jJ0#40X,fe /rA^ Reise durch Nord-Brasilien im Jahre 185<). Von vs. Kobert Abi.Mitmnt. MM Erster Thril Leipzig! F. A. Brockhaus. i860. V r^ öS ^j -^ Vorwort. Vie schützende Hand der Vorsehung hat mich wohlbehalten im October des vergangenen Jahres wieder in meine Vaterstadt zurückgeführt. Ich fand bei meiner Heimkehr die Darstellunss meiner Reise dnrch Süd-Brasilien, von der ich das Manuscript im December 1858 von Nio-dc-Ianeiro fortgeschickt hatte, bereits gedruckt vor, sodaß ich nur noch die letzten Bogen selbst durchsehen konnte, bevor das Ganze ver Oeffentlichkeit übergeben ward. Kaum ein anderes als das meiner Südreise voran-geschicktc Vorwort habe ich dieser Nordreise vorzusetzen. Es ist die wiederholte Bitte um Nachsicht für die Darstellung eines Hospitalarztes, der nimmer auf den Namen eines Naturforschers, sei es Zoologen, sei es Botanikers oder Mineralogen, Anspruch macht. Indem ich nun auf die beanspruchte Nachsicht rechne, habe ich auch diesmal den Tert, wie ich ihn auf der Reise selbst, in Bahia, in Canavieiras und an den dortigen Flüssen, später in Pernambueo und Maceio, in Para, in Manäos und Taba-tinga ail der peruanischen Grenze znsammcnstellte, unverändert gelassen nnd eben nnr einzelnes in die einmal aufgeschriebenen Zeilen hineincorrigirt. Namentlich sind meine Schilderungen des Amazonenstroms ganz unverändert die, wie ich sie am „Strom der taufend Inseln" in seiner 5M) geographische Meilen langen Ausdehnung von Parä bis Taba-tinga gleich niederschrieb, geblieben. Der nordische Winter, in welchem ich meine Skizzirungen vom mächtigen Flusse wieder durchsah, wollte mich nicht begeistern zu lebhaften: Darstellungen süoamenkanischcr Tropenbilder unmittelbar am Aequator. Vieles hierher Gehörende mnß ich für spätere Zeiten mir aufbewahren. So würde ich denn getrost und freudig die bier zusammengestellten Blätter der Oeffentlichkeit übergeben, wenn ich nicht noch einmal auf ein sehr ernstes Grlebniß meiner Reise zurückblicken müßte. Im ersten Theil meiner südbrasilianischen Reise hatte ich die Freude, ciu unbefangenes Bild geben zu können vom fröhlichen, lebensftischen Gedeihen einer deutschen Colonie mit freien, von keinem Knechtsverhältniß, von keiner Privatspecu-lation eines Unternehmers gedrückten Ansiedlern. Im ersten Theil meiner vorliegenden Reisedarstellung mußte ich leider eine ganz entgegengesetzte Zcichnnng geben, das Verkommen zahlreicher Answanderer in den allerclendesten Verhältnissen an einem Küstenflussc im südlichen Theile der Provinz Bahia, am Mneuri, das traurige Resultat einer Actiensft^cula-tion. Ich habe, um einigen bethörenden Verlockungsbriefm aus VI Vll jener Gegclw zuvorzlckonunen, schon einmal ln einem kleinen Hefte, welches im Jahre 1^59 in Hamburg gedruckt ward, die traurigen Erlebnisse an jenem Flusse erzählt und hätte eo für unnöthig gehalten', noch einmal darauf zurückzukommen, wenn ich nicht vou der Abwickelung des Trauerspiels in hohem Grade überrascht worden wäre. So mußte ich cs deuu uoch einmal erzählen zur Aufklärung der Wahrheit, zur Warnung vor leichtsinniger Auswanderuug und zur Strafe deuen, welche an der schweren Sünde mitgeholfen, und denen, welche sie ungestraft haben hingehen lassen. Mit Ernst wende ich mich an die hohen Regierungen unsers deutschen Vaterlandes und bitte sie dringend, sie wollen sich das Schicksal der nach Brasilien auswandernden Deutschen angelegentlichst anempfohlen sein lassen. In allzu scharfer Auffassung baben schon, wenn ich nicht irre, unter dem Vortritt des Königreichs Baiern verschiedene dentsche Staaten das Auswandern nach Brasilien geradezu verboten; viel richtiger hat ein hohes preußisches Handelsministerium unter dem .'>. November des verflossenen Jahres sehr ernste Maßregeln getroffen gegen das eoueessionirte Anwerben von Menschen für Brasilien ; aber solange sich in Brasilien Privatspeculanten finden, welche für ihre absterbenden Sklavenkräfte sich mit deutschen Auswanderern rekrutiren wollen, solange irgendwelche Art von Seelenverkäuferei in Deutschland nicht mit den allerschwersten Strafen belegt wird, solange werden immer noch viele von unsern einfachen uud selbst eiu-fältigen Landsleuten verlockt und nach Brasilien zu Privat-zwecken verkauft werden, zumal wenn von drüben wr VIII Lockbnrfe und mit vielen Namen unterschriebene Glückselig-keitserklärungen einlaufen und von der Presse veröffentlichr werden, — Lockbriefe, welche „ganz freiwillig auf freundliche Einladung des Coloniennternelnners" geschrieben werden, — Glückseligkeitserklärnngen, deren Unterzeichner größtentheils die Stunde verfluchen, wo sie sich verlocken ließen und in das fremde Land hinüberzogen, oder die allerdings vom Sfteeulantcn gnt gehalten werden, weil sie bei einer gewissen Erziehung gut schreiben können zu Gunsten der Colonieunternehmung und für Geld nnd Versprechungen vortreffliche Lockvögel abgeben. Ja so weit geht das Legen solcher Fallstricke, daß man es schlauerweise verstanden hat, in einigen Eoloniespeeulationcn Leute zu Vieeconsuln von einzelnen Regierungen ernannt werden zu lassen, die selbst in der alleruntergcordnctstcn Abhängigkeit von dem Unternehmer solcher Speculation stehen und, wenn sie nicht ihr gutes Brot verlieren wollen, zur Heranlockung und Knechtung ihrer eigenen Landsleuto mithelfen müssen nnd hinterher officiell von deren Wohlergehen melden mögen. Solange alle diejenigen, welche als Staatslenker das Wohl und Wehe Brasiliens in Händen haben, nicht mit ganzem, heiligem Ernst alten Privatspeculationen, in denen leichtgläubige Einwanderer und mit ihnen der Ruf Brasiliens dem Allslande gegenüber zu Grnndc gehen, in den Weg treten, ^ solange es namentlich den brasilianischen Negie-rnngsagenten in Deutschland nicht aus das strengste geboten wird, zur Heranziehung von Auswanderern für Privatuuter-nehmungen nicht zu helfen, — solange es ilmen nicht zur IX Pflicht gemacht wird, officiell vor solchen zu warnen, zumal wenn diese Privatnnternehmnngen in Gegenden angefangen werden, in denen bei notorischer oder doch mit großer Wahrscheinlichkeit vorauszusehender Ungesundigkeit das Leben deutscher Einwanderer im höchsten Grade gefährdet ist, — solange wird kein frisches, freies deutsches Einwanderungs-elemcnt in Brasilien gedeihen. Viel besser ist es, man segle wieder nach der Küste von Afrika und verschwägere sich wieder mit Mozambique, Loanda und Inhambana, wie das allerdings kürzlich in der brasilianischen Presse mit vielem Feuer wieder vorgeschlagen worden ist. Viel besser Sklavenhandel, als die Betrügerei gegen arme, deutsche Auswanderer. Der Umstand, daß ich die Durchsicht meiner ,Meise durch Süd-Brasilien" nicht selbst vornehmen konnte und daß bei meiner allerdings ziemlich schlechten Handschrift manche naturhistorische und geographische Benennungen nicht genau bestimmt werden konnten, ist Ursache geworden, daß sich in jenem Tert manche Fehler vorfinden, von denen mir die folgeuden am meisten in das Auge fielen: Bd. I, S. l8, Z. 11. Die kleinen Seebewohner beißen Eopcpoden, nicht Coyepoden. S. 25 wollte ich die Wandelbarkeit menschlicher Geschicke zeigen und schrieb: Bis auch der Katholicismus dort herausgeworfen ist, nicht herausgewachsen (Z. 7 v. u.), wie die protestantische Schildwachc bcknndet. S. 69, Z. 1l v. u., muß es Kalkhöhle statt Kalkscite heißen, und S. 4l, Z. 8 v. u., Macroglvssa statt Macroglorra. S. 54, I. 12 v. u., ist aus der Carica cine Carcia geworden, S. 69, I. I v. u., aus der Sterna eine Sterea. Auf S. 70 müssen die bei den Abrolhos-Inscln vorkommenden Thiere Copepodeu, Apln-sien und Batistes hcisien. S. 84, Z, 4, schrieb ich allerdings Bertholletie, der Baum aber ist die ihm ganz nabc verwandte I.<'c';lni3 oNgrm. E. 86, Z. 7, der Morpho heißt Eurylochus. S. 100, Z. 7, lies Tillandstm statt Tillondsien; S. 109, Z. 2, Catraia statt Catraca; S. 113, Z. 9 v. u., CM'IU! 86L0!» statt 3c>l^0. S. 119, Z. 1, lies Vaccacahy. S. 119, I. 14 v. u., lies Bauhiuien statt Busimen, wie denn dic Vauhiuicn mehrfach im Verlauf der Reise falsch gedruckt sind. Und endlich lies S. 123, Z. Z v. u.: Poutedcnen - 124, - 11 v. u,: Vombacee - 148, - 8v. o.: Waldleiche - 149, - 9 v. o.: Fenao^r - 184, - 4 v. o.: Scheeren - 187,- 4 v. o.: BomMartinho pescador - 225, - l v, o.: Teguirin - 243, - 7 v. o.: Bomba - 346, ein für allemal: Itaqui - 415, Z. 15 v. o.: Cäsalftiuien - 439, - 3 v. o.: Gpidcndren - 440, - 7 v. o.: Malpighien - 440, - 12 v. o.: Iussieua - 485, - 4 v. o.: Lagoa dos Quadros Auf S. 148 und 449 ist ein zoologischer Irrthum: der Ferrador ist ein Promias. x XI Bd. I!, S. 3 und später: das Dampfschiff hieß Impe-rador. S. 20, Z, 6, ist wol nicht Grauwacke, sondern Dwrit mit Granit zusammenhängend. S. 22, Z. 1 v, u., lies: Viguassu - 35, - 3 v. o,, l.: !^'. Vieira - 41, - 18 v. o., l.: Itajahi - 41, < 6 v. n., und später immer: Freguesie - 48, - 1<> v. u., l.: Baranco (S. 50, Z. 12, ebenfalls) - 55, - 17 v. o., l.: Esfriador - 77, - 13 v. u., l.: wrrt.'^ - 86, - 13 v. u., l.: Coutinho - 10i1, - 2 v. u., l.: mannhaft - 130, - 7 v, o., l.: loviin nicht eingeklammert, noch besser: !^ij5o - 15>7, - 2 v. o., l.: Cachoeira - 260, - 4 v. u., l.: Passa-dois - 2ü1, - 16 v. o. Hier fehlt eine Zeile. Es muß etwa heißen: „Ich ging den Rio-das-Tejucas-Grandes hinanf nnd hinab, dann den Itajahi hinauf bis zu seinem Salto." Denn am Rio-das-Tejucas ist kein Salto von mir be-sncht worden, - 266, - 9 v. u., l,: Ibis (p!uml)ou8?) - 267, -12 v. u., l.: Ann '- 270, - 13 v. u., l.: Dilatation ' - 280, - 14 v. u., l.: Tinnamu - 283, - 14 v. u., habe ich Euterpe cdulis statt Euterfte oleraeea gesagt. XII S. 286, Z.11 v. u,, l.: Iacntinga > 304, - 8 v. o., l.: Nio-Bonito - 304, - 5 v. u., l,: leuco- statt: lnmo- - 309, - 7 v. o., l.: Wir kauften für sie - 333, - 10 v. o., l.: Ledum - 375, - 10 v. o. Die alte Mission am Uruguay heißt S,-Bocja, mid nicht Sta.-Borja; so muß sie auch in: ersten Bande immer S.-Borja genannt werden. - 426, - 7 v. u<, muß das Zeichen " nicht nach 8ov;i « ti-on^n, sondern vorher, nach spannen stehen. 8c, va 6 tlxmoo, Prügel und Block, war mein Zusah. Für alle diese Irrungen, die mir schon beim flüchtigen Durchsehen meiner „Reise durch Süd-Brasilien" in das Auge fielen, und andere, die ich vielleicht nicht bemerkt und angemerkt habe, bitte ich meine geneigten Leser sehr um Nachsicht. Hoffentlich ist es mir gelungen, im vorliegenden Tert ähnliche Unzulänglichkeiten zu vermeiden. Lübeck, im Februar 1860. Der Verfasser. Inhalt. Vcite Vorwort................................................. V Erster Abschnitt. Die Provinz Bahia. Erstes Kapitel. Abreise von Rio-de° Janeiro alif dem Dampfboot Parana. — Au kunft in Vahia. — Allgemeine Ansicht der Stadt. ^ Die Neger von Bahui. — Die Vegetation um die Stadt. — Dic Umgegend von Vahia. — Nio-Venuelho. — Fahrt nach S.-Ainaro. — Zuckerplantagen. — Der 2. December in Bahia. — -Oper. — Procession. — Behandlung der Tooiu^ cl? «!>»!-ilc' in Bahia. — Einiges über die sittlichen Zustände der Stadt..... 3 Zweites Kapitel. Vcsnch einiger bemcrtenswerthcr Flüsse der Provinz Bahia. — Der Paraanassli und Eachocira. — Die Plantage Victoria, — Die Bucht von Camamü. — Ein Tag in Ilheos. — Cana Vieiras. — Fahrt auf dem Nio-Pardo. — Die Stromschnellen des Prejuizo und Funil. — Die Wcihnachtstage im Paraiso do Ribeiro-Verde bei dem Oberstlieutenant Augnsto Frederico ^ Vasconccllos dc Souza Bahianna. ^ Rückkehr nach Canaviei-ras. — Vclmou'te. — Fahrt auf dem Iequitinhonha bis Gene- Scite bra. — Der Ingenienroberst Innocencio Velloso Pedcrneiras. — Poassn. — Ein Abenteuer im Kanal von Poassn. — Nochmals Canavieiras....................................... 55^ Drittes Kapitel. Möglichkeit nnb Nothlvendigkcit eines dirccten Verkehrswegs zwischen der Provinz Minas und dem Ocean. — Abreise von Canaviei-ras. — Sta.-Crnz und die Entdeckung von Brasilien. — Porto Seguro. — Caravellas. — Villa-Vicoza. — Abendritt längs der Küste. — S.-Ioze do Porlo Alegre an der Mnndnng des N!u-curi. — Eine Auswanderergruppe. — Fahrt auf dem Mucnri bis Sta.-Clara , , ,...................................... 161 Viertes Kapitel. Tie Colonisation von Sta.-Clara am Mncuri bis Philadelphia am Nio-de-Tobos-os-Santos. — Aufcnlhalt in Philadelphia. — Rückkehr nach Sta.-Clara. — Die Noth der Auswanderer und mein Bleiben bei ihnen. — Wälder und Botocuden. — Zu-rnstnngen znr Rücklehr nach der Mündung des Mucnri. — Uu-verhofflc Antnnft des Kricgsdampfboots Tiete mit dem Bevollmächtigten ^achmnnd, nnd viele Hülfe in großer Noth. — Rückkehr nach Rio-de-Janeiro ans dem genannten Kriegsschiff..... 811 Fünftes Kapitel. Weitcrc Entwickelung der Mueuri-Porfälle in Rio-dc-Ianeiro , . , 318 Zweiter Abschnitt. Die Provinz Pernambuco mit Alagoas und Sergipe. Erstes Kapitel. Abfahrt von Rio-de-Janeiro anf dem Dampfboot Ernzciro do Sul. — Ein Tag in Bahia. — Fahrt nach Maceio. — Einige Stunden auf der Nhede daselbst. — Fahrt nach Pcrnambuco. — Ansicht der Stadt. — Olinde , , , ,.............'............ 339 XIV Zweites Kapitel. Auoflu^ nach der Provinz Alagoas. — Tie Hauptstadt Maceio. — Fahrt nach der Stadt Alagoas. ^ Ritt durch einen Theil der Provinz nach Pcncdo. — Die Tabnlciros von Alagoas. — Der Rio-de-S.-Francisco. — Fahrt nach Päo" bc Assucar. — Nitt durch dcu Scrtäo nach den Fälle» von Paul,,' Alfonso. — Rückkehr nach Pcuedo'. — Piassabuc.u.......................... W3 Drittes Kapitel. Ansflug nach der Provinz Sergipc. — Fahrt nach Aracaju am Nio-Colin^uiba. — Maruim. — Rückkehr nach Penedo und Maccio. — Nach Pcrnambnco ............................ 422 XV Erster Abschnitt. ^ Die H«binZ Dahin. ÄVü'-Lallümant, Nuld^Vrasilic», l. l ; Erstes Kapitel. Abnise von Rio--de Janeiro auf dem Dampfboot Parana. — Ankunft ln Bahia. — Allgemeine Ansicht der Stadt. — Die Neger von ^cihia. — Die Vegetation um die Stadt. — Die Umgegend von Bahia. —, Nio-Vcrmelho. — Fahrt nach S.-Amaro. — Zncker-plautagcn. — Der 2. December in Vahia. — Oper. — Procession. — ^'Handlung der ^o<'U!« 60 s'wu'it^ in Bahia. — Einiges über die sittlichen Znständc der Stadt. ^ine Ncihc voit schriftlichen Arbeiten, Correspondenzen und Besprechungen hatte mich genöthigt, meine Abreise von '^-dc-Janeiro, ^ohin ich am 2. October 1858 aus den ^udpr»M^ ^>n Brasilien zurückgekehrt war, zu dm Nord-"'stritten des genannten Landes bis weit in den November binein aufzuschieben, wie sehr es auch meine Absicht im Au->Mg war, gleich nach meiner Rückkehr auS dem Süden in W ununterbrochener Reise die dem Aequator näher gelegc-ucn ^ändergebiete zu besuchen. Desto sorglicher konnte ich vom Marquis von Olinde, bem damaligeu Ministerpräsideutcu, mit Empfehlungen an "le Präsidenten derjenigen Provinzen, deren mehr oder min-l"-r ausgedehnter Bcsuck mir besonders wünschenswert!) er- schien, versehen werden. Nützlich? Briefe von Theophilo Benedieto Ottoni, welche mir den Besuch des Mnenriflnsses nnd seiner bemerkcnswerthen Eolonien bis in die Provinz Minas-Gcraes hinein erleichtern sollten, erhielt ich ebenfalls, sowie eine Reihe von Empfehlungen von selten des Barons von Manä, welche mich mif meiner Fahrt längs des Ama-zoncnstroms bülfreich geleiten sollten. Dazn verdankte ich noch cinc Menge Empfchlnngsschreibcn für die kleinern Provinzen von Sergipe nnd Alagoas meinem lieben, edeln Freunde Cansancao dc Sinimbn, welcher in letzterer Provinz geboren, dort das unbedingteste Ansehen besitzt und mit vollem Recht der Stolz seiner Hcimatsgegend ist. So ging ich denn am Morgen des 21. November, einem Sonntage, an Vord des Parana, eines der Dampfboote der ^mnpnnllm lji'«/llcil'a ', welches brausend und zischend' nicht weit vom Fort von Ville-gagnon mitten in der Vncht lag, um seine Passagiere aufzn-nehmen und sie nach den verschiedenen Häfen der Nordpro> vinzen von Brasilien zn bringen. Nicht weit vom Parana lag der schlanke Dampfer Princeza de Ioinville ebenfalls unter vollem Stcinkohlcnqnalm, um die Packetfahrt nach dem Süden einzuhalten. Beide stattliche Fahrzengc und das Kommen und Gehen vieler kleiner Boote brachten am schonen Morgen inmitten der großartiges Natnrseenerie eine wnndcrvolle Wirknng hervor. Es schlng zehn Uhr. Unser Parana eröffnete den Marsch; unmittelbar folgte ihm die Prinzessin von Ioin-villc. In ungebändigtem Fluge sanften beide Schiffe unter den Stcinwällen von Sta. - Cruz nnd dem berühmten „Zuckerhut" hindnrch und eilten dem Meere zu, wo sich beide Fahrzeuge sogleich trennten. Die Prinzessin von Ioinville ging südlich und südwestlich, unser Parana fast gerade östlich gegen das Eap Frio hinwärts. 4 Und nun muß ich der obengenannten Dampfschiffahrts-Compagnie, die ich bei Gelegenheit meiner Abreise von Rio-de-Inneiro nach Rio-Grande tadeln mußte, eine kleine Lobrede halten. Genide in denselben Tagen, in welchen ich von Rio nach Bahia ging, ließ sie ihre beiden alten Dampfboote Imperador und Imperatriz, auf denen ich mich bei Gelegenheit meiner sndbrasilianischen Reise hinreichend gelangweilt und geärgert hatte, in öffentlicher Auction verkaufen, iodaß man jetzt von der angedeuteten Compagnie sagen kann, sle besitze eine Reihe guter, ja ausgezeichueter Dampfschiffe, Wie sehr anch der Aukauf derselben die Geldmacht der Gesell' schaft erschüttert haben mag. Mindestens gut, und gewiß recht gnt zu nennen war dmn auch unser Paranadumpfboot, 1R) Fuß lang, von 240 Pfcrdekraft, mit guten Räumlichkeiten und höchst angenehmem Verdeck verseheu, sodaß die 50 Passagiere — so 3wß mochte unsere Zahl wol sein — vollkommen Platz fanden und sich ungehindert auf und ab bewegen konnten. — "Uch ^ar nnfer Commandant Torrezäo ein ebenso anständi-6"' wie nautisch tüchtiger Seemann. Ganz besonders angenehm war mir uuter den Mitreisenden der nene Präsident der Provinz von Para, der Oberst Mias de Vasconcellos, der mit seiner Familie und einigen neuen Angestellten ?zu seinem Bestimmungsort abging, und ^'l so wohlerzogene Doctor Pinheiro des Vaseoncellos — kein Verwandter des genannten Obersten — mit liebenswürdigen, zu seiner Familie gehörenden Damen, und dazu "och einige junge Ehepaare, alles Leute von der besten Gr-Ziehung, sodaß unsere Reise gleich von vornherein höchst angenehm zu warden versprach. Und in der That war sie das anfangs anch vollkommen. Kanm bemerkbar schwankte der Dampfer auf und nieder; das Meer war tiefblau unter wolkenlosem Himmel, und die 5 6 herrliche Felsenluste nördlich von uns prangte im reinsten Naturschmnck ohne allen Dunstschleier; ja ich selbst hatte die Vorufer von Rio-de-Janeiro noch nie so klar und iu so scharfen Umrissen, gesehen wie am Morgen des 21. November. Es fühlte sich kein Mensch seefrank; eine allgemeine Heiterkeit herrschte unter uns allen, und uuser Verdeck glich eher einem Gesellschaftssalon als einem Schiffsdeck. Gegen Abend indeß änderte sich die romantische Eleneric bedeutend. Eik leiser Zugwind ans Osten, der sich schon den ganzen Tag angedeutet hatte, ging, als wir uns dem Cap Frio näherten, in einen kräftigen Nordost über, dessen welleuerregende Gewalt durch die Vollmondsftut keineswegs gemindert ward. Da fing denn auch unser guter Dampfer, der sich übrigens ungemein leicht und angenehm auf den Wellen hob nnd senkte, stärker an auf- und abzusteigen, und eine säst allgemeine Seekrankheit jagte zuerst unsere lieben, guten Reisegefährtinnen und bald darauf ihre respective» Ehemänner in die Kajüten und Kojen, sodaß der blasse Vollmond ciue höchst klägliche Scckrankheitsseenerie beleuchtete. Allgemeines Jammern entstand; man nannte den Wind ungerechterweise einen Sturm, und tnehr als einer äußerte den leisen Wunsch, wir möchten doch wieder umkehren, das Wetter wäre doch gar zu schlecht. Und beinahe wäre dieser leise Wunsch iu Erfüllung gegangen. Gerade um Mitternacht ging ein dröhnender Stoß durch das Schiff, nach einer Viertelminutc ein ebenso heftiger, und plötzlich stand die Maschine still. Ohne Steuerung flog der Parana gewaltig auf und nieder. Das gab eine tragische Nachtseene, die glücklicherweise eine tragikomische genannt werden konnte und kaum eine halbe Stunde dauerte. Am Steuer war von einer Sturzwelle eine kleine Havarie gemacht worden, deren Beseitigung jedoch sehr bald gelang, sodaß der Dampfer in voller Rüstigkeit, aber immer nur unter einer Schnelligkeit von sechs Knoien, seinen Elementenkampf fortsetzen konnte, wählend sich auch die Gewüther der Passagiere wieder beruhigten. Doch sagte eine junge, hübsche Frau, die in jenem Schreckensmoment aus ihrem niedlichen Nachttostüm offenbar Ichon ihr Todtenhemdchen gemacht hatte, bitterlich weinend: „Ach, hätte ich gewußt, daß die See so ist, ich wäre nie zur See gegangen!" Nachdem wir das Cap Frio, welches fast immer schlechte Witterungslauncn hat, umschifft nnd weit hinter uns liegen hatten, verzog sich das Unwetter langsam und die See blieb leicht bewegt. Dazu stand uns der noch immer frische Wind entgegen, und selbst die brasilianische Nordsndströmung machte sich in unangenehmer Weise bemerkbar, sodaß wir diesen verschiedenen Hindernissen in 24 Stunden an .",8 englische Meilen Verlust in unserer Fahrt verdankten. ^'lu gleiches, ja ein noch ungünstigeres Resultat von Stromversetznng hatte ich schon vor vier Jahren erlebt auf der französischen Galathee. Die Fregatte segelte zwischen den slbrolhos nnd Vahia nnd hatte in 24 Stunden einen vollen Breitengrad geloggt; aber die Mittagsbrcitc ergab nicht 15 geographische Meilen, sondern nur 4; die Strömung hatte uns in 24 Stunden 11 geographische Meilen verlieren machen. So scheint es denn allerdings wahr zn fein, dasi diese Südströmnng der andern Strömung, die von der Insel S.-Fernando de Noronha nordwestlich hinsiutct, wenig und am Ende gar nicht an Heftigkeit nachsteht. Doch ist sie für die Schiffahrt von bedeutend geringerer Wichtigkeit. Sie ruft höchstens Breitcnnrungen hervor, welche viel leichter als Längcnstörungcn zu rectiftaren sind. Bei jener Aequatorialströmung dagegen ist der Längenverlust höchst empfindlich, ein Verlust, oer nur durch scharfes Aufsegeln am ? Wind wiedergewonnen werden kann und häufig nur in sehr kümmerlichem Maße wiedergewonnen wird. Am 24. November passirten wir mit unserm „Parana" auf 40 Faden Tiefe die eigenthümliche Inselgruppe d.er Abrolhos, ohne sie zu Gesicht zu bekommen; die Fahrt war vollkommen ruhig geworden und boc weiter keine Störungen dar. Und als wir am 2l>. November morgens ganz früh ans das Verdeck kamen, hatte der Commandant Torrczao seinen Dampfer schon zum Ankern gebracht vor dem stattlichen Bahia, ohne daß wir das schöne Schauspiel des Ginlaufens in die Allerheiligenbai genossen hatten. Wohl darf nnd mnsi ich Bahia stattlich und imposant nennen. Wirklich stattlich nnd imposant erschien es mir bc-sonders vom Verdeck der ebengcnannten französischen Fregatte, auf der ich mich am 10. Februar 1855, vom Süden kommend, zum ersten male der gewaltigen Bucht und Stadt nahte. Die brasilianische Küste, die vom 8." stidl. Br., von der Stadt Pernambnco oder dem ssap des heiligen Augustin in ziemlich regelmäßiger Südwestlichtung verläuft, macht unter dein 13.° südl. Br. einen stnmpfen Winkel, um dann fast rein südlich mit geringer Westncignng bis zum (5ap Frio unter dem 24.° südl. Br. zu streichen. Gerade in dem eben angedenteten stumpfen Winkel befindet sich eine herrliche, viele Meilen breite und tiefe Bucht, welche an Flächeninhalt unerschrocken mit der Bai von Rio-de-Janeiro wetteifern kann. Weit thut sie sich den vom Süden kommenden Schiffen ans; leicht nnd sicher ist iln Zugang; keines Lootsen Weisung, kein Baakensignal braucht den Kommenden den Weg zu zeigen. Doch liegt gleich südlich von dieser Einfahrt mitten im breiten Fahrwasser eine Sandbank, die auf ihren flachsten Stellen nur 15 Fuß Wasser enthält, sodaß größere Fahrzeuge ihr etwas ausweichen müssen. Zu 8 beiden Seiten der Bank aber ist tiefes, sicheres Fahrwasser, selbst für dic größten Linienschiffe. Die Westseite der Einfahrt ist von einer langen, ziemlich brdcntenden Insel gebildet,' der Ilha de Itaftarica, längs welcher die von: Süden kommenden Schiffe zn segeln pflegen beim Ein- und Anslauftu in Bahia. Die vom Norden kommenden Fahrzeuge dagegen segeln dicht um die östliche Landspitze hcrnm. Als Wegweisnng des Nachts dient ein prächtiges, etwa ^0 englische Meilen südlich von Bahia liegendes Blickfencr auf dem Morro de S.-Panlo. Der Einfang in die Blicht selbst wird von cinem Leuchtthurm dicht am Etraud bezeichnet. Die ^ic^nlc <^t^ .^. >>l>lvi>cloi' lli» dunii» cl« t,o(^08 08 5i,lNo8 zieht sich nun gerade so lang an der Ostseitc der Bucht hin wie ihr voller Name auf dem Papier. Sie beginnt mit dem ebcu bemcldeten Lenchtthurm unten am Strand uno auf einem Fclseuvorsprung inmitten einer klciuen Strandfe/tnng, gegen welche das Meer hoch aufbrandet. Gleich dahinter ragt das einsame Kloster oder die Kirche von S.-Antonio auf cinem Vorsprnng steil empor, während wieder unten an» Strand die unbedeutenden Batterien von Sta.-Maria und S.-Diego die Einfahrt in die Bucht bcstrci-chcn. Auf der Höhe und in der Tiefe ist cinc prachtvolle Palmenvegctatiou. Diese ganze Südspitze von Bahia wird auch die Graca genannt nach einer kleinen, alten Kirche daselbst, welche noch aus den Ieiten der ersten Entdecker herstammt. An sie lehnt sich oben auf der Höhe des lifers eine Kette von Laudhäu-seru, prachtvollen Gärten, Plätzen nnd das Fort S.-Pedro an, während unten am Strand dann die eigentliche Stadt, die Unterstadt beginnt, ein schmaler, langer Stadtstreifen mit hohen Häusern, engen, schmuzigen Straßen und einem leb-haften Geschäftstreiben. Weithin zieht sie sich nach Norden 9 und Nordwesten und endigt hier in einer langen Reihe von Strandwohnnngen, die sich allmählich bis zum fernen Bomftm und Montserrat verlieren. Oben cibcr anf der lang sich hinerstreckendcn Höhe liegt die obere Stadt, schroff heransragend ans dem untern Stadttheil, ein Gewirr von Häusern, Kirchen, Klöstern, ein Chaos von Gassen, Plätzen, Winkeln, Ecken und Querstraßen, die auf- und absteigen, und in deren Znsammenhang der Nen-ankonlmendc erst mit der Zeit einige Ordnung hineinbringen kann. Und wenn man nnn landet in Bahia, so entspricht das sich in den Straßen nmhenreibende Pnbliknm ganz dem Gewirr der Hänser und Gassen — ja es mag wenig Städte geben, die so originell bevölkert sind wie Vahia. Wenn man nicht wüßte, daß diese Stadt in Brasilien läge, so möchte man ohne viel Bedenken daranf schwören, sie wäre die Hauptstadt von Afrika und Residenz eines mächtigen Negerfürsten, in welcher eine ganz reine weiße Population vom Ankömmling ganz übersehen wird. Alles scheint Neger zu sein, Neger am Strand, Neger in der Stadt, Neger im untern Stadttheil, Neger in den hochgelegenen Quartieren. Alles was rennt, schreit, arbeitet, schleppt und holt ist Neger, ja sogar die Droschkenpfevde in Vahia sind Neger. Mir wenigstens erschienen die unvermeidlichen Tragsessel von Vahia, die Cadeirinhas, wie Cabriolete, an welchen die Neger Pferd spielen. Kaum aber kann man eine köstlichere Form von Menschen sehen als diese Bahianeger, besonders die dort so häufigen Minanegcr. Man stelle sich nur einmal dahin, wo am Arsenal der Hauptweg zur obern Stadt hinaufgeht, und warte, bis ein Negertrnpp kommt, nm ein schweres Faß oder eine Kiste in die obere Stadt hinanfzutragen. In der Mitte ciner langen, elastischen Stange hängt die Last, welche je 10 nach der Schwere von vier bis acht Negern geschleppt wird. Dicht aneinander gedrängt unter der Stange bilden die pechschwarzen Männer die wnndervollste Athletengrnppe, die man nur schcn kann. Mit lautem Oehenl und einer gewissen Kampfcswnth schreiten sie vorwärts. Der nackte Oberkörper trieft von Schweiß, alle Muskeln sind gespannt, gewölbt, hervortretend; die Fleischpartien der Schultern nnd Oberarme sind oft ideal schön; Michel Angelo hätte sie nicht kühner ans Marmor gehanen. Und dennoch ist in der so schönen Muskelentwickelung nichts Uebertriebenes. Nichts «erinnerte mich eigentlich, wenn ich diesen Minanegern znsah, iUul-a Iine-i-el. vncuum! Allerdings hat die ganze Natur der Neger einen Abscheu vor dem imposanten Vacuum der Fabrik; viel Arbeit macht ihnen dic riesige Hohlkngol, nnd mancher Sklave mag wol mit seiner Arbeit warten, bis er einige Hiebe bekommt. Hübsch aber finde ich darum doch den Sonntagsschmuck der Fabrik nicht. Das anregende Beispiel des Staatsraths Gonzalves Martins, durch tzinfübrnng von Dampfapparatcn Händearbcit zu ersparen, bat schon an vielen Stellen Nachahmung, wenn anch nur in kleinerm Maßstabe, gefunden. Es droht nämlich allen großen Zuckerpflanzern von Bahia, ja allen denen, deren Arbeit nnd Gedeihen ans Sklavenbesih beruht, dieselbe Gefahr wie den großen Kaffeepflanzern in S.-Paulo, oas Abnehmen der Tklavcnzahl und der Mangel an arbeitenden Händen zur Beschaffung der nothwendigen Thätigkeit, warnm man denn anch schon lange in der durch Sklavenarbeit so blühenden und mächtigen Provinz hin- und hergcsonnen hat, wie man sich helfen könnte und welche Aushülfe die zweckmäßigste scin möchte. «'. Da haben denn schon manche Pflanzer an die Dentschen gedacht. Gonzalvcs Martins selbst hatte vor einiger Zeit znr Probe 30 Arbeiter kommen lassen. Sie sind ihm aber davongelaufen und sollen sämmtlich Taugenichtse gewesen sein. Deswegen sollte sich der Senator glücklich preisen, daß er sie los ist. Statt dessen aber hat er vor noch einmal freie Arbeiter, Portugiesen und Deutsche, kommen zu lassen; er zeigte mir sogar schon das Hans, was er für sie bauen ließ. Ich sagte ihm rund heraus auf dem Fleck, daß es mit den Deutschen nicht gehen würde, lind es wird nicht geben, kann nicht gehen nnd geht nicht. 31 Es haben sich nämlich Freiheit und Sklaventhum einen ewigen Hciß geschworen, der erst dann enden wird, wenn der letzte Sklave begraben oder der letzte freie Mann im Kampf mit seinem Tyrannen gefallen ist. Wic können da Freie nnd Sklaven nebeneinander arbeiten? Den freien Mann empört es, wenn er den Sklaven zur Arbeit getrieben sieht ohne anderes Acquivalent als das, was zu seiner Erhaltung nöthig ist. Der Auswanderer soll nicht neben dem Sklaven arbeiten, wenn beider Lohn so ganz verschieden ist, wenn der eine am Sonnabend seinen Wochenlobn, der andere eine Tracht Prügel bekommt. Aber auch den Sklaven, den allerstupidesteu empört es, daß bei gleicher Arbeit die Behandlung der Arbeitenden so ganz ungleich ist. Wer seinen guten Sklaven verderben will, der lasse ihn nur cine Zeit lang zwischen freien Leuten arbeiten; er erzieht ihn sich zum Aufrührer. Am schwierigsten aber ist es, die Sklavenbesitzer, wenn sie freie Leute, wenn sie deutsche Arbeiter in ihren Dienst nehmen wollen, an den rechten Ton, die rechte Art und Weise zu gewöhnen, in der sie mit freien Leuten umgehen müssen. Das ewige Schelten, Zanken und Bellen der Sklavenwirthschaft, worin die Eklavenzuchter groß geworden sind, schweigt nicht so leicht vor einem freien Arbeiter, den jene Herren sich fast ohne alle weitere Bedingung untergeben glauben, weil sie ihn sich gemiethet haben. Das Parceriesystem von S.-Paulo kann seine traurigen Folgen auch in der Provinz Vahia wiederholen, und ich möchte brasilianische Gutsbesitzer ebenso sehr davor warnen, Deutsche zu Arbeitern zu engagircn, als ich Deutsche warne und ermähne, sich nicht nach der Provinz Bahia zu irgendeinem Dienstvcrhälnüß zu engagiren. Es ist unbedingt viel besser, dieses ganz offen vorher auszusprcchcu, als nachher an den Folgen des gethanen Misgriffs zu leiden; denn es ist ein Misgriff, und leiden würde man darunter 32 ganz bestimmt, seien es die Gutsbesitzer, scion es die enga-girten Deutschen. Beide Parteien, und mögen sie von vornherein durch und durch redlich sein, verständigen sich nicht vollkommen in dem Verhältniß, worin sie zueinander stehen. Giner ärgert sich an dem andern, einer geräth in Leidenschaftlichkeit gegen den andern; cs kommt zu Reibungen und ernsten Zerwürfnissen, und das Ende ist, dasi die Gutsbesitzer Geld und guten Namen in Deutschland verlieren, Deutsche in Brasilien unglücklich werden und zuletzt nock die Schuld des ganzen Skandals auf ganz Brasilien übertragen wird. Vieles, was ich bei Gelegenheit der Parcerieverträge von S.-Panlo gesagt habe, gebort ganz vollkommen hierher. Und doch muß den Gutsbesitzern in ihrem Mangel an arbeitenden Kräften geholfen werden. Dem Staatsrath Mar-tins starben in der Cholera von 15<) Negersklaven 2), gute Arbeiter, was einen Vaarverlust von etwa .-MXX) Tblrn. ausmacht. Wo soll man da freie Arbeiter hernelnnen? Man sollte wirklich mehr das portugiesische Clement zur Provinz Bahia hinüberziehen. Zwischen Brasilianern und Portugiesen ist das Verständniß so leicht. Beide sind eines Stammes, einer Gattung! Der eine kennt das Land des andern; er weiß, was er zu erwarten hat, kann die Vortheile und Nachtheile eines ihm vorgelegten Contracts leicht übersehen nnd weiß sich vor etwaigen Verfäuglichkeiten in demselben zu hüten, ja er weiß leichter Weg und Steg zur Gerechtigkeit oder Echlichtnng von Zweifeln zn finden, worin so viele Deutsche sich gar nicht orientircn können, oder znletzt noch, wenn sie wirklich bis zu ibrem Consul gelangen, von demselben für heimatlos erklärt werden und sich mit Grobheiten den Weg nicht zur Gerechtigkeit, sondern znr Consu-latsthür hinauszeigen lassen müssen und ebenso in gerechten Unwillen ausbrechen, wie sich sämmtliche Deutsche ihrer saubern Consnlatsvertretungen jenseit des Oeeans schämen müsseil. 33 Mögen sich also die Znckerpflanzer von Bahia mit Arbeitern rekrntiren, wie sie nur immer wollen, wie sie nur immer können, wenn sie nur die Deutschen ungeschoren lassen. Nur als freier Feldarbeiter auf eigenem Boden, nur auf eigene Nechnnng und Gefahr taugt der deutsche Auswanderer etwas für Brasilien, nur als freier Kolonist kommt er zu seiner vollen Geltung nud Bedentung. Alle andern Arten von Arbeiten, die man ihm zumuthrt, mit allen schönen Vortheilen, die man ihm vorlügt, sind höchstens nnr ganz provisorische Zustände, in denen er nur so lange bleiben darf, als nöthig ist, um Land und Leute einigermaßen kennen zu lernen, oder sind eben nur Vorspiegelungen, womit man ihn anlockt nnd den einmal angelockten in einem Labyrinth von Schwierigkeiten und (5outrattsl'lanseln gebunden bält, ans denen kein Ausgang möglick ist. Eine noch hinzukommende Frage, uud zwar eine sehr ernste Frage ist die, ob überhaupt deutsche Auswanderer den Zuckcrbau in der Masse, wie er auf den großen Engen hos getrieben wird, durchführen können. Vielleicht wäre es möglich, daß bei großer Modificirung der Arbeit der Deutsche sein kleines Znckerrohrseld bearbeiten kann und bei einge-schrankterm Maßstab mit kleinem Gewinn höchst zufrieden ist und gesund dabei bleibt, selbst nock in der heißen Provinz von Bahia. Das ist aber nicht die Meinung der Besitzer von großen Znckerpflanzungen. Vielmehr sollen die Dent-schen dort das Mittel werden zur Vlüte der Pflanznng, znm Reichthum der Besitzer, Die Frncht des sanern Schweißes gehört dem Herrn, nicht dem Knecht. Da liegt denn allerdings auch die Frage sehr nahe, ob überhaupt, wenn die Zahl der Sklaven immermehr abnimmt, der Znckerbau im großen, der große Grundbesitz von Zncker-pstanzern fortbestehen werde? Ich glanbe nicht, glanbe ganz bestimmt nicht, daß sich 34 ohne Sklavenarbeit, ohne gezwungene Arbeit diese großen Znckerrohrfelder eines Herrn bebauen lassen, glanbe bestimmt nicht, daß sich freie Arbeiter in die Form der jetzigen Feldarbeit hincinsügcn werden. Vielleicht findet sich hier bald derselbe Ausweg, wie es in Deutschland mit der Gewinnung des Rübenzuckers geht. Der Feldbau der Runkelrüben ist in den Händen einer ganzen Gegend, während die Verarbeitung der Rüben in einzelnen Fabriken vor sich geht, ein Vcrfah-reu, was zum Theil wenigstens schon jetzt vom Staatsrath Gonzalves Martins eingeschlagen ist, indem er Zuckerrohr aufkauft und es danu auf seine Rechnung verarbeitet, sodaß Ackerban und Fabrikation sich mehr und mehr treuncn. Dadurch würde den Besitzern von großen Mühlwerken wenigstens eiu Ausweg gezeigt sein, wenn ihnen die Sklavenanzahl für den Feldbau zu gering werden und der kleine Landbau mit freien Arbeitern ihnen nachdrücklich (5oncurrenz macheu sollte. Und doch fürchte ich auch hier noch, daß der deutsche Colonist, falls er zum Zuckerrohrbau auf seinem eigenen Felde nach Bahia kommen sollte, lieber noch mit hölzernen Walzen und roherm Gewinnungsproccß sein Rohr selbst verarbeitet und sein unvollkommenes Product selbst zum Markt bringt, als daß er auf halbem Wege deu Ertrag sei-urr Arbeit verkauft. Das mag freilich vielen Schweiß kosten, uud uur mit Mühe und unter vielem Verlust mögen freie Auswanderer den Riesen: Kapital, und das Scheusal: Sklaverei bekämpfen; aber ebenso wie in Rio-Graude die harte deutsche Arbeit und der laugsam pflügende Stier doch zuletzt zu wohlhabendem Besitz führt, ebenso mag auch in der Provinz Vahia freie Arbeit auf kleinem Boden Kapitalien und Sklavenarbeit umwerfen können und auf die Neste eines jammervollen und schmachvollen znsamuwnbrcchenden Negerfeudalismus ein freies Dorflebcn uud kleine, selbständige Co-lomen aufpflanzen. 3* 35) Solche Uebergänge geschehen freilich nicht ohne manche heftige Erschütterungen. Man darf sie aber nicht scheuen, wenn sie eine bessere Zukunft herausführen, namentlich wenn sie einc körperlich und geistig gleich bildungsfähige Menschenrasse .herbeiziehen. Sehr sorgfältig habe ich mir die Einwohner von Vahia und Umgegend angesehen, nm mir die Nothwendigkeit klar zu machen, daß diesem -wüsten Gemisch von Forin und Farben eine festere Gleichmäßigkeit substitnirt werden müsse. In einem Gespräch mit dem Staatsrath, der unbedingt Fortschritt und Entwickelung will, hob ich als Haupt-attribut unserer nordischen Nasse, der sächsischen, der angelsächsischen, ihr ernstes Streben zu einem Familienleben hervor, was sich, wenn ich tüchtigem, gegen mich von sachkundigen Männern ausgesprochenem Urtheil folgen darf, im echten bahianer Leben keineswegs in seiner sittlich - ernsten Form herausstellen will. Ich sage das nicht übereilt, nicht in egoistischem Vorurtheil für unser norddeutsches, protestantisches Leben — nein, es liegt eine tiefe Wahrheit in meinem Ausspruch. Ebenso wahr ist es aber auch, daß im norddeutschen, protestantischen Leben sich ein entschiedenes Rechtsgefüh! ausspricht, ein Gefühl aus alten Zeiten her. Der alte Sachsenspiegel und so viele alte Stadtrechte aus den Ritterzeiten der Hansa geben davon Zeugniß seit Jahrhunderten, ja es mag eine tiefe Bedeutung haben, daß gerade im Norden Deutschlands und nur dort freie, reichsunmittelbare, Städte in Ehren und Ansehen fortbestanden, wie vielfach man auch die Hand nach ihrer Unabhängigkeit ausgestreckt hat. Daher versuche man doch ja um Gottes willen nicht, solche Stämme in die Sklavenprovinz Bahia überzuführen, wenn man jhncn ihr volles Recht nicht lassen will-, wenn man sie irgendwelcher Willkür einzelner reicher Colonieunternehmer und Sklavenzüchter ausgesetzt sein läßt. Ungeheuer viel 36 Zwciftl und Bedenken babe ich da anszusprechen, was ich in ihrer ganzen Länge nnd Breite nickt kann. Aber znr Vorsicht von allen Seiten möchte ich dringend aufgefordert haben. Wunderbar contrastirte am Eonntagmorgcn, nachdem ich genan das ausgezeichnete Müblwerk uno den rüstigen Betrieb des Staatsraths angesehen und bewnndert hatte, die stille, schweigende Natur gegen das Mcnschentrciben. Ich ging auf den Hügeln umher, auf dencn zum Theil Zuckerrohr wuchs, zum Theil eine freiere Vegetation aufsproßte. Viele hübsche Convolvnlns, Lantancn, Melastomen, Enphor-bien, Ciuchoneen, Malvcn - alles blühte und strotzte in lästiger Ueppigkeit. Eine wunderbare Fruchtbarkeit offenbarte sich überall und der sich ihr so gern hinzngefellende Parasitismus. Von vielen Bäumen hingen dichte Loranthaceen-büsche in üppiger Fülle herab. Einzelne Guttifcrcn hielten mit riemcnartigen Wurzeln die untern Enden der Palmen um-faßt und trieben neben dem abgestorbenen Nachbarbaum schlanke Stämme empor nnter reicher Fülle glauzender Blätter — Stamm, Zweige, Blätter triefend von weißem Saft, sowie man sic nur etwas anritzt. Aus der Umarmung beider Bäume sproßten reichlich blühende Bromeliaeeen auf, und weitbin erglänzten die rothen Braetccn um die blauen Blüten. Oben in den Zweigen aber parasitirt ein anderes ,Wölkchen. Eine gelbe Staarart hatte an mehreren Stellen ihr langes, beutclförmiges Nest an einem elastischen Zweige herabhängend aus leichtem Reisig wundervoll künstlich zusammengewebt; mit dem Zweige schwankte das Luftschloß und .stzine Bewohner dazu amunthig auf und nieder. Vom -Boden aber .zischte mir eine Schlange entgegen. Eine Iararaw hatte^rei - bis viermal ihre Ringe um eine Eidechse von ziemlich großem Kaliber geschlungen, uud ich war im Begriff, ans das wüthende Thier zu treten, was 37 mir bei dem eoncentrirten Gift der Schlange, einer Lachefis von bedeutender Länge, sehr übel bekommen wäre. So trat ich einen Schritt znrnck und fad zu, wie die beiden Reptilien miteinander kämpften. Schon nach einer Minntc war die Eidechse todt. Langsam und mit entschiedener Vorsicht löste die Schlange ihre Ringe und hob den Kopf hoch empor, um aus einer gewissen Entfernnng die Bente zu übersehen, ob sie auch noch ein Lebenszeichen von sich gäbe. Da kam ein Neger vom Vorwerk. Kaum batte der die Iararaea erblickt, so brach er in fliegender Hast einen Ast vom nächsten Baume los, und nach einem Augenblick lag die Schlange todt neben der todten Eidechse. Im letzten Todes-krüinmen legte sie zwei Eier. So liegt nicht nur im Menschen, sondern in der ganzen Natur neben dem scheinbaren Frieden ein feindliches Verfolgen und bitteres Hassen. In scheinbarer Freundesnm-armung erstickt eine Pflanze die andere, wahrend am Fuß der starren Kämpfer ein Reptil das andere erwürgt und mit giftigein Iahn vollends nmbringt, bis ein hinzukommender Sklave den Sieger todt hinstreckt, um vielleicht im nächsten Augenblick für ein Vergehen unter den wohlgezielteu Peitschenhieben seines Anfsehers zu blitten. Am Nachmittag machte ich einen kleineil Nitt zu einer benachbarten Höhe, wo zwischen dem Gebüsch ein schönes Palmctnm aufgewachsen ist und dcm Beschauer cine wundervolle Ansstcht gewährt. Ueber die Krümmungen des S.-Fran-eiseo hinweg sieht man zwischen frnchtbaren Hügeln hin-dnrch bis weit auf die ferne Bucht von Bahia, während weiter landeinwärts die hübsche Stadt S.-Amaro daliegt und den malerischen Anstrich der Landschaft vollenden hilft. Vor einem stattlichen Engenho am Fluß lag unser Dampfboot; bei seinen Dimensionen konnte es im flachen Nasser die Stadt nicht völlig erreichen. 38 Am folgenden Morgen um 6 Uhr schon sollte der Pedro 1l. seine Nücktour nach Bcihia antreten. Noch war der Tag nicht vollständig' angebrochen, als mich schon der gelle Rnf des Dampfventils aufweckte. Ich stand auf. Der unermüdliche Staatsrath war schon längst in Bewegung. Das Mühlwerk drehte sich, und bei Licht schoben die Sklaven das Zuckerrohr zwischen die Cylinder. Da fuhren wir denn anch in unserm Canot den Fluß hinunter und erreichten das Dampfboot, welches sich alsbald in Bewegung setzte und schuell die breiten Krümmungen des Stroms hinabftog. Der reine Morgen gönnte uns eine volle Ansicht der Ufer und der ganzen prachtvollen Umgegend. Hellgrüne Hügel trngen reiche Fülle des Zuckerrohrs; höhere, duukle Waldbergc ragten an manchen Stellen darüber hinaus. In vornehmer Pracht lag das eine oder andere Wohnhaus der Pflanzer da. Fast wie Paläste saheu eiuzelue Häuser aus auf luftigen Hügeln. Neben dem großen stattlichen Gebäude erhob sich meistens eine kleine Kirche und gab dem Privathaus den Anstrich einer ansehnlichen Abtei. Wer aber mit europäischem Auge hinüberblickt zn diesen Sommerpalästen der bahianer Nabobs, der kaun nur deu tiefsten Unwillen empfinden beim Erschauen einer langen Reihe von grauen Stalluugen, die nicht sür das Vieh der Besitzung, sondern für die Neger, die t'8( >-nv0 Jahren hätte es da kanm noch einen Sklaven und befände sich 39 im allerkritischsteu Momente, dein seines Todes odcr ftiner schönsten Wiedergeburt. Cinen ganz besondern Neiz hat die Mündung des S.-Francisco an sich. Hier liegt auf dem linken Rand des Flusses das Stadtchen S.-Francisco, malerisch halb versteckt WischesGebüsch nnd Palmen an und auf einem Hügel, dessen äußerster VorspVWg von einem großen Franciscaner-tlostcr geschmückt wird; die beiden Thürme der Klosterkirche sehen ehrwürdig aus. Nicht weit vom Städtchen liegt ans derselben Seite ein vornehmer Pftanzerpalasi; in die Ferne hinaus glänzt das weiße (Gebäude vom grünen Hügel. Der Stadt gegenüber liegt auf der andern Seite des Flusses eine andere große Pflanzung, überragt von einem Hügel. Jetzt ist er mit Wald bedeckt. Früher trug er eine holländische Batterie. Als die Holländer in Pernambuco Herren waren und ihre Macht auch vielfach, über Bahia ausdehnten, erkannten sie vollkommen die Wichtigkeit des scheinbar so kleinen Flusses S.-Francisco nnd suchten seine Mündung zu befestigen. Aber das protestantische Fort auf der rechten Seite des Flusses sank zusammen vor dem Kloster auf der linken Seite, und die portngiesischc Herrschaft hielt alle weitern Fortschritte, wie sie uuter Moritz von Nassau so ausgezeichnet gemacht worden waren, fern. Was wäre Brasilien heute, wenn die Holländer im Besitz von Pernambuco nnd Bahia geblieben wären uud des alten Eoligny Kapitän Villcgagnon sich mit seinen Hugenotten in Nios Bucht behauptet hätte? Auf dem Wege des Friedens kommt in unserm Jahrhundert der norddentsche Protestantis-mns in das Land gezogen. Statt des Schwerts bringt er die Pflugschar, statt der Ierstöruug den Ackerbau. Danke man Gott dafür, daß er kommt in Friedea und mit den Werken des Friedens, damit nicht nach vielen Jahren mit Bitterkeit und Hohn gefragt werde: was wäre aus Brasilien gewor- 40 den, hätte mair damals den friedlichen, arbeitsamen Protestantismus frei und ungeschmälert in das Land gelassen und ihm sein gleiches Kirchen - und Staatsrecht mit den Defeendenten der Portugiesen, Neger und Indianer gegeben? Unter solchen Betrachtungen fuhr ich auf unserU Dampfer in die Blicht hinaus. Wir echMten fernere, reizende Ufer, theils im freien Naturzustand, theils prächtig angebaut und mit anmuthigen Wohnungen übersäet. Dicht an der Nordspitze der Insel Itapariea fnhren wir vorbei, wo auf einem Vorsprunge die Stadt gleiches Namens sich ungemein gut macht. Taun lief das Packetschiff quer über die Bucht in wogeuder Vewegnng, uud um 9 Uhr sckou endigte unsere Fahrt von der imposant über Lano und Meer Hinansschauenden Stadt S.-Salvador da Bahia. Der Anfang des December bot mir auch eiuigemal Gelegenheit, größere Volksmassen zu festlichen Aufzügeu iu den Straßen versammelt zu scheu. Zuerst war am ^. December der Geburtstag des Kaisers. Die bewaffnete Macht von Bahia marschirte auf, nm in martialcr Haltung, Bewegung und Geberde vor dem Palast des Präsideuten ihre Begeisterung für Kaiser und Reich kund zu geben. Alles war recht gut gemeint, aber der Tag war heiß, und in den engen, unregelmäßigen Straßen war kein Platz zu kriegerischem Eiuherschreiteu und Paradnen der mutlugeu Legionen. Noch weniger Raum bot die Esplanade vor dem Gouvernemenispalast dar. Die Truppen konnten sich nur sehr langsam und mit großer Mühe bewegen und mußten fast zu einem Knäuel iueinander geschoben werden. Die Infanterie gab dann drei Lauffeuersalven, die Kanonen der einzelnen Forts donnerten nuten vom Meer herauf, und das versammelte Publikum schrie: Vivi, 0 iml>6!-ln!s>!-, — 41 „and iilloreil such a (teal of stinkini* breath, that ii had !>lu1 nil'", wurde der lustige Casca des Shakspeare hinzugesetzt haben. Ansehnlich war das Militärmanöver nicht; man konnte von bahiauer Milizen nichts anderes erwarten und mußte Nachsicht haben. Die hatte ich ganz gewiß. Trotz aUer Nachsicht aber fiel mir cms auf: die durchweg schlechte, alte, zerrissene Fußbedeckung der Leute. Wenn mein geistvoller Freund Burmeister recht hätte, daß im Fuß das volle Attribut der Menschheit liegt und der Charakter der Individuen sich in ihren Stiefeln und Schuhen ausdrückt, so müßte man von den bahiauer Milizen wirklich das Allerschlechteste denken. So denke ich nun keineswegs von ihnen, glaube aber doch, daß die Herren, da sie dem Monarchen an seinem Geburtstage außer ihrer Ergebenheit uichts zu schenken haben, sich zum Ausdruck dieser Ergebenheit am ^. December ein Paar neue Schuhe schenken oder die alten flicken und putzen lassen sollten. Ich habe wirklich kaum den einen oder auderu gesehen, namentlich unter den Farbigeu, dessen Schuhe nicht ein Paar anderer verdient hätten. Farbige waren aber die meisten beim gangen Manöver. Man hat mir gesagt, daß unter den 18lXXX) Einwohnern der Stadt Bahia die Hälfte schwarz, ein Viertel gemischt und nur ein letztes Viertel weiß wäre. Wenn man dem eigenen uutersnchenden Blicke folgt, mag er auch ein nicht ganz sicherer Wegweiser sein, so möchte man allerdings diese Angabe für wahr halten. Nicht nur die Milizen, sondern auch das zuschauende Pnblikum schieu mir dasselbe Resultat zu geben, wobei zu bedenken ist, daß bei solchen Festgelegen-heiten um Mittag ein weißes Publikum sich den brennen-den Sonnenstrahlen nicht eben gern aussetzt, Wirklich sah ich auf der Schattenseite einiger Straßen manche Gruppen 42 almost choked Caesar. And for mine own part, I durst not laugh, for soar-of opening my lips, and receiving the weißer Zuschauer auf den Valconen und an den Fenstern versammelt und bemerkte sogar manche recht gut aussehende Dame darunter. Viel interessanter noch machte sich eine kleine Proeession am 8. December, wenn anch das ungünstige Terrain jede imposante Entwickelung derselben uno einer sich dazu einfinden-dcn Volksmenge verhinderte. Die Procession ging von der 1^><^» c!n i>ii^> ^'nlw^, 6.i OmlX'icsm an pi-i,!ls Hätte Süden anf Nordens Schnee gepflanzt seine Rosen, wie anders so eine Iugcnd-erscheinnng im rauschenden Atlasgewand, wenn sie im Sechsachteltakt dahinschwebt dnrch den Saal! Wie so ganz anders die edeln Alabasterformen einer eben vom Norden gekommeuen Fran, auf deren reinem Weiß noch der germanische Schnee zn liegen scheint, und der glänzende, Schmuck der- anf der schönen Brust zn rnhen wagt, für solch kühnes Beginnen mit Blindheit gestraft wird! Wie anders das wie anders alles! Neben solchen Blüten werden die Schönheiten cms'Her Bucht von Viafra nud vom Strand des Dschadda zn Nachtschatten und unheimlichen Kräntern, wie wir solche schon im eolchischen Gatten der Hekate lant Or-phischer Gesänge vorfinden — ja uicht einmal wtkcn ditzfkn wir an die einen, wenn wir die anderu betrachten. Und gar zn gern betrachtete ich diese andern, die Blutenknospen europäischen Stammes und nordischer Gesittung, um so lieber, je mehr ich bis an den Rand, bis in die Tiefe fern abliegender Urwälder auf meiner Reise geführt ward. Anch im^Theater von Bahia sah ich helle Farben und europäische Formen. Im sehr hübschen Opernhaus sah ich zweimal den „Don Juan", allerdings eine seltene Erscheinung in Brasilien, selbst anf dessen italienischen Bühnen. Das Orchester war außerordentlich schlecht, desto besser aber die Aufführung selbst, und ich habe mit großer Freude unser deutsches Meisterwerk jeuseit des Oeeans gehört. 45 Unter den Zuhörern war das deutsche Publikum recht zahlreich vertreten, und ich sah viele angenehme Erscheinungen in den Logen, freilich weniger animirt als auf einem Balle. In ganz gleichem Maßstab sab auch die brasilianische Welt im Theater fein uud anständig aus. Uud wenn nicht aus höhern Regionen bis znm Paradies hinauf manche braune Peri herabgescha»t hätte, so hätte man sich vollkommen in ein europäisches Theater versetzt geglaubt. Und doch muß ich hier noch einer entsetzlichen Anomalie Erwähnung thun. Man kann, wenn man in den Haupt-sängern europäische Descendenten hat und manche unter ihnen, wie z. B. Donna Elvira und Zerline, außer dem tüchtigen Gesang auch glänzende Erscheinungen sind, keinc so entsetzlichen Choristenfratzen und Statistencaricctturcn auf die Bühne bringen, wie ich das in Bcchia gesehen habe. In Rio selbst liat man sich nicht immer freigehalten von Taktlosigkeiten der Art, aber so arg wie in Bahia ist es doch dort nie gewesen. Wirklich, so sonderbare Menschm-bildnngen und Eolorite habe ich nicht leicht irgendwo zusammengewürfelt gesehen wie auf dem Hintergrund der Bühne von Bahia! Sie bildeten das Seitenstück zu den Schuhen der Milizen am ^. December. So knapp kann es doch auch nicht mit der weißen Rasse bestellt sein, daß das Hanptthea-ter, die italienische Oper in Bahia zu solchen Farben, solchen Formen greifen müßte! Und doch sollte man das glauben, wenn man das Getümmel in den Straßen sieht, wie ich das ja schon gesagt habe. Gar oft ist die Frage aufgeworfen worden, ob die überwiegende Menge Schwarzer und Farbiger für die Enstenz der Hellern Klassen nicht bedenklich und selbst gefährlich werden könnte. Die Zeit, wo diese Frage mit Ja beantwortet werden konnte, ist wol ziemlich bestimmt vorüber. Früher, als man 46 Neger besserer Klassen auS Afrika rücksichtslos in das Land überschleppte, cils der öffentliche Sklavenmarkt noch überfüllt war mit „Waare" und die Neger anf der Straße vor dem znschauenden Pnbliknni fünf- bis sechsmal billiger verkanft wurden als jetzt, früher, bei solchem Negerüberftuß nnd bei einer viel brutalern Behandlung der Sklaven war allerdings Gefahr für die weiße, freie MenscheMvelt vorhanden. Im Jahre 18^4 war der letzte Negeranfstand in Bahia, bei welchem die Schwarzen nnter Blutvergießen zu Paaren getrieben wnrden. Ein Angenzenge erzählte mir furchtbare Sachen. Man schlng die Neger wie die Hunde anf den Straßen todt. Besonders sollen die gemischten Einwohner arg gegen ihre Vettern gewüthet haben. Doch ist das alles bereits ein Viettel-jahrhnndert her, und ein eigentlicher Sklavenanfstand wird nicht mehr gefürchtet. Dennoch herrscht immer noch ein gewisser Zusammenhang unter .einzelnen Negertribus, namentlich nnter den Mina-negern. Sie sind entschieden von semitischem Sauerteig und mohammedanischen Lehren durchdrungen, haben ihre eigene Sprache mitgebracht, ihren eigenen Eultns, ihre eigenen Kirchenformen nnd religiösen Gebrauche beibehalten. Uetterall hört man sie ihre semitische Sprache reden. Auch lebt unter ihnen heimlich nnd in heiliger mystischer Vedeutnng eine Schriftform fort, welche sich besonders in den Händen derjenigen befindet, die eine Art von Priestcramt unter ihnen führen nnd gewisse, heimliche Znsammenkünfte halten nnd leiten. Diese Verbindungen nnd Zusammenkünfte sind wol eher für eine Art von Freimanrerform als für einen wirklichen Mohammedanismus zu halten, wie es denn ja anch z. B. bei den Chinesen, wohin sie nur immer über den Erdboden gehen mögen, ganz regelmäßig eine A'ssoeiation freimanre-rischer.Natur gibt. Mehr als einmal ist man von sciten der 47 öffentlichen Behörden genöthigt gewesen, solche Negcrznsam-menkünfte, wenn man sie entdeckte, aufzuheben nnd die Hänp-ter derselben gerichtlich einzuziehen. Nenn ich nicht irre, so ist das noch im Jahre 1^57 der Fall gewesen, ohne daß die Untersuchung einen ernstem Charakter herausgestellt hatte. Und da nun der Negereinfuhr von Afrika her eine Grenze gezogen ist, so mögen auch solche afrikanische „Burschenschaften" immermchr zusammenfallen und im gewöhnlichen politischen und kirchlichen ^eben ganz aufgehen, wie das ja selbst mit der Freimaurerei der Fall ist. Je mehr es dabei den Schwarzen gelingt — und es gelingt in Bahia vielen Minam'gern — vom Sklavenzustand zur Freiheit zu gelangen und in derselben an allen bürgerlichen Rechten theil-zunchmcn, desto weniger haben sie Grnnd aufzustehen und die Ordnung der Dinge umstoßen zu wollen. Anders ist es mit der gemischten Klasse. Meistens von mütterlicher Seite aus afrikanischem Blute stammend, drängt sich diese Menschenklasse ganz entschieden zur weißen Nasse bin und zeigt sich selbst da, wo es zu einer Parteiergreifnng kommt, entschieden feindlich und selbst gransam gegen die schwarze Nasse, wie das sich gerade im Jahre 1^4 herausstellte. Und doch hat diese Menschenfraction ^- wenigstens hat man mir das in Bahia vielfach berichtet und ich glaube es auch ^ eben keine Nnhe und Fassung in politischen Angelegenheiten. Man schiebt den Farbigen von Bahia gern Gelüste zu republikanischen Tendenzen nnter nnd meint, daß ein Freistaat von Farbigen von Bahia nicht zu den Unmöglichkeiten gehöre. Allerdings stand die berüchtigte Revolution des Sabino vom Jahre 18.'l7 entschieden auf farbigem Boden , wenn anch der Ehrgeiz einzelner Weißer lebhaft dabei bctheiligt nnd thätig war. Ob wirklich solche Gelüste zu republikanischen Tendenzen 48 noch einmal die Monarchie zu offenem Kampfe herausfordern werden, ist nicht abzusehen. Bahia liegt offen an seiner Bncht da nnd ist zu einem Bombardement von der Seeseite her ganz geschaffen, — wenigstens ein gewichtiger Grund znr Ruhe für ochlokratischeö Gesinde!, dem Freiheit und Frechheit ganz gleichbedeutend ist und welches in jedem Gesetz eine Tyrannei erblickt. Und solch Gesindel ist in Bahia zahlreich genug. Seine Stimmung und Gesinnung bricht uur zu offen durch; noch im Jahre 185>tt zeigte es fletschend seine Zähne in einem höchst betrübenden Vorfall. Die Verwaltung der Sta.-Caza von Bahia hatte im Angust l^5i7 beschlossen, znr Besserung des Waisenhauses für aufwachsende jnnge Mädchen, über deren moralische Haltung uud Richtung sich eine Menge Zweifel erhoben batte, Barn,-herzige Schwestern vom Orden des heiligen Vineent von Paula aus Frankreich kommen zu lassen, uachdem dieser Orden in Nio-de-Ianeiro so segensreiche Früchte getragen- hatte. Im December wurden die Waisenmädchen den sieben angekommenen Schwestern übergeben, machten ihnen aber so viel Verdruß, daß die Verwaltung mit Zuziehnng deö (Krzbischofs sich genöthigt sah, die sechs schlimmsten Mädchen und zunächst ganz besonders drei von diesen nach oen Klöstern von Sole-dade uud Merccs bringen zu lassen. Als das am 28. Februar ins Werk gesetzt werden sollte und die Herren des Verwaltnngsraths eins ihrer Mitglieder hinschickten, um die wilden Magdalenen fortzubegleiten, machten diese einen wirklichen Aufruhr und riefen das Volk, was sich versammelte, zu Hülfe, ja es heißt, daß infolge einer Liebesintrigne mit den Mädchen ein Herl schon eine Volks-dcmoustration vorbereitet hatte. Nun begannen Seeuen eines brutalen Vandalismus. Das Volk drang in das Waisenhaus ein, warf die Barmherzigen ','lu< - L allem 6 II t, !)!»ld:Vlasilic», I, ^.' 49 Schwestern auf die Straße hinaus und mishandelte sie sogar, als sie sich in den Palast des Präsidenten, damals meines rdeln Freundes Cansancao de Sinimbu, flüchtcten. Vergebens bemühte sich der hinzueilende Polizeichef, das Volk zur Ruhe und zum Nachhausegehen zu bewegen. Vielmehr giug ein Haufe nach dem Hause der Providencia, einer Kleinkinder-Erziehungsanstalt, um auch dort die 8atni>'5 6e l'1i..!'i,^ hrr-auszuwerfen, angeführt von einem Cabra (Sohn von einem Neger und einer Indianerin) mit Namen Pedro Ioze de Sant' Anna, einem Nationalgardisten, Der Polizeichef mußte der Canaille weichen, Offiziere von Höhcrm Range wurden verwundet, das Haus erstürmt und die Schwestern herausgeworfen, welche indeß in den Nachbarhäusern Schutz fan-dett. Ohne diesen waren sie vielleicht die Opfer der Bestialität geworden. Ein dritter Hanfe richtete sich nach einem andern barmherzigen Etablissement, »im ebenfalls die Schwestern zn mis-handeln. Doch gelang es dort einem Cavaleriedrlachement, ihn auseinander zu sprengen. Die cdeln Eitoyrns versammelten sich jetzt auf dem Palast-plah und verlangten, man sollte den Wachtposten des Palastes sortsclucken. Sie erstnrmten das am Platz liegende Haus der Municipalität, läuteten Sturm, verlangten billigeres Mehl, eine Gasbeleuchtung, eine Eisenbahn, kurz alles, was eben eine versammelte (Kanaille thut, wenn man ibr nicht ordentlich die Köpfe zusammenhaut. Als die Frechheit nun so weit ging, daß man die Feilster des Palastes einwarf, den Commandanten und einen Soldaten schwer und noch fnnf andere Soldaten leicht verwundete, ließ die Behörde Cavalerie kommen uud den Platz säubern, ohne daß es zu einem blutigen Conflict kam. Da man aber dem edeln Volk die Köpfe nicht blutig gehauen hatte, kam es am nächsten Tage wieder, brach in die 50 Sitzung der Munieipalräthe ein, jagte sie auseinander und beging alle nur mögliche Frechheiten, bis man es wieder mit Cavalerie auseinander jagte. Freilich war das wol nur die Canaille von Bahia, die so that. Doch wa-r sie stark genug, daß sie so thun konnte. Und vielleicht war sie von unsichtbaren Agitatoren in Bewegung gesetzt. Wenigstens sah sich mein edler Freund Can-sancao de Sinimbu genöthigt, zur selben Zeit eine Neihe von Absetzungen vorzunehmen. Bald daranf war ein National-fest. Die ans dem Platz vor dein Palast aufmarschirte Na-tionalgardc that drei Salven, bei welcher Gelegenheit ein Glasfenster des Palastes sprang und dem Präsidenten den Kopf blutig streifte. Als aber auch etwas Gips im Zimmer abbröckelte, sah man genauer nach und fand eine abgeplattete Flintenkngel auf dem Boden liegen. Sonach hat Bahia den Schandfleck auf sich geladen, der erste Platz zu sein, in welchem man Barmherzige Schwestern vom Orden des heiligen Vineent von Paula gemishandelt hat, dieselben Mädchen, die ans Tahiti, bei den Kabylen am Atlas und von den Türken auf den Händen getragen wurden. Ich halte das, nachdem ich jahrelang dem Treiben und Thnn der Schwestern zugesehen habe, für eineH, Schandfleck, für dcu ich keinen Ausdruck, keinen Namen habe. Und doch möchte ich jenen Mordversuch gegen Causancao de-Sinimbn für noch verruchter halteu. Einen edlern Mann konnte kanm je ein Pöbel ermorden wollen. Das sind aber bahianer Znstande, die Resultate des Skla-venthums und der Negerzüchtcrei! Werfen wir noch eimge Blicke auf solche Znstande. Während wir im freieu deutschen Colouielebcn von S.-Leopoldo in der Provinz Nio-Grande uns nach dem Wort Verbrechen fast ganz vergebens umgesehen haben, finden wir 51 52 in der Provinz Bahia mit etwa 1 Million Einwohnern, daß vom 22. September 1857 bis 15. April 1858, also in etwa stoben Monaten, unter 1W Perbrechern 85 Mörder, 8 Mordversuchende nnd 21 Subjecte wegen schwerer Verwundungen, dagegen nnr 4 Ränder, aufgefangen wmden. Unter den 85 Mördern fignrirt einer mit 17 Ermordungen nnd wahrscheinlich noch mehr, einer mit 15 Morden und ein dritter mit 5. Rachsucht war wol meistens der Beweggrund zum Mord. Im ganzen Jahre 1857 wurden 9<> Mörder eingefangen, 8 Individuen wegen Mordversuchs und 17 wegen schwerer Verwundungen. Unter den Ermordungen findet sich der Mord eines Ehegatten an seiner Frau ausgeübt, eines Stiefvaters gegen seine Stieftochter, e^ues Schwagers gegen den Schwager, eines Stummen gegen seinen Schwager in dessen Hochzeitnacht u. s. w. Das sind allerdings blutige Geschichten, und noch lange mag es dauern, ehe sie sich vermindern. Höchst interessant wäre es, wenn in solchen Polizeiangaben anch genan die Farbe constatirt würde (Weißer, Neger, Mulatte, Cabra und Indianer); ich konnte indeß nichts darüber ausfindig machen. Doch müssen wir gleich hinzufügen, daß die Negiernng auf alle Weife zu bessern flicht durch Anlegung und Besse< rung von Schnlen. In den 177 öffentlichen Knabenschulen für primären Unterricht wnrden nach dem Nelatorium vom Jahre 1857 doch 7.171 Knabn, unterrichtet, und in den öffentlichen Mädchenschulen 14<)l> Mädchen. Privatschulen für Knaben gab es in der Provinz 49, mit 1983 Schülern, und 21 Mädchenanstalten mit 1032 Schülerinnen. Demnach genossen im Jahre 1857 in der Provinz Bahia 11792 Kinder primären Unterricht. In Anstalten von sceunbärem Unterricht genossen: im Lyceum von Bahia 182 Schüler, in andern höhern öffentlichen Schulen 1950 -und außerdem in Privataustalten 1344 von denen allein auf die Stadt Babia 1085 kommen, ausgedehnten Unterricht, In zwei Seminarien der Stadt wurden 101 Studirende für den geistlichen Beruf erzogen. Wie weit aber die Kirche auf das Volk wirkt, ob verbessernd oder demoralisirend, darüber will ich hier kein Urtheil fällen. Mit der Katechese der Indianer sah es schlecht aus. Wenige Missionare waren vorhanden, uud eine nur geringe Anzahl Wilder bekehrte sich zum Christenthnm und zur Cultur.. Die öffentliche Bibliothek euthielt 10N54 Bände uud ward von 2902 Personen besucht, von denen jedoch, viele nur kamen, um die Sammlnng einmal zu besehen, nicht um sie eigentlich zu benutzen. Wenigstens erwähnen will ich hier uur noch, daß in Bahia auch eine medicinische Schule eristirt, oie gauz nach Art der medieinischen Facnltät von Rio-de-Janeiro hinreichenden Unterricht ertheilt in der Heilwissenschaft nach ihrer ganzen Länge und Breite, Sie ist nicht weniger besucht als die von Nio. Uud wenn es manchmal behauptet worden ist, daß die Facultät der Hauptstadt viel bessere Aerzte heranbildet als Bahia, so liegt das-besonders an der Verschiedenheit der Hospitaleinrichtungen. In seinen Hospitaleinrichtungeu kaun sich Bahia natürlich nicht im allereutfcrntesten mit Nio messen. Vielmehr scheint mir Babia mit seinem Stadthospital hinter der Nothwendigkeit zurückzubleiben. Allerdings reichen die Ränmlichkciten für die Krankenzahl hin, aber die Krankcnzahl, die sich dem Hospital anvertraut, ist sehr klein für die Einwohnerzahl, o, h. in Bahia hat man noch große Vorurtheile vor dem Hospital, woraus unter vielen Uebelständen auch der hervorgeht, daß 53 viele schwere, aufgegebene Kranke an das Hospital abgegeben werden und damit die Sterbelisten der Anstalt zu einem sehr unvortheilhaften Resultat bringen. Doch wird in ncncsteu Zeiten östlich von der Stadt eine Hospitalanstalt in sehr günstiger Lage erbcutt, sodaß in der nächsten Zukunft das Allerbeste über das Hosftitalwesen von Bahia zu berichten sein wird. Was nun noch zum ganzen Staatshaushalt von Vahia gehört, kann ich hier ziemlich übergehen. Deu gelehrteu Erz-dischof nud ersten Prälaten von Brasilien, Nomualdo, Grafen von Sta.-Cruz, habe ich nicht kennen gelernt. Die Militärmacht der Provinz steht unter einem Oiu'i-ül Bucht von Camamü. — Ein Tag in Ilhcos, — Canaviciras. — Fahrt auf dein Rio-Pardo. — Die Stromschuellen des Prejuizu und Funil. — Die Weihnachtstage im Paraiso do Ribeiro-Perde bei dem Oberstlieutenant August» Fredcruo Pasconcelloö de Souza ' Bahianua. — Rückkehr nach Canavieiras. — Belnwnte. — Falnt auf deni Icquitinhmcha bis Geuebra. — Der Ingcuieuroberst Innocencio Velloso Pcderneiras. — Poassu. — Ein Abenteuer ini Kanal von Poassu. — Nochmals Canavieiras. ' ^I>enn wir rwen unbefangenen Blick anf eine Karte werfen, welche nus die Bucht von Bahia in größern Umrissen darstellt, so können wir uns des Gedankens kaum erwehren, daß die ganze Bucht, wie weit und groß sie auch sein mag, nur ein Vorwasscr, nur die Mündung eines Flns-ses, des Paragnassn, sei nnd somit viel eher den Namen eines Flusses, Rio, verdiene, als die Bucht der brasilianischen Centralstadt Rio genannt wird, Der Paragnassu, Peragoa-acu, oder wie noch manche andere Schreibarten den Fluß nennen mögen, entspringt mitten in der Provinz Bahia an den Abhängen der i^rl-^^ olm->>i>l1il ^i«in<»!!in<>, welche Serra einen großen Theil der Provinz von Südwesten nach Nordosten durchsetzt nnd das Wasser-^ebiet des Nio-de-S.-Francisco von den beschränktern Gebieten der Küstenstüsse Itapicurn, Paraguassu nnd Rio-das-(sontas trennt. Hier im Centrum der Provinz vereint sich ein ganzes Netz von Flüssen, welche dann zusammen in einem nicht unbedeutenden Strome nnd vielfach gebogener Schlangenlinie nach Osten fließen nnter dem Namen des Paragnassu. Doch verhindern 12—1^ geographische Meilen vor seiner Mündung einige Stromschnellen nnd Wasserfälle ves so entstandenen Flusses Beschiffnng, welche in der That nnr 7 Leguas (5 geographische Meilen) von seiner Verbindung mit dem Meerbusen aufwärts bemerkenswerth ist. Je kürzer aber das befahrbare Ende des Flusses erscheint, desto größer ist seine agrieole Bedeutung und das durch den Anbau hervorgerufene Handelstreiben. Ja die Stadt ssachoeira am Paraguassu ist so wichtig und so bedeutend im Handel von Vahia, daß sie, wie klein nnd eingezwängt stc auch an ihrem Fluß liegen mag, als rin höchst wesentlicher Bestandtheil des ganzen Bcchiageschäfts angesehen werden muß und den Besuch eines jeden Reifenden verdient. Der Name Paragnassu ist übrigens ein historischer. Ms unter den ersten Entdeckern von Brasilien auch Diogo Alvarez Oorrea bei Vahia Schiffbruck litt, ward er durch eine Indianerin von Ansehen, Paraguassn, die sich in ihn verliebte, gerettet. Gin Flintenschuß spielt auch -iu der Geschichte seine Nolle. „Caramurn!" schrien die Wilden, als Alvarez seine Flinte losschoß — ein Feuermann! Der Name blieb dem Geretteten. Caramnrü und Paragnassu sollen später nach Europa gegangen und die Indianerin dort zn einer Katharina umgetauft worden sein. Als solche liegt sie in 56 der Kirche da Graca bei Balna begraben. Beide Ehegatten sind bei der ersten Colonisirung von Bahia von sehr großem Nutzen gewesen, nnd noch hcnte ist das Land stolz ans beide. Gine angesehene Familie rühmt sich noch jetzt ihres alten Adels, des Ursprungs von der Paragnaffn. Zweimal in der Woche geht cm eigenes Dampfboot von Bahia nach Cachoeira. Auf ihm befand ich mich am N. December. Nm 2 Uhr fnhren wir beim klarsten Wetter ans dem Hafen fort in der Richtung von Westnordwest und dann West. In der schärfsten Nachmittagsbelenchtnng lag die Stadt hinter nns nnd gewahrte einen prachtvollen Anblick. So dicht, als es die hervorspringende Sandbank daselbst crlanbte, fnhren wir nm die Spitze der Insel Itaparica mit dem frenndlichen Stadtchen, von welchem eben nordwestlich die kleine Ilha do medo oder meio, wie einige sie nennen, sich wunderhübsch ansnimmt, tanm eine Insel zu nennen, denn sie ist eine nur mit wenigem Grün bewachsene, finiam gelegene Sandbank, auf welcher ein herrlicher Kokospalmenhain prangt. Ganz im Charakter der Kokospalmen scheinen die edeln Bäume ans dem Seewasser selbst hervorzuwachsen, alle von gleicher Form, alle von gleichev Höhe, gerade wie man sie an so manchen Küstenpunkten Brasiliens am Strande zu lichten Waldungen zusammengedrängt findet nud von fern erblickt, ehe man noch den Strand selbst sieht. Auf schlanken Stämmen schwebend bilden die Kronen eine anmnthige Lnftinsel, ein weiches, liebliches und doch so einfaches Tropenbild. Sandboden am Meeresstrand oder doch am Seewasser, die nächste Umgebung einer stillen Bncht, eine salzige Lagoa ist recht eigentlich der Lieblingsaufenthalt der Kokospalmen; nir-grnds besser als dort gedeihen die gewaltigen Nüsse der schlanken, vom Osten eingewanderten Bänme. Allerdings ist die Bucht von Bahia recht eigentlich ein Kokospalmenterrain, 57 kein Wunder, wenn die großen Früchte auch vorzugsweise (!oo«8 (D Fuß breit sriu. Gleich rechts liegt eine kleine, bescheidene Ortschaft, S.-Sebastiao, auf festem, trockenem Boden, wie denn am ganzen Fluß viel mehr feste llferbilduug ist als am S.-Francisco. Ja mau trifft selbst steile Wände nud hoch aufgestiegene Ablagerungen, die mir beim schuellcu Vorbei-fahrcu fast wie Sandsteinformationen vorkamen, obgleich ich uirgcnds bei und in Bahia diese Gesteinart gefnnden oder als Baumaterial augetroffeu habe. Bald öffnet sich der Fluß zu einer ansehnlichen Breite und bildet einen schönen Landsee. An sonnigem Abhänge liegt hier unter einzelnen, hoch herauSragenden Palmen das freundliche S.-Noque. Ein reizenderes Tropeubild gibt es nicht leicht. Ich glaubte bei feinem Anblick meine frühesten Kinderträume von Palmeuhaiueu uud Friedenslaudschaften im glücklichen Enden verwirklicht. Die seitlich höher gelegene, von Palmen umrauschte Kirche gewährt einen anmuthigen Anblick; fast ein Hauch aus Morgenland weit nach dem fernen Westen getragen ist es, was man empfindet beim Vorbeifahren an der kleineu Landschaft, ein echter Palmsonntagsgruß. Oleich dahinter liegt an einer Verengerung des Paraguassu eine wohlangelegte Batterie, ehemals ein gutes Mauerwerk zu Schutz und Trutz, jetzt verfallen und verkommen und auch wol seit Erfindung der Dampfboote ohue große Bedeutung. Hinter ihr hat der Binnensee beinahe zwei Meilen in seiner gauzeu Länge, eiue prächtige Wasserstäche mit malerischer Emfassung. In der Nähe des Ufers liegt 58 hier eine große Zuckelpflanzung mit weitläufigen Baulichkeiten. Ihr schräg gegenüber prangt cm ansehnliches Fran-ciscanerkloster, dessen Kirche inwendig ganz mit Schildpatt ausgelegt sein soll. Weiterhin, an einem Nebenfluß des Paraguassu. liegt die Stadt Maragojipe; kaum erkennt man die beiden Thürme der Stadt und die freundlichen Häuser durch den Kokoswald hindurch, welcher sich am Ufer des Landsees hinzieht. Die ganze weitere Gegend un^ diesen See des Paraguassu ist hügelig und selbst bergig. Ueberall sieht man grünende Iuckerrohrfeldcr bis hoch zu den Spitzen der Berge emporsteigen. An schroffern Stellen wuchert dagegen ein freies, ungezügeltes Pflanzenleben, in dessen nächste Nähe sich wieder die Wohnungen, zum Theil palastartige Häuser, der Landbesitzer hineindrängen. Oben >an den grastragendeu Hoheit weiden kleinere Rinderheerden. So gleicht jene Landschaft nin Maragojipe einem italienischen Landseebilde. Wenn auch keine hohen Gebirge wie in Norditalicn hier das Ange fesseln, so entschädigt dafür wieder die schöne Valmenvegetalion am Ufer nnd läßt den vorbeifahrenden Reisenden leicht und gern an classische Pinien denken. Die höchst ungleiche Wasscrtiefc des Landsees nöthigt das Dampfboot, in einem weiten Halbbogen die Fläche zu durchschneiden. Erst oberhalb Maragojipe nimmt der Paraguassu eine gleichmäßige, flußartige Form und Einfassnng an, erst hier beginnt sein eigentliches Süßwassergebiet zwischen hohen, ziemlich gleichmäßig fern nebeneinander hin verlaufenden Ufern. Etwa Fuß breit ist fortan der Flnß bis nach Cachoeira hinauf. Zuerst liegen dort die armseligen Ortschaften Nhagc und Coqueiros, dann folgen wieder einzelne Iuckerplantagen vom vornehmsten Ansehen, deren Felder sich hoch hinauf und über die Berge hinziehen. 59 Aber es ward Abend. Ein schwankendes Mündlich! und die tieft Ruhe der Ufer gaben unserer Fahrt einen höchst poetischen Anstrich. Da hielt das Dampfboot, nnd die Friedensscene der tropischen Mondnacht verwandelte sich in den wildesten Tumult schreiender Neger, die mit ihren langen Canots auf das Dampfboot losgeschossen kamen, um für einige Kupferstückc Passagiere und Güter ans Land zu bolen, da das Schiff einige Schritte vom Ufer fern liegen bleibt und man für dasselbe noch keine zweckmäßige Landuugsbrückc gemacht hat. Wir waren in Cachoeira. Gleich am Uferplah fand ich in einem Hotel, von denen die Stadt mindestens zwei besitzt, eine hinreichende Wohnung. Nach dem Abendessen erlebte ich trotz der späten Stnnde aus meinem Fenster noch eine originelle Seene. Unter mir lag der Uferplatz; rechts stoß der stille, breite Fluß zwischen seinen dunkeln Bergufern dahin; jenseit desselben blinkten die Lichter auS den Fenstern der hüdscheu, großen Vorstadt S.-Feliz. Alles athmete Ruhe, Friede und Nachtfeier. Aber mir gegenüber auf der andern Seite des Platzes hielt der. Teufel sein tollstes Treiben in den Aus-gangsklängcn eines Kirchenfestes. Zum Besten der Kirche ward, wie das am Abend vor und nach Kirchenfesten in Brasilien durchweg geschieht, eine Anetion gehalten, wobei der Versteigerer, um recht viel Leute anzuziehen und auszuziehen, zugleich die lustige Perfon spielte. Tauben, Kuchen und Taudscichen wurden dem lärmenden Volke, was jeden schlechten Witz des schon ganz heisern und bellenden Versteigerers mit schallendem Gelachter begleitete, zu hohen Preisen verkauft. Zwischen jedem Verkauf spielte eine grelle Mnsik einige Passagen des Fado oder Lnmdnm, jener ungeregelten Negertarantella, worin jeder so viel Ver-renknngen und unzüchtige Bewegungen macht, wie nur im- 00 mer möglich sind. Je wilder dir Ausgelassenheit, desto wüthender der Applaus. Plötzlich war alles still und warf sich aus die Knie; das Allerheiligste kam daher von einem Sterbenden, Aber kaum war das in die Kirche hineingetragen, so tobte das Volk wieder bei Auction und Fado; eine Menge Raketen sauste zum Himmel hinauf, uud bis tief in die Nacht hinein raste das Negerbaeebanal znr Feier des katholischen Kirchenfestes. „Mn eiil, <.'<^',t>»i^ 3p«8, 5> M'snäldur I^iis?" würde jener berühmte Kapuziner gesagt haben. Und was soll der Protestautismus dazu sagen, der verrufene, verketzerte? Mindestens lachen darf er über solches katholische Kirchenfest in Cachoeira, denn Achtuug flößt es ihm nicht ein. Dagegen der Sonntagsmorgcu, der erste Frühblick, der in das schöne Thal des Paraguassi, hineinlauscht! Fast war es mir, als wachte ich in Iiegelhausen auf am Neckar bei Heidelberg, oder in Neckarsteiuach. Nur ist der Paraguassu breiter als der deutsche Fluß. Aber dafür hat er keine drei Burgruinen, keine Sage, keine Geschichte, keine freie, fröhliche, deutsche Ingend! Und diese letztere doch! Sie kommt gleich zum Vorschein, wenn sie auch nur aus drei juvomdu« der alten Zeit zusammengesetzt ist nud ans ganz verschiedenen Winkeln herbeigeholt werden muß. Am frühesten Morgen schlenderte ich durch oie Stadt, die immer an 13<»<> Cigarrenkisten gemacht, die dnrchweg mit den in S.-Fcliz, (5achoeira, dein nahen Mn-ritiba und andern umliegenden Orten sabrizirten Cigarren angefüllt iverden. llnd doch bildel das imnier nur cincn Theil dcr Cigarrensabrikation in der Provinz Bahia, immer nnr einen Tbeil des Tabackserports aus dem nördlichen Brasilien. Und bei solcher Tabacksprodnetion, ja bei der ungeheuern Tabacksprodnetion in der ganzen Welt ist es wol snr das erste nicht zu hoffen, daß vas widerliche und unnatürliche Laster des Tabackrauchens als solches von der öffentlichen Meinung erkannt, nnd höchstens nnr noch in Matrosenspclunkm und Kasernen neben Schnaps uud Bier geduldet wrrde. Ob aber Cachoeira zu einer noch bedentendern Entwickelung gelangen werde, weiß ich nicht. Die Wichtigkeit der oben angeführten District? im Iuncrn des Bandes ist vollkommen anerkannt worden, und schon buhlen die beiden großen Städte Pernambnco nnd Bahia um die Handelsgnnst alles dessen, was zu beiden Seiten des Nio-de-S.-Francisco bis in die bedeutendsten Fernen hinans Products an dcn Hanoels- markt bringen, und sich mit europäischen und nordamerikani-scheu Handelsartikeln versehen möchte. Mittels Eisenbahn-wegen suchen, jede Stadt für sich, beide genannte Handels^ Plätze jene fernen Westgegenden zu gewinnen. Alles was auf dem linkcn Ufer des S, - Francisco zur Handelsthätigkeit kommt ^ wird sich nach Pernambneo wenden, während die Diitricte östlich und südlich von> S.^ Francisco von Bahia ausgebeutet werden, llnd da bleibt Cachocira am Wege, ja vielleicht ganz ab vom Wege dieser nenen Verkehrsmittel lie-qen, wie jebr eS anch immer seine Handelsbedcntnng für die Umgegend — und diese ist in hohem Grade beträchtlich — bebanpten wird. Hinderlich im freien Verkehr mit seiner Umgegend ist es dem Orte schon jetzt, das; er mit keiner Brücke zum jenseits gen Ufer mit S. -Feliz zusammenhängt. Ueber solchen Brückenbau ist sckon vielfach verbandelt worden, ja, man bat selbst schon einen Uebergangspunkt, wo in dcr Mitte des Flusses eine kleine feste Insel einen Hauptpfeiler mit dem sichersten Erfolg tragen würde, auserlesen. Aber der Ausführung liegen noch manche Hindernisse im Wege. Ein Hanpthinderniß. was gewiß sehr zu beherzigen ist, wenn man an die weitere Ausdehnung von Cachoeira denken sollie, ist der veränderliche Wasserstand des Flnsscs. Eingekeilt zwischen Hochnferu zieht er ziemlich ruhig seine Bahn daher, aber eingekeilt zwischen dem Fluß und den nahen Höhen liegt auch Cachoeira in einem sehr engen Thal. Nach einem tüchtigen Tropengewitter schon, und noch mehr nach anhaltendem Regen steigt der Paraguassu schnell und sehr bedeutend, nnd wird ein sehr gefährlicher Nachbar. Mehr als einmal schon hat er der Stadt eine tüchtige Neberschwemmung zu Wege gebracht, und einem Anwachsen des Paraguassu sieht man iu Cachoeira immer mit ängstlicher Sorge zu. Bei dieser eingeengten Lage bat die Stadt demnach anch 5» l;? keine nahe Umgegend. Einzelne Bäche kommen mit klarem Wasser ans den Bergen hervor und dienen zum Mühlenbetrieb, zum Trinken, Waschen und Baden. Ein besonders hübscher Bach ist am untern Ende der Stadt. Sein Bett besteht vielfach aus Dioritbänken, über welche das Wasser plätschernd herabstürzt und prächtige, kalte Sturzbäder bildet, um so mehr, da sich auch eine hübsche Vegetation um solche Stellen schützend uud verhüllend hrrnmschlingt. Lantanen, Convolvulus, Bignomen und Aselcpien ' bilden die Hanptmasse des dortigen Blüteuflors. Abschied nehmend vom lieben Freund l),-. Vurkart ging ich an Bord des Dampfers. Wirklich unerträglich war hier das Getümmel. Uebcrladen war das Fahrzeug mit Menschen ' aller Kategorien, zu denen sich noch auf dem Vorschiff ein ansehnlicher Viehstaud von Ziegen, Hammeln und Mauleseln hinzugcscllt hatte. Für die Damvfschiffsunteruehmung war das angenehmer als für die Passagiere. Nach einem geringen Anschlag mußte das Schiff doch auf uufcrer Fabrt von Ca< chocira nach Bahia (etwa^2 geographische Meilen) eine Ginnahme von 400 Thlrn. ptenß. Crt. haben. Bei der Ueberladung des Schiffes mit Vieh und Menschen ging denn unsere Fahrt auch sehr langsam, was bei der drückenden Hitze des Tages keineswegs angenehm war. Hierzu kam noch das rücksichtslose Rauchen und Ausspucken. Von crsterm hat man in Dentschland einen vollkommenen Begriff, und ich muß davon schweigen, von letzterm aber keine Vor-stelluug, und ich mnß davon reden. Wo zwei oder drei Brasilianer oder Portugiesen sich einander gegenüberstehen, oder nebeneinander sitzen in traulichem Gespräche, fangen sie an, besonders wenn sie ihre Cigarre im Munde haben, voreinander anszuspuckeu, daß man wirklich nicht begreift, wo die Menschen all den Speichel hernehmen. Sind ihrer mchsere znsammcn — ich rede natürlich nur von 68 Leuten ohne Erziehung —, so befinden sie sich bald in einem förmlichen Schaumring, etwa wie die Larven der cor^p,« 8pm»^-m auf unsern Wiesen. — Solange man solchen ptya-listischcn Produttionen ausweichen kann, gönnt man schon den Lenten ihr Vergnügen. Wo man aber in engen Nänmcn mit ihnen zusammengedrängt ist, wird die Gewohnheit wirklich unerträglich. Am meisten haßte ich sie immer am Bord von Dampfbooten. Beim Auf- und Abspazieren ans solchem vollgespuckten Verdeck bin ich, znmal wenn die See etwas bewegt war, sehr oft ausgegleitet; und ehe nicht einmal jemand HcUs und Beine bricht beim Ansgleiten und Hinstürzen über solchen Speichelfluß, wird man dem Unwesen nicht zn stencvn suchen. Beim Anblick der am Bord des Cachoeiradampfboots zusammengekommenen Menschenmenge fiel nur dasselbe aus, was mir bei dem weniger zahlreichen Personal auf meiner Fahrt nach S.