SAMMLUNG VIEWEG TAGESFRAGEN AUS DEN GEBIETEN DER NATURWISSENSCHAFTEN UND DER TECHN1R Heft 35 THeorie der Gezeitenkrafte Von Dr. Aloys Mtiller FRIEDR. VIEWEG d'SOH N BRAUNSCHWEIG Uie „SammIung Vieweg“ hat sich die Rufgabe gestellt, Wissens- und Forschungsgebiete, Theorien, chemisch-technische Verfahren usw., die im Stadium der Entwicklung stehen durch zusammen- fassende Behandlung unter Beifugung der wichtigsten Literaturangaben weiteren Kreisen bekanntzumachen und ihren augenblicklichen Ent- wicklungsstand zu beleuchten. Sie will dadurch die Orientierung erleichtern und die Richtung zu zeigen suchen, welche die weitere Forschung einzuschlagen hat. Verzeichnis der bisher erscbienenen Hefte siehe 3. und 4. Umschlagseite. Ris Herausgeber der einzelnen Gebiete, auf welche sich die Sammlung Vieweg zunachst erstreckt, sind tatig und zwar fiir: Physik (theoretische und praktisdie, und mathematische Probleme): Herr Professor Dr. Karl Scheel, Physikal.-Techn.Reidisanstalt, Chariottenburg; Kosmische Physik (Rstrophysik, Meteorologie und wissenschaftliche Luftfahrt — Rerologie — Geophysik): Herr Geh. Ober-Reg.-Rat Professor Dr. med. et phil. R. flssmann in GieBen; Chemie (Rllgemeine, Organische und Rnorganische Chemie, Physikal. Chemie, Elektrochemie, Technische Chemie, Chemie in ihrer Rn- wendung auf Kunste und Gewerbe, Photodiemie, Metaliurgie, Bergbau): Herr Professor Dr. B. Neumann, Techn. Hodiscbule, Breslau; Technik (Elektro-, Maschinen-, Schiffbautechnik, Fiugtechnik, Motoren, Briickenbau):. Herr Professor Dr.-Ing. h. c. Fritz Emde, Techn. Hochschuie, Stuttgart; Biologie (Rllgemeine Biologie der Tiere und Pflanzen, Biophysik, Bio- diemie, Immunitatsforschung, Pharmakodynamik, Chemotherapie): Herr Professor Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer, Berlin- Grunewald. Theorie der Gezeitenkrafte Von Dr. Aloys Muller Mit 17 Abbildungen Braunschvveig Druck und Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn 19 16 Al 1 e Rechte vorbehalten. t W Copyright, 1916, by Friedr. Yieweg & Sohn, Braun9chweig, Germany. Vorwort. Die Schrift will die Diskussion iiber den Ursprung des Kraft- feldes, dem die charakteristischen Eigenschaften der Tiden ihre Form verdanken, in lioffentlich endgiiltiger Weise zum Abschlufi bringen. Weil ich sie gern in weiten Kreisen wirksam šahe, habe ich durcb sorgfaltige Disposition ihr Verstandnis zu fordern gesucht und das Mathematische elementar gebalten. Allerdings ist ihre Mathematik dadurcb etwas ungleichmaCig geworden. Rottgen bei Bonn, April 1916. Dr. Aloys Miiller. * Inhaltsverzeiclmis. Seite Vorwort. III I. l>as Problem. § 1. Die Ursaehen der Oberflachengestaltung der Meere. 1 § 2. Die charakteristischen Eigenschaften der Tiden. 2 § 3. Primare und sekundare Ursaehen .. 3 § 4. Formulierung des Problems. 5 § 5. Bezeichnungen. 7 II. Die Bewegungsverhaltnisse in den fluterzeugenden Systemen. § 6. Allgemeine und numerische Charakterisierung. 8 § 7. Revolution ohne Rotation.10 § 8. Andere Darstellung der Revolution ohne Rotation.11 § 9. Ein Modeli des Sjstems Erde-Mond.15 III. IIangel in den iiblichen Theorien der Gezeitenkrafte. § 10. Die Ableitung der fluterzeugenden Beschleunigungen aus den blofien Differenzen der Gravitationsbesehleunigungen.17 § 11. Einige Beispiele dieser Ableitung.20 § 12. Unrichtige Auffassung der Revolution ohne Rotation ..24 § 13. Einige Beispiele dieser Darstellung.25 § 14. Nicht hinreiehende Allgemeinheit der Losung.30 IT. Die Relativtheorie der fluterzeugenden Beschleunigungen. § 15. Grundlage und Ableitung der Ausdriicke.31 § 16. Die Gravitationsunterschiede in der Relativtheorie.34 § 17. Eine einfachere Darstellung der Relativtheorie.35 § 18. Die fluterzeugenden Beschleunigungen im Nadir.37 V. Die Zentrifugalkraft. § 19. Die Ableitung der fluterzeugenden Beschleunigungen in ellip- tischer Bahn mit Hilfe des herkommlichen Zentrifugalkraft- begriffes.39 § 20. Strenge Ableitung des analytischen Begriffes der Zentrifugalkraft fiir die Kreisbahn.41 VI Seite § 21. Der analytische Begriff der Zentrifugalkraft fiir jede beliebige Babn.45 § 22. Die Zentrifugalbesehleunigung und die Methode der Differenz der Absolutbeschleunigungen.49 § 23. Zentrifugalkraft und Zentripetalkraft.50 § 24. Phanomenologisches zur Zentrifugalkraft.51 VI. Die Zentrifugalkrafttheorie der lluterzeugenden Beschlennigungen. § 25. Die Grundformeln und ihre weitere Analyse . . . t.56 § 26. Ableitung auf Grund der Potentialtheorie.61 § 27. Vergleich der Relativtheorie und der Zentrifugalkrafttheorie unter- einander, mit der Theorie der blofien Gravitationsbeschleuni- gungen und mit den Tidentheorien.63 VII. Die halbtagigen Perioden der Tiden. § 28. Die halbtagige Periode in dem System Erde-Mond.65 § 29. Die halbtagige Periode in dem System Erde-Sonne.68 § 30. Die Kombination von Mond- und Sonnentiden.70 VIII. Die Beziehnng der Theorie der fctezeitenkriifte ziim kopernikanischen VVeltsj stem. ij 31. Die Theorie Galileis.74 § 32. Die Beweiskraft der Tiden fiir das kopernikanische System ... 78 I. Das Problem. § 1. Die Ursachen der Oberflachengestaltung der Meere. Wenn man nnter člen Ursachen der Oberflachengestaltung der Meere die Einfliisse versteht, die die relative Lage des Niveaus der Meere oder Teile von ihnen zum Erdschwerpunkt hestimmen, so kann man die hauptsachlichsten in folgender Weise unter- scheiden: A. Standig vorhandene oder regelmaCig wirkende Ursachen. I. Ursachen irdischen Ursprungs. 1. Die Anziehungskraft der Erde. 2. Die Rotation der Erde. 3. Die Verteilung der Kontinentalmassen. 4. Periodische meteorologische Einfliisse: Wind, Luftdruck, Regenfall. II. U rsachen auCerirdischen Ursprungs. 1. Die Anziehungskrafte von Mond und Sonne. 2. Die Revolution der Erde in den Systemen Erde—Mond und Erde—Sonne. 3. Die Neigungen der Bahnebenen von Mond und Erde gegen die Acpiatorebene. B. Nicht regelmaCig wirkende Ursachen. 1. Seismische Vorgange. 2. Vulkanische Vorgange. 3. Temperatur- und Salzgehaltsanderungen des Meerwassers. 4. Nicht periodische meteorologische Einfliisse, die sich wie vorhin zerlegen lassen. Die nicht regelmaCig wirkenden Ursachen interessieren uns nicht weiter. Von den regelmaCig cvirkenden scheiden wir die- Aloys Miiller, Gezeitenkrafte. \ 2 jenigen aus, die eine symmetrisch um die Erdachse verteilte und konstante Niveauflache des Meeres herstellen. Es sind dies die Anziehungskraft der Erde und die Rotationszentrifugalkraft. Die iibrigbleibenden sind nun die Ursachen der Gesamterscbeinung der Gezeiten oder Tiden. Die Tiden sind eine Wellen- erscbeinung, also eine periodische Storung der konstanten Niveauflache. Da mit allen Wellen in Fliissigkeiten auch Stro- mungen verbunden sind, die beim Wellenberg in der Fortschrei- tungsrichtung der Welle, beim Wellental in der umgekehrten Richtung erfolgen, so gibt es auch Gezeitenstromungen, die entsprechend der Wellenlange (bis zu 20 000 km) grobe Bereiche umfassen. Das Wort „Tiden“ ist ein plattdeutsches Wort aus der See- mannssprache. Von dem Plural „die Gezeiten“ bildet man neuer- dings haufig den Singular „die Gezeit“. § 2. Die charakteristischen Eigenseliaften der Tiden. Um die Ursachen der Gesamterscheinung der Tiden noch genauer auseinanderhalten zu konnen, miissen wir die Frage nacli den charakteristischen Eigenschaften der Tiden erheben. Man darf darunter nicht die praktischen oder fiir den ein- zelnen Hafenort wichtigsten Eigenschaften verstehen. Die letz- teren sind Hohe der Flut und Zeit des Eintreffens. Wenn aber ein Hafenort diese Werte fiir jeden Fali aus seinen Konstanten oder Tabellen bestimmen kann, dann ist es ihm vollig gleich- giiltig, ob beispielsweise dieselbe Periode der Tiden, die er kennt, allgemein gilt oder nicht. Um die charakteristischen Eigenschaften zu finden, miissen wir von allen ortlichen Besonderheiten ab- strahieren und deshalb die Erde als Ganzes ins Auge fassen. Dann ergibt sich sofort als vornehmste Eigenschaft, die die Tiden- erscheinung charakterisiert, die Tatsache, dah im Durchschnitt an zwei antipodischen Punkten der Erde Hochwasser bzw. Niedrig- wasser ist. Ferner lassen sorgfaltige Beobachtungen erkennen, dah die Amplitude der Nadirflut etwas kleiner ist als die der Zenitflut. Dieser Unterschied ist aber nicht mit der sogenaunten taglichen Ungleichheit zu verwechseln; die letztere ist eine Er- scheinung fiir denselben Ort auberhalb des Aquators, also ein Ortswert, und eine Folge der Neigungen der Mond- und Erd- 3 bahn gegen die Aquatorebene (§ 25). Die charakteristischen Eigenschaften sind also: 1. Die harmonische Dualitat der gleichen Tidenphasen. 2. Der Maximalwert der Zenitflut. § 3. Primare und sekundiire Ursachen. Die Ursachen, von denen die genannten charakteristischen Eigenschaften der Tiden herriihren, nennen wir die primaren Ursachen; die ubrigen sind sekundarer Natur. Weil in der Tabelle von § 1 die sekundaren Ursachen nicht alle ausdriicklich aufgezahlt sind, folgen die hauptsachlichsten hier: 1. Die veranderliche Deklination von Mond und Sonne. 2. Die veranderliche Konstellation von Mond und Sonne. 3. Die veranderliche Entfernung von Mond und Sonne. 4. Die Verteilung von Land und Wasser. 5. Die Ablenkung durch die Rotation. 6. Die periodischen meteorologischen Einfliisse. 7. Die Interferenz der Wellen. 8. Das Auftreten freier Wellen, 9. Die Tiefe der Meere. 10. Die Reibung. Durch den Ausdruck „sekundare“ Ursachen soli nicht gesagt sein, dah die Wirkung derselben im Vergleich zu der der primaren Ursachen unbedeutend ware. Das Gegenteil ist der Fali. Nimmt man die charakteristischen Eigenschaften der Tiden zusammen mit der die halbtagige Periode bewirkenden Rotation, so erhiilt man ein ideales Bild der ortlichen Tiden, wie es nirgendwo auf der Erde existiert. Es gibt niclits an diesem idealen Bild, das die sekundaren Ursachen nicht innerhalb weiter, teilweise sogar innerhalb der iiberhaupt moglichen Grenzen zu andern fahig waren. Um das an einem einzelnen Moment, namlich dem Ein H uti der sekundaren Ursachen auf das Fortschreiten der Flutwelle, zu zeigen, kann die beigefiigte Karte der Isorhachien (der Linien gleicher Hafenzeit) des Atlantischen und Indischen Ozeans nach Airy dienen [Fig. 1, a-f-S. 1 )]. Sie gibt allerdings nur ein nach unserem J ) Aus Airy s „Tides and Waves“ nach G. H. Dai-vvin, Ebbe und Flut, S. 172, 1902. 1 * Fig. 1 4 lieutigen Wissen sehr verbesserungsbediirftiges und unsicheres Bild der AVirklicbkeit, besonders was das Fortschreiten der Welle liber den freien Ozean angeht. Aber sie geniigt fiir unseren Zweck, zumal es noch keine bessere, wenigstens fiir so grobe Ge- Isorhachien des Atlantisohen und Indischen Ozeans nach Airy. 5 biete, gibt. Die Linien stellen das Fortschreiten der Welle von Stunde zu Stunde nach Greenwicher Zeit dar. Die mit XII be- zeicbneten Linien geben also die Lage der VVellenkamme um 12 Uhr Greenwicber Zeit wieder. Zu derselben Zeit liegen die Wellentaler auf den Linien VI. Sehr schon zeigt die Karte aucb, wie das Fortschreiten der Welle an den Kiisten durch Reibung in flacherem VVasser verzogert wird. So machtig nun aber auch der Einfiu 6 der sekundaren Ur- sachen ist, so hat er doch die Wirkung der primaren Ursachen zur notwendigen Voraussetzung. Ohne die primaren Ursachen wiirden die sekundaren, wenigstens als Faktoren in der Ge- zeitenerscheinung, nicht existieren. Damit ist die Bezeichnung gerechtfertigt. § 4. Formulierung des Problems. Das Problem dieser Schrift laht sich jetzt so formulieren: Es sollen die primaren Ursachen gefunden \verden, die zum Verstandnis der charakteristischen Eigenschaften der Tiden notwendig und hinreichend sind. Wir wollen also den Ursprung des Kraftfeldes feststellen, von dem diese Eigenschaften herruhren. Nun hangen aber die storenden K rafte, ude wir fiir die primaren Ursachen auch sagen konnen, mit sekundaren Ursachen notwendig zusammen. So hat z. B. der Mond, dessen Anziehungskraft das in Frage stehende Kraftfeld mitbestimmt, immer eine bestimmte Deklination, eine bestimmte Entfernung usw. Es wird deshalb nicht moglich sein, die Feststellung des Ursprunges des Kraftfeldes roinlich von der Beschreibung seiner Veranderungen zu trennen. Wir beziehen aber diese Beschreibung nur insoweit ein, als sie nicht unmittelbar der Praxis dient. So laht sich denn unsere Aufgabe, zwar etwas ungenau, aber immerhin am besten als Theorie der Gezeiten- krafte bezeichnen. Ausgeschlossen* ist demnach von unserer Darstellung die Ableitung der charakteristischen Eigenschaften mit ihren Be- sonderheiten (Hohe, Periode usw.), denn sie wiirde iiber unser Thema einer Theorie der Krafte hinausgehen. Die Ableitung hangt nicht nur von den fluterzeugenden Kraften, sondern auch von der Beschaffenheit des Materials ab, auf das die Krafte 6 wirken. Sie wiirde eine praktische Anwendung der Ausdriicke fiir die Gezeitenkrafte bedeuten und spezielle Annabmen iiber die Beschaffenheit der Wasserliiille und der Erde selbst notig machen. Sie gehort in eine Tidentheorie. Wir wollen lediglicb ein solcbes Kraftfeld aufsuchen, das uns zum allgemeinsten Ver- standnis der Form der cbarakteristischen Eigenscbaften verhelfen kann. Diese allgemeine Form der Eigenscbaften — in Betracht kommt, wie wir spater seben werden (§ 18), praktisch ausschlieb- lich die erste — mufi sich aus jeder Tidentheorie ergeben, wie immer sie sicb auch auf Grund jener speziellen Annahmen dar- stellen mag. Desbalb konnen wir auch, ohne damit in die An- wendung zu verfallen, gelegentlich beispielsweise sagen: es ent- stebt eine Flut. Damit ware unsere Hauptaufgabe nacb der positiven und negativen Seite hinreichend deutlich gemacht. Einiger Worte bedarf es noch dariiber, wie weit wir die Rotation der Erde ausschliefien und einschliefien. Die Rotation spielt nach dem Bisherigen eine dreifache Rolle in der Ober- flachengestaltung der Meere: 1. Sie erzeugt gemeinsam mit der Anziekungskraft der Erde eine konstante Niveauflache des Wassers. 2. Sie ist die Ursache der halbtagigen Perioden der Tiden. 