^ !^<^l ^^ ^/^ ^ /?^?, -^^, ^s^ >, «. Maf Hirsch. Mit drei Nnsichleu n«d cincr Karte. Hamm, G. Grotc'schr B n chha ildlunc) (C. Müller), REISi in ALB ERI El. Vorwort. Zwei Dinge sind schön in dieser Welt-Ein schöner Vers und ein schönes Zelt. Bub t>n Haha« ullm G»nr Abd-ri-Undrr. Unser Enropa ist ein kleiner Erdtheil, und durch die verwandte Abstammung, die ähnliche Religion und Cnl« tur, dnrch die ummterbrochcue und intensive Verbindung während zwanzig Iahrhundertcu, gleichen sich seine Nationen, mit allen ihren Unterschieden, wie die Geschwister einer großen Familie. Aber dicht vor den Thoren unseres Continents, nur durch ein schmales Meer von ihm getrennt, erstreckt sich ein Gebiet, dessen Natur und Bevölkerung IV im entschiedensten Gegensatz zu dem Heimischen und Gewohnten stehen. Ein Klima, das sich dem tropischen nähert; eiu Boden, der alsbald zur Wüste übergeht; in Pflanzen- nnd Thierreich ganz eigenthümliche Formen und Geschlechter; die Menschen endlich nach Religion und Staatsverfasfung, nach Lebensweise und Sitte im Größten wie im Kleinsten gänzlich von uns verschieden — alles das tritt als eine fremde Welt dem Reisenden in Nord-Afrika entgegen, und ruft bei jedem Schritte die freudigste lleberraschung, das anregendste Staunen in ihn: hervor. Möchte der freuudliche Leser, der mir auf meiner Wanderung in das Innere von Algerien folgt, we nigstens annähernd den reichen Genuß und die tiefe Belehrnng empfangen, welche mir jene Reise zu eiuer unvergeßlichen gemacht! — Nicht bloße Schilderungen biete ich; sondern getreu dem Worte Spinoza's: weder weinen, noch lachen, sondern verstehen — suchte ich die manuichfachcn und fremdartigen Erscheinungen durch ihren Zusammenhang unter einander und mit der Geschichte zu ergründen und zu erklären. Ist mir solches einigermaßen gelungen, so erhält der Leser in dem engen Rahmen meiner Reise die Perspektive auf den ungeheuren Horizont des Morgenlandes, und V trägt statt bunter Notizen ein wirkliches Stück Erkenntniß mm dannm. — Es mag befremden, daß ich die Beschreibung meiner vor sechs Jahren unternommenen Reise erst jeht veröffentliche. Allein in der ersten Zeit verhinderte langwierige Kränklichkeit die Vollendung meines Berichtes; und später schreckte mich gerade die Ver-spätnng. Nur das Drängen einsichtiger Freunde bestimmte mich schließlich doch zur Herausgabe. Sie hoben hervor, daß ein großer Theil meiner Reise noch niemals beschrieben worden, und daß sich überhaupt in den Verhältnissen Algeriens seit sechs Jahren unr Unwesentliches verändert habe. Zu den hundert früheren Experimenten der Franzosen sind inzwischen vielleicht zehn neue gekommen — aber von wirklichen Erfolgen ist nichts zu bemerken. Die Franzosen verstehen sich einmal nicht anf das Colonisiren'*). Anch die verdienstvollsten Reisebeschreibungen leiden nur zu häufig an einen: Fehler, der wie ein Schleier alle soustigen Vorzüge zudeckt: sie sind eintönig und *) Hierüber, sowie über die wirthschaftlichen Verhältnisse im Allgemeinen, habe ich mich schon früher in einer kleinen Schrift ausgesprochen: Skizze der volkswirtschaftlichen Znstände von Algerien. Mit Rücksicht auf die deutsche Auswanderung. Göttingen, G. H, Wigand. 1857. VI trocken. Gerade meine Wüstenrcise hat mich vor diesem Fehler gewarnt; ich erfuhr es, wie frische Quellen und schattige Oasen erquicken, und habe mich bestrebt, durch ähnliche Abwechslung auch den Nnter-haltuug suchenden Leser zu befriedigen. Berlin, den 6. December 1861. Der Verfasser. Inhalt. Keite I. Won Ulgier nach Unntale...... i Ausritt von Algier. — Vorstadt Mustapha. — Landschaft um Algier. — ^»i-ier als Soldaten. — „OMciei-s cle l'scow." — Deuwkratifche Beförderung — Turko-Fest, — Der vierte Gast. — Echt englisch. — Lazareth und Klima, ^ Doktor uud Sergeant. — Förderung des Islam. - Ro» mische, «llterthiuner. - Gemse uud Gazelle. ^ Staunn und Chalifat. — Chali-fat der Mokrani. — Widerstand der Kabylen. - Der orientalische Krie^. — N». r«»u »llldn, - Französische Verwaltung. — Vestcneruug der ^iugeboicnm. — Tabak-Prämie......................... 5» Die Religionen im Handel. — Die Muhammedaner. — Die Juden. -^ Natio« nale GeschäftsthcÜuug. — Vunteö Treiben. — VerMunnern der Mauren. — Nur Garnisonstadt! — Die Spahis, — Männer»Kleidnnst. - Der Vnrmis siir Nlleö. — Mekka-Pilger. — Hadschl und Paradies. — Vorzüge der Spahis. — Algerien die französische Kriegsschule. — Maghsen und Ghniu, — Ausrottung der Näuberei. — Tannenbauin nnd Palme. — Gin Salon i» Aumale. — „^Illdame," — Hannival und Abdel'Kader. — Der nene Saladin, — Mein bestes Nachtquartier. III. Zie Große Kabylie........ si Unsere ,«,ivav,iue. Abschied von Anmale. — Römische SNauenhofe. — Der Dfchurdfchura, ^ed esEahel. — Küste der Kabylie. — Arabischer Gesang. — Volkslieder. — Waffcu der Kabyleu. — Algerische Vegiüßnng. — Gin Gurbi.Poften. VIII Seite — Sicherheit vor den Kabylen. — Schnelle Justiz. — Arabische Bittstellerin, — Beim Kaid Nudan. — Intuition auf der Reise. — Homerischer Schmaus. — Kus- kussu. ^ Speise^Eereiuoniell. — Algerische Lebensweise. — Deutsche Fröhlichkeit. 102 Kaid Bndan. — Die Namen mit „Vu," — Stürmischer Ritt. — Die Europäer in fremden Welttheileu. — Ruheplatz am Ned-Sahel. — Feigen oder Dat teln? — Veränderung der Landschaft, — KabyUsche Dörfer. — EoncenMrnng der Wohnplätze. — Verschiedenheit der Kriegführung. — Bordich. Neni-Manssnr, — Statistik der Kabylie, - Besatzung des Forts. — Beni-Welikesch. — Beni-Abbks. — Geschichte der B.°Abbl-s. — Nu-Vaghla s Ende, — Aussicht vom Fort. — Dschur-dschura und Kaukasus, ^ Dorf B,-Manssur. — Staunn B.°Manssur. — Verdächtige Notschaft .......................... 124 Sillen und Zustande der tlnliyle«. — Falscher Naturzustand. ^ Almorabithen und Almllhadcn, — Innere Zwietracht. — Politik der Geistlichkeit. — Die Sau« jas. — Einfluß der Marabuts. — Der Anasa. — Kabylische Demokratie. — Kabylie und Schweiz. — Allgemeiner Kriegsdienst. — Strafrechl. — Hehlerei. — Verwilderung der Verbern. — Verfall der Araber. — Die orientalische Frage. — Große Aussichten, IV. Bibän und Aedschana.......142 Wed°el°Ailmn. —- Nab-Sseghir. — Nacktyeit der Felsen. — (Äust und Jetzt, — Natürlicher Canal. — Schwefelquellen. — Verirrt! — Bei ,naid Achmed'el°M0' krani. — Erstickender Rauch, — Fürst und Bauer. — Einkünfte der Wokrani. — Schatze der Wutrani, — Arabische Newirthnng. — Schwieri.^cit des Schleibens. -Fiirstlicbes Nachtlager...................... l57 Bmdsch-Nu-Ariridsch. — Die Verlier-Pferde. — Preise der Pferde, — Abliar tung der Pferde. — Eedernwald. — Das nene Chaos. — Chlil, der Thränenreiche, — Die beiden Spahis, — Die Kleine Kabylie. — Römer in der Kabylie. — Schlechte Karten. — Wiederfinden. — Afrikanische Reisende. — Der Steinmetz vun Ulm, ^ Der Goldschmied vun Medea, — Prosaisches Khalifat..... l?» Nnfbruch »on Nordsch. — Das wahre Binnenland. — Ursachen der Wüstenbil-dung. — Das Nomadenthnm. — Musitalischer Empfang. — Zelthäuser. — Vor-züge der Nomaden. — Politischer Zustand. — Sidi°Nlichel-eilere 'Arbeiten, — Die Vielehe als (irleichterung. — Hinsterben der Kinder »nd Schwachen, — Heilsame Folgen der Uebcruölt'ernng. — Dcr junge Marabut. — Erblichkeit der Priesterwürde. — Das Gegentheil in, Occident . . 312 Nnfbruch von Mdukal. — Gänzliche Einöde. ^ Natürliche geologische Karte. — Flucht der Führer. — Aussicht auf die Sibün. — Sudan «nd («ätulieu. — Wed» el°K6ntara. — Nähe der Sahara. — Wichtigkeit der cara. — Neger-Stillleben. — Ackerbau in der Oase. X Seite VIII. Gou der Küste zum Meere.....304 Abreise von Biscara. — Verhandlung mit dem Spahi. — Dschebel > Äielh. — Der Deserteur. — Geschichte deö Deserteurs. — Ankunft in Vl.Kuntara. -^ Leiter Morgen in der Sahara. — (Kmgcing des En,Mfseb. — Rückblick auf die Qase. — Kriegerische Staffage. — Schlucht «cu Cl°Ksntam. — Nümer-Brmke. — Inschriften bei El-K6ntara. — Veränderung des Klimas. — Hochland an, Wed-Ks»r. — Kara-vanserai von Ksur. — Römische Heerstraße. — Der Lentiskenb.ium. — Verkehr zur Römerzeit. — Ankunft in Vatna................ 334 Anöfliic, nach Lanldeffa. — Die Juni- m>b December-Deportirten. — Nuiue»> Stadt. — I'raowriui». — Circus, Trinmphbllgen und Leinpel. — Ungestörter (Hin. druck. — Die Swdt Ncitna. — Statistik von Vatna. ^ Nitt nach A'u.Iakut. — Schauja-Frnhstück. — Äiinimunl der Vedürfmsse. — Ein Nachtomnle der Van-dalen. — Wirthshaus der Seen, — Pachtyof HNn Veu, — ^rnstantme. — Pdilippe-ville und Etora. — Abschied u»n Afrika, Erläuterungen. 1) Die dem Buche angefügte Karte macht keinen Anspruch auf Selbstständigkeit und Genauigkeit dcr Details, sondern ist von mir «ach den besten Hülfsmitteln entworfen, um den Lesern, die keine umfangreiche Original-Karte von Algerien besitzen (jedenfalls die grosic Mehrzahl), zur allgemeinen Orientirnug zu dienen. Zumal die Gebirge sind daher nur ihren Hauptrichtnilgen nach verzeichnet. Die beste mir bekannte Karte von Algerien ist die von Dufour, Paris 1857, nach den Aufnahmen des Generalstabs ausgeführte. 2) Das Titelbild zeigt im Durchblick durch ei» maurisches Thor die Stadt Algier mit dem Hafen von Osten gesehen. Die stehende Figur ist ein Turko, die kauernde eiu Araber. 3) Die Vignette über dem I, Kapitel enthält ciue Zufammenstcllung algerischer Natur- und Kmisterzengnifsc. Von Pflanzen sieht man die indianische Feige, die Aloö und Blätter der Banane; von Waffen den maurischen ?)atagan mit getriebener Silber-Scheide, und die tabylischc Flissa mit geschnitzter und bemalter Holz-Scheide; beide nur wenig gekrümmt, nud mit kurzem Griff ohue Bügel. Die lange arabische Flinte mit Stcinschlosz uud cisclirtem Lauf, sowie die ähnlich beschaffene Pistole sind bekannt. Das Lederwcrk besteht aus einem reich verzierten, türkischen Sattel mit knrzem Steigbügel, nebst Zaum und Zügel, und einer Msi< laner Reisetasche. Auf dem Steine endlich liest man in arabischer Schrift den einheimischen Namen von Algier: Al-Dschcsair (die Inseln; da die Stadt ursprünglich anf solchen gelegen). 4) Die Ansicht von Bugia zeigt im Hintergrnnde das Dschurdschura-Gebirge, XII 5) Die letzte Ansicht zeigt Eonstantine von der halben Tiefe der östlichen Schlucht aus. Die Brücke über den Abgrund, El-Käntara genannt, ist bis auf den obersten Thcil, den ein Bey erneuerte, ein alter Nömer-bau; Constantine wird allgemein für das alte Cirta, die Hanptstadt Nu° midiens, gehalten. Rechts oben liegt die Kasbah; der natürliche Damm. auf dem die Chanssee in die Stadt eintritt, befindet sich gerade auf der entgegengefetzten Seite, nach Westen, 6) Uebersctzung der römischen Inschriften (so weit dieselben verständlich und von Interesse sind),- S. 326. „Die Imperatoren Cäsaren Marcus Anrelius Antoninus und Lucius Aurelius (Verus), die Gcrmauischm, Sarmatischen, Tapfersten, haben das durch Alter zusammengestürzte Amphitheater von Grund cmf wiederhergestellt, durch die 6, Cohorte (die Commagcnische?)" . , , (Folgen die Namen der dabei betheiligten Befehlshaber.) S, 377. », „Merkur deni Hehren heilig, zur Wohlfahrt.' (Sehr passend für eine Brücke, die den größten Thcil des Handels zwischen der Sahara uud Küste vermittelte.) d, „Dem Imperator Cäsar Publius Aelins Hadrianus (und) bem Kaiser Antoninns Pins, Oberpriester, Tribnn zum 21,, Imperator zum 2,, Consul zum 4, Male, unter bem kaiserlichen Legaten ImatucciuS Fuscinus, die dritte kaiserliche Legion." (Diese, sowie die vorhergehende und folgende Inschrift sind nach Dr. Gnyou copirt, uud tann ich die volle Gewähr dafür nicht übernehmen. So z. V. fängt diese Inschrift bei Guyon mit einem?. an, während ich, gewiß mit vollem Recht, Hl? dafiir eingesetzt habe.) S. 389. „Dem Acöcnlap und der Wohlfahrt der Imperator Caesar Marcus Aurelins Antoninus, Kaiser (und) Oberpriester, und der Imperator Cäsar Lucius Aurelius Verus, Kaiser." I. Van Algier mck Amnnte. Anf dm, Goiwcnmnmw-Plake zu Algier traf ich in der Frühe des 21. Decembers 1855 uiit ineinen Reisegefährten, einem Gutsbesitzer nnd eineiu Officer aus Mecklenburg zusammen. Geleitet »on nnserni lnanrischen Diener, begaben wir uns durch die noch stille Arkadmstrafte Bab-Asun nach der gleichnamigen Vorstadt, wo dic geiuictheten Lastthiere i:ns «warteten, Pferde zu dem dreitägigen Nitt nach Auumle hatte uns der einzige Vermiethcr in Algier rundweg abgeschlagen, mit dein Bemerken, cr habe feine Pferde nicht, nm sie auf ungangbaren Wegen nm-kommen zu lassen. So musiten wir von verschiedenen Mauren nnd Arabern liier Maulthiere zusammcnniiethen, und auch das hielt noch schwer, da der Waarentransport diese Thiere gerade sehr in Ansprnch nahm. Der ungewöhnlich hohe Miethpreis detrng 10 Franes für jedes Thier und jeden Tag. Wir fanden unsere vierfi'chigen Begleiter in einem dalb zer- i 2 Ausritt von Algier. fallcnen Stalle, von echt arabischem Charakter, und eine solche Menge Eingeborene tummelte sich darin und daran hrrum, alö gälte es die Ausrüstung cincs ganzen Heerzngcs. Endlich kamen auch unscrc Träger. Nun ging's hastig an das Bepacken der Thiere; drei von ihnen erhielten die landesüblichen Doppcltaschen, aus Palm - Matten, in welchen unsere Kleidungsstücke, Küchensachen, Mnndvorräthc znsammt dem Futter möglichst gleichmäßig untergebracht wurden. Die beiden Mecklenburger nud Ehlil, unser Dolmetscher, nahinen nut vieler Mühe ihren Platz über den strotzenden Taschen, während ich für heute das uubcladenc Maulthier bestieg. So ging es endlich um 8 Uhr vorwärts. Kaum kann man sich etwas Komischeres denkeu, als unseren Aufzug. Wir drei Europäer trugen über unsere heimische Klei» dung einen schwarzen Burnus von grobem Zeuge mit Kapuze, rothscidcucr Einfassung und desgleichen Troddeln — ein Klei-dungsstück von solcher ^äuge, das; es außer uns noch den ganzen hinteren Ban unserer Maulthicre bedeckte. Ueber dcn Schultern trug jeder seine Doppelflinte, zugleich zur Jagd und zur Wehr gegen etwaige feindliche Angriffe. Unsere Beine hingen vorn am Halse der Thiere herunter; sie über die breiten Taschen zu strecken, wäre wohl selbst ciuem Kunstreiter auf die Dauer un-möglich gewordcu. Meiuc beidcu Reisegefährten waren außerdem von ungewöhnlicher Grüße, so daß sie mit geringer Mühe ihr niedriges Lastthicr zu einem sechsbeinigcn hätten machen können. Die Beine gewährten übrigeuo dcu größteu Nutzen durch ihre unausgesetzten Pendelbeweguugen gegen den zwischeuliegeudcn Hals; ohne diese wären wir kaum von der Stelle gekommen. Zum Trabe, selbst zum allersanftesten, waren die phlegmatischen Thiere durchaus nicht zu bringe». Unser Chlil, ein junger Maure aus der Stadt, der auf der Straße vou seinen frcmdcu Spielkameraden das Französische meisterhaft gelernt, und daher die Würde cincs Dragoman für Vorstadt Mustapha. 3 uns bekleiden sollte, gewährte auf seinem Thicrc die ergötzlichste Erscheinung, Ein Gesicht, so grob, als wäre es aus Holz gc-hauen, eine weit vorstehende Nase, auf dem kahlgeschorenen Kopfe eine kleine rothe Schaschia mit blauer Troddel; seine kurze Gc-stalt in maurischer Kleidung durch einen alten europäischen Pa> lctot halb verhüllt — so unternahm der Treffliche seine erste Reise, Die behagliche Ruhe seines gnomenhaften Gesichts drückte keine Ahnung von den herben Prüfungen aus, die dem Annen bevorstanden. Zwei einheimische junge Männer in ärmlicher Landestracht schritten mit langen Stöcken als Treiber der Thicrc hinter nns her, der eine der Herr, der andere der Diener, So-bald der „Herr" sich müde fühlte, so nahm er einen winzig klei-ncn Esel, der nns begleitete, beim langen Dhr, und schwang sich ans scinen scharfen Nückm; die Tragkraft des Thieres und die Sihkraft des Mannes sind mir bis auf den hcntigcn Tag ein Räthsel geblieben. In solchem Anfzngc bcwegteu wir uno die breite Isly-Straße ymav. nber den My^/^ ,in Denkmal des MarschaNs Hugcaud zlert, des Siegers von Isly, Ein bedeutender Marktverkehr mit ausschließlich arabischen Verkäufern belebte ihn, wie alle Morgen; die Orangen von Blida, und cin hoher, breiter Hut aus Flcchtwcrk mit Straußfedern bedeckt, wie ihn die Häuptlinge der Sahara tragen, fielen mir unter den Waaren besonders in die Augen. Alsbald be-fanden wir uns auf der großen Straße der Vorstadt Mustapha-Pasch«, die sich weit an dem Ufer der Bucht entlang zieht, nnd fast nur aus Wirthshäusern, Laf«'s, Schmieden und Kasernen besteht, wie leider so viele Orte, welche die Franzosen in Algerien gebaut haben. Da es die Tage zuvor heftig geregnet hatte, so bedeckte fußhoher Koth die ganze Straße; und wenn die Kamccle wirklich für den Sand der Wüste geschaffen sind, so konnten sich die wenigen, die nns begegneten, hier unmöglich in ihrem Ele-niente fühlen. i" 4 Landschaft um Algier, Endlich gelangten mir aus der doppelten Reihe prosaischer Hauscr Hinalts in's Freie, wo die afrikanische Natur in vollen» Glänze vor nns lag. Zur Linken die düstere, hochgehende See, zur Rechten der sanfte Hügel, bedeckt von grünenden Gärten und weißen Landhäusern; die goldenen Früchte der Orangen, und die weißen Flocken in den schwarzen Kapseln oer Baumwollenstaude stachen ab gegen das glänzende, regenerfrischte Grün, das den ganzen Vodeu umkleidete. Der trübe Himmel klärte sich all> mälig auf; das alles, und der frische Hauch, den uns das wci. gcndc Meer gleichsam zum Abschiede zusandte, erfüllte meine Brust mit unsäglichem Entzücken, mit freudigster Wanderlust; der träge Maulesel ward zum geflügelten Zauberroß, das mich wlndeoschncll in das ersehnte Palmenland trug! Allein so rasch ging es in Wirklichkeit nicht. Wir erreichten die schöne Stelle, wo dem großen Versnchsgarten das Pla-tancn-Cafo gegenüber liegt. Die Regelmäßigkeit Europas und die malerische Unordnung des Orients stehen sich hier in bezeichnender Weise gegenüber. Rechts ein Paar niedrige, aber blendend weiße Hütten, beschattet von riesigen Platanen, erfüllt und umgeben von einem Gewimmel buntgeklcidetcr Mauren, brauner Araber und struppiger Lastthierc, die an einem Brunnen mit sinniger Inschrift getränkt werden. Links ein langes (5iscn. gitter, durch welches der Blick auf gradlinige, wohlbekicftte Gänge nnd quadratische Beete fällt; auf das große Haus des Garten-Inspectors, und die gläsernen Treibhäuser. Allein nur die Form dieses Gartens ist echt europäisch. Seinen weiten Raum füllen fast ausschließlich afrikanische, asia-tische, amerikanische Gewächse, Da ficht man ganze Felder breit» blättriger Bananen, niedriger Baumwollensträuchcr und unge-staltcr Kaktus, auf welchen letzteren die Cochenille-Thiercheu sich zu Tauscuden entwickeln. Die glatten Stengel des Bambus streben fahucnglcich zn wunderbarer Höhe empor; um sie her starren die stachligen Aloös in den verschiedensten Formen und Far-ben. wachsen Kaffee- undCacaobäume. Den frcindartigften Eindrnck macht die Haupt-Allce, wo die Dattel- und die Aächerpalme ab-wechselnd die Einfassung bilden nud riesige Strauße frei einher-schreiten. Zu den südlichen Nutzpflanzen gesellen sich bescheiden die europäischen Aruchtbäume m weiten Baumschulen, Tritt man aber in den Hain, in der Nähe der Gättnerwobuuug, so zeigen sich dem überraschten Auge hundert uic gesehene Bäume nnd Sträucher, deren herrliche, oft purpurrothe Blüthen den Winter völlig vergessen machen, Nicht umsonst verweile ich so lange bci dem Versuchsgartcn von Algier, obwohl wir jetzt nur daran vorüberrilten. Denn der „^aiäin d'osslü" ist mehr als ein bloßes Bild des algeri sehen Landbans im kleinen systematischen Rahmen — er veranschaulicht vielmehr das hochgesteckte Ideal, an dessen Erreichung noch manches Menschcnalter wird arbeiten müssen. Der Besucher der großen Industrie Paläste zu Paris erinnert sich, als einer wahren Trophäe, der Landban-Ausstellung von Algerien, fast in der Mitte des Anner-Gebündcs. Hatte er bis dahin jene (5o-lunie für ein dürres, barbarisches, unproduktives Land gehalten, nur bestimmt, das Silber nnd das Blut der eindringenden Fran« zosrn zu verschlingen — so stand er hier plötzlich vor einer wahrhaft tropischen Mle der allcrcdelsteu Produkte, der reichsten Schätze von Wen und Amerika. Wie sollte er diese Erscheinung mit jenen eingewurzelten Vorstellungen vereinbaren? Der Schlüssel zu dem Räthsel ist eben der „.lai-äin cl'essai", der gleichsam als Notabler, in großer Gala. mit Ausbreitung seines ganzen Reichthums die Colonie vertreten mnßte. Nun läßt sich nicht leugnen: lägen alle Grundstücke so günstig, vcson-ders so warm und so feucht, hätten alle über so viele und so gelernte Arbeiter und Aufseher, über so vollkommene Gcrüthe und so reichliche Düngung zu verfügen, wie der Vcrsnchsgarten, H Küste von Algerien. so wäre Algerien Ost» und Wcstindien zusammengenommen; für Zucker und Kaffee, für Reis, Cochenille, Cacao, Indigo, Baumwolle, Seide und wohl gar für Gewürze würde sich ein weites Terrain darbieten. Da jene Voraussetzungen aber Chi-mären sind, so werden noch lange die Erzeugnisse des Versuchs-gartcns den Landban Algeriens so wenig charakterisiren, wie etwa den Landban der Mark Brandenburg die Erzeugnisse eines Berliner Treibhauses. Der Küstenstrich von Algerien hat eine höhere mittlere Tem-pcratur, als selbst die algerische Sahara, geschweige denn die Gebirge und Hochebenen des Atlas, wo im Winter der Schnee nicht selten liegen bleibt. Die, Sahara ist im Sommer diel Würmer als die Küste, aber im Winter bedeutend kälter. Mit Ausnahme der Oasen etwa hegt die Küste auch die größte Feuchtigkeit, und daher die üppigste nnd kräftigste Vegetation. Leider mir ist dieser begünstigte Strich außerordentlich schmal da die Bergzüge in beträchtlicher Höhe sich dicht am Meere er-heben. Die Bläue des Mittclmcrrs, die mannichfnltigcn schönen Formen und Abstufungen der Verge, die so uerschiedeuartige nnd so üppige Pflanzenwelt erheben die Küste auch landschaftlich zur schönsten Gegend des Landes, wenn auch nicht zu der interessantesten. Die Vegetation des südlichen Europas vereinigt sich hier gar seltsam mit den Pflanzen der tropischen Crdtheilc, Die schnellwucherndc, stachlige indianische Feige, vom Kaktusgeschlrcht, bildet die Hecken, zugleich Schutz und saftige Früchte bietend, die in großer Zahl das dicke Blatt umgeben. Dieselbe Pflanze wird im Innern der Gärten sehr hoch und baumartig. Auch die derbe Aloö mit dem riesigen Blüthcnstengcl trifft man überall, als wäre sie dem afrikanischen Boden entsprungen. Und doch stammt sie, wie der Kaktus, erwiesenermaßen aus Amercka. Hie und da erhebt sich die größte Zierde der Landschaft, die wunderbar Vegetation der Küste, 7 schlanke Dattelpalme, zu bedeutender Höhe, gleichsam cm Vor-Posten dcr hintcrlagerndcn Sahara. Auch der BaumwoUstrauch findet sich nicht selten in den Feldern der Küste, natürlich nur durch die Pflanznng nnd Pflege der Menschen, wie alle die nützlichsten Pflanzen der Erde. Die Banane mit ihren milden, mehligen Früchten ist wohl noch anf den Versuchsgarten be-schränkt. Von den Bäumen Europas dagegen bedeckt dcr Oel» banm in wildem Zustande große Flachen, und erreicht eine Höhe und Breite, die man in dcr Provence nicht kennt. Dcr Orangen-bäum muß cultivirt werden, und wird es nur an wenigen Stellen, auch kommen seine Früchte den südenropäischeu nicht gleich. Unser Feigenbaum ist häufiger; der Maulbcer- und Kastanien-bäum aber nur ganz vereinzelt. Die wenigen Gehölze bestehen aus immergrünen Eichen, aus wilden Oelbämnen, aus Thujas mit schönem Holze, und andern, welche aber sämmtlich sehr niedrig bleiben. Der größte Theil des unangebauten Bodens, besonders der Berge, ist nur Mit Buschwerk und Gestrüpp bedeckt, das um so verkrüppelter nnd zerstreuter wird, je mehr man von der Küste in's Innere dringt. Dies ist der Hauptmangel der landschaftlichen Schön-heit Algeriens; es giebt dein Lande einen dürren einförmigen Anstrich. Bei dem fruchtbaren Boden sollte man annehmen, daß die Hand des Menschen die ursprünglichen Hochwälder vernichtet, wie in manchen Ländern des südlichen Europa. Allein schon Sallust berichtet in seiner ausnehmend kurzen Beschreibung, daß die nordafrikanischc Küste dein Bnumwuchs ungünstig sei. Vielleicht tragen die heißen Wüstenwinde die voruehmliche Schuld. Das Schlimmste ist unbedingt der Mangel nnd die nnglciche Vertheilung der fließenden Wasser, Nicht nur giebt es keine größeren Flüsse zum Wassertransport, fondern auch die Bc-Wässerung nnd die Beschaffung des den: Menschen nützlichen Wassers ist häufig unzurcichcnd. Dieser Umstand ist von der 8 .Ortschaft" Kuba. allergrößten Wichtigkeit; cr bietet einen Theil der Erklärung, wärmn der Nordrand oon Afrika in seiner grüßten Ausdehnung menials cm sclbstständigcr oder anch nur dauernder Sitz der Cultur gewesen ist. Wir wandten uns bald von der Knste gegen Südosteu, und schlugen einen arabischen Seiteusteg ein. der steil genug den Ab-hang des Sahel hinanführte. Hier stiegen wir ab, mehr aus Rücksicht auf unsere gequälten Sitzsiächcn, als auf die Thiere, und gelangten allmälig auf die Höhe des Hügclzuges, der in östlich abnehmender Breite und Höhe das Gestade von der großen Ebene Mctidscha scheidet, und das Sahel von Algier genannt wird. Bei einigen großen europäischen Häusern erreichten wir die Straße wieder. Es war dies die „Ortschaft" Kuba, die aus einem Gasthaus mit Eaf6, einer Schmiede, und etwa einem Laden besteht. Die Häuser sind, wie die meisten Colo-nisten-Gebäude, höchst einförmig und prosaisch; keine Veranda mit schaltendem Laubdach, keine Altaue, keine stachen Dächer, noch irgend welche Zierlichkeit, welche die manrischcn Landhäuser um Algier so auszeichnet. Troß ihrer Masswhcit kann man sich kaum enthalten, wie jener Soldat beim Anblick der statt-lichen Kirche eines kleinen Dorfes, zu fragen, ob jene Häuser wohl hier gebaut seiru? Sie scheinen in der That durch ein Wunder mitten aus Frankreich hierher geflogen zu fein, so wenig sind sie dem Klima, der Vegetation und dem ganzen Charakter Afrikas angepaßt. Hierin theilen sie freilich nur die Eigenschaft ihrer Erbauer, die sich ebenso wenig zu afrikanischen Colonisten eignen, wie ihre Häuser zn afrikanischen Wohnungen. Ohne Aufenthalt ging es nun den jenseitigen Abhang hinunter; die klare Luft gewährte einen freien weiten Vliek auf die öde Ebcuc vor uns und die langgesmcklc Bergkette, die sie im Süden beinahe gradlinig begrenzt. Diese Bergkette heißt der „Kleine Atlas", nnd in der That entspricht sie den Er- Ter „Kleine Ailas". 9 Wartungen cincs klassisch gebildeten Maunes nur im kleinsten Maße. Welches großartige, absonderliche Bild entwirft die Phantasie »on dem uralten Atlas, der das unendliche Him-mclsgcwölbe auf seinen Schultern trägt! Selbst das hehre Bild der zackigen Alpen tritt weit zurück gegen diese Vorstellung. Statt dessen zeigt sich der Atlas hier in seiner ersten Parallel-kette als ein ziemlich sanftes, mäßig hohes, wellenförmiges Ge-birge, nicht unähnlich unserer deutschen Mittelgebirgen; nur daß diese durch den herrlichen Wald, der sie umkleidet, durch die tausend Bäche, die sie durchrauschen, durch die Schlösser, Nnincn nnd freundlichen Dörfer, mit denen der Mensch sie geschmückt, sich gar wrthcilhaft unterscheiden. Auch in der weiten Ebene zu unseren Füßen erblickten wir nur wenige Spuren des Bewohntscins. Rechts, in weiter Ferne, leuchtete die weiße Häusermassc des freundlichen Blida am Fnße der Berge; noch weiter westlich bezeichnete ein tiefer Schatten die schroffe, romantische Schlncht, welche die Schiffn auf ihrem nördlichen ^aufc durch das Gebirge gerissen, Durch sie führt die Straße nach Mcdea, der früheren Hauptstadt des „Bcyliks" Titten. Sonst bietet die Ebene das Bild einer Einöde; der Ankömmling vergleicht sie wohl mit den Flächen Amerikas, wu eben die ersten Ansiedler ihre Blockhäuser erbauten. Aber er täuscht sich. Die Ebene Mctidscha wurde seit Jahrtausenden bebaut, nnd noch vor dreißig Jahren nannten sie die Bewohner dankbar „die Mnttcr dcr Armen" nnd saugen in strophcnrcichcn Liedern ihre anmuthige Fruchtbarkeit. Die Bedrückungen der Deys oon Algier, weit mehr noch die schwankende, schwache, unkluge Politik dcr Fran-zosen, die lange Jahre gleichsam wider Willen eroberten, haben die Mctidscha verödet. Bis in den Anfang der vierziger Jahre dauerten die beständigen Kämpfe um den Besitz dieser Ebene, trotz des günstigen Terrains, trotz der Nähe l,on Algier, dem Hanptwaffcnplcchc des zahlreichen französischen Heeres, trotz dcr It), Colonisation der Metldscha. Leichtigkeit jeglicher Zufuhr. Da konnten die Bewohner nicht bestehen; sie kamen entweder um, oder flüchteten in die gcschütz-term, wenn auch unergiebigeren Berge. Schon lange vor 1840 bemühten sich die Franzosen, die fehlenden Bewohner durch curopäifchc Kolonisten zu ersetzen. Aber die Uebcrfälle der Araber allein hätten das Unternehmen vereitelt. Nach vollständiger Unterwerfung der Eingeborenen übernahm die Natur deren Rolle; es schien, als duldete die afrikanische Erde keine fremden Bewohner. Hatte sie den einheimischen Bebauern ihre Frucht in reichster Fülle geboten, so gab sie den Einwanderern zum Lohne ihrer Anstrengung nnr Krankheit, Elend und Tod. Tausende dieser armen Menschen, die ihre Heimath, ihre Verwandten und Frcnudc vcelassm in Aussicht auf Wohlstand in dem lockenden Afrika, sahen ihre Kinder uud Weiber dahinsiechen, und fielen selbst den tödtlichen Fiebern zum Opfer. Ein einziger Flecken nebst einigen Dörfern und Landgütern sind der Erfolg zwanzigjähriger Anstrengungen; der Flecken Buffarik, recht in der Mitte der Mrtidscha. sieht stattlich und wohlhabig aus, aber jedes seiner weißen Häuser ist gleichsam das Grabdenkmal von mehr Menschen, als jcht dann wohnen. Auf dein Wege dahin über Birmandrcis führt die Diligence an zwei oder drei clrndcu Hütten vorüber, die von etwas angebautem Lande umgeben sind. Sie heißen allgemein die Fieber-Hütten, weil alle ihre Bewohner nach kurzer Zeit von dieser bösartigen Krankheit hingerafft sind. Dennoch fand ich sie bewohnt; mir war, als sähe ich Leute die unschuldig der Hinrichtung cntgrgcngeführt werden. Und solcher Colonicn giebt cs sicherlich viele in dieser sumpfigen Ebene. Das Wetter war so schön geworden, und die Gegend besaß trotz ihrer Oede und Einförmigkeit so viel landschaftliche An» muth, daß wir kaum ihrer Menschenopfer gedachten, sondern unter heiterer Umschau oder leichtem Gespräche unseres Weges Türkenherrschaft. 11 zogen. Wir hatten emcn ziemlich breiten, aber seichten Flltß zn überschreiten, den Harrasch, der ans dem kleinen Atlas kommend, die Ebene von Süden nach Norden dnrchsiießt, nnd mit Umgehung des Sahcl sich in die Bai von Algier ergießt. Obgleich wir auf einer Hauptstraße reisten, war doch weder Brücke noch Fahre vorhanden; wir mußten fast wagerecht auf dem Rücken unserer Thiere liegen, nm nicht beim Durchwaten cm Fußbad zn nehmen. Gegen die Bai zu erblickten wir fortwährend ein großes, viereckiges und weißglänzendcs Gebäude, auf einer einzelnen Er-höhung gelegen. (5's war die berühmte ,Maisoii Oai-i'6o", ein türkisches Fort, das die ganze Ebene beherrschte, hinreichend wenigstens, nm die Abgaben einzutreiben. Mit einer so kleinen Besatzung erreichten die „dummen" Türken, was den Franzosen lange Zeit mit ganzen Heeren nicht gelang. Freilich sagte den Türken als echten Orientalen der Instinkt, wie andere Orientalen zn beherrschen seien, Ihr Hauptmittel waren die „Razzias", Überfälle bei Nacht und Nebel, die sich von denen der Ränder-banden nur durch den Namen nntcrscheidcn. Nennt man eine kleiunsiatischc Räuber Horde von 5000 Mann einen Odschak, deren Räubcrhauptmann einen Dey, seine Unter-Befehlshaber Beys und Agas, und giebt man ihnen Algier, Medea, Con-stantine nnd Oran zu Hauptquartieren, von wo sie auf der einen Seite das Meer, auf der andern das Land nach allen Richtungen brandschatzen — so hat man das vollständige Bild der Verfassung nicht nur von Algier, sondern auch von Tunis nnd Tri-Polis in den letzten dreihundert Iahreu. Wirklich ging ja die Gründung des Odschak von zwei Piraten-Capitänen aus, von den berüchtigten Brüdern Arudsch und (Ihaircddin Barbarossa, die sich schnell von Halsabschneidern zu Herrschern weiter Gebiete emporschwangen. Man kann ihren Nachfolgern nicht vorwerfen, daß sie den Ursprung ihrer Majestät vergessen: waren die ersten Fürsten aus Räubern hervorgegangen, 12 Dorf l'Arba, so hinten die Nachfolger den Betrieb der Nänberei für ein eben>'o wesentliches Recht ihrer Krone, wie andere Herrscher die Unterdrückung der Räuberei. Auch die Wahl nnd Absetzung der Deys geschah recht räuberbaudeninästig dnrch Alifruhr nnd Mord; mir wenige starben eines natürlichen Todes, und in 300 Jahren herrschten 86 Paschas oder Deys nacheinander über das unglückliche Land. — Wir sahen von Zeit zu Zeit. näher oder ferner, einzelne Coluuisten-Häuseri theils groß, stattlich und hübsch, theils, aber viel seltener, ganz uon Holz und iu elendem Zustande. Doch durchritten wir meist wüstes Haidc- und Buschlaud-, nur wenig war augebaut durch die Araber, noch viel weniger durch die Europäer, Um die Mittagszeit gelangten wir in ein „Dorf"; es bestand aus einem großcu Platze mlt mehreren Häusern, wovon zwei Wirthshäuser- alle ziemlich ansehnlich. Wir liehen hier dnrch Chlil schönes Weißbrod kaufen; zogen unsere Groschen-messer (eigens für die Reise erstanden) nnd eine prachtvolle i^yoner Wurst hervor, nnd ließen im Reiten Brod und Wurst wiederholt unter uns wandern; nicht ohne einige Mühe, die störrischen Maulthierc emandcr zu nähern. Es war ein ebenso einfaches, als originelles und lustiges Mittagbrod, unter der blauen, heitern Himmelodecke. und auf lebendigen Sesseln; nnd das Beste war, Ulan tam dabei vorwärts. — Von Zeit zu Zeit stiegen wir ab, denn das unbequeme Sitzen war auf die Dauer unerträglich; dann vergnügten sich meine Kameraden, besonders .ßcrr v, K., durch Jagen nach Nebhühnern und andern Vögeln. Ic näher den Bergen, desto angenehmer wurde die Gegeiw, desto schöner das Wetter. Zwei herrliche Palmen-Grnppeu, sowie Gruppen von Oelbäumen und anderen Bäumen erfreuten das Angc, Näher nnd näher, am Auße der Berge, erschien das Dörficin l Arba mit seinen stattlichen, weißen Häusern und rothen Dächern. Nun trafen wir auch auf mehrere Pflüge, mit Pferden Arabische Märkte, 13 und Ochsen bespannt und von Colonistcn gelenkt. Doch anch hier liegt bei weiten: das meiste Land ganz wüst; das Dorf scheint nicht anf den Ackerbau gegründet zn fein. In der That hat es, trotz seiner Kleinheit, ein ganz städtisches Aussehen. L'Arba besteht hauptsächlich ans einer sehr langen, breiten nnd geraden Straße; eine recht nette Kirche erhebt sich in der Mitte, Unter Andenn bemerkte ich den Laden eines „Fabrikanten" von Ackerwerkzengrn moderner Art. und die grosie schwarze Aufschrift „?c)Fw aux I^m-68". An solchen Aufschriften war überhaupt großer Ucberfluß; man steht, daß auch dieser Ort vornehmlich anf die Fremden angewiesen ist. Der Name des Orts bedeutet iin Arabischen den vierten Tag uder Mittwoch, nnd abgeleitet den Mittwochs-Markt, endlich anch den Platz, wo ein solcher gehalten wird. Solche Märkte, an bestimmten Tagen der Woche nnd bestimmten, be wohnten oder unbewohnten Orten sind über ganz Algerien verbreitet. Sie erhalten ihren Namen von dem Wochentage nnd dem Stamme, in dessm Gebiete fic stattfinden, z. B. Dschema'-Beni-Urtillm, der Freilagsmarkt bei den V. U. Der großen Ber schicdenheit in der Dichtigkeit und der Beschäftigung der Be Völkerung gemäß ist die Zahl der Märkte uugemein verschieden bei den Arabern und bei den Kabylen. Letztere halten eine erstaunliche Menge, nämlich nicht weniger als «>7 bei eiucm Gebiete von etwa 130 Q.-Meilen nnd einer Bevölkerung von etwa 370,000 Köpfen. Die weit dünner vertheilten uud anoschürßüch land-bauenden Araber bedürfen dagegen nur weniger Zusaunnenkünfte; nnd diese finden meistens in den Städten oder nach den Grenzen der Sahara zu statt, weil der Hauptvertehr mit den Sahariern ist. — Unser l'Arba war ursprünglich ein wüster, unbewohnter Platz, wie mcrkwm'digerweise so viele Marktorte; nur etwas Nasser in Brunnen oder Quelle ist erforderlich; häufig findet wan auch eine kleine Moschee: denn die Märkte sind den Eiw 14 Gurbi-Weiler. geborenen heilig. Die Franzosen errichteten dann einen „d?a,inp" ein Lager, hier und ans diesem ward, wenn anch nicht eine mächtige Stadt, wic ans so vielen Oln^pis der alten Römer, doch ein netteo Dorf, dem der beträchtliche Dnrchzng von der Hauptstadt nach Anmale einigen Verdienst bringt. Ein halbes Stündchen hinter l'Arba steigt die Straße nn-fangs ganz allmälig, später jedoch viel zu steil den Abhang der Berge hinan. Man hat die Ebene meistens znr Linken; je höher man steigt, desto weiter, mannichfaltiger und herrlicher wird die Allsstcht, Ueber die Ebene hinweg erblickt man die ^Iai«or» (^,i-i,'<;<3, dic ganze Vai lwn Algier, das grünende Sahel und daran hinauf das blinkende Dreieck der Hauptstadt. Die Luft war so klar, daß wir trotz einer Entfernung von 4 Meilen die einzelnen Hänsergruppcn zu unterscheiden glaubteu. Nach Westen hin erschienen am Ende der Mitidscha neue Gebirge nnd der wcis;e Fleck daran mochte wohl die Stadt Miliana sein. Der Abhang selbst, den wir hiuanstiegen, war mit niedrige:» Bnsch-werk bedeckt, wie alle diese Verge, wo nicht gerade gepflügt ist; an mehreren Stellen sahen wir die Büsche schwarz nnd ohne Land. Das Interessanteste aber war ein arabischer Weiler am Berg-abhang, der erste, den ich zn Gesicht bekam, obgleich ich nach Medca zu schon einige Tagereisen in's Innere gemacht hatte. Dieser Weiler bestand alls etwa sechs Hütten von Laubwerk, „Oi:rbi" genannt, sehr niedrig und schmal, aber ziemlich lang nnd mit stumpfen Dächern. Sie liegen dicht zusammen; aber nichts in ihrer Umgebung verkündet einen Wohnplah thätiger, gc> nicßcnder Menschen. Kein Baum. der Schatten nnd Früchte giebt, kein Gärtchcn für anmnthige Blumen lind wohlschmeckende Gemüse; kein Weg zur Verbindung mit den übrigen Menschen, ja nicht einmal beackertes Feld in der Nähe. Nein, wic der Nomade der Sahara sein Zelt aufschlägt, wo gerade seine Tage-reise endet, nnd einiges Wasser den Dnrst der Menschen nnd Nomadischer Ackerbau, 15 Thiere zu löschen vermag: gerade st setzt auch der arabische Ackerbauer seine leichte Laubhütte mitten in'ö häßliche Gestrüpp, wohl, ndi lon8, abcr nicht, udi nc:inu8 ^I^ouit*). Ist ja doch auch seine Wohnung keine beständige; wic der Nomade nach einigen Tagen, so verläßt er sie wenigstens nach einigen Monaten, sobald die Besorgung entlegener Felder, oder die Sicherheit des Lebens oder Eigen» thmns es gebieten. Dic Feldmarken der einzelnen Etannnabthcilun-gm sind nämlich so ausgcdehnt. daß jedes Jahr immer nur ein kleiner, der zehnte, wohl gar nur der zwanzigste Theil bestellt wird. Die Unmöglichkeit, eine so ertensivc Bcwirthschaftung von Einem Wohnplatze aus zn versehen, leuchtet ein. Kurz, die Araber Nord»Afrikas sind durch den Ackerball nicht seßhaft gc-worden, wie doch fast alle übrigen Völker der Crde; in diesem Einen Umstände liegt die Wurzel einer ganz eigenthümlichen, abnormen Entwickelung. Wahrlich, das schöne Klima, das dic festen Wohnungen entbehrlich macht, ist für dicsc Länder cm wahres Danacr-Geschenk geworden. Die Straße wurde innner kothigcr und nncbcner, so daß ich meine Unterhaltung mit Ehlil. von dem ich mir die noth-wendigsten Worte auf arabisch cmprägen ließ, bald aufgeben mußte; gestehe ich nur, daß mir das nicht unlieb war. Unser-eins ist zu sehr daran gewohnt, dic Sprachen aus Büchern zn lernen-, das geht jedenfalls schneller, aber dafür bleibt anch dic Anwendung wenig haften. Ich hatte mich während der ersten Univcrsitätsjahrc viel mit Arabisch beschäftigt, und es bis zn rincr großen Fertigkeit im Ucbcrschcn des Korans nnd andcrcr Schriften gebracht. Abcr scit mehreren Jahren hattc ich die schöne Sprache ganz vernachlässigt; nnd wäre ich selbst noch eben so stark darin gewesen, wic damals, als ich in ti',r-klschc Dienste zn treten beabsichtigte: cs würde mir doch wenig *) Worte des Tacitus von den Wohnungen der Germanen: sie bauen sich an, ,wo der Quell, wo der Hain ihnen gefallen." Iß Die arabische Sprache, geholfen haben. Deun die Sprache des Umgangs hat sich scit den Zeiten Mohammed's außerordentlich verändert, indem sie vor allem die Endungen abstreifte; und die Aussprache ist so eigenthümlich, und nach den verschiedenen Ländern des ungeheu-rcn Sprachgebiets auch zum Theil so abweichend, daß die müh-sam eingeprägten Wortklänge für den mündlichen Gebrauch alle Bedeutung verlieren, Forin „nd Wortschatz sollen freilich über das ganze Gebiet sich sehr gleichförmig ausgebildet haben, so daß der Marokkaner vom Gestade des atlantischen Oceans den Syrer vom Osirand des Mittelmerrs und den Mann von Hadramant am indischen Ocean ohne Schwierigkeit versteht. Wir holten nach einiger Zeit einen Trupp einheimischer Reisenden ein, deren Aufzug und Aussehen gerade keine Emire verrieth. Es waren arme Kaufleute aus der Oase Bistra, un-sercm südlichsten Reiseziele. Ihrer vier hatten sic nur drei Maul-thiere. so daß zwei Männer auf einem Thiere saßen; nichts Ungewöhnliches in Algerien, obgleich sehr überraschend bei dem dürren, elenden Anssehen der einheimischen Maulthier ° Race. Auch die Männer waren häßlich; dem einen fehlte ein Auge. Sie kamen von Algier, und wollten über Msila nach ihrer Hei-math zurück; beabsichtigten also dieselbe weite Reise, wie wir. Das Auffallendste war, daß sie kaun, Gepäck bei sich hatten; ihre Waaren mußten sehr edler Natur sein. wahrscheinlich Essenzen oder Gewürze. Sie unterhielten sich m'el mit unseren Algierern: wie gern hätte ich an der Unterhaltung theilgenommcn! Nach-dem wir eine Zeit lang gleichen Schritt gehalteu, blieben die Eingeborenen mit ihren schwächeren Thieren zurück, und wurden cmch ferner nicht von uns gesehen. Endlich hnttcn wir den Rücken des Gebirges erreicht, und erblickten nun vor nns ein Gewirr von tiefen Thälern und schmalkantigcn, bnschbcdcckten Bergen- ein voller Gegensatz zu dcr weiten Ebene, und zu den gerundeten Meercßbuscn, die sie Anhäufung der Gurbi. 17 wie cine azurne Kante umfaßten. Wir wandten zum letzten Mal die scheidenden Vlicke hinab-, dann zogen wir weiter auf dem schmalen, gewundenen Rücken des Gcbirgs, fast immer mit der Aussicht anf zwei Haupt- nnd viele Nebcnthälcr zu beiden Seiten. Schiefer schien nur das vorherrschende Gestein zu bil-den, doch ist er hier von anderer Farbe, als in der malerischen Schiffn - Schlucht, Die Formen der Abhänge sind scharf, zer-klnftct, unregelmäßig-, die Kanten aber laufen ziemlich horizontal. Ich bemerkte fortwährend diele Weiler von Gnrbis, ganz in der Art deö oben beschriebenen, nnd alle etwas über der Mitte der Abhänge gelegen. Da ich weder in der Metidscha, noch in den Ge-virgrn zwischen Vlida nnd Medca anch nnr einen einzigen dieser Weiler erblickt hatte, so erstaunte ich billig über die Anhäufung derselben in der Gegend, über die wir jetzt hinzogen. Dies Er-staunen nahm noch bedcntend zu, als auch in den folgenden Tagen, bis zur Ankunft in der Kabylie, kein einziger wieder sichtbar wurde. Allerdings mochte der hohe Standpunkt der Straße das Entdecken dcr 'arabischen Wohnplätzc am ersten Tage erleichtern. Aber sicherlich findet in dem Nergland zwischen lÄrba nnd Sachamndi eine außerordentliche Anhänfung derselben statt, welche höchst wahrscheinlich vor allem dem Kriege zuzuschrei-ben ist. Denn diese Bcrgabhnnge selbst sind fast ganz nnangc-baut. und es unterliegt keinem Zweifel, daß die hier wohnhaften Araber einerseits in der Metidscha. andererseits w der frucht-baren Gegend jenseit Sachamudi write Striche bestellen. Es ist anzunehmen, daß anßcr der Sicherheir auch die Gesundheit sie veranlaßt, ihren gewöhnlichen Wohnsitz in den Bergen, nnd zwar gerade an der Höhe der Abhänge zn wählen; die Thalsohle Pflegt am ungesundesten zn sein. zumal in diesem Lande, wo in den Regemnonatcn so häufig Uebcrschwcmmungcn eintreten, nnd nichts geschieht, um das ausgetretene Wasser schnell wieder abstießen zn lassen. Hirsch, Algcncn. 2 18 Rücken des Atlas. Abcr wie todt und einförmig ist diese ganze Gegend trotz der Anhäufung menschlicher Wohnungen! In unsern Ländern könnte es keinen wundervolleren Ritt geben, als so über den Grat des Gebirges; das Auge würde sich mit Entzücken in die grünen Thalschluchten, zu den waldigen Abhängen hinabsenken. Aber hier tönt kein süßes Geläute weidender Kühe, kein Klang der Glocken von ragenden kirchthürmcn. kein Klappern des Mühlrads, kein Rauschen des stürzenden Baches. Lautlos liegt alles da; denn der Mensch ist hier nicht heimisch geworden; ein gleichgültiger Wanderer verlangt er vom Boden nur den noth. dürftigen Unterhalt für die Reise von der Geburt zum Jenseits, zn den „Gärten, von Bächen durchwässcrt", welche ihm der Prophet als Lohn seines Glaubens für ewige Zeiten verheißen. Gegen 4 Uhr erreichten wir einen unförmlichen Haufen elender Hütten ans Holz oder Erde, mit durchlöcherten Stroh-dächern: die ersten an der Straße, seit l'Arba. Die wenigen Bewohner entsprachen durch ihre Lumpen nur zn sehr diesem trostlosen Orte. Da es schon dämmerte, und wir seit 8 Uhr ununterbrochen geritten waren, so wollten unsere Treiber hier übernachten. Allein dem widerschtc ich mich besonders mit ganzer Entschiedenheit, da die Sicherheit der Straße nnd der Mond» schein den Wcitcrritt bis zu dem mir empfohlenen Wirthshause zn Sachamudi gestattete. So ging es denn ohne Aufenthalt wieder vorwärts, immer auf dein erhabenen Bergrücken entlang. Die Sonne sank prachtvoll unter, die wüsten Berge bei Miliana im fernen Westen mit Roscnfarbe umkleidend. Nicht lange, so warf der Mond seine sanften Strahlen über Berg und Thal, nnd romantische, feierliche Gefühle zogen ein in meine Vrnst. Es war ein gar wunderbarer Nitt durch die heitere Stille der Nacht; bald sann nnd träumte ich, bald plauderte ich mit meinem jüngeren Geführten von lieben, heimathlichen Dingen. Wir kamen nach einander an zwei erbärmlichen Herbergen vorüber, vor Der Wirth von Sachcmmdi, 19 denen Karren und Pferde standen; endlich, etwa nm ? Uhr. er-reichten wir das ersehnte Sachamndi. Zu nnscrnt nicht geringen Erstaunen wurden wir mit Scheit-Worten empfangen; freilich galt es nicht nns, sondern unsern Treibern, daß sie die Thiere bis dicht vor das Halls geführt, wo dieselben die jnngcn Vnnmpflanznngen beschädigten, Nnr mit Mühe gelang es lins, den Wirth, eincn ausgedienten fran-Mischen Sergeanten, zu beruhigen; er hänfte alle möglichen Schmähungen ans die Araber, auch nachdem sie schon längst entfernt waren. Der arme Manu schien mit der ganzen cm-heimischen Race in beständiger Fehde zu leben; worunter er jedenfalls mehr litt, als jene. Denn während ihm vor Zorn der Kopf anschwoll, antworteten unsere Treiber mit einem ruhigen lakonischen: HHi^ntMc, welches possirlichc Wort seine Wuth bis an die äußerste Grenze trieb. Dieser Ausdruck, fast wie das edle französische 8oien rückcns, allf welchem die Straße noch eine Zeitlang weiter führt. Die, Landschaft war trübe und einförmig, und meine Gefährten m übler Stimmung; das, meinten sie, entspreche meinen poetischen Schilderungen von der bevorstehenden Neise nicht im mindesten. Zum Glück tonnte ich ihnen entgegnen, daß ich dic Möglichkeit des schlechten Wetters und einiger langweiligen Tage» reisen ihnen durchaus nicht verhehlt hatte. Trösten mochten wir uns mit den zahlreichen kleinen Trupps französischer Infanteristen, die uus begegneten, größtentheils zu Fuß, einige auch auf Maulthieren und Pferden, und zwar Ln oaraoolst, d. h, mit Doppelsattcl. Diese Reitwcise stammt ans dem Bastcnlaude, und wild bei der Armee m Algier Haupt-sächlich für Leicht-Kranke und Marschunfähigc angewandt. Nn Thier trägt anf diese Art bequem zwei Personen, die sich die Wage halten und sehr sanft reiten sollen. Die Soldaten zeig tm übrigens keine Spur der so übermäßig berühmten fränkischen Lustigkeit und Höflichkeit; gar grämlich und schweigend zogen sie ihres Weges, die wenigsten gaben oder erwiederten einen Gruft. Und allerdings war eiu starker Tagcmarsch in solchem Koch keine Kleinigkeit. Einige Unterhaltung gewährten uns auch von Zeit zu Zeit die Luft Telegraphen, deren possirlichc Gestikulationen mir nur noch alls der Kindheit erinnerlich waren. Bei dem vor wiegend heiteren Wetter Algeriens können sie fast immer agireu nnd werden daher noch vielfach angewandt. (Von Algier nach Blida nnd weiter geht übrigens schon ein elektrischer Telegraph.) Wirthshaus zu Tablat. ZZ Die massiven Stationen schließen sich hier der Straße ziemlich genall an, aber doch welch' ein einsames, langweiliges Leben müssen die armen Telegraphisten führen! Die Straße begann nach einigen Stnndcn, sich in unregel» mäßigen Windungen zn senken, indem sie dnrch ein fast durch-Weg umgepflügtes Hügelland führte. Höchst steile und schlüfrige Fnßwege schnitten die Windungen ab, und brachten uus, trotz mehrfachen Verirrens nnd Steckenbleibens in de>li tiefen, dnrch-näßten Ackerbuden, viel früher zum Ziele, als unsere Thiere. Dieses Ziel waren die ersten Wohnungen seit Sachamudi; eine Gruppe von Hütten mit Wirthshaus, das „Dorf" Tablat gc-nannt, nnd ein zweites, besseres Wirthshaus schon ganz unten im Thalc des Isser. Die Senkung vom Rücken des Kleinen Atlas, den wir nun hinter lins hatten, bis hier in's Thal ist sehr beträchtlich. Das Wirthshaus, das wir um die Mittagsstunde erreich-tm, sah außen und innm noch sehr roh ans nnd bestand rigent-lich nur aus vier Maucrn, dem Dache und einer Scheidewand; weder Dielen noch Decke waren l'orhandeu. Dcr Regen wurde immer heftiger, er prasselte unheimlich gegen die Fensterscheiben, lind nicht lange, so fand er auch seinen Weg durch das Dach und tröpfelte nns auf die Köpfe, wie, ein hartnäckiger Feind, der zwickt, wenn er nicht mehr schlagen kaun. Hier er-fnhr ich durch meinen Schade,! zum ersten Male, wie treffend nn-scre unvergleichliche Sprache auch die Geborgenheit ausdrückt dnrch die Redensart: unter Dach nnd Fach sein. Unter Dach waren wir eben, aber nicht unter Fach. Dennoch that nnseren durchnäßten und fröstelnden Gliedern das knisternde Feuer im Kamine ganz köstlich wohl, nnd als das. wenn auch nicht überfeine, doch nahrhafte. Essen alls dein rohen Tische dampfte, da vergaßen wir nnscr Leid, obwohl mitunter ein Paar Re» Mtropfen in's Weinglas, statt in's Wasserglas fielen. Es 24 Weinbau in Algerien. gab rothen und weihen Wein, der letztere an Ort und Stelle gewachsen, und gar nicht übel. Auch bei Medea wachst ein ganz trinkbarer Weißwein, und wer kann sagen, ob Algerien, den frommen Muselmännern zum Trotz, nicht noch einmal ein rechtes Weinland wird. Bis jetzt ist allerdings die Zahl der Hände zu gering, um mit den billi» gen und leicht zu verführenden französischen Weinen zu concur-riren. Die Einfuhr voll Wein aus Frankreich ist einer der be-dentendstcn Handelszweige zwischen Mutterland und Kolonie; der Wein spielt hier die Rolle der Muttermilch, aber leider ist er mehr erheiternd, als kräftigend. Por der Eroberung lag der Weinbau, dieser edelste Zweig der i/andwirthschaft, gänzlich darnieder, Vacchns schien auf seinen Triumphzügen das heiße Afrika gemieden zn haben. Nur die Juden, noch nicht ganz entartete Söhne des alten Noah, pflegten eiuige Reben, aber sie bereiteten aus den Trauben einen dicken, unklaren Trank. Jetzt haben sich selbst die büßenden Trappistcn in ihrem Kloster Stanüli bei Algier des Rebbanes angenommen — und doch ist den Armen der Göttertrank ebenso streng verboten, wie den heiligen Derwischen der Moslemim. Mein Tagrbnch enthält die lakonische Notiz: ,Das nette Frauchen im Wirthohanse zu Tablat," Ach, ich habe seit der Zeit so viel nette „Frauchen" gesehen, daß ich diese Fee des Isser-thales beim besten Willen in der Portraitsammlnng meines Kopfes nicht mehr auffinde. Dagegen kann ich dem Leser genau mitthcileu, warnm unser Wirthshaus noch so roh aussah. Es hatte früher dem Flusse näher gestanden und war vor einen» Jahre von den schwellenden Flnthcn weggerissen worden. Die armen Wirthe an der Straße nach Anmale! Den einen ruinirt das Fener, den anderen das Wasser. Da müssen sie wohl den lieben Reisenden die Preise »on europäischen Residenz-Hotels erster Klasse ankreiden — 10 Fr. für nnscr bescheidenes Frühstück! Das Ifferthal. 25 Nach anderthalb Stunden etwa ließ der Regen nach lind erlaubte uns, die Reise fortzusetzen. Waren wir gestern hoch-oben dcm Grate des Atlas in allen seinen Windungen gefolgt, so führte uns jetzt die Straße tief nntm mit derselben Hart näckigkcit durch all' die unzähligen Krümmungen des Isserflusses. Es mag wenig „Chausseen" in der ganzen Welt geben, welche anf einer Strecke von nicht zwei Meilen einen Fluß ficbenund-drcißigmal überschreiten, und zwar, man staune, ohne eine ein-zigr Brücke! Der Isscr, eines der größeren Gewässer von AI grricn, ist zwar, wie alle seine Genossen, bei trockenem Wetter sehr seicht; anhaltende Regengüsse, so häufig im algerischen Win-ter, schwellen ihn aber mächtig an und macheu natürlich diese Straße, eine der wichtigsten des Landes, vollkommen ungangbar. Der Director des Museums zu Algier, Herr Berbrugger, dessen Frcnudlichkeit ich den Plan dieser Reise verdankte, erzählte mir selbst, daft er vor kurzer Zeit einige Tage aus einer Insel des überschwemmten Isscr hatte lagern müssen, da die Fluthen ihn weder vor- noch rückwärts ließen. Unvorbereitet, wie er anf solchen Fall war, ging ihm und seinen Gefährten der Mund-vorrnth gänzlich ans; ein Kabyle mit seinen Rindern befand sich glücklicherweise in ihrer Nähe, uud so sehr er sich auch sträubte, eiu Rind wurde ihm abgenommen, geschlachtet uud v^ehrt. Auch uns hätte es schlimm ergehen können, wenn der Regen stärker angehalten hätte. Nicht einmal Schönheit drr Gegend entschädigt für das unaufhörliche Dnrchwatcn. Cs ist ein ziemlich schmales Thal, auf beiden Seiten von langweiligen, niedrigen Höheuzügen bc-grenzt. Der ganze Thalbodcn sieht einem verlassenen Flußbette gleich, so zerstörend sind die Neberschwemmungcn, Aus dem trostlosen Kieselgcröllc wachsen fast nur Olcanderbüschc hervor, die in Algerien ganz die Stelle unserer wasscrliebendm Weiden vertreten. Zur Zeit ihrer Blüthe müssen diese zahllosen Büsche 26 „Les Frenes". allerdings einen herrlichen Anblick gewähren; jcht abcr erinmrwl die mattgrünm Blätter lind langm, welken Fruchtkapseln nur dnrch dm traurigen Gegensatz an dm schönen französischen Na-mm dcr Pstauzc: 1n.urit!r-^0»6, Noscnlorbeerbanm. — An ciner Stelle überraschte uns einc höchst seltsame Bcrgformation, im Sandstein, wie es vou weitem schim. Ein ziemlich hoher, fast senkrechter Feloabhaug war es, mit einer Meugc dreiecksähn-licher Vorsprünge. Endlich hatten wir dcn brcitm, weißlichen Fluß zum lchtm Malc überschritten, — in dcr Nähe einiger Zcltc, dcrcn militärische Inhaber bci hohem Wasser die Cmmere von Anmale in einer Barke übersehen. Von hier ans ging es etwas hinanf, und bald, als kaum dic Nacht eingebrochen, erreichten wir m einem wcitm, flachen Vnschland das einsame Wirthshaus „Ie8 I'i't'ne»" (dic Eschen), wo wir übernachten wollten. Es war natürlich, mit Ausnahme jmcs Militär>Postms, wieder die erste menschliche Wohnung scit Tablat. Wir waren auch hier die einzigen Gäste von Stande; selbst ans dcr nicdrm Klasse trafen wir außer jcnm beuten von Viskm nur Einen Reifenden, glaube ich, die ganzen drei Tage bis Anmale. In Nordamerika ist wohl mehr Verkehr auf dm Landstraßen des äußersten Wcstms. Ach, nnd wie schlecht und schmutzig warm die — Am-uächstm Murgen brachen wir früher ans, nämlich nm 7 Uhr. Das Wetter war wieder ziemlich trübe, doch regnete es wenigstens nicht. Die Stmßc führte über ein Nellmlaud mit bedeutendem Anban, abcr kahlem Ansfchm. Nach einigen Stunden bot sich uns ein überraschender Anblick dar. Wir hatten seit l'Arba feine Feldarbeit gesehen uud scit Sachamudi kcinc Spur von einheimischen Bewohnern. Hier erblickten wir auf einmal cin so großartiges Bild des Ackerbaues, wie es selbst auf dm größten Gütern von England kaum vorkommen mag. Nicht weit von dcr Strafte ackerten auf ciucm Feldc von mäßiger Frohndienst für dcn Kaib. 27 Ansdehnnng über 30 Pflüge, jeder von zwei Ochsen gezogn, und von Eingeborene!! in schmnßig-weißcn Burnus gelenkt. Drei Männer zu Pferde schienen die Arbeiter zn bcanffichtigen. Die Pflüge gingen ziemlich rasch nnd in sehr verschiedener Nichtnng, so daß die Scene voll lebendiger Verwirrung war. Nir erfuhren von nnsern Treibern, dies sei die Frohnarbe,t eines Stannnes oder einer Farka (Stanun-Abtheilung) für ihren Kaid (Haupt-ling), nach dem allgemeinen Gebrauche des Districts, Der Kaid jedes Stammes wird seit der Unterwerfung von dcn Franzosen ernannt, nnd zwar so, daft ihn das Varoau lli'9.IiL des Bezirks (bestehend ans einigen französischen Officiercnj dem Obersten vorschlägt, dieser wieder dem Divisions - General lznglcich Gouverneur des Divisions Gebietes), welchem letzten dann die Ernennung überlassen ist. Doch kommt gewöhnlich nnr ein Mann ans den vornehmsten Familien in Betracht, Der Kaid vereinigt die Militär, Polizei- nnd Stener-Gewalt über seinen Staunn, Cr kann nur Geldstrafen bis zn 50 Frcs. verhängen; Höhcrc Strafen unterliegen dcn französischen Militär-Behörden, Bon jenen geringen Geldstrafen, sowie von sammt-lichen Abgaben, erhält der Kaid den zehnten Theil für sich; außerdem gebührt ihm, wenigstens in dem Bezirke von Anmale, eben die erwähnte, Frohnde eines Pflngetags, welche sich jedoch in Wirklichkeit wohl auf drei Tage erstreckt. Dieselbe wird für sehr uubequem gehalten, nnd soll mit 5 Frcs. per Pflng abgelöst werden. So erfuhr ich von den Officicren in Anmale. Anf die weitere Verfassnng der Stämme komme ich später znrück. Die einheimischen Pflüge find außerordentlich roh; sie bc-stehen nnr aus einem langen Pflngbalken, einer eisernen Schaar, ohne Streichbrett, nnd einer auffalleud senkrechten handhabe. Sie reißen natürlich den Boden nur oberflächlich auf, ohne ihn mnznwendm. Dabei wird nnr einmal gepflügt, nnd zwar nach dem Säen. Aber so fruchtbar ist der algerische Boden, daß trotz 28 Der „Große Atlas", dieser höchst mangelhaften Bestellung, und ohne den geringsten Dünger, ohne die mindeste Bewässerung, der Ertrag den der europäischen Felder noch übertrifft. Er soll im Durchschnitt das zehnte Korn ausmachen, während in Frankreich nnd Preußen z. B. nur das sechste Korn geerntct wird. Bald nach dem merkwürdigen Anblick des Frohnpfiügens (der uns die wahrscheinlich häufigste Entstehung der Frohndienste und des gutshcrrlichen Verhältnißes in Europa vergegenwärtigte) erreichten wir die Höhe eines Hügelrückens, von wo wir zu un-sercr größten Freude über eine breite Ebene hiuweg die zweite, südliche Kette des Atlas entdeckten. Hinter diesen: mächtigen, langgestreckten und mannichfach geformten Gebirge lag, das wuß> ten wir, die ersehnte Sahara mit ihren Wundern. War die Ncise bis dahin im Ganzen langweilig und gewöhnlich gewesen, so hofften wir in Kurzem die Wonnen eines Wüstcnritts zn genießen. Die Bergkette selbst glich übrigens sehr der ersten Parallrlkrttc, die wir überschritten hatten; wie diese, erhebt sie sich ans einer Ebene in ziemlich gerader Linie. An Höhe schie-nen mir einige Gipfel den Kleinen Atlas*) zn überragen, wenn ich auch hier noch keinen Schnee darauf bemerkte. Wohnungen waren in der Ebene nicht zu bemerken, aber wohl ein ziemlich ausgedehnter Anbau. Viel später, als wir gehofft, erreichten wir den Beginn der Berge. Kurz vorher war die Straße besser geworden, und hatte vermittelst einer ncucu massiveu Brücke — der ersten und ein-zigen auf der ganzen Straße — ein Flüßchen überschritten. Nun trat sie in ein wahres Frlsenthor, schmal, schroff, romantisch; ein so ausgeprägter Durchbruch des Wassers, wie ich ihn in *) Ich meine hier nur das Gebirge im Süden der Meditscha. Im weiteren Sinne bezeichnet „Kleiner Atlas" die ganze erste Parallelkette, mit Erbebnngen bis über 2000 Meter, Handmühlen der Araber. 29 Europa kaum gesehen. Die Straße hielt sich stets links von dem Bache; rechts, wie eingeklemmt zwischen rauschendem Wasser und starrem Fels, lag eine Mühle, ganz geschaffen für diese wilde Stelle. Sie überraschte mich um so mehr, als es die erste war, die ich in Algerien sah; sie blieb auch die einzige. In keiner Beziehung fällt das Zurückbleiben der hiesigen Bevölkerung so sehr m die Augen, als in der Anwendung der natürlichen Kräfte zur Production. Die Wasser- und Wind-Mühleu für alle Art Arbeit, in Europa seit dem Alterthum und Mittelaltcr allgemein verbreitet, finden sich in Algerien höchstens bei den betriebsamen, aber eng begrenzten Kabylen. Eines der überraschendsten Schauspiele in den oberen Gassen von Algier bieten die Mahlmühlen, die in einer Art Keller von einem ein-zigcn Pferde oder Maulthicrc getrieben werden. Bei den noma-dischcn Arabern wird das Korn sogar noch in Handmühlen gemah-len, wie zn den Zeiten Abraham's; und meist nicht Sklaven, son-dcrn die überbürdeten Weiber sind damit beschäftigt. Die Araber gehören zu dcu Völkern, die nur die Handfertigkeit ausbilden; deren Geist aber nicht kühn, deren Thatkraft nicht nachhaltig genug ist, um durch Maschinerie in den bewegenden Naturkräftcn des Wassers, des Windes, des Dampfes unermüdliche, gigantische Sklaven zu finden. 3a. man kann weiter gehen, der Algerier kennt nicht einmal die Fabrik, das Zusammenarbeiten Vieler zu Einem Erzeugniß und unter Einer Leitung, den Gipfelpunkt der Arbeitsteilung. Es würde zu weit führen, wollte ich den mannichfachcn Gründen dieser niedrigen Wirthschafts-Stufe nach-gehen; die Herrschaft des Herkömmlichen nnd die Unsicherheit des Eigenthums sind jedenfalls die wesentlichsten. Genug, wie die Araber Algeriens noch heutzutage Ackerbau und Viehzucht nomadisch betreiben, so kennen sie in der Verarbeitung nur das Einzelhandwerk, im Handel fast nur den persönlichen Tauschver-kehr, ohne Credit, Commission und Speculation. So sehr hängt Zt) Felseudurchbruch. die Entlvicklling der drei Productions-Artn, unter sich und mit der gesammten geistigen Entwicklung zusammen. Was die Mühlen insbesondere betrifft, so fehlt allerdings die vielverbrcitete, anhaltende, regeliuäßige Wasserkraft der meisten europäischen Länder. Auch für Windmühlen niag der größte Theil Algeriens smit Ansnahlne der Küste) wegen des vorwic-gend stillen Wetters nicht geeignet sein. Dennoch hätte sich so Manches thnn lassen; selbst eine vielfach unterbrochene Wasserkraft ist noch immer vortheilhafter zum Korn- nnd Delmahlm als die Hände schwacher, melgeplagter Weiber. -- Die Mi'chle, deren romantische Lage in dem Frlsenthore vor Anmale mich so erfrente, war augenscheinlich europäischen Ursprungs; der regelmäßige niassioe Ball nnd das rothe Ziegeldach ließen keinen Zweifel. Kaum hatten wir den ersten Durchbruch überschritten, so stemmte sich uns eine neue Fclsenbarrc entgegen, in gleicher Rich-tnng, Schroffheit und geologischer Beschaffenheit, wie die erste. Das Gestein machte mir den Eindruck oon Kalk, Dahinter öffnete sich nns ein ziemlich schmales, ansteigendes Thal, dessen Abhänge meist von Gerölle nnd Felsblöcken bedeckt waren. Doch zeigte sich, zumal an den gewundenen Usern des Baches, eine ziemlich starke Vegetation von Büschen, wohl nnch klemm Bäumen, die wir anf der Hochfläche seit dein Isscrthalc ganz vermißt hatten. Das Thal ward allmälich immer breiter, die Straße belebter; ein oder mehrere große Fonrragc-Wagen, von französischen Soldaten geführt, wiesen auf die Nähe eines Gar-nisonplatzes. Etwa eine Stunde nach dem Eintritt in das Thal erblickten wir endlich das ersehnte Anmale, die erste Station unserer Reise, und den Ansgangspnnkt nnscrcs Karcwanen-Zna.es. Schon der Anblick einer wirklichen Stadt, nachdem man drei Tage lang nur elende Hütten gesehen, macht einen erfreu-lichen Eindruck; nun gar, wenn diese Stadt so viel verheißt, und so großartig daliegt, wie uuser Anmale. Von der Stelle, Einzug iu Numale. 31 wo wir uns befanden, erblickten wir etwas oberhalb einen weiten, furchtbar dürren Thalkesscl, fast auf allen Seiten von hohen, ebenso dürren, scharfen Bergen umgeben. Ans demselben, gegen rechts, erhob sich alleinstehend und schroff ein mäßiger Felsrückcn, ganz wie eine natürliche Festung. Auf diesem liegt Anmale, dessen Hänser uus jedoch durch die hohe Mauer, die ganz dem abschüssigen Nande des Felseus entlang läuft, hier noch vcr-steckt blieben. Nach kurzem Ritt waren wir am Fuße des Felsens, und stiegen anf einem gewundenen Ncgc znm Thore hinan. Ich wünschte, wir sollleu alle drei, die Flinten über die Schulter einen geordneten, feierlichen Einzug in die Festung halten. Allein meine Gefährten waren weniger ritterlich gesinnt, oder weniger kindisch, wie man's nehmen will; drei Ritter iu halb europäischer, halb maurischer Tracht' und auf vollbevackten Thicreu. gegen welche Rosinautc uoch auf den Charakter eines edlen Rosses Anspruch macheu konnte, wären allerdings mehr Don Quirotcs, als Bayards ähnlich gewch-u, So zogen wir denn. gegen 3 Uhr Nachmittags, möglichst zerstreut und demüthig durch die breite, schnurgerade und stattliche Straße, über eiuen viereckigen, großen Plah, und wandten lins nach einigen Erkundigungen links in eine Nebenstraße, wo ein kleines Haus mit grünen Fensterladen das erste und einzige Hotel vorstellte. Mit wahrer Genugthuung sprangen wir zum lchteu Male von den trägen Maul-thieren, und verlangten nach Zimmern. Ach, das einzige Hotel hatte auch nur ein einziges Logirzimmer. uud was uoch schlim mcr war, dies einzige Zimmer hatte nur zwei Betten, nnd wir konnten nns mit gcuaucr Noth dariu herumdrehen. Schmußia, dunkel nnd unordentlich genug war es auch. Wir ließen unsere Sachen heraufbringen, und machten emsig Toilette; ein herrliches Geschäft, wenu man es drei Tage lang versäumt hat! II. In Aumnle. Anmale, nach dcm Itinöi-air« äo 1'^lF«iic! (1855), liegt 180 Kilometer oder 17z geographische Meilen non Algier, und bildet die Hauptstadt der dritten militärischen Sub - Division der Provinz Algier. Sie wurde im Jahre 1845 unter dcm könig-lichen Prinzen, Herzog von Anmale, geßründet. nnd erhielt von ihm den Namen. Abgesehen lion der natürlichen Festigkeit ihrer Position, liegt sie auch außerordentlich günstig für die militärische Beherrschung eines weiten Gebietes. Noch auf arabischen! Bo> den, ist sie hart an der Grenze dcr großen noch unabhängigen Kabylie,*) nnd bildet mit Dcllys nnd Bugia am Meere, und Setif im Osten des Innern, die Ecken des Quadrats von Waffmplätzcn, womit die Franzosen das hartnäckige Wlklcin umringt haben. Allein ist schon dic Verbindung mit dcr Haupt-stadt Algier höchst ungenügend, so doch noch unvergleichlich mehr die mit den übrigen Waffenplähcn. wohin nnr „arabische" d.h. höchst unregelmäßige, ungcbautc Neitpfadc führen, und zwar mit Ausnahme dcr Richtung nach Setif, großen Theils durch ununtcrworfcncs Gebiet. *) Die große Kabylie ist seitdem durch die gewaltige Expedition von 1857, wenigstens formell, von den Franzosen unterworfen worden. Ich ziehe jedoch aus vielen Gründen vor, bei meiner Beschreibung den Zustand von 1855 auf 56 als gegenwärtig darzustellen, und hoffe dadurch im Sinne und Interesse meiner meisten Leser zu handeln. 33 Auzia imb Ssur-Grhosl&n, Anmale macht dnrch und durch den Eindruck eines nagcl-neuen französischen Eolonistcn-Ortes. Die Straßen gehen fämmt-lich im rechten Wiukel von der Hauptstraße alls, welche letztere die ganze Stadt der Länge nach durchschneidet. Es ist dieRus 66 Rivoli von Ainuale. An der großen Kaserne nnd anderen Gebcinden wllrde n^ch gearbeitet; die Wohnhäuser sind nicist zweistöckig klein, gleichförmig; das Erdgeschoß wird von Kram-^äden, Cafvs imd Schenken eingenommen. Kein einziges trägt die Spur orientalischer Bauart, -— Aber troj) diesem Anschein ist Anmale mindestens so alt. wie die ältesten Städte Deutschlands. Den Römern, diesen größten aller Eroberer nnd Colonisatoren, waren die Vortheile solcher Lage nicht entgangen. Sie gründeten Hier dic Stadt ^nxia. welche 50—60.000 Einwohner gezählt Haben soll; d. i. etwa 50—60 Mal so viel. als die jetzige Stadt. Zahlreiche masswc Grundbaiiten, Denksteine, Statuen nnd GerätHe bekunden noch Heute das Dasein und die überraschende Blüthe des alten Auzia. Es wären gcwift iwch weit glänzendere Ueber» rcstc vorhanden, wenn nicht auch die Araber für gut befunden Hätten, sich Hier anzubauen. Doch ist von ihrer Gründung, ob-gleich so viel neuer als die römische, nichts weiter übrig, als der poetische Name. 88in--(T^8inn, Wall der Gazellen, bc-zeichnet in der treffendsten Weise die Lage der Stadt, anf einem natürlichen Fclsenwall an der Grenze der Sahara, deren schlanke, anmuthige Bewohnerinnen, die Gazellen, nicht weiter nach Norden vordringen, als bis Hierher. An dieser Stelle kann ich nicht nnchin, auf den dnrchgehcn« den, Höchst charakteristischen Unterschied der algerischen Ortsnamen Hinznweisen. Die romantischen Araber finden in jedem Berg. gipfcl das Bild eines belebten, oder dem Menschen zugehörigen Gegenstandes, und benennen ihn danach; wo nicht, so knüpfen sie eine Sage, eine geschichtliche Erinnerung daran, und verewigen sic in denl Nainen, Die arabischen Ortsnamen rollen gleichsam Z4 Ortsbenennungen. ein geographisches Epos über das ganze Land; jedes Thal be-dentet eine Rhapsodie, jeder Hügel oder Hain eine Episode. Ganz anders die betriebsamen, nüchternen Kabylen, die jeglichen Ort nach seiner realm Beschaffenheit auffassen nnd benennen. Ein Berggipfel von schwärzlichem Gestein heißt bei ihnen eben der Schwarze Berg, nnd nicht der Kamcrl Höcker, oder der Berg des Umschauens, wie bei den Arabern, Diese Anknüpfung des Menschlichen an die unbelebte Natur vermittelst der Namen ist übngens ein echt semitischer Charakter-zug; man denke nur an die Ortsbrzeichnungen der Bibel — und höchst wahrscheinlich geht auch die sinnreiche Benennung der Sternbilder zuerst von den Semiten aus. Etwas eutfernter hängt die Erfindung unserer Buchstabenschrift, ebenfalls ein Nerk der Semiten, mit dieser Stamm-Ncigung zusammen. Bekannt-lich waren die ersten Buchstabcnzeichen Miniatur-Bilder der gc-bräuchlichstcn Dinge, deren Namen mit dein betreffenden Buch-staben ansingen. — Man könnte einwenden, haben nicht auch die Indo-GcrmaNlM, vor allen die phantasiereichcn Griechen, die ganze Natur in menschliche Bilder gekleidet, personificirt? Aller-dings, nnd hierin liegt eben daß Wunderbarste: beide große Stämme der Civilisation tragen das Menschliche auf die Natur über; aber mit dein durchgehenden Unterschiede: die Semiten geben den Natnrgcgcnständcn nur menschliche Namen, die Indo-Germanen aber menschliche Gestalten nnd Kräfte. Bei den ersteren bleibt die Beziehung viel äußerlicher, accidentcller; bei den letzteren wird sie innerlich, wesentlich. Den Semiten erinnert der Berg nnr an ein belebtes Wesen; dem Indo-Germanen verwandelt er sich in ein solches; ißt. trinkt, denkt, fühk und spricht. Dem-gemäß eMirt die semitische Kunst im Bilde, in die Allegorie; die indogermanische dagegen in der wirklichen menschlichen Gcstal-tung. Und, um die letzte Folgerung zu ziehm: dem Griechen fällt der denkende, selbstbewußte Geist in die Natnr, dem Sc- Besuch beim Oberst d'Argent. 35 nuten schwollt er über der Nawr — „und der Geist Gottes webte über den Wassern." Nur die semitischen Israclitcn brachten es zn drr Vorstellung eines einigen, übcrwcltlichcn Gottes. — Unser erstes Geschäft in Anmale bestand darin, dem Be-fchlshaber der Snb-Division, Obersten dÄrgcnt. nnsere Em-Pfchlungsbriefe von Seiten des General-Gouverneurs Randon zn überreichen. Man führte nns über einen großen, wüsten Platz; das avkgene nnd sehr unansehnliche Hans war nnr durch eine Schildwache ausgezeichnet. Da Herr d'Argcnt nicht daheim war, so konnten wir nnr unsere Karten abgeben. Ich spazierte dann etwas durch die Hauptstraße, bis zum Diner, das nach französischer Sitte auch in Algerien um 5 Uhr stattfindet. In dem schmucklosen Speisezimmer tafelte anßcr uns nnr noch Eine Person: nnd siehe da, es war der Militärarzt Herr M., an den ich einen Empfchlungsbrief »on dem gefälligen Chef des algerischen Medicinalwchns, Hcrrn Dr. Guyon erhalten. Dr. M., cm wohlbeleibter, schon alternder Mann. dessen fleischiges pfleg, niatischcs Gesicht einem Drntschfrauzoscn ankündigte,' empfing mich und meine Gefährten mit großer Zuvorkommenheit, nnd versicherte nns, dnß wir vom Obersten, der ein sehr braver Herr sei, die allerbeste Behandlung zu gewärtigen hätten. In der That kam alsbald cm Bote. nns zum Obersten einzuladen. Sein Haus hatte einen halb europäischen halb maurischen Charakter. Durch einen langen offenen Gang g» langte man auf einen viereckigen Hof mit kleinem Garten, um welchen hcrmu die verschiedenen Zimmer lagen?" nnr ein Crdge-schoß war vorhanden. Wir trafen den Obersten in seinem Arbeitszimmer und wurden von dem stattlichen, riesengroßen Manne sehr herzlich empfangen. Unsere bevorstehende Anknnft war schon von Algier aus gemeldet worden, und zn nnsercr größten Gcnugthmmg versicherte uns der Oberst, daß die vom 3- 6 Ein junger Capitän. General-Gouverneur gefürchtetcn Schwierigkeiten und Gefahren einer Rcise nach Vi^kra kauin bestanden. Allein die Vorberei-tlingen würden dm ganzen nächsten Tag in Anspruch nehmen, so daß die Abreise auf übermorgen verschoben werden müßte. So sehr anch dieser Anfschnb nnsercni Plane und nnseren Wün-schcn widersprach, gegen die „technischen" Gründe eiueo so wohl-wollenden Militärs konnten wir nichts einwenden. Nach einiger Zeit trat ein junger, wunderschöner Officicr in's Zimmer, dessen verschlungene, dreifache Goldlitzcn an beiden Acrnleln einen Capitän vom arabischen Bnrean anzeigten. Seine ungcuirtc nnd doch maßvolle Lebhaftigkeit (eine Eigen-schaft. welche die Franzosen häufiger, als irgend ein anderes V^Ik, aber doch auch nicht durchgängig besitzen) gefiel mir nn° gemein. Ein Hauplmann von 24—26 Jahren ist in der franzö-fischen Armee, zumal in Algerien, nichts seltenes; dic Leute von Talent und Connexion avanciren rasch. Die beste Carriere von allen ist aber dic in dcn „Arabischen Bureaux", deren Mit-glicdcr in nächster Berührung mit dcn höheren Vorgesetzten stehen nnd Gelegenheit haben, ihre Tüchtigkeit in den verschic-dcnsten Gebieten des Kriegswesens, der Verwaltung, der Recht-sprechung, selbst der höheren Politik geltend zu machen. Doch hiervon später ein Näheres. Der Oberst besprach sich über uw scrc Angelegenheit mit dem Capitän nicht wie ein Vorgesetzter, sondern wie ein Freund, nnd nahm sogar den lebhaftesten Widerspruch (womit dcr junge Herr selbst in unserer Gegenwart nicht kargte) gcmz gelassen auf. Allerdings schien dcr Capitän sein Günstling zu sein, aber anch die anderen Officicre bchan delte er anßer Dienst wie seines Gleichcn; nnd wenn cin jungcr Scconde Lieutenant ihm cin uni, inun Oolonei, erwiderte, so lag darin etwas mehr Vertraulichkeit, als in nnscrem „Zu Be-fehlen, Herr Oberst!" Nun, zwischen Officicr nnd Officicr ließe selbst cin prenßi- Französische und deutsche Mannszucht. I7 scher Kricgsmaudarin vielleicht die Vertraulichkeit noch gelten, zumal fern von der Hmuath, in Feindes Lande. Aber nein, anch durch ganz Frankreich, auch gegen die Untcrofficiere und die gemeinen Soldaten ist der französische Officier ansier Dienst leutselig und vertraulich. Wie oft sah ich in großen uud kleinen Garuisonstädten Gemeine und Officicre in demselben Cas<> sitzen, ganz ungcmrt. als ob nicht eine himmelweite Kluft zwischen den Befehlenden und den Gehorchenden läge. Da hätte ich einen Mer adligen Lieutenants herbeigewünscht, die selbst die Ein-jährig,Freiwilligen ans den besten Familien wie Geschöpfe niederer Ordnung behandeln! Ich glaube, der Mann hätte die franzö-fische Armee für verloren erachtet; „denn was ist ein Heer, selbst das zahlreichste und tapferste, ohne Mannszncht". ohne Respekt vor den Vorgesetzten?" Nnu. die Geschichte der französischen Armee seit der großen Nevolutiou. mit ihren wunderbaren Feld-zügen und nnsterblichm Siegen, beweist eben, daß die Ansichten von Mannszucht und Rcspekt. wie sie noch hellte in dem preußi-schen „Volkshcere" herrschen, ganz aus der Luft gegriffen sind. Der Franzose kennt keine unübersteigliche Klnft zwischen- Be-fehlenden nnd Gehorchenden; jeder Gemeine kann es durch Tapfer-keit und Tüchtigkeit bis zum Marschall bringen, und dieses Bewußtsein, dieses Streben allein nützt einem Heere zehnmal so viel, als aller Kamaschendienst und bliude Gehorsam! Die Erinnerung an das demokratische Avancement im französischen Heere war nothwendig, um den Leser das Verstand-niß dcs Kreises von Dfficieren zn geben, in dem wir anf Cm-ladung dcs Obersten diesen Abend recht interessant und heiter zubrachten. Aumale, wie fast alle algerischen Garnisonen, hat nämlich seinen „Oi-ois cl'olKowi-Z", um so berechtigter, als die wenigsten Officiere verheirathet sind. uud gebildete bürgerliche Personen oder gar Familien fast überall mangeln. Das ganze gesellschaftliche Leben dreht sich daher nm diese Clubs, Sie 38 Die Zuaven. nehmen ein eigenes Gebäude ein, gewöhnlich das stattlichste des Orts, nnd sind mit Zeitungen, Büchern und dem nie mangeln-den Billard versehen. Wir trafen es so glücklich, daß diesen Abend gerade ein kleines Fest zn Ehren der aus der Krimm zurückgekehrten Tnrko - Officiere gegeben wurde. Von den Tnr-kos kann ich keinen bessern Begriff geben, als wenn ich sage: sie sind, was die Zucwcn seiu sollten, und wofür sie in Europa meistens gehalten werden. Schon im ersten Jahre der Eroberung dachten die Fran-zosen daran, nach dem Muster der englisch-ostindischcn Sepoys ein einheimisches, ihnen ergebenes Truppencorps zu bilden. Son-dcrbarcrwcisc wählten sie den Namen gerade von der Völker-schaft, welche ihnen am hartnäckigsten widerstanden hat, von den: kabylischcn Bunde der Aouaoua, auf dem Nordabhange des Dschurdschura. Diesc hatten nämlich uuter den Türken eine ahn-liche Truppe gebildet. Allein nicht nur die kriegerischen Suawas, sondern anch die übrigen Eingeborenen müssen wohl lange Zeit keine ^ust gehabt haben, ihr Blut zur Unterdrückung ihrer Stam-mes- und Glaubensgenossen zu vergießen; obwohl sie bedeutend weniger Grund zum Patriotismus hatten, als die Deutschen, die doch unter Anführung ihrer Fürsten sich seit den ältesten Zeiten dazn bereit gezeigt haben. So kämpfen denn seit 20 Jahren nntcr kabylischem Namen und farbenreicher, maurischer Uniform, in Turban und Sackhosen, die echtesten Kinder Frankreichs, vor allem die Pariser. Es ist eine bloße Maskerade, aber das Sprüchwort: Kleider machen Leute, läßt sich hier erheben zn einem: Kleider machen Helden, dem man von vornherein gewiß nicht beipflichten möchte. Und doch ist es ja bekannt genng. daß nicht bloß in Algerien, sondern in den viel ernsthafteren Feld-zügen des russischen nnd italienischen Krieges die Franzosen in manrischer Kleidnng noch weit tapferer und kühner gestritten ha-bcn, als die Franzofen in ihrer ruhmwürdigcn National-Uniform. Die Turko«. 39 So mächtigen Einfluß übt die Auszeichnung auf den Menschen, vor allen auf cm Trupprucorps! Jetzt zwar wirkt fchou lange nicht nichr ausschließlich und direkt die eigrnthinuliche Kleidung; fondern die Mannschaft ist wirklich eine Elite, da dic waghal-figsten, ehrgeizigsten jungen Leute lieber als Gemeine bei den Zuavcn, denn als Sergeanten in den Linieu-Regimeutern dienen. Ich selbst traf mehrere, die ihre Tressen für die Ehre, Zuaven zu sein, willig geopfert hatten. Dergestalt erreichte die Bildung des Zuavencorps zwar durchaus nicht das, was es bezweckte, aber weit Größeres. Der ursprüngliche Gedanke verkörperte sich jedoch später l1841) in den Turkos. leichter, regulärer Infanterie, die fast nnr aus wirk-lichen Eingeborenen besteht. Ihr officieller Name ist ,/IiiaN-ieul-8 incU^nLs", nnd sie bilden ein Bataillon in jeder der drei Provinzen, Algier, Oran und Constantino. Der Schnitt ihrer Uniform ist der nämliche, wie bei dcuZuaven; nnr tragen sie statt der dunkelblauen Jacke und mrnnigrothcn Hose der Ich-term belde Klndungsstückc hellblau mit gelbem Besät). Ein rother Bund um den Leib. Kamaschcn von gelb braunem Leder nnd ein weißer Turban vervollständigen ihren Anzug. Nur wenige Franzosen sind darunter gemischt, um die Erziehung der Trnp. pen in jeder Hinsicht zu erleichtern; die Eingeborenen können bis zum Ober-Lieutenant einschließlich avanciren; vom Hauptmann aufwärts müssen dir Officiere aller einheimischen Truppen Fran-zosen sein. Das ganze Regiment Turkos, 3000 Mann stark, war nach dem Orient geschafft worden, gleichwie die Zuavcn, und hatte den schweren Krimm-Feldzna sehr rühmlich mitgemacht. Eine Woche etwa nach meiner Ankunft in Algier (Ende November) kehrten sie znrück, nnd wurden am Hafen außer von der Be-sahung, auch von einer großen Deputation der Mauren nnd Neger, die hciligeu Fahnen der Moscheen, die gcsamutte Geist- 40 Die Neger als Soldaten, lichkeit und die einheimische Musik an der Spitze, feierlichst empfangen. Gar stattlich marschirtrn die sonnverbrannten Krieger daher; so manche Narbe und so manches (ihrenkreuz am rothen, so manche Denkmünze am orange Bande legten Zeugniß von ih-rcr Tapferkeit gegen die „Ungläubigen" ab. Die eingeborenen Officiere in prächtiger Tracht, den Kopf mit golddurchwirktem Shawlc nmhüllt, erschienen sehr oortheilhaft gegenüber den euro-päischen in ihrer knappen Uniform, Theuer gcnng hatten sie diese Auszeichnungen erkauft; denn von den drei tausend Eöh-uen Afrika's kehrte kaum die Hälfte in die Heimath zurück. Am meisten überraschten nnd erfreuten mich die Neger, in nicht unbedeutender Zahl unter die Weiften, oder vielmehr die Braunen, gemischt. Ihre gewaltigen Körper, das zweideutige Geschenk der Tropen-Natur, traten merklich unter den schmäch-tigcn Arabern hewc>r. Schon ihre Aufnahme beweist übrigens ihre Tüchtigkeit znm civilisirtcn Hccrdienst; durch Officiere nnd Untcr-Officicre der Turkos wurde mir ausdrücklich bestätigt, daß sie ganz gntc Soldaten abgäben. Ja, nntcr den eingeborenen Officicren war ein Ober^icutenant, einer der schönsten Männer, an Gestalt, Haltung und Antlitz, die ich je gesehen, von ganz schwarzer Hautfarbe. Wenn Othello oicscm -Krieger mit dem feinsten Profile glich, so ist die öicbc der schönen Venezianerin mehr als entschuldigt. Nicht enden würde ich, wenn ich auch mir cincn Theil der hoch malerischen und interessanten Scenen schildern wollte, welche die Ankunft und den Aufenthalt dieses Truppencorps bei Algier auszeichneten. Die Musterung auf dem Marofelde, mit der Rede des Mollahs lObcrpriesters), die mnsicalischc und culinarischc Feier im Zeltlager auf einem Hügel am Mecresstrand, gehören zu meinen glänzendsten Erinncrnngen. — Knrzc Zeit vor nnsenn Aufbruch von Algier war nnn das oereinte Lager aufgehoben worden, und die Bataillone nach ihren verschiedenen Garnisonen 41 „Officiers de l'&ole." in den drei Provinzen theils ausniarschirt, theils eingeschifft. Su ivar anch eben ein Theil in Anmale angekommen, und ich traf es gerade recht, nm den Empfang der „Eiuheiiuischeu Tirail-leur^" anch in der Provinz kennen zn lernen. Freilich ließ sich nicht der mindeste Vergleich aufstellen Wischen der reichen, phantastischen, buuteu Nationalfeier der Hauptstadt, nnd dein gewöhnlichen, einfarbigen Gelage, dem wir nnn beiwohnen sollten. Wir begleiteten den Obersten in ein ziemlich geräumiges, aber ganz schmuckloses Gemach zu ebener Erde, wo die Officierc aller Waffen schon versammelt warm. Der Oberst nahm den Platz in der Mitte der langen Tafel cm; nns Fremden ward die Eh« erwiesen, theils an seiner Seite, theils ihm gegenüber zu sitzen. Unsere nächsten Nachbarn waren zwei Majore und ein blonder Unterlicutrnant aus dem Elsaß. Der letztere mischte sich mit schlechtem Französisch fortwährend in's Gespräch, obwohl er von den übrigen mehrmals gehänselt wurde, daß ich Preuße besser französisch spreche nls er. der Franzose. Er hatte sicherlich von der Pike auf gedient; sein plumprS Weseu und geistloses Ge-sprach unterschieden ihn von den Kameraden; zn seinen« Glücke schien er keine Ahnung davon zn haben. Wie ich späterhin noch näher erfuhr, herrscht selbst iu den kleinen Garnisonen Algeriens eine Spaltung zwischen den „otk-oiei-8 60 1'6oc>Io" und denjenigen, die vom Gemeinen avancirt sind. Die „N00I0" ist die berühmte Kriegsschule von St, Cvr bei Versailles, ursprünglich von Ludwig XIV. zur Erziehung von 250 adligen Fräuleins gegründet, aber von dem weniger galanten Napoleon 1806 für die Ausbildung von 300 mili-tärischm Zöglingen bestimmt. Nach bestandenem Er.amen treten die jungen Krieger sogleich als Unterlicutcnants in die Infanterie; für die Artillerie, das Genie, den Generalstab nnd die Marine befähigt dagegen der zweijährige Vesnch der hochberühmtcn N«o1o ?c>1^t,«Hui«iuo zn Paris. Dnrch Herkunft. Sitte und 42 Demotratische Beförderung, Bildung unterscheiden sich nun diese Officierc der Schule ganz wesentlich von dcn übrigen, die oft den niedrigsten Ständen cnt-sprnngcn, nnd fast ohne Schulbildung aufgewachsen sind. Intimer geselliger Verkehr ist da nicht möglich; zilnml knüpft ja auch nichts festere Bande, als die gemeinschaftliche Schule, mit ihrem beständigen jugendlichen Zusammenleben, „Da habt ihr die Bescherung!" rnfrn gewiß freudig dic Gegner der volksthnmlichen Beförderung, „statt der natürlichen Scheidung uuter ^fficiercn nnd Gemeinen die höchst unnatür-lichc und verderbliche unter dcn Officieren selbst, kein espi-it ds «0rp3, kein genleinsaines Ehrgefühl!" Nicht zu hastig, ihr Hcr> ren, ihr schießt über das Ziel hinaus. Im Dienst des Vater-land es sind beiderlei Officierc ganz cinig nnd gleich, und der gesellige Unterschied dieut höchstens dazu, deu Wetteifer in Dienst nnd Kampf mächtig anzuspornen. Ucberdies sind ja die vom Gemeinen Aufgerückten zahlreich genug, lim sich für dcn inti-mcren Verkehr zu genügen; sind sie ^eute von Geist grnd erschien wunderhrrrlich im blendenden Mondschein; der hohe Bergrücken im Süden, der Dschcbel Dira, glänzte in, silbernen Echneegewaude. Bei unserem Eintritt in das Wirthshaus harrte unser ein neuer, ganz verschiedener Auftritt. Schon von weitem hörten wir lautes (Gelächter, männliches und weibliches, daraus hervorschal-lcn. In dein kleinen Gemach hinter dein Speisezimmer saß ein fremder Herr am Fcncr, und zwei Damen, die Wirthin und deren sogenannte Schwester, führten mit ihm das Lach-Trio aus, das nach ihrer Versicherung schon über eine Stunde unutlter-brochm dauerte. Und wer war jener Lachknnstler? niemand anders, als ein echter Sohn des milzkrankcn Albion, dessen Ankunft man während dec> Gelages dem Obersten gemeldet hatte. Dieser Gentleman, ein höherer Beamter ans London, hatte in Algier den Abend nach unserer Abreise nnscrcn Reiscplan ersah-rcn; derselbe stimmte so vollkommen mit seinen Absichten, daß er ein Thier miethete, den nächsten Morgen aufbrach, und in zwei Eilmärschen Aumale erreichte, um sich uns anzuschließen. — Ein vierter Gast, das fehlte nur dem Hotel noch; der ganze Abend war in Veranstaltungen zum Nachtlager vergangen, und Echt englisch. 45 diese hatten eben das homerische Gelächter veranlaßt, das selbst nach unserer Ankunft nicht aufhörte. Darüber vergaß auch der Herr Engländer ganz, sich über dic gemeinschaftliche Reise mit uns zu besprechen; daß uns seine Begleitung angenehm und willkommen sei, schien ihm durchaus selbstverständlich. Auch bekümmerte er sich nicht im miudcsteu um die nöthigen Vorkehrungen Er hatte eiuen grauen Manchester-Reitanzug, bläulich - wollene Hemden, eine vollständige Reise-Toilette und Apotheke, vor allen Dingen aber zwei mächtige Sporen und eiuen schönen ncnen Sattel aus England mit-gebracht, lind das genügte ihm; für das Uebrigc ließ er uns nnd den lieben Gott sorgen. — Sein Lager war auf dcm großen Tische des Speisezimmers bereitet; dao meiuige gleicher Weife iu einem oberen Zimmer, wo gewöhnlich die Officierc ihre Tafel hielten. Die beiden Mecklenburger nahmen die beiden Vcttcn ein; das ist der Vortheil, wenn man zu zwei ist. Ehe ich mich zn der sehr fraglichen Ruhe begab, trat ich noch einmal Hinalls unter den Stemcnhimmrl; die einzige Kirchcnglocke hallte eben die zwölf gcistcrweckcudrn Schläge der Mitternacht in die stille afrikanische Nacht i und freudig ging ich mm der Schlaf-lofigkcit und dem Froste auf meinem schlechtbcdeckten Tisch-Bette entgegen. — Der Morgen hielt glänzend, was die Nacht schimmernd versprochen. Ein blauer, wolkenloser Himmel wölbte sich über dem dürren Bergkessrl; die schroffen Gipfel rötheten sich beim Aufgang. Aber kalt war es geworden; um 7 Uhr zeigte mein Thermometer nur 5 Grad E.; während cr drei Tage zuvor in Algier um dieselbe Zeit 20 Grad gewiesen. Schon u,n 8 Uhr kam vi-. M,, uns zn den Seheuswnr-digkeiteu Aumale's zn führen. Wir erstaunten über den ge-schmacklosen Luxus der im Bau begriffenen Kaserne, wogegen n»s das Lazareth. ein so nothwendiges Institnt in diesem Laude, 46 Lazareth mld Klima. durch seine Dürftigkeit uui so mehr auffiel. Die Betten standen in zwei großen Salm zn ebener Erde, die früher nls Stallung gedient hatten. Nur wenige Kranke lagen darin, worunter auch Eingeborene. Aber in der Fieberzcit ist die Zahl der Kranken ungeheuer, kaum zu glauben i 600, wie mir der Arzt versicherte. Also auch in dem hochgelegenen Aumale dieser schreckliche Fciud der Europäer! Das Klima ist hier dasselbe wie in Mcdea, Eonstantinc und allen Orten der Hochplateau;- (600—1100 Me-trcs, d. i. ungefähr 2000—3700 preußische Fuß über dem Mit-telmeere); nämlich int Sommer weit heißer, im Winter weit kälter, als an der Küste. Noch größer sind die Crtreme in der Sahara. — Nach Dr. M.'s Aussage ist das Klima in ganz Algerien, und speciell in dieser Gegend, den: seßhaften Bewohner sehr schädlich. Diesem Umstände sei es auch hauptsächlich zu> zuschreiben, daß selbst die lcmdbaucnden Araber hin» und her-wanderten; der Wechsel des Wohnsitzes sei die einzige Hülfe ge» gen Krankheit. Cr kenne einen vornehmen Araber von über 80 Jahre, der, so lange cr lebt, den Sommer dicsseit, den Winter jenseit des Dschebel Dira zubringe, nur seiner Gesund-hcit wegen. Wenn auch Dr. M. durch seine unangenehme persönliche Stellung gegen die algerischen Znständc erbittert war, und daher seine Angaben überhaupt iu's Uugünstigc übertreiben mochte, so war doch diese gewiß nicht ganz nnbcgründct. Die amtlich festgestellte enorme Sterblichkeit in den Städten und bei den Eingewaudertcn bestätigt sie nur zn sehr. Jedoch ist die Kabylie jedenfalls ausznnchmcn, die trotz der Seßhaftigkeit ihrer Bewohner sehr stark bevölkert ist. Und bei guter, geeigneter Le-bcusweise vermöchten sicherlich auch die Europäer in vielen Ge» genden dem Klima zu widerstehen, — Diese Gegenden snchc man aus, nnd jene Lebensweise mache man den Colonisten mög-lich, so ist das größte Hinderniß der Colonisation gehoben! Aber beides ist außerordentlich schwierig. Doktor und Sergeant. 