166803 t HTenhaus bei Cilli and Tobelbad bei Graz. -- Da diese beiden Bader in ahnlichen gleich reizenden Gebirgsthalern der malerischen Steiennark liegen und sich durch ein ausserst mildes Clima und iippige balsamische Fichtenvalder auszeichnen, da Beider Mineralquellen schon vom grauen Alterthume als vahre und kraftige Heilquellen gekannt varen, und sie auch in dieselbe Kategorie, namlich unter die indifferenten Thermen gehoren, so volle mir gestattet sein, sie Beide als gleich vichtig darzustellen und der verdienten Wurdigung anzuempfehlen. Um aber deren Wirkungen, besonders jene des noch zu venig gekannten Tobel- bades, naher zu begriinden, bin ich gezwungen, Einiges iiber die Classe der indifferenten Thermen vorauszuschicken. Die sogenannten (chemisch) indifferenten Thermen sind bis heute noch nicht allgemein gewtirdigt, veil deren Wirkungen, obschon oft vom unlaugbaren Erfolge gekront, aus der Analyse der fixen und nachgewiesenen fliich- tigen Bestandtheile, noch immer nicht erklart verden konnen, verni man sie nicht einer dynamischen etva mag- netisch-tellurischenlnfluenz zuschreiben darf. Die Analysen differiren zvar einigermassen quantitativ und qualitativ, und modifiziren ohne Zveifel die Heilwirkungen; aber in Ervvagung der Armuth jener Bestandtheile lasst sich geviss der oft blitzschnelle Erfolg auf das Nervensystem nicht erklaren; und man beobachtet auch wirklich in der ganzen Classe dieser Thermen, sie mogen heiss, warm oder lau sein, eine ahnliche Hauptwirkung, deren Uragens noch nicht gehorig nachgeviesen ist. Den auffallendsten Anhaltspunkt fiir die Richtung der Wirkungen findet man in der Verschiedenheit der natiirlichen Tem¬ peratur. Es vare aber ein grosser Irrthum die Kraft dieser Quellen nach dem Warmegrade zu messen. Nach der ver- schiedenen Temperatur differirt denn nicht die Starke der Heilkraft, sondern die spezielle Eimvirkung auf den Organismus. Es gibt genug Falle, vo nur eine gelindlaue Quelle allein erspriesslichen Nutzen schafft, vahrend eine varmere Quelle nicht durch Ueberschuss an Wirkung, sondern durch die feindliche Art des Einflusses schadlieh vare. Die allgemeine Wirkung der indifferenten Thermen in Form von Badern besteht in einer Belebung und Kraftigung des in der Vitalitat leidenden Nervensystems. Diese Wirkung pflanzt sich weiter auf die Bethatigung des Blutlebens fort. — Dass vor Allem die Hautnerven und die Capillargefassnetze die Ver- mittler sein konnen, liegt sehr nahe. Die peripherische Bethatigung ergreift dann die ganze Circulation mit Inbegriff des Lymphsystems, erhoht die Assimilation und ftthrt endlich wirklich kritische Ausscheidungen herbei. — Leider sind vir noch nicht daran, die Prozeduren des Stoflvechsels genau nachweisen zu konnen. (Vortrefflich und ausfuhrlicli in der Heilquellenlehre von Dr. Jos. Seegen, Docenten der Balneologie. Wien 1858.) Jede dieser Quellen zeigt aber unter der Leitung ihrer der ganzen Classe gemeinschaftlichen Generalwirkung eine gewisse Eigenthiimlichkeit in der Art und der Richtung ihres speciellen Einflusses, und hat daher ihre Lieblingsorganismen, auf die sie vorzugsveise vvohlthatig einwirkt. Je heisser die Quelle ist, desto sturmischer ergreift sie das Nervensystem und \virkt erhitzend auf das Blutleben. Desshalb befordern heissere Quellen nach erfolgter Ausgleichung zivischen Bad- und Korpertemperatur im reicheren Masse Aus¬ scheidungen von Krankheitsstoffen. (Davon die heissesten vorzuglich durch Diaphorese.) Je temperirter die Quelle ist, desto sanfter und beruhigender fiihrt sie die Toniširirung der sensiblen Nerven herbei, ohne