^/^^^ Drei Jakre im Norwestcn von Usrila. Moöfl^N ^Algerien nnd Mnrolcka von Heinrich Freiherr von Maltzan. Zweiter Vaur/ Leipzig, 18«3. Verlag dev Dürr'jch^n Vlichhandl^ng. I n h a l t s - V e r z e i ch n i ß. Drittes Ouch. Prouuy Oran. Seite Viertes Capitel. Arsen nnd die Kolonien östlich von Oran. All-Alsen. — Ruinen von Arsenaria. —Phu'uicische Inschriften. — Arsen. — I'ortu« cleaium. — sse ....... Z Fünftes Capitel. Oran. Erobernn^ Orans durch die Spanier. — Cardinal Ximeues.— Seine Intoleranz. — Grausamkeit der Spanier. — Wiedereinnähme OranS durch die Mliscl-manner. — Die Juden Orans. — Ihr Reichthum nnb Wichügthim. — Die drei Städte. — Die fchöne Allee der Phytolaeca dioica. — Orans antiker Name. — Mcrs-el-Kebir. — Pl?rtn Achtes Capitel. Ma star ah. Em octroyirtcr Neisegefährtc, — ^iachtlagcr bei den Nlad Htimiiha. — Ein improvisirtcr Aufbruch. — ^Vldi Vel Abbes. — Iagdabcuteuer meiues Reisegefährten. — Geburtsort Nbd--cl-Kadcrs. — Waskarah. — Die Hanptmoschec -— Victoria colonia. — Ein junger Orientalist. — Aussprache des Arabischen. — Das Barrage des U«d Sig bei St, Denis. ^ Niickkchr nach Oran. — Ein Nriasbrief. 55 Viertes öuch. Die grosic tlabnlic. Erstes Capitel. Dellys. NiU von Algier nach Delly«. — Waison <5ari^. — ^!a :)tassanta. — Cap Matifu. — Rus-gnnia. — Der „Hafen der Hühner". — Der al^«ntiani. — Der „ilöuig von jtnto", — Mandel an geschichtlill^r llebcrlicftriing bei den Kabylcn. — Ein Eolo-nisatiou^opfev. — Rusazutz. — ^audschafl^pauorania um Boügie...................95 Drittes Capitel, Bongic. Das antike Saldae. — Die vandalischc Ninguianer. — Gciserich in Saldae. — Blüthe Bougie's im Mittelalter. — ^cbl>a^ter Handel mit den italienischen Nüvnblikeil. — Einnalune Bougie's durch die Spanier. — Erobcruug durch die Tiirkeu, — Die Franzosen in Äougic. — Der Mord des l^ommaudanten Salomon de Mussis. — Die tabylischc Vcnrclta. ) er Naja dci> Scheith-Saad. — Schlechtes Wohlicn iu Bouqie. — SpazicraMa, auf den Tschcbcl Gurajah. — <^iu ucucr Ncisecieftlnte. . .10« Viertes Capitel. Da^ Thal des Ui!d Sahel. Die RöincrsNaßcn in der Kabylic. — Abreise von Vouaic. — Mein ' ReisMsähne. — Seine Äiauie, arabijch z>i sprechen, — Die ai^wcudist gelernte Conversation. — Die Nuiuen von Tubnsnp-luo, — Die yl'it Ulli. — Nachtlager bei den A>t Aun'lacieu. — Ein kal'ylischcr Echeilh flickt scinen Pernlis. — Die'wt Illnlab.— Das Dorf SchcUatah. — Seine Koraußschnle nnd seine '2!larabutl<............... . 125 Fünftts Capitel. <^iu moderner .K abylenliä'np'tliü«,. ^,c ^ttiineil von ?lli!l>ni. — Da<< Hans Ven Ali Sheriffs in All'». ^ Heuchlerischer l?mpfau,l,. — «ün fran^o'silter Ka° bylenchef, — Dae ssrül'ssNct. —' Weixlnine cine« Kabylcl,» tiauvtlinqß. — Zerlumplheit selbst der reicken Kabylen. — Der sobn dl'i« Agha. — Der französische Sergeant. — Der >>,:!!,'!><» bar..................14l> Sechstes Capitel, Die Sofie. Die Partheibewea.una. der Sofft«. — Gerulsssiigi^er Elitstelning^griind mancher Eofs«. — Tatanih und Folanih. — Der i>.>laradut und die Marabma. «!l'eliche Pviigele^ercitien. — Bilrnng der Soff«. — Die Trenn« dei. -^ Tatanili nnb Fokanib desiehen noch ini'uer fort. 14N Siebentes Capitel. Der Stamm der Ali MetM!; sch. Der Dscherdschera, — Dcr erste Manu vom Stamme dcr AN Ntclli-lijjch. — Die Kabylinmn. — Geiz der Kal'ylcu,— Nachtlager im Gebiet der ^l Mellito'sch. ^ ^n ^avhla der „H>atcv der Äianleselin," Freiheiwheld der Kabylcu. — Seine Schlachten und sciu ->rd. - Ein labylischco Beschnc^nugefest. — Einc tadyli'cke Tänzerin. — Die beiden Agha'ö. — Ihr Wett- kainpf im ^cldverschcnlcn......... . . . !54 Achtes Capitel. Dic eiierneu Thore des AUah. Die Bioan ocel ,i1'<'rto« clo I''or," — ,^l ss^lil'al. — Enge Srblucln. — Die vler P>orten. — L,c libeue von Vordscl, Bu Ariridsck. — lebhafter Ä>elüei>r. — Die Ruinen von Smlia. — Be° V Seite schilga, eine Türlencolonie. — Der kleine Löwe. — Orientalt« lche ^ntbaten ni europäischen Trachten........170 Neuntes Capitel. Set if, Baumlose Hochebene. — Die Com» pagine Genevoisc, — Setif. — Historis6)e Straßennamen. — Der Snl-el-Had oder Soniltagsmarlt.— Die vermeintlichen Nachkommen der Vandalcn. — Die römische Citadelle. — Byzantinische Bauart. — Die Mauritania Sitifensis. — Die Ne-> bellionen deS Finnuö llnd Gildrn. — Eine archäologische Stein-sammlnng.................. 181 Zehntes Capitel. Anmale. Rückkehr an den Ui!o Sal,el. — DerDschebel Tamqut. — Der Marnbut Sidi Tamgnt. — Lellah ^hredidscha, die große Heilige. — Vazagad», — Diebstadl eines Kaby'cn. — Der Scheich und die gestohlene Mal^-che. — Lächerlicher Einzug iu Anmale. — Langweiligkeit von Anmale. — Der dorthin versetzte Oberst. — An;ia. — Ter Nmes ^.u» ^iunssig.................. 194 Elftes Capitel. Die Kernstämme der KabYlie. Nö-mcrstraßc durch d'.e Kahylit', — Das „Spielen" der Kaby-linncn,— Castellliln Aiiiienjc. — Nachtlager bei den Scho'rfa. — Uuangcnehnuö Erwachen. — Oelm'gölandschaft, — Dra et Misan, — D>e Legende dcs Waldes. — D>e republikanische Stanimesvcrbindnng i>er Suawna'^. ^ Ursprung des Wortes „Hnave." — ^crschicdcnart'gc Sitten der Suawila's. . . . 207 Zwölftes Capitel. Fort vi av oleon nnd der Dscheid-scvera. H>o>i Dra cl 2)tisan nach Aort Vtapolcon. — Bergige Oegend. — Moderne Festtmgtzstadt. — Orüudlmg deö Fort Napoleon. —Zwiug^tabyüe. — Gebirgspanorama des Tscherd-schcra. — Prosaische Uuterdrcchnng. — Tod des kleinen Mven. — Antik« Denlma! desseldcli. — Archäologische Pfnscherci. — Riicklchr nach bougie.......^.....2l7 Liinftcs Ouch. Die s)roviuj Constantinc. Erstes Capitel. Kiistenfahr t von B on g ie nach Philipp evil le. Das alte Äiumidien. — Unbequemlichkeit auf den Regieruugöschisfen. — Da« grobe officielle Personal. — Der Audon res Ptelenwoi«. — Mchldscheli.— Itgilgilis <5olonia. — ^illnavine dnrch den Herzog don Beaufort im I. 16(54. — Das Erdbeben von 185<>, — Kollo. - Kollop« malmns. — Landnüg i„ Stora. -^ Die fränkischen Marinemairofen werfen m inen Koffer in's Meer..........229 Zweites Capitel. Kilstrnfahrt von Pbilippeville naä, Vone. Äfrilauischei« Krähwinkel.— N»,icada. — Ab« reise von Storv. — KünenfabN. -^ Angenehmer Scirocc». — Bequemes Dampfboot. — Das «,av sserro. — Dcr Fcl« dei« Araber««.—Sage. — Das schwarze «Vegel, —Das Cap de Garde. — Dcr Golf von Bone. — Der L'öweusels. . . . 2-lö VI Seit« Drittes Capitel. Bone, und Hippo regius. Die drei Hafen von V'!,.'. — Nömerstraße. — H'PPo. — Die Massy» tier und Massäsylier. -— Die Industrie Hippo's. — Die Ci« trnßtische. — "Anqnstinns. — Donatisten ui'd Katholiken. — Ruinen von Hippl?. — Zwei neue Reisegefährten.....258 Viertes Capitel. Das Thal der Teybuse. Ritt von Vone nach (^nelmi. — Loll'iüstendöifcr. — Neschmajah. — Der »Nllrclillnä ,1« vin. — Ein verlamNer Hel?. — Der wahre Eroberer von Scdaslopol. — Al>c>nns. — Aussicht von: Dsche» bel Ftdschudsch. — Wildromantische Gegend. — Änslnnft in Gnelnia..................26? Fünftes Capitel. Das antiteCalama. — Ein sauler Araber. — Da« Tlieater don «^alama. — Das «limm„rn lo^Lum. — Nönnsche Inschrift, ivelche die Gliinderin dcs Thec,tl!ril nennt. — Tie dy,ai!tmilche l5it>ibelle. — Inschrift zn «zhren dc^ Pa> tricinü Saloinc». — Das Ras el Albal'. — T'ic Rninen von Annna''. — Tlbili?. — Die ^liu^e tibilit»n»o.— Sage iiber die „Bäder der Verdammten.".......... 274 Sechstes Capitel. Elif-H ai-raS, Crlonisimdon Petit. — Nac^l' dettN Zian'ine der Nador. — Zteppenar'i^eGegend. — Aittnuft in Vnl-HarraS. — Um,^eb„n^. — Tagastc. — Anssnstiii»« n»d A>yp>u!<. — Mein Mischer Wirth. — Seine vcrmcintticke Bcrandnxg durch Tuniser........284 GiebenteS Capitel. Tiffesch. — Reise von Suk-Haria« nach Tiffchi. — M.idam'i Mlinicipinm. — Tiftcsch. — Tipasa ')lll' midiae.—Belani'tsckaf! mit arabische» T'a^abnnbeü. — Deutliche Anzeigen rä'nberischer Absicht?,,. — Mein Reiseqesäbrte holt ^wei spahii« z„r Vedccinna herbei. ^ Ad^'ise von ^iffesch. — Der NödMit>tin'a.— Zusammentreffen mit den säubern. — Flucht der Spal'itt,— Wir >verden beraubt.— Grrßmuth der Spitzbuben. — KaSc el V>i. -^- Dcr n>!ss!iinbi,^e Scheill'. — Tebessa. — ssrnchtlosigleil jeder Verfol^nnss der Räuber. .' . 294 Achtes Capitel. Tebessa. Das aittile Theveste, — Wunscher Ulspmng !e,n<,'r!i^>rol,!,er.— 'Wohnn,,.i dci «ineiu „6pi«ier". — Ei» eiudalfamirter Altrömer. —Nömische Gebände. — Die Citadelle dc? Palricüii« saloinon. — Basilika. — itircheuge» schichlliches. — Der archäologische spillier »nb scine „Pnms". 3Nß DIM« B»c1>. Iiovinz Gran. <. Ü' o rtse!) !I!! g 2)rclJahre imNoibweslen c^n Asnla. ll. 1 Viertes Capitel. Arseu und die Colonien ösUich von Dran. All-Aiseu. — Ruinen von Arjenaria. — Phönicische Inschriften. — Arsen. — ?ortug cleoium. — Ein andere« Dorf preußischer Colomsten. — Die für barbarisch geltenden „I'ruäLiliiiL." — St. Cloud. — Ein Ritter des Kochlöffels. — Anblick von Oran. — Festungsm a sse. Von La Malta brachte uns der holperige Rumpclkasten, Omnibus genannt, nach dem Colomstendorfe St.Leu, eine halbe deutsche Meile südlich uom Meeresufer auf einer leichten Anhöhe gelegen. Der 500 Schritte davon entfernte, von Eingeborenen bewohnte Ort, welchen die Araber Bethüjah und die Franzosen Alt-Arscu nennen, ist unzweifelhaft an der Stelle cincr einst bedeutenden Stadt des Alterthums erbaut worden. Wenigstens reden die antiken N^ste, dcrcn man lx-iuaye täglich hier auffindet, von der Wichtigkeit der einst hier gelegenen Römerstadt. Die meisten Kundigen des Alterthums scheinen darin übereiu-zustimmcu, au dieser Stelle das römische Municipium Arscnaria oder Arsinna, welches Plinius, der es ^.r»euuria I^tinorlim^) *) Plinius Secuudus, historia naturalis. Lib. V. l* 4 nennt, als 3000Schritte uom Meere entfernt augiebt, ;u sucken. Ein einziger, verdienter moderner Archäologe, der Franzose mit irischem Namen, O.Mac (lartl'y, ist ande»er Meinung. Er sucht, gestützt auf da? Itinerarinm dco Antrnin, dessen (5ntsernuugs« angaben freilich fiir das ^!and westlich von Ililia l^äsarca oft ungenau sind, da^ alte Arsenaria östlich vom Scheliff, an der Stelle, wo sick jetzt ein kleiner Marabnt, Sidi-Bu-MS, unweit des Cap Magruah erhebt' nnd behauptet dagegen, Arseu nehme die Stelle von Portus inagnu^ ein. Letzterer Meinung ift auch Leon Runter. Damit ist ab^-r nnn ein Name siir den Hafen bei Neu-Arseu gefunden. Flir das 3000 Schritt vom Meere abgelegene ÄlvArseu haben riefe Herren nicht die geriuaste Erklärung gegeben. Der Name Arsenaria ist zweifelsohne phLnicischcn Ursprungs; Arsin soll in der Sprache Karthagos einen harzgeben-den Baum bezcicknet haben. In der That findet man in dieser Küstcngegend bcfonders zahlreiche harzgedcndc Pinien, welche vielleicht die Älrsinbäume der Phönicier und Karthager waren. Viele vorrömische Reste, welche man im altcn Arsen fand, haben deutlick dargethan, dasi eine hier befindliche Niederlassung nock vor den Mmern zurZeit dc^ phöniciscken, ja vielleicht schon des libyschen Alterthums bestand. Unter Anderem fand man in Alt-Arsen ein wahrscheinlich berbcrisches Götzenbild, welche eine entfernte Aehnlichleit mit dem ägyptischen Jupiter Ammon oder Ammon^ta zeigte. Das s'aupt hat die jenem Gölte eigenen Widderhoruer, worauö man geschlossen hat, es lönne wohl den libyschen Gott Oursil, jenen Sohn Ammons, vorstellcn, als dessen Sprößling sich d^r nnmicische .slönig Iarbas gcrühiut s haben soll. Dem Gursil werden nämlich dieselben Attribute, wie» dem Ammon selbst, gegeben. <3r erfreute sick in Numidicn und Mauritanicn großer Verchrung. liorripus sagt in seiner ^Lina lorax ki» äuot,c»r e»t 6ul2i1^u« «n,oor<1c>8, und VII. 300: Hi maotaut) (^ur^ii, illi tidi oorni^^l- ^iuuion! Im Museum von Alt-Arsen bei St. Leu, sowie in dem von Algier, befinden sich auch mehrere hier aufgefundene phöuicischc Grabinschriften, sowie eine Menge Basreliefs gleichen Ursprungs, welche alle so ziemlich Dasselbe, nämlich eine Higur mit gen Himmel erhobenen Händen, darstellen. Bekanntlich übersetzt mau das Pl,önicische mit Hülfe des Hebräischen. gemeinen und gegen Deutsche, ,,b«t«5 ulwnlllnäc^, tetos «ar-i«e8," wie sie dieselben nennen, ins Besondere hegen> wenigstens ihnen gegenüber zu zerstreuen. Ein Berichterstatter au das jetzt begrabene Ministerium der Algerle sprach noch vor wenigen Jahren seine osftcielle Verwunderung darüber auö, daß die Zahl der Verbrechen in den preußischen Colonien verhältnißmäßig gering fei: „Es ist auffallend," lautete die officielle Anficht dieses Phönix von einem französischen Bureautraten, „daß in Ctidia und St. ^«onie verhältnißmäßig wenig Bestrafungen für Verbrechen oder Vergehen nothwendig wurden. Die Bewohner 1ft dieser Dörfer, obgleich fast alle Preußen, „liuni^nL prt-^us wus kru88isu8," scheinen ein moralisches und gesittetes Volk zu sein." Das „huoi^uo prl^no tuu» 1'ru^^ion«" bezieht siä) natürlich auf den Zustand von halber Barbarei und mittelalterlicher Verfinsterung, in welchem in denAugen der „cwilisirtesten Nation der Erde" alle andern Völker, besonders aber,,los ^Nenmnäs" und folglich anch „los I'ru8«i6U8" versunken sind. Aehnliches, nur noch etwas dicker aufgetragen, sprach vor Knrzem ein französischer Advocat aus, der ans den Assisen von Algier einen deutschen Verbrecher zu vertheidigen hatte. „Dieser Mann," so lautete die beredte Apologie, „ist wirtlich kaum zurechnungsfähig. Erzogen in einer Stadt des Nor» dens, Mannheim genannt, „äun» nn i»a^« äu, Nni-,1 nomiu« HIäund«im/° sah er von Jugend auf nur die gehässigen Beispiele seiner in Barbarei versunkenen Landöleute vor sich" — und so weiter. Viele Franzosen scheinen wirtlich uns Deutsche, was Civilisation betrifft, noch in die Zcit nnferes Stammesgenossen Geiserich zurückzuversetzen. Von St. L^onie ans durchfuhr der Omnibus nun eine fruchtbare, zum Theil angebaute, viel belebte Lanoschaft, welche mit Colonistendörfern förmlich besäet war. Die Umgegend Orans erfreut sich überhaupt eines besseren Gelingens der Co» lonisation, als irgend eine andere Landesstrecke Afrikas. Möchte nicht ein wenig hierzu dcr Umstaud beitragen, daß außer den Repräsentanten der „cwillsirtesten Nation der Erde" auch eine Menge zu Colonistcn vielleicht besser geeignete Leute anderer 11 Nationen, wie Anvalusier, Schweizer, Elsässer und selbst die barbarischen „I'russiong" sich hier angesiedelt haben? Miffesnhr, eine Colonie vom Jahre 1848, bot sich zuerst unseren Blicken dar. Dann erreichten wir das ungleich bedeutendere Dorf Saint-Cloud, im Jahre 1846 durch Mi-nisterialdccret gegründet. Saint-Cloud erfreut sich einer Bevölkerung von 7—800Seelen, worunter viele Ausländer, welche wohl am meisten zu seinem Aufschwünge beigetragen haben. Das Dorf ist regelmäßig und ziemlich zweckmäßig gebant; alle Hänser siud nach einem und demselben Plane ausgeführt, einstöckig nnr mit kleinen Gärtchen versehen. Dieser kleine Ort ist sogar mit einem Theater beglückt, auf welchem zuweilen irgend eine entsetzlich scklcchte Sängerin ans dem „Cas.' chantant" von Oran als „Prima donna" auftritt, nnd die gutmüthigen Colo-nisten durch grelle Nasentöne in Erstaunen setzt. In diesem Dorfe nahm der Omnibus, welcher bisher uur stille anspruchslose Geschöpfe beherbergt hatte, einen neuen Mitreisenden in der Person eines elegant gekleideten jungen Mannes auf, welcher meine drci bisherigen Wagcnnachbarn, zwei katholische Pfarrer und eine Hebamme, durch feineu sprudelnden Witz zu ergötzen anfing. Diese Persönlichkeit gab sich bald als ein verabschiedeter Koch ans dcm Hi)a>)nu.hl nie vollkommen diesen Stempel besessen hat. War es doch noch bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts in den Händen dcrSpanier gewesen. Somit hatte es nicht viel mehr als drechig Jahre unter der Obhut der Dey'ö von Algier gestanden. Noch erinnern ric zahlreichen mittelalterlichen Festungö« reste und das alte spanische Kastell lebhaft an di? Zeiten jenes austerc'n Fraliziöcanermöncheö, des Cardinals Ximencs, welcher Dran im Jahre 1ü(»9 zum erstenmal der Moue (5astilienö einverleibte, nachdem vier Jahre vorher auf seinen Befehl Mers» el-Kebir, Orvmü Hafen, durch Don Naymundo de Cordoba erobert unr beseht woroen lvar. Trol^ oer Vorstellungen, Welche man ihm im Ministerrathe zu Madrid gemaäit nnd trotz, dem, daß beinahe ganz Spanien das zu Felde Ziehen dieses hin,-fälligen Möncheö im Cardmalpurpur lächerlich fand, hatte den« Drei ^ah« im Noitwcsl^i von Afrika, II. 2 18 noch der bereits hochbetagte Minister es sich nicht nehmen lassen, persönlich die Expedition gegen Oran zu befehligen. Zu dem Zwecke war er in dem nahen Mers-el-Kebir angelangt. Von dort aus leitete dieser Priester die Vorbereitungen zur Velagerung und Erstürmung Orans. Ja! als der zum entscheidenden Angriff bestimmte Morgen gekommen war, stellte er sich selbst, blos mit cinem großen eisernen Crucifix, jener Waffe, welche „stärker sei, als alle irdischen Waffcn", bewehrt, an die Spitze der Truppen und wollte so die Bestürmung anführen. Aber die spanischen Offiziere fanden die Anwesenheit des Cardinals und seiner Schaar von Mönchen vor der Front der Truppe» eher störend alö fördernd. Nur mit Mühe gelang es dem Grafen Nauarro, den plötzlich kriegerisch gewordenen Greis zu überrede«, sich einstweilen ruhig in Mers-el Kebir mit dem Absingen von Hymnen zu beschäftigen, bis er, der Feldherr, die Einnahme Oranö bewerkstelligt haben würde. Die Stadt ergab sich fast ohne Widerstand. Ihr schneller Fall wird nur durch Verrath erklärbar. Dcnn Cardinal Amenes, trotz seinem Vertrauen in „die beste Waffe", hatte doch die diplomatischere Hülfe der Bestechung auch nicht verschmäht und mit Geld einen jüdischen Bewohner der Stadt gewonnen, welcher den Spaniern cin wichtiges Fclsenfort, das dm Eingang Orans beherrschte, auszuliefern versprach und auch Wort hielt. Nach diesem Sohne Israels nennen noch heute die Araber jene Befestigung, welche bei den Franzosen „Fort dc laMona" heißt, das „Bordsch el Ihudi" oder Fort des Juden. Der arabische Lomandant der Kaßbah (Citadelle) von Oran wollte sich nur dem Cardinal in Person ergeben, und eilig schickte deßhalb Navarro eine Galeere nach Mers-el-Kebir, 19 um diesen abzuholen. Der große „Alfaqui der Christen", wie die Araber Timcncs nannten, erschien; und nnchdem er von Stadt unv Festnng Besitz genommen hatte, wußte er nichts Eiligeres zn thun, ali« zu Handlungen religiöser Intoleranz zu schreiten, die zwei Hauptmoscheen Oranö in5Urchen umzuwandeln, zwei Klöster für die Bekehrung der Muselmänner zu stiften nnd ciuen In^ quisitor zur Verfolgung der Juden und Ketzer einzusetzen. Die orthodoxen Spanier, diese guien, zwischen Auto da f<-'v großge» zogenen Christen, ließen es sich nicht nehmen, Oran nach Herzens-Nist zu plündern und bei derselben Gelegenheit einige tausend Mauren abzuschlachten. Trotz der Grausamkeit der Spanier und der Intoleranz des ultratatholischen Ministers, gelang es doch den ersten spanischen Oouverueuren der neu eroberten Stadt, durch geschickte Verhandlungen und gnte Verwaltung sich einige eingeborne Stamme wohlgeneigt zu machen. Sie schlössen Vündnisse mit den Mauren der Umgegend, den sogenannten „moro« äu 1a p»2", „Mauren dcö Friedeuö", welche auch immer die Freunde der Spanier blieben, bis sie zuletzt von den Türken gezwungen wurden, ihre Wohnsitze nach dem ti.fen Innern zu verlegen. Ja, die spanischen Statthalter verstanden eö jcgar, die Herrscher von Tlemsen zu bewegen, die Oberhoheit Casti' liens anzuerkennen. Aber bald verdrängte die wachsende Macht der Türken von Alglerden spanischen Einfluß im Maghreb. Schwächerund umner schwächer, tonnte die cast'lianische Herrschaft sich zuletzt nur noch mit Mühe inOran behaupten. Dennoch dauerte die erste Occupation Oran's durch die Spanier zwei Jahrhunderte. Aus dieser 2* 20 Zeit stammen alle jene riesigen, noch vorhandenen Befestigungö-wcrke, filr welche Spanien ungeheure Summen ausgegeben hat. Mau hat berechnet, daß diese Befestigungen, wcnu mau sie heut' zu Tage aufzubauen hätte, nicht weniger als tic Summe voll vierzig Millionen Franken tosten würden Oran hatte übrigens eine kurze Glanzperiode zu Anfang der ersten spanischen Occupation. Wir lesen, daß in jcner Zeit viele müßige Großen aus Spanien und Süditalien sich dort im Winter Rendezvous zn geben pflegte«, Luxus, Reichthum uud Vergnügen herrschten damals in Oran. Deßhalb nannten es auch dic Spanier „1» oc>ito oliioa", den Hof im Kleinen. Im Jahre 1708, als znrZeit des spauischeustrbfolgetrieges das Mutterland der Anarchie preisgegeben war, wurde Oran von den Muselmännern wieder zurückerobert, um 1732 zum zweiten Male und zwar durch den Grafen von Montemar dcr Krone Castiliens einverleibt zu werden. Im Jahre 1790 zerstörte cm Erdbeben beinahe ganz Orau. Nur die außerordentlich massiven Befestigungswcrke blieben stehen. Der schwachen Negierung des gutmüthigen, aber einfältigen Karl des Vierten und seines unfähigen Günstlings, des Friedensfürsten, war es vorbauen, dieses afrikanische Calais zum lctzteumalc und zwar unwiederbringlich, im Jahre 17l!4, zn verliere». Alle Spanier wanderten freiwillig aus, als die Muselmänner damals von Oran Besitz nahmen. Ein Einziger, cin spanischer Uhrmacher, wollte die Stadt seiner Geburt nicht ver^ lassen. Die Mauren behandelten ihn gut und als im Jahre 1830 die Franzofen von Oran Besitz nahmen, fanden sie ihn noch lebem und guter Dinge. Dieser Spanier war zur Zeit 21 der letzten Dey's von Algier, ja vielleicht während 5er ganzen dreihundertjährigen Herrschaft der Ianitscharcn, der einzige Europäer und Christ gewesen, der dieses Land als türkischer Unterthan bewohnte. Die Araber sind wohl in Oran nie recht heimischgeworden, denn außer der unvermeidlichen Moschee unddem„Bain maure" zeugt nichts mehr von ihrem zweiten, mehr als dreißigjährigen Besitze. Jetzt bilden sie unter den Einwohnern bei weitem die Minderzahl. Vorherrschend besteht die Bevölkerung aus Europäer», und einheimischen Inden. Der Handel ist fast ausschließlich in den Händen der Letzteren. Die Juden Oran's stammen zum großen Theil aus Marokko von den dort ansässigen altspanischen Juden ab, deren Vorfahren unter Philipp dem Zweiten aus Spanien vertrieben wurde«, welche aber spanische Sprache und Traditionen bewahrt haben. Die Ungewißheit des Besitzstandes unter der marotkamschen Herrschaft hat Viele hierher geführt. Unter den Israelite» Orans sieht man zuweilen sehr schön gebaute Gestalten mit regelmäßigen Zügen, was mir um so mehr auffiel, da die marokkanischen Juden, von denen sie oft nur eine Generation trennt, durchweg von abschreckender Häßlichkeit sind. Die Jüdinnen Oran's sind, wie die Marokko'«, mitunter von bezaubernder Schönheit, während die Algier'ö meist häßlich sind. Da der Reichthum der hiesigen Israelite« noch größer ist, als der ihrer Neligionsgenossen in Algier, und sie außerdem nicht die beschimpfenden Bemerkungen der hier ganz fehlenden Mauren zu fürchten haben, so artet die Pruntsüchtige Costümmanie der Inden hier rft zu allen möglichen Extravaganzen aus. Ich sah Juden in allen Farben des 22 Regenbogens schillernd, mit den kostbarsten Stoffen behängen, einen Luxus zur Schau tragen, wie man ihn bei nns in Deutschland „orientalisch" zu nennen pflegt, welcher aber im Orient, diesem Vaterland der Abgerisscnheit, Zcrfetzthcit, Zcr-lumvthcit und des Schmutzes, sonst durchaus nicht gang und gebe ist. Freund Schinuhl, wenn auch bei ihm der Grwcrbstrieb vorherrscht, so besitzt cr doch zugleich eine ganz beträchtliche Portion Eitelkeit. Als ein Beweis, wie sehr das Iudeuthmn hier sich zur Geltung zu bringen weiß, diene folgender, in andern Ländern vielleicht beispielloser Vorfall. Vor Kurzem geschah in Oran das Unglaubliche, daß zwei christliche Franzosen, vielleicht um bessere Geschäftsverbindungen mit den oft fehr fanalischen spanisch-marokkanischen Juden anknüpfen zu können, sich mit Jüdinnen vermählten und zugleich zum mosavschcu Cultus übertraten. Im Umgang sind die Israelite» Oran's nicht eben unangenehm; ja, ich fand sie oftzuvorkommend nnd gastfreundlich. Nur schienen sie, wie ich persönlich in Erfahrung brachte, eine seltsame Manie zu haben, nämlich die, in so manch cm .Europäer, mit welchem sie in Berührung traten, einen entweder getauften und folglich abtrünnigen, oder einen echten, aber feinen Ursprung verheimlichenden Juden erkennen zu wollcn. Aehn-licheö crfnhr denn auch ich mehrmals, nachdem ich mit oranischcn Juden bekannt geworden war: Einmal verrieth ich zufällig im Gespräch, daß ich, wie anderer orientalischer Sprachen, so auch des Hebräischen nicht ganz unkundig sei, und von dem Moment an galt die Sache fiir ausgemacht. Alles Ansreden half nichts. 28 Man sagte mir, in Europa gäbe es viele Israelite», welche, wenn sie auf Reisen gingen, dcn Juden gewissermaßen an den Nagel hingen, um den Verspottungen zu entgehen, denen doch Israiil leider noch in so vielen Ländern ausgesetzt sei. So Einer müßte ich auch sein; sonst tonnte ich tein Hebräisch gelernt haben. In Letzterem hatten sie einen Anschein von Necht; denn bei den Franzosen findet man unter Millionen kaum einen Christen, welcher Hebräisch gelernt hat. Auster der Handvoll Kenner des Phönicischen Alterthums, welche es in Frankreich giebt, glaube ich, wird man kaum einen Nicht-Juden finden, welcher Hebräisch zu lesen und zu übersetzen versteht. In Oran sollte mir anch cin unangenehmes Abenteuer be« gegnen. Ich wurde daselbst nämlich — bestohlen. Vestohlen nicht auf jene gewöhnliche, durch die Gesetze geheiligte Weise, wie der Tourist täglich durch seinen Wirth, seinen Fremdenführer und fast Jedermann, mit dem er Geldgeschäfte hat, wohl zehnmal bestohlen wird. Nein! ich wurde auf eine handgreif» lichc, unmastirtc Art bcstohlen. Ich wurde cin Opfer der ursprünglichen ersten Species des Diebstahls, von der alle andern nur Abarten sind. Die Procedur meines Dicbcö war höchst ein« fach. Ich hatte das maurische Bad besucht und — mea, cul^l u»«a maxima ouipn! — vergessen, meine Geldbörse und andern Werthsachen, wie dies üblich, dcm Aufseher des Vades zu übergeben. Als ich aus dem Batezimmer in den Ankleidesaal zurückkehrte, waren meine Taschen leer, vollkommen ausgekehrt. Meine lihr, mein Geld, sogar ein Paar vergoldete Hemdtnöpfchen, . Alles war verschwunden. Ich hatte freilich meinen Verdacht. Derselbe fiel auf tcmen d?r anwesenden Araber, sondern auf 24 ein Individuum mit höchst verschmitztem Gesicht, welches die Uniform der ,,^-anät- nuti«n" trug. Dies Wesen war nämlich nicht mehr da, als ich vom ^adcsaal zurückkehrte, während alle Araber, die vorher sich daselbst befunden hattten, noch in ihre Bademäntel gehiillt dalagen. Nm mir jedoch Sicherheit zu verschaffen, schickte ich schnell einen Diener zum Bureau arabe. Bis diese» zurückkam, ließ ich den Bademeister alle seine Kunden, die zur Zcit meiner Veranl'ung dagewesen waren, zurückhalten. Nach einer Stunde kam ein Polizist im Auftrage des Bureau und untersuchte alle Anwesenden. Nichts fand sich. Der Dieb war, wie ich eö vermuthet hatte, der entwischte französische Soldat. Ich kannte die Nummer seines Regiments uud setzte sein Eigna-lemeut auf. Mit diesem ging ich zum Capitän des Bureau; denn man vermuthete, daß der Soldat sich in's torviwil'« mill-wire, welches znr Cmnpctenz des Bureau gehört, geflüchtet habe. Der Capitän versicherte mich, ich würde mein Geld unfehlbar wiederbekommen. Aber bis jetzt habe lch umsonst einige Jahre darauf gewartet und werde auch wohl mein Lebenlang darauf warten können. Oran6 Lage ist eine sehr unregelmäßige. Die Stadt besteht eigentlich ans mehreren abgesonderten kleinen Städten, welche durch eine ziemlich tiefe Schlucht, die der lli-d-er-Rhi durchstießt, von einander getrennt'wcrden. Die urfpriingliche spanische Stadt, heutzutage wiederaufgebaut, bildet ohne Zweifel einen der schönsten Stadttheilc. Dort befindet sich das Marinegebäude, das Militärhospital und die Haupttirche. eine frühere spanische. Der höher gelegene moderne französische Stadttheil enthält die Kaserne nnd andere öffentliche Gebäude, sowie Vie 23 besten Gasthöfe und Kaffeehäuser. Das Quartier der einheimischen Juden und der wenigen Mauren, welche Oran bewohnen, stößt an letzteren Stadttheil. Eö ist schmutzig und häßlich, aber seine Hauptstraße ist vielleicht die belebteste der Stadt. Ein sehr schöner Spaziergang führt von dem oberen Stadt-thell rings um den östlichen Hügel und gewährt eine reizende Fernsicht auf das Meer. Diese Promenade besitzt eine Allee, welche erst vor wenige» Jahren angelegt wurde, und doch sind ihre Bäume bereits so hoch, dasi sie vortrefflichen Schatten gewähren. Denn tein Baum der gemäßigte» Zone hat vielleicht ein so reißendes Wachsthum, als derjenige, dessen Exemplare diese Allee bilden. Es ist dies; die 1'I,^w!»coa äioio», welche die Spanier ihres dichte» Schattens wegen Bellasombra, d. h. die Schönschatlige, genannt haben. Ihre großen Blätter, denen des Kirschbaums an Form ähnlich, sind von rosenrothen Adern durchzogen. Ihre Blüthen stehen in langen, dichten Trauben beisammen, welche in ungeheurer Zahl zwischen den Blättern vertheilt sind. Dieser schattige Laubgang bildet eine der schönsten Promenaden in der ganzen Algcrie, an welchen sonst überall, selbst in d?r Hauptstadt Algier, so großer Mangel ist. Von hier "U6 beherrscht der Blick jenen Theil des Mittelmecres, welcher, von stolzen Felsen nmtrönt, den weitcn, herrlichen Hafen von Mers-el-Kcbir bildet, dessen Bedeutung schon dte Nömer hochschätzten, indem sie ihn Portus magnus, den großen Hafen, nannten. Im Westen, auf dem linken Ufer des Md-er-Nhi, erblickt man den tausend Fuß hohen Berg Santa Cruz, von dessen Gipfel herab das mittelalterliche Fort gleichen Namens die Stadt beherrscht. Auf demfelben Berge, in halber Höhe, 2« erhebt sich das imposante, ebenfalls altcastilische Fort San Gre-gorio. Eine Neihe anderer Befestigungen, das Castillo nuevo, daö Castillo viejo, die Forts Santo Andrea und Santo Felipe, von denen jedes bedeutend genug wäre, lim einer mWgen Stadt als Citadelle zu dienen, umgeben von allen Seiten die stolze altspanische Festungsstadt. Von diesen Niesenwertcn umringt, auf mehreren Fclsengruppen ziemlich hoch über dem Meere am-phitheatralisch gruppirt, gewährt die Stadt, von der Allee der Phytolaceeu aus gesehen, einen höchst imposanten Anblick. Man sollte nach dieser anscheinenden Großartigkeit kaum glauben, daßOran eine Bevölkerung von nicht mehr, als 21,000 Seelen, in sich schlösse. Von dieser Vcwohuerzahl sind nur 4700 Franzosen, beinahe 8000 Spanier. 1000 von verschiedenen anderen Nationalitäten und elwa 7000 Gingeborne, wovon die Mehrzahl Juden. Die höhere Vegetation in und um Orau ist, wenn mau die genannte Allee abrechnet, durchaus arm; die Hügel und Vcrge sind fast baumlos, mir in den Schluchten, welche die einzelnen Felsenhügel, auf denen die Stadt liegt, trennen, wuchert es von üppigen Sndpflanzc'n, Cactus, Agaven, Granaten, baumhohen Oleandern nnd ülvr alle erhebt sich strahlend hie und da eine der im Tell so seltenen Dattelpalmen. Ueber den antiken Namen von.Oran ist man noch im Zweifel. (5'inige wollten darin die Ilnica Colonia der Nömer erblicken. Andere, wie Pclissicr und d'Aoczac, behaupten, vielleicht mit mehr Necht, daß Oran die Stelle des Quiza Muni-cipium des Itinerars einnehme. Letztere Ansicht wird rnrch Ptolemäos, welcher es Viza Colonia nennt, am wahrscheinlich- 27 ftcn gemacht. Ptolemäotz giebt Viza 1" 20' östlicker als Siga Mündung der Tafua) an. Oran liegt freilich nur 40' östlich von der Mündung der Tafna. Aber die Angaben der Längengrade bei Ptolemäos sind für den Theil von Afrika, welcher heutyitage Algerien ist. sehr zn reduciren. Wen», man auf der Karte nach den Entfernungen derjenigen Städte des Ptolemäos, über deren Lage kein Zweifel mehr herrscht, vie Grade abmißt, so wird man im Durchschnitt das Resultat bekommen, raß für zwei Längengrade des Ptolemäos ein wirklicher geographischer Längengrad zu setzen sei. Dies Resultat habe ich nach Ver-glcichung der Grade des Plolemäos mit den wirklichen Graden durchschnittlich bekommen. Natürlich gill dieß nur für Algerien. In andern Ländern wird man aus dem mittlern Ergebniß der Verglcichuug der Grade des Alexandriners milden wirklichen Gra» ben andere Nesultate erhalten. Ncducirt man aber die Grade des Ptolemäos anf die Hälfte, so liegt Biza an der Stelle von Oran. Berbrugger will jedoch in Oran eine rein arabische Schöpfung erteunen. Wie dem auch sein mag, jedenfalls darf das alte Quiza nicht ferne von hier gesucht werden. Plinius nennt letzteres "(lui^a Xoniwun ^«leFriunrum oppiclum" (eine Stadt der Fremden, Das Quiza des Antonin, das Viza des Ptolcmäoö, ist ohne Zweifel auch das GuiZia der Kirchengeschicl'te. Zwei Bischöfe ^^n Gnidia sind der Vergessenheit enlgangen. Oran siel schon im Jahre 1830 in die Hände der Fran-^fen und blieb von jener Epoche an stets ihr Eigenthum. Die Stadt selbst besitzt keinen sichern Landungsplatz. Ihren Hafen bildet das etwa eiue deutsche Meile davon entfernte Mcrs-el- 28 Kebir. Der Nusflua. dorthin ist ein höchst lohnender. Man fährt beständig zwischen dein Meeresstrand nnd bergehohen, zackigen, znin Theil von Manerpflan^en iiberragten Felscngrup« pen dahin. Das altspanische „Fort de ia Mona" vertheidigt diese Straße. Halbwegs nimmt uns ein Fclsenthor mif, ein natürlicher Tnnnel, der une« auf der andern Seite daö kleine, aber malerisch gelegene Hafenstädtchen Mers-el-Kcbir gewahren läßt. Dieser Hafen Orans birgt gewöhnlich eine verhältnißmäßig nicht nnbcträchtliche Anzahl Schiffe. Denn Oran ist unzweifelhaft die zweite Handelsstadt der Algerie. Schon der englische Archaologc Dr. Thaw hat vor mehr als einem Jahrhundert iu Mers-el-Kebir den Poituö magnus der Nömer erkannt. Der heulige arabische Name bedeutet dasselbe, wie der einstige römische: „der große Hafen." Plinius spricht von einem kleinen römischen Städtchen, welches sich anf der nördlich vom Portus magnus gelegenen Halbinsel befand. Nach Mannert ist der Portnö magnuö mit dem Sinus Latnruö des Mela identisch. Schon im Mittelaltcr erwähnt Ebn Haukal die Sicherheit des Hafens von Merö-el^Kcbir. Seitdem ist dieses Lob im Ganzen als wohlverdient bestätigt worden. Ein einziger Landwind, von Süden kommend, welchen die Spanier Polverista (den Stanbwind) nannten, nnd der wahrscheinlich der hentige Scirocco ist, soll, wenn er besonders stürmisch anftritt, den Schiffen im Hafen von Mers-el-Kcbir gefährlich werden können. 2» Sechstes Capitel. Am Temuscheu, Hadschar Rum. Neise von Own nach Tlemscn. — Die Lebkha, — Aul Temuschen. Tiinici Coloina. — Aussicht von, Col de Tisih. — Hadschar Ninii. — Ab rubraö. ^ Erster Anblick von Tlemscu von bcr Höhc des Dschcbcl Bcnuicliah. — Das Schlachlseld düs Siltat. — Tlclnscu aus der Nähe gesehen. Die Nl)is!.' von Onm nach deill iiu Ä)titt>.'lalt!,'r so blühenden und berühmten Tlcmscn tann zwar milt^lst der Diligence zurückgelegt werden; dcnnoch zo^ ich es vrr, die Tour zu Pferde zu Nlachcn, da die letztere Art allein dem Reisenden gestattet, die von der Strafe abgelegenen interessanten Punkte, welcke auf diesem von den Nöiuern betretenen Wege nicht selten sind, in Augenschein zu nehmen. Schon Edrissü sagt in scinen „geographischen Unterhaltungen" (Uebersetznng nnter dem Titel: ^voFrÄ^lna nudiLui». 1'uri« 1719.), daß von Oran, welches ^, wie e^ noch ljeute auf Arabisch heis;t, Wuharan nennt, zwei starte oder drei kleine Tagereisen nach Tlemsen seien. Ganz so sollte ich cö finden. Abermals vom Bureau arabc mit einem "kitpferd und gepäcklragendeu 3^caul,thier versehen, und von dem unvermeidlichen Spahis begleitet, trat ich anfangs Juni weinen 5litt nach der alten Hauptstadt des Maghreb an. Ginige Bettelaraber sehlte» gleichfalls nicht als obligate Begleitung. Denn bei jedem gemietheten Thier läuft der Eigenthümer desselben hinterdrein, rer sein kostbares Gnt, oft eine entsetzliche 30 Schindmähre, keinen Moment aus den Augen verlieren will. Gin maurischer Kanfinann aus Tlemfen hatte sich uns auch angeschlossen. Dieser, ein ziemlich gebildeter Eingeborncr, ritt ein von ihm in Oran gekauftes Maulthier. Ihn« liefen ebenfalls einige Vettelaraber Hintennach, in welcher Eigenschaft, das war mir jedoch nicht klar. Die kleine Karawane bewegte sich am ersten Morgen in südwestlicher Richtung von Oran durch ein fruchtbares, ebenes, mit zahlreichen europäischen Colonieu besäeteö Land. lim 10 Uhr erreichten wir das 1300 Einwohner zählende Colonistendorf Misferghin, am Nüd Bridia unweit der Sebtha, dem Rio Sa» lado der Spanier, gelegen. Diese Sebkha war ein vier deutsche Meilen langer, salzwasserhaltiger See, dcr sich von Misserghin in östlicher Nichtnng erstreckte. (5r trocknet im So'.nmer zum großen Theile aus, uud schon jetzt, obschon diese Jahreszeit kaum im Beginne war, enthielt er nur mehr sehr wenig Wasser. Au den Ufern dieses Salzsees sah ich ganze Schaarcn von seltsamen Vögeln, welche ich hier ;nm ersten Male in Afrika in solcher Menge beisammen antraf. Es waren Zwergtrappen (Otiu Wtnix). Sie zogen schreiend über das salzige Gefilde dahin. Am Ufer wnchs ein Heer von mattgefärbten Salsola-ceeu. Ueberhaupt war die Vegetation dieser, wie aller andern Salzfeen, die ich später in Algerien sah, dnrch den Gffcct der Salz-ausdnustnng iu ein einförmiges Grauweiß gekleidet. DieSchilf-pflanzcn uud Binsen fehlten hier gänzlich. In einiger Entfernung vom Seeesufer jedoch wuchsen grilnende Vüsäie vonStaticeu, mit schönen farbigen BliMen bedeckt. Die Gegend um den See war eben, mit Ausnahme des weißen, bclllcucktenden Dschebel- 31 Namerah, des Monte Santo der Spanier, eines Salzberges, welcher sich südlich von Misserghin erhob. In dieser Na'hc befand sich zu Edrissis Zeiten eine Stadt, Welche dieser arabische Geograph Siciliens Kasr Ebn Zenan nennt, und die seitdem spurlos von den Ufern des Ealzstroms verschwunden zn scin schcint. Nicht ganz eine Meile von Misserghin begrünte uns das kleine, etwa 5 Einwohner zählende (5olomsteuborf Bu Tleli^, ^n Schatten seiner luftigen Sytomoren aus der stillen Ebene hervorragend. Der letzte Ort an derSebkha, an welchem wir vorbeikamen, war Sidi-el-Aarudi, in dessen Nähc die weite, südlich vom See sich hinstreckende, fruchtbare Ebcne Mleta ihre westliche Grenze hatte. In dieser Ebene und rings nm den See herum wohnten die beiden, den Franzosen am Ersten von allen Arabern verbündeten Stämme, die Duär und die Smehla, welche im Kriege mit Nbd-cl-Kader, wegen ihrerAnhänglichkeit an den verhaßten Numih, viel von ihren Stammesgenossen zu leiden gehabt hatten. Sie wurden oft die Ursache der Erneuerung von Feindseligkeiten zwischen dem Emir und Frankreich, da ersterer behauptete, daß diese Stämme durch die Verträge unter seine Oberhoheit gestellt seien, was weder der Gouverneur von Oran, noch die fraglichen Stämme selbst zugeben wollten. Die Antipathie der Duär und Smehla gegen Abd-el-Kader erklärt sich durch deren theilweise Abstammung von den Türken oder von Kuluglih's (Töhnen türkischer Väter und arabischer Mütter). Meß, was Türke war. oder zu den Türken hielt, wollte vou dem Emir nichts wissen. Die Türken Algiers, die Kuluglih'ö, ja selbst die civilisirteren 32 echten Mauren der Städte verachteten den Sultau der Araber und seineUntcrthancn, und nannten sie rohe, ungeschlachte Landbewohner und Vaibarcn. Oft, wenn ich mitmcnlen maurischen Freunden in Algier über den Emir sprach, sagten diese: „Abd-el-Kader tan Sultan cl hamir, niaschi Sultau ben-Adam." (Abd-el Kader war nur ei» Sultan von Eseln, nicht ein Sultan von Menschen.) Wenn man die Algierer fragt, was ihnen von drei Dingen am liebsten sein würde, nämlich von der Herrschaft der Türlen, der Franzofen oderAbd-el-Kaders, so erhält mcm unfehlbar die Antwort, daß ihnen die Franzosen immer noch viel lieber seien, als der Emir uud seine rohen Horden, dagegen zögen sie die Türken den beiden genannten unendlich vol. Abd-el-Kader hatte in Algier wenig Freunde. In Damaskus nennt man ihu jetzt, da er reich ist uud weil allen reichen beuten im Orient lächerlich geschmeichelt wird, den „Sultan von Algier". Wahrhaft lomisch war es, zu sehen, mit welcher Wuth einige Algierer, die ich beiHadschHamed traf, gegen diesen Titel, als sie davon hörten, protestirten. Bon Sidi el Varudi nach Ain Temuschen betrug die Entfernung 4—5 deutsche Meilen, welches, zusammcu mit derjenigen zwischen ersterem Orte und Oran, 9—-1<) Meilen oder 70 Kilometer ausmachte. Trotz dieser für afrikanische, pseudoarabische Pferde ziemlich großen Tour gelang es uns doch, sie in einem Tage zurückzulegen, da wir ausnahmsweise etwas besser beritten waren. Die zu Fuß laufenden Araber leisteten ebenfalls Außergewöhnliches. Nechts und links vom Wege fahen wir die Gur-bis des Stammes der Beui Naschen aus der von Dornen und Gestrüpp bedeckten Ebene hervorragen. Mi Temuschen, welches wir Abends erreichten, war ein «8 Colonistendorf, von 7 — 800 Europäern bewohnt, um welches sich die einheimischen Stämme der Ulad Dschebara, der Ulad Temuschen und der^Ilad Zatt in größeren oder geringeren Entfernungen gruppirtcn. Es vertritt, wie O.Mac Carthy siegreich bewiesen hat, die Stelle der Timici Colonia der Nömer, welche Plinius mit dem Titel Civitas beehrt, und als von Lateinern bewohnt schildert. Trotz dieser anscheinenden Wichtigkeit von Timici Colonia, so hat man bis jetzt doch nur wenig antike Baureste hier entdeckt. Gesenius hält den Namen Timici fur phönicischen Ursprungs und leitet ihn von Beth Emet (puv-n^) ab. Danach wilrde es ursprünglich «Hans des Thales" geheißen haben. Timici wirv im füuften Jahrhundert als Bischofssitz erwähnt. Die Namen von zweien feiner Bischöfe sind uns überliefert worden. Ich sah östlich vom jetzigen Dorfe einige Ueberbleibse römischer Fundamente, welche ich für die einer Nekropole halten möchte. -Bei weitem der wichtigste Fund jedoch, welcher in A'i'n Temuschen gemacht wurde, war das von Duverney 1840 ausgegrabene Basrelief, das den Tod der Cleopatra darstellt. Die schöne, stolze ägyptische Königin ist eben im Begriff, die tödten-den Schlangen ihrem Busen zu nähern; ein Sklave hält ihr das Haupt, ihres Geliebten, des Marcus Antonius, vor, dessen so ihr angezeigter Tod die königliche Besiegte zum Selbstmord z» bestimmen scheint; die Büste desselben Marcus Antonius steht in einer Nische vor den Augcn der gefallenen Königin. Dieses wohlerhaltene Basrelief, vom Entdecker nach Oran gebracht, befand sich bei metner Anwesenheit in jener Stadt in einem 34 Gange der Citadelle aufgestellt, da Oran leider noch lein Museum besitzt. Ein anderes, ebenfalls in Am Temuschen aufgefundenes Basrelief, eine Bacchus»Scene darstellend, ist leider in Folge der Unwissenheit der französischen Kolonisten verloren gegangen, oder vielleicht durch den strafbaren Muthwillen dieser modernen Vandalen zerstört worden. Am folgenden Morgen brachen wir schon in aller'Frühe von A'i'n Temuschen auf, in der Absicht, welche jedoch unerfüllt bleiben sollte, womöglich noch an demselben Tage Tlemsen zu erreichen. Unser Weg führte uns bergan bis zu einer Höhe von 2000 Fuß, der Spitze des Col de Tizih. Die Aussicht von dieser Höhe, auf welcher man 1855 das Colonisteudörfchen A'in Khial gegründet hat, ist eine reizende, und öffnet dem von Oran kommenden Reisenden den Reichthum neuer überraschender Horizonte. Zu unseren Füßen lag das blühende Thal des Flusses Isser, dessen Lauf wir beinahe bis zu seiner Mündung in die mächtigere Tafna verfolgen tonnten. Im Süden erhob sich der Dschebel Bonmeliah, welcher uns zwar die Aussicht auf Tlemsen noch versperrte, aber die in die rechts und links gelegenen Seitenthäler offen ließ. In der Ferne überragten ihn mit ihren stolzen Felsenhäuptern die mächtigen, südlich von Tlemsen gelegenen Gebirge, der 4000' hohe Dschedcl Attar, der 5000' hohe Dfchebel Nssas und der noch etwas höhere Dschebel Veni Abbal: wild romantische graue Vcrgmassen, welche sphinrartig zwischen der alten Hauptstadt des Maghrebö uud der Sahara hingelagert, denWeg zur Wüste und zum goldbesandeten Sudan zu bewachen schienen. Nun stiegen wir wieder hinab und zwar in vas Thal des 33 U«d Isser, eine fruchtbare Ebene, welche den Namen Medschunah führt. Hier war jetzt gerade die arabische Sichel beschäftigt, die goldnen Sckätze dcr reifen Wcizenähren zu ernten. Hunderte brauner Mädchen durchwandern die strahlenden Gefilde mit dem halbmondförmigen Messer, welches zugleich das Symbol ihrcö poetischen Glaubens, in den erhobenen Rechten. Jetzt seutten sie seine leuchtende Schneide hernieder und sammelten mit graziöser, gemessener Langfamkcit die nahrungsschweren Aehren in ihre weißen Ha'i'ks: Es war eine liebliche orientalische Idylle; wie sie nur diese glückliche Erntezeit zu beuen vermag, denu die andern Arbeiten des Feldes sind weit entfernt, so schöne Biloer zu bitten. Hier trennte ich mick von meinem bisherigen Begleiter, dem maurischen Kaufmann, Sidi el Muhub, welcher beim Abschied mich einlud, ihn bei meiner Ankunft in Tlemsen zu besuchen — eine nicht seltene Gnade für einen Rumih. Nun entfernte ich mich von dcr Straße, um, dem silberhellen Flusse entlang reisend, das drei deutsche Meilen von Tlemsen entfernte Hadschar Num aufzusuchen. Die Ufer des U«d Isfer gewährten ein liebliches Vegetationsbild. Große kraftvolle Busche der orientalischen Alpenrose (liliciäoäLnärun pontiLum) zeigten ihre herrlichen zarten Blüthen. Hter war eine baumartige Aloe Oino lndoicÄ^u») mit ihren mehreren Fuß hohen Schäften aufgeschossen, und schmiickte ihr grünes Kleid mit dichtgedrängten Trauben brennend rolher Blumen. Dort wuchs im Schatten eines Pinienholzeö der Erdbeerbaum (^rbuw» Oneäu), dessen rothe Früchte, ganz wie große Erdbeeren aussehend, aus dem dunklen Laube üppig hervorleuchteten. Uebrigens ist die Frucht 36 des Erdbeerbaumes weit entfernt, einer Erdbeere an Geschmack . gleichzukommen. Ein Heer von lustigen Vögellein, namentlich Steinschwätzer (8lirio«Ia), zogen über die lachenden, quelldurch-rieseltcu Gefilde. Hadschar Nmn ist, wie Mac Carthy, dessen Arbeiten über die Provinz Tlemsen so hochverdient sind, bewiesen hat, der Sitz der altrömischen Colonic Ad rubras. Der antike Name ist unzweifelhaft von der hier vorherrschenden rothen Erde abzuleiten, welche noch heutzutage die Eingebornen bestimmt, eine in der Nähe gelegene Ebene, Saujet el Hamra, das Land der rothen Erde zu benennen. ' Mac Carthy vermuthet, daß das Ad rubras des Itinerary mit dcm Arina des Ptolemäos und dem Arena der Kirchen-geschichte identisch sei. Der katholische Bischof von Arena trat auf dem Concil vom Jahre 411 zu Karthago ohne donatistischen Nebenbuhler auf und rief stolz, als sein Name verlesen wurvc: 1'lao«tn 8uiu, IInitaZ «nt apn<1 m«. (Da bin ich, in mnnem Sprengel herrscht Einheit.) Nur wenige katholische Bischöfe lountcn ans jcnem Concil dasselbe sagen. Eher gab es manche Donatisten, welche in ihre,, Sprengeln ohne katholischen Nebenbuhler waren. Bon Baurcsten der eigentlichen Stadt ad Nubras ist wenig mehr vorhanden. Dagegen tann man noch deutlich die Neste der römische» Castra stativa oder oer Lagerstadt erkennen. Wie der Name ausdrückt, so war diese Lagerstadt der Sitz eines militärischen Körpers, und zwar, nach einigen hier aufgefundenen Inschriften zu schlichen, der zweiten sardischcn Cohorts Im Museum von Tlemsen befindet sich eine der Diana von dcm 37 Präfecten der besagten Cohorts gewidmete Tafel. Ausserdem fand man inHadscharNum Grabinschriften, welche schließen lassen, daß ebenfalls ein einheimisches Corps, die Ala sinitima, inNdNub» ras ihre ständige Garnifon hatte. Die westlichen, südlichennnd östlichen Seiten der ^aßtra^ativawarcn noch deutlich durch!eineNeihe von Vausteinen nachzuweisen, dagegen zeigte sich die nördliche, deren ursprünglicher Umriß von der geraden Linie abzuweichen schien, weniger bestimmt. Ein Heer -von einheimischen Saflpflanzen war auf den Mauerresten dieser römischen Lagerstadt aufgesprossen. Die Niittagsblume (KIe»LinIiuutliriuin) ließ ihre immergrünen Behänge herniedergleiten. Die Cactus, das Haustraut (ßempei-vivun^) und das Fetttraut (ßeäuw) wucherten hier in malerischer Unordnung durcheinander. Auch ein Gesträuche anderer Gattung, das licbliche ^avatvi-a ni-doroa, sah ich am Fuße einer Nömermauer ausragen; mit ihren herrlichen purpurrothen Blüthen verbreitet sie ein Meer blühender Farbeniöne ringsum ihre schlanken Stiele. Der Fluß Isser, an welchem Ad Nubras liegt, ist der römische Isaris. Nachdem wir von Hadschar lilum aus die Hauptstraße wiedergewonnen hatten, brachte uns eine andere Abschweifung von derselben am Pont d'Isser vorbei nach dem arabischen Ma-rabut Bcn AbdeU, in dessen Nähe ich eine noch wohlerhaltene römische Priscine fanv. Es wäre möglich, daß dks; die !ilestc von Astacilicis, welches Ptolemäos nahe bci Anna erwähnt, wären, blicht weit hiervon muß das i5alama Mauritaniae (nicht zu verwechseln mit dem 38 Calama Numidiae) gelegen haben. Vei diesem lsalama beginnt eine der wichtigsten Numerstraßcn, welche von da nach Nusn-curuni führt, und deren erste Station das erwähnte Ad Nubras ist. Ptolemäos führt ebenfallsCalama an, welches er Calama nennt. Später kommt es nicht mehr vor. Durch diese Ausflüge verspätet, waren wir genöthigt, unsere Weiterreise für den folgenden Tag aufzuschieben. Nachdem wir in Pont d'Isscr, und zwar auf europäische Weise übernachtet hatten, setzten wir, der aufgehenden Sonne entgegeneilend, den Nitt nach Tlemsem durch das Aghalik des Ghossels weiter fort. Nun ging unser Pfad von Neuem bergan, bis zur Höhe des 2800 Fuß hohen Dschcbei Vonmeliah, von dessen Gipfel sich uns der Anblick Tlemsen's und seiner herrlichen romantischen Umgegend zum erstenmal darbot. Auf einer Hochebene gelegen, von mächtigen finstern Gebirgsmassen im Süden und Westen nmragt, beherrscht die mittelalterliche, altarabische Festungsstadt die fruchtbaren Ebenen des Sikkat, des Isser und der Tafna, und verdient durch ihre vielbegünstigtc Lage mit Nccht dcu Namen Vab el Gharb (Pforte des Westens), welchen die Araber ihr fchon von Alters her gegeben haben. Diese einstige Hauptstadt eines großen Theiles des Maghreb bot jetzt den Anblick einer Nuinenhaftigteit und eines Verfalls, welcher beredt ihre Geschichte offenbarte. Da lag sie, die stolze verlassene Königin des afrikanischen Westens; ihr diademgewohntes Haupt von Ruinen umgeben; die welken Blätter des abgestorbenen Epheu's krönten ihre von Nissen durchfurchten Thürme und ihr einst so stolzer Mauertrcis zeigte tausend klaffende Wun- 39 den. In ihrem Herzen sah es wüst und öde aus, Ruinen lagen da, und neben ihnen hob sich wie ein satanisches Hohngelächter auf diese einstigeStadt berühmter islamitischer Herrscher die plumpe Kaserne des gallischen Unterdrückers. Einer gesunkenen Königin glich Tlcmseu. Zwar noch schien sie zu thronen, aber die Säulen ihres Thrones waren halbzerschmcttcrt; noch schien sie zu leben, aber die Quellen ihres Lebens waren versiegt. Vom Dschebcl Vonmeliah hinabgestiegen, nahm, uns ras mit dem Issergebiete an Fruchtbarkeit wetteifernde, blühende Thal deo Sittat auf, an dessen Ufer das I^l) Einwohner zählende Colonistendörfchcn N,1gricr gelegen war. Am Eittat, in Entfernung einer Meile von Nögrier, befindet sich das Schlachtfeld ciues der bedeutendsten Siege der Franzosen über Abd-el-Kadcr, der hier von Marschall Bugcnaud auf's Haupt geschlagen wurde, gerade ein Jahr nachdem er den Franzosen bei La Matta ein glelches Loos bereitet hatte. An den beiden Colonisten-dörfern Safsaf sup6rieur und Vrea, deren Einwohnerzahl eine höchst unbedeutende war, vorbeireitend, erreichten wir gegen Mittag des dritten Tages nach unserer Abreise von Oran, Tlemscn, die einstige Hauptstart des Königreichs gleichen Namens. Denn von hier aus schwang die Beni Zian ihr stolzes Scepter über die Gaue Afrikas von Algier bis zur Grenze Marokko's und tief hinein in die palmentrag?nde oafen-reiche Sahara. Wie Jerusalem, Konstantine »nd Athen und so viele andere gefallene Herrscherstädte, liegt auch Tlemsen einsam in felsiger Gegend,— ein neues Beispiel davon, wie sehr die topographischen Bedingungen einer Hauptstadt d?r Vorzeit oder selbst des Mittclalters von denen, wclcheheutc gang und gebe sind,abweichen. 