.'33^ Samstag den 16. KeUtember 1830. Episode aus dem spanischen Kriege ,809. I ^luf dem Kirchthurme der kleinen Stadt Men-d a schlug cs neun Uhr.. In die'em )lugenbl!cke lehnte sich ein junger französischer Officier auf d'e Brustwehr eincr langen Terrasse, welche die Gä'rtcn des Schlosses von Menda umgab/ und schien In tieferen Betrachtungen verloren, als sie sich mit der Unbefangenheit des Soldatenlcbens vertrugen. Nie konnte aber auch Stunde, Lage und Umgebung geeigneter zum Nachdenken seyn, als jetzt,. Der schöne Himmel Spaniens breitete einen Dom von Azur über seinem Haupte aus. Das Blinken der Sterne und ein sanftes Mondlicht erhellten magisch ein köstliches Thal, das zu seinen Füssen alle Schätze entfaltete. An einen blühenden Orangenbaum sich stützend, konnte der Major hundert Fuß unter sich die Stadt Menda liegen sehen, die sich gegen die Stürme dcs Nordwindes an den Felsen anzuschmiegen schien, auf welchem das Schloß erbaut war. Mit einer Wendung des Auges erblickte er das Meer, dessen helle Wogen die Landschaft wie ein breiter Sil-bcrsireifen umsäumtet. Das Schloß war erleuchtet. Die lärmende Freude eines Balls, die Töne dcs Or-chcsiers, das Lachen einiger Officiere und ibrer Tänzerinnen drangen bis zu ihm und mischten sich mit dem fernen Getöse der Wogen. Die Frische der Nacht vcr-lieh seinem, durch die Tageshihe erschöpften Körper ein« Art neuer Spannkraft, und in den öden Gärten blüheten so duftrciche Bäume und zarte Blumen, daß der junge Mann wie in einem Meere Von Wohlgerü-chen schwamm. Das Schloß Menda gehörte einem spanischen Grande, der es in di'elcm Augenblicke mit allen Mitgliedern seiner Familie bewobnle. Wäbrend dcs ganzen heutigen Abcnds batle dessen älteste Tochter den jungen Officicr mit einem Blicke betrachtet, in welchem sich Tdeilnabme und Schmerz so sichtlich mischten, daß dieser Ausdruck des Mitleids, der darin vorwaltete, ihn wohl in gan; cigentlnimliche Träume wiegen konnte. Clara war schon, und ob sie gleich noch eine Schwester und drei Brüder besasi, waren die Besitzungen des Mar-chcse von Leganes doch beträchtlich genug, um Victor Marchand glauben zu lassen, daß das reizende Mädchen eine sehr ansehnliche Mitgift bekommen werde. Aber wie sich nur vorzustellen wagen, daß der Sobn eines Gewür^krämers in Paris die Hand der Tochter desjenigen Mannes erkalten könne, der in ganz Spa-liien auf seinen Adel und seine Hoheit sich am meisten einbildete! Die Franzosen waren gebaßt. Der General G..t...r, welcher in dieser Provinz commandirte, hatte den Marchese in Verdacht, daß cr zu Gunsten Ferdinand's VII. einen Aufruhr vorbereite: das Ba« taillon, das Victor Marchand commandirte, war daher in die kleine Stadt Menda gelegt worden, um die benachbarte Gegend, die dem Marchcse von Leganes unterthänig, war, im Zügel zu balten. Eine neu,re Depesche vom General Ney ließ sogar eine neue Aus-schissung der Engländer an der Küste befürchten, und bezeichnete den Marchese als einen Mann, der gelieime Einverständnisse mit dem Londoner Kabinette unterhat« te. So war denn, trotz der freundlichen Art, womit der Spanier Victor und dessen Krieger aufgenommen hau«, dieser junge Officier st,t? auf seiner Huch. 550' Als " Ein furchtbarer Schrei, der aus der Stadt erscholl, unterbrach den Soldaten. Eine plötzliche Helle umlcuch« tete den Commandant. Im Ballsaale schwiegen plötzlich die Instrumente und das Gelächter. Eine Tooten-stille, nur von Wehklagen unterbrochen, war mit einem Mal an die Stelle des Festes getreten. Ein Kanonenschuß ertönte über di« weiße Flache des Meeres. Kalter Schweiß .riefelte von Victor's Stirn. Er war ohne Degen. .Schnell war eö ihm klar, daß alle Franzosen ermordet seien und die Engländer landen würden. Er sah sich entehrt, wenn er dieß überlebte, er sah sich vor ein Kriegsgericht gestellt — und dann maß ,.er rasch die Tiefe des Thales. Schon wollte er hinab, als Clara's Hand die seine faßte. »Fliehen Sie!