Kultbilder im Vorchristlichen Slawentum Sondierungsgänge an Hand eines Marmorfragments aus Kärnten mit Ausblicken auf den Quellenwert von Schriftzeugnissen des 8.-12. Jh. Hans-Dietrich Kahl m m o\ m © © The author discusses a marble torso from Carinthia (Austria), which does not fare as either Christian nor Celtic, nor Roman nor German. Nevertheless, Slavic oral tradition are indeed able to classify and explain it. This raises the issue of whether the so far apparent absence of Slavic idols between the Havela and the Adriatic is more the result of the type of Christianization - determined by the circumstances of the sources, than it is of the habits of those Slavs living there. Übersicht: 1. Voraussetzungen (S. 9-11). - 2. Bisherige Befunde (S. 12-18). - 3. Weitere Umschau (S. 18-27). - 4. Zwischenbilanz (S. 27-32). - 5. Der Marmortorso von St. Martin am Silberberg - nicht römerzeitlich, nicht christlich, nicht germanisch, nicht keltisch (S. 32-40). - 6. Der Torso vom Silberberg - ein Relikt vorchristlichen Slawentums ^ von überregionaler Bedeutung (S. 40-46). - 7. Slowenisch? Alpenslawisch? Karantanisch? (S. 46-48). - 8. Ergebnisse (S. 49-52). i-l 1. Voraussetzungen Bevor Religion sich zu Schriftform verfestigt, schlägt sie sich vielfach in liturgischen U Gestaltungen nieder, Wort- und Handlungsfolgen, hinter denen bildhafte Vorstellungen - Mythen - stehen. Nicht selten wird Geglaubtes zusätzlich in Bildschöpfungen konkreti- O siert, aus gleichen mythischen Quellen gespeist. Sie ziehen dann ältere Liturgien auf sich, q fordern vielleicht auch neue heraus. Zeitliche und räumliche Differenzierung wirkt ein, denn es gibt keine Instanz, die nach Art einer Kirche normiert - »die« keltische, germanische oder slawische Religion, der dann das Christentum gegenübergetreten sei, hat es kaum je gegeben. Kontinuität und Diskontinuität wirken überall zusammen, im zweiten Fall auch durch Einflüsse von außen bestimmt: Frühe Religionen sind normalerweise H grundsätzlich zu Synkretismus bereit1, und Ausdehnungsbewegungen in Räume von er- >h staunlicher Weitläufigkeit bringen Berührung mit fremden Substraten, die alles andere als unbeschriebene Blätter sind, bringen dazu nicht zuletzt neue Nachbarn. Für die Ursprünge behindert Schriftlosigkeit überall den Einblick. Bei den Kelten wird er besonders früh getrübt durch römische Überschichtung, die ihre interpretatio ' Q 1 H.-D. KAHL, Heidnisches Wendentum und christliche Stammesfürsten. Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion im abendländischen Hochmittelalter, in: Arch. f. Kulturgesch. 44 (1962), S. 72-119; ausführlicher bei DEMS., Slawen u. Deutsche in der brandenburg. Geschichte des 12. Jh.s I, Köln-Graz 1964, Kapitel V (eher geschrieben, doch später ausgeliefert, daher mit weniger aktueller Terminologie). 0/5 Romana mitbrachte und auf Überkommenes zweifellos modifizierend wirkte, ohne daß uns hinreichend Kontrollmöglichkeiten verfügbar wären2. Für die Germanen hat KARL HELM (1871-1960) umfassend versucht, entsprechend nötiger Differenzierung gerecht zu werden. Die Erscheinungsdaten der ausgelieferten Teilabschnitte seines Werkes verteilen sich über nicht weniger als vier Jahrzehnte (1913, 1937, 1953), und doch blieb es unvollendet: Die Arbeitskraft eines einzelnen war mit dem Plan überfordert. Inzwischen ist viel daran überholt, schon allein durch Stoffvermehrung, nicht zuletzt dank Erschließung der sog. Goldbrakteaten als neuartiger Quellengruppe; ein weiterer Versuch gleicher Richtung kam nicht zustande - das Desiderat bleibt.3 Für die Slawen setzt verwertbares Material dermaßen viel später ein, zeigt sich so viel karger und einseitiger - vor allem durch das völlige Fehlen von Selbstzeugnissen aus vorchristlichen Perioden - , daß Ähnliches nur sehr bedingt gewagt werden kann, so wenig es an Ansätzen fehlt. Beide Forschungszweige gemeinsam leiden, wie andere auch, an der zerstörerischen Wirkung christlicher Mission, die in den entscheidenden Phasen alles, was sie vorfand, als »Teufelswerk« verabscheute4 und, wo die Macht auf ihrer Seite stand, vernichtete - nach Möglichkeit vor den Augen derer, die den betreffenden Kult gepflegt hatten. Man hat dieses straflose Vorgehen gegen heilige Stätten und Objekte, das die Ohnmacht der alten Götter handgreiflich zu beweisen schien, glücklich als »Tatmission« bezeichnet5. Es ist nützlich, sich die Gundkonzeption etwas eingehender klarzumachen, die hinter diesem Vorgehen stand, denn sie hat tiefe Wirkungen auf unser Quellenmaterial gezeitigt: nicht allein auf die nur so mangelhafte Bewahrung von Kultbildern, sondern auch auf Stoffauswahl und Aussagefreudigkeit schriftlicher Unterlagen; dabei folgt sie einer Systematik, die einem ungeschulten Denken von heute ferner liegt. Für den lateinischen Westen, der hier im Vordergrund bleiben wird, wurde sie besonders von Theologen wie Augustinus und Gregor d. Gr. entwickelt. 2 Zur Groborientierung: B. MAIER, Keltische Religion, in: (Hoops) Reallexikon d. german. Altertumskunde2 XVI (2000), S. 413-420, zu ergänzen durch DENS., Die Religion der Kelten, bei St. Zimmer (Hg.), Die Kelten, Stuttgart/Darmstadt 2004, S. 57-68 mit S. 220 f.; W. KRAUSE, Die Kelten (Religionsgeschichtliches Lesebuch, hg. von A. Bertholet, 2. Aufl. Heft 13), Tübingen 1929. Weiteres unten Anm. 79. Dazu G. WISSOWA, Inter-pretatio Romana. Römische Götter im Barbarenlande, in: Arch. f. Religionswiss. 19 (1916), S. 1-49. 3 K. HELM, Altgermanische Religionsgeschichte I, Heidelberg 1913 (mit Vorwort und Einleitung von bleibender methodischer Bedeutung), II/1 (1937), II/2 (1953), unvollendet; Vorwegnahme einer abgekürzten Gesamtdarstellung von DEMS., Die Entwicklung der germanischen Religion; ihr Nachleben in und neben dem Christentum, bei H. Nollau (Hg.), Germanische Wiedererstehung, Heidelberg 1926, S. 292-422 (mit nochmals beachtlicher Vorbemerkung, S. 292-294). Die Goldbrakteaten erstmals in eine Gesamtdarstellung einbezogen von R. SIMEK, Religion und Mythologie der Germanen, Stuttgart/ Darmstadt 2003; dort S. 313f. Verzeichnis der bahnbrechenden Arbeiten von K. HAUCK, von denen hier hervorgehoben sei: Brakteatenikonologie, in: (Hoops) Reallexikon d. german. Altertumskunde2 III (1978), S. 361-402. 4 H. ACHTERBERG, Interpretatio christiana. Verkleidete Glaubensgestalten der Germanen auf deutschem Boden, Diss. Greifswald 1930 (Terminus S. 87), mit Beleuchten der Auswirkungen, die die entsprechend Grundhaltung auch der Quellenautoren für die Religionsgeschichte nach sich zieht. Ergänzend: R. SCHOMERUS, Die Religion der Nordgermanen im Spiegel christlicher Darstellung, Diss. Göttingen 1936: auch F. WIENEk-KE, Untersuchungen zur Religion der Westslawen, Leipzig 1940. S. 24-28 (sonst vielfach mit Vorsicht zu benutzen); R. SCHMAUS, Zur altslawischen Religionsgeschichte; in: Saeculum 4 (1953), S. 208 f.; vgl. auch KAHL 1962, S. 78, sowie DENS., Die ersten Jahrhunderte des missionsgeschichtlichen Mittelalters. Bausteine für eine Phänomenologie bis ca. 1050, in: H. Frohnes u.a. (Hgg.), Kirchengesch. als Missionsgesch. II/1, München 1978, S. 22-24. 5 ACHTERBERG, S. 87. - Zum flg.: KAHL 1978, S. 36-49; vgl. DENS., Zur Problematik der mittelalterlichen Vorstellung von "Christianisierung", bei Z. H. Nowak (Hg.), Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung und Kolonisierung des Ostseegebietes (Ordines militares I), Torun 1983, S. 125-128. Mission war Kampf für Gott gegen den Satan und seine dämonischen Helfer um das Seelenheil der Mitmenschen, die der Verblendung durch ihn erlegen waren. Sie hat daher zwei verschiedene Aspekte, die das Taufgelübde in seiner Gegenüberstellung von abrenun-tiatio diaboli und confessio fidei zusammenfaßt; beide sind zu unterscheiden, weil Abwendung vom einem nicht zwingend gleich Hinwendung zum anderen sein muß. Das, was wir eben »Tatmission« nannten, stand im Dienst des »negativen Missionsziels«, das vom »positiven Missionsziel«, der eigentlichen Christianisierung, auch deshalb unterschieden wurde, weil für beide in der Praxis unterschiedliche Regeln galten: für die Ausrottung vorchristlichen Erbes waren alle Mittel recht, jedenfalls gegen Sachen, weniger gegen Personen; für die Pflanzung des neuen Glaubens war Gewaltlosigkeit gefordert, wurde allerdings durch die Jahrhunderte hin verschieden definiert. Das positive Missionsziel galt als erreicht mit dem Vollzug der Taufe, obwohl die bis dahin übermittelten Informationen zur Glaubens- und Sittenlehre normalerweise höchst mangelhaft waren; entscheidend war nicht der Übertritt zu einem Glauben, sondern der Entschluß zum Gehorsam gegenüber dem allmächtigen Gott, weitere Anpassung an dessen Willen stillschweigend eingeschlossen. Die Taufe unterstellte den, der sie auf sich nahm, unabhängig von seinem Kenntnisstand dem Anspruch, nunmehr «Christ» zu sein, und das hieß: Glied der Heilsanstalt Kirche, fähig zur Teilhabe an der Gnadenwirkung ihrer weiteren Sakramente, der viel zugetraut wurde, aber auch unterworfen der korrigierenden Disziplinargewalt eben dieser Kirche mit all ihrer Härte, von der Täufling noch nichts zu ahnen vermochte. Ihr oblag dann die Sicherung und Vervollkommnung von Glaubensstand und Lebensführung. Was dabei etwa noch als Restbestand vorchristlicher Religion und Moral zum Vorschein kam, mag uns als unbewältigter Anteil der negativen Missionsarbeit erscheinen; die Überwindung wurde jedoch als Aufgabe innerkirchlicher Seelsorge aufgefaßt. Wie weit diese zu gelingen vermochte, war allerdings abhängig vom aktuellen Zustand der Kirche vor Ort, etwa der Weitmaschigkeit oder Dichte des Netzes ihrer Organisation und der persönlichen Eignung der Priester - nicht zuletzt ihrem Bildungsstand, der de facto oft wohl wenig über die formalen Seiten der Gottesdienstübung und Sakramentsverwaltung hinausging. Die Idee enthüllt hier einen utopischen Zug. Verkündigung im Dienst der Mission, negativ und positiv, war der Geistlichkeit vorbehalten und ebenso die Durchführung der der Taufe folgenden Nacharbeit; der Laienwelt kam es zu, deren Arbeit in jeder Hinsicht nach Kräften zu fördern, Mitwirkung an »Tatmission« und an sonstiger Vernichtung von »heidnischem Unflat« inbegriffen. Sie fiel als Aufgabe jedem Christen zu, der sich stark dazu fühlte, und er durfte sich dann in dem Gefühl sonnen, ein verdienstliches Werk vollbracht zu haben. Gern überließ man dergleichen den Neubekehrten selbst, gemäß der Weisung, die der Frankenkönig Chlodwig bei seiner Taufe mitbekam, keineswegs nur symbolisch, sondern ganz wörtlich gemeint: Incende quod adorasti - »Verbrenne, was du angebetet hast«6! In jedem Fall mußten Kultbilder der alten Religionen ausgemerzt werden, so weit es irgend anging - Gott zum Ruhm, dem Ausführenden zum Verdienst und dem "Widersacher" zum Schaden. Wer daraufhin das Nachsehen hat, sind wir mit unserem Forschungsdrang, der mehr oder weniger weitgehend gegen damalige Tabus verstößt. In welchem Ausmaß wir damit im Nachteil sind, ist später zu beleuchten. Die eben gewonnene Begrifflichkeit wird dann hilfreich sein. 6 Greg.Tur., Hist. II, 31 (hg. R. Buchner, Darmstadt 1955, Bd. I, S. 118, 19). 2. Bisherige Befunde Auch für das vorchristliche Slawentum sind die Kultformen - Riten und Liturgien - im wesentlichen verschollen; vielleicht, daß sie Nachklänge noch in der einen oder anderen Volksüberlieferung finden, die längst unter anderen Vorzeichen stehen und aufwendige Rekonstruktionsaufgaben stellen7. Für die Kultbilder hat L.P. SEUPECKI das zur Zeit mögliche Wissen instruktiv und handlich zusammengestellt8. Verfügbare Quellen - auch hier gegenständliche neben schriftlichen Aufzeichnungen - bilden allerdings verschiedene Kreise, die sich nur teilweise überschneiden. Liegt das daran, daß nur die ersten, die Bildwerke, genuin vorchristlich-slawisch sind? Die zweiten stammen ja von Repräsentanten der siegreichen Kirche, die sich auf solchen Stoff nicht wirklich einlassen wollten - Geistesbrüder derer, die bei Kultobjekten für möglichst gründliche Zerstörung sorgten. Was aber an schriftlichen Unterlagen und Fundstücken zugänglich ist, fügt sich nicht alles zusammen. Immer wieder sind landschaftliche und zeitliche Unterschiede in Betracht zu ziehen, beide oft unterschätzt. Unstimmigkeiten in der Überlieferung bilden ein Problem für sich. Am merkwürdigsten ist die geografische Verteilung dessen, was auf die eine oder andere Weise an Kultbildern gesichert werden kann, im wesentlichen wohl Statuen und Stelen9. Vom heute ostslawischen Gebiet sind, wie bekannt, erhebliche Teile auszuklammern, die erst seit dem Hochmittelalter slawisiert worden sind: Der ganze Norden des europäischen Rußland, Moskau nicht ausgenommen, war von finnischen Wandernomaden behauptet, Partien Weißrußlands von baltischen Stämmen; weitere Abstriche verlangen der Osten und Süden, die Waldgebiete westlich wie sämtliche Regionen östlich des Ural und die Steppen im Norden des Schwarzen Meeres. Auch so indes fällt auf, wie wenig weit nach Osten slawische Kultbilder vordringen und wie sporadisch sie sich dann noch verteilen: zwei im Flußgebiet der Velikaya, südlich vom Peipussee, zwei zwischen Njemen und Bug, fünf relativ konzentriert in Wolhynien und Podolien, südwestwärts von Kiew. Über die damit gegebene Grenze nach Osten hinaus führt die sog. Nestorchronik aus dem 12. Jh. Sie hält fest, Wladimir d.Gr. habe, bevor er sich 980 zur Taufe entschloß, in Kiew selbst ein Pantheon von numinosen Gestalten errichtet, die er dann später verhöhnen und zerstören ließ10. Der Großfürst kann Träger skandinavischer Einflüsse gewesen sein, die von den Warägern kamen - die Namen der Gottheiten, Perun an der Spitze, zei- 7 Vgl. unten bei Anm. 61. 8 L.P. SLUPECKI, Slavonic Pagan Sanctuaries, Varsav 1994, S. 198-228, mit zwei instruktiven Karten im Anhang und reicher älterer Lit.; ergänzend DERS., Au déclin des dieux slaves, bei M. Rouche (Hg.), Clovis - histoire et mémoire II, Paris 1997 S. 303-305; DERS., Heidnische Religion westlicher Slawen, bei A. Wieczorek - H.-M. Hinze (Hgg.), Europas Mitte um 1000, Ausstellungskatalog 2000, Bd. I, S. 244 f., mit Ergänzungen verschiedener Verfasser im Katalogteil, S. 135-139; DERS., Pagan religion and cultural landscape of Northwestern Slavs in the Early Middle Ages, in: Siedlungsforschung 20 (2002), S. 25-40. Vgl. J. HERRMANN (Hg.), Die Slawen in Deutschland, Ein Handbuch, Berlin 1985, S. 309-321, und H.-D. KAHL, Der Millstätter Domitian. Abklopfen einer problematischen Klosterüberlieferung zur Missionierung der Alpenslawen (Vorträge u.Forschungen, Sonderband 46), Stuttgart 1999, S. 38-51, passim. Wichtige Quellensammlungen: C.H. MEYER, Fontes Histo-riae Religionis Slavicae (Fontes Historiae Religionum IV), Berolini 1931, und deutsch bei A. BRÜCKNER, Die Slaven (Religionsgeschichtliches Lesebuch, Heft 3), Tübingen 1926. Zur religionsgeschichtlichen Einführung jetzt G. LABUDA, O wierzeniach poganskich Slowian w kronikach niemieckich z XI i XII wieku, in: Ksiçga pami^tkowa T. Bialecki, Szczecin 2003, S. 37-57. 9 Vgl. die Karten bei SLUPECKI 1994, Anhang. 10 BRÜCKNER, S. 16 f. gen, daß slawische Komponenten mindestens beteiligt waren. Ob die Genannten jemals schon vorher gemeinsam verehrt oder aber aus verschiedenen Reichsteilen zusammengeführt worden waren, um diese vereint an das Zentrum zu binden, bleibt offen. Noch weiter östlich befand sich ein Handelsplatz, wohl an der Wolga, dort, wo später Bolgar entstand. Ahmad ibn Fadhlan kam in den 920er Jahren als Glied einer Gesandtschaft dorthin. Ihm fiel ein «langer, aufgepflanzter Holzpfahl» auf, «der ein Gesicht wie das eines Menschen» hatte, von kleineren Bildwerken umgeben, mit weiteren Holzpfählen im Hintergrund11. Der Bericht spricht von Slawen; genauere Analyse hat jedoch gezeigt, daß er auf skandinavische Waräger zu beziehen ist12. So besitzen wir in ihm weder ein Zeugnis für einen vorgeschobenen slawischen Bereich, noch einen Beleg für möglicherweise nicht erhaltene Denkmäler aus safes Abb. 1. Vierseitige Götterstele aus dem Zbruč (Wolhynien, Ukraine), Kalkstein, slawisch, 1. Hälfte 10. Jh.? Nach Slupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, S. 226. Slika 1. Štiristrani steber z bogovi iz Zbruča (Volinija, Ukrajina), apnenec, slovansko, 1. polovica 10. st.? Po: Slupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, 226. vergänglichem Material, mit denen an sich zu rechnen ist. Einfluß von Norden her, eben schon erwähnt, ist für die Urteilsbildung im Auge zu behalten13. Eins der wolhynischen Beispiele sei genauer betrachtet, weil es Fragen berührt, die weiter unten zu erörtern sind (Abb. 1)14. Die Kalksteinstele, ca. 2,60 m hoch, 0,30 m breit, 11 C. TAESLER bei Meyer, S. 87. 12 H.-P. HASENFRATZ, Die religiöse Welt der Germanen, Freiburg/Br. 1992, S. 16, vgl. 13 ff., nach H.M. SMY-SER, Ibn Fadlan's Account of the Rus, bei B. Bessinger jr. - R. P. Creed (Hgg.), Medieval and Linguistic Studies in Honor of F. P. Magoun jr., London 1965, S. 96 ff., und H.-J. GRAF, Orientalische Berichte des Mittelalters über die Germanen, Krefeld 1971, S. 42 ff.; vgl. SIMEK, S. 84 f., 196 f. 13 Das von TAESLER, S. 97, herbeigezogene Zeugnis des etwas jüngeren Mas'udi dürfte schon wegen beschriebener Architektur gleichfalls nicht in slawischen Zusammenhang gehören. 14 Zum flg. SLUPECKI 1994, S. 215-223 mit Zeichnung aller vier Ansichten und älterer Lit.; DERS., 1997, S. 304 f.; 2000, S. 245 u. 247 mit Ergänzung durch I. GABRIEL im zugehörigen Katalogband, S. 135, Nr. 05.01.01 präsentiert sich als die bedeutendste Schöpfung vorchristlich-slawischer Sakralkunst, die wir kennen: ein Pfeiler mit quadratischem Querschnitt, allseitig von Flachreliefs überzogen, die offenbar keine Spuren gezielter Beschädigung aufweisen. Gekrönt wird sie von einem besonders herausgearbeiteten Kopf, der sich mit den Bildzonen darunter zusammenfügt. Das Fundstück kam 1848 bei Niedrigwasser aus dem Zbruc zum Vorschein, der damals Grenzfluß zwischen dem österreichischen Galizien und dem Zarenreich war, selbst ein Nebenfluß des Dnjestr. Es gelangte daraufhin nach Krakau, ins jetzige Polnische Nationalmuseum (Nachbildung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin). Vor zwei Jahrzehnten wurde, wie es scheint, der Kultplatz aufgefunden, auf dem die Stele einst aufgepflanzt war, auf einem Berg weiter westlich, dem Bogit/Bohod. Kam sie wirklich von dort, so ist der Aufwand bemerkenswert, den der Transport bis zur Fundstelle mit sich gebracht haben muß. Sollte der Fluß womöglich das heilige Bildwerk vor drohender Entweihung durch Christenhand schützen? Die Reliefs folgen auf allen vier Seiten dem gleichen Grundschema: etwa so, daß die oberen zwei Drittel der Gottesdarstellung dienen, das übrige im Gleichmaß zwischen Menschen- und Unterwelt aufgeteilt erscheint - eine Dreiteilung, die im slawischen Bereich mehrfach wiederkehrt; darauf ist zurückzukommen. Die Abmessungen sind allseits gleich. Stets trägt der Gott den gleichen Kaftan, präsentiert die Arme in wesentlich gleicher Haltung, nur daß die Rechte nicht stets denselben Gegenstand emporhält, und auch die Beinpaare nehmen immer die gleiche Stellung ein. Symbole unterhalb des Gürtels stellen offenbar unterschiedliche Aspekte der Gottheit heraus, wohl in Korrespondenz mit den Objekten der rechten Hand. Sie dürfen hier auf sich beruhen. Ein besonderes Problem bildet das Haupt. Für sich allein betrachtet, zeigt es vier Gesichter, männlich, in verschiedener Blickrichtung, unter einem gemeinsamen Kegelhut. Jedes schaut, auf die darunter befindliche Bildzone bezogen, geradeaus, so daß, frontal betrachtet, jeweils der Eindruck einer aufrecht stehenden Figur entsteht. Gleichwohl ist die Forschung auffällig an der Vierzahl als solcher haften geblieben. Wie alle viergesichtigen Schöpfungen slawischer Sakralkunst, die bisher bekannt geworden sind, wird die Stele daher gern als "Swantewit" bezeichnet - aus gleich zwei Gründen unerfindlich, mit welchem Recht. Denn erstens fällt die ausführliche Beschreibung des einzigen Kultbildes, für das dieser Name ausdrücklich bezeugt ist, merklich anders aus, gerade für die Beziehung zwischen Köpfen und Körper15, und zweitens ist ungewiß, ob der für Rügen gesicherte Name, der relativ spät erst auftaucht, jemals weitere Verbreitung gewann. Man hat sich offensichtlich darauf beschränkt, die gegebene Vierzahl als solche zu registrieren, ohne nach ihrer Funktion zu fragen, während doch niemand von einer achtarmigen, achtbei-nigen Gestaltung sprach. Unerörtert blieb, ob die Gesichter gleichzeitig wahrgenommen werden sollten oder nacheinander, womöglich bei verschiedenen Anlässen, die im Kult unterschiedliche Akzente setzten. Die Armpaare in ihrer ständig gleichartigen Kombination wirken nach Wiederholung, nicht nach Summierung, und für die Beinpaare gilt dasselbe. Sie vor allem aber (weitere Lit.). Vgl. auch die Abbildungen bei W. H. FRITZE - A. v. MÜLLER, Slawen und Deutsche zwischen Elbe und Oder, Ausstellung Berlin 1983, S. 93, vgl. 52. u. 92, sowie J. HERRMANN (Hg.), Welt der Slawen, Leipzig usw. 1986, S. 27, Nr. 6. Dazu S. BRATHER, Mehrköpfige Gottheiten, in: (Hoops) Reallexikon2 XIX (2001), S. 504 mit weiterer Lit. - Ich habe nur den Berliner Abguß gesehen; in der Mannheimer Fassung der Ausstellung: Europas Mitte um 1000 (vgl. Anm. 8) war die Plazierung so ungünstig, daß er nur flüchtig untersucht werden konnte. - Vgl. unten bei Anm. 100. 