4ft Trotz seines Verfalls, so war doch Tlemsens Anblick nicht ohne Großartigkeit: die alten Mcscnmauern, welche der Städtebauer Afrika's, Al-Mansur, in seiner Nähe bei Mansuriah erstehen ließ; die dunkle Masse des Meschuhar, Tlemsen's stolzer, eiscnfester Citadelle, welche gleich einer Cyclovenburg alle niederen Gebäude zu erdrücken schien; der schlanke Minaret von Agadir; die weißen Kuppeln der Moscheen; hie und da ein maurischer Palast, welcher der Zerstörung dcr Zeit entgangen war: bildeten noch ein Ganzes vou echt orientalischen Gusse, dessen Harmonie freilich die neuen französischen Kasernen, als häßliche Mißtöne, störten. Siedeutes Capitel. Tlemsen. Alterthum Tlcm sen's. — Pomaria ober Mniara. — Tlsinsen's Glanz-epochc unter dem Veui-Ziau. — Arudsch bemächtigt sich dcr Stadt. — Lage Tlemsen's. — Die drei Stadttheile. — Agadir. — Masmiah. — Sidi-cl-Mulmb ladet zu einem maurischen Feste ein. — Arabische Bcschneidung. — Der Marabut von Sidi Vu Maddiu, — Inneres. — Verfall dcs Dorfes. Tlemsen'ö moderne Bedeutung ist verhältnißmäßig äußerst gering, wenn dieselbe mit dem Glänze und der Blüthe dieser einstigen Stadt der Sultane, dieser Ehrcntroue des Maghreb im Mittelalter verglichen wird. Bis zum Anfang der türkischen Herrfchaft genoß Tlemfen den Rang der Hauptstadt eines mächtigen Königreichs, und keine Stadt der jetzigen Nlgerie 41 konnte mit ihr wetteifern, Ja! In, ganzen Nordwesten von Afrika waren vielleicht nur Tunis, Fes und Marokko, welche sich mit ihr messen durften. Freilich hatte sich diese Grö^e der Pforte des Westens erst unter der arabischen Herrschast entwickelt, und man würde Unrecht thun, wollte man ihr schon im Alterthum eine königliche Bedeutung beilegen, wie z. B. d'Anville gethan hat, welcher, darauf gestützt, das; ^lcmscn von den Mau« ren die königliche Stadt genannt wurde, in ihm die römische Station Ad Regias wieder erkenne» wollte. Shaw sieht in demselben das Lanigera des Itiuerars oder das Lagnara des Ptolemäuü. Mannert hält Tlemsen für das Uasbaria des griechischen Geographen, und Plissier erblickt in ihm Timicl Cclonia, welches jedoch, wie wir obe» gesehen haben, mit Wahrscheinlichkeit im heutigeu Ain Tcmuschen gesucht werden kann. O. Mac Carthy, welcher Archäologe seine Studien ganz besonders der Provinz Tlemscn gewidmet hat, ist der Ansicht, daß Tlemsen das Mniara deö Ptolemäus sei. In der That kommen einige hier und in Lella Marguia aufgefundene Inschriften dieser Ansicht zu Hülfe, wenn anders der Name „Pomaria", welchen besagte Inschriften führen, mit dem „Mniara" des alexandrinischen Geographen identisch ist. Eine dem numidischen Gotte Aulisva von dem Präfecten der „^ki oxpioiatorum I^omklion«iuiu (Folälaua" gewidmete Votlvtafel und eine Grabinschrift des Kindes eines Hanptmanns der besagten Ala, von welchen die eine im Museum vou Tlemsen befindlich, die andere im Minaret von Agadir eingemauert ist, scheinen den Namen Pomaria als den der hier gelegenen Stadt zu bezeichnen; und der römische Meilenzciger aus der Zeit Heliogabal's, welcher m Lella Margnta sdem antiken Syr) entdeckt wurde, gicbt die Entfernung zwischen beiden Städten so an, daß sie die Lage von Pomaria an der Stelle des heutigen Tlemsen bestätigt. Der Abbse Vargös sucht die Ansicht Pelissiers mit der Mac Carthy's zu versöhnen, indem er annimmt, daß die drei Benennungen, Timici Colonia, Mniara und Pomaria nur verschiedene Namen für eine und dieselbe Stadt seien. Nach ihm war Pomaria, oder die ptolemäische Verstümmelung Mniara nur ein Beiname, welchen die Römer dieser in fruchtbarer, obstreicher Gegend gelegenen Kolonie gegeben hätten, etwa in der Art, wie manche italimische Städte noch heute Eigenschaften bezeichnende Vcinamcn, wie Hlilano 1u ssrunäo, liamn I'otvrnn, Venecia la ^>«Nu n. s. w. führen. Was wird aber au<< dieser Hypothese, wenn man im Ptolemäus beide Namen Timici und Mniara als die verschiedener Städte liest? Freilich bliebe noch die Ausflucht übrig, anzunehmen, daß der Alexandriner sich geirrt habe, was ihm allerdings oft genug begegnet ist. Wie dem auch sein mag, jedenfalls war Tlemsen der Sitz einer römischen Niederlassung, deren Bedeutung jedoch nur eine verhältnißmähig geringe gewesen zu sein scheint. Die ,,^1» Oo^liiivnli LxrilorHtnruln ^omaVienuinni^ war zweifelsohne ein einheimisches Corps. Bis jetzt hat man Nl.'ck teiue Spuren, welche auf eine lateinische Garnison schließen ließen, aufgefunden. Dieser Umstand allein stellt Mniara, wenigstens als Militärstadt, im Nange tiefer, als Ad Nubras, wo Truppen bei« der Gattungen, die einheimische ^la Nuitima und die italienische Outiorg karäioa, vorhanden waren. Nun stand aber Ad Rub-ras offenbar selbst an Bedeutung gegen die ältere Hauvstadt 43 des massäfylischen Königreichs, der spätern MauritauiaCäsariensis, Siga, gegen die später..'Königsstadt Julia Cäsara, und gegen die Legionsstadt Lartcnnae zurück; und so erhalten wir für die römische Vorgängerin Tlemfens die Bedeutung einer Stadt von nur drittem Range. In der Kirchengeschichte kommt ein Visthum Pamaria vor, welches ohne Zweifel mit dem Pomana der Inschriften und dem Mniara des Ptolemäos identisch ist. Longinns, Bischof von Pamaria, wird als der 43. auf der Liste der Bischöfe, die dem Concil von Karthago im Jahr 464 beiwohnten, aufgeführt. Erst im Mittelalter erlangte Tlcmsen, welches zu Anfang desselben Dschidda hieß, die Größe und Wichtigkeit einer Stadt, welche den Namen die „königliche" verdienen sollte. Im neunten Jahrhundert erhoben es die Edrissiden von Fäs zu einer ihrer Hauptstädte. Iussuf ben Taschfin, der erste der Almoraridcn, gab, wie die Araber behaupten, der Stadt ihren heutigen Namen, indem er sie zum Ziclc cincs seiner Kriegszüge machte, und ihr so das Wort Tlemsen, welches nach Walsir Gsterhazy in der Schellahsprache (dem berberischen Dialect der marokkanischen Kabylcn^ „Ziel" bedeutet, als Benennung beilegte. Die berberische Familie der Zeneten war von Alters her ün Besitz der Herrschaft gewesen und wurde auch von den marokkanischen Kaisern, so lange diese die Oberhoheit ausübten, in demselben belassen. Im Jahr 1240 erklärte sich Iagh Morhassen, vom Stamme dcr Zcneten, unabhängig und gründete die Dynastie 44 der Beni-Zian, welche von nun an durch drei Jahrhunderte von Tlemsen aus einen großen Theil des Maghreb's beherrschte. Ihr Ncich begriff beinahe die ganze heutige Algerie nnd einen kleinen Theil von Marokko. Zu ihrer Zeit zählte Tlemsen, wie uns El Betn berichtet, 10,000 bewohnte Häuser, welches auf die, für eine afrikanische Stadt sehr bedeutende Bevölkerung von nahezu 100,000 Seelen schließen läßt. Das damalige Tlemsen bedeckte einen viermal größern Flächenraum als das heutige. Die Pracht, der Luxus und der Reichthum der Königsstadt der Beni Ziau wurde bald im ganzen Maghreb sprichwörtlich. Diese Fürsten hatten nicht nur sich selbst die herrlichsten alhambraartigen Paläste gebant, sie wollten auch, daß die öffentlichen Gebäude an Pracht ihren eigenen Wohnungen gleichkämen. Die Sauja (Universität) übertraf an Bedeutung, an Pracht dcr Ausschmückung, und an Gelehrsamkeit ihrer Lehrer alle ähnliche Anstalten des Maghreb. Wie alle bedeutenden Königsfamilien, so hatten auch die Beni-Zian ihre eigenen Historiker. Einer von diesen, dessen Werte uns erhalten wurden, bildet jetzt eine der Hauptquellen afrikanischer Geschichte. Es ist dieß Mrhamed-el-Tenessi, welcher uns iu seiuer „Auseinandersetzung des Adels dcr Beni-Zian" die Geschichte dieses Geschlechts hinterlassen hat. Die Beschreibung der Feste, welche diese, Gastfrenudschaft und Lurus liebenden Könige ihren Unterthanen zu geben pflegten, verleiht eine Idee von der einstigen, leider längst verschollenen Pracht der Bcni-Zian. „Der König Abu Musah 1l,". so erzählt unter Anderem Mohamed ben Tenessi, „pflegte namentlich das Gebnrtsfest des Propheten mit dem höchsten Glanz zu feiern. Am Adcuv dieses 45 Tages gab er jedes Jahr ein Gastmahl, zu welchem Vornehme wie Geringe, Reiche, wie Arme nach muselmännischer Sitte ungeladen in Menge sich emfinden durften. In einem luftigen geräumigen Saale waren über tausend Ruhekissen angebracht, auf denen die Oäste Platz nahmen. Kerzen, so dick wie Säulen schufen die Nacht zum Tage. Pagen, in bunte Seide gekleidet, gingen nnt goldenen Weihranchfässern und Fläschchen voll Rosenöl im Saale auf uud nieder, und besprengten die Gäste des Sultans mit wohlriechenden Essenzen. Als die Ossensstunde genaht war, brachten die Sklaven kleine, mit Gold und Perlmutter zierlich eingelegte Tischchen herein, welche an Form dem Vollmond , an Prackl einem Blumenbeete glichen. Auf diesen Tischen befanden sich die kostlichsten aller Gerichte, die schönsten aller Blumen, die duftendsten aller Essenzen nnd, damit keiner der Sinne unbefriedigt blieb, so tönte zu gleicher Zeit holder Gesang von den Marmorarcadcn der Gallericn herab. Das kunstvolle Uhrwerk, welckes im Hauptfaalc.des Palastes aufgestellt war, diente vor Allem znr Unterhaltung der Gäste. Auf ihm waren Adler, Schlangen nnd Löwen nachgebildet, welche sich jede Viertelstunde einen Kampf lieferten. Nach Beendigung der Schlacht dieser ssignren öffnete sich eine goldene Thür und enie junge Sklavin von wundervoller Schönheit erschien, welche in der Hand eine Tafel hielt, auf der ein Gedicht zu lesen war, dessen Inhalt die jemalige Stundenzahl zum Gegenstand hatte. Der Sultau selbst, umgcbeu von allen Großeu des Reiches, wohnte dem Feste bis zum anbrechenden Morgen bei." Man sieht hieraus, daß der Lnrus und die Pracht der Maureu zur Zeit ihreö Glanzes sich nicht eifersüchtig von der Öffentlichkeit 4» .abschloß, und sich nicht auf das Innere der Harems allein beschränkte, wie zur Zeit des Verfalles. Die Politik der Beni-Zian war in Bezug anf Europäer eine bei weitem licberalere, als die der späteren Herrscher. Da« mals gingen die venetianischcu und genuesischen Kaufleute in Tlemsen frn cin und aus, so gut wie in einer Stadt Italiens. Ja! Sie veranstalteten Karawanen nach den Oasen der Sahara, von deren nördlicher Grenze Tlemsen nur sieben deutsche Meilen entfernt lic^t. Es gab sogar eine christliche Kirche und zwei ausschließlich für Christen bestimmte Karawanserais m der Stadt. Ueberall im Maghreb fand dasselbe statt. Bis zum Anfang des sechzehnten Jahrhunderts waren diese Länder den Europäern rsfcn und der Handel ein höchst blühender. Beim Beginne der Herrschaft der Türken sing jedoch der religiöse wie politische Fanatismus an, Afrika mit einer chinesischen Maner zn umziehen, welche, obgleich unreine moralische,dennoch eine hermetisch abschließende war. Darum war auch Algerien bis zum Anfang der Franzosenherrschaft für uns Europäer cin versiegeltes Buch geblieben und Marokko ist es jetzt noch. Wie alleö Schöne auf der Erde, so sank auch die Herrschcr-blume der Äeui-Zian frühe dahin. Arudsch, der Gründer der türtischen Herrschaft Algier's, bemächtigte sich im Jahre 1518 Tlemsen'ö durch Verrath. Nie in Algier von dem letzten maurischen König dieser Stadt, so war er auch in Tlemsen von einem einheimischen Fürsten, Bu Zian, zur Hülfe, und zwar gegen dessen eigenen Oheim gerufen worden. Arudsch kam, setzte den Oheim ab, und machte den bedrängten Bu Zian zum alleinigen Herrscher. Aber, wie in Algier, so wurde er anch 47 hier bald seiner Protectorsrolle müde. Er Keß den König und dessen sieben Söhne mit ihren eigenen Turbans erdrosseln. Dann befahl er, man solle Alle, die zum Königögeschlecht der Veni Zian gehörten, zu ihm führen. Dieß geschah. (5in Einziger nur entkam nach Oran, wo er die Hülfe Spaniens anfleht? und auch erhielt. Ehe aber die Castilianer kamen, hatte Arudsch Zeit, die Beni Zian, welche in seiner Gewalt warm. hinwegzuräumen. Er that dieß auf die gransamste Weise. Marmol berichtet, er habe sie in einem Sumpfe ertränken lassen, dem grausamen Schauspiel selbst'beigewohnt, und sich au den Todeözuckungen der Sterbenden geweidet. Aber bald wurde der grausame Corsar von den Spaniern angegriffen, geschlagen und auf der Flucht getödtet. Von nun an erscheinen die Beni-Zian noch eine Zeit lang als Vasallen, bald von Spanien, bald von Algier, bis im Jahr 1553 Salah Neis, der damalige Pascha von Algier, ohne Weiteres den letzten König von Tlemsen durch die türkische Garnison, welche dieser von ihm zu seinem Schuhe erbeten hatte, vertreiben ließ. Nach Oran zu den Spaniern geflüchtet, starb Mulei-Hassan, der letzte König vom Stamme der Bcni-Zian, daselbst. Sein Sohn ließ sich taufen und führte unter dem Namen Don Carlos ein obscures Leben in Spanien. Trauriges Schicksal der Sprößlinge eines hohen Geschlechts, welche die Glanzepoche ihrer Familie überleben mußten! Ausstcrben ist das mildeste Loos für den gefallenen Adel. Von nun an machte der Verfall Tlemsens reißende Fortschritte. Die Pascha's von Algier gestatteten nicht mehr den Christen die Stadt zu besuchen, und so hörte der Handel mit 48 etnem Schlage auf. Die Türken blieben im ungestörten Vesitz von Tlemsen, bis im Jahre 1842 die Stadt definitiv den französischen Besitzungen einverleibt wurde. Tlemsen liegt auf einer Hochebene von 2175' Höhe über der Meereöstäche am Fuße des Lella Setri, eines felsigen Ausläufers des mächtigen Dscheb'el Term. Etwa 3000 Europäer und 15,000 Eingeborne bilden heute die Einwohnerzahl der einstigen Königsstadt. Die Form der alten Stadt, welche man noch leicht traciren kann, war ein beinahe regelmäßiges Viereck, von einer alt-arabischen Mauer umgeben. Doch flillt das heutige Tlemfen nicht zum vierten Theile den innerhalb dieser Mauern gelegenen Naum aus. Eine neue, 1845 gebaute Ringmauer umgiebt die moderne^ in ihren Dimensionen so sehr zusammengeschrumpfte Stadt. Das heutige Tlemscn ist anf einem Haufen von Ruinen auferbant, welche theils tiirtischen, theils maurischen, theils römischen Ursprungs sind. Ucberall, wo man den Schutt der Jahrhunderte wegräumt und dic dicken Schichten von Vauresten alterZeiten durchgräbt, stößt man anf Wasser, welches unter den Fundamenten der Häufer von ganz Tlcmsen stagmrt und dessen Einfluß den Ort feucht und ungesund macht. Außerdem wird die Stadt von zahlreichen Wasserleitungen durchzogen. Die größte derselben fiihrt, wie die Franzosen neuerdings zu ihrem nicht geringen Schrecken entdeckt haben, unter einem arabischen Vegräbnißplatz hindurch und verspricht somit ein Wasser, welches Wenige den Muth habeu zu trinken. Tlemsen besteht aus drei abgesonderten Quartieren: Das erste ist der südlich gelegene Stadttheil der Kuluglih's. der Ab- 4» tömmlinge der Türken, deren Zahl hier noch etwa 3500 beträgt. In diesem Quartiere befindet sich der Meschuhar, die alte Citadelle, ein 800' langes und 520' breites rechtwinkliges Viereck init 40" hohen zinnenbedeckten Mauern, mit zwei Hauptthoren unv mit Schießscharten versehen. Zwei runde Thürme zur Seite der Hauptfa^ade, welche gegen die Stadt zu gerichtet ist, tragen zum imposanten Anblick des Ganzen bei. Dieses Schloß des Mcschiihar, welches heutzutage französische Kasernen und Mili-tärbureaus cuthält, war der einstige Prachtpalast dcrVemZian. Von seiner ehemaligen Glanzzeit sind jetzt freilich keine architektonischen Schönheiten mehr vorhanden. Der Meschuhar ist übrigens, ähnlich der Alhambra bei Granada und der Kaßbay von Algier, eine kleine Stadt für sich und enthält außer einer schönen Moschee auch sechzig Häuser. Das Quartier der Ku-luglihs ist das am höchsten gelegene und das gesündeste der Stadt. Das zwcite Stadtviertel, das des Centrums, wird von Europäern und Juden bewohnt. Hier befinden sich jetzt die meisten französischen Bauten, die Hütels, Kaffeehäuser, die Manie, der Gerichtshof, kurz alle Gebäude, welche moderne Civilisation nothwendig erscheinen ließ. Der ungesundeste Theil dieses ohnehin ungesunden Quartiers ist die eigentliche Iuden-ftadt, in welcher die Leute dieses Glaubens, deren Tlemsen über 2000 zählt, noch fast ausschließlich hausen. Der dritte Stadttheil ist das von Mauren und Arabern bewohnte Quartier der Hadar, nach einem marokkanischen Stamme dieses Namens so benannt. Diese Hadar wandern, um Arbeit zu suchen, in Schaaren aus Marokkko aus und fftielen so in Tlemscn ungefähr dieselbe Rolle, wie die Biskrihs in Nlgicr, d. 1). sie versehen alle gröberen Handarbeiten. Ihre Zahl belauft sich hier auf nahezu viertausend. Fast alle alten Häuser Tlemsens sind einstöckig; viele haben Verandahs, welche die Straße überdachen und ihr so im Sommer eine angenehme Kiihle verleihen. Die Hauvtmoschee, Dschema el Kebir, ist ein Gebäude aus einer Epoche, in welcher der Geschmack der niaurischcu Kunst zwar schon dem Verfall sich näherte, immerhin aber noch Spuren der alten Vlüthe zeigte. Im Innern bildet sie einen imposanten Wall von Marmorsäulen, welche, durch luftige Bogen mit Huscisenarcaden verbunden, harmonisch sich an<.'manccrrcihen. Das Quartier von Agadir, sonst ein Theil von Tlemsen, liegt jetzt außerhalb seiner Thore. Hier sah ich einen schönen uralten Minaret, in dessen Wand sich die schon besprochene antike Inschrift, welche dem numitischen Gotte Auliöva gewidmet ist, eingemauert befindet. Etwas über eine Viertelmeile westlich von den Stadtthoren ragen die Neste d?r mittelalterlichen Stadt Mansuricch empor. Die Ringmauern derselben, von 24^ Höhe, mit zahlreichen Zin-nmthiirmcn von 90^ Höhe versehen, bilden ein rechtwinkliges Viereck von 2700' 5.'äuge und 2100 Fuß Breite. Trotz dieser kolossalen Mauern war jedoch Mansuriah niemals eine eigentliche Stadt, sondern nur die befestigte Lagcrstadt des berühmten Sultans von Fäö, Iussuf cl-Mansur, welcher vom Jahre 1302 an, mehrere Jahre hindurch Tlcmsen belagerte und sich, wie einst die Griechen vor Troja, wie die Spanier 1492 vor Oranada, hier ein stadtähnliches Fcstungslager erbaute. El.Mansur war, 51 wie die Tradition berichtet, durck einen Sklaven der Bcni Zian, welcher von diesen Herrschern eines Vergehens wegen gezüchtigt worden und ihnen dann entflohen war, zur Belagerung Tlemsens angespornt worden. Dieser Stlaoe schilderte dem großen Sultan die Reichthümer und die Pracht der Herrscher von Tlemscn mit so üppigen Farben, daß Iussnf, eifersüchtig gemacht, beschloß, die Stüdt seiner Herrschaft zu nntcrw^rfen. Trotz seiner Macht gelang ihm dieses jedoch nicht und nach mehrjähriger fruchtloser Belagerung mußte er der Pforte des Maghrebs unverrichteter Sache den Rücken zuwenden. In Mansnriah sah ich eine seltsame Ruine: Gin Minaret von schlanken architektonischen Formen, dessen eine Hälfte in ihrer ganzen Höhe bis zum Gipfel erhalten ist, während dic andere in Trümmern den Boden bedeckt. Eine Idee von dieser, in ihrer Art vielleicht einzig dastehenden Nuine würde man dann bekommen, wollte man cinen Glockenthurm der Länge nach zertheilen nnd die eine Hälfte niederreißen. Die luftige Wendeltreppe, anf welcher der Mueddin hinanzusteigen pflegte, nm den Gläubigen die heiligen Stunden zu verkündigen, ist nuu den Blicken des profanen Wanderers preisgegeben. Wind und Wetter treiben ihr nntthwilligeö Spiel mit diesem einstigen Heilig-rhum, dessen gefallene Größe als ein trenes Bild des gefallenen Islams erscheint. In dem Gasthof zu Tlemsen, in welchem ich abgestiegen war, wurde ich durch einen Besuch meines gewesenen Reisegefährten, der mich von Oran bis Pont d'Isser begleitet hatte, überrascht. Gö war dieß der maurische Kaufmann Sidi el- Muhub. ' Sein Besuch erfreute mich um so mehr, da dieß eine 4* 52 Auszeichnung vor vielen K nropäern war. Denn die Eingebor-ncu Tlemsens, nanientlich die besseren, fliehen sonst den Contact der Europäer durchaus. Ick mochte diesem gutmüthigen Alten durch einige günstige Aeußerungen, welche ich über die Religion des Islams gethan hatte, gefallen haben. Er kam deßbalb, mich zu emem maurischen Familienfeste einzuladen. Es war dieß die Bcschneivung eines seiner Enkel. Am anberaumten Abeno holte mich el-Muhub m meinem H5tel ab. Wir gingen nach dem Quartier des Meschuhar, wo sich das Haus des Schwiegersohnes meines Bekannten, eines Kuluglih, befand. Vor demselben war eine schöne Verandah, um welche sich eine herrliche Pflanze, die hohe, luftige LuuFkin-viUoa 8p«etHbi1iu, hinaufgewunden hatte. Wer ihre schönen dnntelviolctten Deckblätter, aus denen die gelben röhrenförmigen Blüthen hervorragen, kennt und weiß, in welcher ungcmessrnen Zahl diese lieblichen Knospen sich zu ergießen pflege», der kann sich eine« Theil des Genusses vergegenwärtigen, welchen mir dieser herrliche Anblick gcwährle. Durch die Verandah traten wir in das Innere, wo ein scköncr maurischer Hof fiir das Fest hergerichtet war; deuu fast alle Feste der Mauren finden in dem offenen Us-ud-Dar (dem römischen Atrium) statt. Dort saßen auf Strohmatten auf dem Fußboden in einem Viereck herum die meisten der geladenen Gäste. Die Musik, aus einer maurischen Guitarre (Quitzra), aus einem Nhebab (einer Art Altviule) und verschiedene» Tamtams (Tamburinen) bestehend, bcfano sich ebenfalls im Hofe. Außerdem hatle daselbst eine Persönlichkeit ihre» Sitz aufgeschlagen, welche, wie ich bald merkte, eine Art von Wuitrs du plaiuir vorstellte. Die vornehmsten Gäste saßen 53 jedoch nicht in dem Hofe selbst, sondern in kleinen nisckenartigen Zimmerchcn, welche an diesen grenzten. Ich zog es jedoch, trotz der Aufforderung el-Mububs, mich in die Zimmer zuriickzuziehen. vor, im Hofe zu bleiben. Hur wurde ich zuerst Zeuge des Tanzes einer dicken jungen Negerin. Diese schwarze Sckönheit bewegte sich, tactmäßig sich auf den Hüften wiegend, ganz so, wie die Morestm von Algier bei ihrer Nbitsa. Aber, da der Gegenstand weniger reizend war, so tam mir auch der Tanz mit seinen erotischen Verzückungen viel unpoetischer vor. Der schwarzen Terpsichore folgte der Tanz von zwei Jünglingen. Diese Bnrfchchen hatten ein seltenes Geschick, Gesten und Bewegungen der Frauen nachzuahmen. Ihr Tanzcu war genau dasselbe, wk das der Moresken. Ja, wenn man sie am Ende ihrer Verzückungen hin« schmachten sah, war die Illusion beinahe vrlltcmmcn. Nach den Tänze» folgte das Singen. Das heißt: ein beinahe siebzigjähriger Greis hielt mit näselnder Stimme einen Vortrag, der Gesang vorstellen sollte; aber, wie schon oben gesagt, es gehört eine lange Gewöhnung des Obres dazu, wenn mau bei maurischer Musik eiuen Genus? herausbringen will. Nach diesen Velustiguugcu folgte etwas Wichtigeres. Gs war dieß das Darbringen der Geschenke, welche die Geladenen dem jungen, zu beschneidenden Muselmann widmeten. Der maNi-L tl« pl»1»ir empfing diese Gaben, welche alle in Geld und meist aus einigen Thalern bestanden. Nach jeder Svende rief er laut den Namen des Gebers und die Summe des Gespendeten in folgender Weise: „5s. N. hat soviel gegeben. Gott segne ihn-dafür." Diefe Worte wurden jedes Mal von dem Chorus der auf der Altane versammelten Frauen mit dem bei 54 den Maurinuen üblichen Iujnh, jenen lauten gellenden Kopftonen, die einem tausendfachen Vogelgezwitscher gleichen, beantwortet. Nachdem die Veschentnngen und das Iujuh ewige Zeit gedauert hatten, kam die Neihe an die Ceremonie felbst. Das zehnjährige elende Iüngelchen, an dem sie vollzogen wurde, zitterte und schrie entsetzlich. Der Barbier, der sie vornahm, bediente sich dazu eines Rasirmessers. Diese Scene war ekelhaft und grauenvoll. Der arme Kleine schrie unv heulte besonders fürchterlich, als man ihm das Vlnt mit in die Wunde gegossenem Aral stillte. Um Mitlernacht war das Fest beendet. Ein reizender Ausflug von Tlemsen ist der nach dem kleinen Dörfchen Sidi BuMcddin, wo sich in einer höchst geschmackvoll gebauten und sehr schön erhaltenen Moschee das Grab eines lnusclmännischm Heiligen befindet. Durch ein altmaurisches alhambraartigcs Portal trat ich in das Innere dieses Hcilig-thums, geführt von dem ehrwürdigen Hüter desselben, ein. Dort befand sich das mit grüner Seide ausgeschlagcne Nuhelager des Marabuts. Betende Greise lagen auf dem Angesicht um die ^ Stätte des ewigcn Friedens, wahrend eine dumpfe Stimme die Stille unterbrach und vas ^!ob der Gottheit und ihres heiligen Propheten verkündete. Ergriffen von dicser würdevollen Scene, weilte ich ein»: Zcitlang, tief durchdrungen von der majestätischen Gewalt eines Cultus, dcsscn Mittel fo einfach und vielleicht grade, weil sie so einfach, so erhebend sind. Dann trat ich hin« aus aus dieser Stätte der illuhe, der Ordnung und des Friedens, und was sah ich draußen? — Einen Haufen elender Trümmer menschlicher Wohnungen: Häuser im Verfall, Hütten oer Zerstörung der Zeit anheimgegeben. Die Rninenhaufeu eines Dorfes 53 umragten die Schwelle des Hciligthums. In dieser Atmosphäre des Verfalls hatte sich nichts erhalten können, als das Grab des Heiligen. Um seine Kubba herum hatte sich im Mittelalter ein Dorf gebildet; der Heilige sah es entstehen, blühen, verfallen, und sieht es jetzt als einen Trümmerhaufen vor sich liegen. Sein Heiligthum allein hat den Perfall überlebt. So überdauert der geistige Friede einer hohen Seele den Streit, die Lüstt und das Elend der sinnlichen Menschen. Achtes Capitel. Maftkarah. Ein octroyirter Reisegefährte — Nachtlager bei bcu Ulad Minniha. — Ein improvisitter Aufbruch. — Sldi Vcl Abbes. — Iagdaben-teucr mciueö Reisegefährten. — Geburtsort Abd-cl-^adcrS. — M Maral). — Die Hauptmoschce, — Victoriae colouia. — Ein junger Orientalist. — Aussprache des Arabischen. — Das Barrage dcs liüd Sig bei St. Dcnis. — Rücktchr nach Dran. — Ein llriablmcf. Der Weg von Tlemsen nach Maskarah liegt, noch mehr als Tlemsen selbst, von der großen Straße der gewöhnlichen Touristen ab. Die meisten dieser blasirtcn Wesen lvsnch?» nur einige der großen Städte dieses Landes und ng.'no eine obligate Oase der Sahara. Dann sind sie mit Algerien fertig. Von den Eingeborenen sehen sie so gut wie gar nichts. Das kümmert sie nicht. Arabisch können sie anch nicht. Das tiimmcrt sie noch weniger. Dafür gehen sie mit Franzosen um und bekommen 3« von ihnen die falschesten und verschrobensten Ideen über Land und bellte. Ein solches Individuum, ei» Tourist im schlechten Sinne des Wortes, hatte sich zu meinrni Unglück nach Tlemsen verirrt. Da er ein Deutscher war (Gott bewahre mich vor manchen meiner Lanvslente im Auslande!), so wußte der Cavitän des Bureau arabe nichts Besseres ^n thun, als ihn mir als Reisegefährten zu octroyircn, und so kam es, daß wir drei Mann hoch, der Spahis, ich und befagtes Individuum, Tlemsen verließen. Den Dschebel Vonmeliah zur Linken lassend, erreichten wir nach einem dreistündigen Mte den kleinen Fluß U«d-el-Hal, an dessen Ufer uns eine kurze Nast gegönnt war. Die Getreideernte, welche eben (Mitte Juni) in vollem Gange war, brachte etwae Leben in diese sonst monotone Hochebene: überall sah man arabische Frauen mit unverschleiertem Gesicht, von denen leider hier die Mehrzahl verschrumpft und frnhgealtert erschien, mit der kleinen krummen Sichel beschäftigt, die goldenen Garben cmzu-leseu. Die Männer legten wohl hie und da auch Hand an's Werk. Meistens aber sahen diese Herren der Schöpfung, in stoischer Apathie in ihre zerfetzten Vernusse drapirt, oer Arbeit ihrer geborenen Sklavinnen mit stolzer Verachtung zu: oenn Arbeiten ist bei dieser Nace von kriegerischen Instinkten die Be» schäftigung derjenigen Klasse von Geschöpfen, welche in ihren Augen am tiefsten stehen: der Lastthiere, der Sklaven und der — Frauen. An dem Punkte, wo wir uns niedergelassen hatten, waren zufälligerweise einige arabische Zelte in der Nähe. Die Beduinen derselben sammelten sich bald um uns; denn in dieser 5? Gegend ist der Europäer noch kein so abgedroschenes Wesen geworden, als auf dem großen Kilten. Mein Reisegefährte, dessen Unkenntnis; von der Sprache und dm Sitten der Eingeborenen nur feinem Dünkel, mit welchem er sich auf seine Superiorität als Europäer fehr viel zu gute that, gleichkam, betrachtete diese Menschen mlt der Verachtung, welche die ungebildeteren Franzosen ihnen zu weihen pflegen. Er fühlte sich in feiner Mißachtung nmfelmännischer Sitten bewogen, einem Beduinen etwas Wnrst anzubieten. Dies; war eine ernsthafte Beleidigung. Denn da fast jcdc Wurst Schweinefleisch ist (die prooenzalische allein soll aus Maulesclfleisch gemacht werden), so erregte dies; den Ekel und die Entrüstung der Eingeborenen. In einem Augenblick zogen sich alle Araber von uns zurück. „Gott sei Dant! jc^t sind wir die „I^äonins" los!" rief mein Reisegefährte. Ich war aber gar nicht so jubelnd, wie er, gestimmt und machte ernsthafte Betrachtungen darüber, wie viel angenehmer es für mich wäre, ihn, meinen Reifegefährten, und nicht die von diesem sv sehr verachteten „I^ännin^" los zu werden. Ich sak nun ein, daß die Dummheit und Anmaßung dieses Menschen alle Emgebornen von uns entfernt halten würde und mein Zweck war grade, so vkl als möglich mit ihnen zu verkehren. Vom Mv-el-Hal aufbrechend, verließen wir die ährenreichen Gefilde nnd ritten nun über eine bäum- und beinahe pflanzenlose Hochebene dahin. Nur hie und da aus dieser Ocde ragte eine Mariendistel (o»r<1nu8 mki-ianns) mit ihren kräftig von weißen Adern durchzogenen hellgrünen Blättern hervor. Die erste Nacht auf unserm Wege nach Maskarah brachten 58 wir in dem Lager des Stammes der Ulad Mimnha bei Sidi Abd-Mah zu. Das offene „Zelt der Gastfremmchaft" nahm uns auch hier auf; doch mußten wir uns zu mcincr nicht geringen Unbequemlichkeit in Abwesenheit eines Teppichs und einer Strohmatte auf dem Voden, welchen die nackte, glücklicherweise trockene Erde bildete, niederlassen. Ein mageres Mchtcsjen, aus Brod und Sauermilch bestehend, wnrde uns verabreicht. Der Ka5d des Stammes, ein übrigens sehr ärmlich aussehender Greis mit einem besonders schmutzigen Vernus, setzte sich zu uns und suchte durch sein geistreiches Gespräch das Hnngcrmahl zu würzen. Der Kai'd war eben erst aus Algier zuriickgctehrt, wo er sich den Bernus seiner Investitur bei dem Gouverneur geholt batte. Diesen Bernus trug er jedoch nicht. Er bewahrte ihn sorgfältig aus. Die Invcstitnrbernussc sind dunkel u»d von dickem Wollenstoff. Dieser Bernns bildet das Zeichen, daß der mit ihm Bekleidete der rechtmäßige, von der Regierung anerkannte Stammeshäuptling ist. Kein Scheikh, Kaid, Agha oder Khalifa dünkt sich in seiner Würde befestigt, ehe er nicht einen solchen Inocstiturberuus aM' den Händen eines französischen Beamten erhalten hat. Dieser Zug ist uralt bei den afrikanischen Völkerschaften. Schon Prokopioö erzählt, daß die maurischen Häuptlinge, wenn sie auch zahr< im Äierr>veslm vl'n Ajrila. II. b «a größeren Strecken keinen Trab auszuhalten im Stande wären) so repräsentirte diese Reise inunerhin einen täglichen Ritt von beinahe zehn Stunden, was hier das Maximum einer Tagestour ausmacht. Mastarah bringt von Weitem einen imposanten Eindruck hervor. Von hohcn ausgemauerten, mit Bäumen bepflanzten Festungsdämmen umgeben, aus denen acht Bastionen und sechs Thürme emporragen, mit sechs Festungsthoren versehen, ruht die einstige Hauptstadt Nbd-el-Kaders auf zwei Felsenmasscn, zwischen welchen der Ucid Tudmann in silberhellen Wasserfallen sich Bahn bricht. Wie bei so vielen Städten des Orients, entspricht jedoch das Innere nicht diesem majestätischen Aeußeren. Drei ncufranzösische Straßen mit ihren häßlichen Häusern von moderner, schwerfälliger Banart, bilden das Stadtviertel der 2000 hier lebenden Europäer. Die 5 — 6000 Araber, welche in Mastarah geblieben sind, bewohnen einen Stadttheil, dessen Häuser jetzt zum großen Theil aus Ruinen bestehen. Bon den drei Hauptmoscheen Maskarah's hat leider nur eine ihre Bestimmung behalten können. Die Lieblingsmoschee Abd-el-Kaderö, in welcher dcr Emir dem Gebete in Person vorzu-stehen Pflegte, A»'n Veida, (die weiße Quelle) genannt, ist jetzt eine Rumpelkammer der Militärequipkung, eine andere ist in eine katholische Kirche umgewandelt worden. Das heutige Mastarah ist verhältnißmäßig neu. Es wurde erst im vorigen Jahrhundert von den Türken auferbaut. Seitdem war es von einer Reihe von türtischen Bey's unter der Oberhoheit Algier's beherrscht worden, von welchen es wenigen gegönnt war, eines natiirlichen Todes zu sterben. Seit 1832 «7 bildete es die Hauptstadt des Emirs. Im Jahre 1834 fiel es einen Augenblick in die Hände der Franzosen, toiuite aber erst am 30. Mai 1841 definitiv den anderen französischen Besitzungen einverleibt werden. Seitdem fristet das FestungMädtchen, in welchem sich eine Garnison von 1200 Mann befindet, ein kümmerliches Dasein. Allen Extremen der Temperatur im höchsten Grade ausgesetzt, feiner hohen Lage wegen eisig im Winter, dagegen glühend heiß im Sommer, namentlich wenn der Wüstenwind, dem es besonders ausgesetzt ist, weht, bildet es keinen beneidensiverthen Aufenthalt. Das französische Hätel, in welchem ich logirtc, das erste des Orts, erfreute sich einer ganz besonderen Vernachlässigung. Maskarah soll, wie von den meisten Archäologen angenommen wird, die Stelle der einstigen römischen Sladt Victoria einnehmen. Von Althcrthümern tonnte ich hier nichts entdecken, Ptolemäos ist der einzige alte Geograph, der dieß Victoria anführt. Wahrscheinlich wurde die Stadt zur Zeit des Verfalles des römischen Reiches von rebellischen Mauren zerstört, da später ihr Name nicht mehr genannt wird. Eö war so gut wie nichts in Mastarah zu sehen. So hielt es mich nicht lange in der einstigen Hauptstadt Abd-el-Kaders; und schon nach zweitägigem Aufenthalte schickte ich mich an, nach 5?ran zurückzukehren. Ich hatte das Glück, meinen Reisegefährten hier los zu werden. Wir sympathisirten in nichts, in gar nichts zusammen nnd dabei ist es schwer, sich ausschließlich Gesellschaft zu leiste», wie mau auf einer solchen Tour natürlich dazu genöthigt wird. Statt seiner schloß sich mir ein junger Engländer an, der sich höchst vortheilbaft vor meinein »8 Landsmanne auszeichnete. Es war dieß ein junger Mann, welcher um das Arabische zu erlernen nach Afrika gekommen war. Er hatte bereits sehr schöne Fortschritte gemacht lind sprach geläufig. Sein Accent war etwas rauh, aber seine Aussprache vortrefflich. Letzteres erregte um so mehr mein Erstaunen, da sonst alle Engländer, welche mir vorkamen, sehr schlecht auö-sprachcn. Bald jedoch klärte sich da? Räthsel auf. Mein neuer Reisegefährte war kein Engländer, sondern ein Schotte, und hatte in seiner Jugend als dronll ßcotck (den schotlisch'angclsächsischen Dialect) gesprochen. AusdicseuIdiomenwar er mit der Aussprache des den Engländern unaussprechbarenCh (wie im deutschen Worte „Tuch") vertraut. So tonnte er also das so oft im Arabische» vorlommeuve ^> (ch oder th) richtig sprechen. Außerdem war ihm das ^ (ein überaus stark aspirirtes H, welches unsere Sprache nicht "besitzt und das am ersten mit einem (H,ähnlich wie im Worte „Magd", verglichen werden kann) bekannt. Was mich jedoch nahrhaft entzückte, war seine richtige Aussprache des Buchstaben <^Z (eine Nrt von K, die kein Deutscher aussprechen kann). Das ^ (das englische Th) war ihm aus seiner Muttersprache geläufig. Ueber-Haupt hatte er sich mit der Aussprache des Arabischen Mühc gegeben, was sonst so wenig Orientalisten thun. Die Franzosen sind ohn? Zweifel Diejenigen, welche Arabisch am schlechtesten aufsprechen. Selbst die Professoren der arabischeu Sprache in Algerien und die officiellen Dollmelscher, wenn sie nicht Ein^ geborne sind, haben einen kläglichen Accent. Der Franzose kann den wahren Laut der arabischen Buchstaben ^-, ^-, ^, A ö' ^' "^t hervorbringen. Unter allen Europäern, H9 welche arabisch lernen, nehmen, was Aussprache betrifft, die romanischen Völkerdie tiefste Stufe ein. Die Epanierhaben zwar für den Gaumenlaut ^ in ihrem Iota ein Equivalent, aber dafür können sie das 7? (Dschim) nicht aussprechen. Di? Deutschen können, wenn sie sich ernsthafte Mül^geben, fast alle arabischen Buchstaben auszusprechen lernen, mit einziger Ausnahme des ^ welches letztere ihnen nie gelingen wird. Die Engländer sprechen fast eben so schlecht, wie die Franzosen, aus; Schweden und Dänen wenig schlechter, als Deutsche. Am allerbesten ist die Aussprache der Angehörigen der slawischen Na» lioncn. Die Griechen sprechen ein lächerliches Arabisch, welches wie Vogelgezwitscher klingt. Die Türken haben die größte Mühe mit der Erlernung des Arabischen, welches sie doch ihrer Religion wegen sich aneignen müssen. Uebri-gens sind die verschiedenen arabischen Stämme weit entfernt davon, alle richtig aufzusprechen. Im Maghreb hat die Stavt Algier die b^ste Aussprache für den Buchstaben ^ welchen die Beduinen des Innern wie ein O in „Gut" ertönen lassen. Dagegen spricbt man inAlgier das ^(T) stets falsch und zwar immer wie Ts oder Z, wahrend im Innern dieser Buchstabe richtig ausgesprochen wird. Die Marokkaner können das ?5 (Dschim) nicht aussprechen, sondern sagen stets Schim. Bekanntlich sprechen tic Vgyptcr diesen Buchstaben noch unrichtiger, nämlich wu' ein G in „Gut" aus. So lautet z. B. das Wort Pilger iu Marotto Hasch, in Algier Hadsch und in Gghpten Hagg. Die feine Aussprache des ^, des ^ und dcö ^»^ ist im gewöhnlichen Leben ganz verloren gegangen. Man hat viel von der Verdorbenheit des maghrebinifcben Dialects ge- sprochen ulir id« sogar cine andere Sprache, als Arabisch, genannt. Dich ist eine Verleumdung, von den Bewohnern des Orients ausgegangen. Ick habe aber auf meinen Reisen im Orient gefunden, daß die Syrer, und selbst die hochgeprieseneu Egypter, weit entfernt davon sind, richtig zu sprechen. Die beste Aussprache schien nur die von Irac-arabi (der Gegend um Bagdad) zu scin, Arabien selbst war es mir nicht gegönnt, zu besuchen. Aber der berühmte Reisende Burthardt meldet uns, daß dort die Aussprache mehrerer Buchstaben ebenfalls zu wünschen übrig lasse. So sagt er, das ^' kling? dort bald wie ein leichtes G, bald wie ein 3 (Am), letzteres ähnlich, wie man es in Syrien spricht. Beides ist aber falsch; das ^)' ist ein starkes K. Es ist ein Buchstabe der härter betont wird, als das ^--» (das gewöhnliche Kaf). Diesen Buchstaben, den schwersten im ganzen arabischen Alphabet, spricht man in der Stadt Algier vielleicht am besten am«, aber dort auch mir die echten Mauren, die Araber und Juden sagen stets G. Der erste Tag auf der Reise von Maskarah nach Oran brachte uns durch das Aghaltl der Beui Schugra«, zu welchem die Stämme die Veni Messir, der Beni Assi Benessa und die Ulad S'i'd gehören, nach dem Ill-d el Hammam, welchen Fluß wir bei dem Dorfe gleicheu Namens durchwateten. Abends erreichten wir El Sig, neuerdings St. Denis getauft, eine militärische Station in fruchtbarer, wohlangebauter Gegend, wo es uns gegönnt war, bei einem sehr freundlichen Capitän des Bureau arabe, welcher ebenso, wie ich, über das gute Arabisch meines Reisegefährten entzückt war, ein Unterkommen zu finden. Der Sig, ein reißender Bergstrom, welcher die Ebene von St. 71 Denis durchstießt, pflegte früher die ganze Gegend periodisch zu überschwemmen und die Anpflanzungen zu zerstören, während die Landschaft in den Sommermonaten so gut wic wasserlos blieb. Seit der französischen Besitzergreifung hat man, eine halbe Meile vom Dorf entfernl, eine 30 Fuß hohe und 130 Fuß lange Mauer von Quadersteinen im Flußbett auferbaut, welche das Wasser außerhalb der Ucbcrschwcmmuugszeit aufhält, und das Ueberflicßende in eine Menge kleiner Kanäle vertheilt, die einen N.nmi von uicr deutschen Qnadratmeilen bewässern. Zur Zeit des Wachsens des Flusses öffnet man die Schleuße« aller Kanäle auf einmal und entgeht so de« Ueberschwcmmungen. Auf diese Weise hat die Civilisation den früheren Zerstörer der Geg end nützlich zu machen gewußt. Am zweiten Tage feit unsers Abreise von „Mastarah" lamen wir über die Schlachtfelder dce Sig und der Habra, wo Abd-el-Kader 1835 nach seinem Hauptsiege bei La Matta von den Franzosen rächende Niederlagen zu erleiden hatte. Abends erreichten wir Valmy, früher (^uwp <1n ^iguier von einem hier befindlichen ungeheuern Feigenbaum genannt. Hier wurde der Emir am 27. Mai 1633 vom General Deö-michelö auf'e Haupt geschlagen. Am 16. Juni 1835 schloß General Trszel in Valmy den Vertrag mit den dem Emir feindlichen Stämmen der Duär und Smehlah ab, welcher diese für immer der französischen Sache gewann. Valmy ist eine ziemlich blühende Colonic, von 400 Europäern, worunter viele Spanier und einige Deutsche, bewohnt. Am dritten Tage seit unserem Wegritte von Maskarah kamen wir durch das zwei Meilen von Valmy entfernte Colo- 72 nistendorf La Senia, 1844 gegründet, welches eine Bewohner« zahl von 5 — 600 Seelen besitzt, von denen der bei weitem größte Theil Spanier sind. Diese mit der Landbewässerung vermittelst des Nadbrmmens, Noria genannt, so sehr vertrauten Leute haben in dieser regenarmen Gegend durch Kunst eine Anzahl frucktbar.r blühender Gemüsegärten geschaffen. La Eenia liegt nur eine Meile von Oran entfernt, welches letztere ich noch vor Mittag, seit einem Monat zum zwcitenmale, begrüßte. Mein Reisegefährte hatte alle seine Taschen voll von Empfehlungsbriefen an verschiedene Autoritäten des Innern gehabt, llnter diesen waren auch mehrere, welche er nicht hatte abgeben können,' da wir gar nicht durch die Orte gekommen waren' wo sich die Adressaten befanden. Wir amilsirten uns bei unserer Aittunst tn Oran, diese Briefe zu öffnen, eine Neugierde, die jedoch, wenigstens waö den Engländer betraf, gestraft werden sollte. Denn zu unserm Erstaunen fanden'wir, daß eines dieser vermeintlichen Empfehlungsschreiben eher das Gegentheil war. Der Brief war vom Capitän des Bureau arabe in Maökarah ausgestellt und lautete etwa folgendermaßen: „Lieber Freund ! Wieder so cm langweiliger Engländer, welchen mir der General Iussuf empfohlen hat! Ich weiß nicht, was diese unverschämten Insulaner («io) in unserem Algerien thuu wollen. Jedenfalls sind sie für uns Offiziere des Bureau arabe eine entsetzliche Plage. Besagter Brite hat mich gebeten, ihn an Dich zu empfehlen. Ich thuc es deshalb, da ich es nicht verweigeru kann. Indeß bin ich weit entfernt davon, Dir große Freundschaft für ihn zu empfehlen. Wenn er von Dir 73 Maulesel oder Pferde verlangen sollte, so verschaffe ihm womöglich solche, die einen harten und unbequemen (änr6 c:t incom-maäo) Marsch haben. Nur mit ein wenig Mißhandlung kann mau,diese zudringlichen Insulaner los werden :c. :c. ?c". Und diesen Pries, beinahe einen Uriasbrief, hatte mein Freund 3—4 Tage laug wie seinen Augapfel gehütet und, wie einen kostbareu Talisman, in seiner Vrusttasche mit sich herumgetragen? In Oran ward uns der Vesuch einer lächerlichen und pomphaften Persönlichkeit, eines Arabers, welcher sich den komischen Namen Sidi,Ali el Kebir, das heißt, „Ali der Große" beilegte. Er trug einen Anzug von scharlachrothcm Tuch, mlt Gold gedickt. Sein Turban war von der Art, welche die Araber „Jasmin" uenncn. Diese „Iasmmturbane" sehen auö, als wenn sie vergoldet wären, d. h. sie haben goldene Blumen auf weisem Grunde, aber stets mehr Blumen, als freien, weißen Naum. Sidi Ali cl Kebir war übrigens keinetzt in Oran als Dollmetscher angestellt, da er einer der wenigen Mauren ist, die französisch lesen und schreiben können. Es ist aber Schade, daß nicht alle seine Eigenschaften so vortrefflich 74 waren, wie seine Fähigkeiten zum Lehre». Ali war ein schlechter Muselmann. Ein schlechter Muselmann ist aber arger als ein Heide, waS die Moral betrifft. Ali liebte zu trinken, nnd wenn der Araber einmal zu trinken anfängt, dann ist er auch schon auf dem besten Wege zu völliger Demoralisation. Nächst dem Trinken liebte er auch das Spiel. In der Algcric wird nämlick von Franzosen, Juden und schlechten Muselmännern sehr viel nnd hoch Hazard gespielt. Die Negierung läßt es geschehen. „Ali der Große" wurde so sehr durch diese se.ine zwei Hauptpassionen in Anspruch gcnoncklen, daß er gewöhnlich nicht Zelt fand, sich mit seiner legitimen Ehehälfte zu beschäftigen und nicht Geld übrig hatte, nm diescr achtbaren Dan« das tägliche Brod verabreichen zu können. Dieß war soweit gekommen, daß seine Fran ihn beim Kadi verklagt hatte. Sein Besuch fand hauptsächlich deßhalb statt, um uns zu bitten, wir möchten ihn doch mit ckach Algier nehmen, d. h. filr ihn die Reise bezahlen, was wir denn auch thaten, denn als Arabist war er uns kostbar. Nach mehrtägigem abermaligen Aufenthalt in Orau, kehrten wir nach der Hauptstadt Algeriens zurück. Viertes Zuck. Zie große Aabylie. Erstes Capitel. Dellys. Ritt von Algier nach Dellys. — Maisou Can^e. — La Nassauta. — Cap Matifu. — Nusgunia. — Der „Hafen der Hichuer". — Dcr alte Seeräuber. — Dschinet. — Landschafttzftauorama um Dellys. — Rusuccuium. — Alterthümer. Die Reise von Algier nach dem 13 deutsche Meilen weiter östlich an der Küste gelegenen Dellys, welche noch vor wenigen Jahren große Schwierigkeiten darbot, läßt sich jetzt mit Leichtigkeit vermittelst der Diligence in Zeit von zwölf Stunden zurücklegen. Dieses Beförderungsmittel verschmähte ich jedoch, weil die Wagenstraße nicht dem Meer entlang lief; denn der Weg längs demselben schien mir bei ^Weitem der interessanteste. Führte er doch durch eine an antiken Resten reichere Gegend. Auf ihm tonnten meine Pfade fast ununterbrochen der Nichtung der einstigen Römerstraße folgcn. So verließ ich denn zu Pferde, von einem Spahts begleitet, an einem schönen Septembermorgen die Stadt der Dey's, um meine Ncise im östlichen Algerien mit der Kilstentour von Algier über Dellys nach Bougie zu beginnen. 78 Unser Weg fiihrte uns zuerst durch die, meinen Lesern schon bekannte, nächste, östliche Umgebung Algiers, dessen schöne Villen nnd Gärten in dieser Richtung eine Landschaft von der Länge einer deutschen Meile ausfüllen. Dann folgte eine zum kleineren Theile bebante, zum größeren Theile aber von Unkraut bedeckte, wildgestrüppte Ebene, ein Theil der Metidscha, welche sich in dieser Gegend bis an das Meer erstreckt. An der Mündung des Flusses Harratsch passirtcn wir Maison ^arr.ie, so genannt nach einem großen viereckigen, tarawansereiartigcu Fort aus der Zelt der tiirtischen Herrschaft, in dessen Mhe sich jetzt ein französisches Dorf gebildet hat. Letzteres fristet, in Ermangelung des Ackerbaues, wozu seine Bewohner zum großen Theil zu faul sind, vorzüglich feiue Existenz von der Ausbeutung der vergnügungssüchtigen Algierer, die oft Ausflüge, für welche die Jagd als Vorwand dient, hierher machen. Diese Sonntagsjäger, welche meist nur unvollkommene Begriffe vom Schießen haben, ziehen es gewöhnlich vor, deu größeren Theil des Tages in den Kaffeehäusern und Restaurants vou Maisou Carrie zuzubringen, von wo aus sie in blühender Betrunkenheit des Abends in holprigen Omnibussen nach Algier zurückkehren. Etwas weiter ritten wir au dem neucu, von den Frauzosen erbauten Fort de l'Eau, einer kleinen Befestigung, am Meere gelegen, vorbei. In deren Mhe ließen wir rechts eiues der wichtigsteu Colonistendörfer der Nlgerie, La Nassauta genannt, liegen, welches seine Blüthe vielleicht dem Umstände verdankt, daß seine Oründer fast alle Spanier und nicht Franzofen gewesen waren. An dieser Stelle hatte sich kurz nach der Eroberung des Landes durch die Franzosen ein polnischer Fürst, Namens von 7» Mir, niedergelassen und von der Regierung eine sehr bedeutende Concession Landes erlangt. Aber die Polen, welche in andern Dingen so viele Aehnlichteit mit den Franzosen haben, gleichen ihnen anch darin, daß sie eben so schlechte Colonisten sind, wie diese. Einen Beweis davon lieferte der vornehme Fürst von Mir, welcher, statt sich um die Urbarmachung des ihm verliehenen Landes zu kümmern, seine Zeit mit Maitressen, Champagnertrinken, Jagden, Gesellschaften und dergleichen europäischem Schwindel hinbrachte. Dieses, seinen Mitteln nicht angepaßte Leben führte ihn bald zu einem glänzenden Bankerott, und der große Colonist verließ beschämt den Schauplatz seines thatenreichen Nichtsthuns. Jetzt ernährt dieser Voden, welcher dem vornehmen, polnischen Flüchtling nicht genug zum Leben fiir ihn allein abwarf, ein fleißiges Völkchen von 500—6U0Mahonescn, unter welche die Negierung die Concession des Fürsten von Mir nach dessen Verunglückung hatte vertheilen lassen. In der Nähe von La Rasfauta passtrten wir den UiH el Khamis, einen kleinen wasserarmen Steppenflus;, welcher unweit von hier in's Mecr mündet. Nm Mittag erreichten wir das vier deutsche Meilen von Algier entfernte Cap Matifu, arabisch Ras Temendfuö genannt, welches den östlichsten Punkt derNhede von Algier bildet. In der Nähe dieses Caps befinden sich die drei kleinen Colonistendörfer A'i'n Taja, A','« Viva und Matifu, sämmtlich zum großen Theil ebenfalls von den fleißigen Mahonesen bewohnt. Am Nas Temendfus, das ohne Zweifel das Nus-Guhn der Phönicier und Karthager war, befand sich zur Nömerzeit die ColonieNusgunia (das i'ovn^,,^ des Ptolemäos), vou'welcher man die Ruinen noch deutlich unweit des Vorgebirgeb erblickt. 