Narodna in nniverzitetna knjiznica v Ljubljani 101225 IE BALKANLÄNDER VON EMIL VON LA VE LEYE INS DEUTSCHE ÜBERTRAGEN VON E. JACÖB-I. ERSTER BAND. LEIPZIG. VERLAG VON CARL REISSNER 1888. «weite (Schlags-) Band wirrt im September d. J. erscheinen. EMIL VON LAVELEYE, DIE BALKANLÄNDER. 1 I-MILL DE LAV Ii LEYE DIE BALKANLÄNDER. VON EMIL VON LAVELEYE. INS DEUTSCHE ÜBERTRAGEN VON E. JACOBE ERSTER BAND. LEIPZIG. VERLAG VON CARL REISSNER. 101225 Einleitung. EMIL VON LAVELEYE. Biographische Skizze von Ph. Linet. Zu Brügge, am 5. April 1822, wurde der gelehrte Nationalökonom geboren, dessen Name heute maass-gebend ist in allen grossen politischen und religiösen Fragen, die im Lebensstrome zweier Welten pulsiren, der edle Menschenfreund, welcher unlängst noch in der englischen Presse so warm für die unterdrückten Bulgaren eintrat. Die Gymnasialbildung gab ihm das Athenäum seiner Vaterstadt und dann das Stanislaus-Kollegium zu Paris, woselbst er mehrere berühmte Zeitgenossen — Camille Rousset, Caro und Foucher de Careil — zu Mitschülern gehabt und, besonders auf Unter-Prima, viele Preise davongetragen hat. Nach seinem Scheiden aus dieser Anstalt studirte er, zuerst in Löwen und hierauf in Gent, Philosophie und die Rechte, und an letzterem Orte liess er, mit dem Doktordiplom in der Tasche, sich nieder. Bereits im Alter von neunzehn Jahren gab er seine erste Schrift, das von Ghemar illustrirte »Album von Ostende« heraus, und vier Jahre später — er hatte sich zuerst der Literatur gewidmet und in Paris entsprechende Studien unter Fauriels Leitung gemacht — veröffentlichte er eine »Geschichte der provencalischen Sprache und Literatur« und ihres Einflusses auf Italien und Spanien; diese letztere Arbeit trug ihm einen Universitätspreis ein. Seine weiteren Literaturstudien belehrten ihn nun darüber, dass man in Frankreich das grosse deutsche Heldengedicht, die »Nibelungen«, wohl häufig im Munde führt, doch aber wenig kennt und liest, weil eben eine gemeinverständliche französische Ausgabe fehlte. Diesem Mangel wollte er abhelfen, und in den Stoffsich hineinversenkend, drang er bis zu den Quellen desselben vor. Er bereitete sich lange vor und reiste nach Deutschland, wo er an den Urtext ging und die Rathschläge der berühmten Gebrüder Grimm empfing. Seine Ueber-setzung der »Nibelungen« erschien 1861, und einer zweiten Ausgabe — 1866 — ging eine Uebersetzung der »Edda« voraus. Dem Gebotenen, welches an und für sich schon wichtig genug ist, giebt er aber durch die beigefügte Einleitung noch einen erhöhten Werth. Hier zieht er Wolff und Lachmann heran und spricht unter anderem eingehend über die Bildung und endgültige Fassung des deutschen Heldengedichtes, welches er dann mit dem irländischen Sagenkreise vergleicht. Seine weiteren Aus«-führungen stellen eine geschichtliche Thatsache als Kern der Volksdichtungen hin. Sänger tragen eine solche von Ort zu Ort und geben ihr damit gleichsam einen flüssigen Zustand, in welchem religiöse Mythen sich mit ihr vereinigen und verschmelzen. Zuletzt kommt dann der Dichter und verleiht ihr eine feste, genau umgrenzte Gestaltung. So entstand Indiens »Maharabatta«, Persiens »Shah - Nameh«, Griechenlands »Ilias«, Deutschlands »Nibelungen«- und Frankreichs »Rolandslied«. In solchen Schöpfungen steckt etwas Ursprüngliches, Fortlaufendes, Gemeinsames, und dieselben unterscheiden sich sehr bestimmt von Epen, die einem einzigen Genius entstammen, — von Virgils »Aeneide«, Dantes »Hölle«, Tassos »Befreitem Jerusalem«, Miltons »Verlorenem Paradiese« oder Camoens' »Lusiaden«. Um diese Zeit wurde Emil von Laveleye durch die grossen sociologischen Fragen angezogen, denen er sich von nun an vollständig widmete. Damit gab er seine literarischen und geschichtlichen Arbeiten auf, von welchen aber die »Geschichte der Frankenkönige« (2 Bände, 1847), eme Nachahmung von Augustin Thierrys »Mero-vingischen Erzählungen«, nicht unerwähnt bleiben darf. Seine Studien hatten jetzt eine ganz andere Richtung angenommen, und dadurch wurde er ohne sein Wissen auf die Wirksamkeit als Universitätslehrer vorbereitet. — Bereits im Jahre 1847 war an der Universität Gent ein Kreis von Studenten zusammengetreten, um unter der Leitung eines hervorragenden Führers — Franz Huet — mit leidenschaftlichem Eifer sociale Forschungen aufzunehmen. Diese Vereinigung gab eine besondere Zeitschrift »Das freisinnige Flandern« heraus, und hier veröffentlichte Emil von Laveleye eine Kritik über Michael Chevaliers »Briefe« vom Wesen der Arbeit, wobei er die Ansichten der neuen wirthschaftlichen Schule entwickelte. Durch sein tiefes Wissen hat er sich in jener Gemeinschaft ganz besonders hervorgethan, und es ist dieselbe zur Heimstätte des Kathedersocialismus geworden, welcher in Deutschland erst fünfzehn Jahre später ins Leben trat. Die Schlussfolgerungen dieser Richtung findet man in Franz Huets bedeutsamem Werke »Das sociale Christenthum« klar und scharf hingezeichnet. Zwischen 1855 und 1858 schrieb Emil von Laveleye verschiedene Artikel, welche in der zu Brüssel von Pascal Duprat gegründeten »Freien Forschung« erschienen und nun das Buch »Fragen der Gegenwart« bilden. Es ist hier die Rede von den »Ursachen des Fortschrittes angelsächsischer Völker«, und die »Prüfung des Kommunismus« enthält eine Kritik des Proudhon'-schen Buches über die Gerechtigkeit in der Offenbarung und in der Kirche. — Jetzt wurde also die sociale Frage mit ihren mannigfaltigen Gesichtspunkten der Pol, um den des gelehrten Mannes ganze und so umfassende und tiefgehende Schaffenskraft sich drehte. Für die »Revue des Deux Mondes« schrieb er zum ersten Male im Jahre 1859, und zwar handelte es sich damals um einen in Frankreich sehr beifällig aufgenommenen Artikel über die Lombardei, worin er ein Bild des Kriegsschauplatzes entwarf, auf dem die französischen Heere ihre grossen Siege bei Magenta und Solferino erfochten haben. Seitdem sind beinahe all seine — später zu Büchern zusammengefassten — Aufsätze in der »Revue des Deux Mondes« erschienen, und bei einer Durchsicht dieses Blattes wurden 76 seiner Feder entstammende Artikel gezählt. Er schreibt über Volkswirthschaftslehre und Ackerbau, über Finanzwesen, Geschichte der Gegenwart, Politik, öffentlichen Unterricht, über Religion, schöne Künste u. s. w., und es giebt wohl kaum einen Stoff von politischer und socialer Natur, den er nicht mit Meisterhänden angefasst und behandelt hat. Zunächst beschäftigte er sich — nach dem Plane Leonce de Lavergnes »Landwirthschaft in England« — mit der Landwirthschaft und gab heraus: »Die Landwirtb-schaft Belgiens« (1. B.), »Die Landwirthschaft der Niederlande« (1. B.), »Die Landwirthschaft der Schweiz« und »Die Leistungskräfte der Lombardei«. Das auf die Schweiz bezügliche Werk wurde ins Portugiesische übersetzt und mit einer Vorrede versehen, die eine Lebensbeschreibung des Verfassers und eine Umschau über seine Arbeiten enthält. Uebrigens sind seine Schriften in die Sprache jedes civilisirten Volkes übersetzt worden und haben so seinen Namen nach allen Ländern der Welt getragen. In der »Religiösen Krisis des 19. lahrhunderts« weist er darauf hin, dass es in katholischen Ländern schwer halten wird, der Freiheit eine Stätte zu gründen, so lange das Papstthum der Ursprünge des Christenthums unein-gedenk bleibt und sich den Errungenschaften der Neuzeit entgegenstemmt, welche im Gegentheile in protestantischen Ländern einen günstigen Boden finden. Dann schreibt er »Leopold L, ein constitutione!]ex-König«, und zeigt hierin, unter welchen Bedingungen das Königthum — im Zustand des Ueberganges — mit der Herrschaft des Volkes sich vertragen kann; diese Bedingungen schien eben Leopold I. besser erfasst zu haben, als Louis Philipp, sein Schwiegervater. Ueber die Theorie des Schönen auf dem Gebiete der Kunst hatte Emil v. Laveleye schon früher sich ausgelassen und nun wurde ihm Gelegenheit, darauf zurückzukommen, wobei er die wahrhaft künstlerisch veranlagte Natur und den tiefen Denker in gleichem Maasse offenbart. Er veröffentlichte einen Aufsatz über den Maler Wiertz, ferner die Novelle »Marina«, eine Scene aus dem Künstlerleben Roms, den »Mont Rosa«, Reiseerinnerungen aus der Schweiz, und bildete hieraus dann die »Studien und Essays«. Mit diesem Band empfahl er sich der belgischen Regierung, die er auf den zwei Weltausstellungen zu Paris — 1867 und 1878 — in der Abtheilung für Malerei zu vertreten hatte, und hier wurde er von den französischen und fremden Künstlern zum General-Sekretär der Abtheilung gewählt. Nun bildeten die auf dem Gebiete des Handels und der Münze immer häufiger vorkommenden Krisen, in denen die wirtschaftliche Bewegung der Gegenwart sich malt, den Gegenstand seiner Studien, und es er- scheint von ihm — bei Guillaumin — »Der (ins Deutsche übersetzte) Geldmarkt seit 50 Jahren«. Er ist Bimetallist und zwar neben Cernuschi der Hauptverfechter der Doppelwährung, und sowohl in der »Revue des Deux Mondes«, wie auch in den deutschen und englischen Zeitungen, zu deren Mitarbeitern er gehört, hat er eingehend und ausführlich über die brennend gewordene Münzfrage sich ausgelassen. Von den meisten dieser Arbeiten sind dann in England, Amerika und Deutschland Uebersetzungen erschienen. Im Jahre 1864 war an der Universität Lüttich der Lehrstuhl für Nationalökonomie zu besetzen, und nun wurde Emil v. Laveleye von der Regierung als Professor dorthin berufen. Als solcher wirkt er — und man weiss es, in welch glänzender Weise — auch heute noch. Die Reisen, welche derselbe unternahm, um volks-wirthschaftlichen und politischen Studien obzuliegen, haben ihn nicht nur über ganz Europa, sondern auch durch zwei Welten geführt. Nach der Schlacht von Sadowa machte er sich daran, Preussens und Oesterreichs politische Lage genau zu erkunden, und Buloz sagte damals zu ihm: »In Europa ist alles anders geworden, und es gilt, Preussen und Oesterreich kennen zu lernen. Sie müssen an Ort und Stelle forschen und in der „Revue des Deux Mondes" getreu berichten«. Er hat dann eine Reihe von Artikeln geschrieben, welche die beiden Bände »Preussen und Oesterreich seit Sadowa« bilden, und darin besonders die unwiderstehliche Macht dieser neuen und damals in Frankreich noch zu wenig verstandenen Bewegung, des auflebenden Volksbewusst-seins, hervorgehoben. Hinsichtlich dieses Werkes erzählt er folgendes sonderbare Vorkommniss: »Mein letzter Artikel sollte die Schlacht bei Sadowa und den Feldzug, welchen sie im Gefolge hatte, beschreiben. Ich war an Ort und Stelle gewesen, und König Leopold I. hatte mir ein Empfehlungsschreiben an den Feldmarschall Moltke mitgegeben, um mir eine Erklärung über den ganzen Plan des denkwürdigen Feldzuges zu erwirken. Als ich den Aufsatz aber schreiben wollte, wendete Buloz ein: „Unmöglich, so etwas würden unsere Leser nicht hinnehmen; schon der blosse Name Sadowa ist mir verhasst". Ich empfand einiges Bedauern, weil es vielleicht nicht besonders ergötzlich, doch sicherlich nutzbringend gewesen wäre, den Artikel zu lesen«. — Von beiden Bänden, über welche Gladstone in der »Revue d'Edimbourg« berichtet hat, sind Theile ins Deutsche und Ungarische übersetzt. Nach Saint-Simon besteht die Lösung des socialen Räthsels darin, eine sittliche, geistige und materielle Hebung der Arbeiterklassen herbeizuführen, und in diesem Sinne beschäftigte auch Professor v. Laveleye sich mit der grossen Frage. Er ging von dem sehr richtigen Gedanken aus, dass keine Wandlung auf politischem und wirthschaftlichem Gebiete das Volk wirklich heben und bessern kann, so lange dessen Bildung nicht markiger und vertiefter als heute ist, und verlegt deshalb den Schwerpunkt auf das Gebiet des Unterrichtes. In der »Revue des Deux Mondes« — 1865 bis 1871 — erschien hierüber eine Reihe von Artikeln, welche durch statistische Daten aus allen civilisirten Ländern vervollständigt wurden und dann unter dem Titel »Der Unterricht des Volkes« die Buchform erhielten. In dieser Gestalt kamen sie 1872 bei Hachette heraus, und es erfolgte ihre Uebersetzung ins Schwedische und Holländische. Dann beschäftigte Professor v. Laveleye sich mit dem Studium der »Regierungsformen in den demokratischen Staatswesen der Neuzeit«. Seine entsprechenden Aufsätze wurden zunächst auch in der »Revue des Deux Mondes« veröffentlicht, dann zu einem Buche vereinigt und in ihrer italienischen Uebersetzung der »Biblio-teca di scienze politiche« einverleibt. Seitdem hat er noch eine Menge anderer Arbeiten über den gleichen Gegenstand — die republikanische Regierung in den Vereinigten Staaten, der Parlamentarismus und die Demokratie; die Demokratie in den Vereinigten Staaten und in der Schweiz u. s. w. — herausgegeben. Welche Staatsform eignet sich, heisst es hier, für die Gesellschaft der Neuzeit? ist der demokratische Geist, welcher überall in derselben triumphirt, mit der constitutionellen Monarchie unvereinbar? und was für Bedingungen sichern der Republik die Dauer? Nach den Ausführungen des Verfassers arbeitet der Parlamentarismus unserer demokratischen Staatswesen recht schlecht und droht zur Ohnmacht und Wirrniss zu führen. Mit was für Mitteln ist man nun diesen Gebrechen in den beiden, vom demokratischen Geiste am meisten durchdrungenen Staaten, der Schweiz und den Vereinigten Staaten, begegnet? Die Frage beantwortend, zeichnet der Verfasser (Revue des Deux Mondes, 1881) ein — ins Schwedische, Niederländische und Spanische übersetztes — Bild General Garfields, welcher als das Ideal eines Präsidenten erscheint, und spricht späterhin über die »Referendum«-Form, unter welcher in der Schweiz die direkte Regierung arbeitet. Professor v. Laveleye hat sich auch lebhaft mit den Fragen des Völkerrechtes beschäftigt. Mehr denn je ersehnen die Menschen den Frieden, und doch scheint derselbe ihnen so ferne wie noch nie zu sein. Es droht nicht ein Kampf der Fürsten, sondern ein Zusammen-stoss der Völker, und darin birgt sich eben etwas Furchtbares, die fortschreitende Civilisation Gefährdendes. Giebt es nun kein Mittel, um solche Geister zu bannen? Dieser Frage ist zunächst der — ins Englische übersetzte — Band über die »gegenwärtigen Ursachen des Krieges und die Schiedsgerichte« (Guillaumin, 1873) gewidmet, worauf dann später in englischen Zeitungen dieser grosse menschenfreundliche Gedanke beleuchtet und ausgeführt wurde, dass nämlich der Zeitpunkt gekommen sei zur Gründung eines englisch-amerikanischen Gerichtshofes, welcher alle Streitsachen zwischen den beiden angelsächsischen Völkern zu schlichten hätte. Solch edlem Bemühen lächelt der Erfolg. Präsident Cleveland hat die aus England an ihn Abgeschickten empfangen, um sich jene Bestrebungen auseinandersetzen zu lassen, und im Interesse der Civilisation bleibt es aufs innigste zu wünschen, dass dieser Gedanke an ein internationales Schiedsgericht bald und überall mit vollstem Nachdrucke aus der Theorie in die Praxis übergehen möge. Nun ist eine tiefdurchdachte Arbeit über das »sociale Räthsel« zu verzeichnen. Den Untergrund für die heutige Gestaltung der Gesellschaft bildet das Eigenthum, und dem Wesen desselben muss man vor allen Dingen näher treten. Hierüber erschienen wichtige Artikel in der »Revue des Deux Mondes«; sie wurden später durchgesehen und vervollständigt und bilden nun das »Eigenthum und seine ursprünglichen Formen«. Dieses Buch hat bereits vier Auflagen erlebt, ist ins Deutsche, Englische, Dänische und Russische übersetzt worden und gehört zu den hervorragendsten Werken, welche auf jenem Felde überhaupt erschienen sind. Der Verfasser zeigt, welche Wandlungen mit dem Grundeigenthume und der Art und Weise, den Boden zu bebauen, vor sich gegangen sind. Früher war nämlich der liegende Besitz überall ein gemeinsamer, und in gewissen Ländern ist er es auch heute noch; das persönliche und ererbte Grundeigenthum entstammt erst einer neueren Zeit und ist deshalb auch ver- besserungsfähig. Das zu erstrebende Ziel soll aber darin bestehen, dass jeder Mensch sich im Besitze eines Arbeitswerkzeuges befindet. Um auf den tiefen Zusammenhang hinzuweisen, welcher zwischen den religiösen Ueberzeugungen und der wirthschaftlichen Entwickelung obwaltet, veröffentlichte Professor von Laveleye zwei sehr grosses Aufsehen erregende Schriften: »Der Protestantismus und der Katho-licismus unter Bezugnahme auf die Freiheit und das Gedeihen der Völker« und »Die religiöse Zukunft civilisirter Völker«. Von jener waren die 20000 Exemplare der französischen Ausgabe in Frankreich und Belgien sofort vergriffen, und der englischen Uebersetzung ist eine Vorrede Gladstones, der deutschen eine solche von Bluntschli beigegeben. Das Buch wurde auch ins Holländische, Schwedische, Portugiesische, Spanische, Ungarische, Cze-chische, Polnische, Griechische und Italienische übersetzt, und »Die religiöse Zukunft civilisirter Völker« ist gleichfalls in die meisten Sprachen übertragen worden. Louis Reybauds Buch »Die Umgestaltenden« schliesst mit dem Jahre 1848 ab und lehrt also nicht die in den verschiedenen Ländern und ganz besonders in Deutschland zahlreich vorkommenden Männer kennen, welche den Socialismus der Gegenwart vertreten, so Rodbertus, Lasalle, Karl Marx, Bakunin, Henri George. Um diese Lücke auszufüllen, schrieb Professor von Laveleye eine neue Reihe von Artikeln, welche alsdann vervollständigt wurden und nun den »Socialismus der eigenen Zeit« bilden. Seine 4. Auflage hat dieses Buch sehr bald (1882) erlebt. In den Jahren 1870, 1879 und ^82 weilte der unermüd lieh thätige Mann in Italien, um sich hier mit der wirthschaftlichen Entwickelung und dem Gange des politischen Getriebes vertraut zu machen. Die Leser der »Revue de Belgique« gedenken noch der reizenden, mit gelehrten wirthschaftlichen Abhandlungen vermischten Erzählungen, welche damals erschienen und nun zwei Werke bilden, die »Italienischen Briefe« und die (ins Englische übersetzten) »Neuen italienischen Briefe«. Im Jahre 1882 erschienen auch die »Elemente der Volkswirtschaftslehre«; bis dahin war die neue wirthschaft-liche Schule noch nicht mit bestimmten Sätzen hervorgetreten, und einem solchen Mangel half jenes Buch nun ab. Wie nach der Schlacht von Sadowa, so erfuhr auch nach dem letzten russisch-türkischen Kriege die allgemeine Lage Europas eine durchgreifende Aenderung. Der brennende Punkt liegt aber im Osten, weil hier Russland und das durch Deutschland gestützte Oesterreich sich entgegenstehen und damit das europäische Gleichgewicht in eine ganz andere Richtung drängen. Der gelehrte Schriftsteller hielt sich nun für verpflichtet, an Ort und Stelle die Lage der Donau- und Balkanländer zu erforschen. Die Ergebnisse seiner Reise legte er in der »Revue des Deux Mondes« nieder und gab ihnen dann mit den ins Englische und Deutsche übersetzten »Balkanländern« die Buchform. Für das bulgarische Volksthum, besonders im Hinblicke auf Macedonien, erhob er weiterhin in der englischen Presse seine Stimme und veröffentlichte eine grosse Zahl von entsprechenden wirthschaftlichen und socialen Studien in den englischen Zeitschriften »Fortnightly Review«, »Contemporary Review«, »Nineteenth Century« und auch in der »Revue de Belgique«, zu deren Verwaltern er gehört. Das »patentirte Laster« wurde heftig und mit Nachdruck von ihm angegriffen. Er ist Vorsitzender der zur Unterdrückung desselben gegründeten internationalen Vereinigung und hat als solcher an dem Kreuzzuge gegen dieses verdammungswürdige Unwesen einen sehr aus- gedehnten Antheil genommen. Neue hervorragende Werke übergiebt er der Oeffentlichkeit, emsig und unaufhörlich schaffend, in jedem Jahre, und es mögen hier nur noch genannt werden »Hamlet und der Pessimismus«, »Der Luxus« — welcher im »Institut de France« zu erregten und interessanten Auseinandersetzungen geführt hat — und »Das Einzelwesen und der Staat«. Das letztere Werk ist bei Alcan erschienen, und zwar mit einem gegen den Darwinismus gerichteten Schreiben Herbert Spencers. Professor von Laveleye ist Mitglied der königlich belgischen Akademie, des »Institut de France«, der Akademien von Rom, Madrid, Lissabon, Serbien u. s. w., Ehrendoktor der Universitäten zu Petersburg, Edinburgh und Würzburg, Offizier des Leopoldordens und der Ehrenlegion und Gross-Offizier und Kommandeur von acht fremden Orden. Doch seine ganze umfassende Wirksamkeit, seine wunderbare Schaffens- und Arbeitskraft lässt sich in einer einfachen Skizze nur unvollkommen zum Ausdrucke bringen; allein die Gelegenheit ist günstig, um mit einer Huldigung hervorzutreten, welche dem geistvollen Gelehrten, dem tapferen Freiheitskämpfer und dem edlen Menschenfreunde in gleichem Maasse gilt. Diesseits und jenseits der Donau. Erstes Kapitel. Würzburg. — Ludwig Noire. — Schopenhauer. Die folgenden Aufzeichnungen wurden aus der Gegenwart geschöpft und für dieselbe niedergeschrieben. Um mich der zwanglosen Form wegen, in welcher sie vor den Leser treten, zu rechtfertigen, erinnere ich an Taines meisterhafte »Bemerkungen über England« und an Beyle, der in den »Denkwürdigkeiten eines Vergnügungsreisenden« das kleinstädtische Leben Frankreichs in seiner Gestaltung nach dem Jahre 1830 so wahr und ergötzlich schildert. Ich werde gewiss nicht die Tiefe des ersteren, noch den Geist des anderen haben; doch gleich ihnen bin ich bestrebt, die empfangenen Eindrücke getreu wiederzugeben, und ich schrecke dabei vor genauen Einzelheiten nicht zurück, welche bisweilen ein deutlicheres Bild geben, als allgemeine Angaben es zu thun vermögen. Mein Weg führt mich von neuem zu den Slawenvölkern der Donau- und Balkanländer. Ich möchte sehen, wie die Zadrugas — die Haus- oder Familiengemeinden —, welche mir auf meiner Reise im Jahre 1867 eine so grosse Begeisterung einilössten, inzwischen sich Laveleye, Balkanliindor. I verändert haben. Gegen meine veraltete Auffassung jener ehrwürdigen Gemeinschaften sprachen Leroy-Beaulieu und Moritz Block mit strengem Tadel sich aus, während Stuart Mill dieselbe getheilt und Henry Maine sie begriffen hat. Unter Bischof Strossmayrs Führung werde ich zunächst die Zadrugas Slawoniens in der Gegend von Djakovo in Augenschein nehmen, dann will ich meine Beobachtungen in Bosnien, Serbien und Bulgarien fortsetzen und mich dabei über die politische und wirtschaftliche Lage dieser Länder unterrichten, deren ich schon in meinem Buche »Preussen und Oesterreich seit Sadowa« gedachte. Die günstige Gelegenheit, dergleichen Untersuchungen anzustellen, muss ohne Zögern ergriffen werden, weil unter dem Einflüsse von Eisenbahnen, neuen Verfassungen und engeren Beziehungen zum Westen Europas eine schnelle Umwandlung sich •vollzieht. Die Bewohner jener Länder werden ihre eigenartigen, hundertjährigen Sitten und Gebräuche, ihre malerischen Trachten bald gegen das vertauschen, was man die moderne Zivilisation zu nennen pflegt, und dann ihre ganze Denk- und Lebensweise nach der Art von Paris oder London regeln. Seit dem Jahre 1867 haben, wie ich höre, gewaltige Umwandlungen sich vollzogen. Als ich zum ersten Male an den Ufern des Rheines herumstreifte, begleitete Viktor Hugos eben erschienener »Rhein« mich als Führer; doch als ich jetzt auf meiner Fahrt nach Wien hierher komme, erkenne ich ihn kaum wieder, den Vater Rhein, und kann mit den Worten Virgils ausrufen: »Wie anders gegen jenen!« Von den grossartigen Naturbildern des alten Flusses, von den Fluten, die in beständigem Kampfe mit dem Felsgestein lagen, ist fast nichts geblieben. Völlig gezähmt und gebändigt ziehen die Wasser zwischen Basaltblöcken dahin, welche zu fortlaufenden Deichen mit einander verbunden sind und in ihrer Zusammenstellung als schwarze Mauern mit weissem Gefüge die preussischen Farben aufweisen; die grossen weissen Zahlen auf den schwarzen Flächen sollen aber augenscheinlich dem Schiffer sagen, wie weit die Fahrstrasse vom Ufer entfernt ist. An den breiteren Stellen des Flusses ragen Schiengen in denselben hinein, um sein Bett zu vertiefen und um neues Wiesenland zu gewinnen, und zwischen Mannheim und Köln hat die Strömung damit an Schnelligkeit um 10 Stunden zugenommen. Die Gefahren der Schiffahrt, welche in den Legenden eine solch wichtige Rolle spielen, sind aus der Wirklichkeit verschwunden. Keinen anderen grossen Fluss sah ich so vollständig im Dienste des Menschen stehen, wie den freien Rhein des Arminius und der Burggrafen, und derselbe wird strenger noch als selbst ein brandenburgischer Grenadier in Zucht und Ordnung gehalten. An den Ufern haben die Schieferfelsen in Weinberge sich verwandelt, und überall treibt der Winzer sein Wesen, welchen gewaltige Steinstufen über die steilsten Abhänge bringen. »Katz« und »Maus«, diese finsteren Burggrafennester, haben ihr wildes Aussehen verloren, weil sie — wie auch andere Burgen auf ihrem Lavahaufen — von grünen Reben freundlich umsponnen werden, und die »Loreley« berauscht die Schiffer nun nicht mehr mit ihrem Sirenengesange, sondern mit dem Safte ihrer Trauben. Jedes Ufer besitzt seinen Schienenstrang, während Dampfer der verschiedensten Art und Grösse unaufhörlich über die Wasserfläche gleiten. Da sieht man die nach amerikanischem Muster erbauten Drei-decker für Vergnügungsreisende, ferner kleine Jachten und eiserne, aus Rotterdam stammende Barken, auch Schrauben-, Schaufel-, Ketten-, Baggerschiffe u. s.w. Die von Obstbäumen eingefassten, neben dem Flusse herlaufenden Wege befinden sich in vorzüglichem Zustande, i* und die Meilensteine und Wegweiser sind wiederum in den preussischen Farben gehalten. Doch ein aus zahllosen Schornsteinen quellender Rauch legt sich verdunkelnd über das Landschaftsbild. Viktor Hugo würde hier jetzt nicht seine »Burggrafen« schaffen und LIeine nicht sein »Märchen aus alten Zeiten« singen; was Volkswirthschaftslehrer und Baumeister bewundern, muss der Genius des Dichters und auch der des Malers betrauern. In einem vielfach abgedruckten Bruchstücke seiner Schriften stimmt Buffon ein Loblied an zu Ehren der Natur, wie sie sich unter den Händen des Menschen gestaltet; die unbezwungene aber nennt er »roh«, und er findet nicht Worte genug, um seinen Widerwillen gegen dieselbe auszudrücken. Heute sehnt man sich im Gegentheile gerade nach der Natur in ihrer ganzen Ursprünglichkeit. Mitten unter all diesen Büchern, Zeitungen, Zeitschriften, ankommenden und abgehenden Briefen, unter Eisenbahnen, Posten, Telegraphen und Telephonen empfindet man das dringende Verlangen nach Einsamkeit und innerer Sammlung und flüchtet vor dieser Zivilisation, von der man übersättigt ist, nach unerforschten Ländern oder auf kaum zugängliche, mit ewigem Schnee bedeckte Berggipfel. Werde ich die heiss ersehnte Ruhe unter den Fichten der Karpathen oder den alten Eichen des Balkangebirges finden? Die Gewerbe arbeiten darauf hin, unseren Erdball zu verderben und zu besudeln. Ihre chemischen Produkte vergiften die Gewässer; die Abfälle aus den Werkstätten bedecken die Fluren; die Steinbrüche zerstören malerisch liebliche Thäler; der Kohlendunst schadet dem Laube und verdunkelt die Bläue des Himmels, und im Schmutz der grossen Städte nisten die Typhuskeime. Ueberau wird das Schöne vom Nützlichen zerstört. So sind in der Nähe von Venedigs öffentlichen Gärten — auf der wTunderlieblichen Insel St. Helena — die Ruinen einer Kirche aus dem 5. Jahrhundert in eine Lokomotivfabrik verwandelt, und bald werden die dichten Rauchwolken den röthlichen Marmor des Dogenpalastes und die Mosaiken der Markuskirche mit Russ überzogen haben, wie es ja auch Londons pechige Niederschläge mit der Paulskirche machten. Man fühlt sich bisweilen zu weinen versucht und muss die aufsteigenden Thränen gewaltsam zurückdrängen. Allerdings werden durch diese gewerbliche Thätigkeit sehr viele Familien reich gemacht, und es wächst somit die von ihrem Kapitale lebende Bürgerschaft. Hier am Rheine — in der Umgegend von Bonn, Godesberg, St. Goar, Bingen — nehmen jene Einkünfte die Gestalt von Landhäusern und Schlössern an, welche oft eine recht erkünstelte Lage haben und deren vorgeblich griechische oder gothische Profile von dichten Gruppen fremdländischer Bäume sich abheben. So steht z. B. auf dem Drachenfels, gerade unter der Ruine, eine mittelalterliche Burg mit einer Menge von Thürmen, Dächern, Gängen und Altanen, die gewiss mehr wie eine Million verschlungen hat, und neben der Stolzenfels, der Lieblingsaufenthalt der Kaiserin Augusta, wie ein Jagdschlösschen sich ausnimmt. Vielleicht betrachtet aber der Drache, welcher im unheimlichen Niselheim den Nibelungenschatz bewacht, jene verwandelten Steinkohlen u. s. w. als eine Herausforderung und nimmt dafür Rache an der Geldmacht der Neuzeit. Ein deutliches Bild von dem Sinn und Geiste der preussischen Verwaltung enthüllt sich mir während meiner Wanderung am Rheine. Die Arbeiten, denen man die völlige Herrschaft über den Fluss verdankt, einen gehenden Weg, wie Pascal sich ausdrückt, haben gegen 40 Jahre gedauert und wurden an der Hand der Wissenschaft in geordneter Stufenfolge und ohne Unter- brechung durchgeführt. Preussen hat bei derartigen Unternehmungen, wie bei seinen militärischen Rüstungen, zwei Eigenschaften zu vereinigen gewusst, die sich gegenseitig oft gerade ausschliessen, nämlich den Geist strenger Ordnung und einen fabelhaft ausgebildeten Vervollkommnungstrieb. Jener pflegt sonst wohl zu gewohnheits-mässigem Festhalten zu führen und damit jeder Verbesserung die Thüre zu verschliessen: doch die Preussen sind für nützliche Neuerungen und praktisches Vervollkommnen ebenso empfänglich wie die Amerikaner. Auf dem Rheine haben sie z. B. die alten Fähren durch kleine Dampfer ersetzt, welche den ununterbrochenen Verkehr zwischen den beiden Ufern vermitteln, und auf ihren Eisenbahnen wird die Heizung unvergleichlich besser als anderswo gehandhabt. Man feuert ausserhalb der Wagen und leitet die Wärme durch Röhren unterhalb der Bänke, um dann die Regelung der Temperatur vermittelst einer Scheibe mit beweglicher Nadel und den Bezeichnungen »Kalt« und »Warm« dem Reisenden zu überlassen. Bezeichnend für die Schnelligkeit und das Gesichert-Regel-mässige in allen Zweigen des Dienstes ist auch eine Einrichtung auf dem Thurme des Berliner Rathhauses. Hier stehen die Flaggen, welche man bei festlichen Anlässen braucht, sorgfältig geordnet und nummerirt, und auch die eisernen Ringe an der äusseren Brüstung, welche sie aufzunehmen haben, sind entsprechend gekennzeichnet. Durch das unentwegte Hinarbeiten nach einem und demselben Ziele, dem man mit ganzer Seele und sorgfältig geprüften Mitteln zusteuert, werden die Kräfte gestählt und Ordnung und kluge Voraussicht, diese Kinder des Wissens, sichern das Gelingen. Als ich an einer anderen Stelle von der parlamentarischen Regierungsform sprach, deckte ich eine schwache Seite der demokratischen Partei auf; ich zeigte, dass ihr der Geist straffer Ordnung fehle, und dass sie, um nicht bergab gedrängt zu werden, diese Lücke ausfüllen müsse, wo dieselbe sich fühlbar mache. Ich hoffte, in Stuttgart Albert Schäffle, den einstigen österreichischen Finanzminister, anzutreffen, der heute ausschliesslich sozialen Studien lebt und durch seine bekannten Bücher »Kapitalismus und Sozialismus« und »Bau und Leben des sozialen Körpers« der äussersten Linken des Kathedersozialismus sich einreiht. Leider muss ich hören, dass er im Schwarzwalde weilt, und um mich zu entschädigen, will ich in Würzburg Ludwig Noire aufsuchen. Dieser, ein Philosoph und Sprachforscher, hat es nicht verschmäht, sich mit der Volkswirthschafts-lehre zu beschäftigen; das thaten beim Anblicke der sozialistischen Sackgasse, worin die Demokratie sich zu verrennen scheint, überhaupt viele Philosophen, so in Frankreich Jules Simon, Paul Janet, Taine, Renouvier, und in England Herbert Spencer, William Graham und selbst der Kunstkritiker Ruskin. Nach meiner Ueberzeu-gung muss die Volkswirthschaftslehre mit der Philosophie, der Religion und besonders mit der Sittenlehre verknüpft werden. Da ich mich aber nicht selbst zu jenen Höhen des Gedankens emporzuschwingen vermag, freut es mich, die Hand eines Philosophen erfassen und an dieser über das Alltägliche mich erheben zu können. Ludwig Noire hat nun unter dem Titel »Das Werkzeug« ein Buch herausgegeben, das so recht wie für mich geschaffen ist und die Tiefe dieses Franklinschen Ausspruches darlegt, dass nämlich der Mensch ein Thier ist, welches Werkzeuge anfertigt. Für Noire fällt das erste Werkzeug mit den Anfängen der Vernunft und Sprache zusammen. Zur Befriedigung seiner Bedürfnisse hat der Mensch vom frühesten Augenblicke an mit dem Stoffe zu ringen gehabt, und diese Thätigkeit ist eben die Arbeit, welche, dem Zusammenleben als Familie und auch als Stamm entsprechend, gemeinsam ausgeführt wird. Derjenige nun, welcher einer körperlichen Kraftanstrengung sich unterzieht, stösst unwillkürlich mit derselben im Zusammenhange stehende Laute aus, und diese von den Genossen wiederholten und begriffenen Klänge mussten dann die Thätigkeit bezeichnen, bei deren Ausübung sie hervorgebracht wurden. So entsprang aus der Arbeit die Sprache, und das die Handlung darstellende Zeitwort ist das erste von allen Wörtern, weil es das Geschaffene, also etwas Dauerndes, kennzeichnete und der gemeinsamen Eingebung entsprach. Doch es gehören zum Arbeiten auch Hilfsmittel, und die Umschau nach diesen entwickelt die Urtheilskraft und führt zum Gebrauche des Werkzeuges. Steinwerkzeuge sind auf allen Spuren des vorgeschichtlichen Menschen gefunden worden. Vernunft und Sprache, Arbeit und Werkzeug, alle jene Offenbarungen einer geistigen Veranlagung, welcher die Keime der Weiterentwicklung innewohnen, haben sich also gleichzeitig offenbart und ausgebildet, und dieses Thema behandelt Noire in seinem Buche über den »Ursprung der Sprache«. Beim Erscheinen desselben erklärte Max Müller in der »Contemporary Review«, dass diese Theorie ihm zwar zu ausschliesslich sei, dass er sie abwanderen Theorien entschieden vorziehe und immerhin für die beste und wahrscheinlichste halte. Inzwischen scheint er sie — nach seinem Buche »Ursprung und Entwicklung der Religion« zu urtheilen — vollständig angenommen zu haben, und ich kann ihm nur beistimmen. Noire, ein überzeugter Kantianer und begeisterter Verehrer Schopenhauers, will ein Comite bilden zur Errichtung eines Denkmals für den modernen Heraklit. Er rechnet auf Renan, Max Müller, auf den berühmten Romanisten Jhering, auf Hillebrand und Brahms und fordert auch mich zur Zeichnung meines Namens auf. »Wir brauchen,« sagt er, »ein internationales Comite; denn wenn der Schriftsteller auch ein Deutscher ist, so hat doch auf den Philosophen die ganze Welt ein Anrecht.« Ich fühle mich durch den Antrag geschmeichelt, wende aber zunächst ein, dass ein Nationalökonom wohl nicht das Recht hat, sich bei einer Gesellschaft von so gelehrten Männern einzuschreiben. Dann fürchte ich auch, als Anhänger Huets und eingefleischter Platoniker, vielleicht nicht recht der Lehre Schopenhauers zustimmen zu können. Nach meinem Denken muss man der sozialen Frage als Grundlage zwei Begriffe geben, die heute, wie es scheint, etwas veraltet sind, nämlich den Glauben an Gott und die Unsterblichkeit. Wer in allem bloss den Stoff erblickt, kann sich nicht zu dem »was sein soll«, 4- h. zu einem Ideale von Recht und Gerechtigkeit emporschwingen, und dieses Ideal vermag nur auf dem Boden einer göttlichen Weltordnung zu gedeihen, die als sittliche Nothwendigkeit über dem Menschen steht. Die Wissenschaft des Thatsächlichen, so wie man sie heute will, »hat zum Gegenstande«, heisst es, »nicht, was sein soll, sondern was ist. Sie beschränkt sich darauf, mit den Thatsachen abzurechnen, und wo sie von dem spricht, was sein soll, meint sie damit nur etwas Zukünftiges. Jeder Gedanke an eine gebieterische Vorschrift oder Nöthigung ist ihr fremd.« (Revue philoso-phique, Oktober 1882.) Damit wird die Pflicht getödtet. Die Hoffnung auf ein künftiges Leben halte ich aber für die unentbehrliche Triebfeder guter Thaten; der Materialismus führt zur Schwächung der Sittlichkeit und damit zum Verfalle. »Ja,« antwortet mir Noire, »da liegt eben das Räthsel.« Wo bleibt neben dem bedingungslosen Naturzwange oder der göttlichen Machtvollkommenheit Raum für die Persönlichkeit und die menschliche Freiheit? Das ver- mochten weder Lutheraner und Calvinisten, noch die Naturalisten zu sagen, und Kant ist der erste Sterbliche, welcher sich muthvoll an diese Frage machte und eine befriedigende Antwort darauf fand. Er tauchte in den Abgrund, dem er als Sieger über die Schreck- und Spukgestalten der Finsterniss entstieg, in der Hand die goldene Schale tragend, woraus künftig die Menschheit das göttliche Getränk, die Wahrheit, schlürfen kann. Da uns nichts höher steht als die Lösung dieses Räthsels, wird unsere Dankbarkeit nie der Grösse dessen entsprechen, was jene ausserordentliche That des menschlichen Geistes geschaffen hat. Kant gab uns die einzige Waffe, mit der man den Materialismus bekämpfen kann, und es ist Zeit, sich derselben zu bedienen, weil jene verabscheuungs-würdigen Lehren überall die Grundlagen der menschlichen Gesellschaft untergraben. Schopenhauer hat der von Kant enthüllten Wahrheit einen lebendigeren, schärferen Ausdruck gegeben, und das ist's, was mir seinen Namen verehrungswürdig macht. In Frankreich und Belgien kennt man ihn nicht hinreichend. Zwar hat Foucher de Careil schon vor langer Zeit über ihn gesprochen und Caro beredt über ihn geschrieben, und seine Werke sind übersetzt worden. Doch niemand drang hinein bis in die Tiefen seines Gedankens, weil man einen Philosophen lieben und zwar leidenschaftlich, bis zum Wahnwitze lieben muss, um ihn verstehen zu können. »Der Wahnwitz des Kreuzes« — wahrlich ein schönes Wort! Schopenhauer leitet alles vom Willen her: »Wer vom Willen redet, spricht von der Freiheit und Persönlichkeit«, und ein solcher Standpunkt bildet den vollendeten Gegensatz zum Naturalismus. Der Geist, nicht der Stoff bringt uns die Erscheinung zum Bewusstsein. Was als wahres Selbst in uns lebt und auf so vertrautem Fusse wie nichts anderes mit uns steht, ist eben der Wille. Er giebt uns den Schlüssel zum »Dinge an sich«, zum Weltgeheimniss und führt uns also in Regionen, die man der menschlichen Vernunft für immer verschlossen glaubte. Schopenhauers Sittenlehre stimmt mit der des Christenthums genau überein; sie verlangt Entsagung, Ergebung, ein beschauliches Leben und nennt das, was die Christen unter der Nächstenliebe verstehen, Mitleiden. Den selbstsüchtigen Willen zu brechen, die Augen vor den Täuschungen der äusseren Welt zu verschliessen, den Seelenfrieden zu suchen durch Verzichtleistung auf alles, was ans Sinnliche und Veränderliche fesselt, das ist's, was sie gebietet. Schreibt nicht auch das Evangelium das Gleiche vor, und muss man's zurückweisen, weil schon Buddha es predigte? »Die „erfahrungsmäs-sigen" Beweise für die Wahrheit meiner Lehren«, sagte Schopenhauer, »sind diese christlichen Seelen, welche freiwillig auf den Reichthum verzichten und im Stande der Armuth leben, um sich dem Dienste der Bedürftigen und Verlassenen zu widmen und die mit den schrecklichsten Wunden und widerlichstenKrankheiten Behafteten zu pflegen. Sie reissen sich los von aller weltlichen Sinnenlust und finden ihr Glück in der Entsagung und Aufopferung, in dem lebendigen Glauben an die Unzerstörbarkeit ihres Seins und in der Hoffnung auf die ewige Seligkeit.« Kants Metaphysik will hauptsächlich die Grenzen, bis zu denen unsere Vernunft reicht, feststellen. Wir werden da mit den Fischen eines Teiches verglichen; diese können wohl bis ans Ufer kommen und sehen, was sie gefangen hält, doch es entzieht sich ihnen, was darüber hinaus liegt, und dieses Darüberhinausliegende ist eben für den Menschen das Uebersinnliche. Schopenhauer geht weiter als Kant. Allerdings, sagt er, bemerken wir die Welt nur an ihrer Aussenseite und als Erscheinung; aber wir stossen auf eine kleine Spalte, durch welche wir den Dingen auf den Grund sehen und deren Wesenheit erfassen können. Es ist unser eigenes Ich, das sich als Wille offenbart und uns die Pforte zum »Uebersinnlichen« aufthut. »Sie nennen sich, lieber Kollege, einen unverbesserlichen Platoniker; wissen Sie denn aber nicht, dass Schopenhauer unaufhörlich auf den „göttlichen4' Plato und den wunderbaren, unvergleichlichen Kant sich beruft? Sein grosses Verdienst liegt darin, den Idealismus gegen alle diese wilden Thiere vertheidigt zu haben, welche Dante in dem dunklen Walde, worin er sich verirrt hatte, antraf, gegen den Materialismus, die Sinnenlust und deren würdige Kinder, die Selbstsucht und Rohheit. Nichts ist abgeschmackter, falscher und gefährlicher als eine Physik ohne Metaphysik. Aber diese von allen grossen Geistern verkündigte Wahrheit erregt heute ein Lächeln. Der Begriff der Pflicht wurzelt nur im Uebersinnlichen; in der Natur spricht nichts davon, und ihre Wissenschaft verstummt bei diesem Punkte. Die mitleidslose Natur giebt der rohen Gewalt den Sieg, und derjenige, welcher am besten bewaffnet ist, vernichtet und überwältigt den, der es weniger ist. Wo bleiben da Recht und Gerechtigkeit? Die Materialisten machen zur Grundlage ihrer Lehre ein Wort, das die Franzosen dem deutschen Reichskanzler vorwerfen, welches derselbe aber niemals gesprochen hat: »Gewalt ist Recht.« Den völligen Gegensatz zu den Naturtrieben, welche die Menschen dahin bringen, alles an die Befriedigung thierischer Gelüste zu setzen, bildet das Mitleiden Schopenhauers, die Nächstenliebe des Christen, der Gerechtigkeitssinn des Denkers und des Rechtskundigen. Langes »Geschichte des Materialismus« schliesst mit den beredten Worten; »Weder Gerichtshöfe und Gefängnisse, noch Bajonette und Kartätschen werden den anhebenden Zusammenbruch der Gesellschaft beschwören. Um dem Verhängnisse zu entgehen, muss man sich vom Materialismus losmachen; vor allen Dingen ist derselbe aus den Köpfen der unter seiner Herrschaft stehenden Gelehrten zu vertreiben, denn von dort aus spinnt er seine Netze, in die er die Geister unmerklich hineinzieht. Nur die wahre Philosophie kann die Welt retten«. »Aber Schopenhauers Philosophie«, entgegnete ich, »wird immer nur von einem kleinen Kreise verstanden werden, und ich muss gestehen, dass ich mich nie an den deutschen Grundtext gewagt, sondern nur Bruchstücke in der Uebersetzung gelesen habe«. »Darin haben Sie unrecht gethan«, antwortete mir Noire. »Schopenhauer gehört zu unseren ersten Schriftstellern; er schreibt klar und deutlich und hat den schwierigsten Sachen den besten Ausdruck gegeben. Niemand rechtfertigt mehr als er die Wahrheit dessen, was Jean Paul über Plato, Bacon und Leibniz sagte, dass nämlich der tiefste Gedanke mit einer vorzüglichen Form, die ihn in glänzender Beleuchtung wiedergiebt, ebenso leicht zu vereinen ist, wie das Gehirn eines Denkers mit einer schönen Stirne und einem schönen Antlitze. Leider hat Hartmann, durch den man an Schopenhauer zu kommen glaubt, die Gedanken des Meisters durch sein hegelianisches Kauderwelsch oft verdunkelt. Schopenhauer verabscheute den Hegelianismus und zertrümmerte dessen Götzen als wahrer Bilderstürmer mit Keulenschlägen. Er liebte das ungestüme Wort, die wuchtige Ausdrucksweise, »die göttliche Grobheit«, wie er sagte; doch er pries auch die Eleganz und die guten Manieren und übersetzte sogar ein Lehrbüchelchen über die gute Lebensart, das Taschenspruchbuch des 1658 verstorbenen Jesuiten Baltasar Gracian. Es gab eine Zeit, erklärte er, wo die drei grossen Sophisten Deutschlands, Fichte, Schelling und besonders Hegel, der Unsinn aufs Papier und unter die Leute brachte, sich einbildeten, tief zu sein, indem sie unklar wurden. Dieser schamlose Marktschreier liess sich von der Menge anbeten und beherrschte die Universitäten, wo man sich in hegelianischen Geberden übte. Der Hegelianismus war eine Religion, und zwar eine der unduldsamsten; wer sich nicht zu ihr bekannte, wurde argwöhnisch betrachtet, sogar vom preussischen Staate. Alle jene Herren machten nun auf das »Unbedingte« Jagd und behaupteten, es in ihrer Tasche zu tragen. Kant hatte bewiesen, dass die menschliche Vernunft nur das Bedingte umfassen könne. »Aber welch ein Irrthum!« riefen Hegel, Schelling, Jakobi, Schleiermacher u. s. w. im Chore aus. Wir kennen das Unbedingte doch ganz genau, wohnen seinen kleinen Morgenempfängen bei, und vor uns hat es keine Geheimnisse«. Die verschiedenen Lehrstühle wurden nun der Schauplatz, auf dem das Unbedingte sein Wesen trieb und dabei ganz Deutschland aufrührte. Wollte man alle diese berühmten Wahnwitzigen zur Vernunft zurückrufen, so gab's zur Antwort: Verstehen Sie das Unbedingte vollständig? Nein? Nun, so schweigen Sie. Sie sind nur ein schlechter Christ und folglich auch ein gefährlicher Unterthan; denken Sie an die Festung. Ueber solche Verweise erschrak dann der arme Beneke dermassen, dass er seinen Tod in den Fluten suchte. Schliesslich geriethen die grossen Geheimnissdeuter sich auch in die LIaare und riefen ihren Gegnern als letzte Beleidigung die Worte zu: »Ihr versteht nichts vom Unbedingten«, so dass dieses mit einem Schlage einen Menschen auf der Stelle tödtete. Diese Schlachten erinnerten an Heines »Disputation«, wo der König, nachdem der Rabbi und der Mönch von Toledo lange und bissig mit einander gestritten haben, die Königin fragt, wer von den beiden ihrer Meinung nach im Rechte sei, und diese entgegnet, dass sie alle beide stinken. Solche Nebeleien, welche, dem »Wolkenkukuksheim« der »Vögel« des Aristophanes gleichen, sind bei unseren Nachbarn, den Franzosen, zum Sprichworte geworden. Dieselben lieben, was ihnen auch nicht zu verargen ist, das Klare und bezeichnen eine ihnen unverständlich erscheinende Sache als deutsche Metaphysik. Cousin hat sich bemüht, diesen ganzen schwer verdaulichen Stoff etwas zu klären, und ist dabei nicht um sein Latein, wohl aber um sein Französisch und sein Deutsch gekommen. Ich wette, Sie haben noch nie daran gedacht, dass das reine Sein dem Nicht-Sein gleich ist. Kennen Sie das Grimmsche Märchen »Die Kleider des Kaisers«? Ein zum Tode verurteilter Schneider will sich seine Begnadigung erwirken und verspricht, für den Kaiser einen ganz unvergleichlichen und über alle Begriffe schönen Anzug zu machen. Er näht und näht unablässig und erklärt schliesslich, dass er mit seinem Werke fertig ist, dass aber nur die klugen Leute die Schönheit desselben zu würdigen vermögen und die Dummen es nicht einmal wahrnehmen werden. Diener, Kämmerlinge, Offiziere, Kanzler und Minister kommen nach und nach herbei, um es zu bewundern, und rufen um die Wette: »Prachtvoll!« Am Krönungstage legt der Kaiser das vermeintliche Gewand an und geht in feierlichem Zuge durch die Stadt, begafft von all den Menschen, die an den Fenstern und in den Strassen sich drängen. Niemand will natürlich weniger geistreich sein als sein Nachbar, und so wird überall gerufen: »Köstlich, noch nie hat man etwas Aehnliches gesehen!« Endlich sagt ein kleines Kind: »Aber der Kaiser ist ja ganz nackend!« Nun erkennt man, dass wirklich gar keine Kleider vorhanden sind, und der Schneider wird aufgeknüpft. Schopen- hauer ist dieses kleine Kind, welches das Elend oder vielmehr das Nichtvorhandensein des Hegelianismus aufdeckte; 30 Jahre sind seine Schriften unbeachtet geblieben und die erste Ausgabe seines Meisterwerkes wurde als Makulatur behandelt. Es ist nun unsere Pflicht, so viel Ungerechtigkeit gut zu machen und ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Sein Pessimismus darf Sie nicht zurückschrecken. »Die Welt«, sagt er, »ist vom Uebel erfüllt, und hienieden hat jeder zu leiden. Der Wille des Menschen ist von Natur böse«. Dreht das Christenthum sich aber vielleicht um einen anderen Angelpunkt? Doch der selbstsüchtige Wille kann durch ein gewaltsames Emporraffen geläutert und aus dem Naturzustande hinübergeführt werden in den Stand der Gnade, von dem die Kirche spricht. Das ist die Befreiung und Erlösung, wonach die Frommen sich sehnen, und dahin gelangt man durch das vollständige Losreissen von allen Lüsten der Welt und des eigenen Fleisches.1) Ich versäume es nicht, Würzburgs »Residenz" — den einstigen Wohnsitz der Fürstbischöfe — aufzusuchen. Dieser gewaltige Bau erstand in den Jahren 1720—1744 nach dem Muster des Versailler Schlosses, dessen Grösse die seinige nur wenig übertrifft, und im Hinblicke darauf, ') Dem zur Errichtung einer Schopenhauer-Statue sich bildenden Comite traten bei: Ernst Renan; Max Müller aus Oxford; der Brahinine Raja Rampal Sing; von Bennigsen, der einstige Vorsitzende des deutschen Reichstages; Rudolf von Jhering, der berühmte Romanist, aus Göttingen; Gylden, der Astronom, aus Stockholm; F. Unger, der einstige österreichische Minister; Wilhelm Gentz aus Berlin; Otto Böhtlingk, von der kaiserlich-russischen Akademie; der inzwischen verstorbene Karl Hillebrand aus Florenz; Francis Bowen, Professor am I Iarvard - College in den Vereinigten Staaten; Professor Leuckart aus Leipzig; Hans von Wolzogen aus Baireuth; Johannes Brahms, der berühmte Musiker; F. A. Gevacrt, der gelehrte Kenner der Musikgeschichte; Graf Schachs der kunstsinnige Dichter; J. Moret, der einstige spanische Minister; Elpis Melena. die hochherzige Beschützerin der Thiere; Ludwig Noire aus Mainz und Emile de Laveleye aus Lüttich. dass er in der kleinen Hauptstadt eines einfachen Bisthums stand, erscheint er um so riesenhafter. Geradezu unvergleichlich ist die kühn aufsteigende, von kaiserlicher Pracht zeugende Treppe mit den mächtigen Stufen und Absätzen und all den Hirten- und Schäfergestalten. Einschliesslich des Vorhofes, auf den sie hinunterführt, nimmt sie die ganze Breite des Palastes und ein Drittel seiner Länge ein, und all den Prälaten im wallenden Gewände und den vielen schönen Damen in seidenen Schleppkleidern, die sich einst hier tummelten, hat es wahrlich nicht an Raum gefehlt. Die 352 Prunkgemächer des Schlosses stehen alle unbenutzt da und sind theilweise zur Zeit des 1. französischen Kaiserreiches ausgestattet worden. Doch diese Zimmer mit den klassisch sein-sol-lenden Decken- und Wandmalereien und ihre Mahagonimöbel mit der eingelegten Arbeit erscheinen geradezu armselig und dürftig gegen die in verführerischem Glänze strahlenden Gemächer aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wie ich sie in solcher Vollkommenheit und gleich gut erhalten in ganz Europa nicht zum zweiten Male angetroffen habe. Stoffe, welche jenes Zeitalter vertreten, fallen als Vorhänge herab und bekleiden die Stühle, Sessel und Sofas, und jedem Räume sind seine besonderen Farbentöne eigen. Ein ganz grün gehaltener schimmert gleich den Flügeln brasilianischer Käfer in metallischem Glänze und macht mit der durchwirkten und entsprechend schattirten Seide seiner Möbel einen zauberischen Eindruck. In einem Gemache befinden sich prächtige Gobelins; in einem anderen sind die Wände und selbst die Thürpfeiler mit Spiegelscheiben bekleidet, und in Oerfarben aufgetragene Blumenguirlanden ziehen sich über die glitzernde Fläche, um deren flimmernden Widerschein zu dämpfen; auch die grossen, weiss und goldgelb gehaltenen Oefen aus Fayence und Meissener Laveleye, Ualkanländer. 2 Porzellan sind wahre Meisterwerke des Geschmackes und der Erfindungsgabe. Die Gärten mit ihren Terrassen, Springbrunnen und Rasenplätzen vervollständigen das Bild aus entschwundener Zeit, und die gewaltigen Eisengitter, welche sich um dieselben herumziehen, sind wohl das Herrlichste, was die Schmiedekunst je geschaffen hat. Seit der Unterdrückung der bischöflichen Herrschaft ist die »Residenz« fast nie bewohnt gewesen. Die Zeit ging spurlos an diesem Palaste vorüber, der weder durch Volksaufstände und Verheerungen, noch durch die Launen der Mode zu leiden hatte, und derselbe bildet eine wahre Fundgrube von vollendeten Mustern aus der Zeit der Rokokoperiode. Zwei Fragen aber drängt der Anblick dieser grossartigen Schöpfung mir auf die Lippen; wo, denke ich zunächst, nahmen denn die Fürsten eines Miniatur-Staates die Mittel her zur Entfaltung einer Pracht, auf die Ludwig XIV. hätte neidisch sein können? »Diese geistlichen Fürsten«, antwortet mir Professor Georg Schanz, mein Kollege an der Universität Würzburg, »durften fast gar keine Truppen unterhalten, und wollte man alle Soldaten, welche unsere Kasernen bevölkern, als Maurer, Zimmerleute und Tischler verwenden, so könnte ganz Deutschland mit ähnlichen Palästen sich bedecken«. — Doch wie brachten diese Bischöfe es fertig, frage ich mich weiter, für das den Armen entzogene Geld einen an Darius oder Heliogabalus erinnernden Pomp zu unterhalten, sie, die Jünger Dessen, der nicht hatte, da er sein Haupt hinlegen konnte? Kannten sie nicht das Evangelium vom reichen Manne und die gleich glühendem Eisen brennende Auslegung desselben durch die Kirchenväter? Oder galt die christliche Lehre von derDemuth und Nächstenliebe und freiwilligen Armuth vielleicht nur für die Klöster? Nun, der Wahn, dass der Luxus des Geniessenden nutzbringend für den Arbeitenden sei, blendete jene geistlichen Fürsten, und viel Schlimmes zeitigt dieser verhängnissvolle Wahn auch heute noch. — Das Innere der meisten Kirchen Würzburgs wurde im 18. Jahrhundert durch den Rokokostil verdorben, der wohl in den eleganten Räumen eines Palastes, nicht aber im Gotteshause am Platze ist. Die gothischen Wölbungen verschwinden förmlich unter diesen mit einer Vergoldung überzogenen Schnörkeleien aus Gips, unter all den Blu-menguirlanden, Wolken, schwebenden Engeln und sonstigen Verzierungen. Manche Altäre sind vollständig vergoldet, und nur ein falsch angebrachter Reichthum konnte eine solche Verschwendung und Ueberladung ins Leben rufen. An einigen Häusern Würzburgs, deren Vorderseite den vollendeten Pompadourstil zeigt, sieht man, wie die Deutschen ihren Wohnungen und öffentlichen Gebäuden auch noch nach dem Erblassen der Sonne in Versailles einen französischen Zuschnitt zu geben sich bemühten; geschah's, weil der Widerschein des entschwundenen Glanzes so mächtig wirkte? Das Bataillon, welches über den Residenzplatz mar-schirt, bewegt sich wie aus einem Stücke gegossen, wie auf Schienen gehend. Alle Soldaten machen die gleichen Bein- und Armbewegungen und tragen das Gewehr auf die gleiche Weise, so dass die Läufe ununterbrochene, schimmernde Linien bilden. Die Garden Berlins marschiren nicht regelrechter, und augenscheinlich haben die Bayern alles darangesetzt, um sich neben oder gar über die Preussen stellen zu können und im Norden nicht mehr als plumpe, lässige Biertrinker zu gelten. Ob nun dieses Maschinenmässig-Gleichförmige, das sich bei der Parade so gut ausnimmt, für die Schlacht denselben Werth besitzt, wage ich nicht zu entscheiden; aber eine solch strenge, die kleinsten Verhältnisse umfassende Zucht gewöhnt den Soldaten an Ordnung und Gehorsam, und dies ist besonders für ein demokratisches Zeitalter wesentlich. So bald die eiserne, unumschränkte Staatsgewalt aufhört, und an ihre Stelle Gesetze und Behörden treten, müssen die Menschen zu gehorchen wissen, und durch die Schule und den Militärdienst sollen die Bürger hierzu befähigt werden. Je mehr der Zwang der äusseren Gewalt sich lockert, desto williger muss der freie Mensch dem, was die Erhaltung der Ordnung verlangt, aus eigenem Antriebe sich fügen; sonst geht es zur Gesetz- und Rechtlosigkeit und dann naturgemäss zur Gewaltherrschaft, da jener Zustand ein unerträglicher ist. Ernst und feierlich erklingen am Abende die Trompeten. Sie scheinen dem schwindenden Tage ein Lebewohl zuzurufen und dabei - gleichzeitig die eintretende Nacht zu begrüssen. Doch sie, die jetzt den Besatzungstruppen so wohllautend die Feierstunde verkünden, werden einst zum Morden und Würgen das Zeichen geben; die Menschen stehen sich noch immer blutdürstig gegenüber, wenn auch ohne eigentlichen Grund, da sie sich wohl tödten, aber nicht mehr verzehren. Ich gehöre einigen Gesellschaften an, die zum Frieden mahnen und ein Schiedsgericht empfehlen. Aber man hört uns kaum, und zieht es vor, sich zu schlagen. In Fällen, wo Sein oder Nicht-Sein für ihn auf dem Spiele steht, mag vielleicht der Staat sich nicht auf den Ausspruch eines Schiedsrichters verlassen können, obwohl dessen Entscheidung mindestens ebenso gerecht wäre, wie die von der Gewalt und dem Zufalle gebrachte. Doch es giebt Fälle, welche ich seit meinerBekanntschaft mit Cariyles»Friedrich der Grosse« die »Ohren Jenkins'"1) nenne; diesen ver- «) Am 20. April 1731 beschuldigen die Strandwächter Havanas das englische Schiff >Rebecca«, Kriegsschmuggelwaaren an Bord zu haben; sie durchsuchen es, finden aber nichts und misshandeln nun Jenkins. den Kapitän des Schiffes. Sie hängen ihn an eine Segelstange und an seine Küsse einen Schiffs- leiht nur die Eitelkeit, der Eigensinn und, gerade herausgesagt, die Dummheit der Völker Gewicht, und in denselben würde das Schiedsgericht mehr als einen Streit schlichten können. Wenn aber der Mensch seinem Mitmenschen auch immer noch feindselig gegenübersteht, so ist er doch gegen die Thiere milder geworden. Das beweist eine Einrichtung an der Mainbrücke, woselbst ein kleines hölzernes Häuschen mit der Aufschrift »Thierschutzverein« sich befindet; in demselben hat man ein Pferd untergebracht, und dieses wird den Fuhrleuten, welche auf die Mainbrücke hinauffahren müssen, zur Verfügung gestellt, um sie dadurch von der Misshandlung ihres Gespannes zurückzuhalten. Derartige Massnahmen wirken aber nachhaltiger, als wenn man, wie anderswo, den Leuten mit einer Geldstrafe kommen wollte. Auf meinem Wege zur Stadtfeste, die einen weiten Ausblick über das ganze Frankenland gewährt, gelange ich auch durch eine Strasse, deren seltsame Giebel und hellfarbige Schilder einen Maler entzücken würden. Rings um Würzburgs alte Stadttheile ziehen neue Viertel mit hübschen Gartenanlagen sich hin und mit vielen schönen, in der denkbar wohnlichsten Weise eingerich- jungen, und als das Seil reisst, hauen sie ihm mit den Worten: »Bringe das Deinem Könige!« ein Ohr ab. Jenkins kehrt nach London zurück und verlangt Rache, und Pope macht einen Vers auf das abgeschnittene Ohr. Doch England will sich in diesem Augenblicke nicht mit Spanien entzweien, so dass die ganze Sache der Vergessenheit anheimzufallen scheint. Da wird sie nach 8 Jahren durch Plackereien, welche die Spanier englischen Schiffen bereiteten, aufgefrischt. Die Matrosen durchziehen London, an ihren Hüten die Aufschrift tragend: >Ohr um Ohr«; die Kaufleute und die Rheder fassen Feuer; William Pitt und das Volk wollen den Krieg mit Spanien, und Walpole sieht sich am 3. November 1739 zur Erklärung desselben genöthigt. Ueberau, zur See und auf dem Lande, fliesst jetzt Blut, und das Ohr Jenkins', welches derselbe sich in Watte aufbewahrt hatte, ist nunmehr gerächt. Wenn das englische Volk, sagt Carlyle, dichterische Begabung besessen hätte, wäre jenes Ohr gleich dem Haar der Berenice ein Gestini geworden. teten Häusern, über die so recht der Schein des Behagens sich breitet. Würzburg ist keine Fabrikstadt, und einen besonderen Grund für das schnelle Anwachsen der Bevölkerung und des Reichthums wird man hier vergebens suchen. Man hat vielmehr eine allgemein beobachtete Thatsache vor sich, nämlich die Zunahme der wohlhabenden Familien. Schreitet dieselbe in der bisherigen Weise fort, so werden die »Massen« schliesslich nicht mehr aus Leuten bestehen, die sich von der Arbeit ihrer Hände nähren, sondern aus solchen, die von ihren Zinsen leben, und alsdann würde eine Revolution zur Unmöglichkeit, weil die bestehende Ordnung nun mehr Vertheidiger als Angreifer hätte. Die anmuthigen Wohnstätten in Würzburgs neuen Strassen wurden alle durch den Gebrauch der Dampfmaschine ins Leben gerufen, welche mehr schafft und doch weniger Arbeitskräfte braucht. Aber die Menge der Arbeitenden hat sich kaum vermindert, und es wuchs also die Zahl derjenigen, welche aufhören konnten zu arbeiten. Würzburgs alte Universität befindet sich im Mittelpunkte der Stadt in einem höchst eigenthümlichen Gebäude aus dem 16. Jahrhundert. Sie hat mich zu ihrem Ehrendoktor ernannt, und ich will dem Rektor meinen Dank abstatten, treffe denselben jedoch nicht an. Für drei Zweige der Wissenschaft, die Chemie, die Physik und die Physiologie, sind besondere, ganz von einander getrennt liegende Anstalten eingerichtet, und es ist unerhört, was an deutschen Universitäten für dergleichen verausgabt wird. So besitzt z. B. Bonn für die Chemie ein palastartiges Gebäude, das mit seiner griechischen Säulenreihe die ganze alte Universität an Grösse übertrifft und welches mehr als eine Million verschlungen hat. Das Erdgeschoss gleicht einer grossen Fabrik, und der Professor der Chemie wohnt prächtiger als die Spitzen der Behörden; in seinen Gesellschaftsräumen kann die ganze Stadt sich versammeln. In Deutschland geht man von der richtigen Ansicht aus, dass jeder Professor, der zu experimentiren hat, auch in dem Gebäude wohnen muss, das die Laboratorien und Hörsäle um-schliesst, damit er alle Untersuchungen u. s. w. genau zu leiten und zu überwachen vermag. Die vergleichende Anatomie und die Physiologie besitzen in Bonn gleichfalls ihre Paläste. Mehrere Professoren der Naturwissenschaften haben mir gesagt, dass hierbei des Guten schon zu viel gethan wurde, und dass ihnen jene ausgedehnten und weitläufigen Einrichtungen auch viele Mühe und Verantwortung aufbürden und dadurch belastend auf sie wirken. Mag man aber auch wirklich zu weit gegangen sein, so geschah's doch immer nach der Seite des Guten hin. Bacons Wort: »Wissen ist Macht!« wird mit jedem Tage wahrer, indem die praktisch verwerthete Wissenschaft als Quelle des Reichthums und folglich auch der Macht sich erweist. Darum, ihr Staaten, kommt den Gelehrten entgegen, wenn ihr reich und mächtig werden wollt! Auf der Durchreise halte ich mich auch in Nürnberg auf, um dieses Pompeji des Mittelalters wiederzusehen. Ich will aber Baedekers Auslassungen nicht wiederholen und werde weder von den Kirchen, Häusern und Thür-men sprechen, noch von der Folterkammer und der schrecklichen eisernen Jungfrau, welche den Gemarterten an sich schloss und ihm ihre Nägel ins Fleisch drückte, um ihn dann 100 Fuss tief in die dunkle Strömung fallen zu lassen. Es ist dies ein Vorgang, wie er die entsetzliche Grausamkeit finsterer Zeiten nicht furchtbarer zum Verständniss bringen kann. Vor dem Dome erhebt sich — ein Werk der Neuzeit — ein kleiner thurmartiger Bau in gothischem Stile, der in seinen Umrissen an das be- rühmte Römerdenkmal bei Trier, die Igeler Säule, erinnert. An seinen vier Seiten befinden sich durch Glasplatten verschlossene Nischen, und die erste derselben enthält einen Thermometer, die zweite einen Hygrometer, die dritte einen Barometer und die vierte die täglichen Berichte und die Wetterkarten der Sternwarte, und zwar alles in einer Länge von mindestens iVa Meter, um den Leuten das Nachsehen leicht zu machen. Solche Wetterhäuschen habe ich in der Schweiz — in Genf in den Rhonegärten, in Vevey neben dem Bahnhofe, inNeuchatel am Seeufer — und in mehreren deutschen Städten angetroffen, und ich spreche stets dafür, dass man überall welche einrichten möge. Die Kosten sind nicht bedeutend; man reicht mit iooo Franken, wenn es beim Noth-wendigsten bleibt, und giebt 2000 bis 3000 Franken für eine grossartigere Ausführung. Solche Beobachtungsposten machen den Leuten Spass und belehren sie zugleich besser als eine Elementarschule es zu thun vermag, über den Gebrauch dieser Instrumente, welche für die Landwirthschaft und auch sonst von grossem Nutzen sind. In der Mitternachtsstunde gehe ich zu Fuss nach dem Bahnhofe, wo ich in den Wiener Eilzug steigen will. Die Dächer der Häuser flimmern im bleichen Silberglanze des Mondlichtes, und über denselben zeichnet eine dunkle Masse, das alte Schloss der Hohenzollern, sich ab. »Welch einen Weg hat doch dieses Fürstengeschlecht von hier aus zurückgelegt!«muss ich unwillkürlich denken. Gegen 1170 wird Konrad von Hohenzollern Burggraf von Nürnberg, und sein Nachkomme, Friedrich, der erste Kurfürst, verlässt 1412 diese Stadt, um Brandenburg in Besitz zu nehmen, das der prachtliebende und verschwenderische Kaiser Siegismund ihm für 400000 ungarische Goldgulden verkauft hatte und wovon die Hälfte sich seit langem in den Händen des ersteren befand. Da dieser nun das Geld nicht zurückzuzahlen vermochte und überdies neues brauchte, um die Kosten einer Reise nach Spanien bestreiten zu können, so trat er ohne das mindeste Bedauern dem gleich einer Ameise haushälterischen Friedrich das verpfändete Kurfürstenthum ab, dieses unwirthliche nordische Grenzland, das Voltaire spottend als den »Sand des Marquis von Brandenburg« bezeichnet hat. Freilich konnte der stolze Kaiser nicht ahnen, dass diesem kleinen Burggrafen und diesem Sande der Träger einer Kaiserkrone entstammen werde. Die Sparsamkeit ist zwar nur eine armselige Tugend kleiner Leute, schafft aber aus wenigem viel, und eine Menge unbedeutender Einzelheiten macht ein grosses Ganzes. Das wird von den Regierenden nur zu leicht vergessen, obschon die Staaten mehr noch als die Bürger auf das Zusammenhalten der Mittel bedacht sein müssten. Eine kurze Juninacht in einem Schlafwagen geht bald vorüber, und am nächsten Morgen weile ich bereits auf österreichischem Boden. In Linz erquickt mich ein köstlicher Milchkaffee, welcher fast ebenso vorzüglich wie der im »Posthofe« zu Karlsbad ist und mir — im Glase — von einem jungen, sehr blonden Mädchen im kurzärmeligen, blassrothen Kattunkleide zugetragen wird. Bald zeigt sich die Donau, welche jedoch nicht, wie der bekannte Walzer behauptet, eine blaue, sondern, gleich dem Rheine, eine gel blich-grüne Färbung hat. Aber sie ist malerischer wie dieser, kennt Weinberge und Fabriken nicht und trägt nur eine geringe Zahl von Dampfschiffen; ich habe bloss eins gesehen, welches mühsam die rasche Strömung hinauffuhr. Wälder und grüne Wiesen bedecken die am Ufer sich hinziehenden Hügel, Weiden tauchen ihre Zweige in die Fluten, und die vereinzelt liegenden Häuser haben einen ländlichen, fast gebirgs- massigen Anstrich. Hier ist noch der Bauer der hauptsächlichste Träger des Reichthums, und kein geräuschvoll-geschäftiges Treiben herrscht auf diesen Fluren. Der ganze Zauber eines schönen Morgens, das Lieblich-Friedvolle ländlicher Einsamkeit dringt überwältigend auf mich ein. Ja, neben jenen Fichtengehölzen, auf jenen Wiesen würde es sich gut leben lassen, da, wo die Kühe weiden, und wo nicht, wie am anderen Ufer, eine Eisenbahn hinrollt. Der Gegensatz zwischen dem Rheine und der Donau wird durch verschiedene Ursachen bedingt. Zunächst fliesst jener nach Holland und England zu, also nach zwei seit drei Jahrhunderten sehr reichen Handelsplätzen, wo man das, was auf dem Flusse ankommt, gut bezahlt, während diese dem Schwarzen Meere zuströmt und an armen Völkerschaften, die fast nichts kaufen können, vorbeiführt. Die Erzeugnisse Ungarns, selbst das lebende Vieh, trägt man dem Westen — wohl bis nach London hin — auf der Eisenbahn zu, weil der Wasserweg ein zu umständlicher wäre. Dann aber verfügt der Rhein — wohlfeiler als es überall sonst der Fall ist — über diese unbeschränkte, der Sonne entstammende und im Schosse der Erde aufbewahrte Kraft, über die Kohle, welche dem modernen Gewerbebetrieb als tägliches Brot dient. Er ist aber auch seit der römischen Eroberung und den ersten Zeiten des Mittelalters ein Sammelpunkt der Zivilisation gewesen, während der für den Verkehr wichtigste Theil der Donau noch bis vor kurzem in den Händen der Türken sich befand. Auf dem Amstetter Bahnhofe kaufe ich die Wiener »Neue freie Presse«, welche in meinen Augen neben dem »PesterLloyd«die am übersichtlichsten geordnete deutsche Zeitung ist und sich am angenehmsten liest. Die »Kölnische Zeitung« stützt sich auf die vorzüglichsten Quellen, und die »Allgemeine Zeitung« erweist sich geradezu als Konversationslexikon; aber man trifft da auf ein entsetzlich wirres Durcheinander, und es sind z. B. die Abschnitte »Frankreich« oder »Paris« drei bis viermal wiederholt und planlos über ein grosses, enggedrucktes Blatt hin zerstreut. Ich will lieber die »Times« drei, als die »Kölnische Zeitung« trotz der Achtung, die sie mir abnöthigt, einmal lesen. Kaum habe ich aber den ersten Blick in die »Neue freie Presse« geworfen, als ich auch schon — ganz wie bei meiner Reise im Jahre 1867 — mitten im Rassenkampf stecke, nur dass derselbe jetzt nicht mehr zwischen Magyaren und Deutschen wrüthet. Der Ausgleich Deaks hat auf der einen Seite die Deutschen und die Czechen gegen einander gehetzt, während auf der anderen die Magyaren und die Kroaten sich in den Haaren liegen; in Böhmen muss das deutsche Element dem vereinten Anstürme der Czechen und der Feudalen unterliegen. Die »Neue freie Presse«, das Organ des österreichischen Bürgerthums, verfolgt eine sehr gemässigt-freisinnige Richtung und gleicht in ihrer Färbung den französischen Zeitungen »Debats« und »Temps«. Die Vorgänge in Böhmen beklagt sie als das grösste Unglück, woraus, wenn auch nicht gerade der Untergang der Welt, so doch das Auseinanderbröckeln des Reiches sich ergeben müsse. Das trägt ihr aber monatlich drei oder vier Beschlagnahmen ein; gewöhnlich wird dann — nach acht bis zwölf Wochen die Sache einfach niedergeschlagen, und der Verleger kann die ihm nunmehr zurückgegebenen Exemplare als Makulatur verwenden. Solche Konfiszi-rungen — dies wäre der richtige Name — geschehen im Verwaltungs- und nicht im Rechtswege und erinnern an die schlimmen Zeiten des französischen Kaiserreiches. Es befremdet mich, sie bei einer Zeitung angewendet zu sehen, welche die österreichischen Interessen vertritt; jetzt würde mein Freund Eugen Pelletan für Frankreich nicht mehr »die Freiheit wie in Oesterreich« verlangen, wofür man ihn damals auf drei Monate ins Gefängniss steckte. Czechischem Einflüsse schreibt man jene Kon-fiszirungen zu, und es zeigt sich hier also ganz handgreiflich, mit welch einem Umgestüme diese Rassenkämpfe geführt werden. Dieselben sind jetzt aber nicht so grimm wie im Jahre 1867, behaupten die Wiener, mit denen ich zusammenfahre. Ich halte ihnen nun vor, dass ich das ganze Oesterreich durchstreift habe, ohne einem einzigen Oesterreicher begegnet zu sein. Man nannte sich einen Magyaren, Kroaten, Walachen, Sachsen, Czechen, Tiroler, Polen, Ruthenen, Dalmatier, aber nie einen Oesterreicher; des gemeinsamen Vaterlandes gedachte niemand, und man fühlte sich ausschliesslich als Rasse. »Heute liegt die Sache nicht mehr so«, entgegnen meine Wiener. »Sie werden vortreffliche Oesterreicher finden; noch sind's die Magyaren, bald aber werden es die Czechen sein«. Es möge mir nun gestattet sein, einen Augenblick bei dieser Rassenfrage zu verweilen, die mich so ganz erfüllt. Sie beschäftigt die Menschen und Länder, denen ich entgegensteure, in erster Linie und ist in der That der entscheidende Faktor, der über die Zukunft der Donau- und der Balkanstaaten das Wort sprechen wird. Den Franzosen fehlt das volle Verständniss für solche Streitfragen, denn sie sind darüber bereits hinaus. Frankreich, ihr Vaterland, ist ihnen eine Göttin, für die sie leben und. wenn es sein muss, auch sterben. Darum schwebt gleichsam der Schimmer eines unantastbaren Heiligthums, und haben sie sich auch von jeder anderen Religion losgesagt, so bekennen sie sich doch immer noch zu dieser. Sie fassen Frankreich nur als eine grosse Einheit auf, und dieser Begriff ist so vollständig mit allen Fasern ihres Seins verwebt, dass er jedes Rassengefühl zurückgedrängt und fast erstickt hat. Das trifft zu für den Proven9alen, der ein halber Italiener, für den Bre-tagner, welcher ein vollständiger Kelte ist, für den niederländisch sprechenden Flamänder und sogar auch für den Elsässer, welcher als Deutscher seinem Ursprünge nach dem grossen germanischen Volksstamme angehört. Für die Rassenfrage, welche dabei ist, Europas Karte umzuarbeiten, hat Thiers, der doch sonst alles begriff, nie das rechte Verständniss gehabt. Aber Cavour und Bismarck, diese beiden grossen Realisten, besassen es und haben demgemäss gehandelt. Als Jules Simon mich einst an einem Abende nach dem Hause des Herrn Thiers geführt hatte, fragte dieser, was es denn mit der flämischen Bewegung in Belgien eigentlich auf sich habe. Ich bemühte mich, ihm die Sache zu erklären, und er nannte sie kindisch und geistig zurück, womit er recht und unrecht zugleich hatte. Recht hatte er, weil der Geist, nicht aber das Blut die wahrhaft einigenden Bande knüpft. Es bewahrheitet sich da das schöne Wort des Herrn: »Jene sind meine Brüder und Schwestern, welche den Willen meines Vaters thun«. Gleichsam eine höhere Weihe ruht auf Völkerschaften verschiedener Sprache und Abstammung, die, wie in der Schweiz, durch eine gemeinsame geschichtliche Vergangenheit, durch die gleiche Zivilisation und Freiheit zusammengehalten werden. Sie sind das Bild und der Vorbote von dieser dereinstigen allgemeinen Verschmelzung, die aus allen Völkern eine Familie oder vielmehr einen Staatenbund machen wird. Aber Herr Thiers war idealistisch wie ein richtiger Sohn der Revolution und verkannte als solcher das Thatsächlich-Gegenwärtige und das Vorübergehend-Nothwendige. Dass die Rassen zum Bewusstsein ihrer Eigenart gelangen, folgt unvermeidlich aus der Entwickelung der Demokratie, der Presse und des literarischen Lebens. Ein unumschränkter Herrscher kann 20 verschiedene Völkerschaften regieren, ohne sich die geringste Sorge um ihre Sprache oder ihre Abstammung zu machen. Aber mit der Verfassung ändert sich die Sachlage; das Wort regiert, und man muss nun natürlich der Sprache des Volkes sich bedienen. Man kann dasselbe doch unmöglich in einer ihm fremden Sprache belehren und richten, und da es eine Vertretung erhält und zur Abstimmung herangezogen wird, muss man sich mindestens mit ihm zu verständigen wissen; so erobert die Volkssprache sich nach und nach das Parlament, die Gerichtshöfe und die verschiedenen Lehranstalten. In Finnland z. B. stehen den Schweden, welche die wohlhabende Klasse bilden und die Küstenstädte bevölkern, die dem Bauernstande angehörenden Finnen gegenüber. Die Sprache der letzteren aber herrscht — wovon ich mich an Ort und Stelle überzeugt habe — selbst in den Vororten grosser Städte wie Abo und Helsingfors; die Aufschriften sind dort in zwei Sprachen abgefasst, und beim Elementarunterrichte bedient man sich fast überall des Finnischen. Neben den schwedischen Gymnasien giebt es finnische, und sogar auf der Universität werden gewisse Vorlesungen in finnischer Sprache gehalten. Ja, man hat es bis zu einem Volkstheater gebracht, woselbst ich »Martha« in finnischer Sprache hörte. In Galizien, wo das Deutsche vollständig durch das Polnische verdrängt worden ist, verlangen nun die Ruthenen die Berücksichtigung ihrer Sprache. In Böhmen siegt das Czechische, und auch hier droht dem deutschen Elemente der Untergang. Prag hat neben seiner deutschen Universität eine czechische, und von den Feudalen und der Geistlichkeit werden die Bestrebungen des Czechenthums begünstigt. So ernennt Fürst Schwarzenberg, der Erzbischof von Prag, obgleich er ein Deutscher ist, nur czechische Priester, selbst für den nördlichen Theil