15 S. unten bei Anm. 98. sind es, die den Ausschlag geben. Die Geschichte religiöser Kunstübung kennt sehr wohl Götterdarstellungen mit übermenschlich vielen Armen, die dann allerdings auch vereint in Erscheinung treten - am bekanntesten der vierarmige Shiva Indiens. Gestaltungen mit einer Vielzahl von Beinen wären noch nachzuweisen. Der Gott aus dem Zbruc präsentiert sich also zwar an einem einzigen Werkstück, doch in vier getrennten Ganzfiguren vergleichbarer Art, die unabhängig von einander wirken sollen, jeweils unter Einbeziehung eines der Gesichter unter dem gemeinsamen Hut und immer so, daß dieses Gesicht dem Betrachter zugewandt ist, ohne daß eine Verbindung mit den drei übrigen bedeutungsvoll wird; vier Aspekte bilden ein Ganzes, treten aber nicht im gleichen Augenblick in Erscheinung, und die Zahl der Gesichter hat nichts zu schaffen mit gleichzeitiger Aktualität in einer Gruppenfunktion. Es ist schade, daß wir über die Orientierung der Bildseiten am Kultplatz nichts mehr erfahren können, und erst recht, daß auch hier die liturgische Überlieferung vollständig ausfällt. Vielleicht bekäme der Wechsel von einer Ansicht zur nächsten dadurch einen spezifischen Sinn, etwa im Festkreis des Jahreslaufs? Es fällt auf, daß beigegebene Attribute, soweit noch erkennbar, von Seite zu Seite wechseln. Ihre Analyse könnte womöglich mehr Klarheit bringen, würde jedoch hier den Rahmen sprengen. Aus der Reihe der mehrgesichtigen, genauer: der mehrgesichtig gemeinten Gottheiten jedenfalls ist diese zu streichen, und das hat Bedeutung, wenn man die Verbreitung mehrgesichtiger Götterdarstellungen in der slawischen Welt festmachen will. Aus den polnischen Kerngebieten sind vier in Betracht kommende Bildwerke bekannt, alle zwischen Weichsel und Warthe. Schlesien liefert ebensowenig ein Beispiel wie die Slowakei, wie Böhmen und Mähren, die Lausitzen und manch weiteres Westslawenland. Allerdings meldet Cosmas von Prag noch aus seinem frühen 12. Jh., bis in seine Zeit (actenus) widmeten viele Bauern nach Heidenweise (velutpagani), je nachdem, Gewässern oder Feuern, Hainen und Bäumen, Steinen, Bergen und Hügeln, ja selbstgefertigten Idolen (que ipse fecit idola) Formen von Verehrung; sie waren also keine richtigen «Heiden» mehr, jedenfalls getauft, doch sie folgten deren Bräuchen16. Es kann sich nur um Kleinidole gehandelt haben, wie der einzelne sie sich leicht selbst herzustellen vermag - ein öffentlicher Bilderkult unchristlichen Gepräges ist dreieinhalb Jahrhunderte nach der erstbezeugten Taufe böhmischer Fürsten und gut eins nach der definitiven Errichtung einer ersten landeseigenen Bistumsorganisation unvorstellbar. Doch die Aufzählung des Prager Domherrn entspricht in der Substanz dem, was wir in anderen Slawengebieten ausdrücklich bezeugt finden, einem Nebeneinander von Naturheiligtümern verschiedener Art und von Bilderkult, nur hier zurückgestuft auf die Ebene privater Übung. Der Schluß wird erlaubt sein, daß all die aufgezählten Kultformen vor der Christianisierung auch auf der höheren Ebene gepflegt wurden, die der Übergang zum neuen Glauben abkappte, in öffentlicher Gemeinschaft. Für die Verehrung von Idolen müßte man sonst an einen Ableger der importierten Ausprägungen kirchlicher Heiligenverehrung denken, und das verbietet sich von selbst. Die privaten Idole als Nachklang von älterem werden Hausgötter der gleich noch näher anzusprechenden Art gewesen sein, vielleicht mit traditionellen Namen. Die Wenzelslegenden schließen sich mit Hinweisen auf vorchristliche Kultbilder an17. Ebenso findet sich für die böhmischen Länder, wie auch für Polen, mancher wei- 16 Cosmas Prag., Chron. Boemorum I, 4 (ed. B. Bretholz, MGH SS rer. Germ., N.S. II2, Berol. 1955, S. 10, 18-21). Der in manchem ausführlichere Abschnitt III, 1 (S. 161, 8-21) nennt idola nicht; sie können aber mitgemeint sein in der Formel demonibus immolabant, Zl. 14, zu verstehen im Sinn von ACHTERBERG (wie Anm. 4). 17 MEYER, S. 60. f. tere Hinweis, der geprüft zu werden verdient, wie weit er schematische Wiederholung kirchlicher Klischees bietet und wie weit konkrete Beobachtung - in Synodalbeschlüssen, Predigten und anderen späten Unterlagen, die hier jedoch nicht weiterführen18. Eine auffällig andere Welt betritt, wer von all diesen sporadischen Zeugnissen in das Gebiet zwischen Odermündung, Havel, Niederelbe und Ostsee vordringt. Dort ist die Zahl nachweisbarer Beispiele dermaßen dicht, daß für die kartografische Darstellung ein anderer Maßstab gewählt werden muß als in den bisherigen Fällen19. Auch dort gab es, für uns regellos, einen Wechsel zwischen bildlosen Naturheiligtümern und Stätten, die sich um Kultbilder gruppierten; Helmold von Bosau berichtet um 1160 aus eigener Aus-chauung davon in ähnlicher Weise wie Cosmas20, und Fundgut ergänzt ihn wie weitere verfügbare Schriftquellen. Nicht weniger als acht Idole lassen sich in diesem Bereich nachweisen, fast ein Drittel der insgesamt bekannten, und Anzeichen deuten auf weitere hin. Manche sind einköpfig und eingesichtig wie sonst - eine Holzplastik aus Altfriesack diene als besonders bemerkenswertes Beispiel21. Andere zeigen eine Mehrzahl von Köpfen oder Gesichtern, und das so, daß sie nicht hinweginterpretiert werden kann wie im Fall der Stele aus dem Zbruc. Unter ihnen befindet sich die Spitzenleistung dessen, was wir bisher von altslawischer Holzschnitzkunst kennen, allerdings schlichter, ohne eine weltumgreifende Konzeption zu spiegeln wie das wolhynische Fundstück. Auf der Fischerinsel im Tollensesee bei Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) kam die Statue 1969 zum Vorschein, eine Halbfigur aus Eichenholz, 69 cm, auf unregelmäßiger Vierkantsäule von 110 cm Höhe; der Fundort liegt nahe einer Stelle, für die mit beachtlichen Gründen das alte Heiligtum Riedegost/Rethra vermutet wird. Jetzt im Landesmuseum Schwerin aufbewahrt, zeigt die in ihrer Art bisher einmalige Skulptur zwei männliche Häupter gleicher Blickrichtung über einem gemeinsamen Körperansatz (Abb. 2)22. Neben ihr stehen Beispiele mit vier und mehr Gesichtern oder Köpfen, unverwechselbar andersartig als das Exemplar vom Zbruc. Mehrere Schriftzeugnisse belegen einen Gott namens Triglaw, und das für verschiedene Orte. Der Name heißt schlicht «Der Dreiköpfige» , aber den Archäologen ist ein solcher Typ bisher nirgends begegnet. Schon damit ist bewiesen, klar wie selten, daß unsere Kenntnis einst vorhandener Varianten unvollständig ist, und es gibt weitere Beispiele - sie werden noch ausführlich zu besprechen sein23. Erwähnung verdient, daß das Götterbild in diesem Bereich nachweislich auch auf die Kleinkunst übergreift, mit einstweilen nur wenigen Parallelen anderweit. Der Prunkbeschlag einer Messerscheide aus Oldenburg i.H., dem alten Starigard, 11,5 cm lang, zeigt in Bronzeguß den Himmels- und Sonnengott (Swarog?) als Herrscher und Segensspender der drei Weltsphären24. Wir ahnen, was uns durch Fundlücken entgeht. 18 MEYER, S. 62-79 , passim. 19 SLUPECKI 1994, Karte B. 20 Helmold. Bozov., Chron. Slavorum, c. 84 (ed. H. Stoob, Ausgewählte Quellen zur deutschen Gesch. d. Mittelalters XIX, Darmstadt 1983, S. 288, 18-29). 21 Bei HERRMANN 1985, Taf. 65, a (bei S. 310); weitere Beispiele etwa bei I. GABRIEL im Katalogband 2000 (oben Anm. 8), Nr. 05.01.04-05 (S. 136 f.). 22 SLUPECKI 1994, S. 205 f. m. älterer Lit. ergänzend DERS. 1997, S. 303 f.; HERRMANN 1985, S. 307; U. SCHOKNECHT, bei J. LUCKHARDT - E. NIEHOFF (Hgg.), Heinrich der Löwe und seine Zeit. Ausstellung Braunschweig 1995, Bd. I. S. 174 f. Nr. D 18, dort eine der besten Abbildungen, ebenso bei HERRMANN 1986, S. 257. Vgl. auch G. STRAUSS u. a., Lexikon der Kunst VI, Leipzig 1994, S. 715 s.v. Slawische Kunst. 23 Vgl. unten bei Anm. 96-97. 24 GABRIEL, S. 139, Nr. 05.01.13, mit weiteren Beispielen und Lit. Für die relativ gehäuften Kultbilder der Nordwestslawen hat man wieder mehrfach Einfluß der skandinavischen Nachbarn erwogen. Doch gerade die Mehrköpfig- und Mehrgesichtigkeit, die sich in ihrem Bereich konzentriert, ist aus solcher Nachbarschaft nicht zu erklären. Auch Einwirkung eines Substrats kommt nicht in Betracht, denn als solches kann in diesen Gegenden nur mit Bevölkerungsresten gerechnet werden, die von vor der Völkerwanderungszeit ansässigen germanischen Stammesgruppen übrig geblieben waren, und diesen war, im Unterschied vor allem zu den Kelten, eine solche Art der Darstellung fremd25. Man steht vor der Alternative, ob sich in diesen Gegenden eine regionale Sonderentwicklung vollzogen hat, die aus Sonderbedingungen erklärt werden muß (z.B. aus der vorübergehenden Einwirkung mißverstandener christlicher Dreifaltigkeitsvorstellungen vor 983) oder ob ein ursprünglich weiter verbreiteter Brauch aus slawischer Eigenentwicklung zufällig nur dort noch greifbar geblieben sein sollte. Die erste dieser Möglichkeiten wurde bereits erwogen und ist zweifellos im Auge zu behalten26. Die zweite wirkt nach gegebenem Forschungsstand so unwahrscheinlich wie möglich - bisher rechnet ja niemand mit einst weiterer Verbreitung von Kultidolen in der vorchristlichen Slavia. Ein bisher unbeachtetes Fundstück aus Kärnten allerdings stellt diese Meinung in Frage27. Es zwingt damit vor allem dazu, die Grundlagen zu überprüfen, auf denen sie fußt. Zuvor aber sollte der Blick noch auf die typologi-schen Aspekte des bisher erfaßten Fundguts gelenkt werden. Sie könnten für die weitere Untersuchung wichtig werden. m id. M1 is. ■ h-A rud Abb. 2. Zweiköpfige Götterfigur von der Fischerinsel im Tollensesee bei Neubrandenburg (MecklenburgVorpommern), Eichenholz, slawisch, 11./12. Jh. Nach Slupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, S. 205. Slika 2. Dvoglavi lik božanstva z otoka Fischerinsel na jezeru Tollensesee pri Neubrandenburgu (Meklenburško - Predpomorjansko), hrastovina, 11./12. stoletje. Po: Slupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, 205. Es gibt einige wenige steinerne Tierfiguren, denen eine alte numinose Bedeutung zugetraut werden kann, z.B. von der Sl^za/ dem Zobten. Sie wirken archaisch. Ob sie slawisch oder vorslawisch sind, bleibt ungewiß; oberflächlicher Eindruck lädt ein zum Vergleich mit mutmaßlich keltiberischen ' Vgl. BRATHER (wie Anm. 14), S. 500-505. ' Ebd., S. 503 f. ' Unten, Abschnitt 5-6. Schöpfungen, z.B. im nordspanischen Avila - wie er schließlich ausfallen würde, muß hier dahingestellt bleiben. Im übrigen konnte SEUPECKI aus dem Raum zwischen Dn-jepr, Peipussee und Niederelbe ungefähr 30 sicher slawische Idole zusammenstellen, teils Statuen, teils Stelen, teils Holz, teils Stein, teils von hoher, teils von mäßiger Qualität. Ihr Formenschatz bedient sich ausschließlich anthropomorpher Motive; Übermenschliches deutet sich allenfalls in einer Vermehrung der Köpfe oder Gesichter an, ohne daß sie auch auf die Gliedmaßen übergreift wie in so vielen Darstellungen des schon genannten indischen Shiva. Nirgends fanden sich Mischwesen, die auf Menschenleib die Köpfe von Falken, Löwen, Schakalen und anderem Getier tragen wie die Gottheiten Altägyptens, wie der nochmals indische Ganesha bzw. Ganapati mit seinem Elefantengesicht oder der gallische Cerunnos, über dessen Menschenkopf ein Hirschgeweih aufsteigt; nirgends ein gegenteiliger Fall wie der menschenköpfige, tiergestaltige Sphinx. Auch sonstige Übergangsformen zwischen menschlicher und tierhafter Gestaltung tauchten bisher nicht auf, etwa Vermengung von Gesichtszügen beiderlei Herkunft, und ebensowenig gewollte Groteske oder Bizarrerie - selbst nicht in Fällen, die uns primitiv anmuten mögen. Die Zahl der Belegexemplare, auf denen diese Befunde fußen, ist nicht überwältigend groß, doch auch nicht ganz gering. Für wesentlich abweichende Beispiele, die etwa noch auftauchen sollten, wird man eine handfeste Begründung verlangen dürfen, wenn sie gleichwohl als slawisch anerkannt werden sollen. 3. Weitere Umschau Von der Havellinie bis zur Mittelgebirgsschwelle treffen wir auf Verhältnisse, die für Landschaften zwischen dem eben behandelten Nordwesten und dem böhmischen Befund überraschen. Ältere Drucke wollen von merkwürdigen numinosen Gestalten wissen und von Namen wie Krodo und Flins; sie warten sogar mit Kupferstichen und ähnlichen Abbilungen auf. Längst hat man sie als Fälschungen frühneuzeitlicher Wichtigtuerei entlarvt28; vergangene Jahrhunderte haben sich dergleichen gern einmal geleistet, für das slawische wie für das germanische Altertum - im zweiten Fall unter Beteiligung eines Neffen des bekannten «Lügenbarons» Münchhausen29. Neben bewußt hergestellten Falsifikaten steht Fehldeutung von Objekten, die einmal eine andere Zweckbestimmung besaßen. Sie mag auch sonst vorkommen; in einem Gebiet, in dem authentische Idole fehlen, drängt sie sich unwillkürlich in den Vordergrund. Herausgegriffen sei ein Problemfall, der verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit erregte und doch bis heute nicht abschließend geklärt scheint. Er hat auch methodische Bedeutung. Im Treppenhaus der Kirche von Zadel bei Meißen findet sich ein altertümlich wirkender Stein eingemauert (Abb. 3). Zadel, 4-5 km nordwestlich der alten Bischofsstadt auf dem gegenüberliegenden Hochufer der Elbe, war einst Burgwardmittelpunkt und zählt heute zu Diera-Zehren. Auch die Pfarreigenschaft reicht tief ins Mittelalter zurück. Die Kirche ist Neubau von 1842, jedoch am alten Platz. Über die Herkunft des eingemauerten Stücks ist Sicheres nicht bekannt. Es scheint, daß die Einfügung in das Mauerwerk schon 28 L. FRANZ, Falsche Slawengötter, 2. Aufl. Brünn 1943; wegen unkritischer Abhängigkeit von Wienecke (oben Anm. 4) teilweise mit Vorsicht zu benutzen. 29 H. BEI DER WIEDEN, Die Runenbildtafel vom Süntel. Zur Biographie des Dichters Karl von Münchhausen (1759-1836), in: Schaumburg-Lippische Mitteilungen 22 (1973), S. 49-58; vgl. auch H. FICHTENAU, Die Fälschungen Georg Zapperts, in: MIÖG 78 (1970), S. 444-467. Abb. 3. Mutmaßlicher mittelalterlicher Kragstein aus Zadel, Gemeinde Diera-Zehren bei Meißen (Sachsen), irrig als sorbische Götterfigur aufgefaßt, Sandstein. Aufnahme: Dietmar Pohl, Zadel. Slika 3. Domnevna srednjeveška konzola iz Zadela, občina Diera-Zehren pri Meißnu (Saška), napačno opredeljena kot lik lužiško-srbskega boga, peščenjak. Foto: Dietmar Pohl, Zadel. bei dessen Errichtung geschah - als nachträglicher Vorgang hätte sie doch wohl zu einer Aktennotiz geführt, an der es merkwürdigerweise fehlt. Die Plastik ist aus Sandstein. Der plump gestaltete Kopf mag in ein Quadrat von etwa 25 cm Seitenlänge passen. Er sitzt auf einigermaßen rechteckigem Sockel von ca. 40 cm Breite und etwas mehr an Höhe; ein Rücksprung an dessen linker Seite wurde, kaum überzeugend, als Restbestand eines Armes interpretiert, dessen Gegenstück nicht erhalten sei. Weit vorquellende Glotzaugen unter fliehender Stirn rahmen eine wenig ausgeprägte Stülpnase ein, kaum weiter herabgeführt; die Nasenlöcher zeichnen sich ab. Der wulstige Mund, weit geöffnet, gibt ausgeprägte Unterzähne frei. Starke Verwitterungsspuren bezeugen längeren, ungeschützten Aufenthalt im Freien. Es fällt auf, daß sie am Kopf wesentlich stärker hervortreten als am sog. Rumpf. Die Deutung als «sorbisches Götzenbild» kam offenbar volkstümlich auf und scheint tief verwurzelt. Sie wurde auch wissenschaftlich aufgenommen, blieb jedoch nicht unbestritten. Andererseis wurde mit guten Gründen geltend gemacht, daß es sich nicht um ein Falsifikat handeln könne: Ein solches pflegt nicht dermaßen unauffällig in die Welt zu treten, ohne jeglichen Aufwand, und auch ein Motiv wäre hier nicht erkennbar. Ein scharfer Beobachter fand, das Stück müsse ursprünglich nicht senkrecht eingefügt gewesen sein, wie jetzt, sondern waagerecht - so, daß der vermeintliche Rumpf oder Sockel im Gemäuer verschwand. Er vermutete eine Rinne auf der Rückseite und dachte an einen einstigen Wasserspeier, bei dem dann allerdings das Wasser über den Kopf abgelaufen sein müsse, weil das «Maul» keinen Ausfluß aufzuweisen hat.30 Die Einfügung in das Mauerwerk erschwert eine Stellungnahme. Sie entzieht uns nicht nur den freien Blick auf die Rückseite, sondern auch alles, was sich an Indizien aus Fundzusammenhängen ergeben könnte. Zudem fehlt Vergleichsmaterial sorbischer Provenienz. Die Deutung als slawisches Kultbild wird man heute gleichwohl mit Sicherheit ausschließen dürfen. Der Gesichtsausdruck ist fratzenhaft-grotesk, die Züge wirken wie eine Art Zwitterwesen zwischen Frosch und Mensch. Das weicht prinzipiell von den Kriterien ab, die oben aus der nicht so ganz geringfügigen Gesamtüberlieferung derartiger Idole abgeleitet wurden. Gesichtspunkte, die diese Feststellung aufwiegen könnten, sind vor Ort bisher nicht aufgetaucht. Nachgewiesene Besiedlungsspuren in Form von Keramikresten weisen, anders als für viele Punkte der Umgebung, offenbar nicht über das 11. Jh. zurück, in dem «heidnischer» Kult hier längst nicht mehr möglich gewesen sein dürfte, und nichts spricht dafür, daß die Kirche, wie andernorts, einen vorchristlichen Kultplatz fortsetzen könnte31. Doch auch der Gegenvorschlag trifft so, wie er entwickelt wurde, schwerlich ins Schwarze. Abgesehen davon, daß anscheinend keinerlei sichtbare Anzeichen für die vermutete Wasserrinne sprechen - man kennt keine Wasserspeier, die ihren Überfluß unmittelbar über den Kopf der Figur führen. Beachtlich indes bleibt der Vorschlag zum Verhältnis zwischen Haupt und vermeintlichem Rumpf, damit zur ursprünglichen Position am Ort der Erstverwendung. Er wird entschieden gestützt durch den unterschiedlichen Verwitterungsgrad beider Teile. Es bleibt die Möglichkeit, daß wir in Zadel einen mißverstandenen Kragstein vor uns haben, eine ursprüngliche Konsole, die zur Auflage anderer Architekturteile diente, ob dies nun Balken waren, ein Bogenansatz oder auch eine Röhre, die in eine Wassernase 30 Die Deutung als slawisches Idol wurde in mehreren Arbeiten vor allem von O. E. SCHMIDT aufgegriffen, zuerst: Slawische Götterbilder in Sachsen, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte u. Altertumskunde 32 (1911), S. 350f.; zuletzt: Der Abgott von Zadel, in: Tausend Jahre Meißner Land. Volksfestschrift des Kirchenbezirkes Meißen zur Jahrtausendfeier 1929, S. 17-20. Demgegenüber W. COB-LENZ, in: Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands VIII: Sachsen, Stuttgart 1965, zum Stichwort Zadel, S. 368: «... muß nach dem heutigen Stande der Forschung als unecht abgelehnt werden. Weder Herstellungstechnik noch Darstellungsart entsprechen gleichzeitigen slawischen Stein- und auch Holzbildwerken»; vgl. DENS., Zur Situation der archäologischen Slawenforschung in Sachsen, bei H. LUDAT (Hg.), Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder, Gießen 1960, S. 8, Anm. 46; ferner WIENECKE (wie Anm. 4), S. 211 m. Anm. 42; W. SCHLESINGER, Kirchengesch. Sachsens im Mittelalter I, Köln-Graz 1962, S. 216f. u. 331, der noch weitere Beispiele für derartige Fehleinschätzungen aufführt. Einige davon sind näher bei FRANZ behandelt, der Zadel bemerkenswerterweise nicht aufgenommen hat; dasselbe gilt andererseits für die Karte von SEUPECKI. Vgl. aber HERRMAN 1985, S. 309. - Unter: http://www.kirchgemeinde-zadel.de/kirche/goetze/goetze.html sind im Internet weitere Informationen und Diskussionsbeiträge bereitgestellt; dort auch die Frage des Wasserspeiers. Herrn Pfarrer DIETMAR POHL, Zadel, danke ich herzlich für freundliche Auskünfte und vor allem für die großzügige Überlassung der hier als Abb. 3 wiedergegebenen Fotografie, Herrn Prof. Dr. MATTHIAS MÜLLER, Greifswald, für ein klärendes Gespräch. 