80 Gesenius leim den Namen Nusgunia von dem phönicischen 3ius Khonah (liv^-w«-,) ab, welches „Vorgebirg des Winkels" (griechisch )/c/vl») bedeuten soll. Ptolemäoö gicbt die Entfernung von Icosium (Algier) nach Nusgunia (Matifu) auf 30 Miuuten an. Dieß ist zu viel, selbst wenn man die Längengrade des Ptolcmäos um ein Drittel reducirt. Der alexandrinische Geograph giebt nämlich der ihm bekannten Welt, d. h. jenem Theil der Erde, dessen westlichsten Punkt etwa die InselFerro bildet und dessen östlichster in Hmttnndien gesucht werden muß, eine Auödehuung von 18^ängel>gvad.n. Dieser Abschnitt der Erdkugel mißt aber in Wirklichkeit nur 120". So sind also die Längengrade des Ptolemäos, im Durchschnitt gerechnet, nur gleich 40 Minuten heutiger Rechnung, also 30 Minuten des Ptolcmäos gleich 20 heutigcnMinutcn. In der Mauvilania Cafa-riensis und in.Numidien muß man die Längengrade d^ Ptolemäos jedoch im Durchschnitt noch kleiner annehmen. Was die heutige Al-gcrie betrifft, d. h. dai? Land zwischen dem Fluh Malua und Tabraca gelegen, so giebt Ptolemäoö diesen Gegenden eine Ausdehnung von 20 Längengraden. Malua (der heutige Mulnjah, der geographische Grenzstrom des westlichen Algeriens) liegt nach dem Alexandriner unter 11" 10'und Tabraca (die östliche Grenze Algn ienö) unter 31" 15^ der Länge. Dies gicbt cine Läugenausdehnung von 20" 5^. Die ganze Länge der Algerie beträgt aber in Wirklichkeit nur 11 Grade. Man müßte also, um in Algerien annähernd richtige Resultate zu bekommen, die Längengrade des Ptolemäos beinahe auf die Hälfte reduciren. Wcnn man also die 30 Minuten der Entfernung zwischen Algkr und Matifu nach des Ptolemäos fehlerhafter Rechnung rcducirt. 81 so erhält man 15 Minuten, und das entspricht genau der Wirklichkeit. Ich sah in Temendfus mehrere, noch einigermaßen erhaltene Gewölbe, Neste antiker Thermen, auch eine ziemlich wohl-conservirte Mosaik. Die Fundamente einiger römischer Häuser waren deutlich zu unterscheiden; in den» am östlichsten gelegenen konnte ich den Naum des Atriums und Peristyliums traciren. Auch sah ich überall tiefe festungsartige Graben, über deren Ve» stimmung man noch nicht aufgeklärt zu sein scheint. Der vortreffliche Hafen, welchen das Cap Matifu dcr Natur verdankt, muß der einst hier gelegenen Stadt eine weit größere Bedeutung verliehen haben, als das nahe Icosium, die Vorgängerin Algiers, wohl jemals erlangt hat. Wir besitzen mehrere Inschriften, welche auf Rusgunia bezüglich sind. In einer, im Muscum zu Verona befindlichen, wird ein gewisser G. Gargilius „Decurio der beiden Colonien Auzia imd Rusgunia" genanut, Auzia war eine Stadt des Innern, das heutige Anmale. Der Umstand, daß Auzia mit Nusgunia und nicht mit dem eben fo nahen Icosium in directer Verbindung stand, wirft ein neues Licht auf die einstige Bedeutung Nusgunia's und die Unbedeutendheit der Mutterstadt Algiers. Daß Nusgunia, ebenso wie Icosium und wie beinahe jedes Dorf in Afrika, in der christlichen Periode ein Visthum war, versteht sich fast von selbst. Zwei Bischöfe von Nusgunia sind dcr Vergessenheit entronnen. Das maurische Algier ist zum großen Theil mit den Steinen Nusgunia'ö auferbaut worden; denn die Vaureste des alten Icostums genügten dazu nicht zur Hälfte. In alten maurischen Drei Iah« im Nordwcften uon Asrila. II. s 82 Häusern Algiers findet man deßhalb oft neben Inschriftstafeln Icosiums solche von Nusgunia. Die faulen Muselmänner fanden es viel bequemer, die römischen Bausteine von Matifn herholen zu lassen, als selbst welche zu brechen. Trotz dieses van-dalischcn Raubes, der Jahrhunderte lang fortgesetzt wurde, sind die Nuinen Rusgunia's dennoch verhältnismäßig bedeutend. Der Hafen des Nas Temendfus war noch zur Zeit Edrissi's wohlerhalten. Dieser sicilisch-arabische Geograph spricht von der halbzerstörten Stadt Temendfus, dem alten Rusguma, welches zu seiner Zcit noch zum Theil bewohnt war. Jetzt ist Nuögunia nichts als eiu Ruinenhanfen; sein Hafen unbenutzt und vernachlässigt. Etwas östlich vom Cap Matifu kamen wir im Weiterrciten an einer Quelle vorbei, welche den eigenthümlichen Namm: „Gschrob-U'Herob" führt, welche arabische Worte: „Trink und gehe von dannen" bedeuten. Ewige erklären den Ursprung dieses seltsamen Namens aus der ungesunden Beschaffenheit der Gegend, wo Fieber das Loos des Verweilenden sein würde; während Andere ihn von der Gefahr herleiten, welche die Seeräuber früher dem hier Ruhenden bereiteten. An diesem wichtigen Punkte, welcher die Küstcnstraße beherrscht, befand sich zurZeit dcö Ptolcmaos cm römisches Castell, Namens Rusitibar. Der römische Name ist offenbar phönkischen Ursprungs. Nus ha Khabar (^2N">u«i) heißt: das große Vorgebirge. An diesem Beispiel kann man so recht deutlich die Aehnlichteit der arabischen Sprache mit der phönicischcn sehen. Arabisch würde das große Cap: Nas el Kebir heißen. Hier ist außer dein Artikel (Ha u»d El) der Unterschied nur in den Vo- 83 calen, und wer semitische Vulgärsprachen kennt, weiß, was für ein höchst unbestimmtes und variirendes Ding ein Bocal in diesen Idiomen ist. Das Itinerarlum Antonini nennt diesen Ort Nulzubdiear und die Notitia Numidiae I^n^ubicuri». Auch dies obscure Römerslädtchen war im Jahre 484 ein Bisthum. Vom Cap Matifu bis nach Merö°el-Dschadsch verläuft die Kllste eben und ohne hervorragende Punkte. Gegen Übend erreichten wir letztere Stelle, wo, wie der arabische Name Mers aussagt, sich ein Hafen befindet. Diefer Hafen ist jedoch so tlcin, daß man ihn Mers el-Dschadsch, d. h. Hafen der Hühner, genannt hat. Man hat an diese Stelle das Cisi Municipium des Itinerars verlegen wollen. Ich glaube jedoch mit Berbrugger, daß letzteres in dem etwa vier deutsche Meilen östlicher gelegenen KÜstenpunlte Dschinet zu suchen sei. Hier möchte dagegen das Modunga des Ptolemäos liegen. „Wo denken Sie hier zn übernachten?" frug mich der Spahis, als wir eben den leeren „Hafen der Hühner" vor uns liegen hatte«. „Wo? Ja, wo? Das möchte nicht leicht zu beantworten fein," erwiderte ich, denn an ein Hans war in dem Mers el-Dschadsch nicht zu denken. Weit und breit nichts, als öde, ein« fame Steppeulandschaft und Meer. „Und Du?" wandte ich mich zu dem arabischen Soldaten, denn diese Helden, fo dumm sie auch aussehen, besitzen doch zuweilen nicht unpraktische Ideen. „Ich?" cntgegnete dieser, „werde in dem Gurbi nbernMH-ten, welches Sie da unten sehen." 84 „Ein Gurbi? Wo liegt ein Gurbi? Ich sehe weit und breit keines." „Blicken Sie in jene Ecke, dort am Meere, zwischen dem Felscnvorsprung und der Sandsiäche des Strandes." „Das? Das ist ja ein Haufen unordentlich zusammengeworfener Nciser!" „Nein! Das ist ein Gurbi! 'Ich kenne es. Versuchen Sie es übrigens einmal, nut mir dahineiuzugehen, und Sie werden dort vielleicht ein Nachtquartier finden." Wir stiegen hinab zu dem Gurbi. Eine solche Wohnung hatte ich freilich noch nicht gesehen. Visher kannte ich nur die zerfetzten, Gurbis der Landaraber. Dies Gurbi dagegen war eine arabische ssischerhülte. Es war enge und sehr niedrig und lag dicht am Meercöstraude, so daß die Wogen jeden Augenblick feine Schwelle benetzten. Die Reiser waren nur lose zusammengefügt, so daß, wenn es geregnet hätte, das Gurbi unfehlbar in's Meer geschwemmt worden wäre. In diesem Ding mußte« wir nun übernachten und noch froh scin, das! mau uns dieß gegen ein Trinkgeld gestattete. Der Spahiö legte sich in einen Winkel, aß einige getrocknete Sardinen, deren die Fischer hatten, und schlief ein. Ich nahm all meine Hemden und Kleider aus dem Nachtsack und machte mir damit eine Art von Vctt. Aber schlafen konnte ich lange nicht. Statt dessen beobachtete ich die Fischer. Es waren ihrer etliche sechs. Einer davon gefiel mir. Dieß war ein etwa scchzigjähriger alter Mann mit wahrhaft kriegerischen Zügen, welche sehr gegen seine friedliche Beschäftigung contrastirtcn. 83 „Du bist," so redete ich ihn an, „gewiß nicht Dein Leben lang Fischer gewesen." „Ich?" erwiderte dieser. „Nein! Ich habe die Guerra gemacht." Die Guerra (Krieg in der Linguafranca) ist der allgemein geltende Veschömgungsausdruck für Secräuberei. „Hast Du auch viele Rumihs umgebracht?" frug ich ihn. Seine Augen funkelten unheimlich, als wollten sie sagen: „Ja, recht viele." Aber sein Mund sprach das Gegentheil aus: Er habe nie einen geiodtet, sondern alle Numihs, die er sing, stets für Rechnung des Pascha's auf denStlauenmartt abgeliefert. Das war etwas starte Heuchelei. Aber so sind alle alten See« räuber, die ich in Algerien kennen gelernt habe. Keiner von ihnen will von seinen Abenteuern etwas erzählen. Namentlich, was die von ihnen geraubten Frauen betrifft, so sind sie fo schweigsam, als ob diese Damen noch heute jung und schön und Favoritinnen ihres Paschas wären. Am Morgen verließen wir das elende Ourbi und erreichten gegen 11 Uhr dieses zweiten Tages seit unserer Abreise von Algier Dschinet. Dschinet, der Mers Dschanet deö Cbn Hautal uud deö Gl Bekri*), soll seinen Namen, welcher „das Paradies" bedeutet, nach einem, wie durch Wunder in dieser Bai vor dem Sturm, dem es schon eine sichere Beute erschienen war, geretteten Schiffe führen. Letzteres ist eine phantastische, arabische Ely- *) El Bekri, ficfye Quatromfae Monuments dc la biblio-tbzque du Roi, Tome XII. unb Slane im Journal asiatique. @evieV. E&etl 12, 13, 14. 8« mologie, welche nns der berühmte Reisende des vorigen Jahrhunderts, Dr. Shaw, überliefert hat. Dieser Gelehrte, im Vorbeigehen sei es gesagt, soll, wie man in, neuester Zeit behauptet hat, seine so vortreffliche und so wahre Schilderungen enthaltende Neisebeschreibung in Wirklichkeit nur dem Hörensagen nach und zwar in der stillen Muse seines Studirstübchens in Algier, wo er englischer Consulatscaplan war, verfaßt haben. Ich sage, „er soll", denn ich bin weit entfernt dcwon, einer Ansicht beizupflichten, welche uns den Bat?r aller Reisenden im Maghreb (Nordwesten von Afrika) verketzert. — Der wirtliche Mine Dschinct kommt von dem Geschlechtsnamen der Beni Dschenad, einem Kabylenstamme, welcher schon seit Alters in diesen Gegenden hauste. Das Cisi Municipium des Antonin, welches wahrscheinlich an der Stelle von Dschmet lag, ist das Kisse des Ptolemäos, das Cassite der Notitia. Von letzterer wird cö als Bischofssitz erwähnt. Sein Bischof Quodvultdeus verstarb auf der Ncife, welche er nach dem Concil von Karthago im Jahre 411 angetreten hatte, und erregte passiver Weise unter den frommen Vätern des Concils einen Streit, weil man darüber uneinig war, welcher Meinung er gewesen sei. Er war übrigens wahrscheinlich Donatist. Nahe bei Dschinet passirten wir den Ui-d Isser, den Grenzfluß der großen ssabylie, einen zwar bei den Einheimischen hochberühmten, aber im Ganzen doch ziemlich unbedeutenden, im Sommer beinahe wasserlosen Strom. Hier sprengten plötzlich zwei Neiter an uns vorbei. Es waren zwei französische Offiziere, der eine blutjung, der andere 87 ein martialisch aussehender Vierziger. Kaum hatten sie uns überholt, so hielten sie in ihrem gestreckten Galopp inne und bewegten sich eine Zeit laug in demselben Schritte, wie wir, vor uns hin. Sie führten ein Gespräch, von dem ich fast Alles hören konnte. Es interessirte mich jedoch nicht besonders. Plötzlich jedoch vernahm ich Folgendes: der Gelbschnabel, der wol)! eben erst aus St. Cyr gekommen sein nwchte, stellte die inhaltschwere Frage: „Was sind die Kabylen?" Ja! Was sind sie? Kleinigkeit! Um dieß zu beantworten, dazu müßte man erstens ihren Ursprung kennen; denn wer kann sagen, was ein Volk ist, ohne seine vollständige Geschichte zu wissen? Aber der dicke Capitän fand die Antwort nicht so schwer. Er sagte: „1^ Xad^lo» saut, äes ^.ladvu, <^ui ^ar-1»nt 1a Innssno Xl^-lc'." (Die Kabalen sind Araber, welche kabylisch reden.) Man tonnte mit eben demselben Recht die Frage: „Was ist Weis;?" beantworten: „Weiß ist Schwarz, welches wie Weiß aussieht." Doch der Capitän hatte nickt die Absicht, ein Paradoxon aufzustellen. Er gebrauchte das Wort „^rndos" im Sinne der französischen Soldaten, welche alle Eingebornen ,,äe« Hiados" oder, wenn sie verächtlich reden wollen, ,,äe» L6äoui28" nennen. Der junge Gelbschnabel jedoch, treu dem Grundsatz, daß ein Narr mehr fragen kann, als zehn Weise beantworten tonnen, fragte wcitcr: „W^s ist die tabyliscke Sprache?" Worauf der Capitän ebenso richtig, wie vorher, antwortete: „I^s ^»b^io s»t uu pawi» äo I^rade." (Das Kabylische ist ein Dialect des Arabischen,) Und dieser Mann war zwanzig Jahre in Afrika gewesen! 88 Nach diesem Bilde voll europäischer Gewöhnlichkeit sollte ein anderes echt afrikanisches an uns vorüberziehen. Plötzlich kam ein Trupp arabischer Spahis im wallenden rothen Bernus, mit goldgestickten Jacken und hohen amaranthrothen Stiefeln angesprengt. Es waren schöne kriegerische Gestalten, die zwar im Dienste Frankreichs standen, aber doch das prosaische Gewand der Civilisation, die steife Uniform, noch nicht angelegt hatten. In ihrer Mitte führten diese Neiter ein gefangenes menschliches Wesen, dessen Geschlecht von Weitem nicht zu errathen war. Je näher jedoch die Spahis kamen, dcsto deutlicher wurde die seltsame Erscheinung, welcher sie zur Escorte dienten. Ich erkannte eine Frau, eine junge Kabylin von großer Schönheit, die völlig unverschleiert ging, denn die Veduininnen und Kabylinnen bedienen sich der Gesichtöverhüllung nicht. Warum war dieses Mädchen gefangen genominen worden, und warum wurde eö in Fesseln nach Algier abgeführt? Diese junge Kabylin war eine begeisterte Freiheitöheldin, eine enthusiastische Prophetin, eine afrikanische Jungfrau von Orleans, die ihr kaum unterworfenes Volk zum Kampf gegen die gallischen Unterdrücker aufgereizt hatte. Lellah Sorajah, so hieß sie, war die Tochter eines mächtigen Kabylenhäuptlings, welcher lange den Franzosen getrotzt, aber endlich sich ihnen hatte unterwerfen müssen. Der fanatische Krieger hatte sein stolzes Haupt vor dem Sieger gebeugt. Aber seine Tochter, ein junges Mädchen von kaum fltnf-zehn Jahren, wollte ihr schönes Haupt nicht unter das Joch deg verhaßten Feindes schmiegen. Lellah Sorajah erklärte ihren Vater für einen'Feigling, verließ sein Haus und zog, von einer Schaar freiheitömuthiger Jünglinge gefolgt, durch die Verge und 89 Thäler Kabyliens, Freiheit predigend und den Haß der Gemüther gegen Frankreich fchürend. Ihre grohe Schönheit predigte vielleicht eben so beredt, als ihr zarter Mund. Ueberall, wo sie hinkam, loderte die Flamme des Aufruhrs empor. Das tonnte das Bureau arabe, jener ewige Spion und Wächter der Ein« geborenen, natürlich nicht ruhig mit ansehen. Der Gouverneur, durch das Bureau benachrichtigt, stellte einen Preis auf den Kopf des begeisterten Mädchens. Lellah Sorajah fiel jedoch lebend in die Hände ihrer Feinde und zwar, wie man sagt, durch Verrath. Ein Kabyle, der in die junge Prophetin verliebt war, wünschte sie zu ehelichen) aber ^ellah Sorajah wollte keinen Mann. Sie lebte nur für ihr Vaterland! Sie war eine rcine Vrant der ewigen Freiheit, eine zweite Johanna von Orleans. Der Kabyle wurde aus einem glühenden Liebhaber ihr verrätherischer Feind, und überlieferte sie den Franzosen. * Es war mcrkwliroig anzusehen, wie das Prestige dieser afrikanischen Judith selbst auf ihre Wächter wirkte. Denn die arabischen Spahis, welche ihr zur Escorte dienten, schienen sie durchaus nicht wie eine Gefangene zu behandeln, sondern begegneten ihr eher wie einer Fürstin, deren Ehrenwache sie bildeten. In Algier sollte Svrajah vielleicht in einen entehrenden Kerker, mit gemeinen Verbrecherinnen zusammen, geworfen werden. Aber auf dem Wege zu dem Gefängniß feierte die jugendliche Heldin ihre Triumphe. Ihre Hände waren zwar gcbuuden, aber dennoch glich sie einer Königin. Eine eclatante Huldigung wurde ihr zu Theil, während ich ihr noch in Sehweite nahe war. Eine Schaar von etlichen hundert Kabylen lehrte von einem Markt der Nachbarschaft nach Hause zurück und begegnete ihr. Als sie 90 die junge Prophetin sahen, hielten sie Alle an. Jeder stieg von seinem Pferde oder Maulthier, näherte sich dem Mädchen und Jeder drllckte einen brünstigen, andächtigen Kuß auf die gefesselte Rechte der Freiheitsheldin. Es war wie eine Procession zu einem Hciligthmu. Als Alle ihr die Hand geküßt hatten, hob die Prophetin segnend ihre Rechte empor. Dann ritt sie weiter mit ihren Wächtern. Von Dschinet an gewann die bisher flache Küste einen anderen Charakter und verdiente den Namen des „hohen Landes", welchen bereits Nbulfcda ihr beilegt. Die erhabenen Gipfel der großen Kabylie, überragt von den mächtigen Spitzen des Dscherdscherci, begrenzten die Landschaft im Süden, während gen Westen und Norden hin ein zackiges, phantastisch geformtes Hügelland seine Ausläufer bis zum Meere entsendete. Drei Landspitz'eu, welche nördlich in das Meer hineinragten, die Spitze von Tedles, der Dschebel Vuberak und das Cap Dschinet bildeten zusammen das Vorgebirge des Ras Beni Dschenad. Der bei Weitem hervorragendste Punkt dieser drei war aber der Dschcbel Vuberak, welcher von allen Seiteu hier die unterworfene Küste beherrschte. Das Ras Veui Dscheuad war im Mittelalter unter dem Namen Cap Vengnt bekannt gewesen, aus welchem die alle Venenmmgen verhunzenden T panier ein Cap Veneganeto gemacht hatten, Nachdem wir das stille Wasser des U«d Sebäu, das Ser-betis des Ptolemäos, passirt hatlcu, erreichten wir am Abend des zweiten Tages das freundliche Städtchen Dellys, das einstige römische Nusuccurum, das Tedles des Mittelalters, dessen vortrefflicher Hafen seinem Handel schon in früheren Zeiten eine 91 große Bedeutung gesichert zu haben scheint. Das Städtchen und seiue Umgebung boteu von Weitem höä'st malerische Bilder dar. Die Landzunge des Cap Dellys, welche den natürlichen Schutzdamm seines Hafens bildet, streckte sich enge und lang in das tiefblaue Meer hinauf ihren höchsteu Punkt krönte ein zierlicher Marabut oder Kubba mit seiner schön gewölbten blendend weißen Kuppel, um dessen Fuß zahlreiche Grabsteine der Gläubigen zerstreut lagen. Westlich von der Stadt zog sich etwa eine Meile lang am Meere eine fruchtbare, vou Gärten und Landhäusern bedeckte Ebene dahin, und bildete gegen die nahen finstern Berge der Kabylie einen lieblichen, lacheudeu Contrast. Im Südost erhob sich einsam ans einer verhältnißmäßig niederen Bergesgegeud der Gipfel des Dschebel Veni-Selim, dessen höchster Bergesriicken eine Vertiefung, ähnlich dem Krater eines Vulcans, zeigte und durch diese bedeutungsvolle Form von Weitem das Auge fesselte. Die alte maurische Stadt Dellys lag terrassenförmig an einen Hl'igel gelehnt nud bildete für den Blick einen malerischen Ruhe-Punkt in der Landschaft,- wahrend die durchaus französische Neustadt auf einer kleinen Hochebene unweit des Meeres vom Abendstrahle gerothet leuchtete. Zwischen^ beiden Städten war ein freier Naum, dessen Bestimmung es zu sein schien, jene unüber-steigliche Kluft darzustellen, welche zwischen allem Maurischen und Französischen besteht. Doch hatte sich, das Bureau arabe, diese Vriicke zur Europäisirung der Araber, dessen civilisirende Wirksamkeit freilich höchst problematisch ist, in diesen vermitteln« den Näumcn niedergelassen. Ich brauche wohl kaum zu sagen, dafz das neue Dellys, als »2 französische Stadt, auch eine französischen Gasthof besaß, und zwar führte dieser den sybaritischeu Namen „an Gastronome", was freilich gar nicht hinderte, daß man daselbst auch recht herzlich schlecht essen konnte, wie ich 'cö denn in meiner Person in Erfahrung gebracht hade. Die antiken Neste, welche man in der Nähe oon Dellys entdeckt hat, lassen auf die Bedeutung der einst hier gelegenen römischen Stadt schließen, welche, wie man biö jetzt allgemein annahm, das antike Nusuccurmn war. Nusuccurum ist der lateiuische Name der hier vor der römischen Colonic gegründeten phönicischen StadlNus-Kaur, welche Benennung das „Vorgebirge der Fische" bedeuten soll. Gcsenius leitet jedoch den Namen Nusnccnrum von Rnö Karclh (n-^-^«-») ab. Demnach hieße Üiusuccnrum „Vorgebirg der Stadt". Ptolemäus giebt die Lage vonNusuccunun alö3" 20'östlich von Julia Cäsarea(Schcrschell) an. Dellys liegt freilich in Wirtlichkeit nur 1" 40' östlich von Scherschcll. Aber ich habe schon oben bemerkt, daß man in Algerien dit Längengrade des Ptolemäus durchschnittlich auf die Hälfte rednciren lann, wcnn mau ein der Wirklichkeit entsprechendes Resultat erzielen will. In dem Falle vo» lilusnccnrum und Julia Cäsarea erweisen sich die Ergebnisse der Anlegung dieses Niaaßstabö bis auf die Minute zusammentreffend. Die Entferung zwischen Julia Cäsarca und Nnsnccurmn beträgt nach dem Itincrar 12? Milliarieu, welche gleich 179 Kilometer sind. Nun giebt die nenerc Messung die Entfernung zwischen Scherschcll und Dellyö fast bis auf ein Kilometer letztere Angabe. »3 Plinius nennt Rusuccurum eine Civitas, das Itinerar eine Colonie. Es war die Vaterstadt einer Heiligen, der Sancta Marciana, welche in Näsarea unter Dirclclian das Martyrium erlitt. Die Namen dreier Bischöfe von Nusnccurum sind der Vergessenheit entrissen worden. Neuere Entdeckungen bedeutender antiker Neste bei dem zwei Meilen östlich von Dcllys gelegenen Tedles haben ver-mnthen lassen, daß vielleicht eher dort das phönicische Nns-Kaur, das römische Nusnccurmn, zn suchen sei. Was bliebe denn fllr ein römischer Name für Delly selbst übrig? Das wage ich nicht zn entscheiden. Einstweilen, bis man den Gegenbeweis aus etwaigen, in Tedlcö aufgefundenen Inschriften geführt haben würde, halte ich mich noch an die von Shaw und Berbrugger angenommene nnd nach dem Itinerar deß Antonin wahrscheinliche Ortöbezeichnnug, welche in Dellys Nusuc-curnm und in Tedlcö Iomninm erblickt. Nusnccurnm hat für den Forscher alter Geographie eine wichtige Bedeutung. Denn von hier an bietet sich ihm cine Quelle für sein Studium, welche er in der Mauritauia Cäsariensis bis jetzt entbehren mußte. Ich meine die wcrthvolle Tabula P.'ntingcriana ^), jenen besten aller Wegweiser zu den antiken Städten, welche von nnn au unsere Pfade begleitet. Diese Tafel ist nicht, wie das Itinerarium des Antonini und die Geographie des Ptolemäus, ein bloseö Namenöregister. Nein! Die Tabula Peutingerlana ist eine Karte, eine seltsame Karte freilich, entworfen nach den *) Tabula ltincraria Pcutingeriana Ed. Conraili Man-nei't. Lipsia 1824. 94 Ideen des Alterthums, aber dennoch eine Karte, die einzige brauchbare, welche uns das Alterthum überliefert hat. Edrissi führt in seinen „geographischen Umcrhaltnngen" einen Ort Andalos an, welcher 30 Meilen östlich von Mars el Dschadsch und 70 Meilen westlich von Bidschaja (Bougie) lag. Ohne Zweifel ist dieß Dellys, welches also im 12. Jahrhundert (Edrissi lebte um 1190 am Hofe König Roger des Zweiten von Sicilien) Audalos geheißen zu haben scheint, woraus dann der hculigc Name entstand. In Dellys sieht man die Spuren einer römischen Stadtmauer, welche einen weiten Umkreis beschrieb. In ihren Trltmmeru fand inan im Jahre 18b? einen römischen Sartophag, welcher jetzt eine der Hanplzierden des Museums von Algier auömacht. Derselbe enthielt zur Zeit seiner Anffiuduug noch eiuen bronccnen Sarg, in welchem ein Skelett befindlich war. Der Sartophag war von weißem Marmor und stammte offenbar auö der byzantinischen Epoche. Seine Vorderseite zeigte Basreliefs, welche in sieben Abtheilungen Scenen ans dem Leben eiucs römischen Arztes darsttllleu. Dellyö nud Bougie sind die zwei Haupttüsteustädte der großen Kabylie, des Landes jener einheimischen Vcrberstämme, jener stolzen Nnmiden, welche weder die Karthager, die Römer oder die Vaudaicn, noch später die Araber nnd Türken gänzlich zu unterjochen vermochten. Dellys und seine nächste Umgebung wurde ziemlich spät filr einen fo nahe bei Algier gelegenen Punkt, nämlich erst durch den Feldzug des Marschalls Bugeand vom Jahre 1844, den Franzosen unterworfen. Die Küstenstraßc, welche die beiden »8 Haufttorte Kabyliens verbindet, ist cine der historisch interessantesten und zugleich, was den Genuß laudschaftlicherSchönhcit betrifft, eine der angenehmsten für den Touristen in Afrika. Nach kurzer Rast in dem jetzigen französischen Scldatenstädtchen Dellys, welches bei einer Einwohnerzahl von nur 700 Europäern und 1200 Mauren eine Garnison von über 2000 Mann befaß, trat ich meinen Küstenritt längs der nördlichen Grenze dcs Landes der autochthonen Verber an. Zweites Capitel. Die Küste der großen Kabylie. Kabylcnstämmc mn DellyS. — Das einstige Tigisiö nnb sein Bischof Sccunduö. — Die Nuincn von Iminuilm, -^ Die (^mn^uo ßentiaui. — Dcr „König von Kuko". — Mandel au geschichtlicher Ueberlieferung bei den Kabylcu. — Ein Colonijationsopfer. — Nllsazus. — Das Landschaslöpanor^ma um Vougic. Jene Kabylenstämme, welche im Jahre 1844, zur Zeit der Unterwerfung von Dellys, die französische Oberhoheit zugleich anerkannt hatten, waren die Äeni Tur oder Tuarga, die Veui Slilem, die Veni Uagenun und die Ilisset gewesen. Sie bewohnten alle den Küstenstrich in nächster Nähe östlich vou Dellys, durch welchen mich jetzt mein Weg führen sollte. Im Gebiet der Erstgenannten, der Tuarga, lag dcr gleichnamige Ort, in welchem mau das anüte Tigisiö wieder erkannt haben will. W Dieses Tigisis ist nicht zu verwechseln mit der im Süden von Constantine gelegene» gleichnamigen Nömcrstadt, dem Tibsches des Ebn Haukal und El Bctri. Manche haben in dem Tigisis bei Konstantine jene Stadt erkennen wolleu, welche Prokopios erwähnt und bei der er von zwei Säulen spricht, welche die Phönicier hier errichtet hätten. Prokopios scheint mir jedoch anzudeuten, daß sein Tigisis in der Nähe des Meeres gelegen war. Er erwähnt die zwei Säulen, welche die Kanga-niter, vor den Juden fliehend, hier errichtet hätten. Diese Säulen siud wahrscheinlich nichtö Anderes, als die gewöhnlichen phöni» cischen Dentsäulen, die dem Handelövolke des Alterthums als Landmarkeu dienten nud dic man später ^nininnas Horouloae nannte. Die Kanaaniter des Prokopios sind also einfach Phönicier. Solche Säulen wurdeu aber meist in der Nähe des Meeres aufgestellt. Prokopioö scheint diese Säulen selbst gesehen zn haben, da er die Feldherren Belisar und Salomon anf ihren afrikanischen Zügen begleitete. Auch der Quellenreich-thnm, den Prokopios bei seinem Tigisis beschreibt, paßt anf Tuarga. Die Lage von einem derzwei Tigisis oder Tigis, wie Ptolemäns schreibt, ist unzweifelhaft in der Nähe von Nusuccurnm zu suchen. Nach dem Alexandriner liegt Tigis unter 32.^ " der Breite und 19^" der Länge, während Nusuccurum unter 32^° ^cr Breite und 20^" der Länge liegt. Man sieht, es ist unmöglich, daß das Tidsches des El Vekri und Tigis des Ptolemäus ein und derselbe Ort war. Von Tigisis wissen wir freilich nichts Anderes, als daß es der Bischofssitz jenes berüchtigten Secunvus war, welcher im 97 Jahre 30b den Vorsitz auf dem Concil von Constantiue führte, wo er sich durch seine strafbare Nachsichtigkeit gegen diejenigen Bischöfe auszeichnete, welche unter der Verfolgung durch Diocletian die Evangelien dem hcidnifchen Proconfnl ausge-licfcrt hatten. Man glaubt die Beschreibung einer Comödie zu vernehmen, wcnn man liest, auf welche Weise sich anf diesem Concilium die der Glaubensverleugnung angeklagten und meist überführten Vlschöfe zu rechtfertigen fuchten, und wie Sccuudus vonTigisis ihre überaus faulen Entschuldignngen alle als genügend gellen ließ und unabänrerlich durch die Phrase: Tretet auf diese Seite! (auf die Seite auf welcher die bereits gerechtfertigten Bischöfe faßen) beantwortete. Aber der gute Secundus von Tigisis soll selbst nicht ohne Grund gewesen sein, sich in seinem Gewissen den Vorwurf machen zu müssen, nicht nur die Evangelien ausgeliefert, sondern sogar den Götzen Weihrauch gestreut zu haben. Es war bei dieser Demoralifation der katholischen Kirche wirtlich kein Wunder, wenn das Schisma der Donatisten bald so viele Anhänger in diesen Gegenden gewann. Uebrigeus will ich gar nicht geradezu behauptet haben, da>^ nicht das andere Tigisis, das bei Constantine gelegene, möglicherweise der Äischofösitz des Secunduö gewesen sei. Nachdem wir das Gebiet der Tuarga rechts gelassen hatten, führte uns em Nitt von mehreren Stunden durch eine fruchtbare, verhä'ltnißmMg wohlbepflanzte Hüsteuebene nach Tedles, wo die Nuiuen einer römischen Stadt, in welcher Shaw und VerbruggerIomuium erkannt haben, meine Aufmerlsamleit in Anspruch nahmen. Die Entfernung zwischen Iomnium und Nusuceurnm wird Drci Jahr,,' im Neidwcstcn von Asrila. Il, ? 98 von jeder der uns erhaltenen Quellen verschieden angegeben. Ptolemäus verlegt Ionmnun 15 Mimüen östlich von Nusuccu-rum. Das Itinerar giebt den Abstand zwischen beiden Städten auf 15 und die Peutingerschc Tafel auf 28 Milli-arien an. Die Entfernung zwischen Tcdles und Dellys beträgt 18 Kilometer, welche Zahl nnr 13 Milliarien entspricht. Die Angabe des Ptolemäus trifft jedoch übercin, wenn man den Maßstab der Halbirnng der Grade des Alerandriners festhält. Iomnimn wird von Älntonil» ein Muuicipinm genantlt. Im 5. Jahrhundert war es ein Visthum. Seiu doiiaüstischer Bischof Hypocratus erscheint 411 ohne katholischen ?l^ben-bischof auf dem Concil zu Karthago. Diese Ruinen von Iomnimn sind von großer Bedcntung. Ich sah noch die Neste eines antiken Ouais am Meere, dessen große Ausdehnung anf die Wichtigkeit dieses einstigen Römer-Hafens schließe» ließ. Die Ruinen zweier römischer Tempel und die eines Eircns zeichneten sich durch die Wohlerhaltenhcit ihrer Fundamente aus. Danebcu beobachtete ich einen nmmancrten antiken Wasserbehälter, wahrscheinlich eine einstige 1>i««inu, liui^riu, in dcr sich das Wasser durch Ablagerung seiner erdigen' Bestandtheile reinigte, und von welcher aus vie hier gewonnene tlare Flüssigkeit in die tiefer gelegenen (5ist ernen abfloß. Bon letzteren traf ich hier noch sieben, zum größeren Theil vortrefflich conseruirt. Der eine der beiden schon erwähnten Tempel halte, wie man aus dem Fundamente noch unterscheiden konnte, einen gcränniigen I'ei-iptei'u^ besessen, welcher oo» dreißig doppelten Säulen ausgch'illt wurde. Eine große Anzahl in den Fels ge- 99 hauener Grabkammern bezeichnete die Stelle der Nekropole des antiken Iomnium. Dem Namen Iomninui wird von Gesenins ebenfalls ein ph'önicisä)er Ursprung zugeschrieben. Diese Benennung käme vom Worte Iabueh (N22^), dessen Vedcntnng man übrigens nicht kennt. Iabnch war aber der Name einer Stadt iu Palästina. So hätten also die Phönicier ihren Colonien Namen nach Orten ihrer palästwischen Hcimath gewählt, ähnlich wie man in neuerer Zeit Städten in Amerika die Namen europäischer Orte gab, selbst ohne das obligate „Neu" dem Namen vorzusetzen. Von Tcdleö bis nach cem fünf deutsche Meilen östlich gelegenen Zaffuhn war der Anblick der Kllstenlandschaft ein äußerst freundlicher. Die Hügel, welche als Ausläufer sich vrn der mächtigen Bergeökctte der großen Kabylie heruiederstreckten und ihren Fuß in der salzigen Welle badeten, waren von lieblichen Hainen bedeckt, in welchen der Oclbaum, derIohanmöbrodbaum, die Feige, der Lentiscus und die üppige Granate ihre verschiedenfarbigen Blätter 'zu aumulhigen Lanbcskränzeu wanden. Hie und da sah man auö dksem grünen Meere cm Schieferdach vom Sonm'nstratzle geküßt, hervorblitzen, unter dessen schulendem Horte der fleißige Kabyle hanste. Denn der autochthonc Bewohner Afrika's, der Kabyle, welcher diesen Landstrich noch fast ausschließlich inue hat, ist nicht, wie der arabische oder arabisirte Beduine, ein Bewoher schmutziger Gurbis, ein Hauser in elenden zerfetzten Zelten. Nein! der Kabyse bewohnt wirkliche Häuser aus Stein gebant. Sein Haupt schützt ein wirkliches Dach. Er bearbeitet als fleißiger Ackerbauer die väterliche Scholle, 7«. 100 koste es ihm nun viel oder wenig Mühe, und zieht nicht, wie der faule Vcduine im Lande herum, nach dem Boden suchend, welcher ihm am wenigsten Arbeit abverlangen möchte. Der Kabyle hegt, wie alle Bergbewohner, eine große ^iebe zu scincm Vaterlande. Er klebt an der angestammten Scholle, während der Vcduine nichts von Anhänglichkeit zum Äoden weis;, und bei ihm nur die Familie die Nation repräsentirt. Co ist ee getommen, daß im ^anfe rcr Iahrh^,nderte, ja der Jahrtausende, tie Kabylen ihre Wohnsitze wenig, oder so gut wie gar nickt verändert haben, und »nan heul zu Tage in den einzelnen Böllern der Kabylie nlit Leichtigkeit diejenigen dieselben Gefilde als Vodenbüsitzer inne halten. Die Kiistenstämme zwischen Dellys und Vougie lNusuccurum und Saldac) waren im Alterthum alö (iuin^no^cntiuiii bekannt gewesen, welcher Name, der offenbar eine Verbrüderung von fünf verwandten Stämmen bezeichnen will, darauf hinzudeuten scheint, daß schon in ältester Zeit die politische Form einzelner Theile dieses Volkes eine Confederation, Und srmit ähnlich derjenigen war, welche wir heut zu Tage in den Suawuah's oder republikanischen Stammesverbindungen der Kabylie wiederfinden. DieHuinyns. gontiani bewohnten jedoch nicht ausschließlich die Küste, sondern das ganze Bcrgland, welches man jetzt die große Kabhlic nennt. Da aber die Herrschaft der Nömcr sich wohl nie so recht in'S Innere des Gebiets deö autochthoneu Gebirgsvoltcs ausgedehnt hat, so ist es natürlich, daß diese die fünf Stämme, mit deren Angehörigen sie an der Küste verkehrten, sür dort hauptsächlich ansässig halten tonnten. Diese fünf Slämme waren nach Ammi- Ifti anus Marcellinus, die Tindenses, die Massmissenses, die Isa-sienses, die Iubalini und die Iefalini. Tie Massmissenses hat man in dem heutigen Msisna, auf kabylisch Ismisscn; die Isastenses in dem Flissah, mis tabylisch Ifliss.'n; die Iubaleni in dem Iebalin oder Dschebalin, welche jetzt die Suawuah des Dscherdschera bilden, wiedererkannt. Das Gebiet einer Abthei» lung der Flissah, der Flisset el Vhar, welckes sich von Tedles bis nach Zaffuhn erstreckt, lag hcutc auf meinem Wege. Der Stamm der Flissah ist in der ganzen Algerie wegen seiner Waffenfabrikation berühmt. Das labylifch^! Schwert, die Flissa, hat von diesem Stamme seinen Namen bekommen. Es ist kurz und hat gewöhnlich eine hölzerne Echcide, welche geschnitzt ist. Zaffnhn, jetz nur noch aus einigen elenden Hütten bestehend, nimmt nach Berbrugger die Stelle des einst phönicischen und später römischen Nusubeser, dcö Nusnppisir der Penlinger'schen Karte, ein. Nach Gcsenius tonunt ter Name Nnsubeser vom pho-nicischcll Worte: Nus ha Bezer ^^^"^«^) uud bedeutet „Vorgebirge des Goldes". Daö Rusubeser des Ptolemäns war vielleicht mit rem Nusubiris der Kirchengeschichte identisch, welche im 5. Jahrhundert als Biöthum erwähnt wird. Was aber diese Stadt, von der wir wenig Anderes als ihren Namen Wissen, für eine Bedeutung gehabt habe, das ist jetzt noch nicht ergründet. Im 17. Jahrhundert war diese ganze Gegend einem taby-lischen Schcith unterworfen, welchem die mit ihm in Verkehr stehenden Spanier den lächerlich pomphaften Titel eines „Königs von Kuto" beizulegen pflegten. Kuto war ein kleines Dorf, in Welchem dieser sogenannte König resirirte und ocu dcin man 102 jetzt nicht eimnal die i!age weis;. Der „König von Knto" hatte, wie uns der Trinitarier Pere Dan erzählt, an feinem sogenannten Hofe einen spanischen Franziscauermönch, der zwar ursprünglich alö Missionär dahin geschickt worden war, aber in Wirklichkeit daselbst nnr die Rolle eines Parasiten und Schmarotzet seiner barbarischen Majestät gespielt zu haben scheint. Dieser tuttenbehängte Höfling faßte die großartige Idee, ein Bündniß zwischen dem glorreichen Monarchen von Knko und dem katholischen König zu Stande zu bringen. Seiner Permittelung gelang es auch wirklich, einen Vertrag zwischen Casti-lim und dem „Königreich Kuko" herbeizuführen. Der grcße Fürst versprach, dcu Spaniern ein kleines Fort ausliefern zu wollen, wofür diese natürlich in baarer Münze zu zahlen haben würden. Unglücklicherweise für das Gelingen dieser Speculation des „Königs von Kuko" bekam der Pascha von Algier Wind von dem Vertrage und schickte einige Ianitscharen ab, welche sich ohne Mühe des der Krone Castilien versprochenen Forts bemächtigten. Der „König von Kuko", erschrocken über dies Perfahren der türkischen Miliz, eilte sich dem Pascha zu unterwerfen, dessen Vasall er bisher nnr nominell gewesen war. Der Dcy legte dem Kabylenscheith als Sühne für fein Viindmß mit den Ungläubigen auf, die Spanier an die Türken zu verrathen, wozu der ehrliche Monarch von Kuko nicht schwer zu bewegen war, besonders da ihm der schlaue Pascha noch fünfzig Sultanis für jeden spanischen Kopf versprach, den es den Kabylen gelingen würde, abzuschneiden. So kam c5, daß, als bald darauf vier spanische Galeeren, der Verabredung mit dem Scheith gemäß, die lünftigc Besatzung des auszuliefernden Forts beim Cap Zaffuhn W3 an's Land setzten, die spanischen Truppen von den Türken und den Verrätherischen Kabylen zum großen Theil niedergemacht wurden, bei welcher Gelegenheit anch der große Diplomat in der Franziscanerkutte seine unberufene politische Laufbahn zugleich mit seinem Leben endigte. Aber der große König mußte, als er die Spaniertöpfe an den Pascka abschickte nnd sich die verheißenen Eultanis dafür ausbat, zu feiner bittern Enttäuschung die Nichtigkeit der Versprechungen des Dry erfahren uud tonnte noch froh sein, mit ciuem tüchtigen Verweis für sein allzuselbstäudiges politisches Gcbahrm davon zu kommen. Sonderbarerweise ist von der fürstlichen Macht der „Könige von Kuto" nicbts, gar nichts übrig geblieben. Ja die Kabylen wissen heut zu Tage nicht einmal, daß ein solcher jemals existirt hat, wie sie überhaupt auf historische Ueberlie-fernngcn nicht den allergeringsten Werth legen. Dieses Volk kennt seine cigcneAbstammung nicht,und viele seiner Stammeshäupter fnchen in lächerlicher, falschverstandener Eitetkeit ihren Ursprung von den Arabern, mit deren Glauben sie auch viele ihrer Vorurthcile angenommen haben, abzuleiten; während sie ihren Stolz in ihre Abstammung von den autochthoncn Herren dcö Bodens seyen sollten. Wahrhaft komisch ist es, daß die Kabyku nicht ciumal von den historischen Ereignissen der neueren vorsranzösischen Epoche eine klare Erinnerung haben. Für die Türten und Alles, was diese in der Kabylie ausgeführt haben, besitzen diese Bcrgstämme nur den einen dunklen Begriff von der eiustigen großen Macht eines gewissen Bey Mohamed. Alles, was von den Türken herrührt, hat Mohamed Bey gemacht; der Pafcha von Algier, was nun immer fein persönlicher Name tO4 sein mochte, galt den Kabylen immer >,ur für Mohanled Bey5 jeder türkische Bimbaschi oder sonstige Truppenführer, verein Corps in der Kabylie befehligte, war Mohamed Bey. Die ganze türkische Epoche wird bei diesen alles historischen Gedächtnisses und aller historischen Kritik entbehrenden Stämmen fnr nichts Anderes, als die Zeit dcrHerrschaft des besagten, fabelhaften Bey Mohamcd gehalten. Von der arabischen und maurischen Epoche, welche der türkischen vorherging, haben sie natürlich noch wemgerelneIdee, unddaßihrLand einmal, wenigstens zumTheil, den Römern unterworfen gewesen sei, davon anch nur d cn Schatten eines Begriffes bei ihnen zu snchen, das wäre Wahnsinn, ' In Zaffuhn übernachtete ich im Hause eines der wenigen französischen Ansiedler, welche dieses elende Dorf bewohnen. Aermttch sah es in diesem Hause aus. Ein vom Fieber entstelltes Weib brachte mir mein Abendessen. Sie sah so traurig aus, daß ich nicht umhin konnte, sie zu fragen, was den Gegenstand ihres Kummers ausmache. Die Arme sing an zu weinen und erzählte mir, daß sie von sechs Kindcrn in dieser ungesunden Gegend tcin einziges habe erhalten können. „Das letzte" sprach sie, „ist erst gestern gcstorben und Morgen M es begraben werdcu. Als ich hierher kam, war ich eine glückliche Mutter. Die ungesunde Colonie hat alle meine Hoffnungen zertrümmert." Auch ein Colouisatiousopfer, wie cs in diesem Lande so viele giebt! dachte ich. Diefe Frau war ans dem nördlichen Frankreich uud die Nordfranzosen können einmal ebenso wenig ohne Nachtheil für die Gesundheit in ein afrikanisches Klima verpflanzt w-rdcn, als Deutsche und Eng- l«5 lander. Ten Provenzalen, Italiener» und Spaniern wird es viel leichter, sich hier zu Lande zn acclimalisireu. Am folgenden Tage setzte ich meinen l)litt bis Bougie fort. Halbwegs rasteten wir bei dem CapSigli, wo sich einige römische Reste befinden, welche Berbrugger für die des Nusazus des Ptole--mäos hält. Plinius giebt Nusazus den Titel einer Colouia. Sonst wissen wir nicht viel Anderes von ihm, als daß es im fünften Jahrhundert, wie fast jedes Dorf in Afrika, ein Bischofssitz war. Augustinus spricht von einem donatistischen Bischof von Nusazus, welcher diese Stadt dem Nebelten Firmus auslieferte. Die Donatisten waren die natürlichen Feinde der orthodoxen Nomer. Sie repräfentirtcn in der Kirche das nationale Element Numidiens und Mauritauiens. Kein Wunder, daß Firmus und später Gildon unter ihnen vielen Anhang fanden. Nusazuswar, wie sein Name errathen läßt, bereits eine phönu'ische Colonie. Gesenius leitet diesen Namen von Nus Afis s^iv^ui) ab, welches „befestigtes Vorgebirge" bedeuten soll. Die Araber würden heutzutage daraus ein 3?pen! cin unendlich zarter, durchsichtiger, veilchenblauer Nebelschleier goß sich liber die üppige Ebene aus uud bildete ein ätherisches Meer, welches am Fuße der naheu Höhen wellenförmig hinanwogte. Darüber ragte cm Heer von niederen Hügeln empor, auf deren leichtgewellten Rücken zahllose Haine von Oelbäumen, Citronen und Orangen» Pflanzungen, umzäunt von malerischen Hecken der Cactus uud Agaven, ihren grünen Farbenschmelz ergossen hatten. Ueber sie erhob sich eine Höhcrc Kette schwarzer, tühngezackter Verge, denen die Wälder von immergrünen Eichen und Korkbäumen, welche ihre Gipfel krönten, einen mitternächtig dunkeln Farbenton verliehen. Ernst und hehr blickten sie iu die lachenden Thäler nnter ihnen; sie drückten den stolzen und drch zugleich ost finstern Crnst des reiferen Mannesalters aus, demgegenüber die niederenHügel nur wie Jünglinge, die Vlumenhaine der Ebene nur lächelnde Kinder erschiene». Aber im tiefsten nnd doch zugleich erhabensten Hintcrgrnnde dieses mächtigen Panorama's, hoch über Kbenc, Hügel nnd mittlere Berge, streckten sich gen Himmel die riesigen Häupter der höchsten Gipfel der .^abylie und des Dschcdschera. Niesig uud stolz, finster nnd kühn, starrten die Häupter dieser Söhue der Kraft zum Nctherblan hinauf. Ihre Form war 1ft? äußerst manuichfaltig, unerreicht, was Abwechslung betraf. Vald zeigten sich Gipfel, wildgezackl gleich dcn Zähnen eines riesigen Unlhiers; bald Höhen mit runden, bald solche mit con-cavcn, vulcanartigen Nucken; b.-lld mauerartige, wie die Nuinen eines Gigantenschlosses gen Himmel strebende Kolosse; bald spitzig zulaufende Niesenzacken, gleich dem Dolche eines Dämonen, der ihn zum Hohn gegen die Gottheit herausfordernd gen Himmel streckte. Von diesen den Golf von Vongie überragenden Vergeö-häuptcrn waren es vor allen drei, welche dem Beschauer von jedem Plmtte des Meerbusens sich zeigten, und welche mit ihren hervorragenden, scharf ausgeprägten Formen der Umrahmung des Landschaftsbildes ihrru eigenthümlichen Ausdruck und Charakter verliehen: Im Osten der 6000" hohe Dschebel er Rebuhr, dessen Nucken abgeplattet wie ein Niescntifch erschien, während tiefe Schluchten seine Seiten bezeichneten. Südlich lauerte die finstere Masse des Dschebel Kandiruh oder Beni Khallen, dessen zahlreiche Eisenadern ihm ein dunkles, schwermüthiges Gewand gaben. Im Westen malte sich der Dschebel Beul Mimuhn, sanft abgedacht anf der uns zugewandten Seite, wo er die reichsten Korlwaldungcn der Kabylie trug. Am Fuße zweier zackiger Ielsenhäupter, des 3400^ hohen Dschebel Beni Tschndscha und des 5000' hohen Vabohr, lag, an dcn Abhang der 1800' hohen Steinmasse des Gurajah angelehnt, die Stadt Vougie, welcke mit ihren ans einem Meer der Laubes-bäume hervorblickenden Häusern, oon lachenden Gärten umzäunt, ein ländlich heiteres Bild gewährte, das lieblich gegen die finstere, ernste Hingebung der hohen Gebirge und des Fclsenhintergrundcs 108 abstach. Mehrere mittelalterliche, massenhafte Forts, das eine auf einer Anhöhe oberhalb dcr Stadt, ein anderes unweit des Ufers und ein drittes in halber Höhe des Dschcbel Gurajah gelegen, bezeichneten dem Kenner historischer Denkmäler deutlich diese Stadt als eine einstige Niederlassung der Spanier, welche hier, wie in Oran und allen anderen Knstcnpuntten Afrita's, welche sie einst besaßen, nichts Anderes verstanden hatten, als plumpe Fcstungsfteine aufzuhäufen: Ein beredtes Denkmal ihrer Unfähigkeit, dieses Land zu regieren, in welchem ihr religiöser Fanatismus sie so verhaßt machte, daß nur riesige Festungs-maucrn sie gegen den Zorn der Cingebornen zu schützen im Stande waren. Drittes Capitel. Bougie. Daö antike Saldac. — Die vandalische Ringmauer. — Geiserich in Saldae. - Blüthe Bougie's im Mittelalter. — Lebhafter Handel mit den italienischen Republiken. — Einnahme Bougie's dlivch die Spanier. — Enterung durch die Tinten, — Die Franzosen in Bongie. — Dcr Word deö Commandanten Salo» mon dc Äilissis. — Die kalylische VcnWta. — Tcr Naia dcS Scheilh.Saad. — Schlechtes Wohnen in Vouak. — Spazier-ssang auf den Dschebel Olnajah. — lvm „euer Reisegefährte. Bougie, das Bidschajah der Araber, das Vugea des Mittelalters, nimmt ohne Zweifel die Stelle der einstigen Nömer-stadt Saldae cin. Zwar haben friihcre Archäologen, durch die Namensähnlichkeit getäuscht, darin das alte Uaga oder Vaga und Manncrt in ihm das Chobae Municipiuin des Itinerars wiederfinden wollen. Aber Leon R^nier hat seitdem ans zwei in neuester Zeit entdeckten und im Museum des Louvre befindlichen Inschriften siegreich den Beweis geführt, daß die Meinung Shaws, welcher zuerst in Bougie das einstige Saldac erkannt hat, die richtige war. Zahlreiche Ncfte von Vanten verflossener Zeitalter deuten an, daß keines der Völker, welche nach einander ihre Herrschaft über diese Küstenländer ausgedehnt haben, die wichtige Lage dieses Punktes verkannt hat. Die römische Ringmauer, welche nicht weniger als 75<^ im Umkreise beschrieb, ist noch an vielen Stellen erhalten. Eine der interessantesten und wichtigsten römischen Inschriften, die des Anfidiuö Honoratns, welche jcht im Musenm von Algier aufbewahrt wird, wurde hier aufgefunden. Dieselbe verdankt nämlich ihre Wichtigkeit dem Umstände, daß sie das Datum zugleich in zwei verschiedenen Zeitrechnungen, daö heißt in der römischen consnlarischcn, nach welcher das Jahr mit dem Namen der Konsuln benannt wurde, und in der provincicllen mauritamschen Uera angiebt. Durch diese doppelte Zeitangabe ist es möglich geworden, daö Jahr 40 p. Chr. n. als den wahren Anfang der bisher nur unvollkommen bekannten mauritanischen Zeitrechnung zu bestimmen. Außerdem fand man hier zahlreiche römische Backsteine und Hohlziegel (t^uwo kainiUaL), von denen viele Inschriftszeichen trugen, welche diesen an und für sich so unwichtigen Gegenständen verhältnißmäßige Bedeutung verliehen. 