Srei Jalne im Nordluesten von Afrita. RelseW Algerien und Marokko von Heinrich Freiherr von Maltzan. Erster Band.! Leipzig. 18N3. Verlag der Dttrr'schen Buchhandlung. Vorwort. Zwei Dinge sind eö. welche ick bet Mf^'ichnnng dieser Erinnerungen ans meinen dreijcchriqcn Reisen in Afrika besonders iin Auge ssehabt habe. Einmal wollte ich ein möglichst getreues Charakterbild der Völker des Maghreb lNordwesten von Afrika) dein Leser in ansprnchlosem Gewände vorsübren. Dann ir>ar es mein Streben, ans die historisch denkwürdigen Theile dieser liegenden, weläie dem großenPnblicnm noch sowenig bekannt sind, namentlich die zahlreichen Monnmente des alten weltbebemchenden Volkes, der Römer, anfmerksam zn machen nnd sie Mn Theil ix Anschannng ,;n bringen. So hoffe ich, loerden diese Blätter nicht einzig nnd allein eine Nnterlialtnngskxtnre bilden-Daß sie jedock letzteres zugleich anch sein möchten. ist mein heißester Wnnsch. Die Neiscn, welche hier zn einem Ganten verschtnol^en erscheinen, sind nicht, wie man ans dein Titel vielleicht schlie hen möchte, in drei sich unmittelbar ans einander folgenden Jahren gemacht worden. Es sind eigentlich fünf verschiedene Reisen. Die ,ul diesen fünf Reisen gebrauchte Zeit ergab die IV Summe von drei fahren, welche den Titel des Werkes bildet. Die Reisen sind auch nicht alle in derjenigen Ordnung ge macht worden, in welcher sie hier erscheinen. Der geogra-phische Zusammenhang mnßte gewahrt nnd deßhalb vft ein Land eher geschildert werden, als ein anderes, das ich doch früher bereist babe. Mehrere der geschilderten Gegenden habe ich zweimal bereist, nnd in einer zweiten Reise die Me moiren der ersten vervollständigt. Die Angabe der Dateif schien mir bei diesen chronologischen Vedingnngen nnr verun'r^ rend für den Leser Iverden zn können. Ich habe mich des; halb der Daten, die überdieft einer Reise immer das Lang' weilige eines Tagebuches geben, meistens enthalten. Anch sei hier gesagt, daß jede der einzelnen Reisen ursprünglich bestimmt war. ein abgeschlossenes Ganzes für sich zn bilden. Diese Erklärungen schienen mir masigebNch, damit der Leser sich nicht an gewisse scheinbare InconseauenM oder etwa vorkommende Wiederholungen stoße. Die arabischen Ramen nnd Wörter, nnvermeidlich in einem Werte über Gegenden, in denen die arabische Sprache herrscht, habe ich annähernd dnrch deutsche Buchstaben so auszudrücken gesucht, daß man keines der uus gewöhn ^ ten Schriftlichen auf fremdländische Weise aueznsprechen brancht, nm das Wort annähernd richtig zu leseu. Alle die vou mir angeführten Wörter gehören dem Dialect Algeriens und Marokkos an. Dieser Dialect hat einige kleine Eigen thümlichkeueu. Z. B. das <^> ^Ta) wird nicht wie T, sondern meist wie Ts oder unser deutsches Z ausgesprochen, das^ (Wan^ ist kein MLant, sondern stetö ein U. Anch liebt es V dieser Dialect zuweilen Buchstab«! zu versetzen. So sagt mau Hamed statt Ahmed, Khadar statt Akhdar. Oft tritt ein langes E an die Stelle'dei A, so heißt es U6d (Fluß) und uicht Ulld, und uock weniger Wad. Das arabische ^ babe ich durch Kh, nicht durch Ch wiedergegeben, da mir letzterer Laut uicht stark qenuq scheint. Das O, welches man am Schluh selir vieler, ailf Vocallaute endender Wörter finden wird, dient meist als Verlängerungszeichen desVocales und wird nicht aspirin. Die feineren Unterscheidungen der Aussprache sich abneluder Buchstaben hier alle wiedergegeben zu finden, das würde doch nur für den Orientalisten ^N' teresse habe». Dennoch habe ich sie überall da, wo es nicht zu auffallend ausgesehen haben würde, beibehalten. Das ^)", den stärksten S°Laut habe ich durch ft, das <^>^, den nahezn gleichstarten SLant, durch ss. das,', den weichsten S-Laut, durch S gegeben. Dennoch habe ich mich nicht entschließen tonnen, ein Wort mit einem Doppel-S anfangen zu lasseu. Uebrigens bemerke ich, daß ich alle arabischeu Namen und Wörter so gebe, wie sie im Voltsmunde vor-kommen nnd nicht etwa so, wie sie im klassischen Arabisch geschrieben werden. Wollte ich das letztere versuchen, leiu Algierer würde eiu Wort in solcher Form wiedererkennen. Dieß sei nur deßhalb bemerkt, damit man nicht glaube, es sei ein Resultat fehlerhafter Orthographie, wcuu ich mauche Worter ganz anders schreibe, als Tonristen, welche über andere von Arabern bewohnte Lander, z. B. Aegypten und Palästina geschrieben haben, wo sie, beiläufig gesagt, anch nicht das klassische Arabisch zur Nichtschnnr nahmen, sondern stets einen Dialect. Denn, wer das Tannin nnd die Schlußvocale der Declinationen wegläßt, der schreibt nicht klassisches Arabisch. Was die Namen solcher Orte betrifft, welche unter nichtarabischen, (d. h. zwar ursprünglich anch ambischen, aber enropäisirten) Benennungen bekannt sind, wie Algier, Bougie, Oran, Tanger, Marokko nnd viele andere, so habe ich diese Städtenamen, nm Auffallendes zu vermeiden, in der üblichen ^orm angeführt. Die Namen derjenigen Orte jedoch, welche die Franzosen noch unverändert mit arabischen Namen benennen, wie: Echerschell, Masnnad, Masaaran, Ätedeah, Dschidscheli u. s. w., habe ich nach der arabischen Aussprache mit deutschen Schriftzeichen wieder gegeben und nicht in der französischen ^orm, also nicht lHerclikii, Nn/ounli.. ^l^/nZ!'»ii. Nl>6ö^, D^ic^^ii. da diese Namen ja nicht französisch sind. > Leipzig, ain 14. Tcptcmber 18l',^i. Der Verfasser. Inhalts -Verzeichltiß. . Erste« Guch., Hlgicr. ^eu. Erstes Capitel. Antunft in Afrila. Abfahtt von Mal-stille. — Mistral. — Die Koje. — Gehaucht nach Afrika. — Ankunft iu Algier. — Die weiße Pyramide. — Die User der Rhebe. — Place du Gouvernement. - Große Moschee. — Iuneres. — Gcschiä)tc — Mcdranua......., . ^ gweites Capitel. Algier, die Stadt. Dschema el Dschc-did. — Kreiizesform. — Der Ritus Hancfi. — Der Nituö Maleki. — Die Dschemna. — Ali Kodscha Pascha. — Die Ianitscharenempörnug, — Statue aus dem Iulilömgchum, -— Die Kathedrale. — Die Straßen Bab-Asun und Bab-cl Ued. — V^auiischc Häuser. — Inneres. — Hof. — Dic Bibliothek. — Herr Bresnicr. — Berbrugger. — Die bevorstehend-Zerstörung. — Die Bazars. — Arabische ilunstwaaren. — 'Metz wird in Paris gemacht. - Der Orient ist nicht mehr iui Orient.................. ><> Drittes Capitel. Die Vicekönia,e von Algier. Mai> schall N. — Das Diucr, — Dic ^camteuegattin, — O'est tr«» f«oi1«. — O'k!8t tout tl s»it iinzioßlzidi«. — Der Feld-^ug in der Sänfte. — Der schalkhafte Adjutant. — Das Vureau arads. — Die GescÜschast der Kolonie. — Die militärisch abgerichtete Marschallm. — Moderne Rrmanhelden. — Htangel an präsental'len Damen. — Eine geschminkte Tonnstin. — Der nenc Gonvcrucur. — Dessen sarcastischc Anreden. — Der «Vchmeerbaüch. — Die Glatze. — Die rothe Nase, — Derbe Scherz«-. — Die Kanonen von Malatoff........^.'l Viertes Capitel. Algiers nächste Umgebung, Die Kubba Sidi Abb-ei>Nhamanö. — Iardiu Marcngo. — Zoologischer Garten. — Deutmal Viapolcon des Ersten. — II »vait rLvti eott« eouc^uätt«. — Das Gesnndheittzquartier. — ?"a3 I^ort ci« viu^t ^uiiti'« liciui'o«. — Ein neuer katholischer Heiliger. — ^as Fort dcö Äaiscrs. — Car! V. vor Algier. Mustapha 8up6ri6ur. — Der Paschalücnkel als Kleidcronginal. ^8,i'6in (i'l^L^lUx. — Ng,i80ii Oai'i' Fünftes Capitel- DerHafcn vonAlgie r. Die 4 Inseln. — Seeräuberthmn. — Errichtung des Pcgnon. — Arudsch Bär-barossa und der letzte arabische .Nönig von Algier. — Verlassenheit dcö Pegnon. — Einnahme desselben, — Der Damm des Khcir-ed-Din. — Das Hafenbafsin. — Der Heilige des Hafens. — Ein Ghut — 285000 Uebel. - Heilung der Unfrnchibaren. — Die mystische Verdoppelung eines Leichnams. . . . . ^i^ Sechstes Capitel. Mauren nnd Morcstcn. Vetanut- schaft mit Eingebonieu. ^ Manren, — Ursprung, —- Phystog' VI11 Seile nomien. — Kleidung. - Morcslcn. — Ihre Gcspenstertracht. -^ Ihr Hauscostüm. — Die für Geld gezeigten Morctzkcu. — 3 maurische nnverschlcicrte Schönhciteü. — Die fette Harems-schönhcit. — Die Nbitsa. — H>'allrischc Handwcrtcr. — Genügsamkeit der Äcaurcn. — Armuth dersclbcn......48 Siebentes Capitel. Die Bcblliucu. Der Beduine ncnnt sich selbst Araber. . Was ist sein wahrer Ursprung? — Der Einfluß Karthago's auf die Bcrberstämme, — Die Arabisiruug bei Kabylcn. — Es gicbt 3 Klassen von Beduinen. — Die Beduinen als Ackerbauer. — Ihre Tracht. — Ihre Frauen stud ihre ^astthiere...............U5 Achtes Capitel. Tie Kabylen. Der autochthone Berber. Seine Sprache nnd Eprachvcrwandtschaften. — Tie Kabylen in Algicr. — Schnnitz nnd ihre ^icbc;lmi ^cl. — Fürchterlicher Gei; der Ä'abylen. — Warum es keine ^umpmsammler iu der Kabylie ^icbt. — Die Bitzklihö, — Stiefelplcher. — ?er schöne Hassan. — Die M'zabitcn. — Babelncchte. — Die Protestanten des Islams. - Die Neger. — Freihcitvrä'nschc. — Negerinnen. — Cultnö der Dschin. — Opferfcst. — Die Juden. — Schmuhl ans Paris nnd Schmuhl ans Algier. ^ Tie falschen „moi-isli laäies" in London. — Der Hauptschwindlcr al^ Nabob.................7> Neuntes Capitel, Ein maurisches Bad. Das Hammam Sidna. — Gespcnslertracht. — Schwitzproceß. — Kneten und Reiben. — Heißerer ^3aal, —Seifenschaum. — Erstickender Turban. — Siesta uach dem Bade. — Wohlbehagen. — Beliebtheit der maurischen Bäder............«1 Zehntes Capitel. Arabische Stunde. Hadjch M'ohamed. — Lingna franca. — Kanderwclsch. — Conversation in der Lingua franca. Alterthum dieser Lprache, — Ihre Geschichte. — scholl Meliere dnnite sie. ,.I>ll Iliu^ue gn,I)ir.^ — Arabische Lehrmethode. Seltsame Gewohnheiten des Hadsch. — Er waudert ani< uub tommt ellltänscht wieder. — Mein zweiter arabischer Lehrer. ^ Ein Greis mit vielen Frauen. — Arabische Musik................«-'. Glftes Capitel. Eiue algierische Familie. Weitere Bekanntschaft mit Maurcu. — ,yamcd. — Eitelkeit. — Plan, einen Harem zn sehen. — W, — Die rothbemalte Katze. - Sie muß als Wertzcng im Stratagem dienen. — Eindringen in den Harem. — Enitäuschun.q. — Schmintstudi^n der Üliore^ten. — Das Hcnnah. , . '............'.^ Iwölfteö Capitel. Ein algerischer Typns. Der aUe Hadsch. — Seine Reiselust. — Seine Sympathie sür Europäer. — Porträt. — Die Duiira. — UnbequenUichletleu eines maurischen Junggesellen. -— Die lileiseerinncruugen des Hadsch. — Ein Jahr m Melka. — Der Hadsch in Parit«. — Aenniiches ^!eben nnd pomphaftes Wohnen. — Der Paschasschwiegersohn. IX Sell« — Dei Habsch imb Hussein Dey. — Sein Klagen über das Autzsterbeu der Men Mauren...........^»8 Dreizehntes Capitel, <5iue Schneide rbude in Algier. Algierische Sckneidel, — .Kaffeehaus. — Baibierstnbe. — Das Hanuts. — Läden zum Daninienfitzeu. — Die Schneiderbude des MZ^llem. — Der Älethnsalah der Schneiderbude. — Der Pilger ohuc cigne« Zuthun. — Die Kl,ua„« oder religiösen Orden. — Der witzige Umvisselide und der alberne Gelehrte. — Ein starrköpfiger' alter Mliselinaun. — Der junge Verschwender. — Der Plötzlich reichgewordene alte Schulmeister. N0 Zweites Guch. Die Prouily Algier. Erstes Capitel. Stäliöli. Hochebene von Stlluiili. — Sidi Ferudsch. — Landung der ssran;ojen. — Die siege«« gewissen Ianitjcharen, ..... Dle Schlacht bei Sluuöli. — Erster Angriff. — Unregelmäßige Reiterei lind regelmäßige Insan» terie. — Der Sieg. — Vestjlrnnmg Algiers. — Einnahme, — Das Traftpistentloster. — Der „Püre." ^ Qualen der Fasten^eii. — Die nensiebacteue Madl,nn,a.......125 Zweites Capitel. Blidah. Die irdene MeNdscba. — Ihr ?1luf bc« deu Araberu. — i^l Blifarit, — Veni Meied. — Bllbah^ erster Anblick. Die ilrangtüvase. — Wechseltampf um Blidab's Besitz. — Die Stadt der Zuaven. — Der Oranqlü'vlatz. — Die Ufer des U8c> el Kebir. — Marabut. !:^ Drittes Capitel. Mebeab. Weg von Blivah „ach Medeah. IciiN'ille. - ^,ie Schluchten der Schiffa. — Das Musajah« gebllge. — Erster Äliblick von Mcreah, — Nordische Land' icbast. — Dei vi,',nlsche Aquadutt. — Erste Einnahme durch die Hranzoscn.— Mustaphci'ö Vertheidiguug nudVist. — Das ^c^lto des Iliamt? — Sageolreis. — Die beiden Dynastien v>.'ll !>Diaurit>inien. — Größe des Denkmals. --Verbru^gc!,'«« Ez,ploratloi>. — Die doppelte Bekleidung des Mausoleums. — Tipasa Mauritauiae. — Die Stadt der Miilylvr und Wunder..............151 Fünftes Capitel. Scheuchet. Klagen über Elend der Co« lvmsten. — Der Colonist in Afr'ta ein officielle« Spielzeug. — Der Ominous. — Die Colonie Zürich. — Scherichell. — Hotel. — Der altrömijche Hase». — Die Neges inservieutes. — Die Bischöfe von Cäsarea. — Das ^iuseum. — Archäo-logi'cher Kpauerqaucl. - Ein ^ütdeller >vi0cr Willm. . . l'i^ Techftes Capitel. M iliaua»,. Da« Ällleau arabe die wahre Regierung ^e^ ^noee. — Nttl vou Älibah nach Milianah. — Schifja. — Officielle Colonisation. — TanaramusaCastra. —Cl Seite ^lffrun. — 5,'nstia.e« Treiben der Pariser Colouiss en. — Löwenbra' ten und i,'öwenja^d Mliauab. — Da» römische Malliana. — >5in Locns obsniruo. — ^arniso,!. — Tie „^epbM". — Die falsche ^iisselratte. - Fabncirte cmtife Inschriften.....>?« Tiebentes Capitel. Dc>5 Scheliffthal. Der jüdische Vc>. aabn„d c>!« Gcsanqener nub Reisebc.ileitcr. — Der Sckeliff. — Dal« ^etreidemtcr. — 9iachjlaa,er bei, den Veni Naschid. — l7.uale>, der Nacht. — Vmckiedene Arten arabischer Gastsreund" lchllft. — AiiNl'N't l,eim Echeitb der Mad Ia'l'a. — Magere» MttllssSbrod. — Cactusbaine. — ?ie Mmcrsiraße. — liqavll ,!'iuni^viilüi. ^ Naclill.^er bei den Ulad Kbciir. — Landschaft. 18!» Achtes Eavit«l. ^rleausville. ?as neufr.nnüsMc Stäbt-ll)u ^rleansoille nach Masunah. — Ein Stteick de« gefangen Bcttcljudeli. — ^lachtquattier beim Kaid der Sbeah. D's Dahraba/dirqc. -^ 'Hiasunah. — lieutenant Lucas. — seine arabisch« Gattin. — Ahmed Ben Iussuf als Prophet. — Bu Ma'ab'b ssrcibeitstampf. — Vesnch der (^lottcn von ssrcschicl). - ?ie Verbrennnn.q des Ztammcs der 3,^eui Namah. — ?er Wasserfall von '.!)lasnnah...........2^' Zweites Eapitel, ^>.>i ostassan e m. Anfbruch von Mli'unah. — Flucht des gefangenen Netteljxden, — Nacktlaqer beim Stamme der schörfa. - Der Schcliff, der Chinalaph des Ptolemäos. — Trei Colouistendörser. — Der alte Ianitschare als Äaffccwirth. — Systc>n des Kopfabschncidms. — Antunst in Mostagancm. — Der unhöfliche Capital, bcS Vureau arabe. — Die '„Turcos." — Ealtadia. -^ ?ll>mcd ^en Inssuf's >^chmä!)ndc iibcr Mosta^aucm, ........... 2<'^ Drittes Capitel. Majoran. 3a Malta. Sumpssteqend. — Hiasaqrali. — Ver;weisrlle VeKheidiqnnss dei« Foits durch die „Zeplww". — Der <5nt^!5. — La Stidia. — Die hren-siischcu < 0'lll,,;,f!cii rrn Aftüa. < E r sN's Capital. Ankunft in Afrika. Adsahrt von Viavjcille. — Älistral. — Dlc Kojc. — H^hnsucht nach Afnta. — Aukliufc ill Algicr. ^ Tic wcißc Pymnude. — Dic Ufer der Rhcdc. -- Placc du Gouvcvnenicitt. — Große Muschec. — Iuncres. — (scschiänc. — Ätesraiuia. Das Meer sah spic^lglall ^ns, alö wir auc> dem Haftn dcr urnlti^n Photäerstädt Marseille auöfuhrc». Vald seilten '.uir an der beriil)mtcn Insclftflung, dem Cha» t>.'au d'If vorüber: cine graue, schwcnnüthige Masse, ans zackigen Kalksteinfelseu lind düstern Kcrkermanern bestehend, welche gleich ^incr Niesensphinx ob dem tiefblauen Mittelmeere thronte. Gin mitreisender schwiudsiichtiger Franzose, dcu seine tränke Lunge nach Algier tricb, schien mit tics'cm Interesse das Kerkcreiland anzns6)aneu. Da ich ihn kannte, so fragte ich nach dein Motiv seines Interesses. „Ist ntcht das Chateau d'If," so erwiederte er, „das Gefängnis; eines großen Mannes gewesen?" „Sie meinen Mirabccm?" wandte ich m». „Mirabcan?" hauchte der verletzte Lungenflügel, „ich habe 4 von ihm gehört. Aber er intercfsirt mick nicht. Ich meine den Grafen von Montcchristo!" Der gnte Mann war einTpYuö der meisten modernen Franzosen. Alexander Dumas ist Ihnen mel,r als Geschichte. Lange dauerte jedoch der Friede auf dcn ssluthen nicht. Gin ti'chler Nord»vind hatte nns vo:n Lande ans begleitet, der sick weiter zu einem entsetzlichen Mistral gestaltete, und zuletzt die dampfbeschwingte Diele mit Stnrmcsgcwalt vor sich her. peitschte. Zum Glück war der Wind der Richtung nack ein günstiger. Dies hinderte freilich nicht im Geringsten, daß bald das Stöhnen und Seufzen der weisenden, nebst Geschrei nach Waschbecken nm die Wette begann. Fast Alle sanken der so miaugcnehmen und doch dem gesunden Zusckaner so lächerlich oorkommendcn Seekrankheit in die Arme. Einige wollten trotz des hohen Wellenschlages dem Verdecke treu bleiben, wurden aber bald von den Wogen höchst unfreundlich heimgesucht. Die Klügsten zogen sich in ihre Koje zurück und nahmen dort die horizontale Lage an, die am Ende noch das beste Palliativmittel gegen das Meerleiden bildet. Die Koje ist ans allen Meeren dasselbe enge viereckig? Kästchen, halb Sarg, halb Schieblade, in dem man gewöhnlich eine erstickende knft cinathmet. Und doch vermochte ich in dem Ding zu schlafen, ja zn lesen, am besten aber von Afrika zu phantasiren. Langgctränmteö seltsames Land der Wunder, der fremden Trachten, Sprachen und Sitten, der schlanken Minarets, der Wüsten und Oasen, wie lieblich schlummertest du in meinem Gehirn, nnfähig freilich dich zu realisircn, so wie ich 5 dich geracht. Und doch hast du mich nicht enttäuscht! Ich fand in dir nicht die Poesie, die ich am Ende auch nickt suchte. Aber ich fand viel Sehenöwerthes, Seltsames und Merkwürdiges in Buntheit der Erscheinungen, Wechsel der Formen, Sittm und Gewohnheiten, Anschauungen nlid Leben: dem Touristen reichlicher Lohn. Am zweiten Morgcn in der Koje liegend, lMe ich aus dem ^Gespräch meiner Nachbarn, daß das Festland sichtbar sei, Ich ging aber erst aufö Deck, als die Seekrankheit bereitende Wellenbewegung aufgehört hatte und wir bercits in aller Sicherheit hinter dem großen Hafeudamme Algiers eingelaufen waren. Jeder der französische Reiseeiudrücke über dies Land gelesen hat, weiß, daß cöMode ist, Algier mit einer ,,i^ramiäo dianoku" zu vergleichen. Die abgedroschensten Vergleiche sind fast immer die treffendsten; so auch dicser. Der häuscrnberladene, spitze Hiigel gleicht wirklich auf der Seeseite täuschend einer Pyramide, bereu Weiße nicht einmal uou dunklcrn Dächern gestört wirb, denn noch war der obere Theil der Stadt fast ganz maurisch und die Häuser von blendend weißen Terrassen gekrönt. Aber nicht die Stadt war es, die meine ersten Blicke aufs Angenehmste fesselte. Znr Seite Algiers streckt sich halbmondförmig das Ufer der Nhedc, ein reizend« Stück Südnatur. Dort reihen sich liebliche Villen an Villen, die mit ihren weißen Kuppeln leuchtend aus dein Grün der Orangen, Lorbeeren, Granaten, der Cactus und Agaven und anderer südlicher Prachtgewächse hervorragen. Nach dem in der Koje ausgestandenen Elend begrüßte mich das lachcure Ufer, überslralilt o^n en^m tiefblauen wolkenlosen Himmel, gll/ick cincr hehren Vision von einem geträuiutcn Fabeln land. Die niedere Landschaft im Glänze südlichen Farbenschmelzes prangend, die lieblichen Hügel des Uferlandes, die schneebedeckten Gipfel des Atlas und die zackigen grauen Felsen des fernen Dschcrdschcra der Habylic: Alle« dicö übertraf weit meine Erwartungen, denu ans Naturschönheitcu war ich so gut wie gar nicht gefaßt gewesen. Die Touristen haben Algier bis jetzt fast immer von der Militärischen nnd statistischen Seite allein aufgefaßt. Daß das Land schön zum Entzücken sei, hat bis jetzt noch Niemand gesagt. Und doch ist es so! In Deutschland gar bilret man sich ein, Algier sei von cincr Nrt von Halb-» wüste umgebcn. Daß das Ufer manche landschaftlichen Schönheiten der üppigen Ebenen Italiens mit dem wildromantischen Zauber stolzer Gcbirgslmien, dcren tühneZeichnuugen au die Schweiz erinnern, vereinigt: das ahnt Icicmand, der nicht hierher kam. Jetzt fing das Geschäft des Landens an. Kaum waren wir im Hafen angelangt, als eine ganze Bande zerlumpter und halbnackter, von Schmutz strotzender Araber sich nber's Deck ergoß. Ein Zetergeschrei nach Koffer», Nachtsäckcn und Hutschachteln begann nun. Icder der zerlumpten Packtuechte suchte sich unaufgefordert irgend eines Gepäckstückes zu bemächtigen und rannte dann im Jubel mit dem Erbenteten davon. Der Reisende tonnte sehen, daß cr nackt'am, um sein Gepäck nicht zu verlieren. Oft war dies schwer; denn der Träger des Nachtsackes lief links, der Koffer rechts, die Hutschachtel grad ans. Im Gefolge diefer halbnackten Jünglinge wurde man nun nnt ans Ufer gefckleppt. Dort empfing uns eine Schaar befrackter, rafsinirt aussehender Lohnbedientcn mit Gasthofsempfehlun- 7 gen. Ich siel einem kleinen Mann mit einem stachligen, sckwar-zen Kinnbärtcheu in die Hände, d?r mich denn auch glücklich nach dem Hotel dc laNcgen« beförderte. Dieses, von cincm wohlbeleibten, durch seine echt provenzalische Grobheit berühmten Marsciller gehalten, befindet sich auf dem Gouvernementsplatz, jenem Haupt» tummclplatz aller Algierer, jener Herzkammer der ganzen Start, in welche alle Hauptstraßen ausmünden. Hier herrscht stets das regste und bunteste Leben. Dieser Platz ist einzig in seiner Art, denn er bietet aus dem Mittelpunkte des bewegtesten Lebens und Treibens, zugleich, in der reizenden Aussicht auf die blühen» den Ufer der Nhede und das tiefduntlc Mittelmeer, einen reichen Naturgenuß. Der Weg vom Landungsorte zu dem Gouvcrncmenlsplatz führte mich durch die Rue de la Marine. In dieser Straße überrascht der Anblick der großen Hauptmoschcc von Algier, der Dschema el kebir: ein echt maurisches Gebäude. Leider fehlt freilich den Moscheen des Maghrebs jene har« monisch geordnete glänzende Außenfeite, welche wir in der Architcctnr des Orients bewundern. Auch diese hat wie fast alle andern eigentlich leine Facade. Auf der Straßenseite freilich befindet sich ein schöner, wcißmarmorner Por-ticus mit zahleichen Hufciseubogen, deren innerer Schnörkel phantastisch gezackt ist. Ich begrüßte in diesen graziösen Formen den ersten Hauch des phantastischen Orients, von dem ich so viel geträumt hatte und der jetzt anfing sich mir zu offenbaren. Wer aber beschreibt meine Enttäuschung, al« ick später erfuhr, daß eben dieser mir so orientalisch fchcinenve luftige Porticuö Niemanden Andres seine Entstehung verdanke, als —dcn Franzosen. 