos in 24 Stunden 44 englische Meilen dnrch die Nordsüdströmung. Und doch hatten wir nicht gerade Windstillen, wenn auch eben keine günstigen Winde. In den sogenannten Wintermonaten des Südens, wo anch der Südostpassat weiter nach dem Norden greift, wird 7 — so sagen die längs der Küste segelnden Schiffer — diese Strömung rückläufig, denn der Wind drücke dic Wasscrmassen nach dcm Norden. Und allerdings scheint das richtig zu sein, daß die große Spaltung der ostwcstlichen atlantischen Aequatorialsirömnng viel weiter südlich vor sich geht, als ich oben angegeben habe. Fast möchte man sagen, die Sonne zöge, je nachvem sie mehr nördlich oder südlich stände, das ganze Verhältniß der mtertropicalen atlantischen Winde und Strömungen nach sich. Im südlichen Winter greifen die Südostpassate weiter nach dem Norden und über den Aequa-tor hinaus als im Sommer. Und so strömt auch schon tiefer aus dem Südosten das oceanische Wasser von Afrika nach Südamerika hinüber, wird schon südlich von Pernam-buco, ja bedingungsweise wol selbst südlich von Bahia, aufgefangen und in großer Menge nördlich, ja selbst nordöstlich geleitet, um dann nordwestlich abzufließen. So entsteht allerdings eine modifu'irte, von Bahia nach Norden strebende Rückströmung, welche jedoch gewiß nur sehr relativ von oen Südwinden abhängig ist, wohl aber, wie cs mir scheint, nut dem Vorherrschen jener Südwinde aus einer QneUe stießt, aus großen solarischen Anziehungen nach dem Norden Einwärts, ebenso wie sich das ganze Verhältniß im Südfommer bedeutend nach dem Süden hinziebt. Reichlicher strömt dann Luft und Meer gen Süoen. Bedeutender und regelmäßiger als jene Strömung ist nnn die vom Cap Noque nach Nordwesten eilende. Sie ist nur uuter guten, günstigen Bedinguugen mit Segelschiffen zu besiegen , sodaß von jeher die dortigen Küsten wenig aufgesucht wurden und erst neuerdings durch eine regelmäßige Dampfschiffahrt in genauern Verkehr nut den europäisirten Küsten von Brasilien gezogen sind, erst nenevdings auf das engste mit ihnen zusammenhängen. So glaube ich recht zu kaben, wenn ich sagte, daß mit 8 dem Verlassen vom Haftn von Pernambuco für nns cin umer Abschnitt des brasilianischen Küstengebiets beginnt, als, dessen Grenzmarke in der Regel das Cap Noque genannt wird, cin Grenzstein, zn dem ich viel eher das Recife von Pernambuco auswählen möchte, oder das anch historisch so classische Olinde, Mit halber Kraft lief nnscr Oyapock die Nacht hindurch. Umer trübem Nebelregen grante der 1. Juni hervor aus Wolken und Meer, als wir uns an einer Flußmündung zwischen ganz stachen Ufern befanden, an deren Südseite ein kleines, gnt angebrachtes, aber schlecht erhaltenes Fort liegt, etwa 24 deutsche Meilen von Pernambuco nördlich zn Westen. Es war die Mündung des Nio-do-Parahyba do Norte, eines unbedeutenden Flusses, der einer kleinen Provinz den Namen gegeben hat — do Nortc genannt, nm den Flnß von dem gleichnamigen südlichen zn unterscheiden, der nördlich vom (5ap Fno sich ins Meer ergießt. In westlicher nnd südwestlicher Richtung fuhr der Oyapock den Fluß hinauf zwischen Iunglenfern, welche kanm hler und da einen festen Pnnkt mit einer kleinen Anpflanzung zeigen. Alles ist Mangle, Salzwasser und enge Flußverbindungen untereinander. So ging der Oyapock .'! Legnas, nnd warf mitten anf dem salzigen Fluß, der bis hierher nnd noch wei-ier hinauf als eine Meeresbucht augesehen werden muß, seinen Anker, während die Flut ablief und bald graue, ekelhaft stinkende Schlammflachcn bis in die Nähe, des Dampfers bloßlcgte. Von der Stadt Parahyba do Norte war absolnt nichts zu sehen; ja kein Hans, kein Anban war zu erkcnucn zwischen dem dichten Iuuglegebüsch, in welchem nnr Tausende von Taschenkrebscn umherliefen. Einige Canots kamen aus einzelnen Armen des Flusses zu unserm Dampfboot herangerudert. Aber ein arger Regen, der nnr anf Minuten nachließ, hinderte allgemein an der Fahrt nach der eine halbe 8 Legua vom Schiffe entfernt hinter den Büschen liegenden Stadt, und das llm so mehr, da der Oyapock schon nach wenigen Stunden seine Reise fortsetzen sollte, um mit guten Flntverhältnissen wieder die offeile See erreichen zu köunen. Noch hatte ich keine Provinzialhauptstadt mit so iusiftider Umgegcud gesehen; sowol vom Bord aus wie am Bord selbst kam mir innuer lebhafter die Neberzeugung, daß Europa von hier etwas ferner läge. Unsere Reisegesellschaft war nicht eben sehr erbaulich, nud eine unverkennbare Ungeschliffeu-heit lag auf den meisten der Mitreisenden. So brachten wir einen abgeschmackten Tag, wie ich noch keinen auf meiner Reise erlebt hatte, zwischen den Iungleusern und Morästen von Parabyba do Norte zu, uud am meisten tröstete uud freute mich das, daß unser Aufenthalt dort nur momentan wär. Wirklich fuhreu wir schon um 5 Uhr vou unserm urzuständlichen Ankerplatz fort. Das Wetter war viel besser und selbst klar geworden. Hinter den grünen Mauglegebüschen sahen wir die Stadt Parahyba do Norte auf einem Hügel hervorragen, die mit einigen Kirchen und hübschen Gcbäu-deu eine gute Wirkung hervorbrachte. Dann gingen wir den stillen Flusi hiunuter, auf welchem wir einige Schiffe aukerud antrafen, und uäherten uus so seiner Mündung. Tief in dichtem Palmcuhain versteckt, recht eigentlich ein indisches Idyll, liegt unmittelbar vor der Festung der Ort Cabedello mit einer kleinen, ärmlichen Kirche; eine Menge Volks, namentlich Wäscherinnen nnd halbnackte Kinder liefen mit den Taschenkrebseu um die Wette am Ufer umher. Mit eiuem riesigen Baume, der den Habitus eines wilden Feigen-banms an sich trägt, endigt das hübsche, umschattete Tropenbild, was wirklich an liebliche Schilderungen aus Paul uud Virgimc erinnert. Das Fort selbst ist eingefallen, ein rechtes Jammerbild, 10 dessen, ehemalige Bedeutung und Stärke unverkennbar ist. Dann ging es aus die stille See hinaus; denn in jenen Gegenden scheint alles still und friedlich zu sein. Bei der dort ankernden rothen Tonne an der eigentlichen Barre des Flusses gingen wir im Nordostconrs und mit halber Kraft seewärts, um erst am nächsten Morgen das nahe Porto do Natal, die Hauptstadt der Provinz Rio-Grande do Norte zn erreichen. Schon um 9 Uhr abends sahen wir ein festes, klares Licht westlich; doch liefen wir die ganze Nacht nördlich; nnd als am 2. Juni der Tag graute, waren wir dicht beim Cap S.-Roque. Wir kehrten demnach wieder um und durchschnitten eine hellgrüne See, welche westlich von monotoner Sandküste begrenzt war. Um halb 8 Uhr kamen wir zur Barre des Rio-Grande do Norte. Ein kanm aus dem Wasser heransragendes Recife schützt hier das Ufer vor den Wellen des Oceans und gewährt Schiffen von mittlerm Kaliber eine freie Ginfahrt. Auf dem Riff selbst liegt das Fort der Heiligen drei Könige, klein, aber in gutem Zustande. Hinter wüsten Sanddünen ragte die kleine Stadt hervor unter einigen schlanken Palmen und von hübschem Ansehen aus der Ferne. Ginlaufen konnte der Oyapock nicht. Gin Boot trug die Post ans Land und hatte Mühe den stark auslaufenden Fluß hinaufzukommen, dessen Hauptmündung durch eiu zweites, dem Ufer näheres Riff ziemlich enge wird. Unser Dampfer aber schwankte einsam hin und her, in der Flut bedeutend nördlich treibend, bis ihm eine Gesellschaft kam. Der Dampfer Parana zeigte sich im Norden und gelangte bald bis zu nns herab; schnaubend spielten die beiden Schiffe umeinander herum. Ein Kanonenschuß und bald ein zweiter suchte unser Boot wieder herauszurufen zur Abreise, allein lange vergeblich, bis es denn endlich um Mittag aus dem Riff hervor- 11 kam, sodaß wir uns wieder in Bewegung fetzen fonnten, nachdem wir noch dicht unter oem Spiegel des Parana durchgegangen waren, um ihm Depeschen nach Rio mitzugeben. Beim Herablassen und Bemannen des Boots, welches diese Depeschen trug, fiel ein Matrose ins Wasser, ward aber augenblicklich wieder hervorgezogen, und wir gingen unsern Marsch Nord zu West weiter. Eigenthümlich hellgrün, ja fast milchfarben war das Meer, soweit malt sehen konnte, und kaum in einzelnen größern Partien bewegt. Dicht bei einer trenzenden Brigg zogeu wir vorbei und längs einer öden Küste von Sandhügeln, deren unbedeutende Vegetation fast an Afrika erinnerte. An einzelnen Stellen ist oer Sand von einer rothen Lehmwano wie von eiuem Bollwerk getragen; selten zeigt sich ein kleines Palmetmn von Kokos und läßt anf eine kleine Ansiedelung schließen. Hier zeigte mir der Kapitän einen etwas höhern Punkt, oben mit dichterm Gebüsch bedeckt, unten mit einem Eandhügel weiter ins Meer hineinragend, das eigentliche Cap Roque, ganz uuscheinbar, ja unkenntlich; denn die Küste streicht noch in derselben Richtnng, Form uud Verfassung wie vorher nach Norden fort, immer das öde Sanddünenbild wiederholend. Hinter einer besonders öden Sandspitze findet sich eine kleine Bncht nut wunderhübschem Kokoswald, unter diesem ein einsames Städtchen Toiros oder Touros mit schneeweißer Kirche, die man weit hinaus im Meere erblickt. Dann lief der Oyapock nach Nordnordwcst, und die plötzlich uach Westen abfallende Küste entschwand unsern Augen. Eine rnhige Fahrt durch die laue Nacht folgte. Die gleichmäßige Meeresströmung nach Nordwesten begünstigte uusern Lauf. Kein Land war in Sicht, als der ,'>. Juni heranftagte. Der Dampfer lief Westnordwest auf ruhiger, blauer See, welche von einem frischen Südwestwind leise bewegt war. Dieser Südwestwind um Cap Roque derum ist ein höchst 12 bemerkenswenhes Phänomen. Während auf offener See die Passatwinde aus Nordost und Südost je nach Zeit nud Um-standen sich um die Mceresherrschaft streiten und dcn Schiffen, die in ungeschickter Weise den Aequawr über ZO Grad westlich von Greenwich schnitten und dann noch von der Meeresströmung gegen Nordwest getrieben wurden, cs fast unmöglich zu machen drohen, auf kurzem Wege das Cap Roque zu umsegeln, kommt diesen Schiffen, wenn sie vor dcn Augeu der Kritik mit ihrem Logbuch etwas ins Gedränge gerathen, manchmal im schlimmsten Moment ein dienstfertiger Südwestwiud zu Hülfe, und es gelingt ihneu dann, wol, in kurzer Zeit so viel Länge östlich zu segeln, daß sie noch geschickt zwischen den Roecas und Fernando de Noronha hin-durchschlüpfen und den Süden gewinnen können. In seinen Segelittstrnttiouen macht Maurv, der unverwüstliche Amerikaner, ans diese Windesverfassung dicht au der Küste aufmerksam und zwar mit vollen, Recht. Doch sollten Schiffe, die vom Nordosten kommen und in passender Länge den Aequator schneiden können, es uie auf diese Nothhülfe in kritischem Moment ankommen lassen, ^umal in den Sommermonaten des Nordens nicht, wo die Etrömuug nach Nordwest und der Südostpassat weiter nach Norden greifen, als das in den Wiutcrmouateu der nördlichen Hemisphäre der Fall zn sein pflegt. Um 7 Uhr morgens tauchte wieder Land auf, die Spitze von Matacri oder Cascavcl, nordwestlich vom Hafen Araeaw, an welche sich wieder ein gelbes Sandufer anlehnt.. Auf einem kleinen Vorsprunge steht hier ein niedriger Leuchtthurm, welcher das südöstliche Ende des als Bucht kaum anzuerkennenden Ufers oder Hafens von Ceara kenuzeichnet. Um ein großes Lager von reinem Sand lief hier der Ovapock herum und ging vor dem ganz offen am Meere auf fester Sanddüne gelegenen (5eara, der Hauptstadt in der Provinz 13 gleichen Namens, vor Anker neben zwei englischen Bark-schiffen. Einen wirklich hübschen Anblick gewährt Ceara vom Meere aus. Seinen Mittelpunkt bildet ein sehr stattliches Fort, weswegen der Ort anch früher vorzugsweise Villa do Forte genannt ward. Dicht daneben paradirt eine ganz neue weiße Stadtkirche, und ans der andern Seite ein neues, noch nicht ganz fertiges Hospital, von dem die eine Halste zn einem Lycenm benntzt werden soll. Ganz am Ende findet sich noch eine Eadca, ein Znchthaus. Neben und über den Häusern ragen Kokospalmen in Menge empor. Aber in noch größerer Menge häuft sich der Sand überall an. Ohne daß man bisher einen rechten Grnnd angeben konnte, woher dieser Sand käme, wächst er an allen Stellen, besonders vom südöstlichen Ende der Bucht, fast zusehends ans dem Meere anf, sodaß man nicht sowol an eine Anspülung, als vielmehr an eine Hebnng der Küste denken möchte, auf jeden Fall aber ein Bild ans dem südlichen Rio-Grande erlebt. Da durch dieses Heranwachsen von Sand die wichtigsten Interessen der Stadt nnd mit ihr der ganzen Provinz gefährdet werden, so hat man zur Begutachtung und respeetiven Abhülfe einen tüchtigen jungen Ingenieur, P. Verthot, kommen lassen, welcher selbst nach genauerer Untersuchung der Umstände mancherlei Zweifel über Abhülfe hegte. Doch scheint mir die Gefahr nicht gar so groß zu sein, denn in der That ist von einem Hafen von Ceara gar nicht die Rede, sondern nur von einer ganz offenen Bucht, die nicht einmal so geschützt ist wie die von Maceio, aber freilich in einer Gegend liegt, wo Stürme.selten nnd schlimmer Seegang fast unbekannt ist. Eine gewisse Aehnlichkeit der Lage und selbst der Städte ist zwischen Maccio und Eeara unverkennbar. Eine Menge von Iangadas umzog bald nnser Schiff nnd 14 tanzte mit wunderbarer Leichtigkeit an demselben auf und ab. Auf einer derselben kamen verschiedene brasilianische Gelehrte, die Theilnchmer an jener mit glänzenden Mitteln ausgerüsteten brasilianischen Erpedition, um ihren Genossen, den l>i-. Capanema zu begrüßen. Zu sechs Menschen außer den beiden Iangadeiros fuhreu wir, auf einer kleinen Erhöhung in der Mitte stehend und uns alle festhaltend an einem Stock anf dem Floß, mit solcher Iangada ans Land, anfangs alle etwas mistrauisch gegen das Fahrzcng, bald aber mit viel besserm Muthe ausgerüstet. Und in der That erreichte unsere Iangada das Ufer ohne Schwierigkeit. Da freilich, wo die Brandung auf den Sand aufrollt, scheint es schlimm aus-seheu zu wolleu; doch springt ein Iangadeiro ins Wasser und zieht den Strick am Vorderthcil des Flosses fest au und somit die Iangada zum Ufer hinanf, sodaß wir trockenen Fußes landen konnten. Durch eine kleine Sandwüste ging ich znr Stadt hinaus und durchritt dieselbe gleich darauf mit dem Astronomen der Erpedition, Herrn Gabaglia. Die Straßen sind ganz nach den Hanptbimmelsgegenden wie nach dem Kompaß angelegt und zum Theil mit hübschen Häuseru besetzt. Einige Straßen haben cm gutes Pflaster, welches jedoch bei anderu Gassen nur erst in Barrikaden besteht. Auch drängen sich an die europäisirte Stadt ganze Reihen von grauen Hütten an, in welchen Farbige von allen Graduations ihr Leben hinfaulenzcn. Eigenthümlich romantisch sieht solch Faulenzen allerdings aus, zumal weuu das Hänschen unter Palmen liegt, dicht umschattet vou Anonengcbüschen, welche den Leu-teu ohne alle Mühe ihre süßen, meistens mit Erhebuugcu versehenen Früchte — l'ruli, «lo , auch pmn genannt — darbieten, oder in einer andern Spceies, deren Frucht Gaviola genannt wird, eine noch viel größere, lieblich süßsauere Frucht zur Reife briugen. Mitten in solchem 15 Bosquet von Anouaceen, welches vom Ricinus und dem Genipapeiro, dcsscu duftende, grünlich geibe Einchonenblütc ich hier zahlreich fand, noch dichter und schattiger wird, licgt kräftiges gelbes Volk den ganzen Tag in der Hängematte unv thut absolut nichts. Kein Wunder, wenn dicht dabei ein großes Waisenhaus für Knaben sich findet, in welchem ans Staatsunfosten die Absenker jeuer in Faulheit vergehenden Leute erzogen werden. Das Institut ist ganz ueu uud macht der Provinz die größte Ghre, — den faulen Aeltern aber, die ihre Kinder dort ohne Noth hinschicken, statt sie mittels leichter Arbeit selbst zu erhalten, die allergrößte Schande. Auch die Apparate der wissenschaftlichen Commission besah ick und das kleine, zweckmäßige Observatorium des !)>-. Ga-baglia. Alles ist aufs reichlichste geliefert; uud es wird diese gauz aus brasilianischen Elementen bestehende Wissenschaftscommission ganz gewiß glänzende Nesnltate erzielen, wenn die Gesundheit der einzelnen Mitglieder uuerschüttcrt bleibt. Diese letztere wünschte ich vor allem meinen lieben Neise-genossen, als wir unS trennten und ich ans einer Iaugada wieder an Bord des Oyapock hinausfuhr; denn einige von ihnen wareu nicht stark, und doch erfordern solche Arbeiten in Nordbrasilim eiserne Natnren uud sind immer gefährlich. Sonst scheint mir Ceara eine gesunde Lage zu haben. Es liegt boch und kann von allen Winden bestrichcn werden. Angenehm fiel mir das Trinkwasser auf; es ward in der Nähe in einer kleiucu Lagoa geschöpft uud war flar uud geschmacklos, Eigenschaften, wie sie sonst nicht eben häufig beim Trinkwcisser in den Küstenstädten von Nord-Brasilicu vorkommen. (5eara crportirt Kaffee, Baumwolle uud Zucker; doch geht es ihm wie allen kleinern Städten in der Nähe größerer: sein Handel wird von Pernambueo gedrückt. Zudem leidet 16 dic in vielen Strichen sonst fruchtbare Provinz an einem großen Ilebcl, an temporärem Wassermangel nnd Verdorrung alles organischen Lebens. Wanzen nnd Thiere kommen um bei solchen Gelegenheiten, und die Menschen flüchten sich in die Stadt, um dort ihr Leben zn fristen. Man hat deswegen ernsthaft vom Anlegen gebohrter Brunnen gesprochen, die mir jedoch hier recht eigentlich im weiten Felde zn liegen scheinen, trotz vorhandener Bohrapparate. Doch mag dem sein, wie ihm wollc, immer ist Ccara ein wichtiger Punkt ans der Nordostküste Brasiliens, weswegen er auch in mannichfacher Verbindung mit den Nachbarprovinzen steht. Gerade wie Maeeio von Pernambnco und Bahia aus wird Ccara von den Küstendampfbooten, die einerseits von Pernambueo nach Norden, andererseits von Maranhao nach Südostcn bis Granja gehen, regelmäßig be-sncht, wozu noch alle 14 Tage die Hauptlinie von Rio-de-Janeiro ans hinzukommt. Gegcn Abend ging der Oyapock weiter und war mitten in einer Regennacht schon weit im Meer, als nm halb 1 Uhr das ganze Schiff bei jedesmaligem Umdrehen der Räder einen heftigen Stoß bekam. Gs war Geschrei auf dem Verdeck, Zurufen und augenblicklich auch Geschrei in den Kajüten, obgleich das Wetter so rnhig wie nur denkbar war und im schlimmsten Falle die Küste nur einige Stunden weit entfernt sein konnte. Man ließ den Dampf aus den Kesseln gehen und hielt die Maschine an, um an einem der Räder, an welchem sich eine kleine Havarie fand, eine Ausbesserung vorzunehmen. So still lag der Oyapock, daß er auf einem Flusse nicht hätte rnhiger sein können. Nach einigem Hämmern schien der Schade gebessert. Indeß wiederholte sich derselbe Krankhcitsproceß nach einer Stnnde noch einmal und nun dauerte die Ausbesserung über eine Stunde. Dann 17 war aber auch alles in Ordnung, und beruhigt sehten wir unsere Fahrt fort. Am 4. Juni morgens war unscr Cours, der in der Nacht vorsichtig vom Lande ablenkte, wieder westlich bei einem frischen Südostwinde. Um halb U) Uhr erblickten wir die Landspitze von Iericoacoara und erkannten um 4 Uhr die Ufer um die Mündung des Parahyba, jenes Stroms, dessen Gebiet von der Provinz Piauhy gebildet wird nnd lncr nicht weiter besprochen werden kann. Das Land flachte sich mehr nnd mebr ab; ein stiller Abend und eine milde Nacht folgten dem erscheinnngsloseu Tage; man erblickte das Licht des Leuchttlmrms von Sta.-Anna, durch welches die Einfahrt in die Bucht von Maranhao bezeichnet wird. Wir liesen am folgenden Tage frül) Südwestcours bei Südsüdosiwind; immermehr Land kam zum Vorschein und gestaltete sich zu einer tiefen Bucht, einer Einfahrt, anf deren Südostseite ein kleines Fort, S.-Marcus, auf dem Hochufer liegt, während auf dem fernen Ufer der andern Seite das Städtchen Alcantara zu erkeunen ist und zwischen beiden das Meer auf der sogenannten Manusdank heftig aufbrandet. Noch um ein Strandfort, das der Ponta da Areia, fübrte uns unser Cours herum, wo mitten im Wasser ein durchgebrochenes Schiff gestrandet lag, — nnd im schönsten Morgen-glänze lag dir Stadt Maranhao vor uns. Der Eindruck konnte nicht günstiger sein. Der schönste Sonntag lag anf Land und Meer. Auf mäßiger Anhöhe dehnte sich die Stadt, an drei Seiten vom Wasser umspült, mit schönen, selbst prächtigen Gebäuden aus. Vor allen Baulichkeiten machten sich eine Batterie, der Regierungspalast, die Hauptkirche und eine hübsche kleine Kirche ganz am Ende der Stadt kenntlich. ^Unter der prangenden Stadt ankerten Av?-5!allem ant, Nord^Vninlicn. Il, ^ 18 fünf brasilianische Kriegsschiffe und eine hübsche Handelsflotte; Wimpel und Flaggen wehten weithin, und ich mußte mir gestehen, daß nach den drei großen Handelsstädten Rio, Bahia und Pernambuco diese Stadt Maranhao unbedingt den nächsten Platz verdiente und gar prächtig aussähe. Und dieser günstige Eindruck wird keineswegs gestört beim Landen; vielmehr nimmt er noch an Bedeutung zu. Einen freundlichen Gruß bekam ich gleich beim Aussteigen aus meinem Boote vom Arzt und zweiteu Offizier des Kriegs-dampscrs Titte, jenes Schiff, welches die Regierung im März nach dem Mucuri schickte, um dort unglückliche, betrogene Colonisten zu retten. Oben ist die Geschichte weiter erzählt, mir eine für mein ganzes Leben schmerzhafte. Ein wohlgehaltencr, gepflasterter nnd selbst mit Fliesen belegter Damm führt hinauf auf den langen Gouvernementsplatz, einen stillen uud doch freundlichen Spaziergang mit wunderhübscher Aussicht und stattlichen Gebäuden ringsher. Von dort gehen nun regelmäßige Straßen, meistens in rechten Winkeln sich schneidend, aus, mannichfach ans- und absteigend und ebendeswegen von entschiedener Reinheit und Sauberkeit. Sämmtliche Straßen laufen von Süden nach Norden, von Osten nach Westen, und machen einen guten Eindruck. Bei der geraden, wenn auch auf- und absteigenden Richtung und der Reinheit der Straßen fällt vor allem cms höchst angenehm anf. Ich glaube mit ziemlicher Bestimmtheit sagen zu können, daß von allen Städten Brasiliens keine einzige im Verhältniß zu ihrer Größe so viele schöne und große, ja oft palastähnliche Häuser hat wic Maranhao. Die Stadt scheint sich zur Zeit der portugiesischen Herrschaft zu großen Dingen berufen gefühlt zu haben und prangt noch unter der Herrlichkeit einer leider vergangenen Zeit. Au allen Ecken und Gnden fiel mir diese Herrlichkeit auf, wenn 19 auch das mir als etwas Trübseliges erschien, daß an so manchen Stellen, namentlich an den Grenzen der Stadt solide schwarze Mancrn vom Beginn großer Bantcn redeten, ohne zu einer Vollendung gekommen zn sein. Geradeans führte mich die Rna do Sol östlich durch die Stadt. Dort trifft man einige hübsche Plätze, ein ziemlich großes Theater nnd znleht eine große Kaserne, vorn mit einem stattlichen Platze, hinten vom freien Felde eingefaßt, wo in einem Anlauf von Patriotisms die bewaffnete Macht der Provinz das Andenken der Kaiserkrönnng Peter's II. mit einem geschmacklosen Denkmal gefeiert hat. Ich hielt es zuerst für das Mal einer gewonnenen Schlacht. Doch oarf ich hier vom freien Felde nicht reden. Vielmehr beginnt dort gleich jene liebliche, grüne Wildniß, aus dcr mannichfache Landwohnungen nnd Pflanzungen heraus-lngen, gerade als ob sie nur zum Schmuck des großartigen Naturparks dort angelegt wären. Mit Freuden und Entzücken schaut man hinein in die weiche, grnnduftige Landschaft. Und doch ist der kleine Weg von der Nna do Sol durch die Rua dos Nemedios noch belohnender. Dnrch eine stille Straße, kommt man nördlich zu einem grünen Platze, welcher schroff nach dem Haftn abfällt. Einige liebliche Gärten nnd mehrere stattliche Häuser begrenzen ihn zum Theil. Schneeweiß steht hier die kleine Kirche der Nossa Senhora dos Nemedios, pl-aw^orn clc» «ommol'cw 6 n«vo^<:nc), »mW 1804, wie über dem Eingänge steht, — eine Art von Kirche von Voa-Viagem! Ein offener Pavillon steht daneben, unter welchem, wenn er anch eben nicht sehr rein gehalten ist, man gern cmsrnht, um ein mit allen nnr möglichen Reizen geschmücktes Bild zu genießen. Stattlich dehnt sich nach links Maranhao aus, stattlich oben nnd doch zugleich so idyllisch ärmlich unten am abge- 2" 20 legenen Strande, wo eine kleine Eanotwirthschaft und Fischcr-welt ihr Wesen treibt! Geradeaus ist der schöne Hafen mit hübschen, großen Schiffen; nach rechts streckt sich wieder ein stiller, vielfach geschlängelter, vielfach sich theilender Meeresarm in die grüne Einsamkeit hinein. Und so weit man auch sonst sehen mag, glänzende Flnt und düsterndes Grün ist die Losung. So im Norden der Stadt. Südlich von ihr trifft man den andern Meeresarm. Hier liegt unter der hervorragenden Pantaleonkirche die kleine, bescheidene Kirche S.-Tiago. Ein liebliches Pfianzendunkel umschattet den Tempel. Mangabänme, mächtige Tamarinden, Artocarpus, Spondias hoch herausragend, und am Boden kleine Cassien und ein bescheidenes Plumbago, — so siebt die einsame grüne Welt dort aus, die man, zumal an einem heißen Tage, gewiß gern aufsucht. In der Nähe liegt dort auch das Hospital, ein großes, unordentliches Haus mit etwa 40 Kranken, welches noch gar vieles zu wünschen übrig läßt und den Kranken, wie es scheint, wenig Trost und Hülfe, den Besuchenden wenig Belehrung, aber manchen Anstoß gewährt. In den Straßen von Maranhao trieb sich einige Soun-tagswelt umher. Eine Menge farbiger Frauen und Mädchen, aus mindestens drei Menschenrassen zusammengesetzt, lief auf und ab und schieu nicht eben große Schüchternheit zu keimen. Die Hitze von Maranhlw, welches ^/2 Grad südlich vom Aequator liegt, entschuldigt hinlänglich das starke Entblößen von Schultern und Brust und den Armen bis zur Schulter hinauf, wodurch die oft wirklich schönen Formen dieser farbigen Frauen ungemein vortheilhaft heraustreten. Doch ist ein thurmartiger Kamm, den sie durchweg oben auf dem Kopfe tragen und vielfach mit Blumen schmücken, ganz geschmacklos. Sein unvermeidliches Paradircn auf den Köpfen der Frauen aus dem Volke erinnerte mich fast an die 21 Schnabelmütze der Leute in Madeira, wic mich denn überhaupt manche Stelle in Maranhao an oas liebliche Funchal erinnert hat. Aber auch das erinnerte mich lebhaft an Funchal, daß ich in Maranhao zu einer englischen Familie von vollendeter Erziehung kam, in deren Hause der ganze Neiz einer feinen enropäischen Gesittung überall herrscht, welcher Reiz Vurch die seltene Schönheit und Anmuth der jugendlichen Hansgebieterin noch vielfach erhöht ward. Ich werde nicht an Maranhao zurückdenken können, ohne mich mit aufrichtigem Danke und herzlicher Freude einer in jeder Beziehung ausgezeichneten Familie zu erinnern, welche mir dicht am Aequator einige Stunden des erquickenden, gesitteten Nordens bereitete und gern gönnte. Vom freundlichen europäischen Familicnhanse ging ich unverzagt wieder in die Seemannssccnerien des südamerika-nischen Dampfers hinein. Gs war aber nicht ganz leicht an Bord zu kommen wegen der kraftig hereinlaufendcn Flnt. Die Stadt Maranhao liegt auf einer dicht längs des Festlandes sich hinerstreckcnden Insel, welche auf ihrer Nordostseite , ebenda, wo die Bncht nnd Stadt von Maranhao sich befinden, von starker Flut bespült wird. Die regelmäßigen Fluten wachsen bis zu 18 Fuß au; zur Icit von Springfluten steigt das Wasser bis 21 Fuß, sodaß die größten Schiffe nicht nur einlaufen, sondern anch mit großer Leichtigkeit auf das Trockene gebracht werden können, ein Umstand den die brasilianische Marine namentlich znr Kupferung ihre Schiffe gut zu benutzen weiß. Gar zu gern wäre ich 14 Tage in Maranhao geblieben um einiges vom Innern, vom Festland der Provinz kennen zu lernen. Namentlich hätte ich gern eine Fahrt auf dem Hauptflusse der Provinz, dem Itapicuru, gemacht, anf welchem eine Dampfschiffahrt etwa 00 Leguas aufwärts bis 22 zum Ort Carias führt, von wo dam: ein kurzer Landweg die Provinz Piauhy erreicht und deren Hauptorte Oeiras und die neue Hauptstadt Therezina. Doch mußten alle weitern Wünsche der Art eben fromme Wünsche bleiben; ich kam an Bord unsers Oyapock und mit ihm liefen wir, fünf bis sechs Passagiere, denn das letzte Gros unserer Reisegesellschaft war in Maranhäo geblieben, um 9 Uhr zum Hafen der freundlichen Stadt hinaus. Die kleinen Strandfener von Ponta da Areia und S.-Marcus zeigten uns den Weg, und bald wogten wir auf offenem Meere. Der Morgen des l>. Juni traf uns in westlichem Cours bei frischem Südwestwind; eine kühle, reine Luft umgab nns; im Süden lag flaches Land, welchem wir je nach Nothwendigkeit im Laufe von West zu Nord, Westnordwest u. s. w. auswichen. Möven zogen in keckem Fluge über der See dahin; ganze Scharen von Tachypetes öder Tropikvögeln mit tiefgetheiltem Gabelschwanz zogen unter den schwimmenden Wolken ihre Kreise; einige Schmetterlinge flatterten am Schiffe vorbei, um im Meere umzukommen; sogar eine Fledermaus kam angeschwirrt. So verging mit kleinen Scenerien der Tag, um uns eine prachtvolle Nacht herauszuführen. Etwa einen halben Grad südlich vom Aequator strich unser Dampfer ruhig durch das grüne Meer. Im goldigen Glänze hing der Halbmond über uns; und fast in ganz gleicher Höhe einander gegenüberstehend strahlten der Große Bär und das Südkreuz mit den zwei prachtvollen Sternen des Centauren. Gleichsam auf dein höchsten Nande des Erdsphäroid stehend war es uns vergönnt, in die tiefsten Regionen beider Pole hineinzuschauen, dort hinauf bis zum röthlich schimmernden Nordstern, dort hinunter bis in den Süden, wo um den sternenöden Pol die Caftschen Wolken in stillem Wandel ihre Kreise ziehen. Und dennoch wurde um 9 Uhr abends meine Aufmerk- 23 samkeit von einem andern Lichte noch mehr angezogen, Wir sahen im Westen zn Süden das Leuchtfeuer von Salinas, «in weit hinscheinendcs Licht, über 7 dentschc Meilen südlich von der Mündung des großen Parästroms entfernt, nicht so-wol ein Wegweiser, welcher in die Mündung des Stroms führt, als vielmehr ein Warnzeichen, alles Näherkommen bis auf den nächsten Morgen, bis zum vollen Tage aufzuschieben, wenn man nicht Schiff und Mannschaft an der Mündung des Riesenstroms in Gefahr bringen will. So liefen denn auch wir, nachdem wir das Licht erblickt hatten, in die See hinaus, um am folgenden Morgen die Küste und die Mündung des Gran-Parä zn gewinnen. Zweites Kapitel. Äntuüft in Para. — Stadl und Umgegend. — Das Pfingftfcst m (iametä am Tocantins. — Rückkehr nach Para. Das ungeheuere Wassergebiet, welches wir im Begriff sind zu betreten, beginnt im fernsten Westen von Süd-Amerika. An 1000 geographische Meilen und noch mehr haben einzelne von den Kordilleren jcner fernen Gegenden Herabsturzende Gewässer zu laufen, ehe sie den Atlantischen Ocean gewinnen. Von Schneegipfeln erzeugt endigen sie unter der glühenden Sonne des Aequators; nur ein einziger Strom der ganzen Welt, der Vang-tfe-kiang in China, darf sich einiger weniger Meilen größerer Länge rühmen, — größerer Wasscrmassen keiner. An tausend Namen von Bächen und Flüssen werden genannt, die die Hauptströme des großen Wassernetzes bilden, welches sich unter dem Aequator und südlich von demselben nach Osten hinbewegt. Ungeheuere Ausdehnungen selbst von diesen Hanptzuströmungcn sind noch unbekannt; vieles, was der messenden Geographie angehören sollte, ist noch immer im Gebiete der Mythe, der Indianer-crzählung und reiner Fiction liegend. 25 Eine undurchdringliche Hyläa beschaltet, den Spiegel der meisten Ströme nnd bildet gewaltige Ebenen mit ewigen Ur-waldnngen, welche mit dem strömenden Wasser das Bild des Unendlichen gewähren. Oder nngehcnere Felsmassen, Schlünde und tiefeingeschnittene Thäler bilden den Rahmen, welcher mehr als cine dieser Znströmnngen einfaßt, zumal an ihrer Wiege am Fnße der Cordillcren. Doch kann ich hier keine Skizze des ganzen Amazonenstroms geben. Als Reisender und Darsteller meiner Reise darf ich hier nur das berichten, was ich selbst gesehen habe. Am 7. Juni, morgens ganz früh, liefen wir in westlichem Course gegen die Mündung dcs Gran-Parä, ver stachen Küste folgend, die sich im Süden in der Entfernung einiger Meilen von uns hinerstreckte. Das tieft Blau des Oceans war in reines Seegrün übergegangen; dem Secgrün folgte ein graues Wasser; es verkündete die Einwirkung des mächtigen Stroms. Zwei bis drei Meilen vom Lande entfernt brandet die See hier gegen eine lange Sandbank, Espadarte, Schwertfisch genannt; vier Meilen fern vom Continent liegt das tückische Riff von Tijioccas halb unter Wasser; zwischen beiden lief unser Dampfer geschickt hindurch, während nördlich von der Tijioccasbank eine Vrigg von einem Lootsenkuttcr in freies Fahrwasser geleitet ward, zwischen dem „Schwertfisch" aber und dem Festlande kleinere Barken friedlich dahinsc-gclten. Diese Sandbänke und Riffe bezeichnen die Mündung des Gran-Parä. Bei ruhigem Wetter rauscht der Strom und der Ocean nur mäßig gegen diese Untiefen. Im Sturm aber donnert eine mächtige, weit sichtbare Brandung darüber hin und zeigt den Schiffern so sicher wie ein Lootse den Weg vom Ocean in den Fluß hinein. Wohl wühlte der Dampfer mit aller Macht nnd Schnel- 26 ligkeit sich durch die graue Flut; wohl erkannten wir links von uns nach Südost und Eüdwest hin einzelne Uferstreifen, Vaumgruppcn und Inselpartieu; aber zu einem Flusse, der zwei Ufer hat, wollte sich dieses graue Meer lauge nicht gestalten. Nach einigen Stunden erst entdeckte ich mit einem guten Fernrohre und von höherm Standpunkte auf dem Schiffe in der Entfernung einiger deutscher Meilen einen Uferstreifen im Nordosten, und das Meer ward zu einem Strom, welcher dreiviertel deutsche Meilen ill der Stunde zurücke legt, mit sich führend eine ungeheuere Süßwassermasse. Wahrlich, weuu man sie so dahmströmeu sieht, diese Wassermasse, man möchte sich schon überzeugt halten, hier sei die ununterbrochen gebärende Mutter der Meere, und der Continent sei nicht aus dem Ocean aufgestiegen, sondern vielmehr dieser aus ersterm ausgeftossen. Der nach Nordost hin erscheinende Uferstreifen gehört einer großen Insel an, welche den eigentlichen Amazonenstrom von dem Gran-Para trennt, ein unverkennbares Delta, welches beide Ströme, als sie noch im vollsten Zusammenhange eine einzige Wassermasse bildeten, angespült haben. Das ist die Insel von Marajö, ja nicht etwa zu verwechseln mit der Insel von Maranhäo. Die Existenz dieser Insel ist nun Ursache geworden, daß man den Grau-Para vom Amazonenstrom, wie sehr sie auch zusammenhängen, getrennt hat und erstem als den Ausfluß des Tocantins ausieht, dem der Amazonenstrom einen Arm zusendet, wie wir weiter unten sehen werden. Trennen wir auf diese Weise den Gran-Parä vom Amazonenstrom, so bekommen wir für die Breite seiner Mündung immer 8 deutsche Meilen, und für die des Ama-zouenstroms, wenn wir vom Cabo do Norte bis zur Ponta Imiritahy rechnen, etwa 40 deutsche Meilen. Nimmt man aber die Insel Marajö und einige andere nördlich von ihr gelegene Inseln für Deltabildungen der vereinten Ströme, 27 und gibt man ihnen eine gemeinsame Mündung, so würde diese von Tijioaas dis zum Cabo do Norte nicht weniger als 50 deutsche Meilen Breite haben. Um Mittag erreichte der Dampfer eine Inselkette, welche den breiten Strom der Länge nach theilt oder vielmehr einen schmalen Südoststreif von demselben abschneidet. Hier begrüßten wir ein kleines, rnndes, mitten im Wasser liegendes Fort, von welchem wir nach Parä signalisirt wnrdrn. Wir gingen diesen Seitenstreifen des Flusses, , welcher Gnajarä genannt wird, weiter hinanf und kamen der Stadt Parä immer näher, nachdem wir sie in der Entfernung einer starken Meile erblickt hatten. Bald gingen wir vor ihr zn Anker. Auch Parä, eigentlich Sta.-Maria de Velem do Parä, eine Stadt von etwa 25000 Einwohnern, macht einen stattlichen Eindruck vom Flusse aus, wenn auch alles alt an der Stadt aussieht. Alte Kirchen ragen prächtig heraus aus dem Ort; das Zollhaus selbst ist ein altes Kloster von großen Dimensionen. Glänzend sieht der Palast des Präsidenten aus; er ist unbedingt eins der besten Gebäude in Brasilien; besonders möchte ich dem Kaiser solch ein Schloß wünschen in Rio-dc-Ianeiro. Und so machen auch die Straßen von Parä einen guten Eindrnck. Viele große, vornehme Hänser, wirkliche Paläste in kleinem Maßstabe sieht man, aber alle ans alter Zeit, wo Portugal nach Brasilien übersiedelte nnd Parä eine Hauptstadt werdeu sollte. Und doch entsetzte mich eins! Man hatte mir in Per-nambneo eiu Hotel in Parä als das beste angezeigt. Als ich in die Thür hineinkam, prallte ich wirklich zurück; das Hotel glich ganz den Portngicsenherbergen, den Courticos in Rio. Schmuz nnd widerlicher Gernch machten mich förmlich übel. Sonst war kein Hotel im Orte, wenigstens kein besseres! 28 Um Raths zu erholen, ging ich zum einzigen deutschen Handlungshaus, was in Parä eristirt, zum Hause der Herren Tappenbeck H Co. Dort aber brauchte ich kaum meinen Namen zu sagen, so ward ich von Herrn Taftpcnbeck und dessen Associe, Herrn Brambeer, so freundlich und dringend Zum Bleiben und Bewohnen ihres Hauses eingeladen, daß ich, wie ungern ich auch soviel Oute und freudige Bereitwilligkeit annahm, schon bleiben mußte. Meine Sachen wurden geholt, und nach wenig Minuten war ich bei den so gütigen und zuvorkommenden Landslenten in der schönsten Straße von Parä installirt, eine Schicksalsfügnng, für die ich den beiden genannten Herren nie genug danken kann, wie wenig Gewicht sie selbst auch auf ihre Güte und Gastlichkeit gelegt haben. Die eigenthümliche Welt, die mit Parä beginnt uud sich längs des weiten, dort beginnenden Süßwafsernetzes nach fast allen Himmelsgegenden hinzieht, ist schon manchmal beschrieben worden als eine Welt wunderbaren Zaubers. Und in der That bietet sie so vielseitige Reize, so mannichfache Schönheit, daß, wenn irgendwo in der Welt, ganz besonders hier das Herz und der Geist gleich erquickt werden. Freilich ist die urzuständliche Natur in der Nähe der Stadt selbst von der um sich greifenden Cultur schon man-nichfach zurückgedrängt worden, obgleich sie überall, gleichsam triumphirend über Kunst und Cultur, ihre herrlichsten Repräsentanten zurückgelassen und selbst neue aufgepflauzt hat. Wenn man aus den stillen Straßen von Parä, in welchen wegen der Aeauatorialhitze alle unnöthigc Bewegung und Kraftanstrengung wohlweise vermieden wird, hinauskommt auf das Land, die sogenannte Romcha, so findet man hier ziemlich alles in einen weiten Park nmgeschaffen. In rechten Winkeln durchschneiden sich prachtvolle Alleen, eingefaßt von Terminalien, deren schichtenweise Iweiglagerungen 29 erquickenden Schatten geben, oder von Eriodendren, deren Riesenstämme, obgleich manch Iahrhnndert an ihnen gebaut zu haben scheint, noch in einem Kindesalter sich befinden. Oder es spielt ein erquickender Seewind mit hohen Kasuarinen und ruft ans südamcrikanischcm Boden in neu-holländischen Baumgipfeln nordische Heimatsklänge im Gemüth des deutschen Wanderers hervor. Auf mächtigen Säulcnschaften rauschcu die Fächerblättcr der edeln Mauritia; schlanker und biegsamer wankt die anmuthige Euterpe im Winde umher, während manches Astroearyum, eine mit Stachelringen wohlgeharnischte Palme, trotzig und doch anmuthig hinüberschaut zu den beiden Palmenrivalinnen. Die üppigsten Pisange umschatten zierliche Landhäuser; die 'I'i>o8müg Ni»rg«u^», eine Passiflora, mit riesigen Früchten, klimmt von Spalier zn Spalier lind zeigt unter dunkelm Laube die herrliche Blüte. Und nun Mangiferen, Artoearpus und eine ganze Schar von Anonaceen, Orangen, Kaffeebüschen, von allem, was die Tropcnwelt nnr an üppiger Vegetation hervorzubringen vermag; das alles drängt sich um die hübschen Landhäuser zusammen, in welchen die Paraenser der Tropenhitze zn entgehen suchen. Besonders gegen die Kirche von Nazareth hin erreichen Landhäuser nnd Vegetation ihre volle Schönheit. Eine kleine Kirche mit grünem Platz bietet hier alljährlich ein großes Fest, infolge einer wunderbaren Nettling alls Schiffbruch nnd Todesuoth, bewirkt durch die Heilige Jungfrau. Deswegen wird auch bei diesem Fest ein Schiffsboot in feierlichem Znge nach Nazareth hinausgetragen nnd der Mutter Gottes dargebracht. Da strömt denn die ganze Stadt hinaus und vergnügt sich schweißtriefend in der tropisch-europäischen Welt. Dort habe ich Landhäuser vom besten Geschmacke gesehen und mich zurückversetzt in die vollste Cnltur des Nordens. Und unmittelbar daneben Mr. Hcndersson's Cottage! 30 Mr. Hcndersson ist ein englischer Kaufmann, dcr dcr launischen Fortuna und dem Mereur Lebewohl sagte, um der Hamadryadenwclt zu huldigen. Durch feuchten, fast überschwemmten Wald führt ein einsamer Weg; man kommt zu cincr Lichtung im Walde, einem kleinen Wieseuteppich, unregelmäßig eingefaßt von Palmen und blühenden Cassicn, in deren offenen Korollcn die Bienen zu Tausenden summend schwärmen. Sonst liegt tiefe, wohlthuende Stille auf dem Walde, durch welchen noch keine Meßschnur einen geraden Weg gezogen hat. Alles ist Natnr, Friede, Nuhe auf allen Wipfeln. Und dennoch ist auch hier, ohue den Naturfrieden ;u stören, europäische Gesittung eingedrungen. Die Waldbütte enthält einfachen englischen Hansrath und einen gewählten Vücherschatz, welcher seinen Besitzer als einen Philosophen ankündigt, aber als einen christlichen Philosophen; neben Humboldt's „Ansichten der Natur" und andern Wissenschaftsbüchern lagen mannichfache Bibelausgabcn; und dcr Ton guter Gesittung und Gesinnung hallte wider im kleinen Waldhäuschen. Sogar einen Botanischen Garten "hat die Stadt Parä! Das ist freilich ein Garten obue Glashaus, und selbst der Boden ist ungünstig; aber dennoch wuchert eine herrliche Vegetation aus der Erde, wenigstens nicht geringer als die im Freien, welche sich von hier Hunderte von Meilen in das Innere erstreckt. Ich will dem Botanischen Garten von Parä und selbst seinem wackern französischen Gärtner nicht unrecht thun, aber fast scheint mir solch ein Garten ein fruchtloses Beginnen. Zwar hat man Dracänen hineingepflanzt, Uucea, Agaven und Caetus, zwar sieht man allerlei Formen von seltenen Bäumen, eine kleine Fächerpalmo, aus dereu Blatt-rippcn man die Chilchüte macht, und dergleichen mehr, aber der botanische Garten außerhalb dieses kleinen, wunderlichen 31 Pflanzenzwingers ist doch viel größer, viel erhabener, viel mächtiger und viel anziehender. Und wer von dieser Größe, dieser Erhabenheit, dieser Allmacht der Natnr von Para ein volles Bild gewinnen, wer einen vollen Zng thun will ans dem Füllhorn, aus welchem in ununterbrochenem Strome die Pflanzenwelt ihre Segnungen ausgießt, der gehe an den riesigen Strom uud fahre längs desselben zu irgendeinem Punkte der Inselwelt, des Festlandes, und sehe sich um nach allen Seiten, soweit ihm das Umsehen im Dunkel der Waldungen erlaubt ist. Odor er ziehe mit mir den Parästrom hinauf und wenige Meilen in die Mündung des ToccmtinS hinein! Nur anf zwei oder drei Tage ziehe er mit mir! Das P fing st fest in Eamctä! Das ist ein lieblicher Gedanke, ein wunderbarer Traum, der nie wieder verschwindet aus der Erinnerung dessen, der ihn wachend gctränmt hat. Es war der Sonnabend vor Psingstsonntag, am lO. Juni! Meine lieben paräenser Landsleutc hatten mich um 9 Uhr abends an Vord des Flußdampfers Camctä gebracht, wo wir bis 10 Uhr der Abfahrt harrten. Dann klimperte die Anker-kctte ihr Abendlied; gräßlich schrillend unterbrach die Signalpfeife die stille Feier der Nacht, und von der ansteigenden Flut begleitet rauschte unser Fahrzeug deu mächtigen Arm des noch viel mächtigern Flusses hinauf an der Stadt vorbei, deren Kirchengiebel und Glockenthnrme seltsam in die Mondnacht hinausdüstertcn. Unkenntlich im leichten Nachtdunst lagen Festland und Inseln; tiefe Einsamkeit umgab uns; nur hier und da blinkte ein Licht auf dem einen oder andern kleinen Fahrzenge, welches im breiten, stießenden Landsee ankerte. Auf dem überdachten Verdeck schlief ich ein. Das Rasseln der Ankcrkette weckte mich. Der Kapitän wollte eine Stunde warten, um 32 die erste Heftigkeit der eintretenden Ebbe verlaufen zu lassen. Wir lagen vor Anker auf dem weiten Flnsse. Seltsam war der Anblick. Ringsher lpar ruhiger Wasserspiegel. Die Mondnacht hatte jegliche Welle eingesungen, und unbclauscht badeten sich die Gestirne der Nacht in der Tiefe der Flut. Kein Ufer war zu sehen; der ferne Saum desselben war vom leichten Nebel verhüllt; wir waren auf einem scheinbaren Süßwassermeere. Wirtlich ist hier die breiteste Ausdehnung des Stroms von der Stadt Parä südlich, gleich unterhalb des Vcreinigungspunktes vom Tocantins mit dem seitlichen Arm des Amazonenstroms, den dieser letztgenannte Strom dem Parä zusendet und so die große Insel Marajö bilden hilft. Darum heißt diese breite Süßwasser-stäche auch Vahia dc Marajö, eine wirkliche Bin neu bückt, cin von Ebbe und Flut vielfach bewegter Landsce, hoch auswogend im Sturme, spiegelglatt in heiterer Mondnacht. Vor Tagesanbruch zog unser Dampftr seinen Weg weiter. Zwischen ferneil Inseln vor nns kündete eine Lücke, in welcher Himmel und Wasser sich berührten und zwischen sich keinerlei Land entdecken ließen, den Eingang, die Barre des Tocantins an. Tief im Süden der Provinz Goyaz auf den dortigen, keineswegs hohen Gebirgen, von denen nach Süden lnn einige Hauptquellen des Parana hinabströmen, entspringen etwa zwischen 16—18" südl. Br. aus vielen kleinern Zusam-menströmnngen zwei bedeutende Flüsse, welche, wie mannich-fach auch ihre Windungen sein mögen, dennoch durch volle 10 Breitengrade in eigenthümlichem Parallelisnms, etwa wie im Süden der Urngnay, der Parana, der Paraguay das anch thun, nebeneinander nördlich laufen, bis der östlichere, der eigentliche Tocantins, den westlichern, den Araguaya, m sich aufmmmt, ohne nach dieser Vereinigung den Lauf irgendwie zn ändern, sodaß das ganze Gebiet des Tocantms 33 zwar l6 Breitengrade lang ist, aber nirgends über fünf Längengrade breit sein mag. Eine weit ausgedehnte Inselwelt bezeichnet den Eintritt des Tocantins in den Parä, oder vielmehr des sogenannten Tocantins in den sogenannten Para; denn letzterer 'st, wie ich schon andeutete, Fortsetznng des erstern, und beide sollten nur einen Namen führen, — eine wcitansgedebntc Inselwelt, scheinbar ganz unbewohnt, scheinbar eine ununterbrochene Palmenwelt, — und doch nur scheinbar; denn wir werden gleich sehen, wie mannichfach dennoch anch schon Menschenwowmngen hinter dem ersten Palmensaum im Walde zerstreut liegen, und wie diese Palmenwelt in ihrem Innern tausendfache andere Pflanzenformen zuläßt und schützend einschließt. Und dennoch möchte man, wenn man an dieser Insel-Welt im Morgenglanze dabinfährt, nur von einer Palmenwelt träumen, ja nur von einer einzigen Palmenart reren. So weit man blickt, -^ und man blickt meilenweit an den nahen und fernen Inseln und dem Festlande dahin, ^ so weit man mit bloßem oder bewaffnetem Auge umherspäht, alles scheint ein unmeßbarer Palmenhain zu sein, aufgebaut wie ein Tempel von einer einzigen Palmcnspecics. Schaft an Schaft gedrängt, in wnndersam gleichmäßiger Dicke und Höhe, und fast nirgends einem niedrigern Baumwuchs Raum gebend, ragt am Parä, am Tocantins und den benachbarten Igarapes oder Wasscrpfaden knhn und majestätisch die kwm'iün s!6Xlio8n, die Mcritipalme ans dem Spiegel der Gewässer hervor, in so ungeheuerer Menge, daß ich dieselbe nur mit unsern dichtesten nordischen Fichtenwaldungen vergleichen kann. Der von mir im Südeu von Brasilien schyn öfter gesehenen und angeführten MniriUll vinism-n ganz ähnlich — doch ist mir letztere kleiner vorgekommen, und immer sah ich sie nur in ganz kleinen Gruppen —, sucht Ave ^'allein ant, N^rd-Vrasilion, N. H 34 die >liiul'll,W l1cxul)5i, sich bis in pas Wasser dcr Ströme hineinzudrängen, sodaß sic bci einigem Steigen dieser gan; in den Wellen steht. Herrlich glänzen im Morgensonnen-strahle die mächtigen Sänlenschafte, die, statt von unten nach oben an Dicke abzunehmen, eher nach oben zu leicht an Umfang zuzunehmen scheinen. Nur wenige, aber mächtige Blätter zieren den .-;8ln-!, ^88m-i-5l. Jeder Unbefangene glaubt in dem Ruf irgendein Heil für das Volk zu finden; und wenn er nun die schwarze oder nußbraune Assanchreierin anruft und das Geheimniß untersucht, so findet er in einem Topfe eine weinrothe Sance, eine Pftanmenbrühe. 35 Ganz dasselbe, was in Rio-Grande do Sül und den spanischen Republiken die Mate ist,, bei den Waschfrauen im Norden der dünne Kaffee und in der hysterischen Damenwelt der Thee, das ist am Parastrom diese weinrothe Sauce. Sie ist noch mehr als das, sie ist ganz dirett das Hanptnahrnngs-Mittel des Volks. Wenn man den dichten Waldnngen der Manritien näher kommt und genauer in die ungeheuere Menge der Säulenschafte hineinblickt, so entdeckt man in großer Anzahl eine zweite, unendlich viel dünnere, zartere und wirklich liebliche Palmenform, dieselbe, die ich an den Flüssen der Provinz Bahia, cim Nw-Pardo, Iequitinhonha und Mmuri sclwn gesehen und erwähnt habe, die dünne, schlanke Iussarapalme, kuUü'^ ecluli«. Wie eine dünne, oft leicht gebogene Stange hebt sich der Baum ^0—30 Fuß vom Boden empor. Wo der graue Stamm plötzlich endet, um sich in einem grünen Schaft, den dicht um den Mittelkeim herumliegenden Blatt-scheiden, noch ein Gnde zu verlängern, da bricht uuterhalb dieses grünen Schafts, welcher bei der viel kräftigern kat^i-p«! ok>l^6c>, der Palmitopalme, im Innern den Palmcnkohl enthält, die Blüte wie ein aus vielen einfachen Achreu zusammengesetzter Büschel hervor, wie eine vegetabilische Kieme, die sich erqnickt und belebt an Luft und Feuchtigkeit. Während ich aber au deu geuaunten Flüssen der Provinz Bahia meistens nur zwei Vlütenbüschel fand, bringt unter dem gesegneten Himmel von Para die Iuffarapalmc drei bis vier Büschel zur Zeit hervor. Die weiblichen Blüten reifen zu einer kleinen blauen Beere, welche iu großer Meugc an den Blüteuschaftcn hängt und mit nichts besser als mit großeu Schlehen verglichen werden kann. Ueberall entdeckt man diese beerentragende Palme versteckt im Schatten anderer Bäume; zu jeoer Jahreszeit trifft mau in der Provinz Parä reife Beeren. Ohne Mühe klettern 0H 36 kleine Knaben am Stamme, der unter der Last hin- und herschwankt, ohne zu brechen, in die Höhe und schneiden die reifen Trauben ab. Die Beeren werden abgestreift und einige Stunden oder weniger Zeit in Wasser ma-eerirt. Dann werden sie mit den Händen so lange geknetet, bis alles Fleisch abgewaschen und mit dem Wasser zn einer weinrothen Sauce geworden ist und nur die grünen Kerne übrig bleiben. So gewinnt man das Assai-i. Man mischt es mit geröstetem Maniocmehl und versüßt es mit etwas Zucker; so erhält man einen halbdünnen Brei, den ich beim ersten male gleich ungemein schmackhaft fand und mit gutem Gewissen unsern schwarzen Kirschen vergleichen möchte. Morgens, mittags und abends und wenn möglich auch um Mitternacht genießt das Volk von Parä sein Assai-i. Aus den benachbarten Flüssen Gnamä und Mojü, deren Ufer besonders reich an dieser Eutervenart sind, von den einzelnen Inseln und selbst dem fernern Marajö kommt der nöthige Vorrath zur Stadt, denn ohne solch Assai-i wüßte die Stadt Parä nichts anzufangen. Glücklicherweise gibt es aber, wie schon gesagt, im ganzen Jahre um Parä reife Assaibecren. Aber nur müssen uns zu nnserer Fahrt zurückwenden. Ganz im Süden, etwa 6 Leguas von der sogenannten Barre deö Tocantins, entdeckten wir am Waldufer, auf der linken Seite des Flusses, cine Stadt, deren rothe Dächer und hervorspringende Kirche einen freundlichen, überraschenden Eindruck machen, denn man erwartet in diesen Wasserlabyrinthcn, an diesen Palmenwänden keine ordentliche Stadt mehr, besonders keine mit Ziegeldächern versehene. Dieser hübsche Gindruck aber ward etwas gestört, als wir vor Auker gingen und einen genauern Blick auf die Stadt warfen. Cameta liegt auf einem etwa 20—25 Fuß hohen Varanco 37 des Flusses, welche Ufererhebung, ans Thon und Sand bestehend, lothrecht vom Wasser anfstcigt. Nur znr Zeit der Ebbe — denn bis hierher und noch weiter hinauf dringt die Flut — bleibt unten noch ein flacher Uferstreif unbedeckt, zu welchem von oben eine Menge von Holztrepven hinabführen. Unvorsichtigerweise hat man sich mit den Häusern der Stadt so dicht an den Ncmd des Flusses herangewagt, daß schon vielen Gebäuden große Gefahr droht. Theils nimmt die Flut unten einzelne Parcellen des Ufers mit sich, theils spült der Regen vom obern Rande so viel los, daß viele Häuser schon dicht am Rande stehen und von untergesetztem Gebälk getragen werden. Ja an einer Stelle besteht die öffentliche Straße aus einer Holzbrücke, einer Galeric von Bretern. Dadurch gewinnt nun die Stadt Cametä ein sehr sonderbares Ansehen. Uebcrall sieht man Holztreppen, Holzpfeiler, Holzbalcons, Holzbrücken. Und da sich alle diese Holzbauten nicht eben in einem neuen Zustande befinden und auch gewiß nicht immer von eincm Zimmermann oder Baumeister errichtet worden sind, so bilden sie eine förmliche Holzconfnsion nnd geben dem Orte Cameta das Ansehen einer Malaienstadt, oie zum Theil anf Stelzen steht. Aber noch sonderbarer steht die Population ans. Unser Dampfer, das einzige Grcigniß, was einiges Leben in Cameta' hineinbringt, rief die ganze Bevölkerung an den Uferrand nnd an die Fenster. Von allen Balcons und Brücken schauten die Einwohner herab; in.alleu nur möglichen Men-schenfärbnngcn zeigten sie sich; oder vielmehr kam es mir vor, als ob ich vor lantcr farbigen Lenten keine weißen Menschen zn sehen bekommen könnte. Ich hatte eigentlich ein kleines Vornrtheil vor der Bevölkerung von Cametä bekommen. Meine Mitreisenden waren blasse, welke, meistens unangenehme Menschen; das Schicksal 38 wollte es, daß unter den acht bis zehn Mitreisenden ein Zwerg und ein Toller waren. Auch hatte man mir vorhergesagt, ich würde meistens Farbige im Orte treffe«. Ich wollte mich eben vom freundlichen Commandanten des Dampfers auf die wenigen Tage unsers Bleibens in Cameta verabschieden, als ein wohl aussehender Mann mit einem Boot an Bord kam, und ich in ihm denselben Herrn Louis Jean La Roquc kennen lernte, an den ich drei Briefe aus Para abzugeben hatte. Alles, was man mir von diesem Manne gesagt hatte, und der Eindruck von Wohlwolle« und offener Freundlichkeit, den er mir machte, ließen mich mehr als gern darin einstimmen, daß ich sogleich mit ihm fahren und bei ihm die wenigen Tage meines Bleibens in Oameta wohnen sollte. Wir fuhren also bis an das untere Ende der Stadt zurück, stiegen eine etwa ^0 Fuß hohe Holztreppe hinauf, und ich stand in einer so reizenden Scenerie, wie sie wirklich nicht mit Worten wiedergegeben werden kann. Gin kleiner, terrassenartiger Platz, mittels eines laugen und breiten Balcons über den Flußrand hinaus verlängert, — am Rande des Platzes ein riesiger Mangabaum und hinter demselben ein reizendes Hans, zu dessen Ginrichtung der Besitzer sich während eines zehnjährigen Anfenthalts in England genug Geschmack und im regen Handelsleben am Tocantius genug Vermögen erworben hatte, — dieses Hans an zwei Seiten umgeben von einer so breiten Veranda, daß sie zwei zusammenhängende, ringsher offene Zimmer bildet, — dann daneben ein Garten, vem Walde abgewonnen, in welchem noch einzelne Gruppen, mit Stacheln wohlbewehrte Astrocaryeu uud eine parasitirende, üppig hohe Guttifere, welche eine Palme erwürgt, ein mächtiges Griodendron und eine Popunhopalme vom Urwald reden, während sorglich angepflanzte Gartenblumen weithiu ihre Düfte spenden, — 39 und von dieser zauberisch schönen Warte hinab der volle Blick den Strom hinauf, den Strom hinab und den Strom hinüber, auf dessen anderm Ufer eine Insel vor der andern die ganze, riesige Breite des Tocantins verbirgt, — alleö das eingefaßt vom Zauberring des Urwaldes, überbaut vom tiefblauen Himmel, dessen reines Gewölbe von all den mächtigen Sänlenschaften der Mauritien getragen zu werden schien, das war mein Pftngstqnartier am untern Ende von Cameta, ein so zauberisches, wie ich bis dahin noch keins innegehabt hatte. Unter dem dunkeln Schatten des Mangabaums habe ich vor diesem Naturbilde unnennbare Wonnestunden wachend vertränmt, mochte nun morgens die Sonne hinter den Palmeninseln der Ferne anfgehen, oder mittags der Nordostwind vom fernen Meere herein Labung und Grquickung wehen, oder abends, zwei goldene Mondabende, der singende Flnß das Bild des reinen Himmels zitternd wiedergeben nnd mit den Palmen um die Wette leise dazu rauschen. War es nun die wnndcrvolle Gegend, oder das prachtvolle Wetter, oder die Stimmung, die das Pfingslfest mit sich bringt, oder war es alles drei zusammen, was mich eigenthümlich anregte: unter'dem Eiufluß dessen, was um mich und in mir vorging, gewann die seltsam colorirte Einwohnerschaft in und nm Cametä einen eigenthümlichen Reiz für mich. Für Anordnung und Leitung des Psingstftstes wählt man in den brasilianischen Städten, namentlich auf dem Lande, eine sogenannte Imperatriz (Kaiserin), die sich dann selbst nach Gefallen einen Imfterador als Gehülfen auserwählt. So ein Imperador war nun auch in Cametä. Er war ein Bekannter von Herrn La Roque, und aus Höflichkeit mußte dieser sich am Vorabend des Pfingstsonntags dort'zeigen. Ich schloß mich ihm mit großer Freude an. 40 Wir kamen an, als man gerade eine Arc von Procession mit Lichtern zur Kirche anordnete. Eine ganz gute Musik ging voran. Ihr folgten einige zn höchst bunten Engeln umgekleidete Mädchen. Dann kam die Impcratriz, ein erwachsenes, junges, gut aussehendes Mädchen mit uugeheuerer Krone aus Pappe, Bändern und Vergoldungen bestehend. Ganz Eametä folgte uud füllte die hübsche, reinliche Kirche mit seltsamen Figuren. Die weibliche Population bildete die überwiegende Majorität. Kaum eine ganz weiße Franenerscheiuung sah ich, dafür aber alle nur möglichen Schattirnngen von Weiß durch Gelb und Braun zum tiefsten afrikanischen Schwarz. Offenbar war der Hauptstamm, aus dem diese seltsame Frauenwelt hervorgeknosptt war, der indianische, der reine echte Stamm der Tapnis. Wie sehr sich auch diese so zahlreiche Indianerwelt an den meisten Stellen, wo ihr der herandringende Guropäismus zu nahe kam und den offenbarsten Sieg davonzutragen drohte, tiefer an den Flüssen hinaufziehen nnd das ganz regellose Waldleben dem gesetzlichen in Städten, Ortschaften oder deren Rachbarschaft vorziehen mochte, so haben sich doch gar viele der Cultur genähert und sich ihr augeschlosscn, soweit sie ihnen eben gebracht wurde. So wohnen in uud um Camrtä noch viele ganz reine Tapuifamilien, manche von fast schwarz-brauner Färbung und echt indianisch-mongolischem Habitus, aus einer Quelle entstanden mit den Chinesen ill der fernen Ostwelt, stille, ruhige Naturen, die den Schatten gleich hinter den Meritipalmen am Ufer lieben und ihr bedeutuugsloscs Dasein harmlos abspinnen. Von diesen bemerkte ich fast keinen in ocr Kirche, selbst unter den Frauen nicht. Eine ihnen ganz eigenthümliche Blödigkeit hatte sie zurückgehalten. Desto zahlreicher war die europäisch-indianische Mischung in ihren verschiedenen Abstufungen vertreten in der Kirche, 41 und noch. viel mehr am folgenden Tage durch die ganze Stadt, die den herrlichsten Pfingstsonntag feierte, — jene seltsame Mischung, deren Angehörige Mamelucos genannt werden. Noch war der Tag nicht völlig angebrochen, als ich mich in der stillen Flut des Flusses bewegte, ohne einen Concur-renten irgendwo beim Baden zu entdecken. Aber schon kamen aus nahen nnd fernen Palmenwinkeln einzelne Canots mit Tapnifamilicn angezogen, vom weißen Segel getrieben oder dem kurzen Rudcr mit tellerrundem Blatte, womit diese Ruderer ungemcin hastig das Wasser durchschneiden. Mit welcher Freude durchmusterte ich die Tapuigrupven in den Canots mit meinem kleinen Fernrohr! Meistens rudern zwei Männer vorn und hinten, vcr letzte Iacoman, Steuerer, genannt; oder es steuert auch cine Fran mit einem festen Rudcr von tellennnder Form. In der Mitte sitzt die Familie, immer mehr Frauen und Mädchen als Männer und Knaben, iu weiße», oben offenen Hemden und einem blauen oder sonst dunkeln Rock um die Hüften. Die ältern Frauen rauchen meistens bei solchen Gelegenheiten aus langen, dünnen, in der Regcl buutcn Holzrvhrcn mit kleinem Mnndstück von Blei und einem kleinen schwarzen Thonkopf, der oft vergoldet ist. Kleinere, nußbraune Kinder, meistens ganz nackt bis zu sechs oder acht Jahren hinauf, sitzen zwischendurch. So fahren sie mit ruhigem, stillem Ernst durch den goldenen Morgen zur Kirche;, kaum je schien es mir, als ob sie miteinander sprächen. Desto hübschere Gruppen bilden diese schweigenden braunen Menschen. Eine junge Frau sah ich, die mit kundiger Hand steuerte, während sie im linken Arme ihr kleines, nacktes Kind hielt und stillte. Anf dem Rande des Canots saß ein halberwachsenes Mädchen; die konnte es nicht über das Herz bringen, daß der schöne Fluß in der Morgenfrühe so unbenutzt vorbeirennen sollte. Sie hatte den 42 Rock bis über das Knie aufgeschlagen und plätscherte mit den zierlichen Beinen im Wasser umher. Wahrhaftig, es war cine lebendige Fischerftene aus dem Golf von Neapel! Oder ein Bild vom fernen Taiti! Mit Herrn La Roaue machte ich einen Spaziergang in den Wald, der sich mit seinen Vorposten bis an das Gartenthor meines Gastfreundes drängt. Schmale Fußsteige führen überall hinein ill das Dickicht. Kaum einigc Schritte braucht man zu thun, so steht man vor der indianischen Wohnung, vor der die stillen, bescheidenen Bewohner frenndlich grüßen und gern ihre kleine Anpflanzung zeigen, wenn man das eigentlich eine Anpflanzung nennen will, wo man kaum eine unbedeutende Lichtung entdecken kann. Hier wuchert dann wol der Calebassenbamu mit seinen runden Früchten, deren ausgehöhlte Schale meistens das ganze Hausgeräth bildet, — hier wachst der Orangenbaum mit der düstern Mangifere wetteifernd den hohen Palmen zu, welche dem Tapui mindestens die Hälfte, ja die größere Masse seiner Lebensbedürfnisse fristen. In dichten Gruppen steht am klaren Waldbach die schlanke Iussara und bietet in Menge die reifen Beeren zum Assai. Dicht neben ihr prangt eine der edelsten, wenigstens seltsamsten Palmenformen, die ich bisher sah, die Ba-cabapalme. 