47 Wie gesagt, der Doktor war Pessimist; trotz seiner Stellung als „inääeoin on okcck" der Garnison, lebte er ganz abgeschie-den von der Gesellschaft dcr Officierc, d. h. von aller Gesell-schaft. Er beklagte sich bitter über das geringe Ansehn, in welchem die. Militär-Aerzte seit der Herrschaft Louis Napoleons ständen, weil sie, fast sämmtlich als Orlrnnisten gegen ihn ge-stimmt hätten. Ihn selbst schicke man oft stundenweit hinaus, angeblich um einen SchwerKranken zureiten; und wenn er hin» komme, sei dcr Mann ganz gcsuud. Es gehe so weit. daß sein Untergebener, ein studirter und promovirter Arzt, auf einem dc-tachirtcn Posten den Befehlen eines Sergeanten gehorchen müsse. Wie das so zu gehen pflegt, die Officiere schobeu ihrerseits die Schuld dcs bösen Einvernehmens auf die Unverträglichkeit des Dr. M,, gestanden aber zn, daß sie ihm öfters einen Schabernack spielten. UebrilMs entschädige sich der wackere Herr durch sehr lebhaften Umgang mit dein schönen Geschlecht, und seine nütz-lichste Thätigkeit sei die eines Mchrerö der Aumalcr Bevölke< rung. Wie dem auch sei, wir Frmiden hatten nur Gelegeuheit. seine große Freundlichkeit uud Dirnstfrrtigkcit anzuerkennen. Eine Strecke außerhalb der Stadt, gegeu Südwestcn, liegt eine hübsche kleine Moschee mit Kuppel und Minaret, der nur eine ctwaö freundlichere Umgebung fehlt, um den angenehmsten Eindruck zu machen. Welcher Scheich, Kaid oder Marabut mag hier ein Denkmal seiner aufopfernden Frömmigkeit gesetzt ha-bcn? — Kein Scheich, noch Kaid, noch Marabut des gesammten Islam; die Gründer, Schcnkcr und Erbauer dieser Moschee sind wunderbar zu sagen, die ungläubigen Franken! Ja. so uncigen» nützig sind die Christen in Anmale, daß ihre eigene Kapelle ohue Thurm oder irgend welche Verzierung, keinen Vergleich mit der Moschee aushält, uud uns erst durch den Gottesdienst am fol-gendcn Morgen überhaupt als Kirche erkennbar wurde! Nun bedenke man, daß Aumale fast ausschließlich von Christen und 48 Förderung des Itzlam, Juden bevölkert ist, nnd man wird begreifen, wie sehr das In-teressc der Politik hier das der Religion überflügelt hat, Und so ist es durch ganz Algerien; I. Barbier, der et-was clcricalc Verfasser des schlechten Buches: Itinui-inrs ä« 1'^^ris klagt mehrmals bitter darüber. Aber richtige Politik ist es ans jeden Fall. Der Araber liebt dic Unabhängigkeit, aber er ist fanatisch fnr den Islam. Die Unterdrückung des Glaubens würde Mlr mit der gänzlichen Ausrottung der einhei-mischen Bevölkerung zn erreichen sein. Alle Häupter des Wider-stands sind niemals als Vorkämpfer der Freiheit, sondern als Vertheidiger des Islam in die Schranken getreten. Nur die Religion war im Stande, die unzähligen, einander feindlichen Stämme zn gemeinsamem Handeln zn vereinigen. Wären die Franzosen Moslemim, sie hätten von Anfang an nur geringen Widerstand gcfnndcn. Jedenfalls ist also das Klügste, was Frankreich zur Beruhigung, wo nicht zur Gewinnnng der Ein-heimischen thnn kann, das; es ihre Religion nicht nnr nicht an-tastet, sondern auf alle Weise ehrt nnd fördert. Schon bei Ge> legenheit der Ankunft der Tnrkos in Algier erwähnte ich die frier-liche Procession der Geistlichkeit, nnd die Rede des Mollah selbst bei der ganz militärischen Musterung. Ja, auf den trefflichen Rath einiger Officicre werden die zahlreichen Mrkkapilger der Küste durch ein Rcgierungs-Dampfboot nach Alerandrien beför-dcrt, wie es scheint, ganz nnentgcltlich. Knrz, der Islam ist trot) dem Bis.hof oon Algier noch heute die eigentliche Staats-Religion lwn Algerien, Und so l'iel steht fest, die große Mehrzahl der eingcwan-dcrtm Europäer hat außerordentlich wenig Christenthum nach Afrika mitgebracht, und würde sich herzlich schlecht zur christlichen Mission eignen. Die Zeiten, wo Algerien einen heiligen Augu-stinns hervorbrachte, werden wohl nimmer wiederkehren. Und wenn die Eingeborenen, hoch und niedrig, deren ganzes Leben Römische Alterthümer. 49 die Religion hentc fast ebenso trägt und durchdringt, wie unter den nnnlittclbarcn Nachfolgern des Propheten — wenn die Ein-geborenen, sage ich, auf die schlaffe, nnr momentane und fast künstliche Religionsübnng ihrer Meister blicken, so können sie nicht anders als aufjubeln, daß ihr Glanbc der einzig lebendige: „kein Gott denn Allah »nd Mohammed der Prophet Allahs!" Daher anch gewiß noch bei allen die heimliche, aber unerschüt-terliche Zuversicht, daß so unreligiösc Menschen die Glänbigen nicht anf die Dauer beherrschen können. Als ein Franzose einen Araber auf die soliden Prachtbauten seiner Landslente aufmcrk-sam machte, erwiderte dieser ruhig: „Allah meint es gut mit seinen Gläubigen, er schickt die Franken zu uus, damit sie für nns Brücken und Straßen und Paläste bauen!" Die erwähnte Moschee war im Innern noch nicht ganz fertig. Iu ihrer Neuheit bildete sie einen treffenden Gegensatz gegen das „Museum" römischer Alterthümer, das wir auf der Rückkehr besuchten. Dr. M. hatte sich eifrig mit den Ueber-rcsten der alten Größe Afrika's beschäftigt, und war daher auch hier der beste Cicerone, den wir finden konnten. Eine Mauer umgicbt den geräumigen Platz, wo man die zahlreichen römi-schen Grabsteine nnd Denkmäler zusammen aufgestellt hat; ein eigenthümlicher Friedhof, dessen Todte sämmtlich vor fünfzehn hundert Jahren dahingeschieden. Ich bemerkte nur lateinische Inschriften, darunter diele dem Andenken von Frauen gewidmet. Die Denkmäler von Vildhaucrarbeit waren ohne allen Kunstwerth. Darauf traten wir in ein Zimmer des alistoßenden Ge< bändes, wo dessen Inhaber, die Officierc des Genie-Corfts, die übrigen Alterthümer gesammelt habcu. Außer den gewöhnlichen Gefäßcu und Hausgcräthen bemerkte ich besonders eine kleine Vie-toria aus Bronze, von weit feinerer Arbeit, als alles Uebrige. Auch mehrere Mosaiken waren vorhanden; die schönste und größte, die man erst vor Kurzem aufgegraben hatte, konnten wir Hirsch, Alanen. 4 50 Gemse und Gazelle. leider nicht zu sehn bekommen, weil sic zu besserer Erhaltung, ^'or dem beabsichtigten Transport nach Paris, wieder mit Erde bedeckt war. Nach Dr. M.'s Aussage sollte es ein wahres Meisterwerk sein. In seinem Hanse zeigte nns der gefällige Mann zuiu Schloß eine recht artige Münzsammlung; meistens Kupfermünzen aus der späteren Kaiserzeit, l,on denen er lins einige zum Gescheut machte. Einen reizenden Anblick darf ich nicht nnerwähnt lassen i nn Hofe des Museums spirltcu zwei junge Gazellen, deren zarte Formen, saufte Augen und aumuthigc Beweguugen selbst in der Unfreiheit den Rnf ihrer Schönheit in hohem Maße rechtfertigten. Der Vergleich mit eiuer Gazelle ist ja schon in der Vibel das schmeichelhafteste Ülib für ein geliebtes Mädchen. So hegt Ssnr> Ghozlan seine Gazellen, wie Bern seine Bären — aber welch ein Unterschied zwischen dem plumpen Mutz und den schlanken Ncn» nerinnen der Wüste! Uud doch hat Bcru die nächsten Schwc-stern der Gazelle so nahe, die flüchtigen Gemsen, die in den Bergwüstcn der nuwirthbarcn Hochalpcn hausen, wie die Gazellen in den Sandwüstm Afrika's. Als ich einst anf der Wanderung über den erhabenen Gemnü Paß hoch über mir an unersteiglicher Felswand, am Rande des Gletschers, die ersten Gemsen er-blickte — da dachte ich nicht daran, daß es mir vergönnt sein sollte, sie einmal mit ihren südlichen, schöneren Schwestern zu vergleichen! — Uebrigens theilen beide das Schicksal, troh ihrer Unschädlichkeit und der Unzugänglichkeit ihrer Weideplätze ein beliebtes Iagdwild abzugeben. Hat auch der Gazellenjäger nicht über schwindelnde Abgründe zu setzen, so bedarf es doch grohcr Beharrlichkeit und Schnelligkeit, um in den unabsehbaren Flächen der Sahara die flüchtigen Thiere zu erreichen. Gegen 11 Uhr begaben wir nns in das Halls des Obersten, der uns zum Dejeuner eingeladen. Ich kann nicht länger zögern, einige Worte über diesen merkwürdigen Manu zu sagen, dcm Stanim und Chalifat, 51 auch wir so sehr verpflichtet wilrden. Der Mann mit dem offenen, gutmüthigen Gesicht nnd dem einfachen Benehmen, der Mann, der sich von den jungen Lenten seiner Umgelmng so rn-hig widersprechen nnd belehren ließ ^- derselbe Mann hat doch der Krone Frankreich ein ganzes, reiches Chalifat vollständig unterworfen. Und was das Größte nnd Wunderbarste ist, nicht dnrch Waffengewalt nnd Blutvergießen (worauf man doch wetten möchte bei der Riesengestalt nnd dem kriegerischen Wesen des Obersten), sondern dnrch Klugheit, durch feinste Benutzung der Verhältnisse lind des arabischen ^Matters. Wie bei allen roheren Völkern, so bildet anch bei den Be-wohnern Algeriens der aus der Familie erwachsene Stamm die wahre und bleibende Staatsrinhcit, Die Verbindung dieser klci-neren Staatskörprr (sie zählen zwischen 300 lind 40,000 See-len) zu einl'm größeren war von jeher nur eine zeitweilige, lose und ganz änftrrliche. Niemals Einsicht nnd Patriotismus, son-dern Waffenzwang uud religiöse Begeisterung waren die Binde-Mittel. So bildete anch das Gebäude des türkischen Odschak Während der .800 Jahre seines Bestandes nur eine Anhäufung zahlloser Steine, nothdürftig znsammcngrhalten dnrch die eisernen Klammem der Schwerter, und durch den geschickt vertheilten Druck der einen auf die andern. Innerhalb dieses Gebäudes aber gab es einige kleine, weit festere Bereinigungen. Mit Ausnahme der höchst merkwürdigen Gesammt-Theokratie, die der heilige Staunn der Uled-Sidi-Schcich über lMe ftincr Nachbar-Stämme in der Provinz Own ausübt — gehören alle diese Vereinigungen der Provinz Constautine an. Es sind die Bun» des-Nepnbliken der Kabylie, der Herrschaften der großen Oasen-Städte, wie Tuggnrt, Temaein, Gardaja der Veni-M'sab, die des Scheich-el Arab in den Sibän. endlich die erblichen Chalifatc der Familien Wennugha nnd Mokrani. Auf die ersteren werde ich bei Gelegenheit znrnckt'ommen. Die letzteren liegen beide im Süden 4* 52 Ehalifat der Mokrani. der unabhängigen Kabylic, nnd im Norden der Sahara, haben ein schr fruchtbares nnd wohlbevölkertcs Gebiet, nnd beherrschen die wichtige Verbindung zwischen Algier nnd Constantinc dnrch die Bibkn. Das bei weiten: größere nnd mächtigere Chalifat ist das der Ulad-Mokrün, welches vornehmlich den großen Kabylcn-Stamm der Veni Abb^s, die arabische l5bcnc Medschana nnd einen bedeutenden Theil des Hodna, oder Hochlandes dcr Sahara, umfaßt' im Ganzen wohl 20 Stämme mit vielen tausend See-len. Wann nnd wo die Familie der Mokrani die Dberherr-schaft dieses weiten Gebietes erlangt hat, habe ich leider nicht erfahren können. Nach Carcttc ist sie jedoch wenigstens ein Jahr-hundert alt, nnd höchst wahrscheinlich zwei Jahrhunderte; er hält Mokr^n für ein bcrbcrisches (kabylischcs) Wort, das „groß, Oberhaupt" bedeutet. Wie dem auch sei, dcr Chalif der Medschana wurde von den Türken als fast unabhängiger Vasall behandelt, wohl nur verpflichtet zu einem verhältnißmäßig kleinen Tribute an den Bey von Constantinc. Nach der Eroberung von Konstantine im Jahre 1837 sand» ten die Franzosen den jnngcn d'Nrgcnt zum Chalifen in die Medschana. mit einem ganz kleinen Dctachemcnt, zum Behuf der Dicnstlcistnng. Und siehe da, der geschickten Politik des jnngcn Officirrs gelang es, alls dcr Dienstleistung unmerklich die Mit-Regierung, und zulcht die wirkliche Herrschaft über das Chalifat zn entwickeln, ohne daß ein Blutstropfen darum vergossen ward. Zur Erreichung dieses großen Zieles trug seine Verhcirathnng mit einer Tochter der Mokrani nicht wenig bei; leider rrkanftc der treffliche Mann das Glück seines Landes mit dem Unglück seines Hauses, — Als der alte, energische und gewaltthätig«: Chalif gestorben, war der Einflnß Frankreichs so gesichert, daß cs das Lhalifat ganz aufheben, und das Gebiet an einen Basch-Aga und mehrere Kaids, allerdings die Söhne Widerstand der Kabylen. 5Z oder Neffen dcs alten Mokrani, vertheilen konnte, natürlich mit nicht blos örtlicher Beschränkung ihrer Hcrrschaftsrcchtc. Herr d'Argrnt, der anf dein von ihm gegründeten Posten Bordsch-bn-Ariridsch um», Licntenant bis zilnt Obersten vorgerückt war, hatte sein Werk vollendet, nnd lvnrdc als Befehlshaber der Snb-Division nach Anmale versetzt, wo man seiner einsichtsvollen Energie gegenüber den letzten Stützen dcs nationalen Widerstan-des, den Kabylen des Dschurdschnra, dringend bedürfte. Freilich sind die zähen nnd demokratischen Bergvölker weniger leicht anf den: Wege des friedlichen Einflusses zn gewinnen, als drr Lehns-Vasall der Ebene. Aber fast scheint es, als ob man die allmählige nnd friedfertige Unterwerfung der Kabylcn an lcitcndcr Stelle nicht einmal wünschte, nnd die dahin zielen-den Bemühungen gar nicht versuchte. So wnrde mir von cinrm nächstbethriligten Officicr Versichert, daß die Beni-Melikesch, cincr der mächtigsten Stämme am Dschurdschura, vor etlichen Jahren ihre Unterwerfung den, Obersten schon angeboten hatten, als sie durch das feindliche Einrücken der französischen Hcerhan-fen in die Kabylie wieder zn den Waffen gernfen wnrdcn. Der Gewalt zu geben, was sie der Uebrrrednng zugesagt, schien ihnen unehrenhaft; sie schickten die Franzosen mit blutigen Köpfen Heini, nnd Hansen noch hcnte frei wie die Adler auf ihren Bergen. — Keine Frage übrigens, daß in den bevorstehenden Kämpfen Oberst d'Argcnt eine nicht minder glänzende Rolle spielen wird, als in den früheren Unterhandlungen; wer diesen Officicr nnr einmal gesehen, der ist fest überzeugt, daß seine Friedensliebe nnr Folge der Weisheit und Menschenfreundlichkeit, nicht aber dcs unkriegerischen Sinnes ist. An dem Frühstück nahm nur ein klcincr Kreis jnngrr Of-ficicrc Theil; anßer unsern gestrigen Bekannten anch ein Secondc-Lieutenant vom Arabischen Burean, Herr von St. A., Neffe eines Generals. Dieser junge Mann, mit bleichem aber cm- 54 Der orientalische Krieg. nehmendem Gesicht und starkem schwarzem Barte, war zu unserer Begleitung bis zum Fort Bem-Manßur bestimmt, und sein freundliches Benehmen weissagte uns das Beste. Das Gespräch wurde sehr lebhaft, als es auf den orientalischen Krieg fiel und besonders die Stellung der deutschen Mächte dazn berührte. Der Mecklenburger Gutsbesitzer. Herr v. O,, ein entschiedener Neac-tiunär m:d Rnssenfrcund, ließ sich durch die wahrhaft glänzende und herzliche Gastfreundschaft, die wir von den französischen Officicren genossen, nicht abhalten, die Frankreich so feindliche Neutralität Preußens uud Norddeutschlands in den schärfsten Ausdrücken zu vertheidigen. Der junge Capitän widerstritt ihm ebenso heftig, während wir andern mehr vermittelten. In den sieben Monaten, die ich unter den Franzosen zn-gebracht, war kein Tag vergangen, wo ich nicht ein oder cm paar Mal diesen Gegenstand hatte durcharbeiten müssen. Sobald ein Franzose erfuhr, daft ich Preuße sei, war keine Nettung mehr; vom höchsten Beamten bis zum geringsten Arbeiter und Bauer hielt sich Jedermann für berechtigt, mich auf die Folter des ewig wiederkehrenden Ausfragens zu spannen. Wenn doch erst diese Humanität sich mehr unter den Menschen geltend wachte, daß sie den Fremden mit Gesprächen verschonten, von denen sie voraussehen können, daß er sie schon hundertmal hat führen müssen! Zumal von den als Muster der Höflichfeit und dcs Wohlwollens verschrienen Franzosen sollte man das erwarten. Nach Beendigung des Frühstücks begaben wir nns mit den fingeren Officicren auf das Vuisan ln-ado, ein bescheidenes Gc> bände an der großen Straße. An der äußeren Wand desselben kanerten mehrere Araber, welche Anliegen hatten. Sie erhoben fich bei nnsercr Annäherung, nnd barsch genug wurde ihnen be> dcntet. einzutreten. Es war höchst komisch anzusehen, wie sie einer nach dein andern hereinkamen nnd an der Wand plötzlich zusammensanken, als ob sie gar keine Knochen hätten. Dies ist Bureau arnbc. 55 die Art. wie sic die eigenthümlich kauernde Stellung mit unter-geschlagenen Vcincn einnehmen, die bei allen Orientalen die Stelle des Sihens vertritt — sehr ökonomisch jedenfalls, denn sie erspart den Stuhl. Nun fing dir Verhandlung in arabischer Sprache an, wobei der Dolmetscher, ein algerischer Jude, nicht selten anshelfen mnßte. Das „Lui-6«n lii-!,^)6", wie schon sein Name anzeigt, ist die Spmalbehörde für die Angelegenheiten der Araber, oder viel-mehr aller Eingeborenen. Es besieht ans einem oder mehreren französischen Ofsicieren, welche des Arabischen mächtig sind; doch erlernen sie die Sprache sowie da« Recht, dir Gewohnheiten und Zustände der Einheimischen wohl meistens mir dnrch die prak-tische Uebung selbst, d. h, ziemlich unvollkommen. Bedenkt nmn mm die Mile und Niannichfaltigkeit der Geschäfte, die ihnen obliegen, „nd zl, denen sie selbst in den wohlbekannten Verhält-nissm der Heimnth höchst unfähig wären, so wird man dem Dr. M. wohl Glauben schenken,' das; sehr viele Fehlgriffe M dieser Verwaltung vorfallen, Junge Leute, kanm der Schule entwachsen, werden plötzlich zu Richtern in Criminal- ,md Civil-sachm, zu Stcner- und Polizei-Veamlen. zu Ordnern der ganzen einheimischen Verwaltung. Graubärtige Kaids aus den ältesten Adelofamilien sind ihnen untergeben; Jedermann kann von seinem ordentlichen Nichter an sie apprUiren. Wie höchst anstößig muß nicht dies rimm Volke sein, das Religion, Alter und Geschlechts» Adel als nothwendige Bedingung jeder Würde brtrachtet! Dennoch versicherten mich die Officiere. dah sehr viel an sie appellirt wnrde, so, daß sie eine Menge Sachen zurückweisen müßten. Ist dies wahr, so sind die Araber werth, geknechtet zu sein,- denn entweder begeben sie sich freiwillig und gern unter die fremde Botmäßigkeit, oder ihre eigene Rechtspflege ist fo Mtheiisch, daß das erlittene Unrecht ihr Nationalgefühl schwel-gm mncht. Die Vornehmen mnssen jedenfalls ans diese Alt 56 Französische Verwaltung, der französischen Verwaltung und Rechtspflege erbittert sein, und da sie bei den Arabern durchweg den Ansschlag geben, so hat man hier sicherlich eincn Hauptgrund des hartnäckigen Wider-stands zu suchen. Gerade den Franzosen wird es ja so unrnd-lich schwer, sich in fremde Anschauungen nnd Lebensweise zn versetzen; wie mögen da im Anfang besonders die kecken und übermüthigen Officiere in den geheiligten, strengen Bau der mohammedanischen Verfassung hineingefahren sein! Ans der Geschichte der Erwerbung Algeriens geht auf jeder Seite hervor, daß die leitenden Männer lange Jahre hindurch keine Ahnung von den wahren Verhältnissen des Landes und der Leute hatten, die sie beherrschen sollten. Warum hat man nicht schon vor 30 Jahren eine Anstalt zur Ausbildung von Beamten für Algerien gegründet: mit Unter-richt im Arabischen, in der Geographie. Ethnographie nnd Gc-schichte des Landes, in der Religion, der Sitten- und Rechts-lehre des Is!am? Ein Beamter und Richter über Araber uiüftte den Koran kennen, wie der Richter über Franzosen seinen Code Napoleon, Wendet man die Umständlichkeit und Kostspieligkeit einer solchen Anstalt ein? Auch in dem politischen Haushalt ist das scheinbar Theuerste oft das wirklich Wohlfeilste. Mit einigen hunderttausend Francs für die Anstalt hätte man die hundert Millionen Francs für den unaufhörlichen Krieg ersparen können. Man sehe Oesterreich, das für seine wenigen Consuln im Orient ein großartiges Vildung^iustitut in Wien gegründet hat, und da handelt es sich nicht um die Beherrschung eines großen Königreichs! An der Besteuerung erkannte ich recht deutlich die unkundige Hand des Soldaten. Freilich kann es nicht leicht sein, fremde nomadische Stämme in einem ungrmesscncn Landstrich gerecht und zweckmäßig zu bestrnern. Wie in allen Gebieten des über-wiegenden und noch rohen Landbaues, so ist auch in Algerien Besteuerung der Eingeborenen. 57 die eigentliche Anfinge der Zehnte (Aschur) vom Roherträge des Feldes und der Hcerden. Ader wie nun den zehnten The,! des Felder - Ertrags einziehen, wenn man den Ertrag selbst nicht kennt? Man hat zwar die Kaids, die ja von den Franzosen eingesetzt werden, und spornt ihren Eifer durch den beträchtlichen Antheil, den sie von den eingehenden Abgaben erhalten. Wirk-lieh bildet anch nach allen gedruckten Berichten der Zehnte, oder cine fire Geldsmnme als ungefährer Abschlag (gemäß der Ans-dehuung des bestellten üandes) die hauptsächliche Einnahme von den Arabern. Aber in der Sub Division Anmale, sowie in dem Theil der Sahara, den ich dnrchrcist, muß man wohl die Kaids nicht für zuverlässig genug erachtet haben. Man hat sich daher zur Einziehung der Abgabe vom Korn an dasjenige gehalten, was sich allerdings am leichtesten beobachten läßt. nämlich an die Zahl der Pflüge. Jeder Pflug entrichtet 30 Frcs. daö Jahr im Brzirk von Anmale. 60 Frcs. in dem von Vn-Snda (Sahara), wo ein Pflug wegen des leichten, ganz ebenen Bodens weit mehr Acker bestellt, und daher anch weit mehr Ertrag zu Wege bringt. Wie gesagt, gegen die finanzielle Sicherheit dieser Bestelle-rnng läßt sich nichts einwenden, auch mag sie dem wirklichen Ertrage des Bodens, bei einer so kunstlosen nnd gleichförmigen Bestellung, ziemlich entsprechen. Dagegen verletzt sic schreiend das wichtigste Interesse der Colonic: die Beförderung des sorg-fältigen Anbaues, Denn natürlich werden die Stämme sich be-streben, mit möglichst wenig Pflügen möglichst viel ^ano zu bestellen; d. h. sie werden den Ackerball noch viel nachlässiger und flüchtiger treiben, als sie rö früher schon gewohnt warm, und einen kleineren Ertrag mit einfacher Steuer einein größeren mit doppelter Steuer vorziehen. — Ausmdem besteht in dem Bezirke Anmale (wie wahrscheinlich noch in anderen) eine Anf> lagr vom Kleinmeh. ^ Franc vom Schaf, ^ Franc von der 58 Tabal'Prämie. Ziege. Das Rindvieh dient in Algerien fast nlir zum Ackern, nnd lvird daher nicht besonders besteuert; auch von dcn Pferden wird keine Abgabe erhoben. Man zeigte nns im Arabischen Vnrean eine Zeitung welche das Centralbnrea» in Algier für die Eingeborenen in arabischer Sprache wöchentlich ein oder zwei Mal erscheinen läßt. Ob sie fleißig gelesen wird, habe ich nicht erfahren, Im Laufe des Nachmittags besorgten Herr v. O, >md ich die noch erforderlichen Einkäufe, Obgleich wir in Algier fast einen Tag damit zugebracht, se> war doch noch manches anzn-schaffen, als Rhllm, Cigarren, Feigen und Datteln, Sardinen in Oel n, dgl. Wir fanden die Läden besser versehen, als ihr etwas schmutziges, geringes Aenßere zu verspreche»! schien, Nnr die Cigarren waren ganz alischenlich, während sie in Algier selbst weit besser sind, als in Frankreich, Letzteres ist die Folge des Tabak-Monopols, das im Mutterlande besteht, in der Kolonie aber nicht, — Einen merkwürdigen Peilrag zn den Folgen der wirthschaftlichen Prämien liefert folgendes Verhältms;. Die sehr bedeutende algerische Tabaksmanufactur verarbeitet fast ausschließlich amerikanische (nnd etwas deutsche) Blätter, während etwa 10 Millionen Pfund in Algerien erzeugter Blätter zur Verar-beitung nach Frankreich gehen. Nnn beziehen aber dir algerischen Fabrikanten die fremden Blätter nicht etwa direct (directer Handel nut dem Auslande ist durch die Geringfügigkeit der Veznge. so-wie dnrch Zullbestimmungcn erschwert), sondern über Marseille, so daß die mit Tabak brladenrn Schiffe sich auf dein Mittel-mcer krenzen. Wenn Capital, nnd Matrosen sich bei solcher Begegnung nicht herzlich znlachen, so haben sie kein Fünkchen Hnmor im Leibe. Ist es doch, als ob es mir daranf ankäme, recht viele nnnühc Echiffslrlilr zn beschäftigen! Die französische Regiernng will den algerischen Tabatoban mit aller Macht heben, und bezahlt daher übertriebene Preise für das Product. Die Religionen im Handel. 59 Damit kann natürlich kein algerischer Fabrikant concurriren. Die Maßregel hat übrigens solchen Erfolg gehabt, daß dic Rc-gicrnng 1855 nicht allen Colonisten Tabak anzunehmen vennochte. Es frägt sich nur. ob der Anbau dieser narkotischen Pfianze, die doch so Mcl Arbeit erfordert, sich anch nach Ailfhüren der Prämie erhalten wird. Wer sind n»n die Kaufleute lwn Aninalc nnd ^on Algerien überhaupt? Unter dem milden Scepter der französischen Toleranz haben sich Lrnte aller drei Konfessionen dem Handel ergeben, nnd dn kannst also. lieber Leser, in jedem kleinen Orte das große Pro-blcm lösen, welche Religion ihren Vekennern die größte Rechtlich-kcit einflößt. Handle nur nm dieselbe Waare bei Christ, Indc nnd Mnselmann. nnd ihre Rechtlichkeit steht in, umgekehrten Verhältniß der geforderten Preise, Darf ich meinen wiederholten derartigen Experimenten in der Hauptstadt Algier trauen, so werden sich meine meisten Leser bitter enttäuscht fühlen i für die-selbe Waare derselben Qualität fordert der Jude das Doppelte des mnselmännischen Preises; das Doppelte des jüdischen Preises aber — der Christ! Und, so viel ich weift, ist dies die aUgc-,neinc Erfahrung, nicht blos in Algerien, sondern im ganzen Orient. Ich erinnere nnr an das morgenläudische Sprüchwort daß an Schlauheit zwei Indcn erst einen Griechen, zwei Griechen aber erst einen Armenier ausmachen. Die Muselmänner ragen durch ihre Rechtlichkeit so hrNwr, das; sie nnter den betrügerischen Kanflenten gar nicht mitgenannt werden. — Jedoch ist zur Miudc-rung dieses Makels für Indcn und Christen nicht zu verschweigen, daß sie in der Türkei beide dem Druck und der Plünderung ans-gcscht sind, wie es nicht minder die Indcn in Algerien bis 1830 waren; nnd daß die Christen in Algerien — mögen sie es mir nicht übel nehmen — so wenig für die Christen im allgemeinen maßgebend sein können, wie der Ausschuß für das Porcellan. 60 Die Muhammebaner. Anders, als für die Rechtlichkeit, stellt sich das Verhältniß freilich für die Tüchtigkeit im Handel. Den Muhammedancrn Algeriens fehlt durchaus nicht der Sinn nnd Geschmack für den Verkehr; das beweist schon ihre erstaunliche Reiselust, Die religiöse Verpflichtung zur Wallfahrt nach Mekka hat nicht minder den Handelsgeist der Moslemim befördert, wie einst die Pilgerung nach Jerusalem den der Juden. Was den Muhamme-dauern abgeht, um tüchtige Handelsleute zu sein, ist vielmehr die geistige Regsamkeit, das energische Streben nach Reichthum, nnd die allgemeine praktische Bildung. In den zwei erstgc nannten Eigenschaften werden sie von den Juden, in allen dreien von den Christen weit nbcrtroffen. Bei den Juden druke ich natürlich nur an die einheimischen, welche wunderbarcrweise trotz jahrhundertlnugem Druck jene unschätzbaren Geisteskräfte bewahrt haben. Dem oberflächlichsten Beobachter springt sicherlich bei einem Besuch des Bazars von Algier der ungeheure Unterschied in die Augen, der zwei Völker derselben Abstammung, trotz eines nn unterbrochenen Zusammenlebens durch ein volles Jahrtausend, noch heute scheidet. In diesem Bazar, dem Sammelplätze der echt orientalischen Erzeugnisse, bieten Mauren und Indcn dicht neben einander, nur dnrch dünne Bretterwände getrennt, ihre blinkenden Waaren feil. Selbst ihre Tracht ist dieselbe; nur die dunklere Färbung der Zeuge bezeichnet den Juden; und beider Sprache ist die, der hebräischen verschwistertc, arabische. Aber der Maure mit schönem, regelmäßigem Gesicht kauert ruhig, fast uubrweglich inmitten seiner Waaren; an der runden Mundspitze seines laugen Tschibuk saugend, sieht er kaum nach dir hin, wenn dn prüfend, mit den Augen des Käufers, an seinem Ausstande vorübergehst. Trittst du herau. so ist er freundlich und höflich, aber ohne viel Worte; auf dem einmal gesagten Preise beharrt er fast immer. In keinem Augenblicke verläßt ihn der würdige Die Juden. 61 Anstand, den das Selbstgefühl giebt; dil empfindest, der Mann ist nicht für dich da, sondern für sich. Wic ganz anders der Jude! Zwar ist sein Gesicht lange nicht so scharf und verzerrt, wie das vieler Stammesgenossm in den nördlichen Ländern, sondern man sieht manchen schönen Kopf nnter ihnen. Aber in den Alla.cn blitzt die Gewinnlnst, der Trieb znr Thätigkeit. Scholl von weitem ladet er dich zum Kailfcn ein, preist jedes Stück seiner Waaren ill langen Reden, läßt sich ans die Hälfte des geforderten Preises hernutcrhandeln. 3a er kommt in den Gasthof, in deine Stube, nnd rühmt lind qnält so lange, bis dn ihm einen ganzen maurischen Anzug abgetanst. Daher machen anch die Juden weit mehr Geschäfte, als die Manrcn. Der Indc Solal ist der bekannte König des Bazars von Algier. Um mich ganz sicher zu stellen, ließ ich mich von einem seiner Frenndc zn ihm hinführen nnd dringlichst cmpfthlm. Der Erfolg war. daß ich fnr viel Geld »nd gntc Worte einen miserabel», Burnns erhielt ^ nnd meine Reise-gcfährtcu, in der Absicht, sie dieselbe Gnnst genießen zu lassen, zi, demselben Mißgriff verführte. Much in Paris handelt ein Jude. ans Algier mit afrikanischen Luzuswaaren; ich l'esnchtc ihn. um meine Sammlung etwas zn ergänzen. Aber der Mann forderte so ungeheuerliche Preise, als ob noch die Corsaren auf dem Mittelmcere von vier Handelsschiffen regelmäßig dreie kaperten. Ein nusgeblasenes Stranßcnei fnr 10 Fr. war nur denn doch zn theuer! Uebrigens giebt es nur wenige Artikel, worin die Vekcnncr der drei Religionen mit einander concurriren. Ganz naturgemäß entsprechen ihren verschiedenen Eigenschaften nnd Umständen auch verschiedene Zweige des Handels, anf welche sie sich fast ans-schließlich werfen. Diese Arbeitsteilung im Handel nach Religion nnd Abstammung ist wohl weitgehend und interessant genug, daß ich sie etwas naher ausführe. 62 Nationale Geschäftstheilung. Der eigentliche Großhandel, als dir überseeische Anfuhr und Ausfuhr und das Banqnicrgeschäft, ist iu den Händen der ein» gcwalldcrten Europäer sworunter auch viele Iudeu aus Frank-reich, Deutschland und Italien). Die Cingeborncn, vorzüglich die Kabylen in den Hnuptstädtru, beschäftigen sich jedoch nüt dem Aufkauf der Landeöproducte, Getreide, Wolle, Oe! u. s. w. in ziemlich großem Maßstabe. Außerdeni siud es ausschließlich die eiuheiuiischen Muhannnedaner, die den auswärtigen Landhaudcl mit Tunis, Marokko und dem Süden, der großen Sahara nnd dem Negcrland, so wie auch den Binnenhandel zwischen dem nördlichen Ackerlande lTell) nnd dem südlichen Weidelande (Sahara) betreiben. Der örtliche Kleinhandel endlich läßt sich in drei Kategorien theilen: derjeuige mit allerhand Zeugen, euro-päischeu und afrikanischen, mit fertigen Kleidungsstücken und mit Schmucksachcn ist vorwiegend das eigenthümliche Gebiet der Indcn (wie ja fast in allen Ländern der Erde, von Nußland bis zum Missisippi nud Neuhollnnd!); derjenige mit sonstigen europäischen Fabrikaten, nüt Colonialwaaren und geistigen Ge> tränten liegt in den Händen der Europäer; der Kleinhandel end-lich mit Lebensmitteln und einheimischen Producten aller Art ist den Mauren verblieben. Selbstverständlich ist diese Einthci-lung nnr im Allgemeinen wahr und gültig; sie wird besonders durch den Umstand beeinträchtigt, daß der Europäer und der Einheimische am liebsten von seinem Landsmanne kauft, schon um der Sprache willen. Andrerseits findet innerhalb der drei Ncligionsgenossen> schaftcn wieder eine ziemlich deutliche Gcschäftsthcilung nach Nationalitäten statt. So, um nnr einige Beispiele anzuführen, habeu iu Algier die Malteser den Gemüse- und Fruchthandcl gänzlich an sich gerissen, die Spanier kaum minder den Tabagie-verkehr — und der Himmel weiß, wie bedeutend nnd einträglich derselbe ist, und wie sehr er den Vicrverschlciß übertrifft, den Vunte« Treiben, ß3 natürlich die Elsäfser sich nicht haben nehmen lassen, Unter den Mnselnlännern sind die betriebsamen Kabylen iin Alieinbesih des Getreide- und Mehlhaudelsi die Mosabitrn (es sei Ulir gestattet, vom eigentlichen Handel hier abzusehen) halten die zahlreichen Badehänser; die Biskri sind Lastträger nnd Comniissiouaire; die Neger endlich iveiften die Häuser mit Kalk, mährend ihre Franm waschen, lind die beliebten ,,(5iü«ttt>8" (Brodkuchen j a»f den Straßen verkaufen. Es würde zu weit fi'chrcn, wollte ich diese merkwürdige Grschäftstheilung in allen ihren Cinzelnheiten darstellen; aber das wird der Leser sich vorstellen, daß es ein buntes Bild ist, dieser algerische Verkehr, wo jeder Zweig gleichsam sein eigenes Eostüm, seine eigene Sprache, seine eigene Nationalität beM. Nun denke man sich das Gewühl einer Straße oder eines Marktes von Algier, die bunten Farben der Gewänder nnd Kopfbedeckungen, die Abstufung in den Farben der Gesichter, von, Schwarz des Ebenholzes durch das Braun des Mahagonis biö zum Weiß des Elfenbeines, das Chaos der Waaren, der Stoffe von den Ufern des Niger und vom Gestade der Irischen Meerenge, der Früchte von den Oasen des Dattellandes und lwu den Gärten der Normandic — und mau wird den mährchcnhaftcn Zauber begreifen, den solche Scene auf das Auge uud die Siune des nordischen Europäers hervorbringt! Eigentlich glänzende Magazine sieht man in Algerien über. Haupt nicht; doch besteht ciu gar beinerkbarer Unterschied zwischen den stattlichen Läden der Ehristcn und Juden in deu Haupt-straßcn einerseits, und den offenen Ausstäuden der Moslcnnm in den Seitengassen, wohin sie großteutheils zurückgedrängt wor-den sind — die letzteren so schmucklos, kleiu und unansehnlich, daft sie mehr Hökerbuden gleichen, als wirklichen Läden. Glaube auch nicht, daß dn hineingehen kannst, um deine Einkänfe zu besorgen i kaum daß der phlegmatische Verkäufer darin Platz hat; 64 Verkümmern der Mauren. für dich ist die Straße breit und schattig genug. Da ist es kein Wunder, wenn die Mauren immer mehr verarmen, und in Folge dessen auch an Zahl abuehmcn. Nach dcu amtlichen Aufzeichmmgcu ist seit der Eroberung (wie es kor derselben sich verhielt, darüber hat mau natürlich keine bestimmte Kunde) unter den Mallren aller Städte des Königreichs die Zahl der Geborenen geringer, als die der Gestorbenen, Bei den Juden steht es gerade umgekehrt, und dies ist der deutlichste Ausdruck ihrer wirthschaft-lichen Urbcrlegcnheit. Denn vor der Eroberung hatten die Juden sicherlich keine besseren und größeren Läden, als die Mauren; aber durch Wirtschaftlichkeit und die sie so auszeichnende Geistes-Elasticität haben sie sich den Anforderungen der europäischen Be-völkcrung in jeder Beziehung anbequemt. Nährend ihre mauri-schcn Nachbarn im Wesentlichen nach fast dreißig Jahren der französischen Herrschaft in Tracht, Sitte, Sprache, Anschauung nnd Beschäftigung ganz die alten geblieben, ist bei den Juden eine förmliche Revolution in allen Verhältnissen eingetreten, der-gestalt, das; sie in eiueui Menschenalter äußerlich und innerlich ganz curopäisirt sein werden. Und ,uan glaube nicht etwa, daß diese Juden Europa zeit-lich oder räumlich näher standen, als ihre muhammrdanischcn Lands-lcute. Die Mauren und die Juden Algeriens (so wie der ganzen Brrbcrci) sind beide großentheils die Nachkommen jener hoch gc» bildeten, betriebsamen und glücklichen Bewohner Spaniens, welche die Unduldsamkeit der Castilicr aus dem schönen Batcrlande vrr-trieben, das sie weit mehr noch durch Pflug, Kelle nnd Web-stuhl, als durch die Waffen erworben hatten. Beide so blühende Zweige des semitischen Völkcrsiammcs hat dann in Afrika die SonnemMH, und mehr noch der Druck türkisch tatarischer Roh-hcit verdorrt und vertrocknet. Aber der Zweig der Juden ist zäher, der höhere Geist des Mosaismus hat den inneren Lauf der Säfte erhalten. Und siehe, kaum ist der äußere Druck Nur Garnisonstlldt! 65 beseitigt, so wächst er wilder nnd treibt neue Blüthen, indesi der maurische Zweig mehr und mehr verwelkt! Iu Anmale, als einer mm den Franzosen neugcgründetcn Stadt, ist die muhammcdnnische Bevölkerung höchst unbedeutend; nnr ein Paar Läden mit Baumfrüchim (Datteln, Fcigeu. ehba-baren sicheln) fand ich in ihrem Besitze. Die algerischen Juden sind zahlreicher und haben größere, ansehnlichere uud besser »er-scheue Waarenlädm, ^)i-. M. empfahl mir zum Einkauf von warmem Schnhwerk das Geschäft eines Juden als das bedeutendste der Stadt, und ich fand auch eine graste Auswahl aller gang-baren Artikel für Kleidung, Put; nnd Aehnlichcs, ja. es scrvirten darin mehrere Ladendiener, was znnial in den kleineren Städten Algeriens zn den seltenen Ausnahmen gehört. AIs National-Ockonomen war es mir höchst merkwürdig, zum ersten Male eine Stadt kennen zu leruen. deren Gründung uud Bestand beinahe ausschließlich auf der Garnison beruht. Denn der Handel mit den umwohnenden Stämmen, sowie der Erporthnndel nach Algier sind von wenig Belang. Die ganz Civil Bevölkerung lebt also von der (5onsnmtwu der Soldaten nnd Officicre ^ ein Verhältniß, das man übrigens von der großen Menge der eingewanderten Vevölkeruug behaupten kann. Als sehr ersprießlich nnd erquicklich ist dieser Znstand aber nicht zn bezeichnen, am wenigsten, wo er so höchst vorwiegend anf» tritt, wie gerade in Anmale. Die Vermindernng der Garnison um ein paar hundert Mann muß die entschiedenste Baisse in allen Einkünften, Löhnen und Bcsitztiteln hervorbringen-, das ab ziehende Bataillon nimmt einen bedeutenden Theil des Grund-bcsitzcs gleichsam im Tornister mit fort. Und sollten irgend welche Umstände einmal die Besahnng überhaupt entfernen, so hätte die Stadt anfgehört zn czistiren. Znm Beweise verzeichne ich hier eine Thatsache, die vielleicht ohne Beispiel dasteht! Aumalc hat in seiner Umgegend keinen einzigen Garten, und nur Eine Land- Hirsch, Algcric». b 66 Die Spahis. wirthschaft, und diese „V^rinn" gehört dem Obersten. Sie ist klein und einfach, tief unten an dem Bach gelogen, dem entlang wir hirhcr gelangten. Dort stehen anch die einzigen Bäume, dort lacht anch das einzige Grün, das man dun der Stadt ans erblickt, so weit das Auge reicht. Allerdings ist die Gegend steinig und wasserarm; aber daß ein hoher Anbau hier möglich, beweisen dic römischen Ruinen, auf die ich später komme, beweist schon die einstmalige Eristcnz einer Stadt von 60,000 Einwohnern. Die Hauptmasse der Bejahung bildet das Corps der Spahis, oder leichten, eingeborenen Reiter, mm denen nach mündliche. Ans-sage etwa 2000 Mann hier in Garnison liegen. Doch scheint mir diese Angabc sehr übertrieben. Jedenfalls liegen sie nicht in der Stadt selbst, sondern bewohnen wahrscheinlich Baracken in der Umgegend. Sie sind als Reiterei, was die Tnrkos als Fnßvolk sind: eine wirklich eingeborene, aber reguläre Truppe im französischen Solde nnd nnter französischem Commando. Daß sie Reiter sind. macht sie indes; noch weit nationaler; es 'st ja bekannt, daß. wie alle Nomaden, so anch die Araber Algeriens ihre vorwiegende Stärke in der Reiterei besitzen. Wirtlich giebt es keinen bunteren, kühneren, ritterlicheren Anblick, als sti eine SpahisSchwadron mit Hnrrah im gestreckten Galopp über die unabsehbare Steppe sausen zn sehen. Die cdlen Verbrrrossc scheinen der Vcrbinduug von Wind nnd Feuer entsprungen; so blitzschnell fahren sie dahin, so feurig schnauben die Nüstern und sprühen die Augen. Und der Sohn der Wüste, fest in seinem türkischen Sattel mit den knrzcn. breiten Bügeln, ganz in Feuer-rc>th gekleidet, den weiten Bnrnns aufgeblähet nnd flatternd, schießt in vollem Galopp seine lange Flinte ab. zieht dann im Nn den krummcn, blinkenden Säbel unter dem linken Schenkel hervor, schwingt ihn mit lauten: Geheul, und stürzt sich auf die Feinde, wie der Sturmwind auf die Päume des Waldes, So stürzten einst die Parther anf die Legionen des Crassus. so die Männer-Kleidung. 67 fürchterlichen Hunnen Attila's, die vernichtenden Tataren Dschingis« Chans auf die festen Schnarrn des Abendlandes! Die Spahis haben dieselbe Uniform, wie die Znavcn und Turkos; aber die Jacke roth, und die Hosen blau; weihen Shawl als Turban, und zwei Burnus, d. i, lange, ganz schlichte Män-tcl nüt Capuzen und Troddeln daran, über der Brust zusammen-genäht, fo daß man den Kopf durchstecken mnß, um sie anzuziehen. Zwei Burnus bilden die Tracht der wohlhabenden Araber: gewöhnlich der untere schwarz, der obere blendend weiß, und als besondere Schönheit gilt es, daß die schwarze Kapuze über der weißen zum Vorschein kommt. Es ist in der That eine ebenso einfache, als vornehme und schöne Tracht; und ein imponirendcr Anblick, wenn so eine hohe, schlanke Gestalt mit dem braunen, bärtigen, würdevollen Antlitz und der malerischen Gewandung daherschrntet. Die Spahis nun haben znr Unter» schciduug den untern Burnus weiß, den obern Cliicr roth. >— Nur im strengen Dienst tragen sie den maurisch-türkischm Tur-ban; für gewöhnlich aber die nationale Kopfbedeckung der Ara-bcr. Diese besteht aus einen, ziemlich hohen, steifen Fez, über den der oberste Theil des wollenen Hemdes mit zahlreichen Win-düngen von dickem, bräunlichen Kamcclgarn befestigt ist. So wird auch der Hals gegen Sonne und Zugluft gedeckt; und das ist wahrscheiulich der Grnnd dieser, für unsere Begriffe höchst auffallenden Tracht, Da ich einmal bei der Männer-Kleidung stehe, so will ich diesen Gegenstand hier erledigen, damit sich der Leser eine Vor> stellnng von dem äußeren Erscheinen der Personen machen könne, denen er im Laufe unserer Neisc begegnet. Der Araber (und so auch der Kabylr) trägt nur zwei Kleidlingsstücke: den Haik Mtcrgewand) und den Burnus oder Bemus (Oberklrid). Beide sind von Wolle, und beim gemeinen Manne (der nur Einen Burnus hat) von weißer Farbe. Wenigstens waren sie ursprüng- 5°" 68 Der Burnus für Alles, lich weiß; doch erinnere ich mich nur cin paar Mal, bei fürst-lichen odcr schr reichen Personen rincn wirklich weiften Bnrnils erblickt zu haben. Der gemeine Mann trägt denselben Burnus, lns kein Fetzen lliehr daran zn sehen ist, und wie ich wenigstens lese, dient derselbe Burnus sogar oft mehreren Generationen. Dann sollten sich wahrhaftig unsere berühmten Tuchfabrikautm in ihre Seele hinein schämen, und sofort eine Schaar Tuchmacher aus der Sahara verschreiben; odcr eigentlich Tuchmacherinnen, denn die gemeineren Zeuge werden von den Weibern der No-madcn gewebt! Dazu erwäge mau, daß Haik und Bnrnus nicht blos als Kleidungsstücke bei Tag, sondern auch als Bette und Bettdecke bei Nacht dienen, nnd zwar Lenten, die gar häufig auf bloßem Boden nnd nntcr freiem Himmel schlafen. Doch noch nicht genug: der Burnns ist dem Araber auch Handtuch, Schnupftuch, Serviette, ja fogar Topf nnd Teller. So sah ich mit eigenen Augen einen meiner Führer des Morgens uud des Abends ein Häuflein Gcrstcnniehl in den Zipfel seines Burnus thun, es mit Nasser zu einer Art Teig mengen, und sodann im Gehen mit der Hand zum Munde führen — das war seine Nahrung für einen ganzen Tag, bei ununterbrochenem Marschiren von Sonneuanfgang bis nach Sonncnnntergang. — Freilich läßt sich znr Erklärung der langen Daner anführen, daß diese Gewänder weder durch An° und Ausziehn, noch durch Wäsche sehr abgenutzt werden; beide Operationen sollen, wenn überhaupt, doch nnr zu den höchsten Feiertagen vorkommen. Wasser nnd Seife sind ja auch so knapp im Innern Algeriens! Wie die Burnns der gemeinen Leute bei so bewandten Uni-ständen aussehen mögen, das auszumalen überlasse ich der Phan-tasic des Lesers; schmutzig sind sie nur da nicht, wo sie Löcher haben. Und dennoch erinnere ich mich nicht, daß sie jemals Ekel oder Gram in mir erregt hätten, wie doch so oft die viel reinlicheren Lumpen europäischer Armen. Das liegt nnzweifel- Metka-Pilger, 69 haft an dem eigenthümlichen Anstand, mit dein sich der niedrigste Araber in den zerlumptesten Burnus hüllt. Und ferlk'r liegt es an dem wärmeren Klima, das die Bekleidung in der Regel als etwas Ueberfiüssiges erscheinen läßt. Ja, jeht denke ich daran, als ich bei der Einschiffung zn Marseille in kaltem Negenwettcr die dreihundert zerlumpten AI-gerier sah, die von der Pilgerfahrt nach den heiligen Städten Mekka nnd Medina zurückkehrten, da ward meine Seele mit Grausen und Kummer erfüllt; der Himmel, die ganze Umgebnng paßte noch nicht zn den Lumpen, und dann war doch das Elend anch zu gewaltig und massenhaft, nm durch deu Reiz des gänzlich Fremden übertüncht zu werden. Auch ninß ich sagen, solche ausgetrocknete, entfleischte Gestalten habe ich doch in ganz Alge-rien nicht wiedergesehen, wie sie auf dein Vorderdeck des „Luror", des schmucken, stattlichen Dampfers, gleich Säcken zusammen-gedrängt waren, cin unbeschreiblicher, verworrner Knänel des Hungers, der Mühsale, der Eutkräftung. der Krankheit, des Schmutzes nnd der Bliche. So mi'chte es auf dem Schiffe aus-sehen, in welchem Charon die Verdammten über die gräulichen Wasser des Styr zur Hölle führt, wenn anders der einzige Mr-mann so viel Jammer zu gleicher Zeit übersehen könnte.*) Doch ganz im Gegentheil brachte der Schiffsmann des „Lnxor" die Unglücklichen aus den, Elend einer sechsmonatlichen Reise über Meere und Wüsten zurück zur lieben Heimach; nnd rührend war cs zn sehen, wie sich die Kräftigsten beim Annähern an das weißglänzende Algier ganz vorne hindrängten, das Väter» liche Gestade mit den Augen verschlingend. Aber die Aller-meisten blieben ruhig niedergekauert, oder suchten höchstens ihr *) Mji ijueH'iuiiiuc, ch'erau lasse e nude, Ciingiar colore o dibattero i denti, Ratto ehe inteser le parole crude. (Dante, Inferno III.) 70 Hadschi und Paradies. Gepäck zusammen, und kein Jauchzen, kein Frcudcruf drang aus dem schmutzigen Klumpen. War es gänzliche Entkräftuug oder die Anwesenheit der „Gianrs", was dic Kundgebung ihrer Freude hinderte? Am Ufer standen ihre Freunde nnd riefen ihnen Will-kommen zn: kehrten sie doch von der langen Reise voll Drang, sal und Beschwerde als halbe Heilige zurück, und sollten an dem bevorstehenden „Großen Feste" MAid-Lhebir) den glorwürdigcn Titel Hadschi Mallfahrer) empfangen, der mit den Namen selbst untrennbar verbunden bleibt! Aber was wird den Schaaren zum Lohne, welche die Wall-fahrt dahingerafft? Noch ganz am Schlüsse, während des drei-tägigcn Bivouacs auf den kalten Steinplatten des Nenen Hafens von Marseille, bei unaufhörlichen Regengüssen, waren mehrere erlegen; andere wurden sterbend anf den Dampfer geschleppt, nnd verschieden während der Ucberfahrt, Man versenkte sie ohnc Aufsehen in die Flntheu des Meeres; ihre Seele aber stieg gc-wiß, nach dem Glauben der Moslemim, geradcsweges znm Gar. ten des Paradieses empor, wo der Prophet den Gestorbenen der Wallfahrt ein besonders reines Gcmand, ein besonders schattiges Plätzchen, und eine bcsunders jugendschönc Huri beschicden hat. Ich wende mich zu dcm Corps der Spahis zurück. Es wurde schon in den Jahren 1834—36 in drei Abtheilungen für die drei Provinzen gegründet, nnd bewährte sich so, daß es 1841 anf 20 Schwadronen vermehrt ward. An dem außerordentlichen Nntzcn dieser eingeborneu Reiterei läßt sich von vornherein nicht zweifeln: des Landes nnd dcr Sprache kündig, sie selbst und ihre Pferde an Klima nnd Lebensweise gewöhnt, die angeborene Tapferkeit nnd Schnelligkeit mit der angelernten Disciplin vcr-bindend; endlich durch hohen Sold und große Vorzüge au die Franzosen gekettet, müssen sie in Algerien Ausgezeichnetes leisten. Nicht gering anzuschlagen ist auch der mittelbare politische Vortheil der Einrichtung: die Spahis werden vorzüglich aus giitcu Vorzüge der Spahis. 71 Familien gewählt, und knüpfen durch ihre eigene Ergebenheit zü-gleich ihre Sippe, ja den ganzen Stamm an die Frelndhcrr-schaft. Uni alle dirfc Vortheile zu erreichen, müssen aber auch sehr beträchtliche Kosten aufgewandt werden. Der Spahi erhält beim Eintritt eine bestimmte Summe zum Ankaufe eines Reitpferdes, das trotzdem sein Eigenthum wird, nnd ihn« auch beim Ab-gang (natürlich erst nach einer gewissen Neihe von Jahren) verbleibt. Diese Maßregel ist sehr zweckmäßig, da sie den Spahi erstens zur sorgfältigsten Behandlung seines Thieres veranlaßt; nnd zweitens anch dazu, daß er Von seinem eignen Gelde zulegt, um sich cin recht schönes Pferd anznschaffen. Die außerordent-liche Vorliebe des Arabers für das Pferd ist ja bekannt, und so giebt es sicher kein Mittel, ihn mehr an sich zu fesseln, als durch Belehnung gleichsam mit einem edlen Streitrosse. 3n der That sind mir die Pfcrde der Spahis sehr schön, kräftig nnd wohl-gepflegt vurgekmmnm-, und wie stolz die Leute auf ihre Thiere sind. das zn bemerke,,, hatte ich mi unsern zwei Gelcitsmännern Während 14 Tagen genügende Gelegenheit. Ferner erhalten sie einen sehr hohen Sold. l ssr. den Tag, nnd stehen sich überhanpt weit besser, als die französischen Sol-daten in Algerien, obwohl doch auch diese schon den doppelten Sold nnd bessere Verpflegung genießen, als im Paterlande. Auch der Ehrgeiz des Spahi findet hinlängliche Nahrung: er kann bis zum Oberlieutenant vorrücken, (was gar nicht selten vorfällt), nnd erfreut sich schon als Gemeiner bei den E'mge-borenen eines hohen Ansehens, das er wohl nicht selten zn Drnck und Erpressung mißbraucht. Meinem Bericht nach sind alle Spahis verhrirathet, was bei der Gewohnheit der frühzeitigen Heirachen im ganzen Orient nicht Wunder nehmen darf. Außer-halb Algeriens ist diese Truppe nur wenig verwendet worden, nnd gewiß leistet sie auch in Afrika die nützlichsten Dienste. 72 Algerien die französische Kriegsschule. Nach alle dein glaube ich, daß die Franzosen die Benuhung eingeborner Soldatm noch sehr bedeutend ausdehnen könnten. Der Araber ist durch nnd durch Krieger, und wenn er auch von Natur nicht alle diejenigen Eigenschaften besiht, die man von einem Regulären verlangt, so scheint es ihm nicht schwer zn werden, dieselben unter europäischer Leitung zu erwerben. Die größere Kostspieligkeit möchte wohl nicht so sehr das Hinderniß bilden, als das Mißtrauen wegen der Verläßlichkeit, als vor allein das Streben, d>'n Krieg in Algerien als Urbungsschulc der französischen Soldaten und Officiere zu benutzen. Dieser lehte Umstand muß bei Beurtheilung aller französischen Maß» regrln in Algerien beständig int Vordergründe erscheinen: es unterliegt keinem Zweifel, daß derselbe von Anfang bis auf den heutigen Tag dir weitiiberwirgrnde Triebfeder der französischen Politik ausgemacht hat. Sehr fern lag dieser Zweck dagegen der englischen Compagnie in Ostindien i daher mir auch dort eine unvergleichlich größere Heranziehung eiugeborner Truppen finden, und zwar, wie die ungeheure und immer noch znnrh-mcnde Ausdehnung ihres Gebietes beweist, mit dem allerbesten Erfolge (wenn auch der große Aufstand vor einigen Jahren die damit verknüpfte Gefahr nur zu deutlich enthüllte). Freilich hängt die Mehrzahl der Hinduo lange nicht so energisch an der Unabhängigkeit von den Christen, wie die Araber nnd Kabylen; aber dafür fallen in Algerien viele andere Hindernisse fort, welche dem Europäer in drm unermeßlichen Ostindien entgegentraten; vor allem die außerordentliche Entfernung, die Größe, Volks-menge und orr Reichthum der Staaten, und die mächtigen euro» Päischen Nebenbuhler. Tnrkos nnd Spahis sind die regulären eingeborenen Trnppcn; es giebt aber auch irreguläre, nämlich der Maghsen nnd die Ghnms. Der Maghsen besteht nur aus Reitern, welche unter dem direk-ten und, wie es scheint, anch beständigen Commando des Lurean Maghscn und Ghum. 73 ai-lldy stehen. Sic werden vornehmlich zn Botschaften nnd sonstigen Aufträgen benutzt, doch gewiß cmch zum Kanipfe. Sie haben keine eigentliche Uniform, sondern unterscheiden sich »on den gewöhnlichen Arabern höchstens durch die Farbe ihres oberen Burnus, welche bei den verschiedenen Bureaus verschieden ist, übrigens auch weiß, wie in Anmale. — Die Ghnms hingegen werden von den eingeborenen Häuptlingen, Scheichs, Kaids, Basch Agas, commandirt, erhalten keinen Sold, uud tragen keine, Spur von Uniform. Sie sind die bewaffnete Mannschaft der Stämme, welche ans Verlangen der Franzosen die Expeditionen als Hnlfstruppeu mitmachen, zumal in der Nähe ihres Gebiets. Abgeschm hiervon dieueu sie zur Aufrechthaltung des Friedens und der Sicherheit innerhalb ihrer Grenzen. Dies ist, besonders in der Nachbarschaft noch liuunterworfener Stämme, eine sehr wichtige Aufgabe der Stammhäupter; denn die Franzosen haben für alle im Gebiete eines Stammes verübten Angriffe ans ^cbcn odcr Eigenthum dcn ganzen Stamm auf die strengste Weise M'wmwMlich gemacht: das rinzigc durchgreifende Mittel, dem Wegrlagcrn der feindlichen oder zweideutigen Eingeborenen ein Ende zn machen. In der That ist die Sicherheit des Lebens nnd Eigenthums jetzt ganz vorzüglich; uicht blos mit Rücksicht auf die verwilder-ten und kriegerischen Zustände des Landes, sondern wirklich ab-solnt. Das ganze südliche Europa steht darin weit hinter Algerien zurück; nnd selbst der Gegner muß zugeben, daft dies ein wahrer Glanzpunkt der französischen Verwaltnng in Algerien ist. Man bedenke, daß Völkerschaften von der Art der Araber und Kabylen, in kleine Stämme zersplittert, dünn über ein weites Land verstrcnt, ohne eigentliche Heerstraßen nnd großen Handels-verkehr, den Wegcranb seit ewigen Zeiten und in allen Zonen für etwas ganz Erlaubtes, ja Rühmliches halten, und daß es wahrlich keine Kleinigkeit ist, so tief eingewurzelte Gewohnheiten 74 Ausrottung der Räuberei. in einem so ausgedehnten Lande zn besiegen. Zu gleicher Zeit aber bedarf es keiner Aufführung, welche unendliche Wohlthat die allgemeine Sicherheit für die gewerbliche und geistige Cultur des Landes hervorbringt. Die einzelnen Bezirke waren früher weit mehr noch, als durch Gebirge, Seen oder Wüsten, durch die Gefahr des Raubes gänzlich von einander geschieden. Die Handelsleute machten oft ungeheure Umwege, um den frechsten Raubstämmen zu entgehen, oder warm genöthigt, Wochen, Mo-nate lang still zu liegen, um den Abzug des Stammes zu erwarten, oder sich zu einer Ehrfurcht gebietenden Menge zusam-meuzufiudeu. Südlich von den Oasen, wo der französische Einfluß noch nicht waltet, spielen die Karawanen und die Wüstcustämme noch heutzutage ein wahres Geduldspiel mit ein-ander, wo der Theil gewinnt, der am längsten zu warten ver-mag. Vom Handel aber, wie bekannt, wird Ackerbau und Industrie, Kunst und Wissenschaft wesentlich bedingt. Anch nach einer anderen Richtung muß die Abstellung des Wegclagcrns sehr günstig wirken. Die Gewohnheit der Räuberei erhielt in den Eingeborenen den Geist der kriegerischen Unruhe, der abenteuerlichen Ehevalerie, der dem romantischen Dichter ebenso wohlgefällig ist, als dem ordnungliebenden Staatsmanne vrr-haßt. So lange die Eingeborenen Räuber blicbcn, blieben sie anch Rebellen. Und wahrlich, selbst der Romantiker möge das Aufhören dieser mörderischen Ritterlichkeit nicht bedauern; über ein Jahrtausend unablässiger Kriege, Fehden, Ueberfällc und Blutrachen haben einen Schah von dichterischen! Stoffe aufgc-häuft, au dem er nnd seine Genossen noch ein weiteres Jahr-tansend zehren und schwelgen können. Es ist wohl Zeit, daß der Moralist nnd der National Oekonom ihr Theil erlangen, nnd daß nicht fürder in einem der gesegnetsten Länder der Erde der Ruhm der Männer nach der Zahl der Köpfe gemessen werde, die sie abgeschnitten! Tannenbaum und Palme. 75 Znr schnellen und vollständigen Erreichung eines so Herr-lichen Zieles konnte nnr die durchgreifendste Strenge fi'thrm: Härten nnd selbst Ungerechtigkeiten ließen sich nicht vermeiden. Volksstämme, die dem Leben so geringen Werth beilegen, daß sie es jeder Leidenschaft znm Opfer bringen, können nicht su zart angefaßt werden, wie der sensible Europäer der Jetztzeit. Daher lege man anch bei der Venrtheilnng des französischen Verfahrens in Algerien einen etwas drakonischen Maßstab an. Jeder Ein geborene, der ohne richtigen Geleitsschcin betroffen wird, und sich nicht sonst Irgitimircn kann, verliert als Räuber nnd Empörer ohne Gnade das Leben, lind da die Stämme und deren Kaids für alle verbrechen in ihrem Gebiete haften, so läsit sich denken, daß sie nicht sehr schonend mit den Eingeborenen fremder Stämme nmgehen. Uebrigeno können solche summarische Erekutionen natürlich nur in der Nähe eines feindlichen, d. h. nnnnterwor-ftnen, oder besonders räuberischen Gebietes vorkommen. Ein friedlicher Reisender vermag sich ja ohne Schwierigkeit mit einem Gclcitsschein zn versehen. — Den Rest des Nachmittags widmete ich meinen Lieben in der fernen Hcilnath. Mit ganz eigenen Gefühlen sehte ich mich hier und jetzt znin Schreiben! war es doch die Stunde der fröhlichen, seligen Wcihnachtsbrschrrung, dieser echt deutschen Sitte, die ich seit frühester Kindheit mit immer gleicher Wonne genossen. Und diesmal, statt des lichterblinkenden Tannenbaumes die nahe Palme, statt des norddeutschen Winters Maienlnft, statt der trauten Familie aber nur Fremde, ja Fremde an Sitte, Sprache und Herzen! ^ Ucbrigens sollte es auch hier an einer festlichen Feier dcs ..Heiligen Abends" nicht fehlen, die so gemüthlich war. als sie es unter Fremden nnr fein konnte. Der junge Hanptmann vom arabischen Bureau hatte uns nebst den befreundeten Officicren, anch dein Obersten, zu Gaste geladen. Wir traten in einen 76 Ein Salon in Anmale. kleinen, eleganten nnd hcllcrleuchtctcn Salon, dem eine Menge algerischer Geräthe, Teppiche, Waffen nnd Naturprodukte ein gar buntes, fremdartiges Ansehen gaben. Da hingen die großen, glatten Straufteneier in vielfarbigem Seidcngeflrcht an den Wänden; daneben prangten symmetrisch die eisernen, geraden Schwerter der kunstfertigen Kabylcn, in hölzernen Scheiden, ohne Stich-blatt — Flis',a heißen sie von dem großen Stamme, der sie hauptsächlich verfertigt. Auf rothbelnaltenl Holzgestellc sah lnan allerlei Töpfergeschirr, gleichfalls kabylischer Arbeit. Vor drin Kamine aber lag das edelste nnd seltenste Landeserzeugniß^ ein prächtiges Löwenfell, vielleicht ein Geschellt des kühnen G6rard oder eines arnbischetl Löwentödters. Die kabylischen Sachen waren aber gewiß eigene Trophäen des jnngen Hauptmanns. auf dessen Brust das rothe Band der Ehrenlegion von rühm-lichen Kriegsthaten Zeugniß ablegte. Allein gebührte ihm dao Verdienst der Crwrrblmg, so kam das nicht minder große der geschmackvollen Anordnung — als galanter Mann darf ich es nicht verschweigen — einem weib-lichen Wesen zn, das die weite Reise über Land lind Meer, nnd die ttwas barbarischen Verhältnisse Algeriens nicht abgeschreckt hatten, sich den» jnngrn, schönen Krieger zuzugesellen, Es >^> cine ziemlich hübsche, sehr lebhafte kleine Person, in seidenem Kleide nnd von netten, Benehmen. Doch Etwas ließ sich selbst dem Unkundigen nicht lange verhehlen- die Kirche hatte ihren Segen über diese Gemeinschaft nicht gesprochen! Das Anftreten einer rechtmäßigen Ehefran muß sich doch selbst von diesen Kunst-lcrinnen der Darstellnng. den Französinnen, nicht nachahmen lassen. Es war nicht etwa eine gewisse Verlegenheit, welche die Maitresse verrieth, sondern im Gegentheil die zn große Uw genirthett in Blick, Bewegung nnd Worten. Darnm glanbe man nicht, daß einer von den Anwesenden die geringste Anspie spielung fallen ließ; Nuäamo wnrdc sie angeredet, bekam den Vhrcnplal) an der Tafel, kurz man behandelte sic wie eine wirk liche Frau Hauptmänmn. Weni es bekannt ist, wie häufig solche Concubinate selbst in Frankreich vorkommen, und wie notorisch nnd mehr als gc duldet dieselben sind, der wird sich nicht wnndcrn, daß in dem Kriegcrlebeu der fernen Colonie die Institution der Maltressen eine Hauptrolle spielt, nnd daß selbst ein verheirathctcr Oberst keinen Anstoß daran findet, neben einer solchen Person alo Wirthin zn tafeln. Und wirklich, wenn irgendwo, so lassen sich in den Garnisonen Algeriens derartige Verbindungen entschuldigen: es inns; gar zu ödc und unfreundlich in cmem Zirkel sein, wo es nnr nnd ausschließlich Männer giebt. Darum sind es sogar gewiß nicht die schlechtesten Leute, die sich aus dem rohen Trri-beu nach einer, wenn anch nngeheiligten Häuslichkeit sehnen. Denn das, die jüugern 5?ffieiere keine ebenbürtigen Gattinnen mit über das Mittelmeer nehmen können, leuchtet wohl ein. Nnn ist es aber sehr bedauerlich, daß selbst von den Maitressen doch kamn die besseren sich zu der beschwerlichen und riskanten Aus-Wanderung entschließen, wenn nicht vielleicht hin und wieder romantische Anhänglichkeit sie den, Geliebten nachzieht. Doch im Allgemeinen sind diese Personen in Algerien gewiß als der Aus» schliß selbst von ihrer Classe zn bezeichnen. Will der strenge. Moralist keine Abstufung im „Laster" zugeben, dcsto besser für diese weibliche Bevölkerung! Nnn, unsere kleine Wirthin gehörte unzweifelhaft zu Nr. 1; ihr Souper ließ jedenfalls nichts zn wünschen übrig. Dies ist keine Kleinigkeit in einem Orte, wo alle feineren Schüsseln min-destens die drei Tagereisen von Algirr znrncklegen müssen. Doch hatte uns schon ^)i. M, berichtet, das; die Herren Officiere die amtlichen Boten bestens zu bemchen wissen, um ohne Kosten die leckersten Sacheu aus der Hauptstadt zn erhalten. Sonst sind die Transportkosten von Algier nach Anmale sehr bedeutend; sic 78 Hannibal nnd Nbd-el-Kadcr. betragen z. B. für eine Bordelaisc (Stückfaß) im Gewicht von 500 Zollpfimd 50 Fr. — Doch was kümmert uns die Art des Transports: der Puter war e'm wahres Prachtexemplar, wie ich es in ganz Europa, selbst bei Vofonr im Palais Noyal, niemals gekostet. Dazu floß der edle Wein in Strömen, und süße Erinnerung mischte sich mit herrlicher Erwartnng an diesem Abend zum eigenthümlichsten Frohsinn. Der Oberst erzählte auch so interessant von dem Helden Abd-cl-Kadcr. Dieser größte Mann, den Afrika vielleicht seit Hannibal hervorgebracht, hat mit seinem karthagischen Landsmanne weit mehr als das Vaterland gemeinsam. Wie Hannibal kämpfte er gegen die Urbermacht des disciplinittrn Nordens, und wußte dnrch Hcloenmuth, Zähigkeit, Schlauheit und ein außerordentliches Organisations-Genie die große Infcriorität seiner Kräfte vierzehn Jahre hindurch zu ersehen. Und schließlich unterlag er, gleich wie der Pnnicr, nicht durch seine Schuld, sondern dnrch die all» gemeinen Verhältniße; ein gespaltenes, wankelmüthiges, schwaches Volk kann selbst ein Gott ans die Dauer nicht nor der Ueber-Windung bewahren! — Ein ganz eigenes Znsammentreffen ist noch die Flucht Haunibal's nach Vithyuien, zu König Prnsias, nnd die Verbannung Abd-el-Kader's nach Brussa. Aber hier endet die Parallele. Während der Karthager der Lenker eines mächtigen Staates uud ein echter Sohn des Alterthums, auch in der Verbannung dein Hasse und den groß-artigen Plänen gegen Rom tren blieb — ist Abd-el-Kadcr zum Busenfreund der Franzosen und ihres Kaisers geworden, ja, er hat sich mit dem Christenthumc versöhnt. Er, der Emir der Gläubigen, der dreimal die Wallfahrt nach Mekka vollbracht und dessen ganze Mission nnd Stcllnng auf dem fanatischen Ab-scheu gegen das Christenthum beruhte! Wie nns Oberst d'Argcnt berichtete, hat er in Vrnssa ein Bnch geschrieben, worin dieser zweite und wirkliche Saladin Iudcnthum, Ehristcnthum und Der neue Saladin, 79 Islam nur als dm verschiedene Gewänder desselben Leibes auf. faßt. Der Glaube an dcu Einzigen Gott und die dawns stro-mende Sittlichkeit sind ihm der wahre Inhalt aller Religion. Diese Bekehrung ist so außerordentlich, daß ich sic trot, dem Ernste des Obersten mcht geglanbt hätte, wenn nicht der zwei-malige Besuch Abd-el-Kader's in Paris die Wahrscheinlichkeit derselben verbürgte. Wirft die Geistesfreihcit, die sich hierin aus-spricht, einen neuen Glanz ans den lchten Helden des Islam, so ist sie nicht minder ein überraschendes Zeugniß, daß die Zeiten der Sektenspaltnng, der Glaubenskriege nun endlich ihrem Ende zuschreiten. Und wemi sich der große Sinu des Führers auf die Eingeborenen Algeriens überträgt, sei es auch nur allmälig, so sieht das Land eiuer schönen und bedeutungsvollen Znkunft entgegen! Troh der Ankunft des Couriers lion Algier uud dem hci° mathlicheu Frankreich, mit vielen Zeitungen, Briefen und anch Geschenken, wollte nach Tisch kein rechtes Leben in die Unter-Haltung kommen. „Madame" erzählte von ihrer Bekanntschaft mit Mmmnueu während ihres Aufenthalts in Algier, nnd mit Araberimien auf ihren Reisen in's Innere, Dies ist ja noch immer das Vorrecht der Damen; und die mnhammedanischen Weiber scheinen sogar die Gesellschaft von Europäerinnen sehr zn lieben, obgleich sie sich nicht anders, als durch Zeichen unter-halten können. Die vornehmste Beachtnug wird natürlich gegen-seitig dem Anzug nnd Schmuck zugewendet. Zum Schluß s'chil-dcrto unsere Nirthiu recht lebhaft den Knnnurr einer blutjungen Bedniuin, die man einem reichen, aber alten Manne verheirathet. Ueber die Leere uud Eintönigkeit des Lebens dieser Frauen, zu-mal uuter den Reichen, war die Erzählerin mit uns einverstanden. Mein Kopfschmerz trieb mich ziemlich früh aus der Gesell-schaft, und ich begab mich heute nicht in des ungastlichen Gast-Hofs schlaflose Schlaskammer, souderu zu vi-. M., der mir auf die Kunde von nuscrem elenden Unterkommen höchst freundschaft- 80 Mein bestes Nachtquartier. llch seine Behausung angeboten. Wie wohl that mir das helle, geräumige, reinliche Zimmer, das köstliche Federbett, und vor allem die wahrhaft rührende Sorgfalt des freundlichen Arztes! Auf dem weißgcdecktcn Tische vor dem Himmelbett fehlte selbst das vollständigste Schrcibmaterial, fehlte sogar Wasser, Zncker nnd Liqueur nicht. Und als ich den Doctor schon längst ent-schlummert glaubte, kam er noch einmal leise herein, sich von meiner vollständigen Befriedigung zu überzeugen. Habe Dank, dn guter Mann, dein Vild schwebt noch immer wohlthuend vor meinem Geiste, und so oft von Gastfreundschaft die Rede geht, nenne ich deinen Namen in freudigster Dankbarkeit! — Die Nacht habe ich köstlich geschlafen. III. Die Grouse Mbylie. Nicht sei der Feinde Schwärm scheu Mann für Mann gezählt, Sieg werd' uns, oder Tob, nichts Drittes fei erwählt! In der Frühe des crstcn Weihnachtstages eilte ich. nach Genuß eines trefflichen Kaffee's, zum Wirthshausc, wo die Pferde, die Maulthierc und die kriegerischen Begleiter nur allmälig ein-trafen. Es war ein buntes, verwirrtes Treiben, wic bei drin Aufbruch einer Karavane. Und eine kleine Karavanc bildeten wir, sowohl nach Zahl nnd Aufzug der Reisenden, als auch nach Länge und Ziel der Reise. Voran gingen fünf dürre Maul-thicrc, wovon drei in Doppeltaschen aus Palmenblättern unser Gepäck trugen, die anderen aber, gleichsam wandelnde Nacht-quartiere, zwei vollständige Zelte und drei Matratzen nebst Decken, welche das arabische Bureau uns gütig mitgab. Die kleinen, düu-ncn Thicrc mit den langen Zeltstangen nahmen sich ganz sonder» bar aus. Fünf junge arabische Bursche, in malerische Lumpen drapirt, schritten mit langen Trcibcrstockm hinter ihnen. Zwei rorhgeklcidctc Spahis anf flüchtigen Rossen, und zwei oder drei Hirsch, Algerien. 6 82 Unsere Karavane. Reiter von, Maghscn bildeten unser Geleit; loir selbst unser Uier hoch zu Roß, endlich der junge Lieutenant, der Führer des Zuges. Sein Militärdcdienter auf bepackten^ Vtanlthierc hattc sich unserm „Train" angeschlossen. So waren wir im Ganzen 9 Pferde, 6 Manlthiere und 16 Personen stark (denn vorher habe ich den würdigen Chlil vergessen), als wir dein gastfreundlichen Anmale Valet sagten. Was uns das Schicksal beim Eintritt nicht vergönnt hatte, der stattliche, feierliche Aufzug, das sollte uns also beim Ausritt vollständig zu Theil werden. Ja, wir fühlten nnd zeigten uns ganz anders anf den, wenn auch nicht schönen, doch feurigen Rossen nnd den freien europäischen Sätteln, als auf den dicken Säcken der kümmerlichen Maulesel. Die Sättel waren eine besondere Vergimstignug der braven Ofsicicre von Anmale, die nns ihre eigenen zn dem langen Ritt hcrliehen. Der unbequemste war unstreitig der ineinige, aber anch der interessanteste: sein Besitzer hatte ihn in einer der heißen Schlachten vor Sevastopol einem Russen abgenommen. Da nun der Engländer seinen Sattel aus London mitgebracht, so waren auf dem Rücken nnserer Pferde die drei Hauptnationcn des Krimmkriegs vertreten. Nenn ich aber vorher sagte, wir machten nns nicht übel anf nnscren Pferden, so kann ich beim besten Willen den Cng. Kinder nicht cinschlicften. Man denke sich cinc lange, eckige Ge« stalt mit schmalen Schultern, ganz in grnn nnd gelb gestreiftem Manchester, anf dem Kopfe eine ungeschlachte Mühe, die blau-wollenen Vatermörder am Halse hervortretend, nnd an den großen Füften ungeheure nensilberne Sporen mit der Biegung nach nntcn; diese Gestalt regungslos auf einem Gaule, dem zur Schönheit nichts weiter fehlte, als der Schwanz, oder wenigstens dessen sämmtliche Haare! Besonders von hinten betrachtet, hätte dieses Bild einem Hasenclwer Ehre gemacht; und ein vergleichender Blick anf die malerischen, ritterlichen Gestalten der Spahis ließ Abschied von Anmale. '83 cs so recht erkennen, daß. wenn die Vorsehung den Männern des Nordens Intelligenz und Energie in höherem Maße vcr-liehen, sie die Männer des Südens dnrch Anninth nud Winde entschädigt hat. — Vlan war der Himiuel nnd wolkenlos; der Sonnenschein glitzerte ans allen Bcrgrui die im Osten erschienen mir wic ein Vorhang, der die bunten Wunderdinge unzählbar verberge. Wic die leichte Fuchsstnle nntcr mir, so hüpfte niein junges Herz der Ferne entgegen. Gleichsam znm Abschied von der Christen-hrit läutete das Glöcklein der Kapelle die?)lorgenmrsse aus-, nnd gerade als wir au dem nnschcinbaren Gotteshanse vorüberzogen, trat der Oberst au der Spitze seiner Officiere in Gala-Uniformcn, mit Gebetbüchern in den Händen, daraus hervor. Herzlich war der Abschied von beiden Seiten, nud wohl hatteu wir Ursache, mit unserm Danke nicht zn kargen; denu Aufuahmr. Vewirthung nnd Ansrnstnng waren nns gleich freundlich uud gläuzeud zu Theil geworden. — Wir ritten ans eiueu, anderen Thore hin-ans, als dasjenige, dnrch welches die große Straße vnn Algirr nns eingeführt hatte. Hier war von Anfang an nicht einmal eine Spur von Straße, sondern ein sehr unregelmäßiger Reitweg, mir durch den Gebrauch selbst entstanden. Es ging zurrst steil hinab, in das Thal des erwähnten Vaches; dann diesem entlang aufsteigend, in der Richtung nach Nord Osten, Nach einiger Zeit vernahmen wir bmler UU5 eilenden Hnf-schlag: cs war I)l'. M., der es sich nicht nehmen ließ. nns das Geleit zn geben. Er zeigte uns an mehreren Stellen, besonders auf einer kleinen Erhöhnng am Wege, die noch dentlich sicht-baren Grundlagen von Mauern. Da dieselben ans behancnen Steinen bestanden, so unterlag es keinem Zweifel, das; sie von den Römern herrührten; denu die Araber und Kabylen habeu niemals die Bankunst so weit gebracht. Der Doktor erklärte diese Grundlagen als die Uebcrreste der zahlreichen Sklavrnhöfe, h* 84 Römische Stlavenhöfe, in welche die Römer die unterjochten Eingeborenen (doch wohl auch ausländische Sklaven) des Nachts eingesperrt, während dieselben am Tage das umliegende Land bebauen mußten. In-ncrhalb jedes Hofes habe ein fester Thurm gestanden, wo die römische Wachtmaunschaft gelegen. Verbürgen kann ich diese Erklärung nicht; besonders ist es mir unwahrscheinlich, daß hier dir Sklaven »on Staatswegcn und unter beständiger Aufsicht von Soldaten zum Landbau angehalten worden, da doch sonst das Land nnd die ackerbauenden Sklaven allgemein in Privatbesil; waren, und das Militär nur bei Ausständen gegen lehtcre ein-schritt. Daß jene großen Vierecke Sflcwenhöfe gewesen, leuchtet ein; aber die Thürme möchten eher von bewaffneten Wach-tern der Sklavenhalter beseht gewesen sein, als von römischen Soldaten. Wohl muß es den Reisenden hoch erfreuen, daß er jeht nur noch den unscheinbaren Trümmern der Sklaverei begegnet; daß rings um ihn nur freie Menschen hausen, die kein Treiber mit Peitschenhieben zur Feldarbeit für schändliche Schlemmer anhält. Aber das Land bot vor 1800 Jahren sicher einen un endlich fruchtbareren, belebteren, freundlicheren Anblick dar, als hcntzutage, unter der Herrschaft der Freiheit!— Es wiederholte sich hier dieselbe Erscheinung, wir auf der Strecke von Sachamudi bis Auluale: zwar viel umgepflügtes Land, aber, so weit das Auge reichte, keine Spur von Wohnungen. Die Pflugarbeit schien hier schon vollendet zu sein, denn wir erblickten während der ganzen Tagereise mir Eiuru Pflüger. So, immer ansteigend, hatten wir einen kahlen, einförmigen Strich ohne alle Anssicht durchritten, als plötzlich, auf der Höhe eines Hügrlrückcns. eine der herrlichsten Gebirgslandschaften vor uns lag, die ich jc geschaut; und die einen desto stärkeren Ein druck hervorbrachte, je weniger man darauf vorbereitet war. Linker Hand, über ein weites Thal hinweg, erhob sich eine riesige Der Dschurdschura. 85 Gebirgskette, niit zackige»,, weithin schneebedeckten Gipfeln, welche Überalls schön gegen dic reine Bläue des Himmels gelt ode», und das dnftigc Grün der Wälder gen unten abstacheil. Um so großartiger erschien dieses Gebirge, als es sich unmittelbar aus der Thalsohlc erhob, nicht verdeckt durch niedrigere Vorberge, wie die Alpen gegen Norden, ja wie dieser selbe Dschurdschura von Algier alls gesehen. Denn der Dschurdschura war es, die Vcstc der freien Kabylen, das höchste, das wahrhaft alpenhaftc Gebirge Algeriens! Wie bei dem Anschauen eines Trauerspiels, Wo große Menschen große Schicksale schaffen nnd erleidm. die Seele dcs Znschancrs selbst erhabener wird, und die kleinlichen Gedanken und Wünsche von sich abwirft — so auch beim An-blick eines großartigen Gebirges, gleichsam einer Verkörperung des mächtigen Geistes lind der hehren Thaten. Ich wenigstens vermag meine Eindrücke in beiden i^agen kanm zn unterscheiden, fo höchst ähnlich wirken Körper nud Geist auf die Menschen-feele. Mag der Gedanke sich sträuben; das unwillkürliche, nn-trügerische Gefühl behanptct in jedem Augenblick die Eücheit omi Materie und Geist. — Rechter Hand, im Süden des Thales, zogcn sanfte, grüne Höhen, mit höchst regelmäßigen Kuppen, deren eine doppelte das Thal unseren Blicken schloß. Die Thalflächc selbst mit dem sich schlangelnden, für Algerien wasserreichen Flusse erschien großen-theils angebaut, und enthielt unzählige einzelne Büsche^ aber durchaus keinen Vaumwuchs. Die Büsche, mit dunklem, dichtem, immergrünem Laube, hatten oft eiucu sehr bedeutenden Umfang, und waren so regelmäßig abgerundet, als hätte die Schcerc des Kunstgärtners sic beschnitten. Sic stchcn mitten im gepflügten Bodcn, und sind wohl stchen gelassen, um den Holzbedarf zu liefern. Der Weg führte steil den Abhang hinunter, von dessen Höhe wir den herrlichen Anblick genossen; es war die Wasser-scheide zwischen den beiden bedeutenden Flüssen Ifscr nud Aklm, 86 Web-es.Sahel. die dm Gebirgsstock des Dschudschnra und die eigentliche , Große Kabylie" begrenzen, der Isscr im Westen, der Akbn odcr Wed-es-Salicl nli Süden lind Osten. Doch ist der letztere Fluß nur geographische und po-litischc Grenze; nicht aber ethnographische, denn cmch südlich und östlich von ihm wohnen noch kabylischc Stämme, bis in die Ebene Medschaua. Allein diese Stäinnie haben kein nnzugäng-lichcs Hochgebirge zmn Schuhe nnd znr Kräftigung; daher waren sie seit lange den Chalifen der Medschana unterworfen, nnd muß-ten sich neuerdings dein Joche der Franzosen beugen, während ihre Brüder jenseits im hohen Gebirge ihre Freiheit stets be-wahrten. Der At'bll, wie schon ans Obigem einleuchtet, fließt erst lange von Westen nach Osten, mit einiger Neigung nach Norden, fast mit der Meeresküste parallel; dann biegt er plötzlich ganz gegen Nordostcn, nnd ergießt sich in der Nähe von Bngia in'o Mittelmeer. (5r bildet einco der längsten, fruchtbarsten und wichtigsten Thäler Algeriens, dessen Schätze an Ocl nnd Früchten nach Beendigung des Krieges gleich den Wassern des Akbn dem Mccreohafcn zn gcwmnrcicher Ausfuhr zuströmen werden. Auf eine knr^e Strecke ist er sogar schiffbar. Jetzt aber reicht die Lommuuica-tion das Thal entlang nur bis zu den Beni-Abb^, etwa ein Drittel seiner Länge; obgleich schon im Mai 1847 unter dein Befehl des General-Kmweriieiiro eine Expedition von dem For^ Hauisa au den Quellen bis nach Bngia an der Mnndnng den Durchgang erzwungen hatte. Aber man weiß ja aus den ähn-lichen Zügen der Russen im Kaukasus, wie weuig damit eine danernde Unterwcrflmg nnd Kommunikation erreicht wird. — Der gewaltige Vcbirgsstock, dessen südliche und höchste Cr-Hebung der Dschndschnra ist, f2126 Meter ü. d. M.) erstreckt sich vom Akbll im Süden bis dicht ans Mittelmccr im Norden, dessen Küste, anf der ganzen Ausdehnung von Dellys bis Vugia, noch unzugänglich uud unabhängig daliegt. Zur Römcrzeit Bugia. Küste der Kabylie. 87 führte hier eine belebte Straße, und verband dic zahlreichen und blühenden Handelsplätze, von deren Mehrzahl jetzt mir noch einige Steine zeugen. Dirk Heer- nnd Handelsstraße zog die ganze Küste des Meeres entlang, von den Syrtcn bis zu den Säulen des Herkules. Jetzt aber ist gerade die Küstc aui Ulristen vcr-wildert, nnd das Negiernugs-Dampffchiff, dao dreimal monatlich vou Own über Algirr nach Boua fährt, erblickt mrhr freies als nnterworfenes Gebiet. Dieser cmffallcndc Zustand rührt eben davon her, das; die Gebirge in großer Höhe nnd Schroffheit fast überall bis dicht an das Meer reichen, nnd daher von tapferen Kabylen bewohnt sind, dic, wie ihre Stammverwandten in Ma-rokko, die vielgenannten Riffpiraten, einem Angriff von der See ans wohl zu begegnen wissen. Es fällt in die Augen, wie sehr diese Gestaltung der Küste, verbunden mit dem Mangel an guten Häfen, auch dem Haudcl uud der Cultur widerstreben. Nichts landschaftlich Schöneres giebt es, als solche Vermählung der weiten, blaucu See mit den hohen, zerklüfteten, vielgestaltigen Vrrgcu — aber auch nichts Feindlicheres den sauften Knusten des Friedens. Daher denn die flachen, unschönen Küsten Nord-Amerika's, trotzdem sie die Civilisation zwei Jahrtausende später erreichte, als den Nordraud von Afrika, diesen doch schon jetzt an ^audbail, Industrie, Handel uud jeglicher Bilduug so weit überragen. — Mein Eintritt in die Kabylie ging nur ungeachtet meiner großen Vegierdc doch etwas zu nngestüm vor sich. Das Natur-pfcrd, das ich ritt, wurde wie es schien vom Anblik der freien Berge angesteckt, und empörte sich als eingrborncr Afrikaner gegen den gewaltsamen Fremden. Im Sturmgalopp sauste es dcu steilen Abhang hiunntrr, das; mir fast Hören nnd Sehen verging, nnd ich große Mühe hatte, mich im Sattel zu halten. Endlich hatte ich das feurige Thier beruhigt. Freude im Herzen, daß es doch hier einmal wieder etwas zu reiten gab. Arider 88 Arabischer Gesang. nahm jetzt Dr. M. von uns Abschied; seine ärztliche Pflicht rief ihn nach Anmale zurück. — Wir waren noch nicht eigent-lich im Thal, sondern ritten den Abhang der südlichen Hügel entlang, von wo die Aussicht cmf den immer näheren Dschur° dschura um so großartiger war. Wir hatten ihn anfangs fast in der Flanke gesehen; je weiter wir kamen, desto mehr bot er uns seme riesige Fronte dar. Die Spahis und Maghsen suchten sich und uns durch Singen den Weg zu verkürzen; aber mit nns wenigstens ge-lang es ihnen schlecht, dagegen empfehle ich diesen arabischen Gesang als ein untrügliches Mittel zum Einschlafen. Es ist eigentlich nur ciu Recitiren durch die Nase, wie ich es annähernd schon in Spanien gehört, diesem abcndläudischcn Arabien. Eine wirkliche Melodie tonnte ich beim besten Willen nicht heraus-hören, nicht einmal der Klang war melodisch, eine Eigenschaft, welche doch der arabischen Sprache an sich in hohem Grade zukommt. Der Werth der Poesie war jedenfalls größer; aber leider verstanden wir ja kein Wort davon, selbst der Lieutenant nicht, der doch viel mit Arabern in ihrer Sprache unter-handelte. Und der famose Dolmetsch Chlil? — Ach, der Chlil war leider nie bei uns, war gleichsam cm latenter Dragoman. Der arme Schelm hatte kein Pferd bekommen, ja, nicht einmal eiM besonderes Maulthier; und statt seiner hohen Bestimmung gcmäh hoch zu Rosse neben den Herren zu traben, mußte er so auf den Packthiercn herumgastiren; denn eigentlich wollte ihn kein Treiber auf seinem Thiere dulden. So wird das Verdienst selbst in den WilduisM Afrikas verkannt! Ucbrigcns war es für gut befunden, daß ein nns ergebener Menfch znr Aufsicht beim Gepäcke blieb, das wir fast immer eine Strecke hinter uns ließen. Wir verstanden also nichts von der Poesie unserer Araber, Voltslieder. 89 und da die Verse gar nicht enden wollten, so muhten wir endlich um Rnhe bitten: wahrscheinlich ein schmerzhafter Stich für die ritterlichen Minnesinger. Der Quell der Lieder soll den Kindern der wasserarmen Wüste unerschöpflich sprndcln, das bestätigt auch der leuteknndige General Daumas in seinem interessanten Bliche: „Moeurs et Coutumes de l'Algerie." Das Gedächtniß der ärmsten Leute, berichtet er, berge unzählige Lieder, anch der innigsten nnd erhabensten Gattung, so daß der hochgebildete Europäer beschämt dastehe vor dieser Fülle von Poesie bei den vermeintlichen Barbaren, Zum Belege führt er eine Reihe von Liedern an, die ein Krämer vom Stamm der Schamba (den: südlichsten Algcricn's) ihm in kurzer Frist aus dem Stegreif re-citinc. Ich kann nur das Vergnügen nicht versagen, einige davon alls der prosaischen französischen Uevrrlragung hier nochmals in's Deutsche zn übersetzen; wie viel sie dadurch verlieren, fühle ich schr wohl. Aber vielleicht sind es zum Theil dieselben, die nnfere Spahio nnd Ma.Mn im Wad-e5>Sal>l sangeu. und deren Sinn ich dem Leser schnldig geblieben. i. Richt' die Augen auf die Duar*) der Nngaden, Dann gen Himmel heb' sie, und zähl' feine Sterne, Denk' der Widersacher, wo du leinen Freund hast, Denke unsrer Berge, ihrer schmalen Pfade, Komm' allein, fo sprach sie, komm' ohne Begleiter! II Mein Renner vor meinem Zelte scheut. Er sah die Beringte znin Scheiden bereit; Heut' ist der Tag, da uns tödtct der Streit Fiir die schönen Weiber, dein Stamme gefreit. ^ Zeltlager. 90 Waffen der Kabylen. III. Mein Lieb gleicht einer Stute schön, Die immer muß beim Nachtrab geh'n, Ihr Sattel ganz von Golde flimmert, Darauf ein schmucker Reiter schimmert, Der sich weiß im Rennen wohl zu beugen, Wenn aufgespielt der Schlachten-Reigen. Auch der Kameelin ist sie gleich, Die ans dem Tell mit Stoffen reich Rücktehrt in der Gefährten Schaar. Auf weiße Schultern wogt ihr Haar, Wie Seide fein; die Augenbrauen Sind gleich des Korans Nnn*) zu schauen. Ihre Zähne glänzen wie Elfenbein, Wie Scharlachbeeren die Lippen rein; Und ihre Brust, das ist der Schnee, Der strahlt auf Dschebel Amur's Höh'. Zeit, sci verflucht, wenn sie mein vergißt! Die Gazelle wär's, die den Bruder vergißt. Nlll die armcn Sänger doch etwas zn entschädigen, ließen wir uns ihre Schicftwaffcn zeigen, auf dic sic wo möglich noch stolzer sind, als auf ihrc Gesänge. Ein langes, hübsch mit Silber verziertes Pistol nttcressirtc uns besonders als echte ka-bylische Arbeit, und der Preis erschien uns mäßig. Aber beim Anblick dieser Waffen begreift man auch, daß die Kabylcn trotz ihrer Tapferkeit nnd des ihnen so günstigen Terrains selbst gegen eine Minderzahl europäischer Truppen nichts ansuchten können. Säbel, Flinten- und Pistolenläufc sind voll Eisen, denn Stahl haben fic nicht; und die Arbeit ist so mangelhaft, wie es sich bei einem ablegeucn Bergvolk ohne dic herrlichen Maschinen der europäischen Waffenfabnken erwarten läßt. Die „Seele" der Schießwaffen ist nicht einmal gleichmäßig gerundet; daher müssen ')Der Buchstabe 15 i», Arabischen. — ^'ttyc Verakichc, wie kies Gedicht entthiilt, «schomcn dem Araber Vollkommen edel, und kehren hiwftn wieder. Algerische Begrüßung. ZI die Kugeln kleiner sein, nnd ein großer Theil der Kraft geht verloren. Das Pulver selbst ist überdies von sehr geringer Güte. Es gehört all' die Uebung dieser Bergvölker dazn, um mit solchem Material auch uur Etwas auszurichten; und selbst das vermögeu sie nur in gedeckter Stellung. Im offenen Felde hat-ten die französischen Mini^-Büchsen sie schon zehnmal niedergc-streckt, ehe sie so nahe gekommen, um selbst zu treffen. Daher ist die versteckte Kampfweise dieser, so wie gleichfalls der kau-knsischeu Bergvölker, wahrlich nicht der Feigheit, sondern der Nothwendigkeit zuzuschreiben. Nach einiger Zeit, etwa um ein Uhr, erblickten wir auf einem Rasenplätze mehrere neu errichtete Gurbis oder Laubhütten. Da der Lieutenant mit den Männern zu reden hatte, so stiegen wir sämmtlich ab, wobei uns die Eingeborenen die Steigbügel hielten. Hier sahen wir zum ersten Male den eigenthümlichen Grus; der Algerier: man orfasit gegenseitig die rechte Hand, nnd führt daranf die eigene zum Munde; ein indirekter Handkuß, der durch die allgcmcinc Uurcinlichkcit nur zn sehr gerechtfertigt Wird. Doch ist er auch so uoch kräftig und feierlich'genng. um zu zeigen, daß diese Menschen nicht oft Gelegenheit znm Be-grüßen haben; denn die Gesten der Höflichkeit sind wie die Mim-zen; je häufiger gebraucht, desto unkenntlicher werden sie. Man weiß, wie sehr alle dünn gesäctcn Völker die Ceremonie der Bc< grüßnng ausdchucu, zumal die südlichen, die ja die Repräsrn-tation so hoch halten. Interessant wäre es, die Stufenleiter zu verfolgen von den viertelstündigen Grußformeln der einsamen Bcdninen bis zu dem kaum hörbaren /Tag" uud kaum merkbaren Kopfnicken unserer Großstädter. Jede Verkürzung der Worte und Gesten würde zugleich ein Zurücktreten der Außenseite und eine Vermehrung des persönlichen Verkehrs bezeichnen. — Natürlich ändern sich dir, Ausdrücke und Gesten der Begrüßung grmäß dem Stande: der 92 Ein Gurbi-Posten, Handkuß ist unter Gleichstehenden gebräuchlich; dem Höhcrstehen-den wird der Saum des Gewandes geküßt. Da die Kleidung der verschiedenen Stände nntcr den Eingeborenen dnrchans die nämliche ist, so vermag man sie häufig nur durch die Be-grüßuug zu unterscheiden. Mit uns Reisenden machte man es gewöhnlich sehr kurz ab. Unseren Lieutenants aber. blut-jungen Menschen, wurde oft vou ehrwürdigen Greisen der Nock-fchooß geküßt; kein erfreulicher Anblick für das natürliche Gefühl! Wir traten sämmtlich unter den größten Gurbi, der sehr ge-räumig, aber so niedrig war, daß wir fast mit den Köpfen anstießen. Das flache Dach aus Zweigcu ruht auf eiuer Reihe roher Pfähle, die ein längliches Viereck bilden, uud deren Zwischcnräumc, bis auf die Vorderseite, gleichfalls mit Zweigen ausgefüllt werden. Es ist ein Zelt aus Laubwerk, und verlangt kaum mehr Zeit zum Aufrichten, als ein wirkliches Zelt. Fenster und Rauch, fang cz'istirtcu nicht; ebenso wenig Möbel irgend welcher Art. Sogar ein Tcppich, der sie sonst alle erseht, war nicht zu sehen; wahrscheinlich, weil noch an dem Gurbi gearbeitet wurde. So mußte denn der Lieutenant stehend mit den Leuten unterhandeln, die ihn bald im Kreise nmgaben, bald einzeln mit ihm redeten. Wir befanden uns nämlich auf einem Posten zum Schuhe der Straße von Aumale nach Beni-Manssur, wie wir von ferne schon einen gesehen hatten. Es scheint, daß von dem nächst wohnenden Stamme einige Lcntc detachirt werden, um die Rei-senden zu beschützen, die Wegelagerer zu vertreiben, nud die Nachrichten weiter zu tragen. Wenn uian bedenkt, daß die freien Berg-Kabylen auch den ganzen südlichen Abhang des Dschurdschura iune haben, also kaum 2 Stunden von hier entfernt sind, so wird man die Be-schützung einer wichtigen Vcrbiudungsstraße durch einige schwache und unbefestigte Posten von Eingeborenen höchst inizulänglich finden. Dennoch ritten wir so sorglos, wie mitten in Deutsch. Sicherheit vor den Kabylen. 93 land; unsere Spahis hatten nicht einmal ihre Flinten mitgenmn» men, und der Lieutenant trug nur seinen Degen. Es muß also wohl wahr sein, daß die Kabylcn keine Einfälle mehr in das unterworfene Gebiet machen, sondern froh sind, wenn man sic in ihrrn Schluchten ruhig ihr Ocl pressen und ihre Trauben trocknen läßt. Nur der vereinzelte Wanderer hat den Angriff gleichfalls vereinzelter Wegelagerer zu fürchten, zumal in der Nachtzeit, die während des Sommers fast ausschließlich zum Reisen benutzt wird. Aber sicherlich giebt es mehr als ein Land in dem civi-lisirtcn Europa, wo die edle Straßenrändern mehr ganze Banden ernährt, als hier zu Lande Einzelne. In dem Betragen unseres Lieutenants, so wie in dem des zweiten, der uus »on Bcni-Manssur geleitete, bemerkte ich durch-ans nicht die despotische Härte und Hoffarth, wie sie einem Doiuecm cigeu sciu mußte. Herr vou St. A. ließ vielmehr die Eingeborenen lauge lind frei sprechen, und antwortete bestimmt, aber gelassen. Nach den schrecklichen Vorgängen in dem Bezirke Tlrmscu, die mit Recht cincn so mißfälligen Eindruck hervorgc-rufen, muß ich hier schon hervorheben, daß ich während meines zweimonatlichen Aufenthalts in Algerien weder Handlungen noch Ausdrücke despotischer Art bemerkt habe. Im Gegentheil be-wuuderte ich oft das vertrauliche und milde Benehmen der Officierc gegen die Eingeborenen. Ihre Machtbefugnis, erscheint allerdings dem Europäer, der gerade kein Land des Belagerungs-zustandcs bewohnt, ganz übertrieben. Mit dem Commando eines detachirtcn Forts von vielleicht 20 Mann Besatzung wird jeder Lieutenant im Nothfall Herr über Leben nnd Tod der Ginge-borrnen seines Bezirkes. Allein er ist es ja auch gegenüber sei. um französischen Untergebenen; der geringste Befehlshaber eines Schiffes ist es gegenüber seinen Matrosen! Man verwerfe das Erobcrungs-System überhaupt; man behaupte, daß die Franzosen kein Recht haben, die ritterlichen 94 Schnelle Justiz. Araber, die fleißigen, demokratischen Berbern zu unterjochet!. Aber wenn man die Eroberung zuläßt, so wundere man sich anch nicht, daß sie die Mittel anwendet, ohne welche sie unmöglich ist. Stelle man sich nur lebhaft die Lage eines Officiers vor, der allein mit einem Hänflcin eingeborener Truppen cin.n Distrikt feindlicher Völkerschaften zu behaupten hat, und M die Sicherheit jedes Wanderers, für die Erhaltung der schleunigsten Communication, fnr die Eintreibung der Steuern verantwort-lich ist. Und das unter einem Volke, dem Nanb und Mord gegen jeden Nicht-Etanmigenossen, um wie viel mehr gegen seme unglänbigen Unterdrücker, fnr erlaubt, ja fnr verdienstvoll gilt! Der Befehlshaber der Provinz ist oft fünf und mehr Tagereisen entfernt; die Gefangenen dahin zu transportiren tostet Mann-schaft und ist höchst unsicher, feste Gefängnisse konnten noch nicht gebant werden: was bleibt da zuweileu übrig, als den Empörer oder Räuber, den man mit den Waffen in der Hand ergrissen, flugs zu erschießen, und seinen Kopf als abschreckendes Exempel anf den umliegenden Märkten auszustellen? Daß es Officierc giebt, die aus augebomer Gransamkeit, oder nm persönliche Zwecke zn erreichen, ihre fast unbeschränkte Vollmacht mißbrauchen, nnd wahre Tyrannen werden, ist wohl begreiflich; nnd ebenso, daß die höheren Vorgesetzten leicht ein Auge zudrücken, wenn nur in dem betreffenden Bezirk die Rnhe erhalten wird, nnd die Abgaben richtig eingehen. Einen Antheil an der Bcnte der Razzias wird mancher auch nicht verschmähen. Doch bin ich fest überzeugt, daß die besseren nnd klügeren Be-fehlshaber die übermäßige Strenge ihrer Untergebenen nicht dnl-den. da eine solche die Emgeborenen nicht mehr zügelt, sondern reizt; und Oberst d'Argcnt hätte gewiß die Medschana nicht ohne Schwertstreich erworben, wenn er unnöthige Grausamkeit verübt oder zugelassen hätte. Die EntlMnngen von Tlcmsen, wie die Arabische Bittstellerin. 9Z min vollendete Unterwerfung der Kabylic werden gewiß znr Mil-dernng des Militär-Regiments beitragen. Zwei kleine Arabcr-Zeltc im Hintergründe des Rasenplatzes hatten meine Aufmerksamkeit erregt; waren es doch die ersten, die ich erblickte! Plötzlich kam eine kleine, alte Fran ans dem einen hervor, eilte cmf den Lieutenant zn, küßte sein Gewand, und hielt mit flehenden Geberdcn nnd Tone eine lange Anrede an ihn, dic er abschläglich beantwortete. l5s lag ein so beredter Schmerz ans den Zügen nnd in den Worten der Alten, daß ich innig gerührt wnrde, ohne das Geringste zn verstehen, nnd ganz traurig ward, als sie sich niedergeschlagen entfernte. — Sie hatte für die Freilassung ihres Sohnes gebeten, der wegm irgend welcher Vergehen gefangen saß; Herr u. St. A. bemerkte, daß er ihr anch beim besten Willen nicht helfen könnte. Die Fran war sehr ärmlich gekleidet; ein langes, schmutziges NoUengewand, durch einen gleichartigen Bund um die Hüfte befestigt, umhüllte sie vom Kopf bis zn den Füßen; oben war es durch cm darunter gestopftes Tnch weit von beiden Schläfen ab-gehalten, so daß der Kopf schr ^eit und unförmlich erschien. Das Haar war vollständig bedeckt, aber das Gesicht, klein, runzlig und blaßgelb, ganz frei. Dic Altc sprach mit großer Geläufigkeit und vielem Feuer, Nach diesem Intermezzo saßen wir wieder auf, und verfolgten auch frruer die nordöstliche Richtung. Die beiden ganz gleichen und höchst regelmäßigen Vergkegel traten immer mehr in den Vordergrund. Der Anblick des Landes war ganz eigen-thi'lmlich; nämlich fast durchweg furzer Raseu zwischen den oben-erwähnten Büschen. Mitunter flogen Rebhühner daraus hervor, mcht umhin, ÜMN Mchzucilcn', Mch Ms' orM <^o^. Wir hatten feit Anmale nichts a/Wcu, nnd dn ^imMMge Ml ft'llg an, eine . K. ciu Meister war. Helles, unauslöschliches Gelächter erhob sich dann unlcr uns und machte die Fremden ordentlich neidisch. Wir mußten ihnen oft das Stückchen vcrdollmetfchen, wobei aber natürlich die Form und Spitze meistens verloren gingen. Der jnnge Lieutenant sprach seine große Verwunderung aus, daß Deutsche so lustig sein könnten. Es ist ein sonderbares Vorurtheil, uns für ein stilles, grübelndes Volk zu halten; ich behaupte viel-mehr, daß es kaum eine Nation giebt, die im Durchschnitt so heiter und gesellig lebt; die Franzosen können sich darin gar nicht mit uns messen. Man vergleiche nur einmal ein fran-zöstschcs „Caf6" oder „Cabaret", zumal in den Provinzen, mit cincm deutschen Bier- oder Wcinhausc! — Die Wohnung des Kaids Budan bestand aus zwei Gc-bäudcn, mit einem großen Hofe zwischen ihnen, dcr durch Mauern geschlossen war. Das Gebäude, in dein wir uns be-fanden, hatte zwei ziemlich geräumige und hohe Zimmer, aber, wie schon bemerkt, ohne alle nnd jede Möbel oder Gcräthe. Die Wände waren geweißt, dcr Fußboden nur festgestampfte Erde. Das nennt man Gastzimmer in Afrika. Daher lhnt Kaid Buban. 