-Amaro schon frappant vorgekommen war, nämlich wie gering doch die Zahl der rein weißen Passagiere war. — Bei so vielen, die man für ziemlich weiß halten möchte, lauscht ein kleiner afrikanischer TyPus, oder ein nur dem Kenner sich knnd thnendcr Zug eines Indianismns hervor, letzterer immer weniger deutlich, aber dennoch beide erkennbar. Bio in ihre fernern Radien hinaus erstreckt die Stadt Bahia ihren schwarzen, braunen und gelben Farbenton; nnd wenn man nicht mit Bestimmtheit wüßte, daß alle Negrrfärbnng ursprünglich zu Schiffe gekommen ist, und der Natur des Landes zur Zeit der Paragnassn vollkommen fremd war, so würde man, wenn jemand behaupten wollte, daß die indianische Frau des Diogo Alvarez die Fürstin eines Landes mit zahlreicher schwarzer Bevölkerung gewesen wäre, seiner Bc-bauptung vollkommen Glauben bcimessen. Mindestens noch ein volles Iahrhnndert mag hingehen, ebe diese seltsame Menschenschattirung sich einigermaßen lichtet 69 und HM Farbe, und mit ihr volle Gcistesaufklärung das Feld behauptet. Gar zu geru hätte ich nach meinem Änssilig zl> den llsern des Paraguassu noch cine kleine Excursion zu dem hinter 0er Insel Itaparica landeinwärts liegenden Nazareth, und eine andere zu dem schon etwas außerhalb der Bucht liegenden Valenca gemacht. ?lbrr eine Neihe von Küstenplinkten, theils Buchteu, theils Flüssen, theils Häfen, war nur zu bemerkenswert!) dargestellt werden, als daß ich mich zur Besuchuug derselben nicht schon im December hätte entschließen sollen. Um diese Küsteuplätze der Provinz nach Enden in einem regelmäßigen Verkehr mit Vahia zn halten, hat sich eine Damftfschiffahrtslinie gebildet, welche zweimal im Monat diese Plinste bis zur Provinz Espirite» -Santo hinab berührt. Die let)te Hauutstatiou ist die Stadt Cnravellas uno die ihr nade gelegene Coloilie ^eopoldina, wo der Bahicilinie eine andeie, von Rio ausgehende, entgegenkommt. So befand ich mich denn am l<^. December, 7 Uhr morgens, am Bord des kleinen Küstendampfers Parana, der mit dem großen Packetschiff, auf der Generallinie von Rio zn den Nordhäfen, nur den Namen gemeinschaftlich hat. Wir liefen dnrch die prachtvolle Scenerie der Bucht unter der Victoria hindnrch nnd gewannen gar bald den Ocean. Eine mäßig rollende See hob schonend nnsern Parana auf und nieder, gewiß zu unserm Glück, denn der arme, vielgebrauchte Dampfer schien eben nicht viel vertragen zn können. Er hatte vor allem eiuen tüchtigen ^ecl; mindestens alle Etuude mußte gründlich gepumpt werden, eiuc widerliche Procedur mit knarrender Mnsik, die dem besonders widerlich ist, der ihre Bedeutnug kennt. Die Compagnie, die solchen lecken Dampfer in See schickt, ist auf keine Weise zu entschuldigen, selbst nicht damit, daß man auf der ganzen Fahrt das Land nicht aus den Augen verliert und kaum je länger als zehn Stun- 70 den uuterwegs ist, um von einem slnfahrpuilktc der Küste zum andern zu gelangen. Doch mag das immer eiu Trost für die Passagiere des Parana seiu. Und wirklich war das für uns ein Trost, oder vielmehr ein Grnud, gar nicht luehr aus dm Leck zu achten, sondern uns ungestört uach den fernen Küsten umz» sehen, die uns manche hübsche Scenerien boten, während das Hochland der Victoria von Bahia immer tiefer sank, und von den srenndlichen Palmenwäldchen östlich von der Lenchttburm-sftitze unr noch die Kronen alls dein Wasser zn schwimmen schienen. Im Westen ließen wir dann den Morro von E,-Panlo mil jVinem Lcnchtthurm auf dem Gipfel liegen, und ließen nniern Endeonrs etwas westlich abfallen. wo eine kleine Insel, Ilha Qnieppe, die Barre, die Einsahrt in die Bucht von Camamü mit einer Tiefe von W Fus, bezeichnet, während auf der Südostseite ein leichthügeliges Vorland, die Pouta Mutä, mit schönen Kokospalmen und einigen zerstreuten Fischerhütteil einen hübschen Prospect bieten. Die Bucht von (5amamü, einige Meilen lang und breit, ist nicht ohne einige Gefahr für die einlaufenden Schiffe wegen zahlreicher Felsenriffe, die unter dem Wasserspiegel liegen, sodas; das Packetdanipsboot gesetzlich auf die Leitung eines an der Barre stationirten ^ootsen angewiesen ist. Der Parana that einen Sigualschuß und wartete auf den Loolsen, Aber fein Vootfe erschien. Endlich kam ein Vanot mit einigen beuten, welche uns meldeten, daß der Lootse zur, Stadt (>amauui gefahreu wäre, Da führte uuser wegekuudige Kapitän sein Schiff mit halber Dampfkraft allein weiter, und fand sich vollkommen gut dnrch die schöne stille Bucht hindurch, 'oeren Fahrwasser weit hinanf die Tiefe von <»<> Fuß behält. Gewiß ! '/2 Meilen fährt man auf der Bai von (5amanu'i dahin in südwestlicher Nichtung, und bekommt auf dieser Fahrt eiue bescheidene, aber reizende Tropenlaudschaft zu sehen. 71 Manchmal ragen ganz kahle Felsen aus dem Wasser heraus; ein Riff bildet einen kleinen Schwibbogen, weswegen es auch die I^cli'i, su,!«,^,, der durchlöcherte Stein, genannt wird, ein originelles Felsenthor, bis zu dessen Nähe die größten Schiffe gelangen können. Auf vielen andern Felsen findet sich eine bübsche, kurze Vegetation, während ganz flache Uferstriche mit üppig wuchernden Rhizophoren bekleidet sind. Ist dagegen der Boden nur einigermaßen fest, und hat sich eine wirkliche Insel, ein sicherer fester Strand gebildet, so erheben sich dort auch unfehlbar der Kokospalmen luftige Scharen in Tansen-den von Gremplaren und beschatten einzelne, freilich nur sehr kleine Menschenwohnungen, in denen die Einwohner mit Kindern, Hühnern und Schweinen im friedlichsten Naturcommu-nismus zusammenleben, und sich von den Palmennüffen und dem Strand, feinen Muscheln und Krabben ernähren. Ferner binaus ragen dann einzelne Hügelketten uno manche hübsche ^aubwaldnngen hervor, weiche, liebliche Pinselstriche auf dem schönen Bilde des tiefsten Friedens und ländlicher Zurück-grzogenheit. Auf einer leichten Erhebung liegt nun auch das Oertchen Camamü. Wir blieben ihm eine gute halbe Meile fern, indem nur ein schmaler Fluß sich von der Bucht durch das Gebüsch bis zum Ort hinwindct, sodaß wir nur die Kirche, wie ein Schloß auf einem Berge liegend, und einige Häuser zu sehen bekamen. Die geringe Correspondcnz von Bahia für Camamü ward an das Land geschickt, und uuser Kapitän benntztc die schöne Mondnacht, nm gleich wieder in See zu gehen. Wie gering auch bisjetzt noch ein eigentliches Handels-treiben und eine mit ihm eng zusammenhängende Schiffahrt sein mag, so scheint mir doch die Bncht von ssamamü eine ganz bedeutende Inkunft vor sich zu haben. Keine hohe Ge-birgszüge trennen sie von der Umgegend; manche kleine ihr 72 zueilende Flüsse mögen den^ sich an ihnen entwickelnden Landban kleine Abzugskanäle bieten, ja, verschöne, große Rio-das-Contas nnd sein großes Ländcrgebiet wird, da gleich über der Mündnng des Flusses Stromschnellen und Wasserfalle eine Befahrung desselben von der See aus unmöglich machen, an der Bucht von Camamü seinen Ausgaug finden. Die Bucht ist leicht zugänglich, sicher und ruhig; die Untiefen lassen sich leicht bezeichnen und die Einfahrt ist ohne Mühe zu vertheidigen durch Schanzen, die auf der Iusel Quieftpe und der Ponta Mutä aufgeworfen werden müßten. Ja, wenn das einmal wünschenswert!) erscheinen sollte, so möchte sich die Bucht von Camamii mehr als irgendeine andere zu einem Kriegshafen, zn einem befestigten Arsenal eignen. Am folgenden Morgen ganz früh erblickten wir die Mündnng des cbeugeUanten Nio-das-Contas, det tief im Innern der Provinz entspringt und für eine sehr zu wünschende Ackcr-bauentwickelung ganz ausgezeichnete Chancen bietet. Deswegen hat auch die Provinzialregiernng seit einiger Ieit eine specielle Aufmerksamkeit auf den Fluß gerichtet. Schon der edle und unermüdliche Präsident der Provinz Cansancao de Sinimbu legte in der Nähe der ersten Stromschnellc eine kleine Colonie von Landeseingeborencn an, welche anch ganz guten Fortgang nahm, und beim Zurücktreten des genannten Staatsmannes von der Provinzialvcrwaltung eine nicht unbeträchtliche Anzahl von landbaucndeu Familien besaß. Auf eiuer großen Karte im Provinzialpalast zeigte mir del damalige Präsident Herr Paes Barreto eine genanerc Verzeichnung des Flnsses, seiner Stromschnellen und seiueö schönen Läudcrgebiets, sowie eines Weges und einzelner Coloui-sationspunkte, die in Angriff genommen waren, Unternehmungen, die zu trefflichen Resultaten gelangen könnten, wenn es nicht hier wie überall in Brasilien an arbciteudeu Kräften fehlte, uud fast noch mehr an einer nothwendigen Stabilität 73 der Präsidenten, die so oft, ja so alle Augenblicke wechseln, daß sie kaum zu einer Ansicht ihrer Provinz, geschweige denn zu energischen Maßregeln kommen können. Und das ist mich der Hanptgnmd, warum am Nio-das-Eoutas das von Sinimbn gegründete Werk in ein Stocken, ein Staguiren gekommen ist, nnd fürs erste wol feinen erheblichen Fortschritt machen wird. Am l!>. December, '>> Uhr nlorgeno, sahen wir die .Uüstr von Ilheos anstanchen. Sie ist sehr gnt zn erkennen an einem bedeutenden Felsenriff, welches in einem weiten Bogen die See durchsetzt von Norden nach Süden. Das Nordende des Riffs bildet eine kegelförmige Insel, zwischen welcher nnd dem Festlanoe eine sichere Durchfahrt ist, sowie auch zwischen dem südlicheil Ende des NW nnd dem (Kontinent, Einzelne andere Passagen gerade von Osten her sind gefährlich und werdeil besser vermieden als aufgesucht. Wenn man durch eiue der beiden angedeuteten sichern Durchfahrten, deren Felfengruppen und kleine Inseln der Gegend den Namen l»^ ll!>c<>^ verschafft hat, durchgesegelt ist, so befindet man sich zwar in einer Art von Binnenwasser, aber noch nicht im eigentlichen Hafen von Ilheos. Vielmehr bildet ein hoher Vorsprung der Küste südlich, der Morro de Pernambuco, und ein anderer nördlich, der Morro de S.-Sebastiäo, eine schmale Lücke im Ufer, welche Lücke durch ein Felsenriff ans der Seite des Morro de S.-Sebastiäo noch so verengt wird, daß sie kaum ein Fnß breites Fahrwasser bietet bei einer Tiefe von 1^ — ^<> Fuß. So dicht am Morro de Pernambiieo entlang lief deshalb unser Dampfschiff, daß es mit der Backbordseite säst gegen den Strand schlug. Dann mußte es gleich kurz gegen Westnordwest umbiegen, um eine im Binnenhafen schon selbst liegende Untiefe zu vermeiden, sodaß das ganze Einlaufen in deu Binnenhafen von Ilheos recht ein Stenerknuststück war, 74 und von ei nein nur emigermaßeu langen Schiff kaum >c> glucklich vollbracht werden könnte, Dcsto ruhiger und sicherer ist dafür auch das Binnen-Wasser von Ilheos. Es ist wirklich nicht viel größer als ein ansehnlicher Fischteich. l5in nicht bedeutender, aber dennoch schiffbarer Fluß mündet in ihn, und in der Tbat kann der ganze Teich als eine etwas veränderte Flußmündung angesehen werden. Diese geographische Bildung ist für jede Landkarten-anferligung wohl zu beherzigen, Nördlich von diesem kleinen Binneuwasser liegt nun ein tmgcmeiu descheidcncs Oertchen, die Villa dos Ilheos, alt, klein, tümmrrlich anzusehen von außen, und fast noch kümmerlicher in seinenl Illueril. Mit einem wackern Hi-. Magalhacuo, der mich noch von Rio aus seinen Stndienzeiten her kannte, ging ich an das Land. Wir besuchten zusammen seinen Freund, den .luix ll^ '<',la l>>-. (5rmano Domingos de Conto, eine der frischesten Naturen, die man nur treffen i'ann und dem ich mich mit ganzem Herzen anschloß, wie er mir denn eine ebenso solide Bildung wie anspruchslose Unbefangenheit entgegenirug. (5r sowol wie scine liedeuswürige Frau boten mir ihr Haus an und erpichten mich dringend, einige Tage in Ilheos zuzubringen, wahrend welcher der Richter mit mir die Gegend durchstreifen wollte. Wie gern wäre ich damals gleich <^ — 14 Tage geblieben, dcnn die (legend ist interessant genng. Aber sür den Augenblick mußte ich mit dem Parana weiter gehen, freilich in der sesten Absicht, ans dem Nückwegc ans dem Süden der Provinz 14 Tage in Ilheos zu bleiben, denn ich konnte damals in keinerlei Wcise wissen, daß mich traurige Verhältnisse gerade am Südraud der Provinz aushalten und meiner Reise eine ganz andere Richtung geben wurden. Da min aber unser Dampfer verpflichtet war, einen ganzen Tag in Ilheos zn bleiben, und erst am nächsten Morgen 75 mit Tagesanbruch in See gehen konnte, so benutzte ich den Tag, um Ilheos zu besehen. Zu sehen ist hier freilich wenig genug. Der Ort liegt geschützt hinter dem Morro de E.-Sebastiäo zwischen dem Binnenwasser und dein Meer, und lehnt sich mit seiner vierten Seite an das weitere Hochland an, welches sich gleich hinter dem Städtchen erhebt. Deutlich zeichnen sich einige Straßen ab auf dem Plan der Villa; aber außer dem Hause des !>«'. Ermano und einigen Kanfläden kann man keinem Wohnhause den Vorwnrs irgendwelcher Pracht und Eleganz machen. Vielmehr sind die meisten ungemein bescheidene Lehmhäuschen mit Palmenblättcrn bedeckt und so urzuständlich, daß man wirklich nicht begreift, wie in einem Ort, der schon WO Jahre alt ist, so wenig Fortschritt, ja so wenig Anfang zn einiger Sauberkeit nnd Städteform gemacht ist. Vielleicht hat man das. Recht, von einem Rückschritt in neuerer Zeit zu sprechen. Eine angefangene Iesnitenkirche wäre recht hübsch geworden, wenu man sie hätte vollenden wollen. Höchst eigenthümlich sind die Thürpfeiler aus einer Eeesandmolasse aufgebaut, denn- in der That wüßte ich keinen andern Namen für das originelle, grobkörnige Sandeonglome-rat, welches in Form großer Blöcke und wirklicher Felsmassen sich überall an der Küste oer Provinz Bahia ftndct und ein treffliches, bildsames Baumaterial liefert. In Vahia fand ich am Strande ein Stnck solcher Molasse, in welchem eine Menge abgerollter Kiesel liegen, ohne im geringsten die Festigkeit pes Wteins zn stören. In Pernambudo fand ich dieselbe Bil-dnng, ganz unverkennbar dieselbe, mit nngehenern Mengen von Muscheln, namentlich (5ardium durchsetzt, in denen aber lauter Formen nnserer jetzigen (5rdperiode zn sein scheinen, was ich jedoch bei flüchtigem Anschauen nicht verbürgen kann. In Pernambuco dient diese Molassc zn Trottoirs. Rebell den noch immer festen Rninen oer Iesmtcnkirche 76 spielt cm»? kleine Sebastianskirche cine höchst erbärmliche Rolle, und scheint eifrig von Fledermäusen bewohnt zn sein, eine traurige Baracke, deren der Ort sich schämen sollte, nm so mehr, da ihm ein kostbares Baumaterial vom Meer aus bis fast in die Straßen hineinliegt, ein köstlicher, dunkler Diorit, dessen starre Blocke vergebens vom tobenden Meer gegciselt werden. Die allgemeine Faulheit aber scheut es, sich an dieses freilich sehr harte Banmaterial zn Nutz und Frommen einer Kirche zu machen. Hinter den Dioritblöcken bvgimtt nach Norden hin eine eigenthümliche Strandvegewtion, ans der ich nnr die zahllose Menge von kleinen.Patinen, Nnnri, vielleicht die an andern Orten sagenannte Arienri, hervorhebe, eine Cocoine mit 8 — 13 Fuß hohem Stamm nnd wunderhübschen, psiaumengroßen, gelbrothen Früchten, deren faseriges Fleisch angenehm riecht nnd schmeckt, nnd eine sehr harte Nuß enthält, vielleicht <^«co8 kt I,i/.0j'lnÜ!>. Sie bedeckt das lifer in einem undurchdringlichen Schwärm, und würde recht eigentlich die Charakter-Pflanze des Ufers sein, wenn ihr demokratischer Hanfe nicht von den hohen, echten Kokospalmen aristokratisch überragt würde. In einzelnen Stammen und 'in ganzen Waldungen nameMch anf der Südseite des kleinen Binnenwassers bilden diese den edelsten Pflanzenwnebs, nnd tragen mit ebenso viel Eleganz wie dem Ausdruck vollendeter Stärke die riesigen Nüsse und die mächtigen Blätter. Am Westende der kleinen Blicht, an dem übrigens feine Sstnr eines londoner Westeudes zn entdecken ist, genießt man von der dortigen Höhe einen wundervollen Anblick über Land nnd Meer von Meos, ein Bild des tiefsten Palmcnfriedens hart neben dem ewig rauschenden Oeean. Wenn ein Maler gerade dieses Tropenbild geschickt auf sein Leinen brächte, man würde wol seine Einbildungskraft, seine Tarstellungsweise bewundern, aber die Wirklichkeit eines solchen Naturbildes stark bezweifeln. 77 Kein Wunder also, wenn schon im Jahre l5>.'>»), nachdem die Krone von Portugal den ganzes ungeheuern Küstenstrich Brasilien an zivolf Günstlinge iil maßloser Verschwendung verschenkt hatte, einer derselben, Jorge de Figuereido oder Figueiredo, dem das Land zwischen Bahia nnd dem Nio-Pardo, ein Küstenstrich von fast drei Breitengraden Ausdehuung, zugefallen war, einen Spanier, Francisco Nomeiro, znr Colonisirung des Landes an jene Küste sandte, lind dieser eben das heutige Ilheos gründete. Doch hinderte gleich von vornherein schlechte Verwaltung nnd Uneinigkeit nnter den Colonisten alles Gedeihen der neuen Anlage, welche zudem von den benachbarten Aimores, einer wilden Botocudenhorde, vielfach angefeindet nnd selbst ganz zerstört wurde. So blieb denn Ilheos immer eine rohe Perle am Ocean. Seit einigen Deeennien aber haben europäische Colonisteu ihr fleißiges, Handwerk des Ackerbaues einige Meilen landeinwärts von Ilheos angefangen, nnd scheinen trefflich darin zu gedeihen, Besonders haben sich am kleinen Nio-dos-Ilheos zahlreiche Ecleaoftflcmzungcn eutwickelt, sodaß Ilheos immer zu ^ den bedeutendsten (§rporthäfen der Cacaobolme gezäblt werden muß. Was aus einer andern ackerbanlichen Unternehmung nördlich von Ilheos werden wird, läßt sich nicht mit Bestimmtheit absehen, denn sie ist bisjetzt kaum mehr als ein Project, Gleich nördlich vom Hafen von Ilheos mündet eiu sehr kleiucr Küstenfluß, der Niu-Itcihype, in das Meer. Sein vielfach gewundener Lauf bildet eine kleine, mit der Meeresküste in der Entferunug wcuigcr Meilen fast parallele Wasserstraße, die zuletzt in einen Laudsee,'die Lagoa da Almada, nach Norden von Ilheos aufwärts hinführt. Eine kleiile Qrt-schaft brasilianischen Ursprungs eristirt bereits iu der Nähe dieses kleinen Sees. Eine belgische Unternehmung sucht Menschen dorthin zu ziehen. Da mir aber eiu Name dabei genannt 7« worden ist, der bereits aus dem schwarzen Bret der Sl-elen-Verkäufer steht, so glaube 'ich nicht, daß die Unternehmung segensreiche Folgen haben kann. Diese kleinen Notizen über die Umgegend von Meos verdankte ich freundlichen Gesprächen und Mittheilungen des !>,-. Ermmw, in dessen fteuudlichem Hanse ich angenehme Abendstunden zubrachte. Dieses >5iaus lag numittelbar am Wasser, ja genau genommen im Wasser, 'ganz in venetiaui-scher Weise, (Äne Holztreppe führte gerade in die Pinneuducht hinein, dir Flut steigt deu Bewohnern bis au dic oberste Stuft, bis an die Kücheuthür hinan, wo man dann von derselben Küchenthür aus gauz bequem fische angeln kann. Ist das nicht ein Stück von Venedig? (Gerade so sah ich den Canale graude die Marmorstufeu der berühmten Cadovo, des „Goldpalastes" der ehemaligen Tänzerin Taglioni, bespülen — Venedig und Ilheos, beide Iusrlstädte, nnd doch so himmelweit verschieden, jenes mit Tausenden von Palmen-schafteu ans Marmor gehauen, dieses nniwuchert von Kokospalmen! Canot uud Gondel, w.ie sind sie doch so wett auseinander und doch mit wie tief poetischen Klaugen i^at mir das Plätschern beider Ohr und Herz erfüllt! Noch lag das fleiue friedliche Ilhros im Schlnmmer, als unser Parana sehou zu rumoreu begann und sich iu Bewegung schte. Als ich mich oben auf dem Hinterdeck des Schiffes etwas, üdcr die Brustwehr hinlehnte, um die hübsche Seeneric beim Scheidcu noch einmal zn betrachten, glitt mir ^ ich erzähle das besonders Reiscnden zur Warnung — aus dcr Scitentasche meines Rockes mein Portefeuille heraus uud siel in das Wasser, mit iksm alle meine Briefe, all mein Geld, wa^ich zu meiner Oreursion nach den Tüdhäfeu der Provinz Bahia bestimmt hatte, gerade .M> preusi. Thlr,! Hätte ich entweder meiu Geld oder meiue Empfehlungsbriefe verloren, ich. würde mir mit der mir bleibeudeu Hälfte 7!) vollkommen gut zu helfen gewußt haben. Aber so wie ich da^ stand, war meine Lage ebenso komisch wie ärgerlich. Mit fünf Knpferstücken, die mir die Ironie des Schicksals in der Tasche gelassen hatte, sollte ich eine Reise von einigen hun-dert Meilen, Flußcrpeditioneu und Laudercurstoucn machen, die Aufgabe war uicht klein. Zwar hielt man den Dampfer an, zwar setzte man ein Boot aus, zwar sah man die Brieftasche noch eine Zeit lang treiben, aber sie fand sich nicht wieder und wir gingen in See, um uoch am selben Tage den nächsten Hafen Canavieiras zu erreichen an der Mündung des Rio-Pardo, welchen Fluß ich eine Streck aufwärts verfolgen wollte, wenn ich auch im nächsten Augeublicke uoch nicht wußte mit welchen Mitteln. Guter Rath aber ist uicht theuer, wenigstens war er ans uuserui Dampfer nicht thener. Sehr dringend rieth mir znerst ein Passagier, ich möchte künftighin mir einen Knopf anf meine Seiteutasche nähen lassen. Ich dankte ihm von ganzem Herzen für den Rath, erklärte aber dennoch, daß ich ihm noch viel dankbarer gewesen, sein würde, hätte er mir den Rath 24 Stunden früher gegeben. Viel praktischer verfuhr ver I),-. Magalhaens, der in Cauavieiras wobnte uud selbst wohlhabender Landbesitzer am Rio-Pardo war. Augenblicklich machte er mir durch die allcrfrcundlichsteu Anerbietungeu meinen Verlust verschmerzbar, uud wir setzten im heitersten Humor die Reise fort. Da sprang, gerade mitten zwischen Ilheos und Cana-vieiras, auf unserm schwer leckeu Schiffe ein Tubus in der Maschine! Das war erst die rechte Misere! Hätten wir schlechtes Wetter gehabt, es hätte uus schlimm geben können. Aber der Himmel war ebenso rein blau, wie der Kusteuoec.au seegrün war. Kaum regte sich eine Welle; die Küste lag kaum eiue Meile fern von uns und wir konnten das Ocrt-chen Nna, ein Fischerdorf, sehr genau erkennen. Und da 80 nun auch unsere Passagierzahl nuv klein war und wir voli^ kommen gut in unsern Booteil Platz gehabt hatten für den Fall, daß wir uuseril alten Dampfkasten hätten aufgeben müssen, so setzten wir allen Widerwärtigkeiten die heiterste Stimmung entgegen. Wähxend die Matrosen pumpten, flickte unser Maschinist ganz gemüthlich seinen Tubus wieder zn-sammrn. Wir Passagiere lagen oder gingen je nach Laune auf dem Verdeck umher, alle seeleuvergnügt, ich am allermeisten, denn nun hatte ich, wenn nnser Parana gesunken wäre. am wenigsten zn verlieren. Doch ging alles vortrefflich. Unsere Maschinenflickerei gelang nach einigen Stunden nnd der Parana lief ungehindert weiter. Schon um 1 Uhr sahen wir einen weißen Thurm am Ufer stehen, die Atalaia oder Baake von Canavieiras, in deren nächster Näh^ wir das Wrack eines kleinen Schooners erkannten und einige Menschen, welche sich eifrig mit der Bergung der Ladung beschäftigten, — ein ungemein aufmunternder Anblick für Reisende, die mit einem erbärmlichen Schiff dieselbe gefährliche Barre macheu, nnd unmittelbar an Sand^ bcurkm und rollenden Wellen hinfahren sollen. Allerdings ist die Barre, die Einfahrt von Canavieiras, gefährlich genug. Wenn sie auch znr Zeit der vollen Flnt für mäßige Fahrzeuge Wasser gcnng hat, so ist doch diese Tiefe, dieser Kanal im Küsteowasser so eng, so gewunden, daß man eigentlich beim vlnsegeln gar kein rnhiges Wasser zu sehen bekommt, und ohne eine sorgfältige Lootsenwcisung nimmermehr den Weg finden möchte. ^ "Um diese LootstAweisung möglichst leicht und praktisch zn illachen, hat man am Ufer jene weiße Baake errichtet, welche oben mit einem beweglichen Flaggenstock versehen ist. Das ansegelnde Schiff gibt mittels gewisser Flaggensignale seinen Tiefgang klind, und wartet nun, bis es durch ein antwortendes Signal — eine weiße Flagge — herangerufen wird. 81 Je nachdem der Flaggenstoct niln nördlich oder südlich weist, over gerade steht, wird der CourS auf dem Schiff eingehalten. So dampften auch wir nach jener Weisung etwas nördlich vom Thurm einige Klafter gerade auf den Strand los, dann in dessen nächster Nähe und parallel mit ihm einige Klafter südlich, und zuletzt westlich gerade in die sich aufthuende Mündung des Nio-Pardo hinein. Wenn auch eben kein Wind ^ das Meer bewegte, so rollte doch die andringende Flut ziemlich bedeutend gegen den Nfersaud auf, sodaß wir alle mit etwas gespannter Aufmerksamkeit dem Erperiment folgten nnd, nachdem wir in die Flußmündung eingelaufen, angesichts der hinter uns liegenden Brandungen eigentlich nicht begriffen, wie wir hindnrchgekommen waren. Beim vollsten Hochwasser steht aus der Barre 12 Fuß Tiefe, sodaß bei rlchiger See das Dampfboot nicht leicht auf den Grund stößt, wie oft ihm das anch bei bewegtem Meer begegnen kann. Diese Einfahrt findet sich auf 15 " 40' südl. Br. Auf einem spiegelglatten Fluß fuhren wir einige. Minuten hin, und hielten bald vor der Villa von Canavieiras. Man kann aber nichts Einfacheres uud '"Bescheideneres sehen als das Oertchen Canavieiras. Gin großer-, grüner Rasenplatz dehnt sich nördlich längs des Flusses aus. Auf ihm liegen einige Häuserreihen, über welchen sich wieder »m> vermeidliche Kokospalmen wiegen. Ein fernes Waldgebüsch und Nhizophorenvegctation schließt das Ganze ein. Das ist wirklich das Ganze, ein kleines, armseliges Ganze. Nnd dennoch stiegen wir fröhlich nnd vergnügt an das Land. Die Nachmittagssonne glitzerie auf den Palmenbläl-tern, um welche einzelne Papagaien schreiend umherflatterten, ohne daß es jemand einfiel sie zu schießen. Diverse kleine Kinder, Neger, Indianer und anderes bunte Menschengemisch, trieben sich auf dem Nasen , umher. Gemächlich schauten erwachsene Leute aus den Thüren nnd glaslosen Fenstern ihrer «2 einfachen Häuschen. Einige Kühe, Schafe uiiv Ziegen weideten harmlos umher in der Straße, denn dic Straße ist eben der Nasen, längs dessen ein schmaler Fnßsteg bescheiden hinführt. So hat das Ding Canavieiras keinen Anfang, kein Ende, keine Straße, keinen Platz, keinen Markt, kanw eine Kirche, die nur daran zn erkennen ist, daß vor ihr auf dem weiten Rasenplatz ein großes hölzernes Kreuz steht. Einige Kaufläden bemerkt man, einige Handwerker, zwei evident deutsche Schuster, die förmlich eiuen Schreck bekamen, als ich sie deutsch anredete, — sonst viele indianische Gesichter, namentlich Frauen, und überall hohe, 80-^'wl) Fuß herausragende Palmen: so sieht die Einwohnerschaft von Canavieiräs aus, die sich ohne die Bäume auf 4t«» Seelen belaufen mag, und größtcn-theils vom Faulcuzen und den am Strande herumlaufenden Krabben lebt. Von selbst fallen die Nüsse vou den Bäumen; fast von selbst wächst die Mandioea ans dem Sandboden; Fische gibt es in Me.nge im Flusse und seinen Nebenarmen; zu Tausenden laufen große Taschenkrebse unter dem Iunglegebüsch'zur Cbbezeit umher. Da ist deun daS Leben ^ar leicht gefristet und sebnt sich nach Ruhe und fauleuzendem Frieden, zu welchem die Palmen, diese Symbole des Friedens und der Ruhe, Ja und Amen flüstern. Mit dem !)>-. Magalhaens ging ich nach dessen hübscher Wohnung, und quartierte mich ohne weiteres bei ihm ein ganz nach Art jenes Bänkelsängers in Venedig, der dem versammelten Volke vorsaug, wie er einmal Prügel bekommen hätte in einem Lande, weil er von seinem Wirthe eine Rechnung verlangte. Wenn nun auch mein guter Doetor uud sein Associe Albuquerque mir, falls ich sie um eine billige Rechnung gebeten hätte, keine Prügel gegeben haben würden, so hatte ich doch Wirklich von ihrer Zuvorkommenheit förmlich zn leiden. In 6* «3 aller nur möglichen Weise suchten sic mich durch Freundlichkeiten in Canavieiras zu fesseln, sodaß ich allerdings nicht mit dem Parana weiter gehen konnte, sondern für einige Tage in Canavieiras mein Standquartier nahm, statt gleich nach Ca-ravellas weiter zn gehen, wie das anfangs in meinem Plan gelegen hatte.. Wie wenig Interesse mir >mn auch Canavieiras selbst bieten konnte, so erschien mir doch die ganze Gegend bemerkenswerth genug, und ward mir immer bemerkmswerther, je mehr ich in den ersten Gesprächen mit meinen neuen Freunden daselbst die Wichtigkeit des ganzen Landes, zumal längs seiner Flüsse kennen lernte. Vei Canavieiras und südlich von demselben eilt ein Ge-schwistcrpaar von Flüssen dem Meere zu, an dessen Ufern, wie vereinsamt sie auch noch erscheinen mögen, die Cultur ihren ersten Weckruf gethan hat, und vielleicht eine kleine Welt regen Lebens, Anbaues und Handels in den nächsten ' Dccennien schaffen wird, deren Ausgangspunkt immer der kleine Ort Canavieiras sein wird. Ich will hier keine znsammenhängende Skizze der beiden aus der Provinz Mmas-Geraes kommenden Flüsse Iequitin-honha und Nio-Pardo geben, zwischen denen ein dritter kleiner Fluß, der Nio-da-Salsa nur als Verbindungsglied zn nennen ist. Wer mich auf meinen Ansflügen von Canavieiras aus begleitet, wird sich leicht selbst ein geographisches Bild schaffen können von den genannten Küstenströmen, welche in ihren diretten Mündungen bei der Stadt Belmonte, bei Cauavieiras und in einigen eigenthümlichen Zwischeugliede-rungen unter sich nach Norden hin mittels der Flüsse Porim und Commcndatnba das offene Meer aufsuchen. Meine wackern Freunde, !)>-. Magalhaens und Albüquerqne, die zur Erweckung des Lebens am Flußpaar, das ich eben bezeichnete, rüstig beitragen, besonders durch einen ausgedehnten 84 Handel mit Nutzhölzern, und manche andere Landesproducte erportiren, versahen mich vor allen Dingen mit Gelb zu meinen beabsichtigten Flußstreifereieu, sodaß ich schon am nächsten Morgen zur Befahrung des Rio-Pardo aufbrechen konnte, znnächst bis zur Anpflanzung eines bekannten Oberstlieutenants Freoerieo Vaseonccllos de Souza Bahianna, der sich mitten in jene ungeheuere Waldeinsamkeit hineiugeworfen hatte, 14 Leguas den Fluß hiuanf, ulld mir bei allem, was ich anf dem Rio-Pardo scheu nud besuchen wollte, unumgänglich nothwendig war. An diesem merkwürdigen Mann hatte mir der ehemalige Präsident der Provinz, Causaucao de Sinimbn, freilich einen Bries mitgegeben, aber dieser Brief war mit allen andern Briefen bei Ilheos in das Meer gefallen. Glücklicherweise kennen sich in jenen wenig bewohnten Gegenden alle Menschen. Der vl'. Magalhacns war ein genauer Bekannter vom Oberstlieutenant Bahianna; in wenig Minuten schrieb er mir einen Brief an seinen Freund im fernen Walde, besorgte mir den nöthigen Cßvorrath für die Flnßerpedition und ging noch selbst mit mir nm 4 Uhr morgens zum Fluß, wo meine znr Fahrt gemietheten Lente mit dem Canot bereit sein sollten. Hier bestieg er den Dampfer Parana, um mit demselben nach dem nahen Porto Seguro zu grheu, und fuhr zur Barre hinaus. Ich stand allein am Ufer nnd sah mich vergebens nach meinem Canot um; keiue Menschenseele war zn entdecken. Ich ging nach Hause, kam nach zwei Stunden wieder, aber meine Canociros kamen immer noch nicht, bis ich endlich die Spur des einen Rnderers entdeckte. Mend schickte ich ihn ans, die andern herbeizuholen, was er auch mit ungeheuerer Langsamkeit that. Als sich nun wirklich zwei von ihnen zusammenfanden, fehlte der erste wieder. Dann wollten sie erst frühstücken nnd frühstückten auch wirklich, aber mit einer so furchtbaren Langsamkeit und Pomadigkcit, daß ich auf den ersten 85 Blick sah, ich hätte es hier, freilich wie fast immer, mit professionellen Faulenzern und Herumtreibern zu thun, ohne daß ich anders als zuredend und bittend mit ihnen verfahren durfte, denn sie waren „freie Lente und Bürger", und ich trug im Gesicht den Typus eines Estrangeiro, eines Fremden, den die ^eute in so kleinen Winkeln gar nicht gern sehen. Um 9 Uhr endlich geruhte die Fraction der brasilianischen Nation, die sich herabwürdigte, einem Fremden als Rnderer zu dienen, ihr Canot in Bewegung zu setzen, ein Halbneger, ein beller Mnlatte und ein Indianer, alle drei widerliche, freche Erscheinungen, die ich ruhig gewähren lassen mußte in all ihrer Faulenzerei und Lazzaroneunatur. Mein Fahrzeng war 40 Fnß lang und 1(> Zoll breit und ungemein passend für den Streifzug. Anfangs waren die Ufer des Rio-Pardo ganz flach und morastig, und mit lebhaft grünem Innglegcbüsch bedeckt. lHinen wunderlichen Effect machten hier zahllose Scharen von Taschenkrebscn, welche sich in zwei Arten theilten, die Mehrzahl aschgrau, groß und klotzig gebaut, hochbeinig und vollkommen spinnenartig am Rande des Wassers umherstehend. Mit dem unverkennbaren Ausdruck von gespannter Ncugier waren alle Individuen nach nns hingerichtet, und wirklich possirlich war es anzuschauen, wenn sie in einzelnen Abtheilungen davonliefen, meistens immer nach rechts hin, wie denn bei allen die rechte Schere, die sie beim Flüchten über den Kopf erhoben, die größere war. Viel eleganter, gleichseitiger und gleichläufiger erschien mir eine kleinere purfnrfarbene Art mit gelben Zeichnungen, welche in Menge zwischen den grauen Plebejern des Sumpfbodens umherschwärmte. Die bunten, weithin glänzenden Thiere sahen wirklich schön aus; sie glichen wandelnden Blumen, ja oft erinnerten sie mich an die glänzende Farbe der Actinien. 86 Ich traf sie salbst da noch an, wo das Innglegebüsch einer schönen gelben Malvacee weicht, Gnachuma genannt, deren Blüte mit der Baumwollblüte auffallende Aehnlichkeit hat. Die ältern Blüten werden vor dem Abfallen roth. Und so lagen sie roth zwischen den rothen Taschcnkrebsen umher; bald hielt ich die Blume für einen ruhenden Krebs, bald den Krebs für eine bewegte Blume. Dann aber erhob sich der Boden zu beivcn Seiten des schnell fließenden Stroms. Mehr nnd mehr bildete sich ein fester Uferraud aus, und eine herrliche Waldvegetation delnue sich zu beiden Seiten vor mir aus, die ich um so genauer betrachten konnte, als mein Canot hart am Uferrande, wo die Strömung des Flnsses viel geringer war, hinstreifte und längs dieses Randes mit Rudern und Stangen fortgestoßen ward. Ja, so dicht fuhren wir unter dem Walde dahin, daß seine hohen Bäume kMlende Schatten über uns warfen, ich selbst mich, obwol ich ans dem Boden des .Cauots saß, viel^ fach bücken mußte, um den herabhängenden Zweigen auszuweichen, nnd unser Fahrzeug mehr als einmal im Gebüsch hängen blieb. Aus dem dichten Waldchaos, was in undurchdringlichen Wänden auf dem Rande des Flusses sich hinerstrcckt, oder oft hohe, spitze Pyramiden bildet, traten nun einzelne Formen deutlich und scharf hervor. Vor allen andern Bäumen geben die Meilgeil der blühenden Ingaarten, die meistens weit über den Fluß hiuaushän-M, dem Walde ein eigenes Colorit, Unpaar gcjochte Blatter, deren Mittelripven au den Zwischenräumen zwischen den Foliolenftaaren geflügelt sind, und Millionen der langen, weißgrünen Staubfäden auf sser kleinen Corolla machen die Bäume von weitem fchon erkenntlich, während eine viel feinere Blattbil, dung und zierliche Kugelform der röthlichen Blnmengruppen die neben ihnen vorkommenden Mimosen auszeichnen. Viel höher 87 hinaus ragen hinter ihnen mächtige, wilde Feigenbäume, einzelne Lorberarten, und vor allem die riesigen Leeythisstämme oder Sapueaias, deren hoher, schlanker Stamm leicht kenntlich ist an der auffallend regelmäßig aufgesprungenen Rinde, deren Nisse dicht nebeneinander von oben nach unten verlaufen, während die Astentwickelung und Kronenbildnng, wie bei den meisten Nrwaldobänmen, alisfallend klein ist; alle Vegc-mnonskraft scheint im Stamm vergendet zu sein und nach Massenbildung zu streben. In sperriger Astverbreitnng nnd sparsamer Holzbildung des bohlen Stammes stehen becropien zn Tansenden nmher; nianchmal scheinen sie allein den Uferwald bilden zu wollen. Da prangen wol unter ihnen prachtvolle Musaecen, namentlich der rothe Blütenkolben der zweizeiligen Hrlilonic; man übersieht deren wol an hundert Mt einem einzigen Blick, überall entdeckt man den Purpnrglan; der herrlichen Braeteen und die elegante Blattbildung. Und doch ist fast alles, was sich als Nankengewächs, als Kletterpflanze am Fluß auf und ab bewegt, noch glänzender, noch eleganter. Goldgelbe Blüten der Banistericn hängen auf prächtigen grünen Guirlanden hoch oben von den Waldgipfeln .herab. Blane, weiße und gelbe Biguonicnblmnen, die wir sonst wol auf mächtigen Waldstämmen finden können, bilden am Fluß elegante Ranken und hängen in Menge um-her. Aristolochien zeigen edle Plattformen und wunderliche Blüten mit langer Lippe, neben deren linkischen Formen sich weiße, zarte Passifloren gar hübsch ansnehmen. Ungemein häufig kommt eine rankende Solane vor mil der Paradorie, daß ein Staubfaden ganz constant die andern um eine halbe Länge übertrifft. Noch auffallender erscheint dic Andiroba, Nandiroba oder Nhandiroba, eine Naukenpflanze ganz eigener Art aus der Cneurbitaeeengruppe mit sehr kleiner, braungelber Blüte und eigenthümlich unter dem obern Ende der um- 88 gebogenen Filament? angewachsenen Authereu. Von den großen runden Früchten fischte ich einige ans dem Flusse auf. Sie erreichen zuweilen die Größe eines Kinderkopfes und haben eine dünne Flcischschicht^ in welcher dann eine dünne, aber harte, feste Schale liegt. Diese Schale hat um ihr obe-reS Dritthcil eine kreisrunde, hervorspringende Leiste, die das Abspringen eines Deckels vermuthen läßt, fast wie bei den sonderbaren Früchten der I.<^ll,i8 all.n-iii. Auf der Spitze der Nhaudirobeukapsel ist eine vom Mittelpnnkt ansgeheude, dreifache Leiste, von der jeder Arm in einen scharfen Punkt endigt. In dieser Schale, die ein ungemcin sauberes Gefäß bildet, liegen 16 — 20 glatte, von einer rauhen Schale umgebene, sehr ölige Mandeln von fast kreisrunder Form mit zwei großen Kotyledonen nud auffallend kleinem Keim, welche nngemein ölreich sind, uud zur Gewinnung von Lampenöl vielfach benutzt werden. Die Plattform erinnert mich lebhaft an manche Passistorenblätter, selbst etwas an unsern nordischen Gpheu. Doch erschienen mir die Früchte ganz eigenthümlich, sodaß die Nhandiroben vielleicht neben den Cucur-bitaceen eine besondere Familie bilden. Nun muß ich noch der in ganzen Waldpartieu blühenden Einchoneen gedenken, die ihre dicht zusammengedrängten Blüten-büschel in röthlichen, weißen und blauen Färbungen überall prangend zeigen; noch gedenken muß ich vieler Convolvulus-!pecics, mancher rankenden Leguminosen und Aselepien, ohne auch nur im geringsten das erschöpft zn haben, was aus de» Vegetation am Flusse dem Vorüberfahrendcn entgegcnblickt. Denn die Menge der Formen ist außerordentlich, und kaum könnte eines kunstsinnigen Gärtners Hand so vieles und mit so vielem Geschmack ineinander pflanzen, wie der Urwald am Rio-Pardo darstellt. Vom Parasitismus, zumal der Bromelicn und Aroideen muß ich ganz schweigen; er ist unglaublich. Auffalleud gering 89 , , 90 sind dagegen die Palmen vertreten, mir nm so auffallender, da ich soeben, von Bahia an, einen Küstenstrich betreten hatte, ans dem die Eoeoinenwrm die so ganz vorwiegende und säst allein tonangebende war. Doch traf ich außer der Palmen-kohlenterpe oft die hübsche, schlanke Iussarapalme (l^ut«i-p6 ocluii«), deren ganze Bedentnng und Darstellung ich mir aber für eine andere Gelegenheit, nämlich für die Stadt Para, aufbewahren muß. Neben solchem vielfach verwebten Vegetationstreiben scheint das Thierleben ziemlich zurückzutreten. Und dennoch thut cs sich überall kund, zeigt überall seine Formen uud Gestalten, Am meisteu charakterisiren einige Vögel den Waldstrom. Unzählige male erblickt man, wo eine Iuga, ein Feigenbaum höher über den Fluß hinragt, lange, beutelförmige Anhängsel an deu dünnen Aesten und selbst den letzten Zweigen, oft ihrer 5i(> !><) dickt nebeneinander. Fast gleichen sie dichten Usneen oder Tillandsien. Und doch sind sie keine derartigen Psianzeuftarastten, — Vogelnester sind es, lang herabhängende, bentelförmige Vogelnester, die künstlichsten Gewebe, die man mir sehen kann, nm welche die schwarzen, mit prächtigen gelben Färbungen gezierten Bewohner hermustatteru uuter ununterbrochenem Schreieu uud Zwitschern. Iapus werden die kühnen Erbauer dieser hängenden Nester genannt, Ieterusarten, meistens l< l^i-,!« x^mUim nu», dazu die drolligsten Gesellen. Deu ganzen Tag schreien und zan-kcn sie sich nmher; jeden Thierlant ahmen sie nach, jegliche Waldesstimme ist in ihrer Gewalt; ununterbrochen schnalzt, pfeift, flötet es in ihren Scharen. Keinen Augenblick können sie ruhig sitzen; immer müssen sie sich balgen; mit solcher Wuth beißen sie sich manchmal, daß ich ein Paar, was vielleicht cine ernstere Sache anszufechten haben mochte, unter wildem Beißen in den Flnß fallen sah. Nur mit genauer Noth retteten sich die beiden Raufbolde. Wunderhübsch schen die Vögel aus, wenn sic so nmein-ander herumflattern, und läriue.nd davonziehen nach Art unserer Staare. Prächtig glänzt da in der Sonne das schwarze und gelbe Gefieder der Schar, nnd man denkt unwillkürlich an Niesenschmctterlinge, etwa an jenen Ajar, wenn er in mattem Fluge um Mittag von einer duftenden Alpinienblüte zur andern dahinschwebt, ebenfalls prangend in gelben nnd schwarzen Farbentöncn. Viel stiller treiben in tiefern Regionen dicht über dein Wasser Alcedonen oder Haleyonen von sehr verschiedenen Größen ihr Fischerhandwerk, still lauernd aus einem Ast, nnd sich jählings hineinstürzend in das Wasser, sowie sich nur eine Beute daselbst zeigt. Niedliche hellgraue Schwalben flattern noch dichter über dem Spiegel des Flusses dahin, während gan; oben über dem Walde einzelne Cireaeten umherziehen und kleinere Gavioens, Habichte, dahinflattern. Das Leben der Vierfüßler scheint am Tage ganz zu schlummern. Ich konnte kein einziges Säugethier den ganzen Tag erblicken. Auch das Menschenleben ist fast ganz verschwunden am Rio-Pardo. Man begegnet wol einzelnen Canots, einzelnen Flößen; sie fallen aber im weiten Raum verhältnißmäßig ganz fort. Die in ihnen rndernden Menschen erinnerten mich fast an die eben besprochenen Iapus, denn auch ihr Colorit schillerte zwischen gelb und schwarz. Oft war der Popciro ein Neger, der Proeiro eiu gelber Indianer (Proeiro gebildet von i'l'ol,, Vorderschiff — Pofteiro von pnj,i>, dem alten 1»upln8, Hinterschiff — also Ruderer vorn im Canot nnd Stcnermann hinten im Fahrzeug). Einmal begegnete ich einem Canot mit nur zwei indianischen Fraueu, Mutter uud Tochter, die im Vorbeifahren mit einem meiner Canoeiros ein sehr cordiales Gespräch hielten. Die Tochter, noch blutjung, hatte ein hübsches, frisches Ansehen. Mein Indianer 91 fragte sie, was ihre Kinder und ihr Mann machten. Das junge Ding, scheinbar noch ein fröhliches Kind, war also längst verheirathet.^ Sic schien sich aber in ihrer Ehe unge-mein wohl zn fühlen, nnd hatte anf ihrem brannen Teint hübsch rothe Backen. An den untersten Meilen des Flusses, wo das Land noch snmpfig ist, hat sich noch kein Mensch angesiedelt. Kanm sieht man eine Puade in den Wald hineingehaucn, als Zeichen, daß man nnr erst Nutzholz im Dickicht gefällt hat. Erst höher hinauf erblickt man einzelne Anfänge von Cultur, und kleine Menschenwohnnngen, freilich noch nrzuständlich genug, aber dennoch hinreichend für die Nothwendigkeiten des Lebens, Nothwendigkeiten, die über Essen nnd Trinken noch nicht hinausgehen und das Menschenleben noch anf seiner letzten Stufe charakterisiren. Ich konnte einen am Rio-Pardo liegenden Landsitz des »,'. Magalhaeus, an dessen Feitor ich einen Brief hatte, um vou ihm für die Nacht im kleinen Urwaldshäuschen beherbergt zn werden, nicht mehr erreichen. Als es dunkelte, waren meine japufarbigen Gondolieri zu faul, um noch ein gutes Stück Weges zu machen. Sie schlugen mir vor, mit ihnen zu eiuer ihnen befreundeten Familie ;n gehen, wo wir die Nacht bleiben könnten. Die Kerle waren rechte Lazzaroms, nnd so konnte ich eben nichts Erhebliches von ihren Frennden im Gebüsch erwarten. Doch trug ich nicht das allergeringste Bedenken, mich ihnen, wenn ich auch ganz allein war, anzuvertrauen für den Wald und die Nacht. Wir kletterten ant Baraneo des Flusses aufwärts uud gingen, nachdem unser Canot wohl angebunden war, mit unsern Sachen durch das Gebüsch, und eine beginnende Anpflanzung that sich anf. Bald standen wir vor einem höchst bescheidenen Lehmhänschen, Dessen Bewohner, Abkömmlinge vom indianischen und afrikanischen Staunn, ein 92 Alter mit zwei verheiratheten Töchtern und einem Schwiegersohn, mich so freundlich wie möglich aufnahmen, obgleich ich, cm ihnen ganz wildfremder Ankömmling europäischen Nr-sprnugs, sie anfangs in hohem Grade befangen machte, so-dnß nur mein alleroffenstes Benehmen sie ans ihrer Verlegenheit ziehen konnte. Mit echter Urwaldsgastlichkrit bereiteten sie uns Essen, nnd quartierten meine drei CanoclroS in ein Ncbenhäuschen ein, während ick selbst mit der Familie blieb im kleinen, engen Raum des Wohnhäuschens, dessen Hinter-, abtheilung den Frauen nnd dem Schwiegersohn zum Schlaf-gemach diente. Könnte ich doch joden in Europa reisenden Culturmenschen nur eine Stnnde in solche Lage bringen! Ich sage nichts von der tiefen Waldeinsamkeit, von den, armseligen Lelnn-hänschen, von der aus aller europäischen Sitte heranstreten-den Lebensweise. Nur vou dem Vertrauen, diesem an volle Blindheit grenzenden Vertrauen will ich reden, womit hier der Meusch dem Menschen gegenübertritt, der Europäer ganz allein der Gruppe farbiger, dunkelbrauner Walomcnschen. Ich saß allein im halbdunkeln Raum; an der Wand hing cine qualmende Oellampe. Durch eine halboffene Thür lauschten die seltsam von meiner Erscheinung angeregten bran-neu Leute, aber ohne das geringste Misttauen. Gleich beim Kommen hatte ich vor allem meine Flinte und meine Pistolen abgelegt, erstere scharf geladen, letztere nicht. Der Alte hatte seine lebhafte Frende au meinen Waffen, besonders meiner Jagdflinte, nnd schalt mich, daß ich, allein wie ich wäre, meine Pistolen nicht geladen hätte. „Im, Walde muß man immer voll bewaffnet sein", sagte er hitzig, und wußte mir, nachdem er meine Flinte, meine einzige Waffe, sorgsam weggestellt hatte, hinreichend von Waldgefahren uud Vertheidi-guugsnothweudigkeiten zu erzählen. Vor allem kamen auch hier Geschichten von Negern und wilden Indianern vor, gegen 93 welche letztere ein bitterer, tödlicher Haß herrscht. Vor einigen Monaten noch hatte der Bruder des Schwiegersohns einen Pfeil dnrch die Schulter bekommen. Weiter den Flnß hinanf hatten die Indianer ein Ehepaar, welches neben seiner kleinen Ansiedelung arbeitete, grausam erschlagen; am folgenden Tage zeigte man mir den Baumstamm, an welchem die Unglücklichen erschlagen Wochen waren. Nicht minder blutig klangen auch die Negergeschichten, kurz, der, alte brauue Mann überzeugte mich vollkommen, daß man ,,im Walde immer voll bewaffnet sein muß". Bei solchen Erzählungen sank die Nacht herab. Auf einer Art von festem Tisch in einer Ecke machte mir die verheira-thete Tochter ein Lager zurecht. Die branue, kühue Frauru-gestalt sah wirklich prachtvoll dabei aus. Ihr weißes Hemd bedeckte nur höchst unvollkommen den elastischen Oberkörper nnd zeigte.kräftige Formen; aber nicht im mindesten befing der Zustand einer halben Nacktheit die jugendliche Person. Als sie darauf ihr Kino, eineu tiefnußblauncn, reizenden kleinen Kerl von mindestens einem Jahre und der gelungensten, festesten Tertnr, vor Schlafengehen stillte, setzte sie sich auf einen kleinen Klotz, analysirtc mich pon unten bis oben nnd verschlang jedes meiner Worte, sie, das vollste Bild einer braunen Ubertas. Nun giugen alle zur Ruhe. Ich schlief auf meinem Tische, der Alte neben mir auf der Erde; die andern lagen im Nebenzimmer. Gin gegenseitiges Vertrauen, wie man das in einem europäischen Walde uuter solcheu Verhältuissen wol mcht finden möchte, ruhte in allen. Und dennoch schlief ich wenig. Der Alle hatte mir das vorhergefagt; er hatte mir ein Concert angekündigt. Wirklich brach, als der Mond hoch über dem Walde stand, ein Thicr-eoncert dranßen los, wie ich es noch nie gehört hatte. Der ganze Wald schrie, sang, pfiff, winselte, heulte, und zwar 94 manchmal in der allernächsten Nähe des Hauses. Ich weiß nicht, ob es Menschen oder T.hiere waren, Eäugethiere oder Vögel, Amphibien oder Insekten, die das wilde Orchester bildeten. Vielleicht waren es aus allen diesen Gruppen Repräsentanten, die mir fast ein Grausen machten. Ich mußte mich aufsetzen und dem wilden Geheul zuhorchen. Da es mir aber vorkam, als ob nicht ein einziger der wie ein Kind geNebängelt und gespielt hatte. Wir fuhren den Fluß weiter hinauf und kamen an manchen kleinen Niederlassungen vorbei, wenn man mit diesem Wort die ersten, geringen Versuche einer eben beginnenden Halbeultur bezeichnen will, wo zwischen umgehauenen Waldstämmen eben etwas Mais nud einige Oacaobüsche aufgrünen, und ein armseliges, granes Wohnhäuschen dem Ansiedler Schuh gegen Regen und Sonne und ein Obdach znm Schlafen gewährt. Nm 4 Nhr nachmittags kamen wir zu einer' größern Klärung am Walde. Anf einer langen, frischgrnuenden Weide gingen etwa 30 Kühe, Ochsen und Stiere umher. Bis oben >n den Bergwald hinauf zog sich ein beginnender Ackerbau. Mitten im writern Bilde der Waldzerstörung lag ein Gehöft mit einem netten steinernen Wohnhanse. Ich war am Iiel nnd vor der Pstanznng des Dberstlieutcuauts Augusto Fre-deneo Vasconeellos oe Souza Bahianna. 95 Der Oberst, eine frische, kräftige Mannesnatur, eben über ^0 Iahvc alt, empfing mich mit dcr größten Zuvorkommenheit uud Gastlichkeit. Wir waren gar bald bekannt miteinander und befreundeten uns, je mehr wir uns einander näherten. Aus einer guten nnd wohlhabenden Familie entsprossen, hatte der Oberst vor einigen Jahren am Rio-Pardo, etwa 14 Meilen den Fluß hinauf, drei Qnadratleguas Urwald an-gekauft nnd sich, mit rüstigen Kräften zum Anbau versehen, daselbst angesiedelt, der erste gebildete Anbauer in der ungeheuern Waldeswildniß, ein Nuternehmen, wozu allerdings großer Muth uud eiserne Beharrlichkeit gehörte. Zuerst wohnte der Oberst auf dem ljukeu Ufer des Flusses, gerade da, wo ein hübscher Nebenfluß, der Ribeiro-Vrrde, aus den Waldbergen hervorkommt. Da aber auf jenem Ufer wilde Botoeudcu sich häufiger zeigten und selbst blutige Spurcu ihres Daseins zurückließen, zog der Oberst auf die rechte Seite hinüber, wo sich denn allmählich das jetzige Gehöft, Paraiso genannt, entwickelte. Ein seltsames Paradies, jenes am Rio-Pardo, dem Ni-beiro-Verde gegenüber! In einem hübschen Garten von Orangen, Kaffeebäumen, Kokospalmen, Bananen, Weinreben uud Maugabäumen, denen sich wirklich alles hinzngesellt, was man in einem brasilianischen Garteu nur immer erziehen kann, liegt das bescheidene, wohnliche Haus. Zu beiden Seiten der Anlage zieht sich eiuc schöne Weide längs des ^Flusses hin; ein herrliches Stück Aubau erstreckt sich im Hintcrgrnnd gegen die Waldhöhe aufwärts. Schon recht vieles ist gethan, schon ein stattliches Terrain der Wildniß abgekämpft. Steigt man aber, wie ich das gleich anfangs mit dem Obersten that, an Me Höhe anfwärts bis zum Waldrand, da erscheint unten in der Tiefe nnr ein schmaler Saum von Anbau längs des Flusses; ein noch viel schma- 96 lerer liegt auf dem audern Mr, wo sich fünf bis sechs indianische Familien, Arbeiter ves Obersten, die sich dort so viel Land anbauen dürfen, wie sie nur immer wollen, augesiedelt haben. Meilcuweit überblickt man von oben die furchtbare Wild-niß; meilenweit übersieht mau den Wald, den ewigen, schweigenden Wald — alles Wald, nichts wie Wald! Unwillkürlich versinkt man bei solchem Anblick selbst in Waldesschweigen, als sucke man das große Räthsel zn lösen: wie kanu dieses Walbmeer durchfurcht, gelichtet, angebaut werden? Des Oceans weit ausgedehnter Ranm zeigt doch noch Bewegung! Im Grashügelmeer von Rio - Grande sah ich Schare», von Rindern und Pferden, leichtbewegte Rudel vou Hirschen und Straußen! Am Nio-Pardo aber stand ich vor dem tiefsten Geheimniß, ans welchem keinerlei Form, keine Gestaltung, keine Gliederung sich loslösen, keine Beweguug sich kuud ge-beu wollte! Kein Dorf zeigte sich, kein Haus, keine Klärung, ja nicht einmal irgendwo eine aufsteigende Ranchsänle als Spur von Menschendasein, nicht einmal eine auffallende Vogelform, die über dieseu Averner Wald hingestreift wäre! Und iu dieser Einsamkeit hat ein Maun sein Hauptquartier aufgeschlagen, der ein angenehmes Leben mitten in der besten Gesellschaft führen könnte, der es aber, wahrend seine Familie sich zur Erziehnng der Kinder in Bahia anfhält, vorzieht, ein echter Oberst im Kampf gegen Wildniß von Urwald, Urwaldsmenschen, Urwaldsthicren zn sein und immermehr zn werden, der eigentliche Vorfechter und Gründer der Cultur au den llferu des Rio-Pardo! Ehe ich aber weiter auf das einsame Pionnierleben am Fluß, an welchem ich selbst einige Tage theilnehmen sollte, eingehe, will ich erst meine weitere Flnßschisfahrt erzählen. Einige Tagereisen weiter den Fluß hinanf sind vor mehreren Jahren höchst bedeutende Marmorlager entdeckt worden, Ar<'-^ al lcm a n i, Novd Vrasili,cn. l, 7 97 und mitten zwischen ihnen eine schöne Grotte, welche seitdrm den Namen des „Oratorio", Betsaals, erhalten hat. Mir war so viel von jener classischen Stelle gesagt worden, ja beim Obersten sah ich so viele prachtvolle Marmorproben umherliegen, daß ich, wie schwierig man mir auch solche Er-pedition, zumal bei ungünstigem Wasserstande, vorstellte, mir fest vornahm, den Rio-Pardo noch vier Tage weiter hinanf zu gehen, denn so viel Zeit gebranchte ich, um gegen den wilden Fluß aufwärts bis zn den Marmorlagern vorzu^ dringen. Ebenso leid, wie mir e? selbst war, that es dem guten Obersten, daß er mich nicht begleiten konnte. Er mußte gleich nach dem Weihnachtsfest nach Bahia reisen und hatte noch viele Vorbereitungen Dazu zu treffen. Dagegen schloß sich mir eii, Gastfrennd des Obersten, ein Herr Borges, der sich gerade in denselben Tagen am Flnß angekanft hatte, mit großer Freude cm, und ich konnte keinen bessern Reisegefährten zn meiner Grvedition finden als diesen aller Naldsitm> tionen vollkommen knndigen Mann. Doch war weder mein Canot noch meine Eanoeiros zur Reise aufwärts zu benutzen; letztere hätten mn keinen Preis die Weihnachtstage zn einer Waldtour hergegeben. So entbot denn der Oberst fünf rüstige Indianer von seinen Arbeitern nnd gab uns außerdem noch einen schwarzen Koch aus seinem Hause mit. ' 5 Außerdem mußten noch einige andere Vorbereitungen getroffen werden, um die Fahrt zu einem glücklichen Resultat zn bringen. Ganz besonders mußte ein langes Schleppseil ans Schlingpflanzen zusammengeflochten werden, vermittelst welches nnser Canot an wildern Stellen des Stroms aufwärts gezogen werden sollte, wo Ruder und Stangen den Dienst versagten. Namentlich großen Widerstand hatten wir zu erwarten zwei Meilen vom Paraiso aufwärts, wo orei 98 Stromschnellen, Cachoeiras, dir Schiffahrt sehr gefährlich machen - die erste genannt Cachoeirinha (kleine Stromschnelle), die zweite Prejuizo (Schaden), die dritte Funil (Trichter) geheißen, welche letztere als höchst wild und ganz besonders gefährlich bezeichnet ward. Die Indianer meinten, wenn sie den Flnß anblickten, von vornherein, wir würden gar nicht hindurchkommen, ans jeden Fall aber in mancherlei Gefahr gerathen. Dennoch brach ick am 24. December mit Herrn Borges und den sechs Lenten ans. Wir hatten ein ausgesucht Pas-scndrs Canot von 40 Fnß Länge nnd 20 Zoll Breite, recht eigentlich gemacht, nm schlimme Stromschnellen zu durch' schneiden. Wohlgemnth fuhren wir den Fluß hinauf, aus dessen Bett bald einzelne Fclsenftartien auftauchten, ohne jedoch außer stärkerer Strömung unserer Schiffahrt irgendwie hinderlich zu werden. Ein großer, drcigetheilter Fclsblock, der mitten im Fluß liegt, hat sogar schon einen besondern Namen, „Die drei Schwestern", bekommen. Hier ist ein kleiner Militärposten zu Schutz uud Trutz angelegt worden, hier wohnt auch der leyte Anbauer, sodaß nun bis zu den nächsten Anwohnern des Flusses über 00 Meilen der tiefsten Wildniß vor nns lagen. Kein Wuuder, wenn uns die wenigen Leute an jenem Militärposten mit Verwunderung zuschauten uud uns glückliche Reise wünschten. Auf alle Eventualitäten gefaßt, namentlich reichlich mit geladenen Flinten und Büchsen gegen wilde Indianer versehen, zogen wir mit unserer neueu Argo in die Wilvniß hinauf und kamen bald an die Eackoeirinha, Der Rw-Pardo war vom Regrn geschwollen und schmuzig grau. In schäumenden Wirbeln, eine Welle die andere überstürzend, schoß der Fluß brausend durch dm einengenden Paß. Unter großen Anstrengnngen brachten die Indianer das Canot in die rauschende Gasse, Wir alle arbeiteten mit voller Kraftauf- 7 " 99 100 bietung mittels Nuder und Staugen und zogeu uns auch wol au den Aesten hinübergestürzter Waldbäume aufwärts. Glücklich kamen wir hindurch, obgleich mich das böse Manöver im Stromanfruhr allerdings etwas befangen gemacht hatte. Wir kamen zur zweiten Stromschnelle, dem Prejuizo, wo die Indianer mich und den Herrn Borges mit allen unsern Sachen vorher aussetzten auf die Felsen und sich auskleideten, während wir die Porphyrmasseu überkletterten und hoch herab von festem Standpunkt dem Kamps der braunen Männer mit dem tobenden Element zuschauen konnten. Auf einzelnen Felsblöcken stehend, oft halb an ihnen hängend und manchmal fast bis zur Brust im wild dahinstürzen-den Fluß sich gegen dessen Wasser anstemmend, suchten sie, das Schleppseil bis zu einem besonders überspringenden Felsen zu leiten, wo sie es dann anzogen und das Canot in etwas ruhigeres Wasser brachteu, uuter der augenscheinlichsten Gefahr hinabzustürzen und vom rasenden Flnß fortgerissen zu werden, ans welchem an ein Entkommen wo? nur schwerlich zu denken gewesen wäre. Nach einigen Minnten Ausruhens machten sie sich dann an die letzte Stelle, den Funil oder Trichter. Mit Necht heißt diese Stelle der Trichter, denn sie bildet einen wirklichen Trichter. Der oberhalb des berüchtigten Loches nahezu 300 Fuß breite Fluß wird durch Felswände zu einem Kanal eingeengt, der an seiner schmalsten Stelle keine 40 Fuß breit sciu mag. In den wildesten Wirbeln tobt der ganze Fluß dort hindurch und gerade da am heftigsten, wo er an und unter einem herübechäugcnden Felsenhaken eine Biegung macht. Alles ist Aufruhr, schmuziger Wasserwirbcl, graner Schämn und lantes Brausen, ja dem Unkundigen scheint es Wahnsinn zn sein, ein Fahrzeug durch den Trichter schleppen zu wollen. Und wirklich war das Bemühen der Indianer, unser Canot aufwärts zu ziehen, vergeblich. Sie konnten ans den Felsenwänden keinen passenden Punkt gewinnen, von welchem ans sie dje Regeira, das Schleppseil, anziehen konnten. Indem sah ich sie vom Vorsprnng, ans welchem ich stand nnd in die wilde Scene Hinabschanen konnte, mehr oder minder in augenscheinlicher Lebensgefahr. Uni meinetwillen sollte wahrhaftig kein Unglück geschehen, Ich rief die Indianer ab von ihren gefährlichen Postinmgen und ließ das Canot in eine stille Seitenbncht zwischen einzelnen Felsblöckcn bringen, von wo ans uns noch eine Möglichkeit erschien, das (5anot, falls es nicht zu schwer war, auf trockenem Wege nm den Fmnl hernmzntransportiren, von wo aus dann der Fluß bis zum Orawrinm, jener Marmorhöhle, keine bedeutende Schwierigkeiten bieten sollte. Wirklich hatte man an jener Stelle schon Canots über die Felsen hingezogen. Nir fanden sogar noch Banmstämme und Knüttel, die zwischen den Gestcinmassen zu Unterlagen gedient hatten» und nns so die Richtung zeigten, welche wir am passendsten nehmen 'konnten. Mit Benutzung all dieses vorhandenen Materials gelang es nns zwar, nnser Canot auf das Trockene zu bringen, aber weiter konnten wir das schwere Fahrzeug auch keinen Zoll bewegen, was wir anch an Hebeln und Stützen anwenden mochten. Nach einer Stunde der heftigsten Anstrengungen mußten wir abstehen von unserm Vorhaben. Nun blieb noch eins übrig. Wir hätten unser Canot lie"-gen lassen und mit der Bonssolc uns eine Pieade durch den Wald hauen können. Ich hatte zwei Kompasse bei mir; wir hatten anch Waldmesser nnd Proviant. Seitdem ich aber in der Serra-Geral von Parana gelernt hatte, was es heißt, nne Picade zu machen durch Gegenden, von denen noch keine Karte cristirt, und durch Waldungen, deren Terrainverhält-^ nisse man nicht voraussehen kann, so dachte ick eben anch 101 nur einen Augenblick an solche Pkadenschlägerei! Vielleicht hätten wir, wenn wir auch Waffen genug dazu hatteu, cin Gefecht mit den Wildcu haben können, dessen Folgen für uns keineswegs bestimmt abzusehen waren, gar nicht zu reden vou so manchen Eventualitäten, dic der Urwald bieten konnte. Da thaten wir denn das Verständigste, was wir thun konutcn; wir lagerten nns auf den platten Felsen nnd hielten ein classisches Mittagsessen, dessen ich für immer gedenken werde. Hoch über uns hingen die Waldkronen; hoch über ihnen der blaue Himmel und leichtsegelnde Wolken. In ewigem Tosen stürzte der Waldstrom in seinem Bette dahin; in nvHer Erstarrung warfen die mächtigen Blöcke das rasende Element zurück, uud rastlos jagte es weiter. Alles war Naturlaut, Naturlebeu, Natnrwildheit, Naturfriede! Das Treiben der Menschheit, der bändigenden, bildenden, schaffenden, war noch nicht bis hierher gedrungen; noch war hier Strom, Felsen und Urwald in freier Zügellosigkeit und ledig aller Bande! » Zwischen den Felsenspalten, besonders da, wo ein kleiner Wasserstrahl getrennt vom Hanptstuß zwischeu den Blöcken hindurchläuft, fand ich eine Menge kleiner, klarer Nollsteine, unter ihnen zahlreiche „Wassertropfen", l'iü^,5 oUKi^!5, dessen Leucht-organe im Brnstschild liegen, schnell dahin am düsteru Wald, 103 als wärc er fin kleines Meteor, während im mattern Lichte Tausende von Lampyrinen dnrch den feuchten Niesengrund zogen, lebendige Irrlichter des Grases, wie sie denn ja recht eigentlich V^>Il,m<>8 (v^>>' umherirren, !«,,»<' Licht) im Portugiesischen genannt werden. Gar zn gern blieb ich die Weihnachtstage 'oben am Rio-Pardo und lebte, wenn auch nur für einige Tage, das ganze i^eben auf dem Vorposten der letzten Cultur mit. Immer und immer sah ich Anbanergeschichten Cooper's an berSusqnehannah vor mir, überall seine Kämpfe gegen den Urwald und dessen Wildnisse. Aber unendlich viel ferner vom Iusammenhang mit Menschengesittung leben doch die Anbauer am Nio-Pardo als jene damals in Nordamerika beim Nichter Marmaduke Temple — nicht dcr Meilenzahl nach, sondern den Culturzu-ständen. Vben im Erwachen ist solch Culturlebeu am Nio-Pardo, eben in seiner zarten Kindheil. Wie leicht man sich die Möglichkeit wegleugnen möchte, dasi noch Indianerüberfälle vorkommen können, so können sie doch noch vorfallen, und man ist auf alle Eventualitäten gefaßt. Immer geladen ist die Kugelbüchse, immer gespannt der Gewchrhahn, gerade wie auf der Estancia dos Indios im Hochland von Sta.-Catharina! Morgens früh, wenn wir im Canot über den Rio-Pardo fnhren, um uns in den kalten Strudeln der reizenden kleinen Cachoeira des Nibeiro-Verde zu baden, nah-men wir die geladene Flinte mit. So idyllisch ist jene Stelle, so tief friedlich? Aus dunkler Waldschlucht kommt ein Bach hervor und ranscht in kleinem, mannichfach getheiltem Wasser-stnrz über Dioritmassen dahin. So köstlich ist dort das Bad. Aber neben dem Badenden steht am trockenen Felsen dir geladene Kuqelbüchse, denn hinter jedem Baume kann der Verrath lauern, Nicht den geringsten Spaziergang durch seinen Garten macht der Oberst, ohne einen dicken Stock mit 104 eiserner Pike mitzunehmen gegen alle Vorkommnisse, denn „im Walde muß man immer voll bewaffnet sein", und am Naldesrand, am Naude der Wildniß ebenfalls. Schon einmal drangen meinem Gastfrennd die Wilden in sein jetziges Gehöft und nahmen bei schneller Flucht einige eiserne Reifen mit sich fort. Als nicht lange darauf ein zweiter Einfall in die Pflanzung gemacht ward und die Indianer oben am Wald ein Maisfeld plünderten, kam es zu ciuem Conflict, und ein Indianer blieb, von einer Kngel getroffen, im Felde liegen. Er hatte Pfeile und Bogen bei sich, dazu ein Four-rageney.nnd zwei kleine, armselige Messer, die er sich aus dem gestohlenen Eisen gemacht hatte. Letztere beide sowie das Netz bekam ich vom Obersten zum Geschenk, ernste, wehmüthige Erinnerungen an Urzustände, deren Wegränmung nicht immer ohue Blutvergießen möglich ist. Der Wcrdaruf der Cultur in den Wald hinein wird nur zu häufig mit dem schwirrenden Pfeil beantwortet. Oder man kann sich bei der anerkannten Hinterlist und Trenlosigkeit der Wilden auf gar keinen Ruf einlassen, sondern schießt das nieder, was sich im Waldesdunkel zeigt, ^ci es Mensch, sei es Unze, sei es Ta-mandua! Das einzige, was dabei tröstlich ist, ist nur das, daß da, wo einmal Blnt geflossen ist, selten eine zweite Actiou vorkommt. Die Iudianer ziehen sich leicht zurück, wenn sie entweder ein schlechtes Gewissen oder eine Schlappe bekommen habeu, und zeigen sich meistens nicht wieder, Wenn man aber solche blutige Geschichten nicht hört, solche Spuren zurückgeschlagener Varbarei nicht sieht, wie friedlich sieht es da am Rio-Pardo aus! — So manchen kleinen Spaziergang machten wir in den Weihnachtstagen , wie beschrankt anch unser Terrain war. Längs der Rinderweide gingen wir auf dem hohen Nand des Flusses und sahen zu, wie unaufgefordert Kühe und Stiere zu kühlem Vade durch den breiten Flnß, ankämpfend gegen 105 die starke Strömung, hiudnrchschwammen. Dann gab es ein Endchcn Wald und hinter demselben eine kleine Cacaopftan-zung von sauberm Ansehen. Denn die Ikeodi-nma s^oiw bildet einen schönen, mit großen, länglichen Blättern reich bedeckten Busch, an dessen Stamm nnd dickern slesten, keineswegs an den Zwcigspihen, die hübsche, zarte Blüte vom sinnigsten Van kurz aufsitzt. Den Kelch bilden vier bis fünf weisie Zähne, die Blumeukrone fünf kappenförmige Nectarien, auf welchen ein zartes Blättchen sitzt. Die Nectarien sind roth gestreift; die fünf Stnnbfäden mit nach außen stehenden Antheren biegen sich in die Nectarien hinein; da^u stehen fünf rothe Borsten oder unfruchtbare Filamentc nm das Pistill, dessen Stigma mit einigen feinen Fasern versehen ist. Hübsch ist auch die große Frucht, gelb, mit zehn Fnrchen versehen, länglich ruud, doppelt so groß wie eine große Citrone. Um eine fleischige Sänle in der Mitte der Kapsel liegen die bekannten Bohnen in fünf Säulen aufeinander, umgeben von einem geringen pnlpösen Mark, was sehr angenehm schmeckt. Sechs- bis zwölfmal im Jahre kann man reife Früchte von den schattigen Büschen pflücken, welche im vierten Jahre schon anfangen Früchte zu bringen, und dabei sehr alt werden können, ohne irgendwelche Arbeit oder Pflege besonderer Art zu verlangen, sodaß der ganze Cacaobau von Kindern beschafft werden kann. Unter den Theobromabüschcn fand ich manche hübsche kleine Blnmenform, ein sauberes Iouidium nnd jene zierliche Oralis, deren Dreiblatt auf einem zn wirklicher Blattform entwickelten Blattstiel wächst und so das Ansehen gewinnt, als entwickelten sich hier zwei Blätter von ganz verschiedener Natur auseinander, ein kleeblattartiges ans einem grasähn-lichen. Die kleine, gelbe Blüte dieses paradoren Sauerklees hat eiuen lieblichen Duft. Um so mehr erfreuen solche kleiue Blütenformen dicht am Boden, je weniger solche eigentlich im 106 Wald und selbst an dessen Rand vorkommen. Alles Grünen, alles Blühen strebt nach oben-, nach gewaltigen Höhen, nnd verliert allerdings dadurch viel von seiner Grazie nnd Lieblichkeit, Höchst eigenthümlich schilderte mir ans nnsern kleinen Spaziergängen der Oberst anch das Thierleben im Walde, was mau freilich nur als kundiger und geduldiger Jäger belanschcn kann. Unzen nnd Tigerkatzen, Tapire und Cafti-varis, Paeas und Tamandlias, Faulthiere, Rehe nnd noch vielc andere Säugethiere, der mannichfaltigen Affenscharen gar nicht zn gedenken, bilden die Iagdthiere, während das gcflügtttr Wild zahllos ist. Sogar dir Amphibienwclt liefert eßbare Ausbeute. Im feuchten Walde am Rio-Pardo kommt cine sehr wohlschmeckende Landschildkröte vor, unserer l'.nvx ^u.x.p^n recht < ahnlich. Im Garten des Obersten befanden sich in einer kleinen Umzäunung siebzehn solcher Thiere von verschiedenen Größen, die kleinsten eben nnr einige Ioll lang, die größten nicht über einen Fuß. Dennoch legen sie Eier von der Größe eines Hühnereies, aber von kugelrunder Form und harter Schale, während die nur eine lederne Schale haben. Das Innere ist nnr aus Dottermasse bestehend. Viel unliebenswürdiger als diese Emyden sind nnn freilich die Schlangen. Wir lagen am zweiten Weihnachtstagc nach rinem höchst schmackhaften Mittagsessen am Ende des großen Neideplatzes unter einem riesigen Waldbaumc nnd tranken behaglich nnsem Kaffee, als Herr Borges Plötzlich eine große Schlange unter dem Stamme des Baums hervorkommen und zwischen seinem Arm uud Körper hindurch-schlüpfen sah, ohne jedoch von ihr verletzt zu werden. Solche Nachbarschaft ist nnn zwar nicht angenehm, am allerwenigsten ganz gefahrlos; doch ist es auffallend genug, wie un- 107 gern solche Schlangen den Menschen angreifen und wie sie sich vor der Cultur zurückziehen. Das Unangenehmste aber am ganzen Rio-Pardo und unbedingt der zahlreichste Fagdarlikel ist das geflügelte Ungeziefer, Alles was mail unter dein Namen Mosquitos, Ma-ruim, Pinm,. Borachndos und Fineudos zusammenfaßt, Mücken, Schnaken und kleine Stechfliegen, sindct sick in unglaublicher Menge am Fluß, und mau hat viele Mühe, sich .seiner Haut zu wehren. Außer mannichfachen Fischen ernährt der Fluß einen hüb' schen Krebs von schlanken Proportionen und zierlichen Zeichnungen, Mit dem Kohl der l5ul,n>'p(! <>lt'l!>o«:> zn einem Gericht gemischt, liefert dieser Krebs, Pitum genannt, ein Essen, womit sich nur wenige europäische Leckerbissen messen können. Dabei ist sein Fang sehr leicht, während wir beim Anschwellen des Flusses trotz mancher Angelftartie nnr immer die kleine Karautsche Carä singen. Eine Hechtart ist häusig im Flusse. Am 28. December wollten wir alle, der Oberst, Borges und ich., den Fluß hinab nach Canavieiras zurückgehen, jene beiden, um eine Neise nach Bahia zn machen, ich selbst, um den Ieqmtlnhonha oder Belmonte, deu mächtigen Nebenbnh-ler des Nio-Pardo, aufzusnchen. Zu unserm Transport und zu einer Menge von Sachen, die mein wackerer Oberst mit sich zu nehmen hatte, ward ein besonders großes Canot ausgesucht, 45 Fuss lang, 2^ Fuß breit, was immer schon auf einen schönen Stamm hindeutet, obwol ich oben im Walde des Paraiso einen bereits gefällten Stamm liegen sah, der ein Canot von l» Fuß Durchmesser geben sollte bei einer proportionalen Länge. Unser (5anot faßte so viel, wie etwa l. Magalhaens ging, kam mir meine kleine Erpedition den Rio-Pardo hinauf nnd meine Weihnachtstage im Paraiso do Nibciro-Verde wie ein hübsches Märchen vor. Fröhlich erzählte ich es meinem medicinischcn Frennd beim Frühstück nnd war eben damit zn Ende, als er für gut fand, es noch weiter zn spielen, Inm Nachlisch bot er mir ein besonderes Backwerk aus Taftioea anf einem Teller an, in Papier gewickelt. Ich öffnete es und fand — meine Brieftasche, die ich in Ilheos hatte übcr Bord fallen lassen, ganz dieselbe Brieftasche, dieselben Papiere, Briefe, Scheine! Kein Blättchen fehlte, kein Läppchen. Dabei lag ein Brief des wackern !),-, Eriuano Dommgos de (5onto, welcher so anfing: „Gcehrtcster Herr Doetor! „Gott beschützt Ihre Schritte, wie Sie leicht aus dem Niedererscheincn Ihrer Brieftasche sehen können, welche schon außerhalb der Barre in der Strömnng trieb und vom armen, aber ehrlichen Lootsen Sebastiäo Fnrtado da Silva gesehen ward, der sie mir sogleich überbrachte u. s.w." Mittels eines Soldaten hatte 'mir der wackere Oberrichter mein Portefeuille nachgeschickt, nachdem er mich als den Besitzer desselben aus dem Inhalt erkannt hatte und sich lebhaft denken konnte, wie fatal mir der Verlust und das Entbehren derselben sein mnßte. Worüber aber sollte ich mich mehr wundern: darüber, daß eine von einem Dampfboot in das Salzwasser fallende Brieftasche vom Meere wiedergegeben wird, oder daß ein armer Lootse die 4M Milreis Papiergeld nicht behält, die ja ' doch dem Eigenthümer verloren sind, und die Briefe dem 111 Meere nicht wiedergibt, was dieselben ja doch schon UHne-hatte! Der wirklich wunderbare Vorfall brachte mich in eine eigene Stimmung. Sie ward um so ernster, als ich nicht volle 24 Stunden vorher einer schweren Gefahr entgangen war. Vis dahin hatte mir meine schon oben erwähnte Flinte noch nie einen Schuß versagt. Als ich sie am Tage vorher bei unserm Aufbruch ans dem Paraiso ans der Ecke nehmen wollte, faßte ich sie nachlässig beim Lauf und zog so das Gewehr zu mir herüber. Aber der Hahu mußte wol festgehakt sein; er schlug zu/ das Zündhütchen knallte, und der Schuß — versagte, was er bis dahin noch nie gethan hatte. Der Oberst sah mich starr an. Wenn der scharfe Schuß los-gegaugen wäre, er wäre mir dnrch den Kopf gegangen. So hatte ich innerhalb acht Tagen auf einem schwer lecken Damftfboot den Oeean befahren, eine kleine Erftlosion anf demselben ohne Nachtheil erlebt, war im schmalen ssanot unversehrt zwischen drohenden Felsen durch berüchtigte S'trom-schnellen hinabgeschossen und durch das Versagen meines sonst so ausgezeichneten Gewehrs einem ziemlich sichern Tode inmitten des frischesten Lebens entgangen! Das alles konnte mein biederer Frennd doch nicht wissen, als er mir in Ilheos schriebi „Gott beschützt Ihre Schritte!" und mir meine vom Meere wieder herausgegebene und von einem armen Manne ans Land gebrachte Brieftasche überschickte. Iadchasacka nannte ich darnm die Stätte, denn eine „starke Hand" des Herrn hatte mich vor vielem Unglück bewahrt. So endete für mich das Jahr 185)8 mi fernen Südwesten. Werfen wir aber, ehe wir in das Jahr 1>Ä9 hineinreisen, einen Blick auf den Nio>Pardo zurück. Seitdem das Eklaventhnm in Brasilien sich langsam zu 112 Tode siecht, hat sich auch die Provinzialregiernng von Vahia, wie jch schon andeutete, nach Gcgellden umgesehen, in wel-chcn ein noch unbesetzter Boden der freien Arbeit, dein freien Landban Nanin und volles Gedeihen geben möchte. Da ist denn anch das Ange rüstiger Unternehmung anf die Iwillingsflüsse Nio-Pardo und Iequitinhonha gefallen, und vorläufig hat der letztere, der Ieqnitinhonha oder Bel-inonte, den Vorzug erhalten. Doch betrachten wir für den Augenblick nur den Nio-Pardo. Anf allen Karten, die ich gesehen habe, scheint mir der Lanf des Flusses, soweit ich ihn befnhr, viel zn gerade von Osten nach Westen gelegt zu sein. Bei meiner Anffahrt hatte ich die Ponssole vor mir stehen und fand, daß. wie mannichfaltig anch die Biegungen des Flusses sind, man seinem Lanfe nicht sowol nach Westen als vielmehr nach Nordwesten und selbst noch etwas mehr nach Norden entgegenfährt. Wirklich liegt die Wohnung des Obersten Bahianna im Paraiso sieben Minuten nördlicher als Canavieiras und ist doch nur iu gerader Linie 5-^6 Leguas fern von dieser Villa oder Marktflecken, während die Krümmungen des Flusses und die anf ihnen zu machende Canotfahrt 14 —15> Le-guas ausmachen. So seltsam vcrschlnngcn sind diese Krüm-numaM, daß die Richtnng des Stroms an manchen Stellen vollkommen rückläufig ist und von Osten nach Westen, statt von Westen nach Osten geht. Zwischen einzelnen Krümmungen liegen wirklich nnr lange, mit dichtem Wald bedeckte Landzungen, welche leicht zn durchstechen wären, wie sich denn schl'u an zwei bis drei Stellen spontane Durchbrüche des Flujscs finden und znm Theil felbst benutzt werden von geschickten Canoeiros. Einen solchen natürlichen Richtweg . schlug ich selbst einmal ein. Aber mit großer Gewalt wird das Canot vom Stromdnrchbruch gepackt, und ich glanbe Aue-«all?,!, ant, N^rd-Vrasilkn, I. 8 113 wol, daß dcis, was an Wegverkürzung durch küllstliche Durchstiche gewonnen wird, durch Heftigcrc Strömung wieder verloren gehen möchte. Ein nach <5cmavieiras fahrendes Canot würde in schnellerer Zeit dorthin kommen, aber unter größerer Mühe zurückzubringen sein. Der an solchen abgestochenen Biegungen liegende Boden nnd die Gesnndheitsverhältnisse auf demselben würden allerdings wol gewinnen. Doch muß das genanen, sachverständigen Untersuchnngen überlassen bleiben. Auf jeden Hall bietet der Nio-Pardo von (icinavieiras bis znr (5achoeirinha jegliche Bedingung zn einer ausgedehnten Schiffahrt, lsin passender Flußdampfer würde bei jedem Wasserstande, der am Strom 'vorkommt, bis zur ersten Stromschnelle hinaufgehen fönnen, ohne in die geringste Verlegenheit zn kommen, Der nngrhenere Brennholzreich-tbum würde ihm dazu allen Kohlenverbrauch ersparen. Am Funil müßten nachdrückliche Sprengungen vorgenommen werden. Vorläufig müßte wenigstens ein Stein auf der rechten Seite weggesprengt werden, wodurch Mühe nnd Gefahr bei der Schiffahrt vermindert würde. Von dort sind bis zum Oratorio wieder 16 Legnas, die ohne Mühe mit Canots gemacht werden können. Sechs Legnas hinter letz-term befindet sich ein Wasserfall von 80 Fuß Höhe, Hier wird ein den Fall umgehender Landweg eingeschlagen, nm die Waaren nach dem obern Rio-Pardo gelangen zn lassen, von wo der Fluß noch 60 Legnas bis zum klciuen Oertchen E.-Antonio da Crnz oder Cachimbo mit Canots schiffbar ist, sodaß der Fluß eine benutzbare Ausdehnung von 1(X) Leguas baben mag. , Obgleich bisjetzt noch gar nichts zur Besserung des Flusses gethan ist, so wird er doch schon als Handelsstraße benutzt. Besonders wird auf ihm Salz nach der Provinz Minas llansportirt, wenn auch nur unter großen Mühen nnd Unkosten. Auch kommt eine Menge des schönsten Nutzholzes 114 vom Salto abwärts dm Fluß hinnntev, um von Canavieiras ausgeführt zu werden. Was könnte aus dem schönen Fluß werden? Nenn auch c>nf den fünf untersten Meilen kaum an regen Ackerbau zu denken ist wegen der Niedrigkeit des Bodens, so liefert doch der Wald schon Massen von gutem Holz. Dann folgen ^^^2 Leguas von Ackerland, wie man es. nirgends besser finden möchte. Und dennoch steckt fast noch alles im Urwald, wie viel Banholz man auch ans demselben herauszuschlagen sich bemüht. Wollte man da, wo der jetzige Militärposten liegt, eine Colonie. ein Kirchspiel anlegen, welches mtttels einer Dampfschiffahrt mit Canavieiras zusammenhangt, und von dort eine ganz kurze, gute Straße bis jenseit des Funll machen, so hattc man wieder westlich von dem angedeuteten Cowniepunkte einen vortrefflichen Stromdistrict von Kl-20 Leguas zugänglich gemacht, für dessen Änbaner das angedeutete Kirchspiel als Depot, als Handelspunkt, als Villa dienen würde. An 200 Qnadratlcguas könnten auf diese Weise dem Urwald nnd der Nildniß abgewonnen werden. Vorläufig würden sic reiche Schätze von prächtigen Nutzhölzern gcbcn, wie denn ja das Vrasilholz, dieses so wohl bezahlte Färbeholz, am Fluß in schöner Menge vorkommt. Welche Menge von Cacao, von Kaff«, von Taback, Mais, Manioc u s. w. ließe sich dort bauen' Welche ungeheuere Kraftentwickelung könnte dort vor sich gehen! Aber um Gottes willen nur keine^ Unternehmung, keine Speculation, keine Compagnicgcschäftc am Flnß gegründet, die erst die Auswanderungslustigen mit schönen Neden nnd Versprechungen belügt und die einmal Eingewanderton in gedrückten, gebundenen Verhältnissen im Interesse der Compagnie arbeiten nnd Vorkommendenfalls verderben läßt an Seele und Leib - nur solche Privatunternehmnng nicht. 8* 115 Vielmehr suche der Staat, dic Provinz, denen zu helfen, die ganz von selbst, ungelockt, uubetrogcn von Agenten, den Fluß aufsuchen und selbst schon aufgesucht haben. Gerade das schöne Land in der Tiefe des Flusses ist noch nicht vermessen. Es haben sich dort einige muthige Anbaner, meistens nnter der Aegide des Obersten Vahianna, vorgewagt und rühren sich in Landbau und mancherlei Gewerk. Einige Franzosen haben Sägemühlen angelegt, einige Deutsche arbeiten im Ackerbau. Am fernsten wohnt ein Deutscher aus Nüruberg, Ieh ist sein Name, der mir den Boden gar nicht genug rühmen konnte, aber auch als ganz allein wohnender Junggeselle furchtbar über die Einsamkeit klagte. Vei der Gelegenheit kam er nur mit einem originellen Anliegen, was er am rechten Ort nicht anbringen konnte, indem er nur einige Worte portugiesisch radebrcchte. Beim Befahren des Flusses hatte er öfter vor der Thür eines Anbauers eine hübsche, frische Dirne gesehen nnd sich in sie verliebt. Nnn sollte ich vein Obersten vorstellen, daß dieser für den verliebten Nürnberger beim Vater jenes Mädchens um die „Lisette" anhalten sollte. Ich glaube auch, daß das geschehen ist. Wenigstens hielt, als wir auf unserm Wege nach Canavieiras vor dem Hause des alten Anbauers vorbeikamen, der Oberst einen Angen-blick an nnd rief ihm zu, daß beim Nückkehren von Bahia der Oberst eine Angelegenheit mit ihm zn verhandeln hätte. Der Alte schien schon zu wisseu, warum es sich handelte. Hinter ihm stand die halbwilde Lisette und lachte laut anf; sie sah ans, als ob sie die Angelegenheit lieber gleich ins Reine gebracht sähe, denn heirathen wollen sie alle, und nun gar am Rio-Pardo, wo es so snrchtbar einsam ist nnd kaum je ein Mensch hinkommt. So wird ans dem Nürnberger wahrscheinlich ein glücklicher Colonist werden. Er findet fortan, wenn er ans seiner Noca, seinem Felde, nach Hause kommt, sein Essen und Trinken fertig, lernt Portugiesisch, ist 116 nicht mehr einsam, gelangt zu einer Menge Kinder, dem Vesten, was ein freier Colonist bekommen kann, und baut sich so viel Land an, als er nur immer im Stande ist. Denn wenn einmal das freie Land zum Verkauf oder zur Coloni-sirnng vermessen wird, so bleibt der, welcher sich einmal angebaut hat, in unverkürztem Besitz seines der Wildniß abgewonnenen Landes und kann noch ein hübsches Stück dazu-bekommen. Der Oberst, der eine Art von Militarcommission "m Flnsse hat, weist den Ankömmlingen Land an, so viel sie nnr immer bearbeiten können; er steht ihnen mit Rath uud That bei, daher deun auch alle zu ihm kommen. So sah lch freie Neger und Indianer, Deutsche, Franzosen nnd Por-"'giesen zum Paraiso rudern, die alle wie einzelne Vedetten des Anbaues zwischen Fluß und Urwald sitzen uud den Rio-Hardo langsam und eben wegen Mangel an aller helfenden Nachbarschaft unter den allergrößten Entsaguugeu zur Entwickelung bringen. Möchte man doch recht den hohen Werth dieser einzelnen Vorposten, dieser echten, wirklichen Lederstrümpfe anerkenuen und ihnen helfen auf alle Weise, namentlich durch Erleichterung uud Beschleunigung der Commuuieation nach Osten nnd Westen, Kaum sollte man es glauben, was schon die wenigen, zerstreuten Kräfte am Fluß vollführen! Allein die '-lenge des zum Grport zugeschnittenen Bauholzes und Mo-blüenholzes ist bewundernswürdig. Selbst Eacao kommt M)on den Fluß hinab, Farinha, Tapioea, Arrowroot und Mais. Und doch sieht man immer uur eiuzelne kleiuc Ufer-stteifen angebaut, wie weit man auch den Fluß hinauffahren mag. Auch aus den Marnwrlagern wird mit der Zeit ciu schöner Vortheil zu ziehen sein. Der weiße Marmor ist so schön, rein und fein, wie nur der beste Carraramarmor sein kann. Wundervoll ist auch der rothe, von dem ich im Paraiso 117 große Stücke sah. Die hellgelben, hellgrauen und dunfleru Schattirnngen, wie ich von ihnen einzelne Stücke besitze, müßten herrliche architektonische Effecte machen. Aber wann wird vie Ieit kommen, daß man iu Brasilien venetianische Paläste oder einen mailäudcr Dom anfbant! Gerade als ich mir im Garten des Obersten einige Marmorstücke schlug, mn sie mitzunehmen, schenkte er mir die schon oben erwähnten Messerrndimente eines oben am Wald erschossenen Indianers. Wann wird so ein Waldmensch aus dem Eisen sich einen Meißel machen, um ans den Marmorblöcken seines heimatlichen Stroms eine Mclische Venns oder jene wunderbare Grazt'engrnvpe des großen Dänen hervorspringen zu machen? Niemals! sage ich, niemals! Der Botocndc wird nie ahnen, woranf er tritt, wenn er in gespenstischer Mondnacht über jene Marmorlager vahinschleicht, wird nn- davon trän-men, daß in jenem glatten, weißen Gestein die Standbilder von Göttern und Helden schlummern nnd jegliche Vildnng von Anmnth verborgen liegt, um durch Menschenhand zum Licht nnd Leben emporgeschafft zu werden! Bis zu einem Klotz durch die Unterlippe erhebt sich sein Schönheitssinn, bis zu einem Pfeil, einem Bogen, einem Netz scine Kunstfertigkeit. Den Europäer aber, der mitten im Urwald ein Stück Marmor vom Boden aufhebt, ergreift trotz aller Begeisterung für die gewaltige Natur eine tiefe, innige Sehnsucht nach dem heimischen Noroen, dem enropäischm Norden nnd seiner Kunst, welche in ewiger Fülle, ewiger Kraft ein Lieblings-kind dem andern hinzufügt und sich selbst Tempel an Tempel aufbant. Meine nächste Anfgabe im Oertchen Canavieiras war nun, meinen Ausflug zum Iequitinhonha oder Belmoute vorzubereiten, von welchem Fluß ich eine möglichst ausgedehnte Ansicht gewinnen wollte. 118 Dic bedeutende Wasserstraße, die dieser Fluß bis tief in die Provinz Minas hinein bildet, hat besonders den Staats-rath Gonzalves Martins interessirt, und er hat der Regierung einen Plan vorgelegt, nach welchem unter ansehnlichen Snbsidien der Administration ein Tampfboot viermal im Monat von Canavieiras ans durch die Mündung des Bel-monte den breiten Fluß 20 Leguas hinaufgehen soll bis zu eiuer klriucn Stromschnelle, der Cachoeirinha, von wo ans die nächsten 7^ ^^^las bis zu einem Pnnkte, Italiano genannt, weil sich dort ein Italiener angesiedelt hat, mit Booten zurückgelegt werden sollen. Von dort sollen es I V2 Le-glias sein bis, zn einem großen Wasserfall («!'!!.«') des Flusses, bls zn welche Pnnkte vom Italiano alls der Unternehmer eine Fahrstraße zu machen verspricht. Nun folgen wieder 60 Legnas Ausdehnung oeS schiffbaren Velmonte bis zum Orte Calhäo, einem interessanten Handelspunkt iu der Provinz Minas, von wo aus es noch 15> Leguas sind bis zum Ort Minas-Novas. Doch ist am Salto die Grenze der Provinz Bahia, und mir bis zjl ihr erstreckt sich der Plan des Etaatsraths, in welchem auch von einer Colonie, einer Ansiedelung Deutscher die Rede ist. Auch bei dieser Reisevorbereitung suchte mir der wackere, m seiner Freundschaft unermüdliche Oberst Vahianna zu hel-ftu. Gerade war der Kapitän in Canavieiras, welcher einen kleinen, unter der Inspection des Obersten stehenden Wachtposten an der Cachoeirinha des Ieqnitinhonha commandirte. Diesem ward ich auf das ernsteste anempfohlen. Auch hatte ich einen Vrief des Staatsraths Gonzalves Martins an seinen beim projeetirten angestellten Bevollmächtigten in meiner aufgefischten Brieftasche ganz unverletzt wiederbekommen, lind so konnte ich denn am ^1. Deeember nach Leuten suchen, die mit mir am folgenden Tage den Iequitinhonha oder Belmonte befahren sollten. 