06no«i>i'l>u8 äixliclici hat man mit rechtem Geschick eine Palme genannt, die ganz wie die Urania unter den Mufa-ceen nur nach zwei Seiten uud nach oben Blätter entwickelt. Der stolzirende Pfau kann seinen Schweif nicht schöner zum regelmäßigen Fächer ausbreiten, als die Bacabapalme ihre gefiederten Blätter treibt. In der wundersamsten Harmonie wächst oben aus schlankem Palmcnstamm erst ein Blatt nach links, dann eins nach rechts und so fort abwechselnd, bis der mathematisch genaue Halbkreis fertig ist, in dem sich die Blattspitzen zueinander stellen. Diese Zweizeiligkeit ist höchst 43 eigenthümlich, cin Eigensinn der Natur, den sic, wie ich schon oben sagte, ganz genau so in der Bildnng der Uranien dargestellt hat; und wir müssen sie mit diesem Eigensinn schon laufen lassen und nns frenen über die herrliche Bilvung. Aus den Früchten der Bacaba läßt sich ein öliger Saft herauswaschen, der ganz nahrhaft und süßlich wohlschmeckend sein soll. Doch lauft hierin die schlanke, kleine ^ulo, >»c oäuli» mit ihrem unverwüstlichen Assai allen andern Palmen den Rang ab. Sie ist und bleibt die Wohlthäterin des Tapui in seiner kleinen Waldwohnung; man will keine andere neben ihr anerkennen. Doch ist damit keineswegs der ganze Reichthum der indianischen Waldwohnung angedeutet. Zn dichtem Gebüsch zusammengedrängt wuchert überall im Walde der Cacaobaum. Weithin glänzt die gelbe, große Fruchtkapsel, Sie enthält außer den bekannten Bohnen eine sänerliche Pulpa, die man wit Zucker conservirt in fester oder gelatinöser Form. Die Bohnen brauchen nur gereinigt zn werden, eine Arbeit, die von den kleinsten Kindern im Schatten verrichtet werden kann und eine Art« von geselligem Vereinignngspunkt bildet, wozu sich die Wäldnachbarn mit ihren Familien gegenseitig förmlich einladen. Die Bohnen halten für so geringe Arbeit immer einen bedeutenden Preis und werfen steißigen Sammlern immer einen hübschen Gewinn ab. Und doch steht der Gewinn, der aus dem Caeaopfiücken entsteht, kamn in einigem Verhältniß zn jenem, der aus der sipkoma «liisüell stießt. Die 5ipli0mu ow5l1^>, der echte Gummibaum, Serin-gueira, wächst überall im Walde um Cametä, eine schlanke, zu hohen Bäumen aufwachsende Euphorbiacee aus dem Tubus der Crotoneen, also ganz nahe verwandt mit dem Ricinusgebüsch, der Maniocpftanzc und der Iatropba, — leicht zu erkennen an den immer zn dreien auf einem langen Stiele 44 zusammengestellten lanzettförmigen Blättern, welche an ihrem gemeinsamen Vereinignngsvuukte einige kleine Drüsen, meistens zwei oder drei zeigen, wie sich solche bei vielen, namentlich baumartigeu Euphorbiazeen finden. Häufig stehen die gemeinsamen Blattstiele dieser Dreiblätter wieder zn dreien zusammen. Der ganze Baum hat einen schlanken Habitus und meistens nicht übermäßig viel Laub. Desto größer ist der Reichthum, der in seinem Innern stießt. Kaum eia Blatt braucht man abzubrechen, kaum mit dem Daumennagel die Ninde etwas zu verwundeu, so fließt hastig ans der Wunde eine weiße Milch heraus, welche aufgefangen in ein aus frischem Lehm gemachtes Gefäß und dann über eine beliebige Form gestrichen und im Rauche von den brenuenden Nüssen der Attaleenpalmen getrocknet und geschwärzt, das bekannte Gununi-elasticum liefert, jenes berühmte, so vielfach angewandte Product, welches noch durch kein Surrogat aus seiner Alleinherrschaft hat verdrängt werden können und deswegen immer bedeutend preishaltig ist. Mit steißigem Gummisammcln kaun hier ein thätiger Mensch reich werden, ohne sich viel mit Arbeit zu plagen. Nur erinnern darf ich neben diesem Reichthum an die verschiedenen Arten von Anonaceen mit zuckersüßen Früchten, nur erinnern an die zu mächtigen: Baume aufwucherude Pa-couri, jeue plgwnw in^ui», vielleicht die höchste unter den Clusiaceen oder Guttiferen, deren Früchte ein angenehmes Gssen liefern, besonders aber mit Zucker eingemacht hoch geschätzt sind und weit versandt werden, sodaß man sie schon in Europa kennt. Ueber alle diese, ja über alle Laubgipfel des Waldes ragt nun hoch hervor die üm'Uwü^iA ux«6l5 ich brauugelbe Bürschchen von acht bis zehn Jahren, wenn dic Flut recht hoch war, hoch von einer Treppe, einem Pfahl, einem Geländer kopfwärts herunterstürzen. Wie oft trieben sie ihr Spiel im Wasser mit Nachahmen der sogenannten Tümmler, welche im Moment des halben Hcranstauchens, was sie in einem halben Bogen und im Fortbewegen thuu, schnarchend Luft holen. So auch diese Kuaben. Im Halbbogen tauchten sie auf, holten schnarchend Luft und waren wieder verschwunden. Ganz kleine Kerle aber, die noch nicht legitim sind im wilden Badetumnlt der größern, begnügen sich damit, unter großer Mühe in riu Cauot zu klettern und vom äußern Ende desselben in das Wasser ;u springen. Mit " , H 51 vier bis. fünf Zügen sind sie wieder am Ufer, um unter vieler Arbeit dasselbe Erperiment zu machen. Selbst junge Mädchen von 12 bis 14 Jahren nehmen noch unbefangen am gemeinsamen Baden theil, liebliche Iussarapalmen, an deren oberm Stamm die Blutenknospen mächtig emporschwellen, um zur vollsteu Entwickelung zn gelangen, während die erwachsenen jungen Mädchen in kleinern Rudeln einige Schritte weiter gehen, um am Waldraudc zu baden. Vier solche schlanke Euterpenmädchen fand ich einmal in einer stillen Waldcsbucht sich baden, als ich ans einsamem, kaum gangbarem Pfade spazieren ging. Bis zn den Hüften stieg den lieben, hellbraunen Kindern die lockende und kühlende Flut, an der sie gar nicht satt werden konnten. Dann schwamm wol die emc oder andere in ruhigen Zügen um die Gruppe herum, und das feine, schwarze, üppige Haar floß über den übersiutcteu Nucken hin. Oder zwei faßten sich kichernd und ringend, nm sich unterzutauchen, gingen aber im gleichen Kmnpfe beide nuter uud blieben ein Moment gauz verschwuudcu, bis sie, vom Wasser fortgetragen, einige Klafter abwärts einzeln wieder znm Vorschein kamen und schnaufend zn den Gefährtinnen zurückschwammen, wo sie dann alle aus User gingcu, niederhockten und vor dem Ankleiden aus dem üppigcu schwarzen Haar seitlich über die Schulter hin das Wasser ausdrückten, welches perlend über den schönen Nückeu hinabrollte. Solch eine einzige Gruppe an der Flut des Tocantins, unter Palmen und dunkelm Cacaogebüsch, ist ein gar liebes Bild, ein stilles, heiliges Waldgemälde. Und doch sah ich eins, was noch reizender war. Eine junge Frau gemischter Nasse kam mit einem lieben kleinen nackten Kerl von etwa sechs Jahren an den Fluß. Nur nut einem blauen Röckcheu um die Hüften ging die schlanke Frau in das Wasser, und in unendlicher Anmuth umschwammen 4 ^ 52 sich Mutter und Kind, bis die Mutter dicht am Ufer niederhockte, damit der kleine Fratz ihr den Rücken waschen sollte. Das that er auch, aber wenn er drei bis viermal mit der kleinen Hand über die schöne Wellenlinie des Rückens gefahren war, gab er der Mutter mit voller Hand einen Schlag, daß es weithin klatschte. Die junge Mutter drehte sich dann schnell um und drohte scherzend, und das Kind wollte nmfallen vor Lachen. Das dumme Spiel, was eben nur für Mutter und Kind Sinn und Verstand nnd endlose Wonne hat, trieben sie lange fort. Dieses Baden und Sckwimmen und Tauchen hat nun eine doppelte Folge. Das Personal von Cametä, namentlich das weibliche, ist oas reinlichste, was ich in meinem Leben getroffen habe, nnd kann allen andern weniger badenden Menschengeschlechtern recht zum Vorbild und Muster dienen. Heller oder dunkler, diese Frauen und Madchen haben eine Reinheit der Haut an Armen, Schultern, Hals und Gesicht, die wirklich selten, aber in Cametä ganz allgemein ist. Ihre Haut duftet förmlich den Wasserdunst des Flusses aus, ohne auch nur im geringsten, wie es am Aequator und bei der gemischten Klasse sonst wol häufig vorkommt, einen Geruch von TransspKation zu verrathen. So dicht zusammengedrängt gingen wir am Pfingstfest in der Straße, so angefüllt war die Kirche, so ganz nahe bei mir vorbei zogen die zahlreichen Menschen, und doch verrieth niemand irgendwelchen Hautdunst, als nur den der vollen Frische nnd Reinheit. Aber auch eine seltene, wenigstens für heiße Gegenden seltene Frische der Form und des ganzen Tonus ruft das viele Baden im Flusse hervor. Das heiße Klima und eine gewisse Naivetat bewirken eine große Freiheit der Toilette bei Framn und Mädchen. Selbst in Häusern, welche Wohlhabenheit und Erziehung verriethen, sah ich bei den jungen Mädchen, die dem Pfingstpersonal in der Straße zusahen, 53 eine zierliche Nachlässigkeil, die man in cinrr Weltstadt für wilde Ko.ketteric halten würde, vie mir aber wie die unbefangenste Natur erschien. Ob ein Modeladen in Cameta ist, oder eine pariser Schneiderin den Mädchen die Kleider zn-schncidet, weiß ich nicht. Doch hatten sie meistens wenig Zeug für den obern Theil des Kleides genommen, Aermcl waren kaum zwei bis drei Finger breit, alles saß weit und lose, locker und luftig, und die schönen, von keinem Scknür-leib eingezwängten und gehaltenen Frauenformen wurden ebenso frei vom kühlenden Norbostwinde umspült und frisch gehalten wie von den Wellen des palmenreichen Tocautins. Mir schien eben, wie gesagt, eine unendliche Naivetät in dieser sonst vollkommen geschmackvollen Kleidung zu liegen; lebhaft erinnerte sie mich daran, daß die Großmütter vou manchen dieser selbst sehr hellen, fast ganz europäisch aussehenden Mädchen vielleicht kaum mit einigem Federschmuck behängt auf demselben Tocantins gefahren waren, an welchem die Enkelinnen jetzt die Uebcrgaugsperiode zu einer vollkommen europäischen Kleidung durchmachten. Höchst merkwürdig ist es, wie in Vermischung mit europäischem Element auch Form und Farbe sich schnell aufklärt. Ich habe Töchter von echten Indianerinnen und europäischen Vätern gesehen, die wirklich fast ganz hell waren. Aber dennoch verrathen noch die feingeschnittenen, scharf schwarz gezeichneten Augenbrauen, die langen, seidenen Augenwimpern und das schwarze Auge, aus dem eine seltsame wehmüthige Sehnsucht herausblickt, dazu eine gewisse schmächtige Zierlichkeit der Schultern mit schönen, reichlichen Busenformen und unendlich kleine Füße und Häude die Enkelin, ja die Tochter der Indianerin. Das Schönste an dieser Enkelin, dieser Tochter ist das schwarze Haar. Während vie echten Indianer sehr dichtes, schwarzes, aber straffes Haar haben, wird es bei den Mädchen gemischten Ursprungs, deu 54 Mamelucas (während die aus indianisch-afrikanischer Mischung entstandenen Frauen Mistims genannt werden im Norden von Brasilien), fein und von seidenartigem Ansehen. Der Ueberstuß dieses schwarzen, in reichen, halblockern Massen um den Kopf geschlungenen Haars ist prächtig, ein wahrhaftes Diadem auf brauner Stirn. So gab mir denn das Anschauen von Fluß, Wald und Menschheit in Cameta mannichfachc Belehrung; war doch Cameta recht eigentlich der Gingang in die indianische Welt des Amazonenstronlgebicts und ihre Mischung mit der europäischen. Und ebendeswegen mischte sich mir in all den Zauber dieser eigenthümlichen Welt, in wie prächtigen Farben, in wie schönen Formen sie sich auch mir gerade am Wngstfest zeigen mochte, eine eigene Wehmuth. Auch hier wird einst, auch hier am breiten, ungezügelten Tocantius, die Zeit kommen, wo die blassen Gesichter, die im Tropenklima noch blasser und elender aussehen, numerisch vorherrschen werden, wie sie denn ja schon lange durch Ueber-legenheit'herrschen; — kommen wird die Zeit, wo die braunen, stillen Menschen ganz verschwinden werden. Cameta wird dann großem, eine bedeutende Stadt werden mit allen Schattenseiten und Vorzügen einer großen Stadt. Und auS den zierlichen Mädchen, die jetzt noch in unbefangener Naivetät ihre halbindianischen Reize verrathen und errathen lassen und sich selbst wol einem Einzigen in bleibender Trene hingeben, ohne den Formensegen einer hohlen, schlecht verwalteten Kirche zu solchem Natureheleben nothwendig zu finden, werden gewandte, schlane Krämcrinnen und Verkäuferinnen derselben Anmuth, die mir eben solchen Eindruck machte, wie die Anmuth der Mauritien und Guterpen. Das waren die Empfindungen, die mich in den letzten Augenblicken, welche ich unter dem dunkeln Manga- 55 bäum im Garten des Herrn La Roque zubrachte, durchzogen. Wir stiegen die Treppe hinunter in das Boot. Mein neuer, biederer Freund begleitete mich an Bord; wir schieden, ich von ihm, nm ihn mit seiner reizenden Wohnung nie wieder zu vergessen. Mit vollem Strome schoß unser Dampfer den mächtigen Tocantins hinunter. Da lag links noch die kleine, freundliche Aldea dos Parijös, eine ehemalige Mission, in welcher man den Tapuistamm der Parijös zn cnltivireu suchte; nnd weiterhin das noch kleinere Pacajä. Vor den kleinen Kirchen beider wehten weiße Pfingststaggen. Dann ging alles in dichten Wald über; nur einzelne grane Wolmnngen waren zwischen den Mauritiastämmen zu erkennen, — Cametä.sank unter, und an seiner Stelle berührte wieder der Flußhorizont den Himmel hinter nns. Ein offenes Meer schien dort zu liegen. Weit auf that sich der Busen von Marajö. Der Dampfer durcheilte ihn, während wir schliefen. Als der Tag anbrach, erkannten wir die zackigen Kircheugiebel von Parä und gingen eine Stunde darauf an das Land. Mir war aber seitdem zn Muthe, als ob ich das tropische, halbindianischc, Halbeuropaische Idyll von Camera nie wieder vergessen konnte, nie wieder vergesseil dürfte, einen Naturlaut, wie er nie wieder seitdem von mir vernommen worden ist, was auch noch später an enharmonischen Accor-deu aus dem Walde, von den Inseln, über den Strömen zu nur herübergetrageu ward. Man sagte mir auch gleich, daß ich solch eigenthümliches Zusammentreffen von beginnender Cultur und Gesittung mit nnbcrührter Natnr wie in Cameta wol nicht wieder treffen würde. Da ist keine Romantik, die mit Glacehandschuhen im kleinen Nachen über den Lac d'Engknen dahinrudert, wie ich 56 das bei Paris gesehen habe, keine Vierländertrachl, die an den Straßenecken von Hamburg Rosen verkauft nnd unter dem niedlichen Maskenanzuge manche andere Intrigue macht, — auch nicht die geringste Nomantik in Bildung und Literatur, wie sie allein dem überbildetcn Europa noch schmackhaft erscheint. , Ob Lesen, Schreiben, Rechnen schon durchweg in Cameta vorkommt, weiß ich nicht. In den nächsten Waldwohnungen bringt die Jugend es nicht einmal zum Zahlen. Ich stand vor solcher Walbwohnnng dicht am Flusse; cinc altere Frau zeigte mir die umstehenden Waldbaume. Da kam ans einem Fußsteig ihre Nichte gegangen, ein hübscher, lebendiger Kindeskopf auf den prächtigen Schultern und. dem schlanken Körper einer aufblühenden Jungfrau, die lieblichste Anomalie, die man sehen konnte. Um mir dieses Waldphänomen klar zu machen, fragte ich sie: „Wie alt bist dn?" Nach einigem Stillschweigen und Nachdenken sagte sie halblachcnd: „Vierzig Jahre!" Ich nahm das für einen Scherz und erwiderte sehr ruhig: „Da bist du noch recht jung; ich biu schon 80 Jahre alt." Ohne den geringsten Ausdruck von Zweifel sah sie mich an. Die ältere Frau aber sagte: „Das Kind hat noch nicht das Zählen gelernt." Und nun erst merkte ich, daß das große Kind, recht eigentlich >n ^avvl!» il ^vumml kul. in nninl n clnlcl, keinen Scherz machen wollte, sondern, um vor dem fremden Manne nicht gar zu dumm zu erscheinen, ihr Alter in Zahlen aussprach. Da erschien es mir, als ob im Hintergründe des unbefangenen Auges dennoch ein Stück echter Evanatur durchblickte! Wenn man im parfümirten Europa ein Mädchen von 14 Jahren noch zur Klasse der großen Kinder schlagen will, wird es leicht gereizt; denn es möchte liebe» 16 Jahre alt sein. Solch ein Empfindungsproceß ging ^ 57 ' auch wol in jenem hellbraunen Kindc vor. Ganz bestimmt wußte sie nicht den Unterschico zwischen 10 und 40 Jahren, wenn man ihr nicht zugleich den Zahlenunterschied an 10 und 40 Paranüssen oder Camobohnen klar machte. Und doch sagte sie in dieser Unwissenheit nicht: ich bin 10 Jahre alt, sondern: ich^bin 40 Jahre alt! Sicher ist sicher; für ein wirkliches Kind wollte sie nnn einmal nicht gehalteil sein, oder vielmehr wollte sie gar nichts; aber die Fraucn-natur in ihr schob diesmal das Kind beiseite, ohne die Eignerin beider mn Rath zu fragen, nnd gab ein Lebensalter an, in welchem man gewiß kein Kind mehr ist. Und doch wieder das Kind! In der Hand hatte sie ein Paar zierlicher Schnürstiefel von französischem Herkommen, welche sie halb verstohlen mit sichtlicher Freude anblickte. Offenbar wollte die Familie znr Stadt gehen; das Kind hatte auch einen Oberrock von leichtem Baumwollzeugc an, oben am Halse dicht zugeknöpft nnd fest nm die Hüften mittels eines Bandes zusammengezogen. Von irgendwelcher Unterkleidung schien nicht die Rede zu sein; auch entdeckte ich, als sie sich hin- und herbcwegte, keine Strümpfe, aber ein Paar wunderhübsche Füße, deren reizende Form andeutete, daß das Paar Schnürstiefel in der Hand des Mädchens wahrscheinlich das erste wäre, was sie in ihrem Leben bekommen hatte. Das war ihr aber unbeqnem, nnd sie wollte ihre neuen Stiefel bis zum uaheu Cametä in der Hand tragen; da konnte sie zugleich dieselben besser ansehen. Sonst war nicht der geringste Schmuck an ihr, nicht einmal eine Vlumc im Haar, wie sie das sonst wol im Walde und in der Stadt tragen. Vielmehr triefte das volle schwarze Haar noch vom Wasser des eben genommenen Bades; das ganze Kind duftete wie eine Maiwiese nach einen» Gewitterschauer. In 14 Tagen sollte sie heirathen! Das sagte sie selbst in der unbefangensten Weise. Und seltsam genug sagte 58 sie nicht: I5m ^Ull!/O 6lu8 V0U <^<>/sN-ine, sondern: (^usio o«2i,l'-mo, ich will mich verhcirathcn. Das Kind, was kurz vorher nicht bis fünf zahlen zu können schien, wenigstens nicht bis fünfzehn, hatte offenbar ganz nach eigenem Willen sich schon eine Vcrheirathung besorgt und wollte nach 14 Tagen heirathen und wird es ganz gewiß, ans reinem Eigensinn eines großen Kindes. Und so, ganz genan so ist die ganze Uebcrgangsgenera-tion am untern Tocantins. Wahrend die ganz reine indianische Form, die eigentlichen wilden Tapuis, sich vor den nahenden Europäern an dem Strome hinaufgezogen haben und dort in den Wäldern tribusweise bis zu 40M Individuen zusammenleben, wenn man sich auf ihr Zählen verlassen will, ist diese Uebergangsgcncration, heller an Farbe, viel schöner an Form, halb im Walde versteckt in und um Camctä wohnhaft geblieben. Mehr und mehr dringt längs des mächtigen Flusses die Cultur zur kleinen Stadt hinauf; auf schmalen, aber wohl befahrbaren Fußpfaden geht sie von der Stadt zu den einzelnen Waldwohnungen und sucht aus den Kindern des Waldes kräftige, vollgewachsenc Gesittungsmenschen zu bilden. Das gelingt der Cultur auch, gelingt ihr in vielen Beziehungen. Ordentlicher wird das Dach gehalten, schicklicher die leichte Kleidung zugeschnitten, abgerundeter die ganze Lebensform dargestellt. Und doch bleibt ein kindlicher, kindischer Zustand über dieser Form schweben, wie der kindliche Kops jenes Mädchens über entwickeltern Mädchenformen saß. Wo die Sonne fortwährend lothrecht über dem Walde steht und nur ein wenig bald nach der einen, bald nach der andern Seite sich neigt, wo die Meritiftalmen cwig grünen, der dunkle Cacaobaum immer seine goldgelben Früchte bietet und die lieblich schlanke Iussarapalme eine Vlüte nach der andern treibt, eine blaue Beerentraube nach der andern reifen 59 läßt zum Assai, da zahlt man keine Jahre und nennt kein Alter, und darf sich eben nicht wundern, wenn man große Kinder trifft, die wirklich nicht zählen können. Ebenso wenig darf man sich wundern, wenn sie nicht arbeiten! In allem Ernste werfe ich hier die Frage auf: Was sollen sie denn arbeiten? Etwa den Wald nmhauen, der ihnen alles liefert, Assai, Palmenkohl, Nüsse, Cacao, Gummi und dazu noch schmackhaftes Wild? Die Feier, den Frieden, die stille Harmonie der Natur stören, mit klirrender Art und prasselndem Feuer stören und zerstören, um geringere Nahrung, und noch dazu eine ihnen ganz fremdartige zu erzielen? Und sollen sie, wenn man ihnen so. den Walo, ihr erstes Lcbenselement, und die Faulheit im Walde nimmt, auch noch das zweite Lebensclement, den Fluß und das Baden in demselben anfgeben? Sollen sie vor lanter Arbeitstumult etwa schmnzig und widerlich werden? Dazu, welche tiefe Bedeutung hat das Baden nicht bei ihnen! Kaum irgendeine Landstraße gibt es, kaum einen Spaziergang. Dazu echauffirt das Gehen und fast ebenso viel noch das Reiten, und rnft Transspiration hervor. Und wer hat am Ende ein Pferd, wenn der Fluß mit seinen weiten Armen die alleinige Landstraße bildet? So vertritt denn der Tocantins die öffentliche Promenade und das Schwimmen in ihm die Leibesbewegnng, gerade in einem heißen Klima die angenehmste. Nicht einmal die Füße brauchen den Körper zn tragen; kanm braucht man Hände und Füße zu regen, um voll den Wellen getragen zu werden und hin und her in ihnen zu schweben. Und bei dieser Bewegung wird man nicht einmal warm und geräth in keine Transspiration, ganz abgesehen davon, daß damit ein Theil der Zeit und Langeweile hingeht. Auch für die jungen Mädchen hat das Bad seine eigene 60 Bedeutung. Gesellschaft, Ball, Theater und Oper gibt es noch nicht in Cametä. Um nun doch einen Ersatz zu haben für all diese Entbehrungen, gehen sie zusammeu zum Baden. Im waldumschatteten Wasser stehend oder umeinander herumschwimmend lachen sie dort miteinander oder klagen sich einander ihr Leid und ihre heimlichsten Herzensangelegenheiten, die eben nur der Tocantins zu hören bekommt. Sie sind da recht eigentlich im indianischen Element, dem sie zur Hälfte gehören nach ihrer Abstammung; und manche mag da wol der Ieit gedenken, wo die Tapuimädchen hier freier als jetzt durch den Wald zogen und kaum mehr als einiger bunter Ararafedern bedurften, um die Toilette fertig zu machen. Im Schwimmen wetteifern sie, nicht im Tanzen; daher darf man sich nicht wundern, wenn sie anf einsamem Waldwege die engen Schuhe in der Hand tragen und sie erst vor der Stadt oder auch vielleicht manchmal gar nicht anziehen. Doch fürchte ich meine Leser zu lange am Wald und Fluß von Cametä mit Kleinlichkeiten aufzuhalten. Lassen wir das liebliche Palmenleben abgethan sein! Einige Ausflüge, die ich um Parä herum vorhatte nach meiner Rückkehr von Cametä, mußte ich fast durchweg aufschieben. Doch bot mir eine Nachmittagsfahrt nach S.-Ioäo, etwa eine halbe deutsche Meile nordöstlich von Para, vielfaches Interesse dar. Dort ist eine einfache, aber ausgedehnte Anpflanzung eines gutcrzogencn, lebcnsfrischen Brasilianers, Senhor Bruno. Ans dem der wilden Natur abgekämpften Wiesenteppich ragt in zwangloser Regellosigkeit und dennoch in wohlbeherrschter Ordnung die üppige Kokospalme in allen Altersstufen heraus, zwischen dem Palmetnm dunkle Manga-bäume und die hohe Spondiasart Cajaseiro, von viel safti? germ Ansehen, als wir sie in Nio kennen. Zum ersten male zeigte man mir auch den hohen, vielverästeten Baum, welcher 61 die Tonkabohne liefert, Mpwr^x oäornln, eine Papilionacee von den ss —700 Arten, die sich allein im tropischen Amerika finden und wahrscheinlich noch um ein volles Drittel dieser Anzahl sich vermehren lassen. Besondere Aufmerksamkeit erregte mir auch der umgehauene Stamm eines Genipa-peiro, der mich wegen seiner Dicke und Unregelmäßigkeit glauben machte, er hätte einer wilden Fcigenart angehört. Wol an drei Fuß konnte der Durchmesser des Stamms am untern Ende betragen. Vielleicht möchten wir in dieser llo-nip« Nl-ö8ilion8i8, deren Blüte von gar liedlichem Duft ist nach Art der Gardenien, das Manmnm der Ausdehnnng unter den Cinchoneen finden. Duft und Fanülienverwandt-schaft aber rufen ill der Erinnerung des nordischen Reisenden das kleine, bescheidene Bild der ^poruln a^oralg, des vielbesungenen Waldmeisters, hervor. Ein hoher Baum zwischen diesen erschien mir fremd. Eine üppige Belaubung um luftige Zweige, dicke, saftgrüne Blätter ließen fast auf eine Clusiaecc schließen. Doch sprach dagegen die Frucht, deren Ansehen mich auf das lebhafteste an unsere Roßkastanie erinnerte. Der Baum heißt Andiroba (<^,l,f><-, Auwnnonsi»), aus seinen Kastanien wird ein Oel zum Brennen gepreßt. Dort Andiroba ein hoher Waldbaum; an beschatteten Flüssen Nhandiroba und auch Andiroba genannt, eine zarte Cumrbitacee eigener Art, ebenfalls mit ölgebenden Mandeln! Ich vermuthe, das Wort Andiroba heißt in der Tupjsprachc weiter nichts als Oel. Andiroba wäre dann ein Oelbaum, Nhandiroba dann eine Pseudoölpftanze, wie denn der Vorschlag von Nh eine Negation ausdrückt, wie z. V. bei den Botocuden gmpiop gut, nl»«mpiop nicht gut heißt. Wenigstens ist diese Erklärung, wie es mir scheint, die einzige, wenn man in der Sprache des Urwaldes zwei Ge- 62 wachse, in Fonu und Ausdehnung von der allerverschiedenstcn Art, mit gleichem Namen belegt findet. Recht interessant und für den Besitzer luerativ ist auch ein Steinbruch in S.-Ioao, den man im aufgeschwemmten Bo-den von Para kaum vermuthen sollte. Das Gestein selbst, wenn es so genannt werden kann, ist eiu ungemcm lockeres loser Sandstein, fast nur ein grober, couglomerirter Sand von schwarzröthlicher Färbung, offenbar mit starker Eisenbei-mischung, welchc letztere Beimischung au manchen Stellen bedeutendere Schwere uud Mctallcokäreuz hervorruft. Einzelne goldfarbig angehauchte Stellen uud rothgrüne Atome lassen auf Beimengungen vou Schwefelkies und andere Kupfer-mischnugen schließen. Der Stein wird zum Bauen uud namentlich zu Straßenbauten vielfach benntzt. Ein hereinbrechender Negcn und beginnende Dunkelheit hinderten uns am Wiederaufsuchen einer mineralogischen Ader, die mich eigentlich am meisten znm Befnch vou S.-Ioao eingeladen hatte. Iu Pemambueo fand ich zwischen den Haufen von Gra-nitfragmenten und graugrünen Kalkstein stücken, mit denen man auf der Boa-Vista dicht am Wasser eiu großes Lyceum baute, schwarze Fragmente vou bedeutender Schwere und metallartiger Dichtigkeit. Ebenso wie mir die Arbeiter den Fnndort der andern Steine genau angaben, sagten sie mir, diese schweren, harten Steine kämen von der Insel Fernando de Noronha. Ich hatte keinen Grund daran zu zweifeln, um so mehr, da diese schwarzen Massen die entschiedensten Spureu vulkanischen Einflusses an sich trugen, wie solcher hinreichend auf jener Insel sich zeigt. Um ihre Einwirkung an der Boussole zu erproben, nahm ich einige Stücke davon mit und fand nun, daß das Ende eines länglich geformten Stücks dieses schwarzen Gesteins die Magnetnadel östlich, und wenn ich die Oberseite desselben Endes zu uuterst braclue, 63 westlich abstieß. Ich gab meinem Freunde Ur. Schüch de Capancma eiu Stück davon. Dieser zeigte es auf uuserer gemeinschaftlichen Reise von Maceio nach Ceara in Rio-Graude do Nortc dem dortigen Präsidenten Bcaurcpairc-Rohan, welcher dem »>-. Capaneiua berichtete, dieses Gestein käme in einen: Steinbruche bei Parä vor. Und wirklich hatte jener Präsident mit Herrn Bruno auf dessen Landsitz die dortige Ader des Gesteins untersucht. Der Besitzer hatte einmal eine Quantität davon Pein Feuer ausgesetzt und 40 Proeent Eisen erhalten. Eine genanere Untersuchung war erst noch anzustellen. Vielfache Bcsorguugen zu meiner Amazonenfahrt machten mich noch am letzten Tage meines ersten Aufenthalts in Parä vielfach umherlaufen und öffneten mir immer nene Einblicke in das eigenthümliche Lebeu der Stadt, in der wirklich alles originell ist, von den brauugclb gemischten Menschen bis zu den schwarzen Geiern, die zahm wie die Hühner auf den öffentlichen Plätzen umherlaufen uud in großen Scharen mit den Tanben auf den Hausgiebeln sitzen. Besonders lieben sie den Platz vor dem Iollhause, der auch an Schmuz seinesgleichen sucht. Der Muuieipalkammer und Straßenpolizci machen sie bedeutende Ersparnisse dnrch das Vertilgen von allem nur denkbaren Unflat und genießen auch deswegen das vollste Bürgerrecht in der ganzen Stadt. Das Zollhaus selbst, vor dem die Urubus Wache halten, ist ein ehemaliges Kloster, vielleicht das größte Gebäude von Para, mit dicken Mauern und von fester Construction. So-wol unten in den alten Räumen, wie oben wo durch das Eiureißen von ehemaligen Zellen prächtige, weite Lokale gewonnen sind, können bedeutende Waarenvorräihe aufgespeichert werden und sind es in der That anch. Uud wer sich die Mühe geben will, diese Gänge zu durchschreiten uud das Lebeu uud Treiben mit anzusehen, was dort vorgeht, kann 64 sich einen Begriff machen von der Handclswichtigkeit der Stadt Para, welche das ganze ungeheuere Amazonengebiet mit Waaren versorgt und in Handelsthätigkeit setzt, wie wir das am mächtigen Strome selbst noch sehen werden. Und dennoch ist der Landungsplay, an welchem die täglich aus dem Innern kommenden Laudcsftroducte ausgeschifft werdeu, noch viel interessanter für den Europäer als das große, weite Zollhaus. Der breite, heiße Strand, an dessen Kai der graue Strom dahinrcnnt, trägt ein lockeres Menschcnknäuel, welches man dennoch nicht leicht in seine Elemente abwickeln kann. Gerade wie die Wege sich kreuzen beim Gehen und Kommen dieser seltsamen Lazzaroni, so kreuzen sich auf dem Lebenswege ihre Rassen. Vom pechschwarzen Neger, vom dunkelbraunen Tapui an bis zur fast weißen Mamelu.ca kommen hier alle Farben, alle Formen vor. Die muthwilligste Küustler-laune eines Malers könnte sie nicht besser durcheinander gruppiren und anstreichen. Kleine Canots und klotzige Flußschiffe, echte Dschonken des südamerikanischen Uang-tse-kiang, leichte Jachten und schwere Boote liegen am Ufer mit ihren seltsamen Bemannungen oder vielmehr Besahungen, denn auch Frauen kommen vor auf diesen Schiffen. Und au"s all diesen sonderbaren Fahrzeugen kommen halbzcrrisscne Säcke zum Vorschein, aus denen Cacaobohnen herausrollen, — lose Körbe und offene Fässer, in denen Gmnmi-elasticum in Form von Hohlkngeln, dicken Platten und schmuzigen Knollen sich befindet, — dann der Päo d'Arco, eine höchst originelle Psianzenproduction. Während diese schöne Bignonie mit rothen und gelben Blüten den ganzen Wald an einzelnen Stellen, wie z. V' am AbHange der Tabuleiros von Alagoas, weithin schimmern macht und ganz vorzügliches, schweres Nutzholz liefert, liegt der Bast in so feinen, pavicrartigen Schichten von leichter Spaltfahigkeit 65 aufeinander, daß diese feinen Splintblätter statt des Papiers ganz wie die Deckblätter der Maisähre zum Anfertigen der Cigaritos oder Papiercigarren benutzt werden, welche von allen Altersstufen nnd beiden Geschlechtem geraucht werden. Ganze Packe dieses Papierbastes kommen des Morgens zur Stadt. Ich konnte die seltsame Bildung mir znerst gar nicht erklären. Keineswegs kommt dieses Vastpapicr von der Ile,-tlwIIoUi! 6xc«>!5ii, deren Rinde vielmehr ein eigenthümliches Werch zum Kalfatern liefert. Ilnd nun noch Nüsse, die dreieckigen Paranüsse, und die Pirarucu! Ganz wie die Carncsecca sich zum frischen Fleisch, verhält sich die Pirarmn zum frischen Fisch. Unkenntlich nnd dennoch an Form, Substanz nnd penetrantem Gernch sehr erkenntlich kommt die Piraruen, „der rothe Fisch", als eine Art länglichen Stockfisches allmorgcudlich den Fluß hinunter, um das Volk der untern Klassen zu speisen. Assai und Pirarueu, die Palme am Strande und der Fisch im Wasser, beide Kinder des Stroms, sind am Parä Lebensbeoingnngen für die Bewohner des Ufers geworden, sodaß die Natur dieser Bewohner selbst eine halb vegetabilische, halb fischartige geworden ist. Was der Mensch ißt, das wird er znleyt annäherungsweise selbst. Wer immer und lange Assai nnd Pirarnen gegessen hat, nimmt die Natur der Guterpe und jcneS Fisches an; ein echter Sohn des Stroms wird ans ihm, ein mit Lungen athmender Was-scrmensch. Mit dem Assai ging es mir wirklich so. Je mehr ich davon aß, desto anziehender ward mir das ungeheuere Wassergebiet am Aequator; nnd mit rechter Spannung packte ich das zur Fahrt anf dem Amazoncnstrome Nöthige zusammen, um mich anf Wochen oder Monate am Strome nnd seiner Palmenwelt zu erfreuen. Mit dem Schlage 12 Uhr mitternachts zwischen dem 17. Avc-Lallcmant, Nord-Vrasilicn. II. 5 66 und 18. Juni sollte der Flußdampfer Marajö seinen Anker lichten. Meine lieben Freunde und Landslentc Tappenbeck-und Brambeer kamen von ihrem Landhanse zur Stadt, um mich an Bord zu dringen; wirklich, es haben sich sehr selten zwei Landsleute so freundlich und zuvorkommend um mich wie diese beiden bemüht. Selbst nm Mitternacht mußten sie mir das Geleite geben. Wir fuhren den breiten Strom abwärts, um iu eiilströ-inender Flut den Dampfer zn erreichen. Hier fanden wir schon einige Passagiere und vor allem einen so znvorkommenden Commandanten, wie man ihn kanm auf einem Packetschiffe erwarten konnte. Ohne weiteres ward ich, als ein.vom Baron von Mauä speciell an sämmtliche Oerenten der Amazonen-schifsahrt Empfohlener, in seine Kajüte einquartiert, während Herr Manns Williams, ein nngemein thätiger und am ganzen Amazonenstrom vielfach bekannter Nordamerikaner, der mich ebenfalls an Bord begleitet hatte, sich auf dem Verdeck bemühte, mir noch eine Menge Briefe zu schreiben für die Bewohner der einzelnen Ortschaften am Flusse, und dem ersten Steuermann des Schiffs, einem Nordamerikaner, dringend befahl, sich „nützlich zu machen", — alles in der originellsten Weise, sodaß ein wahrhaft homerisches Lachen jedermann erschütterte und zur höchsten Stnfe gehoben ward, als Mr. M. Williams iu seinem Amtseifer über den wichtigsten Brief an den Generalvicar der Provinz und Director der Indianer in Manaos, den Conego Ioaqnim d'Azevedo, statt des Streusandes Tinte schüttete. Glücklicherweise unterbrach ein tüchtiger Negcn die Mitternachtsscene, die Frennde kehrten an das Ufer zurück, und der Marajö lichtete die Anker, während ich mich herzlich müde in meine Koje legte lind im Wachen und Schlafen von allen Erscheinungen, die am Amazonenstrom meiner harren möchten, träumte in der allerglückseligsten Weise. Drittes Kapitel. Dcr Amazoncnstrom bis zur Mündung dcs Rio-Negro. — Ankunft in Maiiaos. xann8 uuter fast unübersteiglichen Hindernissen; und seit sechs Jahren durchfurchen Dampfschiffe das ungeheuere Amazonengebiet. Zweimal im Monat geht ein Dampfpacketboot von Parä nach Manäos, alle zwei Monate ein Dampfschiff von Manäos nach dem Greuzdetachement von Tabatinga, und ging sogar bis zur pcruauischeu Stadt Nauta, bis in ncncrn Zeiten bei der Unbeständigkeit der peruanischen Sachlagen letzterer Ort aufgegeben ward und die Fahrt bei Tabatinga endet, sodaß Manäos recht eigentlich die Mitte der ganzen Dampfschiffahrtslinie anf dem Amazonenstrom bildet. Doch ist es ziemlich bestimmt, daß die peruanische Fahrt wieder aufgenommen wird; sie häugt zu genau mit der Gnt-wickelnng, ja mit dem Leben der peruanischen Districte östlich von den Cordilleren zusammen und rückt namentlich den höchst bemerkcnswerthen Handelspunkt Moyabamba, an einem Nebenflusse des in den Amazonenstrom fallenden Rio-Huallaga gelegen, dem Welthandel viel näher. Denn die Verbindung vou Moyabamba mit Trurillo auf dem Cordillerenwege ist unendlich beschwerlich, obgleich eine sogenannte Handelsstraße eristirt, welche aus dem' Thale des Amazonenstroms mit ziemlicher Sicherheit zum Stillen Ocean führt, wie ich denn viele Personen kennen gelernt habe, welche von Lima über Trurillo und Moyabamba nach Para gegangen sind. Ich selbst hatte diesen Zug vor uud würde ihn unbedingt ausgeführt habcu, wenn nicht Zeitverluste am Mucuri und dann ernste Kriegsnachrichten aus Europa mich genöthigt hätten, an meinen europäischen Rückzug mit Aufgebung jcuer Reise 70 zu denken, welche einige Monate hindurch mich als Lieblings-project vielfach beschäftigte und in gespannter Aufmerksamkeit hielt. In pollster Glorie erhob sich am 18. Iuui die Sonne von Waterloo hinter den im Nebelduft des Morgens schwimmenden Mauritiawaldungen. Mitten auf der weiten Süßwasserbucht Vahia do Marajö befand sich unser Dampfer und eilte im Südwestcours an den fernen Wasserverzwcigungen vorbei, welche die Mündungen des Tocantins in den Gran-Parä bilden. So gewaltig ausgedehnt sind diese Verzweigungen, so mannichfach die Inseln, so gleichmäßig deren Bildungen, daß nur ein sehr sachkundiger Lootse sich in diesen ausgedehnten Labyrinthen von Wasser, Inseln und Palmenwaldungen znrecht findeil kann. Nachts werden die vom Parä-strom dem Amazonenstrom zueilenden Schisser von einem kleinen Leuchtfeuer geleitet, an einem Punkte, Goayabal genannt, auf dem linken Ufer des fließenden Wassers gelegen. Um 11 Uhr sahen wir die Laternenstange bei einem einsamen Waldhäuschen stehen und hatten dcun^t die Bucht von Ma-rajö zurückgelegt. Viele kleine Buchten und Inseln bezeichnen hier die Durchfahrt zum Amazonenstrom. Auf der Insel Marajö liegt die kleine Bucht do Tenorio und dient als Orientirung, um einen sichern, aber sehr schmalen Weg zwischen zwei Waldinseln hindurchzufinden. Dann gclcmgt man in westlichem Cours zu Süden zu den Inseln Paqneta und Eonceicäo, wo die Wassergasse wieder eine bedeutende Ausdehnung gewinnt und von neuem daS Ansehen eines Landstes an sich trägt. Ruhig und ungestört war die Fahrt. Am Morgen hatten wir gleiche Temperatur des Wassers und der Luft gehabt, 28 l/Z' C. Am Nachmittag war es heißer, wir hatten 30" C. und später selbst 33" C., was für ciue sogenannte Winterzelt immer noch recht warm ist und mich unwillkürlich an 71 Lages in der Provinz Sta.-Catharina erinnerte, wo ich vor einem Jahre den 18. Inni mit dem alten Waterlookrieger Trüter feierte. Dort deckte bis 11 Uhr der schneeweiße Morgenreif die Felder; ich konnte die Feder zum Schreiben nicht halten, und nnr zu gern hockten wir, in Ponchos und Decken gehüllt, um das irdene Becken mit glühenden Kohlen. Solche Klimadifferenzen bei ganz gleichen Zeitdaten erinnern unwillkürlich an die ungeheuere Ausdehnung des brasilia« nischen Kaiserreichs, welches sich durch 37—38 Breitengrade hindurcherstreckt. ^ Eine eigenthümliche Laune hat die Palmenwelt am Para und Amazonenstrom. Bald usurpirt sie allein den ganzen Boden, manchmal sogar eine einzige Species ganze Ufer-districte. Am Toeantins, wenige Meilen östlicher, als die südliche Durchfahrt unterhalb der Insel Marajö gelegen ist, war alles scheinbar ein Mauritienwald, vielfach durchseht von schlanken Guterpen. Und nun fand ich, wie häufig ich auch beide schone Palmenformen entdeckte, einen wirklichen Laubwald vorherrschend auf einem schon festern und weniger vom geschwollenen Flusse überschwemmten Boden. Eine reglose Windstille lag auf dem Walde und den Gewässern. Mit schlaffen Segeln lagen die Vigilingas und Gambarras, originelle Amazonenfahrzeuge, am Ufer, um einen guten Wind abznwartcn, der ihnen gerade dort unterhalb der Insel Marajö tage- und wochenlang ausbleiben kann und selbst dann auch noch, wenn sich einiger Luftzug entwickelt, nicht stark genug ist, um die Strömung der Wasser, wie gelinde dieselbe auch südlich von Marajö ist, zu überwinden. Manche Amazonenfahrzeuge sind wirkliche Seeschiffe, Jachten und Schooncrbriggs, die tief den Fluß hinaufgehen und über Para das offene Meer gewinnen können. Bei frischem Winde machen diese Schiffe mit offenen Segeln, deren sie 72 bis sieben tragen können, einen wundervollen Effect am grünen Walde. Sie haben als Seeschiffe gänzlich europäische Form nnd Behandlung. Ganz anders die eigentlichen Canots oder Emmas, wie man das Wort am Amazonenstrome gern ausspricht. Man muß, wenn man in jenen Gegenden von einem Handelscanot redet, die Idee an einen ausgehöhlten Baumstamm ganz fallen lassen, wie wir das ja schon am S.-Francisco gesehen haben. Die großen Canots auf dem Amazonengebiet sind mächtige Ballastboote, die bis zu 4000 Arroben (Arrobe — Z2 Pfo.) tragen können. Zwar sind sie bei sonst sehr groben, klotzigen Proportionen nach vorn und hinten schmaler zugeschnitten als in der Mitte, aber dennoch endigen sie vorn in einer platten, schrägen Fläche und tragen hinten, uud zwar über dem Steuer hinweg hervorspringend einen großen Kasten, die Kajüte, das Wohnhans des Kapitäns, der hänsig ein Weißer, wenigstens kein Tapui ist, während die Besatzung meistens aus Indianern besteht, zu denen sich auch wol eine Indianerin als Auserkorene des Befehlshabers hinzugesellt und als Köchin für das ganze Personal. Die Mächtigkeit des Stroms, die Klotzigkeit des Fahrzeugs, die braunen Chinesen des Westens auf ihm, — das alles erinnerte mich fortan jedesmal an den fernen Osten und das Flußgebiet des Z)ang-tse-kiang! „I^n-6««, 'u. Nie sah ich größere Palmblattfiächcn. Bis 30 Fuß Länge ragten sie fast ganz gerade hinaus, mit dem Ausdruck großer Derbheit und Consistenz. Zwar sind sie gefiedert, doch erst in ihrer spätern Lebensperiode, sodaß jüngere Blätter eine große zusammenhängende Fläche bilden. Aller Ausdruck von Kraft und Mächtigkeit liegt iu dieser uugetheilten Blattart. Zudem ist sie außerordentlich dauerhaft und bildet deswegen eine vorzügliche Dachbcdeckuug. Alle Dächer der Tapuiwohnungen waren mit Bussublätteru bedeckt am untern Ämazoncnstrom. Ja ein einziges Blatt, richtig zugeschnitteu, bildet eine vollkommene Thür vor der einfachen Indianerwohuuug. Während ein Dach von Blättern der Nmei-p« owl'ooea und den Geonomcn eben drei bis vier Jahre dauert, hält ein gutes Vussudach an 20 Jahre. Ebenso gern setzt man die mächtigen Blätter auch außen gegen die hinfälligen Lehmwände der Wohnung, damit sie den anschlagenden Negen auffangen. So scheint manche Tapuiwohmmg nur aus getrockneten Bussublättern zu bestehen; und in der That müßte es sehr leicht seiu, ein hübsches, ziemlich starkes Häuschen nur aus diesen schönen Palmblätteru zu baueu, deren gezähnter Rand die Pflanzenpracht noch höher steigert. Noch origineller als ihre Bnssndächcr erschienen mir aber die Bewohner derselben, meistens Tapuis, rein oder vermischt. In der Hängematte des offenen Hauses liegt, sich gelinde fchaukelud, der Manu. Auf dem Boden sitzt, meistens das 76 Kinn aufgelegt auf das heraufgezogene Knie, seine Fran; mindestens ein halbes Dutzend nackter Kinder steht dabei; — alle gaffen indifferent und nichtsthucnd das vorbcirauschcnde Schiff an. Vor der Thür liegt halb im Schlamme ein kleines Canot mit seinen Tellerrudern; ein Hnnd und ein Pa-ftagai bilden die aggregirten Hausgenossen. Wenn sich einmal jemand bis zu einer Arbeit potenzirt, so ist es die Frau; der Mann thut nicht leicht etwas; die Arbeit ist unter seiner Würde und schickt sich nur für Weiber. Ein höchst eigenthümliches Beispiel solcher Frauenthätigkeit sahen wir selbst. Am Kanal von Tajavuru lebt eine sehr bekannte Frau von halbindianischer Abknnft und mit einem etwas dunklern Manne vcrheirathet. Diese Fran macht, allein im Canot fahrend, bedeutende Handelsgeschäfte mit Waaren, die sie von Parä bezieht. Allein rudert sie durch alle die kleinen Igarapes oder Wasserwege, nm ihre Waaren zu verkaufen oder zu vertauschen, und soll sich so ein Vermögen verdient haben. Zu aller Sicherheit hat sie immer eine geladene Büchse und ein großes Messer bei sich; beide liegen neben ihr in der Hängematte, wenn sie schläft. Wir sahen sie mit ihrem ganzen Hausstande vor der Thür stehen, ein nngemein rüstiges, gut aussehendes Weib, welches herzlich lachte, als alle sie mit lantem Znruf begrüßten; denn es fährt kaum jemand von Parä nach Manäos, der nicht die berühmte Amazone Donna Maria am Kanal von Tajapuru kennte und großen Respect vor der kühnen Erscheinung hätte. Der Kanal von Tajapuru theilt sich in mehrere Arme, deren einen, den Kanal von Limäo, wir einschlugen. Gegen 2 Uhr nachmittags trafen wir an seinem letzten Ende gerade in der Mitte eine kleine Waldinsel, Itmuara, welche wie ein Waldblock ans dem Wasserspiegel herausragt. Hier ist die Boea de Itucuara, die Einfahrt in den 77 eigentlichen Amazoncnstrom, dessen volle Breite wegen vieler Inseln nicht übersehen werden kann. Vielleicht heißt die Stelle richtiger Itaeoara nach der Etymologie des Waldes. Grau und in großen, mächtigen Wirbeln rollte der ungeheuere Strom, in den wir nnu einliefen, zwischen seinen Waldufern dahin, das volle Bild von gewaltiger Kraft und nie versiegender Fülle gebend. Den Strom hinunter und hinauf schien die graue Flut, ähnlich dem Meereshorizont, an den Himmel anzugrenzen. Ein frischer Wind strich darüber hin; fast im Nu sank mein Thermometer von 32" C. auf ^!>"; es war mir dieselbe Empfindung, als ob ich aus einem engen Hafen rasch in das offene Meer ginge; und nur das schien nur der wesentliche Unterschied zu sein zwischen dem offencu Meer und dem Strom, daß auf lehtcrm das Dampfboot nicht anf- und abwogt, sondern nur hin- und herbewegt und aus seinem Cours gebracht wird von großen, mächtigen Wassenvirbeln. Das ist besonders an einzelnen Ecken und Vorsprüngen der Fall. Dicht am Ufer, in der nächsten Nähe des Waldes ist die Strömung immer viel geringer als in der Mitte, weswegen die den Fluß hinaufgehenden Schiffe immer am Nande zu bleiben suchen. Hinter einzelnen vorsprüngen und in kleinen Bnchten ist sogar oft nicht die geringste Strömung, oder selbst am Ufer eine ganz kleine Gegenströmung, ein Ruhen des Wassers, ein Nemanso. Kommt man aus solchem Remanso herans, biegt man um die nächste Waldecke, so empfindet man selbst auf dem Dampfboote die volle Stärke des flutenden Süßwassermeeres. Das Dampfboot legt sich auf die der Strömuug zugewaudte Seite uud wird schnell abwärts gerissen, bis es in gleichmäßig laufendem Wasser wieder seinen Cours anfnehmen kann. So stark ist die Bewegung, daß sie mich manchmal nachts vom Schlaf aufweckte 78 und ich selbst im Bette die schiefe Lage des fortgerissenen Dampfboots empfindlich bemerkte. Die Temperatur des Amazonenstroms war an dem Tage ganz dieselbe, die ich in der Bahia do Marajö gefnnden hatte, etwas über 28" C., wie ich denn bis nach Manäos hinauf eine ungemeine Beständigkeit der Wassertemperatur und auffallende Wärmegleichheit zwischen Luft und Wasser beobachtet habe. Desto verschiedener zeigte sich der Wald, in dessen nächster Nähe wir hinfahren konnten. Während der Fluß bei niedrigem Wasserstande unter einem hohem Waldufer hinläuft, war er dieses Jahr um 40 Fuß gestiegen und war in allgemeinem Ueberfluten tief in den Wald hineingedrungen, sodaß der nächste Waldrand schiffbar war und genau betrachtet werden konnte. Vor allem schien mir das Colorit des Waldes höchst bemerkenswerth. Wirklich von allen Farben /and ich Laubschichten, grauweiß, grüngelb, roth, dunkelgrün und tiefbraun; oft glaubte ich ganze Blütenmassen zu erkennen aus der Ferne; kamen wir aber näher, so stellte sich der Irrthum heraus; aus den weißen Blüten wurden umgewandte Cecro-pienblättcr, aus rochen Blumenschichtcn ward juuges Laub an den Zweigspitzen einzelner Myrtaccen, wenn auch oft genng trotz der ruhenden Jahreszeit sich ein wundervoller Blütenstor herausstellte. Was aber am meisten auffällt und ganz besonders diejenigen enttäuschen möchte, die durchweg im brasilianischen Urwalde nur kolossale Dimeusiouen von Stämmen suchen wollen, ist eben die ungemeine Schlankheit sämmtlicher Waldbäume. Nicht die Palmen allein, auch die Laubbäume streben fast durchweg nach der wundervollsten Schlankheit, soweit man vom Ufer in den Wald hineinsehen kann; in solchem Maße streben sie danach, daß man nur zu oft einen schlanken 79 Schaft in der vollen Ueberzeugung, er gehöre einer Palme an, mit den Augen mißt, während er an seiner Spitze kaum etwas mehr als einige kleine Zweige und wenige Blätter trägt. So gestehe ich denn, daß ich anderswo in Waldungen, z. B. in Sta.-Eatharina, viel dickere Stämme gesehen habe als auf der ganzen Fahrt von Parä nach Manäos, ^50 geographische Meilen, und daß ich mich viel mehr an der schlanken Form der Bäume gefreut, als über deren kolossale Dimensionen, soweit ich sie vom Schiffe aus übersehen konnte, gestaunt habe. Gern gestehe ich dabei ein, daß von einem Schiffe aus nnd beim Reisen durch weite Räume gar manche Dimensionen viel kleiner erscheinen, als sie wirklich sind. Versuchen wir es nun, gleich von vornherein die Baum-formcn hervorzuheben, die sich am meisten, ja fast in ununterbrochener Reihenfolge wiederholen am untern Amazonenstrom, so nehmen an Zahl der Individuen, an Mächtigkeit der Formen und Eigenthümlichkeit der ganzen Erscheinung den ersten Platz die Bombacecn ein. Sumaumeiras (l5riom!) nennt man die oft gewaltig großen Bäume, die periodisch ganz blattlos oder nur mit geringer Bclaubung bedeckt, längs des gauzen Ufers zu sehen sind. Ein vollkommen glatter Stamm mit sparri-gen, weiten Acsten und durchsichtiger Krone, die Endspitzen reichlich versehen mit Knospen, einigen weißen Blüten und besonders jenen rothen, weithin schimmernden, ovalen Kapseln mit stehen bleibendem Pistill, aus denen, wenn sie aufspringen, eine weiße, leichte Wolle hervorftiegt, das sind Eigenschaften, woran diese gewaltigen Bombaecen leicht und auf den ersten Blick zu erkennen sind. Ihr Holz ist meistens locker und sehr leicht, wie das den Bombaeeen allgemein eigen ist. Wo sie neben andern Waldbäumen isolirt stehen, nigen sie meistens über dieselben hinaus. Oft aber bilden sie den Wald in ziemlichen Strecken ganz allein und geben 80 ihm dann den vollen Ausdruck eines verdorrten oder von Raupen zerfressenen Waldes, in welchem nur noch die einzelnen pnrpurfarbigen, herabhängenden Früchte von Leben reden. Eo saheil wir gleich am ersten Tage unserer Fahrt auf dem Amazonenstromc die Sumanmeiras am überschwemmten Ufer ans dem Waffer herausragen, zahlreich umgeben von der Mnngnba (liaml>«x klun^ulw), der Rivalin des eben-genannten Griodendron, und in den meisten Beziehungen ihm sehr ähnlich. In großen Mengen sahen wir die rothen und weißen Wollflocken beider Bäume über den Strom dahinfliegen. Viel kleiner als jene mächtigen Rivalen, mit viel wenigem und sparrigen Aesten versehen, an deren Enden einige langgestielte und ticfgetheiltc Blätter sich finden, wnchert in noch größerer Menge als Bombaceen die Schar der Cecropicn am Waldrande umher. Ich habe schon oft voll diesen eigenthümlichen Vänmen geredet, deren hohle Stämme an jeder Blattnarbe eine Scheidewand haben und gern den Ameisen, besonders aber auch dem Faulthiere zum Aufenthalt dienen. Sie nehmen oft den ganzen Wald, den ganzen Niesengrund, die ganze Insel ein; ja sie scheinen eine gewisse uferbildende Eigenschaft zn haben. Eine Ceeropia wird immer der letzte Banm sein, der auf morastigem Boden noch standhält, er wird immer der erste sein, der auf eiuem eben angeschwemmten Lande Wnrzel faßt und ihn dnrch die Menge der Ceero-pien in einen festen Boden umwandelt. Solch eine Ceero-pieninsel, solch ein Cepropienwald sieht dann ebenso 'sauber und ordentlich ans wie eine Anpflanzung nnd sticht scharf ab vom regellosem Walde. Fast gleich an Dicke, ganz gleich an Höhe, aber weit schöner an dichter, dnnkclgrüncr Belanbnng als die genannten Vombaeeen hebt sich, zumal gegen den Rio-Negro hin, der 81 Muritingabaum aus dem Walde empor. Ich konnte in flüchtiger Fahrt seine Wesenheit nicht genau erl'eunen, aber nach seinem . Habitns und seiner milchgebendrn Eigenschaft gehört er vielleicht den wilden Feigenbäumen an. Irgendeine Anwendung hat sein Holz nicht. Doch soll das Ein-reiben seiner Milch in die schmerzhaften Gegenden beim Rheumatismus wundervolle Wirknng haben. Seine botanische Stellung blieb mir fremd. Diesen Waldbäumen gesellt sich nun hinzu Spondias, die mächtige Bertholletia, Amyrideen, wunderhübsche Mimosen, Laurineen, die schattige, ölgcbende Nndirobe, die zu den Meliaecen gehört, nnd noch hnndert andere Formen, die man vom Nord eines Dampfschiffs nicht entziffern kann, wenn ich auch damit dir Form und Gestaltung des Urwaldes, längs dessen unser Marajö hinfuhr, bezeichnet haben möchte. ' Und doch habe ich am Waldrande noch eine eigene Baumart vergessen, ich meine das Treibholz. Der geschwollene, graue Niesenstrom reißt überall Uferstücke, Bäume und Gebüsche los. Vom treibendeu Mururi redete ich schou. Anch das Ufergras Cannarana und das scharfschueideude Cannamepiquc wird in großen Fetzen losgerissen und treibt wie eine grüne Insel den Flnß hinab. Häusig ist es selbst von einem vonibrrtrcibeudcn Baumstamm fortgerissen worden und bildet eine grünende Einfassung um den ertrunkenen Waldriesen, ans welchem sich dann wol einzelne Wasservögcl ausruhen. Gewöhnlich aber treiben die blatt- und fast astlosen Stämme ganz allein. Mitten im Strome machen sie, auf-und abtaucheud, einen eigenthümlichen Eindruck; mau möchte sie für ein verunglücktes Schiff, für ein Flnsiungeheucr hal-tcn. Kommt ein solcher Stamm auf eiue Uutiefe, so straudet rr uud bildet die entstehende Sandbank noch mehr aus. Zu mancher schönen Insel des Amazonrustroms hat gewiß ein 82 Baumstamm den ersten Grund gelegt, auf welchem daun die Cecropien deu zweiten Gruud bildeteu. Indeß werden wol die meisteu Stämme irgcudwo au das Ufer getriebeu und formireu dort seltsame Eiufafsuugeu. Giu einziger Baum bildet oft eiueu kleinen Kai oder doch eiue feste, natürliche Lauduugsbrücke. Der nordische Reisende gedcukt unwillkürlich des Wiuters iu der fernen Heimat uud jammert über den ungeheuern Verlust des schönen Holzes. Die meisten Stämme sind schönes Nutzholz, besonders Laurineen uud Amyridcen. Mau fäugt auch schon an, zahlreiche Stämme aus dem Wasser zu ziehen uud iu Breter zu schneideu. So zogen wir am 20. Iuui uuscru breiten Wasserweg weiter. Schon um 7 Uhr fuhren wir, nachdem wir iu dunkler Nacht vor dem Orte Gurupa auf dem rechten Ufer des Flusses die Post abgegeben uud etwas Holz eiugc-nommeu hatten, an der Mündung des H'iugu vorbei, die uus jedoch ziemlich uukeuutlich in der Ferne liegen blieb uud selbst hinter Inselgruppen versteckt war. Der Lingu ist ein stattlicher Nebenfluß des Amazonenstroms auf dem rechten Ufer desselben. Er entspringt etwa auf'15" südl. Vr. uud fließt, weuu auch iu viel bedeuteudem Krümmuugcn als der Toeantins, dennoch ziemlich parallel mit demselben. Er mag etwa 50 Meileu schiffbar sein. Au seiner Mündung liegt der kleine Ort Porto dc Möz. Ehemals legte das Dampfboot auch hier au. Da der Ort aber sehr uubedeuteud ist, so werden die Post uud soustige Sendungen für Porto de M.'z in Gurupa abgegeben, wohin sich auch Passagiere begeben müsscu, die vom H'ingu aus nach Parä mit dem Dampfschiffe gehen wollen. Weiter hiuauf bildet Pombal einen auderu kleiueu Ort; uoch feruer liegt Souzel, eiu Missionspunkt. Wenige Meilen von dort ist denn die erste Cachoeira, die einen lebhaften Handel den 83 Fluß noch weiter hinauf sehr erschwert. Eine geistvolle und, genaue Beschreibung des Lingu verdanken wir der mühevollen Wanderung eines deutschen Fürstensohnes durch die Waldungen jenes Stroms. Wir fuhren hier längs eines Parana, eines Seitenarms vom Amazoncnstrom; denn weiter bedeutet das Wort Paraua nichts. Das Wasser hatte in der Frühe 28" C. Tempevcttur, die Luft 26" C.; gerade so war das Verhältniß am Tage vorher auch gewesen. Die grünen Ufer begannen nun auch einiges Thierleben zu cntwickelu. Kleine hellgraue Schwalben flatterten hin und her; schneeweiße Reiher zogen wie Tagesmeteore am grünen Walde dahin, und Alcedonen, namentlich der große Ariramba, trieben ihr Fischcrhandwerk. Im Walde selbst kamen auch einzelne Geonomen und Strclitzicn nebst Alpiniengebüsch znm Vorschein; nnmrrmehr Einzclformen ließen sich erkennen im Waldchaos, bis wir aus dem Parana hinanskamen und wie-der den volleü, breiten Strom überblickten. Gerade nordwestlich von der Mündnng des Lingn ist eine der imposantesten Stellcn auf dem untern Amazonen-strom. Bei der gewaltigen Vreite, womit daS grane Wasser rastlos nach Osten zieht, erblickt man in beiden Richtungen .seines Laufs, nach oben und unten kein Land. Man glaubt durch eine Meerenge süßen Wassers von einem Süßwasser-mcer in das andere, zu segeln. Und wenn das Wort Ma-ranhao, womit man wenigstens das obere Drittheil des Flnsses und oft fälschlich den ganzen Fluß bezeichnet hat, von der Frage:, Kl.xx», mi non? (ist's ein Meer, ist es keins?) hergekommen sein soll, so ist der Ursprung des Wortes ein urwüchsiger; denn nnr ein Meer, ein Süßwassermcer .konnte solche Flut den Ankommenden entgegenrollcn, nur ein Meer konnte dem im Jahre 1540 zuerst von Peru aus den Strom hinabfahrenden Orellana solche Horizonte zeigen. 6* 84 . Die Gegend, wo sich diesc Gewalt des Stroms herausstellt, heißt auch deswegen die Costa, die Küste von Gnari-cnara. Ein kleiner Seitenarm, ein Igarapi vom Mlgn her fällt hier in den Amazonenstrom; später kommt ein selbständiger Fluß, der Guajarä, von derselben Seite aus dem Walde hervor. Eine wundervolle, landschaftliche Anmuth gewinnt dann der Niescnstrom. Gegen Norden hin und später im Osten, hell von der tiefer gehenden Sonne bestrahlt, erstreckte sich in vier bis fünf Tabuleiros die Serra von Almeirim hin, luftig heransragend aus dämmerndem Waldesdunkel. Im fernen Westen schwammen in goldgelber Abondbelcuchtung die Höhen von Pan'l. Einzelne Araras schrien im Walde; eine Herrde von Falken zog still nach Hause; ans dem Walde selbst trug der slbcndhauch starke Vanillendüfte zu nns herüber. In reinern Formen, glühendern Farben, lieblicherm Schweigen und Duften hatte ich selten einen Tag scheiden gesehen. Wenige Stunden darauf aber umraste uns ein Gewitter von großer Heftigkeit. Die Blitze trafen den Wald unter Kanonendonner, und der Negen peitschte den Strom. Im tiefen Dunkel war kein Weg zu finden, und der Marajö ging einige Stunden mit halber Kraft, sodaß wir kaum einige Fahrt machten. Es war eine wildbewegte Nacht. Doch war am 21. Juni der nntcr Gewitterwolken hereinbrechende Morgen ruhig und nur etwas, regnicht. Ich maß 28" C. Nassertemperatnr und 20" C. Luftwärme. Im Walde tauchten nene Palmcnfonnen anf, deren Namen meinen Begleitern gelänsig genug waren. Als Vorposten tritt hier die Iavaripalme auf (auch Ayri genannt), dieselbe oder doch ganz ähnliche Palme, die ich am Mucuri unter dem Namen Freirauba oder Breirauba kennen lernte, ein Astroearynm, furchtbar geharnischt wie-kaum ein anderes, weswegen ein tüchtiger Botaniker es als ^oxoplw«- 85 nix l,oulonl,i88!!nn hingestellt hat; denn in der That dient es zum Verfertigen von Bogen, zumal bei den rohcsten Indianerstämmen, und ist mit Stacheln so übersäet, daß den Stamm ganz schwarz erscheint. Kaum weniger stachelig, aber weniger gedrungen ist die Marajäpalme, die mir ebenfalls wie ein Astroearyum erscheint, von der ich aber außer ihrem Namen nichts weiter erfahren konnte. Um 11 Uhr kamen wir nach Prainha, dem ersten Ort am Amazonenstrom, den ich am Tage zu sehen bekam, 374 englische Meilen von Parä und 123 von Gurnpa, welches letztere 120 englische Meilen von Breves entfernt ist. Prainha ist eine erst kürzlich entstandene Anlage. Sonst lag hier (und liegt noch) weiter in das Land hinein eine Kap.elle mit einigen Häusern, Nossa Seuhora do Oiteiro genannt. Eine kleine Wafserverbindung, eine Igarapc führte dorthin; denn Oiteiro hatte einigen kleinen Handel. Seitdem aber die Dampfbootc fahren und in jener Gegend, um Holz eiuznnehmen, einen Stationspnnkt gemacht haben, hat sich das Völkchen von Oiteiro oder Oteiro (Nald-hügel) an die Praia, das Ufer, gezogen und deu Ort Prainha geschaffen. Eine kleine Lichtung am Walde, eine aufsteigende Häuserreihe, an deren oberm Ende sich eine sehr ärmliche Lehmkapelle mit einem Ziegeldache befindet, nebst einem Kreuz davor, und hinter dieser Häuserreihe eine Menge Lehmranchos mit Palmblättern bedeckt, das Ganze einige Fuß hoch auf festem, trockenem Boden gelegen und von wenigen ganz weißen, aber ziemlich vielen farbigen, friedlichen Leuten bewohnt, -^ das ist ungefähr Prainha, ein kleines, kummervolles Nest. Zwischen einigen großen Treibholzstämmen lagen wenige kleine Schiffe und Cauots, als Beweis einiger Haudelsbewe-gung. Ein großes Canot kam mit Holz znm Marajo herangefahren, und eine Kette von braunen Tapuis ließ, ohue sich 86 cben zu beeilen, die Stücke von der Holzdschonke in nnser Dampfboot gleiten, während wir Passagiere uns dm Ort näher anschauten. Was am meisten meine Aufmerksamkeit am Lande anzog, war die Unzahl von Nrubus, schwarzen Geiern mit dunkelgrauen Halskarnnkeln. Das Vieh schlachten in den Ortschaften am Amazonenstrom, der Abfall von Schildkröten, die in Menge gegessen werden, die Fischreste, die vom Salzen der Pirarnm übrig bleiben, und aller andere mögliche Abfall lockt die Thiere in Menge herbei. Und da man ihr Kommen gern sieht und sie förmlich anzulocken sucht, so sind sie so zahm und dreist geworden, daß man sie auf allen Häusern, vor allen Thüren, mit Hühnern und Schweinen herumlaufen sieht, ganz wie gezähmte Hausthiere. Allerdings sind sie für die Reinhaltung und öffentliche Gesundheit von unendlichem Nutzen. Viel bösartiger erschien mir mit Recht eine junge gesteckte Unze, die neben einem Hause in einem Holzkäfig saß. Das Thier zeigte eine furchtbare Scheu uud Wuth und zischte laut, wenn man ihm nahe kam, ganz wie eine böse Hauskatze, die nicht entweichen kann. Uebrigcns ist anch hier am Amazonenstrom die Unze mehr verfolgt als gefürchtet. Die dunkelrostfarbene, oft wirklich schwarze Unze, von der ich ein Fell bei Maeeio und am Mucuri sah, macht schon mehr Furcht. Auch die Snssurana, welche mir nach der Veschrei-hnng der Leute der Puma, ein kleiner, mähnenloser Löwe zu sein scheint, feindet den kleinen Viehstaud der Leute an, sowie die Hühner vielfach von der großen, gesteckten Waldkatze verfolgt werden. Prainha lebt vom Fang und Salzen der Piraruen, vom Faulenzen und einem kleinen Handel mit gemalten Calebassen, diesen schon so vielfach beschriebenen Ah'slen von der Frucht der Oo5Ct>ilim ?u>. Man bekommt die angemalten Chi- 87 nesenschalen — denn gnade in chinesischem Geschmacke sind sie gemacht — in Prainha sehr billig. Sie würden in Europa als echte Naturprodutte des Amazonenstroms und Kunsterzeugnisse der Tapuis gewiß ihr Glück machen. Zum Jubel der guten Lentc von Prainha kanfte unser Commandant einen jungen Ochsen am Lande. Er mußte an Bord schwimmen, geschleppt von unserm Echiffsboot. Es hielt schon ziemlich schwer, das Vieh so tief in das Wasser zn bringen, daß es schwamm und weniger Widerstand bot. Nnn aber kam ihm die Strömnng zn Hülfe; Menschen, Ochs und Boot geriethen etwas ab vom Wege, nnd es fehlte wenig, so wäre mindestens der Ochs ertrunken, ein schmerzhafter Verlust für nns; denn anßer ihm war nur noch cm großes Kalb in sehr geschwächten Gesundheitszuständen zn verkaufen. Wir selbst aber hatten kein frisches Fleisch mehr am Bord. Nachdem nnn so Holz und Ochs eingeschifft, schifften wir 'inS selbst wieder ein, nnd der Dampfer ging weiter. Eine kräftige Strömung packte ihn gleich beim Auslaufen; der Strom war aufgeregt in vielen Wirbeln nnd schäumte stark. Mehrere große Vaumstämme drehten sich nebeneinander hin nnd her; und um das Bild der Srylla im Amazonenstrom zu vollenden, wälzte sich ein Delphin lnstig im bewegten Wasser anf und ab, fast hundert deutsche Meilen fern vom Meere, seiner eigentlichen Heimat. Unser Marajö gewann aber gleich seine Fassung wieder, ging tiefer in den Strom hinein und verfolgte seine Bahn nach Westsüdwest. Je kräftiger der Strom lief, desto mehr schienen sich Vögel an ihm anfznhaltcn. Einzelne Schwärme von wilden Enten flogen anf; die Zahl der weißen Reiher nal)m zn; auch sahen wir die viel größere silbergrauc Art (Magnary genannt) mit dunkeln Flügeln nnd schwarzer Haube nnd Zopf. Einmal erblickte ich einen Plotus Anhinga, — alles 88 Vögel, die ich von Rio-Grande Zn bis zum Amazonenstrom erblickte. Ans einer großen, grünen Insel von treibender Canna-rana schwang sich mit ebenso viel Hast wie Gewalt ein prächtiger Falke auf; ich konnte ihm mit meinem Fernrohr eine Strecke folgen; fast hätte ich ihn für einen Adler halten mögen, so stattlich sah er ans; ja er machte mir znerst den Eindruck der grosien Harpyia, wie ich sic in Nio gefangen sah. Gegen Abend sahen wir die Höhe von Montalcgre ans dem Wasserhorizont des Westens auftauchen, während hinter uns gleich fern die Serra von Parü den Uferwald überragte. Eine vortreffliche Sonnenuntergangsgrnppe aber bildeten drei Tukane mit purpurrothen Schnäbeln nnd blendenden Brnst-färben, hoch oben anf einem dürren Aste sitzend. Ich hatte bis dahin noch keinen rothschnäbeligcn Tukau bemerkt, wie außerordentlich mannichfaltig auch sonst die Färbnng der Thiere sein mag, sodaß ich viele von ihnen für Spielarten halte. Sonst würde es gar viele Tukanartcn geben. Von nnn an mischten sich auch große Araras nnd Ara-rannen in unsere Amazonenerfcheinnngen. Herrlich, ja wirklich prachtvoll sah es ans, wenn einzelne Araras anf den hohen Zweigen der Sumaumeiras nmherklettertcn mit Hülfe von Füßen, Schnabel, Flügeln und Schwanz, gerade wie sie es am Mucuri im Gipfel der mächtigen Barrigndas auch getrieben hatten. Bald aber verkündete ihr Geschrei, daß sic uns gesehen hatten; mit lautem Gekrächze flogen sie dcmu, paarweise dicht aneinander gedrängt, von dannen, um unr noch schöner den glänzenden Federschmuck zn zeigen. Förmliche Glutfunken schienen sie zu sprühen. Auch der Ararauna macht- eine schöne Farbcnwirknng beim Fliegen. Noch schüchterner als die rothen Araras mit blauem Flügelstreif, stiegen diese Thiere mit rascherm Flügclschlag davon als die andern, wodurch die blaue Farbe oben auf 89 dem Thiere mit der gelb«U unten seltsam zusammenfließt zu cinem eigenen Schillern. So sah ich sie besonders gern im Abendrot!) fliegen hoch über unsern Köpfen, und immer von neuem wieder entzückte mich ihr Farbenspiel. Beim Sonnenaufgang des 22. Iuui befanden wiv uns auf der linken Seite des Flusses im Cours von Südwest zu West. Fern auf dem rechten Ufer zeigte sich hinter flachem Walde eine höher gelegene Gegend; dann erblickten wir am Wasser selbst ein recht hübsches, weißes Haus mit einer ausgedehnten Cacaopflanzung, welche auf einen mehr cultivntm Bewohner und die Nähe eines Ortes schließen ließ. Die Temperatur der Luft war am Morgen 26" C., im Wasser 2?« C. - Nachdem wir mn 10 Uhr an zwei kleinen Flußmündungen auf dem linken Ufer des Stroms, Tafteramirim und Taperaacn vorbeigedampft waren, erkannten wir an der entgegengesetzten Seite die ersten Häuser der Stadt Santarcm. In schräger Richtung sctzlen wir über den grauen Strom, der nach dem jenseitigen Ufer hinwärts plötzlich scharf abgeschnitten schwarz erschien. Beide Wasscrschichten liefen ganz un-vermischt nebeneinander hin, jede ihre Ufcrseite behauptend ein höchst auffallendes Phänomen. Das ist das sogenannte „schwarze Wasser" des mächtigen Tapajoz, an dessen rechtem Ufer Santarem liegt. Der Tapajoz ist der zweite große Flnß, der vom Süden her dem Amazonenstrom zncilt. Auch er cntspriugt recht eigcutlich im Herzeu von Brasilien; seine fernsten Quellen mögen sich fast unter 15" südl. Br. finden. Von seiner Mündung aufwärts ist er, ziemlich parallel mit dem Ljngu und Toeantins laufend, etwa 60 Meilen bis zum Orte Taituba schiffbar. Dann unterbrechen Stromschnellen nnd Wasserfälle seine Beschiffung mit Fahrzeugen von einiger Größe. Eigenthümlich ist es, daß alle drei Flüsse, Toeantins 90 mit Araguaya, Lingu und Tapajoz aus gleich geformter und gleichbeschaffener Gegend und fast von gleichem Breitengrade herkommen, außerordentlich gleichmäßig nebeneinander verlaufen, ziemlich auf gleicher Breite ihre unterste Cachoeira bilden und in fast gleicher Aeqnatorialnähe in den Amazonenstrom, resp. Gran-Parä ausmünden, bei welcher Verglcichung natürlich kein genau mathematischer Maßstab anzulegen ist. Drei nach Enden eilende Flüsse, Paraguay, Parana nnd Uruguay, letzterer freilich in verzogener Form, bieten fast etwas Aehnliches dar. Ehe man vom linken Amazonenufer sich völlig entfernt, hat man gerade vor der Mündung des Tapajoz einen großartigen Anblick. Die Gewässer des von Nordwest nach Südost laufenden großen Stroms und die Fläche seines Nebenflusses, wenn man gerade in dieselbe hineinblickt, sind nämlich unabsehbar; man sieht nach drei Richtungen hin den Horizont anf dem Wasser liegen. Um-o, an non? möchte wol ein jeder bei solchem Anblick ausrufen! Das Festland scheint wirklich eine Inselgruppe in einem Meere zu sein. Silberklar und vollkommen rein ist das Wasser des Tapajoz, zumal neben dem trüben, grauen Wasser des Ama-zoncnstroms. Die Tiefe aber macht es schwarz erscheinen. Als solch schwarzes Wasser drängt es sich über seine Mündung hinaus, welche links von einer kleinen Insel, rechts auf der Seite von Santarem von einem Hügel bezeichnet wird, und stießt dann neben dem Amazonenstrom in dessen Bette fort, ein Phänomen, was, wie ich schon sagte, unge-mein auffallend aussieht. Und doch sieht Santarem am rechten Ufer des Tapajoz noch auffallender, noch hübscher aus; es überrascht gewiß jeden, der znm ersten male in die Mündung des Flusses hineinfährt und in einiger Entfernung von der Stadt vor 91 Anker liegt. Denn wirklich wie eine Stadt präsentirt sich der freundliche Ort. Eine hübsche Reihe solider Steinhäuser, mehrere Stockwerke von bedeutender Ausdehnung, eins beinahe ein kleiner Palast, stehen am Ufer. Etwas zurück und an einem freien Platze liegt eine große Kirche, deren Vorderseite freilich etwas an ein Theater erinnert. Weiter hinter der ersten Häuserreihe sieht man die Dächer einer zweiten Straße hervorragen; — knrz man empfängt von Santarem, dem so viele Meilen den Amazoncnsttom aufwärts am einsamen Taftajoz liegenden Santarem, einen nngcmein günstigen Eindruck. Den Fluß aufwärts erstreckt sich die unregelmäßige graue Tapuistadt, die sich in Wald nnd Gebüsch auflöst. Wir gingen ans Land. Ehe man aber ansstrigen kann, wird man von einer Menge der hübschesten Badescenen empfangen. Santarem müßte uicht von genninen Taftuis, großcnthcils wenigstens, bevölkert sein und dicht am klaren Tapajozwasser liegen, wenn nicht das Baden die Hauptbeschäftigung des Volks wäre. Ich ward wirklich an Cametä und den schönen Tocantms erinnert beim Anblick der braunen, halb im Wasser stehenden oder schwimmenden Figuren. Das Ankommen des Dampfboots ist auch in Santarem das Hauptereigniß. Alles blickte nach dem Marajö hinüber. Und so kam es denn auch, daß ich gleich am Ufer meine beiden Briefe, die mir, falls ich in Santarem bleiben wollte, dort Eingang verschaffen sollten, an die rcspertiven Adressaten abgeben konnte, den einen an den Agenten der Amazonen-Compagnie, Herrn Ioaquim Rodriguez dos Santos, den andern an den Oberstlieutenant nnd Commandeur Miguel Antonio Pinto Guimaräes, einen der angesehensten Männer der Provwz nnd der Erste in Santarem. Beide hätten mich gern mit allen nur möglichen Freundlichkeiten überhäuft, aber.unser ephemerer Aufenthalt ließ kaum 92 etwas dergleichen zu. Die Männer gefielen mir ganz wohl in ihrem offenen Entgegenkommen. Besonders interessirte mich der alte Commandeur, Portugiese von Geburt, ein Mann, der sich alles selbst verdankt und der, wie man mir sagte, damit seine Laufbahn am Ta-ftajoz angefangen hat, daß er selbst das Canot stenerte, worin seine Tapnilcnte den Fischfang trieben. Von so einfachem Gcwerbsbctrieb es bis zu einem Vermögen von etwa 300000 Thlrn. zn bringen, ist gewiß nicht leicht, und beides, Anfang und Ende, macht dem Alten gar viele Ehre und, wie es mir schien, viele Neider. Sein Haus, dicht am Tapajoz gelegen, ist stattlich und hat im Stockwerk sieben Fenster Breite. Sanbere und gut möblirte Zimmer hängen zusammen; im Empfangssaal steht sogar ein anfrecht stehender Flügel. Damit ist alles im Einklänge; und wenn man nicht braune Dienerschaft im Hanse sähe, man würde nicht in Brasilien, geschweige am Taftajoz zu sein glanben. Gar manches erzählte der alte Pinto Guimaräes mir von dem kleinen, stillen Treiben anf dem noch zu keinem kräftigen Leben erwachten Fluß, wie die Cujabaner von Matto-Groffo und dem Herzen dieser Provinz unter großen Schwierigkeiten den Strom herabkommen,, um für baares Geld oder einige OHsenhäute besonders- Salz zn kaufen und cs unter noch größern Schwierigkeiten mit sich zu führen in die ferne Heimat, während die Indianer mit Gnarana kommen und es für Kleinigkeiten verkaufen und vertauschen oder Sassaparille zu Markte bringen. Unendlich anziehend waren die einfachen Erzählungen des schlichten Mannes; sie erweckten in mir die lebhafteste Sehnsucht, in Scmtarcm zu bleiben und die fern liegenden Znstände am Tapajoz selbst zu betrachten. Aber es durfte nicht fein, wenn ich nicht meinen ganzen Rciseplan stören wollte. 