110 Saldae war übrigens vor d^r Nömerzeit jedenfalls schon eine Colonie und zwar eine phönicische. Der Name wird von Gesenius von Sered ^,i) abgeleitet und bedeutet „harter Stein". Diese Ableitung des Namens wird jeoem ungezwungen vorkommen, der weiß, daß Saldae im Alterthum auch Sardae (^«(»Ful bci Slradou) genannt wurde. Somit wäre sein Name von gleicher Etymologie mit demjenigen der Insel Sardinien, Welcher gleichfalls die Plionicicr ihren Namen verliehen. Im Arabischen bedeutet Salde l^) v^) noch j,etzt „harter Stein". Ptolemäos gicbt die Vage von Saldae als 5" östlich von Julia Caesarea an. Halbiren wir diese Grade, so erhalten wir ungefähr den wirtlichen Läugcnunterschied zwischen Tcherschell (Caesarea) und Bougie (Saldae). Das Itincrar nennt die Entfernung zwischen Caesarea und Saldae 218 Millianen, welches genau den A05 Kilometer» entspricht, welche der Weg von Scherschell nach Bongie längs der Küste beschreibt. Plinius nennt dicse, nach ihm vom-Kaiser Augustus zur Colouic erhobene, römische Niederlassung: Colouia Julia Augusta Saldantium; uno Strado belehrt uns, daß dieselbe im Augustäi-scheu Zeitalter deu Grenzpunkt zwischen den Staaten des Königs Iuba li. von Mauritanien uud der römischen Provinz Numidien ausmachte. Sonst hat uu^ dic Geschichte wenig über diese Stadt hinterlassen; aber aus dem Umstände, daß Saldac den Mittelpunkt zahlreicher Nömerstraßen bildete, können wir einigermaßen auf die einstige Wichtigkeit dieser Colonie des Königsvolks schließen. In der christlichen Periode war Saldae natürlich ein Vis- Ill thum. Sein Bischof Pancharius erschien 484 ailf dem Concil von Karthago. Die Bedeutung, welche Saldae in der Epoche der größten Macht Noms besaß, muß es indes; bald verloren haben, als mit dem Verfall des Neichs die umwohnenden Nunndenstämme, welche immer mir unvoükommen, znin Theil gar nicht, unterworfen gewesen waren, sich stets rebellischer nnd feindseliger zu geberden ansingen, so daß sie die Stadt oft fast bloquirt hielten. Die Bandalen hatten Saldae zu ihrer Hauptstadt erhoben, ehe sie bis nach Karthago vorgeriickt waren, uud diesem Umstände verdankte die Stadt die Bewahrung ihrer Mauern; während doch die aller anderen Orte Nfrika's von unseren germanischen Stammesgenossen aus mißverstandener Politik niedergerissen wurden. Es machte dem Scharfblicke Oeiserichs Ehre, diese von Natur so bevorzugte Lage zu seiner Residenz erwählt zu haben. Dieser Bandalenko'nig ließ sogar die Ringmauern Sal-dae's erweitern und zwar beschrieb die vandalische Mauer einen Umkreis von 15,000', also doppelt so viel als die römische. Ihre Neste sind noch hente sichtbar, und möchte dieß wohl das einzige nachweisbare Denkmal in Afrika sein, welches jenem Volte, das sich so gut auf'ö Zerstören verstand, seine Entstehung ausschließlich verdankte. Als jedoch Geiserich Karthago eroberte, wurde dieses die Hauptstadt des großen germanischen Neiches in Noroafrika und Saldae sauk zn seiner frühern verhältnisiniäßigcn Unbedeutendheit wieder herab. Erst im zehnten Jahrhundert sollte ein mächtiges Geschlecht arabischen Ursprungs, die Beni Hammad oom Stamme der Sen Hadscha, welche hier ein nnabhängiges Königreich gegründet 112 hatten, dieser Ttadt, die sie unter dem Namen Vidschazah zu ihrer Residenz erhoben, neuen Glanz verleihen. Edrissi, welcher sie zwei Jahrhunderte später beschrieb, ist ihres Lobes voll. Er schildert ihren Handel als überaus blühend, ihren Hafen als vielbesucht, ihre Bewohner als wohlhabend, ihre Handwerker als äußerst geschickt, namentlich in Verfertigung von Waffen und Lederarbeiten. Bon der Bedeutung und Größe der arabischen Stadt zeugt am beredtesten der Umstand, das; die Einwohner sich bald innerhalb der früheren Ringmauern zu enge fühlten und sich genöthigt sahen, eine neue Stadtmauer von nickt weniger alö einer deutscheu Meile im Umtreiö zu erbauen. Ein Theil dieser saracenischcu Ringmauer, welche mit zahlreichen Thürmen versehen war, besteht noch heute und zieht sich oom Gipfel bis zum Futze des Dschebel Gurajah hin. Bidschajah war damals vielleicht dcr wichtigste Handelsplay Nordafrilas. Die Bcrber-flämmc der groß.'N Kabylie, welche die diplomalisch-schlaucn Bcni Hammad zn unterjochen nicht einmal v.rsnchtcn, wohl aber auf friedlichem Wege ihrem Einfluß zugänglich zu macheu wußten, standen auf freundschaftlichem Fuße mit dem Beherrscher und den Vewohuern von Bougie, welche ihnen rie reichen Producte ihres fruchtbaren Bodens abtanften. Als im Jahre 1152 die Macht der Beni Hammad durch den Almohaden Abd-el-Mumen gestürzt und in Folge davon Bidschajah mit dem 3ieiche Marolto vereinigt wurde, und nach^ dem es später 1240 an das Königreich Tnuiö gefallen war, blieb dennoch sein Handel lange Zeit in dem flühern, blühenden Zustande. Um diese Zeit begannen die Pisaner und später die Venetians und Genueser Handcloverdindungcn mit Bugea, wie 118 sie die Stadt nannten, anzuknüpfen, welche sie bis zum Beginn der Eroberung Vidschajah's durch die Spanier mit großem Erfolge fortsetzten. Die Pisaner und Genueser besaßen in Bidschajah ihre eigenen ausschließlichen Karawanserei, ihre Bäder, ihre Kirche, ihren Friedhof und gingen m dieser Stadt, sowie im ganzen ?ande, frei ein und aus. Welch einen Abstand bildet diese aufgeklärte Behandlung der Fremden uuler der arabischen Herrschaft gegen den Fanatismus und die Barbarei der Türken, welche später während drei Jahrhunderten dieses Land den Europäern fast unzugänglich machen sollten! Zur Zeit der arabischen Herrschaft war.cn es eher die Christen, welche sich als fanatisch und znm Friedensbruche geneigt zeigten. So entzweiten sich im Jahre 1390 die Genueser mit dcm damaligen Oberherrn oon Bougie, dem König von Tunis, Abu-cl-Abbas, und veranstalteten einen lächerlichen Kr?uz;ug a/gen die afrikanische Küste, zu welchem sie sick als Generalissimus einen französischen Prinzen, in der Person des Herzogs von Bourbon, vom König Karl VI. erbeten hatten. Die vollkommene Unfähigkeit dieses Heerführers machte das'Un» tcrnehmen noch lächerlicher, als es an und für sich schon war. 5)cacl> kurzem zwecklosen Verwcilen au einem unbewohnten Fleck der Küste bei Mahadiah, ließen die französischen Hülfstruppen, mit dem Prinzen an ihrer Spitze, die Genueser glänzend im Stich und kehrttu ohne Lorbeeren nach Hause zurück, worauf sich die Genueser beeilten, Frieden mit Tunis zu schließen und vom König Abu-cl-Abbas, der über die anscheinend bedeutende Rüstung der Verbündeten nicht wenig erschrocken gewesen war, höchst vorteilhafte Bedingungen erlangten. Seitdem blieben Drei Jahre im Norbwcsten von Afnla. II. 8 114 die Genueser vorherrschend im Besitze des Handels von Bougie. Im fünfzehnten Jahrhundert begann Bougie einen nblen Ms bei friedlichen Kaufleuten zu bekommen. Denn seine Be« wohner fingen an, sich der Seeräuberei, jenem geschworenen Feinde jedes Hanrelö und Verkehrs, zu ergeben. Es scheint, daß vor Allen die Spanier von den Secräubereien der Vugioten zu leiden hatten. Um diesem Zustand ein Ende zu machen, schickte Cardinal Timenes im Jahre 1510 eine Expedition unter Befehl des Grafen Pedro de Navarro nach Vidschajah ab, welcher General, nachdem er einen kurzen Widerstand durch den tunisischen Prinzen Abd-er^lahman erfahren hatte, sich auch wirklich der Stadt bemächtigte. Groß war die Freude aller eifrigen Katholiken über diesen Sieg. In Nom und Spanien veranstaltete man Te Deum's. Aber in Genua und Venedig hatte man weniger Grund, sich über die Einnahme Bougies dnrch die fa» nalischste Nation der Christenheit zu freuen; denn diese Einnahme machte allem Handel mit einem Schlage el>l Ende. Die Spamer Umtrieben beinahe alle Muselmänner, sehten einen Bischof in der fast nur noch uon Solvatcn bewohnten Stadt ein, und schickten einige Mönche, sowie einen Inquisitor zur Betehrung der Juden und Verfolgung der Ketzer dahin ab. Aber das politische Gebäude des fanatischen Cardinals sollte nicht langen Bestand haben. Schon hatte sich in Afrika eine neue Macht ewgcfunden, welche zu reißender Größe schnell emporwuchs. Das waren die türkischen Ianitscharm und Seeräuber, an deren Spitze die beiden Rothbärte (denn alle beide hießen Barbarossa) Arnvsch und Kheir-ed-Din standen. Sie be-. 1!5 kämpften unablässig die spanische Macht; anfangs zwar nicht immer mit Erfolg. Vor Bougie, welches er im Jahre 1512 umsonst zu erobern versuchte, verlor Baba Arudsch, der älteste der Narbarossen, seinen einen Arm. Seine Nachfolger ruhten jedoch nicht eher, als bis es ihnen endlich gelang, die Spanier aus dieser wichtigen Stellung zu vertreiben. Im Jahre 1555 capitulirte Don Alfonso de Peralta, der letzte spanische Gouverneur von Bougie, und Salah Na'is trat, als Pascha von Algier, in den Besitz der Stadt. Die Tapferkeit der Spanier hatte sich dießmal verleugnet. Dic Unfähigkeit des Gouverneurs war so groß, daß er cö nicht einmal verstand, der Garnison vortheilhafte Cavitulationsbedingungen zu ertrotzen. Denn bei dieser Gelegenheit erhielten nur der Gouverneur salbst, sowie zwanzig von diesem zu bezeichnende Soldaten frcieu Abzug. Alle Anderen, libcr tausend an der Zahl, wurden als Sklaven nach Algier abgeführt, wo sie zu illegierungsarbeiten verwendet werden sollten. Nebrigens genoß Peralta nicht lauge sein schmachvoll erkauftes Leben. Karl V. ließ ihn bald darauf als Verräther auf dem Marktplätze in Valladolid hinrichten. Man sagt, daß dieses für Spanien so demüthigende Ereigniß einen dergestalt cutmu-thigcndcn Eindruck anf das Gemüth Karl's V. gemacht habe, daß dieses Unglück, nebst der abergläubisch gedeuteten Erscheinung des großen Äomcien, jenen Baiser zur Thronentsagung bestimmt habe. Uutcr der darauf folgenden tnrtischcn Herrschaft, die, was Fanatismus betraf, ein Seitenstiick zu der spanischen bildete, blieb Bougie in der Unbedcutendhcit, zu welcher Cardinal timenes dasselbe rcducirt hatte, ja es fiel wo möglich noch tiefer. Mo die Franzosen am 29. September 1833 von ihm 116 Besitz nahmen, hatte Bougie nur mehr die Proportionen eines elenden Dorfes. Lange blieb las französische Gebiet an diesem Theil der Küste auf die bloße Stadt beschrankt, in welcher die Herren Algiers so gut wie bloquirt waren. Von allen Seiten waren sie von ununterworfenen, meist feindlichen Kabylensta'm-men umringt. Im Jahre 18.86 setzte die Verrätherische Ermordung des französischen Commandanten von Bougie, Salo--mon dc Mussis, durch einen Kabyleuhäuptling ganz Frankreich in Entrüstung. Diese Begebenheit ist zu charakteristisch für die Sitten der Kabylen, um nicht hier eine Erzählung zu verdienen. Die Kabalen sind ein Bergvolk, nnd ein bekannter Schriftsteller will behaupten, daß alle Bergvölker die sogenannte Vendetta (erbliche Blutrache) üben. An den Schweizern habe ich freilich nie eine erbliche Vendetta entdecken können. Denn ihre beliebten Prügeleien bei der sonntäglichcn Betrunkenheit laufen, so viel mir bekannt wurde, niemals tödtlich aus. Wenn also auch nicht alle, so übe» voch einige Bergvölker die Vendetta. Die Corfen stehen natürlich oben an. -Sie sind die Erfinder der Theater- und Roman-Vendctta, welche besonders von Alexander Dumas in schaudervollen Schilderungen ausgebeutet wurde. Die Kabylen dagegen begnügen sich mit der Natur-Vendetta. Dieselbe ist etwas weniger Fra Diavolo, als die corsische, nnd eignet sich vielleicht nicht so gut zu Oper und Ballet, aber sie ist ganz ebenso blutig. Die kabylische Vendetta ist sogar noch blutiger, als die durch Romane so interessant gemachte corsische, denn sie hat einen größeren Spielraum. Sie umfaßt nämlich nicht nur die wirtliche Verwandtschaft, sondern selbst eine füignte, ein Band, welches man bei andern Völkern 117 nur Freundschaft nennen würde, das aber bei diesen Stämmen alle Rechte einer wirtlichen Verwandtschaft vindicirt. Bei diesem Volle besteht nämlich, ähnlich wie bei einzelnen Stämmen der Indianer Nordamerika's, der nralte Brauch, daß zwei Kriegersich durch die Vandc einer fingirten Brüderschaft verbinden, welche nur mit dem Tode Beider endigt, denn mit dem Tode des Einen hören die Bruderpflichten des Andern noch nicht auf. Diese Verbindung legt jedem der Beiden die Pflicht auf, über das Leben des Anderen zu wachen und, sollte derselbe, trotz der brüderlichen Wachsamkeit, dennoch als Opfer eines Feindes fallen, seinen Tod wenigstens zn räche». Die so verbrüderten Männer heißen Najah. Jeder der Beiden nennt den Andern seiucn Najah. Der Najah ist seinem Najah heiliger, als wäre er ein wirtlicher Blutsverwandter. Niemals tann Feindschaft zwischen Beiden auöbrechen. Die Feinde des Einen sind auch die Feinde des Andern. Selbst mit dem Tode des Einen hört der Andere nicht auf, seine Bruderpflicht zu üben, entweder um auf dem Grabe seines Najah friedlich zu beten und für seine Hinterlassenen zu sorgen, oder um den Tod seines 3lajah blutig zu rächen. Nun kam es, daß einer der wichtigsten Häuptlinge der Nachbarschaft von Bougie, der Scheikh°Saad oder „große Sckeith", wacher den mächtigen Stamm der Ulad Tamsaltz befehligte, und dessen vollständiger Name Moyamed - u-Am-sicn Ulid-ur-Nabah war, einen solchen Najah in der Person eines armen alten Marabut besaß. Dieser ehrwürdige Grets beging während jener Zeit, als die Kabylen um Bougie noch Feinde der Franzosen waren, die Unvorsichtigkeit, sich zu nahe an die französischen Vorposten zu wagen, wo er gefangen und 118 ohne Weiteres als muthmaßlicher Spion füsilirt wurde. Ehe man den Leichnam des Marabut einscharrte, kam es, rag ihn ein junger Israelite, welcher mit den benachbarten Kabylen Vieh-Handel zu treiben Pflegte und der fast Alle kannte, im Sande daliegen sah. Ploylich bemerkten die umstehenden französischen Soldaten, daß dieser junge Inde zu zittern anfing und bleich wurde. „Was zitterst Du, Iuif?" fragte ihn eine „Vi<^1l^ mnu«-tacke" mit Stentorstimme. Aber der junge Israelite stierte nuruor sich hin nur seinen bebenden Lippen entschlüpften die Worte: „Es !var der Najah!" „Was sagst Du da?" fragte der granbärtige Corporal, ..Najah? Was ist daü für ein Thier: Najah? Dieser V6äouin wäre ein Najah gewefen? Da muß ein Najah kein gutes Geschäft sein, denn er sah sehr zerlumpt aus, als wir ihn festnahmen." So spottete die „Vioillß muuutaoliL" und es war durchaus unmöglich, diesem in den Waffen ergrauten Krieger begreiflich zu machen, daß der alte Marabut etwas melir gewesen sei, als ein gewöhnlicher „L^lnuin." Die Franzosen, deren grenzenlose Verachtung der Eingeborenen es ilmm nicht der Mühe werth erscheinen läßt, sich auch uur im Geringsten über deren Sitten und Gebräuche zu unterrichten, waren natürlich alle in derselben vollkommenen Unwissenheit, wie der Corporal, über den geheiligten Charakter, welchen der standrechtlich erschossene Alte in seiner doppelten Eigenschaft als Najah des Schcikh-Saad und als Marabut besaß; sonst hätten sie wohl litt nicht durch diese so zwecklose That der foldatesken Willkühr den Zorn cincs mächtigen Stammesoberhauptes auf sich geladen. Als der Scheikh-Saad den Tod feines Najah crfnhr, schwur er, blutige Rache an den Mördern zu nehmen. Da er aber die einzelnen Soldaten, welche deu Marabut festgenommen nnd füsilirt hatten, nicht ausfindig machen tonnte, außerdem auch nur als blinde Werkzeuge nnd als zu untergeordnet und seiner Beachtung nuwerth ansah, so beschloß er, sich an dem Commandanten von Bougie selbst zu rächen; denn er nahm an, daß dieser den speciellen Befehl zur Erschießung einer so wichtigen Person, wie sein Najah war, gegeben h^ben müsse. Der Commandant wußte freilich tanm etwas von dieser Execution, welche nach einem allgemeinen Befehl ausgeführt worden war, der bei diesem Falle seine Anwendung gefunden, ohne daß man dem Chef vorläufige Mittheilung zu macheu gebraucht hatte. Mohamed-u-Amsien tonnte übrigens seinen Nachewunsch nicht so bald ausführen, da damals die Franzofen, hinter den Mauern von Bougie zurückgezogen, sich nur auf die Defensive beschränkten. Er erwartete die Gelegenheit zu einem offenen Gefecht. Diese Gelegenheit kam nicht. Er mochte die Franzosen noch so sehr herausfordern, sie hatten Ordre, in diesem Jahre nichts in der Kabylie zu unternehmen. Das wnrmtc den Scheikh« Saad. Er tonnte den Tod seines Najah nicht recken! Wer aber den Tod seines Najah nicht rächt, der ist bei den Kabylen entehrt nnd gilt für einen Feigling. Die Leute seines eigenen Stammes wagten freilich nicht, Mohamed öffentlich zu beschimpfen. Aber die Kabylen anderer Stämme, so oft sie mit ihm zusammcnkamen, nahmen kein Blatt vor die Znngc imd riefen: 120 „Sehet de» Feigling! der seinen Najay nickt gerächt hat." Das wurmte oen Sckeikh-Saad ucch stärker. Sein Rachedurst wuchs immer mehr und mehr. Er mußte seinen Najah rächen! Im offenen ssricgc den Commandanten anzugreifen, darauf hatte er freilich tcine Hoffnung, 2» s^ucr Verzweiflung beschloß er, seine Hülfe zum Verrath zu nehmen. Deßhalb henchclte Mo-hamel)-u-Amsien plötzlich friedliche Gesinnungen uud lud den Commandanten Salomon de Mussis zu einer freundschaftlichen Besprechung über ciucn nlit ihm abzuschließenden Vertrag ein. Der Geladene erschien vertrauungsvcll am fcstgcsctztcnTage im ^ager des Echeikh - Saad, nur oon einem Dragoman und einigen Offizieren begleitet. Alle wurden das Opfer der Treulosigkeit des Echeith-Taad, welcher die Tödtnng seines Najah in ihrem Blute rächte. Groß war die gerechte Entrüstung der Franzosen über diese Unthat) aber sie, hätten mit etwas weniger Verachtung der inländischen Sitten und etwaö mehr Kenntniß derselben sich dieses Unglück leicht ersparen tonnen. Wenn man mit einem fanalisch an feinen alten Bräuchen hängenden Volte, wie den Kabylen, zu thun hat, so bedenke man wenigstens, wie jeder Verstoß gegen geheiligte Gebräuche bei solchen Leuten aus einem bisherigen Freunde ciucn eingefleischten Feind machen taun. Aber es wäre von den Franzosen wirtlich zu oicl verlangt, daß sie sich um die Eigenthümlichleittn deö unterjochten Bottcü tüm-mern sollten! Ihnen sind alle Eingeborenen, seien sie nun Mauren, Araber oder Kabylen nichts als „Co» mi8i>rab1e« 2«. äouint,", und werden von ihnen alle über einen Kamm geschoren, möge er dcu zu Schecrenden nun passen oder nicht. Erst scit dem Jahre 1657 ist die ganze Kabyttc wirtlich 121 unterworfen. Die vor dieser Zeit gemachten Feldzüge hatten sich zwar alle sehr schön auf dem Papier ausgenommen, aber so gut wie kein Nesultat gehabt. Seitdem ist erst Bougie frei. Vis dahin war es zu Lande wie bloquirt und sein Handel in Folge davon natürlich schr gedrückt. Jetzt fängt Bougie, als die natlirliche Hauptstadt eines reichen und fruchtbaren Landes, der großen Kabylie, allmälig wieeer an, sich von seinem früheren Verfalle zu erholen. Seine Vcvölterung besteht freilich bis jetzt nur aus etwa 1200 Europäern und WO Mauren. Bougie selbst besitzt leinen eigentlichen Hafen, wenigstens keinen, welcher diesen Namen verdiente. Aber die Rhcve ist im Allgemeinen sicher, und nicht weit von Bougie befindet sich zwischen dem Cap Vruat und dein Fort Abd-el-Kader die kleine Bay von Sidi Ia'i'a, welche den Schiffen in jeder Jahreszeit Sicherheit gewährt. Bougie bot mir, was modernen Comfort betraf, nur äußerst wenig. Im „Hcstraßc» in der Kabylie. — Nbveisc von VoiiM. — Mem Rcisegesährtc. — Scinc Manie, arabisä) zu spvcchcn, -- Die auswendig gelernte Conversation. — Die Rumen von Tnbusnp-tus. — Die Ait llrli. — Nachtlager bei dcn Ait Aunlagen. — Ein kabylischer Schcikh flickt seinen Bcrnnö. — Die Ait Illulah. — Das Dorf Schellatah. — Seine Korausschnlc nnd seine Marabuts. Crst in nenestcr Zeit, seit Juni 1857, hat die gewaltsame Unterwerfung allcr Stämme der großen Kabylie die Wege nach dem I,n!l.'rn dieses interessanten Landes geöffnet. Vonderbarcr Weise war diese Provinz, welche so nahe bei Algier und fast gänzlich im Angesicht der Küste liegt, die letzte in Algcricn, welche die französische Herrschaft anerkennen sollte. Nördlich und slldlich, östlich und westlich uon ihr dehnte sich Frankreichs Herrschaft aus, ja sie erstreckte sich bis in das Innere der fernen Sahara, ehe dieses Kiisttnlanv seine Macht anerkannte. Diese, in der Geschichte vielleicht beispiellose Unabhängigkeit eines von allen Seiten von unterworfenen Stämmen umgebenen Volkes findet in der verhältnismäßig unzugänglichen Beschaffenheit die fes gebirgigen Landes wohl nickt seine alleinige Erklärung. Die Liebe zur Freiheit, welche in all;'« Bergvölkern mächtig ist, hat auch den Kabylen stets gegen alle seine Unterdrücker gewappnet. Karthager, Römer, Vandalcn, Byzantiner, Araber und Türken haben stets umsonst versucht, ihn völlig zu unterjochen. Das ganze Kabylenland war vor dem Jahr 1857 niemals einem 12« fremden Tyrannen unterwürfig geworden. Die heutige Franzosen-Hcrrs6)aft erkennt dcrKabyle zwar an, aber er wartet gewiß unr eines günstigen Augenblickes, um wieder ein freier Kabyle zn sein. Von allen früherern Eroberern Afrika'o hatte unstreitig keiner so große Fortschritte in der Kabylie gemacht, als die Römer. Die Ruinen römischer Bauteil sind zahlreich in diesem Lande und znweilen selbst ansehnlich. Sollte man jedoch daraus schließen, daß die Römer in der Kabylie eine ununterbrochene Reihe von Niederlassungen besessen hätten? Dieß ist möglich. Aber es läßt sich auch annehmen, das; ein großer Theil besagter scheinbar rönnscher Banten von eingeborenen Stammesha'n^tern aufgeführt wurde, welche die Cultur vcö Königsvolts, deren Einfluß sie sich doch wohl nicht ganz entziehen konnten, nachahmten. Die römischen Heerstraßen, welche die Kabylie berührten, geben uns die Namen einiger Niederlassungen. Aber alle diese Heerstraßen zusammengenommen beschreiben eigentlich nur einen Umkreis um das Vcrgland. Keine einzige führte wirtlich mitten hindurch, oder berührte auch nur einen seiner mittleren Punkte, d. h. einen Ort, der auf dem. Dscherdschcra selbst gelegen war. Außer den zwei bedeutenderen Straßen, welche Nnsuccu-rum (Dellys) und Saldae (Bougie) verbanden, und von denen die eine längs der Küste, die andere durch das Innere über Tigisis (Tuarga), Viril (Dschema Saharidsch) und Ruha (Kasr Nebusch) führte, gab eö noch einige, den Römern zur Zeit des Ptolemäos bekannte Straßen, welche Punkte des Inneren mit-tiuüucer in Verbindung sehten. Eilie dieser Straßen führte von 127 Auzia (dem heutigen Anmale) nach dem Flusse Isser und berührte Castrum Auziense lM'un Vessun) und Aurimis (Ain es Sultan). Eine andere zog sich von Vasana (den, heutigen Bordsch Me-naih nbcr Phlorija (Am Fasi), Oppidium (Tisi-Usuh) nach Bida (Dschema Saharidsch). Eine dritte Straße verband letzteren Ort mit Iomnium (Cap Tedleö) an der Knstt. Wie mau sieht, durchfurchte tcinc riescr Strafen so recht dao Innere des Berg-landes. Dschema Saharidsch, das Vica des Ptolemäoö, das Bidil des Itinerarö, das Syda dcr .Kart^ Peutinger's, scheint offenbar diejenige römische Niederlassung gewesen zu sein, welche dem Herzen der großen Kabylie am nächsten gelegen war, nnd dennoch, wie nahe war eö nicht der Küste? Die in neuester Zeit im Gebirge gemachte Entdeckung eines Burguö centeuarins, einer Art von tleinem Iort, wie solche wahrscheinlich wenig zahlreichen militärischen Strafcolonien zum Aufenthalte und zugleich zum Verbannungöorte gedient hatten, hat einiges Licht auf oie wahre Stellung der Römer im Innern der Kabylie geworfen. Ein Burgus ccutenarius nämlich wurde stets nur in unvollkommen unterworfeneu Ländern gegründet. Die Nothwendigkeit eines solchen Forts deutet auf den wenig gesicherten Stand der römischen Herrschaft selbst zur Zeit ihres Glanzes in der groszen Kabylie. Wir seyen aus Tacitus, zu Ivie vielen Triumpyz^ichcn seiner Zeit der einzige Näuber Tacfa-rinaö die Ursache hergab. Daß )tom dieses numidisch.'n Nebellen nicht mit einem Male habhaft werden tonnte, ist ein sicheres Zeichen von feiner geringen Macht in diesem!l!ande; und zur Zeit des Tacfarinas war doch 3lom auf dem Gipfelpunkt seiner Macht angekommen. 128 Als Rom jedoch zu sinken anfing, da wurden die Numiden des Mons Ferratus (Dscherdschera) Nlle wieder völlig unabhängig und weder Vandalen, Byzantiner, Araber noch Türken haben sie seitdem unterjocht. Die große Kabylie zerfällt, der natürlichen Beschaffenheit ihres Bodens gemäß, in zweiHanpltheile: nämlich in den sürlich und in den nördlich von der großen Gebirgskette des Dscherdschera gelegenen Landstrich. Ersterer, durch welchen die große Hauptstraße von Constantine nach Algier führt, war schon friiher unterworfen worden. Letzterer ader, dessen Kern die republikanische Stammesoerbiudung, Suawuah genannt, ausmachte, wurde erst durch den Feldzug vom Mai und Juni 1857 völlig unterjocht. Der Haufttflus; des ersteren Landstrichs ist der U«d Sahel, welcher in Bougie in's Meer mündet; der des letzteren der Ui>d Sebüu, der bei Dellys sich in die See ergießt. In der Absicht, zwei Städte des Innern zu besuchen, welche die südlichen Grenzen der großen Kabylic bezeichnen und deren eine, Setif, die einstige Hauptstadt der Mauritania Sitifensts war, während die andere, Anmale, die Stelledes römischen Auzia einnimmt, miethete ich mir in Bougie mit Hülfe des Bureau arabe ein Pferd für mich und ein Maultier für mein Gepäck und erhielt den unvermeidlichen Spahis znr Begleitung. Der Engländer, der kühne Erforscher von Septem Fratres, schloß sich auch mit seinem arabischen Begleiter meiner kleinen Karawane an. Letzterer, eine Art von Dragoman, den der Sohn Albions in Algier in seinen Dienst genommen hatte, war ein schlaues, verschmitztes Wesen, welches die Schwachheiten seines Herrn vortrefflich auszubeuten wußte, Ei>ze und zwar die neueste dieser 129 Schwachheiten bestand, wie schon erwähnt, darln, daß sich der Sohn Albions einbildete, arabisch gelernt zu haben und cs vollkommen gut zu sprechen. Nach einem mehrstündigen Mt in seiner Gesellschaft, auf welchem er öfters Gelegenheit hatte Gingeborene anzureden, überzeugte ich mich jedoch von der vollkommenen Nichtigkeit dieses Wahnes. Er vermochte ein arabisches Gespräch weder zu verstehen, noch verständliche Antworten zu geben. Welches war aber nicht mein Erstaunen, als ich plötzlich hören nuchte, wie eine ganz geläufige Conversation auf Arabisch sich zwischen dem Insulaner und seinem Begleiter entspann. Fl'age folgte auf Antwort, Satz auf Satz, kein Wort blieb unverstanden, keines unerwidert. Ich konnte meiner Verwunderung über diese plötzliche Sprachengabe kaum Herr werden. Als ich freilich besser hinhorchte, da wollte es mir vorkommen, als hatte ich alle diese Sätze, alle diese Fragen und Antworten schon einmal gehört, und wie ich mein Gedächtniß genauer zu Nathe zog, da fand ich, daß ich die ganze Conversation dcs Englänoers in arabischen Stunden, dic ich in Algier genommen, oft repctirt hatte. Gs war weitn- nichts, als ein Gespräch aus Delaporte's „französisch-arabischen Dialogen", welches der Sohn Britannia's auswendig gelernt hatte nnd von dem der verschmitzte Araber gerade genug wußte, um anf die papageimäßigen Fragen seines Herrn die im Vuche vorgeschriebene Antwort oder eine ähnliche zn ertheilen. Der Sohn Albions schloß aus dem Umstände, daß feine Conversation mit dem gemicthctm Araber so gut von Statten ging, daß sie mit andern gebildeten Eingebornen eben so gut verlaufen nuissi,', und o^ß seine Kenntnisse in der arabischen Sprache die glänzendsten seien. Es wäre nutzlos gewesen, Dici Jahre im NordwestlN von A'. Derselbe Massicel sollte jedoch später zum Christen» thun, betehrt und einer der eifrigsten Anhänger der römischen Politik und Vetampfer feiner rebellischen Landsleute, ja seines eigene» Bruders Gildou werven. Durch das Gebiet der Mt Urli reitend, erreichten wir gegen Abend ein Dorf des Stammes der A'i't Aurslagen, tn welchem Wir unser Nachtquartier in der leerstehenden „Hütte der Gast« 134 freundschaft" aufschlugen, denn, wie in arabischen Zeltesgrnppen, so bleibt auch in tabylischen Häuserdörfern stets ein leerstehendes Gebäude den Fremden offen. Dieses Dorf bestand ausschließlich aus neugebauten Häufern, welcher Umstand darin seme Erklärung fand, daß fast alle Dörfer der beiden Stämme, Ver A','t Urli und A','t Amflagen, im Jahr? 1851 bei der Expedition der Generäle Camou undVosquet von den Franzosen niedergebrannt worden wareu. Zum ersten Male seit meiner Anwesenheit in Afrika übernachtete ick in einem tabylischen Hause. Dieses „Haus der Gastfreundschaft", ans Stein gebant, mit einem wirtlichen Dache versehen, bildete einen angenehmen Contrast gegen das allen Wind nnd Wettern offene arabische Zelt, in welchem ich bei den Beduinen nicht selten hatte übernachten miis-sen. Aber eine andere Schattenseite sollte ich bei den Kübylen entdecken, welche das Nciseu bei diesen Völkern einem an die Bedürfnisse und Nothwendigkeiten der europäischen Civilisation gewöhnten Tonristen äußerst beschwerlich machen muß. Man bekommt nämlich bei diesen frugalen Menschen so gut wie gar keine Lebensmittel zu sehen. Diese Stämme sind von einer Mäßigkeit, gegen welche dic beriihmte schwarze Snppe der Spartaner Völlerci gewesen wäre. Der Kabyle ißt nichts, als Brod und zwar die bekannten in Oel gebackencn, nngenießbaren Gerstenteige. Fleisch genießt er nur dann, wenn ein Thier für gut findet, natürlichen Todes zu sterben, oder vielleicht bei einer großen Festmahlzeit, wo irgend ein Scheikh sein Interesse dabei hat, die Kabylen seines Stammes frei zu halten. Vei solchen Gelegenheiten ist der Kabyle eben so freßsnchtig, als er im gewöhnlichen Leben mäßig ist. Zu seiner äußerst frngalen Mahl- 183 zeit trinkt der Kabylc nicht Mva Wein, was Sünde wäre, auch nicht Wasser, sondern Horribile Dictu —Oel, Im „Hanse der Gastfreundschaft" hatten sich außer uns noch ein Paar entsetzlich zerlumpter reisender Kabylen zum Uebernachlen eingefunden. Diese mit voriresflichen Verdauungswerfzeugen versehenen Männer genossen zu ihrem Gcrsteutcige das entsetzliche gelb« bräunliche Getränk und zwar uugcläutcrt. Ich konnte mick bei diesem Anblick der Oelung ihres Mundes und Magens der Erinnerungen an Leberthran, Ricinus und andere Süßigkeiten nicht eutschlageu und der Ekel trug so zu meiner Sättigung mehr bei, als die Lcbensmittel, w^che durch ihre Abwesenheit glänzten. Glücklich war es aber für mich, daß ich, um doch einige Nachtruhe rcalisiren zu können, eine Matratze mitgeschleppt hatte, denn in der tabylischeu Hiitte wird nur der nackte (5rd-bl.'den zum Lager geboten. Vor dem Schlafengehen machte mich mein Reisegefährte auf das seltsame Gebahren eines unserer tabylischen Herbergsgenossen aufmerksam; derselbe hatte sich nämlich seines Vcrnus entledigt und erschien nur in einem Hemd, dessen unberechenbare Schmutzigkeit alle Begriffe überstieg. Daß der Kabyle sein Hemd niemals wasche, daß wußte ich. Wie aber ein menschliches Wesen einen solchen Gegenstand auf seinem Körper lciden könne, wie dieses Hemd, daß war ein mir psychologisches Nä'thscl. Alle Farben waren an diesem Kleidungsstücke vertreten; nicht die des Negenbogeus; uein! Farben aus andern Mischungen, als Wasser und Sonnenstrahlen, gewoben. Der untere Theil war gelb, der mittlere braun, der obere schwarz; doch ich fürchte unanständig zu werden, wolllc ich das Kabylen- 136 Hemd in wahren Farben schildern. Warum hatte dieser Biedermann seinen Bernus ausgezogen? Vlos um uns die auffallenden Tinten seines schönen Untergewandes zu zeigen? Nein! er hatte ihn ausgezogen, um besagten Vernus zu sticken. Ich stritt mit dem Engländer über die Möglichkeit dieser letzteren Operation. Denn ein Kleidungsstück aus weniger materiellem Gehalt als besagter Bernus, hatte ich noch uicht gesehen. Er war zwar einmal Wolle gewesen, jetzt bestand er jedoch nur noch auo einer Aneinanderreihung durchsichtiger Fäden, zwischen denen die unzähligen Löcher fast das Einzige waren, was man vom Bernus sehen tonnte. Der Schmutz daran verlieh ihm freilich eine gewisse Consistenz. Jedoch der Alte stickte und stickte, nnd als er fertig war, sah der Bernus noch viel zerisseuer aus, als vorher. Lange floh der Schlaf meine Augenlider, wozu die Hitze und die Getrübthcit der Atmosphäre in dem ..Hause der Gastfreundschaft" ebensoviel bcitrug, als die allzu belebte Insectcn-weit, welche dasselbe bevölkerte. Das Fluchen des besonders zerbissenen und zerstochenen Engländers in gebrochenem Arabisch war allein vermögend, mir in diesem gepeinigten Zustand noch ein lächeln abzunöthigen. Der Vernusflicker wurde am andern Morgen von einer Menge Kabylen derAit Illulal) abgeholt und'da erfuhr ich, dajz derselbe ein Stammeshaupt und ein wohlhabender Mann fei. Trotzdem ging er in den ekelhaftesten Lumpen. Aber das ist einmal die Art der Kabylen. Je zerlumpter ein Mcnfch ist, desto mehr Geld, so nimmt man an, hat er verscharrt. Am Morgen verließen wir das ärmliche Dorf und bald auch das Gebiet derANAnrflagen und betraten das der Illulah, 137 eines der größten Kabylenstämme, welcher in zwei Hauptabteilungen zerfällt, von denen die eine, die Illulah- llmaluh, nördlich, die andere, die Illulah-Usammör, südlich von der Bergkette des Dscherdschera wohnen. Im Gebiet der letzteren lag in bergiger Gegend das Dorf Schellatah, welches wir im Laufe des Vormittags erreichten. Schellatah wurde im Osten von abschüssigen Felswänden beherrscht, während im Westen ein sanft aufsteigendes Hügelland emporstrebte, dessen höchster Punkt dem Dorfe felnen Namen verliehen hat. Aus der Mitte des Dorses ragten zwei mächtige WallnuMume hervor, welche die Saujah sKoranslbnlc) und die Gräber ihrer frommen Stifter in ihren dunklen Schatten hüllten. Schellatah besaß für ein laby-lischeS Dorf ein ungewöhnlich civilisirtes Aussehen. Neben der Saujah, deren Lehrer und Schüler die Hanptcinwohner des Ortes bildeten, befand sich» das Hans des Aghas, welches sich von denen anderer tabylischcr Stammeshäupter höchst vorthcil-haft unterschied. Es war dieß ein bequemes maurisches Stadthaus, nach algerischem Muster erbaut. Der Agha, an welchen wir Empfehlungsschreiben besaßen, war gerade abwesend; derselbe resibn'tc nämlich fast ausschließlich in vcr Ebene des Uüd Sahcl, in einem eine deutsche Meile von Schellatah entfernten Gebäude, welches ihm die französische Negierung im Jahre 1655 hat erbauen lassen. Wir benutzten die kurze Zeit unseres Aufenthaltes in Schellatah um der Moschee und Saujah einen Besuch abznstat' ten. Ein alter Mann, ein sogenannter „Marabut", mit entsetzlich zerlumpten Gewänden empfing uns an der Pforte und führte uns in dem Heiligthum herum. Alle Lehrer dieser hohen 138 Schule des Korans werden nämlich von den unwissenden Kaby-len mit dem heiligen Namen „Marabut" beehrt. Nach dem Wahren arabischen Sprachgebrauch ist diese Anwendung des Wortes jedoch vollkommen unrichtig, da „Marabut" nnr eine geheiligte, ihr Leben in asketischer Beschaulichkeit zubringende und Wunder wirkende Persönlichkeit bedeutet, In der Stadt Algier wird dieser Titel hent zu Tage keinem einzigen lebenden Wesen zugestanden, obgleich es früher Heilige daselbst gegeben hat, denen schon bei Lebzeiten der Name eines Marabut beigelegt wurde. Die Kabylcn sind jedoch nicht so strenge, was die Bedingungen betrifft, deren Erfüllung bei ihnen den Titel Marabut verleiht. Ja, es scheint, daß diescr ehrwürdige Titel hier äußerst leicht zu erwerben ist. Ich fragte eiuen Kabylen, was ein Marabut seiner Ansicht gemäß sei? „Ein Mann der lcsen kann", war die Antwort. Ich wußte daß das „Lesen können" bei den Muselmännern bedeutet: „den Koran auswendig wissen". Aber selbst bei dieser Ansdehnnng des Begriffes „Lcscn tonnen" würde es entsetzlich viele Marabuts geben. Die halbe Stadt Algier würde danu aus Marabuts bestehen, denn jeder Muselmann, welcher 10 Jahre lang die Schule besucht hat, kann den Koran auswen» dig. Aber die Zahl derer, die „Lesen können" ist bei den Ka-bylcu sehr beschränkt. Auf ein gewöhnliches Dorf kommen vielleicht im Durchschnitt zehn, auf eine Saujah zwanzig, die „lesen können". Dennoch wird dadurch vie Zahl der sogenannten Marabuts eiue lächerlich übertriebene. Auch machen sich die ciuilifirlen Mauren von Algier nicht wenig lustig über den 13ft Barbarismus der ungebildetenKabylcn, die jeden Taleb(Schrift» gelehrten) Marabut nennen. Es war ein vhrzerreißendcö Geheul, welches die wißbegierigen Jünglinge in der Ecm^h von Schellatah anstimmten, als sie die Verse des Fat'ha, algierijch Fats'ha, oder ersten Capitels des Koran in näselnden Tönen ableierten. Der Lehrer, natürlich ein „Marabut", begann darauf seinen grammatikalischen Unterricht mit dem Absingen der Conjugation, welche die Schüler, mit ihren, Kopf den Tact zu diesem Singsang nickend, mehr oder weniger fehlerhaft wiederholten. Die Grammatik wird nämlich bei Kabylcn, wie bei Arabern, auf tiosclbe papageimäßige Weise auswendig gelernt, wie dcr Koran, und zwar immer erst dann gelehrt, wenn der Schüler bereits den ganzen Koran auswendig weiß. — -Einer, der den Koran nicht vollkommen im Gedächtniß hat, wird und, sei er sonst noch so intelligent, für unwindig gehalten, die Grammatik zu erlernen. Aber auch diesc Grammatik wird nicht crllätt, sondern, wie gesagt, nur auswendiggelernt. Die Erklärung muß der Schüler gewisser.-maßen errathen, wenn er überhaupt geistiges Bestreben genug hat, nm den Mangel einer solchen M empfinden. Wenn Einer trotz dieses mechanischen Unterrichts am Ende doch elwao verstehen lernt, so hat er das lediglich seinen eigenen Fähigkeiten zu verdanken, welche ihm gewissermaßen durch Intuition eine Einsicht in daö Abgeleierte verschaffen müssen. 140 , Fünftes (5 aft it el. Ein moderner Kabylenhäufttling. Die Rumen von Ausum. — Das Hans Ben Ali Scherifss in Atbn. —Heuchlerischer Empfang. — Ein franz'ösitter Kabylenchcf. — Das Frühstück. — Weinlanne eines Kabylcichäufttliilsss. — Zerlumplheit selbst der reichen Kabylcu. — Der Sohn des Ngha. — Ter französische Sergeant. — Der Halbbarbai. Von Schellatah in das Thal des U«d Sahcl, dessen humusreiche Ebene einer reichen Vegetation znr Grundlage dient, hinabgestiegen, bemerkten wir rechts von unserm Wege einige römische Nmuen, welche Berbruggcr für die des ^u»nm des Ptolemäos hält. Abermals stieg der Engländer vom Pferde; abermals mußte Abd-Allah, sein Dragoman, trotz seines sichtlichen Widerwillens einen archäologischen Spaziergang machen, und abermals folgte ich ihnen. Ich mußte eö aber doch jetzt cinge-stehcn, daß wenn die Nninen von Ansum nicht besonders sehenswert!) sein würden, ich mich, trotz meiner Liebe zum Alterthum, so bald nicht wieder verleiten lassen wiirde, ähnliche aufzusuchen; das heißt, die Nuinen ähnlicher Orte, welche wie Ausum höchst unbedeutend gewesen sein mußten, da ihr Name in den alten Autoren kanm ein oder zweimal genannt wird. Wir langten an einein großen Trümmerhaufen an, in dem die Ruinen einzelner Wände noch zu traciren waren. Einige Mauerreste standen hie und da zerstreut auf den Feldern; einige Gräber, vielleicht die Spuren eines Hypogäums, das war fo ziemlich Alles, was wir von Ausum zusehen bekamen. 141 Die striftenz von Ansum erfahren wir einzig und allein durch Ptolemäos, In der christlichen Periode war es kein Biö-lhnm. Da nun jede Stadt in Numidien (gewiß jede Römer-stadt) ein Bischofssitz war, fo kann man ans dem Umstände, daß Ausum nicht als solcher aufgeführt wird, schließen, daß es in der chrisüicheu Periode nicht mehr existirt habe. Es war offenbar zu nahe den, Lande der unabhängigen Numiden gelegen, um nicht von diesen bei einer ihrer vielen Rebellionen zerstört worden zu sein. Mein Reisegefährte belud sich mit einer Menge von Steinen aus den Ruinen von Ausum, zur nicht geringen Belustigung der Kabylen, denen eine solche archäologische Grille als der blühendste Wahnsinn vortam. „Was ist ihre Ansicht über Ausum?" fragte ich den Engländer im Wciterreiten. „Ick) glaube, daß es einen sehr schönen Artitel machen wird," erwiderte dieser. „So denken Sie darüber etwas zn veröffentlichen?" „Ja! Ich bin nämlich Mitglied einer archäologischen Geschäft in England, die eine Monatsschrift herausgiebt." „Und darf man fragen, waö Eic über Ausum zu sagen gedenken?" „Offen gestanden, jetzt weiß ich es noch nicht, aber ich werde etwas zu erfinden suchen. Die Wahrheit würde natürlich Niemand beachtenswerth finden; denn wir haben eigentlich blutwenig gesehen. Aber Aufum ist so wenig bekannt, daß ein Artikel darüber jedenfalls Effect macken muß, unter Archäologen versteht sich, und wenn man es nur recht merkwürdig schildert, so 142 gilt man bald in England für einen ..I.inn"^, d. h., eine Kuriosität. Dies; naive Geständniß ließ mich meinen Reisegefährten in einem neuen Lichte erkennen. Visher war er nur die Düpe seiner selbst gewesen, jetzt diipirte er Andere: das war schon ein Fortschritt. Bald erreichten wir Abku, das Vordsch des Agha, wo aus der Mitte einer Menge kabyUscher Hütten und Gurbiö, vom Makhsen, der unregelmäßigen Reiterei, bewohnt, das stattliche Nesidenzg/bäude dieses eingeborenen Würdenträgers hervorragte. Man lud uns ein, uns in das Haus zu begeben, wo wir dem Agha unsere Ompfehluugöschreibeu überreichten. Der Saal, in welchem dieser uns empfing, war ein unharmonisches Gemisch europäischer Civilisation und tabylischeu Schmutzes. Der eine Theil desselben war aller Möbel baar, nur mit einer alten zerfetzten Strohmatte belegt, auf welcher etliche zwanzig kabylische Große in ekelhaft zerlumpten Bernussen auf dem Äoden hockten; der andere kleinere Theil war mit einem alten französischen Teppich bedeckt, auf welchem ein Sopha und einige Stühle standen und mit ihrem Prätention ans europäischen Comfort einen tomischeu Contrast gegen dle andere naturwüchsige tabylische Hälfte des Zimmers ausmachten. Auf dem Sopha in einer offenbar für ihn höchst unbequemen, und nur znr Ehre seiner europäischen Besucher angenommenen Stellung kauerte der Agha. Sidi Mo-hamcd Said, gewöhnlich Äen-Ali Scheriff genannt, war ein Mann zwischcn 4«) und 50 Iahrcn mit vollem schwarzen, jedoch grauwerdenden Barte, dunklen Augen, einer cdclgeformtcn Nase, lief» brauner Gesichtsfarbe und einem meist geschlossenen kleinen 143 Munde. Der Ausdruck seiner Gesichtszüge war in diesem Augenblicke nicht der ihnen natürliche. Er war erzwungen, wie seine Stellung auf dem Sopha erzwungen war. Aber wie jene Stellung, so stand auch dieser Gesichtöausdruckdem Kabylenchef fo auffallend ungeschickt, daß man die Uebertünchung leicht zu durchschauen vermochte. Hinter diesem aufgekleisterten Firniß lauerte verschleiert, aber dem genauen Beobachter deutlich erkennbar, der wahre Ättödruck dieser Züge. Derselbe bildete eine fellsame Mischung von dummem übertriebenen Selbstbewußtsein, und dock zugleich von Kriecherei. Seine GesichtSzüge redeten zu mir ungefähr folgende Sprache: „Ihr seid Europäer, darin habt Ihr einen Vortheil vor mir! Aber Ihr seid doch keine Franzosen! Dieser Umstand vermindert Eure Superiorität. Außerdem seid Ihr nicht einmal Militärs, sondern Civilisten, und da schlage ich Euch noch geringer an. Dennoch will ich Euch empfangen, weil Ihr vom Bureau arabe empfohlen seid, und weil ich der demüthige Sklave des Bureau bin, und trotz meines Offiziertreuzes der Ehrenlegion, doch jedem Unterlieutenant bei besagtem Bureau die Hand tüsse." Sein Empfang hatte nicht das natürlich Würdevolle des echten Arabers oder Kabylen. Nein! er war grspreizt wie der Agha selbst, ein Mittelding zwischea Barbarei und falschoerstan-dener Civilisation. Denn Ben Ali Scheriff ist ein Typus jenes Zwittergeschlcchts, des französirtcn oder halbfranzösirten Ein-gebornen. Der Agha trug das Costüm der Beduinen, d. h. mehrere Bernusse übereinander. Auf dem einen derselben war die Rosette eines Offiziers der Ehrenlegion aufgeheftet. Er trug nicht das Kreuz wie es die decorirten Araber immer tragen, 144 sondern er wollte zeigen, daß er Europas Sitten kenne, die im gewöhnlichen Leben nur das Ordensband gestatten. Denn Ven Ali Scheriss that sich darauf etwas zu Gute, europäische Manieren uud gesellschaftliche Feinheit in Paris kennen gelernt zu haben. Der Agba war nämlich schon seit 1847 ei» Anhänger Frankreichs und hatte seitdem sich des französischen Schutzes stets nur zu rühmen gehabt. Aus schlauer Verech. nung heuchelte er nun eine große Vorliebe für alles Europäische, und suchte in vielen Dmgcn die französische Civilisation nachzuahmen, was ihm freilich nur äußerlich gclingeu konnte, da er jeder höheren Viloung entbehrte.' Nach Emnahme des traditionellen Kaffees begann die Con-versatwn. Ich überließ dieselbe Anfang«? dem Engländer, welcher bei'diefer Gelegenheit seine Kenntniß des Arabischen auszukramen hoffte. Aber, o Unglück! Der Kabylenchef war weit entfernt davon, die im Bliche vorgeschriebenen Antworten auf die papageimäßig eingelernten Fragen des Engländers .nich nnr zn ahnen, und fo stockte das Gespräch mit jedem Augenblicke. Endlich schien vcr Agha jedoch der Sache müde zu sein und fing nun an in ziemlich geläufigem, obgleich gebrochenem Französisch mit uns zu sprechen. Den Hauptgegenstand des Gesprächs bildete die Ncise, welche der Agha vor einigen Jahren nach Frankreich und dessen Hauptstadt unternommen hatte. Wie alle höherer Bildung entbehrenden Menschen, so hatten auch ihn in Paris diejenigen Sehenswürdigkeiten und Vergnügungen am vorzüglichsten angezogen, welche den unwissenden Pöbel odcr den frivolen Sinnenmenschen meist allein anzusprechen pflegen. Was ihm unter den frivolen Vergnügungen der verderbten 14S Hauptstadt aber am besten gefallen hatte, das waren — man kann es yrrathen — die öffentlichen Bälle wie^^Iadilio, (^atoan ücs I'iMr«" und dergleichen gewesen. Ich habe überhaupt noch keinen Gingebornen des Innern der Algerie gesehen, der in Paris gewesen wäre, und der nicht besagte Velustigungsorte für das Sehenswürdigste jener Weltstadt gehalten hätte. Wie alle Halbbarbaren, so verstehen Araber und Kabylen ven der Civilisation nur diejenigen Seiten aufzufassen, welche den rohen Sinnen schmeicheln. Sie finden die Vorzüge Europa's in Dingen, deren wir Europäer uns eher schämen müssen. Für die schönen Künste haben diese Menschen nicht den geringsten Sinn; die Wissenschaft ist ihnen stumm; die Sitten eines Bandes in-teressiren sie nur, insofern dieselben ihren eigenen unmoralischen Tendenzen Vorschub leisten; von Literatur haben sie keine Idee. Waö das Theater, wohin sie natürlich wenn sie Paris besuchen, von ihren officiellen Führer stets mitgeschleppt werden, betrifft, so haben sie einzig und allein für das Ballet Sinn. Ein gebildetes, gesittetes, intellectuelles Vergnügen ist diesen Menschen gänzlich unbekannt. Dennoch hatte dieser Agha,, dessen Ideen sich so wenig oder gar nicht über die eines gemeinen Kabylen erhoben, seine Neise in einer Beschreibung veröffentlicht, welche in der arabischen Zeitung „El Mobascher" erschienen war. Ich habe dieses literarische Product nicht gelesen, aber^ nach der mündlichen Beschreibung des AghaS zn schließen, muß die schriftliche, wenn sie dieser nur einigermaßen glich, sich vorzüglich mit den Damen des Quartier Breda und des Casino Cadet beschäftigt haben. Nachdem wir eine, Stunde im sogenannten „Salon" ge- Drn Iah« im Nordircstcn v^n Afrila. II. l 0 14« sessen hatten, ließ der Agha ein Gabelfrühstück serviren. Vorher abcr wollte er uns nöthigen, uach der Sitte französischer Trou-piers den unvermeidlichen Absinth einzunehmen. Das Frühstück wurde auf europäische Weise aufgetragen. Beim (5sseu, wobei zum Horror jedes gläubigen Moslems Wein gereicht wurde, trank der wenig scrupulöse Agha selbst einige Flaschen schlechten, aber stark berauschenden provenzalcr Weins. Es ist überhaupt fabelhaft, was diese Leute, von denen mau annehmen sollte, daß bei ihrer geringen Gewöhnung dergleichen für sie die berauschendsten Folgen haben müsse, an, alkoholhaltigen Getränken vertragen können. Der Eingeborene der Algcrie trinkt seinen Absinth stets pur, und bringt es gewöhnlich erst nach einer Flasche zu einem Rausch, welchen doch der Europäer schon nach zwei Gläsern sich holen würde. Als der Biedermann nach langen ^ibationen vom Wem einigermaßen angeregt worden war, sing er an uns seine Kenntnisse in der französischen Sprache oollständigcrzum Besten zu geben. Er schien sich nicht wenig darauf einzubilden, eine Reihe von gemeinen Solratenflüchen nebst einer Anzahl obscöncr Ausdrücke, die er vielleicht im Iardin Mabille gelernt halte, vortragen zu können. Der Halbbarbar ahnte nicht, daß er hierdurch nur deu Ekel jedes gebildeten Europäers erregen mußte. Zu meiuem Erstaunen und Unwillen sollte ich jedoch gewahren, wie mein Reisegefährte, dem ich, in seiner Eigenschaft als Archao-logc, einen gebildeteren Standpunkt zugetraut hatte, den bachan-tifchm Glucubrationen jenes schlechten Muselmannes Beifall zollte und denselben dnrä, seine Heiterkeit und sein Lrb zum Hersagen weiteren Obscönitälen ermuihigte. Unter den Gästtn, welche an dem Frühstück Theil nahmen, 147 befand sich auch ein, wie mannm sagte, sehr reicher alter Kabyle, welcher ein ziemlich reinliches langes Faltcnhemd anhatte. Aber dieses eines Engels, wie sie auf dem Theater zu erscheinen pflcgcn, nicht unwürdige Gewand war nur ein übertünchtes Grab. Unter demselben konnte man ein anderes Faltenhemd entdecken, dessen Farbe ihre Intensität dem angehäuften Schmutze von wenigstens einem Jahre verdanken mußte. Dcr Kabyle trägt nämlich nicht immer den Bernus, wie der Araber' sein Geiz erlaubt ihm gewöhnlich nur ein Hemd von grobcmVamnwollstoff zu besitzen; hat er aber einen Bcrnuö, so verzichtet er nicht selten auf das Hemd. Keines dieser Kleidungsstücke wird jemals gewechselt oder gewaschen, noch bei Nacht ausgezogen. Ist es überaus zerlumpt, so wird es nothdürftig ausgebessert. Die meisten Anzüge der Kabylen sind außerdem noch mit Oelfleckeu so bedeckt, daß sie wie in Oel getränkt erscheinen, denn Oel ist diesem Volke nicht nur Nahrungs- und Veleuchtungsmittel, sondern dient ihnen innerlich und äußerlich als einzige Medicin und wird in Einreibungen reichlich apftlicirt. Di? zwei Hemden dieses sogenannten reichen alten Kabylen waren also schon ein Luxus. Er hätte sich mit dem untern begnügen können. Ich weiß freilich nickt, was dann aus meinem Appetit geworden wäre. Auch ein Europäer hatto an dem Frühstücktische des Agha Platz genommen. Es war dieß ein französischer Sergeant, welcher dem Kabyleuchef feine Korrespondenz mit dem Bureau arabe besorgte. Der Sohn des Agha, welcher ebenfalls mit uns speiste, war ein Viirfchchen von etwa 16 Jahren, mit aufgedunsenen Zügen, glotzenden Augen und einem stupiden Gesichtsausdruck. Er trug das Costüm emes französischen Collegicn, nur hatte er, 10" 148 statt der französischen Polizeimütze^ welche diese Jünglinge tragen, ein rothes Fes aufgesetzt. Es ist nämlich wahrhaft tomisch, welchen Abscheu vor einem Hute oder ein?r Mütze jeder Eingcborne hegt. Eine europäische Kopfbedeckung anzunehmen, das wäre Apostasie, ärger als Weintrinken oder Schweinefleischesscn! Der Sohn des Agha wurde nn Collage von Algier erzogen, schien aber daselbst eben nicht viel Gutes gelernt zu haben, denn er fluchte und soff bereits mit dem französischen Sergeanten um die Wette. Ueberhaupt war es komisch zu sehen, wie der Agha und sein Sohn diesen gemeinen französischen Unteroffizier in Allem nachzuahmen fuchtcn, als seien seine Sitten das nun plus ultra von französischer Feinheit und Pariser Glasur. Sie hatten von dem rohen Krieger einige Soldatenausdrücke wie „grottier" (Spitzbube), „p«quin" (Schimpfname, den die französischen Soldaten den Civilisten geben), „t'riizU^" (ursprünglich ein deutsches Wort, nämlich „Frühstück", womit die französischen Trrupiers eine Kneiperei bezeichneii) und dergleichen mehr gelernt. Dieses Kauderwelsch gaben sie uns auch zum Besten und glaubten, wir müßten ihre Kenntniß der Finessen des gallischen Idioms bewundern. Ven Ali Schcriff war einer der reichsten Häuptlinge der Algerie. Sein Einkommen, welches sehr hoch angeschlagen wurde, schien er jedoch nicht auf die beste Weise anzuwenden. Er machte oft Ausflüge nach Algier, wo er, wie man sagte, nicht geringe Summen auf die Belohnung der Gunst gewisser Damen zu verwenden Pflegte. Er bildete so eine große Ausnahme gegen den sprichwörtlichen Geiz seiner Landsleute. Aber ein Kabyle weiß eben nur geizig, nicht aber vernünftig sparsam zu sein. 14!