3. Sie wirkt als sekundare Ursache durch die Ablenkung der Fluten (analog wie z. B. bei den Passaten). Die dritte Wirkung gehort obne Zweifel in die Tidentheorie, ikre Betracbtung fallt also aus unserem Tbema beraus. Ein Zweifel konnte im Hinblick auf die erste Wirkung bestehen. Nun ist es gewifi ohne Schwierigkeit moglich, gleichzeitig ali e Krafte in Betracht zu zieben, die auf einen Punkt der Erdoberflache \virken, also aucli die Anziehungskraft der Erde und die Rotations- zentrifugalkraft. Aber es ist zunachst aus einem mehr formellen Grunde ricbtiger, von diesen beiden abzusehen. Die Tiden be- sitzen, wie wir schon sagten, den Charakter der Storung einer konstanten Niveauilacbe. Wenn man also diesen Charakter nicbt venvischen will, dann darf man die genannten Krafte nicbt zu den fluterzeugenden Kraften rechnen. Dazu kommt als ausschlag- gebend ein sachlicher Grund. Die Rotation bat namlich, wie unsere spateren Ausfiibrungen noch deutlicher zeigen werden, 7 keinen EinfluC auf den wesentliclien Charakter der Tiden. Be- saGe die Erde n ur Rotation, vare also kein Systemkorper, so vare eine Tidenerscheinung iiberhaupt unmoglich. Hatte um- gekehrt die Erde k eine Rotation, vare aber ein Systemkorper, so viirden die cbarakteristiscben Eigenscbaften der Tiden die- selben bleiben, die sie in Wirklichkeit sind. Die Amplituden und die Perioden der Tiden varen dann allerdings geandert, aber das bedeutet, die Erde als Ganzes betrachtet, keine wesentliche Ande- rung. Die Beriicksichtigung der Rotation, soweit die erste der genannten Wirkungen in Betracbt kommt, gehort also nicbt in eine Theorie der Gezeitenkrafte, sie bat erst in der Tidentheorie dadurcb zu erfolgen, daG die Ausdriicke fiir die Gezeitenkrafte auf die Gleichgevichtsform der rotierenden Erde angevandt werden. In einem Punkte aber miissen vir iiber die Theorie der Gezeitenkrafte kinausgehen, namlich binsichtlich der zveiten Wirkung der Rotation. Die halbtagige Periode der Tiden stellt sicb namlich nacb der Theorie der Gezeitenkrafte, wie sie im folgenden entvickelt vird, anders dar, als nach der iiblichen Theorie. Es wird darum notig sein, kurz dar auf einzugehen (Kap. VII). SchlieGlich besitzt die Theorie der Gezeitenkrafte noch eine kaum irgendwo bemerkte, aber interessante und wicktige Be- ziehung zum kopernikanischen Weltsystem, die vir im SchluG- kapitel besprechen wollen. § 5. Bezeiclmungen. Jede Bezeichnung ist da, wo sie zuerst angefuhrt wird, er- klart. Um aber an spateren Stellen das lastige Zuriicksuchen uberfliissig zu machen, mogen die ofters gebrauchten Bezeichnungen hier zusammenstehen: r = Erdradius m = Erdmasse g — Fallbeschleunigung an der Erdoberflache co = Winkelgeschwindigkeit d — Abstand eines beliebigen Punktes der Erdoberflache Ton der Systemachse M = Masse des storenden Gestirnes T = Umlaufszeit des storenden Gestirnes 8 G — Einheit der Beschleunigung der g D = Entfermmg der Mittelpunkte Erde A = Entfernung der Mittelpunkte Erd Mond- ) Sonnen-j Anziehung Mond Sonne (Mond I Sonne ausgedriickt in Erdradien E — Abstand eines beliebigen Punktes der Erdoberflache vom Mittelpunkt des storenden Korpers V = P>ahngeschwindigkeit der Erde c = Revolutionszentrifugalbeschleunigung q = Kriimmungsradius z — wahre Zenitdistanz des storenden Korpers z' = scbeinbare „ „ „ „ % = Stundenwinkel des storenden Gestirnes le = Gravitationskonstante h und v = — angehangt — horizontale und vertikale Kom¬ ponente. Wir setzen die Erde als kugelformig voraus, nehmen also an, dah die Resultante der Anziehungskrafte der Sonne bzw. des Mondes genau durck ihren Schwerpunkt geht, den wir mit dem Massenmittelpunkt und dem geometriscben Mittelpunkt zusammen- fallen lassen. II. Die Bewegungsverhaltnisse in den fluterzeugenden § 6. Allgemeine und numerische Charakterisierung. Wir nennen Rotation die Drehung eines Korpers (oder Systems) um eine durcb den Schwerpunkt des Korpers (oder Systems) gehende Achse, Revolution die Drehung um eine auberhalb des Schwerpunktes liegende Achse. Die Revolution eines Korpers bedeutet also stets die Rotation eines Systems, dem der Korper angehort. In jedem der fluterzeugenden Systeme Erde-Mond und Erde—Sonne fiihren die beiden Korper, wenn man von der Pra- zession und der Nutation absieht, zwei Arten von Bewegungen aus: 1. eine Rotation um die augenblickliche Drehungsackse, 2. eine Revolution um die Schwerpunktsachse des Systems. Systemen. 9 Die Rotationszeit der Erde betragt 24 Stunden, die des Mondes rund 27,3 Tage, die der Sonne ist nacli der Breite verschieden. Die Revolutionszeit beiderKorper betragt im System Erde—Mond 27,3 Tage (siderischer Monat), im System Erde-Sonne 356,26 mitt- lere Sonnentage (sideriscbes Jabr). Sind m 1 und m 2 die Massen zweier Sjstemkorper, r x und r 2 die Abstande ibrer Scbwerpunkte yom Systemschwerpunkt, B der Abstand ibrer Schwerpunkte voneinander, so berecbnen sich r x nnd r 2 wie folgt: n _ «h r 2 ~~ m 1 _y\ _ _ rn 2 r x + r 2 ~ jmj + m 2 und, da = B, aucb r\ __ m 2 _ B m x -\- m c, Daraus B m 2 _ B 1 — m x + m 2 ~ l m 2 Da die Bahn der Erde in beiden Systemen, bezogen auf den Systemschwerpunkt, eine Ellipse ist'), bat r t in beiden Systemen einen Maximal- und einen Minimahvert. Eiir das System Erde-Mond ist der Maximalwert der Entfernung Erde- scbwerpunkt—Systemscbwerpunkt 5026 km und der Minimahvert 4403 km. Daraus folgt eine lineare Exzentrizitat der Erdbabn in diesem System von rund 311 km. Da der Erdradius eine Lange von 6370 km besitzt, gebt die Systemachse durcb den Erd- korper, senkrecht zur Zentrale des Systems. Im Perigaum liegt sie 1967km, im Apogaum 1344km unter der Erdoberflacbe. In dem System Erde-Sonne liegt der Systemschwerpunkt im Maximum 456km, im Minimum 441 km vom Sonnenschwerpunkt entfernt; die lineare Exzentrizitat der Sonnenbahn folgt daraus zu 7,5 km. Praktisch lafit man den Systemschiverpunkt Erde-Sonne in den Sonnenscbwerpunkt fallen. Desbalb sagt man nach dem ersten M Strenggenommen beschreibt in dem System Erde-Sonne nicht die Erde, sondern der Systemschwerpunkt Erde-Mond diese Ellipse. Doch sehen wir davon ab. Theoretiscb mubte das eine der halbtagigen Hauptsonnen- tide uberlagerte halbmonatlicbe Tide geben (vgl. § 25). 10 Keplerschen Gesetz, die Sonne stehe in dem einen Brennpunkte der Erdbahn, und nennt Radiusvektor die Verbindungslinie der Mittelpunkte Erde—Sonne. Weil aber diese Verhaltnisse des Systems Erde-Mond in der Tbeorie der Gezeitenkrafte eine ent- scheidende Rolle spielen, muB man sicb deutlich macben, daB jene Redeweise ungenau ist. Der Schwerpunkt des Systems zweier Korper liegt in dem einen Brennpunkt ibrer Babnen, und die Radienvektoren sind die Verbindungslinien ibrer Mittelpunkte mit diesem Brennpunkte. Die Bahn, die der groBere der beiden Korper eines Systems bei der Revolution bescbreibt, ist ein verkleinertes Bild der Bahn des kleinen Korpers. Die Storungen der Bewegungen, auf die wir hier keine Riick- sicht genommen haben, konnen bei der in § 25 angedeuteten weiteren Analyse der dort entwickelten Gleichungen einbezogen werden. § 7. Revolution olme Rotation. Yv T enn wir nach § 4 vorlaufig von der Rotation der Erde ab- seben, so durften fiir den Pbysiker die folgenden kurzen Be- merkungen iiber die Art der dann nocb iibrigbleibenden Bewegung der Erde genugen. Erteilt man den Punkten der Erde obne Anderung ihrer relativen Lage eine Verschiebung dx parallel zur a;-Acbse, 8y parallel zur y -Achse und 8z parallel zur ^-Achse, so ist die Be- wegung des Schwerpunktes durcb die Gleichungen bestimmt „ -rr m la‘ = sx < m m d 2 tj dt 2 dn dt 2 = ZY, = ZZ, wo m die Erdmasse, X, Y , Z die in der Ricbtung der positiven Achsen wirkenden Krafte und f, rj, g die Koordinaten des Schvrer- punktes sind. Da nun nach unserer Voraussetzung von der einzig moglichen Anderung der relativen Lage, namlich der Rotation, abgesehen wird, so wird die Bewegung aller Punkte der Erde 11 gleich der des Scliwerpunktes sein. Die Bewegung wird also so vor sich gehen, daB jede beliebige Ebene des Erdkorpers, z. B. eine Meridianebene, parallel mit sich selbst verschoben wird. Eine Revolution oline Rotation ist eine reine Translation. Die allgemeine Charakterisierung einer reinen Translation, daB alle Punkte identische Vektoren bescbreiben, laBt sich im vor- liegenden Falle folgendermaBen spezialisieren: 1. Alle Punkte der Erde beschreiben gleich groBe elliptische Bahnen, deren Ebenen parallel sind. 2. Die Radienvektoren aller Punkte der Erde sind in jedem Augenblick der Bewegung einander und der Zentrale des Systems parallel und sind gleich der Entfernung des Erdschwerpunktes vom Systemschwerpunkt. Richtige Charakterisierungen der Revolution ohne Rotation fiir den speziellen Fali der Kreisbahn haben unter anderen C. A. F. Peters 1 ), Helmert 2 ), W. M. Davis 3 ), G. H. Darvvin 4 * ), W. Schweydar 6 ), Kriimmel 6 ) gegeben. § 8. Andere Darstellung der Revolution ohne Rotation. Es scheint, daB in diesen einfachen Bberlegungen eine eigen- artige Schwierigkeit steckt, die so groB ist, daB selbst so aus- gezeichnete theoretische Physiker vvie W. Thomson, Tait, W. Voigt u, a., wie wir noch sehen werden (§ 13), zu einer falschen Auffassung kamen. Deshalb mag die tTberlegung des letzten Paragraphen noch einmal einfacher und ausfiihrlicher wiederholt werden. Wir betrachten das System Erde—Mond (Fig. 2, a. f. S.). O sei der Mittelpunkt der Erde, M der Mond, P der Systemschwerpunkt. Die Senkrechte in P auf O AT ist die Systemachse, wenn die Bahnebene senkrecht zur Zeichenebene steht. Wir legen ein rechtwinkeliges Koordinatensystem im Raume fest, und zwar so, i) C. A. F. Peters, Astron. Nacbr. 91, 2175 und (naoh seinem Zitat) im Buli. d. Petersburger Akad. 1845, Bd. 3. — 2 ) Helmert, Die mathe- matischen und physikalisclien Theorien der hoheren Geodasie 2, S. 3 f., 1884, und Astron. Nachr. 91, 2175. — 8 ) W. M. Davis, Journ. of School Geography 2, 129, 1898. — 4 ) G. H. Darwin, Ebbe und Flut sowie verwandte Er- scheinungen im Sonnensystem 1902, S. 79 ff. — 6 ) W. Sehweydar, Ann. d. Hydrogr. u. marit. Meteorol., 35. Jahrg., 1907, S. 179. — 6 ) Kriimmel, Handb. d. Ozeanographie 2, 209 ff., 1911. 12 dafi die #-Achse in die Systemachse fallt und die ?/-Achse in P auf der Zeichenebene senkrecht steht; fiir den Zeitpunkt, den die Figur darstellt, fallt dann die *-Aclise in die Zentrale. Fig. 2. Wir denken uns nun zwei beliebige Punkte P 1 und P 2 der Erde durch eine Gerade verbunden. Diese Gerade bilde mit der ^-ar-Ebene (also mit der Zeichenebene) den Winkel cp. Versetzen wir jetzt die Erde in Bewegung, so soli sie dabei keine Rotation ■sveder um ihre Scbwerpunktsacbse nocb um irgend eine andere Achse machen, es soli also aucb die Schvverpunktsachse sicb immer selbst parallel bleiben. Dann mulj der Winkel, den P, P 2 mit der z-x-Pbene bildet, stets gleicb cp sein, denn P x P 2 hat offenbar eine feste Lage zu einer beliebigen Ebene im Erdkorper, etwa zu der Meridianebene, die durch P x gebt. Diese Meridian- ebene bildet zu der Zeit, wo die Bewegung beginnt, mit der •s-z-Ebene einen Winkel cp' und muB denselben svahrend der Be- wegung beibebalten, weil nur die Rotation den Winkel einer Meridianebene mit einer im Raume festen Flache andern kann. Also behalt aucb die Strecke P X P 2 den Winkel cp mit der z-x- Ebene wahrend der Bewegung bei. Da die Punkte beliebig waren, konnen wir das Resultat in die Worte fassen: Bewegt sicb die Erde ohne Rotation, so bleibt die Verbindungs- linie zweier beliebiger Punkte der Erde stets sicb selbst parallel. Stellen wir uns jetzt vor, die Strecke P 1 P 2 werde allein im Raume parallel mit sicb selbst bewegt. Nach der Zeit t rnogen ibre Endpunkte in die Raumpunkte P\ P 2 fallen, nach der Zeit 2f in die Raumpunkte P"P", nach der Zeit 3 1 in die Raumpunkte P'"P”' usw. Dann folgt, daB die Strecken P 1 P[, P 2 P[ , PjP”, P’P" usw. einander gleicb sind. Dasselbe gilt offensicbtlich fiir alle Punkte der Strecke P x P 2 . W iirde also z. B. die Strecke eine « 13 Kreisbewegung machen, so wiirden alle ihre Punkte gleicli grofje Kreke beschreiben. Was fiir die Strecke I\ P 2 gilt, gilt fiir jede Verbindungslinie beliebiger Punkte, also fiir die ganze Erde. Es ergibt sich somit: Macbt die Erde eine Revolutionsbewegung ohne Rotation, so beschreiben alle ihre Punkte Babnen, die derBahn des Schwerpunktes gleicb und derenEbenen parallel sind. Die Bahnen sind Ellipsen. Die Bahn des Erdscbwerpunktes hat als einen Brennpunkt den Systemschwerpunkt. Wir stellen uns das Sjstem in einem beliebigen Zeitpunkte vor und denken uns fiir diesen Augenblick von jedem Punkte der Erde seinen Radiusvektor zu dem zugeborigen Brennpunkte gezogen. Diese Radienvektoren sind nun nicbt nur gleicb, sondern auch parallel. Waren sie namlich nicbt parallel, so vare das vorhin gewonnene Resultat nicht ricbtig. Der Nachveis ist einfacb. I\ und P 2 seien vieder zwei beliebige Punkte der Erde, M 1 und M 2 die zu¬ geborigen Brennpunkte. 1\ il/ 1 und P 2 M, 2 mogen nun zwar gleicb, aber nicbt parallel sein (Fig. 3). Nun mufi aber 1\ P 2 nach Fig. 3. unserem ersten Resultat sich stets parallel bleiben. Soli also P, Ib mit sich parallel so verschoben verden, dafi I\ und P 2 gleicbe Bahnen um M x und M a beschreiben, so ist das im Falle der Figur nicbt moglich. Kommt P r P 2 parallel mit sich selbst nacbP^Pj, so konnen die Babnen, die die Endpunkte bescbrieben haben, gleichgiiltig, welche Form sie besitzen, relativ zu J\I X und M a nicbt gleicli sein, weil Pj nicbt gleich ilf 2 Pj ist. Sind um- gekehrt die Bahnen von P x und P 2 gleich, wie bei den ein- gezeichneten Bahnstiicken (der Einfachheit wegen sind Kreisstiicke genommen), so ist P"P" veder gleich noch parallel P 1 P 2 . Unser letztes Resultat schliebt demnach als Voraussetzung die Paralle- litat der Radienvektoren ein. E in solcher Radiusvektor ist uns 14 bekannt, namlich die Verbindungslinie zwischen Erdschwerpunkt und Systemschwerpunkt, die stets in der Zentrale des Systems liegen mufi. Somit haben wir den weiteren Satz: Die Radien- vektoren samtlicher Punkte der Erde sind bei der Revo- lution ohne Rotation in jedem Zeitmoment einander und der Zentrale des Systems parallel. In den drei Resultaten finden wir die Ergebnisse von § 7 wieder. Fig. 4. Fig. 4 gibt ein Bild zweier Phasen der Bewegung. Die Zeicben- 7t ebene ist die Bahnebene. Der Phasenwinkel betragt — • Die A erste Phase (ausgezogen) gibt die Stellung im Apogaum, die zweite 3 (gestricbelt) bei einer wabren Anomalie von — n. Von drei Punkten ist die Bahnellipse mit den zugehorigen Brennpunkten eingezeicbnet, namlich vom Mittelpunkt O und den beiden be- liebigen Punkten P 1 und P 2 . Die Gleichheit der Bahnen und Radienvektoren und die Parallelitat der letzteren sind deutlich zu sehen. Die Exzentrizitat ist iibermafiig grofi angenommen; iufolgedessen ist der Systemschwerpunkt, der in der ausgezogenen Phase richtig gezeichnet ist, in der gestrichelten zu nahe an den 15 Mittelpunkt geriiekt. Die den einzelnen Punkten zugehorigen Brennpunkte, d. h. diejenigen Brennpunkte, die fur sie dieselbe Rolle spielen wie der Systemschwerpunkt fiir den Mittelpunkt, sind in dem Volumen einer Kugel von der Grofie der Erde an- geordnet, deren Mittelpunkt im Systemschwerpunkt liegt und die mit der Revolution der Systemkorper um die Systemachse rotiert. § 9. Ein Modeli des Systems Erde-Mond. Unter Voraussetzung der Kreisbewegung lietio sich ein aucb in Schulen brauchbares Modeli des Systems Erde—Mond kon- struieren, das eine Revolution der Erde ohne Rotation zeigt. Fig. 5 Fig. 5. gibt eine scbematiscbe Skizze, die natiirlich weder auf konstruk- tive Einzelheiten sich festlegen noch auf technische Eleganz An- spruch erheben will. Die Zahlen 1 bis 8 bezeichnen Rader, und zwar 3 bis 8 Zahnrader. 