Böhmens, wo die Mehrzahl der Bevölkerung aus Deutschen besteht. Wahrlich, in Gegenden, wo zwei Rassen aneinander stossen, thürmen kaum zu überwindende Schwierigkeiten sich auf. Unvortheilhaft ist's, die Sprache zu gebrauchen, welche nur von einem kleinen Theile der Bevölkerung verstanden wird, weil man damit der Vereinsamung und Absonderung anheimfällt. Besser wäre es freilich, wenn Europa nur drei oder vier Sprachen, und am besten, wenn es deren bloss eine einzige hätte. Noch hat die Einheit diesen Gipfelpunkt doch aber nicht erreicht, und wo einigende Bande, wie sie in der Schweiz um verschiedene Völkerschaften sich schlingen, nicht in Frage kommen, wird vorläufig jedes zur Antheilnahme an der Regierung berufene Volk für die Rechte seiner Sprache eintreten und nach der Vereinigung mit denen trachten, welche sie gleichfalls sprechen. Auf einer solchen Grundlage nun neue Staatswesen zu bilden, das ist's, was gegenwärtig in Oesterreich und auf der Balkanhalbinsel kocht und zischt und brodelt. Zweites Kapitel. Wien. — Die Minister und der Föderalismus. Vor Wien wird das Landschaftsbild wundervoll. Man blickt auf eine Reihe kleiner Thal er, wo zwischen grünen Wiesen klare Bäche sich hinschlängeln, auf Hügel, die mit Eichen und Nadelhölzern bedeckt sind, und muss dabei unwillkürlich an Steiermark oder an Ober-Bayern denken. Bald sehen auch hier und dort die oft schlossartigen Sommerfrischen aus einer Hülle von Dijon-Rosen und Waldreben hervor, um dann näher und näher an einander zu rücken und im Weichbilde der Bahnhöfe kleine Villendörfer zu bilden. Keine Hauptstadt — Stockholm ausgenommen — hat eine herrlichere Umgebung; der Zauberbann der Alpennatur hält die Vorstädte umfangen, und es giebt nichts Köstlicheres als Baden, Möd-ling, Brühl, Vöslau und alle diese Sommerfrischen im Süden Wiens, auf dem Wege zum Semmering. Um 10 Uhr treffe ich in der österreichischen Hauptstadt ein, wo ich im »Hotel Münsch", einem altbewährten Hause, absteige; ich ziehe dasselbe diesen gewaltig grossen und prachtvoll eingerichteten Gasthöfen in der Ringstrasse, wo man nur eine Nummer ist, entschieden vor. Man übergiebt mir einen Brief meines Kollegen von der Universität Wien und dem internationalen Rechtsinstitute. Baron von Neumann. Derselbe schreibt mir, dass um ii Uhr der Minister des Innern, Graf Taaffe, und um 3 Uhr der Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herr von Kalnoky, mich empfangen will; sehr wesentlich ist's, auf Reisen bei den Ministern des betreffenden Landes vorgelassen zu werden. Das erleichtert Nachforschungen, öffnet allerlei Thüren und Archive und kann im Nothfalle auch aus einer Haft befreien, in die man durch einen unglückseligen Irrthum gerathen ist. Ich kleide mich also eilig um; doch als ich in den Wagen steigen will, hält der Portier mich mit den Worten zurück: »Mein Herr, so können Sie unmöglich zu Seiner Excellenz fahren; Sie haben Sich beim Rasiren eingeschnitten«. Allein es ist schon spät, und ich kehre nicht um. Ein Minister, sage ich mir, der sich in diesem Augenblicke mit der undankbaren Aufgabe beschäftigt, den Czechen zu gefallen, ohne den Deutschen zu missfallen, bemerkt vielleicht nicht, was dem sorgsam wachenden Auge dieses guten Portiers keineswegs entging. Das Ministerium des Innern, ein düster aussehender Palast, liegt am Judenplatze — in einer von den engen und dunklen Strassen der alten Stadt •— und umschliesst grosse, prunklose Räume, Die einfach-würdevolle Ausstattung derselben ist ganz im Stile des 18. Jahrhunderts gehalten und deutet auf eine Familie hin, die ihre Mittel zusammenhalten muss. Zu Paris sieht's in den Ministerien schon ganz anders aus, besonders im Finanzministerium und in dem der auswärtigen Angelegenheiten; da hat man überreich vergoldetes Getäfel, gemalte Decken, kostbare Seidenstoffe aus Lyon, riesige, prachtvolle Treppen. Doch der Staat soll der Verschwendungssucht kein Beispiel geben, und das Einfache in den Regierungsgebäuden zu Wien und Berlin berührt mich weit angenehmer. Graf TaafTe — im Frack und in weisser Halsbinde — ist im Begriff, sich zum Kaiser zu begeben; aber er empfängt mich, der ich ihm durch eine seiner Cousinen, empfohlen wurde und durch meinen Freund Neumann, bei dem er einst Vorlesungen über öffentliches Recht gehört hat, in sehr liebenswürdiger Weise. Im Laufe der Unterhaltung äussert er sich etwa folgendermassen: Will man mehrere Personen dahin bringen, dass sie unter einem Dache wohnen bleiben, so muss man den einzelnen zur Regelung ihrer wirthschaftlichen Angelegenheiten auch freie Hand lassen. Zwingt man ihnen aber eine gemeinsame Sprache und die gleiche Lebensführung auf, so werden sie in Streit gerathen und das Bestreben zeigen, von einander loszukommen. Die Italiener Tessins denken nicht daran, sich mit Italien vereinigen zu wollen, weil sie im Rahmen der Schweiz ihr volles Behagen finden. »Mit vereinten Kräften«, lautet Oesterreichs Wahlspruch; die wahre Einigung wird aber aus der Befriedigung aller hervorgehen, und das Mittel, jeden zufriedenzustellen, besteht darin, keinen in seinen Rechten zu schädigen. — Laveleye, Balkanländer. O »Ja«, antwortete ich, »die aus der Freiheit und Selbstverwaltung entsprossene Einigung wird unzerstörbar sein«. Der Gedanke an eine bundesstaatüche Verfassung schwebt dem Grafen Taaffe schon seit langem vor. Im Jahre 1869 — zur Zeit des Ministeriums Taaffe-Patocki — entwarf er einen vollständigen Plan, der darauf hinauslief, die Befugnisse der provinzialen Selbstverwaltung zu erweitern1), und in meinen 1868—1869 veröffentlichten Aufsätzen habe ich mich bemüht, eine derartige Lösung als die beste darzulegen. Graf Eduard Taaffe ist noch kein alter Mann; er wurde am 24. Februar 1833 in Prag als Abkömmling einer irländischen Familie geboren und führt als irländischer Pair den Titel Vicomte Taaffe von Covren, Baron von Ballymote. Aber seine Vorfahren waren der Sache der Stuarts ergeben, weshalb sie Irland verlassen mussten und ihre dortigen Besitzungen verloren. Sie traten darauf in den Dienst der Herzöge von Lothringen, und einer von ihnen zeichnete sich bei der Belagerung Wiens im Jahre 1683 aus. Der Vater des jetzigen Ministers war Vorsitzender des obersten Gerichtshofes; er selbst begann seine Laufbahn in Ungarn unter dem Baron von Bach, der seine Begabung und Arbeitskraft bald erkannte und ihm zu schnellem Aufrücken verhalf. Er wurde nacheinander stellvertretender Statthalter in Böhmen, dann Statthalter in Salzburg und schliesslich Statthalter von Ober-Oesterreich; 1867 trat er ms Ministerium des Innern und unterzeichnete die berühmte Urkunde vom 21. Dezember, welche den gegenwärtigen Dualismus begründete. Dem Sturze des Ministeriums folgte seine Ernennung zum Statthalter von Tirol, das er 7 Jahre zur allgemeinen Zufriedenheit verwaltet hat. Nach seinem abermaligen Eintritte ins Ministerium des Innern — er ') In meinem Buche »Preussen und Oesterreich seit Sadowa« (B. II, S. 265} habe ich in gedrängten Umrissen hiervon gesprochen. führt nun auch noch den Vorsitz im Staatsrathe — nahm er seine Verfassungspläne mit grösserem Erfolge als 1869 wieder auf. In Wien staunt und zürnt man über alle Zugeständnisse, mit denen er die Czechen überschüttet, weil er, wie man behauptet, deren Stimmen zu Gunsten einer Umwandlung des Elementarschulgesetzes in rückschrittlichem und klerikalem Sinne gewinnen will. Doch man vergisst, wie er für die bundesstaatlichen Pläne seit mehr als 16 Jahren gewirkt hat. Eine grössere Verwunderung kann der Widerspruch zwischen der inneren und der äusseren Politik der österreichischen Regierung erregen. Im Innern begünstigt man ganz offenbar die slawische Bewegung, so in Galizien, Böhmen, wo man ihr alles zugesteht; nur des heiligen Wenzels Reich ist noch nicht aufgerichtet, doch hierzu sucht man wenigstens die Wege zu ebnen. Im Aeusseren dagegen, und besonders jenseits der Donau, kämpft man gegen diese slawische Bewegung an; man versucht es, sie zu unterdrücken, und läuft dabei Gefahr, dem russischen Einflüsse Thür und Thor zu öffnen. Ein solcher Widerspruch erklärt sich daraus, dass allein das Reichsministerium, welches vom Ministerium Cisleithaniens völlig unabhängig ist, sich mit dem Aeusseren beschäftigt und in ihm die Ungarn die Oberhand haben. Nur der Minister des Auswärtigen, der Finanz- und der Kriegsminister gehören ihm an, und den Vorsitz führt der Kanzler. Graf Taaffe steht mit einem Fusse in Böhmen und dem anderen in Ungarn, indem sein Hauptgut zu Ellishan in Böhmen liegt und seine Gemahlin, geb. Gräfin Irma von Csaky von Kerestszegh, — er ist seit 1860 verhei-rathet und hat 1 Sohn und 5 Töchter — aus Ungarn stammt. Als Comthur des Malteserordens befindet er sich im Besitze des goldenen Vliesses; er erfreut sich also einer sehr seltenen Auszeichnung und ist in jeder Hin- 3* sieht eine bedeutende Persönlichkeit. Niemand bestreitet seine unermüdliche Arbeitskraft und sein Verwaltungstalent. Aber in Wien macht man ihm seine Vorliebe für den Adel und die Geistlichkeit zum Vorwurfe, und in Prag würde man ihm gewiss ein Denkmal errichten, das so hoch ist wie der Dom auf dem Hradschin, wenn es ihm gelänge, den Kaiser zur Krönung dorthin zu führen. Um 3 Uhr begebe ich mich nach dem Ballplatze zum Herrn von Kalnoky, dem Minister des Auswärtigen. Hier ist die Lage wenigstens eine bessere, indem das Ministerium an einen freien, sonnigen Platz stösst und die kaiserliche Burg wie die Ringstrasse in seiner Nähe hat. Die weiten Räume mit den vergoldeten Sesseln und rothen Tapeten und Vorhängen, dem weiss und golden gehaltenen Deckengetäfel, dem spiegelglatten, teppichlosen Fussboden, den grossen, die Wände schmük-kenden Bildern, wrelche Mitglieder des Kaiserhauses darstellen, machen einen feierlich-kalten Eindruck. Während ich nun darauf warte, vorgelassen zu werden, muss ich an Metternich, den einstigen Bewohner dieser Räume, denken. Wie Oesterreich im Jahre 1812 den Sturz Napoleons herbeiführte, so hält es auch noch die Geschicke Europas in seinen Händen; je nachdem es sich nach Norden, Osten oder Westen wendet, neigt sich die Waage, und vor den Leiter dieser auswärtigen Politik soll ich im nächsten Augenblicke treten. Ich hatte mir denselben als eine würdevolle Persönlichkeit mit weissen Haaren vorgestellt, und bin angenehm überrascht, in der zuvorkommendsten Weise von einem Herrn empfangen zu werden, der im Hausanzuge steckt und im kräftigsten Mannesalter steht. Aus dem offenen Antlitze mit den freundlichen Zügen schaut das geistsprühende Auge, welches, wie man behauptet, allen Kalnokys eigen sein soll, und über die ganze Erscheinung liegt die einfach- edle Vornehmheit englischer Lords gebreitet. Der Minister spricht das reinste Pariser Französisch, was überhaupt bei vielen Oesterreichern der höheren Gesellschaftsklassen der Fall ist. Denselben sind oft sechs bis sieben Sprachen gleich geläufig, und deshalb vermögen sie vielleicht die Eigenthümlichkeiten einer jeden besser zu bewahren; die Engländer und die Deutschen pflegen selbst bei gründlichster Beherrschung des Französischen dasselbe mit einem fremden Klange auszusprechen. Herr von Kalnoky fragt mich nach meinen Reisepläneif; als er hört, dass ich die Linie zu verfolgen gedenke, auf der die Eisenbahn von Belgrad über Sofia nach Konstantinopel führen soll, sagt er: »Das beschäftigt uns gerade in diesem Augenblicke in erster Linie. Im Abendlande dichten unsinnige Gerüchte uns Eroberungsgelüste an; nun etwas, womit beide Theile des Reiches zufrieden wären, liesse sich wohl schwer bekommen, und dann haben wir auch an der Erhaltung des Friedens das grösste Interesse. An Eroberungen denken wir allerdings, doch an solche, denen Sie in Ihrer Eigenschaft als Nationalökonom Beifall zollen werden, und wobei wir unsere Gewerbe, unsern Handel und unsere ganze Zivilisation als Waffen brauchen. Um derartige Pläne aber durchführen zu können, müssen Eisenbahnen gebaut werden in Serbien, Bulgarien, Bosnien, Macedonien; auch der Anschluss an das türkische Bahnnetz, welches endlich Morgen- und Abendland mit einander verbinden soll, ist natürlich von grösster Wichtigkeit. Ingenieure und Diplomaten sind gleich geschäftig, und ich hoffe, bald ans Ziel zu gelangen. Eines Tages wird ein Pulman-Wagen Sie bequem und in drei Tagen von Paris nach Konstantinopel bringen, worüber Sie uns schwerlich zürnen dürften. Ihr Abendländer seid's, für die war arbeiten«. Man sagt zwar, dass die Diplomaten mit ihren Worten ihre Gedanken verhüllen; ich glaube aber doch, dass die österreichischen Staatsmänner die wahren Absichten der kaiserlichen Regierung ausdrücken, indem sie jeden Gedanken an eine Eroberung oder Besitzergreifung im Morgenlande zurückweisen. In gleicher Weise sprach der frühere Kanzler, Herr von Haymerle, sich aus, als ich 1879 m Rom mit mm zusammentraf, und kurz vor seinem Tode äusserte er sich mir gegenüber auch noch schriftlich so. Der aber kannte besser als sonst jemand das Morgenland und die Balkanhalbinsel, wo er lange Zeit — als Dolmetscher, Geschäftsträger und Gesandter — gelebt und mit den Völkern in ihren eigenen Sprachen verkehrt hatte. Gewisse Ereignisse, z. B. ein siegreicher Aufstand in Serbien oder bedenkliche Unruhen in Mace-donien, welche die Sicherheit der Eisenbahnlinie Salo-niki-Mitrowitza gefährden, würden die Oesterreicher allerdings zu weiterem Vorgehen nöthigen. Sie haben Bosnien bis Nowibasar inne und können es also doch nicht ruhig mit ansehen, wie auf der Balkanhalbinsel wilde, gesetzlose Zustände einreissen oder es daselbst zum Bürgerkriege kommt. Wer in die Angelegenheiten des Morgenlandes verwickelt ist, muss sich oft über seinen Willen hinaus zum Weitergehen bequemen, wie man's an den Engländern in Aegypten sieht, und darin liegt eben die sehr ernste Seite von Oesterreichs vorherrschender Stellung auf der Balkanhalbinsel. Der gegenwärtige Kanzler, Graf Gustav Kalnoky von Körospatak, entstammt, wie sein Name es besagt, einer ungarischen Familie, wurde aber in Mähren — zu Lettewitz, am 29. Dezember 1832 — geboren, in welcher Provinz auch die meisten seiner Güter — so Prodlitz, Ottaslawitz, Szabatta — liegen. Er hat mehrere Brüder und eine sehr schöne Schwester, die Gräfin Sabran, welche sich in erster Ehe mit dem 60jährigen Grafen Johann Waldstein, dem Wittwer einer geborenen Zichy, vermählt hatte. Ungewöhnliche Erfolge haben ihn auf seiner Laufbahn begleitet; 1879 schied er als Oberst aus dem Heere, um in den diplomatischen Dienst zu treten, und wurde nun nach Kopenhagen geschickt, wo er allerdings eine ziemlich bedeutungslose Rolle spielte. Doch bald berief man ihn auf den wichtigsten aller diplomatischen Posten, nämlich nach Petersburg, und von hier aus ging's dann beim Tode Haymerles ins Ministerium des Auswärtigen. Ein Zeitraum von drei Jahren machte den eleganten, aber politisch bedeutungslosen Kavallerieoffizier zur ersten Person des Staates, zum Leiter von dessen Geschicken, und legte damit auch die Europas in seine Hände. Dieses unerhört schnelle Aufrücken, welches an »Tausend und eine Nacht« erinnert, wo's den Grossvezieren ähnlich geht, pflegt man gewöhnlich der Freundschaft mit dem Grafen Andrassy auf die Rechnung zu setzen, während der wahre, wenn auch kaum bekannte Grund in dem Umstände liegt, dass Herr von Kalnoky die Feder noch besser als die mündliche Rede zu führen weiss. Seine Depeschen waren mustergiltig abgefasst und machten einen gewaltigen Eindruck auf den Kaiser, welcher als unermüdlicher und gewissenhafter Arbeiter sich persönlich mit der auswärtigen Politik beschäftigt; sofort fasste derselbe den Grafen für die höchsten Aemter ins Auge. In Petersburg entzückte Kalnoky alle Welt durch seinen Geist und seine Liebenswürdigkeit und wurde trotz des Misstrauens, gegen das er anzukämpfen hatte, am Hofe sogar persona grata. Als der Kaiser ihn nun ins Kanzleramt berief, — wobei er gleichzeitig zum Generalmajor ernannt wurde — glaubte man, seine Beziehungen zum russischen Reiche würden eine Annäherung zwischen diesem und dem österreichischen Staate herbeiführen, und es könnte vielleicht auch Frankreich einer solchen Vereinigung beitreten. Doch der Kanzler dachte nicht daran, das deutsche Bündniss zu brechen, denn er fühlt sich als Ungar und Freund Andrassys und vergisst nicht, dass seit 1866 die ungarische Politik in dem Einvernehmen mit Berlin ihren Mittelpunkt sieht. Die deutschen Zeitungen wurden misstrauisch, und die Wogen der öffentlichen Meinung gingen — besonders in Wien und in Pest — ziemlich hoch. Solchen beunruhigenden Gerüchten trat Kalnoky aber bald durch seine Reise nach Gastein entgegen, wo Kaiser Wilhelm ihn mit Beweisen seines Wohlwollens überhäufte, und in einer Unterredung mit dem deutschen Reichskanzler alle Missverständnisse ausgeglichen wurden. Kalnokys Stellung ist heute eine sehr gefestigte; er besitzt das unbeschränkte Vertrauen des Kaisers und, so scheint es, auch das des Volkes. Geheirathet hat er nicht, und darüber trauern, wie man behauptet, die Mütter, während die Männerwelt sich beunruhigt fühlt. In der Familie des Altgrafen Salm-Lichtenstein verbringe ich den Abend. Mit der Altgräfin war ich in Florenz zusammengetroffen, und ich freue mich, nun auch ihren Gemahl kennen zu lernen, der Parlamentsmitglied ist und sich eifrig mit der czechisch-deutschen Frage beschäftigt. Er gehört der freisinnigen Richtung an und tadelt lebhaft Taaffes Politik und das Bündniss zwischen den Feudalen und Ultra-Czechen, in dem gerade die meisten Mitglieder seiner Familie und der seiner Frau eine hervorragende Rolle spielen. »Diese Leute«, sagt er, »erstreben für Böhmen, was Ungarn bereits besitzt, d. h. die Selbstregierung, den eigenen Landtag und die Krönung des Kaisers in Prag. Damit wäre der Doppelspaltung ein erweiterter Umfang gegeben, und das Reich würde in drei von einander unabhängige Staaten zer- fallen, welche nur durch die Person des Kaisers und einige gemeinsame Angelegenheiten verbunden sind. Dergleichen mittelalterliche Zustände waren wohl einst, als sie überall bestanden, lebensfähig; aber sie passen nicht für die jetzige Zeit, wo wir überall auf grosse einheitliche Staatswesen, wie Frankreich, Russland und Italien, stossen. Mag auch für ein kleines neutrales Land, wie die Schweiz, oder für eins, das allein liegt und gleich einen ganzen Welttheil umfasst, wie die Vereinigten Staaten, die bundesstaatliche Verfassung ganz geeignet sein, so bildet dieselbe doch ein tödtliches Gift für das im Mittelpunkte Europas liegende Oesterreich, welches sich gegen seine Nachbarn nicht abzuschliessen vermag. Meine guten Freunde, die Feudalen, und deren herzinnige Verbündete, die Klerikalen, hoffen, in dem von ihnen erträumten Böhmen die alleinigen Herren zu sein und dort nach Belieben schalten und walten zu können; darin täuschen sie sich aber, wie ich glaube, gründlich. Stehen die Czechen erst an ihrem Ziele, so werden sie sich, da sie im Grunde ihres Herzens sämmtlich Demokraten sind, wenn auch in den verschiedensten Schat-tirungen vom matten Rosa bis zum gesättigten Scharlachroth, gegen ihre jetzigen Verbündeten, den Adel und die Geistlichkeit, kehren und diese Leute nun an die Wand drücken. Dann bemühen sie sich gewiss, es in Städten und selbst auf dem Lande mit den grösstentheils fortschrittlich gesinnten Deutschen zu halten; auch die Erinnerungen an Johann Huss und an Ziska wird man im gegebenen Augenblicke heraufbeschwören. Eigenartig nimmt sich's aus, dass die meisten dieser vornehmen Familien, die in Böhmen an der Spitze der volkstümlichen Bewegung stehen, entweder deutschen Ursprunges sind oder die Sprache, welche sie zur amtlichen machen wollen, nicht sprechen. Deutsch ist Oesterreichs Fürsten- haus, seine Hauptstadt, seine ganze Zivilisation und die Grundlage, auf der es aufwuchs und zusammengehalten wurde, und doch ächtet man in Ungarn, in Galizien, Kroatien, Kärnthen, Krain und Böhmen die Sprache des Kaisers, das Deutsche. Eine solche Politik birgt die ernstesten Gefahren, denn das befehdete deutsche Element ist der Träger der Bildung, des Reichthums, der Gewerbe, kurz aller bewegenden Triebräder der Jetztzeit. Siegt jene Politik, so spielt sie in Böhmen den Adel und die Geistlichkeit den czechischen und hussitischen Demokraten in die Hände«. »Sie folgern sehr richtig«, antwortete ich, »und Ihren Ausführungen gegenüber will ich nur daran erinnern, dass die menschliche Gesellschaft bisweilen von unwiderstehlichen Strömungen durchflutet wird, welche durch nichts aufzuhalten sind, sondern alles gewaltsam mit sich fortreissen. Dahin gehören aber diese Regungen des Volksbewusstseins, welche, gleich auferstandenen Todten, aus der dunkeln Tiefe des Grabes zur glanzvollen Helle des Lichtes emporsteigen. Was für eine Stellung nahm die deutsche Sprache denn im 18. Jahrhundert ein, als Friedrich der Grosse nichts von ihr wissen wollte, sondern seinen Stolz darein setzte, das Französische ebenso gut wie Voltaire zu schreiben? Sie war immerhin die Sprache Luthers, aber nicht die der Gebildeten und Vornehmen. So galt auch noch vor 40 Jahren das Ungarische als eine verachtete Mundart, die nur von den Hirten der Pussta gesprochen wurde, während man sich in den Kreisen der guten Gesellschaft und in der Verwaltung des Deutschen und im Landtage des Lateinischen bediente. Heute ist aber das Ungarische die Sprache des Parlamentes, des Theaters, der Presse, der Wissenschaft, der Akademien, der Universität, der Dichtkunst, des Romanes. Jetzt drängt es sich, wie man behauptet, auch anderen Volksstämmen, so den Kroaten und Siebenbürgen, auf, welche gar nichts von ihm wissen wollen. In Böhmen ist nun das Czechische im besten Zuge, sich die Stellung zu erringen, welche das Magyarische in Ungarn einnimmt, und ähnlich geht's auch in den kroatischen Provinzen. Das Kroatische, welches unlängst nur noch eine volkstümliche Mundart war, besitzt jetzt in der Universität zu Agram ein wissenschaftliches Heim und wird von Dichtern und Sprachforschern, von der Presse und dem Theater gepflegt. Auch in Serbien wurde das Serbische, welches weiter nichts als ein mit morgenländischen Schriftzeichen gebrauchtes Kroatisch ist, zur amtlichen, literarischen, parlamentarischen und wissenschaftlichen Sprache und trat damit seinen älteren Verwandten, dem Deutschen z. B. oder dem Französischen, ebenbürtig zur Seite. Ebenso steht's um das Bulgarische in Bulgarien und Rumelien, das Finnische in Finnland, das Rumänische in Rumänien, das Polnische in Galizien, und in Flandern tritt wahrscheinlich das Flämische bald in den Vordergrund. Dem politischen Aufschwünge geht stets ein literarisches Erwachen voran, und in einem konstitutionell regierten Lande siegt schliesslich die Volkspartei, weil man ihr, um sich ihrer Stimmen zu versichern, mit den meisten Zugeständnissen und Vortheilen entgegenkommt; in Irland ist die Sachlage genau so. Glauben Sie nun, dass es irgend einer Regierung möglich wäre, mit den Mitteln, welche die sogenannte moderne Zivilisation ihr an die Hand giebt, eine so tiefgehende und allgemeine Bewegung zu unterdrücken, die im Herzblute lange geknechteter und nun verhängnissvoll sich entwickelnder Rassen Wurzel geschlagen hat? Diese Menschen verlangen auch einen Platz auf der Bühne des Lebens, und was soll man ihrem unwiderstehlichen Drange gegenüber thun? Sie vielleicht unterdrücken und zu einem Mittelpunkte vereinigen, wie Schmerling und Bach es versuchten? Dazu ist es heute bereits zu spät, und so bleibt denn nichts weiter übrig, als sich mit den verschiedenen Rassen zu vergleichen, wie Herr von Taaffe es will, welcher zugleich für die Rechte der Minderheit eintritt«. »Aber in Böhmen«, versetzte der Altgraf, »sind wir Deutschen in der Minderheit, und die Herren Czechen werden uns erbarmungslos unterdrücken«. Am folgenden Tage suchte ich ein einflussreiches Parlamentsmitglied, den der konservativen Partei angehörenden Herrn von V. auf, welcher niedergeschlagener noch als der Altgraf Salm zu sein schien. »Ich bin«, erklärte er, »ein echter, schwarz-gelb gefärbter Oesterreicher von altem Schrot und Korne, was Sie in Ihrer sonderbaren, aufgeklärten Sprache einen Rückschrittler nennen. Meine Anhänglichkeit dem kaiserlichen Hause gegenüber ist bedingungslos, weil dasselbe den Mittelpunkt für die verschiedenen Parteien des Reiches bildet. Ich halte auch zum Grafen Taaffe, als dem Vertreter der konservativen Parteien, beklage aber dessen bundesstaatliche Politik, welche zum Auseinanderfallen Oesterreichs führt. Ja, meine Kühnheit treibt mich sogar zu der verwegenen Behauptung, dass Metternich kein erzdummer Tropf gewesen ist. Unsere guten Freunde, die Italiener, werfen ihm vor, dass er ihr Vaterland als einen geographischen Begriff bezeichnet hat. Doch das unsere, welches er so mächtig — und im ganzen auch so glücklich — gemacht hat, wird das nicht einmal mehr bleiben, wenn man es unaufhörlich in immer kleinere Fetzen zerstückelt. Es muss schliesslich dahin kommen, aus einem Staate zu einer Sammlung von Spiegel- und Nebelbildern zu werden, und mit den folgenden Versen Dantes lässt sich das bei uns anhebende tolle Durcheinander sehr gut kennzeichnen: »Quivi sospiri, pianti ed alti guai Risonavan per l'aer senza stelle: Diverse lingue, orribile favelle, Parole di solore, accenti d'ira, Voci alte e fioche; e suon di man con eile?« Wissen Sie, wie weit die Zerstückelungswuth geht? In Böhmen möchten die Deutschen gerne für künftige Zeiten vor der gefürchteten Tyrannei der Czechen sich sicher stellen und verlangen daher die Abgrenzung und Selbstregierung der Theile mit deutscher Bevölkerung. Diese Rassenkämpfe sind eine Rückkehr zu barbarischen Zuständen; können wir, Sie, der Belgier, und ich, der Oesterreicher, uns nicht zu gemeinsamen Unternehmungen verbinden?« »Bis zu einem gewissen Grade ist allerdings das Uebereinstimmen von Meinungen und Ansichten, nicht aber die Gemeinsamkeit der Sprache von ausschlaggebender Wichtigkeit, und ich betrachte die Vernunft und die Tugend als das Wesentliche«, entgegnete ich. »Aber der Geist bedient sich doch nun einmal der Sprache als seines Werkzeuges, und ohne dieselbe, ohne die Literatur ist jeder Fortschritt überhaupt undenkbar. Einer von unseren flamländischen Vereinen hat den markigen Wahlspruch: »In der Sprache offenbart das ganze Volk sich«. Was für Blüthen diese Rassenkämpfe zu treiben vermögen, ist aus dem Folgenden ersichtlich: Die Czechen Wiens, deren Anzahl auf etwa 30000 sich beläuft, bitten um eine Beihilfe zur Gründung einer Schule mit czechi-scher Unterrichtssprache, welcher Antrag vom Rektor der Universität Wien unterstützt wird. Dafür schicken ihm nun die Studenten der czechischen Universität Prag eine Dankadresse in — französischer Sprache. Das Czechische hätte der Rektor nicht verstanden, während das Deutsche als Sprache der verhassten Unterdrücker unmöglich war, und so bediente man sich einer fremden und damit neutralen Sprache. Das Verhalten des Rektors ist nun zwar ein sehr richtiges, erregt aber unter seinen Kollegen einen solchen Sturm, dass er sich ge-nöthigt sieht, das Rektorat niederzulegen. Professor von Neumann, dem ich jetzt meinen Besuch mache, gehört zu den Säulen, auf die unser internationales Rechtsinstitut sich stützt. Derselbe verfügt neben seinen juristischen Kenntnissen über die werthvolle Fähigkeit, in allen indo-europäischen Sprachen mit der gleichen geistvollen Lebendigkeit sich ausdrücken zu können, und jede von ihnen ist ihm geläufig wie seine Muttersprache; seine Belesenheit macht es ihm auch möglich, prickelnde Aussprüche aus allen Literaturen in seine Rede hinein-zuflechten. Er führt mich nach der Universität, die aus ihren alten Räumen in der Nähe des Domes bald nach der Ringstrasse in neue und glanzvolle übersiedeln wird. Hier treffe ich den Professor Lorenz von Stein, dessen »Sozialismus in Frankreich« das beste Buch ist, welches man bis jetzt über den Sozialismus veröffentlicht hat, und den ausserdem noch andere hervorragende und in ganz Deutschland hochgeschätzte Werke zum Verfasser haben. Mir wird auch die Freude, meinen jungen Kollegen Schleinitz begrüssen zu können, der eben eine bedeutende^ Schrift über die Entwicklung des Eigenthumsrechtes herausgegeben hat. Dann mache ich mich auf den Weg zum Herrn von Serres, dem Direktor der österreichischen Eisenbahnen. Von diesem sollen mir Angaben werden über eine für die Zukunft des Morgenlandes hochwichtige Frage, die ich an Ort und Stelle studiren will, nämlich über den Anschluss der ungarischen und serbischen Bahnen an die türkischen. Der mit glänzender Pracht eingerichtete Palast der österreichischen Eisenbahngesellschaft liegt am Schwarzen- berg-Platze, im schönsten Theile der Ringstrasse. Gegen seine grossartige Treppe aus weissem Marmor, seine weiten und behaglichen Arbeitsräume, seine Empfangssäle, wo der Blick überall auf Gold und Sammet fällt, sticht die Einfachheit der Ministerien gewaltig und bedeutungsvoll ab. Man steht vor dem Merkzeichen eines tiefgehenden wirthschaftlichen Umschwunges und merkt, wie die Industrie der Politik den Vorrang abgewinnt-»Hier sehen Sie«, sagt Herr von Serres, der eine sehr genau gezeichnete Karte auf den Tisch gebreitet hat, ✓✓die von Pest nach Belgrad führende Eisenbahn, welche auf zwei grossen, von der Gesellschaft Fives-Lille erbauten Brücken die Donau bei Peterwardein und die Sau bei Semlin überschreitet. An diese Bahn schliesst die Linie Belgrad-Nisch sich an; von letzterem Orte wird ein Strang nach Sofia und weiterhin nach Sarambey geführt und ein anderer längst der Morawa über Lesko-watz und Wranja bis heran an die im vollständigen Betriebe befindliche Linie Mitrowitza-Saloniki. Dieser An-schluss schafft den kürzesten Weg nach Athen, ja selbst nach Aegypten und dem fernsten Osten. Dadurch könnte nicht nur Marseille, sondern auch Brindisi geschlagen werden, und der Traum des österreichischen Konsuls von Hahn wäre alsdann verwirklicht. Die Linie von Nisch nach Sofia und Konstantinopel bietet auf ihrem ersten Theile grosse Schwierigkeiten.. Vor Pirot gilt's zunächst, über einen entsetzlichen, namenlos unwirthlichen Engpass, der an der Nischawa entlang geht, Herr zu werden, und dann ist's eine harte Arbeit, über den Balkanzweig zwischen Pirot und Sofia zu kommen. Die Ebene um die bulgarische Hauptstadt herum ermöglicht ein rasches Vorrücken; von da aber nach Sarambey, dem Endpunkte der türkischen Bahnen, legten die Türken vor zehn Jahren eine Linie an, welche halb fertig wurde, und die in 15 bis 16 Monaten sich ausbauen lässt. Treten keine Verzögerungen ein, so würde das ganze Bahnnetz im Jahre 1887 vollendet sein können«. — »Der Ausbau dieser Linien«, sagte ich, dem Herrn von Serres für seine so schätzenswerthen Angaben dankend, »ist für das Morgenland von unberechenbarer Wichtigkeit. Es wird damit das Losungswort zu einer wirthschaftlichen Umgestaltung gegeben, welche einen ganz anderen Werth besitzt als alle politischen Berechnungen und Schlüsse, und die auch zugleich die natürliche Lösung der Rassenfrage beschleunigen hilft. Ziehen auch zunächst Ihre Bahn und Oesterreich-Ungarn aus den veränderten Verhältnissen Nutzen, so wird doch bald das ganze Europa seinen Antheil daran haben«. Auf meinem Wege zum Herrn von Kailay empfinde ich eine gewisse Genugthuung, denselben sehen zu können, denn überall zählt man ihn den ausgezeichnetsten österreichischen Staatsmännern bei. Das reinste magyarische Blut fliesst in seinen Adern, und sein Ahne kam mit dem Stifter des Königshauses der Arpaden am Ende des 9. Jahrhunderts nach Ungarn. Seine Familie aber hat es verstanden, ihre Güter zusammenzuhalten, worin gewissermassen eine Gewähr für seine Befähigung zum Finanzminister liegt. Schon als Jüngling zeigte er einen grossen Wissensdurst; er arbeitete wie ein Privat -docent, lernte die slawischen und morgenländischen Sprachen und übersetzte, wodurch er Mitglied der ungarischen Akademie wurde, Stuart Mills »Freiheit« ins Magyarische. Nachdem 1866 seine Wahl zum Abgeordneten gescheitert war, ging er als Generalkonsul nach Belgrad, woselbst er während seines achtjährigen Aufenthaltes die nöthigen Studien zu einer »Geschichte Serbiens« machte. Im ungarischen Landtage, den er 1874 betrat, hielt er sich zu den Konservativen, die später zur gemässigten Linken wurden. Er gründete auch eine Zeitung »Das Volk des Morgenlandes« und schilderte darin den Ungarn ihre Rolle im östlichen Europa. Beim russisch-türkischen Kriege und der Besetzung Bosniens gaben dieselben bekanntlich in der lärmendsten Weise ihre Türkenfreundlichkeit kund: sie erklärten sich mit dem äussersten Ungestüm gegen jene Besetzung, in der sie ein Anwachsen des slawischen Elementes sehen, und die ihnen deshalb ein Dorn im Auge ist. Die Politik Adrassys erregte einen solchen Sturm des Unwillens, dass nicht einmal die Regierungspartei es wagte, dieselbe zu unterstützen. Da aber ersteht ihr im Schoosse der Kammer in der Person Kailays ein Ver-theidiger, der, getragen und begeistert von seiner tiefinnersten Ueberzeugung, klar und scharf das Unsinnige einer solchen Parteinahme für die Türken darlegt und den Ungarn ein Spiegelbild der zivilisatorischen Aufgaben, welche sie im Morgenlande zu erfüllen haben, vorhält. Er zeigt, wie die Besetzung Bosniens vom geographischen und selbst vom ungarischen Standpunkte aus geradezu geboten sei. Durch dieselbe bringe man ja gleichsam einen Keil zwischen Serbien und Montenegro und hindere auf diese Weise die Bildung eines grossen slawischen Staatswesens, dem auch die Kroaten, welche ebenfalls Slawen sind, sich beigesellen würden. Dieses Verhalten eines Mannes, der die Balkanhalbinsel und alle mit derselben zusammenhängenden Fragen gründlich kannte, regte seine Parteigenossen nicht wenig auf. Von ihrer Türkenfreundlichkeit Hessen dieselben sich wohl so schnell nicht heilen; doch die Wogen der öffentlichen Meinung wurden besänftigt und in ruhigere Bahnen gelenkt. Vom Grafen Andrassy war Kailay zum Vertreter Oesterreichs im bulgarischen Ausschusse ernannt worden. Bei seiner Rückkehr nach Wien erfolgte dann seine Be- Laveleye, Balkanliinder. 4 rufung ins Ministerium des Auswärtigen, und jetzt gab er, in ungarischer Sprache, seine »Geschichte Serbiens'' heraus. Bald wurde dieselbe ins Deutsche und Serbische übersetzt, und sogar in Belgrad erklärte man sie für ein Meisterwerk. Gleichzeitig beleuchtete Kailay durch eine in deutscher und ungarischer Sprache veröffentlichte Flugschrift die Art und Weise, in welcher Russland seit drei Jahrhunderten im Morgenlande vorgegangen ist. Unter dem Kanzler Haymerle wurde er Staatssekretär, und sein Ansehen stieg gewaltig. Da nahm Herr von Szlavy, welcher als Finanzminister zugleich an der Spitze der Verwaltung Bosniens stand und wohl ein fähiger Kopf, aber ein schlechter Kenner von Land und Leuten war, seine Entlassung. Die Besetzung hatte nur traurige Ergebnisse gehabt, die sich in grossen, die Einnahmen übersteigenden Ausgaben, in schlecht eingehenden Steuern und auch darin verkörperten, dass das Geld wie zur Türkenzeit in den Fingern der Beamten kleben blieb. Im eis- wie im transleithanischen Parlamente griff deshalb eine grosse Unzufriedenheit um sich. Mit vollster Berechtigung betrachtet der Kaiser Bosnien als Entschädigung für das unter seiner Regierung verlorene italienische Land und möchte es um keinen Preis fahren lassen; dieser Ersatz ist um so höher zu veranschlagen, weil Bosnien sich mit Kroatien vereinigen und so dem übrigen Theile des Staates einverleiben lässt, was bei den italienischen Provinzen nie gelungen wäre. Herr von Kailay wurde nun dem Kaiser als der Mann empfohlen, der das verfahrene bosnische Geleise am besten wieder in Ordnung bringen könne. Gleich nach seiner Ernennung durchreiste er seinen neuen Wirkungskreis, dessen sämmtliche Sprachen ihm geläufig sind, und näherte sich hier allen, den griechischen und römischen Katholiken, wie den Mohammedanern. Er beruhigte die türkischen _ 5I _ Eigentümer, ermahnte die Bauern zu geduldigem Ausharren, stellte Missbräuche ab, verjagte Diebe und verringerte die Ausgaben und damit natürlich auch die Schuldenlast. Kurz, er verrichtete mehr wie eine Augias-arbeit, indem er sich an die Säuberung eines in den Händen der Türken gewesenen Landes machte. Das Räderwerk der im Gange zu erhaltenden Maschine kannte er gründlich, und unendlich takt- und maassvoll, aber auch mit unbeugsamer Festigkeit ist er vorgegangen. Als von montenegrinischer Seite ein Wetter heraufzuziehen drohte und man einen neuen Aufstand befürchtete, unternahm er eine Reise durch Bosnien, und zwar, um der Sache eine möglichst harmlose Färbung zu geben, in Begleitung seiner ebenso geistvollen, wie schönen und muthigen Frau, einer Nachkommin des siebenbürgischen Helden Bethlen Gabor. Dieser Reise haftet etwas Idyllisches an. Während aber der Minister mit Ehrenbezeigungen überhäuft wurde, erdrückte er die ans Pulverfass gerückte Lunte, und seit jener Zeit sollen die bosnischen Zustände in stets fortschreitender Besserung sich befinden. Davon werde ich mich nun bald an Ort und Stelle überzeugen können; immerhin ist ja das Defizit verschwunden und der Kaiser zufriedengestellt. Ueberau aber sagt man vom Herrn von Kailay, dass er allein es sei, welcher Bosnien dem Reiche erhalten könne, und dass die Zukunft ihm eine tonangebende Rolle am Staatsruder vorbehalten habe. Er ersehnt Grosses für Ungarn, ist aber keineswegs ein Phantast, sondern ein kluger, besonnener Mann, der die Gefahren des Weges genau kennt und sich nicht vergebens im Morgenlande umgesehen hat. Zu seinen Arbeitsräumen, die hinter dem »Hotel Münsch« — in einer kleinen Strasse und im zweiten Stocke — liegen, gelangt man auf einer engen, dunklen Holztreppe. Beim 4* Hinaufsteigen muss ich an den prachtvollen Palast der Eisenbahngesellschaft denken; aber hier behagt's mir doch besser. Herr von Kailay steht zu meiner Verwunderung erst in der Mitte der Vierziger. Früher wurde das Reich von Greisen regiert, während heute noch kraftvollfrische Männer sein Ruder in Händen halten und ihm damit dieses Lebendige und Entschiedene geben, das an die frischen Triebe auf hundertjährigen Stämmen erinnert; überall in Oesterreich wehte so etwas wie Lenzeshauch mich an. Die Ungarn, welche die Zügel führen, haben es verstanden, natürliche Kraftfülle mit dem Wesen des feinen Gesellschafters zu verbinden. Herr von Kailay spricht zunächst von den Zadrugas, mit denen er sich selbst vielfach beschäftigt hat, und die ich nun von neuem aufsuchen will. »Gerade damals als Ihr Buch über „die ursprüngliche Eigenthumsform" erschien, unterlagen die Zadrugas zahlreichen Umwandlungen, und die auf gemeinsamen und untheilbaren Besitzungen lebenden Familiengemeinschaften sind in schnellem Verschwinden begriffen. Ich bedaure das ebenso wie Sie; aber was lässt sich dagegen thun?« Er räth mir, nach Bosnien zu gehen, und fährt dann fort: »Man wirft uns vor, die Frage über den Bodenbesitz noch nicht geregelt zu haben. Allein die Vorgänge in Irland zeigen, wie schwer solche Aufgaben überhaupt zu lösen sind, und in Bosnien kommt nun noch die Verschiedenheit zwischen den Anschauungen der Türken und denen des Abendlandes hinzu. Erst an Ort und Stelle hat man einen Begriff von den bei jedem Schritte sich aufthürmenden Schwierigkeiten. So ist nach türkischer Ansicht der Staat der Eigenthümer aller Wälder, und um dieselben erhalten zu können, lege ich einen grossen Werth auf die der Regierung zustehenden Befugnisse. Aber auf der andern Seite machen nach slawischem Herkommen die Dorfbewohner Anrechte an die Domänenwälder geltend. Würden die Leute nur das Holz nehmen, welches sie brauchen, so möchte das weiter nicht schaden; doch ohne die geringste Ueberlegung, geradezu sinnlos, schlagen sie die Bäume nieder. Am schlimmsten hausen aber diese verwünschten Ziegen, die dem Lande vollständig zur Geissei werden, indem sie alle jungen Triebe abnagen und so einen kräftigen Nachwuchs nicht aufschiessen lassen; wo sie hinkommen, ist nichts als Gestrüpp zu finden. In einem Waldschutzgesetze liegt für solch bergige Gegenden eine Lebensbedingung, und wir müssen es erlassen; wie aber sieht's mit der Durchführung desselben aus? Man wird ein ganzes Heer von Forstbeamten brauchen und unaufhörlich an allen Ecken und Kanten zu kämpfen haben. Was dem schönen, von der Natur so sehr begünstigten Lande fehlt, ist ein Landadel, welcher, gleich dem Ungarns, zu Fortschritten in der Bewirthschaftung anregen könnte. Nur ein Beispiel möchte ich anführen. In meiner Jugend waren auf unseren Begüterungen schwerfällige, hölzerne Pflüge, die noch vom Triptolemus herzustammen schienen, im Gebrauche; da beseitigt aber das Jahr 1848 den Frohn-dienst und vertheuert damit die Arbeitskräfte. Nun Hessen wir eiserne Pflüge, die besten amerikanischen, kommen, und heute werden dieselben überall, selbst bei den Bauern, gebraucht. Oesterreich ist in Bosnien zu einer grossen Aufgabe berufen und muss die Besetzung dadurch rechtfertigen, dass es das Land zu einer höheren Stufe emporhebt ; vielleicht mehr noch als es selbst geniessen Europas andere Staaten die Früchte solchen Beginnens«. »Ich habe stets«, war meine Antwort, »meinen Freunden, der englischen Fortschrittspartei, gegenüber die Nothwendigkeit vertheidigt, Bosnien und die Herzegowina mit Dalmatien zu vereinigen, und ich wies zu einer Zeit darauf hin, als noch kaum davon gesprochen wurde.1) Von wesentlicher Bedeutung ist's aber, dass Strassen und Eisenbahnen die Hafenplätze und das Innere des Landes mit einander verbinden, und in erster Reihe müsste man an die Linie Serajewo-Mostar-Port Opus gedacht werden«. — »Gewiss«, versetzte Herr von Kailay; »doch es lässt sich nicht alles in einem Tage abthun. Mit der Linie Brod-Serajewo hat Oesterreich dem Lande schon eine sehr bedeutungsvolle Gabe zugewiesen, und Sie werden sich schwerlich darüber beklagen, von Wien auf dem Schienenwege bis ins Herz Bosniens gelangen zu können«. Ich erinnerte nun an eine Rede des Ministers in der Akademie zu Pest, deren Mitglied er ist. Damals hatte er von dem, was ihn so ganz erfüllt, gesprochen, nämlich von Ungarns grosser Aufgabe, gleichsam eine vermittelnde Rolle zwischen zwei Welttheilen zu übernehmen. Er zeigte, wie das Land durch seine Bewohner, die Magyaren, dem Morgen-, und durch seine Einrichtungen und seinen l) »Die Vereinigung Dalmatiens mit Bosnien ist durchaus ein Gebot der Nothwendigkeit. Dalmatien ohne Bosnien gleicht, wie einst ein montenegrinischer Führer zur Frau Muir Mackensie sagte, einem Gesichte ohne Kopf und dieses ohne jenes Küstenland einem Kopfe ohne Gesicht. Die dalmatischen Häfen mit den schönen Namen haben ihren alten Glanz vollständig eingebüsst und sind weiter nichts als unbedeutende Marktflecken, weil ihnen die Verbindung mit dem Hinterlande fehlt. So hat Ragusa, das einst eine unabhängige Republik war, 6000, Zara 9000 und Scbeniko 6000 Einwohner, während das an der schönsten Bai Europas gelegene Kattaro, welches von der Natur mit einer Menge von Häfen und Docks ausgestattet wurde, die gross genug sind, um die ganze Marine eines mächtigen Staates aufnehmen zu können, zu einem Neste mit 2078 Seelen geworden ist. In vielen von diesen verarmten Städten wohnen Bettler in den einstigen Palästen der Handclsfürsten, und Venedigs geflügelter Löwe breitet seine Schwingen noch über Gebäude, die in Trümmer fallen. Dieses Küstenland, welches das Unglück hat, von einer türkischen Provinz begrenzt zu werden, kann die einstige Wohlhabenheit erst wiedererlangen, sobald aus seinen schönen Häfen Wege nach jenem fruchtbaren Hinterlande führen, dessen Aufschwung durch die nichtswürdigste Verwaltung niedergehalten Wirde. (Preussen und Oesterreich seit Sadowa, II. Band, 6. Kapitel. 1869.) ganzen Gedankenkreis auch wiederum dem Abendlande angehört. Diese Ausführungen erregten in allen deutschen und slawischen Blättern einen wahren Sturm der Entrüstung gegen den magyarischen Hochmuth. »Diese Ungarn«, hiess es, »scheinen ihr Land für den beleihenden Mittelpunkt des Weltalls zu halten oder vielleicht auch für die Welt überhaupt. Mögen sie in ihre Steppen zurückkehren, diese Asiaten, Tataren und Vettern der Türken". Graf Zay schildert in einem Buche diese feurige Vaterlandsliebe des Magyaren, welche seine Ehre und die Wurzeln seiner Kraft umschliesst, die aber zugleich einen herrschsüchtigen Geist in ihm entwickelt und ihn dadurch bei anderen Völkern verhasst macht. An einer Stelle heisst es: »Der Magyare liebt sein Vaterland mehr als die Menschheit, die Freiheit und das eigene Ich, mehr als Gott und sein ewiges Heil«. Vor solchen Ausschreitungen einer übertriebenen Vaterlandsliebe bleibt Herr von Kailay durch seinen geistigen Standpunkt bewahrt. „Man hat mich nicht begriffen und nicht begreifen wollen«, antwortete er mir. »Es ist mir durchaus nicht eingefallen, in einem Kreise von Gelehrten Politik treiben zu wollen, und ich habe nur einfach eine Thatsache dargelegt. Da stehend, wo verschieden geartete Rassen zusammenströmen, gehören wir mit unserer Sprache und den geheimnissvollen Banden des Blutes dem Morgenlande an, in dessen ganzes Sein und Wesen wir uns besser hineinzufinden vermögen. Weil aber unsere Sprache keine indogermanische ist, — man mag sie nach Belieben eine asiatische nennen — sind wir eben genöthigt, uns die Kenntniss aller Sprachen Westeuropas anzueignen«. Ich verweile nur zwei Tage in Wien und suche nach erledigten Besuchspflichten die Ringstrasse auf. Im Jahre 1846 stand ich noch auf den, die kleine Altstadt um-schhessenden und einengenden Wällen und sah auf einen zwischen diesen und den Vorstädten liegenden ausgedehnten, staubigen Platz herab, woselbst an jedem Abende die ungarischen Regimenter mit den blauen, eng anliegenden Beinkleidern exerziren mussten. Nun sind jene Wälle, die Zeugen der berühmten Belagerung vom Jahre 1683, gefallen, und zwischen der Altstadt und den Vorstädten zieht eine Prachtstrasse sich hin, welche doppelt so breit ist wie die Boulevards der Seinestadt, An das, was einst hier war, erinnern nur noch der Volksgarten, in dem Strauss seine Walzer spielte, und der griechische Tempel mit der Canova-Gruppe. Zur Ausführung öffentlicher Bauten behielt man sich den nöthigen Raum vor. Der übrige Theil des Bodens aber wurde zu ungeheueren Preisen verkauft, wrodurch Stadt und Staat sich in den Stand gesetzt sahen, eine Reihe schöner Bauten emporwachsen zu lassen, so zwei prächtige Theater, ein Rathhaus in göthischem Stile, das 50 Millionen gekostet haben soll, eine Universität, zwei Museen, einen kaiserlichen Palast und ein Reichstagsgebäude. Ich kenne keine Hauptstadt, die der Ringstrasse Wiens etwas Ebenbürtiges an die Seite zu setzen hätte; doch diese Schöpfung muss mehr wie eine Milliarde verschlungen haben, und wo nahm das angeblich dem Bankerotte entgegengehende Oesterreich solche Summen her? Staat und Stadt konnten ihre Ausgaben durch den Verkauf der Bodenstellen fast vollständig decken und sind bei der Sache also sehr gut fortgekommen. Aber die Käufer mussten theuer bezahlen, und die Hunderte von Millionen, welche in den öffentlichen und Privatgebäuden stecken, sind doch immerhin aus den Ersparnissen des Landes geflossen. Es ist damit also der offenbare Beweis erbracht, dass Oesterreich trotz der unglücklichen Kriege, der Verluste in Italien, des Krachs vom Jahre 1873, der inneren Wirren und des stehend gewor- denen Defizits einen beträchtlichen Reichthum angehäuft hat. Der Staat ist ein Bettler, während das Land Capi-talien ansammelt und diese sich in den Herrlichkeiten der Ringstrasse verkörpern. Aber nicht bloss am Rheine, sondern auch an allen anderen Orten bildet dabei die Maschine die schaffende Kraft. Ein solches Hilfsmittel macht es dem Menschen leichter, sich das zum Leben Nothwendige zu beschaffen, und er kann daher einen grösseren Theil des Einkommens für seine Wohnung, seine Vergnügungen, seine Bildung u. s. w. verwenden. Es ist nicht der Zweck meiner Reise, Oesterreichs gegenwärtige wirthschaftliche Lage zu studiren; aber dieselbe macht doch einen sehr günstigen Eindruck auf mich. Der Glanz der Hauptstadt blendet mich keineswegs. Ich bedaure denselben vielmehr, weil er hervorgerufen wurde durch ein Zusammendrängen aller Lebensadern des modernen Gesellschaftskörpers nach einem einzigen Mittelpunkte hin; allein ich bemerke grosse Fortschritte auf dem Gebiete der Landwirthschaft und des Gewerbes. Auch die äussere Lage erscheint als vorzüglich, und Oesterreich ist der Angelpunkt, um den die Berechnungen der europäischen Politik sich drehen. Fürst Bismarck spielt allerdings die leitende Rolle, doch das österreichische Bündniss bildet eben seinen Haupttrumpf. Muss auch das Donaureich auf Deutschland sich stützen, so braucht dieses es noch weit nöthiger, denn der Hohenzollern-staat, welcher neueren Ursprunges ist, hat im Westen einen sicheren und im Osten einen wahrscheinlichen Feind. Oesterreich bildet die schützende Rückendeckung, und so lange dieselbe vorhält, wird kein Angriff erfolgen. Im Innern steuert Oesterreich auf den Bundesstaat zu, den ich aber keineswegs — wie die Deutsch-Oesterreicher es thun — als ein gefährliches Uebel, sondern vielmehr als eine Wohlthat fürs Land und auch für Europa betrachte. In Ungarn, Böhmen, Kroatien, Galizien sind die Rassen zu einer so strotzenden Kraftfülle .gediehen, dass man sie weder vernichten, noch mit einander verschmelzen kann. Sie lassen sich nicht unterdrücken, wofern man nicht mit jeder Freiheit und Selbstverwaltung brechen wollte, um sie dann unter ein Eisenjoch zu zwängen. Als sie zur Zeit der Maria Theresia und Metternichs, dem Dornröschen gleichend, von einem bleiernen Schlafe umfangen waren, konnte eine väterlich milde Regierung wohl unmerklich auf ein strafferes Zusammenziehen hinarbeiten. Doch nun ist's damit vorbei; heute möchte jeder derartige Versuch einem wild verzweifelten Widerstande begegnen, dessen Bändigung nur mit Hilfe der schroffsten Gewaltmittel gelingen könnte, und solche Maassnahmen würden dann eine das Bestehen des Reiches gefährdende Gährung hervorrufen. Die Freiheit drängt also unabweislich zum Bundesstaate hin, und eine solche Strömung lässt durch keinen Damm sich aufhalten. In allen Zeiten war diese Verfassung bei freien Völkern, in Griechenland und in Deutschland zum Beispiel, zu finden, und heute haben die freiesten und am meisten demokratischen Länder, die Vereinigten Staaten und die Schweiz, dieselbe. Eine solche Regierungsform hält einen grossen, einer ungeheueren Ausdehnung fähigen Staat zusammen, ohne die Eigenart und selbstständige Entwickelung der einzelnen Provinzen zu opfern. Es wird, wie der österreichische Wahlspruch lautet, »mit vereinten Kräften« gearbeitet, und besonders in Spanien, aber auch in Italien und selbst in Frankreich, verlangen bereits die erleuchtetsten Geister, dass die Befugnisse der Zentral-Regierung zum grossen Theile an die Provinzen fallen sollen. Welch ein grosses Beispiel haben doch die Niederlande der Welt gegeben! Wie entwickelt war dort der Handel und wie glücklich der Bürger! Die bedeutende Rolle, welche dieses Land in der Geschichte spielt, steht in gar keinem Verhältnisse zu seiner Ausdehnung oder zur Zahl seiner Bewohner. Und wie betrübend ist der Unterschied zwischen dem Spanien, das vor Karl V. und Philipp II. ein Bundesstaat war, und dem zentralisirten Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts! Das zum Bundesstaate gewordene Oesterreich wird nichts von seiner Macht verlieren, so lange das gemeinsame Heer unter dem Befehle des Staatsoberhauptes steht. Allein die Regierung wird weniger schnell zu einer Angriffspolitik sich hinreissen lassen, weil sie mit verschieden gearteten Völkerschaften zu rechnen hat und diese die äusseren Fragen von oft ganz entgegengesetzten Standpunkten aus beurtheilen. Je mehr also in Oesterreich der Föderalismus an Boden gewinnt, um so besser ist's mit der Erhaltung des Friedens bestellt. Oesterreichs Münzsystem hat sich nicht wesentlich gebessert. Das im Umlauf befindliche Papiergeld ist um etwa 20 °/0 entwerthet, und selbst bei den Scheidemünzen giebt's lächerlich kleine Bruchtheile. Gerne hätte ich mit Herrn Sueiss, dem gelehrten Professor der Geologie an der Universität Wien, — dem Verfasser des bedeutenden Werkes »Die Zukunft des Goldes« — über jene wichtige Frage gesprochen; doch ich treffe ihn zu meinem Bedauern nicht an. Aber ich komme mit einem österreichischen Finanzbeamten zusammen und setze diesem auseinander, dass es Oesterreichs Sache ist, zu Gunsten seiner Silberwährung einzutreten und mit diesen verzwickten Münzverhältnissen zu brechen, die überall das Sinken des Preises veranlassen und so dazu beitragen, die wirthschaftliche Krisis gefährlicher zu machen. Was müsste geschehen, um dem Silber seinen einstigen Werth wiederzugeben, so dass 5,07 M. auf die englische Unze oder 200 Franken auf i kg — bei 9/to Feingehalt — kämen? Es würde genügen, dass die Münzen Deutschlands, Frankreichs und der Vereinigten Staaten den beiden kostbaren Metallen die freie Prägung mit dem gesetz-mässigen Verhältniss von i — 15zugestehen. Amerika, Frankreich, Spanien, Italien, Holland sind bereit, auf solcher Grundlage einen Münzvertrag zu unterzeichnen, falls Deutschland demselben beitreten will, und das Ganze hängt also von den EntSchliessungen des deutschen Kanzlers ab. Vermag Oesterreich durch einige Zollerleichterungen den Fürsten Bismarck für jene Pläne zu gewinnen, und tritt es zugleich selbst der bimetallistischen Vereinigung bei, so würden ihm unberechenbare Vortheile daraus erwachsen. Es könnte dann leicht sein entwerthetes Papiergeld durch Metallgeld ersetzen und dürfte bei den nach dem Goldfusse berechneten Anleihen nicht mehr die beträchtliche und wachsende Prämie zahlen. Dadurch aber, dass das Silber auf seinen alten Preis gebracht wird, erleidet das Gold durchaus keinen Verlust, und Oesterreich würde, ohne einen einzigen Pfennig auszugeben, seinen Münzverhältnissen neue Wege bahnen, was in Italien nur unter grossen Opfern sich durchführen liess. Ehe ich um 7 Uhr 15 Minuten Abends in die Südbahn steige, um nach Essek an der Donau zu fahren, erquicke ich mich noch im »Hotel Mansch« durch ein gutes Mahl nach Wiener Art, das ich allen, die einem einfachen Geschmacke huldigen, empfehle. Man bringt mir Suppe von Laibacher Krebsen, garnirtes Rindfleisch mit Sauce — d. h. gekochtes, mit verschiedenem Gemüse belegtes und mit einer scharfen Sauce aus sauerer Sahne übergossenes Rindfleisch —, welches vorzüglich und weit besser als alles ist, was man anderswo unter diesem Namen erhält, gebackenes Huhn und Kuchen, die mit frischen Bergerdbeeren gefüllt sind; das flüssige Element aber wird durch Wiener Bier und eine halbe Flasche Villanyer Auslese vertreten. Bei meiner Abreise bewundere ich die Einrichtungen des Südbahnhofes, wo alles einfach, aber bequem und geräumig ist und — eine Annehmlichkeit, die überhaupt auf allen Bahnhöfen rechts vom Rheine vorkommt, — ein Restaurant sich findet, zu dessen Betreten es keines Billets bedarf. Dass Oesterreich immer noch eine Militärmacht ist, merke ich an meinen Mitreisenden. Diese sind zur Hälfte Offiziere, welche in ihre Besatzungsstädte zurückkehren und durch die Verschiedenheit der Rasse einer bunt zusammengewürfelten Musterkarte gleichen. Da sitzen ein Deutscher aus Wien, ein Tiroler aus Meran, ein Ungar, ein Pole aus Galizien und ein Czeche bei einander und unterhalten sich in deutscher Sprache, die ihnen allen geläufig ist. Der Czechische Offizier erzählt mir, dass man mit Vorliebe solche Beamte und Offiziere nach Bosnien schickt, die einer slawischen Mundart mächtig sind und sich dort also mit den Leuten verständigen können. Er geht nach Serajewo, und ich hoffte schon, allerlei durch ihn zu erfahren, sehe mich hierin aber getäuscht, da er das, was Töpffer einen »No, No-Reisenden« nennt, d.h. ein schweigsamer und griesgrämiger Geselle ist. In Neustadt verlässt der Zug die Semmermg-Linie, um nach Ungarn einzubiegen. Er fährt auch an dem grossen Platten-See vorüber, an dessen nördlichem Theile ich einst w^eilte; ich war auf dem Schlosse Palota bei einem Nachkommen des berühmten Wallenstein, dem inzwischen verstorbenen Grafen Waldstein, der damals in der Akademie der schönen Künste zu Pest den Vorsitz führte. Als ich in der Nähe von Kanisza aus meinem Schlummer aufwache, entrollt das richtige ungarische Landschaftsbild sich vor meinen Augen, und auf den ungeheueren, hier und dort mit alten Eichen bestandenen Wiesen, die einem schönen, aber nicht gepflegten Parke gleichen, tummeln unter dem Schutze berittener Wächter etwa 300 Pferde sich herum. Felder und Wege werden von Akazien umsäumt; während aber zwischen Linz und Wien die Häuser der Bauern auf den Aeckern zerstreut umherliegen, sind dieselben hier aneinandergerückt und bilden das, was die deutschen Nationalökonomen ein »Dorfsystem« nennen. Sie stehen mit dem Giebel nach der Strasse und mit der Hauptseite, an welcher die Ein-gangsthüre und ein auf Säulen ruhender Vorbau sich befindet, nach dem Hofe; die Dächer sind nicht mit Holz oder Ziegeln, sondern mit Stroh gedeckt. Hinter der Wohnung liegen die Nebenräume und im Hintergrunde des Hofes die Ställe, und ein Holzgitter oder ein Zaun aus dürren Reisern schliesst bisweilen das Gehöft von der ungemein breiten Dorfstrasse ab. Die auf dem Hofe herumspazierenden Hühner, Enten, Gänse, Schweine und Kälber beweisen aber, dass der ungarische Bauer noch ein Huhn im Topfe haben kann und nicht gleich den meisten italienischen und flämischen Bauern zum Vege-tarianer werden muss. Das in sehr lange und 30 bis 40 Meter breite Streifen eingetheilte Land trägt Weizen, Roggen und Kartoffeln; es ist sehr gut gejätet worden, und kein Unkraut drängt sich zwischen die Halme. Die Bauern bewirthschaften ihre eigene Besitzung, und der Landbau wird hier also im Kleinen betrieben. An einer anderen Stelle könnte man meinen, ein Gemälde Rosa Bonheurs sei aus dem Rahmen gestiegen. Ein prächtiges Stück Land wird von sechs Pflügen bearbeitet, und vor jeden einzelnen sind vier rosig schimmernde, stark gehörnte Ochsen gespannt, welche ganz ihren Vettern aus der römischen Campagna gleichen. Die Arbeiter tragen auf dem Kopfe einen schwarzen Filzhut mit aufgestülptem Rande und an den Füssen grosse Stiefel; ihr weisses Hemde aber geht in ein Beinkleid über, welches durch seinen weiten Faltenwurf wie ein Frauenrock sich ausnimmt. Der Aufseher hat ausserdem noch einen weiten braunen Ueberrock an, welcher mit rothen und schwarzen Litzen besetzt und mit Hammelfell gefüttert ist. Hier wird der Anbau im Grossen betrieben; entweder fasst man nun die Sache trefflich an, oder der Boden ist vorzüglich, denn der Weizen sieht prächtig aus; er steht gerade, gedrängt und sehr hoch, und seine Blätter zeigen ein frisches, saftiges Grün. Der Roggen aber ist so schwer, dass er sich geneigt hat. In der Nähe der Häuser bemerke ich die Maisscheune, welche in dem ganzen unteren Donaugebiete vorkommt und einem riesigen, lose geflochtenen Korbe gleicht. Sie ist zwei Meter breit und je nach den Verhältnissen vier bis sechs Meter lang, hat ein Strohdach und befindet sich durch die vier oder sechs Pfähle, von denen sie gestützt wird, ein Meter vom Boden entfernt. Hier sind die Ernten von den Maisfeldern vor Feldmäusen und Schweinen sicher und können auch vollständig austrocknen, da das Strauchgeflecht dem Winde freien Durchzug gewährt. Weil eben der Mais durchaus trocken ist, gehört in diesen Gegenden auch jene aussatzartige Krankheit, die Pellagra, zu den unbekannten Dingen; in Oberitalien schreibt man dieselbe dem Genüsse des feuchten Maismehles zu. Hinter Kanisza geht's an der Drau entlang, die hier bereits als grosser Fluss auftritt. Allerdings hat sie auch schon einen weiten Weg zurückgelegt seit ihrem Entstehen auf den Gletschern des Grossglockners, dem höchsten Gipfel des dolomitreichen Tirols, den ich einst auf einer Reise nach Gastein aufsuchte. Bei Franzenstein — in Tirol — nähert die Brennerbahn sich der Drau, iind diese wird nun bis zu ihrer Einmündung in die Donau von einem ununterbrochenen Schienenwege begleitet. Dass die Drau sich aber noch im Naturzustände befindet, also das vollendete Gegenstück zum Rheine ist. sieht man an ihren Ufern. Sie verrückt ihr Bett, bildet Inseln und benagt auf der einen Seite die lehmige, senkrecht steile Böschung, um auf der anderen allerlei Bänke und Anschwemmungen zu bilden; für die Verbesserung der Schiffahrt ist nichts geschehen, und in den am Ufer wachsenden Weiden hat der Fluss seinen einzigen Schutz. Allerdings wohnen die Leute hier nicht dicht genug, als dass man solche Arbeiten wie am Rheine vornehmen und dieselben dann auch richtig verwerthen könnte. Bei Zakany biegt ein Schienenstrang nach Agram ab, und hier führt eine feste Brücke über den Fluss, während derselbe an allen sonstigen Uebergangspunkten nur Schiffsbrücken hat. Auf dem Bahnhofe zu Bares liegen in ungeheueren Mengen Dauben aufgestapelt, welche aus den Wäldern Kroatiens kommen und zum grossen Theile über Fiume und Triest nach Marseille verschickt werden. An Wäldern fehlt's in diesen Gegenden nicht; doch man wirthschaftet damit fürchterlich und hat z. B. in einem prachtvollen Walde zwischen Agram und Sissek — dicht an den Schienen — grosse Eichen umgehauen und dann dem Verfaulen überlassen, weil dieselben als Dauben nicht zu verarbeiten waren und als Bauholz die Kosten des Weiterschaffens nicht aufgewogen hätten. Der That-sache gegenüber, dass im Westen Europas die Eiche selten und theuer geworden ist, nimmt ein solches Verfahren sich recht befremdend aus. Doch fast alle, die in Ungarn u. s. w. Wälder kauften, Hessen sich durch die Schönheit der Bäume bestechen und erlitten dann Verluste, weil sie zu spät dahinter kamen, was es mit den Kosten fürs Fällen und Weiterbefördern auf sich hatte. Als ich vor Jahren Ungarn bereiste, schritt ich mit dem Grafen Waldstein durch dessen prachtvollen Eichenwald. Beim Anblicke der herrlichen Bäume, von denen bei uns jeder 200—300 Franken werth gewesen wären, rief ich aus: »Darin steckt ja ein fürstliches Vermögen!« und erhielt zur Antwort: »Wollen Sie meinen Wald als Geschenk von mir annehmen?« — »Was soll dieser Scherz?« — »Ich spasse durchaus nicht. Sie würden mir im Gegentheile einen Dienst erweisen, da ich seit fünf Jahren nichts verkaufen konnte und doch die Steuern zahlen muss, welche, wie Sie wissen, nicht niedrig sind«. Aus dem Munde eines Mitreisenden erfahre ich, dass ein Belgier, Karl Lamarche, in Kroatien grosse Wälder ausnutzt. Wenn ich nun meinem Landsmanne auch alles Gute wünsche, so möchte ich doch im Interesse des Landes jene Bäume bis zu dem Augenblicke erhalten wissen, wo die inzwischen dichter gewordene Bevölkerung sie verwerthen kann. Auch in Schweden und Norwegen musste ich leider sehen, in welch unsinniger Weise man unter den Nadelhölzern aufräumte. Es ist ein fieberhafter Drang, der den Menschen dazu treibt, von zwei Seiten — durch das Aufbrauchen des Waldes und das Aufbrauchen der Kohle — das Bestehen seines Planeten zu untergraben, und entsetzliche Bilder von dei in tiefes Dunkel gehüllten und aller Brennstoffe beraubten Erde entwirft Byron in seiner »Finsterniss«. Um sich zu erwärmen, haben die Völker alles, selbst das Gebälk ihrer Wohnungen, verbrannt, und es sind schliesslich nur noch zwei Menschenwesen übrig geblieben. Diese kommen auf ein im Erlöschen befindliches Feuerbecken zu, erkennen sich beim Scheine desselben als Todfeinde und erwürgen sich alsdann gegenseitig, so dass von dem ganzen abscheulichen Gezüchte nun niemand mehr athmet. Es liegt auf der Hand, dass die Menschen zuletzt der Laveleye, Halkanländor. 5 Menschenfresserei ihrer vorgeschichtlichen Ahnen anheimfallen müssen, falls sie nicht aufhören, mit den natürlichen Quellen des Reichthums wuchernd und plündernd zugleich umzugehen. Hinter Bares verlässt der Schienenweg die Drau, um erst wieder in Essek an dieselbe heranzutreten. Vor der Ebene von Fünfkirchen gilt's aber, über einen aus sandigen Hügeln und hier und dort nur aus fliegenden Sanddünen bestehenden Bergrücken zu kommen, in dessen ungemein magerem Boden die Birken spärlich und die angepflanzten Kiefern überhaupt nicht gedeihen. Der ganze Pflanzenwuchs erinnert an den unserer Haiden; doch es fehlt — ein charakteristisches Merkmal! — das Haidekraut, welches ich im Südosten Europas überhaupt nicht angetroffen habe, während ich demselben doch im Westen — von Portugal an bis nach Dänemark hin — auf dem entsprechend beschaffenen Boden überall begegnet bin. Ist man über Szigetvar hinaus, so geht's bergab, und in einiger Entfernung zeigt sich Fünf kirchen, das die Ungarn »Pees« nennen. Hier, wie in Siebenbürgen, haben die meisten Orte drei Namen, einen deutschen, einen slawischen und als amtlichen einen ungarischen, und diese Mannigfaltigkeit birgt viel des Zankes und Streites zwischen den verschiedenen Rassen. Ungarn bauten die Eisenbahn und brachten auf den Bahnhöfen die Inschriften also auch in magyarischer Sprache an, während die SlawTen da, wo sie in der Mehrzahl vorhanden sind, den Gebrauch des Slawischen verlangen. An manchen Orten prangen nun die Namen, Bekanntmachungen u. s. w. in diesen beiden Zungen; steht dann aber das Ungarische auf der oberen Reihe, so sprechen die Slawen von der Anmas-sung der Magyaren und behaupten, einen neuen Beweis für deren herrschsüchtigen, tyrannischen Geist in Händen zu haben. Am besten wäre es, sich aller drei Sprachen in einer Reihe zu bedienen; doch dem steht die Aechtung des Deutschen entgegen, welches von jeder der beiden anderen Rassen als feindliches Element in den Bann ge-than wird. Einem Unbetheiligten erscheint der ganze Inschriftenstreit wohl als eine sehr müssige Sache. Hier im Lande erhitzt er die Gemüther aber in einer Weise, dass es zu Unruhen und Aufständen gekommen ist, wie z. B. in Agram, wo man auf öffentlichen Gebäuden ungarische Wappenschilder angebracht hatte und diese nun wieder entfernt werden mussten. Man darf allerdings nicht vergessen, dass eine brennende Kerze, welche auf den Boden fällt, zwar ohne weiteres erlöscht, dass sie aber, hinein in ein Pulverfass gerathend, eine Explosion hervorruft, und die Feindseligkeit der Rassen hat bekanntlich den Explosionsstoff in sehr bedenklichem Maasse angehäuft. Fünfkirchen ist eine hübsche und anmuthig gelegene Stadt, welche im 15. Jahrhundert ein Mittelpunkt literarischen und künstlerischen Lebens war. Ihre fünf Kirchen, nach denen sie genannt wurde, erheben sich auf lieblichen, von Weinländereien und weissen Häusern bedeckten Hügeln, und hinter diesen zieht eine Reihe schön bewaldeter Berge sich hin. Die Wege werden von Pappeln, Linden und Akazien freundlich beschattet, gute, vorzüglich unterhaltene Wohngebäude liegen zwischen sorgfältig bebauten Ländereien zerstreut umher, und auf den vielen Maisfeldern keimt und sprosst es gerade. Von Villany, wo auf ziemlich nackten, kalkhaltigen Hügeln ein vortrefflicher und berühmter Wein gedeiht, geht eine Zweigbahn nach Mohacs an der Donau, dem ungarischen Waterloo. Hier gewannen nämlich die Türken den entscheidenden Sieg über den heldenmüthigen Widerstand der Magyaren, und zwei Erzbischöfe, fünf 5* - o8 - Bischöfe, fünfhundert Magnaten und dreissigtausend Soldaten fielen an jenem 29. August 1526, welcher jedem guten Ungarn ein Tag der Trauer ist. Unter dem geist-und herztödtenden Regimente der Moslims sank Ungarn nun herab von der hohen Entwickelungsstufe, auf welcher es im 14. und 15. Jahrhundert bereits gestanden hatte, und unterlag dem unglückseligen Schicksale, welches jetzt über all diese Donauländer hereinbrach. Im Mittelalter gingen dieselben mit dem Abendlande fast in gleichem Schritte und hatten ein reiches, nach den verschiedensten Richtungen hin voll entfaltetes Geistesleben. Dann schleuderte der Halbmond sie für die Dauer von drei bis vier Jahrhunderten zurück in barbarische Zustände, aus denen sie sich nach ihrer Befreiung heute emporarbeiten müssen, um zunächst wieder auf den bereits einmal eingenommenen Standpunkt zu kommen. Während der Zeit, welche zwischen jener Schlacht bei Mohacs und der Belagerung Wiens im Jahre 1683 hegt, befanden die Türken sich auf dem Gipfelpunkte ihrer Macht, worauf es dann schnell und bis zum heutigen Tage unaufhaltsam bergab mit ihnen ging. Die Sieger von Mohacs, welche noch vor zwei Jahrhunderten nahe daran waren, Wien einzunehmen und Oesterreich und Polen zu überschwemmen, sind jetzt bis nach Konstantinopel zurückgedrängt. Bei Essek fährt der Zug auf einer grossen eisernen Brücke über die Drau, welche hier, vor ihrem Einflüsse in die Donau, dem unteren Mississippi gleicht. Zwischen ihr und ihrem Hauptflusse liegt eine weite, halb überschwemmte und von Sümpfen und Kanälen durchzogene Niederung, die zur Zeit des Hochwassers wie ein Meer sich ausnimmt; jetzt aber — im Juni — stehen hier Gräser und Kräuter, von deren frischem Grün die rosafarbenen Blüthen der Kuckucksblumen und die Schwertlilien mit ihren grossen gelben Blumenkronen sich ab- heben. Zahlreiche Schweine und Pferde schweifen frei auf diesen Weideplätzen umher, welche bis zum fernen Horizonte reichen und sich in dem bläulichen Nebel verlieren, den die Sonne dem feuchten Erdreiche entlockt. Von Essek, über dessen weissen Häusern und gelben Festungsmauern ein wolkenlos blauer Himmel sich breitet, will Bischof Strossmayer mich mit seinem Wagen nach Djakovo holen lassen. Drittes Kapitel. Bischof Strossmayer. Ich sprach bereits davon, dass ich mit meiner Reise neben anderen Zwecken auch den verfolge, von neuem diese alten, merkwürdigen Eigenthumsformen zu durchforschen, die sich bei den Südslawen als Zadrugas oder Familiengemeinden erhalten haben. Einst war diese interessante und eigenartige Gestaltung des Familienlebens ganz allgemein, und selbst in Frankreich hat sie bis zum 18. Jahrhundert gedauert. Während meiner Reise im Jahre 1867 beschäftigte ich mich sehr eingehend mit derselben, und das Ergebniss jener Studien ist in meinem Buche über die »Ursprünglichen Formen des Eigenthums« niedergelegt. Seitdem aber sind die Zadrugas, wie ich höre, in raschem Verschwinden begriffen; wer dieselben nochmals schauen will, darf nicht zögern, und gerne folge ich der liebenswürdigen Einladung des berühmten Bischofs Strossmayer, ihn in Djakovo zu besuchen und die innerhalb seines Bereiches gelegenen Zadrugas in Augenschein zu nehmen. - 7o — , Auf dem Bahnhofe zu Essek empfängt mich ein junger Priester und überreicht mir einen Brief, in dem Bischof Strossmayer, sein Gebieter, mich willkommen heisst; ihm folgt eine prachtvolle Husarengestalt mit aufwärts gedrehtem Schnurrbarte, in enganliegenden, braunen Beinkleidern, die mit rothen und schwarzen Litzen benäht sind, und in entsprechend besetztem Pelzrocke. »Darf ich um Ihren Gepäckschein bitten?« sagt der junge Geistliche zu mir. »Mein Pandur wird Ihre Sachen in Empfang nehmen«. — »Nur was ich hier in Händen habe — dieses kleine Felleisen und diese Reisetasche — führe ich mit mir, und so allein bin ich sicher, nie von meinen Sachen getrennt zu werden. Sie müssen zugeben, dass ich den Wahlspruch des Philosophen „Alles Meinige trage ich bei mir" buchstäblich befolge«. — Auf ein Zeichen des Geistlichen nähert der Pandur sich mir ehrerbietig, küsst, den Gebräuchen seines Landes folgend, meine Hand und ergreift alsdann meine Sachen. Ich berichte hierüber so genau, weil ich dabei an ein Wort Lesseps* erinnert werde. Als derselbe vor einigen Jahren nach Lüttich kam, um über den Panama-Kanal zu sprechen, war ich beauftragt, ihn am Bahnhofe zu empfangen; zwei Tage vorher hatte er in Gent einen Vortrag gehalten, und inzwischen war er in London gewesen, von wo er nun leichten Fusses zurückkehrte. »Haben Sie die Güte, im Wagen Platz zu nehmen, ich werde mich um Ihr Gepäck bekümmern«, sage ich zu ihm, als er mit einem Felleisen und, trotz des Julis, mit einem grossen Paletot aussteigt. — »Mehr als ich selbst zu tragen vermag, nehme ich nie mit«, antwortet er mir. »Im vorigen Jahre hatte Ihr König, den ich liebe und verehre, mich eingeladen, in Brüssel in seinem Palaste abzusteigen, und zu meinem Empfange einen Adjutanten, dem ein Hof-und ein Gepäckwagen nachfolgten, auf den Bahnhof geschickt. Nach der Begrüssung erklärt nun der Offizier, auf das letztere Gefährt deutend, dass dasselbe für meine Leute und meine Sachen bestimmt sei, worauf ich ihm entgegne: »Ich führe keine Dienerschaft mit mir und habe von Gepäckstücken weiter nichts, als was Sie hier in meinen Händen sehen«. Das schien ihn zu befremden, würde beim Könige aber schon Verständniss gefunden haben«. — Gewiss, Diener und grosse Koffer sind ein gewaltiger Hemmschuh; je weniger Gepäckstücke ein Heer mit sich führt, desto. besser sieht's mit der Kriegsführung aus, und mit dem Reisenden ist's ähnlich bestellt. Wie ein richtiges Stück Alt-Ungarns nimmt der von seinen Panduren begleitete Priester sich aus. Um im Frieden Wächter und im Kriege Mitstreiter zu haben, unterhielten einst Adel und Geistlichkeit ein vollständiges Heer von Dienern; in jenen Kreisen ertönten die begeisterten Rufe: »Tod und Leben für Maria Theresia, unsere Kaiserin!