103 dcr Reisende, der nicht daran gewöhnt ist, in den auch dort rrcht kalten Wintcrnächtcn auf bloßer Erde zn schlafen, sehr wohl daran, wenn er sein Vcttc bei sich führt. Wir hatten jeder durch die Vorsorge des arabischen Bureaus eine schöne Matratze mit wollener Decke erhalten, und mit Hülfe unserer eigenen Decken nnd dcr Mäntel und Burnns lagen wir daher wann genug. Diese einfachen Betten wurden nun, als wir uns nach Ruhe sehnten, in den Ecken dcr beiden Zimmer be-reitet. Bald lag Alles in tiefem Schlafe; nur der Lieutenant überlas noch einmal andächtig einen Brief, den er den Abend vorher aus Frankreich von einer theilnrhmcndcn Frenndiu erhal-ten; nnd ich schrieb beim Scheine des verlöschenden Lichts auf meinen Knien noch einige Notizen in mein Tagebuch. Vor 6 Uhr standen wir anf; wer sich am Abend aus-gezogen hatte, llcidctc sich wieder an; nnd als wir hinaus auf den Hof traten, freuten wir nns des frischen, aber heitern Mor-gcns, dessen röthlichcr Glanz uns von den Schncebrrgeu cnt-gegcnleuchtetc. Im Freien wurde gefrühstückt, Kaffee, Brod, Eier und Honig, also ganz wie im schönen Nerncr Oberland. Selbst die Obcrländeriuncn fehlten nicht ganz; in dem gegen-überliegmdcn Gebäude mit weitem Eingang, dem Wohnhanse des Kaid, wurden von Zeit zu Zeit buntgcklcidete weibliche Gc-stalten sichtbar; die Gesichter mwcrschlcicrt, doch zn fern, um sie genau 5» erkennen. Da wir mm bald auf immer Abschied von dem Kaid nehmen, so muß ich noch Einiges übcr diesen unseren ersten einheimischen Wirth berichten. Er war uns als ein habsüchtiger, geiziger und durchtriebener Bursche geschildert worden, und sein Aussehen sprach nicht mehr zu seinen Gun-sten. Ein lauger, hagerer Mann in keineswegs feinen Gewändern, mit harten, unregelmäßigen Zügen und einem Beneh- 104 Die Namen mit „Bu". men, dessen Freundlichkeit dic Zuversicht und der edle Anstand gänzlich abging, der drm Algerier doch so allgemein ist, Wcnn Ulan bei ihni einkehrte, lvard uns gesagt, müßte man selbst ge-nan nach den Pferden sehen, denn der Kaid sparte gern am Flitter, Seimn Nainen Bndan erklärten die Franzosen uns als .Vater der Bnttcr". Die Namen mit,Vu" sind anßcrordent-lich beliebt bei den Arabern; es bcdrntct Vater (vollständig Abu, das hebräische Abi. ;. B, in AbiMclcch, Vater des Bönigs); nnd bei dem patriarchalischsten aller Völker schließt dieser Be-griff alles Ehrenvolle, Mächtige und Reiche in sich. Vn be-dcntet also mich Herrscher nnd Besitzer; nnd Bu>Dan also der Buttcr-Reiche, der große Hecrden-Besitzer. Uebrigrns mnß man im gewöhnlichen Leben nicht immer etwas Rühmliches und Großartiges in den Namen mit B» suchen; sie sollen a»ch oft nur eine zufällige Eigenschaft oder Beziehung ausdrücken. So hieß der letzte Schech', drr den Franzosen zn schaffen machte, bekanntlich Bu-Baghla, wörtlich: der Vater des Maulthicrs, vielleicht weil er gern, oder bei irgend einer besonderen Gelegen-licit, auf einem Manlthierc ritt. Einen französischen Oberst nannten sie gar Bu-Baretta. Bater der großen Mütze, weil er eine solche trug. lind weil zugleich sein europäischer Name <1ch glanbc Blirbaki) ihnen ähnlich zu klingen schien. Unser Freund Butter-Bater war Kaid des Kabylen Stam-mcs der Beni-Aalla, deren Dörfer wir übrigens nicht zu sehen bekamen. Das Haus des Kcud steht ganz allein; wahrscheinlich zur Beaufsichtigung des Weges, und znr Aufnahme der Rei-senden. Die Dörfer müssen südlich auf drm Hügelrncken liegen, denn in dem breiten Thale »rar nirgends eine Wohnung zn entdecken. Es wird sich später zeigen, daß dies der allgemeine Gebrauch bei den Hablilcn ist. — An dem südlichen, sanften Abhang des Thales Wed-Sahel Stürmischer Nitt 105 ritten wir auf holprigem, mitunter sumpfigem Wege immer weiter in ost-nord östlicher Richtung. Diesmal schien Budan mit dem Futter nicht gegeizt zu haben, denn nnserc Pferdchcn Waren mit Mühe zu halten; so oft wir ihnen cin wenig die Zügel ließen, schössen sic im schnellsten Larriöre lion danncn. So wonnig, wir diesen Tag, bin ich niemals geritten. Die anmuthige und großartige Gegend, das wundervolle Wetter, dir heitere, jugendliche Gesellschaft, die malerischen, halbtollcn Spahis, endlich meine Stute, die unter mir dahintanzte, wenn es im Schritt ging, oder einer entfesselten Windsbraut gleich dabin-sauste, bergauf nnd bergab, dnrch Snmpf und über Felsen, daß mir mitunter so freudig-bange ward, wie etwa im kleinen Boote auf stürmischer See, wenn der Wind die Segel zum Zerreißen schwellt, nnd die zerschnittenen Woge:, wie wüthend über den nirdrigen Bord hineinschlagen! Als wahrhaftiger Autor will ich auch nicht verschweigen, daß ein paar Mal zwischen mir und meinem Sattel die Attraction nahe daran war. wn der übermächtigen Centrifugalkraft gänzlich aufgehoben zu werden. Glücklicherweise hat die gütige Natur auch dem hihig-stcn Rosse einen Hals gegeben, an den man sich anklammert, wenn das Gleichgewicht zu schwinden droht. Viel Noth machte mir der nngehcure Burnus, dessen wthscidene Troddeln dnrch manche Pfütze gebleicht wurden. Die rasenden Spahis anf ihren Berber-Rossen stürmten immer voraus, mit lantcm Ge> jnche, mit Schwenken des Säbels und Anlegen der Flinte, als gälte es, noch hcnte die Berg-Kabylen zn unterjochen. Die Vegetation war auch hier sehr niedrig, nnd das Land am Wege, so weit wir sehen konnten, fast gar nicht augebant. In den kurzen Zwischenräumen des Schrittes unterhielt ich mich geru mit Herrn von St. A.. der für einen französischen Lien-tenant in Algerien überraschend viel Gemüth und Zartheit an den Tag legte. Er wollte kaun, zugeben, nnd jedenfalls nicht 106 Die Europäer in fremden Welttheilen. begreifen, daß die meisten seiner Kameraden anf afrikanischem Boden verwilderten. Der beständige Anblick einer großen nnd stillen Natur, der ewig blaue Himmel, dic tausend nencn Gc-genständc, Sitten und Verhältnisse, die häufige Einsamkeit und dic vielfache Gefahr müßten ja, so meinte er, nothwendig selbst einen leichtfertigen Charakter zum (Kruste und zur sittlichen Be-trachtung hinlcitrn. Er selbst fühle, daß er seit seiner Ankunft in Algerien besser, stärker uud selbständiger geworden. Dic lange Trennnng mm Hcimath und Verwandten, weit entfernt, ihn abzustumpfen, habe auch sein Gefühl der Anhänglichkeit und Liebe nur gesteigert. Und ich kann versichern, daß der junge, hoffnungsvolle Mann nicht dcklamirtc; sein ganzes Wesen, vor allem der tiefe Eindruck jenes Briefes, bewahrheiteten seine Worte. Allein ebenso sicher scheint mir auch, was er in Abrede stellte, daß nämlich dieselben Verhältnisse auf dic große Mehr» zahl seiner Kameraden den entgegengesetzten, moralisch höchst nachtheiligm Einfluß ausüben. In der That müssen es schöne, feste Geister sein, die durch gänzliche ^ostrcnnung von den lci-tendcn Banden der heimathlichen Gesellschaft nicht ausarten. Ich glaube, man muß nicht in die fremden Mittheile und unter andersartige Völker gchcn. nm dic guten Seiten der eigenen Nation aufzufinden. Die Europäer im Orient, in den beiden Indicn, an den Knstcn von Afrika nnd Australien, selbst in dem ganz cnropäistrtcn Nord-Amerika, bcsoudcrs wo sie mehr vereinzelt nntcr den Wilden hausen, behalten häufig ihre That-kraft und Intelligenz, aber feltcn ihr Herz. Sie werden in der Regel hart, gefühllos, wollüstig, habgierig, roh nnd geistig träge. Sollten die französischen Officicrc eine so merkwürdige Auonahmc machen? — Es ward heiß, wie bei uns an einem schönen Innitagc,, und der drei Stunden hindurch fast unmitelbrochenc Schuelkitt Ruheplatz am Wed-Sahel. 107 auf dem schattenlosen Wege lies; uns Rnhc, Schatten und Er-quickung crwnnschen. weit mehr als hoffen. Wer hätte gedacht, daß wir in dieser Einöde plötzlich eine Stelle finden würden, wie die liebliche Phantasie des Cervantes sie nicht köstlicher in einer romantischem Sierra schassen konnte! War es Znfall oder fremidliche Vorausbestimmung, etwa um 11 Uhr bogen wir links vom Wege ab, dem User cincs Vächleins folgend, das den Weg quer durchschnitt, Eine herrliche Gruppe belaubter Bäume und Sträucher beschatteten einen sanft abhängigen Nasenplatz, den das Wasser des vorbcirieselnden Baches frisch erhielt; nnd als wir hinzutraten, erblickten wir zu unserer Ucberraschung den breiten Fluß, in dessen Thalc wir seit gestern dahergezogen. Die Wasscrläufe sind so selten in Algerien, daß diese Vereinigung von zweien unser Auge hoch erfreute, und die Kühle, die von ihnen aufstieg, uns gar wohl that. Man sticg ab, man tränkte dic durstigeu Pferde, und lagerte sich mit köstlichem Behagen auf dem weichen Rnscn. die Augen zum blauen Firmamente gerichtet. Und obgleich wir seit Budan keine Wohnung Wieder erblickt, so erschienen doch alsbald, Wie gastliche Genien dieses Ruheorts, ein Greis nnd ein Jung-ling, mit frischer Milch in einem alten, enghalsigen Kruge, »nd einer großen Meu?,e getrockneter Feigen und Datteln, deren Füllhorn freilich unästhetisch genug der schmutzige Burnus des Greises bildete. Aber die Reinlichkeit ist cin für allemal keine Frcnndin der Romantik; und ich glaube, die irrenden Ritter und treuen Knappen, ja selbst die verwünschten Prin-zcssinnen des beneidenswerthen Mittclaltrrs hatten viel zn viel Abenteuer zn bestehen, um das prosaische Geschäft des Hände-waschens häufig zn vollziehen. So ließen wir uns die Milch und die Früchte herrlich munden; nur erhob sich ein lebhafter Streit, ob die Feigen oder die Datteln besser schmeckten; nnd siehe dn, wir brauchten nicht 108 Feigen oder Datteln? zur Stimmzählung zu schreiten, die Stimmengleichheit war er-Wiesen; denn mit dem letzten Argument waren Feigen und Dat-tcln, beide gänzlich verschwunden. Dennoch bleibe ich noch heute meiner Ansicht tre», daß die Datteln besser schmecken, wenigstens in Afrika; denn u WM «oi^n6ur Wut konnLur! ich lobe in jedem Lande die Dinge, die ihm eigenthümlich sind. Ucbrigens sind die Datteln, die uns ans der ganzen Reise von den Ein-geborenen vorgesetzt wurden fund es geschah dies, so oft wir etwas genossen), wesentlich von denen unterschieden, die nach Europa kommen. Sie waren nämlich nicht viel größer, als cinc Eichel, ganz trocken und hart, und von weißlicher Farbe; fo daß sie kein Europäer für Datteln erkannt hätte. Ich weiß nicht einmal bestimmt, ob dies von einer Varietät der Bäume herrührt, oder nur von der Verschiedenheit des Trocknens; doch neige ich sehr zu der ersteren Ansicht. Auf dem Markte der Oase Biskra, sowie in Algier und Konstantine, fand ich beioe Sorten vor. Unser Blick schweifte über die weite Thalebene, bis zum Gebirge, als plötzlich die öde Stille derselben durch eiuen eilen-den Reiter unterbrochen wurde, dessen weißes, volles Gewand den Eingeborenen verrieth. In« Nu hatte er nnser Lager er-reicht, und trat schweißtriefend, mit rothgedunscnem Gesichte zu uns, ein Bild männlicher Stärke und kriegerischen Ausdrucks. Was führte diesen Häuptling — denn ein solcher war es — fo eilig zu nns? Meldete er den drohenden Ueberfall dcr Berg-Völker, oder rief er nns zu Hülfe, einen inneren Krieg seines Stammes zu schlichten? — Nein, einen großen Topf voll gelb-lichcr Butter brachte er uns, und cinc ganze Ladung frischer Brodkuerfin, da er unsere Ankunft in Erfahrung gebracht hatte. Kein Bcgebniß enthüllte so die große Gewalt der Franzosen, und die Furcht, die sie einflößen, als diese eilige Dicnstfemgkcit des stolzen Häuptlings, Sie machte auf mich einen peinlichen Veränderung der Landschaft. 109 Eindruck. Ucvrigcns fand die Gabe nicht einmal Anerkennung; wir waren satt von den Früchten, die Kuchen brühwarm, und die Butter ranzig bis zum Riechen. Wir haben auf der ganzen Reife bei dm Eingeborenen, selbst bei den Fürsten Mokrani, nie andere als ranzige Butter gefimden. und zwar fast an allen Speisen; denn ungckocht wird die Butter nicht genossen, Cs ist jedenfalls ein merkwürdiger Beitrag zur Kunde des Geschmackes, daß die Algerier jeder Ab-stammung und aller Gegenden die ranzige Butter der frischen weit vorziehen. Dies hängt wahrscheinlich mit dem Bedürfniß nach scharfen Zuthaten zusammen, welches mit der Wanne des Klimas regelmäßig zunimmt, und sich hauptsächlich in der un-glaublichen Pfcffcrung aller und jeder Speise ausdrückt. Was aber noch wunderbarer erscheinen wird, ist, daß wir uns sehr bald sowohl an die ranzige Büttel', als an den Pfefferbrand gewohnt hatten, so daß einige von uus den Kusknssu sogar mit dem größten Wohlgefallen verzehrten, obwohl dieser gerade jene beide Eigenschaften in sich vereinigt. Uebrigens fanden auch dieomal Butter und Brodtuchen Wohlgefallen in den Augen der Spahis und Maghsen, unserer biedern Frrnndc. Wie ungern trennten wir uus von dem paradiesischen Plätzchen! Anfangs ging das Rennen wieder los; aber wie die Landschaft allmälig aus einer Wildnis, zu einem Garten ward, so gingen auch wir aus dem wilden Hetzen zu einem civilisirten Ritt über. Und wahrlich, die Gegend erheischte volle Anfmerk. samkeit. Statt der wilden Büsche erschienen mehr und mehr die dichten und stattlichen Olivcnbäume, meist höher, breiter und unregelmäßiger, als die berühmten „Oliviei-s" der Provence. Wo Oelbäume standeu, da war auch stets der Boden frisch gc-Pflügt; er erschien dunkelbraun bis schwarz, und von hoher Fruchtbarkeit. Tic Pflügarbeit war sichtlich weit sorgfältiger, als auf arabischem Gebiet, und kein Unkraut noch Busch waren 110 Kabylische Dörfer. im Felde zu sehen. Die Oclbäume standen ziemlich dicht, aber durchaus nicht gleichmäßig in Reihen. Mit der Zeit wurden die unbebauten Stellen immer seltener und kleiner, und zulcht war alles Land gepflügt und mit Oelbäumen bcfcht. Hier erschienen mit einmal auch die lang gesuchten Wob-nungcn. Der Weg war nämlich sehr gut und eben geworden, und ging ganz im Tbale, aber dicht an dem südlichen Abhang, der sich zunächst nicht höher als etwa 50 Fuß, aber ziemlich abschüssig, erhub. Aus dem Gipfel dieses Hügclzugcs lagen nun zwei oder drei Dörfer dicht bei einander: zwei wirre Hau-fcn von kleinen, einstöckigen, massiv steinernen Hütten, mit sehr stach geneigten Dächern aus Erde, ahne Fenster und Schornsteine. Das ganze erschien von weitem eher wie ein graues Felsgeröll, denn wie menschliche Wohnungen, Und während nnten die Fel-der mit schattigen Oelbäumcn prangten, wuchs oben in uud um den Dörfern kein einziger. Vielmehr waren sie rings von dichten Pflanzungen der fast mannshohen stachligen Cactusart um-geben, welche die indianischen Feigen erzeugt, und zugleich als Schußwchr und als Nahrungsmittel dicut. Nützlich ist diese Pflanze in hohem Grade, aber nichts weniger als schön nnd ntannichfaltig. Wir hatten sie seit Algier ebenso wenig ge-sehen, wie feste Häuser der Eingeborenen, uud mit dm leßtcn kabyllschrn Dörfern verließ sie uns auch wieder. Sie wächst also nicht wild in Algerien, sondern wird von den Eingeborenen angepflanzt; dieselben ahnen wohl nicht, daß sie diesen nützlichen Strauch einem fernen Erdthcilc verdanken, von dem sie durch dcu unendlichen Ocean getrennt sind, und dessen Name und Dasein ihnen vielleicht noch nie verkündigt ist. Die Gründe, warum die Eingeborenen ihre Wohnungen hültuißmäßig kleinen Gegend, die wir durchreisten, so kanu mau fageu, daß die Kabyleu in lauter Städteu wohnen. Und nun vergleiche man diese anßcrordmtlichc Concentration mit der auftcrurdeutlichcu Zerstreutheit der benachbarten Araber, die nur in Al'thciluugen von 0 — 20 Zelten Icben, und man wird zu-gestehen, daß Algerien auch iu dieser Beziehung die schroffsten Gegensätze vereinigt. Ohnehin ist die Kablilie wmigstcno achtmal so dlcht bevölkert, als das Arabergelüet. Da? Alles beruht aber auf dem Fundamental-Gegmsatz d« Seßhaftigkeit und des Nomadenthums. Die Wirthschaft der Araber, sei es nun Ackerbau, oder gar bloße Weide, ist so extensiv, daß noch nicht 20 Familien den für ihren Unterhalt nöthigen Boden von Einen, Wohnorte alls bewirthschaften können. Der Anbau der Kabyleu dagegen ist so intensiv, daß viele hundert Familien von Einem Wohnorte aus ihren Unterhalt erwerben. Und doch ist die Kabylie ein größtcntheilo unfruchtbares Gebirgsland, das Arabergcbict aber mcift fruchtbare Ebcue. So sehr hängt Alles von der menschlichen Betriebsamkeit ab! Die Araber haben selbstverständlich auch ein ganz anderes System der Vertheidigung, als die Kabylcn. Sie wollen ja nicht den Boden schützen, der nur Werth für sie hat, so lange 112 Verschiedenheit der Kriegführung. er mit Fcldfrüchten bewachsm ist; ihr Leben und sonstiges Eigcnthuni, Wohuuug, Geräthc und Vieh, ist Alles nicht an den Boden geknüpft. Sic haben daher nur den unerwarteten Urberfall zn fürchten; wissen sie den feindlichen Angriff auch mir riuigc Stnudcn vorauo, so haben sie Allcs längst gc> borgen, und der Feind findet statt cinrs reichen Dnars nur noch die Asche der ausgebrannten Lagerfeuer. Unterdessen haben stch die Flüchtigen mit ihren verwandten nnd befreundeten Abthci» lungen vereinigt, ziehen dem Feinde entgegen, und bekämpfen ihn nuter völlig gleichen Vortheilen. Dagegen ninsi eine kaby-lischc Gemeinschaft ihr Dorf mit aller Kraft vertheidigen; was hilft die Flucht, wenn man dem Feinde all' seine Habe, die, kostbaren Dclbäume uud reichen Vorräthe, überläßt, und kaum das nackte Leben rettet? Anch ist die Flucht den Kabylcn sehr erschwert, da sie keine Pferde nnd Kamcclc besitzen. Für ein Araber-Lagrr macht es sogar nicht viel aus, wenn es von seinem Gebiete gänzlich verdrängt wird; dic Bevölkerung ist so dünn, daß sie leicht einen andern Strich Landes zur Weide und zum Anbau sindru. Von Kapital-Anlage im Boden ist ja bei ihnen keine Rede. Beim Beginn des angcbantm Landes hatten wir eine kleine Gesellschaft Kabylen eingeholt, die ersten Reisenden seit Anmale. Sie ritten zum Theil auf Eseln oder Maulthicrcn, nnd hatten einige Schläuche Ocl nach Algier gebracht. Diese Gegend liegt ziemlich gleich weit von Algier und Bugia; doch ist der Weg zum lchtcrm Handelsplatz, dessen Wichtigkeit für Oliven - Ocl stets zunimmt, gewiß zu unsicher, oder wohl gar verboten, da er durch schlecht unterworfene Stämme führt. Der Fluß, der wie erwähnt bei Vugia müudtt, ist hier noch lange nicht schiff« bar. Uebrigcns geht die direkte Straße nach Algier nicht über Anmale, sondern über Bordsch-Hamsa, nördlich von Anmale, nnd wird dadurch bedeutend kürzer. Unsere Begleiter, obgleich Bordsch'Beni-Manssur. 113 Araber, wechselten einige Gespräche mit jenen kabylischen Rei-senden. Auf den Feldern sah man Leute, die mit dem Ein-sammeln der reifen, pechschwarzen Oliven beschäftigt waren. Zugleich mit den Dörfern zur Rechten erblickten wir vor uns, also gegen Nord-Ost, einen hohen und schroffen Hügel, der von dem Höhenzuge weit in das Thal vorsprang. Auf seinen: Rücken erhoben sich ansehnliche, weiße Mauern, die gar sehr von den grauen, niedrigen Stciuwänden des dahinter liegenden Dorfes abstachen, und wahrhaft königlich die Gegend überragten. Es war das französische Fort Bordsch-Beni-Manssur, so gc-nannt von dem Kabylen-Stamme, in dessen Gebiet es liegt. 3n ewiger Entfernung davon sprengten nns zwei Reiter in nachlässiger Uniform entgegen, und bewillkommneten uns. Der eine war französischer Obcrlicutcnant und Commandant der Festung. Dieser unbeschränkte Herr über Leben und Tod von Tausenden machte aber durchaus nicht den Eindruck eines Ty-rannen; das schmale, blasse Gesicht, die blauen Augen und hell-blonden Haare, die sanfte Stimme und Art ließen eher einen deutschen Dichter erwarten, als einen Bekämpfcr der wilden Bergvölker. Sein Freund und Vice-Commandant, cm junger Untcrlicutenant aus dem weinberühmtcn Bcaujolais, zeigte ein breites, offenes, heiteres Antlitz und stämmigen Körperbau: das einsame Leben inmitten der ernsten Muselmänner schien ihn der Freude des Daseins nicht entfremdet zu haben. Er begrüßte sich besonders freundlich mit unserem Begleiter, einem seiner früheren Kameraden. Unter diesem ehrenvollen Geleite ritten wir nun den ziem-lich steilen Abhang hinan, und durch ein festes Thor in den großen, viereckigen Hof des Bordsch-Beni-Manssur. Die Pferde wurden in die Stauungen zur Rechten geführt; wir traten ge-radeans in das Wohngebäude der Offieicrc, das zweistöckig war. und unten drei große Zimmer oder Säle enthielt. Im Speise- Hnsch, Ulanen, y 114 Statistik der Kabylie. zinnner, »on etwas kahlem und rohem Aussehen, nahmen wir an einer großen Tafel Platz, und erquickleu uus durch Rum oder Wein mit Wasser, und etwas Brod mit Wurst und Käse. — Hinter dem Hause befand sich ein schmaler Hof-räum mit kleinem Gä'rtchcn und Laube, sehr sauber gehalten. Dies war wohl der abgeschiedene Lieblingsaufenthalt der beiden Damen, durch deren Umgang die Herren Lieutenants ihre krie.' gerische Einsamkeit versüßten. Wie wir erfuhren, hatten sie zwei Maurinncn gewählt, Mntter und Tochter, eine Wahl, die jedenfalls sehr tadelnswcrth ist. Der Uutcrlieutenant, gcgcn den wir später darauf anspielten, stellte auch die ganze Sache in Abrede, jedoch nicht mit der Sprache i»cr Wahrheit. Durch solchen unsittlichen Zeitvertreib kommt es wahrscheinlich, daft trot) des 30jährigcu Aufenthalts der Franzosen so wenig Brauch-bares über die Sprachen, Sitten, Gesetze und wirthschaftlichen Zustände von Algerien geschrieben worden ist. Nur zwei Officierc, der bekauute Daumas und der Genie« Kapitän Carette. haben ausführliche und fleißige Beschreibungen geliefert, besonders der letztere, dessen Statistik der Kabylic, in zwei starken Bänden, ein Meisterwerk dieser Art zu nennen ist. Er schöpfte seine wunderbar ausführlichen Nachrichten über Volks- und Häuserzahl der verschiedenen Dörfer und Stämme, über das Material der Häuser uud Moscheen, über die Land-wirthschaft, die Gcwcrkc und den Handel, endlich über die geographische Gestaltung, fast ausschließlich aus dem Munde der Eingeborenen, welche er in Algier aufzufinden wußte. Man kann sagen, daß er die Ziegel auf allen Dächern der Kabylic gezählt hat, ohne je den Fuß in das Gebiet gesetzt zu haben. Es wird wenig Gegenden in Europa gebeu, die eine so voll-ständige Statistik besitzen, wie dies unzugäugliche afrikanische Gevirgsland, in dessen meiste Thäler damals noch kein euro-päischcr Fuß gedrungen war. Natürlich warm bei so beschaffenen Besatzung des Forts. 115 Quellen mannichfachc Irrthümer nicht zu vermeiden; aber ich bin fest überzeugt, daß niemals eine sorgfältigere Arbeit gemacht, und daß durch dieselbe der jüngsten französischen Eroberung nicht geringer Vorschub geleistet worden ist. Das Fort Beni - Manssur wurde etwa im Jahre 1850 vom General Burbaki erbant, in einer eben so schönen, als wichtigen und festen Lage. Der schroffe Hügel, dessen ganzen Gipfel es einnimmt, steht mit dem großen Höhenzuge nur durch cincu schmalen Damm in Verbindung, ist also von drei Seiten nnaugmsbar. So überschaut und beherrscht das Fort auf der einen Seite weithin das große Sahel-Thal, anf der andern aber das gleichfalls sehr breite und fruchtbare Thal, das in süd-uüMcher Richtung in das erstere einmündet, nnd die wich tigc Straße durch die Biblw, den nächsten Weg von Algier nach Konstantine, cuthält. Der Hügel bildet gerade den vorspringen-den Winkel der beiden Thäler,' und die Straße führt über ihn. Wenn die Eingeborenen Belagerungsgeschütz besäßen, so ließe stch freilich der Posten nicht halten/denn gleich dahinter, im Süden, erhebt sich zu fast doppelter Höhe der erwähnte Hügel-zug, mit einem großen und festen Dorfe auf dem Rücken. Die Vesahung bestand damals aus Turcos, unter einem Lieutenant, der alle l.4 Tage oder 3 Wochen abgelöst wird; dazu kommen dieMaghscn, unter einem Knid; früher auch noch etwa 20 Spahis. die mm in Anmale standen. Von enrupäischen Truppen war kein Mann dort, wahrscheinlich wegen der großen Entblößung Algeriens durch den Krimm-Fcldzng. Statt der frü-heren 100,000 Mann fanden sich damals keine 30,000 im ganzen ^ande; und später sagte mir ein Officicr im Vertrauen: „wenn die Eingeborenen wüßten, wie wenig Truppen uns znr Vcrfüguug stehen, so würden sie gewiß in Aufstand kommen." War es wirklich Unkenntnis;, oder war es auch thcilwcisc Sym-pathic für das Vünduiß mit den Türkm. oder endlich gänzliche 8' 116 Beni-Melikefch. Hoffnungslosigkeit nach so vielen und entscheidenden Niederlagen: genng, die Algerier verhielten sich nie ruhiger, als während des orientalischen Krieges, wo doch ein allgemeiner Aufstand große Chancen gehabt hätte. Bordsch-Beni-Manssur liegt dem kriegerischen, damals noch gänzlich freien Stamme der Beni-Melikesch svon den Franzosen Melikcuch geschrieben) gerade gegenüber, nur durch das Thal des Wcd-Akbu (oder Wed-Sahel) von'ihnen getrennt. Der Dschurdschura hebt sich hier mit seinen höchsten Gipfeln gewal-tig aus dem üppigen Thale hervor, uud in der That ist der südliche Abhang dieses Gebirges außerordentlich schroff, während der nördliche sich langsam abdacht und weithin verzweigt. An diesem schroffen Abhang nun kleben die grauen Dörfer des tapferen Stammes, deren wir eines oder zwei mit bloßen Augen sahen. Während fast die ganze Thalbreite mit Oelbäumen bestanden war, erschien ein großer Theil des Dschurdschura ziemlich nackt und baumlos; auch wenig Einschnitte und Schluchten waren zu bemerken. Das Gebiet der Melikesch beginnt erst in bedeutender Höhe; das nächste Dorf am jenseitigen Abhang wurde uns als das der Schcrfa bezeichnet, einer Abtheilung der unterworfenen Beni. Manssur. Das zwcitnächste heißt Grebisa oder Grcvißa, und war nicht lange zuvor von den Beni-Meli-kcsch überfallen und großentheüs abgebrannt worden, zur Strafe für seine Unterwerfung unter die Christen. Nicht so gut glückte der zweite Ueberfall, ganz kurze Zeit vor unserer Ankunft. Die Franzosen bekamen noch zeitig Nachricht, ließen schnell die ein-heimische Reiterei, nur 60 Mann, aufbrechen, die den Angriff von etwa 300 Bem-Melikesch über eine Stunde aushielten; bis das Fußvolk ankam, und die Kabylen mit großem Verluste zurückschlug. Ucbrigms wagen sich, nach Aussage unserer Officiere, die Feinde nicht mehr in's Thal hinab, und in der Regel geht umgekehrt der Angriff und Einfall von der Besatzung Veni-Abbds. 117 des Forts und dein Ghum der benachbarten Beni-Abbes aus, um dic Ernten zu stürm, das Vieh wegzutreiben und dic Oel> bäume umzu hallen. So führen denn hier zwei französische Lieutenants allein den Krieg gegen einen tapferen und muthigen Stamm, mit Hülfe von Mannschaften, welche fämmtlich Glaubens- und gro-ßentheils auch Stammgmoffen der Feinde sind. Die Bcni-Melikcsch zählen in 7 Dörfern 6—700 „t'usils", d. h. kämpf-fähige Männer. Die Bcni-Abb^s aber sind viel bedeutender; sie bilden einen der größten, reichsten, gewcrbflcißigstcn und merk-würdigsten Stämme unter den Kabylen. Ihr Gebiet beginnt bei Vordsch-B. Manssur, und erstreckt sich östlich den Wcd-Nkbn entlang und südlich bis an die Bilckn, odcr Eisernen Thore, welche sie beherrschen. Sie zählen 8 Fractionen mit etwa 5500 Männern, und 1500 Armen. Schwachen uud Marabuts lznsam-mcn nlso 7000 Männer); was mit der Uou Carctte angcnonl-mcnen, allffallend niedrigen Zahl der Familienglieder 21,000 See-Im ausmacht. Dazu kommt uoch der große Marktort KM, die zwcitcinzige wirkliche Stadt der Kabyl'ic. mit 3000 Seelen. Kalk bedeutet Festung, nnd der volle Name des Orts ist anch Kalk-beni-Abb^s; es ist dasselbe Wort mit dem Kalch, welches an der georgischen Küste des Schwarzen Meeres allc Festungen bezeichnet. Kalk ist der Hauptsitz der Wollen Industrie, durch deren Vollendung die Bcni-Alibis in ganz Algerien berühmt sind. Die Haiks und Burnus dieses Stammes genießen denselben Ruf, wie bei uns die Tuche von Aachen, und bringen daher bedeutenden Wohlstand. Außerdem ist das Gebiet der B.-Abbi;s grohmthcils sehr fruchtbar an Baumfrüchtcn nnd Ocl, nnd die Lage für den Zwischenhandel sehr vortheilhaft. Abcr mit allen diesen Vorzügen hat die Beschaffenheit ihres Gebiets auch einen großen Nachtheil im Gefolge: die leichte Zugänglichkcit für die 118 Geschichte der B.°Abb«s. Feinde, lind die Trennung von dm stammverwandten Kabylen. Zwar im 16, Jahrhundert widerstanden dir B.-Abbös noch siegreich den Türken, wie ans den Berichten des Leo Africanus hervorgeht, der sich damals in dieser Gegend anfhielt. Aber später unterwarfen sie sich den ühalifcn der benachbarten Med-schana, den Ulad-Mokrän, nntcr deren Lehcnshohcit sie noch heute stehen. Die unermeßlichen Schätze dieser Familie liegen in der Stadt Kal^, wahrscheinlich als dem sichersten Punkt ihres Gebietes. Auch den französischen Waffen konnten die B.-Abb«s ihr zugängliches Hügelland nicht lange streitig machen. Bei der früher erwähnten Erpedition, im Mai 1847, zur Herstellung der Verbindung mit Bugia, suchten sie sich zu widersetzen; aber die Folge war die Zerstörung von sieben ihrer Dörfer, und Unterwerfung. Und seitdem, wie wir gesehen, muß dieser mäch. tige Kabylmstamm seinen Ghum (uuregeliuäftigcs Truppencorps) beständig gegen die verwandten B.-Mclikcsch aussenden, unter doppelt fremder Anführung, dem arabischen Kaid nnd dem fran-zösischcn Officicr. Es ist übrigens sehr möglich, daß alte Stam» mes- Feindschaft zwischen dem Hügel- und dem Bcrguolke be» steht, wie dergleichen nntcr Nachbarn in ganz Algerien so hänfig ist. Doch sagten uns die französischen Officicre, sie trauten den B.-Abb^s und ihrem Kaid nicht recht, besonders was die befohlene Absperrung alles Handelsverkehrs mit dcn freien Ka-bylcn bcträfe. Gegen eine gute Prämie würde gewiß so man» cher Schlauch Ocl uud so mancher Korb Früchte von ihnen dnrchgclassen oder selbst übernommen. Das ist wohl möglich, denn Handel geht stets vor Wandel; aber sicher ist es auch, daß die B.-Abb^s der französischen Herrschaft einen so wich-tigen Dienst geleistet haben, daß man ihrer Gewinnsucht wohl etwas durch die Finger sehen kann. Merkwürdigerweise war es gerade ein Jahr vor unserer Bu.Baghla's End?. 119 Ankunft in B.Manssnr, den 26. December 1854, als der vielgenannte Scherif Bn-Baghla, der seine letzte Zustncht bei dm B.-Melikesch gefunden, mit 2 Reitern nnd etwa 60 Fnß. gangem von den Bergen hcrabkam, nm eine Heerde Rinder des Kaids Laghdar der B.-Abb<;s wegzunehmen. Schmi ist die Razzia mit der Bente auf dein Rückweg, als sie plötzlich von dem Kaid nnd den Reitern seines Ghnms überrascht wird. Bn-Baghla, dessen Pferd ermüdet ist, steigt ab, nm leichter zu cutkommen; aber kamn hat er den Boden berührt, als er vom Kaid ergriffen nnd grtödtet wird. So wurden die Franzosen von einem fanatischen nnd gefährlichen Agitator befreit, der ihnen noch viel hätte schaden können. Freilich erzählten die Officicre das Ercigniß mit der Bemerkung, die B,-Melikesch, denen der Schcrif nnbeqnem geworden, hätten ihn an den Kaid Laghdar verkauft. Dieser letztere ist ein Sohn des verstorbenen Chalifcn der Medschana, nnd ein Bruder des jetzigen Basch-Aga; sein Lehens-Verhältniß zn diesem, wenn es noch besteht, ist jedenfalls nur noch locker. Der Kaid Laghdar-bcn-Ahmed-cl-Mokrani sdics ist sein voller Name) residirt nicht weit von dem Fort, abwärts im Sahcl-Thal, zn Bordsch-Beni-Abbus. er ist ein gebildeter Mann, nnd schreibt gute arabische Briefe. Dasselbe ward nns vom Vasch-Aga gesagt, der zn Ain-Medschana (dem Bmnncn der Medschana) ein für diese Gegend prachtvolles Schloß be-Wohnt, nnd sogar sehr gnt französisch spricht. Wir kamen leider nm die Chre, diese beiden Fürsten zu besuchen: der Com» mandant von B.-Manssur schlug uns dringend einen Ritt znm Kaid Laghdar für den nächsten Tag vor; allein es war nns nicht möglich, noch länger zn verweilen. Dagegen nahmen wir nut Vergnügen die Einladung zn einem Spaziergange in's Thal hinnntcr an. Vor dem Thore entzückte nns der Blick anf die wunderschöne Landschaft, groß- 120 Aussicht vom Fort. artig und lieblich, wild und üppig in gleichem Maße; und die ich am liebsten mit der Gegend von Pau vergleichen möchte. Von unserem erhabenen und isolirten Standpunkte reichte das Auge links und rechts weit hinein in das prangende Sahel-Thal, und unterschied deutlich die Burg des Mokrani. im Ge-biete der B.-Abbös. Im schönsten Gegensatz zu dem grünen, üppigen Thale und den sanften, mannichfaltigcn Hügelzügen im Süden erhebt sich der schroffe, zackige, schneebedeckte Dschurd-schura, und sieht wie dräuend und «erachtend auf die unter-worsmen Gefilde. Bei einer Wendung nach rechts erschließt sich auch das Seitenthal mit seinen Feldern und Mumm im Grunde, und den immer höher ansteigenden Bergen an den Seiten. Rückwärts endlich erblickt man die Dörfer der B.» Manffur. die von weitem nicht wenig an die Dörfer der italienischen Alpen, oder der spanischen Pyrenäen erinnern. Das stattliche, wcißglänzendc Fort, und ciue malerische Oelmühlc nicht weit davon, im Grunde ein hübscher Garten, fügen auch die Reize europäischer Wohnplätze in die Landschaft. Was diese Gegend, und fast die ganze Kabylie vor allen übrigen des Innern auszeichnet, ist vor Allem der Reichthum an Wasser, die höhere und üppigere Vegetation, der fleißige Anbau uud die festen Dörfer. Hier fühlt der Europäer, daß er auf einen: Wohnsitze fleißiger Landbauer steht, nicht mehr auf dem Wandcrplatze müßiger Nomaden; auf einer Erde, die als Mutter geliebt, geehrt und vertheidigt wird; nicht mehr auf einer, die man als Sklavin im Stiche läßt, wenn sie keine Nahruug und keinen Schutz mehr beut. Und über dem Allen wehte damals noch der Hauch der Freiheit, der Zauber des Heldmmuths, und die Weihe der Vaterlandsliebe! Ganz ähnlich denke ich mir den Blick aus den Kaukasus von eiuem Fort am Kuban, oder von ciuer Festung im Thale des Kur: uud was mir die Phantasie bei Tag und bei Nacht Dschurbfchura und Kaukasus, 121 tausendmal vorgegaukelt, trat hier in voller Wirklichkeit mir ent-gegen. Freilich steht der Kaukasus, dir Scheidewand zweier Meere und zweier Wclttheilc, das riesige, über hundert Meilen lange Alpcngcbirgc, sicherlich weit über diesem Zweige des Atlas, und kaum minder die unüberwindlichen, heldcnkühncn Tscher-lessen und die eng verbundenen Lcsglncr über den Kabylcn. Auch erscheint es verdienstvoller und erfreulicher, wenn ein freies, stol-zes Gcvirgsvolk dcu russischen Sklavenschaarcn widersteht, die es auch in geistiger Beziehung weitaus übertrifft, — Wie merk-würdig ist es doch, daß zwanzig Jahre hindurch die Augen Europa's auf zwei fremde Gebirge gerichtet waren, deren Namen die ültcstm Sagen gleichmäßig verherrlichen. Man könnte den russischen Adler am Kaukasus mit dem Geier vergleichen, der dem freien Prometheus die Leber wegfrißt, die stets wiederwächst; und von deu Franzosen sagen, daß, um sie für die verlorene Weltherrschaft zu trösten, die Bourboncn wenigstens den Atlas unterwerfen wollten. Nur daß jcncr (tzeicr schlimmer leidet, als Prometheus; und daß der Atlas heutzutage die Welt nicht mehr auf seinen Schultern tragt! — Wir gingen an der Oelmühle vorbei, hinab in den Garten de5 (5ommandanteu, Obgleich etwas vernachlässigt, erfreute der-selbe uns doch durch den Anblick südlicher, zum Theil seltener Pflanzen, und durch die Pracht blühender Rosen. Seine Haupt-zicrdc war ein alter, ungeheurer Oclbaum, über und über mit schwarzen Beeren beladen. Ein solcher Baum, wie es deren hier zu Lande nicht wenige giebt, bringt alle 2 Jahre 30 Francs ein; diese Bäume tragcu nämlich, wie man uns sagte, entweder nur cm Jahr um's andre, oder jedes Jahr nur an einer Seite. Die Menge des gewonnenen Ocls läßt sich aus jener Summe abnehmen, ivenu man berücksichtigt, wie niedrig hier der Preis des so mühsam und so weit versendeten Artikels sein muß; ^ Francs p. I^itro ist der Preis auf dem Markte der Fcnaja. 122 Dorf B-Manssur. Uebrigens sind noch bei weitem nicht alle Oelbäume der Kabylie gepfropft; in der hiesigen Gegend foil aber dirfc mchlichc Ver-bcsscrung fortwährend zunehmen. Die erwähnte Oclmühlc ist wohl das einzige Colouistcn-Ctablissemcnt der Kabylic, nnd bei dcnl niedrigen Tagrlohn der Eingeborenen fragt sich sehr, ob es rcntirt. Von den meisten industriellen Unternehmungen ist das Gegentheil bekannt; außer den Armeelieferanten sind noch wenig Cnropäcr reich geworden in Algerien, dagegen viele arm. Indessen meine Begleiter in's Fort zurückkehrten, trieb mich die Wißbegier hinauf uach dem nahen Dorfe. Der Weg war kurz, aber steil. Vor dem Dorfe kauerte am Boden eine Anzahl ka» bylischcr Männer, die mich sehr befremdet und unwillig ansahen, und keine Miene machtm, sich meiner anzunehmen. Hier er-blickte ich nnr wenige Hütten, die unregelmüsüg umhcrstandcn, und erbärmlich aussahen; der winzige Hof wird durch die Mauer mit eingeschlossen. Die eine Gasse, die wr mir lag, war eng, krumm und schmutzig; als ich eintreten wollte, riefen mich die Männer zornig zurück, und ich hielt es für gerathener, limzn» kehren, zumal da die Dämmerung nahte. Dünger und Acker. Werkzeuge konnte ich nicht bemerken; auch waren die Hütten so klein, daß uon irgend beträchtlichen Norräthcn keine Rede sein konnte. Dagegen sah ich am Wege mehrere Oelpresscn. Sie sind ganz von Holz und mit einer großen Schraube 0er-sehen, die, vermittelst der Handhabe, dnrch zwei Menschen leicht zu bewegen ist. Der Stamm Beni-Manssur besteht nach Carctte großen-theils aus Marabuts, d. h. Nachkommen eines Heiligen, die selbst im Rufe großer Frömmigkeit lind Gerechtigkeit stehen. Troh dieser religiösen Würde tragen sie aber Waffen und schla-gen sich sehr gut. Sie waren oft in Krieg mit den Veni-Ham. dun, welche sie von der großen Dschnrdschura-Vcrbindung der Sucwa trenuen. Ihren Unterhalt finden sie durch den Anbau Stamm V.-Manssiir. 123 der Cercalicn und des Oelbaulus. und durch die Pressung dcs Oels. Sic besuchen folgcudc Märkte: den Mittwoch sarda') der B.'Abbös, und den Sonnabend (s bllts. Cs wird auch bisweilen genannt: Tirilt Imriibleu (das Plateau der Mara-blits), gleichfalls am Ufer dcs Flusses, mit 30 4) Scherfa (die Schcrifs), sind Marabuts, aber ebenso kriegerisch, wie die andern. Sie besitzen eine Sauja. Das Dorf liegt in einiger Entfernung vom Flusse. mit 250 Zusammen: 440 Krieger. Dazu Arme uud Schwache: 60 Erwachsene mäunlichc Belwlkernug: 500 Bevölkerung beider Geschlechter:^1500 Köpfe. Die Dörfer unter 1) und 2) hat der Leser schon als die-jenigeu erkannt, die uns vor Bordsch zuerst sichtbar wurden; das Dorf unter 3) ist jenes, desseu etwas verunglückten Bcsnch ich soeben beschrieben; endlich das unter 4) erwähnte ich als am Abhang des Dschurdschura, jenseit des Flusses gelegen. Die Bewohner desselben müssen gewaltige Heilige sein, denn sie sind Marabuts und Scherifs, d. h. Nachkommen dcs Prophcteu, zu gleicher Zeit. Die Schcrifs finden sich in der ganzen muhammeda-Nischen Welt in zahlloser Menge, wodurch ihre Abstammung sthr verdächtig, uud ihr Ansehn sehr geringfügig wird. Sie bilden gleichsam einen Orden, der ursprünglich die höchste Aus> 124 Verdächtige Botschaft. zeichnung ertheilte, aber durch übermäßige Verleihung fast allen Werth verlor. Natürlich sind die Inhaber selbst die letzten, diese Entwerthung einzusehen und einzugcstehm. Ist übrigens ein Mann durch große Familie, Reichthum oder Frömmigkeit sonst schon ausgezeichnet, so vermehrt der Titel Scherif sein Anschn noch jetzt nicht wcilig. Bu-Baghla uanntc sich ja ausschließlich Schcrif; denn nur von cincin solchm erwarten die frommen Muselmänner die große Errettung der Gläubigen: ähnlich, wie die Juden ihren Messias nur unter den Nachkommen Davids. Nach meiner Rückkehr ins Fort wurde gespeist; die Mahl-zeit war halb europäisch, halb afrikanisch. Außer dem Kuskussu, der aus dem nahen Dorfe gebracht wurde, gab es ein Gericht von gefüllten Kohlblättern, das entsetzlich scharf gewürzt war; die eingemachten Oliven, noch einmal so groß, wie die der Pro-vence, schmeckten sehr fade. — Plötzlich trat ein stattlicher Maghscn in's Zimmer, und überreichte dem Commandanten ein Schreiben, wodurch letzterer in einige Aufregung gcrieth. Er fragte den Boten lebhaft aus, und ließ dann den Kaid der Maghscn, einen bildschönen, baumhohen, kräftigen Mann zn sich fordern, mit dem er sich eine Zeit lang berieth. Unscr Lieutenant nahm natürlich Theil an der Unterredung, die zu unserm Leidwesen arabisch geführt wurde. Wir erwarteten etwas Wichtiges nnd Merkwürdiges; gewiß gab es einen Ucbcrfall der B.-Meli-kesch, aus dem sich eine Expedition entwickeln konnte. Kriege-rische, ritterliche Gedanken erwachten in mir; einem Gefechte mit den Kabylcn beizuwohnen, das würde unsrer Reise erst den rechten Glanz verleihen. Aber betheiligen wollte ich mich auf keinen Fall au den Feindseligkeiten gegen ein freies Volk, das mit dem höchsten Rechte Vaterland und Unabhängigkeit vertheidigt! Als die Araber sich entfernt hatten, erklärten uns die Offi-eiere den Sachvcrhalt. Man hatte drei Feuer am AbHange des Dschurdschura bemerkt, das verabredete Signal der dortigen Sitten und Zustände der Kabylen. 125 Unterworfenen, daß die B.-Melikesch sich regten. Doch war das Signal nicht sicher, es konnten aitch Hirtcnfeuer sein. Ein Eil< botc war abgeschickt, mn das Nähere zn erforschen. Unterdessen wurde ruhig weitergespeist; die Officicre sprachen von gleich-gültigen Dingen. Endlich trat der Botc wieder herein; wir waren in großer Spannung; aber es wurde uns mitgetheilt, daß es wirklich nur harmlose Hirtcnfcucr gewesen. Da die Lieute» nants den ganzen Abend schweigsam und mürrisch blieben, so zweifelten wir noch; den nächsten Morgen aber ergab sich die Wahrheit jener Mittheilung; der Untcrlientencmt reiste mit uns ab, und der Commandant geleitete uns eine Strecke Weges. Nach Aufhebung der Tafel begaben wir uns in den langen Gcscllschaftssaal, der recht hübsch mit algerischen Waffen und Produkten verziert war. Es sißt sich gar behaglich um ein flackerndes Kamin, den langen Tschibuk an den Lippen, wenn man nur eine kleine Stunde vom „wilden Feinde" entfernt ist. Wir suchten natürlich über die Sitten und Zustände der Kabylen Auskunft zu erhalten; den Franzosen schien aber weniger daran gelegen, uns die Auskunft zu ertheilen. Was ich hier anführe, ist daher mristms aus Büchern geschöpft, besonders aus Daumas und Earcttc. Wie sehr sich die Kabylcn wirthschaftlich von dm Arabern unterscheiden, habe ich schon angedeutet: sie sind weit arbeitsamer und geschickter, und beschäftigen sich nicht nut nomadischer Vieh-zucht und Landbestellung, sondern vornehmlich mit Spaten- und Obstkultur, vielfach auch mit Industrie und Handel. Ihre Ar-beiten iu Holz, Eisen. Wolle und andern Stoffen sind Verhältniß, mäßig sehr bedeutend, und werden durch einen großen Theil AI-gerims verhandelt. Doch muß sich der Leser keine Betriebsam-keit vorstellen, wie sie im nordwestlichen Europa herrscht. Die Kabylcn sind eben auch Orientalen, uud Faulenzen ist ihr lieb-stcr und häufigster Gcnuß. So sahen wir in sämmtlichen Dör» 126 Falscher Naturzustand, fern, durch welche wir kamen, viele Männer ganz müßig im Kreise am Boden kauern; sie hatten nicht einmal den Kaffee und die Pfeife, die doch in der Türkei den Müßiggang zu einer Art Geschäft machen; die Unterhaltung kann anch nicht lebhaft sein, bei so einfachen nnd gleichförmigen Zuständen, wo Jeder etwa gleich wenig weis; und denkt, wie sein Nachbar. Nicht einmal Bäume beschatten den Ruheplatz, nicht einmal die Anwesenheit hübscher, anmnthig plaudernder Weiber, oder spielender Kinder erfreut die Sinne; fa sogar die Sitze fehlen, um den Körper be-haglich auszustrecken! Hier begreift man, wie der menschliche Geist, dieser Niese, begabt, die Welt zu begreifen und umzubilden, sich so erniedrigen kann, daß er als Prinzip der Dinge das Nichts hinstellt. O Jean-Jacques, dn großer und edler Denker, wie tief verderbt mußten die Zustände sein, die dich nmgaben, daß dn das Zeit-alter der Rohheit wie das verlorene Paradies beklagtest nnd zurück-wünschtest! Das ist nicht der Stand der Natnr für dm Men-schen, der zum Herrscher nnd Priester der Erde bestimmt ward; es ist der Stand der unnatürlichen Erniedrigung. — Aber dieser Müßiggang ist nicht nur ekelhaft durch seine gänzliche Leere, er ist auch verderblich durch die Leidenschaften, die er ausbrütet. Ich bin fest überzeugt, die Qncllc der meisten Kriege und Ent-zweiungen im Orient, wie nicht minder in den früheren Zeit-altern Europas, entspringt aus dcr Langenweile. Muß nicht für Männer, die Monate lang müßig an der Erde kauern, die Leidenschaft nnd vor Allein der Krieg eine wahre Erholung sein? Mnß nicht nothwendig der geringste Anlaß zu Zwietracht, zu Plündernng und Todtschlag führen, nnd der Groll fast nnaus-löschlich sein iu Herzen, die durch keine andern Interessen be-schäftigt und besänftigt werden? Kampf nud Ucberfall sind aber nicht nur der liebste Zeitvertreib, sondern auch die leichteste Art, Almorabithen und Älmohadcn. 127 sich fremde Güter anzueignen, Ruhm zu erwerben, und die Phantasie ans lange hin zu beschäftigen. Einen Ausweg muß der glühende Strom der menschlichen Thatkraft nnd Leidenschaft haben; und wird er nicht gleichsam in Formen geleitet, wo er zu nützlichen nnd schönen Dingen erstarrt, so schießt er vernichtend durch die Umgebung, und Trümmer und Asche bezeichnen seinen Weg. Glücklicherweise ist diesem Znstande der Gesellschaft die Scheidung in die kleinsten Gruppen natürlich; dic eingefleischte Zwietracht verwickelt dic Nächsten zumeist, nnd indem sie sich gegenseitig bekämpfen und schwächen, werden sie den Völkern der wirthschaftlichcn Arbeit un-schädlich. Allein zum Unheil der Welt gelingt es mitunter der Kraft, der Schlanhcit nnd dem Fanatismus eines Mannes, die ganze Nation zu vereinigen. Die inneren Fehden hören auf; aber nun wälzt sich augenblicklich der wilde Strom vereinigt über die benachbarten Völker, und eudet oft erst. nachdem er zwei Wcltthcile fast vernichtet. So verheerten die Hunnen Attila's, die Mongolen Dschingis-Chan's, und die Tatarm Timnr's in wenigen Jahren die ungeheure Strecke vom Chinesischen Meere bis fast znnl Atlantischen Ocean, nnd vom Indischen Ocean bis fast an's Eismeer. Anch die Kabylcn haben im Mittclalter, unter ihren Dy-nastien der Almorabithcn nnd Almohaden, wahre Tatarcnzügc vollbracht. Unter einem einzigen Herrscher, dem Iusschven-Taschcfin, unterwarfen sie ganz Afrika von Aegyptcn bis an den Ocean, nnd den größten Theil der iberischen Halbinsel. Der grausame Abd-cl-Mumcn, Fürst der Älmohadcn, ward ebenso mächtig; aber er zerstörte, was der grofte Insscf geschaffen. Ma-rokko, Tlemcen und Tunis, unter den größten und reichsten Städten der damaligen Welt, sahen ihre Trümmer mit dem Blute fast aller ihrer Bewohner überschwemmt. Doch diese Zei-ten der schrecklichen Größe sind zum Glücke längst vorüber; scit 128 Innere Zwietracht, dem 16. Jahrhundert liegt auf den meisten Kabylcn das Joch der Schcrifs von Marokko, und der türkischen Deys und Beys von Algier und Tunis, Dic Stämme des Dschurdschura hielten nnr mit Mühe den Andrang der Odschak zurück; nnd was ihnen von Kampflust übrig blieb, das mußten sie in inneren Fehden austoben. 3n der That haben sie es im Bürgerkriege zu eimr kaum denkbaren Vollendung gebracht. Nicht nur Staunn ficht gegen Stamm, Dorf gegen Dorf, sondern häufig stehen sich zwei fcind-liche Parteien in demselben Dorfe gegenüber. Dann wird eine Maner mittendurch gebaut, Wartthürmc auf beiden Seiten er-richtet, und die eine Hälfte überfällt die andere, wenn sie im Vortheil zu fein glaubt, oder ein besonderer Anlaß den schlmn» merndcn Groll aufstört. Diese wahrhaft klassische Ausbildung des Fehdesystcms, gegen die selbst das germanische Mittclaltcr zurücktreten muß, scheint dem kabylischen Nolkscharaktcr eigen-thümlich zu sein. Denn während bei den Arabern zwar die Stämme, auch wohl die größeren Staunnabtheilnngcn einander bekämpfen, die Duars aber niemals i besteht in den Städten nnd Dörfern der Oasen, bis tief in die große Wüste hinein, die vor-wiegend von ssabylcn bewohnt sind. dcrfelbc Vürgerkrieg. wie in den fernen Bergen des Dschurdschura. Natürlich hat dann jede Hälfte eines Dorfes ihre eigene Obrigkeit, und so ist dic „Ans-Wanderung auf den Heiligen Bera/ bei den Kabylen zum be-ständigen Verhältniß geworden. Cs handelt sich hier nicht einmal nm das Recht vcrschic-dcner Stände; sondern der gewöhnlichste Streitpunkt schriut der zu sein, daß bei der Wahl des Häuptlings, oder richtiger des Schulzen, die beiden Hälftcu sich nicht vereinigen können, und daher jede ihren Kandidaten zum Halbschulzen wählt. Es ist das Eigenthümliche der rohen Culturstufen, daß Raum und Zcit den Menschen ganz beherrschen; man haßt, streitet und Politil der Geistlichkeit. 129 todter, nicht weil man entgegengesetzte Ansichten, Gefühle nnd Interessen hat, sondern weil man an einer andern Stelle wohnt, oder weil die Urahnen in Zwietracht gelebt. In der heutigen christlichen Welt nmfassen die politischen, religiösen nnd wissen-schaftlichen Parteien einen ganzen Welttheil; der Gegner wohnt in demselben Hause, der Frcnnd kann Hunderte von Meilen entfernt sein. Vollends was dle Ahnen dachten nnd thaten, gilt höchstens als ein interessantes Studium, weniger um ihren Tugenden nachzueifern, als um ihre Irrthümer zu meiden. In einem Gebiete, das durch beständige Absonderung und Feindseligkeit bis auf die Dörfer zerrissen ist, sollte man den Handelsverkehr, und die Industrie, welche auf jenem beruht, für ganz unmöglich halten. Dennoch bestehen beide, wie schon er. wähnt, nnd zwar viel lebhafter und ausgedehnter als bei den Arabern. Wie ist das möglich? Gerade so, wie es im ger-manischen Mittclaltcr bei ganz ähnlichen Verhältnissen möglich war: durch den Gottcsfricdm und durch die Gcleitsbriefe. — Unter so rohen Menschen kann selbst eine entartete Religion, wie das mittelalterliche Christenthum und der Islam, nicht ohne thcilwcisc Wohlthaten bleiben. Der selbstsüchtige Priester ist geneigt, das Gute zu fördern, so weit das Gute seinen Ein» fluß nnd Reichthum fördert. Die innere Zwietracht ist ihm an sich durchaus nicht zuwider; sie hält den Laien vom Denken ab, nnd treibt so Manchen der Kirche, als letzter Zuflucht, in den Schooß. Aber die gänzliche Anarchie, die alle Bande löst, gefährdet auch die kirchlichen; und indem sie die Quellen alles Wohlstands verschüttet, entzieht sie auch der Kirche ihre theuren Einkünfte. Daher sucht die Geistlichkeit eiuen Mittelweg; sie bestimmt gewisse Orte und Zeiten, wo alle Feindseligkeiten aufhören sollen, nnd sie setzt gewisse Formen fest, durch welche der friedliche Rei-sende einigermaßen geschützt wird. So sind bei den Kabylen Hirsch, Algerien. 9 1IY Die Saujas. die zahlreichen Märkte geheiligt; sie befinden sich gewöhnlich nahe den Stamm-Grenzen; ein besonderer Kaid ist ihnen vorgesetzt; nnd oft gewährt eine kleine Moschee ihnen noch größere Sicher» heit. — Derselbe Umstand war gewiß nicht ohne Einfluß auf das Markthallen in der Nähe einer Kirche oder eines Klosters, wodurch im Mittelalter so viele Marktflecken und Städte ent-standen, nnd ein großer Markt noch jetzt den Namen „Messe" erhält. In der Kabylic jedoch sind die Marktplätze niemals zn bewohnten Orten geworden. Die Klöster des Mittelaltcrs findet man mit auffallender Aehnlichkcit iu den Sanjas der Kabylic wieder. Es sind dies religiöse Institutionen, ausgehend von frommen, als heilig ver-ehrten Personen, die in der ganzen mohammedanischen Welt den Namen Marabut führen sverderbt in Almorabithen, Plural von ImM'ct). Zu dem ursprünglichen Marabut zogen die Gläubigen von nah uud fern, um Rath zu holen und Streitigkeiten zn schlichten; sie brachten natürlich ausehnliche Geschenke mit. War der heilige Maun gestorben, so wurde zu seinem Grabe noch eifriger gcwallfahrtet, als früher zur Wohnung des Lebenden; an Wundern fehlte es ebenso wenig, wie an den Grabstätten christlicher Heiligen. So konnte nnd mußte man bald eine Knbba erbauen, d. h. eine Bcgrälmiß-Kapelle, in welcher die Pilger ihre Andacht verrichteten. Daran schlössen sich Gebäude zur Bcher-bergnng der Fremden nnd zur Wohnnng der Talcbs oder Schüler. Solche hatten sich dem ersten Marabut angeschlossen, und mit der Frömmigkeit ninhtc sich auch die Lehrkraft anf die Nach-kommen vererben. Die Sauja unterrichtet die Kinder aus der Umgegend in den nothwendigen Kenntnissen des Muhammc-daners: Lesen nnd Auswendiglernen des Koran, wohl auch Schreiben des Arabischen; außerdem wird auch die höhere Wissenschaft getrieben. Diese bezicht sich ebenfalls ausschließlich Einfluß der Marabuts. 131 auf den Koran, dor zugleich Quelle dcs Glaubens, dcr Moral, des Rechtes und dcr Politik ist. Neben dem Koran gelten nur noch seine Commentare, die zwar dermaßen von einander abweichen, daß sie die Bildung mehrerer Sekten veranlaßt haben, aber deshalb keineswegs zum freien Forschen anreizen. Der Taleb, d. h. ein Jüngling, der sich dem gelehrten Stande widmet, lernt daher so viel aus» wendig, als er nur vermag, und qualificirt sich alsdann zum Kinder-Lehrer, zum Schreiber, bestenfalls zum Kadi oder Richter seines Stammes. Es ist wohl zu merken, daß, mit Ausnahme der Städte, eine regelmäßige Geistlichkeit in Algerien nicht be-steht; die Marabuts und Talcbs treten, gleichsam eine irreguläre Miliz dcr Religion, an ihre Stelle. Vci einem stationären Volke nbcn gewisse Stände gerade dann den größten Einstuft, wenn ihre Stellung nicht gesetzlich fixirt, sundern dem freiwilligen Er-messen des Volkes überlassen ist. Dcr änßcre Zwang kann nur dazn dienen, den mcl weitergehenden inucrn Zwang zu schwächen. So behaupten denn auch die Marabuts bei den Kabylcn cine bedeutendere Machtstellung, als wohl irgendwo die privilegirtcste Geistlichkeit. Sie schlichten die Streitigkeiten, beaufsichtigen die Märkte, bewirken große Bündnisse zur ssührung dcs heiligen Krieges, schlagen der Volksversammlung den Amiu (Vorsteher) vor: ja, sie bestimmen sogar dcn Tag, wo die Aussaat und die Ernte stattfinden sollen. Ihr Einfluß überwiegt bedeutend dcn Einfluß dcr gewählten Häupckugc. selbst wenn diese einer der großen Familien angehören; und mau muß dic Verfassung dcr Kabylcn bezeichnen als eine fast anarchische Demokratie, gemildert durch Thcokratic. Das Obwalten dcr letzteren erscheint um so wunder-barer, als die Kabylen eigentlich lar.e Muhammcdaner sind. Sie haben, im Gegensatz zu dm Arabern, cm vom Koran ab-weichendes Gewohnheitsrecht, und beobachten die Spciscgcsetze 9» 132 Der Auaja. nicht streng; ihre Kenntniß der Glaubcnsgrundsätzc ist überdies sehr gering. Aber dies ist ja nicht das einzige Beispiel, daß die Priesterschaft mächtiger ist, als dic Religion: die Persönlich-keit des Priesters tritt in dem Maße hervor, als der ideale Inhalt der Lehre zurücktritt; nnd der Fanatismus ist oft da am heftigsten, wo die ganze Religion auf ein Paar Glaubensformeln zusammengeschrumpft ist. Die dritte und vornehmste Einrichtung zum Schuhe des Verkehrs ist der Auaja, den Kabylen ganz eigenthümlich, nnd nach Daumas gleichfalls von den Marabuts eingeführt. Cr be-steht dariu, daß jeder Kabylc ciuer gefährdeten Person, sei es ein Einheimischer oder Fremder, durch sein Geleit oder die Mitgabe eines ihm gehörigen Gegenstandes, unverletzliche Sicherheit vcr-leihen kann. So weit der Einfluß des Schützers reicht, so weit erstreckt sich auch die Gewähr; entweder nur auf das Dorf, auf den Stamm, oder auf die ganze Kabylic, letzteres jedesmal, wenn ein Marabut den Anaja gewährt. „Der Anaja ist der Sultan der Kabylie; kein Sultan der Welt kann ihm verglichen werden; er thut das Gute, und erhebt keine Abgabe. Ein Kabyle läßt sein Weib, seine Kinder, sein Haus im Stiche; aber cr wird niemals seinem Anaja ungetreu." Mit so leidenschaftlichen Ausdrücken bezeichnet der Kabylc seine Anhänglichkeit an diesen herrlichen Gebrauch. In der That kommt eine Verletzung des-selben fast niemals vor; ist es aber einmal der Fall, so lastet die Rache unabwendbar nicht blos auf dein Arrletzcr, sondern auf dessen Familie, Gemeinde, ja dem ganzen Stamme, selbst wenn der Schützer nicht im Stande wäre, für eine persönliche Beleidigung auch nur einen Mann aufzubringen. Dafür würde aber auch die Anmaßung eines falschen Anaja mit Tode bestraft werden. Eine ähnliche Einrichtung besteht übrigens auch bei den Arabern und andern Völkern, welche den Straßenraub für ein Kabylische Demokratie. , 133 ehrliches Gewerbe halten; und sie bestand in sehr ausgedehnter Weise im christlichen Mittclalter. Aber der kabylische Anaja unterscheidet sich wesentlich und zu seinem Vortheil von allen ähnlichen Gebräuchen dadurch, daß er erstens dun der geringsten Person ertheilt werden kaun, und daß er zweitens ganz uncut-geltlich ist. Die Uucigenni'chigkeit geht so weit, daß der Anaja ungültig wird, sobald man erfährt, daß er erkauft worden. Bei allen übrigen Völkern können bekanntlich nur Vornehme solchen Schutz verleihen, und sie thun es allcrmeistcns nnr gegen bedeutende Geschenke oder Abgaben. Diese bilden die Haupt-kosten des Karavanentransports durch die Wüste, und die wesentlichsten Einkünfte mancher Tunreg Stämme. Der Anaja in der Weise der Kabylen hat offenbar einen demokratischen Charakter, und steht mit der ganzen Verfassung in engem Zusammenhang. Die Kabylcn sind ein Gebirgwolk, nnd ein Volk, dessen einzige Erwerbsquelle die Arbeit ist. Das Gebirge hielt die fremden Herrscher ab; es verhinderte die Vcr-cwigung des ganzen Volks unter einen einheimischen Herrn; nnd der geringe natürliche Ertrag des Bodens ließ eine faulenzende Aristokratie nicht aufkommen. Hiermit will ich jedoch nicht alle Gründe erschöpfen; wohl wissend, daß die äußere Natur die menschlichen Verhältnisse nicht ausschließlich beherrscht. Die Be-fchaffcnhcit des Bandes und die Aulage des Volkes haben also zusammengewirkt, um hier die demokratische Selbstrcgierung her-vorzubringen nnd zu erhalten, die der Reisende leider so selten in Europa, geschweige denn in Asien und Afrika, antrifft. — Jedes kabylischc Dorf (Dcschera) ist ein kleiner Staat, dessen Obrigkeit die Versammlung (Dschemmkj sämmtlicher erwachsener Männer. Diese wählt für ein Jahr, oder fnr ein halbes Jahr, einen Amin, als Anführer der bewaffneten Macht, als Richter nnd als Schi'cher und Vollstrecker der Gebräuche, Die Macht desselben ist nichts weniger, als tyrannisch; der geringste Miß. 134 , Kabylie und Schweiz. brauch der Amtsgewalt stößt sich augenblicklich an einer Ver-Weigerung des Gehorsams. Der Ausdruck dafür lautet: onta 8onion, ana «olii^n, du Häüfttliug, ich Häuptling; und über» trifft an Energie noch die berühmte aragonischc Clauscl: 86 no, n«. Der Amin kann durch die Dschcmmä, auch augenblicklich abgesetzt werden. Jedoch ist das Dorf auch Glied eines Bundesstaats, des Stammes; die sämmtlichen Dorf-Ammen vereinigen sich daher zu einer zweiten Dschemmü,, um die gemeinsamen Angelegen-heilen, Krieg und Frieden, Bündnisse nnd größere Streitigkeiten zu ordnen. Sie erwählen einen Amin-rl-Umena, Amin der Amineu, zum Vorsitzenden; dieser ist zugleich Anführer der Kriegsmacht an: Tage des Kampfes. Seme Befugnisse sind noch geringer, als die der Dorfamimn, wenn nicht eine vornehme Gebnrt durch ihren Einfluß auf die öffentliche Meinung sie er-weitert. Denn ganz ohne aristokratische Färbung ist auch diese Verfassung nicht, so wenig, wie es die der schweizerischen Ur-kantonc ist, die doch auch die strengste demokratische Form anfweist. Nach den großartig-idyllischen Gestaden des Vierwaldstättcr-Sees muß der Leser blicken, wenn er das Verständniß der Zu-stände im Atlas sich erleichtern will. Auch hier sieht er ein kriegerisches, stolzes, frciheitliebendes Volk, das seit m'clen Jahr-hnndertcn durch die Versammlung aller seiner Männer die G» setze und Ordnungen beschließt, uud die Beamten zu deren Ans-führung ernennt. Aber in Wirklichkeit sind es dic Geistlichen, welche die Waldstätte regieren, nnd zwar vermittelst der Ge-schlechter, die trotz der alljährigen Wahl die Aemter so fest zu behaupten wissen, als besäßen sie dieselben kraft erblichen Nech. tes. Man nenne Ansiedeln und Engelberg Sanjas, ihre Aebtc Marabnts. ihre Mönche Talebs, nnd man hat die Kabylie mitten in Europa. Nur scheint es, als seien die Marabuts weit nn< Allgemeiner Kriegsdienst. 135 eigennütziger, wohlwollender und gastfreundlicher, als die hoch-würdigen Herren Aebte. Die Marabuts hatten niemals Leib-eigene; anch habe ich nirgends gefunden, daß der Vorsteher einer Sanja den Oclhandel seiner Gegend monopolisirt hätte, wie der Abt von Cngelbcrg bekanntlich den Käsehandel. — Nicht blos die Verfassung der Kabylm ist demokratisch, sondern anch ihr Kriegswesen und ihr Strafrecht. In dem Gebirgsterrain des Dschurdschura uermag keine Reiterei etwas auszurichten; daher sind alle Kabylcn Fnßkämpfer: eine neue nnd bedeutende Fördernng der Demokratie, die ja in den Rei-tern des Alterthums und des Mittelalters ihre gefährlichsten Feinde fand. In nichts drückt sich die Ucberlegcnhät eines Menschen über den andern für ein einfaches, kriegerisches Volk so entschieden ans, als in dem Sitzen zu Pferde; man kann das Roß als den natürlichen Herrschcrstuhl bezeichnen. Aber beruht die Aristokratie auf dem Nittcrthum, so nicht minder die demo-kratische Vollbürgcrschaft auf der Kampffähigkeit überhaupt. Wer keine Waffen führt im Kampfe, führt keiuc Stimme in der Vcr-sammlnng. Auch unter den Kabylen giebt es Leute genug, die so arm siud, daß sie keine Flinte, keine Munition und keinen Proviant zu erschwingen vermögen. Aber anstatt diese Hon den politischen Ncchten auszuschließen, wie die bewunderten Athener nnd Römer, verfahren die Kabylen weit demokratischer und klüger: alis den Strafgeldern liefern sie ihnen von Staatswegen Waffen nnd Unterhalt, und verdoppeln so ihre Kriegsmacht und innere Sicherheit mit einem Schlage. — Die Freiheit nnd Wohlfahrt der alten Republiken sind grostcntheils durch das Proletariat zu Grunde gegangen; Hütten sie nicht längeren nnd ruhigeren Be-stand gehabt, wenn man durch das einfache Verfahren der Ka-bylen von Anfang an kein Proletariat hätte aufkommen lassen? Ueber das Strafrccht bin ich alls meinen Quellen nicht ganz in's Klare gekommen. Danmas (a. a. O. p. 205) giebt einc 136 Strafrecht, genaue Tabelle von 16 verschiedenen Strafen, alle in Geld, für die verschiedenen Arten der körperlichen Verletzung (hierfür allein 11), für den Dicbstahl nnd einige andere Vergehen. Der Unterschied ist so groß, daß der Diebstahl und der Eintritt in ein Haus, dessen Herr abwesend ist, mit 100 kuciscku» szu 1 Fr. 75 Cent. oder 14 Sgr.) bestraft wird, das Schlagen mit der Faust aber nur mit ^ duäsoliu. Dieses erstaunliche Miß-Verhältniß ist nur bei einem Volke erklärlich, das dem Faustrccht noch huldigt, aber das Eigenthum sichern will. Nun wird aber doch der Diebstahl am meisten von ganz armen Leuten begangen, welche die große Geldstrafe nicht zahlen können: was geschieht also mit ihnen? Davon sagt^Daumas kein Wort; er bemerkt ausdrücklich, daß die bei den Arabern so häufige Bastounadc bei den Kabyleu für schändend gilt, und von keinen: Aminm augc< wandt wird. Sklaverei von Volksgenossen eristirt nicht: es bliebe also nur noch das Gefängniß übrig, das Daumas gar nicht erwähnt, und das iu so einfachen Zuständen ungebräuchlich zu sein pflegt. Wie es keine Prügelstrafe giebt, so ist auch die Todesstrafe unbekannt; selbst der Mord wird nur durch Zerstörung des Hauses, Einzichimg des Vermögens, und Verbannung aus den Grenzen des Stammes bestraft. Der Staat, scheint es, hat nach kabylischen Begriffen nur Gewalt über die äußereu Attribute des Menschen: Besitz und Aufenthalt; das Leben des Mörders gc-hört der Familie des Gemordeten. Die Blutrache kann nicht dnrch Gcld ersetzt werden, wie bei den Arabern nnd andern Völ-kern. Höchstens könnte der Marabu: die Versöhnung zu Stande bringen. — Das Demokratische, das ich in diesem Strafsystcm finde, liegt in der Gleichheit der Strafen für Alle. ohne Rück° ficht auf den Stand des Beschädigers oder des Beschädigten (im Gegensatz zu den Germanen); ferner in der Abwesenheit aller körperlichen Strafen, dem sichern Anzeichen der Unfreiheit; endlich Hehlerei. 13? dann, daß die Strafgelder nicht den Häuptlingen zufallen, wie bei den Arabern, sondern, wic schon erwähnt, zn dein demokra« tischen Zwecke der Volksbewaffnung nnd Armcnnnterstntzung vcr-wandt werden. Es giebt enropäische Nationen, die sich an die-sem rohen Gcbirgsvolk ein Beispiel nehmen könnten. Einen hübschen Beleg, wie die äußeren Verhältnisse auf die Gesetze einwirken, führt Daumas in Folgendem an. Während der Dicbstahl ocrhältnißmäßig so hart bestraft wird, ist die Hch-lcrei gänzlich straflos, Ja, gesetzlich befugte Hehler, Ukaf gc-nannt, verkaufen öffentlich die gestohlenen Sachen. Wäre die Hehlerei verboten, so würden die gestohlenen Sachen unfehlbar aus dem so kleinen Stammgebietc hinaufgebracht, nud der recht-mäßige Eigenthümer büßte sic ganz ein, während er sie so zn einem geringen Preise zurückkaufen kann. Diese Erklärung giebt Daumas selbst; aber wahrscheinlicher scheint mir eine andere. Früher bemerkt derselbe Schriftsteller, dah die Kabylen, im Gegen-sah zn den Arabern, nur des Nachts, und nur bei ihrem Feinde stehlen; und daß in diesem Falle der Dirbstahl für eine löbliche Handlung gehalten wird. Unter Feind kann doch wohl nur das Mitglied eines andern Stammes, oder höchstens eines andern Dorfes verstanden werden; und dann ist der öffentliche Verkauf der gestohlenen Sachen nicht wunderbarer, als es der oon Kriegs-beute wäre. — Die Grenzen dieser Schrift gestatten mir leider nicht, die Schilderung der hochinteressanten Sitten nnd Zustände bei den Kabylen weiterzuführen; wer sich näher dafür interessirt, findet bei Earettc nnd Daumas die beste Anskuuft. Nur glaube ich. daß Letzterer den Kabylm ein wenig schmeichelt; sein Zweck da-bei war jedoch offenbar ein so trefflicher, daß man die Schmci» chelci ihm dies Mal zur Ehre anrechnen muß. Er wollte näm-lich seine Landslente zum friedlichen Verhalten, oder wenigstens znm schonenden Kriege gegen die Kabylen ucranlasscn; daher denn 138 Verwilderung der Berbern. auch die sichtbare Mühe, sie als ein halb-christliches und euro» päischcs Volk darzustellen. Dem widerspricht aber der größte Theil seiner eigenen Beschreibung geradezu, wie z. B. die Heirath durch Kauf der Frau vom Vater, und die ganz willkürliche Scheidung von ihr, durch Hingabe einer gewissen Summe; fer< ncr die fast gesetzliche Prostitution der geschiedenen Frauen und unverheirateten Mädchen. Von den Arabern uutcrscheidcn sich die Kabylen allerdings in vielen Stücken, und meist zu ihrem Vortheile; aber die Araber sind eben nur ein besonderer Bestand» theil der afrikanischen und der uuchammedanischcn Bevölkerung. Auch Carettc giebt übrigens den Kabylen den Vorzug; er bezeichnet sie als das Volk der praktischen Intelligenz, als die Nordländer Algeriens; die Araber sind ihm die poetisch-rittcr-lichen Südländer. Für die materielle Cultur lasse sich daher von den Kabylen weit mehr erwarten, als von den Arabern, und deshalb sollten die Franzosen die ersteren recht an sich fesseln. Daß die Berbern kulturfähig sind, beweist die hohe Civilisation Nord-Afrikas unter den Karthagern, und noch mehr unter den Römern. Aber es scheint ihnen'doch der Punkt auf dem I zu fehlen, um ein wahres Culturvolk zu bilden: nämlich der Geist der nationalen Initiative. Ein Volk, das die Bildung ganz von außen empfängt, behält sie auch immer nur äußerlich, wie ein loses Gewand. Wie ein loses Gewand weht sie der Sturm der Ereignisse fort, und das Volk, kaum noch prächtig und ge-schmückt, erscheint plötzlich wieder ganz nackt, in seinem Natur-zustande. Die meisten Länder des römischen Europas wurden dnrch die Völkerwanderung weit stärker und häufiger heimgesucht, als Nord-Afrika. Deunoch behaupteten jene immer uoch Reste ihrer alteu Cultur; während das hochgebildete Afrika zur ur° sprimglichen Barbarei zurückkehrte. Die heutigen Kabylen, die Nachkommen der römischen Afrikaner, machen ganz den Ein- Verfall der Araber, 139 druck eines Volkes, das nicht allzu weit von feiner ursprünglichen Rohheit entfernt ist. Scheinbar dasselbe muß man von den Arabern aussagen. Allein Nichts wäre ungerechter. Die Araber besitzen die Initia-tivc in hohem Grade, das haben sie durch ihre Staatenbildnng, ihre Religion, ihre Dichtkunst, ihre Bauwerke, ihre Erfindungen und materielle Cultur genugsam dargethan. Aber sie gehören, wie sämmtliche Asiaten, zu den Völkern, die nur bis zu einer gewissen Stufe der geistigen Entwicklung kommen, dann stehen bleiben, und alsbald zurückgehen. Wenn auf die glanzvollen Zeiten eines Harun-al-Raschid und Abd-er Rahnmn eine so all-gemeine und klägliche Zerrüttung und Fäulniß folgen kann, wie in den arabischen Reichen, so muß iu der ursprünglichen Anlage eine schwache Stelle sein. Diese besteht offenbar in der geistigen Einseitigkeit und Unfreiheit. Der Volksgeist enthält ein ganz bestimmtes Ideal, das es ihn drängt zu verwirklichen. So lange dies Ideal noch treibt und schafft.' scheinen Riesenkräfte die Na-tion zu beseelen. Nun ist die Darstellung vollendet; Alles, was innerlich vorhanden war, ist in die Außenwelt getreten; das Volk scheint auf den» Gipfel seiner Kraft zu stehen — aber in Wirk-lichkrit ist es schon in den Zustand der Ohumacht verfallen. Acußerlich zwar halten Gewohnheit und Iustitutioneu, gleich Stützen, das Gebäude aufrecht. Aber diese Stützen werden selbst morsch, wenn der Geist aus ihnen gewichen: der Zusammensturz des stolzen Gebäudes ist unabwendbar. — So stirbt das Weich-thier. nachdem es seine glänzende Muschel vollendet; und die Muschel selbst, so hart und fest sie auch ist, löst sich all-mälig in Staub auf. — Die germanischen Völker Europas prägten im Mittclalter ebenfalls eine ganz eigenthümliche Culturgestaltung alls. Aber der Fond ihrer Kraft war damit uoch nicht erschöpft. Die Rc-formation mit all den gleichzeitigen Neuerungen, in Philosophie, 140 Die orientalische Frage. Wissenschaft, Kunst und Politik, legte gleichsam Protest ein gegen die versuchte geistige Abdankung. Der germanische Volks-geist verneinte seine eigene Schöpfung, bekannte sie damit als sein Erstlingswerk, nicht als das schließliche Erzeugniß seiner Reife. An diesem arbeitet er jetzt noch mit ganzer Kraft; darum ist er so lebendig und frisch, indeß der arabische Volksgcist erschöpft seit Jahrhunderten darnicdcrlicgt. Die Reformation, oder viel-mehr die Kraft, dic sie erzeugt, hat Europa von dem schmählichen Schicksal errettet, das über Mekka und Damaskus, über Bagdad und Kairo eingebrochen. — Ob nun die europäische Civilisation ihren Geist in die träge orientalische Masse zu hauchen vermag, das ist die große Frage der Gegenwart. Wcun Europa nicht durch innere Revolutionen in Anspruch genommen wird, so be-schäftigt es sich fast ausschließlich mit den Angelegenheiten des Orients' die Türkei lind Aegypten, der Kaukasus. Pcrsicn, In» dien, China und Japan', endlich die Barbareskm-Staaten kom» mm gleichzeitig oder abwechselnd an die Reihe. Hier entfaltet die Diplomatie ihre eifrigste Thätigkeit, hier ist der einzige Schau-platz von wirklichen Kriegen, seit der Restauration von 1815/) Seit drei Jahren ist dieser Umstand besonders auffallend: erst der große orientalische Krieg, dann der englische Krieg mit Pcrsien, die Feindseligkeit gegen China, die Eroberung der Ka-bylie, die Eroberung der tscherkessischeu Festungen, der Suez-Canal; endlich der große Aufstaud in Hiudostan. Der ganze unermeßliche Orient, vom Atlantischen bis zum Stillen Ocean, von Marokko bis Japan, liegt vor den Blicken des Europäers wie ein riesiges Feld der Thätigkeit, wie eine ungeheure Aufgabe. Diese reichcu Gefilde und herrlichen Küsten, diese mächtigen Ströme und weiten Thalgründe lassen ihn nicht ruhen in ihrer Oede und Zerrüttung.. Die Felder fordern von ihm Bebauer, *) Geschrieben im Jahre 1858. Große Aussichten, 141 die Straßen Reisende, die Flüsse schwellende Segel. Wie ein knrror vaoui treibt es ihn immer und immer wieder gen Süden und Osten. Denn wo jetzt Zehntausende ein kümmer-liches Dasein fristen, gediehen im Alterthum Millionen: warum sollte die Neuzeit mit ihrer ökonomischen Zauberruthe nicht wie-der ebensoviel, ja noch weit mehr, dem Boden entlocken? — Die bisherigen Versuche haben freilich wenig crmuthigcnde Er-folge gehabt — allein was bedeuten Jahrzehnte bei einem Welt-geschichtlichen Problem? IV. WNn unt! MeäDnnn. ... reißt ein schwarzes Felsenthor sich auf — Kein Tag hat's noch erhellt — da geht ihr dlirch, Es fuhrt euch in ein heitres Thal der Freude — Am folgenden Morgen um 8 Uhr nahmen wir den herz. lichstcn Abschied von unserm freundlichen Begleiter, dem Lieutc-nant v. St. A. und trugen ihm dankbare Grüße nach Anmale auf, wohin er alsbald zurückkehrte. Der Commandant gab uns cinc Strecke weit das Geleite; dann überließ er uus der Führung seines Freundes, Zu der bevorstehenden Neise durch die einst so gefürchtctcn Engpässe der Biblm hatte sich dieser junge Mann nicht mehr gerüstet, als zn einem gewöhnlichen Spazierritt. Cr trug keim Waffe, ja nicht einmal die Uniform; sondern ein langer, weißer Burnus bedeckte seinen europäischen Paletot, und eine rothe Schaschia seinen Kopf. Er besaß bei Weitem nicht die einnehmende Freundlichkeit seines Vorgängers; sich mit ihm zu unterhalten, war ziemlich schwer, da er sich wenig für höhere Dinge interessiere. Bis Veni-Manssur waren wir ost-nord-östlich gezogen; jetzt Wed-el-BMn. 143 wandten wir »ns gerade gen Süden, um in dem oben erwähnten Scitcnthalc aufwärts, durch dic Vitckn die Cbenc Medschana zu erreichen. Das Ziel unserer Tagereise war Bordsch-Bu-Ariridsch, die Schöpfung und langjährige Residenz des Obersten d'Argent; süd-östlich von Beni-Manssur gelegen. Wir zogen Anfangs durch schönes angebautes Land, das sich ziemlich cbcn und breit zwi-schen zwei Bergreihen erstreckte. Die eine davon war sanft und bewaldet, die andere aber zerklüftet und kahl. Das herrlichste Grüu der Bäume und jungen Saaten erquickte das Auge; denn den Abend vorher hatte es stark geregnet, während uns jetzt ein frischer, aber heiterer, sonniger Morgen lachte. Die Saaten waren niedrig und sehr dünn; ich sah auch mehrere kleine Pflüge mit nur Einem Pferde oder Maulthiere arbeiten. Die Oliven-bäume standen zahlreich umher, doch waren viele davon nicht gepfropft. Nach Aussage unseres Begleiters halten die Officiere des Borosch die Kabylm zum Pfropfen an. Doch nicht lange währte die liebliche Ueppigkeit der Gegend. Das Thal wurde waldig und zerklüftet, und aller Anbau vcr-schwand plötzlich. Diese gebirgige Wildheit gefiel mir im An-fang ausnehmend; seit dem Uebergangc über den kleinen Atlas hatten wir fast nur Ebenen oder breite Thäler durchzogen. Doch denke man sich hier keine deutsche Waldlaudschaft, mit dem Ge-wirr hoher Buchen und knorriger Eichen, mit den süßen Schauern der Wald-Cinsamkeit. Hier herrschte meist nur Busch-werk. und die seltenen Bäume übertrafen an Höhe unsere Obst. bäume nicht. Wir kamen an den kleinen Fluß, der auf den fran-zö'sischm Karten als „Bach der Bibün" bezeichnet ist, weil er, von Süden kommend, in zwei Armen die Gebirgskette durch-bricht, und dadurch die einzigen Pässe zur Medschana bildet. — Das Thal breitete sich wieder aus und ebnete sich; bot jedoch auch hier keine Spur von Anbau oder Bewohntheit, Wir blie< ben immer nah am Bache, und durchschritten ihn ein- oder 144 Bab-Sseghir. mehrmals; er war seicht und milchig, wie fast alle Gewässer des Landes. Nach einiger Zeit wurde das Thal abermals sehr eng, so daß wir am wilden, zerklüfteten Abhang hinreitcn mußten. Der Lieutenant theilte uns mit, daß er beabsichtigt hätte, uns durch den Bab-Kebtr, den merkwürdigeren, großartigeren Engpaß zn führen; daß aber durch den nächtlichen Regen die dortigen Ge-Wässer zn stark angeschwollen feien. Wir müßten daher die ge-bräuchliche Straße durch den Vab-Sseghir einschlagen, der es übrigens anch an Wildheit nicht fehlte. Diese Nachricht der-stimmte uns einigermaßen; hauptsächlich der berühmten „Eisernen Thore" wegen hatten wir den Umweg durch die Kabylie vorge-zogen, und nun sollte nns der schönste Anblick entgehen. — Wir ritten also dem östlichen Durchbruch zu; dcr Weg ging bcrganf, bergab dnrch die wilde Gegend. Wer thut solchen Ritt durch wüstes, ablcgencs Waldgebirge, den Sinn auf Abenteuer ge-richtet, und denkt nicht an den wackern Ritter »on dcr Mancha nnd seinen getreuen Schildknappen, wie sie durch die roman-tischen Sicrren ziehen, und im Geiste Königreiche und Statt-halterschaften vertheilen? Doch wie prosaisch sind die Zeiten ge> worden! Selbst im fernen Mohrenlandc suchten wir vergebens nach den Würzen dcr Nitterzcit: Abenteuern und Kämpfen, Be-freiung von geraubten Fürstcntöchtern, nnd Entführung schöner Ungläubigen, die uns ihr Herz geschenkt! Erwarteten nns nicht wenigstens an den Bibkn, wie vordem, räuberische Kabyien, uns den Durchgang durch ihre Eisenthorc streitig zn machen? Wir wollen sehen! Es mochte 11 Uhr sein, als sich endlich die Aussicht öff-nete, und der hohe und steile Gebirgskamm, mit den: gewaltigen Durchriß uns entgcgcnstarrtc. Dieser Anblick übertraf an Größe, Kühnheit nnd Wildheit bei weitem meine Erwartungen. Die Spalte ist so schmal, daß nur der Bcrgstrom darin Platz hat; Nacktheit der Felsen, 14Z beide Scitcuwände steigen schroff und zerklüftet empor; der ge-schichtete Fels tritt überall nackt zu Tage, uud gönnt der Bege-tation gar spärlichen Raum. Die deutliche und außerordentlich geneigte Schichtilng des Felsens, verbunden mit seiner Nacktheit, unterscheiden diesen Durchbruch gänzlich von denen, die ich cm Vierteljahr vorher in den Pyrenäen bewundert. Die Schlicht der Gave zwischen Laruns und Eaur-Chaudes ist sehr viel groß-artiger; die Berge erheben sich drei- und viermal so hoch; aber selbst am schroffsten Absturz lockt die befruchtende Feuchtigkeit einen üppigen Pflauzenwuchs hervor. Wie wild und schäumend drängt sich dort der wasserreiche Bergflnß durch deu tiefen Ab-gründ; wie erfüllt sein Tosen und Rauschen den Wanderer mit unnennbaren Schauern! Hier nichts dergleichen. Breit und flach rinnt das spar-liche Gewässer über die Kiesel, und höchst bequem wateten uuscre Pferde hindurch. Etwas oberhalb des linken Ufers boten einige Felsblöcke rauhen Sih. nnd einige Sträucher kümmerlichen Schatten; die Steilheit des Abhangs nöthigte uns. immer einer Über dem andern zu Heu, so daß das Herumgeben der Speisen und Getraute seine Schwierigkeit hatte. Der Sitz also konnte nicht naturwüchsiger gedacht werden; der Blick traf überall nur Felstrümmer und Bergwände. Aber wie äußerst cultivirt war die Substanz uuscrrs Frühstücks: ich schäme mich fast, es zu be-keuncn. Statt wilder Wurzeln, Früchte und Honigs holte der Lieutenant eine blanke, brannc Terrine hervor, von der wohl-bekannten Form und der weitverbreiteten Etikette: „Pate de foie gras dc Strasbourg- aiix trusses de P^rifford." Auch andere Leckereien und guter Wein fehlten uicht. Uud so schmausten wir sorglos an einer Stelle, uoch vor 20 Jahren unbekauntcr und gefährlicher, als die Ufer des großen Tsadsccs, dic unftr „College" Barch so rühmlich erforscht. Hier lauerten Hirsch, Algene». 10 146 Einst und Jetzt, beutegierige Knbylen auf den Durchzug des Beys von Constan-tine, wenn er alle zwci Jahre seinem Oberhcrrn zu Algier den Triblit von den erpreßten Abgaben zuführte. Die kleinen Raub-Vögel nahmen hier dem großen einen Theil seiner Beute ab. Hier erwarb der früh verstorbene Prinz, der Herzog von Orleans, seine besten Lorbccrn. Hier entging noch vor einem Jahre mein Freund, der Kapitän L. nebst seinen Begleitern mit genauer Noth dem hinterlistigen Ucbcrfall einer Schaar Eingeborener: und Tags darauf zierten die Köpfe der Friedensstörer das nahe Fort. Wie leicht hier der kleinste Trupp einen ganzen Heerhaufcn zurückhalten kann, das ward uns alsbald offenbar, anch ohne feindliches Zusammentreffen. Nach 12 Uhr saßen wir auf; äußerst neugierig, wo und wie wir hindurchkommcn würden; denn es war unmöglich, einen geeigneten Punkt zn erkennen, Wir wandten uns vom Flusse ab rechts hinauf, und entdeckten plötzlich vor uns eine Felsspalte, so schmal, daß nur ein Pferd zn gleicher Zcit hindurch konnte, und so steil uud nackt, daß nnr die unbegreifliche Sicherheit der afrikanischen Pferde den Sturz verhinderte. Ich hatte in Alpen nnd Pyrenäen schon manchen steilen Gcbirgspfad zu Fuß wie zu Roß erklommen, aber von solcher Schwierigkeit fand ich kein Beispiel. Der Rücken nnscrcr Pferde bildete eine Neigung von wenigstens 45 Grad, nnd wir hatten alle Mühe, uns darauf fest zu halten. Auf der andern Seite ging es ebenso steil abwärts. Doch dauerte der ganze Dnrchgaug nur einen Augenblick; dann traten die Berge etwas znrück, und wir ritten auf bequemem Wege dicht an dem Fluß-chcn. Wie leicht wäre es, jene Spalte etwas zu erweitern und zu vertiefen; 10 Mann Franzosen mit den nöthigen Instru» mcntm wärm, glaub' ich, in einer Woche damit fertig. In einem Lande, wo man daunt nmgcht, in Bälde ein ganzes Neh Natürlicher Canal. 147 von Eisenbahnen anzulegen, sollte,man wahrlich etwas mehr Sorgfalt auf eine Hauptstrane des Innern richten! Die Formation des Thals, das wir jetzt durchritten, war eine höchst eigenthümliche. Der Bach floß etwa eine Viertel-stnnde weit zwischen Felsufcrn. die vollständig geradlinig, parallel, wagerecht, und senkrecht gebildet waren. Der geschickteste In-yenieur hätte die Ufer eines Kanals nicht regelmäßiger machen können; dennoch erhob der Augenschein über allen Zweifel, daß die Anlage etwa künstlich sein könnte. Und selbst hiervon ab» gesehen, so mühte es doch jedenfalls ein Werk aus der Römer-zeit sein; die Römer hätten aber wahrlich zuerst jenen Felsdurch. gang geebnet. Wozu sollte endlich die mühsame Canalisirung eines Baches dienen, der viel zu schmal und seicht ist, nm auch nur die kleinsten Kähne zu tragen. Als Werk der Natur ist aber diese fast mathematische Regelmäßigkeit so wunderbar, daß ich überzeugt bin, sie würde, von Naturforschern untersucht, einen höchst interessanten Beitrag zur Geologie gewähren. Wir woll ten unsern Angen kaum trauen, als wie an eine Stelle kamen, wo der Bach in zwei rechten Winkeln von der größten Geimuig-kcit nach rechts abbog; die Entfernung, die Parallelität und senkrechte Abschüssigkeit der Ufer war genau dieselbe geblieben. Ucbrigens waren die beiden Felswände, welche das schmale Thal einschlössen, kanm minder charactcristisch, durch die Deutlichkeit und Richtung der Schichten, und durch die vollständige Nacktheit der Oberfläche. Rechter Hand abbiegend, gelangten wir aus diesem Thal in eine gänzlich veränderte Gegend: ein wellenförmiges Plateau, das laugsam anstieg. Auf der Höhe eines sanften, nnbewaldctm Hügels erblickten wir plötzlich nn mehreren Stellen das Auf-steigen von Dampf aus dem Boden. Diese Stellen enthielten Schwefelquellen in großer Menge, nnd von solcher Stärke, daß cin dicker, gelblicher Niederschlug den Boden in der Nähe be- 148 Schwefelquellen. deckte. Die Sprudel liefen nach allen Säten hinab, nnd ver-sümpften die ganze Oertlichkcit. Wir fahcn einige Eingeborene, die sich daraus die Angen wuschen. Wer weiß, ob nicht dereinst an diesem jetzt wüsten Platze ein großes Badc-Etablissement empor-wächst, mit Knrhans, Hotels nnd Eafus? In dem eleganten Werke des künftigen Herrn Badearztes: „Die Schwcfclthcrmcn der VilMi und ihre Heilkraft", wird dann vielleicht mein Name ge-nannt, als des ersten Europäers, der sie beschrieben. Welche Ehre! -^ Hiermit waren denn aber auch die Merkwürdigkeiten des heutigen Reisetages für's Erste abgeschlossen. Denn wir durch-zogen nun mehrere Stunden lang eine höchst einförmige, hügelige Gegend, fast reinen Sandboden, jedoch durchweg mit Sträuchern bewachsen. Weder Anbau noch Aussicht; nicht einmal wilde Felspartien erfreuten das Auge. Endlich befanden wir uns am Fuße eines hohen, mächtigen, aber gänzlich kahlen Bergabhanges, auf dessen Mitte etwa ein kabylisches Dorf lag. Wir ritten ziemlich steil aufwärts, durch Ackerland, und gelangten cm die hintere Seite des Dorfes, das ein kleines, vorragendes Plateau einnahm. Pflanzungen von indianischen Feigen, und kleine Ter-rasscn zum Anbau umgaben auch dieses Dorf; dasselbe glich überhaupt denen von Beni-Manssur in jeder Beziehung. Nur die Gegend war durchaus verschieden, in ihrer widrigen Kahlheit nnd Einförmigkeit, welche durch das trübe gewordene Wetter noch häßlicher erschien. Auch hier sahen wir auf einem offenen Platze vor dem Dorfe einen Kreis müßiger Männer sitzen. Ein Reiter wurde von uns abgesandt, um den Weg zu erkundigen; nnd kam mit der Nachricht zurück, daß wir ganz falsch geritten wären. Die Nachlässigkeit des Herrn Lieutenants war doch ein wenig stark zu nennen. Er ließ sich jetzt so gut wie möglich den bestell Weg beschreiben, nm wenigstens heute noch nach Mn-Medschana, Verirrt'. 149 der Residenz des Basch-Aga, zu gelangen; dennBordsch-bil-Ari» ridsch war nicht mehr erreichbar. Nir ritten mm schräg an dem Abhang hinauf; das Acker» land machte sehr bald einem Terrain mit hohem, wildein Grase Platz, das nicht einmal zum Futter tauglich war. Auf der Höhe angelangt, hatten wir ein ödes, etwas hügeliges Plateau vor uns. Der Ritt war höchst langweilig und ungemüthlich. End-lieh erblickten wir zu unserer Freude am entgegengesetzten Ab-hange ein Dorf mit m'clen rothen Dächern, nnd ganz in der Nähe zwei oder drei andere, durch Schluchten lwn dem ersten und rwn einander getrennt. Es war gut, daß wir zu Menschen kamen; denn die Dunkelheit nahte, und wir wußten uicht weiter. Am Eingang des Dorfes erschienen mehrere Männer, mit denen nnscre Begleiter sich beriethen. Im Hintergrunde, auf der Straße, zeigten sich nnch Weiber mit Kindern, die nengierig nach uns hin-guckten. Nach sehr langem Hin- nnd Hcrrcden stellte sich heraus, daß wir anch Aw-Medschana nicht mehr erreichen könnten; daß aber die Wohnnng des Kaid Ahnn.d nicht allzuweit entfernt sei, um dort unser Nachtlager zu suchen. Wie ungern wir auch die Anssicht auf die fürstliche Herberge des reichen Mokrani auf-gaben, von deren orientalischer Pracht und Schönheit wir uns schon Wunderdinge geträumt, so blieb doch nichts übrig, als mit deni Vetter Ahmud fürlicb zu nehmen. In Begleitung eines Dorfbewohners wandten wir uns also rechts von unserer bisherigen Richtung ab; und stiegen den steilen und holperigen Weg in einer Schlucht zwischen zwei Dörfern hinab. Es ward immer dnnklcr, der Ncg hörte anf, und durch wildes Gestrüpp irrend, gcricthcn wir an oas abschüssige Ufer eines Baches. Indeß die Eingeborenen eine Furt suchten, tranken nnscrc matten Pferde mit Begier ans dem Bache. Die Furt ward gefunden, aber es gelang nur mit Mühe, das entgegen-gesetzte Ufer hinanfzuklimmcn. Nun ging es ziemlich sanft in 150 Bei Kaid Ahmud-el«Mokram. die Höhe; ein sehr kalter, heftiger Regen schlug uns in's Ge° sicht, und ucrmehrtc noch die Dunkelheit, so daß Jeder dicht hm-ter seineul Vorreiter bleiben mußte, um die Richtung nicht zu verlieren. Es war wahrlich kein angenehmes Reiten, und die uns als so nahe geschilderte Wohnstätte wollte sich immer und immer nicht zeigen. Mir war aber bei alledcm fu wohl, ich hätte nicht mit dem Basch.Aga auf seinem Dwan tanschen mögcu. Das war doch ein kleines Abenteuer; nächtliches Verirren, Regen und Sturm, gespenstischer Ritt nach einem unbekannten, fremdartigen Ziele! Alles war lautlos, nnd in den langen, flatternden Burnus Hütte nns ein Europäer wirklich für Gespenster halten können, Endlich ertönte Hündegcbell; wir ritten in einen uminauertm Hof, sahen ab, und traten durch eine niedrige Thür in ein schmales Geniach, darauf in ein geräumiges. Wir waren bei keinem geringen Manne, wenn auch nicht beim Basch-Aga. Ahmud ben°Bnrennan el-Mokrani, Kaid des großen Kabylcnsiammes Msita, durch deren Dörfer wir den Nachmittag gekommen, ein Vetter des Basch-Aga. hieß uns unerwartete Gäste nut schönem Anstande will-kommen. Es war ein schlanker Mann von jugendlichem Aus-sehn, mit edlen, milden Zügen und schwarzem Barte. Seine Kleidnng r»on großer Feinheit und blendender Weiße ließ die kräftigen Töne seines Gesichts noch mehr hervortreten. Man sollte denken, daß diese weiten, weißen Gewänder ein nnmänn-lichcs Ansehn gäben; aber ich erinnere mich nicht, diesen Eindruck jemals empfunden zn haben, im Gegentheil schienen mir schöne Männer doppelt so stattlich iu diesen Kleidern, die ja wahr-schemlich anch die Patriarchen getragen. Vs war wenigstens 7 Uhr, als wir in der einzeln gelegenen Residenz des Mrstensohnes ankamen. In dem Hanptgemache wurden sogleich schünc Nullen-Teppiche ansgebreitct, und seidene Kissen darauf gelegt, zur Stütze für den Rücken. Man mag Erstickender Rauch. 