1 ist das Handrad, dessen Bewegung durch Riemen auf 2 iibertragen wird. Die gleich schraffierten Teile sind unter sich starr verbunden. Die Stiitze b ist mit der tragenden Unter- lage U starr verbunden. Sie tragt nach einmaliger Knickung eine Achse c, an der die Zahnrader 4 und 5 befestigt sind. Die hohle Achse a lauft auf b. Auf einer Verlangerung von b lauft die gleichfalls hohle Achse d , die die zwei an ihr befestigten Zahn¬ rader 6 und 7 tragt. Der dreimal geknickte Rahmen e ist mit der Achse a fest verbunden. Kurz nach der dritten Knickung tragt er die hohle Achse f, an der das Zahnrad 8 und die Scheibe 9 befestigt sind. Diese Scheibe stellt die Erde dar. Die Radien 16 von 3 und 4 miissen sich wie 2:1, die Radien von 5 und 6 sowie von 7 und 8 wie 1:1 verhalten. Die Dimensionen der Scheibe sind so zu bemessen, dab die Verlangerung von b die Scbeibe in einem Punkte treffen wurde, der den vierten Teil des Radius vom Rande entfernt ist. Die Wirkungsweise ist leicbt verstandlich. Drebt man das Handrad, von oben geseben, im Ubrzeigersinne, dann bewegen sich die Rader 2, 3, 6, 7 in demselben, die Rader 4, 5, 8 und die Scbeibe im umgekehrten Sinne. Rad 7 bat die doppelte Winkelgeschwindigkeit des Rades 2 oder des Rabmens e. Wurde es dieselbe Winkelgeschwindigkeit besitzen, so \viirden Scbeibe und Rabmen relativ zueinander nicht rotieren, die Scbeibe wurde aber relativ zu b bzw. seiner Verlangerung bei 1 Revolution 1 Rotation im Ubrzeigersinne ausfiihren. Weil aber Rad 7 die doppelte Winkelgeschwindigkeit besitzt, iibertriigt es die einmalige in umgekehrtem Sinne auf die Scbeibe und bebt deren Rotation dadurch auf. Man konnte die Scbeibe aucb durcb einen Erdglobus er- setzen, dessen Rotationsachse natiirlicb nicbt in die Achse der Scbeibe fallen diirfte. Auch der Mond liebe sich anbringen, indem man den Rahmen e nacb der zweiten Knickung mit Hilfe einer Gabel, die die Acbse d umfaBt, obne sie zu beriibren, ver- langerte. Die Scbeibe lafit sich nocb zu einem veiteren wicbtigen Zwecke benutzen und durfte desbalb niemals ausschliefilich durcb den Globus ersetzt werden. Man kann in ibrer Mitte ein Stab- cben und auf dem Stabchen mit der Kreuzung zweier Durch- messer einen Ring befestigen, dessen Durcbmesser etwa dem der Scheibe gleich ist. Hangt man dann am ganzen Umfang des Ringes Faden auf, die an ihren Enden Kiigelchen tragen, so kann der Apparat die bei der Revolution entstehenden Zentri- fugalkrafte demonstrieren, von denen wir spater (§ 25) noch sprechen vverden. 17 III. Mangel in den iiblichen Theorien der Gezeitenkrafte J ). § 10. Die Ableitung der iluterzeugenden Beschleunigungen 2 ) aus den bloiSen Differenzen der Gravitationsbesehleunigungeii. Die am weitesten verbreitete Auffassung leitet die flut- erzeugenden Beschleunigungen von den bloBen Differenzen der Gravitationsbesclileunigungen her. In Fig. 6 sei M der Mond, O der Mittelpunkt der Erde, A und B die Punkte, in denen die Zentrale und ihre Verlangerung die Erdoberflache schneiden. A ist der dem Mond nachstgelegene, JB der ihm entfernteste Punkt. A wird starker als O, O starker als JB vom Monde an- gezogen. Die Differenz der Anziehungskrafte in A und O stellt eine nacb dem Monde hin gericbtete Kraft dar, die Differenz in O und JB eine vom Monde weg gericbtete Kraft. Die Wirkung dieser Krafte ist ein Anschwellen des Wassers in A und B. Das ist der Grundgedanke der genannten Ableitung. Diese Ableitung befriedigt aus zwei Griinden nicht. 1. Die Anziehungskraft eines Korpers ist von seiner Be- wegung wenigstens fiir die im vorliegenden Falle in Betracht kommenden Geschwindigkeiten praktiscb unabhangig. Da nun jene Ableitung die storenden Beschleunigungen bei den Tiden ausschliefilich auf die Differenzen der Gravitationsbeschleu- nigungen zuriickfiihrt, so miissen nacb ibr Tiden von der Art D Wir sehen von allen Darstellungen ab, die bydrostatische Gesetze benutzen (vgl. S. Giinther, Handbuch der Geophysik 2 2, 468, 1899), weil ihre Unzulanglichkeit leieht zu verstehen ist. — 2 ) Wir sagen bald „flut- erzeugende Krafte“, bald „fluterzeugende Beschleunigungen 11 . Das ist er- laubt, weil die Ausdriicke fiir die Kraft und fiir die Beschleunigung iden- tisch werden, wenn, wie wir es stets tun, die Masse, auf die die Kraft wirkt, gleich 1 gesetzt wird. Aloys Mtiller, Gezeitenkrafte. 2 18 der wirklichen auch in einem System entstehen, dessen Korper in relativer Ruhe sind. Beachtet man, daB die relative Ruhe auch die Rotation des Systems um die Svstemachse ausschlieBt und nur eine gleichformige Translationsbewegung gestattet, so werden in einem solchen System mit den Massen m 1 und m 2 die Niveauflachen durch den Ausdruck - l + — 2 _ Const Q 1 t*2 dargestellt. Zeichnet man sich nach bekannter Methode eine Reihe solcher Flachen, so findet man, daB der Abstand zweier solcher Flachen auf der Zentrale bei A ein Maximum, bei JB ein Minimum ist. Das bedeutet fiir unser Problem, daB A Flut, B Ebbe bat'). Um ubrigens diese Verhaltnisse ganz richtig uberblicken zu lassen, mogen nocb zwei Bemerkungen dienen. Erstens gibt die vorstehende Gleichung die gemeinsame Gravitationswirkung zweier Massen auf eine dritte Masse wieder. Als dritte Masse gilt liier das Wasser. Sobald es sicb um die Gravitationswirkung beider Massen aufeinander handelt, wird das Bild der Flachen gleicben Potentials wesentlich anders. Zweitens wird die durch die storenden Krafte bervorgerufene Anderung in der Verteilung des Wassers auch selber wieder das Kraftfeld storen, aber nicbt in einem fiir uns wesentlicben Sinne. Wer sicb dafur interessiert, mag genaueres bei Tbomson-Tait 2 ) nacblesen. 2. Wir wollen den Grundgedanken der Ableitung fiir einen Augenblick akzeptieren, also annebmen, daB Tiden von der Art der wirklichen auch im relativ ruhenden System entstehen konnen. Fiibren wir jetzt die wirkliche Bewegung des System ein, indem wir es um seine Acbse rotieren lassen (naturlich wird von der Rotation der Erde stets abgeseben), so treten neben die Gravi- tationspotentiale, die ja nach jener Ableitung allein scbon die B Das Umgekehrte ware der Fali, wenn die Erde kein durcli eine Hewtonsehe Kraft mit anderen Korpern verketteter Systemkorper ware, sondern zwangs-weise eine Bewegung ausfuhrte, wie sie die Scheibe des in § 9 besprochenen Modells macht (der Beweis in § 25); auch die Rotation \viirde nach dem Bisherigen nichts daran andern. Superponiert man diese Wirkung mit der im Text besprochenen Wirkung bei relativer Ruhe, so er- halt man die Kraftebedingungen fiir die tatsachlich vorhandenen Tiden. — 2 ) Thomson-Tait, Handbuch der theoretischen Physik 1, 2, 376f. 19 fluterzeugenden Krafte ergeben, noch die Zentrifugalkraftspoten- tiale, die, wie wir spater (§ 25) sehen werden, in allen Punkten der Erde gleich den Gravitationspotentialen von Sonne und Mond im Mittelpunkte der Erde sind. Das Gesamtpotential ergibt Niveauflachen, deren Abstand in A ein Minimum, in B ein Maximum ist, d. b. A bat Ebbe, B Flut. Genauer kann uns die folgende einfacbe Elberlegung unter- ricbten. Die Gravitationsbescbleunigungen in A, O, B seien |aj|, |a 0 |, |a a |. Die Richtung nacb dem Mond wird positiv, die Ricb- tung vom Mond weg negativ gerecbnet. c bezeicbne die Zentri- fugalbescbleunigung. Dann ergeben sich die gesamten storenden Bescbleunigungen in A und B gemab der vorstebenden Betracb- tung aus der folgenden TJbersicbt: A + ( a l - a o) — c + K — a 0 ) — c und da \c\ — |«„| d - (®i — 2 ct 0 ) B ■ (a 0 0&2) ■ c (^0 ~ tt 2 ) ~~ £ — (2 a 0 — a 2 ) Beacbten wir, dab |a 2 1 )> |a 0 j >> ja 2 j ist, so folgt zunachst, dab — (2 a 0 — a 2 ) eine Flut bedeutet. Sind ferner r x , r 0 , r 2 die zu [a, | , |a 0 [, ja 2 [ geborigen Ent- fernungen, so ist |« 0 j <1 1 / 3 |« 1 1, wenn r 0 ^ r x y2 ist, wie sicb leicbt uberseben labt. Da aber fiir die Systeme Erde—Mond und Erde^-Sonne r 0 < r x ]j 2 ist, ist aucb | a 0 1 > J / 2 | a 1 1 J). Demnacb ist + («i — 2 « 0 ) ein negativer Wert, driickt also im Punkte A eine Ebbe aus. — Nun ist es andererseits ricbtig, dab die Differenzen der Gravi- tationsbeschleunigungen tatsacblicb existieren und in der Tiden- erscheinung tvirksam sein miissen. Wir seben also: Die Diffe- 1 ) Der kritisehe Wert des Erdradius in dem System Erde—Mond be- tragt rund 156000km, d. h. \vare der Erdradius groJBer, als dieser Wert angibt, dann wiirde naeb der in Kede stehenden Ableitung in B u n d in A Flut entstehen. Dieses Verhaltnis, wo also der Planetenradius diesen kri- tisohen Wert iiberscbreitet, ist iibrigens mehrfach in unserem Sonnensystem verwirklicht, namlich in den Systemen Mars—Phobos, Jupiter—V. Mond, Saturn—Mimas. 2 * 20 renzen der Gravitationsbeschleunigungen sind zur Ab- leitung der fluterzeugenden Beschleunigungen notwendig, aber nicht hinreichend. § 11. Einige Beispiele dieser Ableitung. Die Ableitung der fluterzeugenden Beschleunigungen aus den bloflen Differenzen der Gravitationsbeschleunigungen nimmt in der Literatur die mannigfachsten Formen an. Wir scheiden davon Formen primitivster Art aus. So meinte z. B. vor langer Zeit in einer interessanten Diskussion iiber das Problem der Nadirflut 1 ) der Dorpater Physiker Parrot, daJB jeder Punkt der Erde infolge der anziehenden Kraft, die er auf den Mond ausiibt, an anziehender Kraft verlore, die er auf die iibrigen Erdpunkte ausiiben konne; aus dieser Schvvachung, die an den Punkten A und B (Fig. 6) am groflten sei, resultiere Zenit- und Nadirflut. Man solite kaum glauben, da C man dieser anthro- pomorphistischen Ivraftauffassung auch gelegentlich heute noch begegnen kann 2 ). Die iibrigbleibenden Formen teilen wir in drei Gruppen: 1. Als einfaclister Typus der ersten Gruppe sei die Dar- stellung bei Supan erwahnt 8 ). Er schreibt: „Unter der Ein- wirkung des Mondes tritt im Durchmesser AOB eine Streckung ein, indem A ebenso weit von O, wie O von B entfernt wird; da aber der starre Erdkorper an dieser Streckung nicht teil- nimmt, so entfallt das ganze Plus auf die Wasserhiille, und ihre hochste Erhebung iiber ihr friiheres Niveau findet an zwei Punkten statt: an jenem, der den Mond im Zenit hat (A), und an dem antipodischen Punkt (Nadir, B). Auf der Ungleichlieit der 2 Anziehung, d. h. auf der Differenz ’ 3 4 ) beruht also die flut- erzeugende Kraft jedes Himmelskorpers.“ J ) Pogg. Ann. 4, 219, 1825. — 2 ) Z. B. bei Harms, Erdkundlicbe Hilfs- biioher fiir Lehrerbildungsanstalten 1914, Heft l 2 , S. 50. — s ) Supan, Grundzuge der physischen Erdkunde 5 , 303f., 1911. Um den Raum mehrerer Figuren zu sparen, setze ich in den Text der Zitate die Buehstaben der Fig. 6 ein. — 4 ) d ist hi er die mittlere Entfernung der Erde von dem Mond bz\v. der Sonne. 21 Die Darstellung dieser Gruppe ist mit den vorstehenden oder ihnen ahnlichen Worten immer eine Variation des Gedankens zu Anfang von § 10: dab die Differenz der Gravitationsbeschleuni- gungen in O und B ein anderes Vorzeichen erhalt als die Differenz in A und O. Das ist eine Beliauptung ohne Begriindung; es ist nicht abzusehen, woher diese Verschiedenheit in den Vor- zeicben kommen soli. 2. Die ztveite Gruppe versucht diese Begriindung. Gray tut es auf folgende Weise 1 ): „Der durch die Masse des Mondes auf h M ein Teilcben von der Masse 1 in O ausgeiibte Zug ist ^ 2 ). Ware die vom Monde ausgeiibte Kraft auf jedes Einzelteilchen in der Erde nach Grobe und Bichtung gleich dieser Kraft auf O 3 ), so wiirde jedes Teilcben eine Beschleunigung von genau diesem selben Betrage erfahren, es giibe dann keine Deformation der Erde oder Anderung der relativen Lage der beweglichen Materie auf ihrer Oberflacbe. Ferner ist es klar, dati, wenn die Erde aus einem Gemengsel von Teilcben von gleicher Masse bestande und jedem dieser Teilcben irgend eine Kraft P, fiir jedes Teilchen dieselbe in Grobe und Richtung, erteilt wiirde, keine Anderung der relativen Lage der Teile der Erde erfolgen wiirde. Das Er- gebnis wiirde nur das sein, iiber jede scbon vorber vorhandene Beschleunigung genau dieselbe Beschleunigung aller Teile zu superponieren. Es werde deshalb angenommen, dab auf jedes h M Teilcben eine Kraft vom Betrage -=— pro Masseneinheit in der JL) 2 O M entgegengesetzten Richtung wirke; diese bebt die Beschleu¬ nigung der Teilchen in O oder in seiner Nachbarschaft auf; und somit ist die Resultante dieser Kraft und der Anziehung des Mondes die die Anderung der relativen Konfiguration erzeugende Kraft. Kurz gesagt, wir machen die der Erde als Ganzem vom Monde erteilte Verschiebung durch eine Gegenverschiebung wieder D Gray, Lehrbuch der Physik I, deutsch von F. Auerbach, 1901, S. 634 f. — 2 ) m = Mondmasse, D = Entfernung O M. — 3 ) In der deutsohen Ausgabe lauten die letzten Worte „nacb Grobe und Richtung dasselbe wie dieses hier“. Das ist offenbar ungenau iibersetzt. Da ich das Original nicht zur Hand habe, habe ich die Stelle in dem Zitat geschrieben, wie sie lauten konnte. Auch andere Stellen des Zitates machen den Ein- druck, als ob eine bessere \Viedergabe von Grays Worten moglich sei. 22 riickgangig, um nur ikre Deformation um ikren Mittelpunkt als festen Punkt iibrig zu behalten.“ Die „Gegenverschiebung“ ersckeint hier als ein Kunstgriff, der gerade die notigen Werte liefert. In dem als relativ ruhend vorausgesetzten System Erde-Mond gibt es keine Begriindung dafiir. Wiillner macbt die Sacke „leickt durck folgende Betrach- tung anschaulich“ x ): ..Man babe drei Punkte J, C, B ; die Punkte A und B werden jeder durck eine Kraft gleick 10, um ein Zaklenbeispiel zu wahlen, gegen C hingezogen. Nun seien ferner an den drei Punkten nach gleicher Richtung, z. B. nach recbts kin, folgende Krafte angebrackt: an B die Kraft 3, an C die Kraft 2, und an A die Kraft 1. Diese Punkte befinden sich ge- wissermafien in denselben Verhaltnissen wie unsere vorliin be- trachteten Punkte auf der Erde. In dem Verhaltnis der drei Punkte zueinander wird nun nichts geandert, wenn wir von jedem derselben die nacb recbts kin ziehende Kraft 2 fortnehmen. Da- durck ist der Punkt C wieder wie anfangs yon keiner Kraft affi- ziert. Am Punkte B bleibt aber die Kraft nacb recbts kin, also vom Punkte C fortziekend iibrig. An A zog urspriinglick die Kraft 10 gegen C nacli recbts, es trat dann nock die Kraft 1 hinzu, spater aber nakmen wir die Kraft 2 wieder fort; es bleibt also nur die Kraft 9 nach C kinziebend iibrig, oder, da wir uns statt der Kraft 9 die Kraft 10 nacb C kin und die Kraft 1 von C fort¬ ziekend denken konnen, so folgt, dafi durck Anbringen jener Krafte auck bei A gleicksam eine von C fortziekende Kraft ent- stekt, welcke gleick ist der Differenz der von C und A nacb recbts kin wirkenden Krafte. So also auch bei der Erde. Durck Anziehung des Mondes entsteht an den unter dem Monde und den ihm gegeniiber an der anderen Seite der Erde liegenden Punkten gleichsam eine das Wasser vom Mittelpunkte der Erde fortziekende Kraft.“ Das ist in elementarer Form die Graysche Darstellung. Was bei Gray die Gegenversckiebung, das leistet bei Wullner die Fortnakme der nacb rechts hin ziehenden Kraft 2; auch sie ist in den angenommenen dynamischen Verhaltnissen nickt be- griindet. J ) Wullner, Lehrbuch der Experimentalpliysik 6 1, 192, 1895. 