8 Durch diese Säulenhalle gelangt mau in einen viereckigen inneren Hof, wo eine reichverzierte Marmor-Fontäne ihr Wasser nach allen Richtungen Einspritzt. Dort verrichten die Gläubigen ihre oft sehr sonderbaren und weitgetriebcnen Waschungen. Rechts ist dann die eigentliche Moschee, innen durchaus leer und schmucklos. Mr vie Kibleh, die kleine Nische, welche die Richtung von Metta andeutet, trägt jene stalaltitenartigen Stuck-Verzierungen an dcr Decke, die man von der Alhambra bis nach Tripolis in jedem maurischen Tempel oder Palast bewundert. Eine schöne Kuppel wölbt den einfachen Betsaal. Der viereckige Minaret gleicht einem italienischen Campanile und ist sicher verwandten Ursprungs. War doch ganz Afrika einst mit christlichen Basiliken und Glockenthürmeu bcsäct, in deren Bauart man weströmischen Vorbildern aus den ersten vier Jahrhunderten des Christenthums folg:e, während in Asien sich friih der byzantinische Styl ausbildete. Die zeltgewohnten Araber, welche einer selbslständigen Architcctur gebrachen, nahmen in den von ihnen unterjochten Bändern meist die christliche Kunst zum Vorbilde. So ist auch Algiers Hauptminaret nichts Andres als ein hoher, viereckiger Thurm, dessen Wände von Stuckverzieruugen überdeckt sind. Nah am Gipfel schlingt sich eine Altane rings herum, von welcher der Mueddin zu den Gebetesstunden ruft. Den Gipfel selbst krönt die lleine weiße Fahne, welche täglich zu den fünf Gebetszeiten aufgezogen wird. Nnks von der Fontäne im innern Hofraum ist der lleine rothe Kioötdes obersten Mnfti, in welchem dieser seine Amtsgewalt ausübt. Dort sah ich oft diesen Würdenträger, ein verschrumpfteö alles Männchen mit langem, weißen Barte, auf dem Divan 9 sitzen, umgeben von Kadi's, Ulema's, Mueodins, die seiner Be» fehle harrten. Unweit davon in'dem Vorhof unter freiem Himmel wird die Schule des Korans von de« Tolba (Schristgelehrtcn) abge^ halten. Dort tan» man täglich eine kleine Schaar halbnackter brauner Jünglinge in l,alb kauernder, halb hockender Stellung das vom Himmel gefallene Buch studiren sehen. Diese Hauptmoschec, Dschcma el tcbir genannt, wurde wahrscheinlich zu Anfang des 14. Jahrhunderts gegrnudet. Ihr Minaret trägt eine Inschrift vom Jahre 1322. Ihr Entstehen scheint die Epoche des Aufschwungs Algiers zu seiner ueuen Größe bezeichnet zu haben; denn das vorher so unbedeutende Mesranna, wie Algier früher hieß, begann von nun an sich schnell ;u dcm mächtigen Dfchesa'ir der Corsaren und Ianit-scharrn zn .'rh^ben. Dem Töpfersohn von Lesbos, Arudsch Barbarossa, und seinem Bruder, dem Seeräuber Kheir-ed-Din, war es vorbchal' ten, auö dieser Colonie der Gefährte» des Hercules, welchen das Alterthum die Griluoung Algiers zuschrieb, aus dem römischen Icosium, dem arabischen Mesranua, eine Hauptstadt zu machen. l0 Zweites Capitel. Algier, die Stadt. D jene plunlpen europäischen Häusermassen, um deren Willen man jetzt alle diese niedlichen Bonboniören, welch? n^an maurische Häuser nennt, niederreißt. Das Erdgeschoß dies« llcinin Paläste besteht gewöhnlich: aus einer länglichen, mit Marmor reich verzierten Vorhalle, dem Aufenthaltsorte der Tieucr; und einer gewölbten geräumigen Säulenhalle, dazu bestimmt, als Empfangssaal für die männlichen Besucher zu dienen, denn in den obern Theil des Hauses dringt nie ein profaner männlicher Schritt, (iine gewöhnlich nüt Porcellantafcln (AznlejoS) ausgeschmückte Treppe führt in das erste Stockwert des Hauses. In diesem befindet sich der von Sä'ulcnarcaden umgebene innere Hof, welchen die Araber Ns-ud«Dar, und die Spanier, welche ihn vielfach dcn Mauren nachgeahmt haben, Patio nennen, und der nichts Anderes ist, als daü altrömischc Atrium. In dcn größeren Häusern b.'fiuvct sich selbst das Pcriötyliuln derNömer, eine zweite vergrößerte Auflage des Atrium oder Ns-ud-Dar. Die Säulcu sind in den Häusern d.'r Wohlhabenden immer von Marmor, gewunden oder cannellirt. Die Aogcn, deren sich auf jeder der vier Selten drei, selten vier und in dcu Häusern der Armen nur ;wei befinden, sind meist hufeisenförmig, zuweilen rund, selten spihbögig. Fast alle maurischen Häuser haben ein höheres Stockwerk, in welchem sich die Säulenarcaden des ersten getreu wiederholen; dk'seö bildet so nnen luftigen Valcon, Derbuö genannt, uon wclchem man anf den mit Marmor gepflasterten innern Hof herabblickt. Bon dem oberen Stockwerk fiihrt dann eine Treppe auf das terrassenförmig 1» abgeplattete Dach, dessen eine Seite gewöhnlich einc halboffene Halle, ebenfalls von Eäulenarcaden gestützt, trägt und so von unten gesehen wie ein unvollendetes drittes Stockwerk erscheint. Die Wände nach dem innern Hofe zn sind fast überall mit den bei den Mauren so beliebten buntbemalten Porcellautafcln verziert. Was die Zimmer betrifft, so hat jede der vier Seiten eines Stockwerkes gewöhnlich eine einzige längliche Kammer. Im Zimmer, der Thiire gegenüber, befindet sich oft eine Nische, mit kunstvollen! Holzschnitzewcrk aufgelegt; in den beiden Gnden ficht man alcovcnartige Vertiefungen zu Lagerstätten bestimmt. Dic am besten erhaltenen maurischen Hänscr in Algier sind jetzt(18«2): das des Gouverneurs, die öffentlicheBibliothek, das Haus Ibrahim Pascha's, das der Bnidcr Ben-cl-Marabut und einige wenige andere. Das erstgenannte war einst von Hassan Pascha, dem fünftletzien Dly von Algier, bewohnt gewesen. Dieses Gebäude ist reich mit Marmor decorirt; der maurische Hof und der Speiscsaal sind ächte Denkmäler inländischer Kunst; nur die Facade ist neu und von den Franzosen in einem pseudo-venctianischcn Styl aufgeführt. Auch das reizende Vibliotheksgebäude ist eines der schönsten Beispiele maurischer Nrchitectur und Ware der Vlüthezeit dcZ Maurenthums in Scvilla oder Granada gewiß nicht unwürdig gewesen. Das Erdgeschoß, an nnd flir sich schon wegen seiner reichen Marmoruerzierung sehenswert!), bictet dcm Wißbegierigen doppelten Genuß in dem hier befindlichen archäologischen Museum — einer Sammlung von der höchsten Wichtigkeit flir die Geschichte dieses Landes. Der erste Stock, mit bunten Kacheln gepflastert, dient jetzt den Borlesungen, welche eer verdiente 17 OrientalistVresnier hier iibcr arabische Sprache hält. Im oberen Geschosse befindet sich in mehreren reich mit Schnitzwerk, Marmor und Porcellan decorirtcn echt maurischen Zimmern die vortrefflich geordnete Bibliothek, welche, was ihre Specialität, nämlich die Litteratur über Afrika betrifft, wohl die meisten, wenn nicht alle Bibliotheken Europas an Reichthum übertrifft. Ehe man zu ihrem Eingänge gelangt, läßt man rechts einen kleinen mit Porcellan ttbertäfelten Kiosk liegen, welcher das Cabinet des Bibliothekars Herrn Berbruggcrs bildet. In der stillen Zurückgezogenhcit dieses niedlichen Zimmerchens ist schon manches Buch über Afrika aus der fruchtbaren Feder Bcrbruggers geflossen. Herr Berbrngger ist selbst eine der Hanvtmcrkwür-digkcitcn Algiers; schon seit 30 Jahren in diesem Lande wohnhaft, das er in allen Richtungen durchstreift hat, in Kenntniß seiner Alterthümer mehr als irgend Jemand bewandert, und im Arabischen ein vollendeter Meister, kann man wohl mit Recht von ihm sagen, daß Niemand unter den Lebenden Algerien so gut kennt, wie er. Er ist zugleich Präsident der historischen Gesellschaft von Algier, welche alle zwei Monate die interessante ^ovuo airiollino erschein'u laßt, von welcher schon so viel Lichtstrahlen über die Enthüllung der Vorzeit Algeriens ausgegangen sind. Als ich diesen Gelehrten das lehtemal sah, hatte er einen großen Kummer. Die französischen Ingenicure, diese modernen Vandalen, hatten ihm angekündigt, daß das VibliotlMgebäudc beurtheilt sei, niedergerissen zn werden. Ich versuchte es, ihm Muth einzusprechen, aber: „Es ist umsonst," sagte er, „die Bibliothek ist gerichtet; der niedliche Tempel maurischer Kunst mit Drei Jahre im Norbwcstcn von Afrili,. I. 2 18 seinen Marmorsäulen und Porcellanoerziernngen mus; fallen. Die Harren Ingenieure wollen hier eine Batterie errichten." Da es ein Gesetz der Nothwendigkeit in Algier zu fein scheint, daß alles Schöne so schnell wie möglich verschwinden müsse, so möchte wohl kaum ein Jahr vergehen, ehe auch dieser kleine Tempel der Wissenschaft zerstört scin wird. Denselben Weg werden wohl bald die wenigen andern noch übrigen maurischen Kunstschöpfungen auch wandern und an ihrer Stelle wird man nichts als jene bei den modernen Franzofen so beliebten tasernenarti-gen Monsterbauten aufragen sehen, bis vielleicht einmal ein Erdbeben den Aeweis liefert, daß die ncufrauzösische Art zu bauen nicht nur unschön, sondern hier zu Lande auch unprac-tisch war. Algier besitzt eiue Menge größerer oder kleinerer Aneinanderreihungen von Kaufläden oder Buden, die der Araber Suk und der Europäer Vazar nennt. Einer der größten und bekanntesten derselben ist nah am Hauptplatz gelegen und für Luxusartikel bestimmt. In ihm kauft man alle nur wünschenöwerthen Schmucksachen und Putzwaarcn des Orients. Dort findet man jene niedlichen algierischen Frauenschuh?, Belrah genannt, welche in eine nach oben gekehrte Spitze auslaufcn und deren rother Sammt reich mit Gold gestickt ist; daneben die abgerundeten Damcnpantofftln (Schibrilla) und die berühmten gelben marokkanischen Babuscheu; auch die mannichfaltigsten Arten vou Armbändern, zusammengesetzt aus bunten Glasperlen, oder aus unzähligen kleinen Muscheln, den Kauriö des Sudan, wo sie als Münze gelten, oder aus feinen arabcskenartig verschlungenen Goldfäden, oder auch aus aueinandergelöthcten arabischen Goldstü« 19 cken. Hier sieht man die perlverzierten Bernsteinspitzen der maurischen Pfeifen; daneben jene kleinen orientalischen Kaffee-täßchen ohne Hebe, die man mittelst eines einem Eierbecher nicht unähnlichen Untergestelles von Filigran halten muß. Die Burnusse, oder eigentlich Vernusse, und die Ha'i'kö, jene algierischen Shawls, welche jetzt in Europa Mode geworden sind, sieht man ebenfalls in den Vnden dieses Bazar's in Haufen aufgespeichert. Was inländische Möbel betrifft, so sind freilich für die Auswahl des Käufers so gut wie gar keine oder nur die allereinfachsten vorhanden. Was für Möbel soll auch ein Mensch brauchen, der wie der Maure nie sitzt, wenigstens was der Europäer sitzen nennt, sondern nur auf der Erde liegt, kauert oder hockt? Stühle, Sophas und Tische, Schränke, Kommoden und Sekretäre sind dem Eingebornen unbekannte Dinge, deren Gegenwart in seiner Wohnung ihn nur geniren würde. Ein einziges schcmelhohes Tischchen, seiner Niedrigkeit nach offenbar berechnet für Leute, die ihr Leben auf dem Fußboden zubringen, fiel nur in die Augen. Es war achteckig, von Sandelholz, mit Perlmutter und Elfenbein kunstvoll ausgelegt, und hatte vier zierlich geschnitzte Brettchen zu Stützen. Dieses Tischchen war offenbar für Mauren und Araber ein Artikel von so übertriebenem Ln;us, daß kein Mensch an's Kaufen desselben dachte. Die Stelle von Kominoden vertreten sonderbare kofferartige Bretterladen, roth angestrichen und mit vergoldeten Arabesken bemalt. Jenes bei uns fur arabisch gellende Möbel, der Divan, cristirt in Algier nur in französischen Häusern. Der Araber sitzt, wie schon gesagt, nur am Fußboden, auf welchem er höchstens einen Teppich, oft nur eine Strohmatte sich unterlegt. 2* 20 Teppiche, mit denen man in Europa sich jedes arabische Haus so wohl versehen denkt, sind bei den Mauren verhältnißmäßig selten. Die Meisten besitzen nur ein kleines Stück Teppich, auf welchem sie sich zur Gebeteszeit in anbetender Stellung hinstrecken und das sie dann sorgfältig wieder zusammenrollen. Der Fußboden der Gemächer ist selbst bei den Reicheren nur mit Strohmatten bedeckt. Sonderbar waren die Ideen, welche die Vndenbesitzcr dieses Bazars über Handelstransactionen zu haben schienen. „Wie viel," so fragte ich einen derselben, „dieses arabische Portemonnaie?" „Vier Francs," war die Autwort. „Ich finde das übertrieben," sagte ich, zum Weggehen bereit. „Wie viel haben Sie Lltst zu geben?" „Anderthalb Francs." „Nehmen Sie." Wie ich den Artikel einsteckte, flüsterte mir ein Inde zu: „Sie hätten einen Franc biete» sollen, er hätte es auch gelassen." Der Tourist, der für den Orient schwärmt und gern in all den bunten und phantastischen Producten der Kunst und Industrie, welche hier feil geboten werden, etwas echt Orientalisches erblicken möchte, erfährt, wenn er sich genan nach dem Ursprnng dieser algierischcnKnnstwaaren erkundigt, eine neue Enttäuschung. Die meisten dieser Artikel sind nämlich in Paris gemacht. Jene schönen weißen silberglänzenden Vcruusse und jene von Silber und Goldfäden durchzogenen Haiks, welche unsere 21 eleganten Damen kaufen und damit sich im Besitz eines echt orientalischen Putzes wähnen, stammen aus der Seinestadt, oder auö den Fabriken uon Lyon. Die goldgestickten, sammtüberzogenen Portemonnaies haben keinen andern Ursprung. Die Täßchen und Pfeifenlöpfe kommen aus der Vaterstadt der Kinderspielzeuge, unserm lieben deutsche» Mrnbcrg. Selbst die rothen Fesse, jene characteristischen Kopfbedeckungen der Muselmänner, sind französischer Fabrik. Es giebt freilich auch tum-sische und diese werden vom Kenner unendlich mehr geschätzt, aber sie sind zu theuer für die geringen Mittel der meisten Araber, was jedoch die Juden gar nicht hindert, ihren reicheren eingeborenen Kunden französische Fesse als tunisische um den doppelten Preis aufzuschwatzen. Im Laden eines Israi-liten sah ich ein arabisches Spielzeug, das mir so recht den Stempel deS Maurenthums zu tragen schien. Es war ein mit rothem Saffian überzogenes Schächtelchen zum Aufschieben, welches einen dreifachen Äoden hatte und bestimmt war, Kunststttckchen damit auszuüben. Es war über und über mlt Arabesken und Halbmonden verziert. „Wie viel dies Schächtelchen?" fragte ich. „Zehn Francs," war die lächerliche Antwort. „Ich würde keine drei dafiir geben," sagte ich entrüstet. „Für diefen Preis kann ich eö nicht lassen," antwortete Freund Schmnhl, „denn es kostet mich selbst in der Fabrik zu Offenbach fünf Francs." Das arabische Spielzeug war in Offenbach gemacht'. „Schämen Sie sich nicht," sagte ich zum Juden, „als ara^ bische Artikel Dinge aus Offenbach zu verlaufen?" 22 „Was wollen Sie, mein Herr?" erwiderte Israel, „die „136-äonius" kaufen uns doch nichts ab, und die Touristen, unsere einzigen Kunden, sind meist so dumm, daß sie Alles sür arabisch Hal' ten, worauf ein Halbmond angebracht ist." Die Schuh- und Pantoffelarbeiten sind, so viel ich erfahren konnte, die einzigen von den sogenannten algierischen Artikeln, die noch ausschließlich iu Algier fabricirt werden. Alle anderen Indnstrieen, als deren Sitz der harmlose Fremde noch Afrika wähut, sind nach Paris, nach Lyon, nach Nürnberg oder nach Offenbach ausgewandert. „Der Orient," so hörte ich ncnlich den etwas hyperbolischen Ausruf eines enttäuschten Touristen: „der Orient ist nicht mehr im Orient. Der Orient ist iu Paris, in dem Winkel einer Cu-riositätenbude ober eines Modemagazins, mnd wenn mau heu-zu Tage noch vom Orient redet, so geschieht es oft nur als Aus-» hängcschild des commercicllen Charlatamömus." »8 Drittes Capitel. Die Vicekönige von Algier. Marschall R. — Da« Diner. — Die Beamtensgatnn, — (^üt trtzi, laciie. — O'est, tout k luit inis>U8«ib1e. — Der Felbzug m der Sknfte. — Dei schalkhafte Adjutant. — Das Lureuu »r»de. — Die Gesellschaft der Colonie. — Die militärisch ab» gerichiele Marschalliri. — Moderne Romanhelben. — Mangel an pra'sentabsen Damen. — Eine gejchminlte Touristin. — Del nene Gouverneur. — Dessen sarcastische Anreden. — DL. — Die mystische Stadt. — Die Städtever-schlcppuug. Vor dem Thor Vab-cl-U(id auf dem westlichen Hügel überrascht unsern Anblick das überaus malerische Mausoleum eines muselmännischcn Heiligen, des Sidi Abb-er-Rhaman el Tsaalebi. -Diese Grabheiligthümer, welche der Araber Kubba und der Franzose Marabut nennt, sind meist in Form von Moscheen gebaut, mit einem tuppelbedachteu Aeetsaal, dem zur Seite nicht selten, wie hier, ein zierlicher Minaret in die Lüfte ragt. Diese Kuppel, dieser Minaret, und dicht neben ihnen ein? herrliche Palme, machen zusammen ein liebliches Bild von so echt orientalischem Gepräge au?, wie man es heute in Alge» rien nur noch selten findet. Ein paar steinalte maurische Aettelweiber, welche trotz ihrer verwitterten Reize dennoch verschleiert sind, fehlen selten an der Pforte des Heiligthumß. Man hüte sich, ihnen etwas 32 zu geben, wenn man nicht wenigstens hundertmal mit Gewalt die Hände geküßt haben will. Dem profanen Schritt eines Nmnih (Christ) ist die Kubba eigentlich durchaus unzugänglich. Dennoch gelang es mir, anf Schleichwegen einzudringen und trotz der Anwesenheit einiger betenden Tolba (Schriftgclehrten), welche mir jedoch bci ihrer Andacht glücklicherweise den Rücken zuwendeten, das Innere zu befchen. Es war dies ein achteckiger Saal mit absidenartigen Nischen auf jeder Seite, und von Marmorsäulen gestützt. Nechtö vom Eintretenden befand sich das Nuhe-bett des Heiligen, einem großen europäischen Staatsbett nicht unähnlich. Kostbare Vrokatdcckcn verhüllten das Lager. Die sterblichen Neste des Marabut liegen unter diesem Vcttc begraben, aber eine fromme Phantasie vergegenwärtigt sich wohl im Lager selbst die ewige Schlafstätte des Heiligen. Am Grabe Sidi Abd-er-Nhamans geben die Muselmänner sich mit besonderer Gebetsfreudigteit der Andacht hin. Als mein ungcweihter Schritt die Halle betrat, tonnte ich nicht umhin, tief angeregt zu werden durch die hehre Einfachheit und patriarchalische Würde eines Gottesdienstes, der jeden Sin-ncszaubcr, verschmäht und doch nicht in das Extrem dcö Unpolitischen verfällt. Da stand vor nur eine kleine Schaar ehrwürdiger Greise, welche mit nach Osten gebeugtem Antlitz mit majestätischer Langsamkeit die poetischen Verse des Korans lispelten. Hie und da brach sich ein Seufzer aus einem dieser Vufen los, zuweilen sank eine dieser wcißumhüllttn Gestalten mit dem Angesicht jählings auf die Erde; ein mystisches Halbdunkel herrschte in der Grabeshalle und der Geist des Heiligen schien um di? gebleichten Scheitel seiner Verehrer zu schweben. 