Kurland. SckillmmM mn Mnä unä Feuten von Ludwig Brünier. Vertag von Heinrich Mcttthes. 1868. Inhalt. Vorrede. ^ Veite Das Land...................... i Kur- und Livlands Lossaanng von Deutschland........ 13 Kurlands Lehnsverhältniß zu Polen............. 18 Ein polnischer Einritt ................. 29 D'e Kuren...................... ün Die Städte Kurlands.................. 5? Bestand das jüngsterworbene Necht der Bürgerlichen in Äilrland, Güter besitzen zn dürfen und an den LandtaM'erhandlüngen theilzunehmen, nicht schon ill früheren Jahrhunderten?..... 75 Streitigkeiten zwischen Adel und Nurgerschast in Kurland..... 94 Der lurischr Adel................... i«2 Die tnrischc Jagd................... 1^3 Der Orden der Dankbarlcit................ >!>? Die Vcrftfä»dunn des Grobincr Districts an den Herzog Albrecht von Preuften................... 176 Die ehemalig lurischc Flotte............... 18» Zwei ,» H>,^s„^ y^steigerte kxrische Kriegsschiffe........ «00 Die Erstiirmmig deö Vlitaner Schliffes durch die Schweden und die Hin-wcgfilyr»,u, der turischen Herzogsfamilie in die Gefangenschaft Kon Iwangorod................. 2N4 Die Schwemm in Kurland................ 224 Aus der Geschichte d^r Stadt «oldintten........... 245 Dn- Einzng der Nrandrnbürgischen Prinzessin Elisabeth Sophie in die Stadt Goldinge»..........,-..... 251 ^"" Instizmorde ans früherer Zeit............. 256 er bc!chrid>,'ne Kaiser und der nnbcscheidcne Assessor....... 2u3 ^le Ankunft der N,»(1»,m<; !i«^«,1«, i„ Mitau.......... 2«9 ^ne Admd-Idylle .................. 283 Vorrede. 9m Lcben der Völker, wie der Einzelnen, wird meist die kleinere Sorge durch die größere abgelöst. Kaum daß wir über das Schicksal Schleswig-Holsteins beruhigt sind, dringt zu unserem Ohr ein Schmerzens-schrei aus den deutsch - russischen Ostsecprouinzen. Aber, während uns in Vezug auf Schleswig-Holstein eine staatliche Einwirkung freistand, mochte sie auch von dein schläfrigen Bundestage säumig genug in Ausführung gebracht werden, so fehlt uns den deutsch-russischen Ostseeprovinzen gegenüber jede politische Handhabe. Sollten demnach jetzt dort Nnbilligkeiten und Ungerechtigkeiten in Vollzug gesetzt werden, so wäre es nunmehr an der Presse, zu zeigen, ob sie Wirklich den Namen der sechsten und angesehensten Großmacht verdient. Italien kann ihr diese Bezeichnung nicht streitig machen, so lange es die Einmischung IV eines fremden Selbstherrschers in seine inneren Angelegenheiten nicht zurückzuweisen vermag. Uns selbst überraschen die Angriffe der moscowi-tischm Partei ans das bis dahin ziemlich selbstständige Leben der deutsch-russischen Ostsceftrovinzen keineswegs. Well wir, feit unserm Aufenthalte im Norden und nach genauester Prüfung der weltumfassenden Absichten der moscowitischcn Partei, das Nngewitter heraufkommen hörten, daß sich über unsere wackeren 'Stammesgenossen in den Ostseeprovinzen früher oder später entladen mußte, so glaubten wir es nicht verschieben zu dürfen, die theilnahmvollen Blicke des Brudervolkes auf jene baltischen Lande zu lenken. Wir ließen demnach ein Vuch, das wir sonst, bei anhaltender Kränklichkeit, zum Zwecke vielfacher Verbesserungen noch lange im Pulte zurückbehalten haben würdeu, in die Oeffentlichkeit treten, vb etwa die Schilderung fo anziehenden deutschen Wesens, wie es in den Ostfeeprovinzen waltet, nicht im Stande s", das Herz eines treuen und guteil Volkes für jene fast vergessenen Gegenden mit verwandtschaftlicher Liebe zu erfüllen. Das Vuch war betitelt: Kurland. Reiseeindrücke von Stadt und Land. Jenes Buch, so verbesserungsbedürftig und unvollkommen es auch s"N mochte, erfüllte doch seinen Hauptzweck, nämlich dar- zuthun, wie in dem Kurland der Gegenwart der deutsche Grundton rein und voll erschalle. Die geschichtlichen und sittengeschichtlichen Schilderungen, die wir jetzt sechs Jahre später nachfolgen lassen, thun durch unwiderlegliche Thatsachen dar, wie das Kurland der Gegenwart deshalb das deutsche Gepräge aufweist, weil demselben im Jahre 1561, als es sich mit blutendem Herzen von Deutschland lossagen mußte, bereits der deutsche Stempel für alle Folgezeit aufgedrückt war. Bevor wir uns zu dem eigentlichen Gegenstände unserer Vorrede wenden, nämlich unsrer Betrübniß Ausdruck zu geben, daß die Gemüthsverfassung unsrer baltischen Stammesgenossen für deu Allgenblick lange nicht so friedlich und beglückt ist, wie es noch vor wenigen Jahren der Fall war, bevor wir uns also unserer besondern Aufgabe zuwenden, sei es uns vergönnt, noch einige,: Betrachtungen nachzuhängen, zu denen der Inhalt des nachfolgenden Buches vollgültige Veranlassung darbietet. Die Schilderungen des sarmatischm Treibens, die durch das Lehnsverhältniß, in welchem Kurland zu Polen stand, bedingt wurden, können zur Beruhigung unsers nationalen Gewissens gereichen, falls Deutschland bei übergroßer Zartheit sich noch immer Vorwürfe VI machen sollte, die Provinz Posen in den germanischen Neichskörper eingefügt Zu haben. Die, so lange die polnische Nepnblik bestand, von einem übermüthigen Adel mit Geringschätzung behandelten Bürgerlichen, noch mehr aber die mit dem härtesten Joche belasteten Vancrn sind, seit die milde dentsche Herrschaft über ihnen waltete, zu gleichberechtigten Genossen eines Grohstaats geworden, der an Vildung und Menschlichkeit von keiner europäischen Volksfamilie übertreffen werden dürfte. Alsdann haben wir zu bemerken, daß wir mit besonderer Genngthunng den ehrenvollen Spuren folgten, welche die Hohenzollern in Kurland zurückließen. Es war nämlich für lins die jetzt stattfindende Krystallisation Deutschlands um den gesunden und glänzende»: preußischen Kern die Hoffnnng langer Jahre, nnd wir haben an der Verwirklichung so berechtigter Wünsche nie gezweifelt. Als wir demnach in Kurland verweilten nnd von der Provinzialgeschichte, den Landtagsacten und den Chroniken dieses einst zum heiligen römischen Reiche gehörigen Gaues mit großem Eifer Kenntniß nahmen, um zu gelegener Zeit unsern deutschen Landslenten ein klares Bild von jenem uns verloren gegangenen Deutschland entrollen zu können: da hatte es für uns ein besonderes Interne, vn in den historischen Quellen zu finden, wie die Sprossen des edlen Geschlechts der Hohenzollem in jener nordischen legend das Mimlichste Andenken hinterließen. Wie es lins keinen Angenblick zweifelhaft war, daß Deutschland uur durch Anlehnuug an Preußen, nn't-hin nnter Führung dcr Hoheuzollcrn, gesund nnd stark werden könne, so arbeiteten wir mit besonderer Liebe Me Capitel ans, die von den: Ruhme des vortrefflichen Herrschergeschlechts ans fernem Norden Kunde bringen. Wir vernehmen, wie die Schwester des Großen Kurfürsten, die mit dem Herzoge Jacob von Kurland vermählt war, während der Erstürmung des Mitaner Schlosses dnrch die Schweden Proben eines seltenen Muthes ablegte nnd bei ihrer Hinwegführnng in die Gefangenschaft von Iwangorod, die auf die rücksichtsloseste Weise vor sich Mg, die edelste Resignation und die lwchste weibliche Würde entfaltete. Wir vernehmen fevner, wie der Herzog Albrecht von Preußen, der mehrere Jahrzehnte hindurch den Krobin'schm District in Kurland alv Pfandbesitz zu verwalten Gelegenheit i,atle, gleicb anf's Rühmlichste dafür sorgte, dm Vildungsstandpmckt der geistig fo vernachlässigten lettische Landbevölkerung zu verbessern und ihre bis dahin fast thierische Existenz zu einer menschlichen zu erheben. Wie ist dies so ganz im preußische,: Geiste gehandelt! Ueberall, wohiu sich die preußische Verwaltung erstreckt, wird für Verbreitung des Lichts gesorgt und echte Wissenschaftlichkeit. Auch das Vereithaben der Pfandsumme von Seiten des Herzogs Albrecht von Preußen ist charakteristisch für Hohenzollersche Eigenart, die mit den: Gelde stets haushälterisch uniging. Deutschland, sich eng an Preußen anlehnend, ohne tüchtiges Eigene aufzugeben, kann das Größte vollbringen. Männer VW der reinsten Vaterlandsliebe und von dem schärfsten Denken, die nur der Logik, aber nie der Phantasie einen Einfluß auf das gestatteten, was sie als Ergebniß ihrer Ueberzeugung aus-sprachen, Männer, wie Fichte, Stein und Dahlmann, erblickten nur Heil für Deutschland in den: engsten Anschlüsse an Preußen. Sie sprachen das in kühlen, sorgsam abgewogenen Worten aus, was Heinrich von Treitschkc uns jetzt in der Sprache der Begeisterung an's Herz legt. Und man vergesse nicht, daß Fichte, Stein und Dahlmann, alle drei keine geborenen Preußen waren, wie auch ^Treitschke ein Sachse ist. Fichte, Stein und Dahlmann, diese großen und deutschen Männer, sie bauten nicht blos auf das preußische Volk, sonder,: aucl, auf das Fürstenhaus der Hoheuzollern. Und sie bauteu auf dasselbe nicht als phantastische blind hoffende Jünglinge, sondern als ernste, nnr ans Thatsachen fnßende Männer. Sie erkannten vermöge ihres historischen Wissens nnd ihres historischen Fernblicks, daß, mochten einzelne Hohenzollern anch abirren von der ihrem Hause gesteckten Ausgabe, da^ Geschlecht im Ganzen doch durch tiefgcwnrzclte Art und durch die Macht, der Verhältnisse immer darauf hingedrängt werden würde, Licht-bringer zu sein, wie Friedrich der Große. So wird sich verwirklichen, was der alte, herrliche Freiherr von Stein einst ausgesprochen zn einer Zeit, wo der politische Horizont sich ganz verdunkelt hatte, wo aber der weitsehende Staatsmann und fromme Christ seine nie wankende Ueberzeugung in folgenden Worten niederlegte: „Der große alte Gott wird seinein guten Dent-schen Volke ans der Noth helfen — das ist mein fester, mich beruhigender Glanbe." Jene so langersehnte würdigere Gestaltung Deutschlands, wie sie sich jetzt verwirklicht, ist, wie anch der erbittertste Gegner anerkennen mnß, größtentheils — wenigstens der Vollbringung nach, weun anch ihre Anbahnnng schon in die Freiheitskriege fällt — dem gewaltigen preußischen Minister zu danken, der in einem redclustigen Jahrhunderte das Motto der alten X Spartaner wählte: kurz zu sprechen und kurz zu handeln. Es schien uns nun zu einer unpartcischen Beurtheilung dieses ehernen Ministers Niemand geeig/ neter, als ein freisinniger Edelmann Knrlands. Fand doch hier der einzige Fall Statt, daß, während wegen deutschen Blutes und deutscher Gesittung die Wärinste Theilnahme für Deutschlands Schicksale in jeder edlen Brust wohnte, doch wegen des politischen Verbandes mit Nußland keine unmittelbare, vortheilhafte oder nachtheiligc Folge für des einzelnen Lebensloos sich durch die großen Ereignisse des Sommers von 1866 herausstellte. In der Brust des kurischen Veurthcilers wohnte demnach neben fast gleicher Liebe zu Deutschland die größere Unparteilichkeit. Wir kommen jetzt zu unserer Klage, daß der schöne Friede in den baltischen Landen gestört wurde, seitdem das russische Nationalbewußtsein durch den polnischen Anfstand von 1863 eine überreizte Richtung erhielt. Einen je wärmeren Ausdruck wir nun unserer Freude gaben, daß bei unserer Anwesenheit in den deutschrussischen Ostseeprovinzen die berechtigten Eigenthümlichkeiten des Landes von der Regierung zu St. Petersburg auf das Geftissentlichste gewahrt wurden, desto verstimmter und bekümmerter werden wir uns auszusprechen haben, falls die aus jenen Gegenden uns XI zukommenden Berichte von willkürlichem Eingreifen in einen beschworencn Vcrfassungszustand volle Mehrheit enthalten sollten. Wir hoffen indeß, daß die in Aufregung versetzten Bewohner der Ostfeeprovinzen die Sprache der überreizten moseowitischen Presse nicht zu unterscheiden wissen von der olympischen Ruhe einer weisheitsvollen Regierung. Der Fürst Gortfchakoff, der jene viclbewunderten Noten schrieb, vermittelst deren er jede westeuropäische Einmischung ill die inneren Angelegenheiten Rußlands würdevoll zurückwies, dieser so taktvolle Minister wird nicht duldeu, daß der Unverstand der iungrussischen Partei mit roher Hand eingreife in germanische Staatsbildung, wie sie sich in den Ostseeprovinzeu, wenigstens zum Theil, vorfindet. Er wird seinen kaiserlichen Gebieter au die feierlichen Zusagen cr-iunern, die Peter der Große den Ostsecprovinzen 'nachte, uud durch die er seine Nachfolger in: Negi-wentc zur Achtung überkommener Ordnungen verpflichtete. Peter der Große sicherte im Mstädter Miedm den Provinzen Liv- und Esthland folgendem Zu- „Herrschaft der lutherischen Kirche, Aufrechthaltung des deutschen Rechts, der deutschen Sprache und der angestammten Verfassung." Dem Wortlaute nach heißt es, daß diese Privilegien eher zu XQ „augmentiren", als zu „diminuiren" seien. Die Zu» sagen Katharinens bei der freiwilligen Unterwerfung Kurlands unter die russische Krone lauteten noch verheißungsvoller. Doch dürfte es einer solchen Erinnerung bei einem Kaiser, wie ihn Ruhland zu seinein Glücke gegenwärtig besitzt, kaum bedürfen, wohl aber der offenen Darstellung gegenüber einem milden und gerechten Herrscher, wie jetzt die Treuesten seiner Unterthanen in ihrer Sitte und Sprache Gewalt erleiden. In das beängstigte Herz der Ostseeprovinzen würde sich sofort Beruhigung senken, wenn sie hoffen dürften, daß ihr augenblicklicher qualvoller Zustand von ihren: gütigen Kaiser nur annähernd gekannt wäre. Die Abhülfe würde dein Wissen auf dein Fuße folgen. Wir erinnern daran, wie vor ungefähr zwanzig Jahren die OstseeprovinZM eine ähnlich bange Periode durchzumachen hatten — jene Periode, in .welcher der Generalgouverneur Golowin und der Erzbischof Philaret russische Sprache und russischen Glauben auf alle, nur niemals auf würdige Weise den Bewohnern der baltischen Lande annehmbar zu machen suchten — wir erinnern daran, wie es in jenen trüben Tagen gleich einein den düstern Himmel durchbrechenden Sonnenstrahle wirkte, als man nach zuverlässiger Kunde aus St. Petersburg sich zuflüstern XIII durfte, der wilde Thronfolger habe zu dem Kaiser beschwörend gesprochen: „Wende deine Hand, o mein Vater, nicht ab von den deutschen Provinzen! klaube mir, es sind die Treuesten deiner Unterthanen." Und daß dieses Vertrauen auf die Treue der Ostseeprovinzen dem jetzigen Kaiser unverkürzt geblieben, bewies sein Ausspruch im Sommer 18l»7, als er, von Paris zurückkehrend, in Niga Zum Besuche verweilte. Freilich klang dnrch die kaiserlicheu Worte: „Vergessen Sie nicht, daß Sie zur Familie gehören!" für jedes feiner hörende Ohr es hindurch, daft diesem dem Nnhme Rußlands so warm schlagenden Herzen der Verdacht eingeflößt worden, als wollten die Ostsec-vrovinzen nicht mitarbeiten an der Größe lind dem Glänze des Gesammtvaterlandes. Doch hiergegen hat sie schon eine erhabene Stimme vertheidigt, die Nicolaus I. nämlich, der unter allen russischen Herrschern es sich am meisten angelegen sein ließ, seinem Niesenreiche nach jeglichem Punkte hin den nationalen Stempel aufzudrücken. Weil wir jene Verdächtigungen boraussahen, die von slavischer Seite gegen die Deutschen in den Ostfeeprovinzen würden erhobeu werden, so < heilten wir vorbauend in einem besoudern ^"ftitel nnsers IW^ erschienenen Buches eine Unterredung mit, die der Kaiser Nieolaus 1. mit kurischen XIV Freiwilligen gehabt, kurz bcvor er in's Jenseits hinüberschlunnnerte. Damals erwähnte der im Lobe karge Kaiser mit wärmsten Alisdrucke, was er Alles Kurland verdanke. Und ein ähnliches Lob gebührt Liv- nnd Esthland. Weg also mit der Verdächtigung, als ob die Ostseeprovinzen nicht mitstrebten an der Größe und dem Nuhme des GesammtvaterlandcZ! Sie sind im Gegentheil das vornelnnste Glied dieses gewaltigen Neichskörpers. Wir rufen in's Gedächtniß zurück, was wir, in Ahnung der jetzigen ungerechten Angriffe, vor sechs Jahren aussftrachen: es sei das deutsche Wesen in den Oftseeprovinzen von jeher kein Schmarotzergewächs am Riesenbamne des Slavismus gewesen, sondern habe ihm im Gegentheil die frischesten und edelsten Säfte zugeführt. Zur Abhilfe des jetzigen peinigenden Zustandes, in dem unsere nordischen Brüder leben müssen, käme es nur darauf an, zu dem Ohre eines milden und gerechten Herrschers einen treuen Nerickt von den Unbilden gelangen zu lassen, wrlche die Ostseeprovinzen erleiden. Wir wiederholen unsere im Eingänge ausgesprochene Neberzeugung, daß es der deutschen Presse, dieser so weithin gehörten Stimme, gezieme, in klarer und bescheidener We'se, gegenüber einem hochgesinnten XV Kaiser, jeuer annuithendeu Pflicht zu geuügeu. Welch' herrliches Schauspiel wäre es, wenu die deutschen Ritter vom Geiste üu ncuuzehuteu Iahrhuuderte voll-brächteu, U'as die deutscheu Ritter vom Schwerte im sechszehuteu Iahrhuuderte in'cht vermochten, nänüich die Ostseeproviuzeu zu schützen gegen die „grimmen Moscowiter." Mögeu die jetzt zu uus gelaugcudeu Schilderungen aus deu Ostseeproviuzen immerhiu etwas übertriebeu sciu, so bleibt doch gewiß, daß brave uud liebe Stammesgmosseu gegenwärtig für das Heiligste und Ehrwürdigste erbaugen, uud daß sie vou der Zukunft noch Schlimmeres befürchten. Wcun die Zustäildc iu den deutsch-russischen Ostseeproviuzen noch so friedlich und glücklich wären, wie vor eiuem Iahrzehute, als wir sie kennen lernten, so hätten wir dieselben wohl kaum auf'5 Reue betreteu, da der Nordeu uusrer Gesundheit wahrlich uicht gut gethan. Doch jetzt, wo Wir theure Angehörige der großeu Mutter Germauia bedrückt uud bekümmert wisseu, pilgeru lvir im Früh-sonuner dieses Jahres »loch emmal iu die Ostsee-Provinzen. Wir reisen in der Hoffnung, die 'dortigen Zustände iu etwas gebessert vorzufinden, so daß wir dnn besorgten Stammlande Tröstliches Zu berichten vmnögen. Jedenfalls haben wir jetzt dcu Schmerz, XVI dort viele edle und treue Gemüther in Seelenqual zu wissen. Wir glauben, bei der großen Theilnahme, die wir in sämmtlichen Organen der deutschen Presse für die nordischen Brüder allsgesprochen fanden, im Namen des sympathetischen Mutterlandes ihnen zurufen zu dürfen: Wohl blickt das ganze Deutsche Land Mit Lieb' zum fernen Balt'schen Strand, Und reicht die feste Mannes-Hand Den Brüdern dort als Unterpfand. Doch seid in Wahrheit Brüder auch, Wie es bei wackern Menschen Brauch; Des finstern Hochmuths düst'rer Rauch Verfliege vor der ^iebe Hauch! . Ja, emi^ seid, nnd deutjche Art, Im hohen Norden treu bewahrt! Um's deutsche Geisteöbanncr schaart Ihr Männer, Euch, Ihr Frauen, zart! Tann wird der slad'sche Dopftelaar Begreifen, welch' ein Segen war Für ihn die deutsche Geistes. Sckiaar, Und krümmen nimmer V»ch ein Haar. Und sollt' versuchen er eö doch, So herrscht ja Alexander noch, Der kühn zerbrach ein schweres Joch, Und Recht und Freiheit schätzet hoch. Ja, der milde und kluge Sinn eines Alexander II. ist uns die sicherste Bürgschaft, daß die Beängstigung XVII der Ostseeprovinzen nicht von langer Dauer sein werde. Alexander II. ist zu milde, um den Gedanken ertragen zn können, daß die so hochachtbare deutsche Minderheit seiner Unterthanen von der ernsten slavischen Mehrheit gedrückt werde und in ihren heiligsten Rechten Verkürzung erleide. Alexander II. ist zu klug, um zu übersehen, daß das Beharrliche in der stcrmanischen Staatsbildnng vor allein dein kräftigen Nürgerthume entstamme. Er wird es demnach durch die Politik geboten finden, diesen in den Ostseeprovin-zen vorhandenen Keim seinem gewaltigen Slavenreiche einzupflanzen. Ver Kaiser weiß, daß, wenn er w einem so leicht lernenden und der ungeheuren Mehrzahl nach ihm aufs Treueste anhangenden Volte l'lu kräftiges Bürgerthum großzieht, er dadnrch die Blüthe des ihm von Gott befohlenen Landes aufs Sicherste befördert, während, wenn er die jung-russische Partei, die das mächtige Reich in lauter demokratische Dorfgemeinden aufzulösen und Alles zn verflüchtigen trachtet, noch fürder walten nnd schalten ließe, bald für den uralten Thron Ruril's keine Gnmdlage Mehr vorhanden sein dürfte. Wie auch das edle Herz eines Herrfchers, dein in der Weltgeschichte neben Titus nnd Marc Anrel die Stelle aufbehalten ist, der Beängstigung in den Ostsee- xvm Provinzen abzuhelfen gedenke, für den Augenblick ist der dortige Zustand ein solcher, daß er die höchste Theilnahme Deutschlands rechtfertigt, ja, beansprucht. Kämpf«: doch dort Taufende unserer Brüder einen heißen Kampf für deutsche Sprache und Gesittung. Wo Teutsche steh'n auf hoher Wacht, In Körper- oder Geistesschlacht, Da hab' das ganze Deutschland Acht! Den 29. Februar 1808. Der Verfasser. Das Land. Die Meilenzahl Kurlands wird ziemlich abweichend angegeben. Bald sindcn wir nur 473 Quadratmeilen angeführt, bald steigert sich die Angabe bis auf 509^ Quadratmeilen. Jedenfalls erhellt Hieralls, daß der Umfang Kurlands nicht fo ganz unbedeutend ist, und daß es die Bedingungen zu einem besondern Herzog-thum, wie solches ja mehrere Jahrhunderte hindurch bestand, wohl in sich trttge. Kurland ist um 200 Quadratmeilen größer, als das Königreich Sachsen. Mhrt man vielleicht zu Gunsten Sachsens an, daß cs an Schätzen des Bodens ungleich reicher sei, als Kurland, so läßt sich hiergegen nichts einwenden, wohl aber, wenn, wie es so häufig geschieht, die Vermuthung ausgesprochen wird, diese ganze nordische legend möge einen unfruchtbaren Charakter an sich tragen. Eine derartige Vermuthung nun verstößt sehr gcgen die Wirklichkeit. Tas Auge fühlt sich im Gegentheil äußerst angenehm berührt, wenn es w Kurlaud weite, fruchtbare Gegenden überschaut, nachdem man nicht lange zuvor in Ostpreußen das Feld 'so ärmlich Vrunier, Kurland. 1 — 2 — und sandig angetroffen. Von der Güte des Bodens in Kurland zeugt am besten das viele Getreide, namentlich der schöne Weizen, durch dessen Ausfuhr reichere nnd bevölkerte Gegenden die ihnen fehlende Nahrnng erlangen. Kurland zerfällt in zwei, sowohl an Größe, wie an Vodenbeschaffenheit sehr ungleiche Theile. Das Unterland, das eigentliche Knrland, ist eben und bildet die Kornkammer, ans der so reiche Schiffsladungen Getreide nach Einsland und Holland versandt werden. Das Oberland zeigt eine mehr hügelige und vor allein sehr waldige Beschaffenheit. Das Oberland hat noch aus früheren Jahrhunderten einen besondern Namen: Semgallen. Zur Zeit der Selbst-ständigkeit Kurlands wnrde Seingallen als besonderes Herzogthnm angeführt. Man findet in Urkunden stets die Bezeichnung: die Herzogthümer Knrland nnd Semgallen. Dies letztere Wort stammt entschieden ans der Lettischen Sprache. Man hat aber auch versucht/ seinen Ursprung ans dem Lateinischen abzuleiten. Solches unternahm uuter Auderen der Französische Gesandte liiifcf;o ,^ait^tmann M^ gur ^ücftc iHTftcißt, ruft cr au§: — 7 - „Quid magis <> mirum! Curlainlia in aethere pisoes Captat, cur opus t;st, panderc vctv. saloV" UebrigenZ ist dieses Fa,igeit des Lachses in der Luft gar nicht etwas so fchr MerkNnirdiges, sondern l)ängl mit den Eigenthiunlichkeiten dieses Fisches genau zusannncn. An allen Orten nämlich, wo dcr Lachs auftritt, zicht cr aus dein Mcerc die Ströme hinauf, uni sich zmn Laichcil eillc ihin znfagcndo Stelle ans-zilsnchcn. Nei dieseni Heranfziehm in die Flüsse bewältigt er die größten Schivierigkeiten. Er fliegt dann dnrch die Luft, und zwar dies durchaus wörtlich gmommen. Unl nättllich über Felsenriffe, die sich ihm entgegenlagern, hinnberznkommen, stennnt er den Schwanz fest an nnd schnellt sich zu en^er beträchtlichen Höhe empor, wodurch er über das anscheinend unbesiegliche Hinderniß hinweg gelangt. Er soll sich "ft bis zu vierzehn Fuß emporschnellen. Nach Berichten aus Island durchschwimmt dort der Lachs "hne Bedenken schwefelhaltige, ganz warme Gewässer, ba hinter ihnen seine Laichplätze liegen. Wie der Lachs der vornehmste Fisch in Kurlands Gewässern, so ist der Auerhahn der edelste Vogel in den dortigen Forsten. Bekanntlich wkd er znr Balzzeit ohne große Mühe geschossen. Die Einwohnerzahl Kurlands dürfte mit 600,000 Menschen ziemlich richtig angegeben fein. Wenn Herr ^on Nutenberg in seinem Buche: „Mecklenburg in Kurland", viele Aelmlichkeiten zwischen dem deutschen Großherzogthum uud de,n rnssisthen Gouvcrnenlent herausfindet, so ist die geringe Bevölkerung zweier durch so vortrefflichen Boden ausgezeichneter Pro-vinzcn jedenfalls als ein Zeugniß für fehlerhafte innere Einrichtungen anzusehen. Wo der Boden gut und die Verwaltnng eine billige und gerechte ist, da mehrt sich die Einwohnerzahl in überraschender Weise. Die deutsche Sprache, von dem Landadel und der Stadtbevölkerung gesprochen, wird in keiner Weise durch die russische Regierung eingeengt. Das Gymnasium zu Mitau^ die Kreisfchule zu Libau, so wie die übrigen Nuterrichts-Anstalten Kurlands werden ganz in deutschem Geiste geleitet. Die Lehrer find tüchtige, wohlgeschulte Männer; sie bekennen sich stolz zu der deutschen Cultur und werden von Seiten der russischen Negierung in ihren Ansichten und ihrer Wirksamkeit. durch nichts behindert. Die russische Regierung ist nicht blind gegen den reichen Cultur-Segen, der den: slavischen Colosse seit anderthalb Jahrhunderten dnrch deutsche Befruchtung zu Theil ward; sie unterbindet deshalb nicht die belebende und erwärmende Geistesader, die ihr aus deu Ostsee-Provinzen so wohlthätig zuströmt. Wie ganz anders stehen die Dinge in dem früher so deutschen Elsaß! Dort schlug der Präfekt Migneret einer dentschen Schausftielergesellschaft, der es nur auf mehrfaches Auhalten gestattet worden war, ihren Thespiskarren besteigen zu dürfen, die Bitte um Erlaubniß zu weiteren Vorstellungen durch die nackte Erkläruug ab, er fühle sich zu einer Gewährung nicht bewogen. 9 weil dadurch der deutsche Geist im Elsaß zu sehr angeregt würde. Eine solche Beleidigung des deutschen Geuius würde sich in Kurland kein Beamter zu Schulden kommen lassen. Wie in den Ostseeprovinzen der deutschen Sprache von der Russischen Regierung nicht das geringste Hemmniß entgegengestellt wird, bekundet auch die dort herausgegebene „Baltische Monatsschrift", die N'ich ist an vortrefflichen Anffätzen, sowohl was ihre Form, als was ihren Inhalt betrifft. Vor allein wollen wir aus dieser Monatsschrift einen Aufsatz von I. Eckardt hervorheben, in den: wir über das Treiben Cagliostro's in Mitau fesselnde und belehrende Mittheilungen empfangen. Daß auch der würdige Pcrthes Kurland znm deutschen Oeistesgebiete zählte, bewies er durch einen "Nef an den ihm befreundeten kurifchen Edelmann, Varon von Schlippenbach, in dem er um Mittheilungen aus dem Norden für seiu zu gründendes „deutsche Museum" ersuchte. Deutsches Schauspiel kauu in jeder knrischen Stadt ungehindert die Einwohner ergötzen. Wir selbst sahen N'cht gute Vorstellnngen in Libau während der Bade-Eaison von 1856. Auch iu Mitau thut sich — namentlich zur Zeit des Iohannis - Termins — ein deutsches Schauspiel auf. Emil Devricnt rief dort, wie überall, lebhaftes Entzückeu hervor. Er ward, wie dies bei seinem feinen gesellschaftlichen Schliffe w durchaus nicht verwundern kann, in die vornehmsten Kreise eingeladen. Ich entsinne nnch, wie eine Va-rolün von B—g, eine sehr hübsche und liebenswürdige, aber schoil im Mittelalter befindliche Danle, es riihmend gegen mich hervorhob, das; Ennl Devrient, der mit ihr zu einer Gesellschaft in Mitall geladen war, beim Eintreten in den Saal nicht zu einem Kranze schöner junger Damen gegangen sei, die dnrch seine Nähe sicher sehr beglückt gewesen wären, sondern daß er sich neben ihr, der älteren Frau, niedergelassen, und so gemüthlich nnd harmlos geplaudert habe, als ob er ihr gar kein grosies Opfer gebracht. Wir sind überzeugt, daß Emil Devricnt sich int Kreise der kurischen Damen sehr wohl gefühlt und von ihnen einen poetischen Eindruck mit fortgenommen haben wird. Sind doch die anmuthigen, klugen und bescheidenen Franen Knrlands der schönste Schmuck dieser Provinz. Wir wollen hier gleich einfügen, dasi eine russische Kaiserin, die Gemahlin Peter des Großen und nach seinem Tode Beherrscherin des weiten Reiches, der kurischen Frauenwelt entstammt, und zwar aus einer der letzten Nangklassen daselbst hervorging. Da nun Katharina I. durch ihre Schlauheit das russische Heer am Prnth ans einer großen Gefahr befreite, da sie ferner ihre so schwierige Rolle an der Seite eines jähzornigen nnd rohen Gemahls mit vielem Geschicke ausfüllte, so gereicht es der knrischen Frauenwelt gewiß zur Ehre, daß sie ans ihrer niedersten Ordnung eine Neprä'sentatin für den Kaiserthron eines ____ 1 1 so lnächtigell Reiches herzugeben vermochte. Katharina war die Tochter des schwedischen Quartiermeisters Johann Nabe und ward im Jahre 1082 zu Iakob-stadt in Kurland geboren. Kanm zivei Jahre alt, verlor sie beide Eltern. Ein nutleidiger Küster sorgte für die elternlose Waise. Als der Propst Glück in Marienburg von dem verlassenen Kinde hörte, so nahm er dasselbe in sein Haus. Katharina ward wit den Kindern des Propstes gemeinsam unterrichtet, welchen: Umstände sie jene Bildung verdankt, die sie für das Leben in der vornehmen Welt geeignet machte. Es ging also aus niederm Stande in Kurland cine russische Kaiserin hervor, die ihren Platz nicht unrühmlich auszufüllen verstand. Hiernach ist der Schlust kein gewagter, wie liebenswürdig nnd an-uutthig diejenigen kurischen Frauen fein müssen, die ln feiner und zarter Umgebung aufwuchsen und nie derselben entfremdet wurden. Wie Kurland ans dein Geschlechte der Vanern "Ml Throne des gewaltigeil Mssenreiches eine nicht Unwürdige Kaiserin schenkte, so gingen ans den bürgerlichen Ständen dieser Provinz wissenschaftliche und kriegerische Notabilitäten hervor. Wir nennen beispielsweise einen Fürsten im Reiche der Wissenschaft, nämlich Adolph Theodor Kupffer. Dieser den 18. Iannar ^-)l) in Milan geborene Knabe reifte zu einem Manne heran, den Alexander v. Humboldt mit Recht einen "sehr, sehr ausgezeichneten Gelehrten" nannte. Humboldt hub ferner rühmend an ihm hervor, wie Kupffer — 12 — mit dein reichsten Wissen Anmnth der Lebenssitte und feinste Umgangsformen verbinde, Eigenschaften, die bei deutschen Gelehrten hänsig vermißt werden. Neben diesem hervorragenden Manne der Wissenschaft wollen wir eine kriegerische Größe Knrlands besonders erwähnen, nämlich Eduard Todleben. Er ward, wie Knpsser, in Mitan (den tt. Mai 15N8) geboren und ging ebenfalls ans den: Schooße einer braven Kaufmannsfamilie hervor. Von den vielen knrifchen Männern adeligen Geschlechts, die sich im Fried oll wie im Kriege auszeichneten, werden wir mehrere hervorheben, wenn wir die in Kurland so einflußreiche Aristokratie einer besondern Besprechung unterziehen. Wir können hier schon al« Gcsammtnrtheil vorwegnehmen, daß in allen Ständen der kurlänoifchen Bevölkerung von jeher tüchtige und zuweilen hervorragende Männer gefunden wurden. Ueberhauvt werden wir bei weiterer Betrachtung kurischer Verhältnisse noch durch manches wohlthuende Schauspiel erfreut werden. l5s weht hier deutscher Geistesodem, es waltet hier deutsche Sitte, es erklingt hier jener tiefe niid volle Ton deutschen Gemüths, der in dem eigentlichen Deutschland bei dem wilden Kampfe der Parteien kaum noch gehört wird. Wenden wir zuweilen den Blick auf dieses Land, wo Friede wohnt und deutsche Innigkeit, und das einstmals zum deutschen Reiche gehörte. — 13 — Kur- und Livlauds Lossagung vou Deutschland. Da Schleswig, das so lange unter dänischer Vergewaltigung senfzte, jetzt endlich sich wieder dentscher Schule und dentscher Predigt erfreuet, da wir also hoffentlich für immer eine Provinz, die sich nach Deutschland sehnte, unserm Politischen und wissenschaftlichen ^eben einverleibt haben, so ist e5 gerade nun besonders an der Zeit, in vergangene Jahrhunderte zurückzublicken, wo durch die Schuld unserer Zwietracht weite uud fruchtbare Gebiete, die zum heiligen römischen Reiche dentscher Nation gehörten, "! die traurige Nothwendigkeit versetzt wnrden, sich vom Mutterlande losznsagen, weil dieses sie in höchster Bedrängnis; ohne allen Schutz ließ. Solches ereignete sich mit Kur- und ^ivland. Wenn nun ersteres ^and den Vorwnrf nnsercr speciellen Betrachtung bildet, so haben wir eine zwiefache Aufforderung, diefe Losfagung besonders zu beleuchten. Da die kurischen Bischöfe unter dein deutschen Ritterorden standen, dieser aber nnter dem heiligen -., 14 — römischen Reiche deutscher Nation, so wurden sie als wirkliche Reichsstände angesehen uud alls die römischen Reichstage berufen. Sie unterschrieben deshalb die Comitial-Necesse entweder in eigener Person, oder durch Abgeordnete. Man findet unter den Neichstags-abschieden von l5N<), l52!> und 1530 Unterschriften aus Kurland, das damals also noch als ein inte-grirender Theil des deutschen Reiches betrachtet wurde. Die Neichstagsabschiede von 1545, 1548 und 1555 sind von dem letzten kurländischen Vischofe Johann Mönninghausen unterschrieben worden. Ich konnte nicht ohne tiefe Bewegung die Urkunde lesen, durch welche sich die Ostsceprovinzen von Deutschland lossagten, weil sie seit Jahren ohne allen Schutz gelassen waren, um den sie doch so flehentlich gebeten hatten. Allerdings war Deutschland'im Südosten von den Türken und im Westen voll den Franzosen bedroht, aber nichtsdestoweniger hätte es alle Kräfte aufbieten müssen, um Provinzen dem Reiche zu erhalten, die zu erwerben so viel deutsches Blut geflossen war. Hätte Deutschland damals nicht die durch die Reformation hervorgerufene Spaltung geschwächt, so würde es allerdings mehr für die um Hülfe flehenden Ostsee-Provinzen haben thun können. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, sind unleugbar die Anklagen des ultramontanen Bischofs (Kcttler) von Mainz gerechtfertigt, die er in einen: Hirtenbriefe an die Mitglieder feiner Diöcese vor einigen Jahren aussprach, nämlich, dah die Reformation die Kräfte Deutschlands — 15 — nach Außen hin paralvsirt habe. Nbcr wcnn man die unendlichen Wohlthaten erwägt, welche die s)tefor-mation an Licht, Wahrheit, Gesittung und Hinnani-tät gebracht hat, so muß man sich über dic sie begleitenden ltebelstände zil trösten suchen. Scknnerzlich ist es allerdings, daß, wie im Jahre 1556 Metz, Toul und Verdnn an Frankreich verloren gingen, weil die Protestantischen Fürsten gegen die Nebergriffe Karl V. dm Beistand Heinrich II. nöthig hatten, so im Jahre ^><>l sich schöne Provinzen im Nordosten vom Miche lo^losten, weil sie nicht allein im Stande waren, sich NMn die Angriffe des Czaaren zu schützen. Das Dom-went, durch welches sich Knrland und Livland von: ^Mtschcn Nciche lossagten, und das ich in schmerzlichster Aufregnng las, lantet in seineni Eingänge: ,,('(>1>i:l der Vollmacht der Ritter- und Landschaft fur ihre Abgeordneten an die königliche Majestät von Volen, Herren Sigismnndnm Nngustnm, da das Nanze Land vom römischen Reiche hülflos, Erlassen und denen Moscovitern ^nm Raube übergeben, ans nnvermeidlichen nothdringenden Ursachen nach Veränderung des Ordens der älrone Polen sich hat ergeben müssen 1561. Wir Philippus von Altenbocknm, Curischer Mann-achter; Johann Wrangel von Waidenmr, Otto Grot-hans, Valentin Hmie, Iohain: Treyden, Johann Plettenberg, Sander Nettelhorst, Clans Wase, Johann Schmöling, Johann Mnreg, Christoph von der ^tose, Dionysins von Hillsen, wegeil des gemeinen Adels, — 16 — und dor von der Ritterschaft, so anhero und auch noch, mit dem hoch würdigen, großmächtigen Fürsten und Herren, Herren Gotthardt, Meistern des ritterlichen deutschen Ordens zu Liefland, und desselben Orden besessen, thun kund und bekennen hie öffentlich, für aller männiglichen, daß nachdem hochgedachter unser gnädigster Landesfürst und Herr, auch wir Anne von Adel sammt allen andern (Anwohnern dieses Landes von der römisch kaiserlichen Majestät, und allen Churfürsten und Ständen des heiligen römischen Reichs teutscher Nation wider den blutigsten Tyrannen und Erbfeind den Moscoviter, in unerhörtem Mord, Brand, Nanb, Nehmen, Verheeren, Verderben und Verwüsten, ungeachtet alles Klagens, Vermahnen, Flehen und Bitten, so dahero unaufhörlich geschehen nun in das fünfte Jahr hülf- und trostlos, kläg-und erbärmlich, nicht allein verlassen, sondern auch von andern, die uns billig mitleidig erretten helfen sollten, unverschuldet, wider Gott und alle Billigkeit feindlich angerissen, dergestalt, daß unserm hochgemeldeten Landesfürsten auch uns ohnmöglich nns dergestalt länger aufzuhalten, und hätten wir, wenn nicht (^ott wundcrbarlich uns erhalten, längstens in unserm Creutz erliegen müssen." Ta das Schriftstück, in welchem sich Kurland und Livland der .^rone Polen zu Lehm geben, sehr lang ist nnd von jetzt an nur die Privilegien herzählt, deren Aufrechterhaltung die Ostseeprovinzen sich bei — 17 — ihrer Unterwerfung ansbedingen, so führe ich es nicht weiter an. Die Unterwerfung unter Polen hatte nun für Kurland zunächst die Folge, daß dem bisherigen Hoermeister, Gotthard Kettler, die herzogliche Würde beigelegt ward. Er trat zu Polen ganz in dasselbe Verhältniß, in welchem der Herzog von Preußen bereits stand, das heißt, e^ nahm die beiden Districte Kurland und Semgallen als ein Mannlehen des Königreichs Polen und des Großherzogtbums Litthauen. Dem Himmel sei Dank, daß es nut Deutschland doch besser geworden, als im sechzehnten Jahrhundert. Wenn jetzt Moscowiter oder Franzosen sich eine Scholle Zutschen Landes aneignen wollten, so würde sie ein geantes Heldenvolk mit blutigen Köpfen heimschicken an dm Strand der Seine oder Newa. So wirr die poli-Nschen Ansichten bei uns auch durcheinander laufen, "l Vezng auf die Ehre und die Unabhängigkeit des ^esannntvaterlandes herrscht nur eine Gesinnung. Vrunier, Kurland. — 18 — Kurlands LehnsverlMmß zu Polen. Kurland bildete, wie wir in den: vorausgehenden Capitel sahen, bis Zum Jahre 1561 einen Bestandtheil des deutschen Reiches. Seine hierauf folgende Zusammengehörigkeit mit Polen, dein es sich als Lehnsstaat unterwarf, hat ihm nicht viel Glück nnd Segen gebracht. Dies war auch kaum anders möglich. Eine Verbindung mit Polen glich dem Zurückfallen m das Chaos. Wer ohne Parteilichkeit, die bei edlen Gemüthern so leicht entsteht, wenn sie die Leidensgeschichte eines Volkes vernehmen, wer ohne Haß und Gunst die polnischen Annalen aufrollt, wird als Ergebnis; seiner Wahrnehmungen das alte dentsche Sprüchwort anführen.- „Ein Jeder ist seines Glückes Schmied." Die Theilung Polens war lediglich die Schuld dieses Staates oder vielmehr Nicht-Staates, denn Anarchic ist das Gegentheil eines nach Gesetzeil regierteil Gemeinwesens. Die kleine Schweiz, rings umgrenzt von übergewaltigen Nachbarn, hat sich frei erhalten, wie die Luft ihrer Verge. Waruni ließ sich das große — 19 — Polen von Nachbarn zerstückeln, ttbcr die es früher stolz hinweggesehen hatte? Das Räthsel ist leicht zu lösen. Weil in Polen nur der Adel etwas galt, der Vürgerstand kaum existirte, und der Bauer schlimmer als das Vieh behandelt wurde. Wie sollte da bei der großen Masse des Volks Begeisterung für das Vaterland aufkommen? Damit man unser Urtheil über dies unglückliche Volk nicht zn hart finden möge, rufen wir den gewiß unparteiischen Professor Heiurich von Sybel zu Hülfe, der in dein zweiten Bande seiner „Geschichte drr Revolutionszeit von 1769 - 1795>" ebenfalls keinen Anstand nimmt, den Fall Polens einzig und allein der Zwieträchtigkeit und Bestechlichkeit des Adels, so wie dein Uebelstande zuzuschreiben, daß ein dritter Stand überall nicht vorhanden war. Ob es noch jetzt so schlimm im Königreiche Polen "ussieht, daß, wie Niehl in seiner „Bürgerlichen (>ic-scllschaft" behauptet, wo ein Bailer sich einen Obst-bcnnn zu ziehen wage, der Edelmann diesen niederhauen lasse, weil Gott die Obstbäume nur für den Adel geschaffen habe, möchten wir fast bezweifeln. D'e russische Negierung unterstützt aus Politik den polnischen Bauer gegen den Edelmann, weil sie sich nicht verhehlt, daß sie aus eine in Zeiten der Noth Probe haltende Treue des Letztern doch niemals werde rechnen können. Wie es Individuen giebt, die unter einem unglück-"chen Gestirne geboren zu sein scheinen, so möchte man 2* — 30 — auch Nationen einein unentrinnbaren Fatum verfallen glauben. Wäre die Sache nicht so überaus traurig — wir meinen die Confiscation eines ganzen Reiches — so würden wir bei den: Schauspiele lächeln, wie Polen, als es endlich zu der Erkeuntuiß gelangte, daß ihm eine Regeneration nothwendig sei, sich von Jean Jacques Rousseau politische Rathschläge ertheilen ließ. Rousseau, so unendlich geistvoll in der Theorie, und so wenig befähigt für das wirkliche Leben, genügte bereitwillig dem von Seiten Polens durch den Grafen Wielhorski an ihn gestellten Verlangen, Vorschläge zu inachen, wodurch sich das so sehr verkommene Sarmaienreich zu regcneriren vermöge. Seine Vorschläge sind in einer politischen Abhandlung enthalten, die betitelt ist- ^Considerations sur ie Gouvernement de Pologne et sur sn Reformation protete Dar J. J-Rousseau en avril 1772." Diese Abhandlung, wie nicht weiter versichert zu werden braucht, ist reich an tiefen uud glänzenden Gedanken. Das Wahrste, was Rousseau in seinen Betrachtungen über Polen ausspricht, ist wohl die Behauptung, daß Jeder, der die Geschichte des sarmatischm Reiches lese, Mühe habe, zu begreifen, wie ein so bizarr geformtes Staats-wesen nicht schon früher seinen Untergang gefunden habc. Für die Wahrheit dieser Rousseau'schen Behauptung spricht eine Fülle von Beispielen. Ein Reich, wo jeder Landbote das lidcrnin veto hatte, wo der verschuldete Adel stets nach russischen: Golde die Hand aus' streckte, wo Treue und Redlichkeit unbekannte Begriffe — 21 — Warm, mußte früher oder später seinen Untergang sinden. Wir wollen uns streng an unser Thema halten, und Beispiele von polnischen Untugenden nur aus der kurischen Geschichte entnehmen. Zuerst ein Beispiel von polnischer Treulosigkeit. Die Schweden hatten die Stadt Goldingcn auf's tapferste gegen die sie belagernden Polen vertheidigt. Da sie nun wegen des äußerst mißlichen Standes ihrer Angelegenheiten auf Entsatz durchaus nicht rechnen konnten und sie in Folge der erduldeten Entbehrungen wie Schatten umherwandelten, so sah ihr heldenmüthiger Anführer, der Oberst SpenZ, sich doch endlich Zur Capitulation genöthigt. Die Polen sagten den Schweden freien Abzug mit klingendem Spiel zu. Letztere sollten ihre Kanonen und Bagage, so wie Alles, was sie in das Schloß gebracht hatten, mitnehmen und durch eine polnische Escorte sicher durch das feindliche Land bis nach Dünamünde geleitet werden. Allein die Polen brachen treuloser Weise die beschworcue Capitulatiou. Sie warfen sich nämlich über die mit klingendem Spiel an ihnen vorüberziehenden Schweden, nahmen ihnen ihre ganze Artillerie und Bagage weg und machten dü gesammte Besatzung, die aus 1500 Mann und mehr als 100 Offieicren bestand, zu Gefangenen. Außer dem Obersten Spens werden unter den schwebischen Ofsieieren noch der Oberst Konrad Gerth und der Oberstlieutenant Hauenschild besonders erwähnt. Die gefangenen Soldaten reihten die Polen unter — 23 — ihre Truppen. Natürlich mußten sie bemüht sein, ein so treuloses Benehmen zu beschönigen. Je größer das Unrecht war, eine desto frömmere Miene gaben sie sich. Sie erklärten, wie fie die Capitulation nur aus Zärtlichkeit für das Leben der schwedischen Besatzung abgeschlossen hätten, da sie das Schloß mit leichter Mühe zu stürmen vermocht. Alsdann wären sie aber kaum im Stande gewesen, ihre ergrimmten Soldaten abzuhalten, daß sie nicht sämmtliche Schweden über die .Klinge springen ließen. Sie beriefen sich ferner anf einen Präcedenzfall, indem der schwedische Feldmarschall Douglas bei der Eroberung von Wolmar ebenfalls die Capitulation gebrochen habe. Nach dieser Logik würden alle Menschen ihre Brüder todten dürfen, weil Kam es einmal im Anfange der Welt gethan. Aus dem Berichteten geht wohl unwiderleglich hervor, daß die Polen sich durch das Brechen der bc-schwormen Capitulation einer großen Treulosigkeit schuldig machteu. Die Geschichte Kurlands, die so viel Ungünstiges von Polen verzeichnet hat, erzählt nns auch von der großen Unmäßigkeit dieses allen Lastern ergebenen Volkes. Der Fürst Nadzivil wollte die Uebcrgabe des Grobiner Schlosses feiern und lud deshalb den polnischen General Komorowsky, der in Schrunden sein Quartier hatte, zu einen: üppigen Bankette. C's ward auf diesem Feste mm gegesseil lind getrunken, daß jede Beschreibung dahinter zurückbleiben mllft. Am Abend — 23 — fuhr der General Kouwrok'sky, durch den höchsten Grad voll Trunkenheit lnn seine Nesünuing gebracht, nach Schrunden zurück. Durch einen unglücklichen Umstand verstrickte sich sein Halstuch in das Wagenrad — seine ebenfalls znm Vieh herabgewürdigte Dienerschaft bekümmerte sich nicht um ihn — und als man ihn in Schrunden aus dein Wagen heben wollte, so bemerkte man voller Schrecken, wie er sich w seiner Trunkenheit die Kehle zugeschnürt hatte. Wollte man auf die vielen Beispiele polnischer Un-botmäßigkeit, Treulosigkeit, Trunkenheit und anderer Laster näher eingehen, so würde man Bände davon füllen können. Wie man die spartanische Jugend dadurch au die Tugend der Enthaltsamkeit zu gewöhnen beflissen war, daß mau ihnen das ekelhafte Schauspiel betrunkener Heloten darbot, so kann ein Hinblick auf die polnische Geschichte die Völker der Jetztzeit, besonders das deutsche, wie vor anderen Fehlern, so bor der Zwietracht warnen, die früher oder später den nationalen Untergang zur Folge hat. Leider aber muß man der Vcmerknng Hegels recht geben, die Geschichte scheine einzig deshalb geschrieben zu sein, daß man nichts ans ihr lerne. Aus der Polnischen Gesetzlosigkeit, die dem Edelmann jegliche Willkür gestattete, ist, es vorzüglich zu ^klären, daß der Kreis Pilten, der durch seine gw-graphische Lage entschieden an Kurland gewiesen ist und jetzt auch einen integrirenden Theil dieser Pro-biuz ausmacht, meist bestrebt war, unter unmittel- — 24 — barer polnischer Herrschaft zu stehen. Da nun Polen in seinem eigenen Hanse keine Ordnung zu halten nnd sich gegen seine anmaßenden Nachbarn schon lange vor der Theilung nur mit Mühe zn schützen vermochte, so konnte es noch viel weniger dein Kreise Pilten in dem Vasallenstaate Kurland bei aufsteigenden und ausbrechenden Ungewittern zu Hülfe kommen. Nichtsdestoweniger gelang es der Ritterschaft Piltens, in Warschan durch Bestechungen, wofür die polnischen Großen nur allzu empfänglich waren, die Bestimmung auszuwirken, daft ihr Kreis unmittelbar von Warschau aus regiert, das heißt, gar nicht regiert werden sollte. Wenn nun aber auswärtige Gefahren Polen bedrohten, und der Kreis Piltcn befürchtete, er möge als unmittelbarer Theil des Königreiches von allen Kriegsdrangsalen mitbctroffen werden, dann kehrte er ganz de- und wehmüthig zum Herzoge von Kurland zurück, sich nicht verhehlend, daß dieser kleine Potentat ihn besser werde zu schützen wissen, als der große Monarch von so vielen tausend Quadratmeilen. Die Herzöge Kurland's gewährten dann großmüthig einen Schutz, auf den die Nitterschaft Piltcns wegen ihres wiederholten undankbaren Znrüä'kehrens unter unmittelbare polnische Herrschaft, sobald die Gefahr glücklich beseitigt war, nicht den mindesten Anspruch hatte. Uebrigens blieb auch ill ruhigen Zeiten für den Kreis Pilten, den man in geschichtlichen Urkunden gemeiniglich als „Das Stift Pilten" verzeichnet findet, die Strafe, die sein unnatürlicher Abfall von Kurland — 25 — nm zu sehr verdiente, keineswegs ails. 