119 In Canavieiras aber ist es nicht leicht, einen Arbeiter, einen guten Canoeiro für Geld zu bekommen, zumal nicht auf den Nenjahrstag. Troß vieler Anstrengungen und Be^ mühungen mancher recht freundlicher Leute, die ich im Oert-chen kennen gelernt hatte, wollte es niemand gelingen, mir zum ersten Iannarstag Canoeiros zu miethen, ja nicht einmal znm zweiten, denn der war ein Sonntag. Bald daranf folgte der Heiligedreikönigstag, auf dessen Faulenzerei man sich durch einiges Faulenzen vorbereiten mußte — kurz ich bekam, ,vie sehr ich auch in jeder Geldforderung den Leuten Thür und Thor offen ließ, keinen einzigen Nnderer, ja nicht einmal die bestimmte Aussicht, wann ich einige dieser Strandlazzaroni bekommen möchte. Das verbitterte mir etwas den Sylvesterabend, der mich .lebhafter denn je nach dem heimischen Norden hinführte. Und sth würde am ersten Morgen des Jahres 1«'>9 nicht eben ganz fröhlich anfgewacht sein, wenn nicht gerade um 12^2 Uhr in der Nacht der Oberstlieutenant Pederneiras, der Bevollmächtigte des Staatsrachs Gonzalves Martins am Iequi-tinhonha, beim I)>. Magalhaens an die Thür gepocht und Einlaß bekommen hätte. Gr kam direct und im vollsten Gewitterregen vom ebengenanuten Flusse, um am Ncujahrstage einige nothwendige Angelegenheiten zu ordnen in Canavieiras, und dann am folgenden Tage auf dem kürzesten Wege nach dem Iequitinhonha zurückzukehren. Keiuem so wie ihm standen alle Hülfsmittel zn einer Flußerpedition zn Gebote, keiner konnte mir so viel nützen und helfen wie er. Er hatte auch kaum meinen I>ttro> ductionsdrief von Gonzalves Martins durchgelefcn, als er mich einlud, gleich am ^. Januar mit ihm aufzubrechen nnd zur Barre und der dortigen kleinen Villa (Marktflecken) von Belmonte zu gehen. Von dort aus wollten wir dann zusammen seine Besitzungen an, Fluß besuchen nnd ich dann 120 allein den Fluß bis zn seinem Wasserfall an der Grenze von den Provinzen von Bahia und Miuas hinaufgehen, falls die Elemente nicht Ginspruch thäten, wie sie es am Funil vom Rio-Pardo so gründlich gethan hatten. So brachte ich denn in Erwartung meiner Belmoute-Ercursion den Nenjahrstag von l859 in der Villa von Ca-navieiras zu. Nuhig und reglos brach der Tag an, eingeleitet von einem gelinden, grauen Regen? An der armseligen Kirche auf dem Platze vor unserm Hanse winselte die Glocke, die mich lebhaft an das Hallcluja des Vorabends in der Mission von S.-Lourcnco in Rio-Grande criunerte. Der Geijtlichc ging zur Messe, aber keine Schar der Gläubigen slngte ihm; k^llm erblickte man die eine oder andere Person "b" den Nasen bahinschreiten. Am Nachmittag kam aber doch mit der Aufklärung des Himmels einige Bewegung zu Staude. Ein ungeheueres Staatsgeheimniß, viel wichtiger als der Ministerwechsel in Rio-de-Janeiro, von welchem einige Gerüchte über Eara-vellas zu uus gebracht waren, ging von Mund zn Munde und erplodirte zuletzt zn ganz offener, offieieller Kundmachung heraus: eiu Maskenzug sollte den Nachmittag stattfinden, der erste, der je nnter den Palmen von Eanaviriras zn Stande gekommen war. Ob so großen Festes schien denn alles, was nur kriechen konnte, ans dem dunkeln Hintergrund seiner Löcher bis zur Fcnjterluke uud bis au die offene Thür gekommen zu sein. Es waren wirklich Menschen zn sehen, nnd eine liebe Stra-ßenjngend tummelte sich unbefangen im Sande und auf dem Rasen nmher, ohne eben hinreichend mit Toilette versehen zu sein. Dann kamen dir Masken. Sie schieden sich schroff in zwei Klassen. Die erste bildete die der Eqnites. Sechs Ritter zogen anf. Einer stellte einen Botocndcn vor in 121 scharlachfarbenem Colorit mit allen Urwaldsattributen uud einer brasilianischen Standarte. (5in anderer machte einen blauen Ritter, einer ciuen gelben Hanswurst, und so die andern weiter, je nachdem ihnen Plan oder Zufall ein buntes Stück Zeug zugeführt hatte. Ihnen zur Seite ging ein kleines Heer ans der Zeit der Krenzzüge, christliche Infanterie und ungläubige, die sich um ein vor der Kirche improvisirtes Fort, ein nenes Jerusalem, herumschlugen. Das geschah alles mit großer Dignität, mit erustem, heiligem Bewußtsein. So zog dieses patrieische Corps einige Stunden umher uud trieb im Orte den größten Unsinn, aber immer mit vollem Adelsbewußtsriu. Ganz anders die Klasse der Plebejer! Hier war nichts prämeditirt, nichts vorbereitet! Hier hatte die baechische Begeisterung des Augenblicks alles gethau. Negerburschen und indianische Jungen hatten im vollen Sturm des großen Moments, welches nach ihrer lebendigen Ueberzeugung in den Annalen von Canavieiras ewig unvergeßlich bleiben mußte, alle alten Lappen, Hemden, Unterröcke und Kleider der weiblichen Einwohnerschaft herbeigeschleppt nnd sich damit drcippirt. Alte verschimmelte Stücke Wachstuch, oder was sonst noch oazu dienen konnte, eine menschliche Fratze auszuschueiden, war zn Larven verschnitten worden. Und wer gar nichts hatte finden können, beschmierte stch sein Gesicht mit allerlei Farbestoff. So zog ein ochlokratischer Schwärm, ein echtes Saturual, hin und her uud machte die clllerobftönsten Gesten, woran sich die juugen Schönheiten an Thüren und Fenstern ungemein ergötzten zu sichtlichem Verdruß der Ritter und Kreuzfahrer, welche trotz aller Ritterlichkeit und männlich würdiger Haltung viel weuiger Beifall bei den Mädchen fanden als die demokratischen Masken. Fnr mein protestantisches Herz war es eine ganz auffallende See-uerie, daß, als während des Saturnals zur Messe geläutet 122 ward, Ritter, Kreuzfahrer, Mohren und das schmierige Mas-kengesindel in die Kircbe hineinging, um dem heiligen Amte beizuwohnen. Bei Gelegenheit dieses Maskenzugs ging ich etwas im , Ort umher und machte eine höchst niederschlagende Bemerkung, die ich nicht unterdrücken kann, wie wenig Dank mir auch die Herren und Damen von Canavieiras, Adel und Bürgerschaft, dafür sagen mögen, wenn sie sie einmal erfahren sollten. Ohne Maske ist wirklich alles in Canavieiras farbig, y^ tiefsten Schwarz bis zur gelben Halbindianer-t'nte. Alles, wirklich alles ist Iavnfarbe, Icterus nnd Cassi-cus znsammengcmischt, schwarz und gelb, gelb und schwarz! Dazn ist alles häßlich wie die Nacht, so unsagbar häßlich, daß man wirklich in ein stilles Verzagen hineiugera'th. Besonders das ist so häßlich, daß auf all diesen natürlichen Masken solch ein vollendeter Ausdruck von Stupidität liegt, Wie ich sie mit Wortm gar nicht sagen kann. Lolche Augen blicken nicht, sondern sic gloyen und stieren. Solch ein Mund lacht nicht, aber er grinst und reißt sich anf wie der Schnabel des Chasmarrhyiichus oder der dämmenmgliebenden Ca-ftrimulgen und Nyetibien. Und so ist alles häßlich, ullcs unästhetisch! Ich kann nichts anderes über die Leute von Canavieiras sagen. Die Ehrfurcht vor dem Sonntag, den die Leute von Canavieiras benutzten, um vom Herumtreiben ors Neujahrstags ansznruheu, und dazu einige kräftige Regengüsse machten es selbst dem Obersten Pederneiras unmöglich, am 2. Ja--uuar aus dem Nest fortzukommen. Und so mußte ich denn ebenfalls einen Tag warten. Doch war mir das kein verlorener Tag. Vielmehr gab er mir Gelegenheit, einer feierlichen Scene beiznwohnen, in welcher sich die Umsicht der (5anavieirenser in der- Mechanik theoretisch und praktisch gleich glanzeud zeigte. 123 Schon Tags zuvor war es den Lenten durch Trommel-fchlag und Ausruf eines der Ritter angekündigt worden, daß der neue Mastbaum, der für das Jahr 1859 vor der Kirche paradiren sollte, angekommen wäre uud am nächsten Tage aufgerichtet werden würde, wozu die Leute, namentlich die jungen rüstigen Kräfte, entboten wurden. Ich war damals gerade in Paris, als man auf dem Concordienplatz den berühmten Monolithen von Lnror aufrichtete. In jenen Octobertagen (18W) war Paris nicht so gespannt auf das Kunststück des gefeierten Lebas wie Cana-vieiras auf die Aufrichtung seines Kirchenmastes. Gewiß liiO Menschen waren zusammengekommen, theils nm mitzuhelfen, theils um zuzuschauen. Einige alte Flinten wurden losgebrannt, und unter monotonem Trommelschlag, ganz demselben, unter welchem sich bei uns auf den Jahrmärkten die polnischen Bären im Kreise umberdrehen, hob sich der Kirchenmast langsam und majestätisch in die Höhe. Und ich muß es dem Lebas von Vanavieiras znr Ehre nachsagen, sein Kunststück, an dessen Vollfütmmg er sich unter ungeheuerer Ostentation heiser schrie, gelang ihm vollkommen. Vor Dunkelwerden stand der Baum kerzengerade mitten auf dem Eoncordienplah von Canavieiras, und zufrieden mit sich selbst ging die jnnge, gelb und schwarze Mannschaft auseinander, jeder einzelne in, vollsten Bewußtsein, an einem großen Werke mitgeholfen nnd sich um das Vaterland verdient gemacht zu haben. Um 4 Uhr morgens stand ich mit dem Obersten Pederneiras reisefertig an, Fluß. Langsam kamen dic (5a-noeiros zum Vorschein und bereiteten die Abfahrt vor, eine Scenerie, von der jedes Moment mich ärgerte. Man hat wirklich keinen Begriff von der Fanlheit und Langsamkeit solcher Leute. Dabei darf man ihnen nichts sagen, denn man hat es, wie ich schon sagte, mit freien brasilianischen 124 Bürgern'zu thun, die den Fremden um nichts mehr als seiner Thätigkeit halber hassen. Nach zwei Stunden Vorbereitungen stießen wir denu wirklich ab nnd glitten den Fluß hinunter bis dicht vor seiner Mündung, wo wir in einen Nebenfluß, einen Seitenarm, einbogen und zwischen Manglegebüschen südlich fnhren, kaum einige hnndert Klafter vom Meere entfernt. Außer dem Meeresbrauden hinter dem Dickicht der Nhizo-phoren und einer ungeheuern Menge singender Mücken, einer entsetzlichen Plage für den Reisenden, war hier alles still. Zn Tausenden standeu nnter den Büschen die schon angegebenen Taschenkrebse umher, alle mit dem Kopf gegen uuser Canot gerichtet, alle mit dem uuverkennbaren Ausdruck von Neugier und Ileberraschung. Viele von ihnen waren hoch in die Gebüsche hinaufgeklettert und glänzten dort mit ihren rothen und gelben Färbuugen wie Blumeu im Grün der Blätter. Wenn den am Boden hockenden Thieren die von unserm Canot leicht aufgetriebeue Wasserwelle nahe kam zum Ufer, so fuhren sie sämmtlich zurück mit dem entschiedensten Ausdrnck von Wasserscheu, Auch sah ich uie einen Krebs sich in das Wasser, sondern immer in sein Erdloch retten. So scheinen denn auch mir diese Kiemenathmer viel mehr Landbewohner als Nasscrthiere zn sein uud mit der Salzftut uur ausnahmsweise in Berührung zu kommen. Höchst seltsam ist bei diesen spnmenartigen Krebsen ihre Leidenschaftlichkeit. Kaum kommt einer dem andern zu nahe, berührt oder ineommodirt ihn nnr ein wenig, so ist gleich Jörn nnd Wuth da. Da fahren sie aufeiuauder los, raufen und verfolgen sich mit einer Heftigkeit, mit einer Schnelligkeit, mit einer Hartnäckigkeit, die wirklich bemerkenswertb ist. Die beim Duell nicht compromittirt sind, schanen mit offenbar gespannter Aufmerksamkeit zu, bis das Gefecht entschieden ist. Ich mußte lebhaft an die „Hirschgasse" am Neckar zwischen I^ii Heidelberg und Ziegelhaus«! denken lind den bnühmten „Rothen Schiffer". Nach einer Fahrt von zwei Stnnden stiegen wir aus und befanden uns nach wenigen Schritten ans dem Rhizophoren-gestrüftp heraus auf dcm Meeresstrandc. In wahrhaft ohren-tödtender Brandung rauscht hier der Ocean auf das flache, öde Sandnfer, dessen Glänzen das Ange ebenfalls angreift. Da, wo das Salzwasser nicht mehr hindringt, hat sich ein Labyrinth von prächtigen Convolvulus und weißblütigen Passistoren entwickelt, letztere mit eßbaren, äußerst angenehmen Früchten, welche zwar kleiner sind als jene der bekannten 'l^<5n Conchylien nur Einzrlreste und Trümmer zu finden sind. Desto auffallender machen sich dagegen verschiedene Eremplare des Garussa, einer ziemlich schlanken Taschen-krebsart von hellgrauer Färbnng. Sowie diese Thiere einen Fußgänger von fein erblicken, richten sie sich auf mit dcm Ausdruck der entschiedensten Entrüstung. Kommt man ihnen nahe und sucht sie zu fassen, so ftariren sie höchst geschickt mit den Scheren. Hält man ihnen gar einen Stock vor, so springen sie mit Wnth gogcn denselben an und spielen so unter den Krustenthieren ganz dieselbe Rolle wie die Mantisarten oder Lovadeos (Gottesanbcter) unter den Orthopteren, die ebenfalls mit den bewaffneten Vorderfüßen um sich hanen und sich oft durch die Gefahr, gefangen zu werden, mnthig hindurchschlagen. Fühlt aber der Garussa die Nebermacht des Feindes und kann er sich in keiner Weise retten, so wirft er sich wol auf den Rücken und stellt sich todt, so vollkommen todt, daß ihm die Scheren und Beine vom keibe abfallen zu wollen drohe». Ruhig läßt er sich 126 hm- und herwenden und in die Hand nebmen, denn er ist todt. Man läßt ihn liegen und geht weiter. Da dauert dcr Tod noch rinen Augenblick. Wie ein Blitz springt er dann auf nnd rennt zum nächsten Schlupfwinkel, wo er sich nicht zum zweiten male erwischen läßt. <3ine gute Stunde wanderten wir längs des Strandes. Dann nahm uns an einer Bucht, in die ein kleiner Bach sich ergicht, ein Mann in seinen Kahn ans, und von neuem fnhren wir durch ein stinkendes Inngleterrain in einem, so schmalen und so stachen Wasser, daß der Canoeiro, der uns führte, mit seinen Leuten oft ausstieg und sie allesammt nn-ser flaches Fahrzeug mit den Händen im l5oeytns von Schlamm und Wasser weiter zogen. Dann öffnete sich plötzlich wie in einer kleinen Pforte das dichte Gebüsch, und wir befanden nns mitten auf dem Iequitinhonha oder Rio-Bel« monte, der in dcr stattlichen Breite von etwa 600 Klaftern und schöner Strombewegung dem nahen Meere zueilte. Höchst überraschend war diese so plötzliche Aenderung der Sl-enerir. Dort im dichten, halbdunkeln Gebüsch Schlamm, ugezjefer, schwere, unbewegte Luft und kaum ein stagniren-der Wasstspftd f^r ^, schmales Canot; hier ein sonniger, "Ich fließender Strom, fast 4000 Fuß breit, vom frischen Seewind bestrichen, an seiner Mündung mit hohen Meeresbrandungen kämpfcnd nnd so sekr von ihnen bewegt, daß wir beim lieberfahren des herrlichen Gewässers mit unserm l5cmot etwas in ein Wogengedrängc kamen. Recht mitten im Flusse liefen wir auf eine Sandbank, und ich war schon völlig daranf gefaßt, ein wenn auch gefahrloses, dennoch unzeitiges Bad nehmen zu müssen, als unsere Canoeiros ausstiegcn und unser Fahrzeug wieder flott machten, cm Proceß, der mich lebhaft an meine Segelpartie auf dem Uru-gnay zwischen Rio^Grande und Momentes erinnerte. So kamen wir denn noch glücklich zum andern, dem 127 rechten Ufer hinüber, wo der Flecken Belnwnte einige hundert Klafter vom Meere entfernt am Fluß und einem kleinen Binnenhafen desselben sich hinerstreckt. Kaum so groß wie Eanavieiras ist Belmonte; kanm einige zusammenhängende Reihen von Hänsern und Hütten hat es. Aber wundervoll und noch höher und dichter als in Cana-vieiras wiegen sich die Kokospalmen über dem armseligen Oertchen, welches eben dadurch einen wahrhaft romantischen Anstrich gewinnt. In das Rauschen der edeln Palmen mischt sich das ferne Brausen des brandenden Meeres, welches man im Oertchen nur hört, aber nicht zu sehen bekommt. Eine flache, langgedehnte Düne trennt es vom offenen Ocean. Eine wunderliche Stille und Faulheit ruht auf dem Palmendorf. Am Flußufer liegt einiges Bauholz aufgestapelt; Canots werden gestickt, zwei bis drei kleine Seefahrzeuge sehr langsam nnd feierlich beladen. Das eine oder andere Canot mit einer Salzladnng macht sich zur Abfahrt bereit. Die Ladung wird auf dem oben angedeuteten Wasserwege in die Provinz Minas hineingeschafft; als Rückfracht bringt das Eanot einigen Taback und etwas Speck den Flnß hinunter. Anch Fischer erblickt man mit einer Tracht Carangueijos oder Taschenkrebse, anch Sins genannt, die sie am Uferrand gegriffen haben, denn an ein mühsameves Fischen vcm oesseru Wasserthieren denkt kein Mensch, So lumpt und faulenzt das Volk des lieben Herrgotts Wochentage dahin in einem Scheinleben, dürftig, arm, schmu-zig und trotzig, wenn man ibnen eine Arbeit für Geld zu-mnthet. Manche verhungern lieber, als daß sie die Schande des Arbeitens über sich kommen ließen. Denn eben nur das ist hier der einzige,, und deswegen streng festgehaltene Unterschied zwischen einem freien Manne nnd einem Sklaven, daß letzterer arbeitet, ersterer aber nicht. 'Doch will ich hier weiter kein Urtheil fällen. Weiter unten soll ein tüchtiger Gewährs- 128 mann für mich reden, cm ausgezeichneter Brasilianer, der seine eigenen Landslente skizzirt. Beim 1«!^ <^«' !>'l«nw, dem Oberrichter »>'. Mouteiro, fanden wir die allerfreundlichste Aufnahnle. Der Oberst Pe derneiras wollte noch denselben Tag mit mir einige Meilen den Flnß hinauffahren. Aber einerseits kam uns die Freundlichkeit jenes Oberrichters, andererseits die Indolenz der Leute im Orte bei der Stellung eines Canots, Verkauf verschiedener Nahrungsmittel n. s, w. hindernd in den Weg. Die Sonne ging schon unter, als wir zur Abreise fertig waren, sodaß es allgemein für besser befnnden ward, die Abfahrt auf den nächsten Morgen zwischen -j und 4 Uhr zu verschieben. Die lieben, fleißigen, worthaltenden Lente von Belmoute! lim halb 4 Uhr stand ich mit meinem Obersten am Ufer. Keine Menschenseele ließ sich blicken. Zwei volle Stunden promennten wir auf und ab. Dann erst kamen die würdigen Männer von Wort mit all den Sachen, die der Oberst mitnehmen wollte. Langsam ward alles in nnser großes Ca-uot geladen und wir stießen ab; es war beinahe 7 Uhr. Einen herrlichen Fluß fuhren wir hinauf, der bei der schönen Breite von etwa 4 — 6(X) Klaftern nnd kräftigem Strome von einer deutschen Meile in der Stunde die an-muthigsten Waldufer bildete. Einzelne Sandbänke ragten aus ihm heraus; eine Waldinsel folgte der andern; alk'S glänzte im Morgen thau und der vollen Frische der grünen Velanbnug. Einzelne Papagaicnvaare stogeu als schreiende Herolde des heraufziehenden Tages von einem Ufer zum andern. Um ihre Bentelnester lärmten die Iapus^ kleine Peri-quitos zankten sich ganz in der Art unserer nordischen Sftcr^ linge überall; öfter hörten wir das pfeifende Schreien der Sahuis und jungen Faulthicrc, die nach ihren Alten riefen. Hohe, gewaltige Formen zeigte der Wald, der außer so man< chen schon bei Gelegenheit des Rio-Pardo erwähnten Formen Aue: «alle,n>i»c, Nord-Nrasilisn, l. 9 129 hier viele Araticubäume (Anonacecn) und hoch aufstrebende Cajazeiros (!>>,">ul!i,» v<',m><>>!i!) hervortreten ließ, die Früchte letzterer von angenehm sauerm Geschmack, worans eine Arl Limonade bereitet wird. Znnächst am Ufer wucherten Croton-arten und weithin ihre Aeste ausstreckend weißblühende Inga. Am meisten aber macht sich die Rankenbildung geltend, ja oft schien das ganze Ufer in Schlingpflanzenfonn überzugehen. Rankende Philodendronarten bedeckten die Bäume, Convolvulus nnd Ivomöen überspannen in dichten Partien die schon oft berührten Loranthaceen, die in echtem Parasttismns auf dem Walde einen Wald bilden. Und dazu noch die Schar der meistens mit schönen, herzförmigen Blättern und unförmlichen Blüten versehenen Aristolochien! Eine traf ich (.^. ^u,-llilloiv!?), denn länglich viereckiger Blnmenrand 12 Zoll in der Länge nnd 10 Zoll in der Breite maß, hellroth mit dunkelbraunrother Sprenkelnng, anzusehen wie ein umgestülpter frischer Thiermagen, — und jene ^. ^n>l.»l!, mit Helm und Storchschnabel und runzeligem Anhang, ein wirklicher kleiner Wald" teufel, der auch wie der Teufel stinkt. Denn stinken thun sie fast alle, diese varadoren Arifkolochienformen. Wie anders dicht neben ihnen jene zahllosen Massen von Asllepien! Am Belmonte wächst im wildesten Wuchern eine der Hoya ganz nahe stehende Etapelie, deren süßer Wohlgeruch jener so bekannten Wachsblnme in nichts nachsteht. Ueberall sieht man an langen Ranken die dichten Umbetten der Pflanze bis zum Wasserspiegel herabhängen, überallhin weht der wundervolle Duft der bescheidenen Blüten! Und nun noch die schönen Smilarformen mit eigenthümlich genervten Blättern uud scharfen Stacheln, nnn noch hübsche Passistoreu iu Tausenden von Blüteu, saubere Nhnn-diroben, zierliche Papilionaeeenguirlanden und vor allen andern Nankengewächsen das Heer der Bignonien, deren wundervolle Blüten in langen Gewinden aus Laubkronen von 130 80 U)0 Fuß Höhe bis auf den Spiegel des Stroms herabhängen, und in allen nur möglichen Variationen von weiß, gelb, roth und blau prangen, ein Vlütenchaos, bei dessen Anblick der Reisende unwillkürlich ausruft: „Hätte der Urwald am Stromesufer auch nur Bignonien und Melastomen zur Blüte zu bringen, er fände doch seinesgleichen nicht in der Welt!" Den ganzen Tag ergötzte mich das liebliche Waldgehege am Ufer nud einzelnen Inseln. Uuterdcß war die Auffahrt auf dem Flusse recht mühsam. Da es ziemlich unmöglich ist, den breiten und schnellen Strom mit Rudern zu überwtnden, so mnsi man längs der Untiefen das Canot mit Stangen fortstoßen. Da kommt es denn oft vor, daß man mit dem Fahrzeug auf eine Sandbank gerath und sitzen bleibt, oder plötzlich den Grund verliert nnd zurücktreibt, und so bei großem Zeitverlust nur wenig Distanz zurücklegt. Um Mittag holte nns ein frischer Nordostwind ein, Auf einem kleinen, sehr urzuständlichen Gehöft, wie deren kungr in großen Zwischenräumen nnd kaum bemerkbar vom Fluss? auZ in den Wald hineingebaut sind, machten wir uns em Eegcl zurecht, und flogen so mit nnserm scharfen Fahr-Mg eine bedeutende Strecke den breiten Strom hinanf. Gegen Abend legte sich h^r Wind wieder, nnd das mühsame Fortschieben des Cauots begann von neuem. Der Oberst wollte durchaus noch seine Besitzung von Poassn, etwa l> Leguas den Fluß aufwärts, erreichen und ließ die Fahrt trotz des tirfen Abcnddunkels fortsetzen. Immer ungewisser, immer beschwerlicher ward die Reise. Znletzt konnte unter den hohen, dunkeln Waldungen niemand mehr die Hand vor Augen sehen. In bedeutender Ferne erblickten wir endlich ein Licht über dem Walde schimmern. Aber noch manchen Irrweg hatten wir bis dahin und es war gerade Mitternacht, als wir ans Land stiegen und im tiefsten Dunkel eine bedeutende Höhe hinaufkletterten. 9* 131 Wir pochten dm Verwalter der Fazende — denn dcr Oberst selbst wohnte gerade noch einmal so weit den Fluß hinauf auf einer zweiten Besitzung — aus dem Schlaft und nahmen von dem steinernen Hause Besitz, herzlich froh, einem keineswegs angenehmen Bivonak auf dem Flusse entgangen zu sein und noch ein schmackhaftes Nachtessen einnehmen zu können, was wir aus unsern eigenen Vorräthen und denen des Verwalters improvisirtcn. Nachdem wir noch unter unendlichem Behagen unsern dampfenden Kaffee eingeschlürft hatten, zogen wir uns in unser Schlafgemach zurück, nicht ohne vor dem Ginschlafen erst einen Ausrottungskrieg mit drei großen Phyllostomen zu führen, die im Gemach umherflatterten. Während man im Süden von Brasilien nicht die geringste Sorge vor Fledermäusen hat, uud ganz bestimmt weiß, daß Phyllostomen, wie blutgierig sie auch immer sein mögen, nur den Thieren nachts Blut absaugen, wie unbefangen und sicher ich selbst anch in jenen Gegenden, obwol nachts zahlreiche Fledermäuse über mir hin- und herflattc'rtcn, zum Schlafeu dalag im Freien oder in offenen Räumen, während meine Neitthiere morgens mit noch blntendcr Schulter herbeigeführt wurden als der Folge eines heimtückischen Phyllostomenbisses, so ist es doch in den nördlichen Gegenden von Brasilien anders. Hier werden auch Menschen von Vespertilionen angefallen im Schlafe nnd zwar so heimlich und schmerzlos, daß der Biß die Schlafenden nicht einmal ausweckt. Als mein Begleiter Pederneiras iu einem Auftrag der Regierung im Norden des Amazoncnstroms arbeitete und dazu viele Begleiter mit sich hatte, erschien häufig morgens der eine oder dcr andere mit blutiger Schläfe, blassem Gesicht und matter Haltung, weil eine Fledermaus ihm heimlich Blut ausgesogen hatte, bei welcher Gelegenheit oft eine heftige Nachblutung entstanden war. Angesichts solcher verschiedener Lebensweise bei brasilianischen Fledermäusen ist es absolut gar nicht nöthig, verschiedene Arten 132 von Thieren dabei vorauszusetzen. Alle Naubthicre, die gern warmes Blut genießen, fallen immer zuletzt den Menschen an, wenn ihnen alle warmblütige Nahrung fehlt. Die Phyllo-stomeu sind echte, fliegende Raubthiere. Im Norden von Brasilien dagegen, in der beschatteten Hyläa der Flüsse, wohin nur der Mensch bis dahin vorgedrungen ist, findet die Blutgier der fliegenden Raubthiere, Glossovhageu und Phyllosto-men, keine Sättigung als nur am. Menschen, Das ist keine gesuchte Auslegung, sondern eine Auslegung, die wir iu der gMzeu Naubthiernatur vollkommen bestätigt finden. Wir finden sie sogar beim Menschen bestätigt. Nur wo kein warmblütiges Leben großer Thiere sich vorfindet, nnr wo es kein dem Menschen sich anschließendes Schlachtvieh gibt, hat sich von jeher der Kannibalismus vorgefunden. Ucberall aber, wo man der brutaleu Menschennatur mit solchem Schlachtvieh zn Hülfe kam, verscheuchte man leicht die grausige Gewohnheit des Menschenfressens; ich habe die feste Ueberzeugug gewonnen, daß die Einführung von Schafen und Kühen, uameutlich von letztern, viel mehr znr Beseitigung der Menschenfresserei gethan hat als die Verkündigung des Evangeliums bei den Kannibalen. Das Rind konnten sie schlachten, braten und esscu; das letztere konnten sie nicht verstehen, bis langsam nach dem materiellen Guadenmittel des Himmels auch Gottes geistiger Hauch durch die Reihen der Barbaren webte! So erst ward der Mensch „eine lebendige Seele". Wahrhaft betroffen stand ich da am nächsten Morgen, als ich, vom ersten Tagesgranen geweckt, vor die Thür des Hau« ses getreten war. Poassu hat mit vollem Recht seinen Namen. Schon in Nio-Grande sprach ich von der Bedeutung der Silbe pö, die in Guarcmi aufwärts heißt, ^u ist groß, po»88u also ist eine bedeutende Höhe. Und wirklich ist Poassu die bedeuteudste Höhe der Um- 133 a/gend. Mf dieser Höhe ist eine beträchtliche Strecke deS Urwaldes schon fortgehauen und in Weideland, Pftanznngen von Kaft'ee nnd Cacao und Maniocfelder verwandelt. Unten im Grunde macht der Fluß einen weiten Bogen. Sonst erblickt das Auge, wie weit es auch immer hinspähen mag durch die viele Meilen große Fläche, nnr cinen ewigen, schweigenden Wald, ans dessen ungeheuern Nänmen nirgends auch nur die geringste Spnr von Anban hervorschimmert, wie mühsam man auch nach einem Hause, einer Hütte, einem Felde, einem aufsteigenden Ranche suchen mag. Fast glanbt man auf eines Adlers Horst zu stehen; ja, wenn man nicht um sich herum die nächste Nähe erschante, nicht vor einem Hanse stände, einen Feldbau neben sich sähe, und vor allem die gemächlich einherwandernde Schar glatter Rinder nnter Leitung des mächtigen Stiers als Symbol von Cultur an erkennte, man würde glauben, daß hier noch gar keine anbauende nnd bildende Menschenhand hingedrnngen wäre. Einzelne Nebclbildungen und Wolkeupartien streiften noch ief unter uns dahin über den Wäldern, als wir uns znr Weiterreise anschickten. Je weiter wir den Fluß hinanfsegel-tcn, desto herrlicher wurden die Waldpartien, ohne daß der Strom irgendwie an Breite abzunehmen schien. Höher und höher hinans wölbten sich die nahen und fernen Ufer. Beim Umsegeln einer Waldccke wnrde ich lebhaft frappirt. Trotz mancher Biegnngen, mancher Inseln nnd Waldvorsprünge, die sich in den Strom hineindrängen, sieht man denselben dennoch drei volle deutsche Meilen hinans! Man glanbt auf einem gewundenen Landsee dahinznsegeln, dessen letzte Ferne von einem schönen Waldhöhenzug begrenzt ist. ^5 poin!,.»; heißen jene Waldhöhen im Hintergrnnde deS schönen Bildes. Gleich hinter ihnen liegt die zweite Besitzung nnd der Wohnort nlttnes Begleiters, des Obersten Pederneiras, welche nnter d?m Namen der Genebra bekannt ist. 134 Gerade auf dieser langen Flußausdehnung schien uns die Gegenströmung des Flusses heftiger zu werden. Zahlreiche Schaummassen trieben uns entgegen, „Vi<»!-<», der Fluß steigt", brummte unser Proeiro, nnd mit verdoppelter Kraft arbeiteten unsere Leute. Solch Anschwellen des Flusses war nun allerdings sehr nachtheilig für meine weitere Befahruug desselben. Nnd wirklich hatte der Proeiro recht, wenn er zn rüstigerer Arbeit antrieb. Je weiter wir kamen, desto mehr Schämn trieb nns entgegen, desto mehr konnten die der Flnßeigenheiten kundigen Schiffer das Steigen des Wassers bemerken. Daher kamen wir denn auch viel später, als wir gedacht hatten, auf Genebra an. Es war bereits 8 Uhr nnd schon vollkommen Nacht, als wir den stachen, freien Hügel hinanfwanderten. Um so erfreulicher nnd für mich wirklich überraschend war diese Ankunft, nin so anziehender nnd fesselnder der dieser An knnft folgende Anfenthalt, Um aber das Dahingehörende zusammenhängend erzählen zu können, muß ich erst den Nest meiner Flußschiffahrt erzählen. Ich hntte nämlich, obwol mich meine Fahrt anf dem Rio-Pardo von so manchen Schwierigkeiten bei diesen Flußschiff-sahrteu überzeugt, hatte, mir vorgenommen, den Iequitinhonha bis zn seinem Salto, seinem Wasserfall hinaufzugehen, theils nm diefen prächtigen Wasserstnrz zn sehen, theils auch, und zwar am meisten, um eine Ansicht zu gewinnen von der Schwierigkeit oder Leichtigkeit jenes Planes, den der Staatsrath Martins zur Veschiffnng des Flusses gemacht hatte. Wenn ich so den Salto erreichen konnte, erschien mir es gar nicht schwer, von dort ven Fluß weiter hinaufzugehen bis Calhao. Von dort wollte ich dann nach dem neuangelegten Orte Philadelphia und den weitern Colonieanlagen am Mn-euri gehen, zn deren Besuch mich kurz vorher der vou Europa 1 :>>5 kommende und zu seinem Wohnsitz in Philadelphia abgehende Ingenieur Robert Schlobach eingeladen hatte. Schon von Poassü* aus hatte mir der Oberst Pederneiras durch Aufstel-lnng tüchtiger Canoeiros dazn hülfreiche Hand geboten. Auch sollte mir der Kapitän und Commandant des Wachtpostens an der Cachoeirinha allen weitern Beistand dazu leisten, so-daß ich schon am folgenden Tage weiter gehen konnte. Der Anblick des Flnsscs aber am folgenden Morgen überzeugte den Oberstell, daß beim hohen Stande des Wassers und der dadurch gesteigerten Strömling meine Weiterreise für den Augenblick und in das Ungewisse hinaus unmöglich wäre, oder doch lebensgefährlich werden könnte. Dringend rieth er mir davon ab. Nichtsdestoweniger wollte ich doch den Versuch machen und ging wirklich fort mit dem Versprechen, mich in keine augenscheinliche Lebensgefahr zu begeben. Allerdings strömte *der Iequitinhonha bedeutend stärker. Mit Mühe stießen meine Canoeiros das ziemlich kleine und zweckmäßige Canot ganz dicht am Ufer hin, da im Flnsse selbst keine Untiefen mehr festen Boden darboten, auf denen mein Fahrzeug mit Stangen hätte vorwärts geschoben werden können. Wo Gebüsche und Bäume in den Strom hineinhingen, da ward an ihnen mein Canot vorwärts gezogen, eine Schiffahrt, die wirklich krafterschöpfend war. Bald aber sprangen einige Felspartien vom Ufer in den Flnsi hinein. Um diese herum war denn eine so arge Strömung, daß kaum an ein Fortkommen zu denken war. An einer solchen wilden Ecke stieg ich ans, um zu sehen, ob nicht am Ufer selbst ein Fortkomme» zn finden wäre. Wirklich war hier eine Art von Fußsteig, welchen ich nur mit einem Regenschirm in der Hand einschlug, und balo meine Canoeiros ans den Augen verlor. Einer zahmen Indianerin, die ich hier traf, gab ich den Anf-trag, sie möchte meinen Canoeiros sagen, daß sie nur immer vorwärts dringen sollten, bis sie mich am Ufer träfen. 1.36 Schon nach einer halben Stunde Gehens am Ufer konnte ich nicht weiter nnd wartete auf mein Canot, Erst nach einer Stunde sah ich meine Lente um die Ecke biegen, "wo sie mehreremal einen vergeblichen Versuch machten, nm einen großen Ingabanm hernmzukommen, der vom Ufer ans in den Fluß hineinhing. Zuletzt gelangten sie zwar bis zn mir; aber sie meinten, auf dirse Weise könnten wir nicht weiter reisen. Und ich selbst theilte, wenn ich ocu rennenden Strom nnd die schweißtriefenden Leute sah, ganz vollkommen ihre Ansicht. Es hat schon einmal eine gnte Picade von Belmonte bis znr Cachoeirinha eristirt, das wnßte ich ganz bestimmt. Ich schlug demnach meinen Leuten vor, mit mir eine Fußtour von drei deutschen Meilen durch den Wald zu machen, wozu sie sich auch ganz willig zeigten. Doch bednrfteu wir dazu der genauesten Rathschläge von sachkundigen Personen. Noch cine kleine Strecke den Fluß weiter hinauf sollte eine kleine Ansiedelung sein, deren Bewohner uns alle Auskunft geben konnten. Mit Mühe erreichten wir das kleine Gehöft und ich traf stenndliche Leute, die die Sache genau kaunten. Sie gaben '"lr sehr schlechten Trost. Sie meinten, es wäre nicht wohl möglich, beim augenblicklichen Wasserstande mit einem Eanot weiter zu kommen. Ein Landweg hätte allerdings eristirt, Wäre aber vollkommen wieder verwachsen. Längs des Ftnsses konnte man vorwärts kommen, müßte aber viel dnrch Moräste waten und zweimal dnrch einen Seitenftuß des Iequitin-honha hindnrchschwimmen. Anf keinen Fall würde ich so schnell, wie ich wollte, bis zum Salto kommen, ja wahrscheinlich gar nicht, wenn ich auch bis zum Wachtposten an der Cachoeirinha gelangte. Die gnten Leute schienen recht zu haben. Wirklich lagen nnten am Fluß zwei große Canots, aus denen die Leute ihre Salzsäcke, die sie nach dem Salto bringen sollten, eben aus- 137 luden und unter ein kleines Dach brachten, um einen bessern Wasserstand zur Reise abzuwarten, Auch diese Leute mciuten, für deu Augenblick könnte man den Iequitiuhonha nicht auf wärts reisen. Da stieg ich denn wieder in mein Cauot uud schnell sio-gcn wir auf den Wirbeln des grauen Flusses wieder abwärts. So stark war doch die Strömuug an einigen Felsvorsprün-gen, daß ans einer Strecke von wenigen Palmen oder Spannen das Gefalle gewiß einen Fuß betrug, sodaß das Cauot, wenn es nicht gut geleitet ward, unfehlbar zerschlagen oder doch umgeworfen worden ware. So kam ich denn unverrichteter Sache nach Genebra zurück und wäre recht verdrießlich über das Mislingen auf dieser zweiteu kleinen Flußerftedition gewesen, wenn mir nicht auf Genebra der vollste Ersatz dafür geworden wäre, eiu Ersatz, deu ich den frenndlichen Bewohnern und dem ganzen Waldasyl verdanke, uud immer in ver allerfreundlichsteu Erinnerung aufbewahren werde. Der Ingenieuroberst Innoeencio Vclloso Pederueiras, damals 40 Jahre alt, war entschieden eine gediegene Persönlichkeit. Sorgsamen Studieu iu Vrasilieu uud während eiues mehrjährigen Ausenthalts in Frankreich nnd selbst in Deutschland verdankte er die schöufteu Kenntnisse in seinem Fache, welchen sich die volle Bildung eiues Maunes von Erziehung anreihte. Von icher scheint er zn bcdentcnden Commissionen verwandt worden zu sein in verschiedenen Gegenden des Kaiserthums, und hat sich dadurch einen bekannten nnd ansgezeichneten Namen erworben, sodaß er selbst zum Deputirteu für die all-gemeiue Gesehgebende Kammer erwählt ward. Leider schciuen sich daraus einige politische Misverhältnisse entwickelt zu haben, sodaß Pederneiras von Cansancao dc Sinimbn, als er im Jahre l85tt Präsident von Bahia war, aus seiner amtlichen Stellung an den beiden Flüssen Belmonte und Ni> 138 Pardo entlassen ward; statt seiner ward der Oberst Vahianna zum Inspector der beiden Flüsse ernannt, ein Ereigniß, welches für alle drei genannten Männer keine angenehmen Folgen gehabt hat. Im Anfang des laufenden Decenniums war Peder-neiras von der Provinzialregierung damit beauftragt worden, eine Untersuchung der Flüsse Mucuri und Ieqnitinhonha anzustellen nnd zugleich die südlichen Districte der Provinz Ba-. hia zn ltntersuchen, um ein Gutachten abzugeben, in welcher Weise jene Flüsse und die ihnen anliegenden Gegenden oder Comareas von Caravellas und Porto Seguro, dieselben, mit deren Besuch ich mich beschäftigte, zu einer größern materiellen Entwickelung gebracht werden könnten. Ans der Untersuchung jener Flüsse und Gegenden entstand eiu ganz ausgezeichnetes Relatonnm des Obersten, welches in Bahia l85,1 gedruckt ward, und auch mir, da ich der Güte des Verfassers ein Eremplar davon verdankte, eiue interessante nnd unterrichtende Lecture gewährt hat. Genebra ist keineswegs eine ganz neue Ansiedelung; viel-luehr soll sic schon an dreißig Jahre in ihren ersten Anfängen dort enstiren. Seit etwa drei Jahren ist sie das Vesihthnm des Obersten und erst seitdem eine Anlage von Bedeutuug geworden, die für den Belnwute dieselbe Beziehung bat wie das Paraiso vom Obersten Bahianua für den Rio-Pardo. So weit ich vom Hafenort Velmonte den Ieauitinhonha hinaufgefahren bin, habe ich an seinem Rande nichts von Anbau gesehen, was der Rede werth wäre. Hier und dort ist eine Strecke Waldes gelichtet, hier nud dort ein schmaler Streif auf dem Ufer mit Mais bepflanzt, oder eine Viehweide eingerichtet, hier und dort erhebt sich zwischen Vananengebüsch eiu kleines, aschgraues Lchmhäuschen, in welchem eine Gruppe Indianer oder Neger, oder auch eine aus den Elementen beider zusammengesetzte Familie das allerem fach ste Leben fort- 139 vegetirt, und von geringem Ackerbau, vou geringem Fischfang, von geringer Jagd lebt. Aber für das Raumverhältniß des so mächtig breiten Flusses ist diese Anwohnerschaft und ihre Ackcrbauversuche noch geringer als die am Pio-Pardo, und ich glanbe dem Iequitinhonha und seinen Leuten kein Unrecht zu thun, wenn ich behanpte, daß in der ganzen weiten Ausdehnung des Flusses, so weit ich ihu von Velmonte aufwärts befuhr, nur zwei Pnnkte von Bedeutung sich vorfinden, die Höhe von Poassn nnd die Oenebra. Als solche geben sie sich auch auf deu ersten Blick zu erkennen, sie machen inmitten der tiefen Flußeinsamkeit einen wundervollen Effect. Nenn man, wie ich das am 1.0, Iannar that, anf dem granangeschwollenen Strom in leichtem Canot hinuntergleitet und den ganzen Morgen nichts wie Wald, ewigen grünen Wald gesehen hat, so wird man sattsam überrascht, wenn man beim Umfahren der letzten Waldecke von Poassn plölMä) den hohen, steilen und weit ausgedehnten Hügel erblickt, von welchem der Wald schon weit zurückgedrängt ist, nnd jegliche entschiedene Spur von Anbau, von Ackerban und Viehzncht aus der Ferne erkannt wird. Und doch wird man noch mehr überrascht, wenn man den Fluß hinaufgeht nüd die Genebra erreicht. Weniger steil ist hier der Anbcrg, aber viel weiter die Klärung längs des Waldes und in denselben hinein, viel reiner die Weide, viel sauberer die Banlichkelten, Gleich un-tei^ am Ufer liegt eine Ziegelei mit einigen Nebengebäuden. Oben auf dem Abhang erblickt man zwei freundliche, weiße Landwohnungen, einfach nnd schmucklos, abel höchst ordentlich und nett gehalten, Weiterhin sind noch einige Stallungen n. s. w., sodaß das Ganze ein hübsches, wohlgeordnetes Gehöft bildet. Längs der Grasabhänge nnd Wiesen zerstreut weiden 140 Rinder, 4-500 Schafe und eine Anzahl Pferde, ein 140 wirklich glänzender Viehstand,. wenn man die ungeheuern Schwierigkeiten bedenkt, die es macht, ein Urwaldsdickicht in eine reine, vom Vieh beweidete Grasftur umzuwandeln. Dem Gehöft näher rennen Schweine nmher; Hühner, Enten, Puter und Tauben bilden zahlreiches Federvieh. Alles drängt sich zusammen zu einer vollständigen nnd wohlgeordneten Landwirthschaft, und der Ankommende weiß wirklich nicht, ob er sich darüber wundern soll, daß in so tiefer Waldeinsamkeit soviel Anbau sich vorfindet, oder darüber, daß bei soviel Anbau noch so tiefe Waldeinsamkeit ringsher herrschen darf. Aber noch mehr muß er sich über die Rüstigkeit und Beharrlichkeit der Bewohner wundern. Der Oberst fand, wenn er auch das Leben in einer guten Gesellschaft schmerzlich vermißte, in dem vielen Ringen, Schaffen und Vorwärtsdringen gegen die Wildniß ein weites Feld seiner Thätigkeit. Wie anders seine junge Frau! Ich war erstaunt, auf der Gcnebra als Haushcrrin eine Dame zu treffen, die in Rio-de-Janeiro geboren und erzogen war für die beste Gesellschaft der Hauptstadt, und nun'in der tiefsten Einsamkeit ihren Pflichten mit der größten Gewissenhaftigkeit lebte. Man mnß solche Ein. Nmkeit am Icquitinhonha kennen, nm die Größe des Opfers einzusehen, welches solche junge Frau bringt! Wie lange ist rs denn her, daß an derselben Stelle, wo sie jetzt lebte uud uns abends an ihrem Klavier mit hübscher Stimme französische Romanzen vorsang, Menschen geschlachtet und gefressen wurden? Begingen nicht noch bis vor drei Jahren die Wilden die allrrblutigsten Greuel, sodaß der Oberst, nm die entsetzlichen Waldnachbarn im Schach zu halten, mit ^) Bewaffneten einen förmlichen Feldzug gegen sie machen mußte, in welchem 17 Indianer fielen? Seitdem sind sie verschwunden, wie es scheint. Aber man braucht von dem Hngel der Genebra nur einen Blick auf deu Hochwald dcS 141 breiten Stroms zu werfen, um die volle, tiefe Waldeseinsam-kril jenes Ortes immer von neuem wieder zu empfinden. Nud doch haben eben diese Schauer der Wildniß eine wundervolle Sprache, mehr als Wort und Harmonie sie haben. Nie werde ich jene Abende auf der Genebra vergessen, wenn wir vor dem Hanse ans der Höhe im Freien saften nnd die sinkende Mondessichel ihre ungewissen Lichter ans den stillen Strom unten und drüben ans den Hochwald warf. Schweigend saßen wir da nnd lauschten hinüber zu den dnn-felli Geheimnissen des Urwaldes. Eine Thierstimme erschallte nach der andern; wuudersame Naturklänge wurden wach und entschlummerten wieder, langsam verhallend im gespenstigen Dickicht. Gin kühler Nachtwiud streifte über die Kronen der dunkeln Bäume dahin und machte den ganzen Forst zusammenschauern. Nnd wenn der Mond gesunken war, wie seltsam schimmerten da noch einzelne Umrisse dnrch das Halb-dunkel! Wie jagten sich dann die leuchtenden Galeren am Walde und über den Fluß dahin! Das alles ist wol schön, ist wol begeisternd! Ob es aber ein ganzes Leben füllt und Ersatz gibt für alle Genüsse, die uns die Kunst nnd eine sittliche Geselligkeit bietet, ob alle diese tiefen, ernsten Narurklänge immer im Stande sind, alle jene Wohllaute vergessen zu inachen, die nns die Musik bis in die innerste Seele trägt, darüber mag Donna Maria Izabel, die jugendliche Herrin von Genebra, entscheiden! Und wie nun gar, wenn Krankheit die von aller ärztlichen Hülfe so fernab wohnenden Menschen überfällt! Von allen Entbehrnngen erschien der jungen Hausfrau diese Entbehrung die härteste! Die Aermste ahnte damals gewiß nicht, daß sie, wie man mir erzählt hat, schon wenige Wochen nach meinem Besuch, vielfach vom Wechsclfieber verfolgt, sich mit zerrütteter Gesundheit vom Fluß zurückziehen mußte. Unterdeß schwoll der Strom mächtig an. In seinen grauen 142 Wassern verschwanden die letzten Sandbänke, und nur einiges Gebüsch ragte noch aus den Strudeln hervor. In einzelne kleine Niederungen trat das Wasser hinein und drohte immer höher steigen zn wollen- Doch machte das niemand Furcht. In der ganzen Nähe deS Flusses war ja nichts, was zerstört hätte werden können. Höchstens wurde beim Obersten den Rindern und Schafen der Weideplatz am nächsten Ufer etwas eingeschränkt. Da hörte denn die Canotfahrt ans dem Flusse ganz auf. Am ersten Tage meiues Aufenthalts kamen noch einzelne Cauots den Fluß herauf und segelten sogar mit improvifirten Segeln, wie die Canoeiros sich solche aus ihren Schlafdecken machen, gar hübsch am Wald dahin. Nun aber ward die Strömung zu allgemein, zu stark. Keiu Fahrzeug erschien mehr, und noch einsamer als zuvor erschien nun der Iequi-tiuhonha zwischen seinen hohen Waldufern; alles Leben schien v<5u ihm entflohen zu sein, Iur Ieit geringerer Wasser bietet er aber einen hübschen Anblick. Dann ist scin breites Bett halb leer, und durch eine Menge von Sandbänken und (5'rhebungen führt nur ein Wasscr-kanal. Gar bald fangen diese bloßgelegteu Bänke an zu gr,P uen und kleines Gcbüsch zn treiben; Blumen aller Arten blü-l)m auf ihnen, und zahlreiche Vögelarten finden sich ein. Auf solchen isolirten Punkten schlägt denn auch gern oer Eanoeiro scin Nachtquartier auf, und man sieht kleine Kochfeucr dicht über dem Wasserspiegel und uuter dnnkelm Waldgcbüsch. Die Schiffer lieben deswegen diese flachen Inselpunkte, weil sie dort am meisten vor nächtlichen Ueberfalleu wilder Indianer die, den Cauoeiros ihr kümmerliches Leben noch kümmerlicher machen, gesichert sind. Doch wird solch kleines Bivouak oft mitten in der Nacht noch von anderer Seite gestört. Ein fernes Gewitter mit mächtigem Tropcnregen macht den Fluß manchmal in fernen 143 Gegenden hoch anschwellen. Unversehens steigt das Wasser schnell einige Fnß und überflutet die grünende Sandbank. Der Canoeiro mnß sein kleines Bivouak räumen und sich in sein Fahrzeug flüchten; sein Feuer erlischt im Wasser. Mit ihm zugleich fliehen die Vögel davon. Die Blumen ertrinken, und das Gebüsch verschwindet im grauen Wasser. Der Strom erscheint wieder in seiner vsllen Mächtigkeit und wälzt sich in seiner ganzen Breite durch den Hochwald dahin. Der mächtige Bogen, den der Icquitiuhouha vor der Ge-nebra schlägt, mag Ursache zum Namen der Niederlassung gegeben haben. Viele zwar wollen diesen Namen vom trivialen Getränk Geuevre herleiten, welches dort niemals gemacht noch eonsnmirt worden ist. Viel wahrscheinlicher stammt der Name von der Stadt Genf - li(>>u'!>>'!l — her. Vielleicht bat ein tränmender Schweizer am Ieqnitinhonha eine Aehn-lichkeit mit dem Genfersee herausgefunden, nnd den Namen der nordischen Heimat einer Gegend am fernen Südstrom aufgedrückt, wie ja so viele europäische Namen als Erinnerungen und Heimatsklänge von Auswanderern nach Amerika hinübergetragen worden sind. ' Auch der Wald um die Klärung von Gencbra bot mir vieles Interesse. Ginige Steige, ans denen man das Nutzholz aus dem Dickicht herausschafft, gaben mannichfach Gelegenheit, etwas in den Forst einzudringen. Wer znm ersten mal hier den Urwald betritt, darf sich nicht wundern, daß er so wenig dicke Stämme trifft. Seit ''Jahren schon hat man Nutzholz dort aus dem Walde heraus-gehaueu und schon dadurch die Reihen der dicken Stämme ziemlich gelichtet. Mehr aber noch sah ich auch hier wieder meine schon so oft gemachte Crfahruug bestätigt, daß der Wald nicht sowol dicke Stämme wie vielmehr lange, schlanke Stämme ohne bedeutende Astbildung in der Baumkrone hervorbringt. In die Breite nach Art der meisten nordischen 144 Waldbäume kann sich nichts ausdehnen aus Mangel an Platz. Alles strebt nach Luft nnd Licht, alles ringt heraus aus dem Dickicht zum Himmel und zur Sonne. Daher wird alles schlank. Schlank sind keineswegs allein die Palmen, sondern auch die Laubbäume, und es ist gar nicht schwer, Myrten, Lecythideen, Lorbern und Biglwmen zu finden von solcher drehrunden Schlankheit, daß man unwillkürlich an ihnen in oie Höhe blickt, um sich zu überzeugen, daß man es wirklich nicht mit Palmen, sondern mit Lanbbäumeu zu thun habe. Hoch oben in solchen mächtig herausragenden Gipfeln sonnten sich dann morgens die Papagaien. Vergebens machten wir einige Iagdversuche gegen sie. Immer die höchsten Punkte wählen diese Schreier des Urwaldes nnd sitzen gern auf dickem Ast, der sie gegen den Schuß deckt, sodaß selbst geübte Jäger manchen vergeblichen Iagbversnch auf die bunten Klettervögel machen, Und nicht viel besser, ja noch armseliger sieht es mit dem Wild zur ebenen Erde aus. Am Tage trifft man ganz bestimmt nichts an. Kaum eine Tapirspur entdeckten wir an feinem kleinen klaren Bach, der duxch den Wald hinfloß. Von sonstigen Thieren, von'denen der Europäer so viel träumt, von Unzen, mähnenlosen Löwen, Capivaris u. s. w. erblickt wan gar nichts. Vor jcdem Culturversuch, vor jedem Iagd-versuch weicht alles scheu zurück uud begibt sich in abgelegenere Schlupfwinkel. Während wir auf der Genebra die Affen jenseit des Flusses vielfach nnd in ziemlicher Nähe brAlen« hörten, konnten wir keine Spur von diesen schlauen Thieren auf unserer Seite hören und sehen. Und wer als Reisender hofft, im Walde von Wild leben zu können, der wird ganz gewiß sehr schlecht wegkommen, er müßte denn ein Bugrc sein oder viele Jahre unter ihnen gelebt haben und alle kleinen Iagdkniffe dieser Wilden genau kennen. 145 Dafür cutschädigt aber die Vegetation um Genebra das Auge in der allerreichlichsten Weise. Ueberall grünt und blüht es, wo nur ein Sonnenstrahl hinbringt. Und wo die Höhe des Baumes den Blumenflor nnr uudeutlich zeigt, da findet mau immer anf dem Boden cine Menge Blüten ausgestreut, besonders Bignouien und Cassiaeecn, letztere^ so eigenthümlich in den drei Entwickeluugsformeu der zehn Staubfäden, wie hundertfach die Arten dieses hübscheu Legummoscu-tribus auch sein mögen. Au den besten Scgeu solcher Waldungen, gutes Triuk-wasser, wird am wenigsten gedacht. Ein wundervoller Bach kommt aus dem Walde der Genebra hervor. Gleich nach feinem Austritt aus dem Dickicht stürzt er über Graultblöcke in drei kleinen Abstufungen dahin und bietet außer dem köstlichsten Trinkwasser eiueu Vadeplatz, wie man kaum einen andern finden möchte. Durch Einfassung und Ableitung eines Theils sollte dieser Bach nächstens eine am Fuß des Hügels zu errichtende Schneidemühle treiben, ein Unternehmen, was ganz gewiß ein gutes Resultat liefern wird. Ein fleißiger Franzose, Felir Larcher, befaud sich bereits au Ort und Stelle, um die Mühlo einzurichten. Gewinnung und Schneidnug von Nutzholz ist am Nw-Pardo, wie ich schon anführte, und am Belmoutc noch immer, solange nicht Tausende von Händen sich zum Ackerbau regen, eine Hauptquelie des Gewinns. Und wirklich, wenn man solche Waldungen, wie sie der Genebra gegenüber oder meilenweit unter der Höhe von Poassu hin liegen, anschaut, da kann man sich kaum denken, daß es je damit ein Ende nehmen kann. Deswegen hallt man nnr fort, ohne sich irgend um einen Nachwuchs zu kümmeru, uud hält es kaum für möglich, daß ciu Durchreisenoer im Ernst spricht, wenn er von Nachpftanznug gewählter Holzarten redet. In allem Ernste aber rede ich davon, daß man in Brasilien dei jedem 146 Colonisalionsnuternehmen ciuch. cine Forstordmmg einführen sollte. Ist doch in Städten wie Rio-de-Janeiro nnd selbst Bahia das Brennholz schon theuer genug nnd für manche Haushaltungen eine höchst lästige Ausgabe, vom Bauholz nnd Modilienholz gar nicht einmal zu reden. Vielleicht ist manchem meiner Leser die Notiz ganz neu, daß große Massen schwedischen Fichtenholzes in allen Formen nach Brasilien, dem Lande unversiegbarer Waldungen, hingeführt werden. Anch eine Ziegelei oder Topfbrcnnerei auf der Genebra war mir interessant, wenn sie anch in keinem großen Maßstabe betrieben wird. Die Wasserkrüge von Bahia sind berühmt; sie kommen besonders aus den Süddistrieten der Provinz. Die größern fassen ') — l> Eimer Wasser nnd sind dennoch leichter als Holzgefäße von demselben Umfang, und erhalten das Wasser kühler als jene. Die größern Töpfe oder Kruge werden aus zwei Hälften gedreht, die man nachher aufeinander setzt und verstreicht, sodaß sie dauerhaft zusammenhangen. Ihre Form ist ganz antik römisch, ganz die d"' alten Amphora. ^vch will ich meine Leser nicht länger in der Einsamkeit dcr Genebra zurückhalten. Zunächst wollte ich auch nur zei-M, wie viel mit wenigen Kräften bei zäher, unermüdlicher Ausdauer aus einem Hochwalds einer einsamen Wildniß gewonnen werden kann. An demselben Flnsse, der vor acht Jahren noch nicht offkiell nntersucht war, an welchem man sich noch bis in die neuesten Zeiten hinein mit den Wilden schlagen mnßte und kaum je mit Sicherheit die Kugelbüchse ans der Hand legen konnte, ay demselben Flusse trafen wir mannichfachen, dnrch die Energie, Kenntniß und Gesittung eines einzigen Mannes hervorgerufenen Betrieb aller Art, beginnenden Ackerban, reichliche Viehzucht, verschiedene Industrie, nnd zn dem allen eine so wohlthuende, gute Erziehung des Besitzers und seiner liebenswürdigen Lebens- 10* 147 grfährtin, daß wir nicht umhin konnten, solchem schaffenden Geiste, solcher mächtig anregenden Kraft, solcher unbedingten Hingebung alle nnr mögliche Hochachtung nnd Bewunderung zu zollen. Der Iequitinhonha hat unbedingt eine bedeutende Zukunft vor sich, sowol f. Januar anf dem Rio-Pardo sein, weswegen ich ernsthaft an meine Rückkehr von der Gencbra nach Canavieiras denken mußte. Bei der Schnelligkeit der Strömung, die den geschwollenen Iequitinhonha bewegte, meinte mein Gastfreund auf der Genebra, ich könnte, wenn ich morgens früh aufbräche, am Abend desselben Tags ohne große Mühe in Canavieiras eintreffen, ohne den ganzen Stwm bis zum Belmonte hinabgehen zu müssen. 148 Dic beiden Zwillingsflüsse Iequitinhonha und Nio-Pardc» sind nämlich dnrch eine eigenthümliche Wasserstraße miteinander verbunden. Gleich unter der Höhe von Poassu bricht ein Theil des Iequitinhonha in den stachen Wald hinein und bildet einen vielfach gewundenen, aber tiefen und reißenden Kanal, den Kanal von Poassu. Nach einem Verlauf von etwa 3 geographischen Meilen fällt dieser Kanal in den schon oben genannten Rio-da-Salsa, welcher zwischen dem Iequitinhonha nnd Rio-Pardo entspringt und verläuft, bis rr sich eine kleine Meile oberhalb Canavieiras in den Rio-Pardo ergießt. Diese eigenthümliche Wasserverbinduug ist sehr bemerkcnswcrth. Da die Einfahrt vom Meere in den NioPardo unendlich viel besser ist als die in den Iequitinhonha, und ebendeswegen Eanavieiras immer der eigentliche Stapelplatz für beide Flüsse sein wird, so ist der Kanal von Poassu mercantilisch als der Hauptarm des Icquitinhonha anzusehen, wie er denn in der That als solcher von zahlreiche» Canots benutzt wird, welche ihre Salzladungen von Canavieiras nach der Provinz Minas hinaufbringen, trotz mannichfa^M Hindernisse, die die heftige Strömung, die bedeutenden Krümmungen nnd die Menge der über das Wasser hingestürzten Baumstämme solcher kleineu Schiffahrt entgegensehen mögen. Schon u,u Z Uhr morgens des .10. Iannar standen wir cmf, „m insil,e Tagereise von 18 Leguas (etwa 13 deutsche Meilen) zuzurüsten. Meine beiden schwarzen Ca-noeiros waren schon am Platze, auch der Franzose Felir Larcher, der die Eanolgelegcnheit nach Canavieiras benutzen wollte zu verschiedenen Einkäufen. Aber sonstige Zurüstnngeu zur Reise und das Einpacken verschiedener Gegenstände, die wir in Poassn abgeben sollten, nahmen einige Stunden Zeit fort, und es war fast 6 Uhr, als meine Fregatte abstieß, 149 nachdem ich herzlichen Abschied von den wackern Bewohnern der Gcnebra genommen hatte. Mit angenehmer Schnelligkeit eilte das 4t) Fnß lange und 2'/2 Fuß breite Canot den Flnß hinunter; unbekümmert um die Leitnng der Fahrt konnte ich in voller Mnße und Gemächlichkeit noch einmal die schönen Waldeinsamkeiten durchmustern, die der Iequitinhonha darbot. Schon um 11 Uhr erreichten wir die kühnc Höhe von Poassu. Hier aber war einiger Aufenthalt nöthig znm Auspacken der von uns mitgebrachten Geräthe, Ziegel, Amphoren u, s. w,; auch mußte gefrühstückt werden, welche Gelegenheit die Neger zu gleicher Zeit benutzten, um zu schwayen und ihr.e Familienangelegenheiten zn besprechen und anznordnen. Diese Neger gehörten nämlich zu eiuer Gruppe von Afrikanern, welche in aufgebrachten Sklavenschiffen vorgefunden waren und nun eine Zeit lang zur Tccknng der dnrch das Kreuzen gegen Sklavenschiffe entstehenden Kosten in öffentlichen Unternehmungen arbeiteten, bis sie nach einer gewissen Anzahl von Jahren ihre volle Freiheit nnd Unabhängigkeit von jeder Leitung genießen. Doch soll nach der öffentlichen Meinung viel Skandal und Misbrauch mit diesen sogenannten ^l>il!mw8 !ivi'<5 getrieben werden und die meisten niemals in den Instand ihrer gesetzmäßigeil Freiheit gerathen. Die Negierung hatte eine Anzahl dieser /Vl'i'icluw^ liv,^ dem Staatsrath Gonzalves Martins znr Vorbereitung des Iequitinhonha-Unternehmens überwiesen, wo sie vor allen Dingen Manioc und schwarze Bohnen pflanzten, damit es beim Kommen von Colonisten nicht am Nothwendigsten, an Essen fehlen möchte. Während nuu auf der Genebra hinreichend Vieh gezogen ward, lieferte Poassu Pftanzennahrung, eine umsichtige Giurichtuug. die man bei der Gründung aller (5olonieanlageu beherzigen sollte. Die Ns-ger auf Poassu gewährten einen eigenthümlichen 150 Anblick. Es warm meistens schöne, jugendliche Gestalten, Männer nno Weiber dnrcheinander, die in ehelichen Verhältnissen lebten nnd eine Menge pechschwarzer allerliebster Kinder hatten. Wohl wissend, daß sie keine Sklaven, sondern freie Neger wären, ließen sie sich nur schwierig regieren; viele von ihnen wareil trotzig nnd ungezogen, besonders gegen den ihnen vom Staatsrath vorgesetzten Verwalter, nnd das desto n,ehr, je weniger dieser einer solchen Leitung gewachsen war. So boten sie denn das Bild eines afrikanischen Dorfes im vollsten Maße dar. Doch sah ich die lebendigen, halbwilden und halbuackten Schwarzen gern. Einige jnngc Negerdirnen von prachtvollem Bau des entblößten Oberkörpers erinnerten mich lebhaft an die schwarzen Verkäuferinnen von Bahia. Mit ihren ganz nackteil, kräftigen Kindern auf dem Arme hin- nnd hergehend, dispntirend und sich zankend, waren sie alle die üppigsten Bilder von Fülle, Gesnndheit und Erregtheit, wie solche in der Europawelt nie gesehen werden und eben auch nur am Rande des Urwaldes, eben nur bei dunkrl-schwarzcr Haut geduldet und bewundert werden dürfeu. Nur wenige Neger redeten verständlich portugiesisch. Unter ?lch schwatzten sie mit großer Lebendigkeit und Leidenschaftlichkeit ihre Nagösprachc, deren Laute so widerlich wie nur möglich klingen. Das Nrden ihrer afrikanischen Sprache schien mir ein bedenklicher Umstand zn sein, obgleich der Verwalter, ein sehr befangener Mensch, das nicht meinte, aber anch noch gar nicht daran gedacht hatte. Und ich meine allerdings, daß solche Negergruppe mit fremder Sprache, wenn sie keine Leitung hat und in keiner sie umgebeudeu Cnlturwelt ein Beispiel zur Nachahmung findet, leicht ihre rohe Kraft misbraucht, deren sie sich vollkommeu bewußt ist. Sie bedürfen nnr eines rcsolnten Führers, diese wilden, aufgeregten Lcideu-schaftsmenschen, und nur einer einzigen Verhantzlnng in ihrer 151 afrikanischen Muttersprache, und ihr hastiger Anschlag wird ansgeführt. Es sollte mich nicht im geringsten wundern, wenn man eines Tags die Nachricht brächte, Poassu wäre geplündert und die Neger wären mit dem Vieh zur Fortzucht und einigen Maniocpstanzen u. s. w. zum Fortpflanzen in den Wald gezogen zur Bildung eines Qnilombo, einer aufrührerischen Negergesellschaft, wie es deren schon manche gegeben hat. Nach l2 Uhr fuhren wir von Poassu fort und liefen in den gleichnamigen Kanal ein, Wie rasch hier nnn auch die Strömung lief, so wurden wir doch mannichfach durch Biegungen und besonders umgefallene und über dem Wasser hängende Bäume und Schlingpflanzen aufgehalten. Der Kanal von Poassu bot mir das volle Vild einer Picade durch den Urwald dar. Mit großer Geschicklichkeit zwar ma-növrirten meine Canoeiros, aber dennoch waren wir alle Augenblicke genöthigt, uns platt auf den Boden unsers Ca-nots hinzuwerfen, um unter Baumstämmen und dichtem., Laubgestrüpp hindnrchznschlüpfen. Im eigentlichsten Sinne fuhren wir mitten im Walde, dessen wildes, wüstes Gewirr, aber auch reine Blütenpracht, besonders von Hclieonien und rankenden Bignonien, sich in unserer nächsten Nähe befand und uns oft genug ganz festhielt, wo wir denn mit dem Messer die hemmenden Pflanzenstncke zerschneiden mußten. So mochten wir etwa 2 geographische Meilen längs dieser Wasserpieade gemacht haben, als wir, obgleich wir noch kurz vorher einem beladeucn Canot begegnet waren, auf ein höchst fatales Hinderniß stießen. Vom rechten Ufer her, unmittelbar am Niveau des Kanals, war ein säulenartig schlanker, aber dennoch mächtiger Baum quer über den Fluß gefallen. Da er auf der andern Seite keinen festen, ihn auffangenden Widerstand gefunden hatte, war seine Krone mit zerschmetterten Aesten tief in den Sumpfboden cingeschla- 152 gen, sodaß sein Stamm einen Wasserschlagbaum bildete, wie ihn kein Hafenmeister besser herstellen konnte. Der Länge nach befand sich dieser ansehnliche Stamm halb über, halb unter dem Wasser, welches sich einige Zoll vor ihm auf-stanete und dann ans der andern Seite in schnulzigen, grauen Wirbeln weiter schoß. Der Baum konnte kaum eine Stunde vor unserm Ankommen umgefallen seiu. Eine tüchtige Art, um dieses Hinderniß wegzuräumen, hatten wir nicht bei nns; denn in der That konnteu wir auf keiuc so radicale Barriere rechnen, als wir in den Kanal von Poassn einliefen. Und doch mußte gehandelt werden. Wir lnden unser Canot ganz leer; ich selbst trat auf den in den weichen Boden eingeschlagenen Stamm, während die Canoeiros nnd Felir, mitten im Kanal ans dem Baume stehend, es versuchten, das Fahrzeug in seiner Längenrichtnng darüber hinwegzuziehen. Das war aber uumöglich; kaum den zehnten Theil des langen Canots konnten sie auf den Baum herausbringen, wie oft und mit wie vieler Kraft auch bn Versnch wiederholt ward. ^un haben die Canotführer in jenen Gegenden eine sehr sonderbare Praris, wenn sie ihr Fahrzeug nicht über solch Hinderniß hinwcgbringen können. Sie versuchen dann einen Durchgang nnter dem Wasser, wenn eine hinreichende Tiefe dicse originelle Passage erlaubt. Ich hatte das Manöver, um dejjen Inlassung die Canoeiros mich baten, noch nie gesehen. Der Kanal war tief nnd reißend, und die Leute gaben mir die Versicherung, daß sie vollkommene Schwimmer wären. Indem war es auf meiner Reise immer mein Grundsatz, meinen Begleitern im Wald nnd ans dem Fluß in ihrer Handlungsweise nichts vorzuschreiben. Sie sind in ihrem Elemente, man muß sich ihnen anvertrauen oder gar nicht reisen. A in allerwenigsten darf man ihnen europäische Reisemarimeu zumuthen wollen. Sie werden dann nnmnthig, 153 mistrauisch gegen den Europaer und zuletzt noch gegen sich selbst, nnd man ist gar bald mit ihnen und einer ganzen Flnßerpedition, einer Naldtour am Ende. So gab ich denn zn dem seltsamen Proceß meine Einstimmung. Beide Eanoeiros zogen sich die Hemden ans, hockten vorn nnd hinten ans den einen Rand des Canots und schaukelten es zweimal. Beim dritten Tempo lief es voll Wasser nnd sank nnter. In demselben Nn sprangen beide hinein und wurden, bis an die Brust im Strome stehend, schnell unter den Stamm hinnntergerissen. Der erste klammerte sich dort geschickt fest und war in demselben Moment oben ans der Barriere, Nicht so der zweite. Eincn Augenblick sah ich ihn am Banmstannn hängen; doch konnte er sich nicht halten, der wilde Strom riß beide, Fischer und Kahn, mit sich fort. Ich sah sie'nicht mehr. Alles das war wirklich das Werk eines Augenblicks, und dennoch verging mir Hören und Sehen. Ich stand athemlos da. Den Neger ans dem Baumstamm dagegen schien das Verschwinden scincs Kameraden nicht im mindesten zu affieiren. Mit großer Seelenruhe wartete er offenbar auf dessen Wiedererscheincn. Ilnd wirklich kam der andere auch einige Klafter unterhalb des Baumstammes aus dem wirbelnden aschgrauen Wasser wieder zum Vorscheiu nnd schwamm wie ein Frosch umher; er schien in seinem eigentlichen Element zu sein. Nun ward die Secne aber humoristisch — unser Eauot war fort! Der Neger hatte versncht, dasselbe an seinem einen Ende festzuhalten, aber der Strom war zu stark ge-wescn; nm nicht zu ertrinken, hatte der dreiste Eunociro dasselbe loslassen müssen. Ieht sprangen beide in das Wasser, schwammen, tauchten und suchten umher, wirklich wie Frösche, bis es denn dem einen gelang, es nnter dem Wasser, zwischen Wnrzeln und Gestrüpp festgehalten, zn entdecken. Nach lan- 154 gen Mühen machten sic es auch wieder los, aber nun trie' ben sie allesammt den grauen Kanal hinab und um die nächste Waldecke. Noch lange hörte ich sie gewaltig schreien und sich gegenseitig ausmuntern; dann aber ward es still, und ich stand ohne Weg und Steg und besonders ohne Canot mitten im sumpfigen Wald am Kanal von Poassu. Felir Larcher suchte halb entkleidet dnrch das Gebüsch bis zur Stelle zu gelangen, wo wir die Neger zuletzt schreien gehört hatten, Bald kamen auch alle drei Menschen zurück, aber unverrichteter Sache. Die Neger hatten das Eauot nicht halten können. Zwar war es wieder von einem Baum" stamm festgehalten worden, sodaß es nicht weiter treiben konnte; aber zu fernern Anstrengnngen waren die beiden Neger zu matt. Auch fing es an zu dämmern, und wir musi-ten uns zu einem improvisirten Bivouak entschließen. Ein Bivouak im Walde ist gar nichts, wenn mau sich Ort und Stunde dazu aussuchen kann und Zeit hat, seinen Nancho zu machen, wie ich das bei Gelegenheit meiner Pi-cadcntour von der Provinz Sta.-Catharina durch die Serra-Geral nach der Provinz von Parana hinreichend dargestellt habe. Hier am Kanal von Poassn aber fehlte uns im eigentlichsten Sinne des Worts alles, was zu solchem Nachtbivouak nöthig war, Am schmerzlichsten vermißte ich einen festen Voden, um darauf zu liegen. Das, worauf wir standen, war ein ziemlich nachgiebiger, krantbewachseuer Morast. Die Neger hatten, wie sie das immer bei solchen Fahrten thun, ihre Matteu bei sich, worauf sie zu schlafen Pflegen; die hat' ten also ein Lager und sogar Laken, um sich ganz hineiuzu^ wickeln; ich dagegen war auf nichts vorbereitet. Mir und Felir blieben zwei Vreter übrig, die auf dem Boden des Canots gelegen hatten. Mit dem einen Gnde legten wir dieselben ans den halb im Morast eingesunkenen 155 Baumstamm, sodaß wir, wenn auch sehr hart und äußerst eingeengt, dennoch trocken lagen. Dazu konnte ich meinen Regenschirm über mir ausspannen, — kurz unser Bivouak in den allerbcscheidensten Formen war fertig. Ein köstliches Abendessen hatten wir noch von der Gcncbra her, leider aber keinen Tropfen Trinkwasser; denu das Wasser vom Kanal, von dem ich höchstens einen Fuß fern auf meinem schmalen Bret lag, durfte nicht getrunken werden und war auch nicht zu triuken. Auf jeden Fall war es höchst ungesund, wie denn unsere ganze Lage keineswegs auch in gesundheitlicher Hinsicht zu -beneiden war. Und unn kam noch.Furcht hinzu, Furcht bei mciucn beiden Canoeiros. Dieselben trotzigen, wilden Gesellen, die, solange es heller Tag war, sich jeglicher Gefahr nnterzogen und namentlich mit dem wilden Strom des Kanals sich herumgeschlagen hatten, sahen das schon so oft besprochene Bugregespenst vor sich. Sie waren ganz still und baten mick, ich möchte meine Flinte mit einer Kugel laden. Am Rio-da-Salsa sollen noch wilde Indianer umherziehen, und vielleicht war die Vorsicht, einen scharfen Schuß bereit zu halten, nicht unnütz. So lud ich denn mein Gewehr, und wir suchten zu schlafen. Doch kamen keine Indianer, wohl aber viel kleinere, scheußlichere Feinde. Alles, was der Wald an Borachudos und Fineudos nur aufzuwenden hatte, schien er, da wir kein schützendes Feuer hatten, gegen uns loszulassen. Die Mückenmusik nahm kein Ende, und die Stacheln der zahllosen Bestien gingen durch Strümpfe und Beinkleider hindurch. Dazu durfte ich mich auf meinem Vret nicht regen und bewegen, ich fiel sonst in den Morast oder möglicherweise in den Kanal. Kurz wir verlebten eine höchst humoristische Nacht, in der ich mich am Beispiel des Marius in den Sümpfen von 156 Minturnä vollends erheiterte. Wie anders doch ein Hotel in Europa und die Nachtruhe in einem eleganten Bette! Kaum graute der erste Morgen über nnscrn Morast nnd den Wald hin, so schickte ich die Neger wieder aus nach unserm Canot. Sehr unlustig gingen sie fort; ich wußte bestimmt, sie würden ohne dasselbe wiederkommen. Und so geschah es auch. Sie kamen wieder und behaupteten, sie könnten es nicht losmachen. Jedoch sah ich es ihnen an, daß sie gar nicht im Nasser, gar nicht bei der Arbeit gewesen waren. Nnd doch war nichts anzufangen. Einem erustern Befehl hätten sie doch nicht gehorcht. Darum hütete ich mich zn befehlen. Sonstiges war weiter nicht anzufangen. Weg nnd Steg war nicht vorhanden, der weiche Boden ließ auch keine Wanderung zu. So wartete ich denn ganz ruhig ab, was weiter kommen würde. Anfangs kam gar nichts, und wir wurden hungerig und sehr durstig. Gegen Mittag kam endlich ein Salzcanot mit zwei Indianern den Kanal herauf. Als die Indianer uns v"n fern sahen, stntzten sie und hielten still; offenbar hatten slc Fnrcht vor unserer unerhörten Erscheinung am Wasser. Ich rief ihnen zu, und sie kamen heran. Auch ihre Fahrt war gehemmt; doch hatten sie zum Abhauen von Brennholz fnr ihre Nachtbivouaks ein Beil bei sich, wenngleich der dicke Stamm ihnen sichtliche Bestürzung hervorrief. Ich erfrischte den Muth der gelben und schwarzen Fluß-lchiffer dadurch, daß ich ihnen eine hübsche Geldsumme bot, wenn sie mir innerhalb einer Stuude mein Canot brächten. Vereint gingen nnn die vier Lente fort. Nach wenigen Minuten schou hörte ich sie singen nnd rnfen bei einer gemeinschaftlichen Arbeit und zuletzt in ein lautes Iubelgeschrei ausbrechen, — ich hörte es, sie hatten ihr schönes Geld gewonnen, 157 und ich bekam mein Canot wieder, eine Schlnßfolge, die mir wirklich Freude machte. Bald kamen denn mich Neger und Indianer mit dem Canot gegen den Strom herangearbeitet, und wir konnten alles wieder einschiffen. Vorher aber sollte ich noch einen Aerger haben, ans welchem meine Leser ersehen können, daß es allerwegen Schlingel gibt, mag ihre Hant nun schwarz, brann oder weiß sein. Ich gab meinem ersten Canoeiro das Geld, nm es mit den andern zu theilen, und nnn sah ich, wie er die beiden Indianer betrog; er gab ihnen nur den vierten Theil. Der eine Indianer beklagte sich gegen mich, und als ich dem Neger nnn befahl, ehrlich zu theilen, verweigerte er es und ward wild. Nnn ist nichts schlimmer, als wenn mau diese Naturmenschen erst znr Aufregung kommen läßt; sind sie in Wnth, so kennen sie keine Grenzen, und das Messer ist ihnen so geläufig wie die Junge. Ich ließ den schwarzen Kerl einsteigen und sagte ihm: „Weil du ein Räuber bist nud die Indianer hier mitten im Walde vor meinen Augen bestohlen hast, so werde ich dafür sorgen, daß dn in Ketten nach Bahia kommst!" Dazu nahm ich meine Flinte und schickte mich an, ebenfalls einzusteigen. Ohne weiter ein Wort zu sagen, gab der Neger den Indianern ihr Geld. „Ja, aber in Ketten kommst dn doch; das ist nnn zu spät", sagte ich zn dem Kerl, Das erschien ihm doch gar zu schrecklich, und er bat mich, ich möchte es doch nun auch gnt sein lassen. Das that ich denn auch, und damit war seine Ehre vor den andern Lenten wieder rehabilitirt. Wir wollten eben abstoßen, als gerade ein dritter Indianer mit seinem Canot den Kanal von oben herabkam. Der hatte eine große Art bei sich; und nun besann ich mich, daß wir Tags zuvor demselben Mann in seinem Canot den Ka- 158 nal aufwärts fahrend begegnet' waren. Offenbar hatte or um den Umsturz jenes hemmenden Baumes gewußt und war wieder umgekehrt, um eine Art zu holen, als wir ihm begegneten. Er wußte sehr genau, daß wir in die größte Verlegenheit kommen würden, und dennoch sagte er nns nichts von jenem Vorfall. Um Gewißheit zu haben, fragte ich ihn: „Du, als wir dich gestern trafen, war da der Baum schon umgefallen?" „Ja", erwiderte er. „Warum hast du mir das nicht schon oben am Kanal gesagt?" fragte ich weiter. „Sie haben mich ja nicht gefragt, ob ich einen umgefallenen Vaum getroffen hatte", meinte er ganz ruhig, obgleich er die Augen zn Boden schlng. Aber so sind sie, diese Indianer. Man hat mich vor nichts mehr als vor der Hinterlist der Indianer gewarnt auf meiner ganzen Reise. Wo sie nur immer können, thun sie dem Weißen einen Schabernack an und stellen sich hinterher so ehrlich und dumm wie die Schafe. Gemeinschaftlich machten sich nun die Indianer daran, bm hindernden Stamm durchznhauen. Wir aber liefen ohne Weiteres Hinderniß das letzte Ende des Kanals hindurch und ^'reichten den rasch strömenden Nio-da-Salsa, der wegen sei-ncs morastigen Terrains höchst nngesund ist und wegen der an seinem obern Ende noch hausenden wilden Indianer einen schr schlechten Ruf hat. Wir kamen zu einem Gehöft mit einer Znckermühle, wo wir endlich einmal wieder ordentliches Trinkwasser bekamen. Endlich erreichten wir den Rio-Pardo und trieben gerade gegen Sonnenuntergang dem armseligen Eanaviciras zu. Vom Dampfboot aus Bahia war noch keine Spur zu sehen, und fast bedauerte ich es diesmal, so pünktlich gewesen zu sein, dir mir so liebe Genebra so früh verlassen zu haben und von einem noch ausgedehntern Besuche des Ieqnitinhonha zurückgetreten zu sein. Zwar dachte ich noch in Eanavieiras 159 daran, vom Mucnri aufwärts nach dem Ort Calhäv zn gehen und von dort den ganzen Icqnitinhonha hinabznfahren nach dem Vorgang und Mnstcr des Obersten Pedernciras. Aber traurige Znstände an dem ebcngenannten Mucuristuß, von denen wir in den folgenden Kapiteln handeln wollen, machten auch diesen Plan vernnglncken und brachten mich gänzlich ans der von nur beabsichtigten Reiserichtung heraus. 160 Drittes Kapitel. Möglichkeit und Nothwendigkeit eines directen Verkel,röwegs zwischen der Provinz Alinas und dem Ocean. — Abreise von Canavieiras. — Sta.-Cruz und die Entdeckung von Brasilien. — Porto Seguro. — Carcwellas. — Villa-Vicoza. — Al'cndritt längs der Küste. — S.-Ioz«> do Porto Alegre an der Mündung dcö Mncuri. — Eine Aliöwaudercrgruppe. — Fahrt auf dem Mucuri bis Sta.-Clara. Nnter allen Provinzen, die dcn massenhaften Länder-compler des brasilianischen Kaiftrrcichs zusammensetzen, ist kaum cine, in der die Volksmenge sich so bedeutend, so energisch und eigenthümlich entwickelt bat, wie die von Minas-Gcraes. Ohne hier weiter in die Wesenheiten dieser Provinz einzugehen, sönnen wir die Wahrheit der eben aufgestellten Behauptung schon in der Stellung begründet finden, ^«lche Minas-Geraes einnimmt in der Constituirung der Gesetzgebenden Kammern. Während die wichtigen, mit dem Ocean m directem Zusammenhang stehenden Provinzen sich bei der Bildung des Senats und der Gencral-Deputirte.nkammcr so verhalten, daß die Provinz Nio-de-Janeiro 6 Senatoren und 12 Deputirte, Vahia 7 - - 14 - Pernambuco l, - - 13 -' stellen darf, hat die Provinz Minas-Geraes 10 Senatoren und 20 Deputirte Avi-.Vallemant, Nlird'Vrasilicn, I, H zu wählen und bildet damit cm bedeutendes Nebergewicht über jede andere Provinz, ja sie gewinnt damit fast das doppelte Ansehen von der Provinz Rw-de-Janeiro. Was dabei noch bedeutend für die Entwickelung jener weiten Landschaft spricht, ist der Umstand, daß in Minas nicht eine einzige Stadt ist, welche auch nur im geringsten mit Rio, Bahia' oder Pcrnambuco verglichen werden könnte. Und wenu die ebengenannten Plätze entschieden ersten Ranges für Brasilien sind, liegt zwischen ihnen nnd der Hauptstadt der machtigen Provinz Minas, der Stadt Ouropreto,, eine ganz bedeutende Kluft. Gs kann nicht meine Absicht sein, zu entwickeln, woher die Provinz Minas zu ihrer eigenthümlichen Bedeutung, ohne irgendeine große Stadt zu besitzen, gelangt ist. Wohl aber muß ich darauf aufmerksam machen, daß die Provinz von der Natur, die ihr in so vieler Hinsicht ungemein günstig gewesen ist, als Binnenland dennoch in einer Art von Blo-kadezustand gehalten wird, 'aus welchem sie zn erlösen schon mannichfache Versuche gemacht worden sind. Freilich wer ohne genanc Kenntnisse ans die brasilianische Karte blickt, der wird solche Versuche ziemlich überflüssig finden und in dem schönen und bedeutenden Strom S.-Francisco, dessen größter Theil der Provinz Minas in ihrer ganzen Länge angehört, die volle Lebensader und einen einfachen und uatürlicheu, wenn anch etwas weitab vom kürzesten Wege zur Küste führenden Abzugskanal erkennen. Und das wäre jener Strom auch wirklich, wcnu er nicht in stürmischer Hast die Küstenabdachnng, welche sich an der Grenze der Provinzen Vahia, Pernambuco, Alagoas und Sergipe findet, durchbräche in ungeheuerm Wassersturz, wodurch seine ununterbrochene Vcschiffuug bis ;nm Meere vollkommen abgeschnitten ist. Kaum anders geht es mit manchen kleinern Flüssen, die 162 auf der Landkarte einen nahen Zusammenhang von Minas mit dem Meere bilden, kaum anders mit dem Nio-Doee, dem Mucuri, dem Iequitinhonha. Alle gewinnen sie ihren Ursprung in Minas, aber alle dringen mit Wasserfällen — Saltos — hinab über die Grenzen nach Osten znm Küsten-lande. Unter den verschiedenen Unternehmungen, die es versucht haben, dem eingeklemmten Zustande der Provinz durch eine Ostverbindung mit dem Meere zu Hülfe zn kommen, mnß hier zuerst die Beschiffung und Colomsirung des Nio-Doee genannt werden. Schon vor ^O-^W Jahren waren dort bedeutende Bestrebungen zum Anbau, zu einer Flußschiffahrt, zu einem Landweg bis in Minas hinein. Große Summen wurden hergegeben, eine Ortschaft, Linharcs, zu einiger Entwickelung gebracht und zuletzt noch eine Dampfschiffahrt zwischen dem Flusse und Nio-de-Janeiro hergestellt; viel Geld, viele Menschenleben wurden das Opfer, und die Handels-unteruehmung löste sich wieder auf. In den neuesten Zeiten hat cin I),-. Franca Leite den Versuch zur Vclebung jener Gegenden nud der Vermittelung eines Verkehrs mit Minas Wieder aufgenommen. Das Resultat seiner Bestrebungen muß abgewartet werdeu. Und es kann ein genügendes sein, wenn cs nicht mit getäuschten Deutschen oder überhaupt nordischen Einwanderern geschieht, welche von den Seelenverkäufern ihrer eigenen Nation ohne alles Gewissen und nur um schnöden Geldgewinns willen so leicht nach Brasilien verhandelt werden. Während das für den mittlern Theil der Provinz Minas geschah und geschieht, ist man gegenwärtig damit beschäftigt, durch Anlegung von Eisenbahnen von Vabia und Pernam-bueo ans bis weit über den Nasserfall des S.-Francisco hinaus, wo der kleine, aber für den Binnenverkehr wichtige Drt Ioazeiro am rechten Ufer des Stroms liegt, die Länder- 11* 163 districte im Innern mit dem Meere zu verbinden. Sind diese Bahnen einmal fettig, so werden sie allerdings viel leisten und den ganzen Verkehr auf dem langen Flusse nach den beiden genannten Städten leiten. Doch können noch viele Jahre darüber hingehen, auch wenn man ruhig fortbauen will, finanzieller und politischer Eventualitäten gar nicht zu gedenken. Das Project des Etaatsraths Gonzalves Martins ist noch nicht angenommen. Anf keinen Fall dürften die Kräfte nordischer Einwanderer schon ans gesundheitlichen Rücksichten dabei angewandt werden, wie ich das schon gegen den Staatsrath und in der allerentschiedensten Weise gegen meinen Freund auf der Gcnebra erklärt habe. Vielleicht haben Krankheitsereigniffe auf letzterer Besitzung, die kürzlich vorgekommen sein sollen, den Obersten Pederneiras von dcr Nichtigkeit meiner ärztlichen Ansichten vollkommen überzeugt nnd darauf hingewirkt, daß außer der Veschiffnng des Flusses, wie ich solche schon oben angegeben habe, an kcine Colonisation in Masse mittels nordischer Einwanderer gedacht werden darf. Was aber anch dabei im Wege liegt, eins ist gewiß, daß der Ieqnitinhonha nach dem S.-Francisco wol die am weitesten reichende Wasserader für die Provinz Minas in ihrem Zusammenhange uach Osten mit dem Meere ist, wenn freilich ihre freie und nngchindcrte Schiffahrt an demselben Gebrechen leidet wie alle andern, an Saltos und Cachoeiras. Ganz besonders nmß hier nun des Unternehmens gedacht werden, welches der rüstige Mineiro Theophilo Benedicto Ottoni längs des Mncuriftusses begonnen hat. Dieser Colonisationsversnch, Handelsunternehmen und Schiffahrt zu gleicher Zeit hat bei seinem ansgcdehnten Maßstabe schon seit Jahren die Aufmerksamkeit von Brasilien nnd Europa, namentlich von Deutschland auf sich gezogen; es 164 sind so mannichfache deutsche Kräfte dabei in Bewegung gesetzt worden, daß ein specieller Besuch und eine genaue Betrachtung jener langgestreckten Colonisationslinie nicht ohne Interesse für meine deutschen Leser sein mag. Bis dahin war die Provinz Minas-Geracs nnd selbst ihr nördlicher Theil, der nach dem dortigen Hauptorte Minas-Novas benannt wird, ganz auf den Landweg nach Rio-de-Ianeiro angewiesen, und zwar nur vermittelst eines mühsamen und kostspieligen Manlthierverkchrs. Sehr hübsch bezeichnet der Oberst Pedcrnciras in seinem Werke diesen Verkehr im Vergleich zu dem mittels des Ieqnitinhoicha schon offenen und in noch weiterm Maßstab zn eröffnenden Wasserwege in folgender Weise: „Ein Lastthier von Rio-dc-Janeiro bis Minas-Novas trägt 8 Aroben (250 Pfd.), kostet 60 MilreVs Fracht (ungefähr 45 Thlr.) und braucht wenigstens 60 Tage zu der Reise. Ein Canot fährt von Bclmonte nach Calhao (fünf Tage-reiscn von Minas-Novas) in 21 Tagen, ladet 50—120 Aroben und kostet 120—130 Milreis Fracht. Wir sehen hier, daß außer der halben Reisezeit die Ladnng, die von Nio nach Minas 60 MilreVS kostet, von Belmonte nach Calhao 16 Milre'ls oder die Hälfte, 8 Milre'ls, Unkosten macht, selbst bei dem erbärmlichen Znstande, in welchem sich jcne Schiffahrt noch befindet. Fügen wir dieser Zeit noch die fünf zur Reise von Calhao nach Minas-Novas nöthigen Tage hinzu und die Ausgabe von 4 Milre'ls, welche jede Maulthierladung von einem dieser Punkte zum andern kostet, so kommen wir zu dem Resultat, daß die Zeit noch nicht die Hälfte nnd die Ausgabe nnr 2Z —24 Milre'l's (oder gar die Hälfte) statt 60 Mill's ansmacht." Dazu berechnet Pederneiras noch den Weg von Vclmonte nach Vahia oder Nio-de-Ianeiro, denn nur diese beiden großen Emporien sind im Stande, Minas zn versorgen mit 165 Einfuhrartikeln und seine Prodnete entgegenzunehmen, wirft aber anch dabei die richtige Frage auf: was können denn am Ende ^ Aroben anf einer Schiffahrt von ZO Stunden kosten? Diese kleine Notiz mag genügen, um anzudeuten, wie alles zu einer dircrtcn Flußverbindung von Minas-Novas längs der Küstenflüsse einladet und dringend anffordcrt, mU> wie weit bis oahin alle Unternehmungen zu solcher direeten Verbindung gerechtfertigt sind, die am Rio-Doee, jene am Mucuri, die projectirtc am Iequitinhonha und selbst manche kleine Anfänge am Nio>Pardo, wenn auch nach gründlichen Untersuchungen des Obersten Pederneiras der Icqnitinhonha den andern Flüssen vorzuziehen sein soll. Eigenthümlich ist es hierbei allerdings, daß, während von den beiden Flüssen Mueuri und Icquitinhonha als Verbindungswegen mit MinaS-Novas so viel die Nedc ist, während beide untersucht sind und der erstere laugst iu Angriff genommen ist, beim zweiten aber nur noch einige Formalitäten zu beseitigen bleiben, um auch ans ihm ein thätiges Leben zu beginnen, man vom Rio-Pardo so wenig geredet hat und bisher noch gar nichts von seilen des Staats und der Oeffentlichkeit für ihn geschehen ist. Ueber die Möglichkeit seiner weitausgedehnten Benutzung habe ich geredet. Doch ist der Zufluß von arbeitenden Menschen dorthin noch zu gering, als daß sich eine spontane Entwickelung des Flußgebiets Heransstellen sollte. Indem herrscht eine eigenthümliche, keineswegs erfreuliche und gedeihliche Parteiung zwischen den Anhängern des Iequitinhouha und Nio-Pardo. Die Nio-Pardo-Parlei schwärmt für ihren Fluß; die am Velmontc will nur vom Velmonle hören. Wer unbefangen anschauen und urtheilen will, bekommt es mit beiden Parteien zu thun. Und dennoch gehören beide Flüsse so eng und fest zusam- 166 men, wie eben die Natur sie aneinander gekettet hat. Eine Menge von Anbancrn wird, wenn solche wirklich nach dem Ieqnitinhonha gezogen wird, doch einmal mit oder ohne Grund nach dem Rio-Pardo gehen, wo man sie schon zn fesseln verstehen wird, nnd viele werden beim Gedeihen des ersten Flnsses dem zweiten ihre Kräfte znwcnden. So dicht nebeneinander, in so eigenthümlichem Parallelismus strömen beide dahin, daß, wenn sich wirklich Anbauer für beide finden, diese mit großer Leichtigkeit Waldpfadc in gerader Linie nnd der Ausdehnung weniger Meilen von einem Strom zum andern bahnen werden. Der größere Flnß, und mir der an-genehmere, der freiere, breitere, luftigere, wird immer der Ieqnitinhonha sein und bleiben. Den bessern, bei weitem bessern Hafen, die bessere Mnfahrt vom Meerc her hat unbedingt der Rio-Pardo, cr ist recht eigentlich der Meeres-Hafen für beide Flüsse, wie ja deren Zusammenhang schon ^)om Kanal von Poassn und dem Rio-da-Salsa angedeutet ist. Erst am 22. Iannar kam das Dampfboot von Vahia, gerade zehn Tage später, als der Kapitän es bei seiner letzten Neise angekündigt hatte. Freilich konnte die lange Verzögerung einigermaßen entschnldigt werden. Der lecke Parana, der unö kanm nach Canaviciras gebracht hatte, war »ei seiner Rückreise nach Bahia in die allergrößte Bcdräng-»üß gekommen. Sein Leck war so bedeutend geworden, daß er in wirklich sinkendem Zustande schon aus weiter Feme Nlthzeichen nach Bahia machen mußte, von wo aus man ihm denn ein Schleppdampfschiff zu Hülfe sandte. Jetzt muhte das Schiff zimmern nnd seine Kessel gründlich nachsehen lassen. Für den alten Kasten hatte die Agentnr der Compagnie einen recht guten Dampfer, Sta.-l5ruz, auf die Fahrt gesetzt, mit einem sardinischcn Kapitän, welchen der Param-Kapitän Santos, ein jener Küsten ungemein kundiger Seemarn, begleitete. 167 Herzlich dankbar dem guten 1)»-. Magalhaens und seinem Associe Albuquerque, die mich mit ihrer treuen Gastfreundlichkeit für die zehn Tage vergeblichen Wartens im monotonen Canavieiras zu entschädigen gesucht hatten, ging ich um 7 Uhr des Morgens am 23. Januar den Rio-Pardo hinunter. Glücklich kam der Sta.