23 Wir werden noch selien, dali Darlegungen, wie die vor- stehenden, richtig gedeutet werden konnen, wenn man die wirk- lichen Verhaltnisse zugrunde legt. Zu dieser zweiten Gruppe gehort auch eine andere viel ver- breitete Form. Man denkt sich, dali der Erdkorper zufolge der An- ziehung sich ein wenig zum Monde hin bewege, dah aber die Wasser im Nadir dieser Bewegung nicht ganz folgen konnen, also ein wenig hinter ihr zuriickbleiben. Wenn man bei dieser Form, wie es z. B. Kriimmel in einer friiheren Darstellung*) tut, das System Erde—Mond als relativ ruhend annimmt, dann ist selbstverstand- lich keine Annaherung der Erde an den Mond vorhanden, und die Form besitzt keinen Erklarungswert. Besser ist die Fassung, die ihr der Mathematiker und Philosoph Drobisch, der die Dis- kussion mit dem vorhin zitierten Aufsatz von Parrot aufnahm, gibt * 2 ). Es gibt, so meint er, eine Annaherung, wenn wir die richtige Vorstellung der Bewegungsverhaltnisse nehmen: Erde und Mond bewegen sich um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Die Erde beschreibt also gleichfalls eine Kreisbahn im Monat. Diese Bewegung der Erde Ulit sich in eine tangentiale und eine zentri- petale zerlegen, und entsprechend der letzteren, sagt Drobisch, gibt es ein stetes Fallen und eine štete Annaherung der Erde an den Systemschwerpunkt bzw. an den Mond. An dieser Fassung ist die Einsicht bemerkenswert, dah man ohne Beriicksichtigung der Systemachse nicht veiter kommt. Aber sie ist ungeniigend durchgefiihrt. Man kann die Kreisbahn so auffassen, als ob sie in jedem Augenblicke die Resultante einer normalen und einer tangentialen Komponente sei, als ob also eine Annaherung stattfande. Aber das ist eine willkiirliche Vektorenzerlegung. Es existiert in Wirldichkeit keine Annaherung. Jede Annaherung wurde eine Arbeit der Kraft bedeuten. Unter Voraussetzung der Kreisbahn bewegt sich aber die Erde auf Flachen gleichen Potentials, die Zentralkraft leistet also keine Arbeit. Sobald wir allerdings die volle Wirklichkeit nehmen, nach der die Bahn der Erde in den Systemen Erde-Mond und Erde—Sonne eine Ellipse ist, findet wahrend der einen Halfte des Monats bzw. Jahres eine štete Annaherung der Erde an Mond !) Kriimmel in A. Scobel, Geograph. Handbuch 6 1, 218f., 1909. — 2 ) Pcgg- Ann. (5, 237, 1826. 24 und Sonne statt, die im Perigaum bzw. Perihel ein Maximum er- reiclit und eine vierzehntagige bzw. halbjahrige Flut erzeugt. Sie kommt aber fiir unser vorliegendes Problem offensichtlicb nicht in.Frage. Im iibrigen ist iiber diese letzte Form abnlich wie iiber die ersten dieser Gruppe zu urteilen: sie stellt einen ricbtigen Ge- danken in einer noch ungliicklicheren Form dar. 3. Die dritte Gruppe gehort nur mehr auflerlich hierber. Zu ibr zahlen wir alle Autoren, die wenigstens die spater zu be- sprecbende Relativtheorie der fluterzeugenden Bescbleunigungen ricbtig bringen, die aber beliaupten, dabei nur mit Gravitations- bescbleunigungen auszukommen*). Diese Bebauptung bat auf ibre Ableitung keinen EinfluB, sie ist lediglicb eine nachtrag- licbe Deutung dessen, was sie tun. Ihre Besprecbung mag daber dem Kapitel iiber die Relativtheorie vorbebalten bleiben. — Diese kurze Ubersicht kann den Fehler der Ableitung der fluterzeugenden Bescbleunigungen aus den bloflen Differenzen der Gravitationsbescbleunigungen nocb in etwas anderem Lichte zeigen, als es § 10 getan bat. Diese Ableitung bildet die Diffe¬ renzen zvvischen den Bescbleunigungen im Mittelpunkt O und in den Punkten A und R, sie faflt die Differenzen aber auf als Bescbleunigungen gegen die Erdoberf lache. Das letztere diirfte sie nur, vvenn sie zuvor nachweisen wiirde, dafl die Erdober- flache eine der mittleren Gravitationsbeschleunigung an Grofie gleicbe Bescbleunigung besitzt. Dieser Nachweis ist aber auf dem Boden ihrer Voraussetzungen unmoglicb. § 12. Unriclitige Auffassung der Revolution ohne Rotation. Die meisten Autoren, die die Notwendigkeit der Beriick- sicbtigung der Sjstemacbse einseben, legen eine falscbe Vorstellung der Revolution obne Rotation zugrunde. Sie sehen die Erde dabei als eine exzentrisch um die System- acbse sich bewegende Kugel an. Danach wiirde der Punkt A (Fig. 6, S. 17) dem Monde stets zugewandt bleiben und die Punkte der Erde vviirden Kreise bescbreiben, von denen die in einer zur Erd- babn parallelen Ebene liegenden konzentrisch und deren Mittel- x ) Z. B. v. Schaper in den „Ann. d. Hydrogr. u. marit. Meteorol. 11 1910, S. 283; 1911, S. 34. 25 punkte samtlick auf der Svstemachse angeordnet vvaren. Anders ausgedriickt: die Erdoberflache vvkrde gegen ein mit der Zentrale starr verbundenes Koordinatensystem ruhen. Diese Bevvegung kann man zerlegen in eine monatlicke Revo- lution um die Systemachse und eine monatliche Rotation um eine Achse, die durch den Schwerpunkt der Erde geht, aber nicht in die Schvverpunktsaclise fallt, sondern der Svstemachse parallel ist. Die Bewegung der Erde ware also dann das ge- naue Gegenteil zu der in Wirklichkeit vorhandenen Bewegung des Mondes, falls man von der Neigung der Scliwerpunktsaclise des Mondes gegen die Bahn absiekt. Es stecken zwei Fekler in dieser Auffassung. Erstens ein metkodischer. Wenn man von der Rotation der Erde abseken will, so darf man nicht vvillkiirlich eine Art der Rotation bei- behalten. Die Auffassung steRt die Revolution nicht rein dar. Ausschlaggehend fur die Beurteilung ist natiirlich der sachlicke Fekler. Die Erde besitzt die vorausgesetzte monatlicke Rotation um eine zur Sjstemachse parallele Ackse in Wirklichkeit iiber- kaupt nicht. Unter den kier angenommenen vereinfackten Be- dingungen kat sie blok die tagliche Rotation um ikre Schwer- punktsackse und die monatliche Revolution um die Systemachse. Die Folge jener falscken Vorstellung ist also, dah bei der Ab- leitung der fluterzeugenden Beschleunigungen die VVirkung der monatlicken Rotation zu viel gerecknet wird. Es ist leickt ein- zusehen, dak die fluterzeugendo Beschleunigung in der Vertikalen um den Betrag in der Horizontalen um den Betrag ^ 71 ^ zu grok wird, wenn r den Erdradius, y den Winkel zwiscken Erdradius und Zentrale (nicht zwischen Erdradius und Baknebene), T die Zeit (1 Monat bzw. 1 Jahr) bezeichnen. § 13. Einige Beispiele dieser Darstellung. Ein paar Beispiele mogen diese allgemeinen Ausfuhrungen bejegen und verdeutlichen. 1. Thomson und Tait legen *) den Anfangspunkt eines reckt- vvinkeligen Koordinatensystems in den Mittelpunkt der Erde, die D Thomson-Tait, Handbuch der theoretischen Physik 1, 2, 374. 26 .s-Achse senkrecht zur Ebene der kreisformigen Babnen und die a>Acbse in die Zentrale. Bezeichnen nun ra die Winkelgeschwindig- keit der beiden Korper um den Systemschwerpunkt, a den Ab- stand dieses Schwerpunktes vom Erdmittelpunkt, li den Abstand der Mittelpunkte, M die Mondmasse, so ergeben die Gravitations- potentiale und das Potential der Zentrifugalkraft liir die Gleicbung einer Sobar Oberflachen, die die Besultierenden der Schwere und der Zentrifugalkraft iiberall unter recbten Winkeln scbneiden, m M )/x 2 -\-y 2 + z 2 ^{K-x) 2 + y 2 + z 2 y 2 ra 2 [(a — x 2 )-\-y 2 ] — Con st. In diesem Ansatz von Thomson-Tait steckt jene falscbe Vorstellung. Fig. 7 stellt im Sinne des Ansatzes einen Schnitt in der Bahnebene dar. O ist der Mittelpunkt der Erde, S der Fig. 7. Systemschwerpunkt. Die x- und die y -Acbsen sind eingezeichnet, die 0 -Acbse stebt in O senkrecbt zur Zeichenebene. Differenziert man die Funktion V 2 ra 2 [(a — x 2 ) ■+ y 2 ] partiell einmal nach x und dann nach y, so erbalt man — ra 2 (a — x) und co 2 y. Be- zeichnet man mit d den Abstand eines beliebigen Punktes P von der Systemackse (nicbt vom Systemschwerpunkt), so sieht man unmittelbar aus der Figur, dad d = ]j{a — x) 2 y 2 27 ist. Die partiellen Differentialguotienten —c/ 2 (a— x) und ra 2 «/ sind demnach Komponenten der Funktion ra 2 d, und das ist die (auf die Masseneinheit bezogene) Zentrifugalkraft, die entsteht, wenn die Erde um die Systemachse als exzentriscke Achse mit der Winkelgesckwindigkeit ra rotiert. 2. Nacb dieser Kritik ist die Darstellung von W. Voigt oline weiteres zu beurteilen!). Er will von der Rotation der Erde um ihre Acbse abseben und setzt Kreisbahnen voraus. Er fahrt dann fort: „Denken wir den Schwerpunkt . . . des. ganzen Sjstems ruhend, so rotieren die Zentren beider Ivugeln mit gleichfbrmiger Geschwindigkeit in konstanten Abstanden um eine durcb ihn gebende Achse...; ruht, wie angenommen, die Fliissigkeit gegen ein mit ilmen rotierendes Koordinatensystem, so kann man die Einwirkung der Bewegung durch die Einfiihrung der Zentrifugal¬ kraft ersetzen und erhalt als gesamtes Potential nach friiheren Formeln: E bedeutet den Abstand eines beliebigen Punktes der Erdober- flache vom Mondmittelpunkt, h die Gravitationskonstante. Man sielit sofort, das ist dieselbe Darstellung wie bei Thomson- Tait: — \/ 2 ra 2 d 2 ist das Potential der bei der Rotation der Erde um die Systemachse als eszentrische Achse entstehenden Zentri¬ fugalkraft a 2 d. Die von Voigt als identisch behandelten Aus- sagen „Revolution ohne Rotation" und „Ruhen der Fliissigkeit gegen ein mit den beiden Korpern rotierendes Koordinatensystem“ sind eben nicht gleichbedeutend. Die erstere Aussage bedeutet vielmehr, dah die Erde in einem derartigen Koordinatensystem, dessen eine Achse also stets in die Zentrale fallt, eine monat- liclie Rotation um eine der Systemachse parallele Achse macht. 3. Le Corguille spricht es direkt aus 2 ), daJB bei der Revo- lution ohne Rotation alle Punkte der Erde mit derselben Winkel- gesclrsvindigkeit um die auf der Bahn senkrechte Systemachse rotieren und da (j unter diesen Bedingungen die Zentrifugalkraft fiir jeden Punkt proportional seinem Abstande von dieser Achse ist. D W. Voigt, Elementare Mechanik 3 , S. 399f., 1901. — 2 ) Le Cor¬ guille, Etude rationelle des niarees 1896, S. 14. 28 4. Auch Ja urnami behauptet 1 ), die Teile der Erde hatten zufolge ihrer monatlicheu Revolution desto grofiere Beschleuni- gungen, je weiter sie von der Rotationsachse entfernt seien. 5. Einen eigenartigen Typus stellt Hoff dar 2 ). Indem er nur die Sonnentiden beriicksichtigt und der Einfacbheit wegen die Ebenen des Aquators und der Ekliptik zusammenfallen labt, will er zunachst den Storungsbetrag fiir jeden beliebigen Punkt des Aquators ableiten. Zu dem Zwecke ist zuerst die Babn- geschwindigkeit zu bestimmen. Sie setzt sicb zusammen aus der konstanten Geschwindigkeit des Erdmittelpunktes und aus der- jenigen Komponente der rotierenden Bewegung, die in die Rich- tung der jahrlichen Bewegung fallt. Die Gescbwindigkeit des Erdmittelpunktes ist v _ 2% Ar ' - JI 5 wo A hi er die in Erdaquatorialradien ausgedruckte Entfernung des Erdmittelpunktes vom Sonnenmittelpunkt und T die Dauer des sideriscben Jahres bezeicbnen. Zerlegt man nun die rotierende Bewegung in zwei Komponenten, die eine parallel zur Bahnlinie des Erdmittelpunktes, die andere senkrecht dazu, so kommt, da die Zentrifugalbeschleunigung in der Ricbtung der radialen Komponente gleich Nuli ist und diese Komponente aucb keine Lageveranderung zum Erdmittelpunkt bewirkt, blofj die erste Komponente in Betracht, die den Wert r d 2 nr ——COST h besitzt, wenn t x die Dauer des siderischen Tages und r den Stundenwinkel der Sonne bedeuten. Die gesamte Bahngeschwindig- keit ist demnach gleicb ir T ? T , 2 n Ar 2 nr r — Va—V d = - - J- COS T. Die StbrungsgroOe ergibt sicb nun aus der Differenz der Zentri- fugalkraft und der Grofje der Sonnenanziehung. Bezeichnen M 1 Jaumann, Grundlagen der BeweguDgslebre 1905, S. 110 f. — 2 ) Hoff, aElementare Theorie der Sonnentiden" in den Annalen der Hydrographie und maritimen Meteorologie 1907, S. 122 ff. 29 die Sonnenmasse (bezogen auf m — 1) und g die Fallbeschleuni- gung, so ist diese Differenz offensichtlich Da diese Grobe auf den Sonnenmittelpunkt bezogen ist, mufi sie noch durcb Multiplikation mit cosz auf den zugehorigen Erd- radius projiziert werden. Dann beben sicb einige Glieder weg und es bleibt ■j, 8 n 2 r „ , 4ji 2 r P =- yT C0S T + C ° S T ' Durcb entsprecbende Multiplikation mit dem Kosinus der Breite ergibt sicb der Betrag fiir jeden beliebigen Parallelkreis. Hoff will die so erlialtene Storungsformel auf die Gleich- gewicbtsform der rotierenden Erde anwenden. Daraus ergibt sicb, dafi er einen Teil der Kotationszentrifugalkraft zweimal in Rechnung stellt. Dieser Teil ist leicbt zu finden, wenn wir noch auf einen anderen Febler Hoffs achten. Er setzt die Zentrifugal- kraft mit F 2 = ( Vg — Vg) 2 Ar Ar an. Das darf er aber nicbt, weil die Gescbwindigkeiten V a und V,j zu verscbiedenen Badien gekoren, V a zu Ar, V d zu r. Die Zentrifugalkraft, die von der Gesamtgeschwindigkeit V berriihrt, besitzt in AVirklichkeit den Wert /Zi_Z!V r J’ F| das Glied -y- ist also doppelt in Rechnung gestellt. — Die besprocbene fehlerhafte Auffassung der Revolution ohne Rotation kommt aufier in den Arbeiten zur Tbeorie der Tiden auch gelegentlicb anderswo vor, so z.B. bei v. Šterneck, der den Einflufi des Mondes auf die Ricbtung und die Grofie der Schwer- kraft der Erde untersuchen will x ); an seiner Arbeit baben schon Helmert und Peters diesen Febler getadelt 2 ). Sie tritt aber J ) Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissensch. Wien 1876. 73. Bd. Math,- physik. Klasse, II. Abt., S.553ff. — 2 ) Astron. Nacbr. 91, 2175. 30 schon viel friiher auf. Ich finde sie z.B. bei V. Streffleur, der neben der durcb diese Bewegung entstehenden Zentrifugalkraft nicht die Anziehungskraft, sondern die Verteilung von Wasser und Land fiir die Dualitat der Flut verantwortlich macbt'). § 14. Niclit hinreicliende Allgeineinheit der Losung. Fiir jeden, der die Notwendigkeit der Riicksichtnahme auf die tatsachlichen Acbsen einsieht, liegt der Gedanke der Be- nutzung der Zentrifugalkraft sebr nabe. Auf diese Weise sind denn z.B. aucb samtliche in § 13 besprochene Autoren verfahren. Nun bat v. Scbaper mit Recbt darauf aufmerksam ge- macbt * 2 ), daii der Gebraucb der Zentrifugalkraft im berkommlicben Sinne nur bei dem Falle der kreisformigen Babn zu dem ricbtigen Ausdruck der fluterzeugenden Krafte fiibrt, dab er aber bei ellip- tiscben Bahnen versagt, und zwar um so vollstandiger, je grober die Exzentrizitat der Ellipse wird. Der Grund liegt darin, dafi die Zentrifugalkraft gemafi der iiblichen Fassung eine Funktion des Kriimmungsradius ist, also — mit Ausnabme der Kreisbabn — nicht der ganzen Zentripetalkraft, sondern nur ihrer Normal- komponente entgegengesetzt gleicb ist. Fast samtliche Ableitungen der fluterzeugenden Krafte mit Hilfe der Zentrifugalkraft besteben also nur fiir den speziellen Fali der Kreisbabn zu recht. Hierber gehoren z. B. die Ableitungen von Davis, Darwin, Kriimmel (zitiert in §7), ferner die Darstellungen bei Kunz 8 ), Bidling- maier 4 ), Levy 5 ), Hatt 6 ) und meine eigenen friiberen 7 ). Diese Beurteilung setzt allerdings voraus, dab wir ein sicberes Mittel baben, um die Ricbtigkeit der Ausdriicke fiir die flut¬ erzeugenden Krafte zu erkennen. Dieses Mittel wird das folgende Kapitel an die Hand geben. 7 ) V. Streffleur, Die Erscheinungen der Ebbe und Flut unter dem Einflusse der Rotation. Naturw. Abhandl. 1, 115 ff. Wien 1847. — 2 ) Ann. d. Hydr. und marit. Meteor. 1910, S. 115. — 3 ) Kunz, Theoret. Physik 1907, S. 169. — 4 ) Bidlingmaier, Ebbe und Flut 1908. — 6 ) Levy, Legons sur la theorie des marees. I. Partie. 