« während im Jahre 1848 ohne das Dazwischentreten Russlands die Nachkommen jener Retter die Nachkommen der Geretteten vom Throne gejagt haben würden. Am Ausgange des Bahnhofes wartet ein leichter und offener, mit vier prachtvollen Grauschimmeln bespannter Wagen; diese Thiefe, welche uns nach dem 36 km entfernten Djakovo in 2lj2 Stunden bringen, kommen aus dem bei Triest gelegenen kaiserlichen Gestüte — Lipitca —, also mitten aus dem seltsamen Karstlande, dessen grosse, überall wie zufällig umhergestreute Kalksteine den Trümmern einer alten Riesenburg gleichen. Dort können die Rosse in der trockenen, zeitweise sehr rauhen Luft ihre Lungen und auf den Felsen und Abhängen ihre Kniekehlen stärken. Den schönen Wuchs verdanken sie ihrem arabisch-englischen Blute, und besonders gerne pflegen Kavallerie Offiziere sich ihrer zu bedienen. Bis zur Abfahrt stehen unsere vier Pracht- hengste lammfromm und unbeweglich da; dann aber öffnen sich ihre Nüstern, und ihr Blut geräth in Wallung. Sie stampfen ungeduldig, springen vorwärts und stürmen im Vollgefühle ihrer Jugendkraft freudig dahin. Im Vereine mit dem Panduren, welcher sie kaum zu bändigen vermag, gleichen sie aufs Haar der vor dem Quirinal stehenden Kastor- und Pollux-Gruppe. Ein gutes Ross stürmt auch bei uns feurig los; aber schon nach 10 bis 12 km lässt es nach, um Athem zu schöpfen, und nöthigen-falls wird es vom Kutscher gezwungen, im Schritte zu gehen. Hier aber scheinen die eingespannten Pferde — selbst die mageren Bauerngäule — gar nicht anders als im Trabe sich bewegen zu können. Wo man sie auf besonders schlechten Wegen zum Schritte nöthigt, fühlen sie sich augenscheinlich gedemüthigt, sie werden dann störrisch und wollen nicht weiter. Theilweise beruht das wohl auf der in den Donauländern allgemein verbreiteten Gewohnheit, die frischen Füllen hinter der Mutter, sobald dieselbe wieder eingespannt ist, herlaufen zu lassen. Die Jungen nehmen unwillkürlich das ganze Gebahren der Alten an, und die Erblichkeit macht ihnen dies leicht genug. Essek hat gerade seinen Markttag gehabt; viele Fuhrwerke, welche nach den Dörfern zurückkehren, bedecken den Weg und werden zum grossen Theile von munteren, oft wie die Ziegen springenden Füllen begleitet. Im ganzen südöstlichen Europa — von der Leitha bis zum Schwarzen Meere, selbst mitten in Russland — haben die Bauern das gleiche zweiräderige Gefährt, welches man schon auf den Relief bildern des Alterthums sieht und das sich als ungemein praktisch erweist; zwei breite Planken bilden den Boden des Wagenkastens, dessen Wände wie eine Leiter aussehen und durch Holzstücke sehr fest mit den Achsen verbunden sind. Be- sondere Gesässe fehlen, und man nimmt auf den Heubündeln oder frischen Kräutern Platz, welche theilweise zur Fütterung des Gespannes verwendet werden. In Ungarn hat man eiserne Achsen, während in gewissen Theilen Russlands und der Balkanländer das ganze Gefährt aus Holz besteht; es ruht auf hohen, zierlich gebauten Rädern und ist so leicht, dass es von einem Kinde gelenkt werden kann. Beim Einholen der Ernte braucht man mitunter grössere und stärkere, aber nicht wesentlich anders gebaute Wagen. Der sehr breite Weg, auf dem wir fahren, ist in der Mitte chaussirt; doch die Bauern und auch unser Kutscher ziehen es vor, sich seitwärts auf dem lehmigen Boden zu halten, der im Sommer fest und hart wie Asphalt wird. Wir kommen durch ein flaches und vorzüglich angebautes Land, welches neben Mais, Hafer u. s. w. den denkbar schönsten Weizen — mit breiten, schilfrohrähnlichen Blättern — aufzuweisen hat und hier und dort durch Brachfelder eingenommen wird. Die Häuser liegen nicht zerstreut umher, sondern zu Dörfern vereint, und dieses sogenannte »Dorfsystem« ist zunächst durch die Nothwendigkeit begründet, sich zu gegenseitigem Schutze nahe zu sein, und dann auch durch den alten Gebrauch, in bestimmten Zeiträumen das Gemeindeland unter die Einzelnen zu vertheilen. In anderen Ländern, wie in England, Holland, Belgien, im nördlichen Theile von Frankreich, wo die Wirthschaftsgebäude mitten auf den Feldern liegen, sind die Verhältnisse des Privatbesitzes und der allgemeinen Sicherheit schon seit sehr langer Zeit einer festen Regelung unterworfen. Das elegante Gespann, welches uns wie im Fluge weiterbringt, erinnert mich an eine kleine Begebenheit, die mir in Pest erzählt wurde, und welche auch so ein Stück Alt-Ungarns in sich schliesst. In seiner schönen, sechsspännigen Kutsche wie ein König thronend, fährt ein Bischof — Graf Batthiany — über die zwischen Ofen und Pest befindliche Schiffsbrücke, und ein freisinniger Abgeordneter ruft ihm zu: »Hochwürden, Sie scheinen es ganz zu vergessen, dass Christus, Ihr Herr, und die Apostel, Ihre Vorgänger, nackten Fusses gegangen sind«. — »Der Bischof würde seinen Weg gewiss nicht anders als zu Fuss zurücklegen«, antwortet der Graf; »doch der ungarische Edelmann muss mindestens mit Sechsen fahren, und leider kann sich der Diener der Kirche von ihm nicht trennen«. — Bischof Strossmayer würde wahrscheinlich eine bessere Erklärung abgegeben und darauf hingewiesen haben, dass er in Vertretung des Staates die bischöfliche Begüterung verwalte und durch das von ihm eingerichtete Gestüt zur Verbesserung der Pferderasse, also auch zur Steigerung des Wohlstandes, beitrage, was doch nach jeder Richtung hin den allerersten wirthschaftlichen Vorschriften entspreche. Wer sich aber mit der Pferdezucht beschäftigt, muss natürlich den Thieren Bewegung verschaffen und für ihre Abrichtung sorgen. Für mich ist es ein wahres Vergnügen, diese prächtigen, stets munteren Rosse dahintraben zu sehen, deren. Lauf in dem Maasse, als der Stall sich nähert, ein immer beschleunigterer wird. In Siroko-Polje verweilen wir einige Augenblicke bei der Mutter des Abtes, welche die Wittwe eines einfachen Bauern ist, und deren Behausung sich von derjenigen der übrigen Dorfbewohner nur durch eine etwas grössere Eigenheit und Sauberkeit unterscheidet. Die Häuser liegen hier nicht wie in ungarischen Dörfern mit dem Giebel, sondern mit der Längsseite nach dem Wege, und an die entgegenstehende, dem Hofe zugekehrte Wand lehnt sich der auf kleinen hölzernen Säulen ruhende Anbau, vor welchem die übliche Geflügelsammlung her- umzuspazieren pflegt. Alle Häuser des Dorfes haben eine Steinlage als Untergrund; ob sie aber aus Lehm oder aus Ziegeln aufgeführt wurden, lässt sich nicht unterscheiden, da sie sämmtlich erst vor kurzem gegipst und geweisst worden sind. Die gute Stube, in die wir treten, dient zugleich Gästen, welche übernachten, als Schlafgemach. Vor den Fenstern hängen Musselingardinen, und an den sorgfältig geweissten Wänden sieht man Heilige und Begebenheiten aus der biblischen Geschichte in farbigen Bildern. Auf den beiden gewaltigen Betten liegen dicke Steppdecken, die mit schwarzen und rothen Kattunstreifen besetzt sind, über den Tisch breitet sich eine mit hellfarbiger Wolle bestickte leinene Decke, und ein grosses Sopha und einige hölzerne Stühle vervollständigen die Ausstattung des Raumes. Die alte Frau ist nicht in die malerische Landestracht gekleidet, sondern gleicht mit ihrer Jacke und ihrem Rocke aus veilchenblauem Baumwollenstoffe den Bäuerinnen im Norden Frankreichs; sie spricht nur kroatisch, und während der Unterhaltung, die hauptsächlich um die Zadrugas sich dreht, bildet der Abt den Vermittler. »In meiner Jugend«, sagte sie, »blieben die meisten Familien vereint; man bebaute gemeinsam das ererbte Besitzthum und half und stützte sich gegenseitig. Wurde der eine Sohn zum Heere einberufen, so arbeiteten die Angehörigen für ihn, und da er wusste, dass ein Platz am gemeinsamen Tische seiner wartete, kehrte er so bald als möglich wieder heim. Heute aber sind die Zadrugas im Aussterben begriffen, und die jungen Leute gehen fort, um dann in den grossen Städten zu bleiben, von wo die Abende am gemeinsamen Herde mit ihren Liedern und Festen sie nicht mehr zurückrufen. Die kleinen, einzelnen Haushaltungen können einer Krankheit, einem schlechten Jahre, besonders bei den jetzigen drük- kenden Steuern, keinen Widerstand leisten und gerathen durch einen bösen Zufall in Schulden und damit ins Elend. Unsere altehrwürdigen Einrichtungen sterben an der Putzsucht der jungen Frauen, welche die von den Hausirern ins Land gebrachten Schmuckgegenstände, Kleiderstoffe und Schuhe haben wollen und dazu natürlich Geld brauchen. Sie ärgern sich darüber, dass der im Dienste des Gemeinwesens arbeitende Mann mehr als ein anderer schafft und denken grollend: »Wir wären reicher, wenn er alles für sich behalten würde«. Deshalb kommt's zu allerlei Auseinandersetzungen, Vorwürfen und Zänkereien, so dass das Familienleben zu einer Hölle wird und das grosse Heimwesen in kleine Haushaltungen zerbröckelt. Während der Winterabende ist man dann der Vereinsamung anheimgefallen; die Langeweile treibt den Mann ins Wirthshaus, und die allein zurückbleibende Trau wrird mitunter gleichfalls liederlich. Und wenn Sie wüssten, mein Herr, welchen Schund die Händler hier zu so theurem Preise verkaufen! Diese hässlichen Schmuckstücke aus farbigem Glase und vergoldetem Kupfer sind mit zwei Kreuzern schon zu theuer bezahlt, während die Schnüre aus Gold- oder Silbermünzen, welche man früher trug, ihren Werth behielten und überdies besser kleideten. In meiner Jugend fertigten die jungen Mädchen allerlei Decken und Stickereien und gelangten durch ihren Fleiss und ihre Sparsamkeit zu einer schönen, aus Zechinen und Maria Theresia-Thalern bestehenden Mitgift. Diese Geldstücke trugen sie als Schmuck auf dem Haupte, am Halse und um den Gürtel, und das alles glänzte und funkelte im Sonnenscheine, so dass die Männer ohne weiteres die Geschickten, Fleissigen und Sparsamen erkannten. Unsere guten, haltbaren, aus derber, starker Leinewand gefertigten Hemden mit den hübschen Stickereien in blauer, rother und schwarzer Wolle müssen sich jetzt durch baumwollene Hemden verdrängen lassen, die zierlich aussehen und wie Seide glänzen, aber schon nach der zweiten Wäsche zerfetzt und durchlöchert sind. Die Jugend verschmäht auch unsere aus starkem Rindleder selbstangefertigte Fussbekleidung, die lange haltende, durch Riemen fest anliegende Opanka. Bleibt man aber mit dem Schuhzeug aus Wien, das nun Eingang gefunden hat, in unserem vom Regen durchweichten Boden stecken, so ist dasselbe dahin. Unsere volksthümlichen Jacken werden aus dicker Wolle oder aus Hammelfell, dessen Haare nach innen gekehrt sind, hergestellt, und zur Verzierung näht man mit Gold- oder Silberfäden kleine hellfarbige Lederstückchen auf; ich kenne nichts Schöneres, und dergleichen konnte von Geschlecht zu Geschlecht sich vererben. Heute aber kleiden die, welche etwas vorstellen und es wie die Oesterreicherinnen treiben wollen, sich in Baumwolle, Seide oder Sammet, haben jedoch bald Löcher in den Ellbogen und im Rücken. Alle diese Waaren von geringer Güte, welche in der Sonne ihre Farbe und im Regen ihren Glanz verlieren, erscheinen zwar billig im Hinblicke auf unsere Kleidung, an der wir Monate und Monate arbeiten müssen; allein ich nenne jene Sachen doch theuer, weil sie sich sofort aufbrauchen und damit das Geld aus unseren Taschen locken. Und will man künftig während der Winterabende bloss ins Feuer starren und die Hände in den Schooss legen? Auch die Lieder, welche wir, mit unserer Arbeit am gemeinsamen Herde sitzend, anstimmten, werden bald vergessen sein; die Kinder lernen in der Schule andere und wollen von den alten nichts mehr wissen. Gelehrte Leute wie Sie, mein Herr, behaupten, dass alles besser gebe. Ich bin zwar nur ein unwissendes Weib, doch ich weiss, was sich nun einmal nicht wegleugnen lässt, dass es jetzt nämlich in unseren Dörfern Arme, Trunkenbolde und liederliche Frauenzimmer giebt, wovon wir einst verschont gewTesen sind. Die Steuern haben sich verdoppelt, während die Ländereien doch nicht mehr wie früher einbringen; mir scheint's immer schlimmer und schlimmer zu werden«. — »Warum tragen Sie aber selbst diese Kleidung, welche Sie mit so vieler Berechtigung tadeln?« warf ich ein. — »Nun, mein Herr, als Mutter eines Priesters muss ich doch darauf verzichten, wie eine einfache Bäuerin einherzugehen«. Nachdem die freundliche alte Frau uns mit einem Glase ihres selbstgezogenen Rothweines bewirthet hatte, wurde die unterbrochene Fahrt wieder aufgenommen. »Ihre Mutter hat recht«, sagte ich zum Abte. »Viel Gutes liegt in diesen den verschiedenen örtlichen Verhältnissen angepassten Trachten und Gebräuchen, und ich bedaure ihr Verschwinden nicht nur vom künstlerischen Standpunkte aus, sondern auch als Volkswirthschaftslehrer. Man nimmt die Art des Abendlandes an, weil dieses als Träger höherer Gesittung und feineren Anstandes dasteht, und solche Beweggründe haben Ihre Mutter der Volkstracht abtrünnig gemacht. Der sogenannte Fortschritt erweist sich als eine gewaltige, unaufhaltsam weiterrollende Lokomotive, welche alle alten Gebräuche über den Haufen wirft und auf dem besten Wege ist, aus der Menschheit eine gleichförmige Masse zu machen, deren einzelne Glieder von Paris bis nach Kalkutta und von London bis nach Honolulu sich ähnlich sehen. Bei der volksthüm-lichen, auf der Ueberlieferung beruhenden Tracht geht nichts verloren, während der unaufhörlich wechselnde Geschmack das Gewerbe zu Grunde richtet, beständig eine Menge von Waaren zurücksetzt und einen Herd für den Luxus und die Verschwendung bildet. J. B. Say, ein berühmter Volkswirthschaftslehrer, sagt sehr richtig: »Die ununterbrochene Flüchtigkeit der Moden macht den Staat nicht bloss um das ärmer, was er aufbraucht, sondern auch um das, was er nicht aufbraucht«. — »Bischof Strossmayer«, entgegnet der Abt, »thut alles Mögliche zur Erhaltung des häuslichen Gewerbefleisses und wird Ihnen über seine bezüglichen Bestrebungen gewiss Auf-schluss geben«. Zwischen Siroko-Polje und Djakovo kommen wir über eine unbedeutende Erhebung, welche die kaum wahrnehmbare Wasserscheide zwischen der Drau im Norden und der Sau im Süden bildet. An einer Stelle bedecken Holzungen den Boden; doch sie enthalten nur Strauchwerk, während die grossen Bäume leider am Boden liegen und im einzelnen als Dauben verkauft werden. Ziegen und Rinder treiben sich hier weidend herum, und an den Kräutern, welche üppig zwischen den Stümpfen emporschiessen, erkennt man die Fruchtbarkeit des Bodens. Nun läuft der Weg zwischen prächtigen italienischen Pappeln hin, die thurmhoch in die Luft hineinragen; wir kommen am bischöflichen Hirschparke vorbei und haben bald unser Ziel erreicht. Djakovo — der Ungar verwandelt die Endung »vo« in »var« — wäre in Belgien ein grosses Dorf, während man es hier einen Marktflecken nennt. Die Zahl der Bewohner beläuft sich auf etwa 4000, und dieselben sind, einige hundert Juden — die Reichen des Ortes — mit einbegriffen, sämmtlich Kroaten. »Die Juden«, sagt der Abt, »bilden beim Klein- und im Grosshandel die Seele des ganzen Geschäftsverkehrs. Alle Artikel gehen durch ihre Hände: die Feldfrüchte, das Holz, die Wolle, die Hausthiere, die Eier u. s. w.; sie sind die Reichen und Zahlungsfähigen, und in ihren Händen liegen natürlich auch die Geldgeschäfte. Ihnen gehören diese stark gebauten Häuser, welche man hier in der Hauptstrasse von Djakovo erblickt. Die Gewürz-, Kleider-, Putz-, Kurz- und Eisenwaarenläden, wie die meisten Fleischgeschäfte und unser einziges Gasthaus befinden sich in ihrem Besitze, und von den 16 Läden des Ortes entfallen auf die Christen nur zwei. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Juden rühriger sind als wir; doch sie sinnen auch nur darauf, Geld zu verdienen«. — »Nun«, antwortete ich, »bei uns bemühen die Christen sich gerade nicht, es zu verlieren, und in Slawonien wird's vermuthlich nicht anders sein«. In grosser Erregung betrete ich den bischöflichen Palast. Ich sehe ihn wieder, den edlen Vorkämpfer des Slawenthums, den greisen Bischof Strossmayer, und mich in die Arme schliessend, ruft er mir zu: »Freund und Bruder, seien Sie willkommen; Sie weilen hier unter Freunden und Brüdern«. — Dann fordert er mich auf, von den Anstrengungen der im Eisenbahnwagen verbrachten Nacht auszuruhen, und führt mich in ein sehr geräumiges, mit grossen Wiener Nussbaummöbeln ausgestattetes Zimmer. Durchs offene Fenster sehe ich in einen Park voll prächtiger Bäume — Eichen, Buchen, Weisstannen —, und eine grosse, von ihren weissen Blüthentrauben ganz überdeckte Akazie erfüllt die Luft mit scharfen Wohlgerüchen. Vor einem umfangreichen Gewächshause sind die verschiedenartigsten ausländischen Pflanzen aufgestellt, denen die Gärtner eben die gewöhnliche abendliche Bewässerung zukommen lassen, und nichts erinnert mich daran, dass ich mitten im Herzen Slawoniens bin. Die beiden Stunden der Ruhe, die mir bis zum Abendessen bleiben, — es sind dies die ersten seit meiner Abreise aus Wien — benutze ich zu einigen Aufzeichnungen über die Person meines berühmten Wirthes. Als ich zum ersten Male nach Kroatien kam, war sein Name mir noch unbekannt; doch überall — an den Schaufenstern der Buchläden von Agram und Karlstadt, in den Wirthshäusern, in den Wohnungen der Bauern und selbst in den kleinen Dörfern der Militärgrenze — begegnete ich seinem Bilde. Man erzählte mir, was er unter den Slawenvölkern für den Unterricht, für die Literatur und die Kunst gethan hatte, und es ergriff mich eine staunende Bewunderung. Als Fremder, der kein Empfehlungsschreiben mitbrachte, wagte ich es nicht, ihn aufzusuchen. Aber es gehörte seitdem zu meinen eifrigsten Wünschen, mit ihm zusammenzukommen, und dies sollte ein gutes Geschick mir zunächst nicht in Kroatien, sondern in Rom gewähren, wohin er im Jahre 1878 gekommen war, um mit dem Papste über die Regelung der geistlichen Angelegenheiten Bosniens zu verhandeln. Minghetti hatte mich mit ihm zusammen zu einem Frühstücke eingeladen, und als ich ihm vorgestellt wurde, sagte er zu mir: »Ich weiss, was Sie in der „Revue des Deux Mondes" über mein Land geschrieben haben. Sie sind ein Freund der Slawen und folglich auch der meinige; besuchen Sie mich in Djakovo, wir wollen uns näher treten«. Der ausserordentliche Mann mit den durchgeistigten Zügen, welche das graue Haar wie mit einem Heiligenscheine umwob, machte einen tiefen Eindruck auf mich. Das graue Auge blickt klar und mit leuchtender Begeisterung und strahlt in einem Glänze, der feurig und milde zugleich ist und den Mann des grossen Geistes und des grossen Herzens wiederspiegelt. Er spricht fliessend, lebendig und bilderreich und ist neben den slawischen Mundarten des Französischen, Deutschen, Italienischen und Lateinischen mächtig. Doch zur Wiedergabe seines reichen Gedankenschatzes genügt eine Sprache allein ihm nicht, und so bedient er sich denn bald dieser, bald jener; am vollsten fliesst aber der Strom seiner Rede dahin, wenn er das Lateinische Laveleye, Balkanliinder. ° gebraucht. Was er denkt, sagt er ohne diplomatische Schach- und Winkelzüge mit der Ungezwungenheit des Kindes und dem tiefen Scharfblicke des geistvollen Mannes. Er erstrebt nur. was er für gut, gerecht und wahr hält, und darf vor keinen Enthüllungen zittern, da er überhaupt nichts zu verbergen hat; seinem Vaterlande ist er bedingungslos ergeben und für sich selbst ersehnt er nichts. Während jenes Aufenthaltes in Rom war er ganz mit der Zukunft Bosniens beschäftigt, und aus seinen Auslassungen gebe ich Einzelnes wieder, um damit zugleich den Standpunkt seiner aufgeklärten Volksgenossen zu zeichnen. — //Sie haben recht«, sagte er zu mir, »im Gegensatze zu Ihren freisinnigen englischen Freunden den Anschluss der bosnischen Provinzen an Oesterreich als eine Nothwendigkeit darzustellen; doch von der Politik des Donaureiches hängt es ab, ob diese Einverleibung demselben zum Heile gereicht. Falls man in Wien oder vielmehr in Pest daran denkt, die neuen Provinzen den Ungarn oder den Deutschen preiszugeben, werden die Oesterreicher schliesslich sich verhasster noch als die Türken machen, denn die durchweg slawische Bevölkerung verlangt die Berücksichtigung des slawischen Elements. Die magyarischen und deutschen Zeitungen sprechen eine Verleumdung aus, indem sie mich einen Freund Russlands und einen Feind Oesterreichs nennen. Für unser theures Alt-Oesterreich würde ich auf der Stelle mein Leben hingeben, und nur in seinem Schoosse können wir abendländischen Slawen leben, wachsen und der Erfüllung unseres Geschickes entgegenreifen. Früher aber wollte man uns zu Deutschen machen, und heute versucht maus, uns in Magyaren zu verwandeln: doch das eine lässt ebenso wenig wie das andere zur Durchführung sich bringen. Mit Stolz blicken die Slawen auf ihre Geschichte und ihre ganze Vergangenheit zurück, und das zusammenhängende Gebiet, welches sie bewohnen, vermag 30 bis 40 Millionen Menschen zu fassen. Einer solchen Rasse kann man aber nicht ihre Sprache oder ihren volksthümlichen Charakter rauben, und jeder Versuch, Derartiges ins Werk setzen zu wollen, würde bloss den Russen in die Hände arbeiten. Die heldenmüthigen, politisch begabten Ungarn haben sich ihre Selbstregierung mit bewunderungswürdiger Beharrlichkeit zurückerkämpft, und jetzt bilden sie sogar die eigentliche Hauptmacht des Staates. Durch ihre Feindseligkeit gegen die Slawen und ihren magyarischen Grössenwahn wrerden sie mitunter aber ganz blind gemacht; sie müssen sich offen auf uns stützen, damit nicht die Wogen des Slawenthums über sie hinwegströmen«. Ich gedachte nun meines ersten Aufenthaltes in Agram. Damals waren die kroatischen Vaterlandsfreunde ganz begeistert aus Moskau, von der berühmten ethnographischen Ausstellung, zurückgekehrt, und aus ihrem Hinüberneigen nach Russland machten sie gar kein Ge-heimniss. — »Der Ausgleich Deaks, welcher uns vollständig den Ungarn in die Hände spielte, hatte zu jener Zeit die Gemüther der Kroaten mit den weitgehendsten Befürchtungen erfüllt«, antwortete der Bischof. »Jenes Hinüberneigen nach Russland ist inzwischen wohl geschwunden, wird aber stets wiederkehren, sobald Oesterreich-Ungarn auf diesem oder jenem Wege der Entwickelung der slawischen Rassen hemmend entgegentritt, und falls man diese zum Aeussersten treibt, werden sie einstimmig rufen: „Lieber die Russen als die Magyaren!" Sehen Sie, mein Freund, die Rassen- und die soziale Frage sind die zwei grossen Räthsel, mit deren Lösung Europa sich beschäftigt. Es gilt, für die im Hintergrunde stehenden Völker und für die Enterbten zu sorgen, 6* und das Christenthum bringt die Lösung jener Fragen, indem es uns gebietet, den Gedemüthigten und Armen zu helfen; doch die von ihm verkündete Brüderlichkeit darf nicht länger ein leerer Schall bleiben, sondern muss endlich zur That werden«. — »Mit allen hervorragenden Männern der Jetztzeit bin ich in nähere Berührung gekommen«, versetzte Minghetti, nachdem Strossmayer sich verabschiedet hatte, »und unter diesen machten Bismarck und Strossmayer auf mich den Eindruck, als ob sie ganz besonders geartete Menschen wären«. Wundern muss man sich darüber, dass bis jetzt — Kroatien vielleicht ausgenommen — noch keine Lebensbeschreibung des berühmten Slawenapostels erschienen ist. Josef Georg Strossmayer wurde am 4. Februar 1815 in Essek geboren. Hier wanderten seine wenig begüterten Vorfahren im Jahre 1700 von Linz aus ein, und er ist also, wie auch schon sein Name es besagt, deutschen Ursprunges; doch im Laufe der Zeit lebte die Familie Strossmayer sich dermassen in die Verhältnisse ihrer neuen Heimath ein, dass sie nur noch deren Sprache verstand. Man hat es den Slawenvölkern zum Vorwurfe gemacht, dass sie unter dem Schutz und Schirme eines Deutschen ihre Rasse zur Geltung bringen wollen; aber ähnlich liegen die Verhältnisse auch anderswo. So ist Kossuth, der bedeutendste Vertreter des Magyarenthums, ein Slawe, Rieger, das treibende Rad der czechischen Bewegung, ein Deutscher, und Conscience, die Seele flämischer Lebensregungen, der Sohn eines Franzosen. Nachdem Strossmayer das Gymnasium zu Essek mit glänzendem Erfolge besucht hatte, trat er in das theologische Seminar zu Djakovo ein; später bezog er die Universität Pest, und hier legte er ein ganz aussergewöhnlich vorzügliches Examen ab. Aus ihm würde, erklärte der Vorsitzende der Prüfungskommission, entweder der erste Ketzer des Jahrhunderts oder die erste Säule der Kirche; 1837 wurde er zum Pfarrverweser in Peterwardein ernannt und drei Jahre später nach Wien ans Augustineum berufen, wro er unter den Beifallsbezeugungen der Prüfenden, »welche keine Worte finden, um ihre Bewunderung auszudrücken«, die Doktorwürde erlangte. Nachdem er kurze Zeit als Lehrer am bischöflichen Gymnasium seiner LIeimath gewirkt hatte, legte man im Jahre 1847 die Leitung des Augustineums in seine Hände und ernannte ihn gleichzeitig zum Hofprediger, so dass er eine für sein Alter sehr hohe Stellung einnahm. Dem Erwachen des kroatischen Volksgeistes war er damals bereits seit mehreren Jahren mit der begeistertsten Theil-nahme gefolgt, und nun begann er für das, was den ferneren Inhalt seines Lebens bilden sollte, auch mit der Feder einzutreten. Als 1849 Kukovitsch, der Bischof von Djakovo, seinen Abschied nahm, war den Kroaten die Strömung in der Hofburg ungemein günstig; man gedachte dort noch ihrer auf den Schlachtfeldern von Italien und Ungarn bewiesenen Tapferkeit. Die beiden einflussreichsten Männer Kroatiens, der Baron Metellus Ozegovitsch, und der Banus Jellaschitsch, verwendeten sich nun lebhaft für Strossmayer, den sie ihrem gemeinsamen Vateiiande ergeben wussten, und derselbe wurde vom Kaiser auf den erledigten Bischofsstuhl geschickt. Eigenthümlich ist's, dass er sich sieben Jahre früher seinem Bischöfe als dessen Nachfolger bezeichnet hatte, welches Schreiben noch heute in Djakovo zu finden ist. Während der ersten zehn Jahre seines bischöflichen Amtes, wo das Ministerium Bach am Ruder war, machte man gewaltige Anstrengungen, um das gesammte Reich zu einem einzigen Ganzen zusammenzufassen und die verschiedenen Rassen in Deutsche zu verwandeln. Er aber begriff, — und diese klare Erkenntniss ist eben sein grosses Verdienst — dass zur Vereitelung von solchen Bestrebungen die volksthümliche Eigenart geweckt und gestärkt werden müsse durch geistige Entwickelung und Fortbildung, durch die Pflege der Literatur und durch das Zurückgreifen auf die geschichtlichen Quellen des Landes. Der von ihm gewählte Sinnspruch, welcher dem sonstigen Gebrauche entgegen nicht lateinisch, sondern kroatisch abgefasst ist und den ganzen Inhalt seines Lebens zusammenfasst, lautet: »Alles für den Glauben und das Vaterland!« Diesen Wahlspruch hat er zunächst durch Hergabe bedeutender Summen zur Begründung von Stipendien für unbemittelte Gymnasialschüler bethätigt. Fast allen kroatischen Gymnasien, so denen zu Essek, Warasdin, Fiume, Winkowce, Seny, Gospitsch — und später auch der Universität Agram — machte er Zuwendungen, und in Djakovo selbst nehmen seine Schenkungen zu Gunsten des Unterrichts gar kein Ende. Hier werden auf seine Kosten ein Gymnasium und für das weibliche Geschlecht eine höhere Mädchenschule und ein Lehrerinnenseminar unterhalten, und das später hinzugekommene Lehrerseminar kostete ihm allein zur ersten Einrichtung 200000 Franken; ein Seminar zur Ausbildung von Bosniens Geistlichkeit hat er 1857 gestiftet. Er spart auch nicht, wo es gilt, zur Entwickelung der verschiedenen slawischen Literaturen beizutragen. In seinem bischöflichen Seminar hat er einen besonderen Lehrstuhl für die alten slawischen Sprachen eingerichtet. Vuk Karad-zitsch und Danitschitsch, die beiden serbischen Sprachforscher, sind von ihm in jeder möglichen Weise gefördert worden, und die Gebrüder Miladinovci haben unter seinem Dache an ihrer Sammlung bulgarischer Volkslieder gearbeitet. Dieselbe gehört zu den ersten in dieser Sprache erschienenen Büchern und richtet sich gleichsam mit einem Weck- und Mahnrufe an den noch schlum- mernden bulgarischen Volksgeist. Strossmayer schützt und fördert eben alles, was in irgend einer Weise die Interessen seines Volkes berührt; er sammelt auch an einer grossen Bibliothek, welche den Schulen von Djakovo verbleiben soll, während seine Gemälde für das Museum zu Agram bestimmt sind. Bedarf er zur Erhaltung seiner Gesundheit einer Ausspannung, so treibt die Liebe zur Kunst ihn stets nach Italien; er schwelgt dann in dessen Wundern und führt auch seiner Heimath neue Schätze zu. Obgleich er stets bereit ist, für die Rechte seines Vaterlandes einzustehen, betrat er den politischen Schauplatz doch nur, um einer ihm auferlegten Pflicht zu genügen. Als in Wien nach dem Sturze des Ministeriums Bach die konstitutionelle Epoche anhob, wurde er vom Kaiser zusammen mit dem Baron Wranicanji in den »verstärkten Reichstag« berufen, und diese beiden Männer verlangten unumwunden und mit dem grössten Nachdrucke die Selbstverwaltung und -regierung Kroatiens. Damals hätte Oesterreich sich vielleicht gleich der Schweiz und den Vereinigten Staaten eine vernünftige und dauernde Regierungsform geben können, indem seinen verschiedenen Staaten ihre geschichtliche Unabhängigkeit geblieben wäre und dieselben in einem Parlamente zur Berathung gemeinsamer Angelegenheiten doch auch wiederum einen einigenden Mittelpunkt gehabt haben würden. Allein der wichtige Augenblick blieb ungenützt, und nach Sadowa kam dann der das Reich in zwei Theile spaltende Ausgleich, durch den Kroatien an Ungarn gerieth. Es wurden Verhandlungen geführt, um die Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern zu regeln, wobei Strossmayer, der die auf geschichtlicher Grundlage beruhende Selbstständigkeit des seinigen um keinen Preis opfern wollte, ein Stein des Anstosses war. Er musste weichen und verbrachte die Zeit seiner Verbannung in Paris, wo er sich eingehend dem Studium der grossen französischen Schriftsteller hingab. Nach seiner Rückkehr ist er dann dem politischen Schauplatze vollständig fern geblieben; er will nicht einmal einen Sitz im kroatischen Landtage einnehmen, um die Beschuldigung, dass er mit dem Vollgewichte seiner Persönlichkeit die Gährung im Lande unterstütze, gar nicht aufkommen zu lassen. In Wien und Pest weiss man sehr gut, dass er diese Vereinigung zwischen Ungarn und Kroatien beklagt und ganz wie die »Partei der Unabhängigen« denkt, deren in ihrer engeren Heimath, wie in Oesterreich überhaupt sehr geachtete Führer der Akademiepräsident Racki und der Graf Vojnoritsch sind. Aber er betheiligt sich nicht am Kampfe; er glaubt, die Zukunft seines Volkes am besten durch die Pflege des geistigen und wissenschaftlichen Lebens zu festigen, weil derartige Errungenschaften unvergänglich und der rohen Gewalt gegenüber unnahbar sind. »Gehen wir solche Wege«, sagt er an einer Stelle, »so kann nichts auf dieser Welt uns von der Erfüllung der Aufgabe zurückhalten, zu welcher die Vorsehung uns unter unseren Blutsbrüdern auf der Balkanhalbinsel bestimmt zu haben scheint«. Seit dem Jahre 1860 hatte er auf die Nothwendigkeit hingewiesen, in Agram eine Akademie der Künste und Wissenschaften zu gründen. Er stellte sich mit einer später noch bedeutend vergrösserten Summe von 200000 Franken an die Spitze einer öffentlichen Sammlung, und das ganze Land folgte seinem Rufe, so dass mehr als 800000 Franken zusammenkamen. Am 28. Juli 1867 wurde die neue Anstalt eingeweiht, und der grosse Bischof hielt bei dieser Gelegenheit eine berühmt gewordene Rede, in der er mit der ganzen Macht seines Wortes die Manen Bossuets und Pascals feierte. Von ihren - 8g - Jahrbüchern, die hauptsächlich der Geschichte Kroatiens gewidmet sind, hat die Akademie unter dem Titel »Arbeit« eine stattliche Anzahl von Bänden veröffentlicht. Sie beschäftigt sich auch mit der Herausgabe eines grossen kroatischen Wörterbuches, das nach dem Muster der Grimmschen und Littreschen Werke angelegt ist, und mit berechtigtem Stolze darf Kroatien auf eine solche Anstalt blicken. Doch es besitzt nun auch eine Universität; als man im September 1866 die 300jährige Gedächtnissfeier des kroatischen Leonidas, des Statthalters Nikolas Zrinyski, beging, sprach Strossmayer für die Gründung einer solchen Anstalt, und seine weit verbreitete Rede wurde überall mit unbeschreiblicher, nachhaltig wirkender Begeisterung aufgenommen. Auch auf dem Landtage zu Agram bewies er, wie nothwendig Kroatien eine Universität brauche; zu Gunsten einer solchen stellte er dem Lande 150000 Franken zur Verfügung, und bald beliefen die durch eine öffentliche Sammlung aufgebrachten Gelder sich auf eine halbe Million. Am 19. Oktober 1874 erfolgte — unter dem Vorsitze von Kroatiens bestem epischen Dichter, dem Banus Ivan Maruvanitsch — die Einweihung der neuen Universität, wozu die Abgesandten anderer Universitäten und besonders die Vertreter von gelehrten und politischen slawischen Körperschaften in grosser Zahl sich einfanden. Für den edlen Mann, der so viele nützliche Werke ins Leben gerufen hatte, bildeten die Feierlichkeiten nicht bloss einen glänzenden Abschluss des Begonnenen, sondern eine grossartige Verherrlichung, und nie ist eine solche wohl mehr als hier am Platze gewesen. Die ganze Stadt hatte ein festliches Aussehen, in den Strassen drängte sich eine ungeheure Menge, und von den Lippen all dieser Leute tönte der einstimmige Ruf: »Heil dem grossen Bischöfe! Es lebe der Vater des Vaterlandes!« In anderen Ländern, wo für die verschiedensten Zweige des Unterrichts in der ergiebigsten Weise gesorgt ist, wird man eine solche Begeisterung vielleicht kaum zu würdigen wissen. Doch all die so lange unterdrückten slawischen Stämme empfanden die Gründung dieser Universität als eine feierliche Kundgebung ihrer volkstümlichen Art, als einen ganz neuen Aufschwung, und sie erblickten darin eine Bürgschaft für ihre künftige geistige Entwickelung. Auch die Reformation hat im 16. Jahrhundert sich beeilt, in Deutschland, Holland und Schottland Universitäten zu gründen; in Gent hatte sie noch um ihr Dasein zu kämpfen, als — wie der Professor der Geschichte Paul Fredericq berichtet ■— die flämischen Protestanten, gleichsam unter dem gezogenen spanischen Richtschwerte, einige Monate der Freiheit dazu benutzten, um an die Einrichtung solcher Anstalten sich zu machen. Der höhere Unterricht ist eben die Warte, auf der das geistige Herdfeuer der Völker lodert. Was die Religion anbetrifft, so stellt Strossmayer den Christen nach dem Vorbilde des Evangeliums dar; er ist ein Feind der Unduldsamkeit und ein Freund der Freiheit, der Erleuchtung und des beständigen und allseitigen Fortschrittes und widmet sich vollständig seinem Volke, und ganz besonders den unglücklichen Gliedern desselben, in werkthätiger, selbstloser Liebe. Die neue Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit hat er zuerst bekanntlich mit machtvollen Worten bekämpft; später unterwarf er sich, und während der letzten Jahre ist er bemüht gewesen, den morgen- und den abendländischen Ritus mit einander zu versöhnen. Ausführlich spricht er hierüber in seinen beiden Fastenbriefen aus den Jahren 1881 und 1882, und sicherlich trieb sein Einfluss den Vatikan dazu, die Hauptheiligen der morgenländischen Kirche, die zwei grossen Slawenapostel Cyrillus und Methodius, zu preisen. Der Heilige und der Künstler vereinigen sich in diesem Manne, in dessen Seele nichts von Selbstsucht und von persönlichem Ehrgeize wohnt, und der sich den Besten und Edelsten des Jahrhunderts als Ebenbürtiger an die Seite stellen darf. Wer hat wohl je mehr wie er für die Heranbildung eines ganzen Volksstammes gethan? Kroatien kann stolz darauf sein, einen solchen Mann zu besitzen. Mein Wirth holt mich zum Abendessen ab, und auf dem Wege zum Speisezimmer geht's durch einen langen Saal, der von einem Ende bis zum anderen mit verpackten Gemälden angefüllt ist. »Sie wissen«, antwortet der Bischof mir auf eine entsprechende Frage, »dass wir in Agram ein Museum gegründet haben, und bei meinem jedesmaligen Aufenthalte in Italien kaufte ich einige Gemälde für dasselbe an. Jetzt aber, wo ein Traum meines Lebens greifbare Gestalt annimmt, zeigt sich das Erbärmliche und Widerspruchsvolle der menschlichen Natur, indem gerade die Verwirklichung meiner Wünsche zur Quelle eines wahren — wenn auch kindischen, aber darum doch nicht minder fühlbaren — Kummers für mich wird. Meine Einkünfte gab ich gerne hin, denn ich betrachte dieselben als das Erbtheil der Armen, welches ich nach bestem Wissen verwalte und verwende, und bei meinen geringen persönlichen Bedürfnissen entbehre ich auch nichts. Doch die Künstlernatur ist wohl zu mächtig in mir, und es wird mir schwer, mich nun von meinen geliebten, mir so vertrauten Gemälden zu trennen, deren Heimath ich kenne, und auf denen meine Blicke so gerne weilten. Als alter Mann, der nicht mehr lange zu leben hat, hoffte ich, sie bis zu meinem Tode bei mir behalten zu können, aber es ist dies ein selbstsüchtiger Gedanke, und ich bereue denselben. In Agram brauchen unsere jugendlichen Akademieschüler diese Gemälde; sie sollen dieselben nachbilden und sich von ihnen begeistern lassen, denn dem Volksstamme, welcher die schönen Künste nicht pflegt, wohnt immer etwas Unvollständiges inne. Mit unserer Universität haben wir der Wissenschaft eine Stätte bereitet, und auch der Kunst darf es bei uns an einem würdigen Heime nicht fehlen. Herr Krsujavi, der Professor der Aesthetik und Kunstgeschichte an der Universität zu Agram, ist gleichzeitig der Direktor unseres Museums und unserer eben gegründeten Kunstgewerbe-Schule; seiner Sorge sind diese Gemälde künftig anvertraut, und er weilt gerade bei mir, um die sachge-mässe Verpackung derselben zu leiten«. — Die Sammlung enthält werthvolle Stücke, und es sind in ihr vertreten Titian, die Malerfamilie Carraccio, Guido Reni, Sasso Ferrato, Paul Veronese, Frater Angelico, Ghirlan-dajo, Frater Bartolommeo, Dürer, Andreas Schiavone, //der Slawre«, welcher aus Kroatien stammte und eigentlich Murilitsch hiess, und Carpaccio oder vielmehr Karpatsch, ein anderer Slawe. Doch die besten Werke befinden sich in dem Schlaf- und in dem Arbeitszimmer des Bischofs; auf einigen neueren, von kroatischen Künstlern geschaffenen Bildern sind Begebenheiten aus der vaterländischen Geschichte behandelt. Wir schreiten nun durch eine Reihe von schönen und grossen Empfangssälen mit spiegelglattem Fussboden und seidenen Tapeten, wo im Stile des zweiten Kaiserreiches rings herum eine Reihe von Stühlen und Sesseln steht und alles so feierlich wie in den Ministerien von Wien sich anlässt. Dann nehmen wir an der Tafel in dem grossen Speisesaale Platz, an dessen mit Kalk ge-weissten Wänden einige gute Kupferstiche frommen Inhaltes hängen. Panduren in Husarenuniform und mit grossem Schnurrbarte wTarten auf, und zu den Tischgenossen des Bischofs gehören ausser dem Professor Krsu- javi mehrere junge, dem bischöflichen Stuhle oder dem Seminar beigegebene Priester. Einer derselben liest vor jeder Mahlzeit — in lateinischer Sprache —, nachdem der Wirth das Tischgebet gesprochen hat, ein Kapitel aus dem Evangelium und eins aus der »Nachfolge Jesu Christi« (von Thomas a Kempis). Hierauf entspinnt sich eine Unterhaltung, welche dank der geistvollen Lebendigkeit des gelehrten Bischofs stets anregend ist; als ich des bäuerlichen Hausfleisses gedenke und der prachtvollen, mit hellfarbiger Wolle bestickten Hemden, welche ich unlängst in Sissek an einem Sonntage bei den aus der Messe kommenden Bäuerinnen bewundert hatte, entgegnet derselbe mir: »Wir thun alles Mögliche, um diesen von den Voreltern ererbten Geschmackssinn zu erhalten, und haben deshalb in Agram ein kleines Museum eingerichtet, für welches wir all die verschiedenen, hier bei uns auf dem Lande hergestellten Möbel, Kleider u. s. w. eifrig sammeln. Wir bemühen uns auch, — es gehört dies zu den Aufgaben unserer Akademie der schönen Künste — die besten Muster zu verbreiten, und Herr Krsujavi, der auf diesem Felde eine ganz besondere Thätigkeit entwickelt, bereitet entsprechende Veröffentlichungen vor«. »Wundern muss man sich darüber«, versetzt der Professor, »dass diese Stickereien, aus denen ein vollendeter Farbensinn spricht, und die bisweilen wahre Meisterwerke der Verzierungskunst sind, ohne Vorzeichnung oder Vorlage hergestellt wurden. Ein gewisses angeborenes Talent scheint unseren Bäuerinnen innezuwohnen, und wenn auch die Umgebung fördernd auf dasselbe einwirken mag, so kann immerhin von keiner blossen Nachahmung die Rede sein. Von den bei uns hergestellten Teppichen hat man wohl gemeint, dass hier türkische Muster zu Grunde liegen; ich glaube das nicht. Die Türken haben ja selbst weiter nichts gethan, als dass sie persische Zeichnungen in lebhafteren Schattirungen wiedergaben. Doch die Arbeiten, wie man sie bei den Südslawen und selbst in Russland findet, weisen auch sehr viel ernstere Farben und strengere Formen auf und entsprechen weit mehr dem alt-griechischen Geschmacke«. »Man darf nicht vergessen, auf wTelch einer hohen Stufe der Entwickelung dieses Slawonien bereits in zwei verschiedenen Zeitaltern gestanden hat«, entgegnet der Bischof. //Im Alterthume thronte hier in der grossen Stadt Sirmium das Römerthum in seiner ganzen vollen Herrlichkeit, und bei Ausgrabungen stossen wir fortwährend auf Zeugen jener Tage. Im Mittelalter kam dann für Slawonien eine neue Zeit des Glanzes, und es feierte damals eine wahre Wiedergeburt, wie es ja auch heute eine solche sich erkämpft. Später haben die Türken das Land um alle seine Errungenschaften gebracht, und ohne das Christenthum wäre es in die Zustände ursprünglichster Barbarei gerathen«. Er lässt die goldenen und silbernen Weihstücke holen, welche von ihm auf seinen amtlichen Fahrten durch Bosnien erwrorben wurden. Diese wundervollen Kelche, Kreuze und Krummstäbe entstammen der zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert liegenden Zeit, und die verschiedenartigsten Stile sind unter ihnen vertreten; da ist z. B. ein Kelch im byzantinischen, ein anderer im reinen römischen Stile, während ein dritter an die Normannen des südlichen Italiens erinnert. Vor der Eroberung durch die Türken war Bosnien nicht das wilde Land, welches es seitdem geworden ist; durch Dalmatiens Küste blieb es in beständiger und leichter Verbindung mit Griechenland und Konstantinopel einer- und mit Italien andererseits, und seine Kunsterzeugnisse standen mit denen jener Länder auf gleicher Höhe. »Selbst heute noch«, nimmt der Bischof das Wort, »giebt es in Serajewo Gold- schmiede, welche nie zeichnen lernten, und die doch Meisterwerke liefern, wie z. B. dieses Bischofskreuz aus Silber und Elfenbein. Die Zeichnung stammt allerdings aus Agram, doch die Ausführung derselben ist geradezu vollendet. Halten Sie mich nicht einfach für einen Sammler, wenn auch etwas von dessen Natur in mir steckt; ich verfolge vielmehr mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln das grosse Ziel, die Gegenwart mit dem, was wTar, mit dieser ruhmreichen Vergangenheit unseres Volksstammes zu verknüpfen. Es gilt, die Eigenart der Slawenstämme zu wecken und zu pflegen, und die dicke Rinde, welche die Unwissenheit in den Jahrhunderten der Unterdrückung erstickend um unsere volksthümliche Begabung gelegt hat, zu brechen. Die Zeit der türkischen Herrschaft muss zu einem blossen Zwischenspiele werden, zu einem bösen Traume, der uns quälte, den dann aber die Morgenröthe des neuen Lebens siegreich verscheuchte«. Am folgenden Tage weckt ein heiterer Junimorgen mich frühzeitig auf. Durch das geöffnete Fenster dringt vom Parke her der Gesang der Vögel an mein Ohr, und der berauschende Duft der Akazien mahnt mich an die Orangenbäume von Sorrent; deutliche Bilder lassen die lieblichen Klänge und diese Wohlgerüche in gleicher Weise vor mir aufsteigen. Das Frühstück — ein vorzüglicher Kaffee mit Sahne und mit kleinen Bröd-chen aus Pester Mehl, welches das beste Mehl ist, das es überhaupt giebt — wird mir um 8 Uhr gebracht, und nach der Einnahme desselben streife ich allein im bischöflichen Palaste herum. Dieser ist ein grosses, einstöckiges und vollständig klosterartig angelegtes Gebäude; er stammt seiner gegenwärtigen Gestalt nach aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts und umschliesst die zwei Seiten eines geräumigen viereckigen Hofes, der im Hintergrunde von Nebengebäuden und einer alten Mauer und auf der vierten Seite von der Kirche begrenzt wird. Eine Treppe hoch liegen nur die herrschaftlichen Gemächer, und im Erdgeschosse befinden sich die Küchen-, Wasch- und Vorrathsräume, die Bedientenstuben u. s. w., was ganz den Gewohnheiten südlicher Länder entspricht. Die im unverfälschten italienisch-lombardischen Stile erbaute Kirche gehört zu den Dingen, welche dem Bischöfe am meisten ans Herz gewachsen sind, denn in ihr konnte er die Gefühle und Wünsche des Christen, des Vaterlandsfreundes und des Künstlers vereint zur Geltung bringen. Ihre Aufführung nahm 16 Jahre in Anspruch und hat mehr als drei Millionen Franken gekostet. Die Grössenverhältnisse entsprechen einer Bevölkerung, welche die gegenwärtige Einwohnerzahl von Djakovo ums fünf- oder sechsfache übersteigt; doch der Stifter hofft, dass dieser Dom noch eine Zeit erleben wird, wo er alle Gläubigen des Ortes nicht zu fassen vermag. Er ist aus den vorzüglichsten hellrothen und sehr feinkörnigen Backsteinen — wie sie im römischen Zeitalter vorkommen — erbaut. Die Kalksteine zu den Fenstereinfassungen und Gesimsen stammen aus Illyrien, während der im Innern verwendete Marmor aus Dal-matien geholt wurde, und bedenkt man, dass das Weiterschaffen dieser Stoffe von der Donau oder Sau an durch Frachtwagen besorgt werden musste, so kann man sich eine Vorstellung von den allein hierfür verausgabten Summen machen. Das farbenreiche Innere zieren Fresken, die von Seitz (dem Vater und dem Sohne) gemalt wurden und Begebenheiten aus der heiligen Geschichte und der Bekehrung der slawischen Länder darstellen. Ueber dem ganz besonders vorzüglich ausgeführten Hauptaltare, welcher die Form eines Grabmals hat, erhebt sich, wie in den römischen Basilikakirchen, eine Art von Altar- himmel, und dieser ruht auf vier wundervollen, aus je einem einzigen Stücke bestehenden Marmorsäulen mit bronzenen Grundflächen und Knäufen. Ein gehaltvoller Ernst durchweht den Raum, in dem nichts von eitelem Flitterwerk, von puppenartig ausgeputzten Statuen und wunderthätigen Heiligenbildern sich findet. Das Ganze athmet den Geist des 12. Jahrhunderts, einer Zeit also, wo die Jesuiten den katholischen Gottesdienst noch nicht entgeistigt und mit dem Stempel des Heidenthums geprägt hatten. Aus dem Ober-Raume des Domes führt der Bischof mich hinunter in die Todtengruft, in deren dicke Mauern Nischen eingelassen- sind. Hier ruhen unter Steinen, die weiter nichts als ein Kreuz und einen Namen tragen, drei von den Vorgängern des Bischofs, der ihre irdischen Ueberreste herschaffen liess. »An dieser Stelle«, sagt derselbe, auf einen Stein ohne Inschrift deutend, »wird man mich einst niederlegen, und dann erst kann ich Ruhe finden. Seit einem Menschenalter bin ich Bischof, aber noch liegt viel von dem, was ich gerne erreichen möchte, vor mir. Doch der Mensch wie die Menschheit kann nie darauf hoffen, das Begonnene auch vollendet zu sehen«. Diese Worte erinnern mich an jenen Wahlspruch »Die Ruhe wohnt nicht hienieden«, den ein anderer grosser Vaterlandsfreund sich ersehen hatte, einer von den Gründern der niederländischen Freistaaten, Marnix de Sainte-Aldegonde, der Freund des »schweigsamen« Wilhelm von Oranien. Beim Heraustreten aus der Kirche fallen meine Blicke auf eine alte mit Schiessscharten versehene und von Epheuranken umsponnene Mauer. Dieselbe ist der ganze Ueberrest des befestigten Schlosses, das einst an dieser Stelle sich erhob und von den Türken niedergerissen und verbrannt wurde; ^auf die Spuren solcher Verwüstungen, deren Urheber mohammedanische Kriegs- Laveleye, Balkanlancler. 7 horden sind, stösst man bei jedem Schritte und bekommt dabei ein Verständniss für den Hass, welchen der Slawe dem Moslim entgegenbringt. Beim Mittagsessen — dasselbe wird, seinem Namen entsprechend, in der Mitte des Tages aufgetragen — berührt das Gespräch die volkstümliche Bewegung Dal-matiens. »Mir ist die Nachricht zugegangen«, sagt der Bischof, »dass in den Städten Dalmatiens bei den letzten Wahlen die slawischen Kandidaten über die italienischen gesiegt haben, und so gehört sich's auch. Die grössere Durchbildung der Massen lässt die volkstümliche Bewegung überall als unwiderstehlich sich erweisen. Noch vor kurzem besassen in Zara, Spalato, Sebenico, Ragusa die das Bürgerthum vertretenden Italiener das Ueberge-wicht über den Kern der vollständig slawischen Bevölkerung, welcher es an jedem Einflüsse fehlte, so lange sie unterdrückt und unwissend war, die aber, so bald ihr geistiger Standpunkt sich gehoben hat, auch die ihr gebührende politische Machtstellung in Anspruch nimmt. Aus Furcht vor den Fortschritten des Slawenthums liebäugelte man mit der Partei der Italiener, von denen ein Theil wenigstens die Vereinigung mit Italien erstrebt; doch das jetzige Ministerium ist — hoffentlich für immer — von diesem Irrthume zurückgekommen. Zu beachten bleibt's, dass von hier bis zu den Buchten von Cattaro und von Dalmatien bis nach Timok und Pirot, d. h. bis zur bulgarischen Grenze, die Serben, Kroaten, Dalmatier, Bosnier, Montenegriner, und selbst die Slawen von Triest und Krain, die gleiche Sprache reden. Die Italiener Dalmatiens sind grösstentheils Abkömmlinge slawischer Familien, die sich unter der Herrschaft Venedigs italienisirt haben; der Glanz der Lagunenstadt fällt auch auf sie zurück, und wir achteri und lieben sie und wollen ihre Sprache keineswegs ächten, aber die der Mehrheit, die Volkssprache, muss doch immerhin die erste Rolle spielen«. Beweise für die Vorzüglichkeit der illyrischen Rasse werden nun um die Wette aufgereiht. So rühmt der eine die Tapferkeit ihrer Soldaten, der andere die That-kraft ihrer Frauen. Doch alle diese Tugenden, heisst es, sind im höchsten Grade bei den Montenegrinern vorhanden, weil diese allein es verstanden haben, ihre Freiheit zu bewahren, und sich zu schützen vor der verderbenbringenden Berührung mit einem Unterdrücker. Einer von den jungen Priestern, der sich lange in Dalmatien aufgehalten hat, erzählt, dass man in Montenegro über den Fehltritt eines weiblichen Wesens in keinem Falle duldend hinwegsieht. Ein solches Vergehen findet eine schreckliche Strafe, und die verheirathete Frau, welche sich desselben schuldig machte, wurde früher gesteinigt, oder der Mann schnitt ihr die Nase ab, während das junge Mädchen unbarmherzig Verstössen wird und sich gewöhnlich selbst tödtet. Die Brüder unterlassen es nicht, den Verführer ihrer Schwester zu tödten, und die Blutrache führt dann zu jahrelangen Familienkriegen. Während des letzten Krieges — so berichtet Herr von Stein-Nordheim aus Weimar — hatte der Türke Mehmed Pascha sich bei einem Raubzuge einer jungen Montenegrinerin, der schönen Joke, bemächtigt, die ihn nun anfleht, sie doch nicht vor den Augen der Soldaten zu entehren. Er betritt mit ihr — man befindet sich mitten in den Bergen — einen Fusssteig, der längst eines Abgrundes hinläuft, und sie sinkt, von der Bewegung überwältigt, zu Boden. Als er sie nun ergreift, erwidert sie seine Umarmung und reisst ihn dann plötzlich, sich an ihn klammernd, mit hinab in den Abgrund, wo man nachher zwei verstümmelte Leichen findet. Jokes Hel-denmuth aber wurde zum Gegenstande eines neuen Volks- liedes. Eine andere Begebenheit aus dem Kriege vom Jahre 1879 ist ähnlicher Natur. Während alle männlichen Bewohner eines Grenzdorfes ausgerückt waren, um zum Hauptheere zu stossen, nahmen die Türken dasselbe ein, und die Frauen flüchteten in einen alten Thurm, wo sie sich wie Amazonen vertheidigten; doch sie haben weiter nichts als einige abgenutzte Flinten, und die Einnahme des Gemäuers ist unvermeidlich. »Wir müssen uns in die Luft sprengen«, ruft Yela Marunow und schichtet alle Pulverfässer zu einem Haufen zusammen. Nachdem nun die Frauen und Kinder sich gruppenweise versteckt haben, öffnet man das Thor, durch welches mehr als 500 Türken hereinstürmen, worauf Yela das Pulver entzündet und die Belagerer wie die Belagerten zerschmettert und unter den Trümmern des Thurmes begraben werden. Die montenegrinische Mutter sagt zu ihrer neugeborenen Tochter: »Ich wünsche Dir nicht Schönheit, sondern Tapferkeit; nur Dein Heldenthum erwirbt Dir des Mannes Liebe«. Und in einem von jungen Montenegrinerinnen gesungenen Liede heisst es: »Grandis, mein Geliebter, bist Du gross und stark geworden und begehrst von meinem Vater meine Hand, so bringe mir zur Morgengabe Türkenköpfe, die auf Deinem Dolche stecken«. Doch die Kroaten, heisst es dann, stehen an Tapferkeit keineswegs hinter den Montenegrinern zurück; unter der Kaiserin Maria Theresia, in den Kriegen gegen Napoleon und auf den italienischen Schlachtfeldern in den Jahren 1848, 1859 und 1866 haben sie dies wohl bewiesen. Nach der Märzrevolution waren sie es, welche unter ihrem Banus Jellaschtisch Oesterreich retteten; ohne ihren Widerstand würden die Ungarn Wien eingenommen haben, ehe die Russen auch nur daran gedacht hätten, Hilfe zu leisten. Eins der besten Bücher, welches über diese Gegenden überhaupt geschrieben worden ist, hat den Engländer Piaton zum Verfasser; dieser berichtet, was er bei seinem Aufenthalte zu Caiistadt in Kroatien durch den Statthalter Baron Baumgarten über den hel-denmüthigen Tod des Barons Friedrich von Trenck vernahm. Ein Vorfahre desselben, der Baron Franz von Trenck, hatte 1683 mit seinen Kroaten bei der Belagerung Wiens tapfer gekämpft und vom Kaiser zur Belohnung ungeheuere Besitzungen in Kroatien erhalten. Friedrich von Trenck richtet sich durch Prozesse zu Grunde, ge-räth in die Gefangenschaft Friedrichs des Grossen, entflieht, schreibt seine berühmten Denkwürdigkeiten, welche, wie Grimm sagt, ein ganz fabelhaftes Aufsehen erregen, und lässt sich endlich in Paris nieder, um aus erster Hand von der Quelle der Philosophie zu schöpfen. Während der Schreckenszeit geräth er in den Verdacht, ein Spion der Tyrannen zu sein. Er wird eingezogen und vertheidigt sich, indem er die Briefe Franklins vorlegt und auf die Spuren weist, welche die Ketten des preussischen Königs an seinem Körper zurückgelassen haben. Aber er spricht mit Achtung von der grossen Kaiserin Maria Theresia. Als nun Fouquier-Tinville ihm zuruft: »Hüten Sie sich, im Tempel der Gerechtigkeit ein gekröntes Haupt zu preisen«, entgegnet er mit stolz erhobenem Kopfe: »Ich wiederhole, dass ich nach dem Tode meiner berühmten Herrscherin Maria Theresia nach Paris gekommen bin, um mich dem Dienste der Menschheit zu widmen«. Das war natürlich zu viel; er wird verurtheilt und noch am selben Abende hingerichtet. Im 18. Jahrhundert war die etwas wilde Tapferkeit der Panduren sprichwörtlich, und im Anfange der Schreckenszeit erklärte die Kaiserin Katharina: »6000 Panduren würden genügen, um der Revolution das Lebenslicht auszublasen und die Fürsten in ihre Länder zurückzubringen, damit sie dort wieder nach Belieben schalten und walten könnten«. — Thatsachen wie die vorstehenden zeigen, dass die Kroaten durch die Erinnerung an die kriegerischen Iieldenthaten ihrer Vorfahren von einer feurigen, verlangenden und verklärenden Vaterlandsliebe beseelt werden. Am Nachmittage wird die unmittelbar mit dem Bischofssitze in Verbindung stehende Oekonomie besucht; dieser sehr treffende Ausdruck stammt aus dem Griechischen, wo man damit hauptsächlich, was sich aus Xenophons »Haushaltungskunst« ergiebt, die Verwaltung eines ländlichen Grundbesitzes bezeichnete. Der Verwalter der bischöflichen Oekonomie ist ein Priester. »Noch umfasst dieselbe«, berichtet er mir, »27000 Joch — 1 Joch zu 57,55 Ar gerechnet —, und davon kommen 19000 auf Wald-, 200 auf Wein- und 7800 auf Ackerland; doch bis zum Jahre 1848 war die Begüterung bedeutend grösser. Als aber damals den Bauern bei ihrer bürgerlichen Gleichstellung ein Stück des Bodens, den sie bisher im Frohndienste bearbeitet hatten, zum Eigen-thume überwiesen wurde, gab der Bischof die Anweisung, bei der Theilung in erster Linie auf die Befreiten Rücksicht zu nehmen. So liegen denn hier bei uns die Verhältnisse für den Ackerbau wenig günstig. Dazu kommt die Höhe der Steuern, welche sich auf 32000 Florin1) belaufen; einem Tagelöhner zahlen wir i'/a Florin, und den hohen Arbeitslöhnen stehen die niedrigen Preise für die Bodenerzeugnisse gegenüber, deren Hinüberschaffen nach den entfernten Marktplätzen viel Geld verschlingt. Was unsere Thiere anbetrifft, so erhalten wir für ein Lipitca-Ross im Durchschnitte 1000 — für einen schönen Zuchthengst 1400—1500 — Florin; eine gute Kuh wird ') Ei» österreichischer Silber-Florin besitzt einen Nennwerth von 2,50 Franken, aber sein wirklicher Werth schwankt täglich, je nach dem Kurse des Papiergeldes, zwischen 2,10 und 2,15 Franken. für 100 und ein drei Monate altes Schwein für 9 Florin verkauft. Bei Ihnen in Belgien liegen die Verhältnisse ganz anders; dort steht der Grund und Boden im Gegensatze zu dem unserigen hoch im Preise. Das Pachtgeld für ein Joch beträgt hier in Djakovo 6 bis 7 Florin. Doch die Ländereien des Bischofs werden zum grössten Theile für dessen eigene Rechnung verwaltet. Die Bauern, welche alle Land, aber wenig Betriebskapital haben, sind kaum in der Lage, etwas zu pachten, und die Juden würden uns nicht so viel geben, als wir durch die eigene Bewirthschaftung erzielen«. »Wir wollen die Juden nicht schmähen«, fällt der Bischof ein; »denn sie sind es, welche mir, und zwar zu gutem Preise, meine Erzeugnisse abkaufen. Ueberlasse ich dieselben christlichen Händlern, so verliere ich damit den dritten bis vierten Theil meiner Einnahme. Die aber ist nützlichen Werken gewidmet, und denen kann ich um eines blossen Vorurtheils willen nicht einen so grossen Abbruch thun. Um mich von den jüdischen Müllern unabhängig zu machen, habe ich eine Dampfmühle eingerichtet; doch es ist nicht zu leugnen, dass jene sich besser als wir auf die Sache verstehen«. Die durchschnittlich auf 150000 Florin sich belaufenden jährlichen Einkünfte des Bisthums Djakovo mögen an und für sich wohl hoch erscheinen, sind aber gering im Vergleiche zu denen anderer Bisthümer. So hat der Bischof von Agram 250000 und der von Gran, der ungarische Erzbischof, mehr als 500000 Florin an jährlichem Einkommen. Die Oekonomiegebäude haben sehr dicke Mauern, was in der früheren Nachbarschaft eine Erklärung findet. Noch vor kurzem hausten ja auf dem anderen Ufer der Sau — zehn Meilen von hier — die Türken, und unter den Streifzügen derselben hat auch Djakovo zu leiden gehabt. Neueren Ursprunges ist die Milchwirthschaft oder die »Schweizerei«, wie der Bischof sich ausdrückt; derselbe hat Schweizer Kühe kommen lassen, und diese geben bei tüchtiger Stallfütterung viel Milch. »Gerade nach dieser Seite hin müsste hier der gebildete Land-wirth eine ganz besondere Thätigkeit entfalten«, erlaube ich mir zu bemerken. »Der Preis des Weizens sinkt, aber Butter und Fleisch werden theuer bezahlt, und Ihr Boden bedeckt sich von selbst mit nahrhaften Kräutern. Schweine finden sich in Ihren Wäldern in zahllosen Schaaren, und gleich den Amerikanern mussten Sie die Rasse verbessern und zur Fütterung Mais nehmen, der hier so gut wie sonst nirgends gedeiht. Dank den Eisenbahnen könnten Sie Speck, Schinken u. s. w. nach den Marktplätzen des Abendlandes schicken, wo man Ihre Erzeugnisse nicht unter dem Vorwande zurückweisen wird, dass dieselben mit Trichinen behaftet sind«. Zwei leichte und offene, mit je vier Grauschimmeln bespannte Wagen führen uns nach dem zwei Meilen von Djakovo entfernten grossen Hirschparke. Der neben mir sitzende Bischof macht mich auf die schönen italienischen Pappeln zu beiden Seiten des Weges aufmerksam und sagt: »Ich liebe diesen Baum nicht allein, weil er mich an ein Land erinnert, das mir theuer ist, sondern weil ich ihn auch als Wahrzeichen höherer Gesittung betrachte. In demjenigen, der ihn pflanzt, regt sich das Schönheitsgefühl, und die Werthschätzung des Schönen, zunächst in der Natur und dann in der Kunst, macht einen sehr wesentlichen Bestandtheil der Bildung aus«. — Das Gespräch berührt auch die politisch - religiöse Frage, die ich, der Natur der Sache entsprechend, aber nur ganz obenhin zu streifen mich bemühe. Meine Bemerkung, wie es dem Bischöfe möglich gewesen sei, auf dem Konzile das Lateinische so zu sprechen, dass die hohe gelehrte Versammlung ihn in staunender Be- — ios — wunderung den ersten Redner der Christenheit genannt habe, beantwortet derselbe mit den Worten: »Bis zum Jahre 1848 war es unsere amtliche Sprache; es sollte damit ein Sprachenstreit vermieden werden, und ich habe mich desselben während meiner Lehrtätigkeit beim Unterrichte bedient. Vor dem Konzile las ich meinen Cicero nochmals durch, und ich wunderte mich dann selbst über die Fülle, in welcher das Wort mir zu Gebote stand; das Lateinische ist immer noch die Sprache, in welcher ich mich am leichtesten und klarsten auszudrücken vermag«. Dupanloups, der die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit angenommen, und Döllingers, welcher sich nicht hierzu verstanden hat, gedenkt der Bischof mit dem gleichen Wohlwollen. »Wer unter Opferung zeitlicher Interessen der Pflicht und seinem Gewissen folgt«, erklärt er, »stellt damit der menschlichen Natur ein ehrendes Zeugniss aus; wir können uns vor ihm bloss neigen, und nur Gott allein vermag an seine Thaten den richtigen Maassstab zu legen«. — Er spricht auch mit der lebhaftesten Anteilnahme über Lord Acton, welcher den Feldzug gegen die päpstliche Unfehlbarkeit an seiner Seite mitgemacht hat, und bemerkt: »Ich weiss, von welcher Angst dieser Würdige ergriffen wurde, als die Entscheidung des Konzils noch in der Schwebe lag. Gründlicher als er kennt vielleicht niemand die Kirchengeschichte, und er ist in Wahrheit ein Kirchenvater«. — Auch bei mir hatte Lord Actons ausserordentliche Gelehrsamkeit und Belesenheit — ich war im Januar 1879 in Mentone mit ihm zusammengetroffen — Staunen und Bewunderung im höchsten Grade erregt. Mit der Volkswirtschaftslehre beschäftigte er sich nur vorübergehend, und doch fand ich auf seinem Tische die französischen, englischen, deutschen und italienischen Hauptwerke der einschlägigen Literatur, welche er, was aus den beigegebenen Anmerkungen hervorging, sämmtlich gelesen hatte. Unter den freisinnigen Katholiken Englands reicht niemand an seine Bedeutung heran, doch seine ganze Stellung ist eine eigenthümlich schwierige. Ich wollte den Bischof nicht fragen, wie er über die weltliche Herrschaft des Papstes denke. Aber aus seinen Aeusserungen liess sich doch schliessen, er meine, dass die Kirche auch ohne eine solche Machtstellung ihrer eigentlichen Aufgabe vollkommen gerecht werden könne. »Die Feinde des Papstthums«, sagte er, »haben sich geirrt, als sie demselben durch Einziehung des Kirchenstaates einen tödtlichen Streich zu versetzen wähnten; man ist gerade um so freier und mächtiger, je weniger man um die Güter dieser Welt zu sorgen braucht. Es wurde allerdings gesagt, der Papst hoffe, durch einen neuen Krieg zu seinem früheren Besitzthume zu kommen. Doch es lässt sich dies ruhig als eine leere Behauptung bezeichnen, denn er, der Nachfolger dessen, der da sprach: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt!« kann um den Preis vergossenen Menschenblutes nicht Rom und nicht die ganze Welt erkaufen wollen«. Der Hirschpark ist eine uralte Waldung, welche bis jetzt der Hacke des Landmannes und des Holzhändleis entging, und zum Schutze gegen die in dieser Gegend noch sehr zahlreich hausenden Wölfe hat man dieselbe mit hohen Zäunen umgeben. Unter den gewaltigen Aesten ihrer mächtigen Eichen wird man an die Wölbungen eines Domes erinnert, und die Natur in ihrer ganzen Erhabenheit, aber auch zugleich in all ihrer zauberischen Anmuth umfängt hier den Menschen. In den Lichtungen zeigen sich Hirsche, welche nach der von grossen Huflattichblättern versteckten Quelle gehen, und während wir so zwischen den alten Bäumen herum- streifen, sagt der Bischof zu mir: »Gladstone, ein Christ im wahren Sinne des Wortes, ist derjenige, dem ich ganz besonders gerne begegnen möchte. Wir haben Briefe mit einander gewechselt, und er wünscht mir Erfolg für das, was ich erstrebe; doch zu einer Reise nach England reichte leider meine Zeit nicht aus. Durch Menschenliebe und Gerechtigkeitssinn, durch die Achtung vor dem Rechte des Schwachen lässt Gladstone bei seiner Politik sich leiten, und das ist's, wodurch er mir Verehrung und Bewunderung abnöthigt. Als er im Gegensatze zu der den Türken stets günstigen Meinung Englands mit der Macht seiner Beredsamkeit für unsere armen bulgarischen Brüder eintrat, sind aus dem Grunde unseres Herzens Segenswünsche für ihn aufgestiegen, und wenn die Politik aller Minister so vom Geiste des Christenthums beseelt wäre wie die seine, würde der armen Menschheit ein Reich des Friedens und der Eintracht winken!"' Solche Worte werden durch das bestätigt, was ich im Jahre 1870 in Greenwich bei dem jährlichen Festessen des Cobden- Klubs aus dem Munde des Gepriesenen zu hören bekam, wo derselbe den Vorsitz führte und ich als Gast meinen Platz an seiner Seite hatte. Der Krieg zwischen Deutschland und Frankreich war eben erklärt worden, und Gladstone versicherte, dass diese entsetzliche Nachricht ihn des Schlafes beraubt und SO niedergeschmettert hätte, als ob der Tod das Leben seiner Tochter bedrohe. Als er sich zum althergebrachten Toaste erhob, klang es feierlich und tief traurig von seinen Lippen, und seine Stimme erzitterte wie von zurückgedrängten Thränen. Er sprach von diesem fürchterlichen Schauspiele, welches vor dem bestürzten Europa sich abrollen sollte, von diesem Bruderkampfe zwischen zwei so hochgebildeten Völkern, von den Enttäuschungen der Freunde Cobdens, welche gleich ihm auf den Ein-fluss des Handelsverkehrs zu Gunsten friedlicher Zustände gehofft hatten. Seine bewegten, von den Schwingen religiöser Begeisterung getragenen Worte erinnerten an Bossuet und Massillon und glichen einer weihevollen Kanzelrede, deren Inhalt um die Angelegenheiten und Interessen der menschlichen Gesellschaft sich dreht. Die tiefe Ergriffenheit der Zuhörer äusserte sich nicht durch einen lauten Beifall, sondern in diesem Schweigen, das an einem offenen Grabe herrscht. Unwillkürlich musste ich des schrecklichen, vor einigen Tagen auf der französischen Rednerbühne gesprochenen Wortes vom //leichten Herzen« gedenken. Hatte es sich dabei auch zweifellos um ein Missverständniss gehandelt, so wäre dasselbe doch unmöglich gewesen, falls der französische Minister nur etwas von der ernsten Trauer des englischen Staatsmannes in sich gespürt haben würde. »Auch mir ist der deutsch-französische Krieg ein Gegenstand schmerzlicher Bangigkeit gewesen«, versetzte der Bischof. »Als derselbe nach der Schlacht bei Sedall weitergeführt wurde, und ich in den Friedensbedingungen eine Quelle neuer Streitigkeiten zu erblicken glaubte, vergass ich die mir durch meine Stellung auferlegte Zurückhaltung und dachte nur an das Gebot des Heilandes, alles zu versuchen, um dem Blutvergiessen Einhalt zu thun. Ich ging zu dem mir bekannten russischen Gesandten und sagte: »Alles hängt vom Zaren ab, der dem Kampfe ein Ende machen und einen Frieden herbeiführen könnte, in welchem nicht ein sicherer Grund zu neuen Kriegen läge; ich möchte mich Ihrem Kaiser, einem Biedermanne und Menschenfreunde, zu Füssen werfen«. Der Gesandte antwortete mir: »Wir bedauern gleich jedem fühlenden Menschen die Fortsetzung dieses Krieges. Allein Russland kann unmöglich mit Deutsch- land sich entzweien und gleichzeitig mit Frankreich, auf dessen sichere und treuergebene Bundesgenossenschaft es dann im etwaigen Falle nicht rechnen dürfte«. — Diese Worte meines Wirthes führe ich ohne Bedenken an, weil eine solche Anschauungsweise über russische Verhältnisse kein Geheimniss ist. In der »Revue des Deux Mondes« habe ich mich hierüber ausgesprochen und dabei über eine sehr bemerkenswerthe Schrift des inzwischen in Odessa verstorbenen Generals Fadeef *) berichtet. Bei der Abendmahlzeit wird über die volkstümliche Bewegung in Kroatien und Serbien und besonders über die durch Danitsehitsch vertretene vaterländische Literatur gesprochen. »Ist's nicht rühmlich, dass hier und überall dem ErwTachen des politischen Lebens das des literarischen voranging?« ruft der Bischof aus. »Ja, dem Geiste entspringt alles; anfangs hatten wir, die dem serbisch-kroatischen Stamme Angehörenden, nicht einmal mehr eine Sprache, sondern nur eine verachtete und verstossene Mundart. Von der Geschichte der ruhmreichen Vergangenheit unserer Vorfahren und dem Kaiser Duschan wusste niemand etwas, und nur Lieder und Heldengesänge lebten noch im Munde des Volkes. Es musste zuerst unsere Sprache zu neuem Leben erwachen, und Djuro Danitsehitsch, welcher 1825 zu Neusatz in Ungarn — also mitten unter österreichischen Serben — geboren wurde, ist der Luther derselben. Popovitsch, sein eigentlicher Name, bedeutet Sohn des Popen, denn die fast alle serbischen und kroatischen Eigennamen kennzeichnende Endung »itsch« heisst »Sohn des« oder »der kleine«, gleich dem »son« — man denke z. B. an Jackson, Philipson, Johnson — im Englischen ') »Revue des Deux Mondes« vom 15. November 1871, »Russlands neue Politik«. und in anderen germanischen Sprachen. Sein Schriftstellername kommt von »Danitscha«, die Morgenröthe, her, und er nannte sich »Sohn der Morgenröthe«, um darauf hinzuweisen, dass er sich ganz dem Wiederaufleben seines Volksstammes widmen wolle. Im Alter von 20 Jahren trat er in Wien mit Vuk Karadzitsch, der Gleiches erstrebte, zu vereintem Schaffen zusammen, und auf diesem Wege hat er dann — es wohnte ihm eine beispiellose Arbeitskraft inne — Unschätzbares geleistet. Die Last der selbsterwählten Aufgabe erdrückte ihn schliesslich, doch sein Werk ist vollendet, d. h. der serbisch-kroatischen Sprache eine Stellung gesichert worden. Im Jahre 1849 erfolgte seine Berufung auf den Lehrstuhl für slawische Sprachkunde an der Akademie zu Belgrad, und 1866 gelang es mir, ihn für Agram zu gewinnen. Hier arbeitete er an der Vollendung seines grossen »slawischen Wörterbuches«, als ihn am 4. November 1882 der Tod zur ewigen Ruhe abrief. Kroaten und Serben haben ihn gemeinschaftlich betrauert. Seine irdische Hülle wurde von Agram nach Belgrad gebracht und hier auf Staatskosten und im Beisein des Königs Milan feierlich bestattet, womit die Mächtigkeit des Volksgeistes in grossartiger Weise sich kundthat; der Sarg verschwand unter den von unseren Vereinen und Städten gesendeten Kränzen, deren einer die Inschrift »Nada«, die Hoffnung, trug. Wenig bekannt dürfte es sein, dass Danitsehitsch sich in Belgrad einst das Missfallen irgend eines Ministers zugezogen hatte und nun in einer niedrigen Stellung dem Telegraphenamte überwiesen wurde, was er ohne Murren, und dabei von seinen werthvollen Arbeiten nicht lassend, hinnahm. Dem Fürsten Michael, welcher Vertrauen zu mir hatte, machte ich damals begreiflich, dass der Gemassregelte den ersten Akademien der Welt zur Ehre gereichen würde und der höchsten Stellungen würdig wäre, dass man ihm aber zu seinen Studien die nöthige Müsse verschaffen müsse. Nicht lange darauf wurde er zum auswärtigen Mitgliede der Akademie von St. Petersburg ernannt, und die Frau des Fürsten Michael hat er im Serbischen unterrichtet«. Einige weitere Angaben über den grossen slawischen Sprachforscher verdanke ich einem in Belgrad im Ministerium des Aeusseren arbeitenden Beamten. Im Mittelalter sprachen die Serben das alte Slawisch, welches in schriftlicher Aufzeichnung kaum anders als in liturgischen Büchern vorkam. Das Serbische, welches die Serben Ungarns im 18. Jahrhundert zu drucken begannen, war aber weiter nichts als das mit fremden Bestandtheilen vermischte Slowenische. Erst Danitsehitsch schuf das Serbische, wie es — von dem Minister Tzernobaratz 1868 eingeführt — heute gesprochen, geschrieben, gedruckt und in den Schulen gelehrt wird. Er läuterte dessen Bestandtheile, stellte ein Wörterverzeichniss und grammatische Regeln auf, und seine Werke hierüber sind klassisch geworden; 1849 erschien »Die serbische Sprache und das serbische Alphabet«, 1858 »Die serbische Syntax«, 1878 »Die Wortbildung«; sein Hauptwerk ist aber das grosse slawische Wörterbuch. Doch er liess es sich auch angelegen sein, alte geschichtliche Ueberlieferungen zur Kenntniss weiterer Kreise zu bringen, und veröffentlichte in kroatischer Sprache — zu Agram und Belgrad, 1866 — 1875 — »Die Lieder und Volksmelodien von Mavro Vetranitsch-Savcitsch« und »Das Leben der serbischen Könige und Erzbischöfe«. Aber es war ihm, wie dem deutschen Reformator, darum zu thun, die neu aufgebaute Sprache zum lebensvollen Pulsschlage des Gottesdienstes zu machen. Deshalb veröffentlichte er die »Erzählungen des Alten und Neuen Testamentes« und die »Psalmen«, und als diese Uebersetzung zur Kenntniss des Bischofs von Schabatz gelangte, fand er sie so vorzüglich, dass er sich des alten Psalmbuches nicht ferner bedienen wollte. Die Dienste, welche Danitsehitsch den Serben geleistet hat, sind unermesslich: er gab ihnen eine Schriftsprache und damit die für ihr Bestehen unentbehrliche Grundlage. Durch seine Thätigkeit in Agram und Belgrad wurde er aber zum vereinigenden Bande zwischen Kroatien und Serbien, und in beiden Ländern ist er gleich beliebt und bekannt. Nur gegen zwei Eigenthümlichkeiten der neuen serbischen Sprache hörte ich Einwände machen. Zunächst ist es sehr zu bedauern, dass die alten morgenländischen Schriftzeichen nicht wie bei den Kroaten durch das lateinische Alphabet ersetzt wurden, weil im Hinblicke auf eine künftige Vereinigung der Slawen alles, was dieselben trennt, und besonders das, was sie dabei auch noch vom Abendlande entfernt, nach Möglichkeit vermieden werden müsste. Dann aber war's ein Fehler, die Unterschiede zwischen dem Serbisch-Kroatischen und dem Slowenischen so scharf zu betonen. Letzteres, die Schriftsprache Krains und der umliegenden slawischen Bezirke, hat seinen Mittelpunkt in Laibach, und Miklositsch, welcher auf diesem Gebiete für ganz besonders heimisch gilt, hält es für die älteste slawische Mundart. In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters war es die Sprache aller slawischen Stämme, von den Tyroler Alpen bis nach Kon-stantinopcl und vom Adriatischen bis zum Schwarzen Meere; doch es spaltete und wandelte sich, als in der Mitte des 7. Jahrhunderts der serbisch-kroatische Volksstamm von den Karpathen hinunterstieg, und die Bulgaren sich noch weiter nach Osten ausbreiteten. Immerhin aber sind das Alt-Slowenische und das Kroatische so nah mit einander verwandt, dass sie sich wohl zu einer Sprache hätten verschmelzen lassen; die Slowenen und die Kroaten können besser noch als die Schweden und Norweger sich mit einander verständigen. Am Sonntagmorgen höre ich an der Seite meines Wirthes, welcher nicht amtirt, im Dom eine Messe, bei der man sich, so scheint es mir, der Volkssprache bedient; die vortrefflich geleiteten liturgischen Gesänge werden durch die Klänge einer schönen Orgel begleitet. Einen eigenthümlichen Eindruck macht die Leere des gewaltigen Raumes, dessen Grösse im Verhältniss zur gegenwärtigen Zahl der Gemeindeglieder so ungeheuer ist. Die Männer in den braunen, mit Litzen besetzten Pelzröcken stehen, während die Frauen mit den schönen gestickten Hemden — gleich den Moslims in ihren Moscheen — auf mitgebrachten Teppichen an der Erde sitzen. Ein Gebetbuch hat niemand; alle folgen aber mit der grössten Andacht dem Gottesdienste, und Laien wie Geistliche tragen eine Gewandung, deren Zuschnitt seit einem Jahrtausend von Geschlecht zu Geschlecht sich vererbt hat. Die versammelte Gemeinde, welche kaum den vierten Theil des Mittelschiffes einnimmt, gehört ausschliesslich dem Bauernstande an; die bürgerliche Klasse ist in diesem Räume nicht vertreten, denn deren Mitglieder, die Juden, suchen am Sonnabende die Synagoge auf. Nichts gemahnt an das abendländische Europa, und man könnte hier meinen, plötzlich in eine ganz andere Welt versetzt zu sein. Nach der Messe führt der Bischof mich in die von ihm gegründete höhere Mädchenschule, deren acht grosse und luftige Klassenzimmer mit allem Erforderlichen zweckentsprechend ausgerüstet sind. Hier werden auch Lehrerinnen für die Elementarschulen herangebildet und Handarbeiten, wie die Bäuerinnen sie fertigen, gelehrt. Von dieser Anstalt geht's nach dem gleichfalls vom Bischöfe gestifteten Krankenhause. Dasselbe hat gegenwärtig nur fünf Insassen, nämlich drei alte, aber keineswegs sieche g Laveleye, Balkanländer. Frauen, ferner einen Greis von 104 Jahren, der sich etwas darauf einbildet, noch ohne Brille lesen zu können, und dann einen Zigeuner, der an einer Luftröhrenentzündung leidet. Die Zadrugas sorgen stets selbst für ihre Kranken, und von den Mitgliedern dieser Gemeinschaften steht niemand einsam und verlassen da. Den Dienst im Krankenhause versehen barmherzige Schwestern, deren Oberin der französischen Schweiz entstammt. Dieselbe schwebt aber im Zustande höchster Gefahr und soll auf dem Wasserwege nach Wien gebracht werden, wo der berühmte Professor Billroth eine schwere Operation an ihr vornehmen will. Doch man befürchtet, dass überhaupt die Abreise nicht mehr auszuführen sein wird, und diese fieberrothen Wangen und dunkel umränderten Augen, wie das abgezehrte Gesicht, deuten leider nur zu sehr auf eine Todtkranke hin. »Glauben Sie, Llochwürden, dass ich aus Wien hierher zurückkehren wrerde?