'Dafttr, daß die piltcn'schen Edelleute ihre Leibeigenen nach Herzenslust schinden konnten, mnßten sie ein gutes Stück polnischer Rechtsunsicherheit mit in den Kauf nehmen. Die Könige von Polen hatten immer die größte Lust, das Stift zu einem Privatgute ihres Hauses zu machen; die mächtigen sarmatischen Adelsfamilien wollten es in Wojewodschaften und Starosteicn zerlegen, nnd die Jesuiten, bei ihrer feinen Witterung für jede einträgliche Beute, waren beflissen, es in ein katholisches Nisthum zu verwandeln. Der Adel Piltens war durch den Handel mit Holland uud das Strandrecht, das er mit großer Rücksichtslosigkeit übte, durchgehend sehr wohlhabend. Üebrigens besteht dies inhumane Recht noch heutigen Tags in Kurland. Dem Majorate Dondangen sollen ans dem Strandrcchte bedeutende Einnahmen zufließen. Ich besinne mich von meinem Aufenthalte in Kurland ^ es war im Iannar des Jahres 1857 — von Herren, die Champagner tranken, die Bemerkung gehört zu haben, daß er wohl von der großen Menge nnt fcinen Weinen gefüllter Kisten herstamme, mit denen das kürzlich bei Dondangcn gestrandete Schiff befrachtet gewesen. Ich erfuhr später, daß der Champagner wirklich von dorther sei gekauft worden. Da ich eben des Strandrechts gedacht habe, so sche ich mich hier zu der Bemerkung veranlaßt, daß die Ausübung desselben nicht minder entehrt, als der Sclavenhandel. Uebrigens war das Strandrccht in — 36 - Kurland eine Zeit lang, insofern dic schwedischen Unterthanen davon betroffen wurden, alls wiederholtes Andringen der Königin Christine aufgehoben worden. Weil dem Herzoge Jakob von Kurland nämlich unendlich viel daran lag, bei einem ans-brechenden Kriege zwischen Schweden und Polen für sein Fürstenthum eine Neutralitätsaete zu erlangen, so machte er der Königin alte nur irgend zu gewährenden Zugeständnisse. Dem Herzoge ward denn anch, nach vieler Mühe uud reichen Opfert,, die Neutralitätsaete vom 4. Juni 1647 bewilligt. Hätte die Königin Christine es damals ahnen können, daß einst die in Erz gegossene Statue ihres großen Vaters auf Helgoland stranden, und dort vermöge einer barbarischen Gesetzgebung zurückbehalten werden würde, vielleicht, daß sie während der Friedensuntcrhandlungen zu Osnabrück und Münster durch ihren Gesandten den Wunsch ausgedrückt hätte, es möchten sich alle Staaten zur Aufhebung dieser mittelalterlichen Unsitte vereinigen. Die Constitution von: .'>. August 1774, die zu Warschau, uuter Einwirkung Nußlands, Preußens und Oesterreichs, von einer aus Senatoren und Land-botcn bestehenden Delegation für deu Vasallenstaat Kurland ausgearbeitet ward, enthielt die zwei sehr vernünftigen Punkte, das; das Etrandrecht aufgehoben sei, und weder der Herzog noch der Adel auf fremdem Gebiete jagen solle. Die kurische Aristokratie zog aber von der Zusammengehörigkeit mit Polen wenigstens dm Nutzen, daß sie nie von einem Gesetze Notiz __ 27 __ nahm, sobald es ihr nur im Geringsten unbequem war. Es wurden demnach auch diese zwei höchst verständigen Verfügungen zu den Acten gelegt. Um des verhaßten Strandrechtes noch einmal zu gedenken, so bewirkte die Kaiserin Katharina II. durch einen Vergleich mit dem Herzoge von Knrland und dessen Ständen am 3l. Mai 1783, daß diese mittelalterliche Barbarei und die Confiscation des angetriebeneu Holzes, wenigstens in Vezng auf russische Unterthanen, aufgehoben werden solle. Wenn wir oben die Behauptung Niehl's, daß der polnische Adel den: Bauern feinere Obstbäume nicht gestatte, für die Jetztzeit beanstandeteu, so wollen wir doch der Billigkeit halber hier noch einschalten, daß die Vemerkuug des fein beobachtenden Cultur-historikers für frühere Jahrhunderte unbedingte Wahrheit enthält. Zu Zeiten der polnischen Selbststän-digkcit, wo der Bauer vom Edelmann wie das Vieh behandelt wurde, durfteu feinere Obstsorten mir auf adeligen: Krundc und Boden emporwachsen. Wagte ein Baller, Aepfel- oder Pflanmenbänme in seinem Gärtchcn groß zu ziehen, so ließ der Edelmann sie sofort ausreißen nnd dein Frechen, der solche Früchte zu pflanzen sich nnterstaud, tüchtige Hiebe aufzählen. Der polnische Bauer sollte als Obst nichts weiter kmnen als den sauern Holzapfel, und statt der saftigen Pflaume mußte er die armselige Schlehe zum Munde führen. Derartiges erlaubte sich adeliger Uebermuth in Polen gegen die ,^1«du6 u.l^ch.tl-'. — 28 — Natürlich mußte ein solches Beispiel aus nächster Nähe nnd aus staatlicher Zusammengehörigkeit auf den Charakter der kurischen Aristokratie den unheilvollsten Einfluß ausüben. Da Kurland als Vasallenstaat durch Jahrhunderte mit Polen in ähnlicher Weise zusammenhing, wie die Moldau-Walachei mit der Türkei, so behauptet man kaum zu viel, wenn man den Satz aufstellt, es habe von seinem Verhältnisse zu dem Sarmatcnreiche nicht mindern Schaden erlitteil, als die Fttrstenthümer an der Donau von dem rechtlosen Negimentc zu Cou-stantiuopel. — 29 — Ein polnischer Einritt. Der jüngste polnische Aufstand hat sicher bei allen gefühlvollen Seelen Europa's das innigste Mitleid erweckt wegen der vielen Opfer, die dem Tode, oder, was vielleicht noch schlimmer ist, Sibirien anheizn fielen, ohne daß durch so unsägliche Traner und so beklemmendes Herzeleid etwas Nützliches oder Wohlthätiges erreicht wurde. Dem irgendwie tiefer Blickenden konnte übrigens keinen Allgenblick hindurch ein Zweifel darüber obwalten, daß die Polen nicht im Stande fein würden, ihren Anfstand in eine siegreiche Erhebung umzuwandeln. Jeder um Menfchenglück wahrhaft und mit Einsicht Besorgte dürfte die Er-stchuug einer besondern polnischen Staatsiudividualität kaum wünschen. Äei allen mit reifem Urtheile im Buche der Geschichte Forschenden hat es sich längst als unumstößliche Gewißheit herausgestellt, daß der polnische Staat eine einzige lange Krankheit war. Der Bauer wurde in Polen geschundeu, der Bürger über die Achsel angesehen, und der Adel fröhute allen Lüsten und jeder Art tyrannischer Bedrückung. — 30 — Erleuchtete polnische Könige verkannten übrigens keinen Augenblick die großen Gefahren, die für ihr Neich aus der Unterdrückung des Bürger- und Bauernstandes theils schon erwachsen waren, theils sich in Zukunft noch bedenklicher herausstellen mußten. Wenn der polnische Adel seinen Königen nur nicht unüber-steiglichc Hindernisse in den Weg gelegt hätte, so würde dem Bürger uud Bauern dort schon früher eiue menschheitswürdigere Lebensstellung angewiesen worden sein. Im Jahre 165)6, als gerade eine Fluth von Unheil über Polen hereingebrochen war, that der König Johann Casimir in der Hauptkirche zu Lemberg cm feierliches Gelübde, der Noth und den Plagen des geringen Volkes abzuhelfen. Sein Gelübde lautete, wie folgt: „Barmherziger Gott! Da ich mit größter Betrübniß offenbar erkenne, daß die schweren Strafen, welche Dein Sohn, der gerechte Nichter, durch Pest, Krieg und andere Landplagen nun schon feit sieben Jahren über mein Ncich verhänget hat, mein Neich um des SenfZens und des Bedrnckes willen der Iwmnmm Mixnn,« couäitiolii« treffe, so gelobe ich und verspreche ich mit allen meinen Ständen, nach erlangtem Frieden, alles Ernstes darauf bedacht zu sein nnd zu bewirken, daß mein Volk von allen: Bedruck befreiet werde." Die Stände unterstützten leider den König bei seinem edlen Vorhaben nicht, und so blieben die Städte schwach/ und die Bauern rechtlose Leibeigene. — 31 — Ein Staat mm, der fin- die Civilisation nichts that und die ungeheure Mehrzahl seiner Gmossm zu»: Lastvieh herabloürdigte, hatte keinen Ansprnch anf Fortbestand. Die Polen mußten, wie die Juden, durch Mischung mit edleren Volks-Individualitäten, oder durch das Fegefeuer der Prüfungen sich läutern "nd verklären. Wie Kurland durch sein Lehnsverhältniß zu Polen m Bezug auf Achtung vor Ordnung und Necht den wesentlichsten Schaden erlitt, ließe sich an mannigfachen Beispielen darthun. Wir begnügen uns mit einem einzigen, indent wir einen sogenannten „polnischen Einritt", dcr aber in Kurland zur Vollführung gelangte, ausführlicher schildern wollen. Ein Baron von Offenberg war Cornet in polnischen Diensten und hatte durch sein längeres Verweilen in dein Königreiche die dortigen eigenthümlichen Grundsätze von Necht uud Freiheit (natürlich nur des Edelmanns, denn die Bauern galten ihm für Lastvieh) bereitwillig in sich aufgenommen. Dieser knrische Freiherr und polnische Cornet hatte mit einem Baron von Vrnnnow Streit über das Landgut Stabliten. Seine Ansprüche vor den: Nichter zu verfolgen, erschien ihm als cines Bürgers und Bauern, aber nicht eines Edelmanns würdig. Er beschloß vielmehr den sogenannten Einritt, das heißt, ein Verfahren, wo man sich durch feine eigene Kraft Necht verschafft. Um zu semem Zwecke zn gelangen, dingt er eine Schaar polnischoll Gesindcls und überfällt mit diesen Naub- gesellen, nicht wie ein Dieb in der Nacht, sondern bei hellstem Sonnenschein, den einsän: gelegenen Hof Stablitcn. Den: ihm entgegen tretenden Besitzer, Freiherrn von Brunnow, giebt er sofort einige Faustschläge in's Gesicht, setzt ihm dann die Pistole auf die Vrust, lim die Schlüssel zu sämmtlichen Schreibtischen und Schränken zu erpressen, und wühlt endlich allenthalben umher, mit besonderm Eifer die Papiere an sich nehmend, die für das Necht seines Gegners sprechen. AIs die Baronin von Brunnow ihrem Manne zu Hülfe eilt und in edler l5ntrüstung dem Herrn von Offmbcrg vorwirft, wie sein Benehmen selbst eines Nänbers unwürdig sei, wie viel weniger einem kurischen Edelmanne gezieme, da ist Letzterer schamlos genug, sie durch seine polnischen Schergen aller ihrer Kleider bis auf ein Kamisol und einen Unterrock berauben zu lassen. Die in ihrer Tasche vorgefundene, mit Goldstücken gefüllte Börse ward sogleich für gute Prise erklärt. Die Baronin von Brunnow wurde sodann vor das Thor geführt und dasselbe hinter ihr geschlossen. Da stand nun die arme Frau, vor Kälte an: ganzen Leibe zitternd, und um das Schicksal ihres Gatten in tiefster Seele erbebend. Dieser, in den Händen der Näuber zurückgeblieben, entging nur so eben dem Tode. Da der polnische Cornet und kurische Freiherr nicht genug baarcs Geld vorfand, so glaubte er, daß sein Gegner Vrunnow dasselbe vergraben habe. Wenn er nun auch gerade nicht zu ganz so teuflischen Mitteln griff, — 33 — wie die Spanier bei dem unglücklichen Herrscher von Mexiko, so konnte man sein Verfahren doch wahrlich Nicht glimvflich nennen. Er befahl, den Gutsherrn ganz und gar zu entkleiden — doch, um nicht die Unwahrheit zu sagen, er war großmüthig nnd ließ ihm das Hemd —, dann ward der Veklagenswerthe auf einen Stuhl gesetzt, mit Stricken bald angezogen, bald losgelassen, endlich mit Daumschrauben gequält, kurz, mit jeder Art von Pein heimgesucht, W er den ^rt, wo das baare Geld zu finden sei, angegeben. Als nun der schändliche Nänber Offenbcrg Alles erlangt hatte, was er wollte, schien ihm jede weitere Schonung überflüssig. Er befahl deshalb seinen Schergen, den Herrn von Vrmmow zu einem Moraste zu schleppe,: und ihn dort mit Zannpfählen zu bearbeiten. Das Raubgesindel ließ sich diese Aufforderung nicht zweimal machen, sondern schleppte sogleich den armen Vrunnow zu dein bezeichneten Moraste, wo sie ihn dermaßen mit Schlägen heimsuchten, daß er wie todt liegen blieb. Wahrscheinlich gmgcn sie in dem Glauben davon, daß sie ihren Naub "ut einen: Morde gekrönt hätten. Doch der Herr von Vrunnow erwachte nach mehreren Stunden ans seinem todtenähnlichen Znstande, schleppte sich, obgleich er an seinem Körper eben so viel Wunden hatte, wie Lazarus Schwären, durch Moräste und Wälder nach Selbnrg, wo er bei dein Obcrhanftt-mann von Rönne wegen dieses unerhörten Einbruchs eme Klage einreichte. Dieser beeilte sich, einen Mi- Arunicr, Kurland. 3 — 34 — nisterialen — so heißen die, einem Richter untergebenen, zu Citationen und Executionen verwandten Beamten — nach Stabliten an den Kornet, oder, richtiger gesagt, an den Räuberhauptmann von Offenberg abzusenden, mit dein Befehle, sofort das widerrechtlich in Besitz Genommene Zu ränmen, und auf eine Criminal-Citation in lo^o 6t tormina zu erscheinen. Während der unglückliche, aus feinem Vcsitzthum gewaltsam herausgeworfene, mit vielen Wnnden bedeckte Freiherr von Brunnow durch Moräste und Wälder nach Selburg kroch, hatte der räuberische Kornet ein herrliches Mahl für seine Cumpane anrichten lassen und mit ihnen — man hatte sich eines reichlichen WeinvorrathZ bemächtigt — auf das prächtige Gelingen diefes Nebcrfalls ein Vivat ausgebracht. Sodann hatte er förmlich Posseß vom Gute genommen. Als der Ministerial erschien, so lieft Offenberg ihn allerdings nicht durchprügeln, was schon sehr gnädig war, wohl aber rühmte er sich seiner Unthat, führte den Beamten unter Lachen und Fluchen an die Stelle, wo Herr und Frau von Vrnnnow gepeinigt worden waren, nnd sprach sein anfrichtiges Bcdanern aus, daß sie nicht ganz tudtgeschlagcn seien. Er erklärte aber, die ehrliche Absicht zu haben, dies nachzuholen. Indeß mußte er doch glauben, daß die knrische Justiz nicht ganz fo blind fei und so völlig die Hände in den Schooß lege, wie die polnische. Genug, in dcr Nacht war er mit seinen Helfershelfern verschwunden, — 35 — natürlich nach Polen hinüber, daß für solch' vornehmes Raubgesindel die erwünschte Sicherheit darbot. Alles, was nur irgend weggeschafft werden konnte, ließ der Herr Kornet mit fortschleppen. Sogar die eingemauerten Bran- und Vranntweinkeffel entgingen nicht den kühnen Griffen des Freiherrn nnd seiner Helfershelfer. Dieser polnische Ginritt, womit ein kurischer Freiherr den andern heimsuchte, läßt schließen, welche Zustände in dem eigentlichen Königreiche herrschten, und wie ein Staat, wo dergleichen, ja, Schlimmeres snh zutrug, früher oder später seinen Sünden erliegen mußte. 3* — 36 — Die Kuren. Es ist nur ein Gebot des Anstandes und der Billigkeit, den Kuren, als den Ureinwohnern des Landes, unsere erste Betrachtung zu schenken. Die Deutschen, als Einwanderer, dürfen ihnen erst folgen. Die Kuren gehören zur lettischen Völkerfamilie, weshalb sie auch meist als Letten bezeichnet werden. Die lettische Familie umfaßt drei Völkerschafteil: Litthauer, Kuren und Liven. Die Esthländer, die häusig der lettischen Familie zugezählt werden, g^ hören entschieden nicht zu ihr. Die Gsthen sind nämlich ein Zweig der finnischen Völkerfannlie. Muß man also die Esthen von den Letten durchaus trennen, so ist doch zwischen der Landbevölkerung Kurlands und Livlands, in so weit Nace nnd Sprache in Aetracht kommen, kein Unterschied, weshalb Graf Brav in seinein „Essai critique sur I'liistoire de la Livonie" gan$ recfjt l)at, tocnn er bd)a\tytä: „Aujourd'hui les Lettoniens s'etendent non seulement dans la plus grande partie dela Livonie propremeut dite, mais encore ils occupent la Courlande entiere." _^. Ä>^ ____ Es ist der Streit noch nicht geschlichtet, ob die Letten Slaven seien, oder zur germanischen Völkerfamilie gehören. Was nns anbetrifft, so sind wir geneigt, aus Gesichtsbildung, Charaktereigenschaften und den: ganzen Habitus der Letten auf ihren slavischen Ursprung zu schließen. Wir dürfen aber nicht zu erwähnen unterlassen, daß für die gegentheilige Meinung angeführt wird, es sei im Vatican ein Vater-Unser in hcrulischer Sprache entdeckt worden, und bei näherem Nachforschen habe sich dann herausgestellt, daß die hemlische und lettische Sprache eine und dieselbe sei. Da nun die Herulcr unbestritten Germanen gewesen, so müsse man bei den gleichsprechenden Letten gleiche Abstammung vermuthen. Wir gestehen, daß uns der eben angeführte Grund nicht zu überzeugen vermochte, wollen übrigens auf diesen Gegenstand nicht weiter eingehen, da es für du von nns in'Z Ange gefaßten Zwecke wichtiger ist, ble Landbevölkerung Kurlands von ihrer ersten bestimmten Kunde bis zur Gegenwart in ihrer Eigenthümlichkeit zn verfolgen, als uns in sprachgeschicht-Ilche Erörterungen einzulassen. Die Kuren setzten den Schwertbrüdern, als diese bon Ostpreußen aus in ihr Land eindrangen, den tapfersten Widerstand entgegen. Sie kämpften mit derselben Todesverachtung für ihre Unabhängigkeit und ihre alten Götter, wie die Sachsen zur Zeit Karls des Großen. Mnß man eingestehen, daß der gewaltige Frankenkaiser bei seinem Eifer, das Christen- 38 thum zu verbreiten, sich häusig zu sehr unchristlichen Maßnahmen hinreißen ließ, so kann man für das Wüthen der Schwertbrüder gegen die heidnischen Kuren kaum Ausdrücke finden, die brandmarkend genug wären. Von den Besten der Kuren, die sich durch besonders rühmliche Vertheidigung auszeichneten, ist vor allen Terwcten oder Terwetein hervorzuheben. Sie stand auf einen: Berge, der spitz wie ein Kegel zulief. Zu ihren Füßen stoß die Tcrwitte, die ihren Namen noch in der heutigen kurischen Geographie bewahrt hat. Viele, viele Jahre haben Christen uud Heiden auf diesem Stück Erde gekämpft, und mochten die Letzteren auch keinen so ritterlichen Anführer besitzen, wie die Saracenen an Saladin, so hatten die Schwert-brüder doch in den schneeigen Fluren Kurlands nicht minder tapfere Feinde zu bestehen, als die Tempelherren im palmengeschmückten Morgenlande. Einer der tapfersten Anführer in der Burg Terweten hieß Westhard. Wie die Kabylen und Tscherkessen sich besonders erbittert gegen diejenigen Stämme zeigten, die sich den Franzosen oder Russen unterwarfen, so züchtigte Westhard mit unnachsichtiger Strenge die in Mesothene wohnenden Kuren, die sich den Deutschen gebeugt und für das Christenthum hatten gewinnen lassen. Da es für die Ausbreitung der christlichen Lehre von großer Wichtigkeit war, einen so taftfern und vornehmen Heiden, der bei seinen Landsleuten in überaus hohem Ansehen stand, für die Lehre des __ 39^. Welterlösers zu gewinnen, so versuchte cm Legat des Papstes, der Bischof von Modena, der zu einer imvo-santm Persönlichkeit eine bedelltende rednerische Kraft gesellte, in die Dunkelheiten dieses ungläubigen Herzens die Strahlen des Evangeliums dringen zu lassen. Der würdige Vischof soll viele Mühe gehabt haben, den tapfern Heiden seinen Göttern abspenstig zu machen. Allein es glückte ihm doch zuletzt. Ein anderer kurischer Häuptling, Nameise mit Namen, der Terwcten anf's Tapferste vertheidigte, scheint vom Christenthum wieder abgefallen zu sein, was man ihm nicht allzusehr verargen darf, wenn Man bedenkt, welch' schreiender Widerspruch zwischen der Lehre, welche die Schwertbrüder verkündigtet;, und ihrer Aufführung sich selbst für das blödeste Auge ergeben mußte. Die orthodoxe Geistlichkeit, die von icher Jeden, der nicht buchstäblich genau das nachsprach, was sie vorbetete, in den tiefsten Höllenpfuhl verdammte, und der seit undenklichen Zeiten ein reichcr Vorrath von Schimpfwörtern zu Gebote stand, nannte diesen tapfern Heiden „einen ungctrewen Hunt". Terweten erlag nach langer und ruhmreicher Vertheidigung den unablässigen Angrissen der Schwertbrüder. Herr von Mrbach, der über die mittelalterliche Geschichte Kurlands manches Interessante mittheilt, bemerkt, daß die siegreichen Christen sich Ziemlich knrz gefaßt und die eroberte Burg verbrannt hätten, was Diettlieb von Alnpeke in seiner Ncim-Vhronik mit folgenden dürren Worten berichte: — 40 — „Und sie quamen ilberem, Daß sie verbrennten Terwetein." Es fällt mir vernünftiger Weise nicht ein, den Christen ein Verbrechet! daraus zu machen, daß sie eine eroberte Burg der Heiden den Flammen übergaben, aber die dabei unterlaufenden Grausamkeiten zwingen mich zu einem verdammenden Urtheile. Ich stütze mich bei dieser Behauptung auf den eben erwähnten Dittlieb von Alnpeke, der in seiner naiven Weise erzählt: „Was Kuren wa« über eils jar Die wurden alle tot geslagen Und wider in das vner getragen Was die jungen Kuren qnam Us dem dner, und dazu die wieb." Die unmenschliche Behaudlung, welche die Kuren von den Schwertbrndcrn erlitten, lag übrigens nicht in der Absicht der deutschen Kaiser, uuter deren mächtiger Aegide die Eroberungen an der Ostseeküste vor sich gingen. Ich nieine hier vor allen den Kaiser Friedrich II., der für seine Zeit eine so seltene, hohe Bildung besaß, und weil er das Schätzbare auch bei den Nicht-Christen anerkannte, von dem Klerus beschuldigt ward, daß er zum Mnhamedanismus hinneige. Der edle und aufgeklärte Hohcnstaufe konnte unmöglich der falschen Ansicht huldigen, daß man allen Menschen die bürgerliche Freiheit absprechen dürfe, die ihre Hände nicht zum Kreuze erhöben. In einem Nescripte erklärte er mit unzweideutigen Wor- ______ ^<1 _____. ten, bah or die Kuren in seinen besondern Schuh nehme, und daß er ihnen auf ewige Zeiten die Persönliche Freiheit und alle diejenigen Rechte zusichere, deren sie sich bis dahin erfreut hätten. Da die Abneigung der Kuren gegen die Religion des Weltheilandes vorzüglich durch das Benehmen der Schwertbrüder hervorgerufen ward, die Alles um sich herum zu Sclaven machten, und die unglücklichen Eingeborenen zn der durch das Betragen ihrer Peiniger höchst natürlich entstandenen Meinung gekommen waren, Christenthum und Sclaverei seien gleichbedeutend, so belehrte sie Friedrich II. eines andern. Er verkündete ihnen, daß sie durchaus nicht der Befürchtung Raum zu geben hätten, mit dem Wasser der Taufe auch zngleich unter das Joch despotischer Herren und Pfaffen zu kommen, sondern, daß sie dieselben Rechte genießen sollten, wie andere freie Leute des heiligen römischen Reichs deutscher Nation. Freilich hielten es die Schwertbrüdcr für angemessen, sich an das Rescript des entfernten Kaisers nicht im Mindesten zu kehren. Zuerst hatten die vortrefflich bewaffneten Schwertbrüder einen leichten Sieg über die mit Knütteln und Sensen kämpfenden Kuren. Doch, da diese eineil Schützcn des christlichen Ordensheeres gefangen genommen hatten, und sie, was ihnen noch heute eigenthümlich ist, das slavische Nachahmungstalent im höchsten Grade besaßen, so lernten sie schnell den Gebrauch der Armbrust. In ihrem nächsten Kampfe bedienten sie sich den Rittern gegenüber dieser ihrer neuesten __ ^l) __ Waffe mit dein glücklichsten Erfolge. Es inacht wirklich einen sehr komischen Eindruck, wie Alnpekc es »lnver-zeihlich zu finden scheint, daß die Heiden sich der wirksamsten Waffen bedienten, um die sie mit Mord und Brand heimsuchenden Christen aus dem Lande herauszujagen. Der treuherzige Chronist ruft scheltend aus: „Das war den Bnidcni unbekant Das der imgctrewe Hunt Sine schützen so schießen hieß." Da Wir gerade bei Dittlieb von Alnfteke stehen, so möge seiner livländischen Nennchronik hier etwas ausführlicher gedacht werden. Sie stammt aus den: Jahre 12W nach Christo nnd ward in der Commen-turei zu Neval von den: eben erwähnten Verfasser niedergeschrieben. Die Vermuthung, die Herr von Mirbach in seinen „Briefen aus und nach Kurland" ausspricht, daß dieser Dittlieb von Alnpeke wahrscheinlich die meisten von ihm geschilderten Ereignisse miterlebt habe, und daß er sich der Worte des Aeneas hätte bedienen können, ,,nt lnwiuin Mr« lua^ua, kni," trifft gewiß zu. Diese Chronik trägt den Stempel des Naiven und Unrestectirten, wie die Geschichte Hero-dot's; natürlich, daß sie nicht so interessante Begebenheiten berichtet. Wir wollen jetzt betrachten, wie der Character der Kuren war, als die Schwertbrüder mit ihnen in Berührung kamen und wie er sich im Laufe der Zeiten umformte, seitdem sie aus heidnischen Freien christliche Leibeigene wurden. Wie sich die Geschichte Carthago's — 43 — vielleicht als eine ganz andere herausstellen würde, wenn wir punische Denkmäler besäßen; wie Abd-el-Kader sehr mit dem Kopfe schüttelte, als ihm im Museum von Versailles alle die siegreichen, dnrch Horace Vernet's Pinsel verewigten Gefechte der Franzosen gegen die Araber zn Gesichte kamen, und dem Emir die Bemerkung entschlüpfte, daß, falls seine Landsleutc Maler hätten, dieselben Dinge bei ihnen ein ganz verschiedenes Aussehen bekommen würden; ebenso, glaube ich, müssen kurische Urkuudeu uns viele empörende Einzelheiten von dem gewaltsamen Einbrüche der Schwertbrüder in Länder erzählen, auf die sie gar kein Necht hatten, von dem Bekehren zum Christenthume durch Feuer und Schwert, und von vielen anderen Greueln, bei denen Einem das Blut gerinnt. Was wir aus christlichen Quellen über die alten Kuren erfahren, lautet nicht allzugüustig. Fast alle Zeugnisse stimmen darin überein, daß sie ein zu Grausamkeiten geneigter, vor Heimtücke uud Verrath nicht zurückschreckender Volksstamm gewesen. Doch scheint das Christenthum sie keiucswegs besser gemacht zu haben. Denn der Doctor Arnold von Brandt, welcher der Gesandtschaft, die der Große Kurfürst an den CzaarenAlexeiMichaelowitsch schickte,wnd die durch Kurland ihreu Weg nach Moskau nahm, als Berichterstatter beigegebcn war, erzählt uns sehr viel Nachtheiliges von den Einwohnern dieser Provinz. Aber, selbst, die strenge Wahrheit dieses ungünstigen Berichtes zugegeben. — 44 — so kann dies dem Naturell der Kuren nicht unbedingt zugeschrieben werden, da durch die entsittlichende Leibeigenschaft, die seit Jahrhunderten auf ihnen lastete, sich alle Fehler vielleicht erst ausgebildet hatten. Der Doctor von Vrandt ist in seinen Anklagen gegen die Fluren, lateinisch Cnioni, ebenso unerschöpflich, wie der Kapuziner in Wallenstein's Lager gegen die Soldateska. Doctor von Brandt behauptet nun, daß die (Äironi das vierte böse (? zu den Cappado-eiern, Cilicicrn uud Cretern seien, deren schlechte Beschaffenheit er dadurch sehr deutlich macht, daß er den gegen sie erhobenen Vorwurf mittheilt, sie vergifteten das Blut der Schlangen, von denen sie gebissen worden. Wenn ich das jetzige anstellige Wesen der Letten, ihre Sauftmuth, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit mir vergegenwärtige, so kann ich kaum anders glauben, als daß der Doctor von Vrandt entweder nicht scharf beobachtet, oder bei einer zu schnellen Durchreise, ohne Prüfuug den Berichten der vornehmen Grundbesitzer Glauben geschenkt habe. Diese, um für die vielen Grausamkeiten, die sie sich gegen ihre rechtlosen Leibeigenen erlaubten, vor ihrem doch nicht ganz erstorbenen Gewissen eine Entschuldigung zu finden, suchten wahrscheinlich ihre Unterthanen, als mit allen Lastern befleckt, vor sich und vor Anderen darzustellen. Ich führe hier aus dem Berichte des Doctors vou Vraudt nur das au, was mir den damaligen geistigen Zustand der Kuren tren abzuschildern scheint. Er sagt: — 45 — „Die Letten sind der Superstition und dem heidnischen Aberglauben sehr ergeben nnd verehren besonders dieLaima, welche, wie die Juno Lucina, in Kindesnöthen helfen soll. Neben dieser haben sie auch die Daecla, so die kleinen Kinder einwiegt, und die Ligho. Sind diese unruhig und schreien nach der christlichen Taufe, meinen die Letten, das Kind sei unzufrieden mit dem christlichen Namen und benennen es nach irgend einem Vogel, als Habicht oder Schwalbe." Daß die Letten damals allergläubisch ware»:, bestreite ich keinen Augenblick; sind sie es doch noch heutigen Tages. Aber der französische Vauer, dieser Nruchthcil der volont^ ^(wsraiß, ringt mit dem kurischen um den Preis des Aberglaubens. Man kann übrigens den knrischen Bauern weder ihren früheren noch jetzigen Aberglauben allzu übel nehmen, wenn man bedenkt, wie auch der helle Verstand eines Luther nie die Vorstellung von dem Teufel loswerden konnte, die in seine Kindesseele dnrch seine Zwar höchst rechtlichen und braven, aber doch sehr unaufgeklärten Aeltercn war gesenkt worden. Wenn nun der gelehrte Doctor Luther auf dem Teufel schwor, so kann man es den nngelehrten Letten gewiß nicht verarget,, wenn diese Naturkinder, bei denen die Phantasie die Reflexion kaum aufkommen läsit, an alle möglichen Geister und Kobolde glauben. Aus meinen eigenen Erfahrungen besinne ich mich, daß mir ein kurischcr Edelmann von seinem Kutscher, dein ich wegen seines klugen, aufgeweckten Aussehens besonders' zugethan war, die Mit- _. 46 — thcilung lnachte, er fei überaus abergläubisch. Der kurische Herr führte nur einen Fall aus seiner neuesten Erfahnmg an. Vei seiner Rückkehr von einem Gutsbesitzer ans der Umgegend, spät am Abend, bemerkte er, als er in die Nähe seiues Hofes kam, vou Weitem ein Licht, das ihm immer deutlicher und heller entgegenschimmerte. Er kounte sich den Ursprung desselben nicht erklären, da er keinen Meufcheu zu entdecken vermochte, der eine Laterne oder sonst etwas Leuchtendes in der Hand hatte. Voraussetzend, daß die jungen Augen feines Kutschers der Sache besser auf den Grund kommen werden, fragte er diesen, was das Licht zu bedeuten habe. Der arme Wagcnlenker antwortete nun zähneklappend: „Ach, gnädiger Vater, laßt uns eilen, daß wir nach Haufe kommen! Das ist der Wärwolf, der uns Beide auffressen wird." Ich brauche nicht hinzuzufügen, daß für das Licht bald eine ganz natürliche Ursache ermittelt ward. Noch von einem andern kurischen Aberglauben ward mir durch die Mittheilung einer Dame Kunde, und ich stehe nicht an, das mir Berichtete hier zu erzählen, weil es darthut, wie bei allen Völkern die Gedankeil unverheiratheter Frauenzimmer zuerst und vorzüglich darauf gerichtet sind, in den heiligen Ehestand zu treten. Die Gräsiu K^ll, eiue fehr behagliche, muntere und überaus gutmüthige Dame, erzählte eines Tages beim heitern Mittagsmahle, daß ihr Kammermädchen ihr während des Anklcidens großen Scherz verursacht — 47 — habe. Bein: Wiedererzählen traten der Gräfin, da sic sehr herzlich lachen konnte, die hellen Thränen in die Augen. Sie hatte, als sie sich ankleiden ließ, aus dem Fenster geblickt und dm ersten Storch über die Wiese stiegen sehen. Da die Nordländer bei ihren langen Wintern doppelt entziickt sind, wenn sie die ersten Frühlingsboten gewahr werden, so war anch die Gräfin beim Anblicke des ersten Storches sehr erfreut, wollte aber vermöge ihrer großen Gutmüthig-keit ihr Kammermädchen mit Theil nehmen lassen an dieser frohen Ueberraschung. Sicher voraussetzend, daß dieses Naturkind in hellen Jubel ansbrechen werde, sagte sie auf lettisch zu ihr: „Eva," (es ist dies ein bei der kurländischen weiblichen Bevölkerung sehr häusiger Name) „Eva, sieh'doch 'mal aus dem Fenster!" Welch Erstannen indeß ergreift die Gräfin, als ihre Eva, kaum daß sie aus dem Fenster gesehen, den Kopf abwendet und in Thränen ausbricht. „Aber, was hast Du denu, Eva?" fragt die Gräfin. Nachdem das Kammermädchen lange vor Schluchzen kein Wort hervorzubringen vermochte, antwortete sie endlich: „Ach, gnädige Mutter, das hättet Ihr mir nicht zeigen sollen!" — „Und warum denn nicht?" entgegnet, immer wehr in Staunen geratheud, die Gräfin. „Ei, wißt Ihr denn nicht," antwortet das Kammermädchen unter «nem reichen Thränenstrome, „daß, wenn man den ersten Storch stiegend erblickt, man noch ein ganzes Jahr keine Heimath findet." (Dieser Ausdruck bedeutet, wie mir erklärt ward, nach lettischer Auffassungs- — 48 — weise: noch nicht vcrheirathet werden.) „Wenn man aber den ersten Storch auf dem Dache eines Hauses gewahrt, dann wird man auch bald als Frau in die Heimath einziehen." Natürlich sprach ich gegen die Gräfin den Wunsch aus, bald des Anblickes dieser heirathslustigen Eva gewürdigt zu werden, und nicht lange darauf nannten wir sie Alle auf meinen muntern Vorschlag: das Storchmädchcn. Möchte Eva eine Heimath gefunden haben! Die Kuren pflegten früher am Tage Aller Seelen in einem verschlossenen Zimmer einen Tisch hinzustellen, den sie mit Brod, Fleisch, Eiern, Honig, kurz, mit einer Menge Eßwaaren überluden, um die Geister der Vorältern zu speisen. Da das Volk, welches sich durch schwere Handarbeit ernähren mnß, natürlich keine Zeit hat, sich mit Psychologie zn beschäftigen, so ist der Vegriff einer Seele ohne jeglichen Körper für dasselbe viel zu abstract, und es läßt die Beseligungen der Verstorbenen in feiner naiven Weise wahrscheinlich darin bestehen, daß man im Himmel alle seine Lieblingsgerichte zu essen bekommt. Daß wir in uuserer obigen Vermuthung, die ungünstigen Schilderungen des kurischen Landvolkes seien dem Doetor von Brandt ohne Zweifel von den Gutsbesitzern gemacht worden, um ihrem Gewissen und ihm gegenüber eine Entschuldigung für die rauhe Behandlung ihrer Untergebenen zu findeu, daß wir in dieser Vermuthung nicht irrten, wird uns durch eine Stelle — 49 — m dem Berichte des kurbrandenburgischcn Reisenden sehr wahrscheinlich. Seine Aussage nämlich über den damaligen bedauernswürdigen Znstand des geringen Mannes in Kurland lautet, wie folgt: „Die Vanern sind ein armes, elendes Volk, welches der Dienstbarkeit dermaßen unterworfen, daß alles, was die Edellent ahn denselben ausüben, vor gut gehalten wird, also daß selbige mit fünfzehn Paar Ruthen gestrichen oder, wofern einer grob gesündigt, daß er schwere Strafe verwirket, pfleget der Herr mit seinen Nachbarn zu berathschlagen und nach den gewöhnlichen Statuten, die jeder geschrieben besitzt, läßt er ihm durch den Scharfrichter Hand oder Kopf abschlagen oder in seinem Hof an einem Baum anfhcnken." Wie sehr die Knrm die Härte und grausame Behandlung von Seiten der Deutschen empfanden, geht aus der uus überlieferten Erzählung hervor, daß sie chre Todten, als endlich der Knechtschaft entronnen, glücklich zu preisen pflegten. Sobald sie einen der Ihrigen bestMet hatten, legten sie anf den Grabhügel Speise', auch etwas Geld, stellten überdies einen Krug Wassers dabei und sprachen mit wehmüthiger Stimme- „Wandre, o Armer, aus diesem kläglichen Znstcmde in eine bessere Welt, wo nicht mehr die Deutscheu dir gebieten werden, sondern dn ihnen." Da die Schwertbrüder gleich aufs Grausamste in Kurland verfuhren, so begegnete ihnen von Seiten der Brünier. Kurland. 