-Cruz durch die Biegungen und Schwierigkeiten ^er Flußmündung hindurch, und bald befanden wir uns wieder anf offenem Meere, dessen grünblaue, unabsehbare Fläche kaum etwas mehr wogte als ein nordisches Kornfeld, in dessen grüne Aehren sich blaue Kornblumen farbenschillernd hineinmischen. In leichtbewegter Fahrt, die man recht gut in einem offenen Canot hätte abmachen können, liefen wir in der Entfernung einer starken deutschen Meile längs der Küste hin. Wir erkannten bald die stäche Barre des Iequitinhonha und die Villa von Belmonte und sahen wenige Stunden darauf eine kleine rothe Insel, einen Felsen, von welchem aus sich ein bis unmittelbar unter die Seeftäche kommendes und stellenweise selbst daraus hervorragendes Riff in das Meer hinauserstreckt und in einem Halbbogen nach Osten, Südosten und Süden hin verläuft, sodaß hier eine kaum eingefaßte und dennoch einen guten, sichern Ankerplatz bildende Bncht den Schiffen offen steht uns vom Süden her leicht zugänglich ist, weswegen man dott auch eine rothe Boje mit einem Krenz verschen ausgelegt hat. Wirklich erkannten wir auch schon von fern ill die/em eigenthümlichen Bassin einen Kriegsschooncr und eine gcoße Charrua oder Transportschiff, welche dort Bauholz fin die Marine laden sollten und somit factisch den Beweis lieftrten, daß dort an scheinbar ganz offener Küste größere Fahrzeuge ruhig und sicher vor Anker liegen könnten. Nur beim Südwind ist dieses eigenthümliche Vinnenwasser an offerer See etwas bewegt. Doch soll auch diese Bewegung kaum etwas 168 mehr sein als die in der Bucht von Bahia, wenn der Seewind hineinweht. Wir liefen durch den südlichen, 17 Fuß tiefen Eingang in diese Bucht ein und bekamen bald den Besuch der jungen Marineoffiziere, welche sich auf ihren respective« Schiffen auf der einsamen Stelle recht gründlich langweilten. Am Strande, wo ein kleiner Fluj^sich mündet, erstreckt sich eine Ortschaft hin, unbedeutend und unansehnlich, mit dem Ausdruck des Verkommens. Hinter derselben ragt eine Höhe empor mit einer Kirche und einigen Häusern, alles ziemlich bescheiden uud ohne jegliches Ausehen. Doch ist diese Gegend echt classisch in der brasilianischen Geschichte, wie wir gleich weiter unten sehen werden. Uns selbst war es nicht möglich, das Land zu betreten. Kaum hatte unser Sta.-Eruz einiges kleine Gepäck und Briefschaften für den Ort in ein zn nns kommendes Boot geworfen, als wir auch schon wieder in die offene See hinaus-rciuschtcn und gegen Süden weiter liefen. Nach zwei Stunden schon erreichten wir eine andere classische Stelle, welche von fern durch eine wenig erhabene, doch entschieden bezeichnete Plateaubildlmg zn erkennen ist. Südlich von diesem Plateau mündet ein kleiner ssluß in das Meer. Doch läuft von der rechten, südlichen Seite diefer Mündung ein Riff, künstlich wie eine Mauer aufgeführt, kaum 100 Klafter vom Ufer entfernt, nach Norden in einer Länge von etwa 0(X) Klaftern, daß zwischen diesem Riff und dem Ufer ein zwvr beschränkter, aber so sicherer Hafen gebildet wird, wie man so unmittelbar am Meere nicht viele finden kann, das gctreueste Abbild im kleinen vom Hafen von Pernambnco. Mit Necht nannten die ersten Ankömmlinge diesen kleinen, sichern Hafen „Porto Seguro" (sicherer Hafen), Das Dampfboot ging außerhalb des Riffs in der Ent- 169 fernung einer halben deutschen Meile vor Anker, und ich benutzte das Boot, welches mit unserm Commissar die Post an das Land brachte, um einen kleinen Abstecher zum Ufer zu machen. Ziemlich heftig brandete das Meer gegen das Riff. Sowie wir aber um das freie Nordende desselben hernmgerudert waren, befanden wir uns auf vollkommen ruhigem Meeresarm, welcher in den Flnsi selbst übergeht. Hier liegt dann die Villa Porto Seguro, freilich nur ein kleiner Ort, aber doch schon viel ansehnlicher als Eanavieiras. Die Häuser, von denen einige sogar hübsch Stockwerke bilden, sind dnrchwcg ans einer eigenthümlichen Kiesel- und Muschelmolasse gebaut und mit Kalk verstrichen. Beide Baumaterialien werden vom Meere geliefert. Die Molassc bildet überall große, leicht zu bearbeitende Massen. Der Kalk da-gegeil wird aus Milleporenblöcken gebrannt nnd zwar in der einfachsten Weise und ohne eigentlichen Brennofen. Um einen Baumstamm werden in radienförmigen Ausläufen Schichten von Holz und Korallenblöcken gelegt, und dieser Holzstoß, wenn er etwa 5 — 6 Fnß hoch geworden ist, angezündet. Aus der Asche wird dann der Kalk, der von ganz besonderer Güte sein soll, herausgeholt. Es sind aber nicht die einzelnen Häuser allein, die dem Ort ein nettes Ansehen geben. Ganz besonders hübsch macht sich auch der Schiffbau hinter der Stadt, wo der stille Flnß einen weiten Bogen macht. Etwa zwölf kleine Seeschiffe mit Verdeck lagen hier auf dem Stapel, ganz nach Art der französischen Chasse-marecs gebaut und ganz besonders zum Schnellsegeln eingerichtet. Porto Scguro besitzt über sechzig solcher Chasse-marces oder Garopeiras, welche nach der Garopa oder Makrele benannt werden. Vierzig von diesen Garopeiras beschäftigen sich mit dem Fischfang an den Abrolhos, jener kleinen, für die Schiff- 170 fahrt gefährlichen, für den Fischfang aber ergiebigen Inselgruppe etwa auf 17" 48' südl. Vr., während die andern zwanzig sich als beliebte und sichere Segler mit dem Küsten-Handel nach Bahia beschäftigen. Aus diesem Schiffbau, aus dem Fischfang und dem angedeuteten Küstenhandel zieht Porto Seguro immer einigen Gewinn nud hat eine größere Bedeutung als Belmonte und Canavieiras. Doch hat es seinen vollen Werth, seine ganze Bedeutnng noch lange nicht erkannt. Diese Bedeutung liegt ganz besonders in seinem Flusse, der sich ziemlich tief in das Land hineinerstreckt und eiuem schönen Binnensee, der Lagoa von Gravata, zum Ausfluß in das Meer dient. Auf dem Wege dorthin liegt eiue kleine Ortschaft, Villa-Verde, freilich ohne alle Bedeutung bei der grenzenlosen Faulheit' der Bewohner, die den Landbau für eine Erniedrigung ansehen. Seit 300 Jahren und noch länger ist jener Küstenstrich bekannt, und noch immer hat sich keine rechte Thätigkeit, kein Ackerbau herausstellen wollen unter den Händen der Landeskinder! Ich will diese Faulenzer nicht weiter tadeln, sondern statt meiner einen ihrer Landsleute, den so oft genannten Peder-neiras, der das dortige Land uud die dortigeu Leute so gut keuut, seine Ansicht über sie aussprechen lassen. Er sagt in seinem Nelatorium, S. 45>: „Viele male riech ich einem Familienvater, seine Söhne zur Arbeit zu erziehen und sich ihrer zu bedienen als Hülfe zur Anlegung einer Pflanzung, die ihnen ein Mittel zu einer regelmässigen Subsistcnz werden möchte; und da erhielt ich wol folgende Rede als Antwort: Wo denken Sie hin, Herr! Ich bin so arm, daß ich keinen einzigen Sklaven besitze; meine Söhne dienen nicht dazu und wollen sich auch keiner Arbeit unterwerfen, die nur für Neger geeigurt ist. Und dann sind sie nicht überflüssig; helfen sie mir nicht Nahruug 171 172 für die Familie zuschaffen? Sehen Sie, der geht jeden Tag zum Meer, der andere in den Wald, und ich, wenn ich kann, begleite sie!" Und solchen Leuten, die als echte Lazzaroni des Westens eben nur im Canot herumfaulenzen und auf der Jagd sich durch die Büsche treiben mögen, ist nicht zu helfen und zu rathen. Denn das ist nun einmal die fire Idee, daß sie durch Feldarbeit zur Kategorie der Neger hinabsinken. Solange die Kokospalme in üppigem Wuchern ihre kolossalen Nüsse freiwillig herabwirft und die verschiedenen Taschenkrebse zu Tausenden unter den Manglebüschen umherlaufen, ebenso lange wird das Volk jenes Küstenstrichs sein Leben verfaulenzen und nie eine ehrenhafte Eristcnz gewinnen. Als eine Anekdote will ich hier nur anführen, daß, als unser Commissar eifrig bemüht war, um für uns einige Hühner im Orte zu kaufen, wir trotz vielen Umherlanfens und Suchens doch nur zwei Hühner auffinden konnten, die man uns für Geld abließ. Mit dieser schmalen Kost mußten wir uns beeilen zum Schiff zurückzukehren, denn die Sonne war schon untergegangen, und es ward vollkommen dunkel. Heftig lief die ansteigende Flut in den Hafen und donnerte gewaltig über das Riff hin, sodaß unser kleines Boot, nachdem es sich mit Mühe durch den Hafen gegen die Strömung angearbeitct hatte, am Nordende des Riffs höchst unfreundlich von der offenen See empfangen ward. Weiter hinaus rollte die See weniger heftig, und wir erreichten glücklich uuser Dampfboot, bei welchem das Anlegen ebenfalls etwas unangenehm war. Ich war wirklich froh, als ich festen Fuß auf der kleinen Schiffstreppe gefaßt hatte, und frente mich doppelt an dem wundervollen Abend. Eine frische Nordostbrise hatte den Himmel vollkommen rein gefegt, und in seltener Helle glänzte gerade über uns des Orion schönes Sternbild, an dessen Seiten Jupiter und Sirius au Lichtmenge sich zu überbieten suchten. Hoch auf schimmerte die verwischte Pyramide des Iodiakallichts, und in blassem Weiß zogen die beiden Kap'-scheu Wolken ihren Kreis um den sternenleeren Südpol. Aber auf des Meeres bewegter Fläche und längs der Plan-keu unsers Sta.-Cruz spritzten Millionen Feuerpnukte; ganze Wassermassen schienen im Zusammenschlagen glühende Fluten zu sein, bis sich um Mitternacht der Wind legte,nud das schöne Phänomen verschwand. Um 4' Uhr schon klimperte unsere Ankerkette znm Tagewerk des 24. Januar unsere keine Welt wach. Der Mond stand hoch am Himmel, zwischen ihm uud der ersten Morgendämmerung funkelte der Morgenstern, ein wundervoller Gruß des erwachenden Tags. Aber wie ein Meeresunge-tbüm schnob der Dampfer hinein in die Morgenfeier und hüllte Mond und Venus ein in dicken Steinkohlenqualm, Wir hielten unsern Cours nach Südost, weil südlich von Porto Seguro ein Riff, eine Untiefe die Fahrt dicht längs der Küste, wo aus dem Flachlande einige Höhen herausragen und Wahrzeichen für die Schiffahrt bilden, gefährlich macht. Wir finden hier wieder einen Itaeolmni, einen „Stein und Kleinen", einen Berg und seinen Sohn, nnd dicht daneben nnd höchst kenntlich den Monte-Pasqnale, den Osttrderg. Wie das Gemäuer eines Thurms von ungeheuern Dimensionen ragt letzterer heraus aus der Umgegend, gewaltige Reste einer mythischen Cyklopenburg. Richt unter 1000 Fuß möchte die Höhe dieses lothrecht uach allen Seiten abfallenden Blocks sein. Mit diesem Riesenblocke beginnt die Geschichte von Brasilien, er ist das eigentliche Monument des Kaiserthums von Sta.-Cruz, wie uns der tüchtige, geistvolle brasilianische Ge-Ichichtsforscher Frauz Adolf von Varnhagcn in seinem Werke: ,,Ui8wl'ici clu Ui-^il" (I, 1Z), das folgcnderwcisc erzählt: 173 ,,Um den Handel mit Indien zu Gunsten Portugals sicher zu strllen mittels der Gründung einiger Factoreien, segelte ans der Mündung des Tejo am 9. März 1500 eine Flotte aus von 13 Fahrzeugen, einige ausgerüstet von Pri-vatkaufleuteu, alle aber gestellt unter das Obereommando von Pedr' Alvvrez Cabral, einem Mann von angesehener Familie, doch nicht berühmt dnrch irgendwelche vorausgegangene Thaten. „In den schriftlichen Instrurtiouen, welche er empfing und voll denen einige höchst wichtige Fragmente uns zu Händen gekommen sind, wnrde ihm anempfohlen, daß er auf der Höhe von Guinea sich möglichst weit von Afrika fern halten möchte, um dessen zeitraubende und ungesunde Windstillen zu vermeiden. Gehorsam diesen Insttnttionen, welche nach Angaben deS Gama verfaßt waren — «I^ln <; l> mmim,^ qu« pill-606 n V"' cl» A3MU czuti dovo l.«?»' p' cl^Iu^l'l^ LlN 8U<» ^(ln ^I't,/c;m(ls» :» N0880 8ör» (d. h.:- Dieses ist die Weise, welche dem Vasco oa Gama scheint, daß Pedro d'Alvarez folgen muß anf seiner Neise, so es nnserm Herrn gefällt), heißt in jener alten Nrknnde der wörtliche Tert in seiner echten Orthographie —, steuerte Cabral ab von Afrika, und von der Natur dabei unterstützt durch die oecanischen Strömungen erblickte er am i^. April, als er über 40 Tage Neise hatte, im Westen unbekanntes Land. Das, was sich zuerst deutlich den neugierigen Augen der Mannschaft auf dieser damals nur aus 12 Schiffen bestehenden Flotte, denn eins hatte sich einige Tage vorher verloren, darbot, war ein hoher Berg, welcher mit Rücksicht auf das eben am Bord gefeierte Osterfest («e^i, <1:, pii3okml) Paschoal genannt ward, ein Name, den dieser den Seeleuten sehr bekannte Berg, welche ihn als eins der besten Wahrzeichen znr Erkennung jenes Küstenstrichs betrachten, noch heute führt. „Am Tage darauf näherte die Flotte sich der Küste. Der 174 Oberkapitan sandte ein Boot an das Land, welches an das Ufer ruderte und sich mit den sich dort befindenden Leuten in Verbindung zu sehen suchte. Vergeblich jedoch waren die Anstrengungen der Dolmetscher afrikanischer und asiatischer Sprachen, welche im Boote waren, um sich mit ihnen zu verständigen. So beschränkte sich denn die erste Begegnung mit jenen Menschen auf einige gegenseitige Geschenke nnd Anstauschnngen nnd unter den üblichen Vorsichtsmaßregeln. ,,Indem nnn Cabral meinte, das' er eine genauere Kenntniß gewinnen müßte von dem vor ihm liegenden Lande, auf welchem er vielleicht frisches Wasser und einige frische Provisionen für die Schiffe bekommen könnte, entschloß er sich, sie am folgenven Tage zu untersuchen, und fing damit an, eine Bucht zu suchen, wo die Flotte mit Sicherheit einlaufen könnte. Diese fand sich 10 Leguas weiter nach Norden und so trefflich geschützt, daß man ihr den Namcn gab, den sie noch heute hat, Porto Segnro." Nnn folgt bei Varnhagen ein Stück jenes berühmten Briefs, den der Chronist jener Ccibral'schen Crftcdition, Pero Vaz de Caminha, an seinen König schrieb. Nnnderhübsch beschreibt Caminha die Aufnahme der ersten beiden Votoenden am Bord und das ganze Ansehen der Bewohner auf der neuentdeckten Küste. Am 26. April ward am Lande große Messc gehalten und am letzten Tage desselben Monats bei Gelegenheit einer zweiten Messe feierlich vom neuen Lande für die Krone von Portugal Besitz genommen, indem auf einer nahen Höhe ein großes Kreuz aufgepflanzt ward, und die eben entdeckte Küste „Ilha da Vera-Cruz" genannt, welchen Namen der portugiesische Monarch in „Ilha da Cruz" umänderte. Dann schickte Cabral ein Schiff mit der glücklichen Ent« deckungsgeschichte nnd mancherlei LandeSproducten u. s. w. 175 nach Portugal ab und verfolgte am 2. Mai seine Reise nach Indien mit 11 Schiffen weiter. So bemerkenswerth diese Darstellung ist, so läßt sie mich dennoch in einigem Zweifel, ob Cabral's Porto Segnro das hentige Porto Seguro ist, oder »b er in das eigenthümliche Bassin von Sta.-Cruz einlief, wo auch ein Porto Seguro, ein sicherer Hafen war. Bei beiden Orten ist eine Höhe, ein Plateau, wo ein Kreuz aufgepflanzt werden konnte. Mir scheint der Hafen von Porto Seguro doch gar zu versteckt zu liegeu, als daß gleich die ersten Entdecker den heimlichen Winkel aufgefunden haben sollten. Dagegen ist, wenn die See nnr einigermaßen bewegt ist, die schöne Binnenbncht von Sta.-Cruz an schäumenden Brandungen weit kenntlich und ist gerade vom Süden zugänglich, von woher Cabral, nachdem er den Monte-Pasroale (Pasquale oder Paschoal) erblickt hatte, mit seiner Flotte kam. Doch möchte dagegen die Berechnung der Breite sprechen, welche Cabral's Grpedi tion von ienem Punkte entwarf. Sie berechnete die Breite von Porto Seguro zu 17" sndl. Br. Es liegt aber ungefähr 16" 20^ südl. Br.; Sta.-Cruz dagegen ungefähr aus 16" 10^, sodaß die Berechnung der Cabral'schen Piloten eher für Porto Seguro als für Sta.-Cruz spricht. Ueber ein Jahr später ward nördlich von Porto Seguro die erste portugiesische Factorei unter dem Namen von Sta.-Cruz angelegt, darüber waltet kein Zweifel ob. Diese alte Factorei ift das heutige Oerlchen Sta.-Cruz. Südöstlich vom Monte-Paschoal nnd dem Itacolumi warf die See in der Ferne einer deutschen Meile von uns lebhafte Braudungen aus. Dort liegt die Bank von Guaratuba, eine Gefahr für die Schiffe, die innerhalb der Abrolhos, jener schon oben angedeuteten Inseln, den Ncg längs des Festlandes einschlagen. Nur eine genaue Kenntniß jener Gewässer rechtfertigt die 176 Fahrt zwischen dcn Abrolhos und dem Continent. Es zieht sich gerade in der Mitte zwischen beiden von Norden nach Süden ein Riff hin, etwa ans 17" 2(V südl. Br. anfangend, auf der Breite des Ortes Prados nnd bis südlich von Cara-vellas fortlaufend. Zu beiden Seiten dieses Riffs ist Faln-Wasser; westlich vom Riff, also zwischen diesem nnd dem Fcst-lande, bat man eine Tiefe von 3—12 Brassen; östlich von ihm, also zwischen diesem Riff nnd den Abrolhos, ist der Kanal 10—12 Brassen tief. Unser Dampfer schlug erstern Paß ein. Wir näherten uns bei Prados srhr bedeutend der Küste, sodaß wir die Häuser, die ncne Kirche nnd sogar einige Menschen am Strande deutlich erkennen konnten. Die fernen Untiefen im Osten hatten die Macht des Meeres vollkommen gebrochen ; die grüngelbe Oberfläche der See glich einem Landser; kaum etwas bewegte sich unser Dampfboot auf nnd nieder. Stiller kann der Ocean nirgends sein als dort. Bald erblickten wir die Villa von Alcobaca nnd nm 2 U!n den Flaggcnstock an der Barre von Caravellas (17" 40' .-U " südl. Br,), Jedoch gab man nns kein Zeichen'zum Einlan-fen und wir mußten vor Anker gehen. Nach einer vollen Stunde langweiligen Wartens rief uns endlich ein Signal heran. Wir kamen, den Zeichen folgend, die ein am Ufer stehender Mann mit einer Flagge machte, der Küste anf ungeäfbr M> Klafter nahe und trafen dort einzelne Pfäblc s!>,.!i^>«), welche das Fahrwasser bezeichnen. In einem schönen Flusse, dessen Barre 16-20 Fuß Wasser tiefe bat, und welcher an Breite dem Velmonte nicht nachsteht, an Tiefe-aber, welche sogar Dreimastschiffen das Einlaufen erlaubt, ihn weit übertrifft, gingen wir an den herrlichsten Kokospalmen bosquets eine Meile den ruhigen Fluß hinauf uub warfen vor der Stadt Anker. Am linken Ufer des Flusses, der dort einem hübschen Avc Mallem ant, Norl^Vvasilicn. l, 12 177 Landser gleicht, liegt Caravellas, ein Ort, der gleich bei sei-neni ersten Anblick einen ganz andern Eindruck macht als sämmtliche bisher besprochene Küstenpunktc zusammengenommen. Hier ist eine wirkliche, wenn anch nur kleine Stadt, cinc Hanserrphe am User uud drei lange, parallel mit dem Fluß laufende Straßen, in denen sich viele Stockwerfe, ja selbst ansehnliche Gebäude befinden, wenn auch die meisten Häuser nur Erdgeschosse sind. Die Straßen find breit, freilich mit Gras bewachsen, dnrch welches ein bescheidener Fußsteig bindurchführt für einige vorkommende Thiere. An den Häusern liegt eine Art von Trottoir, auf welchem einige Menschen sich hin- und herbewegen, ohne sich wesentlich zu meommodiren. Denn der Verkehr in den Straßen ist wirklich äußerst gering; alle Handelsbewegung ist an und auf dem Flussc. Und diese ist allerdings erheblich genug für den Ort. Man würde kaum einsehen, wie cin so isolirter Küstenpunkt solche Handelsthätigkeit 'hat, wenn m'cht zwei Colonieunter-nehmungen, wenn nicht namentlich und ganz besonders die Kolonie von Leopoldina, und in neuesten Zeiten das Mueuri-Nnternehmcn auf die Stadt zurückwirkten. Der Fluß von Caravcllas geht trotz seiner schönen Breite und Tiefe nicht weit in das Land hinein. Vielmehr nimmt er aus den benachbarten Niederungen eine Menge kleiner Flüsse und Abzugsbäche auf, sobasi sein Wasser schmuzig ist, und da die Flut des Meeres noch über Caravellas hinausdringt, wegen des Salzgehalts nicht genossen werden kann. Durch drei Wasserticfen oder Barren commnnicirt der Fluß mit dem Meere, vou denen, wie ein !»>'. Ioze Candido da Costa in einer kleinen Broschüre über Caravellas angibt, die nördliche 1/l Fnß Tiefe, die südliche 11 Fuß und die östliche oder mittlere so viel Wasser hat, daß, wie ich schon sagte, Dt-eimastschiffe und verschiedene Kriegsdampfbcwte durck» 17tt dieselbe cm- und ausgegangen sind, freilich immer bei voller Flut. Außer dieser Verbindung mit dem Meere hat der Fluß von (5aravellas noch eine Communieationsstraße nach Süden. Gerade zwischen ihm und den« größern Mueuriflnsse kommt ein noch nicht hinlänglich untersuchter Fluß, der Peruipe, ans dem Innern des Landes. Bevor dieser das Meer erreicht, bricht ein Seitenarm von ihm, ganz wie jener Kanal von Poassn beim Belmonte, in das flache Iungleland ein nach Norden hin, wo ihm ein ähnlicher Arm des Earavellas entgegenkommt zu einer rnhigen, breiten Verbindung, welche von mäßig großen Dampfschiffen vollkommen leicht und sicher benutzt werden kann. Aus dem dichten Grün der Rhizopho-rcn tauckt an dieser eigentlmmlichen Verbindung zuweilen eine kleine Anpflanzung auf, schon von fern kenntlich an ibren hohen, cdeln Kokospalmen. Viele kleine Nebcnvcrbindungen der Flüsse verlieren sich im Labyrinth der Sumpfwaldung; die ganze Gegend bildet ein Netz von kleinen Wasserstraßen. Mitten zwischen den beiden Hauptfiüssen bilden dir Communi-eaiionsarmc einen wirklichen, breiten Landsee, dessen schmuzi-ges Gran seltsam absticht gegen das frische Grün der Einfassung ringsnmlu'r, ein fischreiches Gewässer, aber anch Quelle vieler Miasmen und ein wirklicher Mäotischer Sumpf kleinern Maßstabes .neben dem großen Ocean, der in gerader Ostlinie nicht über eine halbe deutsche Meile fern von ihm liegen mag. Die Verbindung mit dem Peruipe ist höchst wichtig für Caravellas. Einige Meilen den Peruipe hinauf liegt nämlich die schon oben genannte Colonie Leopoldina, wenn sie den Namen einer Colonie verdient, ein reicher Ackerbaudistriet, in welchem in großer'Menge Kaffee, bis zn 80000 Aroben nn Iabr, producirt wird. Wenn mich anch unvorhergesehene Zeitverluste an der Ans- 12* 179 führung meines Vorsatzes, jenen Ackerbaudistrict selbst zu besuchen, verhinderten, so darf ich doch einige Notizen, über die Leopoldina, wenn ich von ^aravellas rede, in keiner Weise unterdrücken; denn Caravellas nnd Leopoldina gehören, wenn sie auch durch die Distanz einiger Meilen getrennt sind, nothwendig zueinander. Ungefähr 40 Jahre mögen es her sein, daß sich die ersten Colonisten am Pcrnipe ansiedelten. Namentlich waren es fleißige Schweizer, die hier vor andern Nationalitäten die Bahn brachen. Ihnen folgten bald einige Franzosen nnd Dentsche, welche mit Hülfe einiger Sklaven nach und nach eine Neihe von Fazenden gründeten und zu großer Blüte brachten, bis selbst manche Brasilianer sich ihnen anschlössen. So entstand eine lange Kette von Kaffeepstanznngen ans beiden Seiten des Flusses nnter dem Namen der Leopoldina, die ich deswegen keine Kolonie nennen möchte, weil der ganze Anbau mit Sklavenhänden getrieben wird. Die Zahl dieser durch Sklavenarbeit blühenden Landgüter, großer und kleiner, mag sich zwischen 40 und 50 belanfen. Ihre Namen sin? meistens Heimatsklänge oder Familien-erinncrnngen ihrer Besitzer; wir finden unter diesen Namen eine Germania, Melnsina, Helvetia, Wilhelmsee, Karlsruhe, Grütly n. s. w., nnd nnter den Besitzern deutsche, französische und brasilianische Namen, die besonders noch die Eigenschaft haben, daß, wie man mir in das Ohr geflüstert hat, ibre Besitzer sich in einige Uneinigkeitsgruppen spalten, nnd man auf der Leopoldina ein Anhänger entweder von Flach oder Maulas sein müßte, wenn man nicht von beiden Parteien gezupft werden will. Etwas unterhalb dieser Kaffeepflanzungen baben die Pflanzer da, wo der Pernipe aufbort für Dampfschiffe tief geuug zu sein, eine Art von Handclsdevot angelegt; es heißt S.-Ioze. So wtchtig ist dieses Handelsdepot, daß es für zwei Dampf- 180 schiffslimcn, die. südliche Küstenlinic von Bahia über die von mir berührten Häfen, und dic von Rio nach dem Mncuri, den letzten Endpunkt bildet nnd im nächsten Verkehr mit Ca-ravcllas steht. Doch ist es immerhin ein Mangel, daß alle Thätigkeit jener Pflanzer nnr anf den Kaffeebau gerichtet ist. An den nothwendigen Nahrungsmitteln, an Neis, Manioc-mehl, Bohnen ist oft Mangel, und nnr zn oft müssen dicse Artikel von außen eingeführt werden. Und nicht besser ist es mit dem frischen Fleisch, ssarneseeea nnd Geflügel müssen das frische Fleisch ersehen. Nnr nntcr den allergrößten Mühen nnd Unkosten, nnd anf den weitesten Umwegen wird zuweilen Vieh von Minas hinabgctrieben. Wenn so anf der einen Seite aus-' dem nahe' liegenden ^andban am Pernipe der Stadt Caravellas großer Vortheil entsteht, liefert anch auf der andern Seite das Meer manches nutzliche Prodntt. Au dcr Mündung des Caravellasslnsses nördlicherseits hat sich eine Art von. Vorstadt, von Hafenort gebildet, dessen Bewohner sich mit dem Walfischfang beschäftigen. Dieser Fang beginnt im Juni, wo ziemlich zahlreiche, Walfische in die Nähe der Abrolhos kommen, also bis in die Nähe der Küste von Caravellas. Iwar sind diese Thiere nicht groß, aber sie liefern, da zu ihrem Fange keine große Schiffsausrüstungen nöthig sind, immer einen ganz gnten Ertrag. Man hat mir die Zahl die Thiere, die in den sechs Monaten eines jährlichen Fanges erlegt werden, auf-80—1'. Ioze Eandido da Costa hat das Feld der Medicin verlassen nnd geht materiellen Interessen nach. Ein Deutscher, dem man ein regelmäßiges ärztliches Studium und ein legitimes Doctor-diplom ableugnet, prakticirt ohne großen Erfolg im Ort. Von seiteu der Regierung geschieh: nnr zur Zeit bestimmter Epidemien etwas, gerade jener Zeit, wo die ärztliche Kunst zwar am rüstigsten kämpft, aber auch am meisten aus dem Felde geschlagen wiro, well sich die ganze Gegend, das ganze ^and, die ganze Menschheit unter Einflüssen befindet, die mächtiger slnd als wir. Somit mnß der Eifer, in welchem die gnten Bewohner von Caravellas ihre Stadt herausstreichen, allerdings etwas kritisch beleuchtet werden. Earavellas hat nnd verdient den Ruf einer ungesuuden Stadt, und man darf es kaum versuchen, eine größere Entwickelung mit ihr vorzunehmen. X Ich kann Earavellas nicht verlassen, ohne der Freundlichkeit einiger dortigen Persönlichkeiten dankend zu erwähnen. Beim Commandanten der Natioualgarde, dem Oberstlieutenant und Doctor der Rechte Archias, der sich schon durch seine kriegerische Stclluug vom friedlichen Elienten des Marcus Tullius unterscheidet, fand ich mittels eines Introductions-scineibens vom Senator Eansancao de Einimbu die zuvorkommendste Aufnahme und ein freundliches Nachtquartier, denn ein Hotel gab es im Jahre 1i^5>U in Earavellas noch nicht. Außerdem hatte der alte Vicar der Stadt im Auftrage 153 des Herrn Theophilo Bencdieto Ottoni, welcher vor mir in (5aravellas gewesen war, für meine Weiterreife mittels einiger Empfehlungsbriefe gesorgt, ohne meine Ankunft selbst abwarten zu können; Amtsgeschäfte hatten ihn einige Tage vor mir nach demselben Mucuri gerufen, sodaß ich die Hoffnung hatte, ihn dort noch zn treffen. Die Namen einiger andern Männer, die mir mit unterrichtenden Gesprächen freundlich entgegenkamen, habe ich wieder vergessen. Doch gedenke ich ihrer nnd ihrer ganzen Stadt gern nnd freudig, In der Morgenfrühe des 2<>. Januar lichtete der Sta.-Cruz seinen Anker. Noch eine halbe Meile fuhr er den land-secähnlichen Fluß anfwärts, nno bog dann in jene Seiten-verbiudnng ein, die uus südlich in den Peruipe, kurz vor seiner Mündung in das Meer, brachte, eine Binncnfahrt, wozu wir zwei Stunden gebrauchten. Im Osten sahen wir das offene Meer dicht neben nns, im Westen gleich daranf, als wir um eine Waldecke herumbogen, das Oertchrn Villa-Vicoza. Hier ging ich an das Land, während der Dampfer den Peruipe noch einige Meilen weit bis zum oben angegebenen Depot von S.-Ioze ging, um dort einigen Kaffee von der Leopoldina zu laden. Von Villa-Vicoza ist absolut nichts zn sagen, als daß es ein unglückliches, kleines und trauriges Nest ist mit einer Kirche, welche den Einsall droht, uno durch einige untergesetzte Balken daran verhindert wiro. , Ich hatte einen Brief an den Collettor oder Steuereinnehmer Pereira dos Remedios, die erste Persönlichkeit >n der Villa, abzugeben. Der wackere, wohlerzogene Mann gewährte mir die freundlichste Aufnahme, nnd hatte sogar schon, da der mir voraufreisende Viear mich angemeldet hatte, alle kleinen Vorbereitungen zu meiner Weiterreise getroffen. Nach einer Stnnde freundlichen Gesprächs konnte ich den wackern 1^4 Mann nicht verhindern, sich zum Mitteilen bis zur Mündung des Mueuri zu entschließen. Ein Taglöhncr trug« mein kleines Gepäck mit Gegenständen, die ich für die nächsten Tage nöthig haben möchte, voraus. Ich selbst wollte gleich nm Mittag fortreiten, mn die 5 Legnas ferne Villa S. - Ioze do Porto Alegre an des Mündung des Mueuri noch vor Sonnenuntergang zu erreichen. Da ich nnn aber in Herrn Pereira einen so kundigen Führer nnd unterhaltenden Reisegcsellschafter hatte, welcher schon so manches liebe mal im Dunkeln, ja mitten in der Nacht den Weg bis zur benachbarten Villa galopirt war anf dem glatten Meeresstrande, so verschobeu wir, um der Tageshitze auf dem glühenden Nfersande zu entgehen, unsern gemeinschaftlichen Nitt auf oen Abend. Die Sonne war schon im Untersinken, als wir unsere Pferde bestiegen. Nach eiuem kurzen Nitt durch Wiesen und Gebüsch kamen wir an das offene Meer. Ein breiter, vollkommen todter Sandstreif faßte das ewig bewegte Element eiu, zwei wunderbare Gegensätze, welche beim Herabsinken des Abends einen tiefernsten Eindruck machten, fodaß uuscr Gespräch bald gänzlich verstummte. Anf der gauzeu Küstenstrecke von 5> sehr starken Leguas, die mein Begleiter mit Bestimmtheit auf <» Leguas anschlug, trafen wir kein Haus, keine Menschenspnr. Das Dunkel der Nacht ward kaum erbellt durch den reinen Tternenhimmel, durch einzelne Blitze am fernen Horizont, durch das Anschlagen der Wellen, welche, solange sie rollen, zwar einen dunkeln Wall bilden, beim Ueberschlageu dagegen in eine leuchtende Schaummasse sich auflösen und deu Nfersand aufglänzen macheu, bis er das feuchte Element eingesogeu hat. Ganz fern im Westen sahen wir einen Brand im Walde rothe Lichter geu Himmel senden; einzelne Wolken warfen den Schein blutroth zurück. Schweigend ritten wir in ununterbrochenem Trabe auf dem 165, festen, halbfeuchlen Scesand nebeneinander hin. Seltsam be-sangen war mcin Gemüth, wenn auch vollkommen furchtlos! Und mu Recht furchtlos trotz der tiefen Einsamkeit. Denn wildc Indianer kommen nicht bis an diesen Userrand, Unzen pflegen gern nachts am Meer umherzustreifen, nnd man erblickt wol morgens zahlreiche Epnren ihrer Tatzen auf dem Sande; doch fliehen sic schon ans der Ferne, wenn sie einen Reiter kommen sehen. Nur einmal schenten sich nnsere Pferde. Ein kleines Schiffswrack war vom Meer ansgeworfen worden und lag schwarz da anf dem ungastlichen Strande, eine Leiche unbeerdigt auf ödem Kirchhof. So hatte dieser sväte Ritt und das ganze langgedehnte Userbild in seinem mystischen Dunkel einen tiefen Ernst an sich. (Hin Nachtritt am Userrande afrikanischer Küsten kanu nicht einsamer, nicht öder sein.- Da war ich denn auch recht zufrieden, als wir um U) Uhr vom Meer abbogen, und etwas landeinwärts durch Gebüsch und lockern Sand ritten. Wir erreichten die kleine Villa von E.-Iozc do Porto Alegre und trabten durch dieselbe hindurch bis zum Strand des Mumrisiusscs, wo unmittelbar am Wasser ein von der Mneuri-Eompagnie errichtetes Geschäftshaus die späten Ankömmlinge aufnahm. Hier traf ich den Inspeecor des Hauses, einen Herrn Baptista, nnd zu meiner Freude auch den alten, gemüthlichen Vkar aus Earavellas, welcher eine Menge von Taufen und Trauungen zu besorgen g'ehabt hatte. Das wohnliche, hübsche Quartier oben im Hause nach der Flußseitc gclcgen und ein gutcs Bette thaten mir un> gemein wohl, und ich schlief bis in den hellen Morgen hinein. Ein einfaches vereinsamtes Küstenbild lag vor mir, als ich aus meinem Fenster schaute. Der Munin macht eine kleine Erweiterung vor seiner Mündung, die bei voller Flut l) Fuß Nassertiese hat, und gewinnt dadurch das Ansehen eines kleinen ^andsecs. Kurzer Wald drangt sich überall bis 18l> au den Sand des Ufers, welcher au der Ausmnndung selbst ganz bar und bloß daliegt, und leytere in zwei hervorspringenden Bänken bedeutend einengt, ein Umstand, der mich glauben macht, daß der Mncnri keineswegs eine bedeutende Nassermenge in das Meer führt. Die Mündung liegt unter 18 " 0 ' 43 " südl. Br. Ich hatte kaum Zeit gehabt, das Panorama der Flußmündung zu übersehen, hinter welchem der Ocean in grauer Färbung sich hinstreckte, als der alte Viear von Caravellas kam und mich bat, eine Reihe von Leuten zu sehen, welche unzufrieden mit den Verhältnissen in der Mucuri-(^olouie kürzlich den Fluß wieder hiunntergekommen waren und nunmehr einen weitern Lebensweg dnrch die fremde Welt suchten. Ich ging mit dem wackern Geistlichen. Das ganze Unternehmen am Mneuri, von dem ich schon so manche Andeutungen gemacht habe, hatte gleich von vornherein einen Doppelzweck. Die Hauptidce des unermüdlichen, aus mehr als einer nnruhigen Bewegnug und der letzten mit dem Treffen von Sta.-Lueia endenden Revolution hinreichend bekannten Mineiro Theophilo Benedkto Ottoni war wol die, einen kurzen Weg in die Provinz Minas hineinzubahuen mittels einer Flußschiffahrt, soweit der Fluß eine solche zuläßt, und dann mittels eines Landwegs vom Flusse aufwärts. Der zweite Plan war dann der, mittels Einwanderung die lauge Weglinie zn eolonisiren und den Urwald in eine angebaute Gegend umzuwandeln. Ein Aeticnfonds zum Werth von einer Million Thalern kam zusammen. Ein Dampfschiff ward gekauft, um jeden Monat einmal von Rio nach dem Fluß zu fahren; es trug den Namen des Flusses Mucuri. Gin anderes kleines Flußdampfschiff befuhr den Strom bis zur ersten Cachoeira, in einer Distanz von 30 Legnas. Von dieser Cachoeira,- Eta.-Clara genauut, ward dann ein Landweg in einer Ausdehnung 187 von 97 Leguas gemncht, und an seinem äußersten Ende eine Ortschaft, Philadelphia, gegründet. Wie thätig und mit wie schönen Geldmitteln anch das Unternehmen angefangen wurde, so sah man doch ein, daß man vor allen Dingen znr Belebung des Ganzen Menschen, Einwanderer nöthig hatte, Und da diese nicht von selbst nach Brasilien strömen, so griff man zu jenem Mittel, welches ich für viel unmenschlicher und verworfener halte, als je der Neger-Handel von Afrika gewesen ist: man bot Menschenprämien und beauftragte Gngagenrs zum Bereden der Lente in Deutschland, diesem lieben Handwerk, was mau in Deutschland mit dem Namen Seelenverkanf sehr richtig bezeichnet. Denn bei all diesen Privatuntern-chnningen in Brasilien, die ihre Lente in Deutschland mittels Geld engagiren lassen, kommt zur materiellen Noth anch noch die Seelennoth hinzu, die Demoralisation und Depravirnng der von hinterlistigen (5on-tracten gefesselten Leute. Aus schlechten Einwanderern werden unter dem Druck des Privatnnternehmers direete Verbrecher nnd Bösewichte; aus guten, sonst fleißigen, stillen Menschen werden mismuthige, fanle, widerspenstige Köpfe, und bei beiden geht zuletzt noch in uud mit der äußern Noth auch die innere Seele verloren. Nnd da stimme ich denn mit voller Ueberzeugung in das Wort Scclenverkanf ein, und nehme das Wort nie zurück, solange Brasilien und dessen Regierung zu Privatengagcments, zu Kopfprämien und Anwerbe-eomcssionen die Hand bietet. In solchem Seelenverkanf haben denn anch in Deutschland Deutsche, die sich durch ihr Iudasgeschäft aus Bettlern zu wohlhabenden beuten umgeschaffen haben, ihre Landsleule nach dem Mueuri geliefert, und dazu mitgeholfen, das; die dortige Unternehmung ins Leben getreten ist. Von diesem Leben hatte man in Rio oe-Janeiro viel Gn-tes zu verbreiten gewußt, namentlich dnrch das bekannte Iri- 188 tnngsblatt „l!"l'!'t'm ^!(>!^8 von Rio nach den brasilianischen Nordproviuzen reiste, nut dem besten Vornrtbeil für jene Colonieunternehmnng nach Babia gehen. '-is^ 189 In Bahia dagegen hatte man die allerschlechtestc Meinung für das Unternehmen. In den elendesten Verhältnissen warm deutsche Flüchtlinge in Bahia angekommen, die sich ihrer drückenden Verbindungen am Mucuri durch Entlaufen nnd Durchdringen uncultivirter Gegenden entzogen batten. Da sie nicht auf dem kürzesten Wege den Mncnri hinunter entt wischen konnten, waren sie meistens landeinwärts nach Ealhäo geflüchtet. Von dort mit Canots, in denen sie beim Laden nnd Nudern Dienste leisteten, den Irqnitinhonha hinab zur Küste nach Belmontc, nach Canavieiras n. s. w. gelangt, waren sie von einzelnen kleinen Segelschiffchen für Dienstleistungen unterwegs mitgenommen worden, und so endlich nach Bahia gekommen. Ich selbst traf dort Leute, dic mir ihre traurige Flucht erzählten. Sie waren zu fünfundzwanzig fort-gcwandcrt. Mehrere von ihnen hatten Arbeit unterwegs gefunden; vier waren an Krankheiten auf der mühevollen Wanderschaft gestorben; einer war verhungert; fünf hatten Bahia erreicht. Und die bittern Klagen, die sie führten, wiederholten sich überall, in und um Bahia, in Canavieiras, längs des Rio-Pardo, in Belmontc, — wohin ich nur den Fuß setzte, traf ich Leute mit Klagen über das Mncuri-IInternehmeu nnd Verwünschungen der Seelenverkäufer. Bedeutend concentrirten sich auch dic Klagen gegen einen gewissen Otto Vogt, den deutschen Inspector in Sta.-Clara, der beim Director Ottoni m ganz besondern: Ansehen stehen sollte. Ganz nach Willkür mishandelte er, wie mir die Klagenden allgemein versicherten, die Auswanderer, ließ sie selbst in den Block spannen und hungern; ja, es ist mir mehrfach erzählt worden, daß, als bei einem Fluchtversuche durch Ucberschwimmcn des Mucuri zwei Colonistcn vor diesem modernen Geßlcr sich retten wollten, aber nicht hinreichend schwimmen konnten und mitten im Fluß um Hülfe schrien, Otto Vogt diese Hülfeleistuug verbot und die Leute ertrinken ließ. 1 !10 So traf ich denn am Morgen des 27. Januar an dcr Mündung des Mncuri etwa dreißig Personen, die sich auf legalem Wege mit demMneuri-Unternehmen abgefunden hatten. Wie allgemein und einstimmig anch die Klagen und Verwünschungen dieser Leute waren, so war doch unter ihnen selbst ein Unterschied, Tie Mehrzahl von ihnen, Preußen und Wasser, hatten in einem kleinen Ranm am Geschäftshaüse der Compagnie ein Unterkommen gefunden. Viele von ihnen litten an tiefen Fußwunden, namentlich einige Francn und Mädchen: noch viel mehr litten sie alle an der tiefsten Entmuthignng. Hinter sich die Kolonie, die ihnen ihr ganzes Leben vergiftet hatte, vor sich das ungeheuere Meer, über welches ibncn die Rückkehr größtcntheils unmöglich war, saßen sie da hülflos und mittellos, großentheils mit siechem Körper, alle mit tiefver-wundctcr Seele. Eine Familie mit fünf Kindern hatte bei eipigcn Geld-mitte.ln noch Anssichteu fortzukommen. Zunächst wollten sie nach Earavellas, wohin der alte Viear sie eingeladen hatte. Ein junges Ebepaar hatte Mittel uud Wege, nach den Vereinigten Staaten zu kommen. Eine arme Witwe und ein anderes Mädcken hatten ausnahmsweise die Passage nach Rio mit dem Mururidampfboot frei erhalten. Die Witwe, eine junge, ordentlich aussehende Frau, war iu besonders tranrigcn Verhältnissen. Auf dcr Fahrt von Hamburg nach Rio war ihr Mann gestorben; sie klagte bitter über den Echiffskapitäu nnd dessen rücksichtsloses Benehmen bei der Gelegenheit. Am Mu-curi wobnte sie bei ihrem Bruder, der angefangen hatte Landbau zu treiben. Dort verlor sie ihr Kind und dann auck den Bruder. Nun war sie wieder allein und wollte nach Rio gehen, um dort ihre Gesundheit zu bessern und bei Landslcuten Hülfe zu suchen. Das ist der Lebenslauf einer Emigrantin, die erst vier Monate in Brasilien war. Uud 191 doch wie glücklich war sie noch gegen andere Leidensgenossin, gegen die Elsasser! Wohl hatte der alte Viear von Eara-vellas recht, wenn er beim Wrgreiten mit dem tiefsten Un willen die ganze Scene am Userstrand von S.-Iozc do Porto Alegre eine Earnisicina, eine Schlächterei nannte. Nun die Elsasser! Ein Ehepaar war dort, ein jnnger rüstiger Mann von 25 Jahren und eine leidend aussehende, hübsche junge Frau von 26 Jahren, die offenbar eine gntc Erziehung hatte, dazn eine Schwester des Mannes und zwei kleine Kinder, zwei andere waren schon früher gestorben. Diese armen Leute, die sich in Rio-de-Ianeiro vollkommen gut, ja mit Aussicht auf künftigen Wohlstand hätten ernähren können, saßen am Ufer ohne einen Heller Geld, also auch ohne alles Passagegcld nach Rio! Die blasse, tiefgebeugte Frau weinte bitterlich und rief, nachdem sie mir ihre Leidensgeschichte erzählt hatte, unter Thränen ans: „0!i, ^> >»<»n sx^iv «.iv^ü WM <:o!l>, i! i'IIint mnul-n-!" Ich versprach der Familie di? Passage nach Rio; einmal, damit auf diese Weise fünfMen-schen ans dem Elend kämen, besonders aber auch, damit sie in Rio die Hülfe des französischen Consuls, Herrn Taunay, für ihre Landsleute anrufen möchten für eine ganze Reihe von Leidensgefährten, die noch in verschiedenen Punkten der Colonie sich befanden nnd einen mit mehreren Unterschriften versehenen Brief an den Eonsul geschrieben hatten. Sie hatten dieses Bittschreiben den davonziehenden Landsleutcn mitgegeben, weil man ihnen gesagt hatte, daß solch ein Nothschrri aus dem Postwege mit dem Mucuridampfboot vielleicht verhallen möchte. Und ohne die Reise der Familie nach Rio wäre er auch sicherlich verhallt. Zudem war gerade jene junge Frau zur Vertretung ihrer verrathenen Landsleute in Rio nothwendig., Während die andern Elsasser weder dentsch noch fraw zösisch verständlich redeten, sprach diese Frau so klar, so verständlich, daß sie allein ihre Landsleute vertreten nnd den: 1!)2 edeln, menschenfreundlichen Taunav die ganze Sachlage auseinandersetzen konnte. Jetzt aber kam die eigentlich tragische Gruppe von Aus"-Wanderern. Einige Schritte vom Geschäftshause fern war unmittelbar am Wasser ein großes Dach errichtet, nnter dessen offenem Raum die Holzboote der Compagnie liegen, damit sie nicht von der Sonne zerrissen werden. Neben.diesen Booten lagen zwei elsasser Familien in sehr traurigem Znstande, Sie waren von den niederträchtigen Agenten der 5ooi<>> 6?i6c (-onU'<,l äl' ^s>!0M5i!ionc) jn Rio, dieser Gesellschaft ohne Hirn und Herz, von Beauconrt und Consorten, uno deren saubern Subagcnten in Strasburg, die den Leuten in das Hans gekommen waren, zur Auswanderung nach Brasilien aufgefordert worden, ganz in derselben Weise, wie ich jene betrogenen Leute in der Eolonie Donna-Francisca (Provinz Sta.-Catharina) gefunden hatte. Sie wollten sich den Halb-Partbedingungen, die man ihnen auf einer Fazende am Mu-curi zugemnthet hatte, nicht unterwerfen nnd waren nun wieder zurückgegangen bis zum Seestrand, um zu sehen, ob ihnen, da Menschen gar kein Erbarmen mehr zu haben schienen, nicht dort irgendeine unverhoffte Hülfe sich zeigen möchte. Der Inspector des Geschäftshauses hatte, wie er nur selbst sagte, den gemessensten Bcfebl, ihnen Obdach und jegliche Hülse zu versagen. So lagen sie drei Nächte am Strande unter freiem Himmel, Männer und Franen — cine hochschwanger — und kleine Kinder, ohne den geringsten Schuh gegen den fo gefährlichen Nachtthau. Nun wurden sie fast alle krank. Jetzt konnte der Inspector doch nicht nmhin, den gemessensten Befehl des Theo-philo Benedicts Ottoni wenigstens in etwas zu umgehen. Er vergönnte ihnen, unter das Bootsdach zu kriechen, wo ich sie denn in folgender Gestalt liegen fand. Der eine Familienvater, Napoleon Petit Ieum', so nannte Ave-Lallen, ant, Nord-Vrasilien, I- 13 193 man mir seinen Namen, hatte das tieft Elend, worin er sich und seine Familie schmachten sah, nicht länger ertragen können. Gelb, kalt, pulslos nnd halb bewußtlos lag er am Boden mit den Ausgangssymptomen vom Typhoidalfteber, ohne ordentliches Lager, ohne Pflege, stinkend und das Beinkleid besudelt vom colliquativeu Turchfall. Neben ihm am Boden lag seine Frau, seit 48 Stunden nnd ohne alle Hülfe von einem lebenden Kinde entbunden, mit starkem Katarrh und tiefer Athemnoth, und dazn im vollsten Bewnßtsein ihres Elends, denn ihr fehlte wirklich alles. Weiterhin stand der zweite Familienvater, der Elsasfer Joseph Flieller, mit einem kleinen Kinde auf dem Arm. Zu seinen Füßen lag auf dürftigem Lager fast seine ganze Familie krank, vor der er wie ein Kind weinte, denn alle hatten keinen Bissen mehr zu essen, Seine Frau litt an leicht typhösen Erscheinungen. Die Tochter dagegen, ein Mädchen von 15 Jahren, lag mit gelber Gesichtsfarbe, blauen Lippen nnd vollkommen soporös da, sodaß man sie schon einmal todt geglaubt hatte. Ein kleiner Junge, Peter, von I.'j Jahren, konnte zwar noch aufstehen, doch war auch er sichtlich angegriffen und der arme, blasse Junge weinte bitterlich. Dann war da noch als letzter Kranker der kleine Benjamin Flieller, vier Jahre alt, der an leicktem Fieber mit Gelenkschmerzen litt. Das war das Bild des Mcnschenelends, womit ich eingeführt ward in das Mueuri-Unternehmen. Ich konnte nicht umhin, es in seiner trüben, grausigen Färbnng wiederzugeben, denn es ist wahr nnd vor allen Dingen muß die Wahrheit gesagt werden. Im Geschaftshause der Compagnie war Platz genug, um diese elenden Kranken aufzunehmen. Dein» vor allen Dingen mußte ihnen ein ordentliches Lokal angewiesen werden. Doch schützte der Inspector den bestimmteil Befehl vor, daß man 184 den Leinen Obdach und Hülfe verweigeru sollte. Ich sagte lhm jetzt, daß ich aber Platz für die Kranken haben wollte, und wurde etwas derb, indem ich drohte, ich würde znm Sub-delegatm des Orts gehen. Denn ich ahnte nicht, daß der Subdelegat von S.-Ioze zugleich — Ottoni's Inspector mid Commis wäre. bitter der Bedingung, daß ich ihn bei seinem Herrn ^ ich meine damit nicht den Kaiser, dessen Gerechtig-keitsverwalter er war, sondern Ottoni, dem er als Commis diente — wegen der l.lebertrctnng des Befehls entschuldigen möchte, räumte er den elenden Clsassern das Salzmagazin des Geschäftshauses ein, was ein gutes, gedieltes, hohes und luftiges Lokal war. Damals wußte ich noch nicht, daß die Compagnie im Orte S.-Iozc selbst ein gutes, hinreichendes Empfangshaus für Colonisten besaß, welches gerade ganz leer stand. Mit Hülfe derjenigen Arzneien, die ich bei mir hatte nnd die ich im Hanse vorfand, leistete ich den elenden Menschen die nöthige pharmaceutische Hülfe und sorgte für ihre sonstige Nothdnrft, sodaß dein (Klend in allen Beziehungen wenigstens für den Augenblick abgeholfen war. Nachdem so Ruhe und mannichfacher Trost nnter eine Menschcngruppe gekommen war, die noch vor wenigen Stnn-den es nicht für möglich gehalten hätte, daß Gott ihnen so schnelle Hülfe senden könnte, erzählten mir die einzelnen nach der Reihe ihre Schicksale und Irrfahrten. Ich bekam Papiere zn sehen, Auswanderungstractätlein und Namen von „con-cessionirten Agenten", sodaß mir wirklich dort am öden Mn-cnriufer eine neue Schnlc aufging. Wie schön, wie edel, menschlich, wie hoffnungsreich, gcwinnversprechend, reichthumverheißend klingt das alles! Und wenn man nun diese Privat-fpecnlationen kennt, bei denen die Colonisten nur Mittel und nicht Zweck sind, was muß man von der Moralität solcher Agenten denken? Christns ward doch nur einmal um 13" 195 ZO Silberlinge verkauft und an das Kreuz geschlagen. Die Auswandernngsagenten thun das in der Person armer Auswanderer Taufende von malen, an allen Enden und Ecken thun sie das, die ewigen Juden unsers Jahrhunderts! Und solange die brasilianische Regiernng es duldet und sogar gutheißt, daß Privatunternehmungen mittels Eolonistcn angefangen und Auswanderer von Gngageurs beschwatzt wer-den, wird sie immer die altc Geschichte erleben: Unglück und Elend der Eingewandcrtcn und als nächster Rückschlag heftige Angriffe und Vernichtungen nicht solcher Privattmternehmun-gen, sondern des ganzen Kaiserreichs, nicht solcher Engageurs und Unternehmer, sondern der ganzen Landesregierung mit alleu ihren Principien. Ganz bestimmt war dic nnhcimlickc Strandgeschichte, die ich am Mucuri erlebte, allein dem Co-loniedirettor Ottoni brizumessen in ilner vollen Schuld. Denn nrthoilslos einen Fluß, dessen Ungefundigkeit für nordische Auswanderer von vornherein abzusehen war, dennoch mit Eo-lonisten aus Frankreich und Deutschland besetzen zu wollen, zum Engagiren und Beschwatzen von Auswanderern sich so blindlings Leuten anzuvertrauen, von denen er bestimmt nicht die Document«.' ihrer vollen Ehrenhaftigkeit in Händen baben konnte, und nun noch sich der Answanderungsgesellschaft in Rio, die auf das allergewisscnlosestc Leute cngagiren ließ, zu bedienen, um die leeren Waldungen am Mucuri mit Menschen zu füllen, und zn dem allen fern von der Eolouie zu leben, die er nur zuweilen besuchte, den Berichten seiner sogenannten trenen Diener zu glauben, ohne die Klagen der von diesen treuen Dienern bedrückten Einwanderer zu hören, und endlich nicht einmal die Sprache derer zn versieben, deren Wohl und Wehe er auf sein Gewissen nahm, nnd ihnen zuletzt noch das zum Leben Nothwendige und coutractgemäß Etipulirte in so mancher Beziehung vorzuenthalten, wie sie alle, alle klagten, die ich traf, — das alles mache ich dem sonst so angesehene« 196 Manne allerdings zum bittern Vorwnrf. Jede Klage hätte er verstehen müssen, jeden Klagenden anhören, ohne daß dieser der Rache derer, gegen welche er zu klagen hatte, verfallen Ware, — in seinem Unternehmen hätte er leben, mit ihm leben, mit ihm hungern, mit ihm sterben müssen, oder mit ihm gedeihen und stark werden und wenigstens menschlich mit ihm suhlen! Aber nach einer Richtung hin hatte schon die Nemesis angefangen ihr Racheamt zu üben. Als ich vor meiner An-knnft zum Mueuri von den oben schon angedeuteten Flüchtsingen über jenen Otto Vogt so allgemeine, bittere Klagen hörte und niemand über ihn sich beklagen durfte, über diesen treuesten Diener des Directors, nahm ich mir es fest vor, mit eben dem Director, sobald ich ihn treffen würde, ein offenes Zwiegespräch zn halten und mit ihm gemeinschaftlich die allgemein über Bedrückungen klagenden Colomsten zu fragen, in welcher Weise sie vom Inspector gedrückt würdeu, Nnd als ich nun an der Mündnng des Mucnri stand und mir von den Leuten über ihre Lage Bericht machen keß, erfuhr ich zu meinem Erstaunen uud zu meiner nicht geringen Satisfaction, daß knrz vor meinem Kommen jener Bedrücker seiner eigenen Landslente bereits vom Director Ottoni abgesetzt worden sei. Wie unsäglich vielen Klagen, wie vielem Elende wäre von vornherein vorgebeugt worden, wenn diese Ab-setznng schon viel früher erfolgt und jener Vogt vielleicht gar nicht znm Inspector von Sta.-Clara eingesetzt worden wäre. In wie ganz andern Farben wäre mir vielleicht das Mucuri-Ilnternehmen entgegengetreten! Das kleine Flußdampfschiff Peruipe, welches mich von der Mündung des Flusses bis Sta.-Clara bringen sollte, war in einer ziemlichen Entfernung von der Barre beschäftigt. Der Inspector Baptista schickte ein Canot ab, um es zu suchen und hcrabzuholen, meinte aber, es könnten einige Tage 197 darüber hingehen, ehe der Peruipe dasein würde. Mir war das vollkommen recht und ich konnte mich ungehindert mit den Kranken beschäftigen. Als ich am folgenden Morgen zu ihnen kam, hatte ich einen harten Anblick. Die neuentbnndene arme Fran schien zwar etwas besser, weinte aber anf das bitterlichste. Rechts von ihr lag ihr neugeborenes Kind rosenfarbig und frisch, links von ihr ihr Mann gelb und eingefallen; mitten in der Nacht war er gestorben, ein Napoleon aus der untern Volksschicht, der auch fern über Meer langsam verblutete nnd vergebens hinausgeschaut hatte anf den Oeeau, ob ihm keine Hülfe, keine Erlösung kommen möchte. Der Inspector wollte für eine Beerdigung anf dem Be-gräbnißplatz des nahen Ortes S.-,Ioze do Porto Alegre sorgen, wie er sich denn als einen zwar befangenen, aber doch höchst gutmüthigen Menschen zeigte, der nur entsetzliche Fnrcht hatte, etwas 'ohne Befehl oder gar gegen 5en Befehl seines Herrn zn thun. Die andern Masser dagegen schienen den Todten»lieber ganz für sich begraben zu wollen, und es war am besten, sie ganz ruhig gewähren zu lasseu. So gruben sie ihn denn einige Klafter fern vom Ufer im Gebüsch sein Grab nnd bestatteten ihn dort gegen Sonnenuntergang. lind da konnte denn die neuentbundene Frau des Ver-storbenen anch mit ihrem Elende nicht weiter, .Wenige Schritte von ihrem Lager der Schmerzen und Krankheit lag ihr Mann im Sande eingescharrt. Neben ihr lag ein kleines, schreiendes Kind, welches vergebens an der welkenden Brust der Mutter seine Nahrung suchte, nnd dicht dabei lag noch das andere Kind, ein kleiner, abgezehrter Knabe mit geschwollenen Füßen. Zwar hatte ich auch für diese an Nahrung und Uebcrfahrt das Nöthige angeordnet, aber auch hier war meine Sorge eben nur ein Menschenwerk, - zwei Tage nach ihrem Manne starb die nnglückliche Mutter. Die beiden Km- 198 der blieben unter der Obhut der jungen Glsasserin mit Name» Mnnsch ans Mühlhausen und fingen mit ihr nach Rio. Das älteste Kind des Fliellcr, Karoline, 15 Jahre alt, kam auch uicht wieder aus ihrem eomatösen Zustande zu sich. Sic starb noch' vor der Frau des Napoleon und ward auf dem Kirchhof von S.-Ioze begraben. Allerdings erheischte nun der Rest dieser Emigrantengruppe meine größte Aufmerksamkeit uud Fürsorge. Vor allem hielt ich es für meine Pflicht, mich wegcu der Elsasser in brieflichen Rapport mit meinem würdigen Freund, dem Consul Tauuav iu Rio-de-Janeiro, zu setzen, damit vermittelst des nächsten von Nio kommenden Mmuridampfboots alle nöthige Vorsorge getroffen werdeu möchte, um diese unglücklichen Deutschfranzosen völlig aus ihrer inhaftirteu ^age längs des Mucuri zu befreien. Mit grosiem Ernste richtete ich dann auch einige Zeilen an Herrn Manoel Felizardo de Eouza e Mello, der von neuem Kriegsminister geworden war. Von beiden Briefen dürfte ich den allerbesten Erfolg hoffen. Was ich in drei Tagen an Ort uud Stelle that, war hinreichend, um aus der zum Theil verzagteu, zum Theil völlig verzweifelnden Menschengruppe eine getröstete, hoffende und selbst freudige zu machen. Nur klein und unscheinbar ist das eben gegebene Bild des menschlichen Elends. Möchten sich aber dennoch alle, die am Answanderungskihel leiden, dasselbe recht ausmalen uud in der bescheidenen Hcimat mit ihren kleinen beschränkten Verbältnissen Gott abends nnd morgens nnv morgens nnd abends danken für das tägliche Vrot und daran denken, daß man jenseit des Meeres mitten unter dem schönet« Troftenhimmel uud an 'der Mnnouug eines Flusses, von dem die Auswanderungsageuten Paradicseshymnen singen, wirklich in Gefahr zu verhungern uud iu Gleud umzukommen geratheu kann. Von allen Flußmündungen, die ich besucht habe, ifi der 199 Mucuri an seinem untersten Ende unbedingt am einsamsten. Die Villa, per Enphonismum Porto Alegre genannt, ist das Erbärmlichste, was man nur sehen kann. Glücklicherweise bleibt der Ort, der nicht einmal eine ordentliche Kirche hat, so in kurzem Gebüsch und Sand liegen, daß man ihn eigentlich von keiner Seite her zu sehen bekommt. Einen weithin ausgedehnten Meereshorizont hat man vor sich, wenn man über die Sandbänke der Barre hinaussiebt. Aber keinen Mast erblickt man, kein Segel taucht auf, kein Schiff zieht in der Ferne vorüber; recht ein Salaz y Gomes muß die Küste für manchen Einwanderer sein. Nur einmal alle vier Wochen kommt einiges Leben in die öde Scene, wenn das Mncundampfboot von Nio anlangt und die Waaren der Compagnie oder nene Einwanderer bringt, die sich dann mit den davonziehenden begegnen, nnd so allerdings an jenes Bild eines calisoruischcn Schisses erinnern mögen, wie ich es einmal in den „Fliegenden Blättern" gesehen habe. Auch der Fluß selbst ist stumm und still. Wirkliche Mühe kostet es, ein Canot zu entdecken, in welchem ein Fischer seinen Fang nach Hause bringt. Ob beeinflußt von der traurigen Emigranteugruppe und manchen ernsten Betrachtungen darüber, die ich mit entschiedener Offenheit an namhafte Personen schrieb, oder nur beeinflußt und abhängig von dem einförmigen Naturbilde: es kam mir vor, als hätte ich nie etwas so Erbärmliches, etwas so Erbarmeuswerthes gesehen wie diese Mucunmündung. Da kam denn endlich am 31. Januar der kleiue Dampfer Peruipe den Flnß hernntrrgccilt. Gerade war hohe Flut bei kräftiger Nordostbrise; das Meer warf seine kurzeu Wellen Schlag auf Schlag hinein in den Flnß und frisch durchschnitt der kleine Dampfer das rollende Element, sodaß sein Vorbng oft ganz im Schaum versteckt war. Ich traf nnn die letzten Verabredungen mit dem Inspector 3tt0 Baptista wegen der unglücklichen Emigranten. Dic Anordnung ließ sich so machen, daß alle, die nach Rio-de-Janeiro wollten, mit dem Damvfboot, das in wenigen Tagen von dort kommen mußte, fortreisen konnten. Es war hohe Ieit. Das Sumpffiebcrclemcnt schien sich in die meisten cingeschlichm zu haben. Noch am 31. Januar kam ein freilich sehr gelinder Fieberanfall vor. Die andern Patienten befanden sich so gut, daß ich getrosten Muthes vou ihnen gehen konnte, um so mehr, da sie alle in wenig Tagen nach Rio abreisen sollten. Und dennoch war ich voll vom bittersten Nnmuth, den ich auch am folgenden Morgen (1. Februar) noch nicht nnter-drückt hatte. Ich hatte alles für sie gethan, was augenblicklich nothwendig war und gethan werden konnte. Das aber rechtfertigte noch immer nicht die elende Vcrwaltuug des Mu^ curi - Unternehmens, welche ganz wissentlich nnd geflissentlich und aus fast unnatürlicher Rachsucht all das Elend hervorgerufen hatte. Dafür hatte ich aber auch auf der andern Seite das lebendige Vorgefühl, daß die Erscheinung der Ge-mishandelten nnd meine sie begleitenden Briefe einen tiefen Eindruck machen würden, nnd über ihr eigenes Schicksal hinaus auch auf das ihrer am Mucuri noch weiter hinauf sich befindenden Genossen einwirken würdeu. Am liebsten hätte ich die so hart Bedrängten selbst nach Rio begleitet und dort bcvorwortet. Aber zn viel hatten sie mir von den Leiden, Entbehrungen nnd Krankheiten dcr Eolonisten am Fluß und von dort anfwärts erzählt, als daß ich hätte den Gedanken anfgeben können, es müßte auch dort manchem verrathenen nnd verkauften Auswanderer Hülfe geleistet werden. So blieb es denn bei meiner Flußschiffahrt. Um 5> Uhr schon begann das kleine Flnßdampfscbiff Pe-ruipe seine Fahrt und durcheilte in der besten Rüstigkeit den grauen Fluß und den weißen, dicken Nebel, der zwischen den 201 Ufern des Stromes hing. Sowie mm der völlig anbrechende Morgen die auf der Gegend liegenden Dünste zertheilte, entwickelte sich vor meinen Augen das stille Pflanzenleben, welches mich nach all den peinigenden Eindrücken bei meinem Betreten des Mueurigebiets doppelt erquickte und beruhigte. Anfangs ging dieses Pflanzenleben nicht aus der Nhi;o-phorenbildung heraus. Wie oft und bis zum Ueberdruß ich anch schon an solchem Iunglestrand hingefahren und an ihm umhergelaufen war, nie hatte ich denselben mit so stattlichen Formen bedeckt gefunden wie am untersteu Ende des Mucuri. Bis zur Höhe von 40 — 50 Fuß bildeten die Nhizophoren ihre einzelnen Stämme.' Nicht nur aus den untern Negionen dieser Stämme gehen die in weiten Bogen den Morast suchenden Wurzeln aus, sodaß der ganze Baum von diesen hoch aus dem Boden heransragenden Wurzeln wie auf sperrigen Stelzen getragen wird, sondern es beginnt diese seltsame Wurzelbildung auch auf den wirklichen Aestcn. Während dic auf einer Höhe von 18 — 25> Fusi aus dem Stamm in rechten Winkeln entspringenden Aeste auf den meisten ihrer Verzweigungen mit schönem, lebhaft grünem Laub bekleidet sind, senden sie fast ebenso viele blattlose und scheinbar ganz abgestorbene Zweige gerade herab znm Erdboden. Ebe diese Iweige den Erdboden erreichen, theilen sie sich oft nach Art einer Vlumenumbelle in fünf bis acht dünnere Senker, die in den Erdboden eindringen und ein nenes Wurzelgerüst vom sonderbarsten Ansehen bilden. Fast möchte man diese seltsamen Anhänge für Parasitenformen halten und nach ihren, vom ursprünglichen Baum verschiedenen Blättern und Blüten suchen, bis mau sich überzeugt, daß wirklich der ganze vegetabilische Wirrwarr ein einziger Banm ist, der mit sich selbst Parasitismus treibt. Dazu kommt noch ein wunderlicher Umstand, Man braucht nicht eben lange im Morast zn suchen, um den einen oder andern Nhizopborenstamm zu finden, dessen 202 ursprüngliches Stammende abgestorben ist. Das stört aber die von ihm ausgehenden Aeste keineswegs. Horizontal auf ihren vielen zur Erde herabgesenkten und dort festgewachscnen Wurzeln stehend, säst wie ein Mittelding zwischen Pflanze und Thier, eine Ovidische Metamorphose, setzen solche Aeste ihr Dasein fort als selbständige, nur etwas schief liegende Bäume, Und wie uun einmal dieser Baum ein sonderbares Para-doron ist, so ist er es auch in seiner Fortpflanzung durch vie Blüten, Die Blume vou wundervollem Magnoliengernch, jedoch eben nicht ansehnlich, hat in ihrem Bau entschiedene Aehnlichkcit mit der nordischen Oenothera und den bekannten Fuchsien. Höchst sonderbar aber wächst, wenn die Blume verblüht ist, das Keimwurzclchen aus der am Baum hängen bleibenden Samenkapseln hervor zur Länge von l —9 Fuß, leicht kolbig angeschwollen am freien Ende, bis das zuneh< meude Gewicht dieses Auswuchses den Keim aus der Kapsel herauszerrt und ihn im Herunterfallen in den weichen Lehmboden eindringen läßt. An allen größern Rhizophorenbüschen und Bäumen kann mau diese langen Schwänze aus den ver« blühteu Kelchen herabhängen sehen, nnd darf den Ausdruck nicht abweisen, daß hier einmal eine Pftanzenfamilie lebendige Junge zur Welt bringe. Wenigstens erschienen mir diese sich selbst einpflanzenden Keime allerdings so. Es leidet mir übrigens nicht den geringsten Zweifel, daß die nntern, aus dem geraden Stamme hervorkommenden Luft--wurzeln der Rhizophorcu, wenn sie in kräftigem Bogen die Erde erreicht haben, den ganzen Banm nicht nur halten, sondern mit der Zeit selbst ans dem Boden herausheben und emporhalteu, sodaß er nur mit seinen Wnrzeln, nicht mehr mit seinem ganzen Stamm im Morast haftet. Je dicker der Rhizophorenstamm war, desto böher war er von seinen Wurzeln emporgehoben worden. Ich sah eine Menge von kräftigen Bäu^ men, deren hochbeinige Stellung kaum anders zu erklären war. 203 Bei so manchen Pandanuscremvlarcn, die schon vom fernen Osten eingeführt, zahlreich in den brasilianischen Gärten repräsentirt sind, habe ich ein ähnliches Phänomen beobachtet. Solange dieser schöne, in zierlicher Spirale seiner Blätterkrone wachsende Baum jung ist, ragt keine einzige seiner einfachen Wnrzeln aus der Erde heraus. Wird aber der Baum höher, so heben seine Wurzeln ibn aus dem Boden hervor, und der Pandanus scheint spazieren gehen zu wollen wie jener berühmte Wald von Dunsiuau. Kaum auders kann ich mir auch die seltsame Formation einer Menge von Kletterbänmcu erklären. Anfangs einen einfachen, halb abgeplatteten Stamm bildend, der sich fest an den selbständigen Walduachbar andrückt, hebt sich der Parasit nach und nach so nach oben, daß er bald nicht nur obeu sich in sleste theilt, sondern auch nach nuten Verzweigungen zu bilden scheint, die alle dicht am Nachbarstamm des stützenden Baumes anliegen, uud mir eben nicht wie Zweige erscheinen, die der Parasit nach unten gesendet hat, sondern wie Wurzeln, die den Parasiten uach oben hinausgeschoben haben. Man muß viele Stammparasitcu iu deu Tropen gesehen haben, um meine vielleicht etwas gezwungen erscheinende Erklärung einer Stammzcrtheiluug uach unten zu billigen. Die ganze Bildung einzelner Feigeubaumarten nnd parasitirender Gnttifcren läßt sich kaum anders deuten. Je weiter unser kleiner Peruipe den Fluß hinauslief, desto mehr entwickelte sich dcr Walo nach seinen einzelnen Formen. Bald hingen weiße Passifloren in langen Ketten bis in das Wasser hinunter; bald bedeckten die Guachumabüsche mit gelben und rotheu Blüten das Ufer. Dauu traten einzelne Palmcnwcdel zierlich heraus aus dichtem Gebüsch; die Iuffara-palmc kam nach und nach in immer bedeutenderer Menge zum Vorscheiu und bildete mit den so oft schou erwähnten Urwaldsformen, Inga, Mimoseu, Lorbcrn, Feigcu, Calopbyllen, 204 Sapucaias u. s. w. einen für Menschen undurchdringlichen Forst, durch welchen sich der Mucuri als ein wirklicher Waldstrom hindnrchwälzte. Vor diesen Baumformen aber drängte sich ganz besonders die Vignonicnpracht in den Vordergrund. In dichten Gewinden überall hinüberhängend, bildeten die zn dichten Traubell zusammengedrängten Blüten üppige Bouquets; überallhin warfen sie ihre gelben, weißen, rothen und blanen Farben, gewiß eine der schönsten Pstanzengruppen längs der brasilianischen Flüsse. Wirklich, wenn Brasilien nicht das Neich der Melastomen wäre, ich möchte es das Land der Vignonien taufen. Kleine, weißblühende Melastomen machten ebenfalls eine hübfchc Wirkung am Flusse, anch jene duftigen, schon beim Ieqnitinhonha aufgezeichneten Sta-paliaeeen und auf hohem, luftigem Wohnsitz eine scharlachroch und gelb gefärbte Lorautbaceenblüte, ebenfalls zu dichten Gruppen zusammengedrängt. Ganz unkenntlich blieben mir dagegen jene prachtvollen gelben Vlütenpyramiden auf hohen, dichtbelaubten Bäumen, die mich nach ihrem Habitns u. s. w. an Voechysim erinnerten, ohne daß ich sie dafür auSgcben darf; sämmtliche Bäume bliebru mir zu fern von meinem Wasserwege. Dazu schrien einzelne Nrarapaare — Papagaien zeigen sich immer in Paaren — über den Bäumen umher, und im Gebüsch kreischten und pfiffen Iapns, Iapciras nnd Anus (Arten von l!i^^'lol0i>w>^») um die Wette. Scheu flog auch hier an einsamen Stellen der I'1o!u8 ^nlim^, umher, weit vor sich ausstreckend den hellgrauen, schlanken Hals und den mit langem Schnabel versehenen Kopf. Auch den dunkeln Ibis, den ich im Unterland? von Sta.-Catharina oft getroffen hatte, fand ich mchrercmal, und noch häusiger den silbergrauen und den kleinen weißen Reiher, alle ungcmein schlanke Vogelformen, die auch am Mucuri zierlich am dnnkeln Wald dabiuschwebeu. 205 Von Anbau trafen wir fast nichts. Hier und dort zeigte sich am untern Mucuri eine kleine Anpflanzung von dcr aUer-kümmerlichsten Form, vor der beim Herannahen des Dampfers einige Figuren, meistens Indianer, sich zeigten. Dasaßen denn wol drei bis sechs kleine nackte Bowcudeukindcr von zahmer Kategorie ganz gemüthlich nebeneinander, eins dem andern so ähnlich wie sich selbst, häßliches kleines Volk und doch ganz originell mit der kleinen braunen Fratze, Einmal stand neben solchen Kindern eine Frau, kurz und fett und von lächerlicher Häßlichkeit; wirklich schien sie über sich selbst zu lachen, als wir vorbeifuhren. In d'ieser untern Mmnrigegend gedenkt mau mit Schrecken einer schlimmen Menschenschlachterei, die vor acht bis zehn Jahren vorkam. Ein gewisser Vidal hatte sich hier angesiedelt und sick in gutes Vernehmen mit den anwohnenden Botocuden gesetzt, sodaß ihr Kazike, dem das Treiben der Ankömmlinge ganz gut gefiel, ihm seinen Sohn, um ihn zu cultiviren, anvertraute. Ein Feind dieses Vidal berichtete dem Kaziken, daß man seinen Sohn, der mit einigen beuten nach S.-Ioze gefahren war, verkaufen wollte. Weinend kam der Kazikc zum Vidal und verlangte seinen Sohn, der allerdings nicht erschien, weil er abwesend war. Jetzt machten die Botocuden eine Kriegslist. Sie kamen bei einem starken Regen, als alle Bewohner des Rancho zusammensaßen und ihrc Flinten in eine Ecke gesetzt hatten, in das Haus. Doch hatte Vidal selbst noch sein Gewehr zwischen den Knien stehen, sodaß die Indianer immer noch Furcht hatten. Am Dach regnete es durch und der verschlagene Kazike stieg ans einen Block, um den Leck zu verstopfen, sodaß er sich stellte, als ob er damit nicht fertig werden könnte. Er rief deshalb den Vidal zu Hülfe. Arglos setzte dieser seine Flinte nun auch fort. Da fielen die Botocuden über die Waffen her und liefen damit in den Wald, der Kazike mit ihnen. Vidal nahm das nur 206 für einen Diebstahl, wie denn die Indianer ausgelernte Diebe sind. Doch war cs mehr als ein Nanb. Die Botocuden kamen bewaffnet wieder nnd erschossen alle Bewohner, neun oder elf an der Zahl, mit Pfeilen. Nur ein junger Mensch, Ricardo, entkam schwer verwundet, indem er an einem Holzblock den Strom hinuntertrieb. Gin kleines Kind soll bei der Gelegenheit von ihnen aufgefressen worden sein. Ueber solche muthmaßliche Menschenfresserei werden wir weiter unten hören. Nur einmal trafen wir am unteru Mueuri einen bedeu-tendern Anbau an höher gelegener Stelle. Bella-Vista heißt die Gegend. Von dort fuhren wir wieder Meilen weit, ohne eine Menschenspur zu finden. An einer andern Stelle lag Brennholz am Flußraudc, welches von unserm Dampfboot zur Heiznng des Kessels eingenommen ward. Dort sprang ich einen Augenblick an das Land uud faud gleich eine schöne Oralis, die gauze Pflanze auf langem Stiel stehend, mit sehr großen Kleeblättern nnd reichlichen Blüten. Große, kräftige Smilarranken kletterten an den Bäumen umher mit dickeu, scharfen Stacheln und sehr schönen, genervten Blättern, dazu prächtig blühende Heliconicn. Doch konnte ich ohne Nald-messer kaum einen Schritt gehen. Das Pftauzengewirr nimmt jeden Andringenden gefangen und läßt ihn nur mit zerfetzten Kleidern wieder los. Später hoben und formirteu sich die Waldufer mehr und mehr. Au einer Stelle war die Spur einer Lichtung, eines begonnenen Anbanes. Infolge der Ermordung jeuer Vidal'-schen Familie hatte man dort einmal eine Militäreolonie anlegen wollen. Als es aber an das Arbeiten ging, erklärte der Chef: „Meine Herren! Ich bin kein Aufseher und Sie sind keine Sklaven! Daher thue eiu jeder das, was er mag; ich werde es cbeuso machen." Nnd so fiel die eben angefangene Anlage wieder zusammen, nnd nach einigen Ialnen ^07 wird man die Stelle der Militärcolonie am untern Mucnri nicht mehr finden können. Wie eine Insel im Ocean ragte plötzlich aus dem Waldmeere anf dem rechten Flußufer eine angebaute Höbe mit einem hübschen Hanse hervor. Das ist die Fazende von Pendurados, eine große, vernachlässigte Kaffcepftanznng eines ehemaligen Amerikaners Clisfe. Wem sie eigentlich jetzt gehörte, konnte man mir mit Bestimmtheit nicht sagen. Ottoni hatte sie auf den Namen eines Rathes Eastilho angekauft und mit Auswanderern auf Halbpartbedingungen besetzen wollen. Einige Leute in der unglücklichen Menschengruppe, die ich an der Mündung des Mucuri zurückgelassen hatte, waren dort gewesen und hatten mich gebeten, ich möchte doch dort einige noch zurückgehaltene Landsleutc in ihrem Elend und ihrer Krankheit ansehen. Ich ließ unsern Peruipe einen Augenblick anhalten und stieg vie Höhe hinauf. Ich fand elf Elsasser in erbärmlichem Zustande, meistens mit total zerrütteter Gesundheit, bleichsüchtig, mit geschwollenen Beinen und vielfach verfolgt von Wechselfiebcrn, dazu fern von aller ärztlichen Hülfe und einem gewissen Tode verfallen, wenn ihnen nicht Hülfe käme. Vollkommen bestätigten sie mir das tiefe Elend, was mir die andern Unglücklichen unten am Fluß erzählt hatten. Sie standen unter der Leitung eines Dolmetschers aus Schwaben, der aber, als ich ihn dringend dazu aufforderte, sie nach Rio zu schicken, darauf nicht eingehen wollte. Auch ihn band der Befehl seines Herrn. Ich konnte den Leuten nur Aost zusprechen, verhieß ihnen aber auch Erlösung mit allen mir zu Gebote stehendeu Kräften. Gegen Sonnenuntergang trafen wir wieder eine Roca, cinen Anhau am Walde. Paredes heißt die Gegend, „Wände", weil hier wie Wände des Flusses Ufer sich emporheben.' Ein ^ angefangenes Haus steht mitten zwischen den umgehauenen 208 Stämmen, eine Todtenstille liegt auf der Gegend. Die Mu^ curi>Direetion hatte hier cine Abtheilung Schweizer, die wir bald antreffen werden, hergesetzt, Als aber mehrere von ihnen sehr rasch starben, flüchteten sich die andern, nnd die Stelle verwächst wieder. Denn der Fluch der Sumpffieberkrankbett eder des Waldfiebers — das Fieber kommt im Waloe vor, wo auch kein Sumpf ist, wie eben bei Paredes — liegt auf dem ganzen Flusse und schlägt alle diejenigen, die es wagen, sich dort niederzulassen. Und so steht auch ein gutes Haus der Compagnie bei Paredeo, ein Depot für einzelne Waaren leer; es kann niemand dort auf längere Zeit aushalten. In fast unheimlicher Pracht glühte der Hochwald im Abendsonnenstrahle, gerade als ob er mit seinen unendlichen Reizen noch mehr Menschen bezaub'eris>und in das Garn der Krankheit locken wollte. Immer tiefer sank der Abend berab, immer höhcr schien der Wald hinauszuragen, immer düsterer ward die Fläche d>,'s Flusses. Zwischen zwei Waldbergcn, 1)<><5 n'mixit'5 genannt, drn „beiden Brüdern", blieben wir mitten im Flnß vor Anker liegen und wurden alsbald von einer furchtbaren Menge von Mosanitos heimgesucht, eine unausstehliche Plage, die man mit Resignation tragen muft. Aber herrlich sah das Stück Sternenhimmel ans, was über dem Walde zu uns herniederblickte. (5'in unruhiges und wehmüthiges Nachtlied rauschte uuH. der Strom dazu. Wir Hai-ten den Tag über im ganzen 20 Leg,uas oder I5> geographische Meilen gemacht. Ganz in der Frühe des 2. Februar rannte nnser Pcruipe weiter. Aber schon bot der Flup unserer Fahrt einige Schwierigkeiten. Mehr nnd mebr Felsen sprangen am Ufer hervor, mehr nnd mehr nahmen die Untiefen zu; wir rannten einmal so fest auf den Sand, daß wir uns eine starke halbe Stunde plagen mußten, um unser flaches Fahrzeug wieder «5 209 flott zu machen, was uns denn auch ohne nachtheilige Folgen außer dcm Zeitverlust gelaug. Je enger und rauschender aber der Flnß ward, desto schöner schien der Wald aufgebant zu sein. Wahrlich, es lag dem deutschen Reisenden das schöne Lied Mendelssohn's: „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut am Himmel droben", so nahe, wie kaum sonst irgendwo. Und doch lag des nordischen Waldes einheitliche Majestät so weit ab vom Mucuridickicht mit seinen verwirrten Formen nnd tausend bunten Farben. Da brauste vor uns eine Stromschnelle ein wildes Felseulled, in welches uuser Dampfschiff mit grausigem Signalruf einstimmte. Wir kameu zu einer großen Lichtung mit einigen hübschen Gebäuden, vor denen viele Menschen, herbeigelockt von der außerordentlichen Ankunft des Peruipe, zusammen-gruppirt. standen. Einige Flintenschüsse knallten als Bewillkommnung. Ich stieg an das Land nnd befand mich in Sta.-Clara, dem Handelseomptoir der Mueuri-Compagnie und mithin am Eingang zu der eigentlichen Colonisation im Flußgebiet des obern Mucuri, welche Colonisation sich 27 Le-guas weit in die Provinz Minas hineinerstreckt und in einem besondern Kapitel betrachtet zu werden verdient. 210 Vicrtcs Kapitel. Die Colonisation von Sta.-Clara am Mucuri bio Philadelphia am Rio-de-Tobos-os-Santos. — Aufeulhalt in Philadelphia. — Rückkehr nach Sta.-Clara. — Die Noth der Auswanderer und mein Bleiben bei ihnen. — Wälder und Botocuden. — Zurüstuugcn zur Rückkehr nach der Mündung des Mucuri. — Unverhoffte Ankunft des Kricgsdampfboots Titte mit dem Bevollmächtigten Lach-,mund und viele Hülfe in großer Noth. — Rückkehr nach Rio-de-Ianciro anf dem genannten Kriegsschiff. Der Mucuri bis zu seiner Stromschnelle von Sta.-Clara bildet die natürliche Grenze zwischen den Provinzen von Ba-hia und von Espinw-Santo. Gleich unmittelbar hinter dieser Cachoeira, welche am Tage der Heiligen Clara von dem wackern sicilianischen Kapuzinermönch Frei Caetano entdeckt ward — den wackern Geistlichen werdei: wir später in öder Gegend noch tcnncn lernen —, gehört das ganze Flußgebiet des Mnenri der Provinz Minas an, sodaß bci Sta,-Clara drei Provinzen zusammenstoßen und die Mncuri-Colonisation von dem genannten Punkte an dem nördlichern Theile von Minas, dem District Minas-Novas angehört. In ziemlich lebhafter Erwartung trat ich an das Land. In viel hatte ich von den Zuständen in jenen Colomen be- 14" reits gehört nnd so mancherlei selbst gesehen, als daß ich mir nicht eine möglichst unbefangene Selbstanschaunug der Zustände am Flusse selbst und in seinem westlichern Gebiete hätte wünschen sollen, welche unbefangene Selbstanschauung, wie ich glaube, mir auch gelungen ist, wie wenig ich auch aus den Augen der Herreu Ottoni, deren Liebenswürdigkeit und freundliche Geleitnng gegen Durchreisende bekannt ist, oder den beobachtenden Blickeil einzelner Angestellter heraus-gekommen biu. ^ Freundlich ward ich von mehrcreu deutschen Angestellten < und besonders uon einem jüngeru Bruder des Directors, oem l)i-. ,uu^. Ernesto Ottoni, begrüßt, welcher letztere geraoe voll Philadelphia gekommen war, um einige Tage iu Eta.-Clara zuzubringeu. Ob sein Kommen mit meinem eigenen Kommen zusammenhing, kaun ich nicht bestimmt sagen. Der Director selbst hatte mich in Eta,-Clara lange erwartet. Dcr Brndcr aber, als ich am folgenden Tage schon längs der Colouiesettiouen reiten zu wollen erklärte, gab augenblicklich seinen Plan, einige Tage in Sta.-Clara zu bleiben, auf und entschloß sich, obwol er eben erst vom Neitthier gestiegen war, mit mir zu rei-Hn, ohne daß es mir gelang, seiue Zuvor-kommeuheit ablehneu zu können. Die wenigen Gebäude, die Sta.-Clara bilden, machen sich ganz hübsch. Auch herrschte einiges Leben auf dem geräumigen Hofplatz. Es sollten am folgenden Tage mehrere Wagen mit Gütern uach Philadelphia befördert werden. Man wyr dackit beschäftigteste zu beladen. Meuschm und Zug-thicrtz-, theils Maulesel, theils Ochseil, giugeu und standen umher; ein gewisses Handelstreiben war unverkennbar, znmal für den, der wie ich Z(i Leguas zwischeu dem schweigenden, Walde des einsamen Flusses gefahren war. Um so seltsamer eoutrastirtc in diesem kleinen Handels-treiben der Ausdruck auf den Gesichtern der Menschen. Ad- 212 213 gespannt und indifferent gingen' sic hin und her, nnd gleich beim ersten Anblick dieser Menschen fielen mir einige Gesichter auf, die das vollste Gepräge von Bleichsucht, beginnender Herzkrankheit nnd Milzgeschwnlst cm sick trugen. Wir gingen ;um Frühstück, wo anßer dem Inspector Herrn August Horn nnd seinem abgesetzten Vorgänger Otto Vogt noch einige Angestellte und verschiedene Reisende sich befanden, die aus der Kolonie nach Rio zurückwollten. Die Konversation war ziemlich still nnd tonlos, bis nach dem Frühstück sich das Schweigen in ein allgemeines Klagen in jeder Hinsicht auflöste und mir, dem Hinzukommenden, die Lage der t5olonie als eilte recht tranrige dargestellt ward. Zunächst indeß ward meine ärztliche Thätigkeit in Anspruch genommen. Der Director Theophilo Benedieto Ottoni hatte, als die Nngesundigkeit von StaXNara sich immermehr heraus stellte, einen ehemaligen Commis aus Nio ganz autokratisch zum Arzt crcirt und ihn unter dem Namen Senhor.Dontor Angusto dem Handelscomptoir zugefügt, einen Menschen von auffallender Stupidität, der mir gleich von vornherein wegen seiner Dnmmheit lächerlich, wegen seiner ganz offen zu. Tage liegenden Mitleidslosigkeit verhaßt ward. Dieser Doetor führte mich, weil er sich mit keinem Auswanderer verständigen konnte, zu einigen Kranken, die an bedeutenden Beinwunden litten. Es war ein Loch, ein Stall, wo sie lagen; doch waren sie Auswanderer, was eben hinreichend erschien, nm ihnen als Kranken alle schickliche Wn-li n artierung z n versagen. " ^ lind nun fand ich nach und nach eine Neihc von' Auswanderern, die sich alle in einer erbärmlichen Lage befanden. Besonders dauerte mich eine Familie ans Stettin, ein Blechschmied mit Frau und Kindern, die von deutschen Seelenverkäufern durch Zuschriften, Blätter und „Lockzettel", wie 214 die unglücklichen Betrogenen das dort am Mncuri nannten, znm Auswandern verführt waren und nun in das Land der Verheißung gekommen, nichts anfangen konnten, im bittersten Heimweh sich abquälten, uud in einem Verschlag eines Seitengebäudes mit eiuigeu Farbigen einquartiert lagen, ohne wieder abziehen zu dürfeu, weil sie der Direction etwas schuldeten. Und dennoch waren es wieder einige Elsasser, die am meisten mein Mitleid erregten. Von gemeinen strasburger Agenten verführt, hatten sie sich nach Brasilien aufgemacht und dort erst den Betrug gemerkt, den jene Seelenverkäufer mit ilmen vollführt hatten. Drei Mänuer waren ernsthaft krank und bednrftcn einer geregelten ärztlichen Pflege; zwei von ihnen waren verheirathet; die beiden armen Frauen und eiue Schar Kinder weinten bitterlich, denn sie sahen den Tod der Versorger uud das eigene Elend vor sich, wenn sie in der Eolonie blieben. Und doch schienen sie bleiben zu müssen. Zwar konnte das Mueuridampfboot von Nio jeden Tag erwartet werden, sodaß der kleine Peruive, mit dem ich vor wenigeu Stunden gekommen war, schon am folgenden Morgen mit seinen Passagieren nnd Briefen flußabwärts erpedirt werden sollte; zwar bot das alles eine wundervolle Gelegenheit, die Elenden ihren Kümmernissen zu entreißen uud nach Nio zu Meu-schen und Barmherzigkeit zn fchicken; zwar gab ich die Er-kläruug, daß miudestens die Elsasser anhaltender uud guter Pflege und ärztlicher Hülfe bedürfteu uud iu keinem Fall läuger in Sta,-Clara bleiben dürften; aber dennoch erwiderte mir der Iufveetor Horn, er hätte die allerstrengste Ordre von seinem Herrn, keinen Menschen, krank oder gesund, der der Compagnie etwas schuldete, fortzulassen. Es kam zn einer etwas lebhaften Debatte, bei welcher ich mir eine Copie jenes Befehls erbat, aber nicht bekommen 215 konnte, wohl aber das erlangte, daß diese armen und kranken Elsasser, elf Köpfe stark, Abzug und Ueberfahrt nach Rio^dc-Ianeiro erhielten. Nun kamen immermehr Auswanderer zum Vorschein, immermehr Klagen, immermehr Jammer und immermehr Bitten, aus meinem Wege nach Philadelphia da und dort vorzusprechen, um Kranke zu besuchen uud Elende zu trösten, sodaß meiue Aufmerksamkeit im höchsten Grade gespannt ward. Als den nächsten Ort des Elends bezeichnete man mir ein Empfangshaus an einem gleich hinter Sta.-Clara liegenden Punkte Bella-Vista, und ein anderes Haus am sogenannten Nio-do-Maeaeo, und in S.-Mattheos, sowie die viel ferner gelegene holländische Eolonie. Vorläufig behielt ich all die Klagen, die mir die Menschen, sowie sie mich nur einen Augenblick abfasseu konnten, vortrugen, ganz für mich. Allerdings glaubte ich Ursache zu haben, gegen die deutschen Beamten und den l)>-. Ottoni nicht so offen zu sein, wie ich das sonst wol gewohnt bin. Offenbar war ein großer Niß zwischen den: Director und seinen Colomsten, mit denen die Beamten und der Bruder des Directors nicht freundlich stehrn konnten. Mit Anhörung vieler durchweg trauriger Geschichten, in die sich auch nicht ein einziges mal etwas Erfreuliches oder Tröstendes einmischen wollte, verging der Tag. Am nächsten Morgen ganz früh wurde zuerst der Peruipe erpedirt mit seinen zahlreichen Passagieren, von dencn auch nicht einer sich ungern von Eta.-Elara zu trennen schien. Ich selbst freute mich herzlich, daß die elf Elsasser sich urter den Davonziehenden befanden. Ails verzweifelnden Menschen waren durch wenige Worte hoffende, glückliche gemacht worden. Dann wurden eiuige Wagen nach Philadelphia fortgeschickt, bis zu welchem Orte (21 deutsche Meilen) sie 10—14 2U; Tage gebrauchen, ein Resultat, was beweist, dafi das Fahren uach Philadelplu'a eher möglich als lciclu ist. Und nun brachen auch wir ans, der !>>-. Ernesto Ottoni und ick. In stattlicher Begleitung, sicben bis acht Personen stark, ntten wir fort, viel zu viel Menschen für mich, um mich nicht in ruhigem Besuchen der am Wege wohnenden Kranken nnd in Gesprächen mit den bedrängten Colonisten gestört zu sehen und mich nuter einer peinigenden Beaufsichtigung »zu befinden, die mir am meisten nnd am nnange-nebmsteu beim !)>'. Ottoni anffiel. Ich wäre ibm zu allen andern Zeiten und bei jeder andern Gelegenheit dankbar gewesen ftir seine Begleitung; bei vorliegender Gelegenheit konnte ich ihm nicht dafür Dank wissen. Gleich über die C^choeira des Flusses hinaus, also schon anf dem Gebiete der Provinz Minas sah ich ein auf einer kleinen Anhöhe liegendes Haus, etwa ."