> So war auch Ven Ali Scheriff nach Aufgabe seines vaterländischen Geizes in das entgegengesetzte Extrem verfallen und hatte sich einer Verschwendung hingegeben, welche ihn, trotz seines Reichthums, bereits halb nuuirt haben soll. Ven Ali Scheriff war der getreue Typus des modernisirten algierischen Häuptlings, jener Creatur Frankreichs, die in Allem, im Guten oder im Schlechten, vorzüglich aber im Letztcrm, sklavisch das thut, was die Herren gebieten, die sich vor dem officicllen Franzosen im Staube wälzt und nichts verabsäumt, um ihm Weihrauch zu streuen. Gr war der Typus zdes Halbbarbaren, der sich einbildet, seinem civilisirten Herrn durch die Nachahmung seiner Sitten zu schmeicheln, der natiirlich ihn aber nur im Schlechten nachzuahmen versteht, und aus sich selbst nichts zu machen weiß, als die Caricatnr eines civilisirtcn Menschen. Sechstes Capitol. Die Soffs. Die Partbelbewegmiss der Srffs. — OenngfUgiger Eütstchung«-giund mancher Eofft. — Tatamh und Foüuüh. — Dci Mara-but liud die Marabula. — Eheliche Prügelereicitien. — Vilvung der Soffs. — Die Ticuga dei. — Tatauih und Fokanih bestehen noch immer fort. * Der Stamm der A.t Illulah, dessen Oberhaupt Ven Ali Scheriff ist, lebt auf beiden Seiten des Dscherdfchera. Die Abtheilung, welche im Thal des NiH Sahel wohnt, heißt Illulah Usamör, die andere Illulah Umalnh. Außer dieser, durck die 150 Natur gebotenen Eintheilung erleiden jedoch die Illulah noch eine andere. Es ist dieß die Eintheilung in Tatanih und Fokanih. Parteiung wäre vielleicht hicr richtiger gesagt, als Eintheilung. Tatanih und Fotanih sind nänilich sogenannte Soff's, politisch religiöse Parteien, welche sich gegenseitig auf's Fanatischste befeinden. Die Sofft, eine der Kabylie ganz eigenthümliche Erscheinung, sind im Laufe dcr Jahrhunderte aus dem Zustande steter Unruhen und Parteibewcgungcu, zu dem diese Böller so sehr neigen, hervorgegangen. Man könnte sie etwa mit den Parteiuugen in dm italienischen Städte-Republiken des Mittcl-alters, mit den Guelphcn und Ghibcllmcn, den Vianchi und Neri, den Nobili und Popolani, vergleichen. Wie in jenen Städten, so schieden sich in einem und demselben tabylischcn Orte die Einwohner in zwei feindliche Lager, deren Feindschaft unerbittlich war und sich ewig vererbte. Die Soffs entzweiten einen Stamm mit dem nächsten, die eine Hälfte eines Stammes mit der anderen, dieHalfte eines Dorfes mit dcr anderen Hälfte, ein Haus mit dem nachbarlichen Haufe, eine Familie mit einer früher befreundeten oder selbst verwandten Familie, ja oft den Vater mit dem Sohne, den Bruder mit dem Vrudcr. Die unmittelbaren Ursachen der Entstehung der Soffs waren in den verschiedenen Theilen dcr Kabylie sehr verschiedene gewesen und die einzelnen Parteiungen hatten gewöhnlich nach der cigenthiimlichcn Cntstehuugsart ihrcö Streites mehr oder weniger bizarre und originelle Namen angenommen. Es gab große oder kleine Sosfs, d. h. Soffs, welche nur Wenige, oder Soffs, welche Viele unter einander entzweiten. Ihr Ent-stehuugsgruud war oft sehr gcnugfügig. Ein Beispiel eines 131 solchen kindischen Ursprunges bildete der Soff der Katze und des Hmldcs. In einem kabylischcn Dorfe bissen sich ein Hund und eine Katze. Gleich bildeten sich zwei Parteien. Eine behauptete, der Hund müsse die Katze todtbeißen; die andere, die Katze solle den Hund erwürgen. Die Parteien erhitzten sich; man tam zu Schlägen; es floß Blut, und vom Augenblick an, da Vlut geflossen war, machte die Vendetta die Vererbung des Streits zur Pflicht. Zwei Soffs hatten sich gebildet. So geringfügig waren oft die Entstehungsursachen der Soffs. Manchmal beschränkten sich die Soffö auf die Gegend, wo sie ihren Ursprung genommen hatten. Aber oft verbreiteten sie sich reißend schnell, gleich einer Epidemie, übcr ganze Districte und schieden alle Bewohner desselben in zwei feindliche Hälften^ Ein solcher viclvcrbreiteter Soff war die Parteibewegung der Tatanih und Fokanih. Dieser Soff hatte sich gleich nach seiner Entstehung mit der größten Schnelligkeit durch das ganze Thal des Ulw Sahel verbreitet, dessen Bewohner er noch heute in feindliche Hälften theilt. Der Gntstchungsgrund des Soffs der Tatanih und Fokanih wird folgendem interessanten Umstände zugeschrieben. Ein hochverehrter Marabut oder Heiliger, Namens Sidi Kalih, lebte in einem Dorfe des Dschcrdschera. Er war mit einer Kabylin vom edelsten Geschlechte vcrheirathet, welche ebenfalls im Geruch großer Heiligkeit stand, und den religiösen Titel einer Marabuta 'führte. Das heilige Ehepaar schien jedoch die Eintracht und Verträglichkeit nicht zu den einem Marabut und einer Marabuta unentbehrlichen Tugenden zu zählen. Ihre Haushaltung war vielmehr der Schauplatz steter Wortwechsel und nicht selten führte der Wortstreit zu Thätlich- 152 keilen, wobei denn die Fäuste des ehrwürdigen Heiligen derMa-rabnta übel mitzuspielen pflegten. Eines Abends war jedoch das Mißverständnis soweit gediehen, daß die Marabuta Mit blutender Nase und^arg zerblautem Körper das Haus des allzu mustclkräftigen Heiligen verließ, bei ihren Eltern Schutz suchte und dieselben, sowie alle ihre zahlreichen Verwandten zur Nachc gegen den allzu demonstrativen Marabut aufforderte. Das Dorf in welchem das heilige Ehepaar wohnte, trennte sich ans der Stelle in zwei sich entgegenstehende Lager. Die einen nahmen für den Gatten Partei, und behanpteten als echte Mnsel» manner, der Heilige sei im vollen Ncchtc gewesen, wenn er die Marabuta durchgeprügelt habe: sei doch Prügeln das Privilegium der Herrcn der Schöpfung. Die Anderen hingegen meinten, das Prügeln fei zwar an und fiir sich lobenswcrth und durch die Religion geheiligt, aber selbst das Gute müsse auf Erden seine Grenzen haben und die Marabuta trage Spurm von einem Grade der Durchbläuung an sich, welchen gednlvig sich taglich verleihen zu lassen, nicht zu ihren ehelichen Pflichten gehören könne. Es kau: zum Wortstreit, dann zu Schlägen und endlich zur Bildung von zwei Soffs. Diejenigen, welche die Sache des Mannes vertheidigten, wurden die Oberen oder Fo-tanih, die Freunde der Frau dagegegen die Untcreu oder Tata-nih genannt. So groß war der Ruf deö Heiligen und der Marabuta , nnd so »nächtig die Liebe zn Partcizwistigkeiten unter den Kabylen, daß bald alle benachbarten Stämme sich für die Sache auf's lebhafteste zu intercfsireu anfingen, und je nach verschiedenen Ansichten, sich iu Fotanih und Tatanih spalteten. Warum nannte man die Partei des Mannes die Obere, und 153 die Partei der Frau die Untere? Die Gelehrten unter den Kabylen wollen behaupten, weil bei den ehelichen Abprügelungen der Gaite die obere und die Frau die untere Nolle zu spielen pflegte. Das heißt, weil die durchbläute Marabuta nach den ersten Hieben gewöhnlich auf den Boden zu liegen' kam, während der Heilige, durch seine Exercitien weniger angegriffen, noch aufrecht dastand. Diese Erklärung ist tiefsinnig und geistreich. Aber sie genügte nicht Alten, darum haben die französischen Schriftsteller eine andere erfunden. Sie behaupten derHei-lige sei oben, d. h. auf einem Verge, die Marabuta aber unwi, d. h. in einem Thale geboren, welche Erklärung übrigens auch eine schöne Gegend ist. Tatanih und Fokanih bekämpften sich mit solch fanatischer Wuth, daß man genöthigt war, eine Art von Gottesfrieden, ähnlich der Trcuga Del des Mittclalters, eintreten zu lassen. Sonst hätten sich die Bewohner oft eines nnd desselben Dorfes gegenseitig aufgerieben. An gewissen Tagen wurde der Kampf untersagt. Der Gebrauch der Waffen im Dorfe selbst wurde verboten. Außerhalb desselben jedoch tonnten ^sich die Genossen eines und desselben Stammes, wenn sie verschiedenen Sofft angehörten, nach Herzenslust todtschlagen und todtschießen. Noch heut zu Tag« zerfällt das Dorf von Schellatah, wie das ganz« Thal des U«d Sahel, in Tatanih und Fokanih, deren Feindlichkeiten jedoch augenblicklich verstummt sind. Die Fran-zoseuherrschast hat diesem originellen Sittenzuge einstweilen Stillschweigen auferlegt. Tatanih und Fotanih schlummern, aber im Schlummer zeigen sie sich die Zähne, um bei der nächsten Gelegenheit wieder loszubrechen. 154 Siebentes Capitel. -Dcr Stamm der Att Mellikösch. Der Dscherdschcra. — Dcr crstc Vtann vom Stamme dcr A'it Melli-kösch. — Die Kabylimicn. — Geiz dcr Hlabyln,.— Nachtlager im Gebiet der Ali Mcllitöjch. — Bu Bachla der „Vater dcr Maul-eselin," Freihcitilheld dcr Kabylen. — Seine Schlachten und sein Tod. — Ein kabylische« Vcschncidnngsfcst. — Ein taby-Usche Tänzerin. — Tie bcibcn AM's. — Ihr Wctttalnpf im Gcldvcrscheutcii. Nachdem wir uns bci dem Agha der Illulah verabschiedet hatten, setzt«« wir unsercn 3iitt längs der malerischen Ufer des U wefcn. Das Dorf Sidi Abd-Allah, in welchem wir heute unser !58 Nachtquartier aufzuschlagen genöthigt waren, war gerade das^ jenige, welches die Residenz jenes neuesten Nbd-el-Kaders gebildet hatte. Nir ließen uns in der leerstehenden Hütte der Gastfreundschaft nieder und verzehrten einige mitgebrachte Lebensmittel. Vci den Alt Melliko'sch war nämlich Eßbares weder zu bekommen noch zu sehen. Am Abend versammelte sich eine ilcine Anzahl von Hono-rationen des Ortes um das Feuer, welches wir vor dem Hause der Gastfreundschaft angezündet hatten. Diese Besucher waren kräftige, obgleich schon meist den Grcisenjahren nahestehende Mäuuer. Ihre Barte waren zwar ergraut und theils erbleicht, aber ihre Manneslraft war noch ungebrochen und ihr Gliedcrbau zeigte herculifche Formen. Leider hatten sie ihre plastischen Glieder mit überaus schmutzigen und unaussprechlich zerlumpten Kamidschas, oder langen Aermelhemden, behängt. Woher es kommt,daß bei den Eingeborenen dieMänuerin reiferen Jahren fast Alle so viel wohlhäbiger und gefunder aussehen, als die Frauen in demselben Alter, daß ist nicht schwer zu erklären. Die Männer beobachten als Herren der Schöpfung »ausschließlich das kruFos ccmsumyrL. Die Frauen thcilcn das Schicksal, übertrieben arbeiten zu müssen, nnt den tabylischen Eseln, Mäuleru und Pferden. Hat man je eines dieser Thiere gesehen, welchesnicht in Folge schlechter Nahrung entsetzlich mager wäre, und dessen Haut nicht blutige Spuren grausamer Abprü-gelung trüge? Denn die Kabyleu sind Thierquäler. Als solche kommen ihnen in Europa nur die Provenzalen und die grausamen Spanier gleich. In was unterscheidet sich das Loos der Fr.uicn von dem der Hausthicrc? Oft sind letztere mehr werth, 15V denn fiir ein gutes Maulthier zahlt man 200—300 Francs, wahrend man eine Ehegattin für 150 Francs und für noch weniger kanfen kann. Der Kabyle schätzt auch dchhalb seine Frau weniger alö seine Hausthicre. Dennoch soll es bei diesem Volke vorkommen, daß Ehemänner unter dem Pantoffel stehen! Einer der uns Gesellschaft leistenden Greise, der sich als der Scheikh des Ortes zu erkennen gab, zeichnete sich durch einen Vernus aus, welcher nnthöchsterWahrscheinlichteitzu schließen, ein Erbstück feines Urgroßvaters war, in den jede folgende Generation einige Löcher gerissen und einige Lumpen geflickt hatte. Dieser Würdenträger klagte sehr über die Armuth seines Stammes, der sich jetzt erst allmälig von 'dem Zustand des äußersten Elends zu erholen anfange, in welchen ein beinahe zwanzigjähriger Krieg mit den Franzosen ihn gestürzt habe. Der alte Mann erzählte allerlei von den Drangsalen, welche diese Kricgsperiode den A'i't Mellikösch auferlegt hatte. „Es gab Zeiten", so sprach er, wo wir so sehr an allen Lebensmitteln Mangel litten, daß ein Stück Vrod, wie es heut zu Tage zwei Sons tosten würde, oft um fünf Franken vertauft wurde. Das Mehl war in Folge der häufigen Razzias der Franzosen, welche unsere Ernten zerstörten, so theuer geworden, daß viele zu dem verzweifelten Mittel griffen, kleingeschnittenes Stroh mit in ihr Vrod zu backen, um so dessen Umfang zu ver» mehren und ihren Hunger, wenn auch nicht zu stillen, doch wenigstens zu täuschen. - Ich fragte den vänptling im zerlumpten Vernuö, ob er wohl Vu Varhlah gekannt habe, eine Frage, die er nicht nur bejahend beantwortete, sondern zu meinem großen Erstaunen über 180 solche ungewöhnliche Mittheilungslust eines Kabylen, mtr auch eine Schilderung von dem Leben und den Abenteuern jenes Scheriffs zu machen begann, welche, wie ich mich später überzeugte, so ziemlich mit der Wahrheit übereinstimmte. Bu Barhlah war der Abd-el-Kader der Kabylen gewesen. Die Franzosen nannten ihn natürlich Fanatiker, Betrüger, Äebell. Die Kabylen jedoch sahen in ihm einen Erlöser, einen Freiheitshelden. Seine Nolle warfreilich viel bescheidener, als die des Sultans von Maskarah. Sie entsprach mehr der beschränkteren Nolle des Frciheitshelden des Dahrah, Bu Masah. Wie dieser, so hatte auch Vu Varhlah ein weibliches Thier zu seinem Emblem gewählt. Es war dieß eine Mauleselin, arabisch Varhlah. Bu Barhlah heißt also der „Vater der Mauleselin", wie Bu Masah der „Vatev der Ziege" heißt. Später hat es auch noch einen Bu Homrah, d. h. „Vater der Eselin" gegeben. Bu Aarhlah'ö erstes öffentliches Auftreten fällt in das Jahr 1850 und zwar legte er sich anfangs nur den Character eines Marabuts oder wunderthätigen Heiligen bei. Die Franzosen, welche ihn natürlich immer in schlechtem Lichte zu schildern suchten, erzählten damals uon ihm folgende Pacadillen. Seine Hauptwirtsamkeit, als Marabut bestand, so lauten die officiellen französischen Berichte, darin, unfruchtbare Kabylinnen mit Sprößlingen zu segnen. Die Vermehrung des Mcnfchen-gefchlechts bildet stets eine Specialität musclmännischer Heiligen. Das Wunder pflegte in eiuem tlcinen Zelt in der Nähe von Aumale Statt zu finden, welches Bu Barhlah bewohnte. Diese seine erste Wunderlaufbahn follte jedoch bald unterbrochen werden. Gin Ehemann nämlich, dessen Gattin etwas allzuhäufig den Hei- ligen aufsuchte, faßte Eifersucht. Als feme Ehehälfte auch wieder einmal in intimer Conserenz mit dem Wunderthäter begriffen war, schlich der Eifersüchtige heran, lüftete eine der Seiten dcs Zeltes und — was sah er? — Er hat cs nie gesagt. Aber man nahm an, daß der ehrwllrdige Marabut zur Vollziehung des Wunders sich eines doch gar zu gewöhnlichen und profanen Mittels bedient habe. Ein anderer ebenfalls beleidigter Ehemann verklagte dm Heilige» beim Bureau arabe, welches diesen allzueifrigen Vermchrer des Menschengeschlechts zu längerer Ein« spcrrung verurtheilte. Aus dem Gefängniß befreit, verzichtete Vu Barhlah auf seine bisherige ausschließlich religiöse Laufbahn, und begann seine neue politische Carriere damit, daß er die verschiedenen Kabyleustämme durchwanderte uno iu begeisterten Predigten daö baldige Kommen eines neuen Scheriffs ankündigte, welcher die Franzofen aus Algerien vertreiben solle. Aber diese Nolle eines Agitators wollte ihm beim Beginn auch nicht glücken. Von ven zu Anfang noch mißtrauischen Kaby» len verrathcu, und von den Franzosen verfolgt, zog sich der „Vater der Maulesclm" in die unwirthbarcn Schluchten des Dscherdschera zurück, wo er eine Art von Eremitenlebeu zu führen begann. Der 3tuf dcr Heiligkeit des einsiedlerischcu Ma-rabut zog bald viele Gläubige aus den einzelnen Kabylenstäm-men an, deren immer wachsende abergläubische Verehrung Bu Barhlah zur Annahme einer neuen Rolle crmuthigte. Eines Tages erklärte er ganz offen vor einer zahlreichen Versammlung feiner Verehrer, der neue Heiland, der von Muley Ta'i'eb, jenem großen marokkanischen Heiligen, welcher vor 100 Jahren geweis« sagt hatte, die Franzosen würden Algier erobern, aber nach einer Drci Jahre im Noidwesten von Äsnla. II. 11 102 Anzahl Jahre von einem eingeborenen Häuptling wieder vertrieben werden, dieser vom großen Mnley Ta'i'eb versprochene Schenff, welcher das Land befreien solle, fei Niemand Anderes, als er selbst. Da Bu Varhlah bei diesen Worten Viele un-glänbig fand, so erbot er sich, dnrch ein Wunder feine göttliche Sendung zu beglaubigen. Der schlaue Mann kannte die Ka-byien nur zu gut und wußte, welche Art von Wunder auf diese Geizhälse den größten Einfluß haben würde. „Ihr fagt, Ihr seio zu arm, um Krieg zu führen?" sprach der ueue Prophet, „aber ihr sollt wisseu, daß ich alle Schätze der Erde besitze, und daß ich, wenn ich will, mit Leichtigkeit Geld aus dem Boden herausstampfen kann." Während er dieß sagte, trat er stark auf die 6rde auf, und o Wunder! wie er seinen Fuß wieder aufhob, erblickten die erstaunten Versammelten ein Loch im Voden, welches bis zum Nande mit Gold- und Silbermünzeu angefüllt war. Vösc Zun^ gen haben freilich seitdem behauptet, besagtes Geld sei sämmtlich falsch gewesen; denn der Hellige habe sich in seiner Zurückgezogenheit mit großem Erfolge dem bei den Kabylcn vielfach verbreiteten uud keineswegs verachteten Gewerbe der Falschmünzerei gewidmet. Wie dem auch fein mochte, jedenfalls verschaffte dieses Wunder dem Marabut eine große Anzahl von Anhängern. Einige Tage darauf besaß er schon eine regelmäßige Fußtruppe von hundert Mann, und eiue noch viel größere Menge von Freiwilligen, welche seinen Zügen zu Pferde folgten. Znerst fiel er in das Gebiet der Illulah ein, deren Agha, derselbe Veu Ali Scheriff, den ich bei Abku beschrieben habe, vor ihm fliehen mußte und dreitausend Hämmel, sowie dreihundert Ochsen in 1U3 den Händen des Siegers zurückließ. Solche Veute vermehrte mit seinem Neichthume nicht wenig den Einfluß des „Vaters der Mauleselin". Sein Anhang wurde immer größer und größer. Jeder seiner Jünger steuerte nach seinen Kräften zum großen Werke der Befreiung bei, und bald sah sich Bu Barhlah an der Spitze einer ansehnlichen Macht und im Besitze bedeutender Mittel. Am 10. Mai 1851 wagte er es, mit einigen tausend Mann das Thal des U«d Sahel zu durchziehen und, nachdem er alle Kabylenstämme auf seinem Wege begeistert, zum Frei-hcitökampfe gegen Frankreich aufgefordert, und so seine Armee noch vermehrt hatte, bis uach Bougie vorzurücken. Dieß war jedoch allzu tül>u. Or wurde mit seiner ganzen Macht in der Nähe dieser Stadt von Pelissier auf's Haupt geschlagen. Diese Niederlage hatte znr Folge, daß viele Stämme der Partei des „Vaters der Maulefelin" verließen, denn das vixtvix <^u«a ail» pl««uit gilt bei diesen Völkern für ausgemacht. Seitdem begnügte sich der Marabut, in der Gegend des Dschcrdschera bei den Alt Mellitösch zu verweilen, von wo anö er eine gewisse Herrschaft über viele Kabylenstäiumc ausübte, welche Herrschaft freilich eher auf scinen religiösen als auf seinen politischen Charakter basirt war. Im Jahre 1654 gelang es ihm, die An Dschenad znr Rebellion gegen Frankreich zn bewegen. Dem Beitritte dieses wichtigen Stammes verdankte er vorzüglich seiue neue, aber letzte Glanzperiode. Noch einmal sah sich Bn Barh-lah an der Spitze fast aller Kabhlcn. Im Verträum auf seine gute Sache, uon religiöser Begeisterung entflammt, und durch sie über die Schwäche seiner Macht blind gemacht, griff er nochmals die Franzosen an. Dießmal wurde er jedoch vom General 1V4 Nandon dergestalt geschlagen, daß er sich von dieser Niederlage niemals hat erholen tonnen. Bon mm an verlor er allmälig sein Prestige und seine Bedeutung. Ja er sah sich, um den wenigen noch bei ihm ausharrenden Anhängern die nöthigsten Lcbensmittei zu verschaffen, oft gezwungen, Razzias anzustellen und zwar gegen Abtheilungen früher befreundeter Stämme, die jetzt von ihm abgefallen waren. Auf einem dieser, seiner so unwürdigen Raubzüge fiel der einstige Frcihcilsheld. So endigte BuVarhlah der „Vater der Mauleselin". Im Jahre 1857 ist auch der sonst so feindlich gesinnte Stamm der A'it MclMösch endlich der französischen Negierung unterworfen worden. Als der alte Echeith damit fertig war, uns das ^cden seines Helden, des „Vaters der Mauleselin", zu schildern, hörten wir plötzlich einen Höllenlärm. Eö war ein Geschlage von Tamtams, ein Gctlopfe von Trommeln, ein Blasen HMönendcr, schrillender Rohrpfeifen und ein hunderttönigeö Geschrei von Kabylrenbaßstimmcn. Dieses Tohu va Vohn näherte sich nns immer mehr, und endlich sahcu wir einen langen Zug von Kabylen aus einer Straße des Dörfchens sich ergießen. Die Kabylen dieser Procession waren zwar alle zerlumpt, aber dennoch hatten sie ein gewisses Fcsttagöauöschcn, welches antündete, daßes sich um eine der zwei wichtigen Begebenheiten im ^eben eines Muselmannes, Trauung oder Veschneidimg, handele. Dießmal war es das letztere Ereigniß, welches den Gegenstand dieses Fcstzubels bildete. Das zu beschneidende Iüugelcheu erschien inmitten der Kabulcn-proccsfion auf einem kleinen elenden ^selchen sitzend, das aber mit rothen und goldglänzenden Bändern festmäßig ausgeputzt war. Als die singenden und trommelnden Kabylen sich dem Hause der 1»5 Gastfreundschaft näherten, trennte sich einer von ihrer Menge ab und kam anf uns zu. Dieser ein besonders zerlumpter, aber wie wir später hörten, hochangcsehmer Kabyle, lud uns Fremde sowie den Sche-ikh und alle Anwesenden höflichst ein, dem Feste der Veschneidung seines Sohnes beizuwohnen, zu welchem sich auch zwei große Häuptlinge der Kabylie cingefundcn hätten. Ich hatte friiher schon davon gehört, daß solche Feste, wenn große Häuptlinge ihnen beiwohnen, dadurch oft höchst originell wlirden, das; sich ein Wettstreit zwischen den beiden Großen entwickele, wer von ihnen den kleinen Canditaten der Veschneidnng am reichlichsten beschenken solle. Deßhalb nahmen wir mit Wonne die Einladung an. Aber der Scheith und die andern Anwesenden schienen gar nicht uon derselben Festeslaunc beseelt zu sein, wie wir. Die armen Teufel von Geizhälsen wußten nur zu gut, daß es.dabei hauptsächlich auf ihre Geldbeutel abgesehen sei. Denn ein Kabyle darf bei solchen Gelegenheiten sich nicht „lumpen lassen", sondern er muß deu Freigebigen spielen, obgleich ihn jeder ausgegebene Thaler weher thut, als wenn man ihn mit dem Messer aus seinem Körper herausgeschnitten hätte. Wir betraten das Festlocal, ein gewöhnliches tabylisches Haus, von Möbeln völlig entblößt, desto mehr aber mit Menschen gefüllt. Die beiden eingeladenen Häuptlinge, zwei Agha's der Nachbarschaft, der eine unser Bekannter, Ven Ali Scherisf, Aga der Illulah, der andere der Agha der Alt Abbas oder Neni Abbas, eines Kabylenstammes des oberen Säbel, hatten bereits Platz genommen. Sie saßen sich gegegenüber in hockenden oder kauernden Stellungen, auf der Strohmatte des Fußbodens, in verschiedeneren Zimmerecken und schienen sich wie zwei Kampf- INN Hähne oder zwei wüthende Schalk mit den Blicken herausfordern zu wollen. Das Fest begann, wie fast immer dergleichen, mit einem Tanze. Der tabylischc Tanz bedient sich ein wenig mehr der Veine und Fiiße, als der maurische, Uebrigeus liegt auch bei ihm der Hanptgipfelpuukt der Tanzbewegung nicht in den Extremitäten. Eine der Tänzerinnen, ein kaum 12jähriges Mädchen, mit großen dunklen Augen, ticfgebräuntem Teint, einem runden zierlichen Mund und einer stolzen cchtscmitischcu Nase, zog besonders dnrch ihr schönes, wohlgeregeltes Einherschrciten vor dem Tanzen, und ihre Vewegnngcn voll Zartgefühl und Scham-haftigkeit alle Blicke ans sich. Bei ihrem Tanze glühten die Kabylcn vor Begeisterung, nnd viele dieser Geizhälse vergaßen sich soweit, daß sie aufsprangen und ihr Silberstiicke mit dein Speichel ihres Mundes ans die Stirne klebten: die gewöhnliche Art Tänzerinnen zu belohnen. Mich erinnerte diese echt orientalische Terpsichore an eine andere, hoch« berühmte, au jene, welche schon vor 3000 Jahren das Herz eines großen Königs entzückt hatte. Der Tanz der Araber nnd Kabylen ist, mau hat Grnnd es anzunehmen, wahrscheinlich nicht viel von Dem verschieden, was einst die Tänze der Töchter Israels am Hofe König Salomons gewesen waren. Das hohe Lied singt begeistert von einer solchen Tänzerin: „WaS wollt an der Sulamith Ihr sehen?—Daß sie unter den Tänzern in Machnaim sei! Wie schön find Deine Tritte in passender Fußbekleidung, Nadibs Tochter! die Biegsamkeit Deiner Hiistcu, wie von tausend Gliedern, einer von Meister- IS? hand gefertigten Kette." lHohes Lied, rabbinische Uebersetzung 7,1-2.) Aus dieser Beschreibung dcr Hüftenbewegung wird klar, das; auch dcr altjüdische Tanz nicht ausschließlich ein Tanzen mit den Füßen war, wie der europäische, sondern eine Bewegung des ganzen Körpers, wie der orientalische. Diese „tausend Glieder einer von Meisterhand gewundenen Kette" darzustellen, indem sie sich weich und üppig und gewissermaßen schlangcnartig in den Hüften wiegte, dieß schien auch das Hauptbestrebeu dieser jungen Kabylin zu sein, wie es einst vor Z000 Jahren das der Sulamith gewesen war. Nach dem Tanze waren alle Augen und Ohren auf das Hauptercigniß gespannt, nämlich auf die öffentlich mit Demonstration vor sich gehende Veschcntung in Geld, des kleineu, zu beschneidenden Kabylen. Dcr Bu el Futha, wörtlich der „Vater ves Schnupftuchs", ein Kabyle, welcher die Weisung hatte, die Geldgeschenke in Empfang zu nehmen, und sie mitten im Saale unterem dort befindliches Schnupftuch zu legen, be-gann nun die Gäste zur Freigebigkeit aufzuforderu. Anfangs kamen nur kleine Gaben. Der Mann mit dem Schnupftuch rief uach jeder dieser von ihm empfangenen Geschenke: „Dcr und der hat 3 Budschus (etwa 1.^ Thaler) gegeben. Gott danke ihm dafür." Dann ertönte das Iujuh der.Frauen, die mit grellem, ohrzerreißendem Geschrei den Namen des großmüthigen Gebers begrüßten. Etliche fünfzig Kabylen gaben nicht mehr, als jeder die 3 obligaten Budschus, welche das Mi-uimmn des Anstandes zu bilden schienen. Endlich kam dic Reihe iU8 au den Agha der Illulah. Dieser täuschte aber fürs Erste »»eine Erwartung, denn er warf Anfang am nur etwa 10 Thaler hin; dennoch ertönte sein Lob aus dem Munde des „Vaters dcs Schnupftuchs": „Ven Ali Scheriss hat zehn Thaler gegeben! Gott segne fein? Großmuth'." Hicranf folgte das Iujuh. Aber als der andere Agha an'ö Beschenken tam, da gab er das Doppelte, nämlich 20 Thaler. Noch größeres Lob unv noch größeres Injuh der Frauen! Doch Vcn Ali Scheriff wollte sich nicht „lumpen" lassen. Auf einmal flog eine Nolle anf dm Schooß des „Vaters des Schnupftuchs" nnd, nachdem dieser sie geöffnet hatte, rief er mit lauter Stimme: „Der Agha der Illulah hat 50 Thaler gegeben! Gott vergelte es ihm!" Hierauf neues ohrzerreißenbes Iujuh. Jetzt schien der Agha der N'it Abbas erst recht in den Wcttkampf einzugehen. Ein Sack, der ebenfalls dem „Vater des Schnupfluchs" zugeworfen wurre, war seine Antwort auf die Herausforderung seines Gegners. Als nun der Säckelmeister rief: „Gott fegne den Ngha der Alt Abbas für die 300Francs, die er gegeben hat!" und das Injuh sein Lob verkündete, da schien der Illulah vor Zorn zu glühen. Ein anderer Sack flog in die Mitte des Zimmers, ging heim Fallen auf uud ein Meer von Thalern ergoß fich auf den Fußboden. Schnell hatte sie der Rechenmeister gezählt und nun vernahmen wir: „Der große Häuptling der Illulah hat 500 Francs gegeben! 18» Gott segne ihn dafür! Als das entsetzlich schrillende Iujuh der Frauen, welches nun erfolgte, sich gelegt hatte, da erhob sich der MtAbbas, und warf cincn neuen Sack in die Mitte des Zimmers. Kaum war jedoch dieser beim Bu el Futha angelangt, so flog auch schon cin anderer, vom Illulah geschleudert, ebendahin. Dichmal sollte der kostspielige Wettstreit jedoch cin Ende haben, denn es fand sich, daß das letzte Mal beide Chefs gleichviel, nämlich ^eder 1000 Francs, gegeben hatten. Nun hatte keiner mehr Grund, auf den Andern eifersüchtig zu sein. Sie mochten wobl zufrieden sein, cincn Vorwand zu haben, ihren Kampf jetzt aufzugeben , der bereits jedem von Beiden 2000 Francs gekostet hatte, und der sich in 8 Tagen bei einer andern Beschneidung wieder erneuern konnte. Man versicherte mir jedoch, daß die schlauen Geizhälse von Kabylen ihre Beschenkungen alle so berechnet hätten, daß sie nichts dabei verlöre«. Denn Niemand darf Einem, der ihn oder seinen Sohn beschenkt hat, bei einer andern Gelegenheit, wo er der Schcntcr und der andere der Beschenkte ist, weniger anbieten, als er selbst bekommen hat. Diese afrikanischen Finanzmänner haben die Beschenk-nngen in eine Art von System gebracht, und wenn ja einmal Jemand dabei elwaö verliert, so sollen es die Armen fein. Dem Reichen, so hörte ich, würde sein Gespendetes stets in Fülle zurückgegeben. Jetzt erfolgte die eigentliche Ceremonie, welcher ich jedoch leine ^ust hatte, beizuwohnen, da ich das Grauenvolle und Ekelhafte, was jede Veschncioung, namentlich die größerer Knaben, die viel mehr leiden als kleinere, hat, schon von Tlemsen aus hinlänglich kannte. Die Muselmänner beschneiden bekanntlich 170 die Knaben zwischen 10 und 14 Jahren; die Juden, vernünftiger, vollziehen diese Ceremonie an den Neugeborene». Achtes Lapitcl. Die eisernen Thore des Atlas. Die Bibcm oder „rortou 6« I^oi-." — ^ch'ckhal. — Enge Schtucht. — Die vier P'ork'ü. ^ ?ic übene von Bordsch Vu '.'lriridsch, — Lebhafter Veckhr. — Tie Rnweu von Siulia. — Beschilga, eine Türtencoloiue. — Der kleine i.'öwe. — Orieiliallsche Zuthaten ^i europäischen Trachten. Nachdem wir am nächsten Morgen das kleine Dorf Ski Abd-Allah, nnd bald darauf das Stammesgebict der kriegerischen N'ü Mellikösch verlassen hatlen, lcnttcn wir nnsere Pferde von dem lachenden Flußthale deö IM Sahel ab, um einem seiner Teitcuflnsse, dein kleinen Nr" beigelegt haben, war Europa voll von Geschichten über die uneinnehmbare Lage, die verzweifelte Berthcivignng'dieser neuen Thermopylen durch die wuthschnaubenden Kabylen. Ein berühmter deutscher Dichter fand für gut von „des Atlas Eisenthor" zu reden, hinter welchem die „knirschenden Kabylcn" in wahnsinnigem Verzweisinngskampfe ihr Vaterland vertheidigten, Mehrcrc französische Literatcn, 172 welche um jene Zeit über Afrika schrieben, wußten nichts besseres zu thun, als bei Veröffentlichung ihrer Neiseeindrücke den mystisch-schaurigen Namen der „I'cirto» äo ter" gleich auf das Titelblatt zu setzen. Heut zn Tage hat die größere Kenntnis; der Localität nnd die nüchterne Kritik die bramarbasircndcn Erzählungen der Thcilnehmer jener Waffenthat ihres phantastischen Lügengcwandes entkleidet, uud jenen Fcldzug selbst ans seine wahren, unbedenteuden Proportionen zurückgeführt. Aber, wenn uns anch die ,,1'urw» 6e fcr" nicht als der Schauplatz einer vermeintlich herculischcn Heldenthat großes Interesse erregen können, so sind sie an nnd für sich schon als großartige Mittelpunkte eines hochromantischcn Landschaftsbildes bemerkenswert!) genug, um die Vlicke des Staunenden, Naturschönheiten und Naturseltsamteiteu liebenden Wanderers zu fesseln. Das Thal, welches bis zu diesem Punkte sick, einer ziemlichen Weite crsvent hatte, war plötzlich so enge geworden, daß es dem sprudelnden Flüßchen, dessen Laufe wir folgten, nur einen schmälsten Nanm übrig ließ, um sich zwischen den Felsenschluchten mühsam hindurchzuwindcn. Eine Zusammcnrcihung riesiger Granitwäude schien ihm den Weg versperren zu wollen. Dicht schichteten sich diese Fclsenwände neben einander, strebten fast zu gleicher Höhe aufwärts und zeichneten am dunkelblauen Horizonte ihre phantastischen Umrisse ab. Ein steiler Pfad längs des rieselnden Bächleins führte uns nach langem keuchenden Auf- und Abtlimmcn in die Mitte der felsigen Vnrgcn, wo wir uns wie gefangen zwischen einem Kranze uon zwei bis dreitausend Fns; hohen Kaltsteinmauern in einem tiefen Kesselthale befanden. Diese felsigen Massen 173 waren von einander durch dreißig bis vierzig Schul) breite Zwi-schenräume gctreuut, welche von einem wilden Chaos mächtigen Kalksteingerölles ausgefüllt wurden. Dieses Kesselthal, welches gegen seine Umgrenzungen so tief erschien, war dennoch höher gelegen, als die Felsenschlucht, zu dcr wir jetzt gelangen sollten. Ans dem inneren Saale des wunderbaren naturgeschaffenen Gi-gantenschlosses führte uns eiu steiler, abschüssiger Pfad, der sich wie durch ein Wunder zwischen dem Steiugeröll einer dcr Fel° fenlücten aufthat, in ein enges schmales Schluchtenthal, dessen nnwirthbare Wildheit wirtlich etwas Barbarisches hatte. Durch dieses bahnten sich unsere Pferde mühsam ihre Pfade, zwischen Felsenwänden hindurch, deren Gipfel sich immer höher und höher in die ^ttfte trugen, und Soune und Licht von dem engen Schluchtenwege beinahe gänzlich verbannten. Nachdem wir, am Ende diefes Pfades angekommen, den kleinen sich uns dort ent-gegcnstemmendcn Vergstrom durchwatet hatten, sahen wir uns balv m einem zweiten diesmal so engen Kess>!lthale gefangen, daß es von allen Seiten ohne Auögang nicht nur schien, sondern auch wirtlich'früher war, und noch sein würde, wenn nicht hier die erste der Eiseupfrrten, oder Viban dein sonst festgebannten Wanderer sich zum Durchgange geboien hätte. Dieses erste Thor war ungefähr acht Fuß hoch und senkrecht in eine der Felsenwände hineingchaucn. An der anderen Mündung des ersten der Viban öffnete sich vor unsern Blicken eine lange Gallerie, ebenfalls in den Felsen eingehauen, dessen leichtes sandiges Gestein hier jedoch wenig Schwierigleiten geboten hatte. Am Ende derselben stellte sich uns eine neue Felsen« mauer entgegen. Hier wäre ebenfalls kein Weiterkommen mög- 174 lich gewesen, hätte nicht das zweite der eisernen Thore sich jetzt vor uns aufgethan. Dieses war so enge, daß einer unserer wohlbeladenen Maulesel sich. kam« hindnrchzuzwängen vermochte. Das dritte Thor lag zwanzig, das vierte Thor fünfzig Schritte vom zweiten entfernt. Das vierte war jeroch schon be-dentend gcränmiger, als seine Vorgänger. Mit ihm hatten wir den letzten der Viban hintcr uns gelassen. Die enge Thalschlucht fiug jetzt schnell sich zu erweitern an. Schon nach dreihundert Schritten von dem letzten der Thore that sich ein weites Thal vor uns auf, nud zeigte unseren entzückten Blicken die schöne lachende Hochebene von Vordsch Bu Ariridsch. „Warum haben die Franzosen diese Thore „I?ort,o8 clc ?ci-" genannt?" frug ich meinen Reisegefährten. „viague" erwiderte dcr skcplisHe Abd-Nllah, der nicht selten für seinen Herrn zu antworten pflegte, „an den Franzosen ist alles M^no, Nenomisterei und Vramarbasiren." „Sie haben," erwiderte scntentiös der Engländer, „einen guten Grund gehabt, diesen Namen zu wählen. Er hat etwas Phantastisch-Erschreckendes. Er giebt ihrem, so in die Wolken erhobenen Fcldzuge, dcn sie untcr dem Herzoge von Orleans einst hier gemacht haben, ein ganz pompöses Relief, und tragt so zu ihrer .^loiro" bei, die am Sude doch nur ein Gemisch von einiger Wahrheit nnd sehr viel Dichtung ist." Was ist übrigens der wahre Ursprung des Namens der „I'orto« mpaFni<3 s^Lue- 184 voiijtz" immer von der gesunden Lage von Setif vorsingen. Daß die kleine Stadt ein Theater besaß, braucht wohl kaum erwähnt zu werden; denn wie könnten Franzosen ohne ihre Vaudevilles und Mord und Todtschlag enthaltenden Schreckenüdramas existiren? In Ermangelung wirklicher Schauspieler, übernah« men hier, wie fast überall in Afrika, wo eine ständige Truppe fehlt, die Soldaten der Garnison die Rollen, welche sie, wie ich mich selbst überzeugte, mit ziemlickcm Geschick aufführten. Nur wollten mir die Manieren der ersten Liebhaberin, eincö Zuaven, doch ein wenig gar zu burschikos vorlommeu. Aber was konnte man am Ende von einer Liebhaberin verlangen, deren Fiiße uonGrenadiergrößc waren,und deren etwao allzu umfangreichen Händen keine Handschuhnummer unter neun und ein halb gepaßt haben würde? Eine glückliche Idee hatte man gehabt, indem man ans der 1>wt!L d'Ori^n« die meisten größeren antikm Denkmäler, welche hier aufgegraben wurden, aufstellte. Dieser Platz bildete so mit seinen Sarkophagen, seinen Säulenresten, seinen Urnen, und Gedenktafeln ein Museum, das dadurch, daß cö im Freien gelegen war, nicht verlor, denn an dem hier Aufgestellten tonnte der Regen nichlö verderben. Vor den Thoren von Setif wurde jeden Sonntag ein von den Kabyleu und Beduinen der Umgegend zahlreich besuchter Markt abgehalten. Dieser Sonntag^martt, arabisch Suk el Had genannt, ist einer der besuchtesten, vielleicht der besuchteste der ganzen Algcrie. Man rechnet die Zahl der sich regelmäßig hier einsindendcn Eingeborenen auf acht biö zehntausend. Dorthin begab ich mich am zweiten Tage nach meiner Ankunft, welcher 185 glücklicherweise cin Sonntag war, um physiognomische Studien unter diesen interessanten Stämmen des Innern anzustellen. Ein Markt in Europa ist mir das nnn pins ultra von prosaischer Gemeinheit, was schon das Vorherrschen von bettelhaften, alten Weibern auf demselben erklären mag. Aber ein arabischer Markt gewährt immer einen Kunstgenuß. Einige tausend, meist herculische Gestalten, die sich majestätisch in malerische Lumpen drapiren, und denen der prosaische Handel dnrchauö Nebensache ist, erinnern an das römische Forum; dcnn die römische plodu hat wohl ebenso oder beinahe so zerlumpte Toga's getragen, als die Kabylen Vermisse. Meine Neugierde svllte dcnn auch hier reichlich belohn! werden. L'inc unübersehbare Menge bcrnuS-umwallter Gestalten füllie den weiten Plan. Da sah ich den finstern Bergkabylen vom Stamme der Beni Thala, der A'ü Ur-tillan und der Ait Ghcbanna unter seinem hohen, aus Palmcnslroh geflochtenen, thurmartigcn Hute mit d^m wilden Feuer seiner blitzenden Augcn wie zornig hcrumblickeu, als wollteer der Welt durch seine Blicke sagen, wie sehr er sie verachte. Neben ihm stand der feinere, edelgebaute, echte Araber aus den nahen Veduinenzelten, an der langen Adlernase und seinem spitzen Kinne untcrscheidbar, ein wahrer Sohn Iömai^lü; trotz seiner äußersten Zcrlumpthelt dennoch ein Edelmann, welcher sich als solcher fühlte und sich bewußt war, einenStammdanm zu besitzen, der weiter hinaufreicht, als der manchen Königs. Ihm zur Seite hockte jeneö Bastardwesen, der arabisirte Kabyle, der Bewohner durchlöcherter Gurbi's: er hegte die Aumaßnng, sich für einen Araber zu halten, war aber doch nur cin arabisch redender Kabyle und besaß weder die edle Nacenhaftigkcit der Söhne Ismails, noch den wilden 180 Freiheitötrotz des autochthoncn Berbers. Ta wandelte zwischen dem Schwärm seiner zum Verkauf ausgeboteneu Nosse der handelseifrige und arbeitslustige Msitah, dcsseu Heimathsdorf auf den Trümmern des antiken Zabi erbaut ist. Da wallte, hergenaht von seinen einsamen Hügeln, der melancholische Oer-gur mit den laugen gedehnten Gesichtszügen, dem großen wässerigen Auge, und dem svilMlaufcnden Barte. Dort drapirte sich mit künstlerischem Geschmack in seine malerischen Lumpen und Fetzcn der !iiira Guebala. 9cebcu ihm lag halbnackt anf der bloßen Erde der faule Nira Dahara, herbeigeeilt von seinen blühenden Wiesen, vielleicht ohne ein anderes Geschäfte, als um hier beim Suk el Had einen Tag des Nichtsthuns, der angenehmen Aufregung uud des Vergnügens zu erleben. Denn oft wandert der geizige Kabyle zu Fuß und ohne ciucu Heller zu verzehren, eine Tagereise oder noch weiter von seiner Heimath hinweg, wenn es selbst nichts Anderes für ihn gelten sollte, als feine Neugierdezu befriedigen. Wer aber vor allen sich hier einge-fundeneu Stammen meine Wißbegier wachrief, das waren die Amuschah und namentlich derjenige Theil dieses Stammes, wclcher uul^r dem Stamm der Bcni Huamcr sich rühmt, von den einstigen Eroberern und hundertjährigen Gebietern von Afrika, den Vandalen, abzustammen. Mit lebhaftem Interesse, und nicht ohne ein virlleicht noch wärmeres Gefühl, betrachtete ich diese möglichen Abkömmlinge uuscrcr Stammesgcuossen, die Abkömmlinge eincs Voltes, welches, wenn es anch barbarisch war und als solckes iir sprückwörtlich üble»! Nufe stand, dennoch durch seine Thaten bewiesen hat, welche große Energie, welche völkerbezwingende Kraft sein Verhältniß- 187 mäßig kleiner Menschenhaufen besaß. - Aber' waren diese Vem Huamer, von denen man mir ein Dutzend, Männer auf dem Sonntagsmartte von Setif zeigte, wirklich die Abkömmlinge unserer Stammverwandten, ocr Vaudalen? In Abwesenheit irgend eines Documentes blieb mir nichts übri.q, als nach dem möglichen Aeußeren dieser Repräsentanten eines hochberühmten Geschlechtes meine Schlüsse zu ziehen, und da mußte ich mir allerdings ein gestehen, daß, nach längerem Beobachten der Physiognomien und der äußeren Merkmale des Temperaments dieser Leute ich wenig oder gar keinen Unterschied zwischen ihnen und den übrigen Kabylen entdecken tonnte. Man sagte mir freilich, daß unter den Beni Hucnner viele eine blonde Haarfarbe, einen weißen Teint und nordische Zuge besäßen, aber die, welche besagte, immerhin jedoch noch trügerische Anzeichen besaßen, mußten wahrscheinlich alle zu Hause geblieben sein, denn die am Snt el Had Anwesenden stellten durchaus nicht den Typus irgend cineö nordischen Voltes dar. Ich schloß also, daß es mit der Vandalenabstammung der Vcni Huamcr vielleicht eben so stehen möge, als mit der Abstammung einer übertriebenen Anzahl von Arabern, Veduüun und Kabylen von dem Propheten Mohamed. Vci weitem das Merkwürdigste, was Setif dem Liebhaber historischer Denkmäler darbot, war seine Citadelle, eine alte römische Festung, welche heut zu Tage den Franzosen dieselben Dienste gewährt, welche sie vor beinahe zwei Jahrtausenden den alten Herren der Welt leistete. Ich fand die römischen Mauern ziemlich wohlcrhaltcn und mit Geschick ausgebessert. Zehn Thürme ragten über die Mauern empor. Jede von drei Seiten 188 der Citadelle hatte der Thürme zwei, während über einer Seite sich ihrer vier erhoben, welche diesem Theile der Mauer das Ansehen einer großartigen Festungöfa^ade verliehen. Die Wände waren von ungeheuerer Dicke. Ihre Breite betrug etwa neun Fuß. Gleich erkannte ich au ihrem Baumaterial, daß das Bolt, welches zum letzten Mal diese Festung aufgerichtet hatte, die Byzantiner gewesen waren. Die Eigenthümlichkeit ihrer Banart iu Afrika ist bekanntlich die willkürliche Zusam-menwürfelung aller antiken Baureste, deren sie habhaft werden konnten. Korinthische Eänlenstücke, zerbrochene Capiiälcr, Mar-mortafeln, Sandsteinplatten mit Inschriften, dann wieder ein Chaos zusammengefügten SteingcriM, in welchem Bruchstücke römischer Backsteine mit den ungebrannte« Lchmzicgeln der einheimischen Bevölkerung abwechselten, hie und da ein Fragment eines Sarkophags, dort cin Stück einer zertrümmerten Statue, das Alles bildete cin Ganzes, welches großartig, wenn auch keineswegs harmonisch war. Dieses bunte, kunftlose Durcheinander des Baumaterials ließ mit Sicherheit die Epoche der letzten Ncuerbauung dieses römischen Forts bestimmcu, den überall, wo wir Deutmäler der Byzantiucrzcit iu Afrila erblicken, sin« den wir sie ganz von ähnlicher Beschaffenheit, wie die Citadelle vou Sciif. Letztere war ohue Zweifel schon zur Glanzepochc Roms eine bedeutende Festung gewesen, wnrde aber, wie alle Festungen Afrika's, mit einziger Ausnahme Karthago's, von den Vaudalcn zerstört. Welchem byzantinischen Gouverneur kann man die Wicdcraufbauuug dieser Citadelle zuschreiben? Wahrscheinlich dem, welchem säst alle byzantinischen Baudenkmäler hier zu Lande ihre Entstehung verdankten, dem Patricius Salo- 189 mon, dem Nachfolger Belisars, den man den Festungserbauer Afrikas nennen tann. Sitisis lag nach den Itinerar 78, nach der Peutingrischen Tafel, welche eö Steisls nennt, t!7 MiMaricn von Saldae entfernt. Der Weg von Bougie nach Setif beträgt 82 Kilometer, also etwa 6t) Milliarien, wonacb beide obige Angaben zu gros; sind. Aber die Nömerstraßen machten wahrscheinlich Umwege im (Gebirge, Ptolomäos verlegt Sitifiö 9 Grade östlich von l^aesarea, eine lächerliche Uebertreibung, da es in Wirtlichkeit nur Z Grade östlicher liegt. Nach Ocfenius ist der Name Sitifis, wte fast alle alten Städtenamen Äfnka's, phönicischen Ursprungs nnd kommt oon^, Setef, welches „Ueberschwemmnng" bedeutet. Sitifiö hieß also die „Stadt des Wasserüberflnsses"; ein Name, welchen sie noch heute verdient. Uebcrhanpt enthalten die phönicischen Städtebenennungen fast durchgängig eine noch heute anwendbare Bezeichnung. Setif, das römische Sitifis, war mehrere Jahrhunderte hindurch die Hauptstadt einer reichen und blühenden Provinz, der nach ihr benannten Mauriania Sitifensis gewesen, welche hauptsächlich die von den heutigen Kabylen bewohnten District? in sich schloß. Seine Erhebung zur Hauptstadt (297 n. Chr.) verdankte es dem Kaiser Maximilian Galcrius, welcher eben eine Nebellion der stets aufrührerischen Nmniden gedämpft hatte, und durch die neue Eintheilung der östlichen Mauritania in zwei Provinzen, in die Mauritania Sitifensis nnd Cacsaricnsis, die Kräfte der Eiugebornen zu zersplittern hoffte. Sctif erhob sich seit jenein Jahre zu vorher 190 ungetaimtem Glänze, und rioalisirte eine Zeit lang mit Julia Caesarea, der mauritanischen Schwcstcrhauptstadt. Sitisis war von all«, Seiten von feindlichen ununtcrwor-fenen Numiden (den Vorfahren der Kabyleu) umgeben. Augu-stinuö spricht von dcr Äcichte eines Bischofs von Sitisis, welche von deu rebellischen Numiden entführt wurde. Vier Vischöfe von SiUsis sind uns betaunt geworden. Oftlatus erschien 525 anf der Confercuz von Karthago, welche der den Katholiken freundliche Vandalentönig Hilderich berief. Diese Conferenz war eine Hauptursache des Sturzes des Hilderich, da er sich auf derselben durch Begünstigung der Katholiken bei den arianischcn Paudalcn sehr verhaßt machte. Trotz der zahlreichen römischen Garnisonen, welche die Städte der Sitifensis seit dem Jahre 279 enthielten, so wagten es doch noch zwei Empörer, Firmus (372), und später sein Bruder Gildon (38(!) die Fahne der Rebellion zu erheben. Beide hatten anfangs großen Erfolg und machten beinahe alle Stämme der Sitifcnsis den Römern abspenstig, um jedoch bald durch Verrath und Ohnmacht Iläglich zu Grunde zn gehen. Die Nue midcn schonen überhaupt eine höchst unkriegerische Art der Schlachtführung gehabt zu haben. Vor jedem einigermaßen starken Feinde zerstreuten sie sich und hofften in vereinzelten Haufen dem Gegner mehr zu schaden, als in gedrängter Schlachtordnung. Aber die Folge hiervon war, daß ihre Führer, stets im Stiche gelassen, in die Hände der Feinde fielen. Die Nu-miden unterwarfen sich dann scheinbar. Aber bald trat wieder cm nelur Nebcll auf, um großen Anhang zu finden, um mit einem mächtigen Heer den Römern entgegen zu ziehen, welches l91 Heer jedoch sick beim Nahen des Feindes ebenso wieder zerstreute, und den Feldherrn dem Feinde preisgab. Aehnlich ist noch heute die Kriegsführung der Kabylen. Dennoch kaun man diese Völker nicht feig nennen. Firmuö wurde durch den Comes Theodosiutz überwunden und auf Befehl des Siegers enthauptet, Seine Leiche wurde im Triumph und alö warnendes Beispiel für die Nuunden in den Straßen von Setif herumgefahren; sein Hanpt dagegen auf der Spitze einer ^'anze in allen eingebornen Stämme« der Umgegend von Dorf zu Dorf umhergetragen. Der Comes Theodosius sollte freilich bald selbst ein ähnliches Schicksal erfahren, wie der von ihm Besiegte. Denn Kaiser Gratianus ließ ihn 376 als verdächtig, einem Gegenkaiser anzuhängen, zu Karthago enthaupten. Gildon, der letzte heidnische Häuptling der Numiden, ward von seinem eigenen Bruder Mascescl, welcher in römischen Diensten stand, und der als Stellvertreter des allmächtigen Ministers Stilicho und des Kaisers Honorius in Afrika auftrat, besiegt, floh und erdrosselte sich selbst, um nicht dem verhaßten Bruder in die Hände zufallen. Der römische Dichter Claudius klandianus^) beschreibt pomphaft diesen Fcldzug, dessen Erfolg er jedoch tomischer Weise seinem Helden Stilicho zuschreibt, obgleich dieser Feldherr sich zur Zeit dieser Waffenthat in friedlicher Sicherheit zu Naveuna befand. Dem ohnmächtigen Schwächling Honorius wird in diesem lobhudelnden Gedichte die unwahrscheinliche Absicht zugeschrieben, als habe er selbst nach Afrika gegen den Re- '*) Claudius Claudianus, de bello Gildonico, Ed. König. Göttingen 1808. 