4 — 50 — eingeborenen Bevölkerung natürlich sofort ein glühender Haß. Es fielen deshalb anch nur wenige Letten von ihren Landslenten ab nnd gesellten sich den deutschen Siegern hinzu. In der Nähe von Goldingen giebt es ausnahmsweise einige lettische Gemeinden, die sich schon früh den eindringenden Deutschen unterwarfen lind mit diesen gemeinsame Sache gegen ihr eigenes Volk machten. Sie wurden deshalb vor ihren Landsleutcn mit bedeutenden Privilegien, die sich bis zur Gegenwart erhalten haben, ausgezeichnet. Halb ans Neid, halb auch aus Spott, wurden diese durch deutsche Privilegien so günstig gestellten kurischen Gemeinden: „die kurischen Könige" genannt. Wie aber Privilegien meist zur Faulheit verführcu, so sollen auch diese „knrischen Könige" in Bestellung ihrer Aecker sehr träge sein, dafür aber desto fleißiger die Kruge besuchen, wo sie mit Kartenspiel und Branntweintrinken die Zeit todtschlagen. Einer ähnlichen Erscheinung begegnen wir in Mexiko. Dort standen die Indianer der Nepnblik Tlascala, die Anfangs Cortez tapfer bekämpft hatten, später in treuester Anhänglichkeit zn/ihm und den Spaniern. Deshalb wnrden auch sie, gleich den Letten bei Gol-dingen, mit Privilegien begnadet und durften ihre Angelegenheiten, ohne spanische Ueberwachnng, selber verwalten. Die Religion der knrischen Landbevölkerung, wie der gesammten Provinz, ist die evangelische. Es kommen in Kurland nur einzelne katholische Gemeinden — 51 — vor. Die griechische Religion zählt unter dm kurischen Bauern fast kein einziges Mitglied. Solche empörende Verlocknngm, in die griechische Staatskirche überzutreten, wie sie in Livland mit theilweise großem Erfolge versucht wurden, kamen iu Kurland nicht vor. Die Popen fanden hier kein günstiges Feld für ihren Vekehrungseifer. Es besteht nämlich heutigen Tages ein im Ganzen sehr herzliches Verhältniß zwischen dem knrischen Gutsbesitzer und seinen Hintersassen. Deshalb würden, wenn die Popen anch hier ihre Vorspiegelungen versucht hätten, die Bauern auf die abmahnende Stimme ihres Gutsherrn gehört haben, was in Livland, bei größerer Entfremdung der herrschenden uud dienenden Klasse, nicht der Fall war. Die Popen würden deshalb durch ihre falschen Verheißungen, daß die zur griechischen Religion Uebertretenden vom Staate Ländereien bekommen und von der Nekrnten-Anshebnng befreit sein sollten, nichts ausgerichtet haben, weil die Gutsherrn ihren Bauern stets zugerufen hätten: „Trauet nicht diesen Vorspiegelungen!" Ein Varon voll R—e erzählte mir, daß ein knri-schcr Bauer von sehr l/ellem Verstände und schlagendem Witze durch ein einleuchtendes Beispiel seine Standcsgenossen davon überzeugt habe, wie ihre lutherische Religion die bessere sei. Der Vaner sagte ungefähr Folgendes: „Wenn Einer von Euch ein Pferd "uf den Markt in die Stadt gebracht hätte, uud ein Fremder machte sich an ihn heran, suchte ihn zu über- 4* — 52 — reden, daß sie ihre Rosse gegenseitig austauschten, und verspräche ihm eine bedeutende Summe dazu, was würdet Ihr da denken? Müßtet Ihr nicht unbedingt glauben. Euer Pferd sei viel besser, als das seinige? So ist es auch mit der Religion der Popen. Eie versprechen Ländereien, Befreiung vom Militärdienste uttd alles Mögliche, wmu wir nur ihre Religion annehmen wollen. Ich denke, wir bleiben bei unsern« Glauben, in dem unsere Aeltern selig geworden sind, und bei dem auch wir ein seliges Ende finden werden." Dies Beispiel soll auf die kurischen Bauern von demselben Einflüsse gewesen sein, wie die Fabel des Mc-nenius Agrippa auf die römischen Plebejer; nur mit dem Unterschiede, daß die Ersteren in ihrer Religion verharrten, während die Letzteren den Aventinischen Berg verließen. Die kurischen Gutsbesitzer der Jetztzeit haben eine entschiedene Abneigung dagegen, ihre Bauern deutsch lernen zu lassen. Sie behaupten, daß der ,^ure dadurch sofort hochmüthig werde und seine Bescheidenheit verliere. In dieser Beziehung theilen die kurischen Gutsbesitzer der Jetztzeit durchaus die Ansicht ihrer Vorfahren, von denen uns der schon häufiger erwähnte Doctor von Brandt das Gleiche berichtet. Er erzählt nämlich: „Etliche haben gemeinet, man solle das Volk die teutsche Sprache lehren, sie auch gar frei machen, damit sie gezähmt und besser würden, was andere für gefährlich gehalten. Denn, sagen diese, würdeil die — 53 — Letten klüger und frei, und wüßten sie, daß sie das Land besessen, von den Teutschen aber bezwungen und „Außer diesen Städten" (nämlich außer Mitau, Libau, Goldingcn, Hasenftoth) „sind in dem Herzogtum Kurland nur noch etliche ganz kleine Städtchen und Flecken zu siudeu, als Grobin, Dnrben, Canden, Talsen, Zabeln und Tuckum, bei deren Ursprung sich aufzuhalten ohne Nutzen sein würde." Mitau hat mit vielen anderen Hauptstädten die Eigenthümlichkeit gemein, daß es verhältnißmähig ilmgcu Ursprungs ist. Indeß wird dieser spätern Residenz der kurischen Herzöge bereits 14^'> als eiuer Stadt gedacht, die ihr eigenes Gericht und eigene Drdnungm habe. In ganz kleinen Verhältnissen bestand sie schon früher, indent livländische Geschichtsschreiber ihrer bereits im Jahre U!45 gedenken; frei-luh bezeichnen sie dieselbe als „Hackelwerksflecken" oder „Vorburg." — 60 — Mitau hat viel durch Krieg zu leiden gehabt, indem es mehreremale geplündert und in Vrand gesteckt wurde. Im siebzehnten Jahrhundert waren es zweimal die Schweden, welche über die kurische Hauptstadt das Aergste verhängten. Die Verbrennung Mitau's geschah im Jahre 16Ll, und zwar war damals Gustav Adolph der Anführer der Schweden. Wie theuer nnn auch die su tapfere und zugleich so gottesfürchtige Gestalt Gustav Adolph's uns seit lange war und immer bleiben wird, so dürfen wir doch nicht unterlassen, eine nicht glorreiche Seite seiner Heldengeschichte zu entrollen, da durch sie aufs Neue erhellt, daß makellose Charactere hier auf Erden nicht gefunden werden. Erzählen wir jetzt kurz, wie sich die Verbrennung Mitau's zutrug. Gustav Adolph, nachdem er am Z5>. September 1621 die Huldigung Livlands entgegengenommen hatte, rückte gleich den folgeudm Tag an der Spitze seiner kampfgeübten Schaaren in Kurland ein. Sei es, daß Mitan nicht vertheidigt werden konnte, sei es, daß der Name des heldenmüthigen Gustav Adolph - jede Spannkraft raubte, genug, die Schweden bekamen die kurische Hauptstadt ohne irgend welchen Kampf in ihre Gewalt, waren aber trotzdem barbarisch genug, sie während dreier Tage zu plündern und dann in Vrand zu stecken. Wenn Gustav Adolph bei der Nachricht von der Zerstörung Magdeburgs durch Tilly Thränen des Mitleids und des Unwillens vergossen — s-)1 — haben soll, so ist es nicht recht zu begreifen, wärmn er seine Soldaten in Mitau nicht minder gransam wüthen ließ, als es später die Croaten in jener so blühenden Handelsstadt an der Elbe thaten. Wie arg die Schweden in Mitan wirthschafteten, dafür möge eine Chronik zeugen. Man kennt den Verfasser derselben. Es war der Rathsherr Jacob Vn5selberg. Er bekleidete im Jahre 1621, also gerade m der verhängnisivollen Zeit, diesen städtischen Posten. Die Anfzeichnnng des Mitan'schen Nathsherrn ist überschrieben: „kläglicher, aber wahrhafter Bericht von der dreitägigen Plünderung der Mitan (die Stadt war damalo weiblicheil (Geschlechts), die ganz unschuldiger Weise von den schwedischen Soldaten in's Werk gosetzt worden." Daß der Chronikschreiber sich nicht viel mit Logik abgegeben, ersieht man daraus, daß „unschuldiger Weise" von ihm ganz verkehrt gebraucht wird, wodurch ein schiefer Sinn herauskommt. Indeß verlangt man von den Chroniken keine strenge Nachachtung der Denkgesetze, sondern nur einen einfachen, wahrheits-A'mäßen Vericht. Und dieser wird uns nicht vorenthalten. Folgen wir daher ohne alle kritischen Randglossen dem treuherzigen Vcrichte des Mitauer Naths-hcrrn, der also beginnt: „^mio 16L1 den 14. October kam das schwedische KriegZvolk mit Schaarböten und Galleyrm beym schloß und der Rath aufs Markt sich versammelt in Meinung, dein ankommenden Krieges-Obersten unter — 63 — Angen zu treten, wurde»: etzlichc Geschütz in die Mitau abgelassen, daß einent hören und sehen vergingen. Alsbald sind die Kricgeslente mit brennenden Lnnten in die Mitau gelaufen, haben die Häuser und Fenster gesturing, die Leute geschlagen, die Kisten entzwey geschlagen und alles daraus genommen. Weswegen ein so jämmerlich Heulen erhört worden, daß nicht möglichen genug davon zu schreiben. Das Rauben hat keiu Ende haben mögen, sondern hat den Abend und die ganze Nacht aus einem Haus in das andere gewährt, bis es Tag geworden, da die ganze Macht aus den Galleyren kommen, überall herumgelaufen und dermaßen übel gehanset, daß es den Steinen möchte erbarmen, Ihro fürstlichen Gnaden Prediger, Herrn' Schmögern, jämmerlich tractiret, auch der fchwangern Frauen und der kleinen Linderten nicht vergessen, dieselben entblößet, die Vrcetzen vom Halse gerissen, die Mallicn aus deu Leibkens geschnitten und dazu wohl geschlagen. Des andern Morgens haben die Soldaten angefangen, die Mitan auf Befehl in Brandt zu stekken. Da denn das große Elend sich gemchrct, die schwängern Frauen mit den kleinen Kinderken nackt und bloß in den Gassen herumgelaufen, viele in den Häusern verbrannt worden. Worauf befohlen, sich eilends in die Kirche zu verfügen, da denn wieder geraubet ist. Welch ein Jammer und Noth aber in der Kirche gewesen, davon ist nicht g>" nugsam zu schreiben, mag auch nicht alles ansgeredt werden, denn die kleinen Kinderken haben Essen 6Z gefraget und die Eltern geweint, daß sie nichts zu geben gehabt. So ist auch des Geruchs und des Gestanks so viel gewesen, daß viele des Todes verblichen, und darauf haben den folgenden Morgen die Vürger mit Weib und Kind, einen Stab in der Hand, aus der Stadt Milan wandern und terminiren müssen." Nns dünkt, daß wir in den Berichten über die Zerstörung Magdeburg's nichts Grausigeres gefunden haben. Gehört Mitan nun anch nicht zn den eigentlich alten Städten, so hat es doch außer der Verbrennung durch die Schweden im Laufe der Jahrhunderte noch manches erlebt, das einer ausführlichen Schilderung uicht unwürdig ist. Wir erinnern nur an den Grafeil Moritz von Sachsen, der in Mitau sich um die kurische Herzogskrone bewarb; an Cagliostro, der hier ebenfalls blendete, aber bald von der wahrheitsdurstigen Elise von der Necke in seiner betrügerischen Wirk-samkcit erkannt nnd aufgedeckt ward; an^udwigXVIII., der auf dem Mitaucr Schlosse traurige Jahre der Verbannung verlebte und dort seine Nichte, die Waise dcs Tempels, mit dem Herzoge von Augoulmne vermählte. Wenden wir uns von der Hanptstadt Mitau nach ^robin, einem ganz kleinen Städtchen, nnd finden wir, daß auch hier manches der Aufzeichnung Werthe stch zutrug, so berechtigt uus dies zu dein allgemeinen "l'thcik', wie man von sämmtlichen Städten Knrlands 'rgend etwas Merkwürdiges auszusagen vermag, sobald — 64 — mau sich nur nicht die Mühe verdrießen läßt, iu ihren Chroniken nachzublättern. Tic Stadt, oder richtiger gesagt, das Städtchen Grobin soll einst, gleich Cordova und Worms, bessere Zeiten gekannt haben. Jetzt kann man von Grobin dasselbe bemerken, was Undersell in seinem Nomane „O. Z." von Ningsted, einem Städtchen ans Seeland, erzählt, daß es „eine Strafte nnd noch ein Stückchen dazn" hat. Man fährt nämlich, wenn man Libau ungegcfähr zehn Werste, also fast anderthalb Meilen, hinter sich liegen hat, durch eine nnendlich lange Straße, die von keiner Seite dnrch ein Thor begrenzt wird, und hört, wenn man sich verzweiflungsvoll ans dem Wagen biegt, um über das abscheuliche Straßenpflaster zu schimpfen, daß man sich in Grobin befindet. Das Straßenpflaster von !^ibau ist schrecklich, das Straßenpflaster von Grobin ist schrecklicher, das Straßenpflaster von Hasenpoth ist am schrecklichsten. Fragt man nach den Merkwürdigkeiten Grobins in der Gegenwart, so wüßte ich, außer einer alten Schloßruine, keine zn nennen. Das Städtchen Grobin war vor mehreren Jahrhunderten viel bedeutender alo es jetzt ist. Arend in seiner „Liefländischen Chronik" sagt, daß Grobin an dem Flusse ^isse liege; doch muß dieser sehr znsammen-getrocknet sein, da man heutigen Tages nichts voll ihm zu entdecken vermag. Grobin tritt nns in der Geschichte als eine feste Bnrg der betten entgegen. Valthasar Nussau gedenkt nämlich in seiner Chronik 65 Grobins als eines „Hauses der Letten", was in seiner Sprache mit Festung gleichbedeutend ist. Er erzählt, daß diese Vurg von einem Ordensnlcister zerstört worden sei. In der schr altcrthlnnlichen Sprache des Originals heißt es: „Idt hecft ock düße Ntecster de Chnren bekrigt, unde ys in Chnrland getagell, und heeft datsylvige Land gttvaldig verheeret nnde veel Volk erschlagen, nnde dry Hnser, darulüer Grllbyi^ dat enc gewesen, gewun-nen nnd alle dre in de Grund verbrennt." Daß die gestrengen Herren Schwertbrüder nicht biel Federlesens machten, erhellt aus vielen haarsträubenden Berichten der Chroniken nnd Geschichtsbücher. Die Knrländer, dnrch das barbarische Benehmen der Echwertbrüder vor dein Christenthum den tiefsten Abscheu empfindend, hatten sich den: Könige Mendog von Litthauen unterworfen, damit er sie von dein verhaßten Joche der eingedrnngenen Teutschen, die ihnen nn allzu schweres Kreuz auferlegten, befreien möge. Mcndog war schon Christ gewesen, aber wieder in's Hcidenthmn zurückgefallen. Verbündet mit Tramat, dem Fürsten der Samogiwi, drang er in Livland "n, nnd seinen Weg bezeichneten die schrecklichsten Verheerungen. Doch der Orden trug einen herrlichen ^ieg davon, und Tramat nnchte in ,^itthauen bei Mendog ein Asyl snchen, wie einst Mithridates bei Granes. Der Heermeister, Werner von Vreithausen, Erfolgte nun seinen glänzenden Sieg, fiel in Kurland "n und zerstörte bei dieser Gelegenheit die Burg punier, Kurland. 5 66 Grobin. Er soll übrigens die Gegend ringsumher nicht minder verheert haben, wie Tramat es in Liv. land that. Sentimentalität konnte man den kriegführenden Parteien dieser Zeit wahrlich nicht vorwerfen. Den erst von mir erwähnten Umstand, daß die Kuren, um dem in Hassenswerther Gestalt auftretenden Christenthnm Zu entgehen, sich dem Herrscher Litthaneus unterwarfen, erzählt Harlkuochs. Die bezügliche Stelle lautet: „Curoni ne ad Sacra Christianorura cogerentur, subjecerunt se Mendogo, Duci Lithwaniac, quamvis Lithwanici Scriptores Curones et antea juris Lith-wanici fuisse dicant." Obgleich es sonst ziemlich gleichgültig wäre, zu erfahren, wann das Grobiner Schloß erbaut wurde, so möge es doch Hier erwähnt sein, da es eine Zeitlang an einen preußischen Fürsten verpfändet gewesen. Arend behauptet nun, es sei im Jahre 1348 erbaut worden, und Zwar von dem Herrn Diedrich von Grii-uiugen, dem damaligen Ordensvoigt von Grobin. Gegen diese VeHanpUmg Arend's spricht entschieden eiue Notiz in der livländischen Geschichte von Kelch, wo berichtet wird, daß Diedrich von Grüningen in Kurland nnr zwei Schlösser Habe bauen lassen, nämlich Goldingen nnd AmbotHei,. Wie die Augabc Kelch's die richlii^'re sei, geht auch aiiv dein Umstände Hervor, daß Wemor von BreitHausen, der Grobin als eine lettische Burg zerstörte, später als Diedrich von Grüuingen lebte. Es scheint demnach, daß man — 67 — die Erbauung des Grobiner Schlosses um einige Jahrzehnte später ansehen muß. Wie ich in meiner Vermuthnug, Arend möge in semer Angabe, das Grobiner Schloß sei im Jahre ^248 gebant worden, nicht ganz genall gewesen sein, vollkommen recht gehabt, ging für mich aus vielen stunden, die ich später einzusehen Gelegenheit hatte, und die hier anzuführen zu weitläufig sein würde, mit Gewißheit hervor. Ucbrigcns war das Schloß von Grobin nie so unbedeutend, daß man sich hätte berechtigt glauben können, sobald man Kurland be-sprach, desselben gar nicht zu gedenken. Es verdient demnach als eine Nachlässigkeit gerügt zu werden, d"ß George Mamelius in seiner „^tiiÄkiolo^iea, I^6t-Um" deZ Schlosses zu Grobin gar nicht Erwähnung M, obgleich er sonst die meisten Städte, Schlösser "ud Hof? in Semgallen, Kurland und Livland einer Zugehenden Bcsvrechnng unterzieht. Ill Grobin hatte ein Ordensvoigt seinen beständen Sitz. Außerdem gab es einen Ordensvoigt in ^ndau lllld Seelburg. Heermeister fand man zwei w Kurland, den einen zn Nindan, den andern zu ^oldingcn. Die Ordensmarschälle, deren man drei ^hlte, wohnten zu Milau, Georgcnburg, Segenwolde. ^omthure residirten zll Windall, Goldingen, Doblehn. ^ie Vögte hießeil mich Advocati, und der vo,i Gro^ U! hatte vor seinen Namensvettern jedenfalls den "orzug, daß er kurzen Prozeß machte. Er ließ näm- ^) im Jahre 1440 nennzehn Personen vom Leben — 68 — zum Tode bringen, weil sie ihr Nccht Under den Orden bei dem Papste gesucht hatten. Der Orden erwarb sich nm die Austeilung von Predigern ein unbestrittenes Verdienst. Es war Grundsatz, daß in jedem Ordenshause oder Schlosse, wo ein Comthur oder Voigt befindlich, jedesmal auch ein Geistlicher vorhanden sein müsse. Daß nun in dein Schlosse zu Grobin eine Kirche gewesen, geht aus dem Berichte der mit einer Kirchenvisitation im Jahre 1560 betrauten Personen hervor. Diese ward aufVefehl des Herzogs Albrecht von Preußen vorgenommen, an den damals Grobin verpfändet war. Die Kirche im Schlosse zu Grobin faßte nicht viele Zuhörer, brauchte übrigens auch nicht groß zu sein, da an dem dort gehaltenen Gottesdienste nur die Ordensbrüder nnd deren Gesinde Theil nahmen. Das m der Stadt befindliche Gotteshaus war viel größer, bedürfte aber auch dessen, da vier oder fünf umherwohneude Landgemeinden iu Grobin ihre Seelsorge suchten. Sic suchen sie dort noch heutigeu Tages. Wie unbedeutend die Mittel der Stadt Grobin sind, scheint um' daraus hervorzugehen, daß zur Nestaurirung der Kirche, die im Jahre l^l Alles, beitragen mußten. Die Prediger, die jetzt in Kurlaud äußerst günstig/ oft glänzend, gestellt sind, hatten um das Jahr 1560 noch ein ziemlich kärgliches Auskommen. Der Grobiner Prediger erhielt z. V. außer einem Deputate, das — 69 — von der Gemeinde aufgebracht ward, nur sechszig Mark Nigisch an fester Besoldung. Freilich dürfte er an den Mahlzeiten im Schlosse, so oft es ihln gefiel, Theil nehmen. Dem in Grobin angestellten Schulmeister ging es ungefähr ebenso kläglich, wie vielen seiner jetzige:: Confratres in Dentschland. Er hatte dreißig Mark Nigisch als feste Einnahine, dllrfte ebenfalls im Schlosse speisen, bekam im zweiten Jahre U'gelmäßig einen neuen Anzug, und von jedem Knaben, den er unterrichtete, einen Neichsthaler. Wenn man den damals so viel höhern Werth des Geldes m's Auge faßt, so muß man eigentlich wohl sagen, daß es dein Grobiner Schullehrer weit besser ging, als es seinen jetzigen Collegen zu gehen pflegt. Wie die Güter in Kurland Jahrhunderte hindurch derselbcnFannlie verblieben, kann man daraus erkennen, wenn man die Namen der Gutsbesitzer, die im Jahre ^56 zum Bau der Grobiner Kirche beitrugen, mit den Eigenthümern ails dem Jahre 1560 vergleicht. So gehörte das Gut Ilgen, das im Jahre 1560 der Landhofmeister voll Offenberg besaß, 1656 einem General der Cavallerie gleichen Namens. Das is)<><> dem Freiherrn von Korff gehörige Gut Tclssen war bis zum Jahre <<<>! im Besitze dieser alten Familie, wo es in die Hände des nahe verwandten Grafen von Keyserling überging. Das Privatgut Medsen, dessen Besitzer im Jahre 1560 ein Capitän von Maden war, gehörte 1856 einem General von Rhadcn. — 70 — Em zu Grobin im Jahre 1661 abgehaltener Landtag ist insofern wichtig, als auf diesem dem Herzoge von Kurland das Stift Pilten übergeben ward, das bis dahin unter unmittelbarer polnischer Herrschaft gestanden hatte. Vier Landräthe und sechsundvierzig Herren vom Adel unterzeichneten den Vertrag; doch hatte die polnische Zwieträchtigkeit sich schon zu sehr der kurischen Aristokratie mitgetheilt, als daß nicht dies Einheitsconcert durch disharmonische Stimmen bald wäre gestört worden. Ein Herr Otto von Maydell nämlich ließ andere Landräthe lind sich selbst zum Präsidenten wählen. Der Maydell'sche Anhang decretirte nun natürlich ganz das Gegentheil von Dem, was die herzoglich Gesinnten beschlossen hatten. Doch ich brauche die Verwirrung unter polnischer Oberherrschaft nicht weiter auszumalen, da die Wörter „polnisch" und „gesetzlos" gleichbedeutend geworden sind. In dem Verzeichnisse der Grobiner Prediger finde ich die drei ersten blos mit ihrem Taufnamen erwähnt, was bei den katholischen Bischöfen ja noch heutigen Tages eine feststehende Negel ist. Oder, richtiger gesagt, sie geben ihren Aelternnamen auf und wählen sich einen Hirtennamcn, ganz wie der Papst/ der sie auch in officicllen Schriftstücken seine ehrwürdigen Brüder titulirt. Die kurischen Edelleute müssen sich in Vezug auf die Prediger niemals karg gezeigt, sondern ihnen gegenüber meist eine offene Hand gehabt haben, was aus vielen Einzelheiten erhellt. So wird unter den Gro-bincr Predigern eines Johannes Bcrnewitz gedacht, den: tvegen Abnahme seines Gesichts im Jahre 1647 ein Adjunctus beigesellt worden, zu dessen Unterhalte eigentlich er verpflichtet war. Es wird aber von Tctsch im zweiten Theile seiner Kirchengeschichte rühmend hervorgehoben, „daß die hochadeüchen Höfe willig das Meiste beigetragen haben, damit er slib-sistiren könne." Von Christoph Nichter, der Prediger in Grobin war nnd aus Chemnitz im Königreich Sachsen stammte, möchte hervorzuheben sein, daß er Stubenbnrsche von Martin Luther gewesen und mit ihm als Mönch im Augustinerkloster zu Erfnrt zusammenlebte. Der große Reformator hatte vielleicht einen Strahl seines hellleuchtenden Glaubens und seines felsenfesten Vertrauens auf Gott in die Brust seines Stubengefährtcn hiueinznblitzen gewußt. Der Pastor Johann Christian Kenckel ist insofern merkwürdig, als er den letzten Herzog ans Kettlcr'schem Geschlechte, nämlich den Herzog Friedrich Wilhelm, "ls Hof. und Neisepredigcr nach St. Petersburg begleitete und dort an der Pest starb. Ein anderer Grobin'schcr Prediger war mir wegen seines Aints-eifers merkwürdig. Er hatte nämlich vom vierten Advent bis Epiphanias, also in fünfzehn Tagen, fünfzehn Predigten gehalten imd daneben alle Amtsgeschäfte verrichtet. Seine außerordentliche Thätigkeit erinnert an Luthers Feuereifer, als dieser gegen Karls-stadt's Vilderstnrmerei predigte. Der Name dieses — 72 — fleißigen Predigers war Johann Wilhelm Weinmann. Er hat anch zahlreiche Schriften herausgegeben. Zu seinen fixen Ideen gehörte, alle Juden würden bald zum Christenthum bekehrt werden. In polemischen Schriften trat er fnr diese seine Ansichten gegen den Superintendenten Wölfert ans, der jcue Zeit noch nicht so bald gekommen glaubte. Grobm hat anch die Ehre gehabt, in einer Schrift Gottsched's, „Anfangsgründe der Weltweisheit", wegen seines merkwürdigen Echos erwähnt zu werdeil. Gottsched muß in eigener, höchst pedantischer Person in Grobm gewesen sein, denn er erzählt: „Im 1721. Jahre habe ich vom Schlosse zu Gro-bin, quer über einen großen Teich, einen ganzen Hexameter: „IMro tn Mnla^ 6tc." überaus deutlich zurückschallen gehört." Da Gottsched, nebst Kant, Herder, Hiftftcl und Hamann dem eigentlichen Preußen entstammt und auch in Königsberg seine Studien absolvirtc, so hat seil: Herüberkommen nach Kurland wegen der nicht bedeutenden Entfernung kaum etwas Befremdendes. Weil Gottsched's Name stets verdrießliche und unbehagliche Empfindungen zu erzeugen pflegt, so ist es nicht klug, mit ihm eine Betrachtung zu schließen. Ta Gottsched aber insofern kriegerische Erinneruugen wachruft, als er sich wegen seiner bedeutenden Körperlänge aus Preußen wegbegab, um von dem nach riesigen Grenadieren stets lüsternen Friedrich Wilhelm I. nicht nnter seine Potsdamer Garde gesteckt — 73 — zu werden, so wollen wir von Grobin mit dem Andenken an eine Belagerung scheiden. Diese Belagerung ist, wie ans Nachfolgendein erhellt, nicht ohne einige Merkwürdige Einzelheiten. Die Schweden, welche dem Herzoge Jacob die Flotte vernichteten nnd das Land anf Jahrzehnte aussogen, brachten auch über Grobin reiches Wehe. Da die Polen nnd Brandenburger, welche die Schweden in Kurland bekriegten, mit vielem Glücke fochten, bei Schoben gesiegt, auch Goldingen eingenommen hatten, so durften die Bewohner des schwer heimgesuchten Kurlands sich der Hoffnung hingeben, daft die frechen Eindringlinge bald ganz ans dein Herzogthume würden herausgeschlagen werden. Vorher sollten aber noch die Bürger Grobins den Kelch der Leiden bis auf die Hefe leeren. Der schwedische Oberst Armfeldt hatte nämlich das Schloß und die Stadt Grobin beseht. Da er den heranrückenden Polen nnd Brandenburgern nicht gewachsen war, so zog er sich auf das Schloß zurück, nachdem er vorher die Stadt angezündet hatte. Am 13. October 1059 langte der Fürst Radzivil mit polnischen nnd brandenburgischen Völkern vor Grobin an und forderte den schwedischen Obersten zur Uebcrgabe anf. Letzterer erklärte mit ^'ne,n Hetdenmnche, den seine Nation unter Gustav Adolphs Führung gelernt hatte, das; er eher das Leben, als den Ort aufgeben werde. Es ward natürlich hierauf znr Velagernng geschritten. Da die verbündeten Polen und Brandenburger vortreffliches __ 74 '__ Geschütz mit sich führten, dieses geschickt spielen ließen, und der Oberst Armfeldt wegen des schlechten Standes der schwedischen Angelegenheiten ans Ersatz durchaus nicht rechnen konnte, so fügte er sich doch zuletzt in das Unvermeidliche und capitulirte. Wir haben bisher nur aus der Geschichte zweier kurischeu Städte berichtet und bereits zwei Verbrennungen zu erzählen gehabt. Es läßt uns dieser Umstand einen unserer Lieblingssätze aufs Neue ansaussprechen, wie Jeder, der mit den gehörigen geschichtlichen Kenntnissen ausgerüstet ist, um frühere Jahrhunderte und unser Zeitalter in Parallele zu stellen, unzweifelhaft zu dem Schlüsse gelangen wird, daß wir uns im gelobten Lande befinden, während unsere Vorältern in der Wüste umherirrten. Daß die kurischen Städte nicht das Recht besitzen, zu dem in Mitau zusammentretenden Landtage Abgeordnete zu entsenden, ist eine der Jetztzeit fast undenkbar scheinende Beschränkung. Wir werden übrigens in einem besondern Capitel nachweisen, wie das Recht, durch Deputirte an den Landtagsverhand-lungcn theilzunehinen, den Städten Mrlands früher zustand, uud wie ihnen durch die Uebcrgnffe des Adels seit der Lchushoheit Polens dieses Recht entzogen wurde. — 75 Bestand das jungst erworbene Recht der Bürgerlichen in Kurland, Güter besitzen zn dürfen nnd an den Landtagsvcrhandlungen Theil zn nehmen, nicht schon in srnheren Jahrhunderten? Der kurische Landtag, der bis dahin nur adelige Vertreter kannte, hat jüngst bei der russischen Regierung darauf angetragen, daß die Berechtigung, in Kurland Güter besitzen zu dürfen, auch auf Personen bürgerlichen Standes ausgedehnt werden möge. Die russische Regierung, durch die liebevollen Gesinnungen eines Alexander II. von dem Athem der Humanität angehaucht, hat sich beeilt, diesem freiwilligen Verzichte auf ein Vorrecht, das vor der Vernunft nicht zu bestehen vermochte, ihre freudigste Zustimmung zu ertheilen. Bis dahin konnten Personeil bürgerlichen Standes kurische Güter uur in Erbpfand besitzen. Es dürftc für den mit den Zuständen in den Ostseeproviuzcn nicht Vertrauten hier eine Erklärung nothwendig sein, insoweit es den Erbpfaudbesitz betrifft. 'Der Erbpfandbesitz war für den Bürgerlichen ein fehr unsicheres — 76 — Eigenthum. Es stand nämlich jedem Adligen frei, das Gut eines Bürgerlichen in seinen Besitz überzuführen, sobald er die Snmme Zurückerstattete, die beim Ankaufe dafür erlegt worden war. " Es erinnert diese Ungerechtigkeit an die frühere inhumane englische Gesetzgebung in Irland, wo jeder Protestant in den Besitz des Hauses seines katholischen Nachbarn gelangen konnte, wenn er fünf Pfund dafür zahlte. Nach protestantischer Auffassung in Irland durfte ein Katholik kein anderes, als bewegliches Besitz-thnm, sein eigen nennen. Nach aristokratischer Auffassung in Kurland schien es, als ob ein Landbesitz sich nur in die Hand eincs Bürgerlichen habe verirren können nud bei klareren Verhältnissen sofort wieder einein Adeligen anheimfallen müsse. Nebrigens ließe sich wohl nachweisen, daß die Bürgerlichen in früheren Jahrhunderten unzweifelhaft das Necht hatten, in Kurland Güter zu besitzen. Der beste Kenner des kmischen Staatsrechts, Herr von Ziegenhorn, behauptet dies wenigstens. Es ergiebt sich aus der Auseinandersetzung dieses klaren Kopfes unwiderlcglich, daß die Bürgerlichen in.Kurland früher durchaus berechtigt wareu, Güter zn besitzen, und daß sie in diesem unzweifelhaften Rechte erst behindert wurden, als Kurland ein Lehnsstaat Polens geworden war. Seit dieser Zeit fingen die kurischcu Adeligen an, sich dieselbe bevorzugte Stellung anzumaßen, deren ihre Standesgenossm in Polen sich seit langc erfreuten. ___ 77 — Wenn demnach die Bürgerlichen in Kurland jetzt wieder Güter besitzen bedürfen, so üben sie nur ein Recht ans, das ihnen in früheren Jahrhunderten bereits zustaud, nnd das ihnen erst seit der Zusammengehörigkeit Kurlands mit Polen beschränkt nnd getrübt wurde. Nebrigcns haben die Bürgerlichen bereits auf dem Landtage von 17W in einer Eingabe an den Herzog, die den 1^. Juli als Datnm trägt, ihre ihnen so lange vorenthaltenen Rechte zurückgefordert. Diese Eingabe lautet, wie folgt: „Durchlauchtigster Herzog! Gnädigster Fürst und Herr! Deutsche Bürger waren die ersten, welche um die Mitte des zwölften Jahrhunderts, seit dein Jahre 1157, sich in Livland ansässig machten, nnd in jenem so wie in den folgenden Jahrhunderten, dnrch fortdauernde Kreuzzüge vereint, mit den: znr Hülfe gekommenen Adel, eine solche Staats-Verfassung, in dem bekanntlich diese Herzogthümer mit in sich begreifenden Livlande, zu Stande brachten, wodurch der Bürger-Stand nicht allein Theilnehmer an den öffentlichen Staats-Verhandlungen wnrde, sondern auch für sich in den gegründeten Städten besondere Privilegien bewirkte, und ein uneingeschränktes Necht ans Landes-Besitzlichkeiten, gleich dem Adel, erwarb. Zur Zeit der Unterwerfung an unsern gegenwärtigen Oberherrn, nahm auch der Vürger-Stand durch seine Abgeordnete an dieser wichtigen Staats-Verhandlung Theil; und erhielt, so wie die übrigen — 78 — Mit-Stände, alle bis dahin gehabte Staats- und Privat-Rechte ohne Einschränkung, und vielmehr mit der versicherten, zum Theil auch wirklich z. B. durch die zur erbcigcnthümlichen Disposition geschehenen Veränderung der Lehen in Erb-Güter, erfolgten Vermehrung und Verbesserung, feierlich bestätigt; welche Wahrheit vorzüglich aus den: Unterwerfungs-Vertrage vom 28. November 15ttl. besonders in den Artikeln: Sed quia praedicto principe — Ita tandem post varios — Cum autcm in conditionibus — Dedimus praeterca fidem — Omnia etiam eorum jura — Praeterea recepimus — Et quicquid publice vel privatim universLs et singulis etc. fyinlänglicE) gu ersehen rjt. Alles, was feit der Zeit in Ansehung der Rechte des Vürger-Standes in Kurland vorgefallen ist, dient zum auffallenden Beispiele, wie sehr Staaten mit Staaten, im gleichzeitigen Fortschritt in ihrm Staats-Vcränderungm, contrastiren. Nachdem durch auffallende Erfahrung die Wahrheit genugsam bewährt worden, daß der Bürger-Stand, ohne irgend ewige aus der Geburt Herzuleitende Vorzüge und Vorrechte, einzig und allein durch Cultur der Wissenschaften, Künste, und anderer Gewerbe, sich mn den Staat und seine Mitbürger verdient zu machen sticht; und eigentlich kein Reich, kein Staat, wo dieser ans den eben erwähnten Ursachen so schätzbare Stand, gering geschätzt und dessen persönliche Achtung, so wie dessen Wohl und Recht, — 79 — der Willkür anderer Stände untergeordnet wird (z. B. Polen, Ungarn), im blühenden Wohlstande stehen, oder dazn gelangen könne, haben große Reiche mit äußerster Sorgfalt es sich atigelegen sein lassen, zur Verbesserung ihres vorigen unenltivirten Znstandes diesen Mittelstand sogar neu zu schaffen uud zu bilden, auch mit eonstitntionsmäßigen, keiner Willkür anderer Stände untergeordneten Gerechtsamen, zu beglücken.— So haben England, Holland und mehrere europäische Staaten ihren großen, blühenden Wohlstand der frühern Einrichtung einer so weisen, als menschenfreundlichen Staats-Verfassung Zn danken. Selbst die erst neuerlich sclbstständig gewordenen amerikanischen Staaten stei-gm mit erstaunenswnrdiger Schnelligkeit zu einer co-lossischcu Höhe der Glückseligkeit durch die Anordnung dcr weisen Staats-Gesetze, „daß alle Glieder ihrem Nrsprnnge nach sich gleich gemacht sind, und blos Mvurbene Verdienste den Werth und die Vorzüge wles jcden Staatsbürgers bestimmen." Ja, das sonst so cultivirte, jedoch durch feine in diesem Falle Mangelhafte Staats-Verfassnng bis zum Nande des Verderbens gediehene Frankreich hat es endlich für nothwendig gefunden, den Grundsätzen der wahren Aufklärnng gemäß, mit gänzlicher Aufhebung des staatsverderblichen Systems durch die vorzüglich mit dem größten Edelmuth von Seiten des Adels geschehenen Mittheilung günstigerer Staatsrechte, nnd "e gehörige Ausgleichung der Vortheile und basten, "ne glückseligere Staats-Verfassnng vorzubereiten. — 80 — Dagegen hat dcr kurifche Vürgerstand, ungeachtet dessen, daß durch vielfältig vergossenes Bürgerblut und aufgeopfertes Vermögen schon seit der Gründung des livischen Staats demselben alle constitutions-mäßigen Gerechtsame, welche in anderen Staaten aus weiser und menschenfreundlicher Politik dem geschaffeneil Vürgerstande erst beigelegt worden, erworben und errungen gewefen, bis hierher mit innigstem Schmerz, anstatt der in den Unterwerfungs-Verträgen noch zugesicherten Vermehrung seiner Gerechtsame, vielmehr nach dem gewöhnlich den schwächern Theil treffenden Schicksale, die größte Schmälerungen seiner schon zur Zeit der Unterwerfung gehabten Rechte erlitten, anch aller wiederholten Versnche, und selbst der für diese Herzogthümer von der allerhöchsten Oberherrschaft im Jahre 1774 verfaßten Constitution ungeachtet, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gelangen können. Je mehr die Länge der Dauer die Größe des Leidens vermehrt, je mehr zunehmende Aufklärung den wahren Werth der Rechte der Menschen und ihre Verhältnisse gegen einander kennen und bestimmen lehrt, desto mehr fühlt der kurische Bürgerstalid den größten Nachtheil von den erlittenen Verletzungen, und desto mehr sehnt er sich, die gewünschte Zeit bald eintreten zu sehen, da die Ursachen der ihn drückenden Beschwerden völlig gehobeil, auch die Rechte nnd Mittel hergestellt und gesichert werde,! sollen, wodurch er nicht allein den ruhigen Genuß seines gewissen, bestimmte" — 81 --- Antheils an der Glückseligkeit dieser Staaten erlangen, sondern mich seine Thätigkeit für die Erhaltung nnd Beförderung des allgemeinen Wohls mit besorgt zu sein, wirksam zeigen kann. So sehr die Anfrechthaltung oder Herstellung der besteheudeu oder verletzten Rechte der Menschheit ein so würdiger als edler Gegenstand der Fürsorge gerechter Negeuteu uud Väter ihres Volkes sowohl, als wohlgesinnter Staatsbürger ist, um so zuversichtlicher hoffen wir auch gegenwärtig, da die zum Glück der Menschheit sich wohlthätig verbreitende Aufklärung schon längst in diesen Herzogthümern eine so gerechte als menschenfreundliche Denkungs-Art veranlaßt hat, durch Ew. Durchlaucht laudesvätcr-liches Bestreben und ein edelmüthiges Mitwirken einer Wohlgebormen Ritter- und Landschaft allen unseren Leiden nnd Beschwerden zum Besten der gemeinsamen Wohlfahrt ein Ende gemacht zn sehen. In Betracht mancher neuerlicher unglimpflichen Versuche und Declamatwneu wider unsere schon genugsam verletzte Gerechtsame, siuden wir es für nöthig, ohne Verzug jetzt zum Vortrag ewiger Haupt-Vcschwerden zu eilen, und solche Ew. Durchlaucht nn't der flehentlichen Bitte zu unterlegen, Höchst-dieselbeu wollen huldreichst geruhen, selbige auf die übliche Weise einer Wohlgebornen Ritter- und Landschaft gleichfalls zur Erwägung und Verathschlagung mitzutheilen, damit darüber, alls dem nächst emfallen-"w ordentlichen Land-Tage, mit derselben, und den Vlunier, Kurland. (5 — 82 — dazu zu berufenden Bevollmächtigten der Städte, als Repräsentanten des Bürger-Standes in diesen Herzogthümcrn, wo möglich, eine gewünschte Auskunft zur Zufriedenheit aller Theile, zu Stande gebracht werden könne. Getrost erwarten wir demnach von Ew. Durchlaucht die 'gerechtsamste Erhörung der diesem unter-thänigsten Gesuch beigefügten Anträge, und ersterben in tiefster Ehrfurcht und Devotion Ew. Hochfürstlichen Durchlaucht ?roä. in der Hochfürstl. nnterthänigst-gehorsamste Canzlei, 1790, sämmtliche Städte und 12. Juli. vereinigte Glieder des Vürger-Standes der Herzogthümer Kurland und Semgallen." Mit Recht hat Schlüzer diese merkwürdige Eingabe dem neunundsechszigstcn Hefte semer Staats-Anzeigen einverleibt. Wenn Kurland, ein polnischer Lehnsstaat, der im Jahre 1790 nicht ohne Grund als außerhalb der Cultur gelegen betrachtet ward, in seiner Eingabe an den Herzog von „Gleichheit", „Menschenrechten", „Aufklärung" u. s. w. sprach, so bewies dies wohl aufs Deutlichste, daß Mirabeau's Prophczeihung, die Revolution werde ihren Weg über den Erdkreis nehmen, durch die kommenden Ereignisse immer mehr werde bewahrheitet werden. Sehen wir nun auf die ausführliche Begründung, die dieser Eingabe an den Herzog mitgegeben ward, — 83 - so haben wir einzuräumen, daß sie lichtvoll abgefaßt ist und durch die Geschichte erhärtet wird. Ueber die Theilnehmung des Vürgcrstandes an den landtäglichen Verhandlungen heißt es in der angezogenen Eingabe, wie folgt: „Die Ansprüche auf dieses Theilnehmcn haben keinestolzen Absichten zum Grund: sondern einzig und "allein gerechter Trieb zur eignen, unmittelbaren Fürsorge und Mitwirkung in Angelegenheiten, die unser Leben, Ehre und Vermögeu betreffen, und zur Verhütung nachtheiliger fremder Dispositionen darüber, ist der untaoelnswürdige Beweg-Grund zu diesem Gesuch. Und die endliche Berichtigung dieses Punktes wird für uns desto angelegentlicher und dringender, da der Bürger-Stand bisher mit Schmerz erfahren hat, wie sehr die constitutionsmäßigen Gerechtsame des Bürger-Standes, durch die meistenthcils ohne dessen Zuziehung vorgefallenen Land-Täglichen Verhandlungen, lind Nichtbefolgung der vorhandenen Verfügungen, verletzt worden sind. Die an sich rühmliche und große Sorgfalt, welche der Adel anwendet, selbst unmittelbar seine Angelegenheiten wahrzunehmen, und solche keiner fremden Behandlung zu überlassen, bestärkt schon genugsam die WahrlM unserer Behauptung. Ohne dieses Necht zum Theilnehmen an den Land-Täglichen Verhandlungen, hören die Glieder des Bürger-Standes auf, Bürger eines freien Staats 3U sein. Ihre constitutionsmähigcn Rechte werden — 84 — fremder Willkür untergeordnet, und sie bleiben ill der That Unterthanen einer unumschränkten aristokratischen Macht, wodurch aller Trieb znr Ansiedelung und Einführung nützlicher Gewerbe erstickt wird: wovon die geringe Zahl der Städte in diesen Hcrzog-thümern, und der große Verfall der meisten von diesen wenigen Städten, zum traurigen Beispiel dient. Denn so lange der Bürger-Stand, zur Verhütuug dieses Uebels, nicht durch unmittelbare Theilnahme für die Handhabung uud Verbesserung der Staats-Gcsetze mit besorgt sein kann: ist der Flor der städtischen Gewerbe, mithin auch die Aulegung nützlicher Manufacture» und Fabriken, nicht Zu erwarten; und Kurland wird noch länger zu seinem größten Schaden, für alle Arten der daher kommenden Vc-dnrfnisse, den Ausländern zinsbar bleiben. Dieses Gesuch des Bürger-Standes ist auch um so gerechter, da es auf keiue Erwerbung eines neuen, sondern blos auf die Herstellnng eines alten Rechts, abzweckt. Es ist eine in der Livländischm Staats-Geschichte ausgemachte Wahrheit, daß vor der Unterwerfung au Polen, die Städte auch ZU den Land-Ständen gehört, und an den Land-Täglichen Verhandlungen Theil genommen haben-Nun sind, nach erstbemeldeten Unterwerfungs-Verträ-gen, auch namentlich den Städten, ohne die geringste Einschränkung, vielmehr mit versicherter Vermehrung, alle ihre alten Gerechtsame bestätigt worden: folglich sind diese Städte, eben su wie der Adel, Land-Stände — 85 — geblieben. Zwar sind die Städte verschiedentlich, sowohl im Jahre 1570, als auch im vorigen und diesem Jahrhunderte noch in ganz neueren Zeiten, in Ansehung der Land-Tägliche,: Verhandlungen zusammen berufen worden; bci den meisten Land-Tagen aber ist ihre Berufung unterblieben! uud auch dann, wenn sie solche Veranlassungen erhalten haben, die Land-Täge abzuwarteu, so sind sie doch nicht auf die Weise, wie es Land-Ständen zustehet, zu der zwischen Ständen üblichen Behandlung, Bcrathschlagung und Ve-schließung über die Gegenstände der Land-Täglichen Verhandlungen gelangt. Sie haben daher, zur Abstellung dieser Verletzung ihrer Land-Täglichen Gerechtsame, nicht allein schon im Jahre 1649 den 13. Februar, ein Respons von Polen, auch unter demselben Dato ein polnisches Rescript an den Herzog Jakob, so wie auch au den Adel, veranlaßt, auch wegen deren Nicht-Vcfolgnng im Jahre 1684 die bekannte Protestation eingelegt; sondern auch, nächst der, ihre alten Gerechtsame schützenden N e i ch s - Con -stitution vom 20. December 1764, vorzüglich in der polnischen Reichs-Constitution vom Jahre >?74, nnter andern die städtischen Gerechtsame sichernden Erklärungen, noch besonders im dreizehnten Punkte die Verfügung bewirkt, dasi „alles, was bis dahin Mm Nachtheile der Städte geschehen, nichtig wäre, die Städte auch in die Ausübung der ihnen Zuständigen Rechte eingesetzt würden, und künftig auf den Land-Tagen nichts, was sie beträfe, ohne ihr — 86 — Wissen und Einwilligung beschlossen werden sollte." Rechtlich bleibt also unser Gesuch, um die Berufung der Städte, durch die üblichen Vcrufungs-Schreiben mit Beilegung der zur Laud-Täglichen Behandlung bestimmten Materien, wegen der Abfertigung ihrer Bevollmächtigten, zn allen Land-Tagen, auf denen für den Bürger-Stand mit verbindliche, oder dessen Gerechtsame betreffende Veschlicßungen geinacht werden sollen, zu deren Mitbehandlung und Mitbewilligung. Ja, wenn auch keine so wichtigen Staats-Gesetze für dieses Recht des Bürger-Standes sprächen: so würde schon Billigkeit es räthlich machen, einen Stand, der so viele Glieder enthält, die durch Wissenschaft, Künste, und Gewerbe zum Wohl des Staates arbeiten, und demselben nützlich werden, auch sogar einen beträchtlichen Theil der Staats-Einkünfte beitragen, zur Verhandlung der öffentliche!: Staats-Angelegenheiten znzulassen. Von einen: Stande, der so brauchbare, tüchtige Glieder enthält, kann man auch gewiß den Vortrag solcher heilsamen und guten Vorschläge erwarten, die künftig der Kurischen Staats-Verfassung gewiß Ehre machen, und die Glückseligkeit des Landes befördern können. Wir halten uns daher auch überzeugt, daß, nach einem anständigen Verhältniß, den zum Land-Tage künftig abzuordnenden Bevollmächtigten der StädP, nach den Depntirten des Adels, ein ehrenvoller, öffentlicher Zutritt und Empfang bei der Landes-Obrigkeit, sowohl zu Anfang des Land-Tags, als — 87 — auch beim Schlüsse desselben, für die Zukunft bestimmt und versichert werden wird." GZ berührt angenehm, daß der kurischc Bürgerstand zu einer Zeit, wo mit dem Pompe der Nede Mißbrauch getrieben ward, in würdiger, von jeder Phrase absehenden Sprache den: Adel zn Gemüthe führt, wie eine größere Berücksichtigung desjenigen Elements, auf welchen: die Wohlfahrt des Staates beruht, durch Klugheit und Billigkeit geboten wäre. Auch für die Berechtigung des VürgerstandeZ zum Besitze von Landgütern werden aus der Geschichte, wie aus Grundsätzen der Vernunft, die triftigsten Gründe angeführt. Wir theilen hier einige mit: „Bekannt ist aus der Livischen Geschichte, daß der Bürger-Stand als ein Land-Stand, der seit dem Anfang der Livifcheu Staats-Verfassung mit unter dem Orden selbige gegründet, und dafür gestritten, auch ohne den geringsten Standes-Unterschied, des Lehens-Vcsitzes fähig gewesen, und eine Menge von Gütern wirklich vcrlehnt erhalten, die in Kurland wohl den vierten Theil der Land-Güter betragen haben. Diese Vesitzlichkeiten wurden 1. durch die Ünterwerfuugs-Verträge, ohne den geringsten Standes-Nechts-Unterschied, ihren Besitzern gelassen, 2. sie würben auch, sowohl durch den achten Artikel des adligen Privilcgii, als auch den sechsten Artikel des Gott-hard'schm Privilegii, dergestalt allodificirt, daß ein Jeder, ohne nachzusuchende obcrherrliche Erlaubniß und ohne die geringste Einschränkung und Ausschließung — 88 — des adeligen odcr bürgerlichen Standes, das Recht erhielt, solche zu vergeben, zu verschreiben, zu verkaufen, und darüber nach Gutbefinden zu disponiren. Adelige und Bürgerliche deutscher Herkunft waren also durch diese Grund-Gesetze berechtigt, ihre Erb-Güter wechselseitig an einander zu verkaufen. Eben die Nnter-werfungs-Verträge bestimmen, daß Keines seine durch die Unterwerfung erlangten Gerechtsame, ohne seine Einwilligung eingeschränkt oder vermindert werden sollen. Folglich hat auch seit der Zeit keine zu Recht beständige Land-Tägliche Veschließung gemacht werden können, wodurch der Bürger-Stand, nachdem vom Adel ohne Bedenken, jenen Grund-Gesetzen gemäß, die meisten, bürgerlichen Personen vcrlehnt gewesene Erb-Gütcr angekauft worden, vom erblichen Ankauf der an den Adel zuerst verliehenen Erb-Güter ausgeschlossen werden sollen. Die Statuten sind kein Grund-Gesetz; und gleich bei deren Verfassung, ist die Vermehrung, Veränderung, und Verbcssenmg derselben beschlossen worden. Hingegen die Grund-Gesetze, so wie die Ncgiments-Formcl laut des 27. Artikels derselben, sollen von ewiger Autorität sein. Folglich hat weder in den Statuten, noch auf den Land'Tagen, irgend etwas dawider beschlossen werden können. Der 105. Paragraph der Statuten, auf den man sich beziehen dürfte, gehört so wie einige andere, zu den einseitigen, also unstatthaften Paragraphen, und ist gleich Anno 1618 vom Appellations-Gericht in der Gröning'schen Sache — 89 — verworfen, auch daher in der durch den Land-Täglichen Schluß vom Jahre 1636 beschlossenen, gedruckten, deutschen und lateinischen Ausgabe, ausgelassen worden." Eben diese Gröning'sche Sache, auf die hier als ein Allen bekanntes Factum, welche mithin nicht weiter erzählt zu werden brauche, Bezug genommen wird, wollen wir nach der Darstellnng des Herrn von Zlegenhorn dein Leser anschaulich zu machen suchen. Sie ist es, die für die bürgerlichen Behauptungen einen unwiderlcglichen Beweis liefert. Um die Sache recht deutlich zu machen, müssen wir uns schon gestatten, etwas weiter auszuholen: Ziegenhorn stellt den Satz auf, daß der Adel sich nur durch geschickte Benutzung der Zeitumstände das Land als alleinigen Besitz „arrogirt" habe, aber weder Billigkeit noch altes Herkommen für diese An-umßung anführen könne. Er zeigt an nicht zu bestreitenden Beispielen, daß viele Bürger in Kurland zu des Ordens Zeiten Güter „verlehnt" bekommen und mit dem Adel „in gleichen Privilegien gesessen", das ist, „von den Hcermcistern gleiche Privilegien erhalten" haben, wie die Aristokratie. Bis zu der Epoche von 1617, die Zicgenhorw für die Städte eine „sehr fatale" nennt, soll den bürgerlichen das Necht, Landgüter zu besitzen, menials ernstlich bestritten worden sein. Ziegenhorn meint mit der „fatalen Epoche von 16N" den Umstand, daß wegen des Mordes der — 90 — Gebrüder von Nolde, die einen Abschnitt in der kmischm Geschichte bildet, eine polnische Commission in'Z Land kam und die Rechte des Herzogs bedeutend zu Gunsten des Adels beschnitt. Den Städten war es natürlich viel vortheilhafter, wenn der Regent des Landes mächtig und stark war, als eine übermüthige Aristokratie. Die vom Könige von Polen abgesandte Commission stellte sich aus einem zweifachen Grunde ans die Seite des Adels; einmal, weil die überwuchernden Freiheiten und Rechte der Aristokratie Kurland dem Sarmatenreiche noch ähnlicher machten, und dann hatte es die Warschauer Majestät äußerst empört, daß die im Auftrage der polnischen Krone reisenden Herren von Nolde ans Befehl des Herzogs waren ermordet worden. Zwar sollen die Gebrüder von Nolde sich über ihren Landesherrn in herabwürdigender Weise geäußert und ihn schwer gereizt haben; aber damit läßt sich der Mord doch keineswegs entschuldigen. Die kurischcn Adeligen, von den: Iähzorne des Herzogs ähnliche Maßnahmen gegen sich befürchtend, verlangten in Warschau, daß ihr Fürst auf dem Reichstage des Jahres 1616 vorgeladen und seines Lehns entsetzt werden solle. That dies der König von Polen gleich nicht, so bot sich ihm durch die inneren Zwistigkciten Kurlands doch die willkommene Gelegenheit dar, die erste Commission in den Vasallenstaat zu senden und dadurch ein möglich weiteres Eingreifen anzubahnen. __ 91 — Vis zu dem Jahre 1617 war nun dem Bürgerstande die Befähigung, Grundbesitzer zu sein, nie in der Weise bestritten worden, daß ein Gesetz sich dagegen ausgesprochen hätte. Als nun die polnische Commission in's Land ,kam, die für den Adel so durchaus eingenommen war, so ward allerdings in die Statuten von 1017 der Paragraph aufgenommen, daß Diejenigen, „so nicht der kurischcn Ritterschaft angehörten, und Fremdlinge, die nicht als Einzöglinge recipirt worden," adelige Güter, bei Verlust derselben, nicht kaufen noch besitzen sollten. Dieser Paragraph ist in den Statuten der 105. und lautet in der lateinischen Fassuna wie folqt: „Homines ignobiles ct peregrini, pro indigenis non reccpti, Nobilium bona emere et possidere non debent, sub amissione bonorum." Allein Ziegenhorn weiset nach, daß von diesem Paragraphen in einer gewissen ApftellationZsache, wo die Erben des Iost Gröning das Gut Linden gekauft hatten, und die Berechtigung zu diesem Besitze wegen Hrer unadeligen Geburt angefochten ward, keine Anwendung gemacht wordeu sei. EZ wurde nämlich in dem Erkenntnisse der zweiten Instanz, welches das Urtheil erster Instanz aufhob, darauf hingewiesen, wie die Bestimmung, daß Bürgerliche keine Landgüter besitzen dürften, sich nicht in dem Exemplare der Staaten befunden habe, das von den Commissarien dem Herzoge überreicht worden. In der Sprache der damaligen Zeit lautet der wesentlichste Punkt des — 93 — oben angezogenen Erkenntnisses, das den 10. Januar 1618 in der Stadt Goldingen publicirt ward, folgendermaßen: „In Appellation-Sachen seel. Iost Gröning's Erben nnd Vorlnlmder Appellanten an einen, gegen und wieder Nicolaus Appcllaten andern Theils, wegen des erkauften Gutes Linden, wird allen: ein- nnd vorbringen nach, zu recht crkand. Nachdem das von dem Nichter erster Instanz angezogene Fundament, als wenn die Plebeji keine adelige Güter besitzen sollen, keine statt haben kann, sintemal das Sratutnm in dem Exemplar, so Ihrer Fürstlichen Durchlaucht von dem Königlichen Herrn Commissarien übergeben, nicht zn finden, anch dasselbe, wenn es in seine Wirklichkeit kommen solte, und wenn es lui DeclÄilttianLiu liegi-un ausgesetzet, nicht ^ pra,t!t6ritll, sondern ncl lutura müsse gezogen werden; das dahero vom Richter erster Instanz in diesem Punkte übel gesprochen nnd wohl appel-lirct u. s. w." Der Hauptpunkt, der aus der eben angeführten richterlichen Entscheidung erhellt, ist dieser: nach der Rechtsanschaunng der damaligen Zeit durften die Bürgerlichen Landgüter ankaufen. Bei der spätern Beschränkung konnte sich demnach der Adel nicht ans früher bestehende Zustände berufen, fondern einzig ,,c^i' t,6i 68t N0t!'