><><) Fuß vom Wege entfernt. Ich vermuthete, dieses Gebäude möchte wol die vielbercdete Bella-Vista sein. Doch erschien es mir eben nicht, als ob meine Begleiter mich dorthin führen wollten. Eo fragte ich denn nack seinem Namen nnd befand mich nacb einer Minute in demselben Gebäude, von dessen Elend man mir schon so vieles zngeflüstert hatte. ?lber so elend hatte ich mir die Sache doch nicht gedacht. Ich weiß ganz genan, daft es unschicklich ist, wenn ein ruhig erzählender Reisender plötzlich in leidenschaftliche (5relamatio-nen ansbricht. Wenn aber die menschliche Gemeinheit sich so ganz maßlos, so ganz schamlos zeigt, wenn sie so alles Necht, alle Billigkeit, alle Humanität mit Füsien tritt, da ist dem Zorn gar leicht Raum gegeben, und Leute von besserer Erziehung noch als ich hätten doch mit mir ansgernfen: ,,Mli, wie gemein, wie niederträchtig!" Im erbärmlichen Hause befanden sich etwa <>s) Menschen, von denen über die Hälfte lrank war. Grösitentbeils von Seelen- 217 Verkäufern in Deutschland beschwatzt, waren sie im September des vergangenen Jahres 185^ nach dem Mmuri gebracht worden, Eontraetmäsiig sollten viele von ihnen gleich nach Philadelphia gebracht werden, was aber unterlassen war. Andere hatten in einiger Entfernung von Bella-Vista ihr Stuck Urwald bekommen nnd hatten auch das sauere Umhauen der gewaltigen Stämme begonnen; sie waren aber an Leib und Seele matt und krank geworden nnd sahen so einer schaurigen Zukunft entgegen, wenn sie auch contrattmäsng eiu volles Jahr von der Direction erhalten werden sollten. Die Kranken lagen anf dem Boden nmher ans ihren armseligen Betten und Lumpen. Viele von ihnen litten an fauligen Beinwunden, einige an granulöser Augenentzündung, die meisten aber waren mehr oder minder ergriffen von typhösen Erscheinungen mit charakteristischem Leiden der Blind-darmsgegcnd nnd dazn jener ganzen Gruppe von Symptomen, wie sie recht eigentlich an den Uern von verpesteten Tropenfinssen vorkommen. Und diesen unglücklichen, in Europa und Amerika betrogenen Auswanderern fehlte ein Arzt, und viel schlimmer als das — ihnen fehlte ein Mensch, der Mitleid mit ihnen hätte nnd ihre Nechte verträte. Auf das allerbitterste klagten sie über die Nahrungsmittel, die man ihnen lieferte, wie ranh auch meine Begleiter anfangs sie anfnhren und ihnen zu beweisen snchten, daß sie alle lögen. Es lag aber in diesem Lügennnisono eine so gransige Wahrheit, ich mußte ihr glauben. Eine kranke Mutter weinte um ihr vor zwei Tagen begrabenes Kind, welches ohne ärztliche Behandlung nud zweckmäßige Nahrung hatte sterben müssen. Und schon lag ein zweites, dem sichern Tooe verfallenes Kind neben ihr. Eine Witwe mit stinkender Fnßwnnde nnd beginnendem Zebrfieber jammerte in derselben Weise um ihren ganz kürzlich verstorbenen Mann, 218 während ein skeletartiges Kind vergebens an den ausgetrockneten Brüsten der Mutter sog und wimmernd zurücksank. Kinder' hatten keine Mutter mehr, alte Väter waren ohne helfende Söhne, Witwen ohne Männer! Tod und Todesangst waren die Losung im Hause des Jammers und Entsetzeus. Ich habe viel größer ausgedehnte Krankheitsseenerien gesehen als auf dcr Bella-Vista am Mncuri. Manchen wüsten Naum habe ich znm Hospital improvisiren müssen uud manche ernste, schwere Stunde in solchem Raum verlebt. Ich brauche nur an einzelne Scenerien im Gelben Fieber zu denken. Aber mit welchem Eifer, mit welcher Aufopferung, ja mit welcher Begeisterung halfen da Menschen mit! Die Macht des einbrechenden Uebels war zu gewaltig, aber Menschen wollten helfen nnd halfen in einer Weise, wie man sie selbst in Europa vielleicht gar nicht kennt. Uud nun traf ich eine Gleichgültigkeit, eine Kalte, ja eine so grobe Rauheit — fast hätte ich gesagt Roheit — diesen Elenden gegenüber, daß sie mich wirklich tief, tief empörte. Schweigen wir davon! Wir eombinirteu für die am Boden liegenden Kranken eine ärztliche Behandlung, nnd statt der groben Colonistenkost sollte den Leuten etwas Reis nnd Weizenmehl gegeben werden. Das war alles, was zu erhandeln war. lind so ritten wir weiter; ich wollte nnd mußte das ganze Elend sehen bis z.l seinen fernsten Enden. Uud das Elend ritt mit nns! Wir verließen die Nähe des Mumri; der Weg zog sich langsam auswärts durch den Wald. Zu beideu Eeitcu der Straße hatten einzelne Colo-nisten ihre Waldstrecken, die man ihnen unter dem großtönenden Namen von Fazenden (Landgütern) überwiesen hatte, theils schon angehauen, theils schon ganz gesällt und selbst schon abgebrannt, ja manche hatten schon einigen Mais und 219 Bohnen gepflanzt. Den meisten aber war im ungesnnden Klima und allen andern harten Lebensbedingnngcn der Muth und die Kraft erlahmt. Zwischen dem halbumgehauenen Waldchaos, zwischen den halbverkohlten Stämmen, ans der halbfertigen Waldhüttc kamen mir fast durchweg Klagen, ja das allerbitterste Jammergeschrei entgegen. An den Folgen von Wcchselfiebern, an Durchfall, beginnender Wassersucht, fauligen Veingeschwüren und infolge der harteil Entbehrungen an typhösen Erscheinungen, einem wirklichen Hungertyphus litten die meisten. Alle aber klagten über das unzu-längliche Essen, was die Compagnie den Leuten lieferte, wie sehr meine Begleiter anch snchcn mochten, durch hartes Ent-gegenredcn mir das Gegentheil zu beweisen. Die Compagnie gibt gemäsi dem Vertrage und dem geschriebenen Buchstaben nach jedem Kopf für das erste Jahr des Aufenthalts am Mueuri ein bestimmtes Quantum Nahrungsmittel, woran ein Erwachsener, der den Walo umhauen soll, meines Grachtens nach absolnt nicht genug hat, selbst wenn man ihm seine Nation nicht verkürzt, obgleich über solches Verkürzen, solches theilweise Vorenthalten einzelner Artikel allgemeine Klage war. Diese Nahrungsmittel bestanden für einen halben Monat in V4 Pfund Kaffee, V4 - Zncker, 4 - Fleisch, V2 Quart Maniocmehl, ^ - schwarzer Bohnen, 5 Pfund Weizenschiffszwieback uud 1 - Speck. Ueber das schändliche Verkürzen und Vorenthalten dieser Lebensmittel konnte ich erst später, bei meiner Znrückknnft von Philadelphia, eine volle Ansicht bekommen, theils ans Klagen und Bittschriften der Colonisten, theils ans den Vü- 220 chern des Magazins von Sta.-Clara, theils iin Ertappen anf frischer That, denn so frech waren diese Entziehungen, daß sie nachher einmal nnter meinen Augen geschahen. Die Neconvalescenten im Hospital von Rio bekommen größere Rationen, .als die volle Ration eines Waldhauers am Mn-lnri war, selbst wenn er sie voll bekommen bätte. Mehr concentrirt als iu den einzelnen Waldhütten traf ich Hunger und Krankheitsbcdrängnisi in zwei Empfangs-Häusern, zu denen wir kamen. Ja, der Skandal dort war so himmelschreiend, dasi ich wirklich im Begriff war, augenblicklich wieder nmznkehven, nm möglichst schnell ^u meiner ersten Korrespondenz von der Münduug des Flnsses aus noch eine zweite aus jenen Iammerhöhlcn her abzufassen lmd von Rio her Hülfe und Gerechtigkeit zu erschreien, denn noch nie hatte ich bisher etwas so Unwürdiges, so Gemeines, so Niederträchtiges erlebt. Aber ich fürchtete, und gewiß mit Recht, daß man,' wenn ich wieder nmkehrte, mir cine Menge Klagen und traurige Scenerien vorenthalten würde und so mein Urtheil gefangen nehmen möchte. 'Besonders hnlflos kamen mir in jenen Häusern wieder einige Elsasser vor, Leute, die von den sanbern Helfershelfern der 5nk!<'<^lle c«'in,-i!l in Rio zum Auswandern verführt und dann von Rio nach dem Mucun geliefert worden waren. Ungeschickter im Arbeiten als dentsche Einwanderer konnten sie sich weder dcntsch noch französisch gut ausdrücken und waren so im eigentlichsten Sinne des Wortes verrathen und verkauft. Niemand kam diesen Glenden in den einsamen Waldungen am Mnenri zu Hülfe, denn zu niemand gelangte ein Schrei der Noth nnd Qual. Nnr den einen oder andern Anbauer fanden wir, der wenigstens nock Muth hatte. Das waren meistenthcils Leute, in deren Hütten Krankheit und Tod noch nicht lnneingeschla- 221 gen hatten, die entweder gar leine oder schon erwachsene Kinder hatten. Die Hütten mit kleinen Kindern waren immer am unglückseligsten daran. Eine frenndliche Dase in dieser Wüste menschlicher Tau-schmigen war das in sehr geschmackvoller nnd eleganter Weise angelegte nnd beinahe vollendete Hans des Herrn Horn, in welchem wir von dessen bescheidener Fran, einer jnngen Dame von der besten Erziehung, empfangen nnd bewirthet wnrden. Ich wage aber nicht zn entscheiden, od eine Fran von edler Oesinnnng, deren Gemüth innig verwebt ist mit der Heimatsgesittnng, sich im hübschen Hause mitten im romantischen Urwald glücklich suhlen kann, wenn Klagen nnd trübe Bilder täglich zu ihr gelangen, wie sehr man sie auch damit zn verschonen sucht. In S. - Mattheos, einem Colonistendepot abseits vom Hauptwege, wo unter miserabeln Verhältnissen wieder mehrere Familien, znm Theil mit zahlreichen Mitglied.ern, zusammengepfercht waren, kamen auch' oie Klagen über gemeine Ve-handluug und Krankheitsbedrängnin wieder stürmischer zmn Vorschein. Aber ich konnte wirklich nichts mehr hören nnd seben. Auch konnte ich für den Augenblick nur Trost nnd einigen ärztlichen Rath ertheilen und vor allem Hülfe versprechen gegen al! die schreienden Ungerechtigkeiten, über die man klagte. Hiermit war denn auch die Colmueseltion von Sta.-<5lara beendet. Meine Begleiter kehrten wieder nm, nnd ich ritt mit dem l)!-. Crnesto Ottoni allein weiter, hinter nns ein Neger mit einem Packthier. Wir hatten uns eben nicht viel zu sagen; ich hatte meine Meinung über das, was ich bis-jetzt gesehen und gehört hatte, offen genug gesagt. Zudem war mein College ein langsamer, geistesbefangener Mensch, 222 der im Jahre 1841 in Nio promovirt hatte und sich dann lange in S.-Paulo Praktieirens halber aufhielt, bis das Mncuri-Unternchmen des ältern Bruders auch ihn in Bewegung setzte. Er erhielt den Auftrag vom Bruder, 600 Maulthiere auf dem großen Viehmarkt von Soroeaba zu kaufen. Mit dirser Heerde durchzog er die Provinzeu S.-Paulo und Minas, bis er, uachdem er unterwegs einen guten Handel mit vielen seiner Maulesel gemacht hatte, nach einer Reise von acht Monaten in Philadelphia ankam uud seitdem dort blieb. Bis in das Abrnddunkel ritt ich mit meinem Hippokratcs, ohne mich eben an ihm zu ergötzen. Fast ununterbrochen, war der Wald. Der Boden erschien mir meistens schlecht und grobsandig, sodaß es mir erschien, als ob die Gegend, wenn man ihr einmal die Walddecke vollends nimmt, leicht in eine unerquickliche Wüste umgewandelt werden könnte. Doch kann ich das nicht mit Bestimmtheit voraussagen. Wir blieben 7 Leguas fefn von Sta.-Clara am Ri-beiräo-das-Pedras, wo auf einem schieren Gramtlager ein Bach hinfließt und ein Depot der Mucuri-Gesellschaft sich befindet. Ein verheirathetcr Mailänder, Gasinelli, wohut dort. Im etwas wüsten Magazin, wo man eben nur vor Negen gesichert ist, fanden wir ein gastliches Unterkommen, und der Italiener bewirthete uns, so gut er konnte. Ueberfluß ist in der Gegend nicht, wie wir denn fortan mehr und mehr Mangel an Nahrungsmitteln trafen, eine Bemerkung, von der man in Deutschland gar keine Ahnung und Vorstellung hat, wenn man von einer Colonie im gesegneten Brasilien hört uud die göttlichen Lobpreisungen liest, welche die Seelenverkäufer darüber veröffentlichen. Am 4. Februar morgens früh ritten wir fort durch den Ribeirao-das-Pedras, welcher über gauz stach gelagertem Granit hinläuft oder vielmehr nicht läuft, dcun er enthält 223 kanm einige Zoll Wasser an der Furt und erscheint ziemlich reglos. Von ihm ritten wir aufwärts über einen groben, unfruchtbaren Boden, der den Granit kaum einige Zoll zu bedecken scbien, nnd waren wieder im Walde, in welchem der schmale, kaum für einen Wagen hinreichend breite, gelbe Weg oft lange, schnurgerade Strecken bot, bald aber sich in Biegungen fortbewegte, je nachdem die Waldfläche mehr oder minder in Walohügel nnd Waldschlnchtcn überging. Die Richtung der ganzen Weglinie war fortwährend nach Westen. Von Menschentreiben war gar nichts zu merken. Hier und dort trafen wir eine kleine Tropa von Manlthieren, welche Waaren nach Philadelphia trugen. Anffallend groß war dagegen die Zahl der Maulthierskelcte, die wir antrafen. Weide und Trinkwasser mangelt zn sehr, als daß die Straße so leicht zu durchziehen wäre, wie das den Anschein hat. Es sagte mir jemand, daß die Lcnte von Minas, für die die Straße doch eigentlich ein Grlösnngsmittel ans ihrer Binnenlandshaft sein sollte, in den letzten Zeiten diesen neuen Weg weniger aufgesucht hätten, weil in wenigen Monaten an 300 Manlthicre ans demselben umgekommen wären. Wie richtig diese Zahlung ist, kann ich nicht sagen. Doch ist es mir aufgefallen, daß die Direetion, die unter vielem Aufsehen und Kostenaufwand Wagen und Zngthierc zum Waarentransport angeschafft hatte, dieselben wieder abschaffte und das ganze Transportgeschäft an Private verkaufte und überließ. Vier Leguas (3 dentschc Meilen) ritten wir, ohne irgendeinen Ansiedclnngspnnkt zu treffen oder einen Steg vom Wege abwärts zn finden, an dessen Ansgangspunkt man irgendeinen Anbau hätte vermuthen können. Um Mittag indeß kamen wir zur kleinen Pflanzung eines jungen Portu> gicsen, in welcher sich schon ein hübscher Abhang mit Mais bepflanzt fand. Hier rasteten wir ein wenig, denn es war 224 sehr imß, und die Sonne stand uns lolhrecht über dem Scheitel. Von dort ail hatten wir noch eine Stnnde bis zum ,/ eineil Import von Chinesen angekündigt und bald darauf wirklich einige Hunderte dieser zopftragenden Zukunftsmenschen aus dem Himmlischen Reiche in das Rrich von Sta.-Cruz eingeführt. Doch wußte eigentlich niemand etwas mit ihnen anzufangen, und die armen Teufel befanden sich bald in einer böchst preßhaften ^iage. So traf ich viele von ihnen in ziemlich erbärmlichem Zustande im Hospital der Miseri-cordia von Rio, als ich im September l.^5>7 meiue arzt-licheu Fnnetioneu wieder aufnahm in der dortigen Fremdenstation, in welche man die kranken Chinesen, als Ausländer, aufnahm. Theophilo Veneditto Ottoni, dem es darauf ankam, eine möglichst große Anzahl von Köpfen nach dem Mueuri zu führeu, übernahm eine Menge dieser Chinesen und verwandte sie zum Straßenbau. Doch ging es ihnen herzlich schlecht, und sie machten einmal einen Ausruhr, weil man ihnen zu arge Mishandlungcn angedcihrn lie^. „ Was machen jetzt die Chinesen?" sragte der !»,-. Ernesto den Mtgen Portugiesen. Treuherzig meinte dieser, wenn sie, nur tüchtige Prügel bekämen, arbeiteten sie schon ganz gut; eine hübsche <^>u!ui<, ^iin' ^u«» »oü im Entwickelungsgang des Mmuri-Unternehmens. Wir ritten fort und trasen denn auch nach einer starken Stunde einen langen Zug von Chinesen, die von einem Aufseher, nut einem Stocke verschen, angeführt wurden, um nach gehaltener Mittagsrast die begonnenen Wegearbeiten weiter fortzusetzen. 225 Eine Chincscnhorde mitten ,im Nrwalde von Brasilien! Das ist allerdings ein Phänomen, was mir sonderbar genug erschien. Europäer, Neger, und nun gar Chinesen, Ginwanderer aus drei verschiedenen fremden Welttheilrn, nnd noch immer keine urzuständliche Votoenden! Es mochten etwa 50—60 Chinesen fein, meistens jnnge, kräftige Männer unter ZO Jahren nnd von gntem Aussehen. Alle trngen nur das kurze chinesische Beinkleid, nnd mehrere auch dieses kanm, sodaß die muskulösen Körper sich höchst vortheilhast zeigten und einen unbedingt kräftigen Menschenschlag verriethen. Anffallend dnnkel war die Farbe der meisten, so dunkel, daß man sie für sehr dunkle Mnlatten hätte halten mögen oder gar für dnnkelbrannfarbige Neger, natürlich mit Ansnahme der Kopfbildung. Den langen Zopf hatten sie alle um den Kopf gewickelt ganz nach Frauenart, wie denn durchweg aller Gesichter den entschiedensten Frauenausdr^ck an sich trn-gen, ^ eine Nation, die in der Iugendentwickclung stecken geblieben und in ihr mumifmrt ist. Ihr Feitor kehrte mit uns um, nm nns zu ihrem Lager zu begleiten. Es lag nuten an einem Abhang, dessen Väume erst kürzlich gefällt waren, zum Theil noch hell brannten nnd eine unausstehliche Hitze verbreiteten. Kaum konnte man etwas Erbärmlicheres sehen als dieses Chinesenlager. Eine Anzahl dürftiger, halbverwitterter Zelte stand in zwei Grnppen nebeneinander, gleich zugänglich für Sonnenglnt und Regenschauer, gleich gerecht und schlecht für Gesunde und Kranke, ein ekelhafter, widerlicher Anblick, der die unverkennbarste Inhumanität anzeigte und im Gesicht dcs uns begleitenden Feitors eben keine Widerlegung fand. Interessant waren mir indeß immer einige Arbeiten die hier und dort umherstanden, Körbe ans gespaltenem Bambusrohr gefiochten, Epitzhüte mit breitem Rande, seltsame Holzpantoffeln u. s, w. — Sachen, wie sie in der feinsten Vollendung 226 auch in Europa längst bekannt geworden sind, die aber ven-noch in gröbster Form im Zelt eines Chinesen immer noch bemerkenswerth genng erscheinen. Originell genug war es auch, daß einer dieser Chinesen mich kannte; ich hatte ihn im Hospital vou Nio ärztlich behandelt. Es schien mir, als ob er sich dort wohler gefühlt batte als im Walde vom Mu-curi, wo die ganze Lage dieser Menschen nur im höchsten Grade traurig zu sein und vollkommcu mit dem übereinzustimmen - schien, was ich schon früher davon gehört batte in Bahia und andern Orten. Nach einem weitern Nitt dnrch Waldungen und Einsamkeiten gelangten wir wieder zu einer Klärung im Dickicht nnd einem begonnenen Ansicdelnngspunkt in derselben. Diese Stelle hieß die Boa-Vista. Hier traf ich eine Gruppe von Schweizern, Das waren hart geprüfte Leute. Sie waren ans der Parceriehaft des Senators Vergneiro in S.-Paulo herausgcwickelt und vom schweizer Consul David übereilt an den Mueuri verpflanzt worden. Hier wohnten sie znerst an den Paredes, welche wir schon kennen gelernt haben, mußten aber für die Taktlosigkeit, daß man sie der Muenri-Colonisation überwies ohne Berücksichtigung der Gesnndheitsverhältnisse, bitter büßen. Von 31 Köpfen, die gekommen waren, hatte man bereits 15> bc-crdigt, eine harte Fügung für Meuschen, die schon die humane Halbpartsschulc von S.-Paulo durchgemacht hatten. Ich fragte sic, wie es ihnen ginge. Sie meinten, das Essen, was ihnen die Mucuri-Gesellschaft gäbe, wäre zweimal schlechter als beim Verguciw; doch bofften sie mit der Zeit sich durchzuschlagen und ihre nenc Pflanzung als ein freies Besitz-thum zu haben und einst ihren Kindern zu hinterlassen, wenn Gott ihnen fortan die Gesundheit ließc, Wahrlich, diese Eidgenossen waren unerschütterliche Naturen, wie die Berge ihrer Heimat. 227 Wieder bis in die Spätd.ämmerung hinein ritten wir. Der Weg senkte sich etwas, wir hielten am Nibeiräo-da-Arcia, am „Sandbach", wo ein jnngcr Franzose sich mit einem noch jungem Brnder angesiedelt hatte, um den Waarcntransport der Compagnie für einen Theil des Wegs zu übernehmen. Sein kleines Etablissement war noch etwas rudimentär, desto freundlicher und offener aber die Aufnahme des jungen, bescheidenen Mannes, in dem ich gar bald den Sohn einer wackern, fleißigen, französischen Familie erkannte aus der Umgegend von Nw, in deren Hause ich als Arzt vor vielen Jahren öfter gewesen war. Das Wiedersehen des jungen Verdier machte mir die lebhafteste Frendc. Solche kleine Erlcnnnngssecncn in tiefen Waldeinsamkeiten sind nm so bedeutungsvoller, je mehr sie an den Grenzen der letzten Menschheit vor sich gehen, gerade dort, wo Potoeudenhordcn noch im vollsten Naturzustand im Walde umherstreifrn und zn einzelnen Zeiten ans Tageslicht kommen, wie das am Ribeiräo-da-Areia bei Verdier der Fall ist, der mir eine Menge Geschichten von seinen Nachbarn erzählte, sodaß wir nns verabredeten, wir wollten bei meiner Rückkehr von Philadelphia eine im nahen Walde hausende Votoendenhorde aufsucheu. Und so nahe solchen Horden hatte mein junger Franzose kein Schloß vor seiner Thür, denn er hatte keine Thür. Vom offenen Wege tritt man in sein kleines Waldhaus, welches kaum geschlossene Wände hat und mit einem provisorischen Dach von Baumrinde vortrefflich bedeckt ist. So war anch sein Tisch ein großes, viereckiges Stück Baumrinde, auf zwei Unterhölzern gerade gezogen, ein vortrefflicher Tisch, der in jedem ethnographischen Cabinet ein Paradcstück sein würde. Die festen Bänke zn beiden Seiten des festen Tisches waren ans gespaltenen jungen Palmen zusammengefügt. Auf solcher Bank sitzt der Gast beim Abendessen; uud wenn er schla- 1b* 228 fen will, so legt er sich darauf hin. Das ist eine wahre Lust um solch originelles Waldleben, was beim jnngen, muthigen Verdier noch origineller dadurch ward^ daß er uns zur Feier des Tages aus seinem europäischen Vorrath eine Flasche Burgunder und Emmenthaler Käse vorsetzte. Wir legteil uns nieder zur Ruhe. Durch die offene Thür des Rancho gingen die wachsamen Hunde aus nnd ein; Fledermäuse kamen und flatterten wider fort; langsam wandelten verschiedene Maulthiere auf und ab. Der ganze Wald ringsumher schallte wiver im mannichfaltigften Thien'oncert, dessen Einzelstimmen dem reisenden Europäer fremd sind und ebendeswegen eine wundersame Poesie haben. Solch eine Nacht im offenen Nancho des kühnen Europäers am Nibeiräo-da-Areia hat mehr Neiz als vie epikurische Ruhestunde im ersten Hotel von Paris oder Wien, — glaube es mir, lieber Leser. Unser jnngcr Verdier begleitete uns am nächsten Morgen eine Strecke in den Wald hinein, und noch einmal verabredeten wir nnsern Besuch zu den benachbarten Botocudm am Rio-Urnen, wie der Flnß heißt, der in jener Gegend die kleinern Bäche aufnimmt und dem Mueuri zuführt. Dann wünschten wir uns ein glückliches Wiedersehen und schieden voneinander. Der Waldbodeu ward gebirgiger, die Erhebungen des Terrains bedeutender. Wir trafen große Granitmassen ganz kahl ansteigend bis zur Höhe von 800—1000 Fuß, sodaß der Weg an ihnen manche Schwierigkeit findet und einmal auf eine lange Strecke vollkommen rückläufig wird, über eiue mäßige Waldhöhe hinüberführt und dann wieder in einigen etwas eomplieirten Biegungen hinuntersteigt. Vielleicht könnte sich hier später die Wcglinie gerader und eorreetcr legen lassen. Wir kamen über einige Holzbrücken des schon genannten 239 Urnen und befanden nns bald an einer Reihe von kleinen Waldhäuschcn, um welche herum sich einige schwache Versuche von Anbau sichtlich machten. Dieser kleine Colonisa-tionsknoten im laugen Strange des Muenri-Anbaues ist der der Holländer an der sogenannten ^nwmi, milil,!,,- llo ^>-l,^u. Die Holländer an der Militärcolonie vom Urnen! Ileberall, wo bis dahin vom Mueuri die Rede gewesen war, hatte man mir immer von dem Elend der Holländer in der Militäreolonie geredet. Unten an dcr Mündung des Mueuri hatte mir jene Emigrantengrnppe gesagt: „Sie sollten nur cvst dic Holländer sehen!" In Sta.-Clara hatten mich oin-zelue Auswanderer gebeten, doch ja nicht bei den Holländern vorbeizugehen, ohne ihr Elend gesehen zu haben; ja selbst der l)>'. Ernesto Ottoni, der mit großer Seelenruhe alles, was uns unterwegs vorkam, au sich abgleiten ließ und sich ganz bestimmt mit mehr Humanität gegen seine Maulthiere auf dem Wege von Soroeaba nach Philadelphia betragen hatte als gegen die elenden Auswanderer am Mnenri, hatte mich daran erinnert, daß ich bei den Holländern traurige Sachen sehen und hören würde! Aber konnten sie denn am Ende trauriger ftin als das, was 1'ch schon in und bei Sta.-Clara gehört und gesehen hatte? Doch sollten diese Holläuderausiedclungen nichts mit Ot-toni's Unternehmen zu thun haben, sondern eine Negiernngs-eolouie bilden, den Anfang einer ganz nahe gelegenen Militärcolonie. Ich selbst konnte über den Parasitismus dieser Eolouie inmitten der Muluri-Colonisationcn kein klares Bild gewinnen. Allerdings hatten sie einen besondern Militär eommandanten, aber nubedingt hatte auch Ottoni eineu Eiu-fluß, eine Stellung zur Colonie, ja cr uahm sich sogar des Elendes daselbst an, als vom allgemeinen Elend am ganzen Mucuri uicht mehr geschwiegen werden konnte. Später werden wir das Dahingehörende noch zur Einsicht bekommen. 230 ' In allen Hütten, auf allen Gesichtern, aus jedermanns Munde konnte man es sehen und vernehmen, daß mau ein niederträchtiges Spiel mit verlockten Ginwanderern am Urnen gespielt hatte. Wie in einem einstimmigen Hülferuf schrien mir alle zu, daß man sie verhungern ließe. Daun hatte ihnen ihre Verwaltung Geld als Subsidie gegeben, wo denn >der Commandant der Colonie, ein Kapitän Barros, dessen Betragen von allen als ein vollkommen brutales geschildert ward, die Lente zwang, ans seinen Vorräthen zu unsinnigen Preisen die Nahruug zu kaufen, — dann bekamen sie statt Gcldsubsidien Nahrungsmittel geliefert, woran sie sich nicht satt essen konnten. Eine kleine Liste der Quantitäten, die man ihnen zntheilte, konnte ich anfnotireu; es kamen unbegreifliche Schlechtigkeiten darin vor. So wnrde ihnen auch vom Commandanten einiges nothwendige Hausgeschirr, Kessel u. s. w. zu ganz schändlichen Preisen verkauft. Im eigentlichsten Sinne des Worts dem langsamen Hungertode preisgegeben, verkauften die, welche noch einige Gegenstände und ordentliche Sachen hatten, ihr bischen Habseligkeiten, um dafür Eßwaaren zu erhandeln. Wer das nicht thnn konnte, schickte seine Kinder längs der Landstraße, um sich dort mit den Ochsen und Eseln der Compagnie das Kraut streitig zu machen und sich an Portulak und einer Art von Cheuopodium oder Aniaranthus satt zu essen; ich habe selbst beide Kräuter in den Händen der Leute gesehen. Noch i>l der leyten Woche des Januar, also wenige Tage vor meinem Besuch waren drei ausgehungerte Menschen am Wege gestorben. In der kurzen Zeit von sieben Monaten waren von 11^ Menschen bereits .Ai gestorben. Und wenn man nun dieser ungeheuern Sterblichkeit unter gesnuden Menschen nachforscht, so kommt man zu grausigen Resultaten. Eine Mntter, Cornelia Kaale, saß allein und in sich gekehrt mit drei Kindern 231 in ihrem Rancho. Bei meiimn Eintritt in ihr Häuschen, wenn wir das Ding so nennen wollen, ward von mir und meinem Begleiter keine Notiz genommen, sodaß ich znm !>»'. Ernesto sagte l „Diese Frau scheint ja gcistesverwirrt zu scin.^ Doch faßte sie bald Zutrauen nnd erzählte mir mit wüthendem Schmerze, wie ihr von sieben Kindern vier ans Mangel an hinreichender Nahrung gestorben wären, Kinder von vier, sechs, sieben nnd zehn Jahren, und wie das noch einer andern Frau anch so gegangen wäre und in kleinerm Maß-stabe in den meisten Familien so ginge, nnd wie der wüthende Commandant, wenn sie hülfefleheud vor sein Hans gekommen wären, die Mütter mit Drohungen und den aller-gemeinsten Scheltworten fortgejagt hätte. Ueberall lagen Kranke, namentlich mit atonischen, tiefen Bcinwunden; seit vier bis fünf Monaten lagen sie danieder, ganze Familien lagen danieder, und noch hatte kein Arzt, noch nie ein Arzt, noch nie eine tröstende Seele sie anfgesncht. Das war freilich zu viel, viel zu viel für mich, und zunächst bekam Nl'. Ernesto, denn am Mucuri steckte alles uuter einer Decke, den vollen Ausdruck meines bittersten Zornes zu hören. Wer hätte anch ruhig nnd besonnen bleiben können angesichts solcher Niederträchtigkeiten? Vor allem versprach ich den Leuten, die sonderbar genug seit einigen Tagen, seitdem Ottoni des Wegs gekommen und mir vorausgezogen war, einige Besserung ihrer Lage verspürten, alles, was nur in meinen Kräften stände. Der Dr. Ernesto übernahm es, einen Tag in der Militäreolonie zu verweilen, um den an Beinwundcn leidenden Kranken einige Salben zn verabreichen, die allerdings in der Militäreolonie waren, aber ebenfalls vom Commandanten für enorme Forderung verhandelt wnrden. Wirklich, dieser Kapitän Banos schien alles gethan zu haben, um sich die Flüche aller Elenden aufzuladen. 232 Wir ritten einen Seitenweg über eine Waldhöhc. Eine bedeutend große Klärung öffnete sich, und ohne daß ich das eigentlich wollte, befand ich mich in dem brasilianisch-portugiesischen Theile der sogenannten Militäreolonie. Vor einem netten Hause stiegen wir ab und traten ein in die Wohnung. Ich war beim Kapitän Barros im Hause. Ich mußte den Kapitän, der mitten in der Wohnnng ans cinem Lehnstnhle saß, von oben bis unten durchmustern, einen elenden, unglücklichen Mcuschen. Sem gclbgranes, ödema-töses Gesicht schien beinahe dem Grabe anzngehören; er litt an starker Dyspnoe und konnte sich fast nie mehr zu Bette legen, sondern verbrachte die Nächte meistens sitzend in seinem Lehnstnhle. Seine Beine waren ihm bis weit über die Knie hiuauf dick geschwollen, sooaß er sie nnr mit Mühe biegen konnte. Das Gepräge einer nur mit Mühe verhalte-neu Heftigkeit lag diesem Halbeadaver, dem eine freundliche, tröstende Frau die letzten Liebesdienste zu erweisen bemüht war, wie ein Kainszeichen anfgedrückt. War es die Folge seiner qualvolleu Kraukheit, daß er so erbarmungslos gegen die Holländer war, oder war er für seine Grausamkeit gegen diese Unglücklichen so von Gott heimgesucht uud geschlagen, ich weiß es nicht. Das aber schien mir wirklich empörend, daß solch ein Mann zum Commandanten eingesetzt war unter Menschen, die der höchsten Sorge, Nachsicht und Menschlichkeit bedurften. Ich blieb möglichst kurze Ieit bei dem unheimlichen Menschen, dem als Stellvertreter ein Lieutenant beigesellt war, der nur ein stiller, ordentlicher Mann zu sein schien. Die kleinen Häuser dieser,eigentlichen Militareolouie mö-gcn sich immer auf 80 —1(X) belaufen; es sind aber keine Häuser uach europäischen Ideen. Sie umgeben von drei Seiten einen großen, viereckigen Platz, auf dessen vierter Seite eine Kirche erbaut werden sollte. Es hat sich aber die weite 233 Niederung, in welcher dieses Kirchspiel liegt, so ungesund gezeigt, daß man daran denkt, die gauze Militäreolome von dort fortzuvcrlcgen. Die Militärmacht dieses verfehlten Zwina/Uri besteht, weun ich uickt irre, aus 40 Mann. Der »>-. Ernesto begleitete mich zum Ort hinaus und zeigte mir einige portugiesische Aubauer, die mit ibrem Landbau zufrieden schienen, so namentlich eine Familie aus Madeira. Doch klagten sie über die Nngesuudigkcit der (legend, und alle sahen erdfahl aus; sie meinten, sie wären doch lieber in Madeira trotz aller Noth daselbst. Hier schied ich vom !)>-. Ernesto und ritt mit dem Neger allem weiter. An gewaltigen Granitmasseu kam ich vorbei, ganz kahlen Wölbungen von etwa 1^(X) Fuß Höhe, die in geschlossenem Zusammenhange ein kleines, vollkommen nacktes Granitgebirgc bilden. Höchstens einige Vromelien steigen hier und dort an einer minder schroffen Wand empor. Das Ganze macht einen gewaltigen Eindruck, Die Felsmassen heißen 51'. Ernesto Ottoni gewiesen hatte, falls ich Philadelphia nicht erreichen sollte. Die nenc Pflanzung von Itamonhce macht sich wirklich prächtig. Bedeutend groß ist die Lichtung des Waldes, be-deuteud ausgedehnt schon die Viehweide und von bedeutenden Dimensionen schon die Anpflanzungen von Zuckerrohr und Mais. Hübsche Gebäude liegen um den Hofplatz. Weiterhin ward eine Wassermühle errichtet, alles sprach von Wohl- 235 habeuheit lind Nettigkeit; man begreift nicht, wie mit einem male in einer Colonie, in der die von Europa überpflanzten Colonisten mit so ungehenern Schwierigkeiten zu kämpfen haben nnd in diesem harten Kampfe großentheils untergehen, eine fo glänzende Anlage sich finden kann. Sehr leicht aber begreift man das, wenn man weis,, daß der !)>'. Gsteves, der Besitzer der Pflanzung, ein sehr naher Verwandter vom Director Ottoni ist. Der Doctor war nicht zn Hanse. Mit der größten Freundlichkeit ward ich von seiner jungen, wohlerzogenen Frau aufgenommen, welche mir, obwol so nahe verwandt mit dem Director, mit der naivsten Offenheit von all den Leidensund Hnngerscenen erzählte, iu welchen die meisten deutschen Colonisten sich bewegten mw auch zu ihr gingen, um Nahrungsmittel zn bekommen. Wenn man so eine jnnge, unbefangene Frau, eine nahe Verwandte des Directors, mit der offeusten Betrübniß von den scheußlichen Nothständen aus der Colonie reden hört, da kaun und muß selbst der ruhigste Zn-hörer mir den allertiefsten Unwillen fühlen und die vollste Verachtung hegen für eine Verwaltung, die gar kein Ange, gar kein Gehör für Noth und Elend von Menschen zn ha-brn scheint. Gegen Abend kam auch der Doctor nach Hanse, der mich aus seinen Studienzeiten vom Hospital von Nw-de-Ianeiro her kannte. Vollkommen bestätigte er das, was seine Fran mir dargestellt hatte, obwol es mir erschien, als ob ihm das Gespräch nicht eben lieb wäre. Und wie sollte es auch? War nicht die Fazende von Itamonhec in ihrem Glänze neben der Noth der Auswanderer mehr als verdächtig? Am folgenden Morgen (7. Febrnar) wollte ich früh fortreiten. Indeß wollte dic ganze Familie ebenfalls nach Philadelphia reisen, uud ich ward zum gemeinschaftlichen Ritte eingeladen, obwol ich voraussah, daß die Geschichte etwaö 236 lange dauern würde, um so mehr, da man mir anzeigte, wir wurden anf der Fazende von Monte-Christo abseits vom Wege nach Philadelphia frühstücken. Ich wäre höchst unartig gewesen, wenn ich dieser Ein-ladnng nicht hätte solgcn wollen, obgleich sie mir lästig war, denn sie machte mich Icit verlieren. Mit großer Geduld sah ich den Zulüftungen zum Abmarsch zu; sie dauerten sehr lange. Koffer wurden auf ein Lastthier gehängt nnd wieder herabgenommen, weil noch einiges hineinzulegen war. Dann mnßten sie völlig umgepackt werden, weil der eine im Ver-bältniß zum andern zn schwer war. Dann wurden die Reitthiere in Ordnnng gemacht, alles mit einer göttlichen Langsamkeit und Faulheit, von der man im nordischen Europa schwerlich eine Idee hat. Endlich rückte der Vortrab aus, sieben aufgeputzte Sklavinnen zu Fuß nebst zwei Kindern, eine höchst genial ans europäischen, afrikanischen und indianischen Elementen zusammengesetzte Grnppe. Solche geputzte, weibliche Eseravatnra oder Sklaverei hat bei Familicnausftügen noch eine andere Bedeutung. Sie soll den Wohlstand der Familie anzeigen. Gerade so wie die anf einer (5arrette durch Rio-Graude reisende Familie gern viel Ochsen nnd Pferde vor sich hergehen läßt, um eine gewisse Wohlhabenheit zn zeigen, dient ein Sklaventrnpp, namentlich von weiblichen Individuen, nnd zwar diese oft iu schwarzen Atlaskleidern mit einer Goldktttc um den Hals, in den Gegenden, wo Sklavenarbeit besonders gedeiht, als Aushängeschild von Reichthum. Später folgten wir dann, sechs Herren und Damen, zu Pferde nach. Der mich begleitende Neger und ein schwarzer Jockey des Nr. Esteves machten den Schluß, So zogen wir eine Strecke längs der Hauptstraße. Dann bog unser Zug in einen Weg links ein, und nach einem kurzen Ritt durch den Wald kamen wir zu einer noch beginnen- 237 den, aber dennoch schon wunderhübschen Fazende, zum Monte-Christo. Auch diese mitten iu so viele:: Bedrängnissen europäischer Colouisten glänzend sich entwickelnde Anpflanzung würde man gar nicht begreifen nnd verstehen, wenn man nicht wüßie, daß der Herr von Monte-Christo mit einer Schwester des Directors Ottoni verheirathet ist. Diese Schwester lag gerade krank zu Bett, nnd ich bekam sie nicht zu sehen. Dagegen waren einige andere junge Mädchen mit uns zum Frühstück in hübschen, feinen Anzügen, während vor der Hansthür cm alter Schweizer mit seiner Tochter stand. Der alte Ribs oder Ries solltc einer der glücklichsten Colonisten bei Philadelphia sein. Seine Tochter, ein kräftiges Mädchen, sah neben den jungen Mädchen von Monte-Christo ans wie die ärmste Betteloirne, und schämte sich sichtlich ihres erbärmlichen Anzngs. Alo nach dem Frühstück die göttliche Pause des Nichts-thnns eintrat, welche auf dem ^ande in Brasilien oft dnrch ganze Stunden hindurchgeht, und ich nicht dcn mindesten Berns fühlte, daran thchznnehmen, so nahm ich Abschied vom Monte-Christo. Dnrch einen andern Seitenweg führte mich ein Neger aus dem Walde heraus und ich befand mich wieder auf der Straße nach Philadelphia. Die einzelnen kleinern Ansiedelungen cnropäischer Colo-uisten, die auch um Philadelphia herum den Anbanern unter dem Euphemismus voll Fazendas oder Landgütern anfge? dunden werden, wuroen häufiger. Ich ritt an verschiedene Wohnungen heran und fragte nach der Lagr der Lente. Mehrere waren einigermaßen zufrieden. Die meisten aber klagten auf das bitterste, am meisten über die Nahrung, die ihnen von der Compagnie geliefert ward. In einem noch halb offenen Hanse craf ich eine Frau, Werner mii Namen, neben einem nennjährigen Knaben, der stark an Wassersucht 238 litt und sich im allcrclcndcsten Gesundheitszustände befand. „So habe ich nun schon vier Kinder verloren", weinte dic arme Frau mir vor, „weil ich ihnen nichts Ordentliches habe zu essen geben können; es frißt mir das Herz ab, wenn ich daran denke." Einige Personen, die ich unmittelbar darauf antraf, bestätigten mir vollkommen das Gesagte, daß jene Kinder ans Mangel an zweckmäßiger Nahrung gestorben wären. Es war eine Geschichte wie auf der holländischen Mi-litäreolonie. Endlich sah ich Philadelphia vor mir lieben. Zwei Holzbrücken führten mich über zwei dicht nebeneinander hinlaufende Arme des Rio-dc-Todos-os-Santos, welcher sich in den Muenri ergießt. So befand ich mich denn im Orte selbst, wo ich vor dem Direetionshause abstieg und vom Di-reetor Ottoni anf oic allerzuvorkommenste Weise empfangen ward. Philadelphia liegt auf einer weiten Klärung mitten zwischen den Waldungen des obern Muenri oder des Rio-de-Todos-os-Santos, wie etwa eine europäische Faetorei in China liegen mag. Ein grosier viereckiger Platz bilvet den Kern des Orts. Hier steht als Vorderfacade ein fast kirchen-ähnlichcs Gebäude mit zwei großen, offenen Dächern zu beiden Seiten, die Handelsmagazinc der Compagnie. Zu beiden Seiten des Platzes liegen die Hänser des Orts, welche Seiteil wieder von einigen aus unzusammenhäugeuden Häuser-reihcu gebildeten Straßen durchschnitten werden. Wenn ich die Zahl der Häuser vou Philadelphia angeben soll, so befinde ich mich in großer Verlegenheit. Der Di-reetor selbst bestimmte die Größe des Orts nach — den Dachziegeln. Und wirklich gibt es viele Dachziegel im Ort. Ich möchte Philadelphias Größe nach seinen Dächern bestimmen. Ottoni führt ihre Zahl bis zn 140 hinauf; ich tarirte sie viel geringer. Das souderbarste Phänomen aber 239 ist, daß eine bedeutende Zahl dieser Dächer noch gar kein Hans unter sich hat, sondern nnr anf einigen Holzständern rnht. Ich tarirtc die Iahl der hänserlosen Dächer aus die Hälfte sämmtlicher Dächer; der Dirretor schlug sie auf 40— 50 an, sodaß Philadelphia etwa 80 — 100 Häuser nnd bewohnte Baracken hatte, als ich dort war. Bei der nordamerikanischen Ucberstürznng, womit Philadelphia auf einen Puff angelegt nnd in seinen ungeheuern Vortheilen ansge-schricn ward, zogen sich viele Landeskinder, namentlich Mi-neiros, oie gern umherziehen, hierher, nahmen sich Plätze nnd bebauten sie nach der Ortsvorschrift wenigstens mir einem Dach, nm dann dic Entwickelung des neuen Ealifornien, welches seit dem September 1,^57 still stand, abzuwarten. So wohnten denn in Philadelphia unendlich viel mehr Brasilianer als Deutsche, welche letztere im Handel und Wandel gegen die aller Verhältnisse nnd der Landessprache kundigen Mineiros doch nur sehr wenig anfangen konnten und sich in einer sehr secnndären Lage befanden, wenn sie nicht, um vermittelst ihrer Federn als Lockvögel für weitere deutsche Emigration zu dienen, von Ottoni begünstigt wnrden. Und solcher Lockvögel gab es allerdings manche in Philadelphia. So gehören denn auch alle guten Hänser, vielleicht mit Ausnahme des Hauses eines ZimmermannK, Brasilianern. Ein hübsches Hans wird anch vom Ingenieur Robert Schlobach bewohnt, der dort mit seinem Brnder einen offenen Laden angelegt hat und als gutbezahlter Angestellter im Interesse von Ottoni nach Kräften wirkt. Dafür ist er denn auch Ritter vom Nosenorden geworden. Auf einem kleinen Bergvorsprunge seitlich am Ende des Orts steht ein kleines, einfaches Gebäude, das eine protestantische Kirche vorstellen soll. Die katholische Kirche war damals nur noch ein auf Balken stehendes Dach nnd hatte ebenfalls ziemlich kümmerliche Dimensionen. 240 Von Predigern aber, von Lehreru und einem Eoloniearzt fand ich nichts vor. Anf meiner Ncise von Sta.-Clara nach Philadelphia fand ich einen deutsch redenden Engländer, der in Botafogo bei Rio-de-Janeiro als Lehrer fungirt hatte, am Wege sitzen in sehr jämmerlichen Gesundheitszuständen, auf die sein Leben in Rio bedeutenden Einsinß gehallt zu haben schien. Dieser durch und durch zerrüttete Mensch sollte in der jungen Eolonie als Lehrer dienen. Von unberechenbarem Schaden war der Mangel an Geistlichen. Bis zum Tage meines Fortgehcus aus der Colouie war kein Geistlicher dort stationirt. Junge Ehepaare lebten indeß im Eoncubinat, Kinder wuchsen ohne Taufe auf, die erwachsene Jugend bekam Gottes Wort nicht zu hören, lind zuletzt fanden alle aus, daß es ohne Prediger anch gehen müsse und wirklich ginge. Nun sollte ich über eine Menge von Verhältnissen Nachricht geben, die in und um Philadelphia vorherrschen. Ich kann das aber nur bedingt, unr mit großer Vorsicht thun. Bei meinem Kommen empfing mich, wie ich schon sagte, Oltoni mit der vollsten Liebenswürdigkeit, welcher gegenüber ich freilich sehr bald oie Rolle des Inst vor dem Wirth in Lessing's „Minna von Barnhelm" zn spielen genöthigt war. Er ließ mich nicht aus den Augen bis zur Stunde meiner Rückkehr nach Sta.-Clara, wo er mich noch ein Endchen Wegs aus Philadelphia hinausbegleitete. Zwar lud er noch am Tage mciuer Ankunft seinen Ingenieur Schlobach ein, mich überall onrch die umliegenden Colonieu dcr Ausländer zu begleiten. Als ich aber am folgenden Morgen mit Schlo-dach zur Besichtigung dieser Eolonien fortreiten wollte, ritt er selbst mit, sodaß^ich in den eigentlichen Fazendm um Philadelphia nnr bei meinem Kommen und Gehen mit einzelnen Leuteil sprechen konnte, ohne belauscht zu werden. Und dennoch habe ich genug Seufzer gehört. 241 Im Directionshause — alle Gebäude in Philadelphia stnd durchweg nur Erdgeschosse, und nur bei vier oder fimf Häusern bemerkte ich Glasfenster — wohnt ein Bruder des Directors, Augusto Ottoni, ein kleiner, leichenblasscr, sehr schwächlicher Mann von 41 Jahren, der mir mindestens um zehn Jahre älter vorkam, und was seine kümmerliche Erscheinung betraf, mich an den Commandanten der Militärcolonie erinnerte. Dieser Bruder accnmulme in sich alle höhern Chargen in Philadelphia. Er war Viccdirector, Rechnungsfnhrer, Director dos Indios und zuletzt sogar noch Subdelegai oder Richter, sodasi eine Rcchtserlangnng, die nicht nach dem Sinne, der Direction war, für einen Colonisten absolut nnmög> lich ward. Ich weiß nicht, woher es kam, daß wir, Ottoni und ich, in den ersten Stunden meines Anfenthalts in Philadelphia voll der Colonies ode? vielmehr von den Colonisten, kein Wort redeten, sondern uns nur mit Höflichkeiten begegneten. Das wußtc ich sehr genau, daß ich niemand im ganzen Ort ein angenehmer Gast sein konnte, aber wol das Gegentheil. Als wir aber von dem Zustande so vieler Colonisten, die mich mit Klagen nnd Iammerrnf überschattet hatten, ansingen zu reden, kamen wir in etwas unangenehme Gespräche, die dem Director vielleicht um so unangenehmer waren, als er in Philadelphia sich bisher vollkommen wie ein Alleinherrscher benommen und nie eine Widerrede zu hören bekommen hatte, wohl aber manche freundliche Lobrede von Lenten, denen er in seiner volleil Liebenswürdigkeit die Colonie durch seine Brille zeigte. , , Er demonstrirte mir, daß alle Leute "mir mit Unrecht nwas vorgeklagt hätten, und daß sie^alle lögen. Nur die Noth der Holländer gestand er zu, das wären aber nicht seine Colonisten; doch sollte ihrer Noth abgeholfen wer- A ve'-Lallemant, Nord-VraMen. !, ^ 242 dm u. s. w., wic er denn ani Tage darauf sagte, er hätte zwei Ochsen und andere Nahrungsmittel hinnntergeschickt. Alle Lente lögen! Und noch in Philadelphia brauchte ich kaum den Kopf morgens vor dem Ausreiten oder abends nach dem Nachhansekommen und spätem Mittagsesscn aus dem Fenster zn stecken, so kam ein Supplikant nach dem andern angeschlichen, um mir Klagen nnd Bitten vorzutragen, die ich als nnbefangencr Dolmetscher dem Director vorlegen möchte. Blasse, kranke Menschen kamen auch; Fnßwnnden, beginnende Herzfehler, Bleichsucht, Fußödem, das alles wollte Hülfe und Rath. Ich wies sie, um gegen niemand zu verstoßen, an den Ni. Ernesto Ottoni, der gleich nach mir angekommen war; aber zu dem wollten sie nicht, er bekümmerte sich nicht um sie, auch nähme er zu viel Geld. Und wenn ich nnn von Klagen, namentlich über die gelieferten Nahrungsmittel, etwas sagte, so war immer des Directors Nefraiu, die Leute lögeu. Uud wenn mir Ottoni das sagte oder einer seiner Brüder, so konnte ich doch nicht sagen, daß die Eolonisten nicht lögen; denn, mn mich eines recht bekannten Wortes des Antonius aus dem „Julius Cäsar" des größtcu englischen Dichters zu bedienen: 1l>'llN>5 !8 IM !>0 Klafter Tiefe, solange die Lokalität das zuläßt. Solch ein Grundstück bezahlt jäbrlich 4 Milreis ()j Thlr. ftreuß. Crt,) Steuer, Dem Schneider hatte man M Klafter in der Tiefe seines von ilnn angetretenen Grundstücks znm Ban eines Weges abgeschnitten, nnd dann noch die volle Hälfte der ganzen Breite vorenthalten, sodaß cr nur 5 Klafter Breite auf 40 Klafter Tieft, also im ganzen 200 Quadratklafter statt 500 Quadrat-klafter bekam. Da er so nicht einmal die Hälfte seines statutenmäßigen Stadtplatzes, „solange die Lokalität das znläßt", innehatte, so wollte er, weil er bereits auf seinem Stück sich angebant hatte, den Director bitten, daß auch die Grundsteuer auf die Hälfte herabgesetzt würde. Aber Ottoin schlug ihm das ab, und der arme Handwerker wurde ein für allemal zur Bezahlung eines vollen Stadtplatzcs vcrurtheilt. Da fragte ich den Schneider, warum er denn keine ganze Breite bekommen hätte, und ob die Lokalität es nicht zuließe? „Ganz gewiß läßt die Lokalität es zu", sagte der Mann. 246 Das zeigte ich dem Director an, ,,,Ich weiß es", sagte er ohne die geringste Verlegenheit, „ich gebe auch keine vollen Plätze, wenn ich nicht will; ich hebe gern Plätze ans, wenu einmal eine sx^a» »!«> nü^oi^üicin (Person von Gewicht) kommt." „So sind Sie also mit der Lokalität identisch?" fragte ich. — „Nun ja", meinte er, ohne auch nur eine Secunde zu stocken. Da zeigte ich ihm in wörtlicher Uebersetzung auf dem Papier, worauf der Schneider mir den ganzen Fall auf-geschrieben hatte, die letzte Zeile, die rohe Aussage von Klose, dem Nachbar des Schneiders, über den Werth unv die Gültigkeit der gedruckten Ortsstatnten. Er konnte mir das nicht übel nehmen, denn wenn der Gesetzgeber seine eigenen Statuten in den Koth tritt, so kann er sich nicht wundern, wenn er dort auch von andern hingeworfene Ercmplare vorfindet. Irgendwelche Erinnerung an Recht wäre unvorsichtig gewesen, denn des Directors Bruder war Subdelegat; eine bloße Unwillensäußerung von seiten des Schneiders hätte ihm sein ganzes Dasein im Orte verbittern können. So sah es mit Necht und Billigkeit aus in Philadelphia. Unmittelbar redete ich von den niederträchtigen Verlockungen, welche die für den einzelnen Kopf bezahlten Agenten in Deutschland anwendeten, um Leute zum Auswandern zu beschwatzen. Er that mit mir ganz einverstanden nnd zeigte mir sogar eine im „^»x-i-oio .Vl^-cmiM" von Rio stehende Corresvondenz aus Philadelphia gegen diese Verlockungen, ob-wol er selbst sich Engageurs in Deutschland 'hielt. „Das hätten Sie in eine dentsche Zeitung setzen lassen sollen", hielt ich ihm mit Bitterkeit vor. Und dennoch beging er fast in demselben Augenblick eine merkwürdige Unvorsichtigkeit. Er holte mir drei offene Briefe von deutschen Colonisten, aus denen ich sehen sollte, wie glücklich die Menschen wären. „Ich habe drei Colonisten auf- 247 gefordert, sie möchten einmal ganz offen an ihre Verwandte in Deutschland schreiben und mir die Briefe geben; lesen Sie sie einmal." Mit diesen Worten legte er mir diese Briefe vor. Es gibt feine niedrigere Knnstgriffe, als die Aufforderung von Colonicdireetoren, Pareeneherren u. s. w. an einzelne ihrer Colouisten, Briefe nach Deutschland zu schreiben und sie offen durch die Hand des Directors u. s. w. gehen zu lassen. Wenn ein so aufgeforderter Colonist nicht schreibt, so rächt man sich an ihm. Schreibt er nnd klagt im Briefe, so geht es ihm ebenso schlecht. Folglich bleibt ihm nichts übrig, als von einem Paradies zu schreiben, worin er sich befindet. So waren anch jene Briefe voll von Lobeserhebungen; schließlich luden die Schreiber einzelne Verwandte ein, nach dem Mnmri zn kommen. Doch will ich das alles noch hingehen lassen. Denn solche Verwandte finden bei ihrer Ankunft schon einige befreundete Seelen, bei denen sie Anhalt nnd ein erstes Unterkommen finden, mag es diesen nun gut oder schlecht geben. Aber das VcrführnngSwcrk geht viel weiter. Solche Briefe werden gedruckt, wie denn jene Briefe, die Ottoni mir vorlegte, schon zwei Tage nach seiner Rückkunft in Rio im dortigen „^ol'i^io U(.>l'^,nl!l" gedruckt in portugiesischer Sprache erschienen. Und bei Lesung solcher Briefe in dentschen Zeitungen werden außer den Verwandten anch noch andere zum Auswandern versucht. Auch sie wollen glücklich und reich werden im transatlantischen Eldorado. Sie kommen an nnd finden eben die traurige Wirklichkeit, keinen Anhang, keine Hülfe, keine Rückkehr. Entweder müssen sie im Elend nm-kommen, oder sich den traurigen Bedingungen fügen, die ihnen der Colonicnerns anferlcgt. Und was sollen wir nun zu denen sagen, die in brasilianischen Zeitungen ihren Unwillen über solche Verlockungen ausdrücken, um mittels elender Briefe selbst Hand dazn zn bieten? Ich hatte Gelegenheit, mir schnell die Namen dieser Brief- 248 schreiber anfznnotiren. (5s waren: Pfeiffer an Schumann, Dam-masch an Johann Neschke in Mühlow bri Crossen, und cin Brief an Gottlob Wenske in Mürzwiese bei Crosscn. Pfeiffer hatte übrigens, und wie es mir schien aus Ironie, noch mehr ge-than, als sein Herr ihm aufgetragen. Er endete seinen Brief mit einem kleinen Gedicht, dessen letzte Verse so lauten: Hier ist ;n täglichem Ooius; Das Brot und ssleisch im Uebeifluß! Ich habe nie eine originellere Lüge gelesen. WaS mich am meisten in dem einen dieser Briefe empörte, war eine Anspielung auf die verhungernden Holländer. Es ginge, hieß es ungefähr dort, den Leuten schon gut, wenn sie nicht faul wären wie die Holländer. In Deutschland verstand man die Briefphrase gar nicht, wenn man nicht die Geschichte der Holländer in der Militärcolonie genan kannte. Wie kam der Briefschreiber gerade auf die Holländer zu reden? Wie so kurz und unklar? Was konnte die Andeutung die Verwandten in Deutschland interessiren? Wie ich die Stelle im Briefe las, durchftog mich der Gedanke, man hätte dem Brief? fchreiber die Bemerkung über die Holländer untergeschoben, um sich darauf berufen zu können, wenn einmal die schwarze Sünde der Militärcolonie vor der europäischen Presse offen dargelegt werden sollte. Kurz, diese Anmerkung sah aus wie ein schlechtes Gewissen; denn unbedingt hing die Militär-l-olonie mit dem Ottoni'schen Mucuri-Unternehmen zusammen. Wie ich eben diese Briefe gelesen hatte, trat eine iunge, gut aussehende Frau mit einem kleinen, hübschen Kinde an das Fenster, um mit mir zu sprechen. Sie klagte ihre bittere Noth und wollte gern fort, durfte aber nicht, weil sie noch Subsidien schnldcte. Mitten im Klagen gingen ihr die Augen über in Thränen; sie schämte sich nnd drehte sich herum. Da zog ich Ottoni schnell an das Fenster, rief die Frau nnd fragte den Director, ob er solche Thränen auch für 249 deutsche Zeitungen redigiren ließe. „Ach was", sagte er, „es gibt Leute, die sehr leicht weinen!" Das war alles! Wirklich nichts, uicht das unschuldigste Kind auf dem Arme seiner jungen, weinenden Mutter schien diesem Menschen Mitleid einzustoßen. W kam mir vor, als ob er nie das Wort Menschlichkeit gehört hätte. Höchst gespannt und aufgeregt ritten wir dann zum S.-Iacintho, zum dritten mal, daß sic mick dort hinführten, um dortige Colonisten zu besuchen. Im Walde unterwegs trafen wir einen jungen, elend aussehenden Schweizer. Ottoni forderte mich anf, mich mit ihm zu unterhalten, um von ihm über die Lage dcr Colonisteu zu hören. Vorsichtig fragte ich aber erst den Director, ob dieser Schweizer ein ordentlicher, ehrlicher Mann und nicht etwa auch ein Lügner wäre. Als er den Menschen für einen wackern Arbeiter erklärte, redete ich ihn an. Sein erstes Wort war eine bittere Klage, daß man ihm einen ganzen Monat Nahrungsmittel vorenthalten hätte. Natürlich ward er auf dem Flecke Lügen gestraft vom Director, was er sehr übel nahm. Da hatte ich aber auch das Läppische dieses Despotismus satt. Ich hielt dem Herrn Ottoni eine kleine Anrede über die abgeschmackte Manier, daß er mir ordentliche Leute zum Nachfragen vorstellte und sie augenblicklich zu Mgnern und Betrügern machte, wenn sie ehrlich und offen redeten und klagten. Iwar ritten wir zum nächsten Colonisten, dessen Feld-abhang schon gut aussah; zwar rief Ottoni ihn heran, damit ich mit ihm reden sollte, aber ich verweigerte jede weitere Frage in seiner Gegenwart. Und da er mich nicht allein ließ, hielt ich meinen gan;en wcitern Besuch und alles Reden mit Co-lonistcn nur für eine Komödie, eine Maskerade, bei welcher keine Wahrheit zu Tage kommen durfte. Darum gaben wir das fernere Durchreiten von Auswandercransiedelungen auf und kehrten um. 250 Wir ließen Philadelphia links liegen und verfolgten die Straße nach Miuas-Novas. Bald bogen wir von dieser ab und gelangten zu einer mächtigen, schönen Kläruug, in deren Mitte, recht mitten zwischen steilen Abhängen, ein wunderhübsches Vcsitzthum lag. Ein stürzender Waldbach trieb eine höchst zweckmäßig und solid eingerichtete Sägemühle. Hiuter dieser setzte eine Turbine einen Maismühlengaug in Bewegung. An den Abhäu-gen ringsher weideten Kühe, oder junge Aupftanznng wuchs aus der Asche des niedergebrannten Urwaldes empor, aus welchem man die größcrn Stämme gerettet hatte, nm sie zu Bretern zu schneiden. In der Nähe des Hauses trieben Huh--ner, Gäuse und Enten ihr Wesen. Fast ein Wunder erschieu mir solch ein Gehöft neben den kleinen Colonien der übrigen Auswanderer, und doch unmittelbar darauf wieder gar kein Wunder, denn hier wohnte ein intimer Jugendfreund Ottoui's, ein gewisser Ferreira, ein einfacher Mann ohne alle Erziehung, der früher ein Mauleseltreiber gewesen war und, wie mir Schlobach erzählte, einmal beim Transportiren von Auswanderern eine große Brutalität gegen eiue schwangere Frau begangen hatte. Hier hielten wir uns etwas auf; es war wirklich ein Stück Harzgegend, worin wir nns befanden. Mit ruhigeru Gemütheru, als wir gekommen waren, ritten wir dann wieder nach Hause. Hier ersuchte ich Ottoni um Thiere für den nächsten Tag, damit ich abreisen könnte. Er meinte, ich hätte noch nichts von Philadelphia gesehen. Ich erinnerte ihn daran, daß unter seiner Vegleitnng mir alles gut, vollkommen nnd uutadcl-hnft vorkäme und alle Klagen Lügen wären; da könnte ich mir vollkommen alles denken, was ich noch nicht gesehen hätte. Und so blieb es denn bei meiner Abreise auf den folgenden Tag; ich wollte nicht weiter ausspionirt werden. 251 Am Abend war ich, um mich zu verabschieden, einen Augenblick znm Ingenienr Schlobach hinubergegangcn. Als ich zurückkam, fand ich im Direeiionshause eiue bedeutende Consternation. Der Feitor der Chinesen war mit einem Haufen seiner Untergebenen, die einen Verwundeten trugen, angekommen. Unter den Chinesen hatte wieder ein Aufrnhr stattgefunden. Nach des Feitors Erzählung war er plötzlich von den Chinesen überfallen worden' mit Knitteln und Waldmessern; einer legte eine geladene Flinte auf ihn an, aber in demselben Augenblick erhielt der Feitor einen Hieb über den Nucken und kam aus der Schußlinie, sod^iß der Schuß einem Chinesen in den Bauch fuhr. Des Feitors Bruder, der mit bei der Rauferei betheiligt war, entsprang in den Wald. Die Schußwunde schien einigen Schreck und etwas Ruhe in den Aufruhr zu bringen; etwa 20 Chinesen trugen den Verwundeten nach Philadelphia unter des Fritors Anführung. Ich bekam den Verwnndeten nicht zu sehen; man suchte dem Vorfall möglichst wenig Bedentung zn geben. Gerade als ich nach Hause kam, hatten sich die Chinesen vor dem Direetionshansc versammelt, um eine Klage einzuleiten: sie wurden aber mit einem Donnerwort vou Ottoni fortgejagt. Letzterer äußerte gegen mich den Verdacht, daß nicht sowol ein Chinese auf den Feitor wie vielmehr der Feitor auf einen Chinesen geschossen hätte, was auch ganz vollkommen meinc Ansicht war, nachdem der Feitor die ganze Geschichte erzählt hatte. Nichtsdestoweniger entwickelte sich dieser Crimmalfall ganz in despotischer Weife. Ich erfuhr einige Tage darauf, daß der Direetor, nachdem er mich am folgenden Morgen zum Orte hinausbegleitet hatte, sämmtliche Chinesen durchprügeln ließ und wieder an die Arbeit schickte. Demnach hatten die Chinesen dort ebenso wenig Recht und Gerechtigkeit wie europäische Auswanderer. 25)2 Wenigstens die Ueberzeugung hatte die Schnßgeschichte bei mir hervorgerufen, daß ein Chinese oder sonst- ein Ausländer in den Waldungen von Minas-Novas, zumal wenn er mit einem fremden Negersklaven reist, ganz unverhofft einen Schuß bekommen könnte. Und da mich schon jener alte Anwohner am Rio-Pardo gescholten hatte, daß ich mit leeren Pistolen reiste, so lnd ich dieselben Pistolen von großem Kaliber und packte meine Sachen für die Abreise des nächsten Morgens. Ehe ich aber zu Bett ging, kam es mir doch wie ein Mistrauen gegen Gottes Vorsehung vor, wenn ich mich im Walde selbst vertheidigen wollte. Ich nahm meine Kugeln also wieder heraus und packte alles wieder beiseite. Am 1l. Februar ward mein kleiner Reisezug geordnet. Derselbe Schwarze, der mich nach Sta.-Clara hinaufgebracht hatte, sollte mich anch wieder hinunterbegleitcn. Selbst beritten trieb er einen Packesel mit meinen wenigen Sachen und einigem Proviant vor sich her, weil man fürchtete, ich möchte nicht überall etwas zu essen finden. Nach gemeinsamer Berathung sollte- ich meine Nachtquartiere gerade wieder so nehmen wie beim Hinaufreisen: Itamonhee, Quartel, Ribeiräo-da-Areia und Ribeirao-das-Pedras. Ehe ich aber fortkommen konnte, kamen noch diverse Suft-plikanten. Immer war es diese nnd jene leise Klage. Tief bewegte mich ein junges schweizer Ehepaar mit einem Kinde, der Mann 23 Jahre alt, die Frau 20 Jahre, das Kind <) Monate, alle drei so ordentlich, sauber uud hübsch aussehend , daß mir ihr Anblick wirklich nahe ging. Sie baten den Director in tiefer Demuth, ob er sie nicht nach Rio lassen wollte; in ihrer Gegend, dein obern Ende des S.-Ia-cintho, wäre es so ungesund. Fast komisch war diese Klage! Am ganzen S.-Iacintyo sollte alles so herrlich sein. Mit den beiden jungen Leutcu, denen mau es ansah, daß sie für keine Urwaldsarbeit gemacht waren, war kein Vortheil 353 mehr zu gewinnen. 1!m das zu erkennen, bedürfte es eines eillzigen Blickes. So erhielten sie denn die Erlaubniß abziehen zu dürfen. Doch handelte es sich jetzt um die doppelte Passage; denn auch dieses junge Paar war umsonst von Rio nach dein Mucuri gekommen, und hätle nun, wie ich das ja schon andeutete, auch jene Passage noch bezahlen müssen. Dazu hatten sie 80 Milrew nöthig (00 Thlr. preuß. Ort.), besaßen sie aber nicht. Ottoni wollte ihnen die Passage etwas billiger lassen, aber die armen Leute hatten nur den Mais zu bieten, ver noch aus dem Halme in ihrem kleinen Mais-fclde stand. „Ich kann jetzt krmeu Mais gebrauchen", herrschte der Dirretor sie an. Die Frau fing bitterlich au zu weineil. Ich hatte Geld geuug bei mir, um ihnen die Passage zu bezahlen. Und doch that ich es nicht. Ganz bestimmt sollten die ^ente schon nach Rio gelangen, dafür sollte schon gesorgt werden. Aber ich wollte sehen, wie weit die Herzens-verstockuug dieses Pharao gehen würde, dem das Fortlassen und Zurückkehren dieser Familie nach Rio keinen Heller Uu-kosten verursachte. Falls er sie uicht ließ, blieben die Menschen höchstens noch einige Wochen in Philadelphia, worin ich gewiß keine Gefahr sah. Daß ich sie nicht verlassen würde, wußten sie; ich hatte es ihuen gesagt, daß sie schon nach Rio später fortkommen sollten. Uud wirklich ließ Ottoni diese Menschen damals nicht nach Rio, er ließ sie iu Philadelphia bleiben. Bis zur leyten Brücke vor Philadelphia ritt er noch mit mir. Dort schien etwas durch seine Seele zu fahren, was bei Leuten, die ein Gewissen haben, ein Gewissensbiß genannt wird. Er stieg vom Thier, verlangte ein Stück Papier nebst Bleifeder aus meiner Brieftasche, uud schrieb einen Widerruf seines Befehls, keine Kranke mehr nach Rio fortzulassen, für den Inspector von Sta.-Elara ans. Vielmehr gab or den Befehl, Horn möchte die Kranken, für die ich das uothwen- 254 dig finden würde, umsonst nach Rio mit dem Dampfboot schicken. Fast hätte ich mit Bitterkeit das Blatt zurückgeben und fragen mögen: Wozu das jetzt, wo eben der Mucuridampfer nach Rio abgegangen ist und erst in vier Wochen wiederkehrt? Doch konnte die Erlaubniß für viele Kranke noch gute Folgen haben, und ich nahm sie mit mir. Wir schieden voneinander. Der wundervolle Tag ward Ursache, daß ich aus meinen projectirten zwei ersten Tagereisen eine einzige machte und gleich bis Böschenstcin-Elmiger am Quarte! ritt. Verschiedene Reiseergebnisse erzähle ich weiter unten; ich muß erst die Geschichte der Colomsten am Muenri verfolgen. Am vierten Tage meines Rittes, am 14. Februar, kam ich bei guter Zeit nach Sta.-Clara. Unterwegs war ich von zwei Reisenden, einem Herrn lavier Neves und einem jungen Deutschen, Herrn Wittich, eingeholt worden, welche beide aus Rio in Handelsangelegenheiten nach Philadelphia gekommen waren, und sich daselbst, wo alles Geschäft vollkommen stagnirte, nur einen Tag aufgehalten hatten. Wir hatten alle drei verabredet., uns nur einen Tag in Eta.-Clara aufzuhalten, um dann zusammen den Fluß hinabzugehen bis zu seiner Mündung. Von dort wollten jene beiden, die sich in Porto Alegre schon Pferde bestellt hatten, längs der Küste südlich reiten bis S.-Matcheos, dem nächsten Seehafen der Provinz Esvirito-Santo, wo sie das nach Rio-dc-Ianciro fahrende Dampfschiff anzutreffen hofften. Ich selbst wollte von der Mündung des Mueun wieder nördlich nach Villa-Vicoza, und dort in einem Canot den Pernipe hinanf-fahren nach der Colonic von Leopoldina, wo ich mich dann bis zur Ankunft jenes Dampfboots von Bahia, womit ich nach Villa-Vicoza gekommen war, aufhalten wollte. In ununterbrochener Fahrt sollte mich dann jenes Dampfboot nach 255 Bahia zur Fortsetzung meiner Reise nach Pernambuco und dem Amazonenstrom zurückbringen. Aber wir sollten alle drei andern Bedingungen gehorchen. In Sta.-Clara war kein Flußdampfer, kein Schleppboot, kein Canot, im eigentlichsten Wort kein schwimmendes Vret. Iwar hoffte mcm immer, es möchte zufällig das eine oder andere Canot den Fluß heraufkommen. Wenn ich aber an die Vereinsamung des Mueuri von seiner Münduug bis nach Sta.-Clara dachte, so wußte ich bestimmt, daß nicht leicht auf ein Canot zu rechnen war. Und so war es wirklich. Gerade nach acht Tagen, am ^2. Februar, kam ein kleines Canot, und meine beiden Mitreisenden konnten fortgehen. Ich hatte laugst einen ganz andern Entschluß gefaßt; das Schicksal hatte mir einen viel ernstern Beruf als den eines Reisenden auferlegt. Gleich am folgenden Morgen nach metner Rückkunft in Sta.-Clara ging ich nach der Bella-Vista, um zu sehen, wie es dort mit den Auswanderern stehen möchte. Die Scenerie war wirklich erschütternd. Die Zahl der Kranken hatte zugenommen, und viele Leute litten unter ernstern Krankheitszeichen. Der Pseudoarzt Augusto hatte iufolge ciues Zwiespalts seine Stelle niedergelegt und war schon seit mehreren Tagen nicht bei dcn Kranken gewesen. So hatte sich denn weiter keiner um die Unglücklichen bekümmert. Typhöse Kranke und Lcnte mit fauligen Beinwunden lagen durcheinander, Gesunde und Kranke befanden sich in der vollsten Verlassenheit; alles war Klagen und Jammern, alles die tiefste Verzweiflung. Ein einziger Blick auf Kranke uud Gesunde überzeugte mich, daß ich nicht fortreisen dürfte. So beschloß ich denn zu bleiben, bis die Kranken mit dem nächsten Dampfboot im März nach Rio abgehen könnten. Mein Bleiben ward 256 vom Inspector sogleich durch einen reitenden Boten nach Phi ladelphia an Ottoni gemeldet. Die nun folgenden Februartagc werden mir ewig denk würdig bleiben. Ich habe nic geglaubt, daß menschliche Indifferenz, Härte und Gransamkeit so weit gehen könmen, wie ich das in den ersten Tagen in Sta.-Clara erlebte. Das Krankheitselend theilte sich in Grnppen, in Familien. Ich will keine ärztliche Krankhcitsgcschichten erzählen, aber einige Geschichten von Familienelend inns; ich berichten. Auf dem „Boden einer Abtheilung des ominösen Hauses lag ein älterer Mann mit einer kräftig gebauten erwachsenen Tochter auf einem ^ager, beide mit dem Tode ringend. Der alte Henn war mit elf rüstigen Familienmitgliedem gekommen. Am Tage nach meiner Rückkunft nach Sta.-Clara starb die Tockter; zehn Stunden nach ihr starb der Vater. Im wildesten Schmerz stand die alte, aber noch ziemlich rüstige Mutter dabei, sie hatte nun seit dem October ihren Mann, zwei Töchter und zwei Enkel verloren. Beide Todte wurden zur selben Stunde beerdigt. Unmittelbar daran hatte eine Familie Christ ihr Lager. Derselben war am II. Februar ein Kind gestorben; am 15>. starb ihnen noch ein Kind. Bald darauf, am ^4. Februar, starb auch die tiefbelrübtr Mntter. Gin einziges, dem Hungertyphus entkommenes Kind, ties elend und abgemagert, blieb dem gebeugten Familienvater noch übrig. In einem andern kleinen Stübchen lag die Witwe Jung mit fauligen, stinkenden Beinwunden, jammernd um ihren ganz kürzlich verstorbenen Mann. Im Arm hielt sie ein kleines skcletartiges Kind. Nach einigen Tagen starb das und die Frau blieb hülslos mit zwei Kindern, von denen das eine fieberte und an beginnendem Oedem litt. Keinen ttöstlich'ern Anblick bot die Familie Jäger. Der achtundvierzigjährige Mann war mit der Frau und sieben 5>57 Kindern gekommen. Ihm war bereits dic Frau und ein Kind gestorben. Jetzt lag er selbst schwer krank an Erschlaffung aller Lebeusfunetionen, mit starkem Oedem an Beinen, Händen nnd Gesicht; nm scin armseliges Lager standen sechs unmündige Kinder, denen cs sehr klar vor Augen stand, daß sie wahrscheinlich bald auch keinen Vater mehr im fremden Lande haben würden. Und wirklich starb er am 2. März. Auch eine Familie Münch erregte tiefes Mitleid; aber wer erregte nicht Mitleid in dem unglücklichen Gebäude? Aus der zahlreichen Familie war bis dahin zwar nur ein Kind gestorben; aber fast alle waren krank. Der Alte saß da, abgemagert nnd kraftlos. Vor ihm auf dem Boden lag seine Fran Veronika, 50 Jahre alt, an Durchfall und Marasmus leidend; neben ihr eine Tochter, Rosine, 21 Jahre alt, ein Sohn, Leopold, 20 Jahre alt, und eine Tochter, Karo-linc, 15 Jahre alt, alle an tiefen Bemwunden leidend, noch eine Tochter, Marje, 26 Jahre alt, nnd ein Sohn, Wilhelm, von 10 Jahren, beide an gastrisch-typhösem Fieber daniederliegend. Und so in diesem nnd jenem Winkel dieser und jeuer'. Und das alles ohne Ar;t, alles ohne zweckmäßige Nahrung, ja ohne hinreichende, ohne die volle stipulirte, von der Direction' eontrattmäßig ihnen zugesagte Nahrung, wie ich das gleich nachweisen werde. Als ich nun bald darauf mit Herrn Horn weiter lnnans-ritt, die Ansteignng zur hohen Waldcbene des sogenannten Macaco hinauf nnd längs derselben, wo jene zwei Empfangs-schnppen waren und zu beiden Seiten des Wegs Ansiedler wohnten, nnd von dort weiter bis zu den )> Leguas fernen S.-Mattheos, wo wieder in kleinen Empfangsgebäudeu sieben bis acht Familien zusammensteckten, da gab es der Kranken, der Elenden, der Jammernden so viele, daß man hätte den Muth verlieren mögeu. 258 Am tragischsten sah es ans bei einem armen Schneider, Splinter aus Stettin oder der Umgegend. Den hatte man anch nach dem Mncnri geschwatzt nnd ihn oben in seiner Waldhütte liegen lassen. Fast zögerte Herr Horn, mir die Familie zn zeigen. Unter den elendesten Bedingungen lag der Mann da, znm Skelet abgemagert, mit einer enorm großen Beinwnnde, die vollkommen brandig war. Neben ihm lag seine abgezehrte, an Dnrchfall leidende Frau, neben dieser eine erwachsene, ebenfalls an Durchfall lind skrofulöser Au-genentzündnng leidende Tochter. Nnr ein Knabe war noch anf den Beinen. Das Jammerbild, den Iammerruf in dieser Waldhütte vergesse ich nie. Gleich am folgenden Tage ließen wir die ganze Familie mit einem Güterwagen der Compagnie herunterholen zur Bella-Vista, wo doch wenigstens ein Haus, Obdach nnd tägliche ärztliche Hülfe fortan mpglich war. Aber auch dort im Hanse mnßtc der Mann allein gelagert werden, weil der Brandgeruch seines Beins wirklich unerträglich war. Am 2. December kein Fleisch. Ja, Herr August Horn, der sonst so pftichtgetreuc Inspector von Sta.-Clara, gestand mir ganz offen, ich könnte ganz unbefangen erklären, die Colonisten von Sta.-Clara hätten seit Gnde September bis damals (im Februar), mit Ausnahme eines einzigen maleS im Anfang des Januar, als Herr Ottoni von Nio kam, niemals genau die contractgemäßen Nahrungsmittel bekommen. Ueber die Lieferungen um Philadelphia herum müssen wir beruhigter sein, denn Ottoni versicherte, daß die Colonisten genau ihre Lieferungen bekämen und daß alle die Lügner wären, welche etwas dagegen zn sagen hätten. Und Ottoni „>8 «n lwliuui-ödle mim". Auffallend ist es aber genug für mich gewesen, daß gerade der Mann, mit dem Ottoni mich aufforderte zu sprechen über die Lage der Colonisten, weil er „ein glaubwürdiger, ordentlicher Mann" wäre, Daniel Schütter von der Boa-Vista, einer der hartverfolgtcn Schweizer aus S.-Paulo, ein Mensch von seltenem Muthe, mir lachend erzählte, daß die Colonisten ans der Boa-Vista im lausenden Monat nur Maismehl bekommen hätten, und daß ebendaselbst eine Frau mir klagte, sie hätte seit sechs Wochen kein Fleisch erhalten. Zuletzt siel mir im Magazin von Sta.-Clara sogar noch Maß nnd Gewicht auf. Kein Gewicht war von irgendeiner Muuicipalkammer gestempelt. Das Quartmaß hatte keine gesetzliche Marke. Auch war sein innerer Naum mittels einer derben Scheidewand in zwei Hälften getheilt, sodaß wenn wirklich das ganze Maß richtig war, dennoch das 261 Messen mit demselben dem Käufer einen Schaden von 32/5 Procent zu Wege brachte. Und so unredlich ging man mit dem Messen um, daß, als vor meinen Angen einmal einem Colonisten sein Proviant vorgemessen ward und ich die Hinterlist des Messenden beim Einschütten bemerkte, ich durch einiges kräftiges Ausstößen des scheinbar vollen Maßes den Umstehenden bewies, daß noch ein voller Finger breit an dem Maße fehlte. Ich kann, da ich uuu einmal meine Leser genan in das schlechte Treiben am Mucuri einsuhren mußte, diesen höchst tabelnswerthen Zustand im Vertheilen und Vorenthalten der gesetzmäßigen Nahrungsmittel nicht ruhiger darstelleu als in folgendem Schreiben. Kurz vorher, ehe ich au deu Mneuri kam, hatten sich die Familienhäupter auf dein Macaw zu einer Bittschrift vereint. Als ich von Philadelphia zurückkam, hörte ich davon und copirte sie mir ganz buchstäblich wie folgt: „Ehrerbietiger Vortrag und Bitte. ,,Die ergcbenst Unterzeichneten können nicht umhin, dem Herrn Director der Mueuri-Colonicn, Th. B. Ottoni, recht dringend zu bittcu, Nachstehendes geneigtcst prüfen und dessen möglichst baldige Abhülfe beschließen zu wollen: ,,l) Unsere Verproviantirung auf die Dauer des ersten Jahres bei Begründung der Fazenden ist eine so mangelhafte, daß wir bei deren Fortdauer anstatt als kräftige Colonisten jedwede Arbeit anf unsern Fazenden rüstig ausführen zu können, vielmehr als schleichende Gestalten zu jeder Arbeit untauglich werden müssen; z. B. verabreicht die hiestge Verwaltung außer Farinha uud Boulage (soll Bolacha, Schiffszwieback, heißen) per Kopf auf 14 Tage 1 Pfd. Speck, 2 Pfd. Carne-secca, V^ Pfd. Kaffee, V4 Pfd. Zucker und V4 Quart Bohnen, 262 und häufig werden, je nach dem Ansbleiben der Branche, ans 14 Tagen .'> Wochen. Diese Verproviantirnng ist eine so geringfügige, daß die Häupter der Familien, selbst bei dcr genauesten Eintheilung nnd Einrichtnng, nimmermehr im Stande sind, die ihncu zum Anban überwieseuen Fazenden mit ansdanernder Kraft zu bearbeiten und den durch Krankheiten der Acclimatisation nnd Geschwüre ohnehin geschwächten Körper in genügender Thätigkeit zn erhalten. „Wer nun mehr Kaffee oder Zucker, anch Seife zur Reinlichkeit nnd znm Waschen der Wäsche nöthig hat, soll nnr gegen Baarbezahlung das Nöthige erhalten. Es scheint uns ein solches Verfahren in einem zn grellen Widerspruch mit den so wohlmeinenden Absichten des Herrn Directors Ottoni zn stehen, und erlauben wir uns hierauf zn bemerken, daß es ganz in dem richtigen Verhältniß der Dinge liegt, wenn Colonisten ans Vorschnß von Europa uach Brasilien befördert werden, man von solchen ganz gewiß voraussetzen kann, daß niemand Kapitalien oder sonstigen Geldcswerth mitzubringen im Stande ist. Ein jeder von nns mit seiner Familie ist an den Kaffee von Kindheit an gewöhnt uud soll ihn hier in einem Lande, wo der Kaffee gebant wird, entbehren. Ferner befinden sich mehrere Kranke unter uns; Kranke können selbstverständlich nicht mit schwarzen Bohnen, oft nur mit Wasser und Salz gekocht, und mit Earnesecca erhalten werden, viel weniger werden sie bei solcher Kost genesen. Kann man ihnen statt dessen Mehlspeise, Kaffee mit Zucker, auch Reis vorsetzen, so hat man eher Aussicht, die Kranken sich erheben zn sehen. So auch mit der Seife. Der thätige, arbeitsame Colonist muß sich zu verschiedenen malen des Tags von Schweiß, Staub, Ranch u. dgl. m. reinigen; bloßes Wasser nimmt den Schmuz von der Haut nicht weg; ebenso wenig kann eine Hansfrau schmnzige Wäsche obnc Seift rein waschen. Zum Seifenkaufcn mangelt in jeder Wirthschaft das nöthige Geld; 263 und besteht dennoch die Verwaltung auf Baarbezahlnng, nun so mag sie uns Eolonisten wöchentlich drei Tage Arbeit geben, nm uns dadurch in den Stand zn setzen, höchst nöthige Vaareinkäufe machen zu können. Dnrch diese wöchentlich drei Arbeitstage sind wir aber wieder gehindert, ans unsern Faxenden zu arbeiten, wodurch wir wieder immer weiter von unserer Hauptarbeit abgehalten werden. „Herr Director! Es ist Ihr Wnnsch, die Urwälder am Mnenri dnrch deutsche Arbeitsamkeit nnd durch deutschen Fleiß in Ackerland zu verwandeln, um dadurch die allererste volkliche Wohlfahrt zu begründen; wir sind nnn dem Rufe Ihrer Agenten in Europa gefolgt, sind herübergekommen in die Urwälder nnd wollen beweisen, was dentscher Fleiß und dent-sche Thätigkeit vermag; ans demselben Grunde aber bitten wir auch ebenso dringend wie ganz ergcbenst, daß unsere Ver-proviantirnug für die Dauer des ersten Jahres in hinreichendem Maße uns überwiesen werde; denn in eben dem Maße wir Colonisten danach streben, unsern Verpflichtungen dem Herrn Direetor Ottoni gegenüber nachzukommen, in demselben Maße erwarten auch wir die Erfüllung der Verpflichtungen uns gegenüber. „2) Möge es dem Herr Direetor Ottoni gefallen, in dem Magazin der Verwaltung zu Sta.-Clara einen entsprechenden Vorrath an eisernen Kochgeräthen zu halten, wovon uns daS Nöthige ebenfalls, auf Vorschuß verabreicht werde, denn Kochgeschirr hat wol niemand in hinreichendem Maße mitnehmen können. „'-5) bitten wir den Herrn Director inständigst, gcneigtest veranlassen zu wollen, daß zn Sta.-Clara gleichwie zn Philadelphia Nutzvieh verschiedener Gattung, vorzüglich Ziegen, Schafe, Schweine, Hühner, Enten und-Gänse gehalten werden, welche wir alsdann zu uuserm Nutzen beziehen kön> nen, denn Ackerbau ohne Viehstand ist ein Unding; und 2tt4 können wir auch genanntes Vieh rascher und besser entnehmen, als die weite nnb beschwerliche Neise nach Philadelphia und zurück es gestattet, und „4) ergeht nnscre ergebenste Bitte dahin, geneigtest beschließen zn wollen, daß mit Zeit nnd Gelegenheit dafür Sorge getragen werde, einen protestantischen nnd katholischen Schnllehrer hierorts anzustellen, damit unsere Ingeud Gelegenheit findet, sowol in Schulkenntnisscn als auch in dem Worte Gottes des Nothwendigsten unterrichtet werden zu können. Wir werden durch anhaltenden Fleiß und Ausdauer gewiß alles dasjenige nach Kräften gut machen, was der Herr Director Ottoni an nns nnd uusern Kindern Gntcs erweist. Macaco bei Sta.-Vlara, den 26. Iannar 1^59. (Folgen ZZ Unterschriften der Familieuhänpter.)" Diese Bittschrift sollte Herr Horn dem Director, wenn er von Philadelphia kommen würde, überreichen. Ich brauche ihr keinen Commentar weiter hinzuzufügen. Die Gelindigkeit des Tons und die Demuthsmiene der Snftplikanten kommen daher, daß sie Ottoni für einen großen Mann hielten und große Furcht vor ihm hatten. Nur den Ansdruck „mehrere Kranke" mnß ich modificircn. Ich fand leider sehr viele Kranke nnter ihnen, wie sie denn )a auch vorhin von ihren Acclimatisationskrankheiten und Geschwüren geredet hatten. Ich nahm mir vor, diese wörtliche Abschrift nebst andern Docnmenten bis zum Kaiser gelangen zn lassen. Viel zn sehr war ich von seiner Herzensgute überzeugt, als daß ich auch nur einen Augenblick Bedenken trug, solchen Angstruf Hintergangener Waldhäuer bis üi das Kaiserschloß von S.-Chri-stoväo zn bringcu, wo, wie ich damals hoffte, das Document mehr Wirkung tlnm möchte, als wenn Horn das Original 265 an Ottoni gegeben hätte. Mußte doch am Mueuri sich alles glücklich und zufrieden stellen, war doch jede Klage streng verboten, jeder Klagende der Strafe des Direetors im vollsten Maße verfallen! Von der Wahrheit dieser letztern Behauptung kann ich die schlagendsten Beweise führen. Unter den vielen Klagenden in Philadelphia befand sich auch ein Mensch, der mir sein Leiden mitten auf dem Platze von Philadelphia vorklagte ill Gegenwart des Ingenieurs Schlobach. Ich sagte ärgerlich zu letztcrm: „Nnn hören Sie einmal, was das wieder für Geschichten sind! Redet der Mann die Wahrheit?" Schlobach erwiderte: „Ja, recht hat der Mann." Ich sprach mit Ottoni; aber da ward jener Klagende gleich zum Lügner mit andern Ehrentiteln gemacht nnd die Geschichte war abgethan. Tief empört ging der Mann seiner Wege. In Sta.-(5lara schon erhielt ich folgenden Brief, der mich wirklich lachen machte, obgleich er uicht fröhlich geschrieben war, der aber für den Schreiber ganz gewiß kein verlorenes Blatt, keine erfolglos verhallende Klage bleiben sollte: ^Philadelphia, IN, Fcbnmr, „Geehrtcstcr Herr Doctor Lall ermann! „Sie entsinnen sich vielleicht noch meiner Person, wo ich am Mittwoch vor Ihrer Abreise auf dem Markte in Gegenwart des Herrn Robert Schlobach meine Klage erhob uud Herr Schlobach Ihnen auf die Frage: «Hat der Mauu recht?" es mit Ja beautwortete. So sollte ich uach Ihrer Abreise am Sonntag, als ich zum Empfang wegen Lebensmittrl uach vcr Stadt kam, von Herrn Augusto Ottoni durch Soldaten arretirt uud gewaltsam von meiner Frau, welche sich noch im Wochenbette befindet, gerissen werden. Ich sollte keine Lcbens-mittcl mehr erhalten und sollte macheu, dasi ich fortkäme; 366 O auf mein Verlangen, mich nach Rio zu schaffen, wollte er jedoch nicht eingehen. Ich ersnche Sie recht dringend um Hülfe in unserer bedrängten Lage. „Mit Ihrer Achtung bin ich ganz ergebenst Hermann Hoppe, Colonist am S.-Benedict." Emeu andern Brief erhielt ich später, worin mir jemand bitterlich klagte, wie seit meiner Abreise von Philadelphia alle diejenigen, die gegen mich geklagt hätten, auf daö schändlichste behandelt uud vom Director mit wüthend zusammengeballten Fäusten bedroht würden. Um so origineller ist dieser Brief, weil er auch eine Einsicht gibt in sonstige Znstände von Philadelphia. So z. B. sah ich aus ihm, warum einer Witwe Koch am S.-Iaeintho so viel Gutes gethan ward. Sie hatte eine liederliche Tochter von 18 Jahren, die in Philadelphia viel galt und von den Leuten warm gehalten warv. Vielleicht ist auch folgender Brief, den der Schreiber plötzlich abgebrochen hat, nicht weniger charakteristisch. Ich traf einen Mann, als ich nach Philadelphia hinaufritt, etwa einc halbe Legua vor dem Ort. Er fiel nur auf wegen seines ordentlichen Ansehens und ich fand, als ich mich in ein kleines Gespräch mit ihm einließ, einen Menschen von gnter Erziehung, bei dessen Colonic ich vorbeigekommen war, ohne heranznreiten. Ich versprach ibm, mich für meine Lanoslente am Mucuri nach besten Kräften zn bemühen, und schlug ihm vor, mich dazu schriftlich zn orientiren und mir seine eigene Lage darzustellen. So entstanden folgende Zeilen. Ein Theil des Briefes redete von der Seereise. Im An? fang des Juni 1858 ging der Mann mit seiner Familie in See, kam nach einer Reise von neun Wochen in Rio -de-Janeiro an und wnrdc anf das Dampfboot der Mueuri-Compagnie übergeschifft. Ueber das Leben am Bord auf der Reife von Enropa nach Nio hatte er vielc Klage zu führen. „Aber bei unserer Ausschiffung", fährt er fort, ,,wurde von jedeiu Passagier die Unterschrift verlangt, daß demselben alles vollkommen und nach Vorschrift geliefert worden sei; und fast alle mit wenigen Ausnahmen wnrden dnrch freundliches Zureden nnd ein Gläschen Wein dazu vermocht. Nur ich mit noch wenigen konnte nicht mich hicrzn entschließen; da jedoch der Kapitän sich gegen mich nnd meine Familie persönlich immer frcnndlich nnd artig benommen hatte, und er mir versicherte, daß ihm dnrch die Weigernng meiner Unterschrist ein großer Nachtheil erwüchse, so ließ ich mich anch endlich ans mehrseitiges Znreden zUr Unterschrift vorleiten. „Nach zweitägiger Fahrt auf dem Mnenri liefen wir m Sta.-Clara ein, nnd hier gingen nnn eigentlich unsere Leiden nnd Entbehrungen an. Schon der Empfang dcS Herrn In-speetors Vogt ließ wenig Gutes erwarten; aber der Aufenthalt auf dem Empfangs Hanse Bellcwüste war ein schrecklicher. Der Rannt für mich uud meine Familie war so beschränkt, daß meine Söhne auf uuscrn Koffern sitzend ihre Schlafstellen nehmen mnßten. Kaffee uud Zucker erhielten wir selbst für Geld nicht; schwarze Bohnen nnd Earneseeca warcu die einzigen Nahrungsmittel, welche uns von den Straßenarbeitern, welche von Potsdam dahin gebracht nnd mit allerhand ekelhaften Krankheiten behaftet waren, ebenso ekelhaft und schlecht bereitet wnrden. In Sta.-Clara mnßteu wir vier Wochen aushalten. Dann wnrden wir nach Ncnphiladelphia befördert, wo wir nach vierzehntägiger Neise unter vielen Mühseligkeiten und (5'ntbehruugeu anlangten; ich habe nämlich auf dieser Reise mit meiner neuu Köpfe starken Familie nur 4 Pfd. Speck und nur schwarze Bohnen mit magerer Carnesecea erhalten. In Philadelphia wnrde mir auf meiu besonderes Gesuch eine kleine Hütte znr Wohnung überlassen und mir die Fazcnde Nr. ... an der Straße nach Sta.- Clara angewiesen. 268 Hier fing ich mit meinen drci, 17, 15 und 13 Jahre alten Söhnen mnthig an, so viel vom Urwald zn lichten, daß ich mir einen Rancho bauen konnte, was auch nach vier bis fünf Wochen beendigt wnrde; und trotz eintretender Krankheiten, Erschlaffung und überhandnehmender Entkräftung haben wir cirea cinc Alqueire Urwald gelichtet; aber unsere Entkräftnnh nimmt täglich zu und ich fürchte, unsere alte deutsche Kraft ist anf immer entschwunden, und ich zweifle, ob ich das mir gesteckte Ziel erreichen werde. Meinc.Geldmitlel sind erschöpft. „Ich erhalte für meine neun-Köpft stärke Familie monatlich .->6 Pfd. Speck; allein lMvon ist gewöhnlich von einer Hälfte das Fett abgeschnitten und besteht zum vierten Theil ans Schwarten, Ohren und dergleichen; ein Theil geht durch das Ausschneiden der Madm verloren; so wenigstens ist derjenige gewesen, den ich bisjetzt erhalten habe; jedoch sollten auch bessere Sorten vorhanden sein. „Außerdem erhalten wir per Kopf wöchentlich 1 Pfd. Rindfleisch, was jedoch von einem Stück ist, das in Deutschland dem Caviller (?) verfallen wäre. Hiervon erhalten aber die Colonistm nur von dem geringern Tbcil des Körpers; der bessere Theil fällt an begünstigte (!!) Familien und wird verkauft. „Das Fleisch ist stets so mager, daß es, um es einigermaßen genießbar zu machen, mit Speck angesetzt einen ganzen Tag gekocht werden muß. Von einer kräftigen Fleischbrühe ist demnach gar keine Rede. Farinha, Reis, Bohnen sind gewöhnlich von der schlechtesten Beschaffenheit. Carne-secca, von dem per Kopf nach dem Prospect monatlich ll» Pf», verabreicht werden sollen, haben wir noch gar nicht erhalten, ebenso wenig haben wir an Iucker und Kaffee nur ein halbes Pfund erhalten. Die Farinha und Bohnen erhalten wir fehr unregrlmäfng, und muß man oft drei- bis viermal danacb gehen; sobald aber der Monat verflossen, werden sie uns unter dem Vorwande vorenthalten, daß wir sie ja doch nicht 269 gebrauchen müßten, da wir uns dieselben nicht abgeholt hätten. Da wir nns noch nicht an den Gcnuß dcr Farinha, Fuba (Maismehl) und der Bohnen gewöhnen können, so sind wir genöthigt, einen Theil derselben zn verkaufen, nm uns Erdfrüchte, Fleisch, Kaffee, Zucker u. dgl. zu kanfen; nnd so iA das von dem Cacheiro (Conlmis) Franz ebenfalls als ein Grnnd angesehen worden, uns einen Theil zn verweigern. So ist mir in dieser Woche anch Speck verweigert worden, obgleich wir in drei Wochen nur 18 Pfd. erhalten haben. „Mit noch größerer BekMimernjß unv neuen Sorgen sehe ich der nächsten Zukunft entgegen. Da wir zu spät hier cm^ gelangt sind, um etwas MaissNat bewerkstelligen zu können, so haben wir noch ein volles Jahr bis znr nächsten Maisernte zn warten, während wir noch sieben Monate lang die Lieferung der Lebensmittel seitens dcr Compagnie zn hoffen haben. Bei den steigenden Preisen der nothwendigsten Lebensbedürfnisse, dem mnncrmehr zunehmenden Geldmangel und dem geringen Arbeitslohn, wobei selbst noch Mangel an Arbeit herrscht, und unserer täglich zunrhmenocn Kraftlosigkeit sähe ich dem größten Elend uno einem sichern Untergänge entgegen, hielte mich nicht die trostreiche Versicherung, die Ew. Wohlgeboren mir zu geben die Güte hatten, noch einigermaßen aufrecht. Selbst in dieser Woche hat sich meine Lage verschlimmert und sich das Benehmen des p. p. Franz, welcher uns die Lebensmittel zu verabreichen hat, schroffer gezeigt. So habe ich noch in dieser Woche 11 Quart Farinha, vom Monat Januar rückständig, erhalten, welche bereits sauer uno beinahe unbrauchbar für mich sind, indem dieselben nicht verkäuflich -------------" So bricht der Brief ab, weil meine Rückkehr von Philadelphia den Schreiber überraschte. Die folgenden Wochen vergingen mir nun unter mannich-facher Thätigkeit. Gott gab seinen Segen zum Werke. Alle 270 Auswanderer gewannen wieder neuen Muth, viele Kranke genasen, wenn auch manche starben und auch uoch neue Erkrankungen vorkamen. Ich selbst sogar, dessen Gesnndheit sich bisher im eigentlichsten Sinne eisern gezeigt hatte, sollte nicht ganz von dem Pcsthauch des Mnenri verschont bleiben. Schon in Philadelphia hatte ich infolge vielen Diseutirens und Acr-gers einen heftigen nächtlichen Fiebcranfall gehabt. In den letzten Tagen des Februar bekam ich nun in Sta.