38 Sidi Abd-er-Rhaman el Tsaalebi war ein echter Sohn Algiers gewesen, ja, er stammte sogar von der einheimischen Herrschcrfamilic ab, welche vor den Türken die königliche Würde in Algier bekleidet hatte, und deren letzter Fürst Gutemi el-Tsaalcbi, der von Arudsch Barbarossa entthront wurde, der leibliche Vetter des Heiligen war. Der Marabut starb in Algier im Jahre 1460. Er war es, der dem Tyrannen Arudfch den sonderbaren Nath gab, stets nur mit Türken zu regieren und nie einen Mauren zu einem Staatsamte zu befördern. Wie die Küchlein um die Henne, schaaren sich um das Grab des Heiligen die Gräber vieler Gläubigen, von denen man annimmt, daß sie so auf mystische Weise der Heiligkeit des Marabuts theilhaftig werden. Unterhalb der eben geschilderten Kubba liegt der an Südpflanzen reiche Iardin de Marengo. Hier windet die schlanke Fächerpalme ihre zierlichen Blätter, die Iucca hebt majestätisch ihr palmenartiges Haupt, ein Meer mannichfaltigster Cactusarten schmiegt sich in seltsamen Formen und Verschlingungen am Boden hin. Im Schatten der Vellasombra's hat man in neuester Zeit einen kleinen Thiergarten angelegt, ausschließlich dcr Fauna Afrika's gewidmet. Zwei muthwilligc junge Löwen trieben dort ihr kindisch-neckisches Spiel; der Panther des Tells, arabisch Ncmer, und dcr der Sahara, arabisch Fched genannt, ließen ihr goldgesprentelteö Fell im Sonnenblickc erglänzen; dcr Affe der Schiffa machte vor einem arabischen Publikum feine menschenähnlichen Kunststücke, und die Hyäne muselmännischer Grabstätten schleppte ihren langsamen hinkenden Schritt dem Eisen-gitter entlang. DieiIahre im Noidwesten vonAsrila. I. 3 34 I« diese». Garte» befindet sich auch im Schatten der Platanen ein Denkmal Napoleon'S I. Der große Manu hat zwar eigentlich mit Algier nicht das Geringste zu thun, aber er findet hier seinen Platz, weil, wie uns die Inschrift belehrt, „er die Eroberung Algier's durch die Franzosen geträumt habe:" „ii avait r«v,' il>al'me desselben. — Der Damm des Kheir-ed-Din. — Das Hafcnbassm. — Der Heilige des Hafens. — Ein Ghnt. — 2^5000 Uebel, — Heilung der Unfruchtbaren. — Die myslischc Verdoppelung eiueö Leichnams. — Wer den heutigen Hafcn des einstigen Icosinmö ansieht, der ahnt wohl kaum, wic viel Jahrhunderte der Erfahrung, welchen Aufwand menschlicher Kraft und welche Summen cs gekostet hat, um dieses Wcrk, welches uns so einfach vorkommt, in'ö Dasein zu rufen. Denn von Natur war Algier mit gar keinem Hafen gesegnet. Vier sehr kleine Inseln oder vielleicht richtiger Klippen, einige Hundert Fuß vom Lande entfernt, gewährten dcn Schiffen zwischen ihren zackigen Felsen und dem Festlande einen höchst preca'rcn Schutz. Deßhalb war auch dic Schifffahrt Algiers 3« bis zur Zeit Kheir-ed-Din Barbarossa's, des ersten Gründers der Hafenbauten, höchst unbedeutend geblieben. Die vortiirkischenHerren des einstigen antiken Icosiums, die Beni Mesrauna, ein Stamm derMetidscha, denen Algier seinen mittelalterlichen Namen verdankte, hatten so gut wie keinen Handel getrieben, aber sie widmeten sich mit desto mehr Energie dem Seeräuberthum. Gleich einer blutdürstigen Hydra streckte dieses seine Häupter nach den Nachbarländern des Mittelmeeres aus. Alle waren gezwungen, ihm Tribut zu zahlen. Wenn ein Staat diese demüthigende Steuer verweigerte, so tonnte er bald sich gcfaßtmachen, viele seiner Söhne in die Sklaverei, manche seiner Töchter in die Harems der Muselmänner abgeführt werden zu sehen. Besonders war es Spanien, welches von der Naubfucht der Algierer zu leiden hatte. Cardinal Timenes, der allmächtige Minister Spaniens unter Ferdinand und Isabella, faßte den kühnen Plan, das Seeräuberthum in seiner Wurzel zu ersticken. Die damals bedeutendsten Küstenstädte Algeriens, Bougie und Oran, waren bereits in seinen Händen, als er im Jahre 151s) auch von den Inseln derBeni-Meöranna Besitz ergreifen und auf der größten derselben eine Festung erbauen ließ, welche bestimmt war, die Bevölkerung Algiers im Zaume zu halten. Der Pegnon oder Pennon, so hieß diese Insclfestung, beherrschte die ganze Nhede, und so lange er bestand, d. h. während 19 Jahren, war das algierische Piratenthum, wcnn auch nicht vollkommen vernichtet, doch gelähmt. Cardinal Nmenes brachte es sogar so weit, daß die Fürsten von Algier die Oberhoheit Castiliens anerkannten. 4N Ja, das castiliauische Wappen war als Zeichen der Suprematie Spaniens auf den Thoren der Stadt angebracht worden. Aber so eingefleischte Seeräuber, wie die Algierer waren, konnten einen solchen Zustand nicht lange ertragen. Darum rief SclimBcn Eutemi el Tsaalebi, der letzte einheimische König von Algier, den berühmten Corsaren Arudsch Barbarossa zu feiner Hülfe herbei, ein Schritt, den er bald bitter bereuen sollte. — Denn kaum war Arudsch in Mcsrauna angekommen, so verdrängte er seinen Schützling Sclim, nahm für sich selbst von der Stadt Besitz und begann seine Regierung damit, den rechtmäßigen Herrscher, der ihn herbeigerufen hatte, hinrichten zu lassen. Diesem größten aller Seeräuber mußte natürlich die Anwesenheit der Spanier auf dem Pegnon ein Dorn im Auge fein. Deßhalb sehen wir ihn fast ununterbrochen im Kampf gegen die kleine Besatzung dieser Infclftstuug und die ihr zu Hülfe eilenden Spanier. 15l6 schlägt er den spanischen Admiral Diego de Vera, welcher der Besatzung mit einer Flotte zu Hülfe getom« 'men war und Truppen'beim Thorc Bab el Ui>d ausgeschifft hatte. Zu gleicher Zeit vereitelt er einen Ausfall dcö Gouverneurs des Pegnon, Nicolao de Quint. Castilien sollte freilich bald Rache an Aruosch nehmen. Zwischen Oran und Tlemsen tam es zu einem Gefecht zwischen Spaniern und Türken. Arudsch wurde geschlagen nnd nahm die Flucht. Auf der Flucht erreichte ihn ein spanischer Ritter, der sein Haupt abschlug und es an Carl V. schickte. Die Urkunde, wodurch dieser Kaiser dem Ritter als Lohn für feine Waffcnthat das Saraccnenhaupt zum Wappen verlieh, eMirt noch in Madrid. 4i Dem Pegnon sollte freilich dieses Waffenglück der Castill« aner wenig Vottheil bringen. Nach Arudsch'Tode selite sein VruderKheir-ed-Din die von diesem begonnene Vekriegung der Insclfestung fort. 151'.> schlug er eine neue spanische Erpedition, welche Hugo de Moncada dem Pcgnon zuführte, siegreich zurück. Dem Pegnou war keine lange Dauer bestimmt. Carl V., zu sehr durch anderweitige Kriege in Anspruch genommen, vernachlässigte diese spanische Niederlassung dergestalt, daß die Be> satzung de6 Pcgnon zehn Jahre lang unverstä'rkt blieb uud oft an dem Nothwendigsten Mängel litt. Vom Lande konnte« die Spanier nicht das Geringste beziehen. Alle Lebensmitel mußten aus Majorka oder aus Spa. nien geschickt werden, und nicht selten lesen wir von einem Gou-verneur des Pcgnon, der selbst auf Eintreibung von Lebensmitteln nach dcn nächsten spanischen Besitzungen aussegelte. Im Jahre 1529 war vie Lage der castilianischen Besatzung des Pegnon trostloser denn je geworden. Da kein spanisches Schiffzu thrcrHiilfe herbeikam, konnte Kheir-ed-Din ungestört das kleine Felscneiland bloquiren. Der letzte Gouverneur, Martin de Vargas, widerstand ritterlich allen Zumuthungcn von Seiten des Pascha's, ihm den Pegnon ohne Schwertstreich auszuliefern. Darauf erfolgte die Bestürmung der Inselfestung, welche denn auch endlich unterliegen mußte. Von 150 Spaniern waren bei der Einnahme nur noch 25 übrig geblieben. Der Pegnon wurde dem Boden gleich gemacht. Mit den Steinen ließ Kheir-ed-Din durch die Hände von 20,000 Christen- 42 stlaven den noch heute nach ihm benannten 63(V langen Damm bauen, welcher die Stadt mit den Inseln und diese unter einander verbindet. Von nun an bildete das Festland mit den Inseln eins, und Algier, bisher VeniMeöranna genannt, nahm von diesen seinen ueuen Namen El Dschesair d h. die Inseln, an. Dieser Damm legte den ersten Grund zum Hafen von Algier. Hassan und Salah Ne'i's, die Nachfolger Kheir-ed-Dins ließen ihn ausbauen, und im Jahr 1573 errichtete derDeyArab Ahmed ans der Hauptinsel jenes schöne Velucdere und den zier-licheu minaretartigen Leuchtthurm, welche noch existiren. Aber der Damm Kheir-ed-Din's war weit entfernt, dem Hafen der Iuselstadt hinreichenden Schutz zu gewähren. Der Landungsplatz blieb den meisten Winden noch offen. Zudem war der Damm selbst ein höchst uusicheres, der Wirkung stürmischer Wellenstöße zu sehr ausgesetztes Gebäude. Wie oft gefielen sich die zerstörenden Elemente, ihn aus den Fugen zu rütteln l Im Jahr 1592 unter Dschebcnn Pascha zertrümmerte ein Nordsturm beinahe den ganzeu Inseldamm. 1670 wurde der durch die Hände vieler Tausenden von Christ^nfklaveu wieder errichtete Damm von Neuem durch die Gewalt der Elemente niedergerissen. Die Türken begnügten sich nach jeder Zerstörung damit, endlose Stcinmassen herbeiführen und ohne weitere Berechnung an der beschädigten Stelle in die See werfen zu lassen: ein gefährliches Mittel; denn diese Steinmassen, ohne Halt unter einander, drohten bei jedem heftigen Sturm hin und her geschleudert zn werden. 43 Erst dem französischen Ingenieur Poirel gelang es 1835, dem Inseldamm des Kheir-ed-Din durch Einsenkung von künstlich zusammengesetzten massenhaften Vlo'cken die gehörige Consi-stenz zu verleihen. Die französische Negierung dachte dann daran, den Hafen auch auf den andern noch offenen Seiten zu schützen. Unter Louis Philippe wurde der nördliche Damm, welchen bereits die Türken angefangen hatten, weiter gebaut; aber erst seit dem Kaiserreich wurden jene drei Stein-Dämme Heikos), welche den Hafen jetzt gegen Nordost, Ost und Süd schützen, anfgeftthrt. Der von diesen Dämmen eingeschlossene Hafen, welcher, wie man sieht, durchaus ein Kunstproduct ist, besitzt einen Flächeninhalt von W Hektaren. In seiner Mitte, auf einem Insclfelscn, erhebt sich ein kleines Fort, El Dschefna genannt. Der modcrnc Hafen von Algier ist für seinen Verhältniß-mäßig unbcvcutenden Handel «lehr als hinreichend. Die größeren Schiffe, welche darin ruhen, sind zum großen Theile im Dienste der Negierung, Der Küstcnhandel der Algene hat frei. lich seit der französischen Herrschaft etwas zugenommen, aber er steht noch weit hinter dein zurück, was er einst war. *) Nicht als ob er zur Türkenzeit geblüht hätte. Nein! aber vor den Türken, unter der toleranteren arabischen Herrschaft wurde diese ganze Küste von zahlreichen europäischen Schiffen regelmäßig besucht und war der Schauplatz eines blühenden *) Elie enen Nordafrika wimmelt, sind gewiß drei Viertel seinem Andenken gewidmet. Er war der Stifter eines der berühmtesten Khuan's oder religiösen Ordens, welcher in Algerien zahlreiche Anhänger besitzt. In seinem Namen siehen noch jetzt die arabischen Bettler um Almosen wenn sie die Vorbeigehendenmitden Worten anrufen: Ta-thini ala Uüdsch Sidi Nbd-el-Kader, gieb mir um unscres Herrn Add-eiKaders Willen. Die um Alles, was nicht ihre eigne „Moire" angeht, so unbekümmerten Franzosen, von denen die meisten nie von einem andern Abd-el-Kader gehört habeu, als von ihrem berühmten Feinde, dem Emir Hadsch-Abd-el-Kader, werden nicht selten unwillig über diese stete vermeintliche Anrufung ihres früheren Widersachers. Oft müssen die Bettel-derwische für ihre Berufung auf den Namen..des Heiligen französische Ohrfeigen einstecken. Die Algerie wimmelt übrigens von Abd-el-Kaders. Es ist einer der vcrbrcitctsten Vornamen. Alle, welche ihn führen, ertennen diesen Heiligen als ihren Schutzpatron an, und er war es auch, dcr der Sage nach dem Emir vor seiner Erhebung mehrmals erschien und ihm verkündete, daß er von Allah zum Sultan dcr Araber erkoren sei. 40 Abd°el-Kader-el-Dschelali hatte em so heiliges Leben geführt, daß, wie die Tradition der Muselmänner uns versichert, ihn Allah würdig fand, die Pflichten, Lasten nnd die himmlische Würde eines sogenannten Ghuts zu tragen. Ein Ghut ist aber nach der Theologie des Islams eine Persönlichkeit, deren Rolle die eines Erlösers ist, welcher die von Allah jährlich der Welt zugemessenen Uebel zum großen Theile selbst tragt. Von den 380,000 Uebeln, welche im Monat Safer auf die Erde ausgegossen worden, übernimmt der Ghut allein drei Viertel. Die Hälfte des vierten Viertels übernehmen zwanzig fromme Männer des Islams, Attab geheißen, und das letzte Achtel wird llber die ganze Schöpfung vertheilt. Der Ghut überlebt niemals länger als vierzig Tage seine Vernfung zu dieser heiligen Würde. Darüber wird Niemand staunen, eher wird man sich wundern, daß der Ohut nach Uebernahme all dieser Leiden überhaupt noch etwas Lebenskraft in sich behält nnd nicht sogleich todt hinsinkt. Man muß in der That ein Wundennann sein, um mit einer Kleinigkeit von 285,000 Uebeln aller Art behaftet noch vierzig Tage leben zu können. Sidi-Abd-el-Kader el-Dschelali ist übrigens nie gestorben. Von Engeln getragen entschwebte cr der Elde und wallt seitdem, von Wolkenschleiern umgeben, auf und ab in den Regionen zwischen dem dritten nnd vierten Himmel. Oft erscheint er einem seiner zahlreichen Anhänger anf der Grde. An der Stelle, wo cr erschien wird dann jedesmal eine Kubba gebaut. DieserHeilige hat nebenbei noch die liebenswürdige Eigenschaft, den Schoß der Unfruchtbaren zu segnen, weßhalb zahlreiche Wallfahrten maurischer Schönen nach seiner Kapelle statttfinden. 47 Außer Sldi Abd-el«Kader°el-Dschelali und vem im vorigen Capitel erwähnten Sidi Abd-er-Rhaman-el-Tsaalcbi werden in Algier noch eine Menge anderer Marabuts verehrt. Einer der vorzüglichsten derselben ist ein zweiter Abd er-Nhaman, der um ihn von el Tsaalebi zu unterscheid?«, den Beinamen Bu Kub' berin führt. Seine Grabtapellc befindet sich.bei dem Dorfe Mustapha superimr. Diesem wunderlichen Heiligen war es vorbehalten gewesen, nach seinem Tode noch sein größtes Wunder zu Wirten, indem er nämlich seinen eignen Leichnam auf mystische Weise verdoppelte. In einem Dorfe der Kabylie gestorben, wurde er auch daselbst begraben. Aber die eifersüchtigen, Al« glerer stahlen des Nachtö seinen Leichnam. Die Kabylen erfuhren den Htaub und eilten zum Grabe, welches sie leer zu finden glaubten. Aber o Wunder! Der Heilige war dennoch da! Seitdem hat er nie aufgehört, in zwei Exemplaren vorhanden zu sein. Darum nennt man ihn auch Bu Kubberin, das heisst der Mann mit den zwei Gräbern. 48 Sechstes Capitel. Mauren und Moreöken. Bekanntschaft mit «ingcborucn. — Mann,,. — Ursprung. — Phy. sionomien, — Kleidung. — Moresken. — Ihrc Oespenster-tracht. — Ihr Hanscostüm. — Die für Geld gezeigten Mo-resken. — 3 maurische unverschlcierte Schönheiten. — Die fette Harcmsschönheit. — Die Nbitsa. — Maurische Handwerker. — Genügsamkeit der Mauren. — Armnth derselben. - Ich war kaum einige Tage in Algier, als in mir der Wunsch entstand, doch nicht wie die meisten andern Touristen ausschließlich mit Franzosen, derentwegen ich nicht hiehergekommcn war, zu verkehren, sondern womöglich auch einige Eingeborne kennen zulernen. Aber mein Verlangen war gar nicht so leicht zu erfüllen, als ich Anfangs dachte. Suchen doch auch die meisten Reisenden im Anfange dasselbe was ich suchte, kehren aber fast immer von Algier zurückohne einen andern Eingebornen kennen gelernt zu haben, als etwa einen arabischen Lohnbedienten. Die bessern Eiugebornen sind entschieden schwer zugänglich, die Meisten von ihnen leben dem Europäer gegenüber in mißtrauischer Zurückgezogenheit. Dieß ist nicht schwer zu erklären: Sitte, Sprache, Religion, Geschichte, Traditionen und Gesetze, Alles trennt den Viuselmaun von dem verhaßten Rumih, Man schütte, so sag5> ein arabischer Heiliger, in ein und dasselbe Gefäß das Blut eines Numih und das eines Muselmanns, und sie werden sich nie vermischen. 4S Dennoch möchten vielleicht die im Grunde gutmüthigen Mauren Algiers sich den Söhnen Guropa's gegenüber nicht so hermetisch abschließend verhalten, wenn nicht die cavaliore Art der Franzosen diese gravitätischen Menschen zu behandeln und die Gewohnheit derselben, keines der muselmännischen Vorurtheile auch nur im Geringsten zu beriicksichtigen, das Zartgefühl und die Empfindlichkeit der Eingebornen bei jeder Gelegenheit beleidigten. Auf gesellschaftlichem Wege mit den Mauren bekannt zu werden, das fah ich bald ein, war nicht möglich ohne einen Umweg. Ich mußte unter irgendeinem Vorwand, z. V. dem, arabische Stunden zu nehmen, zuerst mit einem derselben in Berührung zu treten suchen. Auf diesem Wege allein gelang es mir denn auch später, mit einem oder dem andern Manren freundschaftliche Verhältnisse anzubahnen. Durch Deren Vermittlung fand ich dann Gelegenheit, den Kreis meiner einheimischen Bekannten zu erweitern und die guten und schlechten Seiten dieses Volkes mit Muße zu studiren. Die Mauren bilden den Kern der inländischen Bevölkerung der Stadt Algier, welche sich jetzt noch auf etwa 17000 Seelen beläuft. Sie sind ein Mischlingövolt. Sie verdanken iedoch ihren Ursprung vorzüglich zwei Hauptelementen. Ein Theil ist echt arabischer Herkunft, der andere stammt von den alten Mcmritaniern, ist also kabylischcr Nace, aber schon längst arabisirt. Unter ihnen findet man auch Nachkommen von europäischen Renegaten, Italienern und Griechen, Franzosen, ia selbst von Engländern. Natürlich bilden diese nur eine kleine Zahl. Ein anderer, jedoch jetzt sehr zusammengeschmolzener Theil Drei Iah« im Norbwesttn von Afrila. I. 4 50 der Algierer stammt von den in Andalusien ansässigen Muselmännern ab, welche übrigens ebenfalls zum Theil berberischen Ursprungs waren. Was die Physiognomien betrifft, so haben die heutigen Mau« ren regelmäßige feingeschnittene Zilge, manchmal eine etwas zu lange und zu habichtartige Nase, einen spärlichen Vart und eine meist ganz weisic Gesichtsfarbe. Ihre Haare sind gewöhnlich dunkel, doch findet man ebenfalls rothes, blondes, ja goldglänzcndes Haar, freilich feiten. Nehnlich ist es mit den Augen, welche fast immer braun sind. Aber die blauen Augen, diese Gefährten des blonden Haars, sind ebenfalls nicht ohne Beispiel unter ihnen. Ihre Tracht besteht aus der engen schnürbcsetzten Jacke von Tuch oder Leincwand, Nulila geheißen, aus zwei ähnlichen Westen (Bedaja), dann dcn kurzen Kniehosen von bauschiger Weite, Sarual (das Sarabclla der Römer), ferner einer Schärpe (Hosäm), welche oft den größten Luxusartikel ihrer Kleidung ausmacht, und endlich aus weiten, an den Zehen abgerundeten pantoffclartigen Schuhen. Die Beine vom Knie abwärts bleiben bei den echten Mauren immer nackt, ebenfo der Hals. Das Haupt wird geschoren, mit einziger Aufnahme eines kleinen Büschels auf dem Schntcl, welcher einer kindlichen Sage nach dazu bestimmt ist, dem Propheten als Handhabe zu dienen, wenn er dereinst seine Jünger zu sich ins Paradies ziehen will. Die jungen Männer tragen den Kopf fast nackt, nur auf den Haar» büschel ihres Scheitels setzen sie ein winzig kleines rothes Fes. Die Sitte des Tragens dieses kleinen rothen Mützchens der maurischen Knaben ist offenbar antiken Ursprungs. Dasselbe 31 ist nichts Anderes, als der Pileolus der Römer, welcher ganz auf ahnliche Weise unter den späteren Kaisern von der reifern Iu> gend getragen wurde und sich noch heute in dem Vcrettino oder Tonsurtäppchen der italienischen Priester erhalten hat. Die alteren Mauren verdecken den rasirten Theil ihres Hauptes durch ein nm das Fes geschlungenes Tuch von der Dimension eines großen Shawls und nicht selten von kostbarem Stoffe, welches drei-bis viermal denKreis um denKopf beschreibt und so den Turban bildet. Was die Maurinnen oder Moresken