<5 i)Ini^i," dafür anführen. Aus der ganzen obigen Auseinandersetzung ergiebt sich, daß der kurische Adel dem Vürgcrstandc das — 93 — Recht, Gilter besitzen zu dürfen und au den Laudtags-Verhaudluugeu theilzunehmen, keineswegs großmüthig verlieh, sondern nur auf eiu Unrecht verzichtete, das er sich unter polnischer Oberherrschaft, dieser Freistätte jeder Willkür uud Gesetzlosigkeit, augemaßt und mit Zähigkeit festgehalten hatte. Von dieser Zähigkeit vermag er jetzt eiüe rühmlichere Probe abzulegen, wenn er, ans verbrieftes Necht gestützt, ehernen Wider^ stand leistet slawischer Vergewaltigung. 94 — Streitigkeiten zwischen Adel und Bürgerschaft in Kurland. Die Erscheinung, daß cm bevorrechteter Stand sich Ehren nnd Würden vorbehielt und diese besonders eifrig gegen Diejenigen wahrte, die ihm unmittelbar folgten in der gesellschaftlichen Rangordnung, ist fast allen Ländern Europa's eigenthümlich gewesen; ja, in manchen Reichen der Gegenwart besteht dieser Kampf noch fort mit ungeschwächter Stärke. Hat doch jüngst erst der schwedische Adel eine Menge von Vorrechten zum Opfer bringen müssen, die er bis dahin aufs Zäheste festgehalten. In keinen: Lande aber genoß der Adel größere Vorrechte, als in Polen. Seitdem nun Kurland sich der Krone Polen unterworfen hatte, wirkte das übele Beispiel des Suzerainstaates schr nachtheilig auf die Haltung des Vasallenstaates. Der kurische Adel bemühte sich seit dieser Zeit, die Rechte des Bürgers und der Städte immer mehr einzuschränken und sich zum alleinigen Gebieter des Landes zu machm. Wir wollen aus diesem langen — 95 — Kampfe, der entschieden mehr Tragisches als Komisches hat, hier nur das Launige hervorheben und die gewaltigen Ansprüche des kurischen Adels, wie sie sich sogar auf Kleinigkeiten und Kleinlichkeiten erstreckten, zur klaren Anschauung bringen. Besonders charakteristisch erscheint mir eine Eingabe des Adels aus dein Mitauer Kirchspiele an den Herzog von Kurland, in welcher über die Anmaßungen einer Kaufmannsfrau Klage geführt wird, die ihren Mann und ihren Sohn mit adeligen Ehren hatte beerdigen lassen. Daß sie dies nicht aus bloßer Eitelkeit that, sondern das Necht hierzu beanspruchen zn dürfen glaubte, ergiebt sich aus folgendem Sachverhalte: Der Eheherr dieser Kaufmannsfran, die ihren Gatten in adeliger Weise hatte beerdigen lassen, stammte aus der alten freiherrlichen Familie von Nonne. Da er kein Vermögen besaß, sie aber wohlhabend und hübsch war, so hatte er sie geheirathet, sich darauf als Bürger von Mitau niedergelassen und ln seiner nepen Stellung an der Seite einer geliebten Gattin ein reiches Glück gefunden. Als er starb, ließ seine Wittwe ihn wie einen Adeligen begraben und mit allen Glocken der Stadt läuten. Obgleich die Edelleute Milan's dies etwas frech fanden, indent Nonne nach ihrer Meimmg dnrch seinen Eintritt in den Kanfmanns-stand seine adeligen Rechte eingebüßt hatte, so drückten ne doch ein Auge zu, indem sie seines frühern Nauges gedachten. Als mm aber bald daranf ein Sohn dieser Kaufmannsfrau von Nonne starb, und sie ihn __ 96 - ebenfalls adelig begraben ließ, so kannte der Unwille der Edelleute keine Grenzen mehr. Durch das Begraben eines Kaufmannslehrlings mit adeligen Ehrenrechten aufs Acußerste verletzt, versammelten sich sämmtliche Edelleute des Mitauer Kirchspiels bei einem Standesgenossen und übersandten dem Herzoge eine Eingabe, die, weil sie überaus bezeichnend ist, hier unverkürzt einen Platz finden möge. Sie lantet: „Durchlauchtigster Herzog! Gnädigster Fürst und Herr! EZ ist in jeden: Lande gar heilsam verordnet, wie ein Jeder sich in seinen: Stande aufführen solle, und auch in der hiesigen Mitauschen Policen der Bürgerschaft und derselben Kinder ihre übermäßige Pracht und Hossahrt mit Kleidung und Geschmücke sowohl auch mit Hochzeiten, Kindelbieren und Begräbnissen abgeschaft. Wenn aber mit den Jahren und Zeiten die Moden und Pracht insonderheit bei der hiesigen Bürgerschaft steigen, ja bei den jetzigen kummer- und nahrlosen Zeiten annoch desto größer und von bemel-deter Bürgerschaft unzulässige Pracht, insonderheit bei der Beerdigung ihrer Leichen getrieben wird, und dieselbe bereits so hoch gestiegen ist, daß die eine und andere keine Scheu trägt, ihre Männer und Kinder zum Trutz des adeligen Standes zu beerdigen. Wie denn die hiesige Kaufmann und Krämerin von Nonne nicht allein vor einem Jahre ihren Ehegatten wider alle Ordnung zwei Stunden lang belauten lassen, — 97 — fondern auch vor acht Tagen ihren Sohn, einen Kanfgesellen, zuwider ihrem Stande, mit der größten Pracht znr Erde bestätiget, da sie nehmlich die Leiche im Hause anf eine Maschine von vier Fnß hoch, welches mehr als fürstlich ist, in Parade stehen, hinten am Sarge das Wappen aufhängen, auch das ohne dem wider ihrem Stande mit.roth laken nnd mit stark im Fener versilberteil Messing beschlagenen Sarg, und anf denselben einen Huth mit einer kostbaren Diamanten-Krampe über die Straße unbedeckt nach der Kirche tragen lassen. Da doch keines Bürgers deiche ans so einer Maschine von vier Stufen hoch im Hanse zur Parade zu stehen und niemanden aus der Bürgerschaft ein kostbares nnd mit einem Wappen geziertes Sarg erlaubt, auch das Sarg unbedeckt zu kragen derselben unanständig und nnzulässig, ja die blocken 2 Stunden lang in eins zu ziehen theils chrem Stande zuwider, theils auch ein Ruin der Glocken-Wellen, ja des Thnrmes sclbsten ist. Diesem Nach flehen Ew. Durchlaucht wir unterthänigst an, Selbige gcrnhen nicht allein die obgedachtc Kanfmann Und Krämerin von Rönne wegen des übermäßigen und ihrem Stande nicht geziemenden Staats und Prachts „lit den Leichen durch Dero Fiscalc belangn und selbige in gebührende Strafe ziehen zu lassen, Widern auch solchen ferner zn besorgenden Unordnungen vorznbengen und der hiesigen Bürgerschaft solchen ihnen nicht gebührenden Pracht nnd Staat bei gewisser und schwerer Strafe zu verbiethen. Wie Nrunicr. Kurland. 7 — 98 — nun dadurch allen Unordnungen abhelfende Maße gegeben werden und ein jeder sich nach seinem Stande insonderheit bei Begräbnissen aufzuführen wissen wird, also .wird auch dadurch der zu besorgende Neid, Haß und Unwillen mit der Bürgeschaft fallen. Wir verharren übrigens in aller Unterthänigkeit u. s. w." Es folgen jetzt die Namen der adeligen Vorsteher des Mitauschen Kirchspiels: „Wilhelm Heinrich Krummes und Franz Georg pfeilitzer genand Frank." Es war mir äußerst merkwürdig, daß der Nachkomme eines dieser adeligen Vorsteher, ein Herr von K—, der sich im Kriege gegen die Tscherkessen aufs Rühmlichste auszeichnete, aber kein Vermögen besitzt/ gerade zur Zeit, als ich mich in Kurland aufhielt, ein bürgerliches Mädchen ans Libau heirathete. Iä) weiß nicht gleich, ob ihr Vater Kaufmann oder Arzt/ genug, daß er nicht adelig war. Wenn dies der in aristokratischen Vornrtheilen erstarrte Vorfahr hätte ahnen können, als er die gegen die Anmaßnngen der Mitauschen Kaufmannsfrau gerichtete Eingabe unterzeichnete, so möchte er vielleicht vor Wnth evens" seine Feder Zerbissen haben, wie Kaiser Rudolph ^ that, als sein Bruder Matthias ihn zum Verzichte auf die böhmische Krone nöthigte und ihm nichts übrig ließ, als den Titel eines römischen Kaisers, mit dein man damals keinen Hund hinter dem Of^ hervorlocken konnte. Uebrigens hatte der kurische Adel auch bei andern Gelegenheiten ein sehr wachsames Auge darauf, daß __ aa __ die Bürgerlichen sich nicht Ehren anmaßten, die, wie er meinte, nur seinem Stande gebührten. Ein Schriftstück, in welchem der kurische Adel mannigfaches an bürgerlichen Uebergriffen zn rügen hat, ist fast ebenso bezeichnend, als jene obige Eingabe an den Herzog, und wir lassen dasselbe daher hier im Auszüge folgen: „Ob zwar diejenigen bürgerlichen Personen, so auf ihren Gelagen Fackeln gebrauchet und zur Musik der Trompeten und Pauken sich bedienet, so wie auch bei dem Betauten ihrer Leichen die Glocken zur Nachtzeit ziehen lassen und sich dergestalt und auf andere -^rt dem Adel zu egalisiren herausgenommen, bereits zu actioniren und zn bestrafen wären, so hat dennoch Eine wohlgcborne Ritter- und Landschaft dieses Vergehen um so viel mehr Niemanden zur ^ast legen, sondern Allen übersehen wollen, als bis letzt die Revision der Polizeiordnung nachgeblieben ""d der Fiskal auf die alte Polizei Zu vigiliren versäumet hat. Wer aber von bürgerlichen Personen in'Z künftige dergleichen noch vorzunehmen und Pleurensen zu tragen sich unterstehen würde, soll ^ Mo in die Strafe von 100 Nthlr. Alb. halb dein wscv, halb dein Delatori verfallen sein." Nebrigens sind ähnliche Gesetze, welche das Recht des Adels wahren, bestimmte Farben und Trachten "llein anlegen zu dürfen, auch in Deutschland erlassen worden. Man wird in den Polizei-Ordnungen des ^- Jahrhunderts häusig vorgeschrieben finden, daß 7* — 100 — die Doctorfrauen den Edeldamen sich nicht gleichstellen sollen. Namentlich wird ihnen verboten, große Eiseil und Wülste nnter dem Rock zu tragen, die Hälse so weit zu entblößen, sich mit Perlketten, Goldrosen nnd Kleinodien zn behängen. Ob ihnen Schleier ganz nnd gar verboten waren, ist mir nicht deutlich in der Erinnerung; fast möchte ich es aber behaupten. Me Schuhe sollten sie nicht mit Perlen oder Gold besetzen, auch Aufschläge von Zobel oder Hermelin vermeiden. Man ersieht aus dieser Anführung, daß dergleichen Vorschriften, die dem Adel auch in der Kleidung Vorrechte schufen, in Deutschland ebenfalls gegeben wurden. Ein anderes Verlangen der kurischcn Ritterschaft, wodurch sie die Anmaßungen des Vürgerstandes zurückweisen und das sie durchaus zum Gesetz erhoben wissen wollte, lautet so: „Das Auffahren mit Wagen und Schlitten auf dem Kirchhofe soll allen bürgerlichen Personen ohne Unterschied bei 10 Nthlr. Alb. Strafe, die halb dem Delatori, halb der Kirchenlade anheim fallen, verboten sein." Der kurische Adel stellte alle diese Begehren zu der Zeit, wo der Herzog in der Verbannnng war, mithin die Städte und die Bürgerlichen fast gar keinen Schutz genossen. Wie der Adel diese günstige Gelegenheit zur Erweiterung seiner Rechte auf jede Weise auszubeuten suchte, geht auch besonders aus folgendem Beschlusse hervor: - 101 — „8up6rinwnä6N8 soll niemalen die rechte Hand über die adeligen ?atrono8 und Kirchenvorsteher, ^oinMrono^, prätendircn, noch erhalten." Wenn auch der Stolz der Individuen und ganzer Stände niemals auszurotten fein wird, eben weil Eitelkeit und Ueberhcbuug das Erbtheil aller Sterblichen ist, so nmß doch der Staat, dessen Zweck ihm vorschreibt, vollkommene Zustände, so weit sie hier auf Erden zn verwirklichen sind, anzubahnen, so muß doch der Staat darauf Acht haben, daß er mit gleicher Waage wäge für Alle und Jeden, und daß er dem die Vernunft und die Gerechtigkeit beleidigenden Verlangen Einzelner oder einer Gemeinschaft, besondere Ehren genießen Zu wollen, ohne auf besondere Verdienste hinweisen zu können, nicht minder entschieden als würdevoll entgegentrete. — 102 Der lurische Adel. Die Güter Kurlands befinden sich mit sehr vereinzelten Ansnahmen in der Hand des Adels. Erst auf dein jüngsten kurischcn Landtage ward beschlossen, auch Bürgerliche sollten in Kurland Güter besitzen dürfen. Die nicht unwichtige Frage, ob dieser Beschluß des Adels ein Akt der Großnmth oder der Gerechtigkeit gewesen sei, haben wir in einem vorausgehenden Capitel beleuchtet. Der kurische Adel besitzt ineist Güter von beträchtlichem Umfange. Der in Kurland beliebte Ausdruck für ein großes oder kleines Gut ist: „eine große oder kleine Grenze haben." D'er beträchtlichste Güter-complex in Kürland ist wohl das Majorat Dondangen. Es dürfte dreimal so groß sein, als das Fürsten-thum Lippe-Bückeburg. Der nach Dondangen bedeutendste kurische Gütercompler, ist' das dem Baron von Behr gehörige Majorat Schleck, das fast zwölf Qliadratmeilcn umfaßt. Natürlich stehen diese Güter an Ertragsfähigkeit weit hinter dem FürstenthuM Lippe-Vückeburg zurück, da der größte Theil der — 103 — Oberfläche von Waldungen bedeckt wird. In den meilenlangen Forsten dieser Güter findet man einen reichen Stand von Elennthiercn. Die Rechte dc^ kuch'chm Adels sind noch ziemlich unbcschnitten. Nichtsdestoweniger begegnet man hier sogenannten Vollblutsaristokraten und .Landjunkern höchst Men, säst nie. Was Zunächst das Blut betrifft, das in den Adern des kurischen Adels fließt, so ist dies ein rein deutsches. Auch hat der kurische Adel den von der englischen und französischen Aristokratie nicht anerkannten Grundsatz, daß die Mutter ebenfalls aus edlem Geschlechte sein müsse, sehr strenge festgehalten. Die kurischen Familien haben meist unter sich geheirathet, so daß sie vicle Jahrhunderte hinauf stets adlige Stammütter nachweisen können. NebrigenZ ist es für die physische Vortrefflichkeit der Nacen durchaus nothwendig, daß sie sich kreuzen, und eben weil ein zehnfach verwandtes Vlut in den Adern des kurischen Adels stießt, so muß man seine im Allgemeinen geringe körperliche Schönheit wohl aus diesem Umstände erklären. Was die Reinheit der kurischen Aristokratie von bürgerlichen Stoffen anlangt, so hörte ich dies Thema besprechen, als erwähnt ward, wie die Aeltcrn einer kurischen Comteß, die sich mit dem baierischen Grafen C —ll verlobt, nach den Familienstatuten des Bräutigams scchszehn Ahnen für ihre Tochter hatten nachweisen müssen, und wie sle eine ungleich größere Anzahl aufzustellen vermocht. Die meisten kurischen Geschlechter stammen aus Nieder- -s- 104 — Sachsen und Pommern. Nnr wenige kurische Familien leiten ihren Ursprung von früheren lettischen Fürsten ab. Von den „Liven" und „Koskull" glaubt man es sicher annehmen zu dürfen. Was Christoph George von Ziegenhorn in seinem „Staatsrechte der Hcrzogthümer Curland und Semgallen" behauptet: „Uebrigens ist es allgemein bekannt, daß viele von dem curländischen Adel in der Welt und fast an allen Höfen sich in Kriegs- und Civildiensten gar sehr distinguirt, und nicht wenige bis zu den höchsten Stufen der Ehre emporgeschwungen haben," läßt sich ohne alles Bedenken unterschreiben, da eine Menge von Kriegshelden nnd Staatsmännern namhaft geinacht werden können, die aus knrischen Familien hervorgegangen find. Unter den knrischen Diplomaten des achtzehnten Jahrhunderts zeichnet sich ein Baron von Simolin aus, dessen bedeutende Fähigkeiten von der Kaiserin Katharina sehr geschätzt wurden. Der Baron Johann Matthias von Simolin hatte Rußland an den Höfen von London, Stockholm und Kopenhagen mit Glück vertreten und jene bewaffnete Nentralität zur See, die England so verhaßt war, zu Stande gebracht. Zur Zeit der französischen Revolution befand er sich als Ambassaduer am Hofe der Tuilerien. Die Flucht der unglücklichen französischen Königsfamilie, die leider mißlang, ward besonders durch den Baron von Simolin ermöglicht. Er stellte nämlich für die Neise — 105 - der königlichen Familie die nothwendigen Pässe aus. Bekanntlich ward die Königin Marie-Antoinette als „Baronin von Korss" in dein russischen Paß bezeichnet, trug mithin den Namen einer kurischen Familie. AIs die Flucht nach Varennes mißglückt war, und die königliche Familie eine Zeitlang in den Tuilerien gefangen gehalten wurde, so fuhr der Baron von Simolin in allein Glänze eines kaiserlichen Ambassa-dcurs in das französische Königsschloß und verlangte eine Audienz bei Ludwig XVI. Er sei bei'm Könige von Frankreich accreditirt, und nicht bei dessen Minister der auswärtigen Angelegenheiten. Erreichte nun der Varon von Simolm die begehrte Audienz auch nicht, so trug sein kühnes Auftreten doch sicher dazu bei, daß der königlichen Familie von jetzt an wieder mit größerer Ehrerbietung begegnet wurde. Der Baron von Simolin hatte als Gesandschafts-Sccretair seinen Neffen Alexander bei sich, einen glühenden Verehrer der Königin Marie-Antoinette. Dieser junge Baron von Simolin, in: Anfange der zwanziger Jahre stehend, war ein auffallend schöner Mann, in semer schlanken, nordischen Erscheinung an den Grafen von Fersen erinnernd, der ja auch die reizende Marie-Antoinette nut Inbrunst verehrte. Der Varon Alexander von Simolin, aufflammend in royalistischer Gluth und in verschwiegener Brnst eine schwärmerische Liebe nährend für die reizendste und unglücklichste der Königinnen, Alexander von Simolm hätte für die Nettung der edlen Tochter der großen Maria Theresia — 106 — freudig tausend Tode erlitten. Es sollte ihm nicht vergönnt sein, für die erhabene Frau sein Leben zu opfern. Doch war unter den vielen Rittern, die für die schöne Tochter der Cäsaren erglühten, der Baron Alexander von Simolin, nebst dem Grafen Axel von Fersen, die am meisten poetische Erscheinung und wird demnach nie ganz vergessen werden. Unter den Baronen von Sünolin in der Gegenwart befindet sich ein nicht unbegabter Dichter. Er wurde von dem geistreichen König Friedrich WilhelmIV. seines besondern Vertrauens gewürdigt und trat als preußischer Kammerherr in ein näheres Verhältniß zum Berliner Hofe. Dieser Baron von Simolin feiert in besonders schwungvollen Gedichten seine Verwandtschaft mit dem Geschlechte der Bathory. Viele von den kurischen Standesgenosscn des Barons meinen nun, daß für diese Verwandtschaft mit den: früher so glänzenden Geschlechte der Bathory die Phantasie des Dichters mehr vorzubringen wisse, als die kühle Prüfung des unbestochenen Geschichtsschreibers. Unter den, sowohl in der Diplomatie, wie im Heere hervortretenden kurischen Adeligen aus jüngerer Zeit fallen Einem sofort ein: der Graf von Medem, der Baron von Brnnnow, der Baron von Vudberg. Der vor mehrereil Jahren in Berlin verstorbene Legationsrath Baron von Schoppmgh war ebenfalls ein Kurländer. Er stand bei seinen: Tode im blühendsten Mannesalter und drückte sich in der deutschen, wie in der französischen Sprache mit gleicher Gewandtheit — 107 — aus. Die Artikel im „Nord" über die Kaiserkrönung in Moskau waren aus seiner Feder geflossen. Viele kurische Familien sind durch den Krimm-Krieg in Trauer versetzt worden. Wenn ich recht hörte, wurde die gräfliche Familie Pahlen, während sie früher zahlreiche Sprossen zählte, durch den Krimm-Fcldzug bis auf einen einzigen Erben reducirt. Auch der Letzte dieses Stammes hatte sich nach den: Kriegsschauplätze begeben, als die mitleidige Kaiserin Marie, die sich durch seltene Herzensgüte, wie große Klugheit auszeichnet, ihn: durch den Telegraphen den Befehl sandte, sofort zurückzukehren. Sie wollte verhüten, daß die Pahlen'sche Familie durch den Krieg exstirpirt werde. Doch der Befehl kam zu spät. Der junge Graf Pahlen war schon in Sympheropol angelangt und nach kurzem Verweilen von den: dort furchtbar wüthenden Nervcnfieber auf das Krankenlager gestreckt worden. Lange kämpfte er mit dein Tode; doch endlich genas er. Als er sich bei der Anwesenheit des Kaisers Alexander II. in Mitau demselben vorstellte, hatte er, als Folge des heftigen Nervenfiebers, noch kein einziges Haar anf den: Kopfe, und der frühere kräftige Jüngling glich einem Greise. Der Kaiser küßte ihn in seiner milden, freundlichen Weise auf die Stirn, und sprach schöne, anerkennende Worte zu dem tapfern, jungen Manne, auf dessen bleichen Wangen nach langer Zeit unter der zärtlichen Berührung seines angebeteten Kriegsherrn zum ersten Male wieder das Noth der Gesundheit erblühte. — 108 — Von dm deutsch-russischen Familien, die durch den Krnnm-Kricg hart betrossen wurden, will ich nur noch eine einzige erwähnen. Der General von Kotzebue, der dnrch seinen Aufenthalt in Iassy während der Kriegsverwickelnngen bekannt geworden ist, veranlaßte seinen Sohn, trotz der thränenden Abmahnungen seiner Frau, es sich als eine Gunst auszubittcn, an der Vertheidigung Scbastopols Theil nehmen zu dürfen. Der Sohn gehorchte nur zu gern der väterlichen Aufforderung. Er fiel bei einem nächtlichen Uebcrfalle der französischen Vorposten. Der Gram beraubte den Vater seiner Vernunft, nnd der früher so geistreiche Mann ist jetzt in den Zustand der Kindheit znrückgefallen. Unter den vielen verdienstvollen Kriegern, die der kurische Adel in den letzten Jahrzehnten dein russischen Heere schenkte, erwähne ich besonders die Generäle von Sicvers nnd von Maydcll. Vei dem General von Sievers, einen: sehr tüchtigen Corpscommandanten und namentlich einem sehr frommen Protestanten, denke ich an den gleichnamigen I^gor von Sievers, der sich bereits eine ehrenvolle Stellung in der literarischen Republik errungen hat, ebenfalls den baltischen Provinzen entstammt und jetzt nach vielen Reisen — über die Perle der Antillen veröffentlichte er ein treffliches Werk — in seinem livländischcn Gute ein Sabi-nmn besitzt, wie es nicht vielen Dichtern zu Theil geworden. Steht der General von Maydell an Ruhm auch weit hinter dem ebenfalls in Kurland geborenen - 109 — General Todicbm Zurück, so bleibt or doch ein sehr talentvoller Militair und tapferer Krieger. Bei dem abgeschlagenen Sturme auf Kars ward er bedeutend verwundet. Ich habe mir erzählen lassen, daß der russische Soldat, um seinen Anführer achten zu können, durchaus von ihm verlange, er müsse beim Angrisse in der vordersten Neihe kämpfen, daß er aber auch dann, wenn er die Ueberzeugung von der Persönlichen Tapferkeit seines Generals erlangt, demselben mit unbeschreiblicher Liebe und Hingebung anhange. Jedes Corps birgt in seine»! Schooße eine Anzahl besonders entschlossener Männer, denen wie einer heiligen Schaar die Verpflichtung obliegt, über das Leben des theuren Anführers zu wachen. Der General von Maydell wurde, als er mit seiner Division in die'Festungswerke von Kars eindrang, verschiedene Male von einem Türken belästigt, gegen dessen Yatagau er sich zwar glücklich vertheidigte, der aber immer, wenn er ihn schon gänzlich abgeschüttelt zu haben glanbte, an einer andern Stelle wieder hervorsprang. Unwillig geworden, sagte der General Mdlich zn einem baumlangen Unteroffizier, der sich m seiner Nähe befand: „Schaff mir den Türken vom Leibe! Mach' den Kerl todt!" Nach einer halben Stunde nngefähr tritt der Unterofficier, mit Vlut bedeckt, an den General heran, grüßt militairisch und Meldet in straffer, soldatischer Haltung: „Excellenz, ich habe die Ehre anzuzeigen, daß ich nicht einen, sondern sechs Türken todt gemacht." Der General — 110 — erzählte später, daß trotz des Tobens der so furchtbaren Schlacht diese Meldung einen sehr eigenthümlichen, andauernden Eindruck auf ihn hervorgebracht. Prüfen wir in Bezug auf den knrischen Adel, ob er auch in früheren Jahrhunderten einen im Allgemeinen wohlthuenden Anblick darbot, so treffeu wir freilich auf kein sehr erfreuliches Schauspiel. Seitdem Kurland zu Polen in ein Lehnsverhältniß getreten war, wurde der kurische Adel durch das böse sarma-tische Beispiel angesteckt. Es entstand bei ihm Uebermuth gegen den Bürger uud Eifersucht auf die Städte. Es muß zur Zeit Ziegenhorns bei dem Adel eine große Erbitterung gegen die Städte geherrscht haben, indem der kurische Staatsrechtslehrer sich zu der Bemerkung veranlaßt sieht: „Man sollte einmal aufhören, wider die Städte und den heutigen Vürgcrstand immer in einen: beleidigenden Tone zu reden und zu schreiben." Weshalb der kurische Adel schon in damaliger Zeit den Städten besonders gram war, ist nur aus dem Vorgefühle küuftigeu Sturmes uud Dranges zu erklären. Seit der Revolution von 1789, die jähr-hundertalte feudalistische Bande sprengte, ist allerdings anch über die Bevölkerung der kurischeu Städte ein freisinniger speist gekommen. Es bildete sich iu Kurland, als Folge der französischen Geistcsströmung, eine sogenannte bürgerliche Union, mit dem ausgesprochenen Zwecke, an den bis dahin dem Adel vorbehaltenen Privilegien Theil zu nehmen. Leider hatte der kurische Bürgerstand keine weitherzigen — IN — Tendenzen. An cine Aufhebung der Leibeigenschaft dachte er nicht. Dein kurischen Adel erstand als Bekämpfer der bürgerlichen Union ein Herr Tiling, der Prediger und Professor zu Mitau war. Ob der damalige kurische Adel es unter seiller Würde hielt, in die Arena politisch-literarischer Discnssionen hinabzusteigen, oder ob ihm die.,schriftstellerische Gewandtheit fehlte, wage ich nicht zu entscheiden. — Der Professor Tiling wählte als Motto seines Buches, das betitelt ist: „Ueber die sogenannte bürgerliche Union in Kurland zur Rechtfertigung seines Betragens an Eine Hochwohlgeborne Nitter- und Landschaft" einen schönen Spruch aus dem Horaz: „Justum ac tenacein propositi Virura Non civium ardor prava jubentium Non vultus instantis tyranni Mcnte quatit solitla." Herr Tiling behauptet llllll, daß, wenn die Union ihren Zweck erreiche, der Adel um Alles komme, und er su gut als vernichtet sein werde. Uni den Grund oder Ungrnnd dieser Behauptung prüfen zu können, müssen wir zunächst die Forderungen der Unioll kennel, lernen. Die kurifchcn Städte hatten sich zu einer Union zusamlnengethan und eine Deputatiou nach Warschau an den König von Polen als ihren Suzerain abgesandt, um von demselben zu erbitten, daß ihnen ihr lange vorenthaltenes Recht, an den Berathungen des — 113 — Landtages beschließenden Antheil Zu nehmen, endlich gewährt werde. Sie hatten dies Verlangen in folgender Form gestellt: „Daß der Kurländische Vürgerstaud, als der dritte Landcsstand, eben so wie die beiden ersten Landstände (Herzog und Ritterschaft) an allen Kurländi scheu Staatsverhandlungen und Beschlüssen, mN-hin auch an der Gesetzgebung, Theil nehmen, und zur Ausübung dieses Rechtes, ebenso wie die Wohlgeb. Ritterschaft und Landschaft berufen und zugelassen werden soll." Aus der ersten berechtigten Forderung folgen naturgemäß die andern, die so lauten: „Das alle bisherige einseitige Staatsverhandlungen, als landtägliche Schlüsse, commissorialischc Verordnungen und Entscheidungen, an denen der Vürgerstaud nicht Theil genommen hat, für denselben so lange unverbindlich sein sollen, bis eine gütliche Auskunft oder oberherrschaftliche Entscheidung erfolgt sein wird. „Daß, wenn der Vürgerstand ill's künftige an der Ausübung der ihm als Land stand zustehenden Rechte sollte gehindert werden, ans solche Verletzung seiner Standesrechte von der Olcrherr-schaft eine Strafe gesetzt und, nach vorhergegangener Klage des Reichsinstigators, wirklich verhängt werde. Daß nicht allein der Vürgerstand durch, zu rechter Zeit ausgefertigte Landtagsumschrciben, die in Ansehung des Inhalts mit denjenigen, welche an den — 11Z — Ritterstand erlassen werden, völlig übereinkommen, und an die acht Städte dieser Herzogthümer, mit einer, die Gelehrten, Kaufleute, Künstler und Handwerker bezeichnenden Titnlatnr, gerichtet sind, nnter Anschließnng der eingereichten Deliberationen, auf alle und jede Landtage berufen werde, um feine Gcrechtfame daselbst wahrzunehmen, und durch seine Abgeordneten an der Verhandlung der Staatsangelegenheiten und den abzufassenden Beschlüssen Theil zu nehmen, sondern daß auch einer jedeu einzelnen Person aus dem Bürg er stände das Necht zustehe, bei Hochfürst-licher Kanzelei, wegen der auf dem Landtage zu verhandelnden Angelegenheiten, Deliberationen einzugeben." Wenngleich diese Forderungen ausnahmslos dem Herrn Tiling überaus verwegen erscheinen, so sind in diesen Postulaten doch vorzüglich einzelne Punkte, die noch besonders seinen Unwillen erregen, und die er deshalb nut fetter Schrift hat drucken lassen. Nachdem er diese verwegenen Forderungen, wodurch alle harmlosen kurischen Philister in seinen Augen die demagogischen Umrisse eines Danton und Robespierre annehmen, bleich vor Zorn, hergezählt hat, ruft er ganz ermattet aus: „Was sagen Sie hiezu, meine Leser?" Ich hoffe, daß meine Leser die Ansicht aussftrechen werden, der Professor Tiling müsse ein pudelnärrischcr Kauz gcwescn sein. Es ist wirklich zu seltsam, wie der gelehrte Herr, der einen sehr schiefen staats-mannischm Blick gehabt haben muß, es so unerhört Vvunicr, Kurland, 8 — 114 — findet, daß die Städte Kurlands an der Gesetzgebung Theil nehmen wollen und sich an keine Beschlüsse gebunden erklären, bei denen sie nicht gefragt worden, von dem altdeutschen richtigen Gruudsatze alisgehend: „Wo wir nicht mitrathen, Wir auch nicht mitthaten." Ueber diese nicht im Mindesten unbescheidenen Forderungen kommt der Professor, wie man zu sagen pflegt, aus dem Häuschen und läßt sich gegen diejenigen Publicisten, welche die Forderungen der kurischen Städte als berechtigt und für den Adel als durchaus nicht bedrohlich anerkannt hatten, zu folgender Philiftftica hinreißen: „Waren sie denn nicht dahin, die wichtigsten adeligen Nechte und Prärogative, war sie nicht dahin, die ganze bisherige Kurländische Staatsverfassung, auf der, nach meiner immer fester werdenden Ueberzeugung, unsere ganze so vorzügliche Glückseligkeit, als auf seiner Basis, lediglich beruhet, sobald nur dieses einzige Gesuch der Union bewilligt ward? Wollen die Bürger nicht dem Ndel, in dem ersten, wesentlichsten Punkte aller Punkte, ganz gleich sein? Wollen sie nicht Gesetzgeber werdend Wollen sie nicht die Macht haben, alle vorige Gesetze, die ihnen nicht gefallen, aufzuheben? Wollen sie richt durch ein allmächtiges V0W den Herzog sowohl als die Ritterschaft außer Stand setzen, irgend etwas noch so Gemeinnütziges zu beschließen und durchzusetzen, sobald es den: Interesse der Advocatcn oder der Kaufleute zuwiderlief ?" — 115 — Leider schwächten die Bürgerlichen und namentlich die Kaufleute die Theilnahme, die man für das Durchgehen ihrer gerechten Postulate hegen mußte, dadurch bedeutend ab, daß sie denfelben einige vom engherzigsten Krämcrgeistc eingegebene Forderungen hinzu-gesellten. Während nämlich die französische Revolution den Juden eine Stellung als Staatsbürger geschenkt hatte, so verlangten die kurischen Kaufleute voll inhumanen Geistes, daß die vielgequälten Nachkommen Abrahams von allen bürgerlichen Rechten und Gewerben ausgeschlossen bleiben und aus dein Herzog-thume vertrieben werden sollten. — Ferner erhoben sie den Anspruch, daß Niemand etwas vom Auslande verschreiben dürfe, der nicht in einer Stadt sich als Vürger und Kaufmann niedergelassen habe. Neber-dics stellten sie die in die Rechte des Individuums eingreifende, sehr unbillige Forderung, daß der Edelmann mit einer namhaften Strafe belegt werden solle, wenn er seinen Erbbauern verbiete, den Ueber-flnß ihrer Producte iu die nahe gelegenen Städte zu verkaufen. Die Gesetze einer vernünftigen Handelsfreiheit bedingen mm, daß Jeder dort feine Produete verkaufen darf, wo er die höchsteil Preise für dieselben bekommen kann. Vielleicht verkannten die kurischen Bürger diesen Grundsatz aber auch gar uicht und wollten sich nnr sichern, daß der Adel, den: ringsum das Land gehörte, nichts aus Rache, falls den Städten so viele ncne Rechte eingeräumt würden, dieselben vollkommen aushungere. Wenn ihnen die 8* — 116 — Landbevölkerung aber keine Nahrungsmittel mehr zuführte, so waren sämmtliche neuerworbene Neckte ohne jeglichen Nutzen, und sie mußten elendiglich umkommen, gleich jenem Könige in der griechischen Mythe, der Alles, was er berührte, in Gold verwandelte. Auch gegen schlechtes Bezahlen wollten die Kaufleute sich durch ein Gesetz sichern. Sie verlangten nämlich, daß Jeder gehalten sein solle, nach acht Tagen den Werth für die von ihm gekaufte Waare zu erlegen, widrigenfalls er in einem summarischen Processe zu verurtheilen sei, so wohl den Preis der erhandelten Gegenstände, wie auch die inzwischen aufgelaufenen Zinsen zu bezahlen. Unter den vielen Forderungen des Handelsstandes erscheint nur auch die sehr unbillig, daß, wenn z. B. ein Gutsbesitzer für einige Monate in die Stadt zog, demselben nicht gestattet sein sollte, Haus- und Wirth-schaftsgeräthe mit sich zu bringen. Ebenso sollte dem Edelmann untersagt werden, wenn er eine Brauerei auf seinem Gute hatte, für feinen Bedarf davon in die Stadt kommen zu lassen. Diese vielfachen ungerechteil Forderungen, die das Interesse für sonst sehr legitime Postulate schwächen, erinnern mich an eine treffende Behauptung Niehl's, die er in seinem tiefdurchoachten Werke: „Die bürgerliche Gesellschaft," dort, wo er über den vierten Stand spricht, aufzustelleu Gelegenheit nahm. Er sagt: „Jeder Stand hat das geheime Gelüste, alle übrigen zu beherrschen, jeder Stand hat seine Epoche, in — 117 — welcher er despotisch auftritt." Nun, die kurischen Bürger begingen den großen Fehler, daß sie ans Abneigung gegen den Adel, der sich übrigens frühere Härten in Bezug auf den dritteil Stand mochte vorzuwerfen haben, nngerechte Forderungen aufstellten. Diese Blößen ließ sich denn auch der Professor Tiling nicht entgehen und bezeichnete die von mir gerügten Forderungen als Despotismus der Krämer. Er wird sogar — nicht bohnenstrohgrob, wogegen sich die Betroffenen viel besser hätten vertheidigen können, sondern ironisch, und ruft ans: „Was thut es, wenn auch dem freien kurischm Edelmann das eigene Verschiffen seiner Crescentien und Facticien, wie das Verschreiben seiner Bedürfnisse, bei schwerer Strafe, verboten, wenn es ihm auch alles Ernstes vorgeschrieben ist, wann, wie, wo or kanfen nnd verkaufen soll." Nach diesem ironischen Ausrufe drückt der Proschor Tiling es den Städten recht auf, wie sie dem Adel ihre ganze Existenz verdanken, wie sie demnach durch ihr Anftreten gegen ihren Wohlthäter sich eines schwarzen, Undankes schuldig machen. Die kurischcn Städte, die sowohl in geistiger, wie materieller Hinficht sich erfreulich entfaltet hatten, waren nun dnrch-aus nicht verpflichtet, alle Privilegien des Adels deshalb unangetastet zn lassen, weil sie vor grauen Jahrhunderten, als sie ganz unbedeutend und schwach waren, meist durch Unterstützung der Landaristokratic emporblühtcn. Wie niemals ein Mensch gegen den 118 andern ungerecht sein soll, so hätte auch der Bttrger-stand Kurlands besser gethan, durch seine Deputirtm in Warschau keine Forderungen vorzubringen, die offenbar die Rechte des Adels, nicht als solchen, sondern als freier Individuen, kränkten und deshalb die Gewährung der übrigen Postulate beeinträchtigen mußten. Aber, daß die erstarkten Städte verlangten, auf den Landtagen, wo die das Herzogthum regierenden Gesetze festgesetzt wurden, auch ihrerseits gehört zu werden, scheint mir so überaus gerechtfertigt, daß dies Begehren von keinem vernünftig und billig denkenden Menschen einer tadelnden Kritik unterzogen werden dürfte. Der Professor Tiling führt nun den Städten zu Gemüthe, wie sie ohne den Adel weder je entstanden wären, noch zur Zeit bestehen könnten. Seine Worte lauten: „Was thut es, daß der städtische Kaufmann, Krämer und Brauer dein freien Kurländischen Adel, der nebst seinem Fürsten ihm seine Städte, seine Handlungsrechte, sein Brot und die Mittel zum Wohl-stände verliehen hat, ja, der sich für berechtigt hält, auf seinen Gütern, wenn er es gut findet, noch täglich Flecken und Städte anzulegen, so wie die jetzt existirenden Städte einst um seine Schlösser und Landhäuser aus einem sehr geringen Anfange entstanden sind — was thut es, wenn der von dem Adel und seinem Fürsten geschaffene, genährcte und geschützte Städter nun der Gesetzgeber und Nichter von Beiden wird? Was thut es, daß der Edelmann, — 119 — Wenn er in einer seiller Städte ist, wo er durch feinen Aufwand dem Bürger zu verdieneil giebt, nicht mehr die Freiheit hat, fein eigenes, anf seinen Giltern gebrautes Bier zu trinken, so sehr sich auch vielleicht seine Natur uud Gesundheit daran gewöhnt haben mag? Was thut es, daß der Edelmann in den Städten, die freilich durch seinen oftmaligen Aufenthalt in denselben größtentheils bestehen und floriren, nicht von seinem eigenen, alls selbstgezogenem Holze, von eigenen Leuten verfertigten Tische essen, nicht in seinein eigenen Bette schlafen, nicht auf seinem eigenen Stuhle sitzen darf? Was thäte es, wenn er bald auch nicht mehr in neuen, auf feinem Gute gemachten Stieseln, in neuer Wäsche aus selbst gebanetem Flachse, aus sclbst gewirkter Leinwand in die von ihm selbst geschaffene und erhaltene Stadt kommen dürfte? -Was thut das alles? Wird doch der Kaufmann reich, und — ist der nnr reich, fo ist ja das ganze Land glücklich^!" Mit diesen drei Ausrufungszeichen des Hohns und der Bitterkeit schließt der Professor Tiling seinen heftigen Ausfall auf die Städte, ist aber in seinem Lobe auf den Adel nnerschöpflich und preifet ihn noch viele Seiten hindurch. Die Thesen des gelehrten Herrn sind so abenteuerlich, daß ich mir nicht getraue, sie ihrem bloßen Inhalte nach allzuführen, weil man Mich der Ausschmückung zeihen würde. Ich halte es f"r unerläßlich, die Stelle, wo der Professor Tiling den kurischen Adel als den alleinigen Nechtsinhaber ' — 130 — im Lande vroclamirt, wörtlich hierherzusetzen. Der bezügliche Passus lautet: „Man verstehe mich recht, wenn ich sage- Kurland gehört ganz dem Adel, ist eiu bloßes adeliges Land. Die eigentlichen Bewohner des Landes sind sein Eigenthum; alle übrige freie bürgerliche Einwohner leben gewissermaßen nur iirLcarw darin; sind was sie sind, haben was sie haben, nicht aus einein Grunde des strengen Rechts, sondern als Wohlthat, als Geschenk, als Vergünstigung. Es sind hereingerufene, oder durch den Ruf des gesegneten Gotteslandes nach und nach hereingelockte Fremdlinge, die hier Brod und Ehre und Freude fanden, denen man angenehme, Vortheil-hafte und sehr gesicherte Etablissements machte, die man Städte bauen ließ, und solche mit stattlichen Rechten nnd Freiheiten versah, .stein Bürger hat Ansprüche auf das Land, auf den Staat und die Staatswirthschaft; kein Bürger hat das Land erobert, gebauct und zu den: geinacht, was es jetzt ist. Haben Bürger zu dem einen und dem andern mit die Hand gereicht, so sind sie dazu vom Adel berufen und dafür gelohnt und besoldet worden. Der Handelsmann und der Schiffer entdeckten einst das Land, das ist wahr; sie fanden, daß in diesem Lande für sie etwas zu machen sei; aber es mnßte erst erobert und eingerichtet sein. Dazu fehlten ihnen die Kräfte. Sie nutzten also den Geist der damaligen Zeit. Der deutsche Ritter und Edelmann, ganz beseelt von diesem Geiste, machte sich auf, dieses ihm so reizend geschilderte — 131 — Land mit feinern durch die Religion geheiligten Schwerte einzunehmen." Otto von Rutenberg, selbst einer alten kurischen Familie entstammend und demnach gewiß nicht gegen den Adel eingenommen, hat ein sehr tüchtiges Werk*) geschrieben, durch das die Behauptung des Herrn Professors Tiling, Kurland sei ein blos adeliges Land, als unwahr erwiesen wird. In diesen: Werke ist durch geschichtliche Veweisstiicke dargethan, wie aus den Ipätern Hansestädten, namentlich aus Bremen, handeltreibende Bürger nach dem damals so unwirthlichen Strande von Liv- und Kurland zogen, wie sie dort den Gruud legten zu der deutscheu Herrschaft und fast anderthalb Jahrhunderte hindurch allein den wilden Eingeborenen in vielen Kämpfen siegreich gegenüberstanden. Später kamen allerdings der Adel und die Schwertbrüder hinzu; doch konnten nimmer die das. begonnene Werk Fördernden und Weiterführenden sich berechtigt glauben, die Bahnbrecher und Gründer gänzlich bei Seite zu schieben. Wenn der Professor Tiling in seiner oben angeführten Philippica über die kurischen Krämer herfuhr, die in ihrer dem Könige von Polen unterbreiteten Pctitwn begehrt hatten, daß dem kurischcn Edelmanne künftig nicht mehr gestattet sein solle, seine Werkmeister ^) Geschichte der Ostseeprovinzcn Liv-, EM- imd Kurland. ^>on Otto von Rutenbcrg. Zwei Bände. Mit einem Namcn-und Sachregister und eiucr Karte' von Liv-, Esth- und Kurland zur Ordeuszeit. Leipzig, Engelmann. 