1898, S. 6ff. — 6 ) Hatt, Des marees, S. 14ff. (Pariš, Gauthier-Villars, ohne Jahr). — 7 ) Aloys Miiller, Elem. Theorie der Entstehung der Gezeiten 1906; Zur Theorie der Entstehung der Tiden in Gerlands und Rudolphs Beitragen zur Geophysik 10, Heft 1 und 2. IV. Die Relativtheorie der fluterzeugenden Beschleunigungen. § 15. Grundlage und Ableitung der Ausdriicke. Es wurde schon angedeutet, daC es zwei vissenschaftlich in Betracht kommende Theorien der fluterzeugenden Beschleunigungen gibt: die Relativtheorie und die Zentrifugalkrafttheorie. Wir besprechen zunachst die Relativtheorie. Sie findet ihre Grundlage in einfachen allgemeinen Uber- legungen der Mechanik. Wir betrachten die Bevegung eines Punktes P zunachst einmal in bezug auf ein absolutes Koordinaten- svstem, d. h. auf ein solches, von dem man keine Bewegung relativ zu einem anderen aussagen will, und bezeichnen seine Ge- schwindigkeit als die absolute Geschwindigkeit v. Denken wir uns veiter einen starren, d. h. mit sich selbst stets kongruenten Korper K auch in Bewegung zu diesem absoluten Koordinaten- system. Dann konnen wir die Bewegung von P auch z\veitens relativ zu K betrachten, indem wir uns etwa vorstellen, dali vir uns auf dem Korper K befanden und nur die Bewegung von P relativ zu K kannten. Die Geschwindigkeit von P relativ zu K sei v r . Schliefllich drittens konnen wir uns P mit K starr ver- bunden denken. Infolge dieser Verbindung wird P eine Ge- schwindigkeit haben, die wir Fiihrungsgeschwindigkeit nennen und mit v f bezeicbnen wollen. Unter Umstanden ist Vf auch die Geschwindigkeit von K, jedenfalls ist v f eine absolute Geschwindig- keit, d. h. eine Geschwindigkeit relativ zu unserem absoluten Koordinatensvstcm. Nehmen vir nun an, P werde von K mit- gefiihrt und besafie gleichzeitig eine Relativbevegung zu K , so ist offenbar V — V r -J- Vf. Die Striche sollen anzeigen, dah es sich um geometrische Addition handelt. Daraus folgt V r = V — Vf. Fiir den besonderen Fali, daJB K eine Translationsbewegung ausfiihrt, ist auch 'lij' ' ■■ 'U/ Uf ^ 32 wo die u die den v entsprechenden Beschleunigungen bedeuten. Diese Gleichung gilt nicbt allgemein; fiir den Fali der DrebuDg kommt noch das Coriolissche Glied hinzu. Diese Gleichung fafit nun unser vorliegendes Problem. K ist die Erde. In Wirklichkeit ist sie nicht vollkommen starr. Sie wird auch als fester Erdkorper den Storungskraften yon Mond und Sonne bis zu eiuem gewissen Grade folgen. Aber davon konnen wir bier absehen. P ist ein Punkt des Meeres. Das Meer wird zwar v on K mitgefiibrt, besitzt aber auch Relativ- bewegungen zu K. Wir diirfen nun obne weiteres die Beziehung der Gesckwindigkeiten in eine solche der Beschleunigungen um- setzen, weil nach § 7 die in Betrackt kommende Bewegung der Erde eine reine Translationsbewegung ist. Wir erbalten also die Belativbeschleunigung eines Punktes des Meeres zur Erde, indeni wir die Differenz der absoluten Beschleunigung und der Fiihrungs- bescbleunigung bilden. Weil die letztere selber absolut ist, konnen wir auch so sagen: wir erhalten die Relativbeschleunigung aus der Differenz der Absolutbescbleunigungen, indem wir den Punkt zunachst als freien, dann als starren (d. h. starr mit der Erde verbundenen) Punkt anseken. Ist Gr die Einbeit der Beschleunigung der 1 Anziehung, so ist u = G- E*' Um Uf zu finden, beachten wir, dah die Verbindung des Punktes mit der Erde starr ist, daB also die Fiihrungsbeschleunigung die Beschleunigung des Erdmittelpunktes ist. Demnach ' Uf : n 2 ' J) ist keine Konstante, sondern als Abstand der Mittelpunkte Erde-j die periodisch sich andernde Snmme der Radien- vektoren in der Erd- und ^ on( ^ iBahn. Es ergibt sich also Sonnen-J - _ G _ G Ur "" E 2 D 2 (1) Dieser Wert u r ist die fluterzeugende Beschleunigung. 33 Wir wollen nun die geometrische Subtraktion ausfliliren, indem wir den Wex - t in eine horizontale und eine vertikale Komponente zerlegen. g Wir bezeichnen die Komponenten mit an- gehangtem h und v. In Fig. 8 ist O der Mittelpunkt der Erde, M der Mond, P der betrachtete beliebige Punkt. MG stehtsenk- recht auf der Ver- langerung des Kadius OP. Sehen wir (§ 5) von der Abplattung des Erdkorpers ab, was fiir die Tidentheorie durchschnittlich geniigt, so ist 2$. MOP = z die wakre, JiMPG — P die scheinbare Zenitdistanz des Mondes. Aus der Figur ergibt sich ohne weiteres Gcosz' ^ .( 3 ) .. • ( 4 ) .( 5 ) Vereinigt man (2) mit (4) und (3) mit (5), so erhalt man Gcosz' Gcosz %l r ^ - Mrh — G sin z' G sin z Nun ist Pa D 2 cos z = PG E ’ und da PG = OG- OP = D cos z — r ist, auch D cos z — r ~žT~ cos z' (G) (V Aloys Muller, Gezeitenkrafte. 3 34 Setzt man diesen Wert und den aus E _ sin z D sinz' sich ergebenden Wert von sinz' in (6) und (7) ein, so kommt fDcosz — r cosz •i rv = g(- E s u rh = G D sin z 1 Es Ds ( 8 ) ( 9 ) Mit Hilfe der annahernd richtigen Beziebung Es ^ ^ 3r 1 -j- -p cosz Ds ’ dio sich aus der Anwendung des Kosinussatzes auf das Dreieck OPM und unter Beriicksichtigung des Umstandes, dah annahernd 1 or 1 — -jjCOSZ i , 3 »* = 1 + jjCOSZ ist, ergibt, wenn man die hoheren als die ersten Potenzen von ~ vernachlassigt, vervandeln sich die Gleichungen (8) und (9) in die genaherten Gleichungen Mre = 3C0S 2 Z — \) 3Gr . Urh = 22)3 sm22 • (io) .( 11 ) Das sind die Gleichungen fiir die fluterzeugenden Beschleuni- gungen, an die jede Tidentheorie ankniipfen muh. § 16. Die Gravitationsunterscliiede in der Relativtheorie. Das letzte Glied von Gleichung (1) wiirde nicht auftreten, wenn der Punkt keine Beschleunigung besahe, d. h. wenn die Erde keine Revolution um die Systemachse machte. Dann vare namlich das System in relativer Ruhe und samtliche auftretende Beschleunigungen varen reine Gravitationsbeschleunigungen von der Form des ersten Gliedes der Gleichung. Wir ersehen daraus 35 erstens die Notwendigkeit, die wirklichen Achsen zu beriick- sichtigen. Zweitens und hauptsachlich gekt aber daraus liervor, daB die Tiden keine reine Gravitationswirkung sind. Nur an einem in beschleunigter Bewegung befindlichen Korper konnen die Gravitationsunterschiede Tiden mit den charakteristiscben Eigenschaften der wirklichen Tiden liervorbringen. Damit haben wir neben der ersten notwendigen Bedingung zur Ableitung dieser Eigenschaften (§ 10) die zweite notwendige gefunden und seben gleichzeitig, dati diese beiden notwendigen Bedingungen, namlich 1. die Translationsbewegung der Erde um die System- achse, 2. die Abhangigkeit der Gravitation von den Koordinaten, auch hinreicbend sind. Man konnte sagen: in einem beschleunigt bewegten System kommt man bei unserem Problem mit den bloBen Differenzen der Gravitationsbeschleunigungen aus. Aber aus historisch-psycho- logischen Griinden ist es angebracbt, statt dieser an sicb richtigen Formulierung das Vorhandensein einer bescbleunigten Bewegung als eine der beiden notwendigen Bedingungen ausdrticklich hervor- zuheben. § 17. Eine einfacliere Darstellung der Relativtheorie. Wir wollen noch eine einfache und durcbsicbtige Darstellung des Grundgedankens der Relativtheorie in Anlehnung an Mach 1 ) bringen. Bei Mach ist allerdings die Translationsbewegung der Erde um die Systemachse beriicksichtigt; aber nur da, wo die Betonung dieser Notivendigkeit vorangegangen ist, wird die Alackscke Darstellung keinem Mifiverstandnis ausgesetzt sein. Die Erweiterung, die wir im Vergleich zu Mach vornebmen, kann uns besonders deutlicb die Moglicbkeit eines Verstandnisses der beiden charakteristiscben Tideneigenschaften zeigen. Die Punkte A, O, B (Fig. 6) mogen die nachste, mittlere und weiteste Entfernung vom storenden Korper besitzen. Be- trachtet man sie als freie Punkte und nennt, wie in § 10, ihre Beschleunigungen gegen den storenden Korper j a x j, [ a 0 j, j a 2 j, so kann man offenbar diese Beschleunigungen auch schreiben I “h ( a l «o) |i | a o !> I a o («0 ^ 2 ) |- J ) Mach, Die Mechanik in ihrer Entwickelung 7 , S. 206 f., 1912. 3* 36 Sieht man sie als starre Punkte an, so kaben sie die Bescbleuni- gung j « 0 : des Erdmittelpunktes. g als Eesultante aus der Scbwere- beschleunigung und der Eotationszentrifugalbescbleunigung der Erde moge die konstante Niveauflacbe sjmbolisieren, relativ zu der wir die Bewegungen betracbten. Bezeicbnet man nun wieder die Bescbleunigungen nacb dem storenden Korper zu positiv. von ibm ab negativ, so ergeben sicb die Endresultate fur die drei Punkte folgendermafien: A — 9 + [«0 4 ~ 0?1 -a 0 )] ■p «0 O B + 9 + «0 + K — (“o — a i}\ + a 0 + C *0 — [g — ( a i — «o)] 0 9 — («0 — «2) Daraus lafjt sicb nun zvreierlei schliefien: 1 . In A und B ist \g\ vermindert, also begreifen wir, wie im Zenit und im Nadir Flut entsteben kann. 2 . Die Ausdrucke fur die Bescbleunigungen a 1 !, ja 0 |, ] a 2 1 sind Briicbe, deren Zabler gleicb, deren Nenner die Quadrate der Entfernungen der Punkte A, O, B vom storenden Korper sind. Bedenkt man, dati A O = OB ist, und nennt man A die in Erdbalbmessern ausgedruckte Entfernung des Punktes O, so lassen sicb die Bescbleunigungen in anstatt durcb aucb durcb als ibre MaJBe darstellen, und die vorbin abgeleiteten Werte, um die \g\ vermindert ist, vrerden U, Cio 1 1 I Weil nun (A — l ) * 1 2 J . 2 1 1 A 2 (A +1)2 j > 1 A + l A > A 1 Z+T’ ist, so ist scbon 37 und weil (A -f- l) 2 — A 2 >> A 2 — (A — l) 2 ist, in noch hoherem Mafie ' 1 1 L I 1 1 ,(A — l) 2 A 2 j > A 2 (A + l) 2 ; ’ Die fluterzeugende Beschleunigung in A ist also grofier als die in B. Dem entspricht die zweite charakteristische Eigen- schaft der Tiden: Die Zenitflut besitzt einen Maximalwert. § 18. Die fluterzeugenden Beschleunigungen im Nadir. Die fluterzeugenden Beschleunigungen im Nadir sind der Richtung nach in den Gleichungen (10) und (11) enthalten, wobei wir z von 0 bis 180° zahlen. Denn die vertikale Kompo¬ nente ist positiv, wenn 3cos 2 z^>\ ist, also von 0 = 0° bis z = 54° 44' und von z = 125° 16' bis z = 180°; in dem zwischen- liegenden Bereiche ist sie negativ. Die horizontale Komponente ist positiv, wenn sin 2 z positiv ist, also von z = 0° bis z = 90°, negativ von z = 90° bis z = 180°. Wenn wir aber in den Gleichungen (6) und (7) auch den Nadir mit Hilfe der Vorzeichen beriicksichtigen, so ergibt die Durchrechnung, dali der Unterschied der Grofi e der Zenit- und Nadirbeschleunigungen aus den Gleichungen (10) und (11) infolge der Vernachlassigungen herausfallt. Die Grofie des Verhaltnisses der fluterzeugenden Beschleuni¬ gungen im Zenit und Nadir kann man auf folgende Weise er- halten. Bezeichnen wir mit Z und N die Maximalwerte der Beschleunigungen im Zenit und Nadir, so ist z ~ ®((x—1)‘ — 3*)’ n = e (i-(3^y Daraus Z _ 2A* + 3A 2 — l N — 2A 3 —3A 2 + l‘ Dieser Ausdruck enhvickelt sich in die Reihe ^ A^ 2A 2 ^ 2 2 A 3 3* 23 A* + • 38 Bricht man die Reihe nach dem zweiten Gliede ab, weil die hoheren als die ersten Potenzen von -4 sehr kleine Groben sind, so erhalt man - — l+S-L. N ~ + D Wegen einer falscben Auffassung, der man manchmal be- gegnet, sei ausdriicklicb darauf hingewiesen, dab dieser Ausdruck von jeder Theorie der Tiden unabhangig und, abgesehen von den Vernachlassigungen in der Reihe, vollkommen richtig ist. Aber das Verhaltnis der fluterzeugenden Beschleunigungen ist nur in der Gleichgewichtstheorie der Tiden gleich dem Verhaltnis der Fluthdhen, in Wirklichkeit aber nicht. Das wirkliche Ver¬ haltnis der Maximalwerte der Fluthohen im Zenit und Nadir ist etwa halb so grob wie das aus der Gleichgewichtstheorie be- rechnete. Z Die numerische Rechnung gibt flir das Verhaltnis ^ bei den Mondtiden ungefahr den Wert 1,05, bei den Sonnentiden ungefahr 1,000 13. In der Praxis wird dieser Unterschied bei den Sonnen¬ tiden natiirlich ohne weiteres vernaclilassigt. Bei den Mondtiden konnte man sich durch Superposition einer ganztagigen und einer halbtagigen Flut helfen. Nennt man h z die Hohe der Zenitflut so erhalt man unter den Voraussetzungen der Gleichgewichts- theorie ein Bild der Wirklichkeit, wenn man eine ganztagige V Flut mit der Hohe 3 ^-7 j* und eine halbtagige mit der Hohe K annimmt, wobei wieder von der Beziehung Gebrauch gemacht ist, dab annahernd 1 ist. Aber aus dem vorhin genannten Grande kann dieser Unter¬ schied auch bei den Mondtiden ohne nennenswerten Fehler prak- tisch unberiicksichtigt bleiben. 39 V. Die Zentrifugalkraft. § 19. Die Ableitung der fluterzeugenden Besclileunigungen in elliptischer Balm mit Hilfe des herkommlichen Zentrifugalkraftbegriffes. Bevor wir zur zweiten der in § 15 erwahnten Theorien der fluterzeugenden Beschleunigungen, der Zentrifugalkrafttheorie, iiber- gehen, miissen wir ihre Grundlage, die Zentrifugalkraft, einer Betrachtung unterziehen. Nicht nur bestehen im allgemeinen die verscbiedensten Auffassungen dieser Kraft, im besonderen bat aucb ibre Benutzung in der Tkeorie der fluterzeugenden Be¬ schleunigungen ein Problem aufgeworfen, das in § 14 schon be- riikrt wurde. Es lal.it sich zeigen, d a C bei einer Bewegung, wie sie die Rerolution der Erde um die Svstemacbse ist, ein e Zentri¬ fugalkraft auftreten und in der Erscheinung der Tiden mit- wirken mu 1.1. Sobald man aber die wirkliche, elliptiscbe Babn beriicksichtigt, stimmen die Formeln mit den aus der Relativ- tbeorie erhaltenen, die unzweifelhaft richtig sind, nicht mehr iiberein. Das wollen wir zunachst nach\veisen. Es mogen noch bedeuten « und b die grobe und kleine Halbachse der Bahn- ellipse der Erde in beiden Systemen, s den Radiusvektor dieser Bahnellipse, p den Kriimmungsradius, -tj) den Winkel zwischen s und p. Fiir den Endpunkt jedes r ist G und c = — P Projiziert man c auf s, so kommt F 2 c' — — cos i p. Q Ferner ist (vgl. § 15) G(D cos e — r) Uv ~ Eb ’ und V 2 cosip cosz GDsins V 2 cosip sin z Uh — E 3 40 Die Projektion der gesamten Babnbescbleunigung Uf = auf q ergibt , G COS U f— —Jp Demnacb ist G cos xp _ F 2 D 2 ~ “ ~q ' Setzt man diesen Wert in die Gleicbungen der c'-Kompo- nenten ein, so erbalt man , G cos 2 1 /> cos z Cv — S 2 ’ _ Gcos 2 t sinz Ch — S 2 ’ und weil, wie sicb aus den bei Salmon-Fiedler 7 ) mitgeteilten Formeln leicbt ableiten lal.it, . b cosip — auch c h = ys(2a — s)’ G b 2 cos z s D (2 a — s) ’ G b 2 sin z s D (2 a — s) Als Komponenten der fluterzeugenden Bescbleunigung ergeben sicb also G(Dcosz — r) Ur v - Gb 2 cosz Mrh — E 3 G D sin z s B (2 a — s) ’ G b 2 sin z E 3 s B (2 a — s) Mit Hilfe der fiir Gleicbung (10) gebraucbten Beziebung zwischen E und D folgen daraus die Gleicbungen U r h - G cos z D 3 G sin z JP D + 3 r cos z ■ , 3r cos z 3r 2 b°-D cos z b 2 D s (2 a — s) -sV’ D s(2a — s) x ) Salmon-Fiedler, Analytisclie Geometrie der Kegelschnitte. I 7 , 1907, S. 410. 