betrifft, so steht man auf der Straße außerordentlich wenig von diesen umhüllten Schönen, welche von Kopf bis zu Fuß in große weiße Baumwolllaken, Grab- oder Betttüchern nicht unähnlich, eingewickelt sind. Um ihr Gesicht den Blicken der Neugierigen gänzlich zu entziehen, wird dasselbe durch 2 Lappen von Baumwolle überdeckt, welche glatt darüber ausgespannt sind. Der untere, Eoschar genannt, verhüllt das Antlitz vom Kinne an bis unter die Augen und bedeckt so dieNase. Der obere Lappen, Futha-enta-Snanig, ist über die Stirn gespannt und reicht bis zu den Brauen. Gdschar und Futha-enta-Snanig theilen das Gesicht in zwei ungleiche Halsten und lassen nur eine schmale Linie frei, zwischen welcher die schwarzen Augen der Moresken hervorblitzen. Der Fremde wird anfangs oft über das Alter dieser hermetisch verhüllten Schönen getäuscht und die Mauren machen sich nicht wenig lustig über die Franzosen, welche oft einer verwitterten Alten nachsteigen, in der Meinung, sie folgten den Pfaden einer Huri. Die Umgebung ihrer Gcsichtswerkzeuge wird bei dem Mo- 4* 32 resten einer Neihc künstlicher Verschönerungsprocesse unterworfen, welche man.in Europa vielleicht für anstößig halten möchte, die aber hier für anständig, ja vornehm gelten. Die Augenbrauen mit ,dem Saft der Gallusäpfel (Afsah) so dunkel als möglich gefärbt, bilden zwei tiefschwarzc Arcadcn, unter welchen des Auges Feuer gleich der Flamme eines Licbesaltars hervorblitzt. Die Augenlider werden auf ihrer innern Seite mit Antimonium schwarz gefärbt und zeigen so ober- und unterhalb des Auges zwei dünne schwarze Linien, welche das Weiße desto glänzender herrorheben. Von dem wirklichen Costüm der Maurinnen bekömmt man auf der Straße nicht die geringste Idee, denn es ist durch die Gcfpcnstertoilette völlig verhüllt. Morcsken jedoch in ihren Häusern zu sehen, das ist nach der Sitte des Islams streng untersagt und war früher für den Europäer fo gut wie unmög. lich. Zum Glück für den Touristen giebt es jedoch jctzt einige wenige maurische Schönheiten, welche in neuerer Zeit angefangen haben, sich in ihren Behausungen, natürlich mit dem echt maurischen Hauscostüm betleidet, für Geld sehen zu lassen. Man kann sich denken, daß ich diese Gelegenheit, ein Stück unverhüllten Maurenthums zn sehen, nicht vernachlässigte. So ging ich denn eines Abends, von einem alten buckligen ^ohndicuer geführt, welchem die Franzosen den poetischen Namen „Mcrcure galant" beigelegt hatten, zu den besagten für Geld gezeigten Maurinnen. DerEintritindasHausdiescr Damen war mit demHersagen mystischer Formeln von Seiten des „Mercure galant" verbunden. Dieser Biedermann wechselte in einem unverständlichen Kauder- S3 welsch einige Worte mit einer alten Negerin am Fenster. Dies geschah in einer der schmutzigsten, winkligsten Gassen von Algier bei späier nächtlicher Stunde, und als die Negerin jetzt mit einem großmächtigen Schlüssel und einer Fackel erschien, die thre schreckenerregenden Züge in scharfen Umrissen beleuchtete, da tam sie mir nicht gerade vor wie jener blonde Engel, der die Pforten des Paradieses des Mohamed erschließt. Und dennoch sollte sie nns die für Gelb gezeigten Schönheiten offenbaren. Wir folgten der leuchtenden schwarzen Votin eine enge Treppe hinan in einen allerliebsten maurischen inneren Hof, wo, auf dem Fußteppich sitzend, die Herrinnen des Ortes sich unsern Blicken darboten. Die jüngste, ein etwa 13jähriges Mädchen mit dunkelbraunen Augen, krausem, wolligem Haar, tiefbrünnettem Teint, einem schelmischen Stumpfnäschen und kurzer Stirn war von einer wahrhaft kindischen Lebhaftigkeit. Spielen schien ihr ein Bedürfniß, denn sie warf sich wie ein tolles Kätzchen in allerhand komischen Stellungen auf den Teppichen des Fußbodens herum. Sie trug, wie auch die beiden Anderen, streng das maurische Hauscostüm. Dieses ist nach Ablegung der weißen Umhüllung für die Straße, beinahe dasselbe, welches auch die Männer tragen, nur gewöhnlich von etwas bunteren und feineren Stoffen, bei deren Verzierungen Seide und Goldfäden vorherrschen. Gold- und Silberfäden in Schärpen, Tüchern und Kleidern dürfen überhaupt nur Frauen tragen. Sollte ein Mann das wageu, er würde als Weichling Beschimpfung erleiden. Auch trägt die Frau ihr kleines rothes Fes (Konibat genannt) auf deni vollen aufgelösten Haar, es coquett balanci- S4 rend und so schief und abschiissig auf eine Seite gehangen, als lmisse es jeden Augenblick herabfallen, während der Mann es stets gerade tragen muß. Das einzige Kleidungsstl'Ick des maurischen Hauscostüms, welches die Männer niemals tragen, ist die ssrimlah. Daß eine Frimlah ein Kleidungöstilck sei, kann mau eigentlich nicht behaup», ten. Sie ist die Illusion eines Kleidungsstücks. Sie ist, wenn man ein Equivalent suchen will, ciue Art Weste, aber eine Weste, die nur einen halben Nucken hat, und welcher eine Brust gänzlich abgeht. Vorn besteht sie nur aus 2 Niemchen, welche zusammengeknüpft werden; riickwärts auö einer Art von viereckigem Pflaster, welches durch besagte Niemchen verhindert wird, herunterzufallen. Diefür Geld gezeigten Moresken hatten kostbare Frimlahs an, au denen das Mckcupflastcr von Goldstt'ff war. Das Gesicht der zweiten der Schönheiten, welche in diesem Tempel orientalischer Formeupracht sich meinen Blicken darboten, war die Regelmäßigkeit selbst: Ein paar schwarze, feurige Augen, langes, pechrabenschwarzes, schlicht herabwallendes Haar, ein feiner, selten sich öffnender Mund und eine edel gebildet griechische Nase, ein zarter lcichthiu fahler Teint uud braune Wangen, auf denen die Nofen sich zu malen verschmäht hatten. DerAusdruck ihres Wesens war ernst, würdig, ohne kalt oderabsto-ßendzusein. Ihr jförpcr war schlank, für ein weibliches Weseu vielleicht zu muöteltläftig, ihr gauzes Wcscn wardurchaus uuucrweich-licht. Gin Bild melancholischcrAbgeschlossenheit,einaltegyptischcs Sphinrgcsicht auf einem Pallaskörper, der edel und hehr in seiner sehnigen unvcrverweichlichten Magerkeit Bewunderung, wenn auch vielleicht kein heißeres Gcfiihl hervorzurufen geeignet SS war. Dies Wesen war eine echte Tochter der Wüste. Sie hatte seit der kurzen Frist, seit welcher sie in Algier war, noch nicht Zeit gehabt, jene Hauptschönheit der Moresken, die Wohlbeleibtheit sich anzueignen. Sie erinnerte mich lebhaft an jene Verse des arabischen Dichters Hariri, in denen cr neben einer dicken Harcmsschönheit Mcdlnas, ein leichtfüßiges Vedui-nemnädchcn, dic schlanke Bewohnerin der luftigen Zelte, schildert. Das Kleeblatt wurde vollendet durch ein Wesen, welches gegen die Vorhergehende den größten Contrast bildete, das jedoch nach orientalischen Begriffen zweifelsohne die Palme derSchön-heit davontrug: Eine Wohlbeleibtheit, die zwifchen üppig und unbeholfen die Mitte hielt; ein blendend weißer Teint, welchen manche Europäerin ihr hätte beneiden können; startrostge Wangen, wahrscheinlich ein Product der Kunst, aber von täuschend nachgeahmter Natürlichkeit; dazu beinahe blondes, in Wellen sanft herabgleitendes Haar von außerordentlicher Fülle und Länge; wollüstige, schmachtende Augen, welche stets in einem schmelzenden Thaue schwammen; ein gegen ihr volles Antlitz klein erscheinender Mund, immer halbgeöffnet und in dem man ein liebendes Spiel dcr rosigen Zunge zwischen ihren Perlzähneu erspähen tonnte; regelmäßige, nicht unschöne, doch nach unsern Begriffen etwas zu ausgefüllte Ziige, bildeten ein Ganzes, welches gewiß würdig gcwcsen wäre, im Harem des Kaisers von Marokko sein Glück zu machen. Jede Vicfer drei Frauen tonnte für sich als der Typus rlncr verschiedenen bestimmten Form morgenländischer Weib« lichteit gelten. War die erst» ein halbes Ncgertmd, von der Civilisation nur oberflächlich beleckt, naiv und noch natürlich, 60 trotz seiner durch Coquettcrie schon etwas gedämpften Halbwildheit, so glich die dritte einer zu exotischer Ueppigkeit aufge» blühten Treibhau sblumc: das echte Bild des Orients aus jener Epoche seiner Geschichte, da er siegreich über den Trümmern unterjochter Nationen von seinen Triumphen ausruhte und im Vollgenuß eines eroberten Lnruö sich dem üppigsten Wohlleben hingab, um bald den Verfall als strafende Frucht zu ernten. Die Erscheinung der zweiten stach gleich auffallend gegen die der ersten und letzgcnannten ab: eine echte Tochter Ismaöls, ein Kind der stillen einfackgroßartigen Wüste, schien sie zwischen diesen sinnlichen Genossen mehr wie eine hehre Allegorie, wie ein Symbol: — die Incarnation der islamitischen Idee, die hehre Statue des altsenntischcu Monotheismus, jener Religion voll Nüchternheit und melancholischer Poesie zugleich, welche die heitere Kunst des antiken Heidenthums und die verfeinerte Cultur der modernen Civilisation gleicher Weise verdammt und in stolzer Abgesondertheit, nüchtern und ernst, einen, einzigen von Ewigkeit voraus bestimmten Ziele zustrebt. Diese Damen sprachen nicht viel, sonvern begnügten sich, uns durch die Negerin in den bekannten fingerhutgroßeu Täß-chen Kaffee reichen zu lassen. Während wir dies schwarze Wasser tranken, fuhren sie selbst fort, den Äauch aus ihren langen Iasminholzpfeifcn zu schlürfen. Zuweilen fiel eine Frage vom Munde der zweiteu m gebrochenem Französisch oder in der Ligua fvanca, z. B. „wi ^ränyaln?" worauf es dann an mir war, in demselben Jargon zu antworten: „unn moi ^.liomlinä." Die Sä,öne erwiederte höflich: „dnno ^Nemanä." Dann entstand wieder Still?. Meine Fortschritte im Arabischen waren 87 "och zu unbedeutend, um mir zu erlauben, ln der Sprache der Morcslen selbst etwas zu sagen. So hob ich denn auch die Sitzung nach Bezahlung des Schaugeldes bald anf uud verließ, vo,tt,.Mercure galant" geführt, diesen Tempel der Formenpracht. Beim Nachhausegeheu fragte mich der poetische Führer, ob ich denn auch schon „Nbitsa" gesehen hätte. Ich war noch ganz neu in Algier und hatte leine Ahnung davon, was „Nbitsa" sein tonne. ,Is ist ein maurischer Tanz," erklärte Mercurc, bei dem Sie außer den drei eben besuchten für Geld gezeigten Damen noch cine Menge anderer sehen uud bewuudern lönnen. Wenn es Ihnen Recht ist, hole ich Sie morgen ab, um Sie zur Nbltsa zu führen." Am folgenden Abend ging ich also mit dem buckligen Götterboten in ein anderes maurisches Haus, in welches wir jedoch nicht ohne Schwierigkeit Einlaß erhielten. Aber der ambrosische Mann hatte ein unfehlbares Mittel, um sich alle Thore bei diesen Damen zu öffnen. Es war dieß ein gewisses Blin» zeln mit dem linken Auge, welches aussah, als enthalte cö eine Anweisung auf meinen Geldbeutel, welche Anweisung die für Geld gezeigten Damen und ihre Freundinnen gierig aufzuschnappen schienen. Letztere, die Freundinnen nämlich, machten lein Gewerbe daraus, sich fllr Geld sehen zu lassen, aber sie tanz» ten für Geld. Und zwar tanzen diese Damen nicht für wenig. Da ihre Ansprüche gewöhnlichen hoch für einen einzigen Beschauer sind, so ist es das Geschäft deö Götterboten eine Anzahl Schaulustiger zusammenzusuchen, welche alle Willens sind, einen Theil, etwa ein 10tel oder ein 12tel der ganzen Summe zu tragen. Auf diese Weise bekommt man gewöhnlich ungefähr ein Dutzend 58 Zuschauer zusammen, was immer noch eine Art von Privatge« sellschaft ausmacht—denn ö ffentlich wttrde sichteine Moreske im Hauscostüm zeigen. Auch diesmal hatte Mercure ein Dutzend zusammengetrieben. Jeder sollte die anständige Summe von 25 Francs entrichten, so daß die Nbitsa zusammen 300 Francs kostete. Man sieht, diese Damen tanzten nicht umsonst. Die übrigen Nctionäre der Nbitsa erschienen und waren, mit einer einzigen Ausnahme, Europäer und uninteressante Geschöpfe, die ich natürlich keines Vlickes wiirdigte. Die Ausnahme war ein Araber in einem pomphaften Bernus und goldgestickten rothen Stiefeln. Der Götterbote raunte mir ins Ohr, daß dies ein „großer Spitzbube" sei. Er sei Scheith eines Stammes des Inneren und bestehle regelmäßig den ihm untergebenen Stamm um seine ganze jährliche Erndte, welche er jedesmal in Algier zu verkaufen und zu verjubeln Pflege. Jetzt war er gerade in seinem Verjubeln begriffen. Die Nbitsa begann. Es mochten etwa vierzehn Frauen beisammen sein, welche alle in gold- und silbergcstickte Seiden-costllme gekleidet und mit Perlen und Edelsteinen behängt waren. Alles war echt und ich urtheilte, daß Jede mehrere Tausendevon Francs in Schmuck an sich trug. Hierüber hocherstauut, fragte ich den Götterboteu: „Wie kommt es, daß diese Mädchen, die doch keineswegs reich sein können, so kostspielige Schmuckgegenstände besitzen?" „Was Sie da sehen," antwortete Mercure mit feiner juri» stischer Unterscheidung, „ist eben nur Besitz und nicht Eigenthum. Heute Abend besitzen sie den Schmuck, morgen wandert er nach 59 allen Ecken und Enden. Was Sie da an Schmuck vor sich er» blicken, ist das Eigenthum der halben Stadt Algier." „Und wie kommt es, daß man es diesen Tänzerinnen leiht?" „Die Mauren leihen einander stets ihre Kostbarkeiten für Feste uno Tänze. Es ist beispiellos, daß derart anvertrautes Gut abhanden gekommen wäre, obwohl Die, denen man es borgt, oft arm sind." Die Schönen setzten sich oder legten sich vielmehr nun auf dem Teppich des Fußbodens, in einen Halbkreis herum, der nach Unserer Seite zu geöffnet war. Negerinnen erschienen und brachten Kaffee und silberne Ningilehs (Wasserpfeifen), welche sie vor ihre Herrinnen setzten. Einige der Letzteren begannen zn rauchen, andere streckten sich in schmachtenden Posen auf die Polsttrkissm des BodeuS, uoch cmderc sNmmtcn die Msama oder Fraueumusit rer Mauren an. Diese Msama hatte etwas wunderbar Schwermüthiges, trotz ihrer Monotonie tief in die Seele Greifendes. Es war ein zartes, sanftes Tönen, immer leise, nie von einem lauteren Schall unterbrochen. Es klang wie ein Gesang, der über einen See hinto'nt und den man am entgegengesetzten Ufer vernimmt. Einen Augenblick fchlen es, als wollten die Töne schwellen'und zu lauteren Acccrden anwachsen; aber nein! beim Punkte angekommen, wo sie sich hätten aufschwingen sollen, da sanken sie Wieder; Alles glich sich aus und die alte Monotonie war wieder hergestellt. Denn monoton war es. Es waren nur drei oder vier Töne, immer aus einer und derselben Octave, die mit- yft einander abwechselten. Dennoch hatte diese seltsame Musik ihren Reiz. Zu diesen Tönen begannen nun zwei Mädchen den maurischen Tanz. <3s war dies cm seltsames Tanzen. Ja tonnte man so Etwas Tanzen nennen? Kein Europäer würde ihm diesen Namen gegeben haben. Sie standen aufrecht da, sie bewegten die Füße so gut wie gar nicht, die Bewegung begann erst in der Höhe der Knöchel und Pflanzte sich je höher sie stieg, desto lebhafter und immer lebhafter fort bis zu dem Punkte, wo sie ihren Paroxismns erreichte. Dann nahm sie wieder ab, der Kopf war beinahe ruhig, wie die Füße ruhig waren. Die Bewegungen fanden zwischen diesen beiden Polen Statt und waren am weitesten von ihnen am heftigsten. Ja sie wurden bald so heftig, daß die wahnsinnigste Aufregung sich der Tanzenden zu bemächtigen schien. Ihre Augen sprühten Funken, ihrem Mund entflog es wie brennende Seufzer, die Wangen wurden wie vom Fieber geröthtt. Eine letzte heftige wilde Bewegung; ein Ningen mit der Gewalt des Taumels, der sich ihrer zn bemächtigen drohte; ein sanftes Hinschmachten; ein nochmaliges Auflodern, ein zweites Hinschmachtcn und die Tanzente sank, wie von einem süßen Paroxiömns der Wollust besiegt, auf die schwellenden Polster am Boden nieder. Nun fingen auch die Andern alle zu tanzen an. Aber ihr Tanz war die stete Wiederholung des eben Geschilderten. Die Zuschauer fchienen sich nach einigen Stnnden dieser Wiederholung zu langweilen. Wer jedoch allein sich nicht langweilte, das war „der große Spitzbube". Dieser schien im Gegentheil einen solchen Geschmack an Tanz und Tänzerinnen zu finden, Y1 baß er plötzlich 2 Goldstücke hervorholte, aufsprang, wie wahnsinnig unter die Frauen lief, und jeder von 2 Tänzerinnen einen Napoleon mit dem Speichel seines Mundes auf die Stirne klebte. Dieß war eine echt arabische Galanterie, die ich seitdem Noch oft zu sehen bckommei; sollte. Freilich klebt man nicht immer Goldstücke auf die Stirne der Schönen. „Finden Sie'.nicht," sagte beim NachhausegehenMcrcure, der natürlich ein Franzose war, „daß die Nbitsä große Aehnlichkeit mit den Tänzen unseres Mabille und Chateau des Fleurs hat?" „Das finde ich gar nicht," erwiederte ich. „Cure Mabille und Chateau des Fleurs sind aller Poesie bar und können keinen künstlerischen Genuß gewähren; sie sind nur Caricature» und Zwar gemeine Caricature«; während die Nbitfa trotz ihres erotischen, jedoch ernst und edel gehaltenen Characters unstreitig einen entschieden künstlerischen Gehalt besitzt." Die Zahl dcrMauren ist jetzt leider stets im Abnehmenbegriffen, wozu das bei ihnm übliche häufige Untereinanderheirathen swischen Verwandten wohl viel beitragen mag. Ihren Lebensunterhalt suchen die Mauren im Kleinhandel, vorzüglich aber als Handarbeiter. Es giebt eine Reihe von Handwerken, welche ihnen eigenthümlich sind und die bei Europäern im Grundegenommen zwar auch, jedoch unter anderer Form, vorkommen. Der Harar ist ein Seidenwirker, welcher jene schömn bunten algierischen Schärpen verfertigt. Der Kassas ist ebenfalls ein Scidenwirter, dessen Thätigkeit sich jedoch auf die Besatzbänder der arabischen Jacken und Westen beschränkt. Der Halatschi ist ein Gold-fticker, dessen Arbeit sich hauptsächlich den sammt'nen Frauen- U2 schuhen widmet, während der Saralsch Goltsticter auf Leder ist. Der Kautschi verfertigt die fesartigen spitzen Frauenkäppchen von dunkelrothem Sammt, mit Goldschnüren besetzt, welche Maurinnen und Jüdinnen, ja selbst Veduininnen und Kabylin» nen zu tragen pflegen. llnter den Feilbietern von Getränken zeichnet sich durch feine echt algierische Specialität der Sölobschi aus. Dieser bereitet und verlaust ein dem Europäer völlig unbekanntes Getränk, Sölob genannt, welches aus wenig gegohrenem Malz gekocht wird und bei den Mauren sehr beliebt ist. Es wird fast nur des Morgens und zwar zu sehr früher Stunde getrunken. Im Winter ist der Sölob sehr beliebt, da man ihm erwärmende Eigenschaften zuschreibt. Alle diese maurischen Handwerker haben nur schlechtes Verdienst, da sie nur für den Gebrauch der fast durchgängig verarmten Muselmänner arbeiten. Der beste Arbeiter unter ihnen verdient höchstens täglich zwei Franken, die große Mehrzahl jedoch nur einen oder noch weniger. Dennoch will ein echter Algierer stets am liebsten Handwerker fein. Lederarbeiter, namentlich Schuhmacher und Sattler, giebt es unter ihnen genug, um das ganze Land mit ihren Productcn zu versehen. Alle diese Handwerker arbeiten in offenen nischenartigen Buden. Der Meister sitzt vorne, um ihn herum eine Anzahl Lehrknaben: drollig aussehende schwarzäugige Vürschchen mit tahlrasirtem Kopf, dicken Bausbacken und großem, meist offen stehendem Munde. Die Mauren von ganz Algerien sind jetzt fast alle in «3 Armuth versunken. Ihr Reichthum war freilich schon unter der tllr-tischen Herrschaft niemals groß gewesen. Schon im 17. Jahrhundert, wie uns derTrinitarier Pere Dan erzählt, waren nur sehr wenige Mauren im Stande gewesen, christliche Sklaven zu kaufen. Aber durch die Französirung Algiers, welche zur Folge hatte, daß alle Lebensmittel bald europäische Preise annahmen und folglich oft um das Zehnfache theurer wurden, sind jetzt selbst die vermögenden Maurc« verhältnißmäßig arm geworden, denn dies keiner Speculation fähige Volk versteht nicht von der Vertheuerung für sich selbst Vortheil zu ziehen. Uebrigens fühlen dkse einfachen Menschen ihre Armuth wenig, da sie nur außerordentlich geringe Bedürfnisse haben. Ein kleines Zimmer genügt oft einer ganzen Familie zur Woh» nnng, und doch fühlt sie sich darin weniger beengt, als eine europäische in einer doppelt so großen Stube es sein würde. Die Abwesenheit