1859—60. — 122 — und Zimmerlente von seinem Gute in die Stadt kommen und sich dort von ihnen ein Haus aufführen zu lassen; ferner daß der Edelmann nicht Bier ans seiner Brauerei beziehen dürfe n. a. m., so würde der gelehrte Herr, wäre er nicht schon längst selig verstorben, nunmehr den Schmerz haben, daß jene damals erhobeneu Forderungen jetzt gesetzliche Kraft erlangten. Ein kurifchcr Edelmann, wenn er sich heutigen Tages ein Haus in der Stadt bauen lassen will, muß die dortigeil Maurer und Zimmerlente benutzeil, anch darf er nicht anders, als daß er die Accisc zahlt, sein Vier einführen. Ich erfuhr aus dem Munde eines vornehmen Gutsbesitzers, der sich einen Brauer aus dem Waldschlößchen bei Dresden hatte kommen lassen, und der viel Vier nach Libau verkaufte, daß er vom dortigen Magistrate aufgefordert worden sei, erst Bürger der Stadt zu werden und sich einen Gewerbeschein zn lösen; bis dahin werde sein Handel nicht gestattet werden. Dieser Edelmann hegte zwar freisinnige Grundsätze, fand es aber doch nicht lockend, einer unbedeutenden Commune als Mitglied anzugehören, während er einer mit Municipalfreiheiten geschmückten, mächtigen alteil Hansestadt gewiß als Genosse sich bereitwillig zugesellt hätte. Er beschloß deshalb, seinen Brauer Bürger der Stadt werden zu lassen. Die Periode, wo die kurifchen Adeligen sich "" hochmüthig, ja ungerecht gegen die Städte benahmen, ist jene, wo das Land ohne Herzog war. Man kann __ IAH __ diesen Abschnitt der kurischen Geschichte „die herzoglose, die schreckliche Zeit" nennen. Auf dem Landtage von 1745 und 1746 traten die maßlosen, durch keine starke Regentenhand auf ihr berechtigtes Niveau zurückgedrängten Ansprüche des Adels besonders groll hervor, und der Professor der Geschichte, (5arl Wilhelm Cruse, behauptet in seinen: Buche: „Curland unter den Herzögen," voll Wahrheit, daß die Ritterschaft in ihren Forderungen sich nicht nur als den einzigen berechtigten Stand, sondern auch als gesetzgebend über die Negierung hinzustellen suchte. Wollteu die kurischcn Adeligen den Bürgerlichen nicht den Besitz von Landgütern gestatten, ihnen auch keinen Zutritt zum Laudtage gewähren, so bemühten sich die Bürgerlichen ihrerseits, den Adeligen das Wohnen in den Städten zu verbieten. Die kurischen Bürger beriefen sich auf das Rigische Recht, nach welchem es dem Adel eine Zeitlang nicht gestattet war, Häuser in den Städten anzukaufen. Durch eiue königliche Antwort vom 5. December des Jahres 1746 auf eine Eingabe kurischcr Bürger, unter denen wir Christian Grund, eine Magistratsperson Libau's, besonders erwähnt finden, wird den Bittstellern als Vertretern ihrer Gemeinwesen das Recht ertheilt, Grundstücke, die der Adel auf ihren Territorien angekauft, innerhalb Jahresfrist einzulösen. Die bezügliche Stelle findet man unten ihren: Wortlaute nach.*) *) Si acdes in Hindis Ducalibus et Civitatensibua in "ersonas Oencrosi Ordinis Equestris per veuditiones vel — 124 — Die von: polnischen Könige in seinem Bescheide versprochene Hülfe hätte den Städten in einem bestimmten, gegebenen Falle indeß wohl wenig genützt, da dieser Monarch durch seine zuchtlose Aristokratie stets verhindert ward, kräftig und imponirend anfzntrcten. Die knrischen Edelleute besitzen jetzt viele Häuser in den Städten, haben aber in Libau sich am wenigsten ansässig gemacht. Dies scheint mir folgenden Grund zu haben. In See- nnd Handelsstädten spielt der Kaufmannsstand immer die erste Nolle, der Adel sieht sich deshalb, wenn er daselbst wohnt, zur zweiten verdammt, und, da er dies begreiflicherweise nicht liebt, so meidet er den dortigen Aufenthalt. Deshalb ist die Seestadt Libau, obgleich sie überaus freundlich und einladend aussieht, uur von sehr wenigen adeligen Familien bewohnt, während Hasenpoth, ein elendes Binnenstädtchen, von Noblesse wimmelt. Ziegenhorn erachtet es mm nicht mehr als billig, daß, da der Bürgerstand nicht das Recht habe, adelige Güter zu kaufeu, auch der Aristokratie verwehrt scin müsse, sich auf städtischem Grund uud Boden ansässig zu machen. Die Adeligen waren den Städten als Besitzer von Hänsern vorzüglich deshalb so lästig, pluslicltationes in Judiciis generalis adcitationis transfer« contingent, in Oasibus in jure cxprcssis illos ad quos icl pertinet, per retractum tales aedea vindicare et recuperare posse aequum censet et exjiost, si quid ad assequendum in praeinissis effectuum desiderabitur, pro Ilcgia sua Clementi» huniillimis implorantibus sua ope non dcorit. — 125 — weil sie sich beharrlich weigerten, für ihre Krundstiuke die gesetzlichen Stauern zll entrichten. Als nun der Herzog Carl aiigegangeil ward, dieser schreienden Ungerechtigkeit ein Ende zn machen, und der Landesfürst, um nicht allzu unbillig gegeil seine Städte zu scin, dein Adel eine sehr mäßige Stener auferlegte, nämlich an Stelle aller "übrigen Lasten vier Thaler von einem großen und zwei von einein kleinen Hause zn Zahlen, so ward hierüber von Seiten der Betroffenen Beschwerde erhoben nnd das dringende Verlangen ausgesprochen, daß einer solchen Ungerechtigkeit ein Ende gemacht werde. In der That wnrde auch von dem Herzoge die Aufhebung dieser so bescheidenen Steuer erpreßt. In den: Landtagsabschiede vom 11. März 1703 heißt es nämlich: „Wolleil Wir zwar Unserer getreuen Ritter- nnd Landschaft versichern, dasi von denen Adelichen Hänsern keine i'<^0<;!iitj()li«-Gelder künftig weiter in-uüt«i<1irot, werden sollen. Da aber die von 1717 den Verkanf dcr Bürgerlichen Häuser nur ^nlvi« (mm-iwl^ ail den Adel gestatten, so gebeil wir E. Wohlgcbohrenen Ritter- nnd Landschaft selbst zu "'wägen, ob es nicht billig wäre, gegeil den nächsten ^aildtag ein Mittel anszumachen, wodurch bei der ansehnlichen Menge Häufer, die der Adel gegenwärtig M Mietali besitzt, dem Vnrger alls einige Art könne ^ul^i^l- werden." Uebrigens kommt Ziegenhorn am Ende seiner Betrachtungen über die Häuser in den Städten zn — 13ss — dem richtigen und billigen Schlnsse, daß man dem Adel gestatten müsse, sich im Schooße einer Commnne niederzulassen, falls er nur geneigt sei, allen Pflichten zu geniigen, welche von Seiten der Bürgerschaft an jeden Einzelnen der unter ihr Wohnenden und mithin auch an die angesessenen Edelleute gestellt werden. Die knrischen Edelleute siud im Allgemeinen der Völlerei nicht ergeben, mithin von dem bösen polnischen Beispiele — der polnische Adel leistet im Essen und Trinken Unglaubliches unangesteckt geblieben. Vielleicht haben sie sich aber auch seit ihrer Trennung von Polen regmerirt. Nach früheren Berichten muß in Kurland ein gewaltiger Materialismus geherrscht haben. In einer alten Chronik heißt es nämlich: „Der Ordensherren, der hohen Geistlichkeit und des Adels tägliche Arbeit ist Hetzen, Jagen, Dobbeln und Spielen. Sie fahren von einer stattlichen Taufe und von einer adlichen Hochzeit zur andern. Man ladet die Gäste oft Monate znvor nach einer Stadt ein, weil kein Edelhof groß genng ist, um die Menge zu fassen und dort die Koste und Nachlöste (Hochzeit und Nachhochzeit) zu halteil-------------------Getrunken wird unmäßig viel Vier, gewöhnlich einige Last. Man muß oft Heu eintragen, weil der Boden der Gildstube von dem bisherigen Gesöff feucht geworden/ Dies ist allerdings kein anziehendes Bild und berechtigt Eineu zu den: in Kurland so oft gebrauchten Ausrufe: „Pfui" — 137 — In „Münsters Cosmograph" findet sich eine ganz ähnlich lantende Schilderung. Mr geben sie in nachfolgendein Auszüge! „Die größte Arbeit der Herren auf den Schlöffern und Höfen in Lyff- und Churland besteht im überflüssigen Saufen und Fressen. Wer ein guter Kämpfer und Dämpfer ist, mag sich in das Landt verfügen. Ehe das Jahr herumb kommt, entfahnt er seine Besoldung, nemlich Wassersucht, Schörbauch uud dergleichen böse Mintz. Es ist der Schörbauch in Lyss-und Chnrlandt eine gemeine Krankheit, und sollen es diejenigen, so Tag und Mcht sanffen und fressen und nichts dabei werken, überkommen nnd zum Leib aus-schlagen." Die Zeit hat auch hieriu manches znm Bessern gekehrt, und Menschen, die dein Bauche opfern und nur für Physische Genüsse leben, giebt es in Kurland nicht viele. Man darf im Allgemeinen Mäßigkeit, namentlich im Weintrinkeil, als eine Tugend des kurischm Adels anführen. Daß Herren unter der Landaristokratie einen sehr starken Appetit haben, kommt vor, aber das findet man auch in großen Städten bei den intelligentesten Menschen. Wie der kurländische Adel zur Zeit der polnischen Lehnsherrschaft von großem Hochmuthe erfüllt war, ngicbt sich aus den: alten Satze: „Böser Umgang verdirbt gute Sitte." (?rava c(m«oi't,m co,inui^unt kmw« moi'W.) Als daher Niron, der Günstling der Kaiserin Anna von Nnßland nnd späterer Herzog von _ 128 — Kurland, dessen Geburt allerdings keine vornehme war, in den Tagen, da seine hohe Bestimmung noch Niemand vermuthete, darum nachsuchte, unter den Adel Kurlands aufgenommen zu werden, so erhielt cr eine stolze, abweisende Antwort. Doch hatte der Adel Kurlands alleil Grund, diese hochmüthigc Zurückweisung später zu bereuen. Als Biron nämlich der Liebhaber von Anna Iwanowna gewordeil war, so bewarb man sich von allen Seiten um seine Gunst. Von mm an flüsterte man sich nur noch einander Zu, daß Viron der Enkel eines Stallknechts sei. Der römische Kaiser Karl VI. erhob den Enkel eines Stallknechts zum Neichsgrafen, der König August II. von Polen ertheilte ihm den weißen Adlerorden. Jetzt beeilte sich auch der knrische Adel -^ cr, der Biron hochmnthig die Einschreibung in seine Matrikel abgeschlagen hatte — dein mächtigen Günstlinge in goldener Kapsel das früher verweigerte Diplom zu überreichen. Biron wies diese ihm zugedachte Ehre — Hochmuth init Hochmuth heimzahlend — kühl zurück, bemerkend, daß mau nicht zu erlangen brauche, was man bereits besitze. Trotz dieser hoch-wüthigen Abweisung, musite der kurische Adel, mn mit Nnftland auf gutem Fuße zu stehen, den, bei der Kaiserin Anna alles vermögenden Viron die Herzogswürde von Kurland und Scmgallcn antragen, woz" sich der dnrch seine erstaunlichen Erfolge um alle Bescheidenheit gebrachte Emporkömmling denn doch herbeiließ. Freilich regierte er Kurland mit eiserner — 139 — Ruthe, gleichsam als wolle er das ganze Herzogthum für den frühern Nebermuth seines Adels büßen lassen. Wenn er in Nnßland während feines zehnjährigen Negiments ungefähr 40,000 Menschen nach Sibirien schickte, so verfnhr er in Kurland wahrlich nicht humaner. Viron war überhaupt kein löblicher, ja, nicht einmal streng rechtlicher Charakter. Von der großen Summe Geldes, die Danzig an den Feldmarschall Münnich bezahlen mnßtc, um vor Plünderung bewahrt zu bleiben, bekam Viron 180,000 Thaler, wofür er sich die Standcsherrschaft Wartenberg in Schlesien kaufte. Während des Viron'schcn Willkür-Regiments ward ein Herr von Osten-Sacken, als er eines Abends, arglos nnd keine Gefahr ahnend, vor der Thür seines Landhauses stand, plötzlich von vermummten Männern ergrissen und in einen verdeckten Wagen gehoben, der schnell mit ihm davonrolltc. Fast zwei Jahre hindurch wurde er von einer russischen Provinz in die andere gefahren, ohne daß ihm je Auskunft in Betreff dieses Ueberfalls ertheilt wnrde. In einer Nacht endlich hielt der Wagen still; die Pferde werden ausgeschirrt, aber keine neuen vorgespannt; der Herr von Osten-Sacken vernimmt rings nm sich keinen menschlichen Laut, so daß er zuletzt den Muth gewinnt, die Thür seines rollenden Gefängnisses zu öffnen, was ihm sonst strenge verboten war. Wer beschreibt seinen freudigen Schreck, als er sich vor der Thür seines Landhauses befindet! Von nun an ward er nicht weiter behelligt. Vielleicht hatte Herr von Osten- Vrunier, Kurland. 9 — IM — Sacken über Viron eine ungünstige Aeußerung gemacht, die diesem durch einen seiner zahlreichen Svione wieder berichtet ward. Der reizbare Emftorkönnnling rächte sich nnn durch die fast zweijährige Ruhelosigkeit, Zn der er den Herrn von Osten-Sacken verdammte. Natürlich verwünschte der kurische Adel insgeheim den übermüthigen Günstling lind dessen eiserne Nnthe. Als nnn Biron nach dem Tode der Kaiserin Anna zum Falle kam und nach Sibirien verbannt wurde, wohin er selbst so viele Opfer geschickt hatte, da war die Zeit gekommen, wo der kurische Adel für die vielen heruntergeschluckten Demüthigungen Rache nehmen konnte. Vr that dies mit wahrem Behagen. Da er nämlich durch die in St. Petersburg eingezogenen Nachrichten dahin bernhigt ward, daß an eine Begnadigung Biron's schwerlich zu denken sei, so trat ein besonderer Landtag in Mitau zusammen. Nun, da Birun als russischer Staatsgefangener sich in Sibirien befand, mithin nicht mehr schaden konnte, ward sein Name nicht allein aus der Reihe der kurischen Herzöge gestrichen, sondern »nan löschte ihn auch in der adeligen Matrikel, in die er trotz der hochmüthigen Gleichgültigkeit, die er gegen die ihm zugedachte Ehre zu erkeunen gegeben hatte, zu der Zeit seiner Allmacht war eingetragen worden. Wir haben gegen den Schluß unserer Betrachtung über den kurischen Adel auszusagen, daß er im Allgemeinen sehr gebildet ist und seinen Gutsinsassen »nit vieler Milde und Freundlichkeit begegnet. Wenn in — 131 — Irland deshalb so traurige agrarische Verhältnisse bestehen, weil der englische Adel, der das Land durch Eroberung besitzt, fern von der grünen Insel lebt und von den Eingesessenen seiner Gitter durch Sitte, Sprache und Religion sich gänzlich Unterscheidet, so sind in Kurland, obgleich auch hier dem Adel in Folge von Eroberung das Land gehört, die Zustände doch unendlich wohlthuender. Einmal wohnt der kurische Adel im Lande, inmitten seiner Banern, bekennt sich mit ihnen zn derselben Religion, spricht die lettische Sprache fließend, und dann hat er ein Herz für die niedere Bevölkerung. Er verschließt sein Ohr nicht kalt und gleichgültig ihren Klagen, sondern hört mit großer- Geduld auf ihre meist sehr umständlichen Berichte, ihnen gern seinen Rath und oft seine Hülfe gewährend. Sind die kurischen Adligen längere Zeit auf Reisen gewesen, so holen sie mit Eifer ihre versäumte Pflicht nach, den Beschwerden und Kümmernissen ihrer Ballern die thcilnahmvollste Aufmerksamkeit zu schenken. Sie können von sich meist dasselbe sagen, was Plinus in einem seiner Briefe bemerkt, als er nach längerer Abwesenheit auf sein Landgut zurückkehrte: „Accedunt querelae rusticorum, qui auribus meis post longura tempus suo jure abutuntur." Möge jetzt für den kurischen Adel eine Periode beginnen, wo Männer zu Tage treten, wie einstmals Turgot und Malesherbes in Frankreich, wie Freiherr von Stein und Freiherr Wilhelm von Humboldt in — 132 — Deutschland! Da sämmtliche Edelleute Kurlands den Anspruch erheben, Freiherren zu sein, so mögen sie, wie der wackere Freiherr von Stein, frei sein von jeder Selbstsucht und frei von jeder niedern Ncgung! In dem schönen Bewußtsein, das Gemeine gebändigt zu haben, mögen sie eine freie Stirn zeigen nach Oben, wie nach Unten! Ein wahrer Freiherr fürchtet nicht den Zorn eines Selbstherrschers, noch das Toben einer ergrimmten Volksmenge. Wenn Karl Beck in einem seiner Gedichte ausruft: „Und gute Nacht, ihr Edelleute, Und guten Morgen, ihr cdlen Leute." so möge der Adel in Kurland dafür sorgen, daß der Begriff „Edelleute" und „edle Leute" bei ihn: stets gleichbedeutend sei. Alsdann wird man dem Adel Kurlands sein Leben im vollen Tagesscheine gern gestatten und einräumen, daß die Behauptung des ehrwürdigen Jakob Grimm in der Frankfurter Nationalversammlung, der Adel sei eine Blume, die gänzlich ihren Duft eingebüßt habe, doch hie und da noch Ausnahmen erleide. — 133 Die lurische Jagd. Da fast die Hälfte Kurlands noch von Wald bedeckt ist, so würde ein Jäger für seine Thätigkeit hier ein sehr lohnendes Feld finden, wenn nicht die kalten Winter so außerordentlich viel Wild vertilgten. Indeß noch ein schlimmerer Feind eines guten Wildstandes, als die kalten Winter, ist das Necht jedes kurländischen Edelmannes, durch die ganze Provinz zu jagen. Es ist über die Beibehaltung oder Abschaffung dieses Vorrechtes vielfältig verhandelt worden. Da die Verhandlungen über dergleichen, die ganze Provinz betreffende Punkte auf dem Landtage in Mitau stattfinden, so werde ich, well man hierdurch ein Urtheil in Betreff der Redegewandtheit des kurischen Adels gewinnt, die über die Iagdfreiheit vorgekommenen Debatten im Auszuge mittheilen. Auf dem kurischen Landtage von 1845 ward folgender Antrag gestellt: „Das ohnehin unstatthafte Jagen an Sonntagen, zumal während des Gottesdienstes, möge mit Rücksicht auf die Kirchcnordnung und bei Commination einer Pön ganz untersagt werden." — 134 - Da es nun in Kurland manche Nimrod'Z giebt, obgleich die Leidenschaft für die Jagd anch hier sich bedeutend vermindert hat, so wurde auf diesen Antrag Folgendes resolvirt: „Insofern die am Sonntage geübte Jagd eine Störung des Gottesdienstes verursachen sollte, unterliegt dieselbe bereits polizeilichen Vorschriften; sie aber im Allgemeinen an diesem Tage zu verbieten, würde die persönliche Freiheit zu sehr beschränken, weil nur der, welcher daran Vergnügen findet, jagen wird, und zur unfreiwilligen Theilnahme an derselben, z. V. als Iuchzer und Jäger, Niemand adstringirt werden kann, woher gegen das Deliberatorium sentirt wird." Die Behauptung, daß durch die Iagdlust des Edelmannes mit Sonntage seine Leute nicht zu einer gleichen Enthciligung dieses der innern Veschammg geweihten Tages veranlaßt würden, scheint nur sehr gewagt, da es zuerst den dienenden Jägern, und dann, im weiteren Kreise, den von dem Gutsbesitzer abhängigen lettischen Bauern unmöglich einfalle»: kann, wenn sie anfgefordert werden, in den Wäldern zu pirschen, muthig zu erklären, sie wollten in der Bibel lesen und in die Kirche gehen. Ihnen würde für diese unzcitige Frömmigkeit eine Tracht von fünfzehn wohlgezählten Hieben zuerkannt werden, denn bis auf dies geringste Maß hat die Regierung das Strafrecht des Gutsherrn beschränkt. Das Störende, was für einen guten Wildstand aus der unbeschränkten Iagdfreiheit des Adels entsteht, — 135 — ist in Kurland schon längst erkannt und deshalb auf dein Landtage von 1845 folgender Antrag gestellt worden: „Die freie Jagd möge aufgehoben werden, nnd ein Jeder möge sie nnr in seiner Grenze ausüben dürfen." Hiergegen ward vorgebracht, das; durch eine Annahme dieser Proposition ein Zerwürfnis; und eine Abschcidung des kurländischen Adels entstehen würde, ber es sich zur Ehre anrechne, politisch und gesellschaftlich für eine Familie, nicht blos dein Worte, sondern auch der That und den: Rechte nach, zu gelten. Hieran ward die allgemeine Bemerkung geknüpft, daß man wohl thue, dein Dränge äußerer Verhältnisse durch eigene Achtung der von den Vorfahren ererbten Rechte und der von ihnen überkommenen Sitte zu begegne»,. Man berief sich ferner auf das Ehrwürdige des historischen Rechtes, dabei vergessend, daß veränderte Zeitlagen auch andere Gesetze erheischen, und daß, was im Jahre 174« sehr gerecht sein konnte, im Jahre 1845, eigensinnig festgehalten, zur schreiendsten Ungerechtigkeit wird. Allein die Vertheidiger der unbegrenzten Iagdfreiheit wühlten ill zerstäubten Acten und Pergamenten, in Folge welcher Beschäftigung sie zu diesem Schlnsse gelaugten: „Das Recht des kurländischen Adels, die Jagd auch w fremder Grenze exerciren zu dürfen, wie es sich jetzt seit undenklichen Zeiten schon als Gewohnheitsrecht — 136 — gestaltet hat, ist als solches von jeher anerkannt und durch Landesgesctze bestätigt worden." Ein praktischer Grund gegen die Annahme des obigen Vorschlages lag allerdings darin, daß, falls die Jagd auf das eigene Gebiet beschränkt würde, der Adel dadurch des Rechts verlustig gehe, in den Wäldern der Krone zu jagen — ein Vorrecht, auf das man früher so eifersüchtig gewesen, daß, als es regierungsseitig einmal bedroht war, die Ritterschaft sich entschlossen zeigte, es bis Zu dein Throne des Kaisers Zu verfolgen. Uebrigens hat die Regierung sich in jüngerer Zeit doch veranlaßt gesehen, die Jagd auf Elennthiere uno auf Auerhähne in ihren Forsten zu verbieten. Für die Aufhebung der unbeschränkten Iagdfreiheit trat fehr entschieden und, wenn auch nicht mit siegreichen, doch den Sieg verdienenden Waffen der Graf von Keyserling auf, der auf den: Landtage von 1845 Deputirter des Kirchspiels Neuhauscn war. Derselbe wies überzeugend nach, daß für die gegenwärtige Ausdehnung dieses Mißbrauchs sich in den Rechtsquellen keine legitimirende Stelle auffinden lasse. Er citirte das Privilegium, ßi^i^inunäi ^,ugu8ti — das Adelsprivilegium von 1570 — den Receß von 1570 — die Landtagsabschiede von 1636 bis 1638 — dcu connnissorialischcn Vergleich von 1684 — die com-missorialischen Decisionen von 1717 — die 1'nvmuw re^iwiiii« von 1727 — die Piltenschen Statuten. Doch, damit der Leser von der GewanotheN, «lit — 137 - welcher auf den kurischen Landtagen gesprochen wird, eine Vorstellnng gewinnen möge, lasse ich den Grafen Von Keyserling als Deftutirteu von Ncnhanscn mit seinen eigenen Worten reden. Diese lauten: „Die Entwickelung der Iagdfreiheit bis zmn gegenwärtigen Standpunkte, wo dieselbe ohne allen Unterschied der Wildgattnngen, ohne alle Rücksicht dessen, wo dasselbe gehoben, über alle Grenzen und auf jedem Gebiete, — von Vesitzlichen und Unbesitzlichen "- ausgeübt wird, läßt sich füglich nicht anders ^klären, als dadurch, daß die Uebergriffe, welche in früherer Zeit gegen die bestehenden Gesetze von Einzelnen geschahen, in jenen Zeiten der Kriege nnd politischen Wirren, denen Kurland unterworfen war, sich der Beachtung und Protestation von Seiten der verletzten Grundbesitzer entzogen, daß dieselben durch wichtigere, die Existenz des Vaterlandes berührende Interessen in den Hintergrund gestellt wurden, und endlich in verwandschaftlichcr und geselligen Verbrüderung unserer Vorfahren, ihre Dnldung und Rechtfertigung gefunden haben. Für die Beurtheilung ber unbedingten Iagdfreiheit dürfte es nun aber wichtig sein/ daß ihr Ursprung kein positiv gesetzlicher, sondern nur ein faetischer gewesen, daß dieselbe ihre Geltung einzig und allein einen: zwar vieljährigen, aber gegen die Gesetze streitenden Gebrauche verdankt. Wenn wir nun in der Gegenwart das befriedigende Bewußtsein in uns tragen, daß jenes brüderliche Vand, welches unsere Vorfahren seit Jahrhunderten so innig — 138 - mit einander verknüpft, auch uns noch in gleichem Maße vereint, so wird die gegenwärtig obfchwcbende Frage der ferneren Jagdberechtigung gewiß nicht vermögen, nnsere Gemeinschaft zn bedrohen nud zn erschüttern.- Es ist im Gegentheil Zn hoffen, daß gerade durch Festhaltnng an jener nns dnrch unsere Väter vererbten Verbrüderung und dem daraus entspringenden Sinn, diese Angelegenheit ihre wahre und richtige Veleuchtung erlangen nnd zu einer befriedigenden Erledigung gedeihen werde. Davon ausgehend, wie die Iagdfrciheit ihren gegenwärtigen Umfang vorzüglich durch eine aus Verwandtschaft nnd Frennd-schaft hervorgehende Discretion erlangen konnte, daß nur ans solchem Antriebe jedem Iagdliebhaber ein freies Feld für das nationale Vergnügen der fliegenden Jagd eröffnet wurde, wird man die Znmnthung weder feindselig, noch nnbrnderlich erachten können — aus einer lange benutzten Discretion, aus einem dnrch Jahrhunderte ohne Störung genossenen Vergnügen kein zwingendes Recht gegen Diejenigen deriviren zn wollen, von denen es abhmg, durch Berufung auf die bestehenden Gesetze die Iagdfreiheit anf ihre ursprünglichen Grenzen zurückzuführeu. Es handelt sich hier nicht sowohl um die Schmälerung oder mn das Aufgeben eines erworbenen Rechtes, fondern richtiger darum, die dnrch Jahrhunderte bestandene unbeschränkte Iagdfreiheit als ein Denkmal desjenigen Sinnes unserer Vorfahren anzuerkennen, welcher die Rücksicht für seine Mitbrüdcr höher hielt, als das — 139 — eigene materielle Interesse. Wenn mm der Fortschritt der Zeit und die Entwickelung ökonomischer Verhältnisse gegenwärtig die gerechte Anforderung an uns stellen,' auf die gesetzliche Basis der.Jagdberechtigung zurückzugehen, so sind wir deshalb nicht genöthigt, m dieser Angelegenheit jenen historischen Schmuck hinwegzuräumen und einem freiwilligen Opfer von Seiten der befitzlichen Brüder die Gestalt einer erfüllen Zwaugspflicht aufzudrängen. Wollen wir dem bewährten Gemeinsinn, der uns Alle umfaßt, vertrauen und uns der Hoffnung hingeben, daß auch uns, gleich unseren Vorfahren, die Strenge eines bestehenden Gesetzes nicht davon abhalten wird, für nnsere Mitbrüder jede Rücksicht zu hegen, welche mit den Umständen und Zcitverhältmssen sich nur irgend vereinigen läßt. Außer dem hier Gesagten wird auch Nachstehendes noch für die Nothwendigkeit und Zweckmäßigkeit sprechen können, die unbedingte Iagdfreihcit auf ein richtiges Maß zurückzuführeu. Durch lange Benutzung sind unsere Wildstände, wenigstens in vielen Theilen des Landes, so weit reducirt, daß das Vergnügen der Jagd selbst nur wenig Nahrung findet, sondern in seiner unbegrenzten Freiheit sich scmm Untergang zu bereiten Gefahr läuft. Die vorgeschrittene Cultur unserer Wälder und diesen läßt sich nicht füglich mehr nut dem Gebrauche bereinigen, nach welchem es gestattet war, mit Pferden und Hunden jeden Theil des Waldes zu durchstreifen. — 140 — ohne Rücksicht, ob und welcher Schaden daraus entsteht. Waldsaaten, Hegungen und Vaumpflanzungm, wie sie in neuester Zeit mit großer Mühe und Kosten angelegt werden, müssen diesem nicht mehr zeitgemäßen Vergnügen geopfert werden. Alle Kunst- und Ve-rieselungswiesen, auf deren Bau und Pflege große Summen verwendet werden, bleiben hierbei der unvermeidlichen Zerstörung ausgesetzt. Diesen Uebelständen kann nur gesteuert, der Anforderung unserer vorgeschrittenen Cultur nur genügt werden, wenn wir die Jagd fortan nur als eine ausschließliche Nutzung des Grundbesitzes qualisiciren, wenn wir dieselbe wieder in eine solche Stellung verweisen, daß ihre Ansübung mit den reellen Interessen, mit Necht und Billigkeit wieder vereinbart erscheint, und Freude und Theilnahme daran wieder auf allgemeine Rechtfertigung rechnen darf." Am Schlüsse seu:er Nede wendet sich der kurische Deputirte gegen den Einwand, daß ein Aufgeben der Iagdfreiheit etwas sehr Gefährliches für den Adel habe, da die Negierung, wenn man sich freiwillig eines Vorrechtes beigebe, leicht verflicht sein könne, auch die übrigen Privilegien zu beschneiden, oder ganz nnd gar aufzuheben. Hier nimmt der Deputirte einen höhern Schwung er überspringt die Schranken, in die ihn das Interesse eines Standes bannen möchte, um nur an das Wohl des Ganzen zu denken. 6s ist dies eine jener eoelherzigcn Aufwallungen, die, natürlich abgekühlt durch die größere Nähe des Nord- — 141 - Pols, an die nut Enthusiasmus gebrachten Opfer des französischen Adels in der berühmten Augustnacht erinnert. Der Graf beendigt seine Nede folgendermaßen: „Schließlich ist noch zu bemerken, daß in einem freiwilligen Verzichte auf die bisherige Iagdfreiheit wohl schwerlich jene uns überall entgegen gestellte Gefahr enthalten sein dürfte, dadurch auch uoch andere unserer Vorrechte zu verlieren. Es ist im Gegentheil anzunehmen, daß unsere hohe Staatsregirung dem Opfer, das wir freiwillig den Anforderungen der Zeit und Cultur bringen, eine gerechte Anerkennung wird angedeihen lassen und sie in dem Vertrauen bestärken werde, daß wir nicht einseitig und starr auf Beibehaltung aller unserer Vorrechte bedacht seiet,, sonderu stets das Recht und die Billigkeit als die Hauptbasis unserer Wünsche uud Handlungen zu beherzigen wissen." Es kommt den meisten Lesern wohl unerwartet, daß auf einem kurischen Landtage Stimmen erschallen, die unser Ohr mit dem schönen, wohlthuenden klänge emer weitherzigen, allem Kastengeiste abgewandten Weltanschauung schmeichelnd berühren. Indeß, um nach beiden Seiten hin gerecht zu sein, und mich des Spruches erinnernd: „Eine? Mamies Nebe Ist keines Mannes Nedc. Man soll sie billig hören Beebe;" Werde ich auch die Nede des Freiherrn von Rechen-berg-Linten beleuchten, der den Grafen von Keyser-' — 142 — ling bekämpfte und für freies Iagdrecht des gefammten Adels auftrat. Der Freiherr von Ncchenberg-Lmtcn sucht nach-zuweisen, daß das freie Iagdrccht in Kurland ein Standesrecht, unabhängig vom Grundbesitze, sei. Er wirft sich nicht mitten in die Sache hinein, sondert; beginnt gleichsam ad ovo. Die von mir bei dieser Behauptung in's Auge gefaßte Stelle seiner Ncde lautet: „So weit Neberlieferungen der Vorzeit reichen, ward nach friedlichen: Zusammenleben in einzelnen Familien, welche die Muttererde noch nicht als ausschließliches Eigenthum dem Menschen vindicirten, das Glied des Menschengeschlechtes, das Zuerst seine Kräfte gegen die Thiere des Waldes erprobt, der Jäger, auf Anwendung dieser seiner erprobten Kraft gegen seine Mitmenschen geführt; aus ihm ward der Eroberer, und nun, um diesen bis dahin Uneingeschränkten zu bändigen, Zum Schutze der Person und der Güter der Erde, trat die Mehrzahl zusammen, durch Vereinigung der schwächern Kräfte der Einzelnen eine Macht Herstellelch, die nicht nur dem Eroberer sich gleichzustellen, sondern ihn zu bändigen vermochte; von mm ab gebot nicht blos rohe Kraft des Menschen über seine Mitmenschen und die Güter der Erde, an Stelle dieser Kraft trat Glauben, Sitte, Moral und Gesetz, der Staat bildete sich, in ihm erst der Begriff des Eigenthums!" Ich kann natürlich dem Freiherrn auf seiner breit-angelegten, an schwerfälligen: Periodenbau laboriren- — 143 — den Beweisführung nicht weiter folgen und beschränke mich daranf, die vorzüglichsten Pnnkte, die er znr Begründung seiner Ansicht vorbringt, kurz anzuführen. Aus dem Privilegium des Königs Eigismund August vom Jahre 156 l leitet er das freie Iagdrccht des ganzen Adels ab (lidorrimn vnmt.io). Er bezieht sich ferner auf das dreinndzwauzigste Gravamen in den commissorialischcn Deeisionen von 1717, wo Beschwerde darüber erhoben wird, daß den Bürgerlichen die Jagd erlaubt worden sei. Hiergegen abe,r spreche sich der landtägliche Schluß vom neunten Augnst des Jahres 16')l> entschieden aus, in welchem verordnet sei, daß die Nichtadeligen oder die der Adelsrechte nicht Theilhaftigen durchaus nicht jagen dürften, auch weder Jagd- noch Windhunde halten sollten, bei Strafe von W00 fl., so oft sie dawider handeln wurden. Hieraus zieht nnn der Freiherr von Rechen-berg-Linten folgenden Schlnß: „Sollte der Unbesitzliche von Adel mit unter die, denen diesem Gesetze nach die Jagd gelegt, und die für deren Ausübung gestraft werden sollen, zu sub-sumiren sein, so müßte der Unbesitzliche von Adel, Ma solcher, ein Bürgerlicher oder der Adelsrechte nicht Theilhaftiger gewesen sein! Zu welchem Schlüsse und Ziele wohl Niemand von uns zu gelangen beabsichtigen wird, zu dein aber bei den einmal bestehenden Gesetzen, auf bloße Hypothesen begründete Prämissen in von da ab logischer Conseqnenz führen müssen." — 144 — Zum Beweise, wie die russische Regierung die Privilegien des kurischen Adels immer geachtet habe, führt der Freiherr von Rechenberg-Linten eine Stelle aus dem Forstreglement des Jahres 1804 an. Er findet auch in ihr einen Veweis für die unbeschränkte Iagd-freiheit seines Standes. Die bezügliche Stelle lautet: „Die Jagd in den Kronswaldungen gehört der hohen Krone, ohne jedoch der, dem Kurländischen Adel nach den landtäglichen Schlüssen vom 9. August 1636, 8. August 1684 und 23. August 1693 zugesicherten Iagdgerechtigkeit zu nahe zu treten, indem alle Rechte und Vorzüge des Kurländischcn Adels durch verschiedene Allerhöchst namentliche Nkascn russischer Monarchen bestätiget worden." Der Freiherr von Nechenberg-Linten glaubt vor allem zwei Punkte historisch und gesetzlich erhärM zu haben, nämlich: 1) daß in der geschichtlichen Entwickelung der Völker der Jäger, somit die Jagd, dem Staate, somit dein erst in diesem zur Realität gewordenen Begriffe des Eigenthums chronologisch vorausgegangen ist und daher dem Eigenthum die Jagd nicht nothwendig ^ priori zustehe, fondern erst durch das Gesetz zucrtheilt werden muß; 2) daß iu Kurland Orden und Adel die freieste Jagd von Alters her ausgeübt und durch Gesetze als reines Standesrecht unabhängig vom Grundbesitze sanctionirt haben. — 145 — Da der kurische Adel im eigentlichsten Sinne eine durch vielfache Verschwägerungen nut einander nahe verwandte, allerdings ziemlich große Familie bildet, so kommen anch in den Landtagsvcrhandlnngen keine verletzenden Bitterkeiten vor. Der Wunsch, dnrch ironische Seitenhiebe und Sarcasmcn zn glänzen, sällt weg, da man für eine solche oratorifche Gymnastik in den Zeitungen nicht gepriesen wird. Anzüglichkeiten, wie sie sich Disraeli und Palmerston gegenseitig im englischen Parlamente sagten, werden hier nicht vernommen. Doch hat der kurischc Landtag mit dein englischen Parlamente in einem Punkte Aehnlich-keit. Wie nämlich im Unterhailse der jedesmalige Nedner sich immer an den Sprecher wendet, so nimmt wan an, daß die Vorträge der kurischen Depntirten an den Landbotenmarschall gerichtet seien. Das einzige Mal, wo der Freiherr von Nechenberg-Linten, als Organ der unbcsitzlichen Edelleute, einen Anlauf Zur Bitterkeit nimmt — doch bleibt er durchaus in dm vom guten Ton vorgeschriebenen Grenzen — scheint mir in jenein Passus seiner Rede zu sein, wo er sich gegen die Behauptung des Deputirten von Neuhausen wendet, als ob er und seine Partei nur der Discretion und der Zartheit ihrer Standes-gmossen die bisherige Iagdfreiheit verdanke. In Bezug auf diesen Punkt äußert er sich nun folgendermaßen: „Hatte der Unbesitzliche ein Recht, so mußte diesem consequent eine Verbindlichkeit correspondircn und im Brünier, Kurland. 10 — 146 — Vehindcrungsfalle ein Zwangsrccht zur Seite stehen. Blos wenn er kein Necht hatte, konnte Discretion ihm die Ausübung gestatten, von der wohl weder in der Vergangenheit, Gegenwart, noch Zukunft bei Rechten die Nede sein kann, sondern nur in gesellschaftlicher Beziehung, in welcher sie eine Tugend ist, aber nur so lange sie der That und nicht dem Namen nach hervortritt." Auch das Schwinden der Waldstände bestreitet der Freiherr von Nechenberg-Linten und behauptet, daß, wie überhaupt die jagdbaren Waldthiere, so namentlich Nche und Elennthierc in den letzten Jahrzehnten bedeutend zugenommen hätten. Er erklärt, wie mir däucht, dies ganz richtig aus der sehr verringerten Iagdlust der jetzigen Generation. Nachdem der Freiherr von Nechenberg-Linten alle Behauptungen des Grafen von Keyserling, die gegen das freie Iagdrecht gerichtet sind, bekämpft, wenn auch nicht widerlegt hat, läßt er nicht undeutlich durchblicken, daft die besitzlichen Adeligen, die es wenig erfreulich finde»:, wenn irgend einer ihrer Standes-genosscn, der wegen mangelnder ernsthafter Beschäftigung ausreichende Muße hat, den ganzen Tag in den Wäldern zu liegen, ihnen das Wild vor der Nase wegschießt und den ganzen Wildstand zunichte macht, also der Baron von Nechenberg-Linten läßt nicht undeutlich durchblicken, wie die Gutsbesitzer, die ihre Forsten vor fremden, uncingeladenen adeligen Gästen bewahren möchten, der traurigen Zeitrichtung ver- — 147 — fallen seien und dcm goldenen Kalbe opfern. Er drückt sich über diesen Pnnkt ziemlich unzweideutig so aus: „Dem Materiellen den Vorzug geben, ja es über Alles erheben, ist leider Geist der Zeit des Jahrhunderts, in dein wir leben. Dieser unabweislichen Neigung der Gegenwart zu genügen, würden wohl schon billige Beschränkungen ausreichen der mit den materiellen Interessen in Conflict gerathenden persönlichen Rechte und Vorzüge. Letztere aber von vornherein umzuwälzen und zu vernichten, mag einer Zukunft vorbehalten bleiben, die erst nach mit Beschränkungen gemachter Erfahrung Nichter sein kann, ob alles bisher Geachtete, bloß weil und indem es uns nichts einbringt, dem Götzen der Materie geopfert werden soll." Der Freiherr von Rcchenberg-Linten qualiftcirt den Keyserlingschen Antrag folgendermaßen: „ein historisch und statutarisch begründetes Standesrecht des Indigenatadels mit Discretion beseitigend und dein Materiellen die Neuzeit vm-dicirend." Eine solche Verkennung seiner Absichten konnte natürlich der Graf vou Keyserling nicht ohne Erwiderung lassen, und diese erfolgte mit derselben Gewandtheit und Verstandesschärfe, die seine erste, über diesen Gegenstand gehaltene Nede auszeichnet. Es fehlt mir hier der Naum, alle die Gründe herzuzählen und zu beleuchten, die der Graf von 10* — 148 — Keyserling für seine Ansicht anführt, und ich entnehme aus seiner Rede nur die Stelle, wo er, vom Geiste seines Jahrhunderts angeweht, sich unverclausulirt zu den gesunden Principien der Neuzeit bekennt. Diese Worte lauten, wie die gedruckten „Landtagsacten pro l.845" ausweisen, folgendermaßen: „Nach dem Gesagten kann ich nicht umhin, bei der Meinung Zu verharren, daß eine frühere Zeit schon das Bedürfniß erkannt habe, der Iagdfreiheit Schranken zu setzen, deren wir ohnerachtet eines mehr als hundertjährigen Fortschritts gegenwärtig entbehren. Es dürfte daher an der Zeit sein, auch in dieser Beziehung dem Zeitgeiste willig zu folgen und unser Scherflein zu dem staunenswerthen Werke nnseres Jahrhunderts beizusteuern, welches, allseitig gefördert, in geistiger Richtung durch die Gcwalt wissenschaftlicher Forschung, im Gebiete der Industrie durch sinnreiche, einander überflügelnde Erfindung, in: Reiche moralischer Entwickelung, endlich, durch Milderung der Sitte und Anerkennung gegenseitiger Interessen, einer raschen Vollendung zugeführt wird. Wenn wir Willens sind, auch bei der vorliegenden Frage diesen: Standpunkte uns zu nähern, so müssen alle Bedenken schwinden. Halten wir die vorgeschlagene Gesetzes-änderung der Anforderung unferer Zeit entsprechend nnd die gegenwärtige Iagdfreiheit unvereinbar mit denjenigen Interessen, deren Förderung uns zur Wohlfahrt und zum glücklichen Gedeihen nnseres Landes am Herzen liegt, so werden wir wohl nicht mit — 149 — Peinlicher Genauigkeit wägen wollen, wer unter uns mehr oder weniger an Gelegenheit zum Vergnügen der Jagd einbüßen möchte; wir werden nns vielmehr zunächst dem befriedigenden Bewußtsein hingeben können, daß ein Jeder ohne Ausnahme einer Mahnung des Zeitgeistes gefolgt und sein persönliches Interesse zurückgestellt habe." An: Schlüsse seiner Nede wendet sich der Graf gegen die vorgebrachte Behauptung, daß es immer Tadel verdiene, ein Standesvorrecht zu beschränken, und erinnert sehr glücklich daran, daß der Adel vor mehreren Jahrzehnten eine noch viel bedeutendere Verzichtleistung geübt, und daß diese ihm zum größten Nuhme gereicht habe. Er meint hiermit die im Jahre 1817 von den Ritterschaften der drei Ostseeprovinzm zum Gesetz erhobene Emancipation der Leibeigenen. Der Kaiser Alexander I. hatte allerdings insofern das Hauptverdienst, als er den Ritterschaften den Wunsch ausdrückte, sie möchten an die Aufhebung der Leibeigenschaft die Hand legen; aber dein baltischen Adel muß es immer nachgerühmt werden, daß er ohne Bedauern, ja, mit der größten Bereitwilligkeit in die Absichten des hnmanen Kaisers einging. Mit gerechter Befriedigung gedenkt der Graf dieses die Ostseeproviu-zen so sehr ehrenden Actes in folgenden Worten: „Die Anführung, daß ein Standesrecht durch den Beschluß des Landes nicht altcrirt werden dürfe, kann um so weniger für consequent erachtet werden, als wir im Stande sind, aus unserer neuesten Geschichte — 150 — einen Präcedenzfall zu citiren, der das Gegentheil beweist. Der hochherzige Beschluß des Landes, welcher im Jahre 1817 die Leibeigenschaft unserer Bauern aushob und denselben eine des Menschen und Bürgers würdigere Stellung verlieh, erkannte gleichzeitig das Bauerngesetzbnch als bindendes Gesetz an. Unsere Mitbrüder brachten hierbei nicht allein ihre bisherige Gewaltherrschaft willig znm Opfer, sondern sie gaben gleichzeitig ein gewichtiges, alle Mitbrüder umfassendes, in der Neihe der Standcs-rechte oben an stehendes Standesrecht auf, es war der privilegirte adelige Gerichtsstand. Fortan sollen nicht mehr das Oberhofgericht und Instanzgericht die ausschließlichen Behörden bleiben, deren Urthcils-sprüchen wir uns zu unterwerfen hatten, anch die Kreisgcrichte, mit einen: voll den: landesüblichen ganz abweichenden Proceßverfahren wurden für uns competent. Wenn nun damals weder geg?n die Gültigkeit noch Billigkeit dieses mit so wichtigen Folgen für den gcsannnten Adel verknüpften Beschlusses Einwendungen erhoben wurden, so dürfte der Anlaß zu solcher Contestation im gegenwartigen Falle um so weniger zu finden sein, als ihm wohl Niemand jene Bedeutung und ernste Gerechtigkeit wird beilegen wollen, welche die Aufhebung der Patrimonialjuris-diction uud der veränderte Gerichtsstand unseres Adelseorfts beanspruchen konnten." Indeß wurde dieser Antrag des Grafen von Keyserling, das freie Iagdrecht aufznheben, den 2. Februar — 151 — 1845 verworfen, indem der Landes-Bevollmächtigte, Baron von Hahn, die, während mehrerer Sitzungen geführte Debatte durch seinen, im Namen der Mehrheit gefällten Entscheid für den damaligen Landtag znm Abschluß brachte. Der Baron von Hahn bekämpfte nun die Anfhebung des freien Iagdrechts vorzüglich aus dem Grunde, weil das brüderschaftliche Band, das die ganze kurische Ritterschaft umschlinge, dadurch auf betrübende Weise würde zerrissen werden. Seine Worte lauteten: „Gleichen Ursprungs, gehören loir alle der Geschichte unsers Vaterlandes an; gleiche Interessen ketten uns an dasselbe, hervorgerufen durch gleiche Rechtsansprüche, die nicht Rang, Würdeu und Vermögen geben, sondern der eine Titel, der alle übrigen überwiegt, der eines Mitbruders. Dieser Grundsatz ist heilig zu halten, denn er erhält die Einigkeit unter uns, dieses Lebensprinciv unserer Erhaltung. (Es ist wohl nicht pedantisch, hier in einer Parenthese zu bemerken, wie das dreimalige „Halten" in einem kurzen Satze gerade nicht Zeugniß ablegt von stylistischer Gewandtheit.) In der letzten Zeit veranlaßte dies rege Gefühl Beschlüsse, die den Beweis liefern, wie schr dieser Geist unsere Corporation noch beseelt, und daher auch ihre Existenz sichert. Ihn: verdanken wir das einstimmige Votnm in Bauerverhältnissen, welches hoffentlich das Gruudeigenthum rettet; bei der Frage über den ausschließlichen Güterbesttz sehen wir alle materiellen Rücksichten schweigen vor der __ 1^2 __ gebietenden Pflicht, sie dein Interesse der Gesammtheit zu oftfern. Daher bedingt Einigkeit unsere Erhaltung, wohingegen Spaltungen, durch eine Ausscheidung der UnbeMichen von dem bisherigen Iagdrechte noth-wendigcrweise hervorgerufen, einen Nilig aus der Kette reißen, welche den Organismus der Adelsrechte zusammenhält, und sonnt die Festigkeit des Ganzen schwächen. Wohlbcgründete Staudesrechte dem Geiste der Zeit opfern, hieße, besonders in unsern Verhältnissen, sich selbst verläugnen, dahingegen Mißbräuche abschaffen, Willkühr regeln, als gleich verpflichtend für alle, ganz den: würdigen Streben unserer Ritterschaft nach dem gesetzlichen Fortschritte eutspricht. Die Nitterschaftsrepräsentation beschränkt sich daher darauf, (indem einer hochgeehrten Landtagsversammlung so vorzügliche und umfassende Meinungen vorliegen) aus den angedeuteten Gründen ihr Gutachten dahin abzugeben, daß das fragliche Delibera-torium nicht zu empfehlen sei." So fiel ein aus vernünftiger Auffassung der Dinge hervorgegangencr Antrag, durch welchen, wäre er zum Gesetze erhobeu worden, der Forstcultur im Allgemeinen und der Jagd im Besondern, großer Vortheil würde erwachsen sein. Uebrigens ist die Iagdlust des kurischcn Adels bedeutend in Abnahme begriffen. Fälle eines nicht zu ermüdenden Iagdtricbes sind jetzt sehr vereinzelt. So besinne ich mich, daß man mir von einen: Baron — 153 — F—s' als cinem unermüdlichen Jäger sprach, ihn aber als Ausnahme anführte. Die abnehmende Iagd-lust des knrischen Adels konnte ich daraus erkennen, daß ein Herr von 3t—e, der nach Dondangcn fahren wollte, um in den dortigen meilenlangen Forsten mehrere Wochen hindurch dein edlen Waidwerk obzuliegen, auf verschiedenen klirischen Gütern vergeblich bei Bekannten vorsprach und keilten Begleiter bekommen konnte. Die Iagdfreuden waren nicht so lockend, um die Unbequemlichkeiten der nicht kleinen Ncisc aufzu-wägen. Bei dieser Gelegenheit muß ich mich aufs Entschiedenste gegen das Jagen der Prediger erklären. Mir däucht, das Nimrodshandwerk steht in schreien-dcm Widerspruch mit dein Amte eines Seelenhirten. Von den knrischcn Pastoren sind aber viele — und lch kann mich hier des Ausdrucks „leider" nicht erwehren — sehr eifrige Jäger. So gedachte man Rgm mich namentlich eines Propstes von L—tz, als eines Herrn, der mit größter Leidenschaft Hirsche und Nehe todtschieße. Dich Geistlichen, die besser die Hütten der Kranken nnd Annen besuchten, als dem Wilde cins auf den Pelz zu brennen, sollten den Rückert-fchm Spruch beherzigen, der „Apostolisch" überschrieben ist, und so lautet: „Von den Aposteln mehr als einer War ein Fischer, Vielleicht ein Schreiner . War ein and'rer und ein Tischer. — 154 — Aber, so viel wir lesen, Keiner Ist ein wilder Jäger gewesen. Treib' in Deinem geistlichen Stand Allerlei, Es steht Dir frei, Aber Pulver nnb Blei Verträgt sich nicht mit der segnenden Hand." Uebercinstimmend mit mir, fanden Viele von dem kurischen Adel das Jagen der Prediger auch sehr unpassend. So besinne ich mich, daß ein Edelmann, der einen Prediger zum ersten Male auf der Jagd antraf, wo man einen zufällig nach Kurland him geratheuen Wolf aufspürte, darüber spöttelte und bemerkte, er hätte eigentlich zu dcm Iesujünger sagen sollen: „Herr Pastor, ich freue mich sehr, Ihre Ve-kauutschaft anf der Wolfsjagd zu machen. Möchten Sie als guter Hirte stets die frommen Schafe vor dem grimmen Wolfe schützen!" Der kurische Adel ist seiner Mehrzahl nach in der Jetztzeit durchaus befähigt, sich nachhaltiger zu beschäftigen, als mit der Jagd. Wir hegen zwar keine Abneigung gegen die Jagd, wie Friedrich der Große und Friedrich Wilhelm III. von Preußen, aber wir meinen doch, sie dürfe uur Lückenbüßer sein in unserm durch höhere Aufgaben auszufüllenden Leben. Diese Anficht theilt nun die Mehrzahl des kurischm Adels. Landjunker, wie Walter Scott sie in seinem Roman! „Nobin der Nöthe," schildert, Landjunker, die nichts verstehen, als „den Hunden den Wurm z" — 155 — nehmen, Pferden Pillen einzugeben und den Fuchs zu hetzen," solche Mcnschenexemplare kommen in Kurland nur selten vor. Die Art und Weise, wie man in Kurland die Jagd betreibt, ist von Kohl und Anrelio Vuddens m so überaus anziehender Weise geschildert worden, daß wir uns jedes weitern Wortes hierüber zu enthalten haben. Wenn der kurischc Adel im Allgemeinen an Iagd-lust verloren hat, so gewann er dafür an Neigung, sein Wissen zu bereichern, und all dein stets regen Wunsche, als erster Stand seines Landes auch der Erste zu scin an Weisheit und Erkenntniß. Die Zeit der Nimrods also ist auch in Kurland für den Adel vorüber. Jetzt gilt es, sich in einer andern Arena zu versuchen. Unsere Periode, so reich an Aufgaben, die einer Lösung harren, fordert Jeden anf zum thätigsten Eingreifen. Jetzt schieße man Nicht den Hirschen und Nehen in's Herz, sondern "^r Tyrannei und Anarchie. Es giebt noch wilder Thiere genug, durch deren Vertilgung ein Herknles ber Neuzeit sich ewigen Nuhm zu erwerben im Stande ist. Wie einst die Lützow'sche Jagd so tapfer die Franzosen bekämpfte, die Deutschland in Knechtschaft gelten, so bilde sich jetzt eine Jagd aller edlen und hochgesinnten Männer, die Gesetzlosigkeit — drohe sie bon oben oder von unten — mit sicherm Schusse zu ^vden zu strecken. — 156 — Wenn im Mittelalter dic kurischcn Jagdfalken sehr gerühmt wurden, die, wie ein Pfeil, anf ihre Bellte schössen, so feien dic jetzigen kurischen Edellentc die Edelfalken der Nenzeit, die ans freier Höhe, wo eine engbrüstige Ansicht unmöglich ist, hinabstürzen auf jede Härte und Ungerechtigkeit. Das ist die wahrhaft hohe Jagd, an der sich die Hohen unb Höchsten immerdar betheiligcn mögen. 