31 Oben, 2. Abschnitt, Ende, nach Anm. 26, dazu COBLENZ (wie Anm. 30) zur Fundsituation, die seitdem offenbar nicht verändert ist. auslief und insofern funktionell einer Wasserspeierfigur entsprach. Dergleichen Architekturteile wurden im Hoch- und Spätmittelalter vor allem an Sakralbauten gern als Grotesken gestaltet, Verkörperung dämonischer Kräfte, die damit in den Dienst eines heiligen Zwecks gezwungen waren. Ob für den vorliegenden Fall am ehesten romanische oder gotische Entstehung zu erwägen ist, müssen Kunsthistoriker entscheiden, ebenso, ob das Teil vom Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses stammen kann oder eher von anderer, repräsentativerer Stelle verschleppt zu denken ist. Der slawischen Religionsgeschichte jedenfalls hat es nichts zu sagen. Wir gehen weiterhin leer aus, wenn wir nach ihren Idolen in diesem Bereich zu fahnden suchen. Die Lücke wird, anders als weiter im Norden, auch durch die Geschichtsschreibung nicht geschlossen, soweit sie diesen Namen verdient. Einiges bietet noch Thietmar von Merseburg, Bischof einer Diözese mit starkem sorbischem Bevölkerungsanteil (10091018), unser Hauptzeuge für das damalige Zentralheiligtum des Ljutizenbundes südlich der Ostsee mit dem dort versammelten Pantheon, von dem ihm allerhand zu Ohren gekommen war. Aus dem eigenen Bereich vermeldet er die Vernichtung eines heiligen Hains durch seinen Amtsvorgänger Wigbert (1004-1009), also 70-80 Jahre, nachdem dort die Unterwerfung und Missionierung der Landesbewohner in Gang gekommen war. Der Bericht handelt mithin, vom Schreiben her gesehen, von einem Faktum einer, wenn auch nahen, Vergangenheit, das ihm selbst eine Aufgabe abgenommen hatte. An anderer Stelle erwähnt er einen heiligen See, der noch immer in großer Verehrung stehe - außerhalb der eigenen Diözese, in erst weiterer Nachbarschaft. Von Kultbildern und Sakralplätzen der alten Religion im Merseburger Bereich, von eigenen Aktivitäten gegen ihre Nachwirkung schreibt er nichts, läßt im Gegenteil erkennen, daß die Arbeit für das Seelenheil seiner Anbefohlenen ihm weit weniger wichtig war als andere Verpflichtungen seines Amtes: Bis er sich entschloß, auch den Südteil seines Sprengels einmal aufzusuchen, was ohne weiteres zu Fuß möglich war, brauchte es neun Jahre, und trotzdem fand er dort nur wenige vor, die er firmen konnte. Muß man sich wundern, daß er für die Bamberger Bistumsgründung Heinrichs II. ein zentrales Motiv des Herrschers - die Nacharbeit gegen fortwuchernde Reste slawischen Heidentums im dortigen Bereich zu verstärken - mit dem Mantel des Schweigens bedeckt32? Zu alledem ist festzuhalten: Zwischen dem Havelland und dem Merseburger Gebiet verlief die Grenze, bis zu welcher der große Slawenaufstand von 983 sich hatte behaupten können. Repräsentative Kultbilder der alten Religion zu öffentlicher Verehrung hat es südlich davon sicherlich nicht mehr gegeben, mindestens seit den Gegenmaßnahmen, mit denen die dortigen Marken damals verteidigt und gehalten wurden, eher schon länger nicht mehr - schließlich besteht Grund zu der Annahme, daß man gegen derartige Objekte kirchlicherseits empfindlicher war als gegen heilige Haine. Doch wie stand es, als die Sachsenherrscher diese Gebiete an sich brachten? Wie noch weiterhin mit «Hausgötzen», etwa in Form jener Klein- oder Taschenidole, wie sie aus späterer Phase z.B. auf Wolin/Wollin zum Vorschein kamen33? Dem Bischof, der sie verfolgen mußte, wird man so etwas kaum gezeigt haben, und daß er selbst gezielt danach gefahndet hätte, brauchen wir ihm nicht zuzutrauen. So stehen wir vor der Frage, wie Thietmar als Quellenautor zur slawischen Religionsgeschichte, als der er mit Recht geschätzt wird, im Ganzen zu 32 KAHL 1999, S. 44-47; ergänzend DERS. 2004 (wie Anm. 36), S. 38-40. 33 In letzter Zeit häufiger abgebildet, z.B. bei M. PUHLE (Hg.), Otto der Große, Magdeburg und Europa. Ausstellungskatalog, Magdeburg, Mainz 2001, Bd. II. S. 100 f., Nr. 71-72. beurteilen ist. Er bringt eine kostbare Schilderung des «Götzendienstes» in nördlicher und anderer Ferne. Sollte sie womöglich schlicht von eigenem Versagen im unmittelbaren Zuständigkeitsbereich ablenken? Die Quellenlage für diese Gegenden entpuppt sich als überraschend unklar. Sie läßt uns nicht erkennen, ob der festgestellte Unterschied zwischen einer Zone mit Kultbildern und einer solchen ohne diese, wie er in ihr gespiegelt scheint, ursprünglich ist oder nicht. Vor Merseburg weiter in südlichen und auch westlichen Richtungen stößt man auf eine weitere Etappengrenze historischen Geschehens. Es ist die Außengrenze karolingerzeitlicher Grafschafts- und Bistumsorganisation. Auch sie hat unzweifelhaft etwas mit Christianisierungsvorgängen zu tun, und sei es im Dienste des negativen Missionsziels. Dazu fällt auf, wie viel unklarer das Bild dort nochmals wird, in beiden Richtungen. Beginnen wir in der Diözese Mainz sowie den Sachsenbistümern Halberstadt und Verden. Vom Gang der Christianisierung der Slawen in ihren Ostteilen, in Ostthüringen, der Altmark und dem sog. Hannöverschen Wendland, verlautet nichts, und erst recht nicht von dem, was dort vorher war. Vom späten 11. Jh. bis ins 13. hinein häufen sich allmählich Klagen über den Glaubenszustand von Slawen auf Liegenschaften von Klöster wie Saalfeld, Nordhausen, Nienburg a. Saale, Oldenstadt und Diesdorf. Keine ist älter als das Durchdringen der Kirchenreformbewegung des hohen Mittelalters, und die Konsequenz, die störenden Elemente auszuweisen, begegnet kaum vor dem Aufruf Bernhards von Clairvaux zum sog. Wendenkreuzzug, der die Vernichtung aller »Feinde des Christennamens« gefordert hatte. Die Betroffenen wurden wohl durch Christen, also deutsche Siedler ersetzt, von denen man bessere Erträge erhoffte - eine Art kolonisatorische statt missionarische Ausbreitung des Christentums34. Es ist wichtig, daß als Grund dieser Maßnahmen immer wieder herausgestellt wird, diese Slawen seien pagani. Das heißt nicht einfach »Heiden«, wie oft angenommen wird - eine Entsprechung zu diesem deutschen Begriff kennt das Kirchenlateinische nicht35. Der Ausdruck bezeichnet vielfach, und in diesen Fällen sicher, rückfällige Getaufte, die ihr Taufgelübde nicht einhalten und also Apostaten sind36. Wann und wie dort der formale Übertritt erfolgte, den dieses Sakrament besiegelte, ist nicht zu ermitteln. Wir stoßen damit auf das berüchtigte und vielschichtige Problem der sog. eiectio Slavorum im nord- und mitteldeutschen Überschneidungsgebiet beider Nationalitäten, das dringend einmal zusammenfassender Behandlung bedarf, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verquickung des religiösen Problems mit den Auswirkungen von Unterschieden der deutschen und der herkömmlichen slawischen Agrarverfassung, die weniger zu erwirtschaften vermochte (und brauchte); auch Zusammenhänge mit der Durchsetzung zi-sterziensischer Grangienwirtschaft bestimmten Teile der Entwicklung - sie drängte auch in Gegenden ohne slawischen Bevölkerungsanteil auf Vertreibung von Altansässigen. All das führt hier ab37. Entscheidend bleibt, daß die »Wenden« in den genannten Diözesen zu erkennbarer Zeit unter dem Anspruch standen, Christen zu sein. Ob sie vor dem, was 34 S. Anm. 37. 35 S. Anm. 40 36 KAHL 1978, S. 5 f.; vgl. DENS, Das erloschene Slawentum des Obermaingebietes und sein vorchristlicher Opferbrauch im Spiegel eines mutmaßlich würzburgischen Synodalbeschlusses aus dem 10. Jh., in: Studia Mythologica Slavica 7 (2004), S. 38-40. 37 Allem Anschein nach konzentrieren sich sämtliche Fälle, mit Ausnahme von Zisterzen wie Reinfeld (Diözese Lübeck), auf Dörfer aus dem Besitz von Klöstern, die relativ kurz vor Erwähnung der Vorkommnisse neu gegründet oder neu besetzt worden waren, in Gebieten westlich der Elb-Saale-Linie; auch die 983 behaupteten formal als ihre Bekehrung angesehen wurde, auch Kultbilder hatten, muß ebenso offen bleiben wie die Frage, ob sie dergleichen wenigstens in Form von Kleinidolen heimlich weiter benutzten. Auch entsprechendes Fundgut fehlt wieder. Ein Slawengebiet, das gleichfalls nicht erkennbar zu eigener Stammesorganisation fand, bevor die Karolinger kamen, erstreckte sich durch die heutigen Landschaften Oberfranken und Oberpfalz, aufgeteilt auf die Bistümer Würzburg, neben das später noch Bamberg trat, sowie Regensburg und Eichstätt. Nur für die beiden ersten haben wir Quellen, die etwas von der religiösen Situation dieser Gruppe beleuchten, und diese bleiben karg. Die Art ihrer Christianisierung liegt völlig im Dunkel, für das negative wie für das positive Missionsziel - gerade daß von einer gezielten Kirchenbauaktion die Rede ist, die Karl d.Gr. persönlich angeordnet hat. Öffentliche Kultstätten dürften seine Zeit kaum überdauert haben; wie sie beschaffen waren, weiß man nicht. Von nachlebenden heidnischen Bräuchen ist bis 1059 die Rede, mit letztmaliger Ankündigung rigoroser Gegenmaßnahmen. Ob und wie weit die Riten sich noch an alte Götter richteten und in welchem Ausmaß sie sich etwa synkretistisch mit kirchlichen Verhaltensweisen vermengten, bleibt gleichfalls verhüllt. Für die Frage nach Kultbildern wurde ein Synodalbeschluß herangezogen, den allerdings eine eigenartige Forschungsgeschichte begleitet: Einerseits hat man ihn lange hin-und hergeschoben zwischen Oberfranken und den Gebieten südlich der Donau, andererseits mit einem Paderborner Kapitular von 785 zusammengeworfen. Eindeutige Indizien beweisen jedoch daß er nur nach Würzburg gehören kann und am wahrscheinlichsten in das zweite Jahrzehnt des 10. Jh. Sein Text wendet sich u.a. gegen idolothita, für die der (slawische) Name trebo gilt. Der lateinische Ausdruck läßt sich als »Götzenopfermahl« übersetzen; deutlich enthält er als Erstglied das anrüchige idolum. Gelegentlich wurde gefolgert, dadurch seien für diese Gegend slawische Kultbilder wenigstens indirekt bezeugt, doch dieser Schluß geht daneben: Der Ausdruck wird für »heidnische« Kultmahlzeiten allgemein verwendet, unabhängig von der Vorstellung eines Bilderdienstes, und Entspre- wettinischen Markengebiete weiter östlich wurden offenbar nicht berührt (Hinweis auf entsprechende, unbe-zeugte religionspolitische Maßnahmen, vielleicht im Zusammenhang mit den Ereignissen um das genannte Jahr?). Beispiele, die zusammengeführt und evtl. ergänzt werden müssen, bei R. KÖTZSCHKE, Quellen zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation im 12. - 14. Jh., Leipzig-Berlin 1912, S. 38 Nr. 21; HERRMANN 1985, S. 410 f.; F. LÜTGE, Die Agrarverfassung der frühen Mittelalters, Stuttgart 1966, S. 41 (bes. Anm. 2), vgl. S. 61, Anm. 2.; zu den Klöstern die Nachweise in den Listen bei A. HAUCK, Kirchengesch. Deutschlands IV, 8. Aufl. Berlin 1958. In Neuerwerbungen des 12. Jh.s kamen Slawenvertreibungen auch östlich der ElbSaale-Linie vor, dort jedoch unabhängig von Klosterbesitz, oft unklar bezeugt und schwer zu lokalisieren, vgl. F. LOTTER, Bemerkungen zur Christianisierung der Abodriten, bei H. Beumann (Hg.), Festschr. f. Walter Schlesinger II, Köln-Wien 1974, bes. S. 427-442, dazu 416 Anm. 93, ausführlich auch zu den religionspolitischen Hintergründen, über die weiteres bei KAHL 1964, bes. S. 117-123, vgl. 439 und im Register, s.v. eiectio Slavorum; dazu DERS., Bausteine zur Grundlegung einer missionsgeschichtl. Phänomenologie des Hochmittelalters, in: Miscellanea Historiae Ecclesiasticae (1), Louvain 1961, S. 62-66; zu Bernhard von Clair-vaux: DERS., "... Auszujäten von der Erde die Feinde des Christennamens..." in: Jahrb.f.d.Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 39 (1990), S. 133-160; DERS., Die weltweite Bereinigung der Heidenfrage - ein übersehenes Kriegsziel des zweiten Kreuzzugs, in: S. Burghartz u.a. (Hgg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für F. Graus, Sigmaringen 1992, S. 63-89; DERS., Die Kreuzzugseschatologie Bernhards von Clairvaux und ihre missionsgeschichtliche Auswirkung, bei D. R. Bauer - G. Fuchs (Hgg.), Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, Innsbruck-Wien 1996, S. 262-314. Zur zisterziensischen Grangienwirtschaft: W. RÖ-SENER, Religion und Ökonomie. Zur Wirtschaftstätigkeit der Zisterzienser, bei B. Scholkmann - S. Lorenz (Hgg.), Von Citeaux nach Bebenhausen. Welt und Wirken der Zisterzienser, Attempto 2000, S. 114-117 m. Anm. 35-50 (S. 124 f.), vgl. S. 120 f. Dort auch wichtige ältere Arbeiten des Verfassers. Vgl. R. SCHNEIDER, Grangie, in: LMA IV (1989), Sp. 1633 f. chendes gilt sogar für idolatría38. Archäologische Quellen fehlen. Die sog. «Bamberger Götzen» im dortigen Diözesanmuseum sind fernzuhalten. Zeitweise für slawisch erachtet, scheinen sie eher steppennomadischen Ursprungs (awarisch oder gar hunnisch?), und mit Götterbildern unseres Verständnisses haben sie offenbar nichts zu tun, sofern nicht an eine Art Herrscherkult durch Unterworfene zu denken wäre, was gleichfalls unsicher ist39. Nicht weniger ins Leere stoßen wir in den Slawenländern jenseits des baierischen Stammesgebietes, von den Waldgebirgen nördlich der Donau bis zur Drau, die seit 811 Missionsgrenze zwischen dem Erzbistum Salzburg und dem Patriarchat Aquileia war, und weiter, tief in südslawische Bereiche hinein, wo die römische Kirche ihre Hoheit an die Ostkirche abgeben muß. Das ist eine beachtliche Strecke. Verschwindend wenige Schriftquellen deuten auch dort die Existenz von Kultbildern an, doch wie verläßlich sind sie? Etwa in den 760er Jahren schrieb ein Clemens Peregri-nus, offenbar ein Ire aus dem Freisinger Klerus, an den Baiernherzog und den baierischen Episkopat einen flammenden Brief. Darin wettert er gegen die Heiden, die nicht an Gott glauben, unter bemerkenswerter Gegenüberstellung vonpagani und gentiles - man hat an den Unterschied von rückfälligen Getauften und Ungetauften zu denken40. Zweimal wird formelhaft aufgeführt, daß sie Götzenbilder verehren (adorant idula), einmal verstärkt durch simulacra demoniorum, als die man diese sogenannten Götter zur Not noch gelten lassen kann. Mit Sicherheit sind die Karantanen gemeint, die eben damals versuchten, das Joch der Baiern abzuschütteln, politisch und zweifellos auch kirchlich. Doch das Ganze wirkt klischeehaft, unberührt von konkretem Einblick, schlicht aus der Bibel geschöpft, die es schließlich wissen muß41. Die Hauptquelle für die Vorgänge auf diesem Schauplatz, die Salzburger Conversio Bagoariorum et Carantanorum, ist ein Jahrhundert jünger (um 870). Mit ihr steht end- 38 KAHL 2004, S. 35-38. 39 H. JAKOB, Die Bamberger Götzen, in: Ber. d. hist. Vereins f.d. Pflege der Gesch. d. ehem. Fürstbistums Bamberg 116 (1980), S. 71 ff. Abwegig J. HABERSTROH, Die Bamberger Götzen - ein Zeugnis vorchristlicher Kultvorstellungen? bei: J. Kirmeier u.a. (Hgg.), Kaiser Heinrich II. 1002-1024. Begleitband zur Bayerischen Landesausstellung 2002 in Bamberg, Stuttgart/Darmstadt 2002, S. 127-129. 40 KAHL 1978, S. 50-59, dazu S. 26-29, 46 f.u.ö., vgl. DENS., Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt usw., Wiederabdruck aus Zschr. f. Ostforsch. 4 (1955) mit Nachträgen bei H. Beumann (Hg.), Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters, Darmstadt 1963 = 1973, S. 204-208, vgl. 273., sowie KAHL 2004, S. 33 u. 38 f. 41 MGH, Epp. IV, S. 496 f.; Zusammenhang mit dem Salzburger Bereich gesichert durch Überlieferung in einem Liber traditionum des Salzburger Domkapitels, der inzwischem verschollen ist. Dazu F. KOS, Gradivo za zgodovino Slovencev v srednjem veku I, Ljubljana 1902, S. 279 f., Nr. 245; H. LÖWE, Die karolingische Reichsgründung und der Südosten, Stuttgart 1937, S. 54f.; B. BISCHOFF, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit I, 2. Aufl. Wiesbaden 1960, S. 61 m. Anm. 1, vgl. II (1980), S. 264; DERS., Salzburger Formelbücher und Briefe aus Tassilonischer und Karolingischer Zeit (Sitzungsber. d. Bayer. Akademie d. W., phil.-hist. Kl. 1973/74), München 1973, S. 6 u. bes. 19 f.; E. RIEBER, Die Bedeutung der altte-stamentlichen Vorstellungen für das Herrscherbild Karls d. Gr. und seines Hofkreises. Diss./masch. Tübingen 1949, S. 201 u. 283 Anm. 14, vgl. 122 f.; H. WOLFRAM, Das Fürstentum Tassilos III., Herzog der Bayern, in: Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landeskunde 108 (1968), S. 165 f.; H.-D. KAHL, Zur Rolle der Iren im östlichen Vorfeld des agilolfingischen und frühkarolingischen Baiern, bei H. Löwe (Hg.), Die Iren und Europa im frühen Mittelalter I, Stuttgart 1982, S. 395; dazu T.O. FIAICH, Virgils Werdegang in Irland und sein Weg auf den Kontinent, bei H. Dopsch-R. Juffinger (Hgg.), Virgil von Salzburg, Salzburg 1985, S. 25 über den von irischem, nicht festländischem Latein geprägten Beinamen des Briefschreibers. Das Zeugnis darf als ein typisches Beispiel jener interpretatio ecclesiastica gelten, die WIENECKE (oben Anm. 4) treffend charakterisiert, aber dann an falschem Beispiel exemplifiziert hat. lich wieder einmal ein wenigstens kleines Werkchen erzählenden Charakters zur Verfügung, doch zu der Zeit ungebrochenen slawischen Eigenlebens im Lande hat sie bereits erheblichen Abstand - und es ist ihr nicht wichtig. Im Vordergrund steht die Aufrichtung deutscher Herrschaft in Verbindung mit der Arbeit am positiven Missionsziel, d.h. die Belehrung im christlichen Glauben und die Durchführung der Kirchenorganisation. Die alte Religion wird als etwas behandelt, wovon man nicht spricht. Die zweifellos gefährliche Reihe von Erhebungen der 760er Jähre, die die geistliche Betreuung standhaft gebliebener Christen zeitweise fast unmöglich machte - möglicherweise eben die Ereigniskette, die auch den Brief des Clemens Peregrinus auslöste - , sie wird herunterstilisiert zu einer bloßen carmula oder seditio, einem Aufstand gegen den Herzog42; daß die Salzburger Mission damals mehr oder weniger zusammenbrach, spiegelt sich nur in der Zahl der Glaubensboten, die noch auf diesen Schauplatz entsandt werden konnten - aufgeführt, als sei die Arbeit dort kontinuierlich fortgegangen43. In die entstandene Lücke trat Freising, damals noch nicht Suffragan des Zentrums an der Salzach. Dort sind die kostbaren Denkmäler in der Sprache der Missionierten erhalten, deren Kernbestand noch der Periode vor 800 angehören dürfte, allerdings nachträglich verändert sein kann. Sie zeugen, was nicht immer beachtet wird, nicht für die außerkirchliche Verkündigung unter Ungetauften, sondern für die innerkirchliche Nacharbeit unter schon gewonnenen Neuchristen, was andere Akzente bedingt44. Im Hinblick auf den alten Glauben nehmen sie, und das fällt auf, die gleiche Haltung ein wie die Salzburger Quelle. Schroff stellen sie die Gotteswelt, die das Heil bringt, der Teufelswelt gegenüber, die Sünde und Tod regieren. Sie bewahren ein Taufgelöbnis, doch lediglich mit Abschwörungs- und Bekenntnisformeln geläufiger Art45 - es erweist uns nicht den Gefallen, wenigstens Namen alter Gottheiten preiszugeben, wie das altsächsische es als seltene Ausnahme tut46. Unter aufgezählten Sünden erscheint an hervorragender Stelle, präsentisch, daß «wir Opfer (alten Stils) darbringen (trebu tuorim)», den «Dankopfern» des neuen Glaubens (obeti nasse) gegenübergestellt, doch an wen sie sich richten sollten, bleibt ungesagt (zweifelsfrei stand wohl der Teufel als eigentlicher Empfänger fest), und 42 Conversio Bagoariorum et Carantanorum, c. 5 (Hg. F. Lošek, MGH, Studien und Texte 15, Hannover 1997, S. 106, 13-108, 12). Dazu H.-D. KAHL, Das Fürstentum Karantanien und die Anfänge seiner Christianisierung, bei G. Hödl - J. Grabmayer (Hgg.), Karantanien und der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter, Wien-KölnWeimar 1993, S. 73 f. u. bes. Anm. 203 (S. 96 f.); vgl. DENS., Der Staat der Karantanen (R. Bratož [Hg.], Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo, Supplementum), Ljubljana 2002, S. 403. Anders A. PLETERSKI, Gab es bei den Südslawen Widerstand gegen die Christianisierung? in: SMS 4 (2001), S. 35f. 43 KAHL 1993, wie vor Anm. (auch zum flg.). 44 KAHL 2000, S. 461-471; dazu DERS., 2004, S. 41 - Ausgaben: Brižinski spomeniki. Znanstvenokritična izdaja, SAZU, razr. za fil. in lit. vede 39, Ljubljana 1993, mit Übersetzungen u.a. in Latein, Deutsch und Englisch; O. KRONSTEINER, Die Freisinger Denkmäler, in: Die slawischen Sprachen 53 (1997), S. 5-17. Ältere Lit. in der Ausgabe 1993, S. 161-181; weiteres bei J. KOS u.a. (Hgg.), Zbornik Brižinski spomeniki, SAZU, razr. za fil. in lit. vede 45, Ljubljana 1996, passim, vgl. Chr. HANNIK, Die älteste slawische Kirchenterminologie, bei Bratož (wie Anm. 42) II, 2000, S. 801-808. Nicht zugänglich war R. J. BRUNNER, Die Freisinger Denkmäler, in: Historische Sprachforschung 110 (1997), S. 292-307. 45 Freis. Denkm. III, 1ff. (Briž.spom., S. 60; Kronsteiner, S. 14 f.). 46 Wegen vergleichender Zusammenhänge besser bei W. BRAUNE u.a. (Hgg.), Althochdeutsches Lesebuch, Tübingen, 141965, S. 38 f., Nr. XVI/2, II, als in MGH, Cap. I, S. 222, Nr. 107. Zum religionsgeschichtlichen Kontext: H.-D. KAHL, Karl d.Gr. und die Sachsen, bei H. Ludat - R. Chr. Schwinges (Hgg.), Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Gießener Festgabe für F. Graus (Beih. z. Arch. f. Kulturgesch. 18), Köln-Wien 1982, S. 83-94, bes. 90 ff., m. Anm. 123 (S. 126 f.). erst recht fällt keinerlei Andeutung, wie weit dabei an Kultbilder zu denken wäre47. Wir notieren die Übereinstimmung mit der zitierten Würzburger Quelle, die weit mehr als ein Jahrhundert jünger ist als die ältesten Schichten dieser Denkmäler, doch ihrer Karolingerzeit noch nahe steht. Die pannonischen Slawen berührte das sog. Donaukonzil von 796, auf dem die Spitzen der Salzburger Kirchenprovinz und des Patriarchats Aquileia das missionarische Vorgehen im besiegten Awarenreich festlegten. Ausführlich erörtert wurden zulässige Tauftermine und Fragen der vorzuschaltenden Katechese; der alte Glaube wird einzig in der Abschwörungsformel des Taufgelübdes erwähnt in Form des abrenuntiare...diabolum et pompis eius. Was mit Kultstätten und Kultbildern vorgefundener Gentilreligionen zu geschehen hatte, bedurfte keiner Erwähnung - es verstand sich von selbst.48 Dazu fällt auf, daß all diese Texte sich in solchem Totschweigen des Überwundenen einig sind mit anderen, die den karolingischen Zeugnissen zeitgleich sind, doch auf einen anderen Hintergrund führen: den sog. Pannonischen Legenden über die «Slawenapostel» Kyrill und Method, die bei aller Fühlungnahme mit Rom aus der Ostkirche kamen49. Dort ändert sich das Bild in mehrhundertjährigem Abstand: Einen Bericht über das Pantheon, das Wladimir d. Gr. vor seiner Bekehrung in Kiew errichten ließ, haben wir oben schon aufgeschlagen. Es ist merkwürdig, daß es dazu im Westen eine annähernd gleichzeitige Parallele gibt, nämlich in der Domitianslegende aus dem kärntnischen Mill-statt, die ein Benediktiner ungefähr zur Barbarossazeit verfaßte. Er sucht den Namen seines Klosterortes, völlig abseits denkbarer Realitäten, von mille statuae abzuleiten, tausend Götzenbildern, die ihr Held, der angebliche Bekehrerherzog Domitian, in einem ecclesia genannten Gebäude verehrt gefunden und vernichtet habe. Die Etymologie als solche ist nichts als mönchische Pseudowissenschaft im Stil der Entstehungszeit, wieder abhängig von eingefahrenen Klischees und nicht einmal mit Phantasie genug ausgestattet, um sich die technische Unmöglichkeit eines entsprechenden Gebäudes klarzumachen. Die Quelle reicht gerade aus, daß wir die Existenz von Kultbildern für die Karantanenzeit nicht mit voller Sicherheit ausschließen können50; ja sie erlaubt, die Frage aufzuwerfen, ob es an diesem Punkt womöglich eine synkretistische "Kirche" christlich-heidnischen Gepräges gegeben haben sollte, ohne daß ein klares Ja oder Nein vertretbar wäre51. Immerhin finden wir hier eine relative Unbefangenheit gegenüber wirklichen oder vermeintlichen Erschei- 47 Freis. Denkm. II, 20. 