93 So mußte ich mich denn auf einem Spaziergange in einer wirklich tödtcnden Mittagshitze mit eincm flüchtigen Anschauen der Stadt begnügen. Auf engem Pfade erstieg ich den Hügel, der nördlich von der Stadt dic Mündung des Tapajoz auf der rechten Seite bezeichnet und die Gegend beherrscht. Da traf ich denn über der aufblühenden Stadt gleich eine Ruine. Der Fußsteig, auf welchem ich ging, fiel plötzlich lothrecht nach beiden Seiten ab; nnd als ich im dichten Gebüsche diese sonderbare Wegbildung untersuchte, fand ich, daß ich anf dem Nandr einer dicken Mauer stand. Gänge, Gemächer, Pforten uud Löcher führten nach allen Seiten hin. Aber auch nach allen Seiten hin hatte die Zeit alles zernagt, noch mehr indeß die Pflanzenwelt, Mit förmlicher Gier schien der Parasitismns sich dieser wohlangelcgten Frstnng, von dcr aus mau die ganze Mündnng des Tapajoz und cinen großen Theil des Amazonenstroms beherrschen könnte, bemächtigt zn haben. In vcn Maneru, aus alleu Ritzen, aus alleu Abtheilungen wucherten Palmen, Euvhorbieu, Mc-lastomen, Apoeyneen, Myrten nnd Lantanen hervor, nnd zahlreiche Insekten schwirrten zwischen den alten Manern nnd der jnngen Pflanzenwelt der sonderbaren „Schlüsselburg". Wundervoll ist die Aussicht von diesem Höhepunkt. Mau überblickt beide Ströme, Waldungen nnd Inseln, alle in den ungeheuersten Raumverhältnissen; denn am Amazonenstrom ist alles von riesiger Ausdchuuug, ein Chaos von Inseln, ein Meer von Wäldern, ein Ocean von süßem Wasser. Auch die Stadt macht sich von dort oben gesehen sehr hübsch. Die Menge ihrer Ziegeldächer ließ mich auf mindestens WOO Einwohner schließen, doch tarirte mein alter Commandenr Pinto Gnimaräes sie nnr anf 4000 Seelen. 94' Dicht beim ehemaligen Fort, über welches man mir kei-nen weitern Aufschluß geben konnte, ist ein Steinbruch, der baS Material zu soliden Bauten liefert. Das Gestein, was dort gebrochen wird, ist ein festes, grobes Sand- und Kiesel-conglomerctt, dessen Vindungsmittel eisenhaltig ist. Wenigstens erschien mir das Gestein so, und die Lente selbst be-hanptcn, daß der Stein viel Eisen enthalte. Höher hinauf am Tapajoz oder in dessen Nähe kommt alte Kalkformation vor. Man gab mir ein Stück davon, wns einem grüngrauen Marmor glich nnd deutlich verrieth, daß am Tapajoz ein kostbares Baumaterial aufbewahrt läge, wenn anch in einiger Ferne von der Stadt. Anch einen ncuen Kirchhof «xu-n nmi-o8 hat Santarem. Einsam liegt der große Platz im Gebüsche; eine kleine Kapelle ziert seine Mitte. Gin einziges großes Denkmal stand dermalen anf dein Gottesacker. Alle andern Begräbnisse waren nur mit schwarzen Kreuzen und Nummern verschen, und das alte Horazische »^ nmnol'i suinu^ fand auch am Tapajoz seine volle Anwendung. Vielleicht mochten auch manche Indianer bei Lebzeiten kaum einen Namen gehabt haben. Dann kam das eigentliche Tapuiendc der Stadt. Da laufen nur kleine Fnßstcige durch das Gebüsch, ein Netz von kleinen Wegen nnd Stegen, und man gelangt von einem grauen Hanse zum andern. Und in jedem grauen, aus Lehm und Palmenblättern aufgebanten Hanse sitzt eine Tapui, richtiger Tapuia, oder ihrer drei bis vier anf einer großen Matte, und hat irgendeine kleine Beschäftigung vor; oft ist es ein Nähzeug, manchmal eine Korbstcchterei, meistens ein Garuichtsthun. Von solchem Nichtsthun gehen die faulen Naturkinder dann zum Flusse hinab, nnd nach wenigen Minuten kommen sie mit triefendem Kopfe wieder, diese braunen Figuren mit glänzend schwarzem Haar, — sie haben sich gebadet. 95 Originell genug sieht solch Inneres eines Tapuihanscs aus. Eigentlich ist weiter nichts als Unordnung darin, höch-'stens eine Hängematte, ein Kochtopf auf kleinem Fcner und verschiedene Calebassen als Geräthe. Höchst sonderbar macht sich neben dem indianischen Hansgeräth die schwere Flinte des Nationalgardisten und die Trommel, während selbst der nvilisirte Indianer sich noch viel lieber mit Pfeil und Bogen und dem Blasrohr als sichern und geräuschlosen Waffen be-lulft, deren kleine Pfeile vergiftet sind. Ucberall mitten in den Straßen ward Cacao getrocknet, eiy Verkaufsartikel, der wenig Mühe verursacht. Eine Strecke in der Straße, die vom Regen stark ausgespült war, war mit Urmurinüssen ausgefüllt, dein sonderbarsten Ausfüllungs-mittel, was wol bisher im Straßenbauen angewandt ward. Die Urueurinuß spielt in der Gewinnung des Gummi-elasticum eiue wichtige Rolle. Wenn die Gummisucher einen passenden Baum der 8il,l>om.! <;Ii»8t.ic',<, gefunden haben, so verwunden sie ihn mit einem kleinen Beile ziemlich tief und fangen die weiße Milch in einem Gefäße auf. Ist der Baum, nachdem er an mehreren Stelleu verwundet ist, ziemlich aller Milch beraubt, — ein so angezapfter Baum braucht zwei bis drei Jahre, um sich von dem Saftverlnst vollkommen wieder zu erholen, — so wird eine beliebige Form, Glasflaschen, Holzformen oder kleine Calcbassen, in die Milch getaucht. Diese trocknet auf der Form fest, und während sie trocknet, wird sie über den Dampf der brennenden Urumri-nüsse gehalten. So wird die Form immer wieder eingetancht und immer wieder geräuchert, bis die Schicht dick genug ist, um als Gummi-elastn um in den Handel zu gehen. Dann wird die Form herausgenommen, und die Proeedur beginnt von neuem. Diese auf runden Formen gewonnenen und gleichmäßig geräucherten Gummisorten sind die besten. Ihnen folgen die 96 - in großen Stucken gewonnenen, nnd zuletzt cine» Art von Gummiabfall, Sernamby genannt. Besonders beliebt ist der Gnmmi vom ,^ingn, vom Tapajoz und dem Madeira. Aus Spielerei macht man auch wol Thierformen, Krokodile und monströse Gestalten, die oft komisch genug aussehen. Selbst Schuhe versteht man schon sehr gut zu fabriziren, obgleich man sich lieber mit der einfachsten Gewinnung begnügt und das Weitere den enroväischen Fabriken überläßt, in denen die Gummifabrikate eine ganz vorzügliche Eleganz und Man-nichfaltigkeit erreicht haben. Die Nrucurinuß selbst ist die Frucht einer schönen Palme, ^Uuwa exotic», zu den dornenlosen Cowmen gehörig, einer Verwandten der berühmten Piasfabapalme, von der wir weiter unten reden werden. Die Nuß selbst ist einen guten Zoll lang, am obern Ende ziemlich stark zugespitzt und von sehr fester, derber Beschaffenheit. Wo man ihrer zum Gummi-räuchern nicht in hinreichender Menge habhaft werden kann, da nimmt man auch wol die Tueumannüssc zu gleicher An-wendnng. Die Palme, welche die Tuenmannüsse liefert, ist ebenfalls ein Astroearyum, nach der Iavari unbedingt die geharnischtste, sodaß man ihr eigentlich gar nicht nahe kommen kann. Besonders ist die Blattscheide mit langen, schwarzen Stacheln dicht übersäet. Um die harte, schwarze Nuß sitzt, wenn die Fruchttraube der Palme reis ist, ein röthlich-gelbes Fleisch, welches von den Kindern, die am (5nde ja alles gern annagen, gegessen wird. Ich kann ihm keinen Geschmack abgewinnen. Die Nnß selbst ist fast kugelrund, hat 1 — 2 Zoll im Durchmesser und ist an den drei Keimpunkten hübsch gezeichnet durch kleine Wellenlinien. Sie ist sehr hart und dient den Leuten znm Anfertigen von Epielsachen, von Ringen und Rosenkränzen. Aber auch zum Gummiräuchern dient sie 97 in großer Menge. Die kleinen, aus ihr gedrechselten Sachen nennt man Birros. Die ^8l,i-oc'., !u» »« 0 om-lwrl'« <> u >>'iprwelt auf dem Dang-tsc-kiang im fernen Westen, nur in kleinern, närrischem Umrissen. Eine eigenthümliche Krankendewegung hatte gerade damals in Santarem und der Umgegend stattgefunden, Ein Mann, Antonio Franeiseo da Costa in einem kleinen Oert-chen Paraeary wollte ein Mittel entdeckt haben zur Heilung der Morphea, des Tuberkelaussahcs, der unter dem Namen der griechischen Elephantiasis bekannter ist. Wirklich zeigten in Paraeary sich Fälle von bedeutender Besserung nach den Aussagen einiger Leute; nnd da sogar die Behörde in wohlwollender Weise von dem Oeheimmittcl Notiz nahm nnd es empfahl, so reisten viele Kranke, meistens arme, aufgegebene Leute nach Santarem, um in Paraeary von Costa mit seinem Mittel, welches er nach seinem Nohnplatze Paraeary nannte, behandelt zu werden. Die Anhäufung von mittellosen Kranken brachte großes Elend hervor; es fehlte an allem, nur nicht am Paracary. Man sammelte Geld; die öffentliche Verwaltung leistete Hülfe; bis denn bei weiterer Anwendung 99 das Paracary, gerade wie vor einigen Decennien das ge-priesene Assacu, sich sehr unzulänglich zeigte und einzelne Kranke von Paraeary bereits nach Santarem znrückkameil, wie wir später sehen werden. Von Santarem an nimmt der Amazoncnstrom aufwärts eine starke Richtnng nach Nordwest; als wir am 2.">. Juni erwachten, war unser Conrs nördlich. Bald erblickten wir Obidos, hoch gelegen am Flnßrande, einen sehr bemcrkenswerthen Punkt in der Geographie des großen Flusses. Oberhalb Obidos macht der vom Westen kommende Ama-zoncnstrom eine starke Abweichung nach Nordost, bis er von der Höhe jenes Punktes Obidos aufgefangen und nach Südost abgeleitet wird. Die Höhe selbst ist etwa 120 Fuß erhaben, oben auf ihr ist eine Batterie. Unter ihr und von ihr gedeckt gegen die Strömuug ist eiue Bucht, iu welcher Schiffe und Canots ruhig ankern können, während unmittelbar am stillen Wasser der Strom in wilden Wirbeln vorbei sau st. Ich ging ans Land und kletterte den rothen Thonabhang zum Fort hinauf. Eigentlich ist das Fort uur eine ganz offene Batterie anf freiem Platze, ohne alle Fortification. Zwölf Geschütze von 80 Pfd. liegen dort im Kreise, um den Strom zu beherrschen. Ein deutscher Major Brockenhuus, einer von den wenigen deutschen Offizieren, die im brasilia-nischeu Dienste ihre Stelle längere Zeit zn behaupteu wußten, ist der Ingenieur der Batterie. Doch leistet man ihm eben keine Hülse, um das Fort in Ordnung zu briugen und zu halten. Mit ihm machte ich einen kleinen Gang durch den hochgelegenen, luftigen Ort, an dessen Hintergrund sich noch höherer Wald anlegt. Ich traf eine ganz anständige Kirche, in welcher man 100 Anstalten zur Fronlcichnamsprocession traf. Im Sonntagsfrack kam die männliche Jugend, um die weibliche Jugend mit seidenem Hut, Shawl und seidenem Rock znr Kirche gehen zu sehen. Mir fiel der Putz allerdings auf, den hier einige Franen machten. Zwischen mehr oder minder weißen Damen streift gar hübsch als Gegensatz das braune Tapui-volk umher und macht sich im leichten Unterrock und flott flatterndem, weißen Hemd wundervoll neben den geschnürten Frauen. Das weite Hemd und das enge Scidenmieder haben noch einen langen Krieg gegeneinander auszufrchten am Amazonenstrom, wenn ersteres auch schou hier und dort aus dem Felde geschlagen ist. Einige Indianerinnen sah ich eingeschnürt in schwarzseidenen Kleidern und Schuhe tragend! So uubeholfen, beklemmt, lnftschnappend bewegten sie sich! Wie anmuthig leicht wandelten dagegen die dunkelbraunen, nur mit Hemd und Rock bekleideten Mädchen mit ihren Wassertöpfen auf dem Kopfe vom Fluß den Berg hinauf^. Zuletzt geriet!) ich am Ende der kleinen Vergstadt in den Wald hinauf, wo eine kleine Kapelle im Ban liegen geblieben ist und nur von Geiern besnHt ilnd bewohnt wird. Von dort aus genießt man einen herrlichen Fernblick anf den mächtigen Bogen des Amazoneustroms,« der in seinen beiden Richtungen nach Südwest und Südost unabsehbar ist. Und doch ist der Anblick des Stroms noch schöner, noch gewaltiger, wenn man sich unmittelbar an den Rand desselben westlich vom Fort stellt. Fast lothrecht steigt die rothe Wand znm Flusse hiuunter, dessen rauschende Flnt gerade hier aufgefangen und schräg abgelenkt wird. Der brausende Strom reißt ein Stück der Wand nach dem andern mit sich fort, ohne sie je ganz vernichten zu können. Der ganze Flnß bildet Wirbel und krause Strömung, gerade als ob Ebbe und Flut sich heftig begegneten. 101 Hier ist die größte Enge des Stroms. Gerade 8(X1 Klafter mißt er in dieser Einklemmung. Seine Tiefe ist auf 60 Ktafter bemessen worden. Seine Schnelligkeit ist cinc volle deutsche Meile in der Stunde. Schlagen wir nun seine Tiefe, um zu einem gleichmäßigen Resultat zu kommen, auch unr auf 40 Klafter au, so würden wir aus den Elementen von 800x40x4000 Klaftern eine Klibikmasse von nicht weniger als 128,000000 Kubikklaftern bekommen, die in einer Stunde bei Obidos vorbeirennen, oder 2,1^M>3 Kubikklafter in der Minute, gewiß eine Wassermasse, wie nicht leicht ein anderer Strom sie fortwälzt. Und dennoch fehlen die Nasser des Taftajoz und des 5ingu hierbei noch, auch des Tocantins, wenn wir wollen. Das sind Süß-wassermasscn, von deren Größe und ewiger Wiedererzeugung man sich nicht leicht eine Idee machen kann. Nirgends in der Welt haben sie ihresgleichen. Mcine Betrachtungen über Obidos und seine Stromenge wurden unterbrochen durch eine Reihe vou Einladungen, verschiedene Kranke zu sehen, da im Orte kein Arzt war. Ich that das sehr gern; aber meifte Zeit ging damit hin. Selbst als ich schon wieder am Bord war und man sich zur Abreise rüstete, mußte ich nach einmal ans Land gehen, um ärztlichen Rath zu ertheilen, mit dem Versprechen, nach meiner Rückkehr vom Rio-Negro noch ciumal nach allcu Kranken zu sehen. Nun ward unser Anker gehoben, und langsam ging der Dampfer aus dem Remans» von Obidos heraus. Kaum aber hatte er den Vorderbug in den Strom hineingesteckt, als wir mit unglaublicher Heftigkeit fortgerissen wurden, wobei das Dampfboot sich stark auf die Seite legte. Um nicht das Steuer zu zerbrechen, ließ man das Schiff einen Augenblick mit dem Strome treiben, in welchem es bald wieder seinen Cours nach Westen aufnahm und wir Obidos hinter uns 102 liegen ließen. Muthig und kräftig bekämpfte unser Dampf-boot die wilde Strömung. Eine kleine Meile von Obidos den Strom aufwärts liegt eine sogenannte Militärcolonü', Eine Reihe von Häusern macht einen freundlichen Eindruck am dunkeln Wald. Aber dennoch ist die Colonie ein rechter Unsinn. Sie hat einen Director, der seit acht Monaten in Santarem war, einen Lieutenant-Vicedirector, einen Kaplan, einen Arzt, einen Almorarife oder Zahlmeister, einen Schreiber und — zwei Colomsten. Die Geschichte kostet viel Geld nnd nützt zu gar nichts. Aber sie heißt eine Colonie und ist ein Beweis, daß man sich anstrengt, den Amazonenstrom zu eolonisircn. Die, Zweckmäßigkeit lasse ich dahingestellt. Viel besser macht sich auf dem entgegengesetzten Ufer, dem rechten des Stroms, in dessen nächster Nähe wir hinfuhren, eine lange Kette von Cacaopftanzungen, das Cacaoal Imperial genannt, wahrscheinlich früher eine Privatbesitzung der Krone, jetzt von Tapuis bebaut, deren Wohnungen in ziem^ lich regelmäßigen Zwischenräumen darin halb versteckt liegen. Leider trafen wir nicht eine einzige dieser kleinen Wohnungen unzerstört vom Wasser. Manche waren ganz eingefallen, einige zur Hälfte; viele hatten nur halbe Lehmwände; die untere Hälfte war vom Wasser ausgeweicht nnd zcr-schwemmt worden. Daher waren denn auch die meisten inmitten der halb im Wasser stehenden Cacaogebüsche unbewohnt. In einigen waren die Familien bereits wieder zurückgekehrt, halb im Canot, halb im Schlamm der Wohnung lebend, in beiden aber als in ihrem vollen Element sich wohlfühlend. Mit dem Ausdruck der unverwüstlichsten Seelenruhe saßen sie da, oft cms einem gestrandeten Treibholzstamme und mit den Füßen im Wasser umherrührend, die originellen Amphibien! Sie wußten ganz bestimmt, daß der Strom nächstens wieder 103 fallen würdc. Und wirklich war er schon drei Fuß gefallen. Kaum tröstlicher sah es auf der andern Seitc des Flusses ans, zu der wir den Nachmittag hinübersetzten. Hier trafen wir an einer Stelle drei Pferde im Wasser die Cannarana abweidend, ohne einen Ort zn haben, wo sie sich hinlegen könnten. Dicht dabei war eine kleine Ansiedelung, in der man sich genial geholfen hatte. Unter dem Palmendache hatte man sich, als das Wasser langsam stieg, einen Valcon ans Latten gemacht, woranf die Familie wohnte. Auch einer Alizahl von Rindern war man so zn Hülfe gekommen. Man hatte ihnen auf Holzstämmcn eine Hürde geballt, von der man einen Holzsteig hinnnter in das Wasser gemacht hatte. So konnten die Thiere je nach Gelüst im Wasser nmherwaten nnd das üppige Gras fressen, und nachts in das Trockene hinanfstrigen znm Ansrnhen. Man wird da wirklich etwas stark an dic Arche Noah erinnert. Bei einer kleinen Anzahl von Thieren kann man sich schon so helfen. Wo aber größerer Viehstand war, da ist er, wenn nicht hochliegende Partien in der Nähe waren, vollkommen vernichtet worden. Tausende von Rindern waren ertrunken, wir sahen selbst manches todte Vieh den Strom hinabtreiben. Unzählige Cadaver sollten in den abgelegenern Wiesen nnd Marschgegendcn stecken, wo die Besitzer des Viehs eine sichere Zufluchtsstätte vor der machtigen Stromanschwellung vermuthet hatten. Man sollte es nicht glauben, daß die ungeheuere Wasserfläche über 40 Fuß anschwellen konnte und daß dieselben Wohnungen, an denen man vorbeifährt, bei niedrigem Fluß-stände anf hohem Baranco stehen! Alljährlich aber, und zwar in der regelmäßigsten Wiederkehr schwillt nnd fällt der Amazonenstrom in vollständig nilartigem Rhythmus. 104 Im November und December, wenn die Sonne vom Norden zurückkehrt und dcr heißen Gegend noch mchr Hitze mitbringt, beginnt in den Cordillcren der Schnee in größern Massen zu schmelzen. Reichlicher stürzen die Bergwasser cher> unter; mehr und mehr sülleil sich die Znströmnngen des Amazonas; häusiger und in endloser Menge stürzt der Gewitterregen vom Himmel; alles stießt dem Amazonenstrom zu, der nun immer mehr und mehr anschwillt, bis er im April sein Marimmn erreicht hat und sich in demselben einige Wochen erhält. „Vom 8. Juni an fällt der Fluß wieder", sagte man mir mehrmals, als ich mich nach den Verhältnissen erkundigte. So genau und regelmäßig ist die Bewegung der Elemente am allmächtigen Strome. Wirklich war er am 23. Juni schon um drei Fuß gefallen. Daher wird denn auch das Steigen des Flusses niemals eine Ueberschwemmung genannt. Wohnungen, Pflanzungen, Viehhürden, alles ist auf das Steigen des Flusses eingerichtet; furchtlos sieht man das unabsehbare Element anschwellen und seine volle Höhe erreichen. Die Thiere des Waldes ziehen sich weit zurück vom Flusse und machen ebenso, wie der Fluß wächst und fällt, ihre typischen Wanderungen. Je mehr nun der Fluß wieder fällt, desto höher treten seine Ufer wieder hervor, desto mehr erscheinen in dem Strome von meerartiger Ausdehnung Sandbänktz und nackte Schlamminseln. „Die Ieit dcr Ufer" („n lomp« H«5 prii^»5") nennt man diese Ieit. Und jetzt entwickelt sich wieder ein volles, reges Thicrlcben am Ufer. Tapire, Capivaris und andere Nager zeigen sich; die Unzen kommen zum Fischen an das Ufer; mit dem Schwänze, den sie in das Wasser hineinhängen lassen, locken sie die Fische an und mit der Tatze schleudern sie geschickt ihre Beute auf daS Trockene. Mehr und mehr zeigen sich Reiher und Strandläufer. Wo 105 die Fische sonst hausten, laufen die befiederten Bewohner der Lüfte und des Waldes umher, ein buntes Gewimmel und Getümmel. Hat die Zeit der Prayas ihre volle Höhe und mit ihr der Fluß seinen niedrigsten Stand erreicht, so beginnt das seltsamste Phänomen, was man nur sehen kann am Amazonenstrom, und ein echtes Charakterstück des Flusses. Zu Tausenden finden sich Schildkröten nachts und besonders vor Tagesanbruch ans dem trockenen, heißen Sande ei», «^ um ihre Eier zu legen nnd einzuscharren. Die Zahl dieser' Eier muß ganz enorm sein. Man kann ihre Menge aus der Zahl ihrer Vernichter abschätzen. Mit großer Gier fallen Unzen und Iacare's über die Eier her und machen sich oft in blutigem Kampfe die Beute streitig. Sie verschlingen große Mengen von Schildkröteneicrn. Viele werden von Vögeln ausgescharrt und gegessen. Eine ebenso große Menge aber wird von den Menschen selbst vernichtet. In ganzen Rudeln ziehen die Indianer uud selbst Bewohner der Städte zur Zeit der Prayas uud der Schildkröteneier znm Flusse hinab und sammeln Millionen Eier, welche sie als große Leckerbissen verschlingen, viel mehr aber noch in Töpfen zusammeubriugen, nachdem sie die per-gamentartigeu Schalen aufgeschlagen haben, nud das eigentliche Dotteröl nnter den Sonueustrahleu ausschmoren lassen im Eanot mit Znmengnug von Wasser. Eine Schildkröte soll in einer Nacht, so sagte man mir, über 100 Eier legen. Ich kann mir das kaum denken; denn die Eier sind außerordeutlich groß im Verhältniß zum Thier. Wollen wir annehmen, daß sie 100 Eier lege und zu einem Topf „Schildkrötenbutlcr" — mimloigö 60 lan^i'u.^ — die Brut von 30 — 40 Schildkröten gehört, so bekommen wir, wenn wir in einem Jahre 4—6000 Töpfe nach Para wandern sehen, schon die Zahl von 24,000000 Eiern. Wie 10(l viele (5'ier gehörten ehemals dazu, um einen regelmäßigen Erport von 4Mnm'l0 l()s>0^i',^>ln< 0, !n5wi'ico, NlVl» 6a s!mn^,'<,- nnd c- einen kleinern Zwischcnranm hat. Das ganze Haus bot ein vollkommen europäisch abgerundetes Familienbild. Und nachdem das wackere Ehepaar schon hinreichend die ungeheuern Schwierigkeiten kennen gelernt hat, die ihm in Manäos zu einer sorgfältigen Kindererziehung im Wege stehen, versetzt man den Mann uach Teffe, dem ehemaligen Ega, noch etwa W-^IA) deutsche Meilen den Strom weiter hinauf gegen die Grenze hin. Der Minister der Justiz in Rio hätte, wenn er auf den vielgedienten Man it keine Rücksicht nehmen wollte, etwas galanter gegen eine Frau von Erziehung und eine Mutter vou acht Kindern sein nnd hübsch an das ,M U'imn iilioi-oi'um denken sollen. So wimmelt es denn von Kindern überall in Manäos; und es scheint wirklich, als ob die Urubus, die Geier, die ganz die Bedeutung und das geheiligte Ansehen unserer nordischen Störche haben, auch in Bezug auf daS Vriugen der Kinder dieselbe Stclluug einnehmen am Mo-Negro wie der Adebar des wackern Klaus Groth in der schleswig-holsteinischen Marsch. Die braune Gesellschaft macht sich das alles viel leichter. Ncberhaupt sind die Tapuis die größteu Philosophen, die ich gesehen habe. Die treucsten Anhänger des Diogenes sind sie vollkommen glücklich mit dem, was ihnen die Natur an Jagd, an Waldfrüchtcn, an Palmeunüssen, cm Berholletien-kcrncn vor die Füße wirft. Dazu gewinnen sie, wenn ihr Ehrgeiz höher steigt, etwas Gummi oder einigeu Caeao, verkaufen verschiedene andere Waldartikel, fangen einige Fische und Schildkröten zum Verkauf und verdienen so etwas Geld zum Anschaffen vom nothwendigsten Weißzeug; denu zur Ambition irgendein Stück leichten Tuchzeugs zu erwerbeu, erhebt sich der Tapui am Rio-Negro noch nicht. Sie haben Au ^ -? als? mttnt, Ncn'd-Vnisilil'u, U, 9 130 von der Cultur alles angenommen, was ihnen beanem ist, mit Ausschließung alles dessen, was irgendeinen Arbeitsvroeeß voraussetzt. Gern haben sie sich dem Vürgernerus angeschlossen, weil er ihncn das Necht läßt, sich zu keiner Arbeit zwingen zn lassen, und sie im vollen Genuß aller Rechte leben macht, sodaß es z. B. immer ein sehr riskantes Verfahren sein würde, einmal einem Tapui eine Ohrfeige zn geben. Auch thun sie Nationalgardendienste, um so eher, da der Dienst sie in keiner Arbeit stört, sondern ihnen vielmehr eine Art von Spaß macht und sie zu einem gewissen patriotischen Stolz potenzirt. Ebenso eifrig sind sie Katholiken; die formcnreichen (Gottesdienste, bunte Gewänder, Ächter, Weihrauch und Schellengeläute gefallen ihncn ganz gut lind ineommodiren sie in nichts. Damit ist aber auch ziemlich alles abgethan. Immer noch leben in ihnen alte Waldklänge fort. Sie sprechen m der gewöhnlichen Welt portugiesisch; und doch hört man an allen Ecken lind Enden die lin^uc! goi'.ii, die mir in schnurgerader Linie von der Guaranisprache abzustammen scheint, von ihnen geredet weroen, wenn sie in ihrer Welt sich bl> finden. Ebenso geht es ihnen anch mit der katholischen Kirche. Gewissenhaft halten sie alle Festtage, zumal was das Nnhen am Festtage betrifft. Aber in die sonstige Feier mischen sich mannichfachc, gcwisi noch ans ihrer unvcrdeckten Hcidenzcit herstammende Gebräuche. So sollen sie besonders den Vorabend des Johannistags eigenthümlich begehen. Das hatten sie auch zwei Tage vor meiner Ankunft gethan. Sie machen eine Art von luftigem, vielfach geschmücktem Bogeil und noch manche andere Guirlanden und tragen das unter Singen und rhythmischen Tänzen umher. Der Auszug soll sehr gut aussehen und an 131 manche ähnliche Tänze auf einzelnen Südseemseln erinnern. Einen andern Aufzng sah ich gleich nach meiner Ankunft; nnt diesem sollten St.-Peter und St.-Paul geehrt werden. Man nannte den Anfzng Bumba. Schon von fern hörte ich aus meinem Fenster ein wunderliches Singen und Klappern dazu in synkopirender Weise. Es kam im Dunkel ein ziemlicher Volkshanfe die Straße herauf, machte gerade vor dem Hanse des Polizeichefs halt und schien sich zu ordnen, ohne daß man etwas erkennen konnte. Plötzlich erhellten einige lodernde Fackeln die Straße und die ganze Sceneric. Zwei Reihen von Farbigen, im buntesten Maskenaufzng, aber ohne Larven, ^ denn die braunen Gesichter sahen besser aus ^-, hatten sich einander gegenüber aufgestellt und bildeten so einen freien Platz. - Am einen End^ stand im indianischen Festputz der Tüchäuä oder Chef mit seiner Frau; letztere war ein gutgewachsener Knabe, wie denn keine Frau und kein Mädchen mit am Fest activ theil-zunehmcn schien. Diese Frau Tuchaua hatte einen hübschen Anzng an, mit einem kurzen Nöckchen von bunten Farben uud einer saubern Feverkrone. Das Costüm hätte um Haupt und Hüften einer muthigen Tänzerin in Paris oder Berlin ein ganzes Parterre vernichtet. Vor dem Ehepaare stand ein Beschwörer, ein Page —, ihn, gerade gegenüber am andern Ende des Spaliers — ein Ochs. Aber kein wirklicher, sondern eine mächtige, leichte Rückenform eines Ochsen, an den 'Seiten mit einer Draperie verhängt, nach vorn in zwei wirkliche Ochsenhörner auslaufend. Eiu Mann trägt diesen Ochsenrücken auf dem Kopfe und hilft so das Bild einer Ochscnmaskc von großartigen Dimensionen vollenden. Während mm der Chorus im Takt mit Hölzern klappt und dazu eine monotone Weise lxx^u summt, avan- 9* 132 cirt der Page, der Beschwörer, im tanzenden Takte gegen sein vi,^!'vi8 llnd singt: O boi \w, luuilo bravo Precisu amansa-lo. (Zn deutsch: Der Ochs ist sehr wild, man muß ihn zähmen.) Das nimmt der Ochs sehr krumin und treibt mit den Hörnern seinen Partner ebenfalls tanzend zurück znr Stelle des Tnchaua. Aber mit derselben Zähmungsformel tanzt der Page den Ochsen wieder znrück, dann der Ochs den Page; nnd so dauert der seltsame Tanz in allerlei Wendungen nnd Verdrehungen der beiden Mitspielenden, bei deren Anblick selbst der grämlichste Iunggescll nicht ernsthaft bleiben würde, eine geramne Zeit fort nnter taktmäßigem Klappern uud Singen der Umstehenden. Gndlich*wird der Ochs zahm, stille, in sich gekehrt, schwer-müthig und sinkt zn Boden, und in demselben Nu schweigt alles.. Eine Todtenstille herrscht im Kreise! Was ist dem Ochsen begegnet? Ist er im Sterben, oder ist er schon todt, der gute Ochs, der eben noch so wacker seine Nolle spielte? Man holt schnell einen andern Page, nm ihm zu helfen) ja bei frühern Aufzügen holten sie sogar einen Padre, der dem Ochsen das heilige Viaticum in die Schnauze stecken mußte. Das ist ihnen aber jcht verboten, und sie müssen sich mit dem Page allein begnügen. Der singt nun vor dem Ochsen eine sehr wehmüthige Melodie, die aber nicht anschlägt. Der Ochs rührt sich nicht. Er stimmt eine noch wirksamere Veschwörnngsmelodie an, aber auch mnsonst, der Ochs rührt sich nicht. Nnd nachdem er allein uichts hat anfangen können, hilft die ganze Versammlung mit, leider aber mit demselben Ausgang. Der Ochs ist und bleibt todt. Nun beginnt unter Gesang ein Rundtanz in regelmäßigen 133 Sprüngen uudTaktabschuitteu. die gewiß cm förmliches Studium und Einübung verlangen. Die Hände in die Seiten gestemmt und sich in einer langen Kette folgend treten alle Tänzer i, l,«n»^a mit denl rechten Fnß vor, zurück und vor, und machen dann die Pause eines vollen Takts, dann mit dem linken Fuße ebenfalls und so weiter, mit hübscher Biegung des Körpers zur Sette, welche gerade die Bewegung macht. So umtanzcn sie die in der Mitte neben dem Ochsen zusammengeworfenen Fackelu, wobei die bunten, belebten Gestalten wundervolle Lichteffeete abgeben. Sic singen besonders von einer „Lavandeira", wie sie I^vgäsu-g aussprechen, von einer „Wäscherin", die ihnen ein reines Taschentuch, damit sie sich recht satt weinen können, geben und auch wahrschciulich den todten Ochsen waschen soll. Der Page aber singt immer einen, wie es scheint, jedesmal improvisirten Vers dazwischen, gerade wie ein wiener Schuadahüpf'l'n. So treiben sie es eine Zeit lang. Und da mail sich nuu einmal von der traurigen Wirklichkeit, der Ochs sei ernsthaft todt, überzeugt halten muß, so entschließt man sich zum großen letzten Att, zu einer gesungenen Anfforderuua eines allgemeinen :— — — — chow, 0 boi ja vai-se cinbora (man weine, der Ochs geht nun fort, d. h. um begraben zu werden). So ziehen sie klappernd und singend ab mit ihrem Ochsen, wobei dieser, gerade wie ein gefallener Thcaterheld gleich nach gesunkenem Vorhang, die feine Rücksicht nimmt, auf eigenen Füßen, d. h. dessen, der ihn gebracht hat, mitzugehen, um gutmüthigerwcise an der nächsten Ecke und so bis in die Spätnacht hinein füuf- bis sechsmal an einem Abend zu sterben. Wie weit Sinn und Anspielung oder Nemmiseenz au ein 134 altes ehemaliges Fest im Walde dabei geht, kaun ich nicht sagen. Für mich hatte aber der Aufzug mit seinen Chören und sorgsam taktmäßigen Sprüngen etwas ungemcin Anziehendes, etwas von wilder Poesie an sich. Wem aber der Ochs dabei eine prosaische Rolle zn spielen scheint, dem rathe ich, im Carneval nach Paris zu gehen uud den !>ocul' ^5 aufzusuchen, hinter welchem ganz Paris herläuft, besonders der Faubourg St.-Marceau und St.-Antoiue; denn die vornehme Welt sieht aus den Fenstern dem Dinge zu in gespannter Erwartung, gerade als ob ein Held, ein Cäsar kommen sollte; And if you saw his chariot but appear. Uis you not make a univci'.sal shout? So läßt der große englische Tragöde seinen Volkstribun den Römerpöbel anfahren, der noch gestern Pompejns jauchzte, um heute Aäsar zn rnfen. Im Carneval aber läßt der pariser Pöbel nur den dacul g,-n« leben, wie man in Manäos am Vorabend von S.-Pe- -dro e Paulo nur an dem „wilden Ochsen" Gefallen fand, wobei ich die Bemerkung machen mnß, daß der pariser Volksgeruch beim Gedränge solcher Versammlung nngemein penetrant ist und ein Volksgestank genannt werden mnsi, während die gnten Manäoslcnte, besonders nun gar die braunen Mädchen mit triefenden Haaren, nach dem Wasser des Rio-Negro oder einer hinter das Ohr gesteckten duftigen Genipapo-blume dufteten. Während so aus heidnischer Zeit ein Aufzng den katholischen Festtag bei ihnen einleitet, so kommt anch in ihrem bürgerlichen Leben noch manche Paradorie vor, z. B, in ihrem. Essen. Sie essen viel und gern; doch sind sie nicht lecker genug, um gute Kost für Arbeit zu gewinnen. Besonders scheinen die Frauen darin sebr genügsam zn sein. Während der Tapui seinerseits anf die Jagd geht, nm sich 135 etwas zu erlegen von irgendwelchem Wild, — und wir wollen ihn gleich bei solcher Jagd aussuchen, — ist die Jagd der Frauen viel einfacher und bescheidener. Wir können einmal eine kleine Frauenjagd erzählen. Ich hatte dicht bei der Stadt, ja noch innerhalb derselben, einen kleinen Seitenweg eingeschlagen, als ich mitten in der Landstraße vier Indianerinnen im Kreise um einen Grdgcmg, etwa wie ein Maulwnrfgang gebildet, sitzen sah; es war eine Großmutter, ihre Tochter und zwei erwachsene Enkelinnen. Jede hatte einige Streifen von Palmenfoliolen bei sich liegen. Sie steckten abwechselnd solchen Streifen auf einige Seeunden oder halbe Minnten in den Gang hinein. Wenn sie-denselben dann herauszogen, hatten sich l> — 12 Ameisen darin festgebissen, aber Ameisen von einem immensen Kaliber. Sie waren wol einen Zoll lang, ungemein dick und fett, mit sehr starkrm Kopf und dickem Bruststück, jedersclts mit drei Spitzen vcrschcn, widerliche Thiere von hellbraunem, chloro-tischem Ansehen und höchst intensivem Wanzeugesiauk. Mit großer Sorgfalt sammelten sie diese dicken, wenig behenden Thiere in ein Töpfchen mit Wasser odcr in ein Bananen-dlatt. Und als ich nun fragte, was sie mit den widerlichen, stinkenden Thieren anfingen, sagten sie mir, sie wollten sie braten und essen, denu die Mauioara schmeckte sehr gut. Mir wurde wirklich etwas übel bei dem Gedanken, daß das grausige Gewürm gegessen werden sollte. Die eine Enkelin aber, ein allerliebstes, braunes Geschöpf von 20 Jahren und üppigeu, schwarzen Haarcu, mit dem frischesten Munde und dcn herrlichsten Zähnen, die man uur sehen konnte, wickelte ungemein geschickt ihre Mauioaras in ein Stück des Vananenblatts und wand behende und graziös einen Grashalm darum. Dann hielt sie das grüne Päckchen ans Ohr uud horchte mit dem Ausdruck der vollsten, kindischen Lüsternheit nach dem Krabbele ihrer Thiere, die sie 136 sich im Hause braten wollte. So zogen dic vier Weiler nach vollendeter Jagd nach Hanse, um dort in aller Gemüthlichkeit ihre Bente zn verzehren. Auch die Jagd der Männer ist, trotz ihres civilisirtcn Zustandes, wie man dieses thatenlose Leben einer Halbgc-sittung nennt, immer noch voll von Reminiscenzen des Urwaldes und für den europäischen Reisenden höchst eigenthümlich. Im Contact mit der Gesellschaft und besonders dnrch den Nationalgardistendienst haben sie den Gebrauch der Flinte kennen und ihren Werth schätzek gelernt. Im Kampf gegen größere Thiere, anf der Jagd von Tapiren nnd Unzen bedienen sie sich, wenn sie dazn kommen können, gern des Pulvers und der Kugel; bei kleinern Jagden aber ist Pfeil und Bogen noch immer nicht beiseite geschoben von der Büchse. Mit Pfeil und Bogen gehen sie noch an den Fluß und erlegen mit großer Sicherheit die Pirarucu und dic Schildkröte. Beim Erlegen ersterer wissen sie genau die Licht ablenkende Kraft des Wassers anzuschlagen. Beim Schießen der zweiten sollen sie den Pfeil in einem hohen, wohlberechnetcn Bogen fortfchnrllen, sodaß er in lothrechter Linie auf das Thier hernicderstürzt und es durchbohrt, ohne am Schilde abzugleiten, wie es der Fall sein würde, wenn sie in gerader Linie auf das Thier schießen wollten. Unerschütterlich hat Pfeil und Bogen dabei die Form des Urwaldes beibehalten. Der Bogen wird aus dem harten, schweren nnd doch ungemein elastischen Holze des Pao d'Arco, des „Bogenbaums" gemacht, jener herrlich blühenden Bigno-nie mit rothen, und bei einer andern Species mit goldgelben Blüten. Der Bogen ist etwa ll Fuß lang, ungemein schlank und meistens ganz gerade, oft auf der einen Seite rinncnförmig ausgehöhlt, wodurch er noch elastischer werden soll, von schwarzer oder dunkelbrauner Färbung, fast dem 137 Iacarandaholz ähnlich, mit dem der Pao d'Areo ganz nahe verwandt ist. Die Schnur ist gewöhnlich aus Tueumfäden oder Ananassiachs, Carua, zusammengedreht und eben nicht fest angezogen, weuu sie auf dem Bogen aufgespannt ist. Die gewöhnlichen Pfeile sind ein einfaches Nohr oder vielmehr Blütenstiel des fächerartigen Pfeilgrases. Das Nohr ist fest, innen markzellig, leicht und vollkommen gerade. Es ist am Pfeil meistens 3 — 4 Fuß lang und selbst noch länger. Das dickere Ende wird mit einer harten Spitze aus dem Holze des Pao d'Areo von 1 — IV2 Fuß Länge vcr^ sehen und der Verbindungspnnkt sauber und sicher um--wickelt. Das spitz zulaufeude Ende dieses Holzaufsatzes ist in Intervallen geringelt und auch wol mit leichten Widerhaken versehen. Das untere Ende des Pfeils ist oft nur mit Tnenmfäoen umwickelt und einem leichten Harz umgeben. Der Federanhang scheint im Urwalde zurückgeblieben zu sein und ist nicht nothwendig zur sichern Richtung des Pfeils. Manchmal ist statt des Holzes auch ein spitzes Knochenende oben am Pfeilrohr; oder auf dem harten Holze findet sich sauber gezähnt und zugespitzt ein Ende Fischgräte, deren Einfügung in das Holz ebenfalls sauber umwickelt ist. Oder man hat ein Stück Taquara oben aufgesetzt und an das spitze Holzende eine Gräte als Widerhaken angefügt, sodaß die Pfeilspitzen ungemein mannichfaltig werden. Viele Pfeile sind auch ganz und gar ans Bignonienholz gemacht, ziemlich schwer, uud haben, kräftig abgeschossen, ungemcine Gewalt. Um aber der Kraft des Pfeils zn Hülfe zu kommen, Vergiftet man noch immer viele Pfeile, namentlich diejenigen, mit denen man Iacares schießt. Dieses Pfeilgift, Oüciri, wie es am Rio-Negro ausgesprochen wird, wird als ein Geheimniß von den Indianern im Urwalde aus vcr- 138 schiedenen Loganiazeen, Strychnosarten, bereitet uub verkauft oder verhandelt. In den Handel kommt es in kleinen, rnn-dcn, flachen Töpfchen aus Thon; es hat eine glänzende Oberfläche, ist von schwarzgrüner Farbe und schmeckt bitter. Zu ihrem eigenen Gebrauche tragen die Jäger es mit sich in einer kleinen Caledasse umher. Ich bekam es in beiden Gefäßen in Manäos geschenkt, wo es einen großen Handelsartikel bildet. Das Gift wird, wenn es auf einen Pfeil aufgetragen werdeu soll, weich gemacht uud besonders in die kleinen Ritzen der Holzspitze hineingestrichen. Solch ein Pfeil heißt dann eine I'i-Oi^m li^'v^l,, ein gekräuterter Pfeil. Eein tieferes Eindringen und Sitzenbleiben auf einige Momente ist sicherer Too; denn das Gift Ouari steht dem berüchtigten Upas üoul.l> der Iavanen nicht nach, sondern ist mit ihm gleichen Ursprungs und von gleicher Wirksamkeit. Da nun eine uuvorsichtige Verwundung mit solcher vergifteten Spitze ernsthafte Folgen haben kann, so bewahrt man die 1''ioio!>^8 t>l!!'Vixla8 anf, indem man ihre obern Enden in eine lange, spitze Kappe steckt, in welcher wieder jeder Pfeil seine besondere Scheide hat. Auch diese Pfeilkappen sind niedlich und zierlich gearbeitet, wie denn der ganze Mordapparat, Bogen, Pfeile, Spitzenkappe und Onarkalebasse eher wie zu einem Spielzeuge als zu ernsten Angrissen gemacht zn sein scheint. Nicht vergiftete Pfeile werden in einen geflochtenen und mit Harz versehenen kurzen Köcher gethan, ohne daß sie m demselben voneinander getrennt werdeu. Zum Erlegen kleinerer Vögel bedient man sich der Sara-bcttana, des Blasrohrs. Man macht sie zu einer Länge von 10—12 Fuß ans zwei ausgehöhlten, wohl aufeinander passenden Stücken und umwickelt sie sorgfältig mit einer Schuur von Tueum oder Carua, oder auch mit einer Art von 139 festem Bast. Nuten versieht man sie mit einem breitcrn Mundstück. Man schießt aus ihnen mit nassen Thonkugcln oder ganz kleinen Pfeilen, den sogenannten Gravatanas. Letztere sind einfach und niedlich aus den Seitenrippen der Palmcnblätter, welche fest und derb sind, geschnitten von der Länge eines Fußes uud darüber. Unten werden sie mit der Wolle der Smnaumeira leicht verschen, sodaß diese Wolle beim Fortblasen die Luft aussängt und den Pfeil forttreibt. Zu einer außerordentlichen Höhe steigt die kleine Mordwaffe, und der 'von ihr getroffene Vogel wird sie nicht wieder los. Der Jäger trägt sie in einem Ende der Taquara mit sich umher, oder auch in einem kleinen, eigens dazu geflochtenen Körbchen oder Köcher. Der kleine Apparat ist ungemein niedlich und oft sehr sauber zusammengesetzt. Und so ist auch ihr Hausgcräth, wie unbedeutend es auch fcm mag, immer niedlich. Von Mobilicn, von Tischen, Schränken u. s. w. ist natürlich nicht die Nede. Sie haben eben nicht viel Zeug aufzubewahren, brauchen also keine Schränke; wozu wir Tische gebrauchen, das geht bei ihnen auf ebener Erde vor sich. Bis zu einem Stuhle, einem Sitze erhebt sich ihre Ambition manchmal; aber dieser Stuhl erhebt sich nicht leicht über 5 oder 6 Zoll vom Boden. Er besteht aus einem etwa 2 Fuß langen uud 1 Fuß breiten, leicht ausgehöhlten Bret, fast einer stachen Mnlde ähnlich, und hat vier dicke, viereckige Beine, welche in der Längsrichtung nuten wieder durch ein Holz verbunden sind. So sieht der „Stuhl" eher wie ein lappländischer Schlitten als wie ein Stnhl vom Amazonenstrom her aus. Offenbar ist er nach dem Modell einer Schildkröte gemacht. Das Bemerkenswertheste dabei ist, daß das ganze Kuustproduct gewöhnlich aus einem Stück Holz geschnitten ist, gerade wie man ein Canot, ein ganzes Boot, aus einem Stamme ver- 140 fertigt. Viel leichter wäre cs, die kurzen Stuhlbeine mit Nägeln an das Sitzbret anzunageln; aber das würde vier bis acht Nägel kosten, was zu thener sein würde. So ziehen sie denn die mühsame Arbeit, das Ganze aus einem Blocke zn schneiden, bei weitem vor. Die Sitzmatten auf dem natürlicheu Fußboden im Nancho der Indianer und diejenigen, die mau vor die Fenster hängt und vor die Thüren stellt, sind aus Palmcnfoliolen geflochten. Eine Töpferei in Serva und noch mehr die in Vreves versorgt Manäos mit Thonarbeit. Mau sieht Töpfe u. s, w. in eigenem indianischen Geschmacke, zierliche Waschschalen und Wafchkrüge, deren buntes Colorit köstlich ist. Gelb und roth ist die Hauptfarbe am Steingut. Das Gelb wird aus einem Erdocher, ein Rothgelb aus der gelbrothen Rncu oder Zixi» on'ücuu! bereitet, ein sehr intensives Noth ans den Blättern einer Vignonic (U o!n«>). Diese Blätter werden zerkocht und dann eine Ninde, Arayaua, hinzugethan, wodurch sich ein rothes Präcipitat bildet. Dieses wird in kleine, runde Kuchen geformt und kommt, mit Blättern umwickelt, in den Handel unter dem Nameu von Carajurü. Häufig mag es hier mit der Farbe der wirklichen Bira verwechselt oder beide miteinander vermischt werden. In Manäos unterschied man gelbes Nueu oder Urucu und rothes, ohne daß man mir genau den Pflanzenunterschied beider angeben konnte. Aller übrige Gefäßbedarf im indianischen Hause wird von der unsterblichen Calebasse geliefert. Von allen Größen hängt diese seltsame Frucht an allen dicken Zweigen und dem Stamme des Baums herab. Gar leicht läßt sich das weiche Mark herausschälen, sodaß nur die feste, hornige Schale, kaum zwei Linien dick, zurückbleibt. Man hat nun ganz runde und ganz längliche Calebassen, mannichfaltigcr als ich sie sonst wo gesehen habe. Eine kleine, 141 der Länge nach aufgeschnittene Calebasse ist ein Löffel; eine etwas größere, in der Mitte durchgeschnittene ist eine Tasse. Eine große Calebasse, die nnr oben neben dem Einsatz des Stiels eine rnnde Oeffnnng hat, ist ein Valde, ein Eimer, und enthält bis acht Oaschen Flüssigkeit. Einige sind lang oval, wie Kürbisse oder lange Gnrken, nnd scheinen wirkliche Cucurbitaeeen zu sein. Haben sie nm oben eine kleine Oess-nung, so ist es eine Flasche, die 6 — 8 Pfd. Wasser fassen kann. Ist die lange Calebasse in der Mitte durchgeschnitten, so bilden beide Hälften ein großes Trinkglas. Und schneidet man dieselbe Frucht der Lauge nach auf, so bildet jede Hälfte eine treffliche Füllkelle. Kurz mau kauu sich Gefäße schnei-den,, wie man will. Mit den runden, halb durchgeschnittenen Calebassen treibt mau sogar eiue ökonomische Koketterie. Man lackirt sie innen uud außen schwarz. Oder man malt sie außen graugrün an, innen schwarz, mit rothen Ringen, bnuten Arabesken uud goldenen Quadraten. Sogar einen Handel treiben einzelne Ortschaften mit solchen Calebassen am Amazonenstrom; aber in Manäos sah ich die hübschesten. Doch ist Praiuha am bekauutesteu wegen seines Handels mit bunten Calebassen. Uud nach allem diesen möchte ich auch iu Mauäos, gerade wie iu Cametä am Toeautius, die Frage aufwerfcu: Wenn Wald, Flnr uud Fluß dcn einfachen, genügsamen Indianeruaturen Essen uud Triuken liefert, warum sollen sie es der gebenden Natnr ans andere Weise abzwiugcn? Wozu ein Ziegeldach, wenn Euterften und Gcouomeu sich so leicht zu einem Dache fügeu, wenn der Bussu für 20 Jahre ein Haus deckt? Der Bussu, welche herrliche Erscheiuung! In Manäos lernte ich einmal das großartige Blatt in seiuer vollen Ausdehuuug kennen. Ein Tapui legte sich ans eincm Grasplatze seiu Vussudach zureckt; vou weit her hatte er sich 142 die Blätter geholt. Die jungen, noch nicht viel vom Winde umhergeschlageuen Blätter bildeten jene einzige, zusammenhängende Blattfläche ohne den geringsten Einriß, gerade wie ein junges Pisangblatt. Die wunderhübsche Zähnung des Nandes zeigte die Zahl der Rippen an, in welche das Blatt sich zertheilen würde. Welche Blattfläche von 25 —Z<) Fuß Länge bei ^ — 4 Fnß Breite! Zehn Blätter bedecken den Boden eines großen Saales schon vollständig; nnr einige Blätter kann ein Manu zu gleicher Zeit forttragen. Ihrer zwanzig sind hinreichend, um in doppelter Lage ein granes Indianerhaus zu decken. Und doch darf eins in einem echten Tapuihaus von Ma-näos nicht fehlen, die unsterbliche Hängematte, die berühmte lieclo! Um Gottes willen darf ich nicht von jenen banmwollcnen, buntgewebten Hängematten reden, die schon anglo-amerika-uisches Fabrikat geworden sind uud in allen Mustern, allen Größen nnd zu den mannichfachsten Preisen als ziemlich bedeutender Handelsartikel eingeführt werden in Parä und verkauft, iudem die nicht in Hängematten erzogene Generation diese theuerern und brcitcrn Fabrikate vorzieht als einen prunkenden Lnrusartikel aus Europa. Ich will hier nur von jenen Netzen nnd Flcchtwerken reden, zn denen das Material auf luftigen Palmenstämmm wächst, oder in den langen, fleischigen Blättern der Bromclien versteckt liegt, von den Matten nnd Netzen, die ans Tueum unv Carua geflochten werden. In der Reihe der von Stacheln starrenden Astrocaryen, von denen sich wegen mannichfachcn Nutzens die schou genannten Iavaripalmen, die Tncnman, Murnmuru u. s. w., die ich schon bis zum Rio-Negro hinauf fand, auszeichuen, ist vor allen das ^»lroogrvum vu!^m'« zu nennen, eine Palme, die an Zartheit und Zähigkeit des Foliolcnparenchyms alle 143 andern Astroearyen übertrifft und ebendeswegen zn technischen Zwecken mannichfaches Material liefert. Die abgestreifte Oberhaut der jungen Vlattfoliolen wird mit den Händen auf dein Schenkel znsammcn- und ineinander gedreht in so geschickter und kunstvoller Weise, daß sie lange, ungemein feste lind sichere Schnüre liefert. Diese werden wiederum zusammengedreht, bis dadurch eine mäßig dicke Schnnr entsteht, ans welcher nun ein wirkliches, aber mit lose ineinander sich bewegenden Mascheu versehenes, grobes Netz gestrickt wird. Dieses Netz wird au seinen beiden Enden von noch etwas dickern Tucumschuüren zusammengeholt und aufgebunden zu einer gemeinschaftlichen Partie, welche von einem Stricke gefaßt und an einem beliebigen festen Punkte anfgehängt wird. So entsteht das reizendste, in der Luft schwebende Lagernetz, dessen Schnüre uud Maschen oft roth und hellgelb gefärbt sind. Mit der allerunbcfangcu-sten Dreistigkeit kanu mau es ausspannen nnd sich hlucin-legeu; ja zwei Personen müßten schon sehr schwer sein, wenn es unter der vereinigten Last beider zusammenbrechen sollte. Man liegt ungemciu kühl in solchem hängenden und schaukelnden Bett, besonders wenn man einige Uebung erlaugt hat, sich in seinen Schrägdurchmcsser hineinzulegen und sich behaglich darin auszustrecken. Diese Netze kann man noch viel zarter machen, wenn die Tueumfädcnschnüre recht fein uud fest gedreht sind. Diese feinern, wirklichen Fischnetzen ähnlichen Nedes oder Maqueiras lassen sich zn einem ganz kleinen Volnmen zusammendrehen und bilden so ein portatives Bett von dem allerkleinsten Um-fange. Wirklich in die Tasche konnte man einige stecken. Diese beiden Formen sind die Grundformen am Amazonenstrom. Nun verwebt man die Maschen zuweilen auf bas allerkunstvollste miteinander. Man macht oft einen förmlichen, weitmaschigeil Teppich mit bunten Zeichnungen, Nra- 144 besten und Figuren, dercu Zusammenwebung viel Tucum und unendliche Zeit und Hundearbeit erfordert. Häufig sticht man nm den Rand Spitzen und Jacken von andern Faserstoffen, z. B. von Carua herum nnd webt selbst kostbare Federeinfassungcn hinein. Solche Hängematten werden dann das Muster von Eleganz und Kostbarkeit und werden auch nur zu besoudem Gelegenheiten und auf besondere Bestellungen gemacht. Die gewöhnlichen dagegen werden zum Verkauf gebracht und sind in Parä in vielen Läden immer vor-" räthig zu bekommen. Noch billiger bekommt man sie den ganzen Strom aufwärts. Ich halte aber das Carua oder Graua doch noch für einen edlcrn Stoss. Wir haben ihn mit der Macambira schon am S.-Francisco kennen gelernt. Es scheint auch wirklich, als ob man die feinen, seidenartigen Fäden des Graua zu feinern Arbeiten, zartcrn Uniwickelungen u. s. w. verbrauchte. Doch ist es nicht immer ganz leicht, in einem Flechtwerk beide Stoffe zu unterscheiden, es gibt Tucum-arbciten von außerordentlicher Feinheit und so festem Gewebe, daß man wirklich nicht sagen kann, ob sie aus Palmenmaterial oder Caruafasern gemacht sind. Wo die Tucumpalmc seltener vorkommt, wo die Brome-liaceen Macambira und Carua nicht zu finden sind, da weiß sich der Tapni mit andern Surrogaten zu helfen, wie sie ihm die Meritivalme und selbst andere Astroearyen liefern. Oder er pflanzt sich einige Baumwolle, aus der die Indianerin sich einen Rock ohne alle Naht webt, wie ich selbst solchen Rock besitze. In ganz groben Flechtwerken aber, zu Seilen und dicken Tauen ist am Rio-Negro und ganz besonders an einzelnen seiner Zuströmungen ein Stoff vorhanden, dessen vielseitige Verwendung selbst schon in Europa Wurzel gefaßt hat, — ich meine die Piassaba. :45 Bei vielen, namentlich dickern Cocoinen, wo die Blatl-scheide fast den ganzen Stamm umarmt, sind beide, Stamm und Blattscheide, mittels eines grobem ober feinern Gewebes fest aneinander gebunden. Die Hauptfasern bilden eine ungemein feste, hornig-fischbcinartige Substanz, die indeß ganz eigenthümlicher Art ist. Fast möchte ich sie mit langen, unendlich dicken, braunen Schweineborsten vergleichen. Die ^u.ilttn sunitol-c, (und das Genus I^opolciinig) liefern am meisten Piassaba, welches entweder unverarbeitet in großen Faserbündeln nach Manäos kommt und von dort nach Parä geht oder zu festem Tanwerk in Rollen, ganz nach Art des russischen Tauwerks, aufgewickelt, den Nio-Negro herabgebracht wird. Nun sieht es hübsch glänzend braun und glatt aus. Als solches sah ich es oft in Manäos ausgeschifft werdeu. Im Gebrauche aber wird es schmuzig schwarz, bleibt indeß doch lange haltbar und ist nngemcin biegsam, sodaß man selbst dicke Ankertaue von Piassaba hat. Anch bekleidet hat die Cultnr den Tapni in Manäos, wie ich schon angeführt habe. An der einfachen, weißen Tracht Der Männer fiel mir nichts auf. Desto hübscher erschien mir hänfig die Tracht der Frauen und Mädchen. Ihre ganze Kleidung bestand meistens aus einem Hemd und Nock. Letzterer wird über dem erstem um die Hüften zusammengebunden und besteht in der Regel aus einem dunklern oder carrirten Stoffe. Doch wird auf den Nock keine besondere "Sorgfalt verwandt. Desto mehr scheint dagegen das Hemd einer besondern Sorgfalt zu genießen. Immer ist es rein, oft mit eitler Art Stickerei versehen und znweilen, zumal an Sonntagen, auS feinem und durchscheinendem Stoffe gemacht, dnrch welchen Form und Farbe durchschimmert. Wenn so der Stoff durch seine halbe Byssusnatur zum Verräther an Form und Farbe wird, wird er es hänfig auch Ave'-Lallemant, Ncrd:Arasicien. II, 10 146 durch seinen Zuschnitt. Das Hemd schlüpft alle Augenblicke, wenn die Inhaberin sich bewegt, sich bückt oder sich hoch aufrichtet, aus dem Rocke hervor und verräth so, daß es nur eine Jacke ist. Es wird dann, zumal bei den jungen Mädchen, die aus ihren Flegcljahren noch eine hübsche Hemdcnjacke in ihre reife Mädchenzeit hinübergenommen haben, der Körper über den Hüften ringsum einige Finger breit entblößt, während Schultern und Rücken uebst der Brust verhüllt bleiben. Am Rande der Urwälder sieht das wunderhübsch und naiv genug aus. Doch sieht man Sonntags morgens, wenn die Messe von Nossa Senhora dos Nemedios aus ist, schon größere Sorgfalt im Anzug bei den aus der Kirche kommenden Leuten, wie ich das am 3. Juli zu beobachten Gelegenheit hatte. Ich war den Tag vorher eingeladen worden, das Etablissement der „Edueandos" zu sehen, eine Anstalt, die ganz in der Art des „Rauhen Hauses" in Hamburg angelegt ist. Knaben, fast durchweg Indianer, welche keine Aufsicht haben und Herumtreiber zu werden drohen, werden dort unentgeltlich aufgenommen und zu nützlichen, arbeitsamen Menschen um geschaffen. Schon um ? Nhr morgens waren wir auf dem Wege, überstiegen die Höhe von Remedios und kamen zu einem kleinen Gehöft, in welchem der Inspector des Provinzial-schatzes, der zu gleicher Zeit jene Anstalt überwacht, mit einer Familie von acht Kindern, das älteste acht Jahre alt, wohnt. Gin breiter, stiller Igarapc, ans dessen übergetretenen Wassern blühende Gebüsche und Bänme herausragtcn, trennte das Haus von der Anstalt. Wir fuhren hinüber, und ich hatte die Freude, in diesem auf Kosten des Staats angelegten Institut bei der Leitung und Erziehung der 19 dort wohnenden Knaben eine Genauigkeit und Sorgfalt zu treffen, die mich in Erstaunen setzte. Ja, hätten nicht die braunen, 147 frischen, indianischen Knabengesichter mich an Mauaos erinnert, ich hätte geglaubt, in einem wohlgeordneten deutschen Waiscnhause zu sein. Die Erziehung drehte sich um Religion, erste Schulwissenschaften, Handwerke und Musik. Die Hausordnung ist halb militärisch, die Tracht der Knaben rein und einfach, und am Sonntage, wo sie zur Stadt geheu dürfen, besteht sie in einer kleinen Marmeuniform, ^ blaue Tuchjacken mit rothen Aufschlägen, blaue, runde Mützen ohne Schirm mit rothem Bord und oben in der Mitte eine rothe Troddel. Das steht den kleinen Brannen ungemcin gut. Bei dem Werth der Handarbeit verdienen sie durch Anfertigung von Tischen, Bänken, Schränken, Booten und Rudern die Unkosten des Hauses. Wenn sie erwachsen sind, können sie ihrer Wege gehen, wohin sie wollen. Am meisten nun zog mich ihre Musik an. Ihr Musiklehrer, ein jnnger Farbiger aus Pernambuco, der das aller-entschiedenste Talent für Mnsik verrieth, Namens Francisco da Silva Galvao, war mit uns gegangen, um seine kleine Musikbandc spielen zu lassen. Sieben Blasinstnimente waren doppelt beseht, die beiden Klapphm'nistcn waren 10 und 11 Jahre alt. Keiner der kleinen Musiker konnte üder 15 Iahr.e alt sein. Und nun spielten sie mit einem Eifer, einer Präcision und Abrundung zwei Märsche, daß ich wirklich erstaunt war. Besonders war der kleinste Klapphornist, eine derbe, kurze Figur, der gelungenste kleine Kerl, den man mir sehen konnte; er blies wie ein Alter, mit dem ganzen Grnst eines Alten, und schien vollkommen einzusehen, daß von einem guten Klapphornistcn die Leitung einer ganzen Mnsikbaude abhingc und gehalten würde. Die Anstalt ist, wenn sie auch erst kurze Zeit besteht, dennoch schon von großem Segen geworden. Sie zeigt den 10* 148 Farbigen, baß auch sie in der menschlichen Gesellschaft zu allem befähigt und befngt sind, wenn sie ordentlich arbeiten wollen, und daß selbst kleine Kräfte, Kinderkräfte, schon im Zusammenwirken etwas Tüchtiges leisten können und ihre Inhaber vollkommen unterhalten. Und dennoch finden einige Stimmen die Anstalt nicht nöthig und wollen ihr vor allem die Musik aus dem kleinen Budget streichen. Da wüßte ich einen guten Rath: man lasse die kleinen Brannen vor den Fenstern dieser Misgüusti-gen ihre Märsche blasen, und man wird ihnen ihre Musik schon lassen und die ganze Anstalt dazn mit allem Guten, was an ihr ist. Beim Rückwege über Nemedios giug gerade die Messe zu Ende. Wir traten auf die Seite und ließen die Kirchengänger an uns vorbeipassiren. Nein Weiße kamen nur wenige aus der Kirche, und diese waren fast alle Männer im schwarzen Fracke und ohne weiteres Interesse für mich. Die Franen dagegen waren durchweg Farbige, Indianerinnen und hellere oder dunklere Mesticas und Mamclucas von verschiedenen Kategorien. Das helle, durchschimmernde Sonntagskleid ans leichtem Stoff saß wundervoll um die Formen der Mädchen, denen beim geschmackvollen Zuschnitt der Gewandung ganz gewiß keine französische Schneiderin geholfen hatte. Bei jedem Schritte zitterte das feine Gewebe des oben am Halse zugeknöpften Hemdes ans der festen Forin des elastischen Bnsens, dessen üppige Fülle von keinem Echnür-leib getragen zu werden brauchte; die ununterbrochenen Flußbäder erhalten die Spannung der Hant und die Turgescenz des Zellgewebes bis in reifere Lebensjahre hinein. Keine einzige trug einen Hut, viele dagegen kleine, blauseidene Sonnenschirme in den zierlichen Händen, wol weniger, um sich vor der Sonne zu schützen, als vielmehr um die hüb- 149 sehen, frischen Blumen, die sie im dunkeln Haar trugen, vor dem raschen Verwelke»; zn bewahren. Unendlich freute ich mich an den schönen, dunkeln, sittlich stillen Gestalten. So wandelte die so eigenthümlich europäisch-indianische, so seltsam afrikanisch-indianische Frauenschar im hübschen Sonntagsschmuck den Hügel hinab zum Igarafte, und gar anmuthig sah es aus, wie sie alle leicht und ohne Wanken über die schmalen Breter der einsinkenden Holzbrücke hinüberzogen, während als Hintergrund auf dem morgendlichen Bilde der Nio-Negro in gewaltiger Breite gen Nordwest anfstieg nnd zwischen verschwindenden Ufern mit seinem fernen Wasser scheinbar an den Himmel anstieß und dort ebenfalls verschwand. Das waren ungefähr die Hanptformen, nnter denen mir in Manäos am untern Rio-Negro das sich dem Cnltnrzn-stande, dem Europäismus anschließende und in ihm allmählich aufgehende Indicmerlcbm glanzlos und bescheiden, ja in einer poetisch-elegischen Form und Weise entgegentrat und mich mit Freude, aber "auch mit einer gewissen Wehmuth erfüllte. Wohl hatte ich in (5a,nctä schon richtig gesehen: auch am Amazonenstrom ist die Zeit der braunen Häute vorüber, uud die blassen Gesichter werden herrschen. Und sie herrschen schon, schon herrschen sie auch am Rio-Negro. Zwar scheint diese Herrschaft noch sehr klein zu sein und ist es wirklich; sogar rückschrcitend scheint sie zu gehen. Immermchr fällt das zusammen, was mit vielen Mühen und Opfern von ehemaliger portugiesischer Zwingherrschaft aufgebaut worden war. Städte wie Ayräo, Moira, Bareellos, Moreira, Thomar, Castanhciro, sind im schnellen Abnehmen begriffen und bestehen zum Theil nnr noch ans wenigen Häusern neben baufälligen Kirchen. Und doch darf das feine Verwnnderung erregen und keine Sorge einflößen. Gerade wie einst in den Missionen am 150 Uruguay und Parana von den Jesuiten, wnrden auch am Rio-Negro früher von denselben Iesniten, nnter denen manche dentsche Namen sich vorfinden, und später von den Portugiesen die Indianer des Urwaldes eingefangen, zusammengetrieben zum Ufer des Flusses zu den sogenannten Desrimen-tos, nnd nnter den allerbarbarischsten Mitteln zur Arbeit gezwungen, wie oft anch Gegenbefehle gegeu die rohe Barbarei dieser Behandlung von Europa kommen mochten. So ließen sich allerdings Ortschaften nnd eiuzelue Städte aufbauen nnd zu einigem Glänze bringen, aber eiue freie Entwickelung einer Volkskraft war es nicht. Erst in neuern Zeiten ist den Iudiauem volles Recht, volle Freiheit gegeben nnd gelassen worden, mit sich zu thun, wie sie wollen. Allerdings ist durch diese absolute Freiheit der Indianer ihre ihnen angeborene Indolenz wieder vorherrschend geworden, und die erzwungene Größe und Thätigkeit der ehemaligen Ansiedelungen am Rio-Negro hat abgenommen. Doch kommt allen Stämmen immer mehr und mehr die Ueberzeugung, daß das angesiedelte, gssitjete Leben dein wilden Waldleben immermehr vorzuziehen ist, znmal seitdem man ihnen in diesem angesiedelten, gesitteten Leben alle jenen kleinen Waldreminiftenzen nnd Heimatsklängc, wie ich sie eben im Leben der Indianer in Mamws angedeutet habe, als harmlose Spielsachcn gern läßt. Die Einleitung znr Cultur kommt ihnen oft in ganz unbegreiflicher Weise zu. Der Tauschhandel mit Abentenerern uud Hausirern mag den ersten Eontatt geben. Als ich von ganz nackten, wilden Botocuden am Rio-das-Pedras in der Provinz Miuas-Novas unter audern Sachen anch Halsketten ans Waldsamen nnd Cafti-vanzähnm bekam, entdeckte ich zwischen den echt urwäldlichen Iierathen eine kleine Glasperle. So wichtig, so werchvull hatte doch die ganz rohe, wilde Bolomdili die einzige, ganz kleine Glasperle gehalten, daß sie sie in die Urwaldskette 151 aufnahm. Vielleicht ward diese einzige Perle ein Grund mit, daß kein feindliches Begegnen zwischen Botocuden und civili-sirten Menschen stattfand; letztere hatten ja Glasperlen und gaben sie für Ipecacuanha. Anch am Rio-Negro besitzen die Frauen im Urwalde das dem Frauengeschlecht seit dem verlorenen Paradies angeborene Schamgefühl, was ich nur bei den Botocudinncn nicht fand. Das kleinste Gewebe aber genügt ihnen, nm dieser Sittlich-keitsempfindnng Genüge zn leisten. So besitze ich eine ganz wunderhübsch ans Glasperlen und Tucum gehäkelte Schürze, die schon 8 Zoll breit und 3 Zoll hoch ist. Hätte das geschickte Waldkind, was mit diesem ersten Rudiment eines Nöckchens ans europäischem Material allen Anforderungen der Sittlichkeit genügt zu haben glaubte, nur mehr Perlen von der Cultnr bekommen, sie hätte sie alle zu ihrer Schürze verbraucht und am Ende einen wirklichen kleinen Unterrock bekommen, gerade so, oder doch wenigstens halb so lang, wie die Indianerinnen ihn in Manäos tragen. Man muß nicht gleich alles von ihnen verlangen. Tragen die Indianerinnen in Mankos doch auch erst noch Jacken statt der Hemdeu. Die meisten haben noch nie einen Strumpf und einen Schuh angezogen. In zwanzig Jahren oder später werden sic alle Schuhe und Strümpfe besitzen. Wie mancher Naturmensch bindet lieber zuerst eine kleine seidene Halsbinde um, noch ehe er ein Hemd und eine Hose annehmen will; oder läßt sich nur eine bunte Weste auf dem nackten brauuen Körper gefallen. Man muß ihn aber deswegen nicht auslachen, sondern ruhig gewähren lassen. Aus der Neste wird eine Jacke, aus der Jacke ein Hemd. Dic rohen Botocuden-weiber trugen nur eine schwarze Schnur unter dem Knie. In Manäos erhielt ich schon reizende Binden von bunten Federn, die sich am Rio-Negro die Frauen um die Stirn, um Arme nnd Knie wickeln. Die braunen Mädchen, die ich 152 am 3. Juli aus der Kirche von Nossa Scnhora dos Remedies kommen sah, trugen ordentliche Kämme; ihre Cousinen wald-einwärts haben noch Palmenkämme. Diese sind wundervoll gemacht. Die harten, hornigen Stacheln der Astrocaryen werden zu beiden Seiten etwas platt geschnitten und auch am dickern Ende zugespitzt. Diese Stacheln werden zwischen zwei saubere Hölzchen gelegt, und diese dann mit Tueum-fäden zusammengebunden, wodurch ein zierlicher Kamm mit zwei Reihen von Zähnen entsteht. Oft ist die eine Zahnreihe mit Tulumfäden zierlich umflochten und ganz umgeben von hübschen Arabesken, welches Gewebe sie mit einem Balsam tränken. Solch ein Kamm duftet oft sein ganzes Leben hin-dnrch. Wenn er aber nun noch mit einigen leichten, herab-wehendcu Fcderschnürcn behängt ist, kann die eitelste Berenke sich keinen schönern Kamm wünschen. Ein duftender Federkamm, ein Stirnband aus bunten Flaumfedern und weiche Fedcrbinden um Arm und Knie, und eine hübsch gehäkelte Perlenschürzc dazu von 8 Zoll Länge und >5 Zoll Breite, mit kleinen Zacken und Knöpfchcn versehen, — und das alles auf einem frischen, braunen Waldmäbchen, in dessen dunkeln: Haar noch schöne Cinchonecn, Gardenien nnd Genipapo ihre Caprifoliendnfte aushauchen, — das ist wol ein seltsamer und in seiner Art wunderschöner Anblick. Und dennoch, wie" vieles in der Natur der Waldbewohner schon zur Cultur hinneigt, ist das Heranziehen derselben an die volle Cultur auf dem Wege eines freien Entschlusses ungemein schwierig nnd mühsam; ja ein DeScimento einzelner Indiaucrstämme auf dem Wege der Ueberredung ist ein ungemein schwieriges und kraftaufreibendcs Unternehmen; der damit Beauftragte kann leicht Leben und Gesundheit daransetzen. Sei es mir vergönnt, meinen Lesern das Bild uud das unermüdliche Treiben eines« Mannes vorzuführen, dessen Er- 153 scheinung mich in Manaos vor allen andern angezogen, dessen Berichte und Mittheilungen mich ganz speciell interessirt haben, eines Mannes, der den Auftrag hatte, Indianer anzusiedeln an der Grenze. Es ist der Artilleriehauptmann Ioaqnim Firnüno lavier, der wackere Sohn meines guten, alten Collegen, des O,-. Fir-mino in Santos. Kaum war er der Militärakademie entwachsen, so ging er im Jahre 1849, eben 20 Jahre alt, nach Pcrnambnco, um die damals unter Nnnes Machado zn hellen Flammen angeschürte Revolution mit bekämpfen zu helfeu. Nach einiger Nuhe, die man ihm in Rio gönnte, ward er dann nach Montevideo und dem La-Platastrom geschickt, von dort nach dem Uruguay bis nach S.