151 denken, wie behaglich wir uns niederließen. Aber die Freude dcmcrtc nicht lange. Aus dünnen Holzscheiten nnd Zweigen wnrde ein Feuer am Boden angezündet; allerdings ohne Gefahr, denn der Boden war festgestampfte Erde. Aber kamn hatten wir frcndig das wärmende Geflacker betrachtet, so erfüllte dicker Qualm das ganze Zimmer, su daß wir fast erstickten, nnd unseren Angen die hellen Thränen entliefen. Man rieth uns, nns lang ansznstrecken; nnd das war in der That das beste Mittel, nm dem Ranch so viel wie möglich zu entgehen. Wir hatten es im Lause des Abends noch oft gcnng anzuwenden, denn so wie neues Holz nachgelegt wnrde, fing die erbauliche Geschichte von Neuem an. Das Zimmer glich dnrch seine ganz-lichc Leere nnd Schmucklosigkeit vollkommen dcm Bndan'schen; die Stelle der Fenster vertrat ein einziges, kleines, offenes Loch in der Wand, durch das die kalte Abcndluft herein, nnd der Rauch Hinauszug. Denn weder Kamin noch Ranchfang waren vorhanden. Das vordere, schmale Zimmer war an der äußern Wand mit einer gemauerten Erhöhung von halber Mannshöhe versehen; Matten ans Palmblättcrn oder Haifa sgroße algerische Grasart) bedeckten dieselbe, nnd dimten als Pfühl zum Nachtlager. Ans diesen beiden Zimmern bestand das Gastgebäude des Kaids; cr selbst nnd seine Familie bewohnten ein anderes, dnrch den Hof getrenntes Hans. Die Residenz enthält anßerdem noch einen Stall. Das Wohnhans ist schwerlich in Bau nnd Einrichtung Vor dem Gastgcbäude vorans; denn das letztere muß in diesem Lande ohne Wirthshäuser dazu eingerichtet sein, Gäste auch des höchsten Standes zu beherbergen. Ich glanbe, diese einfache An-gabc wirft ein helles Licht anf die algerischen Zustände, nnd anf die des Orients überhaupt. Der Leser wird ohne Zweifel schon die Bemerkung gemacht haben, daß ein Stmmnfürst ans der reichsten und vornehmsten Famile Algeriens sich selbst nnd seine 152 Fürst und Bauer. Gäste weit schlechter beherbergt, als der ärmste Bauer eines deut-schen Dorfes. Vier grweißte Maliern, zwei Teppiche, zwei Stroh-Matten, und ein qualmendes Feller, das ist Alles, was der al-gerischc Fürst seinen vornehmsten Gästen bietet. Darum, armes deutsches Bäucrlein. das du vor Elend zu »ergehen glaubst, und wohl gar beabsichtigst, die traurige Heimath mit dem üppigen Afrika zu vertauschen — >?, freue dich deines warmen Ofens, deiner Glasscnstcr, deiner Oellampc, deiner verschlossenen Thür, und vor Allem deines weichen Bettes! Siehe, ein Fürst entbehrt alle diese Güter, die dir jcht werthlos schei-nen, und nm die dich die Hälfte der Menschheit beneiden könnte. Sie alle verdankst dn dem Naterlande, dem du so gram bist. Schon jcht bist dn reicher, als viele Könige; aber wenn du alle Hülfsmittel anwenden wolltest, die geläuterte Erkenntniß, Aufmerk-samkcit und Berechnung dir an die Hand geben, so könntest du alls demselben Ackergutc doppelt su reich werden, als du seßt bist. Und bleibst dann im Vaterlande, dem schönen Lande der dunk» len Wälder und grünen Auen, der unvcrsiegendcn Bäche, der breiten Ströme, des gesunden Himmels, des Lenzes nnd der Nachtigall! Dem Lande, das dich genährt, gebührt deine Arbeit! dem Volke, das dich erzogen, schuldest du kindliche Hülfleistimg. Suchst dn Wohlstand, suchst du Bildung, suchst du Freiheit? wohlan, du bist am rechten Orte; es bedarf nur deines Willens, um das große Germanien, die Wiege der europäischen Civilisa, tion nnd Selbstregierung, auch zu deren Throue zu machen! — Doch zurück zu unserm Kaid! Zeigte sich denn die Würde nnd der hochberühmtc Reichthum der Mokrani in gar Nichts? ja: in der Menge dcr Diener und im Silbergeschirr; der Tcp-Piche nnd Kissen nicht zu gedenken. Wahrscheinlich besitzt der Kaid auch kostbare Waffen, edle Pferde nnd mehrere Weiber von großer Schönheit; doch davon bekamen wir nichts zn sehen. Hiermit hat dcr Leser einen Begriff von dcm Luxus des innern Einkünfte der Motrani 153 Algeriens überhaupt; ja annähernd von dem Lnxns aller nicht industriellen Völker. Erst die Industrie ist es. dic das Hans nnd seine Einrichtung zum Hanptsihc des Aufwands machen kann. Eine glänzende Wohnnng, mit prächtigen! Mobiliar nnd vielen Kunstwerken, ist bei uns das Erste, was ein Mann, der Geld erworben, sich »erschafft. Zu gleicher Zeit begnügt er sich mit Einen, Dienstboten, mit zwei Anzügen, nnd mit einer Ecmi-Page umn Miethkutscher. — Die jährlichen Abgaben der Stämme des Chalifats an dic Familie Mokmui sollen nach glaubwürdigen Nachrichten 700,000 Fr. betragen. To ist es wenigstens sett einem Jahrhundert, vielleicht seit zweien; nnd da die Abgaben stets sehr gering waren (schon mn die Habgier der Türken nicht zn reizen), so müssen sich etwa 70 Millionen Francs in ihren Händen angesammelt haben. Sind diese Schlitze auch nur zum Theil produktiv angelegt, so hnbcn^sic jährlich dawn meliere Millionen Einkünfte, noch außer den Steuern, (iin großer Theil des Vermögens der Mokrani besteh: jedenfalls in Grundbesitz, welcher ja hier nocn weit mehr. als bei uns, die natürlichstr/sjchc^ und angesehenste Art des Eigenthums bildet. Dieser Theil bringt sicherlich große Cm-künfte, und zwar durch Verpachtung: die Pächter in der Mcd-schana entrichten einen ungeheuren Zins. z des Ertrages, an den Eigenthümer. Dagegen zweifle ich sehr. daß von dem sonstigen Vermögen vieles produktiv angelegt sei. In dem Gebiete der Familie selbst giebt es nur wenig Handel und Gewerbe; und es ist sehr fraglich, ob sie den Umständen nnd der großen Gefahr der Verleihung uach auswärts sich jemals nntrrzogen. Bekanntlich gilt das Ausleihen gegen Zinsen bei den Mn-hammednncrn für unerlaubt nnd schimpflich; und cinc so vor-nehme Familie, die noch dazu von Marabuts abstammt, würde doppelte Schande auf sich ziehen. Daher bestätigen alle Ver-mmftgründc die nns mehrfach gegebene Ansknnft, daß die Mo- 154 Schätze der Mokram. kram einen großen Schatz mm Gold und Silber besitzen, welcher, wie schon bemerkt, in der Festung KM der Beni-Abb«s liegen soll. Ob dort allein, möchte ich sehr bezweifeln. Außerdem halten die Mokrani stets große Getreide-Vorräthe aufgestapelt; sie handeln also auch mit Getreide, und müssen es, weil ein großer Theil des Pachtzinses in nawia entrichtet wird. — Lei-der habe ich nicht erfahren, ob und wie das Vermögen nnd die Einkünfte ans den Abgaben nntcr die zahlreichen Mitglieder der Familie vertheilt werden, und welche Bestimmungen über die Ver° waltling des Vermögens bestehen. So lange es ein anerkanntes und erbliches Familicnhaupt, den Chalifrn, gab, hatte dieser gewiß auch die einheitliche Verfügung; aber wie jetzt, wo die Fran» zosen, nach Art der alten Römer, die Monarchie in eine Art von Tctrarchic verwandelt haben? Die Medschana zwar sieht noch nnter einem Basch-Aga; aber fast sämmtliche Kaids dieses Be-zirks sind gleichfalls Mokram, und ihre Unabhängigkeit vom Basch-Aga wird jedenfalls von den Franzosen gefördert. — Kurz nach unserer Ankunft bei Kaid Ahmnd wnrde uns Kaffee in kleinen Schalen, so wie Nüsse und Datteln vorgesetzt. Aber anf die eigentliche Mahlzeit mnßten wir trotz uuseres fürstlichen Quartiers nnd wahrhaft bäuerischen Hungers volle zwei Stunden warten. Inzwischen hätten wir nns mit dem Kaid, der sich freundlich zu uns setzte, ganz herrlich unterhalten können, wenn er nnr ein wenig französisch verstanden hätte: wie es von einem so vornehmen Manne wohl zu verlangen gewesen. So aber konnte nur der Lieutenant mit ihm sprechen, nnd that es auch ziemlich lebhaft. Noch ein anderer Eingeborener, ich glanbc ein Gast, von viel geringerm Ansschn, nahm an der Unter-Haltung Theil. Endlich ward die Mahlzeit aufgetragen, und sie entschädigte nns wirklich durch Fülle und Schmackhaftigkeit für das überlange Warten. Zu den gewöhnlichen Gerichtet! kamen noch eigenthümliche Klöße, halb süß, halb gepfeffert; nnd der Arabische Bewirthung. 155 Hammel wurde gekocht zugleich mit dcm Knskufsn aufgetragen. Noch jetzt schwillt mein Herz ob der Ehre, die nns bei dieser Gelegenheit widerfuhr. Mit höchsteigenen Händen zerriß der Kaid das Hammelfleisch in kleine Stücke, nnd lcgte uns diese abwechselnd auf unsern Knskltfsn-Vczirk. Dort vermengten wir sie ebenfalls handgreiflich mit Knsknssu nnd Sauce, und steckten sie so gelassen in den Mund, als wären wir es niemals anders gewohnt gewesen. Dafür erhielten wir anch die Belohnung, daß nach been-digter Mahlzeit ein Waschbecken uud eine gehenkelte Kanne uon Silber gebracht wurden; und daß der Kaid aus der Iclttern uns warmes Wasser über die Hände goß — nöthig genug hatten sic es, nach solchem Schmaus! Dies sind die größten Ehren, die ein arabischer Wirth seinen Gästen erweisen kann, nnd die Sitte ist sehr schön und sinnreich. Bei lins läßt der vornehme Gastgeber seine Gäste durch Domestiken bedienen, und sich zu gleicher Zeit; der Araber widmet sich ganz und unmittelbar der Gastfrcnnd-fchaft. Uelmgcns waren auch zahlreiche Diener vorhanden, nnd sehr nützlich beschäftigt. Ich ninftte lebhaft an die Vorstellung der Nüpcl im Sommcrnachtstraum denken, wenn ich den Diener betrachtete, der während der ganzen Mahlzeit unbeweglich ncbm uns stand, nnd die brennende Kerze emporhielt; ein eigenthnm-lichcr Leuchter in der That, und auf die Dauer kostbarer, als ein goldener. Ein Anderer machte „Waschtisch" u. s, w. Zum Dessert fehlte es natürlich nicht an Kaffee (in kleinen, silbernen Schalen, wie Eierbecher, die wieder in größeren lwn Porcellan standen); anch nicht an Rosinen, Feigen nnd Datteln. Wenn nnr der Ranch nnd die kalte Zugluft nicht gewesen wären! Wie manches charakteristische Genrebild hätte ich gleich an Drt lmd Stelle entwerfen können, dessen Farben ungleich frischer, dessen Umrisse ganz anders lebendig gerathen wären, als diese Schilderungen 1,03t leZtuin! Aber ich bctheure, cs giebt keine 156 Schwierigkeit dcs Schreibens. größere Schwierigkeit und Ueberwindung, als in diesem Afrika zn schreiben. Den ganzen Tag hat man zn Pferde gesessen, 8 bis 12 Stlmden lang, und dabei den Kopf mit Eindrücken an-gefüllt; das ist schon Etwas. Kommt man mm ins Quartier, müde, hnngrig nnd erschöpft, so setzt man sich nicht halb anf« recht in einen Stnhl, an einen crlenchtctm Tisch, wo man alle Glieder frei, nnd Licht und Unterlage zum Schreiben hat; son-dcrn man streckt sich anf den weichen Teppich hin, nnd muß den Elbogcn wnnd drücken, nm nur den Kopf ein wenig aufrecht zn halten. In dieser Lage wird der Geist mit den Gliedern schlaff; die stoffliche Erde bemächtigt sich gleichsam des ganzen Menschen; sich zn erheben, kostet die größte Ueberwindung, Es ist eine köstliche Rnhe, aber auch eine unbesiegbare Trägheit in diesem Lagern. Und nun schreibe einmal Einer beim Schein eines offe-ncn Feuers, anf der einen Seite halb gebraten, auf der andern halb erfroren, und den Schenkel als einzigen Schreibtisch! End-lich sieht man rings nniher Alles faulenzen, Rnhe erscheint als der Normalzustand des menschlichen Daseins. — Dennoch schrie-bcn wir von Zeit zu Zeit, besonders im französischen Qnartier; und was das Beste ist, die afrikanischen Gegenstände schreiben sich selbst mit unauslöschlicher Schrift in das Buch des Ge-dächtnisses. Kurz nach Beendigung der Mahlzeit wurden noch ver-schiedene Teppiche gebracht, nm das Nachtlager zn bereiten. Einige von nns betteten sich auf die oben beschriebene Erhöhung des vordem Zimmers. Herr v. K. lind ich blieben auf dem-selben Teppich liegen, der lins zum Eßtisch nnd Divan gedient, nnd bekamen einen andern Teppich als gemeinsame Decke über-gebreitet. Da nun mein Lagcrgefährte nicht zn den Kleinsten gehörte, so wollte die Decke nicht reichen, nnd jeder von uns, im Glanben, der andere schlafe schon, zog sich dieselbe mehr nach seiner Seite. Zwei entgegengesetzte Bewegungen heben sich Fürstliches Nachtlager, 157 aber bekanntlich auf. lind so blieb uns znleht nichts übrig, als die Blößen durch Kleidungsstücke so gut wie möglich zu verstopfen. Ueber Einsamkeit brauchten wir uns nicht zu beklagen; rings nm nns lag es weiß, wie Schure, freilich wie ein Schnee, der schon lange in den Straßen gelegen. Was die zahlreichen Ein-geborenen, die unser Schlafzimmer theilten, eigentlich fur Leute waren: ob Gäste, ob Diener, oder etwa Leute vom Ghmn (Milizj, kann ich nicht bestimmen; wahrscheinlich gehörten sie zn allen drei Classeu. Sie lagen, nur in ihren Burnus gehüllt, am Boden, so daß wir uns selbst in unsern knappen Teppichen noch für fürstlich gebettet halten mußten. Das thaten wir auch. nnd schliefen alsbald ein: die bnntcn Gewebe aus Mekka und Medina mochten uns im Traume die Wuuder der Wallfahrten erzählen. AIs wir am nächsten Morgen gegen acht Uhr aus der Burg des Kaids Almmd traten, bemerkten wir, daß dieselbe ganz allein auf einem traurig-kahlcn Plateau lag, uud daß das Netter noch immer sehr kalt. trübe und feucht war. Von unserm Ritte bis Bordsch-bu-Ariridsch. der etwa zwei Stunden fast in bestän-digem Trab und Galopp dauerte, ist nichts zu berichten; denn wir durchstreiften eine höchst einförmige, fast flache Gegend, ohne eine Spur lion Baumwuchs und Wohnungen. Doch war ein großer Theil des Landes angebaut: wenigstens anbaufähigen Bo-den sah man überall. Es ging fast nnmcrklich abwärts; und endlich erblickten wir zu unserm Troste eine kleine Anhöhe mitten in unabsehbarer Ebene, gekrönt mit weißen Gebäuden. Nun stogeu wir in gestrecktem Galopp wie abgeschossene Pfeile gegen den Bordsch zu. Plötzlich veränderte sich wie durch Zauber die ganze Gegend. I» grünem Grunde, unter zahlreichen, wenn auch noch kleinen 158 Bordsch-bu-Ariridsch. Bäumen, fioß ein hübscher Bach in Windungen dahin; rinr stci-nerue Brücke überivölbtc ihn, nnd führte zu einem schroffen, malerischen Felshügel, der ein stattliches Gebäude trug. Rechts dahinter erschien eine zweite, längliche Anhöhe, mit kleinen Häu-scrn nnd den gedehnten Mauern der Kasbah oder Madelle. Unten in: Grnnde stachen zahlreiche schwarze Zelte eigenthüm-lichcr Form von den festen, weißen curoMschen Wohnungen anf's Entschiedenste ab. Das war Bordsch-bu-Ariridsch, und man begriff sogleich, warum Oberst d'Argcut gerade hier das Fort zur Beherrschung der Mcdschana angelegt. — Was nnsern Weg von den Bibtm hierher betrifft, so hatten wir einen bedeutenden Um» weg nach Süd-Westen gemacht, und unsere heutige Richtung, vom Kaid Ahmud bis Bordsch, war demnach die nord-östlichc gewesen. Die Straße an der zweiten Anhöhe hinauf famen wir an einen Thorweg, vor welchem wir abstiegen. Wir traten dann in einen Hof, der mit niedrigen, unansehnlichen Gcbändcn um-geben, nnd znm Theil in einen häßlichen Garten verwandelt war; an der hintern Seite wnrdc gebaut. Hier war die beschei-dene Nohnnng des Commandanten, eines Majors, und zugleich der Sitz des Korean ai-a,d«. Der Commandant selbst war verreist; aber sein Stellvertreter, der Chef deo Bureaus, hieß uns willkommen. — Unsere Manlthierc waren gestern schon bald dics> seit der BiblUl hinter uns zurückgeblieben, uud uns nicht zn .Kaid Ahmud gefolgt. Sie konnten erst für den Nachmittag in Bordsch erwartet werden, nnd bednrften alsdann jedenfalls der Ruhe. Da-her blieb uns nichts übrig, als bis zum nächsten Morgen zu warten. Man wies uns eine Kammer znm Waschen und Um-kleiden an, nnd führte uns, sobald wir unsere Toilette beendigt, die Straße abwärts zu einem einzclnstchendcn Hause, dem (^i «I? äos (M kanntlich kaum ein anständiges Reitpferd zu haben ist. In Msila trafen wir Tags darauf einen Remonte Officier, der sich schon über zwanzig Tage dort aufgehalten, und erst drei Pferde gekauft hatte, eins zu 1000, eins zn 550, eins zu 450 Francs. Er beklagte sich sehr über die Seltenheit guter Pferde. Dieser nun suchen die Franzosen abzuhelfen durch die Aufstellung einer Anzahl edler Beschäler in fast allen ihren Stationen, znm Ge° dranchc für die umwohnenden Stämme. Das Mittel kann nicht anders, als sehr vortheilhaft wirken.") Das Hauptgestüt befindet sich zu Blida, nnd meine Begleiter rühmten die Schönheit der dortigen Pferde außerordentlich. Ucbrigcns gelten gerade die Pferde der Medschana für die besten von ganz Algerien. Zum Ziehen scheinen die Berberpfcrde nicht zn tangcn; wenigstens kann *) Daß diese Wirkung jetzt si86i) bereits eingetreten, geht anö dem Befehl hervor, sämmtliche leichten Cavallerie-Negimentcr des französischen Heeres nunmehr mit Berber-Pferden beritten zn machen, nachdem die betreffenden Proben voltständig geglückt. Abhärtung der Pferde. 161 ich nur anders nicht erklären, warum alle die zahlreichen Omni» bnssc, Diligencen und sonstigen Fuhrwerke der Stadt Algier mit französischen Pferden bespannt sind. Als gewöhnliches Futter erhalten die afrikanischen Pferde Gerste; denn Hafer wird im Lande gar nicht gebaut, und gilt als zu erhitzend. Gleich den Mcuschen sind auch die Pferde außerordentlich genügsam und abgehärtet, in Bezug auf Fntter, Trank und Witterung. Nur Morgens, nor dem Ausritt, und Abends, nach der Einkehr, wurden unsere Thiere gefüttert, und zwischen beiden lagen mitunter zwölf Stunden fast beständiger Anstrengung. Ich sage: unsere Thiere; denn die Manlthierc sind bekanntlich noch genügsamer und härter, als ihre edleren Verwandten; daher ihre hohe Schätzung in allen südlichen Ge-gcnden. — Die Nächte sind nicht selten ebenso kalt in Nord-Afrika, wie bei uns im Spätherbst; dennoch bleiben die Pferde und Maulthirrc (wie nicht uüuder alle übrigen Hauothiere) auch des Nachts beständig im Freien. Cs werden zu dem Ende Pflöcke in den Boden geschlagen, nnd die Norderbeine der Pferde daran mit Stricken lose befestigt. Auf diese Weise erspart man die Ställe; ein großes Ding bei nomadischen Völkern! Ich sah nnsere Pferde auch harte Wüstengräser fressen, die ein europäisches Pferd selbst in der höchsten Noth uicht aurührcn würde. Sattel und Zänmung der Eingeborenen ist durchweg dic bekannte türkische: von der es sehr interessant zu erfahren wäre, wie weit sie verbreitet lst, und wo sie ihren Ursprung geuommen. Sie scheint im ganzen Orient zu herrschen; und da dies der Fall, so möchte sie wobl von den Arabern ausgehen. — Noch ein Wort über die algerischen MauWcre. Diese sind diel kleiner, magerer »nd häßlicher, als die südfrauzösischen, welche letztere freilich kaum anders, als durch die langen Ohren, von stattlichen Pferden zu unterscheiden sind, und vcrhältnißmäftig mehr kosten, als Pferde. Die französischen Truppen bedienen sich ihrer hei- Hirsch, W^l'i«!, N 162 Cedernwald, mischen Manlthicre zum Transport der Kranken und des Ge-päcks; nnd wenn wir solchen begegneten, so erschienen die nnsrigm wie Poniiys gegen große Mecklenburger. Aber an Ausdauer nnd Härte sollen die Afrikaner überlegen sein, Zum Beweis, daß anch hier Pferde und Manlthiere fast gleich geachtet werden, will ich anführen, daß wir für beide von Anmale, ab dieselbe tägliche Miethe zahlten, nämlich 3 Francs. Nachdem wir in dcr Kasbah noch das Lazareth bcsncht, nnd darin nur einen Kranken, einen Eingeborenen, gchmdcn, kehrten wir nach der Wohnung des Commandanten znrück. Dcr Himmel war immer noch trübe; dennoch regte mich der Blick gen Süden mächtig an. Jenseit dcr weiten Ebene erschien ein langgestreckter, hoher uud steiler Gebirgszug, dessen Gipfel mit leichtem Schnee bedeckt waren; Dschebcl-Gurin zur Rechten, Dschebel-Uled-Kluff zur Linken genannt. Diese Gebirgskette scheidet das Tell von der Sahara. Westlich schloß sich eine Hügelerhebung daran, die im Norden wieder zu ciuem betracht-lichen Gebirge ward, dasselbe, welches wir gestern überschritten. Gegen Osten, wo die Straße weiter nach Sctif lind Constantinc führt, erstreckt sich die Fläche scheinbar ohne Grenzen. Nirgends, soweit das Auge reichte, waren Wohnungen, nirgends Wälder, oder auch uur Banmgnlppen zu bemerken. Jedoch wurde uns versichert, daß zwei oder drei Stunden südlich, nicht sehr weit ab von dem Wege nach Msila, sich ein großer und schöner Cedernwald befinde, Obgleich die algerische Cedcr nicht ganz mit der des Libanon übereinkommt, so soll sie doch ein herrlicher Baum sein, nnd muß zehnfach imponiren in cincm so entsetzlich kahlen Lande, wie Algerien ist. Sie kommt nur an einzelnen Stellen vor, bildet aber an diesen ziemliche Wälder. Ich hätte anherordcntlich gern den so nahe gelegenen Ccdcrnwald besucht, und machte alle Anstrengungen, damit durch-zndringen: aber es wnrde für unmöglich erklärt, weil die Tage- Das neue Chaos. I^Z reise nach Msila so schon schr groß sci. Da auch die Reiscgc-fährten mein Begehren nicht unterstühten, so inußtc ich, wohl oder übel, dein lockenden licderllhain entsagen. Die Straße, dic ich schon erwähnt, war die einzige des Orts; sie bestand überdies nur a»s Cincr Reihe Häuser, die er-bärmlich klein, nnd höchstens fünf an der Zahl waren. Vordsch war also noch nichts weiter, als ein militärisches Fort; der Handel hatte es noch nicht seiner Beachtung gewürdigt. Ein Wochcnmarkt findet statt, doch kann ich nicht sagen, wie bcdcu-tend er ist. Die Häusercheu enthalten einige geringe ^äden, mit Nahrungsmitteln nnd allerlei Matcrialwaareu, die uns wichtiger werden sollten, als wir geglanbt nnd gewünscht. — Mittlerweile waren nämlich unsere Manlthierc mit dem Gepäck angekommen; und als wir Chlil befahlen, irgend einen Gegenstand ans einem der Körbe herauszunehmen, kam dieser bald darauf weinend nnd schreiend auf ims zu, und bat uns, ihm zu folgen. Was muhten unsere Augen hier erblicken! Das urwcltliche Chaos kann keinen gräulicheren, trostloseren Anblick gewährt haben. Unsere kostbaren, hochwichtigen Vonäthc, an denen wir einen ganzen Tag zusammengekauft, die ein Manlthier vollständig be-lasteten, die das Fundament unserer Wciter°Rcisc bildeten, — sie waren, nicht verloren, aber so innig untcrcinandcrgcmcngt, daß sie bei der geringsten Verwandtschaft sich gewiß chemisch verbunden hätten. Schiffszwicbäcke, Bouillonbrode, Zucker. Kaffee. Tabak und Schicßpulvcr, sämmtlich in schr bedeutenden Quanti-täten, hatten alle Hüllen durchbrochen, sich in Krümel aufgelöst, und bildeten zusammen eine ebenso homogene als schmackhafte Masse, die den halben Tragkorb ausfüllte. Glücklicherweise tminte. Keiner den Andern Vorwürfe machen, denn wir hatten Alle beim Verpacken geholfen; und dem armen Chlil, der noch niemals ge> reist war, dürfte das Unglück an, wenigsten zugerechnet werden. — Doch hatten wir entdeckt, daß er, ohne nns zn fragen, Tabak 164 Chlil, der Thränenreichc. und Zucker für sich und dieSpahis herausgenommen, und stell« ten ihn natürlich deswegen zur Rede. Nie hat es einen Jüngling mit empfindlicheren Thränen-drüsen gegeben, als der wackere Chlil war; denn bei dem geringsten Vorwurf oder Nachtheil entströmten ihm Wahn Bäche von Thränen, deren Sturz er mit Geheul passend begleitete. Den stämmigen Kerl mit dem groben Gesicht, dem kahlgeschormn Kopfe, der kleinen rothen Schaschia, den krummen Beinen nnd dem grotesken Anzng — wie ein Mädchen weinen zu sehen, machte wirklich einen seltsamen Eindruck, um so mehr, als die Eingeborenen fast durchweg wahre Stoiker sind. Es konnte da-her nicht fehlen, daß Chlil durch seine Sentimentalität alle Ach-tung seiner Reisegefährten verlor, und daß nach jeder Ausschüttung seines Schmerzes sein Schicksal immer trauriger wurde. Es ist nicht zu vergessen, daß cr der einzige Maure unter lanter Arabern war, nnd daher von vornherein ein blußgcsteliter Gegenstand nationaler Abneigung. Wir warm so selten mit der Bagage zusammen, daß wir ihn nicht direkt schützen konnten, so sehr wir uns auch für ihn verwandten. Sein vornehmstes Lei-den war noch immer, daß man ihn nicht reiten ließ; und wirk-lich wurde der Arme wie ein überflussiges Geschöpf behandelt. Ans Rache nnd Ergebenheit (was ihn mehr getrieben, wage ich bei meiner geringen Kenntniß des maurischen Charakters nicht zu bestimmen) verklagte er bei uns beständig die Eseltreiber und be-sonders den Spahi, der das Geleit der Bagage übernommen hatte. Um ihre Thiere zu schonen, nnd möglichst lauge die ihnen so angenehme und vorthcilhafte Reise hinauszuziehen, marschirten sie, wie Chlil versicherte, viel langsamer, als sie vermöchten. Dies bezicht sich besonders auf die Folgezeit, wo wir keinen Officicr mehr bei uns hatten, und wirklich durch die Verzögerung der Bagage großen Zeitverlust erlitten. Jener Spahi, der ältere der beiden, die uns begleiteten, hatte Die beiden Sftahiß. 1ft5 ein faltiges, braunes Gesicht und nnr Ein Auge, was ihn« in der That kein einnehmendes und wohlwollendes Ansehn gab. Auch sahen wir ihn nicht anders, als ernsthaft und schweigsam, im geraden Gegensatz zu seinem Kameraden. Dieser, eil» Mann von etwa ,W Jahren (obwohl es schwer ist, das Alter der Orientalen nach ihrem Aeußrrn zu schätzen), war die Freundlich, feit nnd Rüstigkeit selber; er zeigte keine Spur mm der schönen arabischen Würde. Sein Gesicht war etwas heller, als das sei-nes Gefährten; der Bart spärlich, die Züge unregelmäßig, ver> schmikt, aber nicht nnaugeuehm, Ich werde noch oft genug 0on ihn, zn reden haben. — . Was Ehlil betrifft, so bin ich trotz seiner Untugenden über-Zeugt, dasi er imo aufrichtig ergebru war, uud unser Interesse lebhaft wahrnahm. Dir kleinen Entwendungen dürfen ihm so hoch nicht nngerechntt lmrden: im Ganzen erwies er sich als be> scheiden, ehrlich nnd diensteifrig. Sciue Verdienste wären ungc-mein heller hervorgetreten, wenn wir ihn mehr in seiner cigent-lichen nnd höheren Eigenschaft als Dolmetscher verwandt hätten; aber als Kammerdiener, Hansknecht lind Reisrmarschall (denn alle diese Armter hünfte der Arme) ließ er es sehr an Geschick und Einsicht fehlen. Besonders anfangs mußte ich von meinen Gefährten manche Vorwürfe seinetwegen ertragen, denn ich war es, der ihn anf dringende Cmpfchluug des Herrn Bibliothekars Verbrugger angenommen hatte. Mit der Zeit übrigens, zumal als wir ohne sprachkundigen Officier auf dic Vermittlung Chlil's angewiesen waren, versöhnte man sich mit seinem etwas tölftel» haften Wesen, nnd lernte seine Sprachtalente nnd feine Gut müthigkeit schätzen. In der That muß ich ihn, nach der höchst unvorthrilhafleu Schildcrnug. die allgemein von den Mauren cnt-worfen wird, als falschen, trägen, betrügerischen und unwissru-den Menschen — für ein wahres Wunder erklären; nur in der Zaghaftigkeit gab er dem Groo seiner ^andslentc nichts nach. 166 Die Kleine Kabulk, Später stellte er sich auch mit seinen Arabern besser, lind durste abwechselnd rcitm, so daft endlich das widerwärtige Geklage aufhörte. — Der Verlust unserer Borräthc lieh sich voraussichtlich auf der ganzen Reise bis Constantine nicht ersehen: doch gereichte es uns zum Troste, zu erfahren, daß wir sie gröfttentheils nicht ent-behrcn wmdcn, da nno die Araber allen Unterhalt liefern müßten. Nur mit Brod und Kaffee sollten wir uns versorgen; nnd beides war in Bordsch zu bekommen. Der meiste Tabak, etwas Pul-ver, die Wurst nnd die ganze Chokolade waren übrigens unver° sehrt. So blieb uns denn von dem Chaos blos noch die lustige Erinnerung. Schmerzhafter war mir der Verlnst meines ara> bischen Taschen-Wörterbuches, das ich gleich den zweiten Tag, bei dem beschwerlichen Hinuntersteigen nach Tablat, aus dem tunesischen Leibshmvl verloren hatte. — Auf dem Zimmer des Vuieliu ni-n,?»« befand sich eine große Karte der Provinz Konstantine, vom Generalstab nngefcr-tigt, aber äußerst mangelhaft für die südlichen Gegenden und die ganze Küstenstrrckc von Dellys bis Collo, damals noch, mit Ans-nähme einiger Häfen, im Besitze mwbhäugiger Kabylen. Denn die Kabylie des Dschnrdschnra. oder die Große Kabylie, ist dnrch-aus nicht die einzige von Kabylen bevölkerte Gegend; vielmehr hat dieser Volksstnmm fast alle wahren Gebirge Algeriens innr; und zur Zeit meiner Reise galt wenigstens die sogenannte Kleine Kabylie svon Bugia bis Cullo. die Küste entlang) noch für nn-abhängig, So viel ich weift, hat auch die letzte, so erfolgreiche Expedition nur die Große Kabylie unterworfen; dcmnnch wäre gerade die erwähnte Küstenstrccke noch der einzige freie Bezirk Algeriens. — Die Römer hatten ohne Zweifel jeden Fußbreit Land unterworfen und besiedelt; denn nach allen Aussagen der Reisenden und Eingeborenen ist selbst die Große Kabylic voll von Ucberrcsten römischer Städte. Daumas, der gern auch die NImier in dor Kabvlie, 167 römische Eroberung als unvollständig erweisen möchte, führt drch vier Städte an der Küste (zwischen Dcllys nnd Bugia), nnd etwa zehn im Innern an; was man natürlich als das Minimum anznsehen hat, weil damals noch keine Forschungen stattgefunden hatten. Von mehreren dieser Ueberrestc erwähnt Danmas die gnlc Erhaltung nnd den bedeutenden Umfang. Cr erzählt in der Weise eines Augenzeugen von einer unterirdischen Stadt, 6 Licncs von Bngia, die mehr als zweihundert Hänser aus Ziegeln cnt-halte, mit gewölbten Straßeu und sehr dicken Mauern. Nach der Aussage der Kabylm soll fie von den spätern Römern ge> baut worden sein, nnd dem Befehlshaber des ganzen Bezirks mit seiner Wache zur Wohnung gedient haben. Das; ferner auch die Araber Alles nntrrworfen hatten, be-weist die allgemeine Bekehrung zum Islam, die gewiß niemals' freiwillig geschah. Der Name „Kabylen", der erst seit jener Zeit vorkommt, wird sogar häufig mit der Annahme des Islam in Bezug gebracht; Icadol hcißt ans arabisch: er hat angenommen.*) Für die vorhergegangene Vermischung mit den Vandalrn (welche gerade Bugia zu ihrer ersten Hauptstadt gemacht) wird das Vor-kommen des blonden Haares nnd der blauen Augen, als ganz gegen den orientalischen Charakter, augrfiihrt; außerdem die sehr problematische Verwandtschaft von „Suava" (Name des Völkerbundes im Dschurdschura) mit „Suevi", von „wed Ann" mit „Hunnen" u. s, w. Wäre die erste Verwandtschaft zu erweisen, so könnte nichts Merkwürdigeres gedacht werden, als daß die be- ^) Wahrscheinlicher ist die Ableitung von dem arabischen kad.'nlun, die Stämme, d. h. die fremden Stämme; — ähnliche Ellipsen kommen bei naiven Völkern nicht selten vor. Die Kabylen nennen sich selbst Amasirgh, d. h, die Freien, Edlen (Franken!). In Marokko nnd der ganzen Sahara bilden sie die herrschende Vevölkernlig, nud verdienten durch ihre Verbreitung über das ganze nördliche Afrika entschieden größere Beachtung und Erforschung, als ihnen bisher geworden. 168 Schlechte Karten. ri'chmten Znaven trotz ihrer echt maurischen Tracht Adoptivkinder der alten Schwaben wären. Es giebt, wie gesagt, noch keine einigermaßen vollständige Karte von ganz Algerien; aber seit den letzten Erfolgen in der Kabylie mid in der Sahara ist wenigstens dic Möglichkeit vor-Handen, eine solche anzufertigen. Die im gewöhnlichen Gebranch befindlichen Karten, selbst besserer Atlanten, sind aber ganz unzuverlässig; kamn Ein Fluß oder Gebirge ist richtig angegeben, lind räthselhafter als die algerische Sahara, selbst in ihrem nö'rd-lichen Theile, kann das innerste Afrika nicht gezeichnet sein. Der Neisrndc sieht auf diesen Karten verwundert große Seen, wo er Tage lang nicht einmal eine Quelle znni Stillen seines Dnrstcö gefunden; Wüsteneien an der Stelle der fruchtbarsten und ans-gedehnteste» Oasen, lind Flußsystemr mit großen Handelsstädten, wo die Karavanrn nur Wüstensand und Salz-Pfützen antreffen. Man sollte wirklich glauben, die Herren hätten ihre Karten nach Fata - Morgana ° Bildern entworfen. Selbst die Karten, die wir in Marseille uud Algier gekauft hatten (die mrinige gehörte zu dem elenden frauzösischeu Reisebliche), waren trotz ihres großen Maßstabes höchst fehlerhaft. — Gegen Abend saßen wir in einem geräumigen, aber kahlen Zimmer deo Hinterhauses zu Tische, in Gesellschaft der erwähnten Officicre, des Telegraphen-Inspeetors, uud eines lustigen, jungen Untcrofficirrs, dem diese Ehre als Bruder des abwesenden Com-Mandanten widerfuhr. Zuletzt trat auch eiuc Dame herein, und wie groß war mein Erstaunen, als ich in ihr eine Reisegefährtin von dem Dampfschiffe „iiuror" erkannte, das uns gerade einen Monat vorher von Marseille nach Algier getragen hatte. Die Sache ist so bezeichnend für die socialen Zustände Algeriens, daß es sich wohl verlohnt, sie zu berichten. — Die erste Eajiite der Messagcries.Dampfboote ist glänzend und thener, so daß selbst sehr anstäudigc ^eute, Beamte uud Handeltreibende, mit der zweiten Wiederfinden, 169 fnrlicb nehmen, zumal diese hiurrichcnd bequcin und reinlich ist. Wir Passagiere ersten Ranges erstaunten daher nicht wenig, als wir nnter einigen sehr nobcln Damen auch ein Frauenzimmer bemerkten, deren Gesichtszüge, Anzug und Manieren keineswegs eine gute Erziehung oder angesehene Stellung verriethen. Man sah sie gewöhnlich allein mit einem schneeweißen, zierlichen Wind-Hunde, dessen Anmuth ihre eigene Häßlichkeit noch mehr hervor-treten lieh. Man crknndigte n»d befragte sich allgemein, wer diese auffallende Person wühl sein könnte; und Alles War über» rascht, als mau sie mit einem jungen Hauptmanu vom I^uic!n,u. aradö vertraulich zu Tische geben sah. Letzterer war ein sehr netter Mann, und erzählte uns, wie tief er in's Innere Afrikas hineinginge, wie einsam er dort wäre, und welchen Gefahren er sich ganz allein unter vielen Arabern überliesir, I)i-. Varth's Schilderungen können nicht wilder nnd gefahrvoller klingen, als die unseres Hauptmanns, nud ich war daher nicht wenig erstaunt, als ich ihn später in der Sub-Divi-sionshauptstadt Batna. drei Tagereisen Chaussee vom Mittel-nieerr, in fünf bis sechs Tagen von Paris zu erreichen, ganz gemüthlich in einer Schreibstube, seinem gewöhnlichen Posten, antraf. — Seit dem wundervollen Augenblicke, wo ich das weiß-glänzende Algier znerst erblickte, verlor ich das Paar aus den Angcn; und sollte also die Dame nun in dem entlegenen Bordsch nls Quasi-Wirthin wiederfinden. Sie war, wie der Leser gewiß schon errathen hat, die Maitresse des abwesenden Commandanten, dem sie jener Hauptmann zugeführt. Sie benahm sich natürlich sehr nngenirt, und schien mit der ganzen Garnison auf dem frenudschaftlichsteu Fusic zu stehen, nn, nicht mehr zn sagen. Mit dem kleinen Uuterofficier nannte sie sich beständig Schwager und Schwägcriu (dLau-lröro und kt;Ilo-8wur!). Das Cssen war einmal wieder ganz europäisch, und auch bri der Unterhaltung hätte man sich au einem drntschcn Officicr- 170 Afrikanische Reisende. Tische glauben können; so kiel war von Militärschule, Avance-went nnd Gehalt die Rede. Unser Begleiter von Beni-Manssur spielte sich bedeutend cms; er sei nicht in St. Cyr gewesen, aber wohl in der Polytechnischen Schule, was doch noch mehr heiße; nnd seine Aussichten tausche er mit Niemand. Dem Telegraphen-Inspector wurde indessen zugestanden, daß er sich pekuniär so gut Wie ein Major stehe, nnd dafür herzlich wenig zn thun habe. Anßer der Entzifferung der Depeschen hatte er nur alle Monat etwa die Posten feines Bezirks zn rcvidiren, was er jedoch als nicht ungefährlich bezeichnete. Wir hielten ihm entgegen, wie sorglos unsere militärische Begleitung stets des Weges gezogen; er blieb bei seiner Behauptung. Daß der Herr mindestens stark übertrieb, möge folgendes Geschichtchcu erweisen. Als ich etwa anderthalb Monat später eines Abends nach der kleinen Stadt Pont St. Esprit kam, berühmt durch ihre alte nud großartige Rhonebrücke, entdeckte ich in dem Kellner des Gasthofs einen deutschen Steiumchgesellen ans Ulm, Dieser junge Mann war vor einiger Zeit aus Algerien zurückgekommen, wo er ein halbes Jahr ans Wißbegierde ganz allein herumgereist. Für die Ersparnisse seiner Arbeit in Frankreich hatte er sich ein Manlthier nnd einige Borräthe gekauft, nud sich bis an die Grenze der Kabylie und in die Sahara gewagt. Verirrt hatte er sich oft genng, und dadurch Hunger, Durst und Kälte erlitten, aber niemals war er angefallen worden. Wie er mir erzählte, hatte er eine Menge Skizzen entworfen, die er aber leider nicht bei sich hatte. Er rühmte die Gastfrenndschaft der Eingeborenen; nnd als ich mich gerade nach dem Bezirke der Bibtm erkundigte, wußte er nichts von besonderer Gefährdung. Als sein Geld dein Ende nahte, verwandelte sich der afri-kanischc Reisende in rillen französischen Kelmer, und zwar, wie er mir mittheilte, nicht gerade aus Neigung, sondern nm der Landessprache ganz mächtig zn werden, und sich dann als Der Steinmetz von U!m. 171 Stcinmch-Meister in Frankreich niederzulassen. Ich konnte nicht mnhin, auch hier wieder die abenteuerliche und mnthige Reiselust zu bewundern, die dem deutschen Charakter so eigen ist. Unsere vandalischcn Vorfahren trieb sie von den unwirthlichen Gestaden der Ostsee durch halb Europa, um der sonnigen Bätica ihren Nauu-n zu geben*), und vom dritten Karthago aus Num zu zerstören, die ganze Sndküste des Mittel mceres zu beherrschen. Und noch heutzutage ist es derselbe Trieb, der einen armen Hand-wcrksbnrschcn bis in die Oasen der Sahara führt, und einen Dr. Vogel die Geheimnisse des innersten Afrikas aufdecken heißt! Von dem Mitgliede eines andern Wandcwolks will ich gleichfalls berichten, um ferner darzuthnn, wie wenig die Raube,-reim der Algerier zu fürchten sind. Während meines kurzen Aufenthalts zu Medea, der früheren Hauptstadt des Veyliks Titten, lernte ich einen jungen israelitischen Goldarbcitcr kennen, der sich mir mit vieler Innigkeit anschloß, Iu Polen geboren, war er früh mit seineu Eltern nach der Türkei gekommen, nnd hatte iu Constantinopel seine Kunst erlernt. Hierauf durchreiste er einen großen Theil lion Klei» Asien, nnd kam nach Aleran» drien, wo sein Bruder als christlicher Geistlicher eine bedeutende Stellung einnähn:. Bon diesem unterstützt, aber nicht bekehrt, durchzog er die ganze Nordküste von Afrika, bis es ihm endlich gefiel, sich in Medea niederzulassen. Ein Paar Jahre lebte er schon dort, nnd war mit seinem Verdienst ziemlich zufrieden. Aber Medra war mehr der Mittelpunkt seiner Wanderungen, als sein Wohnort. Denn t!>ei!s ging er sehr häufig nach Algier, nm Metalle nnd Waaren einzukaufen, theils und besondere reiste er uuter den Araberu des Tell und der ") Wer dmkt bei Andalusien an die Vandalen? Und doch ist der Zusammenhang sicher; die Provinz hieß im Mittelalter Vandalnsia oder Vanbalitia, 172 Der Goldschmied von Mebea. Sahara umher, um seine eigenen und fremde Erzeugnisse ab zusetzen. Diese mouatlangcn Reisen schilderte er als sehr angenehm und auch gewinnreich. Die Anschaffung eines Manlthicrcs machte fast seine ganzen Reisekosten ans, Nachtquartier, Speise und Futter für sein Thier gewährte die Gastlichkeit der Araber unentgeltlich. Cr gerirtc sich manchmal auf der Ncise als Mu-hammedaner, was ihm bei seiner Fertigkeit im Arabischen nnd in allen Gebräuchen des Islam vollkommen gelänge, Uebrigcns findet man solche reisenden Juden, meistens Eingeborene Algeriens, als Goldarbeiter. Nollkrämpler, Färber. Weber, Waffenschmiede u. s. w. bis in die äufterst südlichen Oasen, auch da, wo die Gesetze oder das Klima ihnen die Ansässigkeit verbieten. Ein-mal, erzählte mir mein Freund, habe er auch ganz im Süden ein wunderschönes Pferd erstanden und nach seiner Rückkehr in Medea um da? Doppelte wiederverkauft, obgleich ihn der Transport keinen Vudschu gekostet. Trotz alledcm ging aber sein Ehrgeiz noch weiter. In Al gier. vertraute er mir, bestürme man ihn mit Heirathsanträgen, aber er sei noch jung (etwa 25 Jahr) und habe noch keine Lnst, sich zn binden. Dagegen treibe es ihn sehr — nach Paris übcrzu-siedeln, wo man ja so leicht Grid erwerbe und so angenehm lebe. Man sieht, wenigstens An französischer Üharakterzug ist nach Algerien übergegangen: die Sehnsucht nach Paris. Selbst der Araberhäuptling iu der Wüste träumt von den Palästen der Weltstadt, von ihren glänzenden Saft's und von den zauberischen Gärten, welche die Freuden des Paradieses schon den Irdischen gewähren, Algerische Indcn sollen sich schon jetzt nicht wenig dort aufhalten, nud wenn die Kolonie feinen bedeutenden Auf-schwnng nimmt, so werdm gewiß diele andere nachfolgen, die zu Hause für ihre Haudelskunst und ihr Kapital keinen genü-gcndrn Spielrmim finden, — Ich brauche wol)! nicht zn bemer- Prosaisches Khalifat. 173 ken, daß ich meinem Goldarbeiter dringend abricth, besonders ans dem Grunde, weil seine Geschicklichkeit für Paris nicht ans» reiche. So wird er denn hoffentlich noch heute, in freier Wüste umherziehend, den schönen Araberinncn Spangen nnd Ringe znm Kauf darbieten. Nach Tisch begaben wir uns wieder in den Cercle nnd langweilten nns. Cs ist nnglanblich, wie wenig Enipfänglich-keit diese Franzosen für das hochinteressante, fremdartige Ele-mcnt zeigten, in dein sie sich bewegten. Nie mel ebenso unter-haltende, als lehrreiche Schilderungen nnd Anekdoten hätte gewiß jeder der anwesenden Officierc nnd Beamten nns zum Besten geben können, wenn er nnr ein wenig in seinen Erinnerungen nachgeblättert hätte. Statt dessen schleppte sich die Unterhaltung so siech dahin, wie in einem Kreise kleinstädtischer Philister. Da lobe ich mir doch die Wnnderberichte spanischer Entdecker aus der neuen Welt; lieber ein wenig zu mel. als gar nichts! Der wißbegierige Reisende kann doch wahrhaftig nicht immer an der Pnmpc stehen nnd die Nachrichten Tropfen für Tropfen aus den Behältern herausdrücken! In dem Gebiete eines Khalifcn waren wir, aber wer lwn uns auch nnr einen Augenblick an den Khalifen uon Bagdad mit seinen angenehmen Verkleidungen nnd köstlichen Mährchcn gedacht hätte, wäre gewiß vor dem Unterschiede zurückgeschandcrt. Es war gar zu arm, zu kalt nnd farblos in den Mauern von Bordsch! — Wir schliefen in drmselbm Gemache, wo wir gespeist, ja auf demselben Tische, den man höchst sinnreich als Gestell für uusere Matratzen benutzte. Morgen endlich sollten wir die Sahara betreten! Am nächsten Morgen beabsichtigten wir sehr früh aufzu-brechen, da nns eine große nnd wichtige Tagereise bevorstand. 174 Aufbruch von Bordsch. Allein das Satteln und Bepacken der Thiere verzögerte sich so, daß wir erst nach 7 Uhr fortkamen. Die Fee des Schlosses, worin wir übernachtet, war auch schon munter nnd gewährte nns huldreichen Abschied. Es war ein kalter Morgen, die snd-lichen Berge mit ihrer Schneedecke widersprachen völlig der „glü-henden Sandwnste", die unmittelbar hinter ihnen beginnen sollte. Denselben Weg, der nns hinaufgeführt, ritten wir auch wieder hinab, er scheint der einzige Zugang zu sein. Jenseit der klei> ncn Brücke aber verließen wir den gestrigen Weg nnd hielten nns gerade gcn Süden, Die Officiere, die uns eine Strecke weit geleitet, wünschten nns glückliche Reise, wir hatten von nun an nur noch Eingeborene bci uus. — Es ging zuerst durch ein ziemlich ebenes Land, das durchaus augebaut war; dann aber niedrige Höhen hinauf, und fortwährend dnrch kahle Hügel, die mit unzählbaren länglich-viercckigcn Schicferstückcn von außer» ordentlicher Regelmäßigkeit, aber verschiedenster Größe bedeckt waren. Diese geologische Erscheinung, die mehrere Stnnden fort-dauerte, war mir höchst auffallend, ich hatte noch nie etwas Achnlichcs beobachtet. Der Anban war hier sehr gering, nnd nur einmal bemerkten wir in einer Art Eiubuchtnug zwischen den Hügeln eine kleine Anzahl ganz eigenthümlicher Wohnungen, die ich alsbald näher beschreiben werde. Seit einiger Zeit waren wir an einem Bache entlang gc-ritten, dessen etwas weißliches, aber klares Wasser an nnd für sich nichts Auffallendes hatte. Dennoch betrachtete ich ihn mit groficr Erregung, denn es war das erste Gewässer, das ich auf Erden sah, das nicht dem großen Wasserbecken des Meeres zn-stoß. — Wie manchmal hatte mich an den verschiedenen Orten, die ich bewohnte oder durchzog, der Gedauke lebhaft beschäftigt, daß jedes Wässerchen, das ich fließen sah, sei es auf höchster Höhe des Gebirges, sei es im tiefsten Thalc oder der flachsten Ebene, sei es in schäumenden Eascadcn, sei es in kanm merk- Das wahre Binnenland. 175 lichem Fall — doch zuletzt drin Eiucn ungeheuren Behälter zu° fioß, das Bänder und Erdtheile trennt und verbindet! Dann er schien mir das Meer als Sinnbild Gottes des Schöpfers, ans dem alle Dinge kommen und zu dem sie alle zurückkehren. Hier war mm ein Gewässer, das gleichsam ill sträflicher Ent» frcmdung sich der gemeinsamen Mutter entzog, und obwohl es sein Dasein dem Niederschlage der Meereiwerdnnstuug dankte, dennoch hohe Gebirge durchbrach, nm in einem elenden Salzsumpfc zu verkommen. Hier begann also eine ganz andere Erdbildnng, ein wahres Binnenland; denn diese Bezeichnung tann man kaum solchen Strichen geben, die durch ihre Gewässer in beständiger Verbin-dung mit dem Meere sind. Dies vollkommene Binnenland mit seinem ganz besonderen Wassersystrm muß anch eine ganz be-sondere Beschaffenheit des Klimas nnd Bodens als Ursache, und cine ganz eigenthümliche Pflanzen-, Thier- nnd Menschcunatur als Wirkung anfweisen. In der That hatten wir hier den ersten Fuß in die ungeheure Wüstemegion gesetzt, die sich fast ohne Unterbrechung wm Atlantischen bis zum Großen Ocean, von Marokko bis China, oder vom 1, bis znm 130. Grade östlicher Länge erstreckt. Das überaus schmale Nilthal und die Thäler des Euphral und Tigris bilden die einzige Unterbrechung, und scheiden dies Bereich in ein östliches nnd westliches, letzteres vornehmlich in Afrika uud von "irl großartigeren Dimensionen. Rechnet man das Gebiet der Wolga hinzn, so erhält man das überraschende Ergebniß, das; wohl die nolle Hälfte der alten Nelt ihre Gewässer nicht zum Meere sendet,*) *) In Amerika findet sich merkwürdiger Weise nicht ein einziges größeres Gebiet dieser Kategorie, da selbst die ungeheuren kanadischen Seen durch den Lorenzslrom mit dein Ocean zusammenhängen. Auch giebt es dort keine Wüsten, sondern nnr Grassteppen (Pampas). — Ich 176 Ursachen der Wüstenbildung. Das Kaspische Meer mit dem ganzen Wolgagrbict bildet einen ungeheuren Kessel, der, rings von Bodenerhebungen um-geben, keinen Abfluß des Nassers gestattet. Dieselbe Beschaffen-hcit könnte man versucht sein auch für die übrigen Gebiete als Erklärung anzunehmen. ' Allein dies trifft gewiß mir in seltenm Fallen zu; denn das Wasser hat bekanntlich bei großer An-sammlung Kraft genug, nm die gewaltigste« Gebirge zu durch-brechen. Die wesentlichste Ursache ist offenbar die Dürre des Klimas und des Bodens, verbunden mit großer Hitze, welche das Wasser so schnell verdunsten lassen, daß es sich nie genug ansammelt, nm zum Meere durchzubrechen oder auch nur abzn-stießen. Die Dürre des Klimas und des Bodens genügt schon allein zu dieser Erscheinung: denn die asiatischen Steppen, zumal du Wüste Kobi, sind so nördlich nnd hoch gelegen, daß von übermäßiger Hitze keine Rede sein kann. Der Leser wird durch die Beschrcibnng uuserer Neise durch einen nördlichen Strich der Sahara die Beschaffenheit dieser Wüstcnrcgion genauer kennen lernen. Für den Politiker nnd National-Ockonomen eröffnete sich aber hier gleichfalls eine neue Welt; denn wo die Gewässer nicht mehr dem Meere zuströmen, da ist das Neich der nomadischen Hirten, deren Zelte sich, wie die Wüste selbst, vom Atlantischen bis zum Großen Ocean, durch die ganze Länge der alten Welt und in Afrika fast durchgängig vom 35. bis zum 15. Grade nördlicher Breite, also 300 Meilen breit, erstrecken. Die vcr-hältnißmäßig unbedeutenden Oasen ausgenommen, verbietet hier die Natlir den Ackcrban nnd zwingt den Menschen zum bcstän-digcn Umherziehen. Damit ist auf einmal und von vorn herein bie ganze Cultnr-Entwickelnng, die auf dem Ackerbau mit festen bin übrigen« als Laie weit entfernt, meine Ansichten über die Wüsten und Steppen als maßgebend zn betrachten. Das Nomadenthum. 177 Sitzen beruht, abgeschnitten. In der Staatsform nnd im Rechte, in dcn Sitten nnd in der Knnst, in allen Sphären des menschlichen Daseins muß nothwendig eine ungchcnrc Scheidung die Nomaden von den Seßhaften trennen. Wie alle Gewässer des Ackerbaugebiets zuletzt sich in dem-selben Meere vereinigen, so verschieden auch ihr Ursprung, ihre Richtung nnd ihre Masse ist, so enthält anch die Kultur der Ackerbauer, trotz aller Unterschiede durch Abstammung, Klima und Lage. etwas Gemeinsames, das sich mit der Zeit noch immer mehren wird. Ebenso theilen die Nomaden mit ihrem einförmigem Gebiete die noch bei weitem größere Nebereinstim-mung nnter einander und den entschiedenen Gegensatz gegen die Ansässigen. Pflug und Hirtenstecken, Halls nnd Zelt sind ebenso wesentliche, durchgehende und ewige Gegensätze, wie Ackergrund und Steppe. Auch hierüber wird der Verfolg uusrcr Reise manches Nährro ergeben. — Das Flüßchen. d^ssm Anblick mich so stark erregte, heißt Wed-Ksob, und ich erwähne hier schon, das; wir diesen ganzen Tag seinem Lanfe nach Südm wie einen« leitenden Faden folgten. Das Wetter war wieder so schön nnd klar geworden, wie an dcn Weihnachtstagen, und wohl hatten wir Grund, nns dessen zn freuen; denn znmal auf solcher Reise ist der Himmel der wahre Herrscher, nicht nnr über das leibliche Behagen, son-dern anch über die, geistigen Eindrücke. Das Grün der Wiesen, die Kraft der Wälder nnd der mannichfachen Aecker, zusammt der Fülle der Wohnungen und Gebäude, der Fuhrwerke nnd Wanderer, das Alles vermag einer europäischen Landschaft anch beim schlechtesten Wetter große Reize zu verleihen, ja zu manchen Stellen gehört Sturm nnd Gewitter, um ihre oollc Großartig-keit empfinden zu lassen. Nicht so in Algerien, wo die heitere Färbung des Himmels und der Erde meist die ganze Zierde der kahlen Landschaft bildet. Und selbst da, wo die Natnr sich Hnsch, Mgeikn. 12 178 Musikalischer Empfang. üppiger und mannichfacher zeigt, ist Sonnenschein die einzig pas> sende Beleuchtung. Was ist ein Palmenham bei Rcgenwctter. was sind die weißen Kuppeln uud Minarets der Moscheen, wenn sie sich nicht an einem reinen Himmel abzeichnen? Und wo bleiben alle Reize des Nomadenlebens: die Schmauserrirn in dem gewaltigen Saale des Firmaments, die Nachtlager nnter leichten: Zelte, das Frühstück nm flackernden Steppcnfcncr, der Blick in nnmehbare Fernen gesenkt — wenn nicht am Tage die Sonne und bei Nacht die flimmrruden Sterne die Scene er-leuchten? Nach dreistündigem Ritt ohuc die geringste Abwechselung, als nnscrm noch nüchternen Magen die Romantik des Nomaden-thnms immer weniger behagte und Angc und Sinn sich nach Gegenständen sehnten, hörten wir plötzlich den fremden Klang musikalischer Instrumente uuo cntgegcntönen. Ich kann nicht beschreiben, wie in dieser Wüstenei die Töne mein Ohr bezan-betten. War es doch wie Stimmen der Wüste, die nns an ihrem Eingänge bewillkommneten! Alsbald sahen wir fünf Männer in Burnussen auf uiw znschreiten, wovon zwei auf lan> gen Pfeifen bliesen nnd drei die Tmnbonrinc dazn schlugen. — Die Melodie ist mir gänzlich entfallen; wie gern hätte ich sie aufgezeichnet, aber ich bin in den Noten nicht bewandert. Doch war die Musik sicherlich weit angenehmer als die, welche ich später in den Oasen hörte. Die Künstler machten, bei nns an-gelangt, Kehrt, nnd zogen nun vor nns her. so daß wir wie im Triumphe dem Dnar nahten. Auf einem gänzlich öden Terrain, das von einer Schlncht durchschnitten wär, lagen im Wirrwarr elf der sonderbaren Zwitter» Wohnungen, wie wir sie schon früher von ferne erblickt, nämlich große schwärzliche Zelte, die anf einem niedrigen Fnndamcnt ans nnoerbundemn Steinen ruhen. In diesen Wohnnngm ist der Ueber-gang voll, Seßhaften znm Nomaden ganz herrlich ausgeprägt; Zelthäuser. 179 ich sah sic nirgends weiter, habe ancl) nie davon gelesen. Wahr-schrinlieh warm die Bewohner bis vov Knrzcm Nomaden und haben bei ihrer Niederlassung entweder die Mittel oder die Lust entbehrt, das Zelt ihrer Väter ganz aufzugeben. In der That muh es einem Zcltbewohncr. zumal wenn er ein solcher Vcr> ehrcr des Althergebrachten ist, wie der Araber, ebenso schwer ankommen, sein leichtes Zelt aufzugeben, als einem Europäer, sein festes Haus zn verlassen. „Der Strick, der das Zelt des Arabers hält, ist nur ein Strick, und er hat allr die Städte fallen sehen, von denen Du sprichst," erwiderte der Basch.Uga El'Mokrani einem Franzosen, der ihn nach Karthago, Babylon nnd Tyrus fragte. Es ist keine nnbcwnßtc Vorliebe, die der Bcdmnc für seine Nohnnng nnd seine Lebensweise hegt, und die Festigkeit, der wir uns vor Allem freuen, erscheint ihm nur als traurige Be-fchränkung auf einen einzigen Fleck der weiten Erde. Wie der alte Deutsche nach Tacitus das Zusammendrängen der Häuser haßte nnb die Stadt als einen großen Kerker betrachtete, fo meidet der Beduine, noch wcitcr gehend im räumlichen Frcihcits-drang, selbst das Haus. So leicht wird der Zwang der Natur bei den Völkern znr süßen Gewöhnung! Und wohl mag es etwas gar Hübsches und Neizcndes haben, sein Haus wie einen Reiscsack mit sich zn führen nnd überall, im Thal nnd auf dem Berge, am See und an der Qnelle, nnter schlanken Dattclpal-mm und auf grünem Weidegrnnd, seinen Wohnsitz aufzuschlagen. Der Europäer schwelgt in Genüssen, die ans den fernsten Ge-genden zn ihm strömen; der Bednine findet viel mehr Freude, nn Sommer das nährende Korn des Tel! nnd im Winter die süße Dattel der Sahara eigenhändig zn ernten. Aber vor Allem ist ja der Bcdmnc ein Krieger. Frage selbst unsere Friedenssoldaten, was sie vorziehen: den sichern Garnisondienst oder das mühevolle, gefährliche Hernmzichcn im 12* )80 Vorzüge der Nomaden. Mde? — Mit seine,» Nomadenthmu ist der Beduine ssleich fertig zum Angriff, zur Vertheidigung und zur Flucht. Mehr, als irgend welche Militärgrcnzer, vereinigt er Produktion und Handel mit Kriegszügen und Plünderung. So karg auch der Boden ist, auf dem er wandert,, für eine Nacht bietet er immer Weide, und so kanu der gnnze Stamm mit Weib und Kind und aller Halie fast ebenso schnell und weit marschieren, wie der geringe Theil der seßhaften Völker, der als Kriegsmacht auszieht. Anch läßt sich der sittliche und politische Vorzug dieser Lebensweise gerade im Orient nicht gering anschlagen. Die Go fahr der Verdllinpfung nnd Verweichlichung, der bisher alle seß» haften Völker des Orients unterlegen sind, bestellt nicht für den Nomaden, Nenn sein Geist auch nicht fortschrcitet, so bleibt er doch thätig und beweglich schou durch die Abhärtung und beständige Bewegung des Körpers. Wie schlaff, feig und erbärmlich erscheint der Maure gegen den Beduinen, mit dein er doch dasselbe Land bewohnt und demselben Herrscher unterworfen ist! Mit Recht »erachtet daher der Nomade den Städtebewoh-„er als ein entartetes, sklavisches Wesen. Ganz im Gegensatz zum Norden, wo während vieler Jahrhunderte die Mauern der Städte die einzige Zuflucht der Freiheit boten, schlichen sic im Süden die Knechtschaft ein. Die freien Städte des ganzen Orients sind nur die Zelt-lagcr der Nomaden oder die Auls und Descheras der Berg. bewohner. Denn da der Orientale dic Kraft des Widerstandes gegen Unterdrücker nicht in sich selbst hat. so muß die Natur mit ihren Gebirgen nnd dürren Steppen für die Freiheit ein-treten. Wie die Gebirge, so schützen anch die Wüsten ihre Be-wohner durch die abhärtende Lebensweise und die Schwierigkeit des Zuganges nnd der Verfolgung. Der mechanische, kunstlose Despotismus des Orients erstreckt seine Gewalt nur so weit, wie seinen Arm, und sein Arm ist zu kurz, um die, auf ungeheure Politischer Zustand. 181 Strecken verstrenten Nomaden zu halten. Dazu wärm fast ebenso viel Soldaten erforderlich, als Bewohner vorhanden sind, oder daß die eine Hälfte der Nomaden die andere zum Vortheile des Despoten darniederhicltc. Nun tritt letzteres allerdings häufig ein,, denn die Wüste erzeugt neben der Sicherheit auch die Zcr-splittcrung in feindliche Stämme. Doch anch so gcht die Macht des Despoten über die Nomaden selten weiter, als einen Tribut zn erheben. So nnnatürlich sind die Zustände dieser Gegenden verkehrt, daß die Abgaben, die eigentlich nur Mittel zum Schuhe und zur Förderung der Unterthanen sind. hier zum einzigen Zweck der Regierung werden, zu dessen Erreichung Krieg uud Plündc» rnng dienen. Der Schutz des Rechts nnd die Fördcrnng der Wohlfahrt, die wahren Attribute der Obrigkeit, werden keinem Be-duinenstamm von Seiten der (5entra!gewalt zu Theil, sondern ausschlicsmch von selbstgewählten Richtern nnd Häuptlingen. Diese aber sind bei sämmtlichen Nomaden arabischen nnd kaby-lischcn Stammes nichts weniger als despotisch: der eigentliche Herrscher ist das Herkommen, nach welchen, gerichtet wird. — So hängen denn die Nomaden nnr durch deu dünnen Faden des Tributs mit der Cmtralgewnlt zusammen, nnd selbst dieser wird oft anf lange Zeit zerrissen. Sonst aber leben sie nach eigenen, festen nnd ziemlich gleichen Gesetzen: schon ein hoher Standpunkt des staatlichen Daseins! Wohl fehlen die nothwendigen Schwächen eines rohen Zustandes nicht: häufige Willkür gegen die Geringen nnd Annen, Sorglosigkeit in Betreff der Znknnft. Vernachlässi-gnng aller höheren Bildung, Anfrechthaltung der Blntrachc, vor allen Dingen Rechtlosigkeit jedes Nicht-Stammgenossen, insofern er nicht zufällig die Gastfreundschaft genießt — also Plünderung, Mord nnd unablässige Fehden! Aber wo findet sich der Herz-lose, der nicht etwas Rohheit und Anarchie dem dumpfen Dahin-siechen des Despotismus vorzieht? — 182 Sibi-Ali-bel-Chir, Als wir dem Dnar-Dorfe nahe gekommen, verstummten Flöten nnd Tambourine, und statt ihrer erhob sich ein wüthen-des Gebell von Hunden, die auf nns zustürzten. Einige Be-wohncr warfen fortwährend Steine nach ihneni das einzige Mittel, nni sie lion nns abznhaltcn. Die Hunde sind in diesen Ländern nicht, wie bei uns, Wächter des einzelnen Hauses, sondern des ganzen Duars, und so empfing nns bei seder Annäherung das gastfcindliche Gebelle, Die Nachbarn unter einander habcu wenig Zu besorgen; die Unsicherheit betrifft das gauze Lager, durch Ueberfälle von fremde«: Dieben nnd Mördern, vou feindlichen Stämmen, nnd von Raubthicren. Die wachsamen Araberhundr bellen nicht nur, sondern greifen auch Alks, was fremd ist, mit scharfen Zähnen an, so daß man sich sehr vor ihncn in Acht nehmeu muß, — Jenseit der Vertiefung saßen wir ab nnd wur° deu uom Kaid oder Schelch in eins vou den drei wirklichen Hänsern geführt, die gleichsam als Gewähr der Seßhaftigkeit den Dnar zierten. Sie standen entfernt von einander, waren niedrig und länglich viereckig, und hatten jedes eine niedrige Thür und ein kleines Feuster. Die Wände warm aus jenen, von Natur regelmäßigen Schiefersteincn, die nns längs des Weges so aufgefallen, mit dickem Lehm gemauert, die schrägen Dächer mit Binsen gedeckt. Das größte und' bcstgebaute dieser Häuser stellte die Moschee vor, was kein äußeres Kennzeichen verrathen Hütte. Das Haus, in welchem wir Platz nahmen, schien anöschließ. lich für die Fremden bestimmt, ein Teppich am Boden war auch hier die einzige Ausrüstung. Da Chlil diesmal bei uns war, so richteten wir durch ihn einige Fragen an unsern Wirth. Wir erfuhren, daß diese Niederlassung Sidi-Ali bel-Chir beiße, vmi dem Marabut gleiches Namens (was schon der Borsatz Sidi, mein Herr, das spanische Lid, besagt). Da der Aufent-halt in dem dnnklm Gemache mir mißfiel und ich vor Begierde Die arabischen Frauen. 183 brannte, das Innere eines Zelthanses kennen zu lernen, so ließ ich dnrch die Spahis bewirken, dcisi wir nns in die eigene Woh-nung des Häuptlings begaben, welche dicht hinter dem Gastge-bände sich befand. Dies Zelt mit festen Untmnanern bildete ein einziges Gemach, von der Größe eines kleinen Saales, und von ziemlicher Höhe. Die Form war länglich, nnd die Zeltwände natürlich sehr geneigt. Den Boden bildete festgestampfte Erde. Man führte uns zur rechten Seite, nnd als wir eintraten, war man gerade im Vegriff, dnrch aufgehängte Teppiche die Aus< sieht anf den andern Theil, wo die Frauen sich aufhielten, zu benehmen. Anfangs aber konnten wir sie ganz deutlich beob-achten; es waren ihrer drei oder vier, in bunten, weiten Gcwän-dern, die anch den Kopf bedeckten, die unverhüllten Gesichter ließen keine Schönheit bewundern. Alle waren mit Berei-tnng der Speisen beschäftigt. — Gleich nach unserer Antimft im Dnar bemerkten wir, daß eine alte Frau in ärmlichen Klei-dern mit wehklagenden, Geschrei einem Manne nachlief, der ein Huhn znr Wohnung des Kaids trug. Sie weinte und schrie so lange, bis er ihr das Hnhn zurückgab; allem Anschein nach hatte also der Häuptling dies Geflügel zu unserer Vewirthnng einem armen Weibe entreißen lassen, nnd zwar widerrechtlich, denn sonst hätte sie es wohl nicht zurückerhalten. Dieser Vor» gang warf ein sehr schlimmes Licht auf den Nechtszustand der Eingrborenen; zumal ausgeführt unter den Augen vornehmer, französischer Gäste und kaiserlicher Soldaten. Wie wenig aber gerade die Francn in dieser arabischen Gesellschaft, die so zarte lind frnrige Liebeslicder geschaffen haben, geehrt nnd geschlitzt wer-den, das sollte ich schon bei der Uebcrfahrt auf eine herzbctrn-bende Weise erfahren, Unter dem Haufen von etwa fünfhundert Mekkapilgrrn, die sich anf dem Schiffe befanden, war nur eine einzige Fran, ein junges Weib mit einem Sängling. Diese Unglückliche hatte 184 Die Pilgcr-Wittwe. ihrcu Mann als Leichnam in Marstille zmücklasscn müssen: ihre erschreckende Blässe und Magerkeit nnd das gleiche Aussehn des Kindes hätten ein Raubthicr zum Mitleid bewegen können. Dennoch schien keiner der Hunderte von Volks- nnd Glaubens-genossen auf dieser Pilgerfahrt ein freundliches Wort, oder einen Bissen Brod für sie zu haben. Denn gleich im Anfang lagerte sich die arme Wittwe ans dem offenen Hinterdeck, so weit wie möglich von ihren Landslcutcn entfernt, mitten nntcr Europäer. Um eine Arabcrin zn diesem Schritte zu bewegen, müssen wahr-lich dringende Gründe vorliegen. Auch rechtfertigten die Ehristcu ihr Vertrauen, und brachten ihr fortwährend Speise und Trank, ja sogar Leckerbissens was sie Alles annahm, ohne auch nur den Geber anzublicken, oder ein Wort des Dankes hervorzubringen. Ich war Zeuge, wie ein lebhafter Pariser einen: reichgekleideten, wohlbeleibten maurischen Kaufmann aus Mostaganem bittere Vorwürfe über dies Verlassen von Wittwe lind Waise machte. Der Angegriffene zuckte phlegmatisch dic Achseln, nnd äußerte, er gehöre nicht zu den Pilgern, nnd die Fran sei nicht ans sei-ncm Orte, Obgleich durchaus kein nnbrdingter Bewunderer nnserer Zustände, wage ich doch die Behauptung! solche Herz-losigkeit wäre nntcr uns nicht möglich! — Unser Frühstück, das wir im Zelte auf die gewöhnliche Art verzehrten, bestand aus flachen, butterigen Eierkuchen lichen Ländern überhaupt grassirt, ist ebenso tragisch für die wahre Große und Aiwbilduug der Völker, alü hochkomisch für die Poesie. Cm vollkommener Dnnnnkopf oder Feigling ist ebenso wenig eine kölnische, als eine tragische Persönlichkeit; nur die gröbsten und trivialsten Possen befassen sich mit solchen Fi-gnrcn. Aber ein Sancho, der so klug schwatzt, wie zehn Philo-sophrn, und einfältiger handelt, als ein zehnjähriges Kind; der seinen Herrn als Griludnarren erkennt, darstellt und sogar an> führt, nnd dennoch fest nnd unerschütterlich eine Insel vou ihm ttwcn'tet — das ist eine wahre Fundgrube von feiner Ironie nnd Satyre. Ein englischer und amerikanischer Vaner ist nicht halb so liebenswürdig, so geistreich, so lustig; ja er ist nicht halb so aufgeklärt. Und doch siud England uud Nord-Amcrika grofte, blühende Länder geworden; und Spanien dient dazn — den, Gelehrten nnd Künstler den Orient nnd das Mittelaltcr zn vergegenwärtigen, So ein Saucho, Cosm6 oder Fabio war also auch nnser Achlued, ,lnd wenn wir ihn nur besser verstanden hätten, er würde uns gewiß hundert Schwanke und Anekdoten aufgetischt haben, so köstlich, wie die Geschichten von der ^aus, den Te- 190 Die Maulthiertreibcr. tnaner Affen und von Agere nnd Macarandona, in Caldcwn's „Lautes Gcheilnniß." Uebrigens zeigte er sich zwar sehr inter-cssirt nnd begehrlich, doch keineswegs schlilnm; aber in wirklicher Gefahr würde ich mich dem Leichtfuß nicht anvertraut haben. Das Versprechen eines Beyliks würde er ebenso vertrauensvoll angenommen haben, wie Sancho die Anwartschaft auf seine Insel. — Man vergegenwärtige sich meine Skizze von dem weinerlichen, gewissenhaften Chlil, von dem älteren, düsteren Spahi, von dem verschmitzten Budan. von dem nobeln und cm-mnthigen Mukrani, nnd nian wird finden, daß die orientalischen Persönlichkeiten doch nicht so über einen leisten geschlagen sind, wie man sich meist vorstellt. Und ich hoffe, diese Gallerte ein« heimischer Porträts noch um mehrere sehr interessante nnd ab-weichende zn vermehren. Von nnscrn Maultiertreibern kann ich nur Weniges be-richten; denn sie traten ebensowohl durch ihre Jugend, als durch ihr geringes Amt bescheiden in den Hintcrgrnnd. Wenn sie auch meistens stumm dahinzogen, so sah ich sie doch anch nicht selten recht fröhlich schwatzen nnd lachen. Sie hatten sich cigent» lich selbst zu beköstigen; doch gewährten wir ihnen ans ihre Bitte bereitwillig einen Antheil an nnserm Brode. Die armen Bursche hatten es sauer und kümmerlich genug: die weiten Märsche meist zn Fuß, nnd zwar ohne Schuhe, entweder ganz barfuß, oder mit den eigenthümlichen Sandalen, die ich in Algier nnd den übrigen Städten anfertigen sah. Dieselben bestehen aus einem Geflecht von Fingers Dicke, wahrscheinlich von Hanf, das nach Art nnserer dicken Strohdecken znfammengcwunden, nnd durch Nähen befestigt wird. Diese Sohlen, die viel stärker, weicher nnd gewiß auch wohlfeiler sind, als lederne, werden sehr einfach mit zwei Bändern an die Füße geknüpft. Am Essen ging den Treibern sicherlich nichts ab, wenn sie sich auch oft ohne Fleisch begnügen mußten; der Eingeborene brancht nnr hinreichend Kns- Velmiethe» dcr Lastthierc. 191 kllssu, un, sich glücklich z>, fühlen. Auch schliefen sic nicht, wie wir, auf Matratzen und unter wollenen Decken, sondern auf Matten nnd blos in ihre schäbigen Burnus eingehüllt. Da wir für jedes Thier nur drei Francs den Tag zu zahlen hatten (ja, in Biskra wollte das Lui-oan arado mir zwei Frans an-rechnen), wobei der ebenso lange Rückweg gänzlich unbezahlt bleibt, so ermesse man, wie winzig dcr Lohn der armcu Bursche fein mußte. Ucbrigcus ist mir das Verfahren der Burcanr in Betreff des Micthcns uon Pferden und Maulthicren nicht klar geworden, da sic allgemein nur den dritten oder vierten Theil des im freien Verkehr üblichen Mietpreises anrechnen. Zwar fiel lion Anmale bis Biskra der Unterhalt der Thiere und der Treiber den Ara-bern oder nnscrn sonstigen Gastgebern zur Last; allein voll Biskra nach Constantinc wurde Fnttrr und Speise mitgeführt. Den Unterschied zu l'ergrüsiern, kommt noch der Umstand hinzn, daß die Burcaur,, wenn erforderlich, zu jedem Thiere einen Trei-bcr mitgeben; während im freien Verkehr erst auf zwei Thiere ein Treiber geht. Bezahlen also die Bureaux nicht aus ihrer Tasche die fehlenden drei Viertel dcr Miethe (was mir nicht sehr wahrscheinlich ist), so ist das Vermicthen der Pferde nnd Maulthiere ein wahrer Frohndicnst; der aber gewiß nicht den Einzelnen, sondern den Stämmen im Ganzen aufliegt. — Noch eigenthümlicher ist die Einrichtung des Unterhalts. Unsere gc-sammtcn nothwendigen Allsgaben beschränkten sich ans dic geringe Miethe für die Thiere; alles Ucbrige, Kost, Nachtlager und Gc-leit, hatten wir nmsonst. Auch unsere Spahis, Maghscn und Treiber bezahlten nicht das Geringste für ihre Bcwirthung, wcdcr in den Stationen, noch bei den Arabern. Von den Lieutenants erfuhr ich mm, daß die Araber für die Vcwirthung jeder Person, dic auf Kosten dcr Regierung reiste, drei Francs in Rcchnnng stellten; ob auch für jede Person der Bedienung oder dcs 192 Bewirthung der Gast«. Geleits, ist um nicht bewußt, und scheint mir nicht anzunehmen. Die Brwirthung ist Sache des Stammes, oder der Stamm» Abtheilung, und als natürlicher Vertreter übt sie der Kaid oder Scheich. Aber er ist weit davon entfernt, das Mahl selbst zu liefern; dies ist eine Liturgie, die regelmäßig bei allen Familien-Häuptern herumgeht, lind zwar begreiflicherweise so, daß mehrere von den ärmeren Familien zusammen nur Cine Licfemug haben. Auf Fort Beni-Maussnr winde nur der Kuskussn auf diese Weise aus dem nahen Dorfe geliefert; beherbergt aber eine einheimische Obrigkeit, so gilt es die ganze Substanz der Mahlzeit. Die ab-wechselnde Bewirthnng wird übrigens nicht allein den Beauftragten der Regierung gewährt, sondern auch jedem Reisenden, der die Gastfreundschaft in Anspruch nimmt. Nur dann, wenn der Fremde eiurn speciellen Gaslfmmd in dem Duar besiltt, wird die Allgemeinheit nicht herangezogen. Fast jeder Duar hat ein oder mehrere Gastzcltc. wohl auch einige Decken zum Lager, ob-gleich, wie schau bemerkt, der gewöhnliche Araber sich auch im Winter mit seinen, Burnus behilft. Da nun die Abgaben an die Saujas, die eigentlichen Sitze der Beherbergung, gleichfalls großentheils zu dieser verwandt werden, so findet der Europäer zu seiner Ueberraschung, daß einen, wenn nicht den hanptsä'ch» lichen Posten der arabischen Budgets die Gastlichkeit ausmacht, und daß man in der That nicht nach Ikarien zu reisen brancht, mn den Staat zum Gastwirth zu haben. Außer den Leistungen für die Vewirthung kennt der Araber fast nur noch die für den Krieg, welche gleichfalls weit weniger in wirklichen Abgaben, als in persönlichem Dienst nnd prwater Anschaffung von Waffen, Munition und Proviant bestehen. So bezieht sich das Leben dieser Völkerschaften überwiegend auf die Fremden, sri es in freundlicher oder feindlicher Berührung, — Die Ausgaben für die Gästebcwirthung kommen übrigens auch Einfluß der Gastfreundschaft. 193 dm Armen dcr eigenen Duar zu Gute, welche sich regelmäßig einstellen, um die Reste zu verzehren. Man thäte überhaupt Unrecht, sich die Leistungen der Gastfreundschaft überall als regelmäßig und festbestimmt zu denken. Aus Daumas' und Anderer Schilderungen gcht vielmehr hervor, daß die Freigebig» keit Eiuzclncr häufig für die Gemeinschaft mitritt, so daß die Aermcren, anstatt zu geben, empfangen. Wohlthätigkeit, zumal gegen Fremde, ist ja eine dcr ersten uud höchsten Pflichten, die der Prophet dem Muselmann auferlegt. Zu der Vorschrift gc-scllt sich aber beim Araber das Vergnügen, die Eitelkeit und das Interesse. Wodurch könnte er eine bessere Unterhaltung finden, in seinem gcschäftlosen Dahinleben unter den wenigen Mit-gliedern seines Duars, als durch die Ankuuft eines Gastes, dcr ihm von den Ereignissen der Welt Nachricht bringt, der gleich-sam eine lebendige Zeitung ist? In ihm findet er zugleich den Bewunderer seiner Teppiche, seiner Waffen und Pferde; den Zu-Hörer sciuer Geschichten und Sprüche, und den Verbreiter seines Rufes, als fromm, edelmüthig, reich und tapfer. Endlich er-wirbt er in ihm einen ergebenen Gastfreund, sollte sein Weg ihn einmal in dessen Heimath führeu; uud das Letztere ist häufig keine leere Vermuthung, denn dcr Araber ist ein fleißiger Reisender, Schon aus dieser kurzen Andeutung gcht hervor, welche ausnehmende Wichtigkeit die Gastfrcnndschaft für Verkehr, Vil-dung und Politik des Orients besitzt. Sie ist das Band. wel-ches die uuzähligeu, unabhängigen Völkerschaften der arabischen, der ganzen mnhammedanischen Welt noch eiuigermaftcn zu-sammcnhält, uud eine öffentliche Meinung schafft, die sich, frei-lich in sehr schwachen Aeußerungen, vom Ganges bis zum At-lantischcn Ocean geltend macht. Auch Carcttc weist darauf hiu, wie wichtig es für Frankreich sei. die Mekka-Pilger für sich zu gewinnen! denn in dcr fernen Wüstcustadt würdcn nicht blos die Hirsch, Marien. 13 194 Wallfahrt nach Mekka. Waaren, sondern auch die Meinungen ausgetauscht, und der Rnf eines Reiches oder Herrschers nicht minder für die ganze moslemitische Welt festgestellt, als der Preis der Teppiche oder Gewürze. Die Gastfreundschaft, deren Wirkungen sonst zufällig nnd beschränkt blieben, ist durch die großen Wallfahrten förmlich organisirt und unendlich ausgedehnt. Bekanntlich hat jeder Muselmann die Verpflichtung, wenigstens einmal in feinem Lc-ben die heiligen Städte Mekka nnd Medina zu besuchen; eine Verpflichtung, die zwar nicht nothwendig zum Heile, aber höchst wcseutlich zur Frömmigkeit ist. Genug, ein kleiner Vers des Koran treibt feit zwölf Jahr-hnndcrten jährlich viele Tausende von Männern von den fernsten Grenzen des Islam nach dessen Gcburtsstättcn nnd Mittel» punkten. Drei Hauptzüge sind es, der ostasiatischc, der west-asiatisch-europäische und der afrikanische, die, drei gewaltigen Strömen gleich, von allen Seiten nnd mit jedem Schritte Zu-ssnß erhalten, und fo stets wachsend, endlich in Acgyptcn zu-sammeutreffen. Es wäre eine der interessantesten statistischen Aufgaben, die Bestandtheile uud die Größe dieser Pilgcrzüge, fo wie die Beschaffenheit und Menge der mitgcführtcn Waaren zu berechnen. Da die Moslemin! alle Zählungen für sündhaft Hal-^n. so gewährt die Sage den einzigen, natürlich sehr nnzuver-lässigen Anhalt. 80.000 fei jährlich die Anzahl der Wallfahrer, die zusammen auf dem Heiligcu Berge ihre Andacht verrichten — keiner mehr, nnd keiner weniger. Diese Gleichmäßigkeit ist nicht so unglaublich, wie es den Anschein hätte; denn bei den stationären Grenzen, die der Islam seit dem ersten Jahrhundert seines Bestehens eingehalten — der Verlust Spaniens wurde ausgeglichen durch die Erwerbung der jcßigcn Türkei, und die sehr bedeutende Abnahme der Bevölkerung in allen nmhammc-dänischen Ländern dnrch die Verbreitung des Islam in Hindo-stan und Inner-Afrika — und bei der nngehcnrcn Ausdehnung, Bedeutung der Wallfahrt, 195 wodurch dic theilwciseu Schwankungen ausgeglichen wcrdrn, möchte in der That die jährliche Gesammt-Anzahl der Pilger sich ziemlich gleich bleiben. Kein Religionsstifter hat etwas irdisch Größeres geschaffen, als Mohammed durch die Verpflichtung zur Wallfahrt nach Mekka; denn die christlichen Pilgcrzügc nach Jerusalem lassen sich doch an Regelmäßigkeit und Umfang nicht entfernt damit vergleichen. Uebcr tausend Jahre nach dem Untergänge des staatlichen Chalifats besteht noch ungcschmächt das geistliche, dessen unabsehbarer Ghalis die Kaaba zu Mekka ist. Hier vereinigen sich die feindlichsten Sekten, die entlegensten Nationen zu gemein-famer Anbetung; und in jedem „Hadschi" (Wallfahrer), der von Mekka zurückkehrt, besitzt der Islam einen neuen Pfeiler. Fast alle großen Erneuerer und Erhalter des Glaubens, von Cl-Mohdi bis cmf Abd-cl-Kader sind mehrmals in Mekka gewesen, oder haben gar dort ihre Studien gemacht. In dem glühenden Sande Arabiens wird immer und immer wieder der Fanatismus aus-gebrütet, der dort seinen ersten Ursprung nahm. Und die bloße Anzahl reicht ja keineswegs aus, um den Einfluß dieser Wall-fahrten zu ermessen; denn gewiß sind es vorwiegend die cinfluß-reicheren Männer, die den Pilgerstab ergreifen. Daß gerade Mekka und Medina die heiligen Orte sind, hat ebenfalls keine geringe Bedeutung. Selbstverständlich war dir Bestimmung derselben rein historisch: allein auch rationell wäre es nicht möglich gewesen, geschickter zu wählen. Die lange Wanderung dnrch die einförmige Wüste, der Anblick des nackten und großartigen Bcrgkcsscls von Mekka, selbst die unvermeidlichen Beschwerden und Entbehrungen müssen mehr. als alle Geißel-hiebe, das Gefühl concentriren, nud die Andacht erhöhen. Den außerordentlichen Cinfluß der Wüste auf alle drei positiven Reli-giuncn werde ich bei meinem eigenen Wüstcnzugc näher beleuchten; alsdann werde ich auch den Zug der afrikanischen Pilger-Kara- ,5' 196 Andacht und Handel. vanen beschreiben, und den Handel, den dieselben veranlassen.— Hier nur noch einige Worte über die allgemeine Ncdentung des Letzteren, Daß Mekka nicht blos zum Platze für die Andacht, sondern auch für den Waaren-Austausch dient, ist wohl bekannt; und der einsichtsvolle Heeren hat die Verknüpfung der Religion und des Handelsverkehrs, als einen wesentlich orientalischen Lha-rakterzng, bis auf die uralte Gründung der Reiche Mcroö, The-ben nnd Oase Ammon zurückgeführt. Müßte nun aber das Verfolgen rein materieller Interessen nicht gerade den entgegen-gesetzten Einfluß ausüben, nicht wie ein Wurm die Frucht der Andacht zerfressen? Wie kann ich zugleich religiöse Hymnen und kaufmännische Berechnungen im Kopfe haben, wie zugleich mein Seelenheil und den vortheilhaften Verkauf meiner Burnusse anstreben? — Doch ist hier vor ANem zu bedenken, das; der Handel ganz. lich hinter der Religion zurücktritt, daß er nur nebenbei getrieben wird. Kein Handelsgcagraph wird behaupten wollen, daß Mekka eine günstige Verkehrslage besitzt, eine Stadt, die selbst für die muhammedanische Welt höchst entlegen, rings von schwachbc wohnten Wüsten umgeben, und nur einem wenig befahrenen Meere benachbart ist. Ganz Arabien bringt so gut wie keine Hnudels-Artikel hervor; und der Zng der indischen Waaren, der im Alterthum und Mittclaltcr*) durch Arabien ging, und es so reich nnd bcrübmt machte, hat längst ganz andere Bahnen ein-geschlagen. Es kommt also gewiß höchst selten vor, daß ein Muhammedaner nach Mekka pilgert, um Gewinn zu machen; das Streben kann nur dahin gehen, die lange nnd kostspielige Reise durch gelegentlichen Austausch ganz oder doch theilweise zu bezahlen. Sonst hätte es auch keinen Sinn, daß die Wallfahrt als ein großes religiöses Verdienst betrachtet wird, das größte *) Vgl. Hüllmann, Geschichte des Städtewesens. Metta-Teppiche. 197 nach dem Heiligen Kriege, und mit einem besonderen, höchst ehrenvollen Zunamen oder Titel belohnt wird. Man brauchte auch nur, wie ich, die winzigen Bündel jener 500 Pilger zu sehen, mit denen ich die Ucbcrfahrt machte, um sich zu über-zeugen, daß der Handel weder sehr umfang-, noch sehr gewinn-reich sein könne. Nach Allem, was ich gesehen und erfahren, scheinen bunte Nolltrppiche aller Größen den bei weitem vorwiegenden Import von Mekka zu bilden. Unsere armen Pilger hatten versucht, deu Einfuhrzoll zu dcfraudiren; vielleicht vertrauend auf die Heiligkeit des Beziigsortes. In Folge dessen fanden mehrere Tage hinter einander große Versteigerungen in dem geräumigen Hofe deo Hafen-Karavanserais zu Algier statt, welche ansschließ-lich MckkcvTcppiche betrafen, nnd auch von Europäern zahlreich besucht waren. Die Teppiche, die ich sah, waren sehr groß; ihre höchst einfachen Dessins bestanden vornehmlich aus Streifen; sie sind sicherlich ebenso stationär, wie alles Andere im Orient. Wie solide, wohlfeil und beliebt müssen diese Fabrikate sein. um die Kosten eines so ungeheuren Transports zu ertragen! — Uni 104 Uhr waren wir in Sidi-Ali-bel-Chir angekommen, und etwa eine Stunde später brachen wir wieder auf. Der An-bau war hier eine Strecke weit ziemlich bedeutend; ich sah einen Araber einen leichten Pflug mit zwei Maulthicrcn lenken; die Handhabe des Pflugs war sehr stark nach hinten gebogen. Plötzlich erschienen linker Hand von uns drei Eingeborene mit einer großen Fahne alls buntem Kattun, mit vergoldeter Spitze. Unser Spahi ritt eilends auf sie zu. verbeugte sich demüthig, nnd reichte ihnen etwas hin, Als er wieder bei uns war, sagte er mit frommer Miene, das seien Tolba (Plnral von Taleb) des Marabut gewesen, die für unsere glückliche Reise bctcn würden, und denen er ein Fünffrankstück dargereicht. Diese Freigebigkeit auf unsere Kosten warfen wir ihm gehörig vor, worauf er ganz 198 Steiniges Thal. döse wurde, und meinte: Das gehöre sich, und wenn wir es nicht bezahlen wollten, so würde er es ans seiner Tasche thun. Ob der fromme Mann wirklich fünf Francs hingegeben, wage ich nicht zu behaupten; doch möglich wäre es schon. Die Ver-handlnng endete natürlich damit, daß wir nachzugeben beschlossen; den Spahi aber bis zur Abrechnung in Ungewißheit ließen. — Bald überraschte uns eine Gruppe kräftiger, schmier Oleander-bäume, die größer waren, als ich sie je gesehen. In ihrem Schatten lagerte ein französischer Officicr und ein arabischer Reiter. Von nun an wurde die Gegend immer wilder, unfrucht» barer, steiniger und öder; volle zwei Stunden zeigte sich keine Wohnung, ja kein bebautes Stück Feld. Uuscr Weg führte fort-während nach Süden, dem schon rrwalmten Flüftchcn Wedvksob entlang, das wir oft überschreiten mußten; in Folge der vielen Qucreinschnitte des Thales ging es immer bergauf, bergab. Zu beiden Seiten zogen ziemlich hohe Berge, links näher, rechts ent» fernterz sie waren zerklüftet, und mit dünner, niedriger Vegcta-tion bedeckt, die ihnen ein verhältnißmäßig grünes und heiteres Aussehen gaben. Denn der zwischcnliegcnde Strich war überall mit dichtem, meist mittelgroßem Gestein bedeckt, das selbst den geringsten Graswuchs verhinderte. Nur zerstreute, sehr niedrige und schwach belaubte Sträucher kamen darin fort, deren graue, gewundene und zerrissene Stämme den Anblick noch verdüsterten. Eine Strecke weit waren dieselben völlig zwerghaft, — Wir ritten außerordentlich langsam, nur im Schritt, was meine Gefährten gewiß zur Schonung der Pferde auf dem durch« aus steinigen Wege durchführten. Doch mich ergriff in so lang-weiliger Gegend steigende Ungeduld, nnd Besorgnis;, die Oase Msila, auf deren Anblick mein ganzes Sinnen gerichtet war, nicht vor der Dunkelheit zu erreichen. Ich forderte mehrmals dringend auf, den Ritt zu beschleunigen, da diese algerischen Vordsch-Mebscheb, 1V9 Pferde holprige und steinige Wege gewohnt seien, nnd bei ihnen übcchanpt die weichliche Vehandlnng nnscrer dcntschen Pferde nicht angebracht sei; die schnellen Ritte der vorigen Tage, in Gesellschaft der französischen Officierc, bewiesen das genugsam. Allein ich drang nicht dnrch, und ebenso wenig glückten meine Versuche, dnrch schnelles Vuransreitm die übrigen nachzuziehen. Etwa um 1 Uhr wnrde der Weg ganz eigenthümlich: einige Stellen waren von Natur wie gepflastert, nnd alle Augenblicke traten nns schräge Schiefcrladm hemmend entgegen; oft ging cs hinunter oder hinauf über den nackten, einigen Stein. Gegen 15 Uhr führte der Weg stark abwärts; ich ritt wieder bedeutend Voralls, nnd befand mich plötzlich am Ufer des hier schon breiten nnd tiefen Flusses. Jenseits erschien ein großes Zeltlager, in dessen Mitte ein festes, zweistöckiges Gebäude stand; zugleich nahm die Gegend hier einen vorwiegenden Thalcharaktcr au. Beiin Durchreiten des Flusses mußte ich mich fast wage-recht anf den Rücken des Pferdes legen, um nicht durchnäßt'zn werden. Es dauerte ziemlich lange, bis die Ucbrigen nachkamen, nnd nnn erhob sich ein neuer Streit, indem ich ohne Aufenthalt weiter reiten, Herr v. O. aber in dem nahen Bordsch-Mcdsched einkehren wollte. Seine Ansicht ward, wie gewöhnlich, von der Mehrzahl angenommen, so sehr mich diese neue nnd nnnützc Vcrzögcrnng auch kränkte. Wir ritten also durch die Zelte, dic verwirrt nmherstandcn, nnd einen sehr ärmlichen Eindruck mach. ten, vor das verschlossene Thor des „Vordsch", der Residenz eines Kaid. Man öffnete, und ließ nns in einen schmalen, aber lan-gen Hofranm ein, wo wir absaßen. Die Pferde kamen in die Ställe zur Linken; wir stiegen eine hohe, steile Holztreppe hinauf, die answcndig znm zweiten Stock des Herrenhauses führte. Man bedeutete uns, in einer Art Verandah, mit freier Aussicht gegen Norden, anf Teppichen Platz zu nehmen. Der 200 Zweistöckiges Haus. Kcüd las das arabische Bricfchen, das wir für ihn von dem Lnr6ku lli-ado, des Bordschbu-Ariridsch mitgebracht. Unsere Unterhaltung bestand in Milch-Trinkcn lind Dattel-Essen; die weißen Datteln wurden so reichlich dargeboten, daß unser Spahi die Kapuze seines Burnns damit füllte. Hinter der Verandah sahen wir ein geräumiges, aber gänzlich leeres Gemach; dieser obere Stock wenigstens bestand gänzlich aus Holz, was in der baumlosen Gegend sehr auffallen mnßtc. Noch auffallender aber war, daß überhaupt ein zweites Stockwerk existirtc, da wir es bei keiner andern ArabcrWohnuug gefunden. Ist schon das feste Hans dem Nomaden ein Gräuel, so muß ein zweites Stock-werk ihm noch unnatürlicher und unheimlicher vorkommen, wo der Bewohner nicht mehr auf dem ewigen, mütterlichen Boden der Erde, sondern gleichsam in der Luft steht. Ich bin daher überzeugt, daß nur die Nothwendigkeit unsern Kaid zu dem Baue veranlaßt hat, und zwar höchst wahrscheinlich die Ueber-schwemmung des nahen Bergstroms in der Regenzeit, wodurch dies westliche, ganz flache Ufer zum Sumpfe werden muß. Nach über halbstündiger Rast in Bordsch-Mcdschcd zogen wir weiter gen Süden, Das Thal blieb eine längere Strecke breit und eben; doch ebenso durchaus steinig, wie die Hügel-gegmd oberhalb. Ja, die Vegetation wurde immer dürftiger, und bestand nur noch ans dünn zerstreuten Haidcbüscheln; auch die Vergabhängc an beiden Seiten erschienen diel kahler. Nur an den Ufern des Flusses, die zum Theil ganz niedrig, und nie sehr erhöht waren, zogen schlanke Binsen und zahlreiche Oleander ein grünes, gewundenes Band durch die trostlose Gegend. Dar-unter bemerkte ich auch einen eigenthümlichen Strauch mit feinen, gelblichen Blättern. — Später wurde aber das Thal sehr romantisch, indem die Berge an beiden Seiten schroff abfielen; zugleich erblickten wir gerade vor uns ein gewaltiges Vergthor, gebildet dnrch zwei oder mehr Ketten, welche, die hinteren übcr Steppen-Region. i?01 die vorderen hervorragend, in wcstöstlicher Richtnng wie riesige Maliern dalagen. Wir näherten nns dem Engpässe des Wed. Ksob, einem der wenigen, die ans dem Tell in die Sahara führen; nnd diese Berge waren ein Theil der Kette, die dnrch ganz Algerien ziemlich parallel der Meeresküste, mit den vcr-schicdenstm Erhebungen und Namen, sich hinzieht, und das Ackerland vom Weideland scheidet. Diese gebräuchliche Zweitheilnng in Tell nnd Sahara nicht aber nur für die übersichtliche Kenntniß des Landes aus; bei genauerem Eingehen ergicbt sich zwischen beiden in der Mitte, sowohl örtlich als eigenschaftlich, eine dritte Region, die der Steppen. Südlich nnd fast ganz parallel der erwähnten Verg. kette, in einem Abstände von etwa fünfzehn geographischen Mei-lcn, erstreckt sich nämlich eiuc andere Kette durch das ganze Land, deren höchste und bedeutendste Glieder Dschebel-Amur nnd Dschc-l'cl-Anres heißen. Zwischen diesen beiden Bergzügen liegt die Steppenrcgion. ausgezeichnet durch ihre beträchtliche Höhe über dem Meere und durch eine fast ummterbrochcnc Reihe von gro-ßcn und kleinen Salzseen, mit dem Landcsnamcn Schott, auch Sebcha genannt. Die eigentliche Sahara oder Wüste, im Süden der zweiten Kette, liegt nach den neuesten Beobachtungen nur Wenige Fuß über dein Meeresspiegel, nnd entbehrt der Salzseen gänzlich; an deren Stelle in ihrem östlichsten Theile große Sumpf-strecken, wie der Wcd-Melghir. zugleich die fruchtbarsten Oasen bildend, treten. Außerdem scheint mir noch der wesentliche Unter-schied zwischen Steppe nnd Sahara zu bestehen, daß erstere vor-wiegend steinigen, letztere aber vorwiegend sandigen Boden enthält. Aus der weit höheren Lage der Steppen, nnd den, Schuhe gegen die Südwinde, den die hohe Bergkette ihnen gewährt, folgt von selbst, daß sie bedeutend fälter sind, als die Sahara; wel-chem Umstände, nebst dem, das Wasser weniger verschluckenden 202 Salzseen. Boden, wohl auch die Bildung der vielen Seen znzuschrcibcn ist. Anch die Einsattllmg dcr ganzen Region zwischen zwei parallelen Bcrgzügen, welche alle Gewässer zwingt, sich etwa in dcr Mitte, als an der tiefsten Stelle, zu sammeln, mag wesentlich zu jener interessanten Erscheinung beitragen. Die Steppmrcgion enthält viel weniger und bei weitem kleinere Oasen, als die Sahara; die Palmen derselben bringen ihre Früchte hänsig gar nicht zur Reife, nnd niemals zu dcr Größe und Schmackhaftigkeit der Sahara-Datteln. Ueber die allgemeine Fruchtbarkeit, abgesehen von den Oasen, läßt sich kein einheitliches Urtheil aussprcchcn; denn während im Westen, in den Provinzen Dran und Algier die entsetzlichste Dürre und Verödung zn herrschen scheint, nähert sich die Bodcnvcschassenhcit, je mehr nach Osten, desto mehr der Fruchtbarkeit des Tell. Schon im Gebiete dcr Ulcd-Nail und im Hodna wird auch außerhalb der Oasen starker Ackerban getrieben; und noch weiter östlich, im Süden von Constantinc, tritt d>,r Steppencharakter nnr sehr unterbrochen auf, so daß dieser ganze Strich mit zum Tell gerechnet wird. Die bis dahin wunderbar regelmäßige Bodcnbildnng leidet überhaupt gerade an der Stelle, wo wir uns jetzt befanden, eine bedeutende Störnng; die Continuität des zweiten Gebirgszugs hört in dcr Provinz Constantinc auf, dagegen breitet sich die dritte Kette dermaßcu aus, daß sie zwischen dcr fast nnkennt-lichen Stcppenregion nnd der Sahara eine Art zweites Teil, das Nnres-Gcviet, bildet. Daher kommt es denn, daß die östliche Provinz ein zweimal so breites Tell besitzt, als die beiden West-lichen, daher auch weit frnchtbarcr nnd bevölkerter ist. — Abge-sehen hiervon läßt sich aber keine einfachere nnd beständigere For-mation denken, als diejenige Algeriens, Drei gänzlich parallele, nnd gleichweit (etwa 15 Meilen) von einander entfernte Linien: die Meeresküste mit dem Küftengebirgc, der zweite nnd dcr dritte Gebirgszug — bilden drei sehr längliche Land-Viereckc, von ganz- Gliederung des Landes. 203 lich verschiedener Bodenbcschaffenheit, Höhe, Temperatur, Wasser-Sammlung, Erzeugnissen und Bewohnern. Nnr ist die süd-lichstc Region, die Sahara, viel breiter, als die beiden anderen, nnd endigt nicht wieder durch eine Gebirgskette, sondern durch die Oede der unendliche!, Wüste, mit der sie höchst ungerecht den gleichen Namen trügt. Die grüße Sahara birgt gleichfalls Oasen; aber betrügen diese verhältnißmäßig nur ein Zehntel der algerischen, so wäre die Reise nach Timbuktu ein wahrer Spa zicrritt zu nennen. Man sieht, Algerien gehört nicht nur der Lage nach zn Afrika, sondern gleich an der Pforte dieses Crdthcils tritt sein Charakter: die einfachen und unvermittelten Gegensätze, dem Rei-senden klar entgegen. Nur ein schmaler Bcrgzug trennt die er giebigsten Fruchtfclder der alten Welt von den ödesten Salz-steppen, nnd wieder mir ein schmaler Bcrgzug diese von den fast tropisch prangenden Oasen; die Oasen endlich scheidet nicht einmal eine Gebirgskette von dem traurigen Sandmcerc der voll-kommenen Wüste. In wie weit sich diese Gliederung der Küste in die angrenzenden nnd eng verbundenen Länder Fez und Tunis fortsetzt, erlaubt der mangelhafte Znstand der Karten und Nach-richten mir nicht zu entscheiden. Weder westlich, noch östlich von Algerien finden sich bedeutende Salzseen verzeichnet; und schon das unbedingte Vorherrschen des Berberstammes in Fez nnd Marokko deuten für dieses Reich auf eine geringe Ausdehnung der Steppen nnd Wüsten. Nie dein auch sei, die alte Einthcilnng Hcrodot's (die noch der treffliche Heeren vollständig acceptirt): die Nordknstc von Afrika zeige znerst einen bewohnten, darauf einen thierreichen, nnd zuletzt einen wüsten Länderstrich, ist für Algerien gänzlich unhallbar, znmal was die zweite Region betrifft. Denn mag man entweder nur die Steppenrcgion, oder diese nütsammt der oaseureichcn Sahara als das mittlere Gebiet begreifen: die Be- 204 Herodot's Angaben. zeichnung ^thierrcich" paßt nicht im Geringsten, da Herodot na-türlich von wilden Thieren spricht, und Hccrm ihn jedenfalls so versteht. Die wilden Thiere finden sich heutzutage weit vorwie» gend im Tell, die !^öwen sogar, der gebräuchlichen Annahme stracks zuwider, ausschließlich: nnd es ist schwer anzunehmen, daß es zu Hcrodot's Zelten gerade umgekehrt gcwcscn. Die Häufig-feit wilder Thiere fetzt ebenso sehr eine natürliche Fruchtbarkeit voraus, wie die Häufigkeit primiüver Menschen: beide ernähren sich gleichermaßen mm dem Uebcrflnssc des Pflanzen- und Thier-reichs. Aber die große Dürre der algerischen Steppenregiou währt unzweifelhaft seit der letzten Umwälzung der Erdoberfläche. Und wenn auch viele Angaben des „Vaters der Geschichte" sich gerade durch die neuen Forschungen glänzend bewährt haben, wäre es nicht ein Verkennen alles Menschlichen, seine für Afrika auf Hörensagen begründeten Berichte für unfehlbar zu halten? So schließt Heeren ferner aus Hcrodot, daß zu seiner Zeit ganz Numidien und Mauretanien ldas jetzige Algerien, Fez und Marokko) ohne allen Ackerbau gcwcscn, was selbst während und nach den punischen Kriegen noch fortgedauert habe. Doch ist das Tell in jeder Begehung durch Boden, Klima und Mangel nn Wäldern so außerordentlich gerade zum Getreidebau geeignet, dagegen durch die gewöhnliche Dürrc zur Viehweide so wenig, daß mir ein so langes Beharren der Bewohner bei der bloßen Viehzucht sehr unwahrscheinlich vorkommt. Wenn selbst die Araber, diese Fanatiker des nomadischen Hirtcnlcbcns, auf dem fast von selbst korntragcndcn Boden des Tell zu Ackerbauern geworden sind, so muh wohl die Verführung dazu eine sehr starke scin. Jedenfalls crgicbt sich aus Sallust's LeUuna ^UAurtkirmm zweifellos, daß zur Zeit des Iugnrtha das Tell dem Pfluge unterlag. Im 17. Capitel heißt es von Numidicn und Tallust's Berichte. 205 Mauretanien: „ÄF6r lruFum lsrtilig"; im 13. Capitel: „oste-ruin aälino aocliki«ili Mimiälii-um a^restium"; iin 19. Ca» pitel berichtet er, daß oberhalb Nnmidiens die Gätulcr theils in Tuguricn, „iilis»8 incultms va^n» a^itai-o", offenbar im Gegensatz zu den Numidiern, so wie es auch im 18. Capitel heißt, daß die Gätulcr und Libyer lior der Ankunft der Meder, Perser u. s. w. „vaZi, pn1n,nt6Z, c^uag nox ooöZerat, 86cl63 ii^dodant."*) Die große Macht, der Reichthum und die bedeutende Zahl von Städten und Festungen im alten Nn> midien sind undenkbar bei ausschließlicher Viehzucht. Bekanntlich war kurze Zeit darauf, unter der Herrschaft der Römer, nicht allein das Gebiet von Karthago, sondern auch Nnmidien und Mauretanien die reichste Kornkammer; zu einer so ungeheuren Umwandlung hätte die kurze Zeit gewiß nicht ausgereicht; und jedenfalls hätten Sallust und die anderen Schriftsteller die frühere Unbebautheit nicht unerwähnt gelassen. — Wir näherten uns also der Schlucht, welche der Wcd-Ksob durch die Ketten des Scheidegcbirges gerissen, um sich den frucht-bringenden Durchbruch nach der Steppe zu bahnen. Wir muß. ten, um die erste, niedrige Kette zu überwinden, ziemlich bergan steigen; dann ging dcr Weg wieder in dem etwas erweiterten Thalc zum Flusse hinab, Dcr Engpaß krümmte sich mehrmals bedeutend; es erschien ein ansgeklüftcter, sonderbarer Bcrgabstmz; wir bogen um die Ecke, nnd erblickten das südliche schroffe Fclsenthor. das nur Raum für den Fluß und den Weg läßt. Das Gestein an der einen Seite war auffallend durch seine *) Die citirten Stellen heißen auf deutsch: (Cap, 17.) der Ader» boben ist fruchtbar an Feldfrlichten; (Eap. 18.) (übrigens bisher) die Gebäude der ländlichen Numidier; — hcrumschwcifend hatten sie (nur) Lager, wozn sie die Nacht zwang; (Cap. 19,) Andere leben uucivilisirter im Herumschweifen. 