die Gefassthatigkeit auffallend zu irritiren. Die Hauptwirkung der lauen Quellen beschrankt sich in der That wahrnehmbar nur auf die Inervation, — daher diese Quellen als die reinsten nervina tonica betrachtet verden, obschon der ganzen Classe der indifferenten Ther¬ men dieser Name zukommt, insofern man nicht auf die secundaren materiellen Stoffveranderungen vergisst. Nach der Temperatur der Quellen ergeben sich demnach folgende Indicationsdirektiven: Je mehr das alienirte Nervenleben Schvvache mit Unempfindlichkeit, reine Anaesthesie, zeigt, desto heisser mussen die Bader sein, damit sie die nothige erschiitternde Eimvirkung aussern. Sie verden aber nur dann sehr heilsam sein, vvenn mit diesem Nerven- torpor auch eine grosse Tragheit und Reizlosigkeit im Gefass-Systeme verbunden ist; also bei Ansesthesie mit Hydrsemie. (Die Quellentemperatur annaherungsweise + 30° E.) Ist mit der Nervenansesthesie aber die eigenthumliche Blutmischung der Ple- thora abdominalis verbunden, so erfordert es ein Herabsteigen der hohen Temperatur (z. B. + 29 ° + 28 °). Sind passive Congestionen aus diesen Blutverhaltnissen vorhanden, so mussen sie besonders beriicksichtigt verden, und man vird oft besser thun, noch etvas herabzugehen. (Quellen zu + 28° + 27°.) im II 106803 Die Nervenschwiiche mit erhohter Sensibilitat, atonia hypersesthetica erfordert schon eine Quelle von gemassigter Warme; denn sensible Nerven bedtirfen einer sanften Erquickung und beruhigenden Ertvarmung. Ist im Blutsysteme Hy- drtemie oder Ansemie vorhanden — also das reizloseste Blutleben, so \verden dieselben Warmegrade vertragen, wie sie bei der Ansesthesia mit passiven Congestionen angegeben sind. — Denn in diesen Fallen wiegt die Reizlosigkeit des Blutlebens in sofern die Sensibilitat der Nerven auf, dass die Tonisirung des Organismus ziemlich intensiv erfolgen darf, oline zu stimulirend zu werden. (+ 28° + 27°) So wie man schon in der Ansesthesia in Verbindung mit Plethora abdo- minalis einen Scliritt auf der Temperaturs - Scala zuriick machen muss, so bedarf es auch bei der Hyperaesthesia cum Blethora abdominalis meist einer Gradeverminderung. (+ 27° -f 25°.) Aebnliches gilt wie oben von den passiven Conge¬ stionen, sie mogen hydramischer oder venoser Natur sein. Es gibt aber eine Constitution von Nervensensibilitat, welche eiu mehr oxydirtes Blutverhaltniss fuhrt und \virklich ein Vorherrschen arterieller Congestionen zeigt — und dieses Bild einer Hyperaesthesia nervorum cum congestionibus activis ist bei vveiten haufiger vertreten, als man glaubte und diess ist die Classe jener Nervenschwachen, \velche nur in niedersten Warmegraden — also in lauen Quellen sich tvohl befinden werden. (+ 24° + 20°.) In der Nichtausscheidung dieser letzterwahnten Hvperasthesie liegt auch die schvvache Werth- legung der lauen indifferenten Thermen, welche dieser Constitution gerade allein ganz zutraglich sind. Erst in neuester Zeit brach man die Lanze fiir den therapeutischen Werth dieser Classe. Gabe es nur reine Typen der verschiedenen Constitutionen, so ware die allgemeine Indication fiir die ver- schiedene Temperatur der indifferenten Thermen leicht in ein kurzes streng begrenztes Schema zusammengefasst. Es vermischen sich aber in der Natur alle diese Verhaltnisse zwischen Nerven- und Blutleben. Ein mehr oder \veniger Her- vortreten des Einen oder des Andern muss den Kranken zu einer andern Quelle leiten. Und doch fuhrt die Entgegen- haltung beider Systeme und ilirer Disharmonie, wodurcli der Charakter jedes speziellen Leidens modifizirt wird, jedenfalls naher zur