-Clara ein Quartauficber, dessen dreimalige Parorysmeu sich abends 7 Uhr einstellten und sehr heftig waren. Durch kräftige Chiningaben stellte ich mich wieder her. Auch hinderten mich die Nachtanfälle uicht in Erfüllung meiner Tagesarbeiten. Bei diesen Tagesarbciten uud mauchen dabei vorkommenden Gesprächen mit Auswanderern bekam ich immermehr Einsicht in alle Verhältnisse. Ich erinnere mich keiner Zeit meines Lebens, wo ich von so tiefem Unwillen anhaltend erschüttert worden wäre wie während jener Wochen am Mnenri. Schon wenn ich von den Auswauderern hörte, wie schändlich man sie in Deutschland verlockte, was man dort alles verspräche, so kouute ich meines tiefen Unwillens kanm Herr werden. Solche traurige Agculeu! Solche unverantwortliche Menschen-beschwahungen! Solche gewissenlose Eeelenverkäuferei! Manchmal scheint ntan sogar unter sehr billigen Bedingungen die Liese-rnng übernonttueu zu haben. Als ich eiuein sonst wohlerzogenen Manne in Philadelphia etwas auf den Leib rückte, wollte er mit der ganzen Geschichte nichts zn thun gehabt haben. Ein anderer, gerade abwesender Herr desselbeu Ortes schrieb mir uachhcr einen Brief, worin auch er alle Thätigkeit beim Meuscheu-licfern von sich ablehnte und nur aus reinem Interesse für die Sache zum Engagement mitgewirkt haben wollte, Uud doch erzählte mir ein Colonist, dasi er mit einem Manne desselben Namens in der Heimat gesprochen hätte und von ihm zum Auswandern cngagirt wäre; doch hatte dieser Mann hinzn- 271 gefügt, der Engagirte möchte nicht erzählen, daß jener Mann selbst beim Anwerben gewesen wäre. War das ein Demetrius oder ein Psendo^ Demetrius? Und wer war cs überhaupt? Ans Schleichwegen ging er auf jeden Fall bei dem finstern Geschäft! Und deutsche Regierungen dulden diesen schwarzen Handel mit weißen Menschen! Zu arg waren cmch wirklich'manchmal diese Menschcn-handclsmarimeu. Ich traf eine Reihe von Leuten, welche von sogenannten „coneessionirten Agenten" für Rio-de-Ia-neiro engagirt worden waren; ich habe ihre Contractc geseheu und besitze selbst eiuen solchen rechtsgültigen Contract zwischen einem eoucessionirten Agenten N. N. und einenl gewissen Eislöffel, in welchem das Schiff Ehristianssnnd, Kapitän Gude, am 2. Juli 1858 nach Rio-dc-Janeiro absegelnd, den Leuten als Vercinignngspnnkt nnd Transportschiff bestimmt ward. Es fanden sich infolge dieses Engagements 175 Emigranten in Hamburg ein und begaben sich an Bord des genannten Schiffes. Dasselbe segelte wirklich am 2. Juli fort, aber nicht nach Rio, wre es die eoucessionirten Agenten in den Con-tracten angegeben hatten, sondern nach Vietoria in der Provinz Espirito-Santo, von wo man die Hintergangenen, förmlich weggestohlenen Coloniften nach dem Mmnri brachte. Ottoni entschuldigte das Colonisationsmanövcr, indem er sagte, er hätte das mit dem kaiserlich brasilianischen Charge d'Affaires und Gcncralconsul Correa so combinirt; die Colo-nisten kämen ihm so billiger. Andere Menschenladnugeu kameu zwar nach Rio, wurden aber von dort, ohne irgendeinen Wuusch, einen Willen äußern zn dürfen, nach dem Mumri geschafft, wobei die Ceutralisa-tionsgesellschaft in Rio ihre heillose Rolle mit Ottoni gemeinschaftlich spielte, sodaß man zuletzt wirklich nicht mehr weiß, auf wen die größte Masse der Verwünschuugen und Verfluchungen, welche die unglücklichen Hintergangenen Colomsten 272 am Mucuri, bevor sic starben, ihren Verfübrern als nachhaltende Strafe hinterließen, fallen wird. Angesichts all der Verworfenheiten, die ich in Sta.-Clara erlebte, sah ich mich genöthigt, einen ernsten Entschluß zn fassen. Ohne das viele Gnte zu verkennen, was im Mucuri-Unternehmen zn Tage gekommen war, ohne die Schwierigkeit der ganzen Aufgabe zn verkennen, glaubte ich dennoch alles in meinen Kräften Stehende thun zn müssen, um zu verhindern, daß man nicht noch ferner die Auswanderer dort umkommen ließe. Eine Actiencompagnie gründend, welche das Kapital von 1W0 Contos de Nc'ls (ungefähr 1 Mill. Thlr. prenß. Crt.) repräsentirte und vielfache Begünstigungen und Privilegien vom Staate erlangend, wühlte Ottoni mit großer Gewalt in die Wälder des Mucuri hinein, aber nicht mit schöpferischer Hand, sondern wie ein Elefant, der eben seinen Weg treten will, einerlei, ob er Menschen zertritt wie Würmer. Solange Geld da war, ging das wüste Treiben, und selbst einige Colonisten gediehen. Als aber im Verschleudern der großartigen Summen, während die hübschen Besitzungen der OttoniS immer besser wurden, die Kasse leer ward, blieb das von Menschenarbeit getriebene und mit Menschcuwohl so innig verwebte Werk liegen. Daß jetzt die Colonisten im Elend verdarben, schien dem Director einerlei zu sein. Aus der Unternehmung ward eine Schwindelei, bei der man nnr das blinde Zutrauen der Actionäre bewundern mnß. Statt um schleunige Hülfe sür die nothleidenden Colonisten zn rnfen, hielt die Direction die Aufmerksamkeit des Publikums hin mit ausweichenden Berichteu, Votoeudenanekdoten uud Erzählungen von feierlichen Einzügen in Philadelphia. Eine offene, reine, genaue Wahrheit kam nie zu Tage; mir scheint die einzige bewundernswürdige Kunst der Direction darin gelegen 273 zu haben, daß nichts über den Mucuri bekannt ward, was nicht von der Direction gefärbt worden wäre. Die Colo-nisten, mit Ansnahme einiger, welche von der Verwaltung begünstigt wurden, konnten nie etwas anfangen. Abgeschlossen wie in einem kleinen Paraguay, hatten sie den Fluß hinab keinen Answcg, nud anf der andern Seite, auf dem Landwege dnrch das Innere war es unmöglich, einen Schrei nm Hülfe nach Nio gelangen zn lassen. Aller Möglichkeit beraubt, irgend ihr Recht gegen Unbilbe, schreiende Ungerechtigkeiten und rohe Willkür zu bekommen, mußten sie schweigend dulden, hinwelken und hinsterben, ohne je daran denken zu dürfen, daß ihnen einmal Hülfe kommen möchte. Keine Menschlichkeit, kein Rechtsgefühl anders als den Willen Ot-toni's anerkennend,, übte.der Commis Ottoni's, der Subde-legat von S.-Ioze, an der Mündung des Muenri seines Herrn Befehle ans! Blindlings des Bruders despotischem-Willen gehorchend, herrschte Augnsto Ottoni als Subdelegat in Philadelphia. Es gab keinen Gott mehr im Himmel, auf Erden keinen Kaiser mehr! So sich nnerschütterlich fühlend in seiner Macht, hatte Ottoni sich air die gesetzgebenden Kammern gewandt nm ein Subsidium von 1200 Contos. Im Jahre 1858 hatte ihm die Depntirtenkammer die Summe bewilligt. Doch blieb die Angelegenheit im Senat liegen und sollte dort, nach Eröffnung der Kammern am 2. Mai im laufenden Jahre 1859, debattirt werden. Ottoni, der wol Mittel und Wege kannte, wie man im Senat eine Sache dnrchbringt, zweifelte nicht an einem günstigen Votum. Und dann? Dann würde man noch mehr Menschen nach dem ungesunden Flnß hinlügen, noch dreister, noch frecher allem Necht, aller Billigkeit, aller Humanität dic Zähne zeigcu, nM> zügelloser und schamloser fortfahren im Ave: valle m ant, Nord-VrasMcn. I. 18 274 maßlosen Verfolgen von Privatinteressen nnd Bereichern der eigenen Familie. Ebenso wenig ich beim Anblick der Kranken von Bella-Vista, als ich von Philadelphia zurückkam, dieselben verlassen zu dürfen glaubte, ebenso sehr hielt ich es für nothwendig, mich nicht mit der Rolle eines einfachen Besuchers und Ve-richtschreibers zn begnügen. Die Nothleidenden verlangten Abstellung ihrer Noch; das gefangen gehaltene Recht forderte seinen freien Gang; die Todten schrien nach Nache. Und so beschloß ich denn, nicht nach Bahia zurückzugehen, sondern mich nach Rio aufzumachen und dort vor dem Mi-nisterinm nnd besonders vor dem Kaiser für unsere in Deutschland betrogenen und am Mneuri der schnödesten Will> kür, der bittersten Noth preisgegebenen Landsleute aufzutreten. Wie vieles bleibt mir noch über die Mucnri-Colonisation zu sagen übrig — über deu Unsinn, eine Colonie ^7, ja 57 Leguas lang auszudehnen, wenn noch nicht ein einziger Punkt die Kraft einer Selbsteristcnz in sich hat und auch absolut keine Nachbarschaft von schon bestehendem, älterm Anban, von Viehzucht, womit dem eben angelegten Unternehmen zu Hülfe gekommen werden könnte, sich vorfindet, — über den Unsinn, daß der Director dieses unübersehbaren Monstrums in Rio-de-Janeiro als sein eigener Agent lebt nnd es sich wohl sein läßt in den Genüssen der Residenz, während seine Colouisteu darben und wie Schafe ohne Hirten umkommen; denn nur besuchsweise kommt Ottoni zur l5olouie, — über den Unsiun, daß er die Sprache fast aller Colonisten gar nicht versteht und mit Händen und Füßen gcstieuliren muß, um sich nur mit ihnen zu verständigen, — über deu Unsinn, daß infolge allen Mangels einer wirklichen Administration eine so uugeheucre LebeiMmittelvertheuerung entstehen kann, in der das Pfund Kaffee 500 Reis (12 Sgr.) 275 kostet, wofür man in Hamlnirg zwei Pfund bekommen kann, — über den Unsinn, ja die tiefe Inimoralität, das alles ohne Geistlichen, ohne Lehrer nnd sogar ohne Arzt abmachen zn wollen, sodaß erst ein Durchreisender nach Zank und Streit es durchsetzt, daß N,-. Ernesto Ottoni für 1 Milre'i's (24 Sgr.) die Armen besncht, denen man dann das «Blntgeld zn den andern Schulden ans die Nechnnng nachträgt! Aber das sind Zustände, die ich nnr andeuten, nicht weiter entwickeln will. Jemand, der nie im Anslandc die Noch von Auswanderern gesehen hat, würde sich doch keinen klaren Vegriff davon machen, wenn ich die angedeuteten Nothstände auseinanderseyen wollte. Und doch kann ich mich noch nicht trennen vom Mncnri. Von seinen Wäldern muß ich noch erzählen, von seinen großen Araras nnd seinen Votocnden, wie wenig sich das anch erzählen läßt. Die bilden eine Welt, vor der der Europäer ob der Fremdartigkeit des Anblicks fast zurückschreckt, dann aber mit gespannter Aufmerksamkeit stehen bleibt als unverwandter Zuschauer, und zuletzt sich abwendet voll von den ernstesten Betrachtungen. Von der Mündung des Mneuri an bis weit über Philadelphia hinaus, also in einer Ausdehnung von etwa 50 deutschen Meilen deckt ein dichter Wald die ganze Gegend, durch welche sich von Sta.-Clara an die nene Weganlage wie ein dünner Faden hindurchzieht. Daß hier und dort einige hnn-dert Klafter dieses Waldes gelichtet sind nnd znm Theil zn maistragenden Abhängen umgewandelt, hat bisher nnr sehr geringen Eindruck gemacht auf die Physiognomie des Landstrichs; selbst um Philadelphia herum, wo schon eine mächtigere Lichtnng sich findet, ist dennoch Wald und immer wieder Wald die einförmige Losnng. In tausendfachem Echo schallt diese einförmige Losnng dem Reisenden entgegen, wohin nnr immer sein Nils dringt, ^* 270 wohin nur sein geistiges Ohr lauscht; aber auch tausendfältige Bilder treten in dem einförmigen Nahmen: Urwald am Mueuri, vor sein Auge. Während am kaum beendeten Wege eine gleichsam neue Flora sich bildet und dort zusammendrängt, während Sola-nen, Mimosen, Emilar, Malvrn und reizende Formen von Passistoren, letztere ebenso anziehend wegen der Blüten wie erqnickend wegen der eirunden Früchte, den engen Pfad noch mehr einengen nnd längs des Waldes ein blühendes Gehege bilden, wo sie in so dichtem Zusammenhange früher nicht standen: sehen wir zwischen ihnen hindurch recht eigentlich in den Wald hinein, wenn anch gerade nicht sehr weit. Hier fügt sich wieder Säule an Sänle, Baumschaft an Baum-schaft, kein einziger von jener ungeheuern Dicke, wie man im tropischen Urwald Stämme erwartet, wohl aber crstaunens-würdig wegen der Länge der Holzmasse im Stamm bei ansehnlicher Dicke. Vor allen Bäumen ziehen da wol die gewaltigen Sapu-cayas, jene mächtigen l.uL)l.l,i» ollm-w das Auge auf sich. Bis zu 7 Fuß Durchmesser sah ich sie im Gebiete des Mn-curi. Und solch ein Stamm erhebt sich lothrecht und trotz der rauhen Rinde dennoch vollkommen walzenrund 70 — tt(> Fuß hoch, ohne einen Knoten zu zeigen, ohne einen einzigen Ast abzugeben. Solch ein Baum enthält alles, was die Pflanzenwelt an Mächtigkeit der Ausdehnung und Eleganz der' Form nur immer hervorbringen kann. Araucarien und Palmen können zwar mit den mächtigen Stämmen der Sa-pucaya wetteifern, aber in andern Gegenden, in anderer Weise. Ich möchte einmal eine wuchtige Aramarie von den Quellen des Uruguay, eine Leeythis vom obern Mncuri und ein (!oi'0xv!m, iln»!u>^! l».ül'i! in, lancrnd vor ihrem Grdloch. Dazn kroch in großer Menge an den Stämmen der Barn-gudas jene große Bnprestis, der größte Metallkäfer, umher, ganz wie unsere Moschusholzböckc auf den Weiden umherklettern; das Fliegen schien dem erzgepanzerten Thiere in der Hitze herzlich sauer zu werden. In der Natur sehen seine Deckflügel goldgelb aus; es liegt ein dicker, stark nach Safran riechender Staub auf ihnen, der an den Fingern kleben bleibt, wenn man den Käfer angreift. Erst wenn dieser Gold-stanb weggewischt ist, bekommt der große Kerl seine grünrothe Metallfarbe. Und all diese großen Insektenformen sab 283 ich an einem Tage, übersah sic fast mit einem einzigen Blicke. Auch die Nacht blieb nicht mit ihrer Insektenwelt hinter den Tageserscheinungcn zurück. Ritt ich in den Abend hinein, so trieben, nachdem die Schwärme der Sphinrc sich verzogen hatten oder nnr noch am schnurrenden.Flug nm duftende Blüten zu erkennen waren, Tausende von Lelichtkäferii ihr Wesen in den Gebüschen, besonders in der Nähe von Bächen und fruchtbaren Niederungen. Am schnell dahin-fahrenden starken Lichtglanz machten sich die Elateren kenntlich; mannichfciche Modifikationen von rothem, gelbem, grünem und weißen: Feucrglanz schienen ebenso viel verschiedene Species zu verrathen, Seltsam ist es immer, daß die todten Leuchtelateren in selbst schon alten Sammlungen eine anst fallende Schimmerfarbe behalten in den beiden'Lcuchtorganen des Vrustschildes nnd, wenn auch geringer, am Kopfe. Im schroffsten Gegensatze zu dieser schönen Natur, die ich nnr in wenigen Zügen, in einigen Hauptformen andeuten konnte, viel seltsamer als Pflanze nnd Thier, ist mir im Gebiete des Mumri der Urwaldsmensch entgegengetreten, so seltsam, in so eigenthümlicher Naturbeschaffenheit, wie ich bis dahin in Brasilien noch nichts gesehen hatte. Botocuden haben von jeher im Gebiete des Mucuri gewohnt uuter einer Menge verschiedener Namen: Araras, Nakeminuks, Tapuis oder Tapuios n. s. w., letztere beide Namen als (5olleetivbrzeichnung für alle Indianer in derselben Weise, wie im Süden von Brasilien dae Wort Caboelo 'jeden braunen Waldmenscheii bezeichnet. Früher wohnten sie bis zur Meeresküste hinunter, ja die Hauptsubstanz der Einwohnerschaft von S.-Ioze do Porto Alegrc stammt von solchen Votocnden her, wie dnm ja Botoenden längs der ganzen Meeresküste vom großen S.-Francisco an bis zum Tubaräo im südlichen Sta.-Catharina, also auf einem Gebiete von einer 284 Ausdehnung durch 20 Breitengrade hindurch der vorherrschende Stamm waren. Unter dem Namen der Araras fanden sie sich am untern Mucuri. Vergebens snchte man sie bort zn aldeisiren, wie ich das schon angegeben habe. Sie zogen sich, um ihre wilde Natur behaupten zu können, weiter nach Westen znrück. In solchem vollkommen wilden Zustande finden sich denn noch heute Botoeuden überall in den Wäldern zwischen Sta.-Elara und Philadelphia. Als der erste Weg ihnen diese Waldungen zu spalten drohte, pflanzten sie gekreuzte Pfeile in denselben als Zeichen einer Kriegserklärung. Mau hing einigen Tand in die nächsten Büsche hinein; er ward angenommen, und seitdem hat man sich mit den Votocuden vertragen und sogar Berührungspunkte mit ihnen zu Stande bringen könneli, sodaß einzelne Horden von ihnen balo nach Philadelphia, bald nach dem Ribeiräo-da-Areia, bald zum Gasinelli nach dem Ribcirao-das-Pcdras kommen, um dort einzelne Waldproducte gegeu Mais und Maniocmehl einzutauschen, aber auch um ebenso bald sich wieder davonzumachen, ohne irgendeine Spur einer ihnen anhaftenden Cultur nutzunehmen. Diese kleinern und größern Nudel oder Horden von Ur-waldsmenschen leben gewöhnlich unter einem Kaziken, der gern den modernen Namen „Capitäo" vor den fremden Ankömmlingen führt. Sie haben sich den Wald förmlich eingetheilt nach vertragsmäßigeil Verabredungen; jeder Stamm hat so viel Wald, als er zu seiner Ernährung bedarf. Nur in diesem seinem District darf er jagen. Betritt er den eines' andern Stammes, so macht er sich zu einem Chiporoka, einem Feind, und hat damit eine Kriegserklärung gemacht. Mitten in diesen Waldesrevieren wohnen die einzelnen Nudel mit ihrem Kaziken in einer Art von festem Wohnsitz, einer Maloeca oder Aldeamento, wie sehr sie auch umher- 285 ziehen mögen im Walde, um zu jagen nnd Honig uuo Wurzeln zu suchen, bei welcher Gelegenheit sich jeder Votocude ein Asyl von Caiteblättcru (Blätter der Helieonicn und Stre-litzien) macht, ganz geforntt wie uusere Hundchänschcn. In solchem Zllstande suchte und fand auch ich sie in ihren Waldungen. Wir waren am N. Februar von Philadelphia fortgeritten und bald vom Hanptweg ab tiefer in den Wald hineingekommen, wo sich längs eines Bachs, des Rio-de-S.-Bene-dicco, einige nenr nnd noch ziemlich kümmerliche Anpflanzungen von deutschen Colonisten befanden. Dann erreichten wir eine schöne große Lichtung mit vorgeschrittenem, vortrefflichem Anbau uud eutstehenden soliden Wohn- uud Nirthschaftsge-bäudcn, eine ausgezeichnete Fazende, deren Ausdehnung und Zustand sie auf den ersten Blick als das Besitzthum irgendeines Mitglieds der Ottoni'schen Familie kennzeichnete. Nnd so war es in der That. Wir waren auf der Fazende Liberdadc, wo ein Vetter Ottoni's, Herr Ioaquim Maia, sich mit Hülfe von Negern, wie alle Ottoni'sche Verwandte, sein kleines Califoruicn herausbildet, während es den deutschen Colonisten streng verboten ist, aber auch von den Umständen unmöglich gemacht wird, sich solcher Hülfe und Arbeit mittels Negersklaven zu bedienen. Von Ioaquim Maia's Fazende schlugen wir einen Fußsteig eigener Art ein, welchen uns, da wir es versuchten, anf nnsern Maulthieren zu bleiben, zwei vorausgehende Neger mit großen Waldmessern wenigstens etwas gangbar zu machen suchten. Der Fußsteig war ein sogenannter Bugresteig, den nur die Indianer Passiren. Ich war, wie mir Ottoni sagte, der erste Europäer, der diesen Steig je passirte, denn auch Tschndi war nicht zu der Botocudenhorde, die wir aufsuchen wollten, gekommen. Ich passirte den Weg, wenn wir ihn so nennen wollen, 286 allerdings in eigenthümlicher Erwartung. Der einsame Pfad, das Halbdunkel des Waldes, dic grotesken Baumformeu und namentlich die wunderlich holzigen Schlingpflanzen, die wie erstarrte Riesenschlangen dalagen und umherhingen und dann wieder in bretförmiger Breite und unermeßlicher Länge auf-und niederstiegen zwischen den einzelnen Stämmen, stimmten mich durchanS urwäldlich. Ich glaubte hinter jedem Stamm einen Botocuden stehen zu sehen. Bald trafen wir einige Hijämes, jene oben angedeuteten Schlupfwinkel und Hüttchcn aus Heliconienblättern, in denen die Botocuden auf der Jagd die Nächte zuzubringen pflegen. Immer häufiger wurden diese Hijämes, immer neuern Ursprungs schienen sie zu sein. So erreichten wir denn eine kleine Lichtung, in welcher eine unordentliche, von vielem Unkraut fast erstickte Vauanenanpftanzung sich vorfand, offenbar eine Botocudenarbeit. Noch einmal drangen wir dann durch ein Waldende hindurch nnd erreichten nun eine größere Lichtung, auf der sich mitten zwischen Vananenpstanzen und einigem andern Gartcnwnchs eine Art von Waldhaus mit einem Nebcnhanse aus rohem Holzwerk mit Lehmanwurf und einer Ueberdachung aus Rinden und Mlmenblattcrn zusammengefugt befand. Hier wohnte der Botocudenkapltcm Potäo. Schon ans der Ferne rief Ottoni diesen Namen, und als wir abstiegen, kam ein Rudel fast ganz nackter Botocuden aus ihren Schlupfwinkeln heraus, Männer, Weiber und Kinder, Potäo an ihrer Spitze, nm den Kapitän Pogirmn (Weißhand), wie sie Ottoni nennen, zu begrüßen, ein widerliches Gewimmel von Weibmännern und Mannweibern durcheinander, kein einziger Mann, kein einziges Weib in der ganzen Horde! Auffallend hell war ihre Farbe. Das ganze Rudel war fast europäisch weiß, ein krankhaftes, hellgelbes Weiß, welches ich ein chlorotisches, ein bleichsüchtiges nennen möchte, uud 287 welches, zumal bei der fast absoluten Nacktheit der Leute, eiuen widerlichen Eindruck machte. Viel auffallender war ihre Form. Leibhaftig stcmdeu sie da als Bauchmeuschen vor mir, Menschen, bei denen jede Verrichtung, jede Gliederung in der gauzen Form um des Bauches willen vorhanden ist, um dieses Götzen willen, der allein den Wilden der südamerikauischen Waldungcu regiert uud bewegt. Auffallend crschieu mir bei allen Individuen der Rumpf groß im Verhältniß zu deu Enremitäten und desouders der Bauch entwickelt. Eine schöue Mnskelentwicke-lüug fand stch an Brust, Schultern nud Oberarmen; die Uuterarmc aber waren dünn und endigten in schmächtige Häudc. Dazu war die^ Bildung der Schenkel und Beine so erbärmlich, daß sie bei einigen förmlich hektisch aussah. Die Köpfe schieueu mir leicht mongolisch modellirt mit flacher, enger uud knochiger Stirn. Im Gesicht, iu den Augeu lag etwas, was sich mit Worten gar nicht wiedergeben läßt. Diese Leute, diese Votocuden sehen nichts, bemerken nichts^ »iese glanzlosen Augeu drückru uicht das Allergeringste aus; sie haben einen vollkommen idiotischen Anstrich. Wenn ich bei diesen Waldmenschen etwas bezeichnen soll, was mir als Hauptkriterium ihrer Eigenthümlichkeit erschienen ist, so ist es entschieden oas Auge oder vielmehr, daß gar kciu Blick vorhaudeu! Matt, flau, planlos, nichts aufnehmend, nichts wiedergebend schweift das Auge, der Blick wie ein welkes Blatt im Winde hierhin nud dorthiu. Keiue Furcht, keinen Muth, uichts, nichts entdeckt man darin. Höchstens das macht dem Botocudenauge Furcht, daß ihn das untersuchende Auge des Europäers, des Culturmenschen trifft. Da schleicht der Blick des Waldmenschen sich gern seitwärts davon, ja der ganze Mensch möchte sich seitwärts davonschleichen, gleich als ob er es ahnte, daß der fest hinschauende Blick des Culturmenschen nach angestellter Analyse 288 lauter Negativitäten im Botomden herausfände uud das ganze Individuum, die ganze Horde, alle Botocuden in Nichts auflöste. Klötze trug niemand von Potäo's Leuten in Ohren und Lippen. Doch hatten die ältern Leute ziemlich große Löcher theils in den Ohren, theils in der Unterlippe. Die Männer hatten sich ein Stück Zeug um die Hüften geschlagen, die Franen sich eine Art Vorhang nm den Hals gehängt, sodaß er Brnst und Bauch bis zu dm Knien herab bedeckte, die Rückseite des Körpers aber vollkommen bloß ließ. Ganz offenbar hatten sie diese Mummerei erst vorgenommen, als sie uns kommen hörten, denn unter sich gehen sie ganz vollkommen nackt. So standen sie da in einer Reihe mit einer Art von Grinsen im Gesicht, Lemnren des Waldes und Fledermäuse, die zwischen Mensch nnd Thier umherflattern, ohne sich von der Natur des lehtern frei machen, sich zur Lichtseite des erstern aufschwingen zu können. Jetzt sollte ich anch einige von ihren Kunststücken sehen. Potao, dem eine ziemlich große scirrhöse Geschwulst der Unterlippe au der rechten Seite das Gesicht noch mehr entstellte, als es seiner Botocudennatnr nach schon war, nahm seinen Bogen nnd schnellte einen Pfeil in die Luft gerade in die Höhe. Der Pfeil flog wirklich außerordentlich hoch. Unser Ausrnf des Staunens machte den Wilden ganz stolz. Er schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust nnd rief laut: „l'ul7w,ii!oj^milnlc" (gnt, stark)! Nun steckte ich ein Zwei-nnlre'i'sstnck, eine Silbcrmnnze etwa so groß wie ein Fünf-franesstück, an einen Bananenbanm fest, in einer Distanz von etwa 30 Fuß. Potao mit drei Leuten schoß wiederholt danach. Mit enormer Gewalt sausten die Pfeile zum Ziele, aber kein einziger Schuß traf; ja kein einziger Pfeil kam auch nur in die nächste Nähe des Geldstücks. Ein scharf 289 sehender Europäer würde vielleicht noch mehr Geschick gezeigt haben als die Botomden. Und woher kam diese Ungeschicklichkeit bei den Bogenschützen, die nicht leicht einen Vogel verfehlen? Weil sie nicht gewohnt sind, nach einem Silberstück zn schießen, weil sie es gar nicht kennen, seine Distanz gar nicht tarircn können, weil sie es vielleicht gar nicht einmal sehen. Hätte ich einen todten Vogel an die Stelle der Münze gesteckt oder eine Banane, ich glaube, jeder Pfeil hätte sein Ziel durchbohrt. Wir ritten durch ihr Gehöft hindurch und setzten durch einen Bach. Eine vom Unkraut fast vollkommen wieder verwachsene Pieade führte uns längs eines Abhangs wieder in den Wald hinein. Gleich im Eingänge des Waldes trafen wir einen kleinen Botomdenjnngcn mit Pfeil und Vogeu, welcher auf die Jagd giug. Der kleine, ganz nackte Jäger sah wirklich gut aus. Ein größerer, ebcufalls vollkommen nackt, gesellte sich zn ihm. Beide führten uns durch den Wald zu einer Klärung und einem ganz ähnlichen Aldea-mento, wie wir es eben verlassen hatten. Hier wohnte der Kapitän Maegirnm mit seinem Boto-cndcnrudel. Wir erlebten ganz dieselbe Scene wie beim Kapitän Potäo. Nur war Margirnm selbst viel voller nnd besser geballt als sein dünnbeiniger Nachbar. Ich gab Macgirum dnrch Zeichen zu verstehen, daß ich seinen Nancho anch gern einmal inwendig besehen wollte, was er mir denn auch erlaubte. Der Raucho war in zwei Hälften abgetheilt. Die erste Hälfte schien znm Wohnen zu dienen. Eln Koatifell und einige Caiteblätter lageu am Boden, in der Mitte standen einige leere Ealrbassen. Die andere Abtheilung diente zum Kochen und Schlafen, — eine' sonderbare Combination in den Augeu des Europäers, der nicht weiß, daß die Indianer im Walde immer bei einem Feuer schlafcu — ; in dieser Abtheiluug hockte Maegirum's A v c - ^ a > lr >>,, ant, Nov^VvasÜu'n, !, 1 sj 290 Frau am Boden und röstete an einem Feuer Maismehl in einer Pfanne. Ueber dem Feuer hingen in einem Bündel zusammengebunden viele Ausschnitte von Bambusrohr, aus denen nachher Pfeilspitzen gemacht werden. Pfeile uud Bo-geu standen in den Ecken umher. Am meisten intercssirte mich eine Spindel der Botocudiu, womit die Fasern oer Gmbirariude (vom dcmlmx pulx^^n») und selbst Baumwolle zu feiuern uud grobem Schuüreu zusammengedreht werden. Es gelaug mir, der wilden Dame, die ein wirkliches Scheusal war, das Ding abzuhandeln. Freilich war es weiter nichts als ein kleiner Flaschenkürbis, durch den eiu dicker Stiel hindurchgeht; aber immer war es doch eiu Wahrzeicheu einer begiuuendeu Kunstfertigkeit inmitten der rohesten Meuschennatur. Auch mochte die Nähe von Philadelphia diesen Botocuden schon manches Eigenthümliche ihrer wilden Beschaffenheit abgestreift haben. Kein einziges Individuum trug den berühmten Bowcndenklotz mehr iu den Lippen. So halten wir uns denn uicht läugcr bei den uuhcimlicheu Geschöpfeu auf, um so weniger, weil wir bald einem noch ganz originellen Botocudeurudel begeguen werden. Einige Botomden begleiteten uus in den Wald hinein und zu jener krautbewachsenen Picade, die von Macgirum zum Potäo führte. Mit bewuudernswürdiger Schnelligkeit hatten die Botocuden den Weg gesäubert; wir fanden einen breiten, offenen Pfad, wo wir uns vor zwei Stuudeu durch dichtes Pstanzengewirr hatten hindurchdrängen müssen. Nir kamen denn leicht zn Potao's Rancho zurück. Hier wollie Ottoni einige Bananen haben und sagte vor der Thür 'zur Frau des Kazikcn: „l'ci^il-mn »icui-imn", d.h. Weißhand ist hungerig! Die Alte wiederholte das in einem henleuden Toue, als ob sie bitterlich weiute. Deun in der That kennen diese Menschen uur ein, aber ein entsetzliches Uuglück, 291 das des Hungerns. Und so bekamen wir denn Bananen. Bataten wollte die Botoeudin nns auch rösten, aber wir dankten und ritten von danncn. Mau wollte uns einen nähern Bugresteig führen und brachte uns dadurch in cm Gewirr von Wald uud Taquara, daß wir sammt unsern Thieren fast stecken blieben; denn in der That sind diese Steige nur für Urwaldsmeilscheu angelegt. Nach vielem Klettern nnd mühsamem Marsch, wobei wir unsere Maulthiere hinter uns herziehen mußten, — Pferde hätten solche Tour wol schwerlich ausgehalten, — blickten wir in eine schöne Klärung, deren Ausdehnung und Anbau wieder auf eine Dotirung der Ottoni'säscn Familie schließen ließ. Wirklich trafen wir eine zweite Pflanzung des Ioaquim Maia an; sie heißt das Umverso. Ein kleiner, zum Betriebe eines Mühlwerks abgeleiteter Bach führte uns längs einer Waldhöhe zur Fazende Liber-dade zurück. Die Sonne wollte schon sinken, und wir hatten unsere Zeit sehr nöthig, nm Philadelphia noch zn erreichen. Aber langweiliges (icremouiel und übertriebene Höflichkeit, die allen Parteien gleich lästig war, zwang uns, anf der Liberdade noch erst zu Mittag zu esseu. Nach dem Mittagsessen schien es kaum mehr möglich, noch Philadelphia zu erreichen. Und wirklich blieb Ottoui bei seinen Verwandten. Wir aber, Schlobach, ein Brasilianer uud ich, nahmen noch eiuinal uusere müden Thiere vor und ritten in das WaldeS-dunkel hinein, in welches der Mondschein einige Helle vergebens hineinzubringen sich bemühte; am S.-Veucdictobach war es so dunkel, und wir ritten nns so fest, daß wir lant schrien, um uns auS den benachbarten Colonisten einen Wegweiser herbeizuschreien. Das gelang uns auch. Giue junge Schweizerin kam mit einer hellen Fackel eine Roca herab zu uns und zeigte uns muthig wieder in den Waldweg hinein. Das Geschick unserer Maulthiere that das Weitere, und wir 19* ' 2li2 kamen, wenn auch etwas geschunden und zerkratzt, glücklich vor Mitternacht in Philadelphia an. Wenige Tage darauf befand ich mich auf dem Rückwege nach Sta.-Clara. Ich war am 12. Februar schon um 2 Uhr zu Verdicr am Nibeirao-da-Areia gekommen, um mit ihm die am Urueu wohnenden Botoeudeu aufzusuchen, die mit ihrem Kapitän Inquirana manchmal nach Vervier's und Gasinelli's Wohnnng kamen. Mit dem freundlichen, dienstfertigen Franzosen ging ich von der Straße ab in einen düstern Bugresteig hinein. Wir gelangten tief in den Wald, erstiegen eine Waldhöhc und suchten nach den Botomden, ohne auch nur einen anzutreffen, obwol ihr Steig, wie wir genan sehen konnten, erst ganz kürzlich gesäubert worden war. So laut wir mir konnten, riefen wir den Kazikcn Iuquirana; aber nirgends wollte ein Gegenrnf ertönen. Uns blieb nichts weiter übrig, als bei Zeiten, um nicht von der Nacht im Walde überfallen zu werden, das Dickicht wieder zu verlassen, in welchem es schon stark dämmerte. Mir war es sehr leid, die Wilden nicht getroffen zu haben. Am Nachmittag des folgenden Tags, als ich eben zu Gasinelli am Nibciräo-das-Pedras hinabritt, rief mir der hinter mir reitende Neger zu: „Sehen Sie sich einmal um, wer hinter Ihnen geht!" Ich sah mich um. Unmittelbar hinter meinem Maulthier lief mit rüstigem Schritt nnd dem heitersten Humor im Gesicht ein kräftig geballter Votocnde, ^ungefähr 30 Jahre alt, so nackt, wie ihn Gott erschaffen, nur mit Pfeil und Bogen in der Hand. Hätte ich ihn nicht an seinem Gesicht als einen Botocuden erkannt, ich würde den hellen Meuschen für den ersten Augenblick zu einem Europäer gemacht haben, der ein'Vergnügen darin fände, nackt im Urwalde umherzulaufen. Ich gab dem lustigen Gesellen die Hand und fragte nach Iuquirana. ,,.W^ui!'!,!ii> In'^mw", erwiderte er und wies mit 293 der Hand voraus, woraus ich schloß, dcr Kazike möchte auf einem Iagdzugc gerade vor uns sein. Und wirklich waren wir kaum eine Minute vorwärts gekommen, als eiue Reihe nackter Botoeuden von jeglichem Alter und Geschlecht aus dem dichten Gebüsch hervorsprang uud mich begrüßte. Zwei oder drei Mänuer gingen mit mir zu Gasinelli, wo ich abstieg und noch einige Botoeuden traf. Kaum hatte ich Zeit gehabt, mich etwas vom Ritt in der brennenden Sonne zu verschnaufen, als auch schon die ganze Horde ankam, Männer, Weiber und Kinder von allen Altersperioden, alle so vollkommen nackt, alle so gänzlich ohne die geringste Verlegenheit uackt zu sein, daß der Anblick wirklich der seltsamste war, den ich je von Menschengrnppen gehabt hatte. Iuquiraua befand sich an ihrer Spitze, ohne daß ihm irgendein Vorrang eingeräumt zu werden schieu. Auch in dieser Horde trugen die Männer keine Klötze, weder w den Lippen noch in den Ohren. Doch hatten einige von ihnen bedeutend große Löcher in den Ohrlappen zur Aufnahme eines Holzes. So sahen sie nur wenig entstellt aus, und die nackten, durchweg kräftig muskulösen Männer, die unbedingt besser gebaut waren als ihre Stammesgenossen bei Philadelphia, uud ibre nirgends bemalte oder tätowirte Hellrothgelbe Haut nngemein rein hielten, machten wirklich einen vorthcilhaften Eindruck. Inquirana war der einzige, der von meiner Größe war, ungefähr 5>^ Fuß; die andern waren alle kleiner. Grausig sahen dagegen die Weiber ans. Ohne irgendeinen Ansdruck von Weiblichkeit im Gesicht, kurz und fleischig gebaut, staudcu sie halb blödsinnig lächelnd da, keine Spur, auch nicht die mindeste, von Schamhaftigkeit oder Vefaugen-M verrathend, die volle Vorderseite dem Blicke darbietend, ohne au die altergeringste Verhülluug zu denken, und wäre sie auch uur jene Cinwärtsbieguug eines Knies, wie Leonardo 294 da Vinci sie an seiner berühmten Leda gemalt hat und Wilkes sic uns in semer „Weltumsegelung" von den Frauen der Südsee erzählt, ^ so standen diese Votocudinncn nackt zwischen den nackten Männern umher, Neibergestalten in der abschreckendsten Form, ja mehr als das, in einer wirklich entsetzlichen Weise. Und dennoch hielten diese Votocudinnen auf zwei Toilettenstücke mit großer Gewissenhaftigkeit. Das eine war ihr Klotz in der Unterlippe, eine kreisrunde Scheibe auS dem Holze der Varriguda, um welche die Lippe wie ein rothes Band herumliegt. Venn Essen, Trinken, Sprechen geht diese Scheibe wie eine Klappe »uf uud uieder, ohne je herauszufallen, und es hält nngemein schwer, die Frauen dazu zu bewegen, die Scheibe ans der Lippe herauszunehmen. Nur bei zweien gelang es mir, sie durch Darbietung von Manioc-mehl dahin zu bringen, daß sie ihre Klötze aus der Lippe holten und mir schenkten. Augenblicklich aber hielten sie ihre Hände vor den Mnnd mit dem entschiedenen Ausdruck vou Verlegenheit, Aerger nnd verletzten Sittlichkeitsgefühls. In der That wußte ich nicht, ob sie mit odn ohne Lippenklotz scheußlicher aussahen. Denn ohne die Holzscheibe hing ihnen der Fleischring der Lippe schlaff herunter am Kinn, nnd aus dem unvollkommen geschlossenen Munde lief ihnen der Speichel heraus. Die größere Scheibe, die ich echiclt, war aus der Lippe von Iuqnirana's Frau. Sie mißt 2 Zoll und 8 Linien im Durchmesser und ist gerade 1 Zoll dick. Doch hatten einige Weiber noch größere Klötze. Sie liefen indessen davon, als ich Miene machte, sie ihnen abzuhandeln, uuo kamen erst wieder näher, als sie sahen, daß ich mich mit den zwei eingetauschten Scheiben begnügte. Mit so wenig Wahl nahmen die Botocudinnen das Material zu ihrca Scheiben, daß die eine Scheibe, die ich besitze, schon an einer Seite etwas verkohlt ist uud nicht eiumal parallele Flächen hat. 295 Ein anderes Toilettenstnck war eine schwarze Schnur, die die jungem Weiber einmal fest um die Wade dicht unter dem Knie geschlungen trugen. Man sagte nur, diese Schnur wäre das Abzeichen der nnvcrheiratheten ausgewachsenen Mädchen. Wenn dem so ist, so wären die meisten Weiber unverhcirathet gewesen, und in diesem Falle war es mir ein Räthsel, wie diese schrecklich häßlichen Crcaturen einen Mann bekommen wollten. Einige junge Mädchen und Kinder trugen Ketten um den Hals und um ein Handgelenk, Pflanzensaat, wahrscheinlich von Legummosen, und CapivariMne auf Schnüre gezogen. An einigen dieser Ketten waren sogar drei bis vier Glasperlen ans europäischer Fabrik angebracht, die wahrscheinlich emmal im Tauschhandel unter diese Waldmenschen gerathen waren. Das war alles, was an Kunst, an Schmuck, an Toilette bei diesen ganz unbefangen nackten Geschöpfen zu entdecken war. In dieser Unbefangenheit drängten sie sich mir nach in Gasinelli's Magazin hinein, wo man mir ein kleines Mittagsessen, Huhn mit Reis, auf einen Tisch geseht hatte. Gewaltig schien das bei den Männern die Eßlnst anzuregen. Sie setzten sich nur so nahe zu beiden Seiten auf meine Bank, daß ick, um selbst essen zu können, die nackten Gesellen oft mit den Clnbogcn von mir schieben mußte. Das half aber nur auf Augenblicke. Gleich kamen sie mir wieder auf den Leib und schauten mir gierig auf das Messer und den Mund. die heiterste Eßlust in den Mienen, wie sie. immer nur einem Wohlschmecker im Gesicht geschrieben stehen kann, der sich vor sein Austernfrühstück hinseht. Znletzt wies der eine mit de.m Finger auf das Huhn und sagte schnalzend: ,M><^cn mopicp" (der Affe ist gut)— sie scheinen alle kleine Thiere mit Rippen Affen zn nennen —; ich mustte laut 296 auflachen und ließ dcm ganzen Schwärm Manioemehl zum Essen geben, wodurch ich selbst Gelegenheit bekam, meine Mahlzeit ruhig zu beendigeu. Dann suchte ich mich durch Zeichen und Vorzeigung verschiedener Sachen mit ihnen in Relation zu setzen und sie etwas zu stndiren; aber alles, was ich thun nnd versuchen mochte, prallte bei ihinn ab. Ich wollte z. B. gern einige »Wörter von ihnen erfahren, wies auf die Sonne und sagte: „?upim!" Dann hielt ich ihnen mit dcm Tone eines Fragenden meiue Hand hin. Ich wollte auf diese Weise den denkenden Menschen in dem Botocuden herausfordern, mir zn sagen, wie er Hand in seiner Sprache nenne. Statt dessen aber kam mir ein gutmüthiger Affe eutgcgen. Ein Botocude zeigte genau, wie ich selbst gethan hatte, auf1)ie Sonne, hielt mir seine Hand hin mit demselben Ausdrucke des Fragens wie ich selbst und sah mich dann mit großer Zufriedenheit an. Und uun mochte ich weiter versuchen, was ich wollte, immer gelang es mir nur, sie Oraugutang spielen zu machen. Einem Botoenden, der neben nur saß, fühlte ich zählend deu Puls. Als ich damit fertig war, nahm er, ganz genau wie ich gethan, ganz mit derselben Miene, wie ich sie wol gemacht hatte, meine Hand, legte seine-Finger forschend an meine Handwurzel, ließ sie dort eine halbe Minntc ernst und beobachtend, ganz wie ein promovirtcr Doetor, liegen und sah mich dann, nachdem er alles wunderhübsch nachgemacht hatte, mit dem Ausdrucke vollkommener Selbstzufriedenheit an. So schlug mir alles fehl bei ihnen. Je mehr ich mich an die Menscheimatur in ihnen wandte, desto mehr trat diese schüchtern uud ungeschickt in den Hintergrnnd wie ein blödes Dorfkind, und desto mehr stieß ich auf die Affennatur uud überzeugte mich mit tiefer Wehmuth davon, daß es anch zweihändige Affen gäbe. Schon beim Essen hätte ich gern ausfindig gemacht, ob 297 sic noch Menschenfresser waren. Sie hatten, als man ihnen zuerst in ihren Wäldern begegnete, die Gewohnheit, ihre im Kampfe erlegten Feinde zn braten nnd zn essen, nnd hatten, wenn man ihnen daS Brutale dieser Kost anseinandersctzen licß, wol entgegnet, sie sähen nicht ein, warum man nicht, wenn man doch Anten, Pacas, Unzen, Affen u. s. w. äße, auch einen Chiporoka essen könnte, wenn er doch nnn einmal erschlagen wäre. Gleiches hatte man mir schon an andern Orten von den Botoenden erzählt. Am meisten sollten sie nach solchen Erzählungen zum Negcrfressen geneigt sein und besonders gern die Handflächen nnd Fußsohlen verschlingen. Sie nennen deswegen anch die Neger Ni>cuoc> cl« oK3u, Affen des Bodens. Erinnert das nicht gan; an die Kannibalen der Südsee, welche die ankommenden Europäer fragten, ob sie lieber von einem kurzen oder einem langen Schweine, d. h, einem Menschen, essen wollten? Beim Essen also machte ich mit dem vollen Gcstns des Essens die Anfrage an den Kaziken Inqnirana: „0Ii .Wc,m. im-,, cllipsn'ol^ mi>pi«>>?" Der Botoeude erwiderte mir gan; mit demselben Gestus nnd langsam mit dem Kopfe nickend: „slki^oloki, ulnpic^", ein Feind ist gut! Und dennoch ließ er mich im Zweifel, ob ich die Antwort eines Menschenfressers oder den Gestns eines nachahmenden Affen erhalten hatte, — das eine ebenso möglich wie das andere. Eine eigenthümlich trübe Stimmnng schien gerade auf diesem Iuquirana zu liegen. Während die andern Votoeu-den sich dicht um mich drängten, blieb er in einiger Entfernung stehen und sah niedergeschlagen ans. Er sollte schon 75 Jahre alt sein; ich hätte ihn höchstens für einen Mann von 50 Jahren gehalten; er hatte nicht ein einziges weißes Haar auf seinem Hanpte. Bei so vorgerücktem Alter mochte der Botocudenhauptmann doch wol sich überzeugen, daß die Zeit der Wilden zn Ende ginge nnd die vielen Pogirums, 2W die „weißen Hände", bald ganz allein herrschen würden, wenn er sich anch noch numer für den Herrn der Wälder am Urum hielt und anerkannt wissen wollte. Außer seiner trüben Stimmung unterschied sich der Haupt-mann in nichts von seinen Leuten; auch zeigte er keine größere Intelligenz. Nichts reizte seine Neugier, ja nicht einmal seine Aufmerksamkeit. Ebeuso planlos, ebenso gedankenlos und gehaltlos wie bei den andern schlichen seine Augeu umher. Gr blickte nach nichts; er schien gar nichts zu bemerken. Ich ließ ihn durch ein kleines Fernrohr schanen. Allerdings sah er fernere Gegenstände näher und machte mit einigem Lächeln das Zeichen eines gewissen Hcrankommcus aus großer Ferne bis zu seinen Füßen; doch besah er das Feruglas gar nicht, sondern gab es mir wieder, ohne es einmal den andern zu zeigen. Gasinclli hatte ihm ein (5igarrenende gegeben. Mit einem Brennglase zündete ich es an; Inquirana sah wol zn und rief, als nnn der Taback dampfte, mit einigem Erstaunen: „^Vmpl^k", Feuer! Aber weiter fesselte ich seine Aufmerksamkeit auch nicht; ja er zeigte nicht einmal den andern das seltsame, von der Sonne herabgeholte Feuer. Doch fing er nicht an zu rauchen. Das fiel mir auf. Hatte ihn vielleicht meiu Fernrohr und danu das Brennglas in eiue innere Angst vor übernatürlichen Kräften verseht, und hatte er vielleicht Furcht vor dem seltsamen Fener? Da sie anch unter sich nnr wenig miteinander sprachen oder vielmehr sich nur angrunzten, anschnüffelten und au-näselten, konnte ich von ihrer Sprache nichts auffischen, was der Rede werth wäre. Ihr Ja ist ein kurzes Einathmrn, fast wie ein Schluchzen. Die Negation eines Wortes geschieht durch ein näselndes nl^ oder i>,j; z. B. pi<'p gnt, i,I>.'m»snop nicht gut. Beim Iählcn machen sie anch seltsame Grimassen. Sie legen den Daumen der rechten Hand an den* Mundwinkel und dann drücken sie ihn in die linke Hand 299 mit dem Worte 'l>pu>i,i,I,m! Wenn sic z. B. sagen wollen, daß sie in fünf Tagen wiederkommen wollen, so zeigen sie auf die Sonne, machen einen Kreis von Osten nach Westen, drücken fünfmal den Danmen an den Mund und fünfmal in die Hand, indem sie fünfmal lepnt^pllm sagen. Vou moralischen Eigenschaften der Menschen kennen sie offenbar nnr zwei: ein Mensch ist entweder .l^cmii.uok, ein Frennd, und dann gut, oder er ist cin sHjpoi'nk 306 glückliche Menschen in desolaten Umständen den Flnß hinabgehen bis zn den Parcdcs. Nnr bis dahin konnte der kleine Flußdampfer wegen des niedrigen Wasserstaudcs den Mucuci binanfgelangcn, sodaß nnsere Kranken in zwei Abtheilungen in dem einzigen eisernen Flußboot, was in Sta.'Clara disponibel war, dem kleinen Peruipe entgegengeschickt werden mnßten. Bevor dieses eiserne Flußboot von den Paredcs zurückkehrte, ordneten wir am folgenden Tage dic zweite Abtheilung an, welche aus Leuten vom Macaco und S.-Mattheos bestand. Ich selbst machte meine Rechnnngen für das, was ich für meine Kranken zusammengekauft hatte, in Ordnung nnd bekam auch — ein wirklicher Hohn nnd Spott auf Ot-toni und seine Verwaltung — eine quittirte Rechnung für das, was ich aus dem Magazin von Sta.-Clara für die Kranken von Sta.-Clara gekauft hatte. Im ganzen hatte Ottoni nur 60 Personen den Abzug zugestanden. Die andern sollten zurückbleibcu. Abends kam eine Neihc von Familienvätern mit den allerdringondsten, ernstesten Bitten, man möchte ihnen doch mit ihren Familien den Abzug erlauben, weil sie sonst noch alle umkämen. Aber alles war umsonst. Noch einmal, zum letzten mal gerieth ich mit dem Director zusammen und kündete ihm den vollen Krieg in Rio an. So gingen wir auseinander, nachdem ich in Ottoni's Gegenwart den Schutz des Kaisers, des Guten nnd Gerechten, den Unglücklichen verheißen hatte, wie fern er uus auch noch zu liegen schien. Da prasselte plötzlich ein Donnerschlag vom Himmel herab, nnd zerschlug Ottoni's Tyrannei! Er löste die Ketteil der Clendcn am Mueuri! Am 5. März gerade gegeu Mittag kam ein Cunot den Fluß herauf. Ein Mann stieg aus mit Depeschen in einem Beutel. 80? „Ist der Mucuridampfer schon angekommen?" fragte Ot-toni hastig. „Nein Herr", erwiderte der Bote, „wohl aber ein Kriegsdampfboot der Regierung, der Mnenridampfer kommt nach!" Wir sahen uns starr an. Ein Kriegsdampfer von Rio! Noch nie war ein solcher in den Mucuri eingelaufen. Im Depefchensack waren Briefe an Ottoni und ein Packet an mich. Ich riß das Convert ab nnd fand außer einem Briefe für mich ein offieielles Schreiben an Ottoni offen in demselben, was ich ihm sogleich übergab. Mein Brief lautete folgendermaßen: „S.-Io;c do Pm'tt' Alcgre, dcn 2, März 1^!», „Verehrtester Herr Doctor! ' „Soeben komme ich hier an und zwar in Commission der Negierung, um die hülflosen, kranken und verlassenen Colonisten zu sammeln und an Bord des Kriegsschiffes Tietc, das mich hierher gebracht hat, nach Rio zu transpor-tiren. beider habe ich nicht mehr den Pcrnipe hier angetrof-fcn nnd muß ihn hier erst erwarten, namentlich da man nur hier gesagt hat, er könne schon morgen oder übermorgen kommen und vielleicht schon Colonisten bringen, welche Eie von dort remittiren wollen. Sollten diese ankommen, so werde ich sie hiev bestmöglichst unterzubringen suchen und sofort selbst nach Sta.-Clara gehen, um den Nest zn holen und hoffentlich auch Sie selbst, verehrter Herr Doctor! Wir werden Platz haben für 100 oder 130 Leute. Sollten mehr kommen, so bm ich auch cmtorisirt, ihnen Plätze auf dem Mncuri zu kaufen. Alle nöthigen Ausgaben werde ich machen. Meine Instruetionen sind derartig, daß ich auch nicht ciucn Colonisten hier zu lassen brauche, der verlassen von der Compagnie und krank ist. Sollte der Peruipe noch in Sta.-Clara 20* 308 fein, wenn Sie diesen Brief empfangen, so bitte ich Sie, verehrter Herr Doctor, ganz nach Gutdünken in der Auswahl der zn sendenden Colonisten zn handeln und so viele, als auf einmal möglich ist, sofort anher zu schicken. Ich werde dann sofort mit demselben Dampfer nach Sta.-Clara gehen und den Nest nehmen. ' „Ich übersende Ihnen die einliegenden Dienstschreiben offen, damit Sie Einsicht nehmen können. Doch bitte ich Sie, dieselben vor Vcfördernng an Ottoni zu schließen und sie schleuuigst au Ottoui uud zuerst an seinen Agenten in Sta.-Clara zu besorgeu. „Einliegend einige Zeilen Ihres Herrn Bruders, der Sie herzlich grüßen läßt. „Heute gehe ich auf Befehl der Negirnmg uach Villa-Vicoza uud Caravellas mit dem Tiete, um zu sehen, ob auch dort Colomsten sind, welche der Hülfe bedürfen. Neb'er-nwrgeu biu ich wieder hier und hoffe dann schon den Pe-rnipe zu finden und nach Sta.-Clara abzugehen. „In der Hoffnung, Sie bald zu sehen und mit Ihuen nach Rio zu reisen, bin ich mit größter Hochachtung uud Verehrung Ihr ergebenster W. Lachmuud." „Nachschrift. Der beifolgcudc Brief au Friedrich Pfeiffer kommt von Herrn Lammert, großherzoglich badischem General-consul in Rio, welcher wünscht, daß auch diese Familie mitkomme. Sollte sie sich in den Umständen befinden, welche ich bezeichnet habe, und sollten Sie, verehrter Herr Doctor, es für nöthig halten, so bitte ich Sie, diese Familie auch hierher zu schicken." 309 Nie werde ich den Eindruck vergessen, dm mir dieser Brief machte! Wie bittere Stunden hatte ich am heillosen Fluß zugebracht! Wie manche Nacht war ich schlaflos dagelegen in ernster Ueberlegung, weu ich in Nio und in welcher Weise für die am Mueuri so schändlich Hintergaugenen und so niederträchtig behandelten Auswanderer gewinnen mochte, wie allem spätern Unfug gewehrt werden möchte! Und nun? Kaum konnten jene unglücklichen, dem Elend und Tod verfallenen Auswanderer, die ich unten au der Mündung des Mucuri getroffen hatte, uud jene Elende, die ich gleich bei meiner ersten Laudung in Sta.-Clara noch mit demselben Dampfschiffe fortschicken konnte, den eigenen Nothschrei und den der am Fluß gefaugen gehalteneu und zum Tode bestimmten Leidensgenossen nach der Hauptstadt gebracht haben, kaum kouuten meine Briefe, die ich ihnen mitgab, gelesen worden sein, so beeilte sich die Negieruug, den ver-uommeucu Nothschrei in eiueu Ruf der Freude umzuwandeln, und schickte mit Einem Schlage Hülfe, Trost, Erlösung, alles, alles, wonach die Unglücklichen so lauge vergeblich geseufzt, verzweifelt geschrien hatten. Nach allen Seiten hin wirkte diese Wendung der Dinge wie ein wohlthuender Thau vom Himmel. Nun brauchte keiner mehr zu betteln und zu winseln nm Abzug aus dem unseligen Aufcuthalt, mm brauchte kein Familienvater, der den Rest seiner Kinder retten, keine Mutter, die ihre abgemagerte Tochter dem Elend entziehen wollte, mehr sich mit einem Nein abfertigen zu lassen, nun sollten sie alle wieder satt werden können, nun durften sie alle wieder hoffen, denn „alle, die hülflos, krank und verlassen waren", sollten freien Abzug haben, so hieß es ja im Briefe. Nur einer stand wie ein Geächteter neben all, den Dankes-ausbrüchen allein da, derselbe, der noch vor wenigen Stunden in despotischer Unantastbarkeit geherrscht und kaum einen 310 Gott als Herrn im Himmel, aber nimmermehr einen Kaiser als Gebieter auch am Mueuri anerkannt hatte. Anch er mußte gehorchen.. Am folgenden Morgen um 6 Uhr brachen wir alle anf. Nur 33 Menschen faßte das von den Paredcs zurückgekehrte Boot, sodaß noch zahlreiche Familien für einige Tage zurückbleiben mußten, bis sie vom Commissar der Regierung, Lachmund, geholt werden würden. Ottoni, ein französischer Ingenieur Bernard, der ehemalige Doetor Auguste» und ich gingen in einem Canot dem Krankenschiff voraus. Nach eiuigen Stunden Fahrt kam uns der kleine Peruipe entgegen. Wir luden unsere Kranke darauf und fuhreu zu den Paredes hinab, wo wir die dort deponirteu Colonisten ebenfalls aufnahmeu. Von Herzeu dankte ich Gott, daß wir fortkamen ans dem unglücklichen Aufenthalt. Jetzt konnte der Flußdampfer mit voller Fahrt den Fluß hinabbrausen, ohne von einem heftigen Gewitter, was uns überfiel, in seinem Laufe gestört zu werdeu, wenn es anch manche Kranke arg durchnäßte. Bei den Peudurados legten wir ebenfalls an. Den dort festgehaltenen Elsassern ward ebenfalls Abzug gewährt; sie sahen zum Theil ans wie wandelnde Leichen. Wir konnten nicht abwarten, bis sie reisefertig wären; doch sollten auch sic von Lachmund mitgenommen werden. Trotz aller Eile, die wir anwendeten, konnte der kleine Dampfer doch S.-Iozc nicht mehr erreichen. Es ward Abend und eine Fahrt im Dunkel war wegen Untiefen und Vaum-stämmeu, zumal bei der Menge Kranker am Bord des Peruipe, nicht rathsam. Etwa vier Meilen vor dem Ziel der Flußreisc ward der Anker ausgelegt. In einem Eanot konnten Ottoni, Bernard, Angnsto und ich noch spät am Abend S.-Iozc erreichen, wo ich am folgenden Morgen früh alles zur Aufnahme der Kranken vorbereitete, die auch glücklich an- 311 kamen und in dem guten Empfangshause der Compaguie untergebracht wurden. Doch kostete es immer einige Mühe, sie mit zweckmäßigem Essen zu versorgen; das erbärmliche Nest S.-Ioze bot kaum ewige Hülfsmittel. Der Kriegsdampfer Tiete war noch nicht von Caravellas zurückgekehrt. Dorthin war auch das Dampfschiff Mneuri, was, von Rio kommend, seme Depeschen in S.-Ioze abgegeben hatte, weiter gegangen. Ein Bote ward nach Villa-Vicoza abgeschickt, um möglichst schnell beide Schiffe zu veranlassen, nach dem Mneuri zu kommen und die dort auf Erlösung Harrenden aus oer letzteuHaft der Sandküste und des traurigen Flusses zu befreien. Schon am 8. März abends spät zeigten sjch einige Positionslichter in der See. Einer der Dampfer mußte sick vor der Mündung des Flusses befinden. Sie verschwanden aber bald im Süden. Kein Schiff war in der ersten Morgendämmerung des folgenden Tages zu erkennen. Da krachte ein Kanonenschuß unmittelbar hiutcr dem Uferwald im Süden. Der Tiete kam zum Vorschein, ein hübscher, stattlicher Echraubeudampser. Er lief bis vor die Barre des Flnsses und ging dort, weil eben starke Ebbe war, vor Anker. Ottoni ging ohne mich mit dem Peruipc in See bis zum Tiete, dessen Erscheinung ihn allerdings in hobem Grade anfregm mustte. Als er zurückkehrte, befaud sich Lachmund mit ihm, welcher mir nun genauer erzählte, mit welchem Interesse und mit wie lebhafter Theilnahme meine im Anfang des Februar nack Rio gesandten Briefe und Me unglücklichen Eolomsten selbst aufgenommen worden waren. W. Lachmund war mit deutschen Truppen vor siebeu bis acht Jahren als Artillerieoffizier nach Brasilien gekommen und hatte sich seitdem dnrch seine gute Erziehung, reife Kenntnisse uud ehrenfestes Betragen volles Zutrauen bei der Re> 312 gierung erworben, sodaß er besonders in Colonisationsange-legenheiten mannichfach zu Rathe gezogen ward und als Gereut dcr Central-Colonisationsgescllschaft große Thätigkeit und Umsicht entwickeln konnte. Keinen besser erzogenen und humanem Mann konnte man zur Abhelfung der Noth nach den» Mueuri schicken als ihn. Gleich nach seiner Ankunft ward der Peruipe in Bereitschaft gesetzt, um den Fluß hinaufzugehen. Nach einigen Besprechungen kamen wir darin überein, daß sein Besuch sich wol nur bis Sta.-Clara und S.-Mattheos ausdehnen könnte, indem dort noch genng der dringendsten Hülfe bedürftige Co-lonistcn sich aufhielten, welche ich ihm möglichst genau be-zeichucte, damit man sie in Sta.-Clara nicht etwa heimlicherweise zurückbehielte. Mit dcu schon in S.-Ioze sich befindenden Kranken machte das eine volle Ladung für den Ticte ans, und ich mußte mich beeilen, mit so vielen Patien-ten nach Rio zu kommen, wo allein ihnen die nothwendige Hülfe geleistet werden konnte. Auch lag es sehr in meinem Wunsche, möglichst bald in Rio ein ernstes Wort über die Lente in der holländischen Colouie am Urueu und einige Zu-stäude in Philadelphia zu reden, ehe ein weiteres Handeln eingeleitet würde. So ging denn Herr Lachmund mit dem kleinen Flußdampfer den Mucuri hinanf mit dem Vorsatz und der Absicht, nach vier Tagen mit dem Rest der nach Rio zu schaffenden Colonisten wieder in S.-Ioze do Porto Alegre einzutreffen. Nnterdcß bekam der Kriegsdampfer einen Lootsen nnd ver-snchte es — das erste Kriegsschiff, das je in den Mneuri einlief —, schon bei halber Flut die Barre zu Passiren. Der versuch gelang vollkommen. Ohne Anstoß lief das schlanke Trcimastschiff zwischen den Sandbänken hindurch und befand sich im stillen Fluß, Hier mnßte es eine Viertelstunde im weichen Boden des linken Ilfergrundes liegen bleiben; aber bei höher steigender Flut ward es wicdcr stott und ging hart am Magazin, gerade unter meinem Fenster, vor Anker. Der hübsche Dampfer war 120 Fuß lang und 24 Fuß breit, mit vier Kanonen von 36 Pfd. und zwei Drehbassen armirt, welche letztere jedoch, um den Passagieren mehr Raum zu gönnen, ausgeschifft waren. Dazu machte der noch nicht 26 Jahre alte Commandant Pinbeiro de Vaseoneellos, der Sohn einer angesehenen Familie, der in Europa gewesen war und sein in England unter seinen Augen gebautes Kriegsschiff selbst von dort nach Brasilien geführt hatte, den allcr-angenehmstcn Eindruck, sowie auch seine am Bord sich befindenden Gefährten, unter deuen ich gleich einen ehemaligen Reise- und Sturmsgcnossen traf, den ersten Piloten, der am 16. Februar 185)8 mich mit andern Passagieren auf dem Dampfpacket Imperatriz unter ungeheuerm Wogendrang glücklich aus der Einfahrt von Rio-oe-Janeiro ins offene Meer hinaus und nach Rio-Grande gebracht hatte. Mit dem Bruder des Commandanten war ich, wir beide als Passagiere, am 21. November 1858 auf dem Dampfpacket Parana von Nio nach Vahia gegangen. Dazu waren reichliche Provisionen am Bord, ausgewählte Arzneien u. s. w., sodaß ich nur mit der grösiten Dankbarkeit auf das sehen konnte, was die Regierung mit der allergrößten Schnelligkeit zum Heil und zur Rettung von armen, verrathenen Auswanderern und zur möglichsten Auswaschung eines Schandflecks gethan hatte; so sehr hatte man sich znr Hülfsleistnng beeilt, daß der juuge Commandant kann» Zeit gehabt hatte, sich als ein guter Sohn von seinem alten Vater zu verabschieden. Am 10. März gegen 10 Uhr morgens kam denn auch das Dampfpacket Mucuri in Sicht. Es ankerte vor der Barre in offener See und Ottoui mit verschiedenen Passagieren machten sich zur Abfahrt fertig. Unter diesen Passagieren fanden 314 sich, seltsam genug, auch Herr Favicr Neves und der junge Wittich aus Rio, deren ich bei Gelegenheit mrines Aufenthalts in Sta.-Clara Erwähnung that. Sie hatten, wie ich schon sagte, volle acht Tage in Sta.-Clara warten müssen, nm nur ein Canot zu bekommen. Dann waren sie zwar in S. - Ioze angelangt und gleich in der Nacht darauf nach dem Seehafen von S. - Mattheos in der Provinz Espinto-Santo geritten, hatten aber dort das monatliche Dampfboot von Rio nicht mehr angetroffen. So blieb ihnen denn weiter nichts übrig, als wieder nördlich längs der Eee-klistc zu traben und an der Mündung des Muenri ihr Schicksal abzuwarten. Zwei Boote des Tiete brachten die Passagiere, Gepäck und Briefe zum Mucuridampfboot hinaus, und das Schiff ging in See. Jetzt war ich wieder allein mit meinen viel heimgesuchten Colouisten. Doch war mir dies Alleinsein keineswegs leid. Vor allen Dingen war ich froh, mit Ottoni auseinander zu sein. Mir war die inzwischen eingetretene Höflichkeit tödlich zn-wider. Krieg war ja doch mir fortan die Losnng zwischen uns, ernster, nachdrücklicher Krieg, Fast einen Todesstreich hatte der übermüthige Mann so plötzlich bekommen, und in Rio standen ihm neue Kämpfe bevor, dic anf keinen Fall günstig anf die Votation von einer Million Thalern im Senat für die Mucuri-Unternehmung wirken konnten. Ja, ich konnte mir nicht denken, daß durch die traurigen Vorfälle, die ich genau dargestellt habe, der Senat und die Regierung nicht bestimmt werden sollten, dem Ottoni'schcn Unternehmen eine vollständige Niederlage zu bereiten. Noch einmal umgab und befing mich die wirklich furcht- ' bare Verödung von S.-Ioze am Mucnri. Dieses Porto Alegre, das traurigste Nest, was ich je gesehen habe, wird mir unvergeßlich bleiben. Als Ottoni jene ersten Colonisten 315 bis S.-Ioze hatte frei abziehen lassen, hatte er ihnen zu dieser Gnade noch vie Worte hinzugefügt: „Aber dort sollt ihr blutige Thränen weinen!" Wirklich, er hatte ihnen recht prophezeit, dieser Sandstrei-fen am Fluß war vollkommen zum Verzweifeln, zum Verkommen gemacht, und ich mnßtc während der ganzen Tage, die ich noch bis znr Rückkehr des wackern Lachmund von Sta.-Clara an jenem Strand zubringen mußte, fast unausgesetzt an die Menschengrnppe vom Gnde des Januar denken, die dort blutige Thränen weinte.. Meisterhafter war nie ein Ort gewählt, um Menschen verschwinden zu machen, wie denn ja damals in so wenigen Tagen drei Menschenleben aus jener Gruppe gestrichen wurden in einer Weise, die ich mit vollem Gewissen Ermordung nennen muß. Doch bin ich zu Ende mit der elenden, tief unmoralischen Geschichte! Am 13. März gegen Abend kam der Peruipo mit Lachmund und einer vollen Ladung hnlfloser Colonisten von Sta.-Clara zurück, bei denen sich anch die Leute von den Pcndurados befanden. Sie wurden gleich vom Flnßdampfer auf den Tietc übergeschifft und dort einquartiert. Ihnen folgten früh am folgenden Tage die am Lande sich befindenden Menschen. Um 12 Uhr war alles fertig, Gerade war die Flntzeit; der Tiete setzte sich in Bewegung und kam unter zweimaligem, kaum bemerkbarem Aufstoßen auf den Sand glücklich zur Barre hinaus. Wir hatten 128 unglückliche Menschen von den Leiden des traurigen Flusses und der noch traurigern Menschen befreit. Doch blieben noch gar manche sehnsüchtig anf Erlösung harrende Auswanderer in den fernern Seetjonen der Colonie zurück. Mittels Schraube und Segeln zog der hübsche Dampfer seiuc grüne Wasserstraße südlich in der allerfriedlichsten Weise. Schon am folgenden Morgen erkannten wir die Höhen von Vietoria, der Hauptstadt der Provinz Cspirito-Santo. Am 31« Abend warb unsere rnhigc Fahrt etwas unterbrochen, indem ein schon seit mehreren Stunden auf den fernen Ufern drohendes Gewitter sich von dort loslöste nnd über den Ocean daherzog. Eo ward denn auch der Tictc etwas vom Unwetter heimgesucht, und die armen Colonisten mußten sich arg zusammendrängen. Doch lief noch alles glücklicher ab, als wir anfangs glaubten. Die See ward nicht bewegt; der Regen verzog sich, uud schon am nächsten Morgen tauchte das Cap Frio mit seiner Doppel-spitze ans dem Meere ans. Doch war uns der Wind con-trär, sodaß wir nur langsam dem heißerschnten Ziele entgegenrückten. Erst um 3 Uhr nachmittags umschifften wir das vielfach zerklüftete Cap in seiner nächsten Nähe. Ans der Höhe von Cap Frio starb ein Colonist, ein einzeln stehender junger Mensch, der mit einem jungen Mädchen verlobt war. Die Wahrscheinlichkeit, in wenigen Stunden Rio zu erreichen, ersparte nns das traurige Moment, die Leiche in das Meer zn versenken. Eine hcilbumftorte Mondnacht brachte den Dampfer vollends in die Nähe des Fclsentbors von Sta.-Cruz. Das Rasseln der Ankerkctte weckte mich aus dem Schlaf, um mir die freudige Gewißheit zu geben, daß ich mit meinen Leidensgefährten — denn wohl hatte ich mit ihnen gelitten am Mn-cun, wohl war ich einer der Ihrigen geworden — im Hasen von Rio ankerte, wo Humauität und Gerechtigkeit, wo alles, wonach sie sich sehnten, zu hoffen war. Am Morgen des 17. März konnten die Colonistcn nicht so früh an das Land gebracht werden, wie ich es wünschte, um alles öffentliche Anfsehen zn vermeiden. Unser guter, menschenfrenndlicher Commandant mußte erst selbst in das Arsenal fahren und Meldungen machen. So ward es denn 10 Uhr, ehe ich die 87 Kranken, denn so viele Colonistcn erheischten die unmittelbare Hülfe des Hospitals, in zwei große Falnahs einschiffen nnd an das Ufer bringen konnte. 317 Auf dem kurzen Wege vom Schiff bis zum Ufer gesellte sich zur Leiche des cim Cap Frio gestorbeuen Colouisteu leider uoch eiuc hinzu. Iu dcu Armen seines Bruders uud uebeu seiuer Mutter, die in ihm das sechste Familieumitglied verlor im kurzen Aufenthalt von sechs Monaten iu Sta.-Clara, hauchte uoch ein erwachsener Sohu der Familie Hcnu seinen Geist aus gerade im selben Augenblick, als die Boote am Nfer anlangten. Das war die traurige Geschichte vom Mucuri. Fünftes Kapitel. Wcitere (sutwickoluüg der Munin-Vor^lll' >i> Rio-de-IdNüiro. 2)ie AnsschiffllNg so vieler Menschen iln elendesten Zustande machte ein gewaltiges Aufsehen. Die meistenz Kranken mußten an das Land getragen werden. Die Männer wankten; die Frauen konnten sich nicht ans den Füßrn halten; die Kinder krochen und wimmerten; stumm und starr lagen die Leichen da. Schnell besorgte ich vom nahen Hospital Neger und Hängematten znm Tragen. In wenigen Minuten war alles herbeigeschafft; aber schon nmstand eine bedeutende Menschenmenge die Gruppen der Ölenden, keine blos gaffende, sondern wackere Männer von Geltung, die znm Theil selbst von der Börse gekommen waren, um das Greigniß zu sehen. Einzelne (5onsnln waren herbeigeeilt, alle tieferschüttert, am meisten mein alter, wackerer Taunay, der mich tiefergriffcn umarmte. Keiner der Herren hielt sich zu gut, selbst mit Hand anzulegen. Alle halfen, trösteten, hielten nnd hoben; kein Kind war ihnen zn schmnzig, keine Wnnde zu stinkend, keine arme Witwe zu gering. Nach einer halben Stunde 3U) befanden sich alle Kranke unter der Obhut dcs Hospitals und den helfenden Händen der 8a-!> c^ cnüi-ilc. Ottoni war mit seinem Dampfboot vier Tage voraus in Nio angekommen und hatte in einem langen Zeitnngsartikel einigeSchwierigkeiten, nnter denen sein Unternehmen amMmuri litte, nachgewiesen, zugleich aber auch jene Glückseligkeitsbriefe von Pfeiffer nnd Consorten, ins Portugiesische übcrseyt, abdrucken lassen. Die Ankunft des Tietc stand im grellsten Widerspruch dazu nnd brachte eine solche Gärung in der öffentlichen Meinung hervor, daß Ottoni sich genöthigt sah, in den Zeitungen zu bitteu, das Publikum möchte sein Urlheil über den Vorfall suspcndiren, bis Lachmund's Bericht bekannt geworden wäre, wo Ottoni dann seine weitere Nechtsertignng drncken lassen würde. Lachmund, welcher als von der Regierung in dieser Angelegenheit delegirter Commissar die sich in noch leidlich gntcn Verhältnissen befindenden Colonisten nach der in der Bucht von Nio liegenden Ilha do Bom Jesus brachte, wo die Central-Colomsatiousgesellschaft ein altes Franciseanerkloster, im Jahre 1850 mein Gelbficberhospital, in ein Colonistendepot verwandelt hatte, arbeitete seinen Bericht an das Ministerium aus nnd reichte ihn dann ein. Aber von dem Tage an erschien mir mein junger, lebhafter Freund in sich gekehrt nud völlig nmgewandelt. Er sagte mir, er wollte seine Dimission nehmen nnd nie wieder etwas mit Colonistenangelegcnhciten zn thun haben. Der arme Lachmnnd! Mochte seine Niedergeschlagenheit nun davon herrühren, daß man mit seinem Bericht nicht zufrieden war, oder fühlte er schon den Tod in sich nagen, kurze Zeit nachdem er den Bericht eingereicht hatte, legte er sich auf das Krankenlager, angesteckt von der Pestluft am Mmuri, nnd vergebens bemühte sich meine ärztliche Kunst, den trenen, mir so theuer geworbenen Gefährten meiner Flnßerpedition zu retten. 320 Unter den vollen Symptomen eines atarischen Fiebers verschied Wilhelm Lachmund frühmorgens des 38. März im blühenden Alter von 28 Jahren und ward von uns, einer kleinen, aber gewiß trenen Schar von Freunden, am Abend desselben Tages bestattet ans dem neuen deutschen Kirchhof von Ponta do Cajn! Am folgenden Tage befand iä) mich anf der Reise nach Petropolis, wo der Hof sich aufhielt, um nach all den bittern Erlebnissen eine freimüthige Inschrift an Se. Majestät den Kaiser einzureichen. In allen Lcbensangelegenhciten, besonders aber den allerernstesten, beim Anblick von Sterbenden und von Todten, wie ich sie gesehen und erlebt hatte, solt die Wahrheit geredet, unverkürzt uud ungehindert geredet werden, damit die Mächtigen dieser Erde den Elenden helfen, freche Uebelthäter aber strafen mögen und neben der Gnade auch Gerechtigkeit üben. Mit großem Ernst nahm der Kaiser, der in der ganzen Angelegenheit schon genau-instrnirt zu sein schien, meine Schrift hin und ließ mich — er hatte die Gnade, ganz allein mit mir im Zimmer zu sein — frei und ungehindert sprechen. Und ich sprach frei und ungehindert, denn ich sprach nicht für mich, sondern für Menschen, die zu beiden Seiten des Oceans betrogen ware»r, im Elend geschmachtet hatten und noch schmachteten, nnd durch sündliche Verwaltung uud schändliche Behandlung vom Tode furchtbar denmirt worden waren. Angesichts all des Unheils, was die Handels- und Colo« nisationsspeculation am Mueuri angerichtet hatte, sing die Negieruug an, die von dem Ereigniß am allerhärtesten getroffen sein mußte, die entschiedensten Maßregeln zn treffen, wie sie solche in der Sendnng des Tiete ja angekündigt und begonnen hatte. Der Commandant und nächste Lieutenant der Militärcolonie wurden abgesetzt, und der neue Director Iozc Feliziano Vueno Mamore erhielt den Auftrag, alle die 331 Colonisten, die es wünschten, nach Rio zurückzuschicken. Ein französischer Ingenieur, Martiueau, begleitete ihn. Dazu versicherte der damalige Minister des Innern, Sergio Tcreira de Maecdo, gegen eine ledhaft in ocm Vorfall interessirte diplomatische Persönlichkeit, und zwar in der positivsten Weise, daß man die ganze Angelegenheit verfolgen würde, sie auf keinen Fall im Stiche lassen und dasür Sorge tragen, das; den Colonisten am Urueu nichts mangelte. Während uuu die unglücklichen Colonisten im Hospital behandelt wurden, bemühte man sich, ihre Leiden als nicht eben bedeutend auszuschrcien. Doch schrie die Thatsache, daß ' von diesen 87 Menschen in wenigen Wochen schon 27 gestorben waren, allerdings laut dagegeu. Und ich darf autieipi-renv auch das nicht verschweigen, daß, als man nun den traurigen Rest dieser so hart Verfolgten auf das Dampfpacket Apa packte und uach Rio > Grande am Itt. April schickte, manche von ihnen das Hospital in Porto Alegre aufsucheu mußtcu und sich noch l«mge dort befanden. Wahrlich, die wenigen, all diesen Drangsalen entronnenen Meuscheu mögen für ihr ganzes Lrbcu mit Schrecken au das Wort Porto Alcgre denken, das eine am Mumri, das andere am Guaiba in Rio-Grande! Am l. April giugeu die Herreu Mamore, Martineau uud eiu Arzt nach dem Mueuri ab zu ihren respcttiveu Commissionen. Ich selbst sehte meine Weiterreise nach Pernambueo auf den 7. April fest, uud glaubte das mit dem allerbesten Gewissen thuu zu können, da mau ja von allen Seiten Versprechungen machte uud ich die gerechte Hoffnung hegen dnrfte, man würde ernsthaft im Senat das leichtsinnige betrügerische Hiuopfern so vieler Auswanderer strafen, dein schamlosen Gebaren am Mururi nimmermehr das Wort reden und dcu Vorschlag, ihm gar uoch eine Million Thaler zu votiren, mit Zorn und Unwillen zurückweisen. Avi-Lcillcma il t, Nm'b-Vrasili!,'!,, !, 21 322 Um so mehr dürfte ich diese Hoffnung hegen, als ich dem Senator Cansaucao de Sinimbn, dem freundlichen Beschützer aller Deutschen und eifrigsten Beförderer nller Einwanderung, genau die Vorfälle amMucuri, wie ich sie selbst niedergeschrieben, vorgelesen und ihn vollkommen von allem, was damit im Zusammenhange stand, in .Nenntniß geseht hatte. Mu hatten die Ereignisse so aufgeregt, so interessirt, daß er sich aus meinem Vortrage sogar schriftliche Notizen genommen hatte. Von ihm, obwol einem personlichen Freunde Otwni's, durfte ich alles hoffen, alles erwarten, von ihm glauben, er wurde mit gleich kräftiger Sprache für bebende und Todte reden und fur letztere mindestens das verlangen, daß man der gewissenlosen Direction, welche die Schnld an dem Tode jeuer Opfer hatte, kein Geld weiter bewilligte, und wenn diese Direction dÄnn abtreten müßte, jene Reste der Mucuri-Unternehmung der Negierung übergäbe, sodaß aus dem Privatunternebmen eine öffentliche Angelegenheit gemacht würde. Allem traute ich und allen. Und eben weil ich allem und allen traute, so traute ich blindlings, traute ich so blindlings, dasi ich selbst alleBetheiligte, gegen die man hier und dortZweifel erheben wollte, eifrig vertheidigte, nnd anch da noch nur an einen Schlendrian, an eine Nachlässigkeit im Publicireu dachte, als man mir auf einer ausländischen Gesandtschaft im ,,,ls'iü >,,»! ll,> s>,m!,('l'<:!<," von Nio vom ilX Februar, wo man schon das Elend am Mucuri nicht mehr ignorirte, wo schon jene erste Sendung von Unglücklichen angekommen, meine Briefe gelesen und die Befehle der -Regierung zur Reise des Tiete-Dampfers nach dem Mueuri gegebeu wareu, eiuen neuen > Vertrag zwischen der Regierung und Ottoni zeigte, m dessen erstem Artikel „die Regierung sich verpflichtete, künftig auf thre Kosten Colonisten von ^iio nach dem Mucuri zu schicken". Nur eins machte mich stutzen. Der Kaiser hatte mir bc- 323 fohlen, dem Minister des Innern genau meine am Mueuri gesammelten Erlebnisse mitzutheilen. Auf die Anzeige dieses kaiserlichen Befehls erhielt ich vom Minister keine Antwort und reiste am 7. April wirklich ab. Kanin war tch fort, so gab Ottoni eine Schrift von 58 Seiten in das Publikum, worin er sich mit seinem Mueuri-Nnternehmen zu rechtfertigen suchte und eine Menge Thatsachen ableugnete, entstellte und verdrehte. Lachmnnd's Nelatorium dagegen schien mit dem Todten begraben zu sein; es ist nie öffentlich zum Vorschein gekommen. Ja, es lief sogar ein Gerücht umher, Lach mund wäre vergiftet worden. Dieses Gerücht konnte nur durch folgenden Vorfall entstanden sein. Als ich am dritten oder vierten Tage seiner Krankheit meinem armen Reisegefährten am Morgen Kalomel und eine Spanische Fliege verordnet hatte gegen die Symptome einer sich entwickelten Gastritis und gleich nach Mittag zu ihm zurückkehrte, fand ich einen ebenfalls bei der Central-Colonisationsgesellschaft angestellten Brasilianer im Zimmer allein bei Lachmund. Er entschuldigte sich vor mir, daß er, obwol aller ärztlichen Nissenschaft fremd, in meiner Abwesenheit meinem Patienten „einige Gran Vrechweinstein" verordnet hätte, weil derselbe fortwährend Neigung zum Er-brecheu zeigte. Was sollte ich gegen diese Frechheit thun?. Die Frage mag jedem, der unter einer deutschen Mediciualverfassuug steht, schrecklich erscheinen, läßt aber jenseit des Oceans eine Menge von Antworten zu. Gerichtlich wäre es nicht möglich gewesen, solchen ärztlichen Flibustier zn strafen. Ich mußte mich damit begnügen, den Mann wegen seines unberufenen Handelns hart anzufahren und daranf zu dringen, daß solche Frechheit nicht wieder geschähe. Drei Tage darauf starb Lach-mnud. 21* 324 Damit nun aber Todte, die in Ausübung ihrer Pflichten gestorben sind, auch nach ihrem Tode als gewissenhafte, rechtliche Männer anerkannt werden, ist es mir eine heilige Pflicht, meinen todten Freund Wilhelm Lachmund selbst reden zu lassen. Ob er in seinen letzten Lebenstagen wußte oder ahnte, daß sein Relatorinm, von dem ich eine Covie bekam, nicht bekannt werden sollte, kann ich nicht sagen. Im ersten Theil seines Berichts setzt Lachnmnd den voll der Regierung ihm gegebenen Auftrag auseinander, wie wir diesen ja schon kennen. Den Zustand der Kolonisten, die er in S.-Ioze vorfand, jener l!0 Menschen, die wir bereits von Sta.-Clara mitgebracht hatten, bezeichnet er als „möglichst jammervoll". Dann kommt seine Fahrt nach Sta.-Clara, wo er dann folgendermaßen fortfahrt in seinem Bericht: „Am Tage nach meiner Ankunft in Sta.-Clara durchlief ich mit dem Agenten der Mueuri-Colouie die ganze Colonie in der Ausdehnung von fast il Legnas längs der Straße. Unmöglich würde mir es sein, eine getrene Beschreibung zu machen von dem traurigen nnd qualvollen Bilde, welches sich mir dort darbot. Die elenden Hütten, die ohne Kenntniß gemacht waren und weder gegen Sonne noch gegen Regen Schntz boten, bildeten ebenso viele Hospitale. In einigen fand ich ganze Fcmlilien daniederliegend und anßer Stande, ihre hänslichen Arbeiten zu verrichten; in andern war kaum eine Person im Stande, die Kranken zn behandeln, zn kochen, Wasser von sehr entfernten Punkten zu holeir u. s. w. Die Krankheiten, wovon diese Colonisten befallen waren, waren besonders Wechselfieber, Wnnden infolge von Mosquitostichen und Fußstöhen, Schwäche, Marasmus bei Kindern, Geschwulst der Ertremitäten, Geschwüre, Durchfall u. s. w. Nur sehr wenige Familien hatten noch hinreichende Kräfte, um wenigstens noch kochen, Wasser holen und an die nothwendige Reinlichkeit denken zu können. Seufzer, Schluchzen, bittere 325 und verzweifelt!,' Klagen gegen dic cngagireuden Agenten in Deutschland empfingen mich in jeder dieser erbärmlichen Hütten. Die Mnthlosigkeit nnd Verzweiflung der Colonisten war auf solchen Punkt gestiegen, daß ich im Anfang zweifelte, sie wenigstens so weit ermnthigcn zu können, daß sie ruhig die Hülfsleistnugen abwarteten, die ich ihnen versprach. Der größte Theil von ihnen bestand so beharrlich darauf, um jeden Preis von der Eolonie fortzugehen, daß ich von einigen von ihnen Acte der Heftigkeit fürchtete. Jedoch gelang es mir, diese armen Leute zu bernhigeu und wieder ein wenig anfzumnutern, und ich erhielt von vielen das Versprechen, uicht nur, daß sie ruhig die Hülfsleistnngen abwarteten, die ich ihnen versprach, sondern auch, daß sie so lange mit ihren Arbeileu iu den Nocas fortfahren wollten, als ihre Kräfte es ihnen erlauben würden. Dann wählte ich die Familien aus, die am schlennigften Hülfe bedurften, und schickte sie nach Sta.-Clara in das Depositum n. s. w." Weun Lachmund diese Elenden am 11. nnd 12. März noch in solchem Znstande traf, wo ich doch schon seit so vie- , lcn Wochen nach allen Seiten hin gearbeitet und geholfen hatte, wo doch schon so viele gestorben, wiederhergestellt und dann noch 60 Individuen von uns den Fluß hinuutergeschafft waren, was würde er da erst an seine Regierung zu melden gehabt haben, weun er einen bis zwei Mouate früher gekommen wäre? Und demnach, obwol nur noch^ein kleiner Theil des Elends von Lachmund gesehen und iu sein Relatorium aufgenommen war, scheute man sich, dieses Relatorium zu publiciren. Da starb denn Lachmund allerdings zur rechten Zeit. Und da nun auch ich wieder abgereist war, hatte Ot-toni wieder freies Fahrwasser zum Haudelu, uud tröstete sehr leicht seine Freunde im Ministerinn». Am 13. April kam das Mncuridampfboot, welches den 326 neucn Director der Militärcolonie, den neuen Commissär Martiueau und den Arzt dorthin gebracht hatte, nach Rio zurück, und hatte wieder 46 unglückliche Menschen am Vord, die von neuem Aufregung und Uuwillen in Rio gegen das sündhafte Verfahren am Mueuri hervorriefen. Martineau ging uuterdeß nach Philadelphia, wo iufolge der Hülfe von feiten der Regierung und dcr Erscheinung des neuen Regic-rungscommissärs die heftigste Alifregung und selbst Aufruhr entstand, wie sehr auch Ottmü's Getreue die Leute zu beschwichtigen und zu bäudigeu suchten und Schritte thaten, um das Fortwaudem unzufriedener Colouisten zu verhüten. Schon waren ^0^30 Menschen von Philadelphia fortspedirt worden, als auch Martineau erkraukte iu dem so viel gerühmten Klima des Mueuri! Währcud er lange zu Bett lag und die Colonisten wieder keinen Helfer und Schutz hatten, gelang cs dem Bruder Ottoni's, Augusto, das Ungewitter mit sub-delegatischer Macht zu zerstreuen. Zufriedene Colonisten redeten mit den Unzufriedenen; Widerspenstige mußteu der Gewalt weichen und zu Kreuze kriechen, und Philadelphia war gerettet. Ottoni suchte die Vorfälle iu Philadelphia iu daö Lächerliche zu ziehen und verfolgte mit höhnischen Correspondenzen alles, was zu Gunsten der gemishaudelteu Colouisten geschehen war; er nanute sogar einmal die Landuug jener verkommenen Menschen vom Tietc eine Theatervorstellung. Am ^. Mai sollten die legislativen Kammern eröffnet werden. Es waren aber nicht genug Deputirte gekommen. Erst am lO. Mai kounte die Thronrede, das Programm des Ministeriums, vorgelesen werden. Unter andern Vorschlägen kam auch der darin vor, die Verpflichtungen und Rechte zwischen den Colouisten nnd ihren Landbesitzern festzustellen, und endlich auch den protestantischen Ehen ihre Geltung vor dem Staate zu geben. Der erste Punkt überzeugte mich, daß man trotz so mancher 327 bitterer Leetionen noch immer daran dachte, in den Einwanderern Tagelöhner uno Leibeigene für reiche Grundbesitzer zu erwerben und keine freie Coloni-sten auf eigenem Boden. Ja, es ward später im Senat von einem sehr bedeutenden Staatsmann ganz gerade herans-grsagt, daß er sich aller freien Einwanderung widersetzen würde und daß alle Colonisten, die von Staatsfonds Vorschuß bekämen, den Pflanzern zur Verfügung gestellt werden sollten, wozu er jede weitere Summe gutheißeu würde, aber nicht eiuen Real für andere Einwanderung ^ eine Parla-mentsäußerung, die Beifall fand. Was war von solcher Stimmung im Parlament für f ie Colonisteu zu erwarten? Ottoni's tyrannisches Paraguaysystem faud fast ungetheilten Beifall. Der alte, halbtaube Marquis von Oliude hielt dem ausgezeichneten Bürger Ot-toni eine Lobrede, sprach von dem Erport, der schou am Mu-curi stattfände, womit er vielleicht die Schiffsladungen elender, verhungernder Menschen meinte, die in den letzten Monaten vom Mucuri gekommen waren, und schlug vor, man müßte einem so patriotischen Bestreben mit den verlangten Mitteln zn Hülfe kommen! Fast alles schwieg! Kaum ein einziges finanzielles Bedenken wurde laut, alles schwieg! Um die schändlichen, niederträchtigen Meuschenschlachtereien am Mucuri wußten sie alle, alle mußteu sie doch darum wisse«. Der Marquis von Abrautes hatte die uuglücklichen Kranken im Hospital geseheu, Sinimbu hatte sich auf das Minutiöseste von alleu Vorgängeu unterrichtet. Aber dem von Staatsangelegenheiten bereits gesättigten Marquis schien jede Controversc im Scuat verhaßt zu sein, und dem Senator Causancao de Sinimbu hatte diesmal — Ottoui's Freundschaft mehr gegolten als das Menschenschlachten am Mucnri, diese Carnifteina, wie der alte Viear von Caravellas sie genannt hatte. Zwar war es für ihn Gewissenssache, sich 328 in einer langen, guten Rede über Colonisation ausznsprechen. Aber über die, Earnisieina ging er mit Stillschweigen hinweg, em Stillschweigen, was ebenso klang wie jener Ton, dm die alte Galotti so gern vor Gericht gestellt hatte. Und da nun „der Bürger Ottoni sich so wohl verdient gemacht hatte mn das Vaterland", votirte der Senat eine Million Thaler Anleihe, welche vom Staat mit 7 Procent Zinsen garantirt werden sollte. Ich konnte nnr mit der aller-tiefsten Indignation über das Senatsronsult lachen, um so bitterer lachen, da die Mcnschenschinderei am Mucnri eine der ersten Angelegenheiten war, welche man in den Scnats-sitzungen vom Jahre l.859 verhandelte und mit krankhafter Hast endete. Der Senatsbeschluß fand anch den Beifall des Kaisers. „Hei pol- Iiem", hieß es am 8. Inni, nnd am 10. unterschrieben die Minister das Decret. Wundersame Laune des Schicksals! Gleich am Tage daranf sollte noch einmal ein Trauerspiel vom Mucnri der Hauptstadt vor Augen stellen, wie in jenen Colonien alles Necht, alle HNenschlichkeit mit Füßen getreten war. Am 11. Juni traf der Mucuri-damftfer in Rio ein. Hunger war das erste Wort, was über hundert Unglückliche denen, die an Bord kamen, entgegenriefen. Seit dem Mittag des l(). Juni hatte man ihnen alle nnd jegliche Nahrung versagt. Einer von den 12'! in S.-Ioze eingeschifften Echlachtopfern der Unn.^nschlichkeit am Urum und der Brnderliebe in Philadelphia hatte das Land der Verheißung nicht mehr sehen sollen; er war am Bord gestorben, gerade wie jener (5olonist auf meiner Tietc-Erpedition. Von den Lebendig"» wurden 68 Kranke, Ausgehungerte in das Hospital geschafft, gerade wie bei meiner Tietc-Erpeditwn. Von diesen brachte der edle Taunay 17 Franzosen in das Hospital an der Eauoe, wo ich ehedem Director war; aber noch unterwegs, noch im Boote starb ihm auch ein Unglück- 329 licher, gerade wie bei der Ticte-Erpedition. Die andern 64 Elenden kamen, wie jene vom Tiete-Dampfer, nach dem Colouisten-deftot auf der Insel von Bom Jesus. Und während man dieRunde machte bei allen Consnln, von denen Landeskinder sich unter diesen Colo nisten befanden, nm Kleidungsstücke für die Halbnackten, Halb todten zu sammeln, erfolgte die Veröffentlichung des kaiserlichen „Hol pni' l>6m" am 17. Juni im „.loul-iin! äo ^l)i„ nioi^io" von Rio, und die Mensch cn-schlachterci war vollkommen legalisirt. Mit einer Million Thaler, wenn Ottoni sie trotz der sieben von der Negierung garantirten Procente nicht etwa umsonst sucht, kaun das Werk am Mucuri uenen Aufschwung nehmen. Mit einer Million Thaler können zahlreiche Negersklaven, wie sie sich ja bereits auf den Gütern der Ottoni'-schen Verwandten finden, zusammengekauft, große Hänfen von Chinesen herbeigeschleppt uud einige Verbrüderung nut den klotztragenden Botoeuden angebahnt werden. Das gesittete Europa aber wendet sich, trotz des Senatsbeschlusses, trotz des kaiserlichen „No, par l>6m", mit Unwillen ab vom Mn-cnri nnd seiner Dircetion. „IXon ci,nni« «nuiiiu^, meinte Ottoni am Ende seiner kleinen Schrift vom 7. April. Uud mit Ernst erwidere ich ihm: „Allerdings, »un omni^!" Solange, in der Geschichte brasilianischer Colonisation noch der Mncnri genannt werden wird, solange dort die Gebeine von all den betrogenen Kolonisten modern werden, solange wird auch Ot-toni's Name genannt werden als eines, anf dessen Gewissen die Süude jeuer Carnifmna lastete, anf dessen Namen der letzte Verzweiflungsschrei der Sterbenden 'Mer lasten wird, auf ihm und denen, die ihm geholfen haben! „Das aber ist der Fluch der bösen That, daß sie fortzeugend Böses nnr gebaret/' Man wird wahrscheinlich in den vielbesprochenen Gegenden eine neue Provinz gründen. 