41 Das sind, wie man sofort sieht, die Gleichungen (10) und (11) mit den Zusatzgliedern Wenn diese Zusatzglieder auch praktisch wenig bedeuten mogen, so sind sie doch nacb den Untersncbungen des letzten Kapitels theoretisch falsch. Dieses Ergebnis zusammen mit dem zu Anfang dieses Paragraphen erwahnten Umstande, dali Zentrifugal- krafte auftreten und wirksam sein miissen, legt nur eine Folge- rung nahe, dab namlich nicbt der Zentrifugalkraftbegriff iiber- baupt, sondern nur die herkommliche Form desselben zur Ableitung der fluterzeugenden Bescbleunigungen unbraucbbar ist. Die Bestatigung wird der folgende Paragraph enthalten. § 20. Strenge Ableitung des analytisclien Begriffes Da man die Zentrifugalkraft in die Mecbanik meistens wenig gliicklich mit Hilfe des Prinzips der actio und reactio einfiihrt, so sei zunachst in engem AnschluC an Kirchhoff *) eine strenge Ableitung fiir die Kreisbahn gegeben, die geeignet ist, den Be- griff von einem Standpunkte aus klarzumachen. Wir stellen uns das Problem, zu untersuchen, wie sich die Differentialgleichungen der Bewegung andern, wenn sie auf ein rotierendes Koordinatensystem bezogen werden. Es sei ein System von materiellen Punkten gegeben, das beliebigen Kraften und beliebigen Bedingungsgleicbungen unter- worfen ist. Die Lage der Punkte zur Zeit t beziehen wir gleicbzeitig auf zwei Koordinatensysteme, ein ungestrichenes und ein ge- strichenes. Das ungestricbene System betracbten wir als ruhend, das gestrickene als mit konstanter Winkelgeschwindigkeit um eine feste Acbse rechtliiufig rotierend. Die Anfangspunkte mogen zusammenfallen, die z -Acbse und die P- Acbse legen wir in die Acbse der Drehung. m bedeute fiir diesen Paragraphen die Masse eines Punktes, x, y, s seine Koordinaten im ungestrichenen, der Zentrifugalkraft fiir die Kreisbahn. i) Kirchhoff, Vorlesungen iiber Blecbanik 4 1897, S. 86ff. 42 x', y', 2 im gestrichenen System, X, Y, Z die Komponenten der auf den Punkt wirkenden Kraft zur Zeit t im ungestrichenen, X 1 , Y', Z' im gestrichenen System. d x, 8y, 82 seien den Achsen parallele virtuelle Variationen im ungestrichenen, 8x', 8y', 82' im gestrichenenSystem. Nachdem d’AlembertschenPrinzip haben wir E m d 2 x Jt 2 " Unser Problem ist gelost, wenn wir in diese Gleichung die Buchstaben des gestrichenen Systems eingefiihrt haben. Man sieht zunachst leicht, dah die Gleichungen fiir die Ver- tauschbarkeit der Koordinaten der beiden Systeme im vorliegenden Falle lauten x __ x ' cosa t — y' s in a t j y = x'sinat + y'cos at !. (13) 2=2' J Fiir die Variationen gelten die entsprechenden Gleichungen 8 x — 8 x' cosat — 8 y' sin at ) 8y — 8x'sinat-\-8y'cosat \ .( 14 ) 82 = 82' J Differenzieren wir die Gleichungen ( 13 ) nach t, so kommt dx dx' , dy' . , , , = -t— cosat — —fr sm at — a x sinat — a y cos a t, dt dt dt dy dx' . , , dy' , , , . . . , -fj = -jjsmat -f - -jj cos at a x'cosat — ay smat, CtZ CIZ Cl t d2 _ d2' dt dt Die nochmalige Differentiation nach t ergiht d 2 y' ■ , n dx . . ■ smat — 2 a sm a t dt 2 dt d 2 x d 2 x' , dP=Tp' xs, °‘- d — 2 a—j-cos at — a 2 x'cosat a 2 y'sinat, Cl t d 2 y d 2 x' . , , d 2 i/ , , n dx' ~ == -tj-— smat + -f-cosat 4 - 2 a-, T cosat dt 2 dt 2 dt 2 ' dt d n' — 2 w — Z-sin at — a 2 x'sinat — a 2 1/ cosat, dt J d 2 2 _ d 2 2' dt 2 ' Ut 2 43 Beachten wir nun noch, dafi X8x + Y8y + Z8s = X'8x' + Y'§y' -f Z'8z' ist, weil es sich dabei um die Arbeit derselben Kraft fiir die- selbe Verriickung ihres Angriffspunktes bandelt. Jetzt konnen wir die Vertauschung in Gleichung (12) vornehmen. Wir erhalten m d 2 x' -X’ — mco 2 x' — 8x' at 2 ott J + (m d ( ^ — Y'—nico i y'-\-m2co 8y' (m d P Z') 8s'. (15) Vergleicht man diesen Ausdruck mit (12), so ergibt sicb folgeudes. Man kann das gestricbene Sjstem als ruhend anselien, wenn man zu den Kraften des gestrichenen Systems noch be- stimmte Krafte hinzufiigt. Die Komponenten dieser letzten Krafte auf unseren Punkt sind Y" = m(a 2 y' — 2 to ? Z" = 0. Diese Komponenten lassen sich in die beiden Gruppen zerlegen m a 2 x' m to 2 y' und m 2 to »K 2 to dy' ~dt dx' dt 0 0. Jede dieser Gruppen stellt eine Kraft dar. Die zweite Kraft tritt dann nicht auf, wenn der Punkt gegen das gestrichene System ruht; denn dann ist dx' _ dy' _ dt ~ dt Fiir diesen Fali, der uns allein interessiert, bleibt die Kraft iibrig, deren Komponenten die erste Gruppe darstellt. Diese Kraft hat die Grobe m co^x ' 2 + y ' 2 44 und stellt einen auf der Achse der Drehung senkrechten im d von ihr ab gerichteten Vektor dar. Diese Ivraft nennen wir Zentrifugalkraft. Wir andern noch die Bedingungen der Losung etwas ab und nehmen zunachst an, dab die Bedingungsgleichungen zwischen x\ y', z' die Zeit nicbt entbalten. Dann kann man fiir 8x\ 8;/, 8 z' in Gleichung (15) setzen dx', dy', d z', weil das jetzt virtuelle Variationen der x', y', z' in der Zeit d t sind. Man erhalt Nehmen wir schlieblich noch an, dab die Lage des Systems durch eine Variable bestimmt ist, so kann man aus (16) die Bewegung des Systems berechnen. Man sieht, dab also auch unter diesen Voraussetzungen die Rotation des Systems durch Einfiihrung der Zentrifugalkraft ersetzt werden kann. Daraus ergibt sich deutlich ein Sinn der Zentrifugalkraft, den wir den analytischen Sinn nennen wollen. Will man das Kraftfeld eines rotierenden Korpers beschreiben, so kann man ihn als ruhend ansehen, mub aber dann zu den im Buhzustande an ihm wirkenden Kraften noch die sogenannte Zentrifugalkraft kinzufiigen. Man darf diese Auffassung nicht mibverstehen. Sie gilt nur fiir die analytische Darstellung: anstatt, wie es in diesem Paragraphen geschehen ist, von einem Prinzip ausgehend die Anderung der Bewegungsgleichungen bei einem rotierenden System zu suchen, kann man unmittelbar das Resultat von Gleichung (16) benutzen. Wer aber aus der obigen Fassung des analytischen Sinnes folgern wiirde, dab in der Wirklichkeit an einem rotierenden Korper keine Zentrifugalkraft existiere, wiirde im Irrtum sein; in irgend einer Form existiert sie in der Wirklichkeit. Wir kommen spater noch auf diese Frage zuriick. Hier soli nur dem Irrtum vorgebeugt werden, die Zentrifugalkraft wegen dieses analytischen Resultates als Scheinkraft oder ahnlich zu be- zeichnen; es bleibt vorlaufig offen, ob es andere Griinde fiir diese Bezeichnung gibt. 45 Noch eine weitere Bemerkung ist anzukniipfen. Die Ent- wickelung dieses Paragraphen hat gezeigt, dab die analytiscbe Auffassung der Zentrifugalkraft vollstandig klar und keinem Zweifel unterworfen ist. Damit ist die zu Anfang von § 19 auf- gestellte Bebauptung, dab die Zentrifugalkraft in den Systemen Erde— eine Rolle spielen muli, bewiesen; fabt man die Balin der Erde in beiden Fallen als Kreisbakn, so bat man das Recht, obne weiteres die Ergebnisse von Gleicbung (16) zu be- nutzen. Rechnet man mit dem ublicben Zentrifugalkraftbegriff fiir die elliptiscbe Babn und erbalt, wie § 19 zeigte, falsche Resultate, so kann demnacb der Grund nur darin liegen, dab der iiblicbe Ausdruck nicbt allgemein genug ist. Die Vermutung am Scblub von § 19 ist damit bestatigt. § 21. Der analjtisclie Begriff der Zentrifugalkraft fiir jede beliebige Babn. Die Mecbanik kennt bisher eine Zentrifugalkraft nur bei krummliniger Beivegung. Der allgemeinste Ausdruck fiir die absolute Grobe der an einem Punkte mit der Masse m auftretenden F 2 Zentrifugalkraft ist nach ibr m -Im Falle der Kreisbabn mit dem Radius r ist q — r. Wir wollen im folgenden zeigen, dab bei jeder bescbleunigten Bevregung eines anziebenden Korpers ’) sein Kraftfeld nur dann vollstandig bescbrieben wird, wenn zu den Kraften des Ruli- zustandes oder — was dasselbe bedeutet zu den Kraften der geradlinig - gleicbformigen Bewegung nocb Krafte hinzugefugt werden, die uberall von derselben allgemeinen Form sind. Inso- fern sie die relativen Lagen der Teile des Korpers storen konnen, kann man sie Storungskrafte nennen. Wir fiibren die Unter- suchung der Reihe nacb fiir jede Art von Bewegung. 1. Die geradlinig gleicbformige Bewegung. Ist der Korper mit dem Mittelpunkt O (Fig. 6) in geradlinig gleicbformiger Bewegung auf der durcb die Punkte A und B D Wir beschranken uns auf diesen besonderen Fali, weil er unser Problem einschliefit. Die Behauptung gilt im iibrigen allgemein. 46 gehenden Geraden, so besitzen gemah dieser Voraussetzung samt- liche Punkte relativ zu 0 lediglicb die Beschleunigungen — g bzw. d- g. Es tritt also keine Storung auf. Eine andere tlberlegung fiihrt zu demselben Ergebnis. Wegen der Relativitat der Bewegung darf man den geradlinig gleich- formig bewegten Korper in Ruhe und das Koordinatensystem, auf das seine Bewegung bezogen wird, gegen ihn in umgekehrtem Sinne bewegt denken. Die Falle der Ruhe und der geradlinig gleichformigen Bewegung sind also bezliglich des Ivraftfeldes identisch. 2. Die geradlinig beschleunigte Bewegung. Die Storung ergibt sich dabei schon, wenn wir die Punkte A, O, B so ansehen, als ob sie der die Bescbleunigung erzeugenden Kraft frei folgen konnten. Ibre Entfernungen vom Orte der anziehenden Kraft seien r x , r s , r 3 , so dali also (r 2 — r x ) = (r 3 — r 2 ) ist. Wir stellen uns vor, die Kraft finge in einem bestimmten Augenblicke an zu wirken. In diesem Augenblicke sind die Be- scbleunigungen von A, O, B gleich wenn g die Einbeit r i r 3 der Bescbleunigung 'der anziehenden Kraft ist. Nennen wir die Wege, die die drei Punkte als freie nach t Sekunden zuriicklegen wtirden, s x , s 2 , s s , so ergeben sich die folgenden Entwickelungen: t » Unterschiede der Entfernungen nach Die letzten Glieder der Formeln in der dritten Kolonne zeigen, dati das Kraftfeld sich lediglich unter dem EinfluB der anziehenden Kraft und der Bewegung so geandert bat, als ob eine abstofiende Kraft von O aus den Punkten A und B die Beschleunigungen erteilt habe. “G;-h) und •‘Grti) 47 Mit Hilfe der Methode der Relativbeschleunigung als Differenz der Absolutbeschleunigungen (§ 15) labt sich dieses Resultat ver- allgemeinern. Die drei Punkte A, O, JB als freie Punkte be- trachtet, mogen die Beschleunigungen [a-f-da|, |a|, a — ča| be- sitzen. Als starre Punkte haben sie die Beschleunigung \a\. Mdr erhalten also das Schema A O B '— 9 + 9 -j— a d— d a d - a d - o — d a d- a -j - ^ . d - ^ — (y — 8a ) 0 + {9 — d «) Die von den Storungskraften herriihrende Beschleunigung d a lafit sich fiir jeden beliehigen Punkt sofort festsetzen, wenn wir mit r p die Entfernung des Punktes vom Orte der anziehenden Kraft, mit r m die Entfernung des Mittelpunktes von diesem Orte bezeichnen. Die Beschleunigung ist dann 3. Die Bewegung in kreisf ormiger Bahn. Man erkennt, dah die von den Storungskraften herriihrende Beschleunigung S a dieselbe Form wie in der vorhergehenden Nummer annehmen muh. Iv 2 . Weil im vorliegenden Falle — s = -y isti wenn v die Bahn- T m v geschvrindigkeit, l den Bahnradius bedeutet, so kann die Be¬ schleunigung die Form , > _ v l + r; l annehmen. 4. Die Bewegung in beliebiger krummliniger Bahn. Zerlegt man die anziehende Kraft in die Normal- und die Tangentialkomponente, so gilt fiir die erstere das Resultat von Nr. 3, fiir die letztere das Resultat von Nr. 2. Das Gesamtresultat ist auch hier eine Relativbeschleunigung von der Form, die Nr. 2 angibt. Man kann auch unmittelbar die Methode der Relativ¬ beschleunigung als Differenz der Absolutbeschleunigungen an- 4S wenden und sieht dann, dalj das Ergebnis schon in § 15 vorweg- genommen war. — Wir fassen die Resultate der Nr. 2, 3 und 4 zusammen. An jedem Punkte eines Korpers (mit Ausnahme des Schwerpunktes) treten bei einer beschleunigten Bewegung in beliebiger — auch gerader — Babn storende Krafte auf, die die relative Lage der Punkte zum Schwerpunkt zu andern sucben. Diese Krafte liaben fiir jede Bahn dieselbo Form wenn die Masse, auf die sie wirken, gleicb 1 gesetzt wird. Zur vollstandigen Bescbreibung des Kraftfeldes des Korpers mulj man also zu dem im Ruhzustande Torhandenen ersten Gliede dieser Kraft das zweite vektoriell hinzufiigen. Im Falle der Kreisbahn ist es iiblich, das zweite Glied — ~ V m V 2 dieser Kraft, das, wie wir wissen, dann auch gleich- j ist, als Zentrifugalkraft zu bezeicbnen. Weil dieses Glied aber bei allen Bahnen in derselben Form auftritt, nennen wir es allgemein Zentrifugalkraft. Die Berechtigung und die Notwendigkeit dieser Verallgemeinerung liegen also in der Gleichheit der dynamischen Verbaltnisse begrundet, die aucb dieBenutzung desselben Wortes zur Bezeichnung der Kraft notwendig macbt. Der Gebrauch des besonderen Wortes „Zentrifugalkraft“ ist gestattet, weil nicbts im Wege stebt, jede Bescbleunigung nach dem Orte einer Kraft hin als zentripetal, jede umgekehrte Beschleunigung als zentrifugal zu bezeicbnen. Selbstverstandlich kommt es uns nicht auf das Wort an, sondern nur auf den Nachweis, dalj man eine grob ere Gruppe von Erscheinungen unter demselben, mebrfacb bin- gescliriebenen mathematischen Ausdruck zusammenfassen mub, als es in der Mechanik bisber iiblich war. Sachlicb kennt ubrigens die Mechanik die Tangentialkomponente unserer Storungskraft (Nr. 4) unter dem Namen Reaktionskraft oder ahnlioken Namen schon. Aber es feblt ibr die Zusammenfassung der gleicben dynamischen Verhaltnisse unter demselben Begriff, und weil die Zentrifugalkraft in der Mechanik bei nicht kreisformigen krumm- linigen Bewegungen scbwerlicb einmal benutzt zu \verden pflegt, 49 hatte sie kaum Gelegenheit, zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Moglich ware die Benutzung sckon, z. B. beim Problem der Pra- zession x ). Wenn man die Ausdrucksweise von Voigt gebrauchen will i) 2 ), die aber, wie wir nock seben werden, bereits eine physikaliscke Deutung entkalt, also nicbt mebr rein analjdisch ist, so kann man auch sagen: Die Zentrifugalkraft ist eine Aufierung der Richtungs- und Geschwindigkeitstragheit. Weil die Mechanik sie bisber lediglicb als Auberung der Ricktungstragheit auffabte, fallt * sie nur bei der Kreisbabn mit dem berkommlicben Begriffe zusammen. § 22 . Die Zentrifugalbesclileunigung und die Methode der Differenz der Absolutbeschleunigungen. Die vorstehenden Dberlegungen gestatten noch eine wichtige Folgerung: Die Metbode, die Relativbeschleunigung aus der Differenz der Absolutbeschleunigungen abzuleiten, ist identiscb mit der anderen, sie aus dem Zusammen- fassen von Gravitations - und Zentrifugalbeschleuni- gungen zu finden. Die letztere ist in gewissem Sinne eine Abkurzung der ersteren. Vielleicht ist nocb eine andere Formulierung vorteilhaft. Wir vrollen unter Vektormenge eines Systems die Anzabl der Vektoren versteben 8 ), deren Angabe der Angabe der Skalare binzugefiigt werden mub, damit das System vollstandig beschrieben ist. In dem System zweier anziehenden Korper kann nun die Vektormenge, die fur uns in Betracbt kommt, in doppelter Weise dargestellt werden: 1. als Gravitationsbeschleunigung und (bescbleunigte) Gesclrvin- digkeit, 2. als Gravitationsbeschleunigung und Zentrifugalbeschleunigung. i) Ioh habe den verallgemeinerten Begriff der Zentrifugalkraft zuerst ausgesprochen in den Ann. d. Hydr. u. marit. Met. 1910, S. 149, naher be- griindet in der Programmschrift „tlber eine Verallgemeinerung des Begriffes der Zentrifugalkraft", 1912. Ungefakr gleichzeitig hat O. Franzius ihn eingefiihrt (Zeitschr. f. Arebitektur- u. Ingenieur\vesen 1910, S. 300 f.; Ann. d. Hydr. u. marit. Met. 1911, S. 83 ff.), ohne ihn aber systematisch zu ent- \vickeln und ohne zu erkennen, daJ3 mit seiner Hilfe der Gegensatz zwischen den beiden Theorien der fluterzeugenden Krafte weggeschafft wird. — 2 ) Voigt, El. Mech., S. 53. — 3 * * * * ) Tensoren einbegriffen. Aloys Mtiller, Gezeitenkrafte. 