-Borja hinanf. Nachdem auch dort die damaligen Militarcomplicationen abgewickelt waren, schickte man ihn als Commandanten des Fort von Macapä, gerade nnter dem Acquator an der Mündnng des Amazonenstroms, an die entgegengesetzte Grenze des Reichs; denn von Macapä ans reichte das Gebiet seiner Thätigkeit bis zur Militärcolonie von S.-Pedro de Alcantara gegen vie Grenzen von Cayenne hin. Nachdem er auch dort seine Aufgabe rühmlichst gelöst hatte, gtanbte man keinen tüchtigern Artillerieoffizier zur Verbesserung der westlichen Grenzfcstung Tabatinga, 500 geographische Meilen den Amazonenstrom hinauf, finden zu köunen als ihn, und zwei volle Jahre diente der Kapitän Firmino als Commandant an der Grenze von Peru in der tiefsten Waldeinsamkeit. Jetzt aber kam seine größte Aufgabe. Bei dem Einschlafen aller Thätigkeit am Nio-Negro erschien es nothwendig, an diesem Flusse das indianische Leben zn wecken und anzu-. regen. - Besonders wollte man den letzten Nebcnflnß des Rio-Negro auf brasilianischem Boden, den Nio-Icana, der sich auf dem rechten Ufer des gwßen Stroms befindet, und 15)4 den gleich nördlich parallel mit dem Iccina laufenden 5ic, mit Indianern eolonisiren lind ein großes Desrimento, eine bedeutende Kette von Aldeas dort anlegen. Zugleich sollte das alte, zusammenfallende Fort von S.-Agostinho, dem venezuelischen Fort von S.-Carlos gegenüber, wiederhergestellt werden unter dem Namen des Fon von Cucuhy, und so alles ein neues, belebtes Ansehen bekommen, um so mehr, da kurz vorher manche Störungen im Entwickelungsgange der dortigen Gegenden vorgekommen waren, wenn von einem Entwickelungsgänge daselbst die Nedc sein konnte. Es hatte sich knrz vorher an der Grenze von Venezuela ein Mensch, Venancio, umhergetrieben und sick für Christus ausgegeben. Viele Indianer waren ihm und seinem tollen Wesen zugefallen; und da solche Zusammenrottungen keineswegs ohne Bedeutung sind, so hatte man einen jungen Offizier mit einigen Soldaten dorthin geschickt. Dieser war nicht ohne Ungestüm und Grausamkeiten verfahren und hatte zwar den Christus und seine Schar, aber anch manche andere kleine Aldca oder Ansiedelung auseinander gejagt, womit die dortige Cultur ihren Anfang genommen hatte. Um von den vorgekommenen Ereignissen Kenntniß zu nehmen und die umherirrenden Indianer zu sammeln, brach der Hanptmann Firmmo am 22. November 185? mit einem Canot und 12 Mann Besatzung von seinem Wohnort Cu-cuhy nach dem Rio-Icaua auf. Wolnn er aber kam, liefen die Indianer fort in den Wald oder hatten sich schon vorher nach dem Gebiete von Venezuela geflüchtet längs der Flüsse Arary und Coyary, nachdem sie eine kleine Ortschaft Tamchy abgebrannt hatten. Am 23. November kam er zur Mündung des 5ie in den Rio-Negro und traf dort die kleine Ortschaft S.-Lourmco, — 11 Palmenhäuschen, eine kleine Kapelle und einen Kirchhof, aber keinen Menschen. Alles war mit Gebüsch verwachsen. 155 Er kehrte nach dem Oertchen Nossa Senhora da Guia an der Mündung des Icana zurück, wo er 15 Strohhänser und eine kleine Kapelle fand und nur einen einzigen Einwohner, Manoel Ioaqnim dc Oliveira, welcher ihm meldete, daß alle andern sich geflüchtet hätten vor den Grausamkeiten jener ersten Erpedition. Deswegen hatte sich auch der dortige Geistliche, Manocl de Sta.-Anna Salgado vom Icana nach S.-Gabricl zurückgezogen. Nun ging das Canot den Fluß hinanf; und überall, wohin der Hauptmann kam, fand er dieselbe Verödung der einzelnen kleinen Ansiedelungen. Nnr einige wenige Menschen waren geblieben, welche ihm von jenem Christus Nachricht gaben. Er hatte seine Anhänger geprügelt, und man hatte sich um ihn hernmgrnppirt, nur um zu tanzen nnd zu trinken. Vier Wochen dauerte die mühsame Erpedition auf dem Flusse, wobei 42 Cachoeiras zn überwinden waren, einige nur unbedeutend, andere jedoch wirkliche Wasserfälle bis 30 Fuß hoch, sodaß die kühnen Schiffer ihr Fahrzeug hänfig um die Wasserfälle herumschleppen mußten. Uebcrall sehte sich der Kapitän Firmino mit den Tuchauas oder Kaziken in freundlichen Rapport, lockte die flüchtigen Indianer wieder an, sorgte für Einrichtung kleiner Kapellen, gab Kleidnng und Eisengeschirr, was er nnr immer hatte, uud uutersuchte auch einige kleine Nebenflüsse uud Seen. Sein minutiöser Bericht ist das genaueste Waldgemälde, was man nnr immer finden kann. Dort sehen wir ihn einen nackten Tnchaua bekleiden, hier um Wasserfalle herum, zwischen deren Felsblöcken sich die schöne Nupicola, das Klippcnhuhn (Kgllo cla ss^i-l») herumtnmmclt, das Fahrzcng herumschleppen, — bald sehen wir ihn umringt von Indianern, die ihn um Hacken, Beile und anderes Eiscngeschirr bitten, — bald geleitet ihn eine nackte Schar bis zn seinem Canot, und viele möchten ihm 156 folgen bis zum Orte von Marabitanas am Rio-Negro auf dem Wege nach Cumhy. Dann tröstet er wieder einen vom Rio-Negro kommenden Tnchana, der für einige Körbe Salz hat ungeheuere Preise in Waldartikrln bezahlen müssen und einen vollen Beweis dafür gibt, wie schändlich solche kluge Handelsgauner aus eultivirten Gegenden die Einfachheit der Indianer benutzen und sie immer in tiefer Unwissenheit bewahren möchten. Zu allerlei Arbeiten locken sie die einfachen Menschen; und wenn so ein armer Kerl ein Jahr nnd noch länger wie ein Knecht für sie gearbeitet hat, so geben sie ihm ein baumwollenes Hemd und zwei ebensolche Beinkleider. Und der arme Teufel glaubt wirklich nicht mehr verdient zu haben. In einem spätern Bericht gibt nnn der Kapitän genane Rechenschaft von dem Znstaude der besuchten Gegend und von dem Resultat seiner Wirksamkeit derselben, zugleich re-fumirend das früher schon Begonnene, in folgender Weise: „Als ich im October des Jahres 1^57 nach Marabitanas kam, befanden sich die Indianer aller Dörfer und Ortschaften, mit Ausnahme von S.-Ioze de Marabitanas, zerstreut und die Ortschaften verlassen und mit Gebüsch verwachsen. „Verschiedene Gründe und Ursachen lagen vor, warum die Indianer ihre Wohnungen verlassen, sich in die Wälder geflüchtet und zu den letzten Enden der Igcirapc's zurückgezogen hatten, oder selbst nach den Republiken von Venezuela und Neu-Granada ausgewandert waren. „Die Umtriebe eines venezuelaner Indianers, Namens Venancio, welcher die Geschicklichkeit gehabt hatte, die Eingeborenen glanben zu machen, er wäre ein zweiter Christus und ein Gesandter des Weltschöpfers, hatten besonders auf jene Auswanderung Eiustuß gehabt. „Meine erste Sorge war, die erschreckte Aufreguug zu beseitigen, von der die Indianer befangen waren. Mit Mühe 157 und Geduld gelang es mir, die Einwohner von S.-Iozc de Marabitanas, von S.^Mareellino, Nossa Scnhora da Guia, S.-Philippc und Sta.-Anna zn den alten Wohnungen zurückzurufen. " „Im December desselben Jahres ging ich bis zu den Quellen des Icana hinauf, und nur unter großer Arbeit, vielen Gefahren und Opfern gelang es nur, die Indianer aus dem Dickicht hervorzuziehen und zn ihren Aldeas znrück-zubringen, welche mit Ausnahme von ^zweien vollkommen verlassen waren. „Nachdem ich alle Dörfer und Weiler besucht und die Einwohner wieder an ihren Herd gefesselt hatte, hielt ich sie zum Landbau an, zum Pflanzen von Mandioea und andern dringend nothwendigen Nahrungsmitteln. Ich befahl ihnen, ihre Wohnuugeu auszubessern uud neue hiuzuzubauen, damit uicht mehr fünf bis sechs Familien nnter demselben Dache znsammcngehäuft lägen, sowie ich anch die Kapellen ausbessern und neue erbanen ließ, wo noch gar keine waren. „Der Bestand der Aldeas und Ortschaften war am 1. Januar des laufenden Jahres folgender: „Ortschaft S.-Iozc de Marabitanas. " „Auf dem rechten User des Rio-Negro, 238 Leguas über seiner Müuduug, 1" 38' nördl. Br., <>8" 35' L. v. Gr., bestand aus 35 kleinen, mit Palmen bedeckten, schlecht verstrichenen Hänsern ohne innere Abtheilungen, alle alt nnd dem Einfallen nahe, — nnd mit einer kleinen Kapelle mit einsinkenden Wänden und fanlendcm Ständerwerk, durchlöchertem Dach und verfallendem Innern. „Die Einwohnerschaft, eingeschlossen die Linienbesahnng und dctachirte Garden, belauft sich auf 300 Seelen. „Die kleinen Pflanznngen, welche die Einwohner besitzen, sind unbedentendc Mandiocfelder, aus denen sie kaum die 158 tägliche Nahrung ziehen. Die Wohnungen auf diesen Pflanzungen sind kleine Ranches mit Stroh bedeckt nnd umgeben, ohne Abtheilungen. „Während des Jahres 1858 fingen die von mir angeregten und ermuthigten Einwohner von Marabitanas an, 12 neue Häuser zu bauen mit andern Gelassen und Bequemlichkeiten; eiuige von diesen sind schon bedeckt und verstrichen. Verschiedene Häuser wurden ausgebessert, größere Pfianzun-gen angelegt und sowol Mandioea wie andere Nahrungsstoffe gezogen. Häuser wurden auf diesen Rocas gebaut und die Kapelle ausgebessert, neu bedeckt, verstrichen uud verkalkt. „Leider wurden Einflüstcruugeu uud schlechte Aufführung des interimistischen Ortsvicars Ursache, daß 77 Personell nach dem Rio-Vaupez uud S.-Gabriel zogeu. Doch kehrten bald darauf 37 Personeu voll Reue über den gethanen Schritt zurück, ünd nur 40 blieben sort. „Während des Jahres starben 1 Mann, 3 Frauen uud 2 kleine Mädchen. Geboren wurden 10 Knaben und 5 Mäd-cheu, getauft 4 Knabeu und 3 Mädchen. „Somit bestehen jetzt in Marabitanas 45 Wohnhäuser, von denen 6 noch nicht vollendet sind, 6 ausgebessert werden uud 6 am Einstürzen sind. Einwohner finden sich 260, mit Ginschluß von 21, die in Cucuhy stud. Die Kapelle ist ausgebessert, bedeckt und innerlich und äußerlich gekalkt. Doch wird schmerzlich einiger Zierath, eine Lampe und eine kleine Glocke vermißt. Die geringen Mittel der Einwohner gestatten nicht, daß man sie zum Aukauf jeuer Gegeustäude iu Contribution setze. „Die Einwohner von S.-Ioze de Marabitanas sind fröhliche uud zufriedene Leute; sie arbeiten gern auf ihren Feldern. Doch haben sie viel mit der Ameise Sauba zu thun, die ihnen alles anfrißt. „Sie sind heute schou civilisirter uud lernen allmählich 159 die Vorzüge eines socialen Lebens nnd dm Werth des Ar-beitens kennen, bis einmal jemand kommt nnd sie znm Schlechten herumredet. Denn von Natur ist es ein schwaches und leichtgläubiges Volk; ein schlechter Kerl kann leicht schlechte Zwecke mit diesen Leuten verfolgen. „Sie stammen ab von den Bambos, Bariz nnd Aero-qnenas. Fast alle Männer sprechen schlecht portugiesisch; nnter den Weibern sprechen nur wenige diese Sprache. Die linZun ßm-gl wird allgemein gesprochen. Die Kinder sprechen kein Portugiesisch und sind dein Naturgesetz überlassen, ohne die geringsten Grundlehren der Cultur nnd Religion zn kennen. Die große Anzahl Kinder erheischt die Ernennung eines Elementarlchrers, der aber ein tugendhafter nnd ehrenfester Mensch sein mnß. „Cucuhy. „Im Januar 1<^58 war in Cncnhy außer einem sehr schlechten und kaum fertigen Soldateuquartier gar nichts. Der Boden war gänzlich bedeckt mit Stämmen nud Aesten von ungeheuern umgehauenen Bänmen. „Meine erste Sorge war, den Buden aufräumen und reinigen zu lassen; und heute besteht der Ort ans 15 mit Palmstroh bedeckten Hänseln, alle in gerader Linie, von denen aber kanm eins fertig ist. Die Einwohner bestehen aus 20 Indianern, 1 Sergeanten, 11 Soldaten nnd 20 Personen ihrer Familien. „ S. - M arcellino. „Am Ende des December vom Jahre 1857 war diese an der Mündnng des Nio-Ichie gelegene Ortschaft verlassen und mit Gebüsch verwachsen. Sie zählte 1! kleine, mit Stroh bedeckte, schlecht verstrichene und baufällige Hänser, eine klcme ebenfalls mit Stroh bedeckte Kapelle nnd einen kleinen, geschlossenen Kirchhof. 100 „Als am 1. Januar die Einwohner schon zn ihren Häu-sern zurückgekehrt waren, war die Ortschaft gereinigt nnd die Häuser wurden ausgebessert. Ich zählte im ganzen 75 Menschen, Männer, Weiber und Kinder. An den Quellen des Rio-Ichic hielten sich verschiedene Indianer zerstreut auf, vom Stamme der Aeroquenas. Ich ließ ihren Tuchaua kommen und befahl ihm, eine Aldea an den Quellen des Flusses anzulegen und sich zu bemühen, alle zerstreuten Leute zu ver-sammeln. „Die Ortschaft war im Gedeihen. Die Einwohner besserten ihre Häuser und bebauten ihre Felder; der Tuchaua Diogo von den Aeroquenas hatte seine Aldea angefangen, als Senvliuge des Frei Manoel de Sta.-Auua Salgado die Nachricht verbreiteten, daß ich sie alle festnehmen uud todten wollte. Furcht und Schreckeu ergriff die Eingeborenen; fast alle verließen die Ortschaft nnd bargen sich in das Dickicht oder wanderten in die Fremde aus. „Um dieselbe Zeit erschien ein Deserteur, Bazilio Mel-. gueiro, der sich einen neuen Christus nannte und die Scenen des Vencmcio erneuerte. Die Indianer ließeu die Arbeit liegen und ergaben sich einem zügelloseu Faulenzerlebcn. „Als im Juli dcr Delegat der Polizei am Ichic die Einwohner zusammenkommen ließ, stellten sich wenige ein, weil schon vor der Ankunft jener Eseorte sie nach Venezuela hinübergegangen waren, denn der Weg zu Lande dorthin ist leicht. Der Tuchaua Diogo, der vom Doetor-Delegaten eingeladen war znm Kommen und Errichten von Häusern in der Ortschaft, sagte zu. Als aber der Dottor fortgiug, wandelten sich die Zustände wieder um zu den alten, wenn sie nicht noch schlechter geworden sind. „Der Tuchaua Diogo war mistrauisch gegen die Einladung geworden, verließ die Aldea, die er an den Quellen des Flusses angefangen hatte, und ging mit allen feinen 161 Leuten nach Venezuela über. Auch die Einwohner wanderten aus, sodaß heute S.-Marecltiuo kaum sechs Häuser in gutem Zustande hat, und fünf im Zusammenfallen, eins dagegen im Bau begriffen. Die Bewohner sind 5 Männer, 10 Weiber und 11 Kinder, wie mir der erste Sergeant Rapoza, den ich dorthin sandte, gemeldet hat in diesem Monat. „Die Einwohner von S.-Marceltino und vom Ichie gehören zum Stamme der Aeroquenas; die Männer sprechen portugiesisch; von den Weibern reden einige die Im^u« Z^i-ui, der Rest ein Jargon (^üü, ^rti^a^). „Die Leichtigkeit, womit man vom Nio-Ichi«! nach Venezuela gehen kann, ist Ursache, daß man nicht auf die Indianer des Flusses rechnen kann zu einem allgemeinen oder privaten Endzweck. Kaum einige Mandioca pflanzen sie zu ihrer Nahrung; sie jagen und fischen ihr tägliches Essen. Wenige gehen bekleidet einher, und das nur vor weißen Leuten; allgemein ist bei ihnen eine kleine Tanga (ein Latz) von Turury oder Baumrinde, von einer Spanne Länge, das ist alles.. „Wenig ist von diesem Volke zu hoffen wegen seiner Faulheit, Schlaffheit und Indolenz, die ihm angeboren ist. „Nossa Scnhora da Guia. „Die Ortschaft Nossa Senhora da Guia, nördlich au der Mündung des Icaua auf hohem Boden gelegen, bestand im October 1857 aus 15 Häusern und einer Kapelle, gedeckt mit Stroh und ziemlich baufällig. Die Ortschaft war mit Gebüsch bedeckt, und kaum in einem Hause waren Einwohner; der Nest war geflohen im Walde versteckt. Am 1. Januar waren 14tt Einwohner zurückgekehrt, Männer, Weiber und Kinder. „Während des Jahres 1«58 ließ ich die Häuser der Ortschaft ausbessern, Wohnungen auf den Pflanzungen und Aui-L allem ant, Nord-Vrafilm,. II, 11 162 Felder von Mandioca anlegen. Doch ist es nicht möglich, zu erlangen, daß diese Menschen im Orte wohnen. Zerstreut auf kleinen Landsitzen, auf fernen Igarape's leben sie in der völligsten Unabhängigkeit und wollen sich keinem Dienst, anch nicht den Bauten von Cucuhy widmen. Die Männer treiben sich nmhcr und fanlenzen; die Frauen sind es, die für sie und sich selbst arbeiten. „Im December schickte ich den Sergeanten Napoza dorthin; er zählte 47 Männer, 39 Weiber und 33 Kinder. Es befinden sich hente im Orte 14 ansgebcsserte Häuser, eins in sehr schlechtem Zustande, eins im Wiederaufbau begriffen, und eine kleine Kirche, aber in gntem Zustande. „Die Männer sprcchcu alle portugiesisch, die Weiber aber nicht. Sie stammeu ab von Bares, Aeroauenas und Banibas. Sie pflanzen und sischeu uothdürftig für ihren Tagcsunter-halt. Die Weiber machen Hängematten aus Tueum und Carnä, verkanfcu sie aber für cine Kleinigkeit an Hausircr, welche ihre vorzüglichsten Nathgeber sind, damit sie sich nicht dem allgemeinen Besten hingeben, sondern immer ihnen, diesen Anfkäusern, zu Gebote stehen. „S.-Philippe. „Die Ortschaft S.-Philippe, etwas südlich von der Mündung des Icana, liegt auf niedrigem Boden und zählte im October 185)7 neun kleine Hänser und eine Kapelle, alte mit Stroh bedeckt nnd zusammenfallend. „Der Ort war verlasscu und mit Gebüsch verwachse». Als ich am 1. Januar 1858 die Einwohner versammelte, zählte ich 20 Männer, 26 Weiber und 14 Kinder. „Die Männer sind fast alle Mamclucos und sprechen gut portugiesisch; die Fraueu dagegen sind bronzcfarben unv reden nur die lingrm xm'"!. „Kurze Zeit nur blieben sie vereinigt; denn nach zwei 163 Monaten schon war kein Mensch mehr vorhanden. Sie waren den Rathschlägen des Frei Salgado gefolgt nnd hatten den Ort verlassen. Bald daranf vereinigten sie sich auf den Igarapc's nnd gaben sich dort verborgen dem Trnnke, Ausschweifungen nnd wilden Tänzen hin. Mit Mühe brachte ich sie zu ihren Wohnungen znrück. Und sie wären anch in denselben geblieben, wenn nicht Bazilio, jener Dcscrtenr, sie wieder nach Sta.-Anna versammelt hätte zn denselben Tänzen wie Venancio. „Ich nahm ihnen die Kreuze ab und trieb sie auscinan-der. Einige flüchteten sich nach Venezuela, andere znm Rio-Vaupez, sodaß heute wenige Einwohner daselbst eristircn. „Sta.- Anna. „Die Ortschaft Sta.-Anna liegt etwas nnter S.-Philivpc auf dem entgegengesetzten Ufer. Im October 1857 war sie verlassen; nnr zwei alte Hänschen waren daselbst. Die Einwohner waren nach S.-Philivpe gezogen und hatten nnr ihre Ländereien beibehalten. Doch höre ich, daß heute sich fünf Personen dort aufhalten nnd die Ortschaft säubern. „In der Kapelle von MarabilanaS eristiren einige Heiligenbilder, in der von Gnia kanm ems, in denen von S.-Marccllino und S.-Philippe gar keins. „Die Bücher znm Eintragen von Verhcirathnngen, Taufen nnd Beerdigungen sind in keiner dieser fünf Ortschaften vorhanden. „In Marabitanas können kanm zwei Einwohner schreiben nnd lesen; in Gnia einer, in den andern Orten keiner. „Sie verkennen die Scgnnngcn der Ehe und wissen nichts von den Sakramenten der Beichte und des Abendmahls. Die Religion, die überall die Grundbasis der Civilisation ist, ist diesen Einwohnern noch nicht bekannt. Ihre Feste beschränken sich auf eine allgemeine Trunkenheit von drei bis vier 11* 164 Tagen mit Zuäerrohrbranntwein und Mandiocaschnaps, den sie bereiten. „In Marabitanas haben die Einwohner einen Schritt vorwärts gethan znr Civilisation; und der Contact mit den dort bestehenden Behörden würde sie allmählich aus dem Zustande von Unwissenheit ziehen, wenn diese Behörden unterrichtet wären, gesittet und gute Beispiele gebend. In den andern Orten aber ist wenig zu hoffen; sie gehen im Rückschritt, wenn die Regierung nicht dort Behörden hinschickt, die dem Orte fremd sind und ihre Pflicht zu erfüllen verstehen, oder sich nicht entschließt, alle Einwohner zusammenzubringen und die Ortschaften zu einer einzigen umzuschmcl-zeu, wo dem Laster gewehrt, die Arbeit belebt und die Kräfte benutzt werden können. „Aldcia do Carmo. „Das ist die erste Aldeia am Icana, zwei Tagereisen von der Münduug des Flusses, auf hohem Boden am rechten Ufer gelegen. „Im December 1857 bestand sie aus sieben alten Häusern, einem fast fertigen und zwei verlassenen und einfallenden, nebst einer im Einsturz, begriffenen Kapelle. „Ich brachte 12 Männer, 9 Weiber und 14 Kinder zusammen, alle vom Stamme der Baniba, unter ihrem Tuchaua, dem Indianer Marcos Antonio, der portugiesisch spricht. Im December l. I. waren daselbst nach dem Bericht des Sergeanten Rapoza: eine gute neue Kapelle, sieben Häuser in gutem Zustande, zwei im Bau begriffen uud eins im Umfallen, — 14 Männer, 14 Weiber und 18 Kinder. „Der Tuchaua hat keiue moralische Kraft; die Iudianer wollen ihm nicht gehorchen, sich kein Haus in der Aldeia bauen uud sich nicht zu den nothwendigen öffentlichen Arbeiten hergeben. Eine große Menge von ihneu lebt in Malocas 165 längs der benachbarten Igarape's, ganz nach Gutdünken lebend und arbeitend, wenn ihnen das einfällt, ohne voir solcher Arbeit einen Nntzen zn haben. Der Tnchana kam im laufenden Monat zu mir und erklärte mir, daß man nnr mit Gewalt die anfstntzigen Indianer ans den Wäldern zusammenbringen könnte nnd sie nöthigen, nach der Aldeia zu kommen. ,,Die Arbeit an den Bauten von Cucuhy, wozu die Al-dcien das Personal stellen, ist Ursache, daß die Indianer ans ihnen fortftüchten und sich an den Quellen der Igarapc's Verbergen, wo es nicht möglich ist, ihrer habhaft zu werden, als nur mit Gewalt. Die zurückbleibenden Indianerinnen nnd diejenigen Männer, die in der Aldeia anshalten, verstecken sich nach Beispiel der erstern im Gebüsche, nm dem Dienste des Bauholzhaucns überhoben zn sein, welcher in der That hart ist. Nichtsdestoweniger würden sich die Indianer gern zur Arbeit hergeben, wenn sie nicht gewissen Hansirern Gehör gäben, welche, um sie in eigenem Dienste anzuwenden nnd enormen Gewinn von ihnen zu ziehen, ihnen den Nath geben, nach dem Walde zn gehen n,ld Sasfaparille und Harze zn gewinnen, nnd sie für kleine Bagatellen umzutauschen. Die Zeit, die die Indianer in Cucuhy angewendet werden, ist den Hausirern uachtheilig; deswegen geben sic ihnen solche Rathschläge. „Ohne Anstand leiht ein solcher Hansirer einem uncnlti-virten Indianer für 100, 200, 300 Milreis Waaren, welche, wenn sie nach ihrem richtigen Werthe bezahlt würden, kaum 10, 20 und 30 Milre'i's cmsmacheu. Uud nm solche Sachen zn bezahlen, mnß der Indianer jahrelang arbeiten, die Blicke der Behörden vermeiden, die Aldeia verlassen und sich zu keiner öffentlichen Arbeit hergeben. „Die Zeit, welche er verwenden sollte auf Pflanzung vl'n Mandiom, Reis, Mai^, Bohnen und andern nothwendigen 166 Artikeln, vergeudet er mit Suchen von Drogueu, und aus dem ungeheuern Zcitvcrgruden erwächst ihm wenig Gewinn. „Diese Hausirer sind Krebse, die am Rio-Negro nagen und um derentwillen die Indianer znrückschreitcn. Dasselbe, was in der Aldeia do Carmo geschieht, kommt nuch in den übrigen Aldeias vor. „Aldeia dc Nazareth. „Die Aldeia von Nazareth liegt auf dem rechten Ufer und hohem Boden. Im December 1857 waren hier fünf Häuser in gutem Zustande, zwei in Ruinen liegend und eine Kapelle ihrer Vollendung nahe. Als ich den Fluß hinaufging, war nicht eine einzige Person dort; als ich aber wieder herunterging, fand ich einen Indianer mit fünf Personen seiner Familie, welche sich mir vorstellen wollten. Kurz darauf war der Tuchaua Ioäo Vaptista und die Indianer der Aldeia, alle vom Stamme der Mutüms, zurückgekehrt. „Im laufenden December zählte der Sergeant Raftoza 12 Männer, 10 Frauen und 7 Kinder daselbst. Die Einwohner dieser Aldeia sind ziemlich thätig und arbeitsam. Fast alle sind Söhne oder Neffen des Tuchaua, der von ihnen geachtet uud ein fleißiger Mann ist. Noch einige Bewohner gab es, welche vor längerer Zeit zu den Quellen hinaufgegangen waren zum Sassaparillegewinuen für Verschiedene Hausirer, und nicht zurückkehrten. „Aldeia de Tunuhy. „Die Aldeia de S.-Antonio de Tunuhy, auf dem rechten Ufer des Flusses und oberhalb dessen großer Cachocira, war gänzlich abgebrannt; und im December l857, als ich dort durchkam, traf ich kaum die Reste von 12 Häusern. Die Einwohner waren im Walde zerstreut. Bei meiner Rückkehr kam der Tuchaua aus dem Walde mit seinen Lenten und 167 sing an, eine neue Aldcia auf dem entgegengesetzten Ufer zn bauen. Nach der Reisebeschreibnng des Sergeanten Rapoza im laufenden December finden sich vier Häuser im Fertigwerden, 15 Männer, 10 Frauen und 20 Kinder. ,,In Begleitung des Sergeanten kam der Indianer .Lavier de Souza, Sohn des eben gestorbenen Tuchaua, und ich übertrug ihm die Leitung der Alocia. Er benachrichtigte mich, daß eine große Zahl Indianer seines Stammes — Araiacas — in den Wäldern stäken, ohne sich Häufer in den Aldeias bauen zu wollen, weil sie von niemand regiert sein wollten. „Sta.-Anna. „Die Aldcia de Sta.-Anna de Coyary, an der Mündung des Flusses Ooyary, bewohnt vom Indianerstamme Sisucis, bestand im December 1857 aus 11 guten Häusern, drei zusammenfallende«, und außer dem Tnchaua Angelo Simäo aus 17 Männern, 18 Weibern und 0 Kindern. Im laufenden December befinden sich dort, nach des Sergeanten Napoza Bericht, 1Z gute Häuser, ein im Bau begriffenes, ein zusammengefallenes und cine gute Kapelle, — 21 Männer, 15 Weiber uud 12 Kinder. Der Tnchana der Aldeia ist geachtet bei den Seinen; doch hat er noch nicht eine große Anzahl von Indianern seiner Nation, welche an den Quellen der benachbarteu Igarapes und den Zuflüssen des Coyary wohnen, zusammenbringen können, weil sie sich keiner Arbeit unterwerfen wollen, wie mir mehreremal derselbe Tuchaua Wörtlich gesagt hat. „Aldeia dc S.-Luiz. „Als ich im December 1857 uach dem Icana ging, traf ich den Indianer Ioao Vaptista, welcher sich allein befand. Er sprach gut portugiesisch uud sagte mir, er hätte verschie- 168 dene Verwandte; sie hätten sich aber nach Venezuela geflüchtet ; er selbst besäße eine Landstellc mit Anpflanzung. Ich untersuchte die Oertlichkeit der Landstellc, wo ein Haus angefangen war, nnd fand sie sehr passend zu einer Aldcia. Und so trug ich dein Indianer Ioäo Baptista auf, er sollte seine Verwandten znsammeuznbriugen snchcn und eine Aldeia anlegen unter dem Schutze von S.-Luiz, und wenn sie gediehe, sollte er Tuchaua werden. „Nachher erfuhr ich, daß er seine Verwandten aufgefordert und versammelt hätte, alle vom Stamme der Mntüms; doch sprachen sie spanisch. Ans dem Berichte des Sergeanten Rapoza geht hervor, daß jetzt 18 Männer, 15> Weiber und 26 Kinder vorhanden sind. Sechs Häuser warcn im Bau begriffen. „Die Indianer dieser neuen Aldeia sind arbeitsam und haben große Mandiocapftanzungcn. Doch haben sie noch nicht die Gewohnheit eines Vagabundenlebens abgelegt, was erst zu erwarten ist, wenn ein jeder sein Halls fertig gemacht hat. Vaptista, welcher den Sergeanten begleitete, erklärte mir, daß er der Ankunft von noch mehreren Verwandten entgegensähe, die er herbeigerufen hätte. „Aldeia de S.-Ioze. „Diese einst von Sisuci-Indianern bewohnte Aldcia war ohne Einwohner und aufgegeben, als ich im December 1857 znm Icana ging. .Ans des Sergeanten Beschreibung geht hervor, daß sie sich heute noch in demselben Zustande befindet. Die Indianer leben am Flnsse Arary nnd wollen nicht fort von d'ort. Man sagt mir, daß die Iahl der dort zerstreuten und bewohnten Malocas nicht gering ist. „Aldeia dc S.-Lourenco. „Die Aldeia de S.-Lonrcnco, an der Cachocira do Iandü, 169 war verödet, als ich im December 1857 dort durchkam. Ich holte die zerstreuten Indianer zusammen', ans dem Stamme der Iandüs, unter dem Tnchaua Ebibäo, welcher gut portugiesisch sprach. Ich zählte fünf alte und zwei angefangene Häuser, 6 Männer, 8 Weiber nnd 8 Kinder; die andern waren weiter entfernt im Walde. Heute eristiren dort ein gutes Hans, vier im Van begriffen, vier im schlechtesten Zustande, 10 Männer, 12 Weiber und 9 Kinder. Der Tu-chana, der Ebibao, der mit dem Sergeanten kam, erklärte mir, daß eine große Menge Indianer seincS Stammes im Walde und längs der Flüsse Guarana nnd Pamary lebten in zahlreichen Malocas, daß sie aber keine Häuser in der Aldeia machen nnd sich keinem aldeiisirtcn Leben unterwerfen wollten. Die leichte Verbindung, welche zwischen den Quel-lcn des Rio-Guarana nach Venezuela stattfindet, ist Ursache, daß diese Indianer von jener Republik versorgt werden nnd dorthin ihre Prodncte bringen. ,,Bis zu dieser Aldeia ging der Sergeant, der wegen der Cachoeiras nicht weiter vordringen konnte. „Aldeia de S.-Francisco. „Im December 1857 war die Aldeia de S. - Francisco der Indianer Quatis verödet. Ich holte die Leute, wieder zusammen und zahlte N kleine Häuser, aber in gutem Znstande, von denen eins für die Behörden bestimmt war. Kanm 9 Männer, l> Weiber und 5 Kinder kamen zusammen; doch meldete mir der Tuchana, daß viele Leute zerstreut umher sich befänden. „Die Indianer, die letzthin von dieser Aldeia zum Arbeiten gekommen sind, melden mir, daß hentc dort 14 Häuser cristiren, 26 Männer, Z2 Weiber und 24 Kinder, — daß indeß noch viele Leute eristiren, welche nicht zur Aldeia kommen wollen, besonders die, welche am See Gavi^o wohnen, 170 wo eine Menge von Malocas vereint und bewohnt sich befindet, deren Einwohner . Juli, allein auf den Weg, welcher aus der Stadt iu nördlicher Richtung beim Kirchhof vorbeiführt. Kleines Gebüsch, Vcrbcnen, Melastomen, Iler, die hübsche weiße Scrophularinee Angelicona, womit die brauuen Mädchen so prächtig ihr glänzend schwarzes Haar zn schmücken wissen, und ein Labyrinth anderer Vegetation bildet den Weg zum Walde. Den Eingang bezeichnen wundervolle Vocchy-siaceen. Seltsame Geschöpfe! Kaum weiß man, wohin sie zn stellen sind im System. Und nun erst gar die Bäume, welche hinter dem Kirchhofe von Mancios den Eingang in den dortigen Wald bezeichnen! Der Habitus der dichtbelaubten Bäume ist der der Myrten. Die Blätter sind länglich oval, paarweise einander gegenübergestellt, ohne Stiel, oben an der Spitze leicht herzförmig eingedrückt, in welchem Einschnitt der Mittelnerv meistens ein wenig hervortritt als kleine Spitze; dazn sind sie von 1 — 2 Zoll Länge, von der- 175 bem Gewebe, wie Buchsbaumblätter; der Mittelneru tritt auf der Unterseite stark hervor; feine Querstreifen lanfen dicht aneinander gedrängt zum Nande, welcher ganz leicht nach nnten umgeschlagen ist. Die Farbe ist glänzend grün. An den Blüten ist alles nnrcgelmäßig. Sie entspringen mit knrzcn Stielen einzeln ans den Blattarillen. Der Stiel geht in einen höchst unregelmäßigen Kelch über, der ans zwei wesentlichen Abtheilungen besteht. Die eine Abtheilung, welche die eigentlich blütentragende ist, besteht ans vier kleinen, dachziegclförmig sich deckenden Schuppen. Die zwei mittlern sind größer, die beiden äußern kleiner. In diese Abtheilung eingesalzt uud ihr gegenüberstehend ist die zweite eingefügt, ein langes, lanzettförmiges, leicht gefärbtes Blatt, welches nach nuten in einen gekrümmten Sporn übergeht. Die Blumenkroue ist ein einziges, großes, zartes, oval zugespitztes, in der Mitte gewölbtes Blatt, weiß mit schön gelber röthlicher Sprenkelung in der Mitte, überhängend über den Mittelzähnen der vierzähuigen Kelchabtheilnng. Mit diesem Blatte leicht au der Basis venvachseu ist der einzige Staubfaden, deu die Blume hat. Das Filameut, derb uud rund, ist ebenso lang wie die Anthere nnd leicht gebogen. Die Anthcre sitzt mit dem uuteru Eude auf dem Filameut fest, ist etwas hinten übergebogen uud au der eiuen Seite des dem Pistill zugewandten Randes mit einem feinen Filz versehen. Die Anthere ist zweifächerig. Wenn das Blumenblatt und das Stamen mehr der ersten Kelchabtheilung angehört, so scheint das Pistill mehr vom großen Kelchzahn der zweiten Abtheilung eingenommen zu sein. Das kleine Ovarinm ist dreifächerig, der Griffel so lang wie das Stamen, rund, leicht gcbogeu, das Stigma leicht geschwollen, gegen den rauheu Antherenrand hingeneigt; der Griffel stehen blcibeud auf der reifenden Frucht. Die Frucht ist eine länglich runde Kapsel, in drei Val- 176 veln aufspringend; jede Valvel hat eine doppelte Wand, die innere der Länge nack wieder mit einer doppelten Scheidewand versehen, welche sich leicht trennen läßt, fodaß in jeder klaffenden Valvel zwei kleine, nebeneinander liegende, fahnartige Halbzellen liegen. In der langen, spitzen Knospe umfaßt der große Kelchzahn das Blumenblatt. Das Blumenblatt ist um das Pistill und Stamen herumgewickelt. Die Anthere umfaßt mit ihrem rauhen, filzigen Nand den Griffel. Die Blume dnftct anfs lieblichste nach Veilchen. Und in der That, wenn wir die eigenthümliche, unregelmäßige, einen Sporn tragende Kelchbildmig, die sonderbare Corolla, die mich augenblicklich an die rio-grandenscr Violaeeen erinnerte, und die Kapselbilduug auschen, können wir nicht leugnen, daß eine Annäherung dieser Vocchysie an die Violcuecn unverkennbar ist, wie seltsam es auch unsern kleinen Veilchensucherinnen erscheinen mag, wenn man ihnen mit einem male von Veilchcnbäumen erzählen will, die 40 — 50 Fnß hoch werden und einen hohen, dunkeln Wald bilden am fernen Rio-Negro. Ich habe der Blume nähere Erwähnung gethan, weil Vocchysien nicht häufig von Botanikern untersucht werden können im frischen Zustande. Wir waren aber auf dem Wege zum Wald' bei Manaos. Und so gehen wir weiter. Vor allen Dingen war es still uud kühl im Walde. Kein Thier rasselte im Dickicht, kein Vogelrnf erschallte. Nur einzelne Regentropfen, die vom Gewitter der vergangenen Nacht hoch oben in den Wipfeln noch hängen geblieben warcu, troffen herab zur Erde. Kein Mensch kam mir entgegen auf einsamem Pfade. Reichlicher, aber nicht hoher Palmenwuchs drängte sich aufwärts zwischeu den Laubbäumen. Besonders zeigten Astro-caryen ihre furchtbaren Stachelharnische; man kann ihnen 177 wirklich nicht nahe kommen. Ueberall wirchscn ganz junge Palmen aus dem Boden auf. Man kann sie von allcn Alterspcrioden finden und bei ihnen, sowie bei jungen Blättern größerer Palmen, sich davon überzeugen, daß das Blatt einer jeden Palme nur eine einzige Grundform kennt, die einer zusammenhängenden Blattfläche, welche erst bei zunehmendem Wachsthum einreißt und je nach der Anordnung der seitlichen Nerven sich mit dem nöthigen Parenchym um dieselben zu gesonderten Foliolen gruppirt. Die Zwischenformcn zwischen solchen ganzen Vlattftächen, wie wir sie am kolossalsten beim Bussu, der Manicaria gesehen haben, und den vollkommen gefiederten, z. B. der schlanken Iussaravalme, finden sich überall im Walde, je nach den Mersftcrioden einzelner Blätter. Ich war eine kleine Stuude gewandert; aber noch immer wollte die Cachoeira nicht ranschcn. Dagegen vernahm ich Artschläge und kam plötzlich zu einer großen, schönen Klä-rnng mitten im Walde, welche sich zu einem Flusse dunkeln Wassers hcrabsenkte. Mitten auf dem Lande ward ein großes Haus errichtet. Zu meinem nicht geringen Erstaunen traf ich bier den Platzcommandauten von Manäos, Herrn Amorim Bezerra, der mich von Nio her kannte und mich sogleich, als er von meiner Ankunft in Manaos gehört hatte, in der allerfreund-lichsten Weise aufsuchte. Er ließ sich in jener tiefen Waldeinsamkeit, wo er eine halbe Quadratlegua besitzt, eine hübsche Gremitage bauen und hatte erst vor acht Monaten angefangen, den Wald auszuhaucn und zu brennen. Und schon lag eine weite Strecke urbaren Landes mitten im Walde da; schon wuchs dort in stattlicher Größe Aipi, Mandioea, Kaffee, Iucker; schon rankten Kürbispflanzen dort umher; alles gedieh ill seltener Fülle und wundervoller Frische. Aber es lag auf dem Ganzen das Bild der Vernichtung, Avi-Lllllemant, Nord-Vrasilicn, II. 12 178 besonders für den, dcr durch den stillen Wald wandelt und sich freut an der tiefen Einsamkeit. Auf dem weiten Hügel lagen Kohlen und einzelne halbvcrbrannte Stämme. Man hatte auf Befehl des Besitzers die schönen Tucumanpalmen stehen lassen beim Umhauen des Waldes, hatte sie aber doch nicht vom Feuer retten können. Ihre Dornen waren verbrannt, ihre Stämme angeröstet, ihre edeln Blätter versengt. Einige rangen sichtlich mit dem Tode; andere standen aufrecht als Leichen bci. Düster und schweigend blickte der Hochwald mit seinen mächtigen Bäumen hinein in das Bild dcr greulichen Cultur und des vernichtenden Anbaues. Der Fluß im Grunde, der die Roca vom Walde trennt, war übergetreten, und ein Theil des Waldes stand im Wasser. Ich fragte meinen alten Freund nach dcr <5achoeira. Wir standen unmittelbar davor. Aber so hoch waren die Wasser gestiegen, so weit hatte der Rio-Negro seine duukle Flut in den Nio-da-Cachoeira — so heisit jener Igarapc — hinauf-gedrängt, daß von einem Wasserfall keine Spur zu sehen war. Zwölf bis 14 Fuß- hoch fällt sonst dcr Fluß in einem Sturz über schöne Fclsmassen dahin, abcr 6—8 Fuß unter dem Wasser lag ictzt dcr Punkt, und keine Welle regte sich auch nur im leisesten Wirbel, wo sonst die Flut tobte und den Wald mit Brausen füllte. In einem eleganten Canot fuhr ich mit dem alten Platzcommandanten durch den Wald dahin. Wir schwebten l<>xlmi-Nana rc'^ia am stillen Igarapc erblickt. Scklank und ohne Stacheln, nur mit ihrer Jungfräulichkeit bewehrt, erhebt sie 179 sich 40 — 50 Fuß hoch über die Gebüsche; luftig und leicht ragen die Blätter empor auf dem edeln Stamme. Aber die Foliolen sind unendlich zart nnd biegsam, wie große Grasblätter. In lieblicher Unordnung hängen sie, vom leisesten Hauch bewegt, an den Blattstielen und rauschen geheimnißvoll uralte Waldliedcr in ewig junger, jugendlicher Weise. Diesen Klängen lauscht der Europäer nur zu gern. Am rauschenden Falle des Igarape, mitten im Walde, fern von der ermüdenden Stadt baut er seine Einsiedelei. Was wunder, wenn der Naturmensch, das Kind des Forstes, der Sohn des Igarapc nnd der Inajapalme seine Heimat nicht aufgeben will für eine gvaue, farblose Aldea nnd die Arbeit einer traurigen Grenzfestnng? Man sieht es anch diesen echten Waldbewohncrn, wenn sle angekleidet nach Mana'os kommen, anf den ersten Blick an, daß sie nicht heimisch sind in einer Stadt und deren beengenden Formen. Es traf sich einigemal, daß während meines Aufenthalts in Manäos große Canots vom Nio-Branw herunterkamen, um von dorther Produete, namentlich Schlachtvieh zn bringen, Früher war am Nio-Vranco schon eine Cultur und mehrere gnte Ansiedelnngspunkte. Aber es ist ihnen gegangen wie jenen Ansiedelungen am obern Rio-Negro und am Nio-da-Icana. Nnr Gebüsch findet sich nm die eingestürzten Hänser. So beschrieb sie nur schon am Iequitinhonha der Oberstlieutenant Pedcrneiras; so redeten mir von ihnen die Leute in Manäos. Nnr eine gnte Viehzucht ist dort als Folge der Anstrengungen znr Cultur und zum Fortschritt zurückgeblieben. Die Indianer sind zum völligen Waldlebcn zurückgekehrt und halten sich statt in den Mandiocpflanzun-gcn alls dem Igarape auf. Vor dem Hanse des Majors Tapajoz traf ich einmal zwei solche Indianerinnen vom Rio-Braneo. Wir riefen sie in das Hans hinein. Die dnnkeln, ernsten und verlegenen 12" 180 Mädchen machten einen seltsamen Gegensah zu den freundlichen Töchtern des Majors. Nur eine dieser beiden Indianerinnen lonnte einige Worte portugiesisch sprechen; die andere war ganz stnmm. Man sah es beiden an, daß sie lieber ohne Kleider gingen, als mit diesen blauen, fest anliegenden Dingern, die man um sie gezogen hatte. Von dem Kopfe der einen schnitt ich eine Portion Haare ab und gab ihr Geld dafür. Das erste kümmerte sie so wenig wie das zweite. Wir wollten von ihr wissen, wic alt ihre Begleiterin wäre; sie wußte es nicht und konnte auch nicht fragen, denn beide hatten keinen Begriff von Zahlen. Doch war die größere von beiden, obgleich sie anfangs sichtlich befangen war, von der Freundlichkeit der Familie des Majors angezogen und heiter geworden. Sie sah sich alles genau au und lächelte, gerade als ob sie nur träumte. So gingen sie beide wieder. Ein bedeutendes Hinderniß in der (5ultiviruug der Indianer ist nun unbedingt die Sprachschwirrigfeit. Gin Volk, was nichts zu sagen hat, macht sich auch keine Sprache. So kam es denn, daß eigentlich bei keinem Stamm eine Sprache in voller Gliederung sich vorfand. Jeder sprach sein Giria, seinen Jargon, uud verständigte sich mit seinem Nachbar, so gut es gehen wollte. Unter sich hatten die einzelnen Stämme keine weltgreifende Sprache; auch fanden keine sprachlichen Verhandlungen zwischen ihnen statt. Bei Conflicten, wie man sie in (5uropa auf diplomatischem Wege ausgleicht, griffen sie zu Pfeil und Bogen, und die vergiftete Ouarispitzc ersterer war da ebenso beredt wie unsere Spitzkugeln oder unsere Congreßacten und Gesandtenfedern. Als aber weiße Stämme kamen zur Zeit der Conquista, immer weiter vordrangen, und Pedro Tcireira schon im Jahre 1648 den Rio-Napo hinaufging und in Quito em- 181 pfangen wurde „mit Ehrenbezeigungen, angemessen einem Ereignisse, welches auf dem größten Flusse der Welt dem Unternehmen eines Gama auf dem Oeean gleichkam", und nun jesuitische Bekehrer sich einfanden, unter ihnen auch deutsche Namen, wie Anselmns Eckart, Anton Mcistemburg, Samuel Fritz, Rochus Huuderfund, welche dir Ortschaften Eoary, Teffe und S.-Paulo am Solimöens anlegten, die Indianer zu Zwecken des Ordens von Loyola gewinnen wollten und sogar mit Kanonen oprnrten, wie ihre Brüder am Uruguay, da ward auch ein allgemeines Sprachverständniß ein dringendes Bedürfniß, und es entstand eine allgemeine Sprache, eine lm^ui, ^iv,!, gewiß in ihren Hanpt-formen, Klängen und Abbiegnngen dieselbe, die längst am Uruguay, Parana und Paraguay als Ouarani gesprochen und schon im Jahre 1639 grammatikalisch und lerikographisch in mehrfacher Weise abgefaßt und gedruckt worden war. Ich war erstaunt, in Manäos für die bekanntesten Gegenstände des Lebens dieselben Ausdrücke zu finden wie in S.-Bmja. Am Rio-Negro hörte ich dieselben Lante wie am Uruguay, obgleich beioc Puukte in gerader Linie 500 deutsche Meilen voneinander entfernt sein mögen. ^,. oc«, nw,, Stein, Haus, Frau, pc>>^i^» Fluß, der neben einem andern hinläuft, pn'., Fisch, pi^po ein „Fischaufgang", ein Bach, — dann einzelne Thiernamcn: (^»ivm'i Wasserschwein, 1'c<,, jene bekannten Halbhnfer, — dazn eine Menge Vögel: ^>'ul>u, lxwmm, kurz eine Unzahl Wörter finden sich wieder im Guarani und in der ün^ua ^i-n! am Amazoneustrom. Doch ist die Im^m ^«i-i>l auch nur ein Uebcrgangszu-stand oder vielmehr die Sprache eines solchen. Schon tief in die Wälder dringen europäische Sprachen ein. Am Nio-Negro wird portugiesisch geredet selbst bei entfernten Anwohnern, und wo die letzten Klänge des Portugiesischen anfhören, 182 und an dm äußersten Zuflüssen des Icana jegliche Möglichkeit zn einem Verständniß mit den Barbaren abgeschnitten zn sein scheint, kommen uns venezmlische Indiancrstämme entgegen, welche spanisch reden. Im Nordwesten vom Rw-Branco, an dem das Portugiesische langsam vordringt, kommt ein eorrnmpntrs Englisch zmn Vorschein aus den Büschen, weiterhin Spuren von Holländisch. Ich bin überzeugt, daß das Wort Tuchana aus jenen Zeiten stammt, wo holländischer Einfluß weitgriff, und vom niederdeutschen ^o3cl,uu«r, Aufseher, herzuleiten ist, wie denn alle Stämme gern den Ausdrnck einer Wurde aus der fremden Sprache hernahmen. Die Botocuden am Mmuri verstanden keine Silbe portugiesisch, aber mil Stolz nannten sich Potao, Maegirnm und Iuqnirana doch Eapitäo, gerade wie im Portngiesischen eine Menge Würdenuamen mit arabischem Lant bezeichnet werden und sogar der höchste Ehrentitel „König" in den allerkatholischsten Landen noch immer, im privaten wie besonders offiziellen Leben, mit arabischem Vorschlag angekündigt wird: „El-Ney", der König. So zieht der belebende Hauch der Gesittung, die Sprache, von Strom zn Strom und trägt mit sich die reise Frncht der Cultur und vor allem des Evangeliums, der Kirche, wie mangelhaft hier anch noch manches aussehen mag. In Manäos ist ganz gewiß kein Indianer, der, wenn er nur einige Wochen sich dort aufgehalten hat, nicht wenigstens etwas, portugiesisch spricht und getauft ist. Und wenn die vom Rio-Braue» herabkommenden Indianer, sanromatischc Scythen des fernen Westens, und besonders die Frauen auch kein Wort portugiesisch verstehen, so nennen sie doch mit Frende ihre Tanfnamen llrsnla, Maria u. s, w, Und diese ersten Einleitungen zur Gesittung bringen auch schon eine freie, selbständige Arbeit mit sich. Es ist wahr, daß frnhcr am Rio-Negro viel mrhr gearbeitet und producirt 183 ward als jetzt, und daß gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts zur Zeit des Gouverneurs Manoel da Gama Lobo d'Almada dort die höchste Blüte bereits entwickelt war und als eine glückliche Zeit noch heute bezeichnet wird. „Der Ackerban nmfaßte Indigo, Baumwolle, Ncis, Cacao, Kaffee und Taback. Der Erport des erstem betrug im Jahre I7',N über 1400 Arroben. Eechs Baumwollenfabriken in Barra (Manäos), Vareellos, Carvoclro, Monra, Enriana und Loretto webten Baumwollenzeuge, von denen der Staatsschatz das, was vom Eonsnm derKapitanie übrig blieb, nach den Distritten vom Parä ansführte. Eine Seilerei in Tho-mar schlug steife aus Piassaba. In Barra versah eine, Fabrik mit Wachs vom Eolimöens die Kirchen der Kapitanie, und cine Ziegelei lieferte hinreichende Dachziegel und Backsteine für die Ortschaften. Auf dra Gütern am Rio-Vraneo ward Vieh gezogen, womit die Hauptstadt der Provinz versehen waro. Ein Arsenal war in voller Thätigkeit n. s. w>" Das alles ist richtig nnd wahr, nnd doch war es damals nicht gut, daß es eben so war. Es war die Macht der Tyrannei, die Satelliten des „El-Rey" von Portugal, die die Peitsche der Gewaltherrschaft schwangen und die Indianer im Sklavenjoche hielten. Nach Wegränmnng dieser Peitsche, dieses Sklavenjochs mußte allerdings ein Stillstand, ein Rückschritt eintreten; nnd von diesem kann sich Manäos erst langsam erholen nnd in freiwilliger Arbeit freier Menschen erstarken. Um von solchem Erwachen uud Erstarken eine kleine Ansicht hier einzuschalten, will ich folgende Liste geben von Gütern, die im Jahre 1858 allein durch die Dampfboote der ^OMPÜüllil! vj^lU^() ^ <'UM!N«l'!'iu (111 ^INI^UNllL V0ll Manäos nach Parä hinnntcrgeschafft sind, Ich verdanke die Liste der Güte des Herrn Ioäo Ioze de Freitas Guimaräes, 184 Gerenten der genannten Compagnie in Mangos, bei dem ich wohnte. Es waren folgende Gegenstände nach Ncimeu, Quantität, annähernd. Wcrtl ) u. Gcsammtbetrag. Pirarncn 14794 Arroben !> 5 Milre'is 73970 Milrew Seringa 1928 - 16 - 29948 Cacao 1780 - 5 - 8900 - Pinssaba in Stricken 894 'Polegadas - 2 1788 - unverarbeitet 672 Arroben -2 - 1344 , Chilehüte 57505 Stück - 5 - 287525 - Taback 230 Arroben - 2 4600 - Castanhas 27 l Alqueiras - 2 542 - Purury 213 Arroben -20 4260 - Cumarli 2 20 - Sumanma 5 - - 20 100 Gnarana 0 - 30 180 - Kaffee 37 - 5) 185 - Tucnmgarn 6 - 10 60 - Ochsenhante 98 Stück - 4 392 - 47 Töpfe - 9 423 - Wöpa 37 Arroben - 2 74 - Tneumhänge- matten 1209 Stück - <> 7614 - Salsaparilha 15><)5 Arroben -25 39125 - 461050 Milms. Eine Menge anderer Waaren, im Betrage von etwa 300000 Milreis, gehen in großen Canots den Strom hin-nnter. Einige Worte der, Verständigung sind nöthig zu den einzelnen Artikeln. Pirarul'n ist meinen Lesern schon bekannt, ein großer, mächtiger Flußfisch, bis 8 Fnß lang und 150 Pfo. schwer, 185 dcr mit Harpunen und Pfeilen erlegt und ganz wie der Stockfisch behandelt und getrocknet wird. Dieser Stockfisch ist ein unendlicher Segen für das Volk. Ueberall drängt es sich nach ihm und wird an ihm zu einer wirklichen Ichthvo-phagcnnation. Dcr Consnm des „rothen Fisches" ist außerordentlich. Denn er wird auch frisch gegessen an Ort und Stelle, wo man ihn fängt. Und dieser Consnm ist gewiß nicht geringer als dcr Erport. Von der Seringa, dem elastischen Gnmmi, haben wir schon geredet. Seringa heißt eigentlich Spritze. Da das beste Gnmmi über Formen, Flaschen u. s. w. gemacht wird und elastische Hohlkligeln bildet, welche, mit einer Spitze versehen, vortreffliche Spritzen aller Art abgeben/ so ist dem Product der Name seiner Form gegeben worden. Ein Gnmmisncher heißt Seringueiro, eigentlich ein Spritzenmann, ein Spritzer. Die Chile hüte kommen alle über Tabatinga ans Moya-bamba. Der Stoff zu ihnen wird von den Blättern dcr Fächcrpalme Bombanassa genommen (wahrscheinlich einer Art Ilu-i>,l,x), deren Blätter zart nnd fast grasartig sind. Eine kleine Vombanassapalme sah ich im öffentlichen Garten von Parä. Diese Chilehüte werden oft von seltener Feinheit gemacht, nnd es kommen in den Läden von Nio-de-Janeiro Hüte vor, die 60, ja 120—2M Milreis kosten, und noch mehr. Die Cast an has find die schon bei Gelegenheit meines Ausflugs nach Cametä erwähnten dreieckigen Nüsse in der sehr harten Kapsel der N<>lllwlllllic> «xoei^u. Es wird auch ein vorzügliches Oel aus ihnen geschlagen, z. B. in der Stadt Parä von dem schweizer Vieeeonsul, -— sein Name ist mir entgangen —, welcher eine kleine Dampfmaschine zu dem Iwecke hat kommen lassen nnd ein ausgezeichnetes Oel gewinnt. Wichtig ist der Niesenbaum mehr nur wegen seiner Nüsse 186 und seines Nutzholzes, sondern seltsam erweise auch wegen seiner Rinde. Sie bildet getrocknet die sogenannte Estöpa, ein vegetabilisches Wcrch, welches znm Kalfatern der Schiffe dient nnd nngemein dauerhaft sein soll, sodaß man es dem Werch vorzieht. Nun Purury. Das Wort ist mit einiger Umwandelung in die Kunstsprache unserer Apotheken übergegangen und heißt dort Pichnrimbohnen. Das Volk sagt meistentheils Puren (ausgesprochen Püschcn) ohne weitere Bezeichnung. Diese sogenannten Bohnen sind die Früchte einer schönen Laurinee Neetandra, die mit vielen andern Laurineen in den Wäldern wächst. Doch wird sie jetzt weniger gesucht, weil, wie es scheint, weniger Nachfrage nach ihr und ihren Bohnen ist. Oft bringen die Indianer die aromatischen Bohnen ans lange Tucumfäden gezogen ans dem Walde zum Umtausch. Ferner Cumarü, die Toukabohne, Frucht der Leguminose Diptm'ix oäm'^li», eines hohen luftigen Waldbaums mit durchsichtiger Bclaubuug, deren Wohlgernch allgemein bekannt ist. Die Schote fällt geschlossen vom Banme ab. Cine jede enthält nur eine einzige Bohne und ist ungemein dick und hart. Wenn man an denjenigen Stellen im Walde, wo die Bohnensucher ihre gefundenen Schoten öffneten und liegen ließen, solch einen Schalenhaufeu findet, so glaubt man wirklich einen Hansen von modificirten, sehr dickschaligen Ano-donten gefnnden zu haben. Die Snmanma findet sich als eine feine, seidenartige Wolle um die Sameu in den schön rothen Kapseln der Sn-maumeiras nnd Mungnbas, jener riesigen Bombaeeen, die wir am ganzen Amazonenstrom wachsen sehen. Die leichte Wolle wird zum Ausstopfen von Kissen gebraucht. Doch ist sie nicht elastisch genng, nnd dabei ungemein heiß. Ich habe nie gern meinen Kopf anf ein Kissen von Paina oder Su-mauma gelegt; denn beide Vombanvolleu sind ziemlich analog 187 und nur wenig verschieden. Die Indianer stopfen ihre bunten Vögel, die sie sich zum Schmuck aufheben, oamit ans. So besitze ich selbst einige Ampelisartcn consrrvirt, Cotingas nnd Pompadnras. Vom Guärana redete ich schon in Santarem am Tapajoz. Vom Tucnm nnd seinen Hängematten handelten wir ebenfalls, sowie von der Manteiga der Schildkröten. Es bleibt nur noch die Sassaparille (8mi!«x) übrig. Von Smilar wimmelt es in Vrasilien, zlnnal an lichtern Stellen des Waldes, nm die Rocas und offenen Felder, wo sie mit ihren Haken die Rolle unserer Brombeeren spielt. Wo man nnr geht und steht am Walde, von Nio-Grande do Sul an bis nördlich vom Amazonenstrom, findet man gewiß irgendeine Smilarart. Diese Arten überklettern alle Gebüsche nnd Baume oft in weiter Ansdehmmg und bilden derbe, feste Ranken. Die Blätter, in weiten Distanzen abwechselnd sich gegenüberstehend, oft von einem Ranfenausläufer begleitet, wo dann ein Dorn nuten am Stamme sitzt von bedeutender Festigkeit, sind herzförmig, oben cft hübsch abgerundet nnd eigenthümlich genervt, wie die Blätter des Melastomeuttibns, mit kleinen, fast ninbellenartig zusammengrnppirten Blüten, in deren eonstituirenden Theilen sieb am Kelch, der Corolla, Staubfäden, Stigma, Griffel nnd Ovarium vie Tveizahl, an den Staubfäden mit Zwei multiplieirt, herausstellt, wodurch sie mich oft an die heimischen Paris und Vntomns erinnerten, Vinc Menge Arten von Smilar kommen in den Handel. In Rio zeigte sich die Iapecanga an Wirksamkeit den andern Arten überlegen. Die zierliche Art sie einzupacken ist bekannt. Man umwickelt ein zusammengelegtes Päckchen mit den langen, von den Bäumen herabhängenden Stolonen der baumliebenden Arums, deren Natur man sich in Enropa gar 188 nicht definiren kann, denn sie werden 60 — 70 Fuß lang bei der Dicke weniger Linien. Ilebrigcns sind die angrenzenden Peruaner bessere Sassa-parillesammler als die Leute von Manäos und oem obern Amazonenstrom, soweit er zu Brasilien gehört. Die Liste, die ich eben gegeben habe, ist bemerkenswerth und sollte von den guten Leuten in Mauaos recht zu Herzen genommen werocn. Fast zwei Dritthcile des Dampf-booterports von Manäos sind peruanische Industrie; die Chilehüte und ein großer Theil des Sassaparillwcrchs fallen auf die Anwohner von Moyabamba. Das Meiste vom Uebrigbleibendcn ist reines Natnrproduct und braucht nnr eingesammelt zn werden. Alles, was dagegen angepflanzt werden muß, hat abgenommen, Taback, Baumwolle, Indigo n. s. w. Die Leute sind arm mitten im Reichthum und verdienen die Armnth; ohne alles Mitleid verdienen sie arm zn sein, weil sie nicht arbeiten wollen, nicht die geringste Anstrengung machen. Ganz in den letzten Zeiten hat man als Vuriosa einige ätherisch resinöse Oele aus einzelnen Bäumen gezogen. Ich habe eine Flasche voll „l)!eo äo 5<,85<>l'!'i>8" gesehen. Es muß ans einer jener herrlichen Amyrisartcn bereitet sein, die in großen Mengen in den Waldungen vorkommen; sein Geruch war vom Sassafras noch ziemlich verschieden und glich eher einem Gemisch von Terpentin mit (5opaivabalsam und Cubebenöl. Es soll alle Arten von Wunden merkwürdig schnell znm Heilen bringen, sogar frische Schnitt- und Quetschwunden, bei welchen wir in Nio sehr viel den Co-paivabalsam anwendeten, und zwar mit dem glänzendsten Erfolge. Fast ganze Waldungen bilden die wundervollen, kühnen Amyrideen am Rio-Negro und dessen einzelnen Igarape's. Mit schöner, dichter Belanbung ragen diese „Ccdros", wett- 189 eifernd an Höhe, Mächtigkeit und dennoch auch Schlankheit mit den Lecythisstämmcn überall empor nnd liefern vor allein ein wundervolles Holz znm Verarbeiten als Olii-o drauoo und varmßNia, welches fest, dauerhaft und doch leicht zu behandeln ist. Es hat auch die gute Eigenschaft, daß es im Wasser oben schwimmt, wodurch der Transport der mächtigen Toros oder Blöcke, wie sie im Walde zugehauen werden, zu den Sägemühlen sehr erleichtert wird. Kaum steht ihnen das Holz Coerana an Güte nach. Alle drei Holzarten stammen von verschiedenen Ieicaarten ab. Zur Zeit hoher Wasser am Amazonenstrom werden diese Cedcrn des Laubwaldes von der Flut losgerissen uud bilden in Menge jenes Treibholz, was ich auf dem mächtig geschwolleneu Flusse so oft uns entgcgenschwimmen sah. Man fäugt es vielfach anf und verschneidet es zu Vretern; ich glaube, daß ein sorgfältiges Auffischen solcher zweigloser Bäume zur Zeit hoher Wasser eine Sägemühle das ganze Jahr beschäftigen kann. Auch hat daS Treibholz uoch einen höchst eigenthümlichen Nutzen für die Schiffahrt mit kleinen Canots und Igarites, Wie man die leichten Fahrzeuge mittlerer Größe nennt. Wenn das mit dem Strom hinuutertreibende Canot in Gefahr ist, von starkem Gegenwinde zurückgehalten zn wervcu, so bindet es der braune Schiffer an einen tüchtigen, ganz im Wasser dahinflntcndcn Amyridecnstamm, welcher Schiffer und Kahn mit Leichtigkeit gegen den Wind anschleppt. Drohen aber die vom Winde anfgewühitrn nnd umherspritzenden Wellen den Kahn zu füllen oder umzuwerfen, nun so gibt es auch da ein leichtes Mittel. Der Kahn wird in die Mitte einer schwimmenden Insel von Caunarana gebracht. Das anf dem Wasser innig anfliegende Gras bricht alle Wcllengewalt und wogt nur ganz wenig, und der Indianer segelt, gezogen vom mächtigen Waldbanmc, geschützt vom schwimmenden Ufergras, 190 und wohlgelagert unter dem Palmendache seines Canots mitten auf dem ungeheuern, grauen Strome unerschrocken gegen Wind uud Wcllrn an. Die besten Canots werden gerade aus diesen Amyrideen, aus Cedern ausgehöhlt. Ich habe solche Canots von 30— 40 Fuß gesehen, die einen Baumstamm von 4 Fuß Dicke und darüber voraussehten. In Manäos machte man, wie ich schon angab, mir den Boden und ciucn Theil der Seiten aus einem einzigen Stamme. Der Nand wird dann aus anderm Holze weiter herum augezimmert, obgleich ich Canots gesehen habe, die aus einem einzigen Stamme ohne solchen angesetzten Rand gemacht waren. Aber genug über die braune Welt in Mauaos und ihr Leben am Walde und auf dem Igaravc. Werfen wir noch einen Blick auf die weiße Welt, auf die 300 Weißen, die nach einer oben angegebenen Uebersicht vor sieben Jahren in Manäos sein sollten, wenn wir wirklich alle die für Neiße anscheu wollen, die sich da;u rechuen! Die Leute von Stellung, die Angestellten, sind meisteus von außen gekommen; ja man trifft Leute aus alleu, selbst den südlichsten Provinzen uuter ihnen. Diese haben dann eine vollkommen ausreichende Erziehung. Doch ist anch ein ziemlich bedeutender Stock von Weißen in Manäos, der dort schon seit vielen Jahren eristirt und redlich dafür sorgt, daß durch gehörigen Kindernachwuchs die weiße Farbe nicht an Zahl abnehme. Doch kommt unter diesen Familien, namentlich ans dem Gesicht mancher Frauen ein leichtes Etwas vor, was mich glauben macht, daß die Großmutter doch wol eine Indianerin war. Cs verwischt sich indeß dieser leichte Indianismus unter deu Weißeu uud im Umgänge mit Weißen ungemein schnell, und wir können in Manäos von einer wirklichen weißen Gesellschaft 191 reden, welche bei durchschimmerndem Indicmismus ganz angenehm ist. Sic leidet aber doch noch an mancher Lebensschwäche. Den dcfecten Znstand von Kirche und Schnlen habe ich schon angedeutet. Ich könnte manche scharfe Bemerkung darüber machen, will aber die katholische Kirche nicht bloßstellrn. Vom fernen Uruguay bis zum Nio-Negro bedarf sie einer vollständigen Reformation; denn es kommen greuliche Sachen unter ihren Dienern vor. Die Hauptkirche, deren Bau fast ganz still zu liegen scheint, wird mittels Lotterien anfgerichtet, wobei die Lente nicht das geringste Unrecht sehen. Gine Lotterie ist ein Geld-manövcr wie jedes andere. Man zwingt ja niemand, Geld und Hoffnung auf ein Los zn sehen. Ich bin aber überzeugt, daß die Kirche in zehn Jahren nicht fertig wird trotz der Spielwuth der Leute in Mana'os. Wer im Juli 1859 über die total rumirte Brücke zu gehen wagte, welche unten von dem Vairo da Matriz nach Ncmedios über den stillen Igarapc führte, und den leicht ansteigenden Hügel znr Kirche hinaufwaudelte, der konnte, ehe er znr Kirche kam, links am Wege ein seltsames Gebäude heranwachsen sehen, auffallend wegen seines Umfangs, anf-fallend wegen seines Materials uud uoch auffallender wegen seiner Bestimmnng. Auf hohen Pfählen, die einen bedeutenden Naum einnahmen, hatte man ein dickes Dach ans trockenen Palmenblättern errichtet, ganz nach Art jener großen Nanchos in den Südprovinzen, nnter denen man nachts die CargaS, die Packen der Manlesel znsammenhänft für eine zn erlegende Tare. Doch stand zu diesem Zwecke jenes Dach viel zn hoch. Auch zeigte das Zimmerwcrk am Eingänge, daß man eine Vorderfrontc von Geschmack und Ansehen beabsichtigte. Allmählich wurden mm auch die Wände mit granen Palmen- 192 blättern ausgefischten, ohne daß sich eigentliche Fenster daran blicken ließen. Und als ich mm mich erkundigte, welchen finstern Mächten das ungeheuere Stachelschwein, — denn damit hatte der Bau am meisten Aehnlichkrit — gewidmet werden sollte, sagte man mir, das sollte das Theater werden. Ich dachte unwillkürlich an das deutsche Liebhabertheater in Porto Alegre. Das war ein Ideal gegen das grane in Manaos. Und doch war letzteres unendlich naturgemäßer. Wenn das grane Theater in Manaos nnn auch als eine schwache Seite von der guten Gesellschaft angesehen werden kann, so erhebt sich diese Gesellschaft doch auch schon zu den vollsten Krastäußernngcn einer großstädtischen Societät. Der Polizeichef der Provinz, l)l. Vaetano Estellita (5a-valcante Pessöa, war gerade in der Zeit, als ich mich in Manaos befand, znm .Wix äo llil-niw von Tcffe oder Ega ernannt worden nnd sollte am 14. Ilili von einem Orte und ans einer Stellung scheiden, worin er sich allgemeine Achtnng und ^iebe erworben hatte. Eine Reihe seiner Freunde trat zusammen und beschloß, ihm einen Abschiedsball zu geben. Zu diesem Valle wurde denn Manaos, soweit es ballfähig war, durch gedrncktc Einladungen mit goldenen Buchstaben invitirt. Das Fest war aus den 9. Juli im Palacio do Governo angesetzt. Eine Einladung in Golddruck zu einem Valle im Regie rnngsva last von Manaos! Das ist auch schon ein Zeichen der Zeit. Wer sich übrigens darüber erstaunen sollte, daß man in Manaos am Rio-Negro schon druckt, dem mache ich die Bemerkung, daß dort auch eine Zeitung, die ,,kkUsl'Ilg c!c» ^m<>!5(m^8", zweimal in der Woche erscheint, in groß Quart uud auf besserm. Papier gedruckt als die meisten deutschen Zeitungen, obwol dieser,,Stern am Amazonenstrom" 193 seine Lichtstrahlen nicht eben weit hinsenden mag und kein Stern erster Größc ist. Der Negieruugspalast war hell erleuchtet und sah allerdings für ein Gebäude am Nio-Negro sehr stattlich aus. Doch hatte man, als man ihn erbaute, uoch an keine Bälle gedacht; uud so waren denn auch die Tanzgelcgenheiten etwas eng und beschränkt. Dazu kam noch ein Umstand, der eben auch charakteristisch ist. Die guten Manäesleute, von deren zahlreichen Kindern ich oben schon geredet habe, finden selten Gelegenheit, sich ein Vergnügen zu macheu. Wenu sich aber einmal dazu eine Gelegenheit findet, so wol-Im sic das Vergnügen mit Frau und Kind genießen. So geschah es denn, daß die eingeladenen Leute mit der ganzen Familie kamen. Es wimmelte im Saale und den Nebenzimmern von artigen kleinen Mädchen und unartigen, vorlauten Knaben. Die Mütter tanzten mit den Töchtern um die Wette, dis Väter mit den Söhnen. Alles war eine Zufriedenheit, eine Glückseligkeit. Die Toiletten der Damen waren größtentheils hübsch, manche sogar geschmackvoll, keine einzige lächerlich. Am meisten aber gefiel nur daS ganze, bescheidene Benehmen der Leute. Vou irgendeinem Standesunterschied uud Festhalten an Nang und Stellung war keine Rede. Diesen Krebsschaden denlschcr Provinzialhanfttstädtc kennt man überhaupt in Brasilien gar nicht. Gerade die Frau des administrirenden Präsidenten eine anziehende, interessante Erscheinung in frischer Jugendblüte, war das Bild der vollsten Bescheidenheit uud unbefangensten Fröhlichkeit, von der man mir besonders das sagte, daß sie nicht nur das Haus voll vou liebem Kindergewimmrl hätte, sondern auch vor allen andern Frauen des Ortes den Armen und Nothleidenden mit Trost und Hülfe beistände. Die Musik war allerdings etwas lahm; doch salvirtc sie sich ziemlich gut aus der Schwierigkeit. Alles Sonstige, was Avc-Lallcmant, Nord-Vrasilicn, U, 13 194 zu einem Balle gehört, war nett und sauber. Und wenn sich jemand darüber ärgerte, daß die dienstthuende Inngfer im Toilcttenzinnner der Damen in hohem Grade schwanger war, so war das allerdings für einen Ball nicht ganz schicklich, aber für Manäos vollkommen charakteristisch. Kinder bekommen sie ja alle in Manäos, und das ist der allergrößte Segen für eine Provinz, deren Ausdehnung das Gcsammt-arcal von einem halben Dutzend europäischer Königreiche übertrifft. Nun ging mein Aufenthalt in Manäos zu Ende. Aber kurz vor seinem definitiven Ende führte er mich noch einmal hinaus auf den hübschen Igarape da Cachoeira, von dem ich mich so ungern trennte wie ein echter Indianer von seinem Waldparana. Der Platzcommandant hatte mich durchaus noch einmal auf seinem eben erst angelegten Landsitze, auf dem ich ihn, ohne es selbst zn wissen, überrumpelt hatte, sehen wollen. Dazu hatten wir den 12. Juli festgesetzt. Ein hübsches Familiencanot brachte uns znsammt dem ganzen Hausstande des alten Echnurrbarts, welchem noch ein zweites Küchencanot folgte, vom Rio-Ncgro selbst in den kleinen, stillen Flnß hinein, aus dessen übergetretenen Fluten der Wald in seiner vollsten Schönheit herausragtr. In großen Blütentrauben hingen weiße Melastomen nnd wunderhübsche Malpighiaceen über dem Wasserspiegel; kleinere Amy-rideenblüten fanden sich in bedeutender Menge; eine prachtvolle, ganz rothe Cattleya mit Doppelblütc ließ sich, wie ein prachtvoller Tagfalter, anf ihrem luftigen Standpunkte erHaschen. Wir kamen nach kurzer Fahrt zum Landsitz, wo angehalten ward. Nach einer kleinen Pause setzte ich mit dem Platzeommandanten die Fahrt auf dem kleinen Flusse mitten im Waldcsdickicht fort. Wir fuhren über jene Stelle hinweg, 195 die zur Zeit flacher Wasser einen Wasserfall von 12—15 Fuß Höhe bildet, jetzt aber gar uicht zu erkennen war. In vielen Krümmnngen giugen wir dm kleinen Fluß aufwärts. Bald zeigte er kräftigere Gegeilströmuug. Wir erkannten im Grunde einen Fclsenabhang, welcher bei niedrigem Wasser ebenfalls einen hübschen Wasserfall bildet, jetzt aber nur eine kleine Bewegung im Wasser hervorrief. Endlich machte eine wirkliche Cachoeira nnserer Fahrt ein Ende, bis zu welcher noch nie em Canot hatte hinaufbringen können, weil man noch uic einen ähnlichen hohen Wasserstand des Amazonen» stroms und seiner Conftuenten erlebt hatte. Schon vorher hatten wir auf dein Igarape manche Schwierigkeiten zu überwinden gehabt. Vor allen waren es umgestürzte Baumstämme, ans denen unser für die kleine Außcrpcdition allerdings zu großes Canot sitzen blieb. Bei solchen Gelegenheiten sah es denn wirklich komisch aus, mit welcher Seelenruhe eiurr unserer Tapuis mit einer Art auf den im Wasser liegenden Baumstamm auS dem Canot hinausstieg und ihn durchhieb. Sowie der Stamm anfing zu knackeu uud nachzugeben, stieg der ruhige Indianer mit demselben Phlegma, womit er vom Canot auf den Stamm getreten war, wieder vom Stamme in das Fahrzeug. Oft begriff ich nicht, wie er auf solchen vom Wasser schlüpfrigen, znm Theil rindenlosen Stämmen entlang ging, ohne auch nur die Mieue vou irgendwelcher Vorsicht anzunehmen. Aber diese Leute, die nie Schuhe anziehen, haben eine Taktfestigkeit in den Fußsohlen und Zeheu, daß mau sie wirklich zu den Quadrumanen rechnen möchte. Sie stehen unerschütterlich sicher auf dem glatten Stamme nud operiren auf ihm, Wie ein Turner mit oen Händen am Neck sich bewegt. Dazu macht die merkwürdige Fertigfeit im Schwimmen sie noch sicherer auf dem kitzeligen Standort. Ich glanbc gewiß, daß, wenn ein Tapui bei solcher Gelegenheit herabgleitet vom 196 Baumstamm und ins Wasser fällt, sein, Kamerad .sich nur darüber erschrecken würde, daß ein Tapui ausgleiten könne, nicht daß cr ins Wasser fiel. Oder er erschrickt sich gar nicht und sieht und bemerkt das Unglück seines Gefährten gar nicht. Und das ist das Allerwahrscheinlichste. Je mehr wir nun auf dem kleinen, eingeengten Flusse aufwärts drangen, desto schöner ward auch die Vegetation. Es waren nicht fowol dicke als vielmehr hohe, schnurgerade Stämme, die in seltener Symmetrie und dennoch zwangloser Gemeinschaft nebeneinander aufwuchsen und meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Unter den Palmen waren der Menge nach die stacheligeu Wrocaryen vorwiegend. Ueberall drohte die geharnischte Tueumanpalme den Kommenden entgegen. Oft sah das obere Ende des Stammes und die Außenseite der Blatt-scheiden ganz schwarz ans vor Stacheln. Einzelne kleine Enterpenbäume verschwanden fast gänzlich neben den wilden Nachbarinnen. Häufig sahen wir auch die Carauapalme, eine kleine Fächerpalme, aus der Gruppe der Mauriticu cwu-!