38 (Briž. sp., S. 52 u. 54; Kronsteiner, S. 10 f.). Die verschiedenen Übersetzungen (lat. idolatria und vota, an zweiter Stelle engl. prayers, deutsch auch "bringen.. .Dank"), verschieben m.E. teilweise die Nuancen, indem sie verallgemeinern oder variieren. 48 Convent. Episc. ad ripas Danubii (MGH, Conc. II/1, S. 172-176, hier S. 175, 33). Zu diesem Text jetzt R. BRATOŽ, La cristianizzazione degli Slavi negli atti del Convegno "Ad ripas Danubii" e del concilio di Cividale, in: XII centenario del concilio di Cividale (796-1996). Convegno storico-teologico. Atti, Udine 1998, S. 145190, umfassend mit älterer Lit. Nicht mehr berücksichtigt werden konnte M. NIEDERKORN-BRUCK - A. SCHARER (Hgg.), Erzbischof Arn von Salzburg (Veröff. d. Öst. Inst. f. Geschichtsforsch. 40), Wien 2004. - Zum flg. vgl. unten bei Anm. 65. 49 Mir leider nur vorliegend in der Übersetzung bei J. BUINOCH, Zwischen Rom und Byzanz (Slavische Geschichtsschreiber I), Graz usw. 1958; vgl. bes. Methodiusvita, c. 10 (ebd. S. 94). Dazu oben bei Anm. 10. 50 KAHL 1999, S. 51 f. 51 A. PLETERSKI, Eine heidnisch-christliche Kirche in Millstatt? In: Carinthia I/187 (1997), S. 201-212; vgl. DENS., Ecclesia demonibus addicta. Povedka o poganskem svetišču v Millstattu, in: Zgodovinski časopis 48 (1994), S. 397-306; dazu KAHL 1999, S. 36, 51 f., 90 f., und DERS. 2002, S. 287-289. - Dem langjährigen Freunde sei auch hier herzlich gedankt für ständigen Austausch, ohne den auch die vorliegende Abhandlung nicht so ausgefallen wäre, wie sie vorliegt. nungsformen der cultura demonum, wie es auch in diesem Text heißt. Das ist gegenüber den älteren etwas Neues. Mit diesem Millstätter Zeugnis ist zugleich für den Gesamtraum zwischen dem Havelland und der Südgrenze des Patriarchats Aquileia, wahrscheinlich sogar noch weiter, das einzige Zeugnis berührt, das sich wenigstens noch aus dem Hochmittelalter mit einer Kultstätte aus Zeiten befaßt, die vor den Beginn karolingerzeitlicher Missionsbestrebungen zurückreichen - von frühneuzeitlichen Phantastereien, die von der Vorstellung «der» (einen) slawischen Religion ausgingen und daher ganz unbefangen die bei Helmold für die Ratzeburger Polaben bezeugte Göttin Siwa (d. h. wohl: Živa) ganz unbefangen auch zu den Südslawen verpflanzten, haben wir ja abzusehen52. Mit einzig dieser Ausnahme, die schon als solche auffällig ist, ließ sich also für den gesamten umschriebenen, weitgespannten Raum keine einzige Schriftquelle ausmachen, die zugunsten einstiger Existenz von altslawischen Kultbildern ausgewertet werden kann. Das aber erlangt verdoppeltes Gewicht, weil es nach bisherigem Eindruck mit dem scheinbaren Fehlen entsprechender archäologischer Denkmäler für den gleichen Gesamtbereich zusammenklingt. Da der Millstätter Mönch wenig Vertrauen erweckte und ein anderer Bericht nicht vorlag, glitt die Forschung generationenlang völlig über die Frage hinweg, ob das Staatswesen der Karantanen, Objekt der ersten wenigstens notdürftig beleuchteten Slawenmission, nicht eigentlich auch ein Zentralheiligtum besessen haben müßte, wie das der gentilreligiösen Grundlage derartiger Gebilde entspricht53. Von Kultstatuen «heidnischen» Gepräges aber ist für diesen weitgespannten Bereich auch sonst in keiner ernstzunehmenden Quelle die Rede. 4. Zwischenbilanz An den Grenzen des Patriarchats Aquileia endet das reichskirchlich bestimmte Gebiet. Jenseits, mit Ungarn und Kroatien, mit den Erzbistümern Esztergom/Gran und Split, öffen sich Problemfelder anderer Strukturen, die besonderer Untersuchung bedürfen, und weiter nach Osten wie nach Süden erst recht. Nachrichten über slawische Götterbilder haben mich für diese Regionen nicht erreicht, doch das kann Zufall sein. Wenden wir uns zurück und versuchen, eine Summe zu ziehen. Westlich von Elbe und Saale sowie südlich der Mittelgebirgsschwelle Thüringens fanden sich bis zu den Enden des aquileischen Sprengels nirgends Indizien, die auf altslawische Kultbilder deuten könnten, mit einziger Ausnahme des Millstätter Legendenberichts, auf den sich niemand wirklich verlassen kann. Die Lücke gilt nach bisheriger Kenntnis für Schriftquellen wie für archäologisches Fundgut, und das ist ein Zusammenklang, über den man sich nicht leichten Sinnes hinwegsetzen darf. Er verlangt Gehör. Dabei drängen sich zwei merkwürdige Folgerungen auf. Erstens: Das umschriebene Gebiet ist identisch mit dem, für das aus dem Mittelalter überhaupt keine Nachrichten über substanzielle Aspekte slawischer Religion vorliegen, so daß Einsichten allenfalls aus Rückschlüssen zu gewinnen sind, die an spät erst erfaßtes Material anschließen wie Aufzeichnungen über Volksüberlieferungen und volkstümliches Brachtum. Mit anderen 52 Helmold, c. 52 (S. 196, 22): Siwa dea Polaborum; der Kontext zählt noch andere kleinräumig verehrte Gottheiten auf. Zum dabei verwandten Polabenbegriff und zu dieser Gottheit allgemein: KAHL 2002, S. 249-251 m. Anm. 533, vgl. 420. 53 Dazu jetzt KAHL 2002, S. 222-257, vgl. S. 67-78 u. 419 f. Worten: Für dieses Gebiet ist bei Schlußfolgerungen höchste Vorsicht in beiden Richtungen angesagt, nicht allein nach der positiven, sondern ebenso nach der negativen Seite hin. Wir dürfen, ohne daß sich konkrete Anknüpfungsmöglichkeiten ergeben, weder behaupten, daß dort bestimmte Vörstellungen und Gepflogenheiten herrschten, noch, daß es sie dort nirgends gab. Stattdessen haben wir uns offen zu halten für etwa neu auftretenden Diskussionsstoff. Das Problem der Kultidole ist von dieser Regel nicht auszunehmen. Sie gilt prinzipiell. Zweitens: Das umschriebene Gebiet deckt sich merkwürdig genau mit bestimmten klar abgrenzbaren Bereichen frühmittelalterlicher Kirchenorganisation. Es umfaßt die östlichen Suffragane von Mainz, soweit sie in die Karolingerzeit zurückreichen, also unter Einschluß des erst nachträglich als exempt von Wurzburg abgeteilten Bamberg. Hinzu kommen - mit der einen problematischen Ausnahme für Millstatt - die damals slawisch besiedelten Teile der Kirchenprovinzen Salzburg und Aquileia. Das sind durchweg Landschaften, in denen die Christianisierungsarbeit spätestens unter Karl d.Gr. eingeleitet wurde, und das heißt zugleich: zu Zeiten, deren Bereitschaft zu historischen Aufzeichnungen sich noch sehr in Grenzen hielt und für solche religionsgeschichtlicher Art ganz besonders. Sie hat, und das verdient gerade hier Beachtung, auch für die Altsachsen, deren Eingliederung in die Kirche des neuen Glaubens etwa gleichzeitig und im gleichen organisatorischen Rahmen erfolgte, wenig genug an Einschlägigem festgehalten. Diese Feststellungen bedingen eine weitere Konsequenz: Bis es für die betroffenen Gebiete vielleicht doch noch zu eingehenderer historischer Berichterstattung kam, hatte die von der Kirche geforderte und geförderte Vernichtungsarbeit an nichtchristlichen Kultobjekten ein bis zwei Jahrhunderte länger zu wirken vermocht als dort, wo schließlich dergleichen Nachrichten auftauchen. Erinnerung an solches «Teufelswerk» hatte entsprechend länger Zeit gehabt, sich zu trüben, soweit es nicht von Anfang an mit einer damna-tio memoriae belegt worden war: Warum sollte man sich länger mit Dingen aufhalten, die doch nichts weiter waren als wechselnde Gaukel- und Maskenspiele des immer gleichen Satans54? Schnell fügt sich weiteres zusammen. Die Autoren, die uns schließlich doch etwas eingehender von slawischer Religion und ihren «Götzenbildern» berichten, waren durchweg Fremde, die außerhalb von Strängen slawischer Eigenüberlieferung standen. Von der Karolingerzeit sind sie sämtlich durch mehr oder weniger viele Generationen getrennt. Sie repräsentieren damit eine Phase, die sich bereits wesentlich erzählfreudiger zeigt, in der auch eine Art ethnographischer Interessen für Fremdartiges aufzukommen beginnt. Vor allem aber sind sie Zeitgenossen einer slawischen Religion, die nicht einfach «Heidentum» war, sondern apostatisches Heidentum, neu durchgesetzt auf Kosten bereits vorgedrungener christlicher Mission und Kirchenorganisation und doch von Gottes unerforschlichem Ratschluß geduldet, was für solch geistliche Schreiber, teilweise sogar gehobenen Ranges, etwas Aufregendes haben mußte. So wenden sie sich - mit allem Abscheu, aller gebührenden Vorsicht - diesem Gegenstand zu, im Fall eines Thietmar vielleicht sogar mit der Nebenabsicht, von Zuständen in seinem unmittelbaren Amtsbereich abzulenken55. Für Helmold, den Priester im ostholsteinischen Bosau, gehörten die alten Götter der Landeskinder vielleicht gar noch zum eigenen Alltag - den Mann, der noch 54 Zum Grundsätzlichen ACHTERBERG (wie Anm. 4), dazu oben bei Anm. 5-6 sowie 41-49. 55 Oben bei Anm. 32-33. in eigener Person an der Zerstörung eines überkommenen Hauptheiligtums teilnahm, mit Zittern und Zagen, wie er freimütig eingesteht, doch es geschah ihm nichts mehr56. Wo findet sich Vergleichbares in der Karolingerzeit? Für die Slawen aber, auf die die neue Christianisierungswelle des 12. Jh.s zukam, ist festzuhalten: Sie kannten, anders als frühere, deren Träger aus Erfahrung. Ihnen ist zuzutrauen, daß sie eher als die Vorfahren daran dachten, geheiligte Bildsymbole rechtzeitig zu verbergen, um sie vor Entweihung zu schützen, und sie so für uns zu erhalten. Das Fehlen entsprechender Funde aus den Wirkungsfeldern karolingerzeitlicher Mission fände auch auf diese Weise eine mögliche Erklärung. Ist sie glaubhaft? Was wir konkret vom Ablauf damaliger Missionsbemühungen erfahren, vor allem von der Handhabung des negativen Missionsziels, ist mehr als dürftig. Die Quellen beschränken sich im wesentlichen auf Hinweise zur christlichen Glaubensverkündigung, also zum positiven Ausschnitt missionarischen Wirkens, und zur Nacharbeit unter Getauften, also einer Form innerkirchlicher Seelsorge zur Hebung der Glaubensreinheit im Gemeindevolk57. Zur uns so wichtigen negativen Seite, der Vernichtung von Stätten und Objekten der bekämpften Religionen, werden gelegentlich einmal herausragende Einzelereignisse hervorgehoben wie die Fällung der Geismarer Donarseiche durch Bonifatius oder die Zerstörung der sog. Irminsul durch das karolingische Heer, doch von regionalen und lokalen Vorgängen solcher «Tatmission»58 wissen wir im Ganzen wenig, für breite Landstriche nichts. Das gilt für die meistern Schauplätze der Sachsenmission, es gilt auch für die slawisch besiedelten Teile der Bistümer Verden und Halberstadt - das «Hannöversche Wendland» und die sog. Altmark - ; es gilt für Oberfranken und die Oberpfalz, es gilt für den salzburgisch-aquileischen Süden. Vielleicht begegnen uns, wie oben, aus dem 12. oder 13. Jh., lange nach den Karolingern, kirchliche Klagen, hier oder dort gebe es noch immer pagani - getaufte Christen, die dem Anspruch kirchlicher Disziplin unterstanden, die aber «falsche Wege» gingen wider ihr Taufgelübde, im Sinn abgeschworenen Glaubens und Kultes, wenn auch womöglich mit christlichen Elementen vermischt59. Von «Taschenidolen», die ihnen vielleicht noch wichtig waren, wohlverborgen vor den Repräsentanten der Kirche, gerät nichts zu unserer Kenntnis, doch auch, daß es sie nicht mehr gab, verbürgt uns niemand, und dasselbe gilt erst recht für Vorläufer, die sie etwa besaßen, bevor die Missionare kamen. Es zeigt sich: Die Entwicklung war von einer Dynamik geprägt, die vielfache Wirkung auf die Aussagemöglichkeit wie die Aussagefreudigkeit unserer Quellen erlangte. Sie blieb bisher weitgehend außer Betracht. Vielmehr kam die Forschung, unterschiedlich variiert, immer wieder zu dem Schluß, die Slawen südlich der Havel hätten im Grunde keine «höhere» Religion besessen, sondern sich mit einer Art Dämonenglauben begnügt60. Langjährige Untersuchungen, die RADOSLAV KATICIC nach und nach vorlegte, haben durch Vorstellungen dieser Art einen dicken Strich gezogen: Perun ist als ursprünglich ge- 56 Helmold, c. 84 (S. 288 f.). 57 Begriffe: oben bei Anm. 5-6. 58 S. Anm. 5. 59 Oben bei Anm. 34, dazu Anm. 36 u. 40. 60 SCHLESINGER (wie Anm. 31), S. 215-219, vgl. 330 f.; E. KLEBEL, Siedlungsgeschichte des deutschen Südostens, München 1940, S. 39 f. (mit Annahme eines gewaltsamen Eingreifens der Awaren); auch E. CEVC, Das Problem der Kontinuität im Kult und in der bildenden Kunst in Slowenien, in: Alpes Orientales V, Ljubljana 1969, S. 103-112, sowie WIENECKE (wie Anm. 4). Zu solchen Positionen grundsätzlich bereits KAHL 1999, bes. S. 47 f. meinsamer Hauptgott sämtlicher Slawengruppen erwiesen61. Das sagt selbstverständlich nichts über etwaige Kultstatuen zu seiner und zu anderer Verehrung, doch es rückt für die slawische Gesamtheit vorchristlicher Zeit ein Niveau im Sinn gentilreligiöser Vorstellungen in den Blick, das weit über der zuvor gekennzeichneten Ebene liegt. Die Ausgangssituation ist beträchtlich verändert. Man mag einwenden, die Sprachwissenschaft habe gezeigt, daß es kein urslawisches Wort für das Kultbild gab, vielmehr nur eine bunte einzelsprachliche Palette, und das spreche für eine sekundäre Aufnahme des Bilderkultes, wo er sich finde, zustandegekommen unter Fremdeinflüssen62. Das klingt überzeugend. Aber ist es das auch? Wer sich vergegenwärtigt, was nach der Christianisierung mit dem uralten Opferwort treba geschah, wird zweifeln. In seinem Fall schwankt die Skala der Lösungen zwischen Ausmerzung unter Ersatz und der Umdeutung zum christlichen Begriff «Weihnachten»63. Sollte das im Fall eines alten Ausdrucks für Kultstatuen anders verlaufen sein? Ihm müßte die Vorstellung einer archaischen Heiligkeit angehaftet haben, die im kirchlichen Wortschatz nicht mehr tragbar, doch schwer abzuschütteln war. Um den Sinn «Götzenbild» durchzusetzen mit allen negativen Empfindungen, die ihm anhaften sollten, waren neue Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen. Sie können in den einzelnen Kirchenprovinzen als der dafür maßgeblichen Instanz ebenso unterschiedlich ausgefallen sein wie für den Opferbegriff64. Die vorgelegte Analyse der Quellenlage warnt auch hier vor voreiligen Kombinationen. Kurz: Der aufgetauchte Verdacht ist auch von hier aus nicht zu zerstreuen. Er sieht sich, zusammengefaßt, zu der Frage gezwungen, ob es mit dem Fehlen von Hinweisen auf Götterbilder, das den größten Teil der alten Slavia betrifft, womöglich eine besondere Bewandtnis hat. Liegt es am Ende so, daß dieser scheinbare Fehlbestand weniger mit den sog. Missionsobjekten zu tun hat als mit den Missionssubjekten - weniger mit dem, was die Glaubensboten bei ihrer Ankunft vorfanden oder nicht, stattdessen mit einer spezifischen Eigenart derer, die die Träger der Christianisierung waren, dazu im Fall der Slawen - anders als im germanischen Bereich - außerdem einzige Berichterstatter? Sie vermelden schon reichlich wenig über Dinge, die wir zwingend voraussetzen müssen wie Bekehrungen, Taufszenen und den Bau von Kirchen. Die Arbeit am negativen Missionsziel war ganz ohne Zweifel nicht weniger wichtig - im Gegenteil: Sie hatte eine Voraussetzung zu schaffen für den endlichen Taufentschluß; «Tatmission» demonstrierte handgreiflich die Ohnmacht der alten Götter gegenüber den Boten des neuen, der mit seiner Kraft hinter ihnen stand. Wir besitzen ausdrückliche Weisungen des Papstes, der für die Gestaltung des mittelalterlichen Missionswerks grundlegend wurde, Gregors d.Gr. Sie waren leichter als manche anderen zugänglich durch ein so viel gelesenes Werk wie die Kirchengeschichte des Beda, in die ihr Text inseriert war, und sie legten eindeutig fest, was schon Brauch der alten Kirche gewesen war: Wo der Missionar irgend die Macht hatte, waren die «götzendienerischen 61 R. KATICIC in mehreren verschieden betitelten Beiträgen in: Wiener Slavistisches Jahrbuch 33-39 (19871993) an Hand überreichen volkskundlichen Materials. Den Hinweis danke ich, wie viele andere, ANDREJ PLETERSKI, Ljubljana. 62 L. MOSZYNSKI, Die vorchristliche Religion der Slaven im Lichte der slavischen Sprachwissenschaft, KölnWeimar-Wien 1992, S. 110-112. 63 KAHL 2004, S. 11-14. 64 Auf die Bedeutung der Kirchenprovinzen für die Ausbildung volkssprachlicher kirchlicher Terminologien, die ja keiner übergreifenden Normung unterlagen, verweist am Beispiel deutscher Mundarten Th. FRINGS, Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache, 3. Aufl. Halle/S. 1957, bes. S. 16-22, passim, vgl. 52. Geografische Übersicht über die slawischen Termini: SEUPECKI 1994 (wie Anm. 8), S. 200. Kulte» zu verfolgen (idolorum cultus insequere) und etwa vorgefundene «Götzenbilder» zu zerstören (idola destruantur); Laien kamen diese Aufgaben gleichfalls zu65. Der starke angelsächsische Einfluß auf die Karolingermissionen, repräsentiert durch Persönlichkeiten wie Bonifatius und Alcuin, ist bekannt. Die Quellen zur Slawenmission dieser Zeit spiegeln nichts davon, nicht die erzählenden und erst recht nicht die Akten der innerkirchlichen Nachsorge, die dem Taufakt zu folgen hatte - für die also der alte Kult erledigte Vergangenheit war, jedenfalls in seiner öffentlichen Form. Aber wie trügerisch ist das Bild, das durch dieses Schweigen entsteht? Wir versäumen etwas, wenn wir diese Frage verdrängen. Doch die besten Zweifel bringen nichts, wenn sie sich nicht an einem konkreten Befund abstützen lassen. Eben dies aber scheint, wie angedeutet, im vorliegenden Fall neuerdings möglich zu sein. In die umrissene Forschungslage trifft, völlig unerwartet, ein Marmorstück, seit Jahrzehnten bekannt, das jedoch bisher keine Einordnung fand. Es führt in ein Land, in dem die Anwessenheit von Slawen bereits für das 7. Jh. einwandfrei bezeugt ist. Sie lebten dort niemals allein, sondern als ein Bevölkerungselement unter anderen, doch sie hatten langezeit die Führung und schufen den ersten slawischen Staat, von dem wir überhaupt nähere Kenntnis besitzen, Generationen vor ihrer Christianisierung, also mit gentil-religiösem («heidnischem») Gepräge66. In die Zuständigkeit der Archäologen gehörig, ist das Denkmal gleichwohl nicht ihren Bemühungen zu danken, sondern der Wachsamkeit eines spielenden Kindes, kurz nach dem zweiten Weltkrieg, an völlig unerwarteter Stelle67. Seine Zuordnung gilt noch als Problem. In den fünfziger Jahren vorigen Jahrhunderts kam es in bestimmten Kreisen Kärntens zu einer starken Überbewertung keltischer Traditionen: Nach traumatischen Erfahrungen von gleich zwei Seiten her wollte man offenbar etwas anderes sein als die Deutschen, doch um keinen Preis etwas Slawisches, während man sich jedoch von dem gewohnten Grundmodell ethnischer Kontinuitäten noch nicht zu lösen vermochte. In diese Strömung wurde auch das fragliche Steinfragment einbezogen, doch ohne wissenschaftliche Begründung in Druckform68. Den ersten publizierten Hinweis gab, soviel ich sehe, 1977 der langjährige Landeskonservator SIEGFRIED HARTWAGNER («...ein rätselhafter Stein, der sicherlich der vorromanisch-frühmittelalterlichen Epoche angehört»)69. Das war reichlich unbestimmt, vermied aber die 65 Greg. Magn., Reg. Epist. XI, 37 u. 56 (MGH EE I, S. 308, 26 bzw. 331, 7; JE 1827 u. 1848), vgl. Beda, Hist. Eccles. Gentis Angl. I, 32 u. 30 (Beda der Ehrwürdige, Kirchengesch. d. engl. Volkes, hg. von G. Spitzbart, Darmstadt 1982, Bd. I, S. 116 bzw. 119). 66 Dazu ausführlich KAHL 2002. 67 Nachstehende Ausführungen liegen in gekürzter Form als 2. Abschnitt meines Beitrags "Karantanische Fragezeichen" dem Rudolfinum. Jahrbuch des Landesmuseums Kärnten, Klagenfurt, vor. 68 Bezeichnend etwa: H. KENNER, Keltische Züge in romanischer Kunst, in: Frühmittelalterl. Kunst. Akten zum III. internat. Kongreß für Frühmittelalterforschung, Olten u. Lausanne 1954, bes. S. 333, sowie DIES., Das Dreikopfbecken vom Magdalensberg, in: Carinthia I/144 (1954), S. 11 ff. Zur gelegentlichen Einbeziehung des Silberbergtorsos Hinweise bei K. MESSNER, Das Wesen mit den drei Gesichtern, in: Krone bunt (Sonntagsbeilage der Kronenzeitung), 10. 10. 2004, auf welchen Beitrag Herr AXEL HUBER, Seeboden, mich freundlich hinwies.. Dazu B. MAIER, Keltomanie und Keltenideologie (Kelten, §. 5), in: (Hoops) Reallex.2 XVI (2000), bes. S. 370 f. - Vgl. unten Anm. 69, 79 und 91. 