« fragt die Oberin. — »Ich hoffe es, meine Tochter«, versetzt der Bischof mit mildem Ernste. »Doch Sie wissen es so gut wie ich, dass unser wahres Vaterland nicht hienieden ist, und was thut's, ob wir einige Tage mehr oder weniger auf dieser Erde wandeln? Erst nach dem Tode beginnt unser wahres Leben; darauf müssen unsere Gedanken und Hoffnungen sich richten, und so werden wir stets bereit sein, vor den Richterstuhl Gottes zu treten«. Der Trost des Glaubens flösste der Kranken neuen Muth ein; in ihren Augen glänzte es auf, und sie rief: »Der Wille Gottes geschehe! seinen Händen vertraue ich mich an!« — Es lässt sich nicht leugnen, dass das Christenthum den Kranken und Sterbenden Tröstungen bietet, welche der Positivismus nicht zu gewähren vermag; ein Anhänger dieser Richtung würde hier wahrscheinlich von Fassung und Ergebung sprechen. Ja, aber mit dem Unvermeidlichen findet man so oder so sich immer ab; nur ist die Ergebung des Positivisten düster und schwer-müthig, die des Christen dagegen vertrauend und sogar freudig, weil die Aussicht auf eine vollkommenere Glückseligkeit sich vor ihm aufthut. Der Bischof zeigt mir auch den Platz, auf welchem der neue Bau für das Gymnasium und die Bibliothek erstehen soll. In jenem werden die jungen Leute in den alten Sprachen unterrichtet und überhaupt vollständig für die Universität und das Seminar vorbereitet; diese aber ist zur Aufnahme der ungeheueren Büchersammlung bestimmt, welche der Bischof im Laufe von 40 Jahren erworben hat, und die zu Studien und Forschungen das Nöthige bietet. Alle öffentlichen gemeinnützigen Einrichtungen werden hier nicht von der Gemeinde, sondern vom Bischöfe unterhalten, welcher auch 100000 Franken zum Wiederaufbau der Gemeindeschule hergiebt. Von den reichen Erträgen der bischöflichen Ländereien ist nichts dem Luxus oder der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse gewidmet, während hingegen ein Grossgrundbesitzer weltlichen Standes schwerlich daran denken würde, seine Begüterungen zu einer Stätte der Kultur zu machen. In seinen Händen wäre der Reinertrag des Bodens wohl dazu bestimmt, in Wien oder Pest für allerlei weltliche Vergnügungen verausgabt zu werden; er würde dann für Bälle, Festessen, schöne Wagen und Kleider oder vielleicht am Spieltische und an noch schlimmeren Orten daraufgehen. Die zehn Mönche, welche ich am Morgen im Dome gesehen hatte, sitzen jetzt an der Mittagstafel; sie sind alte, vom Bischöfe unterhaltene Priester und sprechen geläufig deutsch, aber nur sehr gebrochen französisch. Der aufgetragene Landwein erweist sich als vorzüglich, und beim Nachtische giebt's französischen Wein; im Laufe der anregenden, vom Geiste erfrischender Munterkeit 8* durchdrungenen Unterhaltung werden die Bulgaren als ganz besonders tüchtige Arbeiter gerühmt. Sie miethen z. B. bei Essek ein Joch Land für 50 Florin, d. h. für das Dreifache des gewöhnlichen Preises, und machen es doch möglich, durch den Anbau von Gemüsen 200 Florin zu verdienen. Den grössten Theil dieser Summe bringen sie dann ihren in der Heimath gebliebenen Familien, und die gleiche Thätigkeit entfalten sie in der Nähe aller grossen Städte des unteren Donaugebietes und bis nach Agram und Pest hinauf. Ausser ihnen giebt in diesen Gegenden überhaupt niemand mit dem Gemüsebau sich ab, und ohne sie würde hier auf den Marktplätzen das Gemüse fehlen. Man spricht auch über angestrengte Versuche österreichischer Ministerien, in dem gänzlich slawischen Istrien den slawischen Volksgeist zu unterdrücken; so gab es dort einst einen des Slawischen gar nicht mächtigen Bischof, und dieser besetzte die erledigten Pfarrämter durch italienisch sprechende Priester, welche nur mit Hilfe eines Dolmetschers die Beichte abnehmen konnten. Jetzt aber bricht sich überall — Pest vielleicht ausgenommen — die Ansicht Bahn, dass die beste Schutzwehr gegen den Irredentismus in der Entfaltung des Slawenthums liegt. Keine andere Gegend ist aber so ausschliesslich slawisch wie der Mittelpunkt Istriens, und es findet sich hier ein Bezirk, in dem die Messe in der Volkssprache, d. h. im Alt-Slowenischen, gelesen wird. Vor dem gewöhnlichen Nachmittagsausfluge sucht jeder sein Zimmer auf, um sich der Ruhe zu überlassen. Der Bischof schickt mir nun verschiedene Zeitungen und Zeitschriften — das »Journal des Economistes«, die »Revue des Deux Mondes«, die »Temps«, die »Nuova Antologia«, die »Rassegna nazionale« —, mit deren Hilfe die Bewohner Djakovos über die Vorgänge im Abend- lande sich schon auf dem Laufenden erhalten können. Um 4 Uhr hat die Hitze sich etwas gelegt, und nun bringen uns die bekannten Gespanne nach den Zadrugas von Siroko-Polje. Die Mitglieder einer solchen »Zadruga« — das Wort selbst bedeutet »Vereinigung« — bilden eine Familie, welche auf dem gemeinsamen und untheilbaren Besitzthume lebt und, gleich einer Stiftung, rechtlich wie eine Person dasteht. Die Einzelnen haben nicht das Recht, eine Theilung des Gesammteigenthums zu verlangen oder etwas davon zu verkaufen oder zu verpfänden; das Mädchen, welches heirathet, erhält eine Aussteuer, aber nichts weiter. Ein Erbrecht kennt man hier ebenso wenig, wie in religiösen Gemeinschaften, und beim Tode der Eltern erben die Kinder, von einigen beweglichen Gegenständen abgesehen, nicht, sondern beziehen nach wie vor den ihnen zukommenden Antheil an den Gesammterträgnissen, kraft ihres persönlichen Rechtes als Familienmitglieder. Wer für immer aus der Gemeinschaft scheidet, verliert jeden Anspruch an dieselbe. Die Regelung der inneren Angelegenheiten und äusseren Beziehungen liegt in den Händen eines gewählten Oberhauptes, und zu einem solchen wird gewöhnlich entweder der älteste oder der klügste Mann gemacht, welcher nun »Gospodar«, der Herr, oder »Stareschina«, der Alte, heisst. Die Leitung der Wirthschaft liegt einer Matrone, der »Domatschika«, ob, welche für ihren Bereich mit unumschränkter Machtvollkommenheit versehen ist. Der »Stareschina« sitzt den Berathungen vor, welche jeder wichtigen Entschliessung vorangehen; er leitet die Feldarbeiten, kauft, verkauft, und seine Stellung entspricht genau der des Direktors einer Handelsgesellschaft, deren Firma keinen Personennamen aufweist, oder einer Produktivgenossenschaft. Dieser letztere Vergleich wäre noch zutreffender, weil die »Zadrugas« ja. landwirth- schaftliche Produktivgenossenschaften sind, die, statt durch Aussichten auf Geldgewinne, durch hundertjährige Gewohnheiten und durch Familienbande zusammengehalten werden. Früher konnte eine »Zadruga« nur durch den Tod all ihrer Mitglieder aufgelöst werden. In alten Zeiten war die Familiengemeinde — unter verschiedenen Namen — in der ganzen Welt zu finden, bei den Griechen, den Römern, den Deutschen,1), und im Mittelalter hat sie sich in den Gemeindegeschlechtern verkörpert. In Amerika führten Zadrugas diese riesigen Gebäude auf, welche gleich einem Bienenkorbe zellenartig abgetheilt sind und »Pueblos« genannt werden. Bis zur Revolutionszeit hat es sogar im Mittelpunkte Frankreichs Familiengemeinden gegeben, wie man sie in derselben Gestaltung heute noch bei den Südslawen antrifft; nur hatte man dort nicht einen »Stareschina«, sondern ein Maire war das Gemeindehaupt oder der Brodmeister. Da wir am Sonntage nach Siroko-Polje kommen, begegnen wir festlich gekleideten Männern und Frauen. Während der Woche tragen letztere nur ein langes, an den Aermeln und am Halsausschnitte gesticktes Hemde, eine Schürze in lebhaften Farben, auf dem Kopfe ein rothes Tuch oder Blumen und an den Füssen gar keine Bekleidung. Hüten sie das Vieh, oder gehen sie aufs Feld, so hängt stets ein Spinnrocken an ihrem Gürtel, und geschickt den Faden drehend, verarbeiten sie Wolle, Flachs oder Hanf und gewinnen so das zur Webearbeit des Winters Gehörige. Ihr aus grober Hanfleinwand gefertigtes Hemde ist in einen malerischen Faltenwurf gelegt und gleicht vollständig dem Gewände der jungen Athenerinnen, die, unter der Leitung des Chorführers an den Panathenäen2) sich betheiligend, auf dem Friese des 1) Caesar, De bello gallico VI, 22. 2) Feste zu Ehren der Athene, in Athen. — H9 — Parthenons abgebildet sind. Seit unvordenklichen Zeiten verfährt man in gleicher Weise bei der Anfertigung dieser hemdartigen Bekleidungsstücke, die ebenso einfach wie würdevoll erscheinen und zu einem Vorwurfe für Bildhauer wie geschaffen sind; eine derartige Hülle musste die eben aus dem Naturzustande heraustretende Scham-haftigkeit ersinnen. Die jungen Mädchen lassen die Haare in langen, mit Blumen oder Bändern geschmückten Zöpfen herabfallen, während die Frauen dieselben aufgesteckt tragen. Auch die Männer kleiden sich weiss; ihr Hemd ist weit, aber ihr wollenes oder leinenes Beinkleid ähnelt nicht, wie bei den Ungarn, durch seine vielen Falten einem Frauenrocke. Am Sonntage tragen Männer und Frauen eine gestickte Jacke, bei deren Ausschmückung ganz Erstaunliches geleistet wird. Diese Gestaltungen scheinen den Arabesken türkischer Teppiche entlehnt zu sein; sie sind aber wahrscheinlich durch die unwillkürlichen Eingebungen dieses angeborenen, unbewussten Schönheitssinnes entstanden, der den Menschen überall dazu treibt, Zeichnungen und Farben nachzuahmen, wie sie in den Blumenkelchen, auf dem Gefieder der Vögel und besonders auf den Flügeln der Schmetterlinge sein Auge entzücken. Die gleichen Entwürfe findet man auf den farbenschillernden Vasen aus den ältesten Zeiten, vom Indus bis zu den geheimnissvollen Denkmälern aus Amerikas vorgeschichtlicher Periode. Zu diesen Stickereien verwendet man kleine Tuch- oder Lederstückchen in sehr lebhaften Farben, welche mit einem Garn in abstechender Schattirung, bei den Frauenjacken mit Goldfäden, aufgenäht wurden; auf letzteren sind mitunter auch kleine Stückchen Spiegelglas angebracht. Die Gürtel werden in gleicher Weise bestickt, und das Schuhwerk besteht aus Sandalen mit Lederriemen, der von Triest bis nach Konstantinopel hin vorkommenden »Opanka«. Einige von den Dorfschönen gehen in Seidenstrümpfen und Zeugschuhen mit Lackspitzen einher, was der volks-thümlichen Gewandung gegenüber einen geradezu widerwärtigen Eindruck macht. Um Kopf, Hals und Gürtel schlingen die Frauen Schnüre von Gold- und Silbermünzen, die reichsten in zwei bis drei Reihen, was einen ganzen Schatz von kostbaren Metallen in sich schliesst. Das Zusammensein dieser Frauen in ihrer malerisch schönen Gewandung macht einen bezaubernden Eindruck; bei aller Farbenpracht und allem Farbenreichthume darf das Auge nirgends verletzt sich abwenden. Die Ankunft des Bischofs hat alle Dorfbewohner auf die Beine gebracht. Als die Wagen vor dem Hause der Zadruga halten, welche wir zuerst besuchen wollen, empfängt uns der Stareschina, ein noch vollständig rüstiger Greis mit weissen, bis auf die Schultern herabfallenden Haaren. Alle Kennzeichen der kroatischen Rasse sind demselben eigen: die fein gebogene Adlernase, die grauen, glanzvollen Augen, der kleine Mund und die dünnen, von einem langen Husarenbarte beschatteten Lippen. Ehrerbietig, aber ohne knechtische Unterwürfigkeit — wie man es etwa früher einer Dame gegenüber machte — küsst er des Bischofs Hand und heisst uns dann in sehr gewandter Weise willkommen; mein Kollege aus Agram übersetzt mir die kleine Rede. Die Bauern sind hier daran gewöhnt, über ihre Angelegenheiten innerhalb der Zadrugas und auf den Versammlungen des Dorfes zu sprechen, und das macht sie eben des Wortes mächtig; fast alle Stareschinas erweisen sich als Redner. Das gemeinsame Wohnhaus der Zadruga ist höher und sehr viel grösser als das dahinter befindliche Gebäude mit den Einzel-Behausungen und hat nach dem Wege zu acht Fenster, aber keine Thüre. Diese geht auf eine Art von Vorbau, einen verdeckten Gang, hinaus und liegt nach dem Hofe zu, welcher durch ein Gitter abgeschlossen wird. In einem grossen Räume, dessen Ausstattung in einem Tische, in Stühlen und Bänken und einem einfachen hölzernen Schranke besteht, und dessen stets sehr sauber geweisste Wände in farbigen Bildern Darstellungen frommen Inhaltes aufweisen, werden die Mahlzeiten gemeinsam eingenommen. Von hier geht's links in ein grosses, fast ganz leeres Zimmer, woselbst im Winter alle zur Zadruga gehörigen Personen schlafen; es soll die Wärme des Ofens ausgebeutet werden, der sich in der Mauer zwischen beiden Stuben befindet und dieselben gleichzeitig heizt. Im Sommer benutzt aber jedes Paar sein besonderes kleines Zimmer. Einem noch seltsameren Gebrauche bin ich in Ungarn begegnet. Auf einer grossen Besitzung des Grafen Eugen Zichy bemerkte ich ein ausgedehntes Gebäude, in dem die Frauen und Kinder der Knechte, Hirten u. s. w. wohnten. Jede Familienmutter hatte ihre besondere Kammer und bereitete in der gemeinsamen Küche auf einem ungeheueren Herde das Essen für ihre Angehörigen, doch nicht in Gemeinschaft mit den anderen Frauen; es kochte vielmehr jede auf eigene Hand. Von den Männern wohnte niemand in diesem Frauenhause, und dieselben mussten sämmtlich in Ställen oder Scheunen schlafen. An Kindern hat es indessen nicht gefehlt. Der Ofen im Hause dieser zuerst von uns besuchten Zadruga und die geweissten Decken und Wände sind eine Errungenschaft der Neuzeit. Früher — in einigen alten Häusern auch heute noch, selbst in Siroko-Polje — befand sich die Feuerstelle mitten im Zimmer. Der Rauch musste seinen Weg durchs Gebälk suchen und durch einen aus kleinen Brettern gebildeten Schlot, über welchen man eine starke, schräg abfallende und auf vier Stützen ruhende Bohle gelegt hatte, um Regen und Schnee nicht auf den Herd kommen zu lassen. Die Wände bedeckten sich allerdings mit Russ, doch räucherten dafür die Schinken besser. Der neue Ofen soll aus Bosnien herübergekommen sein und stark und andauernd wärmen. Er ist rund und aus gutem Thon und hat grün glasirte, scheibenartige Verzierungen, die an Flaschenböden erinnern. In Serajewo z. B. habe ich solche Oefen beim französischen Konsul getroffen. Nur der Stareschina sitzt mit uns am Tische; er giebt uns von seinem Weine zu trinken und bringt Toaste aus, die vom Bischöfe erwidert werden. Im Hintergrunde des Zimmers drängt die ganze Familie sich zusammen; in der vordersten Reihe sieht man die vielen Kinder und hinter diesen die jungen Mädchen mit den schönen, gestickten Hemden. Die Gemeinschaft umfasst 34 Personen jeden Alters, worunter sich vier Ehepaare befinden, und auch zwei Wittwen, deren Männer in Bosnien im Kriege gefallen sind, und es gehören ihr mehr als 100 Joch Ackerland, ferner 200 Hammel, 6 Pferde, etwa 30 Stück Hornvieh und sehr viele Schweine. Das zahlreiche Geflügel aller Art, welches auf dem Hofe herumläuft, macht es aber möglich, hier, dem Wunsche Heinrichs IV. entsprechend, oft ein Huhn in den Topf zu bringen. Im Obstgarten gedeihen Birnen, wie auch sehr viele Pflaumen, die zur Bereitung der allbeliebten »Sliwowitza«, eines branntweinartigen Getränkes, nöthig sind. Hinter dem grossen gemeinsamen Wohnhause liegt ein niedrigeres, aber langes Gebäude, das gleichfalls eine Veranda mit gedieltem Boden hat; auf diese münden so viele Zellen, als die Zadruga Ehepaare und Wittwen umfasst. Wird innerhalb der Familiengemeinde eine neue Ehe geschlossen, so erweitert man das Gebäude um eine Zelle. Eine Frau öffnete die ihrige, welche mit Möbeln und Kleidungsstücken buchstäblich vollgepfropft war. Im Hintergrunde stand ein gewaltiges Bett mit drei grossen Matratzen, gestickten und spitzenbesetzten Linnen und einer schönen, farbenschillernden Steppdecke aus Wollenstoff. Eine teppichartige Decke der gleichen Gattung lag auf dem Divan, und unten am Boden befanden sich kleine, dunklere Teppiche aus gekräuselter Wolle in schwarzen, dunkelblauen und braunrothen Tinten. Das Schuhwerk — darunter auch die ungarischen Stiefel, welche der Mann bei seinen Gängen nach der Stadt benutzt, — nahm die an den Wänden entlang gehenden Bretter ein; zwei grosse Schränke enthielten Kleidungsstücke und drei riesige Kasten gestickte Wäsche. Mit Stolz zeigte die junge Frau das Werk ihrer Hände und ihr persönliches Eigenthum; um aber all diese entzückenden Sachen beschreiben zu können, müsste man das vollständige Wörterverzeichniss eines Fachmannes erschöpfen. Den Arbeiten, welche zur Erhaltung des Gemeinwesens nöthig sind, müssen die Einzelnen die erforderliche Zeit widmen. Was sie aber in ihren Mussestunden schaffen, gehört ihnen persönlich, und so können sie zu einem Sonder-Eigenthume kommen, das aus Wäsche, Kleidern, Schmuckgegenständen, Geld, Waffen und noch allerlei anderen Sachen beweglicher Natur besteht. In den Familiengemeinschaften Indiens sind die Besitz Verhältnisse in gleicher Weise geordnet. Im Hintergrunde des Llofes steht die Scheune, die »Kornkammer«, deren Inneres ringsum hölzerne, mit Weizen, Mais und Hafer gefüllte Behälter aufweist. Die Zeit der Ernte naht bereits, und doch sind die vorhandenen Vorräthe noch lange nicht bis zur Hälfte verbraucht. Die Zadruga ist vorsorglich wie eine Ameise; um einer schlechten Ernte oder einem feindlichen Einfalle gegenüber sich behaupten zu können, werden Vorräthe aufgeschichtet, welche mindestens für die Dauer eines Jahres ausreichen. Seitwärts, in einem allein gelegenen Gebäude, befinden sich Keller und Fässer zur Bereitung des Weines und der Sliwowitza. Mit Befriedigung weist der Stareschina auf eine ganze Reihe von Tonnen, die gefüllt sind mit letzterem Getränk, das man altern lässt, ehe man es verkauft. Ohne erspartes Kapital steht die Gemeinschaft keineswegs da. Die Viehställe liegen mitten in den Feldern: es ist dies ein Gebrauch, den man auch in Ungarn auf grossen Landgütern antrifft, und der sich vorzüglich bewährt. Die Thiere sind auf der Arbeitsstätte, und man entgeht der Sorge für das Befördern der Fütterung und des Mistes, während die im Dorfe wohnende Familie die Vortheile der Geselligkeit geniesst. In der Pflege des Viehes lösen die jungen Leute sich ab. Die nächste Zadruga, welche wir besuchen, hat die gleichen Verhältnisse und Einrichtungen aufzuweisen; nur ist hier der Empfang noch glänzender. Während wir mit dem Stareschina in Gegenwart der ganzen zahlreichen Familie ein Glas Wein trinken, haben die Dorfbewohner vor den offenen Fenstern gruppenweise sich aufgestellt. Der Schullehrer tritt nun hervor und wendet sich mit einer Rede in kroatischer Sprache an den Bischof. Er ist aber auch des Italienischen mächtig und erzählt mir, dass er als Soldat in der Lombardei geweilt und dass er 1866 bei Custozza mitgekämpft hat; dann schildert er mir mit einer Beredtsamkeit, die aus tiefster Ueber-zeugung schöpft, die Vortheile der Zadruga. Die jungen Mädchen mit den feinen Zügen — manche sind recht hübsch, und man hat es hier überhaupt mit einer schönen Rasse zu thun — zeigen sich fröhlich und munter und singen auf meine Bitte einige Volkslieder. Schwarze Haare, welche in Ungarn so häufig vorkommen, finden sich in dieser Gegend nur sehr vereinzelt, und man sieht wohl auch blonde, aber doch meistens kastanienbraune. Beide, ganz von einander verschiedene Typen, die Blond-und die Dunkelhaarigen, sind bei den West- wie bei den Südslawen vertreten. Bei den Slowaken Ungarns z. B. herrscht das Flachsblonde vor, während die Montenegriner sehr dunkle Haare haben. Auf einer grossen Messe zu Karlstadt in Kroatien habe ich Bauern gesehen, die aus den südlichen Theilen der Provinz kamen und hinsichtlich ihres Glaubensbekenntnisses zu den nicht-unirten Griechen gehörten; ihnen gaben die schwarzen Haare und dunkeln Augen und die gelbliche Hautfarbe ein ganz entschiedenes Gepräge. Dagegen hatten andere Bauern, die auch Kroaten, aber unirte Griechen waren, zum grössten Theile blonde Haare, graue Augen und eine lichte Hautfarbe. Die Natur hat die Slawen augenscheinlich blond erschaffen; doch als dieselben nach den verschiedenen Ländern kamen, deren vorherrschenden Be-standtheil sie heute bilden, vermischten sie sich mehr oder minder mit den Ureinwohnern, und daraus erklärt sich's, dass einige slawische Stämme braune oder schwarze Haare aufzuweisen haben. Mein Verweilen in den Zadrugas bestärkt durchaus die günstige Meinung, welche dieselben mir früher schon abgenöthigt hatten, und lässt mich ihr Verschwinden um so mehr bedauern. Diese Familiengemeinden zeichnen sich vor ihren nicht in solcher Vereinigung lebenden Nachbarn durch eine grössere Wohlhabenheit aus: sie haben bessere Felder, mehr Vieh und mehr Geld, und ihrem Genossenschaftscharakter gemäss verbinden sie die Vortheile kleinen Besitzes mit der Bewirthschaftung im Grossen. Sie verhindern eine übermässige Zerstückelung des Besitzes, beugen der Verarmung des Landvolkes vor und machen die öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten überflüssig; auch bilden sie eine vortreffliche Schule für das parlamentarische Leben und die Selbstverwaltung. Dabei unterhalten und kräftigen sie das Familicngefühl, und die gegenseitige Ueberwachung bildet eine Schutzwehr gegen die Verschlechterung der Sitten und die Zunahme der Verbrechen. Beschliessen die Mitglieder einer Zadruga deren Auflösung, so veräussern sie häufig ihren Besitz und fallen dem Elende anheim. Woher aber kommt es, wird man fragen, dass die Zadrugas bei allen ihren Lichtseiten unaufhaltsam im Verschwinden begriffen sind? Der Gedanke, dass jede Neuerung einen Fortschritt umschliesse, hat der Jetztzeit sich völlig bemächtigt, und allem Schwindenden folgt wohl ein Verdammungs-urtheil. Ich bin darüber hinweg. Ob das Alter oder das Studium mich zum Lobredner der Vergangenheit macht, mag dahingestellt bleiben; jedenfalls aber wird es mir schwer, in dem Untergange jener altehrwürdigen Einrichtungen einen wirklichen Fortschritt zu erblicken. Das Streben nach etwas Neuem, das- Wohlgefallen an Pracht und Aufwand, der Geist der Auflehnung, das Bewusstsein der Persönlichkeit und die Gesetzgebung durchschneiden den Zadrugas die Lebensader. Während der Rückkehr nach Djakovo bewundere ich von neuem den Stand der Felder. Der Weizen ist prächtig und fast gänzlich rein; es säubert der bei der Wechselwirthschaft zwischendurch angebaute Mais die Erde, da er eine doppelte Pflügung verlangt, und man sieht weder Kornblumen, noch Mohn, noch wilden Senf. Doch zu meinem Bedauern deutet in der Nähe des Dorfes nichts darauf hin, dass die Leute hier an Spielen Gefallen finden. In dieser Beziehung — wie auch in vielen anderen Punkten — giebt die Schweiz ein beherzigenswerthes Beispiel, besonders für Gegenden wie die hiesigen, wo die Menschen durch ihre einfachen Sitten mit den Bewohnern jener Alpenwelt eine so grosse Aehnlichkeit haben. Dort legt man bekanntlich einen hohen Werth auf Schiessübungen, Ringkämpfe u. s. w.; im alten Griechenland und während des Mittelalters bei unseren tapferen, flämischen Bürgern war's ebenso. Diese hatten sich die Uebungen der Ritter zum Vorbilde genommen und erlangten damit die Fähigkeit, auf dem Schlachtfelde gegen den Adel kämpfen zu können. Solche Spiele bilden ein gewandtes, kräftiges und — freies Volk; hier sollte man sie überall einführen und durch ausgesetzte Preise den Leuten Lust dazu machen. Eben ihren Spielen verdankt Englands Jugend Kraft, Kühnheit und Selbstvertrauen, und darum nimmt auch Grossbritannien so viel Raum auf dem Erdballe ein. Das preussische Kultusministerium wendet jetzt gleichfalls seine Sorge den Jugendspielen zu, und ich wünschte, der betreffende Er-lass wäre in allen Schulen mit goldenen Buchstaben angebracht. An allen Orten sollten die Kinder und jungen Leute zu Spielen und Uebungen angehalten werden, bei denen die Muskelkraft und zugleich auch die Kaltblütigkeit, der schnelle, sichere Blick, die Entschlossenheit, Willenskraft und Ausdauer, also ein starker Geist und ein starker Körper, sich entwickelt. Es handelt sich nicht wie in Griechenland darum, Fechter auszubilden; aber es soll ein kräftiges, gesundes, willensfestes Geschlecht heranwachsen, das im Nothfalle befähigt ist, einen starken Arm für eine gerechte Sache einzusetzen. In diesen Gegenden tanzen die Landleute an Sonn- und Festtagen mit Vorliebe den Kolo; doch das genügt nicht. Als wir wieder in Djakovo sind, frage ich den Bischof, in welcher Weise das Seminar, das er im Jahre 1857 zur Ausbildung von Bosniens katholischer Geistlichkeit gestiftet hatte, durch den Schutz des Kaisers be-einflusst worden ist. Kapitän G. Thoemel stellt in seinem Buche über Bosnien, wie ich unlängst gelesen hatte, die betreffenden Verhältnisse in sehr rosigem Lichte dar. L Aber das Antlitz des Bischofs verfinstert sich, und zum ersten Male spricht aus seinen Worten eine tiefe Bitterkeit. »Im Jahre 1876 hat man das Seminar nach Gran gebracht«, sagt er. »Um meiner eigenen Person willen beklage ich das keineswegs, denn je weniger ich vor Gott zu verantworten habe, desto mehr vermindern sich meine Mühen und Sorgen, welche bereits über das Maass meiner Kräfte hinausgehen. Aber im Hinblicke auf die jungen slawischen Priester lässt das Verfahren in keiner Weise sich rechtfertigen. Von ihnen, den einstigen Seelsorgern der Slawen, verlangt man, dass sie im Mittelpunkte des Magyarenthums ihre Studien machen sollen, dort, wo sie kein Wort ihrer Sprache zu hören bekommen, der einzigen, die sie künftig im Verkehre brauchen werden, und deren Pflege ihnen deshalb auch in erster Linie am Herzen liegt. Die unglücklichen Bosnier haben es in Gran nicht aushalten können und sind davongegangen; ob man in Pest hofft, Bosnien werde sich ma-gyarisiren lassen? Es ist wirklich seltsam, dass selbst die Ungarn, welche uns durchaus gerecht zu werden wünschen, doch eine solche Mühe haben, das auch zu sein. Mit Kossuth traf ich 1867 zufällig in Paris auf der Weltausstellung zusammen; in Reden und Schriften hatte er damals soeben erklärt, dass das Heil Ungarns auf der vollkommenen Gleichberechtigung aller anderen Völkerschaften beruhe. Darin stimmte ich ganz mit ihm überein; ich meinte, man müsse die Streitigkeiten aus dem Jahre 1848 vergessen und sich brüderlich die Hand reichen. Als ich jedoch Fiumes gedachte, brauste er auf und rief mit flammenden Blicken: „Fiume ist eine ungarische Stadt; nie werden wir den Hafen Ungarns den Slawen abtreten." In Wirklichkeit ist aber Fiume eine slawische Stadt und ihr jetziger Name nur eine italienische Ueber-setzung ihres eigentlichen, der „Rieka" lautet und im Kroatischen „Fluss" bedeutet. Kroatien hat nur diesen einen Hafen, und einer Vereinigung desselben mit Ungarn, von dem es eben durch Kroatien getrennt ist, widerstreben schon die geographischen Verhältnisse«. — »Ich muss gestehen«, lautete meine Antwort, »dass diese Erbitterung, mit welcher die Ungarn und Kroaten um Fiume sich streiten, wenig Verständniss bei mir findet. Man gebe der Stadt ihre Selbstständigkeit, und da der Hafen allen geöffnet sein wird, wird er auch allen gehören«. — »Ja, in der vollkommenen Selbstregierung und -Verwaltung liegt allein die richtige Lösung«, versetzte der Bischof, »und wir verlangen für unser Land auch nichts weiter«. Beim Abendessen wird von der griechisch-katholischen Geistlichkeit gesprochen, und ich wrerfe die Frage auf, ob die Berichte über deren Unwissenheit wirklich auf Thatsächlichem beruhen. »Unwissend sind diese Geistlichen allerdings in hohem Grade, doch ihnen selbst kann man keinen Vorwurf daraus machen«, erklärt Strossmayer. »Die griechischen Bischöfe, welche von ihrem in Konstantinopel wohnenden Patriarchen ernannt wurden, standen der Pflege des volkstümlichen Wesens feindselig gegenüber. Die Popen erhielten gar keine Ausbildung und waren überdies so arm, dass sie mit eigenen Händen den Boden bebauen mussten. Nun aber ist man von einem doppelten Joche, von dem der Türken und dem der griechischen Bischöfe, befreit, und so kann jenen Uebelständen abgeholfen werden. Ich habe gesagt und besonders sagen lassen, dass man Vor allen Dingen gute Seminare gründen müsse. In diesen jungen Staatswesen ist der Priester der Träger der Kultur, indem er auf der einen Seite durch seine Bildung zu den Höhen der Menschheit sich emporschwingen kann und auf der anderen durch seine Stellung auch in die einfachste Hütte Laveleye, Halkanländi'f. 9 gelangt. Es erfüllt mich mit lebhaftester Befriedigung, dass die Regierungen Serbiens, Bulgariens und Rumeliens grosse Opfer zur Gründung neuer Schulen bringen; mögen sie's sich aber vergegenwärtigen, dass gute Seminare durch nichts zu ersetzen sind«. Solche Aeusserungen zeigen, dass Strossmayer zu Gunsten der Slawenstämme bereit ist, über die trennenden dogmatischen Unterschiede hinweg der griechischkatholischen Geistlichkeit die Hand zum Bunde zu reichen. Doch gerade in den Kreisen derselben fühlt man sich durch die folgende Stelle seines Hirtenbriefes vom 30. September 1880 verletzt, woselbst es heisst: »O Slawen, meine Brüder, Ihr seid augenscheinlich dazu bestimmt, Grosses in Asien und in Europa zu vollbringen. Ihr seid ja berufen, dem Abendlande, dessen Sittlichkeitsgefühl erschlafft ist, durch Euren Einfluss neue Lebenskräfte zuzuführen; Ihr sollt ihm mehr Gemüth, mehr Nächstenliebe, mehr Glauben einhauchen, mehr Sinn für die Gerechtigkeit, die Tugend und den Frieden. Aber Ihr werdet diese Aufgabe zum Heile der anderen Völker und zu Eurem eigenen nur erfüllen, Ihr werdet der Meinungsverschiedenheiten, welche Euch unter einander entzweien, nur Herr werden, wenn Ihr Euch mit der abendländischen Kirche versöhnt, indem Ihr einen Vergleich mit derselben schliesst«. Proben von den erregten Entgegnungen,, welche dieser letzte Satz hervorrief, linden sich (Juli 1881) in dem »Christlichen Boten«, den der Pope Alexa Ilitsch in serbischer Sprache herausgiebt. Stefan, der Bischof vonZara, —ein nicht-unirter Grieche — hat aber Pfingsten 1881 in seinem Hirtenbriefe dem Bischof Strossmayer eine Antwort gegeben. »Was«, heisst es da, »suchen denn diese Leute unter unserem rechtgläubigen Volke, an das sie sich wenden, ohne dazu berufen zu sein? Derjenige von ihnen, der am bekanntesten ist, verkündet uns, „dass der heilige Vater, der Papst, auch seine Brüder aus der morgenländischen Kirche von seiner Liebe nicht aus-schliesse und denselben von ganzem Herzen die Einheit des Glaubens wünsche, welche sie stark und wahrhaft frei machen wird", und er hofft, „dass viele derselben aus Anlass der Heiligsprechung unserer Apostel Cyrillus und Methodius nach Rom gehen werden, um sich dem Papste zu Füssen zu werfen und ihm zu danken"«. Der Bischof von Zara wendet sich dann ganz entschieden gegen die Ansprüche Roms, wozu er ja durchaus berechtigt ist; doch auch der römische Bischof darf bestrebt sein, die seiner Meinung nach verirrten Brüder dahin zurückzuführen, wo für ihn die Wahrheit ist. Bekehrungsversuche müssen erlaubt sein, vorausgesetzt, dass Duldung und Nächstenliebe nicht darunter leiden. Immerhin sind diese religiösen Zwistigkeiten sehr zu bedauern, und sie können die Vereinigung der Slawenstämme Oesterreichs und der Balkanhalbinsel vielleicht auf lange hinausschieben. In einem Briefe, den Lord Edmund Fitz-Maurice mir im Augenblicke meiner Abreise schickte, äussert derselbe sich folgendermaassen:. »Die Zukunft der Süd-Slawen hängt hauptsächlich davon ab, ob in ihnen das Volks-bewusstsein über die religiösen Streitfragen den Sieg erringen wird, und die Lösung dieses Räthsels liegt zum grossen Theile in den Händen des berühmten Bischofs von Djakovo«. Ich halte es weder für möglich noch wünschenswerth, dass Strossmayers Versuche zu Gunsten Roms gelingen; doch das Werk, welches derselbe zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat, der Wiederaufbau des kroatischen Volksthums, steht gefestigt genug da, um allen Angriffen und Prüfungen standhalten zu können. Viertes Kapitel. Bosnien, seine Geschichte und seine Landwirthschaft. Dieselben prächtigen Grauschimmel, welche mich nach Djakovo brachten, führen mich auch von dort hinweg, und Vrpolje — für meine Weiterreise die nächste Bahnstation — ist in weniger als einer Stunde erreicht. Doch nun fallen meine Blicke auf ganz andere Landschaftsbilder als während meiner Hinreise nach Djakovo; hier giebt's ausgefahrene Wege, weite Strecken, wo die Schafe sich umhertreiben, weniger Getreidefelder und weniger Behausungen. Sind das vielleicht schon die Vorläufer der einstigen türkischen Provinzen, also der Barbarei, während doch der Weg nach Pest und Wien, das heisst nach der Zivilisation hin, in entgegengesetzter Richtung läuft? Dem Bahnhofe gegenüber liegt ein kleines Gasthaus, und hier erwarte ich den Zug, welcher mich nach Brod führen soll. In den beiden Gastzimmern sieht es sehr eigen aus; vor den Fenstern fallen Musselingardinen herab, und an den sauber geweissten Wänden hängen die Bilder des österreichischen Kronprinzenpaares. Ueberall habe ich dieselben getroffen, an den Schaufenstern der Buchläden, in den Gasthöfen und Speisewirthschaften. Darin liegt offenbar ein Gradmesser für die allgemeine Werthschätzung hochstehender Persönlichkeiten, und so scheinen denn Kronprinz Rudolf und seine Frau, die Prinzessin Stefanie, die Tochter des belgischen Königs, selbst in slawischen und magyarischen Ländern sehr beliebt zu sein. / Auf einem nahen Maisfelde sind ein Mann und eine Frau in anstrengender Thätigkeit begriffen. Die letztere ist nur mit ihrem langen Hemde aus grober Hanfleinwand bekleidet, das sie aber, um sich freier bewegen zu können, bis über das Knie hinauf geschürzt hat. Die Anforderungen des Schamgefühls lassen eben in dem Maasse, als man dem Laufe der Donau hinunterfolgt, nach, und an den Ufern der Sau stehen sie fast schon auf dem Nullpunkte. Der Mann trägt ein Beinkleid aus grobem, weissem Stoffe und ein Hemde; er lebt augenscheinlich in sehr kläglichen Verhältnissen und ist abgezehrt und von der Sonne verbrannt. Der Erde fehlt's nicht an Fruchtbarkeit, und trotzdem sieht er sich zu einem elenden Dasein verdammt. Eine Stelle aus George Sands »La Mare au Diable« kommt mir in den Sinn, und vor meinen Augen steht der Ackersmann aus Holbeins »Tanz des Todes«, mit der Inschrift: »Im Schweisse Deines Angesichtes sollst Du Dein Brod essen«. Vor kurzem hatte ich mich auch in Italien über das fürchterliche Elend der Bauern entsetzt, welches schon in den amtlichen Ausweisen sich wiederspiegelt. Wir leben in einem Jahrhundert, in welchem der Mensch an der Hand der Wissenschaft eine so wunderbare Schaffenskraft entwickelt, und doch bleibt den Bauern von diesem Brode, das sie einfahren, kaum genug zur Stillung des Hungers. Woran liegt das, und woher kommt's, dass diesen Leuten so häufig noch etwas Wildes und Verthiertes innewohnt, was an das Zeitalter des 14. Ludwig, an die Schilderungen La Bruyeres gemahnt? Auf Italien lasten die Pachtzinse und Steuern, während hier besonders die letzteren drücken. Ein Mann in grossem, weissem Turbane, brauner, schwarzbestickter Jacke, weiten, dunkelrothen Beinkleidern und den Gamaschen im griechischen Geschmacke erscheint auf dem Bahnhofe. Er führt eine Decke und einen Sattel mit sich, und in seinem ungeheueren Ledergürtel steckt neben den Waffen eine lange Pfeife aus Kirschbaumholz. Ich halte ihn für einen Türken, höre aber, dass er, aus Serajewo stammend, ein Moslim slawischer Abkunft ist und mit den Kroaten die Sprache gemein hat. Die ganze Erscheinung kennzeichnet bereits vollständig das Morgenland. Der Sattel wird unentbehrlich, weil die Bauern, welche ihre Pferde vermiethen, zu arm sind, um sich einen solchen zu beschaffen, und man bei den mangelnden Wegen doch auch wiederum genöthigt ist, seine Reise reitend zurückzulegen. Die Decke deutet darauf hin, dass in den »Hans« oder Herbergen weder Bette, noch Matratzen zu linden sind, und die Waffen zeigen, dass es hier noch den Einzelnen überlassen bleibt, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen. Die Pfeife aber ist beim »Kef« unentbehrlich, bei diesem träumerischen, thatenlosen Dahinstarren, das wohl Stunden und Stunden andauert. In Bosnien werden eben alle Mohammedaner Türken genannt, wodurch der mit den Bevölkerungsverhältnissen des Landes nicht vertraute Fremde zu ganz verkehrten Vorstellungen gelangt. Die richtigen Türken sind allem Anscheine nach nur in sehr geringer Anzahl vorhanden, und vor dem Einzüge Oesterreichs waren die Beamten die einzigen echten Osmanlis. In den Adern der bosnischen Mohammedaner fliesst das reinste slawische Blut, und ihre Vorfahren sind diejenigen Bewohner des Landes, welche beim Beginne der Türkenherrschaft zum Koran sich bekehrten und damit zur besitzenden Klasse wurden. Der auf dem Bahnhofe weilende Mohammedaner vertritt vollständig den montenegrinischen Typus; er hat eine feine adlerförmig gebogene Nase, deren Flügel aufwärts, wie bei einem arabischen Pferde, sich schwingen, einen grossen schwarzen Schnurrbart und tiefliegende, lebhafte Augen, welche von buschigen Brauen beschattet werden. »Die bosnischen Mohammedaner«, sagt der Stationsvorsteher von Vrpolje, »erweisen sich als durchaus rechtschaffene Leute, so lange sie vor einer allzu nahen Berührung mit den Fremden bewahrt bleiben. Sie sind fromm und gesittet, und nie wird man sie iluchen hören; auch haben bei ihnen — im Gegensatze zu den Türken Stambuls — Weine und Liqueure keinen Eingang gefunden. Auf ihr Wort lässt sich's unbedingt bauen, und dasselbe fällt schwerer als bei uns eine Unterschrift in die Waagschale. Und doch gehen sie ihrem Untergange mit raschen Schritten entgegen. Sie fangen bereits an, sich zu berauschen, sich in Ausschweifungen und Schulden zu stürzen, und mit den Geldverlegenheiten wird auch der Mangel an Geradheit seinen Einzug halten. Sie werden europäischen Spekulanten in die Hände fallen und deren böses Beispiel nachahmen, und bei ihnen fällt ein wichtiger Faktor fort, nämlich die öffentliche Meinung, welche jene Leute beeinflusst und bisweilen von manchem zurückhält«. Zwischen Vrpolje und Brod durchfährt der Zug eine sehr schöne, aber wenig angebaute und fast menschenleere Gegend; man weilt eben in einem alten Grenzlande, in welches vor noch gar nicht allzu langer Zeit die Türken vom anderen Ufer der Sau her raubend und plündernd einfielen. Die grünen Wiesen mit den Teichen und prachtvollen Eichen bestanden erinnern an einen englischen Park, und auf den unabsehbaren Grasflächen sieht man Vieh und Pferde — kleiner und magerer als in Ungarn — sich tummeln. Das Land ist arm, und doch könnte es reich sein. Hier liesse sich schon etwas schaffen, dazu noch mit verhältnissmässig geringen Kosten, indem der Boden keineswegs hoch im Preise steht; die Frucht- barkeit desselben offenbart sich ja deutlich in den hohen Stämmen der Bäume und in ihrem schönen, vollen Laube. Brod hat zwischen der Stadt und dem Bahnhofe einen so schlecht unterhaltenen Weg, dass der Omnibus im Schritte fährt, weil er sonst zusammenzubrechen fürchtet, und das Eintreten der Gemeindeverwaltung dürfte hier wohl ganz am Platze sein. Das »gelbe Haus« ist ein umfangreicher Gasthof, welcher den Anspruch erhebt, stilvoll zu sein; er hat bequeme Treppen, gute, luftige Zimmer und im Erdgeschosse einen sehr grossen Speisesaal. Es wird österreichische Küche geführt, und das Essen schmeckt nicht übel. Dem slawonischen Brod auf dem linken, liegt das bosnische Brod auf dem rechten Sauufer gerade gegenüber. Jenes spielte beim Vorgehen der Oesterreicher auf der Balkanhalbinsel als Festung eine wichtige Rolle; doch die kleine, regelmässig gebaute Stadt mit den geraden Strassen und sauberen Häusern trägt kein eigenartiges Gepräge, während hingegen das bosnische Brod den richtigen türkischen Marktflecken darstellt. Nirgends habe ich die Gegensätze zwischen dem Abend- und dem Morgenlande so unvermittelt und in so scharfen, markigen Zügen neben einander gesehen, und nur ein Fluss trennt zwei Religionen und zwei völlig grundverschiedene Arten der ganzen Denk- und Lebensweise. Vier Jahrhunderte hindurch hat die Sau die wirkliche Grenzscheide zwischen Europa und Asien gebildet, aber nun wird hier unter dem Einflüsse Oesterreichs der mohammedanische Charakter bald verschwinden. Die grosse eiserne Brücke, welche über den Fluss führt, ermöglicht eine unmittelbare Verbindung mit dem Abendlande; von Wien aus hat man in 20 Stunden Brod und damit eine ganz neue Welt erreicht. Die Sau ist hier vier Mal so breit wie die Seine in Paris. Ungehindert unterwäscht sie ihre flachen, lehmigen Ufer, auf welchen der ganze Pflanzenwuchs aus einigen hohen Pappeln besteht und dicht am Flusse aus einer Gruppe von Weiden, deren Wurzeln bereits bloss liegen, und die beim nächsten Hochwasser vielleicht dem Schwärzen Meere zutreiben; in einer kleinen Bucht schwimmen die verwesenden Ueberreste eines Ochsen herum, umflattert von Raben, die sich um die Beute streiten. Auf beiden Ufern liegen weite, grüne Ebenen, die zur Zeit der Schneeschmelze vollständig unter Wasser stehen, und am fernen Horizonte schimmern in bläulichen Linien die Berge Kroatiens und die noch höheren Gipfel, welche hinter Banjaluka sich aufthürmen. Vom Leben und Treiben der Schiffahrt sind nicht die mindesten Spuren zu entdecken; zahllose Frösche stimmen ihr Abendlied an, und dies ist auf einem Flusse, der wie eine natürliche Handelsstrasse erscheint, das einzige Geräusch. Als ich auf meinem Wege nach dem bosnischen Brod die Brücke überschreite, ist die Sonne gerade im Untergehen begriffen. Sie überzieht das gelbliche Wasser mit einem rothen Schimmer und umrahmt ein Bild von eigentümlich ernstem Eindrucke. Das bosnische Brod besteht aus einer einzigen grossen Strasse, deren Häuser zum Schutze gegen die Ueber-schwemmungen der Sau auf Pfählen oder Dämmen ruhen. Die ganz aus Holz erbaute Moschee wird von einigen Pappeln umgeben, und zu dem in rothen, gelben und grünen Farbentönen schimmernden Minaret steigt eben der Muezzin oder Ausrufer hinauf, um aufzufordern zum Gebete des »Aksham« oder der Abenddämmerung, dem letzten des Tages. Der Metallklang seiner Stimme dringt bis in die umliegenden Fluren, und es sind schöne Worte, die man da vernimmt; selbst bei dem Gedanken an Schillers »Glocke« ziehe ich diese Art der Verkündigung dem gleichförmigen Geläute der Glocken vor. »Gott - i38 - ist erhaben und allmächtig«, ruft der Muezzin. »Es giebt keinen anderen Gott als ihn und keinen anderen Propheten als Mohammed. Versammelt Euch im Reiche Gottes, an dem Orte der Gerechtigkeit. Kommt in die Wohnung der Glückseligkeit«. Die türkischen Wohnhäuser und Läden findet man hier bereits so wie auf der ganzen Balkanhalbinsel eingerichtet. Letztere sind Buden, die während des Tages vollständig offen bleiben und abends vermittelst zwei grosser, waagerechter Flügel geschlossen werden. Am Tage dient der obere derselben — aufgeklappt — als Schutzdach und der untere — heruntergelassen — als Ladentisch, auf welchem die Waaren ausgebreitet liegen und der Kaufmann mit gekreuzten Beinen sitzt. Die türkischen Häuser sind hier meistens in Form eines Viereckes aufgeführt und mit dünnen Eichenbrettern überdacht; sie werden stets aus Balken und Bohlen errichtet, und nur für ärmlichere Behausungen kommt bei den Seitenwänden eine lehmartige Masse zur Verwendung. Ueber das Erdgeschoss, welches zu allgemeinem Gebrauche — als Vorrathsraum und mitunter auch als Stall — dient, ragt das erste Stockwerk hinaus, und das den Vorbau stützende Pfeilerwerk macht einen sehr gelungenen und durch seine Lichtwirkung malerischen Eindruck. Man darf aber nicht vergessen, dass in Bosnien die wohlhabende Klasse von Mohammedanern gebildet wird, die Kaufleute, Krämer, Handwerker, Hauseigen-thümer, aber nur sehr selten einfache Bauern oder Arbeiter sind. Die Behausung besteht aus zwei abgesonderten Hälften, von denen jede ihren eigenen Eingang hat: aus dem Harem für die Frauen auf der einen und dem Selamlik für die Männer auf der anderen Seite. Der mohammedanische Bosnier klebt an den Gebräuchen der Moslims weit fester als der eigentliche Türke und hält seine Frau — er hat immer nur eine — in strenger Abgeschlossenheit. Im Harem sind die Fenster mit einem Gitter aus Holz oder geschnitztem Papiere versehen, und an einer Stelle hatte man aus einer Nummer der »Neuen freien Presse« solch einen Gitterschirm hergestellt. Am Selamlik zieht eine Veranda sich hin, und auf dieser pflegt wohl der Herr des Hauses seine Pfeife zu rauchen. Die türkischen Kaffeehäuser haben offene Thüren und Fenster und weiter keine Ausstattung als hölzerne Bänke, die ringsherum aufgestellt sind, und auf denen die Gäste, die mohammedanischen Bosnier, mit gekreuzten Beinen und mit ihrer Pfeife sitzen. Jede Tasse Kaffee wird einzeln bereitet. Der Kaffeewirth schüttet ein Maass gemahlenen Kaffee und ein Maass Zucker in eine sehr kleine kupferne Kanne, giesst Wasser hinzu und lässt nun das Gefäss kaum eine Minute auf den glühenden Kohlen in der Ecke des Kamins stehen, worauf der heisse Kaffee sammt dem Bodensatze in eine Tasse kommt, die einem Eierbecher gleicht. Befindet ein Bewohner der Balkanhalbinsel sich auf der Reise, so hat er stets eine kleine, röhrenförmige und sehr sinnreich eingerichtete Kaffeemühle an seinem Gürtel hängen. Zwei Erscheinungen sind es, die hier mit auffallender Deutlichkeit in die Augen springen: die dem Mohammedanismus innewohnende Kraft der Umbildung und die Einfachheit der Mittel, welche seinen Bekennern so viele Stunden des Glückes gewähren. Aus diesen Slawen an den Ufern der Sau, welche nur kroatisch sprechen, hat der Islam Türken oder, richtiger, Muselmänner gemacht, die denen in Konstantinopel, in Kairo, Tanger und in Indien völlig gleichen. Was aber zur Einrichtung eines solchen Kaffeehauses gehört, ist keine 20 Franken werth. Der Besucher bringt seinen Teppich mit, giebt während des Abends 30 Centimes für Tabak und Kaffee aus und — ist glücklich. Werden die prächtigen, mit Malereien, Vergoldungen und kostbaren Behängen geschmückten Säle, die man später hier aufführen wird, ihren reichen und mit Geschäften überhäuften Besuchern mehr Befriedigung gewähren? Während ich nun so sehe, in welch rührendgewissenhafter Weise die vom Koran anbefohlene Enthaltsamkeit hier zur Durchführung kommt, fallen mir Londons Branntweinpaläste ein, woselbst Arbeiter und die von der Gesellschaft Ausgestossenen verthieren in glänzenden, schimmernden Räumen, zwischen grossen Spiegelscheiben, welche die Strahlen von all dem Gas-und dem elektrischen Lichte auffangen und wiedergeben. Ich muss auch an die so verquickte und kostspielige, vom oberen Zehntausend gepflegte Lebensführung denken, von der Lady Manners in ihren Schilderungen ein treffliches Bild entworfen hat, und ich frage mich, ob man wohl den Luxus mit seinen Künsteleien und Verfeinerungen als Maassstab an die Bildungsstufe der Völker legen kann. Hierüber sagt Renan ein schönes Wort, als er, glaube ich, von Johannes dem Täufer spricht. Stellt derselbe, welcher in der Wüste von Heuschrecken lebt, weiter nichts als ein grobes Gewand von Kameel-haaren an sich hat und dabei die Ankunft des Herrn und den nahen Triumph der Gerechtigkeit verkündet, nicht das erhabenste Muster des Menschenthums dar? Gewiss kann auch ein Uebermaass des Mangels sinken und verlieren lassen; das trifft aber weniger für das Morgenland zu, als für unsere rauhen Himmelsstriche und unsere grossen, mit Menschen dicht vollgepfropften Städte. Gestalten der verschiedensten Art beleben die Strasse. Zerlumpte Hirten, deren Blosse ein grober weisser Wollenstoff kaum bedeckt, führen Rinder- und Ziegenheerden von der Weide zurück und wirbeln einen dicken Staub dabei auf, der im Glänze der untergehenden Sonne wie flüssiges, flimmerndes Gold erscheint. Diese armen Leute — Mi — sind Christen, und man sieht in ihnen die Rajahs, die Unterdrückten und Ausgesogenen, vor sich. Einige durch Schleier und Mantel vollständig verhüllte Frauen, welche beweglichen Waarenballen gleichen und wie Gänse watscheln, gehen ihrer Behausung zu, und Kinder — Knaben und Mädchen — mit weiten grünen oder rosafarbenen Beinkleidern und kleinen rothen Käppchen spielen im Sande; diese jungen Geschöpfe haben eine lichte Hautfarbe und schöne, dunkele Augen mit offenem Blicke. Jüdische Kaufleute mit langem, spitzem Barte, arabisch geformter Nase und grossem Turban — trotz des Junis in einen weiten, mit Pelz besetzten Kaftan gehüllt — schreiten langsam einher und erinnern an die würdevolle Hoheit alttestamentlicher Gestalten. Italienische Maurer mit bestäubten und beschmutzten gelben Manchesterhosen haben ihre Jacke über die rechte Schulter geworfen und kommen singend von ihrem Tagewerke. Sie stellen die anrückende europäische Arbeit dar, und es erheben sich bereits Häuser nach abendländischem Muster, so z. B. dem Bahnhofe gegenüber — neben kleinen, aus Holz erbauten Herbergen — ein grosses Wiener Kaffeehaus. Die Zukunft mit ihrem Schaffensdrange und ihrer Genusssucht spiegelt sich auch noch in anderer Weise: es kann im bosnischen Brod bereits Pilsener Bier getrunken und Billard gespielt werden. Oesterreichs Macht aber wird durch elegante Offiziere vertreten, die in stolzer, vornehmer Haltung und geradezu bestrickender Uniform auf Rossen oder in offenen Wagen vorüberkommen. Als ich wieder an der grossen eisernen, zwischen dem bosnischen und dem slawonischen Brod hinlaufenden Brücke stehe, zeigt sich meinem geistigen Auge die Gestalt des kühnen Prinzen Eugen, welcher von hier aus seinen denkwürdigen Zug vom Jahre 1697 unternahm, nur fünf Regimenter Reiterei und 2500 Fusssoldaten mit sich führend. Er folgte dem Laufe der Bosna, nahm Oboj, Maglaj, Zeptsche und selbst die feste Burg Wranduk wie im Fluge und stand dann vor der Hauptstadt Serajewo. Die Christen würden, so hoffte er, bei seinem Rufe sich erheben. Doch ach! auf denen hatte der Druck zu lange und zu hart gelastet, und sie wagten es nicht, sich zu rühren. Der Pascha Delta-ban-Mustapha leistete einen sehr entschiedenen und tatkräftigen Widerstand; dem Prinzen Eugen fehlte aber die Belagerungsartillerie, und so musste er sich im Hinblicke auf den herannahenden Winter am 11. September zur Umkehr entschliessen. Brod wurde fast ohne jeden Verlust erreicht, und der ganze Zug hatte nicht länger wie 20 Tage gedauert. Handgreifliche Erfolge ergaben sich aus demselben zwar nicht, doch die moralische Wirkung war überall eine sehr grosse. Es wurde gleichsam an den Schwächen dieser furchtbaren Macht gewühlt und gerüttelt, welche 14 Jahre zuvor Wien belagerte und ganz Europa erzittern liess. Die Stunde des Verfalls hatte ihr geschlagen, und derselbe vollzog sich, wenn auch freilich langsam. Vor gar nicht allzu langer Zeit haben noch von Bosnien aus die mohammedanischen Beys die Sau überschritten und Kroatien durch ihre Raubzüge verheert, und es war durchaus keine unnöthige Vorsicht, auf dem österreichischen Ufer der Sau besondere Beobachtungsposten einzurichten. Die Wachthäuser ruhen auf vier hohen Pfählen, wodurch man sie gegen Ueberschwemmungen sichern und dabei zugleich den Grenztruppen einen möglichst weiten Ausblick gewähren wollte. Als 1831 —1835 der österreichische General Waldstätten die bosnischen Beys bekämpfte, musste er Wakuf, Awale, Terzac und Gross-Kladuseh beschiessen und niederbrennen, wobei die Pforte, obgleich jene Ortschaften doch auf ihrem Gebiete lagen, sich nicht im mindesten um die Sache bekümmerte. Im Jahre 1839 trat der Banus Jellatschitsch den einfallenden Beys entgegen, welche auf dem linken Sauufer Häuser ansteckten, Männer ermordeten und Weiber und Heerden wegschleppten. Während der letzten 15 Jahre, in denen solche Raubzüge überhaupt noch möglich waren, haben dieselben den kroatischen Grenzbezirken einen Schaden von etwa 40 Millionen Franken gebracht. Barbarische Scenen, wie sie weder Frankreich in Tunis, noch Russland in den Khanaten Mittel-Asiens dulden könnte, spielten also unlängst noch auf dem Boden Europas sich ab. Ehe ich Bosnien durchstreife, möchte ich mich über dessen Geschichte unterrichten und verweile deshalb einige Tage in Brod, um die mir freundlichst zur Verfügung gestellten Bücher und Schriften zu durchforschen. G. Thoemmel, »Das Vilajet Bosnien«, Roskiewitz, »Studien über Bosnien und die Herzegowina«, von Schweiger-Lerchenfeld, »Bosnien« und das vortreffliche Werk von Adolf Strausz, »Bosnien, Land und Leute« — diese Bücher haben mir ganz besondere Dienste geleistet. Auf unserem unglücklichen Erdballe ist kein anderes Land so oft verwüstet und so häufig mit dem Blute seiner Bewohner getränkt worden als gerade Bosnien. Beim Beginne des geschichtlichen Zeitalters gehörte es zu Illyrien und war bereits damals, so lauten die Berichte, von slawischen Stämmen bevölkert. Als die Römer bis zur Donau vordrangen und zwei Provinzen »Dalmatia maritima« und »Dalmatia interna« oder »Illyris barbara« bildeten, wurde Bosnien mit Dalmatien vereinigt. Beide erfreuten sich geordneter Zustände, und der Zusammenhang zwischen den Innen- und den Küstenbezirken brachte das ganze Land zur Blüthe. Es entwickelten sich wichtige Lläfen wie Zara, Scardona, Salona, Narona, Makarska, Kattaro, und auch im Inneren entstanden Niederlassungen und militärische Posten. So lag hier z. B. die grosse Handelsstadt Dalminium, von der aber jede Spur geschwunden ist; überhaupt sind nur wenige von den Schöpfungen des römischen Zeitalters — die Bäder in Banjaluka, die Bäder und die Ruinen eines Tempels in Nowibazar, eine Brücke in Mostar, eine andere in der Nähe von Serajewo und einige Inschriften — der späteren Zerstörungswuth entgangen. Beim Zusammenbruche des Römerthums kamen erst die Gothen und dann die Avaren ins Land, und dasselbe wurde nun durch eine Mord-und Brandwirthschaft, die zwei Jahrhunderte andauerte, zur Wüste gemacht. Als die Avaren Konstantinopel belagerten, trieb der Kaiser Heraklius sie zurück und rief, um ihrer gänzlich Herr zu werden, slawische Stämme herbei, welche jenseits der Donau in Pannonien wohnten. Im Jahre 630 lassen sich die Kroaten im heutigen Kroatien, in Slawonien und im nördlichen Theile Bosniens nieder. Die Serben aber, ihre Stammesbrüder, welche mit ihnen auch die Sprache gemeinsam haben, vertilgen zehn Jahre später die Avaren und bevölkern nun Serbien, das südliche Bosnien, ferner Montenegro und Dalmatien. Jenes Zeitalter schafft eben die Bevölkerungsverhältnisse, wie sie in diesen Gegenden noch heute bestehen. Die Lehnsherrlichkeit von Byzanz wird anfangs anerkannt. Aber diese Stämme, welche gleicher Rasse sind, bekehren sich zu zwei verschiedenen Zweigen des Christenthums, und es schlagen damit die bis zur Gegenwart andauernden religiösen Spaltungen Wurzel. Zuerst, und zwar durch Missionäre, welche aus Rom kommen, werden die Kroaten bekehrt; sie nehmen also den lateinischen Ritus und die lateinischen Schriftzeichen an. Aber bei den Serben, und folglich auch in einem Theile Bosniens, predigen Cyrillus und Methodius das Christen- — H5 ~ Ihnm; die kommen aus Thessalonica (Saloniki) und führen natürlich den Ritus und die Schriftzeichen der morgenländischen Kirche ein. Im Jahre 860 übersetzte Cyrillus die Bibel ins Slawische und schuf dabei das noch heute gebrauchte und nach ihm benannte Alphabet. Bis zu ihm also reicht der Ursprung der slawischen Literatur zurück. Budimir ist der erste christliche König von Bosnien, Kroatien und Dalmatien; er hält 874 auf der Ebene von Dalminium einen Reichstag ab und bemüht sich um die Gründung eines fest geordneten Staatswesens. Damals taucht auch zum ersten Male der Name »Bosnien«; auf, welcher angeblich von einem slawischen Stamme Thraciens herrührt. Brisimir, der König von Serbien, schlägt 905 Kroatien und Bosnien zu seinem Lande, doch ist diese Vereinigung keine dauernde. Nach dem Jahre 1000 verliert Byzanz in diesen Gegenden seine Lehns-heniichkeit, welche dann am Ende des Jahrhunderts — etwa 1091 — auf Wladislaus, den König von Ungarn, übergeht. Der ungarische König Koloman fügt 1103 seinen Titeln den eines Königs der Herzegowina, später auch den eines Königs von Bosnien bei, und damit wird letzteres nun zu einem Anhängsel der Stefanskrone. So nennt der 10. Banus von Bosnien, der berühmte Kuhn, sich Fiduciarius Regni Hungariae; er war hier der erste Machthaber, welcher Münzen mit seinem Bildnisse prägen Hess, und während seiner 36jährigen, ruhmreichen Regierung — 1168—1204 — erfreute das Land sich einer seit der Römerherrschaft nicht dagewesenen Blüthe. In dieser Zeit kommen die Albigenser, deren Anhänger man in Deutschland Patarener genannt hat, nach Bosnien. Hier heissen die von ihnen Bekehrten »Bogomilen«, und diese Bezeichnung bedeutet so viel wie »Leute, welche Gott lieben«. Die Geschichte dieser in Syrien, im 7. Jahrhundert, entstandenen Sekte gehört zu Laveleye, Balknnlaiuler. 10 den grössten Trauerspielen, welche auf der Weltbühne überhaupt aufgeführt worden sind. Ihre Eingeweihten bekommen den Namen »Pauliner«, weil sie sich auf den Apostel Paulus berufen; aber sie entnehmen dabei auch dem Manichäismus die Doppel-Lehre von den zwei Ur-wesen, dem Guten und dem Bösen. Zu den Erfolgen, welche sie erzielen, verhelfen ihnen ihre sozialen Anschauungen. Sie predigen die Lehren der Apostel, die Gleichheit, Nächstenliebe und Enthaltsamkeit, und wenden sich mit Feuereifer gegen den Reichthum und die Sittenverderbniss der Geistlichkeit; sie sind die Christlich-Sozialen der damaligen Zeit. Schaarenweise Hessen die byzantinischen Kaiser sie niedermetzeln, besonders nachdem sie Basilus, den Macedonier, gezwungen hatten, ihnen Frieden und Duldung zu gewähren, und theils nach Bulgarien, theils nach dem Süden Frankreichs wandten sich nun die Vertriebenen und Verjagten. Die heutigen Waldenser, die Hussiten, und folglich auch die Reformation, sind mit Gewissheit als Kinder ihres Geistes zu betrachten. In der Geschichte Bosniens spielen sie gleichfalls eine hochwichtige Rolle, und auch der grosse Banus Kulm war ein Bogomile. Von dessen Nachfolgern und von dem bosnischen Adel wurde die Sekte dauernd unterstützt, und zwar in der Hoffnung, damit eine Landeskirche zu begründen und so von dem Einflüsse Roms und Ungarns loszukommen. Die ungarischen Könige gehorchten aber der Stimme des Papstes und trachteten unablässig danach, die Bogomilen auszurotten, zu welchem Zwecke sie zahlreiche Kriegszüge nach Bosnien unternahmen. Damit hat dann hier auch der Hass gegen das Magyarenthum Wurzel geschlagen. Die Franziskaner, welche auf dem Felde der Politik und der Religion gleichfalls eine sehr wichtige Rolle gespielt haben, zeigen sich gegen das Jahr 1230 hin. Sie wurden die Stütze der römischen Kirche, und ihnen verdankt dieselbe es, dass sie hier neben den Griechisch-Katholischen einer- und den zum Mohammedanismus bekehrten Bogomilen andererseits bis zur Gegenwart Bestand behalten konnte. Dem Rufe des Papstes folgend, unternahm der König von Ungarn, Bela IV., 1238 den ersten grossen Kreuzzug. Ganz Bosnien wird verwüstet, und die Bogomilen metzelt man haufenweise nieder; doch vielen derselben gelingt es, in den Wäldern und auf den Bergen einen Schlupfwinkel zu finden. Den zweiten Kreuzzug — 1245 — leitet der Bischof von Kalocsa und den dritten — 1280 — der ungarische König Wadislaus IV., welcher sich damit die Gunst des Papstes zurückgewinnen möchte. Von dem entthronten Banus Ninoslaw und vielen Edelleuten geführt, leisten die Bogomilen einen heldenmüthigen, verzweifelten Widerstand; doch sie werden besiegt, und ihr Blut fliesst in Strömen. Bei der Natur des Landes gelingt es aber nicht, sie so vollständig zu vernichten, wie dies mit ihren Glaubensgenossen in Frankreich geschehen konnte. Paul von Brebir, der »Banus von Kroatien und Herrscher von Bosnien«, vereinigte ums Jahr 1300 die Herzegowina endgiltig mit Bosnien. Als dann Stefan IV. Banus war, stand das Land vorübergehend unter der Herrschaft des grossen serbischen Kaisers Duschan. Doch schon 1355 erlangte es seine Selbstständigkeit wieder, und unter Stefan Twartko, der sich den Königstitel gab, brach zum letzten Male eine Zeit des Glanzes und der gedeihlich - friedvollen Entwickelung an. Jener Aufschwung spiegelt sich gleichsam in der mit ungeheuerem Pompe vollzogenen Krönung Twartkos, die im griechischen Kloster Milosewo — in der Nähe von Priepolje — im Beisein von vielen Prälaten beider Riten und von zahlreichen bosnischen und dalmatischen Edelleuten statt- 10* fand. Twartko nannte sich auch König von Serbien, weil er einen Theil dieses Landes erobert hatte, und fügte seinem Reiche ausserdem noch das Land der Raizen — den jetzigen Bezirk von Nowibazar — hinzu, welches dann mit Bosnien vereint geblieben ist. Er gründet Serajewo, die heutige Hauptstadt, führt das Gesetzbuch Duschans ein und sorgt für Ordnung und Gerechtigkeit. Die Päpste, die Missionäre und der König von Ungarn, Ludwig der Grosse, versuchen es, ihn zur Verfolgung der Bogomilen zu bewegen. Doch er widersteht diesem Andrängen, und jede Religionsgemeinschaft erfreut sich der gleichen Duldung. Aber noch vor seinem Tode erscheinen bereits die Türken an den Grenzen. 30000 Bosnier kämpfen in der denkwürdigen und entscheidenden Schlacht bei Kossowo *) mit, und ihnen gelingt es, während ihres Rückzuges den Sieger2) aufzuhalten. Der Nachfolger Twartkos L, der König Twartko IL, ist ein Bogo-mile, und unter seiner Regierung erfreut Bosnien sich noch der Segnungen des Friedens, worauf dann aber alle Greuel und Schrecken des Bürgerkrieges über dasselbe hereinbrechen. Stefan Thomas, der nach Twartko II. den Thron besteigt, gehört zunächst gleichfalls zu den Bogomilen. Da er aber mit dem Papste und mit den Ungarn Verbindungen anknüpfen möchte, sagt er sich von seinen bisherigen Glaubensgenossen los und unternimmt es, dieselben vollständig zu vertilgen. Eine schreckliche Verfolgung bricht nun über die Bogomilen herein, und Massenmorde und brennende Städte geissein das ganze Land. Gleichsam als eine Vorwegnahme der Aufhebung des Edikts von Nantes erscheinen die im Jahre 1446 auf dem Reichstage zu Konjitscha gefassten und mit dem Geiste des Grossinquisitors Zarai getränkten l) 15. Juni 1389. -) Die Türken. Beschlüsse, deren Härte 40000 Bogomilen aus dem Lande treibt. Jene grausamen Maassnahmen zeitigen einen furchtbaren Aufstand, an dessen Spitze sich viele Edel-leute und sogar auch Geistliche stellen. Den König Thomas stützen die Ungarn, und der entsetzensvolle Bürgerkrieg verwüstet nicht nur das Land, sondern führt auch dessen Knechtung herbei. Thomas und dessen Wittwe werden durch des Königs eigenen Sohn ermordet, und dieser ruft nun die Türken ins Land, welche damals — man steht im Jahre 1453 — eben Konstantinopel eingenommen hatten. Mohammed II. rückte an, und ein fürchterliches Heer von 150000 Mann stürmt siegreich über jeden Widerstand fort. 30000 Jünglinge werden der Beschneidung unterworfen und den Janit-scharen eingereiht; 20000 Gefangene schleppt man fort in die Sklaverei; an den sich vertheidigenden Städten müssen die Flammen ihr Werk thun; die Kirchen wandeln sich in Moscheen, und den Grund und Boden betrachten die Eroberer als ihr erbeutetes Eigenthum. Noch aber — 1463 — waren die Türken nicht vollständig die Herren; noch lange sollten die schrecklichen Kämpfe toben, und erst im Jahre 1527 brach der letzte Widerstand. Mitten unter all den Greueln spielt sich ein eigenthümlicher Zwischenfall ab. Im Türkenlager erscheint nämlich Angelus Zwisdowitsch, der Prior des Franziskanerklosters zu Fojnitscha, und es gelingt ihm, seinem Orden von dem wilden Sultan einen Schutzbrief zu erwirken, welcher die Sicherheit der Person und des Eigenthums gewährleistete. Einige befestigte Plätze, so auch Jaitsch, hatten sich gehalten, und den Ungarn und den Schaaren Kroatiens gelang es, — besonders unter diesen von einem sagenhaften Schimmer umwobenen Helden Mathias und Johann Corvin — Siege über die Türken zu erringen. Die aber rückten ganz methodisch vor. Wollten sie einen festen Platz einnehmen, so verwüsteten sie zunächst im Winter die Umgegend, brannten hier alles nieder und schleppten die Bewohner in die Sklaverei. Im Sommer wurde dann mit der Belagerung begonnen, und natürlich musste nun der in eine Wüste hineinversetzte Platz, dem alle Hilfsquellen abgeschnitten waren, sich ergeben. Am 29. August 1526 öffnete die Schlacht bei Mohacs den Türken Ungarn, und im folgenden Jahre fiel nach einer heldenmüthigen, von den Zaubenkreisen der Sage umsponnenen Verthei-digung Jaitsch, das letzte Bollwerk Bosniens. Bei der Eroberung dieses Landes ist aber den Türken ein ganz besonderer Umstand zu Hilfe gekommen. Es traten nämlich die meisten Edelleute, um sich ihre Güter zu erhalten, und auch fast alle Bogomilen, welche durch die von ihren eigenen Landsleuten über sie verhängt gewesenen grausamen Verfolgungen erbittert waren, zum Islam über. Diese Neubekehrten wurden nun die eifrigsten Bekenner des Mohammedanismus, blieben dabei aber ihrer Sprache und den Namen ihrer Vorfahren getreu. In den Schlachten, welche den Türken Ungarn sicherten, kämpften sie stets in erster Reihe mit, und von Zeit zu Zeit überschritten ihre Schaaren die Sau, um Istrien und Krain zu verwüsten und auch das Gebiet Venedigs zu bedrohen. Mit der denkwürdigen Niederlage der Türken vor Wien brach dann auch ihre Macht, und zwischen 1689 und 1697 hatten sie durch die Einfälle der Kroaten zu leiden. Der Vertrag zu Karlowitz — 1689 — un(i der zu Passarowitz — 1718 — warf dann die Türken für immer über die Donau und die Sau zurück. Gegen alle Verbesserungen, zu denen Europa die Pforte im Namen des Fortschrittes drängte, haben die mohammedanischen Bosnier mit den Waffen in der Hand sich erhoben, und die Schlüsse über das zwischen ihnen und den Oesterreichern obwaltende Verhältniss sind hieraus leicht zu ziehen. Als Mahmud II. die Janitscharen vernichtet und allerlei Neuerungen einführt, vertreiben die aufrührerischen Beys den türkischen Statthalter, vereinigen sich unter ihrem Führer Hussein mit den Alba-nesen, nehmen die Städte Prizrend, Ipek, Sofia und Nisch ein, plündern Bulgarien und wollen den an die Ungläubigen verkauften Sultan entthronen. Erst im Jahre 1831 wird dieser bosnische Aufstand unterdrückt, worauf 1836, 1837 un(i 1&39 neue Empörungen folgen. Bei der Verkündigung von der gesetzlichen Gleichheit der Muslims und Christen bricht dann aber ein Aufstand aus, welcher furchtbarer ist als seine Vorgänger. Omer Pascha bewältigt denselben und bricht zugleich die Macht der Beys, indem er diesen ihre Vorrechte nimmt. Auch im Jahre 1874 entstanden wiederum Unruhen, welche bekanntlich die Besetzung durch Oesterreich zur Folge gehabt haben. Die aber rührten nicht von den Beys her, sondern — und darin malt sich der Wandel der Zeiten — von den Rajahs, welche sich während der Dauer ihrer Knechtschaft widerstandslos misshandeln und plündern Hessen. Der vorstehende kurze Ueberblick über Bosniens Vergangenheit zeigt zunächst, dass die geschichtlichen Erinnerungen, wie die geographischen und die Rassen-Verhältnisse auf eine Vereinigung mit Dalmatien hindrängen. Als Bosnien zu drei verschiedenen Zeitaltern — zuerst unter den Römern, dann unter dem grossen Banus Kuhn und zuletzt unter dem Könige Twartko — blühender Zustände sich erfreute, war es eben auch mit jenem Küstenlande verbunden. Die Vergangenheit lehrt ferner, dass die Unduldsamkeit und der Religionshader das Land ins Verderben gebracht und demselben den Namen Ungarns verhasst gemacht haben, und es mussten künftig also die Bekenner der verschiedenen Religionen auf dem Fusse vollkommener Gleichheit behandelt werden. Die Geschichte beweist aber drittens, dass Bosnien in den Mohammedanern ein gefährlich-auflehnendes und jedem Fortschritte feindlich entgegenstehendes Element besitzt. Die Moslims sollen wohl schonend behandelt werden, doch man muss ihre Macht nach Möglichkeit verringern und sie besonders nicht zurückhalten, falls sie das Land verlassen wollen. Serbien, Bulgarien und Rumelien haben das Glück gehabt, dass ihre Mohammedaner, die Türken waren, auswanderten. Liier handelt es sich um slawische Mohammedaner, und das unglückselige Bosnien ist zum grössten Theile mit denselben behaftet geblieben, woraus ihm nun gewaltige Schwierigkeiten der verschiedensten Art erwachsen. Zwischen Brod und Serajewo hatte der Reisende ehemals eine abenteuerliche Fahrt zurückzulegen, während dieselbe für mich durchaus angenehm vorübergeht. Um 6 Uhr Morgens steige ich in Brod in den Bahnzug und bin allerdings erst um 11 l/a Uhr Abends an meinem Ziele, Die Eisenbahn ist eben eine schmalspurige; sie fährt langsam, und auf allen Stationen wird lange gehalten. Aber ich komme durch ein schönes Land, dessen Bewohner ein eigenartiges Gepräge tragen, und bedauere deshalb das Fehlen eines Eilzuges durchaus nicht. Es ist mir, als ob ich, wie einst in Italien, mit der Lohnkutsche reise, und ich benutze die Zeit, um möglichst viel zu beobachten, um bei den Mitreisenden Erkundigungen einzuziehen, und um allerlei aufzuzeichnen. Der Finanzrath, welcher neben mir sitzt, kehrt gerade von einer Inspektionsreise zurück und ist mit allen wirthschaftlichen Verhältnissen des Landes eingehend vertraut. Er trägt eine Militärmütze, einen kurzen, hellbraunen Rock, der vorne zahlreiche Taschen und auf dem Kragen als Abzeichen des Grades Sterne hat, anliegende Beinkleider und ungarische Stiefel und ist mit einem grossen Säbel umgürtet. Zuerst hielt ich ihn für einen Kavallerieoffizier in der Interimsuniform; doch die Forst-, die Polizeibeamten u. s. w., sie sind alle in gleicher Art gekleidet, und die Uniform weist stets denselben Schnitt auf und unterscheidet sich für die verschiedenen Dienstzweige nur durch ihre Farbe. In ihr reist es sich bequem, und sie macht doch auch wiederum Eindruck auf die Bevölkerung dieses kaum beruhigten Landes. Hinter Brod folgt der Weg in einiger Entfernung dem Laufe der Sau; er zieht sich durch weite, unbebaute Ebenen hin, die aber, nach dem hohen Grase und den kräftigen Trieben der Bäume zu urtheilen, sehr fruchtbar zu sein scheinen, und welche unlängst noch den Grenzkämpfen als Schauplatz dienen mussten. Dann geht's an einem kleinen Zuflüsse der Sau, der Ukrina, hinauf bis nach dem grossen Dorfe Derwent, wo die ganz aus Holz erbaute griechische Kapelle mit dem kleinen, abgesondert gelegenen Glockenthurme nicht weit von der gleichfalls hölzernen Moschee steht, deren spitzer, mit Zink bekleideter Minaret im Glänze der Sonne blitzt und funkelt. Nun macht der Weg grosse Windungen, um über den Hügelrücken zu kommen, welcher uns von dem Becken der Bosna trennt. Die Linie Serajewo sollte man an der Bosna entlang bis nach Samac ausbauen, von wo eine Bahn bis Vrpolje geht, und diese müsste dann in gerader Linie über Djakovo bis nach Essek verlängert werden. Hier und dort erheben sich auf einer Steinunterlage, deren einzelne Theile durch keinen Mörtel verbunden sind, mit Holz verkleidete Lehmhütten; in diesen hausen die Kmets, d. h. die Pächter, während die mohammedanischen Eigenthümer in den Städten und Flecken oder in der Nähe derselben wohnen. Seitwärts von der Hütte stehen der Stall und der Maisschober, und zwar ist jener sehr klein, weil fast alle Thiere im Freien bleiben. Zu jeder Pachtung gehört auch ein Pflaumengarten, der ungefähr einen halben Hektar gross ist und im Verein mit dem Geflügel dem Kmet zu etwas barem Gelde verhilft; die prächtigen blauen und reichlich vorhandenen Pflaumen werden entweder getrocknet ausgeführt oder zur Bereitung der Sliwowitza verwendet. Die Umsäumung der bestellten Felder mit Hecken aus dürren Reisern deutet auf die Gewohnheit hin, die Heerden frei umherlaufen zu lassen, und mangelnde Sorgfalt und grosses Elend sprechen aus allen diesen Niederlassungen. Die Hütten haben nicht mehr wie zwei oder drei sehr kleine, scheibenlose Fenster, welche durch Laden geschlossen werden, so dass man zwischen zwei Uebeln, der Kälte und der Dunkelheit, wählen muss. Schornsteine sind nicht vorhanden, und so muss der Rauch zu den Dachritzen hinaus. Nichts ist ordentlich unterhalten; die Umgebung der Hütte verharrt noch im Naturzustande, und was das Gemüse anbetrifft, so findet sich nur etwas Knoblauch vor. Doch einige Blumen sind gezogen worden, was durch die Vorliebe der Frauen, sich mit denselben das Haar zu schmücken, veranlasst wird. Zum Gemüsebau wäre der Boden vortrefflich geeignet; in Welika sah ich in dem reizenden Gärtchen, das der Stationsvorsteher sich eingerichtet hatte, neben Zierpflanzen Erbsen, Mohrrüben, Zwiebeln, Salat und Radieschen stehen. Jeder Familie wäre es ein Leichtes, sich einen kleinen Gemüsegarten zu beschaffen. Doch wie hätte der Rajah einen solchen Aufschwung nehmen können, so lange sein Hab und Gut und sogar sein Leben der Willkür seiner Herren preisgegeben war? Ueberau stosse ich hier auf die Spuren dieser furchtbaren Geissei, der Willkürherrschaft, welche das türkische Reich zu Grunde gerichtet und die schönsten Länder der Welt wie mit einem Fluche belastet hat. Auf dem Bahnhofe zu Kotorsko lasse ich mir eine Fleischbrühe mit einem Brödchen geben, auch ein Glas Sliwowitza zur Bereitung eines Grogs, und zahle dafür 16 Kreuzer, so dass ich also nicht von der Ausbeutung des Reisenden sprechen kann. Das Thal der Bosna ist hier sehr schön, doch der Mensch hat alles gethan, um es zu verwüsten, und nichts, um es zu verschönern oder nutzbar zu machen. Die grossen Bäume sind abgehauen worden, und zu beiden Seiten des Flusses ziehen sich ausgedehnte, hier und dort durch Gestrüpp unterbrochene Weideplätze hin, auf denen Schafe und Rinder frei umherwandern. Die Bosna ist wasserreich, aber nicht schiffbar; sie fliesst über Untiefen und Felsen und bildet stellenweise Stromschnellen, doch wäre es leicht gewesen, sie fahrbar zu machen. Im Süden zeigen sich, über einander aufsteigend, drei Bergreihen; die höchsten Gipfel des Welyna-Planina und des Wrana-Planina sind noch mit Schnee bedeckt, und dessen Weisse hebt sich scharf ab von der Bläue des Himmels. Fast gar kein Weizen, sondern immer nur Mais und daneben etwas Hafer steht auf den schlecht bebauten Feldern, von denen etwa vier Fünftel Brachland sind. Wie ganz anders sieht's doch in der Umgegend von Djakovo aus! Landleute, welche sich mit der Bestellung verspätet haben, sind jetzt noch — in den ersten Tagen des Monates Juni — damit beschäftigt, die Maisfelder zur Aussaat zu bereiten. Sie arbeiten mit einem plumpen, schwerfälligen Pfluge, welcher zwei Griffe und ein sehr kleines eisernes Messer hat; im Gegensatze zum Westen Europas ist das Eisen hier selten und theuer, und man sucht es deshalb an allen Ecken und Kanten zu sparen. Die vier mageren - i56 - Ochsen, denen es schwer fällt, den guten Lehmboden zu durchfurchen, werden von einer Frau gelenkt und mit rauher Stimme von ihr angefeuert. Gleich den Frauen Slawoniens trägt sie ein langes Hemde aus starker Hanfleinwand und ausserdem noch eine schwarze Jacke und einen schwarzen Gürtel; um den Kopf aber hat sie — nach Art der Bäuerinnen in der Nähe Roms — ein rothes Tuch geschlungen. Der Mann, welcher den Pflug führt, ist mit einem groben weissen Wollenstoffe bekleidet. In seinem ungeheueren Ledergürtel könnte eine ganze Rüstkammer Platz finden, doch er hat weder einen Dolch, noch eine Pistole bei sich. Er ist ja ein Rajah, und überdies darf heute niemand mehr Waffen tragen. Lange blonde Haare kommen unter seinem rothen Fez hervor, um den ein weisser Stoff sich turbanartig windet; er hat eine Adlernase und einen kühn gedrehten Schnurrbart und stellt den in dieser Gegend so häufigen blonden Typus dar. Wir kommen nach Doboj, welches so recht das Bild einer kleinen bosnischen Stadt ist und von weitem einen sehr malerischen Anblick gewährt. Die weissen Häuser der Agas — d. h. der mohammedanischen Besitzer — liegen, von Bäumen beschattet, auf dem Hügel, und darüber ragt eine alte Festung empor, welche schon mehr wie einer Belagerung standgehalten hat. Einem Pfeile vergleichbar, erheben sich die Minarets, und von den drei oder vier Moscheen ist eine verfallen, was sonst in diesen Gegenden selten vorzukommen pflegt. Bei Doboj, von wo eine wichtige Strasse über Tuzla und Zwornik nach Serbien geht, führt auch — eine Seltenheit für hiesige Verhältnisse! — eine Brücke über die Bosna. Stolz und finster dreinschauende Moslims mit rothen Turbanen sind auf Bauerpferden gekommen, die sie zum gewöhnlichen Preise — einen Florin für den Tag — ge- miethet hatten; nun nehmen sie den Thieren die Sattel, welche ihnen gehören, ab und benutzen den Zug. Viel Leben und Bewegung verursacht die Ankunft des Militärgouverneurs der Provinz, des Generals von Appel, welcher mit seinem Stabe von einer Inspektionsreise zurückkehrt. Er ist hier der Vicekönig, und man begegnet ihm in der ehrerbietigsten Weise. Die Eleganz und die Vornehmheit der österreichischen Offiziere und ihre das Auge entzückende Uniform muss ich von neuem bewundern. In Maglaj hält der Zug, um den Reisenden zur Einnahme des Mittagsmahles Zeit zu geben. Die aufgetragenen Speisen sind zwar nur von massiger Güte, aber man wird auch hinsichtlich des Preises nicht geschröpft und hat doch immerhin etwas zu essen. Die Zeche beträgt einen Florin mit Einschluss des Weines, welcher aus der Herzegowina eingeführt wird, da Bosnien keinen baut. Maglaj sieht stattlicher aus als Doboj. Die Häuser mit den Vorderseiten und Baikonen aus buntfarbigem Holze ziehen sich an einem ziemlich steilen Hügel hinauf. Ein kleines, aber tiefes und freundlich-grünes Thal spaltet denselben in zwei Hälften, und prächtige Kirschen- und Birnenbäume füllen die Gärten. Unter den vielen Moscheen befindet sich eine mit der typischen Kuppel; im Vereine mit der senkrechten Linie des Minarets erscheint eine solche Wölbung mir als ein Meisterstück eleganter Einfachheit, besonders wenn daneben ein schöner Baum — eine Palme oder eine Platane — sich erhebt. Die Umrisse christlicher Gotteshäuser berühren schon nicht so anmuthend, und die griechischer Tempel sind vielleicht kaum vollendeter. In Zeptsche und fast auf allen anderen Bahnhöfen arbeiten italienische Maurer (Piemontesen), und der sehr harte, goldgelb gefärbte Kalkstein, den sie herbeischaffen, ist schon fast Marmor. - i58 - Wir kreuzen nun einen gewaltigen, von dem befestigten Wranduck verteidigten Engpass, in dem nur die Bosna Raum findet. Die jähen Abhänge zu unserer Linken sind vollständig beholzt, und unter den Eichen, Buchen und Eschen bemerke ich Nussbäume, welche augenscheinlich — für Europa eine Seltenheit — wild aufwuchsen. Schöne Baumstämme hegen verfaulend am Boden; niemand bekümmert sich um dieselben, denn diese dünn bevölkerten und von keinem Strassennetze durchzogenen Gegenden bergen unendlich vielmehr Holz, als sie auch nur entfernt verbrauchen könnten. Die Bosna umwindet den Felsen, an dessen steile Abhänge Wranducks alte Holzhäuser sich klammern, und ein längs der Bergwand hinführender Weg geht durch das mit Schiessscharten versehene Festungsthor; die ganze Lage ist aber von einer so wilden Schönheit, wie die Einbildungskraft sich dieselbe nur immer vorzustellen vermag. Wratnick, der alte slawische Name des Marktfleckens, bedeutet »Pforte«, und hier war auch der eigentliche Eingang zum oberen Theile Bosniens und nach Serajewo. Als Prinz Eugens Grenadiere die Burg erstürmt hatten, warfen die Türken sich auf ihrer Flucht von der Höhe des Felsens in die Fluthen der Bosna. Bald geht's durch eine schöne, ungemein fruchtbare und ziemlich gut angebaute Ebene, woselbst Zenitscha, ein bedeutender Marktflecken, liegt. Diesem verspricht die Zukunft schon etwas, denn dicht am Bahnhofe zieht man fast aus dem Untergrunde Kohlen hervor. Allerdings sind dieselben meistens nur Braunkohlen, aber man treibt doch unsere Lokomotive damit, und auch die Fabriken, welche später hier auftauchen werden, können sich dieses Brennmaterials bedienen. Der eigentliche, mohammedanische Ort liegt in einiger Entfernung vom Bahnhofe; doch an dem nach dort führenden Wege stehen bereits Steinhäuser und ein Gasthof, und Damen in luftigen Sommerkleidern haben sich eingefunden, um den Zug ankommen und abfahren zu sehen. Von Trawnik aus trifft die österreichische Briefpost ein, welche auf einem guten, neu in Stand gesetzten Wege herbefördert wurde, und wären nicht einige Beys da, die, ihre Pfeife rauchend, finster und unbeweglich auf all das Neue und all die Fremden starren, so könnte man meinen, im Westen Europas zu sein. Mit dem eindringenden Dampfrosse bekommt eben jede Gegend zugleich auch ein ganz anderes Gepräge. Weniger eingezwängt, aber eigenartiger als der Eng-pass von Wranduck ist der von Wioka, dessen Bildungen an den oberen Missouri und die sächsische Schweiz erinnern. Eine so malerisch-schöne Schlucht habe ich nur selten gesehen. Die hohen Sandsteinfelsen, welche sich zu beiden Seiten der Bosna aufthürmen, zeigen die seltsamsten Formen; hier sieht man versteinerte Riesengestalten, die den berühmten Hans Heiligfelsen bei Karlsbad gleichen, und etwas weiter davon schaut aus den Eichen ein gewaltiger Drachen- oder Löwenkopf hervor. An anderen Stellen fällt der Blick auf ungeheuere Pilze und Käse, und die grossen Felsplatten mit den dünnen Stützen scheinen herabstürzen zu wollen. »Hoch romantisch!