« — sprach sie. — »Meine Vrü-der folgen mir. ftnten am Felsen, da herab, werden Sie das andalusische Noß von Iuanito finden. Fort.'« Sie schob ihn hinweg. Voll Staunen betrachtete sie der junge Mann einen Augenblick. Bald aber g»-horchte er dem Triebe der Selbstcrhaltung, der stldft ,d.5n tapfersten Mann nicht verläßt, und eilte in d und die drey jungen Männer, geschmückt und freudig hatte im lustigen Walzer umherdrehcn sehen. Er schau- ^ derte bei dem Gedanken, daß in wen.igen Stunden ih- j re Häupter unter dem Beile des Henkers bluten sollten. , Vater und Mutter, Söhne und Töchter waren an die stark vergoldeten schweren Lehnstühle gebunden und sa- i ßen völlig unbeweglich da. Acht Diener standen schweigend umher, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Diese fünfzehn Personen sahen sich ernst an, und ihre Blicke verriethen kaum die Gefühle, welche in ihnen herrschten. Eine tiefe Resignation und der Schmerz über das Fehlschlagen ihrer Unternehmung war auf allen Gesichtern zu lesen. Soldaten bewachten sie, selbst unbeweglich und das Elend ihrer grausamen Feinde ehrend. Als Victor hiyeintrat, belebte ein Ausdruck der Ncugier alle Züge. Er gab Befehl, die Verur-theilten loszubinden und loste selbst die Stricke, die Clara an ihren Sluhl fesselten. Sie lächelte traurig. Victor mußte die zarten, vollen Arme des jungen Mädchens berühren. Er bewunderte ihr schwarzes Haar, ihren schlanken Wuchs, denn sie war eine echte Spanierinn. Sie hatte auch den spanischen, etwas braunen Teint, spanische Augen mit langen, 'rückgebogenen Wimpern und rabenschwarzer Pupille. «Sind Sie glücklich gewesen?« fragte sie mit jenem Grabeslächeln, indem doch noch so viel Mädchen' Haftes lag. Victor konnte sich nicht enthalten, zu seufzen. Er sah nach und nach die drei Brüder Clara's an. Der älteste war 30 Jahre alt, klein, schlecht gebaut, von , stolzer, herabwürdigender Miene, doch nicht ohne einen gewissen Adel in seiner Haltung und jenes Zartgefühl, das die spanische Galanterie sonst so berühmt machte. Er hieß Iuanito. Der zweite, Philipp, zähl- te etwa 20 Jahre. Er glich Clären." Der jüngste, Rapbael, war 8 Jahre alt. In seinen kindlichen Zil< gen laq schon eine gewisse römische Festigkeit, wie sie uns David's Bilder nicht selten vorführen. Der alte Marchese hatte ein wcißgelocktes, niedergesenktes Haupt und schien aus einem Gemälde voH Murillo entlehnt» Nach diesen Blicken schüttelte Victor den Kopf, überzeugt, daß keiner von ihnen das Anerbieten des Generals annehmen werde. Doch wagte er es, Cla-ra dasselbe anzuvertrauen. Anfangs schauderte ste, schnell aber nahm sie wieder eine ruhige Miene an und knieete vor ihrem Vater hin. »Vater!« — sagte sie zu ihm — »lassen Ol'e Iuanito schwören, daß er Ihren Befehlen unweigerlich gehorchen will» — Wir werden zufrieden seyn.« Die alte Mutler zitterte vor Hoffnung; als sl'e sich aber zu ihrem Manne neigte und,nun Clara's schreckliche Mittheilung gehört hatte, ward sie ohnmächtig. > Iuanito erfuhr Alles und schäumte wie eln L5n>e im Käsig. Victor nahm es auf sich, die Soldaten abttttt» zu lassen, nachdem ihm der Marchese das Verspreche" vollkommener Unterwerfung gegeben hatte. Die ^^ dienten wurden abgeführt und dem Scharfrichter ZU? Hinrichtung übergeben. Als die Familie nur noch Victor zur Aufficht hat-te, stand der alte Marchese auf. »Iuanito." sagt« ^' Iuanito, den Befehl seines Vaters verstehend, antwortete blos durch eine Bewegung der Hauptes' die eine Verweigerung ausdrückte. Er siel aufsein^ Stubl zurück und sah seine Aeltern mit trockene^ furchtbaren Augen an. ' (Der Neschlusi folat.) (5 u r i o s a- Man z,sgt in Sevilla (Spanien) elnen ju"^ Menschen, welcher ein vollkommener Nyktalop ist, b^' > ist, daß er nur bei dlr Nacht sieht. Beim Tage W"^ man ihn führen, aber im Finstern liest er mit der Mp' ttn Leichtigkeit auch den allerrleinsten Druck. Er ke«" nur den Mond, die Sonne aber nicht. Austöftmg ver ^ harave im Ml^ Vlatte Kr. 37. Miau. Neoacteur: ck?r. kav. Meinrich. Verleger: Fgnaj Äl. ELler V.Ale in NtaVl-