69 S. HARTWAGNER, Kärnten: Der Bezirk St. Veit a. Glan, Salzburg 1977, S. 119, im Zusammenhang Hüttenberg, ohne nähere Lokalisierung. Abkürzungen im obigen Zitat aufgelöst. Den Hinweis auf diese Nennung danke ich Herrn Univ. Prof. Dr. FRANZ GLASER, Klagenfurt, wie vieles andere, nicht zuletzt die Gelegenheit zur Nachschau unmittelbar in St. Martin a. S. - Auf gegebene Datierungsprobleme in der Spanne zwischen Keltenzeit und Gotik, soweit nicht römische Antike vorliegt, verweisen auch G. BIEDERMANN, Romanik in Kärnten (Kunstgesch. Kärntens), Klagenfurt 1994, S. 9 ff.; sowie H. BIRKHAN, Kelten/Celts. Bilder ihrer Kultur/Images of their culture, Wien 1999, S. 22. nach damaligem Stande schwer vertretbare nähere Festlegung. Eine solche schien sich erst wesentlich später aus vergleichenden Studien auf anderen Feldern mir zu ergeben - der Gedanke an ein Relikt des vorchristlichen Slawentums. Der Druck der Ausarbeitung zog sich unerwünscht hin. So wurde dies im Einvernehmen mit mir durch FRANZ GLASER zuerst an die Öffentlichkeit gebracht, skizzenhaft; ich folgte mit zwei ausführlicheren, doch gleichfalls abgekürzten Stellungnahmen, die mehrfach aufgegriffen wurden70. Es gab jedoch auch Widerspruch: AXEL HUBER stellte zur Diskussion, ob der Torso nicht vielmehr hochmittelalterlich sein werde, Rest einer jener romanischen Apsidenbekrönun-gen, auf die als wenig beachtete Eigentümlichkeit der Baukunst im Lande er schon früher eindringlich hingewiesen hatte. Er zog für das strittige Stück einen symbolischen Hinweis auf die christliche Trinitätslehre in Erwägung71 Die Bedeutung der Frage einerseits für Kärntens Frühmittelalter, andererseits für die slawische Religionsgeschichte, nicht zuletzt auch für die christliche Ikonografie drängt dazu, sie nochmals aufzurollen. Schon hier darf vorweggenommen werden, daß ich zum Abrücken von meiner Position keinerlei Grund erblicken kann. 5. Der Marmortorso von St. Martin am Silberberg - nicht römerzeitlich, nicht christlich, nicht germanisch, nicht keltisch Fundort des problematischen Objekts ist eine Einsturzstelle der Friedhofsmauer einer kleinen Pfarrkirche im Kärntner Dekanat Krappfeld: St. Martin am Silberberg. Der Platz liegt hoch über dem Steiergraben, der die vom Neumarkter Sattel kommende Fernstraße südwärts zum Görtschitztal/dolina Krcice leitet, nahe der Landesgrenze, in einem alten Bergbaugebiet, und gehört zur politischen Gemeinde Hüttenberg, Bezirk St. Veit a. d. Glan/St. Vid. Wer die genannte Verkehrsader von Norden her benutzt, kann das Kirchlein steil links über sich erkennen. Der Bildstein muß in der Fundsituation wohl so gelegen haben, daß seine auffälligen Darstellungen verhältnismäßig gut bemerkt werden konnten, und auch so, daß er sich ohne besonderen Aufwand bergen ließ. Die Mauer ist längst wieder hergestellt. Sie läßt keinerlei Auffälligkeit mehr erkennen, vor allem keinen Anhalt, sie könne noch weiteres Fundgut enthalten. Wo der Torso einmal eingefügt war, ist ebensowenig mehr auszumachen wie der Platz, auf dem er sich vor dieser Zweitverwendung befand. 70 F. GLASER, Dreigesicht aus St. Martin am Silberberg, in: Archäologie Österreichs 7/2 (1996), S. 19-21; vgl. K. KARPF, Frühmittelalterliche Kunst Karantaniens, bei F. Glaser (Hg.), Kelten, Römer, Karantanen (Kunstgesch. Kärntens), Klagenfurt 1998, S. 170 f. m. Anm. 315 f.; KAHL 1999, S. 49 f.; P. GLEIRSCHER, Karantanien. Das slawische Kärnten, Klagenfurt 2000, S. 149 f.; KAHL 2002, S. 296 f., vgl. 222 u. 301. 71 A. HUBER, Neues über Karantanien, in: Die Kärntner Landsmannschaft 9-10/2003, S. 27-30, bes. am Schluß, und deutlicher bei MESSNER. Da diese letzten Äußerungen schwer zugänglich sind, seien die Kernsätze hier wiederholt: «Es ist durchaus möglich, daß es sich auch bei diesem Dreigesicht... um eine romanische Apsiden-bekrönung handelt. In St. Martin am Silberberg wurden. 1996 die Überreste einer romanischen Apsis ausgegraben. Auf die Spitze solch einer Apsis wurde gern eine Steinskulptur gesetzt. Es ist also nicht auszuschließen, daß das Dreigesicht. die christliche Trinität symbolisiert.» Allerdings hatte «die katholische Kirche. keine Freude an solchen Dreigesichtern, deren Wurzeln im heidnischen Bereich zu orten sind. Gut möglich, daß das Dreigesicht vom Silberberg auf Anordnung der kirchlichen Obrigkeit als Apsidenbekrönung entfernt werden mußte und deshalb an oder in der Friedhofsmauser landete.» Ergänzend A. HUBER, Menschenköpfe auf der Dachspitze von romanischen Kirchenapsiden, in: Die Kärntner Landsmannschaft 10/1985, A. 59-64, noch ohne Bezugnahme auf den Silberbergfund. - Herr HUBER hat meine Bemühungen seit Jahren, auch in diesem Falle, in großzügigster Weise mit Informationen und kritischen Hinweisen unterstützt, wofür ihm auch hier herzlich gedankt sei. Abb. 4. Dreigesichtiger Götterkopf aus St. Martin am Silberberg, Gemeinde Hüttenberg, Bez. St. Veit a. d. Glan/Št. Vid, Kärnten. Vorderansicht und (nachträglich veränderte) Rückseite; Marmor, slawisch; 7.-9. Jh.? Aufnahme: Franz Glaser, Klagenfurt/Celovec. Slika 4. Triobrazna glava božanstva s Sv. Martina na Silberbergu. Občina Hüttenberg, okraj St. Veit a. d. Glan/ Št. Vid, Koroška. Sprednja stran in (drugotno predelana) zadnja stran. Marmor, slovansko, 7-9. st.? Foto: Franz Glaser, Klagenfurt/Celovec. Das Stück (Abb. 4) präsentiert sich als unregelmäßig abgerundeter Quader, ca. 32 x 21 x 10 cm. Gegenüber Geläufigem ist das ein merkwürdiges Verhältnis zwischen Höhe und Breite einerseits, andererseits der Tiefe. Wie weit es dem ursprünglichen Zustand entspricht, steht offen. Die Vorderseite zeigt in bemerkenswert flachem Relief (bedingt durch den eingeschränkten Spielraum nach rückwärts?) eine archaisch wirkende Bildkomposition. Beherrschend erscheint ein menschenähnliches Gesicht von einigermaßen natürlicher Größe. Sein Umriß hat ungefähr Eiform; die Kinnpartie ist eher breit gezogen, nicht birnenförmig gestreckt, und zeigt eine Art doppelter Einkerbung mit leicht wulstiger Umrandung. Die Augen treten hervor, kugelförmig wie auch die besonders herausgearbeitete Iris; sie stehen unter starken Brauen, die unvermittelt in die - beschädigte - Nase übergehen; über ihnen bleibt wenig Raum für die Stirn. Der Mund mit wulstigen Lippen ist leicht geöffnet. Zähne zeigen sich nicht; vielleicht wird die Zunge angedeutet, keinesfalls jedoch aggressiv herausgestreckt. Ohren fehlen. Auf der rechten Wange überrascht klein ein zweites Gesicht ähnlicher Gestaltung, offenbar als Wiederholung des beherrschenden ersten angelegt, doch mit entsprechend geringerem Durchmesser. Am Hals erscheint ein drittes mit ähnlichen Augen und Brauen, fast unversehrt kräftiger Nase; durch Bruch- schaden fehlen Mund- und Kinnpartie, doch zeichnet sich der Ansatz eines Schnurrbartes ab, während die beiden oberen bartlos sind. Alle drei schauen geradeaus nach vorn. Sie sind keinesfalls bewußt fratzenhaft angelegt, wie man das bei einer Teufels- oder Dämonendarstellung zu erwarten hätte, sondern Erzeugnis einer primitiven Kunstfertigkeit. Ihre Häufung schließt aus, daß ein menschliches Wesen gemeint sein könnte; alles sonst bleibt offen. Nicht erkennbar ist, ob die verlorenen Partien der alten Skulptur noch weitere Gesichter aufwiesen, auf der Brust oder sonst - die mehrfach begegnende Bezeichnung "Dreigesicht" greift dem, was wir wissen können, vor. Der Hinterkopf wirkt flach. Die Rückseite des Halses zeigt ein Apostelkreuz. Eine hellere Färbung des Steins in den Kreuzwinkeln gibt Zeugnis, daß es eine nachträgliche Zutat sein muß - das heilige Zeichen sollte wohl die «heidnischen» oder «dämonischen» Qualitäten, die man auf der Vorderseite empfand, «entschärfen», bevor man das problematische Stück durch Einmauern in die Umfriedigung eines sakralen Bezirks vällig unschädlich zu machen suchte. Eine entsprechende Anordnung von Gesichtsdarstellungen konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Damit fehlt Vergleichsmaterial. Hinzu kommt die Zweitverwendung als Mauerstein. Sie schneidet uns - wie beim Bildwerk von Zadel - die Frage nach ursprünglichen Fundzusammenhängen ab, die in anderen Fällen Rückschlüsse auf Herkunft und Datierung erlauben. Der Marmortorso bleibt nach jeder Richtung hin isoliert, und guter Rat, wie er sich zuordnen ließe, ist schon insofern teuer. Zum Unglück geriet das Stück auch noch in Privatbesitz und ist seit langem unzugänglich. Aus den lebenden Forschergenerationen haben nur wenige wie FRANZ GLASER und ANDREJ PLETERSKI das Original zu sehen bekommen; die Mehrheit ist zur Urteilsbildung auf deren Fotos und Zusatzinformationen beschränkt. Wichtige Fragen wie die Herkunft des Marmors, die Herstellungstechnik ("Fabrik") oder der Einfluß etwaiger Verwitterung entziehen sich einstweilen dem Zugriff. All das bringt Unsicherheitsfaktoren ins Spiel, die keinesfalls verdrängt werden dürfen, doch vor ihnen zu resignieren führt nicht weiter. Chancen, dem Problem vielleicht doch auf die Spur zu kommen, hat nur, wer ihm nicht ausweicht und keiner der begleitenden Fragen. An ein Werk römischer Antike zu denken, verbietet sich schon aus stilistischen Gründen. Unter christlichen Traditionen Umschau zu halten wie HUBER, liegt dann für Kärnten zweifellos am nächsten. Apsidenbekrönungen allerdings, scheint mir, sind hier gleichfalls beiseite zu lassen. Die wir bisher kennen, zeigen Gesichtszüge, die deutlich nicht Numinoses, sondern Menschliches meinen, wenn auch in altertümlicher Formgebung. Sie schauen von ihrem Platz nach Osten, der aufgehenden Sonne entgegen, die die Kirche als Symbol des Christuserlösers versteht; man mag fragen, ob sie damit den « alten Adam» repräsentieren sollen, der seiner Erlösung entgegensieht, doch das bleibt ungewiß. Überflüssig gewordene Exemplare wurden mindestens z.T. als altes, wertvolles Bauelement betrachtet, das man wie die römerzeitlichen Spolien gern weiter vorzeigt und deshalb sichtbar einmauert72. Der Torso vom Silberberg meint demgegeüber mit Sicherheit kein Menschengesicht, sondern ein Abbild aus anderer Sphäre, und er fand keinen Platz an der Außenwand der Kirche - er wurde in die Friedhofsmauer verbannt, d. h. unsichtbar gemacht: Man wünschte ihn loszuwerden. Von da führt keine Brücke zu dem, was wir von nachgewiesenen oder auch von wahrscheinlichen alten Apsidenbekrönungen wissen. 72 Beispiele: HUBER 1985, mit abweichender Symboldeutung. Erst recht bleibt m.E. die Dreifaltigkeitsvorstellung hier außer Betracht. Die Dreizahl erhaltener Gesichter mag an sie gemahnen. Doch erstens wissen wir, wie gesagt, nicht, ob sie ursprünglich ist. Zweitens hat es mit trinitarischer Bildsymbolik eine besondere Bewandtnis. Die Kunst der Kirche tat sich schwer, zur Darstellung dieses höchsten Glaubensgeheimnisses auf Anschauungselemente aus menschlicher Sphäre zurückzugreifen73. Der Dekalog enthält ein prinzipielles Verbot, die Gottheit bildlich zu fassen, und der Hl. Geist war schon vom Namen her als körperlos festgelegt, so daß für ihn nicht einmal der Symbolbegriff einer Vatergestalt Hilfestellung bot. Im Abendland kam zu Versuchen, gleichwohl mit Dreiheiten von Menschenfiguren oder wenigstens - köpfen zu arbeiten, erst das Hochmittelalter - ein tastendes Experimentieren, zögernd und allmählich, bei dem mit mehr regionalen und zeitlichen Verschiedenheiten zu rechnen ist, als sich noch nachweisen lassen. Faßbar wird es etwa seit dem 12. Jh. Wichtig wurde dabei vor allem eine Gestaltung, in der auf einem Körper drei Gesichter so in einander verfließen, daß insgesamt nicht mehr als vier Augen zu sehen sind. Seit dem 14. Jh. begann die Kirche, offiziell gegen all dergleichen vorzugehen, jedoch nicht gleichmäßig. So konnten Ergebnisse dieses Experimentierens allmählich doch noch auch in die Volkskunst eindringen, die in der Übernahme von Darstellungen der Dreifaltigkeitslehre - unanschaulich, wie diese bleibt - zurückhaltend war. Kärnten wartet mit einer verhältnismäßig großen Zahl von Dreikopfkombinationen auf. AXEL HUBER wird ihnen in der Carinthia I/195 (2005) eine eigene Abhandlung widmen. Wie weit in diesen Fällen eine trinitarische Deutung zulässig ist, muß einzeln untersucht werden, denn es gibt mehr Möglichkeiten. Ein hervorragendes, eindeutiges Beispiel bietet ein Schlußstein in der spätgotischen Kirche St. Walburgen bei Eberstein (Bez. St. Veit a. Glan), zentral plaziert in der Hauptachse des ersten Chorjochs. Drei Männerköpfe sind im Kreis so verkettet, daß der Bart des einen das Haupthaar des nächsten bildet; umgebende Steine zeigen andere Bildsymbole von hohem theologischem Rang74. Fast als Parodie des gleichen Grundtyps wirkt ein gemaltes Rundmedaillon in der Westempore des Doms zu Gurk/Krka, angebracht an auffällig nebengeordneter Stelle, im Bogenfeld des südseitigen Westfensters, als Teil eines wenig repräsentativen Ensembles. Die Köpfe, die dabei umgekehrte « Drehrichtung» zeigen, weisen eine ans Groteske grenzende Gestaltung auf. Auch dieses Bild wird teilweise trinitarisch genommen. Zweifel sind längst geäußert worden, eine befriedigende andere Deutung hat sich bisher nicht finden lassen75. 73 Zum flg.: Reallexikon zur deutschen Kunstgesch. IV, Stuttgart 1958, Art. Dreifaltigkeit und Dreikopfgottheit/ Dreigesichtigkeit, zu ergänzen durch Art. wie Dreifaltigkeit u. Dreigesicht in: Lexikon d. Mittelalters III, München-Zürich 1986; Lexikon d. Kunst, Neubearbeitung, II, Leipzig 1989; H. BIEDERMANN, Knaurs Lexikon der Symbole, Augsburg 2000 (dort auch Art. Dreigestalt). Dazu W. BRAUNFELS, Dreifaltigkeit VI; Ikonographie, in: Lex. f. Theologie u. Kirche2 III, 1959, Sp. 561f.; M. D. BECK, Trinität in der Kunst, in: Die Religion in Geschichte u. Gegenwart3 VI, 1962, Sp. 1038-1041. 74 E. MAHLKNECHT, Das bauplastische Programm im Innenraum der spätgotischen Pfarrkirche St. Walburgen bei Eberstein, in: Öst. Zschr. f. Kunst u. Denkmalpflege 46 (1992), S. 102, mit Abb. 146. Weitere freundliche Hinweise von AXEL HUBER führen auf zwei gleichartige Schlußsteine offenbar aus derselben Werkstatt im Langhausgewölbe der Pfarrkirche von Zeltschach (Bez. St. Veit a. d. Glan) und im Chor der Filialkirche zu Ei-ersdorf/Virnja ves (Dekanat Tainach/Tinje). Beide zeigen die drei Köpfe in ähnlicher Ausführung, im zweiten Fall wie im anschließend zu erwähnenden Beispiel mit umgekehrter «Drehrichtung». Eine zusammenfassende Behandlung derartiger Schöpfungen ist leider zu vermissen. 75 Ohne Bildwiedergabe erwähnt bei S. HARTWAGNER, Der Dom zu Gurk, 2. Aufl. Klagenfurt 1969, Bilderläuterungen, Nr. 77, m. Lit. und mit auf die Ikonographie gegründeten Zweifeln an trinitarischer Deutung; Eindeutig zu bestimmen sind Teufelsbilder mit drei Köpfen oder Gesichtern, über die die christliche Kunst gleichfalls verfügt, wahrscheinlich sogar länger als über die eben besprochenen Dreifaltigkeitssymbole. Für sie hilft der Bildzusammenhang, in dem sie auftreten, z.B. beim Weltgericht am Höllenrachen, ganz abgesehen von traditionellen Ausstattungen wie Hörnern und fratzenhaften Schnauzen. Gemeint ist mit jener Symbolik eine satanische Nachäffung der Hl. Trinität, verwerflich und verfehlt; die eingesetzten Bildtypen fallen erheblich anders aus. Beliebt ist etwa eine Verteilung von drei Gesichtern auf verschiedene, meist unmögliche, auch obszöne Körperstellen, darunter das Gesäß, das der dem Teufel Verfallene zu küssen hat, oder die Schamgegend, deren natürliche Darstellung bei aller Nacktheit sich auf diese Weise umgehen läßt. Vergleichbar ist nichts als die Dreizahl. Was hat der Torso vom Silberberg mit diesen beiden Symbolkreisen zu schaffen? Ob er Gesichter auch einmal noch an anderen Stellen besaß, ist, wie gesagt, nicht zu kontrollieren. War es der Fall, so war die Zahl, um die es hier geht, gesprengt. Die vorhandenen sind so eng wie möglich konzentriert, im Kopfbereich und seiner nächsten Umgebung. Alle traditionellen Teufelsattribute fehlen, von den Hörnern bis zur bewußt ausgespielten Fratzenhaftigkeit. Das gegebene Ensemble liegt jedoch auch weit ab von allen bekannten Gruppierungen der Trinitätssymbolik. Diese arbeitet mit Köpfen oder Gesichtern, die gleichrangig aufgefaßt sind, die - so oder so - auf einer Ebene erscheinen, Augen und Halsansätze - vertikal oder horizontal - in gleicher Höhe, wie das dem Dogma von der Wesensgleichheit der göttlichen Personen entspricht. Was dabei geboten wird, ist Reihung. Gerade sie aber war in der Konzeption des Torsos offensichtlich nicht gewollt. Das, worauf er abzielt, ist Häufung, und dies so, daß der Mindestanklang an Menschliches, den die Lehre von der Menschwerdung der zweiten Person Gottes verlangt, verlassen wird. Ein verkleinertes Zweitgesicht auf der einen Wange des ersten, ein weiteres auf dem Hals - das gehört in die Kategorie jener übermenschlichen, naturwidrigen Vielgliedrigkeit, an der die Symbolsprache außerchristlich-religiöser Kunstübung so reich ist, Ausdruck des «Ganz Anderen» im Wesen dargestellter Numina. Wenn wir überhaupt Umschau zu halten wagen, dann darf dies nur in einer solchen Richtung geschehen. Da die römische Antike, wie bereits notiert, außer Betracht bleibt, sehen wir uns damit auf die drei gentilreligiösen Traditionskreise beschränkt, die Kärntens Frühgeschichte erkennbar mitbestimmt haben: keltisch, germanisch und slawisch - jeweils in sich stärker differenziert, als man langezeit annahm. Zwar zeichnen sich auch noch ältere Bevölkerungsschichten ab, sowohl, archäologisch wie im Ortsnamenmaterial; Schichten, die sich schwer zuordnen lassen - man hat sie gelegentlich neutral als "Regionalbarbaren" vgl. Abb. 51, 53-54, 81 samt zugehörigen Erläuterungstexten; in Abb 81 ein Teilaspekt des Dreikopfbildes. Das Rundmedaillon findet sich an angegebener Stelle oberhalb von Blumenmustern und je einem mutmaßlichen, doch nicht identifizierten Stifterbild. Die Kopfgruppe ist von einem Kreisrund eingefaßt, das nicht unbedingt als Heiligenschein wirkt. An entsprechender Stelle des nördlichen Fensters findet sich ein Adlermotiv, das in theologischer Symbolik vieldeutig ist, aber stets weit unterhalb der Ebene der hl. Dreifaltigkeit bleibt. Beide Fensterlaibungen werden überragt von einem Fresko der Transfiguration und einem darüber befindlichen Glasgemälde der Kreuzabnahme. Die Rundmedaillons in beiden Laibungen rücken dadurch in eine ausgesprochene Nebenposition, was schlecht zu einer Dreifaltigkeitsdarstellung passen will. Die ursprünglich wohl vorhandenen Glasgemälde in den beiden Rundfenstern sind verloren, was die Rekonstruktion und Interpretation des Gesamtprogramms dieser Wandseite erschwert. - Nachträglich verweist Herr AXEL HUBER noch auf die Mitberücksichtigung dieser Schöpfung in der soeben fertiggestellten kunsthistorischen Diplomarbeit/ ms. von St. ZOBERNIG, Zur spätgotischen Bauplastik in Kärnten. Das 15. Jh., Graz 2004, die hier leider nicht mehr ausgewertet werden konnte. - Zum flg. wieder Anm. 73. bezeichnet76. Sie sind jedoch für uns einstweilen zu wenig profiliert, um sie in einen Vergleich einzubeziehen, ganz abgesehen davon, daß nichts dafür spricht, ihnen eine steinerne Skulptur zuzutrauen. Am wenigsten lädt nach bisheriger Kenntnis das slawische Element zur Berücksichtigung ein. Kärnten liegt weit ab von bisher nachgewiesenen Vorkommen numino-ser Bildwerke dieser Provenienz - die Luftlinie Brandenburg a. H. - Villach/Beljak (um ein Beispiel herauszugreifen) mißt weit über 600 km. Unter germanischen Götterbildern fehlt es an Hinweisen auf mehrköpfige oder mehrgesichtige Ausgestaltung77; im übrigen wurden vor Baiern und Franken aus dieser Sprachgruppe keine Vertreter hier seßhaft, die nicht bereits mehr oder weniger geschlossen christianisiert waren, in der einen oder anderen Form. Wir sehen uns folglich in erster Linie auf die Kelten verwiesen. Sie haben vor den Römern beachtlich viele Jahrhunderte der Landesgeschichte bestimmt, und unter deren Herrschaft blieben sie ein wichtiges Substrat. Für die Anknüpfung des Torsos vom Silberberg waren sie schon einmal im Blick, wurden jedoch stillschweigend aufgegeben, ohne daß ihr Fall ausdiskutiert worden wäre78. Das war in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Inzwischen ist die Keltenforschung weit vorangekommen. Nicht nur die Quantität, auch die Qualität des überblickbaren Fundbestandes hat sich verändert - wir verfügen über neue Urteilsgrundlagen. Sie haben auch für altbekannte Stücke wie die aus dem südfranzösischen Roquepertuse (bei Aix-en-Provence) zu veränderter Bewertung geführt - auch mit deutlicherem Einblick in Zerstörungspotentiale, die sich teilweise schon in vorrömischer und vorchristlicher Zeit gegen Kultbilder und ihren sakralen Umkreis gerichtet haben79. Die traditionelle Vorstellung von den Kelten als weitgehend barbarischer Völkerschaftsgruppe, die erst in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung unter mediterranen Einflüssen merklich über ein eher nur kunstgewerbliches Kulturniveau hinausgelangt sei, ist begraben. Wir haben mit eigenständigen Entwicklungen zu rechnen, die in lebhaftem Austausch mit hellenischen und etruskischen Anregungen schon in der sog. älteren Eisenzeit, spätestens im 6. Jh. v.u.Z., zu originären Hochleistungen vorzudringen vermochten. Als die Römer kamen, standen sie längst zumindest «an der Schwelle zur Hochkultur»80. 76 G. SCHRAMM, Eroberer und Eingesessene. Geographische Lehnnamen als Zeugen der Geschichte Südosteuropas im ersten Jahrtausend n. Chr., Stuttgart 1981, passim. Dazu M. KUCKENBURG, Die Kelten in Mitteleuropa, Stuttgart/Darmstadt 2004, S. 9 f., und P. GLEIRSCHER, Von den Anfängen künstlerischen Schaffens, bei Glaser (wie Anm. 70), S. 11-20. Zu alledem jedoch weiterhin L. PAULI, Die Herkunft der Kelten. Sinn und Unsinn einer alten Frage, in: Die Kelten in Mitteleuropa. Salzburger Landesausstellung 1980 in Hallein, 3. Aufl. Salzburg 1980, S. 16-24. 77 B. MAIER, Götterbilder, in: (Hoops) Reallex.2 XII (1998), S. 289-293; vgl. T. KAPELLE - B. MAIER, Idole und Idolatrie, ebd. XV (2000), S. 325-330, sowie H. HORMANN, Indiculus superstitionum et paganiarum, 1, g, ebd. XV (2002), S. 373 f. 78 Oben Anm. 69. 