157 Der Orden der Dankbarkeit. Kurland besah, als es ein besonderes Hcrzogthum bildete, auch einen eigenen Orden. Freilich konnte Man auf sein fast gleichzeitiges Entstehen und Vergehen die Devise anwenden: „moiiur äum orior." Dieser Orden hieß: „I'()iär0 äo 1^ U«(;0nmu^auc^." Hören wir den Grund dieser ziemlich auffallenden Bezeichnung lind sein Entstehen überhaupt. Der letzte Herrscher alls dem Kettler'schen Hause, wsofcrn der Herzog Ferdinand, der in ununterbrochener Fchde mit dem kurischen Adel lebte und sich nicht ^schlichen konnte, Danzig zu verlassen, wohl kaum unter die Regenten Kurlands gerechnet werden darf, war der Stifter des eben genannten Ordens. Er hieß Friedrich Wilhelm und hatte den großen Kur-fnrsten von Brandenburg zum Großvater, da seine Mutter, Elisabeth Sophia, eine Tochter dieses aus-lMichmtcn Hohenzollem war. Der erste König von Preußen war demnach sein Oheim. Den Herzog Friedrich Casimir von iUlrland, der den 20. Januar 1698 zu einem bessern Dasein entschlummerte, hatte — 158 — er zum Vater gehabt. Er war bci dein Ableben seines Vaters erst sechs Jahre alt, indem er den 19. Julius 169L das Licht der Welt erblickte. Was gewöhnlich bei minorennen Fürsten geschieht, daß jeder nnr irgendwie mit ihnen Verwandte sich zmn Regenten auszuwerfen sucht, fand anch in Kurland Statt. Der Prinz Ferdinand, als nächster Agnat, indem er der Bruder des verstorbenen Herzogs war, die verwittwete Herzogin und die Oberräthe, vermöge der Negimentsformel, glaubten alle gleiche Ansprüche an die Regentschaft zu haben. Wenn man die Ansprüche der drei Prätendenten unparteiisch prüfte, so schien der Prinz Ferdinand die vollgültigsten Titel vorbringen zu können. Der König von Polen entschied sich diesmal für die Gerechtigkeit, und durch ein Rescript vom 8. Februar 1698 ward dem Prinzen Ferdinand die Vormundschaft über feinen minderjährigen Neffen und die Administration des Herzog-thums übertragen. Dies Rescript war von dem Könige Angnst II. von Polen nnterzcichnet, der bekanntlich diese dornenreiche Krone mit dem Abschwören des Glaubens seiner Väter bezahlte. Da August U. wegen seines übermäßigen Hanges zmn Luxus häufig, oder meist immer in Geldverlegenheit war, auch in Polen seit altersher es vorkam, daß man von der Regiernng in Warschau durch Bestechung ein Rescript auswirken konnte, das einem früher gegebenen schnurstracks zuwiderlief, so beschlossen die kurischen Oberräthe, sich nicht in ihr Schicksal zu fügen, sondern — 159 — zu versuchen, ob es ihnen nicht gelänge, dem Herzog Ferdinand die ihm übertragene Vormundschaft wieder zu entreißen. Vermöge eines ansehnlichen Geldgeschenks hätten sie ihre Absicht in Warschau sicherlich durchgefetzt. Der Herzog Ferdinand hielt es deshalb für gerathen, sich mit ihnen zn vergleichen. Er erschien zn diesem Zwecke den 22. April 1698 in Mitau. Es gelang ihm nun wirklich, sich nut den Oberräthen zu einigen, und er mnßte den 9. Iu-lius desselben Jahres gewisse Rcversalien ausstellen, durch die er alle ihm entgegenstehenden Bedenken beseitigte. In diesen Nevcrsalien giebt der Herzog ^»crdinand zu, daß vermöge der IV. im Zuge. Zwischen den Zacken des Kreuzes lieset man: pcmi' I6!> 1ioimet68 ßon«. Die Stäbe sind mit güldenen Kettlen, als zwei zusammen geschobene c oder x verbunden. Das Kreuz muß an einem rothen, mit Silber bordirten Bande getragen werden." Der Herzog hatte deshalb seinen neu gestifteten Orden den ,,()lxli« cle I^ lieconimikZluiee" genannt, weil er mit ihm Diejenigen belohnen wollte, die sich in der Fremde seiner so edelmüthig angenommen und feiner unbefchütztm Jugend durch „Rath und That" zur Seite gestanden hatten. Da bei den edelsten — 109 - Zwecken doch immer einige selbstsüchtige Beweggründe mit untcrlanfcn, so sollte der Orden auch wohl ein Band sein, wodurch der Herzog den kmischen Adel, der an dem Gebaren der polnischen Starosten ein allzn großes Gefallen fand, Zahmer machen nnd an sich knüpfen wollte. Die edelmüthigen Absichten übrigens, die ihn bei der Errichtung des Ordens ohne Zweifel beseelten, spricht er in der Stiftungs-Urknnde aus, deren Eingang ich hier folgen lasse: „Wir von Gottes Gnaden Friedrich Wilhelm, in Liefland, zu Kurland nnd Semgalleu Herzog. Thun kund und zn wissen durch gegenwärtiges, daß es dem allmächtigen Gott nach seinem unerforschlichcn Nath und Willen gefallen, Uns und nnfere Herzogthümer und Lande in den so langwierigen und blutigen Krieg zu verwickeln, daß wir in unserer zartesten Jugend genöthiget worden, nnsere Lande zn verlassen und in der Fremde unter unserer Fran Mutter Königliche Hoheit gnädigen Direction und Protection des Herrn Marggrafens von Brandenburg Baireuth, unseres Hochgeehrtesten Herrn Stiefvaters Gnaden, unsere Majorennität zu erwarten, nunmchro aber, nachdem Wir dieselbe erreicht, die Güte Gottes also disponirt, daß Wir die Regierung unserer Hcrzogthümer nicht nur an-, sondern auch unser Land betreten köunen, Wir bei uns nach reifer Ueberlegung entschlossen, zur Bezeigung unseres dankbaren Herzens gegen den allgewaltigen Gott, 6t in M61N0I-MIN I'6l!NP61^tÄ6 (.'ur- ^näiaß, auch stetigem Anerinnern unseres ausgestan- — 170 — denen Unglücks und langwierigen Abwesenheit aus unseren Landen, sofort bei'm Eintritt in dieselben einen Orden zu stiften, welchen wir I'Oräro äo 1a, HLc0inmi«8a,uc<3 benennet, unter der gnädigsten Intention, selbigen niemanden zn conferiren, er habe sich denn stets als einen Gott- und Ehrliebenden Cavalier aufgeführet, besondere Treue und Devotion Uns und unserm Fürstlichen Hause erwiesen, an unserm obbemeldeten unglücklichen N:rt besonderes Antheil genommen nnd in demselben beständige Treue erzeiget." Es werden nach diesem Eingänge verschiedene Vorschriften ertheilt, welche die Ritter geloben müssen, befolgen zu Wolleu. Ich hebe alls diesen die vornehmsten heraus. Die in dem ersten Artikel enthaltene Vorschrift, daß jeder Ordensinhaber einen, Gott und der Welt wohlgefälligen Lebenswandel führen müsse, und-daß, falls wider Verhoffen ein Ordensmitglied in offenbaren Sünden sich ergehen und auf Ermahnung guter Freunde und anderer Ordensbrüder, oder nach er-gangener Censur des ganzen Capitels sich nicht bessern wolle, diesen: per I)ßcr6tum totiu« (^»Muli das Ordenskreuz, als einem dieser Ordensbrüderschaft Unwürdigen, abgefordert werden solle, ist, glaube ich, eine sämmtlichen Orden gemeinsame Bestimmung. Der dritte Artikel des Ordens der Dankbarkeit lautet überaus menschenfreundlich, fast idealistisch, wenn man die grobe Selbstsncht der Adamskinder ins Auge faßt. Ich lasse ihn hier wörtlich folgen: — 171 — „So eincr mit« dm Ordensbrüdern wider fein Verschulden in Unglück imd Elend gerathen, oder so er Profession vom Kriege machte, gefangen werden sollte, soll die ganze Ordensgesellschaft mit uns und ein jcder nach Kräften und Vermögen sich bemühen, dem in Unglück verfallenen wieder aufzuhelfen." In dem vierten Artikel erklärt der Herzog, daß ^ fest entschlossen sei, jedes Jahr an dem Tage, wo ihn Gottes Allmacht wieder den vaterländischen Voden habe betreten lassen, dem Allgütigen seinen innigsten Dank zu bezeugen. Er wolle diesen Tag sein ganzes ^eben hindurch mit „besonderer und aufrichtiger Devotion, Anstheilung reichlicher Almosen und Ausübung guter Werke zubringen." Deshalb erwarte er von !edei,i Ordensritter, derselbe werde znr Bezeugung scmes Antheils diesen Tag auf gleiche Art mit ihm feiern und wie es am Schlnsse wörtlich heißt — "sich in alle Wege unablässig befleißigen, der Qualität Elites Cavaliers cw 1'Oiäic! n zu geben." An der Ausführung aller dieser Entschlüsse hinderte ihn der Tod, der ihn in dem Lenze des Lebens dahinraffte. Unter den Ordensrittern begegnen wir folgenden Namen: von Vehr, von der Vrincken, von der Brüggen, von Vuttlar, von Fircks, von Keyserling, von Korff, von Mirbach, von Osten-Sacken, von der Necke, von Rönne, von Schlippenbach, von Tippelskirch. Da der Orden der Dankbarkeit aus einer schönen und edlen Gesinnung hervorging, so sollte der Kaiser Alexander II., der als jetziger Inhaber von Kurland — 175 — und Sohn einer preußischen Prinzessin, zwiefache Beziehungen hat zu dein Herzoge Friedrich Wilhelm, diesen: Enkel des Großen Kurfürsten und Neffen des ersten preußischen Königes,, so sollte der Kaiser Alexander II. den Orden der Dankbarkeit wieder in's Leben rufen, und um demselben einen besonderen Werth zn verleihen, nur die Vrust Derjenigen damit schmücken, die, gleich ihm, erglühen für Menschenglück uud Völkerfreiheit.. Vor Allem aber möge der Orden der Dankbarkeit glänzen auf der Vrust des edlen Czaaren. Eine dankbare Mitwelt und das Verdict der Geschichte ertheilt chm denselben, weil er, die größten Hindernisse besiegend, füiumdzwanzig Millionen Leibeigenen die Würde freier Menschen verlieh und sie schützt gegen Bedrückung und Quälerei von Seiten ihrer ehemaligen Gebieter. Durch das Leuchten auf der Brust von nur edlen Mmschcn würde der Orden der Dankbarkeit einen unvergänglichen Glanz bekommen, und nur so wäre ^ überhaupt möglich, diesen so sehr in Mißachtung gefallenen Ehrenzeichen wieder zu einer Schätzung zu verhelfen, daß sie mit Genugthuung empfangen würden von des Volkes Besten und Wackersten. — 176 Die Verpfändung des Grobiner Tistrictes an dcn Herzog Albrecht von Preußen. Wer eine auch nur oberflächliche Kunde von der Finanznoth hat, in der sich die meisten Fürsten nicht blos während des Mittelalters, sondern auch in den ersten Jahrhunderten der neuen Zeit fast ohne Aufhör befanden, den kann es nicht befremden, daß ein kurischer Herzog, aus dem Hause Kettler, gleichfalls sich in die Nothwendigkeit versetzt sah, um eine ihm unentbehrliche Geldsumme zu bekommen, den Grobiner District als Pfand an den Herzog Albrecht von Preußen zu verschreiben. Wie gesagt, diese Maßnahme wird durchaus nicht in Erstaunen setzen, wenn man sich erinnert, wie frühere Könige von England Kron-Mamanten bei Kölner Juden versetzten, und wie der mächtigste Monarch der Christenheit, ich meine Karl dcn Fünften, der als Herrscher von Spanien der allerkatholischeste hieß, gestatten mußte, daß die wilden Schaaren Bourbons Rom stürmten und den Papst in der Engelsburg belagerten, weil er nicht im Standc war, seinen Truppen ihren schon lange rückständigen — 177 — Sold auszuzahlen. Bei solchen in der Geschichte verzeichneten Thatsachen kann es uns nicht befremden, wenn ein Herzog von Kurland, um nur etwas baares Geld zu bekommen, an die Stadt Neval den Hof Kegel für 46,000 Mark und den District Grobin an den Herzog Albrecht von Preußen auf fünfzehn Jahre für 50,000 Guldeu verpfändete. Nrend in seiner „Liefländischen Gefchichte" bemerkt, daß dies wegen der leeren Ordenskasse geschehen sei; aber, wenn er es auch nicht erwähnt hätte, so würden wir, ohne deshalb das Lob großen Scharfsinns zu verdienen, es doch vermuthet haben. Diese Grobin'sche Pfandverschreibung enthält manches Characteristifche, weshalb wir wenigstens einen Einblick in sie gewähren wollen. Der Eingang lautet: „Von Gottes Gnaden Wir Gotthard Kettler, neuerwählter Meister des ritterlichen deutschen Ordens zu Liefland, desgleichen Wir Wilhelm von Fürstenberg, alter Meister, und Wir N. N. Gebietiger. Thun kund und hiemit öffentlich vor allermänniglichcn: Nachdem der Durchlauchtige, Hochgeborne Fürst und Herr, Herr Albrecht der Acltere, Marggraf zu Brandenburg in Preußen !e. (!i<^w«lit!i5 zu verfügen hatte. Der Herzog von Preußen nun, kaum daß er in deu Pfandbesitz des Grobiner Districtcs getreten, ualnn auch sogleich Regicrnngshandlungen vor. In einem Erlasse vom 12. Juli il>tt0 erklärte er, Vom Fürsten nicht blos den Namen haben zu wollen. Er bemerkte ferner, daß, wenn er die Wolle von den Schafen genösse, sie auch die gebührende Weide haben sollten. Ein solcher Eifer und eine solche Gewissenhaftigkeit von Seiten des Herzogs Albrecht von Preußen setzen 'ncht in Erstaunen, wenn mall sich zu erinnern beliebt, wie dieser im fernen Nordosten Deutschlands thronende Fürst dennoch im ganzen Reiche wohlbekannt war, weil er für Kunst und Wissenschaft eine warme Theilnahme hegte nnd von Gelehrten und Dichtern als Mäcen gefeiert wurde. Es bestand ja damals die Sitte, oder vielmehr Unsitte, daß die Gelehrten, da —. 182 — sie meist schlecht besoldet waren, und die Dichter, die natürlich gar keinen Sold empfinden, Bücher, die sie herausgaben, vornehmen und reichen Personen dcoi-cirten, um solche Aufmerksamkeit mit klingender Münze bezahlt gu erhalten. Diese Dedications sind mit Recht „etwas feinere Vettelbriefe" genannt worden. Der Herzog Albrecht von Preußen nun, im ganzen Reiche wegen seines liberalen Sinnes bekannt, ward förmlich überschüttet mit Dedication«!, und man bekommt vor seiner großartigen Freigebigkeit, wie vor seiner stets gefüllten Börse alle Achtung, wenn man vernimmt, daß er diese zahlreichen auf ihn laufenden Wechsel stets honorirte. Nach dem Nescripte des Herzogs Albrecht von Preußen zu urtheilen, muß es damals mit den Kirchen in der Vogtey Grobin ziemlich kläglich bestellt gewesen sein. Er schickte deshalb „den Magister Johann Funk, seinen Rath und Beichtvater, auch Pfarrer der Altenstadt Königsberg," zur Visitation nach Grobin und gesellte ihm zwei Prädicanten als Begleiter zu. Damit nun aber seinem, mit der Visitation beauftragten Magister von den Beamten des Grob in er Districtes jeder mögliche Vorschub geleistet werde, so erließ der Herzog deshalb ein Schreiben an seinen Vogt, Burggrafen zu Grobiu, daß er dein Johann Fnnk auf alle nur denkbare Weise zu Hilfe kommen möge. Die bezügliche Stelle dieses Schreibeus lautet: „Als Wir nun in Annehmung der Vogtcy Grobin befunden, daß darinnen die armen Unterfassen mit — 183 — Seelsorgern und Dienern des göttlichen Worts nicht genugsam versehen, und die Kirchen gar unordentlich bestellet, Wir aber Uns aus fürstlich tragenden Amte schuldig erkennen, für alle andern dabin zu trachten, damit an den Oertern, worüber Gott der Allmächtige Üns zu Regenten geordnet, zufördcrst das gesucht, angestellt und in's Werk gerichtet werde, dadurch Gottes Ehre befördert und sein liebes allein selig-Machendes Wort denen Untersassen rein, klar und lauter möge fürgetragen werden; darum Wir auch nicht ohne geringe Mühe, Arbeit und Unkosten mit unsern fürnchmstcn Theologen, auch andern auswärtigen Rath, eine christliche Visitations-Ordnung, göttliche Schrift und der Augspurgischen Confession gemäß, geschlossen." Da die Beamten Grobins aus dem Schreiben des Herzogs ersehen hatten, daß der Magister Funk bei lbm in hoher Gunst stand, so war ihm der Vogt der Stadt, Audrcas John, entgegengereist und hatte ihn Zur heiligen Au empfangen. Mittags speiste der Ma-Mer alls dem Schlosse mit den Eingesessenen des ^dels, unter denen die Namen: Junker Ernst Rappe, Junker Jacob Node und Junker Wolfrath von Nahden Wittwe sich befanden. Das Letztere ist wohl so zu verstehen, dasi die hinterlassene Frau des Junkers Wolfrath von Nahden mit dein herzoglichen Abgesandten speiste. Am folgenden Tage machte sich der Magister '"gleich an sein Werk, das ein sehr mühevolles gewesen — 184 — zu sein scheint. Er berichtet, wie er Anfangs alle Hoffnung aufgegeben. Heilsames auszurichten. Eine seiner ersten Bestimmungen war, was auch weiter nicht verwundern konnte, daß es mit dem Catechismus wie iu Königsberg gehalten werden solle. Nachdem er diese Verfügung getroffen, ward den Uebelständcn nach Kräften abgeholfen. In seinem Rechenschaftsberichte, den er dem Herzoge abstattete, finden wir erwähnt, wie aus Mangel an Kirchendienern das geringe Volk des Grobiner Districtes an vielen Orten die Kinder nicht habe znr Tanfe bringen können, und wie deshalb bei seiner Ankunft eine große Anzahl solcher beklagcnswerthen Wesen umhergegangen sei, ohne daß das Wasser des Lebens ihre Scheitel genetzt. Diesem großen Uebelstandc scheint der energische Magister schnell abgeholfen zn haben. In Betreff mündiger, aber noch ungetanster Letten verfügte er, daß der Pfarrherr keine Mühe scheuen solle, ihnen die Hauptstückc des Evangeliums beizubringen, und daß/ wenn sie von dem Geistlichen für reif gehalten würden zu solchem bedeutungsschwerem Acte, sie auf die Frage: „Entsagst Du dem Tenfcl? u. s. w." allein und selbstständig zu autworten hätten. Die Pathen aber, so bestimmte er, sollten dem Täuflinge den Vornamen geben, wie es bei den Kindern geschehe. Der Magister spricht es in seinem Berichte deutlich aus, wie er der Ausicht sei, daß ungetanste Kinder nicht in den Himmel kommen. Nachdem er nämlich die Aeltern angeklagt, daß sie oft, wo auch — 185 — Prediger genug vorhanden seien, dennoch mit der Taufe unverantwortlich zögerten, weil sie, wie er sich ziemlich derb ausdrückt, „zuvor Bier zum Gesöff und andres zum Gefraß anschaffen wollten," weist er auf die große Gefahr hin, die es für die Seelen der Kinder habe, wenn sie unterdeß mit den: Tode abgingen. Er bezeichnet diese Aeltcrn ausdrücklich „als am ewigen Verderben ihres Kindes schuldig." Für den Fall, daß die Aeltcrn auch in Zukunft lhre Kinder gar nicht zur Taufe bringen sollten, so verfügte der Magister, wie die Priester über solche sündhafte Nachlässigkeit an den Grobiner Vogt zu berichten hätten. Daß sie nach der damaligen barbarischen Strafart, sobald ihnen Saumseligkeit nachgewiesen werden konnte, mit einer überaus schweren körperlichen Züchtigung heimgesucht wurden, unterliegt keinem Zweifel. Aber auch die Prediger werden von den: gestrengen Hcrrn Magister verwarnt. Sie sollen ja nicht auf der Värmhant rnhen, sondern fleißig arbeiten in "em Weinberge des Herrn. Er erinnert die Prediger daran, daß es keinen andern Entschnldigungsgrund für die Unterlassung oder Verschiebung der Taufe gebe, als wenn sie von „schwerer Leibes-Krankheit befallen" seicn. Mit ausdrücklichen Worten erklärt er, daß „wenn ^r arme Mann solches weiter klage, der Pfarrherr wessen solle, wie ihm diese Unterlassungssünde nicht ""gestraft dahin gehen werde." — 186 — Weil nun die Prediger meist kein ausreichendes Auskommen hatten, so verlangt der Magister, man solle sich eiue genaue Kenntniß von den Einkünften der Bauern in den Dörfern Gawesen, Mathern, Struthen und Telssen zu verschaffen suchen, um danach beurtheilen zu können, wie viel sie zu dem Gehalte ihres Seelsorgers beizutragen vermöchten. Da der Magister von Dörfern spricht, und es solche in Kurland jetzt nicht giebt, sondern die Bauern vereinzelt in sogenannten „Gesinden" wohnen, so verhielt sich die Sache entweder damals anders, oder, was wahrscheinlicher ist, er übertrug einen ihm von Preußen her vertraut gewordenen Ausdruck auf kurische Verhältnisse. Der Magister fand nun bei seiner Visitation, daß es mit den Letten auf dem Lande in Bezug auf religiöse Kenntniß noch weit schlimmer aussah, als mit deu kleinen Bürgern in der Stadt. Er crmahnt deshalb die Pfarrherren, „sonderlich die armen Unteutschen im Catechismo zu unterrichten," wofür seinem Erachten nach die lettischen Bauern die Verpflichtung hatten, von ihrem Zeitlichen etwas der Kirche abzugeben. „Sonderlich," heißt es wörtlich, „wenn man die Herbstwacken halten werde, daß sie alsdann ihre Dankbarkeit erscheinen lassen." Der Magister behauptet, daß sie dies um so eher thun müßten, da sie den „München" so vieles zugesteckt, von denen sie doch nichts gelernt, was zur Seligkeit dienlich-Vor Allem drang er auch darauf, daß so viele Schule" — 187 — wie möglich eingerichtet, und diese mit tüchtigen Lehrern besetzt würden. Die meisten Gutsbesitzer, die es damals für entschieden überflüssig erklärten, daß die Letten deutsch lernten — ihre Nachkommen, mit geringen Ausnahmen, theilen noch hellte diese Ansicht — hielten den Magister ohne Zweifel für verrückt, als sie erfuhren, daß die Letten sogar im Lateinischen unterrichtet werden sollten. Der vielverlangcnde Magister sagt nämlich wörtlich: „Ingleichen sollen die Pfarrherren die Teutschen und Kuren mit Fleiß ermähnen, daß sie ihre Kinder fleißig zur Schule halten, da sie nicht allein lesen und schreiben lernen sollen, sondern auch die Kuren teutsch, und Beide, Kuren und Teutsche, lateinisch lernen, bannt sie mit der Zeit Gott und Menschen auch nutz skin können. Und soll den Unteutschen sonderlich vermeldet werden, wenn sie ihre Kinder würden zur Schule halten, so wollen Ihre Fürstl. Durchlaucht selbe, so studiren und dabei verharren, alle,Dienstbarkeit und Leibeigenschaft ledig lassen, ihnen anch unt gnädiger Vorsehung helfen, daß sie znm Studiren Lust haben und tüchtig sind, ihrem fürgenoinmenen Studio redlich nachsitzen." Man ersieht aus den oben angeführten Verordnungen, daß der Herzog Albrecht von Preußen, für emen District, der ihm nur pfandweise übertragen ^ar, dennoch in echt landesväterlicher Weise zu sorgen M) bestrebt zeigte und geistigen Samen für eine Zn-kunft ausstreute, die seiner Einwirkung wahrscheinlich — 188 — entzogen war. Es ist überhaupt stets dort, wo Preußen die Verwaltung in die Hand nahm, tüchtig und gewissenhaft für Leib und Seele der Unterthanen gesorgt worden. Wie schade, daß mit diesen achtbaren Eigenschaften der preußische Character so viel Herbes und Straffes verbindet, wodurch die Erweckung einer zärtlichen Zuneigung meist verhindert wird. Der Grobincr District scheint durch die preußische Verwaltung, die weit länger als die ursprünglich festgesetzten fünfzehn Jahre währte, zu einem geistig regeren Leben aufgerüttelt worden zu sein. Solche geistige Aufrüttelungen sind für Länder, die am Web-stuhlc der Zeit selber nicht mitarbeiten, überaus wohlthätig, ja, unerläßlich, falls sie nicht chinesisch versteifen und verknöchern wollen. 189 — Die ehemalige kurische Flotte. Was ein selbst kleiner Staat in Vezug auf die Leistung einer Flotte vermag, wenn derselbe nur ernstlich und entschieden sein Ziel verfolgt, zeigt das ehemalige Herzogthum Kurland. Es verdankt seine tüchtige Flotte vor Allem dein unablässigen Streben des Herzogs Jacob von Kurland, der, gleich seinem Schwager, dem Großen Kurfürsten von Brandenburg, nicht ruhte und rastete, um dem von ihm regierten Staate zu größerer Macht und reicherer Blüthe zu verhelfen. Wie der Herzog Jakob von Kurland und der Große Kurfürst von Brandenburg in Vezug auf Negententüchtigkeit Aehnlichkeit mit einander hatten, so fand sich anch bei ihrer Gründung einer Flotte wl Berührungspunkt, insofern Beiden durch die Holländer viel Aerger verursacht wurde. Zur Zeit ihrer Blüthe zählte die kurländische Flotte vierundvierzig Kriegsschiffe, von denen kcins unter zwanzig Kanonen führte, und einige es bis auf siebenzig brachten. Wie stattlich die kurische Flotte m der Periode ihres Glanzes war, geht daraus her- — 190 — vor, daß Ludwig XIV., der stolzeste Monarch der Christenheit, es nicht verschmähte, mit den: Herzoge Jacob von Kurland, den 30. December 1643, einen Handelsvertrag zu schließen und sich dabei auszu-bedingcn, daß Kurland bei einen: Seekriege Frankreichs dessen Feinde nicht mit seiner Armada unter-Mtzen solle. Freilich muß ich meine Behauptung etwas einschränken, insofern bei Ludwig XIV. damals wohl von Stolz nicht viel die Rede sein konnte, da er kaum den Windeln entwachsen war, als dieser Vertrag abgeschlossen wurde. Indeß jagte er schon im Knabenalter das Parlament mit der Reitpeitsche aus einander — eine seitdem bei französischen Selbstherrschern nicht unbeliebte Beschäftigung. Den eben angezogenen Handelsvertrag schloß im Namen Frankreichs der Graf von Vrienne ab, während als Vertreter des Herzogs von Kurland der Baron von Fircks genannt lvird. Wenn man sich den Handelsvertrag zwischen dcm großen Frankreich und dem kleinen Kurland etwas genauer ansieht, so erkennt man doch an einzelnen feinen Schattirungen — weniger an dein materiellen Inhalte, als an der Fassung — daß der eine von den beiden Staaten sich seiner unendlich überwiegenden Bedeutsamkeit vollkommen bewußt war. Man findet den zwischen Frankreich und Kurland abgeschlossenen Handelsvertrag in Hieaenliorn's Staats-reckt, und er ist überschrieben- jTraito du commerce entre Louis XIV. Iloy de France, et le Due Jacques Ner Herzog von .mirland wird m diejeln vertrage einmal ,,U<>il8il)lii- 1 beschloß der Herzog, es mit dem Gelde Zu versuchen, das trotz seiner Stummheit immer die beredteste Sprache führt. Er verstand sich demnach zu einer Contribution von 20,000 Thalern, 4000 Tonnen Roggen, ebenso viel Gerste und Hafer, ferner zu einer beträchtlichen Menge von Grütze, Speck, Erbsen und anderen Lebensmitteln. Von den Victualien sollte ein Theil sofort an die in Kurland stationirten schwedischen Truppen abgeliefert, der Nest nach Riga gesandt werden. Der Feldmarschall — 311 — Douglas wiederholte nun schriftlich auf's Feierlichste die schon einmal gegebene Zusage, Kurland so schnell wie möglich räumm zu wollen. Um den Herzog ganz sicher zu machen, brach er auch wirklich auf, blieb aber plötzlich oberhalb Mitau's bei Dannenthal stehen und erklärte, daß es ihm unmöglich sei, weiterzu-marschiren. Er müsse erst vierzig Boote haben, um seine zahlreichen Kranken nach Niga schicken zu können. Der Oberst Speus, der sich später bei der Vertheidigung Goldiugeu's einen Namen machte, ward au den Herzog abgesandt, um von ihm vierzig Boote zu verlangen. Dies auffalleudc Begehren würde selbst einen weniger vorsichtigen Menschen, als den Herzog Jacob, stutzig gemacht haben. Da er von keiner ansteckenden unter den Schweden ausgebrocheuen Krankheit gehört hatte, so konnte er sich diese große Zahl von Soldaten, die durchaus in die Lazarethe von Niga zu entsenden seien, nicht erklären. Doch der gewandte schwedische Oberst wußte jeden Verdacht des Herzogs einzuschläfern, uud dieser befahl, nicht blos die gewünschteu Boote den Schweden zu verabfolgen, sondern auch Vorkehrungen zu treffen, um bie Krankeu zu euquickeu und ihnen während des Transports Grleichtcruugcu zu verfchasseu. Der Abend hatte sich über die Mitau umgebenden Fluren herabgesenkt, und die Schweden warm entschlossen, in dieser Nacht den so lange beabsichtigten Ueberfall auf die Stadt und das herzogliche Schloß zu unternehmen. Der Feldmarschall ritt in bürgerlicher 14* _ I7I ,_ Kleidung, um nicht erkannt zu werden, in die Nähe des Zu stürmenden Schlosses, reeognoscirtc noch einmal dic Gegend, so weit es die schon sehr vorgeschrittene Dunkelheit gestattete, und gab dann seine letzten Ve-fchle. Der Oberst von Uexküll mnftte mit einer Schwadron Dragoner über die Aa setzen und hatte den Befehl, sich des Kruges an dem rechten Ufer des Flusses, in welchen der Herzog eine Wache gelegt hatte, mit größter Vorsicht zu bemächtigen, so daß dadurch nicht das geringste Geräusch entstehe. De.r Auftrag ward sehr geschickt ausgeführt. Die Wache war vou kurischen Bauern und nicht von gedientem Militär besetzt. Die schwedischen Dragoner tranken den Ballern tüchtig zu und sparten den Branntwein in keiner Weise. Als die Bauern so betrunken waren, daß sie nicht mehr auf den Füßen stehen konnten, wllrden sie gebunden und in den Keller geworfen. Unterdesi nahten sich die Fahrzeuge mit deu angeblichen Kranken zwischen .'j und 4 Uhr Morgens, am Donnerstage den 30. September 1658. Sie waren mit fünfhundert Mann unter Anführung des Majors Nils Boots besetzt, und man hatte wegen der Wichtigkeit des Allftrags die gesundesten, kräftigsteil lind gewandtesten Mannschaften ausgesucht. Der Herzog Jacob, gegcu den man so Böses im Schilde führte, war bei seiner großen Gutmüthigkeit noch um Mitternacht ill die Schloßküche hinabgestiegen, um sich zu erknndigen, ob man mich, gemäß seinem Befehle, feines Weizenbrod gebacken und befonders Fleisch- — 313 — brühe für die Kranken gekocht habe. Als man ihm dies bejaht hatte, war er beruhigt zu Bette gegangen. Noch während es Tag war, hatten die Schweden mehrere Boote die Aa hinabgcsandt und diese, da sie mit gutem Grunde eine genaue Prüfung von Seiten der Kurländer voraussetzten, mit wirklichen Kranken bemannt. Die Boote, die jetzt in der Dunkelheit folgten, trugen nur gesunde Mannschaften. Man hatte ihnen aber die Köpfe mit weißen Tüchern umwickelt und ihre Waffen unter die Nuderbänke gelegt, daunt, wenn die kurischen Wachen vielleicht hineinleuchteten, sie alles in Ord-nuug finden möchten. So glückte es den Schweden, an fünf verschiedenen Stellen uumittelbar unter dem Schlosse zu landen, im ersten Anlaufe, da die kurischen Wachen sich gar keines Feindes versahen, mit ihren Sturmleitern die Wälle zu ersteigen und ohne Blutvergießen in das Innere des Schlosses cinzu-dnugeu. Jetzt erfolgte ciue Neihe von rohen und gewaltthätigcn Seeuen, die wir nicht weiter ausmaleu wollen. Der Herzog ward aus dem Bette gerissen und halbnackt in ein dunkles Zimmer gesperrt. Was die Rücksichtslosigkeit der Behandluug aulangt, so N'iuucrt diese Scene an den ersten kurischen Herzog aus den: Haufe Biron, als dieser, der unumschränkte Negcnt Nußlauds, plötzlich in der Nacht in seinem Petersburger Palaste überfallen, aus den: Bette gerissen und unter Kolbenschlägen in einen Schlitten Mvorfen ward, während man seine Gemahlin ganz "ackt im Schnee liegen ließ. Doch auch der Schwester — 214 — des Großen Kurfürsten, der Gemahlin des Herzogs Jacob, ward von den eingedrungenen Schweden nicht allzu zart begegnet. Sie sollte ebenfalls ans dem Bette gerissen werden. Glücklicher Weise hatten sich einige Bediente und ein französischer Tanzmeistcr, die durch den Lärm aufgeweckt worden waren, in ihr Schlafzimmer gestürzt, nm die hohe Frau zu vertheidigen. Der französische Tanzlehrer, mit dem Mnthe und der Ritterlichkeit seiner Nation, stellte sich dicht vor die Herzogin und erklärte mit sehr pathetischen Geberdcn, er werde Niemandem gestatten, die hohe Frau anzurühren. Die Schweden verloren bald die Geduld, und ein Dragoner hieb die pathetisch erhobene Nechte des Franzosen glatt vom Leibe weg. Einen: fürstlichen Lieutenant, der unterdeß herbeigekommen war, wurde, als er die Gemahlin seines Kriegsherrn in pflichtschuldiger Hingebung mit seinem Körper decken wollte, von einem andern Schweden der Degen durch den Leib gerannt und das Hemd der Herzogin mit den: Blute des Getödteten bespritzt. Die seelenstarke Frau, obgleich in hochschwangerem Zustande, gab kein Zeichen von Schwäche. Wie Marie-Antoinette unter der unwürdigsten Behandlung im Tempel stets die Hoheit einer Tochter der Cäsaren bewahrte, ebenso zeigte die Herzogin von Kurland, daß das Blut der Hohenzollern in ihren Ndern floß. Der Große Kurfürst durfte stolz sein ans eine solche Schwester. Inmittcn dieser Scenen voll Vlnts und unerhörten Gräuels gab sie ihrer Dienerschaft insgeheim — 215 - die umsichtigsten Befehle, ^or allem sorgte sie dafür, eiiu'n treuen Diener zu den: Schrcibpulte dcs Herzogs zu entfenden, danlit er wichtige Papiere verbrennen möge, die ihrem Gemahle bei den Schweden zum Nachtheile gereichen konnten. Der treue Diener vollführte den ihm gewordenen Auftrag mit der grösiten Umsicht und Schnelligkeit. Als die Herzogin über das Leben ihres Gemahls und ihrer Kinder beruhigt war, dankte die fromme Frau ihrem Schöpfer für feine Gnade inmitten so reichen Herzeleides. Die Schweden plünderten unter-deß in jener barbarischen Weife, wovon sie schon früher haarsträubende Proben abgelegt hatten. Kein Schrank, keine Kiste wurde verfchont, sondern Alles erbrochen und seines Inhaltes beraubt. Sich nicht mit dem Naubc begnügend, zertrümmerten sie sämmtliche Sachen, die sie nicht mit fortschleppen konnten. Während im Schlosse sich diese wüsten Scenen zutrugen, sah es in der Stadt womöglich noch trauriger aus. Die Uexküll'schcn Dragoner waren in dieselbe eingedrungen und plünderten und mordeten darin, wie die Vandalen in Nom. Als der Feld-Marschall Douglas erschien, hörte das Plündern allerdings alls. Auch im Schlosse war kurz vorher durch den Obersten Armfeldt dem Wüthen Einhalt geboten worden. Da aber bereits Alles geraubt und zerstört war, so konnte seine Dazwischenkunft nur noch dem bedrohten ^eben der Schloßbewohner von Nutzen sein. Vevor der Feldmarschall Douglas dein Herzoge unter — 316 — die Angen trat, sandte er den General-Adjutanten Kraftina, an ihn ab, der dm gewaltthätigen Ueberfall entschnldigen sollte. Der Schwede konnte nichts weiter anführen, als einen Spruch, den seine Nation damals sehr zu lieben schien: „Noth kennt kein Gebot." Als der Graf Douglas Mitau gehörig hatte besetzen lassen und zu berechnen vermochte, wie der General-Adjutant Krafting seinen Auftrag nunmehr wohl ausgerichtet haben werde, kam er ebenfalls auf das Schloß und begab sich sogleich zum Herzoge. Je tiefer seine innerliche Scham über diesen Bruch des Völkerrechtes und diesen Ueberfall ohne jede voraufgegangene Kriegserklärung sein mochte, desto mehr Haltung suchte er sich nach Außen zu geben. Der Herzog soll die erlittenen Kränkungen nicht mit der Seelengröße ertragen haben, wie seine Gemahlin, sondern ganz geknickt gewesen fern. Man erzählt sich, er habe den schwedischen Feldmarschall gebeten, mit seiner Frau und seinen Kindern Kurland verlassen zu dürfen. Er wolle auch nichts mit sich nehmen, als den Stab, worauf er sich stütze. Indeß ward dieses Kcsnch mit harten, dürren Worten abgeschlagen. Der Feldmarschall Douglas wollte nun den gefangenen Herzog dazu benutzen, um in seinem Namen das Land zu regieren und die Steuern einzutreiben. Doch da fand er voll den Kurländern einen Widerstand, der ihnen alle Ehre machte. Die Kunde von der Plünderung Mitau's, von den Mordseenen im Schlosse und von der unwürdigen — 317 — Behandlung der herzoglichen Familie, hatte sich bald durch das ganze Land verbreitet und den allgemeinsten Unwillen erregt. Die Befehle, die von dein Herzoge und den Oberräthen unterzeichnet waren (der schwedische Feldmarschall hatte sich dieser wichtigen Staatsbeamten auch sofort bemächtigt) wurden nirgends befolgt, weil Ulan wußte, daß die Unterschrift mit Gewalt sei erpreßt worden. Douglas erließ jetzt ein Rescript au die Geistlichen, worin er ihnen befahl, sie sollten dem Volke mit eindringlichen Worten zu Gemüthe führen, welch' ein Segen es für dasselbe sein würde, wenn die evangelischen Schweden statt der papistischen Polen Oberherreu des Landes waren. Doch zum Nuhme der kurischen Prediger sei es gesagt: kein Einziger von ihnen sprach zu seiner Gemeinde von den Schweden in empfehlender Weise. Wie konnten Ne es anch, da die Schweden sich solcher Brutalitäten gegen die herzogliche Familie schuldig gemacht hatten und sie noch jetzt in engster Haft hielten! Nur der Superintendent Haffstcin, vielleicht von: schwedischen Feldmarschalle im Weigerungsfälle mit Todschießcn bedroht, verstand sich dazn,' von der Kanzel herab ZU erkläre»,, wie ganz Knrland dem Schöpfer für die Gnade danken müsse, daß es jetzt eine wahrhaft christliche Obrigkeit habe. Hatte gleich der Herzog Iaeob durch die schmählichste Behandlung nnd dnrch all' das Unglück, was über ihn hereingebrochen war, im Anfange sich seiner sonstigen Characterstärke beraubt gezeigt, so faßte er — 218 — sich doch wieder, als er die stille Würde und die edele Duldung seiner Gemahlin während längerer Zeit mit steigender Bewunderung zu beobachten Gelegenheit fand. AIs nun der Feldmarschall wiederholt in ihn drang, er solle der Krone Schweden hnl-digen und sich von Polen ganz lossagen, so verweigerte er dies ungerechte Begehren in entschiedenster Weise und mit stets gleicher Standhaftigkeit. Uebrigens benahm sich ganz Kurland bei dieser Katastrophe sehr würdig. Die Parteigänger übten activen, alle übrigen Unterthanen des Herzogs passiven Widerstand. Der Fcldmarschall Donglas hatte ein Ausschreiben an die Ritter- und Landschaft ergehen lassen, in welchem er ihr gebot, sie solle sich bei Verlust von „Habe nnd Gut," von „Leib uud Leben" in Mitau zu eiucm Landtage einstellen. Da aber kein Einziger erschien, und der schwedische Oberbefehlshaber sich überzeugte, daß die Anwesenheit des Herzogs uicht dazu beitrage, Kurland gehorsamer zu machen, so schritt er, was ihm schon lange als nothwendig erschienen war, zur Wegführung der fürstlichen Familie. Er war übrigens so humau (die, überaus großen Nohheiten, die von den Schweden mit unermüdlicher Ausdauer während dicser Periode in Kur-laud verübt wurden, lasseu Acte, die durch die Menschlichkeit geboten sind nnd deshalb sonst kein Lob verdienen würden, dennoch, weil bei ihnen so unerwartet, in einem sehr günstigen Lichte erscheinen), der Graf Douglas war also humau genug, die Niederkunft der — 319 — Herzogin abzuwarten, bevor er den Befehl ertheilte, sie mit ihrer Familie in eine ferne Gefangenschaft abznführen. Graf Donglaö brauchte nicht lange zu warten, da die Herzogin in Folge jener Schreckensnacht frühzeitig von einem Prinzen entbunden ward, dem der rechte Arm fehlte. Wahrscheinlich hatte der abgehauene Arm des französischen Tanzmeisters überaus stark auf ihren Geist gewirkt und dieser auf die Leibesfrucht rcagirt."') Man vergönnte der Herzogin kaum vierzehn Tage, nm sich von ihrem Wochenbett zu erholen, und küudigte ihr dann an, sie müsse sich Zu einer Neise nach Niga anschicken. Mit derselben Würde und Resignation, wie sie das frühere Mißgeschick ertragen hatte, fügte sich die hohe Frau in das neue Uugemach. Mit ihren sieben Kindern und ihrem Gefolge, unter den« sich die Gattinnen der gefangenen Oberräthe befanden, bestieg sie das offene Boot, das sie den Fluß hinabbringen' sollte. Sämmtliche Boote hären voll der elendesten Beschaffenheit und ohne die *) Dieser nicht lange nach der Erstürmung des Mitauer Schlosses den I«. October 1«s>8 geborene Prinz empfmg iu der heiligen Taufe den Namen Alexander. Hatte er gleich mir dm Unken Arm, so übte er ihn doch dermaßen, och er denselben z» °llem geschickt machte. Die wildesten Nosse wußte er zu tnmmcln, "Nd wie dcr Prinz inmitten des KriegLlärms geboren war, so starb er auch inmitten desselben, fern von dcr Heimat!,, in einem Aldznge der Ocstreicher gegen die Türken, Er war iu chur. braudeubnrgischc Dienste getreten, wohin ihn die Verwandtschaft wtt den Hohcnzollern nnd der junge Ruhm dcr preußischen Nassen geführt hatte. — 220 — geringste Bequemlichkeit. Die erlauchte Frau saß still und ruhig alls der hölzernen Bank, nur bemüht, ihren Kindern die Lage so erträglich wie möglich zn machen. Die Frauen ihres Gefolges weinten und jammerten; sie selbst vergoß keine Thräne. Sie wollte den übermüthigen Schweden den Triumph nicht gönnen, daß sie die Schwester des Großen Kurfürsten weiuen gesehen. Der Novcmbertag war überaus kalt, und obgleich die edle Fürstin für sich alles geduldig und ohne Klage ertrug, so fürchtete sie doch für ihre armen Kinder. Die Mutterliebe überwand demnach jeglichen Stolz, und sie bat die Soldaten mit sanften Worten, ob sie nicht etwas dafür thnn könnten, daß ihre Kinder gegeu die grimme Kälte geschützt würden. Die rauheu Krieger fühlten ein menschliches Rühren, so daß sie der Herzogiu gestatteten, nebst Gefolge und Kindern, bei Nolgundt an's Land Zu steigen und sich dort ein wenig zu erwärmen. Die Nacht brachte man sehr erbärmlich in Schlock zu, langte aber, von den Engeln des Himmels behütet, gesuud iu Riga an. Die Frauen der Oberräthc wurden nun zurückgeschickt, als wenn es eine Lustfahrt auf dem Lago Maggiore gewesen. Offenbar sollten die armen Frauen für die edle Standhaftigkeit büßen, nut der ihre Männer sich ungerechten Zumuthungen der Schweden widersetzt hatten. Denn es würde zu lächerlich geklungen haben, falls der Graf Douglas die Behauptung gewagt, sie wären Zu einer Ehrenescorte der Herzogin bestimmt gewesen. Wurde die erhabene Fürstin doch auf eine — 221 — ihren Rang so gänzlich mit Füßen tretende Weise nach Riga geschafft. Natürlich erregte dies rohe Verfahren des schwedischen Königs bei allen Höfen Enropa's den lebhaftesten Unwillen. Nicht allein, daß Karl X. die Neutralität gebrochen hatte, die dem Herzoge Jacob nach Aufopferung großer Summen nnd nach mühsamsten Unterhandlungen zugestanden worden war, sondern er gestattete anch seinen Soldaten, gegen die fürstliche Familie von Kurland mit einer Rücksichtslosigkeit aufzutreten, für die es m der Weltgeschichte vielleicht keinen Präeedenzfall gab. Der rilssische Kroßfürst erklärte, auf die Kunde von diesen Gewaltthätigkeiten, den Waffenstillstand mit Schweden für gebrochen. Er ließ sich aber durch diplomatische Künste bald bewegen, bon dem Herzoge seine Hand abzuziehen, uneingedenk dessen, daß er ihm früher seinen Schutz auf's Feierlichste zugesagt hatte. Auch England und Holland erklärten in unzweideutigen Worten ihren lebhaftesten Unwillen. Hätte nicht der gewaltige Proteetor von England wenige Wochen vor dem Ueberfalle des Mitaucr Schlosses (den 3. September 1lls>«) das Zeitliche gesegnet, so möchte es dem Könige von Schweden schlecht ergangen sein. Immer möglich, daß von Cromwell eine mit einem tüchtigen Heere bemannte Flotte gen Norden zur Sühne des Unrechts "bgcsandt worden wäre. Wahrscheinlich hätte sie an den baltischen Gestaden eine glänzendere Nolle gespielt, "ls die englischen Orlogsschiffe in den Jahren 1854 __ YZZ __ und lN5)5. Holland begnügte sich nicht mit der bloßen Mißbilligung, sondern ergriff Partei gegen Schweden. Am meisten znr Nache bcrnfen fühlte sich natürlich der Große Kurflirst, der Bruder der so schmählich behandelten Herzogin von Kurland. Der thatkräftige Hohenzoller, niemals zaudernd, schritt sofort zur Nache. Der Schwiegervater des schwedischen Königs mußte dafür herhalten, was Letzterer verschuldet hatte. Weil Karl X. die Schwester des Großen Kurfürsten mißhandelte, so versetzte dieser dem Herzoge von Holstein-Gottorp, dem Schwiegervater des schwedischen Königs, die unbarmherzigsten Hiebe. Unter dem Vorwande, daß der Herzog von Holstein-Got-torp auf die Vortheile der Neutralität keiuen Anspruch habe, indem er diese dadurch verwirkt, daß er einen schwedischen Gesandten an seinem Hofe, auch schwe-dische Soldaten in feinen Festungen dulde, uahm der Große Kurfürst das Land in Besitz und sog es gründlich ans. Der König Karl X. fand sich aber gar nicht bewogen, aus Rücksicht für die Länder seines Schwiegervaters, den Herzog von Kurland und dessen Familie freizulassen. Wenu mau unserer Zeit wohl,mit Neckt den Vorwurf macht, daß sie eine schreibselige fei, so ruhten doch in früheren Jahrhunderten die Federn der Alttoren auch nie lange. Wir führen zum Belege unserer Behanvtung die Schriften an, die über die Gefangenuchmung des — ZZ3 — Herzogs von .Kurland ^erschienen, und von denen man unten in der Note Einsicht gewinnt/") Die schwedische Regierung hielt es nun für angemessen, wenigstens den Versuch Zu machen, den allgemeinen europäischen Unwillen in clwas zu beschwichtigen. Es ward deshab ein von Johann Habacus verfertigtes Circular an alle Höfe Europa's gesaudt, das folgenden Titel führte: „Tie schwedische Schutzschrift, oder Ursachen, wodnrch eigentlich die königliche Majestät zn Schweden bewogen worden, den Herzog von Curland aus seinem Furstenthum hinweg in Verwahrung Zu ziehen, 165)8.