« rufen meine Reisegefährten beim Anblicke dieser Naturwunder. Als der Zug um 11 l/a Uhr Abends in Serajewo einläuft, werden die am Bahnhofe wartenden zweispännigen Droschken von den Offizieren und zahlreichen Reisenden im Sturme mit Beschlag belegt. Der Andrang ist ein so gewaltiger, dass ich im »Grand Hotel de l'Europe« kein Unterkommen finde, und ein Bett in der »Austria«, einem kleinen Wirthshause, welches zugleich ein Kaffee- und ein Billardzimmer enthält, muss ich mir fast erkämpfen. Das stattliche, dreistöckige »Grand Llötel de l'Europe« mit seinen Gesimsen und sonstigen Verzierungen macht einen grossartigen Eindruck und würde ganz gut in die Wiener Ring- oder in die Pester Radialstrasse hineinpassen. Im Erdgeschosse liegen ein Kaffee- und ein Speisehaus, wo man neben den gewaltigen Spiegelscheiben, den Deckenmalereien, Vergoldungen und Billardtischen aus Ebenholz, den Zeitungen und Zeitschriften ganz wie im »Hotel Continental« der Pariser Rivolistrasse aufgehoben ist. Konstantinopel hat etwas Derartiges nicht aufzuweisen, und den Oesterreichern bleibt's zu danken, dass der Mittelpunkt dieses unlängst noch so wenig zugänglichen Landes einen behaglichen Aufenthalt zu bieten vermag und leicht zu erreichen ist. Am nächsten Morgen wähle ich mir bei meiner Wanderung den Zufall zum Führer. Trotz der warmen Junisonne ist die Luft kühl, denn Serajewo liegt 1750 Fuss über dem Meeresspiegel, also fast in gleicher Höhe mit Genf oder Zürich. Der Name der Hauptstrasse, welche dem österreichischen Kaiser zu Ehren »Franz Josef-Strasse« heisst, deutet auf den dauernden Besitz Oesterreichs hin, während nicht weit davon der unvollendete Glockenthurm der grossen Kirche mit ihren vier hohen Kuppeln an die Herrschaft der Türken erinnert. Ein türkischer Statthalter berief sich auf ein altes Gesetz, welches den Christen verbot, ihre Bauwerke über die Moscheen hinaus aufzuführen, und so musste man auf den Thurm, welcher die Glocken aufnehmen sollte, verzichten. Der Anblick, den die weiss und lichtblau gehaltene Kirche gewährt, ist ein grossartiger. Schreitet man von ihr aus weiter, so stösst man zunächst auf Häuser und Läden nach abendländischem Muster: Buchhändler, Krämer, Photographen, Putzhändler, Haarkünstler haben sich da niedergelassen. Bald kommt man ins muselmännische Viertel, und hier sind die Folgen der grossen Feuersbrunst vom Jahre 1878 zwar noch nicht völlig überwunden, aber es erheben sich ja schon überall gute, aus Steinen und aus Ziegeln aufgeführte Häuser. Der Baugrund ist jedoch, wie mir gesagt wurde, sehr theuer, und für einen Meter zahlt man 70—100 Franken. Zu meiner Rechten sprudelt ein Brunnen krystallhelles Wasser hervor, und auf dem weissen Marmor stehen Koranverse in halberhabener Arbeit. In scharfen Zügen zeichnet gerade ein prächtiges Rassenbild sich ab. Ein junges, noch nicht verschleiertes mohammedanisches Mädchen mit weitem gelben Beinkleide, eine blonde österreichische Magd, mit einem rosafarbenen, kurzärmeligen Kleide und einer weissen Schürze, und eine Zigeunerin, deren Blosse das halb offene Hemde kaum verhüllt, füllen Wasser in ihre alterthümlichen Gefässe, und einige Schritte seitwärts sitzen mit gekreuzten Beinen kräftige Lastträger, die Ha-mals, welche wie diejenigen Konstantinopels gekleidet sind. Auf der ganzen Balkanhalbinsel, selbst hoch im Gebirge, findet man diese Brunnen, die zu den lichten Seiten des Islams gehören. Sie wurden gegründet und werden unterhalten aus dem Ertrage gewisser Stiftungen und sind den Gläubigen zu der ihnen vorgeschriebenen religiösen Reinigung nöthig. Der Islam und das Christenthum gleichen sich darin, dass sie in ihren Bekennern ein sehr förderliches Empfinden wachrufen; dieselben betrachten es nämlich als eine fromme Pflicht und ein gottwohlgefälliges Thun, einen Theil ihrer Habe Werken, die dem allgemeinen Besten dienen, zu widmen. Die „Tschartsia« von Serajewo, das Kaufmannsviertel, besitzt ein so ganz und gar morgenländisches Aussehen, Wie ich es selbst in Kairo nicht vollendeter getroffen habe. Ein ganzes Netz von kleinen Strassen mit vollständig offenen Läden, in denen die verschiedenen Handwerke zugleich ausgeübt werden, mündet auf einen aus- Laveleye, Balkanlander. I I gedehnten Platz, auf dem ein Brunnen und ein Kaffeehaus stehen. Jedes Handwerk hat sein eigenes Gässchen, und der Handwerker, welcher zugleich auch Kaufmann ist, arbeitet im Angesichte der Menge. Am zahlreichsten vertreten und am anziehendsten sind die Kupferschmiede. In Bosnien verlangen Christen und Mohammedaner kupferne Gefässe, weil dieselben nicht zerbrechen, und nur die ärmsten Leute benutzen irdenes Geschirr. Manche Gegenstände tragen ein künstlerisches Gepräge: so diese grossen Platten mit den eingegrabenen Zeichnungen, auf denen nach türkischer Sitte das Mittagsessen gebracht wird, und die auch als Tisch für 8—10 Personen dienen, diese Kaffeekannen in arabischer Art, diese edelgeformten, einfachen und doch kunstvollen, vermuthlich aus Griechenland herübergekommenen Gefässe jeder Grösse, diese Tassen, Krüge und röhrenförmigen Kaffeemühlen. Gleichfalls sehr eindrucksvoll wirkt das Gässchen der Schuhmacher, woselbst man eine vollständige Sammlung der im Morgenlande gebräuchlichen Fussbekleidungen zu sehen bekommt. Da sind niedrige Stiefel aus gelbem und rothem Leder, Frauen-Pantoffel aus Sammet und mit Goldstickerei, besonders aber zahllose Arten der volkstümlichen slawischen Opankas, von welchen es auch ganz kleine, allerliebst aussehende für Kinder giebt. Die Schuhflicker hocken zusammengekauert in kleinen Nischen, wo sie in der Ausübung ihres Gewerbes begriffen sind. Bei den Weissgerbern liegen Riemen und Zäume aufgestapelt, doch spielen hier besonders die zu den Eigen-thümlichkeiten der Volkstracht gehörigen sehr grossen Gürtel in ihren verschiedenen Abstufungen eine Rolle; die ganz einfachen sind für die Rajahs, die reichgestickten und die verzierten für die vornehmen Türken bestimmt. Die Töpfer stellen viele Pfeifenköpfe aus gebranntem Thone her, und diese, wie ihre anderen Waaren, sind - i63 - zwar nur aus grobem Stoffe, überraschen aber oft durch die Schönheit der Form und das Eigenthümliche der Verzierung. Sehr begehrte Leute sind die Kürschner, denn in dem langen und kalten Winter hat man oft 15 bis 16 Grad unter Null, und es werden daher in ganz Bosnien mit Pelzwerk gefütterte und besetzte Kaftane und Jacken getragen. Die bosnischen Wälder liefern 50000 bis 60000 Pelzthiere, deren Felle man seltsamerweise zur Bereitung nach Deutschland schickt; nur die Schaffelle, mit denen die Bauern sich begnügen, werden von diesen selbst zugerichtet. Niedliche Arbeiten aus Silberdraht — Behälter, in welche man die kleinen Kaffeetassen hineinsetzt, Schnallen, Armbänder, Ohrringe — liegen bei den Goldschmieden aus, die ausserdem nur minder werthige Waaren haben. Die reichen Mohammedanerinnen ziehen Schmuckgegenstände vor, welche aus der Fremde kommen, und die Frauen der Rajahs — ist ihnen noch etwas geblieben, und fehlt's ihnen nicht an Mulh — tragen aufgereihte Münzen. Die Hufeisen der Grobschmied . sind weiter nichts als Scheiben mit einem Loch in der Mitte, und die sonst wenig geschickten Schlosser fertigen recht geschmackvolle Thürdrücker und Sattelknöpfe. Seit dem Verbote des Waffentragens werden weder Flinten noch Pistolen, noch diese geschweiften türkischen Dolche, die Yatagans, feilgehalten, und nur schön ausgelegte Messer und Meissel sind zur Schau gestellt. Möbelhändler trifft man in der Tschartsia nicht an: in der türkischen Behausung giebt es keine Tische, Stühle, Bettgestelle, Waschtische oder sonstige Möbel, und der Divan mit seinen Kissen und Teppichen muss all diese Dinge ersetzen. Die in der Tschartsia betriebenen Gewerbe sind ausschliesslich den Mohammedanern vorl -halten, nr>d jedes derselben bildet eine besondere Zunft, deren öe- 11* Stimmungen nur noch neuerdings wiederum genehmigt wurden. Die gesellschaftlichen Zustände entsprechen hier also genau denen, welche man während des Mittelalters im Westen hatte; auf dem Lande herrscht das Lehns- und in den Städten das Innungswesen. In Bosnien hat jede bedeutende Stadt ihre Tschartsia, und hier kann man den Betrieb aller Gewerbe beobachten, welche nicht innerhalb der Familie ausgeübt werden. Letztere sind allerdings von grösster Wichtigkeit; sie umfassen die Bearbeitung der zur Bekleidung nöthigen Leinen- und Wollenstoffe, wie auch die Anfertigung vieler, sehr haltbarer Teppiche, deren einfaches, aber anmuthig zusammengestelltes Muster das Auge wohl-thuend berührt, und deren Farben, welche die Frauen sich selbst aus den Pflanzen bereiten, sehr dauerhaft sind. In den Handel kommen derartige Teppiche aber äusserst selten. Die Arbeit bewahrt hier noch ihren ursprünglichen Charakter und wird ausgeführt, um die Bedürfnisse des Arbeitenden zu befriedigen, nicht aber im Hinblicke auf den Umsatz und die Kundschaft. In gewissen Strassen der Tschartsia sieht man mohammedanische Frauen auf der Erde kauern, die sehr arm zu sein scheinen; ihr Gesicht ist verschleiert, und ihre Gestalt verschwindet vollständig unter den weiten Falten des Mantels. Neben sich haben sie gestickte Taschen- und tlandtücher zum Verkaufe ausgebreitet. Doch nicht mit einem Worte oder auch nur mit einer Geberde suchen sie Käufer anzulocken; unbeweglich sitzen sie da und sagen auf Befragen den Preis, aber auch nichts weiter. Ist es der Fatalismus, welcher ihnen diese Art des Benehmens eingiebt, oder haben sie das Gefühl, durch ein solches Verkaufen sich mit einer Sache zu befassen, die einer mohammedanischen Frau eigentlich gar nicht zusteht? Der Unterschied zwischen dem mo- - i6s - hammedanischen und dem christlichen und jüdischen Kaufmanne ist überhaupt ein ganz gewaltiger. Jener steht in ruhiger Würde da; er preist nicht an, schlägt nicht vor und lässt nichts ab. Diese dagegen suchen sich die Käufer gegenseitig streitig zu machen, rufen laut kreischend ihre Waaren aus und fordern unsinnige Preise, von denen sie dann bis auf die Hälfte, bis auf den dritten und vierten Theil heruntergehen, und wobei sie doch noch immer Übertheuern. Das Sticken ist die Hauptbeschäftigung der mohammedanischen Frauen, welche nicht lesen, sich wenig mit der Wirthschaft befassen und keine anderen Handarbeiten machen. Unter diesen gestickten Wollenstoffen, Taschentüchern, Hemden u. s. w. giebt es aber auch wahre Meisterwerke der Kunst, die von Geschlecht zu Geschlecht aufbewahrt werden, und jede Familie setzt ihren Stolz darein, möglichst viel von diesen werthvollen Sachen zu besitzen. Die Mohammedaner, welche in der Tschartsia einen Laden haben, wohnen jedoch nicht daselbst, sondern in der Umgegend der Stadt und erinnern dadurch an die Kaufleute Londons. Gegen 9 Uhr Morgens öffnen sie die zwei grossen Flügel ihrer Ladenwerkstatt, und mit untergehender Sonne schliessen sie dieselbe. Das thun sie bisweilen auch am Tage, um zu den vorgeschriebenen Gebeten nach der Moschee gehen zu können; gerade diese Mohammedaner slawischen Ursprunges kommen mit peinlichster Sorgfalt allen Vorschriften des Islams nach. In wechselseitigem Entgegenkommen bleibt die Tschartsia um der Mohammedaner, Juden und Christen willen am Freitage, Sonnabende und Sonntage geschlossen. Heute, an einem Donnerstage, wogt hier ein dichtes Gedränge, und einen wahren Hochgenuss gewährt die farbige Gewandung der Menge dem Auge, das über rothe, braune und grüne Turbane, braune Jacken, blaue oder dunkelrothe weite Zuavenbeinkleider schweift. Die ganze Masse trägt vollständiger noch wie in Aegypten den Stempel des Morgenlandes, weil alle, ohne Unterschied des Glaubens, sich nach türkischer Weise kleiden. Nicht an der Gewandung, sondern an der Haltung und dem Benehmen erkennt man die Leute: den Christen und Juden an dem unruhigen Blicke und scheuen Wesen, was daran erinnert, dass er den Stock zu fürchten hat; den Mohammedaner, sei er vornehm oder gering, an dem stolzen Aussehen und der Llerrschermienc. Selbst das kleine Pferd, auf dem eben ein Bey — einem mittelalterlichen Magnaten vergleichbar — sich durch die Menge drängt, trägt den Kopf ebenso hoch wie sein Herr, und den voranschreitenden Dienern desselben weicht jeder ehrerbietig aus. In Lumpen gehüllte Rajahs bringen Schafe, Gänse, Puten und Forellen zum Verkaufe; ein Truthahn soll 3V2 Florin kosten, und das ist für dieses noch nicht von der Kultur beleckte Land ein hoher Preis. Das eigentliche Schlachtvieh sind aber hier, wie überhaupt im Morgenlande, fast ausschliesslich die Hammel. Das Gemüse bieten die Bulgaren feil, welche zur Frühjahrszeit sich einfinden und zum Anbaue desselben ein Stück Land miethen. An einer Stelle wird ein Pferd sammt seinem Packsattel für 15 Florin versteigert; allerdings ist der arme Gaul schon alt, krank und abgemagert. Aber der Sattel kam auch, seitdem man ihm denselben zum ersten Male auflegte, weder im Stalle, noch auf der Weide von seinem Rücken, und er muss ihn bis zu seinem Tode mit sich herumschleppen. Lastthiere müssen eben alles befördern, selbst auf neu angelegten Wegen, und Karren kennt man nur im nordöstlichen Bezirke Bosniens, der durch die Sau und Serbien begrenzten Pozawina. Ebenen von einiger Ausdehnung finden sich allein in diesem Theile des Landes. Der »Bezestan«, d. h. der Bazar, ist ganz in morgenländischer Weise eingerichtet. Aber die Waaren, welche die Kaufleute in den Nischen auslegen, die sich auf der rechten und linken Seite des langen, gewölbten Ganges befinden, kommen sämmtlich aus Oesterreich, selbst die Zeuge und die im Geschmacke Konstantinopels gearbeiteten, goldgestickten Sammetpantoffeln. Von hier aus wandere ich nach der Hauptmoschee von Serajewo. Dieses hat, so behauptet man, mehr als 80 Moscheen, deren bedeutendste die von Usref-Beg gestiftete und nach ihm benannte ist. Eine Mauer umgiebt sie, doch die bogenförmigen, mit einem Drahtgitter überzogenen Oeffnungen gewähren den Vorübergehenden Einblicke in die heilige Stätte. Mitten auf dem Vorhofe erhebt sich ein riesiger Baum, dessen Zweige bewegliche Schatten auf dem weissen Marmor einer Quelle herumhüpfen lassen. Unter dem Schutze eines netzartigen Gitters sprudelt das Wasser in neunfachem Strahle aus einem höheren in ein niedriger liegendes Becken, und das Ganze überwölbt eine auf Säulen ruhende Kuppel. Ich setze mich auf die Bank, welche im Kreise zwischen diesen Stützen hinläuft; selbst jetzt, in der Hitze des Mittags, ist es hier entzückend frisch, und in das leise Murmeln des Wassers mischt sich das muntere Gegirre der Tauben. Gläubige waschen sich in der sorgfältigsten Weise vor ihrem Eintritt in die Moschee Füsse und Hände, die Arme bis zum Ellbogen hinauf, den Hals, die Ohren, das Gesicht und besonders die Nase. Andere sitzen neben mir und lassen ihre Gebetsschnüre durch die Finger gleiten, wobei sie mit abwechselnd erhobener und sinkender Stimme Koranverse aufsagen und den Kopf im Takte von rechts nach links bewegen. Den wahren Bekenner des Islams durchdringt das religiöse Empfinden mit unbeschreiblicher Gewalt; es trägt ihn hinauf in eine andere Welt, und die Vorschriften seines Ritus erfüllt er, gleichviel an welchem Orte er sich befindet und wer in seiner Nähe weilt. Nirgends ist es mir voller als hier zum Verständnisse gekommen, wie der Mohammedanismus seine Anhänger zu erheben vermag. Die Moschee läuft auf einen Gang hinaus, den schöne, alterthümliche Säulen mit Knäufen und mit Grundflächen aus Bronze stützen, und hier legt man die Todten nieder, ehe man sie der Erde übergiebt. Die Moschee selbst ist ein gewaltiger Kuppelbau ohne Seitenschiffe und Altäre, ohne den mindesten Schmuck und die geringste Ausstattung, ein richtiger Tempel des Monotheismus, während hingegen die katholische Kirche mit ihren Bildern und Statuen an Indiens heidnische Religionen erinnert. In diesem Räume hier erblickt man nur die betenden Gläubigen, welche auf Matten oder Teppichen knieen und von Zeit zu Zeit die Erde berühren. Der Islam, welcher eigentlich mit dem Judenthume auf eins hinausläuft, umschliesst eine vortreffliche Gesundheits- und Sittenlehre; woher kommt es nun aber, dass er dennoch überall den Verfall hervorgebracht hat, und dass die Länder, welche im Alterthume die reichsten waren, unter ihm sich entvölkert haben und wie mit einem Fluche belastet erscheinen? All die mir bekannten Abhandlungen, welche sich über diese Frage auslassen, scheinen den Kern der Sache nicht vollständig getroffen zu haben. Die besten und tiefsten Einblicke in das innerste Wesen des Mohammedanismus lassen sich aber nirgends besser als in Bosnien gewinnen, weil hier Bekehrer und Bekehrte nichts von den Eigenthümlichkeiten der Rasse mit einander ausgetauscht und in einander verwoben haben, so dass man von einem reinen, unverfälschten Einflüsse des Korans sprechen kann. Die mohammeda- nischen Bosnier sind vollständig Slawen geblieben, die weder vom Türkischen noch Arabischen Kenntniss haben, und welche die vorgeschriebenen Gebete und Koranverse auswendig lernen und hersagen, aber ebenso wenig verstehen wie die italienischen Bauern das lateinische Ave Maria. Alte slawische Wappen liegen noch heute im Kloster Kreschowa, und die slawischen Namen auf »itsch« haben sich gleichfalls erhalten. Die Kapeta-no witsch, Tschengitsch, Raykowitsch, Sokslowitsch, Philippewitsch, Twarkowitsch, Kulinowitsch sind stolz auf die Rolle, welche ihre Vorfahren vor der Ankunft der Türken spielten. In ihren Adern fliesst das reinste slawische Blut, und doch überragen sie den Sultan und selbst den Scheik-ul-Islam an Glaubenseifer. Sie verachten die aus Konstantinopel kommenden Beamten, besonders seitdem dieselben sich europäisch kleiden, betrachten sie als Abtrünnige und Verräther, die schlimmer noch wie die Ungläubigen sind, und haben mit der Hauptstadt beständig in offenem oder geheimem Kampfe gelegen. Es kommt bei ihnen auch die entsittlichende Wirkung der Vielweiberei nicht in Frage, denn sie haben immer nur eine Frau gehabt. Der Familie ist der patriarchalische Charakter der alten Zadruga geblieben; der Familienvater, der Stareschina, besitzt ein unumschränktes Ansehen, und die Jungen begegnen den Alten mit der vollsten Ehrerbietung. Aber es ist doch eine unumstöss-liche Thatsache, dass mit dem Siege des Halbmondes das reiche und bevölkerte Bosnien des Mittelalters zum ärmsten, unwissendsten und unwirthlichsten Lande Europas wurde, und es bis zum Einzüge Oesterreichs auch blieb. Das ist dem Islam zu danken, und ich will die Frage nach dem Wie und dem Warum zu beantworten suchen. Der wahre Mohammedaner, dem der Koran völlig genügt, und der nie mit seinem Geschicke hadert, steht jedem Fortschritte, jeder Belehrung und Neuerung theil-nahmslos gegenüber und fragt nicht nach Verbesserungen; es wohnt ihm etwas von der Natur eines Mönches inne. Gleichzeitig aber hasst und verachtet er den christlichen Rajah, den Arbeiter, welchen er beraubt, aussaugt und erbarmungslos misshandelt, und so sind diejenigen, welche einzig und allein den Boden bebauen, der Vernichtung und dem völligen Untergange preisgegeben. Das ist ein auch während des Friedens fortgesetzter Kriegszustand, der sich zu einer dauernden Raub- und Mordwirthschaft umgebildet hat. Die Frau, selbst wenn sie die einzige ist, bleibt immer nur ein untergeordnetes Wesen, eine Art von Sklavin ohne jede Geistesbildung. Sie aber erzieht die Kinder, die Mädchen wie die Knaben, und daraus können natürlich nicht andere als verderbliche Folgen sich ergeben. All den verhängnissvollen Wirkungen des Islams steht nur eine einzige Ausnahme, allerdings eine sehr glänzende, gegenüber. Die Araber haben im Süden Spaniens Wunderbares geleistet auf dem Gebiete des Ackerbaues, der Gewerbe, Künste und Wissenschaften; doch sie waren vom Geiste Zoroasters beseelt. Hier waltete persischer Einfluss, nicht der Arabiens und Mohammeds, und was man arabischen Baustil nennt, ist in Wirklichkeit ein Erzeugniss persischer Kunst. Mit dem Schwinden dieses Einflusses geriethen dann Persien und ganz Kleinasien auf Bahnen, die abwärts führen, und man vergegenwärtige sich nur einmal, was jene Paradiese der alten Welt denn heute noch sind. In einer Kapelle dicht neben der Moschee liegen Usref-Beg und seine Frau begraben, und dieselbe um-schliesst auch eine aus Stiftungen unterhaltene höhere Schule für junge Leute, welche den Koran studiren, um einst Richter, Priester, Erklärer des Korans u. s. w. werden zu können. Sie wohnen einzeln in kleinen Zellen und bereiten sich hier auch ihre Mahlzeiten. Das sauber gehaltene Hauptbad von Serajewo, welches ich gerade unbenutzt antreffe, ist nicht sehr weit von der Moschee entfernt. Es besteht aus einer Reihe von Gebäuden, die in runder Form aufgeführt sind und mit einer Kuppel abschliessen; durch zahlreiche in Blei gefasste Scheiben von sehr dickem Glase fällt Licht in das Innere, und die Heizung geschieht, wie in den Bädern der alten Römer, vermittelst unterirdischer Röhren. Der Islam verpflichtet seine Bekenner dazu, öffentliche Bäder zu unterhalten, und die Moslims allein haben sich diese schöne Einrichtung des Alterthums gewahrt. Ein öffentliches Bad besitzt selbst der kleinste Flecken der Balkanhalbinsel, der von Mohammedanern bewohnt wird; die Männer, auch die armen, besuchen es sehr oft, und die Frauen müssen dies mindestens ein Mal in der Woche — am Freitage — thun. Doch mit den Moslims verschwinden die öffentlichen Bäder. In Belgrad giebt es keine mehr, und in Philippopel hat man das Hauptbad zur Aufnahme für die Nationalversammlung eingerichtet. Was die Türken Gutes schufen, sollte man von ihnen, welche übrigens weiter nichts gethan haben, als dass sie uns Erbschaften aus dem Alterthume aufbewahrten, herübernehmen. Lord Edmund Fitz-Maurice hat mir ein Empfehlungsschreiben des Auswärtigen Amtes an den englischen Konsul, Herrn Eduard Freemann, mitgegeben. Als ich denselben aufsuche, kehrt er gerade von seinem täglichen Spazierritte zurück, und man merkt es seinem ganzen Aussehen überhaupt an, dass er sich viel im Freien bewegt und ein Freund des kalten Wassers ist. Er reitet ein Vollblutpferd und trägt einen nach indischer Mode mit weisser Leinewand bezogenen Filzhut, einen kurzen Rock aus leichtem, schottischem Wollenzeuge, eine hirsch- lederne Kniehose und Jagdstiefel, und alles an ihm ist von erster Güte und vollendetster Sorgfalt. Welch ein Unterschied zwischen dieser ausgeprägten Verkörperung des modernen englischen Gentlemanthums und der malerischen Umgebung, wo aber weder die Menschen, noch deren Häuser und Kleider etwas von dem Walten erhaltender Ordnung spüren lassen! In ihren wesentlichen Erscheinungsformen stehen sich gleichsam das Abend-und das Morgenland gegenüber. Herr Freemann bewohnt ein grosses türkisches Haus, dessen erstes Stockwerk schwungvoll in die Strasse hineinragt, und dessen Hauptseite auf einen umfangreichen Garten mit wohlgepflegten Rasenplätzen, mit Blumen und hübschem Strauchwerk hinausgeht. Der Eigenthümer ist ein Jude, und der Miethspreis beträgt 2000 Franken; aber Herr Freemann wäre schon damit zufrieden, seine Wohnung für die doppelte Summe behalten zu können. Derselbe ist ein Freund der Jagd und des Fischfanges und erzählt mir, dass Wild und Forellen noch sehr reichlich vorhanden sind, dass aber seit dem Einzüge Oesterreichs alles sich im Preise verdoppelt und wohl auch verdreifacht hat. Nicht weit von seiner Behausung befinden sich die Verwaltungsund Regierungsgebäude, eine Kaserne, die Post und zwei grosse, in Militärmagazine verwandelte Moscheen. Im Konak, einem sehr stattlichen Palaste, hat der General von Appel seinen Sitz, und die einstigen türkischen Häuser, in denen man die anderen Dienstzweige unterbrachte, sind ausgebessert, geweisst, gestrichen und in einen Zustand tadelloser Sauberkeit versetzt worden. Dem Zivil-Gouverneur Baron Nikolitsch bringe ich die Karte des Herrn von Kailay, und die Ueberweisung aller amtlichen Dokumente wird mir zugesichert. Herr von Neumann hat mich mit einem Briefe an einen seiner einstigen Schüler, einen Beamten in der Justiz-Verwaltung, ver- sehen. Dieser, Herr Scheimpilug, ist so freundlich gewesen, mir während meines Aufenthaltes in Serajewo als Führer zu dienen und mir über die mohammedanischen Gesetze und die Bodenfrage, womit er sich eingehend beschäftigt, lehrreiche Mittheilungen zu machen. Diese schätzenswerthen Einzelheiten will ich nun theilweise wiedergeben. Nach den Grundsätzen des Korans ist Gott der Eigner des Bodens, und sein Vertreter, der Sultan, verfügt darüber. Die Beys und Agas, wie früher die Spahis (die leichten Reiter im türkischen Heere), haben ihre Besitzungen nur als Lehen und zur Belohnung von Kriegsdiensten inne. Ihrer Natur nach unterscheidet man fünf Arten von Gütern und bezeichnet dieselben als »Milk«, »Mirie«, »Wakuf« oder »Ekwufe«, »Metrüke« und »Mewat«. Die ersteren entsprechen den englischen Freilehen und erinnern am meisten an unser Landrecht und das Privateigenthum bürgerlichen Charakters. Einige vornehme Familien haben noch heute Eigenthumsrechte, deren Ursprung um Jahrhunderte hinaufreicht. Mit dem Ausdrucke »Mirie« bezeichnet man diejenigen Güter, deren erbliche Nutzniessung der Staat für einen jährlichen Zins und persönliche Dienste gewährt. Die neuere türkische Gesetzgebung hat den Inhabern das Recht zugestanden, diesen Niessbrauch, der in auf- und in absteigender Linie erblich ist und auch auf die Frau und die Geschwister übergeht, zu verkaufen und zu verpfänden^ Die Wakufs, denen ein gewisser geheiligter Charakter innewohnt, sind die Güter, welche zu Stiftungen gehören, wie sie in ähnlicher Weise früher überall in Europa bestanden haben; ihr Ertrag ist aber nicht, wie man wohl meint, ausschliesslich zum Unterhalte von Moscheen bestimmt. Die Absicht der Stifter war es, überhaupt für alles zu sorgen, was dem grossen Ganzen, der Allgc- meinheit zum Nutzen gereichte: für Schulen, Bibliotheken, Kirchhöfe, Bäder, Springbrunnen, Wege, Anpflanzungen, Krankenhäuser und Unterstützungsanstalten für Sieche, Arme und Greise. Jede Stiftung hat einen Verwaltungsrath, und dieser steht unter dem Wakuf-Ministerium, welches durch seine Beamten von der Hauptstadt aus die über das ganze osmanische Reich hin äusserst zahlreich verbreiteten, verschiedenartigen Anstalten im Einzelnen überwachen lässt. So lange das religiöse Gefühl an Macht und Stärke nichts verloren hatte, wurden die Einnahmen der Bestimmung gemäss verwendet. Seitdem aber Entsittlichung und Zerrüttung es zu einem Raubkriege aller gegen alle gebracht haben, fliessen die Erträge hauptsächlich in die Taschen der Ueberwachungs-behörde und der örtlichen Verwaltung, und es ist dies ganz besonders im Hinblicke auf ein Land zu bedauern, wo weder der Staat noch die Gemeinden irgend etwas für die öffentliche Wohlfahrt thun. Was hier zum allgemeinen Besten geschieht, ist einzig und allein den für die Kultur unentbehrlichen Wakufs zu danken, deren Einziehung ein wirthschaftlicher Fehler und ein Verbrechen gegen die Menschheit wäre. Ist es nicht besser, die Ausgaben für Armenunterstützung, Unterricht und allerlei Verbesserungen aus den Erträgen einer Besitzung, als durch Steuern zu bestreiten? In den neuerdings von der Türkei abgetrennten Ländern, in Serbien, Bulgarien, sollte man diese, einem nützlichen Zwecke gewidmeten Güter nicht verkaufen, sondern einer vernünftigen, geordneten und vom Staate geregelten Verwaltung unterwerfen, und die Einkünfte verfallener oder aufgegebener Moscheen, wie man deren mehrere selbst in Serajewo sieht, könnten wohl für das Gebiet des Unterrichtes nutzbar gemacht werden. Die Wakuf-Güter nehmen, so schätzt man, den dritten Theil vom gesammten Grund und Boden ein. Manche Leute machen ihre Besitzungen in der Weise zu solchen, dass sie ihren Nachkommen den lebenslänglichen Niessbrauch davon vorbehalten, und es erinnert dies an die Fideikommisse des Mittelalters. Die Bezeichnung »Metrüke« tragen diejenigen Güter, welche einem öffentlichen Gebrauche dienen. Sie bestehen aus den Dorfplätzen, auf welchen gedroschen wird, und wo man das Vieh und die Packpferde unterbringt, und aus den Waldungen und Gehölzen der Gemeinden. Die auf den Bergen befindlichen Wälder und Weiden nennt man »Mewat«, d. h. herrenlos, weil sie weit entfernt von den Wohnungen, »ausserhalb des Bereiches der Stimme« liegen. Omer Pascha erklärte im Jahre 1850 nach der Unterdrückung des Aufstandes, dass diese Wälder Staatseigenthum seien, doch haben die Dorfbewohner Gebrauchsrechte, die sich nicht umgehen lassen. Das mohammedanische Recht hat sehr viel vollständiger als das römische oder französische den von Volks-wirthschaftslehrern herangezogenen Grundsatz gewahrt, dass die Arbeit die Quelle des Reichthums ist. So bilden die auf dem Boden eines anderen gepflanzten Bäume oder aufgeführten Bauten getrennt und unabhängig von der Scholle einen Besitz für sich allein. In Algerien, bei den Arabern, theilen sich oft drei Eigenthümer in die Erzeugnisse, welche ein Stück Land hervorbringt, indem einer das Getreide, der andere die Feigen und der dritte als Sommerfutter fürs Vieh die Blätter der Esche nimmt. Derjenige aber, welcher fremden Boden gehörig bebaut und bepflanzt, kann Besitzer desselben gegen Zahlung eines angemessenen Preises werden, falls der Werth seiner Arbeit höher zu veranschlagen ist, als der des Grundes, was hier auf dem Lande meistens zutrifft. In der ganzen mohammedanischen Welt, von Marokko bis Java, wird hauptsächlich durch die Bearbeitung des Bodens Grundbesitz erlangt, und es geht derselbe verloren, sobald jene aufhört. Wer drei Jahre hindurch sein Land nicht bebaut, verliert jedes Anrecht an dasselbe, es sei denn, dass er es zur Weide oder als Vorbereitung für die Ernte zum Brachfelde macht; der Besitz aber, welcher seinen Herrn verlor, fällt an den Staat zurück. Der berühmte arabische Rechtsgelehrte Sidi Kelil, dessen Aussprüche an den Gerichtshöfen seiner Heimath eine so grosse Geltung besitzen, dass die französische Regierung sein Buch hat übersetzen lassen, stellt den beherzigens-werthen Grundsatz auf: »Wer die todte Erde belebt, wird ihr Eigenthümer; sind aber die Spuren der früheren Besitznahme verschwunden, so erwirbt derjenige den Boden, welcher ihn von neuem belebt«. Der allgemeine Vortheil beschränkt nach mohammedanischem Rechte die freie Verfügung des Einzelnen, der nur brauchen, aber nicht missbrauchen kann, und dem es nicht freisteht, fruchtbares Land nach seinem Belieben an den ersten Besten zu verkaufen. Nachbarn, Dorfbewohner und Pächter haben das Vorrecht, die »Scheffaa«. Früher bestand dieselbe überall bei den Deutschen und Slawen zum Nutzen der Bewohner desselben Dorfes und sollte Fremde verhindern, sich mitten in einer Gemeinschaft niederzulassen, die eigentlich nichts weiter als eine Familie im Grossen war. Der Verkauf liegender Gründe wurde in Bosnien vor der bürgerlichen Obrigkeit und in Gegenwart von Zeugen vollzogen, und die Ueber-tragungsurkunde, der »Tapu« musste mit fünf Prozent des Werthes bezahlt und mit dem nur in Konstantinopel zu erlangenden Namensstempel des Sultans — »Rügra« genannt — versehen werden. Dieser Tapu war ein Auszug aus einem Verzeichnisse, das, dem Hypothekenbuche gleich, eine ziemlich genaue Uebersicht über die Ver- theilung der liegenden Gründe und ihrer Eigentümer gab, welches aber leider nicht in die Hände Oesterreichs gelangte. Es wird nun durch das auf amtlichen Erhebungen beruhende Grundbuch ersetzt werden. Ein neueres Gesetz der Vereinigten Staaten erklärt das Haus des Landwirths und den umliegenden Boden für unantastbar. In Bosnien und Serbien hat man seit den ältesten Zeiten ein solches Hausstättegesetz, einen Schützer des Herdes. Die Gläubiger können dem zahlungsunfähigen Schuldner weder seine Wohnung nehmen, noch das Stück Land, welches zu seinem Lebensunterhalte unumgänglich nöthig ist. Ja, wenn sich auf den mit Beschlag belegten Gütern keine den augenblicklichen Verhältnissen des Schuldners entsprechende einfache Behausung fand, so war es Sache der Gläubiger, für die Beschaffung einer solchen Sorge zu tragen. Baron Alpi, der Polizeipräsident von Serajewo, erzählte dem Herrn Scheimpflug, dass er über die vielen, von der öffentlichen Mildthätigkeit lebenden Personen erstaunt gewesen wTäre, und bei näherer Prüfung hätten sich dann alle diese Bettler als Hauseigenthümer entpuppt. Ein neueres Gesetz hatte das alte Heimstättegesetz bestätigt, nach dem man auch in Deutschland verlangt, und über welches Rudolf Meyer eins der anregendsten Bücher »Heimstätten-und andere Wirthschaftsgesetze« geschrieben hat. Oesterreich steht in Bosnien denselben Schwierigkeiten gegenüber, denen die Franzosen in Algerien und Tunis, die Engländer in Indien und die Russen in Mittel-Asien begegneffr In welcher Weise eine Einigung zwischen den mohammedanischen und den abendländischen Gesetzen zu erzielen wäre, das eben ist die grosse Frage. Für Bosnien wird dieselbe noch besonders dringend und schwierig, weil es sich um ein fest an Oesterreich-Ungarn anzuschliessendes Land und nicht wie bei den Eng- Laveleyc, Balkanlander. 1 2 ländern oder Franzosen um getrennt liegende Provinzen handelt. Allerdings ist's hier aber auch geradezu ausnahmsweise leicht, den Kern, das eigentliche Sein des Mohammedanismus herauszufinden. Diese Bekenner des Islams, welche vollständig im Banne desselben stehen und fester als alle ihre anderen Glaubensgenossen an ihm hangen, sind keine Araber, Hindus oder Turkmenen, und zwischen ihnen und Europa thürmen also die Abstammung, die Sprache und die räumliche Entfernung keine Scheidewand auf. Sie, die Slawen, haben mit den Kroaten und Slowenen die Sprache gemeinsam und wohnen in der Nähe von Venedig, Pest und Wien. Wer in den Geist des Mohammedanismus, in seine Sitten, seine Gesetze und seinen ganzen Einfluss sich hineinversetzen will, kann zu diesem Zwecke keinen geeigneteren Ort als Serajewo aufsuchen. Hier bringen meine Forschungen mich zu der Ueberzeugung, dass die das Grundeigenthum regelnden mohammedanischen Gesetze über denen des römischen Rechtes stehen, Arbeit und Menschlichkeit besser als diese achten und sich mehr der Billigkeit und Gerechtigkeit und den Idealen des Christenthums nähern. Aber gerade die unter jenen Gesetzen lebenden Völker sind auf diesem Erdenrund, wo die rohe Gewalt so viele Menschenwesen erbarmungslos mit Füssen tritt, die unglücklichsten, und ihre Lage hat sich immer mehr und mehr verschlimmert. Woher kommt das? Nachdem die Osmanen Bosnien erobert hatten, theilten sie ihrem gewöhnlichen Verfahren gemäss das ganze Land in drei Theile: in einen für den Sultan, einen zweiten für die Geistlichkeit und einen dritten für die mohammedanischen Besitzer, d. h. die zum Islam übergetretenen Bosnier und die mit einem Lehen beschenkten Spahis oder türkischen Reiter. Die Christen, in deren Händen die ganze Feldarbeit lag, geriethen in eine Art Leibeigenschaft und wurden Kmets — Kolonisten, Pächter — oder auch Rajahs — das Vieh — genannt. Anfangs, und bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts hinein, hatten die Kmets den Eigenthümern des Bodens — die Beys oder Statthalter waren die grossen und die Agas oder Beamten die kleinen Besitzer — nur ein Zehntel des Ertrages abzuliefern, und zwar an Ort und Stelle, ohne die Verpflichtung, das Betreffende nach der Behausung ihrer Herren zu schaffen, während der Staat ein zweites Zehntel als Steuer erhielt. Dieser that nichts und brauchte daher nicht viel Geld, und die Beys und Spahis lebten zum grossen Theile von Raubzügen. Nach und nach aber wuchsen die Anforderungen und Bedürfnisse der Besitzer derartig, dass dieselben den dritten Theii oder die Hälfte von sämmtlichen Erträgnissen des Bodens erhoben. Dabei musste ihnen alles nach ihrer Behausung geschafft und wöchentlich auch noch zwei bis drei Tage Frohndienst geleistet werden. Als dann auch die Janitscharen Grundbesitz erwarben, nachdem sie aufgehört hatten, die Leibwache zu bilden, und von ihrem Solde in den Kasernen zu leben, erstanden den Rajahs neue, erbarmungslose Quäler, und den eingeborenen Statthaltern wurde ein Beispiel grenzenloser Erpressung. Die Kmets konnten jetzt buchstäblich nur noch vegetiren, und in den Wintern, die einer schlechten Ernte folgten, mussten sie verhungern. Eine solche systematische Beraubung und die damit verbundene schlimme Behandlung brachte die Unglücklichen zur Verzweiflung, und zu Tausenden flüchteten dieselben nach Oesterreich hinüber. Dieses gab ihnen Ländereien und war vorläufig genöthigt, für ihren Unterhalt zu sorgen. Im Jahre 1840 begann es, bei der Pforte vorstellig zu werden, welche nun zu verschiedenen Malen die Gouverneure anwies, für die Kmets einzutreten. Nachdem dann Omer Pascha 12* 1850 die Empörung der Beys unterdrückt und ihre Macht gebrochen hatte, wurden endlich Verfügungen erlassen, welche der gegenwärtigen Ordnung der Bodenverhältnisse als Grundlage dienen. Die Frohnarbeit ist vollständig abgeschafft, und die* Leistungen der Kmets (an die Beys oder Agas) sind auf die Hälfte des Ertrages festgesetzt, falls der Eigenthümer für die Gebäude, das Vieh und die Ackergeräthe sorgt, und auf den dritten Theil desselben — die Tretina —, wenn das Betriebskapital ihnen gehört. In wenig fruchtbaren Gegenden dürfen sie nur den vierten, fünften oder sechsten Theil des Ertrages liefern. Die Hälfte des Heues haben sie in jedem Falle ihrem Herrn ins Haus zu schaffen, wofür dieser aber den dritten Theil vom »Werghi« — der Steuer auf das unbewegliche Eigenthum — zahlen muss. Der Zehnte für den Staat kommt zuerst in Abzug, und so lange der Kmet seine Verpflichtungen erfüllt, kann er nicht ausgetrieben werden. Doch er ist auch nicht an die Scholle gebunden, und es steht ihm frei, dieselbe zu verlassen. Ja, aber wo soll er denn hin, und welcher mohammedanische Besitzer würde sich mit ihm einlassen? Die den Christen gestattete Vergünstigung, liegende Gründe zu erwerben, erwies sich als ein blosses Scheinding, da die Beys ihnen zur Ausnützung derselben nicht die genügenden Hilfsmittel Hessen. Diese Verfügungen vom Jahre 1850 gaben den land-wirthschaftlichen Verhältnissen eine Form, wie sie im Süden Frankreichs, in einem grossen Theile von Spanien und Italien und unter dem Namen »Polovina« in Kroatien auf den Kirchengütern vorkommt. Den Leiden des Kmets sollte damit ein Ende gemacht werden, aber in Wirklichkeit wurden dieselben schrecklicher denn je. Erbitterung erfüllte die mohammedanischen Besitzer, welche in diesen den Rajahs gemachten Zugeständnissen eine Beeinträchtigung ihrer alten, persönlichen Rechte erblickten, und sie plünderten und misshandelten nun noch ärger wie früher. Schutz fanden die unglücklichen Christen weder bei den Richtern, noch bei den türkischen Beamten, denn diese waren ja sämmtlich Moslims und ihnen feindlich gesinnt. Die bosnischen Rajahs suchten nun ihr Heil von neuem in der Auswanderung, und die jammervollen Scenen aus den Jahren 1873 und 1874 haben bekanntlich ganz Europa aufgeregt. Die tatkräftigeren Herzegowiner, welche überdies an ihren Nachbarn, den Montenegrinern, eine Stütze besassen, empörten sich, und damit nahmen die grossen, so tief in die Verhältnisse der Balkanländer einschneidenden Ereignisse ihren Anfang. Die Darlegung dieser auf die Landwirthschaft bezüglichen Gesetze giebt aber durchaus keine Vorstellung davon, welche Wirkung dieselben durch die Art und Weise, in der sie gehandhabt wurden, hervorbrachten. Mir erscheint es deshalb zweckdienlich, über die Lage der bosnischen Rajahs während der letzten Jahre der Türkenherrschaft einige Einzelheiten zur Kenntniss zu bringen,' und zwar aus zwei Gründen. Zunächst gilt's, zu zeigen, dass jeder redliche Mensch, welchem Volke er auch angehören möge, die Besetzung durch Oesterreich gutheissen muss, und dann ist die Lage darzulegen, in welcher die Rajahs heute in diesem Macedonien schweben, das Russland durch den Vertrag von San Stefano befreit hatte, und das nachher Lord Beaconsfield unter dem Beifallsrufen des verblendeten Europas wieder der Sklaverei überantwortete. Indem ich dieses schreibe, bleibe ich den Ueberlieferungen der freisinnigen. Partei des Abendlandes treu. Von einer erleuchteten Voraussicht durchdrungen und mit einer vollkommenen Sach-kenntniss ausgestattet, haben Mac Coli und Saint-Marc Girardin nicht aufgehört, in lebendig-beredter Weise für die Rajahs einzutreten, welche getreten und gemartert werden konnten, weil die Türkei nur unlängst noch an den Engländern eine Stütze fand. Bosniens landwirthschaftliche Verhältnisse sind denjenigen Irlands ähnlich: die Besitzer des Bodens und die, welche ihn bebauen, gehören nicht demselben Religionsbekenntnisse an, und diese haben jenen den ganzen Reinertrag zu übermitteln. Doch der englische Eigenthümer wird durch sein Ehrgefühl, durch die öffentliche Meinung und durch die Regungen christlicher Nächstenliebe von Erpressungen zurückgehalten, während den bosnischen Bey gerade seine Religion dazu treibt, in dem Rajah einen Hund zu sehen, einen Feind, den man tödten und folglich auch mitleidslos ausrauben kann. Je religiöser der englische Gutsbesitzer ist, desto mehr schont er seine Pächter; aber der Moslim, im Gegentheile, erweist sich um so unbarmherziger, je mehr der Koran ihn beseelt. Als die Pforte, nach den Anschauungen des Abendlandes greifend, alle ihre Unterthanen ohne Unterschied der Abstammung und des Glaubens für gleichberechtigt erklärte, hätten die Beys gerne die Kmets mit Stumpf und Stiel ausgerottet, wenn ihnen damit nicht die Quelle ihrer Einkünfte versiecht wäre, und so mussten sie sich damit begnügen, die Ungleichheit grausamer denn je zu machen. Die zahl- und namenlosen Leiden, denen die bosnischen Rajahs in ihren abgelegenen Dörfern ausgesetzt waren, sind meistens unbemerkt geblieben; wer hätte sie auch aufdecken sollen? Doch die Volksdichtung bewahrt die Erinnerung an diese Greuel. In den Liedern, welche die Slawen am Abende zu den Klängen ihrer Guzla oder Geige singen, haben sie ihre Leiden und Hoffnungen niedergelegt, und aus den vielen, von einem langen Martyrium berichtenden »Junatchke pjesme« - i83 - will ich nur den »Tod des Aga Tschengitsch« herausgreifen. Der tapfere Tschengitsch war Statthalter der Herzegowina und hatte, so heisst es, im Kampfe von Grahowa -— 1836 — mit eigener Hand 100 Montenegriner getödtet. Trotz der slawischen Abstammung, für die sein Name Zeugniss ablegte, hauste er gleich einem wilden Thiere unter den Bauern. Er steht im Begriffe, wie das Lied berichtet, diese verhasste Kopfsteuer — den Haradsch — zu erheben, welche man den Christen zum Zeichen ihrer Knechtschaft aufgelegt hat, und ruft seinen Trabanten zu: //Wohlan, Mujo, Hassan, Omer, Jasar! Auf meine guten Doggen, auf zur Jagd auf diese Christen, denen wir schon Beine machen wollen!« Aber die Rajahs haben nichts mehr und können weder den Haradsch noch die Zechinen, welche Tschengitsch ausserdem für sich verlangt, zahlen. Vergebens schlägt und martert man sie und entehrt in ihrem Beisein ihre Frauen und Töchter. »Der Hunger schnürt uns zusammen, Herr, unser Elend ist maasslos. Barmherzigkeit! fünf oder sechs Tage nur, und wir werden den Haradsch bettelnd eingesammelt haben«, jammern sie, und ihr Peiniger schreit ihnen wüthend zu: »Ja, der Haradsch! Ich will ihn, zahlt!« Und wieder wimmern die Unglücklichen: »Brod, Herr, Brod! Ach, wenn wir doch einmal nur Brod essen könnten!« Neue Martern werden erdacht und angewendet, doch dürfen die Opfer nicht getödtet werden, damit der Haradsch nicht aufhöre. Der alte Montenegriner Durak, den Tschengitsch als Gefangenen mit sich führt, bittet für die Unglücklichen und wird dafür gehängt. Da aber erscheint Nowitza, der Sohn Duraks, als Rächer; er war ein Mohammedaner und wurde dann ein Christ, um mit den Schaaren der Montenegriner — der //Tscheta« — gemeinsam in die Herzegowina einzu- fallen. Es ist Abend, und zur Nachtmahlzeit wird am Spiesse Lammfleisch geröstet. Seine lange Pfeife, seinen Tschibuk, rauchend, ruht Tschengitsch aus von seinen Streifzügen durch die Dörfer. Die Rajahs, welche er mitgeschleppt hat, hängen neben ihm an einer grossen Linde, und um sich zu ergötzen, lässt er unter ihren Füssen ein Strohfeuer anzünden. Doch ihr Geschrei ärgert ihn, statt ihm die Zeit zu vertreiben, und wü-thend brüllt er: »Macht ein Ende mit diesen Christen, die alle sterben müssen. Nehmt scharfe Dolche, spitze Pfähle, kochendes Oel, und entfesselt alle Mächte der Hölle. Die Lieder sagen es, ich bin ein Held!« In diesem Augenblicke strecken die Schüsse der Montenegriner den Statthalter und seine Leute nieder, und als nun Nowitza auf den todten Tschengitsch zustürzt, um dessen Kopf vom Rumpfe zu trennen, senkt Hassans Dolch sich ihm ins Herz. Aber alle jene Lieder sind nur ein völlig wahrheitsgetreues Spiegelbild des Thatsächlichen. Während früher der Kmet seine Abgaben in Naturalien zahlen konnte, sollte er jetzt bares Geld hergeben. Man wird begreifen, was es heisst, die Erzeugnisse der Landwirthschaft flüssig zu machen in diesen abgelegenen, weglosen Gegenden, wo es keinen Handelsverkehr gab. Bevor aber der Bey am Orte selbst den ihm gebührenden Antheil festgestellt hatte, durfte der Kmet überhaupt nicht an die Ernte gehen. War jener nun auf Reisen oder durch Vergnügungen in Anspruch genommen, oder weigerte er sich, zu kommen, ehe der einen oder anderen seiner ungerechten Forderungen genügt wäre, so musste dieser die Früchte des Bodens rettungslos verkommen sehen, ohne seinem Hunger und Elende vorbeugen zu können. War aber der Antheil des Beys bereits festgestellt, und es kam dann ein Hagelschlag, eine Ueberschwemmung oder - i85 - irgend ein anderer Unfall vernichtete ganz oder theil-weise die Früchte, so wurde die Abgabe doch nicht er-mässigt, und oft musste mehr geliefert werden, als geerntet ward. Bei der Einnahme des Zehnten für den Staat ging es nicht besser zu, und die Kmets mussten sich allen Forderungen der Bevollmächtigten desselben fügen. Die Erhebung der Steuern war an den Meistbietenden verpachtet, so dass die Steuereinnehmer nur durch möglichste Schindung der Bauern ein gutes Geschäft machen konnten, und die Habgier der Unterbeamten blieb ausserdem noch zu befriedigen. Daran aber, dass dieses arme, niedrige Geschöpf, der Rajah, hätte Gerechtigkeit verlangen können, war auch nicht im Traume zu denken. Sein Zeugniss wurde nicht angenommen, und überdies entschieden die Richter, welche sich ihre Stelle erkauft hatten, zu Gunsten dessen, der zahlte. Auch verstanden die »Kadis«, die hauptsächlichRecht zu sprechen hatten, die Sprache des Landes nicht, denn sie waren vom Scheik-ul-Islam ernannte Türken und kamen aus Konstantinopel. Die denselben beigeordneten »Muselins« aber, die vom Minister, dem »Vezir«, berufenen Richter, erhielten gar keine Besoldung und lebten nur von Erpressungen; vor ihnen, die das Vertrauen der Behörden besassen, zitterte alles. Nur die Dorfobersten wagten es bisweilen, ihre Stimme zu erheben. Sie gingen zum Oberstatthalter, warfen sich diesem zu Füssen, schilderten das Elend der Kmets und erlangten mitunter einen Steuer-erlass. Oft aber mussten sie ihre Kühnheit theuer büssen, indem die »Malmudirs«, die Beamten des Staatsschatzes, und die Beys, gegen welche sie geklagt hatten, ihnen die »Zaptiehs« auf den Hals hetzten. Diese, welche von den Rajahs mehr noch als früher die Janitscharen gefürchtet wurden, weil sie schlechter als diese besoldet waren, bildeten die Gendarmerie. Sie durchstreiften die Dörfer und lebten auf Kosten ihrer Bewohner, dieselben mitleidslos auspressend. Fürchtete man eine Empörung, und sollten die Christen geschreckt werden, so warf man diese Unglücklichen ohne Urtheil schaarenweise mit gebundenen Händen und Füssen in die Gefängnisse, dunkle, ekelhafte Keller oder Verliesse, die voll Schmutz und Unrath waren, und gab ihnen hier entweder nichts weiter als Wasser und Maisbrod oder liess sie verhungern. Was Gladstone von den Gefängnissen Neapels zur Bour-bonenzeit und der Fürst Krapotkin im »19. Century« von den russischen Gefängnissen erzählt hat, erscheint neben dem, was über türkische Gefängnisse verlautet, noch förmlich rosig. Der österreichische Kapitän Gustav Thoemmel berichtet in seiner vortrefflichen »Beschreibung des Vilajets Bosnien« (S. 195) über Martern, welche von den Beamten bei der Eintreibung rückständiger Steuern angewendet wurden. Man hing die Bauern an Bäume und zündete unter ihnen ein grosses Feuer an, oder man band sie mitten im Winter nackend an Pfähle oder be-goss sie mit Wasser, so dass ihre erstarrten Glieder zu Eis wurden. Die Rajahs aber wagten keine Klage, weil sie sich damit der Einkerkerung oder anderweitigen Misshandlungen auszusetzen fürchteten, und das Lied vom Aga Tschengitsch ist also keineswegs ein blosses dichterisches Luftgebilde. Als die Pforte zur Bändigung der Aufstände ihre Milizen nach Bosnien schickte, wurde dasselbe in ein Meer von Feuer und Blut getaucht und so grausam wie bei den ersten Einfällen der Barbaren behandelt. Die bulgarischen Greuel vom Jahre 1876, welche Gladstone in seinen philippischen Reden öffentlich brandmarkte, haben in zwanzig Bezirken sich abgespielt; ganze Dörfer und Flecken wurden vollständig verbrannt und deren Bewohner niedergemetzelt. Die Umgebungen von Biatsch, Liwno, Glamotsch und Gradiska wandelten sich in eine Wüste; von den 52 Ortschaften des Bezirkes Gradiska "blieben nur vier unangetastet, und die Flecken Petrowacs, Majdan, Krüpa, Kljütsch, Kulen-Wakuf, Glamotsch wurden, um das Werk der Zerstörung vollständig zu machen, zu wiederholten Malen in Brand gesteckt. Die türkischen Banden fürchteten aber eine allgemeine Empörung der Rajahs und wollten dem Ausbruche einer solchen durch ein Schreckensregiment vorbeugen. Zu diesem Zwecke tödteten sie planmässig alle von ihnen Beargwöhnten und spiessten deren Köpfe an besonders in die Augen fallenden Orten auf Pfähle. Schaarenweise flüchteten die Bauern in die Wälder, auf die Berge und nach Oesterreich hinüber. Die Zahl derer, welche an der Grenze den Flintenschüssen der mohammedanischen Schergen entgingen, soll auf mehr als r00000 sich belaufen haben, und Oesterreich gab allein im Jahre 1876 2122000 Florin zur Unterstützung der bosnischen Flüchtlinge her. Zu den Lieblingsvergnügungen junger Beys gehörte es, junge Mädchen zu entführen, und besonders die verlobten an ihrem Llochzeitstage zu rauben, und gestützt auf englische Konsularberichte, hat Saint-Marc Girardin hierüber in der »Revue des Deux Mondes« vom 15. Februar und 1. April 1861 sich ausgelassen. Die Türken haben in diesem Punkte eben Ansichten, welche von denjenigen des Abendlandes vollständig abweichen, und überdies ist es ja im ganzen osmanischen Reiche etwas Alltägliches, dass dem Harem auf solchem Wege Bewohnerinnen zugeführt werden. Einst hatte die Pforte einen Pascha nach Widdin geschickt, um den Gewalttätigkeiten, über welche die Christen sich beklagten, ein Ende zu machen. An diesen wandte sich nun Herr Kanitz, der Verfasser trefflicher Werke über »Serbien und Bulgarien« und erhielt, als er die Entführung junger Mädchen berührte, die lächelnde Antwort: »Ich begreife nicht, weshalb die Rajahs klagen. Sind ihre Töchter denn nicht glücklicher in unseren Harems als in ihren Hütten, wo sie wie die Pferde arbeiten und dabei doch Hunger leiden?« Bösartig veranlagt ist der Türke keineswegs, und die Christen haben wohl nicht das Recht, allzu streng über ihn abzuurtheilen. Sie dürfen nur daran denken, wie ihre Glaubensgenossen sich gegenseitig würgten, und mit welcher Grausamkeit z. B. die Spanier in den Niederlanden die Protestanten zu Tausenden niedermetzelten. Doch die grausamen Gewaltthaten, unter denen die bosnischen Rajahs so lange und so furchtbar gelitten haben, werden sich in allen türkischen Provinzen wiederholen, in denen die christliche Bevölkerung an Zahl und Wohlhabenheit zunimmt, während die mohammedanische zusammenschrumpft und verarmt. Erbitterung erfüllt die Moslims, welche fühlen, wie unter ihren Füssen der Boden wankt. Sie meinen, die entschwindende Macht durch ein Schreckensregiment festhalten zu können, und handeln nach dem Grundsatze, welcher bei den Septembermorden des Jahres 1793 die Henker beseelte. Dass sie diejenigen packen, welche noch innerhalb ihres Machtbereiches weilen, ist nur zu natürlich. Sie betrachten sich als Angegriffene und im Stande der rechtmässigen Nothwehr Befindliche, und überdies kommen bei ihnen alle jene Gründe der Menschlichkeit in Wegfall, welche im 16. Jahrhundert in Spanien den christlichen Henkern den Arm hätte lähmen können. In ihren Augen sind diese Christen weiter nichts als Vieh, und deshalb haben sie denselben ja auch den Namen »Rajah« (d. h. Vieh) gegeben. Ob Europäer, die Stelle der Türken einnehmend, milder verfahren würden? Ach! nur zu oft wir- ken die Umstände bestimmend auf den Menschen ein, und wo allmächtige Gebieter davor zittern, dass eine nach Millionen zählende Schaar von Unglücklichen, deren Kräfte mit jedem Tage wachsen, sich gegen sie erheben könnte, wird man sich vergebens bemühen, einen Tempel der Gerechtigkeit zu errichten. Einer Lage aber, die selbst Engel in Dämonen verwandeln könnte, muss ein Ende gemacht werden. Interessant dürfte vielleicht eine Uebersicht über die in Bosnien unter der Türkenherrschaft erhobenen Steuern sammt ihrem Durchschnittsertrage sein, weil Oesterreich dieselben zum grossen Theile beibehalten musste, und weil auch für die Provinzen des Osmanenreiches das gleiche Steuersystem noch heute gilt. Es lag zunächst auf allen Bodenerzeugnissen, auf den Feld- und Baumfrüchten, auf dem Holze, den Fischen, den Mineralien der Zehnte oder »Askar«, und dieser brachte fünf bis acht Millionen Franken. Der »Werghi« wurde mit zwei Fünftel Prozent von allen liegenden Gütern, den Häusern und dem Bodenbesitze, erhoben, und zwar auf Grund der im Tapu angegebenen Abschätzungen, ferner mit drei Prozent von der Netto-Einnahme des Handelsmannes und des Gewerbetreibenden und mit vier Prozent von dem Ertrage vermietheter Häuser, und es sind durch ihn etwa zwei Millionen Franken eingegangen. Für die Befreiung vom Militärdienste hatte die christliche Bevölkerung die »Askerabedelina« aufzubringen, und jedes erwachsene männliche Mitglied war mit 28 Piastern — 1 Piaster gilt 20 bis 25 Centimes — eingeschätzt. Diese Steuer entsprach der einstigen Kopfsteuer, dem Haradsch, war aber zweimal so drückend, und im Jahre 1876 hat sie eine Million Franken geliefert. Dann kam viertens die Viehsteuer; für jede Ziege und jedes Schaf mussten zwei und für jedes Stück Hornvieh, das älter als ein — IQO — Jahr war, vier Piaster gezahlt werden, und hierbei ging 1876 eine Summe von 1168000 Franken ein. Eine fünfte Steuer belegte den Verkauf von Pferden und des Hornviehs mit zwei und einhalb Prozent, und eine sechste, auf 1100000 Franken sich belaufende betraf die Schneidemühlen, die Bienenkörbe, die Färbestoffe, die Schenken u. s. w. Schliesslich kamen siebentens die mannigfach schwankenden und sehr umständlichen Abgaben auf den Tabak, den Kaffee und das Salz, und mit diesen erzielte man zwei bis drei Millionen. Die Gesammterträgnisse übersteigen also 15 Millionen, was bei einer Bevölkerung von 1336091 Einwohnern jeden Kopf mit etwas mehr als elf Franken belastet. Das erscheint wohl geringfügig, und ein Franzose zahlt acht bis neun Mal mehr als ein Bosnier; doch jener trägt bis jetzt ziemlich leicht an seiner Last, während sie den Letzteren zu Boden drückte. In dem wohlhabenden Frankreich wird eben alles theuer bezahlt, und in dem sehr armen Bosnien ist fast gar kein Geld aufzutreiben. liier waren die vielen Steuern schlecht vertheilt, und überdies wurden sie unter allen erdenkbaren Scherereien und in der widerrechtlichsten Weise eingezogen, wobei die Entmuthigung sich wie ein erstarrender Reif auf jede Schaffenslust und jedes Emporstreben legte. So hat die Steuer auf den Tabak überall den Anbau desselben heruntergedrückt, und bei ihrer Einführung schrumpften z. B. im Bezirk von Sinope — im Jahre 1876 — mit plötzlichem Rucke 4500000 kg auf 40000 zusammen. Die direkten Steuern waren in der Weise vertheilt, dass auf jedes Dorf eine bestimmte Summe entfiel, und 'die Zahlung des Einzelnen hatten die örtlichen Behörden zu bestimmen. Daraus entsprangen dann nun wieder neue Ungerechtigkeiten, indem die Reichen und Mächtigen die Armen zu belasten suchten, und dazu kam die "Habgier der Unterbeamten, welche den Steuerpflichtigen gleichfalls etwas auszupressen wussten. Noch hat die österreichische Regierung dieses abscheuliche Steuersystem nicht umgestalten können, weil auf die Vollendung des Grundbuches gewartet werden musste. Aber mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht fiel zugleich auch die Abgabe fort, welche die Christen für die Befreiung vom Militärdienste bis dahin zu leisten hatten, und darin, dass heute bei der Eintreibung der Steuern Ordnung und Gerechtigkeit obwalten, liegt schon eine grosse Erleichterung. Der Zehnte besitzt zwar den Vortheil, dass die Abgabe der Ernte entspricht, hat dafür aber andere und zwar sehr schwerwiegende Nachtheile. Verhängnissvoll ist er den Verbesserungen, weil der Bauer zwar alle Kosten derselben tragen müsste, nachher aber nur einen Theil des Gewinnes einstreichen dürfte. Dann aber berechnet man den in Geld zu zahlenden Zehnten nach der Durchschnittssumme von den Erzeugnissen des Bezirkes, und zwar in dem Augenblicke, wo die Ernte noch auf dem Felde steht, das heisst also zu einer Zeit, wo alles theuerer als nachher beim Verkaufe ist. Besser wäre es jedenfalls, eine feststehende, der Ertragsfähigkeit des Bodens entsprechende Grundsteuer einzuführen. Bei der angestrebten Regelung der Bodenfrage stösst Oesterreich auf grosse Schwierigkeiten. Zunächst sind die Verpflichtungen, welche jeder Pächter dem Eigen-thümer gegenüber zu erfüllen hat, festzustellen, und unter Mitwirkung der örtlichen Behörden und in Gegenwart der Agas wie der Kmets will die Verwaltung alles schriftlich aufsetzen lassen. Doch dem weichen beide Theile aus, denn der Aga hofft auf den Abzug der Oesterreicher und damit auf die Wiederkehr der früheren Zustände und der Kmet auf fernere Ermässigungen seiner Lasten. Immerhin sind aber schon Tausende von derartigen Aufnahmen gemacht worden. Die Einschätzung des Pachtzinses und des Zehnten erfolgt nun zu einem von der Ortsbehörde festgesetzten Zeitpunkte, und falls der Kmet und der Aga auf die an sie ergangene Aufforderung hin nicht erscheinen, entscheiden die Beigeordneten oder »Medschliss«. Diese Dinge liegen nun also in den Händen der Verwaltung und nicht mehr wie früher in denen des Richters. Die amtlichen Berichte (vom Monat November 1883) sprechen von gut eingehenden Steuern und bezahlten Rückständen, und in keinem Falle durfte man zur zwangsweisen Eintreibung greifen. Baron Kailay freut sich auch darüber, dass bei diesen Einschätzungen u. s. w. Streitigkeiten in so verhältnissmässig geringer Anzahl vorkommen; im September 1883 gab's deren im ganzen Lande nur 451, und 280 von diesen wurden durch das Dazwischentreten der Verwaltung noch im Laufe desselben Monates erledigt. Ueberhaupt ist die Zahl dieser Zwistigkeiten in rascher Verminderung begriffen, und die Jahre 1881, 1882 und 1883 stehen mit 6255, mit 4070 und mit 3924 Streitfällen da. Bei der Herzegowina im besonderen tritt die Abnahme noch verschärft hervor, und während 1882 die Ziffer sich auf 1832 belief, sank sie 1883 schon auf 723 herab. Geringfügig erscheinen diese Zahlen im Hinblicke auf Irland, wo in Folge der neuen Agrargesetze die betreffenden Gerichtshöfe fast 100000 Streitigkeiten zwischen Eigenthümern und Pächtern zu schlichten gehabt haben. Allein man darf nicht vergessen, dass der arme Kmet, dem jeder Widerstand gegen die Forderungen seiner Herren eine Verdoppelung des Druckes und der schlechten Behandlung zuzog, wenig darauf vorbereitet ist, von seinem Rechte Gebrauch zu machen. Baron Kailay hat eben allen Grund zu der Erklärung, dass er diese Leute der Fürsorge seiner Beamten anvertraue. Die Regelung der Bodenfrage wird in jedem Falle zu den misslichsten Aufgaben gehören; in Bosnien aber haben die eigenartigen Verhältnisse des Landes noch ganz besondere Schwierigkeiten geschaffen. Einerseits ist Oesterreich verpflichtet, die Lage der Rajahs zu verbessern, denn gerade deren Uebermaass von Leiden verursachte die Besetzung und rechtfertigte dieselbe vor den Mächten des Berliner Vertrages und vor Europa überhaupt. Dann aber hat die österreichisch-ungarische Regierung sich der Pforte gegenüber anheischig gemacht, die Eigenthumsrechte der Mohammedaner zu achten, welche übrigens das stolze und kriegerische Bevölkerungselement darstellen; den österreichischen Truppen haben sie einen verzweifelten Widerstand entgegengebracht, und, zum Aeussersten getrieben, könnten sie auch wohl jetzt noch eine Empörung oder wenigstens eine Auflehnung mit den Waffen in der Hand in Scene setzen. Was Gladstone in Irland gethan hat, lässt sich eben ihnen gegenüber nicht zur Durchführung bringen. Vielfach ist gemeint worden, die österreichische Regierung solle hier das Verfahren einschlagen, welches ihr in Ungarn nach dem Jahre 1848 glückte, nämlich einen Theil des Bodens dem Kmet als ausschliessliches Eigenthum überweisen und einen anderen dem Aga belassen. Letzterer müsste eine Geldentschädigung erhalten, und diese wäre theils vom Kmet und theils vom Fiskus zu zahlen. Doch die Ausführung dieses Planes erweist sich als eine Unmöglichkeit, weil weder der Kmet noch der Fiskus überhaupt zahlungsfähig sind. Der Aga würde sich für beraubt halten, und er wäre es auch wirklich, da er den ihm zukommenden Bodenantheil nicht verwerthen könnte. Andere riethen wiederum der Regierung, Kolonisten kommen zu lassen; das ist nun zwar ganz schön, würde aber die Lage der Rajahs um nichts bessern. Laveleye, Balkanländer, '3 Im Jahre 1881 erliess die Regierung für den Bezirk Gacsko eine Verfügung, welche den Kmets beträchtliche Vortheile sicherte, und ging dabei mit dem Plane um, nach und nach etwas Aehnliches auch den übrigen Bereichen zu gewähren. Dazu liess es nun zwar der Aufstand vom Jahre 1882 nicht kommen, aber im Bezirk Gacsko ist jene Verfügung doch in Kraft geblieben. Nach derselben darf der Kmet dem Aga von dem Getreide jeder Art nur den vierten Theil liefern, und von diesem kann er die Aussaat abnehmen; von dem Heu der Thäler muss er den dritten und von dem der Berge den vierten Theil abgeben. Vor mir liegt eine sehr geharnischte Erklärung, in welcher die Vertreter der Agas aus den Bezirken Ljubinje, Bilek, Trebinje, Stolatsch, Gacsko sich darüber beklagen, dass man die Abgaben der Kmets von der Hälfte auf den dritten Theil oder von diesem auf ein Viertel heruntergesetzt habe. Aber ihre Forderungen erscheinen in jeder Hinsicht schlecht begründet, und die türkische Bestimmung vom 14. »Sefer« 1276 (1856), auf welche sie sich berufen, legt dem Kmet nur die Zahlung des Drittels, der »Tretina«, auf, falls demselben, was fast immer zutrifft, das Haus und das Vieh gehören. Ueber-dies ist's gewiss, dass die Beys und Agas durch eine Reihe von. Widerrechtlichkeiten ihren damals zur Zeit der Eroberung auf ein Zehntel festgesetzten Antheil bis auf ein Drittel oder die Hälfte hinaufgeschoben haben. Es stehen also der österreichischen Regierung die besten Gründe zur Seite, um in allen zweifelhaften Fällen zu Gunsten der Pächter zu entscheiden. Dazu drängen sie zunächst schon Recht und Menschlichkeit, dann aber auch die aus den Händen Europas übernommenen Aufgaben und ganz besonders die wirthschaftlichen Interessen. Der Kmet begründet den Reichthum, und sein Schaffenstrieb muss angespornt werden, indem man ihm den ganzen Ueberschuss der Bodenerträge zusichert. Der Aga ist nur eine träge Drohne, und seine Erpressungen stellen sich jeder Besserung als hauptsächlichstes Hinderniss entgegen. Mit dem europäischen Eigenthümer, der vielfach dazu beisteuert, die Ertragsfähigkeit des Bodens zu erhöhen, und zu Fortschritten auf dem Gebiete der Landwirthschaft anzuregen, kann er in keiner Hinsicht verglichen werden. Für die Bodenbebauung hat er nie etwas gethan und wird auch nie etwas thun. Ich weiss sehr wohl, wie schwer es für einen Fremden ist, bei so verwickelten Fragen auf verbessernde Umgestaltungen hinzuweisen; doch was das genaue Erforschen der wirthschaftlichen Verhältnisse in den verschiedenen Ländern der Erde mir eingegeben hat, will ich niederlegen. Vor allen Dingen sind die Ungeduldigen nicht zu hören und die schroffen und gewalttätigen Aenderungen zu umgehen. Der Kmet aber darf nicht zum einfachen Miethsmanne werden, den man austreiben und dessen Pachtzins man beliebig erhöhen kann, in welcher Hinsicht leider die Engländer in mehreren Provinzen Indiens gesündigt haben. Im Gegentheile, das Recht erblicher Besitznahme, das jus in re, welches auf alten Gewohnheiten fusst und im Allgemeinen selbst von den Agas nicht bestritten wird, müsste den Kmets endgiltig bestätigt werden. Nach der Vollendung des Gründbuches und nach der genauen Festsetzung von allen Lasten, die auf den Tschifliks oder Begüterungen ruhen, wäre dann der Zehnte in eine Grundsteuer zu verwandeln und die Tretina in einen stehenden und unveränderlichen Pachtzins; damit bliebe der aus den Verbesserungen sich ergebende Nutzen vollständig dem Landmanne, und dieser würde zugleich zur Vornahme nutzbringender Neuerungen angeregt. Anfangs muss man den Kmets in schlechten Jahren vielleicht einigen Erlass ge- währen; doch unter dem Einflüsse der Wege und des gesteigerten Geldverkehres wird der Preis der Waaren sehr schnell wachsen und so die drückende Last der Pachtbauern immer mehr und mehr schwinden. Mit der Zeit werden dieselben durch ihre Ersparnisse den Pachtzins, welcher auf dem von ihnen bebauten Stücke Land ruht, ablösen können, und alsdann verfügen sie über ein wirkliches, freies Besitzthum. Inzwischen geniessen sie jene beiden Rechte, nach denen die irländischen Pächter so dringend verlangen, nämlich den festen Besitz und den festen Pachtzins, das heisst die Zahlung eines bestimmten Pachtgeldes sichert ihnen das dauernde Besitzrecht. An Wohlhabenheit und guter Wirthschaftsführung werden sie jenen Erbpächtern gleichen, welche im Geltungsbereiche von Groningens »Beklemregt« und Nord-Portugals »Aforamento« leben. Der Staat könnte den Kmets auch noch in einer anderen Weise zu Hilfe kommen. Nach mohammedanischen Rechtsbegriffen gehören die Wälder und die innerhalb derselben befindlichen Weiden dem Herrscher, und man spricht auch von zahlreichen Besitzungen, welche die Beys auf eine unrechtmässige Weise an sich gebracht haben. Hier sollte der Staat mit grösstem Nachdrucke seine Rechte geltend machen, wodurch er die Wälder erhalten würde und zugleich in den Stand gesetzt wäre, fremden Kolonisten und tüchtigen Leuten aus dem Lande selbst Grund und Boden abtreten zu können. Im Sommer 1883 hat Herr von Kailay auf seiner Reise durch Bosnien sich von der ungeheueren Steigerung" des Boden-werthes überzeugen können, welche durch das Urbarmachen ausgedehnter, bisher unbenutzter Staatsländereien hervorgerufen wurde. Dies ist ein vortreffliches Zeichen; es beweist, dass die Bauern nun, wo sie in geordneten Zuständen leben, schon etwas aus dem Boden zu machen vermögen, und damit werden die Einwohnerzahl und der Wohlstand in schnellem Maasse zunehmen. Die Regierung kann ferner mit Hilfe der Wakufs eine sehr nutzbringende Thätigkeit entfalten. Verkauft dürfen dieselben allerdings nicht werden, aber es ist dringend nöthig, sie einer strengen Aufsicht — wie die Pforte dies zu verschiedenen Malen versucht hat — zu unterwerfen. Den ungebührlichen Abzügen, welche die Verwalter für sich einheimsen, muss mit aller Macht gesteuert werden, und die den verschiedensten nützlichen Werken — Schulen, Bädern, Brunnen u. s. w. — gewidmeten Einkünfte sind ausschliesslich ihrer eigentlichen Bestimmung gemäss zu gebrauchen; diejenigen Summen aber, welche auf unbenutzt dastehende Moscheen entfallen, könnten künftig zur Förderung des öffentlichen Unterrichtes verwendet werden. Für die auf Wakuf-Gütern wohnenden Kmets müsste sofort ein feststehender Pachtzins in Kraft treten, und gleichzeitig sollte man hier für gute und geeignete Gebäude und ordentliche Ackergeräthe sorgen, damit diese Wirthschaften den umliegenden als Vorbild dienen könnten. Die Regierung liess bereits vorzügliche Eggen, Pflüge, Dreschmaschinen kommen und stellte dieselben gewissen Begüterungen zur Verfügung, und hier und dort sind Ackerbaugesellschaften zur Förderung der neuen Bodenbearbeitung zusammengetreten. Auch finden die aus Tirol und Württemberg eingewanderten Kolonisten, welche sich von ihrer Heimath her auf einen besseren landwirthschaftlichen Betrieb verstehen, bereits Nachahmer, besonders in