79 Den Fortschritt der Keltenforschung allein in den letzten 25 Jahren verdeutlicht bereits der Vergleich der Salzburger Landesausstellung von 1980 (s. Anm. 76) mit der hessischen von 2002 (Das Rätsel der Kelten vom Glauberg, Ausstellung Frankfurt/M. 2002, Stuttgart/Darmstadt 2002), ergänzt durch S. SIEVERS, Manching -die Keltenstadt, Stuttgart/Darmstadt 2003. Zum flg. weiter: BIRKHAN (wie Anm. 69); St. ZIMMER (Hg.), Die Kelten, Mythos und Wirklichkeit, Stuttgart/Darmstadt 2004; KUCKENBURG (wie Anm. 76); B. MAIER, Die keltische Religion, München 2001, bes. S. 149-152; O.-H. FREY, Keltische Großplastik, in: (Hoops) Reallex.2 XVI (2000), S. 395-407 m. Taf. 20-22; A. RAPIN, Die Großplastik in Südfrankreich und die keltische Kunst, in: Das Rätsel der Kelten vom Glauberg, S. 223-228 samt S. 320-324, Nr. 140, im anschließenden Katalogteil. - S. noch oben Anm. 2, unten Anm. 89. 80 Zusammenfassung: KUCKENBURG, S. 108-115. Allerdings schritt diese Entwicklung schwerlich in allen Teilregionen gleich schnell und gleich weit voran, und sie ist nicht überall in gleicher Intensität zu belegen. Zeugen wie der sog. Krieger von Hirschlanden oder der Fürst vom Glauberg haben sich im Ostalpenraum bisher nicht gefunden. Der berühmte «Jüngling vom Magdalensberg», ein Bronzewerk, hat sich als nicht ganz originalgetreuer Abguß einer aus Italien stammenden Weihegabe augusteischer Zeit erwiesen, erst in der Renaissance angefertigt81. Einschlägige Überlieferungen aus der Phase des ostalpinen Keltentums, die noch nicht von romanisie-renden Tendenzen überdeckt war, sind rar. Manches, was früher überzeugt hierher gezogen wurde, bleibt in der Datierung so unsicher, daß eine zusammenfassende Darstellung, die sich auf klare Befunde gründen muß, davon keine Notiz mehr nehmen konnte82. Zu den Objekten, die dabei ausgeschieden blieben, gehören zwei merkwürdig proportionierte Becken, für deren Inanspruchnahme als keltisch je eine Dreizahl von Köpfen als vermeintlich typisches Merkmal mit herangezogen wurde83. Sie befinden sich in der Wallfahrtskirche auf dem Magdalensberg/Stalenska gora, also an einem Platz, für den eine herausragende Vorgeschichte in der Keltenzeit gesichert ist84. Ein Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses hat offenbar noch 1158 nicht bestanden; die Ersterwähnung fällt ins Jahr 126285. Die beiden Stücke können aus stilistischen Gründen weder damals noch später entstanden sein; wann, woher und wie sie in die Kirche gelangten, scheint unklar. Eins aus Stein, eins aus Bronze, dürften sie unterschiedlichen Zeiten entstammen. Die Proportionen weisen in beiden Fällen nicht unbedingt auf ursprüngliche Bestimmung als Tauf- oder Weihwasserbecken. Die drei Köpfe, die, gleichmäßig verteilt, beide Male die Außenseiten schmücken, wirken weder hier noch dort nach christlicher Symbolik. Doch auch der Gedanke an Römerzeitliches drängt sich nicht unbedingt auf. Die Annahme keltischer Provenienz mag sich unter diesen Umständen als Notlösung angeboten haben, doch auch sie überzeugt, wie angedeutet, nicht. Sollte sie trotz allem das Richtige treffen, so bleibt wieder bestehen: Die Dreizahl der Gesichter allein stellt noch keine Verbindung zum Torso von Silberberg her. Gleichartig gestaltete Häupter, in deutlichem Abstand voneinander plaziert und offenbar gleichrangig gemeint, bringen zweifellos eine andere Aussage als die Kombination, die diesen Torso prägt, mit unterschiedlicher Stellung und unterschiedlicher Größe der wiedergegebenen Gesichter. Außerhalb Kärntens finden sich in keltischer Hinterlassenschaft zuweilen Einzelzüge, die an das Funstück vom Silberberg anzuklingen scheinen. Sie sind weit verstreut. Jüngere Stücke zeigen einen Gesichtsumriß, der sich von der mehr birnenförmigen Gestaltung älterer Phase abhebt, aber er fällt dann rundlicher aus (z.B. bei einem "leierspielenden 81 Hirschlanden: Ausstellung Glauberg, S. 317, Nr. 130 m. Abb. 191 f. (S. 210 f.). Glauberg: ebd. 262, Nr. 3,1 m. Abb. 70 f. (S. 106 f.). Magdalensberg: F. GLASER, Der Jüngling vom Magdalensberg, bei Dems. (Hg.), wie Anm. 76, S. 32-34 m. Abb. 11, vgl. Titelbild, S. 25; dazu GLEIRSCHER, ebd., S. 22 f. 82 P. GLEIRSCHER, bei Glaser (wie Anm. 76), S. 20-24, fällt daher durch geringen Umfang auf. 83 S. Anm. 68. 84 C. FRÄSS-EHRFELD, Geschichte Kärntens I, Klagenfurt 1984, bes. S. 21-24; H. DOLENZ, Magdalensberg, in: (Hoops) Reallex.2 XIX (2001), S. 124-130; GLASER (wie Anm. 76), bes. S. 121 f.; DERS., Der Name der Stadt auf dem Magdalensberg, in: Rudolfinum. Jahrb. d. Landesmuseums Kärnten 2003 (2004) S. 85-88; DERS., Heiligtümer im östlichen Alpenraum als Ausdruck lokaler Identität, bei A. Schmidt-Colinet (Hg.), Lokale Identitäten in Randgebieten des Römischen Reiches, Wien 2004, bes. S. 91-94 m. weiterer Lit. Grabungsberichte laufend in Carinthia I. 85 Erläuterungen zum historischen Atlas der österreichischen Alpenländer II/8, 2, Klagenfurt 1958, S. 116. Abb. 5. a) Dreigesichtiger Götterkopf aus Corleck, Co. Cavan (Irland), Granit, keltisch-eisenzeitlich. Nach Raftery (wie Anm. 89), S. 186 Abb. 73. b) Dreigesichtiger Götterkopf, aus Reims, keltisch (gallorömisch), Marmor, 2. Jh. n.u.Z.; angeblich unkorrekter Abguß nach einem im Ersten Weltkrieg verschollenen Original. Nach H. Biedermann, Knaurs Lexikon der Symbole, München 1989, bzw. Augsburg 2000, S. 102. Slika 5. a) Triobrazna glava božanstva iz Corlecka, Co. Cavan (Irska), granit, keltsko-železnodobno. Po: Raftery (kot op. 89), 186 slika 73. b) Triobrazna glava božanstva iz Reimsa, keltsko (galorimsko), marmor, 2. st. n. št., baje neustrezen odlitek originala, ki je bil pogrešan v prvi svetovni vojni. Po: H. Biedermann, Knaurs Lexikon der Symbole, München 1989, oz. Augsburg 2000, 102. Barden oder Sängergott" 2. Jh. v.u.Z. aus Saint-Symphorien bzw. Paule, Bretagne)86. Entfernt vergleichbare Knopfaugen finden sich bei einem Bronzefigürchen in einer Gruppe, die den Henkelansatz einer Schnabelkanne 5. Jh., v.u.Z. aus den Glauberg-Funden ziert87. Ein Goldpreßblech aus Ferschweiler (Eifel), das wohl einmal einem Trinkhorn appliziert war (um 400 v.u.Z.), präsentiert eine Kombination von Augenbrauen- und Nasenbereich, die anklingt88. So könnte man noch weiteres zusammensuchen. Doch dergleichen Parallelen wirken zufällig, nicht als Elemente eines übergreifenden Stils. Vor allem aber: Sie erscheinen in einfachen Gesichtszügen, nicht im Rahmen einer Komposition, wie sie das Besondere des Silberbergkopfes ausmacht und ihn bis auf weiteres isoliert. Oberflächliche Betrachtung mag noch auf die Dreikopfgottheiten verweisen, die in keltischem Gebiet reichlich greifbar sind89, Dabei wird dreierlei wenig beachtet: 1. Diese Gottheiten, die wir meist nicht sicher benennen können, erscheinen ausschließlich in Frankreich und Irland. Aus Deutschland, Österreich und anderen östlicheren Keltengebieten fehlt bisher jeder Nachweis. Eine Sonderentwicklung des Westens ist nicht auszuschließen. 86 Vgl. BIRKHAN, S. 328, Nr. 579, m. S. 420; KUCKENBURG, S. 115; dazu MAIER 2001, S. 151 m. Anm. 435 (S. 213). 87 Ausschnittvergrößerung im Glauberg-Katalog (oben Anm. 79), S. 82, zu Kat.-Nr. 1,1 (S. 242), vgl. Abb. 233236 (S. 243-245). 88 Ebd., S. 45, Abb. 24, zu Kat. Nr. 63 (S. 286); zur Applikation zu vergleichen Abb. 293 (S. 279). 89 H. HAAS (Hg.), Bilderatlas zur Religionsgeschichte, 17. Lieferung: Religion der Kelten, von W. KRAUSE, Leipzig 1933, S. IX, § 16 m. Abb. 40-47; J. de VRIES, Keltische Religion, Stuttgart 1961, S. 158-163 (mit Verbreitungskarte), vgl. S. 45 u. 144; J.-J. HART, Mythes et dieux de la Gaule I, Paris 1989, S. 243-242 (zahlreiche Abbildungen!); B. RAFTERY, Pagan Celtic Ireland, London 1994, S. 185f. m. Abb. 73; BIRKHAN, S. 31; ergänzend BRATHER (wie Anm. 14), S. 502 f., § 3: Kelten, mit reicher Lit., und MAIER (wie Anm. 79), S. 151 m. Anm. 437. 2. Sie treten nur in später Phase auf, in Frankreich zu gallorömischer Zeit, obwohl Steinplastiken dort erheblich weiter zurückreichen. 3. Die Köpfe oder Gesichter sind mit einer Ausnahme wie bei Darstellung der christlichen Trinität auf gleicher Ebene nebeneinandergesetzt, jedoch meist mit unterschiedlicher Blickrichtung (Abb. 5 a, b). Die Ausnahme liefert eine Bronzefigur aus Autun, sitzend in Buddhaposition, mit Spuren eines abgebrochenen Geweihs am Hauptkopf, das an sonst bekannte Cerunnos-Darstellungen denken lässt; über jedem Ohr erscheint ein weiterer, erheblich kleinerer Nebenkopf, nach der betreffenden Seite gewendet, so daß sich auch hier drei verschiedene Blickrichtungen ergeben. Für diese schwer deutbare Gestaltung wird mit «Vermischung zweier Göttertypen» gerechnet, die einen «besonderen Typus» für sich zustande brachte90. Eine Kombination von mehreren Gesichtern an einem einzigen Kopf, mit durchweg gleicher Bickrichtung, ist keltisch bisher nirgends aufgetaucht. Wie wenig all jene Beispiele ihr entsprechen, ist unübersehbar. Kurz: Die Anknüpfung an Keltisches steht für das Kärntner Fundstück auf schwachen Füßen. Sie hält aber auch mit der allgemeinen Entwicklung der Kunstgeschichtsforschung im Lande nicht Schritt. Die Auffassung, noch unter dem Deckmantel des Römischen habe «keltische Volkskunst» im alten Noricum intensiv fortgewirkt und die Formgebung maßgeblich beeinflußt, ist einer wesentlich differenzierteren Betrachtung gewichen91. Bevölkerungsmischung, unterschiedliche Finanzlage von Auftraggebern, Wanderhandwerker auch auswärtiger Herkunft und anderes mehr werden jetzt stärker als früher in Rechnung gestellt. Der Torso vom Silberberg aber gehört, schon weil er ein Marmorwerk repräsentiert, schwerlich noch in vorrömische Zeit. Ältere Kunstschöpfungen aus diesem Material wären noch nachzuweisen. An ein Wiederaufleben keltischer Kunstübung im Ostalpenraum nach dem Zusammenbruch des antiken Imperiums aber hat noch niemand zu denken gewagt. All das aber heißt: Als einzige Möglichkeit, die sinnvoll weiter diskutiert werden kann, bleibt wider Erwarten und trotz allem, was gegen sie zu sprechen scheint, die slawische. Sie muß eingehender geprüft werden, als dies bisher geschah. 6. Der Torso vom Silberberg - ein Relikt vorchristlichen Slawentums von überregionaler Bedeutung Als slawische Gruppierungen im Ostalpenraum eine neue Heimat fanden, hatten sie bereits zahllose Meilen römischen Reichsgebietes durchquert. Sie kamen aus christianisierten Landschaften in christianisiertes Gebiet. Was fanden sie vor? Es gab eine ausgebaute katholische Kirchenorganisation - wie weit außerdem die arianische fortlebte, wissen wir nicht. Ein Netz von Bischofssitzen überzog das Land. Sie wurden offenbar noch immer besetzt - der von Odoakar veranlaßte Exodus der Romanen, d.h. ihrer Oberschicht mitsamt Dienstvolk, hatte lediglich Ufernoricum betroffen. Wallfahrtsorte lockten mit besonderer Beute. Das Niederkirchenwesen läßt sich nur lük-kenhaft rekonstruieren; es dürfte gleichfalls noch leidlich intakt gewesen sein. Die Kunst der Kirche hatte sich antithetisch gegen die der antiken Religionen entfaltet. Sie war extrem statuenfeindlich. Der Schmuck ihrer Gotteshäuser beschränkte sich 90 KRAUSE, wie Anm. 89. 91 Vgl. im Abschnitt: Römische Kunst, bei Glaser 1998 (wie Anm. 70), S. 26-29 und weiter, sowie S. 45-47, in den Beiträgen von S. LADSTÄTTER und G. GRUBER. bewußt auf Mosaiken und Freskenmalerei, auf Bas-Reliefs (vorwiegend mit ornamentalen Motiven, die Spielraum für symbolische Deutugen ließen) und die Ausgestaltung bauplastischer Elemente wie Säulen und Kapitelle (gleichfalls mehr ornamental gehalten). Noricum machte darin keine Ausnahme92. Was von antiken Tempeln noch stand, entzieht sich wieder unserem Einblick. Götterbilder der alten Religion haben sich in begrenztem Umfang erhalten, meist im Boden93. So weit wie möglich wurden sie im Zuge der Christianisierung zerstört - im alten Heiligtum des Mars Latobius auf dem Burgstall bei St. Margarethen-Etterndorf nahe St. Paul i. L./St. Pavel v Labotski dolini fanden sich Gruben mit entsprechenden Fragmenten94. Öffentliche Kulthandlungen, in deren Mittelpunkt sie gestanden hätten, dürften längst nicht mehr möglich gewesen sein; was etwa im Verborgenen noch nachlebte, wird man sich wenig eindrucksvoll vorstellen müssen. Die Einwanderer sind wohl, nachdem gewisse Hemmschwellen abgebaut waren, mit den Alteingesessenen in synkretistischen Austausch getreten95. Anregungen, um Kultbilder neu zu entwickeln, ließen sich aus dieser Richtung schwerlich beziehen. Haben diese Slawen jemals solche besessen, bis auch ihre Christianisierung dem ein Ende setzte, so ist für deren Entwicklung kaum an etwas anderes zu denken als an Impulse von innen heraus, aus mitgebrachten Traditionen. Die erhaltenen Bestände altslawischer Kultplastik wurden durchmustert96. Es fanden sich verschiedene Formen von Mehrköpfigkeit. Häufig erschien - gerade hier nicht unwichtig - ein ausgeprägter Schnurrbart. Der Torso aus der Friedhofsmauer von St. Martin reiht sich auch hier nirgends ein. Allerdings besitzen wir in diesem Falle, anders als für die Kelten, auch schriftliche Überlieferungen, und dabei ist als Merkwürdigkeit festzuhalten: Sie berichten, und für verschiedene Gegenden, von einem Gott Triglav, was einfach « der Dreiköpfige» heißt; erhalten aber sind nach bisheriger Kenntnis lediglich Beispiele mit einem Haupt, mit zweien und mit vieren. Unser Einblick ist also, was die gegenständliche Überlieferung angeht, nachweislich begrenzt. Andere erzählende Quellen zeigen, daß es bei den Slawen noch weitere Idoltypen gegeben hat, von denen wir sonst nichts wissen. Am wichtigsten ist ein Däne, Saxo, Domherr zu Lund, der um 1200 eine umfangreiche Chronik verfaßte. Darin schildert er ausführlich die Eroberung der damals slawischen Insel Rügen und die Zerstörung ihrer Kultstätten im Jahre 1168. Offensichtlich besaß er ungewöhnlich gute Informationen, sei es von Augenzeugen seiner Elterngeneration, sei 92 Zur Kirchenorganisation die Lit. bei KAHL 2002 (wie Anm. 42), S. 215 Anm. 441, dazu F. GLASER, Frühes Christentum im Alpenraum. Eine archäologische Entdeckungsreise, Regensburg/Darmstadt 1997, passim, samt den entsprechenden Abschnitten des Sammelwerks von DEMS. (wie Anm. 70). Vgl. K. CZERWENKA-PAPADOPOULOS, Die Entwicklung der vorromanischen Architektur und Bauplastik in Kärnten, bei F. Ni-kolasch (Hg.), Studien zur Geschichte von Millstatt und Kärnten, Klagenfurt 1997, S. 39-78 (Aus: Symposium zur Gesch. v. Millstatt u. Kärnten 1987); R. PILLINGER, Die malerische Innenausstattung frühchristlicher Kirchen in Noricum, bei E. Boshof - H. Wolf (Hgg.), Das Christentum im bairischen Raum von den Anfängen bis ins 11. Jh., Köln-Weimar-Wien 1994, S. 231-240, sowie die entsprechenden Abschnitte bei GLASER 1998. 93 G. PICCOTINI, Die Römer in Kärnten, Klagenfurt 1989, passim; GRUBER bei Glaser 1998, S. 48-56. 94 PICCOTINI, S. 40. 95 H.-D. KAHL, Zwischen Aquileia und Salzburg. Beobachtungen und Thesen zur Frage romanischen Restchristentums im nachvölkerwanderungszeitlichen Binnen-Noricum, in: Denkschr. d. Öst. Akademie d. Wiss., phil.-hist. Kl. 145 (1980), S. 61-73; zustimmend H. MORDEK - M. GLATTHAAR, Von Wahrsagern und Zauberern. Ein Beitrag zur Religionspolitik Karls d. Gr., in: Arch. f. Kulturgesch. 75 (1993), S. 55, Anm. 20, und PLETERSKI 1997, Anm. 210, bzw. 1994, S. 306 (beide oben Anm. 51). 96 Oben, 2. Abschnitt. es, daß er als sehr junger Mensch persönlich beteiligt war. Zahlreiche erstaunlich konkrete Details könnten eher auf das zweite deuten, aber wir wissen es nicht97. Hier kommt es auf die Beschreibung der Kultstatuen an, die die Sieger damals vernichteten. Sie waren sämtlich aus Holz, während das sonst verstreute Fundmaterial auch Exemplare aus Stein bietet. Der Hauptgott, Swantewit, fand sich mit vier Köpfen und entsprechend vielen Nacken dargestellt (quatuor capitibus totidemque cervicibus), je zwei Häupter auf Brust- und Rückenseite, das aber so, daß von jedem dieser Paare ein Teil nach rechts schaute, eins nach links (unum dextrorsum, alterum leuorsum) - Saxo mag diagonale Blickrichtungen meinen. In anderen Fällen wird nicht von Häuptern gesprochen, sondern von Gesichtern. Ein Idol, dem Rugievit gewidmet, zeigte den Gott mit sieben, wie betont wird: menschenähnlichen, sämtlich unter einem einzigen Scheitel (in eius ca-pite septem humanae similitudinisfacies...que omnes unius uerticis superficie claudebantur, wörtlich: «vom Gipfelpunkt eines einzelnen Scheitels» - einer der Pleonasmen, an denen der schwülstige Stil dieses Autors reich ist - «abgeschlossen» oder «abgerundet»). Porenut war mit vier Gesichtern ausgestattet (ungesagt, in welcher Anordnung) und einem weiteren auf der Brust (pectori insertam); Poreuit schließlich erschien fünfköpfig (quinque capitibus consitum), auch wieder ohne nähere Angaben98. Von den Gestaltungen, die Saxo aufzählt, ist gleichfalls keine erhalten. Sie vergingen in den Feuern der Sieger. Auf den ersten Blick wirken seine Angaben phantastisch bis zur Unglaubwürdigkeit. Doch der Torso vom Silberberg, sonst isoliert, schließt bruchlos an sie an - nicht an die vorherrschende Mehrköpfigkeit, doch an die Mehrzahl von Gesichtern eines einzigen Kopfes und wenig unterhalb. Die Wendung vom «Gipfelpunkt eines einzigen Scheitels», durch den sie «abgeschlossen» wurden, ist, von der vorausgehenden Zahl abgesehen, fast eine Beschreibung des Torsos, und er seinerseits vermittelt eine Vorstellung, wie etwa die Gesichter des Rugievit unter seinem Scheitel vereint gewesen sein könnten - eine Vorstellung, die für ihre so erstaunliche Siebenzahl bisher fehlte. Das Kärntner Fundstück liefert damit den ersten und bisher einzigen archäologischen Hinweis, daß der Domherr aus Lund seine Details nicht einfach aus der Luft gegriffen hat, um die «Barbarei» des «heidnischen Unflats» drastisch zu untermalen; es erscheint neben ihnen als eine Variante wohl älterer Zeit, die noch weniger Anlaß sah, ursprüngliche einfachere Formen durch Massierung künstlich zu übertrumpfen. Beide, bisher nur je für sich betrachtet, beleuchten und erhellen sich gegenseitig. Das Gebilde aus St. Martin stimmt jedoch - vorausgesetzt, die erhaltene Dreizahl seiner Gesichter ist vollständig - merkwürdig auch zu einer weiteren Nachricht, festgehalten durch den Bamberger Benediktiner Ebo von Michelsberg in den 1160er Jahren. Danach hatten die Triglawpriester in Szczeczin/Stettin, damals Hauptort der pomorani-schen Slawen, dem dort missionierenden Bischof Otto von Bamberg etwa 1128 erklärt, dieser ihr Hauptgott sei mit drei Häuptern wiedergegeben, weil er drei Reiche regiere: das des Himmels, das der Erde und die Unterwelt (tria.regna, id est coeli, terrae et 97 R. VOLZ, Saxo Grammaticus, in: Lexikon des Mittelalters VII (1995), Sp. 1422 f.vgl. flg. Anm. Deutsche Übersetzung der Berichte bei A. HAAS, Arkona im Jahre 1168, 2. Aufl. Stettin 1925, S. 11-35, mit kommentierenden Anmerkungen; die religionsgeschichtlich wichtigen Partien auch bei C.H. MEYER (wie Anm. 8), S. 48-56; deutsch bei BRÜCKNER (wie Anm. 8), S. 8-13. 98 Saxo, Gesta Danorum XIV, 39 u. 41 (ed. J. Olrik - H. Raeder, Hauniae 1931-1957, Bd. I, S. 465, 5 ff.; 472, 2 ff. 20 ff.); vgl. bei MEYER, S. 8 u. 12, ferner HAAS, S. 12 f. u. 32 f.; BRÜCKNER, S. 10 u. 12, je mit anderer Übersetzung. - Schon Helmold betont, c. 84 (S. 288, 23f.): Multos etiam (Slavi) duobus vel tribus vel eo amplius capitibus exsculpunt; vgl. bei MEYER, S. 45; BRÜCKNER, S. 6. inferni)99. Wie seine kostbar ausgestattete Skulptur aussah, wissen wir nicht, und der Silberbergtorso zeigt statt drei Köpfen drei Gesichter. Aber ein Bild, in dem Augenpaare auf drei verschiedenen Ebenen erscheinen, zu einer übergreifenden Einheit zusammengefaßt, mit angedeuteter Minderstellung der beiden unteren - das wird einer solchen Konzeption gerecht, wie es besser kaum vorstellbar ist. Ein zweites Mal ergibt sich zwischen dem Marmobild aus dem nördlichen Kärnten und einer Schriftquelle zur slawischen Religionsgeschichte ein Verhältnis wechselseitiger Erhellung, wie es anderweitig bisher für keine der beiden Seiten gegeben war, und für die zunächst so befremdliche Darstellung auf dem Bildstein erwacht eine Ahnung von möglichem Sinn, von der nicht abzusehen ist, wie sie anderweitig erreicht werden könnte. Dabei kehren die drei Zonen bildhaft noch an anderer Stelle wieder: auf der Kalksteinstele aus dem Zbruc(Abb. 1)100. Die oberste gehört dort unverkennbar dem Weltengott selbst. Sein Bild, übermächtig in der Dimension, krönt das Ganze und bildet zugleich seinen Hauptteil, nach jeder der vier Schauseiten in gleicher Weise. Die Mittelzone, ihm unmittelbar untergeordnet, zeigt sich durch tanzende Menschlein bestimmt, wohl in kultischem Reigen, der ihn feiert. Unter einem etwas stärkeren Trennungsstrich erscheint dann, nur dreiseitig erhalten, jeweils eine hockende Gestalt, immer in gleicher Stellung, doch mit ungleich groß geratenen Köpfen (Hinweis auf wechselnde Machtstellung im Jahreskreis?), stets aber mit einem mächtigen Schnurrbart, den nicht, wie bei den Kelten, ein Vollbart ergänzt. Das mag, wenn hier einmal die Phantasie spielen darf, ein Herr der Unterwelt sein, begrenzt in seiner Machtvollkommenheit, nicht ohne Möglichkeiten der Einflußnahme, doch auf seine Weise gleichfalls dem höchsten Herrn untergeordnet - Vo-los/Veles, den Perun immer wieder neu im Kampf besiegt? So weit die Komposition dort. Sagt nun der Kopf vom Silberberg mit anderen Ausdrucksmitteln letztlich dasselbe? Vertritt das kleine Gesicht auf der einen Wange die Menschenwelt, die der Allgott mit umfängt, analog den Reigentänzern aus dem Zbrucgebiet? Entspricht das dritte, unter die markante Kinnlinie auf den Hals plaziert, dem unterirdisch Hockenden auf der ukrainischen Stele? Immerhin scheint es, daß an der Bruchstelle sich gerade noch ein Schnurrbart abzeichnet, wie er an jenem Gegenstück so unverkennbar erscheint. Man wird zögern, diese Fragen eindeutig zu bejahen, doch unterdrücken lassen sie sich schwer - schließlich weisen sie auf ernstzunehmende Möglichkeiten hin, und so dämmert auch hier für das Fundstück aus Kärnten von slawischem Vergleichsmaterial her Ahnung von einer Sinngebung auf, wie sie sonst bisher ausblieb. Sollte das alles bloß Zufall sein? Ich sehe keine Erklärung als die, daß die zitierten Quellenaussagen und der Torso vom Silberberg sämtlich Ableger einer gemeinsamen Tradition darstellen, deren Kern in eine weite Vorzeit zurückreicht - vor die Auflösung der usprünglichen slawischen Siedlungseinheit. Und ich fühle mich damit nicht beteiligt an einem "Rückfall in mythologische Geschichtsschreibung", sondern glaube, auf einer sauberen wissenschaftlichen Argumentation zu fußen, die auf klaren Befunden aufbaut und nachvollziehbar ist. Man mag noch einwenden, der Torso zeige zu wenig stilistische Verwandtschaft mit nachweislich slawischen Statuen und Stelen bisheriger Kenntnis. Doch stößt man nicht 99 Ebo, Vita Ottonis ep. Bamb. III, 1 (ed. Ph. Jaffe, Bibl. Rer. Germ. V, Berlin 1869, S. 651; auch bei MEYER, S. 35 f.; vgl. BRÜCKNER, S. 15 f.) Nicht vorgelegen hat die Neuausgabe von J. WIKARJAK - L. LIMAN, in: Monu-menta Poloniae Historica, N. S. VII/2, Krakow 1969). 