aller Möbel erklärt dieß. Zu Bereitung ihrer Mahlzeiten und zu Anrichtung derselben genügen ihnen drei oder vier Gefäße. Manche verzichten sogar Tage lang freiwillig auf alle Warmen Speifen und nähren sich nur von Brod und einigen Oliven, ctwas Gerstentcig und andern einfachen Dingen. Außer Obdach und Speise kennt der Maure nur zwei Bedürfnisse, aber sie sind von gebieterischer Nothwendigkeit. Diese sind das Nasiren des Kopfhaares und das maurische Bad. Der Haffaf oder Barbier ist denn auch bei ihnen eine wichtige Person und in seiner Bude Pflegen sich oft die Honoratioren zu versammeln. Das Bad ist für den Muselmann eine durch die Religion «4 gebotene Pflicht, denn der Koran läßt sich nicht mit den vor dem Gebete täglich fünfmal zu verrichtenden Abwaschungen genügen. Vei gewissen im Leben sehr oft vokommenden Gelegen» heiten muß der g anz e Körper gebadet werden. Das Bad erst macht den Muselmann vollkommen würdig, in den Tempel feines Gottes einzutreten. Siebentes Capitel. Die Beduinen. Der Beduine nennt sich selbst Araber. — Wa« ist sein wahrer Ursprung? — Der (inistutz Karthagos auf die Berbersiämme. — Die Arabisinmg der Kabylen. — Es giebt ,'! Klaffen von Veduiucn. — Die Beduinen al« Ackerbauer. — Ihre Tracht. — Ihre Frauen sind ihre Lastthiere. Obgleich die Beduinen in Algier sclbstund in größerenOrten überhaupt tcinc dauernden Niederlassungen haben, fo umschließen sie doch oon allen Seiten das Gebiet der Städte so enge und man steht ihrer so viele auf dem Markte und in den Bazars, daß sie hier schon eine genauere Erwähnung verdienen, welche ihnen später bei der Beschreibung des inneren Landes ohnehin hätte werden müssen. Der eingeborene Zeltbewohner der Algerie kennt den Aus« druck „Beduine" eigentlich nicht. Wenn ihm dieser Name von den Franzosen gegeben wird, so hält er ihn beinahe für ein Schimpfwort, und doch ist es ein echter orientalischer Ausdruck, «3 Welchen die Wüstenstämme Arabiens und Vgyptcns sich selbst beilegen, wie ich es oft aus ihrem eigenen Munce gehört habe. Unter Beduinen (Bedawih) versteht man gewöhnlich Nomaden, d. h. Stämme, welche kcineu durch Häuser gebildeten festen Wohnsitz haben. Einige von diesen wandern immer, andere nur zeitweise, andcre fo gut wie gar nicht, aber Alle bezeichnet die Eigenschaft, daß sie in Zelten oder m Hiitten von Reisern, Gurbis genannt, wohnen. Die bei weitem größere Anzahl der Beduinen der Algerie nennt sich selbst Araber und mau theilt im gewöhnlichen Leben die Gingeborncn dcs Bandes in zwei ungleiche Hälften, die Ka-byleu, welche kabylisch uud die sogenannten Araber, welche arabisch reden. Von jenen giebt es in Algerien ungefähr eine Million, während die Zahl dieser sich wohl auf das Doppelte beläuft. Fast alle die arabisch redenden Stämme sind Vediü^ nen, das heißt, sie führen das Zelteöleben. Deßhalb habe ich hier für die, welche man vnlj;<> in Algerien Araber nennt, den Ausdruck Beduinen gebraucht. Haben diese Stämme wirtlick alle ohne Aufnahme ein Necht darauf, sich Araber zu nennen? Man hat behanptct, all? Stämme der Algeri?, welche arabisch reden, stammten vrn jencn drei großen Ginwanderungen der Araber her, welche zur Zeit der Eroberung des Bandes und Bekehrung seiner Bewohner zum Islam stattfanden. Aber wie sehr man auch di^ Zahl dieser eingewanderten Araber übertreiben mag, nie wird man in ihn?n die Vorfahren aller jetz,t arabisch redenden Stämme erblicken können. Nur eine der drei arabischen Einwanderunge» und zwar die letzte, im 11, Jahrhundert stattgehabte brachte Fa- Tiei Iahre im Nortw'stm rcn Aftila. !. 5 Mi milieu, ja ganze Stämme iu's Land. Die andere« zwei Einwanderungen waren reine Militärexpeditwnen gewesen. Diejenigen arabischen Stämme aber, welche der dritten Einwanderung ihren Ursprung verdanken, sind heute noch deutlich zu erkennen: sie haben ihre Namen und Stammbäume unverfälscht erhalten. Mau findet fie jchtzum Theil im Tell (dcrNichtwüstc),zum Theil in der Sahara zerstreut. Sie sind Nomaden geblieben, wie ihre Väter Nomaden waren. Ihr arabischer Ursprung ist unverkennbar. Alle andern sogenannten Araber sind kabylischen Ursprungs und mit der Zeit arabisirt worden. Vielleicht war ein Theil dieser Autochthouen schon in frühester Zeit seiner ein--heimischen Sitte und Sprache abwendig gemacht worden, und zwar durch die Karthager, welche ihre Civilisation uud Sprache den Küstenstämmcn anfzwangen. Die pho'nicifche Sprache wurde noch lange nach dem Fall Karthago's, wie Appiau, Au-gustinus und Procopiuö uns bclehrcu, in d«i Kiistengegenden von Afrika vom Landvolke gesprochen, und dieses Landvolt war nicht phömcischen Ursprungs wie die Karthager selbst, soudcrn berberischen, was man jetzt tabylisch nennen würde. Dieser Theil der Ureinwohner Afrika's hatte es besonders leicht, sich dem arabischen Idiom zu unterwerfen, welches mit dem ihm schon gewohnten phönicischen so nahe verwandt war. Außer diesen autochthoncn Stämmen, welche dem Einfluß cineö früheren Eroberers uutcrlegen waren, giebt es jedoch noch eine Anzahl anderer Kabylmstamme, welche im Alterthum dem fremden Einfluß zwar widerstanden hatten, jedoch später, zur Zeit der Iölamisirung des Laudes mit der Religion auch zugleich dcr Sprache und dem Bolkögeist ihrer Sieger huldigten. «7 Im Alterthum hatten die Karthager, im Mittclaltcr die Araber ihr Idiom Theilen kabylisckcr Völkerschaften aufgedrungen. Die lateinische Sprache scheint zur Zeit der Herrschaft der Nö-nier und trotz ihrer zahlreichen Colonien in Afrika bei den ein geborenen Stämmen dennoch verhältnißmäßig nur sehr wenig tt'infws; errungen zu haben. Rom hatte Karthago besiegen, aber seine Spvache nicht in Afrika verdrängen tonnen. Man kann sagen, daß die Beduinen oder sogenannten Araber der Algerie, was ihre Abstammung oder ihren Grad der Arabisirung betrifft, drei verschiedenen Klassen angehören : 1) Echte Araber, Nachkommen der Theilnehmer der drei großen arabischen Einwanderungen, besonders, ja fast ausschließlich der dritten. Verstärkt wurde die verhältnismäßig geringe Zahl dieser echten Araber durch Nachlömmlinge ans Arabien ooer Egyptcn, welche mit deu ans Mekka zurückkehrenden jährlichen Pilgerkarawanen in spateren Jahrhunderten nach dein Maghreb (Westen) kamen und sich daselbst ansiedelten. 2) Nachkommen jener numido-punischen Bevölkerung, welche zwar berbcrischen Ursprungs, aber von den Phöniciern und Karthagern schon frühzeitig entuationalisirt worden war. 3) Nachkommen solcher berberischer, d. h. kabylischer Stämme, welcke erst scit der Eroberung durch die Araber ihrer eigenen Sprache allmälig entsagten, um das Arabische anzunehmen. Diese letzte Art von Arabisirung kabylischcr Stämme gcht noch heute vor sich. So wohnen in der Nachbarschaft von Ocllyö vicr Itämme, welche vor fünfzig Jahren noch unverfälschte Kabylen warcn mW bei denen heutzutage nur noch die Greise kabyliich zu reden im Stande sind. 5" Den C'ingcvorncn selbst ist gewölmlick, was Beantwortung der Frage ihres Ursprungs betrifft, nicht das geringst!,' Betrauen beizumessen. Wenn man sie hört, so wollten sie alle echt arabischen Stammes, das reinste Vlnt des Hcdschas sein. Ja selbst viele offenkundige Kabylen machen lächerliche Prätenlionen auf einen arabischen Stammbaum. Dieß bringen die mit dem Islam angenommenen religiösen Vorurtheile mit sich, welche sie in Arabien die Wiege aller edlen Geschlechter erblicken lassen,-ähnlich wie im Mittelaller manche Familie in Europa ihren Stammbaum von irgend einer biblischen Persönlichkeit ableiten wollte. Es giebt in der Algerie, in Tunis, namentlich aber in Marokko, eine Unzahl von Personen, welche behaupten, vom Propheten Mohamed selbst abzustammen und zum Zeichen dieser Abstammung den Titel Scheriff (Plural Schörfa) führen. Ja es giebt ganze Stämme von Schorfa. Die Beduinen der Algerie bewohnen zum großen Theil den Tell, d. h. den nördlich von der Sahara gelegenen Thr«l des Landes; aber auch in der Sahara sind sie zahlreich vertreten. Im Tell treiben sie Ackerbau und Viehzucht, in der Sahara ausschließlich die letztere. Ihre Zelte sind schwarz, aus Thierhäute» gebildet, niedrig und enge, oft überanö schmutzig und zerfetzt. Wenn die Berninen nach Algier kommen, so geschieht es hauptsächlich, nm Getrcive zu verkaufen. Sie sind fast die einzigen beträchtlichen Ackerbauer der Algerie. Denn ihr moderner Unterjocher, der Franzose, ist nnr ein schlechter Colonist. Obgleick seine Negierung sich alle Mühe giebt, Kolonien zu gründen, so hat sie doch bis jetzt nur unbefriedigende Nesnltate erzielt. Kann doch der Vevuine das Getreide stets, seiner eigenen wenigen Bedürfnisse wegen, so wohlfeil liefern, daß kein Franzose im Stande ist, ihm darin Concurrenz zu machen. Zudem erspart sich der Lingeborne sehr viel Arbeit durch seine oberflächliche und leichte Betreibung des Ackerbaues. Da das Land, welches er bebaut, meist einen verhältnißmäßig geringen Werth hat, so lohnt es ihm der Mühe nicht, es gründlich urbar zu machen. Er rottet nur das leichteste Unkraut aus und besät lieber drei Felder mit leichter Arbeit, als eins mit schwerer. Die grosse Fruchtbarkeit des Lautes verspricht ihm dennoch befriedigende Resultate. Das Hauptkleidungsstiick der Beduinen bildet der seit zwanzig Jahren in Europa bekannt gewordene Vurnuö, richtiger Vernus, welcher Nock, Weste und Mantel, Alles in Allem ersetzt. Selten begnügt sich jedoch ein Araber des Innern mit miem einzigen, oft selbst bei der größten Hitze trägt er zwei, zuweilen sogar drei und noch mehr. Sein Haupt umwindet ein Kopftuch von weißem Vamn Wollstoff, Ha'ik genannt, welches thurmartig aufgebunden uud mit einem Strick weißer Kameel-haare zusammengehalten wird; dieser Schnur legt der Beduine eine abergläubische Bedeutung bci'. Eine hcilige Schnur von Haaren Von reit weißen Dromedaren*). Nur äußerst selten bekommt man Beduinenfrauen in der Stadt selbst zu sehen. Doch vor den Thoren findet man jie *) Siehe Pllgennuicheln, Gedichte von H. v. Ma,yau, Leip. Zig, 1803. 70 zuweilen vor schmutzigen Gurbi's sitzen. Sie gehen unr^r-schleiert nnd haben meist regelmäßige Züge, oft jedoch dinch blaue Tälowirungen auf Stirn und Wangen entstellt. Sie sind tie Sklavinnen, dic Arbeitsdrohnen und Lastthiere ihrer Maü-ner. Nicht selten sieht man uor den Thoren Algiers einen Haufen schmutziger, fauler'Araber sorgenlos und leicht dahinschleu-dern, denen ihre schwerbeladenen, keuchenden Frauen mit Miihe nachhinken. Fast jeder Beduine nimmt mehrere Frauen, weil sie, statt ihm etwas zu tosten, im Gegentheil noch einträglich sind, denn es sind eben so viel arbeitende Mägde, welche cr ohne ^'hn in seinem Dienste hat und, die für ihn das Feld bestellen müssen. Der Maure, der Städtebewohner, dagegen begnügt sich fast immer mit einer einzigen Gattin. 71 Achtel Capitel. Die Kabylen. Der mttochthone Berber. — Seine Sprache und Sprachverwaudt-schastcn. — Die Kabyleu iu Algier. — Hchimch lnid ihre Liel'e zum Oel. — M'chterlickier Geiz der Kabyleu. — Warum eeine Frage, welche noch ungelöst geblieben ist. Jedenfalls schetNt t>as alte Libysche, die Sprache jener klein»'» Zahl von Inschriften, welche man in Afrika fand und welche weder phonlcisch noch nnmidisch sind, die Mutter des Kabylischen zu sein.jDDie Sprachen der Tuareggs, eines Volkes der großen 72 Wüste, der Amazirghen von Marokko, der Schellats von Fez und der berberischen Stämme der Sahara, scheinen Schwester-sprachcn des ssadylischcn zu sein. Von all diesen Sprachen hat die der Tuarcggs, welches Idiom man Temaschck nennt, allein i!ne eigenthümliche Schriftsprache bewahrt, und in neuester Zeit hat uns Hanoteau, der Verfasser einer tabylischen Grammatik, auch cinc Grammatik nnd Chrestomathie dcS Temaschel mit sei-ncn cigenihümlichcn fensamcn Schriflzcichen gegeben. Die Ka bylen müssen ihre eigene Schriftsprache, wenn sie überhaupt jemals eine besessen, schon sehr friih verloren haben. Seit sie Muselmänner sind, bedienen sie sich der arabischen Schrift-zeichen. In Algier sieht man oft Söhne der Kabylie, welche der Handel, manchmal anch die Nengierde dorthin getrieben haben. Sie sehen fast aus wie Beduinen, sind nur gewöhnlich noch schmutziger mid nock zerlumpter als diese. Was sie besonders widerwärtig maä't, ist ans;cr dem Schmutz das Oelige ihrer Er-scheinung; sie reiben sich nämlich nicht nur die Haut, fondern tränken auch ihre Kleider mit Ocl. Ein kabylischer Vernuö erreicht stetö den äußersten Grad von Zerlnmptheit, Zerfetztet, von Schmutz und Etelhaftigteit, dcsseu ein Kleidungsstück fähig ist, auf den Schnliern seines ersten Herrn. Mau kann mit Recht von den Gewänden dieser Bergbewohner sagen, dasi bei ihrer äußersten Zerrissenheit oft nur der Schmus ihnen ssousistenz verleiht. In der Kabylie giebt es keine Lumpensammler, denn alle lumpen werden als Klei-dlingsstücke getragen. Was jedoch den einzigen Gedanken des Kabylen ausmacht, 73 das ist: Gild zusammenscharren und wieder Geld zusammenscharren. Keine Bequemlichkeit, kein Luxus verlockt ihn, einen Einkauf zu machen. Sein Gelv wird eingegraben, trie man sagt; was aber schließlich aus allem Gelde der Kabylen wird, das hat noch Niemand ergründet. Der Kabyle ist arbeitsam, ausdauernd, zäh, von großer Mäßigkeit; aber abergläubisch, fanatisch nnd barbarisch. Sein Hauptfehler ist jedoch unstreitig sein fürchterlicher Geiz, der wirtlich an's Unglaubliche grenzt. Er gönnt sich nur das Alleruöthigste an Lebensmitteln. Wenn er ein Stück Brod hat und eine Tasse Oel dazu, welches letztere er trinkt, so ist er zufrieden. Trotz all seiner Fehler scheint aber doch der Kabyle vielleicht um ciu Geringes mehr als der Beduine geeignet, die französische Civilisation anzunehmen, denn ihm fehlt nicht eine gewisse Wißbegierde und ein Interesse an europäischer Cultur, während der Araber in die stumpfest.- Gleichgültigkeit für jede Verbesserung versunken ist. Der Islam freilich wird jeder Europäisirung auch dieser Stamme eiue uuübersteigbare Scheidewand entgegensetzen. Die Biökrihs. Einer der arabischen Stämme der Sahara, welcher in Al« gier die zahlreichsten Repräsentanten hat, sind die Äiskrihs. Sie stammen uud führen ihren Namen von der Oase Vislarab, welche eine der nördlichsten jenes Theils der Sahara ist, der zur Provinz Constantiue gehört. DieBiskrihs, die in Algier leben, sind ei« überaus thätiges, 74 aber zugleich höchst schmutziges Völkchen. Sic dienen als Last-und Packträger, Hausknechte; am meisten aber'lernt sie der fremde in ihrer Eigenschaft als Stiefelputzer kennen, in welcker sie ihn wohl hundert Mal täglich auffordern, seine Fußbekleidung einem Neinigungsproceß zu unterwerfen. Oiese Kerle sind meist jnnge Männer, welche, wenn si? sich etwas verdient haben, nach ihrer Heimaih zurückkehren werden, um dort .zu dcirathcu uud sich für immer niederzulassen. Sie verdieneu übrigens gewöhnlich blutwcuig, aber ihre fabelhafte Pcdürfnißlosigkeit inacht, daß sie dennoch etwas zusammensparen. In der Straße Vab-el-U«d hatte cme Colome schuh-putzender Viskrihs ihr Lager aufgeschlagen. Sie waren über die Maßen zerlumpt; aber unter diesen Lumpen birgt sich nickt selten eine wahre Adonisgestalt. Giner war darunter, der durch sein tiefbrauncö, aber vollendet schönes Gesicht und durch seine harmonische Gestalt die Blicke aller Vorübergehenden fesselte. To sah ihn auch einmal eine reisende alte russisckic Fürstin, die den Ontschlnß faßte, ihn seiner Umhüllung von lumpen und Schmutz zu enizieheu. Sie machte ihn zu ihrem Pagen und kleidete ihn in da5 sä'önstc maurische Costüm. Ich sah den schönen Hassan am Tage nach seiner Metamorphose und eine edlere Figur hätte man selten finden tonnen. DieserZufall brachte eine Art Revolution unter den übrigeu Biskribs hervor. Jeder Fremde galt ihnen mm für einen möglichen Standeserhöher uud stets boten sie sich ohne Weiteres an, in den Tienst desjenigen Reisenden zu treten, welchem sie nun gerade die Stiefel putzten. — Aber die armen Teusel kamen weder an Gestalt noch au Glück ihrem Stammbruder Hassan gleich. 73 Die M'zabiten, Jenes in den maurischen Bädern so thätige, rüstige und flinke Völkchen von Vadelncchtcn gehört bis auf den letzten Mann zum Stmnmc der Bent Mzab oder Mzabiten. Sie kommen aus einer ilteihe von Oasen, welche an dcr Grenze der algierischcn Sahara liegen. Ihre Sprache ist desselben ber-berischcn Ursprungs, wie die der Kabylen. Wie dic Pistrihs, so wandern viele dieser Mzabiten Arbeit snchend nach Algier nnd finden sic meist beim Dienste der Vädcr. Außerdem treiben sie Handel für ihre Heimath, indem sie deren Hanptproduct, die Datteln, hier verhandeln und dafür das, woran cö ihnen fehlt, nämlich Getreide, einkaufen. Auch sie bleiben gewöhnlich nur einige Jahre in Algier nnd kehren dann, nach ihren eigenen Begriffen init ciner gewissen Wohlhabenheit, in die Oasen der Beni Mzab zurück. Die Mzabiten sind, was ihre religiöse Specialität betrifft, jedem orthodoxen Mnselmami ein Horror. Sie gehören nämlich zn keiner der vier snnnitischen Secten, fondern huldigen demselben Glauben, wie dic arabischen Wahabi, welche man die Protestanten des Islams genannt hat. Die Wahabitey verwerfen die Sunna (Tradition). Sie mißbilligen höchlichst die abergläubische Verehrung der Marabnts (Heiligen). Ja! sie sind selbst nicht mit dem Cultus einverstanden, welcher dem Grabe des Propheten gewidmet wird. Wahabi, ihr Stifter, hat bekanntlich in seinem heiligen Kriege Medina erobert nnd allen Schmnck, den er anf Mohameds Sarkophage aufg.'hänft, sowie alle prächtigen Teppiche, womit er denselben überdeckt fand, der Pllin- 70 derullg seiner Soldaten preisgegeben. Er war der Zisla oder Johann von Leiden des IslamS. In Algier „emit man die Religion der Mzabiten Khamsiah oder „die fünfte", und da es nur vier orthodore Betenutnisse giebt, so ist dieser Name „die fünfte" die ärgste Verdammung, die ein Muselmann aussprechen kann, denn dogmatische Sünden sind in scmen Augen arger als die schändlichste» Verbrechen. Die Neger. Die Zahl dieser dunkeln Individuen nimmt in der Algerie immer mehr unv mehr ab. Die Stlaventarawanen, welche sie früher von Tomblittn jährlich in Menge einführten, sind unter französischer Herrschaft schon längst eingegangen und so rekru-tiren sie sich nicht mehr an der eckten Quelle. Sonderbarerweise sind die Negerehen in Algerien auch wenig mit Sprößlingen gesegnet. Die Neger sinv scit dem Jahre 1848 nicht mehr Sklaven, In ienem Jahre, als die französische Republik sie frei erklärte, da lannlen sie anfangs des Jubels keine Grenzen. Aber er war nicht von langer Dauer. Viele Derer, die im ersten Freiheit^ muthe anfangs ihre Herren, bei denen sie eö gut gehabt unr wenig gearbeitet, verlassen hatten, kehrten bald zurück und flehten nm Wiederaufnahme. Sie hallen in der Arbeit, zn der Noth sie zwang, eine größere Tyrannin kennen gelernt, als in ihren allen Eigenthümern, bei denen sie meist ihrem geliebten Nichtsthun ungestört sich hingeben tonnten; denn in muselmän. nischcn Haushaltungen giebt es fast imm.'r nnr wcuig zu thun. 77 Negerinnen sieht man in der Stadt bei weitem mehr ale« männliche 3tepraseutanten dcr Nace Chams. Auf den Märkien hacken sie in langen Schaareu am Boden, jede mit einem Stoß des arabischen, in seiner Form pfanuntuchenartigen Brodes auf dem Schooße, daö sie den ssingebornen feilbieten. Sie versehen außerdem noch in den maurischen Bädern beim schönen Geschlecht dasselbe Geschäft, welches die Mzabiten bei den Männern ausüben. Die Neger, obgleich alle Muselmänner, haben doch außerdem noch eine Art rou Privatcultuö, ein Gewebe von abergläubischen Ceremonien, Traditionen nnd Vorschriften, welche aus ihrem ursprünglichen Heidenthume herstammen miissen. Sie opfern den Dschins, jenen Geister», welche über Krankheit und Gesundheit dcö Menschen ^ebielcn sollen. Viele Manrcn Algiers, besonders aber die Morcöken, glauben an die Heilsamst dieses