<>i»lu). Alle Stämme waren niedrig; aber die gerade aufstrebenden Blattstiele waren nicht leicht uuter l) Fuß lang und trugen die äußerst regelmäßigen Fächer mit Leichtigkeit. Die Palme Carana liefert ein sehr beliebtes Blattmaterial zum Hausdecken, uud ein gutes Caranadach dauert an acht Jahre. Höchst seltsam sahen eiuige ganz kleine Palmengebilde aus, die man auf den ersten Blick kaum für Palmenformationen ballen möchte. Die Blätter sind weder genau gefiedert noch genau g'cfächerl. Vielmehr haben sie zu beiden Seiten des Blattstiels eigenthümliche, lappige Blattsrgmentc von unregelmäßiger, rhomboidischer Form, ganz wic Floßfedern von Fischen. Fast möchten sie an die Vlätterform der Tari- 197 nee Phylloeladus erinnern oder cine Art Caryota dcs Westens vorstellen. Alle Segmente sahen wie abgebissen auö. Doch waren sie es keineswegs; vielmehr war diese lm-immo p!'ußn!0!'8a die eigentliche natürliche Beschaffenheit der Blatt-laftpen. Das Gndsegment erregte mir, als ich mit dem Handrücken daran vorbeistreifte, ein deutliches Brennen. Nnr an der letzten Cachoeira, die unsere Fahrt hemmte, standen die kleinen Exemplare, die mir die ebw angegebenen Eigenschaften zeigten. Ich sah sie nie vorher noch nachher wieder. Auch die Patanavalme lernte ich kennen, ()c'uoo.»'pa8 plUlMc!, — so wurde mir das Wort vorbnchstabirt von meinem alten Platzcommandanten —, die nächste Verwandte Mer schönen zweizeiligen Palme, die ich im Walde von Ca-metä am Tocantins bewunderte, Palmen mit unbewehrten, lM'ingeltcn Stämmen nnd gefiederten Blättern, den hübschen ^llterpen gan; nahe stehend nicht nur im Walde, sondern auch im botanischen System und selbst in ökonomischer Ver-Wendnng. Man liest nämlich die ill großen, mächtigen Trauben wachsenden und den größten, dunkeln Oliven nicht unähnlichen Früchte zusammen und behandelt sie ganz wie die Früchte der Euterpe, wenn man slssai aus ihnen machen will. Zwischen der schwarzgrünrn Hülle und dem länglichen, braunen, mit hübsch gelben Läugsfasern umsponnenen Kern liegt eine dünne Fleischschicht, welche, wenn die Frucht gekocht ist, einen ganz angenehmen, öligen Geschmack hat. Das aus diesen Patauafrüchten gewonnene Assai ist von dem der Enterpenfrüchte an Farbe und Geschmack verschieden. Es gleicht ganz vollkommen uusercr Ehoeolade und würde, wenn man es wie Ehoeolade parfümireit wollte, mit derselben verwechselt werden können. Ich trank das einfach mit Zucker versüßte Pataua-Assai mit großein Behagen, als wir zurückkehrten, und finde allerdings, daß beide Getränke, das von der Euterpe und von^ der Oenocarpns gewonnene, zwei höchst angenehme Gcbräne bilden am Nio-Negro, wo ich das Assai besser bereitet trank als in Parä selbst, obwol man es in Manäos w'eniger schätzt als in jener Hafenstadt. Der Saft der Patauafrüchte ist ungemein ölreich. Man sieht die kleinen Oeltrovfen in Menge auf der graurothen Chocolade schwimmen, besonders am Nande der Tasse oder des Glases, wenn man sie aristokratisch ans einem Glase trinkt. Mit Leichtigkeit läßt sich aus diesen Oliven des Westens eine Menge Oel gewinnen. Am schönsten aber war immer die liebliche, grüngelockte Inajaftalme am Ufer des banmumdüsterten Cachoeiraflusses. Es liegt ein seltsam träumerischer Ausdruck in den fast grasartig an den Blattstielen herabhängenden nnd vom leisesten Windhauch bewegten Foliolen, ein Ausdruck, den ich einen mädchenhaft verschämten nennen möchte. Ich blickte innmr mit Freude hinauf zu den leichtbcwegtcn, säuselnden Folio-lcn und vernahm gern die leisen Loreleilieder der anmuthigcn Waldcreatur. Auch Vussuolättcr sahen wir, jedoch viel kleiner als jene, die am untern Amazonenflusse wuchsen. Sie waren vielfach eiugerissen, also vollkommen ausgewachsen. Vielleicht sind sie von der Palme am uutcrn Flnsse ganz verschieden nnd constituiren eine neue Species. Mir machten sie einen ganz verschiedenen Eindruck. Auch uuter den eigentlichen Laubbäumen sahen wir viele hoch aufgeschossene Stammformen. Namentlich einige Nntz-holzbäume zeigte mir mein alter Platzcommandant, die Itauba (eine Broussonetia) und andere, von denen man außer dem indianischen Namen leider nichts zn sehen bekommt als den glatten Stamm. Auch einen hohen, schönen Waldbanm zeigte man mir, von dessen Frucht man ein ganz besonderes Aufsehen macht in Manaos. Tiese Frucht heißt Sorva, also der Baum Sorveira 199 (6a!!ap!wr« >iU><8). Der Baum ist hoch, schlank, mit schön grünen Blättern und in allen seinen Theilen stark milchend. Alle Laubkrouen waren mit unreifen, kugelrnnden Früchten dicht übersäet. Ans das lebhafteste erinnerte mich der Banm an die schönen Platonien vom Toeantins, deren Früchte Pacuri anch'solchen glänzenden Nlif haben. Faetisch steht er aber, nm an eine schon früher beschriebene Frucht zn erinnern, der Mangaba (Ilnucnini,,) am nächsten, mit welcher der Sorvabanm zur Familie der Apocyncen gehört. Um die im September reifende Frucht zu bekommen, treibt man eine wirklich an das Grausige grenzende Barbarei! Man hant den ganzen Vanm um, wenn das auch Polizeilich verboten ist. Wenn der Banm an einem Nachbar hängen bleibt, hant man diesen mit um. So kommen von abgehauenen Bäumen ganze Körbe, ganze Canotladnn-gen von Früchten nach Manäos; denn der Sorvabaum ist sehr häufig im Walde. Seltsam trieb auch der Pflanzenparasitismus sein Wesen am Flusse. Dünn, schlank, geraoe und astlos wie Palmen-schäfte, aber mit rauher Niudc stiegen ans Bäumen von 60 Fnß Stammhöhe ebenso lange Stolonen von 1—Z Zoll im Durchmesser zur Erde hinab, um dort festen Fnß zn fassen. Suchte man dann oben in den luftigen Kronen, so entdeckte man bald als den Ausgangspunkt dieser Etolonen eine ftara-sitircnde Clnsiacee, kenntlich an den dicken, blankgrünen, leder-artigen Blättern. Ich hieb von einem Parasitcnschaft ein Stück heraus. Gs war außerordentlich schwer und blutete merkwürdig stark einen weißen Saft besonders aus dem Bast zwischen Ninde und Holz. Letzteres hatte eine spongiöse, aber dennoch zähe Beschaffenheit. An solchem vegetabilischen Strick können sich getrost zehn Menschen anhängen, er reißt ganz gewiß nicht in seiner Mitte durch. Ein Philodendronfadeu, auch an 50 Fnß lang, hing mitten über dem Flusse, etwa 8 Fuß über dessen Oberfläche endigend. Ein Vogel hatte sich den Strang zn Nutze gemacht und sein Bcutelnest unter ungeheuerer Mühe daran ausgehängt. Gerade am untersten Ende hing die luftige Wohnung. Zwar gelang es mir, des Dinges, welches unbewohnt war, habhaft zu werden mit einem Ende des Imbe, wie der Ciftö jener Aroi-dec heißt, aber doch litt das Nest ziemlich bedeutende Havarie.. Eo parasitirt ein Vogel auf oder unten an den Fäden der parasitirenden Aroideen. Am obern Ende aber gibt es andere Parasiten. Es gelang mir, mit dem Imbefaden ein ganzes Philodendron hoch oben von seinem luftigen Sitze hcrabzn-rcißen. Indem ich das seltsame Gewirr von grünen Blättern und Luftwurzeln untersuchte, fühlte ich in der Hand, womit ich es hielt, einen höchst intensiven Schmerz, und nun ward ich an Hand und Vorderarm aufs heftigste gebissen. Eine kräftige, schwarze Ameise hatte sich in der Schmarotzerpflanze ihren Schmarotzeraufeuthalt ausgesucht und glaubte in mir einen Concurrentcn zu entdecken. So wüthend und fest bissen sich die Thiere mir in die Haut, daß ihnen, als ich sie fortnahm, der Kopf abriß uud an der Haut sitzen blieb. Während so oben ein kriechendes Insekt auf der dem ursprünglichen Baum ganz fremden Vflanze lebt und am untersten Ende ein lustiger Vogel sein Nest aufhängt, bleibt der löngc Strang selbst auch nicht frei von einer dritten Parasitenart. Eine Art Gallwespe wählt sich den aromatisch scharfen und selbst wol etwas giftigen Stolonen des Philodendron aus und legt mittels eines Stichs ihre Eier nnter die zarte Oberhaut des Parasiten. Der lange Etolo schwillt nun in einzelnen Knoten an und gewinnt mit seinen, die ganze Substanz ausdehnenden Galläpfeln das Ansehen einer Rosenkranzschnur. Wenn das Insekt reis ist, durchbohrt es die Schichten und läßt eine kleine, offene Höhle zurück, ohne daß der Lebenslauf des Cipös dadurch im allergeringsten unterbrochen würde. 201 So strebt im Urwald alles nach oben, nach Luft und Licht. Und wenn der mächtige Amazonenstrom w alljährlicher Wiederkehr anschwillt und in überssutendem Ansteigen den Wald unter Wasser setzt, die Flnten der kleinen, ihm zuströmenden Igarape's bis über ihre Wasserfälle hinweg zurückdrängt und alles in Gefahr ist zu ertrinken, so bat auch die Natur dafür gesorgt, daß gar vieles dein gewaltigen Kataklvsma entgehe. Hoch oben in den Zweigen, anhaftend an mächtigen Waldesstämmen, aufgehängt am linicndnnnen (iipö, wohlgebettet unter der Epidermis dünner Lianen, danert das Leben der Dendrobier, Pflanzen und Thiere, wohlbewahrt fort. Der Mensch des Urwaldes aber parasitirt untcrdeß im ausgehöhlten Baumstamm einer Amyndee oder der l>—7 Fnß dicken Itauba. Au jeder Palme, welche reifende Früchte bietet, ist sein Ankerplatz. Im Canot, wo die gauze Familie um ihn hockt, geht ihm sein kleines Feuer nicht ans, sodaß abends der Schein sich im Wasser widerspiegelt nnd die ganze Menschengruppe, zwischen Palmen nnd Pombaeeen parasiti-rend, im ausgehöhlten Baumstamm auf dem Wasser, in der Luft, in den Bäumen zn leben scheint. Dem Ansiedler dagegen, welcher ungeschickt genug in solcher Amphibienwelt eines festen Bodens bedarf, nm ftine künstlichere Eristenz durchzuführen, ertrinkt sein Pferd, ertrinken seine linder, nachdem sie lange im ansteigenden Wasser ängstlich umhergcwatet und nmhergeschwommcn sind. Da kommt ihm denn auch der glückliche Gedanke zum Parasitenlcben. Zwischen einzelnen Väumen oder anf gefällten Stämmen errichtet er seinem Vieh eine kleine, trockene Hürde und füttert es mit der üppigen Canncirana, welche am Ufer wächst oder in grosien Inseln vorbcitrcibt, biS die großen Wasser sich langsam verlaufen nnd das feste Land wieder zum Porschein kommt. Mit englischein Vier, vinlw llmjm' (einem edeln Portwein) lind Champagner war unser unter einem Palmcndache 202 improvisirter und mit reichlichen, solchem Getränkelnrns vollkommen adäquaten Speisen besetzter Tisch schon nnser harrend, als wir mit nnserm Canot wieder znm Landsitz des alten Platzeommandanten zurückkamen. Aber beim frohen Mahl sank die Sonne schneller als wol sonst. Unsere kleine nnd große Welt schiffte sich wieder ein. Geschickt ruderten uns unsere braunen Tapuis mit ihrcu kleinen Tellcrruderu zwischen den Bäumen des überschwemmten Waldes hindurch; und wir kamen, gerade als dic Sonne hinter fernem Forst uuterging, wieder ans dem beschatteten Labyrinth auf die stille Fläche des Rio-Negro hinaus, von wo uns nur noch wenige Minuten bis zum Landungsplatz fehlten. Einige kühn anfstrebende Popnnhapalmen, jene herrlichen Pirijäostämmc rauschten dort mit ihrer edeln Laubform ein melancholisches Abendlied über den „schwarzen Flnß" hinaus. Mir aber erschien der eben vollendete Streifzng auf dem Igarape da Cachocira mitten durch die Walduugeu wie ein liebliches Palmenmärchen, was sich nicht genau wiedererzählen läßt. Mnstcs Kapitel. Der SolunöcnZ. — Fahrt bis Tabaliuga an der Grenze von Peru. — Coary. — Teffe. — Fonteboa. — Tonantius. — Das Fort von S.-Antonio am Nio-Ica. — S.-Paulo odcr Olivcnca. — Ankunft in Tabatinga. ^cöarum machen sich die Leute doch nur das Scheiden so schwer? Veim Polizeichef hatten sich am Nachmittag des 14. Juli alle Notabilitäten dcr Stadt Manäos zusammeuge-fundm, um seinem Aufenthalt daselbst die letzte Oelung zu geben. So viel Leute kamen zur Trauerccremonie, daß man nicht genug Stühle im Hause hatte, soudern ciu Dnnend aus den Nachbarhäusern zusammenholen mußte. Jetzt brach der Trauermarsch los. Vorauf gingen die acht Kinder des Hauses, begleitet von einer Schar kleiner Freunde und Freundinnen. Dann kamen verschiedene Damen im vollsten Pntz und endlich alle Großwürdeuträger der Hauptstadt Manäos. Im ganzen mochten doch wol hundert Personen den Zug bilden. Ich schloß mich, als Verehrer des PolizcichcfS und als Mitreisender, dem Zuge an; und so marschirten wir zum Hafen hinunter. Hier umarmten sie sich fürchterlich, und der 204 erste Abschied war genommen. Die Hälfte der Begleitenden blieb am Ufer. Die andern schifften sich in verschiedene Boote nnd Canots ein und fnhren zum Tadatinga, nnserm Dampfboot, welches ganz in der Nähe des Ufers ankerte, hinüber. Hier begann denn der ernstere Abschied. Die Frauen küßten sich nnd weinten; die Männer nmarmten sich, und die Kinder, die all diese Nührnngsscenen mit ansahen, singen anch an bitterlich zn schluchzen. Zuletzt weinten sämmtliche Anwesende! Ich weiß nicht, wie lange diese greuliche Scenerie ge-danert haben würde, wenn nicht im Südwesten ein Gewitter heftig zu grollen angefangen hätte. Jetzt trennte man sich ernstlich; die eine Hälfte kehlte zum Ufer zurück, die andere Hälfte blieb. Der Tabatinga, ein kleines, aber angenehmes und vorläufig hinreichendes Dampfboot von 150 Tonnen, hob seinen Anker; wir gingen in den''Strom hinein, übersahen noch einmal das romantisch schön gelegene Mancios und bogen um die nächste Waldccke. Es war uugefähr 6V2 Uhr. Ningsher hingen dicke Gewitterwolken am Himmel, und überall zuckten Blitze; doch kam cs zn keiner ernsthaften Entladung. Wir liefen in östlicher und nachher selbst nordöstlicher Richtung den fast stromlosen Nio-Negro hinunter. In matter Beleuchtung des aufgehenden und von Wolken um-düstcrten Mondes erschien das dunkle Wasser vollkommen schwarz. Zuletzt kamen wir an eine Insel, wo die Wasserstraße sich nach Osten und Westen zu trennen schien. Gin leichtes Nncken und Schütteln nnsers Dampfboots verkündete uns, daß wir in einem rascher strömenden Element wären und den Rio-Negro verlassen hätten. Wir waren im Solimöens; denn so ist der Name, den man dem Amazonenstrom vom Rio-Negro an anfwärts bis zur Grenze von Peru, bis znm Iavary, gegeben hat. Als 205 man dm mächtigen Zuftnß des Amazouenstroms, den Rio-Nkgro kennen lernte, war man in Zweifel, ob er oder der andere Flnsi den Hauptstrom bildete. Und nm keinen von beiden zn kränken, nahm man einen dritten Namen nnd ließ den Amazonenstrom ans dem Rio-Negro und Solimöens entstehen. Wir konnten indesi erst am nächsten Morgen mit dem Eolimöens nähere Bekanntschaft machen. Ein leichter Regen trieb uns in die große Kajüte nnd nach eingenommenem Thee in unsere respeetivcn Betten. In voller Pracht trat uns am 15). Inli der Solimöens entgegen. Eben war die Sonne im Aufgehen und machte den vollen Mond bei seinem Untergehen erbleichen. Eine Menge von Aleedonen zankte sich miteinander oder mit unserm Dampfschiffe, welches ihnen den Morgen störte. Zwei von ihnen snchten einen Gaviao (Falken) zn attakiren, der auf hohcm Aste eines Eriodcndron sich sonnte, wurden aber mit scharfem Protest abgewiesen. Einige Iacuhühner, die sich ebenfalls ihre Morgentoilette machten, flüchteten schnell davon, cilS wir ihnen nahe kamen; nnd ein kleiner Affe. rannte, als er nns eine Zeit lang beobachtet kalte, mit schrecklichem Zwitschern waldeinwärts. Nur die Pflanzenwelt hielt ruhig neben uns ans und folgte uns den Strom anfwärts. Nach wie vor bildeten Sumaumciras nnd andere Sterculiaeeen oder Vombaceen, Calophvllen, Cceropien und unter den Palmen die scharf-stachelige Tneumanpalme, die liebliche Inaja nnd die kühne Popnnl^a oder Pirijäo, sowie Amyrideen, Lorbern und Myrten den Wald. Mnsacem wucherten im Grnnde, Aroiden und Gnttiferen oben in den Vänmcn. Hinter dem Gebüsche der Cannarana aber, hinter der Anhinga und über feingefiederten Mimosccn hinaus ragte ein anderer Tropenwaldrepräsentant heraus, eine dichte nnd sich wiederholende Schar ^.> 206 von Bambusen mit üppiger Grasbelanbnng und wundervoll überhängenden, nickenden Spitzen, — ein voller Beweis, daß die Ufer des Stroms festern Vodrn, festere Gestaltung hätten, wie denn die Taqnara zwar feuchten, aber dennoch festen Boden liebt nnd selbst Höhen anfsucht. Wirklich war das Gestade rechts von uns, anf dem linken Ufer des Solingens, mannichfach erhöht; nnd eine ganze Reihe von kleinen Landsitzen, vor denen die unvermeidliche Schar von Tapnis indifferent zn nns herabschante, hatte fich in den Wald hineingedrängt. Die lange Kette dieser Landsitze heißt Manacapurü. Man hat davon geredet, sie zn einer Ortschaft, einer l'i-^uexiu, zn vereinigen; doch scheint man die wenigen damit verbundenen Kosten zu scheuen und läßt die Leute »hue Kirche und die Kindermcngc ohne allen Unterricht aufwachsen. Und mit der Colonie bei Obidos, an der gar nichts liegt, vergeudet man ganz bedeutendes Geld. Solche Widersprüche finden sich recht oft in Brasilien. Meine Mitpassagiere, brasilianische nnd peruanische Kaufleute, gaben «nterdeß ein höchst originelles Gespräch zum besteu. Besonders meinte der eine, die Leute sollten Gott danken, daß sie noch keinen l>«(^ in Manacapurü hätten, denn die Pfaffen, meinte er, wären doch die — und nun kam eine böse Vencnnnng, — die es im Lande gäbe. Dabei kamen auch sämmtliche si-cii^» (Nonnen) schlecht weg. Einer der Reisenden schlug ernsthaft vor, man sollte sie am Amazonenstrom, etwa nach Art der alten Parchenien,. vertheilen, um die Provinz schneller zu bevölkern. Solche Dur-aecorde hört man oft in Brasilien anschlagen. Doch sprachen diese Herren auch bessere Sachen als diese Sakrilegien. Vor allem interessirte mich manche Bemerkung über den Handel mit Peru. Sollte man es denken, daß trotz der Amazonenschiffahrt 207 es dennoch am Solimöens einen Handel von Lima über Trurillo nach Moyabamba gibt, welcher 60 — 80 Procent Gewinn abwirft? So drückend lastet der Zoll in Parä auf einzelnen Handelsgegenständen, z. B. Baumwollen - und Seidcnmanufacturen, daß man sie von Trurillo über die Cordilleren von Thieren und selbst Menschen nach Moya-bamba tragen läßt, um sie bis nach Manäos hinunter mit Vortheil zu verkaufen. Solche Handelöbcdrnckuugen sind ungeheuere Misstände und können doch beim gegenwärtigen Finanzctat in Brasilien nie geändert werden, geben aber Anlaß zu alleu nur möglichen Defraudationen und hinterher zu allgemeiner Unzufriedenheit, welche sich besonders gegen ein ungeheueres Heer von faulen uud überflüssigen Beamten richtet. So wenigstens meinten meine menantilischen Begleiter, Unterdessen trieb auch die klcine Polizrifamilie, acht Mann hoch, ihr lnstiges Wesen. Es waren so mnntere, liebe Kinder, daß man wirklich keine wohlerzogenere finden konnte, und man ließ sich schon gern von ihnen in, Arbeiten, Beschauen und Nachdenken darüber unterbrechen. Die kleinen Mädchen wußten sich sogar mit kleinen Haudarbeiten so emsig zu beschäftigen, daß man sie auf gauze Stuuden gar nicht bemerkte. Der Nachmittag führte uns iu ein prachtvolles Insellabyrinth, in dessen vielfach gewundenen Biegungeü die ein-zclncn Wasscrabtheilungen wie Irrwege in einem englischen Park aussahen. Hicr trafen wir besonders häufig eiue große wilde Entcnart, mit hellgelbgrauem Hals, rostfarbenem Bauch uud schwarzeu Flügeln. Ich hatte daS Thier schon früher oft mit Hühnern uud Gänsen zusammen gesehen, und iu der That sollen diese Enten nngemcin leicht zahm werden und sich ganz gut in freiwilliger Gefangenschaft fortpflanzen, wobei sie sich durch ihr großes Kaliber ganz besonders empfehlen. 208 Fast um die Wette mit ihnen, nur in lustigerm Revier und viel glänzenderer Farbenpracht zogen Araras paarweise oder in kleinen Nudeln über dem Walde umher. Dazu erschien der spiegelglatte Strom selbst golden und blau gestreift. Hinter seinen feruen westlichen Waldungen ging die Sonne glühend unter. Vier Delphine tauchten neben unserm'Dampf-bootc periodisch alls und begleiteten uns hinein in den wundervollen Abend, dem eine ganz im Tieck'schen Sinne „mond-beglänzte Zanbernacht" folgte. Mitten in der Nacht ward an einem einsamen Landsitze Holz eingenommen. Als kaum einiges Morgenroth zu erkennen war, schrien uns wieder die Araras und mannichfache Papagaien wach. Affen zwitscherten und pfiffen im nahen Dickicht; von Stamm zu Stamm flatterten einzelne Penelope-arten. Itutcr dem voll entwickelten Tage ward auch dies-Thierleben stiller und verschwand fast gänzlich in der Hitze des Mittags, wie das meistens am Urwaldc so zu sein pflegt. Gegen !) Uhr passirten wir die Müuduug des PurüS, eines Flusses, der ungefähr unter 10" südl. Br. in Matto-Grasso entspringt und in nordöstlichem Laufe dem Solimöeus zueilt. Der Flnß ist von keiner solchen Ausdehnung wie viele andere Nebenflüsse des AmazonenstromS, soll aber weit hinauf schiffbar sein und mit dem Madeira mannichfach zw sammenhängen. Daß er zu einer leichten Handelsstraße nach Cuseo dienen könne, darüber habe ich uichts erfahren. Seine Mündung, einsam und ohne imposantes Aenßere, zeigt keinen bedeutenden Flnß an. Sein Wasser ist etwas dunkler und reiner als das des Solimöens. Vorlänsig ist noch kein Handelsleben auf ihm zu irg-endeiuer Ausdehnung gelangt. Je weiter wir nun durch das Insellabyrntth des Solimöens aufwärts kamen, desto mehr war das Wasser schon im Sinken begriffen, desto fester stellte sich das Land heraus. 209 Mit ihm trat auch mebr und mehr cm reges Thicrleben hervor. Immer häufiger würben die Scharen kleiner, behender Affen, die mit unbegreiflicher Gewandtheit längs der Zweige liefen, mauche mit einem Inngen beladen. Immermehr, krächzten große Araras und Ararannas in den Aesten hoher Viume oder zogen durch die reine Lnft. Oder einzelne Reiher, die kleinen, ganz wcisieu und eine hellgraue Art, schwammen durch den -Aether über den Wald dahin. Ihnen folgten, flüchtend vor dem brausenden Dampfschiffe, ganz schwarze Ibisartcn mit rother Kopfzcichnnng und rothen: Schnabel. Wenigstens erschienen mir so die Flüchtlinge. An Habichten und Ilrubns war ein Ueberslnsi; nnd in ganzen Scharen jagten sich Aleedonen und Periquitos längs der Büsche am Nande des Stroms umher, während schon ängstlicher nnd scheuer kleine Trupps von Crotophagen durch das Dickicht schlüpften. Auch einzelne Iapeiras — Ieteruöartcn -^ erblickten wir; weithin glänzte das schone schwarz nnd gelbe Federkleid der zänkischen Vögel. Kleine Züge von wilden Enten hörten kaum mehr auf, sogar Delphine folgten nus in unablässigem Auftauchen. Auch zeigten sich wieder Menschen am Flachnfcr. Eine Familie war eben zurückgekehrt znm überschwemmten Wohnort nnd ränmte einzelne angeschwemmte Sachen fort. Am Abend des 16. Juli kamen wir dicht an einigen kleinen SitioS vorbei, wo die Tapuis mit Fackeln standen und uns jnbelud grüßteu. Die braunen Gesichter, beleuchtet vom rothen Fackelschein sahen gar zn gnt ans am dunkeln Walde, in den der eben aufgehende Mond seine ersten Strahlen hineinzuwerfen sich bemühte. Ebenso bot auch der Wald viel mehr Vcgetationsformcn. Zwischen den schon so oft genannten Bäumen kam anch die schöne Nauassnpalme zum Vorschein, mit glattem, schlankem Stamm und grasartigem Blattparenchym, fast wie die Inaja- 210 palme. In vicl größerer Menge nnd stärkern Individuen, als ich ihn bisher gesehen hatte, trat der Pao Mulatto aus dem Walde hervor, ein rother, oft rindenloscr Stamm nnd anscheinend ein Blutsverwandter der Aracamyrtc. Ueberhaupt erschienen alle Stämme, je weiter wir hinaufgingen auf „dem Solimöens, höher und mächtiger zu werden. )lm Nachmittag des 17. Juli liefen wir dnrch eine enge Einfahrt, aus welcher ein dunkles Wasser hcrausfloß nnd mit dem Solimöcns, ohne sich mit ihm zu vermengen, abwärts eilte, in einen stillen, weiten Landsee ein, welchen der Fluß Coary kurz vor seiner Mündung bildet. Der Coary ist ein dem Pnrus sehr ähnlicher Flnß, welcher ebenfalls vom Solimöcns sich in südwestlicher Richtung bis etwa 10" südl. Br. erstreckt. Doch kennt man noch nichts Genaueres über seinen Lauf. Ein Mann, der zu uns an Bord kam, war 15 Tage den Strom aufwärts gegangen, ohne sein Ende zu erreichen. Ein ununterbrochener Wald deckte seine Ufer. Gleich am östlichen Rande des Binnensee«? trafen wir einige Hänser, vor denen ein gemischtes Sonntagspnbliknm faulenzte. Am Ufer lag Holz für nnser Dampfboot aufgestapelt; und sowie nnser Schiff ankam, singen die Leute am Strande langsam an, unser Brennmaterial einznschiffcn und noch langsamer an Bord zu bringen, sodaß aus unserer Holzeinschiffungsseene recht eine Faulenzerei wurde und viel Zeit wegnahm. Diese Faulenzerei theilte sich der ganzen Natnr mit. Wie ein Spiegel lag der See von Coary vor uns da. IMmer tiefer sank die Sonne gegen den Westrand des Wasserbeckens; die ganze Gegend schwamm in Farbenschmclz und Waldes-dnnst. Eine Menge Delphine spielten ans der Oberstäche des Wassers; die silbergranen Nucken ragten herans aus dem Wasser u»d machten kleine, glitzernde Strudel. Am 211 Ufer hielten Urnbus in kleiuen Abtheilungen Nachmittagsruhe anf den Bänmen. Abcr nach Sonnenuntergang ging alles in wirklichen Schlaf über. Still flammte über dem See am fernen Horizonte das Zodiakallicht Hochauf am Himmel und wetteiferte mit dem milden Glänze der Milchstraße nnter dem schönen Eternbilde des Skorpions. Hell nnd dentlich stand am Nordhimmel der Polarstern, in langsamem Gange nm-kreist von den Eeptentrioncn. Abcr sie alle zogen sich glanzlos zurück in den Himmels-räum, als der Mond anfging nnd nüt seinen hellen Strahlen tansend Thierstimmen zum seltsamsten Concert aufweckte, sodaß wir selbst fast die ganze Nacht wach gehalten wurden. Immer schöner wnrdc der Wald. Vielleicht war der Morgen des 1^. Inli der schönste, den ich anf dem Soli-möcns erlebte. Die ganze Thierwelt, Affen, Capivaris, Araras, Alccdoncn, Schwalben, Enten nnd Reiher, waren im vollsten Gange. Ein mächtiges Krokodil schwamm langsam dem Ufer zn, anf dessen hohen, weit sich hinstreckenden rothen Thonabhängen der Wald wundervolle Formen nnd Blüten entwickelte. Ungeheuere Bertholletien, behängen mit unzähligen, den Kanonenkugeln ahnlichen Früchten, welche zur Zeit der Kastanienlese beim Herunterfallen schon oft Menschen erschlugen, — neben ihnen hohe Cäsalpinicn nnd luftige Mimoseen, dnrch deren feingcsiedcrtes, dunkelgrünes Laub der blaue Himmel in schöner Färbnng hindurchschimmerte, — dazu Palmen aller Arten, auch die seltsame li-im-i«?« voMi-ioos« oder I'i>Oliiu!»li l>m-l'i^äzn ein ununterbrochenes Blühen von Leguminosen, Bignonien und ein wirkliches Vlütenmeer vom Tachi, einem schlanken, eleganten Baume mit länglichen Blättern, welcher in dichten Trauben schlanke Blütenähren trägt, in weißer, rother und brauner Farbe; — meilenweit kann man die dichten Blütengebüsche erkennen am fernen Ufer —, so sah der Solimöens am 1>?. Juli aus, prächtig, voll Leben, voll Formen, voll Farben, voll enharmonischer Musik, sei es die des Hogelrufs, oder des rauschenden Stroms, oder des vom Winde bewegten Waldes. Um Mitternacht und unter etwas bedecktem Himmel liefen wir den Teffcfluß, einen Nebenfluß des Solimöens, der, soweit man ihn fennt, mit dem Coary und Pnrus gleiche Elemente hat, aufwärts und gingen zu Anker. Auf eiuem schönen, stillen Binnensee befanden wir uns, als wir am 19. morgens das Land erkennen konnten. Auf einer Art von Halbinsel, welche vom Teffe und einen: hübschen Igarape gebildet wird, lag das Städtchen Ega oder, wie es jetzt genannt wird, Tefse vor uuS, ein recht kümmerliches kleines Nest, in dem allerdings einige Steinhäuser zu erkennen sind, dennoch aber die grauen Lehmhäuser mit Strohdach die Hauptrolle spielen. Ich ging an das Land, um mir den vom Jesuiten Samuel Fritz gegründeten Ort näher anzusehen, und fand aus, daß die. alte Stadt (5ga wirtlich recht unbedeutend wäre. Die Kirche war im Zusammenfallen, ein überkalttes Lehm-gebändc, hinter welchem man eine Art von Kapelle mit Ziegeldach angebaut hatte. Durch verschiedene Löcher und Spalten konnte man in den Tempel, den man eher für eine Maloeea von Muras als für ein Gotteshaus hätte halten mögen, hineinblicken. Inwendig war dieselbe Wüstenei, die- 213 selbe Unordnung. Die Hänser lagen in einzelnen Grnppcn nnd Straßenenden anf grüneiu Grasplätze, In den umzäunten Höfen wnchsen Orangen, Spondien nnd einzelne Kokospalmen, deren Eristenz mir anffiel, weil ich sie nie so weit vom Meere erblickt hatte. Gleich hinter der kleinen Stadt, dem stillen, grauen Dorf, der Maloeea zahmer Indianer, denn kaum mehr als diesen Namen verdient Ega oder Teffc, ist ein leicht schräg ansteigender Pasto, ein Nasenplatz, auf welchem einige gute Rinder weideten. Von einem sonstigen Leben und Bewegen in der Stadt war absolut nichts zu sehen. Noch kein Ort hatte mich so wie Teffe ill meinen Erwartungen getäuscht. Gleich hinter dem Weideplatze schließt der Wald wieder die Klärung. Melastomen, Cäsalpinien, Lantanen nnd Ru> biaeccn blühten dort; unter erstern traf ich eine schöne weiße, mit dicken Petalen uno Antheren obne Apvendir nnd doch entschieden eine wundervolle Melastome. Sonst lag der Wald im blntt-nlosen Rnhen, ganz wie die Stadt Teffc nnd alles, was zu ihr gehörte. Ich befuchte im tristtn Orte — wie ein Tonn liegt es dort zwischen den sauromatischen Scythen des Westens — einige Personen, an die ich Briefe hatte, brachte einige indianische Sachen znsammen, um sie bei meiner Rückkehr mitzunehmen, und bestellte mir noch einiges an Waffen und llten-silien dazn, was dort zn kaufen war. Schon wollte ich wieder znm tranrigen Nest Hinansgehen, als ich noch einen wehmüthigen Anblick hatte. Meine liebe Reisebegleitung, der Polizeichef von Manaos, kam mit seiner ganzen Familie daher, um von seinem neuen Wohnort nnd seinem nenen Hause Besitz zn nehmen. Im feuchten Erdgeschoß war nnr ein Zimmer mit Fliesen belegt; alle andern lokale hatten nnr dcn bloßen, feuchtkalten Erdboden. Ich erschrak förmlich über den Aufenthaltsort. 214 Und solche Versetzungen einer anständigen Familie gehen von Rio ans, während »nan dort sich ein Opernhaus für 2 — 3 Millionen Thlr. erbaut. Ich schied von den wackern Leuten mit ihren lieben Kindern, nicht ohne tiefe Bitterkeit gegen ein so abgeschmacktes, planloses Verfahren des Justizministeriums in Nio-de-Ianeiro, welches weder den Polizeichef, noch Manäos, noch Teffe kennt. Welch ein wundervoller Ort Wäre Teffc für jenen nackten Flötenbläser anf dem Oyapock gewesen! Wir gingen wieder. Nnr sechs Passagiere waren von den 1A Menschen zurückgeblieben. Ein kleiner Seitenarm des Solimöens, dessen schmuziges Wasser seltsam abstach gegen das dnnklc Wasser des Teffe uud scharf abgeschnitten davon uebcn demselben dahineilte, führte uns nach einer Stunde iu den großen Strom zurück, und wir eilten weiter dicht unter dem Walde hin. Je weiter wir nun in unserer Fahrt den Solimöens hinauffuhren, je mehr wir an den Ufern das bedeutende Zurücktreten des Wassers erkaunten, desto reger ward jegliches Thierleben. Wir kamen schon an einzelnen Prayas vorüber, Sandbänken, welche schon vom Wasser unbedeckt gelassen wurden. An solchen Prayas wimmelte es denn von lebendigen Creature». Verschiedene Reiher, Enten, Löffclganse, Strcmd-läufcr und eine Süßwassermöve, — dcnu so mnß ich jenen, Vogel nennen, der ganz im Habitns, Lebensweise und Schrei den Möven ähnlich ist, nur mit viel ftävkerm, konisch spitzem Schnabel, — trieben sich durcheinander nmher. Auf den dürren Aesten der im Sande halb vergrabenen Treibholzdäume saßen Urubus uud Habichte, letztere in drei bis vier Arten. Eine schöne rostfarbige Fasanenart mit hübscher Federkrone flatterte von Busch zu Busch, Penelopenarten flogen durch die Zweige der Sumaumeiras, Affen huschten in unglaub- 215 lichcr Gelenkigkeit davon unter heftigem Zwitschern und Fratzcnschneiden, Schildkröten sonnten sich auf umgestürzten Baumstämmen oder trieben schlafend ans der Oberfläche des Wassers. Mächtige Alligatoren vom allerschcnßlichstm Ans-sehen schwammen bis in unsere nächste Nähe, kaum von schwarzen, halbverfaulten Banmstämmcn zu unterscheiden. Mit ruhiger Dreistigkeit bewegten sie sich, ohne vom Dampft boot die geringste Notiz zu nehmen, langsam hin und her, oft mit den starken Kiefern des gähnenden Nachens zuschnappend wie die Hunde. Bald ragt mehr der Kopf, bald mehr der gewölbte Rücken herans aus dem Wasser; bald Kopf und Schwanz zu gleicher Zeit. Gewiß waren sie an 12 Fuß lang. Von allen Thieren ist keins so gefürchtet in seinem Element, dem Wasser, wie der Alligator. Vor der Unze hat niemand Furcht. An eine Gefahr von der Giboia, der Riesenschlange, denkt niemand. Man hält sie sogar in Parä in den Häusern, nm Ratten zu fangen. Aber ein Iaeare ist immer ein furchtbares Thier, und nnr zu viele Beispiele cristiren, daß solch Monstrum Menschen umbrachte, in Stücke zerriß und verschlang. Mehr und mehr konnten wir wahrnehmen, wie bedeutend der Strom bereits sank. Je mehr aber das Wasser zurücktrat, desto mehr riß es anch den Wald nach sich. Solange es hoch bis in das Dickicht hineinstand, solange es noch einen Gegendruck ausübte gegen die steilen Wände seines eigentlichen Bettes, solange wurden anch noch die Bäume und Gebüsche am Rande gehalten. Sowie aber die Flnt niedriger ward, unter den Rand des einfassenden Ufers trat und mittels der Strömung gewissermaßen einsägend und unterminirend den Erdboden fortriß, stürzten auch die Waldbäume in ganzen Reihen hinunter in den Flnß, während noch ebenso viele Stämme zum Sturze bereit standen. Oft 216 nickten sic schon schräg vornüber. Einmal sal) ich cine Gruppe von fünf wundervollen Iavaripalmen in malerischer, aber lebensgefährlicher Schwebe über dem Nasser hängen, nm jeden Augenblick hineiuzusinken. Um ^l Uhr nachmittags (20. Inli) kamen wir an der kanm im Walde und zwischen der Inselwelt erkennbaren Mündung deS Iuruaflusses vorbei, riues Flusses, der mit dem Teffe ganz gleiche Elemente zu haben scheint nnd noch einer genauern Untersuchung bedarf, wie alle seine Flnßnach-barn. Um 10 Uhr abends liefen wir unter einiger Muhe in einen Seitenarm des Solinwens ein, der so eng war, daß er wie ein Corridor im Gebüsche lag. Dennoch fand unser kleiner Dampfer seinen Neg, und wir gingen zu Anker, um Brennmaterial einzunehmen. Der unbedeutende Ort, an dessen Ufer wir uns befanden, hieß Foute Boa. Anfangs konnten wir nichts von ihm erkennen. Als aber der Mond hinter dem düstern Hochwalde aufging, beschien er eine sehr kleine, bescheidene Povoacäo (Völkerschaft), welche uns gütigerweise mit einer ungeheuern Menge von Mosauiten — Carapanä — beglückte, sodaß wir Gott dankten, als wir nach Mitternacht wieder fortgingen nnd wenigstens einen Theil unserer Hospitanten los winden, obwol der bleibende Nest noch scheußlich geuug war. Doch sind diese Carapana gar nichts gegen eine andere Plage am Solinwcns. Wenn man iu einer Ortschaft des genannten Flusscs etwas im Grase umhergeht und eben an Bord zurückgekehrt ist, so fühlt mau gar bald nm die Füße und Knöchel ein leises Jucken und bald ein marterndes Brennen, welches ein höchst heftiges Kratzen nöthig macht. Sieht man nach, so entdeckt man mit Mühe oder läßt sich zeigen eine Menge ganz feiner, rother Pünktchen, die zum Theil in dichten Gruppeu nebeneinander sich befinden, zum 217 Theil über die ganze Haut zerstreut sind. Das sind leine Stiche, sondern ebenso viel kleine Milben, kanm etwas größer als die wirklichen Earcoptesmilbcn, die sich überall in die Epidermis einnisteln und sich über oen ganzen Körper bis zn den Achseln hinanf verbreiten. Aus jedem Stich wird eine kleine Pustel, und man kann es kaum ohne Kratzen ertragen. Zuletzt glaubt man gar die Masern zn haben. Ich hatte mir in Teffe eine große Menge dieser Mucnim, wie die rothen Milben heißen, aufgesackt, und sie machten sich heftig bemerkbar. Besonders schlimm ging es mir am 21. Juli; ich war ans dem ganzen Körper mit kleinen Masern bedeckt, fieberte und hätte mich gern zu Bett gelegt, wenn dort nicht die ganze geflügelte Schar von Borachndos, Finendos, Maroim und die schlimmsten von allen, die Cara-pancis, schon auf mich gelauert hätten. Das sind kleine mikroskopische Inconvenienzen, die eine Amazonenstromfahrt recht pikant machen können, znmal an sogenannten schönen Tagen, wo kein Wind weht und kein Regenschauer das fliegende Ungeziefer niederschlägt. Am 22. Juli hatten wir solch einen reinigenden Negen-stmm von einer Viertelstunde; und wir hätten auf eine ruhige Nacht rechnen können, wenn wir nicht gegen Sonnenuntergang einen neuen Anhaltepunkt erreicht hätten, nachdem wir in der Nackt vorher um 12 Uhr die Mündung des Inttay passirt waren. Der Iuttay ist eiu größerer Nebenfluß des Solimöens, als die drei oben genannten Flüsse Inrua, Tcffc und Eoary, wenn er auch, soweit man ihn kennt, mit ihnen ziemlich gleiche Elemente hat. Unbedingt soll er aber tiefer südwestlich entspringen und selbst von einigen Cordillercnauslänfern Zuflüsse bekommen, wie denn schon im Jahre 1500 Pedro de Orsua von Pern aus den Flnß hinunterfuhr, von ihm in den Inrua übergiug und so den Solimöens erreichte. Auf 218 der Rückkehr ward er von seinen Offizieren ermordet. Allerdings mag der Intlay eine schöne Zuknnft bieten, die indeß für die nächsten Dceennien ebenso imaginär ist wie die jener drei andern Nebenströme zusammengenommen, denn an allen fehlt rege Arbeit. Wir kamen gegen Sonnemmtergang zu einer hübschen Bncht, in welche ein stiller Waldfluß sich kanm sichtlich ergoß. Eine Fahrt von einigen Minuten ans diesem kleinen Flnsse dunkeln Wassers, welcher sich in verschiedenen Nebenarmen tiefer nnter den überhangenden Wald hineinerstreckte in das Dickicht, führte uns zn einer Lichtnng, in deren Mitte anf einer sandigen Erhebung des Bodens ein allerliebstes Fischerdorf, Tonantins genannt nach dem Flusse, woran es liegt, vor nns sich ausdehnte. Eine kleine, einfache Kirche und einige Hütten, alles grau in Hellgran oder weiß, bildeten die ganze Herrlichkeit, aber die liebliche Stille des dunkeln Flusses, des dämmernden Waldes, des aufleuchtenden Abcndroths über dem schwarzen Forst und dazwischen die einfache, braune Tapniwelt mit ihrer Freude über das Kommen des Dampfboots, das alles machte den Flecken Tonantins zu einem tiefromantischen Waldasyl. Wer aber gesonnen sein sollte, sich irgendeiner romantischen Idee hinzugeben am stillen Tonantins, der hüte sich vor den Caraftanäs. Sie zerstören alle bessern Regungen und Empfindungen; und man kann vor Abwehr der ungeheuer zahlreichen Thiere wirklich nichts anfangen. Wenn man dazu noch mit Mucuimpnsteln übersäet ist, wie ich es am Abend des 22. Juli war, so kann man schon etwas die Geduld verlieren und sich herauswünschen aus den nächsten Uferdi stritten. Der Tonantins streckt sich tief nördlich und nordwestlich in den Wald hinein, wo er mit einem Arme des Rio-Iapurä zusammenhängt, eines Nebenflusses auf dem linken Ufer des 219 Solimoens, über dessen vielfache Gliederung und Verbindung mit dem Solimoens uud dem Nio-Negro wir weiter unten einiges sagen werden. Leider ließ uns unser Kapitän in Tonantins das Ungeziefer sehr gründlich kennen lernen. Wir blieben die ganze Nacht im Flusse liegen und dankten Gott, als wir am nach' sten Morgeu um . Juli das Phänomen eines Wasserhorizonts darbot, immer noch ein Meer süßen Wassers im fernen Westen! Wir sahen zwei kleine verlassene Flöße an einer Praya gestrandet liegen, Flöße, die eine ganz eigene Bedeutung haben. Am Huallaga, jenem peruanischen Nebenstuß des Soli-möens, befindet sich ein gewaltiges Salzstcinlager, welches für die ganze Gegend, namentlich für die Einsalznng der Pirarucu von großer Wichtigkeit ist. Man bringt das Salz auf breiten Flößen, auf denen man wieder eine mehrere Fuß über dem Floß erhabene Unterlage gemacht hat, den Fluß hinunter bis zu brasilianischem Boden, wo man das Salz abladet und dann das Floß seinem Wcllenschicksal überläßt. Ueber den Huallaga selbst werden wir weiter unten noch einiges sagen. Um 4 Uhr nachmittags passirten wir ein auf dem südlichen, rechten Ufer des Solimoens liegendes Vorwerk Cava-cete, wo etwa zehn Hänschen nebeneinander liegen mochten, eine sehr urzustnndliche Anlage, welche noch eine schaffende und fördernde Hand verlangt. Gleich nach 7 Uhr, als schon die volle Nacht eingetreten war, sahen wir südlich von uns die Mündung cineS Flusses aus dem dunkelu Ufer hervorschimmern, die Mündung des Grenzflnsses Iavary, und bald daranf anf der entgegengesetzten Seite anf einer hoch liegenden Lichtling Fackeln und Laternen glänzen. Unser Dampfer hielt näher an das Ufer heran; der Dampf branste herans, und der Anker rollte in 227 die Tiefe hinunter. Ich war am fernsten Westpunkt meiner Reise, au ihrem Endpunkt angekommen; wir ankerten unter Tabatiuga, nachdem ich von Parä bis dorthin ziemlich genan 500 dentschc Meilen Flußschiffahrt gemacht hatte. Und da nahm es mich selbst wunder, daß bei dem gewaltigen Fortströmen des riesigen Flnsses meine Barometer-mcssung ein so geringes Resnltat seines Gesälles gab. Ich hatte in Bahia und Petnambueo und nachher noch wieder in Para mein Aneroidbarometer genan beobachtet. >'Es ist ja bekannt, daß, während Barometerstände im Norden mit einer erstaunlichen Leichtigkeit auf- und abfliegen, am Acquator und besonders in nächster Nähe der Küste eine höchst auffallende Regelmäßigkeit stattfindet, die jeden Beobachter in Erstaunen seyt. In Bahia uno Peruambnco stand meiu Barometer morgens um 10 Uhr 15 Minuten auf 75,9 — am Nachmittag 4 Uhr 15 Minuten auf 75,5 der französischen Meterseala. In.Vahia war dieser Stand ein ganz klein wenig niedriger, denn ich wohnte dort etwa 4<» Fuß höher als in Pernam-bneo. In Parä, aus dem uumittelbareu Wasserniveau iu unserer Kajüte gab mein Barometer nm 10 Uhr 15 Minuten 75,90. In derselben Kajüte ergab es auf dein Amazonenstrom unter der Höhe von Tabatinga um dieselbe Stunde und Minute 75,5»), ein Ergebniß, woraus sich uach meiner Rechnung ein Gefalle des Stroms vou Tabatiuga bis Parä von kaum ^00 Fuß herausstellcu würde. Meine Berechnung mag falsch sein, meine Beobachtnng ist es nicht. Bei dieser Beobachtung in Tabatinga war mir noch das auffallend, daß, während an der Meeresküste meiu Barometer zwischen 10 Uhr 15 Minuten und 4 Uhr 15 Minuten mit wuuderbarer Regelmäßigkeit durch volle vier Striche meines Instruments 15" 328 hin - und herging, es das in Tabatinga nnr dnrch drei Striche that, aber ebenfalls mit voller, unerschütterlicher Gleichmäßigkeit, sodas; man an beiden Stellen nach dem Barometerstand einigermaßen die Zeit hätte bestimmen können. Sechstes Kapitel. Tabatinga und die Peruanische Grenze. — Handel daselbst. — Nück-kcyr über S.-Paulo und Tesf^ nach ManäoS. ^auln waren wir zn Anker gegangen, als verschiedene Canots vom Ufer zn nns herankamen. Bald hatten sich etwa U) Menschen in unserer Kajüte eingefunden, Brasilianer, Peruaner, Franzosen; ein Ungar fcmd sich ein, ein Dentscher oder eigentlich ein Rigaer, in Gnmbinnen erzogen, ein Nordamerikaner nnd verschiedene andere. So hatte die neue Menscheugrnppe mit Bärten von allen Farben, vom Fuchsroth bis znm tiefen Schwarz, einen allerdings interessanten, aber keineswegs angenehmen Anstrich an sich; sie erinnerte mich an mehr als eine Grenzgrnvve am Urugnay. Als wir nnn an unserm gemeinsamen, hellcrlenchteten Theetisch saßen, hatte ich reichlich Gelegenheit, physiognomische Studien zn machen, nnd unaufhörlich warf ich nur die Frage anf: „Was kann doch nur all diese Menschen an diese fernen Grenzen zusammengeführt haben?" Falsches Geld, verbotene Sassaparilleansfnhr, daS Verunglücken von zwei Canots, politische Verklatschungen bildeten 230 das Theegespräch; cine oder andere Mordgeschichte kam auch vor, bis nach W Ubr das ganze Corps sich verzog und an das Ufer zurückkehrte. Lange kämpfte am folgenden Morgen die Sonne mit den Nebeln, welche Land und Flnß bedeckten, ehe das Panorama im fernsten Westen meiner ganzen Neise zu erkennen war und meine gespannte Aufmerksamkeit befriedigte. Einen andern Anstrich hatte vor allem der Solimöens, der vom Icwary aufwärts, also in Peru, Maranhäo genannt wird, angenommen. Zwar bekundete er noch immer den mächtigen Süßwasserstrom, indem er in stillen, grauen Wirbeln und in bedeutender Tiefe, dahinschoß; aber Ssme Breite war höchst bedeutend zusammengeschmolzen; wir schätzten ihn nicht über 300 Klafter breit bei Z0 Klafter Tiefe. Am Ufer selbst lagen etwa 10 — 12 große (5anots oder Igaritcs. Eine seltsam aussehende Menschenmenge, etwa 30—40 Köpfe, stand am Ufer und ging ab und zu, einzelne Waarenballen bringend und forttragend. Etwa 30 Fnß lwch über dem Strande lag nnn Tabatinga, selbst, ein leibhaftiges 51«!!Ni»^!üm 0!' ilw l' litt'n»! <1« ^.-l.a>'<,>Ua genannt, hat einen sehr beschwerlichen Weg über die Cordilleren zum Etilleu Oeean. Die Hauptstadt Moyabamba hat deswegen schon seit einiger Zeit Verbindungen mit dem Osten in das Gebiet des Amazonenstroms hinein angeknüpft und bezieht Waaren von Para, wie der Ort denn mannichfache Natur-produete und Industriesachcn nach dort hinabschickt. 23« Zum Mittelpunkt des dadurch entstehenden Austausches zwischen einer bedeutenden peruanischen Provinz und der brasilianischen Provinz Parä schien Nanta, dein Ginfall des Ucayali in den Solimocns fast gerade gegenüber, sich gestalten zu wollen. Die brasilianischen Dampfschiffe gingen bis dort, aber Peru kam ihnen, wie das contractmäßig stipulirt war, mit seinen Dampfbooten nicht entgegen, nnd so beschränkte sich die Fahrt der erstern nur auf Tabatinga und gab die Weiterreise in Peru hineilt ganz auf, wie ich das schon vorhin angeführt habe. Aber der eingeleitete nnd bestehende Handel konnte nicht aufgegeben werden. Und da die brasilianische Linie, welche alle zwei Monate ein Dampfboot von Manaos nach Tabatinga hinaufschickt, mit großer Regelmäßigkeit verfährt, so bildet das Ankommen des Packetschiffs eine eigenthümliche Krisis im Leben der Handelsleute von Peru und von Tabatinga. In den letzten Tagen vor Auknnft des Dampfboots kommt ein Igaritc nach dein andern den Solimöens hinunter; sie bringen (5hilehüte nud Eassaparille. Anf dem todten Ufer am Fort beginnt eine eigenthümliche Lebendigkeit. Zehn, zwölf und noch mehr Fahrzeuge liegen längs des Strandes. Die Bemannungen derselben, peruanische Indianer von riesigen Kräften, schlagen am Ufer ihre Zelte nachts auf, wäh-reud die Händler selbst in einem „offenen Hanse der Nation" unter ihren Mosaniteiros ihr Lager macheu und dort in wunderlichen Grnppcn einquartiert sind ganz nach Art der orientatischen Karavanserais. Wenn nnn das Dampfboot kommt, so gehen die Peruaner sogleich an Bord, um zu sehen, wer kommt und was er mitbringt. Am folgenden Tage geht dann der Handel selbst los mit voller Lebhaftigkeit; denn das Dampfboot bleibt nur drei Tage, in welcheu alle Geschäfte abgemacht werden müssen. 237 Da wird nun fast gleichzeitig gelöscht und geladen; der englische Baumwollcnballen weicht dem Packen Chilebüte, und die Sassaparillcrolle verdrängt das Weinfaß. Man redet, wenn auch nicht über 20 handelnde Personen zusammenkommen mögen, spanisch, portugiesisch, englisch, französisch und selbst deutsch; man feilscht und dingt auf die tollste Weise, und zuletzt wird man noch am pernamschen Metallgeld uneinig; denn es ist so verfälscht, so ganz falsch znm Theil, daß man in Tabatinga sehr auf seiner Hut fein muß beim Empfangen von Metallgeld ans Pern, welches überhaupt keinen guten Nnf am Amazonenstrom zu besitzen scheint. Unterdessen schleppen die vernanischen Indianer, Menschen von athletischen Proportionen, Packen und Kisten vom Flusse hinauf und Ballen und Rollen von Sassaparille und Tuemu-maqneiras wieder hinab. Sie sprechen Kidschuah und Inka durcheinander, da;u noch manchmal ein eigenes Giria, sodaß, wer nur europäische Sprachen spricht, bei ihnen völlig zu kurz kommt. Ein Eurakol> ü'ipl,-noi'vj» erinnerten. Stattlich wuchs hier auch mit Alpinien um die Wette das elegante Pfeilgras; doch sollte ich das am folgcndcn Tage in seiner vollen Entwickelung nnd in nächster Nähe sehen. Wir hatten am folgenden Tage eine kleine Canot-fahrt l'iue halbe Meile den Fluß hinauf verabredet, welche wir auch ausführte!,, nm das letzte brasilianische Gehöft zn besuchen. Dicht nnter dem Walde fuhren wir hin, an welchem line halbverwachsene Lichtung eine ehemalige Alvcia der Ti-lunas bezeichnet. Doch ist alles wieder verödet. Die Indianer zogen sich znrück vor der rauhen Arbeit ihrer portngic-slschen Zwingherren; und nnr einige wundervolle Popnnha-palmen bezeichnen die Stelle, wo eine beginnende Cultur aufdämmerte im fernsten Westen. Weiter hinauf und gerade an der Grenze liegt denn 240 S.-Antonio, cine kleine, ganz nette Anlage von einem alten Portugiesen, dem ein fleißiger portugiesischer Schwiegersohn zur Seite steht. Nutzholz, Sassaparillegcwiun und einige Viehzucht ernährt die Besitzer. Auch hier steht in schönen, hohen Exemplaren die edle Pirijaopalme oder Popnnha, sorgsam gepflegt, wie die Kokospalmen am Meeresstrande, wegen ihrer mehligen, nährenden Früchte und wie jene angesehen als ein Baum des Friedens, ves Segens und der Gastlichkeit. . Das Merkwürdigste auf der kleinen Pflanzung von S.Antonio aber war mir der alte Besitzer, Ioaquim Gomez das Neves. Als er hörte, daß ich in Rio bekannt wäre, fragte er mich sehr angelegentlich, ob der D>. Riedel noch lebte, und erzählte mir unn, daß er als Führer bei der bekannten von Langsdorf'schen Erpedition gewesen und besonders dem D,'. Niedel bei dessen Untersuchnng des Madeira gedient hätte. Auch meines verstorbenen lieben Freundes Moritz Nugendas erinnerte er sich mit großer Theilnahme, sodaß ich gern einige Minuten länger beim Alten blieb, als wir anfangs vorhatten. Seltsam genng aber erschien es mir, daß mir der letzte Mensch im fernsten Westen von Brasilien so mannichfaltige Reminiscenzen an liebe Freunde erwecken sollte, die nach gemeinschaftlicher Reise vom Schicksale wieder so weit anseinan-der gesprengt worden waren. Beim Herabsteigcn von der Klärung der Besitznng bekam ich noch einen Begriff von dem ungeheuern Anschwellen des Stroms zur Ieit seiner vollen Flut. Ziemlich oben am Ab> hange, reichlich 20 Fuß über dem Spiegel des Wassers, lag ein Floß, anf welchem Indianer vor wenigen Wochen dem alten Neves und seinem Schwiegersohn Eassaparille gebracht hatten. Man hatte es dort angebunden und dann als werthlos liegen lassen, Trotz der Höhe aber, an der es lag, 241 sagte mir der Portugiese, würde der Fluß noch fast ebenso viel fallen. Es sind das wahrhaft ungeheuere Wechsel in den Wasserstäuden. Nie aber war auch der Strom so hoch geschwollen gewesen als im Jahre 1859, wo ich ilm besuchte. Nur bei so machtigem Nachlassen eines Wasserdruckes begreift man, daß von einzelnen Waldbarancos weite Strecken von 40—60 Fuß Dicke und ebenso viel Höhe mit dem Walde auf ihnen in den Strom hinabstürzen uud gar oft die gerade unter ihnen Dahinfahrenden in den Abgrund rcissen uud dort verschwinden macheu, ohne daß eine Spur davon wieder zum Vorschein kommt. Fast ebenso tückisch sind einzelne Sandbänke am Flusse zur Zeit der sogenannten Prayas. Sicher und wohlgemuth sind manchmal die Leute ans ihnen mit dem Trocknen der Pirarueu oder mit Gewinnung der i>limwi^> ck> lüilgru.^n beschäftigt, bis der plötzliche Ruf: kmdgrog! Lml»»!-««! alle mit ihrcu Geräthschaften znm Canot hintreibt. Die Sandbank fangt nämlich an zu wanken uud laugsam zu versiukeu; sie scheint im Flusse zu schmelzen und ist bald gauz verschwunden in eiuer Tiefe von vielen Klaftern. Beim Hinabfahren von S.-Antonio nach Tabatinga sah ich nun an einem Nalovorsvnmge das schou oft erwähnte Pfeilgras bcfouders hoch wachseu. Ich ließ ein Ercmftlar abhaueu uud fand die Lauge des nackteu Halmes bis zum zweizeiligen Blattfächer 28 Fnß hoch und die ganze Stanuu> bilduug den Vambuseu vollkommen ähnlich, — vielleicht von allen Gräsern dasjenige, welches die Verwandtschaft mit den Palmen auch im Habitus am meisten herausstellt. Der kleiuc Wasferstrich, den wir durchfuhreu, ist deswegen bemerkenswert!), weil er einen Theil der Grenzlinie zwischen Peru und Brasilien bildet. Vom 11." südl. Vr. au bildet der Iavary die Grenze zwischcu beideu Staaten. Von seiner Mündung geht dann Ave-L allem ant. Nord-Brasilien. II. 16 242 die Grenzlinie gerade nördlich. Da nun Tabatinga oberhalb der Iavarymündung liegt, so haben einige gemeint, daß die Grenzbcstimmnng unsicher und für Tabatinga fraglich sci. Das ist sie keineswegs. Wer mitten im Strom zwischen dem Iavary nnd Tabatinga vor Anker liegt, sieht abends den Nordstern gerade mitten über dem Flusse aufwärts stehen. Oberhalb S.-An-tonio macht der Strom eine Wendung westlich, wo die Grenze in den Wald einschneidet. Dann macht der Soli-möcns ein ziemlich bedeutendes Ende in gerader Richtung gegen Norden aufwärts, wo Loretto liegt. Dieses ist gan; rein peruanisches Eigenthum. Tabatinga abcr ist unbedingt brasilianisch. Die von Süden nach Norden streichende Grenzlinie schneidet den Rio-Iapnra gerade in der Mündung des Nw-Apa-puri in den Iapnra und geht durch den Aequator hindurch bis auf die Breite der Grenzftstung S.>CarloS am Nio-Negro, wo jene Grenzlinie sich östlich wendet. Die Peruaner behaupten, daß die Grenzlinie unmittelbar an und hinter Tabatinga vom Flusse in den Wald hineingehe. Das ist aber falsch. Unbedingt gehört S.-Antonio, jenes lchte Gehöft, mit seinem ganzen Gebiete noch zu Brasilien. Wer sich, wie schon gesagt, darüber belehren will, der bleibe in einen: Canot an sternenhellem Abend mitten im Strome liegen und schaue nach dem Nordstern, dem unwandelbaren, und die Grenzlinie ergibt sich dort ganz von selbst. Sonst wäre von Tabatinga kaum etwas weiteres zu sagen. Die wenigen dort in einem oder zwei gemeinschaftlichen Ranchos zusammenwohnenden, Timnas, deren wunderlichen Haushalt ich besuchte, bieten ganz dieselben Anschauungen wie alle andern Tapuis. Es sind stille, indifferente Leute, ganz wie ihre Nahrung — Fische und Schildkröten — das 243 mit sich bringt. Der Geistliche, der sie überwacht, gab ihnen das beste Zcugniß. Doch sind diese Cnrümis (Menschen) ebenso faul wie alle andern am Amazonenstrom, nnd etwas Bedeutendes wird nie aus ihnen. Eines höchst originellen Hausraths muß ich bei ihnen noch erwähnen, dessen Nutzen unverkennbar ist. In Taba-tinga wimmelt es von Ratten, welche sich dort an der Grenze, als einem kleinen Stapelplatz, zusammenfinden, um von Pi-rarucu u. s. w. zu leben. Die Ticunas aber haben keine Schränke, um ihre kleinen Proviante zu wabren vor den Banditen, welche mir viel heller vorkommen als die gewöhnlichen Ratten. Wenn sie ihre kleinen Vorräthe auch an Tucumfaden aufhängen, so klettern die Ratten dennoch an den Wänden und Dächern umher und steigen am Faden zum Proviant wieder hinab. Da greifen denn vie Ticnnas zum allcreinfachsten Mittel. Sie durchbohren ein Schildkrötenschild gerade iu der Mitte, sodaß es horizontal an einem durchgezogenen Stricke häugt. Unter diesen Schntzdeckel hängen sie den geringen Cßvorrath auf. Die Ratten können nun zwar am Dache hinauf uud an dem Strick weiter bis zur Schildkrötenwölbung hiuabklettcrn; von dort aber rutschen sie, sowie sie sich dem Rande nähern, herab und fallen zu Boden, ohne au den Proviant kommen zu können. Das Verfahren ist ungemein probat. Noch ein anderer Einwohner von Tabatinga war mir höchst bemerkenswert!), wenn ich auch nur vier Individuen davon sah. Das ist eine schwarze, metallglünzcude Psophia mit weißer Kreuzgegend. Die Psophia, die ich im Oberland von Sta.-Catharina, bei der Estancia dos Indios antraf, war fast weiß mit silbcrgraucn Flügeln uud ebensolchen! Metallschim-wer. Die Species in Tabatinga aber war dunkel schwarz und der nach innen auf dem Kreuz aufliegende Theil der 16* 244 Flügel schneeweiß, sodaß ein weißer Schild mit scharfer Abgrenzung auf dem Kreuz zu liegen scheint, wodurch dieser seltsame Waldvogel vollkommen gekennzeichnet ist. Die Federn sind ungemein locker und wenig zusammenhängend, ja der Bart der Federn ist ziemlich haarartig, sodaß das Thier beinahe einem kleinen Kasuar gleicht. Am seltsamsten ist sein Geschrei. Er schreit vier bis fünfmal ziemlich gellend auf, doch nicht mit einer Erspiration, sondern mit einer Inspiration, wobei sich der ganze Vogel dick aufbläht. Dann läßt er den Schnabel offen, und die eingeathmete Luft streicht mit einem lauten, lauggedehnten Knurren wieder heraus unter so vollkonnnen tympauischcm Geräusch, daß sie aus den Eingeweiden zu kommen scheint. Und wirklich ist dem beinahe so. Selbst die Einwohner von Tabatinga sagten mir, daß die Thiere eine lange, gewundene Luftröhre hätten, die längs des Bauches bis tief nach hinten ginge, eine Beobachtung, die vollkommen richtig ist. Der Vogel heißt Iaquimi bei den Eingeborenen. Am 28. rüstete sich nun alles zur Abreise. Der „Taba-tiuga" ward beladeu, sodaß er kaum aus dem Flusse herausschaute. Auch die Peruaner, die mit ihren Canots den Fluß von Peru heruntergekommen waren, luden Waaren ein, um wieder nach Peru hinaufzugehen. Unter diesen den Fluß noch weiter hinaufgehenden befanden sich auch einige meiner Reisegefährten, ein Franzose, ein Brasilianer und besonders ein Spanier, Herr Murietta aus Viscaya, ein höchst bescheidener, wohlerzogener Mann, wie man solche nicht überall trifft. Seit einiger Zeit ansässig in Monabamba, gab er mir mannichfaltigc Belehrung über das dortige Leben uud die Handelsverhältuisse. Letztere bieten ungemeinc Schwierigkeiten. Da kein Dampfboot mehr nach Nauta geht, so beginnt schon ill Ta- 245 bating« eine mühsame Canotschiffahrt unter Beschwerden, Entbehrungen und Gefahren aller Art. Nach vielen Wochen erreicht man den Huallaga, welchen man bis Inrimaguas hinauffährt. Hier mündet der Paranapura in den Huallaga. Diesen geht man dann hinauf, bis cr sich in zwei Arme theilt, den nördlichern, Danayacn, und den südlichern, Cachi-yacu. Letztern verfolgt man bis zum Ort Balsaporto. Von dort beginnt nun die größte Schwierigkeit. Maulthiere hat man nicht. Sie würden auch auf einzelnen Ge-birgsstreckcn gar nicht fortkommen. Nnr Menschen können noch jene Pfade wandern. »Die Indianer der Gegend dienen für eine bestimmte Tare als Lastträger. Sie tragen 78— 80 Pfd. über die Gebirge. Zu einem Waarentransport gc-brancht ein Kaufmann oft 3—400 Indianer. Hier ist der berüchtigte Paß von Pumayacn. Das ,,Löwenwasser" — l>mmi^>ou — tobt in einem brausenden Wasserfalle hinab in schwindelnde Tiefe und läßt auf nassem Felsgrat nur 16 — 18 Zoll Breite zum Durchgehen. Mit bloßen Füßen betritt man den Weg; und wenn sich Neulinge unter den Wandernden befinden, so bekommen sie in jede Hand einen Strick und werden so von Indianern geleitet. Doch sollen viele schon dort umgekehrt sein. Man erzählte mir von einem Reisenden, der zwar die Schrecken, die die wilde Natnr einstößt, überwand, aber hinterher davon verrückt ward. Selbst muthige Reisende sind dort wieder umgekehrt. Nach einer Wanderung von fünf Tagen erreicht man Moyabamba. Wer von dort weiter westlich will, geht über Ehachapoyos, passirt den Maranhäo bei Valzas und geht über Caramarea in den Hocheordilleren nach Trurillo hinab. Von ChachapoyoS an findet man schon Manlthiere und leichtere Reise. Das war mein Reiseplan uoch in Pernambuco. Doch 246 verboten mir die drohenden politischen Unwetter aus Europa und frcnndliche Familiennachrichten eine längere Trennung von Europa. Zndcm ist Peru, seitdem man dort die Sklaven freigelassen hat, ein Banditenland geworden, wo man vor Räubern keineswegs sicher ist, zumal in Gebirgsgegenden, in denen edles Metall vorkommt. Man kann dort ziemlich bei jedem Reisenden Metallwerth voraussetzen, und wenn er nicht in größerer Begleitung reist, so kann er seine Reise theuer genug bezahlen. In der Nähe von Lima soll es nicht besser sein. Um l> Uhr abends sollten wir mit nnserm Tabatinga wieder aufbrechen. So schaffte ich denn meine Sachen, eine hübsche zoologische Sammlung von 300 Eremplaren, Waffen n. s. w., an Bord uud mich selbst dazn. Letzteres aber war gar nicht so leicht. Freilich ist Tabatinga nnr klein; aber der ganze Ort und dazn noch die Peruaner, begleiten die Davonreisenden bis auf das Schiff. Der Commandant, der Geistliche, die Kaufleute, alles giug mit. Beim Scheiden trat man sich auf die Füße, erwürgte sich iu Umarmungen und drückte sich wund. Nachdem dadurch die Abfahrt um eine volle Stnnde aufgehalten war, flog nach der allerletzten Abschiedsvorstellung nnd dem definitiven Davonrudern der Begleitenden und Rückkehr ans Ufer, der Dampfer den Strom abwärts. Am folgenden Morgen wollten die Peruaner ebenfalls aufbrecheu, um gegen die Mitte des October, also in 10—11 Wochen, Moyabamba zu erreichen. Und für volle acht Wochen bildet die Grenzfestung Tabatinga einen todtenstillen Kirchhof, den einsamstem Verbannungsort. Mit Dampf und Strom liefen wir 14 Knoten nnd erreichten schon am nächsten Morgen S.-Panlo, und in der folgenden Nacht Tonantins, ohne in den kleinen Fluß einzulaufen, sodaß wir während der Nacht weniger vom Ungeziefer litten. 247 Eine besonders hübsche Scene bot uns am folgenden Nachmittag (30. Inli) der Iuttay. Ich weiß nicht, aus welchem Grunde unser Commandant eine kleiue Meile den Fluß hinauflief. Kanm irgendwo konnte man dichtem Wald und prächtigere Iavaripalmengruppen sehen. Manche Pal-mcnwedel ragten hoch über dem dichten Waldgebüsche hervor, so luftig und leicht, wie man keine andere Pflanzenform finden kann. Auch wundervolle Enterpen kamen vor, in der Betäubung den Inajapalmcn ganz ähnlich, ein zierlich flatterndes Grasftarenchym auf langsam sich wiegendem Säulenschaft. Wir hielten vor einem neuen Gehöft. Aber kein Mensch kam zum Vorschein. Wahrscheinlich waren die indianischen Bewohner aus Schrecken vor dem Dampfboot, was sonst nie in diese Gegend kommt, in den Wald hineingelaufen. Etwas weiter unterwärts und auf der entgegengesetzten Seite gingen eimgc kleine Nebenflüsse in das dichte Gebüsch hinein. Unser Steuermann ging mit einem Passagier ans Tonantins, um desicn willen die ganze Procedur im Iuttay vorgenommen zu sein schien, einen dieser kleinen Flüsse hinauf, während ein Canot aus einem andern Waldwege, einem Igarapc, kam, um einige Fracht zur Mitnahme zu bringen, welche jedoch nicht angenommen werden konnte. Wunderlich geuug erschien es mir, daß selbst in jenen einsamen Revieren Menschen wohnten. Unterdeß kam über der tiefen, stillen Wald- nnd Flußeinsamkeit ein duukel schwarzes Gewitter langsam einhcrgezogen. Schon goß es in Strömen, als unser Boot zurückkam. Kaum hatte man Zeit, das kleine Fahrzeug aufzuhissen, als ein gewaltiges Donnerwetter losbrach. Langsam zogen die Wolkenmasscn über uns hinweg; wir liefen den Iuttay hinunter und bald befaudeu wir uns wieder in einer heitern Nacht mitten anf dem Solimöens und in hastiger Stromfahrt. 