richtigen Wahl der Quelle. Die letzte Indidualisirung \vird durch die weitere Beriicksichtigung der doch etwas differirenden Analysen der Quellen und der verschiedenen Krankheitszustande noch mehr erschwert. Die Erzielung des erwarteten Erfolges kann jedoch nie gesichert sein, \venn dieselbe nicht so strenge als moglich sowohl nach der allge- meinen Constitution, als nach dem speziellen Leidencomplexe gemacht wurde. — Gerade in der Festhaltung obiger Con- stitutionseintlieilung findet sich auch der Schliissel zur Rechtfertigung der Monografien der indifferenten Thermen, dass sie Alle von den heissesten Quellen Frankreichs angefangen, bis zu den lauen Thermen zu -f- 21° R. beinahe dasselbe Register der indizirten Leiden auffuhren. — Da alle diese Quellen eine gleiche Hauptwirkuug haben, heilen oder bessem sie wirklich ahnliche Leiden, aber sie vvirken durchaus nicHt auf gleiche Kranke wohlthatig. Der Verlauf, die Natur, der Sitz der Iirankheit und die allgemeine Constitution geben die Faktoren, welche dem Badearzte ganz verschiedene Pa- tienten mit den gleichnamigen Leiden produziren. Die vvichtigsten indiffereuten Thermen Europa’s sind folgende: (Die gam wi!Uiihrlitb vod mir gematbten 3 Claiien uod die darin bezeichneten Queileo geben die tirade nacb Reaumur.) I. Classe: Ueisse Otuellen von + 30° anfwarts: Gastein (+ 35° + 39°), San Martino Oberitalien (+ 32° + 38°), Plombieres Ostfrankreich (+ 30° + 52°), Dax Sudfrankreich (+ 24° + 50°), Bains Frankreich Vogesen (+ 40°). II. Classe: Warme ftuellen von + 25° aufwarts: Pfeffers Schvveiz (+ 22° 4- 30°), Tufler (+ 27° + 29°), Wildbad Wiirtemberg (+ 26° + 29°), Neuhaus bei Cilli (+ 28°) Mašino Italien (+ 27°). III. Classe: Lane Gmellen von + 20° anfrarts: Wolkenstein Sachsen (+ 24°), Almeria Spanien (+ 24°), Sackingen Baden (+ 23°), Tobelbad bei Graz (+ 23° + 20°), Sacedon und Albama de Granada Spanien (+ 22°), Badeuvveiler Baden (+ 22°), Voslau (+ 19° + 20°), Liebenzell Wurtenberg (+ 18° +20°). Neuhaus bei Cilli gehort in die II. Classe, daher unter die varmen Quellen und wird vorziiglich jenen Con¬ stitutionen behagen, deren Nervenalienation in einer ziemlich hochgradigen Hvpertesthesie besteht, wahrend das Blut Hvdrsemie zeigt. Selbst Hyper8esthesie mit Plethora abdominalis kann in Neuhaus Besserung finden. Contraindicirt ist aber jene Constitution, welche aiterielle Congestionszustande zeigt. Tobelbad bei Graz gehort unter die lauen Thermen. (III. Classe.) Die Quellen in Tobelbad erquicken durch sanfte Beruhigung ein massig hypencsthctisches Nervensystem, aber sie werden schwerer eine hohere Hyperaesthesie be- schwichtigen. Hier gedeihen aber vorziiglich alle jene nervengereizten Individuen, deren Blutleben selbst in hohem Grade irritabel erscheint, namlich mit dem arteriellen Vorherrschen (Activitat) der Congestionen, welche in \varmeren Quellen noch mehr angefacht werden diirften. ~1 p Nach envahntem Grunde muss die Aufstellung von Krankheiten, welche in Neuhaus und Tobelbad Heilung zu envarten haben, eine gemeinschaftliche seiu und nach meinen vieljahrigen Erfahrungen von Neuhaus und der knndgemachten Indikation von Tobelbad fallen wirklich die Hauptklassen der Zustande in Ein Verzeichniss zusammen. Folgende Leiden sind es, mit deren Heilung sich beide Bader riihmen: 1. Alle Neuvrosen des sensiblen und des raotorischen Apparates (Neuvralgie und Spasmen, Convulsionen), wenn sie entweder rein dynamisch auftreten, oder einem heilbaren organischen Leiden, besonders hysterischen Zustanden ihren Ursprung verdanken. (Bei Migranen und Chorea St. Viti wird Tobelbad besonders geruhmt, weil diese Lei¬ den haufig mit Kopfcongestionen verbunden sind.) 2. Gesunkensein der Vitalitat nach sclnveren Entbindungen, erschopfenden Krankheitsprozessen, Blut- und Safteverlu- sten; im Alter, in imperfekten Lahmungen (Akinesia). Eine kurze Badekur von 2—3 Wochen hat nach iiberstan- denen Typhus in beiden Badern staunens\verthe Erfolge gezeigt. 