206 Der Engpaß des Wed-Ksob. Schwärze, Als wir hinaustraten, fand ich mich sehr enttäuscht. Ich hatte dm traurigen, aber großartigen nnd eigenthümlichen Anblick der Wüste erwartet: eine unabsehbare, öde. gleichförmige Sandflächc, am südlichen Horizont die grünen Nipfc! der Pal-menwäldcr. Oede genug war der Anblick in Wirklichkeit; aber statt der unendlichen Ebene erblickte ich nur ein Thal mit nackten, unbedeutenden Höhen zn beiden Seiten. Der Boden war nicht mehr steinig, wie bisher durchweg, sondern lehmig, dabei fast noch pflanzenloscr, als das wüste Steingcröll. Aber recht wie znr Entschädigung für die getäuschte Erwartung, recht wie zur Behauptung, daß wir doch die Pforte znr Wüste durchschritten, zeigten sich einige Dattelpalmen, zuerst eine einzelne, dann eine Gruppe von zwei oder dreien, natürlich dicht am Wasser. So winzig sie auch waren, dennoch erregten sie mein Gemüth ganz wunderbar; nut dieser nencu Pflanzen-gattnng schien eine neue Welt mich aufzunehmen. Zugleich fand mein stürmisches Herz in ihnen das Sinnbild des Friedens nnd der Heiligung. Sie riefen mir zu, mit der mächtigen Sprache des lebendigen Symbols: nicht das Irdische, aber wohl das Kleinliche und Niedrige von mir zu werfen, nnd ruhig nnd würdevoll, gleich ihnen, das Haupt gen Himmel zu heben. Tief gerührt machte ich, hinter den Gefährten zurückbleibend, unter der ersten Palme Halt; Gebet nnd Gelübde falteten die Hände; dann riß ich, znm bleibenden Andenken an diesen feierlichen Augenblick, zwei der starken, immergrünen Blätter, nicht ohne Mühe, von: Stamme. Gerade innerhalb des letzten Durchbruchs, ganz unerwartet bei der völligen Ocde und Wildheit der Umgcbnng, hatte ich im Flusse ciu durch Steine gebildetes, niedriges Wehr bemerkt, wodurch der größere Theil des Wassers seitwärts in einen Canal abgeleitet wurde. Ohne Zweifel diente dieser znr Bewässerung der südlich gelegenen üändereien; doch vermochte ich ihn nicht Ankunft in Msila. 207 lauge zu verfolgen. Nach einiger Zeit wurde das Thal breiter, die Höhen bedeutender; nnd hauptsächlich zur Linken unseres Weges erstreckte sich, allerdings mehrfach unterbrochen, ein wahres Gelände von Kornfeldern, deren schwärzlicher, gutgcpftügtcr Boden überall die jungen, grünen Sprossen zeigte. Zu gleicher Zeit erschienen im Süden die Häupter der Dattelpalmen, zwar in ziemlich langer Linie, aber einzeln: eine Folge ihrer Zer-strcuung über einen vcrhältnißmäßig großen Raum, Da wir erst zwischen drei und vier Uhr den Engpaß durch, schritten, und auch seitdem unsere Pferde nicht allzu sehr angc» spornt hatten, so drohte die Sonne unterzugehen, und Dunkel-heit die Erde zu bedecken, ehe wir die erste Palmcn-Oase mit all den gcträumten Wundern erreicht hätten. Diese Möglichkeit war mir unerträglich. Da ich die Hoffnung aufgegeben, meine Gefährten zu größerer Eile zu bewegen, so ergriff ich folgendes Mittel, meine Sehnsncht zu befriedigen. Angesichts der Palmen von Msila (denn so hieß die Oase) wurde beschlossen, nnscrn treuen Achmed vorausznsenden, damit er dem Kaid unsere An-kunft melde. Achmed sprengte also im Carriere davon, den ersehnten Palmen zu; uud schon war sein rother Burnus kaum mehr zn erkennen, als ich, ohne cm Nort zu sagen, auch mci° nem Rosse die Sporen gab, daß es über die steinige Fläche dahinsaustc. Ein eigentlicher Weg war nicht zn erkennen; ich folgte daher der Richtung nnscrcs Spahis; es ging allmälig ab-wärts, die Höhen zu beiden Seiten hörten auf, und als ich end-lich, nach einer wahrhaften Hchjagd, den Rothmantcl einholte, befanden wir uns mitten in der Ebene, nnd dicht vor den Lehm-hänsern der Stadt Msila. Es war ein seltsamer Anblick! Vor uns die Stadt auf geringer Erhöhung, mit ihren gelblichen, fcnster- nnd dachlosen Häusern; hinter nnd neben denselben eine Anzahl einzelner, hoch-ragender Dattelpalmen; auf einem Hügel zur Linken vier Kub- 208 Em Matrose aus der Sahara. bas (Grabtemprl) von höchst eigenthümlicher, niegcsehener Form. Ich hatte meine Alisicht erreicht; noch war es hell und klar, als wir vor dcr Lehui-Rcsidcnz dos Kaid unsere erschöpften Pferde anhielten, nnd niit Hülfe mehrerer dort anwesenden Bewohner abstiea.cn. Mcinc Blicke verschlangen förmlich alle die neuen, wundcrbnrcn Gegenstände nnl uüch her: so war es denn Wirk-lichkcit, daß ich cine Oase dcr Sahara betreten, daß der kühnste Train» meiner phantasiereichrn Kindheit in Erfüllung ging! — Tro^ solcher Vezaubcrung entging mir doch nicht, daß es die Leute des Kaids an der gewohnten Ehrerbietung gegen mich fehlen ließen. Sie hatten natürlich keine Ahnung von dem für sie so schmeichelhaften Grunde meines Noransreitcns, nnd hielten mich gewiß für eine Art Bedienten der gemächlich nachkommen-den Herren. Unter den Leuten, die mich umgaben, zeichnete sich ein noch ziemlich jnnger Mann durch seine bunte, maurische Kleidung, so wie durch sein dreistes, gewandtes Anftrcten ans. Wie groß war mein Erstaunen, als er mich in gebrochenem Englisch anredete, und fragte, ob wir nicht Engländer seien, Ich erwiderte, wir seien Deutsche, und Hütten nur einen Engländer bei uns; er ließ sich aber seine Meinung nicht ausreden, da ilm mein Englisch-Sprechen noch darin bestärkte. So eröffnete er mir denn in einem schrecklichen Kaudcrwalsch, aus schlechtem Französisch uud noch schlechterem Englisch zusammengebraut, daß er die britische Nation in hohem Grade verehre uud liebe, uud sie den Franzosen weit vorziehe. Er habe mehrere Jahre als Matrose auf dcr englischen Kriegsflotte gedient, nnd so den Krimm-Feldzug mitgemacht, Aus irgend einem Grunde habe er erst vor wenigen Monaten den Scedienst verlassen, und sei in seine Heimath, eine der algerischen Oasen zurückgekehrt, in dcr Hoffnnng, eine gute Anstellung zn erlangen. Doch bis jetzt habe sich nichts gefunden, nnd so lebe er vorläufig beim hiesigen Oase Msüa. [ Sa.h3.Vi \ Der Kaid von Mstla, 209 Kaid als Dolmetscher, zugleich dem französischen Rcmonte-Officier bcim Pferdekauf behülflich. Das zuthunliche Wesen dieses Seeinannes aus der Wüste würde mich fehr angenehm überrascht haben, wenn nicht ein Zug von gemeiner Schlauheit meinen Verdacht erweckt hätte. Eine selbstsüchtige Absicht lag jedenfalls zu Grunde; doch welcher Art mochte sie sein? Bald ward mir klar, daß Freund Ali sso hieß der Matrose), uns für Engländer, also sehr reich, freigebig und landesunknndig haltend, gcrn seine officiclle Stelle beim Kaid mit unserm Dienst vertauscht hätte. Er machte auch ein sehr enttäuschtes Gesicht, als ich ihm mittheilte, daß wir einen ans-gezcichueten Dolmetscher, Namens Chlil, von Algier mitgeuommen hätten. Dennoch gab er nicht alle Hoffnung auf; in jedem Falle würde ihm, so dachte er sicherlich, ein gutes Trinkgeld uicht ent« gehen. Seine biographischen Angaben bestätigten sich übrigens vollkommen, sein Gespräch war höchst lehrreich für die Denkart der Oasen-Bevölkernug. und da Chlil mit dem Gepäck zurück-geblieben war, so kamen anch seine Dolmetsch-Dienste nns wie gerufen. Nach einiger Zeit traf die übrige Gesellschaft ein, und nun erst trat der Herr Kaid aus der Pforte seiucs Hauses, und bewillkommnete uns. Es war ein mittelgroßer, wohlproportionirter Mann von etwa vierzig Jahren, dessen schwärzliches, ernstes, hartes Gesicht das ^ild der finstern Despoten des Orients in mir heraufbeschwor, So mußten die Schahs, Chalifen und Snl. tanc aussehen, die mit eigener Hand den Bruder abschlachteten, und den Günstling, den sie noch so eben mit Macht, Ansehen und Schätzen überhäuft, durch ein Zucken der schwarzen Nngm dem Henker überlieferten, Zum erslcu Mal, seit ich den Bodcu Afrikas berührt, trat mir ein so harter, düsterer, gefühlloser Kopf entgegen; kein Wunder, daß mir fast grauste. Wenn ich früher jene Schrcekcuschaten eines Eambhses. eines Timnr, eines Hakem» Husch, Algci-n'ü, 14 210 Typus eines Despoten. biemr-Illah gelesen, war der Eindruck dadurch geschwächt worden, daß ich mir die ganze Persönlichkeit solcher Menschen so wenig vorstellen konnte, wie etwa die einäugigen Cyklopen nnd die schlangcnarmigcn Giganten. Hier stand mm eine solche Per» sönlichkeit in Fleisch nnd Blut; diese Augen blickten Tod, diese Stirn brütete Verderben. Ein doller, kohlschwarzer Bart faßte das Gesicht ein, nnd die blendende Weiße des Burnus ließ dessen Dnnkelheit noch mehr-hervortreten. Haltung nnd Benehmen ent-sprachen vollkommen der Physiognomie: fest, kalt u»d einsilbig. Welch ein Gegensatz zu deut anmuthigen, lebhaften, gesprächigen Mokrani, der uns zwei Tage zuvor bewirthet! Dieser Kaid war ein Emporkömmling; obgleich im Chalifat der Mokrani, gehörte er zu den wenigen Häuptlingen, die, nicht dieser mäch. tigen Familie entsprungen, ihre bedeutende nnd reiche Stellung dnrch Militärdienste erlangt haben. Er hieß Mohammed bcn-Achmed, und war erst einige Monate vorher hier eingesetzt worden. Die einbrechende Dunkelheit verbannte jeden Gedanken, noch heute die Stadt und Oase zn besichtigen. Wir begaben uns also durch die niedrige Thür in das Gastzimmer des einstöckigen Kaid Hauses, das sich unr durch eine Art Kamin und die ^wei oder drei Pfeiler, auf denen die Decke ruhte, von den früheren unterschied. Während wir aßen, kauerte der Kaid stumm und bewegungslos in der Nähe des Kamins: der vornehme Mo» krani hatte nns eigenhändig bedient! Als sehr angenehme Zn-gäbe erhielten wir zn den gewöhnlichen Gerichten eine köstliche Wassermelone. Die Kosten der Unterhaltung trug der unermüdliche Dolmetscher Ali; er pries vor Allem die hohe Löhnung und gute Kost der englischen Seeleute und Soldaten, im Gegensatz zu den französischen; sowie überhaupt die Macht, den Reichthum nnd die Tapferkeit der Briten. An unserm mg-lischen Reisegefährten, anf dessen Nationalstolz alle diese Reden Taleb und Doctor. 211 gemünzt waren, fand der Anne aber dm nnempfindlichstm Zuhörer. Nach Beendigung des Mahls nahm, außer mehreren an-derm Eingeborenen, auch der Talcb oder Schreiber des Kaids an unserer Seite Platz. Es war ein wohlbeleibter, bärtiger Mann, den: man keine über den Büchern durchwachten Nächte ansah. Waren meine Persuche zn mündlicher Unterhaltung in der Sprache des Propheten niemals über die gewöhnlichsten Redensarten hinausgekommen, so ergriff ich desto begieriger die Gelegenheit beim Schöpfe, um einem Gelehrten des Koran meine tiefen Studien im Arabischen schriftlich darzuthnn. Hatte ich doch einst mit nicht geringer Mühe ganze Geschichten ans Tausend nnd Cine Nacht, ganze Suren des Koran arabisch auswendig gelernt: sollte ich mir nicht hier, mitten im Sprachgebiete, eine kleine Anerkennung verschaffen? Ich schrieb also auf ein Blatt meines Notizbuches den Namen des Kaids, nnd zeigte es dem Taleb, Dieser nahn, seine Nohrfrdcr ans dein Gürtel, tnnkte sie in das dort befestigte Dintefäftchen. und schrieb auf arabisch nnter jenes! /Nie ist dein Name;" und ich verkündete denselben. Anf meine Bemerkung: /Ich liebe die Araber" erwiderte er mit der Dankformel: M mehre Gott dein Wohlergehen/ Unter meine letzte, nicht allzn aufrichtige Bemerkung: ,Dcr Koran Mohammed's, des Gesandten Gottes, ist ein gutes Buch" schrieb er keine Antwort; nnd damit endete dies schriftliche Gespräch zwischen einem arabischen Taleb nnd einem deutschen Doctor; das wohlrrhaltene Autograph hat mich seitdem schon manchmal znm Lächeln gebracht. Nachdem wir noch etwas gcrancht, geplaudert nnd ringe» tragm, legten wir nns, wie gewöhnlich, anf den Teppichen znr Rnhe. froh genug, daß wir nur ein Obdach gefunden; denn von unsern Eseln, unserm Chlil nnd nnsmn Spahi war nichts zu hören, noch zu sehen. 14' V. MM unä Hu-IM. Eine Aue streckt sich hin im Thal, Tragend stolze Palmen ohne Zahl. Der Murgen meines dreiundzwanzigsten Geburtstages fand mich dreihundert Meilen von all den Lieben, die meine Kindheit beschützt, meine Jugend gefördert; kein befreundeter Mund wünschte nur Glück; kein Bricfchm verkündete mir innige Theil-nähme. Noch mehr: länger als jemals, feit ich das Elternhaus verlassen, schon beinahe sechs Wochen war ich ohne alle Nach-richt von den Meinigen; ich wuftte nicht einmal, ob sie meine Ueberfahrt nach Afrika billigten.' Aber alle diese Unislände, die mich zn anderer Zeit schwer gedrückt nnd geängstigt hätten, wirkten hentc nur wie eine leichte Wolke, die am klaren Frühlings-Himmel vorüberzieht. Mein Gemüth war freudig lind beglückt; gerade am Geburtstage, wo jeder Mensch empfänglicher nnd feierlicher gestimmt ist, gerade an dem Tage, den ich so viel Mal bei schneidender Kälte oder düsterem Schlackerwetter begangen, wirkte der Zanber des Südens, dieses ewigen Frühlings, Geburtstag in der Oase. 213 doppelt auf mich ein. War es doch, als ob eine gütige Fee, die Schnsuchtsträmne mcinrr frühesten Jugend erhörend, mich gerade zn meinen, Geburtstage in die erste Oase verseht hätte! — Als ich aus dein nächtlichen Gemach ms Freie hinaustrat, erhob sich die Sonne in glänzender Klarheit über Palmenwipfeln nnd Moschcenkupprln! Der Himmel wölbte sich über mir in reinster Bläue, und selbst die nackten Berge im Norden, nnd die traurigen Lehmhütten rings umher wurden schön bei solcher Be-leuchtung. Die innigste, freudigste Andacht ergriff mich; mein Busen schwoll, mein Herz jauchzte; es war einer der wunderbaren Momente, denen man mit Faust zurufen möchte: Verweile doch, du bist so schön! Unser Gepäckzug, den wir gestern seit dem Dnar Sidi-M. bel'Chir, trotz nnsercs langsamen Rittes nnd des Aufenthaltes in Bordsck-Mrdsched. aus dem Gesicht verloren hatten, traf auch in der Frühe nicht ein, und brachte uns dadurch in nicht geringe Verlegenheit, Da wir schon in Bordschbu-Ariridsch einen Tag Verloren, während doch die Mecklenburger Herren es sehr eilig hattm. um Mitte Januar das Dampfschiff nach Tunis nicht zu versäumen, so entschlossen wir uns sehr nngern, nnsere Bagage hier abzuwarten. Auf keinen Fall durste dir so versänmte Zeit fruchtlos vergehen; es galt, die Stadt nnd die Oafe kennen zu lernen. Wir ließen daher durch Ali den Herrn Kaid um die Erlaubniß bitten. Wie verwandelte sich meine Besorgnis,, von dem harten Manne eine abschlägige Antwort zn erhalten, in freudigste Verwunderung, als Ali nns mit großen: Pomp vcr-kündete: nicht nur gewähre der Kaid die Erlaubniß, sondern er wolle uns selber geleiten, Er fügte hinzu, wir möchten wohl beachten, daß Kaid Mohammed selbst die Stadt noch nie be-sncht habe; die Ehre, die nnö widerführe, also wirklich ans-nehmend sei. Der Leser wird dies ohne Weiteres für eine unverschämte 214 Lage von Msila. Aufschneider« dcs saharischm Seeiliannes halten, ersonnen in der Absicht, uns zn schmeicheln: dcr Civil- und Militärbcfehlshaber einer Stadt sollte luehrere Moilatc einen Bugenschuß von ihr verweilen, ohne anch nnr Oinnial hineinznkommcn? Doch ver-liesse man nicht, daß wir uns zwar anf französischen! Gebiet, aber mitten im Orient befinden. Was tümmert den orienta-tischen Bcanttcn, wie seine Untergebenen leben, ob sie in Löchern wohnen und anf den Straßen versinten, wenn unr die Steuern möglichst reichlich eingehen? Also wozn die Stadt in Angen-fchein nehmen, zmnal dies als übermäßige Herablassung ange-sehen winde! Daher hatte die Angabc Ali's nichts Verdächtiges, als die Persönlichkeit des Mannes; und sie wnrde überdies von glaubwürdiger Seite bestätigt. Die Schilderung der Lokalität wird die Wahrscheinlichkeit derselben noch bedeutend erhöhen. Wir befanden uns auf dem rechten (westlichen) Ufer des Flusses, desselben, der uns aus der Medschana in die Steppe geleitet, hier aber, troh der kurzen Entfernung, nicht mehr Ncd-Ksob, sondern Wed-Msila (das Wasser von Msilaj heißt. Or War hier für Algerien bedeutend breit, ziemlich gewunden, nnd hatte an beiden Seiten wohl dreißig Fuß hohe, sehr abschüssige Ufer. Anf der rechten Seite, durch einen ganz wüsten Platz vom Ufer getrennt, lag nun eben die unansehnliche Wohnnng des Hwid, nnd dicht daranstoßend ein großer, mit Manern und Stallnngen umgebener Hof, der für die Aufnahme dcr Renwutc-Pferds nnd zugleich für die Wohnung des Officiers bestimmt war. Bedeutend flnßabwärts auf derselben Seite sahen wir eine geringe Anzahl Hütten. Sonst war hier Alles vollständig öde, reiner Wüstenboden bis an den Fuß dcr fernen Berge. Die eigentliche Stadt mit den sämmtlichen Gärten, Mo-scheen nnd knbbas lag nmnittclbar über dem AbHange des lin-ken Ufers, so daß dcr Abhang nnd die Wände der ersten Häuser-reihe fast cinc smkrcchtc Linie bildeten. Nnr an Einer Stelle, Besuch dcr Stadt, 215 flußabwärts, zeigten sich belaubte Bänme anl Ufer, und verdeckten anmuthig deu unteren Theil einer großen 5l»bba, die mit ihrer znckcrhutförmigen Kuppel hoch darüber hinausragte, Flußaufivärto, in größerer Lntfmumg, zeigten sich, niit hohen, grünen Palmen-Wipfeln untermischt, noch drei oder vier Kuppeln derselben Art. Die Häuser am Ufer schienen, nach ihrer Höhe zn urtheilen, zweistückig zu sein; dir Fenster konnten nicht alo Maßstab dienen, da keine vorhanden waren, nur ein einziges Loch vertrat ihre Stelle in den nackten Wänden. Durch viereckige Thürme, erker-artige Vorsprünge mW das Zurücktreten mancher Häuser wurde eine sehr unregelmäßige, fast malerische Linie gebildet. l^s war gegen acht Uhr, als wir mit dem Kaid, Ali, dem Spahi Achmed nnd mehreren von des Kaids Gefolge den steilen Abhang zum Fluß hinabstiegen. Nirgends war eine Brücke oder Fähre zu sehen, nm die beiden Statthcile nud den Sit) der ObriMt zn verbinden, nnd doch bot dle Anlage einer hölzernen Brücke nicht die geringste Schwierigkeit, Nach einigem Warten Würde ein Manlthier herbeigeführt, ails dem wir zn je zwei dnrch den Fluß ritten; es bedürfte aber großer Vorsicht, um unsere, Vcine nicht zn durchnässen. Dir Lente des Kaid halten es be-quemcr; sie hoben ihren Burnus in die Höhe. und wateten dnrch, wobei wir die nackten, schmutzigen Veinc dieser Naturmenschen zn sehen bekamen, die Strümpfe nnd Hosen selbst im Winter für über-flüssig halten. Am linken Ufer führte nno etwas unterhalb eine steile lind schadhafte Treppe den Abhaug hinauf an ein sehr enges »ud niedriges Thor, durch das wir in eine ziemlich lange, breite nnd gerade Straße eintratm. Von ähnlicher Beschaffen-heit waren anch die übrigen Straßen, die wir durchwanderten; nngepflastert und voller Löcher, aber nicht gerade schmutzig. Die Häuser hingen so an einander, nnd waren so ohne alle architektonische Verschiedenheit, daft man selten sah, wo das eine aufhörte nnd das andere anfing. Sie bestanden sämmtlich 216 Bauart der Häuser. aus Lehmziegeln; die Wände sind äußerlich noch mit Lehm be° strichen, in dem sich auch Kieselsteine befinden; sie erhalten dadurch ein schmutzig» gelbes Aussehen, ganz im Gegensatz zu den blen° dend weißen Häusern der maurischen Städte. Auch tritt hier das obere Stockwerk nicht heraus, wie fast durchweg bei den maurischen Häusern, wo es, durch zahlreiche dünne Balken gestützt, oft die enge Gasse ganz überschattet. Die Ziegel, rwn denen wir an einer andern Stelle eine Menge aufgehäuft sahen, erinnerten mich lebhaft an die Zwangsarbeiten der Kinder Israel in Aegyptcn; denn sie bestehen ans Lehm und Stoppeln, und werden mir an der Sonne gehärtet. Sie sind länglich>vier» eckig, etwa dreimal so grüß, als unsere gewöhnlichen Ziegelsteine, und oben etwas gewölbt, wovon ich den Grund nicht einsehe; ihre Farbe ist schwärzlich grau. Von der Abwesenheit der Fenster habe ich schon gesprochen; die Thüren sind niedrig, und dun Holz-, drei Balken aus faserigem Palmenholz bilden die Pfosten. Bei unserm Durchzng standen die Thüren meist offen, und wir sahen dann in eine Art Entroe hinein, mit Sitzen aus Lehm an beiden Seiten, und hölzernen Pfeilern, um das Ueberdach zu stützen. Nur Einmal bemerkten wir einen Hof. welcher den mau-rischen ähnlich, aber trümmerhaft war; die ihn umgebenden Säulen warm großentheils dick, rund, crauclirt, aus gelblichem Sandstein; alle etwas zerbrochen, nnd sehr niedrig. Sie trngcn zum Theil noch kapitaler von demselben Stein, aber verstnm-melt und von sehr barbarischer Form. Dieser Hof war mir nicht allein als einzige Ansnahme von der üblichen erbärmlichen Bauart merkwürdig, sondern noch mehr als ein sicheres Anzeichen, daß Msila lodcr doch ein Ort in der Nähe) von den Römern bewohnt war; denn seit den Römern hat kein Volk in der Ber° berei solche Säulen errichtet. — Auch an zwei Gotteshäusern kamen wir vorüber; doch bei dein ersten mußte es uns gesagt KubbaS und Moscheen, 217 werden, denn es erschien von der Strafte ganz wie ein gewöhn-lichesHaus; das zweite war sehr klein, nnd sicherlich eine Knvva. Die Knbbas von Msila bilden durchweg cm ziemlich regcl-müßiges, kahles Viereck mit hervorragenden oberen Ecken; bei einigen erhebt sich über denselben ein verjüngter, gleichfalls viereckiger Absatz; alle aber schließen mit einer Küppcl von der Form einer Znckerhutspitzc. die nicht viel niedriger ist, als das nntcre Viereck. Diese Form, die gar nicht häßlich ist, habe ich nirgends, als hier und in Vu-Ssada gesehen; wie mögen die Einwohner von zwei kleinen nnd entlegenen Oasen darauf verfallen sein? Minarets fehlen gänzlich; überhaupt scheinen die Algerier nicht sehr für diese Thürme eingenommen zu sein; nnd die wenigen, die es giebt, vcrläugnm gänzlich die wunderbare Schlankheit nnd Zierlichkeit der orientalischen Minarets. Algerien ist niemals der Sitz eines wirklichen Chalifcn, gewesen; daher besitzt es keine einzige grußartige nnd wahrhaft schöne Moschee, gleich denen zn Damascus. Bagdad, Cairo nnd Cordova, noch einen Pallast, wie die Alhambra. Die Stadt Algier zählt zwei oder drei ziemlich stattliche Moscheen, Konstantine nnd Oran je eine, deren eigenthümliche, leichte, graziöse Vanart den Europäer, im Gegen-satz zn der etwas massiven Großartigkeit seiner Dome, angenehm berührm mnß. Allein bald wird er gewahr, daß sich selbst diese ersten Gotteshäuser des Königreichs zn den großen Moscheen des Orients mir verhalten können, wie Pfarrkirchen zn Kathedralen. Und gewiß, die Herren Ranb-Dcys nnd Bcys. sämmtlich ans . der nntcrrn Schicht der klcinasiatischen Türken hervorgegangen, waren nicht die ^cnte, nm eine ideale Pracht nnd eine hehre Frömmigkeit in gewaltigen Tempeln zn entfalten; abgesehen da-von, daß auch wohl die Einkünfte ans einem so entvölkerten und armen Lande, selbst mit Einschluß der Piraten-Bente. kcme übermäßigen Ausgaben gestatteten. Um so zahlreicher sind die 218 Eine Stadt ohm Laden. Kubbas, gleichsam dir detachirten Forts des Islam; und gerade Msüa muß riuc besonders froinme Stadt sein, da die Zahl ihrer Grab ° Kapellen alif ein halbes Dutzend Heilige schlic-ßrn läßt. Aber auch hier scheint der Fleiß im umgekehrten Verhältniß zu der Kirchlichfeit zu stehen. Man wird es mir kaum glauben wollen, wenn ich versichere, iu der ganzen Stadt (von drr wir wohl kamn eine größere Straße unbcsucht gelassrn) mit ein paar tausend Einwohnern, nicht einen einzigen Vrrkaufsladen, und nur Eine Werkstatt gesehen zn haben. Aber tonnten nicht die Läden, nnd besonders die Werkstätten sich im Innern der Hänser Iio finden? Für die Werkstätten will ich eine geringe Möglichkeit zugeben, obwohl nicht blos in Algerien, sondern bekanntlich schon in Süd-Europa die meisten Werkstätten anf die Straße hinans gehell. Aber Läden im Innern orientalischer Häuser — das ist ein Unding! Uebrigens regte sich auch auf den Straßen nicht der geringste Verkehr, lion Nagen ganz abzusehen, auch nicht von Lastchierm oder Menschen. Die Stadt sah aus, als wäre eo Bußtag; es war aber nicht einmal Freitag, der mohammeda» Nische Sabbath, sondern christlicher Smmtag, An drei oder m'cr Stellen waren viele Männer versammelt; sie kauerten in einer Reihe die Wand entlang am Voden; sobald wir nahten, erhoben sie sich insgesammt, knßten dem Kaid den Saum seines Ge> tvcmdes, nnd schlössen sich meist hinter unseren» Zuge an. Wir schritten einher mit voller orientalischer Würde; voran der Kaid, ganz allein; dann wir weisenden, in Begleitung Ach-incd's und Ali's; darauf das> Gefolge des Kaids und endlich dic Mäuner des Orts in großer Zahl. Es wurde wenig ge-sprochen-, nnr von Zeit zu Zeit konnte Herr Ali nicht nntcr-lassm, uns auf die große Ehrrrbletuug der Msilaner anfmersam zn machen, dir nicht etwa ihrer Obrigkeit, dem Kaid gelte, son-dcrn einzig und allein den Herren Inglis (Engländern), deren Leder-Industrie. 219 Anwesenheit ruchbar geworden, und derm große Macht und Herrlichkeit durch die ganze Sahara bekannt sei. Das mnßtm wir Deutsche mm von dem hartnäckigen Wüstensohn als Coin-plilncnt hinnehmen! — Mir erschien unsere Wandernug wie ein Einzng fürstlicher Gesandter, uud ulitnuter erhob sich mciue Phantasie zn der egoistischen Höhe, die ganze Ceremonie als eine Feier meines Geburtstages zn betrachten: da ich den Ge-danken nicht ünßerte, was war Schlimmes dabei? Die einzige Werkstatt, die wir sahen, war eiu Zimmer, wo ctwa vier Männer ^eder bearbeiteten; dieselbe Beschäftigung trieben noch einige andere auf der Strafte. Dies ist allerdings die hauptsächliche Industrie vonMsila; die auf echt orientalische Weise geformten und verzierten Reisetaschen, die man hier ver fertige sind allgemein sehr beliebt. Sic werden, wie fast alles Lederwerk in: Orient, ans rothem Maroquin gemacht, haben mehr oder weniger Taschen über einander, und erinnern in der Form an die preußischen HusnreMaschrn. Sie eignen sich, wie cs scheint, vorzüglich zur gesonderten Anfbewahrnng verschiedener Kleinigkeiten; fassen dagegen aber nichc viel in sich. Ich gab nachher dem Ali dringenden Auftrag, mir solche Tasche (die 7 Fr. kosten sollte) zn verschaffen, wobci ich ihm cin gntes Trink« geld versprach; allein trotz der Frist von mehreren Stunden tonnte er keine anftreiben. Wie mögen die übrigen Gewerbe in Msila bestellt sein, wenn die weitaus vorwiegende Leder-Industrie nicht einmal eine einzige Tasche übrig hatte? Ali selbst besaß eine sehr hübsche, die er mit vieler Selbstgefälligkeit zeigte, und wir dnrchans nicht ablassen wollte. So mußte ich denn wirklich ohne Geburtstagsgeschenk, ohne Andenken au das Malmedt) von Algerien von hinnen ziehen! Und was noch merkwürdig ist, ich fand keine einzige der Art in all den Städten, dnrch welche ich noch vl'isic, nicht einmal i» dem großen nnd betriebsamen Cun- 220 Statistik von Msila. stantine, wo doch gerade die Leder-Verfertigung wirklich sehr bedeutend ist. In Daumas „Sahara" lese ich die etwas ältere Angabe, daß es in Msila höchstens 7 bis 8 jüdische Familien giebt, und dieselben mit Berliner Blau färben. Daß Handel und Gewerbe an diesen: Orte höchst geringfügig sind, wird von Daumas gleichfalls bestätigt, lind die Nähe des größeren und besser gelegenen Bu-Ssada, verbunden mit der Trägheit der Msi-lancr, genügt zur Erklärung. Uebrigcns will ich nicht verkennen, daß der Besuch des Kaid mit seinen fremden Gästen manche Einwohner zum Müßiggang veranlaßte. — Die Zahl der Hän-ser und Seelen vermag ich, trotz angelegentlichen Forschens, nicht anzugeben; der Remoutc-Officicr, der sich schon seit einigen Mo-natcn hier aufhielt, sprach dou 3000 Seelen »nd 2000 „Feuern"; schon die erste dieser Zahlen ist gewiß übertrieben, die zweite aber ganz unhaltbar. Dir Statistik liegt für den größeren Theil Algeriens noch sehr darnieder; am besten bekannt ist von den Oasen immer die Anzahl der Dattelpalmen, da i,eder Baum eine Steuer entrichtet-, in Msila lassen sich die Palmen fast mit den Fingern zählen. Wovon leben nun die Einwohner? Ohne Zweifel hauptsächlich von dem Ertrage ihrer Gärten und Felder, auf die ich bald werde zn sprechen kommen. Ueber einen sehr großen, wüsten Platz, der an mehreren Stellen die Trümmer von Häusern zeigte, gelangten wir zuletzt in eine Sackgasse, deren eine Seite von hohen Gartenmauern aus Lehm gebildet wurde. Das Häuschen, das die Gasse endigte, war verschlossen; der Schausch (Polizeidicner) des Kaid pochte, nnd alsbald trat aus der sehr niedrigen Thür eine höchst auf-fallende Persönlichkeit. Es war ein Mann mittleren Wuchses nnd Alters, mit bleichem Antlitz, das rechte Auge stark schielend, vor der Brust ein feines, grünes Zeng, das ich sonst niemals tragen gesehen, und in Allsdruck, Wesen nnd Anzng ganz verworren; Despot und Ascet. 221 auf dm ersten Blick hielt ich ihn für einen Blödsinnigen. Aber wie groß war meine Uebcrraschnng, als der Kaid, der bis dahin Aller Hnldignngon stolz nnd unbeweglich anfgcnomnicn, jetzt dein Unbekannten entgegen schritt, nnd ihm ehrerbietig die Hand küßte! Ncr war die Person, vor der selbst der orientalische Des-pot sich neigte? Keine Frage, es mnfttc ein Mann der Religion sein, ein Marabnt. So standen denn hier, in der Sackgasse der Oasmstadt, die Typen gegenüber der beiden Gewalten, die sich seit Jahrtausenden in die Herrschaft des Orients getheilt: der Krieger nnd der Priester, der Despot nnd der Aseet! Beide für das Ange des freien, intelligenten Cnropäcrs höchst fremdartig, er-schreckend, unheimlich; beide bleich nnd starr, die Vcrkörpcrnng des grausen Fatnms, das die Sklaverei anf die Herren nicht weniger, als anf die Knechte legt. Und der stolze, hohe Krieger brngte sich vor dem unscheinbaren Priester! Nach einer kurzen Untcrrednng zwischen Beiden holte der Marabnt einen Schlüssel, nnd verschwand dann wieder in seme Clause; sein Aussehen gab die Ucberzengung, daß er selten genng das Tageslicht erblickte, — um so größer natürlich der Nnf seiner Heiligkeit. Mit dein Schlüssel wurde eine Thüre der Gartenmauer geöffmi, die aber so niedrig war, daß wir, der Kaid voran, förmlich durchkru'chen mußten; mc um so ergötz-licheres Schauspiel, je weniger die kriegerische Würde der Araber und die Mige meiner Gefährten für solche Nöthigung gemacht zn sein schien, Der Garleu, in den wir uns so mühsam hinein-arbeiteten, hatte übrigens vom Paradiese nur die Schwierigkett des Zngangs; es war ein bloßer Nutz-Gartcn, und der Winter hatte, trot) dor geuiäßigten Temperatur (etwa 15 "0.), doch anch hier seinen verödenden Cinflich ausgeübt; cr hatte der Crde die meisten Blumen und Kräuter, den Obstbäumcn einen großen Theil ihres Laubes entrlssen. Doch freilich, in Vergleich mit 222 Gärten der Oase. dm deutschen Gärten mn dicsc Zeit, sah cs noch grün nnd fröh° lich genug ans. Die Gemüse bedeckten noch einen hübschen Nanm, ich er-innere mich des Kohls, der Artischocken, des rothen Pfeffers nnd der Mohrrüben. Von letzteren rissen der Spahi und die Leute des Kaid in einem der folgenden Gärten eine Menge aus dein schwarzen Boden, nnd aßen sie mit vielem Behagen, nnd auch einige von uns folgten, ihrer Kindheit gedenkend, dem gntm Beispiel. Die Frnchtbäumc — und andere gab es kaum in den Gärten — waren meist die süd europäischen: Feigen-, Pfir-sich-, Aprikosen-, Mandel-, Granat- und Oel°Bänme. die ersten vorherrschend. Dagegen fehlten die Kastanien-, Orangen- nud Citroncn-Bänme entweder gänzlich, oder sie waren doch äußerst selten. Das Bewässcrnngssystcm werde ich bei den folgenden Oasen beschreiben, wo ich es genauer beobachtet; die hiesigen Gärten erhalten das befruchtende Wasser wohl ausschließlich ans dem Wed-Ksob oder dessen Kanälen; in den vier oder fünf großen Gärten, die wir durchwanderten, bemerkte ich keinen Brunnen. Dagegen siel uns in der Mitte des einen Gartens ein ziemlich hoher, aber schmaler, viereckiger Thnrm aus ^ehmziegeln nicht wenig auf, zumal da es uns trotz fleißigen Snchcns nicht gelang, einen Eingang zu entdecken. Endlich half uns ein Msi-laner anf die Spur, indem er das kleine Gesträuch am Fnße des Thurmes bei Settc schob, nnd uns eine Ocffnuun, zeigte, durch die nach unseren Begriffen kaum cinc Katze hätte schlüpfen kün-nen. Dennoch war dies der Eingang des Wächters, der während der Fruchtreife von oben die umliegenden Gärten beaufsichtigen mnß.- wozn die Enge der Oeffnnng, habe ich nicht erfahren. Es giebt solcher Thürme mehrere nm Msila; in den anderen Oasen habe ich nbrr keine wieder angetroffen. — Die ganz vereinzelten Palmenstümme erfrcnten mein Auge sehr dnrch ihre Höhe nnd ihren schlanken, sanft gebogenen Wuchs, sowie dnrch die herrliche Ausfehen der Msilaner. 223 Blätterkronc, mit der sie alle iibrigen Bäume weit überragten. Die Größe der von nns besuchten Gärten war verschieden, aber bei allen beträchtlich; die ^ehm-Mauern, die sie von einander trennen, sind bedeutend niedriger, als diejenigen, welche den ganzen Compler nach der Stadt zu rmhägen; so dast wir jene mit einiger Anstrengung an gewissen Stellen, die dazn eingerichtet schienen, übersteigen konnten; beini Ausgang nach der Stadt zn lnusiten wir aber wieder kriechen. Noch will ich hinzufügen, daß wir anch in den Gärten keinen Menschen arbeiten sahen, nnd daß die Gärten den ganzen Stadttheil auf dem linken Ufer nm-geben, soweit nicht der FInß begrenzt. Wir wandten uns durch andere Straßen wieder dem Ufer zu, als alls einem Hause ein häßlicher Mann, mit rothem Ge,-ficht nnd röthlichcn Haaren, dem Kaid entgegentrat, worauf sie sich anf arabische Art gegenseitig die Hand küßten. Nach einigem höflichem Zwiegespräch verabschiedete sich oer Rothe wieder, und nun berichtete nns Ali, dies sei ein reicher und angesehener Mann, und er habe sich dir Ohn- ausgebeten, den Laid nnd dessen Gäste in seinem Hause zn bewirthen, was vom Kaid aber ausgeschlagen worden. — Dies war der einzige Rothhaarige, den ich unter den dielen Msilancrn bemerkt; natürlich kann ich nur von Bart und Augenbrauen sprechen, denn der Kopf ist ja großentheils geschoren, und außerdem beständig durch die früher beschriebene Kopfbedeckung versteckt. Ueberhaupt ist die Kleidung der Msi-laner und sämmtlicher Bewohner der von uns besuchten Oasen (mit Ansnahme von Viocara) ganz dieselbe, wie ich sie bei den Arabern des Tell angegeben; eine auffallende Uebereinstimmung bei der gänzlich verschiedenen Lebensweise nnd Abstammung! Anch sind viele Vnrnusse nicht weniger schmutzig nnd zerlumpt, nls bei den Arabern. Das Gesicht ist durchgängig ziemlich braun, Augen und Bart schwarz, letzterer wird nirgends geschoren, ist nbcr nicht stark. Es mnßtc nns nicht wenig auffallen, dast 224 Unsichtbarkeit der Msilanerinuen. wir in ganz Msila koine Frauen zu Gesicht bekamen; die doch in den maurischen und selbst in den übrigen OasenStädtcu sich stets auf den Straßen zeigen. Sind die Männer »on Msila so ganz besonders eifersüchtig, oder gilt es nur für unstatthaft, wenn der Herr Kaid die Straßen durchzieht? Als wir wieder an den Fluß, diesen Nil Msila's, gelang-ten, war nicht eiuuial ein Pferd in der Nähe, uns hinüber zu tragen. Was beginnen? Zwei stämmige Kerle aus drm Ge-folge des Kaids nahmen je einen von uns auf die Schulter, und wateten mit aufgehobenem Burnus durch die Furt: es war ein sehr komischer Anblick, wie die langen Beine der Europäer sich ängstlich in die Hohe streckten, nm das kalte Fußbad zu vcr-meiden. Den menschlichen Saumthierm schien übrigens die be-trächtliche Last nicht die geringste Beschwerde zu machen. So waren uns denn für heute alle möglichen Arten und Sonderbar-keilen der Ortsbewegimg vorbehalten: ein wahrer Parade-Zug durch die Straßen, ein Durcht'riechen und Uebcrklettern von Mauern, und zulcht ein Flußübergaug auf Mcnschemückcn! Aber das Schlimmste und Sonderbarste der Art sollte noch im Laufe des Nachmittags kommen! — Anf dem andern Ufer durchwanderten wir noch die einzige Straße, die es dort gab, nnd kehrten dann über den großen, ivüslen Raum uach der Woh-nuug des Kaid zurück, gauz befriedigt uud voll vou all den merkwürdigen Eindrücken, Es läßt sich denken, daß wir nicht verfehlten, dem Kaid durch den höflichen Ali unfern verbind-lichstcn Dank für seine Begleitung ausdrücken zu lassen; »vorauf cr ebenso verbindlich erwiederte, wenigstens klang es so von den kippen Ali's, dieses Wilden, dem „Ouropcns übertünchte Höflich-keit" durchaus nicht fremd geblieben! Um auch ein französisches Urtheil über Msila zu veruchmen, nnd dic angekauften Pferde zu besichtigen, begab ich mich allein nach der einzigen französischen Niederlassung hier am Orte, nach Im Remonte-Hof. 22-5 dem Renwnte-Hof, der, wie ich schon bemerkt, dicht an das Kaidhans ansticsi. Ich traf den Officier, ciucn Herrn von etwas mürrischcni Aussehen, in einem sehr kleinen nnd schlechten Zim-mer, dem sogar dic Stühle fehlten. Aber was der Franzose schwerer entbehrt, als selbst Tisch nnd Stuhl, das ist das liebende Weib, und so traf ich denn anch den Herrn Lieutenant, wie er an der Seite eines nicht gerade schönen Mädchens anf einer gemeinsamen Kiste saß, beschäftigt mit dem Verzehren eines be-schcidenen Frühstücks. Für mich ward eine schmälere Kiste bc> reit gemacht, nnd ich begann ein kurzes Gespräch, das mir aber sehr wenig Ausbeute gab. Der Ghum des Kaid von Msila sei 160 Reiter stark; seine Einnahmen betragen wenigstens 20,000 Fr. jährlich, theils Gehalt von der französischen Regierung, theils Antheil an den Abgaben und Strnfen der Bewohner. — Ist diese Nachricht nicht übertrieben, so steht sich also der Vorgesetzte einer kleinen Oase fast so gut, wie ein preußischer Minister'; oder vielmehr, er steht sich bei weitem besser: denn der Werth des Geldes ist in den Oasen außerordentlich hoch, und die Vedülf-nissc außerordentlich gering. Der Basch-Aga der Medschana, der nächste Vorgesetzte nnseres Kaid, soll sogar jnmüch 80,000 Fr. von seiner Würde allein ziehen, wovon 60,000 Fr, als direkten Gehalt von Seiten der französischen Regierung. Doch möchte ich diese Zahlen nicht verbürgen, jedenfalls sind die Einkünfte der einheimischen Befehlshaber sehr beträchtlich; und müssen es wohl sein, um sie, an deren Treue, nnd Ergebenheit so viel gelegen, bei gutem Willen zu erhalten. Cs ist leicht möglich, das; in den westlichen Provinzen, wo das Ansehen und die Macht der weltlichen Häuptlinge lange nicht so bedeutend ist, wie im Osten, die Gehälter viel knapper zugemessen werden, Als ich aus dem Remontc-Hofe heraustrat, erblickte ich einen einzelnen Neitcr in europäischer, jagdmäßigcr Kleidung, der eben anzukommen schien. Ich fragte ihn, ob er vielleicht Hirsch, Algerien, 15 226 Eintreffen der Vci^age. einem Trupp Maulthierc niit ciuem Spahi begegnet sei; und meine Freude war nicht gering, als er erwiderte, sie seien ganz in der Nähe. Ich lief sogleich zn meinen Gefährten, lim ihnen die frohe Botschaft zn verkünden; nnd es dauerte wirklich nicht lange, so hielten die Maulthierc nnd ihre Begleiter wohlbehalten vor unserer Thüre. Unser voriger Tagcmarsch, hieß es, sei zn weit nnd anstrengend gewesen, sie hätten daher in Bordsch-Med-schcd übernachten müssen; auch hätte sie der dortige Häuptling, der ja für ihre Sicherheit verantwortlich sei, bei anbrechender Dunkelheit nicht weiter ziehen lassen. Trotzdem war ich über-zeugt, daß das Zurückbleiben der Bagage wieder ein Streich des alten, einäugigen Spahis sei, niu nnsrrr Neisc nnd ihre Bezahlung zn verlängern; denn die vorige Tagereise war nicht übermäsüg gewesen, nnd die Thiere hatten znvor in Bordsch einen halben Tag geruht. Nun wollte der hartnäckige Kerl nicht einmal weiter; er hätte gar zu gern in Msila geschlafen; aber das war doch selbst meinen geduldigen Gefährten zn arg, nnd es wurde ein-müthig beschlossen, die Bagage habe, nach Annahme des Früh-stücks und cinstündigcr Rast, zugleich mit uns aufzubrechen, nnd fernerhin gleichen Schritt mit uns zu halten. Jener Reiter, der gleichfalls nach Bn-Ssada reiste, versprach sich nns anzuschließen, worüber ich, ill Hoffnung ans interessante und lehrreiche Ge-spräche, sehr vergnügt war. Allch der bis dahin so finstere Kaid zeigte sich zu guter Letzt in freundlicherem Lichte. Er trat, einen kleinen Knaben anf dein Arm, in das Gastzimmer, wo wir versammelt waren; nachdem er mit ihm geplaudert, und ihn an's Herz gedrückt, schte er ihn auf den Boden, und fuhr noch lange fort, sich aus-schließlich mit ihm zn beschäftigen. Vaterstolz nnd Vatcrliebc leuchteten jetzt ans den Augen, die nur anfänglich so kalt, so ge-fühllos. so grausam erschienen. Dieser Zng allein dürfte übrigens nicht hinreichen, ihn seines despotischen Charakters zu cnt- Ein zärtlicher Vater. 227 kleiden; weiß ja doch Jedermann ans der Geschichte und dem täglichen Leben, daß gerade die härtesten und wildesten Männer oft die zärtlichsten Väter sind. Das Bedürfniß der Liebe ist ein so unvergänglicher Grundzng jedes menschlichen Herzens, daß es, an den meisten Stellen zurückgedrängt, an einer einzigen um so gewaltiger hervorbricht, und durch sein Ucbcrniaft oft ebenso schrecklich ist, wie sein Gegentheil. Am natürlichsten wirft es sich gerade auf die Kinder, so lange sie noch nnerwachsen sind, weil die Kinder so lange nur das andere Selbst des Vaters, nnd znmal im Orient seinen größten Stolz ansmachen; Liebe ist hier von Egoismus kamn zu unterscheiden. — Der Knabe des Kaid mochte drei bis vier Jahre alt sein, nnd trug die für Kinder so allerliebste maurische Tracht: rothen Fez mit Troddel, blancs oder gelbes Jäckchen, rothc Pmnphöschen, weiße Strumpf-chcn nnd gelbe Schühchen. Wir bewunderten natürlich den Kaid< Prinzen nach allen Regeln dcr Höflichkeit, nnd eroberten dadurch ein Lächeln des Dankes nnd dcr Genugthuung vom Herrn Vater. — Das Frühstück ward wieder im Gastzimmer ringe-nommen, und gleich darauf bestiegen wir unsere Pferde, um noch den Abend Bn-Ssada zu erreichen. Ehe wir von dem so interessanten Msila scheiden, noch einige Worte über seine neueste Geschichte. „Abd-cl Kader hatte den Einfluß, dcr ihm noch in dcr Gc-gend von Msila blieb, benutzt, nni an diesem Orte seineu Eha-lifen (Stellvertreter) HadschMohammcd einzusetzen. Von dort, als dem Mittelpunkte, schickte er seine Agenten in die Provinz (Konstantine, wo sein Einstuft von jeher der geringste gewesen), um den Heiligen Krieg zu predigen nnd die Stämme aufzn» wiegeln. Hadsch-Mohammed war es gelungen, cinm solchen Schrecken unter der Bevölkerung dcr Medschana zu verbreiten, daß sie sich insgesammt in die Gebirge geflüchtet hatten, nnd daß diese einst so lachende, so fruchtbare Ebme nnr noch als 228 Einnahme vmi Msila. einc große Nüstr erschien. Den 29. Mai l184I) brach der Gencral-^ieutenant N<>grier, Befehlobaber der Provinz, zur Ab-hülfe dieser Lage, cm der Spitze einer starken Kolonne »cm Con-stantinc anf. nnd begab sich nach Msisa, Bei seiner Annähcrnng erklärte einc große Anzahl Stämme ihre Unterwerfung; er tter-trieb den Chalifen Abd-el Kaders ans dem Sitze seiner Nänke, und ergriff Maßregeln, nm neue Umtriebe zu verhindern."*) In diesein Berichte erscheint die Unterwerfung Msila's als eine ebenso leichte, a!s unbedeutende Maßrege!; dieselbe gewinnt aber sehr an Nichtigkeit, wenn eö sich herausstellt, das! sie den ersten Schritt der Franzosen in die sogcnannk Sahara bildet. Freilich mnrde dieser Schritt sogleich wieder znrückgethan; es scheint nicht, das; Msila beseht blieb, nnd erst acht Jahre später, 1849, erfolgte die Besetzung des so nahen nnd wichtigen Bn-Ssada; die viel entlegnere Oase Biscara wurde schon drei Jahre nach der Unterwerfung Msila's occnpirt, nnd war das erste bleibende Standquartier der Franzosen in der Sahara. Hieraus ergiebt sich, daß anch die Leichtigkeit der Expedition nach Msila die Rcgiernng nicht uon der falschen Ansicht zurückgebracht hatte, als ob die algerische Sahara weit schwieriger zn unterwerfen sei, als das Tell; die großen Entfernungen, der Maugel au Nasser und Vorräthen, die Flüchtigkeit der nomadischen Belwlkernng mußten in der Idee allerdings als große Hindernisse erscheinen. Allein in der Wirklichkeit verhielt es sich gerade nmgekehrt. Einerseits handelt es sich wesentlich um die Besetzung der wenigen nnd nahe gelegenen Punkte, wo die Saharier im Frühling durch-passiren müssen, nm mit ihren Hcerden die Weiden des Tcll zn gewinnen; und andererseits ist die algerische Sahara fast nirgends so arm an Wasser und Nahrnng, um den Durchzug einer Heer» abtheilnng ernstlich zu gefährden. Dagegen fehlen ihr die vielen ) L. Galibert, L'Algcrie anciennc et moderne, Paris 1846. Leichte Beherrschung der Sahara. ' ZZ9 Engpässe, das conpirte Terrain nnd die winterlichen Regengüsse, durch welche der Boden des Teil den französischen Trnppen weit verderblicher geworden ist, als die Kngeln seiner Bewohner. End-lich ist die Nmnadrn-Btt'ölkernug der Sahara zn dünn, nm einem etwas starken nnd conseqnrntcn Angriff zn widerstehen; die Oasm-Vewohner sind isolirt, größtenthrils unkriegerisch, nnd können ans ihren Ortschaften nur als Vcttlcr flüchten; zudem hassen sich dir Nomaden nnd dic Oasen-Leute gegenseitig, so daß eine Vereinigung beider zn gemeinsamer Abwehr nur schwer z» Stande kommt. Die Erfahrung hat seitdem die Nichtigkeit dieser Sähe vollkommen bestätig, nnd die vermeintlichen Schrecken der Wüste als umgekehrte Fata Morgana dargethan. Das ganze Sub, Bn-Ssada, EI Aghuat, ja selbst die Oasen von Tuggurt, Temn° ein, Wed'Ssnf und Veni Msab, sämmtlich an der Grenze der großen Wi'iste. sind fast ohne Schwertstreich, fast ohne Vcrlnst an Mannschaft in die Gewalt der Franzosen gekommen nnd darin verblieben. Man kann sagen, dasi je weiter in die Wüste hnmn, desto geringer die Schwierigkeiten, desto schwächer der Widerstand. Znr Zeit meiner Neise war die Kabylic, dicht an der Küste nnd nnr drei TageMärsche von der Hauptstadt, noch nnnnterworfen; dagegen machten schwache französische Trnpven-corps förmliche Promenaden von einen: Ende der Sahara znm andern, nnd eine Korporalschaft Spahio oder Tnrcos reichte ans, um das „Sultanat" Tnggnrt in Gehorsam zn erhalten. — Das einzige Beispiel eines kräftigen Widerstandes in der Sahara hat im Jahre l849 die Oasen Stadt Saatscha geliefert; aber lag das in ihrer besonderen Ablegenheit nnd Unzngänglichkeit? Waren wasserlose Einöden wochenlang zn dnrchziehen, nnd ausgedehnte Sümpfe und Wälder zn überschreiten? Keineswegs, denn Saat-scha gehört zn den Sibün. einem wahren Hansen von Oasen, deren Hanptort Viscara seit Jahren eine französische Citadelle 2Z0 IloUuin ^u^nrtlinnim. geworden, nnd nur eine Tagereise vom Tell entfernt liegt. Nur die fanatische Tapferkeit seiner Bewohner vermochte dm ersten Angriff glänzend abzuschlagen, nnd den zweiten zn einer mehr monatlichen Belagerung nach allen Regeln der Kriegskunst ans-zndehncn, deren weit überlegenen Kräften das hcldenmüthige Häuflein endlich unterliegen mußte. Diese neuesten Erfahrungen wcrfen auch ein interessantes, kritisches Licht anf die Erpeditioncn eines anderen Volkes, das vor 2000 Jahren die Berbcrci zn erobern hatte. Nach dem Zenguisse Sallust's flößte nichts den Feinden mehr Schrecken, den eigenen Soldatm mehr Enthusiasmus, und den Vürgcm mehr Bewunderung ein, als zwei Züge in die Wüste, der erste des Metellus gegen Thala, der zweite nnd berühmtere des Ma-rius gegen Capsa. Es heißt im 76. Capitel des Zolium tsu-Aunkinnni, nach der Erreichung rwn Thala: „Aber der König (Ingnrtha), der nichts mehr unausführbar für den Metcllus glaubte, da er ja Alles: Waffen, Geschosse, Oertlichkeiten, Zeiten, zuletzt die Natur selbst, welche alles Uebrigc beherrscht, durch seine Energie überwunden — flüchtete sich mit seinen Kindern nnd einem großen Theile seines Geldes bei Nacht ans der Stadt (Thala)." — Und im l)2. Capitel, nach der Erobernng mm Capsa, heißt es: „Nachdem Marius eine so große That ohne irgend einen Nachtheil der Scinigen vollbracht hatte, stieg sein Ansehen und Rnhm, die vorher schon hoch gewesen, zn noch größerer Höhe, Alles Unüberlegte wnrde ihm als Tapferkeit angerechnet. Die Soldaten, milde behandelt und zugleich bc-reichert, hoben ihn bis zum Himmel; die Numidier fürchteten ihn mehr als einen Sterblichen; endlich glaubten Alle, Freunde wie Feinde, entweder besitze er göttlichen Geist, oder nnf der Götter Wink werde ihm Alles dargebracht." — Die französischen Offieiere. die jetzt jährlich wochenlang die Wüste durchziehen, und ganze Dafen nntcrwerfen, von denen bisher kanm dic Namen Eclluin Jugurthinum. 230 El-Hodna. 2ZI bekannt waren, können wirklich in Versnchung konunen, sich für lantcr Marinssc zn halten; wenn sic nicht nielmehr einschen, daß der Kriegsrnhm sich laicht dnrch dm Zauber des Abeliteuerlichen blenden IM, Napoleon's Feldzng nach Aegypten war gewiß der leichteste, ja der fehlerhafteste, dcn er abmacht; nnd dennoch hat biellcicht keiner seinen Nnhm so erhöht. Der Ruhm ist ciü Sohn der Phantasie; sehr begreiflich daher, wenn das Phan-tastische freuidcr, nnbetannter Länder und Wcltthcilc sein Ur-theil besticht. — Das heitere, warine Wetter von gestern verschönerte anch dcn ganzm hcntigcn Tag, nnd die Gesellschaft des freundlichen Franzosen, vereint mit der Menge nmer Gegenstände, machte, dcn hentigcn Ritt zn einem srhr angenehmen. Nicht wenig trug anch zn meiner Befriedigung bei, daß die gntc nnd gänzlich ebene Beschaffenheit des Weges, nnd die weite Eulfernung nnscres Reiseziels meine Gefährten zu manchem scharfen Trabe und sausenden Galopp veranlaßte. Ja, es ritt sich ganz anders durch die ausgedehnte Fläche, über die glatten, breiten Rasenwege, als gestern anf dem scharfen Gesteiu der Vergschluchten! Wir befanden nns in der Hochebene VIHodua, die in der Form eines fast regelmäßigen Dreiecks hier die ganze Nrcite der Steppen» Region einnimmt, da sie dnrch einen südöstlich streichenden Berg-zug non der Ebene Medschana, dnrch einen nordöstlich laufenden aber von dem Sahara-Bezirk M-Nwja geschieden wird. Wo diese beiden Gebirge zusammenlaufen, ist die östliche Spitze des Dreiecks; ein dritter, aber niedrigerer nnd llnterbrochener Höhenzng trennt das Hodua lwn der westlichen, größeren Hochfläche der Ulcd-Nail, und bildet die Basis des gleichschenkligen Triangels. Diese mag etwa 15 Meilen laug fein; die bcidm Scheu-kel je 20. Das Hodna ist ein wahrer Mikrokosmos des Steppen-landes: anf allen Seiten don Gebirgen umschlossen, enthält cs 232 Schott-es-Saida. in der Mitte mim großen Salzsee, gleichsam sein Centralmeer, dein alle Wasserläufc von den Bergen znfließen. Alls dein Teil findet sich der einzige Wcd-Ksob ein; aber ans der Hochebene der Uled Nail kommen zwei Flüsse, der eine von Nord-Westen, der zweite nnd größere von Süd-Westen; endlich entspringt noch ein ziemlich bedeutender Fluß ganz im Osten, in der änftersien Spitze dcs Dreiecks. Die übrigen sind nur nnbcdentendc Bäche, nnd ihre Zahl mag nicht über sechs steigen. Besonders Wasser arm ist die Südseite des Hodna, wo niedrige, steinige Berge es durchziehen, denen nach der Scitc dcs Sees cm breiter Gär-tel dcs reinsten Sandes vorgelagert ist. Daher der schneidendste Gegensatz zwischen dem nördlichen und südlichen Theile der Flüche; der erstere grün nnd fruchtbar, wie es eine Steppe nnr sein kann; der letztere kaum von einigen Nüstenpflanzm bc> wachsen. Der Salzsee des Hodna, Sebchael-Schott, odcr, grwiß rich» tiger, Schott es-Snida genannt (denn jener Name würde auf deutsch: Salzsee des Salzsees heißen), ist der größte Algeriens, wahrscheinlich der ganzen Berbern; bei etwa 13 Meilen Migc (von Westen nach Osten) nnd 3 Meilen Breite, bildet er ein sehr längliches Viereck mit abgerundeten Ecken. Wie alle übri-gen „Schotts" trocknet er im Sommer gänzlich aus, iudem er eine dicke Salzkruste zurückläßt; auch im Wiuter ist er sehr seicht, nnd mehr einem Snmpfe, als einem See ähnlich, Er führt seinen Namm von dem Oertchen Saida, fast 2 Meilen südlich von Msila, wo der Wcd-Ksob in ihn einmündet. — Von die-sem großen See berichte ich jedoch nicht als Augenzeuge, sondern nach mündlichen Nachrichten uud den besten Karten; denn son^ derbarerweise, obgleich wir die ganze westliche nnd südliche Seite des Sces, von Msila bis Mdnkal, meist in der Entfernung von einer halben bis ganzen Meile entlang zogen, nnd häufig nach ihm nmsahen, erblickten wir ihn doch kein einziges Mal deut- Zahlreiche Zeltlager. 233 lich. Als ich diesen See auf der Karte sich so nahe bei nns ausbreiten sah, und doch drei Tage lang keine Spur von ihm entdeckte, gemahnte es mich lebhaft an das Mährchcn in Tausend und Emc Nacht, wo auf den Zauberspruch der betrogenen Königin der See der Schwarzen Inseln plötzlich verschwindet! Die Straße nach Vu-Ssada, der Hauptstadt des Hodna, führte nns südsüd-westlich, abwechselnd durch sprossende Kornfelder, durch kurzgrasige Aeuger, oder durch ödes Erdreich, Der Boden ist fruchtbar, wo das Nasser des Wcd°Ksob ihn brfruch-tet, an dessen rechtem Ufer wir eine Zeit lang hinzogen, jedoch stets in einiger Entfernung. Linker Hand erblickten wir mehrere Haufen schwärzlicher Kegel; das waren die Zeltlager der Be-dnincn! Ihre Zahl war überrascheud groß; gewiß beherbergten sic einen ganzen Staunn, der gerade zu dieser Zeit hier seine Hecrden weidete, und vielleicht auch das Korn-Land bestelltem eine Arbeit, der sich die Oasen°Lcnte uicht gern unterziehen. Alsbald begegneten uns auch lauge Züge lion Kamecleu, die beladcu gen Norden zogen. Erst durch das massenhafte Erscheinen dieser seltsamen Thiere fühlte ich mich vollständig in das Nomaden-Land versetzt; daher begrüßte ich sie mit frohem Jauchzen. Mit den Kameeleu verhielt es sich gerade, wie mit den Dattelpalmen-, beide hatten wir seit Algier nirgends angetroffen, nnd in Algier sind beide so selten, dasi sie kaum minder als Curiositäten er-scheinen, denn in unsrreu Gewächshäusern nnd Thiergärten. Wanzen nnd Thiere muß man auf ihrem heimischen Boden nnd in Massen sehen, nm ihren wahren Charakter zu erkennen, ihren wahren Eindruck zu empfinden. Wie erst ein Hain von Palmen die zauberhafte Schönheit dieser Pflanzcngattnng dar» thnt, so vermag auch uur eine Heerde von Kameelcu die ganze Häßlichkeit und lächerliche Abnormität dieser Thiere vorzustellen. Ich glanbc, die Melancholie selber müßte laut auflachen, wenn sie zum ersten Male eiueu Zug Kamcele erblickte. Diese 234 Das Kamee!. langen, dnnnnen, phlegmatischen Köpfe, mit der weit vorstehenden und herabhangenden Unterlippe, vollkommen wagerecht von dem herabgckrümmtcn Halse getragen, das gänzlich Formlose des Nnmpfes, der mißgestaltete Höcker, die eingeschrnmpftcn Weichen, die schwieligen Beine, von denen die hinteren dünner erscheinen, als die vorderen, der träge, absonderliche Gang, der immer von einer Seite znr andern schwankt — ist das alles schon bei einem einzelnen Individnnm anffallend und komisch genug, wie erst, wenn es sich ohne den geringsten Unterschied bei fnnfzigen, bei hnndertm hinter einander wiederholt! Am meisten Spas; niachtr mir immer die vollkommen wagcrcchtc Haltung des Kopfes, welche meines Wissens bei keiner anderen Art von Thieren vor-kommt, mit Ausnahme etwa der Lamas, die ja nichts weiter sind, als kleinere Kameele. Allein das Lachen verwandelt sich in Bewnndernng, sobald man über den Zweck dieses eigenthmn° lichen Kopftragens nachdenkt; welcher ohne Zweifel der ist, die Schnauze so viel als möglich von dem glühenden, beweglichen Wüsicuboden zu entfernen, und ihr zugleich die Richtung in die Fcruc zu gcben, damit sie die Spur schädlicher Winde oder feindlicher Thiere möglichst früh entdecke. Denn wenn der Bau und die Organisation irgend eines Geschöpfes sich vollständig aus seiner Bestimmung, ans dem Zweckbegriff, ableiten läßt, so ist es sicherlich die des Kameeis. Wer übrigens diesem nützlichen Thiere den so viel ge-brauchten Namen „das Schiff der Wüste" gegeben, hat sicherlich mehr als. billig den Zweck, nnd weniger als billig die Beschaf-fenheit im Auge gehabt. Wie kann es einen größeren Abstand geben, als zwischen dem Schiff, das mastentragend und segel-blähend die Wogen pfeilschnell durchschneidet, ein herrliches Bild der Kühnheit und Anmuth — nnd dem Knmeel, das mißgestaltet und träge, ein Päckchen auf dem Höcker-Monstrum, schwanken-dm Ganges über den Wüstensand hinschleppt! Das Kamccl ist Fata Morgana. 235 gewiß rim unentbehrliche Wohlthat für die Ein- und Anwohner der Wüsten und Steppen-, aber darüber vergesse man nicht den anßcr ordentlichen Vorsprnng, den Schiff nnd Wasserstraße vor Kaiueel nnd Wüstenpfad natnrgemäß behanptet. Das Schiff ist fast beliebig groß zn uiachcn, nnd beinahe sein ganzer Umfang be sitzt Tragkraft; das Kamecl hat eine festbestinnnte Größe, und feine Tragfähigkeit ist ausnehmend gering selbst im Verhältniß zn dieser. Während ein gutes Maulthier fast 3 Eentner (Zoll-gewicht) trägt, darf das um so viel größere Kamee! auf weitere Entfernungen nnr mit 4 Centnern belastet werden. Zum Trans-port Einer größeren Schiffsladung gehören danach tausend Ka-meele! Ein Handel, wie der englische, wäre mit Kanieelen ge° rndczu undenkbar. — Kanin waren die ersten Beduinen-Zelte uns erschienen, die ersten Karawanen au uns vorübergezogen, so überraschte unser Auge ein drittes Schauspiel, als sei es darauf abgesehen, uns auf ciumal uud gleich beuu Eiutritt ein vollständiges Bild der Nüsteureise vorzuführen. Es mochte etwa 4 Uhr Nachmittags sein, als gerade vor uns, gegm Süd-Süd-Westen, mitteu auf der kahlen Fläche, in Eutfmmng von einer Meile ungefähr, eine Baumgruppe mit kleinem Wasserspiegel auftauchte, „Cine Fata Morgana!" erklang es freudig überrascht von mehreren Lippen; einige von uns aber schüttelten ungläubig dir Köpfe, sie sahen noch nichts, AIs wir anderen aber die Stelle mit dem Finger ganz übereinstimmend bezeichneten, erblickten auch sie Bäume nnd Wasser, und riefen, wie wir: „Eiuc Fata Morgaua!" Es blieb nur noch ein Zweifel: waren es nicht wirkliche Bäume, nicht wirkliches Wasser? Aber unser französischer Begleiter hatte die Reise zwischen Msila nnd Bu-Ssada wohl zwanMmal zurück-gelegt, und versicherte uns von: Gegentheil; doch erinnere ich mich nicht, ob er die Fata an dieser Stelle, oder überhaupt in dieser Gegend, schon öfter bemerkt hatte. In diefcr Jahreszeit hatte 236 Der Kaufmann von Vu°Ssada, die Erscheinung etwas Auffallendes; in Bezug auf die Orts-beschaffenheit aber nicht; denn da, wo sie scheinbar stattfand, war schon wahrer Wüstcnbodeu. Wir behielten die Fata cine ge-ramne Zeit lang beständig im Auge, gewiß eine halbe Stunde. Der Himmel war durchaus klar, die Witterung ruhig uud warm. Auf uuscrer ganzen Reist durch das Hodna und die Sahara ist uns übrigens die wunderbare Fee Morganc nicht wieder erschieucn. Undankbar wäre es von mir, wollte ich noch länger unsern gesprächigen Begleiter im Dunkel lassen, welchem er auch im größten Interesse des Lesers entrissen zu werden verdient. Seine Verhältnisse birteu in der That einen treffenden Abriß der fran-zösischcn Colonisation in den Oasen. Wie er so schmuck und stramm in einer Art Iagdkleiduug auf seinem nmntern Rüsilein saß, hätte ihn jedermann für einen wohlhabenden Gutsbesitzer halten müssen, der eben vom Woll- oder Korn-Verkauf heim-kehrte, Nach einiger Zeit aber gab er sich als Kaufmann zu erkennen, ansässig zu Bn-Ssada, wo er zugleich als Lieferant für die Garnison funktionirte. Jetzt etwa 40 Jahre alt, war cr Unterofficier bei einem Regiment in Afrika gewesen, hatte aber, wie er sagte, di^ gewisse Anssicht auf baldiges Avance-mem aufgegeben, nm als Kaufmann ein ruhigeres, freieres uud einträglicheres Leben zu führen. Es kam jetzt von seiner ge-wohnlichen Geschäftsreise nach Setif zurück, wo er stets dic cnro» päischeu Waaren cinta'.lftc; seine Waaren folgten ihm anf einer großen Zahl Mauithierc; um seine Familie zn beruhigen, war er vuraufgeritten. Er kannte den Commandanten und die Of< ficicre von Bu-Ssada, und versprach uns freundliche Aufnahme von ihrer Seite; erbot sich aber selbst, uns bei sich zn bewir-then, imd zu den Merkwürdigkeiten der Oase als Führer zn dicncn: was wir indessen, nnter Hinweis anf unsere hohen Empfehlungen, dankend ablehnten. Die Folge wird lehren, daß Wcb-el°Scheläl. 237 er dennoch seinen Willen behielt, freilich auf eine Art, an die wir nicht hatten denken können. Der Mann hatte etwas gar Offenes nnd Zutrauliches in seinem Wesen: was, mit passender Bescheidenheit gepaart, ihn sehr vortheilhaft von der großen Masse seiner Landslente unterschied, und einen äußerst angenehmen Reisegefährten abgab. Ich wich daher selten von seiner Seite, nnd snchte eine so seltene Gelegenheit gehörig anszubeuten, um meine Kenntnisse von: Lande und dessen Bewohnern zu bereichern. Durch seineu lau-gen Aufenthalt und lebhaften Verkehr mit den Eingeborenen wußte er Manches; doch fehlte es ihm an der tieferen Bildung nnd der lebendigen Theilnahme, nm ein vollständiges und tref> fendes Bild entwerfen zu können. Was ich von ihm Wissens-werthes erfahren, werde ich in gehörigem Zusammenhange anführen. — Herr Pöche, so hieß der Kaufmann von Bn-Ssada, war nicht wenig swiz anf seinen Braunen, dessen glattes, wohl-genährtes Aeußerr allerdings gegen unsere mageren Frohngäulc vortheilhaft abstach; in der Schnelligkeit aber war der Vorzug eher auf Seite der letzteren. Gegen 5 Uhr etwa sollte der bis dahin so schlanke, so leb-hafte Ritt auf eine höchst eigenthümliche Weise unterbrochen wer-den. Ungefähr drei Meilen von Msila fließt der nördliche der beiden Flüsse, die ans dem Gebiete der Uled-Nail in das Hodna eintreten, nnter dem Namen Ned-el^EchMl in oft-süd°östlicher Nichtnng quer durch unseren Weg. Da wir anf dieser Reise schon so viele Gewässer ohne Beschwerde durchritten, so fürchteten wir uns auch nicht im mindesten vor diesem Flüßchen, znmal bei der andauernden Trockenheit der letzten Woche; wir spotteten fast der Narnnngen des Herrn Poche. Mein als wir das Ufer erreichten, nnd statt des graue« Wassers auf Sand-oder Kirselgrund, wie bisher immer, nur eine breite, schwarze, schlammige Masse vor nns sahen, da wurden wir des Unter- 238 Im Schlamm: schiedes und der Gefährdung inne. AIs einziges Mittel des Dnrchkommens erschien es, die Pferde mit aller Gewalt anzn-treiben, damit sie nicht Zeit hätten, im Schlamm stecken zu bleiben. Der Franzose sehte zuerst hinein, nnd kam glücklich durch, ebenso der Engländer; Herr v. O., ein trefflicher Nci-ter, hatte schon mehr Mühe; ich selbst blieb mit dem Pferde stecken, brachte es aber mit Aufopferung meines Pfeifenrohrs, das ich anf ihm zerschlug, noch glücklich heraus; aber Herr v. C., der schwerste lwn nns allen, wurde mitten im Schlamm von seinem'Nenner abgesetzt, l'ersank bis weit nber'ö Knie, nnd eut-wand sich nnr langsam nnd mühevoll den Umarmungen dieser zudringlichen Schlamm Najaden. Und welcher Auszug, als er am Ufer wieder festen Boden gefaßt! Wir anderen hatten die Stiefel nnd den Rand der Bein» kleidcr beschmutzt, ihm aber war von dem allzn freundlichen Flußgottc Schelul ein neues Paar Beinkleider übergezogen wor» den, welche er nicht anders entfernen konnte, als durch Ans-ziehen der alten, an die sich jene fast unzertrennbar angeschlossen hatten, Nnn ging es an ein Kratzen nnd Wischen nnd Putzen; und da die Ufergewächse nicht gerade die tauglichsten Bürsten sind, so wollte das Reiuignngsgeschäft gar nicht enden. Dabei, dürfte der Beschädigte auch für Spott uicht sorgen, unter dem ich ebenfalls mitzuleiden hatte; denn es hiesi, meine Figur beim Zerschlagen des Ncichselrohrs sei nicht wenig ergötzlich gewesen. Noch war übrigens die Gefahr durchaus nicht beseitigt: hatten wir auf unseren kräftigen Pferden schon solche Noth gehabt, was sollte ans den schmächtigen Maulthiereu mit ihreu gewichtigen Lastcu werdeu. die sich eben dem t'crrätherischen Flnssc näherten? Allein zu unseren» Erstannen kamen sie weit besser hindnrch, als wir; ein neuer Beweis für die ausgezeichnete Behendigkeit dieser unscheinbaren Thiere! Ucbcrhaupt konnten wir mit dem Erfolge unseres Ueber- Lnichtthimn der Steppe, 239 gangs noch wohl zufrieden sein; der Schelul hätte unsere Nerc-sina werden können, luenn wir auch nur eine Stundc später ihn erreicht hätten; denn schon lagerte sich die Dämmerung über die wüste Fläche. Obgleich daher keins von unseren Thieren einen Schaden genommen, s^i nmsiten wir doch jeden Gedanken auf-geben, in VuSsada noch heute einzutreffen. Also galt es, den Patriarchen gleich in der Wüste unsere Zelte aufzuschlagen, nnd zum ersten Male unter dem beweglichen Leinen-Dach zu über-nachten? O nein, denn in erreichbarer Entfernung, und nicht gar weit von dem direkten Wege, lag ein gastliches Karawanserai, wohin wir sogleich nach dem Flußübcrgang einen Maghsrn von Mfila voraufgesaudt hatten, Nir wußten die ungefähre Rich-tung, und ritten eilends darauf zu; aber es ward immer dunkler und dunkler, nnd zuletzt zogen wir auf's Gerathewohl weiter. In solchen Fällen, ward uns gesagt, ist es gebräuchlich, daß der gastliche Ort eiu Roisigfener anzündet, um den Reisenden die Richtung anzuzeigen. Aber nirgends war, z» unserer Vesorgmß, ein solcher Leuchtthurm ans dem unterschiedslosen Meere der Steppe zu erblicken. (5udlich flammte es gerade uor nus auf! Wie oft, wcun ich in dem ragenden Gebirge der Pyrenäen mit meinem englischen Ge-fährten, zu Fnß oder zu Pferde, tief in die ambrosische Nacht hinein mcinc Wanderung verlängert, nnd das dumpfe Brausen der Waldbächc, das unheimliche Rauschen der riesigen Banmwipfel ein leises Bangen in nns hervorriefen, — wie oft hatte da nach stnndenlangem Umherirren unter strrnenloscm Himmel, odcr bei Regeugnssen nnd fernen, Gewitter-Donner, endlich das Auftauchen eines freundlichen Lichtes unser Auge erquickt, unsere Brust be-schwichtigt, als Botschaft eines nahen Obdachs! So erfrente mich auch jetzt der Anblick der Feucrsäule gen Süden. Der bedach-tige Schritt ward in lebhaften, Trab verwandelt, und bald stan-den wir auf einer geringen Anhöhe, wo das flackernde Feuer die 240 Karavanserai Banjun. Mauern eines einzelnen Hofes und Hauses erhcUten. Die Pferde und die bald nachkommenden Maulthicre mit dem Gepäck blie-ben draußen, während wir Europäer von dem graubärtigen Scheich und dessm Knaben in ein enges, kahles, aber gcschi'chtrs Gemach geführt würden, auf dessen Boden wir es uns durch unsere Decken und Burnusse so bequem und warm als möglich machten. Die eingeborenen Begleiter nahmen in der ausloßenden Scheuer ihr Quartier. So war denn für das Unterkommen leidlich gesorgt; aber wie stand es, bei der erschreckenden Leere unseres Magens, mit dem Nuterhalt? Der Scheich erklärte, er habe durchaus Nichts ill! Hause; lind da ihm unsere Ankunft kaum eine halbe Stuude zuvor bekannt geworden, so konnten wir ihm nichts anhaben. Denn dies Karawanserai, Banjnn genannt, stand gänzlich vcr-einzclt, erst von den Franzosen zur Aufnahme der Reisenden zwischen Setif und BuSsada erbaut; nud dcr Leser wird wis-sen, daß die orientalischen Gasthäuser weder tadlo ä'liötL noch il, la oarto serm'rcn, sondern die Verpflegung ganz dm Schnapp-sacken der Herren Reisenden überlassen. Bekanntlich sind die europäischen Hotelbesitzer so aufopfernd, das; sie das Essen un-tcr'm Kostcnprcise liefern, und sich nur am Getränke schadlos halten, was sie freilich nicht hindert, sehr reiche Leute zu werden. Da mm dcr Orientale keinen Nciu trinkt, so ist diese Entschä-dignug unmöglich, und daher ferviren die Herren Karavanscrai-Wirthe lieber gar nicht. Wie oft habe ich auf meinen cnropäi« schen Meisen gewünscht, daß es auch bei uns so sein möchte; man könnte dann für die Hälfte Geld reisen, und verdürbe sich nicht so oft den Magen! Aliein da es hier beim Ilütt?! Lluijun keine Restaurationen, ^a nicht einmal Bäcker und Fleischer gab, so erschien lins die lebcnsmittellose Einrichtung in weniger gün-stigeni Lichte. Indeß zu verhungern brauchten wir nicht; waren ja doch Der Erwählte dreier Nationen. 241 nnscre Vorräthc noch wenig angegriffen; nnd besonders galt dies von der Chokolade, die, Dank ihrer Festigkeit, der Anflösnng in nnsercn Hängekörben entgangen war. Cs wnrdc daher ein-wüthig beschlossen, heute Abend dies mexikanische Getränk zn bereiten; nur fehlte cs uns dazu an folgenden Hülfsmitteln: Holz, Milch und Nrr. Der Scheich versprach sein Möglichstes zu thun; verschiedene Boten wurden ansgesandt, wahrscheinlich die Gegend im Umkreis gebrandschccht, nnd siehe da, nach einer Stunde stand der Neisekessel des Franzosen auf dem flackernden Fcncr des Kamins, indeß wir andächtig nmherkanertcn, mit den: Verzehren »on Lyonrr Wurst nnserc Uugrdnld beschwichtigend. Herr v. C,, dessen angeborenes Kochtalcnt die Uebung prellftischer Bivouacs in den Marken zn nicht gewöhnlicher Höhe entwickelt hatte, schürte und rührte mit wahrem Brrufscifcr, der Knabe des Scheich brachte von Zeit zu Zeit nenes Stroh nnd neues Reisig, gerade, wenn das alte eben im Verglimmen war; das fertige Getränk wurde in nnscrc Vlechbecher vertheilt, nnd als wir diese an die Lippen gescht, erscholl ein allgemeines: Ah! der Bewnn-dcrnng nnd des Entzückens. Wir erwarteten nnter den obwaltenden Umstünden ein kanm genießbares Gcbränc; nnd ich kann versichern, daft ich in meinem Leben keine herrlichere Chokolade getrunken, noch je zn trinken verlange. Bis auf den letzten Tropfen wurde der Labctrnnk geschlürft, nnd aus vier Mündern nnd in drei Sprachen, der Shakespeare's, der Nacinc's nnd der Goethe's, erklang das Lob unseres unübertrefflichen Leibkochs. Denn zn dieser bedeutsamen Wnrdc ward Herr v. C. durch Akklamation für ewige Zeiten erkoren; nnd ich muß hier schon bemcrken, das; das direkte nnd allgemeine Stimmrccht in dieser Wahl seine Trefflichkeit glän-zend bewährt hat: während der ganzen, folgenden Neise erhob sich nie auch nur der leiseste Tadel gegen den Erwählten dreier Nationen. Für mich abcr hatte dic hcutigc Chocolade noch cinc Hirsch, Alanen. 16 242 Früh Morgens'. ganz besondere Bedeutung- nun war es gewiß, das; höhere Mächte an meinem Geburtstage Autheil nahmen, da er selbst in der afrikanischen Wüste, wic so ost im lieben Eltcrnhanse, mit dem Getränk des duftigen Cacaos gefeiert wurde! Wie ich unter dergleichen Betrachtuugen und mit dem Gedanken an die fernen Mcinigcn entschlummerte, schildere ich mit den Worten eines Größeren: JJiiovo pcnsiev dentro da me si mise, Del quäl piü altri nacquero e diversi: E tanto d'uno in altro vaneggiai, Che gli occhi per vaghczza ricopcrsi, E il pcnsamento in sogno trasmutai. (Dante, 1'urgnt. XVIII.) Am letzten Tagc des Iahreö n, Chr. 1855, in welchcnt Scbastopol gefallen, und der kreißende Berg des Orientalischen Krieges cine Mans geboren hatte — erhoben wir nus schon nach 4 Nhr van unserem Lager, frischten unsere Lebensgeister durch schwarzen Kaffee Uon der Hand des Herrn o. (5. auf, und verließen, zugleich mit dem Gepäck, um 5 Uhr das Karavan-ferai lMerail, d. h. Haus der Karcwancn) von Vanjun. Es ist stets etwas wunderbar Ergreifendes um eine Wanderung am frühen Morgen, wenn noch die Nacht ihrc dunkeln Fittiche über die Erde breitet, und doch der Wanderer, vom Schlummer er-quickt, mit morgendlicher Frische dem nahenden Tage entgegen-harrt. Der ooraiifgegaügenc Schlaf hat wic ein Lethestrom die Erinnerung an das Erlebte abgespült, und es ist dann, als trete man zum ersten Male in's Lebeu-, Alles erscheint so nen, so jung, so unmittelbar, Wcltgrist und Meuschengeist berühren sich so innig! — Um wie viel feierlicher uud gewaltiger mußte der heutige Eiudruck sein. wo die Fremdheit der Umgebungen und der Verhältnisse die Seele noch mehr aus dem Mtagögeleise emporhob! Echter Wüstensand. 24Z Der bleiche Mond erhellte spärlich unseren Weg dnrch dic öde Fläche, die mir niedriges, dünnes Gestrüpp bedeckte. Als es vollends Tag geworden, etwa drei Stunden nach nnserem Anfbruche, sahen wir vor nns einen etwas erhöhten, wellenför-Ntigen Streifen weißen Sandes, der in großer Länge zu beiden Seiten sich hinzog. Wir mnßten ihn qner überschreiten, lind fanden seine Breite viel bedeutender, als sie nns anfangs gc-schienen; der Dnrchzng mochte wenigstens dreiviertel Stunden danern, wobei aber zn berücksichtigen ist, das; die Pferde fast bei jedem Schritt in dein tiefen, lockeren Sande einsanken, und wir daher höchst langsam vorwärts kamen. (5s wird bei den allgemein verbreiteten Ansichten über die Beschaffenheit der Sa-hara nicht wenig überraschen, wenn ich berichte, das; dies wäh-rend der ganzen Neisc die einzige wahrhafte Sandstrcckc war, die wir überschritten; man wird mir lvuhl nicht übel nehmen, wenn ich hinzilsGo: glücklicherweise: denn die etwaige Genug, thmmg, sich ans rchtem Wüstenbodcn zn befinden (die man sich übrigens in Norddcntschland unschwer verschaffen kann), wird mehr als aufgewogen durch das langsame und mühevolle Fort-kommen. Wie schon bemerkt, war die Sandstrecke wellenförmig; sie war auch keineswegs gänzlich von Vegetation entblößt, sondern das Halfa (Schilfgras) stand an manchen Stellen sogar zirm-lich dicht. Hier im Sande war der Weg durch unzählige Fuß. stapfen von Menschen, Vinhnfern und Kameelen breit und dent-lich bezeichnet; doch snchten wir gern etwas seitwärts festeren Sandboden. Schon ehe wir dies Termin erreicht, war es sehr warm geworden; auf dem Sande mußte ich den leichten Burnus ablegen, und bemchte den tunesischen Shawl, den ich um den Leib trug. statt des zerschlagenen Pfeifenrohrs als Reitpeitsche. — Nun erblickten wir ein hohes, weißliches Furt auf kahlen: Bergvorsprung, nnd gegen ^ Uhr befanden wir nns am Ufer 16' 244 Oase der Glückseligkeit. eines Hollen Flusses, umgeben von nnzähligen, schlanken, grün-wipfligen Palnlm; seitwärts ein Hanfe von Lehnihänsern. Das warBu-Ssada; nnd der herrliche, üppige Anblick, gehoben dnrch den vollen Glanz der Morgensonne a:n aznrblanen Himnicl, ent-sprach diesmal vollkolnnicn der Vorstellung einer Oase inmitten der Wüste, nnd den: Namen des Ortes, der da bedeutet: Vater der Glückseligkeit! Angesichts der Palmengärten, die mit hohen, weißen Mancrn nlngcbcn waren, durchritten wir ohne Mühe das Kicsclbette des seichten, aber klaren Flüftchcns, zogen rechts an den Gärten »or-bei, kamen dnrch ein unscheinbares Thor in eine enge Gasse, nnd befanden nns endlich anf einem sehr großen Platze, dessen Regelmäßigkeit nnd Sauberkeit ausnehmend gegen die Straften abstach. Derselbe bildete ein sehr längliches, rechtwinkliges Viereck, wovon zwei Seiten durch große, zweistöckige nnd weiß-bctnnchte Gebände eingenommen wurden; die vierte, schmale Seite war offen, und ließ die Aussicht auf cim öde Fläche, hinter dcr sich sehr schnell die nackten Berge erhoben; zur Seite einige Pal-mm. Wir hielten kor dem Hanse, das die andere schmale Seite einnahm, nnd dnrch einen ziemlich großen Naarenladen nach europäischer Art, sowie dnrch eine kleine Veranda sich von den übrigen unterschied. Eine Frau mit einem Knaben, und mehrere Dienstboten drängten sich aus dcr Thür, und begrüßten unseren französischen Begleiter. „Das ist mein Hans/ rief Herr Mche, sehr vergnügt, nnd bat nns, vor unserem Besuche anf dem Fort ein wenig bei ihm auszuruhen, nnd ein kleines Frühstück anzunehmen. Obgleich wir uns nicht gern von einem fremden Menschen verpflichten lichen, so wnrde die Bitte so frenndlich vorgebracht, daß wir sie nicht ausschlagen konnten; auch hatte ja nnscr ichigcr Wirth das gestrige Abcndbrod mit uns getheilt. Wir traten also in ein gcränmiges Zimmer zn ebener Erde, KleincS Oasen-Mädchen. 245 die Fenster nach dcm Platze zn; seit Anmale war es die erste enropäischbchäbigc Wohnung, die wir betraten. Die Möbel, die Gardinen nnd Rouleaux, die schlechten Lithographien an den Wänden, die Blumentöpfe, die Kissen von Frauenhand gestickt, nnd tanscnd Kleinigkeiten versetzten vollkommen in das Wohn» zinnner eines Krämers in einer französischen Provinzialstadt. Herr Poche stellte uns seiner weder schönen, noch ansprechenden Frau vor. Weit mehr interessirte uns ein kleines braunes Mädchen mit herrlichen schwarzen Augen, nnd in arabischer Tracht. Sie kam mit dem dicken Knaben des Wirtlis in's Zimmer, nnd war nicht gar schüchtern gegen uns, so das; wir ein wenig französisch mit ihr plauderten. Die Kleine mochte 7 bis 8 Jahre zählen, nnd war das Kind eines eingeborenen Nachbars; Herr P«che berichtete lins, sie sei die unzertrennliche Gespielin seines Söhn-chens, nnd fast beständig in seinem Hause. Aber sehr bald müßte das Verhältniß aufhömi; denn zu 10 Jahren würden die Mädchen hier reif, nud gcwöhulich schon in diesem Alter Verheirathet; die Zurückhaltung im Hause beginne aber noch frü-her, So sollte denn das liebliche Wesen, das so frei und un-befangen, mit seinein sanften Gesichtchcu. um uns herumspielte, in kurzer Zeit der Perdumpfuug einer orientalischen Häuslichkeit anheimfallen, und wenn ihr jetziger Gespiele noch mit Kreisel, Peitsche nnd Bilderbuch sich die Zeit vertriebe, sollte sie schon Kinder gebären, stillen und abwarten! Die unbedingten Bewunderer der sogenannten allweiscn Weltordnung mögen mir erklären, zu welchen: höheren Gute die Frühreife des weiblichen Körpers im Süden dienen soll: ich kann bei reiflicher Ueberlrguug ill diesem ungeheuren Zwiespalt des Leibes nnd der Seele nur Widerspruch und Verderben finden. Ja. ich erkenne darin eine Hauptquelle der südlichen Entartung, durch welche die herrlichsten Zonen der Crdc zu Wohnsitzen clcn-der Knechte geworden. Heeren bezeichnet die Polygamie als die 246 Folgen der Früh-Heirath. Ursache des orientalischen Despotismus; dies ist schon deshalb unmöglich, weil nach den neueren Erfahrungen die fast gleiche Anzahl des männlichen und weiblichen Geschlechts bcnn Menschen ein nnvcrbrnchliches Naturgesetz ist: die Polygamie als«, was auch die gründliche Forschung lehrt, immer uur als Ausnahme auftreten kann. Aber indem Heeren die Grundlage des Des-potismns in den abnormen Verhältnissen des weiblichen Gc-schlechts suchte, war er jedenfalls auf der richtigen Fährte; nur hätte er statt der Vielehe die Frühehe anklagen sullen. Bei dein schnellen Verblühen nnd dcm heißeu Blute der südlichen Weiber ist es geboten, sie im Augenblicke der erlangten Körperreife zn verheirathen. Aber der Geist hat nicht gleichen Schritt mit dem Körper gehalten: daher muß erstens die Liebe eine fast ausschließlich sinnliche sein; zweitens das Ehebündniß ohne Wahl der jungen Leute, nur durch den Willen ihrer El-tml geschlossen werden; drittens die Erziehung ihrer Kinder höchst unvollkommen geschehen; viertens das Weib vom Manne Verachtet nnd geknechtet werden — denn so lange jenes schön ist, fehlt ihm der Verstand; und sobald es Verstand erlangt hat (natürlich auch dann nur in geringeren: Grade), ist Schönheit nnd Anmuth verloren! In der ersten Zeit ist strengste Bewachung nöthig, da keine sittliche Liebe, kein gereiftes Bewußtsein das junge Weib von der Sünde zurückhält; und iu der späteren Zeit wird das einmal Bestehende beibehalten; auch ist alsdann zu fürchteu, das; die Frau, nicht mehr vom Gatteu geliebt, bei Anderen Entschädigung sucht, Daher Vereinzelung der Fami° lien, Verhinderung der wahren Geselligkeit, welche beide Gc-schlechter durch einander erhebt nnd veredelt! Doch es würde mich viel zu weit führen, wollte ich dic ganze Neihc der Folgen herzählen mit denen der einzige Um-stand der Frühreife die südliche Gefeilschaft verderbt, Sie fallen znnächst auf das Weib, diese holde Krone der Schöpfnng, die Ihr Einfluß auf die Männer. 247 sie zum Fußschemel herabwürdigen. Aber zu mg und allseitig ist ja die Solidarität zwischen den beiden Geschlechtern, als daß nicht die Entwürdigung des cincn die des andern mwermeidlich nach sich zöge. Mißhandelt und knechtet dcr Mann das Weib. sc> wird er dadurch nicht etwa, wie es auf den ersten Blick schei-ncn könnte, trotziger, selbstständiger, umthiger: nein, er läßt sich um so leichter vom Fürsten, vom Priester, vom Fremden unter-jochcn, und aufs äußerste tyranuisircn. Er ist ja nicht allein dcr Mann uud Gebieter des Weibes, er ist auch ihr Sohn nnd Zögling, nnd überkommt so die leiblichen, geistigen nnd sittlichen Gebrechen dcr entarteten Mntter. Und andererseits, selbst als Ehchcrr gewöhnt er sich durch sein blindes, willkürliches Gebieten an das jedes Andern, den er für stärker erkennt, als sich selbst. So führt also die Frühreife des Weibes, wenn auch indirekt, doch unvermeidlich zur allgemeiueu Knechtschaft. Und wer mit Moutesquieu und Heeren der Polygamie einen großartig, verderblichen Einfluß zuschreibt (den ich nicht leugne, sondern nur abschwäche), dcr bedenke, daß die Polygamie selbst wesentlich eine Frucht der Frühreife uud des Frühverblü-hens ist. Da bei solcher die Liebe nur siuulich, ,und dcr Herr-sehende Manu weit länger seine Triebe, als das dienende Weib seine Reize, behält, so ist es natürlich, daß jeuer ein zweites, jüngeres Weib dazu nimmt, uud so fort, so lange, als Kraft nnd Vermögen ausreichen. Es steht fest, daß ein Privatmann im Orient selten oder nie zwei Weiber zu gleicher Zeit heirathet; und selbst die Zahl Vier, die Mohammed seinen Anhängern ge> stattet, scheint aus jruen Umstaud gegrüudct zu sein. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Der hervorragendste Charaktcrzug des Orients ist in jeglicher Sphäre des Lebens das Beharren beim Alten. Cr ist ihm mit der vernunftlosen Natnr gemeinsam, deren Erscheinungen sich heute wiederholen, wie vor vielen tansend Jahren. Dcr unreife Geist ist auch dcr 248 Keine Jugend im Orient! unfreie, der den gleichbleibenden Natnrgcschen fast rbcnso nubc-dingt gehorcht, wie die Thierseelc. Werden daher die Menschen noch in ihrer geistigen Kindheit geschlechtlich selbstständig, Fa-milmwäter und Mütter, so ist es leicht begreiflich, daß sie beim Alten, d. li. beim rein Natürlichen, beharren; denn mit der Gründung einer Familie pflegt die Entwicklung im Ganzen stille zu stehen. Die Orientalen haben kein Jünglings- und Jung-fraucn-Mer, das ist ihr Unglück; vom Knaben werden sie gleich zum Manne, vom Mädchen znm Weibe. Damit entgeht ihnen die unschätzbare Zeit des Ideals, des Auflodernd, der wirklichen Freiheit zwischen zwci Knechtschaften, der Kindheit nnd der Eltern» schaft. Das ist die Zeit der Saat für alles Edle und Orosie, der Saat für das immer mnc Blühen und Fruchttragen des occideu tali scheu Völkerlebcns. Darum überhebe sich der Europäer nicht seiner Freiheit, seiner Energie, seiner Bildung; er ist nur der Günstling der Natur, die ihn, wie cinc einsichtsvolle Mutter, dnrch richtige Mischung von Milde und Streuge zum tüchtigen Menschen erzogen, llnd dergestalt entscheiden einige Jahre der menschlichen Körpen-ntwicklung über das ewige Schicksal der Na» tioneu, über Sittlichkeit, Freiheit und Bildung! — Nach dem Frühstück begaben wir uns, nur ein wenig ge-bürstet und grkämmt, hinauf auf das Fort, zum I^ni^u anidß. Der Aufgang war steil, doch uicht sehr hoch; der einzige Zutritt ging über eine Zugbrücke durch ein wohlverwahrtes Thor, das in den schmalen Hufranm führte. Das Fort von Vu-Ssada ist an den nackten, steilen Felsenuorsprung rechts hinter der Stadt gleichsam angeklebt; cs ist daher sehr schmal, aber die Mauern von ausnehmender Höhe. Es wurde 1852 — 53 in achtzehn Monaten von den Franzosen rrbant. Da fast die ganze Be-saßung zur Erpedition nach Tuggurt ausgezogen war, und crst am 2. Januar zurückerwartet wurde, so fanden wir nur einen Aussicht auf eine Fantasia, 249 einzigen Officicr, cincn Unter-Lieutenant vom Lui«au ai-abs, mit dein mir denn anch unsere Angelegenheiten verhandelten. Die Pferde und Maulthiere, nebst deren Treibern, mußten von hier nach Anmale zurückgesandt werden; es galt, uns nene zn verschaffen. Dies, meinte der Lieutenant, würde im jetzigen Augenblicke, schwer halten, da der Heerzug nach Tuggnrt so viele Lastthicrc in Anspruch genommen; wir möchten daher jedenfalls die Rückkehr der Colonuc erwarten. Ich für meine Person wäre herzlich gern auf diesen Vorschlag eingegangen: man hatte nns von der glänzenden ,Fantasia" *) erzählt, die licim Einzug von sämmtlichen Häuptlingen des Bezirks nnd deren Gefolge ans-geführt werden würde; was konnte glänzender, was merkwürdiger sein, als mit dem Anblicke eines solchen Schauspiels das nenc Jahr einzuweihen? Von den Zurückkehrenden hätte ich außerdem viele Nachrichten über die ferne Sahara und die südlichsten ' Oasen, die noch so uubrkaunt sind, erhalten; nnd die Zeit bis zur Anknnft wäre nur in dem interessanten Bu-Ssada nicht zu lang geworden. Allein meine Gefährten, deren Grund znr Eile ich schon angeführt, ertrugen den nothwendigen Aufenthalt von Cinem Tage schon schwer genug; in läugeren Verzug wollten sie durchaus nicht willigen. So ward die Abreise auf den fol-gendcn Mittag festgescht. Noch eins muß ich nachholen. Wir hatten in Anmale den Zng nach Tuggnrt erfahren, nnd sogleich war die Lust in uns entbrannt, wo möglich bis an diesen äußersten Puukt Algeriens vorzudringen. Man hatte dies als möglich dargestellt, wenn *) Diesen Ausdruck haben die Araber dem Spanischen entnommen, und bezeichnen damit ihre eigenthümlichen Volksfeste, dic den mittelaltcr-lichen Turnieren sehr ähnlich sind, Ueberhanpt muß jedem Reisenden von Bildung die außerordentliche Uebereinstimmung der algerischen Sitten und Zustände mit denen unseres Mittclalterö auffallen. 250 Fort von Bu-Ssada. wir es so glücklich träfen, daß don BnSsada eine Proviant-Colonnc zur Expedition abginge. So waren wir also bis hier-her in der sehr unbestimmten, aber doch spannenden Aussicht anf eine große Erweiterung nnserer Wüstenfahrt geritten; die fünfzehn Tagereisen dnrch beständige Einöde nmchtcn nns wohl bedenklich, vermochten aber die, Lust nicht ganz zn nntcrdrücken. Hier mm ergab sich die, reine Unmöglichkeit nnsrrcs alisschweifenden Planes; denn an eine Reise nach Tnggnrt ohne militärische Gelegenheit war schon mit Rücksicht anf die französische Erlaubnis; nicht zn denken. Uebrigrns grämte sich keiner von uns ernstlich, hatten wir ja anch so noch eine weite und seltene Reise vor nns. Und was mich betrifft, fo entstand schon jeht der Gedanke in nur, meine Gefährten in Biscara zn verlassen, und so weit nach Süden vorzudringen, als irgend möglich wäre. Nach geschehener Verabredung führte nns der Lieutenant im Fort umher. Auch hier standen etwa sechs Beschäler zum Gc-brauch dcr umwohnenden Stämme. Der Lieutenant selbst bc-hauptcte, fünf eigene Pferde im Stalle zu haben, was nns jedoch kaum glaublich erfchicn. Ueber eine steile Fclstreppc, an dcr mit Schießseharten versehenen Mauer entlang, kamen wir anf die obere Terrasse, wo sich eine weite nnd herrliche Anssicht anf die Stadt, die Oase nnd das ganze Hodna eröffnete. — Beim Hinabsteigen theilte nnscr Führer uns mit, daß nur ein einziges Wirthshaus im Orte wäre, mit dessen geringer Bequemlichkeit wir fürlieb nehmen möchten: es stehe am großen Platze, und gehöre einem Herrn P6che, der zugleich Kaufmann sei. Komisch überrascht sahen wir nns ani wir mußten über nnscrc Verlegen» heit, das einfache Frühstück anznnehmen, über nnserr, verbind-lichen Danksagungen lächeln.— Nachdem wir dann Herrn Poche die Anordnung des.Bureaus gemeldet, führte er uns über den schmntMen Hof eine äußere Holztreppe hinanf zn einer Galleric Chlil als Gentleman, 251 des Seitengebäudes, wo zwei geräumig!,', aber kahle Zimmer uns aufnahmen. Als wir nns zum eisten Mal wieder in- einen Spiegel sahen, glanbten wir fremde, wilde (Gesichter zu erblicken, so schwarz nud struppig hatte »ns der Maugel an Waschwasser nnd Seife, imd sonstiger Toilette gemacht. Welcher Hochgenuß, als die Waschbecken kamen, die reine Wäsche l,nd dir, geputzten Kleider und Schuhe angelegt wurden! Einige von nns ließen sich anch den Bart scheeren nnd das Haar schneiden; beides be-sorgte ein nicht mehr junger Soldat, der als Garnison-Friseur fnngirtc. -— Chlil, der brave Chlil, strengte sich über die Maßen an, um all die Handthiernngen zn vollbringen, dic ihm als Hausknecht, Kannnerdiener, Gepäckverwalter nnd Gentleman ob-lagen. Ja, er fnhlte sich anch als „Gentleman", der gnte CbliI; nachdem er vier Paar Stiefel, Beinkleider, Röcke u. s. w, fnr feine Herren gründlich gereinigt seine Arbeit, des Herakles nicht nnwnrdig), erschien er plötzlich iu sauberem maurischen Anzug, den großen Kopf frisch geschoren, das grobe Gesicht so rciu gc-waschen, wie mir möglich, lind mit einem Ausdruck des Selbst-behagcns, der wirklich beneidenswert!, war. Ohne Zweifel ge-dachte er, der feine Mann aus der Hauptstadt, die Töchter der abgelegenen Oase im Stnrm zu erobern. Auch der galante Ach. nicd erschien, und Beide baten um Geld, sich zn crlustigen, das wir ihnen auch gern gewährten. Uns selbst holte Nachmittags der Lieutenant zum Besehen der Oase ab. Jenseit des großen Platzes ging es linker Hand in cine Vertiefung hinab, wo unter einzelnen Palmen Zelte von französischen Husaren und Bedninen aufgeschlagen standen; die letzteren waren schon zum Empfang der Kolonne, zur Fantasia, herbeigekommen. Es herrschte ein bnntes Treiben. Nicht weit davon zeigte sich die Knbba des Sidi Brahim, die einzige von Bn-Ssada, von dunkelgelber Farbe, nnd ganz in der Größe nnd 252 Bewässerung der Gärten. Bauart dcr Kubbas von Msila. Wie freute ich mich, als imscr Führer bemerkte, wir könnten hineintrttcu; aber wir sahen nichts, als einen schmalrn Gang nnd eine kleine Wölbnng, deren Boden ein Teppich bedeckte. In einer katholischen Kapelle wird doch wahrlich den Sinnen des Andächtigen, wie des Neugierigen, weit mehr geboten! Von hier wurdm wir in einen Palmen-Garten geführt; diesmal aber nicht so unbequem, wie in Msila, sondern durch eine vollständige Ocffniing in dcr niedrigen Lchm-Mamr, dic auch bei Bu-Ssada jeden Gartcn mngiebt. Die Dattelpalmen stauden hier unvergleichlich häufiger, als in der ersteren Oase; sie bilden gewöhnlich einen Ring um den Gartcn, nnd lassen die Mitte für die cmdcrcu Fruchtbäumc und für die Gemüse frei. Der ganze Boden ist mit gröftcrcu nnd kleineren Rinnen durchzogen; häufig bilden die Gemüsebeete ciu wahres Nchwcrk winziger Rinnchcn. wodurch das Wasser jcden Zollbreit Land befeuchtet, ohne doch die ganze Oberfläche zn überschwemmen. Auch hier ist ein Fl»ß der grofte Bcfrnchtcr dcr Oase, derselbe kommt aber nicht aus dem Tell, sonderu von den südwestlichen Stcppcnhöhcn. Sein Wasser wird oberhalb in Kanäle abgeleitet, die sich nach den ciuzclucn Gärten dcrzwcia.cn. Natürlich ist die Bcwässeruug kcinc bcständigc; weder luürde die geringe Nasser-menge des Flüßchens dazn ausreichen, uoch auch vermöchte dic Vegetation dic fortwährende sscuchtigkeit zn vertragen. Vielmehr erfolgt nach altem Recht und Hcrkommm zu gcwissen Zeiten der Einlaß des Wassers in die Gärten, für jeden eine bestimmte An-zahl von Stnndcn; nnd es läßt sich denken, wie eifersüchtig die Eigmthümer über die Vcrthcilung dieses Lebensbedürfnisses wachen. Bei der Verschiedenheit der Wafsermcngc in den verschiedenen Jahren kann übrigens kein Mum, fondcru uur ciuc annähernd gleichmäßige Proportion für jeden Gartcn bestehen. und an Im Palmen-Flusse. 