248 Mitten in der Nacht erreichten wir Fönte Boa und verließen es vor Tagesanbruch. Der AI. Juli war besonders schön. Schon zu oft habe ich von dem kleinen Treiben der braunen Menschenwelt auf den Prayas, von der Thierwclt in der Luft und im Wasser und dem stillen Pflanzenleben am Waldesrande geredet, als daß ich noch einmal erzählen dürfte, wie alles im schönsten Verein am klaren Sonntags-uachmittag sich darstellte. Wir liefen in einen langen, schmalen Parana ein, der wie eine Wasscrallee im Walde sich ansdehnte. Rechts von uns bildete das Ufer hohe Baraneos von buntfarbigem Thon, oft 70^80 Fnß hoch. Fernhin schimmerten die schrägcu, fast lothrechten Abhänge, über denen der Wald weit hinaushing. An manchen Stellen waren mächtige Thonmassen mit großen Waldparcellen halb hinnnter-gerutscht uud hiugen schräg mit schräger Richtung der Banm-stämme über dem brausenden Flusse. Gauze Massen anderer Bäume lagen im Wasser, oben noch aufgehängt an kräftiger Wurzel, während die noch grünen Kronen, um deren Häupter eben noch Gewitterstürmc getobt hatten, von den Wellen entblättert wurden. Dieser wundervolle Paraua führte uns denn in jenen schmalen Kanal, der in den Teffc mündet, wie ich desselben bei der Abfahrt von Teffe oder Gga schon erwälmt babe. Eben ging die erste Mondessichel hinter der schönen Lagune des Flusses Teffc unter, als wir vor Ega ankerten. Sogleich schickte die freuudlichc Familie des ,lmx 6c, cUreiw Grüße an Bord, aber auch die traurige Nachricht, daß das jüngste Kind bald nach unserm Fortgehen von Ega den Fluß aufwärts gestorben wäre uud daß mehrfache Erkrankungen die Familie heimgesucht hätten. Ich ging sogleich mit uuscrm Commandanten an das Land und traf die Familie in sehr betrübter Lage. In dem miserabeln Hause, aus dem man in Deutschland höchstens 249 einen leidlichen Viehstall hätte machen können, war der Familienvater selbst, nicht eben erfreut über den Ungeschickten Misgriff der Regierung, kränkelnd geworden und hatte Blnt-spucken bekommen. Die Frau weinte bitterlich. Die Kinder lagen in ihren Hängematten und Betten und jubelten laut auf, als sie meine Stimme hörten; denn wir waren in Ma-näos und auf der Reise sehr gute Frcuudc geworden. Im erbärmlichen Orte selbst war eine endemische Krankheit ausgebrochen. Die Lente bekamen Brechdurchfall, eine Art von Cholera ohne Heftigkeit. Doch starben immer einige Menschen an dem Uebel. Am 30. Juli waren drei Personen gestorben von 900 Einwohnern. Die Nasser waren höher denn je gestiegen. Bei ihrem Zurücktreten brechen immer Fieber aus, — desto heftiger, je höher die Flut gestiegen war, ein Uebelstand, der am ganzen Flusse schmerzhaft empfunden wird. Dazu fehlte es an allen Arzneien, an allen ordentlichen Nahrungsmitteln, an aller ordentlichen Wohnung, — an allem. Dennoch wäre ich gern in Teffe geblieben, um zu helfen, hätte man irgend im geringsten meine Hülfe gewünscht. Der Municipallichtcr aber war cin homöopathischer Flibustier, und ich hätte mich mit jeder ärztlichen Hnlfs-leistung nur lächerlich gemacht. So drang ich mich denn den Leuten nicht auf. Unser Freund, der ^uix <1c! dii^iw, aber beschloß, um weder seine Frau, noch seine Kinder, noch endlich sich selbst einer ministeriellen Ungeschicklichkeit zum Opfer zu bringen, wieder mit uns nach Manäos hinabzugehen. Mehr als gern gewährte nnser Commandant dein wackern Familienvater einige Morgenstnndcn des folgenden Tags, um sich mit Kindern und Effecten einschiffen zu können. Mir war der kleine Aufenthalt ebenfalls sehr lieb, denn ich hatte noch einige Waffen und Industtiesachen von Indianern zu- 250 sammenzubringen und hatte zu gleicher Zeit eine Einladung zu einer Kindtaufe bekommen im Hanse eines Oberstliente-tenants, an den ich von Manäos einen Brief mitgebracht hatte. Herr Iozc Montciro Chrysoftomo, offenbar von indianischem Ursprünge, war der reichste Mann im Orte nnd wohnte im einzigen Stockwerke, welches sich daselbst findet. Er hatte ein Vermögen von 4M00 Thlrn. und mit einer freundlichen, wohlgenährten Frau bereits nenn Kinder, von denen das jüngste eben getauft werden sollte. Doch hatten die Leute schon zwei verhcirathete Töchter, von denen die älteste, 20 Jahre alt, eine hübsche, höchst angenehme, halb-indianische Erscheinung bildete. Die junge Frau hatte mit 12 Jahren geheirathet, hatte mit 13 Jahren ihr erstes Kind bekommen und war Mnttor von sieben Kindern, von denen jeooch drei gestorben waren. Das hübsche, gebräunte, jugendliche Gesicht der Frau ließ mich wirklich an der Geschichte zweifeln; doch mußte ich sie, nachdem mir alle Anwesenden dieselbe als wahr versichert hatten, schon glauben, zumal angesichts der Kinder, die dem im Zimmer umherlaufenden Onkel weit über den Kopf gewachsen waren nnd ihm einmal eine tüchtige Maulschelle gaben. Alls ich nnn lachend zur jungen Frau sagte: „Und Sie schämen sich gar nicht, mit 12 Jahren geheirathet zu haben?" da schämte sie sich so anmuthig, daß ihr gewiß jedermann, auch der strengste Pnritaner, diese jugendliche Evasünde vergeben haben würde. Die jungen Francn, die bei der Kindtaufe zugegen waren, hatten, troy einer leichten Schüchternheit und Befangenheit, dennoch 'hinreichende Erziehung, um sich im gesuchten Fest-cmzugc vollkommen taktgemäß zu bcnclnuen.'' freilich bildeten die schönen brannen Echnltcrn und zierlichen haselnußfarbigen Arme, sowie die dunkeln, feingeschnittenen Gesichter einen . 251 seltsamen Gegensatz zu den hellen, französischen Stoffen der Kleider. Und als man nun auf das Wohl des eben getanf-ten Kindes trank und ich die Champagnergläser mit dem perlenden Weilt an den reizenden indianischen Lippen sah, konnte ich mich einigen Lächelns nicht erwehren. Wie weit liegt nicht auch die Champagne vom Gebiet der Ticunas entfernt! Gegen Mittag sammelte sich wieder alles an Bord zusammen. Auch die Familie des Herrn Dr. Estellita Eaval-cante kam; man richtete sich so gnt ein, wie es ging; wir Waren 20 Passagiere. Ich kam noch am besten davon, denn ich behielt meine kleine Cabinc allein für mich als ein besonders Empfohlener. Die ganze braune Familie des Oberstlieutenants kam noch an Bord, nm sich von der abreisenden Familie zu verabschieden. Es waren gewiß im ganzen 16 Personen; denn ein großer Dienstetat muß immer mitgehen. Sie bildeten eine schöne, saubere, braune Mcnschengruppe, die in ihrer stillen, bescheidenen Weise höchst anziehend war nnd ebenso geräuschlos Abschied nahm, als sie gekommen war. Was würde Europa zu diesen Indianerinnen gesagt haben? Dann gingen auch wir in brausender Fahrt weiter im „schwarzen Wasser", welches in scharfer Grenzlinie neben dem grauen Wasser des Solimöens dahinlicf, bis ersteres von letzterm ganz verschlungen ward. In der Nacht des 1- August erreichten wir Coary nnd liefen von dort vor Tagesanbruch ans. Immer mächtiger wnrde der Solimoens, nnmermehr einer zusammenhängenden Kette von Landseen ähnlich. Am Morgen des 3. Angust lief der Tabatiuga noch in grauem Wasser. Plötzlich bcfaud er sich auf schwarzem Element. Wir waren im Rio-Negro und warfen gleich nach 8 Uhr Anker vor dem freundlichen Mana'os, wo ich, in 252 hohem Grade zufrieden gestellt von meinem Ausflug bis zur peruanischen Grenze, ans Lano ging und mein altes Wohn-quartier im Agenturhause der Amazonen-Compagnie wieder in Besitz nahm. Bei meinem Scheiden von unserm Dampfboot gab mir der freundliche Commandant Nuno Alves Pereira de Mello Cardoso, ein brasilianischer Seeoffizier, der mir auf der ganzen Reise alle nnr möglichen Zuvorkommenheiten bewiesen hatte, noch ein Verzcichniß der Distanzen zwischen den einzelnen Punkten am Solimöens, nebst deren Längen nnd Breiten folgender Art: von Manaos bis Coary ungefähr 108Leguas od.324cngl.Meilm - Coary - Tcffe - 46 - - 138 - - - Teffe - FonteBoa - 58 - - 174 - - Fönte Boa - Touantins- 63 - - 189 - - - - Tonantins- S.-Panlo - 40 - - 120 - - - S.-Paulo - Tabatinga - 50 - - 150 - 365 Leguas 1095 engl. Meilen — 274 geograph. Meilen. Was die Längen nnd Breiten betrifft, so liegt: Manäos 3" 3' süol. Br.. 317" 31' Ferro. Coary 4" 22' - - 313" 59' -Teffc 3" 39' - - 312" 21' -' Fönte Boa 2" 30' - - 310" 40' -Tonantins 2" 41' - - 309" 4' -S.-Paulo 3" 44' - - 308" 6' -Tabatinga 4" 32' - - 307" 6' - Siebentes Kapitel. Rückkehr von Manaos uach Para und Pernanibuco. — Irrfahrt zmn Nio-da-Madeira. — Serpa. — Noch einmal Para. — Colouie daselbst. — Die Zwischenhäfen. — Ankunft in Perncnnbnco. 3>a das nächste Damftfboot erst in fünf bis sechs Tagen zu erwarten war von Parä und erst am 11. oder 12. August wieder von Manäos nach Para abging, so glaubte ich diese Zwischenzeit benutzen zn können zu einem längst projectirten Ausflug vom Rio-Negro nach der Aldeia von Pantaleao, wo am kleinen Rio-das-Uautas, oberhalb der Mündnug des Rio-da-Madeira der zahlreiche, große Stamm der Muras eine Hauptniederlassung bildet. Der freundliche Vicefträsident, Herr Miranda, kam mir in meinen: Vorhaben auf das zuvorkommendste zu Hülfe. Der Director der öffentlichen Bauten, Herr Vraulio Pinto, stellte mir ein Canot zu meiner Disposition mit der dazu gehörigen Mannschaft; Proviant auf einige Tage ward angeschafft, und ich konnte meine Abreise von Manaos nach Pantaleäo, um von dort dann nach Serpa zn gehen und mit dem von Manäos kommenden Damftfboot nach Parä weiter zu fahren, auf den 5. August morgens 0 Uhr festsetzen. , 5 "'s 254 Zur rechten Zeit war ich am Ufer; aber meine braune Gesellschaft war noch nicht angekommen. Ich wartete eine halbe Stunde, eine, zwei Etnnden; aber meine Montana, mein „Fnhrwcrk", kam nicht. Endlich machte ich ausfindig, daß Boot und Mannschaft sich davongemacht hatten. Und nnn erfuhr ich, daß die Flußmacht der Präsidentschaft nur in einem einzigen Canot bestände und das mir von Herrn Braulio gestellte Canot eben nur gemiethet wäre. Als ich diesen Herrn nuu ein wenig znr Rede stellte über den Vorfall, ^ denn am Ende mußte er doch wisseu, was er mir auf Befehl des Präsideuten an Boot und Mannschaft stellte, — zuckte er die Achseln und sagte, da könne er nichts dafür. Der unermüdliche Major Tavajoz, der mir schon so manchen frenndlichen Dienst geleistet hatte, half mir auch hier aus der Noth. Er hatte ein Canot unter Wasser liegen, was hinreichend erschien zur Expedition nach Pantaleao. Er ließ es ungesäumt flott machcu, mit einem kleinen Palmendache versehen, und schon wollte ich mit drei Indianern des Herrn Braulio, vou denen einer des Wegs sehr kundig sein sollte, abstoßen, als das Canot sich bedentend leck zeigte. Auch hielt es nur eben einen Fnß Bord über Wasser, sodaß ich bei schlechtem Wetter allerdings mit dem kleinen Fahrzeug mitten im Amazonenstrom Gefahr gelaufen wäre. Und das hatte Herr Guimaraes, mein freundlicher Hcms-wirth in Manäos, schon eingesehen. Als ich unwillig vom Ufer nach Hanse znrückkchrte, hatte er vorsorglich schon einen Brief an den Herrn Miranda geschrieben, um für mich ,,das Canot der Regierung" zu requirircn. Das ward mir denn auch zugesagt und war uach einer Stunde reisefertig. Die Bemannung von drei Indianern war freilich sehr schwach, doch ging cs den Strom abwärts, und mir schienen zwei Ruderer und ein Steuermann vollkommen genügend, wenn sie nur den Weg nach Pantaleäo kannten. 255 So kam ich denn endlich gegen 11 Uhr fort. Langsam fuhr mein grün angestrichenes „Herrenschiff" unter der lieblichen Höhe von Nossa Senhora dos Nemedios hindurch und quer au der Müudnng des Igarape von Manäos vorbei, als ich dort noch gerade vor dem Hause der »Educaudos eine Freude hatte. Die kleinen Musiker hatten mir, als ich sie besuchte, einen Marsch, von ihrem Lehrer compouirt, besonders hübsch vorgespielt. Ihr Lehrer hatte mir diesen Man^oS-marsch für alle Stimmen ausgcschricbeu uud mich cingeladeu, noch einmal die klemm Kerle am Vorabend meiner Abreise zu hören, wo sie mir zum Abschied ihren Marsch geblasen hatten. Ich hatte als Dank der kleinen Künstlerbanoe eine Gratification gemacht, worüber sie sich gefreut hatten. Als ich mm am Igarape ihres Hauses vorbeifuhr, bliesen sie, sowie mein grünes Canot um die Waldccke bog, mir noch einmal ihren Marsch vor; die Ruderer hielten ein bis der Marsch aus war uud der Rio-Negro uns laugsam vor-beigctriebcn hatte. So schied ich mit Musik vom friedlichen Mauaos am Rio-Negro. Es hat mir sein bleibendes Bild in der Seele zurückgelassen. Langsam kam ich bis zu der Mündung des duukeln, spiegelglatten Flusses, der sich iu östlicher Richtung, selbst Ost zu Nord, in den Amazoucnstrom ergießt. Hier ist auf dem nördlichen Ufer eine wunderhübsche, stille Bucht mit schönen Waldhügeln, in welcher Gegend die Amazonen-Compagnie es versucht hat, mit portugiesischen Einwanderern eine Colonie anzulegen. Einzelne Uferhänser, und selbst cm größeres Gebäude nebst einigen Lichtungen am Walde machen die Stelle vollkommen kenntlich. Doch haben sich sämmtliche Einwanderer bis auf eiuige weuige fortgezogen von der Stelle. Der kleine Gewinn genügte ihnen nicht an einem Strome, der in seinen «ugemessenen Uferräumcn große Schätze zu eutbalteu schien. 256 Der Landessprache kundig suchten sie die einzelnen am Ama-zoncnflusse gelegenen Ortschaften auf, nm in ibnen es mit dem Kleinhandel zu versuchen. Cine lauge Insel liegt gerade in der Mündung des Rio-Negro, sodaß ein schmaler Wasserstreis des Amazonenstroms zwischen dieser Insel und dem Rio-Negro dahinbraust und man wol sagen kann, jene Insel läge schon im Amazonenstrom selbst und nicht mcbr im Rio-Negro. Dieser Umstand ruft ein recht interessantes Doppcltphä-uomen, zumal bei Windstille hervor. Spiegelglatt und scheinbar stromlos liegt der Nio-Ncgro da. An seinem Außen-rand aber rennt in unruhigen Wirbeln nud kranscn Wellen der Amazonenstrom vorbei. Ich kann das seltsame Phänomen nicht treffender bezeichnen, als wenn ich an die Zeit erinnere, wo auf nordischen Strömen das Eis schmilzt. Auf dem thauenden Eise steht zwar schon Wasser; aber es ist spiegelglatt. Am Rande jedoch nagt und frißt und braust das vom Joch schon völlig freie Element. Das gibt auck ein eigenes Klingen und Bewegen. Fast unter dem Aequa-tor kam mir diese Erschcinuug des abziehenden Winters in den Sinn. Die Aehnlichkeit war anck zu frappant. Dann fließt das „schwarze Wasser" des einen Flusses ungemischt neben dein aschgrauen des andern nach Osten weiter, bis nach einigen Meilen parallelen Laufs letzteres den schwarzen Strom ganz verschwinden macht. Mit beiden Wassern trieb denn auch mein Canot, kaum gerudert von meiner braunen Besatzung den mächtigen Strom hinunter, oft gerüttelt und vielfach aufspringend in den Wirbeln und Strudeln des überall bewegten Wassers. Wir suchten fast immer die Mitte des Flusses zu behaupten, wo der Strom am stärksten eilt. Gegen Sonnenuntergang jedoch legten wir am Walde an. Meine Tapuis machten ein Feuer, um ihre Pirarucu zu braten, während ich mein 257 kaltes, sehr frugales Mahl hielt und mich daun am Walve ergötzte. Gerade stand auf dem feuchten, kaum einen Fuß aus dem Wasser hervorragenden Uferrand ein mächtiger Waldbaum, rings umstrickt voll Schlingpflanzen aller Art. Am auffallend-sten an ihm aber waren seine gigantischen Wurzelbreter. Schon 16 Fuß über dem Boden gingen sie vom Stamme schräg herab, eine Menge von Falten, Buchten und Winkeln bildend, sodaß eigentlich gar kein Stamm mehr da war, sondern der Baum aus einer Menge am Innenrande verwachsener dicker Vreter bestand, Sapnpcmas genannt, aus denen die Indianer sehr geschickt ihre tellerrnnden Nuder zu schneiden wissen. Nach unten gehen solche brctartigc Strebepfeiler dann in eine Menge von Wurzeln über. Vci jenem Waldbaume jedoch hatte die überschwemmende Flut das Erdreich unter den weit hinlaufenden und hundertfach ineinander verschlungenen Wurzeln fast ganz weggespült. Auf tausend Füßen schien der machtige Stamm zu stehen. Wie auf einem eisernen Rost konnte ich trockenen Fußes auf dem Netzwerk der Wurzeln rund um den Staunn herumwandern und mir alle seine Schlupfwinkel besehen. Nenn ich an einem oder dem andern Strange der um den Stamm hermuhängeuden Lianen zog, so rauschte es 70—80 Fuß hoch über mir in der vom Walde versteckten Baumkrone. Wer so am Rande des Niesenstroms hoch oben im dichten Walde das Rauschen hört, denkt gar leicht an das Anziehen der Vetglocke oben im Thurme, wenn es Sonnenuntergang ist und Ave-Maria läutet, tko dour ol' Aber meine drei Braunen waren fertig und wir fuhren weiter. Der sinkende Abend, die tiefe Einsamkeit zwischen den Wäldern deS weiten Stroms und der uicht angenehme Umstand, daß meine drei Leute vielfach sich ihre lingua ßor<>1 Avc'-^allcmant, Nurd-Vrasilicn, ll, 17 258 zuflüsterten und offenbar etwas vorhatten, was ich nicht verstehen sollte, stimmte mich ernst. Wer der Natnr in ihrer von keiner Cultur gezügelten Ungemessenheit und den von keinem Gefühl für Recht und Unrecht lebhaft durchdrungenen Naturmenschen nie gegcnübertrat, begreift vielleicht nicht, wie jemand sich ganz allein, ohne alle Spur von Waffen, mit drei Indianern, die in jedem Waldwinkel zu Hause sind uud nicht einmal portugiesisch reden köuuen, in ein Boot setzt, um eine mehrere Tagereisen vom nächsteu Culturpunkte abgelegene Indianeraloeia aufzusuchen. Ich legte mich, vielleicht etwas befangen, auf den Boden meines Boots und sagte dem Steuerer, er möchte mich wecken, wenn etwas vorfiele. Ich schlief ein. Nach einigen Stunden erwachte ich wieder. Meine Mannschaft schnarchte ein ruhiges Trio; unser Boot trieb mitten im Strome. So schlief ich denn weiter ohne irgendwelche Sorge. Ein leiser Donner weckte uns alle zur selben Zeit. Hell leuchteud stand das schöne Sternbild des Orion über dem Rande, einer dunkeln Gewitterwolke. Langsam stiegen beide höher. Als eben der Morgen dämmerte, drohte das Gewitter einen vollen Ausbruch; und einem solchen war mein Schiffe lein keineswegs gewachsen. Wir rndcrten dem Walde zu und blieben dort an einem Treibholzstamme liegen, bis das Wetter vorüber und wir ziemlich nasi geworden waren. Die unangenehme Fahrt im Morgengrauen konnte fortgesetzt werden. Desto herrlicher kam der Tag. Gin kühlender Nordost brach etwas die Glnt der Sonne; beide trockneten uns bald wieder ans, und ich konnte mit Behagen zu den fern liegenden Waldufern hinüberblicken, an deren Rändern das Thierleben immer mehr und mehr seine bewegteil Formen zeigte. Je mehr nun wilde Enten dahinflogen, je mehr Araras die Lnft durchzogen, je zahlreichere Affenscharen aus dem 259 Walde herausbrüllten, desto wilder wurden auch meine drei Indianer. Sie vergaßen Nndcr und Steuer, und unter einem vielfach wiederholten: „Oh, oh, oh!" begleiteten sie mit funkelnden Angen und offenen Nüstern jedes davoneilende Wild. Besonders aber geriethen sie in eine Art von Verzweiflung, wenn in nächster Nähe unsers Boots eine große Pirarueu hoch aus dem Wasser heraussprang oder der Kopf einer Schildkröte sichtbar ward, oder einzelne Lamantine, jene sonderbaren Cetaeeen, ihre Schnauze schnüffelnd zeigten. Nur über solche Gegenstände hatten sie sich etwas zu sagen; immer hörte ich in ihren Gesprächen die Wörter pn'", u-ao^i,, l»,-(>«c> — schien mir am Rio-das-Otas, welcher einige Meilen oberhalb des mächtigen Madeira in den Amazonenstrom fällt, doch auffallend groß. Der kleine Fluß, der wenigstens als solcher auf den Landkarten steht und mir als 17* 260 ein solcher bezeichnet worden war, erschien mir ein unabsehbarer Landsee und für einen unbedeutenden Nebenstuß ungeheuer groß und breit. Nach einer kleinen Nast nnd Haltung unsers Mittagsmahles ruderten die Indianer, froh mit mir, dem ersten Endpunkt unserer Canotfahrt so nahe zu sein, den herrlichen, breiten Strom hinauf. Einige Canots zogen in der Ferne bei nns vorüber, ohne daß wir sie anredeten. Das Tachi blühte in prachtvoller Menge längs des dunkeln, spiegelglatten Wassers; allüberall regte sich das Thierleben im Walde, unter dem wir hindurchfuhren. Ein wunderbarer Abendschatten senkte sich herab ans den schwarzen Fluß nnd die Geheimnisse seiner dichtbewachsenen Ufer, wie sehr auch der Abcndhimmel von der Mondcssichel erlenchtrt schien. Um 9 Uhr machten wir Feierabend und banden unser Canot an einen Bauin fest. Aber in demselben Nn waren wir auch von Carapanä so übersäet, daß es im eigentlichsten Worte nicht auszuhalten war. Solche Mückcnscene ist wirklich arg. Die Thiere stechen durch Beinkleider nnd Jacken hindurch, des Gesichts uud der Hände gar nicht zu gedenken. Eine halbe Stunde versuchten wir vergebens einzuschlafen. Die Neckerei ward zu einer wirklichen Plage, einer förmlichen Qual. Die Indianer sahen nur einen Ausweg, nämlich mit vereinter Kraft noch drei Stunden zu rudern und Pan-taleao gleich nach Mitternacht zu erreichen, wo wir doch wenigstens ein Obdach beim Director Lopez Vraga finden konnten. Mit großer Schnelligkeit flog nun nnser Eanot den Strom hinanf, Je ungeduldiger meine Leute wurden, je näher wir dem Ziele kamen, desto heftiger ruderten sie. Von Mitternacht an lauschten wir nach allen Seiten hin; aber es wollte nichts erscheinen, was an eine Aldeia erinnert hätte. 261 Selbst der Wald schlief ein. Eine vollkommene Todtcnstille umgab uns, nur vom Schnaufen meiner Ruderer untere brochen. Immer weiter flogen wir; immer wüthender ruderten die Indianer; aber noch immer kein Hans, noch immer kein Hundegebell, kein Hcchm'nruf. So ging cs die ganze Nacht hindurch, ohne Rast, ohne Ruh; Gott mochte wissen, wo dieses Pantaleäo geblieben war. Ein Waldzauber schien es verschlungen zn haben. Da kam denn endlich ein leises Tagesgrauen in unsere Nachtfahrt hinein, nnd zu unserer Freude sahen wir in der Ferne ein Canot mit zwei Indianern und einer Indianerin, die im Halbgrauen des Morgens Schildkröten schießen wollten. Wir erreichten sie, und meine Indianer fragten schon aus der Feme in Im^u» ^6r«l nach Pantalcäo. Der eine fischende Indianer gab eine Antwort, die meinen drei Leuten einen lanten Ausruf eines Misfallens entlockte. Selbst neugierig fragte ich jetzt den einen der Fischer, der der Herr des Canots zu sein schien, auf portugiesisch: „Wie weit ist es noch von hier bis zur Aldeia Pan-talcao?" „Zwei Tagereisen, Herr", erwiderte der Gefragte in klarem Portugiesisch. Ich glaubte, der Gefragte wollte einen Scherz machen, und fragte nochmals; aber ich erhielt dieselbe kalte Antwort; unbedingt trieb der Mann keinen Scherz. Jetzt kam mir wie ein Blitz ein Gedanke. Schnell fragte ich meinen Fischer weiter: „Wie heißt der Fluß, auf dem wir uns befinden?" „Der Rio-da-Madeira, mein Herr", sagte der Gefragte in demselben indifferenten Ton, — „in fünf Tagen können Sie Vorba erreichen!" Sehr angenehm! Jetzt war mir die ganze Geschichte 262 klar. Mem Pilot erzählte unit dem Indianer, der etwas portugiesisch redete, in der lm^u.i Z^,!, damit dieser mir es wiedersagen sollte, daß er einmal vor vier Jahren nach dem Rio-das-Uantas und Pantaleao gewesen wäre und in Ma-näos gehofft hätte, den Weg wieder auffinden zu können. Da nun der Strom im Fallen sehr stark lief, so waren wir in der ersten Nacht, in der wir alle schliefen, viel weiter getrieben, als die Indianer vermuthet hatten, sodaß mein Wegweiser die Mündnng des Rio-da-Madeira für die vom Uantas genommen hatte. Er fetzte sehr naiv hinzu, daß er sich freilich schon gestern im stillen genng darüber gewundert hätte, daß der Rio-das-Uantas unterdeß so breit geworden wäre. Im stillen wünschte ich vor allen Dingen den Herrn Branlio und seinen Wegweiser wer weiß wohin; denn nun war cm Pantaleäo, wenn ich nicht das Dampfboot in Scrpa verfehlen wollte, nicht mehr zu denken». Zndem konnte ich mich ja anf nichts mehr verlassen. Es hätte bei der Bor-nirtheit meiner Indianer sein können, daß sie nicht einmal Serpa auffänden, Da fragte ich denn den Fischer, wann ich die Mündnng des Madeira erreichen könnte. „In acht Stnnden", hieß es. Von dort konnte es, wie ich ans meiner Reise von Serpa nach Manäos wnßtc, kaum vier Stunden bis nach Serpa hinüber sein. Indem half der Strom mit. Und so ließ ich denn ohne weiteres umwenden. Denn hätte ich einige Minuten damit zubringen wollen, meinen Piloten einen Esel, einen Ochsen oder Tapihira — eigentlich Ante oder Tapir — zn schelten, so würde ihn das nicht im geringsten afficirt haben, indem viele Indianerstämme sich nach Thieren nennen, Araras, Coatis, Tatus nnd selbst Tapihiras, gerade wie in Deutschland sich ja auch einzelne Familien nach Thieren nennen, Fuchs, Vär, Hase und sogar Schneegans, der vielen 263 Wölfe gar nicht zu gedenken, die selbst berühmte Individuen geliefert haben. Mit viel weniger Hast, als wir am Nachmittage vorher nnd in der Nacht den Flnsi hinanfgeeilt waren, strichen wir den Rio-da-Madeira wieder hinunter, obwol den Indianern die Geschichte im höchsten Grade gleichgültig war. Ja es kam mir vor, als ob mein Wegweiser gleich beim Einlenken in den Madeira seinen Irrthum erkannt hätte, ohne ihn, aus Furcht vor mir, eingestchen zu wolleu. So erreichten wir am Nachmittag die Mündung des schöucn Flnsses, wenigstens die Stelle, von wo ans, wenn man den Strom hinabblickt, seine Wasser den Horizont bilden nnd man vom Flusse ans scheinbar in das offene Meer hinaussegelt. Ein frischer Nordostwind ward uns hier höchst lästig. Er trieb kurze, uicht unbedeutende Wellen gegen nns an, und mein Canot wühlte wol zwei Stunden hindurch mit dem Schnabel in Schaum nnd Spritzwasser. Indeß ward der Wind bald wieder ruhiger; doch überzeugte ich mich vollkommen, daß ich mit jenem kleinen Eanot, welches mir Herr Taftajoz in Manäos frenndlich gcnng stellte, gewiß nicht dnrchgekommen wäre. An der Mündung des Madeira und recht mitten in derselben wiederholte sich ganz das oben beim Nio-Negro erwähnte Phänomen des heftigen Kampfes zwischen zwei Wassermassen von ungleicher Bewegung uud ungleicher Färbnng. Fast möchte der Kampf am Madeira noch lauter und heftiger sein. Weithin hört man das Branden der Fluten und Wirbel, nnd könnte ohne Kenntniß dieses Phänomen an einen nahen Wasserfall denken. Herrlich that sich nnn der Amazonenstrom vor mir auf, wirklich ein dahinströmendeS Süßwassermeer. Schneller zog mit seinem Lanft auch meine Montana dahin; nnd als die untergehende Sonne auf das ferne Ufer im Nordosten ihre 264 scharfen, letzten Strahlen warf, konnten wir Eerpa erkennen. Doch war es schon vollkommen Abend geworden, als ich die etwa eine Viertelstunde oberhalb Serpa am Amazonenstrom gelegene sogenannte „Colonie" erreichte, wo ich das Dampfboot auf seiner Rückreise von Manaos nach Parä abwarten wollte. Herzlich froh war ich, als ich ans meinem Canot an das Land stieg. In der Colonic war schon alles still geworden. Der Director der Anstalt war nach Serpa gegangen. Ich schickte einen Schwarzen dorthin, nnd nach einer halben Stunde schon war ich ans das zuvorkommendste von Herrn Moritz Becher empfangen nnd einquartiert und schlief köstlich nach meiner Irrfahrt anf dem Madeira. Am folgenden Morgen (8. Juli) läutete mich um 6 Uhr eine Glocke wach. Das Leben in der Colonic begann, nnd mit seinem Beginn konnte ich einen Ueberblick über das Unternehmen gewinnen, was hier in neuester Zeit begonnen ist. Als der mächtige Pnlsschlag der Amazonenarterie, die Dampfschiffahrt, anf dem Strome begann, stellte sich buld die Nützlichkeit, ja Nothwendigkeit heraus, neben dieser ersten, weit ansgreifenden Anregung zum Fortschritt auch industrielle Thätigkeit hervorzurufen und selbst für einigen Ackerban zu sorgen. Wer nur auf meinem Wasserwege gefolgt ist längs des Amazonenstroms, wird auch mit mir vor allem von einer Erbärmlichkeit sich überzeugt halten, von der Erbärmlichkeit aller Banten, von den Kirchen abwärts bis zu den letzten Indianerhütten. Hier war und ist alles erbärmlich und recht eigentlich tränrig, so tranrig, wie man nicht leicht irgendwo in der Welt Winkel finden möchte, denen man den pomphaften Namen von Marktflecken nnd Städten gibt. Vor allem Backsteine und Dachziegel zu schaffen, Breter und Balken znzuschneidcn, mußte als erster Beginn, als erste 265 Pflicht zu betrachten sein. Nirgends konnte eine Anlage zur Beschaffung dieses nothwendigen Materials besser gelegen sein als bei Serpa, dem alten Itacoatiara.^) Der Ort und seine nächste Umgegend liegen hoch genug, um vor allen, selbst undenkbaren Flußanschwellungen vollkommen sicher zu sein. Dem Städtchen schräg gegenüber öffnet sich der gewaltige Rio-da-Madeira, jener Strom von gewaltigen Dimensionen, dessen Holzreichthum vorläufig als unerschöpflich anzusehen ist. Dazu ist Serpa, als Anlegepunkt des Dampfboots, das natürliche Handelsdepot für den weiten Fluß, für Borba und Crato und bis über die letzten Cachoeiras hinaus, so weit nnr Handel und Wandel dringen können. In einer Fahrt von 12 Stunden erreicht das Dampfboot von Serpa aus die Hauptstadt Manäos am Nio-Negro. Hier treffen wieder zwei mächtige Strömungen zusammen, der Solimoens und der Nio-Negro, sodaß man wirklich sagen kann, von Serpa aus beginnen die gewaltigen Verzweigungen des Amazonenstroms. So ward kaum eine Viertelstuude oberhalb Serpa, gerade da, wo ein kleiner Nebenfluß des Amazonenstroms in einen hübschen Landsee hineinführt, eine kleine Indnstrieeolonie angelegt. Ein großer Platz ward vom Walde befreit, zu einem vollkommen trockenen, festen und gesunden Erdplatz, Terreiro, nmgeschaffen, nnd nun in breiten Zwischenräumen und genau nach der Schnur gemessen, in fünf viereckigen, guten, weiß ^) Itacoatiara genannt von einem bunten (ouM) Stein (i<<>), der dort im Strom liegt und bei niedrigem Wasserstande bloßgelcgt wird. Es sind Figuren auf ihm eingezeichnet und später Zahlen hinzugefügt. ^NlNiin- heißt sich bunt anmalen wie ein Eoati; latusr sich anmalen wie ein Tatu oder Armadill, tatuirm, corrumpirt tätowirm. 266 angestrichenen Gebäuden für 20 kleine Haushaltungen Wohnungen eingerichtet. Auch entstanden mehrere lang ausgedehnte Gebäude zu administrativen Zwecken, zur Aufstellung einer großen Dampfsägcmaschine und einer locomotiven Dampfmaschine zum Zuschneiden und Pressen von Dachziegeln, Backsteinen und andern Thonarbciten für Constructions aller Art. Ordnung und wohlthuende Nettigkeit zeigt sich überall im Aeußern dieser hübschen Anlage, deren hoher Damftfschornstem seltsam überraschend vor dem Urwald heransragt und wie ein Finger es dorthin schreibt: Hier Fortschritt, hier Europa! Und da haben denn auch vier Neltheile ihr Contingent zur Belebung der kleinen Welt bei Serpa gestellt. Englische und nordamerikanische Ingenieure, einige deutsche Magazinaufseher, 26 chinesische Arbeiter, eine Reihe von Negern und mehrere Indianer und Indianerinnen treiben, jeder in seiner Sphäre, dort ihr geschäftiges Dasein hin und her, eine Population, welche, wenn je eine Ortschaft den Namen verdiente, recht eigentlich eine kleine Welt genannt werden muß. Zum Chef des Ganzen hat der richtige Takt des Barons von Maua, dieses wirklich großartigen und doch so bescheidenen Mannes, welchem in der Gegenwart Brasilien unverkennbar seine besten Impulse und Lebeuspulse verdankt, einen wackern, wohlerzogenen Deutschen eingesetzt. Herr Moritz Becher, ein deutscher Ingenieur uud Offizier, der als solcher den schleswig-holsteinischen Krieg mitmachte und mit dem Zusammenbrechen der dortigen Verhältnisse Europa verließ und sich dem Militärznge nach Brasilien anschloß, ward, als die angeworbenen Trnppen sich zum größten Theil auflösten, nach dem Amazonenstrom geschickt, um die Direction der industriellen Colonic bei Serpa zu übernehmen. Von einer guten, selbst ausgezeichneten Familie abstammend, 267 — sein Onkel ist der aus der letzten deutschen Ritter- und Minnesängerzeit so bekannte Vinzer, — zeigt er ans den ersten Blick den Mann von abgerundeter Erziehung und gehaltener Sittlichkeit, wie sie znr Leitung einer neuen alls den verschiedensten Elementen zusammenfließenden Anlage so unumgänglich nothwendig sind. Ich besuchte mit ihn, das neue Etablissement. Eben wurden große Toros, Cederblöcke, eingespannt. Dann fing die Maschine an zu sausen, und die Sägen fraßen, sich hinein in die hellbraunen Stämme, die sich in schölle, breite, vollkommen gleichmäßige Vreter verwandelten. Der ganze Abhang bis zum Fluß hinunter lag voll von Vaumblöcken, die zum Zersägen zu Bretern fertig waren. Wunderbarerwcise hat'man, was in Europa unglanblich erscheinen möchte, noch nie, um solche Baumblöcke zu erhalteu, eiuen frischen Baum gefällt. Aus den natürlichen Holzlagern, die der fortwährend an seinen Ufern wühlende und auch wieder aufbauende Strom überall längö seines Strandes bis in seine fernsten Nebenflüsse hinauf gebildet hat, sncht man sich das beste Nutzholz aus. Oft scheinen die Stämme, die manch Jahrhundert schon so gestrandet daliegen, äußerlich verwest zn sein. Aber ein Kenneraugc entdeckt gar leicht den gesunden Kern. Kaum braucht die äußere Schicht iu vier Seiten abgesägt zu werdeu, so zeigt sich das treffliche, gclbbrauue Kernholz. So kann noch manch Jahrhundert hingehen, ehe das schon astlose und der Wurzeln beraubte Holzlager in der Nähe von Serfta, am Madeira, am Solimöens abnehmen möchte; denn alljährlich ersetzt sich bei nencm Anschwellen des Stroms der Abgang des Holzvorraths. Besonders werden Amyrideen, unter dem Namen der gelben nnd rothen Ceder zerschnitten, dazn oie Stämme von Massrranduba, Maeaeauba, Itauba, Holzarten von größerer 268 Dichtigkeit als die Ceder, die wol den Leguminose«, Sapo-taeeen odcr selbst Amyrideen angehören. Seien sie aber von welcher Familie sie wollen, in kurzer Zeit steigen diese aromatisch riechenden Holzarten (mit Ausnahme einer Lanrinee, die ganz wie Menschenkoth fnrchtbar stinkt) in glänzenden Bretern znr Verschiffung nach demselben Flnß wieder hinab, aus dem sie in schmnzig schwarzgranen, scheinbar halbfaulen Blöcken, mit einer Ninde von Schlamm und Morast umgeben, hcrciusgestiegen waren. Unmittelbar neben dieser Sägemühle werden nnn Backsteine und Dachziegel von der allervorzüglichsten Qualität gebacken. Die Steine klingen bei ihrer schönen Härte wie Glocken und sind dennoch im Verhältniß zu andern Pro-ductioncn derart ungcmein billig. Tieft beiden Fabrikate, Bausteine und Breter bilden schon jetzt einen Abgangsartikel von der allerbesten Art. Und wenn einmal die Zeit kommt, wo sich die Regierung nnd das Volk davon überzeugt haben werben, daß die Gotteshäuser am Amazonenstrom keine grauen, mit Stroh bedeckten Schwcincställc sein dürfen, daß man nicht das Necht hat, Regieruugsangcstellte in Löchern wohnen und umkommen zu lassen, wie ich das z. V. in Teste selbst gesehen habe, wenn man sich erst schämen wird, selbst in diesen lehmfarbigen Sudeldarackeu zu wohnen und das Convolnt voll solchen Sudelbaracken Städte zu nennen, dann erst wird man die hohe Bedeutung der Colonic bei Serpa anerkennen, und sie selbst den bedeutenden Gewinn abwerfen, den man von ihr erwarten darf, während sie jetzt noch manche Unkosten und viele Mühe macht. Solange man aber von oben herab dazu nicht mithilft, solange man in Rio forthockt und dort dem ersten Tenor und einer arroganten Primadonna ein Opernhaus für 2—3000 Contos baut, Säugerinnen und Tänzerinnen enorme 269 Summen zahlt und dafür am Amazonenstrom das Haus des Herrn wie ein Hundehaus aussehen läßt, solange man sich in der Hauptstadt in den vornehmthuenden Sphären in einer ungründlichen Halbgelehrsamkeit bewegt und von der bedeutenden Illnstracao redet, während am slmazoncnstrom alles verdirbt und schon längst verdorben wäre, wenn der Baron von Maua uicht dort Handel und Wandel in Bewegung setzte: solange das so fortgeht, ist alles umsonst, alles vergeblich am Amazonenstrom, selbst die luibsche, so glücklich angelegte kleine Industrieeolonie bei Serpa. Gerade als wir die Coloniegebaude durchwauderten, kam das Damftfboot Solimöens mit seinem Commandanten Catramby den Fluß herauf auf seiner Fahrt von Parä nach Mana'os, nnd legte vor Scrpa unmittelbar an das Ufer an. Das Damftfboot Solimöens ist ungefähr 200 Fuß lang und im Mnster eines amerikanischen Flnßdampfcrs gebaut. Die ungeheuern Räder werden von Hochdruckmaschinen, die leid« manche Gefahr bieten, in Bewegung gefetzt. Die Maschinen befinden sich auf dem Verdeck. Oben darüber hinweg ist eine mächtige Etage von Holz aufgebaut. Ein breiter Salon von 60 Fnß Länge bildet den zwar luftigen, aber dennoch fehr heißen Wohn- und Speiseranm. Ringsum sind dann kleine Kajüten, geräumig genug für je zwei Passagiere, Hiuter dem Saale ist noch am Ende dieser Etage ein hübsches Damenziunncr. Um die ganze Etage läuft eine breite, oben bedeckte Galerie, eine Veranda, herum und bietet mien angenehmen Aufenthalt und langen Spazicrgang trotz Regen und Sonnenschein, beide gleich lästig bei Reisen auf dem Amazoncnstrom. Wir besahen uns das Schiff, welches mit seinen beiden nebeneinander stehenden Schornsteinen und feinen ungeheuern Räderkasten wie ein Unthier ans der Urzeit, wie ein schwimmendes Kapnotherium mit großen Hörnern aussah und als- 270 bald anfing, aus seinen Eingeweiden eine Menge von Säcken, Ballen, Kisten und Kasten auszuspeien. Rings war meine neue antidilnvianische Thierspcries von Igarite's und Canots umgeben; möglichst schnell wurde alles unter anscheinendem Wirrwarr ausgeladen; dcr ganze Bretcrkasten erbebte zusammen uutcr dem Dröhnen des Packcuwälzens, bis sich die Springflut der Handelsgeschäftigkcit langsam verlief und der Solimöens seine Fahrt bis Manäos fortsetzte, von wo wir ihn am 12. Angnst morgens in aller Frühe zurückerwarten durfteu. Nun besah ich mir Scrpa ein wenig. Unverkennbar trägt der kleine Ort, eine Villa, die Spuren eines mehr und mehr erwachenden Lebens an sich. Eine Reihe hübscher, gc-weißter, mit neuen Dachpfannen gedeckter Häuser enthält wohlgeordnete Magazine und offene Handelsläden, sodaß man wirklich nicht begreift, wie so viele „Kanfleute" nebeneinander bestehen können, ohne daß man eigentlich Kmwen sieht. Diese Kaufmannschaft besteht großcntheils aus Portugiesen und hellen Brasilianern, von denen die meisten mit einer Indianerin zusammenleben, sodaß es auch hier von gemischten Kindern wimmelt. Was nicht von einem „Negocio" in einem weißen, mit rochen Dachziegeln bedeckten Hause lebt, bildet nun auch in Serpa eine kleine, ruhige und von des Lebens Drangsalen nnd Freuden wenig angefochtene Tapuiwelt, welche iu grauen, mit Palmstroh bedeckten Häuseru wohnt und lediglich von Pirarueu und Tartaruga sich ernährt. Viele juuge Taftni-mädchen und Frauen scheinen von der au Zahl offenbar überwiegenden Männerwelt selbst bis zur Volonic von Serpa hinaus zu leben, Verhältnisse, die bei solchen kaum beginnenden Culturzuständen schwer zu vermeiden sind. Auf cnu'M großen, mit hohem Gras bewachsenen Platze steht eine für Serpa ausreichende, weiß angekalkte nnd mit 271 Dachziegeln belegte Kirche, welche doch wenigstens anständig aussieht nnd von den Lenten von Teffe und S.-Paulo im Bau nachgeahmt werden sollte. Auch eine (^m^-« mmn-oi^l mit einer (^aäoii (Gefängniß) zeigte man mir, ein Hans zweiter Klasse. Auch einen, Geistlichen lernte ich kennen, konnte aber trotz der Villa von Serpa uud der naheu Co-louic keinen Arzt entdecken. Homöopathen sind alle Einwohner und kennen allerlei Mittel und Wege, um sich zn eurireu. Aber in rechter Noth sind hier doch Hunderte von Menschen ans Mangel au einem Nichtigen Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer, wie selten letzterer auch nöthig ist. Auch mit dem Rechtsverhältniß scheint man in Serpa noch nicht recht im Klaren zu sein. Politische Streitigkeiten und Gevatterschaften kommen ebenfalls vor. Man haßt sich, verfolgt sich, und versöhnt sich nie; nnd das schöne Wort Vi,'jdu5 umü8 kann Scrfta keineswegs unter sein Stadtwappen, wenn es ein solches hätte, setzen. Doch erschienen die einzelnen Kanflentc, soweit ich sie kennen lernte nno mit ihnen mich unterhielt, mir gegenüber freundliche, ordentliche Leute zu sein, womit ich aber keineswegs ein definitives Urtheil über sie gefällt haben möchte. Von Serpa führt ein Fußpfad etwa eine Viertelstunde lang durch das aufgehauene, aber mit Unkraut bereits wieder vollkommen bedeckte Feld znr Colonie, wodurch letztere nngc-mein leicht mit Serpa zusammenhängt nnd dem Orte unverkennbare Vortheile gewährt. Man hat dieses Feld mit Baumwolle zn bepflanzen gesucht; doch hat das nicht gehen Wollen. Am Amazonenstrom will nun einmal bis dahin kein Landbau gedeihen, keine Viehweiden ausgedehnter Art entstehen. Mangel an frischem Fleisch, an Schlachtvieh ist in Serpa in hohem Grade drückend, und die Spuren der Chlorosis, die ich ganz besonders dem Mangel an snceulentem Fleisch größerer, warmblütiger Thiere zuschreibe, malen sich 272 auf zahlreichen Gesichtern im Orte und selbst in der Colo-nie ab. Da bleibt noch unendlich viel zu tlnm nnd zu sorgen übrig. Und ehe solch Thun, solch Sorgen seitens der öffentlichen Verwaltung nicht ein ernstes, anhaltendes, treues ist, darf man ja nicht daran denken, irgendwelche Vergrößerung der Einwohnerzahl um Serpa hervorrufen zu wollen. Wer kann denn am Ende unter solchen Verhältnissen zufrieden sein? Als ich am zweiten Abend meines Aufenthalts auf der Colouie zu Fuß von Serpa nach Hanse zurückging, fing ich mit deu Chinesen, die dort miteinander ihre Zopfideen austanschten und von denen zwei schon recht gut portugiesisch redeten, ein kleines Gespräch an. Selbst diese Chinesen, die doch zum Leben und Gedeihen am Amazonenstrom geboren, und prädestinirt zu sein schienen nnd nnbedingt in der Colonie eine vollkommen gnte Behandlung genießen, fühlten sich von tiefem Heimweh nach ihrem Macao bewegt. Was soll da erst der Enropäcr am fernen, alle nur möglichen Entbehrungen und Entsagungen verlangenden Strom sagen? Drängen sich doch selbst die letzten Urzustände bis dicht an die so trefflich angelegte Co-lonie hinan! Abends, wenn ich allein saß nnd mir einige Notizen schrieb, hörte ich im nächsten Walde das scheußliche Geheul der Brüllaffen, Zahlreiche, auf den Fußboden meines Zimmers hingelegte Unzenfelle bezeugten die allernächste Nähe dieser schlimmen Feinde. Vor meiner Hängematte lag als Fußdecke das bunte Fell einer Tigerkatzc und das der hell-gelbgrauen Sussurana oder.der hellen, nngefteckten Unze. Ueber mir schwirrten und quiekten die Fledermäuse, welche am Amazonenstrom allerdings auch Menschen anstechen nnd ihnen Blut anssaugen. Das macht sich in der Ferne ganz romantisch, ganz hübsch; aber wer mit Frau und Kind für immer in solche romantische Seenerie hineinziehen soll, den 273 mag das beim Anblick von Frau und Kind zur Verzweiflung bringen, und ich rathe jedem ehrlichen Manne das Experiment ernsthaft ab. Serpa war mein letztes Standquartier am Amazonenstrom. Mein Anfcnthalt am „Strom der tausend Inseln" sollte mit dein Prachtvollsten schließen, was die Natur mir vorführen konnte. Wir hatten eine kleine Spazierfahrt verabredet, um einen kleinen Landsce mitten im Walde hinter Serpa, dessen stille Reize man mir allgemein pries, zn besuchen. In einer kleinen, leichten Montana rndcrten wir einige Minuten den Amazonenstrom aufwärts und bogen dann in einen Igarape ein, auf welchem bald der grünende Wald uus umgab. Es war ein sonnenklarer Nachmittag. Der kühlende Wald mäßigte die Tagesglut; über deu grüuen, durchsichtigen Baumkronen lag rein und wolkenlos der blaue Tropenhimmel. Einzelne Waldvögel zwitscherten ihre regellosen Lieder; kleine Papagaien zankten sich in den Aesten, längs welcher einzelne Affenscharen mit unglaublicher Leichtigkeit dcchinschlüpften, während hoch oben auf den äußersten Zweigen mancher Falke sich sonnte und seiu scharfes Auge über den Forst hinstreifen ließ. Pontederien blühten auf dem dnn-keln Wasser; Cassien nnd Leguminosen anderer Art bildeten blaue und gelbe Tinten; eine niedliche weiße Asclepia hing in lallen Ranken bis zum Fluß hiuunter, anf welchem unsere ktine Montana immer nur mit einiger Mühe sich zwischen den vom Ufer hineingestürzten Vaumpartien Hindurchwald. Aber schon öffnete sich oer Wald; schon blickten wir aus dem brcier- werdenden Igarape in den Landsce hinaus, als wir von dem Anblick einer prachtvollen Wasserpflanze angezogen urd gefesselt wurden. A vi-Lalle man t, Nl'l'ü-VnMien, ll. ' 18 374 Zu beiden Seiten unsers Canots trieb in 10—12 Crem-plaren die Viowiu» ,-o^ii» ihre gewaltigen Blätter nnd herrlichen Blumen. Ueber 3 Fuß im Durchmesser hielten erstere. Hellgrün, glatt und kreisrund mit stark nach oben aufgeschlagenem Rand lag das dicke Parcnchym anf dem Wasser da, von keiner einzigen Ader durchzogen, wohl aber höchst eigenthümlich über eiucm dicken, kräftigen Adernctz ausgespannt wie anf einem Rost. Sowie der lange, dicke Blattstiel an das Centrum des Blattes Herautritt, theilt er sich in acht bis zehn dicke Adern, welche so vyllig außerhalb des Blattes liegen, daß sie mit demselben durch ein Zwischenparenchym zusammenhängen, bis sie, gegen den Rand hin dünner werdend, unmittelbar am Blatt anliegen, untereinander durch kräftige Queradern, welche ziemlich regelmäßige viereckige Raume einschließen, innig verbunden und zusammenhängend. Während nun das Blatt oben ganz glatt ist im ausgewachsenen Zustande und fanm einige kleine Stigmen von halbdurchsichtiger Natur zeigt, ist die untere Seite, alle Aleru und der ganze Blattstiel mit Stacheln übersäet, sodaß imn es uur mit großer Vorsicht angreifen kann. Ein mit der Unterflächc nach oben gekehrtes Blatt gewährt einen sehr eigenthümlichen Anblick; noch mehr aber eine Blattknospe, wenn sie eben die Oberfläche des Wassers erreicht. Sie ist einige Fäuste groß uud, da das Blatt im Ingendzlstande vom Rande nach innen aufgerollt ist, dicht mit Stacheln übersäet gcrave wie ein aufgerollter Igel, Weithin prangte eine hochrothblane Blüte zwisi)en den riesigen Blättern. Als ich sie erreichte und ihren Bau betrachten wollte, fand ich ihre gauze innere Tiefe wn einer mit den Melolonthen nahe verwandten Käfcrart bcwhnt uud vollkommen zerfressen. Zwölf bis vierzehn Thiere treben ihr vernichtendes Handwerk zusammen. Als «user indianischer 275 Iaeoman sie erblickte, nahm er sie hastig zu sich, denn diese Käfer haben, wie er mir sagte, nngcmein beruhigende Kräfte, namentlich gegen Kopfschmerzen. Er kannte den Parasitismus dieser Käferart in der Blüte der VicUoiil» rsßic» so sehr, daß er Herrn Becher nm die Käfer bat, noch ehe er sie gesehen haben konnte. Die Pflanze heißt bei den portugiesisch redenden Anwohnern des Amazoncustroms Forna, da die stachen Blätter mit aufgeschlagenem Nande ganz die Form jener Dörrpfannen oder Oefen — t'm-nn8 — haben, in denen man das Manioc-mehl zn dörren pflegt. Inletzt fand ich noch eine vollkommen entwickelte, dem Aufblühen ganz nahe Knospe von der Form einer Artischocke. Nicht ohne einige Mühe — denu anch Blumenstiel nnd Blumendeckblätter sind stark mit Stacheln besetzt — gelang cs mir, ihrer habhaft zn werden, nm sie im Hause ruhig zn betrachte«. Ich legte sie unter die Bank unsers Boots, und wir fuhreu in den oben angeführten Landsee hinein. Wenn nicht Inajapalmen, Iavari und Murumuru ihre schöuen Häupter über dem Lanbwaldc hiuausgestteckt hätten, man würde den laugen, schmalen Landser für eine holsteinische Waldlagnne gehalten haben. Tiefe Einsamkeit nnd Nachmittagsruhe lag auf dem Forste ringsher, gerade als ob nie Menschen diesen echten Waldsee anfgesucht hätten. Doch fanden wir gleich an seinem Aufange nördlich die deutlichsten Spuren einer ehemaligen Anpflanzung uud kameu von dort gar bald zu einem Rancho einer indianischen Familie, in welcher ein portugiesischer Schwiegersohn mit den» alten Fa-nnlienchef uud noch einigeu andern Arbeitern uom Holzfällen für die Amazonen-Compagnie, vom Fischfang nnd höchst beschränktem Landban lebte. Anch hatte der alte Indianer eine kleine Schmiedewcrkstelle nnd machte eiserne Haken znm An- ^ 276 gcln lino Spitzen für Harpunen zum Fangen von Pirarucu und Schildkröten. Die Leute nahmen uns freundlich auf und gewährten uns arglos einen Einblick in ihr Wald- und Fischerleben nach indianischer Weise, denn hier war der hinzukommende Europäer, jener Schwiegersohn, zum wirklichen Tapui geworden. Unter einer Veranda saßen verschiedene indianische Weiber mit einer Menge von bronzefarbcnen Kindern aus allen Altersperioden und in der unbefangensten Nacktheit. Sie machten kleine Handarbeiten, Hängematten u. s. w., während die Männer das >w1o- nit>nle, wozu die Männer am ganzen Amazonenstrom berechtigt sind, trieben. Bogen und Pfeile zum Fischfang, Harpunen mit beweglicher Spitze, Angeln, Nuder u. s. w, bildeten den vorzüglichsten Hausrath, in welchem alles sonstige ganz rudimentär war. Eine der Frauen bereitete uns das Nationalgetränk der Muras, Caecica genannt, was wir nicht ausschlagen durften. Und da ich auf meiner brasilianischen Reise mich vollkommen daran gewöhnt hatte, alles zu verschlingen, was wilde und zahme Menschen verschlingen, so trank ich anck mit der größten Unbefangenheit dicse Kakophouie. ein rechtes ^p«.« x?^?rn xalx'.aii'U, und sand es gan; gnt. (5s wird aus dem Sahmehl der macemten Manioemehlwurzel bereitet, und zwar mit dem Saft der Wurzel selbst, welcher eigentlich sehr giftig ist. In der Landessprache beißt dieser Saft Tucupi. Durch eine eigene Art des Kochens verliert er aber seine giftige Eigenschaft und gibt dem schleimigen Gebräu einen säuerlich scharfen Geschmack, welcher mittels der Pimentakapsrl zu einem starken Brennen gesteigert wird. Nahrhaft ist das Getränk unbedingt. Doch scheint mir eine unvorsichtige Vereitung desselben immer etwas riskant zu sein. Herr Becher bekam in der Nacht darauf starkes Leibschneiden, ob infolge jenes 277 Mamoewmzelsaftes, kann ich nicht sagen; gegen Morgen indeß war er wieder wohl. Ich empfand nicht das Geringste nach dem Genuß. Gegen Sonnenuntergang fuhren wir wieder aus der schönen Waldlagune heraus. Aus dem kleinen Igarapc gelangten wir in den mächtigen Fluß hinaus. Aber der seltsame Dnft der Victorien am Gingange znm stillen Landsec schien nns zu folgen. Ich sah nach meiner Knospe, und seltsamerweise hatte diese ein wirklich mächtiges Vlütenleben begounen. Ich hielt eine bereits halb offene Wasserlilie, eine Nymphäa von fast 1 Fnß im Durchmesser in der Hand. Kaum hatte ich, im Hause angekommen, Zeit, sie in ein Wasserglas zu setzen, so entwickelte sie ihre volle Pracht, in merkwürdig schneller Weise. Auf dem dicken, runden Blumenstiel und dem kräftigen Fruchtknoten — beide mit starken Stacheln dicht besetzt — hatten sich die vier änßerlich ebenfalls stacheligen Deckblätter völlig auseinander geschlagen. Mit ihnen abwechselnd ruhten halb auf ihnen vier schneeweiße Blumenblätter, welche dann einen andern Blnmenblätterkranz von acht Blättern, diese einen dritten, ebensolchen, einen vierten und einen fünften, alle schneeweiß und immer alternirend, einschlössen. Diese wuudervolleu, schneeweißen, den Magnolienblättern ähnlichen Petalen bildeten den offenen Theil der Blume. Nun folgte eiue neue Neihe von acht weißen, mit rothen Flecken und Streifen gesprenkelten Blumenblättern, und ein folgender Petalenkranz von acht zarten Purpurblättchen, welche beide letzte Reihen über die Stamina nach innen sich hinlegten und so das Gpithalannum der Blüte bedeckten. Somit zählte ich an der anfquellenden Blüte vier Deckblätter und 36 schneeweiße Mittelblättrr, acht weiß und roth gesprenkelte innere und acht purpurrothe innerste Blätter, im ganzen 56 Blätter. 278 Dann folgten die zahlreichen, dicken, konisch abgeflachten, weißen, an den Spitzen blaupurpurrothen Stamina. Die 30 äußern waren unfruchtbar und dicker als die autheren-trageuden innern. Ihnen folgten in regelmäßiger Kreisstel-lnng 171 fruchtbare Staubfäden, jeder nach innen und oben mit zwei Antheren versehen, der ganzen Länge nach angewachsen oder vielmehr eingewachsen in das fleischige Filament und überragt vou dessen blaurother Spitze. Es folgen noch, als innerste Emfassnng der ssilamentcnkränze, 34 kürzere, dicke, fleischige, filamentartige Fortsätze, uud nnn blickt man in die innerste Höhle der Blume hinein. Ringsum ist diese Höhle von einem aus 34 fleischigen Trabcknlen gebildeten Gesimse, den Trägern der eben beschriebenen 34 filamentarti-gen Fortsätze, eingefaßt. Anf der napfförmigen, 9 Zoll im Durchmesser haltenden, kreisrunden Oberfläche des Fruchtknotens, in deren Mitte eine pyramidenförmige Eänle über einen halben Zoll herausragt, liegen, ausstrahlend von dieser Oolmnella, 34 Stigmen als ganz leichte Erhebungen mit feiner Spalte. Sie führen in 34 Loeulamente, von denen jedes mehrere längliche, an den Scheidewänden anhängende Eichen enthält. Wunderhübsch ist nun noch der Luftapparat der Blnme. Durch den ganzen Blumenstiel lanftn vier ins Kreuz gestellte Lnftröhreu. Mit dicseu abwechselnd lausen wieder je zwei Tracheen dicht nebeneinander hin, von viel kleinerm Lnmen als die vier ersten. Zwischen diesen dünnern Luftröhrenpaaren liegeu, mit ihnen einen Kreis bildend, wieder vier Paare noch dünnerer Luftröhren. Alle steigen nebeneinander in den Fruchtknoten hinein und bilden dort in oer schwammigen Substanz eine Menge kleiner Luftzellen. Wenn aber beim Reifen der Kapsel die Samen anschwellen, die Kaftselloeulamente sich ausdehnen und Me Marlsubstanz zusammengedrückt wird, so entweicht die Luft, welche die 279 Blume anf dem Wasser trug, und die Kapsel siukt in die Tiefe zurück. Schon um Mitternacht begann die liebliche, kaum zur vollen Pracht aufblühende, duftige Vittoriablüte zu welken. Am folgenden Morgen waren die weißen Blätter ziemlich welk und hatten einen leisen rothen Anfing bekommen, sodaß die ganze Blume ans einer weißen Wasserrose eine rothe geworden war. So gewährt die Blüte der Vi^oi-m ^ig, wenn man die Pflanze unerwartet am stillen See trifft, dem Reisenden und Untcrsucher wegen der Pracht der Erscheinung, der Siunigkcit der Anordnung und der Reinheit der Farben nebst dem duftigen Wohlgcruch einen Naturgennß, eine Herzensfreude, die wahrlich selten ist und die derjenige, welcher die reizende Nymphäenkönigin der Tropenwelt in europäischen Treibhäusern nach der Heimat nnd den trauten Freundinnen, am See des fernen LandeS schmachten sieht, nimmermehr nachempfinden, ja nicht einmal ahnen kanu. Und so gewährt sie anch dem, der den poetischen Klängen in der Natur gern lauscht, — und diese schalleil überallhin durch den herrlichen Kosmos, — einen lieblichen, elegischen Nohllant. Das strenge Dorncngewand der jungfräulichen Knospe, ihr plötzliches Aufblühen beim Sonnenuntergang, oas »eine Weiß der duftenden Blume, der hellrothe, bis zum liefen Purpur gesteigerte Farbenschmelz der innersten, das Vpithalamium verschämt verhüllenden Blättchen nnd das chnclle Welken der holden Mädchenblüte, welche sich im Hrühroth mit ganz leichtem Grröthen überdeckt findet, und verwelkt wahrscheinlich bald wieder zu Grunde sinkt, um die Hrncht zur letzten Entwickelnng zu bringen, — sie sind, diese Nomente im kurzen Leben der Vicloiii» ro^i«, Blumenlaute, velche vielleicht manches Herz bewegen und in langhallenden Mollaceorden auftönen machen. 280 Unupi»uüi, baden lassen. Ich war eben mit der Anschanung der schönen, hinwelkenden Knospe beschäftigt, als man mir einen Chinesen brachte, dem eben die Dampfmaschine einen Finger zerquetscht hatte. Ich mußte dem armen Zopfträger die Hälfte des Fingers abschneiden. Und doch war er zufriedener damit, als wenn ich ihm seinen Zopf hätte abschneiden wollen. Schlimm genug ist es aber, daß nirgends in der Nähe ein Arzt ist, .und in und um Serpa Hunderte von Menschen allen nur denkbaren Gesuudheits- und Krankheitseventnali-täten ausgesetzt sind. In den wenigen Tagen meines Aufenthalts in Serpa hatte ich hinreichend Gelegenheit, ärztlichen Rath zu ertheilen, wobei es seltsam genug war, daß ich einen Maschinisten mit kleinen Fnßwnnden traf, den ich vor 14 Jahren schon einmal, als er elend und lebensgefährlich krank in Rio war, im dortigen Hospital behandelt hatte. Er erkannte mich auf den ersten Blick wieder. Ich schickte mich an, diesen seltsamen Vorposten der Cultur, Serpa und feine Colonie, letztere ein kleines Wallenstein'-sches Lager mit einer Besatzung aus vier Weltcheilen, zu verlassen. Bis zum letzten Augenblick gewährte er mir volles Interesse. Als ich zum letzten male von Serpa den Feldweg nach Hause ging, fand ich noch einige Seifenbäume (8a-pmc1u8), deren runde Früchte einen höchst eigenthümlichen, schleimig fetten Saft enthalten und ein Surrogat für di« 281 Seife liefern. Doch scheint mir das Surrogat ziemlich dürftig zu sein. Viel bemerkenswcrthcr war nun noch ein mächtiger Su-manmabanm, den man eben wegen seiner Größe verschont und ganz allein lm Felde hatte stehen lassen. Freilich war er ein Niese. Aber eben, daß man ihn für einen ganz besondern Niesen hielt und deswegen stehen ließ bei seinen keineswegs nncrhörten Dimensionen, beweist, daß wol manchmal Reisende die Dimensionen von Bäumen auf den bloßen Anblick hin überschätzten oder im Ausdruck des Maßes nicht genan waren. Wenn ich den Umfang angeben will, den des Baumes Strebepfeiler über der Erde einnehmen, so ist dieser Umfang 76 Fuß. Doch ist beim Messen dieser mächtigen Sapupemas, wie diese Bretbiloungen heißen, kanm die Nede von einem wirklichen Stamm. In der That kann man nur von einem Convolut von Fächern, Winkeln und Einbuchtungen reden, die im schrägen Ansteigen um ihren gemeinsamen Mittelpunkt erst auf etwa 24 Fnß Höhe über der Erde zu einem vollkommen runden, festen Stamm verschmolzen sind. Dort war der Stamm aber gewiß nicht über 5 Fuß dick. Seine Höhe bis zur Krone mag immer 40 — 50 Fuß betragen. Seine einzelnen Aeste haben die Dicke von mäßigen Baumstämmen, und den Namen eines Waldriescn kann man dem Baume gewiß nicht versagen. Daß er aber mächtiger erscheint, als er wirklich ist, kommt von der gewaltigen Entwickelung seiner Wurzelbreter her. Im langsamen Ansteigen bilden sie eine mächtige Holzpyramide, die unten in ihren fernsten Endpunkten einen Durchmesser von 22 — 24 Fuß haben mag. Doch kann man solche Holzpyramidc mit reinem Gewissen keineswegs für den Durchmesser eines Stammes ausgeben; sie ist nur eine mantclartige Draperie, eine Gewandung des Waldfürsten. 282 Indessen trägt gerade diese seltsame Holzgewandung des im Zusammentreffen der Falten steckenden Stammes an: meisten dazu bei, dem Baume einen ganz eigenthümlichen, wirklich spukhaften Ausdruck zu verleihen. Gerade vollkommen blattlos, zwei nntere Aeste von mächtigem Kaliber horizontal weithin ausstreckend, bildete er eine imposante, aber grausige Metamorphose, ein alter grauer König Harald, um den man ringsher die Genossen gefällt und verbrannt hatte. Im ersten matten Glänze des eben aufgehenden Vollmondes sah der starre Stamm, in dessen obersten Zweigen noch das letzte Abendroth glühte, wirklich gespenstisch aus. Dazu fingen im Walde hinter ihm die Affen ihren melancholischen, heulenden Nachtgesang an, und mit starken, schnell wiederholten Schlägen klatschten die Delphine mit ihren stachen Schwänzen laut auf dem Wasser, um sich zu locken. Diese Cetaeeen werden, so geht der Volksglaube am Amazonenstrom, in Mondnächten zu Menschen, welche am Lande umhergehen, um andere Menschen, und besouders Frauen zu bethören und mit sich in das Wasserreich zu ziehen, worin die Bethörten ebenfalls zu Delphinen werden. Der Volksglaube geht so weit, daß man mir in Serpa erzählte, es wäre einmal ein einfältiger brauner Polizeisoldat einem Durchreiseuden, der sich lustigerweise für solchen peripathetischen Delphin ausgegeben hatte, mit großem Amtseifer, aber auch mit vieler Vorsicht von fern einen ganzen Tag gefolgt, um ihn auf frischer That zu ertaftpeu. Die Delphine im Amazonenstrom scheinen mir übrigens eine eigene Species zn sein. Steckt aber nicht in einer Vollmondsnacht am Amazonenstrom, in dieser Delphinensage, in der Holzerstarrung eines Waldfürsten und in dem lieblichen Vlumrnleben der l.Iu!'