3. Passive Congestionen des Unterleibes in Hamorrhoidal- und Sexual-Geflechten. Neuhaus ruft haufiger unterdriickte Hamorrhoidalfliisse hervor, wahrend Tobelbad mehr durch eine sanfte Bethatigung die Hamorrhoidalstiirme zu be- schwichtigen sucht. Congestionszustande des Uterus und des Ovariums torpider Art, leichte Infarcten werden hau¬ figer in Neuhaus heilen, \vahrend Uterussenkung und atonische Metrorrhagien in vielen Fallen den grosseren Erfolg in Tobelbad zu ervvarten haben. Beide Bader theilen je nach der allgemeinen Constitution die Erfolge bei Oppres- sion der Menses, beginnender Chlorose, Sterilitat, Abortusanlage. 4. Chronische Aflektionen der Haut, des Zellgewebes, des Muskel- und Banderapparates: serose Ergiisse, Adhaesionen, Rigiditaten, Anschwellungen, Wunden, Geschwure, Ausschlage, meist Folgezustande nach Verletzungen und Ent- zlindungen. 5. Stockungen des Lymphapparates und scrophulose Ulcerationen, Rachitis, rheumatische und leichtere Gichtmanifesta- tionen. Natiirlich haben solche Blutanomalien die langsten Badekuren (3—4 Monate) auszuhalten. Leider kommen haufig Patienten vor, velche nach 3 — 4\vochentlichen Aufenthalte diese Bader ftir nutzlos erklaren, und sie viel zu schnell verlassen. 6. Passive Anschvvellungen der Schleimhaute mit oder ohne Effluvien; Augen-, Magen-, Darm- und Blasenka- tarrhe konnen in Jedem der zwei Bader heilen oder sich bessern. Unfehlbar sind die Erfolge bei chronischen Genitalcatarrhen, wenu die obige Generalindikation der Constitution die Wahl des Bades bestimmt hat. Catarrhe des Respiratoriums heilen iii beiden Badern mehr durch den Aufenthalt in der balsamischen Luft der Coniferen und dem Genuss des milden Climas. Die Bader sind sogar mit Vorsicht und aussetzend anzuwenden. Bei nervosen Husten habe ich in Neuhaus vom Bade sehr gunstige Erfolge gesehen. (Merkurialdyskrasie soli in Neuhaus grossen Erfolg haben.) Tobelbad bel Graz liegt westlich eine Stunde entfernt von benannter Stadt und wird sich noch in dieser Saison der Vollendung der den Kurort bestreichenden Koflacher Eisenbahn erfreuen. Die Lage ist, wie am Eingange bemerkt wurde, reizend schon, und das Clima aussei-st mild. Es besitzt ebenfalls Bassins (zu + 23° und -f- 20° R.), Wannenbader, Douchen, Tropf- und Regenbader und ein kleines hoher envarmtes Bassin (+ 28° R.). Kursal, Wandel- bahn, Promenaden, Anlagen und Comfort aller Art vennisst Tobelbad keineswegs. Die Saison dauert vom 1. Mai bis Ende September. Diese kurzgefassten Grundzuge des balneologischen Heilapparates speciell der indifferenten Thermen hatten die Aufgabe, Tobelbad’s Najade ebenfalls zur verdienten Geltung zu bringen. Moge meine Kunstgenossenschaft ihre schwache Losung zum Heile der Menschheit erganzen! Graz im Marž 1859. (■ustav v. Kottonitz, Dr. der Medizin & Chirurgie, Magister der Geburtshilfe, gegenwartig: st. st. Badedirektor in Tobelbad. Drack von Jos. A. Kienreieh in Gras. / ' g : J oT fr: SKČjf.TrsZ 'A T ; : . , : / ' T i iiV ■ ■ i’”' - • ■ - ’ ‘:: .r•■:■•:; V . - ' • M s ■ ■ .1,: j J ’• .. •&■?: :j;' . : . t £; i ■: ■ : o' $ .. o3 fr. 7.i ;if 1 -...:■ a ' a‘)hT- r k JDV.M -lil 7 ■! t:-i <: >m :. : i .. r K:, ' : i ■ /vil' . 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