100Oben bei Anm. 14-16 sowie 24. auch innerhalb des damit umschriebenen Kreises auf erhebliche Verschiedenheiten? Was verbindet die Stele vom Zbruc mit der Holzfigur von Friesack oder dem Doppelkopf von der Fischerinsel101 - was auch nur diese beiden, sehr viel weniger weit voneinander entfernt, miteinander? Die Völkerwanderungszeit hatte es möglich gemacht, daß Slawen in vordem unvorstellbarem Maße ausschwärmen konnten; sie standen schließlich zwischen skandinavischen, steppennomadischen (also teils iranischen, teils turkomongolischen), provinzialromanischen, balkanischen und sonstigen Einflüssen. Keiner dieser Einflüsse vermochte auf ihre Gesamtheit zu wirken, und hinzu trat die Aufnahme unterschiedlicher Substrate102. Speziell die Karantanen waren kein alter, geschlossener Stammesverband, schon als solcher eingewandert; sie waren erst nachträglich im Lande entstanden aus unterschiedlichen Splittern slawischer Herkunft, bei denen die Führung lag, und weiteren, die durch die Neuankömmlinge überschichtet worden waren: Provinzialromanen mit keltischem Substrat, auch wohl Völkerwanderungsgermanen, darunter Gotenreste aus dem Theoderichreich. Sie alle waren wohl auf dem Wege, ein geschlossener Stamm im Sinne der Vorstellungen zu werden, die wir heute mit diesem Begriff zu verbinden pflegen, doch die Geschichte ließ ihnen keine Zeit zur Vollendung103. Wenn sich in ihrer Kunstübung Sonderformen ausbilden konnten, von denen dieser Torso als für uns bisher singuläres Denkmal eine repräsentiert, so hätte dies nichts Verwunderliches. Längst ist festgestellt worden, daß es, solange ihr Staatswesen als eigenständiges Gebilde bestand, nicht zur Ausbildung eines einheitlich karantanischen Formenschatzes gekommen ist104. Sehr viel mehr Wert als auf Verschiedenheiten, die den Silberberg-Torso von bisher bekannten Idolen des vorchristlichen Slawentums abheben, möchte ich daher auf etwas anderes legen: Er weist keins der Merkmale auf, die oben vom Gesamtbestand dieser Denkmäler her als offenbar nichtslawisch herausgestellt wurden. Der Künstler hat ausschließlich mit anthropomorphen Formelementen gearbeitet. Seine Schöpfung mag primitiv geblieben sein, doch nirgends streift sie das Groteske und Bizarre. Sie bietet ein Gegenbild zu dem Beispiel aus Zadel, das uns vorher beschäftigt hat (Abb. 3)105. Im übrigen haben wir bis 1969 auch nicht gewußt, daß zu den Gestaltungsmöglichkeiten slawischreligiöser Kunst auch ein Nebeneinander zweier Köpfe gleicher Blickrichtung auf gemeinsamem Oberkörper gehörte, wie es dann die Fischerinsel so eindrucksvoll demonstrierte (Abb. 2). Der Torso vom Silberberg schließt hier als neue Überraschung an, und wer weiß, ob wir nicht auf weitere gefaßt sein müssen. Die gleichartige Ausrichtung der Augenpaare, die beiden Schöpfungen gemeinsam ist, im Unterschied auch zu längst schon Bekanntem wie dem Swantewit von Arkona, verdient jedenfalls Beachtung. Ich bleibe also dabei: Was der Einsturz der Friedhofsmauer auf dem Kärntner Silberberg preisgegeben hat, dürfte nichts anderes sein als ein karantanisches Erzeugnis, das auf seine Weise eine (nicht die!) vorchristlich-slawische Tradition repräsentiert. Seine 101 Oben bei Anm. 16 bzw. 21. 102Vgl. A. PLETERSKI, Modell der Ethnogenese der Slawen auf der Grundlage einiger neuerer Forschungen, bei Z. Kurnatowska (Hg.), Slowianszczyzna w Europie I, Wroclaw 1996, S. 19-37, bes. S. 35. 103S. unten bei Anm. 114-115. 104E. SZAMEIT, Merowingisch-karantanisch-awarische Beziehungen im Spiegel archäologischer Bodenfunde des 8. Jh.s, in: Neues aus Alt-Villach. Jahrbuch 31 (1994), S. 11; vgl. DENS., Frühmittelalterliche Siedlungstätigkeit im Ostalpenraum und der Nachweis von Slawen im Lichte archäologischer Quellen, in: Acta Histriae II (1994), S. 300 f.; DERS., Die Karantanen und Donauslawen im 8. Jh., in: Hunnen und Awaren. Begleitbuch und Katalog zur burgenländischen Landesausstellung 1996, S. 321. 105Oben bei Anm. 29-30, dazu der Text nach Anm. 27. Entstehung wäre damit auf das 7. oder 8., allenfalls noch 9. Jh. eingegrenzt, denn von späterem Aufflackern der alten Religion ist nichts bekannt, und auch die dann gegebenen Rahmenbedingungen lassen es nicht mehr erwarten. Weitere Datierungshinweise gehen uns ab. Die Fundumstände enthalten sie uns vor. Eine Alternative zum formulierten Vorschlag ist einstweilen nicht auszumachen. Was damit insgesamt zunächst für dieses eine Denkmal entwickelt wurde, kann nicht den Anspruch erheben, ein erwiesenes Faktum zu sein. Doch es spricht dermaßen vieles dafür, daß ich diese Lösung für wahrscheinlich halten muß. Sie bleibt Hypothese, doch mehr zu entwickeln verbietet der Zustand des Quellenmaterials und die geschilderte Ausgangsposition - für abweichende Stellungnahmen nicht weniger als für den dargelegten Vorschlag. Die religionsgeschichtlichen Konsequenzen, die sich ergeben, wenn ich recht behalte, sind nicht zu unterschätzen. Die Fragwürdigkeit der Quellenlage, die oben als Möglichkeit auftauchte106, bestätigt sich. Das Schweigen unserer Gewährsleute für den Gesamtraum von der Havel bis weit über die Drau nach Süden hin über slawische Kultbilder, allein Böhmen ausgenommen107, ist trügerisch. Es spiegelt nicht in erster Linie eine Realität, in der Missionare keine entsprechenden Objekte vorfanden, sondern vielmehr eine Mentalität karolingerzeitlichen Kirchentums, das dergleichen «heidnischen Unflat» auszurotten wünschte, doch nicht geneigt war, über ihn näher zu berichten: schlimm genug, daß es ihn überhaupt gab. Die einstige Existenz von slawischen Kultbildern muß auch für den damit berührten Bereich grundsätzlich als möglich erachtet werden. Für Kärnten ist sie durch den Torso vom Silberberg, wenn nicht alles täuscht, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt; für ein zweites Beispiel, einen merkwürdigen Doppelkopf aus Sandstein von Mösel am Oberwietingberg, im Görtschitztalbereich, ist die Diskussion aufgenommen.108 Für beide Plätze stellt sich damit zugleich die Frage, ob sich an ihrer Stelle womöglich einmal ein vorchristlich-slawischer Kultplatz befand. Hat das Gotteshaus von St. Martin die Nachfolge eines solchen angetreten? Allenfalls Grabungen könnten dies klären, doch die Ruhe der Toten auf dem Friedhof hat Vorrang. Wie die karantanischen Slawen solche Kultbilder nannten, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Selbst was urslawische Bezeichnung war, ist, wie bemerkt, durch die Christianisierung verdunkelt109. Wir vermögen nicht einmal mehr zu bestimmen, wie die dargestellte Gottheit zu nennen wäre. Die Dreizahl der erhaltenen Gesichter kann leicht dazu verleiten, an den Namen zu denken, den Ebo für das pomoranische Beispiel angibt, und dieser paßt auffälig zu dem des höchsten Berges der Julischen Alpen, keine 100 km vom Fundort entfernt. Doch das darf uns nicht zu einem Kurzschluß bringen. Zunächst besteht, wie schon erwähnt, die Ungewißheit, ob die Dreizahl erhaltener Gesichter dem ursprünglichen Zustand der Stele oder Statue entspricht. Überlieferungen, die um diese Zahl zentriert waren, schienen hilfreich bei den vorgelegten Interpretationsversuchen. Das mag verstärkend in ihre Waagschale fallen. Doch wir sind nicht befugt, uns darüber hinwegzusetzen, daß das verfügbare Fragment oberhalb der dritten Mund- 106Oben bei Anm. 64-65. 107Oben bei Anm. 16. 108P. GLEIRSCHER, Ein Doppelkopf über Mösel bei Wieting im Görtschitztal (Kärnten): Provinzialrömische Volkskunst oder slawisches Götterbild? in: Archäologie Österreichs 8 (1997), S. 62-64; vgl. DENS (wie Anm. 70), S. 150. Dazu KAHL 2002 (wie Anm. 42), S. 298. 109Oben bei Anm. 62-64. partie abbricht. Saxo erwähnt ein Beispiel, bei dem zu einer Mehrzahl von Gesichtern, gemeint vermutlich: am Kopf, ein weiteres auf der Brust hinzutrat110. Also kein Triglaw. Gibt es Ersatz? Nein. Slawengötter wechseln ihre Namen mindestens zu den Zeiten, in die Ebo und Saxo uns Einblick vermitteln, von Ort zu Ort; sind es Hauptgötter, von Zentrum zu Zentrum, über oft kaum mehr als ein oder zwei Tagereisen hin. Dabei zeigt sich: Neben- oder Untergötter in abhängigen Orten tragen, wie sich besonders an den rügenschen Beispielen ausführen ließe, echte Eigennamen. Die Hauptgötter aber werden mit Ausdrücken belegt, die im Grunde nichts als ursprüngliche Beinamen sind, Hinweise auf Äußerlichkeiten bildlicher Darstellung (wie eben Triglaw) oder auf Eigenschaften wie "Starke Kraft" (falls man Swantewit so wiedergeben darf). Längst wurde geltend gemacht, daß diese Gottheiten letzlich nichts anderes waren als jüngere Erscheinungsformen, regional verschieden entwickelt, des gleichen älteren Swarožic111. Dieser war offenbar gegen einen früheren Hauptgott (Perun?), der vor den Deutschen versagt zu haben schien, aufgestiegen als der Sieger im großen Slawenaufstand von 983; fromme Scheu mag allmählich das Aussprechen seines eigentlichen Namens gehemmt haben. Nichts aber spricht dafür, daß diese Entwicklungen noch auf die längst christianisierten Karantanen gewirkt haben könnten. Für sie deutet eine einzige, reichlich vage Spur noch auf eine Perun-Tradition112. Wie Perun dargestellt wurde, ob überhaupt, weiß niemand. Und kann, bei aller scheinbaren Berührung mit der zitierten Aussage Ebos, am Silberberg der karantanische Hauptgott gemeint sein? Das Hauptheiligtum jener Zeit befand sich offenbar im Bereich von Ulrichs-berg/Šenturška gora und Karnburg/Krnski grad, von dem der Karantanenname abgeleitet scheint, und es zeichnete sich durch einen charakteristisch geformtenFelsblock aus, dessen damalige Bedeutung sich nicht mehr ergründen lässt - womöglich ohne daß noch ein besonderes Kultbild neben ihn trat113. Ob die dort verehrte Gottheit an anderer Stelle, noch dazu in dermaßen geringer Entfernung, nochmals in den Mittelpunkt gerückt wurde, darf man bezweifeln - Hauptgottheiten erscheinen nach unserer Kenntnis nur einmal innerhalb eines gentilen Herrschaftsgebietes. Kurz: Alles fordert Zurückhaltung, und wir bleiben auf umständliche Umschreibungen angewiesen wie eben "Torso vom Silberberg". 7. Slowenisch? Alpenslawisch? Karantanisch? Es bleibt zu klären, wie wir das bemerkenswerte Fundstück einordnen sollen. Das nötigt zu nochmaligem Ausholen. Der Torso ist, wie gezeigt, slawisch, genauer alpenslawisch, und er kann nur aus der Karantanenzeit stammen. Ist er also ein Werk slowenischer Frühzeit? Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte man dies in aller Unbefangenheit bejaht. Das geht so einfach nicht mehr. Fortschritte der ethnogenetischen Forschung, vor allem in den letzten Jahrzehnten, haben das Bild differenziert und auch längst Bekanntes in neue Beleuchtung gerückt. 110 Oben bei Anm. 98. Stein Troglav in Krkavče (Slowenien) hatte nach der Volksüberlieferung drei Gesichter: J. PUHAR - A. PLETERSKI, Krkavški Kamen v ustnem izročilu in v sklopu obredne prostorske strukture, Studia mythologica Slavica 8 (2005), S. 57-74. 111 So bereits A. BRÜCKNER, Slaven und Litauer, bei Chantepie de la Saussaye u.a., Lehrbuch der Religionsgesch. II, 4. Aufl, Tübingen 1925, S. 510 f. Fur Swantewit siehe: R. ZAROFF, The Origins of Sventovit of Rügen, Studia mythologica Slavica 5 (2002), S. 11. 112KAHL 2002, S. 251, vgl. 231, 240 u. 279 Anm. 577. 113Ebd., S. 68-71 sowie 222-257, vgl. 419-421. Wir hatten zu lernen, daß biologische, sprachliche und sonstige kulturelle Erbgänge sich nicht derartig unkompliziert im gleichen Rhythmus vollziehen, wie man seit Herder und den romantischen Volkstumsideen denken konnte. Dies mag für Kleinstämme gegolten haben, in hypothetischer Urzeit, in die uns konkreter Einblick verwehrt ist. Sämtliche Volksgruppen, Völker und Nationen im Europa von heute sind Ergebnisse historischer Entwicklungen, die immer wieder über biologische, sprachliche und sonst gewachsene Zusammenhänge hinweggingen, auch wenn nachträglich meist wieder Ausgleichstendenzen wirkten. Wanderbewegungen machten sich geltend, von Groß- oder Kleingruppen wie von Einzelpersonen; Substrate und Superstrate traten in Austausch, wuchsen zusammen, und ein Problem für sich bleiben ethnische Selbstzuordnungen, bei denen es durch die Jahrhunderte hin zu mannigfachen Wechseln kommen kann114. Die Franzosen von heute sind Spracherben romanisierter Kelten, deren Eigenidiome erloschen sind, während die biologische Substanz fortwirkt, unentwirrbar durchmischt mit Andersstämmigen, die nach und nach zusätzlich ins Land kamen bis zu jenen Skandinaviern, nach denen das "Nordmannenland" Normandie neu benannt wurde; den Namen tragen sie, abgewandelt, von den Franken, einer germanischen Völkerschaft, die gleichfalls nicht mehr besteht - neben der gemeinsamen Hochsprache hielten sich in Randgebieten nichtromanische Volksmundarten, von denen das Baskische aus vorkeltischer Periode besonders hervorgehoben sei. Die Deutschen sind Spracherben germanischer Stämme, darunter eines anderen Teils jener Franken; im Nordwesten wohl wenig von zusätzlichen Elementen durchsetzt, im Süden mit Keltoromanen auch wieder anderer Stämme als älterem, assimiliertem Substrat, weiter östlich mit slawischem, das später einbezogen wurde. Sie tragen nicht den Namen eines alten Ethnicums: Ihre Selbstbezeichnung heißt im Grunde etwa «zum Volk gehörig», ursprünglich gemeint im Gegensatz zu den Romanen im übergreifenden Frankenreich - er legte die zusammenfassende Bezeichnung nahe, für welche sonst schwerlich schon Bedarf bestand. In Randgebieten haben Elsässer, Deutschschweizer, Österreicher und andere sich nachträglich abgelöst und auf andere Wege begeben. Sie reden, zumindest mundartlich, weiterhin «deutsch», doch «Deutsche» im Sinn der Nation sind sie nicht mehr. Leicht ließen sich Beispiele mehren. Sie finden sich auch im Ostalpenraum. Die Karantanen standen unter Führung von Slawen, die mit der Einwurzelung in ihren neuen Heimatraum zu Alpenslawen wurden. Sie trugen einen Namen, der auf slawische Weise gebildet, doch an einen vorgefunden geografischen Begriff einer älteren Landessprache angeknüpft erscheint; er wurde also nicht von einem bestehenden Ethnicum mitgebracht - slawisch oder nicht - , und das heißt: Diese Völkerschaft entstand erst nach der Slaweneinwanderung als neue Einheit im Lande selbst. Dies geschah unter Beteiligung alpenromanischer und alpengermanischer Elemente z.B. gotischer Herkunft, die die Zuwanderer überschichtet hatten. Im Rahmen des sie alle umfassenden Staatsgebildes bahnte sich eine neue Ethnogenese unter slawischem Vorzeichen an. In diesen Rahmen und damit in diese Ethnogenese waren jedoch nicht alle Gruppierungen einbezogen, die durch die großen Wanderbewegungen zu Alpenslawen geworden waren. Andere blieben noch unter awarischer Herrschaft und wurden auch nach deren Sturz nicht in das dann offenbar erweiterte Karantanien einbezogen. Noch 820 finden sie sich mit von außen geprägter, romanischer Fremd- bezeichnung 114 Grundlegend: R. WENSKUS, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln-Graz 1961 = Köln-Wien 1971, vgl. Register, S. 655, s.v. Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung. Weiteres bei KAHL 2002 (wie Anm. 42), Register, S. 551, s. v. Wechsel. als Carniolenses benannt. Die Karawankengrenze blieb, bis nach dem Ersten Weltkrieg grundsätzlich neue Verhältnisse geschaffen wurden. 820: Das ist etwa die gleiche Zeit, in der die letzten Reste karantanischer Eigenständigkeit aufgehoben wurden. Denn die begonnene Ethnogenese kam nicht zur Vollendung. Expansionsbewegungen von Westen her, erst baierisch, dann fränkisch bestimmt, entzogen ihr die eigenstaatlichen Voraussetzungen und schwemmten zudem nochmals neue Bevölkerungselemente ins Land. Die Karantanen vererbten ihren Namen an ein neuartiges Kärnten, das allmählich auf den heutigen Umfang zusammenschrumpfte. Sie selbst gingen zum Teil in den neu entstehenden Deutschkärntnern auf, so, wie die gemeinsamen Nachkommen der ostseeslawischen Obotriten und niedersächsischer Zuwanderer zu deutschen Mecklenburgern wurden; zum anderen Teil blieben sie im Land, wie sie waren, und wurden schließlich von der neuen Ethnogenese der Slowenen mit erfaßt, die in früher Neuzeit von Süden herübergriff, ohne das altkarantanische Gebiet vollständing einzubeziehen, mit Schwerpunkt außerhalb, in der alten Krain, unter einer Bezeichnung, die den ursprünglichen Allgemeinbegriff «Slawen» zu einem neuen Volksnamen präzisierte. Daß dabei keine klare Sprachgrenze zu gewinnen war, der die Staatsgrenze sich leicht anpassen ließ, schuf Probleme, mit denen zu leben nicht immer einfach ist. Sie sind hier nicht aufzugreifen115. Man sieht: Die altangenommene Deckung von «alpenslawisch» und «slowenisch» (mit «karantanisch» als älterer Phase) kann nicht mehr gelten. Wir müssen sorgfältiger differenzieren. «Alpenslawisch» erweist sich als ein Oberbegriff, der die beiden anderen einschließt, sofern man die Bewohner des Prek- oder Pomurje mit seinen Ausläufern pannonischer Ebenen einbezieht. «Karantanisch» und «slowenisch» gehören erstens verschiedenen Zeitstufen an, zwischen denen es keinen unmittelbaren Übergang gibt, und zweitens erstrecken sie sich auf unterschiedliche Gebiete, die sich nur teilweise überschneiden. Das sollte nicht verdrängt werden. Damit ist aber auch für den Torso vom Silberberg eine Entscheidung gefallen. Selbstverständlich ist er "alpenslawisch", doch das ist nicht spezifisch genug. Innerhalb dieses weiteren Rahmens bleibt er "karantanisch" - nicht ausdrücklich bezeugt, doch mit denkbar großer Sicherheit zu erschließen. Er gehört damit in die Kunstgeschichte der Kärntner beider Landessprachen von heute, die gemeinsam Nachfahren der Karantanen sind, unabhängig von weitergreifenden Verbindungen aus jüngerer Zeit, die für beide Teilgruppen in unterschiedlicher Richtung außerdem bestehen. Er ist ein Werkstück aus der Kunstgeschichte eines Landes, das, wie eine keltische, so eine karantanische Phase durchlaufen hat, und er trägt bei, dieser ein Profil zu verleihen, das sie vordem nicht besessen hat. Eine Einreihung, die bereits mehrfach vorgenommen wurde116, hat ihre Bestätigung gefunden. 115Zu alledem KAHL 2002, S. 26-27, 59-78, 134-136, 401-412, 413 f., 417-419, 430-434, dazu 436-460, passim; zu ergänzen durch DENS., Slowenen und Karantanen. Ein europäisches Identitätsproblem, bei R. Bratož (Hg.), Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo II, Ljubljana 2000, S. 978-993 sowie E. SZAMEIT, Zum archäologischen Bild der frühen Slawen in Österreich. Mit Fragen zur ethnischen Bestimmung karolingerzeitlicher Gräberfelder im Ostalpenraum, ebd., S. 507-544, bes. S. 508f., 516-522, passim, und 531-534. 116 Vgl. KARPF und GLEIRSCHER, wie Anm. 70. 