330 Ganz gewiß wird dasselbe Volk von Minas, welches sich vor Jahren vom Ottoni'schen Namen zu offener Revolution gegen seinen Kaiser anstacheln ließ, denselben Ottoni'schen Namen ans die dreifache Liste, aus der der neue Senator vom Kaiser gewählt werden muß, bringen. Ganz gewiß wird der Kaiser, dcr das wüste Treibcn am Mmuri durch sein kaiserliches „lll!! j)!»- !»!!!!" vom 8. Juni 1859 geheiligt hat, durch ein neues ,,ll^i >w>' !,c?,n " Ottoni zum Senator erklären; ganz bestimmt wird der Senat ihm seine Reihen öffnen müssen und mit ihm fraternisircn! Mögen auch besoldete Federn zu Gunsten des Bettels am Mucuri schreibcu was sie wollen: wir rufcu dennoch unser altsächsisches Iodute ans über alle, die sich daselbst bereichern nnd Gedeihen suchen wollen. Ganz dieselben Worte, mit denen ich meine schriftliche Auseinandersetzung an den Kaiser am ^0. März schloß, muß ich auch hier wiederholen: „Wenn die Wohlhabenheit und die schöuen Besitzungen der Ottouis auf dem Wege der Redlichkeit, des Fleißes und der Arbeit erworben sind, so bedarf man am Mnenri keiner dentschen Einwanderung; denn was jene Herren oort erlangt haben, das kann freie deutsche Arbeit nicht erschwingen. Wenn aber die verlockten Einwanderer nur dazu dienen sollen, nm der Ambition, der Habsucht uud dem Despotismus die Straße zn stampfen, so darf jeder gutgesinnte Mann fortan nur eins thun: mit allcu ihm zu Gebote stehenden Kräften dahin wirken, daß niemand mebr nach dem Mueuri hinwandere, wie ja Ee. kaiserliche Majestät Befehl gegeben hatte, alle Unglückliche von dort wieder fortzu holen." Da nnn aber die heillose Central-Eolonisationsgesellschaft in Rio, ein unmittelbares Organ der Regierung und als solches in der Person des Senators Candido Borges Monteiw mit einem neuen Präsidenten im Monat März dnrch selbstständige Wahl der Regiernng versehen, noch immer fortbesteht, 331 um Menschen in Europa, besonders in Deutschland, zum Aus-wandern durch Agenten beschwatzen zu lassen, — da künftighin Einwanderer, denen wegen gemachter Vorschüsse, Reisekosten, Zehruugsgelder im Depot auf der Ilha do Vom Jesus keine freie Disposition über ihre Personen und den Aufenthalt, den sie etwa wählen möchten, zusteht, auf Kosten der Regierung uach jener Anzeige vom 19. Februar uach dem Mueuri transports werden sollen, ^ da es sogar ganz offen im Senat ausgesprochen worden ist, daß man künftighin keinen Neal mehr für fveie Einwanderung ausgeben, sondern alle auf Staatskosten kommenden Colonisten den Pflanzern zur Disposition stellen sollte, — da man demnach das pestbringende System der Tagelöhneret, des Frondienstes, des Knechtseins, des Paveene- oder Halbpartwescns noch immer nicht ausgeben will, soiwern wieder mit ihm, einem modisicir-ten Sklaventhnm weißer Menschen, zn liebäugelu anfängt, und diese als billige Leibeigene, taktlos genug, anch uach solchen Gegenden nördlich von Rio bringen möchte, in deuen sie der Ungunst des feuchtheißen Klimas erliegen müssen: so rufe ich, nach diesem ungeheuer langen Vordersalz kurz aus: Keiue, keilte Auswauderung nach Brasilien, keine andere als die auf freien Boden, von freien Leuten, von freien Arbeitskräften in gesunder Gegend und nur im Süden des Kaiserreichs. Iwar scheint es, als ob durch die letzte Miuisterkrisis (im Angust 1859) sich anch hierin eine neue Kraft, ein neuer Um-schwnng der Dinge erzeugt hätte. Keine würdigere Gestalten, als Cansancao de Sinimbn und Angelo Mmüz da Silva Ferraz mit ihren Collegeu konnten die oberste Staatsleitnng übernehmen. Aber dürfen sie Decrete umstoßen, kaiserliche „llV,! jw, dum8" wieder aufheben, uuo der Gesinnung und Stimmung im Senat zuwiderhandeln? Und wie lange dauert solch ein Ministerium aus edlerm Stoff? Vielleicht uoch weni- ger Zeit als ein mittelmäßiges, nach der Volkskunst und drin Applaus in den gesetzgebenden Kammern haschendes. Hat doch dieses neue, so ausgezeichnete Ministerium, obwol es noch vier Wochen mit den versammelten legislativen Kammern zusammen arbeitete, auch kein Gesetz, die Stellung der Protestanten und die Bedeutung der protestantischen Ehen betreffend, zu Stande bringen können. „Wieder die alte Geschichte!" So mMe jeder Protestant und ich ebenfalls ausrufen, als die gesetzgebenden Kannneru des Jahres 1859 geschlossen wurden. Im Jahre 1858 war es ja ebenso gewesen, wie ich das auf S. 448 im zweiten Theile meiner „Reise durch Süd-Brasilien" gesagt habe. Die Thronrede verlangt ein Gesetz über protestautische Ehen u. s. w. Man machte einen Vorschlag und nach eiuem langen Gerede blieb die Sache liegen. Im Jahre 1859 nahm die Thron-rede einen neuen Anlauf, und es ist wieder nichts geschehen. Denn ein neuer Entwurf, der gemacht ward, ist ebeufalts nur ein Gerede, eine Neckerei, ein schlechter Witz, wenn man ibm keine Gesetzcsgültigkeit aufdrückt. Im nächsten Jahre kommt ganz bestimmt derselbe Passus wieder vor in der Thronrede. Ach Gott im Himmel, sich dareiu! möchte man wol ausrufeu. Vierzehu Tage nach Eröffnung der Kammern war Ottom's Geldvroject disentirt und genehmigt. Aber für die Lage der Protestanten hatte niemand Herz, Ohr und Mnnd gehabt. Da kann uus denn eine Thronrede auch nichts helfen; und wir bitten demüthigst Se. kaiserlich brasilianische Majestät, nicht mehr unser in seiner Thronrede zu gedenken. „Das Wort sie sollen lassen stahn", unser Evangelium können sie uns Protestauten in Brasilien doch nicht nehmen. Doch thun wir uus vou solcheu, die unser Evangelium nicht gelten lassen wollen, nnd stemmen uns aus allen Kräften gegen eine freie, deutsche, proteslan- 332 333 tische (5'inwanderung nach Brasilien, bis wir vollkommen sicher gestellt sind. Fern bin ich von alledem, «zua! ttl^oc'! ^o^u^Tl.v vocinu. Hoch ehre ich uild halte heilig das Amt der Fürsten; denn das Amt ist ihnen von Gottes Gnade gegeben. Und doch ist es dein freien, protestantischen Deutschen, der freiwillig einem angenehmen Leben entsagte und den deutschen Einwanderern in Brasilien nachwanderte über Berg und Thal nnd durch Wald nnd Flüsse, um etwas Belehrendes znm allgemeinen Wohl darüber schreiben zu können, wohl ist es einem solchen Manne, der bei der Gelegenheit oft zwischen den Thieren des Feldes und in den finstern Schlupfwinkeln des Nrwalds schlasen mußte, der dem tiefen Elend nachspürte, die Betrogenen, die auf eineu mächtigen Schuh des Kaisers in fremdem Lande gehofft hatten, nicht verließ, mit ihnen darbte, mit ihnen krank war, mit ihnen ans das Meer hinausging, um für sie Gerechtigkeit von den Hohen dieser Erde zu erlangen, ^ wohl mag es diesem, der nun allem und allen traute, einmal erlaubt sein, an jenen Schmied im Thüringcrwaloe zu denken, der beim Gedanken der vornehmen und von ihrem Fürsten nicht gezügel-ten Vasallen machtvoll mit seinem Hammer auf den Amboß loshieb und bei jedem Schlage ausrief: O Landgraf, Landgraf!' Wcrdc hart, Bist sonst des Landes Plage, wie ich das der brasilianischen Regierung als einer Colleetiv-person zurufcu möchte. Und ist denn das am Ende edel gehandelt von der Ne-gieruug, daß, nachdem das Elend am Mueuri schon in den letzten Monaten des Jahres 1858 angefangen nnd im Iannar und Februar 185,9 seine höchste Stnfe erreicht hatte, nachdem Regierungsschiffe uud Commissäre die im Elend verkommenden Colonisten hatten fortholen müssen, und Hnnderte solcher Elenden in Nio angekommen waren, nachdem Lachmund 354 begraben und sein Nelatorium nicht veröffentlicht worden, und zuletzt auch Martineau nach Rio zurückgekehrt war, ohne daß ein Bericht von ihm dem Pnbliknm übergeben ward, man, nm dem Mnenri-Unternehmen eine würdige Färbung zn geben, den Herrn Sebasti.io Machado Nnnes dorthin schickte nnd ani 2l. Ol tober im „,Ic>,ü',!n! cla slnlünü'ilio" dessen Bericht offieiell mittheilte, nachdem ich im Februar, also acht Monate vorher, dort das tiefste Elend erlebt hatte? Mit diesem Bericht wollte man die Unthaten am Mnenri bemänteln. In acht Monaten kann allerdings schon viel Gras ans den Gräbern der Todten Heranswachsen, kann schon viel Elend anssterben, mancher Jammernde fortgeschafft sein und hier nnd da und an allen Ecken vertuscht, versteckt, bemäntelt worden seiu. Und wenn dieser Bericht, nach langem Stillschweigen der Regierung, eben meine Erzählung der schander-haften Begebenheiten am Mueuri in ein unklares Licht stellen soll, so muß ich doch offen erklären, daß das ein ziemlich kleinliches und nicht ehrenhaftes Verfahren ist. Zwar trägt das Relatorinm des Sebastiäo Machado Nnncs noch den Namen des Ministeriums von Sergio Tereira de Maeedo an der Stirn; seine ofsicielle Veröffentlichung aber gehört dem Ministerinm vom 1!^. Angust 185,9 ganz allein an. Man wollte dem Thcophilo Benedieto Ottoni damit einen Freundschaftsdienst erzeigen, wie kümmerlich und gequetscht auch der Bericht selbst aussehen mag. Mir wenigstens machte er den Eindruck, als ob er alle Augenblicke roth würde bis über die Ohren und einmal über das andere ansinge zu stottern oder über seine eigenen Beschönigungen und Entschuldigungen zu stolpern, Solchen nicht eben wohlanständigen Entschnldigungsvcr-suchen und Rechtfertignngsproeeduren trauriger Colonisations-speeulationen gegenüber darf sich die brasilianische Negierung .^5 keineswegs wundern, wenn in einem Staate, dor in Ve^lig cmf Cultur, Gesittung und Macht unter den fünf Großmächten mit jeder um den ersten Rang kämpfen darf, ganz kürzlich die ministerielle Veröffentlichung gegeben worden ist, „daß die Mittheilungen und Klagen über die traurige Lage der dentschcu Auswauderer in Brasilien in neuerer Zeit immer zahlreicher geworden sind nnd sich bei nähern Ermittelungen großentheils als gerechtfertigt erwiesen haben, und daß daher auf Maßregeln, welche dem Uebelstand, soweit solches möglich ist, abhelfen sollen, Bedacht genommen ist". Dieser für Brasilien keineswegs ehrenvollen Erklärung sind bereits schon zweckmäßige Schritte gefolgt, und es steht zn hoffen, daß sämmtliche deutsche Negierungen in demselben Sinne handeln werden, damit die deutsche Seelenverkänferei ihre Oomfttoire schließe nnd keine Waldgeschichten ans Brasil lien, wie jene am Mnenri, mehr erzählt zu werden brauchen. Zweiter Abschnitt. DieHrMnHuMmlMü mit AlazM und Sergijie. Aue-Lalle inan t, ^»old^VrastlisN, 1, 22 Erstes Kapitel. Abfahrt von Rio-de?Janeiro auf dem Dampflwot Cruzeiro do Sul, — Ein Tag in Vcchia, — Fahrt nach Maceio. — Nuige Stunden auf der Rhcde daselbst. — Fahrt nach Peruambino, ^ Ansicht der Stadt, — Olinde, Tanta-Barbara! Das ist keineswegs ein Nuf der Ungeduld oder gar irgendeiner Gewitterfurcht, obgleich in vielen Landen die heilige Barbara bei heftigem Gewitter angernfen wird mit so glänzendem Erfolg, daß bei weitem die Mehrzahl der Menschen nicht vom Blitz erschlagen wird, sondern es war bei mir am 7. April, morgens gegen 10 Uhr, ein Nuf der Ueberraschnng und Freude, als ich an Bord des Dampfpackets Cruzeiro do Sul kam, welches diesmal die Fahrt nach den Nordhäfen Brasiliens bis Para machen sollte. Ich hatte in den ersten Apriltagen das lebendige Vorgefühl, daß ich mich am 7. April wol zum letzten mal in Rio-dc-Janeiro einschiffte. Und wenn ich auch an jenem Tage endlich nach so vielen bittern Aergernissen, Zeitverlusten und höchst heftigen, wirklich alle Gesundheit zernagenden Erregun- 22* 340 ' gen meine Reise nach dem Norden Brasiliens fortsetzen konnte, so brachte er mir doch auch wieder einen derben Abschied von allem, was mir in Rio-de-Janeiro so theuer und lieb ist. Es dnrfte mich darum auch niemand begleiten, sondern allein fuhr ich längs der amerikanischen Kaiscrstadt zum Fort von Villegagnon hinaus, wo der Cruzeiro do Sul seiner Passagiere harrte unter Qualm und Schnauben, wie em großes Dampfschiff das immer thut, wenn es im Begriff ist durchzugehen! Santa - Barbara! Und mit wirklich herzlicher Freude drückte ich dem alten Bekannten und Gefährten in Seegang und Gefahr die Hand. Wieder der alte, wackere Santa-Barbara, derselbe Schiffseommandant, mit dem ich am 16. Febrnar 1858 auf der Imperatriz von Rio-de^Janeiro nach Nio-Orande gefahren war, er immer noch der heitere, unverdrossene Waräger, der bald schon ein halbes Jahrhundert Salzwasser in dcm grauen Haar triefen hatte. Damals, an jenem Februarmorgen, sah es freilich anders um nns aus. Gin uugeheuerer Seegang rollte hinein in die Bucht von Rio, fodaß es kaum möglich oder rathsam erschien, ihn mit der Imperatriz überwinden zu wollen, denn das Schiff war ein schauderhaft alter Kasten. Unser Cruzeiro dagegen war ein Dampfschiff erster Qualität, welches in seinen Raum-dimeustonen und seiner innern Ciurichtung nicht das Geringste zu wünschen übrig ließ, erst vor zwei Jahren gebaut, 2^0 Fuß auf dem Verdeck lang und in einer Stuude guten Seewetters N — l2 Knoten zurücklegend. Dazu gesellte sich das schönste Wetter, und noch einmal umgab mich das großartige Bild der Bucht Rio in seiner wundervollen Pracht. Mit vielen Passagieren, unter denen ich einige Bekannte aus den Südprovinzen traf, den Polizeichef von Destcrro in Sta.-Eathanna mit freundlicher Familie, den ehemaligen Präsidenten von Parana, Liberate de Mattos, den wir in Curi- .">41 tyba kennen gelernt haben, brauste nnser gutes Dampfschiff gegen N Uhr unter den Kanonen von Sta.-Crnz in den Ocean hinaus, und schnell sank hinter mir ein mir so wohl bekannter grauer Granitblock nach dem andern in die Flut hinab. Schon nach 4 Uhr nachmittags umschifften wir das Cap Frio; der nächste Morgen traf uns, ohne daß wir Land sahen, weit im Meere; schon nach lM Stunden Fahrt rollte unser Anker vor Bahia in den Grnnd hinnnter und nach wenigen Minuten konnten wir an das Land gehen. Der Sonntag liest die Stadt besonders still erscheinen. Wegen der Ankunft des Dampfboots von Nio aber hatten sich die meisten Handelsbureaur aufgethan, sodaß ich ohne Mühe einige Briefe und Sachen, die für mich nach Bahia geschickt waren während meines Aufenthalts am Mucuri, erhalten konnte. Gin Bcsnch beim freundlichen Präsidenten, Herrn Päes Barretto, war auch bald abgemacht. Viel complicirter War es dagegen, mich wieder in Besitz meiner Sachen zu setzen. Als ich im December meinen Ansflng nach Canavieiras und Caravellas anordnete, ließ ich, da ich ja in sechs Wochen wieder in Bahia eintreffen wollte, alle meine Sachen im kleinen Englischen Hotel zurück. Leider war die Zeit meiner pro-jeetirten Abwesenheit von sechs Wochen zu fast vier Monaten angewachsen, und meine guten einfachen Wirthslentc waren indeß fortgezogen aus dem Lokal, wo ich sie im December verlassen hatte. Lange konnte mir niemand sagen, wo sie Wären. Endlich fand ich sie in der fernen Nna das Mangnei-ras dicht bei der neuen Eisenbahn. Viel gewissenhafter als ich selbst gethan haben würde, hatten sie alles, ja sogar einzelne Steine und Früchte, die ich lose auf meinen Tisch gelegt hatte, mitgenommen und sorgsam aufgehoben, bis ich wiederkommen würde, obwol meine lange Abwesenheit ihnen schon lebhafte Sorge zn machen anfing. Da brachte ich denn außerhalb der Stadt einen stillen Tag zn, einen lieblichen Bahiatag unter 342 Palmen, Mangabäumen und Artoearpus, zwischen Poincio-nen, Bougainvillien und Poineettien. Nichts zog mich zm Victoria, der vornehmen, hinaus, nichts zu ihrcn in Reichthum lebenden Bewohnern. Es war mir in Vahia nicht gelungen, irgendeinen Menschen, ein Hans, einen Familienkreis kennen zn lernen, der mich, wie viele mir auch Güte und Zuvorkommenheit gezeigt hatten, lebhaft angezogen nnd weiter interessirt hätte, selbst unter den Deutschen nicht. Das liegt aber wol nur an dem Neisenden, dem man so gern den Tisch mit gnten Speisen und Weinen besetzt, einen Sitz gewährt aus elegantem Sofa oder Schankelstubl und ihm aromatischen Thee einschenkt, aber ihm sonst nicht viel anderes bietet, da er nicht zur Handelsklasse gehört. Doch denke ich deswegen immer mit Dankbarkeit und bleibender guter Gesinnung an meine bahianer Laudslrute znrück nnd wünsche ihnen allen möglichen Verdienst in Taback und Zucker. Auch in Bahia waren, so erzählte man mir im Englischen Hotel, einige Bewegungen mit Auswanderern gewesen. Man hatte zum Van der Eisenbahn eine Menge Sardinier kommen lassen. Nachdem sie nun angekommen waren, schien es, als ob man Verkürzungen in den ihnen versprochenen Bedingungen eintreten ließe. Die Italiener rotteten sich zusammen nnd zogen mit Knitteln bewaffnet zur Stadt, um dem sardinischen Viceconsul ihre Wünsche vorzutragen, der auch von ihren Beschwerden genane Notiz nahm und sich sür sie lebhaft verwandte. Und gewiß wird man auch von seiten der Regierung, soweit sie Einfluß auf die Sache hat, den Lenten zn ihrem Recht verhelfen. Aber wenn so an allen Ecken nnd Enden hei Privaten und Privatuntcrnehmnngen die mülii luie« auf-tancht, alle herbeigelockte Auswanderer crst dnrch Betrug und Winkelzüge hindurchgehen müssen, und ihnen erst nach Hader, Streit, Verklagungen Billigkeit und Recht zn Theil wird, da 343 steht allerdings der Europäer bestürzt still, oder wendet sich unwillig ab vom Schmuz jener Speeulanten und legt nach allen Kräften sein Veto ein gegen das Auswandern von En-ropa nach Brasilien. Am folgenden Morgen, den N. April, ging ich wieder an Bord des Cruzeiro, und verließ zum letzten mal die üppige Negerstadt mit all den wundervollen Reizen ihrer Lage und Vegetation. Gleich am Lenchtthunn bogen wir links um, und liefen östlich so dicht längs des Ufers, daß man jeden Menschen am Strande erkennen konnte. Oben am Ilfcr lag erst die Kirche da Graca, unten am nächsten Meeresrand wehten Palmen. Dann kam das liebliche Nio-Vermelho, mitten unter Kokos-bäumen gelegen, und bald noch einige kleine Etablissements, von denen aus ehemals Walfischfang getrieben ward. Zuletzt tauchte noch das Städtchen Itapoam am Meere auf. Ihm folgte bald eine endlose Sandwüste. Ganz an Rio-Grandes, der südlichen Provinz, unwirthliche Gestade erinnern einzelne Ilferdistricte in jenem Theile der Provinz von Bahia. Sand schwillt ans Sand vor den Blicken des dahinsegclnden Schiffers; ganze Berge reihen sich aneinander, ohne einen grünen Hintcrgrnnb zu zeigen. Bleich erscheint der Horizont über dem blcichgelben Sandchaos; keine Spur organischen Lebens ist zn erblicken auf der öden Erde. Desto lebhafter erschien uns das blaue, vom leichten Nord- , ostwind gekräuselte Meer. Wir sahen zahlreiche Briggs, Barken und kleinere -Seeschiffe umherschwärmen in verschiedenen Richtungen, je nachdem der Wind ihnen dieselben erlaubte und eigene Bestimmung sie leitete. Mitten zwischen diesen Schiffen vornehmerer Bedeutung treibt sich ein ganz seltsames Amphibinm anf der weiten Fläche umher, welches man nicht ohne Staunen und einige Sorge für die anf ihm schwimmenden Lente ansehen kann. 344 Nährend von Badia bis lief in den Süden, bis Rio-Grande und dessen innerste Flüsse hinein der ansgehöhlk Banmstamm, das Canot oder die Canoa das eigentliche Vehikel ist auf dem flüssigen Element, von der riesigen Canoa da Voga, dem Canot des hohen Meeres, von W Fnß Lange nnd 3 — 5 Fuß Durchmesser, bis zum kleinen, zum aller-kleiusten Kähnchcn, worin eben nur ein Mensch platt auf dem Boden sitzen kann, macht man sich von Bahia nördlich die Geschichte viel leichter. Dasselbe leichte Holz, womit wir am Mmuri die Flaschen verkorkten, dasselbe leichte Hol;, welches die graziösen Botocudinnen fokettirend in der Unterlippe trugen, eine Bombacce, ein Eriodendron, wird in Stämmen von etwa 1 Fuß Durchmesser, ihrer vier bis acht je nach Bedürfniß, zu einem Floß zusammengebunden. Diese federleichten und doch festen Stämme laufen vorn spitz zu. Auf ibuen steht auf dein vordern Drittheil ein kleiner Mast mit einem lateinischen Segel; hinten stud ein bis zwei kleine Bänke, ans denen die Besatzung sitzt; an einem aufgerichteten Stocke hängen einige Calebassen mit Trinkwasser nnd Nahrungsmitteln; ein breites Ruder zum Steilern bildet den Schwanz des sonderbaren Halobates. Keinen Zoll ragt solche „Iangada", solch ein „Eatimarao" ans dem Wasser heraus; vielmehr geht beim Tanzen des Flosses immer eine dünne Wasserschicbt über dasselbe hin. So hat man denn den wunderlichen Anblick, auf offenem Meer, ja weit m dasselbe hinaus, Segel ohne Schiff dahinfliegen und Angler ohne Boot anf dem Wasser stehen ;u sehen, bis sie sich in der allernächsten Nähe deo mit dem Schauspiel noch nicht vertrauten Betrachters befinden, wo er dann die Natur des seltsamen Amphibinms erkennen kann, Pfeilschnell schießt dieses Floß, oft kanm B. am Aeqnator, nach einigen tüchtigen Regengüssen leicht süßes Wasser anf dem Oeean finden kaun. Das eigenthümliche Phänomen interessirtc anch nnsern wackern, für alle maritimen Erscheinungen lebhaft empfänglichen Commandanten Santa-Barbara. Und da er zur genauern Kenntniß jener Küstenfahrt wenigstens eine Sondi-rung machen wollte, so ward der Dampfer einen Augenblick angehalten. Während das Grundloth eine Tiefe von 10 Faden gab, ward ein Eimer trüben Wassers aufgefüllt. Das Wasser war wirklich fast rein süß, und würde bestimmt ganz süß gewesen sein, wenn nnscr Erperimcnt nicht zu spät angestellt worden wäre. Denn kaum drei Klafter vor dem Schiff 348 kündigte wieder eine vollkommen scharfe Grenzlinie, Vic wir mit dcm Auge in nordöstlicher Richtung weithin verfolgen konnten, die Grenze des Flußwassers cin. Wieder durchschnitten wir eine Strecke klaren grünen Seewafscrs, bis wir wieder anf tiefblauem Oeean dahinfuhren, und mithin die volle Mündung des 2.-Francisco passirt hatten. Das evidente Ueberfluten von trüben Süßwasscrmafsen über eine schwerere, gleichsam solidere Salzwasserfläche, wenn sie von keinen lebhaften Winden bewegt wird, mag vielleicht im allgemeinen anf alle großen Strome anwendbar sein nnd manche etwas lebhafte Schilderung von ungeheuern Süß-wasscrmassen modisiciren, die solche Ströme dem Meere zu-wälzen. Allerdings können einzelne große Ströme ihre Süß-wassermafscn weit hinein in das Meer führen, unendlich viel weiter, als ihre Ufer vom Meer aus gesehen werden können. Doch sei man bedächtig in wcitern Schlußfolgen. Nicht die Entfernung vom Ufer allein, sondern wol noch genaner die Dicke solcher Süßwasserschicht muß gemessen werden, wenn man einigermaßen zn einem Resultat kommen will. Nnd vielleicht mag gerade solche Dicke der Schichten desto unbedeutender sein, je ferner vom Ufer in das Meer hinein sic getroffen werden. Kommen nun gar noch Meeresströmungen und Windstillen dazu, so mag man wol manchmal zn ungeheuern Resultaten gelangen können. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn bei anhaltenden Windstillen z. B. das Amazonen-stromwasscr und das des Orinoco als eine Süßwasserschicht auf der salzigeu des Meeres einmal bei den südlichen Antillen gemessen würde. Wir können Süßwasserergießungen an den Mündungen großer Flüsse wie flache Muldenbildungen ansehen auf dcm schweren Salzwasser. Und da nnn auch mitten im Meere Süßwasscrausdrüche, die ans dem Grunde hervorkommen, unbedingt wärmere Temperatur haben als die untern Wasser- 349 schichten und deswegen schnell an die Oberfläche gelangen, um sich als leichtere Schichten über die Salzftäche hinzuer-gießen, sowie vulkanische und plutonische Durchbrüche durch ruhende Schichten brnnnenartig hindurchdringen und ihre Pro-ductc anf der Oberstäche jener nach allen Seiten hin ans-gießen, so hat die Thalassographie noch die hübsche Aufgabe vor sich, uns diese Brunnen und Mnlden süßen Wassers in Profilansichten zu geben, wie das in sinniger Weise die Geologie mit dem starren Elemente bereits gethan hat und noch fortwährend thnt. Bald sahen wir die Barre, die Einfahrt zum Binnensee von Alagoas westlich vor uns, und nun tanchte auch im Norden die hübsche Stadt Maeeio, dicht am Strand des Meeres zum Theil an einem Abhang sich erhebend, zum Theil unter schönen Kokospalmen versteckt vor uns auf. Doch werden wir die Stadt bei einer andern Gelegenheit genauer kennen lernen, und ich darf hier nur der Rhede Orwähmmg thun. , Der Ankerplatz von Maeeio ist eigentlich nur ein offenes Ufer. Zwar läuft ein Riff vom östlichen Ursprung der Stadt in südöstlicher Richtung eine Strecke in das Meer hinein, und bildet, kaum irgeudwo aus dem Wasser hervorragend, sondern meistens an und unter der Oberfläche bleibend, einen deckenden Wall, dessen südliches Ende von einer rothen Tonne bezeichnet ist, Diese Tonne muß jedem nach Maeeio gehenden Schiffe östlich bleiben. So ist zwar eine Art von Bucht angedeutet, aber einen sichern Hafen bildet sie nimmermehr, und bei einigem Südwind ist sie sogar ein höchst gefährlicher Ankerplatz. Unser Dampfboot blieb fern vom Ufer liegeil und es ging keiner der Passagiere zum Besnch an das Land. Dagegen kamen ziemlich viele Menschen an Bord, um nach Pernam-bneo zn gehen. Das kleine dadurch entstehende Getümmel auf dem Schiff ward erst wieder ruhig, als nnser guter 350 Cruzeiro nach 7 Uhr wieder seine Anker lichtete, um die rothe Tonne herum in östlicher Richtung in die Mondscheinnacht hinaussteuerte und dann in nordöstlichem Cours seine Fahrt fortsehte. Es war die herrlichste Seenacht, die man nnr erleben konnte. Beim Morgengrauen sahen wir das Cap Agostinho (Augustin) in einiger Ferne hinter uns und Pernambuco tauchte aus dem Meere auf. Hell schien bald die in seltener Reinheit aus dem Oecan hervorgehende Sonne auf die fernen, blanken Häuser; scharf traten alle Umrisse von Thürmen, hohen Giebeln, Batterien und von Schiffen hervor. Prachtvoll endete das herrliche Uferbild im Norden mit dem hervorspringenden Olinde und dessen kühnen Kirchen und Jesuiten-gebäuden; allerdings schien eine Mcereskönigin, eine süd-amerikanischc, hervorzutauchen aus der Flut, ein Venedig, unbedingt ein Venedig, wenn Brasilien in irgendwelcher Beziehung Italien vergleichbar wäre. Immer näher kamen wir, immer genauer trat einzelnes hervor, immermehr gewann das Bild an Grosiartigkeit. Fast bis auf das Ufer schien unser Dampfer laufen zu wollen. Dicht davor aber wand er sich in scharfem Bogen nm den dort ganz frei auf dem Ende eines Felsendammes stehenden Leuchtthurm herum, uud lief ein in die wirklich wunderliche Lagune von Pernambuco. Freilich eine Lagune, eine wunderliche Lagune, diese von Peruambuco, eine Lagune vor der Stadt, eine schöne Doppellagunc mitten in der Stadt! Die Vrenta und Piave dieses südamcrikanischen Venedig find die Flüsse Beriberibe nnd Capibcribe, beide von keiner großen Bedeutung. Beide entspringen in den nördlichen West-districten der Provinz, laufen in ziemlicher Distanz parallel nebeneinander nach Osten unter .vielen Krümmungen und gelangen so in die unmittelbare Nahe des Meeres. An den Höhen von Olinde wird der Beriberibc südlich abgelenkt, 351 vom Süden kommt ihm dcr Capibenbe entgegen; beide bilden einen schönen Binnensee, in dessen Mitte eine ziemlich bedeutende Insel sich befindet. Diese landsceartige Ausdehnung der vereinten Flusse tritt nnn in das Meer, erleidet aber auch hier noch eine seltsame Ableitung. Weit vom Süden her läuft ein Felsendamm, ein Riff oder Recife, in drr Entfernung von 100 — 400 Klaftern, je nachdem das Ufer Sinuositäteu hat, schnurgerade und parallel mit dem Festlande vom Süden nach Norden durch das Meer und bildet so einen Hafen von der eigenthümlichsten Beschaffenheit, einen zweiten, aber großartigen Porto Seguro, an dessen nördlichem Ende eine vollkommen freie Ein- und Ausfahrt sich befindet, kaum 100 Klafter vom Sandufer des Festlandes entfernt. Dieser Fclsdamm, Pcrnambueos Lido, ist wenige Klafter breit und ragt bei dcr Ebbe mehrere Fuß aus dem Wasser hervor, scharf zugehauen von der Natur nach allen Seiten, als ob Menschenhände ihn mit Schnur und Winkelmaß durch das Meer längs der Küste hingezogen hätten. Bei voller Flut schlagen Brcchwellen über ihn hinweg ,md beunruhigen allerdings etwas den seltsamen Hafen, in welchem Schiffe bis 15 Fuß Tiefgang, uud gelegentlich noch mehr, mit großer Sicherheit einlaufen können. Am freien Nordende des Dammes, vor dem noch ein isolirter Block mit glattem Rücken wie eine Schildkröte bei niedrigem Wasserstande aus der Flut herausragt, die übelberüchtigte Tartaruga, steht ein Leuchtthurm, fast ein Eddistonelicht, und ein kleines, verfallendes Fort, für welches das auf dem Uferstreif des Festlandes zwischen dem Beriberibe und dem Meere liegmde Fort Brum als nächste Einfahrtsbatterie und Hafcnschlüssel fungirt. Auf dem südlichen Ende der zwischen diesem Hafen und dem Beriberibe hinlaufenden Landznngc, welche einer kleinen Hafoildung vollkommen entspricht, liegt nun das alte Per- 352 nambmo, oder die Stadt am Niff, t>l«K>i,, Fluß, Seitenstuß, versteckter Seitenfluß, wie wir das Wort noch häufig am Amazonenstrom wieder treffen werden, und >1!n,k, Arm ^ Pernambuco also ein Flußarm des Meeres, wie wir bei dem versteckten Binncnwasscr von Ilheos, diesem Flnßarm des Meeres ebeafalls einen Hügel, Pernambuco, gesehen haben. Die Insel mitten in der Lagune ist vom neuern Stadtlheil S.-Antonio eingenommen. Jenseit derselben liegi auf dem Festlande wiederum der Stadttheil Boa-Vista, sodaß Per-nambuco aus drei Hauptabtheilnngen besteht, Olinde natürlich nicht mit einbegriffen, denn das ist eine von Pernam-bueo ganz getrennte Stadt. Vom Stadtquartier Recife führen zwei Brücken nach S.Antonio und nur eine von S.-Antonio nach Boa-Vista, alle aus Holz gebaut und i')—, ^ 354 der Stadt Pernambmo, wie sic dcnn ja als östlichster Punkt Brasiliens am weitesten hinüberblickt nach Europa. Unter den zum Theil ansehnlichen öffentlichen Gebäuden ragen zahlreiche Kirchen überall herans; sogar Marmorbauten entdeckt man an ihnen, gerade wie in Bahia, wenn auch der Baustil sämmtlicher Kirchen, wie überall in Brasilien, ungefällig ist. Der Palast des Präsidenten auf S.-Antonio ist einfach und hübsch. Dicht bei ihm steht ein ganz ansehnliches Theater; beide liegen an einem großen Platze, der fast ringsher von der Lagnne nmftntet wird und mit der Zeit wunderschön werden kann, wenn man ihn sorgsam zu benutzen versteht. Vorläufig weiden einige Wiederkäuer friedlich auf dem schönen Forum und fressen die hübscheu Rnbiaeeen, Malven und Leguminoscn ab, die dort harmlos wachsen. Wenn nun auch in Pernambueo nach allen Seiten gethan, geschafft, gebaut an allen Ecken und Enden und nach Fortschritt, nach Vollendung gestrebt wird, soviel Umstände, Raum, Zeit und Geldmittel das erlauben, so hat docl) die Stadt auch ihre schwachen Seiten. Eine der schwächsten ist offenbar das Straßenpflaster. Viele Straßen und selbst breite, vornehme Straßen sind gar nicht gepflastert und bil-dcn Moräste, au denen man zwar längs der Trottoirs nut einiger Vorsicht hingehen kann, nicht aber ohne von trabenden Pferden und rollenden Nagen eingespritzt zu werden. Diese Schmuzgassen geben einen schrecklichen Gestank, der an den Kais, zumal zur Zeit der Ebbe, noch viel schlimmer ist. Au eine Reinlichkcitspolizci scheint nirgends gedacht zu werden; überall sieht man Sudelei, oft in einem ganz unerträglichen Grade. Dazu kommt noch abends spät das beliebte Ansgießen- aus dem Fenster. Fliegt solch ein Ausguß vom dritten oder vierten Stockwerk aus dem Fenster, so ist die Nirfung des weit umherspn'tzcnden Projeetils wirklich entsetzlich. 355 All diesem Stadtungemach hat die vornehme Welt sich zu entziehen gewußt, indem sie auf dem Lande wohnt. Die Umgegend von Pernambneo ist stach, sodaß der Anlage von Garten reichlich Naum gegeben ist. Besondere nach Nordwesten hin hat sich die Anlage von Gärten und Garten-wohnnngcn weit hingezogen, und nichts ist lieblicher, als in diesen Gartcnrevieren von Pernambneo umherzustreifen. Unter mächtig hohen Kokospalmen blüht die farbenglühende Schar der schon oft genannten Bougainvillien, Poinccttien, Poin-cionrn, Iroren n. s. w.; überall dnftcn Alpinien, Hedychien, Gardenien und Plumicrien und wirklich alles, was in Farben weithin strahlt und Wohlgernch auszuhauchen im Stande ist. Und zwischen all der Pracht von Bäumen, von Palmen, Mangiferen, Spondieu, Artoearpeu liegen hübsche, zum Theil prächtige Landwohnungen umher, in deren innerer Einrichtung europäischer Lurus herrscht, modificirt von den Nothwendigkeiten eines heißen Klimas. Und wenn nun zwischen dieser Oartenpracht, zwischen diesen reizenden Landwohuungen ein stiller Fluß sich dahinzieht und im verdoppelnden Spiegelbild das liebliche Schauspiel noch einmal blicken läßt, wie man das au der Magdaleneubrücke des (5apiberibc finden kann, so ist die ganze Natursceuerie ein lieblicher Anblick. Auch weht ein fast ununterbrochener Luftstrom über Per-nambueo und seine Umgegend hin, wodurch mehr als in Bahia Kühlung, Labung und Erqnickung ansgegosseu wird über alles organische Leben. Meistens ist dieser Wind ein Seewind aus Norbost oder Südost, dessen regelmäßiger Lauf mir morgens in der Frühe von einigem Landwinde uutcr-brochen wird. So können wir uns kaum verhehlen, daß Pernambuco, wenn ihm auch die fclshohe, schroffe Verguatnr von Nio-de-Ianeiro abgeht und mauche prachtvolle Fernsicht von der Vietoria in Bahia versagt ist, dennoch ein wundervoller, von 23* 356 der Natur reich gesegneter Punkt ist, in dem es gewiß nnr an den Menschen liegt, wenn sie sich denselben nicht znm angenehmsten Aufenthalt herauszubilden verstehen. Das wenigstens war der Eindruck, den mir Pernambuco in-den ersten Tagen meines Aufenthalts daselbst machte, ein Gindruck, der mir ein bleibender sein wird; denn er ging hervor aus der unwandelbaren Schönheit der Natur. Rein blau war der Himmel; in allen Tinten von Grün und Blau spielte die Farbe des herrlichen Oeeans; ruhig strich der Nordostpassat darüber hin und verlor sich im Lande zwischen der herrlichen Vegetation, welche überallhiu Duft uud Farben ausgoß. Iu Pernambueo trat mir lebendiger als wol sonstwo vor die Seele jener tiefe Sehnsucht athmeude Gesang: „Kennst du das Land, wo die Citronen blühn?" Einen ganz verschiedenen Eindruck machte mir die Stadt Olinde. Olinde, an und auf einem Hügel gelegen, einst die Königin nnd Herrscherin der Meere, eine kostbare Perle, um welche Holland nnd Portugal blutige Kämpfe geführt haben, dann der Sitz katholischer Priestcrweisheit und noch später juristischer Gelehrsamkeit, Olinde, was noch weit hinaus-praugt in die See mit Klöstern und Kirchen, ist ein Kirchhof geworden! Seine Häuser fallen ein, seine Kirchen stehen 'leer, seine juristische Schule ist nach Pernambueo verlegt worden; in seinen Straften wächst Gras, weiden die Pferde. Ich besuchte Olinde am 18. April. Ein lauger Damm uut einigen Brücken führt vom Stadtviertel Boa^Vista in schnurgerader Richtung durch die Iuugleniedcruugcn des Beriberibe, zwischen welchen die fcstern Stellen zierlich mit Häusern besetzt sind. Dort am Wege liegt auch ein hübsches englisches Hospital und zuletzt noch ein englischer Kirchhof mit einer sanbern Kapelle, wie die Engländer denn auch ihre eigene Kirche auf dem schönen Kai der Boa-Vista be-sitzcn. ^57 Gerade beschien die untergehende Sonne mit scharfen Lichtern den grünen, von Hänsern nbersäeten nnd mit Kirchen gekrönten Hügel von Olinde nnd gab der alten Stadt ein wehmüthig freundliches Ansehen. Ans der See dämmerte der Abend, aber dennoch übersah ich vom bervorspringendsten Pnnkte des Hügels ein wuudervolles Panorama. Im tiefsten Südcn lag das Cap S.-Agostinho in leichtem, blauem Dnft. Pernambuco aber mit seinem sichern Hafen hinter schäumenden Brandungen, mit seinem Binnensee, mit seinen im Wasser liegenden Häusern und seiner prachtvollen Landschaft glänzte blendend auf im Abendsonuenstrahle. Olinde sah aus wie eine entthronte Fürstin neben der königlichen Herrscherin hinter dem Recife und in den Lagunen, Anßer allen ihren Natnrreizen ist die Etadt Pernambueo, wie ich schon andeutete, ein höchst bedeutender Handelsplatz. Die Provinz Pernambneo hat, wenn ihr Areal auf der Karte auch nicht so bedeutend erscheint wie das mancher anderer Provinzen, dennoch eine Einwohnerschaft von fast einer Million Menschen. In ihrer numerischen Bedeutung ist sie die dritte Provinz des Kaiserthums; nnr Minas und Bahia gehen ibr voran. Vor Minas hat sie die schöne Communication mit dem Meere voraus, vor Bahia eine mntbigcre, elastischere, energischere Natur der Einwohner, vor Rio de-Ianeiro die grösiere Nähe zur Alten Welt. Alle diese Vorzüge und Eigenthümlichkeiten wissen die Pcrnambneaner in hohem Maße geltend zn machen. Bei der Regsamkeit des kecken Volks, welches schon mehr als einmal einem gewissen Politischen Schlendrian der brasilianischen Staatsmarime mit den Waffen in der Hand sich widersetzte, ist die Production der Landschaft an Baumwolle, Taback nnd Zucker ganz bedeutend, bei der Wohlhabenheit der Bewohner der Import europäischer Fabrikate außerordentlich groß. Von allen Nationen gehen die Flaggen ans nnd ein, besonders reißen sich 358 England, Frankreich nnd die Vereinigten Staaten von Nordamerika in eifriger Eoncnrrenz um den Haupthandel von Pernambnco, obwol anch dentscher Handel ziemlich lebhaft ist. Von allen brasilianischen Hafenstädten ist Pernambuco am schnellsten zn erreichen. Durch eine eigene Kette von Strömungs - nnd Windesverhältnissen ist Pcrnambneo zwischen seinen beiden, am meisten nach Osten vorspringenden Nachbarhügeln, Olinde nnd S.-Angnstin, ein kaum zn vermeidender Ort geworren. Alles, was ans dem nördlichen Alantischen Oeean nach Brasilien, nm das Cap Hoorn oder das Vorgebirge der guten Hoffnung nach Ostindien, China, Nenholland nnd Californien will, muß in einiger Nähe von Pernambnco vorbcisegeln und kommt selbst in Sicht vom Cap Angustin. So glücklich sind dazu die Windverhältnisse zn einer Reise von Enropa nach Pernambuco, daß schon Schiffe von Liverpool in 18—20 Tagen von diesem wichtigen Hafcn nach dem Reeife gelangt sind. Die Bedingungen zur Rückreise nach Europa sind ebenso günstig; es sind einzelne Schiffe in 25 Tagen von Pernambueo uach dem Kanal gesegelt. Der erste Hafen, den die große südamcrikanische Dampfschifffahrtslinie berührt, ist Pernambuco; der leyte Punkt, den sie mit ihren heimkehrenden Dampfschiffen anläuft, ist wieder Pernambuco. Ebenso ist die Stadt ein Hauptpunkt für die von Rio-de-Janeiro ansgehende große Dampfschiffahrt bis Para. Zwei Tage muß jedes Dampfboot dieser wichligen Küstenlinic dort anhalten. Auch schickt Pernambuco zweimal im Monat ein kleineres Dampfboot nach Süden bis Maceio, nnd nach Norden um das Cap Roqur herum bis Maranh^o mit Anlanfnng der kleinern Küstenhäfen. Bci der Lebendigkeit dieses Dampfschiffvcrkehrs nach Norden und Süden, dem schnellen Verkehr und dem innigen Zusammenhange Pernambmos mit Europa ist diese gewaltige Handelsstadt recht eigentlich, der Schwerpunkt fnr den 359 ganzen Norden von Brasilien geworden. Alle Bewegung, aller Handel vom Flusse S.-Francisco an bezieht sich auf Pernambuco, alle Handelsplätze von dort an, Maceio, Rio-Grande do Norte, Parahyba do Norte, Ceara, Maranhäo sind alle mehr oder minder Handelssiliale von Pcrnambuco. Selbst Para, was als wichtiges Emporium deS ungeheuern Amazonengebiets nnd der fernen Districte einzelner Republiken spanischer Abkunft so bedeutend ist und so unabhängig und selbständig erscheint, kann sich doch nicht von der Souveräne-tät Pernambucos ganz frei macheu. Pernambuco schickt ihm die neuesten europäischen Nachrichten, Pernambuco befördert die Correspondenzen von Para nach England, Pernambneo ist bei tansend Gelegenheiten der letzte Recnrs für den Handel am Amazonenstrome, und die Kaufleute aus dem so fernen Moyabamba in Pern gehen anf ihrem lcmgen Zuge vom fernen Westen über Para nach Pernambuco, weun sie ihre Hüte von Bombanassa gut und sicher verkaufen und sich mit gewählten europäischen Produtten zur Rückreise versehen wollen. Das ist ein Handelseinstnß, dessen sich Bahia durchaus nicht rühmen kann, ein Einfluß, wie er nur von Rio anf die Südprovinzen ausgeübt werden kann und ausgeübt wird. Und immer weiter sucht Pernambnco seinen Einfluß ans-zudehnen. Als Bahia den Entschluß faßte, sich mit einer Eisenbahn an den Rio-de-S.-Francisco beim Ioazeiro anzn-kuüpsen und so diese mächtige Lebensader der Provinz Minas mittels flüchtiger Locomotiven bis nach der Allerhciligenbai Pulsiren zu machen, traten die Pernambucaner, obwol geographisch viel weiter entfernt vom Handrlsknotcnpnnkt Ioazeiro, keck mit gleichem Bewerben auf nud projectirten unverdrossen eine Eisenbahn nach dem genannten Handelsplatz am Rio-Ve-S.-Francisco durch das Ländergebiet anf dem linken Ufer des Flusses. 360 Und das Schicksal hilft sichtlich dem unternehmenden Volke von Pernambuco. Während in Bahia zwar an der Eisenbahn gebaut wird, so liegt sie doch immer nur noch in ocn ersten Anfängen da nnd kann noch immer nicht in der kleinsten Ausdehnung benutzt werden. Vom Bahnhof in Pernambmo aber läuft schon die Locomotive 7—8 Meilen durch das Land, und glaube ich, daß die Nordbahn des S,-Francisco, die von Peruambnco, eher den Play Ioazeno erreicht als die Südbahn, die von Bahia, wenn letztere auch bedeutend kürzer ist. Diese Keckheit, diese Thätigkeit, vielleicht noch ein Erb-tbeil ans guter holländischer Zeit, womit die Pernambucaner sich zu Lande und zu Wasser geltend inachen und immer weiter ausdehnen, macht sie mm auch etwas übermüthig der Eentralregierung von Nio-de-Janeiro gegenüber; und in Nio-de-Ianeiro weiß man sehr gut, welche gefährliche Stelle Pcrnambnco ist. Mau sucht die Provinz anf alle Weise zufrieden zn stellen, schickt ihr einen Präsidenten nach dein andern, achtet ihre Häupter und Vornehmen ganz besonders hoch und — wird es doch noch einmal erleben, daß sich die Provinz im wilden RevolutionFtumult der Eentralregierung widersetzt und ihr Geschick von dem der Hauptstadt trennt. Gerade die ängstliche Sorge um die Erhaltung der Provinz mag es sein, warum die Provinz sich einmal emancipirt. Ich kann und will es nicht beurtheilen, ob das ewige Wechseln der Provinzialpräsidenten zur Erstarkung der Provinzen dient oder zu ihrer Schwächung. In einem wohlgeordneten Staate aber ist solch ewiges Wechseln mindestens lächerlich. Oder ist es nicht lächerlich, daß mir der Marquis von Olinde als Ministerpräsident im November l^5^ eineil Brief au den damaligen Präsidenten von Pcrnambnco, Herrn Taqnes, gab, daß im December Manocl Felizardo Präsident war, dann im Februar Earaiva zum Präsidenten erwählt ward, und 3tt1 ich im Mai einem Vicepräsidcntcn, dem Baron von Cama-ragibe meine Aufwartung machen mußte? Wer nachher ordentlicher Präsident geworden ist, weiß ich nicht. Das aber ist gewiß, daß vom November 1858 bis Juni 1859, also in etwa sechs Monaten, Pernambuco fünf bis sechs Präsidenten gebabt hat. Daß aus solchem Wechseln keine vernünftige Administration hcrvorwachsen kann, ist jedem einleuchtend, von den bedeutenden Geldopfrrn gar nicht zn reden, die solch Wechseln mit sich führt. Das schien nun auch den Pernambucanern, als ich in Pernambuco war und die Aeußerungen mancher verständiger und nicht ohne Besorgniß lebender Männer hörte, vollkommen einleuchtend zu sein. Nnd doch ist auch das allgemeine Ueberzeugung, daß eine krampfhafte Wendung der Dinge, ein aufrührerisches Verfahren, um eine bessere Zukunft herbeizuführen, eiu höchst zweideutiges Verfahren sein würbe. So geht denn der Rückschritt auch in Pernambuco, wie iu ganz Brasilien, seinen Gang weiter. Es fehlt mehr und mehr an arbeitenden Kräften. Man versteht es nicht, sie mit Geschick heranzuleiten, mau weiß sie nicht anständig zu behandeln, man will sie nicht ebenbürtig sein lassen. Gerade so wie man in manchen südlichern Gegenden Brasiliens das deutsche Mnwandenmgselement zum Dienst großer Grundbesitzer verwenden möchte, gerade so sncht man in Pernambuco das portugiesische Cinwanderungselement zu knechten und zu unter-jocheu. Und da das nicht gelingt, so haßt man es vorläufig recht gründlich und verfolgt es ganz unverkennbar; ja mehr als einmal mag es schon im Sinne gewisser Volksschichten gelegen haben, die fleißigen, wenn auch etwas plumpen Portugiesen — Gallegos nnd Ilheos —, die man spottend mit dem Namen „Bleifüßc" (i'i--Francisco. — Fahrt uach Päo de Assucar. — Ritt durch dcii Sertao nach den Fällen vou Paulo Alfonso. — Rückkehr nach Penedo. — Piassabncn. ^vlein erster Aufenthalt in Pernambuco konnte nur kurz sein, da ich mit einiger Bestimmtheit wußte, es würde mir am Ende meiner ga^en Reise vergönnt sein, mich noch einige Zeit daselbst verweilen zu dürfen, bis ich mich nach Europa einschiffte. Ich wollte die selbst noch im April schöne Jahreszeit bennyen, nni meine Ercnrswn zum Nio-de-S.-Francisco auszuführen, dessen Vesnch von vielen Witteruugslauneu abhängt und sehr häufig gar nicht gelingt, wenn man einen ungünstigen Wasscrstand antrifft. Ich hatte mir vorgenommen, die Reise nach der südlich von Pernambueo gelegenen Stadt Maccio zu Laude zu machen und von dort durch die kleine Provinz Alagoas zu reiten nach Penedo am S.-Francisco. Znm möglichst gnten Gelingen dieser Ercursion hatte mich der Staatscath Saraiva, ' 364 damals Präsident von Pernambneo, dcsscn Frenndlichkeit uud Znvorkommenheit ich mit lebhaftem Danke anzuerkennen alle Ursache hatt?, mit zweckmäßigen Geleitsbriefen an verschiedene Personen von Ansehen nnd Ginflnß ansgestattet, sovaß ich meinen Anfbrnch nach Maceio schon aus den l9. April festsetzen konnte. Den ersten Neiseabschnitt wollte ich mit der Eisenbahn machen und zugleich die dort in Angriff genommenen Arbeiten besichtigen, wobei sich mir ein dort angestellter Vremcr znm freundlichen Führer angeboten hatte. Statt des bis dal)in schönen Wetters geiselte aber am 1!). April ein wilder Regenschauer nach dem andern Land und Meer. An ein Abreisen war den Tag nicht zn denken; als es volle 24 Stnnden fortfuhr, ans allen Schleusen des Himmels zn gießen, gab man mir die Versicherung, daß ich jetzt fürs ^rste gar nicht daran denken könnte, den Landweg von Pcrnambueo einschlagen zn wollen, da er nnr bei nnd nach anhaltend gntcm Wetter reitbar wäre. lind ich mußte solcheu Versicherungen schon glanben. Brasilianische Landstraßen znr Zeit anhaltenden Regeus gibt es nnn einmal nicht. Wie sollte ich jetzt cine bennybare Straße erwarten zwischen zwei Küstenpnnkten, die in so leichtem Seeverkehr mittels Segelschiffen uud Dampfbootrn standen? Und wenn ich anch wirklich mit Aufopferung von Zeit uud Gesundheit mich durchschlagen wollte dnrch alle Even-tnalitäten eines bodenlosen Wegs, was hatte ich von der mühevollen und gefahrvollen Arbeit? Necht wie ein l^'u« ox mi»<'l,ml> kam mir da, als ich am 1'). April nachmittags ziemlich ärgerlich aus dem Fenster meines unmittelbar am Hafen liegenden Hotels in den grancn Wassertnmnlt ans der offenen See hineinschante, das große Damvfpacket Oyaftock anf seiner Heimreise von Para nach Nio ans dem Oeean herangebranst. Meine Landreisc war mir zn Wasser geworden, und zn Wasser konnte ich mit der 365 größten Leichtigkeit mich Maceio kommen. Ich schlug mich zu dcu Passagieren dcs Oyapock und begab mich um 5> Uhr nachmittags dcs 20. April an Berd. Ich hatte Ursache, das Packetschiff, wie viel Räumlich' keiten es auch als genaueste Copie des schönen Cruzeiro do Sul hatte, mit Passagieren überfüllt zu fürchten. Es war nämlich das Schiff, welches sämmtliche Senatoren und De-putirte, wenn sie anders zur Eröffnung der legislativen Kammern in Rio-de-Janeiro sein wollten, von sieben oder acht Nordprovinzen in seinem Bauche mit sich führen mußte. Und diese Herren reisen meistens mit einem ganzen Hansstande. Doch warcn nur wenige von diesen Solonen gekommen, und wirklich konnten die Kammern am 2. Mai in Rio nicht eröffnet werden, eine ganz nnerhörte Thatsache, die indeß dem Kaiserreiche nicht den geringsten Schaden gethan hat, Bei einbrechender Dämmerung zog unser stattlicher Oya-pock aus dem Hafen von Pernambneo hinaus, und eine mäßig wogende See trug uns während der Nacht südlich, sodaß wir schon am folgenden Tage (21. April) bei gntcr Zeit vor Maceio Anker werfen komttcn. Der Rio-de^S.-Francisco wird von dein Punkte an, wo er in jähem St«rz aus den Provinzen von Vahia und Pernambueo heraustritt, bis zu seinem Ausströmen in das Meer von zwei kleinen Provinzen eingefaßt, welche, wie klein sie auch immer auf der Landkarte des ungeheuern Kaiserreichs erscheinen mögen, dennoch bedeutende agrieole und mereantilische Wichtigkeit haben und gewiß gern von jedem Reisenden berührt werden. Es sind die Provinzen von Alagoas und Sergipe. Beide sind nach ihn'n Hanptvichtnngen leicht zugänglich. Der Nio-de-S.-Francisco ist zwischen beiden Provinzen schiff-bar; beide Landesthcile besitzen mehrere kleine Hafenplätzc am Uftr des Flusses. Die Dampfschiffe von Rio besuchen auch Maeeio auf ihren regelmäßigen Fahrten. Dazn kommt 3tt6 noch cine kleinere Dampfschiffahrtslinie zwischen Prrnambueo und Maceio, welche einige kleine Zwischenpnnkte berührt; und cine andere von Bahia ansgehende, welche einzelne Punkte der Provinz Sergipe, namentlich deren Hauptstadt Araeaju am Rio-de-Cotinguiba, besucht, den S.-Franeiseo-ftuß hinaufgeht bis nach Penedo nnd von dort bis Maceio läuft, von wo dann dic Schiffe in derselben Weise wieder nach Bahia zurückkehren. So hat die Stadt Maeeio in drei verschiedenen Dampft schifflinicn einen recht lebhaften Verkehr und würde auch, da die Stadt, als Hauptstadt einer Provinz die vollste Handelsberechtigung hat nnd direete Beziehungen mit dem Auslande unterhalten darf, am Welthandel den lebhaftesten Antheil nehmen, wenn nicht ein bedeutendes Hinderniß an solcher Handelsentwickelung in dem schlechten Hafen läge. Daß Maeeio eigentlich gar keinen Hafen hat, habe ich schon angeführt. Die vor der Stadt ankernden Schiffe sind jeglichen Stürmen von Osten und Südcn und von lrtzter Himmelsgegend her noch der rollenden See ausgesetzt, wozn noch das hinzukommt, daß kein Schiff beim Löschen nnd Laden bis in die Nähe des Ufers, bis zu einer Landnngs-brücke gelangen kann. Glücklicherweise befindet sich Maceio in einer Zone, welche von Stürmen selten heimgesncht wird. Aber schon mäßige Bewegungen vom Meere nnd Winde werfen die Schiffe bedeutend auf nnd nieder; ruhig und sicher liegt kanm je eins vor seinen Ankern. Maeeio macht, vom Meere aus gesehen, einen, wenn auch nicht großartigen, aber dennoch hübschen, freundlichen Eindruck. Alles sieht neu aus, alles jung und ordentlich gehalten. Schon von weitem her erblickt man die ganz neue Hanptkirche, ein großes, neues Ständehans, einen Palast des Präsidenten, — alles auf halber Höhe liegend, während nach Osten hin sich ein Häuserstreif, eine Art von Vorstadt, dicht 367 am Strande ausdehnt und unter dem Namcn Iaragua ganz besouders am Seehandel theilnimmt. Außerdem besitzt die Stadt ein Zuchthaus, eine Kaserne, einen neuen Kirchhof und einen stattlichen, nördlich über der Kirche auf der dortigen Höhe stehenden Leuchtthurm. Von diesem Leuchtthurm aus genießt mau eine prachtvolle Aussicht über Stadt, Laud und Meer. Leicht eutdeckt man, daß Maeeio auf eiucr Art von Halbinsel liegt. Im Südwcstcn der Stadt dehnt sich gegen Nordwcstcn bin eine schöne, mehrere Meilen lange Lagoa weit in da-s Land hinein, deren Zusammenhang mit dem offenen Meere, etwa eine Meile südlich von Maecio, durch flache und ziemlich sumpfige Inseln versteckt ist. Die Niederung östlich von der Leucht-thurmshöhe ist ebenfalls sumpfig und sandig. Zahllose Kokospalmen bedecken die weite Fläche, in welcher an ganz festen Stellen sich höchst malerisch zerstreut Menschenwohnungen aller Art befinden. Auch macht der Anblick der offenen Nhede mit ihren auf- und absteigeudeu Schiffen cineu gauz guten Eindruck. Die Aussicht auf die Stadt wird noch schöner, wenn man eine kleine Meile längs der breiten Lagune nach Nordwesten hin reitet. Man kommt dort bald zum klciuen Oert-chen Bebedouro, überschreitet den dortigen kleinen überbrückten Fluß und gelangt auf ziemlich steilem Wege auf die Höhe. Tief unten im Grunde dehnt sich dort die Lagune aus, nach dem Meere hinwärts mit kleinen Inseln und Wasserstraßen geziert, — nördlich von diesen die hübsche Stadt, an vielen Stellen hoch überragt von schlanken Kokospalmen, — uud in fernem Hintergründe vor allem das schimmernde Meer, welches in ewigem Hinrollrn über den weißen Nfersand schneefarbige Brandungen bildet. Gin einfaches Bild eines Seegestades aus der Tropeugegend ist es, aber gewiß ein in hohem Grade anziehendes. 368 Nud so ist nur denn auch die Stadt Maceio bei meinem ersten Betreten derselben, noch viel mehr aber bei meinem spätern Vesnche frisch, frenudlich und angenehm vorgekommen. Fast ununterbrochen weht der Seewind vom Gestade hinauf zur Stadt; ununterbrochen rauschen Palmen und Meeres-brandnngcn ineinander, und selbst das launige Wetter, welches bald dicke Regenwolken heranjagte, bald den schönen Tropenhimmel vollkommen rein fegte, brachte immer neues Leben in die bewegte Scenerie. Wie frenndlich ich nnn auch gleich bei meiner Landung in Maeeio am 2l. April empfangen ward, so glaubte ich doch jeden Augenblick klaren Wetters in der sehr schwankend gewordenen Jahreszeit benntzcn zu müssen, um meinen beabsichtigten Ausflug nach dem Nio-de-S.-Francisco auszuführen. Noch an demselben Tage meiner Ankunft schiffte ich mich schon wieder ein. Es war aber nicht der stolze Dampfer Oyapock mit seiner kräftigen Maschine, der mich aufnahm, — nicht das offene Meer, auf welches ich hinausstrebte. Vielmehr bestieg ich ans der Vinnenscite der Stadt ein ganz kleines Canot; ein einziger alter Neger war meine Besatzung. Ein kleines Ende schob der Alte, dessen weißes Haar seltsam mit dem schwarzen Gesicht contrastirte, meine Fregatte in einem kleinen Flnßarme abwärts, bis wir zur Lagune kamen. Dann breitete er sein Segel aus, und unser kleines Fahrzeug, eben nur ein ausgehöhlter Baumstamm, eilte schnellen Lauss dahin längs der schönen Lagoa von Maeeio, die sich zwischen mäßig hohen, oben ganz gleichmäßig flachen Hügeln nach Nordwesten hin ausdehnte und einen lieblichen Anblick gewährte. Wir blieben auf dem südlichen Ende des salzigen Binnen-sees, wo einige Inseln mit vielfach gewundenen Wasserver-binduugeu die Lagune vom Meere trennen und dennoch einen Zusammenhang mit demselben zulassen. Ich sah auf meiner 369 Canotfahrt das offene Meer nicht, hörte es aber deutlich rauschen und konnte in nicht angenehmer Weise seine Nachbarschaft fühlen, indem mein kleines Fahrzeug, als ich quer an der Hauptverbindung der Lagune mit dem Oceau vorbeisegelte, ungebührlich zu tanzen anfing und einiges Spritzwasser anfnahm, wozu im engen Nachen eben kein überflüssiger Platz war. Doch gewann ich bald das andere lifer, an dessen Höhe eine kleine, weiße Kirche glänzt, Nossa Senhora doö Nemedios, welche man so gar weit hinaus in See erblickt, ,,lm,nn imi«. ^ !>> inu'^o ini!^l'05i>", wie mein alter Fährmann das dortige Muttergottesbild nannte, ein ,,sehr wunderthätiges Muttergottesbild". Dabei rückte er andächtig seine Mütze und erzählte mir eiue lange Schiffbruchsgeschichte gerade an der Varre der Lagune, wie da die mit der Todesgefahr ringenden Seeleute >'«58c» senliun, 5, „die Seen", denn allerdings sind die beiden tief in das Land eindringenden Binnenwasser charakteristisch genug für die kleine Provinz. Am Ufer' war es wüst nnd leer. Ick stieg die Straße hinauf zur obern Stadt. Zahlreiche Menschenscharen zogen hier noch nmher, um die Kirchen zn besehen, denn es war der Donnerstag der Stillen Woche. Das ist nämlich ein strenger Brauch durch ganz Brasilien, daß am Vorabend des Eharfreitags die sämmtliche Damenwelt in schwarzen seidenen Kleidern von sekr weltlichem Zuschnitte, znmal in den großen Städten, von einer Kirche zur andern geht und zu allen Heiligen betet. Ein wie tiefer Ernst anch im Grnndgedanken solches Kirchenbesn-chens liegen mag, so ist doch dadurch eine Profanation der stillen, heiligen Woche entstanden, die mir im eigentlichsten Sinne des Worts eine heidnische genannt werden zu müssen scheint, eine jener Lügen in blendender Form, welche die fackolische Kirche in ganz Vrajitien so gern aufführt. Beim frcnndlichen .l^i/ miim^ml, an den ich einen kleineu Brief hatte, fand ich ein Unterkommen und besah mir am folgenden Morgen ganz früh den Ort. Wie reizend auch die Lage der Stadt Alagoas nnr immer sein mag, wie lieblich anch von den obern Straßen die 371 Aussicht auf die Lagune, die an Ausdehnung den Biuueusee von Maccio noch übertrifft, und auf die ganze Umgegend ist, dennoch ist Alagoas ein recht jammervolles Nest. Alles ist verfallen, lotterig und erbärmlich. Kanm eine Straße mag man noch als eine wirkliche, anständige anerkennen; kaum einige hübsche, ordentliche, sauber gehaltene Häuser erblickt man. Eine Menge von Wohnungen steht leer; viele von ihnen drohen dcn Einstnrz, gar manche sind bereits eingestürzt. Das Vieh weidet zwischen den Trümmern und auf den Gassen. Alles scheint der vollständigsten Auflösnng entgegenzugehen. Und so ist es wirklich nach dem unbefangenen Urtheile meines freundlichen Municipalrichters. Wirklich zerfällt alles, wirklich hört alles auf. Früher lebte die Stadt davon, daß die Hauptbehörden der Provinz nnd der ganze Administra-tionstrcnn in Alagoas residirten und immer einigen Umschwung im Handel und Wandel hervorriefen. Seitdem aber Maceio der Vorort der Provinz geworden ist und alle die-jenigen, die ihre Besoldung früher iu Alagoas verzehrten, dorllml übersiedeln mnßten, ist Alagoas total ruinitt. Alle gut erzogenen Familien, denen das möglich war, zogen ebenfalls nach Maeeio oder auf ihre umliegenden Landgüter hinaus, nnd kaum etwas Besseres als die untern Volksschichten blieben im Orte zurück. Das Schlimmste von allem ist, daß bei der allgemeinen Cutmuthignng niemand arbeiten mag und zu arbeiten versteht, souderu alles sich dem Müßiggange und der Liederlichkeit hingibt. So wenigstens urtheilte mein juristischer Freund über die Einwohnerschaft von Alagoas, und der Anschein widersprach keineswegs semer Aussage. Am Morgen des Charfreitags zog die ganze Einwohnerschaft der Stadt uud der Umgegend zur Kirche, in detvn Nahe ich meine Wohnnng hatte. Sämmtliche Leute waren 24 ^ 372 ganz gut angezogen, und der lauge Zug von Kirchengängern machte wirklich einen recht hübschen Eindruck, Nur muß man keine ^lu'um^u,.' ^ümlillculic, in der der Municipalrichter ungemein bewandert war, zn hören bekommen beim Anblick aller Frauen und Mädchen, die in schwarzen Kleidern mit langen, vom Kopfe hernntcrhängenden Schleiern vorbeizogen und sich ganz gut darin auSnahmm. Nein weiße Franen bemerkte ich nnr vier oder fünf. Und in der vorbeiziehenden Menge mochte kanm eine einzige sein, die nnr einigermaßen sich zur guten Gesellschaft hätte zählen können. Da mm außer der allgemeinen und vollständigsten Misere des Orts absolut nichts in Alagoas zn sehen war und ich trotz aller Mühen meines Mnnicipalrichters nicht die geringste Aussicht hatte, dort eiuen Mann mit Pferden zn meiner Weiterreise nach Penedo miethen zn können, so stieg ich, um den angesehensten Mann der ganzen Provinz anfznsuchen und mit seiner Hülfe einen sichern Weg des Fortkommens einzuschlagen, nm 1 Uhr mittags wieder in ein Canot nnd segelte unter scharfem Südostwind in fliegender Fahrt die Lagnnc von Alagoas hinauf. Das wundervollste Wetter begleitete mich, und gar prächtig machte sich auch dieser stattliche Salzsee. Bei einer zwischen 1 -^ ^ dentschen Meilen variirenden Breite hat er in seiner größten Ansdehnnng wol Z Meilen Länge und bietet an seinen ansteigenden und oben ebenfalls schnurgerade abgeflachten Ufern mannichfachen, hübschen Anbau. Ueberall erkennt man, zumal am nördlichen Ende, Pftanzun-gen von Zuckerrohr nud gute Weideplätze; überall steigeu Wege zur Höhe hinanf; überall erkennt man Hänsergruppen, kleine Dorfschaften und selbst größere Oerter, nnter denen Pilar der bedeutendste ist, eine hübsche Anlage in voller, lebenssrischer Entwickelung begriffen, welche, wenn sie anch nnr noch von kleinerm Umfang erscheint, dennoch schon jetzt 373 in Handel und allseitiger Thätigkeit die Stadt Alagoas übcr^ siügelt hat. Das nordwestliche Ende der Lagune nimmt einen kleinen Fluß auf, ans dessen eincm Seitenarm meine Canociros mich bis zu einer Zuckerplantage, dem Engenho da Lama, nnd somit an das Ende meiner Segelpartie führten. Das Engenho da Lama ist eins der Landgüter, welche der Baron von Atalaia, ein Schwager des Senators Can-sancao do Sinimbn, in der Provinz von Alagoas besitzt, wie, denn die ganze Familie der Vieiras, zu der Sinimbn mit gehört nnd als deren politischer Ehef angesehen werden muß, die erste Stelle in der Provinz einnimmt, sodaß Eansancao de Sinimbn eben von dieser Provinz aus die dreifache Liste der Eandidaten znr Senatorenwürde erwählt und vom Kaiser vor seinen Mitbewerbern zum Senator- ernannt ward. Freundlicher als dort konnte ich wirklich nicht aufgenom^ men werden, größere Herzlichkeit bei besserer Erziehung nir-gends wünschen. Ilnd so unterlasse ich denn hier jegliche weitere Darstellnng über diese so ausgezeichnete und seltene Familie, welche mich in Zweifel ließ, ob der Baron, oder seine edle Frau, oder Donna Franeisea, die jngendliche Tochter von 1l,vl!i!?) und der schönen, edeln Palmeira, auf deren meistens sehr knrzem Stamme die üppigen Blätter von 25> Fnß Länge hinausragen mit einer halben Wendung des Blatts, sodaß die obere und untere Flache zu Seitenflächen werden. Nährend die kräftigern Baumformen in regenlosen geilen ungestört fortbestehen, verdorren die kleinern ebeugenannien 376 Pflanzen und bilden ein trockenes Nntergebüsch. Dieses geräth manchmal in Brand; ein verzehrendes Feuer frißt über den ganzen Tabuleiro hin und hinterläßt eine schwarze, verkohlte Fläche, ans der die größern Bäume halb verbrannt Heransschauen. Nach wenigem Negen schon deckt neues, jnn-gen Grün die Fläche; aber die halbverkohlten Stämme bleiben noch lange stehen als Denksteine ihres eigenen Kirchhofs. Solch ein verbrannter Tabuleiro hat ein ganz eigenes, seltsames Ansehen. Am eigenthümlichsten erscheint der Tabnleiro nnd dann recht in seiner eigentlichsten Tabuleironatur, wenn sich nur zwei Baumformen auf ihm finden, der Murici und der Mangababanm. Der Mnriei (Nv^oniml, vc-w^l-ifolii!) ist kaum ein Baum zu nennen. Vielmehr ist diese Malpighiaeee ein mit einem kurzen, dicken Stamme versehener Bnsch, dessen grobe, sperrige Aeste mit großen, wolligen, grangrünen Blättern sparsam besetzt sind, welche Blätter mich ziemlich lebhaft an die der Königskerze (V<>l'!>i,«omn) erinnern. Das ganze Gewächs sieht verkrüppelt aus und vergrämt, ein alter Zwerg in der Baumwelt. Die kleinen, gelben Früchte, die er hervorbringt, lassen sich essen nnd schmecken säuerlich süß. Viel eleganter prästntirt sich der Wüstengeuosse des Mu-rieibaums, der Maugababanm (lllMl'M'm:, ^m^i,!>^), eine Apoeynee. Im Habitus zwischen Birke und Weide stehend, hat er dennoch viel Aehnlichkeit mit manchen Myrtaeeen, wie denn oie Blätter manchen Myrtenblättern, wie z. B. ^lxrUm^ piun^.», auffallend nahe kommen. Die Hauptzierde des nicht eben viel über 12 Fuß hoch werdenden Banms ist seine Frucht, unsern kleinen Waumeu an länglich ruuder Form und gelbrother Farbe sehr ähnlich, aber mit drei bis fünf kleinen Kernen versehen, welche mit dem Fleische der Frucht verwachsen sind. Solange die Mangaba, und wäre sie auch 377 noch so reif und schön gefärbt, am Baume hängt, ist sie bitter uud ungenießbar. Pflückt man sie, so milcht sie nach Art der meisten Apoeyneen stark aus der Wuude des abgerissenen Stiels, wie denn der ganze Baum reich an weißem Safte ist. Ist die Frucht dagegen abgefallen uud nur einige Stunden auf dem wannen Boden gelegen, so enthält sie keine Milch mehr und hat einen angenehmen Geschmack, der unsern Pflaumen nicht fern steht. So wird sie denn in Menge roh gegessen und in ganzen Körben in die Städte gebracht. Mit Zucker eingemacht spielt die Mangaba im nördlichen Brasilien eine Hauptrolle in der laugen Reihe der mit Zucker conservirten Früchte uud hat schon ihren Weg nach Europa gefunden. An manchen Stellen des Tabnlciro, selbst auf einer ganzen Hochstäche fehlen auch diese sonst so treu ausharrenden Bewohner, nnd eine völlig einsame, kaum mit sparsamem Grase bedeckte Fläche liegt vor nns. Höchstens kommen hier noch einzelne Alienlipalmen vor, kaum eine über 12 Fusi !)och, dereu Blätter iu eigenthümlicher Füufzeiligkeit obeu am Stamme herauswachsen uud beim Abfallen ein etwa einen Fuß langes Ende des Blattstiels am Stamme sitzen lassen, wodnrch das obere Stammende in fünf Reihen mit einein groben Kamme gezähut erscheint. Dadurch gcwiuut die Ali-eulipalme, welche au jeder Stelle eines ehemaligen Blattes eine grobe Narbe behält, uach dem allmähliche,! Abfallen solcher Kammzähue ein warziges, ungefälliges Ansehen, Schief uud krumm, eiuzeln oder zn vier bis sechs Vrcmplaren zusammengedrängt, bildet diese Palme deu lchten Pflanzenvorposten auf den fahlen Tabuleiros von Alagoas. Gesellen wir ihr noch dir vergrämten Murieistämme uud die Haueor-nien hiuzn, so haben wir das volle Bild der seltsamen Hochflächen in der ebengenannten Provinz. Wegen Mangel au regelmäßigem Triukwasser findet man, 378 wie ich schon andeutete, nicht leicht bleibende Bewohner auf den Tabuleiros. Aus den angrenzenden Abhängen, Thälern und Schluchten, welche regelmäßiger als die Hechfiächen niit Wasser versehen sind, kommen in den Zeiten häufiger und regelmäßiger Regenniedcrschläge kleine Abtheilungen von Rindern, Ziegen nnd Schafen zum Weiden auf die Ebene, und man hört das Läuten ihrer Glocken, womit jedes Stück versehen ist, überall durch den weiten Raum. Um die wieder^ erwachte und blühende Pflanzenwelt schwirrt dann auch wol ein gläuzendes Insektenheer, und selbst kleine Papagaien schreien überallhin zwischen den niedrigen Bäumen. Den ersten Tag ritt ich vom Gngenho da Lama bis znr Plantage Sinimbu, dem Geburtsorte des schon so oft genannten Senators. Sinimbu liegt in einem weiten Thalgrunde, ganz dicht vor dem kleinen Städtchen S.-Miguel, au welchem eiu kleiner Fluß vorbei- und dem Meere mit eigener Müuduug zueilt, sodaß kleinere Seefahrzenge in dieselbe einlanfen und die Zuckerernte zu großer Erleichterung der im weiten Thale wohneuden Pflanzer auf divectem Wasserwege zum Markt vou Maeeio oder Pernambueo bringen können, ^om obern Räude des Tabuleiro gesehen bietet das weite Thal von E.-Mignel einen wuuderhübscheu Anblick. Dir Tiefe enthält schöne Weideplätze und weite Zuckerrohrfelder, welche freilich in dem kleinen Flusse einen schlimmen Nachbar haben. Oft schwillt der kleine Fluß von S.-Miguel rasck an nnd überschwemmt die Niederung in solchem Grade, daß das Zuckerrohr ertrinkt und so manchmal in wenigen Stundeu ganze Ernten von großem Werthe verloren gehen. Ans Sinimbu lernte ich den Herrn Frederno Vieira, den Brnder des Senators, kennen, der mit großer Rüstigkeit die Pflanzung in Bewegnng erhält und mich so zuvorkommend aufnahm, daß es mir am folgenden Morgen nicht ganz leicht ward, früh fortzukommen. 379 Am Ostersonntage früh ritt ich über die Brücke von S.-Miguel, auf der natürlich cm breites Bret von einer Srite zur andern fehlte, sodaß wir, ich und mein Reitknecht, nur mit großer Mühe unsere Pferde dahin brachten, mit einem Satze über die bücke hinwcgzuspringen. Aber solche Nachlässigkeiten der Municipalitäten dürfen einen Neisenven, der schon ein gutes Stück Wegs in Brasilien gemacht hat, gar nicht mehr alterireu. So ritt denn anch ich seelenvergnügt über den schönen Ostertag durch S.-Miguel hindnrch, welches mit seinen znr Messe gehenden Bewohnern ganz gut aussah. Einen kleinen Mittagshalt machten wir an einer einsam gelegeneu Stelle, wo einige Farbige, Halbindiauer, sich angesiedelt hatten unv trotz all ihrer Freundlichkeit mich lebhaft an das nicht eben günstige Urtheil erinnerten, was der Mn-nicipalrichter in Alagoas am Stillen Freitage über die freie, farbige Klasse und die untern Stände der Provinz gefällt hatte. Wie voll steckt solch ein erbärmliches Hänschen von Bewohnern und was thun sie eigentlich? Wirklich nichts, gar nichts! Während sie ein hübsches Stück Land besitzen, sieht man kaum eine Spur von kleinem Gartenbau in der Nähe der Wohnuug, kaum einen eingezäunten Platz für irgeudeiu Stück Vieh, eine Ziege, ein Schwein oder einige Hühner. Lieber hungern die Leute, lieber leben sie in der schmuzigsten Armuth, als daß sie eine kleine Arbeit thäten, durch welche sie sich das Leben angenehm oder wenigstens erträglich machen könnten. Ein Fremder oder Durchreisender erscheint ihnen da immer wie ein Krösus, und es haben besonders die Frauen eine merkwürdige Leichtigkeit im Betteln. Doch betteln sie nicht nm ein Almosen, sondern um einen Pataeao, einen Dollar. Würde man ihnen weniger als einen Thaler geben, so würden sie sich dafür sehr bedanken, 380 und die Darbietung einer kleinern Summe für cine Beleidigung ansehen. Denselben Tag kam ich durch die große Znckerpftanzuug von Iiqma und auf weitem Tabuleiro selbst zu einer kleinen Vertiefung, wo um eine Süßwasserlache sich einige Anbaucr zu einem Oertchen, Sta.-Luzia, vereinigt haben. Die wenigen Häuschen unter Kokospalmen am kleinen See, wenn man den Teich von Sta.-Luzia so nennen will, machen einen ganz angenehmen Oasmeindruck mitten in der Wüste des weiten Tabnleiro. Da nun auf solcher Hochebene alles Weg ist und eine Menge von kleinen Fußsteigen sich kreuzen, so verirrt man sich nnr allzu leicht, wenn man nicht vollkommen bewandert ist in der einsamen Gegend, selbst wenn man schon einigemal über die Tabuleiros geritten. So ging es auch meinem Wegweiser. Wir ritten einige Stunden lang im Sande und zwischen Halbgebüsch planlos umher, oft auf einem Steige, oft ohne alle Sftnr eines Wegs, bis wir endlich zn dem Gehöft einer Donna Anna Pastora gelangten. Gar zn gern wäre ich, müde von dem langweiligen Umherirren, geblieben. Doch rieth mir die gute, alte Dame, die auffallend viel Aehn-lichkeit mit dem alten Fetdmarschall Blücher hatte, noch einige Minuten weiter zu reiten, um zn einer, großen Pflanzung, der von Gcnipapo, zn gelangen, wo ein englischer Nr. Morne, zugleich ein Ingenieur, wohnen sollte. Das that ich denn anch und erreichte bald ein großes Landgut, wo ich eineu Mauu von angelsächsischem Typus vor der Thür stehen fand, der mich zwar gastfrei aufnahm, aber seine Identität mit dem l>,. Morne nicht eingestehen wollte. Ans dieser Verleugnung entstand eine recht hübsche Scene. Der Angelsachse war ein Mann, der offenbar eine sebr gute Erziehnng genossen hatte und selbst in deutscher Wissenschaft bewandert schien. Angelegentlich fragte er mich, 381 ob Alexander von Humboldt noch lebte, wobei er mir er> zählte, wie er als Knabe diesen großen Mann angestaunt, als derselbe bei seinem Anfcnthalt iu London im Hanse des alten Mornc einst zn Mittag gespeist hätte. So plauderten wir bis tief in die Nacht hinein zu unserm, wie ich glanbe, gegenseitigen Wohlgefallen und trennten nns am folgenden Morgen als gute Frennde, wo ich nicht unterlassen konnte, dem Angelsachsen herzliche Grüße an den l)i. Morne aufzutragen. An der Pflanzung von Geuipapo cilt ein kleiner Fluß vorbei, an welchem 4 Leguas weiter südöstlich gegen die Küste hin das kleine Oertchen Cnruripe liegt, eine Legna, vom Meere entfernt. Das Flüßchen von Curnripc ist bis zum Oertchen gleichen Namens mit kleinen Seeschiffen befahrbar und bietet den an demselben liegenden Zuckerplauta-geu einen guten Abzugskanal für ihre Prodncte. Leider aber war anch auf diesem kleinen Küstenflusse das Gelbe Fieber bis zum Städtchen Cururipe hinaufgezogen und geisclte die Einwohner ziemlich heftig, als ich in Geniftapo war. Ein tüchtiger Nitt brachte mich über Lagoa-Nova, einer kleinen, au eiuer vollkommen ausgetrockneten Lache liegenden Ortschaft, nach der hübschen Besitzung von Pcseoco, wo ich bei einer wohlerzogenen Familie einen Halt von zwei Stunden machte. Dicht bei dieser Pflanzung ist ein sehr übel berüchtigter Paß, der.Camondongo. In eine schroffe, tiefe Waldschlucht steigt man hinein nnd reitet durch ein Wasser, welches von einem sehr schlechten Knüppeldamm in seinein Lauft aufgehalten wird. Wenn nur einigermaßen Negen fällt, so füllt sich der Gruud im Walde mit Wasser au nud ist oft auf Wochen lang nicht zn passiren. Abcuds spät uud in vollkommener Dunkelheit kam ich endlich in Penedo au und fand im Hause des Commandanten der Nationalgarde, deS Herrn Pinheiro, mittels eines 382 Empfehlnngsbriefs die allerfrenndlichste Anfnahnie und ein allerliebstes Zimmer des saubern Hauses zu meinem Quartier. Nach dem langen, ermüdenden Ritte über Tabuleiros und dlirch wegelose Waldschluchteu schlief ich ganz vortrefflich. Beim Erwachen am nächsten Morgen hatte ich einen überraschenden, prachtvollen Anblick. Penedo, zu deutsch Felsen, hat seinen Namen von einer ungefähr 50 ^liO Fuß hohen Eandsteinschicht, welche sich unmittelbar ans dem Fluß S.-Franeiseo an dessen linkem Ufer erhebt. Gerade oben auf diesem lothrechtcn Sandsteinabhang stand recht wie ein Schwalbennest das Haus, worin ich wohnte; mit einem Blicke ans meinem Fenster sah ich den schönen Strom durch sein breites Thal dahergerollt kommen. Der S.-Franeisco war etwas angeschwollen, und seine graugelben Wasserwirbel stachen scharf ab vom lieblichen Grün der Niedernngcn und einzelner ganz flacher Inseln, um welche cr mit mannichfachen Armen sich herumschlingt. (5ben wegen dieser Iuseln ist es nicht leicht, die volle Breite des Flusses abzuschätzen. Doch ist gleich unter Penedo eine Stelle, wo der Fluß keine Insel bildet. Hier ist er mindestens 1000 Klafter breit. Wo aber Inseln seine Wasserstraße unterbrechen und weiter ausdehnen, da gleicht der S,-Francisco oft einem schönen Landsce nnd gewährt prachtvolle Prospeete, wie wir dergleichen weiter sehen werden. Venedo am S,-Franeisco ist eine Aon ziemlich alte Stadt, an deren vier bis fünf Kirchen und Franeiscanerlloster man sehr genan sehen kann, daß sie zu größern Dingen bestimmt war und wirklich schon viel größere Bedeutung hatte, als si gegenwärtig besitzt. Sie erinnert allerdings etwas an Olinde; auch nn, Penedo haben sich Portugiesen nnd Holländer gestritten, bis es unter brasilianischer Herrschaft seine jetzige Kümmerlichkeit erreicht hat, ohne irgendwelche erhebliche Fort' schritte zu machen. Der Haupttheil der Stadt liegt auf einer 383 Anhöbe, wo die Hanptkirche, ein hübsches Gebäude mit zwci Thürmen, von fern gesehen einen herrlichen Effect macht. Einige Straßen laufen von dort znm Flnß hinab nnd führen fo in das eigentliche Handelsqnartier, an die Praia do Com-mercio, wo viele recht hübsche und selbst schöne, prächtige Hänser, zum Thcil mit zwei Stockwerken aneinander gereiht stehen nnd manche gute, offene Laden sich befinden. Einige Briggs und Schooner nnd zahlreiche Canots bezeichnen diesen Ilferstreifen als den eigentlich thätigen, mit der offenen See in directem Zusammenhange stehenden, von wo die Fahrzeuge nnr <> Leguas bis znm offenen Meere zn machen haben. Einige Ansfnhr von Häuten, Baumwolle, Earna, von der wir weiter unten reden werden, von Neis lind Bohnen findet immer statt; am untersten Flnßende wird selbst einige Zuckercultur getrieben. Mag es nnn aber an Flußschiffahrt nicht fehlen, mag znletzt anch noch die schon bemerkte Dampfschiffahrt von Bahia aus die Stadt Penedo in schnellen Zusammenhang mit Maeeio und Vahia dringen nnd es mehr als reichlich mit europäischen Manufacturartikeln versehcu, Penedo ist und bleibt ein ziemlich todter Ort, und seine 8 —l())M Einwohner befinden sich in derselben zweifelhaften Lage wie ganz Brasilien; die Zahl der prodneirenden Skla-venarmc nimmt ab, nnd es fehlt an Geschick, der freien Arbeit Naum, Recht und volle Geltung zu verschaffen. Für , den ganzen untern S.-Francisco ist Penedo der eigentliche Stapelplatz. Der gegenüberliegende Ort Villa-Nova, ans der Seite von Sergipe, kann sich nicht im entferntesten mit der Stadt der Provmz AlagoaS messen, wie gern er ihr auch einige Coneurrcnz machen möchte. Dafür ist aber auch der Flnß für Penedo alles, so sehr, daß sich kaum irgendein Landweg von der Stadt in die umliegende Landschaft hineinerstreckt nnd daß diese umliegende Landschaft nicht das kleinste Interesse gewährt. 384 Oleich am 27. April besorgte mir mein guter Oberst-lieutenant Pinheiro ein sogenanntes Canot znr Fahrt den Flnß hinauf. Solch ein Canot ist von dem, was man sonst ein Canot nennt, sehr verschieden. Es ist ein langes, wohlgezimmertes Flnßschiff mit ei. n flachen Boden, etwa 40 Fuß lang, l> Fuß breit und 2 Fuß ief. Das Vorderende ist mit einem dichten Dach aus Palm. Maltern überwölbt. Die so entstehende Kajüte hat Platz für mehrere Personen, nnd man sitzt nnd schläft vollkommen geschützt darin gegen Sonnenschein, Nachtthau und Platzregen. Dnrch eine Thür kann dieses wunderliche Boudoir vollständig vom Schiffsräume abgeschlossen werden. Vor dem Stener ist meistens eine Portion Sand anf den Boden gelegt, auf welchem Fener angemacht nnd das Essen für Mannschaft und Passagiere gekocht wird. Das Nothwendige an Nahrungsmitteln muß man sich von Penedo mitnehmen, denn nnterwegs findet mau eben keinen Ueberfluß an Vittnalien. Bei der Größe des Fahrzeugs und der Heftigkeit der Strömung ist, selbst wenn das Canot, wie das meine, das nur für mich bestellt war, ohne Fracht fährt, au eine andere Fahrt den Strom aufwärts als vermittelst Segel kaum zu denken. Auch würden sich die Eanoeiros absolut zu keiner Arbeit bei der Schiffahrt bequemen, da sie als freie Leute mit der strengsten Gewissenhaftigkeit an der allgemeinen Lan-desfanlheit cheilnchmrn. Da ist es denn ein großer Vortheil, daß fast bestimmt jeden Tag von 10 oder 12 Uhr an der Seewind aus Eüdost oder Nordost den Fluß hinaufweht und bis zum Wasserfall von Paulo Alfonso und noch darüber hinaus zu fühlen ist. Auf diesen Wiud rechnen die Fluß-schiffer mit großer Bestimmtheit und haben ihr Fahrzeug ganz danach eingerichtet. Gleich vor der Kajüte steht ein hoher Mast, an welchem mit einem einfachen Mechanismus zwei große, dreieckige Segel, auf jeder Seite des Mastes eins, un- 385 gemein leicht ausgespannt werden können. Durch diese Gleichseitigkeit der Segel erscheint das Cauot im eigeutlich-stm Sinne des Worts geflügelt, eine etwas große Fluß« diptere. Wenn so eine Reihe von Canots, 10—12 Fahrzeuge, wie man deren manchmal erblickt, nebeneinander den Fluß hinaufsegclt, so gewährt das einen wirklich wunderhübschen Anblick. Auch mein Schiff breitete gegen Mittag seine beiden Flügel aus und flog zierlich uud doch in kräftigem Zuge vor dem Südostwind deu Fluß hinauf, an dessen Ufern einfache und hübsche Scenerien sich entwickelten. An dem breiten Bogen, den der Strom gleich nordwestlich' vou Peucdo bildet, liegt zuerst das kleine Voassiea mit einer auf steilem Hügel hübsch angebrachten Kapelle, während weiter den Fluß hinauf auf dem stachen Ufer der entgegengesetzten rechten Seite, der vou Sergipe, die kleiuc Ortschaft Nossa Senhora da Saude aus einem Gebüsch heraustritt, mehr eine Neihe zerstreuter Häuser als ein wirkliches Dorf. Am Ufer und häufiger noch auf deu ganz stachen, grünen Inseln weiden Pferde uud Rinder, unbesorgt um das austei-geude Gewässer, welchem sie durch Schwimmen zum uaheu, festern Ufer sehr gut zu entgehen wissen. Kleine Reisfelder liegen hier scheinbar mitten im Wasser, besonders an stillern Buchteu des Flusses, welche gauz wie kleiue Landseeu oft nur durch eine sehr schmale Einfahrt mit dem Flusse zusammenhängen. Au solchen Buchten liegt daun meistens ein kleines Gehöft auf grünem Weideplatze mit einer Niuderheerdc von bescheidener Zahl; alles sieht ärmlich, alles dürftig aus und doch anmuthig nnd lieblich. Iu eine dieser stillen Buchteu, zu solchem abgelegenen Winkel ärmlicher Nomautik flüchteten wir uns, als uns der Wind, der gleich nach unserer Abfahrt von Penedo flauer geworden war, am Abend völlig verließ. Es war schon Avc'-La! lcm ant, Nm^ViMlicn. l, 25 386 dunkel, als wir an das Ufer anlegten und ich meine Palmen-fajütc, um zu schlafen, oeeupirte. Um so überraschender war die kleine Morgensecnerie des folgenden Tags. Einige muntere Pferde kamen aus dem Stalle ciucs unscheinbaren Landhauses nnd tobten mnthig hin und her ans dem grünen Plane an der stillen, fast ganz geschlosseneu Vncht. Langsam und bedächtig zogen einzelne Rinder in das Wasser hinein und durchschwammen es, nm zu einein guten Weideplatze zu gelangen. Mit großer Geschicklichkeit liefen in nuserer nächsten Nähe einige Paare der dnukclu brauugrünen Parra Ia-cana auf langeu Stelzen am Ufer jagend umher, während der ihnen so nahe Verwandte, der Queroquero, eiu viel hellerer Vogel, mit seinem uuerträglieheu Geschrei überall umherflog. 1^i).mlü-!wi.ii!ij8i«),. eine Cinchonee ans der Rotte der Gardenideen, ein Baum mit unschönen, brnchigm Aesten und ziemlich großen, nicht übermäßig zahlreichen Blättern. Wundervoll dnftet die grüngelbe Blüte. Die reifen Früchte sind grau, länglich rnnd, Z — 4 H^ll im Längendurchmesser und bestehen aus einem süßlichen Brei, in welchem die reifen Samen in fünf Sänlen aufeinander liegen, wie etwa in den Caeaofrüchten. Dieser Fruchtbrei mit Zucker gemengt gibt die berühmte Genipapada, welche einigermaßen wie Apfelmus schmeckt. Plötzlich jagte nns eine kräftige, fast sturmartige Bö von unserm stillen Ankerplätze fort und den mächtigen, breiten Fluß hinauf. Am Morro-Vermelho flogen wir vorüber, einem Vorsprung aus rothem, weichem Sandstein, und unter der Höhe der kleineu Kapelle vou Nossa Senhora dos Prazerrs durch, von wo man in herrlicher Fernsicht fast zwei Leguas den Fluß hinaufsckaut. Vei mächtiger Breite macht er hier ganz den Eindruck eines sturmbewegten Landsees. Ganz stattlich sieht von hier ans dcr Ferne gesehen auf der rechten Seite des Flusses die scrgipenser Stadt Propia ans, in zwei Abtheilungen hügelartig dicht an den Fluß hinantretend, mit einer Kirche des heiligen Antonins, und einer andern kleinen Kirche do Rosario. Dem Ort gegenüber liegt das sogenannte Eollegio, ein Indianeraldca, in welchem man wie fast überall ohne Erfolg die Indianer kate-chisiren wollte. Einen prachtvollen Rückblick hat man dort den mächtigen Fluß hinunter, Eine kleine Meile weiter hinauf liegt das Oertchcn 25* 388 S.^Braz mit zwei Kapellen. Gleich dahinter nehmen die Ufer des Flusses schon Felsennatur an, die überall vorkommenden Geschiebe scheinen Eandsteinbildungen, Miwschisten und Schieferformen zn sein. Noch weiter hinauf liegt anf der Seite von Sergipe der kleine Ort S.