Negercultus. In der Nähe Algiers liegt eine Quelle, an welcher jeden Mittwoch Morgen ein Negerpriester das Opfer darbringt. Er schlachtet ein Huhn oder eine Taube zur Versöhnung der Dschins und zur Heilung des Kranken, welcher das Opfcrthier befahlt hat. Sckaaren maurischer und selbst jüdischer Frauen folgen dein Haruspex, der vielleicht selbst mehr betrogen als Betrüger ist. Die Neger haben auch ihre eignen nationalen uud religiösen Feste, Derdebah genaunt, bei denen Thiere in Menge als Opfer für die Dschin geschlachtet werden. Ich wohnte einer Derdebah bei, in welcher 2 Stiere, ein Ochse und 25 Schafe sieleu. (the das Ofer begann, tanzte die Priesterin, eine alte häß- 75 liche, aber reicl'gcputzte Negerin, den dciligenTanz in gemessenen langsamen Eckritten. Jedes Negerhans besitzt seinen Priester uud seine Priesterin. Vin Negerhaus wird jedesmal i.'on allen in Algier anwesenden Angehörigen eines und desselben Ncgerstammes gebildet. Es giebt in Algier jetzt noch sieben solcker Negerhäuser, welcke il,re Namen nach Ortschaften in ihrem heimathlichen Sudan fuhren. Die Juden Unter den inländischen Völkerschaften Algiers darf man auch nicht jene zahlreichen jüdischen Familien vergessen, welche die Franzosen bei ihrer Besitznahme hier vorfanden. Diese ein-gebornen Juden stehcn jetzt noch mit den eigentlichen franzosischen Juden durchaus nicht auf gleichem Fusse. Sie werden von ihnen nicht als Vrüder angesehen und die Sckmuhls lind ^evis vou Algier werden von den Schmnhls und Leviö anö Paris als Halbbarbaren gründlich verachtet. Sie haben übrigens von der französischen Herrschaft dcn größten Vortheil gezogen. Unter den Dey'ö lebten sie nnlerdrnckt, mißhandelt nnd ans jede Weise gedemüthigt, waren genöthigt ihren Wohlstand stets zn verbergen, durften nur dunlle, unscheinbare Kleider traa/n; oon einem Muselmann beschimpft, dnrsten sie die angethane Beleidigung niemals erwidern; tnrz sie führten ein jeder Menschenwürde widersprechendes Leben. Jetzt ist dies Alles aucers gcworoen. Der algierische Jude ist heutzutage wohlhabend nud oft reich. Er allein unter allen Eingeborneu hat es verstanden, rie französische Herrschaft zu seinem Vortheil au-^»beuten. (5r ift 7« Häuserbesitzer, Faoriteigünthnmer, Outsinhaber geworden, ja man taun sagen, die halbe Stadt Algier gehört jetzt ihm. Jetzt verbirgt er auch seinen Reichthum nicht mehr. In seiner Kleidung spiegelt sich die Eitelkeit seiner liiace. Viele haben die französische Tracht angenommen und sind mißlungene Pariser Stutzer geworden. Aber die maurische Tracht trägt der einheimische Jude mit einer gewissen Grazie und jedenfalls mit oielem Pomp. Am Sabbath besonders erscheint er oft mit kostspieligen grellbunten Stoffen bekllidct. Das Costüm des eingebornen Israelite» gleicht dem der Mauren; nur verhunzt er es oft durch Tragen uon Vatermördern, eincr Mütze und französischer Schuhe, Alles Dinge, dor welcheu ein Muselmann eine Art von fanatischem Horror hegt. Die Indinnen Algiers sind meist häßlich. Schönheit findet man nur bei cencn, welche spanischen Ursprungs sind, welche aber in Algier bei weitein die Minderheit bilden, während sic in Orau und Marolto vorherrschet!. Die Töchtcr Israels kleiden sich nur sehr selten in dem reizenden kleidsamen Lostüm der Moreötcn. 2ic thun es nur zuweilen aus Speculation. So say ich z.V. in Vondon in Haymartet jene drei berühmten „moorig laäie»", welche sich als Moreölen für Geld sehen ließen und nichts Anderes waren als Jüdinnen aus Algier. Diese falschen „mooris!,, luälc^" wurden uon cmcin ihrer Neligionsgcnosscn, Namens Pinhas, der sich selbst für einen Türken ausgab, in allen Hauptstädten Europas hcrumgezeigt. Diefer Pinhas, der sich auf diese Weife ein hübsche Vermögen erworben hat und jetzt als reicher Mann nach Algier zurückgekehrt ist, bildet eines der lächerlichsten Beispiele der Eitelkeit und Nenommisterei reich- 80 gewordener Juden. In einer reich gesckmiickten Equipage mit Bedienten in den lächerlichsten Livreen pflegt er durch die Stadt zu fahren. Sein Kutscher ist ein Neger in rothem goldgestickten (sostüm. Seine Gattin mnß, wenn sie mit ihm auffährt, stets goldgestickte Kleider tragen und sich mit Perlen und Diamanten behängen. Seine Kinder tragen Mühchen, worauf Sultaniö, türkische Goldstücke, in Menge aufgeheftet sind. Er selbst kleidet sich zwar jetzt gewöhnlich europäisch, zeigt sich jedoch zuweilen auch in den Straßen Algiers mit ciucm langen Schleppgewcmde vom kostbarsten Goldbrokat behängen. Auf die Decoration feines Hanseo hat er große Summl'n gewandt; aber da eö ihm an gr-gebildctem Geschmack fehlte, so hat er dasselbe in dem plumpeu marktschreierischen Styl eines reichen Pariser (^aiu onnntant ausschmücken lassen, DaS uuterscheideude Kostüm der Töchter Abrahams in Al gier ist ein langes Schlepplleid meist von dunkler H-arbe, nm auf der Brust reich mit Gold gestickt. Auf dem Haupte tragcn sie cincu zuck^rhutförmigen hohe« Kopfputz, von Draht und Pappendeckel aufgebaut und mit Seire überzogen. So laufen diese RebeltaS unbeholfen durch die Straßen der Stndt. Sie ver schleiern sich nicht wie die Morcöken und thun Unrecht, denn man würde sie gewiß für fchöner halten, wenn man ihr Gesicht nicht sähe. 81 Neuntes Capitel. Ein maurisches Bad. Das Hammam Sidua. — Gespenstertracht. — Schwitzproceß. — Kneten und Reiben. — Heißerer Saal. — Seifenschaum. — Erstickender Turban. ^ Siesta nach dem Bade. — Wohlbehagen. — Beliebtheit rer maurischen Bäder. Der Merkwürdigkeit wegen macht wohl jeder Tourist einmal während seiner Anwesenheit in Algier ein maurisches Bad mit. Zudem soU sein Gebrauch ein vortreffliches Mittel gegen Husten, Schnupfen und Rheumatismus sein. So ließ denn auch ich mich eines Abends, denn bei Tage sind die Bäder für Frauen reservirt, nach dem Hammam Sidna, dem größten Bad Algiers, wclches, wie sein arabischer Name fagt, einst das Bad des Pascha's war, verlocken. Das Hammam Sidna bestand aus drei mit durchlöcherten Kuppeln gewölbten Sälen, in deren erstem man fich entkleidete. Bei meinem Eintritt in diesen lagen auf einer divan-artigen gemauerten Erhöhung zwanzig bis dreißig Gestalten, ganz in Weiß eingewickelt da. Diese hatten bereits den Badeproceß durchgemacht und ruhten nun pflichtgemäß von ihren Stra-patzen aus. Kaun, entkleidet, wurde mir ein Leintuch umgehängt, und ich bekam ein paar Kabkab (hölzerne Sandalen) zum Anziehen ; die Kabkab waren durch einen mehrere Zoll hohen Absatz und Vordersatz stelzenartig erhöht, und man mußte mit solcher Fußbekleidung sehr vorsichtig fein, um nicht auf dem glatten, nassen Drei Jahre im Midivesten von Asiila. 1. l' 82 Marmorboden auszugleiten, (tin junger Babetnecht vom Stamme der Vcni Mzab nahul unch bei der Hand und erleichterte so das schwere Gehmanöoer. Der zweite innere Saal, in welchen er mich führte, war von unten start geheizt; eine heiße Dampfatmosphäre quoll dem Nahenden daraus entgegen nnd raubte mir anfangs den Athem. Der M'zabite brachte mich hier zuerst zu einer mit Marmor getäfelten ofenartigen Erhöhung mitten im Saale, auf welcher man sich ausgebreitet hinlegen musi, um sich dem ersten Einfluß der Hitze reckt gründlich hinzugeben. Darauf mußte ich mich auf dem Fußboden auf eine frisch-begossene Marmorplatte niederstrecken. Dem Haupte oiente ein Holzsockel zum Kissen. Das leiben und Kneten begann nun. Es wurde von zwei m'zabitischen Jünglingen im Tact ausgeführt, wozu dieselben ein ohrzerreißendeö Lied in ihrer eigenen bcrberischen Sprache sangen. Nach dem Massiren summer), wie das Kneten des Körpers genannt wird, ging es an das Reiben mit den Noßhaarhand-schuhen. Letzteres geschah so gründlich, daß ganze Streifen der äußerstendünnen Hautumhüllung mit abgerieben wurden, welche »poliu upima, in dem Kampf mit meiner Haut erruugen, mir die Burschen triumphirend vorhielten. Nachdem dieser letzte Proceß die Poren gründlich geöffnet und so den Körper für alle weiteren thermischen Eindrücke noch empfänglicher gemacht hatte, führte man mich in den dritten, tuppelgewölbten Saal, in welchem eine weit größere, eine wahrhaft überwältigende Hitze herrschte. Dort fand von neuem da5 Kneten und Neiben wie vorher statt. Hierzu kam noch 83 das Ausrecken der Glieder und das Krachen der Gelenke. Ein besonders kräftiger Bursche versuchte sogar mein Rückgrat zum Krachen zu bringen, indem er meinem Dberkörper eine so kühne Wendung gab, daß das Gesicht nach deu Fersen blickte. Erst nach Vollendung dieser Ceremonien begann das eigentliche Waschen, zuerst das des Kopses. Ich mußte die Äugen schließen, und nun wurden mir 5ic Haare mehrmals eingeseift und gründlich das Haupt mit Seife abgerieben. Dann übergoß der M'zabi auch meinen übrigen Körper mit einem wahren Meer von Seifenschaum, welches weich und wollüstig den Körper umspülte. Eine Fluch heißen Wassers entfernte wieder die weiße Uinschämmmg. Endlich hatten sich die M'zabiten hinlänglich mit mir an-gestreng, und ich ging gestriegelt, gebürstet, gewaschen, abgerieben und geknetet aus ihren Händen hervor. Jetzt kleidete man mich in die bekannte Gespenstertoilette, aus weißen Leintüchern bestehend, setzte mir einen Turban von wahrhaft erstickenden Proportionen auf und führte mich zur obligaten Siesta in den vorderen Saal zurück. Dort war das ^ager bereitet, auf dem sich ausstreckend der müde Körper ein höchst angenehmes Stündchen der Iltuhe genoß. Man brachte mir den Tschibuk und Kaffee und überließ den Bielgemarterten dem erwünschten Halbschlummer. Aber nicht lange Z^'it verging, so kam wieder ein M'zabite, um mich von neuem zu kneten, was während der zweistündigen Siesta noch mehrmals wiederholt wurde. Vielen Europäern gefällt dies Baden nicht, und ich kann es ihnen uicht verdenken, denn wir sind nicht gewöhnt, ^in 84 willenloses Werkzeug in der Hand einiger rohen Badelnechte zu bilden, die mit unserm ehrwürdigen Körper so durchaus reipectlos umgehen. Ich muß aber gestehen, daß ich für die ausgestandenen Strapatzen dnrch ein ganz außerordentliches Wohlbehagen und Gestärktsein entschädigt wurde, so daß ich in Zukunft noch mehrmals zu den M'zabiten zurückzukehren verleitet wart. Die maurischen Bäder Algier's, deren es jetzt noch neun giebt, sind ausschließlich in den Händen der genannten Äeni-Mzab, reren Stamm feinen Sitz 12 — 15 Tagereisen von Algier in den Oasen der Sahara hat. Jeder Badetnecht bleibt gewöhnlich nur wenige Jahre in Algier, bis er sich ein kleines Sümmchen durch seine Arbeit zusammengespart hat. Dann tehrt er nach feiner heimathlichen Oase zurück, nm in seinem Leben nie wieder ein maurisches Bad zu betreten; denn in der Heimath dieses Volkes von Sadeknechten gibt es sonderbarerweise gar keine Bäder. Mit ein Paar hundert Franken kauft er in Beni Mzab sich einen Palmengarten, heirathet mehrere Fraueu, die für ihu arbeiten müssen, und widmet sich von nun an ausschließlich jener Lieblingsbeschäftigung aller Eingebornen, dem süßen Nichtsthun. 85 Zehntes Capitel. Arabische Stunde. Habsch Mohameb. —Lingua franca. — Kauderwelsch. — <>oiwe!,sa« tion in bei Lingua franca. — Alterthum dieser Sprache. — 7laisant compost: '.st mü Mauren, — Hamcd. — Eitelkeit, — Plan, einen Harem ;u sthen. — 5!isl. — Die roth bemalte Katze. — Sie muß alt« Weikzeuq im Strawqem dienen. — Eindringen in den Harem, — ElMmischmig. — Schmiulstudie» der Mo-recken. — Das Heunah. Außer dem Hadsch und dem alten Abd-er-Nhassak, jenem Inhaber eines so zahlreichen Harems, gehörte zu meinen algierischen Bekanntschaften im ersten Jahre auch ein junger Maure, Namens Hamed ben Abd-cr-Nhaman. Dieser kam täglich auf eine Stunde zu mir, um zu meiner Uebung arabisch zu plaudern. Mein neuer Bekannte war ein echter Typnö der meisten jungen Mauren, jener luftigen, leichtblütigen Leutchen, welche, ob im Gluck oder Unglück, immer gleich zufrieden sind, welche in ihrem Leichtsinn keinen Heller Geldes behalten können, welche zwar alle Verweichlichungen der Franzosen sowohl wie der Ein- 95 gebornen kennen, lieben und erschöpft haben, und dennoch im Stande sind, wenn es sein muß, beinahe ohn? Bedürfnisse zu leben. Hamed war noch unoerheirathet. Seine einzige Beschäftigung machte, obgleich er keineswegs wohlhabend war. dennoch nichts als das vielgeliebte clulcio iurniout.« aus. Seine einzige Passion schienen schöne Kleider. An diesen besaß er denn auch für einen Mauren einen gewissen Reichthum; je kostbarer, desto lieber. Er wollte cs den verhaßten Juden darin zuvorthun; denn von allen Eingeborenen sind sie fast die Einzigen, denen ein gewisser Wohlstand noch erlaubt, daö orientalische Costüm unzerlumpt zu tragen. Die Muselmänner Algiers sind meist fo arm, daß Zerfctztheit, Abgerissenhcit und Schmutz ihre Livree bilden. So konnte ich meinem jungen Freunde denn auch teine größere Freude machen, alö durch das Geschenk eines vollständigen Tuchanzugeö, mit Arabesken aus Goldstickerei reichlich verziert, mit dem er von nun an triumphirend täglich auf dem Gouvernemeutsvlatz auf- und abspazierte. Namentlich liebte er es, dann sich in seinem neuen strahlenden Anzug? lustwandelnd zu zeige», wann grade einige von den verhaßten jungen jlidischen Stutzern sich daselbst ergingen; dann stach sie Hamed vollkommen aus und weidete sich an dem Neid, den jene semitischen Stam-mesgcnosseu seiner Meinung nach empfinden mußten. Durch Hameds Hilfe wurde mir etwas ermöglicht, was sonst überaus schwer für Europäer ist, nämlich das Innere einer echt maurischen Haushaltung zu sehen. Er wohnte bei seiner Mutter, welche Wittwe war und einem zahlreichen Harem junger weiblicher Anverwandten als Aelteste des Hauses vorstand. Denn die algierische Sitte bringt es mit sich, daß oft drei Generationen von Anverwandten in einem Hause beisammen wohnen, nnd in diesem Falle schließt ein und derselbe Harem alle weiblichen Mitglieder der Familie ein. Freilich mußte mir als Europäer und— männlichem Wesen der Eintritt in das Heiligthum eines Harems doppelt untersagt sein. Aber eine List, ein geschicktes Manöver sollte es dennoch möglich inachen, durch Hameds Mitschuld den erwünschten Zweck zu erreichen. In Begleitung zweier Damen, Touristinnen, deren Neugierde durch das Besehen eines maurischen Familienlebens befriedigt zu werden hoffte, ging ich an dem verabredeten Tage nach dem Hause der Mutter Hameds. Die Damen wurden ohne Weiteres eingelassen, Hamed ging als Sohn des Hauses mit, nur ich blieb der Sitte gemäß ausgeschlossen. Während ich so trostlos vor der Thüre des Hciligthums stand und schon fürchtete, daß die kleine unschuldige W, vermöge welcher mir Hamed den Eintritt zu verschaffen versprochen hatte, sich vielleicht als unausführbar bewiesen haben würde, da erscholl plötzlich ans dem Innern ein entsetzliches Zetergeschrei: das Geheul eines Thiers und das Wehklagen der Frauen. Ich wußte, was dieß zu bedeuten hatte. Hamcd hatte nämlich, unsrer Verabredung gemäß, ohne bemerkt zu werden, die kleine mit Hennah rothgcfa'rbte Liebliugskatze feiner Tante von einer Terrasse in den Hof hinabgeschleudert, wo sie übrigens unversehrt ankam; dies hinderte sie jedoch gar nicht, entsetzlich zu heulen, als ob sie sckon dem Tode nahe sei. Dieser Umstand erregte bei den so leicht zu erschreckenden Moresten Angst und Verwirrung. Sie U7 liefen alle schreiend und wehklagend in der Richtung, in welcher die Katze gefallen war. Durch die Unordnung, welche jetzt entstand, begünstigt, tonnte ich mich unbeachtet einen Augenblick in's Haus schleichen und meine Neugicrde gänzlich befriedigen, Aber welche Enttäuschung wartete meiner! Hier war nichts von dem brillanten Costüm oder der Formenpracht der oben geschilderten, für Geld gezeigten Maurinnen zu sehen. Die Tracht war wohl im Grunde genommen dieselbe, aber so häßlich und zerlumpt, zerrissen und beschmutzt, daß selbst Hamcds junge Cousinen sich nicht viel anders als wie Vogelscheuchen darin ausnahmen. Die meisten der Haremsbewohnerinnen waren von gedunsener, geschwollener Wohlbeleiblheit, wandelnde Fettmasfen mit verschwommenen Augen, hängenden Backen und dreifachem Kinn. So ist aber einmal der Geschmack der Mauren, daß bei ihnen besagte Fettmasfen fllr schöne Mädchen gelten. Der Anblick war unseres Stratagems, das übrigens der rothbemalten Katze nicht das Geringste geschadet hatte, wirtlich nicht werth gc» Wesen. Die Moreslen scheinen zu glauben, daß die ihnen von der Natur geliehenen Farbentönc einer gründlichen Verschönerung vermittelst der Echminkpaletle bedürfen, Sie leisten Außergewöhnliches im Gebiet der Maquillirung. Namentlich vom Hennah, einem rolhfärbenden Kraute, wird ein allzusrcier Gebrauch gemacht. Backen und Nägel, Hände und Füße tragen die Farbe des Zinnobers. Selbst die Kinder werden schon be« malt; den kleinsten färbt man die Haare ganz roth. Oft glaubte ich, die Kinder hätten rothe Socken an, während die Füßchen Dr«i Jahr' im Nortweften von N^jf« Z, ? »8 roth gefärbt waren. Die Katzen des Harems sogar tragen ebenfalls die Farbe des Hennah an sich. Zwölftes Capitel. Gin algierischer Typub. Der alte Hadsch. — Seine Reiselust. — Seine Sympathie für Europäer. Porträt. — Die Duiira. — Unbequemlichkeiten eines maurischen Junggesellen. — Die Reiseeriinicnm.qm des Hadsch, — Ein Jahr in Mekka. — Der Hadsch in Paris. — Aennliches i!eben uud pomphaftes Wohnen. — Der Paschasschwiegersohn. — Der Hadsch und Hussein Dey. — Sein Klagen über das Auösterbcn der echten Mauren. Was die echten Mauren Algiers so höchst vortheilhaft vor den dortigen Europäern auszeichnet, ist ihr natürlicher Anstand, ihre Würde, ihre Höflichkeit und ihre Gastfreundschaft. Nie wird der gesittete Europäer in seinem Umgang mit echten Mauren Algiers durch irgend etwas piquirt werden, was man unhöflich nennen tonnte. Außerdem wird jeder Europäer selbst der höheren Stände, wenn er anders Vernunft besitzt, sich im Umgang mit ihnen leicht und natürlich, ja gewissermaßen zu Hause fühlen, was nicht der Fall sein würde, wenn er in Europa Leute von gleichem Stande mlt diesen Mauren zu seiner Gesellschaft aufsuchen wollte. Denn nach europäischen Begriffen stehen die meisten Mauren auf nur niederer Stufe in der Scala des Ranges, da sie fast alle Handwerter oder Krämer sind. Rentiers oder Gutsbesitzer giebt es fast gar nicht. Aber man tann bei ihnen unsern europäischen V9 Maßstab, was Rang betrifft, nicht anlegen. Ein maurischer Schneider, Schuster oder sonstiger Handwerker ist immer ein Gentleman durch seine Manieren und oft durch seine Race, denn manche von ihnen haben die reinsten, edelsten Stammbäume. Vei meinem letzten Besuche in Algier war es mir vorbehalten gewesen, elne Bekanntschaft zu machen, welche für meinen Zweck, das Leben und Treiben dieses interessanten Volkes recht gründlich kennen zu lernen, weit geeigneter war, als alle früheren. Es war dies ein alter Hadsch (Pilger), welcher eine» großeu Theil seines Lebens auf Reisen zugebracht hatte und der für einen algierischen Mauren, die sonst gewöhnlich an Erfahrung vor Kindern wenig voraus haben, eine ungewöhnliche Kenntniß von Menschen und Dingen besaß. Drei Mal hatte er die Pilgerfahrt nach Mekka zurückgelegt und war sogar einmal ein ganzes Jahr in der heiligen Stadt geblieben. Religiöser Eifer halte ihn ohne Zweifel zu diesen Wallfahrten mit angetrieben; aber der vorherrschende Beweggrund war doch, was er sich vielleicht selbst nicht eingestand, Reifelust gewesen. Reiselust war die einzige Liebe, die einzige Leidenschaft dieses gutmüthigen Alten. Sic hatte ihn gepackt, als er noch jung war, und ihm nicht Ruhe gelassen, bis sie ihn im ganzen Orient und in einem nicht geringen Theil des Occidents mit sich herumgeschleppt hatte. Obgleich er niemals ein Wort Französisch gelernt hatte, so war er doch nach Paris gereist und zwar noch lange vor der Zeit der Eisen bahnm und hatte sich daselbst über ein Jahr aufgehalten. Selbst jetzt hatte ihn die Reiselust noch nicht verlassen und fein Kops war noch voll von Plänen, neue Länder und Völker zu sehen. ?