^ Doch hatte diese Schrift die gewünschte Wirkung nicht. Das Unrecht war zu schreiend, als daß es durch Sophismen hätte beschönigt werden können. Aus der Schutzschrift Karl X. heben wir nur die Behauptung hervor, daß dem Herzoge von Kurland allerdings von der Königin Christine die Neutralität *) Bericht von Eroberung des Schlosses zn Mictan nnd Gefangennehmung des Herzogs 1658. Relation der schwedischen Proceduren in Cnrland 1658. Schwedische in Schriften ver-sasstte und mit Hand nnd Siegel bekräftige Parole, woranö I» K. M. von Schweden schließen tonnen, was Unrecht dem Herzoge von Cnrland geschehen, 165/.). I^clss 8uecioa, ßivo pienllrii», Dnäucti«, czuu, I'ro«688n8 a sueois aäverzuZ Duoeni ^ur1»,näilin instiww« onnndu» llä ooulaZ poni^r«,' 1660. Dieselbe Schrift deutsch nnier dein Titel: Schwedische Treu nnd klauben, daiiil die nnvcrantwortlichen Proceduren der Schweden durch den Felbmarschall Douglas an den, Herzog in Curland verübet, vorgestellet werden 1660. — 234 - zugestanden worden sei, aber nicht von ihm. Hier wäre wohl zunächst die Frage zu erörtern, in wie weit ein Monarch durch die Engagements Desjenigen, der ihm in der Regierung voranging, gebunden sei. Wir meinen nun, daß Treu und Glauben zwischen den Staaten alsbald anfhören würde, wenn der jedesmalige Herrscher bei dem Antritte seiner Negierung die heiligsten Gelöbnisse und Verpflichtungen seines Vorgängers als nicht existirend betrachten dürfte, sobald deren Beobachtung seinem augenblicklichen Vortheile nicht entspricht. Nnter den vielen Beweisen von Theilnahme, die der fürstlichen Familie von Kurland Zugingen, befand sich auch ein von: Könige von Polen, Johann Kasimir, schon wenige Wochen nach der verübten Gewaltthat eigenhändig geschriebener Brief au die Herzogin. Wir lassen denselben hier folgen, mit der gewiß nicht boshaften Bemerkung, dasi der Styl jener Zeit sich Zur Nachahmung wenig empfehlen dürfte. Die Zuschrift des polnischen Könias lautet! „Madame ma soeur! Meinen freundlichen Gruß und was ich sonsten mehr Liebes und Gutes vermag, zuvor. Durchlauchtige, Hochgebornc Fürstin, freundlich geliebte Frau Muhme und Schwester. Ich kann Ew. Liebden nicht beschreiben, wie hoch Mich die unverhoffte damalige Zeitung der an das fürstliche Haus verübten nnchrift-lichen, schwedischen Untreue afficirct und betrübet, darauf Ich auch die Sache an Ihrv Churfiirstlichc Durchlaucht Liebd. nebst meiner darüber habenden Meinung, wie auch Ordinanz wegen schleunige Hülfe nach Lithauen und Chnrländischer Landschaft ergehen lassen, und hoffe Ew. Liebd. Herr Bruder allbereits Was tröstliches an dieselbe werde haben ergehen lassen und haben Ew. Licbd. sich getrost zu versichern, daß all daß Icnige, was zu Dero fürstlich Haus rettung immer werde eontribuiren können, davon kein manca-went soll verspüret werden. Meine grundgütige Con-dolenz wolle Gott der Höchste mit Verleihung christlicher Geduld, reparirung des Bösen und anderweit ersetzung aller felicitet, väterlich fecundircn, wie denn nur allbereit Bericht einkommen, daß der neue Protector seinen bei den Schweden anwesenden Residenten geschrieben, daß er bei demselben umb allerseits restitution des Herzogen von Churlandt, weil derselbe wegen etzlicher Länder unter seiner Protection wehre, anhalten sollte. Im widrigen er es vor eine Feindschaft annehmen müßte. Das Neblige Wirt die ge-wisse Person mit mehreren referiren. Gott, der Ew. Fehden Haus heimsucht, wolle dieselben, wie ich hoffe, bald erfreuen, dessen sichern Schutz dieselben getreu-"chst empfehlen thue. DlUum Ew. Liebdcn w! Feldlager von Thorn, getreuer Vetter und Bruder den 23. November 1058. Johann Kasimir." Die Kurländer, wie wir schon wiederholt rühmend hervorgehoben, bewahrten dem Herzoge in seiner ^"oth die beschworene Treue und ließen sich durch Vrunicr, Kurland. 15 226 kein Kirren und Locken auf die schwedische Seite hinüberziehen. Um jedes Andenken an die herzogliche Familie zu vertilge»!, untersagte Graf Douglas bei schwerer Strafe, iu Kirchen und bei sonstigen Vereinigungen derselben Erwähnnng zu thun. Doch half dieses zu gar nichts. Der Bürger am Abend in der Schenke und die Bauern im Kruge erzählten sich ganz frank und frei (hatten sie doch keinen Verräther unter sich), wie unmenschlich mit ihren: geliebteil Herzoge und ihrer theuren Herzogin von den Schweden umgegangen werde, und sie gelobten sich, die ihren: LandeZherrn angethane Schmach nach Kräften zu rächen. Wir erwähnten schon, wie sich Partei' ganger bildeten, die deu Schweden unendlich vielen Schaden zufügten. EZ ist nicht räthlich, alle die einzelnen Zwischenfälle zu verfolgen, bevor die herzogliche Familie ihre Freiheit wieder erhielt. Nur so viel sei erwähnt, daß bei deu Friedensverhandlungen von Oliva die Person des gefangenen Herzogs Jacob eine große Nolle spielte. Knrland war dnrch den Herrn von Fölkersam, Erbherrn auf Kalknhn, überaus glücklich vertreten. Die Schweden, denen es immer um Verbesserung ihrer schlechten Finanzen Zu thun war, verlangten im Anfange der Unterhandlungen für den Herzog ein starkes Lösegeld. Später wollten sie ihn erst nach geschlossenem Frieden gegen den bremisch-verdischm Statthalter, Feldmarschall nnd Reichsrath, Johann Christoph Königsmark, Graft" von Westerwick, austauschen. Doch der tactvollc — 237 — kurländischc Abgesandte wies dies sogleich als unpassend zurück, weil der Graf ein Unterthan und der Herzog ein unabhängiger Fürst sei. Ueberdies sei sein Souverainnicht rechtmäßig gefangen, sondern geraubt worden, weshalb vor allen Friedensnnterhand-lungen dies schreiende Unrecht erst gesühnt werden müssc. Bei dem Eigenfinne und dein Uebermuthe, welche beiden Charaetercigenschaftcn den sonst so tapfern König, Karl X. von Schweden, verunzierten, wäre an ein Nachgeben seinerseits wohl schwerlich zu denken gewesen. Für das Zustandekommen der Frie-densuntcrhandlungcn mußte man es deshalb als ein Glück ansehen, daß der schwedische König am 12. Februar 1660 starb. Er hatte seine Lebenskraft in den Feldzügen, wo er seine Person, ganz wie der spätere Karl XII., stets einzusetzen pflegte, vollständig aufgebraucht. Es ist hier nicht der Ort, die mannigfachen, sehr interessanten Wechselfälle während der Verhandlungen zu Oliva des weitern zu verfolgen. Genug, daß die Friedensnrkunde am :;. März 1660 unterzeichnet und durch sie die Selbstständigkeit des Herzogtums Kurland auf'Z Neue garantirt ward. In Vezug auf de:, Herzog Jacob heißt es in der Friedensurkunde: „Sr. Durchlaucht sollen mit gebührlicher und Dero Dlguität und Hoheit anstehender Weise an die Grenzen von Eemigallien gebracht, ingleichen alle obgcdachtem Durchlauchtigen Herzoge und den Seinigen zustehende, 15* — 228 — mögen sie noch nnverrissene inodiiia und bewegliche Güter, wie anch alle Schriften, so wie publiqne und privat äoc'ummM,. reftituirt werden." Leider war aber das Meiste von des Herzogs beweglichen Sachen abhanden gekommen, was bei dem oben geschilderten Benehmen der Schweden weiter nicht befremdet. „Außer einein Theile des Archives," (heißt es wörtlich) „fand sich nichts unverrissen vor." Ja, sogar mit dein Grund lind Boden sah es traurig aus. Die Schweden hatten nämlich Banste an die Polen übergeben, und diese waren schamlos genug, es nicht eher dein Herzoge zu überantworten, als bis sie ihm dafür 10,000 Gulden abgepreßt hatten. Anch Mitall ward ihm bis zum August von dein polnischen Obersten Bremer vorenthalten. Erst am 2. September 1600 ward er durch königlich polnische Commissarien feierlich wieder in den Besitz der Herzog-thümer und des Pilten'schen .Nrcises eingesetzt. Die Schweden, die suhlen mnßten, wie empörend sie gegen den Herzog gehandelt hatten, nnd denen die günstigen Dispositionen nicht verborgen waren, die derselbe für sich an allen großen -Höfen Europa's durch geschickte Unterhändler zu erweckeil gewußt, fürchteten wohl feine Nache. Sie bestanden nämlich darauf, daß "' vor seiner Loslassung ein 9 — ftldt, angekündigt, daß seine Gefangenschaft ihr Ende erreicht habe, und er in seine Staaten zurückkehren könne. Die Schweden schienen auf besondern Befehl 'hres verstorbenen Königs so rauh und verletzend gegeli den Herzog von Kurland aufgetreten zu sein, denn von jetzt an beflissen sie sich ihn: gegenüber der größten Ehrerbietung. Am 3. Juni reiste der Herzog von Iwangorod ab, ^w cr an der Seite seiner mit bewunderungswürdiger Geduld die größten Entbehrungen ertragenden Gemahlin so trübe Tage verlebt hatte. An allen Orten emftsing sie der Donner der Kanonen, und eine militairische Ehren-Eseorte umgab den Wagen der fürstlichen Familie. Nicht blos der Gouverneur bon Narva und seine Gemahlin, sondern auch viele schwedische Cavaliere, nebst ihren Gattinnen, gaben der kurischen Herzogsfamilie das Geleite. War es den Schweden auch nicht möglich, die schlechten V6ege in gute zu verwandeln, so hatten sie doch in den Nachtquartieren anfs Aufmerksamste dafür gesorgt, daß den: Herzoge und den Semigen nichts "angelte. Für die fchlechten Wege der damaligen Zeit spricht es, daß die fürstliche Familie von Kurland erst nach drei Wochen an der livländischen Aa anlangte. Hier hatten sich viele Kurländer von Nang eingcfunden, um dem Herzoge ihre gerührte Freude über seine glückliche Rückkehr auszusprechen. Der Einzug des Herzogs in Riga war überaus feierlich. Der Feld- — 330 — marschall Douglas, umgeben von seinem Stäbe, zweihundert Reitern und vielen bürgerlichen Personen, welche die Neugicrde herausgelockt hatte, war ihm auf dem halben Wege von Nenermühlen nach Riga entgegen gekommen. Die Geschütze donnerten von den Wällen, der Magistrat begrüßte den Herzog mit einer ehrerbietigen und zugleich herzlichen Anrede, genug, nichts ward unterlassen, was von schwedischer Seite zu erkennen geben konnte, wie sehr man wünsche, über eine vergangene, verhängnißvolle Periode die Asche der Vergessenheit zu streuen und von jetzt an in Friede und Freundschaft mit den kurischen Nachbarn zu leben. Doch nicht blos Edelleute, sondern auch viele Bürger waren ihrem Herzoge entgcgengereist. Was ihn aber am meisten rührte, war, daß einige Tausend kurische Bauern einen beschwerlichen Marsch geinacht hatten, um ihres geliebten Landcsvaters mehrere Tage früher ansichtig zu werden. Wir lassen in Betreff dieser großen Unterthanenliebe eine alte Chronik sprechen. Kann man den Chroniken auch keinen allzu geleckten Styl Schuld geben, so haben sie doch in ihrer naiven und schlichten Darstellnngs-weise viel Anschaulichkeit und die Vermuthung der Wahrheit für sich. Es heißt nun in dieser Chronik von dem Einzüge des Herzogs Iaeob in die Stadt Niga: „Hier bewillkommten wieder viele Kurländer, unter andern auch W00 Bauern, ihren geliebten Landes- Herrn, halb knieend, halb stehend, mit lächelnder, weinender und dankender Stimme und aufgehobenen Händen, was sehr beweglich anzuschauen war, und ist hicrnächst nicht mit Stillschweigen zu übergehen, sondern mit höchstem Ruhme zu melden, die sonderbare Güte und Barmherzigkeit eines Edlen Rathes zu Niga, welcher diesen armen beuten erwiesen und sie mit nothdürftiger Leibesunterhaltung und Speisung nach aller Möglichkeit versorget, obschon inzwischen etliche tausend theils verhungert, theils an Krankheiten umgekommen, auch ihrer ein gnt Theil halb verschmachtet erbärmlich hin lind wieder für den Thüren liegen geblieben." Ans dem treuherzigen Berichte der Chronik, dic übrigens in Bezug anf die Zahl der vor Hunger Um-^'kommenen hoffentlich sehr übertrieben haben wird, schmtt uns hervorzugehen, daß die knrischeu Banern, "m des Anblickes ihres geliebten Landesvaters so bald wie möglich theilhaftig zn werden, sich in großer Anzahl nach Riga begaben, aber kein Geld bei sich hatten, um sich Lebensmittel zu kaufen und sich ein ^achtqnartier zn miethen. Die Bürger Riga's scheinen nun ihre Samariterpflicht sehr schlecht erfüllt und die um Brod und Obdach Bittenden ranh abgewiesen Zu haben. Erst als Viele vor Erschöpfung und Hunger umgekommen waren, nahn: sich der Rath zu Riga der Übriggebliebenen an. In Verhältnissen, wu Jeder seine Pflicht thnt, würde das Benehmen des Mgaer Rathes gar kein Lob verdient haben. — 232 — Aber gegenüber der Hartherzigkeit dcr Bürgerschaft, macht seine Mildthätigkeit einen wohlthuenden Eindruck, weshalb die Chronik sich auch mit anerkennenden Worten darüber verbreitet. Als Snmme der Einzelheiten, die wir oben berichtet, ergiebt sich wohl für Jeden, daß die Uncr-schrockenheit der Herzogin Luise Charlotte während der Erstürmung des Mitauer Schlosses dnrch die Schweden, so wie die unerschütterliche Sanftmnth und Würde, womit sie alle darauf folgenden Demüthigungen und Kränkungen ertrug, daß diese seltenen Eigenschaften ihr zu hoher Ehre gereichen und sie als eine würdige Schwester ihres großen Bruders erscheinen lassen. Den Schweden erblühte aus ihrer Härte und Treulosigkeit gegen die kurische Herzogsfamilie kein Segen und die Zeit ihres Glanzes — die vorübergehende Siegesperiode Karl XII. abgerechnet — hatte seitdem ein Ende. Wenn, wie wir vernehmen, auf glückliche Veranlassung des preußischen Kronprinzen die Meisterhand eines Dropsen daran arbeitet, den großen Kurfürsten in einem Lebensbildc dem Volke darzustellen, so sind wir im Voraus überzeugt, daß der hervorragende Geschichtsschreiber nut nicht minderer Plastik verfahren wird, als der Bildhauer, der ihm mit einem berühmten Werke voranging. Aber neben der ehernen Gestalt des großen Kurfürsten dürfte wohl die so echt weibliche und doch, wo es die Umstände erforderten, — 333 — heroische Erscheinung seiner Schwester^ der Herzogin Luise Charlotte — ein edles Standbild ans Marmor — die Blicke anf sich lenken nnd das Auge angenehm beschäftigen. Sie gereicht dein an großen Männern und zarten Frauen reichen Stamme der Hohenzollern zur Ehre und Zierde; sie fordert auf zur Liebe und Nacheifernng. — 234 Die Schweden in Kurland. - So gewaltsam auch dic Könige und Negierungen zu handeln gewohnt sind, so bemühen sie sich doch gemeiniglich, der gefährlichen Dame, genannt „öffentliche Meinung", ihre Huldigung darzubringen, und durch günstigste Darstellung ihres Benehmens die Zustimmung der Gewaltigen zu erlangen. Der König Karl X. von Schweden suchte demnach durch Staatsschriften sein Verhalten gegen Kurland und die kuri-sche Hcrzogsfamilie als billig und gerecht darzustellen. Von Kurland aus wußte man ihm aber zu antuwrten. Wenn Borne einst von der göttlichen Grobheit sprach, so würde er diese zu gewissen Zeiten sehr zweckmäßige Ausdrucksweise in der auf die schwedische Ctaatsschrift erfolgten kurischen Replik gewiß gefunden haben. Wir geben hier einige besonders kräftige Stelleu aus jener kurischen Entgegnung, die so lauten i „Gleichwie die Sail im Sack nicht kann verborgen bleiben, also wird dic Zeit erweisen, wie stinkend und faul die n0t.innal-l der Schweden überall und Wie un-christlich ihr Verfahren gegen den löblichen Herzog — 235 — von Kurland gewesen, denn nicht dnrch die Praktiken Sr. Durchlaucht, sondern durch das ärgerliche Leben und Hausen, so die Schweden in Litthauen geführet, ist die rothe Flnth über ihre Köpfe geflossen nnd die horrible m^aoro, wie es in der schn!füchsischen Scharteke heißt, in Litthanen entstanden. Da nagten und plagten die schwedischen Krieges-oouinii^^^rii, so früher an der Heringstonne gesessen, die armen Litthauer, aus denen sie den letzten Blutstropfen heraussogen; da nahmen nicht blos Officiere, sondern auch die gemeine Soldateska, nämlich Groß- und Kleinhanns, was sie bei dem Adel und Bauer nur sahen, Kleider, Gewehre, Pferde und Vieh mit Gewalt; da mußten Matronen und Jungfrauen drann, und kein ehrlicher Mann konnte feine Frau verbitten; da wurden die Weibsbilder aus den Kirchen gerissen, entblößt über den Haufen geworfen, den Priestern unter der Messe Tabak in die Angen gepustet, die Kelche ans der Hand geschlagen und dergleichen In-sulentien, die von Türken und Tataren nie erhört, verfügten sich vornehme Lent zu dem Herrn Legaten Skytte nach Mitau, nm Klagen zu führe»,, so hießen fle «tniti nnd l^iui. Wie der Herr so der Knecht. Hat doch der Legat selbst ein vornehmes Fräulein b"n 12 Iahreit ihrer schönen Gestalt halber mit Gewalt aus den Händen und Augen der Eltern gerissen und sich nicht geschent, sie als seine Concubine auf'Z Schloß in Mitau iu Gegenwart fürst-llcher Personen zu führen, zu welchem garstigen 23ss Attentat man schweigen und ein Paßhändchm geben mußte." In der kurischen Streitschrift, wo die Schweden so arg, aber nicht unverdient mitgenommen werden, findet man dann weiter die Behauptung, wie in den früheren Kriegen schwedische Officiere dutzendweise zn Baronen und trafen gemacht seien, und wie ihnen bei der Armuth des Landes mm ein standcsmäßigcs Auskommen fehle. Diese vornehmen Herren, heißt es spöttisch weiter, hätten alle tituwm, aber nicht vituimn, und da ihre schwedischen Grafschaften nichts eintrügen, so müßten sie sich wie die hungrigen Wölfe allenthalben umsehen, wo sie das ,,rnM«, c:n,M5" spielen könnten. Sie hätten sich nun in Polen statt der schwedischen Strömlinge mit den schönen dortigen Kapaunen den Magen gefüllt. — Jetzt geht der Verfasser dieser heftigen Streitschrift Zu den Unthaten der Schweden über, deren sie sich in Kurland schuldig gemacht. Da uns eine so derbe Sprache ganz fremd geworden ist, so möchte es nicht uninteressant sein, sie textlich genau zu hören. Der grobkörnige, aber nicht unwitzige Kurländer fährt folgendermaßen fort: „Als den Schweden solches aus Kragen und Magen aussanren wollte (nämlich die polnischen Kapaunen), untergruben sie die Neutralität, warfen Hand und Siegel, ja Treu und Glauben über den Haufen und strömten mit Gewalt in die Güter des Herzog-thums Kurland. Es war ihnen nicht unbewußt, daß in Kurland ein stattlicher, von Jugend auf in Kriegs- — 237 — diensten geübter Add sei, der sich vielleicht gutwillig brauchen ließe. Das Land war dnrch Gottes Gnade und des Herzogs Vorsicht ziemlich populos und die Oekonomie wohl bestellet. Die Edelleute hatten schöne Güter zu 10,000 und :i0,000 Gnlden jährlichen Einkommens, die Städte ihre cuuim0r Außer dem herzoglichen Hausgcräthe bekamen sie anch vieles von den Mobilien des hermnwohncndcn Adels in die Hände, da dieser der größern Sicherheit halber seine kostbarstell Sachen auf das Goldinger Schloß geflüchtet hatte. Das ganze Archiv eigneten sie sich zu, ja, schonten nicht einmal die Schloßkirche, aus der sie sämmtliche heilige Geräthschaften tempelräuberisch wegführten. Auch die kostbaren Stutercien uud Klitsch" Pferde des Herzogs eigneten sie sich zu, trieben alts den fürstlichen Aemter»: viel tausend Lof Korn ei" — 243 — und schickten alles aus den Gittern eingehende Geld nach Riga. Dem Vertrauen, das der Feldmarschall Donglas in die Standhaftigkeit des Obersten Spells setzte, als er ihm die Vertheidigung Koldingens übertrug, entsprach dieser aufs Rühmlichste. Was für den Obersten Svens die Vertheidigung so beschwerlich machte, war, daß er nicht Zeit genng gehabt hatte, sich gehörig zu vervroviantiren. Nachdem er erst wenige Tage eingeschlossen war, zeigte sich schon Mangel an Lebensmitteln. Indeß besahen die Schweden einen großen Vorrath von Salz und viele Pferde. Diese schlachteten sie fast alle und fristeten sich, wenngleich kümmerlich, das Leben. Trotz der größten Entbehrnngen hielt sich der Oberst Svens fünf Wochen hindurch, immer auf Entsatz durch Dollglas hoffend. Die Schweden schauten von den Wällen des Goldinger Schlosses wohl ebenso sehnsüchtig nach der Himmelsgegend, woher die Fahnen ihrer sie entsetzenden Landsleute wehen mußten, wie die dnrch die Türken belagerten Wiener im Jahre 1683. Donglas erschien denn auch endlich, wurde aber von dem einschließenden Heere Mückgeschlagen. Als nun dieser letzte Hoss-uungsstcrn erlosch, glaubte der Oberst Svens eine aussichtslose Vertheidigung weder vor seinen Soldaten, noch vor den Bürgern ttoldiugens verantworten zu können. Er entschloß sich demnach zur Capitulation. So büßten die Schweden für die, an der herzog-Nchen Familie von Kurland und den Einwohnern des 10* — 344 — Hcrzogthums verübten 'Gewaltthätigkeiten, die alte Lehre bestätigend, wie begangenes Unrecht schon nieist hier auf Erden feine Strafe findet. Man will die Schweden dnrchans zu den Gothen in verwandtschaftliche Beziehungen bringen. Wenn man ihr unerhörtes und barbarisches Verfahren in Kurland einer Analyse unterzieht, so möchte man sie für gleichen Blutes mit den Vandalen halten. Erwägt man das Mißgeschick, das über Kurland durch den Krieg im Allgemeinen und die Schweden im Besondern hereinbrach, so crgiebt sich als Schlnß, daß man unbedingt in den Vordersatz miteinzustimmen hat, den Max in „Schiller's Wallenstein" ausspricht: «Der Krieg ist schrecklich, wie dcs Himmels Plagen;" aber sehr Anstand nehmen muß, den Nachsatz zu bekräftigen: „Doch ist er gut, ist ein Geschick, wie sie." Von guten Ergebnissen in Folge eines Krieges ist stets nur wenig zu spüren. Wenn die Schweden, die durch den frommen Gustav Adolph in ihrem Lagerleben zn regelmäßigen Morgen- und Abendgebeten angehalten wurden, solche Gräuel, wie in Kurland nnd LitGauen, begehen konnten, so folgt daraus, daß in jedem Kriege nnd unter dem menschenfreundlichsteil Feldherrn Gränel und Bestialitäten verübt werden. Kurland empfing durch die Schweden und den Krieg für seinen Wohlstand nnd seine Volksbildung Wunden, die erst nach vielen Jahrzehnten verharschten/ 245 — Aus der Geschichte der Stadt Goldingen. Der Krieg, dcr in früheren Jahrhunderten bei größerer Rohhcit dcr Soldateska viel schrecklicher war, als heutzutage — freilich hat er auch in der Jetztzeit noch des Schrecklichen genug — der Krieg brachte der Stadt Goldingen unendliches Ungemach und Herzeleid. Die Bewohner der eben genannten Stadt waren in Zweifel darüber, ob ihre Feinde, die Schweden, oder ihre Freunde, die Polen und Brandenburger, schlimmere Gäste wären. In: Plündern leisteten die Einen wie die Auderen Großartiges. Als der Herzog im Jahre 1660 nach Goldingen kam, so fand er außer den Mauern nichts im Schlosse vor. Er befahl nun, das Gebäude wieder in einen wohnlichen Zustand zu sctzcn, und als er im Jahre 1664 auf's Nwe erschien, so hatte das Ganze schon ein behaglicheres, wenngleich noch immer kein einladendes Aussehen gewonnen. Im Jahre 1666 langte er mit seiner Gemahlin in Goldingen an, und der ärmliche Aufzug der Bürger, die ihre Herzogin einholten, sprach von den schweren Zeiten, die sie durchgemacht — 346 - hatten. So sehr es nur irgend die Mittel des Herzogs gestatteten, ließ er das Schloß wieder ausschmücken. Durch kostbare, seidene und wollene Tafteten, die besonders den Nordfliigel zu einen: wahrhaft fürstlichen Aufenthalte »lachten, stellte er wieder eine Residenz her, wo sich ein regierender Herr allenfalls niederlassen konnte, ohne ihm liebgewordene Bequemlichkeiten Zu entbehren. Beim Ausbruche des nordischen Krieges wurden alle diese kostbaren Tafteten von den Wänden genommen und nach Memel in Sicherheit gebracht. Nachdem man einmal so traurige Erfahrungen in Bezug auf die Raublust der Schweden gemacht hatte, wollte :nan sich nicht zum zweiten Male von ihnen ausplündern lassen. Znm Glück erlebte der Herzog Jacob, der so viele Prüfungen erfahren hatte, den nordischen Krieg nicht mehr. Ihm ward Goldingen wieder ein sehr angenehmer Aufenthalt, und er kam häufig mit seiuer ganzen Familie zum Besuche dorthin. Im Anfange ehrten die Bürger trotz ihrer großen Erschöftfnng die Anknnft ihres Landesherrn und der Scinigen durch feierliche Einholungen. Da sich diese Besuche aber zu oft erneuerten, so konnten die Bürger die Kosten zu dergleichen Festlichkeiten nicht mehr erschwingen und blieben zu Hause. Der Rath verurtbeilte sie deshalb mehrere Male zu Geldstrafen, unterließ es aber, diese einzutreiben, da er sich bald überzeugte, daß es bei den Bürgern durchaus nicht an gutem Willen fehlte, wohl aber am Besten, nämlich am Gelde. — 247 — Als die Schweden im Jahre 1078 durch Kurland Zogen, um in dcr Campagne gegen den Großen Kurfürsten ein Bedeutendes von ihrem Nimbus einzubüßen, machte nian sich in Goldingen auf einen neuen Ueberfall gefaßt. Der Oberhauptmann ließ deshalb die Bürger sich bewaffnen, das Schloß auf ein halbes Jahr verproviantiren, mehrere Schanzen aufwerfen, kurz, alle Anstalten treffen, um die Schweden mit blutigen Köpfen heimzuschicken, falls sie einen Angriff versuchen sollten. Der Herzog ordnete ferner an, weil er den Bürgern doch allein nicht zutraucte, sie würden das Schloß gegen kriegsgewandte Truppen halten können, daß eine kleine Anzahl regulärer Soldaten, die unter dem Befehle eines Kapitäns Gerhard Block standen, in dasselbe einrücken solle. Die Ritterschaft hatte auf diesen Capitain den bittersten Haß geworfen. Da er in der That ein sehr übles Subject gewesen zu fein scheint, indem man ihm nicht blos der gröbsten ^cesse, sondern sogar eines Mordes beschuldigte, so bereinigten sich die Bürger mit den Adeligen, um bon dein Herzoge seine Bestrafung, wenigstens seine Entfernung von einem Posten zu verlangen, wo er s" ungemeinen Schaden anrichten konnte. Allein der Herzog ließ seinen Liebling nicht fallen, und alle Vorstellungen blieben unbeachtet. Der glänzende Einzug des Herzogs Friedrich Kasimir in Goldingen, der im Sommer des Jahres 1W1 stattfand, zeigte, daß die Stadt von den Kriegs-brangsalen sich schon erfreulich erholt hatte. Der — 248 — Herzog Friedrich Casimir mußte sich in Goldingen sehr wohl fühlen, da er dort oft sein Hoflager aufschlug. Er ließ einen schönen Thiergarten daselbst anlegen und würde für die Stadt und das Schloß Goldingeu wohl noch mehr gethan haben, wenn ihn: ein längeres Leben vergönnt gewesen wäre. Besonders muß man im Laufe des Jahres 1695 im Schlosse zu Goldingen sehr vergnügt gewesen sein, denn in den „Knrländischen Sammlungen von Dr. Weygandt" kommt ein eigener Abschnitt vor, der überschrieben ist: „Von der in Goldingen 1695 auf dem Schlosse gewesenen Hoch-fürstlichen großen Wirthschaft und Lustbarkeit." Von dem Herzoge Friedrich Casimir, der den 22. Januar 1698 starb, möchte hervorzuheben sein, daß während seiner Negierung, die freilich kaum acht Jahre währte, keiu auswärtiger Feind im Lande gesehen wurde. Vorzüglich deshalb dürfte dieser Umstand Erwähnung verdienen, weil Kurland von Durch' zügcn, Contributionen und sonstigen kriegerischen Calamitäten unendlich heimgesucht worden ist. - Nach dem Tode des Herzogs Friedrich Casimir kamen schwere Zeiten über das Laud, und die glänzen-den Festlichkeiten auf dem Schlosse zu Goldingcn hörten gänzlich auf. Das letzte wichtige Ereigniß für diesen dein Untergänge geweihten Fürstenbau war der Pilten'sche Landtag, der hier im Jahre 17(U abgehalten ward. Da die Kriegsgefahr sich immer näher und näher den knrischcn Gefilden zuwälztc, und man die Raublust von Freund und Feind hin- — 349 — länglich erfahren hatte, so wurdm alle Tapeten, Möbel und irgendwie wcrthhabende Sachen auf achtzehn großen Frachtwagen, unter Bedeckung von drei fürstlichen Gardereitcrn, nach Memcl in Sicherheit gebracht. Diese, vom Herzoge Ferdinand im Juni getroffene Maßregel stellte sich als sehr zweckmäßig heraus, indem der schwedische Oberstlieutenant Nothliebe Mit 450 Dragonern schon im August das Schloß und die Stadt besetzte. Die Schweden verwüsteten das Gob dinger Schloß ebenso, wie ihre Vorgänger im Jahre 1659. Wie arg dem Schlosse mitgespielt wurde, geht am deutlichsten daraus hervor, daß, als Karl XII. in Goldingen vom 17. bis 37. Januar 1702 verweilte, er es vorzog, sein Logis in dem Hause zu nehmen, das später dem Bürgermeister Stavmbagen gehörte. Wenn man bedenkt, wie es wohl selten einen Monarchen gab, der so einfach zu leben gewohnt war, wie Karl XII., so kann mall hieraus auf deu gräu-licheu Zustand schließen, in dein sich das Schloß von Goldiugcn damals befand. Man darf überhaupt das nste Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts als die unglücklichste Periode in der Geschichte Goldingens, su wie ganz Kurlands, bezeichnet,. Es würde nun der Herzog Friedrich Wilhelm U"ch beendeten: Kriege wohl ein gänzlich ausge-. Plündcrtes Schloß vorgefunden haben, wenn nicht einige Bürger Goldingens so umsichtig gewesen wären, bon den ihrem Landesherrn gehörigen Sachen heimlich emige an sich zu nehmen, ohne daß die ranbgicrigen — 250 — Herren Schweden es merkten. EZ überlieferte unter andern der Postmeister Borra dem Herzoge Friedrich Wilhelm eine ausgezeichnete englische Stubenuhr, die er geschickt den Schweden zu entziehen gewußt hatte. Die Schweden waren natürlich mit der Stadt nicht schonender umgegangen, als mit dem Schlosse. So hat die Stadt Goldingen, wie jede Stadt und jedes Menschenleben, des Betrübenden mehr aufzuweisen, als des Erfreulichen. — 251 Der Einzug der braudenburgischcu Prinzessin Elifabcth Sophie in die Stadt Goldingen. Der Große Kurfürst trat in eine zweimalige Familienverbindung mit dem Herzoge Jacob von Kurland. Seine Schwester nämlich, Linse Charlotte, vermählte sich mit den: Herzoge Jacob, und der aus dieser Verbindung hervorgehende älteste Sohn, der spätere Herzog Friedrich Casimir, führte seine Cousine, die Tochter des Großen Kurfürsten, Elisabeth Sophie, als Gattin in die nordische Heimath. Wir wollen nun den Einzug dieser brandcnburgifchcn Prinzessin ln Goldingen, die zweite kurischc Residenz, etwas ausführlicher zu schildern versuchcu. Goldingen hatte durch das in Folge der schwedischen Invasion über ganz Kurland hereingerochene kriegerische Mißgeschick, sowohl was Belagerung, als was Beraubung anbetrifft, das Schlimmste zu leiden schabt. Da sämmtliche, zur Wohnung der herzoglichen Familie bestimmten Zimmer noch nicht mit schönen Tapeten ausgcschlagen waren, obgleich durch den verstorbenen Herzog alles herbeigeschafft worden. — 253 — was ihm nur irgend möglich gewesen, so hatte der jetzige Regent im Auslande bedeutende Ankäufe gemacht, damit seine junge Gemahlin sich in den Schlössern Kurlands bald wohnlich und behaglich fühlen möge. Mobilien scheinen aber nicht altsreichend gewesen zu sein, da die Bürger der Stadt so viele Stühle und Tische, als sie nur irgend entbehren konnten, zu den Festlichkeiten aufs Schloß leihen mußten. Daß Kurland, trotz der schweren Drangsale, die es überstanden hatte, dennoch im Stande war, wo es galt, Glanz und Pracht zu entfalten, ergiebt eine Schilderung dieses Goldinger Einzuges, der ungefähr in folgender Gestalt Statt hatte. An der Spitze des sehr langen Zuges befanden sich bnntgekleidete herzogliche Trompeter, die lustig in die schöne Sommer-luft hineinschmctterten. Man schrieb nämlich den 12. Juli 1691. Den Trompetern folgte eine Compagnie reitender Vürger mit einer schönen Standarte, die von der Stadt zu dieser Feierlichkeit neu angeschafft worden. An die Bürger schloß sich ein Commando Dragoner, die von dein Fähnrich v. Klopmann angeführt wurdeu. Hinter den Dragonern erschienen die Depuürten der Ritter- und Landschaft in sechzig prachtvollen Klitschen. Hierauf folgte wieder Cavallerie, und zwar hundert Lehnsreiter, die vom Rittmeister von Karp befehligt wurden. An diefe schloß sich eine Compagnie Jäger, in graller Uniform mit silbernen Tressen, die den Ober-Forst-Iägermeister von Nolde an ihrer Spitze hatten. Jetzt kam die glänzende Garde zn Pferde, in blauer Montur imd Mänteln, mit Silber und Gold bordirt. Ihr vorauf sprengte anf einem herrlichen Rosse der Rittmeister von Kosch-tnll. Der prachtvollen Garde folgten zwölf aufs Geschmackvollste galonirte Pagen, von dem Pagenmeister Dansy angeführt. Ntit den Pagen schloß die erste Abtheilung des Zuges. Die Zweite ward wieder durch zwölf Trompeter und einen Heerpanker eröffnet. Ihnen folgten die vier Oberräthe, jeder in einer besondern Kntfche. Hierauf kam anf einem stolz sich bäumenden Rappen der Hofmarschall von ,^uigge, den sämmtliche Hof-Eavaliere zu Pferde umgaben. Unmittelbar anf diese glänzende Cavalcade folgte der Herzog mit seiner Gemahlin in eitler überaus prächtigen Kutsche. Die Hofdamen der Herzogin fuhren jede iu einer besondern Eqnipage. In das Läuten der Glocken mischte sich der Donner von sechzig Kanonen, die in kurzen Zwischmräumen von dem Augenblicke an, wo der Herzog das Weichbild der Stadt betrat, bis zu dem Montente, wo er in dem Schlosse abstieg, regelmäßig "b.M'uett wurden. Ueber dcr anf Kosten der Stadt ^oldingen errichteten Ehrenpforte schwebte Cupido wit dem Bogen und einem Köcher voll Pfeilen. In der rechten Hand hielt er eiu Siegeszeichen mit der ^Überschrift i Ii-mu^mn« anwr. An dcr den: Schlosse zugcwaudten Seite der Ehrenpforte stand all einer Säule Phöbus, eine Sonne in — 354 — der Hand haltend; an der andern Selene mit dem Monde; über dem Portale aber Pallas, die einen Lorbecrkranz auf das Hanpt des einziehenden Herzogs herabsenkte. Auf dein Lorbeerkranzc las man die Worte: ,,Dn,tui- m6i-6ntiI)U8". Dies war keine niedrige Schmeichelei, denn der Herzog Friedrich Eafi-inir hatte als Erbprinz den Lorbeerkranz wohl verdient, als er mit zwei Regimentern Fußvolk und einem Regiment Reiterei die Holländer gegen den ungerechten Einfall Ludwig XIV. aufs Wirksamste unterstützte. Unter den vielen lateinischen Versen, mit denen man das neuvermählte fürstliche Paar fast überschüttete, möaen die folgenden Erwähnung finden: „Prisca novis reparavit amor connubia flammis, Dux sua jam suam ducit in arva ducem. Plaudite Curlandi, vobis nitet aureus aether Et ducibus spondena summa Suprenius ait: Tu sol afflictis eris, haec solamine luna, Tuque pater patriae, mater et ilia tuae. Nachdem der lange Zug endlich im Schlosse angelangt war, wurde im großen Schisssaale die Ritter- und Landschaft aufs Herrlichste bewirthet. Der Magistrat der Stadt Goldingen Hatte die Ehre — zuzusehen. Den 24. Juli empfahl sich der mitgekommene brandenburgische Gesandte und zog den: fürstlichen Paare nach Mitau voran. Man Hatte demnach volle zwölf Tage m Goldingen durch Bankette, Bälle und sonstige Festlichkeiten sich zu vergnügen gewußt. — 255 — Aus der Schilderung der Goldinger Einzngsfeier-lichkeitcn geht hervor, daß in friiheren Jahrhunderten, wo das Verhältniß zwischen Fürst nnd Volk viel inniger war, als heutzutage, erfreuliche Familien-Ereignisse im Schooße des Herrscherhauses von den Unterthanen voll der größten Herzlichkeit mitbegangen wurden. Bei jetzigen Einzügen sieht man auch noch Ehrenpforten nnd eine bnntgeschmnckte Menge, aber das Herz nnd Gemüth bleiben meist unbetheiligt. 356 Zwei Justizmorde aus früherer Zeit. Wenn auch das Staatsschiff „Deutschland" noch auf hohem Meere von Wind und Wogen arg zu leiden hat; wcnu es auch noch immer nicht Anker zu werfen vermag an dem festen Vollwerke der Einheit, so sind doch unsere inneren Zustände, insoweit Nccht und Menschlichkeit in Frage kommen, unendlich besser geworden, als früher; ja, wir befinden uns, um an die große Dichtung des in jüngster Zeit so viel besprochenen Dante zu erinnern, im Paradiese, nachdem wir so lange in der Hölle und im Fegefeuer zu leiden hatten. Wüthete doch, um im Bilde zu bleibell, in gar nicht so fernen Jahrhunderten das Feuer des Aberglaubens und Unverstandes gegen zahlreiche Männer und Frauen, die iu den Verdacht gerathen waren, Hexenmeister und Hexen Zn sein. Wir geben hier, ohne weitere Betrachtungen daran zn knüpfen, weil die nackten Thatsachen beredt genug sind, den Bericht eines Doppel- Scheiterhaufens, auf welchem zwei gänzlich unschuldige Männer den: Aberglauben zum Opfer sielen. — 357 — Die eine Verbrennung geschah in Mitau, die andere in Berlin. Erzählen wir Znerst den in Milan begangenen Instizmord. Der Herzog Jacob von Kurland, der Schwager des Großen Kurfürsten, war seit längerer Zeit unwohl, nnd namentlich zeigten sich bei seinem Nebel einzelne Symptome, von denen sich sein Arzt, der Leibmedicus Harder, keine Rechenschaft zu geben vermochte. Man bemerkte nämlich in dem Auswürfe d^s Fürsten eine Metige Wolle, deren Ursprung ein Näthsel blieb. Ich weiß nicht, wer den unglücklichen Einfall hatte, dem Herzoge in den Kopf zu setzen, er könne behext sein; genng, der Letztere glanbte, daß ihm seine Krankheit von einem mit bösen Dämonen in Verbindung stehenden Menschen' sei angezaubert worden. Er sann hin nnd her, wer dieser Uebel-thä'tcr wohl sein könne, und bald wandte sich sein Verdacht anf einen gewissen Magnns Lnsst, der Amtmann von Neuguth und ein braver, unbescholtener Mensch war. Die Behörden zogen ihn auf den bloßm Verdacht des Herzogs sogleich ein. Da er unschuldig war, so konnte er natürlich imM bekennen. Indeß hatten damals die Nichter das bequeme Mittel, durch unerhörte Peinigungen dem Angeklagten jedes ^eständniß, was sie gerade wünschten, abzupressen. Wir meinen hiermit selbstverständlich die Folter. Um dem entsetzlichen (Mederzerreißen zu entgehen, bekannte "'r arme Magnns Lufft, nachdem er einige Tortur punier, Kurland. 