-SebaMo, dann «lif der Seite von Akigoas das Oertchen Lagoa^Eomprida mit einer kleinen Kapelle. Im vollen Menddunkcl segelten meine Canoeiros noch unter schwarzen Bergen dahin, von denen eine Doppelbildung die Irmaocs, Brüder, genannt wird. So erreichten wir noch den Ort Traipu anf dem linken Ufer des reißenden Flusses, wo unser Eanot festgebunden ward und ich wieder in meinem schwimmenden Palmenrancho die Nacht zubrachte. Am folgenden Morgen konnte ich Traipu iu seiner Vcr-fallenheit übersehen. Es liegt auf einem dürren Felsenabhang von Quarz und Glimmerschiefer, wo gar keine Vegetation zn Stande kommt. Einige Cactus, Erotonarteu, eine Capparidee und die ^i-^mm^ in^xuüinn bilden fast die ganze Flora, welche von Eidechsen und einer sehr kleinen, wilden Taubenart einigermaßen belebt wird. An eigentlichen Straßen besitzt der Ort nur eiue mit leidlichen Häusern; sie macht einen trübseligen Eindruck. Von irgendwelchem Ar-bcitstreiben oder Geschäftslcben entdeckte ich keine Spur. Wovon in solchem One die Lente eigentlich leben, ist meistens ein tiefes Geheimniß. Am Flusse angelten einige Leute. Zwei schöne Fischartea wurden gefangen. Den einen nennt man Pira (also schlechtweg Fisch); er ist etwa einen Fnß lang, seitlich stark zusammengedrückt, silberfarben und schnppenlos, mit langem, nach unten gezogenem, schnauzenförmigem Kopf und kleinem Mund, fast einem Sangemund, mit zwei obern und vier untern Fühlfäden — letztere kürzer als erstere —, mit zwei Vrnstflossen, zwei Banchflosseu, einer Afterflosse, einer großen, langen, 389 sichelförmigen Rückenflosse und dazu noch einer zweiten, kleinern Rückenflosse nach hinten. Die Schwanzflosse ist abgerundet. Die Traira oder Traira-acu, der andere Fisch, ist schleienartig, mit einzelnen spitzen Zähnen im Munde, mit zwei kleinen Brustflossen, zwei Vanchflossen, einer Afterflosse, einer sehr nach vorn gestellten Rückenstosse, mit großen Schnppen besetzt, dazn sehr schleimig. Das Eremplar, was ich kaufte, wog gewiß 3 Md. und hatte ein sehr wohlschmeckendes Fleisch. Einen Fisch aber hat der Flnß, der verschrien ist wie kanm ein anderes Thier, die Piranha. Diese Piranha, die ich selbst nicht zn sehen bekommen konnte, ist nicht einmal über einen Fuß lang, hat aber sehr scharfe Zähne nno soll Menschen beim Baden in Schwärmen anfallen nnd sie im Augenblick zerfressen. Die Geschichten, die man da dem Reisenden erzählt, klingen schaurig. Doch ist es auf der andern Seite tröstlich, daß eigentlich kein Mensch jemand kennt, der von den Piranhas gefressen worden wäre, wie genan ich mich auch erkundigte und wie viel Menschen ich auch im Flnsse badend gesehen habe, sodaß ich, wenn ich anch weit entfernt bin, die Menschenfresserei der Mordfische in Zweifel zn ziehen, dennoch alle dahin gehörende Geschichten mit großer Vorsicht anfznnchincn rathen möchte. Was an Menschen sich am Ufer bewegte, sah ziemlich lotterig und zweideutig aus nnd spielte in allen Menschen-färbnngen. Armselig nnd verkommen im höchsten Grade sah die ganze Historie von Traipu ans. Erst um 3 Uhr nachmittags kam etwas Wind. Und doch konnten wir nur unter großer Mühe nnd mit manchen Hindernissen weiter segeln, indem wir auf der starken Süd-westkrümmnng des Flnfses den Südostwind kaum benntzen konnten, sondern mit nnscrm platten Fahrzeug mehreremal an 390 das Ufer getrieben wurden. Bald ward unser Cours ein nordwestlicher, und mit uugcmeiner Schnelligkeit liefen wir vor dem starken Niude vorwärts. Vollkommen öde nud verlassen erschieneu die Ufer des Flusses zu beiden Seiten. Ununterbrochene Echirfcrlagerun-gen bilden die steilen Abhänge, aus denen kaum etwas anderes als Caetusvegetation gedeiht. In den Spalten über den Ufern nisten die Schwalben; einzelne Geier und Falken durchziehen die Luft; auf kahler Fclsplatte steht der weiße Reiher und lauert vergebens auf Beute. Wirklich schanrig einsam und verödet siud diese Felsberge des S.-Francisco, selbst da noch, wo der Fluß sich landsecartig ausdehnt und das dunkle Colorit der Ufer ferner tritt. Solche bedeuteu-dere Ausdehnungen trifft man gerade beim sogenannten Curral das Pedras. Dort wogt der Fluß und rauscht ganz wie ein sturmbewegter Laudsee, sodaß mau ihn mit kleinen Flußeanots schwerlich zu beschissen wagen möchte. Eben oberhalb des kleinen Oertchens Genipatnba auf dem rechten Flußufer überfiel uns das Dunkel, und wir mußteu einen Anlegepunkt suchen. Gerade vor einem kleinen Hause hielten wir unsere Nachtruhe und erkannten am folgenden Morgen, daß wir eine kleine Estaneia für Viehzucht vor uus hatten, welche ich mir mit dem Besitzer, einem einfachen, jungen Manne, etwas ansah. Freilich war eigentlich nichts zu sehen als einige zerstreute Rinder, die sich hungerig ihr Futter suchten. Kaum begreift mau, wie dieser dürre Schieferboden irgendetwas hervorbringt, wovou das Vieh lebeu kann. Gs mnß sich förmlich groß hnngern zwischen Cactns und Bromelien, wie wir das weiter unten sehen wollen, wenn wir den Sertäo betreten, die Wüstenei am Flusse. Doch sind anf solcher kleinen Gstancia numittelbar am Flusse immer einige Bäume bemcrkenswerth. Am nächsten 391 Wasserrande, ja scheinbar im Wasser selbst, wächst hier der Marizeiro oder Omarizeiro (^«olsl-o^» »pina»!,), eine Leguminose mit dickem Stamm und außerordentlich vielen Aesten uud Zweigen uud einer so dichten Betäubung, daß man nirgends durch die Krone hindurchblicken kann. «Von fern ge-sehen gleicht die Lanbkrone einer runden Blätterkngel. Mit jedem Boden zufrieden wächst dicht neben dem Marizeiro der Ioazeiro (/5i/^>!m^ jnu/cii-o), cine Rhamnaeee, die unserm nordischen Kreuzdorn allerdings sehr ähnlich ist. Wichtiger als beide ist der Augieo (l'ul^nlol'ium in,^o), eine zu den Akazien gehörende Leguminose mit sehr bitterer, herber Rinde, welche mit einigen andern nahe verwandten Pflanzen zum Gerben der Rinderhäute verwandt wird, während das Holz eine gute Feuernug liefert. Etwas früher als in den beiden Tagen konnten wir von Gcnipatuba unter Segel gehen und die mächtige Ausdehnung des Flusses hinaufeilen. Immermchr hob sich der Wind in der Gegend der kleinen Ortschaften Iaeobina uud Fran-cisra, bis er sich zu einem förmlichen Sturm gestaltete beim hübschen. Ocrtchen Voa-Vista. Wir nahmen unsere Segel ein und suchten das Land zn gewinnen. Das war aber unmöglich. So stark wehte der Wind, daß unser Canot vor dem Mast ohne Segel mit großer Heftigkeit gegen den Strom anlief, bis mein Steuermann es endlich auf eine Insel auflaufen lassen konnte. Hier ragte mitten aus dem breiten Flusse ein abgerundeter Fclskegel herans, oen man oben mit einer hübschen kleinen Kapelle, Nossa Senhora dos Prazcres, versehen hat. Während der Sturm tobte, stieg ich auf die Höhe lnnauf und hatte eine wundervolle Alissicht nach allen Seiten über den breiten Strom hiuweg. Besonders war die Ansucht nach der nördlichen Seite hin schön. Hier kommt ein Nebenfluß des S.-Francisco, der Rio-Panema, aus ganz enger 392 Gebirgsschlucht heraus und schlangelt sich dann durch ein Flachufer, wo eine kleine Ortschaft angelegt ist von frischem Ausehen und dem Ausdruck einiger Handelsthätigkeit. Dicht daneben ist eiue kleiue, mit dem S.-Franciseo zusammenhängende Lagoa. Die Stelle ist nnbedingt die schönste am ganzen Flusse. Der Sturm verflog, nnd wir konnten uns mit unserm zweiflügeligen Canot wieder auf den gelbgrauen, aufgeregten Strom hinauswagen. Schnell zogeu wir au der kleinen Ortschaft Lagoa-Funda, an Cajueiro uud Limociro vorbei uud hatten auch bald das auf einer stachen Insel licgcudc S.-Pedro hiuter uns, sowie das ihm schräg gegenüberliegende Gspinhos. Dann sahen wir in der Entfernung einer starken Meile einen Kegel aus dem Flusse Heransragen, das Wahrzeichen des Städtchens Päo de Assuear. Bald konnten wir auch den Ort selbst unterschcidcu. Aber schnell brach der Abeud hereiu, uud mit ihm ward der Wiud flauer, sodaß es schon sehr spät war, als wir den Ort und mit ihm das Ende meiner Flußschiffahrt erreicht hatten. Dennoch fand ich noch das freundlichste Unterkommen beim Oberstlieutenant der Nationalgarde I. Dias Gonzalves und bekam sogar noch au demselben Abend mehrfachen Bc-snch von den Honoratioren der Stadt, an die ich einige Briefe mitgebracht hatte. Am folgenden Tage, einem Sonntage, dem I.Mai, ward nun großer Nath gehalten, wie mciue Tour nach den Fällen von Paulo Alfonso, den mächtigen Katarakten des S.-Fran-eiseo, am besten zu bewerkstelligen sein möchte. Dmu auf den Rath, diesen Besuch ganz aufzugeben, da ich zur aller-ungünstigsten Jahreszeit nach Pao de Assuear gekommen war, wollte und konnte ich unbedingt nicht eingehen. Kaum möglich erschien mein Vorhaben. Eiue Dürre von sieben Monaten hatte wirklich alles, was im Sertäo sterblich 393 war, umkommen machen. Aus Mangel an Trinkwasser und Futter war das Vich in Menge gestorben. Pferde gab cs das eine oder andere im Orte, aber so mager, so matt, daß diese Rosinantcn kaum sich selbst, geschweige denn einen Reiter tragen konnten. Indem war es bei dem ganz kürzlich wieder eingetretenen Regen vorauszusehen, daß die Pfade sehr schlecht, einzelne Lagom voller und manche Bäche, die sonst ganz leer waren, bedeutend angeschwollen sein würden und in hohem Nasserstande den, durchreitenden Reisenden Gefahren mancher Art bringen könnten; denn von Brücken und Stegen war natürlich keine Rede. Wirklich, in solchen Gegenden, in denen man bei der eigenen Unthätigkeit alles der Natur überläßt, stößt man auf Schwierigkeiten, an die ein Europäer gar nicht denkt. Vor allem entschloß sich ein alter Kapitän Manoel Ioa-quim, der schon siebenmal, das letzte mal freilich vor 15 Jahren, nach dem Wasserfall gewesen war, mich zu begleiten, obwol er meinte, ich würde cs nicht mit ihm aushalten können in der'Wüstenei. Dann brachten wir drei Pferde, oder eigentlich nur zwei Pferde und ein kleines Maulthier znsam-meu. Der Anblick der beiden erstern machte mich fast au der Möglichkeit, auf ihnen eine mühsame Tour durch einen Theil dcs Sertao zu macheu, zweifeln. Das Maulthicr war nö-tbig, um den nothwendigsten Proviant für uns selbst und Mais für unsere Thiere mitzuschleppen; denn daß wir hinreichendes Essen für Noß nnd Maun finden würdeu, daran war bei vorliegender Jahreszeit nicht zu denken. Die drei Thiere wurden gut gefüttert, um am folgenden Tage reisefertig und „muthig" zu sein, obgleich es mir vorkam, als ob der Ausflug zum Sturze von Paulo Alfonso eiu Ritt auf Leben nnd Tod für sie sein müßte. Nntcrdeß brachten wir den Sonntag damit zu, Päo de Assucar zu besebeu. Solch ein Ort bat nun seine 2 - WM 394 Einwohner, nnd wie sieht er aus? Wirklich, man hat keinen Begriff von der Indolenz dieser Menschen! Wie die Schweine wohnen sic, wie die Schweine leben sie. wie die Schweine faulenzen sie. Und dieses Faulenzen macht sich um so trüber, als die Natur hier den Leuten wirklich alles versagt, was zum bequcmeu Leben gehört. Sonst macht die Noch elfiuderisch; am S.-Francisco macht sie die Leute fanl, stupid nnd bis zum Verhungern enthaltsam. Lieber möchten sie an Entbehrungen und unter drückendem Mangel sterben, als die furchtbare und ehrlose Katastrophe: Arbeiten, über sich ergehen lassen. So sind denn die meisten von diesen Leuteu recht eigeut-lich bettelarm zu nennen und halten anch wegeu Mangel an guter Nahruug und andern Lebensnothwendigkeiten nirgends Stich. Zur Zeit von Krankheiten erliegen sie ungemein leicht; man hat mir erzählt, daß zur Zeit der Cholera im traurigen Orte 471 Leichen beerdigt worden sind. Bei dieser entsetzlichen Abspannung und Indolenz der Leute ist denn auch um Päo de Assucar nirgends' eine Spur von Anban zu entdecken. Die Wüstenei beginnt gerade da, wo die Stadt endigt, — ein sandiges, tristes Erdreich, aus welchem eine Höhe hinter der Stadt ebenso traurig kahl hervorragt uud oben mit einem Haufen großer Granitblöcke endigt, dem Lieblingssih der Geier, von welchem herab sie hungerig nach Beute spähen. Wo man geht, wo mau siebt, überall geht das trübe Bild der Verödung mit, überall stebt die Ueberzeugung fest, daß aus Land und Leuten hier nie etwas werden wird. So freute ich mich denn herzlich, daß ich am Montag Mittag mit meinem alten, unermüdlichen Kapitän, der sich schon weit durch die Sertaoes von Piauhy nud Marauhäo umhergetrieben hatte, aufbrechen konnte. Ein Neger führte unser Packthier mit Vorrätben, nnd nach wenigen Minnten 395 Reitens längs des Flusses aufwärts lag das kümmerliche Pao de Assucar hinter uns und mit ihm die letzte, wenn auch nur schwache Erinnerung an zusammenhängende Cnltnr. Wir lenkten hinein in den Sertao, die Catingawaldnng, wie man jenes Mittelding zwischen Gestrüpp und Wald nennt, was sich an den öden Ufern des S.-Francisco hinzieht nnd sich durch manche eigenthümliche Pflanzen formrn kennzeichnet. Wer mit europäischen Träumen von der Vegetation auf den Ufern eines südamerikanischen Tropenstroms den Nio-de-S.-Francisco hinauffährt uud sich vom Ort Päo de Assucar nnr etwas in die Catiugawaldungen hineinschlägt, der mag kaum seincn Augen tränen, wenn ihm statt all der getränm-ten Herrlichkeiten ein Land entgegenstarrt, dessen Unwirthlich-keit nnd Verödung wirklich erschreckend ist. Ein trockener Sandboden ist kaum bedeckt von einigem Graswnchs. Meistens sind es Vromeliaceen, die ihn überziehen, Vromeliaeeen nnd Cactus von verschiedenen Formen und Bedeutungen. Zn baumartiger Höhe emporsteigend, einen Stamm, Aeste und Zweige bildend, steht der große Armleuchtercaetns überall umher, oft so vorzugsweise den Wald bildend nnd andere Vegclationsformen so erstickend, daß man durch einen wirklichen Caetuswald hindurchreitet. Mit furchtbaren Stacheln auf seinen Rippen bewaffnet, versperrt er vielfältig den schmalen Pfad nnd mahnt den durch solchen Caetuswald reitenden Reisenden zn beständiger Vorsicht. Denn wie dünn auch die Caetnsstacheln erscheinen, so sind sie doch ungemein fest nnd so spitz, daß sic mit Leichtigkeit einige Zoll tief in das Fleisch dessen, der ihnm zu nahe kommt, eindringen können. Nicht weniger häufig, sondern nur weniger bcmcrkt, steht in Tausenden von Errmplaren der Kngcleactus umher, groß wie ein Menschenkopf, mit zehn Rippen versehen, auf denen in kleinen Zwischenräumen hornige Stachelkronen stehen. Oben anf dem Cactns bildet sich ein kleiner Aufsah, ans welchem die kleinen Caetnsblnten hervortreten. Dadnrch gewinnt der Kugeleaetus allerdings einige Aehnlichkeit mit einem Mönchskopf, von dem er seinen Volksnamen ^gdeoa 6s finäo erhalten hat. Höher hinans wachsen die zahlreichen Gebüsche von Angieo, von Ioazciro und von Imbuzeiro. Letzterer Baum, 5>ponäig8 wdol'089, leicht kenntlich an seinen unpaarig ge-jochten Blättern und seinen angenehm säuerlichen Früchten, bildet eben wegen dieser Früchte einen Lieblingsbaum für die Bewohner vom Sertao. Sie machen die bekannte Limonade Imbuzada ans ihnen, zn der sie selbst noch Milch hinzuthun; sie behaupten, ein kühlenderes und nützlicheres Getränk könne es in der Tropenhitze nicht gebcn. Und allerdings ist die Säure der Frucht sehr angenehm. So oft wir die grünen, pstaumenförmigen Früchte nur in einiger Menge am Boden liegen sahen, stiegen wir gern ab, um davon zn essen. Viel Aehnlichkeit im Habitus mit den Imbnzeiros hat offenbar die (klinge, äs poroo, eine den Cäsalpinien ganz nahe stehende Leguminose mit gutem, hartem Nutzholz und der Eigenthümlichkeit, daß, weizn man einen Zweig des Baumes abbricht oder anch nur einige Blätter abstreift, dieselben ganz unleidlich nach Schweinen stinken. Desto angenehmer ist neben dieser Stinkpftanze die maunichfache Schar der Camaras, veilchendnftcnder Lantaneu, die mit ihrem Wohlgernche, wenn man sie nur im Vorbeireiten etwas streift, den ganzen Catingawald anfüllen. Von den Pferden wird sie eifrig gefressen. Neben der ebengenanntcn Leguminose zeigt sich eine andere, ganz nahe verwandte, die Barauna oder Mariapreta (Mlanox^ion dnrimn.,), ein Baum mit gntem dunkeln Nutzholz, welches selbst zum Dunkelrothfärben benutzt werden kann, 396 397 sowie die Iurema und Quijabeira, verschiedene Leguminoseu, deren Nindc ebenfalls zum Gerben gebraucht wird. Auch des l>i»o vl'Iimw muß ich hier als eines Charaktcr-baums gedenken, eines schlanken, mit wenigen Aesten versehenen Banms voll von gelbem Milchsaft. Er ist eine Euphorbiaeee, cine Crotonart, und hat frischgrünc, auf beiden Seiten mit einigen Stacheln versehene gezähnte Blätter, deren Genuß das Vieh, als eines giftigen Baums, sorgsam vermeidet. Das sind einige von den Hanptformen der Pflanzen, die am S.-Franeisco bis tief in Piauhy hinein den Sertäo bilden, — in dichterer Fülle, wo der Boden etwas ergiebiger ist, — sparsamer wachsend, wo ein dürftiger Grund sie trägt, ^ und ganz verschwindend, wo der Granit, der die ganze Unterlage der Gegend bildet, bloß zu Tage tritt. Diese Granitlagernng ist nicht sowol wegen ihrer Höhe, obwol manche Erhebungen an 1000 Fuß hervorragen, als vielmehr wegen ihrer Ausdehnung und eigenthümlichen Bildung merkwürdig. In ganz stachen Lagerungen findet man den Granit, ganz dem Erdboden gleich, weithin ausgedehnt, Don einzelnen dünnen Quarzadern durchstreift. Ein starkes Lager sah ich von zwei weißen, parallelen Streifen durchzogen. An einer Stelle war es quer durchgeborsten und die eine Hälfte an der andern einige Fnß weit verschoben, wie man an den verschobenen Quarzstreifen sehr genau sehen konnte. Die Spalte selbst war vollkommen wieder ausgeglichen durch den Drnck der Granitmassen gegeneinander. Eine ungeheuere Gewalt mußte dazu gehört habeu, solch mächtiges Granitlager durchzubrechen, beide Hälften nebeneinander zu verschieben und dann wieder aneinander zu drücken, als wären es zusammengekittete Scherben eines geborstenen Topfes. Dabei erblickt man ungeheuere Granitblöcke in den bizarr- 398 sten Lagerungen. Auf zwei länglichen Blöcken liegt ein dritter,, alle drei wir vom Steinmey bchauen und aufeinander gelegt. Oder auf schräger Granitwand liegt ein beinahe kugelrunder Stein von riesigen Dimensionen. Man begreift nicht, wie er in diese schwebende Schräglage gekommen ist, — noch weniger, wie er in derselben beharren kann. Burgruinen glaubt man überall zu sehen, Tcmpelrcste, eyklopische und pelasgische Mauern, ja selbst anstecht stehende Leichensteine, an denen nur die Inschrift fehlt. Gs hat hier die Natur zwar mannichfach ihr Spiel getrieben; doch hat sie beim Spielen an ein ernstes Schaffen wenig gedacht. Ihre Schöpfung ist armselig und dürftig geblieben. Dennoch zeigt sich mannichfaltiges animalisches Leben in den weiten Räumen des Tertao, zu welchem der Mensch noch sein eigenes Dasein hinzugetragen hat. Wie wenig und gering auch die Vegetation im Sertäo sein mag, so wandern dennoch zahlreiche Rinder und kleine Scharen von Pferden im Gebüsche der Catingawaldnngen umher, ohne besonderes Gedeihen zu finden. Wenigstens sind sie in gar keinen Vergleich zu stellen mit den reichlichen Heerden der südlichen Provinz Nio-Grande. Doch liefern sie ' immer einige Milch, woraus der Eertanejo seinen Käse macht, aber nicht leicht Butter bereitet. Am Ende ist es doch nur auf die Haut nnd ein schlechtes Fleisch abgesehen, welches als eine weiche Varucseeea eonsumirt und selbst nach andern Gegenden verschickt wird. Viel besser gedeihen in den dürftigen Gegenden die Ziegen. In zahlreicher Menge trifft man sie um die Wohnungen der Matutos (Waldbewohner, von mü'o, Wald); gcmsenartig klettern sie auf den kahlen Granitstöcken umher uud springen mit wunderbarer Geschicklichkeit von Klippe zu Klippe. Doch sucht man sie abends gern näher an das Haus heranzu- 399 bringen; eine kleine Unzenart Snssnrana, über deren Natur mau mich incht hinreichend aufklären konnte, wenn man nicht den Puma damit meint, stellt in jenen Gegenden den Ziegen ganz besonders gern nach, ohne sich jedoch in die Nähe der Menschenwohnungen zn wagen. Anßer diesen genannten Wiederkäuern sind noch kleine Hirsche außerordentlich häufig, etwas größer als eine Ziege, mit silbergrauem Fell und ganz heller Farbnng am Banche. So häufig kommen sie an einzelnen Stellen vor, daß ich bei einem Sertanejo 12 Felle in seiner Wohnung hängen sah, die er alle in einer Woche erlegt hatte. Haben die Ziegen einen Feind an der Enssnrana, so sind die Hirsche des Sertäo nicht weniger verfolgt. Mit dem Schwanz um einen Baum gewickelt, lauert die Giboia im Gebüsche auf die vorbeiziehenden Thiere. In kräftiger Um-schlingnng packt die Schlange ihre Beute und zerdrückt sie an dem Baume, um sie nachher uuzerstückt und ganz zu verschlingen. An größere Thiere soll sich, wie ich mich genau erkundigt habe, diese Niesenschlange nicht machen, und auch nicht an den Menschen. Vielmehr scheint sie letzterm möglichst aus dem Wege zu gehen. Uebrigens hat das schlimme Thier außer, daß sie auch Ratten wcgfängt, immer doch einen Nntzen. Man gerbt die Haut zu Leder und macht Schuhe und Stiefel daraus, welche bei der regelmäßig viereckigen Form der Schuppennarben sehr hübsch aussehen. Mein alter Reisegefährte Manoel Ioaqnim trug hohe Reitstiefel von Giboialeder, woranf er nicht wenig stolz war. Und ich gestehe ganz gi'rn, daß ich ihn um die originelle Bein- und Fußbekleidung nicht wenig beneidete. Viel schlimmer für die Menschen als die Giboia ist im Eertäo die Klapperschlange, um so schlimmer, als sie sich gcrn in die Hütten einschleicht zur Abendzeit, um die Wärme des dort brennenden Feuers aufzusuchen. In dasselbe Haus 400 eines Sertanejo, in welchem ich eine Nacht schlief, hatten sich vor einigen Monaten zwci Klapperschlangen eingeschlichcn. Die eine biß den Bruder des Mannes, nnd nach 24 Stnn-den war er todt. Selbst dic Sertanejos, von denen man doch bei der gefahrvollen Nähe der Schlange vermuthen sollte, daß sie sich nm ein Gegenmittel gegen den Biß ernsthaft bekümmert hätten, halten denselben für absolut tödlich und thun eigentlich gar nichts dagegen. Höchstens streuen sie etwas Asche ans die Wunde. Von der Anwendnng einzelner Ari-stolochicn oder des Ammoniak wissen sie nichts. Das Gift mnß wirklich furchtbar sein. Man erzählte mir von einem Falle, wo der Gebissene fast augenblicklich zusammenbrach und nur noch mit der allergrößten Anstrengung einige Muskelbewegungen machte, wenn er auch noch bis zum folgenden Tage lebte. Je schneller das Sehvermögen schwindet, desto rascher tritt auch der Tod auf. Aus Furcht vor dieser Schlange ist deswegen im Serrao das Schlafen in Hängematten ganz allgemein. Dazu hielt mein alter Kapitän abends immer ganz gewissenhaft eine Lichtparade in allen Ecken und Winkeln unsers Nanchos, ehe wir uns zur Nuhe begabeu. Wenn man aber die Wohnungen nnr etwas menschlicher halten wollte, so würde auch dieses Ungeziefer, wie so vieles andere, nicht so zudringlich werden, wie es allerdings zu sein scheint. Und doch sind all diese Gefahren nnr gering im Vergleich zu einer viel allgemeinem, für Menschen und Thiere gleich großen Gefahr. Oft kommen Zeiten vor, wo es in Monaten, ja in einem halben Jahre nicht regnet.. Eine Lache nach der andern wird kleiner und vertrocknet; ein Vach nach dem andern versiegt; jegliche Wasseransammlnng auf den Granitlagern verdampft. Das Gebüsch verdorrt; alles Grün verschwindet, das letzte Camarakraut verwelkt; nnd hungernd und durstend streift das mager werdende Vieh nmhcr im öden 401 Revier, in welchem aller Nahrungsstoff verschwunden, jede Lebensquellc versiegt zu sein scheint. In ihren stillen Werkstätten aber schafft die Natur noch Mittel und Wege, daß das fast latent gewordene Leben nicht ganz vergehe. In den ungeheuer zahlreichen Mcloeaetns ist selbst in der dürrsten Zeit noch ein Lebensquell verborgen, Essen und Trinken zu gleicher Zeit. Die große Kugel ist mit einem sehr saftigen Psianzenmark angefüllt, welches Nahrungsstoff genug enthält, um das Thierleben durch die Zeit allgemeiner Dürre hindurchzufristeu. Aber die scharse Bewaffnung der Pflanze hindert vielfach die hungernden Rinder und Pferde am Gennß des weichen Stoffs im Innern. Geschickt und tapfer greifen die Ziegen den Feind mit den Hörnern an; einige Ziegen verfolgen diese Eattuskugeln so vorzugsweise gern, daß ihre Hörner halb abgeschliffen erscheinen. Auch die Rinder zerschlagen vorsichtig und ziemlich leicht die stachelige Schale, nm das Innrre mit vorgestreckten Lippen zn fassen. Am schlimmsten aber ergeht es den Pftr-den nnd Maulthieren. Dringt ihnen beim Versuch, sich den Quell verborgener Nahrung zugänglich zu machen, ein Stachel in das Gelenk über dem Hnf, so sind sie auf zwei bis drei Wochen unfähig, vor Schmerz und Geschwulst aufzustehen und fernere Nahrung zn snchen. Entdeckt der Sertanejo sein so verwundetes Thier zeitig genug, so bringt er ihm sein Fressen regelmäßig, bis der Cattusftachcl herausgecitert ist. Auch kommt man den vom Hunger hartbedrängten Thieren überhaupt dadurch zu Hülfe, daß man die nährenden <^l>e-^>5 <^' l>mlu im Feuer versengt, wodurch die Dornen vernichtet oder doch unschädlich gemacht werden. Die Menschen selbst essen unterdeß, wenn die Dürre arg wird nnd alle sonstige vegetabilische Nahrung versiegt ist, die dicken, saftigen jnngcn Triebe des Annleuchtercactus, welche selbst in der schlimmsten Trockenheit nicht verdorren. Man 402 zieht die äußere Haut und die Stacheln ab und röstet das Innere am Feuer, was dann gar nicht unangenehm schmeckt. Seltsam genug dienen diejenigen Cactusästc, welche gelegene lich vom Sturme oder sonst eiuer Gewalt abgebrochen wurden und auftrockneten, zur vortrefflichsten Feuerung beim Nösten der frischen Zweige. So leicht verbrennlich ist die trockene Caetussnbstanz, daß die langen, trockenen, grauen Aeste vorzügliche Fackeln abgeben, sodaß die Pflanze Facheira, offenbar unsere Fackeldistel, genanut worden ist. Also fristet und rettet, wenn alles zu veröden scheint, die seltsame Cattusbildung für eine Zeit wenigstens das Leben von Menschen und Thieren in den Wüsteneien des Sertäo am S.-Francisco. Kaum weuigcr uützlich sind im Sertäo für den Menschen die beiden in Menge vorkommenden Vromcliaeeen Macam> bim und Carua oder Graua, besonders die letztere. Diese Earuaananas hat ein schmales, fast drebruudes, langes, dick-saftiges Blatt mit weißen Ningstreifen und eiuigen Nand-stacbeln. Mit dicken Handschuhen werden die Blätter aus-gerissen und einige Zeit im Wasser maemrt. Nach einigen Tagen sind sie so augegangen, daß man sie nur stark dnrch die Finger zu ziehen braucht, um ein schönes, silberglänzendes Fasergewebe, was mit oem Flachs viel Aehnlichkeit hat, zurückzubehalten. Dieses wird getrocknet nud zum Markt nach Penedo gebracht, um zu Stricken, Bändern, Neheu uud jeglichem Gewebe benutzt zu werden. Da die Carna in großer Menge wild wächst, so ist sie für fleißige Leute die Quelle eines schönen Gewinns. Sie wird der Maeambira, einer Bromeliaeec mit breitern, längcrn Blättern, bedeutend vor-gezogen. In solcher Natur, mit so eigenthümlichen spärlichen Hülfsmitteln, die er sich auch nickn in der allergeringsten Weise zu bessern, zu erweitern sncht, führt der Vaaueiro, der 403 „Küher im Senäo", ein dürftiges, ödes, erbärmliches Leben, dessen äußere knappe Form auch ganz auf das innere, auf das Gemüthsleben übergeht. Außcr seinem Vieh und dessen Leiden nnd Drangsalen rührt nichts diesen meistens braunen^ aus afrikanischem und indianischem Blut, besonders letztenu zusammengeronnenen Menschenschlag. Für ihn cristirt kaum eine Außenwelt, kaum eine Geschichte, kaum eiu Ereigniß, wenn es nicht gerade dis zn ihm kommt. Und ciu Ereiguiß ist cin Reisender immer, zumal ein Europaer. Gastlich öffnen sie ihm ihren Rancho uud würden ihm auch gern etwas zu essen geben, wenn sie selbst etwas hätten, was sie dem Fremden anbieten möchten, Solange sie Milch und Käse haben, solange sind sie gerade wie die Küher auf den Alpen reichlich versorgt. Ich traf aber die Gegend im schlimmsten Ucbergangspnnkte nach einer nncrhörten Dürre. Zwar regnete es schon seit einigen Tagen wieder sehr reichlich; schon ward der Sertao wieder grün; schon konnten die ausgehungerten Kühe wieder ihr Futter finden, aber von Milch uud Käse war noch keine Spur zu sehen. Uud ich sah eiu, wie vollkommen recht wir gethan hatten, uns einen kleineil Eß-vorrath mitzunehmen auf die Ncise nach den Wasserfallen von Paulo Alfonso, uud wie nothwendig für nnserc drei Thiere der Mais war, den wir mit uns führten. So waren Menschen und Gegenden beschaffen, die ich am 2., '». und 4. Mai mit meinem alten Kapitän mir ansah. Er selbst ritt, obwol er den Sertao ziemlich genau kannte, oft irre im Labyrinth der Catingawalduug, auf Granitflächcu und in Wasseransammlungen, wo allerdings häufige Wegespuren sind, ohne daß man je einen Hauptweg erkennen kann. Mehr als einmal blieben wir, wenn die letzte Wegspur unter den Hufen unserer Neitthiere ausstarb, zwischen Caetus und Macambira hängen. Mehr als einmal ritten wir, jeder um einen Weg zu suchen, auseinander uud kounteu uns dann 26" 404 nur durch gegenseitiges Znrnfen wieder zusammenfinden. Manche Strecke mnßten wir anch zu Fuß durchwandern, um den elenden Thieren ihre Tagesarbeit zn erleichtern. Wirk--^ich, die Leute in Pao de Assnear hatten recht, wenn sie meine Erenrsion widerriethen und die Ansicht hatten, ich möchte trotz meines zähen Begleiters dennoch nnverrichteter Sache wieder nmkehren. , > Auch wegen des Metiers war unser Wnstenritt keineswegs angenehm. (5in Schlagregen jagte den andern und machte nns triefen. (Nii Pach nach dem andern füllte sich und schoß brausend zwischen Granitblöcken dabin, sodaß das Durchreiten derselben oft etwas bedenklich erschien. Durch manche breite, wenn anch flache Lagoa mußten wir ebenfalls hindurchschrcitrn. Und dazn weichte der Sand in höchst unangenehmer Weise auf, fodaß die Thiere an Stellen, die trocken nnd fest erschienen und es für einen Fußgänger anch wirklich waren, plötzlich einsanken nnd sich, matt wie sie waren, nnr dann mit Leichtigkeit aus solchem Atoleiro (weichen Stelle) heraushalfen, wenn wir schnell herabsprangeu. So brachten wir ziemlich ununterbrochen drei Tage und drei Nächte in denselben durchnäßten Kleidern ;u, Am Abend des 4. Mai jedoch kamen wir zu einem freiern Platze, einer Art von Ortschaft, Salgado genannt, wo etwa sieden Fa-milienwohnnngen zusammenstanden. Hier fanden wir ein Quartier, um wenigstens unser Zeug zu trocknen. Im fernen Westen düstertr im Abendroth ein blauer Höhenzng, vor dem an zwei dicht aneinander liegenden Stellen schneeweiße Dampfmassen aufstiegen. Das war der Wasserdampf des 5 Legnas (fast 4 deutsche Meilen) fernen Salto von Paulo Alfonso, das Ziel meines mühsamen Ausflugs. Doch konnte ich sein Geräusch nicht vernehmen, obwol man es, wenn der Fluß weniger geschwollen ist und seine Wasser in leichtern Massen gegen die Fels- 405 wände anschlagen, auf 5) Leguas Weite sehr genau höreu kann. Mit einem Führer der kleinen Ortschaft verseben ritten wir am nächsten Morgen ganz früh fort. Das Wetter war viel heller, und ich freute mich, daß ich im frischen Morgenwinde wieder vollständig austrocknete. Nach einem Ritt von einigen Stunden unter manchen oben angedeuteten Hindernissen, Näherten wir uns dem Ziele unserer Wanderung. Wir stiegen ab und ließen die Pferde abgezänmt, aber angebunden an einer Stelle stehen, wo sie einiges Futter fiuden konnten, nno gingen dann zum Fluß. Der mächtige S,-Francisco ist schon vor seinem Austritt, ans den Provinzen von Bahia und Peruambueo, ja schon viele Meileu oberhalb seines eigentlichen Falls auf ein so geneigtes, steiniges Terrain gerathen, daß sein Lauf nirgends mehr rnhig ist, sondern eine Stromschnelle.der andern folgt und der Fluß absolut nicht mehr zn befahren ist. Er kommt daher oberhalb seines eigentlichen Falls mit großer Heftigkeit angebraust. Wenn mau sich durch ein Labyrinth von Granitblöcken uud großen Nollsteineu, den Jeu-gcu mächtiger Wasftrrevolutionru, einen Weg gesucht hat, so erblickt man, an den Nand des Wassers tretend, mit Staunen und Verwunderung keinen Fluß mehr, sondern einen in einer Flachgegend kochenden Laudsee, Alles ist Nasen und Toben auf der weiten Fläche. Welle schlägt vernichtend au Welle. Gn Wasserwirbel reißt den andern aus seiner drehenden Bewegung. Einzelne ganz niedrige partielle Wasserfälle, die sich mitten im Flusse an günstigen Stellen bilden, werden vom brausenden Wassertumult anfgefaugeu und verschlungen im wilden rasenden Aufruhr des Stroms, den man eine gute halbe Meile auswärts übersehen kann, und aus dem fast ebenso viele Grauitblöcke herausragcu, als sich Wellen gegen dieselben brechen. 406 Die nngehenere Wassermasse stürzt gegen den Rand eines Abgrundes an, welcher den eigentlichen Fall bildet. Wenige Klafter oberhalb desselben nnd gleichsam mitten in dem letzten eonvulsivischen Anfbälimen des Flusses kann man sich hinlagern auf breitem nnd sicherm Felsen und von dem Vorsprung desselben hineinschauen in die wilde Wuth des aufgehetzten Elements. Hier hielten wir unser kleines, mitgebrachtes Frühstück. Nie hatte ich mich vor einem imposan^ tern Naturwunder in so behaglicher ^age nnd Stellung befunden. Wie jemand, der beim Hernitterstürzen in einen Abgrund noch einmal krampfhaft nm sich greift, um sich anzuklammern, so scheini anch die ganze Wassermasse gerade vor dem Rande, über welchen sie hinuuterstürzen soll, einen Halt machen zu wollen. Dem stürzenden Strome brandet eine hoch anf sich bäumende Woge. entgegen; dann rast alles hinab in den tiefen Schlund nnd der Fluß ist verschwunden in mächtig aufwallendem Wasserdampfe. Auf'einem Umwege erreichten wir eine Felswand von 250 Fnß Höhe, anf deren schroffem Rande man den Wasserfällen des Stroms gerade gegenübersteht nnd sie in der schönsten Weise übersehen kann. Zur Zeit hoher Wasser, wie ich sie gerade traf, bildet der Fall vier voneinander durch schöne Felsgruppen getrennte Hauptarme, welche in eine Tiefe von etwa !M» Fuß — die Messungen und Schätzungen schwanken zwischen !910 nnd 35(1 Fuß - hinnnterdonnern. Der nördliche Arm, etwa W 80'Fnß breit, eristirt nnr bei hohem Wasser. Wenn der S.-Franeiseo weniger geschwollen ist, so ist der Kanal dieses Falls nnr eine trockene Felsschlucht, dnrch welche man hindurchgehen nnd die Felsen-grnppe erreichen kann, die die Nordeinfassnng des eigentlichen Falls von Paulo Alfonso bildet. 40? So nahe an den Fall, so unmittelbar in denselben lnnein kann man dort treteil, daß man auf hoher Fclswarte mitten im todenden Sturz steht. Der eigentliche Fall bildet eine halbe Windung; anfangs stürzt die Wasscrmassc gerade hinab, wird dann cibcr in dal-ber Tiefe etwas nördlich geleitet von dem schroffen Felsen-ka»al, dnrch den sie hinnnterfällt. Gerade hier stürzt idr wiederum ans halbem Wege ein anderer Fall entgegen. Beide dnrchdringen sich nnd zerinalmen sich förmlich. Man erkennt keine eompaete Wassermasse mehr; alles ist Schaum, Dampf, dichte Wassernwlke. In gemeinsamem Sturze tobt das Vhaos vollends hinab in die Tiefe. Tiefer eigentliche Fall ist 50 —W Fuß breit und nicht sowol wegen seiner Breite wie wegen seiner ungeheuern Gewalt merkwürdig. Die Dicke der Wassermasse mnß wirtlich enorm fein. Ein ganzer Strom ist es, der schon einige hundert Meilen durchlaufen ist und in diesem Laufe viele Gewässer auffing, der ganze S.-Franeiseo ist es, der sich dnrch diesen Felsenriß hinabdrängt. Da muß allerdings der eben erwähnte Standpunkt auf jener Felsenwarte, um die sich der mächtige Fall hcrumwindet nnd den ich nicht erreichen konnte, weil der nördliche, nnr zeitweilige Arm mich daran verhinderte, gleich gewaltig anf das Ange, das Ohr und das Gefühl einwirken, denn selbst der Boden erdröhnt vom mächtigen Sturze. Daher ist denn auch unten in der Tiefe oes weiten Fels-schlnndes, in welchen sich etwas weiter hin noch ein Arm des Flusses hinunterstürzt, ein ewiges Sieden nnd Schänmen, zu welchen, von allen Seiten scheinbar lothrecht die zerhackten Granitwände hinabsteigen. Nimmt man aber einen Stein und sncht ihn in das kochende Wasser der Tiefe zn werfen, so sieht man mit Erstaunen, daß er nach langem Falle nicht in die Caldeira, den Kochkessel, fällt, sondern scheinbar im 408 Bogen zur Felswand zurückkehrt und unten auf die Felsen aufschlägt. Deswegen ist auch eine Schätzung der ganzen Breite des Schlundes, in welchen der Strom hinabstürzt, sehr schwierig. Bei geringerm Wasserstande kann man an der Nordscite des Felskessels, wo ein kleiner Bach einen gesonderten Wasserstrahl in die Tiefe sendet, hinuntcrklettern und zu einer bedeutenden Grotte von W Fuß Höhe, dem Mfentbalt zahlloser Fledcrmänse, gelangen; man nennt sie die Forna, den Ofen. Dort steht mau dem Falle ganz nahe am Rande der noch vom Falle kochenden Wassermassen, in welchen sich Baumstämme und andere Holzmassen in mannichfachen Wirbeln umhertreiben und zu wunderlich glatten Formen ab-reibeu, gerade als ob sie auf einer Drechselbank verarbeitet worden wären. Wegen dieses Herabsteigcns zn jener Grotte und wegen des schon erwähnten Umstandcs, daß man auch oben am Falle bei geringerm Wasserstande bis unmittelbar an den Haupt-stürz hinantreten kann, behaupten die Leute, daß der Fall schöner ist bei geringerer Fülle des Stroms. Dann donnert auch mit viel lauterm Getöse die ganze Cascade, während ihr Geräusch bei dickerm Volumen der hinabfallcnden Wasscrsäu^ len viel dumpfer und dröhnender ist, sodaß man dann kaum weiß, ob man in der nächsten Nähe des Stnrzes denselben mehr hört oder mehr fühlt. Ohne darüber entscheiden zn können, wann der Wasserfall des S.-Francisco schöner ist, ob bei hohem, ob bei niederm Stande des Flusses, — immer wird der Fall von Paulo Alfonso an Größe nnd Mächtigkeit.der zweite in der Welt sein. Mag immerhin die vereinte, eompaetc Masse der herab-tobeuden Wasser beim Niagara viel bedeutender sein, wie ein Reisender, der beide Fälle gesehen hatte, mir erzählte: an Zormenreichthum, an vielfacher Gliederung, an Mannichfal- ligfeit der Gegensätze kaun kein Wasserfall bei ähnlichen kolossalen Dimensionen reicher sein als der Salto vcs S.^Fran-ciseo. Zwischen dcn ewig bewegten, dahinrasenden Wasser-massen die ewig starreil, schweigenden Granitmasscn; — nn--mittelbar ans dcn schroffen Wänden hervorsprossend liebliches, immer grünes Gebüsch, in welchem sich hübsche Mamauden nnd dnftende Gardenien auszeichnen; — hier eine Stätte des tiefsten Friedens, dort ein Schauplatz des wildesten Tn-nuilts. Wie ans einem Höllenschlnnde steigl hoch ans der weiße Wasserdampf der wilden Gewässer; aber harmlose Schwalben dnrchziehen ihn in zahlreichen Schwärmen, lnstig sich badend zugleich im Aether nnd im Wasserdnnst, Im Schlnndc selbst flattern einzelne Falken mnher, während hoch oben, weit hinans über allem Anfrnhr, einzelne Geier ihre lnftigeu Kreise schlagen. Unten im Felsschlnilde stürzt indeß dcr eingekeilte Flnß zwischen lothrechlen Wänden rastlos weiter nnd bildet später noch einzelne kleine Fälle, von denen die Cachoeira dos Veaoos, der ,,Hirschfall", der bedeutendste ist, Erst nach einem Laufe mehrerer Meilen treteil seine Ufer so weit auseinander, daß der Strom wieder hinreichend Platz findet zwischen den schroffen Einfassungen, und mit Vorsicht befahren werden kann, eben oberhalb des Oertchcns Piranhas. Wir ritten znrück uach Salgado. Nur ein einziges mal hatte es am Tage geregnet, und dennoch war einer der zwischen Granitblöeken dahinschänmenden Bäche, den wir am Morgen ohne Mühe durchsetzt hatten, so geschwollen, daß wir kaum noch den Durchritt wagen konnten. Wäre der Bach um einen halben Fuß tiefer gewesen, so hätten wir ganz rnhig ans der andern Seite sein Fallen nnd nnser weiteres Schicksal abwarten müssen. Frühmorgens den <'>. Mai brachen wir von Salgado wieder anf nnd ritten einen vollen Tagemarsch bis zu einem 410 Punkte, Olho de Agoa genannt, wo einige Familien wohnen, und wir, obwol sich bort schon mehrere Reisendr einquartiert hatten, ein Unterkommen fanden. Diese Reisenden waren die Begleiter und Diener ein?s guten, wackern katholischen Missionars, Frey Caetano, eines Franeiseaners aus Sieilieu, eines Mannes von gnten Kenntnissen und wirklich christlicher Oesinnnng. Er hatte auf einem langen Iuge vou seinem Standquartier Pernambneo aus den öden Sertao am S.-Franeiseo mit der heiligen Messe und anderu Kirchensegnungen versehen wollen und war bis zum Falle von Paulo Alfonso gewesen. Zur vollen Ausübung seines heiligen Amts hatte er außerordentlich viele Kirchengeräthe und zahlreiche Heilige aufgerollt oder in ganzen Standfiguren bei sich. Der fromme Zng bildete eine wirkliche kleine Karavane. Und da nun meine Thiere zum Umfallen matt geworden und die Wege offenbar noch schlechter als vor einigen Tagen waren, so beschloß ich mit meinem alten Manoel Ioaquim, den Nückritt nach Pao de Assuear zu Lande aufzugeben und mit Frey Caetano nach dem nur 4 Leguas fernen Piranhas am S.-Franeiseo zu reiten, von wo wir in einigen Stunden in Pao de Assucar eintreffen konnten in schneller Schiffahrt. Der Weg von Olho de Agoa Mch Piranhas war zicm-lich gnt und selbst so breit, oaß ich meistens zwischen meinem guten, dicken Missionar und seinem spindeldürren Eakristan dahintraben konnte unter gar vielen diseutirenden Gesprächen. So lustig nach Piranhas gings mit frischen, muntern Schritten, — Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten, — daß wir schon um Mittag den schroffen Abhang znm Oertchen hinunterritten. Hier rollte der E.-Francisco in mächtigen grauen Wirbeln und noch vielfach rauschend zwischen seinen schroffen, hohen Fclsufern hin. Vei niedrigcm Wasserstande ist sein 411 Bett auch hier noch voll Steine und Felsblöcke; doch läßt er sich ohne große Gefahr mit großen Canots beschiffen. Bei vollem Wasser ist das aber riskanter. Im granen, schnulzigen Waffer erkennt man nur an dem Rauschen und Wirbeln der Flut die kaum bedeckten Felsenblöcke nnd kann sehr leicht auf ihnen Echiffbruch leiden, was immer eine sehr gefahrliche Katastrophe ist. Ein Freund des alten Manoel Ioaqnim besorgte uns ein Canot mit kuudigen Canoeiros. Um 1 Uhr schon konnten wir nnsere Rosinauten nnd uns selbst einschiffen und das Dertchen Piranhas, was wie ein Schwalbennest über dem Flusse längs des Abhangs augeklebt ist und einigen Handel und Faulenzerei treibt, verlassen, um die sieben Legnas von dort bis Päo de Affnear uoch an demselben Tage zn inachen. Den guten Sieilianer ließen wir in Piranhas. Wie kahl auch die schroffen Felsabhänge des grüngelben, wirbelnden Flusses unterwegs waren, so boten sie doch wundervolle Prospeete, und manche kühne Felspartie möchte Nheineriunerungeu im Reisenden hervorrufen, wenn irgend Cultur, Geschichte, Monumente hinzukommen wollten. Nur einmal bietet das Oertchen Entremontes einen Anblick von Cnltur dar. Eine hübsche weiße Kirche ragt heraus alls der kleinen Ortschaft. Eine andere kleine weiße Kapelle, einsam am Ufer gelegen, ist das Begräbniß einer angesehenen Frau. Am Nachmittag hatten wir ein seltsames Iagdabenteuer. Wir wareu mitten anf dem Flusse, der nus in schöner Schnelligkeit mit sich fortriß, als wir verschiedene Sariemas auf den Bergen sich locken hörten. Bald flog auch einer dieser eigenthümlichen Waldvögel, die mehr znm Laufen als zum Fliegen geeignet sind, vom Hochrand des rechten Ufers fort, um das linke zn erreichen, ward aber unterwegs matt und fiel in den Fluß. Unser etwaS schweres Canot-setzte 412 ihm nach. Der Vogel, ebenso ungeschickt im Schwimmen wie im Fliegen, irrte hin und her im Wasser, um uus zu entgehen, bis es mir gelang, den arg um sich« Beißenden beim Hals zu packen und in unser Fahrzeug zu werfen.^ Das Sariema (»iokolupliu» <^8tlNu») ist recht ein (5ha-raktervogcl für den Eertao uud die offenen Gegenden des nördlichen Brasilien. Schon sein Volksname bringt ihn dem Ema, dem Strauß nahe, und fast mochte ich das Sariema ein kleines Ema, einen kleinen Strauß nennen. Ein langer Hals mit mäßig langem Schnabel, der in einen weiten Schlund übergehtj ein hübscher, fast zweizeiliger Federbusch längs des ganzen Kopfes; große Augeu mit hellblauer Iris; geringes silbergraues und weißes Gesieder; kurze breite Flügel; lange rothe Stclzeubeine mit kurzen, dickeil Zehen und Nägeln und einer abgerückten Zehe, — das sind die Haupt-kennzeichen des Vogels, der an Größe dem Reiher nicht nachsteht, aber entschieden plumper aussieht. Sein Aufenthalt ist au halb offenen, sonnigen Plätzen, wo er in geschicktem Lanfe allen möglichen kleinen Thieren, Mänsen, Eidechsen und Schlangen nachstellt; ja er scheint eigentlich wie sein Namensvetter, das Ema, alles zu fressen. Allerdings hat er in seinem Lcbensberufe viel Aehnlichkrit mit dem afrikanischen Gvpogeranus; doch ist dieser wirklich mehr ein langbeiniger Raubvogel, während das Sariema ein stelzenbeiniger Laufvogel ist. Eine lobcnswerche Eigenschaft des Dichoiophns ist noch die, daß er einen wohlschmeckenden Braten liefert, Sein Fleisch schmeckte mir gauz wie das der wilden Enten. Kurz nach unserer Sariemajagd passirten wir den inselartigen Felsblock Ilha de Ferro uud erkannten gegen Abend im breiter werdenden Flusse den Pao de Assmar, das Wahrzeichen der Stadt gleichen Namens uud das Ziel unserer Schiffahrt, Im Dlinlel stiegen wir an das Land. Beim frenndlicheil 413 Oberstlieutenant Gonzalves Dias debute ich mich nach Ven kurzen, aber höchst anstrengenden Strapazen des Ausflugs zu den Wasserfallen des Paulo Alfonso so behaglich wie nur^möglich im bequemen Bette ans und freute mich, wieder bei Menschen zu sein. In nassen Kleidern Tag nnd Nacht, ohne ordentliche Schlafstelle, mil dem allerdürstigsten Essen versehen, auf fehr schlechten Pferden, die inniges Mitleid einstoßen, und auf schlechten Wegen, auf denen das Reiten eine beständige Vorsicht erheischt, zwischen Bromelieu, Caetns und Mimofen, die alle mit Stacheln bewaffnet sind, durch Lagoen, und angeschwollene Flüsse, in denen man mindestens recht naß wird, einhcrlrabcn — dazn gehört allerdings eine tüchtige Gesundheit und ist ein solcher Ritt durch den Scrtao eine böse Arbeit. In der That muß man den Cvnismus des Lebens und die Verzichtung auf alles, was uur noch im entferntesten an Lebensbequemliehkeit erinnert, anf solcher Neise etwas weit treiben. "Dafür bilden auch Vorkommnisse, wie ich sie im Anfange des Mai durchmachte, rechte Glanzpunkte im Leben cines Reisenden, wie er dieselben nur ganz allein zu schätzen weiß. Am folgeuden Morgen ward ein großes Canot ausgerüstet, damit ich möglichst schnell nach Pcnedo zurückkehren könnte. Mit der herzlichsten Dankbarkeit schied ich von den guten Leuten "'kl Päo de Assuear. Ohne die größte Aufopferung von feiten des Herrn Gouzalves Dias und des Kapitäns Mauoel Ioaqnim wäre es mir absolut unmöglich gewesen, in der allernngünstigsten Jahreszeit den Ritt durch den Eertäo nach dem großen Salto des S.'Francisco zu bewerkstelligen. Um 9 Uhr stieß ich ab. Schnell glitt mein Canot mit dem granen, schmnzigen Wasser abwärts, kaum geleitet vom Canoeiro. Die Fahrt schien die allcrgünstigste werden zu wollen. Aber noch ehe ich Päo de Assuear ans dem Gesicht 414 verloren hatte, brach ein heftiger Südostwind los und hielt mein Canot, ja die ganze Oberstäche des Flusses zurück, so-daß meine Fahrt unmöglich geworden wäre, wenn die (5a-uoeiros nicht zu cineiu Mittel gegriffen hätten, was auf dem S.-Franeiseo beim Abwärtsfahren gegen den regelmäßig wehenden Südostwind eine ganz gewöhnliche Marime ist. Sie legten an das nächste Ufer an und hieben eine Menge Zweige und grünen Bnschwerks ab. Das banden sie im Canot zu einem dicken Packet zusammen, beschwerten es mit cinigeu Steinen und ließen es an einem Stricke einige Fuß tief vom Steuerende des Canots in den Fluß hineinhängen. Alsobald packte die mittlere Wasserschicht des Stroms, anf die der entgegengesetzte Wind keinen Einfluß hatte, das dicke Convolut und zog mittels desselben unser Cauot mit großer Gewalt gegen Wind uud Wellen an. Die Fabel vom dienstwilligen Delphin schien Wahrheit geworden zn sein; nnser grünes Flußpferd unter der Oberfläche des Wassers zog UN' verdrossen und ohne sich auch nur einen Augenblick zu verschnaufen. Während wir in unserer Kajüte bei Stnrm und Negen zusammenbockten, fuhr unser Canot in schnellem Laufe den Strom hinab. Kaum war es nöthig, zuweilen das Fahrzeug aus einzelnen stiller fließenden Seitenbuchten des Flusses in den Strom hinansznbringen. So wurden wir die ganze Nacht hindnrch geschleppt uud erblickten schon am Morgen des folgenden Tags das stattlich aussehende Penedo auf seiner Höhe liegen. Um 10 Uhr landeten wir. In 25) Stunden hatte ich die ganze Fahrt mit Hülfe des Laubbüschels zurückgelegt, eine Distanz von 24 Leguas. Daraus ergibt sich auch einigermaßen die Schnelligkeit des Flusses. Wenn auch die Canociros, wol nur mehr zum Scheiu, mit ihrem Nnder nachhalfen, so können wir diese Hülfe reichlich gegen den hindernden Wind aufgehen lassen 415 und mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, daß der S.-Fraucisco bei vollem Wasserstande in einer Stunde eine Legua zurücklege. Nun ist aber iu den beideu Proviuzeu Sergive uud sllagoas die Messung einer Legua sehr klein. Die beiden Ländchen möchten gern etwas größer sein, und um das zn scheinen, macheu sie ihre ^eguas kleiner. Wir dürfen sie nur zu 38M Klaftern anschlage'u. Das gibt immer noch eine bedeutende Geschwindigkeit für dru Strom des E.-Fraucisco. Sie zeigt fast 47 Klafter iu elnrr Minute uud zwischen 4 — 5 Fuß iu der Secunde. Doch ist solche Geschwindigkeit nur bei reichlichen Wasserständen vorkommend. Bei mittlern ist sie etwas langsamer. Immer aber möchte sie doch 2()!" ausrufen mochte uud Herr Pinheiro danach umhersuchen ließ. Zwei Pferde 416 wurden gefunden, ja! Aber sic waren ill so desolaten Umständen, so ausgehungert in der Dürre vou sieben Monaten, daß ein Ritt auf ihnen, eine Reise von zwei forcirten Tagemärschen, ganz unmöglich war. So mußte meine Rückkehr nach Maceio zn Lande nnterbleiben. Nun wollte ich sie zu Wasser forcircn. Dazn war es nöthig, bis dicht zur Mündung des Flusses nach dem Orte Piassabncn zn fahren, von dort den etwa 4 Legnas fernen Ort Peba an offener See zn gewinnen und von da mit einem Floß, einer Iangada, wie ich sie schon oben beschrieben habe, nach Maceio hinaufzusegeln. Diese Tour hätte nichts Außerordentliches, nichts Gefährliches an sich gehabt. Vor Einführung der Dampfboote reiste man häufig auf diese Weise von Penedo nach Maceio, obwol man immer die Sommerzeit dazu wählte. Mit einem Briefe an den Kapitän Bcnvennto de Faria Lobo in Piassabucu versehen fuhr ich wirklich am ln. Mai in einem ganz kleinen Canot, in welchem ich platt auf dem Boden saß nnd nur ciucn Neger und dessen kleinen Jungen znr Besatzung hatte, den S.-Francisco hinunter. Immer breiter und mächtiger ward der Strom, immer flacher seine Ufer; immermehr grünende Inseln nmfaßten seine eiMlnen Arme, unter welchen Inseln die Ilha dos Bois und die Ilha Grande bedeuteud siud. Gute Weideplätze, Reisniederuugen nnd wogende Iuckerrohrfeldcr wnrden immer häufiger, uud derselbe Fluß, der von Traipn aufwärts das Bild der schlimmsten Unfruchtbarkeit geboten hatte, zeigte an seinem nntevsten Ende üppige Triften. Nach der Fahkt einiger Stunden sah ich den Ort Piassabucu ziemlich im Gebüsche versteckt nnter Kokospalmen liegen, und bald war ich beim Kapitän Benvcnnto am Kirchenplatz des nnfrenndlichen, fast verödet aussehenden Ortes. Wie freundlich nun auch der Kapitän gegen mich war, 417 so hatte er voch nur sehr geringen Trost für mich. Auch in Piassabucu war kein Pferd zu bekommen, ja nicht einmal ein großes Eanot oder eine Banasse, mit der man hatte in See gehen können. Kleine Eanots, um an stillen Stellen des Flusses zu angeln, waren genug vorhanden, doch konnte man mit ihnen nicht die wilde Mündung des Flusses Passiren. Auch machten mich die Erkundigungen, die ich über das Fischerdorf Pcba einzog bei einem Manne, der von dort her war, ziemlich unschlüssig. Freilich sollten dort Iangadas, mit denen dort die Leute zum Fischen in die See hinausgehen, hinreichend vorhanden sein. Seitdem aber Dampfboote den Fluß bcfuhren, hatte man auch an den Iangadas, mit denen man früher Passagiere nach Maeeio brachte, die dazu nöthigen kleinen Palmeuhüttchen u. s. w. fortgelassen. Um ein Floß zum Transport eines Reisenden einzurichten, hätte man doch einen ganzen Tag gebraucht. Und dann wäre es noch sehr die Frage gewesen, ob ich Leute bekommen hätte, die gerade etwas in Maceio zu thun gehabt bätten. Denn für bloßes Geld und als ein gemietheter Arbeiter geht nicht leicht einer von diesen Stmudaristokrateu mit einem Ausländer in See. ' Am schlimmsten war aber die Ungewißheit des Ankom-mens in Maeeio. Schon in sechs bis acht Stunden waren Iaugadas von Peba nach Maeeio gesegelt; doch erzählte man mir auch den tröstenden Fall eines Juristen, der 1Z Tage unterwegs gewesen war. Ich mußte aber, wenn ich meinen Zweck erreichen wollte, ans jeden Fall in einem Tage von Peba nach Maecio gelangen. Endlich brachte man mir einen Gaul zum Ritt nach dem aencmnteu Ort. Aber der Gaul hinkte und hatte ein Geschwür an einer Fessel. Dennoch wollte ich fortreiten, als ein ungeheuerer Negcu sich entschieden in das Mittel schlug. Zwei volle Stuudcn strömte das Wasser vom Himmel. Es ward unmöglich, selbst mit einem guten Gaul noch denselben Avc-«allem ant, Nm'd-Vnisilü'n, I, 27 418 Tag Peba zu erreichen. Am folgenden Tage abcr wäre es zu spät gewesen. Und so mnßte ich mich denn cinnuil wieder zu einer Umkehr entschließen. Ich beschloß am nächsten Morgen nach Penedo zurückzukehren. Unterdcß suchte mir der gute Benvennto meinen ephemeren Aufenthalt im grausigen Piassabncu möglichst angenehm zu machen. Der Ort ist ein Kirchflecken, hat ein sehr kleines' Gotteshaus ans einem schiefwinkeligen Platze, einen Geistlichen und eine Knaben- und Mädchenschule, in welcher 120 Inn-gen und 45> Mädchen von allen Hautfärbungen nnter-richtet werden. Das Kirchspiel enthält etwa H>M Menschen, unter ihnen etwa 4) Pfd,). Doch war im unfreundlichen Ort alles im Stagniren, im Verwelken. Der Kapitäu Beuvennto, der seit 19 Jahren in Piassabucu lebte, gab mir die Versicherung, daß er in der laugen Zeit seines Aufenthalts daselbst auch nicht den geringsten Fortschritt im Ort merken könnte; vielmehr wäre alles in einem Zusammensinken begriffen. Die Dampfschiffahrt auf dem Fluß berührt den Kirchflecken nicht; jeglichen Bedarf an Waaren u. f. w. muß man sich vou Pe-nedo holeu, sowie auch das Wenige, was man zum Markt nach Bahia oder Maeeio mit dem Dampfschiff schicken will, zur Verladung nach Penedo bringen. 419 Ein günstiger Wind am 11. Mai trieb mich wieder in mein kleines Canot, nnb ich segelte mit meiner geringen Mannschaft den Fluß hinauf, gerade als das hübsche Dampfboot Valeria dc Sinimbu in die Mündung des Flusses einlief. Geschickt und mit großer topographischer Kenntniß dcr ziemlich unbewegten Nebenarme brachte mich mein Canoeiro "zwar nach besten Kräften vorwärts; jedoch blieben Wind und Wetter uns nicht günstig, sodaß es schon vollkommen dnnkel und in meinem Canot recht ungemüthlich war, als ich in Penedo wieder an das Land stieg und für^alle meine gehabte Mühe mit Hohngelächter von den Bewohnern des Pinheiro'-schcn Hauses empfangen ward. Beim dampfenden Thee erzählte ich ihnen meine Schicksale in den 48 Stnuden meiner Abwesenheit. Und da machten wir denn, um mich für die fchlgeschlagcne Erpedition nach Piassabucu zu entschädigen, den Anschlag zu einem Ansstng, den ich mit dem Herrn Earvalho aus Bahia, welcher selbst Handelszwccke damit verknüpfen wollte, schon für den nächsten Tag festsetzte. Das Dampfboot Valeria de Sinimbu kam von Maccio und sollte nach Vahia gehen mit Anlanfnng einiger Zwischenhäfen in der Provinz Sergipe. Das Dampfschiff, was von Bahia kommend mich von Penedo nach Maceio bringen sollte, konnte erst in fünf bis sechs Tagen in Penedo sein, mußte aber ebenfalls die Zwischenhäfen der Provinz Sergipe anlaufen, sodaß ich es, wenn ich mit der Valeria de Sinimbu ging, auf jeden Fall im Cotinguibafluß treffen mußte. So erschien mir nichts leichter und statt des unerquicklichen Aufenthalts in Penedo nichts angenehmer, als mit der Valeria de Sinimbn einen kleinen Abstecher nach der andern, am untern S.-Franlisco und zwar auf dessen rechtem Ufer liegenden Provinz Sergipe zu machen, um dort die ganz neu angelegte Hauptstadt Araeaju am Rio-Cotinguiba zu besehen, 27* 420 und auch Maruim, einen kleineu, aber recht bemerkenswerthen Handelsplatz denselben Fluß hinauf, aufzusuchen, wo ich sogar dem Herrn Schramm aus Hamburg, als ich ihn wenige Monate zuvor in Vahia kennen gelernt hatte, einen Besuch versprochen, wenn ich die Wasserfälle des Paulo Alfonso aufsuchen würde. Bei meinen Canotfahrten auf dem S.-Francisco suchte ich nur mittels meiner Boussole annäherungsweise eine Ansicht über den Lauf des Flusses zu verschaffen. Danach fließt der S.-Francisco vou Piranhas: 1 Legua O. z. S. 1 - SO. 1 - SSO. und fast S. 2 - SO. 2 - O. z. S., bis Päo de Assucar. Von dort 1 V2 - SO. 2 - SO. z. O. 1 - SO. 1 - OSO. 1 - SO. V2 - O. z. S., O. und NO. bis Traipu. 2 - O., SO., OSO. 1, - S. und S, z. W. 1 - SSO. 1 - OSO. l/2 - SSO. bis Propia. 2 - SSO., und nach unbedeutender Biegung wieder I V2 - SSO. und SO. z. O. 1 - O. und NNO. V2- NO. '/4 - O. 2/4 - SSO. bis Penedo. Von dort 2 - SSO. 421 2 Leguas O. 2 - S. z. O., bis zur Barre des Flusses. Ich habe bei diesen Angaben keine Rücksicht ans eine magnetische Abweichung genominen, da sie in jenen Gegenden nn-bedcntend ist. Das wenigstens beweist meine magnetische Angabe, daß der Lauf des S.-Francisco von Piranhas an viel mehr ein südlicher ist, als er sich anf manchen Karten aufgezeichnet findet. Drittes Kapitel. Ausflug nach der Provinz Sergipe. — Fahrt nach Aracaju am Nio-Cotinguiba. — Manüm, — Nückkchr nach Pencdo und Maceio. — Nach Pernambueo. 3er Dampfer Valeria de Sinimbn, also benannt nach der ausgezeichneten dentschen Gemahlin des Senators, überraschte mich dnrch seine Eleganz. Das ganz neue, hübsch proportionate Schiff konnte 86 Passagiere erster Klasse unterdringen; dazn bot die Damenkajüte noch für sechs Frauen Platz. Alles war auf das sauberste und angenehmste eingerichtet auf dem in England gebauten Fahrzeug, welches noch das für sich hatte, daß man von dem hohen Hinterdeck weit um sich schauen konnte. So zog ich denn am 12. Mai, zum zweiten mal in 48 Stunden, den S.-Francisco hinunter, noch mehr als auf meiner ersten Fahrt erfreut von so manchen hübschen Scene-rien, die ich vom hohen Kajütenvcrdcck viel besser übersehen konnte, als auf dem Boden eines kleinen Canots sitzend. Nach wenigen Stunden hatten wir die Barre erreicht, nachdem der Lootse für die Flußschiffahrt an das Land gegangen war. 423 Zwar hat die Flußmündung des S.-Francisco 14—IX Palmen (die Palme zu .^ Zoll) Tiefe, bittet aber meistens immer wegen des regelmäßigen Südostwindes einen starken Seegang dar, weswegen die Mündnug ziemlich übel berüchtigt ist und von Schiffen, die zur Barre Hinansziehen wollen, mir bei.besonders guten Gelegenheiten durchfahren werden darf. Die Valeria de Sinimbn fand sehr geschickt ihren Weg in das Meer hinans; doch macht es immer anf Reisende einen fatalen Eindruck, wenn sie, ans still fließendem Strome kommend, sich statt in regelmäßigem Fahrwasser Plötzlich mitten in Brandungen und lwhen rollenden Wogen befinden, heftige Etnrzwellen bekommen und mit dem Fahrzeuge gewaltig hm-nnd hergeworfen werden. ^ Doch dauerte diese unruhige Fahrt nur einige Minuten. Wir befanden uns bald im offenen Meere und liefen in friedlicher Fahrt südlich die Nacht hindurch. Am folgenden Morgen ganz früh befanden wir uns vor der Barre vom Rio-Cotinguiba und mußten mindestens zwei Stunden umhersteucru, ehe die weiße Atalaia, der Wartthurm am Strande, uns das Zeichen gab, daß das Wasser hoch genug zu unserm Einlaufen gestiegen wäre. Der Fluß hat zwei Barren. Eine nördliche führt direct ostwestlich in den Haftn, ist aber absolnt nicht zu Passiren, obgleich sie auf den ersten Blick als die natürliche Einfahrt erscheint. Man mnß den südlichen Kanal anfsuchrn und läuft südlich zwischen Brandungen hindnrch, dann nordwestlich anf das Land zu, wo man mit einem mal auf ein schmales, vom Meere nach Osten nur durch eine große, flache Sandbank getrenntes Binnenwasser gelangt. Nun stenert man nördlich und etwas nach Westen, worauf man in den weiten Fluß einsegelc, auf dessen rechtem Ufer die neue, erst vor vier Jahren begonnene Hauptstadt der Provinz Sergipe, die Stadt Aracaju, liegt. 424 Früher war die Provinzialhauptstadt etwa 8 Meilen südlicher, sie hieß S.-Christovao; doch waren dort die Schiffahrts-gelegenheiteu viel schwieriger, als das für den Centralort einer, wenn auch mir kleinen Provinz — einer der kleinsten von Brasilien —- wünschenswert!) war, und man sah sich zur Nahl einer neuen Hauptstadt genöthigt. Die Wahl fiel ans die Mündung des Rio-Cotinguiba, an welchem, freilich immer erst hinter einer gefährlichen Barre, eine prächtige Hafcn-gelegenheit sich aufthat, und die kleine Stadt Marnim, einige Meilen aufwärts an einem Arm des vielgegliederten Rio-Cotinguiba gelegen, schon längst ein reges, auf die gauze umliegende Landschaft zurückwirkendes Handelstrcibcn entwickelt hatte. Man nannte die ncne, gleich oberhalb der Flußmündung gelegene Niederlassuug Aracaju. Sie gewährt einen ungemein freundlichen Anblick. Alles ist nett und neu ^im Ufer, wenn auch vieles nur provisorisch ist. Die Wohnung des Präsidenten, das Hans der Provinzialdeputirten, ein Soldatenquartier, eine Kirche, sogar eine Freimaurerloge, — alles hat bei seiner Kleinheit und räumlichen Unzulänglichkeit immer einen saubern, hübschen Anstrich. Ueberall regt es sich, überall wird gebaut, überall geschaffen. Auf dem breiten Flusse, m welchen hinein ein neues Zollamt gebaut wird, lagen, als wir kamen, etwa 20 Segelschiffe, unter ihnen manche europäische Flagge, vor Anker, und selbst schon ein Schleppdampf-boot, ein mächtiges Erlcichterungsmittel für die Befahrung der gewundenen Barre, machte sich bemerkbar. Wer von Pe-nedo kommt, wird auf das alleraugenehmste überrascht von dem neuen Orte. Ehe ich Zeit hatte, mich weiter umzuschauen vom Verdeck unsers Dampfboots, kam der Agent der Dampfschiffahrtslinie, Herr Urpia, ein geborener Spanier, welcher mich von Rio her sehr wohl kannte, an Bord und lud mich auf das zuvor- 425 kommendste zu sich ein. Nach einem knrzen Gespräche aber erschien eS zweckmäßiger, meine ganze sergipcnser Erpedition mit einem Besuche des fernern Maruim zn beginnen, nnd dann in Aracaju das von Bahia kommende Dampfboot abzuwarten. So miethete ich denn gleich eins der Boote, die vom Ufer an das Dampfschiff gekommen waren, und fuhr mit dem Herrn Carvalho, der von Penedo ans mein Begleiter war, den schönen, breiten Fluß hinauf, wobei uns der Wind und die laufende Flnt günstig waren. Nach einigen Leguas Fahrt theilte sich der Fluß. Ein südlicher Arm führt nach dem Orte Laraugeiras hinauf; ein mittlerer Arm kommt vom Kirchspiel von Sta.-Anna; ein nördlicher führt durch Manglegebüsch und Sumpfgegend nach Maruim. Bis weit hinauf ist der gemeinschaftliche Fluß schiffbar. Einige Meilen an demselben anfwärts war ehemals sogar ein Zollamt znr Erleichterung des Znckerhandels; doch ist diese Alfandega jetzt nach Aracajn verlegt. An einem Oertchcn, Porto das Pedras, ist eine Znckerniederlage eingerichtet worden, bis zn welcher aus dem Innern der Flüsse die einzelnen Kisten des Rohproducts^ in kleinen Fahrzeugen gebracht werden, um von d*ort in größcru Frachtschiffen nach Araeaju abzugehen, weil der breite Cotinguiba oft von heftigen''Wellen, denen ein kleines, beladenes Eanot nicht widerstehen würde, aufgeregt ist. Mitten aus dem Iunglegebüsch und aus dem Morast steigt Maruiin auf. Unmittelbar am Ufer des hier zwischen Rhizophoren sich auflösenden kleinen Flusses liegt es und man begreift nicht, wenn man eben aus dem Boot steigt, wie jemand hier eine Ortschaft anlegen konnte. Doch macht die Stadt selbst einen keineswegs ungünstigen Eindruck in ihren Baulichkeiten. Gleich vorn an der Piazetta präscntiren sich einige hübsche Hänser. Die ganz neue Kirche mic zwei Thürmen sieht gut ans; und selbst die Straßen, welcher Ausdruck 426 < sonst bei kleinern Städtm im Norden Brasiliens euphemistisch ist, gewähren den Anblick von Handelsthätigkeit nnd regem Treiben. Wollte ich aber Maruim nach der Art nnd Weise skizzi-ren, wie man mich dort aufnahm, so kann ich nnr an die Scene erinnern, wie es dem sich herumtreibenden Odyssens bei den Phäaken ging. Gleich das erste Haus war das große Geschäftshans des Herrn Schramm. Ich branchte wirklich nur meinen Namen zu nennen, um mich im selben Augenblick in einen: angenehmen Kreise freundlicher Deutscher und mit ihnen am wohl-bcsctztcn Mittagstisch zu befinden, dessen ausgesuchte Speisen durch die Gegenwart einer liebenswürdigen jungen deutschen Hansfrau ihre vollendete Weihe und Würzung gewannen. Nach dieser ersten freundliche« Aufnahme ging ich mit einem der anwesenden deutscheu Herren, eiucm Herrn Winter, dem vieljährigcn Associe des Schramm'schen Hanvlungshanses, durch die Stadt nach dem Landhause des Herrn Schramm, wo ich ihn selbst und seine erst vor wenigen Monaten mit ihm von Hamburg über Bahia gekommene Gemahlin antraf, eine Dame, deren edle Geltung* uud Bedeutung nicht etwa nnr in Brasilien, sondern gewiß auch im Norden anffaltend und ausgezeichnet ist. Nirgends ist mir darum auf meiner ganzen Reise eine ftenndliche Aufnahme so angenehm, so wahrhaft erquickeud gewesen wie die im, Hause des Herrn Schramm in Maruim. Und nun gar, wenn man aus dem Sertäo von den Lä'strygonen oder cactusfressenden Lotophagen des S.-Francisco kommt, bei denen alle Cultur, Sitte, Humanität in kümmerliche Viehzucht aufzugehen und vollkommen zu verschwinden droht, wo alle Lebensannehmlichkeit anfhört, ja kaum und nicht einmal kaum die nothwendigsten Lebensbedingnisse gegeben sind, wenn man von solchen tommt, und nun, wenige Meilen fern von solcher Verödung Plötzlich vor , 427 der freundlichsten, duftigsten europäischen Cultur steht, oeren gleichmäßige Entwickelung sich in den Menschen, ihrem Hause, ihrer Hanscinrichtuug, Sitte, Lebcnsgewohnheit, ja bis in Stuhl und Tisch hinein ausprägt nnd ausspricht, und nun auch uicht im geringsten Punkte, in der unbedeutendsten Beziehung sich widerspricht, da ist die herzliche Freude an der Aufnahme in solch ein Haus gewiß leicht erklärlich. Ich lasst darum das einzelne ans den zwei Tagen, die ich im freundlichen Familienkreise hinter Marnim znbringen durfte, fort. Für einen deutschen Leser würde die Darstellung desselben vieles von dem enthalten, was er in dem Laudhause einer deutschen Familie von der besten Erziehung schon erlebt hat, oder noch erleben würde. Die Gegend hinter Maruim ist hübsch uud einfach, ohne irgendwie großartig zn sein. Leichte Hügel mit frischem Grün, - Waldgebüsche ohne große Baumformeu, offene Weideplätze und Zuckerrohrpslanzungen bilden die Landschaft. Ueppig blühende Biguomenranken, Lantanen nnd Solanen, eine hübsche gelbe Eanna, viele sensitive Mimosen u. s. w. traf ich überall auf zwei Morgcnspaziergängen, die ich machte. Dazu kommen Schlangen, Eidechsen, Heuschrecken, Vogelspinnen und Käfer aller Art vor, wie das kleine, eben begonnene zoologische Mnseum der liebenswürdigen deutschen Dame hinter Marnim das mit hinreichenden Schlachtopfern bestätigen kann. Höchst bedeutend ist die Zuckerproduttion um Maruim sowie im ganzen Gebiet des Cotinguiba. Die kleine Provinz Sergipe, der man, vielleicht etwas zu großmüthig, 160000 Einwohner gibt, erportirt im Jahre 00000 Kisten mit Zucker, von denen allein auf die Cotingnibamündung 40000 Kisten kommen, die Kiste zn 50 —M Anoden (zu 32 Pfd.). Maruim spielt eine Hauptrolle in diesem Zuckerhandel. Es zirht den Zucker aus der ganzen Nachbarschaft an sich; cs kommt sogar der größte Theil der Znckerernte, die am kleinen aber wichti- 428 gen Fluß Iaparatuba zwischen dem S.-Francisco und Cotin-guiba, einem Fluß mit gefährlicher Barre, gewonnen wird, über Maruim anf dcn Markt, und erst ganz kürzlich ist der Versuch gemacht worden, eincu Zwischenarm zwischen dem genannten Flusse und dem Cotinguiba, den Rio-Pomongo, zu einer kürzern und bequemern Handelsstraße vom Iaparatuba nach Aracaju zu benutzen. Und doch ist bei all dem rüstigen Treiben ein Rückschritt unverkennbar. Der Zuckerrohrban wird fast ansschließlich von Sklavenhä'ndcn getrieben. Unter den Sklaven hat aber auch in Sergipe die Cholera furchtbar aufgeräumt. Man sucht freie, farbige Tagelöhner zu miethen, kann aber nicht viel mit den faulen Leuten anfangen. Man sucht sich bei Verarbeitung des Rohrs durch Maschinen zu helfen, kann aber doch nicht jede Handarbeit durch den Hebel einer Maschine ersetzen. So ist denn anch für den Zuckerbau in der Provinz Sergipe, den Lebensnerv der ganzen Provinz, alles in der nächsten Zukunft zu fürchten; und die neue Hauptstadt wird, wenn, sie auch günstiger liegt als die alte, den alten Schaden der Sklaverei mit seinen hektischen Folgen doch nicht heilen können. Schon am Sonntag Abend, den 15). Mai, mußte ich die lieben Lantzsleutc in Maruim wieder verlassen. Auf demselben Wasserwege, den ich gekommen war, kehrte ich nach Ara-cajn zurück, nicht ohue von hohem Wellenschlag auf dem breiten Cotinguiba und der auflaufenden Flut unangenehm umhergeworfen zu werden, lim 11 Uhr erreichte ich die Stadt und fand schon beim Landen in halbheller Mondnacht, daß ich gar keine Ursache gehabt hatte, mich mit meiner Abreise von Maruim zu beeilen. Noch war das Dampfboot von Bahia nicht gekommen, und die Aussage einiger Leute, die am Bord der Valeria de Sinimbu mit uns gekommen waren und behauptet hatten, daß der nächstfolgende Dampfer zwei Tage später erscheinen würde, schien sich zu bestätigen. 429 Trotz der späten Stunde fand ich bei Herrn Urpia Einlaß und freundliche Aufnahme. Ich tzonnte drei volle Tage benutzen, um die neue Stadt kennen zu lernen. Von dem vielen Guten und Nenen, was dem Ankommenden schon von fern in die Augen springt, habe ich bereits geredet. Es ist in den vier Jahren der neuen Stadtanlage, schon außerordentlich viel gethan in Araeaju und fast noch ebenso viel wird gethan. Zu einem umfangreichern Präsidentenpalast uud andern großem Bauten ist der Grund gelegt. Zum Bauen wird allgemein ein wenn auch weicher, doch auch un-gemein leicht zu bearbeitender junger Kalk benutzt, der in großen Schieferplatten den Fluß herunterkommt und hübsche Fliesen und Trottoirbclege liefert. Gerade zum Trottoirlegen macht er sich bei seiner reinen, hellgelbweißen Färbung ganz besonders gut. Gin sehr großer Mangel in Aracajn, ein Mangel, den selbst der gute Hafen uicht auswiegt, ist gutes Trink-wasser, was sich auch, soweit ich sehen konnte, von keiner Seite herbeischaffen laßt. Man fängt das Regenwasser auf und besitzt einen Brunnen, eine Art Quelle im Sande hinter der Stadt, aber dennoch ist alles Wasser, was man zu trinken bekommt, sehr schlecht. DaS meiste Wasser siebt goldgelb aus. Ich konnte es kaum genießen; ich muß ihm selbst einen entschiedenen Einfluß zuertheilen auf eine Reihe von Wechsclfiebrranfällen, die ich in Aracajn hatte und noch heftiger bekam. Eine andere Schattenseite der Stadt ist die Hinterseite derselben. Man hat den beuten der untern Stände, die sich nach und nach in Aracaju ansiedelten, erlaubt, sich Häuser nach ihrer Weise und wie sie schon Modelle davon vorfanden unter den mächtigen Kokospalmen aufzubauen. Da sieht man denn hinter und neben dem hübschen Stadtthcil von Aracaju eine greulich? Wirthschaft von aschfarbenen, mit trocte- 430 nen Palmblättern bedeckten Lehmhäusern, urzuständlichen Ran-chos, wie man sie iH Sertao den Leuten wohl verzeiht, die man aber in einer nenängelegten Stadt, einer Provinzial-Hauptstadt nimmermehr dulden sollte. Dadurch verliert Ara-caju wirklich alle Illusion, wenn anch die braunen Einwohner jenes grauen Stadttheils, meistens iudianischcn Ursprungs und selbst ganz rein indianischen Stammes, manchmal ganz gut aussehen und vortrefflich zu ihren Palmcndächern und den hoch über ihnen rauschenden Kokospalmen passen. Einigemal bemerkte ich unter diesen Tapuis schöne, braune Gestalten, Männer wie Weiber. Auf ein Tapuimädchen von prachtvoller Gestalt, die wegen ihrer Schönheit besonders bekannt schien, machte mich Herr Urpia aufmerksam. Sie stand in der Thür ihres Häuschens und kämmte sich ihr Haar, wobei sie ganz wie ein Tizianisches Modell die vollen Schultern mit dem schneeweißen Hemde bedeckt zn halten sich eben keine Mühe gab, wie denn die ganze wilde Person sich ihrer übermüthigen Reize vollkommen bewußt zu sein schien. Und solche wilde, übermüthige Frauenrcize scheinen m Aracajn immer noch einige bedeutende Uebergriffe ans deu zahmen Theil der Bevölkerung zn machen. Ich lernte unter diesen zahmen Einwohnern manche freundliche, sehr wohl erzogene Leute kennen, die mir aber fast alle, besonders einige zum Admiuistrationsetat gehörende Angestellte, sehr offen klagten, daß es vorläufig noch in Aracaju kaum zum Aushalten wäre. Das kann ich mir vollkommen gut dcukcn. In einer kleinen , erst seit vier Jahren aus dem Sande des Meeres herauswachsenden Stadt kann sich noch keine gute Gesellschaft herausbilden, noch kein höherer Lebensgenuß, noch kein Kunstgenuß aufkommen. Jemand, der eine Stadt-nur flüchtig auf einige Tage besncht, kann ja kaum über etwas, am allerwenigsten über das gesellige Leben, urtheilen. Es 431 schien sich mir aber solch geselliges Leben auf gar nichts-zu reducircn. Von Concerten, einem Theater, Casino n. s. w. habe ich keine Spur bemerken können. Zu kleinen Gruppen versammelt sich abends das Volk vor dem Hause des Präsidenten, wenn dort die kleine Musikbande des in Aracaju stationirten Bataillons bläst. Und ein solcher Abend hat allerdings seine Schönheit; ich lernte sie kennen, um sie nie wieder zu vergessen. Der Vollmond schwebte über den Palmen des jenseitigen Flußufers und beleuchtete scharf den breiten Hafen, die bellen Häuser der Stadt und die darüber hinausrauschcnden Kokosbäume. Anmuthig schwebten die Töne der Musik in den klaren Abend hinaus, während einzelne Mcnschengruppen laugsam auf dem Ufer hin- und herwandelten, braune und-weisie Gestalten durcheinander. Das war allerdings reizend und wirklich tief poetisch. Ob aber Geist nnd Gemüth auf lange Zeit und bei alltäglicher Wiederholung desselben Schauspiels befriedigt werden, wage ich nicht zu entscheiden. Am Cotinguiba nnd dem noch ferner liegenden Maruim mag wol tiefe Sehnsucht nach etwas Vesserm als der praktischen Thätigkeit des Alltags nnd ein stilles Heimweh nach der Gesittung des Nordens nicht nur verzeihlich, sondern vollkommen gerechtfertigt sein als das Zeichen eines edeln Gemüths. Am 17. Mai abends spät kam endlich das Dampfboot Cotinguiba von Bahia, nnd brachte mit seinen Zeitungen und Briefen aus Nio über Bahia jene volle Hochflut der Bewegung und des Nachrichtenaustausches mit, die man überall da erlebt, wo nnr ein- oder zweimal im Monat ein Packctschiff mit neuen Nachrichten von der Welt überhaupt, besonders aber von der Metropole hingelangt. Am 18. Mai nahm ich vom Ufer Abschied, denn am folgenden Morgen sollte wegen der Frühflut sehr früh aufgebrochen werden. 432 Noch stand wirklich der Mond hell am Himmel, als unser Anker gelichtet ward. Langsam ging unser Cotinguiba dcr Barre zn, welche wir trotz ihrer Brandungen nnd Windun-gen ganz gut passirten. Daß ein Dampfboot, welches nur 4 — 5 Fnß Wasser verlangt, das Manöver des Ein- und Auslaufens an der Barre von Cotingniba vollkommen gut vollzieht, kaun ich schon begreifen. Wie das aber einzelnen Segelschiffen, zumal beladenen und namentlich beim Auslaufen, immer noch so gut gelingt, ist mir räth selb a ft. Ebenso wie auf dem S.-Francisco ist anch auf dem Cotingnida dcr Landwind morgens sehr schwach und nnznverlassig, hingegen Seewinde ans Nordost und Südost vorherrschend. Ohne einen guten, frischen Landwind kann nicht leicht ein Schiff zur Barre hinaussegeln wollen, und gar manches Fahrzeng ist schon dort zwischen den Brandungen zcrscheitert, weil ihm im kritischen Moment der nöthige Wind ausgiug. Da ist denn allerdings das Schleppdampfschiff eine große Wohlthat und Verbesserung in der Schiffahrt vom Cotinguiba geworden, und allmählich wird die Barre den übel berüchtigten Namen, den sie besitzt, verlieren. Unser Dampfer Cotingniba, der sich in keiner Hinsicht mit dem eleganten Schiff Valeria de Sinimbu messen konnte, obgleich er eine recht ordentliche Fahrt machte, lief den ganzen Morgen längs einer ziemlich öden und langweiligen Küste. Um 1 Uhr erreichten wir die Mündnng des S. - Francisco, dessen lehmgranes Wasser wir schon weit im Süden erkannt hatten. Cin Kanonenschuß unsers Dampfers rief den Lootsen-kutter herans und bis zn den Brandungen dcr Barre. Mittels seiner Flagge auf langer Stange zeigte uns dcr Pilot den Weg dnrch die Seeschwellungen, und nach einer halben Stunde lief unser Cotinguiba im ruhigsten Wasser des Flusses. Doch erreichten wir erst spät am Abend Penedo. Schon am nächsten Mittag sollte dcr Cotingniba wieder 433 in See und nach Maeeio geben, aber ein graues, unerfreuliches Regenwetter hinderte alle Bewegung iui Löschen und Laden des Dampfschiffs, sodaß man zu seiner Expedition einen Tag hinzulegen mußte und die Abreise auf den 21. Mai in der ersten Morgenfrühe festsetzte. Mir war, wie satt ich auch den monotonen Ort hatte, doch diesmal ein Rasttag nngemein lieb und selbst nothwendig. Infolge meiner Streifereien auf dem S.-Franeiseo und durch dessen Uferwüsteneien hatte ich seit einigen Nächten, znerst im Landhause des Herrn Schramm, von 11 Uhr abends bis gegen Morgen einen zwar schmerzlosen, aber doch höchst intensiven Fiebcranfall, der mir übermäßigen Schweiß hervorrief und mich bedeutend schwächte. Dazu war mir nachts mein Gehirn bei vollkommen wachem Zustande aufgeregt, so-daß ich mich manchmal anfsctzen mußte, um mich umzusehen und mich zn besinnen. Ich befand mich genan in demselben Zustande, wie ich inich am Mneuri befunden hatte. In Pe-nedo hatte ich Zeit und Ruhe, einige kräftige Gaben Chinin zu nehmen. Schon in der folgenden Nacht blieb ich vom Fieber verschont und befand mich seitdem durchaus wohl. Vor Tagesanbruch des 21. Mai stieg fast das ganze Haus des Herrn Pinheiro >zum Ufer deö Flnsses hinab, um nach Maecio zu gehen. Er srlbst mnßtc als Provinzialdepntirter an den dortigen Kammcrverhandlungen tbeilnehmen; mein treuer Begleiter Carvalho hatte an der Praia von Iaragna Handelsgeschäfte zn besorgen, ich selbst wollte über Maceio nach Pernambneo nnd von dort meine Reise weiter verfolgen. Was waren aber all diese politischen, mercantilischen und wissenschaftlichen Tendenzen gegen den schönen Beruf unsers vierten Reisenden, des Herrn Agniar! Seit wenigen Monaten war er vcrheirathct mit einer jnngen, lebensfrischen Frau; er hatte sich wegen eines Geschäfts in Penedo znm ersten mal aus den Armen seiner fenrigen Gattin losreißen müssen. 434 Was wunder, wenn er von uns allen am ungeduldigsten war, Penned o zu verlassen! Schmerzlich sollte ich es noch einmal, glücklicherweise zum letzten mal, erfahren, wie schwer es am Rio-de-S.-Fran-ciseo ist, sich mobil zu machen. Kanm 5)0 Fnß fern vom, Ufer lag das Dampfboot vor Anker; nichtsdestoweniger dauerte das Hinübcrbringcn unsers gemeinsamen Gepäcks und nnserer eigenen Personen ungefähr anderthalb Stunden, und ich schied vom Ufer mit der festen Ueberzeugung, daß cm diesem Fluß, nut diesen Menschen nie ein Fortschritt gemacht werden würde. Wie soll es denn gemacht werden, wenn niemand sich an eine regelmäßige und zusammenhängende Arbeit begeben will? Zur Zeit der portugiesischen Zwingherrschaft war es anders. Da kamen große Sklavcnladungen von Afrika, und die Peitsche schlug den Takt zur wohlgeregelten Arbeit. Jetzt ist das anders! Die Zwingherrschaft hat aufgehört; kein Sklave wird mehr importirt und die freien Faulenzer bekommen keine Prügel. Und wenn man sie nun fragt, die Hungerleider am Fluß nnd im Sertäo, woher es ihnen so kümmerlich geht und warnm sie gar nicht vorwärts kommen, so ist die Stereotypantwort: >»''. Capanema kam von Rio, nm sich ihnen anzuschließen. Wir gingen, etwas reichlich vom Seegang geworfen, in die Weite hinaus, nnd verloren bald das Leuchtfeuer von Mcneio aus deu Augen, 443 Am Abend spät hatte ich noch cm göttliches Abenteuer, was mir einmal recht klar vor Augen stellte, daß an einer brasilianischen Küste, wenn auch das Dampfschiff europäische Formen und Normen hat, damit doch nicht alles europäisch ist. Das Boot war mit Passagieren überfüllt. Um 10 Uhr ließ ich mich von einem der Anfwärter in die Cabine fuhren, um mein Bett in Besitzen nehmen. Gin lebhaftes Flöten^ spiel schallte mir entgegen. Ich öffnete die Thür des kleinen Cabinets und hatte eiuen widerlichen Anblick folgendergestalt : Auf dem Sofa lag ohne Hemd, nur mit einer Unterhose bekleidet, ein dicker, weißer Brasilianer lang alisgestreckt. Ihm gegenüber im nntern der beiden Betten lag ein wohlbeleibter, dunkler Mulatte vollkommen nackt anf dem stücken, als ob er bei den Boloenden amMumri anfgewachsen wäre, und blies die Flöte, — alles in der hellsten Beleuchtung. Mich frap-Pirte diese maßlose Schamlosigkeit in solchem Grade, daß ich starr stehen blieb, dann aber, als beide nicht die geringste Miene machten, dieser Position (5'inhalt zu thun, in cinige bittere Worte gegen den Mulatten ansbrach, der ebenso frech in seinen Reden wie schamlos in seinem Daliegen war und, nachdem er so ein anständiges Ohr und Auge ans das liesste beleidigt hatte, auch noch meine Nase auf das schauderhaft teste mit jenem unleidlichen Geruck affieirte, der schmuzigen Mulatten nnd Negern eigen ist, des boshaften Catull's — — — mala fabula, qua tibi scrtur Vallc sii!) alarum trux liabitasst1 caper! Wenn das auf dem englischen Tampfboot gewesen wäre, ich glaube, man hätte, wenn ich den Commandanten gcrnsen, den Mulatten zu den Matrosen oder in den Kiclranm gesteckt. Am folgenden Morgen, nachdem ich die Nacht in dem großen, luftigen Kajütensaal, freilich in unbequemer Lage, hin- 444 gebracht hatte, erzählte ich die Geschichte und erfuhr nun, daß der Mulatte — ein livelm- jui'ls mrm^uo ware uud Mu-nicipalrichter von Vigia in der Provinz Parä! Wirklich kam er mir erst in- Para aus den Augen uud cms der Nase. Wundervoll im ersten Morgenglänzcn sahen wir am ZO. Mai Pernambueo ans der Flut aufsteigen. In ziemlich heftigem Wogendrang kamen wir bis zur Tartaruga vor dem Leuchtthurm. Eine machtige graue Wasserflut quoll uus dort entgegen, ein auffallendes Phänomen, dessen Bedeutuug uus erst klar wurde, als die Hafenvisite kam und uns meldete, daß die ganze Landschaft von Pernambuco unter Wasser stände. Gewiß ist die Negenmasse, die im April und Mai besonders im nördlichen Brasilien gefallen war, eine sehr bemerkenswcrthe gewesen. Die Küsten von Nio uach Süden und Norden wurden in der Mitte des April von unerhört starken Regenstürmen gc-geisclt. Schon als ich Pcrnambueo verließ, um nach. Maceio zu gehen, goß es in Strömen vom Himmel. Den Rio-ve-S.-Francisco fand ich in starkem Steigen und hohem Wasscr-stand. In den Tagen meines Rittes durch den Sertäo bekam ich einen Schlagregen nach dein andern. Als ich nun nach Pcrnambuco zurückkam, glich die Umgegend einem Landsee. Auch am Amazonenstrom war Achnlichcs vorgekommen. Eine furchtbare Höhe hatte dort das uugeheucre Gewässer gewonnen. Wir kamen an das Land. Blutige Kriegsnachrichten warm soeben aus Europa gekommen. Nnd doch nahmen sie im ersten Augenblick nicht im mindesten meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Gin größeres Moment war vorgekommen. Alcrander von Humboldt war gestorben. Die Nachricht war größer als der Zwist der Kaiser und der Haver der Völker. Im April l.858 war ich beim alten Bonpland in Corricn-tcs. Siebzehn Tage darauf starb er, am 4. Mai. Als ich am ersteu Jahrestage seines Todes im Scrtao des S.-Francisco den Wafserdampf der Katarakten von Paulo Alfonso aufsteigen . 445 sah, gedachte ich dcs schlichten bescheidenen Mannes, gedachte seiner und seines großen Bundesgenossen, Humboldt's, vielfach in den folgenden Tagen. Das freilich ahnte ich nicht, daß znr selben Stunde Humboldt in Berlin mit dem Tode ränge, daß er stürbe. Der alte Bonpland hat Alerander von Humboldt gerufen am ersten Jahrestage des 4. Mai, und Humboldt vernahm den Ruf; so innig verwebt waren beider Naturen. Nur gebrauchte der Stärkere von beiden einige Stunden Zeit mebr, um sich loszutrennen vom Erdcnstanb. Er verschied ein Jahr und' 48 Stunden nach seinem alten Freund, beide mir ein paar unvergeßliche Figuren. Alle Forscher, die auf dem Felde der Naturuntersuchung nach etwas Großem und Edelm ringen, mögen wol wünschen, einen „Kosmos" geschrieben zn haben. Und doch gibt es noch etwas Schöneres für den, der selbst in der offenen, weiten Natnr einzelnen ihrer Klänge lauschen durste, ein wunderbares Doppelbild, das Bild von Steppen und Wüsten, und das von engerm Rahmen umfaßte Orinoeobild von Atnres und Maypures. Das ist eine edle Natnrmnsik, wie keine zweite von Menschenhand eompom'rt worden ist. Sie hildet Humboldt's schönstes Denkmal, nicht sein größtes. Und so ist mir denn auch seine persönliche Erscheinung nm lebhaftesten gegenwärtig aus dem Moment, wo er mir eben einen Brief an seinen „lieben Freund", den edelu Haidinger in Wien, gegeben hatte, um meine Novara-Angclcgen-heit einzuleiten. Das Bild der vollsten Milde, Bescheidenheit und Herzensgüte stand er da und gab mir beim Scheiden die Hand mit den Worten: „Nun gehen Sie nach Wien; und wenn Sie 'dort irgendwelche Persönlichkeit treffen, die cms die Angelegenheit Einfluß hat, so schreiben Sie es mir sogleich. Alles, was ein alter Gelehrter für Sie thun kann, wird er ganz bestimmt thun." Und er hielt Wort. 44li Ja, er war ein lieber alter Gelehrter, Alerander von Humboldt, und dabei groß wie kein anderer. Auch von ihm mag, wie Gewaltiges anch sonst noch über ihn zu sagen ist, der große englische Varde in einfacher, edler Weise gesungen haben: Druck von F, ?l. BrvcthtMs in Leipzig. His life was gentle, and the elements So mix'd in him, that Nature might stand up, And say (o all the world: This was a man!