4 50 Man kann also sagen: Die Zentrifugalbeschleunigung ist das Resultat einer besonderen Auffassung der Vektormenge eines rotierenden Systems. Um MiGveratandnisse fernzuhalten, mufi nocli zweierlei be- merkt werden. Erstens bedeutet Vektormenge keine Summierung von Vektoren. Zweitens ist die Vektormenge auch nicht e in Vektor, der bei den beiden genannten Auffassungen in Kompo- nenten zerlegt wird. Im Grande driickt die erste dieser Auf¬ fassungen die Anfangsbedingungen aus, bei denen die Uber- legungen iiber das Kraftfeld einsetzen, die zweite ein Resultat auf dem Wege dieser Uberlegungen. § 23. Zentrifugalkraft und Zentripetalkraft. Um auf unserem allgemeineren Standpunkte diese beiden Begriffe in einem dem iiblichen analogen Sinne zusammenbringen zu konnen, baben wir zuvor einige Befinitionen notig. Wir kniipfen an die friihere Betrachtung der Punkte als freie und als starre an. Stellen wir uns jeden Punkt eines Korpers in den von uns betrachteten Systemen als starr vor, so wird er eine bestimmte Babn, eine geradlinige oder eine krummlinige, bescbreiben. Wir denken uns nun, dad jeder Punkt diese selbe Babn, die er als starrer Punkt bescbreibt, als freier Punkt durch- lauft, dab er also den Cbarakter des freien Punktes mit der Bahn des starren Punktes vereinigt. Diese Vereinigung ist nur moglich, wenn wir die Starrheit ersetzt denken durch Krafte, die geeignet sind, die Punkte in diesen Bahnen zu fiihren. Jeder Punkt muBte seine eigene derartige Kraft besitzen; diese Krafte waren voneinander vollstandig unabhangig; es wiirde also jede so wirken, als ob die anderen nicht vorhanden seien. Ein derartiges System von Punkt und Kraft nennen wir ein ideales System, die Kraft eine ideale Zentripetalkraft - Kraft). Entsprecbend heifie der Abstand eines Punktes vom Orte seiner Z,-Kraft sein idealer Abstand, der bei krummlinigen Bahnen zum idealen Radius oder Radiusvektor wird. Dazu zunachst einige Beispiele. Fig. 9 stelle das in § 20, Nr. 2 besprochene System der geradlinig bescbleunigten Bewegung dar. Z ist der Ort der tat- sachlichen Zentripetalkraft (Z t - Kraft). Der Mittelpunkt O bewegt 51 sich also in der Richtung OZ. Wenn O in O' angekommen ist, moge P in P' liegen, so dah O'P' gleick und parallel OP ist. Dann ist Z' der Ort der Z*-Kraft, falls Z Z' gleich und parallel OP ist. Im vorliegenden Falle ist also die Z-Kraft der Punkte im allge- meinen kleiner als die Z t - Kraft, z. B. ist Z'P < ZP\ sie ist der Gr (id e nach gleich der Z-Kraft, die zum Mittelpunkt des Korpers gehort. Als zweites Beispiel nehmen wir die Rotation einer Kugel um ihre Schwerpunktsachse. Die Z r Kraft eines Punktes der Afpiatorebene ist mit seiner Z ( -Kraft iden- tisch. Fiir jeden an- deren Punkt liegt der Ort seiner Zi - Kraft in dem Schnittpunkt ^ der Drehungsackse mit seiner Bakneben e. Dem Absolutwerte nack ist seine Z,-Kraft kleiner als die Z,-Kraft, und zwar gleick der mit dem Kosinus der Breite des Punktes multi- plizierten Zj-Kraft. An den Polen wird also die Z,-K raft Nuli. Als drittes Beispiel moge die Revolution ohne Rotation dienen. Wir beriicksichtigen dabei nur die Kraft, mit der der eine Korper auf den anderen wirkt. Da alle Punkte gleicke Bahnen in parallelen Ebenen beschreiben, sind die Z-Kraft e in jedem Zeitmoment der Grofie nack gleick, wakrend die zu den Punkten gehorigeu Z t -Krafte alle verschieden sind. Die Z, -Krafte sind dem Absolut- werte nack gleick der Z-Kraft, die auf den Schwerpunkt wirkt. Jetzt kiinnen wir kurz formulieren: Die Zentrifugalkraft an einem Punkte eines in besckleunigter Bewegung befindlicken Korpers ist entgegengesetzt gleich seiner idealen Zentripetalkraft. Im Falle einer Kreisbahn ist die (auf die Masse 1 bezogene) Zentrifugalkraft proportional dem Quadrate der Gesckwindigkeit des Punktes und umgekekrt proportional seinem idealen Radius. § 24. Plianomenologisehes zur Zentrifugalkraft. Man kann drei Begriffe der Kraft untersckeiden: a) den analjtiscken Begriff. Er wird benutzt, um mit einem Worte zu sagen, was sonst umstandlicher in Gleickungen ausgedriickt werden miifjte; Fig. 9. 4 * 52 b) den phanomenologischen Begriff. Er sagt Beziehungen des Ivraftbegriffes zu phjsikalischen Prinzipien und Grund- begriffen aus, enthalt also eine physikalische Deutung des analytischen Kraftbegriffes; c) den metaphysischen Begriff. Er macht Aussagen, die iiber das, dessen die Physik bedarf, binaus in das Gebiet philosophischer Ansicbten fiihren. Den analytischen Begriff der Zentrifugalkraft haben wir im vorbergehenden besprocken. Alles Metapbysiscbe interessiert uns hier nicht. Aus der Phanomenologie des Zentrifugalkraftbegriffes greifen wir zwei Fragen beraus: 1. Ist die Zentrifugalkraft iiber- baupt pkanomenologisch eine Ivraft? 2. Ist sie phanomenologisch eine wirkliche oder eine scheinbare Ivraft? Es mogen dann nocli 3. einige erganzende und kritiscbe Bemerkungen folgen. Die Antworten auf die beiden Fragen bangen naturlicb von der Phanomenologie des Ivraftbegriffes uberbaupt ab. Vorerst ein paar Worte zur Terminologie. Die Vorstellungen und Begriffe der Pbysik sind metaphysisch vieldeutig. Das soli beifien: Sie steben in keiner eindeutigen, notwendigen Be- ziebung zu einem pbilosopbiscben Weltbild; man kann sie in verscbiedenstem Sinne philosophiscli interpretieren. So scbliefit z. B. die physikaliscke Diskontinuitatsvorstellung, popularer und ungenau gesprochen: der Begriff des Atoms, keine Stellungnabme zu einer metaphysischen Auffassung der Wirklicbkeit in sicb. Erkenntnistheoretiker jeder Nuance konnen den Begriff des Atoms in ibr Weltbild aufnehmen. Naturlicb wird er durchweg in jedem eine andere Bedeutung annehmen; das ist eben der Ausdruck seines Cbarakter der metaphysischen Vieldeutigkeit. Wir bezeichnen infolgedessen das Weltbild der Physik mit seinen samtlicken Vor¬ stellungen und Begriffen als pbanomenologiscb. 1. Beim ersten Punkte miissen wir wieder eine Scheidung vornebmen: Wir trennen die rein pbysikaliscben von den logisch- pbysikalischen Begriffeu. Was im Kraftbegriff an Axiomatischem, Apriorischem, ErfabrungsgemaBem, Konventionellem usw. stecken mag, gehort in eine Diskussion der logischen Grundlagen der Physik. Damit scheiden wir alle wicbtigeren Streitigkeiten iiber den Kraftbegriff von unseren Erorterungen aus. Uns genugt der rein physikaliscke Begriff, der alles, was fur den Betrieb der Physik notwendig und binreicbend ist, zusammenfaBt. 53 In diesem Sinne ist der Kraftbegriff ein Ordnungsbegriff, d. b. ein Begriff, der Gruppen von Tatsachen einheitlich zusammen- fafit, ein Hilfsbegriff zur Klassifikation von Tatsachen. Solcbe bescbleunigte Bewegungen, die Einbeitlicbkeit zeigen, fassen vir zu einer Gruppe zusammen und scbreiben die Beschleunigung einer bestimmten Kraft zu, ohne dali wir dadurch etwas dariiber aussagen wollen oder konnen, ob der Kraftbegriff nur ein Aus- druck fiir einen Beschleunigungstypus ist oder ob er etwas Eigen- artiges, Neues, dariiber Hinausgehendes bezeichnet. Fiir die Rhysik geniigt es, die Kraft nur als Ordnungsbegriff zu fassen. Es vare ein Irrtum, deshalb a u s s c k 1 i e fi 1 i c li in dem Kraft¬ begriff ein Hilfsmittel zur Beschreibung von Tatsachen zu finden. Mitunter — vielleicht sogar meistens — miissen die Tatsachen zum Zwecke der Subsumtion unter den Begriff erst interpretiert werden. Oder man miiCte denn dem Worte „Be- schreibung“ einen vom Herkommlichen ziemlich weit abliegenden Sinn geben. Um nun den allgemeinen Kraftbegriff zu finden, fragen vir, vas jenen, den einzelnen Kraften zugeteilten Gruppen ge- ineinsam ist. Es ist zveierlei: 1. das Auftreten einer Belation, die 2. dadurch charakterisiert ist, dafj sie eine Anderung der Bevegung hestimmt. Von Kraft sprechen vir also bei jeder beschleunigungbestimmenden Relation. Fiir gevohnlich schreiben wir die Kraft einem Fundamente der Relation (oder beiden) zu, falls die Fundamente Korper sind; man sagt, der Korper „hat“ die Kraft. DaC das nicht notig ist, vird aus dem Folgenden klar. Am auffallendsten ist vohl bei dieser Definition der Gebrauch des Begriffes „Relation“ an Stelle des iiblichen „Ursache“. Wohl auch die Dunkelheit des Ursachenbegriffes selber, besonders aber der Sachverhalt ist schuld daran. Wir konnen in der Tat niemals von einem einzigen, d. h. von anderen ganz isolierten, Korper behaupten, er besitze Kraft; damit eine Kraft auftritt oder virksam ist, miissen stets mindestens zvei Korper vorhanden sein. Das Wort „Relation“ tragt also auch den Hypothesen (vie z. B. der Atberstofitheorie der Gi-avitation) Rech- nung, fiir die tatsachlich von der „Kraft“ eines einzelnen Korpers zu sprechen sinnlos vare. Aus dem gleichen Grande — um den Erfahrungsbestand nicht iiberzubestimmen — ist auch beschleuni- gungbestimmend, nicht beschleunigung ver ur sachen d gesagt; 54 \vir kennen pbysikaliscb nur eine funktionale Abhangigkeit der Bescbleunigung v o n der Relation. Daraus folgt nun, daB wir keinen Grund haben, die Rela- tionen, die unter den Kraftbegriff fallen, auf solclie einzuschranken, deren Fundamente Korper sind. Wir miissen pbysikaliseb aucb solcbe dazu recknen, bei denen die Fundamente selbst wieder Relationen sind. Und gerade dieser Fali liegt bei der Zentrifugal- kraft vor. Die Fundamente der Relation, mit der die Zentrifugal- bescbleunigung eines Punktes funktional verkniipft ist, sind die beiden Glieder eines Systems, von dem wenigstens das eine, das durch den Punkt oder ein mit ibm verbundenes Teilsystem reprasentiert ist, eine Bescbleunigung besitzen muB; mit dem Auftreten dieser Relation, deren einer Beziehungspunkt — Teil- system mit einer Bescbleunigung — selber eine Relation sein muB, tritt auch die Zentrifugalbeschleunigung auf. Rein pbysikaliscb ist also die Zentrifugalkraft eine Ivraft, weil sie ein Ordnungsbegriff fiir eine typische Gruppe von Be- schleunigungen ist. 2. Bei der beliebten Charakterisierung von Kraften als wirk- liche oder als scbeinbare wird man stets vergeblich nach einem Kriterium fiir diese Unterscbeidung sucben. Manchmal wird sie wolil iiber die rein physikaliscbe in eine logiscb - pbysikalisclie Deutung hiniibergreifen. Trotzdem ist es uns aber aucb auf dem Boden der bisherigen Ergebnisse moglich, eine solcbe Scheidung zu machen. Erlauben namlicb Gleicbungen eines Systems es, auBer den von vornherein vorausgesetzten Kraften noch andere anzunehmen, die mit den ersteren zusammen die Vektormenge des Systems iiberbestimmen, so konnen wir sie scbeinbare Krafte nennen. So sind z. B. die in § 21, Nr. 2 erwahnten abstoBenden Krafte scheinbare Krafte. Beacbten wir § 22, so ist danach die Zentrifugalkraft eine wirklicbe Kraft. Die Ausfiikrungen unter 1. scbeinen auf den ersten Blick ein Kriterium fiir jene Scheidung an die Hand geben zu konnen, und icb glaube, daB dieses Kriterium implizite den meisten derartigen Sckeidungen zugrunde liegt. Man konnte namlicb von einer wirk- licben Kraft dann sprechen, \venn die Fundamente der betreffenden Gruppenrelation Korper sind, von einer scheinbaren Kraft, wenn wenigstens das in Betracht kommende Fundament eine Relation ist. In diesem Falle ware die Zentrifugalkraft eine scheinbare 55 Kraft. Bedenkt man nun, wie vorhin schon erwiihnt, da.fi dann vielleicht nocli manche bisher als wirklich angesehene Krafte — nach der meclianistischen Auffassung sogar alle Krafte — nur scheinbar sind, dann siebt man, dafi in dem einen Falle die Charakterisierung der Kraft von Bolehen Bedingungen der Kraft mitbestimmt ist, die in dem anderen nicbt ausgescblossen sind. Das ist logisch unzulassig. Allerdings konnte man sich darauf berufen, dafi man nur nach den beobachtbaren Bedingungen unterscheiden wolle. Dagegen ware nichts einzuwenden. Aber dann mag die Relativitat dieser Unterscheidung ein Mafistab fiir die Grofie ihres Wertes sein. 3. Man findet vielfach die Zentrifugalkraft noch auf andere Weise, als es hier geschehen ist, zu Prinzipien und Grundbegriffen der Physik in Beziehung gesetzt. Die beiden wichtigsten Arten mogen kurz besprochen werden. Sehr oft ivird die Zentrifugalkraft auf das Prinzip der actio und reactio gegriindet. Wir setzen natiirlich voraus, dafi dieses Prinzip richtig verstanden wird x ). Es scheint nun aufier dem friiher zitierten Franzius niemand bemerkt zu haben, dafi diese Ableitung, wenn sie richtig ware, notwendig zu der Verallgemeine- rung des Begriffes fiihren wiirde, wie sie im Torstehenden dar- gelegt wurde. Es lafit sich aber durch eine einfache Tjberlegung die Unhaltbarkeit der Ableitung dartun. Denken wir uns zwei voneinander unabhangige Systeme mit je zwei anziehenden Massen; die samtlichen Massen und die Entfernungen der Schwerpunkte in den einzelnen Systemen sollen gleich sein. Die Glieder des einen Systems mogen relativ und absolut ruhen; man kann sich ihre Schwerpunkte starr verbunden denken. Die Glieder des anderen Systems mogen um die Systemachse revolvieren. Dann sind die reinen Gravitationskraftfelder in beiden Systemen voll- standig einander gleich. Ware nun die Zentrifugalkraft die reactio auf die actio der Zentripetalkraft, dann miifiten auch die Zentri- fugalkrafte in beiden Systemen gleich sein; das ist aber nicht der Fali, denn in dem starren System tritt keine Zentrifugalkraft auf. Wohl ebenso haufig wird die Zentrifugalkraft zur Tragheit in Beziehung gesetzt. Diese Deutung ist nicht falsch, aber sie ist keine eigentliche Deutung, d. h. kein Zuriickfiihren auf andere D Gray, Lehrb. d. Phys. I, S. 141 ff. 56 physikalische Grundbegriffe mehr, weil die Tragheit auch auf dem Boden der klassischen Mechanik keine selbstandige, elementare Eigenscbaft zu sein scheint 1 ). Es ist in der Tat schwerlich mog- lich, den Tragheitsbegriff selbstandig neben den drei Begriffen der Kraft (f), der Masse (m) und der Beschleunigung (a) zu defi- nieren. Die Tragheit erscheint vielmebr als die Eigenschaft der Masse, die in der Gleichung f = m a ausgedriickt liegt, voll- standig bescbrieben. Die Zentrifugalkraft auf die Tragheit zuriick- fiihren wiirde also lediglich besagen, dah die Kraft, die Masse und die Beschleunigung in der Weise, wie sie die Zentrifugal- kraftsformel angibt, funktional verknupft sind. VI. Die Zentrifugalkrafttheorie der fluterzeugenden Beschleunigungen 2 ). § 25. Die Grundformeln und ihre iveitere Analyse. Um das Ergebnis des letzten Kapitels in der Theorie der fluterzeugenden Beschleunigungen amvenden zu konnen, miissen wir an die Ausfiihrungen von § 7 bzw. § 8 ankniipfen. Wir haben dort die Bewegungsverhaltnisse der Erde in den Systemen Erde = j fiir den Fali der Revolution ohne Rotation cba- rakterisiert. Diese Revolution ist eine Translation in elliptischer Bahn. Es miissen also dabei Zentrifugalkrafte auftreten, iiber die sich auf Grund der Resultate der genannten Paragraphen und des vorstehenden Kapitels ohne weiteres die folgenden Satze aus- sprechen lassen: 1. Die Richtungen der Zentrifugalkrafte fiir alle Punkte der Erde sind untereinander und der Zentrale des Systems parallel. 2. Die Zentrifugalkrafte fiir alle Punkte der Erde sind zu derselben Zeit einander gleich und sind stets von dem Monde bzw. der Sonne weggerichtet. 3. Da die Summe der Zentrifugalkrafte der Summe der An- ziehungskrafte das Gleichge\vicht halten mufi, ist das Potential J ) Poske, Die Zentrifugalkraft 1909, S. 16 ff. — 2 ) Der Urheber der richtigen Form der Zentrifugalkrafttheorie fiir die Kreisbahn scheint W. M. Davis zu sein; vgl. die in § 7 zitierte Arbeit. 