«, Strohhntjünglingc, von denen sich auf dem Solimöens fünf bis sechs Individuen befanden, warfen sich, sobald nur eine Montana unter Bord kam, in dieselbe mit einem Packen zusammengelegter Sombreiros. Damit durchliefen sie, hausircnde Inden des Westens,-die ganze Ortschaft und suchten ihre Waare nnter humoristischen Lobpreisungen anzubringen, was ihnen auch ziemlich gut gelang, aber immer einen sonderbaren Gindruck macht, wenn man an die Würde des alten spanisch-amerikanischen Handels denkt. Um 11 Uhr gingen wir von Serpa fort. Bequem, waren die Lokalitäten des Schiffs; aber sie waren mehr für einen, kalten Norden als für eine Amazonenstromfahrt berech- 284 net; wir litten sehr von der Hitze. Indeß hatte ich den Vortheil, daß ich eine Kajüte für mich allein bekam und auch auf der ganzen Fahrt behielt, wie. viel Passagiere nach und „ach sich auch zusammenfinden mochten. Schon am Nachmittag oder vielmehr im Mond schein abend erreichten wir Villa-Bella da Impcratriz, aus welcher trotz der „mondbeglanzten Zaubernacht" ebenso wenig zn machen war wie unter der brennenden Mittagssonne des Johannistags, als ich das erste mal dort an das Land stieg. Am folgenden Morgen schon, am 13. August,- sahen wir Obidos vor uns liegen, den schon besprochenen Ort, der mir, nachdem ich die Verödung am Solimöens erlebt hatte, doppelt civilisirt nnd angenehm ans seinem luftigen Hochufer erschien nnd von mir gern noch einmal betreten ward. Nach wenigen Stunden schon riß die gewaltige Strömung unsern Dampfer mit sich sort, uud bald lag der kleine Ort fern hinter nns. Bei schneller Fahrt von 14 Knoten trat von Moment zu Moment mehr und mehr die Mächtigkeit des Stroms hervor. Weniger dicht am Waldesrand als beim Hinauffahren brauste der Dampfer auf dem grauen Element dahin; alles Waldleben, alle Thiererscheinungen traten ferner, je mehr die All-mächtigkeit deS Stroms sich hervorthat und nach mannich-fachen Richtungen hin Wasserhorizontc zeigte. So zogen wir bis gegen Abend dahin. Dann bogen wir ans dem breiten Strom in einen schon früher erwähnten Parana ein, der sich in den breiten Tapajoz öffnet. Eben sank die Sonne unter, als wir vor Santarem Anker warfen. Der schöne Nebenstuß des Amazonenstroms, welcher einein unübersehbaren Landsee glich, glühte im Abendroth; der ganze Wcsthimmel, die ganze Wasserfläche bildeten ein zusammenhängendes Feuenneer, welches von einzelnen blauen Farben streifen durchzogen war nnd unter dem Hervor- 285 tauchen zahlreicher Delphine in zitternden Kreisen aufbebte. Friedlich und still lag die Stadt am Rande der Flut. Wir machten einen Spaziergang durch dieselbe und kamen längs des Strandes, an welchem beim Zurücksinken der Wasser sich eine Praya von trockenem Sande gebildet hatte, zum offenen Amazonenstrom, an dessen fernstem Waldrande eben der Vollmond in seltener Klarheit auftauchte. Fast glaubte ich mich auf dem Sandufer des Meeres zu befinden. Anf dem reinen Sande wimmelte es von Wäscherinnen, Fischern und einzelnen Badegrnppen, wahrend Kinder im tiefbrauncn Nationaleostüm der vollsten Nacktheit sich im Sande selbst umhenvühlten und mit allem andern ein seltsam anmuthiges Bild des Naturlrbens im fernen Westen darstellten. Aber der Abend sank tiefer berab. Der alte Commcndador Pinto, den wir besuchten, brachte uns in seiner hübschen Montaria an Bord, wo sich nenc Mitreisende eingefunden hatten, und so gleiteten wir denn nach flüchtigem Besuche von Santarem am spaten Abend aus dem Tapajoz hinaus und verfolgten in der wnndervollsten Mondnacht die mächtige Stromgasse gen Osten, die wie ein offenes Meer dalag. Eine traurige MensclMgrnppe sah ich am folgenden Morgen, abgesondert von den andern Passagieren, vorn auf dem Verdeck des Schiffes sitzen, — eine Frau, drei Männer und einen Knaben. Alle litten an mehr oder minder heftigen Zeichen der Morphea, jener sogenannten Griechischen Elephantiasis, die in Brasilien so weit vrrbreitet ist und schon zur Auffindung von manchem gepriesenen, aber immer wirkungslosen Mittel Anlaß gegeben hat. Ich habe schon bei meinem ersten Besnche von Santarem jenes Costa und seines Mittels Paracary Erwähnung gethan, mit welchem aller Noth der Morphetischen ein Ende gemacht werden sollte. Die Präsidentschaft von Parä schickte 386 drei bekannte Aerzte zur Untersuchung der Vorgänge nach Santarem und Paracary; und nach genauem Eramen stellte es sich heraus, wie es auch im „Noüln^l^u, 8,mUn'umlma" am 11. August gedruckt ward, daß die ganze Geschichte eine Schwindelei gewesen wäre, nnd Costa selbst, der die Regierung um bedeutende Subsidien gebeten hatte, jetzt dringend darum anhielt, man möchte ihn nur von den Kranken wieder befreien, was man denn auch auf alle Weise zu thun suchte, indem man den so grausam getäuschteu Unglücklichen freie Passage auf den Dampfbooten der Amazonen-Compagnie gewährte, wohin sie nur immer verlangten. So zerstreuten sich denn jene Unglücklichen von Paracary und Santarem aus längs des ganzen Amazoneustroms, sodaß die Anwohner des Flusses unangenehm von ihnen afficirt wurden. Fast überall stränbte man sich gegen ihren Aufenthalt; als auch einer dieser Unglücklichen in Villa-Bella oder Prainha blieb, verfolgte man ihn so mw trachtete ihm sogar so entschieden nach dem Leben, daß er sich im nahen Walde ein kleines Hüttcheu baute uud nur bei eiuzelncu Gelegenheiten sich heimlich in den Ort hineinschlich, um die nothwendigsten Lebensbedürfnisse sich einzukaufen, gerade als ob er im alten Palästina lebte. Unsern Kranken an Bord ging es natürlich ganz anders. Man hatte ihnen ein hübsches, luftiges Quartier eingeräumt und zeigte ihnen alle Aufmerksamkeit, leistete ihnen alle Dienste; ich habe nicht ein einziges mal bemerkt, daß irgcnd-jcmand am Bord ihnen anch nur sichtlich und unfreundlich ausgewichen wäre, wenn auch jeder sich peinlich bewegt fühlte bei ihrem Anblick. Prainha erreichten wir schon am folgenden Morgen, um es bald und schnell wieder zu verlassen. Von dort an schien der Strom nicht im geringsten weiter gefallen zu sein von seiner Höhe; und in der That läßt sich auch bis dorthin, 287 ja bis Santarem hinauf, wie einige Leute behaupten, in einer periodischen Verlangsamung der Strömung, in einem gewissen Aufstauen des Nassers, cine Art von Flut nachweisen. Auch zeigt sich am Walde von Prainha schon in der Vegetation ein gewichtiger Repräsentant des letzten Amazonen-stromabschnitts. Zu herrlichen Säulengängen zusammengedrängt und an einzelnen Stellen schon einen ganzen Wald bildend, tritt wieder die Meritipalme auf, die stolze Königin des Waldgebiets besonders am Toeantins und Gran-Parä. Ich hatte kurz vorher Gelegenheit gehabt, eine heranwachsende Mauritia in nächster Nähe zn sehen. Ueber 12 Fuß lang war der dicke, saftige und doch so feste Blattstiel, bevor er sich zum Ausstrahlen zn einem Fächer bequemt. Ein Mann müßte schon mit ganzer Kraft anpacken, nm ein einziges solches Blatt aufzuheben und wegzutragen. Und von diesen Blättern sind 12 — 20 auf einzelnen Stämmen, während unter ihnen im Kreise 6 — 10 Fruchttrauben hängen, jede bis 200 große, braune Früchte tragend. Aber Hochauf ragt dennoch der edle Baum, das vollendete Bild von Ruhe, Ma-ichät und zugleich lieblicher Anmuth, und trägt ungebeugt die gewaltige Last der Krone. Es siud diese Mauritien mit der Popunhoftalme oder Pi-njäo, mit den verschiedenen Astroearyen, Iavari, Tueuman und Mnrnmurn, mit Inaja und den unendlich schlanken Euterpen doch wol die edelsten Erscheinungen im Walde und am Strome der tausend Inseln. Am Strom der tausend Inseln! Unwillkürlich drängt sich dieser Ausdruck immer wieder dem Reisenden ans, wenn er den Amazonenstrom hinuntersticgt. Ein Stromarm verschlingt sich mit dem andern, einer trennt sich vom andern, einer nach dem andern umfaßt eine Inselgruppe und öffnet einen Süsiwasferborizont nach dem andern, in welchen der 288 von Peru kommende Schiffer immer das Meer zu sehen glaubt, ohne Salzwasscr zn finden, und immer von neuem an das alte Wort der Neugier denkt: N^, an nun? Ist das denn nicht das offene Meer? So trieben wir den ganzen Tag stromabwärts und kamen an jenen schönen Höhenzügen vorbei, welche von Monte-Alegre anfangend sich in der kleinen 3<>>'>^ dä v0 geographische Meilen entfernt befanden, angeregt und in Bewegung geseht ward, sei es, daß eine vom frischen Ostwind allein hervorgerufene Eigenbewcgnng die Fläche aufwühlte: aus der anfangs gekräuselten Bucht ward ein aufgeregter Landsec, ans diesem bald ein lcichtwogendes Meer. Unser Solimöens, cin nahezu 200 Fuß langes Fahrzeug, fing an, rhythmisch auf-und abzusteigen wie ein kleines Boot, während recht unrhythmisch und disharmonisch Kinder und Weiber zu stöhnen nnd zu schreien anfingen und es bis zum Erbrechen, znr vollen Seekrankheit brachten. Erst nach Mitternacht kam einige Ruhe in die bewegten 291 Wasser und nüt ihr einiger Schlaf über die Jammernden und Leidenden. Als aber die „rosenfingerige Erigeneia^ uns weckte, lag der Solimöens längst vor Anker vor Belem do Parä. Ein allgemeiner Aufstand bewegte sich in allen Ecken und Enden des Schiffs, und der Menschenknäucl, Weiße und Farbige, Kranke uud Gesunde, und allerlei Geschlecht und Thiere nach ihren Gattnngen, wickelte sich ab nach dem Ufer hinüber. Bald waren denn auch meine Kisten und Kasten ans Land gebracht; und' noch hatte ich das Hans dcs Herrn Tappenbeck nicht betreten, als mir dessen unermüdlich freundlicher Handelsgesellschafter, Herr Brambccr, schon entgegenkam, um mich, gerade wie sein bald darauf vom Landhaufe zur Stadt kommender Freund, Herr Tappenbeck, mit neuer Güte und mit der alten Freundschaft zu überschütten und zu fesseln. Als ein Fremder betrat ich, als ich von Pernambueo kam, ihr Haus, uud sie uahmen mich wie einen ihnen langst Bekannten vollständig in Beschlag. Als ich von Cameta zurückkehrte, waren sie mir liebe Freunde geworden; als ich vom Amazonenstrom wiederkam, waren sie mir dieselben freundlichen, aufopfernden Genossen. Und wie viel Freundlichkeit ich auch auf meiner ganzen Neise von guten, freundlichen Menschen genossen habe, so darf ich es dennoch nicht verschweigen, daß die beiden genannten Herren Tappenbeck und Brambeer in Bclem do Parä unter allen sich den ersten ^latz erworben haben. Zur Freundlichkeit dieser Herren bei meiner Rückkunft gesellte sich denn auch die Freude, gar viele und liebe Nachrichten von Europa vorzufinden, obgleich ein furchtbares Ercigniß vorlag. Da nun einmal Fürsten uud Völker nicht hören wollen, obwol zu keinen Zeiten die Vorsehung nachge- 19* 292 lassen hat zu mahnen und zu strafen Völker und Fürsten, so hatte auch neuerdings der Herr ein furchtbares Gericht halten müssen am Mnmo und um Solferino und hatte sie alle geschlagen, sodaß Tausende von Kaiserlichen und Königlichen die Gefilde bedeckten. Keine Siegesfanfaren hatten die gi^mlo vifti.oiio der entsetzten Welt mitgetheilt; sondern tief gebeugt und beschämt waren die Treiber der Völker — denn Gott hatte sie geschlagen — nach Hause gegangen und auf den todten Leibern der Gefallenen war bereits die Friedenspalme, vor allen Palmen doch wol die edelste und lieblichste, aufgewachsen. Und die möge fortwnchern in unsäglicher Fülle, mehr noch wie die Millionen von Mauritien am Gran-Parä und Amazonenstrom. Ich brachte noch einmal in Erwartung des DampfbootS, mit dem ich von Parä nach Pcrnambnco zurückkehreil wollte, eine behagliche Woche im erstgenannten Drte zu und gedachte mit Freude au die Erlebnisse der letzten Monate, wenn mir auch bei der Schnelligkeit meiner Reise und der ungünstigen Jahreszeit, d. h. dem hohen Wasscrstandc des Stroms, manche wesentliche Erscheinung an jenem Weltstusfc entgangen war. Besonders waren mir zwei Thierformen entgangen. Nur ein einziges mal konnte ich, und auch da nur auf Augenblicke, einen jungen Lamantin (Mmatus ium^cilnu«), der in einem Fischteiche gefangen lebte, zn sehen bekommen, wie oft ich auch sonst diese eigenthümlichen Sirenen des Amazonen-stromS in ihrem weiten Revier entdeckte, wenn sie die Schnauze schnüffelnd nnd athmend ans dem Wasser heraussteckten. Selbst in Mamios, wo das Fleisch dieser Fisch-saugethiere (p^ixo dc»>, Ochsfisch genannt) als ein geläufiges Nahrungsmittel auf den Markt kommt, ward znr Zeit meines Aufenthalts daselbst kein Lamantin gefangen. Der hohe 293 Wasscrstand hinderte den Fang der Thiere, Das Thier, was ich in einem Teiche sah, war schwarzgrau mit einzeln stehenden weißen Flecken. Auch der Poraque oder elektrische Aal Gymnotus war nicht zu finden, obwol er den Leuten sehr wohl bekannt ist als Bewohner stiller Buchten und Landseen. Humboldt's unsterbliche Beschreibung des Kampfes zwischen Pferden und Gymnoteu sagt alles über die seltsamen Thiere. Und endlich wallte es sich anch nicht fügen, daß ich das schnelle Heranströmen einer Springflut, die Pororoea, bei Para zu sehen bekam, obwol das Phänomen gewaltig genug ist und kleinen Schiffen sehr gefährlich wird. Ich war zu keiner Springflutzcit in Parä. Zu einem hübschen Ausflüge am Sonntag den 21. August gab mir die Colonie von Nossa Senhora do O' Gelegenheit, ganz in der Nähe von Para. Seitdem das Anlegen von Kolonien in Brasilien Tages--frage geworden ist und überall (5olonisationsunternchmnngen, gute und schlechte, auftauchen, hat man sich auch in der Provinz Parä an solche Unternehmungen gemacht nnd ver-sncht, unter mannichfaltigen Bedingungen Leute herbeizuziehen, von woher sie immer zn bekommen sein mochten. Es versuchte denn auch ein Herr Iozc do O' dc Almeida, ehemals in der Marine angestellt, jenseit deS Gnajara, jenes Armes vom Gran-Parä, an welchem die Stadt Parä liegt, auf der Ilha das Oncas eine Colonic zn gründen und sie unter den Schutz unserer Lieben Frauen von O' zn stellen, eine Heiligkeitspotenzirung der so vielfach gemisbrauchten Mutter Gottes, deren Grnnd und Ursachen ich nicht weiter kenne. Ich segelte bei frischem Winde in einer guten halben Stunde zur Insel hinüber nnd ward von dem Unternehmer mit großer Freundlichkeit aufgenommen. Die Aussicht von 294 der Colonie ist wunderhübsch. Jenseit deS Gnajara, der gewiß 30M Klafter breit ist, liegt die Stadt Parä in ihrcr ganzen Länge nnd Breite nnd hat ein vornehmes Ansehen. Was aber die Colonie selbst betrifft, so gewährt sie einen desto kümmerlichern Anblick. Um nun den thätigen Unter< nehmer, der mit seiner Colonie recht eigentlich s>>n ^!'i» et loci« kämpft, denn er hat sein Geld hineingesteckt, nicht zu kränken, will ich die Colouic von Nossa Scnhora do O' nach dem Bericht durchgehen, den Ioze do O' de Almeiva selbst in der „lii»«>ll> <'tlio!<,l" von Para am 20. Juli 1859 kurz nach dem Besuche des Präsidenten Frias de Vasconcellos publicirt hat. Nach einigen einleitenden Wor.ten des Unternehmers, den wir selbstredend einführen wollen, kommt eine Topographie des Terrains. Die Lage der Colonie ist malerisch nnd angenetnn, getrennt von der Hauptstadt durch den schönen Fluß Gnajarä, der hier am Ufer eine kleine Bucht bildet. Als solche ist sie anerkannt von denen, welche sie leidenschaftslos betrachten. Die Ueberfahrt läßt sich zu jeder Stunde Tages und der Nacht und bei Fluten und Ebben bewerkstelligen. Diese Leichtigkeit der Schiffahrt befälngt die Colonisten, ihre Prodneie zu jeder Tageszeit nach dem großen Markt der Hauptstadt zu bringen, olme viel Zeit für die Arbeit zu verlieren, und gibt ihnen zugleich Gelegenheit, sich mit dem Nothwendigen für ihr Familienleben zu versehen; und sie leben zufrieden und glücklich (l,'Nl!U'!N<'5 >> ^U^ilnz?), Wahr ist es, daß das Land niedrig ist und deu äqui-noctialen Ueberschwemmnngcn ausgesetzt. Dieser Umstand indeß, weit entfernt, dem Ackerban Abbruch ;u thun, der auf jenem Boden getrieben wird, begünstigt ihn und macht ihn noch ergiebiger. Solche Irrigationen, die die Natnr auf jenen Ländereien bewirkt, sind mit industrieller Kunst herge- 295 stellt In denjenigen Ländern, welche im Ackerban an der Spitze stehen. Die Beispiele, die man in Europa in großen Ackerbananstalten sieht, bestätigen diese Wahrheit. Und verdankt man die reichlichen Ernten, welche man am Rande des Nil hält, nicht den Überschwemmungen, welche in gewissen Jahreszeiten dort stattfinden? Die Erfahrung, welche die anf der Colonie wohnenden Leute machen, bestätigt gleichfalls diese Behauptung. Die fruchtbare Vegetation, welche die Kraft und Fülle dieses Bodens kennzeichnet, ist der kräftigste Beleg von dem, was ich eben gesagt habe. Er ist von kleinen Igarape's durchschnitten, welche als Flußsiraßen dienen, und zugleich stagnirende Wasser, welche sich vielleicht irgendwo finden möchten, ableiten. Auf ihnen passiren die Colonistcn in ihren Montanas oder kleinen Canoas, wenn sie ans ihren Hänsern mit Landesprodneten nach der Hauptstadt gehen. Das Niveau des Landes ist nicht unter dem, auf welchem der Rcgierungspalast steht, nach ganz genauen, kunstgemäßeu Untersuchungen. Das ist das Feld, anf welchem die Feinde der Colonie die Waffen der Verleumdung schwingen, indem sie das Land für nnfähig zn irgendeinem Anbau erklären. Die Ausführung von Cultur und Ackerbau, welche man auf ibm sieht, beweist das Gegentheil. Ich habe eingesehen, daß der Boden an einigen Stellen sich nicht zu gewissen Anpflanzungen eignet vom Februar bis April jedes Jahres. In den andern nenn Monaten blüht alles und trägt Frucht, sowie nur der Samen dem Boden anvertraut ist und Sorge und Eifer stattfinden. Straßen und Wege. Ich hatte, so berichtet Herr von O' weiter, einige Straßen angelegt, um die Verbin -dung im Innern der Colonie zu erleichtern; aber der Mangel 296 an Armen, um sic immer rein zu erhalten, hat Gebüsch darüber hinwachsen lassen, welches sie versperrt und nnpassir-bar gemacht hat. Diese Schwierigkeit hat mich genöthigt, nur Pieaden oder enge Wege durch den Wald zu machen, welche die Verbindungen nach verschiedenen Punkten der Colonic erleichtern. In den von Igarapes dnrchschnittenen Gegenden sind diese die Verbindungswege, wie ich schon gesagt habe. Ackerbau im allgemeinen. Der Ackerban, welcher in der Colonie stattfindet, entspricht nicht der Iahl der Colo-niften, welche in ihr wohlten. Trotz reichlicher Ernten, welche die in kleinem Maßstab den Boden bebauenden Colonisten halten, ergeben diese Colo-nisten sich mehr der Industrie, natürliche Productc zu gewinnen. Ans Rathschläge und verständige Anmahnnngen, die ich ihnen mache, antworten sie, daß sie als freie Lente thun, was ihnen gut düukt. Urberschlägen, welche ich ihnen vorlege, um die Vortheile des Ackerbaues zu zeigen, gebeu sie nicht hinreichend Gehör. Wenn Ueberredung nicht die Menschen, welche keine Lust haben zur Arbeit mit Hacke nnd Pflug, überzeugt, so wird Strenge das noch weniger thun. Schon ist es vorgekommen, daß sich einige Personen von der Colonie znrückgezogen haben, die ich zur Arbeit zwang, um nicht in ihre Indolenz nnd Herumtreiberei einzustimmen. Was kann ein Director mit Lenten solchen Schlags anfangen? Von der Zeit und Uebcrredung znr Arbeit etwas hoffen? Trotz dieses Nebclstandes wird Ackerbau im großen und kleinen getrieben. Zuckerrohr, Caeao, Neis, Baumwolle, Urueu, Mais sind Pftauzen, welche besonders auf diesem Boden angebaut werden. Wenn auch der Boden besonders sich zur Cultur des Zuckerrohrs eignet, so schickt er sich doch auch zur Pflanzung aller Gemüse- und Industriepftan- 297 zm, wenn die Eolonisten sich einmal dieser Arbeit hingeben wollen. Werkstätten. Von den Werkstätten, welche ich — Herr von O' — in der Colonie aufgestellt habe, habe ich kaum die Sägemühle beibehalten. Diese kann ich wirklich nicht unterdrücken wegen des Nutzens, den sie der Colonic gewährt. Sie arbeitet in den Flutzeitcu, wenn die Zuckermühle aus Mangel an Material nicht arbeiten kann, d. h. wenn die Colonisten kein Zuckerrohr gebracht haben. Außerdem ist sie eine Wohlthat für die Tagelöhner wegen des Tagelohns, was dieselben mit dieser Werkstatt verdienen. Außerdem habe ich unterdrückt mit Nachtheil beim Verkaufe von Gcräthschaften nnd Maschinen die Werkstätten von Schmied, Tischler, Drechsler und die Fabrik von Eingemachtem und Liqueurs, weil die Einnahme nicht die Ausgaben deckte; alles ging auf in Tagelohn und Handhabung von Werkstätten und Fabriken. Außer diesem gewichtigen Grunde hatte ich der Anempfehlung zu gehorchen, welche mir unser angebeteter Monarch machte, ich sollte mich nur mit Ackerbau beschäftigen und alle sonstige Mannfattnr weglassen, weil er einsah, daß die Verwickelung verschiedener Industriezweige die Entwickelung des Landbaues hinderte. Solcher gewichtigen Anempfehlung bin ich pflichtschuldigst nachgekommen. Unterricht und Krankenpflege. Ich habe in der Colonie eine Leseschulc gegründet, in welcher der Lehrer von (' Uhr morgens bis 6 Uhr abends unterrichtete. Sie war offen für die Colonisten beider Geschlechter und jeglichen Alters, sowie für die in der Nachbarschaft der Colouic wohnenden Leute, die sich ihrer bedieuen wollten. Von 150 Colonisten besuchten kaum 31 die Schule, und diese auch nur auf meine Nöthiguug, oie erste Pflicht zu erfüllen, 298 welche alle zu erfüllen haben. Die Schulbesucher, welche sonst nicht lesen konnten, schreiben und lcsen beute leidlich. Als ich nnu sah, daß die Colonisten nur zwangsweise die Schnle besuchten, ward ich verdrießlich und schloß sie wieder, nm eine memrn Wünschen nicht entsprechende Ausgabe zu vermeiden. In einer eigenen Druckerei ließ ich nnter dem Namen „Der Colonist von Nossa Senhora do O'" ein eigenes Journal drucken und herausgeben, mit der Absicht, ackerbauliche und industrielle Verfahren, wie solche in civilisirtcn Ländern angewandt werden, zu verbreiten und die Colonisation in dieser Provinz zu beleben und anzuregen. Ich mußte aber dieses Unternehmen aufgeben, weil die Einnahme der Unterzeichnungen nicht für die Ausgaben hinreickte und die wenigen disponibeln Hülfsmittel dieses Deficit nicht ertragen konnten. Der Vortheil, der. aus der Veröffentlichung dieses Journals entsprang, war die Entstehung eines Verzeichnisses von Landbanverfahren und industriellen Processen von der größten Nützlichkeit für die Provinz. Die Sammlung, die aus ihnen besteht, ist allen denen zn Gebote, die diese Proeessc kennen lernen wollen. Da aber die Typographie durch das Aufgeben des Journals unnütz geworden ist, gehe ich damit nm, sie zu verkaufen. ^ Zwei Krankenzimmer waren vorhanden für 'die Pflege von Colonisten beider Geschlechter in Krankheitsfällen. Ich mußte sie schließen, weil ich uicht die daraus erwachsenden Ansgabcn bestreuen konnte. Solange sie offen waren, habe ich an den Kranken, die in ihnen behandelt wurden, die Mildthätigkeit ausgeübt, die der gute Christ ausüben soll. Baulichkeiten. Ueber diesen Punkt habe ich nnr das zu früher Gesagtem hinzuzufügen, daß, da das Vorhandene 299 an Baulichkeiten znm Betrieb der Niederlassung hinreichend ist, ich keine Bauten weiter gemacht habe. Das Vorhandene ist einfach, olme Aufwand, aber fest und sicher. Gesundheit. Dic der Lokalität anklebende Krankheit ist Wechselficber; andere erscheinen nnd verschwinden nach den Jahreszeiten, wie in allen Lokalitaten. Die au die örtliche atmosphärische Constitution gewöhnten Colomsten zeigen sich robust und widerstehen der endemischen Krankheit. Im gegenwärtigen Augenblick ist kein einziger Colonist krank. Diese Besonderheit des Krankseins ist der Kriegspunkt gewesen, gegen welchen die Gegner der Colonie zu Felde gezogen sind, indem sie den Platz für unbewohnbar erklären. Sie erinnern sich nicht, daß diese Eigenthümlichkeit, welche überschwemmte Ländercien begleitet, verschwinden wird mit dem Anbau und der Cultur des Vodeus, und daß man Landercicn mit ungesunder Beschaffenheit sich hat umwandeln sehen in gesunde und bewohnbare durch Mittel, welche der menschliche Geist in solchen Fällen anwandte. Schon hente leben die Bewohner dieser Colonie in besserer Gesnndheit nach Anbau, Cultur nnd Wasscrablcitung, die man eingeführt bat. Die Erfahrung wird auch ferner diejenigen, welche zur Colonie gehören möchten, von diesem Porurthcil, worin sie leben, frei machen. Gottesdienst. Die Kapelle von Nossa Senhora do O' 'st nicht fertig, weil ich für andere Nothwendigkeiten aufkommen mußte, die ebenso wichtig sind wie die Danksagung gegen das höchste Wesen. Ich beabsichtige ernsthaft die Be-cndignug dieses Gebäudes u>w werde das thun, sobald die Geldmittel es erlauben. Die Religion, welche die Mehrzahl der Colonisten be-kmnt, ist die katholisch-apostolisch-römische. Doch zwinge ich niemand, der eine andere Religion hat, der'unserigen zu 300 folgen. Ich lasse sie den Vefchlen ihres Gewissens nachkommen und ihrer Erziehung, solange sie keine Tempel erbauen. Toleranz in Neligionssachen ist eine Nothwendigkeit in Colonien, vorausgesetzt, daß in ihnen verschiedene Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse sich finden. Und nun kommt im Bericht des Herrn von O' de Almeida unter der Ueberschrift „^oioni^ieno" das Bekenntniß, daß das Colonisiren schwer ist; sein eigener „^onio «inpre-K«uüo6n>'", wie er solch Sfteculationsgelüst nennt, womit die göttliche Vorsicht ihn begabt hat, hat ihn nach ernsten Lectio-nen von solcher Schwierigkeit überzeugt. Die Provinzialkasse lieh ihm acht Contos de Reis (etwa 6(X)0 Thlr.), um die ersten Anfänge zu machen mit ausländischen nno fremden Colonisten; aber „die angewandte Summe ging verloren mit der Flucht einiger, mit dem Tode anderer". Vivcm (.'cml^tito5 (! 83t,i8l'«it(>8, sagte aber Herr von O' erstlich. Darauf wollte er die ebengenannte Summe geschenkt haben; aber das verweigerte man ihm, und nnn ging er nach Nio, um beim Kaiser und dem Ministerium Hülfe zu finden. Man machte einen Contract mit ihm, doch hinderte der schlechte Ruf, den das Klima von Para genießt, die An-we'rbnng von fremden Colonisten, obgleich mit Agenten, Menschenjägern und Anwerbern viel Geld verloren ging. Auch werden die ausländischen Consuln beschuldigt, daß sie zur Verhinderung von solchen Anwerbungen beigetragen haben und daß die überlebenden Verwandten der Gestorbenen die Zustände, in denen sie sich befänden und welche sie durchgemacht hätten, übertrieben. Vivom ^oMlmte« 6 «aUsfoiw,«;, sagte aber Herr von O' erstlich. Inmitten dieses Wirrwarrs von Inkonsequenzen sagt er denn ganz richtig: „Der Süden von Brasilien kann noch günstig für Colonisation sein, weil dort Klima, Ackerbau und Nahrungsmittel denen der Colo- 301 nisten ähnlich sind. Im Norden jedoch wird die Colonisation, wenn sie nicht unausführbar ist, sehr langsam und schwierig sein." So sieht sich denn der Mann ohne Muth und ohne Kraft nnd verlangt dennoch, daß man ihm „verlassene Waisenkinder nnd arme Lente beider Geschlechter zuschicke zum Colonisiren"! In Rio hatte er 30 Contos (24000 Thlr.) von der Regierung bekommen und nnn verlangt er, daß man die daran geknüpften Bedingungen aufhebe und ihm das Geld schenke oder in kleinern Abtragungen abbezahlen lasse. Wenn ich nnn endlich mein Urtheil ablegen soll, so ist die Colonie Unserer Lieben Frauen von O' ziemlich bestimmt mit das Kümmerlichste, was ich gesehen habe auf dem Felde des Colonisirens. Taktlose Wahl des Ortes, taktlose Ver^ fassung im Innern nnd die allcrleichtsinnigste Weise, Menschen herbeizuziehen und zu halten, charakterisircn sie vollständig. Im Grunde ist auch dee ganze Sinn von der Colonie wol nur der: der Gründer erkannte in dem Boden auf der Ilha das Oncas einen vortrefflichen Zuckerrohrboden. Aber zur Anlage ciucr Iuckerplantage alten Stils mit Negersklaven hatte er kein Geld. Da ward die Mutter Gottes angernfen uud ihr der Schwindel unter dem Namen einer Colonie zngeschoben, an welchem Schwindel der Unternehmer doch noch zu Grnnde geht. Glücklicherweise sind trotz aller Projeete des Herrn von O' »nr 127 Menschen in der Colonie, nnd nnter ihnen nur 37 Leute, die im Felde arbeiten. Hoffentlich wird kein Mensch mehr nach diesem kleinen Cayenne hingcrathcn. Ich schlng dem Manne vor, die ganze Geschichte an die Negiernng abzutreten. Das möchte er auch gern; aber die Regierung gibt wol Geld zu Colonisationsspeeulationen, mag aber nicht gern selbst arbeiten in diesem Felde. 302 Wenn man nun diese Misere mit eigenen Angen ansieht und untersucht im fernen Parä uno dann lieft, welche Lobrede der alte Marquis von Olinde unterdeß der Colonie von Nossa Senhora do O' in den gesetzgebenden Kammern hält, da kann man sich eines bittern Unwillens nicht erwehren und nnr wünschen, daß der gute, alte Marquis endlich unschädlich gemacht werde. Das Hübscheste drüben anf der Unzcninsel, der Stadt Parä gegenüber, sind die polymorphcn Nhizophoren mit ihren langen Keimanswüchsen, — sind luftige, blühende Bignonicn-ranken, prachtvolle Stereuliaceenblüten, eine Schar zarter Pontederien nnd Sagittarien mit großen, dreiblätterigen Blumen, die wie Schmetterlinge im Winde hin und her sich wiegen. Um dieser schönen Creatnren willen mnß man nach Nossa Senhora do O' hinüberfahren. Das andere ist alles nnr Humbug. Am folgenden Tage nach meiner Ercurston zur berühmten Colonie Nossa Senhora do O' kam oas Dampfboot Parana, dasselbe, womit ich schon einmal von Nio nach Bahia gefahren war, den Flnß heraufgerauscht. Gleich nach seiner Ankunft erfuhr ich, daß der alte, gemüthliche Santa-Barbara, der mehrfach auch von mir erprobte Seemann, für diese Reise fein Führer wäre. Es ward alles zur Abreise fertig gemacht. Meine Kisten und Kasten mit manchen hübschen Sammlungen wurden zugenagelt und zugeschlossen, und da gerade der Hamburger Schooner Alexander vom Hanse des Herrn Tappenbeck beladen ward nnd nach wenigen Tagen nach dem Kanal, eventualiter Hamburg segeln sollte, so hatten auch bei dieser Gelegenheit meine oft genannten Freunde die große Güte, die Einschiffung meiner Sachen besorgen zn wollen. Am 24. August begleiteten sie mich an Bord des Dampft 303 boots, und ich nahm Abschied von jungen, wackern Männern, die ihr nordisches, treues Herz in seinem vollen Werthe, seiner ganzen Geltnng unter dem Aequator zu bewahren gewußt hatten. Um 1^ Uhr mittags zog der Parana seine Wasserstraße stromabwärts, nnd gar bald lag das stattliche Belem do Parä weit hinter nns. Der riesige Fluß, den wir hinabrauschten, öffnete sich in seiner vollen Mächtigkeit. Kaum erkannten wir die Insel Marajö im Nordwesten; immer gewaltiger ward der Wasser-Horizont, immer oceanischer das Ansehen des Stroms. Eine Menge kleinerer und größerer Segel versuchten keck nnd kühn die grane, wogende Fläche in vielbewegtcm Seetanzc, an dem auch unser Parana, nicht eben zum Vergnügen der mitfahrenden Passagiere, bald lebhaft theilnahm in langsamem Takte. Ein heftig wehender Nordost und die mit Macht in den Strom hineinbrechende Flut, viel mehr aber noch ein Uebelstand in der Maschine des Dampfboots, den wir nicht erfahren konnten, verlangsamten so sehr unsere Fahrt, daß wir uns beim Hereinbrechen des Abends noch in der Mündnng des Flusses befanden. Obwol wir einen ausgezeichneten Lootscn am Bord hatten, so waren wir, da das ferne Ufer des Festlandes bald nicht mehr erkannt werden konnte, genöthigt, mit dem Bleiloth unsern Weg zu tappen, was immer ein ängstliches Reisen ist in Gewässern, deren Grund nicht so meisterhaft genan untersucht ist wie die Nordsee. Um i) Uhr abends ward nördlich gesteuert. Um 1 Uhr ward das Sondiren ganz aufgegeben und der Conrs nach Maranhao eingeschlagen. Dennoch erblickten wir, als der 25. Augnst herausgraule aus dem Meere, noch den Leuchtthurm von Salinas hinter uns und wir mußten nns gestchen, daß wir in 18 Stunden Fahrt einen sehr geringen 304 Weg zurückgelegt hatten. Dm ganzen Tag erkannten wir öde, fast ganz unwirthliche Sandufer im Südwestcn, die Sec war leicht bewegt und unsere Gesellschaft fast durchweg schwer seekrank. Erst am 2<>. August gegen Abend erkannten wir den Itacolumi von Maranhäo mit seinem Leuchtthurm, einen Hügel oder Berg, welcher für die vom Norden kommenden Schiffe zur Oricntirung dient. Vorsichtig näherten wir uns der breiten, aber gefährlichen Einfahn von S.-Luiz de Ma-ranhao; die eben angezündeten Lichter von S.-Marcus und Ponta da Area zeigten uns zwar den Weg; aber unser Senkblei warnte 'uns ormgend vor Untiefen, sodaß wir in ziemlicher Entfernung von der Stadt unsern schweren Anker hinabrasseln ließen zu großem Trost und vielfacher Beruhigung seekranker Gemüther auf unserm Schiffe. In ihrer vollen Großartigkeit that sich am folgenden Morgen, gerade wie bei meinem ersten Besuche, die Bucht von Maranhäo vor uns auf. Ein frischer Seewiud strich über Land und Meer dahin. Eine dänische Brigg, eine französische Barke und eine Menge kleiner Fahrzeuge flogen, von dahinschießender Ebbe getragen und schräg gegen den Wind aussegelnd, an uns vorüber, um gleich hinter der Ponta da Area den Scetanz zu beginnen. Eine Sandbank nach der andern that sich auf; bei der Zeit der heftigen Neumondsfluten im August, denen eine außerordentlich niedrige Ebbe entspricht, schien wirklich die ganze Bucht sich in trockenes Land umwandeln zu wollen. Eine lange Sandbank dehnte sich dicht neben unserm Dampfer hin, sodaß unser Parana fast von ihr aufs Trockene geseht worden wäre. Das Wrack eines großen Dreimasters, von dem wir bei der vollen Flut nur den einen Mastkorb hatten herausragen sehen, lag so vollkommen auf dem Trockenen, daß einzelne Leute hinzukamen und trockenen Fußes um das Schiff herumspazierten. 305 Bald begann ein buntes Bootsgewimmcl nm unsern Dampfer. Große Kohlenboote kamen, um uns mit frischem Brennmaterial zu versehen; mit unglaublicher Gewandtheit warfen die Neger sich die Kohlenkörbe, in welchen die Kob-len herübergeschafft wurden, einander zu; Waaren wnrden gelöscht. Farinhasäcke für Ceara eingeladen, Passagiere wurden geholt und gebracht; — das Getümmel nahm kein Ende, wobei es denn höchst lustig war, den Kampf anzusehen, den die Boote mit der ab- und zulaufenden Flut zu führen hatten. Jetzt erfuhren wir anch, warum unsere Fahrt so langsam und etwas ängstlich gewesen war. Ein unaufhörliches Hämmern in unsern Dampfkesseln verkündete uns, dafi einige Tuben derselben gerissen waren, daß man nur mit großer Vorsicht hatte heizen können, eine Vorsicht, die mich an ein anderes kleines Secabenteuer ans dem kleinen Küstendampfboot Parana auf der Fahrt von Bahia nach Canavieiras an der Küste von Ilheos erinnerte, wo ich all mein Geld verloren hatte, unser Schiff schwer leck war und nnn noch ein Tubus sprang und nnscr fast sinkendes Fahrzeug eine Zeit lang ohne Führung umherballotirte. Um alt der dröhnenden und klirrenden Kessel flickerei zu entgehen und um eiuige Besuche, ärztliche nud sociale, zu wachen, begab ich mich ans Land. Noch einmal durchstreifte ich das freundliche Maranhäo. In seinem öffentlichen Garten blühten Plumieren und Plumbagincen; am Kasernenplatz glühten die Stanbfädenwedel von purpurfarbigen Ster-mliaeeen herab. Von wo man nur immer anf die schöne Vucht hinabsehen konnte, sah man flatternde Segel; über ihnen kreischten Möveu; Neiherscharen zogen dahin, eine ganze Horde von rothen Löffelreihcm flog über dem Mangle-grbüsch umher, ein prachtvoller Anblick, wie es deren nur Wenige gibt. A v ^ al I o»! a u t, N^Vrasilien. II. 20 306 Nach einigen freundlichen Stunden in einem lieben Familienkreise suchte ich gegen Abend unsern Dampfer wieder, auf, nicht ohne einige Mühe, denn die Flut lief mächtig herein aus dem Meere. Erst am folgenden Tage, Sonntag den 28. August, und zwar erst um l> Uhr nachmittags, gingen wir wieder in See. Nach zwei recht bewegten Tagen, in denen uns ein bald nördlich, bald südlich vom Osten abweichender Wind entgegenwehte und unsern Dampfer höchst unliebenswürdig schaukeln machte, sahen wir abends spät das Feuer von Ceara, ohne daß wir Anker werfen konnten. Die Nacht war höchst unangenehm; bei dem vielfachen Wenden des Schiffs nahm dasselbe alle möglichen Positionen und Be-weguugeu an, die erst dann etwas stabiler wurden, als wir uns am folgenden Morgen (^1. August) dem etwas gedeckten Ufer nahen nnd neben einer englischen Barke vor Anker gehen konnten. Daß Ceara mitten in einer afrikanischen Oase liegt, habe ich schon früher erzählt. Das Salzmcer auf der eineu Seite, Sandberge auf der andern und Kokospalmen ringsher waren indeß noch nicht genug, um das libysche Bild zu vollenden. Seit einiger Zeit sind noch 14 Kameele mit ihren respeetiven Bcdninen angekommen, und mau hofft vielcu Fortschritt von den neuen Thieren und Menschen, die sich dort sehr gut zu befinden scheinen. Von allen Seiten her kamen die Sturmvögel der Küste, kichte Iangadas, auf uns los und brachten in unablässigem Kommen uud Gehen Säcke mit Kohlen, Kokosnüsse, Hühner und Laduug, unter letzterer sogar ein Pferd, dessen Ueberschiffn ng uugemein belustigend war. Den ganzen Tag dauerte dieses Hiu- und Hcrfliegen der Iangaoen, die oft nur anS fünf Stämmen bestanden; die ganze fernere Fahrt bis Pernambuw sahen wir sie. Scheinbar bald im Wogen- 307 drang und Meeresschanm tief begraben, bald ganz losgerissen von der Flut nnd darüber hinstrcichend wie fliegende Fische schwärmten sic überall umher, oft so fern vom Lande, daß die tollkühnen Waräger cmf ihnen schwerlich noch Land erblickt haben mögen! Und dennoch fällt nie irgendein Unglück vor mit diesen wunderlichen Argonauten! Sowie in Maranhao, so kamen auch in Ceara verschiedene Passagiergruppen an Bord, und um 5 Uhr gingen wir in See. Aber ein frischer Wind und vielbewegte See empfingen uns, und die Nacht vom letzten Angust zum 1. September zur Zeit des Nenmonds ließ uns sehr lebhaft em-sinden, daß es auch gegen das Cap Noquc hiuwärts herbstliches Wetter geben könnte. Doch begann der September mit milderer Miene. Unsere Fahrt in der allernächsten Nähe dor Küste, wo die uns ent-gegenfließendc Meeresströmung viel weniger stark war, ward von einzelnen ferner abliegenden Riffs, z. B. den LavadeiraS gedeckt, und nachdem wir die hervorspringenden Punkte Ponta do Mel, do Tubarao und dos Z Irmaöes gemacht hatten, kamen wir in vollkommen ruhiges Fahrwasser, in einen wirklichen Kanal, dessen Cinfassnng seewärts freilich nicht gesehen werden kann, denn sie liegt unter dem Wasser, wenige Fnsi tief, Dicht vor einem kleinen Ocrtchcn fuhren wir am Nachmittag vorüber, aus dem die Leute neugierig zu uns herubcrschautcn, und kamen am Abend spät bis vor Torres, einen kleinen Ort nordwestlich vom Cap Roque nnd nicht zu verwechseln mit dem unter Palmen versteckten und bereits erwähnten Oertchen Toiras, gleich südlich vom Cap Noque. Vor dem erstgenannten Torres mußten wir zu Anker gehen, einmal, weil wir nachts aus dem Felsenkanal längs der Küste nicht wohl hätten hinausfinden können, und dann anch, weil wir doch in der Nacht vor Rio-Grande do Nortc, 20* 308 wo wir die Post und Passagiere aufzunehmen hatten, auf offener See nichts hätten anfangen können. Dem ruhigen Ankerplätze vor Torres verdankten die Passagiere eine behagliche Nacht und die Dampfschiffahrt-Compagnie einige Tonnen ersparter Kohlen, wofür beide dem alten Santa-Varbara gewiß ihren Dank schuldig sind. Beim frühen Morgen des 3. September liefen wir weiter, nicht ohne neueil Gruud, nnserm alten Nerens dankbar zu sein. Nördlich von nnserm Wege lag auf eiuem kleinen, submarinen Riff, welches sich uoch anf keiner Seekarte befindet, eine schöne, große Barke. Der Mittelmast war schon umgc^ fallen; sonst schien das stattliche Schiff noch gut zusammenzuhängen. (5s war ein österreichisches Wrack, von Antwerpen nach Pernambnco bestimmt. Als das Schiff vor einigen Wochen sich der Küste in der Nacht nahte, hatte es noch tiefes Fahrwasser gesunden; aber schon nach einer Viertelstunde ward es so fest auf die Felsen gesetzt, daß keinerlei Manöver es wieder flott macheu wollte. Man hatte sich zum Echiff-bruch entschließen muffen. Von dem nahen Nio-Grande do Norte ward Hülse geschickt, und man barg die freilich hava-rirte Ladung. Menschenleben kamen nicht dabei um; die ganze Besatzung hatte das Schiff verlassen können nnd sich nach Nio-Grande do Norte begeben. Gleich darauf fuhren wir an dem rothen Thonabhange, dem einzigen Kennzeichen des nur wenige Fuß hohen Cap Noque vorbei und hielten, wieder in offener See, vor dem Fort der Heiligen drei Könige von Nio-Grande do Norte. Das Nmherschwaukeu daselbst bis gegen Nachmittag war recht lästig. Am meisten aber waren einige Passagiere zu bedauern, die sich in Nio-Grande in ein Boot eingeschifft hatten, um den Parana zu gewinnen. Sie wurden arg von den Wellen umhergeworfen. Unter ihnen befaud sich auch der österreichische Kapitän jener gestrandeten Barke, Lnsina aus Fiume 309 mit seiner Gemahlin, ein stattliches, wirklich hübsches Ebc-paar von gnter Erziehung. Beide hattcn ihren Ansflng in die Welt thener genng bezahlt; das Schiff war il,r Eigen-chum nud mir znm Theil versichert. Cinc ziemlich schlimme Nacht folgte dem bewegten Tage, weswegen sich denn einige seekranke Damen nnd schreiende Kinder angenehm ergnickt fühlten, als am folgenden Morgen ein ruhiges Fahrwasser unser Dampfschiff anfnahm. Wir befanden uns an der Barre von Parahyba do Norte, wo wieder ein Schiff, ebenfalls eine Barke, unter chilesischer Flagge auf einem Niff festsaß, aber noch gerettet werden zu können schien, iviewol die Mannschaft eines kleinen brasilianischen Kriegs-schooners, der nnter dem Fort von Capedello ankerte, sich bis dahin vergebens bemüht hatte, das mit Kohlen beladene Schiff wieder flott zn machen. Wir fnhrcn den Fluß hinanf bis dicht zur Stadt, mnßtcn aber nach einer Stunde schon den Ankerplatz bei ablaufender Flut ränmen nnd bis znm Städtchen Capedello wieder binnnterlanfen, nm nicht im Morast liegen zn bleiben. So kam es, daß ich die freilich nnbedentende Stadt von Parahyba do Norte nicht besnchcn konnte nnd auch diesmal nur mit meiuem Fernrohre betrachtete. Capedcllo, ciu Fischeridyll nuter dichten Kokospalmen, gewährte nns einen hübschen Ankerplatz nnd wundervollen Anblick, einen echten indianischen Anblick, der nnsere Passagierwclt aus Ufer lockte, ohne daß sie bedachten, daß alle indianischen Scenerien von einiger Entfernuug aus betrachtet viel hnbfcher sind als in nächster Nähe angesehen. Herren und Damen suchten spazieren zn gehen; das ging aber nicht aus Mangel nnes guten Wegs. Sie setzten sich unter einen großen Banm, mnßten aber wegen der Ameisen sich Stühle kommen lassen. Ich konnte mit meinem Fernrohre vom Schiffe aus allerlei nervöses Zncken bei den Lenten erkennen nnd bin überzeugt, 310 daß sic von Ameisen und Mucuim ganz gehörig gebissen worden sind. Mit ihrem Zurückkehren von Eapedcllo kamen denn auch bedeutende Mengen von Passagieren von Parahyba, was wir etwa zwei Meilen fern liegen sehen konnten, den Fluß hinunter-gesegelt, mercantilische Raubvögel verschiedener Nationen, die sich zn seltsamem Zwecke in Parahyba zusammengefunden hatten. Das erste Handelshans daselbst, ein Herr Vinagre (Essig), hatte einen sehr grosien, wie es schien, etwas zweideutigen Bankrott von 000 Contos (000000 Thlr.) gemacht. Sowie man das in Pernambnco erfahren hatte, hatten die dabei betheiligten Häuser ihre Agenten hingeschickt, um zu retten, was zu retten wäre; nnd dadurch schien die Geschichte noch com-plicirter geworden zn sein. Der ganze Schwärm der ^amin^ vovli^eui« wollte gerade mit dem Parana zurückkehren und überfiel uns wie ein Heuschreckenheer. Diese Strichvögel sind nun in Südamerika ebenso lästig wie in Nordenrofta. Wir empfanden ihre Gegenwart anf dem Parana ziemlich unangenehm. In der Kajüte war großes Gedränge; alle Cabinen waren voll, alle Betten in Beschlag genommen. Der Iammerrnf eines jungen brasilianischen Ehepaares, was etwas spät an Bord kam nnd sich ohne Bett befand, rührte mich; und ich trat ihnen meine sehr hübsche Cabine ab, ohne daß ich irgendein Bett dafür fand, was für mich kein Unglück war, denn ein Reisender braucht kein Bett; er schläft auf jeder horizontalen Fläche. Ein etwas stürmisches Mittagsessen folgte dein stürmischen Andränge der Passagiere, und unsere Abfahrt zog sich so spät hin, daß wir, nachdem wir kanm zum Fort von Capedello herausgekommen waren, sogleich wieder Anker werfen mußten, indem unser Lootse erklärte, es wäre zu dunkel, um das Schiff an den rothen Tonnen vorbei in See zu bringen. 311 Eine allgemeine Verstimmung mit vielen guten und schlechten N.itzen begann. Ihr folgte die originellste Nacht. Alles lag voll vou Passagieren; Sofas, Rohrbänke, Tische und Stühle, alles war oeeupirt. Und dennoch waren noch nicht alle gelagert. Bis spät in die Nacht hinein schlichen einzelne Gestalten im Halbduukel des langen Saales umher nnd tappten nach einem Platze, fanden aber alles besetzt. In meiner Iugeud spielteu wir viel eiu Spiel: eine Hälfte der Mitspielenden muß sich auf die heimlich vou der andern Partei den eiuzelnen zugewiesenen Stühle setzen; setzt mau sich anf einen verkehrten Etnhl, so wird mau fortgeprügelt. So ungefähr ging es auf dem Dampfboot. Mit großer Aengstlichkeit nnd Vorsicht setzte sich der eine oder andere auf die Ecke einer schon besetzten Vank oder eines Tisches, um sich dann langsam weiter einzuschmuggeln, bekam aber in der Regel einen sehr demonstrativen Schlag mit der Hand oder cveutualiter einen Fußtritt des vom Hospitanten aufgeweckten Schläfers und mußte wieder abziehen. So irrten wol mi Dutzend Lente, jeder einen Nachtsack unter dem Arme, lange zwischen den Schnarchenden oder Flnchendcu umher, bis jeder Plan, unter Deck ein Obdach zu finden, aufgegeben warv. Ich glaube, jeder war froh, als es tagte und wir aufbrachen. Wir gingen in See. Aufaugs ging die Fahrt leidlich. Bald aber fing es stark an zu blasen uud der Parana tüchtig air zu stampfeu. Am Nachmittag kam noch ein höchst interessantes Regcnwetter dazu, uud es war wirklich kaum. zum Aushalten mehr vor Regeu uud Wind anf dem Verdeck, vor Seekrankheit im großen Saale. Endlich sahen wir Olinde durch den granen Regen hindurchschimmern und bald erkannten wir hinter hoch aufschlagenden Brandungen Pcrnambuco. Der Hafenlootse kam, aber mit dem leidigen Trost, daß wir bis «'> Uhr uns draußen umher-treiben müßten, ehe er das Schiff über die Barre bringen könnte. 312 Während die seekranken Passagiere darüber in ein Jammern ansbrachen, setzten sich die Gesunden an den Mittagstisch, wo ich — denn ich saß zum letzten male bei meinem alten Commandanten — die Gesundheit vom Kapitän Sanla-Barbara trank. Möge es dem alten Schout-by-Nacht gut gehen! Zwei bis drei mächtige Nollwellen, in denen der Parana fast zum Umwerfen sich wälzte, verkündeten uns, daß wir in den Hafen einliefen. Mitten im Sturm, Regen und Abend-dnnkel löste sich das Meuschenchaos, die meisten etwas elend und blaß, auseinander. Unwillkürlich dachte ich an jenes: Schämt euch nicht, ihr Blassen; Wog' ist starker Wiking! Achtes Kapitel. ketztcr Aufenthalt in Pcrnainbnco. — Ri'ickkchr des Verfasscrö auf dem englischen Dampfboot Tync über St.-Viuccnt und Lissabon nach England und übcr den Continent nach Lübeck. 3.1?it meiner Rückkehr nach Pernambnco am 4. September war meine brasilianische Ncise beendet; und nicht ohne die allerlebhafteste Sehnsucht sah ich der Rückkunft des englischen DampfpackctschiffS Tyne entgegen, welches, von Europa kommend, wenige Tage vor meiner Rückkehr nach Pernam-bneo daselbst wie immer angelaufen war nnd mm nach zehn Tagen, von Rio-de-Iaueiro zurückkommend, auch mich dem heimischen Norden wieder zuführen sollte. Untcrdeß schwebten all die gewaltigen, all die lieblichen Biloer, die ich am Amazonenstrom vor Angm gesehen hatte, auf und ab vor dem innern Auge; ja der ganze Norden Brasiliens drängte sich noch einmal zusammen in einen gemeinsamen, großen Rahmen, nm mir sür mein ganzes Leben unvergeßlich zu bleiben. Aber doch konnte ich, wenn ich beim Schcivrn von dem gewaltigen Lande einen Blick auf diesen Nordtheil von Bra- 314 silien zurückwarf, nicht ohne einige Bitterkeit ober vielmehr Verzagtheit das Land ansehen. Das bedeutendste Stück von Brasilien liegt in der Tropenzone; sein mächtigster Strom, der König unter den Strömen, fließt in seiner ganzen Länge von Tabatinga abwärts zwischen dem Aequator und vier Graden südlicher Breite dem Meere zu und bietet einem geregelten Anban unendliche Schwierigkeit. Solange portugiesische Iwingherrschaft z-ur Arbeit antrieb, solange man Indianer in einer modificirten Sklaverei hielt und sich in hinreichender Menge Neger von Afrika kommen lassen durfte, solange blühte der Ackerbau, die Viehzucht, und Brasiliens Norden entwickelte sich. Seitdem aber die Indianer als ganz freie Menschen leben, seitdem der Sklavenhandel oder vielmehr die Sklaveneinfnhr von Afrika her verboten ist, — denn Sklavenhandel und Sklaventhum herrscht noch dem Gesetz nach durch ganz Brasilien, — seitdem hat auch dic durch gezwungene Indianer und gekaufte Neger hervorgerufene frühere Production uud Weitereutwickelung im Landbau mächtige Rückschritte gemacht, Rückschritte, die im ganzen brasilianischen Norden überall unverkennbar sind uud ^nit Schrecken sich geltend machen im Handel und Wandel. Da bleibt denn nur die rüstige europäische Kraft übrig. Brasilien soll von allen in der Troveuzone liegenden Ländern zum ersten male den Beweis führen, daß mit europäischer Arbeit, europäischen Kräften uud mit der Arbeit und den Kräften europäischer Descendenten ein Tropcnland angebaut werden lönne, während im fernen Osten, in Indien und auf den Sundainseln einheimische Kräfte oder doch die nächsten Nachbarn dieser einheimischen Kräfte sich zur Arbeit regten und die Europäer kaum etwas anderes als die Leitung dieser Arbeit übernahmen. 315 In Brasilien ist das ganz anders; ich möchte fast sagen, in Nord-Brasilien findet das Gegentheil statt. Hier wollen die Eingeborenen, wie wir die ans früher eingewanderten Europäern, Negern und Indianern znsannncngcronnencn und hcrausgewachsenen Menschenelementc nennen muffen, Enro-päer herbeiziehen, um die ausstcrbenden Sklavenkräfte zu er-sehen und Gewinn zu ziehen ans der Arbeit der Fremden, Wenigstens ist das die Meinnng derer, die Ländereien in jenen Gegenden besitzen und schon angefangen haben, aus denselben mittels arbeitender Kräfte Nutzen zu ziehen. Zur Erreichung dieser Zwecke scheinen mir aber, solange die jetzigen Verhältnisse in Brasilien fortdauern, unüberwindliche Hindernisse im Wege zn liegen. Der freie europäische Einwanderer, wenn es deren gibt für den Norden Brasiliens, erkennt gar leicht den Wcrth seiner Arbeit, mit der man ilm zum Nutzen eines Landbesitzers gebunden halten möchte. Nur auf eigenem, auf seinem Boden will der Ankömmling arbeiten und allein mit seiner Familie die Früchte der Arbeit genießen. Gin im alten Sklavensystem erzogener Landbesitzer aber hat von solchem Streben nach Selbständigkeit bei einem armen Enroftäer gar keinen Begriff und darf es gar nickt dulden, wenn er inmitten seiner ausgedehnten Ländereieu nicht zn Grnnde gehen will. Es treten sich hier zwei Elemente gegenüber, die sich nie miteinander versöhnen können, die sich nnr im Vernichtnngskampfc begegnen. Schlagende Beweise davon haben wir gesehen bei allen Prwatnnterneh-nningen, — am Mueuri, beim Unternehmen des Almeida do O' und selbst bei der Colonieanlage an der Mündung des Rio-Negro in den Amazonenstrom. Dazu kommt noch ein anderer, sehr bedenklicher Umstand. Wenn in Süd-Brasilien ein im ganzen gesnndcs Klima die dortigen Landstriche den europäischen Einwanderern zugänglich macht und ihre Arbeit seguet, dürfen wir das 316 durchaus nicht in dieser unbedingten Weise vom Norden sagen. Hier ist eigentlich jeder Fluß, jedes ackerbaufähige Land ungesund und feindlich jeder freien Einwanderung von Europa her; hicr kanu mir mit der allergrößten Sorgfalt, mit der ängstlichsten Vorsicht irgendein Colonisationsversuch angestellt werden oder mnß vielmehr, um offen und wahr mich anszusprechen, mit der allergrößten Sorgfalt, mit der ängstlichsten Vorsicht vermieden werden. Man gehe nur die Flüsse und Ströme, die ich nördlich von Nio besuchte, auf und ab; man sehe nur die wenigen Menschen, die sich dori angesiedelt haben, unbefangen an; man erkundige sich nur nach dem, was an Krankhcitserscheinnngen vorgeht, und man wird sich glücklich schätzen müssen, daß man selbst ans den pestbringcnden Wassern lebend davonkommt. Im weitesten Maße ist das vom Amazonenstrom zu sagen, diesem großen Repräsentanten der brasilianischen Troven-flüsse. Schon iu der Stadt Parä, in der doch so vieles zur Ausrechthaltung der Gesuudheit geschehen ist, beginnt daS Krankhcitselend. Von M) Deutschen, die im Jahre 18W dort eingeführt wurden, lebten nach einem Jahre nur noch !><> Menschen. Es war eine entsetzliche Sterblichkeit unter ihnen. Dem ungesunden Klima bot eine schändliche Behandlung und vielleicht anch ein wüstes Leben der Menschen selbst die mörderische Hand. Ich konnte von diesen Deutschen anf der ganzen Tour von 5(X) deutschen Meilen auf dem Niesenstrom nur noch zwei Individuen finden und sprechen. Sie erzählten mir viel Trauriges, viel Empöreudes! Der Stadt Parä gegenüber liegt jene krüftpelhafte Eolonie von Mossa Senhora do O'! Hier gehen drei Monate rein verloren wegen hoher Gewässer, und zwei andere Monate wegen Wechselfieber unter den Colonisteu. Die Lente haben mir das in Gegenwart des Unternehmers Almeida selbst erzählt. Solche Thatsachen sehen höchst ernst aus. 317 Nnd wenn nun auch einmal eine Reihe von Colonie-punkten dnrch Einwandernng angelegt würde, nnd unter großer Mühe zu einigem Aufblühen gebracht und in einer hektischen Iugendperiode erhalten würde, was wäre die Folge? Eben das, was die Stadt Parä den Europäern allerdings furchtbar macht, das Gelbe Fieber. Von Parä bis Taba-tinga bildet der Strom eine ununterbrochene Linie, die den vollsten Anschein von Anlage zum Gelben Fieber, wenn sich auf ihr Leute mit Anlage zu dieser Krankheit finden, hat nnd immer haben wird. Nnd wenn mall nnn bedenkt, wie es mit der Gesundheits-aufsieht von seiten des Staats, der Negierung aussieht, da übersteigt die Nachlässigkeit, die Gewissenlosigkeit wirklich alle Begriffe. Wo habe ich denn, sowie ich der Stadt Para den Rücken gewandt hatte, tüchtige Aerzte gefunden? Etwa in Santarem, Obidos, Manaos, Teffe oder Olivenca? Und wenn sie für ihre eigenen Landeskinder nichts thun, was würde man für ausländische Niederlassungen thun? Wer die Indolenz einer Verwaltung kennen lernen will, der gehe längs des Amazonenstroms aufwärts! Mein letzter zehntägiger Aufenthalt in Pernambuw war eigentlich nur ein Abschiednehmen von dem Orte und manchen lieben Menschen, die ich dort kennen lernte. Wenn solch flüchtiges Kennenlernen schon zn einem Aussprnche berechtigt, so sage ich freudig nnd gern, daß mir die kleine deutsche Menschengrnppc, die ich in Pernambuco auffand, den allerbesten Eindruck gemacht hat. Es schien mir ihr Leben und Treiben ein frisches, Natur und Kunst gleich innig liebendes zn sein. Nicht ohne Sorge hatte ich, je näher die Ankunft des englischen Packetboots von Nio heranrückte, von den Fenstern meines Hotels aus auf die offene See hinausgcblickt. Das herannahende Eevtemberäqninottium machte feine wellen- !) 18 erregende und stntenerzengcndc Gewalt geltend. Mächtig donnerten die Wogen des Oceans gegen das Riff des Hafens cm nnd schlugen selbst in weißen Schanmmassen darüber hinweg. Je näher nun die Zeit des Vollmonds heranrückte, desto höher hob sich anch die Flnt und erreichte gerade am 14. September, einen Tag nach dem Vollmonde, ihr Mari-mmn, an demselben Tage, all welchem die Tyne von Nio zurückkehren sollte und wirtlich auch zurückkehrte, um vor Per-nambuco die Post und Passagiere ausznnehmcn. In bedeutendem Wogendrange der offenen See blieb der große Dampfer eine gute halbe deutsche Meile vom Hasen entfernt vor Anker liegen. Ihn zn erreichen mit offenem Boote war eine höchst fatale Anfgabc, die ich, wenn ich anders nach Europa wollte, lösen mnßtc. Schon am 4. September, als ich mit dem Dampfboot Parana von Para nach Pernambneo gekommen war, batte man mir die Schwierigkeit, im September sich auf dem in offenem Meere ankernden Dampfschiff einzuschiffen, vorgestellt und mir gerathen, mit dem genannten Parana nach Vahia zn gehen, um mit voller Sicherheit im dortigen Hasen das englische Packetboot zu erreichen. Damals hatte ich das für überflüssig gehalten. Als ich aber nun am 14. September die Situation übersehen konnte, bereute ich es, nicht bis nach Bahia gegangen zu sein. In einem höchst zweckmäßigen Walfischfängerboote mit fünf Mann Besatzung versuchte ich denn gegen 5 Uhr nachmittags mein Heil. Der ganze Binnenhafen war bewegt; doch kümmerte mich das sehr wenig. Als ich dagegen beim Leuchtthurm, an dem die See bis zur Laterne hinaufspritzte, um die Tartauigaklippe herumbog und mich mm im nächsten Augenblicke im wildesten Wogenrollen befand, ward mir das Athmen doch ein wenig beengt, und die nächsten 1000 Klafter Seefahrt, auf der ich von den beweglichen Wasserbergcn 319 in den mannichfaltigsten Modulationen auf- und abgeworfen wurde, bildeten einen höchst pikanten Anfang meiner Rückreise nach Europa. Weiter in die See hinaus erschien mir das Meer nicht so schlimm; aber nnn kam eine wirkliche Gefahr, das Anlegen an das Dampfschiff und sein Besteigen. Das riesige Schiff rollte wie ein Stückchen Korkholz hin und her, ans nnd nieder. Bald schlug der Nand des Radkastens, auf den ich hinaufsteigen sollte, in das Wasser hinein, nm sich nach wenig Seeunden wieder 12 Fuß hoch in der Lnft zu befinden. Bald schrie man mir von oben ;u, ich möchte lieber wieder umkehren nnd gar nicht anlegen; bald hieß es, ich möchte schnell machen, indem gerade ein ruhiges Moment wäre. Ein dickes Tau ward uns zugeworfen. Wenn ich mich daran festhalten wollte, rief mir ein Offizier zu: ,,Hal' ten Sie sich nicht fest!" Wenn ich es wieder losließ, so flog mein Boot wieder davon. So fehlte es nicht an schreienden Rathgebern; aber eigentliche Hülfe konnte mir nicht geleistet werden. Eine tüchtige Prallwelle, die, vom Dampfboot zurück-schlagend, mein Boot halb mit Wasser füllte und mich total durchnäßte, entschied allen Zweifel. Ich packte, trotz der In' terpellation von oben, das mir hingeworfene Tan fest an; es riß mich ans meinem Boote heraus, sodaß ich darau kletternd auf die Treppe am Radkasten gelangen konnte. Bald folgten mir meine Sachen nach, nnd ich war eingeschifft. Am Bord vom Dampfboot erfnhr ich denn, warnm man mein Kommen mit einer gewissen Aengstlichkeit betrachtet hatte. Unmittelbar vor mir war ein Boot mit Goldkisten zum Werthe von ^Mj() Pf. St. an das Dampfboot angelangt. Man batte dasselbe unter den Radkasten gerathen lassen; dort war es in Stücke zerschlagen worden nnd mit seiner kostbaren Ladung untergesunken. Die Rndcrer konnten gerettet werden. 320 Nach einer unruhigen Nacht sollte am folgenden Tage um 9 Uhr aufgebrochen werden. Der bedeutende Geldverlust aber und der Umstand, daß am 15). September die See ctwas ruhiger war, wurden Ursache, daß man uns aufhielt und einen Taucherapparat von Pernambueo heransschickte. Alle Einleitungen zu dem Tauchversuch bewiesen indessen, daß die Kerle, die mit dem Apparat gekommen waren, ihre Sache nicht verstanden, sondern es lediglich ans Prellerei und Rumtrinkeu abgcseheu hatten. Unterdeß kamen noch verschiedene Paffagiere, selbst einige Frauen nnd Kinder an Bord. Mau hatte einen Korbstuhl mit Stricken versehen, sodaß er an eine Schiffswinde aufgehängt werden konnte. Dieser Stuhl ward iu die nach und nach ankommenden Boote hinabgelassen; das zu transportirende Individuum ward hineingesetzt und festgebunden. Im Nu ward dann die Last, als ob sie in einem Sack Kaffee bestände, aufgehißt nnd kam anch jedesmal glücklich an Bord, obgleich einige Frauen todtenblaß waren, als sie das Schiff erreichten, und ein Mann ohnmächtig anf eine Bank-gelegt werden mnßtc, um sich dort zu erholen. So kam alle Mannschaft glücklich au Bord. Uud als nun die Tancherznrüstungen zu keinem Resultate führen wollten und das Dampfboot unmöglich länger anfgeha'kten werden konnte, ließ der Kapitän die Anker lichten. Blntroth sank gerade die Sonne hinter dem stattlichen Pcrnambuco nnter und sandte zuckeude Lichter hoch hiuauf an den Westhimmcl, als nnser mächtiger Dampfer, der eisernen Bande, die ihn diesmal an brasilianischem Grund gefesselt gehalten hatten, los nnd ledig, in einem weiten Bogen sich wandte und östlich davoneilte mit kraftvollem Näderschlage. Anf dem breiten, schönen Verdeck standen zahlreiche Passagiere, die noch lange hinüberscl)au>- Die Tyne zog uu^e^eß un^nwuMch ^e Sncche °dmck das ruhig wogeudc Mecr, dcsscn BcweMvgen, nachdcm wn die Küste ganz aus dem Gesicht verloren hatten, mäßig und friedlich wurden. Schon am folgenden Tage und jeden Tag mehr gewann ich die Ueberzeugung, daß ich es wirklich nicht besser hätte mit meiner Reise treffen können. Wenn das Damftfboot an Eleganz nnd selbst an Schnelligkeit auch manchem andern transatlantischen Fahrzeug nachstehen mochte, so war es doch immer ei» tüchtiges, festes Boot von etwa 2M) Tonnen Größe und 315 englischen Fuß Länge, auf dem Verdeck mit hinreichenden Bequemlichkeiten für die 15>l) Passagiere, denn so groß mochte unsere Zahl wol sein. Ich selbst hatte meine kleine Cabine ganz, für mich im obern Corridor, sodaß ich immer frische Luft hatte und von niemand belästigt ward. Die allgemeine Kajüte, der Speisesaal, war geräumig genug für alle. Dazu bot das lange Verdeck, längs dessen man ungehindert vom Steuer bis zum Vorbug geheil konnte, einen wundervollen Spaziergcmg, während bei Negenwetter der geräumige Zwischendecksftlatz allen einen vortrefflichen Aufenthalt bot. Von peinigender Etikette, über die man wol am Bord solcher Packetboote hat klagen wollet«, war keine Spur. Gs ward aber auf Sitte und anständiges Betragen gesehen, obgleich das die portugiesischen und brasilianischen Passagiere eben nicht abhielt, das so beliebte Ausspucken auf dem Verdeck der brasilianischen Dampfboote auch auf dem englischen Fahrzengc zu betreiben. In der angenehmen Haltnng, die unmöglich etwas Beengendes flir irgendeinen gesitteten Menschen haben konnte, kam nun eine vortreffliche Bedienung hinzu, — die vollständigste Reinlichkeit, die selbst, was das alltägliche Abwäschen des Verdecks betrifft, für früh aufstehende Passagiere etwas langweilig wird, — und ein reichlich besetzter, allen Nationalitäten gerechter Tisch. Morgens ward man mit der Tasse Kaffee geweckt; um 9 Uhr ward compact gefrühstückt; um 12 Uhr ein neuer Imbiß genommen, um 4 Uhr überreichlich zu, Mittag gegessen und Kaffee genossen. Um ? Uhr war Theestunbe. Nach dem Thee war dann meistens Quartett-musit, welche mir das mit der berühmten Quartettmnsik der Gebrüder Müller gemein hatte, daß vier Menschen zusammen spielten. Sonst war dic Mnsik wirklich kaum auszuhalten. Die Musiker waren die Marqueure deö Schiffs. Unter den 150 Passagieren fanden sich die meisten europäischen Nationen vertreten, und jede Nationalität bildete, "hne sich von einer andern zu treunen, eine kleine zusammenhängende Gruppe. Da war es denn für mich in hohem Grade erfreulich und angenehm, daß anch Deutschland durch mehrere wackere Repräsentanten, die von Buenos-Ayres uud Montevideo, von Rio-Grande und Rio-dc-Janeiro aus ein^ wal wieder dem heimischen Norden zueilten, auf das allerbeste vertreten war. Ja es wollte mich dcdünkcn, als ob eben unsere deutsche Gesellschaft am Bord der Tyne die beste War. Als solche werde ich sie immer im Gedächtniß behalten. 21* 324 Doch waren auch unter den andern anwesenden Nationalitäten, z. V. unter den Engländern, ausgezeichnete und hochachtnngswerthc Erscheinungen. Gin bekannter englischer Fregatteneommandant verrieth außer seiner regelrechten seemännischen Bildung auch andere schöne Kenntnisse, die er in einem längern Aufenthalt an den griechischen Küsten und Italiens Gestaden sich erworben hatte. Auch der von seinem Schiffbrnch nördlich vom Cap Roqne mir bereits bekannte und als mein Reisegefährte von Rio-Grande do Norte bis Pernambuw ans dem Dampfboot Parana befreundete österreichische Kapitän Lusiua und seine Frau befanden sich mit uns an Bord, ein Ehepaar von stattlicher Erscheinung, gnter Gesittung und bescheidener Anspruchslosigkeit, das von allen gewiß gern gesehen worden ist. So war wirklich die ganze Gesellschaft, Männer und Frauen, wenn wir unter den erstern drei bis vier etwas ordinäre Erscheinungen ausnehmen, eine ganz ordentliche und zum Theil selbst ganz angenehme. Mannichfache Gespräche, gemeinsame Epaziergänge, Leetüre, Schachspiel u. s. w. vertrieben der kleinen Welt auf dem großen Dampfboot die Zeit, woran eine Reihe von umhcrtummelnden Kindern redlich mithalf. Und damit nichts am Bord der Tyne fehlte, was in einer kleinen Welt nothwendig nicht fehlen darf, wollte es uns bcdünken, als ob Heine's berühmtes: „Ein Thor ist immer willig, wenn eine Thörin will", auch auf dem weiten Oeean sich bewahrheitete. Leicht, wie Elfentritt nur geht, wandelte zarte, aufkeimende Liebe auf dem Verdeck auf und ab, ein glückseliges Lächeln im Antlitz. Und wenn der Mond über der Meeresstille und glücklichen Fahrt dahinschwebte, hörte man hier und dort leises Flüstern und Kosen, was keineswegs von den Liebesspielen der Tritonen und Nereiden außerhalb des Schiffs herrührte. Seltsames Volk, solä) Menschenvolk! Unten im Iwischendecksvorplatz kratzte die 325 Musik über den glühenden Feueressen des gehetzten Dampfboots, aus dessen offeneu Pforten man unmittelbar die schäumenden oeeanischeu Wassermassen vorbeischießen sah; oben auf dem Verdeck brannten fast jeden Abend die beiden Schornsteine, sodaß die Flammen mit duukclrothcr Glut oft (> — 8 Fuß laug emporloderteil uud ein wirklich unheimliches Schauspiel darboten, welches man manchmal mit dm Schiffsspritzcn etwas bändigen mußte. Und dennoch spielten sie Hnon und Rezia auf dem Verdeck, denuoch Galop, Polka und Quadrillen im Zwischendeck, diese leichtsinnigen Meuschcnerea-turen. Wenu kein Feuer ausbucht auf dem Dampfboot, so ist eine Fahrt quer über deu tropischen Oeean ziemlich erscheiuungslos. Kaum kennt mau ciu Unwetter auf diesem Theile des Atlantischen Meeres, sodaß man den Verlauf der Reise zwischen Rio uud Lissabon mit großer Bestimmtheit vorhersagen kann. Unsere Reise theilte sich, wenn jemaud den Fortschritt eines ttausatlantischen Dampfboots auf der Seekarte verfolgeu will, in folgende Abschnitte uach euglischen Meilen, wie sie jeden Mittag vom Schiffscommaudo angeschlagen wurden zur alt-gcmeineu Kenntnißuahme. Am Id. September waren wir mittags 12 Uhr auf 5" 42' südl. Br. und 3.3" <.»' westl. L. von Greenwich, bis wohin uns wechselnde Regenschauer und einzelne Vöen verfolgt hatten. Die Insel Fernando de Norouha blieb uus U!» englische Meileu fern. Am 17. September 2" 12' südl. Br. und 31" 32' westl. L., bei schönem Wetter. Wir Ichuitteu, immer im Cours von Norduordost, deu Aequator und wareu am 1.^. September 1" 5.^' nördl. Vr. uud -X)" 13' westl. L., eine Länge schmerzlichen Andenkens für mich, indem ich uuch unserer 34 Grade westlicher Länge erinnerte, unter welchcu unsere Novara auf der Reise von Madeira nach Rio "hue Noth deu Acquator geschnitten uno deswegen eine Fahrt 320 von 50 Tagen von jener Insel bis Rio gemacht hatte. Dem Kapitän Llisina abcr war noch wehmüthiger zn Muthe. Er hatte auch nach Vorgang jener Fregatte im reinsten Patrio-tismns den Aeqnator so weit westlich geschnitten und verdankte es diesem Umstand, daß seine Barke Ginseppa nordöstlich von den berüchtigten Lavadeiras dicht am Cap Roqne anfrannte und wrack ward. Am 19. September weckte nns ein Nordwind, der bald in einen Nordostwind, den echten Nordpassat, überging und uns fortan entgegenwehte. Mittags waren wir li" 3^ nörol. Vr. nnd 28" 46' westl. L., am 20. September ans 9" 45' nördl. Br. und 26" 57' ^^ y. Am 2l. September durchschnitten wir jene Meeresgegcnd südwestlich von den Capverdischcn Inseln, in welcher die vom Norden kommenden Schiffe diese Inselgruppe passiren, darauf gern etwas, um einige Länge zn gewinnen, im südöstlichen Cours segeln und dann mit dem später zn erwartenden Eüd-ostpassatwind eine südwestliche Richtung nehmen. Diese eigenthümliche Srgellinie in den Passatwinden des Atlantischen Oceans bildet, wie mannichfach sie anch nach den verschiedenen Monaten modisicirt werden mag, in allen ihren Modi-sicationen dennoch einen höchst constanten Parallelisnms. Daher erblickten wir denn anch am Morgen in sehr kurzer Zeit vier verschiedene Schiffe. Die Mittagsrechnnng ergab 13" 38' nördl. .Vr. und 26" 10' westl. L. Am 22. September war morgens unser Ncisepnbliknm zahlreicher als wol sonst auf dem Verdeck versammelt. Wir sollten den Morgen die Insel St.-Vincent und mit ihr den gerade in der Mitte der Packetfahrt liegenden Stations-pnnkt erreichen, anf welchem frische Kohlen eingenommen werden sollten. Ich kann hier keine Geographie der Capverdischen Inseln geben. Vor 22 Jahren, im December 1837, hatte ich schon 327 einmal diese öde, höchst interessante Inselgruppe, wenigstens die Inseln Eal nnd Boa-Vista besncht und kurz daraus ein flüchtiges Bild von diesen verödeten Eilanden im deutschen ,, Ausland" gegeben. Ich hatte, wenn ich nicht irre, anch damals des Höhenranchs erwähnt, welcher fast ganz eonstant die Inselgruppe deckt und ihre grauschwarze Färbung noch viel düsterer macht, als sie bei heiterm Wetter und unter klarem Himmel sein würde. Ein Höhenrauch deckte auch die Inseln, als wir am Morgen des 22. September dieselben aufsnchten. Nach unserer Rechnung nnd allen Veobachtnngen mußten wir in ihrer nächsten Nähe sein; der dichte Höhenrauch, der nnsein Gesichtskreis ungemein einengte, rictl) uns Vorsicht au nnd ließ unsern Lanf einen Nngenblick langsamer werden. Da erblickten wir denn hoch am Himmel einen scharfen, langhin sich streckenden Gebirgsraud, die westlichste Insel S.-Antao. Immermehr Massen tauchten heraus ans dem grauen Duust, während ein scharfer Wind uns entgegeuwehte. Bald erblickten wir auch östlich von uns schroffe, hohe Felsmassen; wir liefen durch einen Kanal und erreichten dann eine von allen Seiten geschützte Bucht ans der östlichen Seite der Insel Et.-Vineent, wo wir vor Anker giugeu. Wie manuichfach belebend doch die Anwendung der Dampfkraft über den Erdkreis hin gewirkt hati Wer dachte früher an die Bucht von St.-Vincent, die öde, freudelose und fast ganz leblose? Kanm ein afrikanischer Küstenfahrer, kaum nn Eklavenhandelsschiff oder ein portugiesisches Kriegsfahr-zeug suchte die Bai zwischen den Felseniuseln auf. Einen trefflichen Hafenplatz bot sie immer. Von der Insel selbst nach drei Seiten hin geschützt war auch die Einfahrt in diese Vucht gegen Nordwesten hin vou der langen, mächtig schroffen Insel S.