* 100 Alle seine Reifen halle der Harsch mit nur sehr beschränkten Mitteln aufgeführt, da er keineswegs reich war; aber, wäre er es selbst gewesen, er würde dennoch ebenso einfach unr billig gereist sein, da es einmal Grundsatz bei reu Mauren ist, sich jede gcldlostcndc Bequemlichkeit auf Reisen zu versagen und sich leine Ausgabe zu erlauben, welche nicht ei» Vesörtcrungmittcl oder daö tägliche Brod (im engern Sinne tcö WorlS! zum Zweck hat. Diesem Grundsatz treu, reisen selbst die reichsten Mauren auf den Dampfschiffe» stets auf dem Deck, we fie Wind und Wellen, Regen und Sonne ausgesetzt sind; aber sie ersparen einige Tha> ler. Nebria/us war der Hadsch. wie gesagt, lein Ätö'suö. Sein Pater war zwar Musti gewesen; aber diese Stelle, wenn sie auch einen hohen 3nir vor, ihn dorthin zu begleiten. Er konnte mir keine größere Freude machen. Gleich beim ersten Anblick errieth ich die Superiorität des alten Pilgers über alle Mauren, die ich bis ^ht kennen gelernt hatte. Ja! ein geheimer Instinkt sagte mir, daß ich bald mächtige Sympathie für den Vielgereisten empfinden würde und daß es mir vielleicht gelingen möchte, aus ihm einen Freund zu machen. Hamed el Gadirl war ein Mann von etwa 60 Jahren; aber noch war das Weiß nicht seine vorherrschende Haarfarbe, da die Natur ihm — cinc große Seltenheit in Algier — rothe Locken und Bart verliehen hatte. Sein Körperbau war wie aus Erz gegossen, seine Gesundheit eine um'rschiitterlichc. Line lange Habichtsnase, ein hoher, aber schmaler Kopf, ein zahnloserMund, ein Paar neugierig funkelnder Augen, eingefallene, aber dennoch kräftig und gesund aussehende Wangen, ein voller Bavt aus W2 Noth und Weiß gemischt, bildeten die Grgä'nzungbpunkte seines Konterfeis. Jede Verweichlichung war dem Hadsch fremd, ja unbegreif-lich. Er tonnte z. B. gar nicht verstehen, warum man auf dem Dampfschiff auf dem ersten oder zweiten Platz fahre, da doch die Bequemlichkeit der dort gebotenen Betten wahrhaftig nicht so viel werth fei, als sie loste. Er selbst fuhr stets auf dem Deck oder dritten Platz, Als er das letzte Mal von Alexandrien ge° tommen war, hatte er einen Juden aus Algier auf dem Dampf' boot getroffen. Der Jude fuhr erste Classe und zahlte 500 Francs, der Hadsch dritte und zahlte 80. Als sie in Algier angelangt waren, rief der Hadsch dem Inden zu: „Nun, was hast Du jetzt davon, so viel mehr bezahlt zu haben, als ich? Angekommen sind wir,Beide, und wenn man fragt, wem von uuö die Fahrt am besten betommeu sei, so bin doch am Ende noch ich es gewesen." Das Zimmer, welches el Gadiri bewohnte, war eine sogenannte Dutzra. Duiira, dieses Verkleinerungswort von Dar (Haus), bedeutet zwar wörtlich: Häuschen, es ist aber stets nur ein Zimmer. Weil es jedoch cinen Eingang für sich, getrennt von dem Eingänge der übrigen Hausbewohner, hat, so giebt es dem Besitzer in einer Beziehung den Portheil eines eignen Hauses. Dieser Vortheil des abgesonderten Eingangs ist für den Mauren ein unberechenbarer. Denn wenn ein Muselmann Algicrs in einem Hause lebt, in welchem außer ihm auch noch andere Micths-leute wohnen, — und heutzutage sind nur dic allerreichsten Algierer im Stande, ein ganzes Haus für sich allein zu miethen, — so ist cr gezwungen, um niemals den Frauen seines Nachbars zu 103 begegnen, die unbequemsten Vorsichtsmaßregeln zu gebrauchen. Ein unglücklicher Junggeselle, der sein Stilbchen in einem von Familien bewohnten Hause hat, ist sogar genöthigt, den ganzen Tag außerhalb "zuzubringen; seine Wohnung dient ihm nur zur Schlafstätte, und zwar muß er stets noch vor Anbruch des Tages das Haus verlassen und darf erst Abends in der Dunkelheit sein Zimmerchen wieder aufsuchen; — sonst könnte ihm das Entsetzliche widerfahren, daß er einer maurischen Frau, etwa gar einer un-verschleierten, begegnete, und dann wehe ihm! der sociale Fluch ist über ihn ausgesprochen; von nun an gilt er für einen unmoralischen Menschen; kein guter Muselmann giebt ihm seine Tochter zur Ehe; tein anständiger Mensch spricht mit ihm, er gilt für einen Kafir (Ungläubigen) oder, was noch schlimmer ist, für einen Rumih (Christ). Da Hadfch Hamed niemals die zarten Bande der Ehe geknüpft hatte, so hätte auch er sich dem unbequemen Verbanntsein bei Tage aus seiner eignen Wohnung unterwerfen müssen, wäre er nicht im Besitz seiner geliebten Dui^ra gewesen. Diese Duüra war ihm denn auch theuer wie sein eigen Kind. Gr schmückte sie aus, er pflasterte sie mit Fragmenten von Marmor, die er auf der Straße auflas, er wusch sie, fegte sie, putzte sie täglich mit väterlicher Liebe. Wo er ein Stückchen glänzender Tapete fand, so zierte er damit die Wände seiner Dui-ra. Konnte er einige bunte Kacheln wohlfeil kaufen, so verschönerte cr damit feine Du<-ra. Möbel waren freilich in der Dui!ra nicht vorhanden. Statt dessen lag eine reinliche Strohmatte auf dem Marmorboden, ein Teppich breitete sich darüber aus und an drei Seiten des Zimmers lagen gute bequeme Matratzen, welche 104 durch Teppiche verdeckt waren und so divanartige Ruhebetten bildeten. Vs waren dieß oie einzigen Luxusgegenstände, welche er besaß. Eine Matratze gilt nämlich in der Stadt Algier fiir Luxus, auf dem Lande aber kennt sie der ssingeborne nicht einmal, und wenn er eine zu sehen bekommt, zerbricht er sich den Kopf, was sie denn wohl fein könne. Auf diesen Polstern saßen der Hadsch und seine Gäste allabendlich und hielten Tivan von sieben Uhr an oft bis Mitter, nacht und noch später. Meine Studien im Arabischen gestatteten mir, an ihrem Gespräch theilzunehmen, und bald war ich ein Mitglied ihres kleinen Cirtels geworden, an welches sich Alle schnell gewöhnt hatten. El Oadirt war für cineu Mauren, dieses Volk des Schweigens, ganz besonders gesprächig; vorzüglich liebte er es, von feinen Reisen zn erzählen. Diese waren denn auch fiir mich von vielfachem Interesse. Vcsonders seine Reisen nach Mekka und sein einjähriger Aufenthalt in der heiligen Stadt hatten wegen der Unnahbarkeit dieser Orte fllr Europäer den Reiz von Enthüllungen aus einem verbotenen Wunderlands, lim in Metta unter einem plausibeln Vorwande sich so lange aufhalten zu können, hatte el Gadiri daselbst einen Laven eröffnet, der zugleich seine Wohnung bildete. Er machte keine Geschäfte und wollte auch keine machen, aber er hatte so Gelegenheit, die Araber, sowohl der Stadt, als auch der Umgegend, kennen zn lernen. Gr liebte zu beobachten, und es fehlte ihm nicht an Veobachtungsgeist; er war neugierig und wißbegierig zugleich — zwei Dinge, welche bei Muselmännern äußerst selten gefunden werden; die Meisten haben haben das Nil »«Imiral-i auf die höchste Spitze getrieben. «03 Der Hadsch war keineswegs erbaut von den Eigenschaften der Bewohner von Mekka. Obgleich die größte Zahl derselben von den Almosen der ganzen übrigen muselmäunischen Welt lebt und die Vermögenderen ihre Wohlhabenheit dem Verkehr der Pilger verdanken, so lieben sie dennoch die Fremden keineswegs. Zur Zeit der Pilgerfahrt miissen sie dieselben freilich dulden, aber kaum ist der Strom dieser frommen Wanderer verrauscht, so bricht ihre Antipathie wieder mit neuer Macht hervor. Wehe den Wenigen, die in der todten Jahreszeit in Mekka verbleiben. Zahlreichen Beschimpfungen, mitunter sogar Mißhandlungen von Seiten der Stadtbewohner, ja! der Naubsucht der Beduinen der Umgegend sind sie ausgesetzt. Der Hadsch selbst hatte die unangenehmsten Ersahrungen gemacht. Gr war den Verunglimpfungen noch deßwegen mehr als andere fremde Muselmänner ausgesetzt gewesen, weil er, als Algierer, mit einem französischen Paß reiste und unter französischem Schutz stand. Deßhalb galt er für einen Abtrllnntgen, einen halben Kafir (Ungläubigen), mußte es sich oft sogar ins Gesicht sagen lassen, daß man ihn nicht als einen guten Muselmann ansehen tonne. Abrr Alles dieß machte ihn in seinem Plan nicht irre, ein Jahr lang die heilige Stadt zu bewohnen. Endlich, durch seine Gutmüthigteit, die Dienstfertigkeit, mit welcher er oft den ihmamwenigsten Geneigten Geschäfte besorgte nnd sie so zwang, ihn wenigstens als nützlich zu betrachten, durch seine Langmuth und stcte gute Laune gelang es ihm allmählig, die Vorurtheile gegen ihn zu entwaffnen, und er fing an gerne gesehen zu werden. Als er abzog, wollte man ihn sogar zurück« halten, aber dießmal war cr es, der den Reservirten spielte. 106 Ebenfalls sehr interessant, aber vorzüglich Heiterkeit erregend war es, ihn von feinem Aufenthalt in Paris erzählen zu hören. Dorthin war er in Gesellschaft dreier seiner Landslcute gereist. Der Vornehmste dieser vier war ein Schwiegersohn des letzten Pascha's von Algier, Hussein Dey, gewesen. Diese einfachen Menschen lebten in Paris ganz so, wie sie es in Algier gewohnt gewesen waren. Sie kochten sich ihr Essen selbst, holttn ihr eignes Trintwasser am Brunnen, gingen, mit den« Küchen-korb unter den Arm auf den Markt, kurz, sie richteten ihr Leben so einfach und wohlfeil ein, daß, wie der Alte mich versicherte, ihre Ausgaben fiir Speise und Trank sich in der Weltstadt auf nicht mehr als auf die bescheidene Summe von vier Fraucs täglich, d. h. ein Franc per Kopf, belaufen hätten. Um so tomischer war es, daß bei solchem anspruchslosen Leben dies' guten Leute eine Wohnung gemiethet hatten, welche mit ihren einfachen Bedürfnissen im grellsten Widersprüche stand. Sie hatten nämlich die ganze erste Etage eines eleganten mvblirten Hauses in der RueNwoli iuue, für welches exorbitante Logis sie die für sie sehr bedeutende Summe von fünfhundert Francs monatlich zahlten. Man hatte nämlich den Schwiegersohn des Pascha's glauben gemacht, daß in Paris sein hoher 3lang eine solche pomphafte Wohnung erheische, und dieser, eiu Greis an Jahren, aber ein Kind an Erfahrung, hatte in den sauren Apfel gebisfcn, eine solche, für seine geringen Mittel ruinöse Summe monatlich auszugeben. In diesem Logis hatten sie der Zimmer viel zu viel, sie brauchten nur eins. Betten hatten sie auch nicht nöthig. So machten sie denn von den Schlafzimmern und andern Stuben gar keinen Gebrauch und schlugen ihr Lager 10? Tag und Nacht lediglich in, Salon auf, wo sie auch ihre Spei» sen auf einem mitgebrachten Kohlenbecken kochten, Venn der Gebrauch der französischen Kochapparate war ihucn natürlich ein ungelöstes Räthsel. Es muß sich sonderbar ausgenommen haben, auf den eleganten Srphas und Consolen eines Pariser Salons die irdenen Kochgeschirre dieser Naturtinder herumstehen zu sehen. Kochen war übrigens nächst dcm Reisen eine Hauptbeschäftigung des alten Hadfch. In seiner Dni-ra war der Kohlennapf stets angezündet. Kaffee und Thee mußte man bei ihm trinken und Kuchen essen und wieder Kuchen essen, und dann zur Abwechslung arabische Bonbons, und wenn man sich nicht wenigstens den Magen verdarb, dann war der gutmüthige alte Mann nicht zufrieden. Als Hadsch Hamed mit feinen drei Freunden, worunter der Pascha'sschwiegersohu, in Paris pomphaft wohnte und bettel, ärmlich speiste, da war es wohl zuweilen vorgekommen, daß irgend ein Franzose, von officiellem Nange, dem Tochtermann Hussein Dey's eine Staatsvisite machte. In diesen Fällen trat ein völliger Decoratiouöwechsel ein. Das Kohlenbecken wurde aus dem Salon verbannt, die Kochgeschirre entfernt, Alles wurde gesäubert und die Möbel staatsmäßig geordnet. Ja, mit den Leuten selbst ging eine Verwandlung vor. Waren sie früher, auf völlig gleichem Fuße lebend, Mo m«1e auf dem Boden umhergelegen und hatten keinen Nangunterschled gekannt, so traten nun plötzlich sociale Abstufungen cin. Der Schwiegersohn des Pascha's wurde als Respectsperfon pomphaft auf einem Sopha installirt und die drci Andern umstanden ihn mit demuthsvoller Miene unr stellten dienstbare Geister vor. 108 Giner machte den ssaffeebringer, der Andere den Pfeifenträ'ger, der Dritte stellte jene stumme Persönlichkeit vor, welche muselmännischen Großen selbst zur Seite zu stehen pflegt und deren Hauptbeschäftigung Nichtsthun, Gähnen und Dummaussehen zu sein scheint. Jetzt durste der Franzose kommen, er wurde mit Selam-maleks höchst würdevoll empfangen, und als er wieder ging, trug er gewiß den Eindruck mit sich davon, wie streng vornehm geordnet und regelmäßig eingetheilt ein muselmännlfches Haus-pcrsonal sei. Kaum hatte er jedoch den Nucken gedrcht, so war ein abermaliger Dekorationswechsel eingetreten! Der Pascha's-schwiegersohn war wieder ein gewöhnlicher Maure geworden, lag nuUcn unter seinen Dienern des Augenblicks auf dem Fußboden ausgestreckt und die Andern rächten sich durch Scherze über ihn au dem Zwang, den sie sich seinetwegen hatten auferlegen müssen. Nicht, als ob der Tochtermann des Dey nicht wirklich einst einen hohen Rang eingenommen hätte! Aber damals, als er Paris besuchte, dawar es bereits mit seiner Herrlichkeit vor-bci, Algier war schon gefallen, und bei den Mauren gilt eben nnr der officiclle active Rang. Ein abgesetzter Pascha ist wenig, selbst wenn er viel Geld in Sicherheit gebracht, und gar nichts, wenn er dieß nicht gethan hat. Der Hadsch hatte den Dry Hussein ebenfalls sehr gut gekannt, aber nicht als regierenden Herrn, sondern erst später, in der Verbannung. „Als Hussein uoch Pascha war," so erzählte er oft, „da sah ich ihn nnr unter Furcht und Zittern, denn das Kopfab-schueideu ging ihm lcickt von der Hand. Aber später in Alexan- 10« drien lernte ich ihn kennen und wurde balv ein täglicher Gast in seinem Hause. Er war gutmüthig und heiter von Natur; den Verlust seiner Pascha'owürde ließ er sich wenig zu Herzen gehen, Uebrigens lügen die Franzosen, wenn sie sagen, der Pascha habe 7 Millionen Francs in Sicherheit gebracht. Kein Mensch in ganz Algier besaß eine solche Summe. Wir Mauren wußten gar nicht, was eine Million sei. Der weichste, reicher noch als der Pascha, das war mein Freund, der Khas-nadschi (Schatzmeister) und dessen Gelr habe ich selbst gezählt. Es betrug aber nicht mehr als fechzigtausend spanische Thaler." Der Hadsch tamtte alle echten Mauren von Algier, eine Rare, welche sich durch Feinheit und würdevolle Manieren sehr vortheilhast vor den Arabern des Innern auszeichnet. Er klagte jedoch sehr darüber, wie wenig echte Mamen es jetzt nur mehr gäbe. Viele Familien feien ausgewandert, andere ausgestorben', und die noch übrigen seien meist verarmt. An ihrer Stelle hätte» sich in Algier eine Menge Knbylen und Araber niedergelassen, und angefangen, sich maurisch zu tragen und diese würden nun von den Franzosen für echte Mauren geha'ten. Manchmal saß ich mit dem Hadsch im Bazar und wir musterten die Vorübergehenden. Da gefiel er sich dann, mir sie Alle zu nennen und mir zu sagen, wer ein echter Maure sei und wer nicht: die echten machten nicht den zehnten Theil aus. Betrübt wandle er sich dann zu mir und sprach: „Sehen Sie was aus Algier geworden ist!" So sah der römische Senator vom alten patricischen Blute zur Zeit des Verfalles des Weltreichs mit Wehmuth und Zorn no die Söhne der Freigelassenen im Senat, in welchem er sonst mir feines Gleichen erblickt hatte, Platz nehmen. Dreizehntes Capitel. Eine Schneiderbude in Algier. Algierische Schneider. — Kaffeehaus. — Balbierstnbe. — Dao Hanuts. — ^ädeu zmnDanimcnsitzen. — Die Tchncibcvbude des Mäalicm. — Der Mcthusalah bcr Schneiderbnde. — Der Pilger ohne eignes Zuthun. — Die ithuauö odcr mi^iöseu Orden. — Der witzige Unwissende und der alderue Gelehrte. — Ein stantöpft.qcr alter Muselmann, — Der junge Verschwender, — Der plötzlich reichte« wordene alte Schlllmeister. Wie schon bemerkt, so war mein Filter Freund Habsch Ha-med seines Handwerts ursprünglich ein Schneider gewesen. Aber die Ausübung dieses poetischen Gewerbes hatte er schon seit einiger Zeit anfgegeben. Das Verfertigen maurischer Klcivungsstlicke ist nämlich so unvortheilhaft geworden, das; eö jetzt nur noch mit Noth seinen Mann ernähren kann. Die maurischen Schneider Algiers finden nur bei den Mauren selbst Absatz für ihre Machwerke; die Araber, Veduinen, Kabylen tragen wedcrHosen, W cste noch Jacke, sondern bloö Hemd und Äer-nus, welche ihre eignen Gattinnen verfertigen; die Juden haben ihre eignen Schneider; die Türken, welche einst die besten Knnden der manrischen Schneider waren, eristiren nicht mehr in Algier, und die Mauren sind meist so dürftig, daß sie IN sich mit jener Livree des Orients, den Lumpen, als Vetleidung genügen lassen müssen. So giebt es venn auch in der ganzen Stadt jetzt nur mehr noch drei eigentliche Mäallem oder maurische Schneidermeister. Der Hadsch hatte jetzt nichts mehr zu thun- er widmete sich ausschließlich dem Studium seiner iltingileh ober Wasserpfeife, welche denn auch beständig angezündet war und jenen gurgelnden, springbrunnenartigeu Touuon sich gab, dessen Mo» notonie auf harmlose Gemüther einen so angenehm einlullenden Einfluß ausübt. Aber diese Ningileh einsam zu rauchen, das war dem geselligen Manne unmöglich, und bei Tage kam Niemand in seine Du^ra; der Divan wurde nur des Abends gehalten. Wo aber sollte er sich seinem Lieolingsvcrgmigcu hingeben? Da war das Kaffeehaus, nicht das französische, denn das ist jedem Muselmann antipathisch, sondern das arabische ; aber die Kaffeehäuser der Eingcbornen sind leider von einem solchen unberechenbaren Lumpengesindel fast ausschließlich besucht, daß kein anständiger Maure oder Araber jemals ihre Schwelle zu übertreten Lust bekommt. Hie und da steht man freilich unter diesem grenzenlosen Janhagel irgend einen Touristen in Gestalt eines verrückten Engländers sitzen, welcher sich einbildet, maurische Sitten und Gebräuche an einem Orte ten-nen lernen zu tonnen, welcher nur vom Auswurf, vom untersten Gemisch der algierischen Völkerschaften aufgesucht wird. Mit dem Kaffeehause war es also nichts. Da blieb aber noch die Barbierstube. Die Barbierstube', jenes Stelldichein aller vornehmen Mauren und Araber, welche ihr ehrwürdiges 112 Haupt unter dem Schecrmesser des triumphirenden Baders allwöchentlich wenigstens einmal beugen müssen. Aber auch die Barbierstnbe sagte dem Hadsch nicht zu. Der Hafsaf oder maurische Barbier nämlich ist der ärgste Parasit, den man sich denten kann. Dem Reichen, der für das Nasiren seines Haupthaares einen Franten ausgicbt, dem thut er schön, für den hat er die allerneuesten Anccdötchen, dem singt er ein arabisches Lied vor, oder recitirt ihm die Verse eines großen Dichters; den lädt er denn auch stets ein, sein Berdauungsstlmdchen im traulichen Gespräch im Barbierladcn zuzubringen; und uicht selten hat er ein halbes Dutzend von Honoratioren in seiner kleinen Bude sitzen, welche durch das Gewicht ihrer Persönlich» teit viel zu seinem Nufe beitragen. Aber der Hadsch war nicht rcich; er ließ seinen ehrwürdigen Scheitel nur selten, und zwar für die bescheidene Summe von fünf Sous rasiren, und va schmeichelte ihm der Hasfas nicht. Zwar hätte er immerhin sich in der Barbierstube installiren können, denn der Maure verweigert Niemandem, selbst dem Fremden nicht, einen unentgeld-lichcn Platz in seiner Bude, — aber der Hadsch hatte sein Ehrgefühl: Aufdringen war nicht seine Sache und er wußte, daß es sonst der Bude« in Algier viele gäbe, in welchen er ein gerngesehener Gast war. Hatte er doch nicht weniger als fünf Brüder, welche alle ihre Läden besaßen; da hätte er sitzen können, da hätte er sich seiner Ningileh nach Herzenslust hingeben und nebenbei ein Plauderstündchen feiern tonnen, so oft es ihm beliebt haben würde. Aber die Brüder standen Ge-schäfteu oder Industrien vor, mit denen el Gadiri wenig Sympathie hatte. (5r war einmal ein Schneider gewesen, und mit 113 der unwiderstehlichen magnetischen Kraft des Bügeleisens zog es ihn nach der Schneiderbude zurück. Er kannte alle Schneider und Schneidergesellen Algiers, die meisten hatte er aufwachsen sehen und ihrem ersten Nadelstiche