den Bezirken von Derwent, Kostanjnica, Trawnik und Liwno, und im Thale der Werbas — in der Umgegend von Banjaluka — giebt's sogar schon berieselte Wiesen. Fünftes Kapitel. Bosnien. - Die Quellen seines Reichthums, seine Bewohner und die Fortschritte der Neuzeit. Bosnien mit seinen Bergketten und seinen Thälern gehört zu den schönsten Theilen der Balkanhalbinsel und ruft die Erinnerung an die Alpen und Wälder Steier-marks wach. Gleichlaufend mit den Dinarischen Alpen, welche hier die Wasserscheide zwischen der Donau und dem Mittelländischen Meere bilden, ziehen die bosnischen Höhenzüge sich ziemlich regelmässig von Süden nach Norden und senden vier Flüsse hinab zur Sau: die Unna, die Werbas, die Bosna und die Drina. Diese Ketten haben aber sehr viele seitliche Verzweigungen, und jenseits von Serajewo thürmen dieselben zu unentwirrbaren Massen sich auf, welche um 8200 und um 8500 Fuss höher über dem Meeresspiegel liegen, als die schroffen Gipfel des Domitors und des Korns. Nur in der Possa-wina — längs der Sau, nach Serbien zu — kommen grosse Ebenen vor. Sonst stösst man überall auf be-. waltete Höhen und auf Thäler, in denen Bäche und Flüsse sich hinziehen, und das Land eignet sich also nicht für den Getreidebau in grossem Maassstabe, was für Slawonien und LTngarn zutrifft. Bosnien muss mit seinem land-wirthschaftlichen Betriebe nach der Schweiz und nach Tirol sich richten und hauptsächlich der Viehzucht obliegen, welche zu einer Zeit, wo Amerika den Markt mit seinem Getreide überschwemmt, mehr noch wie die Feld-wirthschaft einträgt. Bosnien-LIerzegowina umfasst 5410200 Hektar, wovon 871700 auf steile Felsen, 1811300 auf pflügbares Land und 2727200 auf die Wälder fallen, welche zum grossen Theile wegloser Urwald sind. Schlingpflanzen winden sich um Eichen und Buchen und bilden ein undurchdringliches Dickicht, so dass man nur, wie in Brasilien, mit der Hacke in der Hand weiterzukommen vermag. Eine solche Wildniss ist aber nie in der Nähe von bewohnten Orten zu finden, weil die Leute sich für ihren Bedarf das in ihrem Bereiche liegende Holz abschneiden und die Türken aus Furcht vor Ueberfällen in der Umgegend von Städten und Flecken die Wälder grundsätzlich ausgerottet haben. In dem, was geblieben ist, stecken aber immer noch riesige Kapitalien, nur sind dieselben gegenwärtig nicht flüssig zu machen. Prachtvolle harzige Nadelhölzer bedecken die hohen Berge, welche hinter Serajewo bis zum Ibar-Flusse und bis nach Mitrowitza sich hinziehen, und von hier hat Venedig sich Jahrhunderte hindurch das Holz zum Bau seiner Flotten geholt. Forstleute haben berechnet, dass die 1667500 Hektar Laub- und die 1059700 Hektar Nadelholz zusammen etwa 138971000 Kubikmeter ausmachen, wovon 24946000 Bauholz und 114025000 Brennholz sind. Wollte man jetzt ans Verkaufen denken, so wäre das im Hinblicke auf die spottschlechten Preise nur zu bedauern: je nach der Lage würde man für den Kubikmeter Tannenholz nicht mehr wie zwei bis fünf und für den Kubikmeter Eichenholz nicht mehr wie drei bis sieben Franken bekommen. Bloss in den Gegenden nach der Sau zu führt man jährlich etwa 700000 bis 900000 Stück Dauben aus. Jene ungeheueren Waldungen, die grösser sind wie ganz Belgien, könnte man die Schatzkammern der Zukunft nennen. Die Einnahme, welche der Staat jetzt aus ihnen bezieht, ist kaum nennenswerth und belief sich 1880 auf 116007 und 1884 auf 200000 Gulden. Auch viel Wild — Hirsche, Rehe, Luchse, selbst Bären und Wölfe — trifft man in diesen Waldgebirgen, und die Bäche, welche durch all die Tausende von Thälern und Klüften fliessen, bergen Krebse und Forellen im Ueberflusse; mehr wie 8000 Quellen sollen sich, wie man behauptet, auf jenen waldigen Bergen befinden. Wo der Baumwuchs aufhört, beginnen die Weiden, und so ist ganz Bosnien, von den hohen Felskämmen abgesehen, ein in Grün gekleidetes Land. Einen vollständig anderen Anblick gewährt die Herzegowina, deren Boden mit grossen, weisslichen Kalksteinblöcken übersät ist, und es macht den Eindruck, als ob Bruchstücke von riesigen Bauwerken regellos umhergestreut wären. Zu den eigenartigsten Naturerscheinungen, die es überhaupt giebt, gehört eine Reihe von Flüssen dieses in hohem Grade wasserarmen Landes, so die Ja-senitscha, die Büna, die Kerka, die Cettigna und die Ombla. Dieselben sind sogenannte Höhlenflüsse, d. h. man kann von ihren Quellen nichts sehen, und völlig entwickelt kommt die Strömung aus der Felsenwölbung hervor, füllt im Winter einen ausgangslosen Thalkessel seeartig aus und geht dann wieder unterirdisch weiter. In den Senkungen des Bodens liegen die Humusschichten, welche das Land fruchtbar machen. An Bäumen fehlt es fast gänzlich, und während in Bosnien die Häuser aus Holz erbaut werden, verwendet man hier zu diesem Zwecke Steine, was den Behausungen ein sehr wildes Aussehen giebt. Das Klima stimmt mit dem von Dal-matien überein, und da die Herzegowina zum Becken des Mittelländischen Meeres gehört, wird sie vom Sirokko gestreift und hat im Sommer unter grosser Dürre zu leiden. Wein und Tabak gedeihen vorzüglich; der Oel-baum kommt vor, und am Unterlaufe der Narenta ist sogar die Pomeranze anzutreffen, während in dem sumpfigen Thale der Trebisatsch, in der Nähe von Lju- buska, Reis gebaut wird. In dem hochgelegenen, nach Norden abfallenden Bosnien ist dagegen die Witterung eine sehr rauhe. In Serajewo friert es lange und anhaltend, und der Schnee bleibt hier sechs bis acht Wochen liegen. Der landwirthschaftliche Betrieb Bosniens ist von einer im höchsten Grade waldursprünglichen Art. Nur ausnahmsweise hält man sich an die dreijährige Koppel-wirthschaft, welche die Deutschen schon unter Karl dem Grossen und, wie man behauptet hat, auch bereits zur Zeit des Tacitus kannten. Gewöhnlich wird die Erde, welche brach gelegen hat, vermittelst eines unförmlichen Pfluges umgewendet oder vielmehr aufgerissen, worauf man in die frischen Furchen Maiskörner wirft. Ueber diese häufelt man etwas Erde, wobei ein Geflecht aus Strauchwerk als Egge dient, und zwischen den Schöss-lingen wird der Boden ein oder zwei Mal aufgelockert. Nach der Ernte sät man noch zwei oder drei Mal Mais, mitunter auch Roggen oder Hafer, bis das Feld ganz ausgesogen ist, worauf dasselbe für fünf bis zehn Jahre sich selbst überlassen bleibt. Es bedeckt sich nun mit Farnkräutern und allerlei wildwachsenden Pflanzen und dient dem Vieh als Weideplatz. Aufs Mästen lässt man sich gar nicht ein, und sehr oft haben die Hausthiere keinen Stall und sind nur auf die Brachfelder und Höfe angewiesen. Der gesammte, verhältnissmässig geringe Ertrag der Feldfrüchte beziffert sich auf 500 Millionen Kilogramm, und darunter befinden sich: 100 Millionen Kilogramm Mais, 49 » » Weizen, 38 „ „ Gerste, 40 „ Hafer und 10 „ „ Buffbohnen. Von den letzteren nährt man sich hauptsächlich zur Fastenzeit, und die griechischen Katholiken haben 180, die römischen 105 solcher Tage. Man baut aber auch Roggen, Rispen- und Mohrenhirse, Buchweizen, türkische Bohnen, Kartoffeln, Kohlrabi und Raps. Die Spuren türkischer Missregierung können sich auf dem Gebiete der Landwirthschaft natürlich nicht verleugnen. Der Hafer würde vorzüglich gedeihen, und doch ist nicht genug von ihm da, um den Bedürfnissen des Heeres zu genügen. Er wird aus Ungarn eingeführt und in Serajewo theuer bezahlt, wo 100 Kilogramm 20 bis 21 Franken kosten. Der einheimische Weizen ist theuer und schlecht, und das in der Hauptstadt verbrauchte Mehl entstammt ungarischen Mühlen. Es kommt mit der Eisenbahn an und kostet weniger als das einheimische, welches bei dem Mangel an Wegen von Pferden weitergebracht werden muss. Ein ungarisches Haus wollte in Serajewo eine Dampfmühle einrichten, war aber genöthigt, von diesem Vorhaben abzustehen, weil das zur Verarbeitung Gehörige nicht genügend beschafft werden konnte. Am leichtesten lassen sich die — übrigens sehr zahlreich vorhandenen — getrockneten Pflaumen ausführen, und in den Jahren guter Ernte gehen von denselben bis 60000 Tonnen über die Grenze und sogar bis nach Amerika. Einen ziemlich guten Branntwein, die Rakia, bereitet man aus denselben, und sie sind es recht eigentlich, durch welche der Kmet zu barem Gelde kommt. Man baut auch Zwiebeln und Knoblauch, und das letztere Gewächs gilt als Schutzmittel gegen Krankheiten, Schicksalsschläge und Vampire. Von dem wenigen Wein, der in der Nähe von Banjaluka und im Thale der Narenta gedeiht, trinkt fast niemand etwas; die Christen haben kein Geld, und den Mohammedanern verbietet der Koran das Weintrinken. Das Laster der Trunkenheit tritt hier nur sehr vereinzelt auf, und die Bosnier halten sich hauptsächlich ans Wasser. Der Tabak der Herzegowina ist vorzüglich, und der Anbau desselben hat durch das von den Oesterreichern eingeführte Monopol ungemein gewonnen, weil eben der Staat gut zahlt. Hier giebt ein Hektar bis 3000 Kilogramm Tabak im Werthe von mehr als 4000 Franken, während er in Bosnien nur 636 Kilogramm liefert, die drei- bis vierhundert Franken einbringen. Wer den Tabak zu seinem persönlichen Bedarfe anbaut, erhält vom Staate einen Erlaubnissschein, und im Jahre 1880 hat derselbe 9586 solcher Scheine ausgetheilt. Das Vieh, welches den Hauptreichthum Bosniens darstellt, befindet sich in einem elenden Zustande. Die kleinen Kühe geben fast gar keine Milch, und es wird nur sehr wenig Butter bereitet, während man zu dem durchaus nicht vorzüglichen Käse hauptsächlich Ziegenmilch nimmt. Die kleinen und schlecht gehaltenen Pferde müssen sich ihr Futter meistens selbst suchen auf den Weiden, in den Wäldern oder längs des Weges und sind nicht kräftig genug, um den Pflug zu ziehen. Sie werden ausschliesslich als Lastthiere benutzt und schreiten mit der Leichtigkeit einer Ziege über die Gebirgspfade dahin. Manche Beys besitzen wohl noch Abkömmlinge jener Pferde, die zur Zeit der türkischen Eroberung ins Land kamen. Diese Thiere haben eine vorzügliche Gangart, und stolz recken sie den schön gebauten Kopf empor, der auf einem starken, schwanenartig gebogenen Halse sitzt; doch ihnen fehlt der kräftige Körperwuchs. Die Zahl der Pferde ist eine sehr beträchtliche, und jede Wirthschaft besitzt mindestens zwei. Da man hier keine Karren kennt, geht alles auf ihrem Rücken weiter, und unter der Führung eines »Kiwidschi« kommen sie in langen Zügen, an den Schwänzen mit einander zusammengebunden, nach den Städten, bepackt mit Lebensmitteln, mit Brenn- und Bauholz und Bausteinen. Die Regierung, welche bemüht ist, die Pferdezucht Bosniens zu veredeln, schickte 1884 fünf Hengste nach Mostar, wo dieselben von der ganzen Bevölkerung mit Musik und unter Vor-antragung von Fahnen empfangen wurden. Die Gemeinde übernahm es, für die nöthigen Stallungen zu sorgen. Newesinje und Konjitza versprachen dies gleichfalls, und 1885 wurden in verschiedenen Theilen des Landes Gestüte eingerichtet, so dass Bosnien es leicht dahin bringen könnte, Italien und das ganze adriatische Küstenland mit Pferden zu versehen. Die Schweine mit den mächtigen Klauen können wie die Windhunde laufen; sie wachsen in den Eichenwäldern wild auf und sehen denn auch wie Wildschweine aus. Wollte man mit Mais füttern und Schweine aus England einführen, so könnte man mit Chicago wetteifern. Die Schafe, deren Fleisch besonders der Mohammedaner liebt, kommen in grosser Anzahl vor und haben eine sehr grobe Wolle; man verwendet diese zu Zeugen und Teppichen, welche die Frauen für den Hausbedarf wirken. Ziegen hat jeder; dieselben sind aber eine wahre Plage für die Wälder, da die Flirten sie für die Dauer des ganzen Sommers nach den bewaldeten Höhen treiben. Geflügel und Eier findet man in jedem Hause, und letztere, mit einer saueren, nach Knoblauch schmeckenden Sauce gegessen, gehören zu den Lieblingsgerichten der Bosnier. Oft kommen auch Bienenkörbe vor, deren Zahl sich nach den bisherigen Aufnahmen auf 118148 beläuft. Der Honig ersetzt den Zucker, und zu den Kerzen, welche beim griechisch-katholischen Gottesdienste eine so grosse Rolle spielen, wird viel Wachs gebraucht. Nach den amtlichen Angaben vom Jahre 1879 hatte Bosnien - Herzegowina 158034 Pferde, 3134 Maulesel, 762 07 7 Stück Hornvieh, 839 988 Schafe und 4303 5 4 Schweine. Wenn man nun zehn Schafe und vier Schweine für ein Stück Grossvieh gelten lässt, so kommen bei einer Bevölkerung von 1336091 Einwohnern etwa 85 Stück Grossvieh auf je 100 Menschen, was gewaltig viel ist. In Frankreich fallen auf je 100 Personen 49 Stück Grossvieh, in Grossbritannien 45, in Belgien 36, in Ungarn 68 und in Russland 64. Alle Länder mit nicht dicht zusammengedrängter Bevölkerung, wie Australien, die Vereinigten Staaten und einstmals die deutschen Gaue, können viele Hausthiere beherbergen, und die Leute vermögen sich hier also leicht Fleisch zu beschaffen. »Sie leben von Fleisch und Milch«, sagt Cäsar von den alten Deutschen. In Bosnien wird mehr Fleisch als anderswo gegessen, und doch führt man Schlachtvieh (nach Dal-matien) aus. Vergleicht man indessen die Zahl der Hausthiere nicht mit der Zahl der Bewohner, sondern mit der Ausdehnung des Landes, so gelangt man im Gegentheil zu keinem sehr günstigen Ergebnisse. Es kommen nämlich in Bosnien nur 22, in Frankreich aber 40, in England 51 und in Belgien 61 Stück Vieh auf je 100 Hektar Land. Bosnien-Herzegowina ernährt auf einem Bezirke von dieser Ausdehnung 26, Belgien 187, England 111 und Frankreich 70 Menschen, und nur in Russland, wo im Norden die Witterungs- und die Bodenverhältnisse die denkbar ungünstigsten sind, kommen 15 Bewohner auf einen solchen Raum. Der bosnische Tagelöhner erhält auf dem Lande, je nach der Jahreszeit und der Oertlich-keit, 70 Centimes bis zwei Franken, und in den Städten iVio bis 2V10 Franken. Die Regierung sollte eifrig darauf bedacht sein, die Fortschritte auf dem Gebiete der Landwirthschaft zu begünstigen und zu fördern. Viel könnten die Schullehrer dabei leisten; doch noch wichtiger wäre es, aus den besser bebauten österreichischen Provinzen Ansiedler her- zurufen, und denselben auf den Staatsländereien Wohnsitze anzuweisen. Das Beispiel, welches die Bauern an solchen Nachbarn hätten, würde ihnen gewiss am besten die Augen öffnen. Auf der anderen Seite des Adriatischen Meeres werden die armen italienischen »Contadini« vom Hunger und von der Pellagra gepeinigt; hier fände ihre Mühe schon einen ganz anderen Lohn, und sie könnten sich leicht ein kleines Anwesen und damit einen gesicherten, behaglichen Lebensunterhalt schaffen. Hat Bosnien nur erst freie und unabhängige Besitzer, so wird es neben Steiermark, Tirol und die Schweiz sich stellen können und zu den entzückendsten Gegenden unseres Erdtheiles gehören. Alle Städte Oesterreich-Ungarns haben ein trefflich eingerichtetes, an die Londoner Klubs erinnerndes Militärkasino, und die Offiziere finden hier ein Lesezimmer, eine gute und billige Speisewirthschaft, ein Kaffeehaus und einen Musiksaal. An diesem Vereinigungspunkte der Geselligkeit vermag der kameradschaftliche Geist sich zu entfalten, und die Lebensführung der Einzelnen unterliegt gleichsam einer gewissen, gegenseitig geübten Aufsicht. Das Kasino der bosnischen Hauptstadt ist ein grosses, neues, in einfach-würdevollem Stile aufgeführtes Gebäude, dessen Vorderseite auf eine kleine Anlage herabschaut; hier umschliesst das Gesträuch die Leichensteine eines türkischen Kirchhofes, den man als Ruhestätte der Todten unangetastet gelassen hat. Im grossen Garten auf der anderen Seite des Hauses, welcher bis zur Mil-jaschka, dem anmuthigen, die Stadt durchziehenden Flüsschen reicht, ist es erfrischend kühl, und man hat das Gefühl, unter dem Schatten dieser Bäume an einem rechten Orte der Ruhe und Erholung zu weilen. Als Herr Scheimpflug mich zum Mittagsessen nach dem Kasino führt, finde ich dort unter den vielen jungen Zivilbeamten auch Herrn Kütschera, den Polizeivorsteher, der meinen Pass zu beglaubigen hat. Die meisten dieser Herren sind Slawen — Kroaten, Slowenen, Czechen, Polen —, und für Oesterreich liegt ein grosser Vortheil darin, mit der Sprache des anzuschliessenden Landes mehr oder minder vertraute Beamte der gleichen Rasse zur Hand zu haben. Die Speisen sind gut, und das treffliche Wiener Bier wird bereits hier am Orte gebraut. Vor etwa 30 Jahren war der schäumende Trank in den Ländern südlich von der Seine und in Paris selbst so gut wie unbekannt. Seitdem aber hat das Reich des Gambrinus immer mehr und mehr an Ausdehnung gewonnen, und heute herrscht derselbe ganz unbestritten in allen französischen Städten, in Spanien und in Italien; ja, auch auf der Balkanhalbinsel ist sein Einzug bereits erfolgt. Einen Fortschritt kann ich hierin allerdings nicht erblicken. Das schwerfällige Bier steht entschieden unter dem Weine; es wird langsam und in Massen getrunken und dient als Vorwand, um das Gespräch verlängern und dabei zahlreiche Cigarren rauchen und die Abende hübsch müssig verbringen zu können. Der Nachmittag ist einem herrlichen Spaziergange gewidmet. Wir gehen nach der alten Stadtfeste, die an der Südseite Serajewos auf einem hohen Felsen liegt, sprechen zunächst aber bei den Ulemas vor, welche den Herrn Scheimptlug im Arabischen unterrichten. Bei diesen weilt gerade Herr Capetanowitsch, einer von den reichsten Beys des Landes. Die europäische Kleidung giebt demselben durchaus kein vortheilhaftes Ansehen, und er sticht gewaltig ab von diesen Ulemas mit der türkischen Gewandung und der ruhigen Würde eines morgenländischen Fürsten. Moslims, welche sich »europäisiren« wollen, nehmen fast nur die Laster des Abendlandes an und arbeiten damit also auf ihren eigenen Untergang hin. Die verbessernden Neuerungen leitete Mahmud II. unter dem Beifalle Europas ein; doch der Erfolg lehrt, dass dieselben den Zusammenbruch bloss beschleunigen helfen. Der an der Miljaschka entlang führende Weg ist mit türkischen Kaffeehäusern besetzt, deren Balkone sammt den Weiden über das Flussufer hinausragen. In den Anblick der Landschaft versunken, rauchen hier viele Moslims ihren Tschibuk, und das klare, über Kieselsteine dahinrollende Wasser trägt ihnen eine erfrischende Kühle zu. Die alte Stadtfeste stammt noch aus der Zeit der türkischen Eroberung; neuerdings hat man hier eine grosse, gelb angestrichene Kaserne aufgeführt, und diese beleidigt allerdings den Schönheitssinn. Blickt man aber nach der Stadt hin und lässt das Auge über dieselbe gleiten, so begreift man all das Uebermaass des Entzückens, mit dem der Bosnier von seinem Serajewo spricht. Den wilden Romania-Planinabergen, welche ganz in der Nähe sich aufthürmen, entströmt die Miljaschka und fliesst nun zwischen hohen Pappeln und seltsamen türkischen Häusern dahin. Sie trennt die Stadt in zwei Theile, und diese werden durch acht Brücken mit einander verbunden, von denen zwei — was in einem an dauernden Werken so *armen Lande ganz besonders in die Augen fällt — Steinbauten sind. Auf die schwarzen Dächer schauen die Kuppeln und besonders die Minarets der zahlreichen Moscheen herab, welche bis über die benachbarten Hügel hin zerstreut sind. Liier schimmern auch die in hellen Farben gehaltenen Behausungen der Beys und Agas aus dem dichten Grün der Gärten hervor. Nach Norden zu erweitert das von freundlichen Hügeln umrahmte Thal sich beim Einflüsse der Miljaschka in die Bosna, welche etwa eine Wegstunde von hier vollständig fertig aus einer Höhlung tritt, und das trunkene Auge ruht auf einem wundervollen Gesammtbilde. Im Osten, dicht hinter der Stadtfeste, liegt eine wilde Schlucht, deren steil abfallende Wände etwas Buschwerk tragen. Aber nach Bäumen und den Spuren einer Niederlassung schaut man vergebens aus, und diese menschenleere, nur einen Kilometer von der Hauptstadt entfernte Wüste steht mit den Sicherheitsverhältnissen im bedenklichsten Zusammenhange. Neben dem Thore der Stadtfeste erhebt sich eine höchst eigenartige und vollständig waldursprüngliche Mühle. In Bosnien habe ich solche Mühlen, die so einfach wie möglich sind, wohl häufig angetroffen, doch bin ich ihnen sonst nirgends begegnet. Empfehlen würde sich's, sie auch anderswo nachzubilden, weil bei ihnen eine geringe Wassermasse zum Betriebe genügt. Der Liegebaum mit den Schaufeln steht senkrecht, und diese trifft der durch einen gehöhlten Eichenstamm etwa drei Meter hoch geleitete Wasserstrahl rechts von der Achse, welche er in eine sehr schnelle Bewegung bringt. Unmittelbar darüber drehen sich in einem hölzernen Kämmerchen die beiden aufeinander gelegten Mühlsteine, welche den in Pompeji gefundenen gleichen, und der obere derselben wird durch den Liegebaum selbst in Bewegung gesetzt. Wanderte die Wassermühle nicht in dieser Gestalt gegen das Ende der römischen Republik hin von Asien nach dem Abendlande ein? Auf dem Wege, welcher, in südlicher Richtung hinlaufend, nach Wischegrad und Nowibazar führt, kehren wir nach der Stadt zurück und überschreiten dabei die zwischen den hohen, röthlichen Felsen sich durchschlängelnde Miljaschka auf einer von den zwei Steinbrücken. Den Römern wird dieses grossartige Bauwerk zugeschrieben, und das seit dem Untergange ihrer Weltmacht hier geflossene Blut würde, so geht mir's durch den Sinn, genügen, um ganz Bosnien mit einer rothen Hülle zu bekleiden. Eine grosse Schaf- und Ziegenheerde kehrt Laveleye, Balkanländer. *4 von der Weide heim, begleitet von dem aufwirbelnden Staube, welchen die untergehende Sonne in leuchtendes Gold verwandelt. Diese Thiere, und nicht die Kühe, stellen die hauptsächlichsten Milchspender des Landes dar. Im Militärkasino, woselbst die Offiziere bei den Klängen der trefflichen Regimentsmusik zu einem Festessen sich versammelt haben, beschliesse ich den Tag. Zahlreiche, durch Trompetengeschmetter eingeleitete Toaste werden ausgebracht, und unwillkürlich muss man früherer Jahrhunderte gedenken. In die Fusstapfen der alten römischen Legionen sind die österreichischen Heer-schaaren getreten, deren die Zivilisation sich nun in Bosnien als Kulturträger bedient. Im Lesezimmer finde ich zwei in Serajewo herausgegebene Zeitungen: »Bosanska Hercegowaskc-Novine« und »Saragewski List«, von denen die erstere das Amtsblatt ist. Zur Türkenzeit war so etwas wie Papier und Druck ein beinahe unbekanntes Ding, während die Zeitung jetzt die Berichte über alle inneren und äusseren Vorgänge nach jedem Hause trägt. Darin liegt, besonders im Hinblicke auf die Zukunft, ein vollständiger Bruch mit der Vergangenheit, wenngleich die öffentliche Meinung auch jetzt noch unter militärischer Aufsicht steht. Das vom Major Knobloch geleitete Grundbuchamt erschliesst sich mir am folgenden Tage. Ich besichtige nun die äusserst sorgfältig ausgeführten Karten, wo die Gestaltung, die Ausdehnung und die Hypothekenbelastung von jedem Stücke Land und, vermittelst verschiedener Farben, auch der ptlügbare, wie der Wald- und der Wiesenboden klar und übersichtlich verzeichnet steht. Ganz besonders vorzüglich sind die Aufnahmen über den Karst-Bezirk der Herzegowina. Mitten auf dem unfruchtbaren Gebiete liegen winzige, nur einige Ar grosse und seltsam gestaltete Oasen wie zufällig hingestreut, und es sind das solche Bodenstellen dieser fabelhaft vernachlässigten Gegend, auf denen man den Anbau fördert. Das Grundbuch mit seinen Karten und den übersichtlichen Angaben über die Besitzer und die landwirth-schaftlichen Zustände ist in einem Zeiträume von 7 Jahren — 1880 bis 1886 — und zwar für die verhältnissmässig geringe Summe von etwa 7 Millionen Franken oder 2854063 Florin ausgearbeitet worden, und die Ingenieur-Offiziere haben sich damit ein glänzendes Zeugniss ausgestellt. In Frankreich und Belgien, wo zum Zwecke einer besseren Vertheilung der Grundsteuer eine Durchsicht des Grundbuches verlangt wird, behauptet man, dass eine solche Arbeit 20 Jahre dauern würde. Hier leitete das geographisch-militärische Institut die Messungen; in jeder Gemeinde nahmen Offiziere und Ingenieure den Plan auf, und die Abschätzung erfolgte durch besonders ernannte und einer Zentral-Kommission unterstellte Beamte. So lange Bosnien zur Türkei gehörte, blieb es ein verschlossenes Land, von dem man weniger als von den Höhen des Himalajas und selbst des Pamirs wusste. Heute kennt man es dagegen nach allen Richtungen hin und ist vertraut mit seiner Gebirgskunde, seiner Geologie, seinen Eigenthums-, Bevölkerungs-, Rassen-, land-wirthschaftlichen und religiösen Verhältnissen. Durch die amtliche »Ortschafts- und Bevölkerungs-Statistik von Bosnien und der Herzegowina« erfährt man mehr von ihm als von der eigenen Heimath. Ein 5410200 Hektar messender Flächenraum beherbergt, wie die amtlichen Angaben aus dem Jahre 1886 zeigen, in 47 Städten — die grossen und die kleinen zusammengenommen —,31 Marktflecken und 5261 Dörfern 1336091 Einwohner, und 492710 derselben — 36.88 Prozent — sind Mohammedaner, 571250 — 42.75 Prozent — griechische und 265788 14* — 19.89 Prozent — römische Katholiken, 5805 Juden und 538 Dissidenten. Juden und Dissidenten machen zusammen 0.48 Prozent aus. Was die verschiedenen Berufsklassen anbetrifft, so zählt die Bevölkerung 8162 Beys und Agas — grosse und kleine Grundbesitzer —, 117466 Bauern, die ihr eigenes Land bearbeiten, 197833 Kmets oder Pächter, 227 Geistliche verschiedener Bekenntnisse, 1498 dem Lehrerstande Angehörende, 1586 öffentliche Beamte, von denen 1239 im Dienste des Staates stehen, 88Aerzte, 7610 Hauseigenthümer oder Hypothekeninhaber, 15454 Gewerbtreibende, Kaufleute und Krämer, und 34238 Arbeiter und Dienstleute. Eine bezügliche Berechnung nach dem Prozentsatze weist die folgenden Zahlen auf: Beys und Agas 2.06 Prozent, Bauern, die ihr eigenes Land bearbeiten, 29.75 Prozent, Kmets oder Pächter 50.09 Prozent, und die übrigen 18.10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung kommen auf die sonstigen Berufszweige. Der Bezirk von Serajewo umschliesst die meisten Mohammedaner und Grundbesitzer, und in der Herzegowina leben die meisten römischen Katholiken und die wenigsten selbstständigen Bauern. Das Besatzungsheer beziffert sich auf 25000 bis 30000 Mann. Die geringe Anzahl der Aerzte erklärt sich durch den Schicksalsglauben der Moslims und die Armuth der Rajahs, und die Leute greifen zu Kräutern oder zu Beschwörungen und Zaubermitteln. Auch die Advokaten linden hier noch keinen Boden; den Türken sind sie ein Greuel, weil der Koran diejenigen verdammt, welche »sich in die Angelegenheiten anderer Leute mit List und Verschlagenheit einmischen, und jede derartige Person soll aus der guten Gesellschaft ausgestossen werden«. Aber die Beamten wurden bedeutend vermehrt, und das war nothwendig, weil dieselben hier als Träger der Zivilisation und des Fortschrittes dastehen. Zu beachten bleibt noch die geringe Zahl der Geistlichen, während dieselben in den wenig von der Kultur beleckten Ländern sonst meistens sehr stark vertreten zu sein pflegen. Herr Scheimpflug führt mich beim römischen Erz-bischof Stadler ein. Diesem theile ich die »offenen Briefe«1) — litterae patentes — mit, welche Bischof Strossmayer mir für alle Geistlichen der Halbinsel gegeben hatte, und er behält uns zum Mittagsessen bei sich. Man schreibt ihm wichtige Aufgaben zu und behauptet, dass er ausdrücklich zu dem Zwecke hergeschickt worden sei, die griechisch-katholischen Christen der römischen Kirche zuzuführen. Seine Stellung ist keine leichte, und seine Ernennung befriedigte nicht einmal alle römischen Katholiken. In den vier Jahrhunderten des Druckes und der Verfolgung bildeten in diesen Gegenden die Franziskaner die Stütze der römischen Kirche, und nun hat's verletzt, dass sie, die tapferen Kämpfer, nicht auch in erster Linie berücksichtigt wurden. Ihre Zurückstellung bewirkte der Einfluss der ungarischen Hauptstadt, weil sie hier eben für zu eifrige Anhänger der slawenfreundlichen Gesinnungen aus Djakovo galten, dessen Bischof natürlich erst recht nicht herberufen werden durfte. Derselbe führt aber den seit Jahrhunderten mit seinem Sprengel verknüpften Titel »Bischof von Bosnien — Episcopus Bosniensis —«. Erzbischof Stadler wird vom Bischof von Agram begünstigt, dessen magyarischen Gesinnungen er, wie's J) Die Wichtigkeit, welche diese Briefe für mich besitzen, mag ihre Wiedergabe rechtfertigen: »Litterae patentes quibus illustrissimum et doctissimum virum, oeconomicarum disciplinarum egregium in Belgio professorem Eniilium Laveleye, omnibus ad quos eumdem venire contigerit, impendissime iterum iterumque commendamus, omnc charitatis et benevolentiae officium ei exhibi-tum considerantes quasi nobismet ipsis exhibitum fuisset. Datum Diakovo, 28e mays 1883. — Josephus Georgius Strossmayer, Episcopus Bosniensis et Syrmiensis «. heisst, theilt. Einen recht bezeichnenden Gradmesser für die religiösen Zwistigkeiten bilden die folgenden Vorgänge, welche sich an den »Patriotischen Hülfsverein für Bosnien« knüpfen. Dieser war nämlich in Oesterreich zusammengetreten, um für römisch-katholische Stiftungen in Serajewo zu sorgen, und darüber wetterte nun der griechisch-katholische Erzbischof. Erzbischof Stadler, behauptete er, wolle die Gläubigen durch sträfliche Mittel an sich locken. Der antwortete recht scharf, und Herr von Kailay war als Vertreter des Herrschers ge-nöthigt, sich ins Mittel zu legen, um, wenngleich er den Frieden nicht erzwingen konnte, so doch wenigstens Schweigen zu gebieten. Dabei erklärte er dann zugleich, dass die Regierung allen religiösen Gemeinschaften das selbige Wohlwollen entgegenbringe. Ein thatsächlicher Beweis hierfür liegt in der Erbauung des grossen griechisch-katholischen Seminars von Keljewo — in der Nähe von Serajewo —, woselbst jährlich zwölf junge Priester aufgenommen und vollständig auf Kosten der Regierung unterhalten werden. Dem griechisch-katholischen Erzbischofe wurde auch ein Konsistorium beigegeben, dessen vier Mitglieder vom Staate besoldet werden, und dieser sorgt gleichfalls für die Unterhaltung und den Wiederaufbau der griechisch-katholischen Kirchen. Verschiedene, zu meiner Kenntniss gelangte That-sachen lassen mich keineswegs daran glauben, dass durch den Einzug Oesterreichs eine Begünstigung der römischkatholischen Propaganda hervorgerufen wurde. Den Ungarn hat die religiöse Unduldsamkeit so viel des Schlimmen eingetragen, und sie werden weniger auf die Ultramontanen hören, als dies vielleicht in Wien der Fall sein dürfte. Die römischen Katholiken haben in Trawnik ein Seminar mit acht Mittelschulklassen und einem vierjährigen theologischen Kursus. Erzbischof Stadler steht in den Vierzigern und ist aufgeräumt, liebenswürdig, sehr geistreich und von jugendlicher Beweglichkeit. Er erzählt uns auch die Geschichte des von ihm bewohnten Hauses und giebt damit lehrreiche Aufschlüsse. Der feste Steinbau war ursprünglich zu einem Magazine bestimmt; ein Jude hatte denselben erworben und bot ihn der Regierung, als sie nach einer Wohnung für den neuen Erzbischof ausschaute, zu einem keineswegs niedrigen Preise an. Diese zog es vor, einen Miethsvertrag auf sechs Jahre abzuschliessen, musste aber für Umänderungen u. s. w. 12000 Franken verausgaben, welche doch dem Eigenthümer zu gute kommen. Derselbe wird nun den doppelten bis dreifachen Mieths-oder Kaufspreis verlangen, da seit der Besetzung alles in Serajewo im Werthe bedeutend gestiegen ist. So geht's aber gewöhnlich. Der Unvorsichtigkeit der Regierenden steht die Voraussicht der Israeliten gegenüber, * denen man dann allerlei vorwirft, weil sie klüger als andere sind. Für dieses Berechnend-Vorsorgliche, das den Juden anhaftet, bringt Erzbischof Stadler viele und schlagende Beweise vor. Nach den erbitterten Kämpfen, welche dem Einmärsche der kaiserlichen Truppen in Serajewo vorausgingen, sank der liegende Besitz bei dem allgemeinen Wirrwarr und der Flucht vieler Moslims bedeutend im Preise. Aber die Juden hatten Vertrauen zur österreichischen Verwaltung und handelten demgemäss. Mit dem gewöhnlichen Scharfsinne, welcher für ihre gesunde und umfassende Urtheilskraft spricht, haben sie damals angekauft und dann in drei bis vier Jahren ihre Kapitalien verdreifacht. Im Hinblicke aber auf das, was die Zukunft der bosnischen Hauptstadt verheisst, kann man allen liegenden Gründen derselben und denen in ihrem Umkreise noch eine bedeutende Preissteigerung mit Bestimmtheit prophezeien. Die Zimmer des Prälaten liegen im ersten Stocke, und die zu ihnen führende Eingangsthüre aus dickem Eisenbleche, wie die Fenster des Erdgeschosses mit ihrem starken Gitter haben etwas Festungsähnliches. Derartige Vorsichtsmaassregeln erklären sich aber durch die Aufstände der Moslims, welche so häufig vorgekommen und so blutig verlaufen sind. Jetzt wagen die Beys es allerdings nicht, sich zu regen; aber wie gerne möchten sie doch die Oesterreicherund besonders die fremden Bischöfe erwürgen, wenn das nur in ihrer Macht stände! Die Salons und der Speisesaal sind ungemein einfach ausgestattet und haben »nichts zu viel«; aber an der Tafel trägt man gute Speisen auf und einen feurigen, duftenden ungarischen Wein. Erzbischof Stadler behauptet, dass es noch eine gewisse Anzahl von Bogomilen oder Albi-gensern giebt, die nicht zum Islam übergetreten, sondern heimlich oder auf abgelegenen Dörfern ihrem Glauben treugeblieben sind. »Von der einen Seite«, fügt derselbe hinzu, »wirft der griechisch-katholische Erzbischof mir vor, dass ich auf dem Verkaufswege meinem Glauben neue Anhänger gewinne, und von der anderen beschuldigt man mich der Lauheit und Gleichgiltigkeit. Man weiss eben nicht, welchen Schwierigkeiten hier die Bekehrungsversuche selbst bei den griechisch-katholischen Christen begegnen, wobei ich die vollständig widerspenstigen Moslims gar nicht in Betracht ziehen will. Bei den griechischen Katholiken sind Glaube und Rasse untrennbar mit einander verknüpft, und die Versuche, sie zur römischen Kirche hinüberzuziehen, beantworten sie mit den Worten: »Ich bin ein Serbe«. Serben sind sie allerdings, der Sprache, wie dem Blute nach, und in einem Glaubenswechsel sehen sie zugleich auch ein Aufgeben ihres Volksthums. Im 13. und 14. Jahrhundert waren die bosnischen Magnaten den Bekehrungsversuchen wohl leicht zugänglich; heute hält aber jeder starr an seinem Ritus fest, und ein Uebertritt erfolgt nur sehr selten «. Am Nachmittage führt Erzbischof Stadler uns zu den Ordensschwestern, welche den anderen Religionsgemeinschaften ein Dorn im Auge sind. Mitten im mohammedanischen Viertel von Serajewo haben dieselben eine Mittelschule für Mädchen eingerichtet, und es fehlt ihnen, nach ihrem festen, steinernen Hause mit den zahlreichen Klassen zu schliessen, nicht an Geld. Ein grosser Garten liefert ihnen Gemüse, während er zugleich einen trefflichen Tummel- und Erholungsplatz abgiebt, und dass sie auch an die Zukunft denken, zeigen die weiten Schlafsäle des zweiten Stockwerkes. Ihre Anstalt zählt gegenwärtig etwa 50, den verschiedenen Rassen und Bekenntnissen angehörende Schülerinnen, und man erblickt unter denselben Ungarinnen von seltener Schönheit, spanische Jüdinnen mit den dunkeln, tiefliegenden Augen, Czechinnen, Polinnen und Deutsche. Die Beamten und Einheimischen, welche für ihre Töchter einen über den Elementarunterricht hinausgehenden Unterricht wünschen, können dieselben nur dieser Anstalt überweisen. Der Erzbischof unternimmt dann mit uns einen entzückenden Spaziergang nach dem eine Wegstunde von Serajewo entfernten Meierhofe, dessen Bewirth-schaftung in den Händen der Ordensschwestern liegt. Die Besitzung ist einem Mohammedaner abgekauft worden und misst etwa 20 Hektar. Mitten im Pflaumengarten steht noch das alte Wohngebäude mit seinem Haremlik und Selamlik. Demselben zur Seite erhebt sich aber ein niedliches Häuschen mit guten Stallungen, in denen schweizer Kühe untergebracht sind, und das Kloster kann also vom eigenen Grund und Boden sichlMilch und Butter bringen lassen. Eine vollständige Wandlung liegt aber in diesem gut gejäteten Lande, den abgesteckten Wegen, den ausgestrichenen Furchen, dem von einer nahen Anhöhe zur Berieselung hergeleiteten Wasser, und das alles bildet den ausgeprägtesten Gegensatz zur gänzlichen Lässigkeit der armen, stets von ihren Herren abhängigen Rajahs. Nach der Stadt zurückkehrend, kommen wir an einen alten türkischen Weg, welcher nur zur Benutzung durch die Saumthiere bestimmt ist. Allein auf diesem ungleichen, holperigen Steinpflaster kann wohl selbst ein bosnisches Pferd sich die Beine brechen, und Menschen und Thiere ziehen es denn auch vor, lieber seitwärts durch die Schluchten zu gehen. Obgleich man vor den Thoren der Stadt sich befindet, trifft man doch einen grossen Theil des Bodens unbenutzt an; einen weiten Raum aber nehmen die Kirchhöfe mit ihren weissen, meistens umgestürzten Grabsteinen ein. Den Rest des Abends verbringe ich bei einem Dal-matier, dem Kapitän Domitschi, welcher sich mit der Geologie und der Mineralogie des Landes eingehend beschäftigt hat und mit der Berechtigung versehen ist, am Fusse des Inatschberges den Boden auszunutzen. Hier findet sich — ein seltenes Vorkommniss! — das Quecksilber in flüssigem Zustande, und der Kapitän zeigt Proben davon vor. Das Land, behauptet er, ist überreich an Erzen jeder Art. Im Mittelalter hat man in den Flüssen Gold gewaschen, und die dem Fiskus gehörenden Salzwerke bei Tuzla liefern einen Theil von dem im Lande verzehrten Salze; 1883 brachten dieselben einen Mehrgewinn von 300000 Florin, was Zeugniss ablegt für den bedeutend gesteigerten Salzverbrauch und damit auch für den wachsenden Wohlstand der Bevölkerung. Nicht weit von Wares giebt's ein vorzügliches Eisen, und eine gute Braunkohle findet sich bei Zenitscha, Banjaluka, Trawnik, Ronzicta und Mostar. Man ist aber auch auf Chrom, Kupfer, silberhaltiges Blei, Mangan und Antimon gestossen, und eine Sammlung bosnischer Erze war auf der Pariser Weltausstellung zu finden. Das Eigenthumsrecht an sämmtlichen Bergwerken hat der Staat sich vorbehalten. Auf unserer erquickenden Spazierfahrt nach dem eine Wegstunde von Serajewo entfernten Badeort Ilitscha besuchen wir noch die bosnische Kadettenanstalt. Dieselbe ist in einer ehemaligen türkischen, nicht zu schlecht erbauten Kaserne untergebracht, und mit einem gewissen Stolze führt der Kommandant uns herum. In den luftigen Klassenräumen wird ein ziemlich umfassender Unterricht ertheilt; die jungen Leute tragen eine elegante braune Uniform nach österreichischem Zuschnitte und sind in diesem Augenblicke auf einem ausgedehnten Exerzierplatze mit militärischen Uebungen beschäftigt. Sie gehören den verschiedenen Bekenntnissen des Landes an, und ihr Zusammenleben ist ein vorzügliches Mittel, um auf das Ersticken des hier so heftig lodernden religiösen Haders hinzuarbeiten. Früher hatte ich die Einführung der Rekrutirung in diese Provinzen lebhaft bedauert; doch bringen meine Wahrnehmungen in Serajewo mich nun hiervon zurück. Der Widerstand rührte fast ausschliesslich von den Moslims her, während für die Rajahs gerade eine Erhebung darin liegt, mit ihren Herren und Meistern gemeinsam zu dienen. An vielen Orten ziehen die Bauern jetzt mit Musik und Fahnen zur Einschreibung, und die grosse Zahl der sich meldenden Freiwilligen spricht doch auch dafür, dass der Dienst beim Volke keineswegs unbeliebt ist. So wurden im Jahre 1883 für Bosnien-Herzegowina 1200 Mann einberufen, und 1319 sind dann eingeschrieben worden; 308 derselben waren Mohammedaner, 608 grie- chische und 401 römische Katholiken. Aufsässige hat man 45 gehabt, und diese Zahl wird in vielen alten Provinzen des Reiches überschritten; in Wischegrad, wo das Aufgebot auf sechs Mann sich erstreckte, hatten sich fünfzehn Freiwillige gemeldet. Bei den letzten Unruhen flüchteten 2500 Herzegowiner nach Montenegro, von denen aber 2000 wieder zurückgekehrt sind, und die unsicheren Kantonisten bestehen zum grössten Theile aus Hirten, welche ihre Heerden auf den unzugänglichsten Bergstellen wreiden lassen. An der Südgrenze hausen noch einige kleinere Räuberbanden, die sich aber meistens darauf beschränken, Vieh zu stehlen. Zur Befestigung der allgemeinen Sicherheit hat man fliegende Corps eingerichtet und mit den vorzüglichen Kropaczek-Flinten ausgestattet. Diese Soldaten, deren Zahl 300 beträgt, zerfallen in kleine Abtheilungen; sie sind mit Lebensmitteln für mehrere Tage versehen und erscheinen unvermuthet an allen von den Räubern behelligten Orten. Bald werden diese Horden nur noch im Bezirke von Nowibazar vorkommen, den die Oesterreicher zwar besetzt haben, wo aber die ausübende Macht und Gewalt in den Händen der Türken geblieben ist. In militärischer Hinsicht bietet Bosnien den Oesterreichern grössere Vortheile, als Tunis den Franzosen oder Cypern den Engländern, und es lassen sich hier Truppen aufbringen, welche den berühmten Kroaten mit ihren rothen Mänteln keineswegs nachstehen werden. Ist's aber nicht traurig, dass der Gedanke'an das Gleichgewicht der Waffengewalt sich selbst in die Betrachtungen über den wirthschaftlichen Fortschritt hineindrängt? Wie ein Bild von ernster Trauer erscheint der vor Ilitscha sich zeigende alte jüdische Kirchhof. Der kahle Abhang eines felsigen Hügels trägt die grossen Grab- steine, zwischen denen Disteln mit ihren lilafarbenen Blumen und die Wolfsmilch mit den gelblichen Blüthen emporschiessen. Von einem dunkelblauen, stürmischen Himmel heben die blendend weissen, mit keiner Inschrift bedeckten Platten sich ab, und das Ganze erinnert an das in Dresden befindliche berühmte Gemälde Ruysdaels, den »Jüdischen Kirchhof«. Ilitscha hat Schwefelquellen und einen sauberen, aber sehr einfachen Gasthof. Die Moslims kommen in Miethswagen angefahren, lassen sich in der kleinen, die Badestelle umgebenden Gartenanlage nieder und sitzen hier bei ihrem Kaffee und ihrem Kef. Einem Gefährt entsteigt eine mohammedanische Frau, der ihre beiden Kinder und eine Dienerin folgen. Ihr Gang ist so lächerlich wie das Watscheln einer Ente, und es kommt diese Schrittart von der Angewohnheit her, gleich den Schneidern mit gekreuzten Beinen zu sitzen. Ein lilafarbener Atlasmantel hüllt ihre Gestalt vollständig ein, und der Schleier vor ihrem Gesichte ist nicht durchscheinend wie der von den Damen Konstantinopels getragene. Von ihren Zügen kann man aber auch buchstäblich nichts entdecken, so dass es ganz dahingestellt bleiben muss, ob in diesem wandelnden Sacke eine hübsche oder junge Frau stecken mag. Den Moslims rühmt man hier eine sehr grosse Sittenstrenge nach; galante Abenteuer kommen nur selten vor, und deren Helden sind nie die verhassten Fremden. Die berückend schöne Uniform der österreichischen Offiziere bleibt hier vollständig wirkungslos. Um sich ein Bild von den wirthschaftlichen Verhältnissen eines Landes machen zu können, muss man in die Hütte seiner Bauern gehen und mit diesen plaudern. Wir traten also an einen Kmet heran, welcher mit vier Ochsen — zwei derselben werden von seiner Frau geführt — das Feld bearbeitet. Ihm gehören aber, erzählt er uns, nur zwei der Thierc, und die beiden anderen sind seines Bruders Eigenthum; zur gemeinsamen Vornahme von Feldarbeiten thun die Bauern sich oft zusammen. Der Anzug des Mannes besteht aus einem weiten, weisswollenen, türkischen Beinkleide, einem Hemde aus Hanf, einem gewaltigen braunen Ledergürtel und einem kleinen, von weissen Lappen turbanartig umwundenen Filzkäppchen, und der seiner Frau aus einem hemdartigen Kleidungsstücke, einer schwarzen Wollschürze und einem rothen Tuche als Kopfbedeckung. Doch durch die Aufforderung, seine Hütte zu zeigen, wird der Kmet argwöhnisch gemacht, denn er fürchtet, einen Beamten der Schatzverwaltung vor sich zu sehen. Diese und der Aga, dem der Grund und Boden gehört, sind ja zwei alte Schreckgespenste, vor deren Raubgier er lange zittern musste. Herr Scheimpflug sagt ihm aber, dass ich ein Reisender bin, der das Land gern gründlich kennen lernen' möchte, und nun gleitet ein freundliches Lächeln über das kluge Gesicht mit der feingeschnittenen Nase, welches schöne blonde Haare umrahmen. Die Behausung des Kmets ist eine mit Eichenschindeln gedeckte Lehmhütte, in welche das Licht durch zwei Dachluken fällt, die Laden, aber keine Fensterscheiben haben. Den Innenraum hat man in zwei Käm-merchen getheilt, von denen das erstere als Küche und das zweite als Familienschlafstube benutzt wird. Jenes ist vom Rauche vollständig geschwärzt, denn derselbe hüllt, weil ein Schornstein nur durch seine Abwesenheit glänzt, alles ein, und schliesslich muss er durch die Ritzen des Daches entweichen, zu dessen Gebälk man, von keiner Zimmerdecke gehindert, hinaufsehen kann. An dem Kesselhaken hängt ein Topf, in welchem der Maisbrei, die Hauptnahrung der Bauern, kocht. Weder ein Tisch, noch Essgeschirr ist vorhanden, und die ganze Einrichtung besteht in drei Holzschemeln, zwei kupfernen Gefässen und einigen Ackerbaugeräthen; man könnte wähnen, in einer Höhle aus vorgeschichtlicher Zeit zu weilen. Im Schlafraume befinden sich weder Bette, noch Stühle, noch irgend welche anderen Möbel, sondern nur zwei Koffer, und der Kmet und seine Frau schlafen, in eine alte Decke eingehüllt, auf der blossen Erde; der kleine bosnische Ofen in der Ecke steht mit dem Herde in Verbindung. Die Wände dieses Raumes sind geweisst, und derselbe hat auch eine Decke, die aus einigen Balken gebildet wird. Ueber diesen befindet sich der Bodenraum, und hier sind einige Vorräthe aufgespeichert worden. Aus einem der Koffer holt der Kmet die Festgewandung, auf welche er stolz ist. Für seine Frau hat er kürzlich zum Preise von 160 Franken eine ganz mit Goldstickereien bedeckte blaue Sammet-jacke gekauft und für sich einen mit Pelz besetzten Husarenrock. Seit dem Einmärsche Oesterreichs konnte er Ersparnisse machen, obgleich er den dritten Theil des Ertrages abliefern muss, sagt er, weil die Preise sehr gestiegen sind. Er wagt es nun auch, am Sonntage seine schönen Kleider anzulegen, da er jetzt nicht mehr einer erbarmungslosen Ausbeutung preisgegeben ist. Schöne gestickte Hemden aus farbigem Wollenstoffe, die seine Frau als Aussteuer mitgebracht hat, füllen den anderen Koffer bis zum Rande. Diese Kinder des Volkes denken an den Luxus, ehe sie für die Behaglichkeit sorgen. Tische, Bette und Brod findet man bei ihnen nicht, wohl aber Sammet, Stickereien und Besätze aus Goldlitzen. Dieses Fehlen von Möbeln und Geräthen macht es auch erklärlich, dass die Bosnier so leicht und mühelos umziehen, auswandern und wiederkommen können: ein Esel vermag ihre ganze Habe fortzutragen. Klar und deutlich zeigt sich's, dass die Lage der unglücklichen Rajahs, welche so lange die Unterdrückten und Ausgesogenen waren, sich bessern kann, indem man bei der gegenwärtigen Höhe der Abgaben bleibt. Weiss der Kmet, dass der ganze Ueberschuss ihm gehört, so wird er auch bestrebt sein, den Boden besser zu bebauen, und damit leiblich und geistig gehoben werden. Der wohl-thätige Einfluss Oesterreichs macht sich bereits in sehr fühlbarer Weise durch die feste Schranke geltend, welche dem maasslosen Begehren der Agas nun entgegensteht. Am Abende speise ich beim französischen Konsul, Herrn Moreau. Ein Empfehlungsschreiben des auswärtigen französischen Amtes konnte ich demselben nicht überreichen, aber der Name der »Revue des Deux Mondes« ist ein Schlüssel, welcher mir alle Thüren öffnet. Es liegt ein unbeschreiblicher Reiz darin, so fern von der Heimath an einem gastlichen Tische, dem die anmuthige und geistreiche Herrin des Hauses vorsitzt, Platz nehmen zu dürfen, und hier in einer künstlerisch durchwehten Umgebung neben geistigen Genüssen auch die einer — guten Tafel zu finden, für welche der Reisende durch seine Entbehrungen sehr empfänglich gemacht wird. Gleich dem englischen Konsul bewohnt auch Herr Moreau ein türkisches Haus, das einem Juden gehört. Aus dem offenen, mit Schlingpflanzen geschmückten Vorbaue führt eine breite Treppe nach einem geräumigen Vorzimmer, von wo es auf der einen Seite nach dem alten Frauen- und auf der anderen nach dem früheren Männergemache geht; jenes ist zum Speisesaal und dieses zum Salon geworden. Neben morgenländischen Möbeln stehen kleine Meisterwerke der Pariser Kunsttischlerei; der ungeheuere, grün glasirte bosnische Ofen mit den scheibenartigen Verzierungen sieht auf einen Erard'schen Flügel herab, und wundervolle, aus Afrika, Asien und der Balkanhalbinsel stammende Teppiche der verschiedensten Art liegen am Boden und breiten sich als Vorhänge an den Fenstern und Thüren aus. Zum Hause hinausschauend, blickt man in einen Garten voll schöner Blumen, und hier erhebt sich der Schiffsmast, an welchem die französische Fahne flattert. Nun will ich's wagen, auch über den Speisezettel zu berichten, aus dem sich auf die Hilfsquellen des Landes schliessen lässt. Suppe aus getrocknetem Gemüse, Fische, Lendenbraten mit frischem Gemüse, Spargel, Putenbraten, Salat, Gefrorenes und Früchte werden aufgetragen, und im Laufe der Unterhaltung stellt sich's heraus, dass wir von dem Truthahne essen, welchen man mir in der Tschartsia zum Kaufe anbot. Er wurde für drei Florin erhandelt und schmeckt vorzüglich; billig lebt sich's in Serajewo durchaus nicht. Einer von den Tischgästen, Herr Queille, besitzt für mich eine ganz besondere Anziehungskraft. Derselbe ist ein Finanzbeamter und wurde von der französischen Regierung auf Bitten der bulgarischen nach Sofia geschickt, um hier die Umgestaltung des Finanzwesens zu leiten. Seine Reise hat ihn von der bulgarischen Hauptstadt über Adrianopel, Konstantinopel, Athen, die Jonischen Inseln, Montenegro, Ragusa, Fort-Opus und Mostar nach Serajewo geführt, und über Belgrad und Nisch will er nach Sofia zurückkehren. Das neue Bulgarien kennt er genau, und die Aussicht, einen Theil der Reise mit ihm gemeinschaftlich machen zu können, erfüllt mich mit grosser Freude. Herr Moreau, welcher lange als Konsul in Epirus gelebt hat, erzählt viel von den Moslims, und hierüber will ich nun, dabei auch aus anderen Quellen schöpfend, berichten; ganz besondere Dienste hat das lehrreiche Buch von Adolf Strausz mir geleistet. Welchem Volke die Mohammedaner auch angehören Laveleye, BalkanlanUer. *5 mögen, ob sie Türken, Albanesen, Slawen, Kaukasier, Araber, Kabilen, Hindus oder Malaien sind, so gleichen sie sich doch immer und überall. Der Koran durchdringt jede Ader ihres geistigen Lebens und drückt ihnen allen den selbigen Stempel auf. Sie sind gut und wild zugleich, lieben Kinder, Hunde und Pferde und werden dieselben nie misshandeln; ja, sie bringen es kaum fertig, eine Fliege todtzuschlagen. Hat aber einmal die Leidenschaft sie umkrallt, so erwürgen sie ohne Erbarmen selbst Frauen und Kinder. Ihre schrankenlose Wuth bricht sich dann nicht an dem, was das Christenthum und die moderne Philosophie dem Abendländer einpflanzen, das heisst an der schonenden Rücksicht auf das Leben und an den Gefühlen der Menschlichkeit. So lange sie von den Einflüssen des Abendlandes unberührt bleiben, sind sie durch und durch ehrlich. In Smyrna, so erzählte mir unlängst Herr Cherbuliez, übergiebt man einem armen türkischen Kommissionär bedeutende Summen, und nie kommt eine Unterschlagung vor. Auf einen Christen könnte man sich unter den gleichen Verhältnissen sehr viel weniger verlassen. Der Moslim von altem Schrot und Korne ist fromm, und seine Bedürfnisse haben nur einen sehr bescheidenen Umfang. Vom Eigenthume anderer Leute hält ihn also zunächst seine Religion zurück; es stacheln ihn jedoch auch keine Begierden, weil er fast nichts braucht. Nimmt man ihm aber seinen Glauben und giebt ihm dafür die Genüsse, welche der Luxus unter dem Namen »Zivilisation« umherstreut, so ist er unrettbar verloren. Dann will er sich Geld verschaffen, und besonders in einem Lande, wo die Erpressung so viel und die Arbeit so wenig einbringt, kann nichts ihn vom Untergange zurückhalten. In Bosnien, diesem Mittelpunkte des unverfälschten Mohammedanerthums, kann man sehen, wie einfach und wenig kostspielig die Moslims leben. Denkt man an einen Harem, so pflegt man sich denselben wohl als einen Ort von berauschender Ueppigkeit vorzustellen, der geschmückt und ausgestattet ist mit allem Glänze und aller Pracht des Morgenlandes. Doch Frau Moreau, welche oft in solchen Frauengemächern gewesen ist, berichtet, dass dieselben — von den Wohnungen sehr reicher Beys und Paschas abgesehen — eher Mönchszellen gleichen. Der schlechte Fussboden wird durch eine Matte oder einige Teppichfetzen halb bedeckt; die Wände sind mit Kalk geweisst; Tische, Stühle, Betten u. s. w. giebt's nicht, und die mit Decken belegten breiten, hölzernen Bänke rings herum dienen am Tage als Sitzplatz und in der Nacht als Schlafstätte. Das hölzerne Gitterwerk vor den Fenstern hüllt den Raum in ein Halbdunkel, und abends beleuchtet der trübe Schein einer Kerze oder kleinen Lampe diesen traurigen Aufenthaltsort. Auch der Selamlik, das Männergemach, ist weder eleganter noch wohnlicher. Im Winter macht eine empfindliche Kälte sich fühlbar, denn die vielen Ritzen und Risse des schlecht gefügten Holzbaues lassen Wind, Regen und Schnee ungehindert herein. Das kupferne Feuerbecken, welches man in ähnlicher Gestaltung in Spanien und Italien antrifft, giebt aber nur Wärme, falls die Kohlen glühend genug sind, um die Luft mit ihrem Dunste zu verderben. Die Frau bekümmert sich nicht viel um die Küche, und die Speisen bleiben immer die gleichen. Da hat man die schwere und harte »Pogatscha«, eine Art von hefenlosem Brode, die »Tschorba«, eine Suppe aus sauerer Milch, ferner die gerösteten Hammelschnitte und den unvermeidlichen »Pilaf«, einen mit kleinen Stückchen Lammfleisch vermengten Reisbrei, und dann noch die »Pipta«, eine süsse, mehlige Speise. Die Schüsseln stellt man auf eine grosse 15* Kupferplatte, die »Tepschia«, welche auf einem Holzuntersatze ruht, und die Zahl der hölzernen Löffel entspricht derjenigen der Tischgenossen; doch bedient man sich, mit gekreuzten Beinen auf der Erde sitzend, mit den Fingern. Nach beendeter Mahlzeit geht das Wasserbecken herum; man wäscht sich die Hände und trocknet dieselben an einem feinen, wundervoll gestickten Linnentuche ab, worauf der Kaffee und die lange Pfeife, der Tschibuk, an die Reihe kommen. Warme Speisen giebt's bei den Mohammedanern der Mittelklasse nur ein oder zwei Mal wöchentlich, und der Bey benutzt sein Geld, um Diener und Pferde zu halten oder schöne Harnische und Waffen zu kaufen, welche er an den Wänden seines Selamliks aufhängt. Zwei dem Mohammedanismus aufgeprägte Kennzeichen lassen sich durch jene ungemein einfache Lebensweise erklären. Zunächst macht dieselbe es begreiflich, warum der Moslim so wenig thut, um Geld zu verdienen, und dann liegt in ihr das Geheimniss, wie die unvollkommenste Verwaltung so ziemlich im Gange bleiben konnte, so lange die Verfeinerungen und mannigfaltigeren Genüsse des Abendlandes noch nicht Eingang gefunden und keine kostspieligeren Bedürfnisse geschaffen hatten. Was dem Fortschritte der Mohammedaner einen gewaltigen Hemmschuh entgegensetzt, liegt nicht sowohl in der Polygamie selbst, als vielmehr in der Stellung des weiblichen Geschlechtes, das fast gar keinen Unterricht erhält. Die Mohammedanerin öffnet nie ein Buch, selbst den Koran nicht, welchen sie auch gar nicht verstehen würde. Ohne Beziehungen zur Aussenwelt, beständig, einer Gefangenen gleich, in dem düsteren Harem weilend, lebt sie kaum anders als der Insasse eines Zellengefängnisses. Nur sehr selten geht sie aus, und in den Strassen von Serajewo habe ich bloss diejenigen ihres Geschlechtes angetroffen, welche betteln mussten. Weder von den Ereignissen da draussen, noch von den Angelegenheiten ihres Gatten weiss sie etwas. Sie kann nicht, wie dieser, Kaffeehäuser besuchen und sich an den Schönheiten der Natur ergötzen, und ihre einzige Beschäftigung besteht darin, zu sticken, ihre einzige Zerstreuung ist es, Cigaretten zu drehen und zu rauchen. Die Frau des Handwerkers, des Krämers kann ihrem Manne in keiner Weise helfend zur Seite stehen, und in trauriger Oede und Leere verfliesst ihr Dasein. Die in Serajewo lebenden und des Kroatischen mächtigen österreichischen Damen können sich leicht mit den bosnischen Mohammedanerinnen verständigen, weil sie die gleiche Sprache reden. Doch der Umstand, dass diese armen Klausnerinnen durchaus nichts zu sagen haben, macht eben jede Unterhaltung zur Unmöglichkeit. Diese vollständig unwissenden, geistestodten Wesen aber sind es, unter deren Obhut die Kinder bis zu einer ziemlich vorgerückten Altersstufe bleiben; all das bedeutsame Wirken und Schaffen der Frau bei den Völkern christlichen Bekenntnisses, der ganze Einfluss, den sie dort besitzt, geht den Mohammedanern völlig ab. Und erklärt sich hieraus nicht die Unzugänglichkeit derselben für abendländisches Sein und Wesen? Obgleich man bei der religiösen Unterweisung der Mohammedanerinnen nur sehr summarisch verfährt, sind dieselben dennoch im höchsten Grade glaubenseifrig, und pünktlich wie die Männer nehmen sie die Bäder, welche nach dem vorgeschriebenen Ritus den Gebeten vorangehen müssen; letztere sagen sie auswendig wie Zauberformeln her. Heirathen werden blindlings geschlossen. Man verfährt hierbei in geschäfts-mässiger Weise und denkt nicht daran, sich um die Gefühle der jungen Mädchen zu kümmern. Allerdings kann bei denselben von Gefühlen wohl kaum die Rede sein, sondern höchstens von sinnlichen Trieben und Begierden, die geweckt wurden durch die Art und Weise der Haremsunterhaltungen. Unter den drei Formen der Eheschliessung giebt es indessen eine — eine uralte und sehr merkwürdige —, bei welcher das junge Mädchen wirklich als Person auftritt, statt nur als Sache behandelt zu werden, nämlich die Entführungsheirath. Bachhofen, Mac-Lennan, Post und Giraud-Teulon haben es durch ihre werthvollen Arbeiten dahin gebracht, dass sich ein besonderer Zweig der Sozialogie mit den Ursprüngen der Familie beschäftigt. Man weiss nun, dass die noch in Urzuständen befindlichen Stämme im gemeinsamen Durcheinander lebten und deshalb den Stammbaum von der Mutter herleiten mussten, weil dies vom Vater nicht möglich war. Anfangs wurde ein Bund nur zwischen den Angehörigen der selbigen Gemeinschaft geschlossen; später holte man sich dann auch Frauen aus anderen Stämmen, und diese mussten entführt werden. Solche Entführungsheirathen kamen zur Urzeit bei allen Völkern vor und sind heute noch vielfach bei den Wilden anzutreffen. Was der Mann dem Vater oder dem Stamme zahlte, war nicht ein Kaufgeld, sondern vielmehr eine Vereinbarung, ein Wehrgeld, und Adolf Strausz berichtet, dass eine solche Form der Eheschliessung bei den bosnischen Mohammedanern bisweilen noch vorkommt. Hat ein junger Mann hinter den Querhölzern des Muscharabies — des an den Fenstern befindlichen Gitterschirmes — mehrmals ein junges Mädchen gesehen und mit demselben Blicke der Liebe und des Einverständnisses ausgetauscht, so erfährt die »Taube« durch eine Mittelsperson, wann ihr Geliebter sie entführen wird. Mit einer Pistole bewaffnet, kommt derselbe angeritten, und das junge, dicht verschleierte Mädchen steigt hinter ihm auf. Er galoppirt davon, hält aber schon nach etwa hundert Schritten an, um seine Pistole abzuschiessen, worauf die an verschiedenen Punkten aufgestellten Freunde ihre Flinten abfeuern. Nun weiss man, dass soeben eine Entführung sich vollzogen hat, und die Mittelsperson benachrichtigt hiervon eilig die Eltern. Der Entführer bringt die Entführte nach dem Harem seines Hauses, bleibt aber nicht bei ihr, sondern hält sich während der folgenden sieben Tage — so viel Zeit nehmen die Vorbereitungen zur Vermählung in Anspruch — im Selamlik auf, wo er, festlich gekleidet, seine Freunde empfängt. Die Eltern des Mädchens geben schliesslich immer ihre Einwilligung, weil ihre entführte Tochter entehrt wäre, falls sie unvermählt zurückkehren müsste. Frauen, weibliche Verwandte oder Freundinnen, bleiben bei derselben, baden sie, ziehen sie ganz weiss an, und gemeinsam schreitet man zu den vorgeschriebenen Gebeten. Während der sieben Tage unterliegt das junge Mädchen einem sehr strengen Fasten und darf nur ein Mal täglich, und zwar bloss nach Sonnenuntergang, essen und Wasser trinken. Am siebenten Tage vereinigen sich die Freundinnen von neuem in grosser Zahl. Man badet die Braut abermals mit grossem Gepränge und legt ihr dann die Festgewandung an, d. h. ein reich gesticktes, hemdartiges Kleidungsstück und einen mit Goldborten besetzten Fez, über welchen ein durch Goldmünzen verziertes Linnen — »Beskir« genannt — gebreitet wird. Nun hat die Braut das Antlitz zur Erde zu neigen, in ein stilles Gebet sich zu versenken und so unbeweglich zu verharren, während die Frauen allmählich und geräusch los sich entfernen. Erst nachdem die letzte derselben verschwunden ist, begiebt sich — es geschieht dies zum ersten Male — der Mann in den Harem. Gleicht der ganze Vorgang nicht weit mehr dem Einkleiden der Nonnen in den Klöstern als einer Hochzeit? Er zeigt, was der Koran mit seinem Einflüsse aus einem rohen Gebrauche wilder Völker gemacht hat. Die zweite Form der Eheschliessung ist die von Angesicht zu Angesicht. Eine Mittelsperson arbeitet einer Verständigung zwischen beiden Theilen vor, und am festgesetzten Tage empfängt der Vater den Bewerber im Selamlik. Hier erscheint alsdann die Begehrte un-verschleiert, in ihren schönsten Gewändern und mit einer dünnen, die Brust kaum verhüllenden Gaze. Der junge Mann betrachtet sie, indem er Kaffee trinkt, und - reicht ihr die leere Tasse mit den Worten- »Gott möge Dir's lohnen, schönes Kind!« Ohne ein Wort gesprochen zu haben, zieht sie sich zurück; hat sie gefallen, so schickt der junge Mann am folgenden Tage dem Vater einen Ring, in welchen er seinen Namen eingraben liess, und eine Woche später findet die Hochzeit, Dujun genannt, statt. Verwandte und Freunde bringen der jungen Wii-thschaft nützliche Gaben zu, und das Schmausen dauert so lange, als der Vorrath reicht, wobei die Männer im Erdgeschosse, die Frauen im ersten Stockwerke weilen. Die dritte Form der Eheschliessung ist hauptsächlich in reichen Familien gebräuchlich und hat ein ausschliesslich geschäftliches Gepräge, wie dies auch wohl unter Christen vorkommt. Die Heirath wird abgeschlossen, ohne dass die Haupt-betheiligten sich vorher gesehen haben. Beim Vater finden die Festlichkeiten statt, und Abends geleitet man den Mann von der einen und die Frau von der anderen Seite unter Musik und Flintenschüssen nach der gemeinsamen Wohnung, wo die beiden Gatten sich nun zum ersten Male erblicken. Bei zu grausamen Enttäuschungen greift man zur Scheidung oder, wie böse Zungen behaupten, zu noch schneller wirkenden Mitteln. Ein bosnisches Sprichwort behauptet zwar, dass ein Sack Flöhe leichter zu hüten ist, als eine Frau. Doch bei all ihrer berückenden Liebenswürdigkeit ist es den Offizieren des Besatzungsheeres hier nicht möglich, Eroberungen zu machen, und man weiss ja, wie verführerisch die Ungarn sein können. Die Ehebrecherin gehört eben noch nicht zu der gewöhnlichen Würze des mohammedanischen Lebens. Was den mohammedanischen Bosnier ganz besonders kennzeichnet, ist eine beispiellose Ergebung in sein Geschick. Leiden und Unglücksfälle erträgt er, ohne sich zu beklagen, und mit Hiob spricht er: »Gott hat es mir gegeben, Gott hat es mir genommen; der Wille Gottes geschehe!« In Krankheitsfällen ruft er keinen Arzt, denn Gott wird ihm helfen, sagt er, wenn seine letzte Stunde noch nicht gekommen ist. Fühlt er seinen Tod herannahen, so erschrickt er nicht. Er unterhält sich mit dem Hodscha (Lehrer an einer mohammedanischen Schule), verfügt über einen Theil seines Besitzes zu Gunsten eines nützlichen Werkes oder gründet, falls er sehr reich ist, eine Moschee, und Gebete hersagend, stirbt er. Um den Todten versammelt sich die Familie, doch keine Thräne fliesst. Die Nase, den Mund und die Ohren verstopft man mit Watte, um den bösen Geistern den Eingang zu wehren; den Körper wäscht man, und ohne Sarg, nur in ein weisses Laken gehüllt, wird die Leiche noch am selben Tage der Erde übergeben. Der Ruhestätte des Todten wohnt der Charakter von etwas Heiligem inne; sie wird durch einen Stein bezeichnet, und am Grabe eines Mannes hat derselbe die Form eines Turbans. In der Umgebung von Serajewo stösst man überall auf Kirchhöfe. Gewiss verleiht diese Art und Weise, alles als unvermeidlich, unabänderlich und ohne Murren hinzunehmen, dem Mohammedaner etwas Männlich - Standhaftes, das man immerhin bewundern muss. Aber für den Fortschritt bleibt bei einer solchen Auffassung kein Raum, und derjenige, welcher von einer so wünsch- und willenlosen Ergebung befangen ist, tritt nicht thatvoll für Verbesserungen ein. In dem Asketismus des Christenthums klingt allerdings etwas dem Mohammedanismus Verwandtes an. Aber Christus und die Propheten eifern doch mit der ganzen Macht ihrer Beredsamkeit gegen die Welt, wie sie ist, und gegen den natürlichen, nur von seinen Lüsten und Begierden beherrschten Menschen. All ihr Streben drängt einem Ideale des Guten und Gerechten zu; das wollen sie verwirklichen und sollte darüber auch der Zusammenbruch des Alls erfolgen, den das Evangelium als Weltuntergang schildert. Christlichen Völkern steckt dieser Idealismus im Blute, und das ist's, was ihre Ueberlegenheit ausmacht. Dieses Sehnen und Trachten nach etwas Höherem treibt sie eben unablässig von Fortschritt zu Fortschritt. Aber auch noch aus anderen Gründen werden die Mohammedaner hier wie überall vor den Rajahs zurückweichen müssen, sobald sie nicht mehr die alleinigen Herren sind und das Gesetz sie jenen gleichstellt. Der Koran genügt den wahren Moslims, die gar kein anderes Buch kennen und kennen wollen und jedes aus sonstigen Quellen geschöpfte Wissen als unnütz oder gefährlich betrachten. Omar hat keineswegs die Bibliothek von Alexandrien verbrannt. Doch es ist eine Thatsache, dass die Türken diejenige der ungarischen Könige und der meisten von ihnen geplünderten Klöster in Asche legten, als sie erobernd über die Balkaninsel zogen. Sie schöpfen alles aus dem Koran, ihre bürgerliche Gesetzgebung, ihre Politik, ihre Religion und ihre Sittenlehre. Er ist ja ein schönes Buch, und die in seinem Banne stehenden Bekenner haben an ihm einen festen, starken Halt; an tiefinnerer religiöser Begeisterung kommt ihnen niemand gleich. Aber der Koran lässt zu Stein erstarren, denn seine Gebote stehen ja unabänderlich und unverrückbar da. Auch bleibt es verhängnissvoll für den mohammedanischen Bosnier, der Moslim und Slawe zugleich ist, dass er — der nur des Slawischen Mächtige — weder das Buch versteht, welches für ihn hoch über allem thront, noch die Gebete, die er täglich und bei allen möglichen Anlässen hersagt. Damit muss dann als unausbleibliche Folge eine furchtbare Geistesöde über ihn kommen. Die italienischen Bauern, wird man einwenden, befinden sich ja in gleicher Lage; ihnen ist's verboten, die Bibel in ihrer Muttersprache zu lesen, und der ganze Gottesdienst besteht für sie in der lateinischen Messe. Doch bei dem, was man Fortschritt nennt, führen sie auch nicht den Reigen an. Allmählich, aber unaufhaltsam werden die Mohammedaner Bosniens — einst die Herren und heute noch die Grundbesitzer des Landes — von Stufe zu Stufe herabsteigen, um endlich ganz vom Schauplatze zu verschwinden. Oesterreich darf sie ja nicht placken und drücken; aber es thäte unrecht daran, sie zu begünstigen und sich zu sehr auf sie zu stützen. Die Juden sind diejenigen, welche unter dem Schutze der in Bosnien eingezogenen Ordnung und Sicherheit am schnellsten aufleben. In ihren Händen liegt bereits ein grosser Theil des Handels, und sie werden bald auch eine Menge von städtischen Grundstücken besitzen; am unternehmendsten von ihnen sind die aus Oesterreich und Ungarn kommenden. Die bosnischen Juden stammen von den im 15. und 16. Jahrhundert aus Spanien vertriebenen unglücklichen Flüchtlingen ab; sie sprechen spanisch, schreiben aber die spanischen Worte mit hebräischen Buchstaben. Zwischen Brod und Sera- jewo drangen aus einem Wagen dritter Klasse weibliche Stimmen und spanische Laute an mein Ohr, und es wurde mir ein eigener Anblick. Da sass eine von zwei reizenden Töchtern begleitete Frau mit dem ausgeprägtesten morgenländischen Typus, und alle drei trugen, von dem Yaschmak oder Schleier abgesehen, eine türkische Gewandung. Sie waren, hörte ich, spanische Jüdinnen, und kehrten nach Serajewo zurück. Alte Ueberlieferungen bewahren diese Juden mit wunderbarer Beharrlichkeit. In ihrer Kleidung und Lebensweise haben sie sich vollständig den Mohammedanern angepasst und sind deshalb von diesen, vielleicht auch der inneren Verwandtschaft beider Bekenntnisse wegen, weniger als die Christen misshandelt worden. Man schätzt ihre Zahl in Bosnien auf 5805, und davon leben mehr als 2000 in Serajewo. Die Stellung, welche sie im Geschäftsverkehre einnehmen, steht in gar keinem Verhältnisse zu ihrer Anzahl, sondern ragt weit über dieselbe hinaus, und fast die gesammte Ein- und Ausfuhr geht durch ihre Hände. Doch es leben selbst die reichsten unter ihnen einfach, weil sie sonst die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen fürchten. Ihre religiösen Vorschriften erfüllen sie mit der grössten Pünktlichkeit und geben hierin den Mohammedanern nichts nach. Am Sonnabende fehlt niemand in der Synagoge, und die meisten gehen an jedem Morgen dorthin, während die Stimme des Ausrufers die Gläubigen zum Gebete ruft. Bei Streitigkeiten, die zwischen ihnen vorkommen, entscheidet das Gemeindeoberhaupt mit Hilfe von zwei Aeltesten, und niemand verwahrt sich gegen ein solches Urtheil. Vor und nach der Mahlzeit geht ein Becken herum, damit alle Tischgenossen sich die Hände waschen können, und vor und nach dem Essen sagen dieselben lange Gebete her. Die Rabbiner unterscheiden sich dadurch gewaltig von römisch-katholischen Priestern und griechisch-katholischen Popen, dass sie in ihrem Ansehen und ihrer Geltung nicht im mindesten über die anderen Juden hinausragen. Wie der heilige Paul leben sie von einem Gewerbe, und die ganze theologische Unterweisung, welche sie erhielten, beschränkte sich darauf, ihnen die vorgeschriebenen Gebete und Gesänge beizubringen. Das Gefühl gegenseitiger Zusammengehörigkeit, welches sich bei ihnen um Familien und Gemeinden schlingt, ist aber bewunderungswürdig. Diese Juden helfen und fördern einander auf alle mögliche Weise; sie zahlen sogar die Steuern gemeinsam, wobei die Reichen den Antheil der Armen auf sich nehmen. Doch sie haben noch nichts für den Unterricht ihrer weiblichen Angehörigen gethan, von denen nur sehr wenige lesen können, und in den Gemächern derselben findet man kein Buch, nichts Gedrucktes, kurz nichts, was auf die Pflege des Geistes hindeutet. Die bosnischen Jüdinnen leben kaum anders als die bosnischen Mohammedanerinnen, d. h. sie rauchen Cigaretten, sie sticken, schwatzen mit einander und gehen fast nie aus. Sie beschäftigen sich nur eingehender mit der Wirthschaft, weil ihre Männer mehr wie die Moslims darauf halten, einen guten Tisch zu führen. Mohammedaner und Jude betreiben die Geschäfte in ganz entgegengesetzter Weise. Jener ist nicht gewinnsüchtig; er erwartet den Käufer, und wenn ihm niemand etwas abnimmt, so bedauert er dies nicht weiter, denn es bleiben ihm ja seine Waaren, an die er sich hält. Dieser dagegen thut alles, um den Kunden herbeizulocken, an den er seine besten Reden verschwendet, dem er seinen besten Kaffee und seine vorzüglichsten Cigarren anbietet. Er denkt nur daran, zu verkaufen, um dann wieder kaufen zu können und sein Kapital gewinnbringend zu verwerthen. Man betrachte die Beiden einmal im Kaffeehause. In seinen Kef versunken, geniesst der Mohammedaner die gegenwärtige Stunde; er ist zufrieden mit der Müsse, die Allah ihm gewährt, und denkt nicht an den morgenden Tag. Sein Auge, das regungslos ins unbestimmte Leere starrt, ver-räth so etwas wie verzückte Träumerei, und die Gaukelbilder, in denen er schwelgt, bringen ihn bis an die Thore des Paradieses. Der Jude mit dem glänzenden, lebhaften Auge fragt aber und plaudert; ihm genügt die Gegenwart nicht, und er denkt nur daran, immer reicher werden zu wollen. Er möchte die Waarenpreise wissen; er vergegenwärtigt sich die Möglichkeiten für das Steigen und Fallen derselben und überlegt, wie er seinen Nutzen dabei herausschlagen könnte. Gewiss gelingt es ihm, viel Geld zu verdienen, und es fragt sich nur,-wie er's anwenden wird, und wer von den Beiden im Rechte ist? Der Moslim vielleicht; denn wozu nützt aller Reichthum, wenn man ihn nicht geniesst und andere am Genuss Theil nehmen lässt? Doch auf dieser Welt, wo es ebenso wie im vorgeschichtlichen Walde einen »Kampf ums Dasein« giebt, nur dass derselbe in anderen Formen sich abspielt, verdrängt der Handelnde, der vorberechnend für die Zukunft sorgt, denjenigen, der geniesst und träumt. Wer den Juden des Mittelalters mit seinen Gewohnheiten, seinem Glauben und in seinem innersten Wesen kennen lernen will, muss nach Bosnien kommen. In diesem Lande, wie überhaupt auf der ganzen Balkanhalbinsel, begegnet man noch einer anderen sehr interessanten Rasse, den Zinzaren, die auch Kutzo-(d. h. hinkende) Walachen oder Macedonier heissen. Dieselben sind ebenso thätig, sparsam und unternehmend wie die Juden, eignen sich aber besser wie diese zu körperlichen Arbeiten. In den Städten treiben sie Handel, und auf dem Lande halten sie Herbergen, wie die Juden in Polen und Galizien. Vortreffliche Maurer und geschickte Zimmerleute und Tischler finden sich unter ihnen, und vor der Ankunft der italienischen Maurer waren sie die einzigen, welche sich in Bosnien auf dieses Handwerk verstanden. Sie haben, sagt man, alle wichtigen Gebäude der Balkanhalbinsel geschaffen: die Kirchen, Brücken und Steinhäuser. Auch die Goldschmiedekunst ist ihnen nicht fremd, und sie verstehen sich darauf, geschmackvolle Filigranarbeiten anzufertigen. Manche von ihnen sind reich und betreiben ihre Geschäfte in grossem Maassstabe; so war der Begründer des berühmten Hauses Sina in Wien ein Zinzare. In Wien und Pest gelten die Zinzaren für Griechen, weil sie sich zur griechisch-katholischen Religion bekennen und die Eigenthümlichkeiten des griechischen Wesens angenommen haben. Es fliesst aber in Wirklichkeit rumänisches Blut in ihren Adern, und sie stammen von diesen Walachen ab, welche als Hirtenvolk in Griechenland, Thracien und Albanien leben. Ausserhalb ihrer Heimath haben sie sich besonders im Morgenlande verbreitet. Von dem Dorfe Tuzla bei Slovik in Istrien, der Umgebung des Monte Maggiore und des Sees von Tschespitsch und von einigen anderen Orten abgesehen, kommen sie aber nirgends zahlreich genug vor, um eine feste, geschlossene Gruppe zu bilden. Ihre Häuser und Gärten befinden sich in besserem Zustande als die ihrer Nachbarn. Unter einander befleissigen sie sich einer sprichwörtlichen Redlichkeit, und Sprache und Gewandung des Landes, in welchem sie leben, nehmen sie an, ohne sich mit anderen Rassen zu vermischen. Ihre Eigenart tritt theilweise sehr deutlich erkennbar hervor, und sie unterscheiden sich z. B. ganz bestimmt von den mohammedanischen und christlichen Bosniern, in deren Mitte sie leben; woher kommt dieses so ganz anders geartete Wesen? Augenscheinlich beruht dasselbe auf angenommenen und vererbten Gewohnheiten, die weder mit der Rasse noch mit dem Bekenntnisse im Zusammenhange stehen. Den Zinzaren Rumäniens, die doch von gleicher Abstammung und auch griechischkatholisch sind, hängt bis jetzt nichts von all dem an, was ihre bosnischen Brüder kennzeichnet. Es ist nur schade, dass Bosnien unter seinen Bewohnern nicht Tausende von Zinzaren zählt. Mehr noch wie die Juden tragen dieselben zum Steigen des Wohlstandes bei, da sie nicht bloss gewandte Kaufleute sind, sondern sich auch vorzüglich auf die Arbeit ihrer Hände verstehen. Ich höre viel von einer englischen Dame, Miss Irby, sprechen, welche sich in Serajewo niedergelassen hat und hier nun für den Unterricht und die Ausbreitung des Christenthums in die Schranken tritt. Die türkische Regierung hatte ihr gestattet, sich einen solchen Wirkungskreis zu schaffen, und von der österreichischen ist diese Erlaubniss dann bestätigt und verlängert worden. Mitten in einem schönen Garten hat Miss Irby ein Waisenhaus gegründet, woselbst sich in einem Gebäude 38 Mädchen von 3 bis 23 Jahren und in einem anderen 7 oder 8 Knaben befinden. Die älteren Mädchen unterrichten die jüngeren Kinder, und alle Arbeiten, die Pflege des Gartens, das Kochen u. s. w. lässt Miss Irby durch ihre Schützlinge besorgen. Lehrer und junge Popen holen sich ihre Frauen mit Vorliebe von dieser Stätte, auf welcher der Zukunft ein schöner Same gestreut wird, und Miss Irby's segensreiches Wirken verdient gewiss die vollste Beachtung und Unterstützung. In der Nähe ihrer Anstalt befindet sich eine Niederlage der Bibelgesellschaft; verkauft wird aber wenig, weil selbst die wohlhabenderen Leute eine heilige Scheu vor etwas Gedrucktem haben. Herr Scheimpflug wohnt im Hause einer griechischkatholischen Kaufmannsfamilie, welche für sehr wohlhabend gilt, und führt mich in dem aus Steinen erbauten und sauber geweissten zweistöckigen Gebäude herum. Die dicken Eisenstangen vor den Fenstern des Erdgeschosses sind stark genug, um einem Angriffe Trotz bieten zu können; ein grosser Thor weg führt von der Strasse nach dem Hofe, woselbst sich am Hause eine Veranda hinzieht, und dahinter liegt der Garten, den Nebenräume abschliessen. Das Zimmer, in welchem wir von der Familie empfangen werden, muss als Salon und zugleich auch als gemeinsame Schlafstube herhalten. Auf dem nach türkischer Sitte sich rings herum hinziehenden Di-van schlafen, einer alten Sitte entsprechend, alle Mitglieder der Familie, und nur die älteste, dem Geiste der Neuzeit zugängliche Tochter hat ein Bett verlangt und erhalten. Die Stickereien auf feinen Baumwollen- und Linnengeweben, welche dieselbe anzufertigen versteht, sind wundervoll, und mit Stolz zeigt die Mutter diese Arbeiten vor. Ein grosser, mit einer schönen bosnischen Decke belegter Tisch ist das einzige Möbel dieses Raumes, an dessen mit Wasserfarben gemalten Wänden ein Spiegel und einige Kupferstiche hängen; die bunten und nicht gerade feinen Bilder stellen Heilige und Fürsten dar. In der ganzen Einrichtung liegt aber bereits ein Uebergang zu abendländischem Sein und Wesen. In Bosnien-Herzegowina ist die Zahl der griechischen Katholiken bedeutend grösser als die der römischen. Nach den amtlichen Ausweisen des Jahres 1886 gab es von jenen 571210 und von diesen nur 265788, und 3447 der ersteren, von denen viele dem Handel oblagen und in ziemlichem Wohlstande lebten, kamen damals auf die Laveleye, Balkanländer. l^ Hauptstadt. Unter deren 21377 Einwohnern waren aber die Moslims in einer Zahl von 14848, d. h. also mit 70 Prozent, vertreten. Bemerkenswerth ist es, dass diese griechischen Katholiken ihrem überlieferten Glauben so treu geblieben sind, da die fanariotische Geistlichkeit — d. h. ihre oberste, mit dem Sitze in Konstantinopel — sie lange erbarmungslos ausgebeutet hat. Der Patriarch von Konstantinopel gelangte nur vermittelst ungeheuerer Bakschische — Geschenke, Trinkgelder — in sein Amt, und wie Adolf Strausz, der aus sehr guten Quellen zu schöpfen scheint, behauptet, hat die Wahl vom Jahre 1864 mehr als 100000 Dukaten gekostet. Davon ist die eine Hälfte der türkischen Regierung zugesteckt worden und die andere den Paschas und Eunuchen in die Taschen geflossen. Zur Bestreitung von solchen Wahlkosten thaten sich die reichen und vornehmen griechischen Familien zu einer Art von Aktiengesellschaft zusammen; sie schössen die Bakschische vor und erhielten dieselben dann mit reichem Gewinne von dem Durchgekommenen, d. h. Meistzahlenden, zurückerstattet. Dieser nämlich — der Patriarch — gab wiederum die Bischofsstellen den Meistbietenden, welche sich ihre Kosten von den Popen zurückstellen Hessen. Die hatten ihrerseits das Ganze aus der Masse herauszupressen, und durch diesen systematisch betriebenen Stellenhandel machte die hohe Geistlichkeit, gleich einer riesigen Saugpumpe, die schon von Seiten des Staates und der Beys bis auf die Knochen ausgesogenen Bauern vollends leer. Die unglücklichen Popen hatten selbst kaum das Nothwendige; doch die Bischöfe bezogen jährlich 50000 bis 60000 Franken, und der Patriarch lebte auf fürstlichem Fusse. Bosnien-Herzegowina umschloss 4 Bisthümer, 14 Klöster und 437 Popen, die entweder Ordens- oder Weltgeistliche waren, und denen es an jeder wissenschaftlichen Ausbildung fehlte. Zu ihrem Amte kamen sie etwa in folgender Weise: ein Verwandter oder Günstling des Popen half demselben bei seinen amtlichen Verrichtungen und wurde von diesem, wenn die für eine Pfarre festgesetzte Summe — zwanzig bis dreissig Dukaten — bereit lag, dem Bischöfe vorgeschlagen. Der zögerte nicht, ihn zu ernennen, und setzte nöthigenfalls einen amtirenden Priester ab, wofern derselbe nicht mehr zahlte. Viele von diesen Popen können nicht schreiben und kaum lesen, und die Gebete und Gesänge sagen sie auswendig her. Eine feste Besoldung bekommen sie nicht, da in Bosnien die griechischkatholische Kirche keine Güter hat. Sie werden von ihren Getreuen unterhalten, und bei grossen Festen oder religiösen Feierlichkeiten, z. B. Hochzeiten und Begräbnissen, bringt man ihnen Naturalien, wie Getreide, Hammelfleisch und Geflügel. Beim Tode des Familienvaters beanspruchen sie gewöhnlich einen Ochsen und bei dem der Mutter eine Kuh. Von dem aber, was sie in Geld oder Naturalien erhalten, müssen sie so viel an den Bischof abliefern, dass sie genöthigt sind, auf dem Felde zu arbeiten, um nur ihr Leben zu fristen. Oft liegt es ihnen auch ob, den Teufel zu bannen. Die Bosnier fürchten sich gewaltig vor dem Einflüsse böser Geister — Wilas genannt — und nehmen häufig ihre Zuflucht zu solchen Beschwörungen, welche sie gut bezahlen müssen. Die gleiche nichtswürdige Aussaugerei hatte in Serbien, Bulgarien, der Walachei und überhaupt da, wo die griechisch-katholische Geistlichkeit vom Fanar abhing, um sich gegriffen. In Macedonien herrscht ein solches Unwesen auch noch heute, obgleich von der Pforte und den Mächten das ausdrückliche Versprechen gegeben wurde, dieses unglückliche Land wenigstens in kirchlicher Beziehung von seinem Drucke zu befreien. 