253 Streitigkeiten mag es daher nicht fehlen. Es sind sicherlich Vertrancnspersoncn, die das wichtigste öffentliche Geschäft der Oase besorgen. Bekanntlich besitzt die großartigste künstliche Be-wässcrnng ans einem Flnsse das Königreich Valencia, der Gar-ten von Spanien; nnd hier entscheiden noch hrntc drei Männer, mm nnd ans den sämmtlichen Grundbesitzern gewählt, die in Volkstracht anf offenein Markte sitzen, alle Streitigkeiten über die Wasscrdcrthcilnng, mündlich nnd ohne Appellation, Wahr-schcinlich ist dies noch eine Gewohnheit ans der blühenden Araber-Zeit, da ganz Spanien einem wohlbcwässcrten Garten glich! In dem Palmengartcn Bu-Ssada's verabschiedete sich der Lieutenant von uns, mit der Einladnng zum Dwer in unserm Hotel; bis dahin möchten wir nach Wohlgefallen die Oase durch, streifen. Wir kamen alsbald an das Ufer des FInßchens, nnd traten mitten in sein haibtrockencs Kieselbetle, Hier wnrdcn wir durch einen Anblick überrascht, dessen Neuheit und wunderbare Schönheit uns tief ergriffen. Zn beiden Seiten des Flnß-bcttcs erheben sich, so weit das Auge reicht, in dichten Gruppen die wunderschönsten Palmen, große von uubeschrciblicher Schlank-heit, theils sanft geneigt, theils kcrzcngradc in die blaue Luft ragend, — und kleine mit dichten, gelben Dattelbüschcln, und vielrnnzligcm Stamme. Der Grund, aus dem sie hcrvorwnchscn, besteht ans frischgrüncn Gemüsebeeten, sorgsam dnrch hnndert kleine Canälc bewässert. Das leicht gewundene Flußbett, nnd die üppigen Ufer an beiden Seiten beleben einige bräunliche Kamcclc, badende Oasen-Knaben, und waschende Mädchen und Frauen, die ihr einziges, schmutziges Gewand mit silbernen Agraffen an der Schulter zusammenhalten. Dort trinken zwei blaugekleidcte, rothbemützte Turcos; hier verrichtet am Fuße einer Palmcngriippc ein Eingeborener mit weitem Burnus sein Gebet, m tiefen Verbeugungen nnd brünstigem Niederfallen. — Während unser drei sich auf großen Steinblöckcn inmitten des Flußbetts 254 Palme und Besen. niedersetzten, und dm wundervollen Anblick dcr Palmen mit dem Bleistift festzuhalten suchten (was dem Engländer entschieden am besten gelang), schlenderte Herr v, (5. ziemlich gleichgültig nmher, und bemerkte die große Aehnlichkeit Mischen der Form einer Palme nnd dcr eines umgedrehten Reisbcsens. So verschiedenen Eindruck vermag derselbe Gegenstand hervorzubringen! Wir gingen, meist von einem Stein zum andern springend, den Fluß aufwärts, nnd ergötzten uns an den immer neuen Gestaltungen der Vaumgrnppen nnd der ganzen Landschaft. (5s war gut, daß die elenden Lehmhütten vollständig verdeckt waren, nnd daß selbst die unschöne Regelmäßigkeit nnd Vegetation dcr Gärten kann: hervortrat. So befanden wir uns in einem wahren Haine von Palmen, und die kahlen, schroffen Berge, die im Hintergrunde hervorragten, ließen nns die liebliche Ueppigkeit des Palmcnthales um so stärker empfinden. Allmälig aber verengte sich Thal und Garten immer mchr, nnd znlekt trat ein schroffer, sandiger Abhang unmittelbar bis an das linke Ufer des Flusses. Nachdem ich zum Andenken nicht ohne Mühe cine ganz kleine Dattelpstanzc, deren tiefe Wurzel ich bewnndertc, ans dem Sande gezogen nnd in mein Löschpapicr-Büchlem gelegt hatte, erklomm ich mit Herrn v. C. den steilen Abhang. Jener ging alsbald nach der Stadt zurück, nnd überließ mich allein dem prachtvollen Anblick der über Stadt nnd Oasc untergehenden Sonne. Von meinem erhöhten Standpnnktc beobachtete ich, daß die Stadt, aus lanter viereckigen Lehmhänsern bestehend, theils einen sanften Hügel hinanfgebant ist, theils im Grnndc liegt. Anch verfolgte ich ungehindert die Richtung des üppigen Gartcnthals; in dcr Ebene angekommen, biegt es nach zwei Seiten ansein-andcr, und der grüne Streifen seiner Palmen bildet einen Herr-lichen Gegensatz zn der gelben und grauen Wüstenebene, die sich von hier viele Mcilcn wcit bis an die lichtblaue Bergkette er-streckt, durch derm Paß wir in dk Sahara eintraten. Der Sylvester in der Oase. 255 Rücken dieses Gebirges vernlischte sich mit den rosa-glühenden Wolken über ihm; cm rö'thlicher Glanz spielte strichwris über die weite Fläche. — Hinter der Stadt erhebt sich ein Felsenberg ganz isolirt in abgerundeter Gestalt, nnd lwn dnnkelbrännlicher Farbe. Aehnlich erscheinen ailch dic schroffen, nackten Vergzngc znr Linken, mit geradlinigem Kamm nnd stnmpfwintügem Ab-ftnrz. An cineni Vorhügel von ihnen liegt das stattliche Fort. — Alles Fremdartige reizt; wenn es sich aber mit dein Hei-mischen nnd Gewohnten zn einer seltsamen Mischung verbindet, so werden beide gleich mächtige Seiten der Menschennatnr be-friedigt: dic Sncht nach Neuem und der Hang znm Altcn. So war es besonders frappant mit dem hcntigen Syldesterabend in der Wüste. Ueber 300 Meilen don der Hcimath, in einem Lande ohnc Winter, ohne Heilige, nnd dessen Nenjahr, mit der Flncht des Propheten Kon Metta nach Viedina, in den Som-iner fällt — sollte es nns dennoch an Glückwünschen, an Schmans, an geistigem Getränk, an lustiger Unterhaltnng. ja selbst an Mnsik nnd Tanz sollte es uns nicht fehlen! — Die wenigen anwesenden Officicre, mit Einschlnß des Garnison-Arztes, bewirtheten nns in der großen Stnbc des Gasthanses. Das Essm auf europäische, Art lies; Manches zn wünschen übrig; es gab, wic gewöhnlich, schlechten Nothwein dazn; als aber znm Schlns; der Tafel ein Paar dickbänchige Champagner ^ Flaschen ihre Aufwartung machten, konnten wir den guten Willen nnsercr Wirthe nicht verkennen. Mit dein schäumenden Getränk stießen Franzosen. Deutsche nnd Engländer ans ein allerseits glückliches Neujahr an, und bezeichneten dadurch den engen Zusammenhang des christlichen Occidents. Dic Unterhaltung war ziemlich leb-haft; der Bericht nnscres Flnsiüberganges erregte viel Lachen, und die Stimmung war so sywestcrmäsn'g, als sie nntcr Frcm-dcn, ohnc Fcncr im Kamine oder Ofen, nnd ohnc dampfenden Pnnsch nur sein konnte. 256 Das große Kaffeehaus. Nach aufgrhobcncr Tafel überraschten nns die Militärs mit dem Vorschlag, in ihrer Gesellschaft das Oat« Hlaure am an-deren Ende des Großen Platzes zn besuchen. Ich hatte dort schon am Tage eine Tasse Kaffee getrunken, und nichts beson-dcrs Merkwürdiges darin entdeckt. Jetzt wnrden wir an der Seite eine Treppe hinanfgeführt, und traten ans einen gcräunn-gen Balkon, roh »on Holz erbaut, nnd mit Stühlen versehen. Von hier überblickten wir lmmem den ganzen Raum des großen Saales; oder vielmehr, wir hätten ihn überblickt, wenn nicht die dicke Tabaksqualm-Atmosphäre einen wahren Nebclvorhang über ihn ausgebreitet, lind zugleich nnscrc Angen förmlich ge> beizt hätte. Trotz der geringen Höhe und meiner scharfen Brille erkannte ich keine Gestalt dcntlich; ich erkannte mir, daß viel zn sehen war, ging daher in's Wirthshans znrück, nnd holte die Operngucker. Nlin machte sich's besser. Die Decke des viereckigen Saales wurde von mehreren sehr dicken Pfeilern getragen; der Anstrich des Ganzen war weift, der Boden von Gyps, die Bclenchtnng spärlich. Hunderte von Eingeborenen in weißlichen Burnus kauerten die Wände entlang und um die Pfeiler in stummen Gruppen, ihr schwarzes Lieblingsgeträuk in kleinen Tassen schlnr-fend. Noch in keiner Stadt Algeriens, selbst nicht in der volk-reichen Hauptstadt, hatte ich auch nnr annähernd einen so mäch-tigen Saal, eine so gedrängte Versammlung gesehen. Bn-Ssada zählt etwa 3000 Seelen; selbst die Fremden eingerechnet, könn-ten von d?r waffenfähigen Mannschaft des Orts nicht Diele ab» wcsend sein. Und noch immer drangen neue Gestalten herein, die Diener des Caf6's waren in fieberhafter Thätigkeit, Sollte es wirklich nur das schwarze Getränt sein, das die ganze männ> lichc Bevölkerung hier versammelte? Plötzlich erschallt, aus der dunkeln Ecke uns schräg gegen-über, eine grelle, seltsame Musik von Tambourin und Pfeifen, Arabische Tänzerinnen. 257 und zwei geschminkte Tänzerinnen, in weiten, gestreiften Gewän-dcrn, Arme nnd Beine mit dreifachen, silbernen Spangen be-lastet, silberne Dolche im Gürtel nnd schwere silberne Ketten nm die Brust, bewegen sich schwebend nnd gemessen vorwärts, und beginnen eine seltsame, fremdartige Pantomime, mit Tücherwin, den nnd Armeschwenken, mit Niederbeugen und im Kreise Drc> hcn. Ihnen folgt eine Solotänzerin in weisiem Gewände, dann wieder zwei, nnd so fort, nnd die Musik betäubt mit dein ewi gen Einerlei ihrer grellen, melodielosen Klänge. Die Tänzerinnen faßen alle auf einer Erhöhung der uns gegenüberstehenden Wand; zum Tauzcn hatten sie aber nicht etwa eine Art Bühne, oder wenigstens einen abgesonderten Plat) des Saales, sondern sie bewegten sich tanzend in dem ganzen Raume, zwischen den kauernden Männern hemm, die also den Genuß hatten, die up-pigen Formen und wollüstigen Bewegungen ganz in der Nähe zn studiren. Übrigens ließ sich aus der großen Versammlnng kein Nnf. fein Klatschen des Beifalls hören, ja man bemerkte kaum eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Wir fragten natürlich unsere Begleiter, was es für eine Bcwandtniß mit diesen Anf-fnhnmgm habe. Man berichtete uns ohne Zögern, wie folgt. Der Commandant von Bu-Ssada, Oberst P.. ein lcbens-lustiger Herr, hatte den Aufenthalt in der einförmigen Oase doch gar 'zu trist gefunden, und daher auf ein Mittel gedacht, sich die Genüsse der heimischen Hauptstädte so weit als möglich anch hier zu verschaffen. Was er ersann, ist entschieden ein Meister» ftück administrativer und fiuauziellcr Geschicklichkcit. Er veran-laßtc nämlich den Bau dieses großartigen Eaf6s, uud ließ dcm° fclbcn einige vierzig Freudenmädchen attachireu, deren eine bo deutende Zahl zugleich Tänzerinnen sind. Natürlich hat der Herr Oberst, anßrr dem Schauspiele cmes zahlreichen Ballets, auch die Vorhand für andere Genüsse, und unter Vierzigen finden sich doch gewiß ein Paar, die den kühnsten Ansprüchen genügen. H'rsch, Algenm, 17 258 Ein sinnreicher Oberst. Aber dafür subventionirt doch dieser französische Pascha wenig-stms das Etablissement, wie die Fürsten Europas ihre Hof-Theater? Keineswegs, der Oberst genießt fürstlich — auskosten seiner französischen nnd afrikanischen Untergebenen. Das Caft gehört einem Sohne des Kaids von Bu-Ssada, der es für 200 Francs monatlich an einen Juden verpachtet; und der Jude macht monatlich noch wenigstens 200 Francs reinen Gewinn, obgleich die Tasse Kaffee nur 2 Soils (etwa 10 Pf.) kostet; so stark ist der Zudrang. Die Tänzerinnen aber braucht das Etablissement gar nicht zu bezahlen, eher empfängt es von ihnen Abgaben, denn der Tanz ist ja nur das Klappern des eigentlichen Handwerks. Man wird nach dieser Beschrei-bung mit mir den staatsmä'nuischen Scharfsinn des Obersten höchlich bewundern; die schwere Aufgabe, Steuern zu erheben, die der Bürger aus freiem Willen, ja als eine Wohlthat bezahlt, hat er unter den schwierigsten Verhältnissen nud auf die originellste Weise gelüst. Er hat Stadt und Oase Vn-Ssada mit einer großen Merkwürdigkeit geschmückt, nnd darin, in zeit-gemäßer Modifikation, die Amphitheater seiner römischen Vor-ganger nachgeahmt. Er hat auf echt nationale Weise selbst das Vergnügen, selbst die Ausschweifung ccntralisirt, nnd überwacht es persönlich mit einer Schaar Officicre von der Höhe des Val-kons, und erspart dadurch ein Paar Polizisten. Er hat sich als toleranter Beschützer aller Glaubensbekenntnisse nnd Nationali-täten bewährt, denn selbst zufrieden mit dem Nahme des Gc-nnsscs, hat er die Milch des materiellen Gewinns den Mnham-medancrn nnd den Inden großmüthig überlassen. Es lebe der Oberst P.! — „Aber bis jetzt haben Sie noch gar nichts gesehen," sagte uns einer der Officiere, „diese Tänzerinnen sind nur Stümper; aber eine Jüdin ist darunter, das schönste Weib, und eine voll-endete Künstlerin. Wir haben sie neulich auf meiner Stnbc Tanzende IUdiu. 259 ihren Tanz aufführen lassen, nnd waren entzückt. Sic werden sie sehen, meine Herren, nnd selbst nrtheilen. — Doch nein, ich besinne mich, das arme Mädchen ist krank geworden, nnd wird nicht anftreten. Es ist wirklich jammerschade!" Wir stimmten natürlich in oiwro in das freundliche Bedauern ein. Plötzlich rief nnser Begleiter: „Ah. da ist sie ja doch; sehen Sie nur diese wundervollen Bewegungen!" Diese Bewegungen bestanden hauptsächlich im tollsten Verdrehen der Hüftengegcnd; meine Laien-Augcn erblickten darin mir Widriges: man muß auch in solchen Dingen Habitus sein, um die Neize des Haut-goüt zu sclMeu. Die Gesichtszüge der entarteten Tochter Israel's ver-mochte ich durch den immer dichter werdenden Tabaksqualm nicht zu erkennen; die algerischen Jüdinnen swic auch die ma» rokkanischeu und tunesischen) gelten allgemein für sehr schön; ein Urtheil, das ich als vielfacher Augenzeuge leider nicht bestätigen kann, Wohl aber werden sie durchschnittlich pikanter sein, als die muhammedauischen Weiber. In der Stadt Algier, wo eine übermäßige Iudcnzahl lebt, daher diele im größten Elend, sollen sich zahlreiche Prostituirte unter den Jüdinnen finden swcit mehr aber noch unter den Manrinnen); hier, in den Oasen, bilden jüdische Dirnen eine seltene Ausnahme. Fast sämmtliche größere Oasensiädte, Biscara, Tuggurt. Gardaja u. s, w. enthalten nämlich förmliche Quar-tic/c von Buhldirncn; an allen lebhaften Handelsplätzen häuft ja auch die feile weibliche Waare sich ans! Die meisten aber stammen nicht ans der Oase, sondern sind die Töchter und Frauen einiger Kabylen- und Araberstämme (die letzteren Sa-haricr), unter denen der große und mächtige, aber arme Stamm der Uled-Nail voranstcht. Gerade wie ihre Kameclc, so ver-miethen die biederen Söhne der Wüste anch ihre Weiber gegen guten Lohn an die fremden Kaufleute, Ihre Quartiere sind ge> wohnlich anßcrhalb der Stadt, wo sie ganz für sich wohnen. 17' 260 Prostitution in der Sahara. Nach einigen Jahren, sobald dic gewünschte Summe znsammm-gekommen, kehren sie zu ihrem Dnar zurück, und werden dort mm womöglich höher geschäht, als früher; sie gehen wieder zn ihrem Manne, oder treten nun erst in die Ehe. Dr. Gnyon*) stellt die Sache, hauptsächlich nach Danmas, etwas anders da. Die Mehrzahl der kabylischen und arabischen Stämme des Innern verkaufen die Keuschheit ihrer Frauen an die Durchreisenden, Kaufleute, Soldaten, Pilger; worüber schon im Iadrc 1709 ein frommer Reisender, Mula-Achmed, seinen Tadel ausdrückte. Die lion nur erwähnten Quartiere bei den Oasenstädtcn würden alicr, ohne Veranlassung der Männer, frei» willig von den Weibern aufgesucht: dieselben lebten dort ge> mcinschaftlich nnd pflanzten sich sogar auf Amazonenart fort, indem sie nur die weiblichen Kinder bei sich aufzögen, die mann-lichen aber zu ihren heimischen Slämmm schickten. Guyon findet die Ursache der algerischen Prostitution in der grosien Armuth, die bei den meisteu Stämmen herrscht. „Man berichtet," schreibt ein französischer Arzt. „daß Abd-el-Kader beim Antritt seiner Herrschaft diese Gewohnheit ab-schaffen, wollte, nnd daß sie auch während eines Jahres auf-hörte. Leider fiel aber in dieses Jahr eine große Theuerung. Die Uled Nail glaubten darin die Hand Gottes zu sehen, der sie für das Verlassen ihres alteu Verfahrens strafte, nnd bc-gaben sich zum Emir, um von ihm die Aufhebung des Vcr-bots zn erbitten. Die Gewohnheit, sagten sie ihm, sei in» In-tercssc Aller, der Reisenden nnd ihrer selbst, da sie durch den daraus gezogenen Gewinn ihre schlechten Jahre auszugleichen vermöchten." Welcher traurige Vrleg für das Malthusische Gc-sch, dasi in einem so ergiebigen nnd dünn bewohnten Lande die Bevölkerung dermaßen „gegen die Grenze des Unterhalts *) Voyage d'Algor aux Ziban cn 1847. (Algcv 1852.) Malthusisches Gesetz. 261 andrängt", daß die schmählichste, allgemeinste Unzucht als Ans-hülfe dienen mnß? — In Biscam und Bn-Ssada übrigens gab es vor Ankunft der christlich-germanischen Eroberer keine Bordelle; außer den Forts sind sie das Einzige, was dieselben hier er» richtet baben! Die Tanzvorstellnng in: Cafl'> schien noch lange fortdanern zu sollen, aber wir hatten bald genng, da sich immer dasselbe wiederholte. Gegen 10 Uhr verließen wir nnscrcn Balkon, nnd traten ans dem verpesteten Ranmc entzückt ill die klare, linde Nacht hinaus. Unserm Begleitern für den eigenthümlichen Syl-vesterball dankend, begaben wir lins sogleich in das Wirthshaus. An Betten war auch hicr nicht zn denken; unsere FeldmatratM wnrdm ausgebreitet, nnd bald lagen meine Gefährten in tiefem Schlummer. Mich selbst hielt eine liebe, heilige Pflicht noch wachi ich schncb an meine Eltern, denen ich mit begeisterten Worten ein Bild des merkwürdigen Landes zu geben wünschte, das ich durch ihre Güte bereiste. Und ein gar inniges, frier-liches Gefühl war es mir, als ich nm Mitternacht das Fenster öffnete, nnd mein Herz die Wünsche für meiner lieben Wohlergehen zn dem sternenhellen Himmel hinaufsandte; und schallte nicht aus weiter, weiter Ferne ein Klang zusammenstoßender Gläser, womit »nan in der Heimath auch meiner gedachte? Der erste Morgen des Jahres 1856 begrüßte mich in die-sem glücklichen Klima als ein schöner, lächelnder Knabe; glün-zende Sonnenstrahlen seine Locken, seine Augen die Bläue des Himmels, die grünen Palmenwipfrl sein Gewand! Su schaute ich ihn lange mit Entzücken voll einein Felsenvorsprung seit-wärts des Forts, zu dem ich sogleich nach dem Aufstehen ein-sani hinangcsticgcn. — Den Eingeborncn aber schien er zn einem ganz anderen Behufe zn dienen, als zum Ueberblickcn ihrer lieb- 262 Marktverlehr. lichen Oase; die vielen Spuren, die ich glücklicherweise erst beim Hinabgehen bemerkte, ließen keinen Zweifel darüber. Man braucht übrigens nicht bis in die Sahara zn reisen, um diese ekelhafte Wahrnehmung zn machen; schon in Süd-Frankreich verschändct das gefühllose Volk auf gleiche Weise seine schönsten Aussichtspunkte, die Altare der natürlichen Gottcsverchrimg! Bei meiner Rückkehr bot der wüste Platz zwischen den Bergen und dem großen Markte ein sehr belebtes Schauspiel. Cine Menge Kamecle knieten ans ihren Schwielen, mit zu-sammengcbnndenen Beinen; eine Stellung, deren nur dies geduldigste aller Geschöpfe fähig ist, und die anfangs eine höchst kölnische lind mitleidige Stimmnng hcnwrruft. Dieselbe ist offenbar zum Auf- und Abladen höchst geeignet; nicht minder zum Cinzelverkaus, wobei dann der Rücken des Last-thicrcs zugleich als Waarcnständcr dient. Der eigentliche Markt fand auf dem viereckigen Platze Statt, der unsern Marktplätzen an Verkaufstagen nicht unähnlich war. Die Gebände, zumal an der nördlichen Langseite, dem großen Caf« gegenüber, ent-hielten kleine Kramläden, in denen einheimische nnd europäische Manufakte von geringem Werth feil lagen. Ich erinnere mich besonders der bunten, vorwiegend rothen, Vaulmvollmtüchrr. Auf dem Platze selbst wurden Eßwaarcn feilgeboten, Haupt-fachlich Datteln, nnd zwar meist als ein bräunliches Con-glomerat, dessen Bindemittel der klebrige Saft bildete, und das weder appetitlich anssah, noch besonders schmeckte. Es besteht dasselbe ans der schlechtesten Sorte Datteln, und dient natürlich nur dem armen Volte. Sämmtliche Verkäufer waren Mu° hammedaner; der Verkehr keineswegs lebhaft, Dcr Laden unseres Wirthes trat wie ein König unter dem übrigen Gesindel hervor; er war ganz auf europäische Weise eingerichtet, unterschied sich aber wesentlich von den Heilnischen Geschäften dnrch die erstaunliche Mannichfaltigkeit, ich möchte Innere Stadt. 263 sagen Allumfassendhcit seiner Waaren. Was der nach Bn-Ssada verschlagene Europäer bei Herrn Püchc nicht findet, das ist ihm gewiß überflüssig oder schädlich. Herr Poche ist im Stande, die mächtigste Censur gegen den Lurns auszuüben, die es überhaupt giebt: die Censur der Unmöglichkeit. Er bildet den alleinigen Canal, durch welchen alle europäischen oder über Europa kom-mendcn Erzeugnisse in die Oase einmünden. Der strebsame Mann hat übrigens nicht mir die Soldaten und Fremden, son. dcrn nnch die Eingeborenen zu Kunden erworben; und wie sehr er das Schölle mit dein Nützlichen zn verbinden weiß, das zeigte die ^anb-Veranda vor seinem Hanse, in deren Schatten wir unsere Notizen niederschrieben. Die Straßen Bu-Ssada's fanden mir eng, unregelmäßig, holprig und nneben, und insofern hinter denen Msila's zurück» stehend. Dagegen zeigten sie mehr Verkehr, mehr Gewerbe nnd Handel. Die Werkstätten sind im Orient bekanntlich zugleich Laden; die wir hier sahen, waren sehr klein nnd dürftig. Meine Gefährten trafen anch auf eine Kornmühle, die dnrch ein oder mehrere Manlthierc getrieben wurde. Nach Daumas (Sahara p. 94) find anch nicht wenige Juden hier ansässig, die sich außer mit den ihnen gebräuchlichen Handwerken lNollkrämpeln. Schnei, dcrn, Goldschmieden, Färben) besonders auch mit der Vermitt-lnng der Handelsgeschäfte befassen. Doch ist wohl die Nachricht in dem von ihm gegebenen Wortlaut übertrieben: sie seien näm-lich „die nothwendigen Zwischcupcrsonen bei allen Handelöbezi» hnngen." Bei keiner anderen Oase wird auch nnr erwähnt, daß die Juden Kaufleute sind; es wäre daher sehr überraschend, wenn sie in dieser einzigen den ganzen Zwischenhandel an sich gerissen hätten. Daumas meldet ferner, daß sie hier ein eigenes Quartier bewohnen; leider kannte ich damals diese Angabc nicht, sonst hätte ich mich nach diesem Oasen-Ghetto nmgcsehcn; sa aber sah nnd hörte ich keine Spur davon. 264 Bedeutung Bu-Ssada's. Die ersten französischen Autoritäten, Daumas nnd Carette, zumal der letztere, legen Bu-Ssada als Handels- nnd Kriegs-Platz eine außerordentliche Wichtigkeit bei. Nach Earette ist diese Stadt nicht uur einer der drei Hauptmärktc von ganz Algerien, sondern auch der wahre Mittelpunkt des Landes. Beides scheint mir eine starke Uebertreibung zu enthalten. Die Hauptmärkte, diejenigen, wo die Saharier ihre Erzeugnisse gegen die des Tell vertauschen, finden alle auf freiem Felde statt, und zwar inner-halb des Tell, Die drei hauptsächlichen sind, nach Carettc's eigener Augabc: L6ha, nahe bei Tiarct, im Westen; El-Atnckniia, 9 Lieucs wcstsüdwcstlich von Constantinc, im Osten; und Nböia, ganz nahe westlich bei Anmale, in der Mitte. Hier aber fügt Carette bei: eigentlich nicht dieses, sondern die Stadt Vu-Ssada; was ich, zumal bei der groftm Entfernung der beiden Orte, nnd bei der Lage Bn-Ssada's in der Sahara, nicht recht verstehe. Der Handel der Stadt mag relativ bedeutend sein, obgleich m jeder deutschen Kreisstadt an Markttagen mehr Verkehr herrscht, als wir in Vu»Ssada fanden; allein die drei Hanpt-städte der Provinzen, sowie die größeren Städte der Küste nnd der Oasen (besonders Tuggurt) gehen sicherlich voran. Jeden-falls kann der Handel Bu-Ssada's wesentlich nur ein periodischer sein; was schon aus der geringen Einwohnerzahl (3000 nach meiner mündlichen, 6000 nach Earettc's Angabc, welche letztere ich als Augenzeuge für falsch halte) hervorgeht. Und selbst diese sind nicht vornehmlich auf den Handel angewiesen; alle Familien, mit sehr geringer Ausnahme, besitzen einen Garten; die Oase zählt 5000 Palmcnbäume, und Gewerbe werden auch einige betrieben. Was aber die Lagc im Mittelpunkte Algeriens betrifft, so ist geometrisch nichts dagegen einzuwenden, desto mehr aber po-Misch. Die Küste und das Tell haben in jeder Beziehung eine Mittelpunkt des Landes. 265 weit intensivere Bedeutung, als die Sahara; um also die poli-üschc Mitte zu finden, muß die letztere gleichsam um ß verkürzt werden; nnd selbst dann ist das Ergebniß noch unerheblich, weil unter den Verhältnissen der letzten drei bis vier Jahrhunderte die Lage am Meere den Ausschlag geben must. Da mm Algier ziemlich in der Mitte der Küstcnlängc liegt, und unter gleichem Meridian mit Marseille und Toulou; da es in nächster Zeit einen geräumigen und sicherm Haftn besitzen wird; da sciue Lage von unangreifbarer Festigkeit, sein Klima gesund und uniglichst gemäßigt, seine Umgegend schön und fruchtbar ist; da es endlich seit langer Zeit Hauptstadt, Residenz und größte Stadt geworden, nnd dem ganzru Lande seinen Namen gegeben — so ist kein Grund vorhaudcn, den Sitz der Regierung von Algier zu entfernen. Die günstige Lage Bu-Ssada's kann aber wohl dazu auf-fordern, es auf alle Weise zu behaupten; wozu, außer dem Fort und der starken Besatzung, vor allen Dingen gnte Verbindungs» straßen und eine Colonie von Nutzen wären. Die letztere halte ich freilich auf Grund des Ackerbaues für unmöglich;^ denn die Oasc hat kaum eine Stunde im Umkreis, und das Land um-her ist überall vollkommen wüst, so daß selbst artesische Brunnen, wenn solche gegraben werden könnten, schwerlich etwas ausrichten würden. 3n dieser Beziehung ist das benachbarte Msila, durch die Fruchtbarkeit einer weiten Umgegend, viel günstiger gestellt; und selbst, so viel einem Laien hierüber zu urtheilen ziemt, er-scheint mir seine militärische Lage vorzüglicher, seine commcrcielle ebenso vorthcilhaft, wie die von Vu-Ssada. Bu-Ssada steht unter einem Kaid, einem graubärtigm Alten; sein Sohn, wahrscheinlich derselbe, dem das große Caf6 gehört, kaut während dcs Frühstücks einen Augenblick zu nns; cr zählte sechzehn Jahre, und machte dcu Eindruck eines nn-mündigen Jünglings. Dennoch war er schon seit zwei Jahren 266 Abgaben und Tagclohn. vcrheirathet, und hatte Kinder. Nach Allssage eincs Officiers vom Luioan ai-^da des Orts bekommt der Kaid jährlich 5 Fr. von jedem Hanse odcr Zelte, nnd dcr Scheich 2^ Fr. desgleichen, so daß jede Familie allein an diese eingeborenen Beamten jähr-lich 7z Fr. entrichtet. Dies gilt nicht blos von Bu-Ssada. sondern von allen Bezirken, wenigstens in diesem Landcsthcil. Die Abgaben an die französische Negiernng werden an hiesigem Orte von den Häuscru lind Gärten entrichtet; voll den Gürten nach der Anzahl der Palmen darin, gewiß, weil diese anf ihre Größe schließen läßt. Die Palmen selbst können hier wohl kanm als Stcuerobjekt gelten, denn, wie überhaupt in dcr Steppen-Region, reisen ihre Früchte mir unvollkommen. Herr Pöchc berichtete nur, dasi während der Ernte der Tagclohn 30 Sons betrage; dies sei übrigens die einzige Gelegen-heit, wo Tagelöhner beschäftigt würden. Knrz vor nnsercm Auf-brnch unterhielt ich mich »lit einem Mauren alls Vnffarik (nahe bei Algier), del! der Handel oft hierher geführt; er bestimmte den hiesigen Tagelohn auf 15—20 Sons, bestätigte das seltene Vorkommen desselben, nnd betonte die Billigkeit der Lebensmittel in dieser Gegend, im Vergleich mit der Gegend von Algier. Dort steht nämlich der Tagelohu von Laudarbeitern 1^-2 Fr. In den übrigen Oasen soll aber nach Carette der Tagelöhner nur 5 Sons (2 Sgr,) verdienen; so daß hiergegen dcr Lohn von Bu-Sfada schon ein äußerst hoher Wäre, Zum Vergleich führe ich noch folgende Preise an: nach Herrn Püche kostete da-mals in VuSsada ein Hammel 15—20 Fr,; dagegen bei den angrenzenden UlcdNail nach Danmas mir 5—6 Fr.; bei Vem-Manssur, nach mündlicher Auskunft, 15 Fr. Die zweite Angabe wird durch das ältere Datum erklärlich. VI. Dn8 jMöjNicke Hollna. Nlli! labet nach der Mühsal der Wandrung uns die Rast, Die Zeltpfähl' eingeschlagen wie werden sie in Hast'. Und froh beim Tnink lind Schmause vergessen wir der Last. » Gegen 1 Uhr entstand großes Leben anf dein Plahe our nnscrm Hotel, die nenetl Pferde lind Manlthiere wnrden unter Volkszulanf herbeigeführt. Die Pferde sahen schlechter ans, als nnscre bisherigen; besonoers dao nur zufallende hatte einen so schmalen Rücken, wie ich ihn noch bei feinem Pferde gesehen; mir war bange, das Thier würde unter mir zusammenbrechen. Ich saß mit meinen Gefährten zugleich auf; aber, als wir uns eben in Marsch sehten, vermißte ich mein kostbares Notizbuch, umhtc also wieder absteigen, imd cs im Laden nnd im Hanse suchen. Es fand sich zuletzt, wie gewöhnlich, in einer meiner vielen nnd großen Taschen. — Aber kaum saß ich wieder im Sattel, als die Mähre wie toll davonstnnnte; mit allem Anziehen der Zügel war sie nicht zu halten, nnd mein Sitz anf dem 268 Gefahr eines russischen Sattels. spitzen Rücken war nicht gerade dcr sicherste. Mit Windes-schnelle ward ich durch eine steil abschüssige, enge, überans holp-rigc Gasse hinabgetragcn; ich stemnitc mich nut aller Gewalt in die Steigbügel, und fürchtete jeden Augenblick mit dein Thiere zn stürzen — da, knacks! riß der linke Stclgriemcn, nnd ich wnrde zu Boden geschleudert. Der freundliche Leser erinnert sich vielleicht, daß mein Sattel ein alter russischer, und in dcr Krimm erbeutet war; die der« hänguißvollen Regengüsse nnd Schncefüllc hatten die Riemen an-gegriffen, und dadurch, mit so vielen tausend tapfern Kriegern, leicht auch mir, dem friedliebenden, neutralen Prenßen, das Leben gekostet. Dcr Sturz war ganz von der Art dcr halsbrcchcndcn; da ich jedoch schon im Knabenalter die wichtige Kunst des Vom» Pferdc-Fallens in ausgedehntestem Maße geübt, so bewahrte mich dies wahrscheinlich vor einem Grabhügel unter Palmen. Nur Stirn und Backen, Hände uud Beine waren von den scharfen Steinen übel mitgenommen, nnd der Rücken schmerzte nicht wenig. Glücklicherweise befand sich ein Soldat in der Nähe, dcr mir freundlich wieder aufs Pferd half, und den Meg anzeigte. Nachdem ich deu Fluß überschritten, traf ich wieder mit den Gefährten zusammeu; sic waren nicht wenig über mein blutiges Ansschen erschrocken, nnd ließen es an Beileid nicht fehlen. Da wir, nach dcr Anweisung des Lur6n.u ai^dy, hcnte nur einen Marsch von etwa 2 Liencs zurückzulegen hatten, so konnte auch aus Rücksicht auf meinen Znstand und den fehlenden Steigbügel im Schritt geritten werden. Unsere Richtung, an diesem nnd den beiden folgenden Tagen, war fast ganz östlich, den Südrand des Schott-es-Saida entlang. Die Tagereisen waren uns vom Lui-sau arabe genan vorgezeichnet, nnd zwar mit Rücksicht auf ein Nachtlager in einem Dnar oder einer Oase, jedenfalls an einem Orte mit Wasser. Die Reise bis Biscara war uns demgemäß auf 3^ Tagereisen Südranb des Schott. 269 festgestellt; ich habe aber allen Grund, an der Richtigkeit der Eintheilnng zn zweifeln; denn wahrend wir am ersten Tage mit frischen Pferden nicht viel über eine Meile zurücklegten, mußten wir am zweiten, besonders aber am vierten Tage übertriebene Entfernungen dnrchmessen. Dabei war nns noch das Wetter vollkommen günstig, und kein Unfall hemmte uns; sonst wäre es gar unmöglich gewesen, Biscara am vierten Tage zu erreichen. Also auch hier wieder französische Unkenntniß selbst der nächst-liegenden Gegenstände! Ich erinnere übrigens daran, daß wir nns bis zum Mittag des vierten Tages stets im Hodna be-fanden. Jenseit des Wcd-Bu-Ssada ritten wir eine kurze Strecke durch grünende Kornfelder, wenn sie Felder zu nennen warm; denn sie ähnelten vielmehr den Gartenbeeten, so klein und so mit Rinnen durchfurcht waren sie. Dann ward es wieder ganz wüst, nnd bis znm Nachmittage des dritten Tages sahen wir kein bc> bantes Land, auch nicht von der Größe eines Tisches. Der Boden bis dahin war dnrchgängig uneben, theils wellenförmig, theils hügelig, theils bergig; abwechselnd sandig sdoch niemals mit lockmn, beweglichen, Sande) und steinig, letzteres wohl vor-wiegend; doch nirgends lag das Gestein so dicht und uunntcr-brochcn, wie in dem Thale des Wed-Ksub. Wasserläufe hätten wir nach meiner Karte bis etwa zur Mitte des zweiten Tages drei zn überschreiten gehabt, zwei ganz kleine und einen größeren; von da bis Mdukal keinen einzigen: dies ist falsch, wie der spe-ciclle Reisebericht ergeben wird. Daß die Gewässer sämmtlich in dem Schott-cs-Ssaida münden, bedarf kaum einer Er-wähnung. Aber so wenig bis Mdukal das Geringste angebant war, ebenso wenig war irgend eine Stelle ganz ohne Vegetation, Freilich meistens eine höchst spärliche und einförmige Vegetation, so daß die Gegenden in einiger Entfernung vollkommen wüst 279 Dliar Er-Rumana. erschienen. Sträucher «mr an dm Wasscrläufeu, Bännlc nur an einem größern; sonst mir niedriges Gestrüpp, vorwiegend Haifa nnd eine Art Thymian; znwcilen kärgliches Gras, nnd cm blü-hendcs Sträuchlein, dessen Anblick das Ange sehr crfrcntc. Das Land an sich konnte also kaum unerquicklicher nnd uninteressanter sein. Dennoch habe ich niemals großartigere nnd poetischere Andrücke auf einer Reise empfangen, als hier in der Wüstenei am Südrandc des Hodna. — Nach etwa zweistündigem, langsamen Nitt durch ein ein° förmiges, wasscrloses Wcllenland gelangten wir an einen Vach mit niedrigem, buschigem Ufer, den Wed-er-Rumana; und jen-seit, auf der Höhe eines Abhanges, an ein einzelnes Bedninm> Zelt, von wo wir, etwa ciuen Büchsenschuß entfernt, zwischen zwei Hügeln die SpijM einiger andern Zelte erblickten. Das war der Dnar Er-Numana, unser heutiges Nachtquartier. Das einzelne Zelt war das Gastzrlt; jene in der Entfernung dcr Duar selbst, von dein wir eben wenig sehen konnten, anch nicht er-fuhren, aus wie viel Zelten er bestand. Mit hohem Interesse nnd großer Freude betrachtete ich den Ort, die Zelte, die bärtigen Männer, die nns begrüßend entgegenkamen; war es doch das erste Beduinen Lager, das ich betrat; mußten nicht die chrwnr-digcn Gestalten der Erzväter vor mich treten, die vor vier Jahr-taufenden ihre Zelte in den Gefilden Eanaans, in den Flächen Aegyptens nnd in der Wüste des Horcb aufgeschlagen? Doch, sei es eine Folge des Sturzes, sei es der Einflnß dcr noch zu frischen Eindrücke von Vn-Ssada, oder sei es die Beschaffenheit des Ortes, dcr zwar »mist, aber nicht großartig dalag, nnd seine Zelle ängstlich versteckte — gcnug, an diesem Tage ergriff mich die feierliche Stimmnng nur wenig; der Nenjahrstag wnrde bei den Beduinen in ähnlicher Lustigkeit verbracht, wie daheim im gemüthlichen Deutschland. Schon während dcr ganzen Reise hatten wir nns das Ver- Jagd auf Hasen. 271 gnügcn einer afrikanischen Jagd ausgemalt, luaren aber durch allerlei Uinständc nie dazu gekommen. Heute hatten wir endlich mehrere helle Stnnden dor nns, und nichts Merkwürdiges zn besehen; dabei hieß es, die Umgegend berge einige Hasen und Wasservögcl. Cs ward also einmüthig beschlossen, den heutigen Nachinittag dem edlen Waidwerk zn widmen. Wie klopfte mir das Herz, als dic Vorbereitungen zn einer Lustbarkeit getroffen wurden, von der ich schon so viel des Schönen gehört, nnd die ich hente zum ersten Male selbst mitmachen sollte. Das Pulver wnrde, in die Hörner vertheilt, das Schroot in die Beutel, einige Zündhütchen in die Taschen; und beide Läufe unserer Doppel-fiinten wurdm geladen. Ein Araber des Duars begleitete nns. In einiger Entfernung von einander bildeten wir einc Linie, nnd schritten spähend den breiten Abhang hinunter. So kamen wir an die grünen Ufer des Baches, ohne einen Hasen gesehen zu haben. Icht solltet! wenigstens die Bewohner des seltenen Wassers daran glauben. Wir vertheilten nns ans beide Ufer, und gingen abwärts; die Ermahnungen an mich. statt der Schnepfen nicht etwa einen der Jäger zu treffen, wurden ein-dringlich wiederholt. Bald flog auch ein Vogel auf, Herr v. C. schoß danach, nnd glaubte getroffen zn haben; wir fanden aber nichts trok eifrigsten Eucheus. Nun marschirtm wir wieder aufwärts; und nm es nicht lang zn machen, in Zeit von anderthalb bis zwei Stnnden wnrde cinc Art Schnepfe lind zwei Lerchen von nns erbeutet. Ich brauche wohl kaum beizufügen, daß Schreiber dieses sich nur mehrerer Mordversuche schuldig machte, indem er, mit tnerk-würdiger Vorsicht heranschleichend, auf einen ganzen Haufen kleiner Vögel zielte, abschoß, und die Frcnde hatte, sämmtliche Thierchrn wohlbehalten davonfliegen zn schcu; nicht ein Federchen brachte ihn in den Verdacht grausamer Verletzung. — Die einbrechende Dämmerung führte nns zu den gastlichen Zelten znrück; 272 „Jagd auf Löwen." und brachten wir auch keine Hasen und Rebhühner, so schineckte uns dcr wohlgeratene Hammel und der buttrige Kusknssu um so besser. Den Leser aber, der über eine so nüchterne afrikanische Iagdgeschichtc spottet, bitte ich einen Augenblick nachzudenken. Was wäre für mich leichter gewesen, als folgendermaßen zu erzählen: „Kaum hatten wir den ersten Ducir schweifender Beduinen betreten, als rechter Hand, ganz in der Nähe, ein schreckliches Gebrüll sich erhob. Unsere Pferde bämuten sich, nnd suchten zu fliehen, mit alleu Anzeichen des heftigsten Schreckens; die Sühne dcr Wüste aber, die uns freundlich entgegengekommen, fuhren be-stürzt zusammen, nud hatten kanm die Kraft, sich auf den Bei-ncn zu erhalten, liii^on«,! Er ist es! riefen ihre bleichen kippen; „Cr", das ist der Löwe. Jetzt galt es, den europäischen Helden-muth, der alle Welttheile unterworfen, diesen Wüstensühncu gegen-über zn bewähren. Ohuc ein Wort zu verlieren, luden wir sämmtlich die Doppelläufe unserer Büchsen, und begaben uns eilcuds nach der Richtung, von wo das Gebrüll ertönt. Nach einem Marsche von zehn Minuten, dessen freudige Sicherheit keine Spur von Fnrcht verrieth, gelangten wir an das bnschige Ufer eines Baches; und als wir unsere Augen spähend umhersaudten, brüllte es abermals, dicht vor uns, mit eiuer Gewalt, daft die Erde dröhnte uud der Himmel erzitterte. Diesem Schrei des Königs dcr Thiere ist kein Douner des Gewitters, kein Heulen des Sturmes, kein Brausen des Wasscrfalles an die Seite zu stellen." „In demselben Augenblicke sprang eiu ungeheurer schwarzer Löwe, mit dichter Mähue und glühenden Augeu. in Einem fürchter. Uchm Sahe aus dem Gebüsch hervor, nnd blieb zehn Schritte vor uns liegen. Wehr uns, hätten wir in diesem äuftersteu Mo-mcnte auch nur eine Sekuude gezagt! denn der nächste Sprung hätte zwei von uns erreicht, niedergeworfen, zerfleischt. Aber „Ende des schwarzen Löwen." 273 kaum lag der Löwc da, als vier Büchsen auf ihn zielten, vier Schüfst knallten, und vier Kugeln ihn durchbohrten. Mit einem dumpfen Gebrüll sank das Thier zusammen; aber im Nn rich, tcte es sich wieder auf, uud trabte hinkend in das nahe Gebüsch: eine Lache von Blut bezeichnete die verhängnißvollc Stelle" . . . Nun kommen die Beduinen jubelnd herbeigeeilt; sie wollen den todten Löwen sehen; troh unserer Warnungen folgen ihm einige in das Gestrüpp; ein herzzerreißendes Geschrei verkündet, daß ein Araber der Tcche des vermeintlichen Todten verfallen ist; dann nähern wir nns behutsam; noch einmal stellt sich der Löwc zum Sprunge: aber in demselben Augenblicke stürzt er lautlos zusammen, meine Kugel, von sicherer Hand entsendet, hat ihn gerade in's Herz getroffen! Dcr königliche Leichnam wird auf einer Bahre iu dcu Duar geschleppt, dort von den Weibern lind Kindern mit Schmähuugen überhäuft, während an der Spitze der Männer der greise Scheich nns dankend beglück-wünscht, unsern Heldenmut!) preist, der seinen Stamm Von einem so mörderischen Feinde erlöste, uud vor Allen mich als den Löwcntödter ausruft. Das prachtvolle Fell nehme ich als wohl-verdiente Trophäe mit mir, und auf ihm He ich, indem ich diese Zeilen niederschreibe. . . Wie ganz anders hätte ein solcher Iagdbericht sich ans-genommen, wie hätte er die Seelen gespannt, in welcher Glorie hätte er den Reisenden erscheinen lassen, und für alle seine Er-lcbuissc und Betrachtungen doppelt interessirt! Und gewiß, lieber Leser, würdest Du nicht erpreß nach Afrika gereist sein, um zu erfahren, ob Dein Autor wirklich den schwarzen Löwen erlegte. Für die Nichtigkeit des ganzen Hergangs hätte mir aber kein Geringerer gebürgt, als Jules Gorard, dcr große Lö'wcntödtcr, der seine Jagden ebenso nmthig ansznführm. als drastisch zu schildern wciß. Ucbrigms hätte ich das Löwm-Abentmer gleich m den ersten Tagen meiner Reist sich ereignen lassen; theils Hirsch, Marien. 18 274 Dichtung und Wahrheit. weil doch schon einige meiner Leser wissen konnten, daß es in der Sahara keine Löwen giebt; theils mn von vornherein das romantische Bedürfniß zn befriedigen, und dadnrch zmn anf-mcrksamcn Weitcrlescn anzuspornen. Cine Razzia gegen die Kabylen des Dschurdschura, ein Uebcrfall von Wegelagerern in den Engpässen des Wed-Ksob, eine Hinrichtung in Msila, eine große Gazcllcnjagd, die Hochzcitfeier eines reichen Kaid und eine Schlacht zwischen zwei feindlichen Stämmen in der Sahara würden die gespannteste Theilnahme erhalten haben. Welch eine strenge Gebieterin ist doch die Wahrheit, das; sie ihrem Verehrer gerade die Schilderungen verbietet, welche mit der geringsten An-strcngung den größten Effekt hervorbringen! Die verfehlte Jagd auf abwesende Haftn hatte wenigstens das Gute, uns während des Mahls und bis zum Schlafen-gehen in die heiterste Stimmung zu versehen. Wir speisten heute znm ersten Male nntcr nnscrm Ncisczelte, das sich als geräumig, sicher nud warm erwies; das arabische Gastzclt überließen wir unseren Begleitern. Von den gewöhnlichen Speisen vermißten wir die Eier und das Geflügel, wie fortau jedesmal, wmu wir unter Zelten lagerten; das Huhn ist ein seßhaftes Thier, trotz seiner Flügel, nnd begleitet den Beduinen nicht auf seinen Wan-dcrnngcn. So mnßtcn wir uns auch den Kaffee selbst liefern, denn dies vermeintliche Attribut des Orientalen, wie nicht miw der das andere, der Tabak, ist den Bewohnern des Hodna nur ein seltener Luxusartikel. Scheu im Tel! mußten wir, selbst bei den Fürsten, auf hundert Dinge verzichten, die bci uns jeder Krämer und Handwerker alo Bedürfnisse betrachtet; hier ver-engte sich der Kreis der gewohnten Genüsse noch um ein Bl> deutendes, und ging wenigstens bci den Armen bis an die Grenze des Nothwendigste«. Dort ließ vorzüglich die Wohnung und alles was dazu gehört, Möbel, Feuerung, Erleuchtung, zu wün-schcn übrig: hier ergriff der Mangel auch Speise und Trank. Bedmnische Speisekarte. 275 Der Speisezettel eines Pariser Restaurateurs Mit ciu ganzes Buch; der Speisezettel eines Beduinen würde fürs ganze Jahr noch keine Vicrtelseite einnehmen. Unsere Vurräthe erlaubten nns jedoch, auch diesen ersten Abend des Neuen Jahres durch einen Gaumenkitzel zu feiern. Herr v. E. braute vortrefflichen Punsch, und es fehlte nicht an heiteren Gesprächen. Um 9 Uhr etwa wurden die Matratzen ausgebreitet, und meine Gefährten legten sich nieder; indes; ich, meine Beobachtung am Thermo-meter zu machen, noch einmal in's Freie hinaustrat. Die stille Feier der sternenhellen Nacht unterbrach nicht weit von mir eine laute, eintönige Erzählung; nnd als ich hinzutrat, sah ich in dem offenen arabischen Gastzclte, erhellt durch ein Rcisigfeucr, unsere eingeborenen Begleiter und einige Beduinen am Boden kauern. Ein Greis uüt weißem Barte führte das Wort; seine Erzählung floß wie ein Bach der Ebene; ich lauschte wohl eine Viertelstunde, und ohne Unterbrechung tönte dieselbe Stimme. Ich verstaub nichts, als das Wort Er-Numana, das häufig wiederkehrte; der Name des Flüßchrns und des Duars. bei dem Wir uns aufhicltcu. War es die Geschichte srines Stammes und Lagers, die der Alte den Fremden ruhmredig erzählte? — So trat mir denn hier die eigenthümliche Unterhaltungsfonu des Orients recht bezeichnend entgegen. Menschen mit viel Phan> task und wenig Nachdenken, Menschen ohne Berufsverschieden» hcit und manuichfache Erfahrung, Menschen des Glaubens, nnd nicht des Zweifels, müssen nothwendig in der Erzählnng, statt im Zwiegespräch, ihre Befriedigung finden. Auch in einem mau-rischcu Eaf6 zu Algier beobachtete ich, wie ein juuger Bursche den anwesenden Gästen eine lange Erzählung vortrug, wie es schien, schlüpfrigen Inhalts, und am Schluß mit reichlichem Bei» fall belohnt wurde. Diese Gesprächsweise hat die epische Form zum Typus der ganzen orientalischen Literatur gestempelt, und das Drama, das poetische, höhere Zwiegespräch, vom Ganges 18- 276 Der erzählende Greis. bis zum Guadalquivir niemals aufkommen lassen. Eine Per-son, die lauge Geschichten erzählt, gilt bei uns als der schlimmste Gesellschafter; denn bei uus begnügen sich Wenige mit dein bloßen Zuhören, Jeder will fcin Lichtchen leuchten lassen. Daher ist in unserer Gesellschaft nicht derjenige der beliebteste, der selbst am besten spricht, sonderu der die Anderen am besten sprechen macht. Ganz anders im Orient, wo für die Meisten das Gespräch nicht eine Sache des Ehrgeizes, sondern der Erholung ist. — Als ich gegen 10 Uhr noch einmal aus dem Zelte trat, sprach der Alte noch immer; und das einzelne erleuchtete, töumde Zelt inmitten der unendlichen Dunkelheit uud Stille ergriff mich nicht wenig. Wie gern hätte ich die Erzählung verstanden! Da wir am nächsten Tage eine beträchtliche Reise vor uns hatten, inn das Lager der Uled-Slimcm zu erreichen, so brachen wir schou um 5 Uhr iu der Frühe auf. Die Gegend war an-fangs flach, ein wenig ansteigend; der Boden sandig, uud, wie ich bei anbrechender Morgcndämmcruug bemerkte, mit Gestrüpp Verschiedener Art bewachsen. Etwa um ^7 Uhr machten wir Halt, um Kaffee zu kochen; die Stelle war wüst und steinig. Nach einer halben Stunde saften wir wieder anf, und genossen bald dauach cincu prachtvollen Sonucuaufgang; zu uuserer Lin» km ein weites Nebclmeer, und jeuscits desselben ein Bergzug, der röthlich glühte. Unter jeucm Nebel befaud sich wahrschein-lich der Salzsee, der uns auf diese Weise verborgen blieb. Denn von nun an nahm nns ein wüste!? Thal auf, das zwischen zwei nackten nnd wilden Bergrücken von Westen nach Osten zog. Die Berge znr Linken waren steiler uud zerklüfteter, und zogen den Blick weit mehr auf sich, als dic zur Rechten; das Thal war breit und ziemlich eben. Hatte schon bisher der Ritt durch dic Wüste mein Gemüth Die Wüste als Wiege der Einheits-Religion. 277 in eine erhobene Stimmung versetzt, meinen Geist mit ganz neuen Vorstellungen bereichert, so versenkte mich das Thal von Homa-nijje in ein fo tiefes, anschauendes Nachdenken, wie es mir sei-ten zü Theil geworden. Hinter den Gefährten zurückbleibend, ritt ich stundenlang in ciucr Art stillen Ekstase einher. Religio» ncn und Staaten entstanden gleichsam vor meinen Augen. Jener schroffe Berg ward zum Sinai, an dem der große Schafhirt Moses die Grundlagen einer neuen Humauität zuerst ersaun, und alsdann seinem staunenden Volke offenbarte. Ich sah die Propheten, und den größten uutcr ihnen, Christus, in der Wüste über den Verfall der Sittlichkeit nachdenken, in der Wüste große Schaarcn bekehren. In jcmr Schlucht endlich schaute ich Mo> hammed, den letzten Ncligwusstiftcr, wie er die feurigen Snrm seines Koran erdachte; und in der Ferne, auf flüchtigen Ka-meclen, sah ich ihn mit ftiuen Anhängern von danncn eilen. So drängte sich mir dcuu hier eine Veobachtllng auf, die ich, trotz ihrer Bedeutsamkeit, noch in keiucm Werke gesunden: daß Nämlich die drei großen Religionen des Westens sammt-lich aus der Wüste hervorgegangen sind. Mag der Mythus den Ursprung der mosaischen und christ-lichen Lchre noch so schr verschleiern, so daß auf keine einzige der betreffenden Thatsachen ein sicherer Verlaß ist- der lang-dauernde Wiistm-Aufenthalt der Grüuder wird am letzten bestrit-ten wcrdeu. Und sollte er es doch, so ist der Umstand in der Sage kaum weuigcr bedeutsam, als iu der Wirklichkeit. Warum läßt die jüdische Sage ihren Moses zehn Jahre die Schafe Je-thro's in der Wüste hüten, warum ihm Jehovah im feurigen Dornbusch der Wüste erschieueu, wann» läßt sie in der Wüste die gauze Offenbarung vor sich gehen, warum das Volk Israel, das neu unterrichtete, vierzig Jahre lang die Wüste durchirren? Woher die Beharrlichkeit, mit welcher der Mythus den Elias, den Johannes, und vor allem Christus in die Wüste vcr» 278 Natürlicher Zusammenhang. setzt? Und endlich, warum nmß der Engel Allahs den Mo» hammed in der Wüste heimsuchen, wo dieser, der reiche Kaufmann von Mekka, Jahre der tiefsten Beschaulichkeit verlebt? War es nicht Wirklichkeit, so lag es jedenfalls im tiefsten Be-wußtscin der semitischen Völker, daß zwischen der Wüste nnd der Einhcits-Rrligion eine innige Verwandtschaft stattfinde. Es bedarf in der That keiner großen Ncberlegung, nm die-sen Zusammenhang nachzufühlen. Der Begriff der Natur-Einheit kann Niemandem so leicht entgegentreten, als dem Bewohner der Wüste, wo in Raum und Zeit die Verschiedenheit fast verschwindet. Der Himmel ein beständiges, wolkenloses Blau; die Erde eine Oberfläche von Stein und Sand, die hier uud da kaum sichtbar einige Pflänzchcn trägt; beide einander ähnlich eben durch ihre Einförmigkeit: war es da schwer zn glauben: „Im Anfang schuf Gott den Himmel nnd die Erdc, und die Erde war wüst nnd leer?" — Die Gesammtnamen der großen Ge-birgc sind allc bei den Bewohnern der Niederung gebildet wor-den und in Gebrauch; die Berg - Bewohner kennen nnd nennen nnr die einzelnen Höhen nnd Thäler. So vermochte der Grieche in der ungeheuren Mannichfaltigkeit seiner Natur, in diesen: Wechsel von Insel und Festland, von Fluß und Mccr, von Wiese nnd Wald, von zahllosen Pflanzen und Thieren, von Wetter nnd Jahreszeit, nur die Kräfte, aber nicht die Kraft, nur die Götter, aber nicht den Gott zn erkennen. Den Semiten aber führte znm Einigen Gottc nicht allein die Beschaffenheit seines Wohnsitzes, der Wüste, sondern ebenso sehr seine einförmige, beschanlichc Lebensweise als Hirte. Das Hirtcnthum ist nntcr den Beschäftigungen, was die Wüste unter den Gegenden: öde, trüb und wcchsellos, aber erhaben. Kein wirtschaftlicher Zustand ist so geeignet für die Vertiefung der Reslerion, >md wenn zn der sinnenden Lebensweise noch die äußerste Einfachheit des Landes tritt, so kann begabten Geistern Geistesrichtung der Wüsten-Hirten. 279 die Prophetic kaum ausbleiben. Dem Hirten der Wüste er-scheint dic Natur einfach; sie erscheint ihm aber auch ohnmächtig und leblos; das wahrhaft Lebendige und Wirkende tritt ihm in seinem eigenen Geiste entgegen. Das wunderbar mächtige Sprießen und Blühen des Frühlings, das wohlthätige Reifen des Som-mcrs, die Stürme und Regengüsse des Herbstes, das Verderb-liche Schneien nnd Frieren des Winters — dazu der Flüsse Strömung und Ueberschwcmnmng, des Meeres Branden nnd Sturmflnthcn, des Himmels Donnern und Büßen, der wilden Thiere Wüthen und Zerreißen — alle diese Erscheinungen, die dem Landmann des Gefildes die Natnrträfte in ihrer Lebendigkeit nnd Macht täglich vor Augen führen, cxistircn nicht oder höchst selten für den Wüstenbcwohner. Während jener daher die materiellen Gegenstände und Kräfte liebt oder fürchtet, lind göttlich verehrt, so lvird es dem Beduinen leicht, die ganze Natur einem geistigen Schöpfer nnd Rc-gicrcr unterzuordnen. Wie er selbst sein Zelt aus geringer Wolle webt nnd ausspannt, so erscheint es ihm, daß Gott den Himmel herstellt und ausbreitet, und die Erde nnw ihm. Dcr Wüstcnhirte ist ein geborener Monist, Idealist und Pcrso-nalisi. Da keine Dürre oder Nässe sciue Ernte zerstört, kein Erdbeben oder Feuer sein Haus vernichtet, da er nur von sich selbst oder anderen Menschen abhängt, so kennt cr keine dunkle Macht, kein Fatnm, sondern bindet alles an die Entschlüsse einer höchsten Persönlichkeit. Die Israelitcn waren ein Hirtenvolk; nnd wenn es wahr ist, daß Moses nach seiner Offenbarung sic oicrzig Jahre lang in der Wüste zurückhielt, so hat er dadurch der Erhaltung seiner abstrakten Religion den wesentlichsten Dienst geleistet. In der Wüste, die so wenig Güter hervorbringt, erkannte ich also die Gebnrtsstättc des höchsten Gutes, einer geläuterten Religion, einer einheitlichen Weltauffassnng, einer reineren Sitt- 280 Einfluß auf die Poesie, lichkeit. Von jetzt an sah ich in dein nackten Gestein, in dem baaren Sande nicht mehr ein Bild dcr Verwüstung und des Todes, sondern die Grundlage dcr Erhabenheit und dcr Erkennt niß. Wo M'rlc Andere nnr Langeweile empfanden, da über-strömte es mich lion Feierlichkeit. Ich begriff vollkommen, daß der Bednine sich mir in der Weite der Wüste wohl fühlt, und daß scin Leben, trotz der Kargheit nnd Monotonie, ein Leben voll Poesie sein kann. Was den Eindrücken an Reichthum und Mannichfaltigkcit abgeht, das ersetzen sie durch ihre Großartig-keit nnd Tiefe. Die Religion, der Krieg, das Pferd nnd die Liebe — daraus besteht das Leben, daraus besteht die Dichtung dieser Menschen. Aber so wenig die Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts arm zn nennen ist, weil sie nnr heilige Stoffe darstellte, so wenig die Poesie der Wüstciwölker. Ja, dic Er-fahrung aller Zeiten nnd Völker scheint dafür zn sprechen, daß die Beschränktheit des Stoffes dcr wahren Kunst höchst fordcr-lich ist, indem sie dieselbe vcrinncrlicht und devticft. Was mich aber während des heutigen Ritts am nmstcn beschäftigte, das war dcr Wüstcnzug der Israclitm vor mehr als W00 Jahren, dicfc große Wanderschaft, mit der ein ganzes Volk seine Lehrjahre beendigte. Seit meinem Knabenalter dcr bibli-schcn Geschichte entfremdet, fand ich dennoch die Hanptmomcnte noch frisch in meinem Gedächtniß, und licß sie in langer Reihe auf dem blafseu Grunde des Wi'istrnrhalö an mir vorüberziehen. Dcr Boden hatte kaum Platz für die zahllosen Schaarcn dcr Männer, Weiber nnd Kinder, wie sie nach Stämmen und Stammzweigcn abgetheilt cinherzogcn; dazu die nnabscbbarcn Hccrdcn dcr Rinder nnd Schafe nnd Lastthicrc. Welch Getöse beim Anfbrnch in der Frühe, welch Dröhnen während des Marsches, welch Gcwirrc beim Lagern des Abends! Sechsmal-hunderttausend waffenfähige Männer und wohl m'crmal so m'cl der Weiber nnd Kinder, im Ganzen drei Millionen Menschen, Der Exodus als National-Epos. 281 in Einer Bewegung, in Einer Ruhe! Wie verschwindet dagegen das gewaltige Heer des Fcrxcs, das Aufgebot von halb Asien, wie die große Armee Napoleon's, die Kriegsmannschaft des Hai-ben Enropa's! Und diese ganze, unermeßliche Menge einherzic-hend in der feierlichen Stille, in der erhabenen Verlassenheit der Wüste; ein Lager dreimal so bevölkert als die Riesenstadt Paris, inmitten eines Landes, das kanm tansend Seelen zn ernähren vermag! Welch eine Größe, welch ein Gegensatz, welch ein Wun-der der Nnndcr! Welch Jauchzen, wenn diese Millionen sich frenen, welch Mnrren, wenn sie unzufrieden sind, welch Weh-klagen, wenn sie traueru, welch eine Schlacht, wenn sie kämpfen! Man gebe zu, daß keine Nation der Erde ein so großartiges, so ergreifendes Heldengedicht ersonnen hat, wie der kleine Stamm der verachteten Indcn, Ich sprach bisher nur von der Größe der Scenerie, aber diese wird noch weit überboten von der Höhe, dem Reichthum nnd der Spanngewalt der Charaktere nnd Handlungen. So lange ich mich mit dem Pentateuch beschäftigte, war ich Knabe und gläubig; ich las die Vorgänge als Geschichte, nnd prägte sie mir so früh und pedantisch ein, daß ein poetischer Eindruck kanm je zum Bewußtsein kam. Hier, in der westlichen Fort. schuug jener arabischen Wüste, erschien mir der Erodus znm ersten Male in seinem wahren Lichte, als die gewaltige Heldensage, als die Made des Volkes Israel. Es war mir gegangen, wie den Meisten meiner Generation: weil ich nicht mehr glaubte, ignorirte ich; über der Unwahrheit der Thatsachen vergast ich die ewige Wahrheit, die herrliche Größe der Dichtung! Ich lächelte über die Spaltung des Schilfmeers, und übersah, daß alle Wunder der Ilias, selbst der Gorgo-Schild der Athene, nur Kinder-spiel sind gegen diese Errettung eines ganzen Bolks, und ganz-liche Vernichtung eines gewaltigen Heeres. Ich bekämpfte die Offenbarung Gottes vom Berge Sinai, als unwürdig eines 282 Jüdische und griechische Poesie. höheren Gottcsbcgriffs, und es entging mir die hochpoetische Ber-cinignng des Geistig, und Körpcrlich-Erhabenen, dieses einsame, gewaltige Schnecgcbirge imnitten glühender Wüste, hingestellt als der Thron, von dem herab, nnter zuckendem Blih und rollenden! Donner, Jehovah sich selbst nnd seine ewigen Gebote dem cr> wählten Bolke offenbaret. Was ist der griechische Olymp, der vielbesungene, mit seinem Prachtsaal schmausender Götter, mit seinen geflügelten Voten nnd Vögelgcspanncn, was Zeus' Eichen« Hain zn Dudona, was sind sie gegen Sinai nnd Horcb? Kurz, der Auszug Israel's ans Aegypten steht als National-Epos so hoch über dem Znge der Achäcr gegen Ilion, wie die Befreiung, Eonstitnirnng, Irrfahrt und schließliche Landbcsehung eines ganzen Volkes über dem Kriegszuge eines Heeres znr Belagerung einer feindlichen Stadt. Hiermit fällt mir nicht ein, leugnen zu wollen, wie weit die Ilias als wirkliches Kunst-werk, in der durchgängigen poetischen Behandlung und Schön» hcit der Form nnd der einzelnen Züge, über dem Exodus steht. Statt all der vielgestaltigen Helden der Achäer nnd Troer preist ja der Erodus fast nur den einzigen Moses; der Wettstreit und Eonflikt der Persönlichkeiten, welche den Hauptinhalt der Ilias bilden, erscheinen im Erodus uur matt au wenigen Stellen. Zwar vergleicht Ehüteaubriand sehr sinnig einige Scenen Homer's mit den ähnlichen der Bibel; so die Erkcmnmg zwischen Odys. scus nnd Telemachos mit der Erkennung Joseph's und seiner Brüder — und giebt den letzteren auch poetisch den Vorzug: allein das sind doch unerhebliche Ausnahmen. Der Inde steht an Formsinn und dramatischem Schaffen weit hinter dem Griechen znrüek; aber er übertrifft ihn ebenso weit an Er-habcnhcit nnd Tiefe des Inhalts. Die Bibel haben Priester verfaßt, die Ilias nud Odyssee aber Dichter; und so waren überhaupt die Juden ein religiöses, die Griechen ein poetisches Volk, — Thal und Duar Homanijjc, 283 Während ich unter solchen Bildern nnd Gedanken dahin-ritt, kehrte der freundliche Herr v. C. zn mir um, nnd crkun» digte sich theilnchitlend, ob Unwohlsein oder Verstimmung mein beständiges Zurückbleiben verschuldete. Ich machte ihn mit dem wahren Grunde bekannt, nnd ».'ersuchte zugleich eine ähnliche An-schannng in ihm zn erwecken. Aber ich merkte bald, daß der heitere Lieutenant keine Lnst hatte, sich mit solchen Grillen zn befassen. Sprach ich von der Feierlichkeit dieser Einöde, und wie ich sie als einen ungeheuren Tempel betrachtete, so versetzte er mich gleich mit einer komischen Wendung in ein Manöver-Bivouac auf dem Sande der Marken. Herr v. O. unterhielt sich fleißig mit dem Engländer, der nnr mit ihm verkehrte; nnd die Spcchis crlustigtcn sich und uns durch cine windschnclle Fantasia. Es schien, als wäre ich der Einzige, dein der Genius der Wüste zu erscheinen geruhte! Das Wetter war nicht mehr so warm nnd heiter, Wie die vorigen Tage, doch noch immer günstig gcnug. In dem oben-erwähnten Thalc erhoben wir uns allmälig, und überschritten einen Bach mit angeschnittenen, buschbewachsencn Ufern, der die Nich. tung unscrcs Zuges gerade durchkreuzte. Um 11 Uhr etwa er-reichten wir wieder einen Duar, Homanijjc genannt, mitten in einem sehr weiten, öden Thalkessel. Bein: Gastzelte, das einige hundert Schritte vom Duar entfernt stand, stiegen wir ab, und erwarteten sehnsüchtig das Frühstück, Empfang nnd Unterhat-tnng von Seiten der Araber waren dieselben, wie in Cr-Ru-mana. Da der Kuskussu gar lange auf sich warten ließ, so konnte ich meine Nengierde, den Duar in der Nähe zu sehen, nicht beschwichtigen. Ich ging ganz allein darauf zu, nnd fand wohl ein Dutzend Zelte in einem weiten nnd ziemlich rcgel-mäßigen Kreise aufgeschlagen. Ihre offene Seite sah nach innen; der Kreis war übrigens leer, auch zeichnete sich keins der Zelte besonders ans. Ich erblickte einige mwerhülltc Francn und 284 Kameelheerbe. Kinder, zog mich aber, um nicht zudringlich zu erscheinen, sehr schnell wieder zurück. Nun wurde auch die Holzschüssel mit dem Kuskussu aus dem Duar herbeigeschleppt, die Sauce folgte, und wir aßcn im Freien. Was wir übrig ließen, und das war fast die ganze Schüssel, ward augenblicklich von etwa fünf Beduinen, die sich neben uns im Kreise niederließen, mit den Händen verschlungen. Der Appetit und die Fingerfertigkeit dieser Naturmenschen er-schien uns gleich außerordentlich, denn der gehäufte Kuskussuberg verschwand unter ihren Händen wie durch Zauber. Ob sie mit derselben Behendigkeit arbeiten, ist mir sehr fraglich; sie folgen darin wahrscheinlich den bewährten Grundsätzen des „G'scllen, den a Schlosser g'habt." Nach 12 Uhr brachen wir auf, und zogen in der bisherigen Richtung und auf einem ähnlichen Terrain weiter. Wir erreich, ten nach einiger Zeit eine reichliche Quelle, aus der wir uns selbst und unsere durstigeu Thiere tränkten. Darauf bogen wir etwas rechts ab, also gegen Süd-Dstm, uud kamen auf eine weite Fläche, in der Ferne von niedrigen und vereinzelten Felsen-höhen begrenzt. Hier ward uns das erste und einzige Mal während unserer Reise der interessante Anblick einer weidenden Kamcelhecrdc. Die nützlichen Thiere waren über einen großen Raum zerstreut, und suchten die kärglichen Kräuter unter dem Gestein hervor. Sie thaten nicht sehr scheu, obgleich wir mitten hindurchzogen; als ich aber zum Spaß auf einige losritt, flohen sie eilends von dannen. Kein Hirt war weit uud breit zu sehen. Später erblickten wir gerade vor uns mehrere sehr große Vögel, die ich in freudiger Ueberraschung für Strauße hielt. Ich rief dem einen unserer Führer zu, mir zu folgen, und fprengte mit geladener Flinte in der Richtung der Vögel über die Steppe. Als ich so nahe war, daß ich glaubte, bald zum Schuß zu kommen, flogen die vermeintlichen Strauße auf und davon, zwar Wüstenthal. 285 nicht mit Straußenfedern, dic bekanntlich nicht stiegen, wohl aber mit all meinen Hoffnungen auf eine Trophäe selbsterbcutcter Marabuts". Was es für Vögel waren, konnte ich nicht er-fahren: Strauße aber kommen, so viel ich jetzt weift, in der Stcppcnregion noch gar nicht dor, fondern zeigen sich erst in der eigentlichen, wärmeren Sahara. — Anf diese Weise hatte ich mich den Fclshöhcn genähert, nnd stieß bald anf eine große Schafhcerde, die in sehr gestreckter, fast gerader Linie weidete. Sobald ich mich wieder mit den Ucbrigen vereinigt hatte, erbot ich mich, des ewigen Schrittrcitcns müde nnd anf neue Gegen-stände begierig, mit zweien von den Eingeborenen voranszureiteu, nnd das Lager der Veni-Slimau zu erspähen. Gesagt, gethan. Wir verließen die weidcreiche Fläche, trab-ten über steinige Abhänge, nnd befanden uns plötzlich am Ufer eines breiten nnd vollen Flüßchens, dessen geradliniger Lauf sich weithin verfolgen ließ. Das Thal (im engern Sinne), wie alle, die ich in der Stcppemegwn gefehen, war schmal und bedeutend eingesenkt, die Ufer bei diesem Wasserstandc flach; was aber dieses Thal vor allen anderen auszeichnete, war die dichte Reihe kräftiger, frischgnmer Bäume, die sich darin entlang zog. Ober-halb dcr feuchten Einsenkung, zu beiden Seiten, war die Vegc-ration wieder ganz kümmerlich. Jetzt zeigte sich dcr eine Führer, dcr noch schneller vorausgeritten, auf dcr jenseitigen Höhe, nnd machte Zeichen, daß er keinen Dnar gcfnndcn. Ich setzte durch dcn Bach. ritt den steilen Abhang hinauf, und überschaute ein unregelmäßiges, hügeliges Terraiu, rechter Hand in der Ferne von einem beträchtlichen Berge begrenzt, nnr hie nnd da mit Büschen bewachsen, und ohuc jede Spur von Meusch oder Thier. Da die Abenddämmerung nahctc, so war dieser Anblick nicht gcradc tröstlich; zudem vermochte ich mich mit dem Araber durchaus nicht zu verständigen. Cs blieb mir nichts übrig, als die Ankunft meiner Gefährten abzuwarten, die sich meiner Un- 286 Der ausgezogene Stamm. geduld gegenüber fehr verzögerte. Endlich waren sie da. und Chlil verdolmetschte dir Aussage des Führers: daß hier bestimmt der Ort sei, der ihnen als Lagerstätte der Beni-Sliman bczcich. net wordm; sie müßten also erst in den lchtcn Tagen weiter gewandert sein; wohin, das wisse er nicht, wahrscheinlich doch aber nicht in zn große Entfernung. Hierauf schickten wir zwei Reiter ans, nm womöglich einen Hirten zn treffen, der Ans» kunft über das Verbleiben unserer voransbestimmtcn Wirthe gc-bcn könnte. Wir selbst ritten den Abhang vollends hinauf, nnd noch eine Strecke weiter, und sahen nns, wie das Volk sagt, die Augen aus, nm eine tröstliche Spur zu entdecken. Nichts zeigte sich; nnscrc Boten kehrten gleichfalls unverrichtctcr Sache znrück. Es ward dämmerig, und wir hatten uns schon darin ergeben, die Nacht allein in unseren Zelten, ohne Kuskussn und ohne Hammel, zuzubringen. Unter uns vertiefte sich ein schma-lcs Thal (nicht dasjenige, das ich oben beschrieben, aber wahr» schrinlich ein Nebcnthal desselben), so daß es uns an etwas Wasser und Holz zur Feuerung nicht fehlen durfte; auch blieben uns noch Lebensmittel genug, um nicht mit ganz leerem Magen anf unsere Matratzen zn kriechen. Indem wir hierüber berathschlagten, trabte unser Ali heran, und meldete, daß er in ziemlicher Ferne einen arabischen Reiter in nnsercr Richtung kommen gesehen. Wir bewegten uns vorwärts, und trafen bald mit dein eilenden Reiter zusammen. Er berichtete, der Kaid der Bcni-Sliman habe ihn uns entgegen-gesandt, um uns zn der neuen Lagerstätte zn geleiten. Wlc ge-wohnlich, war nämlich ein berittener Bote für uns vorans° geschickt worden, hatte aber wegen des Aufbrnchs erst nach langem Suchen das nenc Lager entdeckt. So waren wir denn aus der Verlegenheit, und folgten frohen Sinus dem Bednincn; es hieß, in einer halben Swndc hätten wir den Dnar erreicht. Unser Weg führte einen sauften Abhang hinab anf cm drittes Thal Eine Illumination in der Wiiste. 28? zu, das dem ersten parallel zu laufen schien; die Gegend war nicht so wüst, wie die des heutigen Morgens, sondern zeigte ziemlich viel Büsche. Au dem großen Berge hinter uns branu-ten einige Feuer, und bei zmichmcnder Dunkelheit glitzerten hie und da Sterne auf. Wir folgten lange dem Laufe des Baches; der beginnende Regen vermehrte die Dunkelheit, und damit die Unsicherheit des Rittes, so daß Jeder sich dicht an seinen Vordermann halten mußte. Die halbe Stunde war längst vorüber, uud uoch zeigte sich keine Spur des Duar; die Haut fröstelte und der Magen bellte: es war eine unbehagliche Cavalcade. Mit nur zwei kur-zm Unterbrechungen saßen wir seit 5 Uhr zu Pferde, und ob» gleich nunmehr ans Reiten gewöhnt, fast wie die Hunnen, sehn-ten wir uns doch nach einer etwas wagcrcchten Stellung und nach freiem Raum zwischen den Beinen. Es half nicht einmal, nach der Entfernung zu fragen, denu die schwerfällig übermit-teltcn Antworten lauteten ganz unbestimmt. So ging es wohl zwei Stunden fort, lind schmt lmtte es den Anschein, als ob wir uns gänzlich verirrt, oder die Veni-Sliman uoch einmal ihr Lager gewechselt hätten. Da traf plötzlich, in der tiefen, gänzlichen Dunkelheit, ein wahrer Lichtstrom unsere Augen, oder vielmehr eine Feucr-Brau-dung, denn in fußhohen Wellen leuchtete das Element, uud ward immer mächtiger uud ausgedehnter, je näher wir kamen. Es schien, als stäude ein ganzer Hügelrückm in Brand, und in der That verhielt es sich nicht viel anders. Als wir einen gelinden Abhang hinaufgeritten, erkannten wir, daß oben wohl zwanzig Scheiterhaufen loderten, gebildet durch die großen, trockenen Halfa-Büsche, wie sie auf kleinen, kegelförmigen Erhöhungen des san-digeu Bodens gewachsen. Mitten dazwischen standen einige Zelte, und bewegten sich geschäftige Beduinen. Es war das ncnc Lager des Beni-Sliman, und die Büsche waren absichtlich 288 Duar der Beni°SIimcm. lion ihnen angesteckt. Diese Nolnaden hatten ihre nenc, cpheniere Ansicdlling noch nicht beendigt, mid wahrscheinlich dienten die brennenden Sträucher zur Beleuchtung ihrer Arbeiten; vielleicht auch dazu, die Umgebung dcs Duars zu klären. An diese praktisch-cgoistischcn Zwecke dachte ich indeß gegen-wärtig nicht iln mindesten: sondern glanbte, cm lvrnig auf Don Qnizote's Art, die gastfreundlichen Bednincn hätten nns zn Ehren eine große Illumination veranstaltet. Die Ursprünglich» keit und einfache Größe der vermeintlichen Feier imponirtcn mir sehr, indent ich sie mit den Talglichtern, Fettlämpchen und sogar mit den glänzenden Gasflammen verglich. Daß ein Volk seinen Vodcn selbst anzündet, den nahenden Gastfrcnnd zu ehren, nnd daß Scheiterhaufen, welche die Natur allein gebildet, don der Erde zum Himmel anfflackem, bis sie durch die Verzchrung des Stoffes erlöschen, das erschien mir solenner nnd würdiger, als tausend Transpareute und 'Feuerwerke, das erschien mir ganz dem hehren Charakter der Wüste gemäß! Wir fanden übrigens kaum eine Stelle wieder, wo das Wüstengras so hoch, dicht nnd stark wuchs, wie gerade hier; die einzelnen Büsche hatten wohl 4 Fuß Höhe und 3 Fuß Durchmesser, so daß es mehrere Mi-nuten dauerte, lns die Flamme wieder zusammensank. Sobald eine Anzahl Büsche erloschen, wurden ebensoviel wieder angczün-dct. nnd so währte es den ganzen Abend fort. Kleine Knaben besorgten das Geschäft, und häuften znwcilcn auch wirkliche Scheiterhaufen. Der Regen hatte aufgehört, und die Feuchtigkeit dancrt auf diesem Boden nicht länger, als der Niedcrschlag. Daher mach-ten wir es unseren ermatteten Gliedern unter freiem Himmel etwas bequem, und betrachteten in Muße das bunte, wirre Trei» ben des Bivouacs. Mitten zwischen den Flammen wnrdcn die Pferde nnd Maulthicrc angebunden nnd entladen, die Zelte auf-gerichtet, wobei wir selbst mithalfen, die Holzpftöckc in den Zicklein oder Hammel? 289 Boden zn schlagen. Nun brachten die Spahis Stroh und Gerste für die Thiere,; man wird begreifen, daß sie es nöthig hatten nach den: vicrzchnstündigrn Marsche, nnd wie sie es sich schmecken ließen. Nicht so glücklich waren wir zweibeinigen Reisenden. Die Beduinen entschuldigten sich, sie hätten nichts vorbereiten können, da sie erst vor Knrzem hier angekommen; jetzt wollten sie aber so schnell machen, wie nnr möglich. Nach solchem Ritt lim 9 Uhr Abends noch Aussicht auf anderthalbstündiges War-ten, das war ein wenig stark; doch was half es? wir könn-ten unser Futter nicht roh verzehren, wie unsere besser sitnirten Genossen. Auch das Wasser war kaum für Pferde genießbar: eine schlammige Flüssigkeit in einem uralten schimchigcn Thon-kruge; und doch wurde der Ekel vom Durst überwunden. Als ich kurz darauf dem neum Duar zuschritt, von dem wir auch hier eine Strecke eutfernt waren, hörte ich zankendes Geschrei; es war zwischen den Spahis und einem Scheich: die Krieger verlangten zwei Hammel zur Mahlzeit, und der Scheich erwiderte, der Duar sei arm, und könne nnr ein Zicklein schlack», ten. Wir ließen ihm bedeuten, daß wir auf den zweiten Ham-mel verzichteten, aber von Iiegenbratcn nichts wissen wollten; vor allen Dingen solle er sich beeilen, wenn er nicht unangenehme Folgen herbeiführen wolle. So trieben wir denn hentc die Vor-nehnchcit so weit, erst zwischen 10 und 11 Uhr des Nachts zu dinircn; aber dann dauerte es auch nicht lange, bis die letzten Halfaflammcn nur noch die Knochen des Hammclviehes grell beleuchteten, und bald darauf überließen wir uns dem wohlver-dienten Schlummer. Troß der Anstrengung und späten Ruhe des gestrigen Tages brachen wir, nach Genuß von Kaffee und Brod, auch heute am H'ich, Algerien. 19 290 Ti-auriger Ritt. frühen Morgen, zwischen 5 und 6 Uhr, auf, da wir eine schr große Entfernung bis El-Utaja zurückzulegen hatten. Die der-änderte Lagerstätte der Beni-Sliman mußte uns bedeutend vom direkten Wege abgebracht haben, denn wir verließen den Duar im spitzen Winkel zu unsern« gestrigen Wege, und die Entfer-nling bis Mdukal stellte sich später als schr viel größer heraus, als in unserem Plane berechnet worden. Der Boden wurde bald wieder steinig; der Weg ging ziemlich eben und der Mor< gen war so trübe und unfreundlich, wie es der vorige Abend gewesen. Herr v. O. hielt nur während dieses düsteren Rittes einen langen Vortrag über den klaren Sinn und Zusammen-hang des Zweiten Theils von Goethe's Faust. Ich hörte auf-mcrksam zu, aber die Klarheit der Dichtimg drang so wenig in mcm Gehirn, wie die Klarheit des Morgens in meine Augen. Als diese letztere doch endlich kam, fanden wir uns auf einer sehr öden, steinigen Fläche, ohne Aussicht auf Berge; dicht vor uns aber erhoben sich einige unbedeutende Felshöhen. Hier stieg ich vom Pferde, um den Boden genauer zu besichtigen; als ich aber wieder aufgesesseu, erblickte ich meine Gefährten nicht mehr. Auch auf meinen lauten und wiederholten Ruf erfolgte keine Antwort; und so mußte ich anf's Gcrathewohl ihuen nach-eilen. Ich hielt mich natürlich, so gut es gehen wollte, in der bisherigen Richtung, und hatte das Glück, nach riner etwas ban-gen Viertelstunde meine Karcwaue einzuholen. Nun ging es ohne irgend welche Abwechselung, sei es durch Gegend oder Menschen, einige Stunden lang weiterz der Regcu, der eine Zeit lang nur sanft gefallen war, wurde gegen 11 Uhr schr stark, nnd wir hatten Mühe, nns durch unsere Kapuzen vor Dnrch-nässung zu schützen. Nach Aussage der Führer hatten wir bis zur Oase Mdukal noch über zwei Stunden Reitens, und keinen Duar anzutreffen, der das ersehnte Obdach uud Frühstück gc-währte. Mit dein schönen Netter schien also anch die regel- Enges Obdach. 291 müßige Beherbergung der früherm Tage aufzuhören, während wir ihrer gerade jcht am meisten bedurften. So schwer es uns auch ankam, wir Europäer hatten uns schun in Hunger und Nässe ergeben, denn das Wort der Führer war nnscr einziger Anhalt. Aber unser Spahi Ali ließ sich nicht so leicht abfinden; er sprengte, ohne ein Wort zu sagen, voran, und kam nach einiger Zeit in schräger Richtung zu uns zurück. Sein lachender Mund verkündete ctwao Gutes; und richtig, der Schlaue hatte ganz in der Nähe ein Paar Beduinen-zelte erspäht! Senkrecht gegen die Richtung unseres Weges lief eine schmale und stäche Schlucht, in der wir drei Zelte nicht weit von einander erblickten. Dem Spahi, der voranfritt, spran-gen aber mehrere Frauen mit Wchgeschrci mid abwchrcudcu Be-wcgnngen entgegen. Er berichtete: die Frauen wollten uns durch, aus nicht aufnehmen, da fein Mann iu den Zelten sei, sie auch weder zu essen uoch zu trinken hätten; es sei aber nur Furcht vor den Ausgaben der Vewirthung. Wir licßeu daher entgegnen, daß Wir, als Abgesandte der Regierung, unbedingt Aufnahme verlangten; alle Auslagen würdeu wir reichlich nergüten. Die Frauen fügten sich, nnd richteten ein Obdach für uus ein, indem sie das eine Zelt durch eiuen aufgehängten Teppich halbirtcn, uud riueu anderen Teppich zum ^ager für uus ausbreiteten. Wie froh waren wir, bei dem starken uud ungewohn-ten Regenguß, selbst eines so beschränkten uud uiedrigcu Ob-daä)5! Um hiueinzukommen, imchtcu wir fast kriechen; einmal drinnen, war das Rührt Euch! von selbst verboten, nach außen durch den Regeu, nach oben durch das triefeude Zeltdach, nach der Seite durch acht der längsten Veine, welche die Natur je gc-bildet. Ja, besagte. Veiue fanden auch in der Ruhe uicht neben-einander Platz, sondern nnr über nnd durcheinander; wenn Einer sich bewegte, so bewegten sich Alle; nnd wcun es mich juckte, so gmcth ich in Gefahr, das Bein eines Nebenmenschcu zu kratzen. 19" 292 Kleidung der Beduininncn. Trotz aller Subsidicnvcrträge, Militarconvcntionen nnd Heiraths-abschlüsse ist, glaube ich, eine so enge Verschlingung Englands, Preußens und Mecklenburgs noch niemals vorgekommen. Die eigenste Erfahrung lehrte mich aber auch, daft die zu innige Ver-bindnng mit England Preußen mehr gcnirt, als fördert — denn das eine Britenbcin lag gerade über dem meinen. Ja wenn es noch umgekehrt gewesen wäre! Waren die europäischen Mächte einander nahe gerückt, so erschien die Scheidung derselben vom Orient um so schroffer. Hätte auch der Teppich keine geheiligte Schranke gebildet, so würden wir, dnrch die innige Vrrschlingung, uns schon selbst an dem Eingreifen in die orientalischen Angelegenheiten gehindert haben. Unsere Lage bot cin treffliches Bild des Verhaltens von Europa zum Orient in dem letzten Jahrhundert. Und doch war anch in unserem Falle der Gegenstand so lockend, so verführe-risch! Ueber den schmalen Teppich hinweg beobachtete ich fort-während und deutlich, wie die Weiber cin Gericht für uns be-reiteten, und meine Blicke beunruhigten oder störten sie keines-wcgs. Da kauerten ihrer vier am Boden, eine alte nnd zwei mitteljungc Frauen, und, mn nächsten zu nur, ein ganz jnnges Mädchen. Sic trngcn sämmtlich Kleider von Wollcnzcng, von weißer Farbe, aber sehr schmutzig; es war derselbe Stoff, wie ihn die Manrinnen haben. Der Schnitt war gänzlich von dem europäischen verschieden, indem das Rückenstück, das in Falten mitteltief nach hinten herabfiel, vorne zu beiden Seiten der Brust nut zwei großen, silbernen Agraffen an das Vorderstück befestigt war. Arme und Seiten blieben also entblößt und bei der ge-ringstcn Bewegung kam auch der Busen znm Vorschein. Von cmcm Hemd war keine Rede, ebenso wenig von Beinkleidern, wie die Maurinncn tragen; so nnwahrschcinlich es anch meinen dent-schen Lesern klingen mag, ich versichere, daß der wollene Rock Die Schöne des Zeltes. 293 das einzige Kleidungsstück bildete: und dies an einem naßkalten Iannartage. Nur um den Kopf trugen fic noch ein Tuch gewickelt; gewiß weniger zur Bekleidung, als zmn Schinncke. Denn anch hicr zeigte sich die gerade bei rohen Völkern so gewöhnliche Er-schmnmg, daß das Bedürfniß des Putzes dein der Klcidnng weit vorangeht. Außer jenen zwei Agraffen trugen sämmtliche Weiber zwei dicke silberne Ringe mn die nackten Fuß-Knöchel, nnd wo nigstens einige darnntcr eine große, platte Busennadel, gleichfalls von Silber. Die Füßlinge (übrigens bei allen Algerierinnen in Gcbranch) waren glatt, die Agraffen nnd der Bufcnschmuck aber von nicht übler ModelUrarbcit. Ich zeichnete sie in mein Notiz-buch, was die Schönen bemerkten, ohne irgend abzuwehren. Sie zeigten keine Spnr von Zurückhaltung, weder die Fraucu, uoch das Mädchen; sie saßen ganz unbefangen bei ihrer Kocharbcit, und erwiderten mcinc Blicke ohne Verlegenheit; ja fic lachten einigemal mit mir. Ich kann nicht leugnen, daß ich das jnugc Mädchen mit Wohlgefallen betrachtete. Nach unfercn Begriffen hätte ich ihr 15 bis 16 Jahre gegeben; doch mochte sie bedeutend jünger sein. Ihr Teint war überall gelblich-braun, die Augen kohlschwarz, die Haare, von derselben Farbe, fielen in dicken, üppigen Flcch. ten tief an den Wangen nieder, und faßten wie ein glänzender Rahmen das jngcndliche Oval des Antlitzes ein. Die Züge waren ziemlich regelmäßig, von semitischem Schnitt, der Alls-druck gleichgültig, ohne Geist und besonderes Feuer. Deu Teint nnd die Farbe nnd Tracht der Haare hatten die älteren Weiber mit dem jnngen Mädchen gemein; aber mit dein Schmelz der Jugend fehlte ihnen auch alles Anziehende. Kaum minder in-tcressant, als die Personen, war für mich ihre Thätigkeit. Ich sah hier zum ersten Male auf saharischr, ja überhaupt auf afri< kanische Weise kochen, nachdem ich mir das so Gekochte schon 294 oft hatte wohlschmcekcn lassen. Zumal die Hausfrauen unter meinen Lesern wird cs ergötzen, ihren bcduinischen Kolleginnen einmal in den Topf zu Picken; ja vielleicht wird mir das schönste Verdienst eines Neiseschriftstellers' die vaterländische Kochkunst nm eine Speise zn bereichern! Weizenmehl mit Wasser wnrdc ans einem Brette zn nm-den, flachen Fladen gerollt, diese mit Butter vestrichen, und einer über den andern gelegt. Das Rollen geschah natürlich mit bloßen Händen, Unterdcß quetschte mein brannes Wüsteumädchen Zwiebeln in einen hohen und engen Mörser ans Holz, wol'ci sie auffallend lange zubrachte. l5in anderes, noch jüngeres Mäd-chen und einige Kinder hatten gleichzeitig vor dem Zelte ein Reisigfcuer angemacht, ans welches nnn die Fladen mit den Zwiebeln in irdenem Topfe gesel)t wnrdcn. Als die Speise gar geworden, kam der Tops wieder in's Zelt, und eine oder ein Paar von den Franen zerrissen die Fladen mit den Händen in kleine Stücke, und legten dieselben in das gewöhnliche kuskussu. Gefäß. So entstand, nntcr Mitwirkung von etwa sechszchn Händen nnd Händchen, das leckere Frühstück, das nur mit großer Mühe zwischen uuseren Beinen Platz fand, Einer unserer Franco. Araber nannte das nns noch nicht vorgekommene Gericht „^la-oln-oiü ä'^triyuo"; es schmeckte jedenfalls weit pikanter, als der ewige Kuskussu, Da wir aber inzwischen unseren nagenden Hunger mit Brod und Wurst beschwichtigt, so vermochten wir diesem Meisterstücke saharischer Kochkunst nicht viel Chrc zn er-weisen; dafür sorgten um so eifriger unsere Nimmersatten Begleiter. Anf Fleisch hatten wir natürlich wegen der Armuth unserer Wirthe verzichtet. Während des Essens kam anch der Herr des Zeltes zurück, und begrüßte uns freundlich-, ein Mann von mittleren Jahren. Unter (Ihlil's Vermittelung erhielt ich von ihm folgende Ans-kunft. Der Ncmie dicfer Zelte sei Bnkra (Dfchemmü Scheiba); Macaroni d'Asrique, Wirthschaftliche Zustände. 295 es gehörten dazu noch einige andere, die weiter abständen. Das Zelt, in dein wir aufgenommen, enthalte zehn Personen, alle zn Einer Familie gehörig; der Mann hatte demnach wenigstens zwei Francn. Drei Kamcelc nnd 30 Schafe bildeten scin gan-zes Vcsitzthum. 25 Mal nnd mehr im Jahre wechseltet: sie dic Lagerstätte, nnd seien bald bei Konstantine, bald bei Tug-gnrt, einer der südlichsten Oasen Algeriens — eine Entfernung von wenigstens fnnfzchn Tagereisen. Seine beiden Nachbarn ker-weilten jetzt in Viscara, nnd trieben Handel; nnr die Fralien waren in den Zelten. An Abgaben zahlten sie das Jahr: für ein Kamecl )0 Francs, fnr ein Nind, sei es groh oder klein, 2 Francs, fnr ein Schaf 2 Sons, fnr cinc Ziege 1 Son. Vci der enormen Steuer von den Kameelen können nnmöglich anch noch die Zelte belastet sein, wie in der Gegend von Vu-Ssada. Die Abgaben in Algerien sind überhaupt noch weit von irgend einer Gleichmäßigkeit entfernt, sowohl in Betreff des Objekts, als der Höhe. Alte Gewohnheiten, politische Rücksichten. Be-stechnngen nnd endlich die grundlose Willkür haben diesen echt barbarischen Znstand bis jetzt aufrecht erhalten, Gerade die Schwächsten und Aermstcn müssen natürlich anch hier das Meiste zahlen. .fterr v. O., nnser Gemein-Casfirer, drückte dem Vedmnen einen Fünf - Fmnkcnthalcr in die Hand, als wir nach Mliger Sättignng wieder anfsaßen. Der Regen hatte gerade während unseres Vcrweilens nnter dem Zelte nachgelassen; wie ein gc-trcner Reisegefährte brach er wieder los. sobald wir weiter ritten. Bald im Schritt, bald im Trab durchzogen wir eine weite Fläche, bis wir nns nach etwa anderthalb Stunden plötzlich am obern Rande eines steilen nnd langgestreckten Abhanges sahen. Unten zeigte sich in nicht zn grosicr Entfernung eine kleine. Palmen-bewachsene Oase; es war Mdnkal. Jetzt wurde nntcr nils Rath gepflogen, ob wir heute noch bis zu dem lM'gezcichueten Nacht- 296 Oase Mbulal, quartier El-Maja gelangen könnten und möchten; oder ob wir es vorzögen, in Mdukal zu übernachten, und lieber nwrgen in einem Zuge bis Biscara vorzudringen. Die Spahis verlangten dringend das Letztere; es sei für unsere Thiere unmöglich, heute noch das an acht Stunden cnt» ferntc El-Utaja zu erreichen, da sie scholl eine so weite Strecke zurückgelegt, und in einigen Stuudm die Dunkelheit hereinbrechen würde. Diese neue Verzögerung erschien uns Europäern höchst unangenehm und nachthcilig-, zumal wir nach früheren Vorgängen geneigt waren, den Spahis eigennützige Absichten zuzutrauen. Auch auf uuscre Karten war durchaus kein Verlaß; nicht viel mehr auf dio Bestimmungen des lini-onu lirado. So beschlossen wir nach langem Disput, uns in Mdukal ohne Zuthun der Spahis nach der Entfernung und Wegebcschaffenhcit bis El-Utaja zu erkundigen, und gleich weiter zu ziehen, wenn der Bescheid irgend die Möglichkeit dazu eröffnete. Auf sehr steilem Wege ritten wir den sandigen Abhang hinab, dessen Erhebung über der Oase mehrere hundert Fuß betragen mochte. Wir fanden unten einen Nach, welcher der Oase zufloß, und bald auch seine befruchtende Wlrkung zeigte; seit Bu-Ssada begrüßten wir zum ersten Male grünende Fruchtfcldcr, freilich nur vereinzelt und unregelmäßig. So erreichten wir etwa um 3 Uhr Nachmittags Oase und Dorf Mdükal; eine breite, natürlich ungrpsiastertc Straße führte uns durch gut erhaltene Lehm-Maucrn, welche die Gesammtheit der Gärten umgaben. Hier zogen wir durch Chlil die beab-sichtigten Crkuudiguugen ein, und erfuhren, daß allerdings EI-^taja fast acht Stunden entfernt, und bis dahin kein einziger Duar. ja nicht einmal etwas Nasser anzutreffen sei; dagegen sti es möglich, vmi Mdukal in Einem Tage nach Biscara zu kommen. Nun hätten wir uns zwar äußersten Falles hier im Orte mit Lebensmitteln und Wasser versorgen, lind wenigstens Drei Scheiche. 297 bis zur gänzlichen Dunkelheit vordringen können. Aber der Wasscrvorrath für so diele Menschen und besonders Thiere wäre sehr lästig geworden, anch fehlten uns Schläuche oder sonstige Gefäße. Daher fiel der schlirßlichc Entscheid für das bequemere Bleiben; der anhaltende, unleidliche Regen trng sicher sein Theil dazu bei. Aus den Gärten gelangten wir in das kleine Dorf, und hielten auf einem freien Platze, wo man uns abzusteigen be-dentete. Man führte uns sodann durch eine Art langen Thor-weg auf einen Hof, und von diesem eine hohe, auswendige Holz-treppe hinanf in einen viereckigen Saal von solch.« Dimensionen, wie wir sie im Innern Algeriens nicht weiter angetroffen. Aber anßer einem Kamin fehlte auch hier ftdc Einrichtung; der Fnß-bodcn bestand aus Estrich, das Licht fiel dnrch die Thür und ein oder zwei glaslose Fenster, Dies war das Frcmdcngemach der Gemeinde; und alsbald erschien anch ein ehrwürdiger Greis, uns in Stellvertretung des nach Vn-Ssada abwesenden Kaids zn begrüßen. Wir erfuhren, daß er für unsere Bewirthung zu sorgen habe, während zwei andere Scheiche, gleichfalls alte Männer, über die Verpflegung der Dienerschaft und der Thiere gesetzt waren. Jener Greis liest einen sehr großen und dicken Wollteppich für uns ausbreiten und Feuer anmachen; es kamen bald, wie gewöhnlich, mehrere Eingeborene, die theils an der Thür, theils am Feuer kauerten, nnd nns schweigende Gesellschaft leisteten. Ob zu dieser Sitte die Höflichkeit oder der Müßiggang führt, vermag ich nicht zu entscheiden, wahrscheinlich beides zu-sammen. Jedenfalls waren wir bald so daran gewöhnt, eiuc Anzahl beburnuster Oelgötzcn bei uns zn sehen, daß wir sie wenig mehr beachteten. Kaum hatten wir etwas Toilette gemacht nnd uns auf dem Tcppich niedergelassen, so erscholl von nnten herauf ein heftiges, anhaltendes Gezänk, aus dem wir deutlich die Stimmen 298 Die Futter.Frage. unserer Spahis heranshörten. Hen v. O. und ich eilten die Treppe hinab, und erfuhren, das; die beiden Scheiche sich hart» nnekig weigerten, unsere Pferde und Manlthiere mit Futter zu versehen, während die beiden Spahis ebenso hartnäckig darauf bestanden. Ein Haufe Eingeborener hatte sich auf dem freien Platze zum Gaffen versammelt. Herr v. O. hieß den Spahis, nachzugeben, und das Futter auf unsere Kosten zu kaufen. Da-gegen erhob ich aber entschiedenen Einspruch, nicht als ob mir's anf die paar Francs mehr angekommen wäre, als Herrn v. O., sundern weil ich unsere Spahis im vollsten Rechte wußte. Die Verpflichtung der Eingeborenen, uns Futter zu liefern, war von den französischen Behörden uuzwrifclhaft festgestellt, uud auf unserer ganzen bisherigen Neise ohne den geringsten Anstand, alo selbstverständlich, befolgt worden. Warum sollte gerade Mdutal eine Ausnahme machen? Nie ich früher anseiuandcr» geseht, war überdies diese Lieferung nur ein Vorschuß, den die französische Regierung vergütete; so daß die Weigerung der Scheiche nicht einmal als Geiz, sondern als reine Böswilligkeit, erschien. Endlich hielt ich es für unsere Pflicht, in gerechter Sache für nnsere eigenen Leute Partei zn nehmen, nachdem diese sich einmal vor den Augen der ganzen Einwohnerschaft ezponirt hatten. Nach heftigein Wortwechsel ging die Sache an den großen Nath, und die beiden anderen Herren entschieden für's Nachgeben; gewiß um etwaigen weiteren Skandal zn vermeiden, und nns als die Reicheren den Eingeborenen gegenüber groß-müthig zu zeigen. Unter diesem Gesichtspunkte stimmte schließ-lieh auch ich dein Entschlüsse bei. Beim Kaffeetrinken gesellte sich ein Mann aus Mdnkal zu uus, von mittleren Jahren und einnehmendem Acnßern, und redete uns in sehr gebrochenen, Französisch an. Dies war der erste Fall seit Bn-Ssada, daß ein Eingeborener auch nnr ein Wort französisch konnte, nnd es setzte nns daher in keine geringe Gärten von Mbukal. 299 Verwunderung. Aber dcr Mann hatte scine französischen Brocken nicht ans dem Dictionnairc, sondern ans dem mehrjährigen Dienst unter den Tnrcos. Er erwies lins viel Frenndlichteit, und zwar offenbar ohne die egoistischen Absichten des Matrosen zn Msila; so erbot er sich auch, uns in der Oase herumzuführen. Ich war dcr einzige, der mit Frcnden seinen Vorschlag annahm; meine Gefährten waren nicht znm Mitgehen zn bewegen. Ich lrng den Burnns. die Leibbinde, nnd hentc ausnahmsweise anch die rothe Schaschia, statt des gewöhnlichen Filzhutes, so daß ich, wenn anch nicht in den Augen der Eingeborenen, doch in mci> nen eigenen einen Vollblnt-Araber darstellte. Bald nach unsern: Fortgang ans dem Chan (Gasthaus) schlössen sich mehrere Mdnkaler an uns an, und wir hatten schnell die Gärten erreicht. Dieselben lagen etwas unter dem Nwcan des Dorfes, und unterschieden sich lion dcnm Msila's und Bll'Ssada's wesentlich dadurch, daß nicht die Eanäle eines fließenden Wassers, sondrrn eigenthümliche Brunnen sie bewässerten, von denen ich mehrere besah, Sie schimeu durch die Regelmäßig-kcit und Größe ihrer Orffnnng Ciskmen zn sein, wofür auch dcr Umstand sprach, das; das Wasser bis nahe an die Ober» fläche stand, und also ohne Schöpfwerk, durch gewöhnliche Eimer qcschöpst wurde. Allein es steht in meiner Erinuernug »Mkommcn fest. daß es lnelmehr artesische Brunnen waren; mochte nun der Anblick oder die Aussage meines Begleiters, oder beides zn-sammen mich überzeugt haben. In der That erinnere ich mich deutlich, daß die Wände ungemallcrt waren. Man wende mir nicht ein, daß die Anlage artesischer Vrnn-nm, zumal in größerer Zahl, bei den primitiven Zuständen dicscr Oasen höchst unwahrscheinlich sei, da sie ja selbst in unseren Län-dem zu dcn ncncsten und seltensten Wcrkn gehöre. Durch schrift-liche nnd mündliche Zeugnisse ist es über alle Anfechtung erhoben, daß viele der südlichen, größten nnd fruchtbarsten Oasen Algeriens 300 Artesische Brunnen. ausschließlich durch artesische Brunnen bewässert werden, nnd zwar seit undenklichen Zeiten. Diese allgemeine und frühzeitige Cm-führnng erklären auch zwei Umstände hinreichend: einerseits die drängende Nothwendigkeit, in Gegenden, die ohne Wasser keinen Anbau zulassen, nnd non Natur kein Wasser haben; andererseits die vcrhältniftmäftige Leichtigkeit der Anlage, wozn es genügt, ein mäßig tiefes Loch in den lockern Boden zn graben, und dasselbe mit Holz auszulegen. Auf diesen Gegenstand komme ich später zurück. Der größte der Brunnen von Mdnkal lag sehr tief, und außer den Gartenmauern; Stufen führten zu ihm hinab, nnd mehrere Frauen schöpften daraus; es war ohne Zweifel ein öffentlicher Brunnen. Wir durchwandcrtm mehrere Gärten, welche die größte Aehnlichkeit mit denen Msila's und Bu-Ssada's zeigten; die Dattelpalmen waren ebenso häufig, wie in letzterer Oase; Mdukal zählt ihrer, nach Aussage meines Begleiters, nicht weniger als 16,000. Wenn das wenigstens ebenso große Bu-Ssada nur 5000 besiht, so ist jene Angabe offenbar höchst übertrieben, was anch schon der oberflächliche Anblick lehrte. Die zwei größten dieser Gärten gehörten einem jungen, unbedeutend aussehenden Manu, der sich lins angeschlossen, nnd oon den Urbrigcn wegen seines Geizes geneckt wurde. Der Ertrag der Gürten und wenigen Felder scheint das ganze Cinkommcu der Bewohner auszumachen, sowie deren Besorgung ihre einzige Beschäftigung, von Gewerben nnd Handelsverkehr sah ich keine Spur. Wir still und unbedeutend der Ort sei, sah ich erst recht, als ich gleich nach der Nückkehr in den Chan mit dem grau-bärtigen Scheich durch die Gassen wanderte. Ich sah ihrer nur zwei oder drei, die nicht einmal ganz bebaut waren; die Häuser unterschieden sich in Nichts von denen der anderen Oasen. Wir kamen bald auf einen geräumigen, aber kothigcn PIcch, wo am Morgen ein Vichmarkt gehalten worden; dort stand das Haus Das Innere des Dorfes, 301 des Marabut, mit einer Kubba, die aber kann: zu bcnurken war. Jenseit dicscs Pitches öffnete sich ein anderer, ganz wüster, wo nur dic Grnndmanern eines großen Gebändeo standen, sei es mm, daß dieses zerfallen, oder gleich Anfangs liegen gc-blieben war; einige schlechte Gemüsegärten lagen nmher. Wir kehrten alsbald a»f demselben Wege zu deni Chan zurück; gewiß, weil es keinen andern gab; ich sah wenig Menschen lind gar keine Vcrkanfsläden. Trotz des anhaltend trüben, regnerischen Wetters ging ich mit dem früheren Turco noch einmal bis zu dem wüsten Platze, ohne jedoch Neues zu beobachten. Ruinen aus der Römcrzeit faud ich hier so wenig, wie zu Bu°Ssada. Während ich meine drei Entdeckungsreisen machte, hatte Herr v. O. den deutschen Namen ans einem anderen, dem medi-cimschen Felde Ehre erworben. Einer unserer Manlthiertreiber wurde bedeutend krank, worauf ihm Herr v, O. aus seiner klei-nen Reise-Apotheke etwas eingab, was dem armen Menschen gut that. Kann» war das ärztliche Wirken des Franken ruchbar ge-worden, so baten ihn mehrere Eingeborene uul Rath und Arzenei; er suchte zn helfen, soweit es seine dilettantischen Kenntnisse und wenigen Mittel zuließen; so viel ich mich erinnere, gab er Allen ziemlich dasselbe. Auch nnser Scheich consultirtc wegen seiner Tochter; und ganz spät am Abend kamen noch zwei 'Knaben, die flehentlich Hülfe für ihre. don den schrecklichsten Schmerzen gepeinigte Mutter verlangten. Welch trauriges Zeichen für die Einsicht und Arzucikuust der Eingeborenen, daß sie sich ohne Weiteres an einen ihnen gänzlich nnbekannten Reisenden wenden! Denn der Erfolg der Behandlung des Maulthiertreibers stand ja noch nicht fest; überdies ist aus zahlreichen Reisebqchreibnugcn bekannt genug, daß die Orientalen im AllMmucn jeden Enro-päcr für einen Heilkünsller halten, und ^hm gänzlich bcrtrancn. Im Mittelaltcr stand es bekauutlich gerade umgekehrt; die Araber lind Mauren waren nnd galten weitaus für die gclchr» 302 Verfall der arabischen Heilkunst. testen und tüchtigsten Aerzte, und wurden die Lehrmeister der Christen. Aber wie in allen übrigen Künsten und Wissenschaften, so sind sie auch in der Medicin zurückgeschrittcn; es giebt wahr-schemlich in ganz Afrika (mit Ausnahme von Aegypten) keine ärztliche Lehranstalt, selbst von der niedrigsten Art. Theologie und Jurisprudenz, auch ein wenig Philologie uud Philosophie, werden doch noch in den Saujas und Moscheen-Schulen Alge-riens eingepaukt, aber von einem Nuterrichte in Naturkunde nnd Medicin ist nirgend die Ncdc; es müßte denn sein, daß man ' das Amulett Schreiben der Talebs für Hcilkunst hielte; wie denn allerdings zwischen ihren Amuletten und unsern Recepten oft kein wesentlicher Unterschied sein mag. Daß auch in Algerien, zumal auf dem Lande, viele Hausmittel und heilsame Kräuter bekannt und angewendet sind, bezweifle ich, obgleich mir nichts Positives darüber vorliegt, durchaus nicht; denn diese natürliche Arzneikunde besteht bei allen Völkern der Erde, Auffallend ist es jedenfalls, das; man in den vielen Werken über Algerien, die doch in Bezug auf Religion, Sitte, Necht, Poesie, uud tausend gleichgültige Dinge sehr Ausführliches beibriugen, die so wichtige Heilknust gar uicht berücksichtigt findet; als ob es wisscnswctther wäre, wie die seltene Antilope gejagt, als wie den Menschen das unschätzbare Gut der Gesundheit wiedergegeben wird! Gewiß rührt die so außerordentliche dünne Bevölkerung Algeriens und des ganzen fruchtbaren Nord-Afrikao zum Theil von dem elenden Zustande der Heilkunst her; es ist ja bekannt, daß wenigstens die neuere Chirurgie und Gclmrtshülfe des Abend« landcs zahllosen Menschen das Leben rettet. Der beständige Kriegs und Aehdeznstand und die Bedrückung von oben würden für die vergangenen Zeiträuuie die dünne Bevölkerung wohl hin-reichend erklären. Allein abgesehen davon, daß so manche Stämme durch ihre Stärke uud günstige Lage von baden Ursachen wenig litten, jo beweisen die genauen Volkszählungen in den Städten, Benachtheiligung der Manien. 