192 bellen zu Felde ziehen wollen. Claudianus legt ihm folgende Verse in den Mund: Haurire venera Compulimus dirum Syphacen, fractumque Metello Traximus immunem Marii sub vincla Ingurtham, Et Numidac Gildonia crunt? „Wir haben Sypha^ vergiftet und Iugnrtha gefangen genommen und wir sollen dulden, daß Numidien einem Gildon gehöre? Aber der schlau politische Minister Stilicho besänftigt die kriegerische Wuth des Kaisers, indem er ihm vorstellt, daß Gildon seinen Rächer in seiner eigenen Familie gefunden habe: Est illi patribus, sed non et moribus iisdem, Mascesel fugiens qui dira piacula fratris Spesque suas vitamquc tuo commisit asylo. „Er hat einen ihm höchst ungleichen Bruder, Mascescl mit Namen, der vor der Grausamkeit Gildons zu Dir floh und Dein Asyl anflehte." In der That hatte Mascesel Grund, sich an dem Bruder zu rächen, denn dieser hatte ihm feine zwei Kinder ermordet. Mascefel wird von den Schriftstellern jener Zeit ein eben so guter llhrist genannt, als Gildon ein verstockter Heide war. Die Hauptstadt der Mauritania Sitifcusis überlebte den Einfall der Arabcr nickt. Während mehr als einem Jahrtausend sollte sie nun unbewohnt feiern. Erst den Franzosen sollte es gelingen, dieser Leiche einer Hauptstadt wieder einiges Leben einzuhauchen. Im Jahre 1838 wurden die Mi-neu von Sclif zum erstenmale von den Franzosen besetzt. 184? wurde hier auf Negierungsbefchl eine Stadt gegründet, welche ' sich seitdem eines verhältnißmäßig blühenden Aufschwunges erfreut hat. 193 Mein Reisegefährte hatte sich nach seiner Gewohnheit in der Nähe der Citadelle mit einer Menge alter Steine beladen, die er dem armen Abd-Allah zu schleppen gab. Diesem war die archäologische Grille seines Gebieters sichtlich unangenehm. Aber was wollte er machen? Der Vrite war sonst ein guter Kunde für ihn. „Was macht denn Dein Herr mit den alten Steinen, die er überall aufliest?" fragte ich ihn im Nachhausegehen, als der Engländer gerade nicht bei uns war. „Was er damit macht?—Ja! Was macht er damit? — Wir schleppen sie auf unseren Touren mit uus herum. Er zeigt sie den Franzosen, die jedoch in ihrer Unwissenheit den Werth derselben nicht einzusehen vermögen. Wenn wir sie aber recht lange herumgeschleppt haben, da werden sie gewöhnlich am Ende irgendwo vergessen, gehen verloren, oder werden gar weg» geworfen. Nur die Steine mit Inschriften behält er, und davon hat er noch keine zehn." Das war das endliche Schicksal dieser mühsam zusammengesuchten archäologischen Steinsammlung. Drei Iahte im Nordwrslen »o», Aftila. II. 13 194 Zehntes Capital. Anmale. Rückkehr au den U«d Sahel. — Der Dschebel TümM. — Der Via» rubut Sidi Tamgut. — Lcllah Khvedidscha, die gvoße Heilige. — Vazagaba. — Diebstahl eines Kadylcn. — Der Scheith und die gestohlene Vsatra^e. — Lächerlicher Einzug in Anmale. — Langweiligkeit von Anmale. — Der dorlhi» versetzte Oberst. — Auzia. — Der limos ^.u^iousis. Da eö in nnscrer Absicht lagAumale, das alte ?lnzia, so wie die nördliche Hälfte der großen Kabylie noch vor unserer Rückkehr nach Bongic zu besuchen, so mußten wir von Setif ans unsere Schritte wieder rückwärts wenden, nnd über Bordsch Vu Ariridsch und durch die Eisenthore nach dein Thal des U«d Sahel zurückkehren, Zwei Tagereisen brachten uns denn von der einstigen Hauptstadt der Mauritania Sifitensis, wieder an den Zusammenfluß des Ui^d Mahrir mit dcm Ui-d Sahcl, welche Stelle wir vor acht Tagen berührt hatten. Diese Gegend wurde vom Stamme der Meschdallah bewohnt. Hier ließen wir links, auf einem Verge in einiger Ent-ferunng, die altarabischc Stadt Kala oder Kalaa liegen, welche zu Edrissis Zeit (im 12. Jahr) sich großer Blüthe erfreut zu haben scheint. Der Verfasser der „geographischen Unterhaltungen" spricht von der gesunden Lage, der Fruchtbarkeit der Umgegend und dem ewigen Frühling von ssalaa. Nach ihm war es 12 Meilen von Mesila, dcm anlikn Zaba Mauritaniac,dcm heutigen Msila, südlich von Vordsch Bu Ariridsch gelegen. Die 193 vierzehn Dörfer der Meschdallah lagen auf den Abhängen und am Fuße des Dschebcl Tamgut zerstreut, welcher den höchsten Gipfel ter mächtigen Kette des Dscherdschera bildet. Diesen imposanten Bergesgipfel sollten wir während einer ganzen Tagereise nun zu unserer Rechten behalten: ein herrlicher Hintergrund zu einer an und für sich schon wildromantischen Landschaft. Mächtig und riesenstark, wie ein echter Sohn des gigantischen Atlas, trug der stolze Dschebel Tamgut sein von jeder Vegetation entblößtes Haupt in die tiefblauen afrikanischen Liifte. Obgleick es schon October war, so hatte er doch ausnahmsweise dieß Jahr seinen Scheitel noch nicht mit der.ehrwürdige» Umhiillung silberweißen Schi,ees gekrönt. Noch starrte s?ine kahle Felscnspitzc kühn und stolz, gleich einer Herausforderung an die Gottheil, zum Aether auf. Um scinen Gipfel kreiste der Lämmergeier, welchen das Auge des Kabylcn im Thale nicht mehr sah, welchen er aber lannt,,', denn er ward feines Daseins' gewiß durch den Naub an seiner Heerde. Auf den Ausläufern dieses Niesenbcrgeö erhob sich die duutle Ceder; mit ihren senkrechten Zweigen beschattete sie das ewig frische Hochthal. Weiter unten goß die Pinie ihre aromatischen Diiftc aus, nnd der wandernde Kabyle fammelte ihr Harz i» die Capuze feines zerlumpten Vernuö und trug es nieder in seine Hllttc; denn der Aberglaube k-iht diesem gelbm Safte heilende Kräfte. Auf der höchsten Spitze des Dschebel Tamgut befand sich die kleine Kubba eines uldieser Gegend hochberiihmten tabyll-schen Heiligen, dem auch der Vcrg seinen Namen verdankt. ' Dieser Marabut, Tamgnt geheißen, hatt.' nur in dieser Höhe 13* sich von der Berührung mit der sündhaften Menschheit abgeschlossen gefühlt. Hier lebte er ein frommes Eremitenleben. Aber welcher Heilige hatte es je vermocht, in noch so entlegener Wildniß, den Blicken seiner Verehrer zn entfliehen? Der Einsiedler bildete bald einen Magnet, welcher Zchaaren anbetender Kahylen nach seinem Fclscnlhrone führte. Zn oft durften die Verehrer des Heiligen nicht tommen: das hatte ihnen Sivi Tamgut verboten. Aber einmal in der Woche halte er gestattet, daß Alle, die sich seiner frommen Gebete bedürftig fühlten, zu feiner hohen Warte aufsteigen durften. An diesem Tage nahten die Kabylen. Sie kletterten die Felsen« höhe hinan in Schaaren und schufen die Oede für Stunden in eine volkreiche Gegend, Sie brachten dem Heiligen in den Früchten ihrer Felder die irdische Speise, und bekamen von ihm t afür das Hinnnelöbrod. Denn in dieser unwirihbaren Höhe wuchs nichts, von dem sich ein Mensch hätte nähren können. Der Heilige nahm ihre Gaben, m>d dankte ihnen.' Nicht, als ob er dieser Geschenke bedurft hätte! Nein! Der Marabut brauchte teine Früchte der Erde. Sein wunderbares Dasein gestattete ihm auch ohne Speise zu leben. Aber er nahm ihre Gaben, um die Kabylen in guten Werten zu üben. Die Opferfreudigkeit ist ein schöner Zug der Seele, und sie muß geübt werden. So dachte der Marabut. Darum machte er eö auch seinen Verehrern zuletzt zur Pflicht, einmal die Woche sein Heiligthum aufzusuchen mid ihm ihre Gaben darzubringen. Aber dem Heiligen fehlte etwas in seincr Einsamkeit. Die Verehrung ler Menge selbst war nicht »mehr vermögend, die Leerc seines Herzens auszufüllen. Was fehlte diesem frommen Einsiedler? 197 Seine Inspiration war nicht mehr die alte. Wenn er den gan» zen Tag gebetet hatte, da fühlte-Sivi Tamgut zuletzt eine Mat. tigtett, die ganz irdischer Natur war. Soll ein Heiliger eine solche Mattigkeit empfinden können? Um sich von dieser strafbaren Mattigkeit zu heilen, beschloß Sidi Tamgut eine Wall. fahrt nach Mckta zu unternehmen. Vielleicht, daß dort am Steine der heiligen Kaaba, ans dem liegend Jakob seinen Him-melstraum geträumt hatte, die alte Inspiration zurückkehren würde? Was er beschlossen hatte, das führte er aus. Ehe er aber ging, um sich den frommen Titel eines Hadsch zn erwerben, dachte er an seine Verehrer. Wie, wenn dieselben während seiner Abwesenheit weniger in guten Werken geübt würden, und von ihrer Opfcrfreudigteit nachließen? Wären sie nicht im Stande den Weg nach dem Gipfel des Dschcbcl Tamgut zu verlernen? Welch'ein Unglück für Sidi Tamgnt, wenn er, bei seiner Rückkehr, nicht mehr allwöchentlich seine Verehrer sehen würde, nm sich an ihrer Opferfreudigkeit zu laben. Dieß be« dachte der Marabut. Deshalb gab er seineu Verehrern den Befehl, bis zn seiner Zurückkunft wöchentlich einmal den Dsche-bel Tamgut zn besteigen, bei seiner Kubba zu beten und ihre Gaben mitzubringen; knrz Alles zu thun, was sie bei feiner Anwesenheit zu thun Pflegten. Die Verehrer des Heiligen befolgten seine Gebote in treuem Gehorsam. Sie befolg-ten sie ihr Leben lang und schrieben sie ihren Söhnen und Enkeln vor, und alle spätere Generationen haben sie bis jetzt befolgt. Man wartet immer noch, daß der Marabut von seiner Pilgerfahrt zurückkehre. Bis jetzt ist er noch nicht gekommen. Es sind zwar Jahrhunderte über Jahrhunderte seit seiner Ab- 198 reise vergangen, aber feine wahren Verehrer zweifeln nicht an seiner einstigen Wiederkehr. Außer dieser echt t'abylifchen Legende bildet der Dschelxl Tamgut noch den Schauplatz einer anderen. Scllah Khredidfcha nämlich, eine berühmte Marabuta, hatte ihre Zelle an seinem Fuße. Dort lebte sie, der sündigen Welt entflohen, in welcher zahlreiche Freier sich erkühnt hatten, um ihre Hand zu werben. Aber Lcllah Khredidscha wollte nur eines solchen Mannes Weib werden, der ein Heiliger sei, wie sie selbst eine Heilige war. Nach langem Warten fand sie endlich einen solchen Mann in dcr Person eines Vettelderwischs. Aber dieser Auserwählte war von so abschreckender Häßlichkeit, und nebenbei so alt und zerfallen, daß reine andere Frau seiner gewollt hätte. Lellah Khredidscha jedoch schätzte nur die Heiligkeit und nahm ihn zum Gatten und siehe! der häßliche Alte verwandelte sich in einrn blühenden Jüngling. Im Stamme der Meschrallah benennt man den Dschebel Tamgut nur mit dem Namen dieser Heiligen, der Lellah Khredidscha, welche hier nach langem Leben mit dem verwandelten Vetteldcrwisch endlich ihr Grab gefunden hatte. Gegen Mittag des dritten Tages nach unserer Abreise von Setif erreichten wir im ^tammesgebiete der AN Aissi die wenig bedeutenden Nuineu dcr obscurcn Mmerstadt Vazagada (das s)vtt^'«/ttlf« des Ptolemäos) unweit des Ui'd Sahel auf dessen linken Ufer gelegen. Der Name Bazagada ist, wie Gefenius behauptet, phöni-cischen Ursprungs und vou Bas ha Gad (i^l-,-,2) abzuleiten, welches „Glückliche Leute" bedeutet. Es ist wohl k.nun anzunehmen, daß die Phönicier oder Karthager selbst diese Stadl 199 gründeten. Aber die phönicische Sprache war bei den Eingeborenen uon Afrika so verbreitet, daß sie für die von ihnen erbauten Städte vhönicische Namen wählten. Unser Nachtlager schlugen wir in einem kleinen Kabylen-dorfe der Ait Ihalla auf, welches malerisch am Fuße der mächtigen Kette des Dscherdschera aus dem Laube seiner Oliven-haine hervorblickte. Hier war es mir vorbehalten, eine weitere Bekanntschaft mit den Sitten der Kabylen zu machen, und zwar leine angenehme. Die Kabylen mögen recht fromm sein, und sehr viel schöne Legenden haben, abcr ihre Frömmigkeit verhindert sie leider nicht — zu stehlen. Und was für Gegenstände stehlen sie? Dinge, die ihnen oft nicht das Geringste nützen können. So stahl mir auf dem Wege zwlschm den Ait A'i'ssi und den Ait Ihalla ein Kabyle meine Matratze vom Maulesel herab. Niemand hatte freilich den Kabyleu gesehen. Aber der Maulesel war mit der Matratze in ein Wäldchen gelaufen und ohne dieselbe zurückgekommen. Von selbst hatte er sie nicht verloren, denn sie war mit Mmen und Stricken mehr als genügend festgebunden gewesen. „Das kann nur ein Kabyle gethan haben!" sagte Nbd-Allah, als er den leeren Maulesel zurückkehren sah. „Was soll ein Kabyle mit einer Matratze thun?" fragte der Engländer zweifelnd. „Ja freilich! Was soll er damit thun? Aber diese Leute haben oft so sonderbare Grillen! Hat nicht neulich einer den Nachtsack mit Ihren alten Steinen gestohlen?" sagte Abd-Nllah zu seinem Herrn. 200 „Allerdings! Aber er brachte ihn wieder zurück, weil ich dem Finder ein Trinkgeld versprach," erwiderte der Vrite. „Glauben Sie mir", sprach der Dragoman, sich zu mir wendend: „Folgen Sie dem Beispiel meines Herrn, und versprechen sie dem Ueberbriuger ihres gestohlenen Gutes ein Trinkgeld. Diesem Nath beschloß ich zu folgen. Als wir in A,t Ihalla angekommen waren, ließ ich gleich den Schcith-el-Veled oder Schultheiß kommen und erklärte ihm: „Ein Kabyle hat meine Matratze gestohlen." „So ? Sie glauben ?" wandte heuchlerisch der Scheikh ein. Aber der arme Mann bildete sich ein, ich wollte ihn für den Diebstahl der Matratze verantwortlich machen. „Mißverstehen Sie mich nicht/' sagte ich zu ihm. „Ich fordere die Matratze nicht von Ihncn zurück, obgleich ich ein Necht dazu hätte, da sie in ihrem Gebiete gestohlen wurde." Der Schcith veränderte seine bisher trübe Miene und sagte schmnnzelud: „Nun, und was kann ich für Sie thun?" „Machen Sie im Dorfe bekannt, daß ich dem, der mir meine Matratze zurückbringt, zwei Francs Belohnung geben werde. Glauben Sie, daß das genug sei?" „Genug?" erwiderte der Scheich. „Ich glaube eher zu viel; denn eine Matratze ist doch ein durchans werthloser Gegenstand. Ich habe mich immer darüber gewundert, was doch die Christen damit machen tonnen." „Sie verrichten ihre Gebete darauf," fagte ich ihm; „denn, das; man auf einer Matratze schlafen könne, das würde 20 l er doch nicht begriffen haben. Nach zwei Stunden brachte mir der Scheich die Matratze. Am folgenden Morgen durchritten wir den hier in seinem obersten Laufe beinahe wasserlosen U«d Sahel, und wandten uns nun von ihm südlich, um durch das Gebiet der Beni Amor den Weg nach Aumale weiter fortzusetzen. Die Gegend, durch welche uns uusere Nosse trugen, war weit entfernt den fruchtba-baren und blühenden Anblick des Thales des U«d Sahel darzubieten. Die Beschaffenheit des Bodens war felsig, steinig und undankbar. Auf dem spärlichen Humus, welchen diese unfruchtbare Unterlage hie und da trug, wuchs die zackige Opuntia in kleiner verkrüppelter Form, danebeu die Mariendistel mit ihren aus Hellgrün und Weiß gemischten Sprossen, das Fettkraut ^Lälim) mit scnicn öligen glänzenden Blättern, und nur hie und da an seltenen prioilcgirten Stellen die den besseren Voden liebende palmenartige ^uooa iilamenwsa. Gegen Abend erreichten wir Aumale, welches einsam auf einer traurigen monotonen Hochebene, umringt von den dunkeln Ausläufern des finstern Dschcbel Dira dalag. Die Hauptbewohner dieses Städtchens warcn zur Zeit Soldaten. Unsere kleine Karawane brachte iu d«n Garnisonsstädtchcn eine wahre Sensation hervor, und in der That war sie vollkommen geeignet, neugierigen und gelangweilten Soldaten die Augen aufsperren zu machen. Zn «orderst ritt cin äußerst bunt getlei« deter Neger, welcher ein Freund Abd-Allahs war, und uns aus Aumale entgegengeritten kam, um uns uun auf dem lächerlichen Einzüge anzuführen. Ich glaube, der verruchte Schwarze hatte Geschmackan dem Carncvalsaufzug, welchen wir darstellten. Ihm 202 folgten die zwei zitternden Kabylen, welche den kleinen, abgemagerten und tränten ^üwen, den mein Reisegefährte in Vordfch Vn Ariridsch gekauft hatte, an einer Kette führten. Diese armen Schlncker hatten eine entsetzliche Angst vor dem König der Thiere, nnd derselbe brauchte mir sein Haupt auf die Seite in der Richtung eines der Kabylen zu wenden, nm denselben zitternd die Kette loslassen nnd fliehen zu sehen. Zum Glück war feine thierische Majestät fo krank nnd elend, daß sie die Angen meist auf den Vvden gefenkt trug. Der Menagerie folgte der Engländer selbst, nicht weniger sehenswerth als der Neger nnd das Raubthier. Er trug das oben beschriebene phantastische Costüm, welches einige ihn naiv anstaunende französische Rekruten in der Unschuld ihres Geistes für die Nationaltracht Altenglands zu halten schienen. Dem Sohne Vritaniens auf vem Fuße folgte sein verschmitzter arabischer Dollmctscher, der sich, um seinen Gebieter nnd Opfcr zu schmeicheln, ebenfalls in ein buntes Costüm gehüllt hatte, und ohne Zweifel für einen zur Ruhe gesetzten Pascha gehalten werden wollte. Man kann sich denken, was für einen Eindruck ans die nnr zn sehr zum Verspotten alles Fremden geneigten rothen Hosen, was für ein Zusammenlaufen schmutziger Gamins ein solcher Carnevalszug zur Folge hatte. Anmale war im Jahre 1840 auf den Ruinen des römischen Auzia, an der Stelle eines von den Türken erbauten Forts Namens SnrRhoslan (d. h. Quelle vcr Gazellen) gegründet worden. Es erfreute sich zur Zeit unserer Durchreise bereits einer Einwohnerzahl von tausend Europäern nnd einer etwas größeren ständigen Garnison, so daß auf jeden Einwohner mehr als ein Militär kam. Eine vo» Zinnen gekrönte Mauer nmgab die 203 Stadt, wie überhaupt fast alle Städte der Algerie eine solche Mauer besitzen, denn die Kriegsführung der Eingeborenen, so lange diese noch Krieg führten, d. h. vor wenigen Jahren, war so primitiv, daß eine Maucr für diese schlechten Belagerer noch ein beinahe unübersteiglicheö Hinderniß bildete. Die Stadt bestand eigentlich nur aus einer einzigen, etwa dreitausend Fuß langen Straße, in welcher die unvermeidlichen Kasernen und zahlreichen Militäretablissements gelegen waren. Diese einzige lange Straße bildete denn auch das non plu» ultr» von Monotonie und Langweiligkeit. Uebrigens hat Anmale in der französischen Armee das Renommee, die langweiligste Garnison zu sein, uud ich glaube, es thut sein Möglichstes, um diesen Nuf zu verdienen. Ich erinnerte mich hier einer Conversation, die ich einmal im Caft Valentin in Algier überhört halte, und worin der Name Aumalc unuortheilhaft genannt worden war. „Nun," so sprach cindicker Oberst zu seinem Nachbar, der nicht weniger mit Corpuleuz gesegnet war, „Sie sind ja versetzt worden?" „Ich versetzt?" erwiderte der Angeredete. „Da milßte ich doch auch etwas davon wissen." „Ja! der Adjutant des Gouverneurs hat es mir mitgetheilt. Sie iverden heute vielleicht noch die Ordre bekommen, nach ihrer neuen Garnison abzugehen." „So? Nun da möchte ick Venn doch wissen in welches Hundenest ^ti-uu äo olneu»") man mich wieder einmal versetzen will!" rief der entsetzte Oberst entrüstet. „Rathen Sie! Es ist ein etwas langweiliger Ort." „Wenn es Orleansville ist, dann gehe ich nicht; lieber 204 gebe ich meine Demission; denn Orleansvillc ist nach Aumale die langweiligste Garnison." „Wie, wenn es aber Anmale selber wäre?" „Anmale!" fuhr der Oberst auf. „Aumalc! wäre es möglich?" „Es ist nicht nur möglich: es ist wirklich," Der Oberst sah zerstört aus. Seine Züge nahmen im Augenblicke einen fahlen grüngelben Farbcnton an. „Nun, was sagen Sie?" fragte schelmisch der Andere. „Ich sage nichts; aber ich weiß was ich thue!" erwiderte der Oberst, der nach Anmale versetzt worden war. Am andern Morgen stand seine Demission im „Uaniwur Mein Reisegefährte besaß ein Empfehlungsschreiben an einen höhereu Offizier in Anmale, den wir aufsuchten. Dieser muß wohl gefürchtet haben, Aumale selbst möchte noch nicht langweilig genug sein. Er wollte deßhalb die Dosis gütigst verdoppeln, und führte uns zu diesem Zwecke in den Militär-etablissemeutö hcrnm, die er uns alö höchst interessant schilderte. Bon dieser langweiligen Besichtigung entronnen, eilte ich, meinen Geist an der Veschauung der Alterthümer von Auzia zu laben. Auzia lag nach dem Itinerar 123 Milliarien von Cäsarca entfernt. Dieß entspricht gcnan den 172 Kilometer, welche Aumalc von Schcrschcl trennen. Ich glaube, daß man Auzia für das Oagtra NaiauiH der Pentingerischen Tafel halten tanu. Nach diefer beträgt die Entfernung zwischen 3iti6s und ^U8t.r» 6a1»8in 132 Milliarien. Dieses entspricht ungefähr den 180 203 Kilometer, welche Setif von Anmale trennen. Die Straße des Itinerary von Sinfis nach Anzia zählt 174 Milliarien. Aber sie beschreibt einen bedeutenden Umweg nach Süden, da sie das Zaba Manritaniae (das heutige Msila) berührt. Wenn wir Iosephus (Archaeol. 8, 13) Glauben bemessen, so wurde ein Auzia von dem König von Tyrus Ithobal gegründet. Dieses Auzia des Iosephus hält Gesenius für das Au-zien des Ptolemäos, welches nicht Anders ist, als das Anzia der Römer, das hentige Anmale, das Sur Rhoslan der Araber. Der Name Auzia kommt nach dem großen Hebräologcn von ,:?, Os, welches „Krast" d. h. wahrscheinlich „Festung" bedeutete. Die antiken Neste von Nuzia, welche ich sah, bestanden: Erstens aus einer sehr schöuen uud wohlcrhalteuen römischen Mosai'k, deren Figuren und Verzierungen von der besten Zeit des Kunstgcschmackes zeugten. Mein Reisegefährte wollte durchaus einige Stückchen von derselben abbrechen, um sie seiner Steinsammlung einzuverleiben. Als ich dies sah, konnte ich jedoch meinen Umvi.llm nicht mehr zurückhalten. „Sie nennen sich/' rief ich, „einen Freund des Alterthums, und Sie wollen eines seiner schönsten Ueberbleibsel in diesem Lande zertrümmern? Sie sind ein Vandale und kein Archäo-loge! Aber thun Sie es nur, uud Sie tönneu versichert sein, daß ich auf der Stelle Am Maire gehen werde, um ihren Vandalisnms zu denuuciren." Der Brite ließ sich endlich bewegen von feinem frevelhaften Vorsatz abzustehen. Alle antiken Reste, welche das einstige Anzia in sich trug, 20k besaßen merkwürdiger Wcisc denselben Stempel der besseren Zeit der Kunst, wie jcne Mosaik; während die Ruinen fast aller übrigen Städte der Algeric fast ausnahmslos der Zeit des Verfalls angehören. Dieser Umstand wird leickt erklärlich, wenn es wahr ist, was Verbrugger mit vielem anscheinenden Necht behauptet, daß Anzia nur zur Glanzzeit der römischen Herrschaft cMirt habe, und wahrscheinlich schon im zweiten oder spätestens im drillen Jahrhundert von den rebellischen Stämmen der Numioen zerstört worden sei, um nie wilder aus feinen Nnincn zu erstehen, da dieser Punkt der sinkenden Macht Noms zu ausgesetzt schien, um ihn gegen die Eingeborenen behaupten zn können. Diese Annahme Verbruggcrs wird durch den Umstand bestätigt, daß zur Zeit des Feldzugcs des Comes Theodosms niemals Auzia, sondern nur das vier deutsche Mcileu nördlich bei A5n Vessum gelegene Castcllum Auziense crwähut wird. Auch wird Auzia nicht in der Liste der Vis-thllmer aufgeführt, waö bei einer einst so bedeutenden Stadt nur durch dereu Zerstörung erklärbar ist. Von achtzehn Inschriften, welche man in Aumal^ auffand, ist keine einzige von einem späteren Datum als das Jahr 240 unserer Zeitrechnung. Die meisten der hier gefundenen Gedenktafeln stammen jedoch aus der Negierungszeit des Kaifers Septimius Sevcrus, nach welchem diese Stadt auch Colouia Scptünia Augusta genannt worden war. Aus eiuer im Museum zn Verona befindlichen Inschrift erfehen wir, daß Auzia mit linisguuia zusammen einen Decurio Coloniae besaß. Die hier gefundenen Münzen gehören ebenfalls alle den früheren Kaisern an. Nuzias einstige Bedeutung muß vcrhältnißmäßig groß gewesen sein, da es der ganzen Grenzpro- 207 vinz feinen Namen verliehen hatte,- welche nach ihr Limes Au-ziensis genannt worden war. Wenn man über der Zerstörung dieser Nömerstadt auch inv Zweifel ist, so weiß man doch mit Gewißheit, nach einer in 3lorfa bei den Ulad Selama entdeckten Inschrift, daß zur Zeit Constanüns Anzia nicht mehr die Hauptstadt des Limes Anziensis war, welchen Namen jedoch diese Grenzprovinz der Kabylie auch nach der Zerstörung ihrer einstigen Hauptstadt beibehalten hatte. Wahrscheinlich hatte von nun an das Castrum Anziense die Stelle Auzia'ö als Hauptort des Limes Auzieusis vertreten, welcher District übrigens nnter den späteren Kaisern bedeutend kleinere Proportionen besessen haben muß. Elftes Capitel. Die Kernstammc der Kabylie. Nömersttaßc durch die Kahylie. — Das „Spielen" der Kabylmnen. — Castellmn Auzknsc. — Nachtlager bei dcn Schöifa. — Un« angenehmes Evwachcn. — Gebirgslandschaft. — Dra cl Misan. — Die i!cgcude des Walbeö. — Die rcpublitauische Stammes Verbindung der Suawlia'ö. — Uvspruiic; des Wortes „Znave." — Vcrschicdttmttigc Sittcn dci Snawua's. Jetzt stand unö noch bevor, so recht den Kernpunkt der großen Kabylie zu durchdringen. Die eigentlichen Kernstämme, welche, nördlich vom Dschcrdschera uud südlich von Dellys, zwi° fchen Gcbirg und Meer eingezwängt liegen, von denen hatte uns bisher immer noch das Hauptgcbirge der Kabylie getrennt. 208 Aber von Aumale nach dem im Gebiete des kriegerischen Kaby-lenstammes, der Veni Raten, erbanten Fort Napoleon sollte uns der Weg mitten hindurch durch diese noch vor kurzer Zeit gegen Europäer feindlichen Stämmen führen. „Ist auf diesem Wege Gefahr vorhanden" fragte mein Reisegefährte den Capitän des Bureau arabe, welcher uns gegen Zahlung Pferde und Manlthiere verschafft hatte. „Nicht die Geringste, danken Sie aber Ihrem Schöpfer, daß sie diese Reife nicht vor einem Jahre unternommen haben," entgegncte dieser. „Wären wir denn damals in großer Gefahr gewesen?" fragte der Brite weiter. „Gefahr?" — Das ist nicht das Wort, denn Gefahr drückt doch etwas Unbestimmtes aus. Sie hätten ganz einfach die Gewißheit gehabt, den kabylischen Weibern überliefert zu werden, damit diese mit Ihnen „spielen" könnten." „Und war dieses Spiel so grausam?" „Grausam? Ja! Man konnte cs fo nennen. Sie pflegten nämlich den Gefangenen ein Glied nach dem andern abzureißen, bis keineö mehr znm Abreisen vorhanden war." Mit eigenthümlichen Reflexionen über dieses „Spielen der Kabylinnen" traten wir unsere Reise an. Unser Weg führte uns längs des westlichen Abhanges der Bergkette des Dscherd-fchera hin, an dessen Fuß der U^d Isser und seine Nebenflüsse ihren Ursprung nehmen. Die Straße, welcher wir folgteu, zog sich interessanter Weise in ganz derselben Richtung hin, wie die von Ptolemäus ang-cdcutete, welche von Auzia nach dem niederen Isser führte. Nach einer halben Tagereife von Aumale aus 20« erreichten wir A'lun Vesscm, wo die Franzosen eine kleine Fe» stung, ihrer Form nach .Fnrt, ^ox^ouai" genannt, erbaut haben. Einige römische Vaureste, welche wir hier fanden, so» wie die Uebereinstimmung der von Ptolemäus angegebenen Entfernungen, ließen uns schließen, daß dieß die Stelle des Ca-stellum Auziense oder Audieusc gewesen sei. Diese Meinung ist auch diejenige des bekannten Archäologen O Mac Carthy. Lastellum Auziense bildete nach dem Fall von Auzia die Hauptstadt des Limes Auziensis. Sein Name findet sich nicht auf den Itincrarien, was dadurch erklärlich wird, daß es wohl erst seit der Zerstörung von Auzia Bedeutung erlangte. Ich vermuthe, daß Castellmu Auziensc jenes Viöthnm des Manritaniae Sitifcnsis war, welches die Notitia alö (^utoUanu« NpiuooMwu auffllhrt. CastellumAuzicnse hieß, da es als Hauptort des Limes Auziensis gewiß eine bedeutende Festung war, wie man annehmen kann, schlechthin das Castellum und sein Bischof Ca-stellanuö. Am Abend erreichten wir das Gebiet der Schörfa, eines Kabylenstammes, welcher, wie der Name ausdrückt, sich der Ab» stanmmng vom Propheten rühmt. Das war vielleicht schon der zehnte Stamm von Schörfa, welchen ich auf meinen Reisen in der Algerie angetroffen hatte. Alle Mitglieder dieser Stämme behaupten Prophctenentel zu sein. Bei den Schörfa übernachteten wir ebeusulls in der leerstehenden Hütte der Gastfreundschaft, welche dießmal zum Glück wirtlich leer stand. „Wir können unö gratuliren", sagt» ich zu meinem Reise- Trei Iah« im^lioidwcslen von Afnka. n. 14 210 geführten, „daß die Hütte leer steht. Das ist das erstemal, daß uns dies begegnet. So haben wir doch einige Hofsnnng auf Nacktrnhe.« „Gratuliren wir uns nicht zu früh", fiel Abd-Allah ein: „Die Kabylen haben wunderliche Sitten. Manchmal beliebt es ihnen, noch ganz spät in der Nacht irgendwo anzukommen, wann kciu Menfch mehr einen Neisenden erwartet." Die Wirklichkeit sollte dem Dragoman Necht geben. Ick legte mich friedlich zur Nuhe auf meine mir in A'ü Ialla gestohlene und wiedererlangte Matratze. Der Engländer und Abd-Allah lagen in andern Winteln der Hütte. Jeder hatte feinen freien Spielraum, konnte sich bewegen, sich umdrehen, aufstehen, kurz Alleö, was mau sonst in der „Hütte der Gastfreundschaft", wcgcn des vorherrschenden GcN'ängcs nicht kann. Nach einer Stunde etwa weckte mich ein Geräusch, was ich für das Knur-ren eines großen Hundes hielt. Es war — ein schnarchender Kabyle, der zn meiner Rechten lag. Ich reckte die Linkc ans, und sie erfaßte — die Lumpen des Bernus eines andern schlafenden Kabylen. Ich wollte mich ausstrecken und mein Kopf stieß auf einen dritten Kabylen. Jetzt stand ich auf und fah: zu meinen Füßen lagen noch vier bis fünf Andere. Dcr Bodert der ganzen Hütte war mit Kabylen wie gepflastert. Wohin man trat, stieß man anf einen. Bon diefem Augenblicke an war keine Nachtrnhe mchr möglich; denn ein Heer von Inscctcn kroch aus den Bernusscn unserer neuen Zimmergcnossen hcroor, ' und fing au zn probireu, wie denn das Vlnt der Nuuiih schmecken mögc. Wachend erwartete ich den Morgen. Obgleich ich keine zwei Stunden geschlafen hatte, so wurde 211 ich doch weder am kommenden Morgen, noch überhaupt den ganzen folgenden Tag auch nur einen Augenblick schläfrig: ein Phänomen, welches ich der ganz medizinisch wirkenden, aufweckenden und wachhaltenden Gewalt der Insectenstiche zuschrieb. Als der Morgen gekommen war, begannen wir unsere Tagesrcise mit dem Durchwaten des Isser, eineö alten Vekann-ten, welchen ich schon auf dem Wege von Algier nach Dellys in feinem tieferen Laufe überschritten hatte. Nun ging unfer Weg anfangs über ein ödes Steppenland, welchei? jedoch allmälig anfing, sich in eine Verglaubschaft zu verwandeln, bis wir endlich uns mitten in den Ausläufern des antiken Mono ferratus befanden. Jetzt drangen wir immer liefer und tiefer in die Hochthäler des vor uns sich öffnenden Dscherdschcra ein. Dieß Gebirge bot ein Vild der grölten Maumchfaltigkeit. Dort zeigte sich eine Gruppe fast rundlicher Bcrgcöhäupter, die mit baldachinartigen Pinien recht eigentlich gekrönt waren; denn ihre Abhänge hatten keine Bäume und nur die Gipfel trugeu solche. Dann wieder kam ein einzelner länglicher Hügel, mit zarter Linieuzcichmmg, welcher von jeder höher sich erhebenden Vegetation entklüst war. Desto lebhafter wucherte auf seiner humusreichen Grddecke ciu Mcer der üppigsten niederen Gesträuche und Dolden: der I^tkc)«p«riuu8 lrutioolms nnt seineu korn-blumblaucn Blüthensternen : die Meerzwiebel sß^Ma in^itima) ragte mit langer weißer Vlüthcnähre an ihren blattlosen Schäften empor; das Heliotropiuin pernviannm, eine Galtung unseres Vanillekrautö, goß seine lieblich berauschenden Düfte aus. Bald kamen wir an einer Neihe kühner Fclseu, von Eisenadern durchzogen, vorüber, die mit ihren finstern aneinanderg^schichte- 14* 212 ten Zacken nächtliche Schatten über die Thäler warfen. Bald begrüßte uns ein rieselndes Bächlein mit einer in Afrila ungewohnten Frische, an dessen Ufer unsre liebe IriuttvrmaniLn, und das stolze Schilfrohr s^rnuän I)c»uax) sich erhoben. Gegen Abend erreichten wir Dra el Misan, ein vor kurzem gegründetes Colonisteudörfchen, jedoch ungleich wichtiger als Militärposten und als Hanptsitz des Bureau arabe; denn als solcher hatte cö die nicht immer leicht zu erfüllende Aufgabe, die kürzlich erst unterworfenen Kabylenstämme der Umgegend in Ordnung zu halten. Eine Bevölkerung von etwa fünfzig Europäern hatte sich hier iu den von der Rcgieruug erbauten Holz-baraken niedergelassen. Es waren meist wenig bemittelte Kleinhändler, welche i>l der Ausbeutung der Bedilrfmsse der hier campirendcn Truppen ihren Lebensunterhalt faudcn, Dra el Misan lag in reizender Gegend mitten in den Bergen, welche Ausläufer des Dfcherdschcra bildeten, nördlich von der Hauptkette des Gebirges selbst, und diesem autitcn Hlouu ksrrawä näher, als irgend eine andere europäische Niederlassung, das Fort Napoleon mitgerechnet. Im Norden von Dra el Misan dehnte sich der dichte Wald vonBuMedin aus, in dessen finsterer Einsamkeit die Korkeiche, die immergrüne Eiche und die Pinns maritima ihre mächtigen Zweige erhoben. Der Wald von Vu Mcdin bildet den Gegenstand folgender kabylischcr Sage: An der Stelle des nun unbewohnten und unbcsuchten Waldes befand sich einst eine blühende Landschaft, und ein reiches Dorf lag in ihrer Mitte. Aber der Häuptling dieses Dorfes war ein schlechter Muselmann und ein Böfe-wicht, den sein Reichthum so stolz uud übermüthig gemacht hatte, «1» baß er, von Dünkel angeschwollen, zuletzt auf die Idee verfiel, sich selbst für ein Wesen höherer Art zu halten. In feinem lächerlichen Stolze wollte er sogar der Gottheit nicht mehr die Ehre erweisen, welche jeder gnic Muselmann ihr zollen muß. Von einen frommen Vcltelderwisch dcr Umgegend, dem Mara-but Sidi-Ali°Bu-Nab aufgefordert, seine Gebete herzusagen, fing er statt dessen an, auf's Entsetzlichste zu lästern. Ja', er ging soweit, die Gottheit herauszufordern, ihn zu zerschmettern, wenn es in ihrer Macht stände. Der ehrwürdige Marabut, hierüber begreiflicherweise hocherzürnt, verfluchte den Ungläubigen, seine Familie und seinen Wohnort, welcher Fluch die Ausrottung dieses Geschlechts und die Verwandlung der Gegend in eine Wildniß zur Folge hatte. Seitdem befindet sich an der Stelle der einst üppigen Landschaft das finstere Geheimniß einer grauenvollen Waldeinsamkeit, in welcher Eulen, Uhus und die entsetzlichen unheilbringenden Dschin hausen. Dra el Misan ist, wie fchon angedeutet wurde, besonders wichtig als Sitz einer Hauvtdivifion der Bureaux arabes. Unter dieser stehen nämlich die zwei einst so bedeutungsvollen Verbindungen der Veni Sekda und die der hochberühmten Suawuah. Letztere bildet vielleicht die interessanteste Verbrüderung kabylischer Stämme, welche eögiebt.DieVerbindungdcrSuawuah begreift die für eine politische Einheit in derKabylie höchst bedeutende Anzahl von hunderttausend Seelen in sich. Die überaus bergige Lage der Gebiete der vielen Stämme, welche diese große Verbindung ausmachen, und die Vcrthcilnng derselben über einen ver-hältuißmäßig großen Flächenraum, mußten häufige persönliche Berührungen zwiscken deren einzelnen Vundesgliedern äußerst 214 schwierig machen. Deßhalb halten die Suawuah sich selbst in drei Abtheilungen oder Nnterverbindungen, die westlichen und östlichen Suawuah und die Alt Iratten eingetheilt. Jede dieser Abtheilungen bildete eine Ilnterrepublit in der größeren Republik der Suawuah. Denn die Verfassung der Suawuah war durchaus republikanisch. Kein Stamm erkannte einen andern Obern an, als welchen er sich selbst gewählt hatte. Die einzelnen Stämme schickten dann bei gewissen, freilich seltenen Gelegenheiten Abgeordnete zu einer freien politischen Versammlung, welche die allgemeinen Angelegenheiten ordnete, weun es solche zu ordnen gab, was nicht oft vorkam: denn jeder Stamm hatte einen großen politischen Spielraum, und kein Stamm war gezwungen, sich der Majorität der andern Stämme zu fügen. Mißbilligte er eine politische Angelegenheit, so entzog er derselben einfach seine Theilnahme, ohne deßhalb aufzuhören, Mitglied der Verbindung zn sein. Man sieht, dieß war eine Republik ohne die Tyrannei der Mojoritä't, welche doch in cioilisirten Republiken unvermeidlich ist. Vis zum Jahre 1857 hatten viese Suawuah eine der mächtigsten, gefürchtetstcn politischen Körperschaften gebildet, welche in allen geschichtlichen Ereignissen vieses Theiles der Algerie eine Nolle spielte. Der sogenannte „König von Kuko", von dessen Vünduiß mit Spanien oben die Rede war, war nichts anderes als ein Häuptling eines Stammes dieser Verbindung gewesen. Die Franzosen hatten die Zähigkeit und Tapferkeit der Suawuah, vou denen viele bei der Schlacht von Stäiwli mitfochten, schon frühe kennen gelernt «nd, als es sich bei ihnen später darum handelte, eine der inländischen nachgeahmte Truppe 213 zu gründen, so fanden sie für dieselbe keinen bessern- Namen, als den der kriegerischen Suawuah, aus welchem Worte durch Verstümmelung das hentige allbekannt,: und abgedroschene „Zuave" entstanden ist. Die Suawuah bestehen nicht, wie die meisten andern kaby-liscken Verbindungen, aus homogenen Elementen. S»» sind nicht aus> lauter stammesverwandten Völkern zusammengefetzt, sondern verdanken vielmehr, wie einst Nom, die Weltstadt, einem Hansen zusammengelaufener Abenteurer ihren Ursprung. Freilich wäre es gewagt, dieß mit völliger Bestimmtheit behaupten zu wollen. Aber viele Kennzeichen sprechen für die Wahrscheinlichkeit dieser Theorie ihres Ursprungs. Unter anderen kann, was Körper und Gesichtöbilyung betrifft, die große Verschiedenheit der einzelnen Stämme der Suawuah von anderen Stämmen derselben Verbindung für ihren durchaus verschiedenen Ursprung reden. Denn es ist auffallend, welcher Unterschied im Gesichtstypus, welche große Manichfalügkeit in den Physiognomien der Individuen dieser Völkerschaften herrschen. Die lange Habichtsnase des »Arabers mit seinen schmalen scharfgeschnittenen Zügen, findet man hier neben der breiten kugelrunden Gesichtsfrrm des autochthonen Aerbers; dann wieder die Stumpfnafe des Negers, und endlich die blauen Augen und die röthlich blonden Haare nordischer Völker, welche letztere Kennzeichen vielleicht auf ein'N vandalischen Ursprung schließen lassen mochten. Außerdem ist die Verschiedenheit groß, welche sowohl in den Dialecten der einzelnen Stämme, alö in den Sitten nnd Gebräuchen derselben vorherrscht. Die Verschiedenheit der Gebräuche zcigt sich besonders auffallend in der Art des Grüßens, welche doch gewöhnlich 21 <> bei stammesgleichen Völkern dieselbe zu sein Pflegt. Hier ist sie oft von einem Dorfe zum andern verschieden. Die A'ü Iturar begrüßen sich, indem sie sich gegenseitig das Gesicht küssen. Die M Iratten dagegen küssen sich gegenseitig auf die Schul-tcln; die Suawuah des Westens auf ven oberen Theil des Kopfes. Ein anderer Sittenzug, welcher auf Stammesver« sckiedenheit deuten tonnte, ist die verschiedene Art der einzelnen Etämme, den Bart zu tragen. Die M Urli lassen nur einen Dünnen Streifen des Garthaares, welcher ihnen das Angesicht umrahmt, stehe»; die D't Scheblah begnügen sich daunt, daö Haar auf der Oberlippe zu rasircn; während die Ait Iratten den Bart in seiner ganzen Länge wachsen lassen. Die Verschiedenheit, das Kopfhaar wachsen zn lassen, ist ebenfalls auf. fallend. Einige Stämme rasiren nach arabischem Brauche dasselbe ganz ab. Andere lassen einen Büschel auf der Scheitelhöhe stehen, den sie kurz abgeschnitten tragen. Wiederum andere lassen das Haar des Vüschclv lang wachsen, unr flechten es in Zöpfe. In Dra el Misan konnten wir manchen Sproß der stolzen Suawuah beobachten. Dort wandelten sie einher zwischen den rothen Hosen, grade als wären sie mit diesen stets die bcsten Freunde gewesen. Und doch war noch kein Jahr vergangen, seit sie ren verzweifelten Endtampf geführt hatten. Unterlegen waren sie, aber sie waren nur der großen Uebermacht unterlegen. Sie waren von der Ueberzahl der Franzosen gewissermaßen crvrückt worden. Der Feldzng von 18.57 hat wenig zn der „ßioiru" dcr „Fimiäo nation" beitragen tonnen, denn die Siege, die sie da erfochten l>at, waren Siege, in denen zehn 217 gegen einen standen. Um so mehr Bewunderung verdienen die Kabylen, daß sie sich einer solchen Uebermacht überhanpt noch zu widersetzen gewagt haben. Zwölftes Capitel. Fort Napoleon und der Dscherdschcra. Bou Dra el Misan nach Fort Napoleon. — Bergige Gegend. — Modcrnc Festungöstadt. — Gründling dcs Fort Napoleon. — Zw!ii^°itabylic. — Gcbirgßpauowma dc<< Tschcrdschera. — Prosaische UittcN'Nchung. — Tod des kleinen Löwen. — AutikcS Dculmal desselben. — Archäologische Pfuscherei. — Rückkehr nach Vmigic. Bon Dra el Misan führtc uns eine weitere Tagereise durch ein überaus bergiges Land auf schwierigen, oft fast unmöglichen Felsenpfaden nach dem in Mitten der triegenschen A'ü Iratten oder Beni Natten gegründeten Fort Napoleon. Diese GebirMour bot hochromantische Laudschaftsbilder, bei deren Beschauung man sich Plötzlich in die Schweiz versetzt glauben tonnte. Der Ui^d Sebüu, einer der Haufttsinsse der Kabylie, mit seinen zahlreichen Nebenflüssen, nahm in diesen Gegenden seinen Ursprung. Das Meer der Silberströme rollte hernieder vom Dschebcl Tamgut und den andern Häuptern des Dscherdschera, und schuf zahlreiche Schluchten, welche oft eine Zeitlang parallel neben einander herliefen, um dann plötzlich durch tllhne Wendungen einander im Winkel zu durchschneiden. In viele dieser Schluch- 218 ten mußten wir hinabsteigen, und dann ani andern Ufer ihres trystallklareu Stromes wieder hinaufkliunnmen, um oben abermals wieder ei» ähnliches Thal anzutreffen. So kamen wir, in der Qnere die parallelen Thäler durchschneidend, durch die Schluchten des ganzen Flußgebiets des Sebäu. Iu diesen Schluchten grünte und sproßte es; in riefen Schluchten blühte und lachte es; denn liberall in Afrika, wo kein Wassermangel ist, da ergießt sich die Fülle res grünen Schmelzes über Berg und Thal. Im tiefsten Grunde' eines dieser Thäler lauerte sogar ein kleiner, unt^r den dichten Lanbe^troneu der Ulmen, Eschen und Kastauieu, die ihn umrahmten, wie versteckter See. Auf ihm blühte und grünte eiu Heer von Wasserpflanzen. Die, liebliche XimpIiliLu, nika strahlte im Silberschmucke ihrer keuschen Blüthen. Die (Hur» kispiäa ergoß den Schmelz ihrer griinen Blätter bis tief auf den Grund des klaren Wassers. Ein Heer uon verschiedenartigen Teichlinsen zitterte mit smim zarten Blüthen auf der Oberfläche des Wellenspiegels. Räch dem See bot sich unseren entzückten Blicken das wilde Dickicht eines dunkelgrünen Haines. Uralte vertnorrte Korkeichen breiteten hier ihre mäcktigen Zweige auö. Um ihre mannsrickeu Stämme wand sich eine Menge dcr'zierlichen Farreuträuter, das l'ulipoäi-um, oumlirinill,die DkvllNia oluilN'iciNl^nnd viele andere, von der weitumherkriechenden Wurzel bis hinauf zu den höchsten Aesten strebend. Daneben prangte in ihrem strahlenden Blätterschmucke auch die andalusische Eiche (duorcu« I.n«itanio») deren Staunn roth und gelb gefärbte Bartflechten auf das Malerischste bekleideten. Um diesen schwarzen Hain zog sich eine Naturhccke hin, von dein herrlichsten Heckengewächs gebildet, welches nur der 219 Süden auszuweisen vermag. Es war dieß das schöne gestreifte ^.i butiloii litriutuin, dessen saftige Vlätter eine grüne Fläche bildeten, aus der die gelben braungeränderten Glockenblüthen wie goldene Schellchen hervorstanden. Auf einem Hügel zwischen zweien solchen Thälern lag das Fort Napoleon. Diese Festung, welche erst sechs Monate seit ihrer Grundsteinlegung zählte, war mit der Schnelligkeit eines Pilzes emporgeschossen und schon zum größeren Theile vollendet. Die Arbeiten, welche immer noch auf das eifrigste betrieben wurden, hatten etwas wahrhaft Niesenartigcs. Ueber zweitausend französische Soldaten waren beschäftigt, die Ringmauer, welche sechstausend Fuß im Umkreise haben sollte, aufzuführen. Die vier Thore dieser künftigen Festnngöstadt waren schon beinahe gänzlich vollendet. Durch das Thor von Algier unseren Ginzug haltend, sahen wir zu nnfercr Ncchten vier mächtige Gebände, welche zu militärischen Magazinen im großartigsten Styl be. stimmt waren. Eine ungewöhnlich große und besonders schwerfällige Kaserne erhob sich auf den Trümmern des zerstörten Ka-bylendorfes der M Itmairen. Dieses Dorf, welches den M Iratten gehörte, hatte Marschall Nandon im Mai 1857 nach einer verzweifelten Vertheidigung der Eingeborenen erobert. Kaum sah er sich im Besitz dieses Punktes, so ließ er die Ingenieure rufen, um sie zu fragen, ob sie diese Lage zu Anlegnng eines großen Forts geeignet fänden. Die Ingenieure bejahten und entwarfen den Plan diefer Niesenfestung, der an den Kaiser geschickt wurde, und bald gebilligt von Paris zurückkam. Die Franzosen haben dem Muthe der Kabylen in Errichtung dieser Festungsstadt ein glänzendes Zeugniß gegeben, denn in keiner 220 andern Gegend der Algerie fanden sie die Gründung einer solchen Festung für nöthig, etncr Festung, welche über zehntausend Mann enthalten kann, und einer Stadt, wclchc uie etwas anderes sciu wird, als Solvatenstadt. Die Bergvölker beweisen eine eigenthümliche Zähigkeit in Vertheidigung ihrer Heimath. Sie find den Eroberern stets schwere Brocken zum Einfchlncken gewesen. Die Habsburger vermochten einst nicht, die sich befreienden Schweizer wieder zu unterwerfen. Nußland hat im Kaukasus gegen die nicht zu bändigenden Tscherkessen lauge gekämpft. Die Tscherkessen Frankreichs dagegen sind die Kabyleu gewesen. Wie Oesterreich m den Bergen der Schweiz einst sein Zwing-l.lri errichtete, wie Nußland im Kaukasus sein Vladikavkaz oder Zwing-Kautasus erstehen ließ, so hat die „Flnnae nation" im Fort Napoleon ihr Zwing-Kabylie haben wollen. Das neue Zwing-Kabylie starrt dem alten Dschcrdschera ins Angesicht und spricht zu ihm: „Ich habe Dich überwunden, Kabylenland!" Aber von den steilen Wanden des grauen Felsenhauptes tönt es Antwort, und die Stimme des freien Berggeistes ruft den Unterdrückern entgegen: „Mit diesen Mauern wollt ihr Uri zwingen?" Wir schlugen uuser Nachtlager in einem leerstehenden kaby-lischeu Hause auf, dem letzten vielleicht, welches der Zerstörung entgaugeu war. Ein Spaziergang um die Mauern der nenen imposanten Festung verschaffte mir eiuen herrlichen genußreichen Abend. Denn ich schwelgte hier im Anblick des mächtigen Dschcrdschcra und seiner zahlreichen Thäler, von denen viele eine Zeitlang in paralleler Richtung nebeneinander laufend und dann sich gegeneinander wendend, sich grade auf mich zu erstreckten. 221 Da lag der Berg, welcher, unter dem Namen des Mons Ferra« tus, einst der Schrecken der Mmer, welcher später das abergläubische Grauen der Araber gewesen war. Da starrten gen Himmel seine zahlreichen Vergeshäuptcr, von den Kabylen in ihrer bezeichnenden Sprache Tisi stücken) genannt. Der östlichste Tisi — Dschabut, erhob mit weicher Rundung seiner Linieu seine bewaldete Krone sanft aus dem ebenen Thale der AN Smahil. Dor seltsame Tisi-A'ü-Haddu, gewährte das sonderbare Schauspiel eines nach oben breiter werdenden, in der Mitte schmäleren Felscuhaupteö. Der Gipfel des Tisi-Irgen starrte mit feiner Felsenspitze nackt und kahl in die Lüfte, dem Niefen-dolche eines Giganten vergleichbar, der ihn zur Herausforderung an die Gottheit gen Himmel streckte. Der Tisi-Asula oder der Verg der Täuschuug rechtfertigte seinen Nameu, denn er sah von weitem so sehr leicht zugänglich aus, während er doch in der Nähe sich als unbcstciglich erweisen soll. Der Tisi°Tig-murmin strotzte von dunkeln Cederwaldungen. Der Tisi Ku'i-eth strahlte lieblich im Schmelz semer grünen Hochwiescn, welche der kabylischcn Vergziege ihre aromatische duftende Nahrung verliehen. Der mächtige Dschebel Tamgut, der höchste Verg der Kabylie, ragte über alle, er, der grüßte Pfeiler jener Völkermauer, welche man den Dscherdschera ncnnt. In ihm begrüßte ich einen alten Freund, deuu im Thalc der Ai't Maschdallah war ich einen Tag lang seinem Fuß entlang geritten. Der weite Tenia oder Tisi Takkerat bot das schöne und zugleich seltsame Schauspiel eines zwar auf seinem höchsten Vergeöriicken fruchtbaren und grünenden Gebirges, dessen Seiten jedoch kahle un-wirthbare Felsen waren. Der wandernde Vergtabyle schlägt 222 hier seine Hüttc i»n Sommer auf und fristet sein Dasein von der Milch der Nlpenzicge, von dem Honig der Bergcöbienc dieser Vlumenwiesen. Der Tisi Seheria bietet zwischen seinen felsigen Abgründen, umragt von einem Meere der wilden, üppig wuchernden Diffpflanzen, dem Wanderer einen hochgelegenen Felsenpfad, den einzigen allgemein gangbaren, welcher das Thal des Seb-ul mit dem des Ucid Sahel, den Norden mit dem Süden dcr großen Kabylie verbindet. Ein Vergeshauvt ragte jedoch mit sanfteren Umrissen aus der Mitte feiner meist zackigen und felsigen Nachbarn hervor. Das war der Tisi Atfadn, der den Anblick einer lieblichen, fruchtbaren, von reichlicher üppiger Vegetation bedeckten Höhe darbot. Die sanften Wellenlinien seiner Umrisse schwebten zart dahin über den niedern Thälern, gleich einem versöhnenden Baude zwischen Himmel und Erde. Sein leicht zugänglicher Nucken schien mir wie prädeslinirt dazu, um dereinst eine Völker-strasze zu tragen, welche die beiven Seiten des Dscherdschera verbinden würde. Da lagen sie alle vor meinen Blicken, diese Könige des afrikanischen Niefengebirges, ihre theile nackten, theile beschatteten, theils gezackten, theils runden Gipfel vom Abendscheine überglüht. Wie ciue reihe vergoldeter Pfeiler thronten sie im Hin-tergrnnde einer Gegend, welche, was landschaftliche Schönheit betraf, mit den schönsten Nlpengcgcndcn Europa's wetteifern tonnte. Die niedersinkende Sonne warf ihre schiefen Strahlen in die halbgeöffneten Thäler, welche am Fuße des Dscherdschera sich hinstreckten, der Nauch der tabylischcn Hütten stieg in schlanken Säulen aus dieser Tiefe gen Himmel, das Meer der Oll- 223 vcnbaume zitterte im Abcndwinde auf den Hügeln der nächsten Umgebung: die Schäfer, in lange Vcrnusse gehüllt, wallten her-ni^er von den almenartigen Hochtriften, gefolgt von ihren stillen Hecken, welche der fchakalartige arabische Hund begleitete: hie und da ertönt aus dem Geheimniß der finstern Wälder, welche die nächsten Verge tröntcn, das grauenerregende Geheul eines Naubthieres, des in grellen Hochtöncn bellenden Schakals oder der grunzenden Hyäne, oder selbst ein dumpferes, aus räthselhafter Ferne hertöucndes Gebrüll, welches vielleicht aus der Kehle des Königs der Thiere stammte. Wenn, nachdem meine Blicke lange auf dem herrlichen Schauplatz dieser Naturschönheiten geruht hatten, ich sie nun wieder auf die dunkle Sleimnasse zurückwandte, welche wie ein von einem bösen Geiste hierhergebanntes Dämonenschloß pilsenartig aus dem Boden hcrvorge-schossen zu sein schien, da ward ich so recht des Eindrucks voll, wie unendlich unharmonisch dieses Stück sogenannter Civilisa« tion in der glücklichen Natureinfalt dieses »primitiven Landes abstach. „Was schwärmen Sie hier im Anblick dieser langweiligen Berge?" tonte auf einmal neben mir die prosaische Ttimme meines Reisegefährten, den ich nicht in meiner Nahe vermuthet hatte. „Ein großes Unglück ist geschehen!" rief Abd-Nllah, der plötzlich seinem Herrn nachgelaufen kam. „Nun ?" fragte dieser gelassen. „Der lleinc ?