16* Oesterreich hat sich aber beeilt, das verhängnissvolle Land, welches die griechisch-katholische Kirche Bosniens an das Patriarchat von Konstantinopel knüpfte, zu lösen. Nach einem Uebereinkommen vom 31. März 1880 ist nämlich gegen eine von der Regierung zu zahlende jährliche Summe, die sich auf etwa 12000 Franken beläuft, das Recht, die griechisch-katholischen Bischöfe zu ernennen, an den Kaiser von Oesterreich-Ungarn übergegangen In jener wichtigen, für die griechisch-katholische Bevölkerung so segensreichen Urkunde heisst es: »Die gegenwärtig in Bosnien und in der Herzegowina amtiren-den Bischöfe der griechisch-katholischen Kirche werden bestätigt und behalten die Bischofssitze, welche sie inne haben. Tritt für einen der drei in Bosnien und in der Herzegowina befindlichen Bischofssitze der Fall der Erledigung ein, so ernennt Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät den neuen Bischof für den leer gewordenen Sitz, nachdem der Name des Kandidaten dem griechischen Patriarchate zur Erfüllung kanonischer Förmlichkeiten mitgetheilt worden ist«. Die griechischkatholischen Bischöfe haben es nun nicht mehr nöthig, sich ihr Amt meistbietend zu erhandeln und den Preis dafür von ihrer unglücklichen Heerde einzuziehen, und um jedem Missbrauche die Spitze abzubrechen, erhalten sie von der Regierung selbst eine Besoldung von 5000 bis 6000 Florin. Zur grossen Freude der griechischkatholischen Bevölkerung wurde durch eine kaiserliche Verfügung vom 20. April 1885 auch die »Wladikarina« aufgehoben, unter welchem Namen die Beamten des Staatsschatzes von jeder griechisch-katholischen Familie eine Steuer von 1 bis i1/* Franken erhoben. Die das kirchliche Gebiet betreffenden Geldverhältnisse stehen unter dem Aufsichtsrechte der Regierung, und eine allgemeine Aufnahme über die Lage und das Einkommen der verschiedenen Pfarrämter und Klöster wurde ins Werk* gesetzt. Es sind das vorzügliche Maassregeln. Von den weder reichen, noch dicht besetzten griechischkatholischen Klöstern Bosniens zählen manche nur vier oder fünf Mönche. Aber die Bevölkerung hängt mit grosser Zuneigung an ihnen, und der Bauer, welcher einen Klosterbruder mit dem grossen schwarzen Kaftan und den langen, bis auf die Schultern herabhängenden Haaren vorbeigehen sieht, wirft sich vor demselben auf die Kniee, bittet um seinen Segen und küsst auch wohl seine Füsse. Nach den gewöhnlich auf Bergen oder in Gehölzen gelegenen Klöstern werden häufig Wallfahrten unternommen. Viele geweihte Kerzen mitbringend, kommen die Leute mit Musik und Fahnen in Schaaren daselbst an; sie schlagen sich ein Lager auf, tanzen, singen und kaufen Bilder, kleine Glassachen und Halsketten von geringem Werthe, welche Dinge sie dann als Reliquien aufbewahren. Das neue Priesterseminar in Keljewo mit seinen vier Studienjahren wird aber nach und nach die griechisch-katholische Geistlichkeit auf eine höhere Stufe heben. Die österreichische Regierung hat sich auch mit dem Unterrichtswesen unverweilt beschäftigt. Auf diesem Gebiete offenbarte sich gleichfalls das Verhängnissvolle der türkischen Herrschaft und deren gänzliche Unfähigkeit, Verbesserungen zur Durchführung zu bringen. Um nach dem Vorbilde des Abendlandes hinsichtlich des Schulwesens etwas zu leisten, erliess die Pforte im Jahre 1869 ein vortreffliches Gesetz. Für jedes Dorf und jedes Stadtviertel schrieb dasselbe eine Elementarschule vor und für bedeutendere Oertlichkeiten Mittelschulen, in welchen die Zahl der Klassen derjenigen der Bevölkerung entsprechen sollte. Zur Besoldung der Lehrer bestimmte es gleichzeitig eine angemessene Summe. Wäre es zur Ausführung gekommen, so hätten wohl Frankreich und England mit Neid darauf hinsehen können; doch all" diese schönen Dinge blieben nur auf dem Papiere stehen. Die Beys wollten keine Schulen haben, denn ihre Kinder bedurften derselben nicht und die Kinder der Rajahs erst recht nicht. Diese letzteren unterrichten zu lassen, hätte Gefahr bringen können, und überdies fehlte es der türkischen Regierung an den nöthigen Geldmitteln. Jenes Gesetz war also ein todter Buchstabe. Doch die Mohammedaner hatten Schulen, welche aus den Wakufs unterhalten wurden, und fast überall standen mit den Moscheen eine Elementarschule, »Mekteb«, und theologische Schulen, »Medresses«, in Verbindung. In den letzteren beschäftigt man sich mit der Auslegung und Erklärung des Korans, und als die Oesterreicher ins Land kamen, hatte Bosnien 499 Schulen der ersten und 18 der zweiten Art, woselbst 15948 Knaben und Q360 Mädchen von 660 Lehrern oder »Hodschas« unterrichtet wurden. Im Allgemeinen haben diese Schulen nicht aufgehört, zu bestehen; sie tragen aber ausschliesslich einen konfessionellen Charakter, und so bekümmert die österreichische Regierung sich nicht weiter um sie. In den Mektebs lernen die Zöglinge kaum mehr als eine gewisse Anzahl von Koranstellen, die man sie auswendig hersagen lässt. Die mohammedanischen Bosnier stehen übrigens vor ganz besonderen Schwierigkeiten, indem ihre Sprache, das Kroatische, gar nicht verwandt ist mit der des Korans, dem Arabischen, und der amtlichen dem Türkischen, und die arabischen Schriftzeichen nicht leicht zu entziffern sind. Wollte man im Abendlande verlangen, dass die Kinder das Griechische verstehen, um aus dem Katechismus zu lernen, und dass das Keltische dazu gehört, sich mit den Behörden zu verständigen, so hätte man hier eine ähnliche Sachlage geschaffen. Bos- nien besass aber auch noch andere Unterrichtsanstalten. In den allerdings nicht sehr zahlreich vorhandenen Franziskanerklöstern gab es Schulen, wohin die umwohnenden Familien ihre Kinder schicken konnten, während hingegen in den griechisch-katholischen Klöstern von einem Unterrichte keine Rede war, und eine heilige Unwissenheit daselbst herrschte. Viele Anstalten waren aber durch die Zuwendungen Einzelner und die Geldopfer der Eltern ins Leben gerufen worden, und bei ihrem Einzüge fanden die Oesterreicher 56 griechischkatholische und 54 römisch-katholische Schulen vor, in denen 5913 Schüler und Schülerinnen unterrichtet wurden. Von den griechisch-katholischen Kauf leuten war besonders das Mittelschulwesen gepflegt worden. Dieselben unterhielten ein Seminar in Serajewo und eins in Mostar, von denen jenes 240 und dieses 180 Schüler umfasste, und ausserdem in jeder der beiden Städte eine Mädchenschule. In Serajewo hatte man aus dem auf rund 50000 Franken sich belaufenden Vermächtnisse des Kaufmanns Risto-Nikolitsch Trozlitsch ein Gymnasium gestiftet, woselbst auch die alten Sprachen gelehrt wurden. Als nun gleich nach ihrem Einmärsche die Oesterreicher der Schule ihre Sorge zuwandten, fehlte es ihnen aber an Unterrichtskräften. Sie stützten sich auf das türkische Gesetz vom Jahre 1869 und stellten] sich die Aufgabe, dasselbe nach und nach zur Durchführung zu bringen. Man gründete möglichst viele konfessionslose Schulen und betraute in denselben die Geistlichkeit mit der Aufgabe, ausserhalb der Schulstunden den Religionsunterricht zu ertheilen. Im Jahre 1883 besass Bosnien 42 solcher konfessionslosen, von der Regierung gegründeten Laienschulen mit 59 Lehrern und Lehrerinnen, und für dieses Land der religiösen Zwietracht nimmt es sich gar seltsam aus, dass Kinder verschiedener Bekenntnisse ge- meinsam unterrichtet werden können. Auf die griechischen Katholiken kamen damals 1655, auf die römischen 1064, auf die Mohammedaner 426 und auf die Juden 192 Zöglinge, von denen etwa der siebente Theil aus Mädchen bestand. Zur Erhaltung dieser Anstalten, in denen kein Schulgeld gezahlt wird, sind vom Staate 26330 und von den Gemeinden 17761 Gulden ausgesetzt, und die angestellten Lehrer bekommen ausser einer Wohnung und einem Garten eine Besoldung von 1200 Franken. Sehr bemerkenswerth ist es auch, dass in diesen Laienschulen die mohammedanischen Zöglinge sich innerhalb eines Jahres verdoppelten, und sind diese Anstalten nur erst in genügender Zahl vorhanden, so wird man den Besuch derselben zur gesetzlichen Forderung erheben. Freiwillige, die im Lesen und Schreiben zu unterrichten vermochten, wurden zur Aushilfe aus den Reihen des Heeres entboten, und dem trefflichen englischen Lohnsysteme gemäss entschädigte man dieselben den gewonnenen Erfolgen entsprechend. In Serajewo erstanden nach einander noch folgende drei Schulen: zunächst eine hauptsächlich für Beamtensöhne bestimmte Erziehungsanstalt, welche nach dem Plane der Mittelschule arbeitet, dann ein Gymnasium, in dem die alten Sprachen gelehrt werden, und schliesslich eine höhere Mädchenschule. Von den christlich-konfessionellen, d. h. den griechisch-und römisch-katholischen Schulen gab es im Jahre 1883 noch 92, mit 137 Lehrern und 4770 Zöglingen. Auf je hundert Einwohner kamen damals noch nicht recht drei Schüler, und das Gymnasium umfasste 50 griechische und 43 römische Katholiken, 9 Juden, 8 Mohammedaner und 4 Protestanten. In Bosnien spricht man zwar durchweg kroatisch, doch gebrauchen beim Schreiben die römischen Katholiken lateinische und die griechischen cyrillische Buch- staben, und der um die Schriftzeichen entbrannte heisse Kampf zeigt, bis zu welchem Grade die überreizte Empfindlichkeit des religiösen Haders gediehen ist. Um die Aufgabe des Lehrers zu vereinfachen, verordnete die österreichische Regierung, dass man sich in den konfessionslosen Schulen ausschliesslich des lateinischen Alphabets bedienen sollte. Dagegen fuhren aber die griechischen Katholiken wie gereizte Kampfhähne auf, denn für sie fielen die cyrillischen Buchstaben mit ihrem Glauben zusammen. Wer jene durch abendländische Zeichen ersetzen wollte, griff in ihren Augen den letzteren an, und der Regierung blieb schliesslich nichts anderes übrig, als nachzugeben, um die Erbitterung nicht bis zu einem gefahrbringenden Grade sich steigern zu lassen. Die griechischen Katholiken geben ihren Schulen in cyrillischen Buchstaben die Inschrift: »Srbsko narodno ulchilischte«, d. h. serbische Volksschule. »Serbisch« bedeutet hier aber so viel wie »griechisch-katholisch«, und Strausz bemerkt, dass es eigentlich »pravoslavno«, wahrer Glaube, heissen müsste. Durch den allgemeinen Gebrauch der lateinischen Schriftzeichen wäre eine Schranke zwischen den Serben und Kroaten beseitigt. Die Montenegriner, Bosnier, Serben und Kroaten sprechen doch die gleiche Sprache, und warum wollen sie sich denn nicht der gleichen Buchstaben bedienen? Die Rumänen haben die cyrillischen Zeichen durch die lateinischen ersetzt, und den römisch-katholischen Bekehrungsversuchen ist damit keineswegs Vorschub geleistet worden. In Deutschland wächst die Zahl der lateinisch gedruckten Bücher — dem Fürsten Bismarck entgegen — immer mehr und mehr; haben darunter aber vielleicht Deutschlands wissenschaftliche und sonstige Literaturwerke gelitten? Eine gewaltige Veränderung ist seit der Besetzung auch mit den Verkehrs- und Verbindungsmitteln vor sich gegangen. Als ich vormals auf meiner Reise nach Bosnien bis Brod gelangt war, wurde ich nicht nur durch die Schwierigkeiten des Weiterkommens gehemmt, sondern vor allem durch die Furcht vor dem Schlendrian der Post. Damals gab's nur eine einzige einigermaassen fahrbare Strasse, nämlich die zwischen der Sau und Serajewo; die Briefe wurden aber mit einem solchen Mangel an Eifer und Sorgfalt befördert, dass sie etwa vierzehn Tage brauchten, um bis zur Grenze zu gelangen, und hier gingen sie dann häufig verloren. Bei wichtigen Sachen mussten die Kaufleute sich eines besonderen Boten bedienen. Innerhalb des Landes war der schriftliche Verkehr nur ein unbedeutender, und mit dem Aussenlande wechselte man eine noch geringere Anzahl von Briefen. Das lag aber ganz in den Wünschen der türkischen Regierung, welcher bei ihrem Misstrauen gegen das Abendland eine solche Absonderung nur lieb sein konnte. Die Oesterreicher machten sich aber sofort an die Anlage neuer Strassen und richteten zunächst die 271 Kilometer lange Eisenbahnlinie Brod-Serajewo ein, deren Schienenweite 76 cm beträgt. Die Baukosten beliefen sich auf 9425000 Florin, wobei die Ausgaben für die grosse Brücke über die Sau mit eingerechnet sind, und die Verlängerung der Linie wird — über Mostar und an der Narenta entlang — das Adriatische Meer mit der bosnischen Hauptstadt verbinden. Zwischen Metkowitz und Mostar — auf einer Strecke von 42 Kilometern — ist die Linie bereits im Betriebe, und Oesterreich hat ungefähr vier Millionen Franken dabei verausgabt. Mit Hilfe dieser Bahn wird's auch möglich sein, den Waldesreichthum des Ywan- und des Weles-Planinagebirges nutzbar zu machen. Die Länge der angelegten fahrbaren Strassen beträgt ungefähr 1700 Kilometer; zum grossen Theil sind die Arbeiten vom Heere gethan worden, und dieses sorgt auch für die Instandhaltung von 1275 Kilometern. Seit der Besetzung wurden vierzehn Millionen Florin auf die Verkehrswege verwendet, und davon deckte das Reich dreizehn Millionen. Bosnien ist dem Weltpostvereine beigetreten, und nun arbeitet die Post hier ebenso regelmässig wie im Abendlande. Im Jahre 1881 waren bereits 51 Postämter vorhanden; 1883 umfasste das Telegraphennetz 1180 Kilometer, und die 65 Telegraphenämter beförderten 656206 Depeschen. Diese gewaltige Ausdehnung des Postverkehrs ist aber einer von den unumstösslichsten Beweisen für den Einzug des Fortschrittes.') Das unter türkischer Herrschaft noch mehr wie China abgesperrte Land wird nun dem Westen Europas sich zugesellen, dem es ja näher gebracht ist als eine von den anderen Provinzen der Balkanhalbinsel. Zur Römerzeit und im Mittelalter bahnten die Küstenstädte des Adriatischen Meeres dem Geiste Italiens den Weg nach Bosnien, und jetzt wird dem Lande, den erleichterten Verkehrsverhältnissen entsprechend, der neue Lebensstrom um so voller und reicher zufliessen. Ich halte es für angebracht, etwas Näheres über die Art und Weise zu sagen, in welcher Oesterreich bei Umwandlungen auf dem Gebiete der Rechtspflege vorgegangen ist. Vor den gleichen Schwierigkeiten stehen ja die Franzosen in Afrika, die Engländer in Indien, die Holländer in Java und die Russen in Asien; in einem l) Die genauen Ziffern sprechen so beredt, dass eine theilweise Angabe derselben gerechtfertigt erscheint, und die gesteigerte Thätigkeit der Postämter von Bosnien-Herzegowina weist folgende Zahlen auf: Briefe: 1880: 2984463; 1881: 4065324; 1882: 5 594134; 1883: 5705972. Packete 1880: 137112; 1881: 127703; 1882: 161446; 1883: 435985. In einem Zeiträume von vier Jahren hat der Postbetrieb also eine Verdoppelung erfahren. mohammedanischen Lande, wo die Gesetze des bürgerlichen Lebens und die religiösen Lehren so völlig in einander fliessen, kann eben jede Veränderung als ein Angriff auf den Koran betrachtet werden. Der Einmarsch der kaiserlichen Truppen in Bosnien hatte die ganze bisherige Gerichtsverfassung über den Haufen geworfen, indem die Richter, welche sämmtlich Mohammedaner und zum grössten Theile nicht im Lande heimisch waren, meistens davonstoben. Die Stadt- und Kreisgerichte — »Medzlessi temizi« und »Medzlessi daavi« — wurden nun mittelst der Kadis oder Unterrichter wieder hergestellt, erhielten aber zum Vorsitzenden einen Oesterreicher. Den Provinzen Oesterreich-Ungarns entstammten auch die Mitglieder des obersten Gerichtshofes in Serajewo, an welchen, um Einheit und Gleichheit in die Entscheidungen zu bringen, alle Berufungen gingen. Später wurde dann fast das ganze Gerichtspersonal durch Zulassung geeigneter, bosnisch sprechender Oesterreicher erneuert. Die Regierung veröffentlichte nach einander Gesetzbücher für das Strafrecht, die Zivilprozesse, den Handel, wie auch ein Konkursgesetz. Was aber die Ehe, die Familie und die Erbschaftsverhältnisse betraf, blieb, um dem Gewissen und den Ueberzeugungen der Einzelnen nicht zu nahe zu treten, den verschiedenen Religionsgemeinschaften überlassen. Die entsprechenden Gesetze wurden gesammelt, zu einem Ganzen vereint und dem Gutachten der Geistlichkeit unterbreitet, während zugleich die jenes Gebiet umfassenden mohammedanischen Scherifatsgerichte den Charakter gesetzlicher Giltigkeit erhielten. Auch gegen Urtheile dieser Gerichtshöfe musste eine etwaige Berufung beim obersten Gerichtshofe in Serajewo eingelegt werden, in welchem Falle man hier zwei höhere Richter mohammedanischen Bekenntnisses zuzog. Um die Gerechtigkeitspflege aber auch in schnellem Flusse zu erhalten und möglichst wenig kostspielig zu gestalten, ist eine vorzügliche Einrichtung geschaffen worden. In jedem Bezirke giebt es nämlich einen Gerichtshof, der aus dem Bezirksvorsteher und dessen Beigeordneten gebildet wird, und von diesen hat jede Religionsgenossenschaft je zwei aus ihrer Mitte gewählt. Gleich den Richtern in England zieht dieser Gerichtshof herum und tagt nach einander in dem Mittelpunkte jeder Gemeinde, um den Leuten die Reisekosten zu ersparen. Er entscheidet kurz, und ohne dass gegen sein Urtheil die Berufung eingelegt werden kann, in allen Fällen, wo es sich um weniger als 50 Florin handelt, und das schliesst in diesem noch nicht viel von der Kultur beleckten Lande die Mehrzahl der Streitsachen in sich. Die Bauern, denen die Gerechtigkeitspflege früher so theuer zu stehen kam, sind von der neuen Einrichtung sehr eingenommen und haben sich an der Wahl der Beisitzer, die man rühmen hört, eifrig betheiligt. Diese Umgestaltungen auf dem Gebiete der Rechtspflege sind von unschätzbarem Werthe; für die Bewohner eines Landes giebt es ja nichts Schlimmeres als die Unmöglichkeit, schnell und sicher zu ihrem Rechte zu gelangen, und schon allein in diesem einen Zweige wurde Ausserordentliches geleistet. Dass die Kmets das Eigenthum ♦ der kleinen mohammedanischen Besitzer, der Agas, welche auswandern oder verkommen, bereits anzukaufen beginnen, ist ein wichtiges Zeugniss für die aus der allgemeinen Sicherheit entspringenden Vortheile, und solche Wandlungen sollte die Regierung begünstigen. Man wirft der österreichischen Verwaltung Verzögerungen und Lässigkeiten vor. Hier in Bosnien arbeitet sie im Gegentheile mit schneller und sicherer Hand an all den verbessernden Umgestaltungen, und der Erfolg bleibt ihr, wie es scheint, stets treu zur Seite. Herr von Kailay, welcher an der Spitze der Verwaltung von Bosnien-Herzegowina steht und zugleich Finanzminister des Reiches ist, möchte den neuen Provinzen gern eine wirkliche Selbstverwaltung gewähren. Doch dies hält äusserst schwer, weil die verschiedenen Religionsgemeinschaften sich gegenseitig als Feinde betrachten und das Uebergewicht der Mohammedaner jeden anderen Einftuss verdrängen könnte. Ein erster Versuch ist in Serajewo gemacht worden, und eine Verfügung vom 10. Dezember 1883 bestimmt für die Hauptstadt Folgendes: ein Gemeinderath untersucht und bespricht alle städtischen Angelegenheiten, und von den 24 Mitgliedern desselben sind zwTölf Mohammedaner, sechs griechische und drei römische Katholiken und drei Juden. Die Rechte der verschiedenen Bekenntnisse mussten berücksichtigt werden, um die in der Mehrzahl vorhandenen Mohammedaner daran zu hindern, einzig und allein den Ton anzugeben. Nach der amtlichen Statistik des Jahres 1880 standen 14848 Mohammedanern nur 3949 griechische und 698 römische Katholiken und 2099 Juden gegenüber. Die ausübende Gewalt liegt in den Händen des »Magistrats«, der aus dem Bürgermeister und dem stellvertretenden Bürgermeister, welche beide vom Statthalter ernannt werden, und aus den städtischen Kommissarien — den »Muktares« — besteht. Von den Mitgliedern des Gemeinderathes beruft die Regierung ein Drittel, wäh--rend die beiden anderen Drittel von den Wählern geschickt werden. Wer, sei es eine Grundsteuer von zwei Florin, eine Personalsteuer von neun Florin, eine Steuer von 25 Florin für den Verkauf des Holzes, eine jährliche Miethe von 100 Florin zahlt, hat das Recht, zu wählen, und um wählbar zu sein, muss man mit dem Dreifachen jener Beträge zur Steuer veranschlagt sein. Bei den ersten Wahlen am 15. März 1884 beeilten sich 76 Prozent der Wähler, von ihrem Rechte Gebrauch zu machen, und alles verlief in bester Ordnung; der Gemeinderath aber widmet sich in sehr befriedigender Weise und mit verständnissvoller Hingebung seiner Aufgabe. An jenem 13. März hatte Serajewo 1106 Wähler. Diese stellten sich aus 531 Mohammedanern, 195 griechischen und 257 römischen Katholiken und 123 Juden zusammen, während die Zahl der Wählbaren 418 betrug, wovon 233 auf die Mohammedaner, 105 auf die griechischen und 24 auf die römischen Katholiken und 56 auf die Juden fielen. Die geringste Zahl wählbarer Personen war also bei den römischen Katholiken anzutreffen, und dieselben gehören folglich der Mehrzahl nach den weniger bemittelten Klassen an. Man kann den Oesterreichern das Verdienst nicht absprechen, überall die Selbstverwaltung der Gemeinden berücksichtigt zu haben, und diese bildet, es ist das nicht oft genug zu wiederholen, die sicherste und festeste Grundlage der Freiheit. Herr von Kailay ist sehr stolz auf das Gleichgewicht in den Ausgaben und Einnahmen, und zwar mit voller Berechtigung; man darf nur einmal daran denken, was den anderen europäischen Staaten die Kolonien und Einverleibungen kosten. Nach dem mir vorliegenden ausführlichen Berichte über Bosnien-Herzegowina, welcher auf das Jahr 1884 sich bezieht, betragen die Ausgaben — die ständigen und die ausserordentlichen zusammen — 7356277 und die Einnahmen 7412615 Florin, so dass also ein Ueberschuss von 56338 Florin herauskommt. Welcher grosse Staat vermag aber etwas derartiges aufzuweisen? Das Besatzungsheer lebt allerdings auf Kosten des Reiches; aber anderswo müsste man diese Soldaten doch gleichfalls unterhalten, und so erwachsen hieraus keine gesteigerten Lasten. Aus dem Jahre 1883 habe ich die Angaben über den Ertrag der Hauptsteuern vor mir. Die auf den Feld- und Gartenfrüchten ruhende Abgabe von zehn Prozent, welche in Geld nach dem alle Jahre festgesetzten Preise zahlbar ist, ergiebt 2552000 Florin, und die auf dem unbeweglichen Besitzthume lastende von zwei Fünftel Prozent 252000 Florin von den Ländereien und 107000 von den Gebäuden. In den Bezirken, wo diese letztere Steuer noch nicht in Wirksamkeit getreten ist, bringt der Werghi 176000 Florin, und die weiteren Erträge weisen folgende Zahlen auf: Gewerbesteuer — drei Prozent vom abgeschätzten Einkommen — 91000 Florin; Steuer auf vermiethete Häuser — drei Prozent — 34000 Florin; Steuer auf Schafe und Ziegen — 12 Kreuzer für jedes Thier — 218000 Florin; Steuer auf Schweine — 35 Kreuzer für jedes Thier — 39000 Florin; Steuer auf den Holzhandel 51000 Florin; Stempelsteuer und Eintragungsgebühren 326000 Florin; Zölle, die das Reich als Theil der allgemeinen Zolleinnahme zahlt, 600000 Florin; Monopol auf den Tabak (Baron Kailay ist glücklicher als Fürst Bismarck gewesen) 2127000 Florin; Salzmonopol 992000 Florin; Biersteuer — 16 Kreuzer für den Hektoliter — n 000 Florin; Alkoholsteuer — drei Kreuzer für den Hektoliter — 76000 Florin. Als vorzügliche Maassregel erweist sich's, dass man die Steuer auf das Einkommen des Landwirthes aufgehoben hat, welche, drei Prozent betragend, 225000 Florin einbrachte. Auch die abscheuliche Abgabe, welche den Verkauf des Grossviehes mit zwei einhalb Prozent belastete, ist gestrichen worden und ebenso — zur grossen Freude der Griechisch - Katholischen — die Wladikarina, welche für den Unterhalt der griechischkatholischen Geistlichkeit eingezogen wurde und jede Familie mit 40 bis 75 Kreuzern belegte. Was aber vormals für jeden Christen im Alter von 15 bis 75 Jahren gezahlt werden musste, weil er zum Heere nicht einge- zogen wurde, fällt nun gleichfalls fort. Die vorstehenden Ausführungen machen zunächst vielleicht den Eindruck einer blossen Kleinigkeitskrämerei. Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich's, dass sie ein deutliches Bild aller wirthschaftlichen Verhältnisse umrahmen, und die geringfügigen Erträge beweisen am besten, wie wenig wohlhabend das Land noch ist. Ein besserer Verwalter als Herr von Kailay konnte den neuen Provinzen unmöglich werden. Er, der geborene Ungar, der erfahrene Volkswirthschaftslehrer und hervorragende Schriftsteller, kennt sowohl die Sprachen des Abend- wie die des Morgenlandes und ist mit den Verhältnissen der Balkanhalbinsel vollständig vertraut. Mehrere Jahre hindurch vertrat er sein Land in Belgrad, und die beste serbische Geschichte hat ihn zum Verfasser. Er ist aber auch, wie ich hinzufügen darf, ein erleuchteter Freund der Freiheit und des Fortschrittes, und wo sein Vorgänger strandete, leitet er das Schiff an allen Klippen ungefährdet vorbei. Bosnien nimmt auf seinem Arbeitsfelde einen ständigen Platz ein und wird fast in jedem Jahre von ihm bereist. Er ist sehr beliebt in dem früher so störrischen Lande, wo seit seiner Amtsführung keine Aufstände mehr ausbrachen, und seine gerechte und vom Geiste der Erleuchtung durchdrungene Verwaltung weiss denselben vermuthlich auch künftig vorzubeugen. Es fragt sich nur, ob die trefflichen Neuerungen, die Sicherstellung der Ordnung, die der Landwirthschaft gewordene Ermuthigung, die den Schulen bewilligten Gelder, die angelegten Wege und die Verdoppelung der Verkehrsmittel bei der Bevölkerung die volle Erkenntlichkeit gefunden haben, welche man den Oesterreichern unbedingt schuldet. Mir sind die widersprechendsten Meinungen zu Ohren gekommen, und aus dem Gehörten will ich nun meine Schlüsse ziehen. Laveleye, Balkanländer. 11 Die Mohammedaner fühlen — und gestehen's auch ein —, dass sie mit der grössten Schonung und ganz anders, als sie es erwartet hatten, behandelt worden sind, und die vornehmen Beys unterstützen sogar die Bestrebungen der Regierung. Allein die anderen — das heisst die Masse der grossen und kleinen Besitzer — begreifen, dass es nun vorbei ist mit der unumschränkten Macht, die sie bisher den Rajahs gegenüber brauchen und missbrauchen konnten, und das werden sie den Oesterreichern so bald nicht verzeihen. Die verwirklichen ja mit festen Händen, was die Pforte wohl schon ausgesprochen, doch nicht ausgeführt hatte, nämlich die Gleichheit vor dem Gesetze. Die griechisch-katholischen Christen sind aber bei allem, was für sie geschah, argwöhnisch und unruhig und fürchten Bestrebungen zu Gunsten des Papstthums. Der erbitterte Kampf um das cyrillische Alphabet hat's gezeigt, dass sie in jeder Neuerung einen Angriff auf ihr Bekenntniss erblicken, und dieses ist ihnen mit ihrer Rasse untrennbar verknüpft. Einen wirklichen Grund zum Klagen haben sie nicht, weil Oesterreich sie ganz wie die übrigen Bosnier behandelt; aber sie misstrauen eben den Absichten der Regierung. Zufrieden, sollte man meinen, wären wenigstens die angeblich so sehr begünstigten römischen Katholiken. Aber sie sind's keineswegs, die Undankbaren. Sie hatten nämlich geglaubt, künftig die erste Rolle spielen und alle Aemter, Unterstützungen und Begünstigungen als ihr alleiniges Vorrecht in Empfang nehmen zu können. Darin sehen sie sich nun getäuscht, und die Gleichstellung mit der übrigen Bevölkerung erscheint ihnen als eine Ungerechtigkeit. Auch hat's erkältend gewirkt, dass mit Hintenansetzung der Franziskaner ein magyarischer Priester zum Erzbischofe von Bosnien ernannt wurde. Vollständig befriedigt ist vorläufig also noch niemand; doch von einem Theile der Moslims vielleicht abgesehen, wird gewiss bald die gesammte Bevölkerung, glaube ich, die unbestreitbaren Wohlthaten des neuen Regimentes zu schätzen wissen. Und was Hesse sich denn nun über Oesterreichs Einzug in Bosnien sagen? Urtheilt man, über alle politischen Eifersüchteleien hinwegsehend, vom Standpunkte der fortschreitenden Zivilisation aus, so ist kein Zweifeln möglich, und jeder Menschenfreund muss diese Umgestaltungen von ganzem Herzen freudig begrüssen. Unter dem Zepter der Türken erreichte die Misswirthschaft mit ihren unmenschlichen Leiden und all ihrem namenlosen Elende einen immer bedenklicheren Grad, während nun im Gegentheile das Besserwerden einen schnellen und allseitigen Aufschwung nimmt. Es fragt sich nur, ob vielleicht eine noch heilsamere Lösung möglich gewesen wäre, und ob man nicht besser daran gethan hätte, Bosnien-Herzegowina mit Serbien zu verknüpfen. Doch einer solchen Vereinigung treten zwei grosse Hindernisse entgegen, selbst wenn Oesterreichs Uneigen-nützigkeit wirklich so weit ginge, sich im voraus mit der Möglichkeit abzufinden, dass Kroatien an das durch Bosnien vergrösserte Serbien fallen würde, und dass somit das Reich Duschans von neuem erstehen möchte. Bei dem Einmärsche haben die bosnischen Mohammedaner bekanntlich einem Heere von 80000 Mann sich widersetzt. Jetzt sind sie allerdings schon durch 25000 Soldaten im Zaume zu halten; doch es ist dies auch nur möglich, weil Oesterreich, wüe man sehr wohl weiss, sofort über eine halbe Million vorzüglicher Truppen verfügen kann. Wie stände es nun aber mit der Herrschaft Serbiens, wo die Friedensstärke sich nur auf 15000 Mann beziffert? In dieser geringen Zahl läge eine Ursache fortwährender Reibereien und Streitigkeiten, und 17* durch eine Ueberlastung der Steuerzahler mussten die Geldverhältnisse des jungen Königreiches zu Grunde gerichtet werden. Noch ernsterer Natur ist das zweite Hinderniss. Die Zugehörigkeit zum serbischen Staate würde Bosnien-Herzegowina ja wiederum von dieser natürlichen und unumgänglich nothwendigen Ergänzung, nämlich von Dalmatien — also von der Küste und den Häfen — trennen, und das wäre mehr als alles andere zu bedauern. Damit würde man sich geradezu auflehnen gegen die geographischen Verhältnisse, welche doch allen einleuchten, und die ja auch vom Berliner Vertrage anerkannt worden sind. Einem vorläufig unerreichbaren Ideale muss man nicht nachjagen. Oesterreich arbeitet, indem es sich bemüht, die Wohlhabenheit und den geistigen Standpunkt Bosniens zu heben, an dem Erstarken der Slawenstämme, und der Zukunft wird das Schicksal eine endgiltige Lösung schon nicht vorenthalten. In den Rassen lebt das mächtige und unaufhaltbare Verlangen, die Bevölkerungen gleicher Abstammung zu einem Staatswesen zu verschmelzen, und einst werden alle südslawischen Stämme zu einem einzigen Ganzen sich vereinen, entweder innerhalb des alsdann anders gestalteten österreichischen Reiches, oder als unabhängiger Bundesstaat. Bischof Strossmayer hat es ausgesprochen, dass im Schoosse Oesterreich-Ungarns, welches mehr und mehr die Selbstregierung und die Rechte der verschiedenen Rassen berücksichtigt, eine jede von ihnen der Erfüllung ihres Geschickes entgegenreift. Verkehrswege, Schulen, die Mittel zur Nutzbarmachung des natürlichen Reichthumes, besonders aber die seit dem Sturze des Römerreiches entbehrte Sicherheit, welche jedem Fortschritte als Grundlage dient, — das alles wird Oesterreich dem Lande geben, denn es hat ein Interesse daran, seiner Krone ein neues Kleinod einzufügen. Noch schlummert in Bosnien der Volksgeist allerdings unter der Decke des religiösen Zwistes, doch es wird ihn der Fortschritt wecken und kräftigen. Nun bleibt mir noch übrig, auf eine letzte, von allen Seiten an mich gerichtete Frage zu antworten, ob nämlich Oesterreich, das schon bis Nowibazar gekommen ist, nicht auch nach Saloniki gehen wird? Sein Name bezeichnet es als ein »Reich des Ostens« und deutet damit auf die Verwirklichung eines grossartigen Traumes hin. Der berühmte »Drang nach Osten« treibt die österreichisch-ungarische Politik, deren Einfluss an der unteren Donau und auf der Balkanhalbinsel ein vorherrschender wird. Die Besetzung von Saloniki und Macedonien würde den Weg nach Konstantinopel aufthun, und wie ein erstes Band zwischen dem Goldenen Hörne und der österreichischen Hauptstadt erscheint die Eisenbahn, welche diese beiden Punkte bald unmittelbar mit einander verbinden wird. Die Tage des türkischen Reiches sind gezählt, und was von demselben noch bleibt, muss früher oder später einer von den grossen Mächten zufallen. Unter denen ist aber offenbar Oesterreich am meisten in der Lage, beim letzten Röcheln des »kranken Mannes« dessen Erbschaft anzutreten, und es kann dabei mehr als Russland auf die Unterstützung oder die Billigung Europas rechnen. Alle unter der Führung Oesterreich-Ungarns vereinten Balkanländer würden eins der gewaltigsten und machtvollsten Reiche bilden, und der Gedanke an eine Besetzung Bosniens ist bekanntlich der persönlichen Eingebung und dem Beharren des Kaisers Franz Josef entsprungen. Sollten diese Bilder künftiger Grösse in der kaiserlichen Burg also wirklich gar keine Heimstätte haben? Andererseits aber wollen die Ungarn jeder Erstarkung und Kräftigung des Slawenthums vorbeugen, und die von den Polen, Czechen und Slowenen bedrängten Deutschen schauen kaum nach neuen Erwerbungen aus. Auch erklären die Minister, dass sie an den Bestimmungen des Berliner Vertrages festhalten. Der frühere Kanzler, Baron von Haymerle, mit dem ich in Rom zusammentraf, wollte nichts von Saloniki wissen, und Herr von Kalnoky führt die gleiche Sprache. Doch die Umstände siegen oft über den menschlichen Willen, und wo das Triebrad erst einen Arm erfasst hat, zieht es mit unwiderstehlicher Allgewalt auch den ganzen Körper nach. Durch die Eisenbahn wird dem österreichischen Handel der unmittelbare Zugang zum Aegäi-schen Meere ermöglicht. Von Mitrowitza sind aber die in Nowibazar stehenden kaiserlichen Truppen nur um zwei Tagemärsche entfernt, und Oesterreich wird wohl schwerlich ruhig zusehen, wie eine in die Länge sich ziehende Empörung oder eine dauernde Gesetzlosigkeit jenen Schienenweg bedroht und damit in das Mark seiner Lebensinteressen schneidet. Falls es der Pforte nicht gelingt, in Macedonien — dem Artikel 23 des Berliner Vertrages entsprechend — befriedigende Verhältnisse zu schaffen, dürfte Oesterreich-Ungarn sich hier eines Tages, ebenso wie vormals in Bosnien, zum Einschreiten gezwungen sehen. Der »Drang nach Osten« ist eben kein leerer Wahn. Sechstes Kapitel. Kroatisches und slowenisches Volksthum. Serbien. Meine anfängliche Absicht war es, mich von Serajewo aus auf geradem Wege, d. h. also mitten durch Bosnien und Serbien, nach Belgrad zu begeben. Doch ich entschliesse mich nun dazu, nach Kroatien zurückzugehen; es liegt mir daran, hier diese Strömungen genauer beobachten zu können, welche sich gegen die herrschende Stellung des Magyarenthums aufbäumen, und die in Agram bereits Unruhen und Strassenkämpfe gezeitigt haben. Dem durch Oesterreich-Ungarn Reisenden ist ja die Rassenfrage ein ständiger Begleiter. Als ich Brod verlasse, um auf dem Schienenwege der Donau entgegenzufahren, habe ich nur einen Reisegefährten, einen kroatischen Gutsbesitzer, der als feuriger Vaterlandsfreund und als ein Parteigänger der äussersten Linken sich erweist. Er spricht von den Klagen, welche die Kroaten gegen die ungarische Regierung erheben, und legt dabei eine solch leidenschaftliche Heftigkeit an den Tag, dass diese mich vor seinen Uebertreibungen warnt. »Kroatien«, ruft er aus, »ist keine ungarische Provinz, sondern ein unabhängiges Königreich, welches sich im Jahre 1102 den ungarischen König Koloman aus freier Wahl zum Herrscher erkoren hat. Für das Haus Habsburg entschied man sich im 16. Jahrhundert auf dem Reichstage zu Cettinje, und die Kroaten stehen wohl unter dem Kaiser Franz Josef, nicht aber unter den Ungarn. Drei Jahrhunderte hindurch haben sie diesen, und der Christenheit überhaupt, als Vorhut gegen die Türken gedient, und Gott allein weiss um alles Blut, das wir dabei vergossen, und um all die Leiden, welche wir erduldeten. Darum sind wir auch arm geblieben, doch statt der nothwendigen Schonung wird uns Ueberbür-dung. Von den 115 Millionen Florin, die wir in einem Zeiträume von fünfzehn Jahren — 1868 bis 1882 — dem Staatsschatze zuführten, wurden höchstens 43 zum Besten unseres Landes verwendet, während der übrige Theil in Pest verschwand. Die Magyaren sind wohl glänzende Redner und tapfere Soldaten, aber schlechte Haushalter und grosse Verschwender. Sie verpfänden ihre Güter und sehen sich dann gezwungen, dieselben den Juden zu verkaufen. Die Schuld aber, mit welcher sie Trans-leithanien in einem Zeiträume von weniger als 16 Jahren belasteten, beläuft sich auf 1000 Millionen Gulden. Sie geben das Land der hohen europäischen Finanzwelt preis, und diese will natürlich ihre Zinsen herausbekommen, weshalb unsere Bauern noch ärger als die ägyptischen Fellahs geschunden werden. Unsere fern von den Marktplätzen wohnenden Landleute müssen ihre Erzeugnisse zu niedrigen Preisen verkaufen; können sie nun die Steuern nicht zahlen, so wird ihr Besitz mit Beschlag belegt, und sie fallen dann der Verzweiflung anheim. Aufstände sind deshalb hier auch täglich und stündlich zu befürchten, und Ihnen wird oft ein kroatisches Sprüchwort zu Ohren kommen, welches lautet: »Holje je um-rieti, nego umirati« — besser ein Ende mit Schrecken,• als ein Schrecken ohne Ende. So viele Leiden müssen selbst die — gleichsam ererbte — Anhänglichkeit an den Kaiser erschüttern. Der hält es nun augenscheinlich mit den Ungarn und thut alles für diese, aber nichts für die Kroaten, welche doch im Jahre 1848, um die Krone der Habsburger zu vertheidigen, 40000 ihrer Söhne opferten. Zur Regulirung und Eindämmung der Donau und der Theiss wurden Unsummen verausgabt, während unsere Flüsse — die Drau, die Sau, die Kulpa — sich im Naturzustande befinden. Das ganze Eisenbahnnetz ist aber vollständig dazu angethan, um den Handelsverkehr nach Pest hin- und von uns abzulenken, und kein Schienenweg durchschneidet unser Land. Zur Verbindung zwischen Brod und Essek und zu einem geraden Wege nach Agram und Fiume würde eine leicht herzustellende Zweiglinie genügen. Brod und Pest wären doch am kürzesten über Djakovo und Essek zu verknüpfen ge- wesen; doch nein, das ging ja nicht an, und wir müssen nun einen langen Umweg über Dalja machen. »Der Kaiser hat zu unserer Freude die frühere Militärgrenze mit unserem Königreiche vereinigt. Diese treffliche Maassregel verlangten wir sammt und sonders, weil wir zum Glück nicht mehr darauf bedacht sein dürfen, uns gegen die Raubzüge der Türken zu schützen. Doch ach! die armen Bewohner haben die Vereinigung leider theuer genug bezahlen müssen. Als Entschädigung für den Militärdienst, dem sie alle unterworfen waren, hatte die Krone ihnen prachtvolle Eichenwälder überwiesen, und diese alten, mit dem edelsten Blute erkauften Bäume haben dann die Herren Magyaren niedergeschlagen und verhandelt, um die Kosten für die ungarischen Bahnen zu bestreiten. Nun sind sie zerstört, diese herrlichen Bestände, welche gleichzeitig einen Vorbehalt für die Zukunft darstellten und deren Werth auf etwa hundert Millionen veranschlagt wurde. Vergessen Sie nicht, dass dieses kleine Kroatien, dessen Bevölkerung nicht mehr als zwei Millionen umfasst, eine grosse Rasse vertritt. Wir bildeten bereits ein geordnetes -christliches Staatswesen, als die magyarischen Horden noch auf den Steppen Asiens neben ihren Vettern, den Türken, umherstreiften. Nie wird es diesen Finnen gelingen, über die arianische Bevölkerung, in deren Mitte sie leben, wirklich zu siegen, und sie müssen sich entweder in das »gleiche Recht für alle« finden oder mit den Osmanen nach Asien zurückkehren«. »Wie sind denn aber so viele Missbräuche möglich?« entgegnete ich ihm. »Sie haben ja eine selbstständige Verwaltung, einen eigenen Reichstag und sogar auch eine Art von Vicekönig, Ihren Banus von Kroatien«. »Ja, Trug- und Gaukelbilder und wahre Scheindinge, all das! nichts weiter!« fuhr der Kroate mit noch hef- tigerem Ungestüme fort. »Nicht der Vertreter des Kaisers, sondern das Geschöpf dieser Herren in Pest ist der Banus; das ungarische Ministerium ernennt ihn ja, so zu sagen, und ihm liegt nichts weiter ob, als uns zu magyari-siren. Die unsere angebliche Selbstverwaltung leitenden Beamten sind nur darauf bedacht, bei der ungarischen Regierung, von welcher sie abhängen, sich beliebt zu machen, und unser Reichstag vertritt gar nicht das Land, weil die Wahlen keineswegs frei vollzogen werden. Sie können sich nur unschwer eine Vorstellung davon machen, mit welch verwerflichen, einschüchternden Zwangsmitteln man arbeitet, um die Männer des Volkes nicht durchkommen zu lassen. Auf unserer Presse lastet ein Druck, der an drakonischer Strenge noch über die Zeiten Metternichs hinausgeht, und jeder auch noch so gemässigte Widerspruch veranlasst eine Beschlagnahme des Blattes und sogar der Druckbuchstaben. Wollen die Gegner der Regierungspartei sich im Reichstage offen und freimüthig aussprechen, so werden sie zum Schweigen gebracht, und die bosnischen Rajahs waren weniger eingeengt, als wir es mit unserer sogenannten Verfassung sind. Ob die Magyaren meinen, mit den Waffen, welche die fortschreitende Bildung ihnen in die Hand drückt, uns um unser Volksbewusstsein und um die Sprache unserer Väter bringen zu können? Das wären nur Bestrebungen des Wahnsinns. Oder ob man vielleicht daran denkt, unser Land zu einer ungarischen Gespanschaft herabzudrücken? Die Macht steht den Magyaren allerdings zur Seite, und sie können also wirklich das Recht durch die Gewalt ersetzen und uns die verbrieften Freiheiten rauben. Damit werden sie unseren Seelen aber einen unauslöschlichen Hass einpflanzen, der einst mit furchtbarer Gewalt zum Ausbruche kommen muss. Hat man den im Jahre 1848 nach Ofen marschirenden Banus Jellatschisch vergessen? Sein Standbild auf dem grossen Platze zu Agram zeigt mit der Spitze des Degens auf den Weg der Rache hin, und den werden wir beschreiten, sobald die Stunde gekommen ist. Die Magyaren sollten's bedenken, dass ihre fünf Millionen nur eine von den Wogen des slawischen Oceans umbrandete Insel sind, und dass jene Fluthen eines Tages über dieselbe hinwegspülen werden«. Das von meinem Reisegefährten berührte Thema besitzt eine solche Wichtigkeit, dass ich weitere Auslassungen über dasselbe für angebracht halte. In Böhmen haben die Czechen triumphirt, und es fragt sich, ob der slawischen Bewegung die gleichen Erfolge beschieden sind. Davon hängt augenscheinlich die Gestaltung von Oesterreichs Zukunft und damit auch das Geschick des ganzen südöstlichen Europas ab. Der Ausgleich, welcher 1868 zwischen Ungarn und Kroatien unter dem Einflüsse Deaks zu Stande kam, ist gleichsam eine Wiederholung des zwischen Cis- und Transleithanien geschlossenen. Kroatien hat seinen Landtag behalten, und dieser regelt alle inneren Angelegenheiten; was. aber das Heer, die Zölle und das Finanzwesen betrifft, gehört in den Bereich des transleithanischen Zentral-Parlamentes. An der Spitze der Verwaltung steht der vom Kaiser auf den Vorschlag des ungarischen Ministeriums ernannte Banus oder Statthalter, welcher die Departementschefs und die hohen Beamten beruft und dem Reichstage Rechenschaft schuldig ist. Dem letzteren steht wohl auf dem Felde der inneren Angelegenheiten das unbedingte Recht der Ueberwachung zu, doch kann er weder den Banus, noch die Minister stürzen. Welches sind nun die Ergebnisse dieses Ausgleiches? Für Kroatien wurde in der That sehr viel weniger als für Ungarn gesorgt, und die vorhin aufgereihten Klagen entbehren mindestens theilweise nicht der Begründung. In Ungarn haben zahlreiche Eisenbahnen zur Vervollkommnung des landwirthschaftlichen Betriebes und zum Steigen der Preise beigetragen, so dass man sich hier mit d en wachsenden Steuern leicht abfinden konnte. In Kroatien sind aber die Preise niedrig geblieben, und die vom Ausfuhrhandel weniger berührte und angestachelte Landwirthschaft hat auch weniger Fortschritte gemacht; hier drücken die Steuern bedeutend schwerer. Die Pester Zentral-Regierung will natürlich ihr Ansehen in Kroatien stärken und festigen, und darüber darf man sich auch nicht wundern. Die beiden Ausgleiche haben eben eine so verwickelte und schwierige Sachlage geschaffen, dass eine Verwaltung, die nach dem Zuschnitte der Neuzeit arbeiten möchte, sich an allen Ecken und Enden gehemmt und gehindert sieht. Kroatien gehört zu den Ländern der Stefanskrone, und auf seine Selbstverwaltung sollte man deshalb von Pest aus keine Angriffe unternehmen; in einem Bundesstaate, wie in der Schweiz oder in den Vereinigten Staaten, kommt dergleichen schon nicht vor. Doch Oesterreich ist ja zunächst auch kein wirklicher Bundesstaat, und überdies sind in einem solchen die Befugnisse der Kantone und der Zentral-Regierung so genau abgesteckt, dass damit die hier so häufigen Reibereien und Zwistigkeiten fortfallen. Eine Verfassung nach dem Muster der Vereinigten Staaten sollte eben auch in Oesterreich angebahnt werden. Die Vertretung Kroatiens im Pester Reichstage und sein Antheil an den gemeinsamen Ausgaben giebt zu ganz besonderen Schwierigkeiten Anlass. Im Jahre 1867 hatte Kroatien zur Krönung des Kaisers keine Abgeordneten nach Pest schicken wollen; später willigte es ein, sich im ungarischen Reichstage vertreten zu lassen, und zwar in der Magnatentafel durch 2 und in der De- putirtentafel durch 29 Erwählte. Bei der Einverleibung der Militärgrenze hätte die Zahl seiner Vertreter auf 54 sich steigern sollen, und es wurde dann gezwungen, bloss 40 hinzunehmen, was nun die Vaterlandsfreunde als eine schwerwiegende Ungerechtigkeit bezeichnen. Andere Zwistigkeiten wurzeln in der Beisteuer zu den gemeinsamen Staatsausgaben Transleithaniens, welche für Kroatien auf 6.44 Prozent und für Ungarn auf das Uebrige, d. h. also auf 93.56 Prozent, festgesetzt waren, und um die Kosten für seine Selbstregierung zu bestreiten, sollte Kroatien in jedem Falle 2200000 Florin erhalten. Eine neue Vereinbarung wurde im Jahre 1872 getroffen, und diese bestimmte, dass das Land zur Begleichung der Ausgaben 45 Prozent seiner Einkünfte zurückbehalten sollte. Später stellte sich's dann aber heraus, dass Kroatien mehr als 2200000 Florin einnimmt, und dass andererseits die .übrigen 55 Prozent nicht genügen, um 6.44 Prozent der Staatsausgaben zu decken, weshalb man sich nun gegenseitig die verschiedensten Vorwürfe macht. Die eigentliche Feindseligkeit hat aber ein en tieferen Grund, und der unlösliche Widerspruch in ihren Idealen thut zwischen den beiden Völkern als breite und unüberbrückbare Kluft sich auf. Der »grosse kroatische Gedanke« gipfelt darin, alle Bevölkerungen serbischkroatischer Zunge zu einem mächtigen Staatswesen zu vereinen, das heisst Kroatien, »Slowenien«, Dalmatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Serbien mit einander zu verknüpfen, und so ein Gegengewicht gegen das Magyarenthum zu schaffen. Die Verwirklichung dieses Zukunftstraumes würde aber die Einheit der Stefanskrone brechen und es den Ungarn unmöglich machen, sich ferner gegen die Deutschen und Czechen Cisleithaniens zu behaupten. Es können die Magyaren sich also gar nicht mit diesen Bestrebungen der Kroaten abfinden, und sie versuchen es deshalb auf alle mögliche Weise, den volkstümlichen Geist derselben in Fesseln zu legen und zu ersticken; doch alle ihre Maassnahmen haben bloss böses Blut gemacht, ohne ihnen auch nur entfernt zu nützen. Wären die Kroaten davon zu überzeugen, dass man in Pest ihr Volksthum und ihre erworbenen Rechte vollständig zu achten weiss, so würden die einer sehr unpraktischen Vereinigung innewohnenden Schwierigkeiten damit wohl nicht vollständig schwinden, aber doch an Schärfe verlieren. Diese Wirren haben in Kroatien drei Parteien in's Leben treten lassen, nämlich die Volkspartei, die unabhängige Volkspartei und die Partei der äussersten Linken, welche sich selbst den schönen Namen »Rechtspartei« gegeben hat. Die erstere hält an dem Ausgleiche des Jahres 1868 fest und will denselben sowohl gegen die Zentral-Regierung, welche eine Erweiterung ihrer Befugnisse anstrebt, vertheidigen, als auch gegen die eine grössere Selbstverwaltung fordernden Neuerer. In ihrem Programm vom 27. Dezember 1883 erklärt sie, dass die letzten Unruhen und alle die Zukunft des Landes bedrohenden Gefahren einzig und allein davon herrühren, dass man sich auf beiden Seiten von dem festen Rechtsboden des Ausgleiches entfernen will. Die unabhängige Volkspartei tritt den Zentralisationsversuchen sehr viel schärfer entgegen, und eins ihrer einflussreichsten Mitglieder, der Doctor Konstantin Bojnowitsch, hat es im Reichstage klar und unumwunden ausgesprochen, dass die verschiedene Anschauung über die Aufgabe des Banus einen unvermeidlichen Zankapfel umschliesst. »In Pest will man«, sagte er, »dass der Banus nur ein einfacher Statthalter sein soll, welcher bloss den Befehlen des Ministeriums zu gehorchen hat. Wir verlangen dagegen, und zwar in Uebereinstimmung mit dem Gesetze vom 10. Januar 1874, dass er sich nur vor dem Kaiser und dem Reichstage zu verantworten hat, und dass seine Aufgabe hauptsächlich darin besteht, für die Rechte unseres Königreiches einzutreten«. Die unabhängige Volkspartei verlangt ganz entschieden, dass zwischen Kroatien und Ungarn die gleiche Sachlage geschaffen werde, wie sie zwischen Ungarn und Oesterreich bereits obwaltet, und jeder in Pest gefasste Beschluss soll in Agram zur Begutachtung vorgelegt werden. Damit würde nun allerdings jedes Regieren zur offenbaren Unmöglichkeit, indem selbst in Ländern mit einheitlicher Verfassung der Parlamentarismus oft gar nicht recht klappen will. Falls aber zwei oder drei Parlamente mit ganz verschiedenartigen und oft feindseligen Anschauungen sich gegenseitig begutachten sollen, so müsste ein wirres, saft- und kraftloses Durcheinander und damit das Wiederkehren einer freiheitsfeindlichen Regierungsform die unvermeidliche Folge sein. Wahrlich, man könnte nichts Besseres thun, als die Befugnisse der Lokalregierung so viel als möglich zu erweitern und die der Zentral-Regierung entsprechend zu beschränken; doch bei gemeinsamen Angelegenheiten darf einzig und allein das über der Lokal-Regierung stehende Parlament entscheiden. Die äusserste Volks-, die sogenannte Rechtspartei, strebt danach, den Ausgleich überhaupt zu beseitigen, und verlangt für Kroatien, was die ungarischen Radikalen für Ungarn beanspruchen, das heisst die vollständige Unabhängigkeit des Landes, welches mit Oesterreich nur durch die Person des Herrschers verknüpft sein soll. Diejenigen der Partei, welche am weitesten gehen, wollen von einem Herrscherhause überhaupt nichts wissen und huldigen republikanischen und selbst sozialistischen Grundsätzen. Die Jugend tritt gerne der äussersten Linken bei und betrachtet deren Führer, Doctor Starcewitsch, wie einen Propheten; der Neffe dieses beliebten Mannes, David Starcewitsch, bringt es im Reichstage zu Agram durch seine ungestüme Art und Weise häufig dahin, dass die Sitzung aufgehoben wird. Das anerkannte Haupt der Rechtspartei ist aber der Baron Rukawina. Eins verlangt jedoch, auf die geschichtliche Vergangenheit sich stützend, jede von den drei Parteien, nämlich die Vereinigung Kroatiens mit Fiume und Dalmatien. Dass jede Regierung ihrem Ansehen die unbedingteste Geltung verschaffen möchte, ist ganz natürlich, und so erklärt die Politik der ungarischen Regierung sich allerdings leicht genug. Ueber das vom Erfolge gesprochene Verdammungsurtheil hilft aber immerhin keine Täuschung hinweg. Die Versuche, den Machtbereich der Zentral-Gewalt zu erweitern, haben nur einen allgemeinen Widerstand und tiefgehende Spaltungen gezeitigt. Oesterreich machte beharrliche, aber erfolglose Anstrengungen, die Kroaten in Deutsche zu verwandeln, und zwar zu einer Zeit, wo der Volksgeist entweder gelähmt oder überhaupt noch nicht vorhanden war. Es arbeitete mit sehr geschickten und sehr ausdauernden Beamten, und die deutsche Sprache vertritt doch eine vorgerücktere Bildungsstufe, eine hochentwickelte Literatur und Wissenschaft und das an den Westen Europas anknüpfende Band. Heute haben nun die Kroaten eine Presse, eine Literatur, ein Theater, eine Universität und Schulen aller Art; blicken sie aber über die Sau und die Donau hinüber, so schimmern ihnen Zukunftsbilder voll gewaltiger Macht und Grösse entgegen, deren Umfang kaum eine Grenze zu kennen scheint, und an deren packender Wirkung der Geist der Geschichte und der Geist des Demokratenthums wohl in gleichem Maasse betheiligt sind. Und da wollen die Ungarn noch hoffen, den Kroaten die magyarische Sprache einimpfen zu können? Man mag ja von Pest aus in den Kanzeleien zu Agram Beamte unterbringen und hier die Kenntniss des Magyarischen verlangen oder auch den öffentlichen Gebäuden Inschriften in magyarischer Sprache geben. Doch Ungarn wird damit nichts weiter erreichen, als Hass und Erbitterung hell auflodern zu lassen. Dies lehren ja die blutigen Kämpfe in den Strassen Agrarns, die dadurch hervorgerufen wurden, dass die staatlichen Gebäude neben ihren kroatischen Aufschriften Wappenschilder mit einer entsprechenden ungarischen Ueber-setzung erhielten. Tisza, ein Staatsmann ersten Ranges, ein echter und rechter Freund und Förderer der Freiheit und des Fortschrittes, erstrebt gleich einem anderen hervorragenden Minister — von Schmerling — eine einheitliche Regierungsform, wie sie in Frankreich und England besteht. Unüberwindliche Schwierigkeiten müssen jedoch in Rechnung gezogen werden, und überdies wären die Versuche, dieselben zu brechen, gegenwärtig schlecht genug angebracht. In Böhmen wurden den Czechen vom Ministerium Taaffe ganz entschiedene Zugeständnisse gemacht, und deshalb schwellen in Kroatien und in den anderen Ländern gleicher Rasse dem Volksthum natürlich gewaltig die Flügel. Dabei ist's von einschneidender Bedeutung, dass die am Hofe so mächtigen Feudalen für die Slawen und gegen die Ungarn Partei nehmen, weil diese letzteren in ihren Augen das freisinnige und demokratische Element vertreten. Man darf aber auch die verhängnissvolle Möglichkeit eines Bruches zwischen Oesterreich und Ungarn nicht aus den Augen verlieren, denn der Mechanismus, welcher die Vereinigung beider Länder bewerkstelligt, ist eben so schwer zu handhaben, dass er unter Umständen überhaupt ganz 18 Laveleye, Balkanlander. versagen könnte. In diesem Falle läge nun für die Magyaren eine .furchtbare Gefahr darin, dass der Bereich der" Stefanskrone ihre erbittertsten Feinde umschliesst, welche ihnen alsdann — von Kroatien und Siebenbürgen aus — in den Rücken fallen würden. Haben sie nicht vielmehr ein ganz offenbares Interesse daran, die Slawen zu ihren Freunden zu machen, indem sie unumwunden darauf verzichten, sich in die Angelegenheiten derselben zu mischen, und indem sie zugleich deren äussere und geistige Entwicklung mit allen möglichen Mitteln fördern? Der maassgebende Einfluss, mit dem die Ungarn gegenwärtig das ganze Reich umspinnen, ist ein unbestreitbarer Beweis für die glänzende und hervorragende Befähigung ihrer Staatsmänner. In dem Maasse aber, in welchem Bildung und Wohlstand an Umfang gewinnen und der demokratische Geist immer mehr und mehr um sich greift, muss es der Minderheit schwerer fallen, die Mehrzahl zu erdrücken. Mitten unter den Slawen, Deutschen und Rumänen bilden die Magyaren aber die Minderheit, und es ist daher nichts gefährlicher, als die Erbitterung derjenigen zu steigern, denen die Gewalt der Masse früher oder später doch einmal das Ueber-gewicht geben muss. Deak hat den Ausdruck »Gleichberechtigung« gebraucht und mit demselben eine vollständige Lösung vorgezeichnet: es soll allen das gleiche Recht und jedem Lande seine Selbstständigkeit werden, wie dies die Schweiz, Norwegen und Finnland von sich rühmen können. Die Geschichte und der Gerechtigkeitssinn empfehlen in gleicher Weise eine solche Ordnung der Dinge, und in Kroatien lässt dieselbe sich um so leichter zur Durchführung bringen, weil hier ein fest abgegrenztes Land in Frage kommt, das seine alten Jahrbücher und Urkunden hat, und dessen Bevölkerung nicht wie in Siebenbürgen aus einer unregelmässigen Mischung verschiedener Rassen besteht. Die Achtung vor dem Rechte und der Freiheit ist unter allen Umständen die beste Politik. Zwischen Brod und Vukovar durchschneidet der Zug die lange, schmale Halbinsel, welche die Sau von der Donau trennt. Auf beiden Seiten des Weges ist das Land flach und mit dichtem Grün bedeckt, und Ueberschwemmungen fluthen häufig über dasselbe hinweg. Zuerst kommt man an ausgedehnten Weiden vorbei, die mit kleinen Eichenbeständen untermischt sind, und dann an bebauten Feldern, für deren vorzüglichen Boden das dichte und hohe Getreide Zeugniss ablegt. Dörfer und einzelne Anwesen erblickt das Auge nur selten, und hier dürfen die Malthusianer sich vorläufig über das Wachsthum der Bevölkerung schon keine Sorgen machen. Es ist ein wunderhübscher Weg, auf welchem mich in Vukovar der Omnibus vom Bahnhofe nach der Stadt befördert. Man fährt zwischen Linden und alten Donauarmen dahin und sieht im Wasser mitten unter den blühenden Seerosen die Enten lustig herumplätschern. Im Festgewande, denn es ist ein Sonntag, kommen die Bauern herbei, um zur Messe zu gehen und den sich hieran anschliessenden Markt zu besuchen. Die meisten von ihnen langen auf kleinen, leichten Gefährten an, welche ganz aus Holz erbaut sind und von zwei schönen, schnell trabenden Pferden arabischer Abstammung gezogen werden. Den Landbewohnern ist ein solches Fuhrwerk von grossem Nutzen, weil sie damit weite Entfernungen mühelos zurücklegen und sich so ein wirkliches und recht gesundes Feiertags vergnügen verschaffen können. Bei Feldarbeiten und schweren Frachten werden aber ausschliesslich Ochsen eingespannt. Seltsam nimmt sich's aus, wie hier die Moden des Abendlandes an der Volkstracht rütteln und zerren. Viele Männer tragen wohl noch das weite weisse, von einem breiten Ledergürtel festgehaltene Beinkleid, den alten Filzhut und den Schnurrock. Doch von den Frauen haben nur wenige das schöngestickte, hemdartige Kleidungsstück beibehalten, welches ans griechische Alter-thum gemahnt, und die meisten tragen jetzt Kleider mit dichten, bauschigen Falten. Die Stoffe haben aber so entsetzlich schreiende Farben, und den um die Taille geschlungenen Wolltüchern sind solch grelle, unmögliche Blumensträusse eingewebt, dass das Auge sich förmlich verletzt fühlt. Die »Zivilisation» ertödtet den ererbten Geschmacks- und Schönheitssinn, und das ist tief zu bedauern. Des Lebens Zweck und Ziel gipfelt doch nicht einzig und allein darin, für die Beschaffung eines recht zahlreichen und wohlgenährten Viehstandes zu sorgen und möglichst viele von den schnaubenden Dampfrossen über die Fluren jagen zu lassen. Vom Brote allein lebt der Mensch bekanntlich nicht, und was ist denn eigentlich sein Dasein, falls er nicht zu schöpfen vermag aus dem Schönheitsborne, welchen Natur und Kunst ihm entgegenhalten? Der Abfall aus den Fabriken lagert auf den Fluren und verdirbt das Wasser, der Rauch verdunkelt den reinen Aether, die den klimatischen Verhältnissen angepassten Volkstrachten schwinden, — ja, all dieses bedenkend, vermag ich in die Begeisterung der Statistiker nicht mit einzustimmen. Vukovar ist eine kleine, biedere Stadt mit sauberen, gut im Stande gehaltenen Häusern, welche als lange und breite Strasse über einen am Ufer derDonau liegenden Hügel sich hinziehen. Nach alten Baudenkmälern schaut man vergeblich aus, denn die Türken haben eben alles niedergebrannt. Aber der Gasthof »Zum Löwen« bietet einen köstlichen Sterlet mit ungarischem Weine, dem Villaner, und einen von Rosen durchdufteten Garten, woselbst man im Schatten blühender Akazien sein Mahl verzehren kann. Meine Blicke schweifen über den gewaltigen Fluss dahin, der aber durchaus keine »blaue«, sondern eine vollständig gelbe und schlammige Donau ist, wovon ich mich selbst durch ein Bad überführt habe. In Oesterreich und in allen benachbarten Ländern besitzt man ein wahres Talent dafür, zum Auftragen der Speisen und Getränke ein anmuthendesPlätzchen ausfindig zu machen, und wTährend des Sommers stehen die Tische immer unter Bäumen, und zwar, wenn es irgend möglich ist, so, dass sich den Gästen ein hübscher Aussichtspunkt bietet. Am Abende geniesst man hier eine erfrischende Kühle, während die Klänge einer oft guten und fast immer eigenartigen Musik das Ohr berühren. Selbst in grossen Städten, wie z. B. in Pest, haben sich die Hofräume der Gasthäuser in kleine Wäldchen verwandelt, die aus Oleander- und Lorbeerbäumen in Kübeln zusammengetragen wurden und einen Speiseplatz im Freien bieten. Solche Einzelheiten mögen sich vielleicht recht winzig ausnehmen; doch weben Leid und Lust nicht das ganze menschliche Leben aus feinen, dünnen Fäden zusammen? Nur die folgenden slawischen Zeitungen, »Zastava« — in cyrillischen Buchstaben gedruckt —, »Sriemski Hrvat« und die Agramer Zeitung, »Pozor von Zagreb«, — Zagreb ist der kroatische Name für Agram — liegen im Speisesaale aus. Das letztere Blatt berichtet über die Wahlergebnisse, durch welche die Ruthenen im Reichstage Galiziens höchstens 15 bis 16 Vertreter haben, obgleich sie doch die Hälfte der Bevölkerung bilden, und es scheint also, dass die Polen — die besitzende Klasse — die Abstimmungen beeinflussen. — Während ich dann in der Stadt herumstreife, fällt mir das stattliche Ge- bäude auf, in welchem die Sparkasse untergebracht ist. In den Zadrugas war die Sparkasse der grosse Heiraths-koffer, worin die Frau das schöne Linnen und die gestickten Bekleidungsgegenstände — ein Werk der eigenen Hände — aufspeicherte. Ich besteige nun einen nach amerikanischem Muster erbauten Dampfer — einen Zweidecker —, welcher mich in sieben Stunden nach Belgrad bringen soll. Eine solche Art des Reisens ist für mich die angenehmste; wie eine Reihe von Nebelbildern gleitet die Landschaft am Auge vorüber, und dabei kann man doch lesen oder plaudern. Ein aus Laibach gebürtiger Student, welcher nach Bulgarien geht, um entfernte Verwandte kennen zu lernen, spricht über die volksthüm-liehe Bewegung seines Vaterlandes. »Die Kroaten«, sagt er zu mir, »regen sich erbitterter, heftiger, mit grösserem Ungestüme, während die Slowenen ruhiger und minder lärmend, aber nicht weniger entschieden für ihre Sache eintreten, und es wird den Deutschen nicht mehr möglich sein, dieselbe zu unterdrücken. Die Slowenen bilden denjenigen slawischen Stamm, der sich am frühesten in Europa niederliess. Sie bewohnten das weite Gebiet, welches Steiermark, Kroatien und — von den Theilen mit griechischer Bevölkerung abgesehen — die ganze Balkanhalbinsel umfasst, und vermischten sich später zunächst mit dem kroatischserbischen Stamme und dann mit den Bulgaren, d. h. mit den durch die Vermengung der Rassen slawisirten Tur-kestanen. In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters haben deutsche Barone unser Land erobert und unter einander getheilt. Damit wurden nun deutsche Ansiedler herbeigerufen, und auf diese Weise gingen den Slowenen die drei Viertel von Steiermark verloren. Krain bewohnen dieselben aber fast ausschliesslich, und in den beiden genannten Provinzen, wie in Kärnthen — bis nach Triest hin — beläuft ihre Zahl sich auf etwa zwei Millionen. Die reinste slawische Mundart, das Slowenische, wurde vormals nur noch von den Bauern gesprochen, während für die Verwaltungsbehörde, die Literatur, die wohlhabenden Klassen, mit einem Worte für die gebildeten Kreise, einzig und allein das Deutsche in Frage kam und das ganze Gebiet vollständig 'ger-manisirt zu sein schien. Da gründete Louis Gai im Jahre 1835 the ers*e kroatische Zeitung — Horatske Novine — und verkündete gleichsam das Erwachen der volks-thümlichen Literatur, welche man in der heute aufgegebenen Hoffnung, dass alle slawischen Stämme sich dieser Bezeichnung bedienen würden, die illyrische nannte. Nach dem Jahre 1848 Hess das Wahlrecht das slowenische Volksthum auch zu politischem Leben erwachen, und das ist den Geistesthaten zahlreicher Dichter, Schriftsteller, Journalisten und Lehrer zu danken. Ganz besonders schlössen sich der neuen Bewegung aber die Geistlichen an, weil sie wähnten, durch die Volkssprache dem freien deutschen Gedanken Thür und Thor ver-schliessen zu können. Heute bilden die Slowenen die Mehrheit des Krainer Reichstages, und ihre Sprache wird in den Schulen, auf den Kanzeln und innerhalb der Provinzial-Verwaltung gebraucht. Des Deutschen bedient man sich nur, um den Verkehr mit Wien zu unterhalten, und die amtlichen Schriftsachen erscheinen in beiden Sprachen. In Steiermark nehmen die Slowenen den südlichen Theil des Landes ein, und sie vermögen es, etwa zehn Abgesandte in den Reichstag zu schicken, welche unter allen Umständen mit vollster Entschiedenheit für die Rechte der Volkssprache eintreten. Die Universität Graz besitzt einen besonderen Lehrstuhl für slawische Philologie, und Professor Krek hat die sehr werthvolle »Einführung in die Geschichte slawischer Literaturen « herausgegeben «. Ich fragte nun den Studenten, ob die slowenische Volkspartei eine besondere, nach den Sprachgrenzen bemessene Provinz oder eine Vereinigung mit Kroatien ersehnt. »Oder hofft sie vielleicht«, setzte ich hinzu, »auf einen Bundesstaat, welcher die Slowenen, Kroaten, Serben und Bulgaren umfasst? Und wie sieht's bei Ihnen mit dem Panslawismus aus?