303 seit der französischen Herrschaft, das; anch ohne Krieg und Druck die Zahl der Sterbefälle die der Geburten übertrifft. Dieses traurige Verhältniß, das bei den cingewandcrtcn Europäern un-streitig meist auf dem ungewohnten Klima beruht, hat dagegen bei den Mauren vorwiegend moralische Gründe. Sittlich ver-fallende Volksstämme haben stets und überall auch ein Abnehmen der Zahl gezeigt; es ist, als ob mit der moralischen und intcllek-tncllen Kraft auch die physische der Fortpflanzung verflechte. Dies tritt ganz besonders beim Znsammcnwohnen mit kräftigeren Volksgenossen hervor, und so muß es sich anch in Betreff der Mauren verhalten: denn hätte die jetzige Abnahme auch nur seit zweihuudert Jahren bestauben, so könnte kein Maure mchr in Algerien vorhanden sein. Um jedoch nicht ungerecht gegen die Nachkommen der glor-reichen Omnchaden zu sein, muß ich anerkennen, daß auch die Verkchrsvcrhältnissc seit der französischen Besitznahme sich ihnen höchst ungünstig gestaltet haben, Dir Maureu der algerischen Städte, vorwiegend Verfertiger und Verkäufer vuu einheimischm Luxuslvaaren, zogen ihre Nahrung von den herrschenden Türkeu und den Arabern des Landes. Die Türken wurden vertrieben, und die LandAraber durch Kampf und Abneigung gegen die christlichen Franzosen, die Bescher der manrischcn Städte, von dem Verkehr mit lchtcreu abgehalten. Fanden die maurischen Handwerker, Fabrikanten und Kaufleute nun für ihre verlorenen Kunden Crsat) in den französischen Truppen, Beamten und Colonistcn? Daß diese mehr Fabrikate nnd ausländische Waaren consumirtcn, als die wcuigeu Türken uud P'izigm Araber zusammengenommen, ist wohl anzunehmen; aber was sie consu° mirtcu, war mit unerheblichen Ausuahmeu europäische Anfuhr, ging also den Maliren verloren. Aber die Mauren hätten doch wenigstens den Handel mit den europäischen Artikeln an sich ziehen können, wird man- 304 Hindernisse der Volkszunahme. cher meiner Leser einwenden, wer hinderte sie daran? Ich cr-widere: daran hinderte sie ebenso sehr das Vorurthcil, als die Unkcnntliiß der Sprache, der Bezugsquellen und des europäischen Geschäftes überhaupt, sowie auch gewiß das Verhalten der fran-zösischen Behörden, die Lieferungen n. dgl. am liebsten ihren Landslcuten zuwendeten. Die beweglicheren und vorurtheilslosen Illdcn haben trotz der auch für sie sehr ungünstigen Verhältnisse einen großen Theil des Handels mit den Truppen und Culomstm erobert; dagegen fand ich selbst in der Hauptstadt bei mmwnat-lichcm Aufenthalt keinen Mauren, der mit europäischen Produkten handelte. Solche nationale Zurückhaltung ist Beweis eines be> schränkten, aber doch stolzen und festen Charakters; sie führt jedenfalls eine zunehmende Verarmung, also eine abnehmende Bevölkerung herbei. Kommt nun zn diesen moralischen und ökonomischen Gründen noch eine mangelhafte Gcburtshülfe nnd Hcilkunst, nnd bleibt es anch in Zukunft dabei, so wird man in hnndcrt Jahren unter den ausgcstorbencn Nationen auch die Mauren nennen. Die Araber des stachen Landes, welche ihre Erwerbsquellen dmch die französische Herrschaft nicht in dem Maße eingebüßt haben, wie ihre städtischen Glaubensgenossen, haben dagegen in ihrer Lebensweise ein mächtigro nnd dauerndes Hinderniß der Volkszunahmc. Ich meine die übermäßig schwere Arbeit der Frauen, und das beständige Umherziehen, zumal der Bednincn. Allc Berichte sind einstimmig in der Klage über das elende Loos der arabischen Frauen, wie sie alle, anch die unweiblichstcn Ar-beitcn übernehmen müssen, und dabei auf die kärglichste, ein-förmigste Nahrung, auf die Ueberrestc vom Cssrn der Männer angewiesen sind. Im geraden (Hegensat; zu den europäischen Völkern ist das Weib bei den Arabern das vorwiegend arbeitende und erwerbende Geschlecht; der Mann das faulenzende nnd ver-zchrcnde. Man höre nur. was Danmas, der knndige und Arbeiten der Beduininnen. It)5 keineswegs parthriischc Schilderer der Sahara, hierüber mit-theilt.*)' „Wenn ein Saharicr nur ein wenig ini Wohlstand lebt, so ttmt er nicht das Geringste; arbeiten ist cine Schande. Er begiebt sich zn den Znsamnienkünften, zn den Versammlungen der Dschennnil; er jagt, reitet spazieren, überwacht seine Hccrden, betet n. s. w. ... Er hat mir die politischen, kriegerischen, rell« giösen Beschäftigungen. — Ackern, einemdten, die Gärten be-banen, ist das Geschäft der Bewohner der Ksnr (Oasendörferj. — Unter einem großen Zelte sind die hänslichen Arbeiten dm Negersklaven anvertraut, die wohlfeil nnd zahlreich sind; die Negerinnen holen Wasser, schleppen Holz, bereiten die Mahlzeiten. — Unter einem Zelte von kleinem Vermögen l^ clomi-kortunoj überläßt man die Arbeiten den Franen: sie haben die Schafe zu melken, das Getreide zn mahlen, das Pferd zn satteln nnd ab» znsattcln, ihm die Decke aufzulegen, ihn, Wasser nnd Hafer zn geben, den Steigbügel zn halten, wenn der Mann ab- oder anf-steigt; Holz nnd Wasser zn holen, die Nahrnng zn bereiten, die Kamcclc zn melken, letzteres mit Hülfe des Hirten. — Sie weben die Betten, die Kissen, die ^astsäcke, die Stoffe ans roth, b!an, gelb gefärbter Wolle, nut denen man die AlUatisch sKameclsättel für Frauen) verschleiert; die Gardinen, welche die Männer von den Weibern trennen, die Sanmsättcl der Kamcele, den Dndcl. sack. den Qnersack, die Pferdedecke, die Fnßstrickc sfür Pferde), die Netze, nm das ^amm von seiner Mnttrr abznhalten, deren Milch nmn bewahren will; sie machen Stricke ans Wolle, ans Ziegen, nnd Kameelhaar, alls Palmblättern, ans Halfa. — Sie bereiten die Bockfelle zn, worein dic Milch, die Bntter, das Wasser gethan werden. ^ Sie verfertigen ans Thonerde Töpfcrgeschirr, Trinkgcfäßc. Oefcn (?). Schüsseln znm Backen des Brodes, znm *) Mocurs et consumes ilc l'Algdrie, p. 265. Hirsch, Algerien. 20 306 Weitere Arbeiten. Kochm des Kusknssn und des Fleisches, — Zum Behilf der Umzüge brechen sie das Zelt ab, rollen es zusammen, und laden es anf ein Kamccl. Während der Wanderung gehen sie zu Fuß, nnd führen dabei oft die Stnte, der ein Fohlen folgt, an der Hand; unterwegs sammeln sie stets Holz nnd Fnttcr für das Bivouac am Abend. Bei der Ankunft schlagen sie das Zelt anf." Nicht wahr, diese trockene Aufzählung erfüllt schon dein Herz, fühlender Enropäcr, mit Schaudern? Giebt es gekaufte Sklaven,, die man so init Arbeiten überbürdet? Aber bei näherer Betrachtung wird die Sache noch viel schlimmer; denn erstens hat Daumas einige wesentliche Frauenarbeiten ausgelassen, und zweitens muft man sich vergegenwärtigen, was die r>on ihm an» geführten zu bedentcn haben. Ausgelassen hat Danmas z. B. die Bereitung der Butter, das Anzünden nnd Unterhalten des Feuers, das Spinneu der WoNr, das Weben und Ausbessern der Zelttüchcr, das Ausbessern überhaupt, das Flechten lion Matten, das, freilich geringfügige, Waschen der Kleidungsstücke, endlich und vor allen Dingen die ganze Abwartung der Kinder — ein Geschäft, das ja selbst in nnsercn Handwerkerfamilicn fast die volle Arbeit eines Frauenzimmers iu Anspruch nimmt. Um aber einen Theil der obigen Arbeiten zu würdigen, vergegen-wärtige man sich, was sie in der Wüste bedeuten. Wasser und Holz sind so selten, daß sie gewiß oft eine Stnndc weit herbei-geschleppt werden müssen; das Mahlen des Getreides in Hand» mühlen oder steinernen Mörsern ist eine Sklavenarbeit; der Web-stuhl muß bei jedem Umzug von neuem aufgestellt und znge» richtet werden, die Schafe und Kameelc sind sicherlich oft weit Von den Zelten ihrer Besitzer. Was es heißt, mehrere Tagereisen hinter einander, belastet uud beschäftigt, iu steiuiger oder sandiger, brennender Wüstenei mit den Pferden und Kameelen Schritt zn halten, und dann noch jeden Abend gleichsam die ganze Wirth- Die Vielehe als Erleichterung. Z07 schaft von vorne einrichten, das mögen nnsere Dämchen beur-theilen, denen schon ein längerer Spazierweg zu Fuß als un-erträgliche Beschwerde erscheint! Einigermaßen erleichtert wird natürlich das Schicksal der Francn, wenn ihrer zwei oder gar mehr in Einem Zelte sind. Allein gerade je ärmer ein Zcltbesttzer ist, desto weniger ist er im Stande, ein zweites oder drittes Weib zn kaufen und zu unterhalten; denn so übermäßig eine Bedninin auch arbeitet, so vermag sie doch kaum ihren Unterhalt zu erwerben, da in dieser einfachen Gesellschaft keine weibliche Lohnarbeit, und die Industrie nur als Nebenverdienst besteht. Und überhaupt, wie bereits früher be° merkt, ist eine Vorherrschelide Vielweiberei schon darum nicht all-zunehmen, weil die Zahl der Männer nnd Weiber bei allen Völkern, wo man genauere Aufnahmen besitzt, sich, bis auf einen nnbedcutcnden Procentsatz, als ganz gleich herausgestellt hat. Da-durch hat dies Verhältniß die Diguität eiues festen Naturgesetzes erlangt, nnd ist mit Gewißheit auf noch unbekannte Fälle anzu-wenden. Mag nun auch Krieg und Rache bei' den Arabern die Zahl der Männer unter das natürliche Verhältniß bringen; mag ferner ein großer Theil der Männer, als Diener nnd Knechte, ledig bleiben, alle weiblichen Personen dagegen Heimchen — so ist es doch schon sehr hoch gegriffen, wenn ich annehme, daß im Durch-schnitt auf Einen Ehemann zwei Weiber kommen. Nur die Einfuhr vieler Mädchen von außen könnte das Verhältniß noch hoher stellen sivic es in den orientalischen Hauptstädten der Fall ist); aber hiervon kann in Algerien keine Nedc sein. Da nun die Hänpilmge und Reichen in der Regel die erlaubten vier Gattinnen haben werden, so tommt auch bei jener übertriebenen Annahme auf die ärmsten Zeltbesitzer nur je Eine Frau. Boll den Töchtern ist auch keine Hülfe von Belang zn erwarten, denn sie werden, wie schon erwähnt, meist noch als Kinder Verheirather. 20" 308 Hinsterben der Kinder und Schwachen. Sehr begreiflich wird es imtcr diesen Umständen, daß dic arabische Frau, weit entfernt, cine zweite nnd dritte -Hcirath ihres Gatten zn verabscheuen, dieselbe vielmehr als cin Glück, als die schätz» barste Erleichterung ihrer unerträglichen Lasten begrüßt. Bei uns freut sich die Dicnstmagd auch, wenn die Herrschaft eine zweite anschafft. Daß nun dic geschilderte Lebcnswe-se die Geburt uud Er-Haltung zahlreicher Kinder unmöglich macht, bedarf wohl keiner Erklärung. Wie soll sich das Weib während der Schwanger-schaft nnd Nahrung gehörig schonen, wie Zeit finden, um das kleine Kind zu warten nnd zu pflegen? Das rauhe, umher-ziehende Leben härtet ab, aber vernichtet es nicht auch die schwäch-lichen Sprößlinge? Die Weiber werden ferner nngemein früh häßlich und alt, so daß die Zeit der Fruchtbarkeit nur eine sehr kurze sein kann. Weiber und Männer, auch nachdem sie er-wachsen, können endlich nur eine kurze, mittlere Lebensdauer haben, da die Austrengnngen zu grüß, der Unterhalt zu kärglich ist. Wie kann da die Bevölkerung zunehmen? — In der Steppe nnd Wüste bedürfte es übrigens aller dieser Ursachen nicht, um die Bevölkerung zurückzuhalten; das Land vermag eben nur sehr wenig Menschen zu ernähren; und zu Industrie nnd Handel sind die Verhältnisse so nngünstig, wie möglich. Beschränkte aber die ganze Lebensweise, zumal der Druck des weiblichen Geschlechts, nicht schon das Entstehen einer größeren Volkszahl, so hätten sich fortwährend solche Aus-breitnngs- und Eroberungs-Versuche zeigen müssen, wie bei den Stämmen Galliens und Germaniens, deren fortwährendes An-drängen gegen Tüden nnd Westen Malthns so überzeugend aus ihrer relativen Uebeivölkerung herleitet. Es ist ein Wom, daß die Bevölkerung von den UutcrhaXsmiltcln bedingt wird; aber man übersehe nicht den wesentlichen Unterschied, ob eine Nation sich von selbst nur nach Maßgabe des Unterhalts fortpflanzt, Heilsame Folgen der Ueberdölkermig. 309 oder ob sie fortwährend gegen diese Schranke anstürmt. I>n ersteren Falle haben wir eine Nation des Stillstandes, im lcß-trren ein Volk der Vewegnug; denn der Ueberschuß, für dm am Tische der Gesellschaft kein Platz mehr ist, ergiebt sich nicht so ohne Weiteres dem Hungertode. Er wendet seine Angriffe entweder gegen außen, als Eroberer, Kolonisator und Auswanderer; oder er richtet sie gegen innen, theils znr Ausdehnung und Vervollkomm-nnng der Gewerbe, theils zur Aenderung der socialen Verhält-nisse. Der unbegrenzte Trieb der Fortpflanzung, die Ursache so unendlicher Leiden, ist zugleich die hauptsächliche Triebfeder der gesammten menschlichen Entwickelung. Tausend Menschen auf der Ouadratmeile müssen ganz anders leben, als hnndcrt, und zchntansrnd wieder ganz anders, als tausend. Wer daher den jehigcn Znstand von Massachusetts dein vor drrihuudert Jahren, wer allseitige Betriebsamkeit nnd Ans-bilduug dem wilden Iägrrthnm vorzieht, der schmähe nicht anf den Fortpflanzungstrieb, der alles dies zu Wege gebracht hat. Was wäre Algerien nnd die Ncrberci überhaupt, wenn nicht die oben erwähnten Umstände seit Jahrhunderten die Vevolkernng zurückhielten! Die Araber des Tell hätten sich dreist verzehn-fachen können, ohne sich den Unterhalt zu schwirrig zu machen; ja, der Wohlstand jedes Einzelnen hätte bedentend zugenommen. Sie wären seßhaft, gebildet, betriebsam nnd mächtig geworden, gleich nnd mehr noch wie ihre Vorfahren in Spanien und im Irak. Algier wäre ein Cordova, ein Damascus, ein Bagdad, mit dem unschätzbaren Vorzüge des Seehandels; die rohen Tur° km wären längst hinausgeworfen. Doch halt! übcrschwnnglichc Phantasie, vergiß nicht, daß die Algerier Orientalen sind, und das; die Orientalen in der Negel nm so sklavischer und elen-der werden, je seßhafter nnd gedrängter sie leben. Sind die ägyptischen Fellahs etwa bencidcnswerth gegenüber den Al-gcricn? — 310 Der junge Marabut. Während wir beim Abendessen saßen, erschien ein eingebo-rmcr Knabe von etwa 8 bis 9 Jahren, von auffallend weißem Teint nnd reinlichen! Bnrnus. Er ließ sich neben nns nieder, und ward nns von dem alten Scheich als Sohn des Mara-buts nnd Kaids von Mdnkal vorgestellt, der sich die (ihre gebe, nns anstatt seines abwesenden Vaters zu begrüßen. Die Ehrfurcht der Eingeborenen, selbst der wrißbärtigen Scheiche, gegen den unmündigen Knaben war sichtbar nnd ungekünstelt; sie schic-nen ihn als eine Art höheres Wesen zn betrachten. Er selbst verhielt sich auffallend ruhig, m,st nnd vornehm; er sprach nichts nnd fragte nichts, nnd antwortete anf nnserc wenigen Fragen, natürlich durch Vermittelung des Dolmetschers, knrz nnd geseht. Nichts in ihm verrieth das Kind; selbst seine Mienen drückten weder Ncngier noch Vergnügen ans. Unsere Einladung zum Mittagessen schlug er ans, nicht minder dir Aufforderung zum Ranchrn: „er ist Marabut, darum darf er nicht ranchen," er-klärte der frühere Tnrco. Wie doch auch der Gebildete ein Sklave der Gewohnheit ist! die geistliche Würde eines Kindes befremdete nnd ärgerte mich in hohem Grade; dagegen würde mir nicht aufgefallen sein, wenn das Söhnlcin eines Fürsten als Prinz mit Ehrfurcht nnd Ergebenheit behandelt worden wäre. Dem Orientalen erscheint aber die Erblichkeit der geistlichen Würden ebenso natürlich, wie die der weltlichen; die Brahmanen, Magier, die äthiopischen nnd die ägyptischen Priester, selbst die Eohanim nnd Leviten der Juden bildeten ja eine erbliche Kaste, die den nahen Verkehr mit der Gottheit ebenso anf Kind nnd Kindcskind nbcrtrng, wie der Adel den Grundbesitz und die Ehre der Waffen. Ja, co möchte sich sogar leicht erweisen lassen, daß im Orient die Priesterwürde fttts in höherem Grade erblich war, nnd es noch ist, als die Wassenehrc, als Adel und Fürstenthum; wie denn der heutige Orient, nut geringfügigen Ansnahmen, teinrn weltlichen Adel kennt. Erblichkeit der Priesterwürde. 311 Und in der That erscheint keine Begabung als eine so na» türliche, Erbschaft von Vatcr auf Sohn, wie gerade das Priester-thnm, das viel weniger anf persönlicher Tüchtigkeit bcrnht, als ans der willkürlichen Gnade eines Gottes. Erheischt nicht, in den Augen einer naw-rcligiösen Religion, die ewige Gottheit anch einen möglichst ewigen, d. h. erblichen Priesterstand? Und ist es cmznnchmm, daß die Gottheit den geheiligten Mann, ihren ge-liebten Diener, nicht mit einer würdigen Nachkommenschaft beschenke? Praktisch tritt noch hinzu, daß im Orient der Gottes-dienst vorwiegendes Fornienwcrk ist, nnd zwar im Alterthum geheimes Formenwerk, das sich ganz naturgemäß in der Familie fortpflanzte; und selbst die Uebcttragung der mehr geistigen Fnnk-tionm nnd Kenntnisse konnte cnn leichtesten dem Stande über-lassen werden, der am meisten zur Erziehung nnd Belehrung befähigt war. Vom Standpunkte der specifischen Religion hat also der Orient vollkommen Necht, daß er das Priesterthnm vcr-erben läßt; er zeigt sich auch hierin wieder als der klassische Boden des persönlichen Gottesbegriffs. Merkwürdigerweise dachte der Occident ebenso nberrinstim-mend gerade das Eutgegengesctzte. Bei den Hellenen so wenig, wie bei den Germanen, und im grauestcn Alterthum so wenig, Wie in der Jetztzeit, möchte sich die Spur ciucs erblichen Priester-standcs in Europa auffinden lassen. Eigenthum nnd Ehre, Kriegs-dienst nnd Staatsverwaltung knüpfte der Europäer durchweg an die Abstammung: die Priesterschaft übertrug er durch Wahl oder Ergänzung. Man möchte diesen Gegensah ano einer höheren Auffassung des geistlichen Amtes herleiten; aus dein rechtmäßigen Bestreben, das Seelenheil des Voltes, die würdige Verehrung der Gottheit nicht dein blinden Zufall der Geburt, sondern der er-leuchteten Auswahl der ganzen Gemeinde oder ihrer fähigsten Mitglieder zn übergeben. Allein der wahre Grnnd scheint vielmehr darin zu liegen, daß 312 Das Gegentheil im Occident. dem Abendländer die Pricstcrschaft weniger wcrthvoll war, als Besitz und weltlicher Einfluh; denn je wcrthvollcr ein Gnt ist, desto mehr drängt es zur Erblichkeit, Der Priester hätte seinen gan-zcn natürlich sehr bedeutenden Einfluß aufgeboten, um feinem Sohn die Nachfolge zn sichern; und das Volk hätte eo nicht übers Herz gebracht, dein Sohne das theuerste Vcsihthum des Vaters zu rauben. Von diesem Standpunkt ans muß die Mast» regcl Gregor's des Großen in einem ganz besonderen Lichte er-scheinen. Im entschiedensten Gegensatz gegen die Wiege des Glaubens, auch des christlichen, verwarf er nicht nur die Erb-lichkcit des Priesterthnms, nein, er verhinderte sogar die Mög-lichkeit einer Nachfolge in der Familie, indem er die Familie aufhob. Siud die Geistliche» verhcirathet, so werden ihre Söhne, nnd indirekt auch ihre Töchter, thatsächlich sehr häufig dem geist-lichen Stande sich widmen, wozu Natur, Erziehung und In» tcrcsse sie alttreiben. So wird der Vortheil der Kontinuität mit dem der Tüchtigkeit nnd Frische vereinigt; nnd die Erfordernisse einer guten Aristokratie kommen sicherlich auch der Kirche zn Statten. Allein Gregor hatte eben nicht das Iulercssc der Kirche, sondern nur die Unnmschränktheit des Papstthums vor Angcn. als er die Priester durch das Eölibat von Vaterland und Familie abriß! — Daß wir unter nnsercn Gastfrennden nur Einen Marabut hatten, sahen wir mit Sicherheit ans der Gier, mit der alle Anderen unsern Tabak und unsere Cigarren betrachteten. Wir hatten bis jetzt nur wenig Gelegenheit gehabt, das schlechte, in Algier aufgekaufte Zeug an den Mann zu bringen; da wir mm dem Ende nnscrer Nüstenreise nahten, so spendeten wir hier mit vollen Händen. Besondern Anklang fanden die sogenannten (Ä^arres 66 On-«o, algerisches Fabrikat mit zwei langen Schwänzen und schwärzlicher Farbe, deren je 25 in Spindclform zusammengedrückt waren. Der alte Scheich, dem wir, sei es Alifbruch von Mdukal. 313 wegen seiner Abwesenheit, sei es ans Ehrfurcht, keine angeboten, bat uns ausdrücklich darum; er bat ferner inständig um elwas Kaffee, da er eine kranke Tochter habe, nnd kein Geld, mn die theure Waare zu kaufen. Ucberhaupt wären in ihrem armen Ocrtchcn Kaffee nnd Tabak unzugängliche Genüsse,- Obgleich wir ihm wohl etwas Uebertreibung zutrauten, beschenkten wir ihn reichlich, — Da wir am nächsten Tage einen nngchcuren Marsch vor nns hatten, nnd daher mn 3 Uhr aufstehen woll-tm, so gingen wir heute besonders zeitig zur Nuhe, und zwar, ans nnseren eigenen Malratmi. Ich fühlte mich nicht wcnig erhaben, daß ich mich diesmal überwand, der crste von allen mein Lager zn verlassen, nicht später als 3 Uhr Morgens. Ich weckte Chlil und die Spahis, die im selben Gemach schliefen, ließ Fcner anzünden und machte Toilette. Nach einiger Zeit ermunterten sich auch meine Gefährten; Herr V. (5. kochte nnseren Kaffee; die Bagage wurde zusammengepackt, und anf die Thiere gelegt, nnd das alles ging so langsam, daß wir doch erst nm 5 Uhr durch den engen Thorweg des Chans hinanöritten. Unser Führer durch die Dunkelheit war ein Mann ans Mdnkal, der in Algier gearbeitet hatte, nnd ziemlich gnt französisch sprach. Wir zogen desselben Weges Hinalis, den wir hineingekommen; doch war die Dunkelheit so groß, daß ich mich beinahe an einer Mancr gestoßen hätte. Aber das Unglück be-dnrfte weder Dnnkelheit noch Mauer, nm mich zu überfallen. Der Anban hatte fchncll aufgehört, nnd das matte Licht der Murgenfrühe erhellte die wüste, steinige Landschaft; ich ritt in Gedanken vcrsnnken einher. Plöhlich fühlte ich mich vom Pferde fallen; das Thier hatte den (5'infall bekommen, einen Abhang zn er-klimmen, nnd mich dadurch sanft abgeworfen! — Als es vollends hell geworden, kehrte der Mdnkalcr mit reichlichem Lohn nach der 314 Gänzliche Einöde. Oase zurück, indeß wir unseren alten Führern gen Osten durch die Wüste folgten. Das war bis Nachmittag ein trauriger Ritt, ohne alle Abwechselung nnd Unterbrechung, weder dnrch Natur, noch Men-schcn, ja nicht einmal dnrch ein wenig Speise und Trank. Heute wurde nur die Wüste zum ersten Male wirklich ermüdeud und langweilig; denn sie bot durchaus uichts Großartiges zum Ersah des Einförmigen; keine steilen, zerklüfteten Verge, keine unabsch-baren Flächen, sondern ein unbedeutendes, trostloses Hügelland. Dazn kam, daß die Unterhaltung gänzlich stockte; unsere Lippen waren so unfruchtbar, wie das Erdreich, das wir überschritten; selbst die Afrikaner hatten ihren ganzen Humor eingebüßt, wahr-scheinlich wegen mangelnder Aussicht auf ein warmes Frühstück. Denn wir hatten so gut wie keine Hoffnung, auf einen Duar zn stoßen, ohne uus übermäßig uou unserem Wege zu entfernen. Anfangs ergaben wir nns auch gefaßt in das verhängte Fasten, als wir aber fünf bis sechs Stunden in Einen» fort geritten, als jede Minute eine Ecntncrlast Langeweile geworden, und es trohdem schien, daß noch lange kein Ende abzusehcu — da lauschten wir doch begierig auf die Kunde der Führer, daß eine Strecke zur Linken wahrscheinlich ein Zeltlager aufzufinden sei. Zwei Eiugcborcue wurdeu als Kuudschafter gegen die Verge cut-sandt, während wir Anderen nns gleichfalls bedeutend links hiel-ten, Aber nach geraumer Zeit kehrten die Voten ganz nnlier-richtcter Sache zurück; weit und breit war weder Mensch noch Thier, geschweige denn ein ganzes Lager zu eutdcckcn. Ein einziges Mal, Vormittags, ich weift uicht mehr gcnan, zn welcher Stunde, kamen wir an ein bedeutendes Flußbett mit schroffer Einscnkung, einigen hübschen Bäumen, aber anfterordcnt-lich wenig Wasser. Am Anfang des Nachmittags durchzogen wir eine Landschaft, der wenigstens die Neuheit uicht mangelte; hier war es. als sei die ganze Oberfläche des Bodens abgehoben, Natürliche geologische Karte. Z15 UM dem menschlichen Auge seine eigentliche Gestaltung zu offen-baren. Es war ein Hochplateau mit einigen Zerklüftungen, aber im Ganzen ziemlich eben; dasselbe senkte sich gegen Osten schroff um mehrere hundert Fuß, iu geradliniger Richtung, und bildete dadurch ein gestrecktes Thal, dessen andere Seite aber ganz all» mälig aufstieg, und eine gänzlich verschiedene Vodenbeschaffeu-hcit zeigte. Das erwähnte Terrain nun bestand ans einem har-ten, geborstenen, gänzlich unverwittertcn Thon iu den verschiedensten und reinsten Farben, strichweise grün, roth, blan, gelb. Es fehlte ihm auch jede Spur von Vegetation, die doch selbst iu dem dichtesten Steingeröll und flüchtigsten Sande noch ihre Stätte ge° fnnden. Aber wie gesagt, nicht blos die Vegetation, sondern der Boden selbst schien zu fehlen, so ungewohnt war dem Auge die vollständige Nacktheit und regelmäßige, Farbenscheionng des Erd-reichs — eine illnminirte geologische Karte iu natürlichem Maß-stab uuiftte gerade so aussehen. Wir ritten wohl eine Stunde durch diese sonderbare Quintessenz der Wüste, und auch in wei-ter Entfernung gegen Nord Osten erblickten wir noch die näm-liche Beschaffenheit des Erdreichs. Als wir den steilen Abhang hinabgestiegen, und einen Theil der Thalsohle durchschnitten hatten, voll Freude, jenseit der gegen-überliegenoen Höhen sehr bald EI-Maja zu erreichen — da er-klärten die Führer, sie wüßten nicht mehr Bescheid, nicht einmal in Betreff der wesentlichen Richtung. Bei dem Snchen nach ciuem Duar hatten wir uns wahrscheinlich bedeutend vom gera-deu Neqe entfernt, und nun fehlten unseren Geleitern die an-gegebenen Kennzeichen; denn aus eigener Erfahrung konnten sie den Weg nicht kennen, sonst hätten sie bei dem hellen Wetter und der mannichfaltigrn Gegend anch so wenigstens die Nich-rung wissen müssen, Anf nusere Karten war gar kein Verlaß z aber wir entdeckten in der Ferne einen Hirten, zu dem wir so-gleich nnsern Ali absandten. Die Auskunft, mit der er zurück- 316 Flucht dcr Führer. kau», war sehr ungenügend; und kaum hatte er sic gebracht, so ritt er mit den Führern im Galopp von bannen, rechts ab »on nnsercr bisherigen Richtung, die Höhen hinauf gegen Süden. All unser Rufen half nichts; wir mußten wohl oder übel im raschesten Tempo folgen. Der Boden lfiütc sich gänzlich geändert, er bildete hier eine wohlbewachsene Haidc. Unsere Pferde, seit dem Aufbruch von Mdukal ohne Futter und Rast, ließen sich nur schwer zum Trab bewegen; ja, der Engländer erklärte bald, daß das seinigc nicht mehr mitkönnte. Herr v. O. blieb daher mit ihm zurück, mäh-rend wir anderen den Eingeborenen so rasch als möglich nach-ritten. Aber auch wir waren weit entfernt, die Flüchtigen ein» zuholen; bald waren sie uns sogar ans dem Gesichte ver» schwundcn. Anf dem breiten und unregelmäßigen Hügclrücken, wo wir uns befanden, zeigte sich weder Weg noch Steg; Herr v. C. machte daher Halt, um die Zurückgebliebenen zu erwarten; ich ritt langsam vorwärts, in der Richtung, die mir die angc» mcssenc schien. Unsere ^agc war sehr bedenklich; ohne Weg und ohne Führer in einem wildfremden, wüsten i^andc; abgemattete, schwache Pferde, die wie wir selbst seit neun Stnndcn fasteten; unser ganzes Gepäck, nebst Nahrung und Waffen weit hinter uns zn-rückgrblicben, und wer wußte, ob auf unserem Wege; endlich das plötzliche, räthsclhafte Davoneilen der Eingeborenen, die nns zum Schuh und zur Führung beigesellt; eine Flucht, die nicht nur hinderlich, sondern sogar verdächtig erschien; znmal da jene schon früher Zeichen von Ungehorsam hatten blicken lassen. Wenn wir uns mm gänzlich verirrten? denn auf dem richtigen Wege waren wir ohne Zweifel schon lange nicht mehr, da wir sonst nm diese Zeit bequem in El-Maja sein mußten. Die nächsten Oasen waren wenigstens einen halben Tagemarsch entfernt, und auf Duars konnten wir nach den bisherigen Erfahrungen nicht rechnen. Aussicht auf die Sidü,n. 317 Wir liefen also wirklich Gefahr, in einigen Stnnden niit lniseren todtmüden Pfaden, ohne Nahrilng und Obdach, niitten in der Einöde liegen zu bleiben. Nilr die noch frühe Tageszeit ge-währte einige Beruhigung. Unter diesen Gedanken nnd Befürchtungen war ich eine kleine Knppc hinanfgerittcn, uin mich zu orientiren. Ans ein-mal rollte sich vor nnd unter mir eine unabsehbare, vollkommen cbcne Flüche ans, eben bis zmn Horizonte; ihre Grnndfarbc gelb „nd grau, aber vielfach gesprenkelt mit grünen Flecken verschiedener Größe, in deren nächsten mcm Auge das Lanb der Dattelpalmen erkannte. 3n meinen Füßen lag die wirkliche Sahara, die nie-drige, ebene, heiße, sandige; aber sie lag vor mir mit ihrem schönsten Zipfel, wo sie mehr Fruchtbarkeit als Oede, mehr An-muth als Wildheit zeigt, wo man kaum weiß, ob man die Oasen für die Ausnahme oder für die Regel halten soll, so dichtge» drängt und zahlreich liegen sie bei einander. Wie eine rechte Sphinx zeigt die Sahara dem nordischen Wanderer ein liebliches Haupt und üppige Brüste; den schrecklichen Leib der Wüstenei hält sie verborgen. War der Anblick der SibQn (denn so heißt der Oasen-Complex) schon an sich anziehend nnd erquicklich, so war er un-säglich wohlthnend in nnserer bedrängten Lage. Jetzt konnten wir unsere dummen nnd nngctrcncn Führer entbehren, nnsere nichtsnutzige Karte stecken lassen; lag doch das ganze Land als untrügliche Karte vor unseren Augen. Der nächste grüne Fleck mnßte El-Utaja sein: die gerade Linie dahin der richtige Weg, denn in dieser vollkommenen Fläche waren keine Hindernisse denk-bar. Der nächste grüne Fleck min erschien ganz zur Linken: also hatten wir einen bedeutenden Umweg gemacht; er erschien aber zugleich in um ein- bis zweistündiger lv^f^mm^. also hatte es selbst auf unseren Pferden mit dem Hinkommen keine Noth, Wie weidete ich. in diesem Gefühl der Sicherheit, meine 318 Sudan und Gätulien. gleichsam verödeten und ausgedörrten Angcn an der neuen, far-bcnreichen, ahnungsvollen Erscheinung! Ich stand ans der Kante, des Höhenzuges, der die Steppe den der Wüste scheidet, auf der äußersten Kette des Atlas; mein Blick tauchte gen Suden in die nnermcßliche Ferne; nnd wie der Reisende vom diesseitigen Ufer des Atlantischen Oceans jenseit die Neue Welt zu sehen glaubt, so meinte ich, gleichsam am letzten Berggestadc des gewaltigen Nüstrumerrcs, die jen-scitigc Küste, das mährchenhaftc Sndan zn erblicken! Doch auch ohne so weit auszuschweifen, fand mciue Phantasie in dein wirklich Sichtbaren Spielraum genug für ihre Thätigkeit. Das alte Gactulicn, das Land der Kamcele und Strauße, der Autilopcn nnd Gazellen, streckte sich zu meinen Füßen; jeder der grünen Flecke, die zum Theil nur winzig klein erschienen, war eine Oase mit Tausenden von fruchtbaren Palmen, mit Hunderten tapferer Bewohner. Dort lag Sidi-Okba, wo der große arabische Er-oberer gauz Nord-Afrikas von den Sibaniern besiegt nnd ge» todter wurde; hier Saatscha, das den kaum minder furchtbaren Franzosen hcldcnmüthig widerstand. —- Dies Alles drang mächtig in meine Seele, aber ich will nicht leugnen, daß der Gedanke an die nächste Zukunft, an die Rast und das Mittagessen im Karavanserai von El°Utaja sich gar erquicklich einreihte. Jetzt kamen anch die Gefährten herbei, und theilten meine Freude. Ohne Aufenthalt ging es nun den Abhang hinunter; anch in nnserc Pferde schien beim Anblick der Oasen neue Kraft gefahren zn sein, denn sie trabten, daß es eine Lust war. Aus irgend einem Aulas; mußte ich etwas zurückbleiben; nnd war nicht wenig verwundert, als ich mich plötzlich am Ufer eines ziemlich breiten und tiefen Flusses befand, der das übliche Durch-waten nicht zuzulassen schien. Wie ein Graben floß er gerad-liniss zwischen niedrigen Ufern dahin, und unterschied sich dadurch wesentlich von den Wasscrlällfen des Hodna. Nach einigem Wed°el-Mntara. 319 Suchen setzte ich mit dem Pferde hinein, und kam glücklich hin-durch. Dcr Boden vom Fufte des Abhangs an war vollkommen eben, in dcr Regel haidcartig, in der Nähe des Wassers aber grün bewachsen. Jenseits nahe am Flusse erhoben sich mehrere Säulen auf eincr Grundlage von Quadern; umher lagen andere Trümmer. So gern ich diese einsamen, wohlcrhaltcnm Ueber-reste der glänzenden Nömerzeit in der Nähe untersucht hätte, ihre Entfernung vom Wege und die dringende Eile ließen es nicht zu. Bald hatte ich meine Gefährten eingeholt; wir kamen zwi-schen grünende Kornfelder und Wiesen, und darauf an einen Fluß, den Wcd-clMntara, den Befruchtcr dcr Gegend. Er ent-springt in den Gebirgen bei Batua, durchbricht dic lctzte Kette des Atlas in der berühmten Schlucht von El-Käntara, bildet die gleichnamige Oase, und fließt in vorherrschend südlicher Richtung über El-Utaja nach Biscara, das er gäuzlich bewässert; und fällt schließlich, einige Meilen südlicher, in dcn großen Wed-cl-Dschedi, den west'östlichen Hauptflnß dcr algerischen Sahara. Der Wed-cl-Känlara zeigt also dcn nämlichen Charakter, wie der Wrd-cl-Ksob, den dcr frcuudliche Leser als unsern Führer nach Msila noch nicht vergessen hat; er ist ein wohlthätiger Gott, den das Teil der Sahara zuschickt, um Fruchtbarkeit und Gedeihen zu schaffen, und zugleich die Verbindung mit der Küste zu bahnen. Denn durch den Engpaß von El-Mntara führt dic Heerstraße von Constantiuc nach Biscara, die weitaus bedeutendste in ganz Algerien, zugleich die längste, bestuntcrhaltcnc und besuchteste. Dcr ansehnliche Hafen Philippcvillc ist mit dcr Hauptstadt Constan-tine dnrch eine wirkliche Chaussee verbunden, auf welcher täglich Diligcnccu rollen; von Constantine bis Batna, der Subdivisions-Hanptstadt, geht eine fahrbare Straße, und regelmäßige Fahr-gclegcnhrit, wenn auch nur in dcr guten Jahreszeit; endlich von Vatna bis Biscara ist der Wcg wenigstens verbessert und groß- Z20 Nähe der Sahara. tcnthcils fahrbar, und mit drei geräumigen, französischen Kam» vanscrais ausgestattet. Die ganze Strecke vom Meere bis zur wichtigsten franzö-fischen Oase läßt steh mit untergelegten Pferden in 48 Stunden zurücklegen; zur Fahrt von Marseille nach PhilippeMc braucht der Dampfer der Mcssagcnes Imp^rialcs im Durchschnitt eben» falls zwei Tage, und von Paris nach Marseille fährt der Cz-preßzng in 18 Stunden — so daß jetzt die ganze Reise Kon Paris nach Biscara kaum fünf Tage dauert, und der Reifende in derselben Woche auf der Spree Schlittschuh laufen, und am Ned-Biscara Frühlingsblumen pflücken kann. Man macht sich immer noch eine viel zn große Vorstellung von der Entfernung der Sahara und den Beschwerden der Neise dahin; man präge sich daher wohl ciu, daß man von Dentschland aus die schönste Palmen-Oase schneller nnd bequemer zu erreichen vermag, als Madrid und Moskau. Ich bin überzeugt, daß bald die Sa< hara mit aufgenommen sein wird unter die üblichen Reiseziele deutscher Gelehrten nnd Beamten in ihren Ferien. Dann wird der Wed-cl-Kü,ntara so bekannt nud berühmt werden, wie die Reuß nnd der Tesstn, und die gleichnamige Schlucht wird man neben das Urncr-Loch nnd die Via.Mnla stellen. Ja, die Straße von El-Mntara übertrifft die meisten Gebirgsstraßen durch ihr natürlich ebenes Niveau, da sie eine hohe und schroffe Gebirgs-Kette nicht vermittelst eines Passes, sondern in einer Schlucht passirt, welche das Flüßchen bis auf den Grund hindnrchgcrissen. Die überwiegende Nichtigkeit dieser Straße erhellt noch aus Folgendem. Von den drei Provinzen der Regentschaft ist die östliche, Constantino, bei weitem die größte, fruchtbarste nnd be-völkrrtstc: sie ist die einzige, die mehr als bloßes Küstenland ans-macht; und vor allen Dingen besiltt sie den oasen- nnd Volk-reichsten Strich der Sahara. Die Wüstcurrgion von Orau ent-hält keine einzige namhafte Oase; die von Algier nur drei, M- Wichtigkeit der El-Mntara-Straße. 321 Aghnat, Bcni-Msab ltnd Waregla, alle drei, besonders die letz. ten, äußerst entfernt; die von Konstantine dagegen zählt fünf Oasen-Complerc, von denen der nächste, Silckn, allein 21 ein» zelnc Oasen begreift. Diese fnnf Bezirke, Hodna, Sib^n, Wcd-Righ, Wed-Ssnf nnd Teinacln sind ferner nnr durch Verhältniß-niäftig kurze Nüstcnstreckcn von einander getrennt, nnd die drei südlichen erzeugen die meisten nnd besten Datteln des Landes. Mit der Wichtigkeit der Oasen in den drei Provinzen steht in gleichen, Verhältnis; die Anzahl der nanrlichen Pässe: während Oran nnd Algier keinen einzigen Fluß besitzen, der die letzte Kette des Atlas durchbricht, giebt es deren in der östlichen Pro-vinz mehrere, von denen die wichtigsten der Wed-Ksob nnd der Wed.el.Ku.ntara sind. Durch den Engpaß des letzteren begeben sich jährlich alle östlichen Beduinen Algeriens nach dem Tell, nm während des Sommers dort zn weiden nnd zu handeln, nnd kehren im Herbst ans demselben Woge in die Sahara znrück. Die Bedcntnug der A-K^ntara-Straße ist so durch die Natur gegeben, daß sie zn allen Zeiten sich geltend inachen mußte; wie sehr dies nnter dm Römern der Fall war, das beweisen die zahllosen und bcdeu. tcndcn Nninen, die sie vom. Meere bis in die Wüste begleiten. Wie jetzt die französischen Regimenter ans jedem Marsche nach dein Süden Cl-Kantara nicht vermeiden können, so zogen auch schon vor beinahe zweitausend Jahren die römischen Legionen diese wahrhafte Heerstraße. Und sollte jemals ciuc Eisenbaim in die algerische Sahara dringen, so muß sie nothwendig dem Laufe des Wed-el-Käutarn folgen, als der direktesten nnd vor-theilhaftcstcn Richtung. Die Terrainschwierigkritm dieser Linie wären sehr unbedeutend, unvergleichlich geringer, als z. B. die der Linie Algier-Lonstantiue. Trotz der verhältnißmäßig nirdri-gen Anlagekosten nnd des naturgemäßen Verkehrs würde aber cmch diese „Mittelmecr-Sahara-Linie" noch auf lauge Jahre hin Hirsch, Algerien. ' 2l 322 Oase El-Utaja. nicht rentircn.; die Beduinen wären die letzten, die ihre theuren Dnros für einen Transport hingäben, den sie seit Jahrtausenden mir mit dem wohlfeilsten ihrer Gilter, mit Zeit, bezahlen. Doch wäre die Bahn jedenfalls die überraschendste nnd eindruckvollste; nnd die französische Regierung, lion der allein die Anlage der afrikanischen Eisenbahnen ausgehen kaun, ist bekanntlich eine große Freundin des Ueberraschcndcn, auch wenn kein reeller Nutzen damit verbunden wäre. Doch so weit waren wir noch nicht. Nur eine sehr breite nnd etwas regelmäßige Landstraße erblickten wir, als wir, durch einige Erdhütten und Gärten hindurch, an das ersehnte Kara-vanserai von El-Utaja kamen. Wie freudig begrüßten wir die laugcntbchrte Herberge, zugleich seit Bu Ssada die erste Anna-hcrung an die europäische Heimath! Aber ohne diesen Umstand, ohne das vorausgegangene beinahe zwölfstündige Fasten, hätten unsere Augen schwerlich Wohlgefallen au dem Orte gefunden. El Utaja ist eine Oase, wie ein gerupfter Pfau ein Pfau ist: eine Oase ohne Palmen, ja fast ohne irgend welche Bünme und Sträucher! Diesen wesentlichen Schmuck und Reichthum entbehrt der Ort aber nicht Von Natur, denn es fehlt ihm weder an Wasser, noch an Wärme, worin c» sogar die Oasen des Hodna weit übertrifft. Es war ein Statthalter von Eonstantine, Salah-Bey, oer die Oase am Ende des vorigen Jahrhunderts gänzlich verwüstete, wahrscheinlich, weil sie die Steuern verweigerte; nur Eine Dattelpalme soll er haben stehen lassen, um die Einwohner bcstäudig an die Strafe zu erinnern. Eine Steuervcrwcigcrung erscheint uns freilich als ein sehr strafbares Verbrechen; allein für was sollten die armen Sibanier einen Theil ihrer Einkünfte einem fremden Kriegsmann abtreten, der sie weder schuhte noch förderte? Und zugleich welch thörichte Rache, da sie das Steuer-zahlen von nnn an ganz unmöglich machte; denn was besitzen Verwüstung der Oase. 323 die Leute außer ihren Datteln? Dr. Gnyon erwähnt übrigens noch zwei ander» gänzlich zerstörte Oasen in den Sibän. Auffallend ist es jedoch, warum die Bewohner in den vcr-stosscnen 70 bis 80 Jahren keine Palmen- und Fruchtbäumc wieder angepflanzt haben. Es lassen sich nur zwei Gründe da-für denken: entweder beharrten die Nachfolger des zerstörenden Bevs in ihrer Rache — eine selbst von türkischen Barbaren kaum glaubliche Politik; oder dle Wiedcrbepflanzung einer ganz-lich verwüsteten Oase ist ebenso unmöglich, wie die Wiedrrbchol-znng gewisser Berglehnen, nachdem sie einmal gänzlich entblößt worden. — Du fragst mich vielleicht, Leser: woher diese Ent-rüstnng über eine That, wie sie noch am Ende des siebzehnten Jahrhunderts, in der klassischen Periode Frankreichs, der aller» christlichste König wiederholt an ganzen Provinzen mit kaltem Borbedacht hat ausüben lassen? Auf diese treffende Bemerkung kann ich höchstens anführen, daß die Vernichtung einer Oase, eines Fleckchens, das die Natnr mitten in gänzlicher' Wüstenei init Fruchtbarkeit gesegnet, gleichsam geschmückt zu ihrem Heilig-thnm, erkoren zum Zeichen ihrer nirgend erlöschenden Kraft, daß eine solche Zerstörung den erschütterndsten Eindruck macht. Die verwüstete Oase ist das Lamm, das man der armen Wittwe raubt! — El-Utaja ist seit jenem Ereigniß gewiß kleiner geworden; die verminderte Bevölkerung nährt sich vom Ertrage der Korn-felder, ans welchen jetzt die ganze Oase bestcht, nnd von dem Handel mit Steinsalz, das der benachbarte Dschebel ° Melh (Salzbcrg) darbietet. Dr. Guyon, der das Dorf (im Jahre 1847) gmn durchwanderte, wurde durch den Anblick von Salz-blocken überrascht, die auf den Straßen nmhcrlagcn. Der Dsche-bel-Melh ist mir dnrch die Windungen des Flusses vom Dorfe getrennt. Zn jener Zeit bestand das Karavanscrai noch nicht, da die Franzosen erst zwei Jahre zuvor Biscara beseht hatten; 21' 324 Mangel au Gerste. Dr. Guyou mußte daher sein Zelt in cincm Garten mit Feigen-und Gwnatbüumen vor dem Dorfe aufschlagen. Das jetzige Karawanserai besteht, wie ähnlich alle übrigen an dieser Heer-straße, ans einem sehr großen Hofe, um den die einstöckigen Wohngcbäudc nnd Stalinngen herumliegen, und der von einer hohen und festen Mauer eingeschlossen ist. Ein breiter Thor-weg mit hölzerneu Flügeln bildtt den Eingang. Die Gebäude gehören der Regiemng; die Wirthschaft ist je einer französischen Familie verliehen, ich weiß nicht, ob gegen Pacht, oder nur gegen besondere Verpflichtungen. Die Wirthe sind wohl meist gediente Militärs, und stehen etwa ans der Linie unserer Fuhrmanns-Wirthe, obgleich sie häufig sehr hohe Per-souen aufnehmen. Der Wirth zu El-Nwjn war ein Nicrzigc« von nicht sehr einnehmendem Aenßcrn; auf unsere Ankunft hatten ihn unsere arabischen Begleiter schon vorbereitet; und dies war auch der Grund, den sie vorschützten, ihr pflichtvergessenes Da-voneilen zu entschuldigen. Daß wir »ms damit nicht zufrieden gaben, versteht sich von selbst; allein was hals es? wir konnten die Schuldigen weder strafen, noch entlassen, und überdies sollten wir sie ja schon heut' Abend für immer los werden. Nachdem wir abgesessen, sorgten wir zuerst für die gänzlich erschöpften Pferde; die Gerste hatte aber der französische Wirth nicht ein-mal für Geld feil, sondern wir mußten sie durch den Spahi im Dorfe aufkaufen lassen, was nur mit großer Mühe gelang: so knapp war damals diese nothwendige Getreidcart! Ls erklärt sich dies wohl durch den vergangenen uud bevorstehenden Durch-zug der großen Colonne, welche Tuggurt und Wcd-Ssnf he-sucht hatte. Nährend die Pferde in den langcntwöhuten Slall geführt wnrdcn, traten wir in die Gaststube, die zwar weit kleiner und niedriger war, als das stattliche Fremdengenmch in Mdutal, oder gar das Himmelszelt, unter dem wir die Diffa Mahlzeit) der Die französischen Karavanserais. 325 'Beduinen verzehrt; die aber doch Stühle zum christlichen Sitzen, und einen Tisch zum germanischen Nrm-Alificgen darbut. Diese Möbel waren ans rohem Holze roh gearbeitet, und bildeten das einzige Inventar unserer Hallo n inan^6,-: wahrscheinlich, um die Eingeborenen nicht durch Entfaltung des europäischen Luxus zu beschämen. Auch die Speisen, die uns nach längerem Warten vorgesetzt wurdeu, ähueltm noch etwas den arabischen, zumal durch reichliche Zwirbeln uud geringe Neiulichkeit. Wie sie uns trotzdem schmeckten, mag jeder ermessen, der sich einmal mit ähnlicher Hohlheit des Magens an den Tisch gesetzt. — In allen diesen Karavansrrais (da ich nachmals in sämmtlichen ohne Ausnahme einkehrte, so kann ich aus gcgrüudeter Erfahrung sprechen) ist die Küche schr einförmig uud natürlich; Eierspeisen und Hühner sind fast immer zu bekommen, aber damit geht die Liste auch gewöhnlich zu Ende; znr Erlangnug von Braten ge> hört schon ein besonderer Glücksstern. Wie vermißte ich mehr-malö auf meiuem Ritt nach Constantine den buttrigen Kusknssn und zumal deu gebratenen Hammel: umgekehrt wie die Kinder Israel sehnte ich mich im Ackcrlandc nach den Fleischtöpfen der Wüste zurück! Dagegen standen die Preise ganz auf franzö-sischem Fuße, ich meine auf dem der besten Pariser Restaurants. Um ^2 Uhr etwa waren wir in ElUtaja eingetroffen, gegen 4 Uhr verließen wir die Stätte nnsercr Erqnickung, um noch heute das äußerste Ziel unserer Reise, das stattliche Biscara, zu erreichen. Ich bitte jedoch den Leser, noch einen Augenblick innerhalb des Karavanferais zu verweilen, uud mit mir den großen Quaderstein zn betrachten, der als Sitz dicht am Thor» weg eingemauert ist. Er ist 1 Meter lang nnd 30 Centimeter dick, und trägt in großen römischen Buchstaben folgende In-schrift, die wir, Herr v. O., der Engländer und ich, zusammen lasen nnd copirteu,*) -) Die Uebersetznng dieser und der noch folgenden Inschriften befindet sich im Anhang. Z26 Römische Inschrift zu El-Utaja. IMP CAESARES M AVRELIVS ANTONINVS ET L AVRELIVS GERMANICI SARMATICI FOETISSIMI AMPHITHEATRVM VETVSTATE CORRVPTVM A SOLO RESTI TVERVNT PER COH VI COMMAG A IVLIO POMPILIO PISONE LAEVILLO LEG AVGT PRRR CVRANET AELIO SERENO PRAEF Dieses interessante Denkmal der Nömerherrschaft in der Sahara, welches die Anwesenheit eine? massiven Amphitheaters an einer Stelle bezeugt, wo sich jetzt nur ein Paar elende Lehm-Hütten finden, erwähnt schon 1>l. Guyon. „Ans dein Dürfe kommend, besuchten wir die Umgegend, bis nahe an den FInß, der in großen Krümmungen zwischen El-Utaja nnd Dschebel-Melh stießt. Einen ziemlich schnellen Bach entlang, der sich in jenen Fluß ergießt, gelangten wir an eine kleine Mühle, die er bewegt, und vor der wir eine große Inschrift fanden, umgestürzt nnd vom Wasser bespült. . . . Der Stein war senkrecht anf dem rechten Ufer des Baches plaeirt, nnd gehörte zu einer kleinen Schleuse; sein oberer Theil sdas oberste der Inschrift) war mehr oder weniger mit Schlamm bedeckt, was nns nicht gestattete, feine Höhe zn schähen." Hierauf meint I)i-. Guyon, dieser Stein könne nicht nach (51 Utaja selbst gehören, da sich sonst keine Ueberreste aus der Nömerzeit hier vorfänden; vielmehr stamme er höchst wahrscheinlich von einem größern Trümmer» Haufen an der Strafte. ^ Lieue nördlich von (il-Utaja, in der Nähe der Thermalquellen Hammam Sidi-el-Hadsch, wo er die Nqnae Hercnli(s) der Pentingerfchm Tafel vermnthet. Auf welch' starke, Bevölkerung der Bau eines massiven Amphitheaters mit Sicherheit schließen läßt, und welche ganz Ebene von El-Utaja. 327 Verschiedene Anbau- imd Ncrkchrsverhältnisse eine so dichte Volks-menge vorallssrtzt, darauf brauche ich nur hinzuweisen. Die letz-tere Conseqnenz wäre freilich dann unsicher, wenn die Bevölkerung vorwiegend aus Soldaten bestand, was sogar wahrscheinlich ist. Daft aber der Bezirk von A-Utaja mehr Menschen ernähren könnte, als er es heutzutage thut, ist sehr annehmbar; die Oase ließe sich wohl Stunden weit den Lauf des Flusses ent-lang fortsetzen. Der nächste Eindruck übrigens, den die mitge-theilte Inschrift auf mich machte, war der der römischen Größe, wozu die Beiwörter trugen; die Phantasie umspaunte mit Einem die gcsammte Alte Welt, von den eisigen Steppell Sarmaticns bis zu den glühenden Gaetnlims, den äußersten Grenzen der römischen Herrschaft. — Die Landschaft, die wir jcht durchzogen, bildet einen stachen Kessel von etwa zweistündigem Durchmesser, auf allen Seiten von uackten Bergen umringt, die aber iu Höhe lind Charakter gänzlich verschieden sind. Das einzige großartige Gebirge erhebt sich nord°nord'östlich in langer Liuie, mit gezackter, zerklüfteter Bildung; das ist der berühmte Dschebel-Aures, neben dein Dschurdschura das höchste uud bcdentcudstc Gebirge von Algerien, liud wie jener von harten und tapferen Stämmen bewohnt. Nord°nord°westlich streichen die Höhen von Mcd-Sultan gegen die Ebene Medschaua. imd die Höhen, die wir jüngst über-schritten, gegen das Hodna. Endlich im Süden begrenzt eine unbedeutende, ganz nackte Hügelkette den Blick, impouircud nur durch ihre Nähe: sie scheidet die Ebene voll El-Utaja von der ungeheuren Fläche der Siban, zu denen jeues daher nur nn-eigen!lich gerechnet wird. Der Boden des Kessels, längere Zeit vollkommen ebeu, bildet eine unfruchtbare Haide; jedoch zn beiden Seiten des Flusses, dem die Straße ziemlich nahe bleibt, ziehen zahlreiche Kornfelder, wenn auch mit manchen Unterbrechungen. Damit ist schon gesagt, daß viele kleinere nud größere Bewässe- 328 Mein Plan für die Sibän, rungs-Canäle von deni Flusse ausgehen; denn in der Sahara bedarf es eben der unmittelbaren Bewässerung, unt allch nur einen Getreidchalm hervorzubringen. Dic Straße selbst ist breit und geradlinig, aber uuchaussirt; eine Menge Nebenwege laufen ihr zur Seite; der Verkehr war jedoch äußerst gering; im Aara-vcmscrai, wie a»f der ganzen Strecke bis Biscara trafen wir wenig Reisende nnd keinen Europäer. Während nnn der Engländer und Herr v. O. eilig dornn-ritten, blieb ich mit Herrn v. C, beträchtlich znrück, nnd eröffnete ihm meinen Entschluß, allein in Biscara zurückzubleiben, nnd wo möglich von dort ans die interessantesten Oasen des Bezirks, besonders Sidi-Okba und Saatscha z>l besuchen. Zn diesem Plane veranlaßte mich vorzüglich der sehnliche Wunsch, das eigenthümliche Leben der Sahara-Oasen nach allen, znmal den wirthschaftlichen, Richtungen zn erforscheil. Wie es meine Wiß> begierde nicht zugelassen, daß ich, wie die meisten anderen Nei-senden, nur die europäisirten Hauptstädte Algeriens besuchte, sondern mich unwiderstehlich in das noch wahrhaft eigenthümliche Innere getrieben — so vermochte ich auch nicht am Beginn der eigentlichen Sahara schnell umzukehren, und in das Gelobte Land meiner Wisseuslnst nur einen flüchtigen Vliek zu werfen. Wie herrlich malte ich mir einen mehrwöchentlichen, bleibenden Auf-enthalt unter den Palmen ans, wo ich genießen und beobachten, ansfliegen nnd zurückkehren, beschreiben nnd dichten könnte, ganz mein eigener Herr, Gebieter meiner Zeit, meiner Beschäftigung nnd Umgebung. Der Abschied von den bisherigen Reisegefährten, weit cnt-fernt, mich zu betrüben, war mir vielmehr eine wahre Befreiung; meine Antipathie gegen zwei von ihnen hatte täglich zugenommen, nnd hatte sich zuletzt, in Vezug auf den Einen, zum entschiedenen Bruche gesteigert: nnd eine feindselige Reisegesellschaft ist für die Dauer der Reise schlimmer nnd drückender, als eine unglückliche Verhältniß zn den Reisegefährten. 329 Ehr, wo man sich wenigstens vermeiden kann. Dic gemüthliche Freundlichkeit des Dritten vermochte niich aber um so weniger zu entschädigen, als dieser eine von der meinigen wesentlich der-schiedene Denkweise nnd Auffassuug hatte, nnd dnrch viele Bande an meinen Feind geknüpft war. So manche Stnnde, so manche interessante Seme war mir durch dies Verhältnis; zn meiner Ge> sellschaft vergällt nnd Verdorben worden; ich hätte ohne Zweifel weit mehr mit den Eingeborenen verkehrt, nnd vicl Wissens-werthes beobachtet nnd erfahren, wenn ich mich allein nnter ihnen befnnden hätte. Jetzt min wollte ich noch manches Versäumte nachholen, wollte einmal sehen, wie afrikanische Natnr nnd Sitte ans den einsamen, fessellosen Menschen wirkten. Und dies konnte ich ohne irgend welche Bedenklichkeit ansführen; denn einerseits war die Rückreise von Biseara mich Philippevillc so gefahrlos nnd bequem, wie etwa eine Neise in den Alpen; nnd anderer-seits blieben ja meine Gefährten zndritt, was doch zur Gesell-schaft vollkommen ansreichte. Herr v. L. pflichtete auch meinen Gründen bei. Am Fuße des südlichen Hügelznges holten wir dnrch einen tüchtigen Galopp die Anderen wieder ein; die Straße hatte den Lauf des Flusses verlassen, nnd stieg in geneigter Richtung sanft den öden Abhang hinauf. Als wir oben angelangt, vergoldete die untergehende Sonne die Zackrngipfel des fernen Dschebel-Aures, nnd warf einen Purpnrschleier über die häßliche, Nacktheit der Ebene zn unseren Füßen. Die jenseitige Fläche war schon düfter nnd nnkcnntlich; aber auch bei heller Beleuchtung hätten Wir die Oasen nicht sehen können, denn ein breites Chaos von zerklüfteten Fels- und Crdmassen versperrte alle weitere Aussicht. Beim Hinabreiten kamen wir an einer Gedenktafel vorbei, die den Ban dieser Straße durch französische Truppen feiert. Auch hinunter ging cs fast unmrrklich; aber bald befanden wir nns wieder in der nun schon gewohnten, aber deshalb nicht geliebten Z30 Lagerfeuer vor Biscara. Dunkelheit. Ja, cs wurde so finster, wie noch keinen Abend zuvor, so daß unsere Führer erklärten, sie könnten selbst nicht für die Einhaltung des richtigen Weges stehen. Es blieb nns nichts übrig, nls nns dicht an einander zu halten, und dem Instinkt nnscrcr Pferde zn vertrauen. Wir hatten das gastliche Biscara bald hinter jener Anhöhe erwartet, lind glaubten uns alle zehn Schritte dicht davor zn be-finden; aber wie wurde unscrc Erwartung in die Länge gezogen! Zuletzt, nachdem wir gewiß eine Stunde von der Höhe fortge-ritten waren, hielten wir nns für verirrt; die Straße war über-Haupt so holprig, daß wir durch die Beschaffenheit des Weges keinen Anhalt hatten. Da tauchten plötzlich vor nnseren Augen tansend Lichter aus der dicken Finsterniß; diesmal keine Feller, faulen, wie zwei Abende zuvor, sondern kleine Flammen, aber m solcher Anzahl und auf eine solche Ausdchnuug zerstreut, daß sie, zumal bei unserer freudigen Ueberrasämug, ein glänzendes, feenhaftes Schauspiel darboten. Man mußte aunehmen, auf eine große Hauptstadt hinabzusehen; wir wußten aber, daß Bis-cara keine tausend äiöpfe beherbergt, und konnten uns die Zahl der Lichter auf keine Wch'e erklären. Förmlich bezaubert, aber getrosten Muthes näherten wir uns den Lichtern, und befanden nns auf eiu Mal zwischen französischen Soldatcnzeltcn! Nun löste sich uns das Räthsel: die Colonnc war Tags zuvor vom fernen Süden zurückgekehrt, und hatte ihr Lager vor Biscara aufgeschlagen. Wohl mochten sie jubeln, die Strapazen nnd Entbehrungen des vierzigtägigen Wüstrnzuges überstanden zu haben; bis an die fernsten Grenzen Algeriens waren sie vorgedrungen, hatten die fälligen Abgaben im wahren Viled-ul-Dscherid eingetrieben, und viel Neues und Merkwürdiges geschaut, und das Altes, ohne irgend bedeutende Verluste zu beklagen. Waren daher die vielen Lichter anch nur die gewöhnlichen Lagerfeuer, so konnte man sie doch mit Fug Aukmift in Viscava. Z31 als Frendcnfener betrachten, denn hier in Biscara befanden fsch die Krieger zncrst wieder auf wirklichen! französischem Gebiet, nnd nnr wenige Tagereisen von ihren festen Garnisonen. Viel Leben bemerkten wir übrigens in dein Lager nicht. Man wies uns von hier den kurzen Weg zum IZuiean ai-ab?; großartige Arkaden überraschten nns sehr: wie wir am nächsten Morgen sahen, befanden wir uns in der Kasbah oder Citadelle. Ein Officier ersuchte nns. in dem „Hotel" des Orts Quartier zu nehmen, nnd dahin wurden wir über einen sehr großen Platz geführt. Unser Quartier war ein Karawanserai in sehr kleinem Maßstabe; man wies nns zwei höchst einfache, aber reinliche Zimmer am Hofe und zu ebener Erde an, wo nns der langcntbchrtc Anblick vollständiger Betten zu Theil ward. Jedes Zimmer enthielt deren zwei; ich logirte mit Herrn v. 'S. zusammen, Es war 7 Uhr Abends, als wir Viscara er-reichten, vierzehn Stunden nach unserm Nufbruch von Mdnkal, von denen nur zwei der Nuhr gewidmet waren. Trol)dem fühlten wir nns keinrowegs angegriffen, wenn auch froh genug, endlich am Ziele zu sein. Nachdem wir etwas Toilette gemacht, begaben wir uns über den kleinen Hof in eine Art Speisesaal, der die Behaglichkeit einer Thrateibühne nach beendigter Vor-stcllnng zeigte. Während wir nun bei unseren Cotelettes oder Eierkuchen saßen, trat ein junger Officier in der Uniform des DurL»,u. nrado herein, nnd wandte sich an den Engländer, dem er sich als Mr. R. nnd Landsmaun vorstellte. Wir hatten seine Anwesenheit in Viscara schon früher erfahren, und ihn zu nns bitten lassen; nicht wenig verwundert, einen Engländer in fran-zösischen Diensten anzntreffen. Nach einigen englischen Worten redete der Officier nns Deutsche in sehr gutem Hochdeutsch an, nnd als wir ihm unser Compliment darüber machten, eröffnete cr nns, daß er als preußischer Gardc-Hnsarm-Lientenant lange Z32 Ein Frcmden-Legioüär. Jahre in Berlin gestanden. So war er denn unser aller Lands-mann, nnd bei seiner gcnanen Bekanntschaft mit den hiesigen Vcrhälnisscn bedauerten wir nni so mehr, daß er uns schon morgen »erlassen mußte, nm den General Desvanz' bis an dic Grenze der Sahara zu begleiten. Dieser angenehme nnd freund-liche Mann, englischer, vornehmer Abkunft, aber in Berlin ge» boren und erzogen, hatte sich bei der Garde in übermäßige Schnlden gesteckt, was ihn nöthigte, den Dienst und. das Vater-land zn verlassen. Zn der Zeit hatte die algerische Fremdenlegion noch immer, trotz so zahlloser Enttäuschnngcn. den Nciz anf ehrgeizige Elia-rattere nicht verloren; auch Herr R. tränmte schnellste Auszeich-nnng und Beförderung. Er war auf ein Lebeu voller Be-schwerden, Gefahren nnd Abenteuer gefaßt, als er sich znr Legion anwerben ließ; aber nicht anf jahrelange, anszeichnungslose Sklaverei. Aber diese war. trolj aller Vorzüge der Herkunft, des Standes, der allgemeinen und militärischen Bildung sein Loos; als gemeiner Legionär durchmaß er die Wüste nach allen Richtungen, nnd crtrng Drangsale der Hitze, des Dnrstcs und der Anstrengung, wie er sie nie geahnt. Von der unwürdigen, verächtlichen Behandlung, welche die meist französischen Officiere den Legionären bieten, litt er aber gewiß noch weit mehr, als von Durst nnd Hitze; doch sagte er nns nichts davoni trng er doch nnn selbst die französischen Epaulettes! Sein besonderes Glück wollte znlrtzt, daß bei einer Er,-peditiun keiner der Officierc mit dem Plan-Zeichnen vertraut war. Man forderte Freiwillige anf, Herr N. übernahm die Aufgabe, nnd löste sie mit überraschender Fertigkeit. Nun avancirte cr rasch zum Sergeanten, und trat später als Nntcr-lieutenant zum Lui-^nl ln-n,I)6 von Biscara über. Seine Einsamkeit tröstete eine jnnge und liebenswürdige Fran, dic ihm aus der Heimath in die Sahara folgte; dic einzige deutsche. Einmal wieder im Vette! 333 wahrscheinlich auch die einzig gebildete Frau in der ganzen Colonie! Wiewohl niunnehr in einer würdigen und aussichts-vollen Stellung, schien sich Herr N. doch nicht ganz wohl zu fühlen, mid liebkoste den Gedanken an eine baldige Rückkehr in preußische Dienste. Von einem seiner Bekannten erfuhr ich später, daft seine Gesundheit zerrüttet sei; seine Erscheinung in-deß ließ hiervon nichts merken. Herr N. forderte uns anf, ihn nach dem Oi-olo äus otüoiers zn begleiten, und führte uns, trotz unserer verwahr» losten Toilette, sogleich durch niedrigere Arkaden, als die der Citadelle, in ein stattliches Gebäude an einer der kurzen Seiten des großen Platzes, Wir fanden hier im Großen dieselbe Ein-nchtnng, wie in Bordsch bn-Ariridsch; ein Billard und eine ziemliche Menge Offieierc, die spielend, ranchend und trinkend bei einander saften. Wir nahmen an einem groften Tische Platz, nnd tranken Pnnsch, Herr N. zn nnscrer Seite; die Unterhaltung war weder belebt, noch interessant. So waren wir froh, als wir mit Bewahrnng des Auslands ziemlich früh nach nnserni Wirthshans, zu nnsern ersehnten Betten zurück-kehren konnten. Seit dem gastlichen Quartier bei dem Arzte in Anmale sollte ich heute znm ersten Male in einen, Bette schlafen; freilich war es lange nicht so sauber und vollständig, wie das dortige, aber doch winkte es so einladend nnd er-quickend, wie das Lager eines Königs. Und was unterscheidet denn ein Bett so sehr von einer Matratze mit Decke? nur, daß es auf Füßen steht! So groß ist die Macht der Gewohnheit; oder ist es vielleicht die Wirkung des Idealismus, kraft dessen der gebildete Mensch selbst im Schlafe von der Erde getrennt sein will? 3ch weiß nur so viel, daß ich diesen Abend hierüber nicht rrflektirte, sondern alsbald dem süßesten Schlummer in die Arme sank. VII. In Msram. Wenn jemals Menschen das Necht hatten, gehörig und tüchtig auszuschlafcn, so warm gewiß wir es am ersten Morgen zu Biscara. Fast vierzehn Tage in kein Bett gekommen, alle Morgen zwischen drei lind fünf Uhr aufgestanden, um den gan-zcn Tag über wie die Centauren mit unseren Pferden zn ver-wachsen, hätte man nns hentc, an den, endlichen Ruhetag, wohl einen Munnclthicrschlaf bis Mittag nicht verdacht. Aber nein, guter Leser, deine Helden blieben auch dieser Versnchnng über» legen, und hatten beschlossen, Biscara nicht zn ihrem Capna zn machen. Alls unser Geheiß weckte man nns um 6 Uhr; wir tranken im Speiscsaal Kaffee, nnd als Lieutenant R. gegen 7 versprochenermaßen uns abzuholen kam, fand er uns bereit und fertig. Es galt aber auch keiner geringen Sache: wir sollten den Abmarsch der gesammten Kavallerie aus ihrem Lager vor Biscara beiwohnen. Nun erst, als wir aus den, Thore des Wirthshauses hin-austraten, sahen wir Biscara nnd seine Schönheit. Die Sonne stieg gerade ans dem Sande der östlichen Wüste empor, und begann den Nebel zn lichten. Wir standen an einem nnge- Anblick von Viöcara. 335 hcnrrn, kahlen Platze, den auf drei Seiten große Gebäude ein-faßten; nns gegenüber die Kasbah von böchst prosaischem Alis-sehn, zur Linken aber ein nicht unschönes Hans, in dessen Flanken nnd Rücken schlanke Dattelpalmen ihre buschigen Wipfel er-hoben. Nicht verhüllend, sondern sanft nmflorend. warf gerade der Nebel einen ahnungsvollen Schinnner über die Morgen-Landschaft, Wir überschritten den Platz nnd cincn schmalen Canal, der ihn schräg durchzog, traten dnrch ein Thor der hohen nnd star-ken Mauer in den Hof der Kabbah, ein längliches Viereck von großartigen Dimensionen, nnd gewannen dnrch das entgegen-gesetzte, nördliche Thor, dessen Bedeutung sich durch architektoni-sehen Schmuck a us spricht, die Straße nach El-Utaja nnd Con-stantinr, auf der wir gestern in der Dunkelheit nach Biscara gekommen, Cine ausgedehnte, gänzlich wüste Fläche lag vor nnseren Blicken, die gen Norden allmälig ansteigend zn einem zerklüfteten Höhenzuge cmporschwoll, nnd so den Blick begrenzte. Aber etwas rechts, von Nordwrsten, schenkte der Dschebel-Aures der sonst unbedeutenden Landschaft seine Großartigkeit, Gerade vor nns wnchsen einige Dattelpalmen an einem Canal, nach dessen Ueberschreitnng das militärische Schauspiel sich nns in seiner ganzen Buntheit »nd Frische darbot. Das Lager, dessen Lichter uns gestern so freundlich eni> gegengrblitzt, war schon gänzlich abgebrochen nnd verschwunden; die Reiterei saß entweder schon zu Pferde, oder war im Begriff, sich in den Sattel zn heben. Wohl ein tausend Mann stark, zerfiel sie in drei große Colonnen: Husaren, Chasseurs d'Afrique nnd Spahis, al!c drci etwa von gleicher Stärke. Nar schon die Tracht der ersteren malerisch genug, so gewährten die arabi» schen Reiter mit ihren rothen Burnus, weißen Turbans nnd brannen, kriegerischen Gesichtern einen wahrhaft wilden nnd glän- Z3l) Ausbruch der Reiterei. zenden Anblick. Ihre feimgen und schön geformten Rosse stampf, ten vor Ungednld den Boden; man sah es ihnen beim Stehen an, wie windesschnell sie ihre Reiter gegen den Feind fi'chrcn würden. Die Attaque eines Regiments Spahis im Galopp muß ein wunderschönes Schauspiel sein: wenn tausend Nüstmt edler Berberrosse sprühen, wenn tausend blutrothc Mäntel im Winde flattern, wenn tausend gekrümmte Säbel wie Blitze Icuch-ten, wenn tansend rauhe Kriegerkehlen ihr Hnrrah! schreien! — Es war auch reitende Artillerie bei der Colonue, und ein zahl-reicher Troß von schönen ^anguedoc-Maulthiercn, darunter auch einige mit Doppclsitzcn zum Tragen der Kranken. Bald nach unserer Ankunft sehte sich der Zug in Bewegung, gen Norden; an weit schönerer Stelle sollte ich die kriegerischen Gestalten wiedersehen! Der commandirendc General mit seinem Stäbe wollte erst gegen Mittag aufbrechen; bis dahin blieb auch unser Freund R. in Viscara. Cr stellte uns mehrere seiner Kameraden vor, mit denen wir sodann das flache Dach der zweistöckigen massiven Kaserne in der Kasbah bestiegen. Von dieser großartigen Ter rassc ans vermochten wir nus erst vollständig zn oricntiren; wir erkannten, daß die neue Kasbah mit der europäischen Stadt am östlichen (indc der Oase, gegen den Fluß zn, belegen war; wäl)-rend die ältere, arabische Kasbah mit der alten Stadt etwa einc halbe Stnnde westlich, inmitten der Oase, gestanden hatte. Von beiden letzteren sahen wir jedoch nichts; die alte Stadt ist schon längst zerstört, von dem Veruichtcr El-Utaja's, Salah-Vey, in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts; was damals von den Bewohnern leben blieb, siedelte sich in sieben Dörfern an, die noch jetzt über die Oal'c zerstreut sind. Die arabische Kaobah, m der cm Chalif Abdel-Kaders mit 500 Mann befehligte, bis im Jahre 1844 die Franzosen sie besetzten, stand noch 1847, der französischen Besatzung als Quartier dienend. Die Kasbah. 337 Seit dieser Zeit ist die neue Citadelle aus schönen behanmcn Steinen erbaut worden; ein Parallelogramm von etlua 50 Meter Länge und ungefähr 35 Meter Breite. Sämmtliche Gebäude sind zweistöckig, beide Stockwerke gewölbt; die Bedachung bilden Terrassen. Die frühere Kasbah war ganz aus Erde erbant, mit etwas Palmenholz nnd Schilf zur Bedeckung; sie war selbst erst ncnerdings an die Stelle des alten Forts ge> treten, das auf einer Anhöhe am Flnsse gestanden, in der Nähe der jetzigen Citadelle. Alles dies berichte ich nicht aus eigener Anschauung, sondern nach der zuverlässigen Gewähr dcs Oi-. Guyon; denn obgleich vicrtchalb Tage in Biscara verweilend, habe ich weder die arabische Kasbah, noch irgend eins der sieben Dorfer anch nnr von weitem gesehen. Die Gebäude werden durch die zahllosen nnd hohen Dattel-Palmen, zwischen denen sie cinge-klammert liegen, gänzlich versteckt, so daß man von der Cita-dcllc nnd der mncn Stadt ans einen unbewohnten Palmcnwald zn erblicken glanbt. Daß mich aber während meines langen Aus-cnthalts, ganz gegen meine sonstige Rcisegewohnhcit, dic Neu-und Wißbegierde nicht wenigstens zehnmal auf den Platz der malten Römer- nnd Berbern ° Stadt, nnd in die Dörfer der Eingeborenen getrieben, dafür wird der Leser in der Folge cinc ausreichende Erklärung finden. Biscara Mscra, Biskra) liegt 3" 22' ö. L. (von Pari«) und 34" 57' n. Br., 232 Kilom. südwestlich von Constantino. 297 Kilom. südöstlich von Algier, und 228 Kilom, nordwestlich von Tnggnrt. Die Oase ist die größte nntcr den SMn. sie enthält nicht weniger als 120.000 Dattelpalmen, nnd soli 2000 Vc-wohner ernähren. Die erste Zahl ist authentisch, die zweite aber keineswegs; in diesem merkwürdigen Lande zählt man die Bäume, nnd schätzt die Seelen. Das kommt daher, daß, wie schon er-wähnt, die Abgaben nach den Palmen berechnet werden; jeder Baum zahlt jährlich ^ Franc. Zur Vergleichimg führe ich nach Hirsch, MM!«,, 22 338 Statistik der Sibü,n. Dr. Gnyon die Anzahl der Palmen und Bewohner non der« schiedmcn Oasen an, welche zu dm SilM gehören. Nach den drci Bezirken, worin dic Sibtm getheilt werden, enthält: I. Im Sab-Dahari (nördlich, wozn anch das zerstörte Saatscha gehört): Cl-Alnri . . . 9.000 Palmen. 200 Bewohner A-Bordsch. . 33,000 , ? „ s2 Quellen) Tolga .... 40.000 „ ? .. (2 Limes lang, 1 Ü. breit, nu'hrcreQncl. len, großes Dorf) Farfar . ... — „ 100 , (30 Häuser) Lischana . . . 33.000 „ ? ., (2 Limes lan^, ^ L. breit, 1 Qnclle) Blischagnm . 21,000 , 300 II. Im Sab-Gebli (sndlich, wozu auch Viscara nnd Sidi- Oklia gehören): Linna .... 15,000 Palmen, ? Bewohner (mehrere Quellen) Mechadama . 14.000 „ ? „ Bmtins . . . 18.000 , ? Nrlal .... 43.000 „ 250 „ (vmn Wed-Mlili belvässert) Mlili .... 12.000 , ? „ (Qncllm, meist ohne Abflnß) Fcliasch . . . 12.000 „ ? , (30 Gnrdis) Uniasch . . . 2,000 „ 150 III. Im Sab Tchergi söstlich, wozn anch El-Utaja gehört): Schetma. . . 8,000 Palmen. ? Bewohner Palmen und Menschen, 339 Ai'u-Naga. . 500 Palmen, ? Bewohner (14 Firnes östlich von Biscara) Sribet-cl-Wed 1,200 „ ? „ (vom Wed °el-Arab bewässert) Liana .... 1,200 „ ? „ (zerstörtes Dorf) Cl-Changa. . 6.100 „ 800 „ (120 Hänser; 30 Licnes nordöstlich von Biscara), Diese 18 Oasen haben zusammen 287.000 Palmen, also 2^- mal so viel, als das einzige Biscam. Letzteres hinzngerech^ net, erbebt sich die nlndc Snmmc von 400,000 Palmen sür 19 Oasen, wodurch sich im Mittel auf jede Oase, etwa 20,000 Palmen berechnen. Von 3 Oasen der Sibüu berichtet I)r, Gnyon ausdrücklich, daß sämmtliche Palmen vernichtet seien, nämlich von El-Utaja, Tuda nnd Saatschn; in letzterer durch dic jüngste, französische Belagerung. So bleiben noch 15 Oasen übrig, die er nennt, ohne das geringste über sie zu bemerken; gewiß aus Mangel an Nachrichten. Es läßt sich voraussetzen, daß dies die unbedeutendsten Oasen der Kruppe sind, woraus sich der Grsammldm'chschuitt des Palmrnrcichthums für die Sibkn bedeutend niedriger, als 30,000 stellen würde. Noch weit gerin-qeren Anhalt bietet obige Tabelle für den Schluß auf die wahr-'scheinliche Bevölkerung, Mit Emschlnß Biscara's. ist die Zahl der Einwohner nnr von 9 Oasen angegeben; und da der Vcr-fasser bei Biscara selbst nur von „Schätzuug" spricht, so ist die Zuverlässigkeit auch bei den anderen Oasen nicht bcdcntcnd. Doch Etwas ist immer noch besser, als Nichts; daher sei es mir gc» stattet, mit deu gegebenen Zahlen ein wenig zn operiren. Jene 7 Oasen enthalten 133.000 Palmen nnd 1700 Bc< wohner; Biscara 120,000 Palmen nnd 2000 Bewohner. Dies ist ein ganz richtiges Verhältniß, znmal da die Viskri (so heißen m ganz Algerien die Bewohner von Biscara) sich auch viel mit 22" 340 Abgaben. Gewerbe und Handel beschäftigen. Wic wenig Verträum aber sonst diese Angaben verdienen, geht ans der Auflagen-Tabelle für dic Sibkn hervor, welche dcr Verfasser auf p. 267 bis auf dir Centimes mittheilt. Gleich von vornherein wiederholt er, daß die Anflngc anf dic Zahl dcr Palmbäumc basirt ist. Nie ist es mm möglich, ohne dic geringste Erklärung zumal, anf der» selben Seite folgende Zahlen Paradiren zu lassen i Viscara, mit 120,000 Palmen, zahlt 23.000 Francs, Schctma „ 8,000 „ „ 20.094z , ElBordsch „ 33,000 „ „ 10,630 , ElUtaja , 0 , , 1,500 , Und wic passen dicsc sämmtlichen Zahlen zu dcr Behauptung, daft jeder Palmbanm z Fr. stcnerc? An dcr Richtigkeit der Zahlen selbst ist kamn zu zweifeln, da sie offenbar nach dcr gc-nanen officicllen liistc copirt sind; aber dann hätte doch jener Widerspruch aufgeklärt werden mnsscn. Jedenfalls sind diese Auflagen als sehr hoch zu bezeichnen, da auf den Kopf dcr Ein-wohncr bis zll 50 Frs. fallcn, was bci der allgemeinen Armnth nngcheiier ist. Dr. Gnyon liefert eine sehr ausführliche Abhandlung über Klima, Wetter, Naturprodukte (ans allen drei Reichen), Anbau, Krankheiten u. s. w. dieser interessanten Oasen. Ich würde aus einem Schriftsteller znm Abschreiber werden, wollte ich dem gc-lehrten Arzte auch nnr auszugsweise folgen; doch kann ich nicht umhin, wenigstens das Nichtigste über Viscara beizubringen, da jenes Werk nicht einmal in den Buchhandel gekommen. Ich be-werke noch, daß die übrigen Oasen viel Aehnlichkeit mit Biscara haben. Die Erhebuug Biscara's über dem Mittelmeer ist auf 100 Meter geschätzt wordeu, so daß anzuuehmen ist, daß dcr grokc Nüstcusumuf Sebcha-el-Melghir, in den drw Wasser des Wcd-el'Kä,ntara sich verliert, nnter dem Niveau des Meeres Klima von Viscara. 341 liegt. — Das Klima >st zugleich heiß und trocken; dcr Sommcr ist lang und die Hi nügmden Zutritt verstatten. Wirklich einheimisch ist in den Si-bkn noch der Anbau des Pfeffers (d^psiouln a,nnuuin I^in.), des Hanfs und des Henna sLansonie), Der Hanf dient aber hier weder zu Geweben, noch zu Stricken, sondern vorzüglich zur Bereitung des Haschis, das gleich dem Opium, uud ziem-lich mit denselben Wirkungen, von vielen Eingeborenen geraucht wird. Dieser, vou der Neligiou und Vernunft gleich verpönte Genuß ist leider m den Sibkn sehr verbreitet; fast in jedem Dorf giebt es ein dazn bestimmtes Lokal. Die Beduinen aber enthalten sich des Haschis gänzlich. Der Gebrauch des Hemm dagegen ist bei allen Stämmen und Klassen des Landes herrschend; zum Glück ist er weder schädlich noch unsittlich, sondern nur abgeschmackt. Mit dem Henna nämlich färben sich die eingeborenen Frauen verschiedene Theile des Körpers, vorzüglich die Lippen, Kinnladen, Nägel und Haare, die dadurch eine. dein europäischen Auge höchst wider-liche, gelbbraune Farbe annehmen. Diese eigenthümliche Schminke wird nicht etwa zu besonderen Veranlassungen zeitweilig aufge-tragen, sondern haftet beständig, und wird von Zeit zu Zeit wieder aufgefrischt. Bei vollkommen wilden Stämmen von niedriger Race kann das Bemalen des Körpers mit bestimmten Farben nicht Wun-der nehmen; aber bei so intelligenten, gebildeten und geschmack-vollen Völkern, wie die algerischen, bei den Erfindern des gra- Das römische Viscara. 343 cioscstcn Baustyls, der kleidsamsten Tracht und der wohlklin-gendstcn Verse ist jene Gewolmhcit im höchsten Grade abnorm, und es verlohnte wohl der Mi'ihe, ans geschichtlichem, religiösem oder mcdicinischcm Gebiete eine Erklärung dafür zu suchen, (3s wäre auch interessant, zu wissen, seit welcher Zeit mW in welchen anderen Ländern, außer Algerien, die Färbung mit Henna in Gebranch gekommen. Die Pflanze wird lion den Eingeborenen gleichfalls gegen alle möglichen beiden äußerlich nnd innerlich angewandt, und es scheint mir dalM sehr möglich, das; die Fär-bnng damit ursprünglich als Heilmittel, nnd erst mit der Zeit, durch die Gewohnheit selbst, als Schönheitsmittel betrachtet wurde. Das Henna scheint nur in den Oasen gebant zn werden, nnd bildet daher einen wichtigen Tanschartikel für den Verkehr mit dem Tell. Die Waare besteht in kleinen, getrockneten Blättern, die man zerreibt, nnd als Teig einige Stunden ans den zn fär-bcndcn Stellen liegen Iaht. — Biscara soll nach Manncrt das alte?ra<ü8i6iuni sein, das 50 römische Meilen von den Qaüna? Nudononknses entfernt lag: eine Entfernung, dic mit der von Biocara bis zu dem Salzsee Schott ziemlich übereinstimmt. Jedenfalls hat eine rö-mische Bevölkerung in der Oase eMrt; an der (arabischen) Kabbah und anderwärts hat man antike Mauern, Säulcntrüm-mcr, gebrannte Steine nnd Scherben von Töpfmuaarcn aufge-fnnden. Die Anfstanung des Flusses, wenn sie, nicht von den Römern herrührt, ist jedenfalls mit römischen Quadersteinen be-wcrkstelligt. — Die arabische Stadt Viskra besuchte der mnhammcdanische Reisende Mula-Ahmed*) zum zweiten Male im September 1710, und spricht lwn ihr folgmdcrmaßen.- „Viskra ist eine schöne und große Stadt, wo viel Geld *) Voyage dans le. snd de l'Algcric et des Etats barharesquea etc. par Moula-Ahmed, traduction de M. Adricn Berbrugger p. 214. 344 Blüthe des arabischen Viöcara. gewonnen wird, weil dic Bevölkerung zahlreich, der Handel leb-haft und der Ackerban blühend ist. Ihre Lage zwischen dem Teil nnd der Sahara trägt viel zu ihrcm Gedeihen bei. Man sieht daselbst eine Menge Palmen, große Oclbäume, und erntet sehr feinen Flachs. Es giebt dort cinc Menge fließender Wasser, an denen man zahlreiche Mühlen findet. Man sieht dort Fcl-der mit Henna, Weiden, nnd man erntet Früchte nnd Gemüse. Das Vieh »nd die gesalzene Butter sind in Ueberfluß anf dem Markte." Weiterhin spricht nnser Reisender von den „großen Gebäuden", die in Viscara standen, nnd von den zahlreichen Gelehrten, die man dort antraf, Es gab viele Brnnncn, deren Wasser süß war; dasjenige im Brunnen der .Haupt-Moschee war unerschöpflich. Diese Moschee war sehr geräumig nnd ausgezeichnet gebaut; zn ihrem Minaret führte cinc Treppe von 124 Stufen, auf der ein Manlthier mit seiner Last bis zur Spitze gelangen konnte. Die Stadt war von Mauer nnd Gra° bcn umgeben, jenseit deren es Blumengärten gab. Ändere Gc-mnsc° und Fruchtgärten bildeten einen Gürtel um die Stadt, in einer Ausdehnung von etwa sechs Meilen (?). — Ein an-derer arabischer Reisender, El-Aiatschi, der Biscara schon im Jahre 1663 besuchte, spricht von der Stadt in derselben Weise, wie Mula-Ahmed, und schließt folgendermaßen: „Kurz. ich habe nirgends, weder im Osten noch im Westen, eine schönere Stadt gesehen, als Biscara, keine, die des Lobes würdiger wäre, und wo es mehr Handel und Gewcrbflciß gäbe," Diese blühende Stadt ist gänzlich von: Erdboden verschwunden, ein Beispiel linier so vielen, wic gründlich der Orient das Zerstören versteht! Nnr drei Moscheen, wovon zwei in Trum-mern, zeugen noch von der alten Pracht; alles Uebrigc ist ohuc Elsatz zu Grunde gegangen. Daß anch die nene französische Stadt nicht entfernt dem alten Biscara gleichkommt, wird meine folgende Schilderung dieses Ortes ohne Betriebsamkeit, aber voll Besetzung durch dic Franzosen. Z45 Lasier genugsam darthun. Hier nur uoch einige Worte über das Schicksal Viscara's und der Sibün nach dem verhängniß» vollen Einfall des Salah-Bey. „Die Beiuohner der Sibü.n, Ansässige wie Nomaden, stau-den scit niehrcrcn Jahrhunderten unter der Herrschaft der Fa-nulic des Scheich el Arab, Bil-Asio-ben-Ganah, als ini Jahre 1638 Verkam im Namen Abd-el Kader's sich der SMn brmäch-tigtc. I»n folgenden Jahre, 1839, nachdem der Emir den Fric-den mit nns gebrachen, wurde der Scheich el°Arab von Frank-reich mit der Herrschaft über die Sibkn betraut; allein diese Herrschaft war unaufhörlich bestrittcu, und konnte erst nach un> serer Expedition und BcHergreifmig frei ausgeübt werden. Die Expedition wurde ganz im Ausaug des Jahres 1844 beschlossen; man bildete ein Lager zu Vatua, wo 2400 Mann Infanterie, 600 Pferde. 3 Berg- und 2 Feldgeschütze am 17. Februar »er-sammelt waren. Unter dcm Befehle des Herzogs von Anmale, damaligen Ober-Commandanten der Pnwinz Constantinr, setzte sich die Eolonnc am 25. in Bewegung, mit Lebensmittcln für einen Monat versehen; am 29, war sie in El-Klwtara, nnd am 4, März gelaugte sie ohue den geringsten Widerstand nach Vis-cnra. Der Ehalif Abd-cl-Kader'?, Mohammed-Seghir, hatte schon scit fünf Tagen den Platz aufgegeben, nnd sich mit sriuen Trnppen in das Aures-Gebirge geflüchtet. Vergeblich hatte er lmsncht. die Einwohnerschaft nach sich zn ziehen; sie war an Ort nnd Stelle geblieben, und empfing unsere Truppen auf's Beste. Am Abend kamen Deputations von allen benachbarten Oasen und allen Beduinen Stämmeu iu's französische Lager, und erflehten Vergessen für die Vergangenheit, nnd Schul) für die Zukunft. — Dennoch waren seitdem noch zwei Expeditionen in den TibiM nöthig, nämlich eine gegen die Ulcd Dschelal. im Ja-nuar 1847, uud .die gegcu Saatscha, im Oktober und November 346 Bohrung artesischer Brunnen. 1849, Beide verursachten uns sehr bedeutende Verluste, zumal die letztere." — Die Nnndsicht von der Terrasse der Citadelle zeigte uns eine Menge größerer und kleinerer Palmenhaine, bald nahe nn einander, bald dnrch große Strecken wüsten Landes »on einander getrennt. Eigentlich schön konnte ich den Anblick nicht finden, dazu fehlte es an Mannichfaltigkeit des Terrains, der Vegetation, der Gebäude. Ein Ingenieur ans Paris, der die Erpedition nnch Tnggurt mitgemacht hatte, war mit nnö hinaufgestiegen, und erzählte nns Kon den Versuchen, die er im Auftrage der Regierung zum Graben und Reinigen von artesischen Brunnen veranstaltet. Er gestand zu, daft dieselben nicht vollkommen gelun° gen seien, schob aber die Schuld auf die mangelhaften Instrumente, die' er bci sich gehabt, nnd versprach sich für die Zukunft dic besten Erfolge. Auch so schon halte er das Staunen und die Dankbarkeit der Eingeborenen erregt, nud andererseits die Angst der Neger, die bisher das schwierige und lebensgefährliche Ge-schüft der Reinigung als ein Monopol betrieben hatten. Seitdem haben die Zcitnngcn wiederholt von nenen Voh-rnngen in den südlichen Oasen berichtet, die anf's Glücklichste von Statten gegangen seien, nnd die Hoffnung auf unabsehbare Erweiterung des Anbaues in der Sahara begründeten. Auffal-lend ist es, daß Viscara, wo nach obigen Angaben noch vor 150 Jahren eine Menge der vorzüglichsten Brunnen bestanden, jetzt keinen einzigen besitzt, so daß die Garnison gutes Trink-Wasser ganz entbehren muß. Der Versuch, einen artesischen Brunnen zn bohren, ist trotz anderthalbjähriger Anstrengung, bci einer Tiefe von 74^ Meter, als unmöglich aufgegeben worden. Doch geschah dies alebald nach der Besetzung Biscara's, wo man wahrscheinlich die Terrainbildung noch zu wenig kannte, um die richtigen Stellen auszusuchen. Von der Terrasse begaben wir uns in das gegenüberliegende Abschied von Chlil und den Spahis. 347 Gebäude, dessen Parterre das Luieau lu-adu einnahin, uni dem Commandanten von Viscara und anderen Officieren vorgestellt zu werden. Hier erklärte ich, noch einige Zeit in Viocara vcr-wcilen zu woll«,, luoninf der Herr Commandant mich dem zn-rückblcibcndcn Officirr euipfahl. Ich will hier gleich anführen, daß wir am Nachmittage noch einmal in das Bureau kamcn, um für die Pferdc lind Äüiiilthitt'c zu bezahlen, und nns init Chlil und den Spahis abzufinden, ächtere erhielten, trotz ihrer vielen Vergehen, eine sehr reichliche VrrMnug, uno sollten in einigen Tacten luit den Thieren über Vn-Ssada nach Aninale znrückkehren. Den Dolinetscher Chlil hatten wir eigentlich fiir die ganze Reife engagirt. ja, die Allosicht, das berühmte Con-stantinc und andere Städte der Pnwinz zn sehen, hatten den wißbegierigen Jüngling hauptfächlich zn unserer Veglcitimg l'cr-anlaßt. Meine Gefährten, sonst so freigebig, weigerten sich aber, den Mauren auf ihre Hostcn mitzunehmen, und ich allein, der ich noch gar nicht wnftte, wie lauge mein Aufenthalt in den SibZ.N danern würde, konnte ihn unmöglich auf dem Halse be-halten. Der arme Chlil mußte sich also nach einigem Widerstreben dazu entschließen, mit den Spahis nach Anmale zurückzukehren; das Bureau versprach ihm freie Reise bis Algier, befahl den SpahiS, ihn gut zu behandeln, und fo erklärte er sich deun zu-letzt für ganz befriedigt. Die Hanptschwierigkeit hatte an der Seefahrt mm Philippemile nach Algier gelegen, welche Chlil frei zn haben glaubte, wao jedoch nicht bewilligt worden wäre. — Den folgenden Tag kam er zu mir, um Abschied zll nehmen; cr hatte einen großen Korb Datteln und einen ganzen Sack »oll Henna-Blätter gekauft, erstere zum Geschenk für seinen Göuncr Verbrugger. Trotz aller Verschiedenheit der Abstammung, der Vil-dnng und des Charakters trennten wir uns nicht ohne Bedauern, und Chlil bewies mir noch im letzten Augenblicke, wie recht ich 348 Versuchsgarton, gethan, ihn trotz seiner Mängel für einen offenen, ehrlichen und gutherzigen Menschen zn halten. Als die größte Merkwürdigkeit der Oase wurde lins der Versuchsgarten empfohlen, und dahin brachen wir nach dem Frühstück anf. Von der Citadelle führte der Weg ganz links, also in westlicher Richtung; zuerst an einer Stelle vorüber, wo die früher beschriebenen Lchmziegel angefertigt wurden, dann ziemlich lange durch angebautes !^and, an den Fnß eines sehr auffallenden Hügels. Ganz vereinzelt erhol, sich aus der gelben Fläche eine hohe, fast regelmäßige Pyramide von gelblichen! har-tem Gestein, ohne die geringste Spur Kon Erde nnd Vegetation. Die Schichten des Minerals waren fast senkrecht, und »on beden» tender Breite. Kaum zcbn Minuten entfernt, nach hinten, sahen wir einen zweiten, ihm ähnlichen Hügel. Bei nächtlichem Mond-schein plötzlich hierher verseht, hätte ich mich sicher am Fuße ägyptischer Pyramiden geglaubt! so täuschend ist die Gestalt der Felsmasscn, und ihre Umgebung von Wüste und Palmenhain. Einige Blöcke, quadratisch nnd cylindrisch, lagen hart am Wege, nnd mehrere Europäer, so wie ein Schwarzer mit breitem Palmenhut, waren oben mit Stcinhaum beschäftigt. Jenseit des Hügels trafen wir wieder auf Felder, und be-fanden uns bald im Angesicht cmes schönen Haines von Dattel-Palmen. Dies, wie schon das europäische Haus darin erwarten ließ, war der Verfuchsgartcn, eine kleine halbe Stunde von der Citadelle entfernt. Wir wnrden zu dem Inspektor geführt, einem ländlich gekleideten, einfachen lind freundlichen Manne, der ficht-lich erfreut war, gebildeten Fremden feine Schöpfnngcn zeigen zu können; cine Gelegenheit, die ihm wohl selten gcnng zu Theil wird. Er erklärte uns, während wir den langen Hanptgang hinabgingen, dieser Garten sei eine früher bewohnte, in Folge des Krieges halb zerstörte und verlassene Oase; was schon dar-auo zn vermuthen war, daß die Palmen sehr vereinzelt standen. Alibau von Indigo. 349 Dennoch war der Anblick sehr reich und manuichfaltig, da der ganze, von regelmäßigen Wegen dllrchschnittcnc Rauni ill größeren oder kleineren Abtheilungen mit südlichen, meist tropischen Nutz-pflanzen besetzt war. Die Baumwollen- nnd Indigostaude traten am meisten hervor; erstere hatte ich schon an dcr Küste gesehen; die Indigo-Pflanze aber war mir vollkommen neu. Sie erreichte hier etwa halbe Mannshöhe, und war mit einer Art Schoten bedeckt, ans denen der Farbestoff bereitet wird. Der Inspektor versicherte uus, daß diese Cultur vollkommen gedeihe, und allerdings hatten die Wanzen ein gesundes Aussehen; aber zwischen dem Fort-kommen im Freien unter sorgsamer Pflege, und wirklich vor-theilhaftcm Anbau im Großen ist doch noch ein gewaltiger Unter» schied! Unser Begleiter erzählte, daß es ihm einmal gelungen sei, guten Indigo aus seiner Pflanze herzustellen; seitdem habe er aber vergeblich die Wiederholung versucht. Außer den in größerer Ausdehnung gebauten Nutzpflanzen enthielt der Garten, besonders in seinem hinteren, malerischen Theile, manche ans-ländischc Zier- oder Seltenheits Pflanzen in einzelnen Exemplaren, darunter chinesische, japanische, brasilianische u. s. w. Einige davon blühten, und das Ganze gewährte durch hübsche Anord-mmg nnd kräftigen Wuchs einen erfreulichen Anblick, zn dem die weit überragenden Palmen nicht wenig beitrügen. Eine Menge Arbeiter belebten den Garten, darunter nur einzelne Europäer; die meisten waren junge Eingeborene der Oasen, welche hier beständig ill, Anbau der akklimatisirbaren Pflanzen unterwiesen werden i sobald sie für ausgebildet erachtet werden, treten andere an ihre Stelle. Solcher Zöglinge sind immer gegen füufzig vorhanden. Die örtliche Möglichkeit einer bedeutenden Akklimatisation vorausgesetzt, ist dies offeubar ein vortreffliches System zu ihrer rationellen Ausbreitung, Schließlich führte uns der Gartcn-Dircktor in sein Arbeitszimmer, um uns 350 Abschied von den Gefährten. mehrere Cnriofitätm zu zeigen, darunter auch dcn misilungeuen Indigo. Nachdem wir uns gebührend für die große Aufmcrt> samkeit bedankt, kehrten wir auf dem früherm Wege nach der Stadt zurück; ich mit dem festen Vorsatz, dm interessanten Vcrsuchsgarten noch einmal gründlich zu besuchen. Dieser, wic so viele andere Pläne, wurde aber durch meiuen späteren krank-hafteu Zustand leider vereitelt, Wir begaben uns direkt uach der Wohnung des Kaids Kon Biscara, eines der schönsten Männer, die ich je gesehen. Der edle nnd kriegerische Ausdruck seiner Züge, das dunkle Feuer seiner Augen, die hohe und doch aumnthige Gestalt, gehoben dnrch dm feinen und schneeweißen Burnus, sind trotz des kurzen Zusammenseins mit diesem Häuptling frisch in meinem Ge. dächtniß geblieben. Seine Residenz, vou dcr wir mir den Hof betraten, war malerisch gelegen und mit einigen Palmm geziert, aber keineswegs prächtig, Er zeigte uns seine schöneil Pferde, uud eiuige Strauße, die frei auf dein geräumigen Hofe herum-liefeu. Den übrigeu Theil des Tages verbrachten wir meist im Wirthshaus, da es Mancherlei zu ordnen gab. Am folgenden Morgen sah ich meine bisherigen Gefährten auf Maulthiercn und ohne Geleit, aufter dem der Treiber, gen Norden aufbrccheu, Herr v. C. und der Engländer nahmen Abschied von nur. Herr v. O, war durch sein gespanntes Verhältnis; zn mir daran verhindert. Nun glaubte ich in aller Ruhe und Unabhängigkeit die Siblln genießen zu können; gleich diesen Tag wollte ich nach Sidi-Okba, dem Heiligthnme des Eroberers von Nord Afrika, reiten. Aber der Chef des I^uromi l^lüio, an dcn ich mich zuerst wandte, bedauerte, mir in deu nächsten Tagen »order Thier, uoch Geleit nach jener Oase geben zu können. Ich lief nun, ungeduldig über den Aufschub, in dem ganzen Erkrankung. 351 Orte herum, eine Gelegenheit nach Sidi-Okba zu erforschen; aber weder bei Christen, noch bei Juden oder Muselmännern ließ sich etwas ausrichten. Ich mußte abwarten. Und das war mein Unglück. Seit langer Zeit in un» unterbrochener, anstrengender Vewegung, mit bestimmtem, vor-gezeichnetem Plan nnd Ziel, vermochte ich den plötzlichen Still-stand in Viscnra nicht zn ertragen. Meine Gesundheit war schon seit der Pyrenäcnrcise, im vorigen Herbst angegriffen, und nur die fortwährende Anregung des Reitens nnd Vordringens hatte den Ausbrnch des Uebels zurückgehalten. Jetzt bekam ich nervöse Kopfschmerzen, nnd fühlte mich am ganzen Körper matt nnd geknickt. Dieser Zustand, verbunden mit dem über-langen Ausbleiben der Briefe ans der Heimath, erzeugte Etwas, das mir sonst unglaublich erschienen — ich bildete mir böse Ahnungen ein, dasi den Meinigen ein Unglück zugestoßen. Da iibcrkam mich plötzlich der tolle Gedanke, Biscara sogleich zn verlassen, nnd zwar in der Richtung nach Eoustantine. Ver-geblich suchte ich durch Ueberlegung, Thätigkeit, Zerstreuung mein Gleichgewicht wieder herzustellen — die Angst und der Gedanke der Abreise kehrten immer zurück! Endlich glaubte ich einen .s,a»ptschlag auszuführeu: ich miethete eine Stube in einer Art Ilöwi ^arni, am Hauptplatzc des Städtchens, wo auch mein Landsmaun, Herr I)i-. Vnvry, Quartier genommen, und zog am dritten Abend dort ein. — Was ich trotz solches Zustands Wisseuswcrthes beobachtet, werde ich ohne Rücksicht auf die Zeitfolge zusammenstellen, da es sich um bloße Spaziergäuge handelt. Ich will noch voraus-schicken daß während meines ganzen Aufenthaltes in Viscara das Wetter warm, hell und trocken war, jedoch vom dritten Tage an (wo auch mein Leiden begann) sich ein ganz eigentbinn-licher Nebel einstellte, den ich vieluiehr eine Verschleierung nennen möchte, so dünn und gleichmäßig lag er über der Gegend. Der 352 Das französische Viscara. Himmel erschien mich jetzt noch blau, aber blässer, als zuvor, und der Sonnenschein weniger glänzend. Es war etwas uuangcnchin Drückendes in dem Anblick, Daß es schwül gewesen, kann ich nicht sagen, aber erfrischend war die Atmosphäre keinesfalls, — Das französische Biscara ist ein unbedeutender, aber regel-inäßig gebauter und reinlicher Ort, mit ziemlich breiten, sich rechtwinklig durchschneidenden Straßen und viereckigen Plätzen. Die Häuser sind weiß angestrichen, meist zweistöckig, mit Tcr-rasscndach, und erhalten hierdurch, und durch die Lage der Fenster nach der Straße heraus, ein halb afrikanisches, halb europäisches Anschn. Daß viel Eingeborene hier wohnen, glaube ich nicht; die Bevülkeruug besteht wesentlich aus Europäern mehrerer Na-tionen, und afrikanischen Juden; ihre vornehmlichc Beschäftigung ist der Kleinhandel. An Kram-Läden aller Art ist daher krin Mangel; man sieht auf den ersten Blick, daß die Garnison die Haupt > Abnehmer liefert. Alles war (während meiner Anwesen-heitj still nnd gedrückt, die Gesichter sprachen deutlich von Miß-behagen und schlechten Geschäften. Es ist etwas Tranriges um einen Kaufladen ohne Kunden, in wie viel höhcrem Grade mußte mich eine ganze Stadt von leeren Läden betrüben! Die Stille eines Dorfes oder Landstädtchens hat etwas Befriedigendes, selbst Erquickendes; aber das Wesen des Handels verlangt Leb-haftigkcit, nud eine todte Handelsstadt ist dreifach todt zu nennen. Bei meinen Erkundigungen über Sidi Ofba lernte ich einen deutschen Handelsmann christlichen Glaubens kennen, dessen eigen-thümliche Schicksale, als Beispiel für die Regel in Algerien, wohl Erwähnung verdienen. Mit einem bedeutenden Eapitalc vor langen Jahren nach Algier gegangen, hatte sich Herr H. mit einem Eisässer Juden associirt, um Handels- nnd Vankge-schäfte zu betreiben. Trotz des guten Erfolges trat aber H. aus der Gemeinschaft, wahrscheinlich, weil ihm der Jude zu überlegen Collecte für Jerusalem. 