öwc ist gestorben!" lautete die Antwort. So war es auch. Wir gingen zum Fort Napoleon zurück, und da lag er in der KabylcnlMe, die uns zur Wohnung diente. 324 Er war sanft vcrcndct. Die Ursache seines Todes wür leicht erklärlich. Die beiden Kabylen, die ihn hüteten, waren auf kurze Zcit hinausgegangen, und diesc Frist hatte dcr kleine Löwe benutzt, um ein vielleicht wohlschmeckendes, jedenfalls aber unverdauliches Gericht zu sich zu nehmen. Gs war dieß nichts Geringeres, als eine — Schachtel voll Schwefelhölzer. Diesem heroischen Gericht hatte selbst eine Löwenconstitutton nicht widerstehen können. Wir scharrten ihn ein; und, um ihm ein Monument zu setzen, nahm der Engländer die größte Platte aus seiner Steinfammlung uno brachte auf ihr eine latciuischc Inschrift an. Dieselbe war ganz nach Art dcr wirklichen antiken Inschriften abgefaßt, und nahm sich folgendermaßen aus: D. M. S. II. 31. L. E. 0. N. ü. it. 1'. Vielleicht hat diese Inschrift seitdem ein Archäologe entdeckt, welcher dieselbe in der Unschuld seines Herzens fnr echt halt. Denn das wäre nicht das erste Versehen dcr Art, welches französische Archäologen in Algerien begangen hätten. Um diesem Gelehrten die Nachforschung zu ersparen, so will ich ihm lieber hier glcich die Inschrift erklären: ,,D«iniuu3 ^larcu« 8mit1l IIc>L HIonninoutnN, I_,eaui Iwunä^o V«uuit." (Herr Marcus Smith hat dieses Monument dem nnmidischen Löwen gesetzt.) Man bewundere, mit welcher Schlauheit der archäologische Pfuscher das I). N. 8. „DÜ8 kliinid^ ßaoiuin", welches auf allen vorchristlichen römischen Grabsteinen steht, 223 nachgeahmt hat. Wer kann ahnen, daß diese den Manen geweihten Buchstaben „vominng ^aiou» smitk" bedeuten?" In Fort Napoleon trennte ich mich von dem Engländer, der nach Algier reiste, während ich am folgenden Tag nach Bougie zurückkehrte. Auf diesem zweitägigen Ritt gab nur das Schicksal einen sonderbaren Reisegefährten. Es war dieß ein französischer Graf, welcher nach Afrika gekommen war, nm daselbst eine Co» lonie zu gelinden. Er befaß jedoch nur höchst unvollkommene Begriffe vom Ackerbau, ja ich glaube, daß der Unterschied zwischen Gerste und Waizcn ihm nicht gäuzlich llar war. Er bildete sich ein, Colonisten in Algerien könnten sich auf ähnliche Weise ernähren, wie die Settlers und Squatters in dcn entferntesten Steppen Nordamerika's, d. h. hauptsächlich von der Jagd leben. Er stand eben im Begriff, sich nach irgend einem Punkte in den Gebirgen der Kabylie umzusehen, wo er sich niederlassen wollte, und wohin er dic Absicht hatte, etliche hundert Vagabunden, die er in Frankreich und Algerien für seine Colonisatiouspläne angeworben, nachkommen zu lassen. All' dieses grenzenlose Lumpengesindel sollte von der Jagd leben! So dachte der große Colonisator! Nun wäre dieß vielleicht möglich gewesen, wenn man unter „Leben" nur „Essen" verstanden hätte. Aber französische Colonlsten haben noch eine große Anzahl anderer Bedürfnisse. Sie wollen Wein u,d Ab-smth trinken, Cigarren rauchen, in Betten schlafen, Möbel in ihrem Hause haben und Alles dieß ist nicht zu erlangen ohne Geld. Geld wirft aber die Jagd in Afrika nicht ab. Jeder dieser Colonistcn sollte auch gleich bei feiner Ankunft mit einer Drci Jahr« im Nordwcstcn v«n Afiila. II. 15 23« kabylischen Gattin beglückt werden. Dieser Plan der Nacen-vermischung zeigte von großer Toleranz für einen Franzosen, vie sonst die Eingebornen so sehr verachten. Aber von was sollten die unglücklichen Frauenzimmer leben? Wahrscheinlich auch von der Jagd? Einige Stnnden von Vougie trennte sich dieser Menschen-begliicker von mir. Später sah ich ihn in Algier wieder. Gr war gänzlich enttäuscht, hatte sein Vermögen zugesetzt und verwünschte alle Utopien, besonders aber alle Colonisationsplänl.'. Zie Wrovinz Oonstantme. ,5 Erstes Capitel. Küstenfahrt von Bougie nach Philippeville. Das alte Numidien. — Unbequemlichkeit auf den Negiernngöschiffen. — Das grobe ofsicielle Personal. — Der Aubon deg Ptolemäos. — Dschidscheli. — Itgilgilis (5olonia. — Einnahme durch den Herzog von Veaufort im I. 1604. — Das Erbbeben von 185«. - — Kollo. — Kollops magnuö. — Landung m Stora. — Die französischen Mamiemalrosen werfen meinen Koffer in's Meer. Die Provinz Constantine ist ohne Zweifel derjenige Theil von Algerien, welcher für den Alterthumsfreund das größte Interesse bietet. In keiner anderen Provinz des jetzigen französischen Afrika hatte das Nömcrthum so tief eingegriffen und so feste Wurzel gefaßt, wie hier, in dem einstigen Nmnidicn. In den drei Mauritanien war, man hat Grund es anzunehmen, nur ein verhältnißmäßig schmaler Küstenstrich romanisirt worden, während im Innern die Verbcrstämme frei schalteten, und die Civilisation des Königsvolteö vou sich fern hielten. Auch finden wir in diesen drei Provinzen in größerer Entfernung von der Küste nur mehr äußerst dürftige antike Neste. Im einstigen Numidien dagegen dehnt sich eine ununterbrochene Reihe von 280 Ruinen römischer Stationen bis tief ins Innere. Hier finden wir eine mächtige Hauptstadt (Constantino) verhältnißmäßig weit von der Küste abgelegen. Hier sehen wir eine großartige Festung (Tebessa) viele Tagereisen von dem Strand des Mittel-meeres entfernt. Hier treffen wir auf die Ruinen der weit sich ausdehnenden Legionsstadt (Lambessa) in einsamer afrikanischer Hochebene, unweit des Saumes der unermeßlichen Sahara. Nnmivicn, von Nom früher unterworfen, als die verschiedenen Mauritanien, bot dcr Civilisation weniger Hindernisse. Lag dieß allein in den Umstand seiner früheren Unterjochung? Wohl schwerlich. Das numidische Volk (im engern Sinne wohl nur das der Massylier, währenddicMassäsylier, obgleich imhohm Alterthum auch Numiden genannt, doch später zur Hlauriwuia (^e82iienui» gerechnet wurden) war auch durch höhere Intelligenz vor dem mauritanischen ausgezeichnet. Noch heute genießen die Eingeborenen der Provinz Constantine, des einstigen Numi-dicns, den Ruf, der Civilisation zugänglicher zusein, als die der anderen Provinzen. Ich benutzte das in Bougie anhaltende Negierungsdampf-boot, um mit demselben die Reise nach Philippeville zu machen: eine Seereise, auf welcher wir, vom schönsten Wetter begünstigt, immer der Küste entlang fuhren, so daß ich Gelegenheit hatte, vom Schiffe aus diese interessanten Ufer des alten NunndicnS ziemlich deutlich in Augenschein zu nehmen. 'Diese Regierungsdampfschiffe sind nicht bequem eingerichtet. Auch wird der Reisende auf ihnen auf den zweiten Platz ver« drängt, während der erste den Offizieren vorbehalten bleibt. Fände ein Handelsdampfboot feine Rechnung dabei, diese Küsten- fahrt zu machen, so würde gewiß Niemand mit den Regierungs-schiffcn fahren, denn der Reisende wird auf diesen ofsiciellen Fahrzeugen doch ein bischen gar zu sehr als Bagage behandelt. Die Offiziere, stolz auf ihren ausschließlichen Besitz des ersten Platzes, stolziren herum und sehen den Civilisten über die Achsel an; und die französischen Seeoffiziere sind noch ein Guttheil mehr von ihrer officiellcn Größe eingenommen, als die vom Lande. Aber über diese „stille Verachtung" tröstet sich der vernünftige Tourist. Was ihm jedoch hart vorkommen muß, ist der Umstand, daß er nicht einmal auf die Dünette (das Deck des ersten Platzes) steigen darf,nm ein wenig aus dem Schmutz und Gestank von Kohlen und Matrosen herauszukommen, welcher auf dem ihm angewiesenen Platze vorherrscht. Dort oben auf der Dünette thronte der stolze Schiffslieutenant, und um ihn herum spreizten sich die unverschämten Aspiranten. Diese letzte Classe, die unsympathischsten aller Gelbschnäbel, schienen besonders dem Touristen ihre stille Verachtung zu weihen. Doch, wie gesagt, hierüber tröstete er sich. So lange er sich wohl befand, ging noch Alles leidlich. Wehe ihm aber, wenn das „lächerliche Uebel" ihn heimsuchte! Dann mußte er obenauf dem Verdeck feine beiden dem spottenden Blick der Offiziere und Matrosen zur Schau tragen, und diese Herren weideten sich nicht wenig an den Grimassen, welche das „lächerliche Uebel" ihm abnöthigte. Gern hätte er sich dem Publicum entzogen, denn er fühlte, daß das Schauspiel, welches er aufführte, am passendsten für die Koje geeignet war. Aber welche Möglichkeit in der Koje sich diesem Zustand hinzugeben? Die Regierung verbietet nämlich, daß den Passagieren des zweiten Platzes, also allen 232 Civilisten, der nöthigste aller Gegenstände gereicht werde. Nur die Offiziere haben das Privilegium das Gefäß in ihren Ca-binen zn besitzen, welches bei dem bewußten, dem gesunden Beschauer so komisch vorkommenden Uebel, Seekrankheit genannnt, nothwendig wird. Man muß doch stolz sein, wenn man Franzose ist, eine väterliche Negierung zu haben, die selbst auf ihren Dampfschiffen an eine so heilsame Abhärtung ihrer Unterthanen und Uebung derselben im Ertragen von Unannehmlichkeiten ge» dacht hat! Die zwei crstcn Stnndcn dieser Fahrt durchschnitten wir in seiner ganzen Breite den herrlichen majestätischen Golf von Bongic, in welchen sich westlich von dieser Stadt drei silberhelle Flüßcheu ergossen. Die Kicselmassen ihrer Ufer malten leuchtende sandige Streifen in der grünen Gegend hin. Der mittlere dieser Flüsse war derUüd Mansuriah, der Sisaris des Pto-lemäos. An ihm lag im Mittelalter die berühmte Stadt Mansnriah, ohne Zweifel nach Iakub El Mansur, dem Städteerbauer von Afrika, benannt. Es !ist wahrscheinlich, daß diese jetzt zerstörte arabische Stadt die Stelle des antiken Nuslukiuui einnahm, welche auf der Tafel Pcutiugcr'ö Iloi-row (Getreidemagazin) genannt wird. Von Saldae nach Muölubium giebt das Itincrar 17, die Tafel Peutinger's 18 Milliarien an. Ueberhaupt treffen die Entfernungsangaben dieser beiden Geographien von Saldae bis Hippo ziemlich gut zusammen. Die nächste Station nach Muslubium war das Choba der Ta-feldes Coba deöItinerars, welchcbeide die Entfernung von Mus-lubium Hieher auf 28 Milliarien angeben. Ptolemäos nennt auch ein Chobae, welches nach ihm 40 Minuten östlich von Saldae lag. 338 Der dritte, westlichste, der drei genannten Flüsse, der Mb Dschem, ergoß sich in einc kleine Bai, welche als ziemlich sicher, im Mittelalter von genuesischen und pisanischen Schiffen vielfach besucht wurde. An dieser Vai lag die alte phönicische Station Iarscth. Dieser Name wird von Gesenius von I-Arsath snv!-!«"''«) abgeleitet, welches „Ufer des Landes" oder „Ilfer-land" bedeutete. Der an die Vucht des Ui^d Dschem gränzende Theil der Küste ist ohne Zweifel das antike Ziama, in welcher das römische Balnea Municipium gelegen war; der kleine U«d Dschem selbst ist wahrscheinlich der ^.näou des Ptolemäos. Der Alexandriner gicbt die Entfernung von Saldae nach dem Audon 1" 50' der Länge an, während sie in Wirtlichkeit etwa 40 Minuten beträgt. Im Ganzen kann man zwar, was die geographische Länge bei Ptolemäos betrifft, in Algerien stets die Hälfte von dessen, Angaben annehmen. Hier jedoch steht die Wirklichkeit noch um 15 Minuten hinter dieser Hälfte zurück. Ein letztes Lebewohl dem schönsten aller Golfe und seinem herrlichen Gedirgspanorama, und wir begrüßten das Cap Ca-vallo, das Nas Maritin des Edrissi, das Vorgebirge Audon des Ptolemäos, welches mit seiner düstern Felsenmasse gleich einem schwarzen Dämonenschiss in die von veilchenblauen Nebeln um-duftete Meereöfluth hinauszuschwimmen schien.' In der Nähe dieses Borgebirgs ragten etliche sieben bis acht kleine Inseln aus der salzigen Fluth empor, von denen jedoch nur eine etwas Grün auf ihrem Nucken zeigte und erwähnungswerthe Ausdehnung besaß. Die auderen kleineren und völlig kahlen Felsen- 234 eilande, die die größere Insel umgaben, glichen den noch federlosen Küchlein, welche sich um die mütterliche Henne schaaren. Diese Inseln werden von den Europäern die Inseln von Cavallo, von den Eingeborenen Dsair el Afieh oder die Inseln der Gesundheit genannt, Letzterer Name gilt besonders der Hauptinsel, welche im Mittelalter unter dem Namen Valaffia den Genuesern und Pisanern wohlbekannt war. Von den Inseln Cavallo bis nach Dschidschelli bot die Küste einen eigenthümlichen Anblick dar. Eine lange Neihe niedriger Felsen, welche gleichförmig, wie die Steine eines riesigen Ouais, neben einander geschichtet lagen, beschrieben die beinahe gerade Linie des Uferrandes, in welchen nur zwei kleine Buchten ctwas tiefere Einschnitte bildeten. Nach fünf bis sechsstündiger Fahrt von Bougie aus, erreichten wir Dschidscheli: eine kleine Stadt, welche ein Vild der Verwüstung darbot; denn sie war beinahe gänzlich durch ein am 22. August 1856 stattgehabtes Erdbeben zerstört worden. Das Städtchen lag auf einer felsigen Halbinsel, welche nur ein dünner Streifen Sandes mit dem Festlande verband. Die zetzt obdachlose Einwohnerschaft von etwa fünfhundert Europäern uud taufend Mauren war provisorisch in Zelten und Vretter-hütteu, welche die Negieruug am Ufer hatte errichten lassen, untergebracht worden. Das Dampfschiff hielt eine Stunde im Süden des tlcincn, schwerheimgesuchten Städtchen?, welches einen anscheinend guten Haftn besaß, der sich jedoch nicht vollkommener Sicherheit erfreuen soll. Gine Neihe von Felsen, welche auö dem Meere hervorragten und deren größter eine beträchtliche Höhe erreichte, gewährten dem Hafen zwar Schutz 233 gegen die Nordwinde; leider war aber dieser natürliche Damm nicht ununterbrochen, sondern eine 300' breite Spalte ließ den Wellen einen Durchgang und drohte bei heftigen Stilrmen Gefahr. So unbedeutend Dschidscheli auch ist, so besitzt es doch eine Geschichte, welche mit dem kürzlich stattgehabten Erdbeben schrecklich endet. Es ist wohl kein Zweifel, daß das alte Itgil-gilis an dieser Stelle gelegen war. Sein Name ist offenbar phönicischen Ursprungs, wie so viele mit I anfangende antike Städtenamen, da die Sylbe « das „Ufer" bedeutete. Gesenius übersetzt I—Gilgil (^.^ «n) mit „Ufer des Strudels". Das bedeutet wohl „schlechter Landungsplatz," was allerdings Dschidscheli noch heute ist. Das Itinerar und die Tafel Pcutinger's stimmen, was die Entfernung von Ehoba nach Igilgilis betrifft, nicht überein. Ersteres giebt 28, letzteres .W Milliarien. Ptolcmäos fabelt gar von einem Grad, 20 Minuten. Von Itgilgilis wissen wir wenig Anderes, als daß Augustus es zur Colonie erhoben hat, und daß der Comes Theodo» sins, der um die Rebellion des Firmus zu dämpfen nach Afrika gekommen war, scine Truppen in diesem Hafen landete. Itgtl-gilis war ein Mittelpunkt jcncr großen Heerstraßen, welche Saldae (Bougie), Sitifis (Setif) Konstantine und Hippo (Vüne) mit einander verbanden. Daß Itgilgilis in der christlichen Epoche seine Bischöfe besaß, von denen beiläufig gesagt einer auf dem Concil von Konstantine als Abtrünniger angegeben wurde, versteht sich beinahe von selbst, denn welches Nest in Nordafrika hätte nicht seinen Bischof gehabt? 23« Im Mittelaller war Dschidscheli nach Leo Africanus eine ziemlich blühende kleine Handelsstadt, wo fast alle italienischen Handclörepubliken ihre Comptoire hatten. Baba Arudsch, der älteste der Barbarossen, hatte zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Dschidfcheli eine Zeitlang das Centrum seiner seeräuberischen Macht aufgeschlagen.- Damals bildete es den besten Markt für Christeustlaveu in ganz Afrika, und mancher reiche Emir versorgte seinen Harem von hier aus mit üppigen, sür Geld gekauften Schönheiten. Als aber später BabaArudsch Algier zu seiner Hauptstadt erhob, fing dieses an das Eldorado des Piratcnthums zu werden. Jedoch blühte der Handel von Dschidscheli bescheiden fort, bis in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts eine unerwartete Katastrophe seinem Verkehr und selner Blüthe für immer ein Ende machte. Wenig hatten sich die friedlichen Bewohner dieses Handelsstädtchens träumen lassen, daß auf einmal die Eroberung ihrer H^imath zur ,,^'iro" eines entfernten Staats unentbehrlich gefunden werden sollte. Ludwig der Vierzehnte nämlich, iu der Absicht eine französische Niederlassung an der afrikanischen Küste zu bilden, hatte seine Blicke auf Dschidschcli geworfen, desseu Lage ihm zu einer Festung wie ge-schaffeu schien. Deßhalb sandte cr im Jahre 1601 eine Expedition unter dein Befehl des Herzogs von Beaufort nach diesem Küstenpuntte ab. Die Expedition w^r von schreckenerregender Bedeutung für cinen so unbedeutenden Zweck. Sie bestand nämlich aus fünfzehn Linienschiffen, neunzehn Galeeren nud ueunuudzwauzig kleineren Fahrzeugen. Achthundert Matrosen bedienten die Flotte, und ctwa zwölftaufend Soldaten unter dem Befehl des Grafen von Gadagne bilveten das Landheer. Diese 237 wohlgeriistete Flotte wandte sich zuerst nach dem Golf von Bougie. Mit Leichtigkeit hätte sie diese damals schlecht vertheidigte Stadt nehmen können, aber Zwietracht und Eifersucht zwischen Beaufort und Gadagne verhinderten den Angriff. Die Flotte setzte also ihren Weg nach Dsclndscheli fort, welches sie am 22. Juli erreichten, und uach kurzer Vertheidigung durch die wenig zahlreiche Bevölkerung einnahm. Die Franzosen fanden iu dem eroberten Städtchen nur zehn eiserne Kanonen und nach ihrem Berichte „so häßliche Häuser, daß es kaum glaublich schien, daß sie menschlichen Wesen zum Aufenthalte hätten dienen können." Im Besitze dieses wcnig beneidenswcrthcn Eigenthums, began-» nen die neuen Herren vou Dschidscheli mit den umwohnenden Kabylenstämmen komische diplomatische Verhandlungen, um diese zu Anerkennung ihrer neuen Eroberung uud zum friedlichen Verhalten gegen dieselbe zu bewegen. Wirklich machten die einheimischen Stämme Miene, als seien sie schon nahe daran, sich überreden zu lassen. Plötzlich aber kam cm türkisches Heer von Algier, gesellte sich zu ihnen und entstammte auf's Neue ihre alte Feindschaft gegen den stets verhaßten Numih. Von nun an hatten die Franzosen keinen Augenblick mehr Nnhe, bis sie endlich der Uebermacht der Türken weichen mnßten, und sich nach einer höchst unglücklichen Niederlage wieder einschifften. Ueber dreitausend Mann hatten sie während der zwecklosen Sommercampagne von Dfchidscheli eingebüßt, und ihr Unglück wollte, daß noch ein bedeutender Truppentransport mit über 1100 Mann auf der Rückreise durch Schiffbruch zu Grunde gehen sollte. Von 1664 bis 1839 blieb nun Dschidschcli in den Hän-. 238 5>en der Türken, unter welchen die einstige Blüthe seines Handels sich jedoch nicht wieder herzustellen vermochte. Seit 1839 in Händen seiner einstigen vorübergehenden Eroberer, der Franzosen, begann DschidschM sich wieder etwas zn erholen, als plötzlich ein fürchterliches Erdbeben allcn Wohlstand der Einwohner vernichtete, ja der Stadt s.'lbst wenigstens für die Dauer einiger Jahre ein Ende machte. In der Nacht vom 21. auf den 22. August 165L nämlich hörten die erstaunten Vewohner von Dschidscheli plötzlich ein unterirdisches Getöse, ähnlich dem eines nahen fürchterlich dröhnenden Donners, und einige Minuten später empfanden sie einen heftigen Erdstoß. Die Moschee, ein Festungöthurm und viele Häuser stürzten ein. Zugleich zog sich daö Meer eine ziemliche Strecke weit zurück. Aber wenige Augenblicke vergingen, so kehrte es wieder und zwar mit einem fürchterlichen Gebrause. Während des Erdbebens hatten sich glücklicherweise fast alle Einwohner sogleich ins Freie flüchten können, so daß nur drei maurische Frauen und einige Kinder umgekommen waren. Den andern Tag trug Alles ein friedliches beruhigtes Ausfehen; man schickte sich schon an, in die Häuser zurückzukehren, und die Geschäfte begannen auf'ö Neue ihren 5!auf zn nehmen, als auf einmal ein zweites Donncrgeheul gehört und cin noch entsetzlicherer Erdstoß, der an zehn Minuten anhielt, empfunden wurde. Die Erde spaltete sich an verschiedenen Stellen. Das Meer zischte wie wenn es von einer vulcanischen Dämoncnkiiche Ilm Siedpunkte erhitzt worden wäre, und sämmtliche Häuser von Dschidscheli stürzten unter entsetzlichem Gekrache ein. Nur zwei Gebäude 239 vermochten diesem Erdbeben zu trotzen, aber auch sie wurden durch dasselbe unbrauchbar gemacht. Jetzt fing Dschidscheli an, sich allmählig aus seinen Trum» mern wieder zu erheben, aber noch wohnten die meisten seiner Bürger in Zelten und Brelterhüttcn auf dem sandigen Naume welcher an den kleinen Isthmus stößt, der die Halbinsel Dschid-schelis mit dem Festlande verbindet. Von Dschidscheli aus wandte sich unsere Fahrt nördlich; denn wir hatten das sicbcnspitzige Cap, Nas SebbaRus, zu umsegeln. Ungefähr halbwegs zwischen Dschidschcli und dem Ras Sebba Nus lamen wir an dcr Mündung des Uiid el Kebir vorbei. Dieser Fluß war im Alterthum hoch berühmt uuter dem Namen Ampsaga, dcr ^// pLlsooutions Vau-äalioa I.. II. ^. 597) erzählt, die Witwe und die zehn Kinder feines legitime Bruders (Geiscrich selbst war nur ein Vastard) und Vorgängers anf dem Throne, Gunderich, ersäufen. Geiserich befestigte seine illegitime Dynastie durch diese Grausamkeit für lange Zeit anf dem Throne. Victor Vitensis ist jedoch kein unparteiischer Historiker. Er verketzert die Vandalm bei jeder Gelegenheit und lasit ihnen anch gar keine Tugend. Ganz das Gegentheil von feiner Geschichtsschreibung ist die des Sal-vianns (äu ßudoi'Nktiono voi, I.ibri VIII.) Salvianns Wird nicht müde, die Tngcndcn unserer germanischen Stammesbrüder zu preisen. Namentlich jene urgcrmanische Haupttugend, die heilige, hehre Keuschheit, wurde unter den Vandalen hochgeachtet. Im Sinne dieser Tngcnd waren ihre Gesetze verfaßt. Der Ehebruch wnrdc anfs strengste bestraft. Um Keuschheitssünden vorznbcugen, begünstigte man fo viel als möglich den Abschluß der Ehen. Salvianus sagt: „Die Vandalen leben nicht nur felbst kcnsch, fondern sie zwingen auch die unkeuschen Nömer zur Keuschheit." Das ist doch einmal eine Ehrenrettung für unsere viclgeschmähtcn Stammesbrüder! Den romanischen Nationen ist das Nas Sebba Rus unter dem Namen „Cap Vougiarone" bekannt. Die sieben Spitzen dieses Vorgebirges sind, wie die berühmten sieben Berge von Scptem Fratres rein imaginär. Denn die Spitzen des Vorge« 241 birgeö sind in viel größerer Menge, als der Siebenzahl, vorhanden, aus welcher Unzahl sich jedoch die Phantasie der Araber, welche gewissen Zablen' mystische Bedeutung beizulegen liebt, gerade sieben herausgesucht hat. Dieses Vorgebirge bildet den nördlichsten Punkt der ganzen Algerie. Im Alterthume führte das Cap Aougiarone den bedeutungsvollen Namen Triton (Ptolemäos nennt es T^röp «x^vv) und später Mctagonium, nach welch' letzterem die angrenzende Küste „Mctagonitis terra" genannt worden war. Der Name Metagonium konuut in der mauritauischen Geographie noch etnmal vor, nämlich im heutigen Marokko. Pliuius hat sogar dem ganzen Nnmidicn den Namen Metagonia beilegen wollen. Die Peutinger'sche Karte nennt diesen Punkt Paccianus Matihe und das Itinerar Paccia-nis Matidiae. Veide geben die Entfernung von ItgNgilis hiehcr 24 Milliarieu an. Nach den zackigen Felsenspitzen des Cap Vougiaroue sahen wir das Küftenstädtchen Kollo, das antike Kollops oder Chulu (das ^,>).Xul/' ,1l,«i donr-8abe. Von au^n war diese Felsenhöhle schaurig, kahl und nackt anzusehen, und kein Mensch hätte sich träumen lassen, daß sie würdig gewesen wäre, etwas anderes als wilde Thiere, zu beherbergen. Nbcr iin Innern war sie mit Goldtapeten behängt, der Boden mit Kaschmirteppichen belegt, goldene Lampen hingen von der Decke herab und warfen ihren sanften Schimmer auf reiche stroyendc Sammetdivane, auf denen oie üppigsten Mädchen,von Diamanten und Pcrlen strahlend, gebettet lagen. Der Seeräuber war der König dieses Palastes, er war dcr Gebieter dieses Harems voll der schönsten Sklavinnen; denn wenn ihm sein Gewerbe, was oft geschah, junge Mädchen in die Hände führte, da verkaufte er nur die, welche ihm uicht gefielen. Diejenigen, welche Gnade vor seinen Augen gefunden hatten, behielt er für sich selbst. Er machte sie zu sciuen eigenen persönlichen Sklavinnen, schloß sie in dcr Höhle des Felseneilandes ein, wo sie bestimmt waren, der Liebe ihrers Gebieters iu holder Unterwürfigkeit ;u dienen. Bisher waren alle geraubten Mädchen Christinnen gewesen, uud da der 253 Seeräuber guter Muselmann war, so litt sein Gewissen natür, lich wenig von dem Unrecht, welches er dcn ältern derselben oder den Mädchen selbst zugefügt haben mochte. Eines Tages aber ging der Pirat auch wieder eiumai unter Segel, landete jedoch dießmal an einer Küste, von Muselmännern bewohnt, und da sah er eine herrliche Sultanstochter, welche im Haine eines Prachtgartens unweit des Meeres nut ihrem Bräutigam luftwanccltc. Die Prinzessin war so voller Reize, daß selbst ein weniger empfängliches Heiz, als das des Corsaren, bei ihrem Anblicke in voller Liebesgluth aufgelodert sein würde. Sie zu sehen, zu lieben, zu rauben, das war für den Seeräuber das Werk eines Augenblickes. Die Prinzessin wurde nach der Inselhöhle gebracht und dort von nnn an zur alleinigen Geliebten des Seeräubers bestimmt; venn jetzt gefielen ihm auf einmal alle seine andern Sklavinnen nicht mehr. Sie waren v^r-brauchle Werkzeuge, falsche Edelsteine und die Prinzessin allein war dcr echte, im reinen Wasser strahlende Diamant, Aber die Prinzessin liebte ihren Bräutigam, von dem mau sie gewalt^ sam getrennt hatte, sie konnte dcn Seeräuber nicht ausstehen. In ihrer Ohnmacht wußte sie nichts anderes zu thun, als die Dschin, jene wunderbaren Geister der Luft, zu ihrer Hülfe her-beizuflehen. Und die Dschin, jene treuen Geister, welche in dcn Märchen von tausend und eine Nacht niemals eine gefährdete Tugend im Stich ließen, kamen auch dieser bedrohten Unschuld zu Hülfe. Sie zerstörte« dcn Prachtpalast des Seeräubers, in dein er gestohlene Millionen aufgehäuft hatte, brachteu die mit seinerLiebe bedrohte Prinzessin zu ihrem Vater und zu ihremrecht-mäßigen Liebhaber, einem Köuigssohne, zurück, befreiten auch die 234 andern Sklavinnen alle und schleuderten den schändlichen Verführer in den tiefsten Abgrund der untersten Hölle. Man sieht, diese Sage enthält den Stoff zu einer Romanze voll schrecklicher Poetischer Gerechtigkeit! Zwischen Culicita und Tacatua giebt die Peutingerische Tafel zwei Orte an, welche sonst Niemand erwähnt, Zaca und Maharur. Am Festlande, schräg gegenüber der Insel Ferro, lag der kleine versandete Hafen von Taknsch, das römische Tacattia ras (^uxttil^ des Ptolemäoö), das Entracori des Mittelaltcrs, wo im siebenzehntcn Jahrhundert die französischen Handelsschiffe der (?oinp»Zniv ru^lüe ä'^tri^ue oft zu landen pflegten, um Getreide einzuschiffen. Nach Gesemus ist Tacatua ursprünglich ein phönicischer Name und bedeutet in seiner ersten Form welche Beth Akatuha (n!,up« s>2) lautet: „ein abschüssiger Ort", welche Bezeichnung der Wirklichkeit entspricht. In der Gntfernungsangabe zwischen Vullicitanae und Tacatua disseriren das Itinerar und die Tafel um 4 Milliaricn. Von Tclusch bis zum Cap de Garde bot die Küste den Anblick einer riesigen unregelmäßigen Mauer dar, von wildgezackten Felsen gebildet, deren phantastische Formen die Wände eines Cyclopenpalasteö darzustellen würdig gewesen waren. Von dieser anscheinenden Mauer auflaufend, erstreckten sich gleich versteinerten Mesenarmen eine Anzahl zackiger Felsvor-fpriwge in das hier stets schäumende, von zahlreichen Klippen unterbrochene Ilferwasser hinaus. Eine dieser Klippen trägt, ihrer eigenthümlichen Form 233 wegen, den Namen des „schwarzen Segels". Sie ist natürlich ebenfalls der Gegenstand einer Sage. Das schwarze Segel ist nämlich nichts anderes, als ein versteinertes Schiff, welches einst von kühnen Abenteurern bemannt worden war. Diese verwegene Schaar war ausgesegelt, um, als neue Argonauten, einen von gehcimnißvollen Mächten gehüteten Schatz zu heben. Jeder Araber weiß, das; die Küste bei Tckusch in ihren Felsenhöhlen Schätze von fabelhaftem Reichthum enthält. Ein armer Schiffer hatte sie gesehen, als er einmal an diesem Ufer strandete; aber die Geister hatten ihm untersagt, etwas von den Schätzen mitzunehmen. Nur, wenn er leer aus der Höhle hervorging, konnte er sein Leben retten. Jedoch dieser Bettler, mit gescheuten Millionen im Gedächtniß, dachte von nun an an nichts anderes, als stets nur an die Schätze, welche er einen Augenblick gesehen hatte. Er theilte das Geheimniß einer tollkühnen Schaar mit, die ein Schiff bemannte und auszog, um an jener Küste zu landen, die Schätzehiitenden Geister zu "bekämpfen und den Schatz zu heben. Die kühnen Segler kamen bis vor die 3teihen der Klippen von Trkusch, aber hier plötzlich stockte das Schiff: allmälig erstarrte es, die Matrosen erstarrten, die Abenteurer erstarrten, die Nuder hielten stille. Das Schiff wurde Stein, seine Mannschaft wurde Stein, scine Nuder und Segel wurden Stein. Seitdem ragt das „schwarze Segel" als eine Warnung für alle tollkühnen Abenteurer aus der von weißem Schanme zischenden Untiefe empor. Jedenfalls muß besagtes fabelhaftes Greigniß in sehr ferngerückter Epoche stattgefunden habcn, denn bereits die Nömer kannten das schwarze Segcl nnd verlegten an die Landspitze, ihm 250 gegenüber, cine Station. welche die Peutinger'sche Tafel Sub-lucu und das Itinewr Sullucns benennt. < Sulucha sn^-ill,) bedeutet nach Gesenius auf phouicisch: „Wasserleitung". Der Surische Golf s^ai^ X^« des Ptolemäos) angekommen nnd konnten die gigantischen Formen dieses seltsamen Vorgebirges bewundern, , dessen Hauptmasse aus porösem, röthlich gestreiftem Kalksteine bestand, während seine äußerste Sftitze einen herrlichen Marmorberg bildete. Das Piedestal der Statue des Herzogs von Or« leans, auf dem Gouvcrncmentöplatz von Algier, ist aus diesem Marmor gehauen, welcher schon zur Römerzeit das Material zu fast allen Prachtbauten des stolzen Hippo rcgms geliefert hatte. Wegen seines röthlichcn Ansehens nennen die Araber das Cap de Garde: Ras cl Hamra oder das rothe Vorgebirge. Beim Cap de Garde öffnete sich vor unfern Vlicken der Golf von Büne, einer der größten Algeriens, vielleicht nachdem von Bougie der grüßte. Im Grunde dieses zum Theil von Bergen umragten Meerbusens konnten wir einen strahlenden Silbersteifen unterscheiden. Es war die Seybuse, welche hier bei den Ruinen des alten Hippo regius miinbete. Eine reiche herrliche Ebene, von dem fruchtbarsten Erdreiche bedeckt, erstreckte sich weit in das Innere hinein zu beiden Seiten des Flusses. Links von dem in den Golf Hineinfahrenden zog sich, wie ein grauer Nebelschleier, die lange Reihe hoher DNnen des Cap Rose hin, während gen Westen die gigantische Felsenmasse des Dschc-bel Edugh ihr Riesenhaupt erhob. 23? Dieser Dschebei Edugh ist ohne Zweifel der Pappua des Prokopios. Auf feiner Höhe lag im sechsten Jahrhundert eine kleine, damals schon halbverfallene Stadt, welche die letzte Zufluchtsstätte des von Belisar geschlagenen Vandalenkönigs Ge-limer bildete. Hier war es, wo Gelimer, hauptsächlich durch Hunger bestimmt, fich den Römern ergab. Was ihn dazu be-fonders bewogen hatte, war das traurige Schauspiel zweier hungriger Knaben gewesen, welche sich um ein Brod zankten. Einer dieser Knaben war Gelimers, des Königs, eigner Sohn, der andere der einer Bettlerin. Die Bettlerin backte Brod, aber ehe es noch gebacken war, riß es ihr der Königssohn, vom Hunger gepeinigt, aus dem Ofen, und verschlang die eine, Hälfte, die andere wurde ihm vom Sohn der Bettlerin entrissen, welcher dem jnngen Prinzen ein Paar tüchtige Hiebe versetzte. So weit war es mit Gelimer glommen, daß er die Mißhand» lung seines eigenen Sohnes ruhig mitansehen musitc! Der Vandalentönig weinte über dieses Schauspiel des Verfalles seiuer Macht uud schickte den Römern seine Capitulation. Bezeichnend ist es, daß der letzte Vandalentönig sich im Gefängniß eine Cither ausbat. Am Fuße des Pappuagebirgeö lag, gleich einer weißen, dem Meere cntspiiltcn Perle, die einst arabische, jetzt französische Stadt Büne, von ihren luftigen Terassen weithin das tiefblaue Element beherrschend. Jenes Vorgebirge, welches, der östlichste Ausläufer des Cap de Garde, den Golf von V6ne unmittelbar beschlitzt, war wahrscheinlich das ^r^^a^ov «x^ov des Ptolemäos. Was den Blick des Ankömmlings in diesem Golfe vor Allem fesselte, das war jener phantastisch geformte Felsen Drei Iahve im Nordwcstcn Unil Afrila, II. 17 238 „In, points ^ linn" genannt, welcher den Hafen von Bäne nu Norden beschützt. Denn in ihm hatte eine seltsame Laune der Natur sich gefallen, aus unorganischem Material ein organisches Wesen nachzubilden. Dieser Fels bot die Gestalt eines Löwen dar. Da saß er und hielt sein Haupt aufrecht empor. Herausfordernd streckte er seinen Nachen gegen den Eingang des Golfs, als wollte er sagen: „Ich bin der ewige nmnidifche Löwe, der ewige Wächter dieses numidischen Golfes." Nie sah ich noch ein Naturgebilde aus Stein, welches mit so viel Treue ein lebendes Wesen darstellte, wie dieser Löwenfels des Golfs von Bäne. Drittes Capitel. Büne und Hippo regiuö. Die drei Häfen von iZVme. — Nömerstraße. — Hippo. — Die Massy-lier und Massäsylicr. — Die Industrie Hippo's. — Die Citrus-tische. — AugustinuS. — Donatisten und Katholiken. — Ruinen von Hippo. — Zwei neue Reisegefährten. Ich fand das heutige V6ne eine frenndliche, beinahe gänzlich in europäischem Styl umgebaute Stadt von ungefähr 12000 Einwohnern, wovon über die Hälfte Franzosen waren. Es besaß drei sogenannte Häfen, von denen jedoch kein einziger die Sicherheit gewährte, welche die Benennung „Hafen" rechtfertigte. Der erste derselben, der „rart äos c!»8«arw3" zwischen der Pointe du Lion und der Pointe de la Cicogne gelegen, schien zwar ziemlich sicher, aber nur für ganz kleine Fahrzeuge 239 tauglich. Der andere, der Hafen der Caruben, etwa eine halbe deutsche Meile nördlich von Büne, bot eine ansehnliche Tiefe, aber war durchaus den Stürmen ausgesetzt. Der dritte und beste Hafen, der des Fort Genois, war beinahe eine deutsche Meile von der Stadt entfernt und der Transport zu Lande von ihm nach Vüne hatte große Schwierigkeiten. Die heutige moderne Stadt B^ne bot meiner Ncugier nichts Sehenswürdiges. Desto mehr zogen mich die eine halbe deutsche Meile davon entfernten Ufer der Seybuse an, oenn an ihnen lagen ja die Ruinen des alten Hippo regius oder Hippona. Der Name Vünc ist zwar aus einer Verstümmelung des Namens Hippoua entstanden, aber man möchte sich vielleicht täuschen, wollte man hieraus ohne Weiteres den Schluß ziehen, daß die einstige Vischofsstadt des Augusünus an der Stelle der jetzigen Franzosenstadt gestanden habe. InVüne will Shaw das Aphrodisium Colonia des Ptolemäos wiedererkannt haben. Mannert verlegt dagegen Hippo nach Bone selbst. Dennoch ließe sich vielleicht ein Ausweg finden, welcher erklärlich machte, warum das heutige Vüne einen mit Hippo so verwandten Namen führt. Strabon spricht nämlich von zwei Hippones regii, beide königliche Städte und beide am Meere gelegen. Wäre es nicht möglich, daß eines der beiden Hipponcs regii und das Aphrodisium des Ptolcmäos ein und derselbe Ort seien? Das andere Hippo wäre dann die in der Ebene gelegene Stadl. Manuert will das andere Hippo in's heutige Tunisifche verlegen. Diese Ansicht hat die Angabe des Itinerarium Antonini Augusti für sich, welches ein Hippo östlich von Tabraca anführt. Das Itinerar ncnnt dieses: Hippo Zaritus. 17* Strabon giebt jedoch hier denAusfchlag, wenn er sagt, baß beide Hippones königlich waren, d. h. sie waren beide Residenzen der Könige von Numidien. Nun ist nicht anzunehmen, daß an der Stelle, wohin Manner! das Hippo Zaritus verlegt, eine von den Karthagern unabhängige Stadt, was doch eine königliche Residenzstadt gewesen sein muß, gelegen habe. Man-nerts Hippo Zaritus liegt viel zu nahe bei Kartbago, um nicht dieser mächtigen Republik unmittelbar gehorcht zn haben. So war also dieses keines vcr beide» tön ig lich e n Hippones. Sollte es dennoch, was wahrscheinlich ist, wirklich ein Hippo, wenn auch tcin königliches, gewesen sein, so hindert nichts anzunehmen, daß es drei Hippones, zwei in Numidien und eines in der Zeugitana gegeben habe. Hat eö doch auch in diesen Provinzen drei Macomades gegeben ! Aus meinem Negc nachHippona, war es mir vergönnt die Spurender alten, mit Platten gepflasterten Römcrstraße, welche von Karthago bis nach Julia Cäsarea der Küste entlang lief, wiederzuerkennen. Die Ebene der Seybusc ist vielleicht die fruchtbarste der ganzen Nlgerie. Aus ihrem Ertrag allein pflegten dic früheren Bey's von Constantine hinreichende Summen zu ziehcu, um damit den jährlichen Tribut, welchen die ganze Provinz dem Pascha von Algier schuldete, zu bestreiten. Zwischen dem kleinen Flüßchen Vudsckima und der mächtigeren Scybuse traf ich auf die Ruinen von Hippo. Die Phönicier hatten es Ubo sUbuö) genauut, uud ihrc Stammverwandten, die Karthager, hier eine Colouie gegründet. Hippo's Name wird von Gesemns von dcm phönicischen LSI Wort: Ipu (-12'') abgeleitet, welches „Schönheit" oder „Pracht" bedeutet. Hippo hieß also „die prächtige Stadt". Es gab übrigens eine Menge Städte gleichen Namens in Afrika, Spanien und Palästina. Der Name Ioppa (jetzt Jaffa) ist gleichen Ursprungs. Die Bedeutung des Namens „Hippo" war, wie man sieht, eine sehr allgemeine. Es wäre auch deßhalb gar nicht zu wundern, wenn cs andicser Küste, wie schon erwähnt und wie nachStrabon wahrscheinlich wird, drei Hippones gegeben hätte, nämlich die beiden töniglichen Hippones des Strabon, und das Hippo Za-ritus des Antonin, welches letztere am laou» Hippouiti», unweit Karthago, lag Eines der beiden königlichen Hippones führte wahrscheinlich zugleich den Namen Aphrodision. Es ist begreiflich, daß cm der Venus geweihter Ort zugleich „die prächtige Stadt", was ja Hippo bedeutet, geheißen habe. Zur Zeit des ersten punischen Krieges eroberte H^la, der König der Mas-Sul, oder Massylier, eines eingeborenen Stammes, die karthagische Colonie. Von diesem Numidentünig stammt der Name der königlichen Stadt, welchen Hippo regms von nun an zu führen begann. Von jetzt an bis zur Einverleibung Nnmidicns ins römische Neich blieb Hippo ewe der Hauptstädte des nmnidischen Königreichs. Der römische Dichter Silius Italicus *) sagt von ihm: lulQ Vaßk st linUc^ui» 6,i1eotu3 roßibuO HiWc Es war also schon beiden ältesten Königen beUebt. Anfangs war es nur die Residenz der Könige der Massylicr. Spater, als König Maß - naß (Mafsinissa) mit Hülfe Roms den König. *) C Silius Italicus, Bellorum punicoruin Ebri XX- 262 der Massa-Sul oder Massäfylier, Suf-Ats (Eyvhax), besiegte,, und die Reiche der Massylier und Massäsylier zu einem verei» nigte, wurde Ubus abwechselnd mit Kirtha die Hauptstadt von ganz Numidien. Zur Zeit Cäsars siel es, wie ganz Nordafrika, den Herrschern der Welt anheim. Es wurde von Augustus zu einer Colonie erhoben; seine Glanzepocke sollte jedoch erst der Zeitraum zwischen dem zweiten und vierten Jahrhundert bilden. Der Handel von Hippo regins war eiu äußerst bliihcuder, was schon die große Menge von Juden erklärlich macht, welche sich in den ersten christlichen Jahrhunderten daselbst niederließen. Der Lieblingshandel, weil der vortheilhafteste, dieser Kinder Israels war der mit Sklaven, welcher zn jener Zeit auch in Europa fast ausschließlich in Händen dcr Juden war. Hippo versorgte Rom mit manchen Gegenständen der Bequem» lichteit und des Lurus. Das Elfenbein, im Alterthum so hochgeschätzt, der Goldsand Nigritiens, das Korkholz dcr nmmdischen Wälder, die Gewürze des Sudans wanderten von hier nach der ewigen Stadt. Was eine Specialität der Industrie Hippo's ausmachte, das waren die in Nom so überaus hochgeschätzten Tische von Citruöholz (vielleicht einer Art von Thnja), von denen kiccro einen einzigen mit einer Million Sesterzien (etwa hunderttausend Gulden) bezahlte und für deren zwanzig Kaiser Heltogabal den Tribut einer ganzen Provinz ausgab. Hippo spielt in den Annalen des Christenthums, wie be» taunt, eine nicht unbedeutende Nolle, nach Karthago vielleicht die wichtigste unter allen afrikanischen Visthümern. War es doch der Sitz jenes Äugustinus, der den Katholiken in seiner 2«3 olviws vsi als eine der kräftigsten Stützen der pastlichen Macht erscheint, während er doch zugleich von den Protestanten, seiner Lehre der Rechtfertigung wegen, der Vater der Reformatoren genannt wird. Angustinus war, trotz seiner für einen Kirchenvater großen Aufklärung, dennoch nicht frei von Fanatis' mus gewesen. Auf dem Concil von Karthago im Jahre 411 trat er ohne alle Mäßigung gegen die Donatislen auf, — freilich nicht ohne Herausforderung von Seite dieser. Diese dem Heiligen so verhaßten Donatisten hatten in Hippo lange die Oberhand gehabt. Ja, selbst noch zur Zeit, da Augustinus sein Bisthum antrat, besaßen sie in jener Stadt einen so mächtigen Ginfluß, daß sie zum Beispiel im Stande waren, den Bäckern zu verbieten, den Anhängern des Katholicismus das nöthige Brod zu verkaufen. Dafür wurden sie nun auch, nach dem großen Concil von Karthago, auf welchem Auguslinus ihre Verdammung ausgesprochen hatte, durch das katholische Nom schrecklich verfolgt. Der elende Schwächling, Kaiser Honorius, ließ zwei blutige Edicte gegen diese Schismatiker ergehen. Die Katholiken von Hippo müssen übrigens auch ein ctwastyrannisches und dabei allzu weltlich gesinntes Völkchen gewesen sein. Denn Augustinus selbst erzählt uns von einem reichen römischen Patricier, Pinianns mit Namen, der nach Afrika kam und welchen die katholischen Bewohner Hippo's zwangen, ihr Presbyter zu werden, um so ihn und seine Reichthümer in der Gemeinde zu behalten. Augustinus starb bekanntlich im Jahre 429, als eben die Vandalcn die Stadt belagerten. Der Heilige legte sich elf Tage vor seinem Tode ein strenges Fasten auf, welches er bis zu seiner letzten Stunde beobachtete. 2«4 Hippo regius hat außer dem großen Kirchenvater auch noch eine Menge anderer Heiliger und Märtyrer aufzuweisen. Zwei Concilien wurden ebenfalls daselbst abgehalten: eines 393 und das andere 426. Hippo besaß zur Zeit des Augusti-nus folgende Kirchen und Memorien: 1) die.LaMios, kaoi». 2) ^li viFiuti Hlart^ro», zwanzig Märtyrern, aus Hippo selbst gebürtig, gewidmet. 3) Luuilioa aä oc^o Nai'^ro». 4) Die Hleiuui'iu. ttt. ßtoxiiani. 5) Die N^mcriä 8t. tFßlVll«ii et 1'rc>w«ii. Die Memorieu wave» bekanntlich Grabtapellen von Heiligen und Märtyrern. Diese, uns überlieferten, religiösen Gebäude sind ohne Zweifel nur die der Katholiken. Diejenigen der Donatisten müssen jedoch ebenso zahlreich oder noch zahlreicher gewesen sein. Die Vandalen zerstörten Hippo vollkommen, mit Ausnahme jedoch der bischöfliche« Basilika und des Hauses des heiligen Augustinus— eiu unerwarteter Zug von Toleranz von Seiten dieser vielgeschmähten arianischen Ketzer. Von den Resten oer alten Hippona tonnte ich nichtö Nen« nenswerthes entdecken: einige Vogeu eines Aauaductö, der die Quellen des Dschcbel Edugh nach der Nömerstadt leitete, die Trümmer mächtiger Ctsterncn,die Bausteiue eineö großen Quais am Meeresufer, die Neste einer Basilika, der man den Namen des berühmten Heiligen beilegt, das ist Alles, was von dem Glänze und der Macht des einstigen Hippo rcgius übrig geblieben ist. Die Mündung der Scybuse bildet die Bucht, in welcher sich der alte römische Hafen befunden hatte. Diese kleine Bucht war im Laufe der Jahrhunderte längst versandet und unzugäug- ««5 tich geworden, als plötzlich ein Naturereignis; sie vor Kurzem wieder eröffnen sollte. Eine seit Vernachlässigung deS Nömer-hafens angeschwemmte Sandbank sperrte die Mündung der Seybuse und verhinderte so das Eindringen der Schiffe in den Fluß. Da mußte vor wenig Jahren ein besonders regenreicher Winter kommen und die Wasser des Flusses so anschwellen, daß sie die Sandbank durchbrachen und seitdem frei zum Meere gelangten. Schiffe von hundert Tonnen Tragkraft tonnen nun wieder, wie zur Römcrzcit, in die Seybuse einfegeln. In dem Gasthofe zu V6ue wollte es der Zufall, daß ich einen Bekannten in der Person eines jungen französischen Edelmannes antreffen sollte, welcher ähnliche liteifepläne, wie die mei« nigen waren, für das Innere der Provinz Constautine schmiedete. Wir kamen überein, zusammen diesen Ausflug zu unternehmen. Als Dritter begleitete uns auf diefer Tour ein junger Maure, Namens Hamed, den ich in der Eigenschaft als Dolmetscher von Philippeville aus mitgenommen hatte. . Mein neuer Neiscgefährte, der Franzose, zeichnete sich höchst vortheilhaft vor dem im Fort Napoleon verlassenen, dem Engländer, aus. Er hatte keine der Excentrizitäten und Lächerlich, leiten des Engländers an sich. Er war durchaus natürlich und ein Kind des Impulses. Er war leidenschaftlich für Natur-fchönheiten eingenommen und auch für das Alterthum von Interesse beseelt. Dabei war er für einen Franzosen besonders unterrichtet. Was mir vorzüglich an ihm gefiel, war der Mangel jener Blague, jenes beständigen Renommirens, welches selbst der gebildete Franzose so oft nicht lassen kann. Auch hielt er sich nicht verpflichtet, jeder Schürze, der er begegnete, gleich 26« die abgeschmacktesten Galanterien zu fagm: eine Lächerlichkeit, deren fast alle jungen Franzosen sich schuldig machen. Was seine politischen Grundsätze anbelangt, so war er Legitimist und, was seine Religion betraf, ein eifriger Katholik, der sich nicht wenig scandalisirte, als ich ihm einmal einen Vers eines lateinischen Stndentenliedes vorfang. Lateinisch, so meinte er, sei die Sprache der Kirche, und in dieser dürfe man nur Hymnen singen. Der andere Reisebegleiter war eine zweite Auflage von Abd-Allah, etwas weniger verschmitzt, dabei aber desto fauler. Er hatte nur einen Gedanken: das war „Kif machen" und wieder „Kif machen". Wenn einer meiner Leser nicht wissen sollte, was „Kif machen" bedeutet, so fetze er sich in den dunkelsten Winkel eines dunkeln Zimmers, rauche einige Stunden, gähne recht viel, spreche wenig und denke gar nichts, und er „macht den schönsten Kif". 2«7 Viertes Capitel. Das Thal der Seybuse. Ritt von V5ne nach (^nclma. — Colonistenbörfer. — Ntschmajah. Der m^relilruä <1« vin. — (5in verkannter Held. — Der wahre Eroberer von Sevastopol. — AöcnruS. — Aussicht vom Dschebel Fedschndsch. — Wildromantische Gegend. — Ankunft in Guelma. Der Novembermorgen, an welchem wir unsern Nitt nach Gnclma antraten, war in seiner wolkenlosen Heiterkeit von guter Vorbedeutung für unsere numidische Tour. Der Weg führte uns stets durch das reiche, üppige Thal der Seybuse. Dieser Fluß ist zweifelsohne der Nubricatus der Alten, welcher beinahe von allen römischen Geographen erwähnt wird. Manner! will in der Seybuse auch den Muthul des Protopios wiedererkennen. Der berühmte deutsche Geograph nimmt an, daß Rubricates und Muthul ein und derselbe Fluß gewesen seien, ähnlich wie er das Gebirge dieser Gegenden für den Thambes des Ptolemäos und den Pappua des Prokopios zugleich hält. Des Morgens kamen wir an zwei arabischen Dörfchen, Sidi Uascher und Sidi Nemah, vorbei, nach dem kleinen modernen Orte Mondovi, einer Schöpfung vom Jahre 1848, wo etliche französische Colonisten ihr klägliches Dasein fristeten, unfähig, aus dieser fruchtbaren Gegend einen einigermaßen ansehn» lichen Ertrag zu ziehen. 