8. Ergebnisse Wer ein Fundstück aus Kärnten als Überrest eines slawischen Kultidols ansprechen will, kann zunächst nur auf Unglauben stoßen. Weder Quellenlage noch Forschungsstand scheinen ihm entgegenzukommen. Vom Havelland bis über die Ostalpen hinaus konnte lange kein archäologisches Denkmal in den Blick gerückt werden, das diese Einordnung zuließ, und auch in den Schriftquellen fehlt es an Hinweisen, ausgenommen den fragwürdigen Fall der verhältnismäßig späten Domitianslegende aus Millstatt; Suche nach neuen Belegen mußte ein Beispiel nach dem anderen verwerfen117. Doch wie verläßlich ist das Bild, das auf solchen Negativbefunden aufbaut? Ein Marmortorso aus St. Martin am Silberberg - ein Kopf mit drei Gesichtern gleicher Blickrichtung, ungleichrangig in ungewöhnlicher Anordnung - unterstreicht diese Frage (Abb. 4)118. Das Stück ist mit Sicherheit kein Denkmal christlicher Kunst, vor allem kein Trinitätssymbol119. Römerzeitlicher Ursprung scheidet schon aus stilistischen Gründen aus. Keltische Dreigesichter sind wohl bekannt, jedoch nur aus weit entfernten Gebieten und von völlig anderem Typ120. Germanisches Vergleichsmaterial kommt erst recht nicht in Betracht121. So scheint guter Rat teuer, denn auf den ersten Blick bietet auch der slawische Bereich im erfaßbaren Fundgut kein vergleichbares Gegenstück. Doch gerade hier bietet sich ein Ausweg, und anscheinend nur hier. Schriftquellen zeigen, daß für dessen Kultidole die Vielfalt der Typen größer gewesen sein muß, als die erhaltenen Bestände erkennen lassen. Was sie an Beschreibungen liefern, teilweise erstaunlich detailliert, scheint in bestimmten Zügen merkwürdig genau auf den Silberberg-Torso zu passen, und ergänzende Texte liefern sogar Anknüpfunspunkte für eine inhaltliche Interpretation, obwohl Unsicherheitsfaktoren bleiben122. Hinzugenommen werden darf, daß für den katantanischen Bereich, der das heutige Kärnten einschloß, mit der Einwirkung von Substraten zu rechnen ist, die dort, wo bisher schon Kultbilder slawischer Provenienz auftauchten, keine Rolle spielten123. Das Ergebnis gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn man die Geschichte der Christianisierung ins Auge faßt. Dabei hilft für die Gebiete, in denen es bisher an Indizien für vorchristlich-slawische Kultbilder fehlte, ein Blick auf kirchliche Stukturen. Von betroffenen ostkirchlichen Regionen abgesehen, die hier aus dem Spiel bleiben müssen, handelt es sich ausschließlich um Teile einerseits der Kirchenprovinzen Mainz, Salzburg und Aqui-leia, andererseits des Erzbistums Magdeburg. Die ersten drei haben ihre Organisation abschließend unter Karl d. Gr. empfangen, jedenfalls für das Altsiedelland124; die zweiten erfaßten Markengebiete, die gegen den großen Slawenaufstand von 983 hatten behauptet werden können. 117 Oben, 3. Abschnitt. 118 Ausführliche Beschreibung oben, 5. Abschnitt. 119Oben bei Anm. 72-75. 120Oben bei Anm. 77-91, vgl. Abb. 121s. Anm. 77. 122Oben bei Anm. 97-100. 123Oben bei Anm. 100-104. 124Oben, 4. Abschnitt. - Die Ausbildung von Lineargrenzen zwischen bestehenden Diözesen ist erst eine Folge des hoch- und spätmittelalterlichen Landesausbaus, am Beispiel der Bistümer Hildesheim und Halberstadt gezeigt von M. ERBE, Studien zur Entwicklung des Niederkirchenwesens in Ostsachsen vom 8. bis zum 12. Jh., Göttingen 1969. Die Karolingerzeit besaß Sinn für ethnische Verschiedenheiten. Sie wurden rechtlich durch ihr Personalitätsprinzip fixiert, dessen praktische Handhabung in der wachsenden Durchmischung zumindest der Führungsschichten des Großreichs zu bekannten Schwierigkeiten führte; es ist wenig beachtet, daß damals - anders als offenbar schon in den ottonischen Eroberungsgebieten - auch Slawen nicht grundsätzlich von seinen Regelungen ausgeschlossen waren125. Religionskundliche Interessen für Fremdes lagen für diese Zeit jenseits des Horizonts. Alles, was nicht christlich oder wenigstens jüdisch war, sah sie interpretatione christiana als höllisches Blendwerk, mit dessen Spielarten man sich normalerweise nicht näher zu befassen hatte - gleich, ob es sächsisch, ob es slawisch war (eine Parallele, die wenig Beachtung findet); man betrachtete es nicht, sondern suchte es auszurotten im Sinn einer »Tatmission«, die die mündliche Verkündigungsarbeit begleitete und radikaler vorging als sie126. Der zeitliche Vorsprung räumte diesem Geist in den erfaßten Gebieten ein bis zwei Jahrhunderte an Wirkungsmöglichkeiten ein, bevor jüngere Autoren über slawisches »Heidentum« ihrer Gegenwart zu berichten begannen. Entsprechend länger hatte einerseits das Vernichtungswerk Spielraum gegenüber dem, was die neuaufgerichtete christliche Herrschaft vorfand - hier teilzunehmen war auch Pflicht laikaler Gewalten - ; andererseits konnte vordringendes Vergessen verbliebene Spuren um so gründlicher verwischen, bis Quellen zögernd zu sprechen beginnen. In den Markengebieten der magdeburgischen Suffragane aber wird man nach ihrer gelungenen Behauptung um so gründlicher aufgeräumt haben: Keine Idole der alten Religion mehr in Besitz zu haben, dürfte hier zu einem Ausweis der Loyalität gegenüber der sächsisch-deutschen Herrschaft geworden sein; das seltsame Bildwerk von Zadel hat sich als nicht hergehörig entpuppt127. Für den Hauptberichterstatter dieser Gegenden, Bischof Thietmar von Merseburg, ergibt sich zudem der Verdacht, daß er in erkennbarer Vernachlässigung seiner geistlichen Pflichten, was den unmittelbaren Eigenbereich angeht, als unsicherer Gewährsmann betrachtet werden muß, so wichtig er sonst als Zeuge slawischer Religionsgeschichte bleibt. Seine Berichte über abliegende Schauplätze können die Funktion von Ablenkungsmanövern gehabt haben - sein Schweigen über das Motiv der Slawenbekehrung bei der Gründung des Bistums Bamberg, bei dessen feierlicher Konstituierung er persönlich zugegen war, liegt in wenig beachtetem Zwielicht128. Es zeigt sich: Die Voraussetzungen für die Bewahrung vorchristlicher Kultbilder und ihrer Erinnerung waren dort, wo bisher keine Indizien für ihr einstiges Vorhandensein sprachen, wesentlich ungünstiger als in den Bereichen, in denen Funde und Schriftquellen für sie zeugen. Dazu ist nachdrücklich an den alten archäologischen Grundsatz zu erinnern, daß Fundleere immer nur bis auf weiteres gilt - daß sie niemals als Beweis gegen einstiges Vorhandensein bisher vermißter Befunde ausgespielt werden kann: Auch wo es unwahrscheinlich aussieht, ist stets mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ein neuartiger Erstling die Reihe gegebener Negativbeobachtungen durchbricht und zur Aufgabe gewohnter Vorstellungen nötigt, die nichts anderes als nur hypothetisch waren. Dem Torso von Silberberg als bisher isolierter Erscheinung ist die Möglichkeit zuzugestehen, daß er sich als solch ein Erstling entpuppt und damit die Quellenlage prinzipiell verändert. 125KAHL 2004 (wie Anm. 36), S. 31 f. 126Oben bei Anm. 4-6, 54-59 u. 65. 127Oben bei Anm. 29-31. 128Oben bei Anm. 31-34. Gründe, die diese Möglichkeit stützen, wurden benannt129. Der so weitgehende Ausfall von einschlägigen Fundstücken und schriftlichen Nachrichten erscheint damit weniger durch Realitäten bestimmt, die die christlichen Missionare vorfanden, als durch Eigenheiten, die sie selbst mitbrachten, als sie ihr neues Arbeitsfeld betraten130. Für welchen Umkreis dies gilt - ob nur für den engeren karantanischen Bereich, dem der Torso entstammt, oder darüber hinaus -, kann nur die Zukunft lehren. Die prinzipielle Verschiebung der Quellenlage bleibt davon unberührt - die Grundsatzfrage, wie sich in den angestammten Kulten der Slawenwelt bildlose und bildgebundene Kulte zu einander verhielten, gewinnt neue Aspekte: Die räumliche Durchmischung beider Formen, wie sie sich vor allem im Nordwesten wahrnehmen läßt, kann einmal weitergreifend die Regel gewesen sein, als es sich heute dem ersten Blick zeigt. Wie ist das damit zugeordnete Fragment zu datieren? Die Voraussetzungen sind schlecht. Fundzusammenhänge, die Hilfestellung bieten könnten, fallen aus131, und der Marmor verwehrt uns die Möglichkeiten des Zugriffs, die bei Holz offen blieben. Stilistische Momente verweisen das Stück zwingend in frühes, vielleicht sehr frühes Mittelalter, ohne Romanik zwingend auszuschließen132. Den einzigen Anhalt stellt der so deutlich unchristliche Charakter des Kunstwerks, den das erst nachträglich angebrachte Apostelkreuz unterstreicht.. Er weist auf eine Zeit ungebrochenen, zumindest synkretistisch durchsetzten »Heidentums«. Ein solches dürfte in Kärnten nach Mitte 9. Jh.s Schwierigkeiten gehabt haben, sich so offen zu entfalten, daß eine derart aufwendige und repräsentative Schöpfung noch möglich war. Die slawisch wirkenden Merkmale kommen hinzu. Sie setzen als terminus a quo die Phase der Zuwanderung des neuen Bevölkerungselements, grob gesagt, die letzten Jahrzehnte des 6. Jh. Wenn wir »ca. 600-800« sagen, ohne die Grenzdaten zu sehr zu pressen, dürften wir ungefähr richtig liegen. Für Kärnten ist das die Periode, die dem Land auf Dauer den Namen gab, unbeschadet nachträglichen Schrumpfens der Grenzen. Er knüpft, wie es scheint, an eine Gegebenheit seiner Geografie an, die einmal vulgärromanisch Karanta hieß - das Massiv, das im Ulrichsberg/Senturska gora gipfelt. Die slawischen Einwanderer haben den Namen entlehnt, was Sprachkontakte beweist, und mit einer Endung versehen, die sie gern für Anwohnernamen benutzten, und sie gewannen so in auch sonst häufig angewandter Weise ihre Selbstbezeichnung, die dann unter fränkisch-deutscher Herrschaft auf das Land als solches überging. Anders gefaßt: Die Zuwanderer kamen nicht als fertig ausgebildete Völkerschaft - sie begannen erst nach der Festsetzung, aus unterschiedlichen Splittern zu einer solchen zusammenzuwachsen: Ihre Ethnogenese reicht nicht in altslawische Vorzeit zurück. Sie hätte unter slawischer Führung romanische und wohl auch germanische, vor allem ostgotische Elemente zusammenzuschmelzen gehabt, doch sie kam nicht zur Vollendung, weil der namengebende »Staat« von den Franken vernichtet und in neue Zusammenhänge einbezogen wurde. Die Zuwanderer, bisher führend, wurden in die Stellung von Unterworfenen abgedrängt, die sie selbst vorher den vorgefundenen Landesbewohnern zugewiesen hatten. Neue Bevölkerungselemente setzten sich zwischen ihnen fest und lok-kerten ihren Zusammenhang. Im Endergebnis gingen die Karantanen in den Kärntnern beider Sprachen von heute auf, zum Teil unter Aufgabe der alten Identität, mit »Wechsel 129Oben, 6. Abschnitt. 130Oben, bei Anm. 64-65. 131 Oben, vor Anm. 72. 132Oben, bei Anm. 69, dazu BIEDERMANN und BIRKHAN, wie Anm. 69. der ethnischen Selbstzuordnung«, wie es treffend genannt worden ist133. Ihre Nachkommen, mit denen der späteren Zuwanderer vermischt, wurden teils Deutschkärntner, teils Korošci mit nunmehr slowenisch genannten Mundarten, durch komplizierte Entwicklungen in die jüngere slowenische Ethnogenese einbezogen, mit der Folge partieller Grenzverschiebungen für das Land134. Schweift dies ab? Es umreißt die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man den Torso vom Silberberg, diese unverkennbar slawische, diese karantanische Schöpfung in die Geschichte von heute bestehenden Völkern oder Nationen einreihen will. Er gehört einem Ethnicum, das nicht mehr besteht, ebensowenig wie all die keltischen Kleinstämme, die einer früheren Phase der Landesgeschichte ihren Stempel aufdrückten und zweifellos gleichfalls nicht völlig aus der biologischen Substanz der Bevölkerung verschwanden, obwohl ihre konstitutiven Merkmale und Eigenheiten vergingen. Seine Träger standen den Slowenen von heute sprachlich näher als den Deutschkärntnern, aber das allein macht sie noch nicht zu frühen Slowenen. Niemand weiß, ob der Schöpfer der Statue oder Stele, von der der Torso vom Silberberg stammt, und sein Auftraggeber heute womöglich allein noch in Nachfahren weiterleben, deren Sprachform ausschließlich eine deutsche ist. Wir müssen uns begnügen, dieses Werk als »slawisch, und zwar karantanisch« einzuordnen. Festzuhalten ist, daß auf der Dreizahl erhaltener Gesichter des Bruchstücks keine voreiligen Folgerungen aufgebaut werden dürfen, so sehr sie dazu verlockt. Niemand garantiert uns, daß das verschollene unversehrte Ganze nicht noch weitere Gesichtszüge aufwies, z.B. auf der Brust135. Schon deshalb ist die auf den ersten Blick naheliegende Bezeichnung mit dem altslawischen Triglav auszuscheiden. Der Name würde auch deshalb nicht passen, weil der Torso keine Dreiheit von Köpfen zeigt, sondern drei Gesichter, die sich auf einen Kopf und den anschließenden Hals verteilen. Das ist typologisch nicht dasselbe und sollte auseinandergehalten werden. Ein Ersatz, der sich anbieten könnte, ist bisher nicht in Sicht. Wir müssen uns mit umständlicheren Bezeichnungen wie eben »Torso vom Silberberg« zufriedengeben. 133WENSKUS, wie Anm. 114. 134Oben, 7. Abschnitt, bes. Anm. 114. 135Oben, bei Anm. 98 u. 110. Obredne podobe pri predkrščanskih Slovanih. Vzorčenje na osnovi marmornatega odlomka z avstrijske Koroške z oziri na vrednost pisnih virov iz 8. - 12. stol. Hans-Dietrich Kahl Kdor želi najdbo z avstrijske Koroške označiti za slovanski obredni idol, se sprva lahko sreča samo z nejevero. Zdi se, da ga ne podpirajo ne viri ne stanje raziskav. Od Ha-vele do preko vzhodnih Alp ne opazimo nobene arheološke najdbe, ki bi omogočila tako oznako. Podobno je s pisnimi viri, če izvzamemo vprašljivi primer razmeroma pozne Do-micijanove legende iz Millstatta. Iskanje novih dokazov mora pregledati vsak primer posebej.117 Toda, kako zanesljiva je slika, ki temelji na takih negativnih opažanjih? Marmorni torzo s Sv. Martina na Silberbergu - glava s tremi obrazi, ki gledajo v isto smer, različno poudarjenimi in nenavadno razmeščenimi (Slika 4) - poudarja to vprašanje.118 Predmet zanesljivo ni spomenik krščanske umetnosti, predvsem nikakršen simbol sv. Trojice.119 Rimskodobni izvor ni verjeten že iz stilističnih razlogov. Seveda so poznane keltske troobrazne podobe, vendar so povsem druge vrste.120 Germansko primerjalno gradivo ne pride v poštev.121 Tako se zdi dober nasvet težak, kajti na prvi pogled tudi slovansko področje ne nudi primerljivega kosa. Toda prav tu se obeta izhod in dozdevno samo tu. Pisni viri kažejo, da so morali biti tamkajšnji obredni idoli bolj raznoliki, kot pa to kažejo ohranjene najdbe. Opisi, ki so včasih osupljivo podrobni, se v določenih podrobnostih nenavadno dobro ujemajo s tor-zom z Silberberga. Dopolnilna besedila nudijo celo izhodišča za vsebinsko razlago, čeprav seveda določena negotovost ostaja.122 K temu je treba dodati, da je treba na karantanskem področju, ki je obsegalo današnjo Koroško, računati z delovanjem substratov, ki niso imeli nobene vloge tam, kjer so se doslej pojavljale obredne podobe slovanskega izvora.123 Ugotovitev postane verjetnejša, če upoštevamo zgodovino pokristjanjevanja. Za področja, na katerih doslej ni bilo sledov predkrščanskih obrednih podob, pomaga pogled na cerkvene strukture. Del pokrajin vzhodne cerkve tu ne bomo obravnavali, od drugih pa gre izključno za dele cerkvenih provinc Ogleja, Salzburga, Mainza ter nadškofije Mag-deburga. Prve tri so svojo organizacijo dobile v času Karla Velikega, vsaj za svoje staro področje,124 zadnja je obsegala ozemlje mark, ki ga je lahko obdržala po velikem slovanskem uporu leta 983. V karolinškem času je obstajal čut za etnične različnosti. Bile so tudi pravno utemeljene s peronalnim načelom. Njegova praktična uporaba je zaradi premešanosti vsaj vodilnih plasti cesarstva povzročala poznane težave. Premalo upoštevamo, da so bili tedaj vanj v osnovi vključeni tudi Slovani, drugače kot na zavzetih ozemljih očitno že otonskega časa.125 Religiozno zanimanje za tuje je bilo v tem času za obzorjem. Vse, kar ni bilo krščansko ali vsaj judovsko, je bilo za interpretatione christiana peklensko slepilo, s katerega oblikami se ni šlo podrobneje ukvarjati, pa naj je bilo saško ali slovansko (kar je primerjava, ki jo premalo upoštevamo). Ni šlo za nekaj, kar bi opazovali, ampak za nekaj, kar je bilo treba izkoreniniti na način »misijona z dejanji«, ki je spremljal ustno oznanjevanje in je bil od njega bolj korenit.126 Ta duh je imel pri delovanju na prizadetih območjih stoletje ali dva prednosti, preden so začeli mlajši avtorji poročati o slovanskem »poganstvu« svojega časa. Ustrezno dolgo dobo je delovalo uničevanje na to, kar je našla novo vzpostavljena krščanska oblast. In sodelovati pri tem je bila tudi dolžnost laičnih oblastnikov. Po drugi strani je prodirajoče pozabljenje toliko temeljiteje izbrisalo preostale sledove, še preden pisni viri obotavljivo spregovorijo. Področja mark, ki so jih uspešno obdržali magdeburški sufragani, so še toliko temeljiteje očistili. Ne imeti v posesti idolov stare vere, je tu pač postalo znak izkazovanja lojalnosti saško-nemškemu gospostvu. Pri tem se je izkazalo, da nenavadna podoba iz Zadela ne pripada poganskim idolom.127 Za glavnega poročevalca o teh ozemljih, škofa Thietmarja iz Merseburga, obstaja celo sum, da gaje treba imeti za nezanesljivega, pa čeprav ostaja pomembna priča slovanske verske zgodovine, saj je opazno zanemarjal svoje duhovne dolžnosti na svojem neposrednem območju. Njegova poročila o oddaljenih prizoriščih bi lahko imela funkcijo slepilnih manevrov. Njegov molk o motivu slovanskega pokristjanjevanja pri ustanovitvi škofije Bamberg, čeprav je bil osebno navzoč pri njenem slovesnem konstituiranju, stoji v malo upoštevanem somraku.128 Kaže se, da so bili pogoji za ohranitev predkrščanskih obrednih idolov in spominov nanje mnogo slabši tam, kjer ni znakov, da so nekoč obstajali, kot pa na predelih, kjer o njih pričajo najdbe in pisni viri. K temu je pripomniti, da je treba spomniti na staro arheološko modrost, po kateri odsotnost najdb velja samo do nadaljnjega in je ni mogoče uporabiti kot dokaz proti nekdanjemu obstoju najdb, ki so doslej manjkale. Tudi tam, kjer se ne zdi verjetno, je vedno treba računati z možnostjo, da bo nova najdba prekinila verigo negativnih opažanj in nas prisilila, da opustimo stare predstave, ki niso bile nič drugega kot hipotetične. Torzu z Silberberga, ki je doslej osamljen pojav, gre priznati možnost, da se izkaže za takega pionirja in s tem načelno spremeni stanje virov. Omenili smo razloge, ki tako možnost utemeljujejo.129 Zdi se, da široko odsotnost osnovnih najdb in pisnih sporočil manj določa stanje, na katero so naleteli krščanski misijonarji, kot lastnosti, ki so jih prinesli s seboj, ko so vstopili v novo polje svojega delovanja.130 Za katero ozemlje to velja - ali samo za ožje karantansko, s katerega izvira torzo, ali širše - lahko pokaže samo prihodnost. To se ne nanaša na načelno spremembo stanja virov. Osnovno vprašanje, kakšen je bil v slovanskem svetu odnos kultov s podobami do tistih brez njih, dobiva nove vidike. Prostorsko prepletanje obeh oblik, kot ga je zaznati predvsem na severozahodu, je bilo nekoč lahko bolj razširjeno pravilo, kot se danes zdi na prvi pogled. Kako naj datiramo obravnavani odlomek? Pogoji so slabi. Najdiščnih okoliščin, ki bi nam pomagale, nimamo131 in marmor nam ne daje možnosti posegov, ki so na voljo pri lesu. Stilistične prvine postavljajo predmet v zgodnji, morda zelo zgodnji srednji vek, vendar ne izključujejo povsem romanike.132 Edina opora je tako jasno nekrščanski značaj umetnine, ki ga še poudarja drugotno dodani apostolski križ. Kaže na čas nepretrganega poganstva, ki se je uveljavilo vsaj sinkretistično. Tako razkošen in reprezentativen izdelek bi na Koroškem javno le težko nastal po sredini 9. st. Temu je treba prišteti lastnosti, ki se zdijo slovanske. Te postavljajo kot terminus a quo prihod novega ljudstva, v grobem zadnja desetletja 6. stoletja. Verjetno ne bomo mnogo zgrešili s široko okvirno datacijo v približni čas od 600 do 800. Na Koroškem je to obdobje, ki je dalo deželi stalno ime, ne glede na poznejše spremembe meja. Ime izhaja, kot se zdi, iz zemljepisne danosti - pogorja z najvišjim vrhom Ulrichsberg/Šenturška gora, ki se je nekoč vulgarnoromansko imenovalo Karanta. Slovanski priseljenci so ime prevzeli, kar dokazuje jezikovne stike, in mu dodali stanovniško končnico ter s tem na pogost način ustvarili samopoimenovanje, ki je pod frankovsko-nemškim gospostvom prešlo na deželo. Ali drugače povedano, priseljenci niso prišli kot oblikovano ljudstvo. To so postali šele po naselitvi s spajanjem različnih delcev. Njihova etnogeneza ne sega nazaj v staroslovansko prazgodovino. Verjetno je obsegala spajanje romanskih in pač tudi germanskih, predvsem vzhodnogotskih sestavin pod slovanskim vodstvom. Vendar ni bila dokončana, ker so karantansko »državo« uničili Franki in jo postavili v nove okvire. Doslej vodilni priseljenci so postali podvrženci tako kot staroselci, na katere so naleteli pri prihodu. Med Karantance so se naselili pripadniki novega ljudstva in razrahljali njihov sestav. Na koncu so prešli Karantanci v Korošce obeh današnjih jezikov. Pri tem so s »spremembo etnične samoopredelitve«133 izgubili del stare identitete. Njihovi nasledniki, s katerimi so se pomešali poznejši priseljenci, so postali deloma nemški Kärntner, deloma slovenski Korošci s sedaj slovensko imenovanimi narečji, ki jih je vključil zapleteni razvoj mlajše slovenske etnogeneze s posledičnimi spremembami deželne meje.134 Je to izmikajoče? Kaže na težave, ki se pokažejo, če hočemo torzo z Silberberga, ki je nedvomno slovanska, karantanska stvaritev, uvrstiti v zgodovino današnjih ljudstev ali narodov. Pripada nekemu etnosu, ki ne obstaja več, prav tako kot tudi ne keltska plemena, ki so nekoč vtisnila pečat deželni zgodovini in nedvomno niso v celoti izginila iz biološke substance prebivalstva, čeprav so propadli njihovi konstitutivni znaki in lastnosti. Častilci torza so današnjim Slovencem jezikovno bližji kot nemškim Korošcem, vendar zato še niso zgodnji Slovenci. Nihče ne more vedeti, če ustvarjalec kipa ali stebra, katerega del je torzo z Silberberga, in njegov naročnik danes morda ne živita v naslednikih, ki govorijo samo še nemško. Zato se moramo zadovoljiti s tem, da to delo opredelimo kot »slovansko in sicer karantansko«. Gotovo je, da na trojnosti ohranjenih obrazov ne moremo delati preuranjenih sklepov, čeprav k njim zelo vabijo. Nihče nam ne zagotavlja, da izgubljena celota ni nekoč imela še več obrazov, npr. na prsih.135 Že zato se je bolje izogniti poimenovanju s staroslo-vanskim Triglav, čeprav se zdi oznaka na prvi pogled ustrezna. Ni primerna tudi zato, ker torzo ni trojica glav ampak obrazov, ki so razporejeni po eni glavi in vratu. To tipološko ni isto in je treba razločevati. Nadomestila trenutno ni videti. Zato se moramo zadovoljiti z bolj splošnim poimenovanjem kot je »torzo z Silberberga«.