17 — 358 — grade muthig bestanden, Alles, was seine Nichter nur hören wollten. Er ward in Folge seiner Geständnisse zu Vauske öffentlich verbrannt. Kaum hatten die Flammen den Unglücklichen verzehrt, so kam man zu der Erkenntniß, daß er an der Krankheit des Herzogs gänzlich unschuldig gewesen. Ich lasse hier statt meiner den Herrn von Mirbach in seinen „Briefen aus und nach Kurland" reden. Er berichtet den Sachverhalt folgendermaßen: „Endlich, aber zu spät, und nachdem der arme Lusst bereits den Feuertod erlitten hatte, entdeckte der Hof- und Leibmedicns Harder klärlich, daß die alte, halbvermoderte Taftete im Schlafzimmer des Herzogs bei jedesmaliger Eröffnung der Thüre in Bewegung gesetzt werde und ganze Wolken von wollenen Faser-chen von sich lasse, die dann ohne weiteres Wunder und ganz natürlich auf die Vrust des Kranken gefallen und nach einem starken, oft erstickenden Husten wieder ausgeworfen worden wären. Auch veränderte sich der haarrciche, schleunige Speichel, sobald das Schlafzimmer verändert war." Damit man sich übrigens nicht zu der Behauptung verleiten lasse, daß dergleichen nur in Kurland möglich gewesen sei, gehe ich sogleich zu einer nicht minder schrecklichen, das Gefühl empörenden Geschichte über, die sich in Berlin zutrug, dieser Metropole der Intelligenz und Humanität. Die in Berlin vorgenommene Verbrennung ist fast noch schauerlicher, indem ihr außerdem Zwicken mit glühenden Zangen — 259 — und Rädern voraufging. Freilich trng sie sich hundert Jahre früher zu. Doch erzählen wir einfach den Sachverhalt. Unter der Negierung des prachtliebenden Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg waren die Staatskassen häufiger leer, als gefüllt. Um nun der steten Ebbe des Schatzes ein Ende zu machen, ernannte der Kurfürst den Hofjudcn Lipftold, der sich seines unbedingten Vertranens erfreute, znm Vorsteher des Münzwesens. Natürlich erregte die große Gunst, in der ein verachteter Israelit bei den: Kurfürsten stand, allgemeinen Neid. Doch, so lange Joachim II. am Leben war, wußte er seinen Favoriten zu schützen. Nach dem Tode des Kurfürsten aber schwärzten die mächtigen Gegner des Juden ihn bei dem neuen Herrscher unaufhörlich an, und Lippold ward endlich gesanglich eingezogen. Vei der Untersuchung seiner Papiere und seines Hauswesens fand sich nicht das Mindeste, was ihm zur Last gelegt werden konnte. Die über das Münzwesen geführten Rechnungen stellten seine strengste Rechtlichkeit heraus, und die silbernen Gefäße und sonstige Kostbarkeiten, die er für dargeliehenes Geld von vornehmen Herren als Pfand genommen hatte, konnten ihm keine Schuld aufbürden, da er nur gethan, was für damalige Zeiten einem Juden geziemte. Man hätte ihn nun wieder freilassen müssen, leider aber sollte ein Wortwechsel mit seiner jähzornigen Ehehälfte den qualvollsten Tod für Hn zur Folge haben. Beide Gatten zankten sich 17* — 260 — nämlich auf'Z Heftigste im Gefängnisse, und die Frau rief ihrem Manne bei'm Weggehen in Gegenwart des Schließers die Worte zu: „Du würdest längst kalt sein, wenn der Kurfürst die Schelmenstreiche wüßte, die Du mit Deinem Zauberbuche getrieben." Auf geschehene Denunciation verfuhr man peinlich gegen den armen Hebräer. Die Hofbeamten besannen sich jetzt, daß Lippold dem Kurfürsten am Abend vor seinem Hinscheiden ein Glas Malvasierwein gereicht hatte, und dieses folltc nun durchaus vergiftet gewesen sein. Wenn bis dahin die ill Berlin und Mitau spielenden Geschichten grundverschieden waren, so werden sie doch, wo die Katastrophe eintritt, fast identisch. Der Jude Lippold ward auf die Folter gebracht, und obgleich er, ebenso wie der kurische Amtmann Magnus ^ufft, durchaus unschuldig war an dein ihn: vorgeworfenen Verbrechen, so bekannte er sich doch zu Allem, um nur von der entsetzlichen Tortur loszukommen. Als lippold von der Folter heruntergenommen ward, widerrief er und schwor bei Gott und den Propheten, daß er an eine Vergiftung des Kurfürsten, seines Wohlthäters, nie gedacht habe. Doch, da man ihn einmal schuldig wissen wollte, fo schritt man auf's Neue zur Folter. Die furchtbaren Qualen bewirkten wiedernm, daß der arme Jude sich zu Allem bekannte, was nur irgend den inqui-rirenden Herren zu höreu beliebte. Doch jetzt widerrief er nicht wieder, um der Höllenpein der Folter nicht zum dritten Male ausgesetzt zu werden. Man — 361 — betrachtete ihn demnach als Vcrgiftcr des Kurfürsten und verfuhr gegen ihn mit all' den raffinirten Qualen, au welchen das Marterarsenal der früheren Jahrhunderte so reich war. Er ward zehnmal auf verschiedenen öffentlichen Plätzen mit glühenden Zangen gezwickt und endlich nach dein dienen Markte auf cm hölzernes Gerüste geführt, wo man ihm erst cm Vein, dann einen Arm räderte und ihn zuletzt vicr-theilte. Die Fetzen, die von dem gefolterten und ge-viertheiltcn Leichname übrig blieben, wurden theils am Galgen, theils an den Landstraßen aufgehängt. Der Nest dieses Menschenbreies wurde verbrannt. AIs das hölzerne Gerüst allsing, von den Flammen ^'faßt zu werden, fo lief, was gauz uatürlich war -^ von dem Instincte der Selbsterhaltung getrieben — eine sich dort versteckt habende Maus darunter hervor. Der abergläubische Berliner Pöbel klatschte ln die Hände und rief, daß der leibhaftige Zauber-tcufel sich iu der Gestalt der Mails von dem Annm-stiuder getrennt habe. Für die Nachrichter war damals eine goldene Zeit. Jeder Zaugenriß brachte ihnen Geld ein. Einer Taxe für die Mchrichter zn Goldingen und Mitau cutnehmen wir Folgendes: „Für's Verbrennen, Mdern, aufs Nad Flechten Mit dem Decolliren <; Nthlr.; Deeollircn 4 Nthlr.; Aufhängen 5 Nthlr.; jeder Zangeuriß 1 Nthlr.; für Staupenschlag und ans den Schindanger Schleifen 2 Rthlr.; und eben so viel für das Anschlagen emer — 262 — Schrift an den Pranger -oder das Verbrennen eines Pasquills." Vei'm Rückblicke auf solche Schändlichkeiten haben wir doch allen Grund, Gott wieder und wieder zu danken, daß wir in einem Jahrhunderte geboren wurden, wo die Scheiterhaufen des Aberglaubens keine Nahrung mehr finden, wo hingegen das Fener der Liebe heller uud heller lodert, und der Haß und die Zwietracht sich immer weiter zurückflüchtcn müssen in die Polargegeuden des Eises und der Finsterniß. — 263 Der bescheidene Kaiser und der unbescheidene Assessor. Der Kaiser Alexander I. war bis zu einem seltenen Grade nachsichtig, wenn man es an den Rücksichten fehlen ließ, die man seinem hohen Nange schnldete. Selbst Herzen, der wahrlich von den russischen Kaisern nicht viel Gutes meldet, giebt Alexander dem Ersten das Zeugniß, daß er der Einzige seiner Familie gewesen sei, der nicht mit großer Empfindlichkeit über die seiner hohen Geburt gebührenden Ehren gewacht habe. Mr die Wahrheit unserer obigen Behauptung wöge folgende Thatsache zeugcu, die bisher wohl noch nirgends berichtet wurde. Auf eiuer seiner vielen Reisen in'Z Alisland, wo der Kaiser Alexander I. Kurland berührte, waren die Behörden von dem Minister des Innern befehligt worden, mit größter Sorgfalt darüber zu wachen, daß die Straßen in einem guteu, fahrbaren Zustaude sich befänden, und daß es nicht an dem gehörigen Vorspann fehle. Ein Hauptmann und ein Assessor waren dem Kaiser bis zu einer Station, deren Namen gleichgültig ist, auf Befehl des Gouverneurs von — 264 — Kurland entgegengefahren, um dort Alles, die Reise des Monarchen Betreffende, in's Werk zu setzen. Sowohl Hauptmann wie Assessor sind in Kurland richterliche Personen. Sie sind Beamte der Regierung, können aber nur aus dein kurischen Adel genommen werden, dessen einzelne, sich hierzu meldende Mitglieder durch ein juristisches Examen vor dem Oberhofgerichte zu Mitall ihre Befähigung nachweisen müssen. Der Hauptmann, ein vortrefflicher Mann, aber eine sehr ängstliche Natur, zitterte wie Espenlaub bei dem Gedanken, von den Augen des Kaisers eine längere Zeit hindurch gemustert zu werden. Was ihn aber am Meisten in Unruhe versetzte, war der eigenthümliche Charakter des ihn begleitenden Assessors. Dieser kannte nämlich gar keine Menschenfurcht, und sein freies, ungezwungenes Benehmen machte ihn zum Verkehr mit allerhöchsten Personen sehr wenig geeignet. Auf der ganzelt Fahrt bemühte sich der Hanptmann vergebens, den Assessor in eine feierliche, wo möglich andächtige Stimmung zu versetzen. Der Assessor, der, abgerechnet, daß er gerade nicht auf dein Parquet der Höfe Zu wandeln wußte, sonst ein wissenschaftlich sehr gebildeter Mann war und seinen Posten mit großer Pflichttreue verwaltete, plauderte unbefangen über hundert verschiedene Dinge, ohne daß er sich in: Geringsten mit der bevorstehenden Ankunft des Kaisers zu beschäftigen schieil. Beide Herren langten wohlbehalten auf der Station an, und bei'm Heraussteigen wünschte der Hauptmann — 365 — sehnlichst, es möge der Assessor des Anblicks der kaiserlichen Majestät gar nicht theilhaftig werden, da er ihn wegen seiner profanen Stimmung dieser Ehre durchaus unWerth erachtete. Die Anknnft dcs Kaisers war erst nach zwei Stunden angesagt. Der Hanptmann wäre nun gern gleich unten geblicbcn, um ja nicht zu verfehlen, den Monarchen an dem Wagenschlage zu empfangen. Er fürchtete indeß zu sehr den Spott des ihn begleitenden Assessors und stieg deshalb mit ihm in die schöngeschmückten Wartezimmer hinauf, innerlich mit dein festen Entschlüsse, sich nach einer halben Stunde unter irgend einem Vorwande hinaus-zustehlen und dann vor der Anknnft des Kaisers nicht Wieder hineinzugehen. Der Kaiser aber, überaus schnell fahrenb, langte fast zwei Stunden früher an, als man ihn erwartet hatte. Während neue Pferde vor die Wagen gespannt wurden, stieg er in den ersten Stock hinanf, wo die Empfangszimmer sich befanden. Der unglückliche Hauptmann, von dem Assessor in ein lebhaftes Gespräch verstrickt, hatte von dem Herantollen der kaiserlichen Equipagen nichts vernommen. Wie wird ihm, als der Czaar plötzlich in's Zinnner tritt! Bleich und fast leblos sinkt er an die Wand uud kommt während des kurzen Verweilens seines Herrn und Gebieters gar nicht wieder zur Besinnung. Der Assessor, nachdem er eine tieft Verbeugung ge-'uacht, dic der Kaiser huldvoll erwidert, geht mit Mchstcr Unbefangenheit in« Zimmer umher, was den v"r Schreck erstarrten Hauptmann doch in eine köpf- — 266 — schüttelnde Bewegung bringt. Der Kaiser tritt zu den Bildern, die an der Wand hängen, und beachtet weiter nicht die beiden mit ihm im Zimmer befindlichen Herren. Doch der Assessor, der sich langweilt und die Gelegenheit, mit einem großen Monarchen so dicht zusammen gewesen zu sein, nicht, ohne seine Bekanntschaft gemacht zu haben, vorübergehen lassen will, tritt zu den: Kaiser heran und spricht: „Ew. Majestät finden diese englischen Kupferstiche ohne Zweifel wohl sehr schön?" Alexander I. antwortet höflich, daß, so viel er davon verstehe, ihm diese Bilder allerdings sehr gelungen scheinen. Hierauf geht er das Zimmer hinnnter zu einem Gemälde, welches das bekannte Urtheil des Salomo vorstellt, wie er zwischen zwei Frauen entscheidet, die Beide Ansprüche an ein kleines Kind erheben, dessen Mutter sie zu sein behaupten. Der unermüdliche Assessor steht bald dicht neben dem Kaiser und fragt ihn mit gemüthlichem Tone: „Nun, Majestät, welche von den Frauen halten Sie für die rechte Mutter?" Der Kaiser, nachdem er etwas erstaunt, aber nicht un-willig, den Zudringlichen angeblickt, entgegnet, daß er hierüber nicht ganz klar sei. Dem Assessor kommt es sehr sonderbar vor, daß dem Kaiser eine ihm so unzweifelhaft erscheinende Thatsache nicht sogleich ein^ leuchtet, und er antwortet ziemlich lebhaft: „Aber, Majestät, achten Sie doch nur auf die Todesangst in den Mienen der Frau, die zur Linken steht! Diese, und eben nur Diese kann die rechte Mutter — 267 - sein." Der Kaiser dankt mit kurzen, aber verbindlichen Worten für die ihm gewordene Belehrung. Ob er nun in einem Kunstgespräche nicht allzu fest sein mochte, oder, was wahrscheinlicher war, trotz seiner so wenig anspruchsvollen Natur, das Benehmen des Assessors allzu burschikos fand, genug, er ging zum Fenster, um zu sehen, ob schon neue Pferde vor seinen Wagen gespannt seien. Der arme Hauptmaim, der seit mehreren Minuten Höllenqualen bei den unerhörten Frechheiten seines Assessors ausgestanden hat, glaubt in die Erde sinken zu müssen, als er diesen zum dritten Male den Kaiser anreden und hart an das Fenster herantreten sieht. Die Neugicrdc des Assessors ist jetzt durch den herrlichen Neisewagen des Kaisers gefesselt und zu dem Besitzer sich wendend, spricht er: „Ew. Majestät, in Ihrer Equipage muß es sich Prächtig bequem fahren." Alexander I., um diesen unermüdlichen Verfolger endlich los zu werden, antwortet: „Wenn Sie ihn sich im Innern ansehen wollen, s" brauchen Sie nur hinunter Zu steigen und sich von dein Bedienten den Schlag aufmachen zu lassen." „Ja, das werde ich sogleich thun," antwortete der naive Assessor, und bald ist er unten, um an seinen Sitztheilen die reiche Polsterung des kaiserlichen Wagens auszuprobiren. — 268 - Wenn der alte Hauptmann diese Geschichte erzählte, so brach ihm bei der Nückerinnerung noch der helle Angstschweiß aus. Daß der Kaiser Alexander I. sich bei dieser Gelegenheit überaus anspruchslos und liebenswürdig bezeigte, dürfte von Niemandem geleugnet werden können. 269 Tie Ankunft der Viadame Royale in Milan. Es war am 4. Juni des Jahres 1799. Ein schöner, wolkenfreier Himmel überwölbte mit azurner Kuppel die weiten Anen, welche Mitau nach allen Seiten hin umgeben. Die Sonne brannte fast sengend auf die Köpfe der Mitauer und Mitauermnen, welche theils vor ihren Hänsern standen, theils sich w großen Schaaren zum Thore hinansbewegten. Die Grnppen sprachen sehr angelegentlich mit einander. Sie schienen irgend einem wichtigen Ereignisse cnt-6,egen zu harren. Ob dies freudiger oder trauriger Art war, konnte man aus den Mienen nicht sogleich ersehen. Wenn auch ans dem Antlitze der Männer wehr die Neugierde hervorleuchtete, so schien es doch, als ub ihre Mienen von Zeit zu Zeit etwas wie Wchmuth überhauchte. An der sprechenderen Physiognomie der Frauen konnte man es aber aufs Deutlichste erkennen, daß bei dem Schauspiele, dein sie entgegen harrten, ihr Herz sich lebhaft betheilige. Trugen anch sie allerdings den Stempel der Neugierde in unverkennbaren Zügen auf ^- 370 — ihrem Antlitze ausgeprägt, so umspielte ihren Mund doch zugleich ein Hauch von Wehnmth, und ihre Augen waren alle von Thränen gcröthet, die immer aufs Neue über ihre Wangen perlten, wenn sie mit einer für Nordländerinnen ungewöhnlichen Lebhaftigkeit sich zu einander hinneigten und ihre Gedanken gegenseitig austauschten. Was erfüllte nun die Bürger und Bürgerinnen Mitau's mit so gemischten Empfindungen? Wem sahen sie mit solcher Spannung entgegen? Sie harrten einer reinen und makellosen Lilie, erblüht an den Ufern der Seine, die ein mitleidsloser Sturm aus ihren: mütterlichen Erdreiche gerissen und in den rauhen Norden verweht hatte. Sie harrten einer königlichen Jungfrau, an der schon im zartesten Alter das Unglück seine Prüfungen erschöpft zu haben schien; einer Jungfrau, der man nach einander den Vater, die Mutter, eine engelgleiche Tante geraubt hatte, um ihre unschuldigen Häupter dem gierigen Beile der Guillotine zu überliefern; einer Jungfrau, die man nach all diesem Wehe Monate lang allein im dunkeln Kerker ließ, während unfern von ihr ein kranker Knabe, ihr Vrnder, in Stnmpfsinn langsam dahinsiechte; er, um dessen Stirn sich die vierzehnhundertjährige Krone Chlodwig's hatte schlingen sollen. Sie harrten mit einem Worte der Madame Royalc, der Enkelin Maria Theresia's, der Tochter Ludwig XVI-und Marie Antoinettes, der Waise des Tempels, — 371 — wie man, all' ihr gehäuftes Wehe in eine kurze Bezeichnung zusammendrängend, sie in ganz Enropa zu nennen pflegte. Madame Royale ward also am 4. Juni 1799 in Mitau erwartet. Die Neugierde der Bewohner Mitau's war schon seit läugerer Zeit auf das Höchste gespannt und erst heute durch die Mittheilungen der französischeu Emigranten befriedigt worden. Bis zum heutigen Tage hatten sie sich mit unfruchtbaren Vermuthungen begnügen müssen, um sich die große Aufreguug und Geschäftigkeit zu erklären, die theils auf den: Mitauer Schlosse, theils unter den in der Stadt wohnenden Emigranten sich bemerkbar machte. Es ist bekannt, daß die übermächtige französische Republik im Jahre 1799 die Bourbous genöthigt hatte, in Nußland eine Zuflucht zu suchen, insofern die übrigen europäischen Staaten sich den Zorn der Gewaltigen zuzuziehen fürchteten, wenn sie der unglücklichen, vom Throne gestürzten französischen Konigs-familie ein Asyl gewährten. Der Graf von Provence nun, der Bruder des hingerichteten Ludwig XVI., wohnte mit seinen: Hofstaate in dein ihm durch Paul I. zur Verfügnng gestellten Mitauer Schlosse. Er uannte sich, seitdem sein Neffe 1795 im Kerker jammervoll dahingesiecht war, König von Frankreich und Navarra, und sein nie wankender Glaube an sein Necht führte ihn auch sftäter als Ludwig XVIII. auf den französischen Thron, __ 272 ',__, dem freiwillig zu entsagen ihn Napoleon vergeblich durch Unterhändler hatte überreden wollen. Am heutigen Tage sollte nun dem Grafen von Provence die große Genugthuung zu Theil werden, die Tochter seines unglücklichen Bruders an sein Herz zu drücken. Er hatte lange anf dies Glück harren müssen, da Oesterreich, an das die Tochter Ludmigs XVI. bekanntlich im Jahre 1795 ausgeliefert worden war, sie unter allen nur denkbaren Vorwänden zurüKhiclt, weil es sie gern mit dem Erzherzoge Karl, dem späteren Sieger von Aspern, vermählt hätte. Doch Madame Noyale, deren ganzes Leben ein einziger Trauer-gottesdienst zu Ehren ihrer, durch eine so schauerliche Katastrophe dahingerafften Aeltern war, blieb gegen alle österreichischen Einflüsterungen nnd Ucberredungen taub, da sie keinen Augenblick vergaß, daß ihr unglücklicher Vater in seinem Testamente den Wunsch ausgedrückt hatte, fie möge ihren Cousin, den Herzog von Angoulmnc, den ältesten Sohn des Grafen von Artois, ehelichen. Oesterreich würde nnn vielleicht noch lange mit der Erlaubniß gezögert haben, daß Madame Noyale sich zu ihrer väterlichen Familie nach Mitan begebe, wenn nicht Paul 1., durch den Grafen von Provence um seine Vermittelung angegangen, ein kräftiges Wort zu Gnnsten eines der letztet: Wünsche des durch sein trauriges Schicksal ewig mitleidswürdigen Ludwig XVI. gesprochen hätte. — 373 — Der Wiener Höf hatte nämlich allen Grund, den so leicht auflodernden und schwer zu besänftigenden Zorn Pauls I. nicht zu reizen, da Oesterreich zu seinem Feldzuge in Italien ein russisches Hülfsheer füglich nicht entbehren konnte. Es ist bekannt, wie der GrafSuwarow mit einer mächtigen russischen Heersäule nach Italien zog, Hort auch den Oberbefehl über die Oesterreichcr führte und, vereint mit ihnen, die Franzosen wiederholt schlug, welche Siege durch den Titel eines Fürsten Italinski belohnt wurdeu. Paul I. nun, der wohl wußte, daß Oesterreich ihm so leicht nichts abschlagen könne, hatte an Ludwig XVIII. geschrieben: „Monsieur Mon Frere, Madame Royale Vous sera rendue, ou je ne serai plus Paul I." Nicht lange darauf empfing Ludwig XVIII. vom Nieucr Hofe die offkielle Mittheilung, daß der Abreise der Madame Noyale nichts im Wege stehe. Kaum hatte Ludwig XVIII. die ihn so sehr erfreuende Votschaft zu Ende gelesen, als er den Herzog von Angoulöme zn sich bescheiden ließ. Ihn umarmend, faate er: „Mon neveu, vous allez voir bientot Madame Royale, l'epouse qui vous est destinee. Elle vous apporte en dot la protection des saints martyrs, ses augustes parens, et des vertus qui vous rallieront tons les coeurs. Espdrons main-tenant tout de l'avenir." 33 fu uter, flurtanb. 18 — 374 — Der Herzog von Angonl/'me war trunken vor Freude und Seligkeit. Als nun die Anknnft der Madame Royale in Mtau so sicher war, daß nicht mehr daran gezweifelt werden konnte, ließ Lndwig XVIll. anch seine Gemahlin, die bis dahin in Deutschland zmückgeblieben war, zu sich einladen, damit eine ältere Dame von gleichen: Range und nächster Verwandtschaft der königlichen Waise als Duenna Zur Seite stände. Sollte sie auch bald nach ihrer Ankunft Herzogin von Angoulmne werden, so war sie doch bei ihrem Eintreffen eine neunzehnjährige, des Schuhes bedürftige Inngfrau. Die Gemahlin Ludwigs XVIII. war mm, mn der Madame Royale als mütterliche Freundin zur Seite zu stehen, am .-;. Juni l7W in Mitau angelangt; doch ging ihre Anknnft ziemlich spurlos vorüber. Sie war eine ungemein gutmüthige, harmlose, sehr wohlbeleibte Dame, aber das war auch Alles. Zu einer Königin war sie durchaus nicht geschaffen, nnd während ihres Hoflcbens in Versailles hatte es Epigramme des damals so frivolen und seine ganze Thatkraft in Spott verflüchtigenden französischen Adels gleichsam auf sie geregnet. Sie ertrug dies Alles geduldig, was indeß weniger ihrem milden Herzen, das gern verzieh, als ihrem schwerfälligen Geiste zuznschrei-ben war, den: die Pointen-in den stacheligen Qnatrains meist entgingen. Es begreift sich hieraus, daß ihre Ankunft weder bei ihren: Geinahle, der bei einem — 375 — sehr kühlen Naturell sie nie geliebt hatte, noch bei den Emigranten, die sich nur durch Majestät oder Schönheit oder Grazie imponirm oder hinreißen ließen, irgend welche Begeisterung hervorzurufen vermochte. Ganz anders war, es am hcntigen Tage, dem 4. Inni, wo man der Madame Noyalc, der Tochter der bezaubernden Marie-Antoinette, entgegcnharrte. Ludwig XVIII. hatte seine erhabene Nichte an der Grenze Rußlands in seinem und feiner Gemahlin Namen durch den Herzog von Villequier beeomplimen-tiren lassen. Außerdem empfingen sie auf zwei größeren Haltepunkten, wo die Madame Royale eine kurze Zeit rastete, nach einander der Graf von Cosss und der Herzog von Guiche. Auf einer der letzten Stationen vor Mitau stellten sich ihr der Chevalier lwn Malden und der Herr von Turgy vor. Der Erstere ist dadurch historisch geworden, daß er einer 'der drei Gardes-du-Corps war, die Ludwig XVI. "us semer Flucht nach Varenncs als Couriere dienten, und der Zweite war .Kammerdiener bei dem unglücklichen Monarchen und von diesem hochgeschätzt. Frei-llch ist er nicht, gleich Clöry, als Bild rührender Treue von Klio in ihre unzerstörbaren Tafeln eingerechnet worden. Ludwig XVIII. hatte beschlossen, seine königliche dichte vor den Thoren Mitau's Zu empfangen und ^'shalb seinen Garden und > dem gesammten diensthabenden Adel befohlen, sich c?n grmiä6 t6im6 dem Huge anzuschließen. Die in der Stadt wohnenden 18* — 376 — Emigranten hatten sich beeifert, in ihrer Hofkleidung, wodurch sie an die feenhaften Feste von Versailles und Klein-Trianon erinnert würden, die der Madame Royale bestinnnte Ehren-Escorte zn vergrößern. Tie Bürger nnd Bürgerinnen Mitau's, sonntäglich gekleidet, folgten theils dem königlichen Inge, theils waren sie demselben bereits vorängeeilt. Es herrschte, wie gesagt, eine große Hitze an dein 4. Juni des Jahres 179<). In längerer Zeit war kein Regen gefallen, und dichte Staubwolken umhüllten den königlichen Zug. Aller Augen waren der Richtung zugewandt, wo sich dic Wagen der Madame Noyale zeigen mußten. Man branchtc nicht lange zu warten. Die Tochter Ludwigs XVI., von Sehnsucht getrieben, sich an die Vrnst ihres väterlichen Oheims zu werfen, hatte ihre Reife ungemein beschleunigt-Nur ein kleiner Iwischenraum trennte noch die Equi-pagen der Madame Noyale von dein königlichen Zuge. Kaum hatte der an dem Wagelischlage der Madame Noyale reitende Stallmeister ihr gemeldet, daß er die französischen Garden nnd eine große Menge Volks gewahr werde, so gab sie den Befehl Zu halten. Lndwig XVIII. hatte bereits dasselbe befohlen. Eine ungemeinc Vcwegnng machte sich in dem königlichen Znge bemerkbar, als man den Wageit der Madame Noyale halten sah. Selbst in dem von Wehnnlth selten überflogenen Antlitze Ludwigs XVIIl« znckte es mächtig, uud es war unverkennbar, wie er nur mit Mühe seine Thränen zurückhielt. Seine — 277 — Gemahlin und die sie umgebenden Damm warm aber bei ihren weichherzigen Naturen nicht im Stande, den übermächtigen Strom ihrer Gefühle einzudämmen. Ran hörte rings umher ein lautes Weinen. Die Garden nnd der französische Adel bildeten einen großen Halbkreis um Ludwig XVIII. und seine Gemahlin. Etwas zurück standen die zum Thore hinausgeströmten Mitauer und Mitauerinnm. Es ward hier auf kurischem Boden dem Auge eiu getreues Nild von dein früher so berühmten und don allen europäischen Potentaten nachgeahmten Ver-sailler Hofe dargeboten. Die französischen Herren und Damen waren sämmtlich gepudert und ganz so gekleidet, wie an jenen Abendet», wo sie die Mutter ^r jetzt uaheuden königlichen Waise in ihrem bezaubernden Liebreize bewnndert hatten. Mochten ihre politischen Ueberzeugungen immerhin einer eingesargten Periode angehören, so hatten sie doch aus dem riesigen Schiffbruche das gerettet, woran die französische Generation seit erlitten, nämlich ausgezeichnete Manieren uud ein verbindliches Beneh-uu'n selbst gegen den Niedrigsten. Zu der äußern glänzenden Haltung dieses feinen Hofkreises gesellte sich nun hente ein tiefer und edler ^'stimmtes Innere, während in den Tagen des Glücks "ur leichtfertige nnd oberflächliche Gedanken in den Köpfen der meisten hier versammelten vornehmen Harren lind Damen gewohnt hatten. Das hoch-magische Schicksal der jetzt nahenden königlichen — 278 — Jungfrau erfüllte jede französische Brust mit den Gefühlen des tiefsten Schmerzes, mit den Schauern vor den Schritten eines allgewaltigen Schicksals, vor dem das Haupt eines mächtigen Herrschers ebenso in den Staub sinkt, wie das des Letzten seiner Unterthanen. Aber wie schwach waren trotz ihrer Erregung die Empfindungen in dem Busen Ludwigs XVIII., feiner Gemahlin und des gesammten königlichen Gefolges gegen den Sturm von Gefühlen, die das Herz der Madame Noyale fast stille stehen machten. Das zwiefache Schaffot ihrer thenren Aeltern, all' jene unerhörten Kränkungen und Demüthigungen, die feit dem 10. August 1792 ihr Leben zu dein gramerfülltesten gemacht hatten, zogen an ihrem geistigen Auge vorüber. Fast besinnungslos stieg sie aus dem Wagen. Doch da fiel es ibr plötzlich ein, wie die Purpurgeborenen ihren Schmerz nicht zur Schau tragcw dürfen, sondern das Lächeln auf den Lippen haben müsseu, mag anch ihr Herz vor Wehe und Qual verbluten. Hoch richtete sie das Haupt empor und schritt mit majestätischer Haltung der königlichen Gruppe entgegen. Wenige Schritte hinter ihr folgte ihre Umgebung. Wohl erkannte man ill dem edlen Gange und dein vornehmen Tragen des Hauptes, in dem stolzen Antlitze und dem gebietenden Auge das vereinte uralte Geschlecht der königlichen Bourbons und der kaiserlichen Habsburger. Es war im vollsten Sinne des Wortes eine königliche Jungfrau, die dort einher — 279 — schritt; aber der Liebreiz, der Schönheitsschmelz, den Chateaubriand an ihr bewundert hatte, als sie vor zehn Jahren an der Seite ihrer bezaubernden Mutter, ein holdes Kind, ans der Messe kam, und sie sich mit ihrem blonden Lockenhaupte gegen die ehrerbietig grüßende Menge voll Grazie verneigte; all' der Glanz und Schimmer, den ihre damals nur von den Sonnenstrahlen des Glückes beschienene Existenz ausgeströmt hatte, war auf ihrem Antlitze und an ihrer ganzen Person für immerdar ausgetilgt. Vei all' ihrer jungfräulichen Schönheit war etwas Herbes in ihrer äußern Erfcheinnng. Jenes Herzerlaltende Wehe, mit dem die Statuen der Niobe die Vrnst des Beschauers erstarren inachen, übte auch Madame Noyale bei ihrem ersten Auftreten aus. Sie war eine Fleisch gewordene Elegie. Obgleich die Erregung der Madame Royale mit jedem Schritte, der sie ihrem Oheim näher brachte, zunahm, so vergaß sie doch nicht die Vorschrift der Etikette, daß sie beim ersten Gewahrwerden des Königs von Frankreich vor ihm niederzuknieen habe. Wie einst ihre liebreizende Mutter beim Empfange zu Eompwgne vor Ludwig XV. niedergeknieet war, so that sie es jetzt auf kurischem Voden, fern der süßen Heimath, vor Ludwig XVIII. Doch ebenso, wie Ludwig XV. schnell Marie-Antoinette emporgehoben und cm M Herz gedrückt hatte, so geschah es auch ietzt von Ludwig XVIII, gegenüber der Madame Noyale. — 280 — Wie nun die königliche Waise aufschaute und in dem mit thränender Zärtlichkeit ans ihr ruhenden Auge ihres Oheims eine Aehnlichkeit mit ihrem hciß-beweinten. Vater zu entdecken glaubte, da verließ sie ihre mühsam errungene Fassnng. Ihre Thränen flutbeten hervor, und kaum vermochte sie m stammeln: „Mon pere, — mon onclc! — pardonnez ä mon desordrel" Ludwig XVIII., dem die feine und gewandte Nede in so hohem Grade zu Gebote stand, sprach zu ihr schöne und tröstende Worte, wie sie bei ihm und seiner Gemahlin eine neue Heimath finden, und wie durch die Liebe des von ihren verklärten Aeltern ihr bestimmten Gatten die Morgenröthe des Glücks endlich an ihrem Lebenshorizonte emporsteigen werde. Der Herzog von Angoulöme, der ein sehr mildes und weiches Herz hatte, konnte vor innerer Bewegung nicht sprechen. Er" küßte unter Thränen die Hand seiner erhabenen Verlobten. Die französischen Hofherren hatten beim Nahen der Tochter Ludwigs XVI. ihre Häupter entblößt, ihre Hüte geschwenkt, und auf Aller Lippen hatte sich der Nuf gedrängt: „Vivo U mir genall geschilderten, bedeutenden Persönlichkeit, Der jetzt so angefochtene prenßische Ministerpräsident wird deshalb sich die Liebe seines Volkes erwerben, weil er stets an dessen Größe geglanbt und sich zum Ziele gesetzt hat, den Preußischeu Staat, den er unfertig überkam, abgerundet und selbst dem mächtigsten Nachbar gewachsen zu hinterlassen. Dies wird er erreichen durch Ausschluß des undeutschc Ziele verfolgenden Oesterreichs uud durch enge Vereinigung mit den übrigen dcntschen Stämnlen, die an Vildung und Gesittung nut Preußen fast übereinstimmen. Ich habe ans nord- uud süddeutschen Universitäten studirt; ich kenne demnach den Viloungsstandpunkt des Landes unserer Väter. Sie küssen, die Wiege meiner Vorfahren stand in Westphalcn, wo die Leute einen sehr ruhigen, verständigen Character haben, fern von aller Phantasterei. Ich selbst biu auch durchaus ruhig lind kühl, Herr Pastor, wie ich da zu Ihnen spreche, obgleich ich nicht leugnen kaun, daß mein Herz oft freudig aufwallt, wenn ich bedenke, wie Deutschland, diese Heimath uuserer Nhneu, unter tüchtiger Leitung eines großen Staatsmannes sich zur erstell Stelle in Europa emporzuschwingen vermag. Und weil die preußischen Volksvertreter ihm kleinliche Hindernisse in den Weg warfen bei seinem Kampfe fin- das Höchste, darum zeigte der Ministerpräsident ihnen seinen Unwillen, ja, oft seine Geringschätzung. Mein — 289 — Gott, der Staatsmann darf der großen Menge ja sein eigentliches Ziel erst enthüllen, wenn der entscheidende Augenblick gekommen! Doch die durch Geist und Wissen hervorragenden Männer dieses Volkes, die zum Landtage versammelte Blüthe der Nation, sie sollten das oft unregelmäßige Wehen des Frühlingswindes sich zu deuten wissen, dieses Windes, der durch Neinignng der Luft und Auffrischung aller Lebenssäfte die herrljchste Frncht für den Sonnner verheißt. Also dem Unverstände von Männern, die die Pflicht hatten, verständig zu sein, zeigte seine Verachtung, aber nicht den Vertretern des Volkes als solchen, nnd ant allerwenigsten dem Volke selber. Daß er vermöge seiner sarkastischen Natur den vornehmsten Persönlichkeiten, wenn sie sich zu der ihnen durch ihre Stellung znr Pflicht gemachten Höhe nicht emporschwingen, ebenfalls seine Verachtung kund thut, bewies der jetzige Ministerpräsident, als er noch Bundestagsgesandter zu Frankfurt am Main war. Sie kennen doch die famose Geschichte, Herr Pastor?" „Nein, Herr Graf," antwortet ziemlich kleinlaut der Pfarrer, der noch manche liberalen Bedenken auf dem Herzen hat, diese aber nicht vorzubringen wagt. „O, die Geschichte ist köstlich," spricht der Graf und lacht wohlgefällig vor sich hin. „Der jetzige preußische Ministerpräsident hatte also int Innern eine nicht geringe Verachtung gegen den deutschen Bundestag, weil dieser seine Aufgabe nicht begriff und sich an einer großen Nation versündigte, deren Brünier, Kurland, , 19 Heil er fördern sollte. Alle diese Herren Gesandten beriethen mit der wichtigsten Miene über unbedeutende, kleinliche Gegenstände, aber nicht über das Große und Geziemende. Da nun aber das damalige preußische Ministerium ein ängstliche Rücksichten nehmendes und kein kühn vorgehendes war, so sah sich auch dcr von demselben abhängige preußische Vnndestags-gesandte nicht bevollmächtigt, seine Geringschätzung an den Tag zu legen und dein ihm dnrch umständliche und nichtsnntzende Berathungen häufig verursachten Aerger den kräftigsten Ausdruck Zu geben. Ein kluger Mann weiß sich aber zu helfen. War ihm auch die offene Sprache nicht gestattet, so durfte er doch zum Symbol greifen. Als demnach eines Tages wieder die Herren Bundcstagsgesandten in unerträglicher Breite über einen geringfügigen Gegenstand verhandelten, da sprach der preußische Legationsrath kein Wort; aber er nahm ruhig seine Cigarren-taschc aus dem Frack, öffnete sie und zündete sich, indent er sich behaglich in den ,^ehnstnl)l zurücklegte, eine feine Cigarre an, den Dampf ganz so vor sich hinblasend, wie er einst die Nundestagsgesandtcn wegznblasen gedachte. Sämmtliche Excellenzen sollen über das freche, studentische Gebahren fast Zu Bildsäulen erstarrt geweseil sein. Cie mögen gut ausgesehen haben, diese Perrückenköpfe'." Dcr Graf lachte lant auf und fuhr dann fort: „Sie wissen, Herr Pastor, ich bin Familienvater und halte mein Geld zu Nathe. Aber für den kost- — 291 — lichen Anblick der Perrückcnköpfe am Bundestage, als der prenßische verhaßte College sich im Allerheiligsten eine Cigarre ansteckte, für dies unbezahlbare Schauspiel hätte ich gern tausend Nnbel ausgegeben. So wird der türkische Divan erstarrt dagesessen haben, als unser Menschikoff mit den, alten, schäbigen Paletot in die feierliche Versammlung trat. Der Paletot des Nüssen und die Cigarre des Preußen zeigten den beiderseitigen Versammlungen, welche Achtung sie verdienten. Ja, es waren Alttürken in Frankfurt, wie in Constanti-nopel. Der preußische Ministerpräsident ist der Herkules, den: die Bestimmung ward, diesenAugiasstall auszufegen. „Wenn diese Herren Vundcstagsgesandtcn so gar übel waren," bemerkt lächelnd der Pfarrer, „so hätten Sie, Herr Graf, wegen der Nähe des Geistlichen, indem Sie ihre Umgebung stets so fein zu berücksichtigen wissen, so hätten Sie ja lieber ein Bild aus der Vibel wählen, nnd den preußischen Minister den Simson nennen können, der über die Philister kam." „Vortrefflich, Herr Pastor!" antwortet der Graf, ihn: freundlich zunickend. „Das war aus der Seele des wackern Freiherrn von Stein gesprochen, der den Bundestag vorzugsweise „das frankfurter große Phi-listerium" zu nennen pflegte, obgleich bei seiner kräftigen Ausdrucksweise ihm noch viele ähnliche passende Worte zn Gebote standen. Dieser wahrhafte Edelmann, der stets das Recht des Volkes gegen die Negierung vertrat, Weil er in seiner Sphäre sich gleichfalls jeden Eingriff der verhaßten Bureaukratie verbat, 19* — 292 — dieser Edelmann voll wahrhaft antikem Character stellte den Satz auf, daß die fü verrufenen Reichsgerichte tausendmal besser gewesen seien, als der frankfurter Bundestag. Denn die Reichsgerichte hätten aus tüchtigen Rechtsgelehrtcn bestanden, die sich einer großen Selbstständigkcit erfreut und cmf die Gesetze vereidet gewesen, während die Vundestagsgesandten von ihm als „diplomatische mmn^^mn8^ bezeichnet wnrden. Nun, mit diesen Hampelmännern ist es eil: für allemal vorbei in Frankfurt a. M. Zu Vertretern eines großen Volkes eignen sich nur freie, unabhängige Männer. Ich erwarte viel von dem in Aussicht stehenden zweiten deutschen Parlameute." Der Pfarrer will eben seine höchste Befriedigung ausdrücken, daß der im Ganzen von ihm so hoch geschätzte Graf diesmal Gesümungen ausgesprochen, die mit den seimgen vollkommen übereinstimmen, als er sich wn'dcr znm Stillschweigen verdammt sieht. Denn der Graf fährt bei seiner großen Lebendigkeit in strömender Rede also fort: „Und wie der preußische Ministerpräsident die Vundcstagsgefandten, die keine eigene freie Meinung hatten, sondern von ihren Kurfürsten und Fürsten wie echte Hampelmänner am Bande gezogen wurden, wie diese der preußische Simson zum Tempel hinausjagen, aber in der schonenden Weise der Neuzeit den Tempel erst Zerbrechen wird, wenn sämmtliche Philister mit heiler Haut davon gekommen, so wird er auch hoffentlich den kleinen deutschen Potentaten, die — 293 — wie ein Alft auf die Brust ihrer Unterthanen drücken, den Zwangspaß ausstellen. Er hat schon einmal dein Kurfiirsten von Hessen-Kassel einen Feldjäger ans den Hals. geschickt und ihm dadurch den Grad seiner Achtung deutlich genug zu erkennen gegeben. Dieser Feldjäger war der getrcne Eckardt, der den Kurfürsten warneu sollte, auf dem betretenen Wege weiter zu schreiteu. Nun, da Letzterer in seiner ungerechten Regierungsweise verharrte, wird der preußische Ministerpräsident den unter den deutscheu Poteutateu am meisten gehaßten Landesherrn zu einem „Johann ohne Land" machen. Schätze hat Letzterer ja genug eingesammelt, um ohne Sorgen leben zu können. Er braucht demnach nicht, wie Dionys, im Alter noch den Schulmeister abzngcben, obgleich er das Abprügeln bei seiuen Kammerdienern schon prächtig in Anwendung brachte." „Verzeihen Sie, Herr Graf," wirft der Pastor ein, „wenn ich meiner Verwunderung Ausdruck gebe, so eben Aeußerungeil vernommen zu haben, die in dem Munde eines Aristokraten entschieden befremdlich sind." „Das sind sie Ihnen, werther Herr Pastor, weil Sie, wie die Mehrzahl der Liberalen, den himmelweiten Unterschied zwischen „Aristokrat" und „Junker" nicht beachten. Ich bin ein Aristokrat, trie Freiherr von Stein es war. Für Fürsten, wie unser herrlicher Kaiser, für den ich und alle meine Slandesgenossen den letzten Blutstropfen verspritzen würden, bin ich der treueste Unterthan. Für kleinliche Tyrannen da- , — 394 — gegen, die beschworone Eide brechen und das monarchische Princip Tausendmal schlimmer untergraben, als der rötheste Republikaner, für solche unfürstliche Fürstlichkeiten hege ich die tiefste Verachtung und den Wunsch, daß sie, gleich den SwartZ, in der Verbannung ein Dasein verbringen, das ihren Unterthanen bis dahin zum Fluche und ihnen selber zur Schande gereicht." Der Graf hat sein Hanpt stolz erhoben, und aus seinein Ange znckt ein Blitz der Verachtung, wie wenn er einen solchen Fürsten vor sich erblickte, die, während sie sich vor Napoleon I, zu Lakaien herabwürdigten, ihre Unterthanen mit dem Uebermuthe asiatischer Satrapen behandelten. Eben will der Pfarrer einige beruhigende Worte sprechen, weil diese heftige Erregung den: sanften Manne in allzu großen: Widersprüche erscheint mit den: wundervollen Frieden in der Natur, als plötzlich zu dem Ohre der beiden Herren die weichen, klagenden Accorde eines lettischen Trauergcsanges herantönen. Wie sie Auge und Ohr der Nichtnng des Gesanges znwenden, da gewahren sie auf einem Seitenwege, der zu der hoch-gelegenenKapelle'-) führt, eine Schaar festlich geschmückter Lettinnen, die Blmnenkränze in der Hand halten und mit gesenkten Häuptern einherschreiten. Sie wallen in feierlichem Znge zu den: Grabhügel theurer, ihnen vorangegangener Verwandten, um dort als Pfand ihrer nie ersterbenden Liebe Immortellenkränzc nieder- *) In Kurland wird der Kirchhof beständig „Kapelle" genannt, mithin die Figur des „iiurs ^ru toto" zur Anwendung gebracht. — 295 — zulegen. Es ist ringsum so still und feierlich; das Lied der Vögel in den Zweigen ist verstummt; kein Geräusch irgend eines Gefährts erschallt von der Landstraße her; nur die weichen, die Vrnst zur Wehmut!) stimmenden Molltöne des lettischen Gesanges erfüllen die laue Sommerluft. Die Strahlen der goldig und prächtig nntersinkendm Sonne umlenchten die mit weißen Tüchern geschmückten lettischen Frauen und Jungfrauen, die singenden Schwänen gleichen im Abendgolde. Immer weicher, immer wehmüthiger, immer klagender wird der Gesang, je mehr der Zug sich dem Friedhofe nähert. Der Graf und der Pfarrer blicken bewegt auf den feierlich einherschreitenden Zug der klagenden Frauen. Der Ausdruck in beider Antlitze ist ernst, ja, wehmüthig geworden. Plötzlich leuchtet der Strahl der Begeisterung über die Mienen des Pfarrers und seine Hand znm Segen ausstreckend, spricht er! „Mögen die frommen Wallerinncn Trost und Stärkung einsammeln an dem Grabhügel ihrer entschlafenen Lieben! Möchte der jetzt in Deutschland, dein Lande unserer Väter, entbrannte Krieg nicht zu zahlreiche Opfer fordern! Möchten diese Opfer gefallen sein der wiedererstehenden Größe eines Volkes, das durch Tapferkeit, Frömmigkeit und herrliche Leistungen in Kunst und Wissenschaft den ersten Platz beanspruchen darf unter den Völkern Europa's! „Dazu spreche der Allmächtige sein gnädiges Amen!" antwortete ernst und tief ergriffen der Edelmann. — 296 — Ihnen war sehr feierlich zu Muthe geworden, den beiden würdigen, m ihren politischen Ansichten oft getrennten, aber in ihrem Eifer für alles Gute und Schöne stets vereinten Männern, dem Pfarrer und dem Edelmann. Sie setzten ihren Weg zum Schlosse von jetzt an schweigend fort, da für die mächtigen Gedanken ihres Innern ihnen der entsprechende Ausdruck fehlte. Voll andächtiger Empfindungen blickten sie in die so goldig und so verheißungsvoll untertauchende Sonne, die mit Purpur gluthen den blauen Abendhimmel überstrahlte. Möchte, was jene würdigen Männer im fernen Kurland für Deutschland ersehnten, und was Millionen deutsche Herzen am Morgen und am Abend erstehen, sich schön verwirklichen- Deutschlands Größe und Einheit! Möge der Frieden, der über Kurlands Fluren waltet, auch wohnen in Deutschlands Auen, vom Memelstrome bis zu den Fluthen des Rheines! Ja, wie in Kurland, wohn' in Deutschland Frieden! Es sei Jedwedem gleiches Necht beschiedcn, Und Dichters Tramn^vAvnMD^schon hienieden! Nr»ck bu» Nömer H Hi yen stock m Zerbst.