57 der Zentrifugalkraft in jedem Punkte der Erde gleich dem Gravi- tationspotential des Mondes bzw. der Sonne im Schwerpunkte der Erde. Die Ableitung der fluterzeugenden Beschleunigungen ist da- nacb nicbt mehr notig. Selbst wenn man § 22 nicht beriick- sichtigt, wonach die Zentrifugalkrafttheorie und die Relativtheorie identisch sind, sieht man sofort, daJB die Ableitung mit den Gleichungen (2) bis (5) in § 15 einsetzen wiirde, wo jetzt u die Gravitationsbeschleunigung, — u f die Zentrifugalbescbleunigung bedeuten. Wir erhalten also die Gleichungen (10) und (11). Wir wollen jetzt die fluterzeugenden Beschleunigungen in Koordinaten des Ortes und des storenden Korpers ausdriicken. Wir legen ein Koordinatensystem mit dem Anfangspunkt in P (Fig. 8, S. 33), und zwar die positive č-Achse nach dem Zenit, die positive ?/-Achse nach Norden (also in die Meridianebene), die positive #-Achse nach Westen. Sind X, Y, Z die Komponenten der fluterzeugenden Beschleunigungen in diesem System, so ist die ^-Komponente durch Gleichung (10) gegeben. u rh zerlegen wir noch einmal nach den beiden anderen Achsen. Ist £ das Azimut, SO ist 3 fj.y Bezeichnet man mit cp die geographische Breite von P, mit d die Deklination des storenden Gestirnes, so erhalt man aus dem spharischen Dreieck, das von dem Gestirn, dem Pole und dem Ortszenit gebildet wird, die bekannten Transformationsformeln der spharischen Astronomie: Erganzt man in der ersten dieser Gleichungen cos z zu 3 cos’ 1 z — 1, so bekommt man: 3 ms 2 g —1 = 3 (sin 2 cp sin 2 8 -f cos 2 cp cos 2 dcos 2 r cos z = sin cp sin 8 cos cp cos 8 cos r sin z- sin t, = cos d sin r sin zcost — sin 8 cos cp — cos 8 sin cp cos r -f 2 cos cp cos 8 sin cp sin 8 cos r) — 1 = | cos 2 cp cos 2 8 cos 2 r + f sin 2 cp sin 2 8 cos r + | (3 sin 2 d — 1) (3 sin 2 cp — 1), • • ( 20 ) 58 wobei zur Verwandlung bekaimte trigonometrische Formeln, be- sonders die Formel cos 2 a — 2 cos 2 « — 1, benutzt werden. Multipliziert man die beiden letzten Gleichungen von (19) mit der ersten, so kommt sin z cos z sin £ = sin 8 cos 8 sin cp sin z cos 2 8 cos (p sin r cos z sin z cos z cos S, = sin 2 8 sin cp cos cp -j- sin 8 cos 8 cos 2 cp cos t — sin 8 cos 8 sin 2 cp cos r — cos 2 8 sin cp cos cp cos 2 t. Mit Hilfe der aucb bei (20) gebrauchten Formeln, wozu bier nocb besonders die Formel cos 2« = cos 2 u — sin 2 u kommt, verwandeln sicb diese beiden Gleichungen in die folgenden: sin 2 z sin £ — sin 2 8 sin cp sin z -|- cos 2 8 cos cp sin 2 z sin2zcos£ = (3 sin 2 8 — 1 ) sin cp cos cp -j- sin 2 8 cos 2 cp cos z — cos 2 8 sin cp cos cp cos 2 z. Setzt man diese Ausdriicke in (17) und (18) und ferner den Ausdruck (20) in Gleichung (10) ein, so erhalt man: 3 Gr X = — -jjž (s*w 2 d sin cp sin z -f- cos 2 8 cos cpsin 2 z) 3 Gr_ 2 7J 3 [(3 sin 2 8 — 1) sincp cos cp -f- sin 2 8 cos 2 cp cos z — cos 2 8 sin cp cos cp cos 2 z] Z = _3 G-r P(3sin 2 8 — 1) (3 sin 2 cp — 1) 2 4- sin 2 S sin 2 cp cos z -j- cos 2 8 cos 2 cp cos 2 r j • ( 21 ) Man betrachtet die beiden ersten Komponenten als die eigent- licben fluterzeugenden Beschleunigungen und scbreibt der dritten, ohne sie weiter zu beriicksichtigen, lediglich die Wirkung zu, den Zusammenhang der Wasserteilchen gewissermat>en etwas zulockern. Die bisherige Analyse bat nun schon die fluterzeugenden Beschleunigungen in drei Gruppen zerlegt. Die erste Gruppe — das erste Glied der F-Komponente — ist von z unabhangig, verandert sich also mit der taglichen Be- wegung der Gestirne nicht. Weil die y - Aclise in der Meridian- ebene liegt, wirkt sie ausschliefllich in der Richtung des Meridians, 59 und weil sogar bei der groBten Deklination (beim Monde rund 28° 45', bei der Sonne 23° 27') der Klammerausdruck negativ bleibt, ist sie stets nach dem Aquator gerichtet und bewirkt hier eine stiindige Anbaufung des Wassers. Sie bat fiir denselben Ort ein Maximum, wenn 6 = 0 ist, also das Gestirn im Aquator steht. Ilire Periode erhalt sie von der Anderung der Deklination 6, also eine 14tagige Periode vom Mond, eine halbjabrige Periode von der Sonne. Sie verschwindet fiir alle Orte des Aquators und die Pole und ist fiir die Breite von 45° am groBten. Die zweite Gruppe — das erste Glied der X-Komponente und das zweite Glied der F-Komponente — bangt zunacbst ab von r. Sie hat dieselbe Pbase wieder, wenn r alle Werte von 0° bis 360° durchlaufen bat, besitzt also eine ganztagige Periode. Sie ist ferner eine Funktion von sin 2 6, wird also fiir denselben Ort Nuli, wenn 6 = 0 ist. Bei (p = 45° verscbwindet das Glied der F-Komponente, und weil die positive Achse nacb IVesten gericbtet ist, stebt die Bichtung der Bescbleunigung dann auf der Meridianebene senkrecbt. Bei cp = 0°, also fiir die Orte auf dem Aquator, verscbwindet. das Glied der X-Komponente und die Be¬ scbleunigung liegt in der Meridianebene. Sie ist im allgemeinen an den Polen nicbt Nuli. Sie ist die Ursacbe der in § 2 er- wahnten taglicben Ungleicbbeit. Die dritte Gruppe — das zweite Glied der X-Komponente und das dritte Glied der P-Komponente — ist von 2 v abbangig. Sie ist wieder in derselben Pbase, wenn r alle Werte von 0° bis 180° durcblaufen bat, besitzt also eine balbtagige Periode. Da sie gleicbzeitig proportional cos 2 6 ist, bat sie fiir denselben Ort bei 6 = 0, also wenn das storende Gestirn im Aquator stebt, ein Maximum. Fur die Orte des Aquators (q> = 0°) verscbwindet das Glied der F-Komponente, die Bescbleunigung wirkt dann senk- recht zum Meridian. An den Polen ist sie Nuli. Alle drei Gruppen sind in gleicber Weise von den periodischen Anderungen des Abstandes D abhangig, die aber, wie scbon be- merkt, bei den Sonnentiden im allgemeinen vernacblassigt werden konnen. Die fluterzeugenden Krafte lassen sicb auf den allgemeinen Ausdruck bringen: F = K sin (nt F mx). 60 Sie wiirden also einfache harmonische Schwingungen darstellen, wenn die in K enthaltenen Groben alle konstant und die Winkel gleichformig veranderlich waren. Das ist nun zwar nicht der Fali. Aber man kann samtliche Veranderliche durch die in der Astronomie gebrauchlichen gleichformigen Winkelgeschwindigkeiten ausdriicken. Dadurch zerfallen die fluterzeugenden Krafte in eine Reihe yon Gliedern, die alle Ausdriicke von der obigen Form sind und die Bedingungen der einfachen harmonischen Schwingung erfiillen und deren Anzahl man beliebig vermehren kann, indem man sie als Uberlagerung von Schwingungen der gleichen Art 2 7C auffabt. Die Periode der Sclrwingungen ist —. Ist A die Wellen- fl 2 n n und ^ stellt die Fortpflanzungsgeschwindig- lange, so ist m — ^ keit dar. x bestimmt die Lage des betrachteten Ortes. Wendet man die Ausdriicke auf die Wasserhiille der Erde an, so entspricbt jedem Gliede eine Teiltide von der Periode des Gliedes. Da diese Analyse der Krafte nur fiir die Anwendung auf die Gezeiten- beobachtungen von Interesse ist, unterlassen wir sie hier. Nur sei noch die jetzt verstandliche Bemerkung angefiigt, dab man aucb bei gewissen Mondteiltiden die Grobe I) als konstant an- sehen kann. Um einige Einzelkeiten der Schrift besser verstehen zu konnen, miissen wir hier einen kleinen Schritt iiber die Theorie der Gezeitenkrafte hinaus tun. Wir fassen unter der Voraus- setzung einer vollkommen starren Erde die Wasserhiille als ein der Reibung unterworfenes schwingungsfahiges System auf. Dann wirken auf jedes Wasserteilchen im allgemeinen drei Arten von Kraften: 1. die fluterzeugenden Krafte, 2. eine elastische Kraft, 3. die dampfende Kraft der Reibung. Die Gezeitenkrafte stellen also nur die auberen Krafte dar, die in der Tidenerscheinung wirksam sind (zu der Gruppe der auberen Krafte gehoren iibri- gens auch noch einige der in § 3 genannten sekundaren Ursachen). Unter dem Einflub dieser drei Arten von Kraften entstehen nun standig gezwungene Schwingungen, die sich als freie fortpflanzen und als solcbe langsam abklingen. Trotz dieser komplizierten Einwirkung fiihrt jedes Teilchen den auberen Kraften analoge Schivingungen aus, wenn man die elastische Kraft dem Ausschlag, die Dampfung der Geschwindigkeit proportional setzt. Den Beweis 61 fiir diesen Satz konnen wir liier nicht bringen. Man wird aber jetzt einigermaBen begreifen, tveshalb die Analyse der Gezeiten- krafte in der genannten Form gemacbt wird. Weiterhin ersieht man schon aus diesen allgemeinen tlberlegungen, daB die Hohe einer Tide nicht einfach der fluterzeugenden Kraft proportional sein kann. Das ist nicht einmal der Fali, wenn man die aufiere Kraft allein beriicksichtigt. Dnter der Einwirkung einer Kraft von der vorhin angeschriebenen Form wird namlich die Hohe der gezwungenen Welle in der H die Tiefe des Meeres bedeutet. Die Gleichung setzt noch voraus, daB die Wellen in einem relativ schmalen Kanal entstehen, der auf einem groBten Kreise der Erde liegt. Wer sich liber die Theorie und Praxis der Analyse genauer unterrichten will, sei auf die Arbeiten von van der Stok 1 ), Borgen 2 * ) und G. H. Darwin s ) verwiesen, von denen die erste, allerdings mit gewissen Vernachlassigungen, eine besonders ein- fache Darstellung gibt. § 26. Ableitung auf Grund der Potentialtheorie. Die Potentialtheorie gestattet eine elegantere Ableitung, die im wesentlic,hen den Grundgedanken der Zentrifugalkrafttheorie enthalt, wenn auch bei manchen Autoren etwas verhiillt. Sie wird in ahnlicher Weise z. B. von Levy 4 * ), Hatt 6 ), G. H. Dar- win 6 ), Hough 7 ) gebracht. Wir beziehen die Punkte des Meeres auf ein mit der Erde starr verbundenes Koordinatensystem. Wollen wir die Achse als unbeweglich betrachten, so miissen wir (§ 20) an jedem Punkte eine Beschleunigung anbringen, die (§ 23) gleich und entgegen- gesetzt der Beschleunigung J ist, die der Mittelpunkt der Erde von dem storenden Gestirn erfahrt, also die Beschleunigung — J. x ) Van der Stok in den Ann. d. Hydr. u. marit. Met. 1911, S. 227 ff.— s ) Borgen, Die harmonische Analyse der Gezeitenbeokachtungen, 1885. — s ) G. H. Darwin in dem Report of the fifty-third meeting of the british association for the advancement of Science held at Southport 1883. — 4 ) Levy, Legons I, § 4. — 6 ) Hatt, Des marees, § 3. — 6 ) G. H. Dar- win, Art. Tide in The Encyclopedia Britannica, Bd. XXVI. — 7 ) Hough in der Enzyklopadie der math. Wissensehaften VI, Bd. I 2 , S. 8f. 62 Da die Komponenten — J x , — J y , — J z dieser Ivraft nur von der Zeit und nicht von den Koordinaten der einzelnen Punkte ab- liangen, so konnen sie als die partiellen Differentialquotienten der Funktion — ( J x x + Jy V + '7, z) = — Jrcos(J r ) betrachtet werden, wo Jr den Winkel bezeicbnen soli, den der Radius r des betreffenden Punktes mit der Richtung der Be- schleunigung J bildet. Bis auf eine Konstante stellt also diese Funktion das Potential der Revolutionszentrifugalkraft dar. Da die Beschleunigung, die der storende Korper dem Erdmittelpunkt M erteilt, gleicb ~ ist, kann man dieses Potential auch scbreiben: Mr jj 2 cos (D r) und weil D r = z ist, endgiiltig Mr --JJ^COSZ. Das Gravitationspotential des storenden Gestirnes in einem M beliebigen Punkte ist ■ Beacbtet man, daB E 2 = D 2 -f- r 2 — 2 Dr cos z ist, so lautet das Gesamtpotential in einem beliebigen Punkte M Mr cos z n = Vi> 2 -(- r 2 — 2 Dr cos z D 2 Entwickelt man diesen Ausdruck nach steigenden Potenzen von jj , so erhalt man n M D + 2 3 M r 2 D^ COS 2 k \) Mr s 2IE (5 cos 3 z — 3 cos z) -j- M Wir betrachten ~ als eine Konstante. Da aber eine addi- tive Konstante zum Potential ohne Bedeutung ist und da die Glieder, die die 4. und k oliere n Potenzen von entbalten, ver- nachlassigt werden konnen, bleibt als Potential n: Mr 2 cos 2 z —\ 63 » ; Mit Hilfe der im letzten Paragraphen schon hergestellten Erganzung von cos s nacli Gleichung (19) zu (3 cos 2 s—1) lafit sich das Potential so schreiben: ((3 sin 2 8 — 1) (3 sin 2 cp — IG n _ _3 Mr 2 1 3 4 D 3 | sin 2 8 sin 2 cp cos z I l -f- cos 2 8 cos 2 cpeos2z J Durch entsprechende Differentiation erhalt man die Glei- cbungen (21). § 27. Vergleicli der Relativtheorie und der Zentrifugalkrafttheorie untereinander, mit der Theorie der bloBen Gravitationsbeschleunigungen und mit den Tidentlieorien. 1. Der Vergleicb zwischen der Relativtbeorie und der Zen- trifugalkrafttbeorie ist nach dem Ergebnis von § 22 leicht zu zieben. Unter den beiden in Kapitel V besprocbenen Voraus- setzungen, daB der Zentrifugalkraftbegriff 1. im analytiscben Sinne genommen und 2. verallgemeinert wird, sind die beiden Theorien nicbt bloti einwandfrei und fiibren zu den gleicben Resultaten, sondern sind sie geradezu identiscb, stellen sie nur verschiedene Formen desselben Gedankens dar. Denn dann ist die Zentrifugalkrafttheorie weiter nicbts als eine besondere Inter- pretation von Gleichung (1). Betrachtet man sich als im Besitze des verallgemeinerten Begriffes der Zentrifugalkraft, so kann man die Zentrifugalkrafttheorie als eine Abkiirzung der Relativtbeorie anseben. Die Relativtbeorie arbeitet am bequemsten mit Be- scbleunigungen, die Zentrifugalkrafttheorie kann mit Beschleuni- gungen und Kraften gleich gut arbeiten. Es ist ungenau zu sagen, die Relativtbeorie betracbte die Erde in ibrem vvakren Zustande der Bewegung, die Zentrifugalkrafttheorie in einem ge- dacbten kunstlicben Zustande der relativen Rube, und ungerecbt, deshalb die letztere geringer zu vverten. Richtiger und gerechter ist die Aussage, daB jede Theorie auf ibre Weise der Bewegung der Erde Rechnung tragt. Bei dieser Sacblage bat es keinen Sinn zu behaupten, die Relativtbeorie sei die einfacliere, wissen- scbaftlicb feinere, sie vermeide alle Umwege und Hilfsvorstel- lungen. Es wird scbwerlicb jemand die Darstellung in § 26 vvissenschaftlich w e ni g er fein finden als die in § 15; daB die Zen- 64 trifugalkrafttbeorie keinen Umweg, eker das Gegenteil bedeutet, und daB sie die Hilfsvorstellung der Kraft nicht notig liat, borten wir schon. Das alles gilt natiirlicb nur unter den gemachten Voraus¬ setzungen. Wo nur der grobere und speziellere Begriff der Zen- trifugalkraft bekannt ist, ist die Zentrifugalkraftform der Theorie praktiscb vorzuzieben. Sie wird deshalb in Scbulen und in popu- lareren Biichern der bessere Weg sein, um die Entstebung der fluterzeugenden Krafte verstandlicb zu rnacben. 2. Die in § 11 besprochenen Autoren erbalten die ricbtigen Ausdrucke fiir die fluterzeugenden Bescbleunigungen, trotzdem sie die feblerbafte Ableitung aus den bloden Differenzen der Gravitationsbescbleunigungen haben. Der Grund ist nacb den bisberigen Darlegungen leicbt einzuseben. Weil in jedem flut¬ erzeugenden System das Potential der Fiihrungskraft (§ 15) oder das der Zentrifugalkraft in einem Punkte der Oberflacbe der Erde gleicb dem Gravitationspotential deš storenden Korpers im Mittelpunkte der Erde ist, sind die absoluten Betrage der Belativbeschleunigungen gegen den Erdboden, wie sie die Ab¬ leitung aus den Gravitationsdifferenzen aufstellt, gleicb denen der Relativbescbleunigungen nach den beiden ricbtigen Formen der Tbeorie. Fiigt man im ersteren Falle das entsprecbende Vor- zeicben binzu, so ist die Fbereinstimmung vollstandig. 3. Es erscheint besonders wicbtig, nocb einmal nacbdruck- licb zu betonen, dafi unsere samtlicben Entwickelungen von jeder Tidentbeorie vollstandig unabbangig sind. Sie stellen allgemeine, unter allen Umstanden geltende Ausdrucke dar, die auf die W