353 war; und während dieser sich bald znm ersten Banquier Algier's emporschwang sals welchen ich ihn persönlich kennen gelernt hatte), verlor H. scin Geld in allerlei Spekulationen, zuletzt im Häuser, ban zu Philippeville. So war er denn jcht von der Hauptstadt zn dein elenden Provinzialstädtchen, und vom Banqnier znm geringen Kränier herangekommen. Herr H. war damals wohl der einzige deutsche Ansiedler in Viscara. Der stattlichste Laden, den ich sah, gehörte einem afri-kanischen Juden, und enthielt fast nnr Schnittwaaren. Als ich mich in demselben mit einem jungen Manne über die Juden der Oase unterhielt, trat ein stattlicher Orientale in sehr dunkler, eigenthümlicher Tracht mit mehreren Andern herein. Jener wurde mir als cm Rabbi aus Jerusalem vorgestellt, der im Lande herumreise, um Beiträge für seine bedrängten Brüder in der Heiligen Stadt cinznsammeln. Auch ich ward aufgefordert, mich zu bethciligen; und obgleich der Verdacht vor Unterschlagung mich Anfangs zurückhielt, so mußte ich doch znletzt dem Drän-gen nachgeben. Mein Name und Beitrag wurden in hebräischer Schrift auf eine Liste eingetragen. Es machte einen eigenen Eindruck auf mich, in der fernen Sahara für die Juden in Zion beizusteuern. Diese Collectcn für die Heilige Stadt haben einige Achn» lichkeit mit den Geldspenden für Rom, zumal im Mittclaltcr; ja sie umfassen noch einen weit größeren Nauni des Erdkreises. Alljährlich werden Rabbiner von Jerusalem nach allen Himmels« acncnden ausgeschickt, nnd kehren nach oft jahrelanger Abwrsen-hcit mit reichen Spenden zurück. Wo Juden wohnen, wird für Jerusalem gesammelt, und Juden wohnen bekanntlich so ziemlich überall. Daß die Gaben nöthig sind, weih Jedermann; denn in der einstigen Königsstadt leben Tausende von armen Glüu-bigen, die in ihren alten Tagen sich von Osten uud Westen, von Norden nnd Süden dorthin begeben, nm in geweihter Crde Hirsch, Algerien, 23 354 Illdijche Disputanten. bestattet zu werden; ohne die milden Beiträge würden sie ver« hungern. — Anßer den Sammlern für Jerusalem zieht aber fortwährend noch eine Menge anderer Schriftgclehrtcr durch die ganze Juden-heil, die nur für sich selbst sammeln. Sobald sie in einer Ge-meinde eingetroffen sind, disputiren sie in talmudischer Weise mit den einheimischen Gelehrten sdcrcn es überall unter den Juden auffallend viele giebt), nnd wohnen und essen oft wochcu-lang bei den Wohlhabenden und Reichen. Beim Abschied er-halten sie noch Geschenke, und diese fallen bei den geschickten Disputanten sehr reichlich alls. Mein Goldschmied zu Medca wollte wissen, daß die Eifersucht der einheimischen Chachamim sWeiscu) die Geschenke so bedeutend mache, nm die siegenden Frem< den so bald als möglich loszuwerden, oder zur Schonung gegen sich zu veranlassen. So kannte er einen jungen Rabbi, der in der Stadt Algier allein mehrere tausend Franken erhalten hatte, nnd damit das ausschweifendste ^cbeu führte. — Neuerdings ist ein Phänomen dieser Art vor die deutsche Lcscwelt getreten, in dem Rabbi Brnjamiu. cmeui jungen Polen, der einen großen Theil von Asien und Afrika durchwandert hat, mit der vornehm-lichen Absicht, die Ucberreste der „Zehn Stämme" (des Reiches Israel) aufzusuchen. Die herumziehenden Rabbiner scheinen meistens aus Polen zu stammen, dessen jüdische Bewohner sich ja bekanntlich durch großen Witz und Geistesschärfe selbst nnter ihren Glaubensgenossen hervorthun. Trotz des nicht geringen Verkehrs mit ihren Stammgcnossen waren doch die Iudeu-Gemeinden der Oasen in einem kaum minder verwahrlosten Zustande, als die ncn aufgefundenen Juden-Colonicn in Ehina. Sie hatten fast nur die negative Seite ihres Glaubens bewahrt: die Absonderung von den Andersgläubigen, wie dies sich im Orient bei allen Sekten häufig findet. Bon geregeltem Gottesdienst. Einhaltung der meisten Gebräuche, und Em Kuloglu. . Z55 Kenntniß der Heiligen Schrift war hier keine Rede. Erst in den letzten Jahren wurde mit der Organisation dieser Gemeinden dcr Anfang gemacht, und besonders die heiligen Schriftrollcn geliefert. Der (europäische) Ober-Rabbiner von Algier ist Präsident des Consistoriums, nnd damit geistliches Oberhaupt aller Israeliten Algeriens. Er hat sicherlich scinesthcils diese Unterstützung au-geregt oder gefördert. So klein und arm der Ort ist, so wimmelt er doch von Kaffeehäusern, die sich zwar an Größe und Belebtheit nicht mit dem zu Bu-Ssada messen können, aber ganz nach derselben Art eingerichtet sind. Man fitzt auf den mit Matten belegten Vor-sprüngen der Wände, nnd trinkt den Kaffee ä. 1a, Nauros^ue. Zn jedem dieser Lokale gehört eine Anzahl Tänzerinnen, d. h. öffentliche Mädchen, sämmtlich von dem großen Nüstenstamm der Ulcd-Nail. Sie tanzen, gräßlich geschminkt und plump an-geputzt, nach dem betäubenden Klänge von Trommel und Pfeife, deren schwarze Spieler in einem Winkel hocken. Ihre Woh-nnngen, Höhlen des Lasters, befinden sich gleich mbcn dcm Kaffeehause. Ich trat am Tage in eins dcr Tanz-Lokale, nnd fand es sehr spärlich besucht. Ein junger Eingeborener, von angenehmem nnd wohlhabendem Aeußern, ließ sich mit mir in ein Gespräch ein nnd berichtete, er sei ein Kulogln, d. h. Abkömmling von einem Türken und einer Mnurin. Diese Mmschenklasse gilt als feig und besonders sittenlos; sie selbst halten sich für weit vornehmer, als die ungemischten Eingeborenen, da sie von den bisherigen Herrschern des Landes abstammen. Sie hatten aber niemals den geringsten Antheil an dcr Regicrnng; die Herr-schcude Miliz ergänzte sich ausschließlich aus dcr Türkei. Mein Gesellschafter war freundlich und gesprächig, nnd konnte sich recht gut französisch ausdrücken. Ich erfuhr von ihm, daß auch hier 23* 356 Die Dattelpalme, die Freudenmädchen erst nach der französischen Herrschaft sich niedergelassen haben und hauptsächlich lion den Soldaten leben. Ich besuchte ferner den Markt des Städtchens, der anf einem großen Platze zum Theil unter einer Halle gehalten wurde. Die Verkäufer waren ausschließlich Eingeborene, und die Hauptwaarc natürlich Datteln; übrigens herrschte auch lncr große Stille. Ich kaufte einen Korb Datteln der schönsten und größten Art^ um ihn den Meinigen mitzubringen. Die Datteln von Biseara sind zwar schon weit besser, als die »on den Steppen-Oasen, aber sie erreichen noch lange nicht die Bortresslichkeit derer von Tuggurt, Wcd-Ssuf und Nrfta (im Tunesischen). Es ist hier wohl der Ort, nm nach den besten Quellen das Wichtigste über die Gewinnung und Verwendung dieses „Brodes der Wüste" anzuführen. Die Dattelpalmen werden nicht aus Samen, soudem durch Steckreiser unter fortwährender Bewässerung gezogen. Zn sechs oder sieben Jahren hat der Baum eine Hohe von 8 —10 Fuß und fängt an, Früchte zu tragen. Hier, wie in Aegypten und Nubien, helfen die Eingeborenen der Befruchtung der weiblichen Vänme durch die männlichen dadurch nach, daß sie die mann-lichen Blüthen abbrechen und oben auf die weiblichen Bänme bringen. Ein unfruchtbarer Palmbaum erhält unterhalb des Wipfels einen oder mehrere Einschnitte, unter denen ein Gefäß angebracht wird, das sich sehr bald mit einer süßen Flüssigkeit, dem Palmwcin, anfüllt. Dieser Saft ist ein Lieblings- und Fcstgeträuk der Einwohner; destillirt wird er zu einem sehr star-km Liqueur und ist als solcher ebenfalls sehr beliebt, Sechs Wochen bis zwei Monate rinnt der Saft, nimmt aber täglich an Menge ab; darauf schließt man die Wunden mit Sand, ucr-bindet sie, und oft, wie die Araber behaupten, macht diese Operation den Baum fruchtbar. So lautet dir Augabc von Dattel-Ernte. 357 Danmas; der Botaniker Guyon berichtet im Gegentheil, daß dcr Baum nach der Saftentziehung verkommt und stirbt. Die Dattclfrncht hängt bekanntlich in großen Tranben vom Wipfel herab nnd gewährt dnrch ihre Größe,'Form und goldige Farbe, im Verein mit den stolzen Blättern, einen prächtigen labenden Anblick. Man sieht hänfig Trauben von zwei Fnß Länge und einem Fuß Breite, an denen eine Unzahl fnßcr Dat-teln Ht, gewiß die größten Trauben, welche die Erde hervor-bringt. Vor der Reift ist ihre Farbe hellgelb, nach der Reife fast dunkrlbrann. In diesem frischen Znstandc bleiben aber die wenigsten Datteln, obgleich sie sich vortrefflich halten; die Ein-geborenen ziehen dic getrockneten vor, nnd diese sollen zehn oder zwölf Jahre ansdauern können. Das Trocknen geschieht in dein Borrathsraum, der keinem Hanse der Oasen fehlt; anf Fach-werk liegend, verlieren die Datteln allmälig ihren Honig nnd lassen ihn durch kleine Rinnen ablanfcn. Die Ernte fällt in das Ende des Oktobers (im Süden) nnd in den Lanf des Novcm-Hers; wie schon erwähnt, kehren die Beduinen um diese Zeit ans dem Teil znrnck, nni an der wichtigen Ernte Theil zu nehmen. Wir Cnropäer, die wir sämmtliche Baumfrüchtc nnr als Erfrischungen betrachten, vermögen nns sehr schwer eine Vor-stcllnng von dcr Bedeutung zu machen, welche die Datteln fnr die Bewohner des ganzen ungeheuren Wüstengnrtels vom At-lantischen bis zum Indischen Ocean seit Jahrtausenden besitzen. Ehrt die Palme/ sagt der Koran, „wie eine Vatersschwestcr." Sie soll, ebenfalls nach einem Ausspruch des Propheten, vom Schöpfer ans dem Reste des Lehms gebildet worden sein. ans dem er den Menschen geschaffen hatte. In der That ist die Dattel das tägliche Brod der Saharier, nnd dcr Ausschuß dient sogar znm Fntter fnr die Kameele, Maulthierc nnd Pferde. Aber weder Thier, noch Menschen können die Datteln auf die 358 Dattel-Handel. Dauer ohne Znmischung vertragen. Bei den Thieren besteht dieselbe in Gerste oder einen» Kraut, 86k8l"a genannt, bei den Menschen in Käse, Milch. Brodkuchen (flotte) nnd Knskussn. Aber anch so noch soll die Dattel die Zähne regelmäßig ver-derben. Der Handel mit dieser Frucht ist bei weitem der wichtigste, nicht blos für die Sahara, sondern für die ganze Berber«: die südlichen Oasen versorgen zum Theil die nördlichen, die nicht genügend prodnciren, versorgen alle Bcdninenstämme, die Be-wohner des Tells, nnd führen noch große Massen nach Europa ans. Man transportirt die Datteln in großen Säcken, Tellis genannt, ans Pfricmenkraut geflochten, wovon ein Maulthicr zweie trägt. Seit unvordenklicher Zeit, berichtet Guyon, gelten zwei Tellis Datteln ein Tcllis Weizen; niemals hat sich darüber zwischen dem Nomaden nnd dem Bewohner des Tcll ein Streit erhoben. Dasselbe, fügt er hinzu, ist der Fall mit den übrigen Tauschgegenständen, deren gegenseitiger Werth seit langer Zeit unter den Tauschenden eine abgemachte Sache ist. Gnyon läßt unerwähnt, wo denn diese Tauschwcrthc gelten; da indeß aller Tausch zwischen Sahara nnd Teil auf den Landmärktcn des letzteren abgemacht wird. so scheint diese Bcstimmnng nicht frag-lich. Dem widerspricht nun aber völlig, daß nach der „Nxpio-i-ation soientM^uo äe I'^i^i-is", einer officicllm Samm» lung, im Tcll eine Last Datteln zwei Last Weizen werth ist, wäh. rend in den Oasen gleich nach der Dattclcrnte das umgekehrte Verhältniß stattfindet, also dasjenige, welches Gnyon anführt. Hieraus ergiebt sich die Höhe der Transportkosten und des Handelsgewinnes; auf jeden Fall aber bleibt die Stetigkeit des gegenseitigen Tanschwcrthes ein sehr merkwürdiges nnd seltenes Faktum. Man kann es nicht anders erklären, als durch die An-nähme, daß beide Ernten im großen Ganzen sehr geringen Schwan-klingen unterliegen. In den Oasen selbst ist dagegen der Geld- Dattel-Preise. 359 werth dcr Datteln nach Zeit lmd Ort äußerst verschieden. Ich gebe folgende Notizen nach Carctte. Ini Herbst, im Augenblick der Ernte, hat man 30—40 Maß (Hatia) Datteln für 1 Rial-Bndschn (1 Fr. 80 E.), im Sommer steigt der Preis, cr er-hebt sich mitunter zu dem Verhältniß von nur 10 Maß für 1 Budschu, aber er erhält sich gewöhnlich in dem von 15 bis 20 Maß. Daraus ergicbt sich der höchste Preis dcr Hatia Datteln zu 18 Cent., der niedrigste zu 5 Cent. und dcr mittlere zu 7^—10 Cent. Selbst dcr mittlere Preis ist also schon doppelt so hoch, als der Preis unmittelbar nach der Ernte: eine Steigerung, die im Occident beim Getreide ganz unerhört ist, nnd den elenden Zustand dcr saharischcu Volkswirthschaft darlhut. Sie kann nämlich nnr daraus entstchcn, daß bei weitem nicht genug Capital vor» Handen ist, um die Ernte vollständig aufzuspeichern, von der da-her ein großer Theil gleich Anfangs verschleudert wird. Die vcrhältnißmäßig wenigen Capitalists, welchc die Datteln auf-speichern, verdoppeln und vcrdreifachcn ihr Capital in ciuigcn Monaten, und die armen Leute müssen einen weit höheren Preis bezahlen, als der Erfolg der Ernte eigentlich bedingte. Achnliche Zustände, ihr Schreier und Lästerer, würden auch bei uus zur Regel werden, wenn dcr sogenannte Kornwuchcr nicht den Segen der Ernte auf das ganze Jahr zweckmäßig vertheilte! Gemäß der schwierigeu Communication und dcr verschiede« nm Fruchtbarkeit dcr ciuzclueu Oasen, sind auch die Preise der Datteln in ihnen nicht übereinstimmend. In Naregla sind sie am billigsten, im Westen davon sind sie theurer wegen dcr ge> ringcrn Production, im Osten wegen des größeren Absatzes. So ist in Ncfta sTnuis) in guten Jahren die Hatia 22 Cent. werlh. Ueber die südliche Grenze Algeriens hinaus werden die Datteln, obgleich besser, doch billiger, so z. V. zu Insalah (Oase Tuat) in der großen Wüste. Fast die ganze Ausfuhr nach 360 Gärten von Biscara. Europa geht, selbst von den algerischen Oasen, über Tunis, wel-chcs überhaupt, trotz seiner Pascha-Herrschaft. einen bei weitem größeren Handel treibt, als seine Nebenbuhlerin Algier. Mir den algerischen Binnenhandel ist die Oase Tuggnrt der wichtigste Platz, dessen Einwohner bedeutenden Wohlstand und in Folge dessen Cinftuh auf die umliegenden Oasen und Wüsten besitzen. Um mit der Stadt Biscara zu schlichen, will ich noch er< wähnen, daß sie durch den großen wüstcu Platz, dcu ich mehr-fach crwähut, von der Citadelle, Fort St. Germain genannt, geschieden ist, und sich von dieser Seite durch die Häuserreihe mit Arkaden, sowie durch das Elubgcbäudc und semen Palmen-garten recht stattlich ausnimmt. Dem lchtcrcn entgegengesetzt befindet sich das Flußbett, das aber in der Nähe der Stadt ganz wüste Ufer hat. Ich fand dort hinaus einige Zelte reisen-der Eingeborenen aufgeschlagen, und sah die Abreise auf Kameelen, von denen eins die weibliche Familie in dem rigenthüm-lichen verdeckten Sattel davontrug. Dieser Satte! ist am besten mit einem ganz kleinen Zelte zu vergleichen. Es ist ein gar enges Obdach und eine europäische Dame würde schwerlich lange darin aushalten. Beim Weitergehen stieß ich bald auf einen sehr laugen, aber schmalen Strich von Palmengärten, auf dessen gekrümmten Pfaden es mir weit besser gefiel, alo iu den graden Straßen der Stadt. Zwar fand ich hier keineswegs ein so malerisches Gemälde, wie das FInßbrtt zu Bu-Ssada darbot, da das Wasser hier nur in kleinen Eauälen anzutreffen war. Das Ganze aber übertraf die anderen Oasen durch größere Einheit und Natur-lichkeit; denn hier trennten keine häßlichen Lehmmauern einen Garten vom andern, uud die eigentlichen Gärten wechselten mit nicht unbeträchtlichen Wiescnstücken. deren frischgrüner Tcppich mit tausend bunten Frühliugsblümcheu gestickt war. Stun-denlang wanderte ich einsän: in diesen stillen Hainen, pflückte Neger-Stillleben. 361. Blumen, und frrntr mich, wenn in glücklichen Zwischenränmen meine Sorgen und Zweifel schwiegen, dcr seltsamen Staffage. Cin erwachsend Negcrmädchen, dem cm kleineres znr Seite stand, verfertigte kniend ans und auf dem Boden selbst einen irdenen Napf; wohl eine Viertelstunde sah ich ihr zu, ohne daß sie sich dadnrch genircn ließ. Wie erstaunte ich über die unsägliche Mühe, die das Mädchen anf ein so einfaches Grfäß verwandte, nnd womit sie doch nichts Rechtes zu Stande dringen konnte! Immer wieder knetete sie dic schwarze, huuiose (3rdc niit grobem Sande, nnd fiug endlich den Klumpen zu formen an, alles ohm das gcrina.sk Werkzeug, Bald darauf erblickte ich mitten zwischen Palmen eine kcgcl-förmige Hnttc, von der Grüße nnd Art nnscrcr Köhlerhütteu, nur ans anderem Material. Cinc Negerin trat daraus hervor, und ging mit inniger Freude einem schwarzen Manne entgegen, der offenbar von dcr Ncisc kam. Die Begrüßung war Kon bcidcn Seiten so gefühlvoll, daß sie mich rührte; der Mann mußte sich am Buden niederlassen, und sogleich brachte ihm das Weib einen Napf voll Milch, und nahm neben ihm Plah, wor-anf sie sich eifrig unterhielten. Die Scene war zugleich so fremd und so heimisch, so neu nnd so längstbckannt. daß ich nicht wußte, ob ich mich an den Niger oder an die Elbe versetzt glanbtc, und jedenfalls den innigsten Antheil nahm. Wie gern hätte ich mit den schwarzen Brüdern gesprochen, erfahren, in welcher Weise sie verwandt, woher der Manu des Weacs gekommen, und ob er hirr bleibe, oder weiter wandere; was sein Geschäft, seine Lebensweise, seine Abkunft, seine ssa-milk, wie er über die Araber, über die Franzosen denke, und ob er Sehnsucht fühle nach den rnthsclhaftcn Fluthen des großen Nigersttomes, wie ich nach den wohlbekannten Wassern dcr schiff, belebten (5!bc? Es wäre doch ein herrliches Ding um eine Uni-versalsprachc! ^ Nicht weit davon stand eine ähnliche Hütte. 362 Ackerbau in der Oase. gleichfalls von Negern bewohnt; diesen Naturmenschen sind selbst die leichten lind einfachen Häuser der Berbern noch zu luxuriös, nnd sic verpflanzen daher die Laubzcltc ihrer Hcimath in dies doch viel kältere Klima. Uni diese letzte Hütte spielten zwei fast nackte Kinder, nnd ein Mann war mit Holzhanm beschäftigt. — Im übrigen traf ich sehr wenig Menschen in den Gärten, lind Wohnungen keine. Ich kam auch an den Rand des Palmenhains, der dem „tsg.räin l!'688ai" gegenüberliegt, nnd konnte nun die Beschaffen-hcit des zwischenliegendcn Landes genauer betrachten. Es war gänzlich angebant, doch ein großer Theil schien, nach seiner gel-ben Farbe nnd festen Beschaffenheit zu urtheilen, erst neuerdings urbar gemacht worden zu sein. Der ganzc Boden, sonst durch, aus eben, war zum Behufe der Bcwäfsemng von erhöhten Strei-fen in entgegengesetzter Richtung durchzogen-, die Hauptstreifen gingen meist auf den Versuchsgartm zu, und theilten das Land in eine Menge paralleler und schmaler Beete, welche dnrch die Qucrstreifen wieder in kleinere geschieden wnrden. Innerhalb dieser sind wieder die Furchen sichtbar. Die Höhe dieser Strei-fen nnd Furchen war sehr verschieden; in der eigentlichen Oase, d. h. wo die Palmen wachsen, warm sie viel höher, als in den Feldern. In den Gärten der übrigen Oasen hatte ich dasselbe bemerkt; doch war auch das Feld um die Oasen meist höher gestreift, als hier. Das hiesige Ackerland, schon allein nach dieser Richtung, ist sehr bedeutend, und soll nach Aussage des Garten-Dircktors mit der Zeit gegen die Berge hin noch immer mehr ausgedehnt werden. Ein großer Theil war noch nicht geackert; aber überall wurde Getreide gebaut; was ich säen sah, war Gerste. Mehrcrc Grä-ben dnrchzichcn das Feld, mit ziemlichen Windungen, doch im Ganzen geradlinig; sie find von ganz niedrigen Dämmen ein-geschlossen und alle leicht zn überspringen: ihre Breite mag 2^ Pflug und Pfliiger gßg bis, 3 Fuß betragen. Das Wasser ist grau-weißlich, und man sieht den Grund nicht; das Bette scheint sich nach unten zu ver-engen. Dieses Wasser, so wie sämmtliches iu der Oase, ist aus dem Flusse abgeleitet; die Haupworrichtung dazu befindet sich dicht vor dem Fort St. Germain, welches damit das wichtigste Gut der Oase in seiner Gewalt hat. Am Rande der großen Oase säeten und pflügten zwei Ein-geborene, denen ich längere Zeit zuschaute. Sie trugen beide eiuc verblichene rothe Schaschia, und ein schmutziges, weißwollcncs Hemd als einzige Bedeckung, Beine und Füße warm bloß. Der Eine war mittelgroß, und zeigte?in gelbes, runzliges, narbiges Gesicht, schlechte Zähne und ganz schwachen Bart; er schien mir hoch in den Vicrzigeu zu stehen. Seinen sehr mwollkommencn Pflug zog ein weißes Maulthier mit struppigem Felle, häßlich, aber nicht schwach oder auffallend mager. Cs war in sehr roher Weise an den Pflug gespannt, nämlich mit zwei bräun, lichen Stricken aus Halfa, welche durch eine Art Halfter um die Schulter des Thieres befestigt warm. Die beiden Männer arbeiteten fleißig, aber mürrisch; ich brauche wohl kaum zu er-wähnen, daß zuerst gesäct, und dauu die Körner untergepflügt wurden, und zwar recht flach. Weiter sah ich, während meines ganzen Aufenthalts in den Ociscn, keine Landarbeiten. VIII. Von cker Wüste Lmn Meere. Allah, dem Gnabenhort, sei Preis und Dank, Mit zog er, als wir wanderten von Haus. Die Wallfahrt ist vollbracht, wir sind am Ziel, Nun schenkt er Nast uns, daß wir ruhen ans. Da auch durch das Miethen einer möblirteu Wohnung meine Unruhe nicht beschwichtigt wurde, so entschloß ich mich nach schweren Kämpfen am Vormittag des liierten Tages, Bis-cara zn verlassen. Der Ofsicicr des Luroan ar^de, obgleich sehr erstaunt über den plöMchcu Entschluß, willigte ein, mich bis Mittag mit einem Maulchicr lind Treiber zu versehen, und wünschte mir glückliche Reise. Meine wenigen Sachen waren schnell zusammengepackt; sehr pünktlich stand das Maulchicr vor der Thür; aber ach! statt Sattels hatte es nur einen Sack aus znsammengeknoteten Stricken über sich. Doch beachtete ich dies in meiner Ungeduld gar nicht. 3n die eine Seite des Sacks wurde mein Bündel gesteckt, in die andere das Futter, und nach-dem ich der Hanswirthin für die eine Nacht wohl die Wochen-miethe entrichtet s entschieden die theuerste (Hamdi e - ^ai-me Abreise von BiScara. 365 unter den vielen, die ich schon bewohnt), saß ich auf, und er-griff als Herrscher dm Strick, der zum Zügel diente. Es ging den bekannten Weg über den großen Plah und dnrch die Kas. bah. Alles war still und tramig; mein Manlthier trank noch einmal herzhaft alls dem Brunnen im Hofe, dann ging es dnrch's Thor, lind ich war im Freien. Ja, wirklich im Freien: zum ersten Mal seit vier Tagen lebte und dachte ich wieder! Die Wüste, die vor mir lag, er-schien mir weit köstlicher, als die prangende Oase mit all ihren Frühlingsblumen, Mit jedem der langsamen Schritte meines Thieres wurde mir leichter, freier, fröhlicher um's Herz. Der Kopfschmerz hörte auf, und noch war ich keine Viertelstunde von Biscara entfernt, als ich plötzlich an meine bangen Ahnungen dachte, und fand — daß sie verschwunden waren! Dennoch beschloß ich, in aller nur möglichen Eile Constantinc zu erreichen, nnd im Falle die erwarteten Briefe nicht vorhanden, oder nicht beruhigend wären, mit dem uächslen Dampfer nach Marseille zurückzukehren. Da ich am 8. Januar Biscara verließ, nnd schon am 13. Mittags das Dampfschiff segelte, und dann volle zehn Tage keius wieder, so mußte ich mich wahrlich beeilen. — Das merkte auch mein Maulthier vom ersten Augenblicke an durch unaufhörliche, unzählige Stöße und Schläge, die es zwar niemals zum Trab oder gar Galopp, wohl aber zu einem ziem-lich geschwinden Schritt veranlaßten. Mein Begleiter war ein junger, schlanker Eingeborener, mit angenehmen Zügen, nnd sehr willfährigem Benehmen. Unermüdlich schritt er hinter dem Maul-thierc darein, und machte durchaus keine Ansprüche an mich. Aber er verstand leider kein Wort französisch, sonst wäre der Ritt sicher nicht halb so langweilig gewesen. Die Gegend bis anf die Höhc gegen Cl-Utaja war mir neu, da ich sie auf dem Hinweg bei voller Dunkelheit durch-ritten; sie bot aber in ihrem wirren und wüsten Durcheinander I66 Verhandlung mit dem Spahi. von niedrigen Erdwellcn nicht das geringste Interesse. Sehr wohl ward mir daher, als die großen Verhältnisse der Ebene von El-Utaja und des Gebirges Aures wieder vor mein Ange traten. Das Wetter war glücklicherweise günstig, nämlich trocken und warm; obgleich die köstliche Heiterkeit des Himmels fehlte. Beim Hinabsteigen in die Ebene begegnete ich mehreren Reitern, und erkannte in dem einen derselben unsern Bekannten, den Limte-nant R., der nach Biscara zurückkehrte. Er war nicht wenig verwundert, mich schon unterwegs zu finden, und sagte mir, General Desvanx würde heut Abend in EI-Käntara übernachten. Ohne irgend weitere Begegnungen oder Vorfälle befand ich mich gegen ^4 Uhr in dem wohlbekannten Karawanserai von El-Utaja. Ich stieg ad, nm einen Imbiß zu nehmcu, uud war nicht wenig erfreut, im Hofe einen Spahi zu erblicken. Der Major in Biscara hatte mir nämlich mitgetheilt, ich würde unterwegs einen Spahi treffen, der einen Deserteur heute bis El-Käntara zn transportiren habe, und dem ich mich daher zu größerer Sicherheit am Abend anschließen könnte. Dies theilte ich dem Spahi mit, der besser französisch verstand und sprach, als unsere früheren Begleiter; wie groß und unangenehm war aber nieine Uebcrraschung, als er rundweg erklärte, er gehe heute nicht wei-ter; der Deserteur sei schon für die Nacht in die Eistcrne des Karawanserais hinabgelassen, und kurz, er bleibe hier. Meine Lage war höchst uubcfricdigend: zur Erreichung meines Reife-ziels war es nothwendig, daß ich noch heute bis El-Käntara kam — ich hätte sonst die herrlichen Trümmer von Lambessa nicht besucheu können; andererseits schien es mir doch ein zu großes Nagestück, ganz allein mit einem unbewährten, ja sogar des Weges unkundigen Führer durch die Dunkelheit einen vierstün-digcu Wüstcnmarsch zu unternehmen. Ich drang daher mit aller Entschiedenheit, nnd mit Auf- Dfchebel-Melh. 367 zählung aller Gründe in.den luidcrspenstigen Reitersmann; auch der Wirth nahm meine Partei, aber Alles scheiterte, bis ich auf den glücklichen Gedanken kam, den Spahi zu schrecken. „Der General Desvaux," schrie ich, „ist diese Nacht in ElMntara; er ist mein Freund nnd Beschützer z wenn Dn mich nicht be-gleitest, wie es das Vurnin arad« vorgeschrieben, so verklage ich Dich beim General, nnd die strengste Bestrafnng erwartet Dich!" Dies wirkte; der Deserteur wurde wieder aus seinem nnterirdischen Gewahrsam heraufgeholt, und auf cm Maulthicr gesetzt; der Spahi, obgleich noch immer brummend und finster, bestieg sein gutes Noß, und so brachen wir etwa eine halbe Stunde nach meiner Ankunft von El-Utaja auf; ich nicht wenig vergnügt über die gewonnene Sicherheit. Eine geraume Zeit noch blieb es hell; die Gegend, die wir durchzogen, war gänzlich wüst und sehr uneben; der Boden sah an vielen Stellen aus wie scharf gepflügte Felder nach dem ersten Froste. Sogar der Reif fehlte nichl, nm den Vergleich Vollständig zn machen; diesen Reif bildete das Salz, das wie angeflogen am Lehme saß. Ich hob einige Stückchen anf. und überzeugte mich durch Lecken von der Anwesenheit des Salzes. Stücken Salz fand ich dagegen nicht, obgleich sie in der Nähe vorhanden sein müssen; denn wir befanden uns am AbHange des Dschebel-Melh, des früher erwähnten reichhaltigen Salz-berges. Der Weg hatte den Charakter einer Heerstraße, den er in der Ebene El>Utaja ausweist, durch die bergige Beschaffenheit der Gegend ganz verloren, und glich eher einem Saumpfad. Er stieq von El-Utaja bergan, doch nur sehr allmälig, nnd wie nur vorkam, erreichten wir auf der ganzen Strecke zwischen den bei-den Oasen überhaupt keine große Höhe über dem Flnssc. Diesen hatten wir gleich bei El-Utap verlassen, und trafen erst nach geraumer Zeit wieder auf ihn. Gegen den Spahi war ich so frenndlich als möglich, nnd 368 Der Deserteur, brachte ihn auch bald in eine geselligere Stimmung, viel war jedoch nicht ans ihm herauszubringen. Es war ein großer, kräf. tigcr Mann, anscheinend über die Vierzig hinaus, der niemals lachte, übrigens gegen den Deserteur sich sehr milde bewies. — Als ich im KaraUanscrai zuerst von diesem Unglücklichen hörte, nnd von seiner Emsperrung in die Cisterne. da überlief es mich eiskalt, lmd ich fürchtete mich, die Noth nnd Verzweiflung, das abgehärmte Gesicht, und die schlotternden Glieder zn betrachten. Wie, dachte ich, muß einem Menschen zu Muthe sein, dem schon der gewöhnliche Dienst so drückend und nncrträglich erschien, daß er mit Lebensgefahr zn einem wildfremden Volke entfloh, und der nun wohl einer lebenslänglichen Einsperrung und Sklaverei, als Galeerensträfling oder Baugcfangcncr, sicher entgegensieht? Welche Angstblicke, welche Seufzer, oder noch schlimmer, welch stummes Hinbrüten der Verzweiflung werde ich stundenlang wahr-nehmen müssen! Man crmesse demnach meine Erleichterung, abcr auch mein Staunen, als ich in dein Deserteur einen jungen Menschen mit vollkommenem Glcichmuth, eher heiter, als traurig, antreffe; der wie ein etwas gelangweilter Reisender auf seinem Grauschimmel sitzt, mich unbefangen grüßt, und sich auf's An-gelegentlichste mit mir unterhält. Gleich Anfangs, als wir auf den Salzanflug kamen, er zählte er mir, daß er südlich von Biscara große Klumpen Stein» salz gesehen, und schenkte mir ein Stück davon, das ich aufbe-wahre. Ich war natürlich neugierig, seine Geschichte zu erfahren, scheute mich aber ihn danach zu fragen, da er sich nur gegen-über wic ein gewöhnlicher Reisegefährte benahm, Doch befreite er mich bald von allem Zwange, da er von selbst anfing, seine Schicksale auf die unbefangenste-Welse zu erzählen. Zum ersten Male war er in Frankreich desertirt, uud wie gewöhnlich in Folge dessen zum Strafbataillou in Afrika verseht. Diese Truppe entspricht ziemlich der „Zweiten Classe" im preußischen Militär; Geschichte des Deserteurs, 369 nur mit dem Unterschiede, daß sie zum Kriegfi'chren in Afrika verwandt wird. Mein Gefährte descrtirte von ncnem bald nach seiner Ankunft in der Kabylie, schien jedoch damals sehr gut davongekommen zll sein. Bei der mehrfach erwähnten Expedition nach Tuggurt, und zwar anf der Rückkehr, bemächtigte sich der böse Geist der Desertion des Unglücklichen znm dritten Male. Ms ich etwas zurückgeblieben." so erzählte er, „bemerkte ich eine Gruppe Dattelpalmen, die mich mächtig anlockte. Ich begab mich dahin und ward von dort lagernden Arabern freundlich anfgenommcn. Es dauerte aber nicht lange, so kam eine Pa> tronille und verhaftete mich als Deserteur." Es war höchst auffallend, daß der junge Mensch sein Bcr-brechen keiucswcges bcmäutclte, oder auch nur erklärte, weder durch schlechte Behandlung, noch dnrch ungenügende Kost; ja in dem letzten Falle schien er nicht einmal etwas gethan zu haben, um sich den Nachsuchnngen zu entziehen. So uuchte ich an-nehmen, daß hier ein Fall jener merkwürdigen Neigung znm Unerlanbtcn, Extravaganten vorlag, welche die Strafrcchtslheorie fo sehr beunruhigt. Vor dem Todesnrthcil hielt sich der Soldat für geborgen, aber ganz sicher stand eine langjährige Kettenstrafc Vor seinen Augen. „Es thnt mir nur um meine Eltern leid/ fügte er etwas gerührt hinzn. Ich mußte mich wundern, daß der Verbrecher gar nicht gefesselt war, ja sogar sein eigenes Manlthicr zum Transport erhalten hatte. — Bei anbrechender Dunkelheit hatten wir znm ersten Mal den Wed - el. Käntara zu überschreiten, selbstverständlich ohne Brücke, was für mcimn Trei« ber jedesmal bedcntcnde Umstände machte. Ich ließ denselben übrigens von Zeit zu Zeit auf meinem Thiere reiten, nnd zwar — ein offenes Gcständniß — weniger ans Mitleid für seine Glieder, als für die mcinigen, denen die oben beschriebene Sorte von Sattel auf die Länge zur Marter wurde. Der Abend war sehr trübe, so daß ich meist keine Spur Hnsch, «Mien. 24 370 Ankunft in ElKäntara. vom Wege sah und Gott dankte, daß ich dem landeöüindigcn Spahi nur zu folgen brauchte. Das Land, so viel war auch bei der Dunkelheit zu erkennen, dehnte sich öde und wüst, nnr cui dm Ufern des Flusses fand sich eiuc dürftige Vegetation. (3s ward immer dunkler, und begann zu regnen, so daft selbst unser Spnhi des Weges nicht mehr ganz sicher war. Wir hatten den Wed noch einmal zu durchwaten; der Ritt schien kein Ende nehmen zu wollen. Endlich erschienen Lichter, nnd wir hielten alsbald nnsern Einzug in das Karavanserai von El-Anntara. Es war acht Uhr, etwa vier Stunden nach unserm Abmarsch von El Utaja nnd acht Stunden nach meinem Ausritt von Viscarn. Das Karavanserai entsprach wesentlich dem von El-Utaja, nur schien es mir geräumiger zn sein, was auch erklärlich wäre dnrch seine größere Bedeutung als Wcghälfte nnd regelmäßige Nachtrast zwischen Batna nnd Biscara. Auf dem Hofe sowohl, als in den Gebäuden ging es recht lebendig zn. Ich übergab mein Manlthicr seinem Treiber und trat in einen langen Saal zn ebener Erde, wo die Officierc so eben gespeist hatten, Vor allen Dingen ließ ich mich beim General anmelden; ich wnrde sogleich in fein kleines nnd einfaches Zimmer geführt und freundlich von dem noch jungen Manne empfangen. Er hatte seit seinem Abmarsch von Biscara mit der ganzen Kavallerie eine Excursion nach Westen gemacht, wahrscheinlich nm zweifel-hafte Stämme zu schn'cken nnd ihre Abgaben cwzutreibm. So kam es, das; er noch jcht in El>Kiwtara lagerte. Er forderte mich anf, seine Colonne, die morgen früh gen Norden aufbreche, zu begleiten. Ich entschuldigte mich aber mit meiner großen Eile, die mich nöthigte, den nächsten Abend in Batna einzutreffen. Daher bat ich ihn, mir zum Schuhe den Spahi mitzugeben, der mich hcnt Abend begleitet, und dies sagte er bereitwillig zn. Bald darauf ging ich anf einem Lager, das man mir am Boden des Speisesaals nothdnrftig hergerichtet, zur nächtlichen Ruhe. — Letzter Morgen in der Sahara. 371 Wie wohl war mir, als ich in der Dämmerung des nächsten Morgens ans ercmickendcni Schlummer geweckt wurde, und die Aufgabe des Tages su bestinnnt, ft unzweifelhaft vor mir lag! Eine seltsame Veränderung war es freilich, die mit mir vorgegangen! wie hatte ich mich die ganzen Wochen vorher nach der Wüste, nach den Oasen gesehnt, wie hatte der Magnet meines Strcbens unverwandt nnd unwiderstehlich gen Süden ge-wiesen! Und jel)t steuerte ich nach Norden, wenn anch nicht mit Sehnsucht, doch ohne Zwang nnd Widerwillen, ja mit Freudigkeit. Die Sahara erschien mir heute noch einmal in aller Pracht ihrer bizarren Schönheit; sie hatte dic höchsten Reize auf den Abschied vnspart, und vermochte mir doch den Abschied nur zu versüßen, nicht zu erschweren! Anzug nnd Frühstück waren bald beendigt, nnd um 7 Uhr, als eben die Sonne am blauen Himmel aufstieg, führte der Treiber das Maulthicr vor. Das Aufsitzen bot mir keine gc-ringcren Schwierigkeiten dar, als das Besteigen des geflügelten Pegasus dem größten Theile seiner Reiter; der breite, ungefüge Packsattel verhinderte das Ueberschwingen, lind so mußten häufig Bänke, Kisten n. dgl. aushelfen. Gewöhnlich aber faßte der Treiber meinen linken Fuß, und hob mich damit in dio Höhe; entfaltete dabei aber mitnnter solche Kraft, daft ich ver-möge des Schwungs auf der andern Seite wieder auf dm Bo-den kam. — In der Meinung, der Spahi fei etwas voraus-geritten, begab ich mich in's Freie, und fand die ganze Reiterei in der Nähe des Karavanserai schon in Marschordmmg. Kein einzelner Rothmantel war zn erblicken; als ich aber zu den statt» lichen Schwadronen kam, die ich schon bei ihrem Abmarsch von Biocara bewundert, sah ich meinen Knmpan ganz unbefangen in Reih' nnd Glied halten. Nun wollte der widerspenstige Mensch sogar meiner Aufforderung Anfangs nicht folgen; erst 24* 372 Eingaug dc« Engpasses. als ich wieder mit dem General drohte, versprach er im größten Un-m»th, jenseit des Engpasses sich mir anzuschließen. Ich ritt nun eilig voraus; die Straße, hier wieder breit und stattlich, zog sich allmälig bergan, und gewährte mit jedem Schritt eine weitere nnd schönere Unisicht, Rechter Hand und im Rucken, so weit das Auge reichte, die baarc Wüste; zur Linken aber die zerstreuten Erdhütten und kräftigen Palmen der Oase, und im Angesichte die hohe und schroffe Bergkette, welche dic Sahlira schließt. Das Nild der Oase veränderte sich fort-während, nnd wurde immer schöner, Anfangs überwogen die unscheinbaren grauen Hütten, hinter denen dic Palmen nur ver-stöhlen hervorguckten; dann aber traten die lehtcren auf ihrem grünen Boden immer mehr in den Vordergrund; das Gemälde belebte sich durch das Hervortreten des gewundenen nnd rasch, strömenden Flüßchcns. gewann durch den höheren Standpunkt des Beschauers, und rahmte sich ein durch die Bcrgschlucht, in die es allmälig verlief. Beim Eintritt in den Engpaß wurde der Anblick bezau-bernd, hinreißend schön. Der schroffe, wilde nnd riesige Berg-spalt. mit seinen fast nackten Wänden und tiefen Schatten ließ die an sich schon so große Lieblichkeit der Palmeninsel inmitten des Wüstenmeeres mit doppelten Reizen hervortreten. Die be-deutende und üppige Oase lag ganz zn meinen Füßen; die letz-ten Hütten verbargen sich wie schamhaft unter den ragenden Palmen; noch Häher hinanf füllten diese in immer schmälerem Saume nnd immer reicheren Formen mit dem schäumenden Bache die Spalte ganz ans. So weit nur irgend möglich, dräugm sie sich dem geliebten Vefruchtrr entgegen, wie um ilm schon nor seinem Eintritt in die neue Welt zu begrüßen. Der Wed, gleich einem rechten Vergstrom, rollt hier über Fclsgcstcin, das er thcilwcis unbedeckt läßt; die Palme, die ich bisher nur als Baum der Fläche gekannt, klimmt kühn den Abhang hinan, nnd Rückblick auf die Oase. 373 verliert auch hierbei ihre unvergleichliche Anmuth nicht. Schaute ich zurück, so breitete sich der Horizont plötzlich in's Unendliche; die tiefgclbc Wüste endigte in niedrigen, bläulichen Höhen. Von der finstern, engen Bcrgschlucht, von der wüsten, weiten Fläche wandte sich mein Auge immer wieder zu dem grünen Idyll der Oase: war es ja doch das letzte Mal für lange Zeit, vielleicht für mein Leben, daß der schlanke Wuchs und das fremdartige Laub der Palmen meinen Blick erfreute! Der Engpaß von El-Käutara ist das Hauptthor der Sahara; für die meisten Europäer zum Eintritt, für mich zum Austritt. — herrlich, von überwältigender Neuheit und Freudigkeit muß der Aublick für den nordischen Fremdliug sein, der hier zum ersten Mal in das Zanbergebict der Sahara eingeht. Seit Con> stantinc hat er drei Tage lang ein gänzlich baumleeres, großen-theils unbewohntes und langweiliges Gebiet durchzogen; die Berge ohne alle Großartigkeit oder Schönheit der Formen, die Thäler ohne Grün, ohne Wiudnngcn und Anban; nirgends Leben oder Abwechslung, Hundertmal fragt er sich: ist das der gepriesene afrikanische Voden? und wie muh die Wüste beschaffen sein, wenn diese Einöde ihr als Fruchtland entgegengesetzt wird? Gegen Abend des dritten Tages gelaugt er ermattet und fast verzweifelt in eine wilde Schlucht; am Eudc derselben, so heißt es, wird er die Wüste erblicken. Wenigstens doch etwas Nencs! denkt er; aber wie tranrig muß der Anblick sein, wie erschreckend die Fortsetzung der Reise! Da plötzlich tritt er ans der unheimlichen Nacht des Eng-passes, und die Abendsonne beleuchtet mit purpurucn Strahlen ein bezauberndes Vild, voll Ueppigkeit, Aumuth, Reichthum nnd nngcahnter Fremdheit! Am Eingang der Wüste findet er den Inbegriff holder Fruchtbarkeit; der Palmen vergoldete Blätter-kronen winken ihm als schönes Reiseziel, nnd selbst die fernen Höhen strahlen in den köstlichsten Farben. Wer da, nach dem Z74 Kriegerische Staffage. ersten Aufschrei jubelnder Ueberraschung, nicht andächtig, bcsccligt niedersinkt, wenn auch im Geiste uur, nnd den Schöpfer in die-sem neuen Schmuck seines Gewandes inbrünstig anbetet, der hat das fühlende Herz im frivolen Welttrcibcn verloren! Auch ich.war entzückt und begeistert; aber es war dic Stimmung des Abschieds, nicht dic der ersten Begegnung. In vollen Zügen genoß ich die wunderbarste Stelle Algeriens, und gewiß eine der schönsten auf der gauzen Erde, Ich stieg Von meinem unbequemen Sattel, und stellte mich auf einen der vielen Steinhaufen, welche die hier sehr gut erhalteuc Straße gegen den steilen Abhang zu besetzten. Ein besonderes Glück schenkte mir die prächtigste Staffage zu dieser Wunder-Landschaft; die frau-zösischc Reiterei hatte sich in Bewegung gesetzt, und zog nun in langer Reihe znm Engpässe hinauf. Wie leuchteten im Sonnen-schein die vielfarbigen Gewänder, wie blitzten die Waffen, wie feurig schrittru die wohlausgemhtm Pferde! — Und, abgesehen von dem lebendigen, bunten Schauspiel, welche Erinnerungen weckten sie in nur! Nie diese hier, so waren schon vor zwei-tausend Jahren europäische Krieger desselben Weges gezogen. Durch den Engpaß von El-Mntara führte die große römische Heerstraße von Eirta nnd Lambcssa nach Gätulim und Zcbe. Diese Straße hatten die Legionen gebaut; weiterhin sieht man noch deutlich die alten Fundamente, nnd die Brücke am nördlichen Ausgaugc der Schlucht ist ein vollständig erhaltenes Numer-Werk. An der Stelle, wo ich zurückschauend stand, erblickte vielleicht der kühne Marius zum ersten Male die Oasen, das südlichste Ziel seiner Siege! Aus solchen Betrachtnngcn weckte mich (was meinem Bor-ganger Marius keinesfalls hätte pafsiren können) fchr unsanft eine Patrouille Spahis, die letzlcn der Colonne, indem sie mich aufforderten, weiter zu reiten, da der Aufenthalt hinter der Co-lonnc verboten sei. Ich erwiderte vergebens, daß ich ein selbst- Schlucht von El-Kilntara. 375 ständiger Reisender sei; sic verschärften dic Anffordernng, und ich niiißtc weichen. Noch einmal warf ich einen tiefen, liebe-«ollen Blick ans die Wüstenberge, die Erdhütten nnd die Pal-men, als wollte ich ihre Gestalten nnd Farben unverlierbar in mein Gedächtniß fassen. Und wirklich sind sie darin geblieben, wie Inwelcn im wohlverwahrten Schrein; ich branchc nnr zn öffnen, nnd herrlich strahlen sie mir entgegen! Sollte cs mirden° noch nicht gelungen sein, dem geneigten Leser einen Abglanz davon zn verschaffen, so ist meine Feder eine nntrcnc Magd, die das Anvertraute der Herrschaft nicht richtig auszahlt. — So ritt ich denn ein in die düstere Schlucht, die durch großartige Wildheit einigermaßen das Auge für dic verlorene Pracht entschädigt. Sie ist so schmal, daß mir der Wed in ihrem Grnndc Platz findet, die Straße aber künstlich am Abhang gebahnt ist; die Wände sind nicht ganz senkrecht, wir in einigen. Schluchten der Alpen und Pyrenäen, aber doch sehr schroff, gänzlich kahl nnd an beiden Seiten von ziemlich gleicher Höhe. Das Gebirge zur Rechteil bilden die Ausläufer des Aurcs, das zur Linken heißt Metlili oder Mlili, und bildet den Anfang des Dschcbel-UIcd-Snltan. Dr. Gnyon meint, die beiden Ge-birgc hätten ursprünglich zusammengehangen, und wären erst später dnrch ein gewaltiges Oreigniß aus einander gerissen wor-den. Daß dies geschehen, ist jedenfalls von unberechenbarem Vortheil für den so nothwendigen und umfangreichen Verkehr zwischen Teil nnd Sahara. Bei der ersten Expedition des Herzogs von Anmale nach den Sibiln war der Oberball der Brücke über den Wed zertrümmert nnd die ganze Strecke von der Brücke zur Oase durch Fclsstücke vcr-sperrt. Der Herzog mnßte daher sein Gepäck über die Verge im Westen führen lassen: was eine starke Tagearbeit erforderte, obgleich man höchstens 1000 Meter (z Meile) von der Oase entfernt war. Um so dringender war die Wiederherstellung von 376 Römer-Brücke. Brücke und Straße, welche auch in demselben Jahre ausgeführt wurde; durch wen, sagt die einfache Inschrift, die links von der Brücke mit weißer Farbe auf dru Felsen gemalt ist: 2° et 31° de Ligne 2° du Genie 1844. Wie die noch vorhandenen Krampen-Löcher bezeugen, mt-hielt dicsc Stelle zur Nömrrzeit rmc andere, solidere Inschrift auf Marmor oder Bronze, die wahrscheinlich die Erbauer von Brücke uno Straße verherrlichte. Da oic Schlucht etwas ge-wunden ist, so erblickt man trotz ihrer geringen Länge nicht zu gleicher Zeit bcioc Ansgänge, was die Ucbcrraschnng bcdeutcnd steigert. Die Brücke liegt am nördlichen Ausgang; da sie durch ihre Lage und ihren Ursprimg gewiß das Interesse jedes Lesers crregt, so lasse ich hier nach Guyon die genaue Beschreibung folgen, „Die Lage dieser kleinen Vrückc ist zugleich wild und male-risch; ihre Widerlagm von senkrechten Felsen werden dnrch un° geheure Stcinbcrge ohnc allen Pflanzenwnchs beherrscht. Sie besteht ans einer einzigen Wölbung im Rundbogen, von 10 Me-ter Oeffnung; ihre Breite beträgt 4 Meter 90 Centimeter. Dieser Bau ist mit großer Sorgfalt ausgeführt, aber nach rmcm unregelmäßigen Plane. Jedoch sind die Schlußsteine dcr Wöl-bung alle von gleicher Dicke, auf die gleichmäßige Länge cincs Meters. Auf dem Schlüssel der Wölbung, thalabwärts, ist eine jetzt verwitterte Büstc ansgehancn. Die Wölbung wird verstärkt durch drei Rippen oder Gcwölbbogcn; in den Zwischen-räumm dieser Bogen befiudet sich cinc Verzierung, von Laub-kränzen, Fruchtkörben, Sttrnen u. s. w. gebildet. Diese Skulp-turen sind durch den Schuh der- Nippen und ihre Lage unter der Wölbung vollkommen wohlrrhalten; abcr es hält schwer ihncn zu nahm nnd sic zn zeichnen." Auf einem Stcinc, der Inschriften bei El-Käntara, 377 in den Van eingefügt ist, etwa in der Mitte, ebenfalls thalab-wärts, liest man: MEKCVRIO AVG. SACK. PBO SALVTE Hierbei will ich noch besonders erwähnen, daß anch die Oase El-Käntara (die jetzt ans 4 Dörfern besteht) Spnren rö-mischer Bauten, Trünnner rwu Inschriften, Bas-Reliefs, Töpfe mit spätrömischen Münzen anfweist, also sicherlich von Römern oder doch zur Röinerzeit bewohnt war 1844 fanden die Fran-zoseu im Karten des Scheichs einen Stein von 1 Meter 32 Centimeter ^äuge, der als Brücke über einen Bewässeruugs-Cana! diente, nnd folgende Inschrift trug'. IMP. CAES. P. AELIO HADRIANO ANTONINO AVG. PIO PONT. MAX- TRIB. POTES L. XXI IMP. II CO3. nn. PP. IMATVCCIO EUSCINO LEG. AUG. PRIV. LEG. Ill AUG. ElKäntara (nlit knrzem l>orle<)teln .^) ist ursprünglich Name der Brücke, da es im Arabischen „die Brücke" bedeutet, Znm Vrweis, wie sehr den rohen Arabern der kunstvolle Van impo-nirte, übertrugen sie den Namen auf Schlucht, Oase und Fluß. Dieser letzte entsteht übrigens erst wenig oberhalb der Brücke, durch die Vereinigung des Wed-Tilata mit dem Wed-Ksur. Jener kommt lwn Osten, zwischen zwei Ketten des Anrrs her-vor- dieser von Nordosten ans dem Hochplateau von Vatna. Sobald man über die Vrücke auf das westliche Ufer des Fliistchens übergegangen, öffnet sich ein ziemlich breites, doch vorwiegend längliches Becken, dessen Voden eben nnd angebaut, 378 Veränderung des Klimas. dessen Vcrg-Rnnder niedrig und sanft sind, zumal im Verhält-niß zn den Wänden des Engpasses. Hier fließt der Wed-Ksur breit und rnhig; statt der Palmenhaine findet man nur verein-zelte Sträucher, nnd trol) der grünenden Kornfelder gewährt das Ganze einen trüben und langweiligen Anblick. Man sollte glauben, die knrzc Tchlncht scheide nicht Be-zirkc, nicht Länder, sondern Crdthcile; so gänzlich verschieden sind die Contnrcn, die Vegetation, der gesammte Anstrich der Landschaften diesscit nnd jenseit des Wüsteuthores. Von eincnl Gegensatz der Gebäude läßt sich nichts.aussagen; denn nördlich vom Engpaß, bis Vatna, steht nnr ein Karawanserai nnd eine Knbba. aber keine Hütte, soweit das Angc reicht. Daß auch das Klima nördlich der Schlucht kälter «st, zeigte sich an der Niedrigkeit der Gctreidcsprossen; in der Oase hatte ich sie fast fnßhoch verlassen, hier fand ich sie nnr zollhoch wieder. Dagegen wollte mein Thermometer den gewünschten GegcnsG nicht bc-stätigen: in der Oase zeigte eo nm z? Uhr 11". hier aber nach 8 Uhr 12« und an, Mittag 18" (I, so daß ich die Differenz gegen die Sahara kaum höher als 1" annehmen kann. Jeden-falls übertreibt I)i-. Guyon etwas arg, wenn er den Unterschied des Klimas (natürlich nach arabischen Angaben) als den zwischen Sommer und Winter bezeichnet, und als allgemeine und dringende Regel vorschreibt, der Reisende müssc vor Ueberschreitung des Engpasses, je nach der Richtung. Sommer-oder Nintcrkleidung anlegen. (5in Naturforscher und Arzt sollte sich solche Mührchen nicht aufbinden lassen? Allerdings liegt anf den Bergen und Hochplatcanx bei Vatna und Constantino im Winter nicht selten tiefer Schnee, was in dm Oasen niemals vorkommt; aber dafür sind anch jene mehrere tausend Fuß höher gelegen, als diese, und der Unterschied läßt sich niäit auf eine Gegend anwenden, die kaum 100 Fnß über El-Käntara erhaben ist. Selbst in den hohen Gegenden der Hochlaub am WcdMur, 379 Provinz ist aber die winterliche Temperatur keineswegs Regel; fand ich doch überall den Thermometerstand fast gleich mit dem der Sahara, und Frühlingsblumen ebensowohl auf den Felsen bei Constantinc, wie in den Wässer-Beeten von Biscara. I)i-. Guyon führt selbst an, das; auch in Viöcara, als der kalte Nordwind wehte, das Thermometer einmal bis auf 1"-^ herunterging. Die dortige mittlere Jahrestemperatur wird nach zahlreichen Beobachtungen zn 22—23" 0. angenommen; diejenige von Constantiue, 600 Meter oder beinah 2000 Fuß über dem Meere gelegen, beträgt 17". Diese Differenz hat gewiß nichts Wunderbares, Die Straße nach Vatua läuft im Ganzen nordöstlich, und folgt daher dem Laufe des Wedksur, Ich ritt anfangs neben der Colonnc her, und unterhielt mich mit einigen Officicrcn; da jene aber Halt machte, so lieft ich den Spahi kommen, nnd zog mit diesen, nnd dem Treiber alleiu weiter. Sobald das breite, sehr allgemein angebante Thal anfhörte, wurde auch die Straße wieder schmal, krumm, höchst uuebeu und holprig, nnd glich bald wieder einem schlechten Saumpfad. Auch der Anbau hörte so gnt wie ganz auf; der Boden war entweder nackt, oder mit kurzem Gestrüpp kärglich bedeckt. Die Formation des Landes War sehr wechselnd, bald enge Schluchten, bald Plateaur; bald schroffe, bald sanfte Abhänge, Hin und wieder nahm die Land-schaft einen malerischen Charakter an. Der Weg stieg mitunter so steil bergauf oder bergab, daß ich Mühe hatte mich auf meinem elenden Sattel festzuhalten. Die Langeweile minderte sich einige Male durch das Zusammeutreffen mit einzelnen Mi-litärs die der Colonne lwraufgcritten waren. Längere Zeit unterhielt ich mich mit einem netten, gesprächi» gen Manne, der zum Haushalte des Generals gehörte. Er er-zählte mir Interessantes uon den südlichen Oascn, Tuggurt nnd Wcd-Ssuf, die er mit der Colonne besuchte. Sämmtliche Häuser 380 Karavanserai von Ksur, dcr letzteren seien mit Kuppeln versehen, was einen sehr schönen und merkwürdigen Anblick gewähre. Straußfedern seien dort sehr billig zu kaufen, u. s. w. Während der ganzen Expedition sei nnr Ein Mann gefallen; derselbe habe beim Anblick von Tuggurt eine ganze Flasche Absynth ausgrtnmken, und sei dar-auf todt niedergestürzt, — Als wir eine starke Anhöhe hinauf-geritten, nahm der Herr zn meinem Bedauern von mir Abschied, da er das Karavanscrai »on Ksur nicht berühren wollte, mäh» rend kein geringeres Motiv, als heftiger Hunger und große Er-mndung, mich gerade dorthin trieb. Nachdem ich einige Zeit ziem-Itch in der Irre geritten, erblickte ich endlich das gastliche Ge-bände in einem ausgedehnten, traurigen Thale, das sich nntcr mir hinzog. Zu meiner Linken, in dem südwestlichen Theile der Thalstäche, zeigte sich ein Zeltlager und ciuc Kubba. Noch viel zu lange danertc es, ehe ich das Gasthans erreichte, und einen erfreulichen Anblick gewährte dasselbe so wcuig in der Nähe, als von Weitem, Nirgends war Baum, noch Strauch zu sehen, nirgends Anbau, dagegen Steine in größten» Ueberfluß über den ganzen Boden. Nach kärglichem Mittagessen und cinstündiger Rast in dem ziemlich lebhaften Wirthshans ritt ich um 3 Uhr weiter. Offenbar enthält das ausgedehnte Thal, in dem ich mich befand, den Lauf des Wed-Ksur, welcher später Wed el-Käntara genannt wird, nnd damit die natürliche Kommunikation zwifchcn Batna nnd El - Kl'mtara. Ich fragte mich daher, ob ich nicht besser gethan, von Anfang an in diesem Thalc heraufzugehen, anstatt mich durch das Terram-Gewirre östlich von demselben zu schlagen. Doch hatte ich dadurch ohne Zweifel den Weg abge-kürzt; die Colonne war jedenfalls der Hauptstraße gefolgt. Von Ksur au blieb ich ununterbrochen in dein Thalc, und wenigstens parallel der großen Straße, die übrigens auch hier durchaus keiner Chaussee, sondern vielmehr einen, breiten Feldwege glich. — Römische Heerstraße. Z81 Welche ganz andere Bedeutung sie in der Römerzcit besessen, das erhellte deutlich ans dm Tlümmem römischer Bauwerke, dic in sehr knrzen Zwischcuränmen <^ oder ^ Stnnde Reitens), znmal in der Nähe des Karavansrrais, die Straße sänmten. Ich sah ihrer wenigstens fi'mf, die sich alle schr ähnelten; von geringem Unifange, bestanden sie ans quadratischen Fundamenten kleiner Häuser, nnd aus hrrnmlicgendcn, wohlbehaucnen Quadersteinen. Cs waren vermuthlich einst Wirthshäuser, Weiler oder Militär-Posten, vielleicht alles mit einander; aber was auch ihre eigentliche Bestimmung gewesen sein mag, jedenfalls beweist ihr Vorhan-dcnsein eine außerordentliche Frequenz dieser Heerstraße nach den Oasen, unvergleichlich größer, als die jehigc, bei der eine einzige Herberge zwischen Vatna nnd EIMntara Genüge thut. Jene Frequenz bedingt aber wiederum die Annahme einer dichten und civilisirten Bevölkerung, wenn anch nicht gerade an diesem Theile der Straße, so doch jedenfalls in dielen Gegenden, welche sie berührt und verbindet. Die großartigen, schon von mir erwähnten Trümmer in den sibcmischcn Oasen auf der einen, die gewaltige Rnincnstadt Lambessa bei Batna anf der andern Seite geben den Schlüssel an die Hand; jedoch läßt sich auch annehmen, daß der Zwischenranm beider Wohnplätze, so weit die Natur des Bodens es irgend erlaubte, ebenfalls eine zahlreiche Bevölkerung und starken Anbau enthielt. Gerade die nächste Umgegend von Ksur ist mm zwar, wie schon erwähnt, über-ans steinig; bald aber nimmt die Thalflächc den Charakter einer nicht allzu sterilen Haide an; manche Strecken sind mit dichtem Grase bewachsen, und das Thal kann daher vor fünf-zchnhnndcrt Jahren sehr wohl den erfreulichen Anblick eines blü-hendcn Ackerbaues gewährt haben. Dr. Gnyon fand in Ksnr noch statt des Wirthshauses einen Haufen gehauener Steine, welchen die Eingeborenen Ksur heißen, d. i. Schloß; eine Bezeichnung, die in Algerien für römische 382 - Dcr Lentiskenbanm, Ruinen sich häufig findet. Die Wahl zum Karavanscrai, wie früher zum regelmäßigen Lagerplatz der zwischen Batna und Biscara ziehenden Truppen, verdankt dieser Ort mehreren reichen nnd vorzüglichen Quellen, die alle senkrecht aus dem Boden springen. Dreiviertel Stunden vor Ksnr fand Guyon auf einem Hügelchen römische Ruinen, und zwar hauptsächlich Ueberreste von Säulen. Auch alle von mir gesehenen Nninen befanden sich ans kleinen Bodenerhcbnngen, die doch wahrscheinlich erst dnrch den Schntt entstanden sind. Die vornchmliche Vegetation des Abhanges vom Aures-Gebirge söstlich) bis an die Ränder der Strafte besteht aus zwei Bäumen, dem Wachholder und dem Lentiskenbaum. Der letz-tcre, ?l8taoia atlnntion, I)L«i., gewährt den vielfachsten Nnßcn, zmnal in diesen holzariuen Gegenden. Da er sich nicht weit vom Boden horizontal in Form eines Schinnes ausbreitet, so finden Menschen nnd Thiere, troh seiner geringen Höhe, nnter ihm den ersehnten Schatten. Sein Holz brennt gut nnd giebt ausgezeichnete Kohlen, selbst der Rauch gilt als erquickend und heilend. Das Harz wird von den Eingeborenen gekaut, um Zahnfleisch nnd Zähne zn conserviren. Endlich die Frucht wird gegessen, zu Eingr-machtem nnd Oel verwandt nnd stark von den Hochplatcanx nach der Küste und Sahara ausgeführt. Danach nmft dieser unbedeutende Baum als ein großer Wohlthäter der Hochflächen Algeriens angesehen werden, denen ihn die Natur als einigen Crscch für die mangelnde Dattelpalme geschenkt zn haben scheint. Den ganzen Nachmittag begegneten wir keiner Menschen-seele, aber wie angenehm hätte meine Phantasie mir diesen Weg bevölkern können! Römische Cohortcn in straffer Ordnung, fluch-tigc munidische Reiter, die Vorgänger, obgleich sicherlich nicht die Vorfahren meiner Spahis, räuberische Präfckten mit glän-zendem Gefolge, gätulische nnd schwarze Sklaven, von Treibern begleitet, römische Colonisten mit ihren Ackcrgcräthschaflcn, grie- Verkehr zur Nömeizeit. 383 chische und italienische Handelsleute, an der Spitze großer Kara-vcmen von Lastthicrcn — all diese fremden, interessanten Ge-stalten, deren Denken nud Trachten so unendlich verschieden von dem meinigen, nnd die einst des nämlichen Weges gezogen, hätten das Auge meines Geistes für die Leere des leiblichen Gesichts reichlichst entschädigt. Allein solcher Schöpfungen war meine erschlaffte Einbildungskraft kaum für Minuten fähig, ge< schweige denn während eines vierstündigen, höchst ermüdenden Rittes. Mit meinen Begleitern kmmte ich kein Wort sprechen, anßer wenn ich den mürrischen Spahi mit immer ungcdnldigerer Stimme fragte: wie weit noch bis Balna? Die Landschaft behielt stets dieselbe Oedc nnd Einförmigkeit, nur da wir mit der Thalsohle, beständig anstiegen, so verminderte sich fortwährend die relative Höhe der einschließenden Berge, Das Wetter war trübe geworden, und die Dunkelheit brach herein. Wie freudig begrüßte ich da die zahlreichen Lichter, die nur endlich die Nähe von Batna verkündeten! Und diesmal tänsch. ten sie nicht über die Cutfernung. denn die Lage des Orts vcr-hinderte, sie früher zu erblicken, als da man sich dicht davor be-fand. Sehr bald waren wir bei einer Gruppe von Wohnungen, die noch eine ziemliche Strecke von der Stadt ablagen; hier wollte mich der Spahi plötzlich verlassen, da dies sein Qnartier sei. Ich bedeutete ihn, daft wcdcr ich, noch der Treiber den Weg im geringsten kennten nnd wir bei der großen Dunkelheit leicht in Grüben fallen oder über Steinhaufen straucheln möch-ten; nm die kleine Strecke weiter sollte er nns doch nicht im Stiche lassen! Aber der Mensch blieb seiner widerwärtigen Maxime bis zuletzt getreu: er trotzte so lange, bis ich hitzig wurde und Drohungen anssiicß, dann gehorchte er anch diesmal. Ein solcher Charakter wird bekanntlich von allen Reisen-den den Italienern beigelegt: daß sie selten ihren Verftfiichtun-gen. dem Nccht nnd der Billigkeit nachkommen, aber stets dem Z84 Ankunft in Vatna, Zorne und der Drohung; wodurch sie auf das Laster der Un> Gerechtigkeit noch das der Feigheit und Inconscqucnz häufen. Es scheint mir jedoch, daß lang unterdrückte, aber noch nicht ganz-lich gebcngte Völker oder Klassen leicht zu solcher Handlungsweise kommen, welche daher, wenn anch dein Betroffene« lästiger, als die gänzliche Unterwürfigkeit, ihn doch moralisch als ein bestän-diger Protest des Ucberrestes von Freiheit erfreuen sollte. Wehe den willigell, treuen Sklaven! sie verdienen dasselbe Lob, das den Hunden zll Theil wird, aber auch dieselbe Verachtung, und lassen verzweifeln an der Möglichkeit ihrer Befreiung! Um 7 Uhr etwa ritt ich durch ein stattliches Thor in die ,Subdivisions Hauptstadt" Batua ein. Der Anblick einer lan-gen, regelmäßigen, wenn auch schlecht erleuchteten Straße, mit ein wenig Mcnschenverkehr, erfreute mein Auge, und bald, am Ende einer Nebenstraße, hielt ich vor der Thür des anständigen Gasthauses. Hier sah es schon ganz anders ans, und ging ganz anders her, als in dem „Hot^i äo Ligoara"; hier gab es Klingeln, Treppen, ja sogar Kellner! Ich löste mein kleines Bündel aus dem Knoten-Saltcl dcs Maulthiers, beschenkte den Treiber, und entließ nicht ohne Rührung diese letzten Zeugen von der Sahara, denn nur bis hierher hatten sie mich zu begleiten. Der Abend verging ziemlich trübselig! auch in einem Cas6, das ich besuchte, fand ich wenig Unterhaltung und Ausbeute. Ich schlief in Einem Zimmer mit dein Ingenieur, den ich in Biscara getroffen, und mit einem gesprächigen Major von der Infanterie. Trotz der Cile, mit der ich wie ein abgeschossener Pfeil gen Norden flog, konnte ich unmöglich die römische Ruincnstadt Lambcssa unbesucht lassen. Was ich bisher von Ueberrcsteu der Römer auf dieser afrikanischen Erde, die sie so ruhmvoll erobert, so viele Jahrhunderte behauptet, und so gründlich civilisirt hatten, Ausflug nach Lambessa. Z85 gesehen, waren nnr einzelne Steine mit Inschriften oder Reliefs, Bildsäulen, Gefäße, Säiilcnschaftc und ähnliches Stückwerk, nicht Darstellungen, nur Synibolc der römifchen Größe, nur ein leiser Anstoß zn ungehrnrcn Schöpfungen dcr Phantasie. So gründlich haben die Barbaren aller Nationen nnd Religionen in Algerien aufgeräumt, daß überhaupt nur zwei ucnncnswcrthe Uebcrreste aus dem Alterthum vorhanden sind, zwei von den tausend ge-wältigen Vanten, die einst dieses Land schmückten: die Ruinen-Städte Tebessa und Kambessa. Die erstere war zu abgelegen, als daß ich sic hätte besuchen können; die letztere aber lag ka»m eine Meile von Batna, prächtige Chaussee, und nach genauer Be-rechnung konnte ich einen vollen Vormittag, ohne Schaden meines Rciseplaues, darauf verwenden, Ich hoffte wenigstens zu diesem kurzen Ritte ein Pferd zu bekommen; aber das Bureau konnte oder wollte keins stellen, und so sah ich mich gezwungen, auch in das römische Zeitalter ans einem bescheidenen Maulesel ein» zuziehen. Ich verließ das Gasthans um ^8 Uhr; ein Eingeborener führte mein Thier beim Kopfe bis an das Thor, da es sich von mir nicht fortbringen ließ. Draußen gab er nur einen dicken Baumzwrig in die Hand, und hieß mich durch Zeichen tüchtig darauf losschlagen. Mit Hülfe dieser ultima ratio gelang es mir cudlich in der That, das profane Thier, das alles antiqua-rischen Sinnes baar zu sein schieu, in ziemliche Bewegung zu setzen. Die Chaussee läuft schnurgerade mitten durch die breite Thalflächc, in der die neue und die alte Soldatrnstadt liegen, letztere gegen Ost Süd Ost. Das Wetter, mein trcuester Freund, begünstigte mich auch heute ausnehmend, und so freute ich mich des ausgedchutcn Aubaucs, der begegnenden Wanderer und Karren, nnd vor allem der Aussicht auf den bevorstehenden An-blick. Eine Stunde nach meinem Aufbruch begrüßte ich eine An. zahl kleiner, aber nicht unsauberer Häuser, die um einen großen Hirsch, Alg«ic«. , 25 386 Die Juni- und December-Deportirten. Gcbäudecomplex herumlagen, und damit befand ich mich in der französischen Colonie Lambcssa, die zu der alten römischen etwa in demselben Verhältnis; steht, wie das französische Königreich Algerien zn der römischen Provinz Africa, Eine Seitenstraße führte etwas anfwärts zu einem ge-räumigcn Plahc, l.wn nlianschnlichcn Häusern gebildet, deren cincs, lnit cinrln Kramladen, das Wirthshaus des Ortes vor-stellte. Hier kehrte ich ein, nm zu frühstücken; Zimmer nnd Essen waren sehr bescheiden, Ich erfuhr, was schon die StiNe nnd Verlassenheit Meier Häuser hatte errathen lassen, das; viele Eolonistcn wieder fortgezogen seien, nachdem der Bau des großen Gefängnisses vollendet. Dieses Gebäude, wohin ich mich sogleich begab, »m einen Führer zu den Alterthümern zu er-langen, lag an einem großen Hofe, dessen Längsseiten von mehreren älteren nnd niedrigeren Gebäuden eingefaßt waren. Hier hatte man die politischen Sträflinge, theils vom Juni 1848, theils vom December 1851, untergebracht, nachdem ihrer viele dem ungesunden Klima der Küstenstadt Nona znm Opfer ge-fallen, Dic Zahl dieser Deportirten betrug zur Zeit meines Besuches einige Hnndert, die nugcfrssrlt zu allerhand Arbeiten, auf dem Felde, beim Bauen, beim Aufgraben der Alterthümer verwendet wurden. Das neue Gefängniß war nicht für diese bestimmt, sondern für die sogenannten Ii.6s»ri3 ä« M«tioc, d. h. entsprungene Sträflinge, welche jedoch noch nicht eingetroffen waren, da das Gebäude kaum vollendet stand. Es ist ein Zellcngefäugniß mit drei Flügeln und drei Stockwerken, ganz massiv, nnd inwendig mit durchlaufenden Galerien von Gußeisen, aus welchem Ma» tcrial auch die Treppen bestehen, In dieser Entfermmg muß der an sich schon sehr kostbare Ban ungeheures Geld verschlungen haben; auch der Lohn für geschickte Arbeiter ist ja in Afrika theurer, und alle Zuthaten außer den Steinen, besonders das Ruinenstadt. Z87 Gußeisen, mußten aus Frankreich, zumal auf der nnvollkommencn Straße von Constantino bis Vatua, herbeigeschafft werden. Dafür ist es aber auch das schönste und stattlichste Gebäude geworden, das ich lion französischer Hand in Afrika gesehen: jedenfalls ein etwas eigenthümlicher Vorzug! Den Obcraufscher von Lambcssa fand ich nach einigem Suchen in einer Werkstatt für Holz-Arbeiten. Er empfing mich nicht allzn freundlich, führte mich aber in eigener Person in das Gefängniß, und darauf hinaus zu einem Bauwerk, das, wenig-stcns 1600 Jahre älter, doch einen weit heiterern Eindruck hervor-brachte. Uni den Leser dnrch meine persönlichen Beziehungen nicht zn stören, will ich mich daranf beschränken, das Gesehene kurz nnd objektiv zu beschreiben. Lambessa wird zncrst von Ptolemäns erwähnt, als in der Nuniiäia nova gelegen; auch nach den sehr zahlreichen In-schriften zn schließen, fällt seine Glanz-Pcriode erst in die spätere Kaiserzcit. Dcr Umfang der Stadt muß damals an 3 Stunden betragen haben. Sie war das Standquartier der dritten augusti-schen Legion, deren Name, anßer auf vielen Inschriften, auch anf dm Ziegelsteinen der Ruinen in Relief zn lesen ist. In der Kirchcugcschichte ist Lambcssa berühmt durch den ketzerischen Bi-schof Privatus, den ein Eoncil von 90 Bischöfen im Jahre 240 Verurtheilte. (St. Cypriamts, Epist. 45.) — Beim Heraustritt ans dem Gefängniß erblickt »nan einen weiten Thalkcssrl, voll niedrigen Höhen umgeben, der vollständig mit Trümmrrn be-deckt ist, nnd dnrch die nngchcnrc Anzahl der Quadersteine, die über ihn zerstreut liegen, einem großen Bcgräbnißplcch ähnelt. Wie auf einen: solchen erheben sich an einzelnen Stellen gleich, sam größere Monumente, an denen das hennnschweifrnde Auge mit wehmüthigem Wohlgefallen haftet. Diese zeigen die verschiedenste Größe nnd Bauart, nnd vom unförmlichen Trümmer- 25* 388 ?r20tanulli. Haufen bis znm vollständigen Gebäude alle Stilfell der Er-Haltung. Die Krone des Ganzen in jeder Beziehung bildet das so-genannte I'raswriuin, das dein neuen Lambessa zunächst liegt, und von den meisten Forschern für einen Tempel der Victoria gehalten wird. Das viereckige Gebäude ist 32 Meter lang, 25 Meter breit, und über 15 Meter hoch. Es war ursprüng-lich mit Säulen umgeben, von denen noch einige stehen, andere mehr oder weniger verstümmelt am Boden liegen. Die Haupt-Facade ist gegen Nordwest gerichtet, und über der großen Bugen-thür sieht man eine Frauengestalt, in der einen Hand eine Krone, in der anderen eine Palme tragend. Oberhalb seitwärts der Thür befinden sich zwei Nischen, in denen ohne Zweifel einst Bildsäulen standen. Der Gewölbe-Schlußstein dieser Nischen, sowie derjenige aller Oeffmmgcn an den vier Seiten des Ge-bäudcs, stellt cine Kroue in Relief dar. In den beiden Seiten-wänden befinden sich gleichfalls Bogcnthüren vou sehr großer Spannung; diejenige an der Hintcrwand ist dagegen viel geringer. Das Ganze macht auf den Beschauer einen grußartigen und harmonischen Eindruck; wenn auch viele andere Gebäude aus der Römerzcit an Größe uud Schönheit weit voranstehen. Die Erhaltung des Gebäudes ist bewunderungswürdig; nur der Man» gcl des Daches stempelt es zur Ruine. Das Innere des Tem-pels enthält außer drei Pilaster« an jeder Seite keine baulichen Ucberrcstc. Dennoch gewährte es nur viel Freude und Interesse, da uian sämmtliche Skulptur-Arbeiten, die bei Lambessa gefun-den worden, darin zu einem Museum vereinigt hat. Vorherr-schcnd waren die Säulen-Capitale und die Bildsäulen, unter letzteren vermochte ich jedoch bei oberflächlicher Besichtigung keine hervorragende Arbeit zu erkennen. An dem Tempel vorbei führte eine lange und gerade Straße, welche durch fortlaufende, wohl crhalleue Hauser-Fuudamcutc be» Circus, Triumphbogen und Tempel. Z89 zeichnet wird. Zur Linken derselben liegt der Circus, von der-hältnißmäßig kleinen Dimensionen; n»r einige Stufen und Wöl-bungen sind davon erhallen, das Innere besteht aus beackertem Lande. Ganz nahe dabei wird der Wanderer durch eine Nuiuc ganz anderen Styls überrascht: eine kleine christliche Kirche, deren winzige Mauersteine, die noch dazu von sehr porösem, bröckligem Material siud, gegen die mächtigen, soliden Quadern der heid-nischeu Bauten sehr contrastiren; nur der außerordentlichen Dicke der Mauern (etwa 4 Fuß) kann ihre Crhaltnng zu verdau-ken sein. Von dem Circus gelangt man ein wenig linker Hand durch eine beträchtliche Steigung zu dem sogenannten Triumphbogen, der, wenn auch von großartiger und schöucr Form, doch viel-leicht nur ein altes Stadtthor ist; der Mangel jeder Inschrift, sowie Spuren einer daranstußcudcn Mauer sprechen dafür. Von hier aus steigt man rechts hinauf zum Tempel des Aescnlap, der im höchsten Theile der Stadt gelegen. Er ist fast quadra-tisch, 6^ Meter lang und 7 Meter breit. Sein Eingang ist Ulit vier cannelirtcn Säulen von 3Z Meter Höhe geschmückt. Vier Steine bilden den Giebel, auf dem man folgende Inschrift liest: AESCVLaPIO ET SALVTI IMP CAES M AVRELIVS ANTONINVS AVG PONT MAX ET IMP CAESAK L AVBELIVS VERVS AVGVSTVS Bei Nachgrabungen in diesem Tempel hat man eine große und schöne Mosaik mit Blumen, und zwei treffliche Bildsäulen, des Aesculap und der Hygiea, aufgefunden.*) *) Durch ein eigenthümliches Spiel des Schicksals sind die beden« tendsten Ausgrabungen in diesem Standquartier der «III le^w Hu^ta" 390 Ungestörter Eindruck. Die übrigen zahlreichen Alterthümer, bestehend in den Ruinen von Tempeln, Thoren sdcren Lambessa 40 gezählt habm soll), Arquädukten, Grabdenkmälern u. s. w. erlaubte mir leider meine Eile nicht genauer zu besichtigen. Anch kam es mir vorwiegend ans den Gesammt-Eindruck an, da es außer Pompeji schwerlich einen andern Ort giebt, dcr den Wanderer so ungestört in das Römerthum zurückversetzt. Den Rücken gegen das moderne Ocrt> chen gekehrt, konnte ich glauben, wenige Jahre nach der Zer-störung Lambessa's seine Trümmer zu überschauen. So weit das Auge reichte, nichts als Natur- nnd Römrrwerk! ^ Auf den Ruinen Süd-Frankreichs und Italiens lüftt die Blüthe des Mittelalters nnd der Neuzeit die Trauer um die untergegangene römische Herrlichkeit kaum aufkommen; aber hicr ist an die Stelle der Größe nur das Nichts getreten: mit der römischen Cultur endigte die Cultur überhaupt! Trot) der anfänglich unbesiegbaren Störrigkcit meines Manl-thiercs gelang es mir doch, rechtzeitig wieder in dcr neuen Miütärstadt einzutreffen. Es sei mir gestattet, derselben noch einige Worte zu widmen. Vatna liegt 120 Kilometer, oder etwa 16 Meilen südlich von Constantine, in einem weiten Thale, das sich hier durch reichliches nnd gutes Nasser aufzeichnet. Die Franzosen bauten, wie oben bemerkt, im Februar 1844 ein Lager, zu dem Zwecke, das Material für die Lrpedition nach den Sibkn anzusammeln. Dies Lager wnrde alsbald zweimal hinter einander von den benachbarten Schaujas (einem ganz durch die „III le^un ^trlvn^r«;" ausgeführt worden. — Ich bewunderte die FUlle von Mosaiken; an vielen Stellen brauchte ich mich nur zu bücken, lim ganz nette Stiicke zu finden. Anch vie'le Münzen sind ausgegraben worden; leider tonnte ich leine davon bekommen. Die Stadt Batna, 391 eigenthümlichen Volfsstamme) stürmisch angegriffen, wobei die Franzosen bedeutende Verluste erlitten, obgleich dir Feinde fast nur mit Steinen und Knütteln kämpften. Im Inni verlegte man daher das Lager nach einer sichereren Stelle in der Nähe, nnd hier hat sich allmälig die kleine Stadt gebildet, da die Be» silMhme der Sibän ein beständiges StandlNiartier halbwegs von Constantinc bedingte. Die Lage ist sehr hoch, über 1000 Meter, so daß sowohl nach Norden, als auch besonders nach Süden, der Sahara zn, eine bedeutende Abdachung stattfindet. Ganz in der Nähe. gegen Mittag, nur etwa 80 Meter oberhalb der Stadt, liegt der Höhenzug. der die Wasserscheide zwischen dem Mittrlmecre und der Sahara bildet, und den ich den Abend zuvor überschritten hatte. Die hohe Lage Vatna's bringt natürlich einen harten Winter mit sich; es schueit und friert hier alle Jahre. Lambessa liegt ziemlich ebenso hoch über dein Meere, und die Römer thaten jedenfalls sehr wohl darau, eine ihrer größten Lolonirn hier au-znlcgen, wo das .Wma bei weitem nicht so erschlaffend wirkt, wie in der Ebene. — Die Stadt Batna hat große Familien-Aehn-lichkcit mit den schon beschriebenen französischen Colonien, be° sonders Anmale, hinter dein es jedoch in Vezug auf die Festig-kelt und das Malerische der Lage weit zurückbleibt. Von einer Mauer rings nmgeben, enthält cs eine breite Hauptstraße, in der Richtung nach Lambessa. mit der sich mehrere Nebenstraßen im rechten Winkel schneiden. Jene Hauptstraße erweitert sich in drr Mitte zu einem Platze, nnd zählt mehrere stattliche Gebäude, natürlich Sitze der Behörden. Daß der größte Theil des Umfangs noch nicht bebaut ist, versteht sich bei einer französischen Colonie ziemlich von selbst, nnd die Einwohnerzahl ist noch so klein, daß die alten Lam-bessaner, wenn sie ans ihren Gräbern ausständen, gewiß herzlich über die „Rivalin" lachen würden. Doch hat Batna, zumal 392 Statistik von Vatna. die Umgegend sehr guter Boden sein soll, durch seine gesunde und günstige Lage bessere Aussicht auf künftiges Gedeihen, als seine meisten Neben-Colonien. Eingeborene habcu sich erst in geringer Zahl hier angesiedelt, und die nächste Umgebnng er-scheint durch den Mangel an Gärten und Bäumen so trist, wie nur möglich. Eine Stadt ohne Gärten und Anpflanzungen macht immer einen provisorischen, unbehaglichen Eindruck, wie ein Haus ohne Anstrich; die Einwohner habcn noch nicht Zeit gehabt, sich mit der Erde zu befreunden, und ihr deu Charakter der Wohulichkeit aufzuprägen. Um 1857 zählte man 1329 Be-wohncr, wovon 419 Eingeborene; es gab zwei Mühlen, eine Brauerei und zwei Ziegeleien. Ich ließ mich noch eilig zu einer Art Bazar, in cinrm Scitcn-gäßchen nicht weit vom Wirthshause, führen, wo fast nur Nah-rungsmittcl feil geboten wurden. Hier kaufte ich eine Portion Datteln für die Ncise, mußte mich aber mit kleinen getrockuetcn begnügen, da es keine bessern gab. Nicht wenig verwundert und ärgerlich war ich, als ich in dem zu meiner Weiterreise gestellten Maulthierc die Bestie von Lambcssa erkannte, und in dem Trci-ber desselben einen granhaarigen, ausnehmend dürren Schauja, bei dessen Anblick ich stark zweifeln mußte, ob er eiue lauge Tagereise aushalten könnte. Der Mann sprach nnd verstand zudem auch nicht Ein Wort Französisch, ja nicht einmal die allergrbräuchlichsten arabischen Ausdrücke, die der Europäer sich schon in den ersten Tagen unwillkürlich einprägt. Und mit die> sem alten, schwachen und so gut wie taubstummen Führer sollte ich zweimal tief in die Nacht hinein, auf unbekannten Wegen dahinziehn! Doch zum Widerspruch war es zu spät, wenn er überhaupt gefruchtet hätte. Schon gewohnt, in diesem Lande Nichts für nnthunlich zu halten, verließ ich Batna um 3 Uhr Nachmittags. Da im Sommer eine Diligence von hier nach Konstantine geht, so er- Ritt nach Aw-Ialut. 393 wartete ich wenigstens eine ordentliche Landstraße; aber gleich außerhalb des Thores erkannte ich meinen Irrthum, da mehrere gleich schlechte nnd unregelmäßige Feldwege neben ein» ander liefen. Die erste Zeit folgten wir dem Thale, das bald einen fast romantischen Charakter annahm, indem das Flüßchcn im Grunde Bänme ernährte und Mühlen trieb. Das sind die, Mühlen, die ich als zn Vatna gehörig erwähnte; die zweite ist ein stattliches Gebäude. Vis zu dieser, eine kleine halbe Stimde Wegs. genoß ich die Gesellschaft des Müllerknappen. eines lebhaften nnd gewandten Spamers, der auf einem winzig kleinen Esrlchen neben mir Herzockeitc. Er machte sich über meinen Führer lnstig, nnd ich ließ mir von ihm den Weg, den wir zn nehmen, so gnt wie möglich beschreiben; denn ich hatte dnrch sein Dolmetschen erfahren, daß der Schanja diese Straße noch nie betreten hatte. Bald jenseit der Mühle stiegen wir linker Hand den Ab-hang hinauf, nnd hatten nach kurzer Zeit das Thal ans dem Gesicht verloren. Die Gegend war wieder hügelig, wasscrlos nnd öde geworden, lind auf die Richtnng des Weges mußtc ich die genanste Obacht geben. Nach Einbruch der Dunkelheit konnte ich mich nnr dem Zufall anvertrauen, da die frischauf-geschüttete Strecke der Straße, anf dle wir einmal stießen, sehr bald endigte. So gelangte ich, statt nm 7, erst um 9 Uhr zu dem einsamen Karawanserai Aln Iakut. Ich traf in dem Gast-zimmcr lnstigc Gesellschaft beim Glase z ein Anblick, der mich nach so langer und banger Einsamkeit nicht wenig erquickte. Cs waren meist Soldaten, zu denen gehörend, welche die ncne Straße nach Vatna anlegten, nnd zn dem Behufe hier cinquar-tirt waren. Man belehrte mich, nachdem ich meinen Weg be-schrieben, daß ich ganz in die Irre geritten sei, und wunderte sich, daß ich bei der großen Dunkelheit keinen Unfall erlitten, und zuletzt das Wirthshans gchmden hatte. Was soll 394 Schauja-Frühstück. man aber zn dem Verfahren des Bureaus von Batna sagen, das einem, noch dazu angelegentlich empfohlenen Reisenden in wilder Gegend einen sprach» nnd wegunkundigcn Führer uiirgicbt, ohne ihm anch nur den Weg deutlich zn beschreiben? Man weckte mich ans mein Geheiß um H7 Nhr Morgens, und als ich aufbrechen wollte, erschien mein Schanja, nnd machte mir dnrch allerlei Zeichen verständlich, daß er etwas Wasser Wunsche. Ich liest es ihm verabreichen, nnd glaubte, er wollte sich waschen oder trinken; aber er that keines von beiden, sondern nahm ans einem Beutel eine Handvoll graues Gerstcnmchl, that es in den Zipfel seines schmutzigen Burnus, nnd begann es darin mit Hülfe des Nassers zu kneten. Nun gab er mir nn Zeichen, daß die Reise beginnen könne; während des Gehens knetete er noch eine Weile, nnd ich war höchst neugierig, was er mit dem Teige anfangen würde. Hatte er doch nicht einmal Zeit und Gelegenheit, wie weiland die Kinder Israel, sein un-gesäuertes Brod zwischen glühenden Steinen zn backen! Allem mein Naturmensch mnßte selbst das Backen noch für Lur,us, uud die Israelite« für verweichlichte Schweiger halten; denn alsbald sah ich eine Mahlzeit, die sogar den Diogenes beschämt haben würde. Der Schauja steckte ganz einfach den rohen Gerstcntrig stückweise in den Mund, anscheinend mit dem größten Behagen, und ohne größere Anstrengung, als ob er das feinste Weizcnbrod verzehrt hätte. Diese Handvoll Gcrstenmchl vermochte den Mann, bei fast ununterbrochenem Gehen, bis spät am Abend aufrecht zn erhalten; nnd man berücksichtige wohl, daß er kein anregendes Getränk, nicht einmal Kaffee zu sich nahm. obwohl ich ihm das Anerbieten machte. Ich will indeß nicht bestimmt versichern, daß er nicht nm Mittag noch eine Portion aus Minimum der Bebllrfmfse. 395 seinem Beutel geholt; doch glaube ich cs schwerlich. Und sicher ist, daß, als ich ihm Abend? Eier, Salat nnd Vrod, so viel er haben wollte, anbot, cr alles ausschlug, und wieder nnr srincn rohen Teig verzehrte. Ohne Zweifel war dies also, nebst cinigm Datteln — das Einzige, was er von mir annahm -^ seine gewöhnliche, ausschließliche Nahrung, nnd ist nicht minder die eines großen Theils seiner Landslcntc. Nasser bildet ihr einziges Getränk, zwei Sti'lck gwbcS Wollenzrug ihre einzige Kleidung nnd zugleich ihr Nachtlager, ein schlechtes Zelt oder eine Laubhütte genügen zu ihrer Wohnung. Hier ist offenbar ein wirkliches Minimum der Bedürfnisse und Untcrhaltsmittcl; denn bei dein geringsten Abzug müssen die Menschen nmkonnmn. Was unsere Arbeiter als Lebens-Nothdurft betrachten, und was die Gewöhnung auch wirkich dazu gemacht hat, übersteigt die Eonsuuüwn eines Echauja wenigstens um das Dreifache. Dabei glaube man nicht, daß dcr Unter-schied des Klimas bedeutend geung sei, um das Minns des Unter-Halts zn erklären. Gerade die Schaujas bewohnen die höchsten Berge und Plateaur, wo die Winter kaum weniger streng sind, als in Süd - Deutschland. Auch muß sich eine so kümmerliche Lebensweise, trotz aller Abhärtung, durch Krankheit, Schwäche und kurze Lebensdauer rächen. Leider fehlen mir hierüber alle näheren Angaben; aber die äußerst dünne Bevölkerung im All-gemeinen beweist schon hinlänglich, wir sehr dcr mangelhafte Unterhalt der Lebenoentfallung Eintrag thut. Von den Weibern der Schaujas spricht Dr, Kuyon, der sich mehrmals in ihren Dnars aufgehalten, mit tiefein Mitleid, alö von Wesen, in deren Häßlichkeit, Verwahrlosung uud Stupidität man den Menschen kaum wiedererkenne. Mein Begleiter zeigte jedenfalls einen schwächlichen Körperbau, lind eine noch schwächere Geistes-thätigkcit. Als ich mich auf unserer Reise selbst über die allerem- 396 Em Nachkomme der Vandalen. fachsten Dinge nicht mit ihm verständigen konnte, da hätte mich der Gedanke, daß ich eigentlich mit einem dcntschm Landsmann zn thun hatte, zum lantcstcn Gelächter bringen können! Doch erfuhr ich diese nahe Beziehung erst später, durch das Bnch des Dr. Guyon. Der Volksstamm der Schaujas bewohnt Haupt-sachlich das Aurrs-Gcbict, östlich und südöstlich von Vatna, und unterscheidet sich, nach Aussage mehrerer glaubwürdiger Reisender, durch Körpcrbeschassmheit, Sprache und Sitten nicht blos lion den Arabern, sondern sogar von den Kabylen. Ihre Hautfarbe ist hell. ihre Angen blau, ihre Haare blond, oft roth, ihre Statur hoch und schlank; bis auf die lehtcre alles Eigenschaften, die denen der Araber und Berbern gerade entgegengesetzt sind, und offenbar auf germanische Abstammung hümicisen. Dies nnd manche andere Gründe, besonders das Fehlen der Ohrläppchen (wie bei den Cngots der Pyrenäen), haben I)r, Guyon nnd andere Nci-sende veranlaßt, die Schalljas als Nachkommen der Vandalcn zn be-trachten, jener kühnsten unter den deutschen Wandcrstämmcn, die von den Gestaden der Ostsee durch ganz Germanien, Gallien nnd Hispanicn bis Nord-Afrika drangen, und dort ein ungc-hcures Reich stifteten. Zwar heißt es in der Geschichte, daß Bclisar das entartete Volk gänzlich von Afrika vertilgt habe; aber mit Recht kann man an der Genauigkeit dieser Angabe zweifeln, nnd selbst wenn kein einziger Vaudalc in Afrika zurückgeblieben wäre, so erzählt doch Procop in seiner Ge-schichte des Krieges gegen die Vandalen wie folgt: „Aber da warm vierhundert llwn den Vandalcn, die Bclisar nach Con-stantinopel schiffen ließ), die in der Nähe von Lesbos die Segel gegen den Willen der Matrosen umwandten. Darauf landeten sie am Peloponncs, nnd endlich an einer wüsten Küste in Afrika, wo sie die Schiffe verließen, und mit ihrem Gepäck bis zum Grbirge Aurase und Mauritauim zogen." — Mehrere Stunden laug bot dcr Weg gar kein Interesse, Wirthshaus der Seen. 397 da er eine öde Fläche durchschnitt. Ctwa mn ^11 Uhr aber führte er einc steile und äußerst schmale Kante hinauf, die zwei Seen von einander trennte; der zur Rechten ist der bedeutend größere, und von Westen nach Osten lang gestreckt. Bon der Höhe des Passes eröffnete sich eine weite Rundschau, worin meh-rerc andere Seen sichtbar wurden. Ich befand mich in der frü-her erwähnten mittleren Steppen-Region der Provinz Constan-tinc, deren Charakter weit minder ausgeprägt ist, als bei dm westlichen Steppen. Die Schotts sind hier viel zahlreicher und kleiner, das Land fruchtbarer. Nußer einem Karavanscrai am Fuß der Vcrgkantc war weit und breit keine menschliche Wohnung zu entdecken. — In diesem „Wirthshaus der Seen" hielt ich Mittagsrast, und fand es sehr gemüthlich darin — kein Wun-der, denn die Wirthslcute waren deutscher Abkunft. Die Gc-gcud ist reich an Wasscrvögcln. Nm 12 Uhr ritt ich weiter, uud gelangte, an mehreren Zel-ten des Stammes Smul vorüber, und größtenthcils über frisch-grünen Rasen, nach drei Stunden zu dem Weiler Mlila, wo ich mich nur kurze Zeit aufhielt. Darauf wurde die Gegend wieder öde nnd hügelig: ich ritt in Gesellschaft mehrerer Eingeborener, und bei nahender Dämmcrimg entspann sich eine, obwohl ein-silbige, doch höchst lebhafte Diskussion. Mein Schauja wollte durchaus schon in dem nächsten Karavanscrai, mit jenen Arabern, übernachten, und wurde darin aufs Eifrigste von ihnen unterstützt. Die Scene war höchst possierlich; alle fünf Minuten ward ich von neuem bestürmt, und zwar wesentlich dnrch den Einen Alis-druck „mort" mit passender Geberde — »voraus ich abnehmen mnßte, daß der Tod die unausbleibliche Folge meines Weiter-ritts sein würde. Aber ich war fest entschlossen, schon diese Nacht in dem ersehnten Eoustautinc zu schlafen; und der Vaudale mußte, wenn auch uoch so widerstrebend, dem gebietenden Sach-sen Folge leisten. 3W Pachthof Nn-Bey. Der hervortretende Mond schien alsbald meinen Entschluß zn belohnen — aber nicht lange währte sein freundliches Leuch-ten. Cs kam so weit, daß ich Viertelstunden lang den Weg buchstäblich mit den Händen fnchcn mußte. Ganz zn verachten warm übrigens jene Warnungen der Eingeborenen nicht; denn außer der Gefahr, in Schluchten und Bäche zu stürzen, der ich mehrmals nur knapp entging — drohte auch die, einem Löwen zu begegnen, da gerade diese Gegend noch von den Löwen heim-gesucht wird. So interessant die Begegnung auch gewesen wäre, man wird mir gern glauben, daß ich mich nicht danach sehnte, und in jeder Beziehung herzlich froh war, als ich nm 8 Uhr etwa, an einem fließenden Wasser, endlich auf ein beträchtliches Gebäude stieß. Cs war ein Colonisten-Pachthof, A'i'n-Vch ge-nannt, und kaum eine Meile von Lonstantinc entfernt. Aber an die Weiterreise konnte heute nicht gedacht werden; ich mnßte dankbar die Gastfreundschaft der französischen Pächter annehmen. Cs waren einfache, fchlecht gekleidete Leute, und ihre Be» hansnng durch die Geräumigkeit doppelt öde und unbehaglich, da sich kaum mehr Möbel oder Geräthe darin vorfanden, als in den Hütten der Araber und Kabylcn. Mein Abendessen bildeten Eier und Salat — mehr hatten meine Wirthe nicht zu spen-den. Mein Lager war eine Streu auf dem Estrich-Boden des Wohnzimmers. — Die Familie bestand nur ans Mann nnd Frau; ersterer ein alter Soldat, der 50 Hektaren Mi'tlelland für 100 Francs in Pacht hatte. Ein so großes Gut ließ die Aerm-lichkeit der Familie sehr anffallend erscheinen, zumal in der Nähe einer Hauptstadt mit lohnendem Markte. Allein ich hatte mich schon in der Umgegend von Algier daran gewöhnt, bei den fran» zösischcn Colonistcn trot) aller Fülle des Landes fast nnr Un-ordnung und Armuth anzutreffen. Constantine. 399 Als ich in der nächsten Frühe etwa anderthalb Stunden durch cine unbedeutende Gegend geritten, erreichte ich nach Sonnen-Aufgaug eine Anhöhe, und plötzlich lag ein tiefes, breites, ge< wundcncs Thal zn meinen Füßru, und jenseit ragte auf steilem Felsen, gleich einer ungeheuren Ritterburg, das mächtige Con-stantinc, uah und fern umringt von schroffen, großartigen Ge» birgeu, Ich hatte viel erwartet, aber ich fand unvergleichlich mehr; und je näher ich vordrang, desto stärker ward mein freu. digcs Stauucu. Es war die erste großartig - interessante Land< fchaft seit El-Käntara, nnd daß eine alte und berühmte Stadt in ihrer Mitte prangte, erhöhte noch den nat-nrlichcn Ein-druck. ^ Wir mußten in die Thalsohlc hinabsteigen, den Flnß überschreiten, nnd jenseit ebenso steil wieder hinaufsteigen. Aber oben angelangt, fanden wir uns durch cinc gewaltige senkrechte Schlucht von der nun auf Schußweite genäherten Stadt ge-trennt, nnd begriffen nicht, wie ein Zugang möglich sei. Der Abgrund ward allmälig breiter uud sanfter, es zeigten sich große, moderne Gebäude darin, die Straße bog sich: nnd wir befanden uns anf einem natürlichen Damme, der uns bis an das Thor der Stadt führte. Auf allen Seiten von wenigstens hundert Fuß tiefen, oft mehr als senkrechten Schluchten nmgcben, ist Con-stantinc nnr an dieser schmalen Stelle durch die Natur mit der übrigen Welt verbunden, nnd von hier aus allein konnten es die Franzosen erstürmen..... Von der Hauptstadt Algier giug ich aus, und habe den frenndlichcn Leser, hoffentlich nicht ganz ohne Bclehrnng nnd Vergnügen, durch Ebenen nnd Thäler, über Gebirge nnd Flüsse, durch Engpässe, Wüsten uud Oasen bis zur anderen Haupt-stadt, Coustantine, geleitet. Hier ist meine Aufgabe beendet: denn wie Algier, so ist auch Constantine von zahlreichen nnd gcschick-ten Fcdcrn ausführlich beschrieben worden. Und gewiß verdienen es beide in hohem Grade; denn, was selten vorkommt, in Algerien 400 Philipp evWe und Stora. sind die Hauptstädte nicht nur die größten, sondern auch die am schönsten gelegenen Städte des Landes. Algier die liebliche Königin der See, Constantine die wilde Fürstin der Gebirge, sind sie zwei Schwestern von gleichem Adel und gleicher Wiirde, und beide gleich nlwcrgeßlich dem Wanderer, der das Glück gehabt, sie zn schanen! — Möge die Zukunft ihnen ein friedlicheres, glücklicheres Loos gewähren, als die granse Vergangenheit über sie Verhängte! Meine Wanderung anf afrikanischem Boden nahte ihrem Ende. Auf dem Nucken zweier ManWere war ich in vierte» halb Tagen von Viocara nach Constantine gekommen, cine Cnt> fermmg von 232 Kilometer, und hatte noch Zeit gefunden, einen halben Tag in Lambessa zuzubringen. Ich empfing in Konstantine die ersehutcn Briefe, und in ihucn die Gewißheit, daß die Mci-nigen gesund und wohlbehalten seien. Aber trotzdem fand ich keine Ruhe mehr. Den Tag über durchwanderte ich Constantine nnd seine Umgebung nach allen Nichtnugen, Am Abend sehte ich mich anf die Diligence, und war am nächsten Morgen in Philippcmlle, einer unbedeutenden französischen Handelsstadt, am Gestade des Mittelmeeres. Jetzt war mein Zweck erreicht: das große Dampfschiff lag anf der Nhcdc lwn Stora vor Anker, nnd sollte am Mittag abgehen, nach der Küste Südfrankreichs, die mir von hier aus als die heimische erschien. Noch einmal erfreute ich mich an römischen Säulen, Neber-resten der Stadt Rnsicada, die hier auf öffentlicher Straße liegen. Mein Weniges Gcpä'ck ward auf ein Boot geladen, das die übrigen Pafsa» giere, darunter auch meinen englischen Reisegefährten, zum Schiffe brachte. Ich aber gedachte auf einsamem Tpaziergangc von dem frein-den Lrdlhril Abschied zu nehmen. Die Straße nach dem Dörfchen Stora, dem eigentlichen Hafen von Philippcvillc, zieht sich an dem Constantine. Abschied von Afrika. 401 malerisch ausgcbnchtetcn Ufer entlang, über felsigen Abhang und liebliche Thalgründe, Erde und Sträucher waren mit frischcln Grün und bunten Blumen bedeckt; ich ging, nnd schaute, nnd träumte, und pflückte; und mit einem präch-tia.cn Abschieds-Straus; brachte mich der Kahn eines Slower Fischers an Bord. Nach ununterbrochen stürmischer Seefahrt landeten nur drei Tage daranf an den» Kalk-Gcstadc der Provence. Dnick »UK Cdliaro Meixberg in Berlin, _JK.«i_H^ zu Max Uirsclis Reise in Algerien ■ M r T t is L L Ä N n i s c h e s ~m k k u. /^/V /,('nu/{/it/fiu/c ."' Vestlüh «vn I">iris. Verlag v Max Hirsch. Movliii I»02. Verlag der G. Grote'schcn Suchhandluug <<5. Müller) in Hamm. Küchuer, . Jahrhundert. Vtit Titelbild in Stahlstich -^ 50 Illustrationen in Holzschnitt. 5> Bde. geh. ^ Thlr. In engl. Einband 4 Thlr. W Sgr. Frallcubrevicr fill Haus und Welt. Eine Auswahl der besten Stellen ans namhaften Schriftstellern über Franenleben nnd Frauenbildung. 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