« »Der«, erhielt ich zur Antwort, »ist weiter nichts als ein Wort ohne Inhalt, seitdem die Slawen es wissen, dass sie ihr Volksthum innerhalb des österreichisch-ungarischen Reiches wahren können. Das panslawistische Sehnen und Trachten, welches man im Jahre 1868 von dem vielbesprochenen ethnographischen Kongresse zu Moskau mitbrachte, ist längst verflogen. Das Ideal, dem wir zustreben, besteht allerdings darin, eines Tages einen grossen slawischen Bundesstaat erblühen zu sehen, welcher von Konstantinopel bis Laibach und von der Sau bis zum Aegäischen Meere reicht, und es muss eben jeder Zweig unserer Rasse schaffen und streben, um solche Hoffnungen zur Wirklichkeit zu machen. Inzwischen würden wir eine Vereinigung von Slawonien und Kroatien freudig begrüssen, weil die Sprache beider Länder fast die gleiche ist. Das Wesentliche liegt aber in der Kräftigung des Volksbewusst-seins. Unsere Sprache muss mehr und mehr zu einem lebendigen Träger der Zivilisation und einer hochentwickelten Bildungsstufe werden, und je tiefer die Aufklärung Wurzel schlägt, um so gefestigter steht unsere Zukunft da«. Die Donau macht einen grossartigen Eindruck. Aber wie so gewaltig ist doch der Unterschied zwischen ihr und dem Rheine! Der Strom, welcher an Mannheim, Mainz, Koblenz und Köln vorübergeht, wird von unzähligen Schiffen der verschiedensten Art befahren, und an seinen beiden Ufern führen Schienenwege hin. Er befördert unendliche Mengen von Reisenden und Frachtgütern und scheint im wahren Sinne des Wortes ein »gehender Weg« zu sein. Doch an der herrlichen Donau ist's öde und einsam, und ihre Fluthen haben kaum mehr als schwimmende Mühlen zu treiben. Woher das kommt? Nun, sie strömt ja dem Schwarzen Meere zu und geht also durch Länder, auf denen der Fluch des türkischen Regimentes gelastet hat, während der Rhein dem Westen und den Marktplätzen Hollands und Englands entgegen-fliesst. Zwischen Vukovar imd Semlin ist das linke — d. h. also das ungarische — Ufer der Donau niedrig und halb überschwemmt, und fast ununterbrochen wird es von Weiden und Pappeln umsäumt. Aber auf der rechten Seite — in Slawonien — erhebt sich die Fiska-Gorakette und bildet hohe, steile Wände, deren röth-liche Erde zwischen' den fortlaufenden Eichen- und Buchenbeständen hervorschimmert. Der Fluss trägt eine grosse Menge von schwimmenden Mühlen, und die meisten derselben befinden sich in jüdischen Händen, worauf schon die Namen der Besitzer — Jakob, Salomon u. s. w. — hindeuten. In Ungarn leiten fast ganz ausschliesslich die Juden den gesammten Getreide- und Mehlhandel; sie verstehen sich eben besser darauf als die Christen, und statt zu klagen, sollten diese lieber von ihnen zu lernen suchen. Bei Illok schaut ein altes, mit vielen Zinnen und Schiessscharten versehenes Schloss von der Spitze eines steilen Hügels auf den Fluss hinab, und nicht weit von Palanka — einer kleinen Stadt mit weissen Häusern — ruft die von Weiden umgürtete Insel, auf welcher eine grosse Menge von Pferden grast, die Erinnerung an die Pampas wach. In Kamenitz spiegeln sich die Strahlen der untergehenden Sonne in den zahllosen Fenstern eines umfangreichen Gebäudes, einer ehemaligen Schulanstalt, welche der Malaria wegen geräumt werden musste, und Peter-wardein lässt mich die Wunder der Industrie anstaunen. Die Bahn, welche eine unmittelbare Verbindung zwischen Pest und Belgrad herstellt und bis nach Konstantinopel weitergeführt wird, überschreitet die Donau auf einer zweibogigen, von der Gesellschaft Fives-Lille erbauten Brücke und fährt dann durch einen Tunnel unter der alten, vom Prinzen Eugen wiederaufgebauten Festung hinweg. Nach dem Einflüsse der Theiss strömt die Donau in majestätischer Breite dahin und ruft die Erinnerung an den Mississippi wach. Bei der Ankunft in Belgrad muss der Reisende seinen Pass vorzeigen, welche verdriessliche Förmlichkeit doch sonst überall — im Zeitalter des Nihilismus! — vom Erdboden verschwunden ist. Ob den Russen vielleicht der demüthigende Vorwurf, allein an solchen veralteten und unnützen Forderungen festzuhalten, erspart werden soll? Nun, für Serbien sind die sich einstellenden Betrachtungen nicht gerade schmeichelhafter Natur. Die in eine Verschwörung Verwickelten werden doch wohl schwerlich so dumm sein, ihre Ankunft auf Schiffen zu bewerkstelligen, wo man sie einen ganzen Tag mustern und dann gleich nach dem Zollamte führen kann, und sie verstehen's schon, sich offene und unbewachte Ueber-gangsstellen auszusuchen. Für die Russen mag ein solch zurückstossendes Wesen sich wohl passen, weil sie gar keine Fremden herbeizuziehen wünschen. Doch Serbien, welches dieselben ruft und in gastlichster Weise empfängt, sollte ihnen als ersten Eindruck nicht den wenig erfreulichen Anblick eines Polizeisoldaten bieten. Das »Grand Hotel«, in dem ich absteige, wurde einst vom Fürsten Michael erbaut, und die Zimmer des riesigen Gebäudes kommen hinsichtlich des Umfanges den Empfangssälen des Dogenpalastes gleich. Als ich im Jahre 1867 hier weilte, war ich fast allein, während heute alles besetzt ist und ich an den kleinen Tischen, wo man, wie in Oesterreich, allein speist, kaum Platz finden kann. Schon das zeugt von vollständig veränderten Verhältnissen; doch es hat sich überhaupt die ganze Stadt gewandelt. Ueber den zwischen der Donau und der Sau liegenden Hügel führt — bis zur Festung auf ihrem steilen Vorsprunge — eine breite Strasse hin, welche zu beiden Seiten mit hohen, zwei- oder dreistöckigen Häusern besetzt ist. Die kleinen, niedrigen Krambuden und die türkischen Kaffeehäuser sind verschwunden, und die Läden haben hinter den Spiegelscheiben ihrer Schaufenster ganz die selbigen Dinge ausgebreitet, welche man auch weiter im Westen findet: Kurz- und Eisenwaaren, Stoffe der verschiedensten Art, Hüte, alterthümliche Sachen, fertige Kleider, Schuhwerk, Photographien, Bücher und Papier. Alles Morgenländische scheint wie weggeblasen zu sein, und man könnte wirklich meinen, in Oesterreich herumzuspazieren. Da, wo die Strasse breiter wird und in einen mit doppelter Baumreihe bepflanzten Boulevard übergeht, erhebt sich das Reiterstandbild des Fürsten Michael, auf dessen Bild und Namen man überall im Lande stösst. Nicht weit von dem Denkmale steht ein in italienischem Style erbautes Theater mit klassischen und eleganten Linien, und hier werden — der Staat zahlt eine Unterstützung von 40000 Franken, um das Halten einer Schauspielertruppe möglich zu machen — bisweilen Volksstücke, besonders aber serbische Uebersetzungen französischer oder deutscher Werke aufgeführt. Auf dem Glacis der Festung, welche Kalimegdan heisst, ist ein öffentlicher Garten angelegt, und diesen pflegen die Bewohner Belgrads an Sommerabenden aufzusuchen. Dann kann man hier den Klängen der Militär- musik lauschen, und dabei gleitet nun der Blick über ein herrliches Bild. Am Fuss der Anhöhe, woselbst die beiden grossen Flüsse zusammenströmen, scheint ein See zu liegen. Auf der einen Seite, von Westen her, kommt die Sau, und auf der anderen fliesst die Donau gen Osten hinab nach den wilden Schluchten von Basiasch, während im Norden die halb überschwemmten Ebenen Ungarns bis ins endlose Weite sich auszudehnen scheinen. Hier auf diesem Glacis haben die Türken ihre Opfer gespiesst und gepfählt, und entsetzliche Erinnerungen, furchtbare Berichte über Metzeleien und Marterqualen tauchen vor mir auf. Als ich im Jahre 1867 in der Festung weilte, waren die türkischen Truppen soeben ausgerückt, und ich fand am Boden kleine viereckige Papierstückchen liegen, auf denen drei arabische Worte standen: »O Simeon, Kämpfer (gegen die Ungläubigen)«. Die nichtswürdige Beschiessung vom Jahre 1862 hatte Europa, um einer unerträglichen Lage ein Ende zu machen, zum Einschreiten gedrängt. Das alte türkische Viertel, welches sich an der Donau entlang hinzog, war damals vollständig verödet, und seine sämmtlichen Bewohner hatten das Weite gesucht. Heute sind die verlassenen Häuser abgetragen wTorden, und spanische Juden führen nun neue Bauten auf. Von der Herrschaft der Moslims blieben keine anderen Spuren mehr zurück als einige Brunnen mit arabischen Inschriften und eine zerbröckelte Moschee. Früher waren die türkischen Gotteshäuser sehr zahlreich vorhanden, und der Räumungsvertrag enthielt die ausdrückliche Bestimmung, dass dieselben nicht zerstört werden sollten. Da aber Niemand für ihre Erhaltung sorgt, benagt der Zahn der Zeit sie immer mehr und mehr; sie fallen in Trümmer und werden bald ganz verschwunden sein. Das muss man bedauern, und die serbische Regierung sollte eine Moschee erhalten als Erinnerung an das Vergangene und auch als Denkmal der Baukunst. Schnell und unaufhaltsam wird der Halbmond nach rückwärts gedrängt, und heute ist er schon über den Balkan zurückgeworfen, wo ihm nur noch ein blosses Scheindasein bleibt. Auch da, wo es nach der Sau und der Donau hügelab geht, hat man neue Strassen — ein ausschliessliches Villenviertel — angelegt. Die sehr eleganten Häuser bestehen nur aus einem Erdgeschosse, haben einen Garten, einen grossen Hof und ausgedehnte Nebenräumlichkeiten, so dass sie einen weiten Platz einnehmen und ihren Bewohnern viel Licht und Luft zu gewähren vermögen. Alle alten und neuen Bauten sind aber in lichten Farben gehalten, und Serbiens Hauptstadt rechtfertigt also immer noch ihren Namen — Beo Grad oder weisse Stadt. Von meinem Fenster aus kann ich die Hofräume einer Schule überblicken, und hier tummeln sich Zöglinge herum, deren Kleider und Spiele ganz mit der Art und Weise des Abendlandes übereinstimmen. Eine besondere Beachtung verdienen jedoch die Volkslieder, welche die Jugend Serbiens bei ihren Spielen häufig zu singen pflegt, und es sollten hier Forschungen angestellt werden, wie Pitre dies für Sizilien gethan und wobei er den Widerhall von den ältesten Mythen der aria-nischen Rasse herausgefunden hat. Mit den Jugendspielen mussten die Leiter des Unterrichtes sich von einem ganz anderen Gesichtspunkte aus beschäftigen. Unter all den Lehrgegenständen, mit welchen man die Schulpläne vollgestopft hat, bleibt kein Raum mehr, um die Stählung der körperlichen Kräfte gebührend berücksichtigen zu können, und die Schüler der oberen Klassen betrachten die Spiele als etwas unter ihrer Würde Stehendes. Sie spazieren lieber herum, plaudern und stellen allerlei Erörterungen an. Ihr Gehirn wird überreizt, ihre Körper- kraft geschwächt, und am Marke der neuen Geschlechter nagt die Blutarmuth. Das Bischen vorgeschriebene Gymnastik genügt nicht, und man braucht durchaus Spiele, welche das Blut in Wallung bringen und die Muskeln stärken, während sie gleichzeitig den inneren Menschen kaltblütig, entschlossen und scharfblickend machen, — Zwecke, die in England das Cricket (Fangballspiel) und in Frankreich das Kriegs- oder das Ballspiel erfüllt. Die Alten, und besonders die Griechen, haben es prächtig verstanden, das ganze Sein des Menschen zu erfassen und es sittlich, geistig und körperlich zur Entwicklung zu bringen. Eine unvergleichliche Einrichtung waren die römischen Bäder, in denen die Philosophen lehrten und welche die Bibliothek und zugleich auch die Stätte für die Ring- und Faustkämpfe umschlossen. Hierin sind nur die Engländer dem Vorbilde der Alten treu geblieben, und ihre Universitäten bilden, offen gestanden, weit mehr eine starke und gesunde, als eine gelehrte Jugend heran. Kräftigenden Spielen widmen die Studenten den ganzen Nachmittag, und die jungen Mädchen, welche Collegia hören, nehmen sich ein solches Beispiel zum Muster. Ich weiss z. B. von einer grossen Ballspiel-Partie zu Cambridge, welche die weiblichen Zöglinge des von Fräulein Helene Gladstone geleiteten Newham-und die aus dem von Girton-College unternahmen. Darf ich vielleicht die Frage, welcher Platz den Spielen und Erholungsstunden im Rahmen der Gesammt- Erziehung einzuräumen ist, dem serbischen Unterrichtsministerium — und wohl auch dem anderer Länder — zur Prüfung unterbreiten? Der Königin Nathalie sind die Spiele im Freien sehr ans Herz gewachsen, und sie wäre vielleicht nicht abgeneigt, für die beste Schrift über den wichtigen Gegenstand einen Preis auszusetzen. Als ich Abends beim Sekretär der französischen Gesandtschaft weilte, der mich zum Thee eingeladen hatte, hörte ich, wie im gegenüberliegenden Garten des Palastes die Croquet-Kugeln noch rollten, nachdem die letzten Sonnenstrahlen der Dunkelheit bereits gewichen waren. — Ich besuche einige Schulen und finde dieselben ganz nach abendländischem Muster eingerichtet, und auch in der Anhäufung des Unterrichtsstoffes steht man dem Westen hier keineswegs nach. Der Plan serbischer Gymnasien weist folgende Gegenstände auf: lateinische, französische, deutsche, serbische und alt-slawische Sprache, Geschichte der National-Literatur, Welt- und serbische Geschichte, Geographie, Kosmographie, Botanik, Zoologie, Mineralogie, Geologie, Physik, Chemie, Biologie, Anthropologie, Arithmetik, Algebra, Geometrie, beschreibende Geometrie, Zeichnen, Stenographie, Gymnastik, Musik und Gesang. Bis 38 Stunden kommen auf die Woche, und von diesen fallen zum Glücke, worüber die Serben sich freuen können, 3 auf gymnastische Uebungen und 2 auf den Gesang. Im Griechischen wird nicht unterrichtet, und auch bei uns büebe die Streichung desselben bei der Art und Weise, wie man's zu behandeln pflegt, nicht besonders zu bedauern. Durch ihre vielen Forderungen schwächt und ermüdet die Schule das Gehirn der Jugend; doch es ist allerdings schwer zu sagen, was und wo denn eigentlich gestrichen werden soll. Die mathematischen Wissenschaften sind unerlässlich, und die alten Sprachen, welche den Schönheitssinn, den Styl und das Denkvermögen heranbilden, kann man doch erst recht nicht entbehren. Ist's denn heute aber wohl möglich, ohne einige lebende Sprachen auszukommen, und braucht der Gebildete vielleicht von den ihn umgebenden Naturerscheinungen oder von dem Baue des eigenen Körpers, der Hülle seines Geistes, nichts zu wissen? Serbien unterhält 3 vollständige und 20 »Halb-Gymnasien« — d. h. Anstalten, in denen der Unterricht nicht sämmtliche Gymnasialfächer umschliesst — und verausgabt dabei die ganz anständige Summe von einer halben Million Franken. Das Gymnasium zu Belgrad hat 620 und das zu Kragujewatz 357 Schüler, und man sieht also, dass es doch bereits Leute giebt, welche für ihre Kinder einen höheren Bildungsgrad erstreben. Nach den amtlichen Angaben, die mir vom Unterrichtsministerium übermittelt wurden, besass das Königreich im Jahre 1883 — die neuen Provinzen eingeschlossen — 618 Schulen mit 821 Lehrern und Lehrerinnen und 30314 Schülern und Schülerinnen. Bei einer Bevölkerung von 1750000 Seelen kam damit also auf je 48 Einwohner nicht mehr als 1 Schüler — eine äusserst niedrige Ziffer! — und die Schuljugend machte folglich bloss 2 Prozent des Ganzen aus. Von den serbischen Städten hatten damals — 1883 — 2, Belgrad und Nisch, mehr als 20000 Einwohner, während 8 mit 5000 bis 10000 und 43 mit 2000 bis 5000 Seelen verzeichnet standen; ausserdem umfasste das Land noch 930 Marktflecken und Dörfer mit 500 bis 2000 und 1270 kleine Weiler mit 200 bis 500 Bewohnern. Da die Zahl der Schulen sich nur auf 618 belief, so folgt daraus, dass es selbst grosse Dörfer giebt, welche noch keine Unterrichtsanstalt haben. Ein Fehler war's, das höhere Schulwesen zu begünstigen und so die Zahl der Stellenjäger zu vermehren. Serbien ist ein ackerbautreibendes und demokratisches Land und muss gleich der Schweiz darauf bedacht sein, vor allen Dingen den Bauern, den eigentlichen Schöpfer des Reichthumes, zu unterrichten. Das fortschrittliche Ministerium hat das begriffen, und der Unterrichtsminister Nowakowitsch brachte in der Skupschtina ein Gesetz durch, welches an umfassender Gründlichkeit nichts zu wünschen lässt, und bei dessen Aufstellung man die auf dem Gebiete der Schulgesetzgebung fortgeschrittensten Staaten — Sachsen und die skandinavischen Länder — im Auge behielt. Die Schulpflicht umfasst einen Zeitraum von sechs Jahren — vom siebenten bis dreizehnten Jahre —, und daran schliesst sich ein Fortbildungsunterricht, dessen Dauer auf zwei Jahre berechnet ist. Jede Schulgemeinde muss die nöthigen Räume, Geräthe und Bücher liefern, dem Lehrer eine angemessene Besoldung auszahlen, demselben ein Haus, einen Garten im Umfange von einem Morgen und Brennholz zur Verfügung stellen und ihm später auch eine Pension gewähren. Nach 20 Dienstjahren beträgt diese vierzig Prozent des Gehaltes, und mit jedem weiteren Jahre steigt sie um zwei Prozent und erreicht schliesslich die volle Höhe des Gehaltes. Das Gesetz schreibt ferner eine jährliche Musterung aller Schulen vor, eine Prüfung der Schüler, eine eigene Schulkasse und eine besondere, von sämmtlichen Steuerpflichtigen aufzubringende Schulsteuer. Die Gemeindelehrer ernennt der Minister, und die Berechtigung, Privatschulen eröffnen zu dürfen, macht derselbe von der Erfüllung sehr ernster Forderungen abhängig. Falls Serbien sein Schulgesetz wirklich und vollständig durchzuführen vermag, kann es mit berechtigtem Stolze auf das Vollbrachte hinschauen. Es wird .aber viel Geld dazu gehören, um alle aufgestellten Forderungen aus der Theorie in die Praxis hinüberzuschaffen, und es sollte für diese Zwecke — nach dem Vorbilde der Vereinigten Staaten — ein grosser Theil von den gar nicht besser zu verwendenden Einkünften der Staatsländereien flüssig gemacht werden. Das fortschrittliche Ministerium hat auch eine völlige Umgestaltung des Heerwesens vorgenommen, wobei General Nikolitsch die treibende Kraft gewesen ist. Es Laveleye, Balkanländer. l9 soll nun die Friedensstärke auf etwa 17000 Mann — die verschiedenen Waffengattungen zusammengenommen — sich belaufen, während im Kriegsfalle 80000 Soldaten einberufen werden könnten. Der Dienst im stehenden Heere dauert zwei Jahre, und bis zu seinem fünfzigsten Jahre bleibt jeder gesunde Mann der Militärpflicht unterworfen; zum ersten Aufgebote gehören die Zwanzig-bis Dreissig-, zum zweiten die Dreissig- bis Neununddr e issig- und zum dritten die Neununddreissig- bis Fünfzigjährigen. Für seine Ausrüstung hat Serbien viel geopfert, und allein die in neuerer Zeit beschafften 100000 Mauser-Milowanowitschflinten erforderten eine Summe von 7200000 Franken. Es wurden auch De Bange-Kanonen bestellt, mit denen, heisst es, bei Versuchen in Belgrad sehr zufriedenstellende Resultate erzielt worden sind, welche beim letzten (serbisch-türkischen) Kriege aber noch nicht eingetroffen waren. Im Jahre 1883 beliefen sich die für militärische Zwecke verausgabten Gelder auf 10305326 Franken. Einen sehr stattlichen Eindruck macht der griechischkatholische Dom mit seinen kuppeiförmigen Glocken-thürmen, an welchem noch vom Jahre 1862 her die Spuren der türkischen Kugeln sichtbar sind. Das Innere enthält an Eigenartigem weiter nichts als eine hohe Altarwand mit grossen, vom goldenen Untergrunde sich abhebenden Heiligenbildern, hinter welcher die Priester die Messe lesen. Ich finde das Gotteshaus, welches ich an einem Sonntage betrete, sehr leer und erblicke hier bloss einige Frauen, die Heiligenbilder umfassen und Kerzen anzünden, und fast gar keine Männer. Ist der Glaube auch nicht todt, so werden doch augenscheinlich die äusseren Andachtsübungen recht vernachlässigt. Der Italiener Barbanti Brodano, welcher 1875 als Freiwilliger den Krieg in Serbien mitgemacht hat, wundert sich in seinen lebendig geschriebenen und »Sulla Drina« betitelten Erinnerungen über die geringe Anzahl von serbischen Kirchen. Sieben bis acht Weiler haben nur ein einziges, sehr entfernt liegendes Gotteshaus von mehr als bloss bescheidenem Aussehen, während im Gegen-theile in Italien die Kirchen, Kapellen und Bethäuser im Ueberflusse vorhanden sind. Nach statistischen Angaben kamen auf 2253 Städte, Dörfer und Weiler nur 972 Pfarrkirchen. Der Staat besoldet nur die Bischöfe, deren Zahl sich in Serbien auf fünf beläuft. Die Popen werden von der Gemeinde unterhalten, und nach einem neueren Gesetze steht denselben (ausser ihrer Nebeneinnahme) das Recht zu, von jedem Steuerpflichtigen zwei Franken einzuziehen. Viele von ihnen haben Kinder, denn sie können, ehe ihre Weihung erfolgt, sich verheirathen. Mit ihrer Gelehrsamkeit ist's nicht weit her, und die Vorbereitung im Seminar war bis jetzt nur eine sehr lässige; zum grossen Theile sollen sie nicht einmal das bei der Messe gebrauchte Alt-Slawische verstehen. Aber das Volk hängt an ihnen, weil sie demselben menschlich nahe stehen und dessen vaterländisches Sein und Fühlen theilen. Ihr Feld bebauen sie selbst, und es kommt ihnen durchaus nicht in den Sinn, irgend eine Art von Ausnahmestellung beanspruchen zu wollen. Dieser Einfluss auf politischem Gebiete, welchen der römisch-katholische Priester noch in manchen Ländern — wie in Irland, Tirol und Belgien — über die Bauernschaft besitzt, fällt bei ihnen gänzlich fort, und das ist für die Wahlen wesentlich. Die griechisch-katholischen Kirchen sind im Gegensatze zu den römisch-katholischen nicht beständig geöffnet und erschliessen sich gleich den protestantischen Gotteshäusern nur am Festtage um die Zeit des Gottesdienstes. Der Unitarier Channing, welcher sonst wenig 19* Werth auf die äussere Frömmigkeit legt, zieht in jenem Punkte doch den Brauch der römischen Kirche vor. Allerdings sagt der Evangelist: »Wenn du beten willst, gehe in deine Kammer, schliesse die Thüre zu und sprich mit deinem Vater im geheimen«. Aber die Aussendinge umspinnen den Menschen doch nun einmal mit ihrem mächtigen Einflüsse, und wer dies nicht leugnen will, wird zugeben müssen, dass die Seele sich zu Gott in seinem Tempel leichter emporzuschwingen vermag, als zwischen vier kahlen Wänden. Die griechischen Katholiken finden ihre Gotteshäuser fast immer verschlossen und vergessen damit leicht den Weg zu denselben. Dem Berliner Vertrage verdankt es die serbische Landeskirche, dass sie nun mit dem Patriarchate von Konstantinopel keine Gemeinschaft mehr hat und wieder — so lautet die in der Skupschtina verlesene fürstliche Botschaft — den unabhängigen Standpunkt erlangt hat, welchen der heilige Sabbas ihr bei der Gründung gegeben hatte. An ihrer Spitze steht der Erzbischof Mrao-witsch, dessen Ernennung mit einem wichtigen politischen Ereignisse, mit Serbiens Entfernung von Russland und seiner Annäherung an Oesterreich, zusammenhängt. Eine den Laien aufgelegte Vermögenssteuer wurde nämlich auch auf die Geistlichen ausgedehnt, und der Mönch muss 100 und bei den höheren Graden 150 und 300 Franken zahlen. Dagegen verwahrte sich nun Erzbischof Michael, der Vorgänger des Erzbischofes Mraowitsch; er erklärte, dass jene Steuer den Rechten der Kirche widerspreche, und in seiner Eingabe an den Finanzminister heisst es: »Wie kann der Staat es wagen, klösterliche Gelübde und Würden zu besteuern, er, welcher etwas darein setzt, dieselben nicht zu kennen? An der Kirche wäre es, vom Staate eine solche Abgabe zu erheben; doch damit würden ihre amtlichen Verrichtungen ja eine käufliche Waare, was eine Sünde und eine Vergewaltigung geistlicher Gesetze ist, und sie möchte sich so der Simonie schuldig machen«. Die Regierung antwortete ihm, der für einen Agenten Russlands galt, dass den Geistlichen und ihrem Oberhaupte ebenso wenig wie den anderen Bürgern das Recht zustehe, sich gegen die Gesetze aufzulehnen, und es erfolgte seine Absetzung und die Ernennung seines Nachfolgers. Ob der Staat seine Befugnisse nicht überschritten hat? Nach dem kanonischen Gesetze wird der Erzbischof von der Synode ernannt, welche der älteste Bischof zu diesem Zwecke einberuft; vom Fürsten muss die Wahl aber bestätigt werden, und es fragt sich, ob damit auch das Recht der Absetzung verknüpft ist. »Noch hängt der Streit vor dem Richter«. — Die Freunde des alten Erzbischofes und die Parteigänger der Russen hatten auf den heftigen und entschiedenen Widerstand der gesammten Geistlichkeit gerechnet und sahen dann aber ihre Hoffnungen gründlich fehlschlagen. Das kriegerische Feuer des römisch-katholischen Priesters durchglüht die Popen keineswegs, und sie würden den Fürsten Bismarck schon nicht nach Kanossa drängen wollen. Sie schwiegen, und es mag dahingestellt bleiben, ob aus Gleichgiltigkeit oder aus Furcht vor der Macht des Staates. Doch Russlands Regierung und öffentliche Meinung fühlten sich ungeheuer verletzt durch diesen Vorgang und schrieben ihn mit Unrecht, heisst es, den Einflüssen Oesterreichs zu. Während meines Aufenthaltes in Belgrad schien die Sache jedoch schon beigelegt zu sein. Der neue Erzbischof, dem ich einen Besuch mache, blickt aus seinen grauen Augen nicht ohne Schlauheit in die Welt hinein; er ist ein Greis von kleiner Statur, und seine langen weissen Haare fallen bis auf die Schultern herab. Als ich mir die Frage erlaubte, ob seine Pfarrkinder überall so schlechte Kirchenbesucher wären wie in Belgrad, entgegnete er: »Auf einen regelmässigen Besuch der Messe halten die Landleute leider nicht. Aber sie sind dennoch gute Christen und hängen fest an ihrer Religion, die mit all ihren Familienfesten innig verwebt ist und mit ihrem vaterländischen Sein und Wesen völlig verschmilzt. Die Jahrhunderte, während welcher wir von den Moslims niedergetreten und von der fanariotischen Geistlichkeit ausgesogen wurden, haben uns keineswegs zu Abtrünnigen gemacht«. — »Ihr Kultus«, warf ich ein, »lässt die Ehescheidung zu; wird damit hier nun kein Missbrauch getrieben?« — »Durchaus nicht; aber in Bukarest soll das allerdings etwas anderes sein«. Der grosse Palast, in welchem der Erzbischof wohnt, liegt neben dem Priesterseminar und gegenüber dem Dome und trägt in seiner Ausstattung keineswegs den Stempel des Prunkes und der Prachtliebe. In ihrer überwiegenden Mehrzahl gehören die Bewohner Serbiens dem griechisch-katholischen Bekenntnisse an, und von Andersgläubigen umschliesst das Land nur noch ungefähr 3000 Juden, welche ihrer Abstammung und Sprache nach Spanier sind, und ausserdem etwa 15000 römische und meistens nicht einheimische Katholiken. Diese letzteren stehen unter der geistlichen Fürsorge des Bischofs von Djakovo, dessen Wirkungskreis über Serbien sich erstreckt und unlängst auch noch über Bosnien ausgedehnt war. Für das ganze Morgenland besitzen die religiösen Streitfragen eine so ungeheuere Wichtigkeit, weil dieselben hier eben mit den Rassenkämpfen und folglich auch mit der Politik zusammenfallen. Im Gasthofe begegne ich einem rumänischen Gutsbesitzer aus Bessarabien, der mir über Vorgänge, welche sich in seiner Heimath abspielen, einige nitfiere Angaben macht. Dort ist die Mehrzahl der Bevölkerung ruthenisch und rumänisch und gehört folglich dem griechisch-katholischen Bekenntnisse an. Seit einiger Zeit rühren sich nun aber gewaltig die in Bessarabien begüterten Polen und auch die Jesuiten, welche im Lande ansässig wurden. Felinski, der frühere römisch katholische Erzbischof von Warsowie, welcher aus Sibirien, wohin er verbannt worden war, zurückgekehrt ist und nun in Czernowitz lebt, bildet den Herd jener Bestrebungen zu Gunsten Roms, und die mit der Erziehung junger Mädchen sich beschäftigenden Ursu-linerinnen sind in gleicher Richtung thätig. Die Polen Galiziens träumen davon, eines Tages Bessarabien ihrem Lande einzuverleiben, und wollen deshalb die dortige griechisch-katholische Bevölkerung allmählich zu Polen und Römlingen machen. Der griechisch-katholische Erzbischof von Czernowitz, Morariu Andriewitsch, klagt in einem Hirtenbriefe bitter darüber, dass derartige Bestrebungen den Frieden und die Gewissensfreiheit seiner Pfarrkinder bedrohen. Er spielt eine sehr wichtige Rolle, und sein grosser Palast ragt über alle anderen Gebäude der Stadt empor und ist das schönste von ihnen; seine hellfarbigen Fresken und vergoldeten Verzierungen muthen den Beschauer wie ein Stück byzantinischen Glanzes an. Oesterreich hat ein ganz offenbares Interesse daran, den Ränken der Jesuiten den Fuss auf den Nacken zu setzen. Solche Bekehrungsversuche führen zu schlimmen Wirren, und falls die Bevölkerung sich davon überzeugt, dass die Regierung in den Händen von Römlingen liegt und ihnen entgegenarbeitet, werden ihre Blicke nach Russland schweifen. Ich freue mich, hier in Belgrad mit dem belgischen Gesandten, meinem Kollegen von der Akademie zu Brüssel, Emil von Borchgrave, zusammenzutreffen. Seine werthvolle Arbeit über die flämischen und sächsischen Kolonien Siebenbürgens und sein treffliches Buch über Serbien haben mir in Gemeinschaft mit den Berichten des englischen Gesandtschaftssekretärs Alexander Mason grosse Dienste geleistet. Er führt mich zum Könige, den ich, als er in Paris das Gymnasium durchmachte, oft im Hause meines alten Lehrers Franz Huet gesehen habe. Damals war er ein schöner Jüngling mit feurigen Augen, welchem bereits das Bewusstsein, dem serbischen Volke anzugehören, die Seele schwellte, und eines Tages sagte er zu mir, auf eine Zeitung, in welcher seines Vaterlandes rühmend gedacht wurde, hinweisend: »Lesen Sie! Ja, ja, wir sind nun keine Barbaren mehr«. Ein Zeitraum von achtzehn Jahren hat aus dem jugendlichen Schüler eine glänzend stattliche Erscheinung gemacht, und ich stehe jetzt einem grossen, kräftigen Manne gegenüber, der sich Milan L, König von Serbien, nennt. In liebevollster Erinnerung gedenkt er aber immer noch des Landes, welches die Heimstätte seiner Jugend war, und wo Herr und Frau Huet wie Eltern sich seiner angenommen haben. Im Jahre 1868 war es, als er Paris ganz plötzlich verlassen musste, um seinem Vetter, dem im Parke von Topschidere ermordeten Fürsten Michael, auf den Thron zu folgen. Dieser Besuch im Palaste macht mich mit einer im Morgenlande bei der Bewillkommnung von Gästen geübten Sitte bekannt, der die Serben treu geblieben sind. Ein Diener bringt nämlich auf einer silbernen Platte eine Schaale mit Eingemachtem und für jeden ein Glas Wasser, und man nimmt einige Löffel von jenem und trinkt einige Schlucke von diesem. Mit den Staatsausgaben und -einnahmen war der König nach allen Richtungen hin aufs eingehendste vertraut, und er freut sich, dass die letzteren, welche 1868 — d. h. im Jahre seiner Thronbesteigung — 13 Millionen betrugen, im Jahre 1883 eine Höhe von 34 Millionen erreichten. »Doch dabei soll's nicht bleiben«, fügte er hinzu. »Noch sind die Abgaben nur nicht gut vertheilt, und man könnte mit ihnen, ohne die Steuerzahler zu drücken, die doppelten Beträge erzielen«. — Ich erlaubte mir die Bemerkung, dass alle modernen Staatswesen an einem Anschwellen der Ausgaben kranken, und dass man dieses Leiden, um es nicht tödtlich werden zu lassen, mit aller Macht bekämpfen müsse. Eine Thatsache ist's, dass das serbische Finanzsystem sich noch in recht waldursprünglichen Formen bewegt. Die direkte Steuer wird nicht nach dem Grund und Boden, sondern nach der Zahl der Steuerpflichtigen — porezka glava — berechnet, und ihr Höchstbetrag belastet den Einzelnen in den Dörfern mit 15, in Belgrad mit 60 und in den anderen Städten mit 30 Maria Theresia-Thalern. Der mittlere Betrag stellt sich auf 6 Maria Theresia-Thaler — ungefähr 30 Franken —, und davon werden 3 als Kopf- und 3 als Vermögenssteuer erhoben. Dem Einkommen nach zerfallen die Steuerpflichtigen in eine ganze Menge von Klassen, und die Arbeiter zahlen eine Kopfsteuer, welche, ihrem Lohne entsprechend, zwischen 2.40 und 9.60 Franken schwankt. Die direkte Steuer, welche 1883 etwa zwölf Millionen abwarf, wird im Interesse des Staates von der Gemeinde erhoben, und diese hat die Beträge auf ihre einzelnen Glieder zu vertheilen. Die indirekten Steuern ergaben zwei Millionen, die Staatsländereien ebenso viel und die verschiedenen Stempel- und Eintragungsgebühren noch fernere zwei Millionen. Die Gemeinden können eine Abgabe erheben, für welche die bei der direkten Staatssteuer in Frage kommenden Grundsätze maassgebend sind, die aber in den Dörfern den vierten, in den Städten den dritten Theil und in Belgrad die Hälfte der letzteren nicht überschreiten darf. Auf Grund genauer Beweisstücke will ich über die jährlichen Steuern eines Belgraders berichten, welcher der 11. Steuerklasse — es giebt deren 40 — angehört. Er zahlt im ganzen 58.80 Franken, und davon werden eingezogen 30.32 direkt für den Staat, 2.50 für die Schulen, 1.60 für die Krankenhäuser, 2 für die Geistlichkeit, 13.48 für die Gemeinde, 1.90 für die Armen, 1 für militärische Zwecke, 1 für die Erwerbsunfähigen und 4 zur Tilgung der Staatsschuld. Dabei wird man allerdings an den »eingebildeten Kranken« und dessen Apotheker erinnert; aber es ist doch immerhin ein grosser Vortheil, dass jeder ganz genau weiss, wofür er denn eigentlich zahlt. In England verfährt man in gleicherweise, und es werden hier von jedem Pfund Sterling des Einkommens einige Pfennige für Schulen, Wege, Beleuchtungszwecke u. s. w. in Abrechnung gebracht. Die Uebersicht ist damit eine leichtere, und der Steuernde wird zu einer solchen auch mehr angeregt als z. B. der Belgier und der Franzose durch die Einzahlungen in Bausch und Bogen. Diese bilden eine Masse, aus welcher die Regierungen nach den für den Staatshaushalt gemachten Voranschlägen schöpfen, und worin sich kaum jemand zurechtzufinden vermag, während dies in Belgrad selbst einem Kinde möglich ist. Alles, was der Vergeudung im Staatshaushalte eine Schranke setzen kann, muss man allerdings freudig begrüssen; es fragt sich eben nur, ob jene genau bis ins Einzelne gehenden Aufstellungen das geeignete Mittel zum Zwecke sind. Die Einführung einer Bodensteuer würde sich für Serbien gewiss empfehlen, und zwar nach Maassgabe eines Grundbuches, welches über die Ausdehnung, den Werth und die Erträge der einzelnen Besitzungen genaue Aus- kunft giebt. Doch die hieraus erwachsenden Vortheile könnten leicht eine Erhöhung der Ausgaben im Gefolge haben, und es ist ja immer nur noch das Heer, welches die von den Bauern gelieferten Mehrerträge verschlingen würde. Der König ladet mich zum Frühstücke und zu einer hierauf folgenden Antheilnahme an einem Dorffeste ein. Der alte fürstliche Palast, der Konak, ist eine einstöckige Villa und wird durch ein Gitter und durch einen Garten, der nach hinten zu einem schattigen Parke verläuft, von der Strasse getrennt. Die ganze Ausstattung offenbart keine Ueberladung und nichts Aufdringlich-Prunken-des und erinnert an das Landhaus eines englischen Lords. Königin Nathalie ist die Tochter des russischen Obersten Keschko, eines bessarabischen Bojaren, und der rumänischen Prinzessin Sturdza und folglich König Milans Cousine. Sie entstammt dem alten provenzalischen Geschlechte der Baulx, deren Name im Italienischen und Rumänischen »Balsa« lautet. Mehrere Ritter aus diesem Hause gingen mit Karl von Anjou nach Neapel, während andere sich in Serbien niederliessen, als Helene von Court-nay daselbst Königin war. Mehrere weibliche Mitglieder dieses Geschlechtes — Adelais, Laurette und Phanette — wurden von den Troubadours besungen, und in der Nähe von Arles steht noch das alte Schloss Baulx. Die Königin, eine hohe, schlanke Gestalt mit den grossen, sammetweichen Augen der Wallachin, gemahnt an ein strahlend-schönes und lebenswarmes Götterbild, und bei einem Besuche in Florenz, ihrer Geburtsstadt, hat sie durch ihre blendende Erscheinung die allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Ehe man zur Tafel geht, erscheint das einzige Kind des königlichen Paares, Prinz Alexander. Geist und Leben steckt in demselben, und er hat das Glück, seinen Eltern zu ähneln. Ob das Schicksal ihn vielleicht zum neuen Duschan des serbischen Reiches ausersah und ihm eines Tages in Konstantinopel die alte Zarenkrone aufs Haupt setzen will? In Leandern, deren Verhältnisse in einem Umbildungsprozesse begriffen sind, und wo es überall brauset und zischt, macht der Geist unwillkürlich recht gewagte Sprünge und hascht nach sehr kühnen Traumbildern. Inzwischen ersteht neben dem alten Konak ein grosser stattlicher, pracht- und prunkvoller Palast, den man wenigstens nicht bis an die Boulevards hätte heranrücken sollen. Für die elegante Frühstückstafel hat ein vortrefflicher Koch gearbeitet, und an der Spitze der Tischkarte befindet sich das königliche Wappen mit dem serbischen Wahlspruche »Tempus et meum jus«. Es werden aufgetragen Fleischbrühe, Makaroni ä la Lucullus, Sterlett mit Matrosen-Sauce, Ochsenrippen mit Trüffeln, Laibacher Krebse ä la Proveneale, französische Hühner, Spargel ä la Polonaise, kleine grüne Erbsen und Erdbeereis. Man wirft mir vielleicht eine gewisse Aehnlichkeit mit jenem Diplomaten vor, der mehrere Theile seiner reich gebundenen Denkwürdigkeiten nur mit Angabe der Speisen gefüllt hatte, welche ihm an den verschiedenen Mittagstafeln vorgesetzt worden waren. Doch in dem, was die Bewohner eines Landes essen, spiegeln sich der Wohlstand des Volkes und die örtlichen LIilfsquellen, und deshalb ist die Kenntniss dessen, wovon die Leute leben, die Bauern in ihren Hütten bis hinauf zum Fürsten in seinem Palaste, des Wissens wohl nicht so ganz un-werth. Gipfeln aber alle wirthschaftlichen Bestrebungen nicht auch darin, die Gesammtheit mit Nahrungsstoffen zu versorgen? Der kluge und geistreiche Verfasser der »Physiologie des Geschmackes«, Brillat-Savarin, würde mir gewiss verziehen haben. Beim Frühstücke erinnert die Königin mich daran, — sie spricht gleich dem Könige das reinste Französisch — dass ich in der »Revue des Deux Mondes« gegen den Luxus gepredigt habe und folglich diese überflüssigen Dinge absprechend beurtheilen muss. »Ueberau richten die nutzlosen Ausgaben«, entgegnete ich, »die Familien und die Staaten zu Grunde, und so scheint mir's wirklich Sache der Fürsten zu sein, in einfacher, haushäl terischer Lebensführung mit gutem Beispiele voranzuschreiten«. Nachdem der Kaffee eingenommen ist, geht's in das nicht weit von der Sau liegende Dorf, in welchem die »Slawa« gefeiert wird; der Weg befindet sich in keinem sehr guten Zustande, doch die ungarischen Pferde legen ihn in schnellem Trabe zurück. Des Königs erster Adjutant, der Oberstlieutenant Franassowitsch, belehrt mich darüber, was eine Slawa ist. Eine solche, d. h. das Fest des besonderen Schutzheiligen, hat jede Familie und jedes Dorf, und diese alte Sitte reicht mit ihrem Ursprünge bis in jene Zeiten zurück, wo die gesammte Familie in ehrwürdiger Vereinigung unter einem Dache lebte. Ueberau, selbst in den Städten, wird die mehrere Tage andauernde Slawa heute noch gefeiert. Das Haus schmückt sich alsdann mit Laubwerk und mit Blumen, und ein Festmahl vereinigt unter dem Vorsitze des Familienhauptes die nächsten Verwandten. Mitten auf dem Tische liegt ein Brot aus reinstem Weizenmehl, und innerhalb des Kreuzes, welches man diesem Ge-bäcke eindrückte, befindet sich eine brennende, und zu Ehren der Dreieinigkeit, dreiarmige Kerze. Der Pope spricht ein Gebet und fleht den Segen Gottes auf die ganze Familie herab, und beim Nachtische werden dann, worin die Serben Vorzügliches leisten, Trinksprüche ausgebracht und Lieder gesungen. Eine solche Slawa und auch das Todtenfest bringt's dem Beobachter zum Bewusstsein, wie mächtig hier noch das Familiengefühl ist Darin liegt eins von den Kennzeichen, die jeder ursprünglichen Gesellschaftsform aufgedrückt sind, und der Stamm ist hier gleichsam die Zelle, in welcher das menschliche Leben zur Entwicklung kommt. Husaren in entzückenden ungarischen Uniformen reiten dem leichten offenen Wagen voran, in dem der König und die Königin ankommen. Das Dorf besteht nur aus wenigen niedrigen und strohgedeckten Häusern, und diese liegen versteckt zwischen den Gärten, in welchen die grossen Pflaumenbäume mit ihren bläulichen Früchten stehen. Eine Kirche giebt's hier nicht, und den Mittelpunkt des Ganzen bildet die Schule, um welche heute Blumen und grüne Zweige sich winden. Unter dem Vorbaue derselben liegt ein Teppich, auf dem Sessel für die Majestäten und deren Gefolge stehen, und bei der Ankunft des königlichen Paares rufen die zahlreich versammelten Bauern »Zivio!« was »Lloch!« bedeutet. Der Präfekt und der Unter-Präfekt mit schwarzem Leibrocke und weisser Kravatte sind so ehrerbietig, steif und ungelenk wie abendländische Beamte, während der Schulze, der »Presednik«, in seiner schönen Gewandung sich schon ganz anders ausnimmt. Er trägt eine braune, mit schwarzer Schnur bestickte Jacke, kurze, weite Hosen und albanesische Gamaschen und bewegt sich vollkommen leicht und ungezwungen; in der Rede, mit welcher er den König begrüsst, redet er denselben, einer alt überlieferten Gewohnheit folgend, mit »Du« an. Er erinnert an längst vergangene Jahrhunderte, und in scharfen Gegensätzen heben sich das alte Sein und Wesen und das neue und mit Macht eindringende von einander ab. Nachdem nun das königliche Paar und dessen Begleiter auf den Sesseln Platz genommen haben, hebt ein ganz eigenartiger Vorgang an. In langem Zuge schreiten nämlich die Bäuerinnen auf die Königin zu, und jede von ihnen drückt ihr auf beide Backen einen schallenden Kuss, den sie ihrerseits gewissenhaft zurück-giebt. Das Bild, welches sich dabei entrollt, ist durchaus kein alltägliches. Die Königin trägt ein Kleid von blauem Foulard mit weissen, erbsenförmigen Pünktchen und einen mit entsprechend schattirtem Sammet besetzten Strohhut. Ihre anmuthigen, eleganten Formen kommen in dem leichten Anzüge ganz und voll zur Erscheinung, und neben ihr, der ausgeprägten Verkörperung modernen Lebens, bewegen sich diese Bäuerinnen, deren äusseres und inneres Leben vollständig in den Rahmen der Vergangenheit hineingehört. Sie tragen ein hemdartiges, mit buntfarbiger Wolle besticktes Kleidungsstück, eine Schürze, die mit sehr lebhaft gehaltenen und dabei doch anmuthig zusammengestellten Arabesken ganz bedeckt ist, auf dem Kopfe ein rothes Tuch oder Blumen und Zechinen und um Hals und Gürtel schwere, aus Gold-und Silbermünzen gebildete Ketten. All diese Stoffe und Stickereien sind aber das Werk ihrer eigenen Hände. Eine von diesen Frauen, eine sehr alte, wenig saubere und schlecht gekleidete, welche entsetzlich nach Knoblauch riecht, umarmt die Königin vier oder fünf Mal und richtet eine schier endlose Rede an dieselbe. Mit der Frage: »Nun, lass hören, was willst Du?« unterbricht der König den Wortschwall. — »Mein einziger Sohn«, entgegnete die Alte, »ist im letzten Kriege getödtet worden, und folglich gebührt mir eine Pension; doch ich erhalte dieselbe nicht«. — »Presednik«, ruft der König dem Schulzen zu, welcher ihm zur Seite geblieben war, »das geht Dich an; was hast Du zu sagen?« — //Dass diese Frau ihr Auskommen hat und eine Pension also nicht braucht«. — »Aber eine Frau aus dem nächsten Dorfe besitzt mehr Land als ich und bekommt doch eine Pension«, eiferte die Alte. — »Ueber das Thun anderer Leute habe ich kein Urtheil zu fällen«, entgegnete der Schulze; »ich erfülle nur meine Pflicht und vertrete das Interesse meiner Steuerpflichtigen«. — »Das soll untersucht werden«, fiel der König ein. »Oberst Franasso-witsch, haben Sie die Güte, eine Aufzeichnung zu machen«. — So stelle ich mir den unter einer Eiche Recht sprechenden heiligen Ludwig vor, und es muthet mich dieser ganz kleine Vorgang wie ein Bild aus längst vergangenen Zeiten an. Der König machte mir auch nähere Angaben über die Gemeindeverfassung Serbiens. Innerhalb der vom Gesetze gezogenen Schranken erfreut sich die Gemeinde, die »Opschtina«, einer vollständigen Selbstverwaltung, und sie ernennt den Gemeinderath und den Schulzen ohne irgend eine Einmischung von Seiten der Centrai-Regierung. Die Zahl der Gemeinderäthe hängt von dem Umfange der Gemeinde ab, doch gehören zu jeder Beschlussfassung mindestens drei derselben. Die Gemeinde-Steuern und -Ausgaben werden einzig und allein vom Gemeinderath festgesetzt. Ein in solch ursprünglichen Formen sich bewegendes Gemeindewesen trifft man noch in der Schweiz, in Norwegen und unter dem Namen »Township« in Amerika, und ehe die Centrai-Regierung ihre Befugnisse ausdehnte, hat es überall bestanden. Den Serben ist aber auch noch ein anderes Bruchstück alter Freiheit geblieben, nämlich durch die Gerechtigkeitspflege, welche in den ersten Stadien vollständig der Gemeinde obliegt. Der Schulze mit seinen beiden, für die Zeit eines Jahres erwählten Beigeordneten bildet einen Gerichtshof, der in allen, bis zu 200 Franken hinaufgehenden Streitfällen entscheidet und von den Strafsachen über die einfachen Polizeivergehen aburtheilt. Eine etwaige Berufung gegen seine Entschliessungen kann dann vor einer Kommission eingelegt werden, die aus fünf, auf drei Monate ernannten Mitgliedern besteht. Der Gemeinderath wählt auch die Geschworenen, welche dem Schwurgerichte, um über die ihrer Gemeinde entstammenden Angeklagten zu richten, beigegeben werden. Während des Mittelalters wurde die Gerechtigkeitspflege im ganzen westlichen Europa in ähnlicher Weise von den Gemeindeschöffen geübt. In Serbien steht über den örtlichen Gerichtshöfen ein oberstes Bezirks-, ein Appellations- und ein Kassationsgericht, wobei man sich die Franzosen zum Muster genommen hat. Durch ein neueres Gesetz sind den Dorfbehörden ihre Befugnisse beschnitten worden, und man will überhaupt, um alles methodischer und einheitlicher zu gestalten, auf Kosten der Selbstregierung den Wirkungskreis der Centrai-Regierung erweitern. Das ist ein ganz entschiedener Rückschritt. Im Westen Europas erringt die Decentrali-sation sich im Gegentheile eine immer grössere Anzahl von Freunden, und die Gemeinde, wie sie in den Vereinigten Staaten zu finden ist, würde man hier mit Freuden begrüssen. In der Nähe der Schule bemerkte ich ein hölzernes, seltsam geformtes und sehr langes Gebäude mit dickem Strohdache. Es ruhte auf Pfählen, und diese standen i m über dem Boden empor. Auf den Getreidespeicher deutend, denn einen solchen hatte man vor sich, sagte der König zu mir: »Sie sehen hier eine von unseren Vorrathskammern, deren Inhalt im Hinblicke auf Zeiten des Krieges aufgeschichtet wird. Hierin liegt auch noch so ein Stück von unserem Festhalten am Althergebrachten, und alle Gemeinden müssen eine solche Scheune haben, nach welcher jedes Familienhaupt jährlich 150 Okas — ungefähr 182 kg — Mais oder Weizen abzuführen hat. Auf diese Weise stehen uns für gewöhnlich 60 bis 70 I-aYeleye, Balkanliinder. 20 Millionen Kilogramm Getreide rat Verfügung, welche im Kriegs- oder Theuerungsfalle vertheilt werden können.« Nun schickt man sich zum slawischen Volkstanze, zum »Kolo" — dem Chortanze der alten Griechen — an, welchen die Bulgaren »Koro« nennen. In bunter Reihe stellen Männer und Frauen sich zu einem weiten Kreise auf und fassen einander an den Händen oder an der Taille an. Zigeuner, welche ihre Volksweisen spielen, nehmen den Mittelpunkt ein. Hüpfenden Schrittes, dabei aber langsam und gemessen, bewegt man sich dann in allerlei Windungen und Krümmungen um die Runde, wrährend linde, sanfte, beinahe schwermüthige, und durchaus nicht anfeuernde Klänge ertönen. Von der leidenschaftlich-wilden Gluth der Ungarn ist hier nichts zu spüren; doch auf dem ganzen Bilde ruht etwas Lebendig-Farbenreiches von wundersamer Mächtigkeit. Die Husaren des königlichen Gefolges haben sich den Männern und Frauen zugesellt, welche immer wieder und wieder herumkreisen, und dann kamen jugendliche Zigeunerinnen in rothen und gelben Gewändern hinzu. Die Tanzenden und die sie Umstehenden sind sämmtlich mit der so malerischen und farbenschimmernden Volkstracht bekleidet, und kein Trunkenbold ist unter ihnen, die zur Löschung ihres Durstes nur Wasser bereit gestellt haben, zu erblicken. Auch nicht ein einziger roher Schrei, nichts Gemeines trübt die festliche Stimmung, und die alten Eichen schauen auf eine Menge herab, welche mit dem vollkommensten natürlichen Anstände und mit der Würde freier Menschen sich bewegt. So ganz und gar habe ich alte Ueberlieferungen sonst nirgends verkörpert gesehen. Auf dem Rückwege geht's über Topschidere. In diesem Belgrader »Bois de Boulogne« schlängeln Spazierwege sich hin unter dem Schatten prächtiger Bäume und am Ufer eines kleinen Baches, der ein freundlich-grünes Thal durchrieselt. Hier liegt auch das Haus, welches Milosch bewohnte, und der grosse Hirschpark, in dem Fürst Michael ermordet wurde. Der belgische Gesandte hat mich eingeladen, an seiner Mittagstafel Platz zu nehmen, woselbst ich neben anderen Diplomaten den Grafen Sala, den derzeitigen interimistischen Vertreter Frankreichs, mit seiner schönen und geistvollen Gemahlin antreffe. Nach aufgehobener Tafel bleibe ich noch, um mit Herrn von Borchgrave über die wirth-schaftliche Lage Serbiens zu plaudern, welche er ganz genau kennt, und während ich mich nun hierüber auslasse, schöpfe ich auch aus Herrn Masons, des englischen Gesandtschaftssekretärs, vortrefflichen Berichten. Serbien kann mit so grosser Berechtigung wie kein anderes Land als demokratisches Staatswesen bezeichnet werden. Um seine Unabhängigkeit von der türkischen Herrschaft hat es lange gekämpft, und während der vielen Kriege wurden die Beys theils getödtet und theils verjagt. Auf diese Weise konnten die serbischen Bauern zu unbeschränkten Eigenthümern des von ihnen bestellten Landes werden. Es giebt weder grosse, noch vornehme Grundbesitzer, doch jeder Familie gehört der von ihr — allerdings mit den unvollkommensten Werkzeugen — bebaute Boden, ohne dass sie dabei einen Herrn über sich hat. Im Durchschnitte umfasst eine Begüterung vier bis fünf Hektar, und es sind mit derselben Anrechte auf die Wiesen und Wälder der Gemeinde oder des Staates verknüpft. Früher war das Land auch mit keinem Pro-letariate behaftet, und das verdankte es den Zadrugas mit ihrem unveräusserlichen Besitz und Erbe, und dann einem vortrefflichen Gesetze, nach welchem die Gläubiger dem Schuldner das Haus, fünf Morgen Land — etwa zwei und einhalb Hektar —, das Pferd, den Ochsen 20* und die Röthigen Arbeitswerkzeuge lassen mussten. Auf dem Lande sind nur sehr wTenige Tagelöhner anzutreffen, und kein Serbe will sich, hierin dem Yankee gleichend, zum Bedienten hergeben; selbst die Köchinnen und Dienstmädchen kommen aus Kroatien, Ungarn und Oesterreich herüber. Ist es einem Besitzer nicht möglich, mit Hilfe seiner Familie das LIeu oder das Getreide einzubringen, so wendet er 1068 1886 » 41 2525 1887 » 63 » 3650 Im Jahre 1886 wurden von den im Vorjahre gedeckten Stuten 394 als trächtig gemeldet, welche 288 Fohlen warfen; im Jahre 1887 waren von den gedeckten 2525 Stuten 1044 trächtig, von welchen 867 Fohlen eruirt wurden. Für den Hengstenankauf wurden von der Regierung in 4 Jahren 87,000 fl. verwendet. Auch durch Veranstaltung von Wettrennen und durch Prämiirung der besten und bestgehaltenen Pferde sorgt die Regierung für die Hebung der Pferdezucht. Was die Rinderzucht betrifft, so wurden auf gemeinschaftliche Kosten der Regierung und mehrerer Gemeinden, welche ihre Rinderzucht verbessern wollten, 61 Zuchtstiere, ferner von Privaten in Gacko mit Unterstützung der Regierung 16 Zuchtstiere nebst 21 Kalbinnen, endlich durch den land-wirthschaftlichen Verein in Bihac 19 Stiere aufgekauft. Der Ankauf dieser Zuchtrinder geschah in den österreichischen Alpenländern. Ferner wirkte die Regierung für die Hebung der Landwirthschaft durch die Subventionirung der in Bosnien bestehenden landwirthschaftlichen Vereine, durch Ankauf von Sämereien passender Ackerpflanzen, durch Gründung von Maulbeersaatschulen, durch die Subventionirung von Obstmustergärten in 12 Gemeinden, durch die Errichtung von Schulgärten bei 70 Volksschulen, endlich durch die im Jahre 1886 begonnene Errichtung von landwirthschaftlichen Stationen. Hinsichtlich dieser letzteren wurde nach den folgenden Erwägungen vorgegangen. Bosnien ist speziell ein Ackerbau und Viehzucht treibendes Land. Diese beiden Produktionszweige stehen aber in Folge der früheren Verhältnisse des Landes noch auf einer niedrigen Stufe. Vielfach begegnet man dort noch dem alten Pfluge, dessen sich die Römer bedienten, und auch die Wartung des Viehes ist eine unzureichende, denn man hat dort keine Stallfütterung, selbst im strengen Winter muss das Vieh sich stets im Freien aufhalten, und die Kultur der Futterkräuter wurde sehr vernachlässigt. Durch diese Umstände ist die sonst vortreffliche einheimische Race sehr herabgekommen. Die Erfahrung lehrt im Allgemeinen, dass eine vorwiegend aus kleinen Grundbesitzern bestehende, also eigentlich bäuerliche Bevölkerung nicht nur mit ausserordentlicher Zähigkeit an altherkömmlichen Bräuchen hängt, sondern auch für die Belehrung und Aufklärung durch Schulen, Wanderlehrer, Broschüren u. dgl. unzugänglich ist. Diese Erscheinung liegt in dem misstrauischen Charakter jeder Landbevölkerung und kann auch in den civilisirten Staaten Europas konstatirt werden. Nur der Wirkung des Beispiels ist eine solche Bevölkerung zugänglich; sie muss die guten Resultate der eingeführten Reformen vor ihren Augen entstehen sehen. In anderen Ländern, wo neben der bäuerlichen Bevölkerung seit langem auch ein Grossgrundbesitz bestand, hat dieser letztere, welcher gewöhnlich auch an Bildung hervorragt, in natürlicher und unbewusster Weise die Aufgabe des Beispielgebens im obigen Sinne übernommen. Die bäuerliche Bevölkerung kann dort die Erfolge der Reformen in der Landwirthschaft auf den grossen Gütern beobachten und dann bei sich selbst diese Reformen nachahmen. Dieser Vorgang ist aber in Bosnien und der Herzegowina nicht möglich, weil es in diesem Lande zwar Grossgrundbesitzer, aber keinen eigentlichen Grossgrundbesitz giebt; denn dieser letztere ist in viele Kmeten-Wirthschaften zerstückt, und dadurch an kleine Erbpächter gebunden, mit welchen dieses Verhältniss nur schwer zu lösen ist. Hier musste also die Regierung selbst die Reform der Landwirthschaft und Viehzucht in die Hand nehmen. Aus den oben besprochenen Erwägungen glaubte die Regierung von landwirthschaftlichen Schulen, Wanderlehrern, Broschüren und dergleichen vorläufig absehen, und dagegen dasjenige auf sich nehmen zu sollen, was in anderen Ländern der Grossgrundbesitz von selbst bewerkstelligt. Dies geschieht nun durch die Errichtung von ärarischen Wirthschaften von gewissem Umfange unter dem Namen von landwirthschaftlichen Stationen. Die leitende Idee hierbei war die, einen grösseren Grundkomplex so einzurichten, dass auf demselben alle Branchen der Landwirthschaft und Viehzucht, welche im Lande vorkommen, gepflegt werden, —■ allerdings nicht mit den höchstentwickelten Hilfsmitteln und Geräthen der vorgeschrittensten Länder, aber rationeller als bisher und mit solchen besseren Werkzeugen, welche auch die Bevölkerung sich verschaffen kann. Die Aufgabe dieser Stationen ist also die, den richtigen Wirthschaftsbetrieb zu zeigen. Es wird daher dort nichts theoretisch gelehrt, sondern eine gewisse Anzahl einheimischer junger Leute werden dort als Knechte bis auf 2 Jahre engagirt, damit sie durch die Anschauung und durch die ihnen bei der Arbeit zu Theil werdende praktische Unterweisung die rationelle Wirthschaft kennen lernen und durch die eigene Arbeit sich an dieselbe gewöhnen. Dadurch sollen sie befähigt und veranlasst werden, das praktisch Erlernte auf ihren eigenen Wirthschaften ganz oder theilweise zu verwerthen. Bisher sind zwei solche landwirthschaftliche Stationen ins Leben getreten, die eine in Gacko (in der Herzegowina), die andere in Modric (im Bezirke Gradacac); die erstere hat ein Areal von 152.94 Hektars, die zweite aber von 273.61 Hektars. Ausserdem wurden im landwirthschaftlichen Interesse Entwässerungsarbeiten vorbereitet, worüber das Nähere in dem erwähnten Werke über das Bauwesen enthalten ist. §. 12. Neue Industrieen. Es wurden in diesen letzteren Jahren als neue Industriezweige errichtet: Eine Posamenterie-Fabrik in Sarajevo, eine Kunstmühle in Klaznica bei Banjaluka, eine Papierfabrik in Zenica, eine Spiritusfabrik in D. Tuzla, ausserdem auch neue Bierbrauereien. In Sarajevo wurde von der Regierung eine praktische Schmiede-, Hufbeschlags- und Wagnerschule als Lehrwerkstätte für 6 Wagner und 6 Schmiede unter der Leitung eines Meisters und zweier Gehilfen gegründet. Die Lehrlinge erhalten dort ihre Verpflegung und können nach zweijährigem Kurse Meister werden. Diese Institution wird wahrscheinlich auch bezüglich anderer Gewerbe bald ins Leben treten. § 13. Ausnutzung der Minen (Bergbau). Der Betrieb des Bergbaus ist hauptsächlich in den Händen der Gewerkschaft Bosnia und des Aerars. Die „Bosnia", welche seit 1881 besteht, baut vorläufig auf Chrom-Erze, Mangan-Erze und Kupfer-Erze und hat 3 Werke vollständig investirt (in Dubostica und Cevljanovic im Kreise von Sarajevo und in Majdan-Sinjako im Bezirke von Jajce). Das Aerar hat Salinen und Kohlenwerke in eigener Regie. In Siminhan bei Tuzla wird aus der Soole jährlich 30,000 bis 40,000 Meterzentner Sudsalz gewonnen, das im Lande ver- kauft wird. Das Kohlenwerk Krcka bei D. Tuzla, welches erst seit zwei Jahren besteht, hat bereits im Jahre 1887 über 300,000 Meterzentner Kohle geliefert, wovon wenigstens ein Drittel exportirt wurde. Die Nachfrage nach dieser Kohle ist in steter Zunahme begriffen. Geringer ist der Ertrag des Kohlenwerkes Zenica, welches dermalen 20,000—30,000 Meterzentner produzirt. Ausserdem hat das Aerar sowie auch die Gewerkschaft Bosnia nur einige Schürfungen (besonders auf silberhaltiges Blei). Privat-Unternehmungen auf Bergbau sind im Lande nur wenige und unbedeutende. Dieselben befassen sich nur mit Schürfungen auf Quecksilber und Kohle, und nur beim Eisen findet seit alten Zeiten eine ziemlich regelmässige, aber sehr primitive und unbedeutende Exploitation der reichen Erzlager durch Einheimische statt. Hier ist auf die ausgezeichnete mit Karten versehene Arbeit von Bruno Walter, k. k. Oberbergrath: „Beitrag zur Kenntniss der Erzlagerstätten Bosniens", 1887, hinzuweisen. § 14. Forstwesen. Der Wald ist in Bosnien und der Herzegowina mit geringen Ausnahmen Staatseigenthum. Der Katastralvermessung zufolge giebt es in Bosnien und der Herzegowina 2,665.392 Hektar Waldland, d. i. ungefähr die Hälfte des ganzen Flächeninhaltes des Landes. Hiervon ist allerdings nur ein Theil wirklicher Wald in forstmännischer Bedeutung, und der übrige Theil Gestrüppe. Nachdem infolge der landesüblichen Weide- und Holzungsservituten der Wald verwüstet ist, so weit Menschen und Ziegen vordringen konnten, so finden sich die schönen Waldungen nur in den schwer zugänglichen Gebirgen. Diese Unzugänglichkeit der Forste war bisher das Haupthinderniss ihrer Ausnutzung. Durch die fortschreitende Entwickelung des Kommunikationswesens wurden nun auch schon viele schöne Wälder dem Handel erschlossen. Das durch Holzverkäufe erzielte Erträgniss derselben ist beiläufig aus den mitfolgenden Budgets ersichtlich. Das erste grosse Holzgeschäft wurde im Jahre 1886 mit der Triester Firma Morpurgo u. Parente hinsichtlich der Eichenwaldungen abgeschlossen. Das Forstwesen ist für Bosnien ein Gebiet, welches noch einer sehr grossen Zukunft entgegensieht, da noch sehr ausgedehnte Tannen- und Fichtenwaldungen vorhanden sind, deren Material zu dem vorzüglichsten gehört, welches in Europa zu finden ist. § 15. Funktioniren der Municipal-Verwaltung in Sarajevo. Die Municipal-Verwaltung in Sarajevo besteht nach dem Statute vom 10. Dezbr. 1883. Die Gemeinderathswahlen gingen jedesmal anstandslos und unter lebhafter Betheiligung der Bevölkerung vor sich. Die Gemeindeverwaltung war in den ersten Jahren infolge der an sie herangetretenen grossen Anforderungen und des Mangels an Erfahrungen nicht in allen Richtungen eine entsprechende, und die Regierung sah sich daher genöthigt, durch den dem Magistrate statutmässig beigegebenen Regierungskommissär eine strengere Kontrole zu veranlassen. Infolge dessen ist der Stand der Gemeinde-gebarung zuletzt ein ganz günstiger geworden. Nach dem Budget der Gemeinde pro 1887 beliefen sich die Einnahmen auf 190,436 fl., die Ausgaben, worunter 53,200 fl. für Bauten gewidmet waren, auf 167,625 fl., so dass sich ein Ueberschuss von 22,811 fl. herausstellte. Eine solche definitive Gemeindeorganisation wie in Sarajevo wurde in anderen Städten noch nicht eingeführt, doch besteht in allen Kreis- und Bezirksstädten eine ähnliche provisorische Municipal-Verwaltung, und ausserdem wurde mit der Organisation von Landgemeinden fortgefahren, mit derselben aber nur dort vorgegangen, wo sich das Bedürfniss danach herausstellte und die Mittel ohne schwere Belastung der Bevölkerung aufgebracht werden konnten. § 16. Zunahme der Häuser und der Einwohnerzahl in Sarajevo. Im Jahre 1879 wurden in Sarajevo gezählt: 6110 Gebäude (Häuser sammt Nebengebäuden) mit 5305 Wohnungen und 21,377 Einwohnern, im Jahre 1885 dagegen (nach der mit- folgenden Ortschafts- und Bevölkerungsstatistik): 5926 Häuser mit 6299 Wohnungen und 26,268 Einwohnern. Die Zahl der Häuser hatte also im Jahre 1885 gegen früher etwas abgenommen, was der grossen Feuersbrunst vom August 1879, welche beiläufig 400 Häuser zerstörte, sowie auch dem Umstände zuzuschreiben war, dass an die Stelle vieler kleiner Häuser solid gebaute grössere Häuser getreten sind. Seit jener Zählung vom Mai 1885 sind aber, wie das mitfolgende Buch „das Bauwesen in Bosnien und der Herzegowina" von Regierungsrath Stix nachweist, in Sarajevo noch bei 150 Häuser gebaut worden, so dass die Häuserzahl der Landeshauptstadt die Ziffer von 6000 bereits wieder überschritten hat. Die Zunahme der Einwohner von Sarajevo beträgt seit 1879 beiläufig 5000 Seelen. § 17. Civil-Gesetze. Eine wesentliche Modifikation der eigentlichen, auf das bürgerliche Recht bezüglichen Civil-Gesetze hat seit dem Jahre 1883 nicht stattgefunden, wohl aber sind dieselben durch zahlreiche officielle Interpretationen und Verfügungen ergänzt worden. Im Jahre 1885 wurde ferner das Verfahren in ehe-und familienrechtlichen Angelegenheiten der Christen und der Israeliten, die Kompetenz der Scheriat-Gerichte in mohammedanischen Verlassenschaften und in Angelegenheiten der Vakuf-Stiftungen, dann im Jahre 1887 die Kompetenz der Civilgerichte in Schuldforderungen gegen mohammedanische Verlassenschaften geregelt, und im Jahre 1887 erschien auch ein Gesetz bezüglich der Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen zahlungsunfähiger Schuldner. Was das politische Verfahren in Streitsachen betrifft, wurde im Jahre 1884 die Rekursfrist für das politische Verfahren festgestellt, dann die Verhandlung der aus dem Pridrznik-Verhältnisse entspringenden Agrarstreitig-keiten den politischen Behörden zugewiesen, und im Jahre 1886 die Kompetenz in Agrarstreitigkeiten überhaupt geregelt. § 18. Ob der Ertrag der Zehentabgabe gestiegen ist, und § 19. Ob das Gleichgewicht im Budget erhalten wurde? Diese beiden Fragen sind bereits sub i beantwortet. § 20. Zahl der Okkupations-Truppen. Der Stand der österreichischen Truppen im Okkupationsgebiete hat sich von Jahr zu Jahr vermindert. Dem entsprechend betrug auch der Okkupations-Kredit im Jahre 1883: 8,988.000 fl. 1884: 7,197.000 fl. 1885: 6,325.000 fl. 1886: 5,955.000 fl. 1887: 4,424.000 fl. Diese konstante Abnahme ist eine deutliche Folge der Konsolidirung der Verhältnisse im Okkupationsgebiete. § 21. Die wichtigsten, seit 1883 erschienenen Verfügungen. Die ins civilrechtliche Fach einschlagenden Verfügungen sind bereits sub 17 erwähnt worden. Von sonstigen administrativen Verordnungen sind als die wichtigsten, aus den letzten vier Jahren folgende hervorzuheben: Vom Jahre 1884 die Vorschrift wegen Verleihung von Eigenthumstiteln (Tapien) auf Privatwaldungen, die Aufhebung der „Vladikarina" benannten kirchlichen Abgabe der orientalischorthodoxen Christen, die Aufstellung von Bezirks-Valuf-Kom-missionen, dann die Urlaubs- und Beförderungsvorschrift für die Gensdarmerie und eine Verordnung über das Aufsichtsrecht des Obergerichtes und der Kreisgerichte; ferner im Jahre 1885 die Pensions-Vorschrift für bosnische Beamte und Diener, das Versorgungs-Normale für die bosnische Gensdarmerie, eine Verordnung zur Hintanhaltung der Trunkenheit, und im Zusammenhange mit der Volkszählung eine Vorschrift über die Evidenzhaltung der Geburten und der Sterbefälle; im Jahre 1886 das Grundbuchsgesetz, das Stempel- und Gebühren- gesetz, eine Verordnung über die Gebarung mit dem Pensionsfond und über die Gewährung von Hypothekardarlehen aus diesem Fond, eine Vorschrift über die von bosnischen Richteramts-Kandidaten eventuell in Sarajevo abzulegende Richteramtsprüfung, eine Verordnung über die Verleihung von Vakuf-Dienststellen und eine Verordnung über die Zulassung von Sprengmitteln; endlich im Jahre 1887 die Tarifirung der Waldnutzungen, eine Vorschrift über die Lehrbefähigungsprüfung, das Organisations-Statut der Scheriat-Richter-Schule und die grundsätzlichen Bestimmungen iür die Central-Strafanstalt in Zenica. Alle diese und die zahlreichen übrigen in den Jahren 1884—1887 erlassenen Verordnungen sind aus den vier Jahrgängen der betreffenden vollständigen Sammlung ersichtlich. Zu dieser Sammlung wird noch bemerkt, dass dieselbe von Anfang 1881 bis Ende 1886 in einer einzigen zweisprachigen Ausgabe erschienen ist, seit Anfang 1887 aber in zwei Ausgaben publizirt wird, von welchen die eine in deutscher Sprache, die andere in der bosnischen Landessprache, und zwar sowohl mit lateinischen als mit cyrillischen Lettern erscheint. Nicht aufgenommen sind in dieser Verordnungssammlung die zur Hebung der Landwirthschaft getroffenen Maassregeln, welche oben sub 11 besprochen wurden, und ausser diesen wäre hier noch zu erwähnen: die Herstellung einer Wasserleitung in Mostar, ferner die Gründung von Bezirks-Unterstützungsfonds in Gacko und in Nevesinje, und die Entstehung eines Landes-Museums in Sarajevo, welches bereits zu kulturhistorischen, kunstgewerblichen, mineralogischen und zoologischen Sammlungen den Grund gelegt hat, und von jetzt an aus Landesmitteln erhalten wird. A. Verwendete Ueberschüsse der bosnisch-herzegowinischen Landesverwaltung:. Post-Nr. Gegenstand Jahr Betrag Gulden I. 1886 183.OOO 2. Militär - Unterkünfte . 1887 IOO.OOO 3- Zinsen an die Reichs- 1884/5 280.OOO 4- Doboj - Siminhan- Bau. . 300.000 Rückz. 200.000 500.000 1884/6 5- Für Schulzwecke . . . 1883/7 165.OOO 6. Für Kultuszwecke . . 1885/6 50.000 7- Saline in Siminhan . . 1884/7 380.OOO 8. Tabak - Fabriken und 1881/7 200.000 9- Hengstendepot .... 1885/6 14O.OOO 10. Strafhausbau..... 1885/7 ÖOO.OOO 11. Regierungsgebäude . . 1883/6 40O.OOO Zusammen 2,998.000 *) Die Bahn kostete 1,300.000 fl. Hiervon wurden 300.000 fl. sofort aus Landesmitteln bestritten, und 1 Million von einer Bank entliehen, welcher mittlerweile 200.000 fl. zurückgezahlt wurden. (Seit Verfassung dieser Tabelle wurden noch weitere 300.000 fl. aus den Ueberschüssen abgezahlt.) B a. Ober-Gymnasium in Sarajevo. A. Lehr - Personal. i Direktor und Professor, 14 Professoren und Lehrer der weltlichen Gegenstände, 5 Religionslehrer für orientalische Christen, katholische Christen, Mohammedaner und Israeliten. B. Schüler im Jahre 1887. Konfession Klassen cd a j üngste I. n. in. IV. V. VI. VII. älteste VIII. s Mohammedaner . . . 5 6 2 3 2 0 1 O 19 Orient.-orth. Christen 29 14 19 6 6 2 6 I 83 Röm.-katli. Christen 8 11 6 7 4 3 2 4 45 5 8 2 0 1 0 1 2 19 Andersgläubige . . . 0 0 1 0 1 0 0 0 2 Summa 47 39 30 16 14 5 10 7 168 b. Katholisches Priesterseminar in Travnik. Im Schuljahr 1887/8 wurde die 6. Gymnasialklasse eröffnet. Lehrkräfte: 1 Direktor und 10 Professoren. Zahl der Schüler: in allen 6 Klassen 81 Interne 38 Externe zusammen 119. c. Orientalisch - orthodoxes Seminar in Reljevo. 6 Professoren, 48 Seminaristen. Absolvirt haben 1885/6 8 Theologen 1886/7 13 zusammen 21 Theologen. Hiervon 3 zu Priestern geweiht (2 sind bereits Pfarrer, 1 Ko Operator), 18 werden bis zu ihrer Verehelichung als Lehrer an konfessionellen Schulen verwendet. d. Lehrer-Bildungsanstalt in Sarajevo. a. Lehrkräfte. 1 Direktor, 2 definitive Lehrer, 2 provisorische Lehrer, 3 Religionslehrer, i Präfekt (zugleich Lehrer für Landwirthschaft), i Aushilfslehrer für kirchlichen Gesang, i „ „ weltlichen „ i „ „ Turnen zus. 12 Personen. b. Anzahl der Schüler. I. Jahrg. 17 Mohammed., 6 Orient.-orth., 6 Kathol. = 29 IL „3 i, 9 5 » = 17 HL „ 4 „ »4 _3 „ =21 zus. 24 Mohammed., 29 Orient.-orth., 14 Kathol. = 67 Gesammtzahl 67 Schüler, hiervon: im Präparanden-Konvikt ... 39 Schüler, Externisten......28 „ c. Absolvirte Frequentanten. 1885: 3 Moham., 8 Orient.-orth., 2 Kath. = 13, angestellt 13 1886:2 „8 „2 „ =12, „ 12 18S7: 1 „ 10 „ 2 „ =13, „ 12*) zus. 6 Moham., 26 Orient.-orth., 6 Kath. =38, angestellt 37, und zwar an allgemeinen Elementarschulen ,, 31, „ konfessionellen „ „ 6. *) Einer hatte die Wiederholungsprüfung zu machen, konnte daher nicht gleich angestellt werden. Laveleye, Balkanländer. — 386 — e. Handelsschulen. Zahl der Lehrer Zahl der Schüler m .5" c d Ort c u ■fl d 1) t-H o 1) a H % o* a, n O S d 3 d o thol rael a 3 833 71,523 In Prozenten der erwachsenen männlichen Bevölkerung. Agas Freie Bauern Kmeten Sonstige Summa 2.o6 2975 5o.o9 i8.io ioo Auszug aus den Geschäftsausweisen des Obergerichtes für Bosnien und die Herzegowina. 4- Abgehaltene Sitzungen, und zwar: 1884 1885 1886 a. Gremialberathungen in Civil- und 78 91 113 b. Gremialberathungen in Scheriats- 22 14 10 c. Oeffentl. Berufungsverhandlungen 57 130 179 d. Gerichtstage in Strafsachen . . . 13 13 7 Summa 170 24S 309 Entscheidungen in Civilsachen, u.Z.: 28 21 10 399 102 82 132 69 68 *3Q 33 19 Summa 689 225 179* Entscheidungen in Strafsachen, u.Z.: 294 206 172 88 73 83 ' c. aufhebend........ 62 20 20 Summa 444 299 275 a. Zwischenentscheidungen über Re- — 87 93 b. Zwischenentscheidungenüb.Rechts- mittel im Strafverfahren .... — 10 4 Summa 97 97 *) Die auffallende Abnahme der obergerichtlichen Entscheidungen hat ihren Grund in der Wirkung der Civilprozess-Ordnung vom Jahre 1883, nach welcher die Kreisgerichte die II. Instanz für die Bezirksamts-Gerichte wurden, während das Obergericht nur für die Kreisgerichte die II. Instanz blieb, und von den bei den Bezirksämtern verhandelten Prozessen nur noch jene in II. Instanz zu entscheiden hatte, welche vor dem Erscheinen der neuen Civilprozess-Ordnung begonnen hatten. o. Auszug aus den Geschäftsausweisen der Kreisgerichte in Bosnien und der Herzegowina. 2. 2. A. Strafsachen. Untersuchungen, und zwar: Gesammtzahl der anhängiggewesenen Untersuchungen...... Hiervon rechtskräftig erledigt Dagegen mit Jahresschluss noch anhängig geblieben...... Zahl der Entscheidungen in II. Instanz über Berufungen gegen Straf-urtheile der Bezirksämter als Gerichte B. Civilsachen. Rechtsstreite, und zwar: Gesammtzahl der anhängig gewesenen Rechtsstreite....... Hiervon durch Urtheil nach kontradiktorischem Verfahren erledigt . Sonst erledigt........ Anhängig geblieben...... Zahl der Konkurs-, Verlassenschafts-, Vormundschafts- und Kuratel Verhandlungen . . . . Entscheidungen in II. Instanz, und zwar: a. in Bagatellsachen...... b. in anderen Sachen..... 1884 i885i 1886 7853 1 5900' 53i3 6418 4682 4150 1435 1218 1163 328 306 357 1296 1208 1091 538 391 375 533 553 462 225 264 254 216 282 • 294 280 278 252 420 604 639 Auszug aus den Geschäftsausweisen der Bezirksämter als Gerichte, in Bosnien und der Herzegowina. Bagatellsachen: erledigt....... 1884 1885 1886 112.751 140.040 146.159 anhängig geblieben .... 2258 315 1 3640 Sonstige Civil-Rechtsstrei- tigkeiten: erledigt........ 10.588 10.419 9981 anhängig geblieben .... 934 1032 984 Zur eigenen Kompetenz ge- hörige Strafsachen: erledigt........ 10.264 9646 10.586 anhängig geblieben .... 613 716 766 Vorerhebungen in Strafsachen, die zur Kompetenz der Kreis- gerichte gehören .... 4009 3283 2865 Von den Bagatellsachen sind 11.941 über kontradiktorisches Verfahren und 49.183 in contumaciam durch Urtheil, dann 1732 durch Eingeständniss, 26.568 durch Vergleich und 56.735 in sonstiger Art erledigt worden. In sonstigen Civilrechtsstreiten wurden 2320 durch Urtheil über kontradiktorisches Verfahren, 1584 durch Kontumazurtheil, 229 durch Eingeständniss, 2081 durch Vergleich und 37°7 in sonstiger Art erledigt. . Nachweisung über die Gesammtzahl der vorgekommenen Straffälle wegen Verbrechen von 1883 bis 1886. Gattung der Verbrechen In den Jahren 1883 1884 1885 1886 I. Hochverrath und gegen die Kriegsmacht...... 3 3 — — 2 Beleidigung derMajestät und der Mitglieder des kaiserl. Hauses 81 80 67 46 3- Störung der öffentlichen Ruhe 22 11 6 4 4- 4 2 1 1 5- 3 2 — 3 6. Oeffentliche Gewaltthätigkeit . 803 759 569 54i 7. Missbrauch der Amts- und Dienstgewalt...... 73 7i 65 5i 8. Verfälschung der öffentlichen Kreditpapiere...... 3 2 4 1 9- 13 14 18 7 io. Religionsstörung..... 3 7 6 3 11. 66 47 43 61 12. 1 4 5 6 »3- Andere Verbrechen der Unzucht 26 32 40 23 M. Mord......... 137 124 114 113 15. Todtschlag....... 45 53 3i 62 16. Abtreibung der Leibesfrucht . 7 *5 11 7 *7. Weglegung eines Kindes . 3 11 8 2 18. Schwere körperl. Beschädigung 54i 492 492 456 *9. — — 1 3 20. Brandlegung...... 365 256 150 114 21. Diebstahl....... 2788 2820 1976 1846 2 2 Veruntreuung...... i73 123 117 94 23. Raub......... 193 177 96 70 24. 412 477 43i 422 25. 11 12 1 2 8 26. 47 45 43 42 27. Verbrechern geleist. Vorschub 59 88 33 16 Summa 5882 5727 4329 4002 INHALT. Einleitung. Emil von Laveleye. Biographische Skizze von Ph. Linet..............S. V—XVI. Erstes Kapitel. "Würzburg. Ludwig Noire. Schopenhauer. . . S. i—31. Der Rhein, ein gehender Weg. — Würzburg. — Ludwig Noire, Das Werkzeug. — Kant und Schopenhauer. — Die Residenz und die Kunst des 18. Jahrhunderts. — Nürnberg und die Hohenzollern. — Die Neue Freie Presse. — Die Rassenkämpfe. Zweites Kapitel. Wien. Die Minister und der Föderalismus . . S. 31—6g. Graf Taaffe, „Mit vereinten Kräften". — Graf Kalnoky. — Die Eisenbahnen. — Der Altgraf Salm-Lichtenstein. — Herr von Serres und die österreichischen Eisenbahnen. — Baron Kailay und Bosnien. — Die Ringstrasse. — Von Wien nach Essek. Drittes Kapitel. Bischof Strossmayer..........S. 69—131. Siroko-Polje und die alten Sitten. — Djakovo und dessen Bischof. — Seine Lebensbeschreibung. — Seine Gemälde und das Museum zu Agram. — Die Tapferkeit der Montenegriner und der Kroaten. — Gladstone und Lord Acton. — Das Krankenhaus und die Schulen Djakovos. — Die Zadrugas. — Strossmayer und der Bischof von Zara. Viertes Kapitel. Bosnien, seine Geschichte und seine Landwirthschaft S. 132—197. Von Djakovo nach Sarajevo. — Brod und der Islam. — Bosniens Statthalter und Könige. — Die Bogomilen. — Die Tschartsia und Usref-Begmoschee. — Das mohammedanische Agrarwesen. — Die Heimstätten. _ Die Leiden der Rajahs unter türkischer Herrschaft. — Die ausgeführten und die auszuführenden Reformen. Fünftes Kapitel. Bosnien. Die Quellen seines Reichthums, seine Bewohner und die Fortsehritte der Neuzeit.....S. 198—262. Der Boden und seine Erzeugnisse — Das Vieh. — Das Grundbuch. — Erzbischof Stadler und die religiöse Frage. — Ilitscha. — Der Kmet. — Im Hause des Iranzösischen Konsuls. — Eigenart der Moslims und der spanischen Juden. — Die Zensaren. — Das vom Drucke der fanariotischen Geistlichkeit befreite Bosnien. — Der Unterricht. — Umgestaltungen auf dem Gebiete der Rechtspflege. — Die Gemeindeordnung von Sarajevo. — Die Steuern. — Der Drang nach Osten. Sechstes Kapitel. Kroatisches und slowenisches Volksthum. Serbien S. 262 — 342. Klagen der Kroaten. — Das slowenische Volksthum. — Von Vukovar nach Belgrad. — Serbien. — Fortschritte auf dem Gebiete des Schulwesens. — Das Heer. — Die griechisch-katholische Geistlichkeit. — Die wachsenden Abgaben. — König Milan und Königin Nathalie. — Die Slawa. — Die Gemeindeordnung. — Der Kolo. — Die Bestellung des Bodens. — Das Vieh. — Herr und Frau Mijatowitsch. — Das Kreditwesen. — Der Ausfuhrhandel. — Die drei Parteien. — Die Herren Ristitsch und Kristitsch. — Das Beamtenthum. — Wladan Georgewitsch und der Gesundheitsdienst. — Die politischen Gestaltungen. — Die Preise der Lebensmittel und die Besoldungen. — Frau Katharine Boghitschewitsch. — Herr Sidney-Locock. — Die serbischen Eisenbahnen. — Die Hoffnungen. Anhang I.............S. 343—360. 1. Altserbien. — 2. Die Zadrugas. — 3. Die Wakufs. Anhang II. Zustände in Bosnien und in der Herzegowina in den Jahren 1886 und 1887......S. 361—381. Zunahme der Landes-Einnahmen. — Fortschritte im Strassenwesen und Eisenbahnbau. — Schulwesen. — Subsidien für Kultuszwecke. — Briefe, Frachtstücke, Telegramme. — Kataster. — Schlichtung der Agrar-streitigkeiten. — Funktioniren der neuen Tribunale. — Rekrutirung, Stellungsüüchtige. — Wirksamkeit der Streifkorps; Raubanfälle. — Resultate der Hengstendepots, Fortschritte in der Landwirthschaft und Viehzucht. — Neue Industrien. — Ausnutzung der Minen (Bergbau). — Forstwesen. — Funktioniren der Municipal-Verwaltung in Sarajevo. — Zunahme der Häuser und der Einwohnerzahl in Sarajevo. — Civil-Gesetze. — Ob der Ertrag der Zehentabgabe gestiegen ist und ob das Gleichgewicht im Budget erhalten wurde? — Zahl der Okkupations-Truppen. — Die wichtigsten, seit 1883 erschienenen Verfügungen. Tabellen..............S. 382—395. A. Verwendete Ueberschüsse der bosnisch-herzegowinischen Landesverwaltung. B. Ober - Gymnasium in Sarajevo. Lehr - Personal. Schüler im Jahre 1887. C. Katholisches Priesterseminar in Travnik. D. Orientalisch-orthodoxes Seminar in Reljevo. E. Lehrer-Bildungsanstalt in Sarajevo. F. Handelsschulen. G. Allgemeine Elementarschulen. Zahl dieser Schulen. Schulbesuch. Lehrerpersonal. H. Konfessionelle Volksschulen. Schulbesuch an den konfessionellen Elementarschulen der christlichen Konfessionen und der Israeliten. J. Lehrerinnen - Präparandie der Töchter der göttlichen Liebe in Sarajevo. K. Medresses (höhere mohammedanische Religionsschulen). L. Postverkehr im Okkupationsgebiete. Briefpostsendungen. Fahrpostsendungen. Mittels der Personen-Postfahrkarten beförderte Reisende. Telegraphenverkehr im Okkupationsgebiete. M. TJeber das Verhältniss der Agas, freien Bauern und der Kmeten zu der erwachsenen männlichen Bevölkerung nach der Volkszählung im Jahre 1885 in Bosnien und der Herzegowina. N. Auszug aus den Geschäftsausweisen des Obergerichtes für Bosnien und die Herzegowina. O. Auszug aus den Geschäftsausweisen der Kreisgerichte in Bosnien und der Herzegowina. P. Auszug aus den Geschäftsausweisen der Bezirksämter als Gerichte in Bosnien und der Herzegowina. Q. Nachweisung über die Gesammtzahl der vorgekommenen Straffälle wegen Verbrechen von 1883 bis 1886. Druck von Ramm & Seemann in Leipzig. I VII. 1946