-Antao' vollkommen gedeckt und vom Meere abgeschlossen. Aber sonst bot die Insel nichts Erquickliches. c^8 lebhaft erinnerte sie mich an ok' Wüsten von Sal und Boa-Vista. Doch bot sic uns, als wir ankamen, ein freundlicheres Bild dar, als sie nach dem Ausspruche aller sonst darzubieten pflegte. Es hatte in den letzten Zeiten öfter geregnet. Wie schroff und gezackt nun auch die nach allen Richtungen hin zerrissenen und zerschlagenen vulkanischen Gesteinömassen Herallsragen mochten um uns, so hatte dennoch überall da, wo nur irgendeine Möglichkeit zu einer Vegetation gegeben war, ein lichtes, zartes Grün die minder schroffen Abhänge überzogen, jenen Anblick gewährend, den gleich nach weggethautem Schnee das erste junge Korn darbietet. Ein wirklicher Frühling schien auf den öden Klippen erwacht zu sein, aber auch nur, um in regenloser Zeit von der glühenden Tropensonne wieder ausgedörrt zu werden. Seitdem nun Dampfboote ihre weiter ausgedehnten Rei-jen um Afrika und selbst Südamerika herum verfolgen, hat man die vortreffliche Lage des Hafens von St.-Vineent zur Anlegung von Kohlemnagazincn vollkommen erkannt. Bald erhob sich eine Reihe neuer, hübscher Häuser und Magaziue am todten Ufer, und die mamüchfachstc Schiffahrt belebte die sonst so stille Bucht. Ein Segelschiff nach dem andern brachte Steinkohlen in die Niederlagen auf der Insel; ein Dampfschiff nach dem andern holte sich von dort neuen Brennvorrath, der den vulkanischen, verbrannten AnSdruck der Insel noch mehr ausprägte; fast schien es, als müßten all diese Kohlen Fragmente der schwarzen Steinmasscn selbst sein oder Reste früherer Waldungen auf der jetzt baumlosen Magosa. Auch wir hatten denn mitten auf der Bucht zwischen todten Gestcinsschlackcn den Anblick eines höchst eigenthümlichen Lebens, welchem wir freilich nur' in einer gewissen Entfernung zusahen; denn unser Dampfer war, als von Brasilien kommend, gleich beim crstcn Gruß in Quarantäne gelegt worden und hißte eine gelbe Flagge auf, freilich zum großen Verdruß aller Passagiere, die gern, um dem lästigen Steiukohlcnladen auszuweichen, einen Tag am Ufer zubringen wollten. Ich gestehe ganz gern, daß ich selbst mit großem Interesse die Insel betreten haben würde. Und dennoch freute eS mich, als einen eingefleischten Gelbsieberwntagionistcu, daß noch eine Regierung, freilich nach einer sehr harten Lehre, sich von der großen, ernsten Gewißheit, das Gelbe Fieber wäre verschlcppbar, vollkommen überzeugt hätte und gegcn diese Einschlcppung fortan Maßregeln träfe. Die Maßregeln der Behörden in St.-Vincent ließen uns vermuthen, daß wir in ganz gleicher Weise vor Lissabon behandelt werden würden. Uns blieb also nichts weiter übrig, als vom Verdeck der Tync aus um uns zu schauen. Das Dampfboot Avon, welches wir auf der Bucht hätten treffen sollen in seiner Fahrt von Southampton nach Nio-de-Janeiro, hatte schon am Abend vorher die Insel verlassen, indem die Tyne mit ihren vergeblichen Goldfischungsversuchen vor Pernambuco fast einen ganzen Tag verloren hatte. Außer einer kleinen Flotte von Segelschiffen und zwei Portugiesischen Kriegsschiffen lag nicht fern von uns eine amerikanische Corvette von kurzen, ungeschickten Dimensionen, woran ich auf der Stelle dieselbe Corvette erkannte, die mit unserer Novara vor Madeira geankert und mit ihr au dem-sclben Morgen südlich abgesegelt war. W«terhm prangte unter den Flaggen ihrer Nation und der „ Dampfschiffahrt^ Compagnie des Stillen Oeean" die Bogota, ein stattliches, großes Dampfboot, welchem man durch einen sehr kleinen, "ber höchst zweckmäßigen Schleppdampfer einen Kohlenprahm nach dem andern zuschlepptc, Kaum hatten wir uns danach umgesehen, als von Norden her durch den Kanal, der 330 St.-Vincent von S.-Antäo trennt, ein englisches Kriegsdampfboot hereingebraust kam, Anker warf und mit Kanonendonner das portugiesische Fort begrüßte. Das Fort erwiderte den Gruß. — Als der Kanonendonner verhallt nnd der Pulverdampf verflogen war, kam ein großer, nordamerika-nischer Kriegsdamftfer, ungeschickt aber zweckmäßig gebant, ebenfalls durch den Nordkanal herein und ging zu Anker. Da gab es wieder Kanonenbegrüßungen von verschiedenen Seiten, mannichfaches Hin- und Herfahren von kleinen Kriegsbooten unter hübschen Flaggen mit reinlich gekleideten Matrosen uud vielfaches Herbeischleppen von großen Kohlenprahmen mit schwarzen Bemannungen, deren dunkles, plnto-msches Colorit seltsam abstach gegen die hellen Farben jener Söhne des lichten Helios nnd der blauen Thalassa. Auf uuserm Dampfer ward nun alles verhängt und verschlossen, was vom Kohlenstaub beschmuzt werden konnte. Mit einer kleinen, höchst zierlichen Dampfmaschine aus unserm Verdeck, von deren Eristenz ich erst dann etwas erfnhr, als sie mit ungeheuerer Echuelligkeit und dem entschiedensten Alisdruck von Impertinenz einer kleinen, aber wichtigen Persönlichkeit anfing die Kohlensäckc aufzuhissen, ward unser Kohlenvorrath eingenommen. Aber die Concurrenz, die unS die andern Dampfbootc, namentlich die Bogota, als vor uns gekommen, uud der englische Kriegsdampfer machten, diente nicht dazu, uuserc Erpediruug zu beschleunigen. Schon gegen Abend konnte letzterer durch die südliche Ausfahrt wieder in See gehen. Am folgenden Morgen war auch die Bogota verschwunden; dafür segelte ein amerikauischer Walsischsänger nnd ein kleineres portugiesisches Fahrzeug vom Norden daher. Frisch blies der Wind von Norbost; au den öden Felseuge-staden von S.-Alttao und dem wunderlichen Spitzberge mitten in der Einfahrt der Bucht von St.-Vincent schlugen schneeweiße Brandungen hoch auf, während ein gelinder Zug- 331 wind über nnftrn Ankerplatz dahinstrich. Da wurden denn anch wir von unserm Kohlendunst erlöst. Am Nachmittag war alles fertig, und unsere Tyne verließ die stille Bucht. Eine etwas unruhige See empfing uns schon im Kanal zwischeu den beiden Inseln, deren groteske, starre Formen cinen seltsamen Gegensatz zum vielbewegten Element bildeten. Augenblicklich verlor sich die grüne Färbung des Meeres und wich der dunkeln, blauschwarzeu, ein Beweis, daß der Meeresgrund sich sehr schroff hinabsenkt. So mag es allerdings möglich sein, daß die Bucht von St.-Vinecnt ein Krater ist, wie solche Bildung sich wol hier und dort findet, z. V. bei dm Inseln Paul und Amsterdam, dercil cigt-ltthüm-Uch abgerundete Bncht einen kleinen Salzwasscrsee bildet, wie er mit großer Genauigkeit schon in der Gesandtschastsrcisc vom Lord Macartney nach China im Jahre 1792 aufgezeichnet und beschrieben ist. Man will sogar einmal jenen Wafser-krater im wilden Fcnerausbrnch erblickt haben. So Gott will, wird das der Bucht von St.-Vincent nicht begegnen, wenn auch anf der südlichen Insel der eapverdischen Kette, anf Fogo, noch hente vulkanisches Feuer auflodert. Noch aus der Ferne ergötzten den Schwärm der Passagiere auf unserer Tvne die schroffen Formen der Inseln S.-Antao und St.-Vineent, denen sich noch die fernen Umrisse von S.-Lucia hinzugcsellten. Man kann keine wildern, mehr verödeten Eilande sehen als jene. Lebhaft erinnerten sie mich an den Krater von Madeira, an den ^ul-r-ül ll<»5 l>!'l!'n8 unter dem ,,rostfarbenen Pie", dem l'^a ruivo. Wir hatten in St.-Vineent einige kranke Seelente vorgefunden und mitgenommen, obwol einer von ihnen fast schon nn Sterben lag. Er starb wenige Stunden nach uuserer Abreise und ward am folgenden Morgen, während wir beim Frühstück saßen, in das Seemannsgrab versenkt. Nachher nst erfuhren wir den Vorfall; das hinderte aber nicht, daß - 332 nicht abends Kratzmusik im Zwischendeck und zarte Seelen-musik auf dem Verdeck stattfand; denn süßc Licbc denkt in Tönen. Wer weiß, wie nahe mir mein Ende! daran schien trotz des Leichenbegängnisfes auch nicht ein einziger zu denken neben Feuersglut und Meereswogen. Da war es denn schon am folgenden Morgen, einem Sonntage, ein allgemeines Entsetzen, als statt der Glocke znm Gottesdienst die Feuerglocke angezogen wnrde nnd alles in vollständiger Eile und Ordnung an seinen Posten trat. Die Spritzcnschläuche wurden angeschroben und die Pumpen fertig gemacht, Decken und Acrte herbeigeholt, — knrz der volle Apparat in Vcwcgnng gesetzt, um das Gräßlichste, was auf offener See vorkommen kann, Fenerausbrnch aus einem Packetschiffe mit vielen Passagieren, zu bekämpfen. Noch sah man nirgends Feuer auflodern; doch konnte auch niemand erfahren, wo und wie stark es brennte. Diese furchtbare Scene, inmitten welcher der Kapitän ruhig commandirte und die Offiziere, ohne irgendeine an sie gerichtete Frage zu beantworten, ihren Dienst thaten, dauerte wol zehn Minuten, zehn Minntcn voller Todesangst! Als aber, ehe noch irgendein Feuer zu bemerken war, durch den chinesischen Tamtam das gellende Zeichen zum Verlassen des Schiffs gegeben ward und die Matrosen zn den Booten sprangen, um sie in das Meer hinabzulassen, da wandelte sich die ernste Scene in eine heitere um; Venn damit war das — Fencrmanöver beendet, und die Mannschaften traten wieder ab. Der Feuerlärm war nnr singirt gewesen. Gesetzlich soll auf jeder Neise eines transatlantischen DampspacketbootS wenigstens einmal eine Löschübung angestellt werden. Wenn ich aber nicht irre, so soll das vorher den Passagieren heimlich mitgetheilt werden, um unnöthige Angst zn vermeiden. Wollte unser Commandant seine Passagiere für die Teilnahmlosigkeit am Bestattuugstage des 333 Seemanns tags vorher züchtigen, oder ist es nicht nöthig, die Passagiere vorher von dem bevorstehenden Feuermanöver zn benachrichtigen? Kein Mensch von uns allen war be> nachrichtigt worden, kein Mensch erfuhr während der ganzen Uebung, ob er in der nächsten Stunde verbrennen und er^ trinken würde oder nicht. Am allerwenigsten konnten wir an ein bloßes Fenermanöver denken an einem Sonntagsmorgen, wo alles sich znm Gottesdienst vorbereitete. Gottesdienst war nun zwar an jenem Sonntage nicht, aber ich bin dennoch überzeugt, daß alle 150 Passagiere an dem Sonntage, am 25. September, Gott mehr gedankt haben anf dem Verdeck, als wenn in dem Epeisesaale Gottesdienst gehalten worden wäre. Ich bin von jenem blinden Lärm, der eben doch ein entsetzlicher war, im höchsten Grade impressionirt worden. In demselben Jahre, als die furchtbare Katastrophe des Packctschiffs Amazonas im Kanal von England, wenige Meilen von der Küste vorgekommen war lind so viele Menschen verbrannten nnd ertranken, ging auch das Packetschiff Severn von Rio nach Europa. Als es mit 200 Passagieren von Madeira fortgegangen war, wnrden die Schlafenden nm 1 Uhr in der folgenden Nacht vom entsetzlichen Fenerlärm geweckt zu einer Serne der Todesangst, wie sie kein Mensch wiedergeben kann. Meine ganze Familie, eine kranke Frau, Schwägerin nnd fünf Kinder waren an Bord. Da schrien alle zn Gott, und Gott half. Ein Mann mit nnr einem Arm, aber einem Heldenarm, der Admiral Greenfell, nnd der nachherige Commandant Strntt waren es besonders, denen man unter Gottes Schutz die Rettung aus Todesangst nnd Todesgefahr verdankte. Daran dachte ich am 25. September 1<^5!). Nachdem wir am 24. September nm Mittag nnS auf l9" nördl. Vr. und 23" 24' wcstl. L. befunden hatten, ergab unsere Rechnung am Schrcckenstage des 25. September 334 2l" 42' uördl. Br. und 2l" 28' westl. L. Die Lnft ward etwas trübe, das Wetter weniger freundlich; und unser Scheiden aus dcr Tropcnzone ward auf ziemlich bewegter See gefeiert. Am 26. September waren wir 24" 12' nördl. Vr. und 19" 26' westl. L. Viel freundlicher war dagegen der 27. September auf 26" 35' nördl. Br. und 17" 35' westl. L. In dcr Nacht ward Teneriffa passirt. Doch blieb die ganze Inselgruppe der Eanarien so weit westlich, daß sie vom Schiffe ans gar nicht bemerkt wnrden, obwol ein ziemlich helles, schönes Wetter unsere Fahrt begünstigte. Am 28. September waren wir 29" 23' nördl. Br, und 15" 16' westl. L., am 29. September 32" 44' nördl. Br. und 13" 14' westl. L., sodaß wir auch die Desertas, Madeira und Porto Santo passirten, ohne sie in Sicht zu bekommen; alles blieb uns westlich liegen. Einige Regenschauer nnd Böen störten uuscrc Fahrt nicht. Die Breite dcr Straße von Gibraltar und unser Heranrücken an Europa brachte uns zahlreiche Schiffe in Sicht, die uns oft ganz nahe kamen, zumal am 30. September, wo wir uns mittags auf 36" 16' nördl. Br. und 10" 56' westl. L. befanden und nachmittags einmal auf einen Blick 11 Schiffe sehen konnten. Kanin konnte man einen anmuthigcrn Nach-mittag auf dem Men's sllebcll. Das lrmidl't'vl'M' Herbst-wclier lag aus dem wchidewcgtcn, lnMauen Wasser, nur ein Luftzug blähte die Segel der umhcrschwärmenden Fahrzeuge. Ohne Oefahr hatte des Phöbus Schwiegertochter Haltyone cms schwimmendem Nestc bnttcn können. Da war denn auch auf unserm Verdeck fröhliches Negen^ Neden und Ausschauen. Wir alle sehnten uns nach europäischen Küsten, die uns so nahe sein mußten. -Mehr als einmal glaubten einige der Lusiaden unter uns in fernen, leichten Wolkcnstrcifen den Rand ihres geliebten Portugal zu erblicken. 335 Doch sollte die Sehnsucht der einen und die von diesen angeregte Ncugier der andern, das Wunder der Städte, Lissabon, noch im September zu erschauen, nicht in Erfüllung gehen. 3lls dagegen der October herangekommen, es war ."> Uhr nach Mitternacht, ward das Fener von Espichel gesehen und lag bald hinter uns. Mit dem größten Theil der Portugiesen stieg ich auf das Verdeck, um das große Moment, ihr Wiedersehen des geliebten Vaterlandes, mit ihnen würdig zu feiern. Noch war es vollkommene Nacht. Wundervoll fuukelten die Sterne; der Morgenstern strahlte magisches Feuer. Aber vom schönen Portugal war nur ein dunkler, ferner Streif zu sehen. So kamen wir znr Mündung des Tajo; eine starke Flut lief heraus, sodaß wir nur langsam vorwärts kamen nnd das nm so weniger, da nnsere Tync nnr mit halber Kraft arbeitete, nm nicht vor Tagesanbruch die Barre des Flusses zu passiren nnd Schaden zu leideu. Eine höchst unangenehme Nachtkühle wirkte auf nns alle etwas deprimi-rend; selbst die feurigen Lusiaden fanden die nüchterne Position etwas albern und mußten sich hinterher noch übcr ihren Patriotischen Eifer, der sich allerdings im Nachtthan etwas abkühlte, auslachen lassen. Wir befanden uns ganz in jener komischen Etimmnng wie Eeuiue's Reisebegleiter auf dem Aetna. Me thinks, I hear the dogstnr bark, And March meets Venus in the d;irk, letzteres nicht ohne Beziehung gesagt auch auf unsere Tyne. Schwaches, helles Morgenroth nnd ein gleichzeitiger starker, schwarzer Kaffee brachten aber alles wieder in volle Etimmnng nttd Begeisterung. Währcnv zahlreiche kleinere und größere Fahrzeuge ans dem Flnsse herauskamen, liefen wir in die Mündung ein nnd längs einer Scenerie, die nnr an wenigen Punkten in der Welt ihresgleichen finden mag. 336 Alle Schönheit und Lieblichkeit war auf dem nördlichen Ufer des Flusses coneentrirt. Ein stattliches Fort, S.-Julia», gebietet dort Achtnng oder redet doch wenigstens von Zeiten eiuer anerkannten Macht. Darüber hebt sich das fruchtbare Land hoch hinaus, weit überragt vom kecken, wundervollen Adlcrshorst, dem Palast von Cintra, so luftig und kühn gelegen wie einst Hohenstaufcn und das ritterliche Schloß von Hohcnzollern. Und nun reiht sich in lieblicher Verkettung ein Landhans, ein Oertchcn an das andere an. Felder nnd Gärten hören nicht mehr auf, zwar alle schon in Gewandung des Spätherbstes gekleidet, aber dennoch gar freundlich anzuschauen. Noch ein Fort passirten wir, dann ein freieres Ufcr, wo eine Menge Zelte für Badegäste aufgeschlagen war, und zahlreiche, trotz des Spätherbstes noch badende Damen in langen Babctalaren seltsamen Mummenschanz trieben und mich an die braunen Najaden des palmenreichcn Toeantins erinnerten. Wir passirten den „Thurm"von Belem", ein seltsames, antik modernes Gebäude mit Festungsanlagen, wo wir unser Schicksal abwarteten. Das ward denn sehr bald dahin entschieden, daß die Tyne, als von Brasilien kommend, nicht mit dem Ufer eommunieiren dürfte. Wir blieben in Quarantäne liegen. Ein schöner Herbsttag in Lissabon wäre nun allerdings etwas höchst Wünschenswertes gewesen, nnd ich beneide jeden Menschen, der dort einige Tage zubringen darf. Aber ein Tag vor Lissabon hat auch seltsame Neize, die wir im vollsten Maße, vom herrlichsten Herbstwetter begünstigt, genießen konnten. Wir ankerten vor Belcm, einer Vorstadt, dem Westendc von Lissabon. Hier lag gleich eine alte Klosterkirche am Wasser mit weitläufigen Baulichkeiten, ich denke E.-Ieronymo genannt. Etwas höher hinauf ragte ein aus einer zusam- menhängeuden Reihe von Häusern gebildeter Palast empor und ganz oben cmf dem Gipfel des Verges noch ein unvollendeter Palast von schöner Banart. Weiterhin lag die Stadt selbst, ein Gewirr von Häusern an und auf einigen bedeutenden Abhängen errichtet, von feru unordentlich und doch ungemein interessant anznschanen. Am Fuße der Stadt wimmelte es von Schiffen, zwischen denen mehrere Kriegsschiffe zu erkennen waren. Der Stadt gegenüber erschien das schroffe, linke Ufer des Flnsses weniger angebaut, zum Theil selbst verödet; und mir fiel es auf, daß ich keilte Dampffährc zur Verbindung beider Ufer bemerkte. Ueberhaupt war iu allem, was man sehen und bemerken konnte, eine grope Nachlässigkeit, Liederlichkeit und Unordnung zu erkennen, die mich lebhaft an die Straße von Messina erinnerte. Und dennoch war dieses weite, machtige Amphitheater so wundervoll. Da wir nun nicht in die Stadt hineindurften, kam ein großer Theil der Stadt zn nns. Iahlreiche Boote um-zogm nnfcr Schiff. Eine Menge von Obsthändlern bot ihre Waaren feil und schickte uns, wenn den Lcntcn das gute Geld in ihr Boot geworfen worden war, sehr schlechte Waare. Dicht neben ihnen produeirtc ein Musikant seine Kunst; weiterhin hatten sich einige Bettler ein Boot gemiethet, um eine gründliche Bettelei längs der Tyne anzustellen. Hierzu kamen noch zwei große Ballastboote, um unsere Portugiesischen Passagiere iu die Quarautäneanstalt zu bringen. Auf eins wurden die Sachen gepackt, auf das andere die Menschen selbst, Männer, Frauen, Kinder, alle durcheinander. Das Laden dauerte ungeheuer lange, aber noch viel länger das Abstoßen. Bald war den Kerlen im großen Boote der Wind nicht recht, bald nicht die Strömung. Am Nvc'-Lallcmant, Nord-Brasilien, II. 22 338 meisten aber war es wol auf die Taschen der Reisenden abgesehen. Wenigstens sah und hörte ich, wie ein langes Feilschen und Disputiren unter den Menschen stattfand, was wirklich unerträglich war. In allen Quarantäneeinrichnm-gen muß Sinn und Verstand sein. In solchen Ballastbooten und ihren Gallegos aber ist kein Sinn und Verstand. Ich kann mir sehr wol)! denken, daß man bei starkem Eüdwcst-wind mit diesen Schilfen das Quarantänchaus gar nicht erreichen kann. Zu solcher Anstalt gehört nothwendig ein ordentliches Dampfboot, wenn die Regierung nicht Gefahr laufen will, von sich sagen zu lassen, sie habe aus einer Quarantäneanstalt eine Folterbank für Reisende gemacht. In Lissabon wurden wieder Kohlen eingenommen. Die dazu vom Ufer kommenden Leute arbeiteten ungemein steißig. In wenigen Stunden war die Arbeit gethan. Doch mußten sämmtliche Arbeiter nach der Quarantäneanstalt hinübergehcn. (§in großes Fahrzeug mit frischen Nahrungsmitteln für uns ward ebenfalls mit vielem Danke acveptin, besonders wegen seines schönen Obstes, an dem wir uns noch an demselben Tage regalirtcn. Um 3 Uhr war wieder alles segclfertig. Mindestens die Hälfte der Passagiere war in Lissabon zurückgeblieben, und unser Verdeck sah ziemlich leer aus, als wir langsam den Fluß wieder hinunterfuhren. Beim Fort S.-Iuliäo empfing uns eine bewegte See, welche uns einen, wenn anch nur sehr schwachen Beweis davon gab, daß die Barre vom Tajo in hohem Grade bewegt sein kann. In der nächsten Nähe der Küste gingen wir nördlich und genossen noch einmal den Anblick des kühn liegenden Cintra-schlosses. Mehrere Schiffe begegneten uns, auch zwei Dampfboote, von denen das eine das Packetschiff zwischen Vigo und Lissabon war. Das andere, ferner im Westen dahinsteuernoe 339 schien gar nicht nach Lissabon, sondern nach der Straße von Gibraltar zn gehen. Gnade um Sonnennntergang erkannten wir noch weiter innen im Lande das mächtig große Kloster von Mafra, das portugiesische Escurial, nicht viel kleiner als das spanische. Wilder erschien die Küste und weniger fruchtbar die steinigen Erhebungen derselben; mit einbrechender Dämmerung verschwand uns das Land aus den Augen, und die Nacht fand uns mitten auf offenem Meere. Trotz des kalten, feuchten Abends blieb ich dennoch lange auf dem Verdeck. Ein schönes Nordlicht loderte auf am Himmel und machte mitten in der Einsamkeit des Oecans einen wunderbaren, geheimnißvollen Eindruck. Am Sonntag, dem 2. Oetober, befanden wir uns auf 41" 52' nördl. Br. und l)" 48' wcstl. Länge. Doch ward die Scenerie am Nachmittag etwas noroisch dnrch einen feuchten, dicken Nebel, durch den man nur wenige Klafter hindurchsehen konnte. Beim regen Schiffsverkehr in jener Gegend ward es nothwendig, alle fünf Minuten die Ventilspfeisc schrillen zu lasseil, mn etwa heransegelnde Schiffe von unserer gefährlichen Nähe zn benachrichtigen. Merkwürdig stark war am Abend das Meeresleuchten. Wir konnten ganze Fischgruppen, die mit uns dahinjagten, vollkommen gut crkeunen und die einzelnen hellbelenchteten Individuen genau unterscheiden. Einzelne kamen in rascher Fahrt ganz bis zur Dbcrfläche und bildeten dann einen scharfen, feurigeu Strich auf dem Wasser, eine ebenso geheimnißvolle Erscheinung im Meere wie das Nordlicht des vorhergehenden Abends am Nordhimmel. Ein schöner Morgen weckte uns am .'t. October nach einer merkwürdig rnhigen Nacht. Das so übelberufene Biseayische Meer glich fast einem unbegrenzten Landsee, ans dem kaum 22* 340 einige Wellen langsam und leise auf- und abstiegen. Die Mittagsrechnung ergab 45" 47' nördl. Br. und 8" westl. L. In dieser schönen ruhigen Situation hatten wir ein seltsames Phänomen. Wir begegneten einem Damftfboot vou der höchsten Vlegauz und Zierlichkeit, auf dessen Hinterdeck einige Herreu in feiner, anständiger Civiltracht standen und uns, da wir uns m nächster Nähe befanden, sehr freundlich grüß-tcu, wozu auch die prächtige Schiffsflagge am Steuer auf-und abgezogen ward. Der Gruß ward von uuserm Dampfboot ganz regelrecht erwidert. Aber das Seltsame bei der schöueu, wirklich prächtigen Dampfjacht war, daß niemand, selbst nicht unser Commandant, ihre Nationalflagge kannte. Mir schien sie eine modifieirte rnssische zu sein. Ein trüber Negen schien uns am Morgen des 4. Dctober unsere Fahrt etwas erschweren zu wolleu. Doch ward es nm Mittag helleres Wetter, als wir uns auf 49" 13' nördl. Vr. nnd 4" 30' westl. L. befanden, also mitten im Eingang zum englischen Kanal. Nabe uud fern erblickten wir zahlreiche Schiffe, und bald tauchte im Norden auch Land auf, auf welchem am Abeud ein Leuchtfeuer brannte, das Fener von Start-point. Ihm gesellte sich bald ein zweites hinzu, das Feuer von Portland. Aber eine dunkle uud uebelige Nacht hinderte unser schnelleres Fortkommen. Wir mußteu still liegen und durften selbst am nnderu Morgeu in den ersten Stunden nur langsame Fahrt machen, bis der Tag völlig angebrochen war. Wir befanden uus zwischen der Insel Wight und dem Festlande uuft erkaunteu bald die kleine Stadt Cowes. . Wundervoll, ja zauberisch schön war die Scenerie um uns, welcher der Helbstschlner keinen Abbruch that. Alles, was man sah an Parks, Gärten, Feldern, au Landhäusern uud sonstigen Gebäuden, verrieth Ordnung, Fleiß und Sauberkeit. Fast kam es mir vor, als ob ich 341 noch nie so viel Thätigkeit zu Lande und zu Wasser gesehen hätte, so viel schöne Natur mit so vicl nachhelfender, feinerer Kunst vereinigt gefunden. So zogen wir an den lieblichen Ufern oahin, zwischen zahlreichen Schiffen hindurch, von der kleinen Segeljacht bis zur kühnen Fregatte aufwärts. Da sahen wir Southampton vor nus liegen, nnd unsere Fahrt war zu Ende. Langsam und vorsichtig, wic ein Rennpferd nach durchlaufener Bahn in seinen reinlichen Stall' zurückgeführt wird, ward die Tync in den prachtvollen Dock hineingezogen, wo eine ganze Gesellschaft von riesigen Dampf-packetbooten in der friedlichsten Weise zusammenlag, dic Oneida, Saronia und andere. Ner hätte vor 5<> Iahreu an solchen Tampfschiffseongrcß gedacht, wofür hätte er ihn gehalten, wenn er die schwarzen Niesenleibcr nebeneinander auf dem Wasser hätte liegen sehen? Nach wenigen Stunden flog der Eisenbahnzng mit nus nach London, nach wenigen Stnnden erreichten wir die gewallige Stadt, eine Strecke über ihren Dächern binfah-rend. Aber ebenso wenig, wie ich beim Scheiden von Triest etwas Weiteres über Venedig sagen dnrfte, darf ich es über London thun, in welchem ich nnr zwei Tage bleiben durste. Der Amazonenstroin und der Menschen ström durch die Straßen von London! Beides die mächtigsten Strömungen, beide in den entschiedensten Gegensätzen und doch beide so hoch begeisternd. Wohl hatte der recht, welcher Paris die Stadt der Flauen, London die Stadt der Männer nennen wollte. Wenn je gewaltiges, wuchtiges Mä'nnetthnm sich kund that l" der Welt, wenn je eine edle, allen nnd allem gerechte Staatsweisheit gefunden wird, so ist London, England, das 342 kleine Eiland, dir Wiege davon und zugleich die Arena, der Platz der Thaten, der Beweise davon. Aber genug. Am 7. October ging unsere kleine deutsche Gesellschaft, die von Südamerika gekommen war, in London' auseinander. Mit einem jungen Deutschen und, wie ich selbst, Lübecker eilte ich abends nach Dover. Eine graue, unfreundliche Negcnnacht brachte uns in ungemüthlicher Verfassung auf dem belgischen Postdampfschiff nach Ostende. In wenigen Stunden durchstogen wir Belgien und zogen freudig ein in deutsche Lande. Aachen und Köln, die beiden deutschen Städte — mögen sie um Gottes willen immer deutsch bleiben -^ begrüßten wir mit herzinniger Erhebung. Den Dom in Köln hatte ich schon früher gesehen. Neben ihm macht die neue Rhcinbrncke einen höchst unschönen Cin-druck, und Köln hat an alter Rheinftracht wesentliche durch das Werk verloren. Am Nachmittag schon flogen wir weiter. Die ganze Nacht, bis 1 Uhr wenigstens, raste die Locomotive mit uus vorwärts, an mancher hellerleuchtcten Fabrik vorbei, bei mancher glühenden Feueresse dahin. Bald rauschte die Elbe vor uns vorbei im goldenen Morgenstrahle. Hamburg glänzte zu uns hinüber. Treue Bruderliebe empfing mich. Noch wenige Stunden fehlten von dort bis zum tranlichen Lübeck und meinen dortigen Lieben. Nach 8 Uhr am Abend des 9. October traf ich daselbst ein und pries des Herrn Gnade und Allmacht. — Und so sollen alle die, die des Herrn Werke erfahren haben und seine Wunder im Meer, wenn er sprach und einen Sturmwind crrcgcte, der die Wellen erhob, und sie gen Himmel fuhren und in den Abgrnnd fnhren, daß ihre Seele vor Angst verzagte, daß sie taumelten und wußteu keinen Rath mehr; und sie zum Herrn schrien in ibrer Noth, und 343 er sie aus ihren Aengsten führete nnb stillete das Unge-witter, daß die Wellen sich legten und sie froh wurden, daß es stille geworden war, und er sie zu Lande brachte nach ihrem Wunsch: die sollen dem Herrn danken um scine Güte und um seine Wunder, die er an den Menschenkindern thut, und ihn bei der Gemeine preisen und bei den Alten rühmen. Nachwort. ^ angst ist meine Reise beendet, längst sind die ans derselben zusammengestellten Bemerkungen der Presse und von ihr dem Publikum größtcntheils übergeben, und nichtsdestoweniger komme ich in einer Nachrede noch einmal ans meine mühsame Wanderung zu Land und Meer zurück. Ich selbst darf schon solche Nachrede meinem Reisebericht hinzufügen, nachdem derselbe vom Publikum mit außerordentlicher Nachsicht und dem unverkennbarsten Wohlwollen auf-genommen ist, sodaß darin meine kühnsten Erwartungen übcrtroffeu oder vielmehr meine schüchterne Besorgniß, es möchten auf dem bisher von mir nicht bebauten Felde cines Reisenden nicht mein guter Wille, sondern meine Leistungen beurtheilt werden, vollkommen beseitigt ist. Nur in einer Beziehung hat sich Leidenschaftlichkeit gegen mich erhoben. Als ich anerkennend und wohlwollend über so manche beginnende uud kräftig auswachsende Colonisations-punkte im südlichen Brasilien geschrieben hatte, glaubten einige darin eine Tendenz, eine Art von slnswanderungs-Propaganda zu finden, uud berührten meine Darstellungen 345 mit einigem leisen Verdacht, der indeß wieder zu verschwinden schien, als ich mit Bestimmtheit alle gebundenen Verhältnisse, Tagelöhneret, Parceriewescn und Knechtsbedingnngeu deut-schor und anderer Auswanderer verdammt und jegliches Pn-vatuntcrnehmcn derart, sei eS benannt, wie es nur immer wollte, als wirkliche, nach allen Seiten hin vergiftende Pestbeule im frischen, freien Aufblühen und Fruchtbringen deutscher Colonisationen auf brasilianischem Boden bezeichnet und verworfen hatte. Durch solche offene Erklärung verfiel ich der Kritik einer andern urtheilenden nnd in der Presse sich bemerkbar machenden Menschenklasse, — der Klasse von Answanderungsagen-ten, Colonistenanwerbern und Menschenspediteuren, welche fürchten mußten, daß einem Theil vou ihnen Kopfprämien und Commisfionsgelder, einem andern Theil von ihnen auch der Name und die äußere Ehre verloren gehen konnte, nachdem sie Gewissen und innere Ehre längst eingebüßt hatten, gerade wie es den ehemaligen Sklavenhändlern auch gegangen ist, die ihrem schwarzen Unternehmen allerlei Lichtseiten und beschönigende Namen zn gebeil wußten, Geld damit verdienten und selbst allerlei Orden und Titel bekamen, bis die Oeffentlichkeit sie als Sklavenhändler erkannte und brandmarkte, wie das mit unsern Seelenverkäufern, für die ich, um sie in das Lenkon der Gaunersprache einführen zu können, das nicht unebene Wort Nepheschganger (vom hebräischen '^;, Seele) vorschlagen möchte, sich heutigen Tags ereignet und, so Gott will, innnermehr ereignen wird, trotz ihrer Diplome nnd Orden, womii sie sich zn bedecken verstanden haben mit Tauschnng von Nniversitä'tsfaenltäten und fürstlichen Häuptern! Diese Nepheschgäuger mm sind gauz besouders aufgeregt worden und gegen mich zu Felde gezogen, als ich das elendeste Colonisationsmachwerk, was ich bis dahin getroffen 346 hatte, die Menschenschlachtereien am Mucuri, am Südrande der Provinz Vahia bis tief in die Provinz von Minas-Geraes hinein untersucht und in der deutschen Presse als das gefährlichste bezeichnet hatte, wobin deutsche Auswanderer geschickt werden könnten. Die rührige Thätigkeit des Unternehmers, die ungeheuere Ausdehnung des Plaus, die Massenhaftigkeit der Hülfsmittel versprachen Raum für viele Tausende von Auswanderern, also schöne Kopfprämien nnd Commissionsgeldcr für Anwerber und Auswanderungsspediteure, wie denn ja das Unternehmen vor der Oeffentlichkeit in mancher hübschen Darstellung nnd durch zahlreiche anziehende Anekdoten von Urwäldern und Botocuden höchst plausibel gemacht war, ganz nach ho-razischcr Regel — !lU<> c>m ^ilon^eni un!i5 ol nltol- g^«>iltm' Die heftige Erschütterung des leichtsinnigen Unternehmens, welche durch meinen Besuch und mein Verfahreil am Mncuri hervorgebracht war, zog mir eine arge Verketzcrung zn. Die trübselige Abwickelung der Geschichte, wie ich sie erzählt habe Mg", welches in Petropolis bei Rio erscheint und zu welchem sich Th. B. Ottoni den Weg gebahnt hatte für eine bedeutende Summe, nachdem ihm in Rio selbst zwei rechtlich gesinnte Deutsche für die Veröffentlichung der Diatribe gegen mich ihre Typen und Drnckappa-rate verweigert hatten. Zur deutscheu Ausarbeitung hatte ein Mensch die Hand geboten, der bei geistigen Hülfsmitteln iu verschiedenen Laufbahnen schon Echiffbrnch gelitten und in zwei Welttheilen bereits seine Ehre verloren hatte, bis er sich denn dem Geschäft des Nepheschgehens anschloß und sich dem Meistbietenden verkaufte zu allen möglichen Hülfsleistnngen. 347 Während ich so beschimpft ward, sang die Mnenri-Unter-nehmung Iubellieder. Abcr unsere Landsleute fuhren fort, am unseligen Flusse zu leiden und zu vergehen, während im „Qii'!'<'!0 Um'c»ntil".von Rio-dc-Ianeiro rosenfarbige Cone-spondenzen von dem Gedeiben der Unternehmung aus Philadelphia in monatlicher Wiederkehr erschienen und die L^ge der Elenden, die etwa in Rio ruchbar ward, in einer förmlich diabolischen Weise verhöhnten. Vom Mumri aus hatte ich, tief empört über den modernen Brutus, einen Brief geschrieben an einen Manu von bedeutender Stellung, mit dem Ausdruck: ich würde meinen Gegner bis zum Schlachtfeld von Philippi bringen. Als ich die Iden des März vom Jahre 1859 auf offener See am Bord des Ticte'dampfers mit meinen Leidensgefährten hingebracht, und nun im Mai und Juni Senat, Ministerium und selbst der Kaiser, von schlechtem Rath beeinflußt, ueue Snbsidien jener Earnificina bewilligt hatten, durste ich nimmermehr daran denken, daß schon die Ideu des nächsten März jene Schlacht von Philippi bringen würden. Vei dem lebhaften Interesse, welches die traurige Coloni-sationsepisode in Deutschland erregt hat, will ich meine Mu-curi-Geschichte zu Ende erzählen, denn sie ist zn Ende. Bei dcu lebhaften Angriffen, die Ottoni mit seinen Nepbeschgän-gern gegen mich gerichtet hatte, darf ich die Abwickelung nicht verschweigen, denn sie ist für mich die glänzendste Satisfaction, die ich in solchem Umfange nie erwarten durfte. Bei dem Schatten endlich, den die Entschließungen des Senats nnd der Regierung vom Mai und Juni 1859 auf wcmchc brasilianische Verhältnisse werfen mußten, ist es meine Pflicht, das ganz kürzlich in Rio-de-Ianeiro Geschehene zu erzählen als ein Wort des letzten Verständnisses und einer endlichen Versöhnung nach bitterer, gerechter Fehde. Um eine klare Ansicht zu geben, wie hartes Elend die in 348 den Muenri-Colonien angesiedelten Auswanderer bis in die letzten Zeiten hinein verfolgte, mnß ich wieder einige Briefe und Doeumente publiciren, die mir von dorther zugekommen sind seit der Veröffentlichung vom ersten Bande meiner Nord-reise. So erhielt ich folgenden Brief: „Hochgeehrtester Herr Doctor! „Bereits im Frühjahr habe ich dnrch Herrn Schlobach ein Schreiben an Ew. Wohlgeboren abgesendet, allein es hat den Anschein, als ob dasselbe nicht in Ihre Hände gekommen ist, obwol mir Schlobach versicherte, er wolle dasselbe gcwisi besorgen (! — bekommen habe ich es nicht). „Wir sind noch in demselben Znstande, als wir bei Ihrem Hiersein waren, d. h. in körperlicher Hinsicht; in politischer Hinsicht aber in einem viel hoffnungslosern. Es waren zwar einige Commissionen seitcnS der brasilianischen Regierung hier, aber sie haben die Colonisten nicht zugelassen. Bei der letztern, ein Herr I)i-. Maschate (s. I, 3Z4), habe ich den letztern anf seiner Rückreise nach Nio-de-Janeiro, nebst meiner Frau auf der Straße an meiner Fazende angehalten und ihn gebeten, nns aus der hiesigen Colonie zu befreien. Mein wir erhielten znr Antwort, er wäre nicht beauftragt, uns von hier fortzubringen, sondern nur den Zustand der hiesigen Colonie in der Art zn nntcrsuchen, ob die noch zu verwendenden Gelder angewendet sein würden. Seitdem haben sich die Znstände hier sehr verschlimmert u. s. w." Und mm folgen im Briefe bittere Klagen, wie sic schon bei meinem Besuche der Colonie vorkamen. Dann fährt dcr Bnrfsttlkr fort: „Anf diesen Grnnd nnd Veranlassnng traten 45 Familicn-hänpter zusammen, um eine Bittschrift au Se. Majestät den Kaiser durch zwei Depntirte zu überreichen; und dieselben 349 sollten am heutigen Tage abreisen. Allein als sie von dem Vicedirettor Ernesto Ottoni die Anweisung zur Uebcrfabrt erbaten, hat derselbe sie mit den Worten: sie sollten ans ihre Fazenden gehen nnd arbeiten, abgewiesen. Es ist nnd geht darans wiederum klar hervor, daß wir einein grenzenlosen Glend und vollkommener Sklaverei entgegengehen, daß wir Gefangene nnd aller Mittel beranbt sind, aus nnserm hoffnungslosen Zustande ^u kommen. Da mein Schwager, der Seifensieder Thiele, gegen Ginzahlung von 40 Milrcis (etwa 30 Thlr.) nach vielen Muhen die Erlaubniß erhalten hat, nach Rio-de-Ianeiro zn gehen und sich bereits in Sta.-Clara zur Abreise befindet, so versuche ich durch diesen Weg, Sie von nnserm Zustande zu benachrichtigen und Sie, obwol Sie schon viel gethan und gelitten haben um Ihrer Landslente willen, dringend zu bitten, uns und meine Unglücksgefährten womöglich ans diesem Elende zn befreien. Möge Gott Ihnen hierzu Mittel nnd Kraft verleihen, ^ das sei unser tägliches Gebet; an Muth nnd Willen, dies wissen wir schon, gebricht es Ihnen nicht. Im vollen VeUrauen auf Sie grüßt Sie von Herzen Neuphiladelphia, den 5. Deeember 1859. der Eolonist im Muenri Julius Gcrlach uebst Frau und im Namen seiner Unglücksgefährten." Ans einem andern Briefe theile ich Folgendes mit: ,,Nw-de-Ianciro, dcu C. Jänner I860. „Mein verehrtester Herr Doctor! —_____^Wic Sie aus der Ueberschrift des Briefs ersehen, bin ich nicht mehr im gesegneten Mucuri; ich habe von der .eisernen Nothwendigkeit gezwungen meine Familie verlassen müssen, um hier eine andere Earriere mir zu schaffen. Alle unsere, auch die bescheidensten Hoffnungen waren 350 sowol durch die Ungunst oer Verhältnisse wie der Schicksale zertrümmert worden. „Die Milhoernte (Maisernte), auf die sich all unsere Aus' sichten für die Zukunft basirten, war total infolge der anhaltenden Dürre gefehlt; eine dreimalige Bohnenpflanzung ebenfalls; wir ernteten nicht einen Teller voll u. s. w. Das Land schien so erschöpft zu sein, daß der Mais, den wir für dieses Jahr säeten, gar nicht zn werden versprach. Das ist die vielgerühmte Fruchtbarkeit hier, daß nach dreimaligem Pflanzen das Land erschöpft ist. Wir sahen einer traurigen, hoffnungslosen Zntuuft entgegen; dahin war aller Mnth, alle Kraft und Lebensfrendigkeit; bei aller Arbeit, die wir machten, drückte der Gedanke danieder: es ist ja umsonst u. s. w. ,, Sie fühlen, verehrtester Doctor, welche Welt von, Schmerz, Verzweiflung, Ncne für mich darin lag, meine arme Frau vor Huugcr, sage vor Hunger, beinahe ohnmächtig werden zu sehen! Ich oder wir vermochten vor Kummer und Heimweh uud Hoffnungslosigkeit kein auderes Gebet mehr zu stammeln als: Herr Gott, erlöse uns durch dcu Tod von diesem Leben! ,,Cs waren aber noch andere Sorgen, die uus gänzlich zu Boden drückten, — Schulden! Es liegt für mich etwas' unaussprechlich Schreckliches iu diesem Worte; es ist die drückendste Fessel, um den freien Aufflug des Menschengcistes zu hemmen. Ich mnßte sie macheu, uud zwar bei Herrn Maia auf Monte-Christo (s. I, 237), um Arbeiter anstelleu zu können für den Hansban und die Noca-Arbeiten, da wir allein nicht fertig wurden, und auch für Lcbensmittel, die, besonders Speck, Kaffee und Zucker, sehr theuer wareu. Ich muß sie zu 24 Procent verzinsen, und am 20. December 1859 war der erste Posten mit 200 Milrcis fällig. Ich hatte zn erwarten, von Haus uud Land vertrieben zn werden 2^1 oder unfere Habsrligkcitcn einzubüßen. Je länger je mehr fühlte ich, daß ich der schweren Landarbeit nicht gewachsen war, daß ich es zn gar nichts bringe. WaS blieb mir nun anderes übrig, als mein Glück in Nio zn versuchen? Ich frug Ottoni um die Erlaubniß in Geschäften nach dort zu geben; meinc Absicht zn bleiben sagtc ich nicht, und bei ihm war ja keine Hülfe, kein Trost zu suchen. Arme Colonistcn habcu ja kein Recht zu klagen! Denken Sie sich, ich bin die 9V2 Leguas (? deutsche Meilen) uach Philadelphia, um den Paß zu holen, barfuß gegangen; ich hatte keine Schuhe mehr. Nicht wahr, mau bringt es weit hier? Ich dachte nut bitterm Hohnlachen daran, was wol meine Freunde zn Hause, mein guter, altcr Vater dazu gesagt hätten, wenn sie mich barfuß uud einen Bündel anf dem Rücken tragend ge^ sehen hätten! „Ich kam den 22. Deeember iu Nio an u. s. w. (wo der Briefschreiber eine Lehrerstelle in der Nähe bekommen hat). Nun noch einige Worte über den Mueuri im allgemeinen. Als ich Ende September in Philadelphia war, herrschte unter allen Colonisten im allgemeinen ein Geist des Misbehageuö, der Unzufriedenheit; selbst Leute wie Kern, Huder, Schlobach waren niedergedrückt von der Gleichgültigkeit, die Ottoni den Colouistcn und ihren Angelegeuheiten gegenüber zeigte; er war mehr als vier Wochen in Philadelphia gewesen, ohne daß er nur eiucn derselben besucht hätte. Die Colouisten am S.-Iaeintho (s. I, 243, gauz unten) hatteu eiuen Ver^ such gemacht, sich als Gemeinde zu eonstituiren uud hattcu einen Gemeinderath gewählt, der sich als solchen dein Theo-Philo präscntirte und den Antrag brachte, er möchte den Colonisten unter gegenseitiger Garantie — alle für eiuen, einer für alle — ein kleines Anlehen von 10 Contos machen, um daraus unter ihrer eigenen Administration einen Fonds für gegenseitige Hülfeleistung zu bilden. Ottoni lachte ihnen ius Gesicht, wies sie mit diesem und andern Gesuchen ab und leugnete selbst Versprechungen, die er in Gegenwart von Zeugen gab, rein weg. Dic Coloniften hatten dieses Jahr durchweg tüchtig und viel gearbeitet, und nun begann der Jammer: .«Wer soll uns unsere Ploducte abnehmen? Der Director will sie gar nicht oder nur um Schandpreise, uud anf diese Weise kommen wir zu nichts.» Als ich im December hierher reiste, kam eine Deputation der Colonisten vom S.-Iacintho, um im Namen von 47 Familienvätern dem Kaiser womöglich eine Klageschrist vorzulegen, die eine ganze Menge Punkte und Artikel enthielt. Eie wandten sich zuerst an den preußischen Consul, der dann mit ihnen zu Ottoni ging. Ich war gerade anwesend bei der Unterhandlung und mußte mit bitterm Schmerze hören, wie der Consul eben ganz anf Seite von Ottoni war. Letzterer machte allerdings einige Concessionen; ob er sie halten wird? Es ist schade, daß die Klageschrift nicht konnte gedruckt wer^ den; es wäre ein köstlicher Beleg gewesen zu der Vertheioi-gung von Ottoni Ihnen gegenüber und eine Erläuterung zu den erbettelten Briefen und G'gebenheitsadrcssen, die seinerzeit veröffentlicht worden sind. Es war selbst in dieser Adresse gesagt, in der Klageschrift nämlich, es seien die Unterschriften vieler Colomstcn ohne ihr Wissen und Willen auf die von Kern verfaßte Ergebenbeitsadrcsse geseht" worden, — Kirsten, Hnber und andere seien bestochen worden, um günstig zn schreiben. Man sieht aber ans allem deutlich, welche faule Geschichte die Mueuri - Colonisation ist, oben und unten im Lande. Wäre ich frei mit meiner Familie aus den Fesseln, ich wollte anch ein Wort-chen schreiben, Leben Eie wohl u. s. w. Vöschenstein-C'lmiger." Gerade so, wie mir das Schicksal eine Abschrift des Lach- 353 mund'schen Berichts über die Zustände in Eta.-Clara (f. I, Z34) zugeführt hat, besitze ich auch eine Abschrift der in den beiden eben eopirten Briefen mehrfach erwähnten Bittstelluug an den Kaiser. Diese Bittschrift ist kein von irgendeinem bezahlten Schrift-gelehrten abgefaßtes Dorument. Es ist ein Nothschrei von verlassenen, verrathenen Menschen der nntern Etä'ndc, die damit einen Verzweiflungsversuch macheu, sich aus ibrem Cayenne am Mucuri zu retten. Die Redaction des Blatte? ist gänzlich unordentlich und als eine Bittschrift an einen Kaiser taktlos, die einzelnen Constrnttionen verdreht, die Orthographie zum Theil schauderhaft, sodaß das Blatt jedem, selbst dem Mitleidvollsten, immer noch ein Lächeln abgewinnt neben der tiefen Empörung, die es erregt. Die Leute erklären, das, sie ihre letzte Habe zusammcuge-bracht, um zwei Colouisten, August Hirle und Heinrich Fricke, nach Nio schicken zu können, welche beide „nicht durch Zureden oder Geschenke sich verleiten lassen zu wollen, damit sie ihre Gewissen nicht verletzen, sondern iwe Obliegenheiten aufs genaueste zn erfülleu, und anch fur uichts zu scheueu, soudern nnr dir reine Wahrheit um ihr künftiges Wohl auszusprechen versprechen, so wahr ihnen Gott belse zur Ee-ligkeit". „Wir sind Deutsche", so sagen die unterzeichnenden Fa-milienhänpter, „und von deutschen Agenten verlockt und verleitet worden, uns nach der Mueurie-Colouic zu begeben; es wurde uns vorgespiegelt, daß diese erwähnte Colonie ein wirkliches Paradies sei. Nachdenklich ist dieses aber nicht der Fall; es ist dasselbe umgewandelt und zu betrachten als Hölle, „Hier kamen wir in der Colouie an frisch, gesund und bei vollen Kräften mit unsern zahlreichen Familien. Leider aber sieht jetzt jeder Familienvater sowie seine Gattin, wenn Auc'-Lallcmaiit. Nord^Viasilicn. ll. 23 354 sie ihre Fazendeu betreten, um an ihre Beschäftigung zu gehen, die Grabeshügcl ihrer Dahingeschiedenen, und der Muth zur Arbeit geht dahin! Mancher Gatte hat seine Gattin verloren, manche Gattin ihren Gatten und hoffnungsvolle Kinder. Und bei diesem allen sollten wir frischen Muth fassen, um unsere Pflanzungen in gehörige Ordnung zu bringen. ' „Dies sei von den Sterbefällen erwähnt! Die noch jetzt Lebenden leiden an Bleichsucht und Herzkrankheiten. Auch für diese ist keine ärztliche Hülfe vorhanden; vielleicht könnten sie transportirt werden und dadurch am Leben erhalten, und mauchcs Leiden vermieden werden." Somit bitten sie um einen gewissenhaften Arzt und Apotheker, beklagen sich über die vielen nicht gehaltenen Ver-sprechnngeu der Compagnie, über das schlechte Klima, über die Nahrungsmittel, ausgewachsene Bohnen, wurmigen Speck, Mangel an Kleidung, ungeheuere Preise für Sachen, die zu kaufen sind, z. V. 1 Pfd. Speck 25 Sgr., l Pfd. Kaffee l^ Sgr., ebenso viel ein Pfund Seife u. s. w., bei völliger Werthlosigkeit der selbst gebauten Produtte. Ferner beschweren sie sich über den Maugel au einem Geistlichen und einem ordentlichen Lehrer. „Wir leben wie im Heidenthum; zwar ist ein deutsches Bethaus errichtet, jedoch fehlt es an einem Prediger n. s. w." Dann folgt eine sehr entschiedene Zurückweisung „deutscher Bekanntmachungen und glänzender Berichte über die guten Zustände von einem gewissen Adolf Kersten", welcher Berichterstatter in den allerschärfsten Ausdrücken Lügen gestraft wird und auf Geldbedingungen hin seine Berichte nach Deutschland Übermacht haben soll. „Ferner ist ein Bericht von dem Apotheker Kern eingegangen an den Herrn Direetor der Compagnie nach Nw'de-Ianeiro, daß wir uns sollten in gutem Wohlstand befinden. 355 Dieser Bericht soll von sämmtlichen Colonisten mit eigenhändiger Handschrift bezeichnet sein. Mit nichten! Es ist nns solches nicht bewußt; wir verlangen dagegen, daß uns dieser Bericht in förmlichem Formular vorgelegt wird, nm daß ein jeder seinen selbst geschriebenen Namen in Augenschein nehmen kann." Dieser Widerlegnng folgen noch einige Aigenstrafnngen von andern Bekanntmachungen nebst Darstellnilgen verschiedener Nothzustände. Dann fährt die Supftlik fort: „Des letzt hier gewesenen Herrn Advocat Doctor Machado eingereichte Bericht ist nur von der Compagnie abgefaßt worden. Allen übrigen Colonisten ist kein Gehör gegeben. Unser größter Wunsch ist, daß wir aus der Mucuri-Colonie ausgeführt werdcu n. s. w." Schließlich kommt noch die Erwähnung, daß einige Colonisten vom Nio-de-S.-Benedieto (s. l, 285) sich znr Ret-tnng ihrer erkrankten Kinder um einige Veneficicn, zu denen sie nach frühem Bekanntmachungen sich berechtigt glaubten, an den Direetor gewandt hatten. „Er erwiderte dagegen noch, daß er der Bekanntmachnng nicht nachgehe, sondern die Gesetze stehen hier in der Mneuri-Colonie in seiner Kraft, und wir wurden auf unsere Gesnche mit einer spöttischen Rede gänzlich abgewiesen." Dieser Hülferuf an den Kaiser war, wie schon angezeigt ist, von 47 Familienhäuptcrn unterschrieben. Als ich ihre Namen las, kam es mir wirklich vor, als ob ich viele von ihnen, außerdem daß ich sie am Mnenri gehört und mehrere von ihren Inhabern daselbst gesehen hatte, auch schon irgendwo gedruckt gelesen hätte. Ich durchsuchte einen Packen Zeitungen und Schriftdommente, jene Mucuri'Angelegrnhcit betreffend, und fand richtig, was ich gebrauchte. Im verflossenen Jahre 1859 erschien in Hamburg bei Wilhelm Iowieu em Heft von 29 Seiten: „Berichte, betref- 23* 356 fend die Mucuri-Colonie in der brasilianischen Provinz Mi-nas-Geraes", ohne den Namen eines Herausgebers, obwol sich im Heft selbst nnter jeder Anmerkung die Zeichnung: ,.D. Heransg." findet. Dieser Heransgeber inttodm'irt sich als eineil edeln Mann, Was sollen wir aber sagen, wenn wir S. 5 lesen: „Leute, deren Köpfe von den gewissenlosen Agenten Europas mit glänzenden Vorspiegclnngeu angefüllt, und die auf das schändlichste von elenden Seelenverkäufern ganz falsch über die hiesigen Zustände unterrichtet waren u. s. w.", nnd darunter demselben Namen finden, der in jener an den Kaiser abgesandten Bittschrift so schwer verklagt wird? Nach vielen merkwürdigen Documcnten kommt nun in dem bei W. Iowien 185!> von einem anonymen Herausgeber veröffentlichten Heft, S. 17, eine: ,,Orffentliche Erklärung von dentschen Ansiedlern in den Mnenri-Colonien", in welcher dem „Verdienst des cdeln Gründers" Weihrauch gestreut wird mit Unterzeichnung von 74 Namen. Dieses mnß der Bericht vom Apotheker Keru sein. Und wirklich finde ich gleich auf den ersten Blick ^0 Namen, welche nnter beiden Dokumenten stehen. So sammelt man am Mneuri Lobeserhebungen für das „Verdienst eines edeln Gründers" und rekrutirt Namen für ein brasilianisches Cayenne! Wenn ich nun vou den 74 Namen jene 20 als „annerirte Namen" abziehe nnd den Rest persönlich fragte, selbst Kern, selbst Huber, selbst Rihs, ob ihr Gewissen ganz rein war beim Unterzeichnen, ich glaube, gar manche von den Inhabern würden doch roth werden. Und was würde der Doetor Machado Nnnez sagen — „Seine Ereellenz", wie Ottoni ihn so gern bezeichnet und wie er auch den wackern von 357 Tschudi zur Ereellenz macht --, was würde der Doctor Ma-chado sagen, wenn er die Verklagungen der Colonisten am Mueuri läse und sich nun vor seiuem Herrn, dem Kaiser, rechtfertigen sollte? Bei zwei Namen des Kern'schen Berichts für den „cdeln Gründer" muß ich noch eine kleine Anekdote erzählen, woraus hervorgeht, wie selbst unbescholtene deutsche Firmen in den Mueuri-Schwindel hineingerissen und von der ganzen Geschichte überrumpelt und dupirt worden sind. Diese beiden Namen sind: Neinhold und Otto Sommerlatte, die Söhne eines Schmiedcmeistcrs Karl Sommertatte aus Schkcuditz; — die unbescholtene deutsche Firma ist die der achtbaren und geachteten Herren Schlobach und Morgenstern in Leipzig, Diese Firma machte mit dem Sommerlatte den folgenden Contra et: „Zwischen Schlobach und Morgenstern in Leipzig, Mitbesitzer eines Holz- und Schncidemühlengeschäfts in Sta.-Clara in Brasilien eincstheils nnd dem Schmiedemcister Karl Sommerlatte aus Schkeuditz anderntheils ist heute nachstehender Dienstvertrag verabhandelt und geschlossen worden i „Die Herren E. u. M. engagiren den Schmiedemeister Eommerlatte für ihr Holzgeschäft in Eta.-Clara auf drei Jahre unter folgenden Bedingungen: 1) leisten sie den zur Neberfahrt nöthigen Vorschuß für das Passagegclo von Hamburg aus; 2) versprechen die Herren S. n. M. dem Contrahcnten einen Lohn von 4l) Thlrn., schreibe vierzig Thalern, per Monat bei freier Kost und Wohnung; ^>) geben sie an den Schmiedcmeister Sommerlattc ein Stück Land nnd zu dessen Bearbeitung einen freien Werktag außer den Sonn- und Festtagen. Dagegen verpflichtet sich Sommerlatte 1) drei Jahre hintereinander die ihm auferlegten Arbeiten 358 nach Kräften auszuführen und seinen Posten in dieser Zeit bei einer Convcntionalstrafe von 80 Thlrn. nicht zn verlassen; 2) sich den Vorschuß von 75> Thlrn., schreibe fünfnndsiebzig Thalern, Passagegeld vom Lohne im ersten Jahre kürzen zu lassen, und 3) allen seinen Versprechungen und Verpflichtungen pünktlich nachznkommen und im Interesse der Herren S. u. M. zn handeln. „Nach Ablauf der drei Contraetjahre steht es dem Schmicde-mcister Sommerlatte frei, nach der Colonie Saronia zn gehen, und versprechen die Herren S. n. M., bei der Mu-cnri-Compagnie dafür zn sorgen, daß er von dort ein Stück Land von N>0 sächsischen Ackern verkauft erhält, welches er erst in zwei bis vier Jahren zn bezahlen nöthig hat und überhaupt in die Rechte (!) der übrigen Colonisten tritt nach Maßgabe ihrer Programme. „Beide Theile erklären sich mit Obigem einverstanden und bekräftigen dieses durch ihre eigenhändige Namensmuer-schnft Leipzig, 19. Mai 1856. (I.. 5v) gez. Schlobach und Morgenstern. Karl Eommerlatte." Nach Vcrbriefung und Versiegelung dieses wnndervollen Contratts gab nun Sommerlatte alles anf nnd zog mit allem, was sein war, nach Hamburg. Hier machte man folgenden Nachsatz: „Den Inhaber dieses, Karl Sommerlatte aus Schkeuditz, konuten wir wegen Gcldvcrhältnissen nicht als Arbeiter nach Sta.-(5lara annehmen, und haben wir ihn deshalb für die Gesellschaft nach der Colonie Saronia mit Vorschuß cngagirt. Wir können jedoch diesen Sommerlatte als tüchtigen Schmied empfehlen nnd ersuchen den Herrn Vogt, ihn, wenn es geht, 359 für Rechnung der Mnenri-Compagnie mit in Sta,-Clara zu behalten. Hamburg, 11. August 1856. gez. Schlobach und Morgenstern." Sommerlatte konnte gegen die Brechung des Contracts nichts anfangen und zog, mächtig angezogen von der Saronia, nach dem Mucnri. Als ich auf dem Wege von Sta.-Clara nach Philadelphia war, begegnete mir mitten im Waldo ein Mann mit einem kleinen Ochsenkarren. Ich grüßte ihn, — es war Karl Sommerlatte aus Schkenditz. Er war sehr aufgebracht und versprach mir, wenn wir uns allein treffen sollten, einma! seine Geschichte zu erzählen, was er mir im Walde bei flüchtigen! Begegnen und ill Gegellwart des l)>-. Ernesto Ottoni nicht wollte. Später traf ich ihn in Nio, und er erzählte mir eben die Geschichte, die ans seinem Contract hervorgeht. Er hatte die bitterste Täuschung erlebt. Das „Holz- und Schneidemnhlengeschäft in Sta.-Clara" hat entweder gar nicht eristirt oder eristirte nicht mehr, als ich dort war. Ich habe keine Spur davon erlebt. Doch das ging den Eommerlatte nichts mehr an. Dem war die Saronia verheißen. Die Saronia am Mnenri ist eine Namenschwindclei. Vielleicht mögen einige lnstige Sachsen, einige 8^>!o!)ncl!^ wie Ottoni im „l!o!'!><>io M'i'^mli!" die ihm von Schlobach lind Morgenstern cngagirten Eolonisten nennt, einmal solche Landsmannschaft Saronia im Sinne gehabt haben; aber über solchen fröhlichen Schwank ist das Ding nie hinansge-gangen; es ist ein Seitcnstück zum „Holz- und Schneidemühlengeschäft in Sta.-Clara". Der Schmiedcmeistcr hatte ttnn lange vergebens nach dieser wundervollen Saronia ge-sncht und war zuletzt desperat geworden, in welcher Despera- 360 lion er nach Nio ging, um dort consularische Hülfe zu suchen, die er ebenso wenig gefunden haben wird wie die Schneidemühle und die Saronia. Die Söhne aber suchte man für die Kern'sche Ergedenheitsadrcsse zn gewinnen; durch ihre Doppelunterschrift mußte allerdings ein mneuri-feindliches Verfahren des betrogenen Vaters, der ein sehr detcrminirter Mann zn sein schien, am allerbesten paralysirt werden. Auch der Fähnrich Mamore, der nenc Commandant der Militäreolonie vom Nio-Urneu war zu Ottoni's Fahne übergegangen. Iu seinem Bericht an das Ministerium soll er mich, weil ich so viele Elende lebendig fortgerafft hatte, die schlimmste Epidemie am Mueuri genannt haben. Wenigstens erklärte Ottoni das öffentlich in der Zeitung, und er konnte es wissen, weil man ihm, dem mit dem vorletzten Ministerium befreundeten, alle Papiere, selbst meinen an den Herrn Manoel Fclizaroo gerichteten Brief, vorlegte in der cordialften Weise. Allerdings hatte ich in diesem Briefe der Cagliostroge-schichte am Mneuri einen Kampf auf Leben und Tod angekündigt. Allerdings schien im Mai und Juni des verflossenen Jahres für Ottoni der glänzendste Sieg bereitet zu sein, sodaß er wol mit Necht: >'i,v^lm> n»in- 8Ul uipücx') werden der Krone dann zur Wahl präsentirt; einen von diesen drei Caudidaten muß der Kaiser ernennen, doch kann er ernennen, wen er will. 362 Das Weitere will ich nun in einer buchstäblichen Neber-sehung aus dem „i^i-ivn-a ^l^i-oDnM^ wiedergeben, derselben bedeutenden Oppositionszcitnng, in der Ottoni seine Mncuri-Correspondenzen immer pnblieirtc nnd erst vor wenigen Monaten glückselig ansgernfen hatte: ,,^v<^mw5 7 wurden zwei Stellen besetzt, und ob-wol ich mich bei der damaligen Wahl nicht direct präseutirt hatte, ward mir doch der Nuhm zn Theil, etwa 800 Stimmen zu bekommen. „Gewichtige Meinungen gaben mir die sechste Stelle auf der Liste. Doch nahm ich gern die siebente an, ohne weitere Reclamation zn erhoben, ans Hochachtung für den ausgezeichneten Mineiro, dessen Name dem meinen vorgesetzt ward. „Da kam die Wahl vom 21. August des Jahres 1859, bei welcher ich mich nm das ehrenvolle In tränen der Herren Wähler von Minas bewarb. „Das Resnltat übertraf meine kühnsten Erwartungen. Mir ward der erste Platz ans der allgemeinen Stimmliste zuertheilt; die absolnte Majorität der Wähler, die sich zur Wahl l'ingcfunden hatten, fiel mir zn. Ich war der Erst-votirtc in 14 Collegien (unter 30 ssollegien) und in keinem einzigen Wahlbezirk fehlten mir Stimmen. „Die Liste ward der Krone vorgelegt, nnd zum Senator ward erwählt der Herr Staatsrath Luiz Antonio Barbosa, welcher der Zweitvotirte war. „Als nun dic Stelle erledigt war, welche so würdig ausgefüllt worden war vom hochverehrten Patrioten Ni- 364 coläo Pereira dc Campos Vcrgueiro, appellirte ich von neuem au meiue Comproviuzianeu. ,,Und nicht vergebens! Bei der Wahl am 12. Februar des laufenden Jahres 18s>0 wurde mir zum zweiten male die Ehre des ersten Platzes auf der !i»lü u-iplic^ zu Theil mit vcm Vortheil von 174 Stimmen vor dem zweiten uud 294 vor dem dritteu Bewerber. „Und so einstimmig offenbarte sich der Wille der Provinz, daß, weun die Wahl von Senatoren in Cirkeln wie die der Depntirteu stattfände, ich deu Ruhm gehabt haben würde, der Krone präseutirt zu werden vou allen Nahl-districk'n der Provinz Miuas-Geraes, als der erste auf der dreinamigen Liste in 13 Enkeln, als der zweite in fünf, als der dritte im ueuuzchntcu uud als dritter iu gleicher Votiruug mit einem Coneurrcnteu im zwanzigsteu Cirkel. „Iu 1'.) Cirkclu wäre ich also durch die absolute Majorität der Wähler der Kroue vorgestellt wordcu, uud uur in cincm durch relative Majorität, wo ich übrigens 4.> Stimmen von 85) Wählern hatte. Vielleicht ist kein brasilianischer Bürger für eine so große Auszeichnung deu Wählern seiner Provinz verpflichtet worden. „Die cudliche dremamige Liste ward der weisen Betrachtung Sr. Majestät des Kaisers vorgelegt, uud gewählt ward der Zwcitvotirte, Herr Mauocl Teireira de Souza. „Ich verkenne es nicht, daß von den drei Bürgern, deren Namen der Krone vorgelegt worden sind, ich der obscurste biu uud vielleicht derjenige, welcher am weuigsteu Dienste dem Lande geleistet hat. Ich verkenne es nicht, daß nach Vorschrift der Constitution die Prärogative der Krone in der Auswahl der Senatoren (aus der dreinamigen Liste) keine Beschränkung hat. Diejenigen sind vorzuziehen, sagt die Coustuutiou, welche dem Staate Dienste geleistet habeu; doch steht die Entscheidung der Krouc zu. 36d ,,Aber wcnn der Wahlkörper einer Provinz wie Minas-Geraes nut so großer Dringlichkeit die Wahl eines ihrer Candidciten fordert, — wenn die Wahl dieses Candidate», weit entfernt davon, der Ansdrnck nnd der Trinniph einer Partei zn sein, das Product des allerklarsten freien Willens ist: da scheint der abschlägige Bescheid Geringschätzung zu bezeichnen, womit man Nio-Graudc do Sul, Bahia nnd Peruambueo nicht behandeln würde! „Von Grund aus ein Mineiro habe ich, wenn mir dic Prädicate fehlen, um zum Senator des KaiserthumS erwählt zu werden, hinreichenden Patriotismus, um für den Namcu und die Ehre meiner Provinz zu eifern. ,,Nicht meine lästigen Bewerbungen sollen es mehr sein, welche zn neuer Kränkung den Wahlkörper der muthigen Provinz Minas-Geraes bloßstclten werden. Was mich betrifft, so genügt mir der Ruhm der drei letzten Wahlen, welche für immer meine Dankbarkeit gewonnen haben. In der Dunkelheit, zu welcher ich verdammt bin, werde ich mich bemühen, so zu verfahreu, daß kein Wähler des für mich so denkwürdigen Qnatrienniums von 1857 bis 18l>1 die Stimmen bereuen soll, die er mir geschenkt hat. „Indem ich also jegliche Bewerbung bei der nächsten Senatorenwahl ablehne, bin ich mit ausgezeichneter Hoch-achtuug und Werthschätzung Rw-de-Ianeiro, 28. April I860. Ihr Landsmann und dankbarer Freund Theophilo Venedieto Ottoni." Dieses Cinnlar au die leichtbewegliche Provinz Minas von eincm Manne wie Ottoni, dem die Revolution auch ein Mittel ist, um zu seinen Privatzweckcn zu gelangen, machte in Rio-WIaneiro beim Abgang dcs letzten englischen Packetboots (vom 8. Mai) ganz bedeutendes Aufsehen, da 366 skin Sinn sehr verständlich war, und fand bereits im „.lurm,! Onunwl'c'lci", der ersten brasilianischen Zeitung, am 3. Mai eine ganz ausgezeichnete Erwiderung, die mit großer Mäßigung, canstischer Satirc nnd entschiedener Wahrheit geschrieben ist, Sie wirft dem anmaßenden Manne eine Kräuknng der Wähler von Minas, Kränknng seiner Mitbewerber, Kränkung der ganzen Provinz nnd Kränkung des ausgezeichneten Mannes vor, der zum Senator erwählt ward, nnd fährt dann fort: „Allerdings wirb Herr Ottoni Gründe haben, zu denken, daß cr nicht in eine Rubrik gesetzt werden kann mit einem dieser achtungswertheu Namen, wenn es sich um Dienste handelt, die er geleistet zu haben glanbt. Ohne sie gänzlich leugnen zn wollen, so wird der Herr uns doch die Erklärung zugestehen müssen, daß anßer feiner nnglücklichen Mu-mri-Nnternehmnng wir nicht wissen, welche andere Dienste er geleistet habe. „Gewiß sind Landstraßen reelle Nothwendigkeiten für das Land; gewiß ist die Ginführnng von thätigen Armen ebenfalls eine andere Nothwendigkeit, die wir nicht bestreiten wollen. Aber was noch gewisser ist, ist das, daß wir niemals irgendeinem Pnnkte des Kaiserthnms eine Wohlthat angedeihm lassen wollen mit dem Nnin unserer Frennde nnd der Personen, welche nns ihre Kapitalien anvertraut haben, fortgerissen von unsern verführerischen Versprechungen nnd nnter ungeheuerm Schaden selbst des Staatsschatzes;, denn ein solcher Dienst verwandelt sich zuletzt in einen wirklichen öffentlichen schlechten Dienst! „Das Land gewinnt gar nichts, wenn sich ein Punkt mit dem Nuin und dem Elend eines andern bereichern will. Und wirklich verliert es, wenn die Kapitalien, welche an einem Platze nützlicher sein konnten, nach einem andern hin verwandt werden, wo sie entweder gar nichts einbringen 367 oder gänzlich zu Grunde gehen. In diesem lchtcn Falle befindet sich unsers Erachtcns die Mueuri-Unternehmung, wenn die Regierung nicht bald diese lästige Geschichte auf sich laden will, um nicht total das, was dort verthan worden ist, gänzlich verloren zu sehen. „Welchen andern Dienst hat der Herr nun geleistet? Wenn es nicht die fortwährenden Begünstigungen sind, die er von allen Verwaltungen des Laubes feit zehn Jahren bis heute empfangen hat, wie er es selbst öffentlich eingestanden hat, — wenn es nicht der Geist des Aufruhrs ist, welchen er die Gewohnheit hat, dem Volke einzublasen jedesmal, wenn er in seinen Interessen verletzt ist, wie er das jetzt wieder thut: so sehen wir gar nichts weiter, was ihn über seine beiden edeln Mitbewerber stellen könnte, und noch we-nigcr, was ihm das Necht gäbe auszurufen, daß seine Nicht-erwähluug ein abschlägiger Bescheid sei, welcher ciuc Kran-knng, eine Insultirung der Provinz von seiten der Krone in sich einschließe." Inletzt heißt es dann noch, und zwar mit vollem Necht: „In Brasilien gehören, Dank sei es der Großmüthigkeit des Kaisers, keine Namen zu den uumöglichcu, weuu sie sich nicht selbst dazu macheu. Dazu hätte Herr Ottoui, nachdem er für sein Unternehmen, so viele Geldhnlfsleistungcu von der kaiserlichen Regierung empfangen hat, etwas re-spettvollcr gegen sie sein und uicht mit ihr in der zügellosen Form, wie er es gethan hat, brechen sollen. Und endlich erscheint, indem der Herr von seiner Candidatur zurücktritt, aber das Ehrgefühl von MinaS anstachelt, damit er von neuem gewählt werde, das wie eiue Art von Zwangsvorschrift, die nie jemand billigen wird." Und dieser Zurechtweisnng stimmen wir mit ganzem Herzen bei. Die Krone hat im vorliegenden Falle nur von ihren Prärogativen Gebrauch gemacht. Aber die"Ansübuug 368 dieses Rechts hat etwas Vernichtendes und Zermalmendes für einen Mann, der nngchenere Summen den Leuten abschwatzte, um seine Verwandten zu Vermögen, sich selbst zn Ansehen und einer hervorragenden Staatsstellung zu verhelfen. So Gott will, wird es unter der Leitung der Regierung am Mucuri besser werden! Den Lebenden wird hoffentlich, wenn sie das noch wünschen sollten, freier Abzng gewäbrt werden; die Todten find gerächt worden. So ist denn meine mühsame Expedition längs des Mu-cnri und mein Kreuzzug gegen die übermüthige Machthaberei daselbst nicht vergebens gewesen. Freilich kam die Strafe, die Nachc jener Unthaten etwas spät, — aber sie kam. Und eben weil sie spät kam, trifft sie auch alle diejenigen mit, die sich im Dienste jenes Mucuri-Directors Stellung und Geld verdienen wollten, und das alte bekaunte: „Di^ciio ^i-«t,!lim>> mmmi, !K'!'N Thlr. auf die vom Staate mn 7 Proeent garantirte Anleihe von einer Million Thalern hin aus dem Staatsschatz bekommen hatte, jegliche weitere Geldgewährung abgeschlagen, wodnrch die Bedeutung der letzten Ereignisse noch viel bezeichnender wird und im Stande ist, wichtige Folgen herbeizuziehen. Seien diese Folgen nun friedliche oder stürmische, im Kampfe mit schlechten Geschichten und Menschen darf der 369 Sturm, der Krieg nimmermehr gescheut werden. Tausend-mal gibt es Umstände