2«8 Die fruchtbaren Ufer des antiken Rllhricatus standen schonbei deuNömernin hohemNufe. Hier befanden sich die ausgedehnten Güter eines römischen Patriciergeschlechts, der ttsns 8orvi1ia. Die Nuinen von Villa Serviliana sollen jetzt noch auf einem erhöhten Punkte der Noute zwischen Mondovi und Konstantine zu sehen sein. Gegen Abend erreichten wir ein anderes Dorf, ähnlichen Nrspruugs wie Modovi, Namens Neschmajah, in blühender fruchtbarer Landschaft gelegen, was jedoch auch diese Colomsteu gar nicht hindert, sehr schlecht ihr Fortkommen zu finden. Es schien mir, als läge ein Fluch auf der Crlonisiruug der Franzosen in diesem Lande. Der Araber, mit seinen unvollkommenen Begriffen vom Ackerbau, prospcrirt auf unfruchtbarem Boden, während daneben der Franzose, dem das fette Rcgie-rungsland zugetheilt worden ist, und der außerdem ncch alle mögliche officielle Hülfe genießt, zu Grunde geht. Neschmajah lag an dem kleinen Flüßchen gleichen Namens, welches sich unweit davon in die Seybuse ergießt. In dicscni Dorfe mußten wir im Hause eines „Marchaud dc vin" logiren, der eine der wichtigsten Personen im Orte zu sein schien, einige Zimmer für das llebcrnachtcu von Durchreisenden hielt und nebenbei natürlich ein „Debil" (Kneipe) besaß. Ohne „Debit" nämlich taun knn Colonislendorf ez'istiren. In diesem so au-ziehungsvollcn Locale waren bis spät in die Nacht hinein die Colouistcn versammelt, um ihren vielgeliebten Absinth, hier, Wie überall in Afrika, das Getränk tat Epochen, zu schlürfen. Da kein anderes Local im Hause des „Marchand dc vin" vorhanden war, in welchem wir den Abend zubringen tonnten, so 2V9 mußten wir nothgedrungen ebenfalls das „Debil" erwählen. Dort stellte ich physiognomische Studien an den Kolonisten an; aber das Resultat derselben war bei den meisten so unerfreulich, daß ich meine Beobachtungen schon aufgeben wollte, als plötzlich ein Individuum hercintrat, welches unsere volle Aufmerksamkeit für sich allein in Anspruch nahm. „Lon«aii-, I» I'mMül-o," sagte der Wirth zu ihm. „Hn'LÄt HUO tn pt'SUäg?" La Panth^re war ein großer, langer Mensch zwischen dreißig und vierzig Jahren, mit rother Nase, griinen Augen, schwarzen Zähnen, einer angehenden Glatze, einer Herculestaille und ein Paar Vulcanhänden. Gr trug ein sehr negligirtes Costüm. Dieses bestand nämlich nur aus einem Hemd und einer alten rothen Soldatenhose. Au den Füßen hatte er immense Holzschuhc, in die Stroh hiueiugcstopft war, welches die Stelle der Strümpfe vertrat. Auf die obige Frage des Wirthes, welche Erfrischung er zu sich zu nehmen wünsche? erwiderte La Pan-thöre mit Stentorstimme: > „Vo 1'»d«inUl6, ?ar<1i!" Nun fing er an, seinen Absinth zu schlürfen. Als er jedoch unserer gewahr wurde, gab uns die Ehre seiner Anrede: „Ilon 8oir Hl6«8i«ni-8 leg ttoääam!" rief La Panthöre. Natürlich hielt er uns für Eugländer, d?nu es ist einmal an« genommen, daß alle Touristen in Algerien im Allgemeinen Engländer sein müssen, welcher Nation sie auch im Besonderen angehören möge». Da nuu der gewöhnliche Franzose glaubt, baß die englische Sprache aus lauter ttoääani zusammengesetzt sei, so nennt er die Kinder Albions selbst so. 270 „Ich bin kein (/oääniu!" rief mein Reisegefährte, erfüllt von dem stolzen Bewußtsein, der „Fi'knä^ nation" anzugehören. „Nun, wenn sie auch keine „(loääamg" sind, so können sie doch meine Höflichkeit erwidern," sagte La Panthere. „Eine Höflichkeit? Wenn Sie uns „ttoääam" schimpfen?" „O! eö war nicht so schlimm gemeint. Ich glaube, Sie seien Engländer, und da die Engländer einmal nichts Anderes sagen, als stets Ooääam,so glaubte ich, Sie würden mich sonst nicht verstehen. (?08 Uogsioui-« ^ronncint i^ un verrs ä'^dmutd« ?" Diese Offerte des Absinths durfte nicht zurückgewiesen werden, fönst hätten wir uns La Panthöre zum Todfeinde gemacht. So wurde denn der Friede beim Glas Absinth besiegelt. Während dieser echt afrilauisch - französischen Libationen sagte mein Reisegefährte plötzlich zu La Panthörc: „Sie müssen gewiß eine sehr interessante Geschichte haben? Nach ihrer Physiognomie zu urtheilen, sind Sie kein gewöhnlicher Colonist." „Ich ein gewöhnlicher Colonist? Gott bewahre mick da° vor, eines von diefen weidenden Hornthieren zu sein. Sehen Sie sie an!" rief er und deutete auf die anderen Colonisten, welche im Weiuladen dasaßen und ihre Nbsinthgläscr vor sich stehen hatten: „Sehen Sie sie an. Stupidität malt sichjn ihren Zügen; Schläfrigkeit und Langweiligkeit fprechen aus ihren Augen; auf ihren Stirnen hat der Blödsinn seinen Thron erwählt. Nein! Gott sei Dank! Ich bin kein gewöhnlicher Colonist. Ich war Militär. Nun das werden Sie mir schon ansehen. Jetzt bin ich es nicht mehr. Warum? Weil mein 271 Vaterland undankbar ist; es wußte meine Dienste nicht anzuerkennen. Wenn Gerechtigkeit auf Erden herrschte, so müßte ich nun Herzog von Malakoff sein und nicht General Pelissier!" „So waren Sie im Krimkrieg?" fragte ich überrascht. „Ob ich im Krimklieg war? Haben Sie denn nicht die Zeitungen gelesen? Es war ja nur von mir allein die Rede. Haben Sie den Namen „La Panth^re" nie darin gesehen?" Ich mußte gestehen, daß dieß nicht der Fall gewesen sei. „Nun, das wundert mich. Es ist aber Ihr Glück, daß der Zufall Sie nach Neschmajah geführt, und daß er Ihnen Gelegenheit gegeben hat „1o vioux 1«, I'lintköro", den wahren Eroberer von Sebastopol, keunnen zu lernen." Unsere Neugierde war natürlich gespannt und gerne hätten wir gewußt, wie er es denn angestellt habe, um besagte Stadt so ganz ausschließlich allein zu erobern, und wie es denn komme, daß sein großer Name nicht auch ein berühmter geworden sei? „Was wollen Sie?" antwortete der verkannte Mann auf unsere Fragen. „La Panthöre hat keine Chance. La Pan-th^re hat den russischen General todt gefunden, der den Plan von Malakoff in seiner Tasche trug. Diesen Plan trug ich zum ttsneral on ollek und was sagte er? — Würden Sie es glauben? Er behauptete, das Papier fei ein alter Wisch, in welchen eine Wurst eingewickelt gewesen sei, und enthalte nichts, als die Reclame eines russischen Schwememetzgcrs." „Aber woher wußten Sie denn, daß das Papier der Plan von Malakoff fei?" fragten wir. ,Woher ich es wußte? Lesenkönnen war freilich nie meine 272 Sache. Aber ein Zuave, welcher lesen konnte, hat es mir gesagt. Der schlaue General hat übrigens von dem von mir entdeckten Plane profitirt nnd nach einigen Tagen war Mala-koff genommen und der General wurde Herzog und Marschall, aber La Panth^re, der wahre Eroberer von Malakoff, I,» l»an-tkörs blieb «oläat än train." „Sie hatten wirklich Unglück," sagte mein Reisegefährte, „aber wie kommt es, daß Sie nicht wenigstens Corporal geworden sind, denn Sie haben doch lange gedient?" „Undank über Undank!" rief der -verfehlte Marschall. .Man behauptete, ich liebe den Absinth zu sehr. Als ob das ein Fehler wäre!" Dem verkannten Gröberer von Malakoff gute Nacht wünschend, zogen wir uns in das einzige Zimmer, welches uns der „Marchand de vin" hatte anbieten können, zurück, und verbrachten eine leider durch die allzu häufige Anwesenheit des springfüßigen Insectes gestörte Nacht zu. In der Nähe von Neschmajah besuchten wir am andern Morgen die Ruinen von Ascnrus. Dieser Name war berühmt durch das hier staitgcfuudcue Gefecht der Parteigänger des Caesar nnd Pompejus. Auf die Seite des Pomvcjus hatte sich der numidische König geschlagen, um auch mit ihn, und der aristokratischen Partei im römischen Senate zn fallen. Zu meinem Erstaunen erblickte ich hier ein beinahe noch unversehrt erhaltenes antikes Gebäude, eine Art von niedrigem Haus, dessen Bauart der byzantinischen Periode anzugehören schien. Einige wollen es sogar für ein ..vandalisches" Haus erklären. 273 Ich habe jedoch meinen großen Zweifel über diesen vermeintlichen Ursprung. Am zweiten Tage, seit unserer Abreise von P^ne, erklommen wir den ZOOO^ hohen Dschebel Aureh, von dessen Höhe sich die Aussicht über ein weites Plateau unsern Blicken darbot. Mitten aus dieser Hochebene ragte der Dschebel Fedschudsch hervor, welchen wir nun erstiegen. Von seinem Gipfel genossen wir einen überaus lohnenden Anblick über die Gebirgs- und Küstengegend. Im Norden erblickten wir auf einer Seite die.rothe Masse des Nas el Hamra, ans der anderen das Cap Nose, beide aus dem Meere hervortauchmd. Diese beiden Gebirge dienten jenem schönsten aller Edelsteine, der blühenden Ebene der Sey-buse, als Fassung. Gen Nordwcst leuchtete, gleich einem runden Spiegel, der See des Fesara, von allcn Seiten von schmel-ziggrünen Wiesen umsäumt. Im Westen lag, gleich einem lauernden Dämon, der finstere Dschebel Edugh. Im Osten scklä'n-gelte sich die steppenartige Gbene des Serdesah hin, durchzogen von dem phantastischen Dschcbel Rharah, welcher ebenfalls einsam und ohne Zusammenhang mit auderen Bergen mitten aus dieser Fläche hervorragte. Im Süden, unmittelbar zu unseren Füßen, glänzte die silberne Seybuse und übcr ihr in dcr grauen ss«ne erhob der wild gezackte Dschebel el Akbah sein Niesenhanpt in die tiefblauen Lüfte empor. Von diesem herrlichen Aussichtspunkte herabgestiegen, er-reicht'en wir ein kleines Colonistcndorf, welches den poetischen Namen Heliopolis führte. Warum? Das läßt sich aus ntchtö Anderem, als ans einer liebenswürdigen ossiciellen Lanne er--klären. Von hier bis nach dem eine halbe Meile entfernten Diei Jahre im Nordwesten von Alrila. II. l 8 274 Guelma bot die Gegend ein herrliches Gemälde, welches man etwa mit einem großartigen wildromantischen Naturpark vergleichen konnte, in dem keine Fclsgruppirung, kein Wasserfall, kein grünender Hligel, kein üdcö Bcrgeshaupt, keine blumigen Wiesen, keine wüsteuartigen Steppen fehlten, um das Vild der größten Nlannichfaltigkeit hervorzurufen, welches in schönem Bunde der Gegensätze die wahre Natnrschönheit erzeugt. Ein zarter Hauch des Abcndrotheö schwebte am Himmel und vergoldete die Mauern des römischen Amphitheaters von Guclma, als nusere kleine Karawane in der alten Stadt ihren Einzug hielt. Fünftes Kapitel. Guelma. Das antik« Calama. — Ein sauler Araber. — Das Theater von Calama. — Das summuin In^oum. — Römische Inschrift, welche die Gn'nldeim des Theaters mnut. — Die byzcmtinische Citadelle. — Inschrift zu >5dlen des Patricius Salomo. — Da« Nas el Albah. — Die Nuiueu von Auunah. — Tibilis. Die H'^ul^ tidiiitllnne. - Sage über dic „Väoer dcr Per-dannmcu." Mein Reisegefährte und ich traten schon in der frühesten Morgenstunde, von Neugierde getrieben, unsere Wanderung durch die Ruinen Guelma's, des römischen Calama, an. Hamed, mein maurischer Dollmctscher, vcrschmähete es jedoch, uns auf diesem Spaziergang zu begleiten. . 273 Was dem gebildeten Europäer sehenswiirdig erscheint, können diese Menschen nie begreifen. Kaffee trinken, zahlreiche Cigarette« verrauchen und den ganzen Tag auf der faulen Haut liegen, — das schien diesem afrikanischen Jüngling das Ideal der Existenz zu sein. Das Kaffeevergnügen meines Dollmet-schers kam mir übrigens in der Provinz Constantine ziemlich theuer zu stehen, da er wohl nahezu ein Dutzend Tassen täglich einschlürfte und der Kaffee iu den französischen Hutels dieser Provinz, — man hat nie wissen können, warum?— die lächer» liche Summe von einem halben Franc per Tasse kostete. Der ökonomische Leser wird mir einwenden, ich hätte eincn solchen Mißbrauch nicht gestatten und das Kaffeevergnügen Hameds auf die mäßigsten Verhältnisse «dnciren sollen. Zlber, wir leider so viele Mauren, so war auch dieser Sohn Algiers, trotzdem, daß er noch jnng aussah, bereits in Wirklichkeit doch schon so abgelebt, daß nur der Genuß besagten schwarzen Getränkes fähig war, ihn aus seiner steten Abspannung aufzurütteln und zu Vollziehung seines Dollmetscheramtes einigermaßen tüchtig zu machen. Das römische Theater von Guelma — eine der Hauptzierden dieser einstigen Colonia — besaß eine auffallende Achn-lichteit mit den, griechischen Theater von Segeste bei Alcamo in Sicilicn, welches ich einige Jahre vorhcr anf meinem Nundritt um jene Iusel besucht hatte. Wie jenes, so lag es auf miem hügclrücken in einer natürlichen kraterartigcn Vertiefung, von der Form der halbkreisförmigen Cavea, so daß der Erbauer hicr keine andere Arbeit hatte, als die inneren Seiten dieses von r?r Natnr geformten Niescn- 18* 2?« trichters zu ebnen und mit Marmor zn bedecken, um daraus Stufen und Sitze zu schaffen. Die Scene fanden wir wild-überwachsen mit dem duftenden Lorbeer und dem rothblühenden Oleander, an dessen Fuße die stille Myrthe ihre silbernen Knospenöffnete. Dies Theater untersHied sich von dem gewöhnlichen Plane ähnlich er Gebäude dnrch seine auf der höchsten Maeniana oder summ» oavoa angebrachte Loge sluZouin oder pulpiwin). Solche Logen befanden sich nicht in allen römischen Theatern. Dion sagt, daß die höchsten Magistratsftersoneu, selbst oft die Kaiser, sich im Logeum zu halten pflcgten. Da, wo ein solches Logeum (nicht zu verwechseln mit dem Logeum des Prosceniums) auf dem höchsten Stockwerk oder Summa Maeniana des Theaters fehlte —und das war bei den meisten Theatern der Fall— diente bekanntlich die im^ oav^a, oder anch das orciic^trou als Sitz der Vornehmen. Die zwei äußeren Wände des Hemicyclus am Theater zu Guelma enthielten noch jetzt die Nischen, in welchen einst Statuen aufgestellt gewesen waren. Verbrugger hat in der Nähe von Guelma eine Inschrift entdeckt, welche uns über die Gründung dieses Theaters aufklärt. Dieselbe nennt eine vornehme Dame, Namens Aunia Aelia Nestituta, Priesterin vom !1tange der Flammen, als Stif-tcrin des Theaters von Calama, und sagt aus, daß sie zu diesem Zwecke viermalhunderttausend Sesterzien (etwa 30,000 Gulden) hergegeben habe. Die Inschrift meldet weiter, das oarpu» inu-nioixü sei, von Dankbarkeit getrieben, dahin übereingekommen, der Gründerin fünf Statuen setzen zu lassen, welche Ehre jedoch Aelia Restituta aus Bescheidenheit aufgeschlagen und sich statt derselben mit dieser Inschrift begnügt habe. die ihre Großmuth 277 und Bescheidenheit zugleich erwähne. Die Summe, welche Aelia Nestituta znr Gründung des Theaters von Calama her. gab, entspricht nach dem heutigen Werthe des Geldes nahezu einer Million. Man sieht, das; Calama eine nicht unbedeutende Stadt gewesen sein »ins;, nm so reich? Bürgerinnen be» sessen zu haben. Das Theater verlassend, folgten wir dem Laufe des kleinen Flüßchens Guelma und gelangten so zu den Nuincn eines anderen antiken Gebäudes, welches offenbar der Epoche des Ver« falls der Architcltnr sein Dasein uervalttte. Was noch von ihm stand, war eine hohe Ringmauer nnd dreizehn ziemlich wohlerhaltene Thürme. Sie trugen durchaus den Stempel jener Conglomerat-Architektur, welche das Zeitalter der Herrschaft der Byzantiner in Afrika bezeichnet. Dieses Gebäude war offenbar aus dcm Schutt fast aller älteren Vaurcste Calamas zusammengefügt. Üs bestand aus einem bunten Durcheinander von Marmorblöcken, inschriftbedeckten Steinplatten, Säulencapitä-lern, Arcadenbruchstücken, tnrz aus Fragmenten der mannich-faltigsttn Art, ohne Wahl nnd nur nach dem.Vcdürfniß des Augenblickes, zusammengelesen, um daraus besagtes Gebäude aufzuführen, welches allcm Anscheine uack die byzantinische Citadelle von Calama war. Eine lateinische Inschrift, in fehr schlechten Hexametern nnd noch schlechterem Latein, nennt den unvermeidlichen Patricins Salomon als den Gründer dieses Äaues, welchen die schlechten Verse der lobhudelnden Inschrift als ein Meisterwert der Kunst preisen. Bekanntlich war Sa« lomon der Nachfolger Velisar's in der Verwaltung der afrikanischen Provinzen. Unvermeidlich ist er, weil alle die abscheu' 278 lichen Byzantiner-Madellen in Afrika, jene Tohu va Vohu's von zusammengewürfelten Mauertrümmern, il)>u ihre Existenz verdanken. Er konnte sich rühmen, eine schöne Anzahl von Monstra in's Dasein gernfen zu haben. Sonderbarer» Weise ist jedoch die Steinplatte dieser Inschrift nicht an ihrem Platze, sondern scheint hier lediglich als Baumaterial verwendet, was daranf hindeutet, daß die Citadelle Salomon's zerstört und eine neue an ihrer Stelle erbaut worden sein mußte. Dicse Zerstörung erfolgte ohne Zweifel im 6ten oder 7ten Jahrhundert, da tic andere neuere Citadelle ebenfalls den Stempel des Byzautinerthumö trägt. Wahrscheinlich war ein Erdbeben, von dem alle Nuinen Guelma's die Spuren tragen, die Ursache der Zerstörung der Citadelle Salomon's. Es ist auffallend, daß teincs der Itinerare und auch uicht Ptolemäoö eincrso wichtigen Stadt, wie Calama, nach seinen Nui-nen zu schließen, offenbar gewesen sein muß, Erwähnung thun. Zur Zeit, als die ursprüngliche Tabula Peutingeriana und das Itinerarinm Autouiui entworfen wurden, führte der Weg, der Cirta mit Hippo verband, nahe bei Calama vorbei, ohne es zu berühren. Zur Zeit des Auguslinus jedoch, wie wir aus den Werken dieses Kirchenvaters wissen, führte dieseStraße durch die Stadt Calama. Es ließe sich daraus schließen, daß Calama seine Bedeutung erst iu späterer, in christlicher Zeit erlangt haben muß. Augnstinns nennt Calama sogar eine Coloma. Jedenfalls war es in der christlichen Periode ein berühmtes Bisthum. Vier seiner Bischöfe sind uuö betaunt gcwordcu. Der erste derselben, Donatns, figurirt auf dem berüchtigten Concil zu Cirta, wo er, des Abfalls angeklagt, fich entschuldigte, er habe blos die 27« „medicinischen Bücher" ausgeliefert. Diese Bücher waren aber nach dem h. Optatus die Heilsbüchcr der Seele, b. h. die Evangelien. Die ganze Umgegend von (Äuelma ist reich an Erinnerungen des Alterthums und übersät mit Nesten der Architektur der einstigen Herren der Welt. Wir benutzten deßhalb unsere Anwesenheit, um mehrere interessante Ausflüge nach römischen Nuium in die nahen Berge zu machen. Hamed war natürlich wieder nicht zu bewegen, sich den holden Wonnen seines „Kif" zu entreißen. Die erste Excursion galt den eine und eine halbe Meile von Guclma entfernten Minen vonAnnnah, einer römischen Stadt, welche man, nach meiner Ansicht, mit einiger Wahrscheinlichkeit für das Castellum Fabatianum derPeutingcrischen Tafel halten tann. Eine lange wcitgedehnte Thalschlucht dehnte sich von Guelmaaus bis zum Fuß deö 40U0' hohen Ras elAtbah oder Berg der Höhe, dem hervorragendsten Punkte dieses Theiles von Numidien, dessen Gipfel wir bestiegen. Eine mächtige Aussicht bot sich unseren.Vlick.-n von der Höhe des Nas el Albah. Der Fernblick war hier ein bei weitem ausgedehnterer, als der, welchen wir vom Fedschudsch, nördlich von Guelma, genossen hatten; aber ihm fehlte jene Lieblichkeit, jene Abwechslung der mannichfaltigsten Landschaftsformen, welche wir dort bewundert hatten. Die Landschaft war in ein einförmiges Grau gekleidet, über dem die dunkeln Wolken, vom Westwind getrieben, gleich Vögeln der Nacht, schwermttthig dahinsausten. Alle andern Berge um uns herum sahen klein aus. Es fehlte an einem Nuhepuntte für's Auge iu diesem chaotischen Durcheinander sich ähnlich sehen- 28N der Landschaftsbilder. Ich habe stets die Aussicht von einem Berge, welcher der höchste in seiner Gegend ist, verhältnißmäßig uninteressant gefunden. Die meisten Berge sind am schönsten von unten oder von halber Höhe gesehen. Der Weg von dieser afrikanischen Felsenwarte hernieder führte uns in ein offenes Gebirgsthal, in welches eine Anzahl kleinerer Hochthäler mündete. Als wir au einem dieser Thäler vorbeiritten, sagte uns der Spahis, welcher, als unvermeidliches Vademecum des Touristen in Afrika, auch dießmal bei uns war: „Hier dringen Sie cin. In diefem Thale werden Sie genug von den alten Steinen finden, welche Sie fo sehr lieben. Ich werde einstweilen hier meinen „Kif" halten." Wir folgten seinem Nathe und bald befanden wir uns zu unserer großen und freudigen IK'berraschnng in Mitten einer theils noch ausrecht stehenden, theils in Trünnmrn am Voden liegenden römischen Niederlassung. Es waren die Ruinen einerrömischen Stadt, von den Arabern jetzt Anunah genannt. Auf zwei Hiigcln, welche das enge Hochthal begrenzten, erhoben sie sich zu beiden Seiten des Eindringenden. Auf dem linken Hügel begrüßten unsere Blicke: einen römischen Triumphbogen, mit schlanken korinthischen cannellirten Mastern; daneben die Reste eines Thores; die eines heidnischen Tempels, welcher allem Anscheine nach zu einer christlichen Kirche umgcschaffen worden war; dann eine Reihe wohlcrhaltcner Mernen; ein Brnchstück eines römischen Palastes und die Ruinen zahlreicher Häuser. Alles dieß war wild umwachsen von dem überall hier wuchernden Lentiscus, dessen aromatische Düfte in dem Heiligthum d?r Verlassenheit 281 Weihrauch streuten. Ueber dem zum Theil noch wohlerhaltenen Thore blickte eine einsame Palme hervor, still und schwcrmüthig das Wert der Zerstörung unter ihr beschattend. Ans ,dem Hügel zu unserer Nechten erblickten wir zwar weniger auffallende Ruinen iu die Höhe ragen. Aber, als wir feinen Kamm erklommen hatten, lohnte nnscnn Vifer der Anblick einer ausgedehnten Netrovole, de'r^cste eines Aquaducts, und einer Unzahl antiker Trümmer, in räthselvollem Chaos auf dem Boden zerstreut und vermengt. Welche Lage für eine Stadt, dies abgelegene Hochthal! Wie zeugt es von dem tiefen Eingreifen römischer Civilisation in Numidien, wenn selbst in seinen verborgensten Thälern herrliche Städte die einstige Macht des Königsvolkes in ihren Mincn verMuden! Die Ruinen von Anunah werden von Vielen fi'ir die des römischen Tibilis gehalten und zwar aus keinem andern Grunde, als wegen ihrer Nähe von Aqnac Tibilitanae. Nach der Peu-tingerischen Tafel scheint jedoch Tibilis gar nicht so nahe bei den nach ihm genannten Vädern gelegen zu haben. Mau hat in neuester Zeit die Ruinen von Tibiliö in dem südlicher gelegenen Ain Vabusch erkennen wollen. Zwischen Tibilis und Cirta giebt uns aber die Peutingeri-sche Tafel keinen andern Ort, als Castellum Fabatianmn, dessen Entfernung von Tibilis sie 25 Milliaricn angicbt, während sie es vernachlässigt, uns die Entfernung des Castellum von Cirta anzugebeu. Von Castcllum Fabatianum wissen wir freilich fo gut wie nichts. Es ist möglich, daß der Bischof des Castellum Numidiae, der 484 auf dem Concil von Karthago erwähnt 282 wird, der Bischof von Castellnm Fabatianum war, welches vielleicht schlechthin Castellmn genannt wurve. - Ein weiterer Ausflug, den wir von Guelma aus unternahmen, verschaffte uns außer der Befriedigung unserer Wißbegierde auch noch den Physischen Genuß, in dem Wasser einer wohlthuende»! Mineralquelle nnscrc Leiber abspülen zu töunen. Diese Mineralbäder hatten schon vor zweitausend Jahren dem Kb'nigövolte gedient und waren nach der nicht sehr entfernten Stadt Tibilis (Nin Babnsch?) Aqnae Tibilitanae genannt worden. Das Itinerar und die Pentingcrische Tafel führen beide übereinstinnnend die Aquae Tibilitanae als 54 Milliaricn von (5irta entfernt au. Diese Entfernungsangabe scheint etwas zu klein. Sie belrägt «ach neueren Messungen 94 Kilometer. Die Aquae Tibilitanae waren wahrscheinlich ein Biöthum, wenn nicht Tibilis selbst dieses Viöthnm war. Aber die Aquae scheinen in späterer Zeit selbst als Stadt größere Bedeutung, als die Mutterstadt Tibilis, crlaugt zu haden. Jetzt werden diese Bäder uon den Eingeborenen mit den inhaltschweren NamenHammam elMeskutin, d.h.die „BädcrderVerdammten" bezeichnet. Seltsamer Name für ein wohlthätiges Ge-schcntder Viatur! Er wäre nicht erklärbar, wenn er sich nicht, wie so viele Namen in Algerien, uon einer arabischen Sage herleiten ließe. Sidi Arfat, so lautet diese Mythe, war ein reicher Emir, welcher die herrlichste Gegend bewohnte. Ihm gehörte unweit Ouelma ein wundervoller Palast, in dem er alle Reichthümer und jeden Luxus der Erde aufgehäuft hatte. In .seinem Harem besaß er die reizendsten Frauen und, was der Stlavenmarkt an AMdchen Schönstes bieten lvnnte, das war es in seiner Macht, sich zu 283 verschaffen. Sidi Arsak hätte also nach muselmännischen Begriffen glücklich sein sollen. Wie Salomo tonnte er Frauen ohne Zahl nehmen und, wie Salomo, cm herrliches Leben fllh« reu. Aber unter vielcu Tausenden war keine Einzige, welche sein Herz rührte. Sidi Arsak liebte nur Eine und diese Kine war gerade für ihn der verbotene Apfel des Paradieses. Tcun die Eine, welche Sidi Arsak liebte, war — seine eigene leibliche Schwester. Nichts vermochte ihn von dieser gottlosen Liebe zu zerstreuen. Seine strafbare Leidenschaft wuchs innncr mehr und mehr, bis zuletzt, vom fieberhaften Wahne besiegt, er die Un» glückliche zwang, seiuc Braut zu werden. Die entsetzliche Hochzeit wurde gefeiert nnd Sidi Arsat triumphirte. Aber er triumphirtc nicht lange. Allah sah sein frevelndes Treiben und verflnchte ihn, und der Fluch Allah's verwandelte Sidi Arsak in einen Schwefelblock nnd seinen Garten und Palast in einen Pfuhl sied end eu Wassers. Zum Unglück für diese Sage ist der heiße Pfuhl des Sidi Arsak wciter nichts, als daö bereits denNömern bekannte Mineralbad, und hat folglich schon lauge exlstirt, ehe besagter Emir hier einen Palast besessen 'haben soll. Die Thermen, welche das weltbeherrschende Volt um dieses Mineralbad herum gebaut hatte, wareu vou großcr Ausdehnung gewescu. So schloß ich aus dcn Resten mächtiger Fundamente, welche die größten Bassins noch einfaßten. Hie nud da erhoben sich Nninen von Ar-caden, welche einst die Vadestuben überwölbten; ein Thurm ragte noch aus der Mitte der Thermeugebäude hervor uud zerstreute Bassins denteteu an, daß außer den öffentlichen Vadesälen diese Thermcu auch abgesonderte besessen hatten. 284 Eine eigenthümliche Naturerscheinung machte außerdem noch diese Väder interessant. Dciö Wasser führt anßer dem Schwefelgehalt, welcher seine Heiltraft bildet, eine große Quantität kalkiger Substanzen, welche es am 3lande seiner Quelle absetzt. Dicsc kalkigen Ablagerungen haben mit der Zeit rings um die zahlrcichenQuelleu riesige zuckerhutförmige Kegel gebildet, aus deren höchster Spitze das Nas^rspriugbrnnncnartig hervorquillt. Diese Kegel erheben sich mitunter bis zu ciucr beträchtlichen Höhe. Ich sah einen solchen, welcher die bedeutende Höhe von fünf und dreißig Fuß erreichte. Diese seltsamen geologischen Gebilde, eben so viele Natnrpyramideu, verliehen dem Thal von Hammam Mostutin ein ganz eigenthümliches Aussehen. Sechstes Capitel. Suk-Harraö. Colonisieudorf Petit, — Nachtlager bcim Mammc der Nador. — Sicpftcnattige Gcgcnd. — Änkmist in Sut-Harras. — Um-gcdl!„s;. — Tagasto. — Augusliuuö und Alypius. -^ Mein jüdischer Wirth. — Seine vcnnmttliche Beranbnng durch Tuniscr. Nach einem mehrtägigen Aufeuthaltc o? des Ptolemäos), in welcher Apulejus dasLicht der Welt erblickt und wo der heilige Augustinuö seine Studienzeit verl'bt hatte. Bekanntlich war 2W der große Kirchenvater in seiner Jugend ein lockerer Vogel gewesen und Madaurus wird wohl den Schauplatz mancher seiner kleinen Jugendsünden abgegeben haben. Wenigstens wird die Plünderung eines Birnbaums, welcher der Heilige als Schuljunge oblag nnd deren er sich selbst in feinen „O)nl^«i<>uc8" als cincs „peoontuui mortale" anklagt, in diese Gegend zu ver» legen sein. Die Bewohner von Madaurus waren zum Theil gute Nömcr und blieben als solche dem Heidenthnm bis ins. fünfte Jahrhundert treu. Maiinert will nicht gestatten, daß das Madanrus des Apulejus und das Madamus des Augustiuus eine und dieselbe Stadt gewesen sei. Der große Geograph sucht die Vaterstadt de>? Apulcjus in dem bei Thevcste gelegenen „Ad Meteram" und stützt sich darin auf Shaw, der die Ruinen von Madaurus bei Theveste beschreibt. Aber Shaw hielt Tiffesch und uicht Tebessa fiir Thevcste. Deßhalb kaun Madaurus recht gut diejenige Trünunerstadt sein, welche Shaw beschrieb. Ick habe sie nicht gesehen. Aber sie soll, wie mir Araber versicherten, von Ruinen von Festungsmanern umgcbcu sein. Dicß entspricht der Bedeutung einer Militärcolonie, was doch Madaurns war. Apulojus sagt von seiuer Vaterstadt, Nowmoi'plin». I,. XI: Vuinl^» Veterunurum milituru iu>vn cuuäitu «^loncli» äigliim«, ooloni» »umu». Unsern Mittagshalt machten wir bei den, kleinen Orte Tiffesch. Tiffesch war der Namensähnlichteit wcgcu lange fiir das Theveste der Nömcr gehalten worden. Heut zu Tage ist man jedoch nicht mehr im Zweifel darüber, daß Tiffcsch an der Stelle des einstigen Tipasa Numidiae liegt, wadrend Thcveste 2l»7 in dem etwa einen Vrcitcgrad südlicher gelegenen Tebcssa gesucht werden muß. Wer mit den im Volksmunde vorgegangenen Verwandlungen römischer Namen in arabische vertraut ist, der hätte niemals in reu obige» Irrthum verfallen können. Denn er würde gewußt haben, daß die Araber für den ihrem Alphabet abgehenden B.nchstaben I>. gerne ein ?. setzen, sowie sie für das ihnen gleichfalls fehlende v. stets L. gebrauchen. Die Verwandlung von Tipasa in Tiffesck und von Thcveste in Tebessa entspricht durchaus dieser Negel, Einen Uebergang zwischen dem römischen Namen Tipasa nud dein heutigen Tiffesch bildet der mittelalterliche arabische Name, welchen El Vekri anführt: Tifasch. Um so mehr ist cs zu verwundern, daß der Vater aller afrikanischen Touristen, Dr. Shaw, iu den oben erwähnten Irrthum gcrkth, den ihm seitdem Mehrere, unter Anderen Mon« seigneur Dupuch, der abgesetzte Bischof von Algier, iu seinen ,,I'll»t«» «li,«i^>8 äo 1'l^1i»e ä'^fri^us", nachbuchstabirt haben. Tipasa wird von Ptolemäos nicht erwähnt. Dieser Geograph kennt nur das Tipasa Mauritaniae. Das Itiuerar und die Peutingerische Tafel führen beide das Tipasa Numibiae an. Ersteres giebt ihm eine Entfernung von 93 Milliaricu von Cirta, was ziemlich zutreffend ist, da diese Entfernung etwa 130—140 Kilometer beträgt. Die Peutingerische Tafel giebt uns nicht die Entfernung zwischen ssirta und Tipasa, obgleich sie eine Straße über Castellum Fabatiauum (Auunah), Thibilis (Aw Babusch) und Capreria, von Cista naä) Tipasa führend, zeichnet. Aber die Tafel hat, wie schon oben gesagt, unterlassen, uns die Entfernung zwischen Eastellum Fabatianum und Cirta 2U8 anzugeben, so daß dieß auf alle Entfernungsangaben auf dieser Route störend einwirkt. Der Name Tipasa ist nack Oeseniuö phonicischen Ursprungs und wird von Beth Iphas (,2'Ni>) abgeleitet, welckeö „Haus des Goldes" bedeutet. Die Benennung von Tipasa kann also der von Thagaste, dem „Hause des Schatzes", ziemlich nahe. Ein phantastisch vom Zufall zustinnileugerütteltcr Nuinen-haufeu, ein Steinbruch, aus dem die Herren der Welt ihr Bau-Material bezogen, das war Alles, was jetzt noch an das einstige Tipasa Numidiae erinnert. Das Tipasa Nmnidiae wird als ein Visthum angeführt. Sein Bischof Firmuswuroe auf dem Concil von Constantinopel 553 erwähnt, wo nnr sehr wenige numidische Bischöfe gegenwärtig waren. Dieser Umstand spricht für die Bcdcntung des Bisthums uon Tipasa. Tiffesch liegt in einem der fruchtbarsten Thäler der Provinz Constantiue. Sein Ackerban schien jedoch vernachlässigt. Die umwohnenden Stämme zogen es offenbar vor, fich hauptsächlich mit Viehzucht zu beschäftigen. Eine Anzahl zerlumpter Beduinen kauerte auf den Trümmern des einstigen Municipiums. Als sie uns im Dorfe anhalten sahen, treuute sich plötzlich einer von der schmutzigen Masse seiuer Gefährten ab, mn auf uns zuzueilen. Nach einigen höflichen Begrüßungsworten in der Lingua franca, wie „Bono francis", „Bono besass", (d. h. der Franzose ist gut, sehr gut) fiug er an, uns zn fragen, ob wir arabisch verstünden — eine Frage, die wir bejahten, da wir nicht nur einen Mauren bei uns hatten, sondern anch ich im Stande war, mich ziemlich 29ft geläufig auf arabisch auszndrückeu. Mein liebenswürdiger Reisegefährte wollte jedoch weder Hamed noch nur die (5hre der Wortführung zukommen lassen. Eine verzeihliche Eitelkeit trieb ihn an,— ohne Zweifel, um uns seine, uns bisher unbekannten, philologischen Kenntnisse zu offenbaren, — selbst das Wort zu ergreifen und zwar auf arabisch. Wenigstens versicherte er mir später, daß es arabisch gewesen sei, un.d hade er besagtes Kauderwelsch, als solches, in Paris nicht ohne große Mühe erlernt. Aber keiner von den Kindern Ismails verstaub auch nur ein Wprt von besagtem Arabisch und nachdem sie lange verblüfft den Franzosen angestieit hatten, wendeten sie sich zuletzt an Hamed mit der Bitte, ermöge ihnen das „Fra-uzö fisch" meines Freundes, denn dafür hiellcu die ungebildeten Menschen sein Arabisch, übersetzen. Später kam es heraus, daß dies Kauderwelsch klassisches Arabisch seiu sollte. Einige audcre Araber, welche hinzugekommen waren, schnappten einige Worte auf und sagten, es fei wohl ein Arabisch, aber es fei tcin Arabisch, welches man verstehen tonne. Hamed hatte es anch nicht verstanden und konnte es folglich nicht übersehen, lich sich aber nun auf eigene Fanst mit den Arabern in's Gespräch ein und erfuhr von diesen, das; sie nnö nur deßhalb angeredet hatten, um uns zu warnen, unsern Weg weiter fortzusetzen, da die Gegend von Tisfesch nack Tcbessa höchst unsicher sei. Eilt gewisses verdächtiges Blinzeln mit dem einen Auge von Seiten des Wortführers der Araber, welches auf Hamcd gerichtet war, was jedoch dessen schläfriges Hirn nicht verstand, flößte mir den Verdacht ein, die Räuber, vor denen sie uns warnten, möchten wohl tcine Anderen, als unsere neuen Bekannten selber sein. Man wird 30l> unten sehen, das; ich mich nicht geirrt hatte. Die Biedermänner wollten uns nnr gleich hier unseren Frcipaß bezahlen lassen und sich so die Mühe ersparen, uns ans dem Wege auflauern zu müssen. Durch diesen zarten Wink, den der dumme Hamed nicht verstand, wünschten sie ein Geschäft mit uns einzuleiten. Ich theilte meinen Verdacht dem Franzosen mit und war, schon auf solche Falle durch ähnliche Erfahrungen anö meinen Nciseu im Orient vorbereitet, und wohl wissend, daß Nachgeben hier das Klügste sei, dafür, den Nänbcrn gleich hier nnseren Tribut zum Opfer ,m bringen. Aber mein Reisegefährte, ein echter Sohn Galliens, branste über die Anmaßung und Unverschämtheit dieser Spitzbuben auf. Lieber, als sich einem so demüthigenden Tribut zu unterwerfen, wollte er es darauf ankommen lassen, angegriffen zu werden und hoffte sich glänzend vertheidigen zu können. Aber er fah doch ein, daß wir zu Dreien diesen ränbcrischen Beduinen nicht gewachsen sein würden. Gr bot sich deßhalb an, in Person nach Suk-Harras zurückzukehren, um von dem Commandanten deö Vnrcan arabe sich zwei Svahiö zur Bedeckung auszubittcn. Wir hatten auf dieser Tour den sonstunvermcidliebcn Spalns nicht für nöthig erachtet, da Hamed diese Neisen schon einmal gemacht uud folglich al6 Wegweiser dienen konnte und zu etwas Anderem als zum Wegweiser ist doch kein Spahis etwas nntze. Wir waren also ganz ohne militärische Bedeckung nnd hätten wohl gethan, cö auch zu bleiben, denn der Schntz, den man von einein Spahis erhält, ist höchst precärer Natur. Ich konnte jedoch meinem Reisegefährten das Versprechen nicht verweigern, ihn hier in Tiffcfch zu erwarten, bis er mit den?Spahls zurückgekehrt sein würde. Ich schickte mich 301 also an, in einem kleinen arabischen Hanse den Nachmittag mid die Nacht zuzubringen, denn nun war an ein Weiterreisen für heute nicht mehr zu denken. Die Reise nach Sut^Harras und zurück nahm allein schon beinahe einen Tag in Anspruch. Um uns die Langeweile zu vertreiben, besuchte ich mit Hamed ein Gurbi, welches ein arabisches Kaffeehaus vorstellte, wo ich mich i>l Mitte unserer Spitzbuben befand. Hier begnügten sie sich nicht mehr mit Z'ichen und Blinzeln, um uns ihre wahre Absicht zu bekunden. Als wir angekommen waren, kalten sie noch gefürchtet, es möchten vielleicht mehrere Spahis nachkommen. Nickt als ob sie vor diesen große Äugst gehabt halten, aber sie wollten jeden Zeugen Dessen, was sie vorhatten, vermeiden. Diese Burschen waren nicht ohne Gemüthlichkeit) ich gewann fie ganz für mich, als ich ihnen erzählte, daß ich dafür gewesen sei, sie gleich mit einer Summe abzufinden, anstatt die Spahis zu holen, welche, wie ich mit Nichtigkeit voraussah, uns doch nichts helfen würden. Erst iu später Nacht kehrte der Franzose mit zwei arabi-fchcu Spahis zurück. „Glauben Sie," fragte ich ihn, „daß diese Burschen uuö viel uützcn werden?" „Ich glaube," entgcgneto er, „das; sich alle Araber entsetzlich vor Jedermann fürchten, der französische Uniform trägt." „In andern Theilen Algeriens," wandte ich ein, „mag dieß der Fall sein. Aber hier sind wir zunähe an der tunisischen Grenze. Unsere Berauber brauchen nnv einen 3i," und ließ mich gutmüthig ausplündern. Mein Reisegefährte war vernünftig genug, meinem Beispiele zu folgen. Dle plötzliche Flucht der Spahis, auf deren trügerische Eigenschaften und kühne Vertheidigung er sich so sehr verlassen, hatte auf ihn den Einfluß geübt, daß er vor sprachlosem Erstaunen wic erstarrt dastaud. Er hatte mit Sicherheit auf den Muth dieser Tapfern gerechnet. Die Räuber nahmen uns nur uuser Geld, Uhr, Ringe, kurz alles, woran Gold und Silber war, und ließen uns großmüthig im Besitz unserer Maulthicrc und des Gepäckes. Ihr gestriger Wortführer fragte dcu Franzosen jetzt spottend, wozu ihm die beiden Spasis genutzt hätten? Da aber die Frage nicht 304 in meines Reisegefährten — seinem in Paris erlernten — Arabisch gestellt worden war, so entging ihm die Pointe dieses ban-ditischcn Sartaömuö. Schon glaubten wir die Räuber los zu sein, als Plötzlich einer der davoneilenden Beduinen zurückge-sprengt kam und — zn unserem unendlichen Erstaunen — uns drei Duros, ungefähr 15 Franken, von den, gestohlenen Geld.' einhändigte, mit der Bemerkung, dies; geschehe uui in Rücksicht ans meine offen geäußerte Absicht und meinen Rath, schon in Tiffesch den Tribut au die Herren des Weges — so nannten sich euphemistisch die Räuber — zu zahlcu. Wäre mau jenem Rathe gefolgt, so würde uns dieser Tag nicht nnsere Uhren, nicht all' unser Geld, sondern nur einen Theil unserer Baarschaft gekostet haben, so meinte der Räuber. Diese 15 Franken, welche wir der Großmuth der Spitzbuben verdankten, kamen nicht unerwünscht. Denn erst in Te> bessa sollte es uns gelingen, uus baarcs Geld zu verschaffen und, wir waren noch über eine Tagereise davon entfernt. Da standen wir auf freiem Felde, allein mit unserer Noth. Niemand, dem wir sie hätten klagen köunen, denn die Spahis bekamen wir nicht wieder zu sehen. Mein Reisegefährte war sichtlich beschämt und sagte kein Wort. Hamev hing den Kopf und rieb sich zuweilen den Rücken, wo die Kolbenstoße, die ihm seine Glaubens-brüdcr versetzt, große blaue Mäler hinterlassen hatten. Mit ge-demüthigtcu ÄVicuen trateu wir unsere Weiterreise nach Kaör el Vu an, welches wir gegen Abeud erreichten, Kasr el Vu war ein kleines elendes Dorf, von Eingebor-nen bewohnt, wo wir Mühe hatten, Unterkommen zu finden. Hier wollte tomischer Wcise Niemand an unser Abenteuer glaw 305 ben. Der Scheikh des Orts wurde sogar zornig, als wir ihm die Sache erzählten. Er behauptete, wir übertrieben. — Spä-. ter erfuhr ich, daß er die ganze Sache nach Constantine berichtet 'habe, aber so, als wäre sie ganz wo anders nnd außerhalb seines Wirkungskreises vorgefallen. Hamed war oor lauter Schrecken so angegriffen, daß er sich nnt einem Fieber niederlegte. Am dritten Tage nach unserer Abreise von Suk-Harras, gen Abend, erreichten wir Tebcssa, wo ich zum Glück, vermöge eines Crcditbriefes an einen Specereihändler — deun diese Kleinhändler bilden die einzigen Banquiers der unbedeutenderen Orte von Afrita — mir rie Mittel verschaffen konnte, nnsere geleerten Taschen wieder zu filllcn. Bei besagtem Krämer wohnten wir auch, da Tebessa sick keines Gasthofes erfreute, und speisten mit ihm und semer Familie, in dem Speiscsaal, d. h. in dem Specereiladen. Anch in Tebessa hielt es schwer, die Lmte von der Wirklichkeit unseres Abenteuers zu überzeugen. Hamcd's Zeugniß lies; Niemand gelten: er lüge, damit ihm das Bureau arabe Entschädigung fiir sein gestohlenes Gut gäbe. Ich war hinreichend von der Justiz des Äurean arabe unterrichtet, wußte wohl, daß eine Entschädigung rein illusorisch, daß das Gestohlene unrettbar verloren sei und that deßhalb auch nicht die geringsten Schritte, um den Räubern nachsetzen zu lassen. ^Diese Biedermänner befanden sich ohne Zweifel längst schon in Sicherheit und erwarteten wahrscheinlich im Tunisischen die günstige Gelegenheit ab, ihren Streich wiederholen zu können. Tlici ^Zahie >»> ^lurdi?est>m von Ajnla. ll, 20 30« Achlcs Capitel. Tebessa. Da« autite Thcvcste. — Älömischcr Ursprung seiner Bewohner. — Wohnung bei einem „spic!«-". — r" selbst hatte eine Idee davon, was die alten Nömer gewesen seien! Dieß bewies schon der Einfiuß der archäo« 20* 308 logischm Emanationen, welche cms dieser antiken Stadt aufsteigen mußteu. Denn welcher Spcccreiträmcr in einer andern Stadt, als Tebessa, hätte von der Geschichte des Alterthums auch nur die blässeste Idee gehabt? Aber dieß war eben ein „spicier" don Tebefsa, der Nömerstadt! Unser erster Auögang in Tebessa sollte nur den Zweck haben, unö eine allgemeine Idee, einen ersten Eindruck, vou diesem Stück Rümerthum zu verschaffen. Wir gingen zwischen zwei Reihen niederer Hänser hin, welche, w^iu anch jetzt französirt, doch ihren wahren Ursprung deutlich verriethen. In einem arabischen Kaffeehaus ließen wir uns uieder, um hier auch die Bewohner genauer zu ejamiuireu, ob auch sie wirtlich Exemplare von überliefertem Nömerthum seien. „Sehen Sie diesen alten Mann," rief mir mein Reisegefährte zu, „sollte mau nicht sagen, Mariuö auf den Nuinen von Karthago?" Der alte Mann war in der That sehenswerth. Auf einem Haufen antiker Trümmer — denn, wenu in Tcbessa noch viele Nömcrhäufer stehen, so liegen doch noch viel mehr in Schutt und Asche — saß eiu Greis vou erhabcnenZügen. Ertrug da5 Haupt bloß und zeigte emekahle, aber edelgefonnte Denkerstirn, unter der ein paar Auge» uollKühuheir und Herrscherfinn hervorleuchteten. Sei« Mund war edel und stumm, feine Lippcu fein geschnittcu, seine Nafe start gebogen. Sein Körper war der Torso eineö Hercules, auf den» ein Priamushaupt ruhte. Seine Kleidung waren Lumpen, in die er sich malerisch drapirte. Er war zwar nur ein Bettler; aber Stolz, echter Nömcrstolz sprach aus seinen ausgehungerten Zügcu. Meiu Reisegefährte stand auf und brachte dem 3ttlj Bettler cine Tasse Kaffee. Der Alte nahm die Tasse, aber mit einem Blicke, würdig eines Scävola, welcher sagen wollte: „Ich erweise dir eine Gnade, o Fremdling, indem ich dieß von dir annehme!" Der alte Ma»n war ein einbalsamirter Nömer, der sich wunderbar beim Leben erhalten hatte. Aber der alte Mann war leider auch das einzige Exemplar vom lebendem Mmerthum, welches wir in Tebessa erblicken konnten. Die andern Einwohner, welche wir beobachteten, glichen den Arabern und Beduinen der Umgegend in ihren Physiognomien durchaus. Dieß wäre übrigens selbst dann nicht zum Verwundern, wenn sie auch wirtliche Nachkommen der einstigen Vewoh-uer von Theueste wären, denn unter die Bewohner einer Colonie mischten sich gewiß auch Eingeborne; und schon Strabo erwähnt, wie sehr die autochthonen Numideu den Arabern iu ihrer Gcsichtöbildnng glichen. Die einzelnen römischen Denkmäler dieser Stadt, welche keinen Stein moderner Zuhammg besitzt ,alle aufzuführen, wäre eine Arbeit, würdig eines Foliobaudeö. Eine vollkommen wohl erhaltene römische Pforte, ein Tempel, ähnlich dem von Nismes, welcher unter dem Namen „Maison carr^e" bekannt ist; eine Reihe römischer Thermen, ähnlich denen des Caracaüa in Nom; eine ausgedehnte Nelropole; ein Forum; eine Basilika und vor allen Dingen die Citadelle, eine wahrhaft imposante Steinmasse, welche mit ihren gigantischen Formen und ihren ausgedehnten Ringmauern an und für sich schon eine Art von Stadt bildete: das waren d»e Hauptgebäude. An den Steinen dieser Citadelle ließ sich die Geschichte von Tebessa lesen, nicht nnr aus ihren Inschriften, sondern vorzüglich auö der Zusammen» 810 sctznng ihres Materials, welches ans den Nesten dcr zerstörten Bauten der verschiedensten Epochen zusammengelesen war. Die Stadt Theoeste, welche zuerst Kaiser Hadrian durch seinen Statthalter Eccundus Metelluö hatte erbauen lassen, >rar zur Zeit der 3lö-merhcrrschaft selbst schon mehrmals von aufrührerischen numi-bischen Stämmen zerstört, aber jedesmal von den siegreichen Herren der Welt wieder auferbaut worden. Die Vandaleu zertrümmeren die Citadelle, die Vcsestigungswerke und die Stadtmauern und ließen die unglückliche römische Kolonie jeder WiN-kilr dcr cingeboreneu Stämme ausgesetzt. Um einen solchen Uebel abzuhelfen, führte nack dem Fall der Vandalenhen'sckast der Patlicius Salomon, der Iestnngserbauer von Afrika, die ic^t noch bestehende byzantinische Citadelle ans. Da dies; ein Werk der Noth und der Eile war, so wurde, wie bei allen Bau-ten des edelu Patricius, die Knust auch hier durchaus vernachlässigt, welche oynchin sckon zu jener Zeit bei lhrem tiefsten Verfall angekommen war. Dennoch imftonirt die Citadelle von Th eveste durch ihre Großartigkeit, wenn sie auch. was ihren Styl betrifft, als ein architektonisches Monstrum erscheinen muß. Wie alle Schöpfuugen des Nachfolgers Belisars, so ist sie nichts als eine Zusammenstellung des Baumaterials aller früheren Epochen, in der römische Säulenarchitrave ans der Blüthezeit der Kunst, Marmortafeln mit Inschriften aus dcr Epocke der colonialcn Wichtigkeit und Quadersteine römischer Kasernen mit numidischen Götzcnaltä'ren, plumpen Pilastern aus der christlichen, kunstarmen Epoche abwechseln und, zu einem bunten Chaos zusammengewürfelt, ein Ganzes bilden, dessen Zweck war, die siukcudc Macht Ostrom's in dieser lx'N Feinden 311 strotzenden Gegend aufrecht zu halten. Sonderbarerweise wurde diese Festung später von den Arabern nicht zerstört. Sle steht beinahe unversehrt noch heute — ein sprechendes Denkmal des Kunstverfalls zur Zeit ihrer Erbauung und der, freilich wenig ruhmreichen, Geschichte der byzantinischen Herrschaft in Afrika. Die Citadelle besteht auö zwei von einander abgeson» derten Hauptthcilen, welche nur durch die genlcinsame Nuig-mauer zu einem Ganzen geschaffen werden. In dem einen Theile hat man, seiner Aehnlichtcit wegen mit andern römischen Bauten gleicher Bestimmung, die byzantinische Kaserne wiedererkannt. Der andere Theil war, wie man ans hier gefundenen Inschriften entdeckt hat, eine Ärt von befestigtem Kloster. Seltsam bezeichnend für dieses Volt von theologischen Pfuschern, die Byzantiner, für dieses Volk, Welches Alles, selbst seinen vielgeliebten Circus vergaß, wenn es galt, über den Logos oder über die zwei Naturen in Christus zu disputircn, für dieseS Volt von Mönchen und Pfaffen, — daß ein Klostcr in der Citadelle einer großen Festungsstadt lag, daß ein Kloster einen der wichtigsten Theile seines Soldatenquartiers, der Citadelle, ausmachte! Mönche und Krieger lebten in einer Festung zusammen! — erstere vielleicht oft kriegerischer, als letztere, und diese oft mönchischer, als jenc, wie es das entartete Byzantinerthum mit sich brachte. Von den zahlreichen Wachtthürmen, welche die Ringmauer krönten, stehen jetzt noch zwölf aufrecht da. Man will gefnnden haben, daß diefe Thürme fo gestellt seien, daß sie mehr geeignet gewesen wären, den innern Raum, welchen die Ringmauer umschloß, zu beherrschen und zu bedrohen, als nach Außen hin wirksamen Schutz zu gewähren. Diejenigen Archä» 312 logcn, welche dieß behaupten, nehmen an, daß man oft Unruhen von den im Klosterhof des Sonntags versammelten Landleuten der Umgegend zu befürchten gehabt habe. Diese Landleute waren, wie alle Nnmiden, wahrscheinlich nur sehr oberflächliche Christen, zum Theil noch ganz nnbekehrt. Sie schlichen sich in die Citadelle, nnter dem Vorwand, mn die dort g'lestene Klosterkirche zu besuchen und um daselbst von den Mönchen im Christenthum unterrichtet zu werden; adcr in Wirklichkeit mochten sie wohl rft daran denken und es auch versucht haben, sich des Klosters sammt der Citadelle uon innen zn bemächtigen; deßhalb di^ nach Innen gerichteteten Befestignngswerke. Diese Theorie hat Einiges fiir sich; doch vermochte ich nicht, mich von der Nichtigkeit einer solchen strategischen Anlage der Thürme zu überzeugen. Befestigte Klöster waren übrigens zu jener Epoche keine Seltenheit; ein ähnliches, aber berühmteres, war das bei Karthago befindliche, in welchem im Jahre 545 der Gouverneur von Afrika, Areobindus, vor den sich auflehnenden Numiden Schutz fand. Die alte christliche Kirche Tebessas fand ich ebenfalls zum Theil wohlcrhalten. Sie besaß zwei Neihen korinthischer Sänlen, zwei Längenschiffe, in Absiden endigend, und trug ganz den Charakter einer Basilika. Ueber die Lage Thcvcste's an der Stelle Tebcssa's tann wohl kein Zweifel mehr übrig sein. Das Itinerarium Anto-niui fuhrt die Entfernung von Cirta nach Theveste als 137 Milliarieu an. Dies; entspricht vollkommen der neuen französischen Wegmessung, welche 188 Kilometer zwischen Constantine und Tebcssa angicbt. Ptolemäos nimmt einen Unterschied von 3" 40' geographischer Länge zwischen Cirta und Thcvcste an. 313 Tebessa liegt aber nur anderthalb Grad östlicher, als Konstantine. Hier mWe man also die Längengrade des Alexandriners noch kleiner annehmen, als sonst gewöhnlich in Algerien, wo man sie im Durchschnitt dreist ans die Hälfte rernciren kann. Gcsenius leitet den Namen Theveste von den phönicischen Worten Beth Ibeset (^^2'- 5,2) ab, welches „Haus der Trockenheit^ bedeutet, allerdings eine richtige, noch heute passende Benennung für Tebessa. Tebcssa spielt in der Kirchcngeschichte eine nicht nnbedeu-tende Rolle, weniger wegen des Concils von Donalisten, welches nach der Angabc des heiligen Optatns hier (apuä 1'K«w«t.1. nam oiviwtem) stattgefunden haben soll, als wegen des Martyriums vieler Heiligen der katholischen Kirche, dessen Zeuge diese Colonia gewesen ist. Die berühmtesten dieser Märtyrer sind die in Italien noch hochverehrte heilige Criöpina, welche 304 hier den Märtyrertod erlitt und der heilige Maximilianus, welcher nnler dem Proconsul Dion, imIahre 295, denZeugentod starb. Thcveste war schon Ml Jahre 25>5 ein Visthum. Die Namen vrn vier sciner Bischöfe sind uns überliefert worden. Ein Ausflug, welchen wir in der Nähe Tebcsfa's machten, führte uns an einen Steinbruch von kolossalen Dimensionen. Hier fanden wir nocb halbausgehauene Säulen, welche zweifelsohne für römische Prachtbauten bestimmt gewesen waren und die noch so dastanden, wie sie der Meißel deö weltbeherrschenden Volkes verlassen hatte. Einzelne der Steine, welche zu Boden lagen, waren mit angeschwemmtem Humus bedeckt, auf dem ein kleines Heer bunter Pflanzen seinen Farbenschmelz ergoß. Die Vueca ßlni-iosa erhob ihr, einer kleinen 3l4 Dattelpalme gleichendes Haupt. Eine Art der Affodile (^«-piiuälllu^ llinwsus), in 3 — 4 Acste getheilt, entfaltete ihre schilfarügen Blätter und öffnete «och, no!^ der bereits vorgerückten Jahreszeit, einzelne ihrer hyacinthenfönnigen sleischro» then Blüthen. Dazwischen wucherten, aromatisch duftend, dcr Thymian llllv das Ilcäiutru^iuui ^»6iuviauum. ^ieo Africanus erzählt von einem Volte oou Riesen, welches inTedcssa'ö^lähe gehaust hätte. Vielleicht, daß die sagculicbence Phantasie der Araber ans oen Mesenkammern dieses Steinbruchs «uf ein Htiesenvoll schloß wclches dieselben bewohnt haben müssc. „Nnn? habeli Sie vie Ruinen meiner Römerstadt gesehen ?" fragte unscr ^öirlh beim Abeudcssen im Specereiladcn, welches die einzige,,wbi6 cl'iwtL^ in Tcbessa war. Der verruchte „6pici«i''° nannte Thcucste seine Niimcrstadt. „Sie sino sehr inlcrl!ssant," sagte incin Reisegefährte. ,,Ia! Aber das Schönste in Tcbcssa haben Sie noch nicht gesehen," ricf trinmphircnd der Spccereiträmcr. „Rnu? Und da^i wäre?" fragten wir neugierig. „6ö ist die Statnctte einer Venus, welche ich in den Ruinen entdeckt habe, nno die ich in einem leeren Tyruptopf in meinem ^aden aufbewahre," erklärte der Gewmzhändlcr: Er holte sie hcrvor ans dem Tyruptopf, scine „Vcnuö", zeigte sie nnö mit strahlenden Blicken, und was sahen wir? — Eine lk'ine vergilbte, halbzcrquclschte Figur aus Papiermache oder Steinpappe, auf welcher ich einige Fabritzcichcn aus — Nürnberg erblicken tonnte. lnpziH, Truil ion A, ^d^,nann.