beigewohnt. Alle liebten und verehrten ihn, wozu vielleicht der Umstand nicht wenig beitrug, daß der gute Altö stets für Jedermann eine Tasse Kaffee oder eine Pfeife Tabak, wohl auch ein kleines Gelddarlchn für die Dürftigen bereit hatte. Die drei Mäallems stritten sich förmlich um "vie Ehre, bei welchem von ihnen dieser einstige Kollege sein Lager aufschlagen sollte. Hamed hatte also nur die Wahl, welchem Schneiderladen cr seine Gunst zuwenden wolle. Er entschloß sick für den m^ncs Freundes Sidi Hamud el Mäallem, des jüngsten und tüchtiq-stcn Handhabers der Zuschneidescheere in Algier; denn sun-derbarer Weise verstehen nur die Mcister das Zuschneien; einen zuschneidenden Gesellen findet man nicht. Der Hadsch machte also die Schneiderbude Hamud's zu seinem Hanuts oder Aufenthaltsladen. Das Hanuts spielt in Algier eine zu große Nolle, um nicht seine Erwähnung hier zu finden. Das Hanuts ist für den Mauren Alles das zu einem Einzigen vereinigt, was der Europäer in seinem Wohnzimmer, seinem Bureau, seinem Klnbb, seinem Kaffeehaus, seinem Rauchzimmer und überhaupt in jcdwedigem Locale besitzt, wo er zu allen verschiedenen Stunden des Tages seinen Aufenthalt zn erwählen Pflegt. Wörtlich heißtHanuts zwar nur Laden, und es dient auch jedem Händler als Bude, jedem Handwerter als Wertstatt. Aber nicht die Hälfte der Mauren haben einen Laden, oder sind Drei Jahre ini Nordwcsten Von Afrila. I, ^ 114 Arbeiter in einem solchen; jedoch hat Jeder fein Hanuts, d. h. ?r kann von dem Laden eines Freundes nach Velieben Gebrauch inachen, und macht auch Gebrauch davon, in ihm sitzen, so lange es ihm gcfällj, dort sich seinen Kaffee aus dem nahen Kaffeehause hinbringen lassen, feine Pfeife rauchen, schlafen, wenn er müde ist und essen, wenn er nicht zur Mahlzeit nach Hause gehen will. Jeder Maure, der nicht ganz ein Vagabund ist, hat denn auch, wenn er selbst keinen eignen Laden besitzt, ein bestimmtes Hanuts, wo er feine Zeit unter Tages zubringt. Da es Sitte ist, das Haus bei Tage gänzlich den Frauen zu überlassen, so geht der verheirathete Maure nur zur Mahlzeit und zur Nachtruhe in seine Wohnung, der Ledige aber nur zu letzterer. Aus dieser tyrannischen Sitte, die den Mann unter Tages aus seinem Hause ausschließt, entsteht die dringende Nothwendigkeit für Jedermann, ein Hanuts zu haben, das ihm feine gastliche Pforte öffnet. Oft ist dieses Bedürfniß so lebhaft fühlbar, daß ein Privatmann mit irgend einem seiner ladenbesitzcnden Freunde ein Uebereinkommen trifft, wodurch er sich verpflichtet, einen Theil uon desseu Miethe zu bezahlen, um so daö Necht zu haben, stets im Laden zu sitzen und keine Dankesverpflichtung auf sich zu laden. Das Hanuts bildet denn auch jedesmal die Adresse eines Mauren; Niemand empfängt Briefe zu Hause, weil der Briefträger in die Gefahr kommen könnte, die Gattin oder Tochter des Adressaten zu erblicken, was ein entsetzliches Unglück wäre. Das Hanutö vertritt bei den Mauren auch noch eine andere Seite des öffentlichen Lebens. Es dient nämlich dazu, 115 Besuche zu empfangen und zu erwioeru; denn Niemand kann, ebenfalls der Frauen wegen, in seinem Hause einen Freund bei sich sehen. Obgleich cö nun bei denMaurendurchausnicht das giebt, was man bei uns Staatsvisiten nennt, so bietet doch jedes, selbst das einfachste Privatleben in gewissen Fällen die Nothwendigkeit einer Besprechung zwifcheu Betanuten. Eine solche kann nur im Haunts stattfinden. Ferner dient das Hanuts auch ncch zum Vergnügen, zur Zerstreuung Derer, die sich daselbst aufhalten; denn aus ihm wohuen sie als Zuschauer txiu in Algier so bunten und regen Leben in deu Straßen bei, sie hören jeden Scherz, jede Anecdote, und vor allen Dingen, was sie unendlich lieben, jede Scaudalge-schichte aus erster Haud, und in Algier liefert die Scandalchro-nik täglich viel Neues, sei es auch noch so Unbedeutendes. Wic nothwendig und angenehm zugleich das Hanuts sei, das haben in neuester Zeit einige der reichsten Mauren, welche ruhig und zurückgezogen auf ihren Gütern lebten, empfunden. Eine Gesellschaft reicher Privatleute hat sich zusammengethan, niu iu einem der lebhaftesten Viertel von Algier ein Hanuts zu miethen, blos um iu demselben zu sitzen. In diesem Hanuts wird weder gehandelt, noch feilgeboten, keine Waare, ja kaum ein Möbel ist in demselben sichtbar: aber auf dem Fußboden sitzen die Eigenthümer, die sich zu Tode langweilen würden, wenn sie ihr Hanuts uicht hätten. So halte dcnn auch der Hadsch sein Hanutö, und dieses sollte durch seiue und des Müallem Freundlichteit bald auch das meiuige werden. Die Schnciderbude des Mäallem Hamud war für mich eine 8* 11« kostbare Entdeckung. Wie reichlich konnte ich hier das maurische Leben an den zahlreichen Charakterköpfen studiren, welche in der Gestalt von Arbeitern oder Vesuckern seine Mäume ausflillten. Es war eine Gesellschaft komischer ober wenigstens origineller Käuze, deren Geschichte ich nach drei Tagen bereits an den Fingern herzählen konnte. Da war zuerst Sidi Habibi, der Methusalah der Schneiderbude, ein siebzigjähriger Greis mit den Manieren, dem leichten Blut und der Behendigkeit eines zwölfjährigen Knaben. Urin wie eine Kirchenmaus war Sidi Habibi; verdienen konnte er auch nicht mehr viel, denn seine Augen hatten ihn so ziemlich im Stich gelassen. Aber dienstfertig war er und flink wie ein Page in Besorgung der Aufträge, wofür ihm dann zuweilen von den andern sich besser stehenden Arbeitern ein Sou gespendet wurde. Aber für diese Mildthätigkeit glaubten sich die Hartherzigen auch berechtigt, mit dem originellen Greis ihr neckendes Spiel zu treiben. Sidi Habibi ertrug in geduldiger Gelassenheit alle Scherze, welche über sein ehrwürdiges Haupt ausgeschüttet wurden. Er hatte eiucn Trost, zu dem er oft seine Zuflucht nahm und der ihm seine Zufriedenheit uud gute Laune erhielt. Dieser Trost war sein Sibsi, seine geliebte Pfeife, die ihm Gattin «no Kind, Ehre und Reichthum, Alles in Allem war. Der Meister liebte das Sibsi nicht und oft wurde der Greis wegen seines steten Rauchens von dem vierzigjährigen Manne wie ein Schulkind ausgezankt. Sidi Habibi schwieg in stoischer Gelassenheit und lcgte gehorsam das Sibsi bei Seite. War aber der Mäallem hiuausgegaugen, was oft geschah, da holte Sidi Habibi, unter den Ausbrüchen der Heiterkeit feiner Kollegen, das N7 theure Sibsi wieder hervor, da fiilltc cr es mit tem wohlfeilsten arabischen Tabak, näherte es semen Lippen und saugte wie in brünstigen Küssen den holden Nauch aus dem geliebten Nohr ein. Sidi Habibi war einer jener oben geschilderten unglücklichen Junggesellen, welche nur von Sonnenuntergang an bis vor Tagesanbruch ihr Stübchen bewohnen tonnen. So war er denn ausschließlich auf das Hanuts angewiesen, in dem ich il)N aüch zugleich seine einfachen aus Trockenbrob bestehenden Mahlzeiten einnehmen sah. Die Armuth dieses gutmüthigen Alten und die Geduld, womit er die Neckereien der Andern ertrug, hatten meinen Freund, den Hadsch, so gerührt, daß er aus ihm seinen be-soncern Schützling machte. Täglich wohl sechs Mal lies; er ihm auf seine Kosten Kaffee verabreichen, was freilich nur eine Ausgabe von drei Sous betrug, denn die Tasse ungezuckerten Kaffees lostet in arabischen Kaffeehäusern nur einen halben Sou, und Sidi Habibi verschmähte den Zucker. ' Der Nachbar Sidi Habibi's auf den Sitzen der Schneiderbude war cin fünfzigjähriger Mann, Hadsch Hamed Twül, ebenfalls mit jenem leichtblütigen, stets heitern Sinn, der fast allen Mauren eigenthümlich ist, vo» der Natur begabt. Er hatte sich den Titel eines Hadfch ohne eignes Zuthun verdient, er war in Melta gewesen, ohne jemals einen Schritt gethan zu haben; denn seine Mutter hatte einige Monate vor seiner Geburt die heilige Wallfahrt gemacht und dies; sicherte nach dem Islam dem damals noch Ungcborenen den Titel eines Hadsch. Twül gehörte zu einem Khuan oder religiösen Orden, deren cs in Algier viele giebt. Die drei verbreitetstm sind der des Sidi Taieb, der des Sidi Abd-el-Kader und die Issana. Der 118 rstere ist der geachtetste; der letztere ergänzt sich nur ans den untersten Schichten der Bevölkerung. Die Mitglieder der Orden Sidi Taieb und Sidi Abd-el-Kader versammeln sich nur zum Hersagen gewisser Gebctesformeln und zu geselligen Mahlzeiten. Die Issaua dagegen führen in ihren Versammlungen auch noch eine Anzahl von Gaukelkunststückchen, wie Feuerverschlingen, Skorpion- und Schlangenessen, Nägelzerbeißen und dergleichen auf. Sie behaupten, von ihrem Stifter Siri Aissa die Gabe bekommen zu haben, ungestraft Gift genießen zu können. Ich wohnte in Algier mehrmals ihren nächtlichen Festen bei und sah bei denselben ihre seltsamen Gaukeleien, aber bei weitem die interessantesten Künste dieser Ordensbrüder habe ich in Marokko zu sehen bekommen. Der Leser wird sie in den der Hauptstadt jenes Kaiserreiches gewidmeten Capiteln finden. Ucbngens gehört kein anständiger Maure zu irgend einem Orden: ein strenger Muselmann verschmäht jeden andern religiösen Verband, als den der Kirche des Islams, der Gemeinschaft aller Gläubigen. Unter den Schneidcrgesellcn des Hanuts war auch ein Issaua. Es war dieß der kugelrunde, fettstrotzcnde Ven Sakur, ein dreißigjähriger Manu, welcher für den Unwissendsten im ganzen Hanuts galt. Ven Sakur war Issaua lediglich wegen der Mahlzeiten von Kußtußuh geworden, welche den Brüdern von abergläubischer Hand oft gespendet werden. Er zankte sich viel und gerne mit einem Taleb (Gelehrten), Sidi Mustapha Ukhe'i', welcher zugleich Schncidergeselle war, da die Gelehrsamkeit allzuwenig abwarf. Ven Sakur war nicht ohne Mutterwitz, welcher letztere dem Taleb durchaus abging, und der Gelehrte hatte gewöhnlich bei ihren Wortstreiten die Lacher gegen sich. 119 Der Taleb war ein Kind an Naivetät nnd merkte es nie, wenn man ihn aufzog. Alle Schneidergesellen trieben ihren Scherz mit ihm. Oft pflegte man ihn zu fragen, was er heute zu Mittag gespeist habe, und der gutmllthige Taleb merkte ni? die spöt« tische Absicht dieser Frage; kaum halte er in na'l'ver Unschuld dic Herzählung seiner einfachen Speisen begonnen, als cin allgcmei-ncS Gelächter der ganzen Schnciderbude ihn belehrte, wie kindisch er sich wieder einmal benommen habe. Ein echter Typus von einem starrsinnigen altcn Muselmann, wie es jetzt nur wenige mehr in Algier giebt, war Baba Hassan. Er war zur Türtenzeit Kanonier gewesen und ersehnte diese holde Herrschaft der Unordnung aus all' seinen Kräften zurllck. Die Türken waren ihm das Ideal alles Guten und Edlen. Der Rumih war ihm in den Tod verhaßt, und er mußte geschworen haben, nie einen solchen mit seiner Ansprache zu beglücken. Er war der einzige Insasse des Hanutö, der nie mit mir ein Wort gewechselt hat. War ich doch auch ein Rumih! Ben Makfulschi, ein anderer Arbeiter, war ein junger Mann von sieben und zwanzig Jahren, von äußerst vortheilhaftem Neußern. Aber die neidische Natur hatte diesem edel geformten Kopfe das Grützchm Mutterwitz versagt, welches sie oft den Buckligen und Häßlichen fo reichlich fpendet. Ben Makfulschi war nicht zum Schneidergesellen geboren, er war der Sohn vermögender Eltern und hatte bei ihrem Tote eine hübsche Vaarschaft geerbt. Nun besteht ein muselmännisches Gesetz, wonach der Kadi der Vormund aller Minderjährigen ist uud selbst dann bleibt, wcnu diese nach den französischen Gesetzen schon für volljährig gelten würden. Ihre Großjährigst, w^nn 120 man überhaupt von Großjährigkeit in den patriarchalischen Gesetzen des Koran reden kann, hängt allein davon ab, ob sie für vernünftig und erfahren genug gehalten werden, selbst ihr Vermögen verwalten zu können. Aber Ben Makfulschi war mit 21 Jahren noch ein Kind an Vernunft und seine Minderjährigkeit drohte eine ewige zn werden. Uebrigens ging es ihm während derselben recht gut, denn der Kadi zahlte ihm regelmäßig seine Einkünfte aus. Er hatte für einen Mauren nickt nur gut gut zu leben, sondern auch genng, um die Schmarotzerbaude, welche sich um den reichen Jüngling gesammelt hatte, reichlich zu bedenken. Ven Matfulschi war nach maurischen Begriffen überaus glücklich und hatte keine Sorgen. Aber da mußte ihn der Böse plagen, den Worten eines Juden Gehör zu geben, welcher ihm auseinandersetzte, daß er mit dem Kadi einen Proceß anfangen und nach französischem Gesetz die Herausgabe seines Capitals verlangen könne, letzteres besitzt bekanntlich keine solchen vorsichtigen Maßregeln, wie das arabische, welches das Eigenthum erwachsener Kinder vor ihrer eigenen Unvernunft beschützt. Bcn Makfulschi processirte, gewann und wurvc in den unlimitirten Besitz feines Vermögens gesetzt. Von nuu an begann er ein wahnsinniges Berschwenderleben, welches bald trau« rig enden sollte. Die Schmarotzerbande mehrte sich immer mehr und mehr, er tonnte die vielen Freunde, welche er auf einmal bekommen hatte, nicht mehr zählen. Seine Tage vergingen in kostspieligen Ausflügen in zahlreicher Gesellschaft, auf denen er natürlich seine Begleiter freihielt, seine Nackte in Orgien mit maurischen Schönheiten, denen er seine Schätze reichlich spendete. Auch machte er Reisen, auf denen er alle Schmarotzer mit sich I2l herumschleppte. Kurz, tein Mittel, seiner Baarfchast bald lerig zu werden, wurde von ihm unversucht gelassen. Das baldige Ende seiner Neichthümer,feinerHerrlichkeit und das Aufhören derFreund-schaft seiner einstigen Parasiten war natürlich lie Folge seines so lächerlichen Verschwenderlebens. Jetzt ist Ben Matfulschi ein armer Schneidergeselle geworden, der in bescheidener Lumpentracht einsam durch die Gassen schleicht, welchen seine früheren Schmarotzer über die Achsel ansehen und von dem sich viele seiner einstigen Freunde, sollte er sie anreden, mit Verachtung abwenden würden. Vcn Matfulschi ist nicht allein mit feinem Schicksal. Es giebt in Algier Hunderte junger und alter Mauren, welche ganz wie er durch ihre eigne Unvernunft ihres Vermögens ledig geworden sind. Kaum hatte der Unvernünftige sein väterliches Erbe ver schwendet, so erhob sich ein einstimmiges Concert des Tadels über ihn, dem man früher nur geschmeichelt hatte. Einer der eifrigsten der ihn Verdammenden war einer meiner spätern Bekannten, ein bettelarmer alter Schulmeister, NamcnS Tal'eb. Daö Schicksal wollte Ta'i'eb auf die Probe stellen, ob er es denn in ähnlichem Falle besser machen würde, als der vor ihm viel-getadelte Ben Matfulschi. Der alte Schulmeister erbte Plötzlicl, die Summe von zwanzigtausend Francs. Von diesem Augenblick an war Tai'eb umgewandelt. Er kleidete sich als Pascha, gab alle Abende Feste und nahm ein Dutzend Haremschönheiten in sein Haus auf, die ihm denn bald feine kleine Erbschaft bis auf den letzten Sou verzehren halfen. Jetzt ist Ta'i'eb wieder ein armer Schulmeister geworden und spricht sich weniger tadelnd 122 liber Ven Makfulschi an^. Alle Mauren mit wenigen Ausnahmen sind Kinder und werden stets Kinder bleiben, Kinder an Nawetät, Unerfahrenhcit und Unbekümmertheit um die Zukunft, aber auch zugleich Kinder an Gutmüthigkeit und oft anch Liebenswürdigkeit. Zweite« Huck, Die Provinz Algier. Erstes Capitel. SUuöli. Hochebene von 3tä,uW, — Sidi Ferudsch. — Landung dcv Franzosen. — Tic sicgeMwissen Iauits6)arcn. — Die Schlacht bei St«,Mi. — Erster Angriff. — Unregelmäßige Reiterei und regelmäßige Iufantcne. — Der Sieg, — Vcstürmnng Algiers. — Einnahme. ^- Das Trappistcnkloster. — Der „Pöre." — Qualen der Fastenzeit. ^ Die ncngcbackcnc Madonna, Wenn man die gartenreichen Hügel des Sahcl von Algier überschreitet und die fruchtbare Ebene der Metidscha links liegen läßt, gelangt man auf einer schönen Straße nach Krleah, der heiligen Stadt der Araber: einst der Sitz eines berühmten Marabnts, jetzt ein französisches Colonistenstädtchen. Auf dem Weg: dahin überschreitet man das Schlachtfeld von Stäni^li, vielleicht das berühmteste, jedenfalls das wichtigste Algeriens. Denn hier wnrdc jener Entschciduugskampf geschlagen, welcher den Franzosen die Wege bis an die Thore Algiers ebnen unc> dessen Folgen ihnen bald diese Stadt selbst überliefern sollten. Die Gegend um Stäu^li ist eine Hochebene, einige hun-dert Fust über der Meereöflache gelegen: Eine majestätische 12« Ginöde, von Zwergpalmen, Lentiscus,Myrthcn, Arbutus, (5actus, Alo«, Cistnö, Ginster, Lythospermen, Tttäuchen und Gebüschen aller Gattullgen überwachsen, von zahlreichen Schluchten durch-zogcn, in deren sandigem Bette niedere Baume wuchern, während Üuiin cin einziger Stamm sich aus dem Plateau selbst erhebt. In de» dichten Gebüschen dieser dornenvollen Wildnis; haust der Schakal, welcher Nachts sein grelltönendes Geheul erhebt, und die Hyäne schleicht über das einsame Schlachtfeld, als suche sie da noch Leichen, wo vor zwei und dreißig Jahren so viele vermodert sind. Von den höchsten Punkten dieser Hochebene gewahrt man die tiefblaue See, in welche die zackige Halbinsel Tidi Ferudsch ihre felsigen Arme hineinrcckt. Scheint es nicht, als wollte diese so kühn ins Meer hinausgeschobene Landzunge die crste Stufe zu einer Wunderbrncke bilden, welche, vcn hier aus über dcn Rücken des Miltelmeers sich wölbend, zwei früher feindliche, jetzt noch so schlecht versöhnte Welttheile verknüpfen mochte? Als der nördlichste Kiistenpunkt in Algiers Nähe war Sidi Ferudsch gleichsam durch seine Lage dazu prädestiuirt, die erste Pforte zn bilden, durch welche die Kinder der Civilisation in diesen barbarischen Welttheil eindringen sollten. Hier war es denn auch, wo am 1>1. Juni 1830 die französische Armee unter Marfchall Bourmont landete, um nach weniger als einem Monat die Hauptstadt dieses Landes ihrem Vaterland? zu Füßen zu legen. Die Landung tonnte merkwürdiger Wcise ganz ungestört vor sich gehen. Die Türken, die Beherrscher Algiers, hegten ein fo tollkühnes Selbstvertrauen, daß sie über die Verblendung der Franzosen nnr spotteten, welche diese ihrem sichern Verderben, 12? den Siegern aber reichliche Beute zufilhren solle. Obgleich die Ianitscharen gewiß blutwenig von Geschichte wußten, so hatte sich doch unter ihnen die Tradition von jener an Beute so sehr ergiebigen Plünderung des spanischen Lagers, nach der Niederlage Carls V.. bewahrt, und sie hofften auf ein ähnliches Beute-glück, wie das, welches ihren Vorgängern vor drei hundert Jahren zu Theil geworden war. Einen Feind, welchen man zu plündern wünscht, dem muß man wenigstens Zeit lassen, seine Habseligkeiten in dem Gebiete des Plünderers auszupacken. — So dachten die siegesgewisscn Ianitscharen und ließen deßhalb die Landung der Franzosen ungehindert von Statten gehen. Erst, als die Gelandeten sich anschickten, gegen Algier wei ter vorzurücken, sandte ihnen der Dey seine Streitmacht unter Anführung seines Schwiegersohnes Ibrahim Agha entgegen. Etwa eine Meile weit hatte sich das französische Heer von Sidi Ferudsch entfernt, als es auf dcr Hochebene von Stüui^li mit dem Feinde zusammenstieß. Der entscheidende Kampf bereitete sich vor, welcher eine dreihundertjähnge Herrschaft vernichten sollte. Am Morgen des 19. Juni 1830 fammclten sich 50,000 Araber und i^abylen, unregelmäßige, wilde Haufen, und etwa 10,000 Mann türkischer und maurischer Miliz, cine zwar regelmäßigere, aber nach europäischen Begriffen immer noch sehr schlecht organisirte Schaar, in der wildgcstrüppten Einöde. Der Bey von Konstantine, El Hadsch Hamed, welcher später noch am längsten von allen türkischen Herrschern in Algerien den Franzosen trotzen sollte, führte die unordentlichen Reiterhaufen der Kabylen. Der Bey von Titeri stand an der,Spitze der 128 Araber des Tell und der Wüste. Die beiden Vcy's sttllten ihre Streilmassen auf den Flügeln auf; Ibrabim Agha selbst, an der Spitze der Ianitscharen und der Miliz, nalnn das Centrum cin. Eine schöne Gruppe von fünf noch vorhandenen Dattelpalmen, deren Wurzeln weinander verwachsen sind und in deren Schatten sich jetzt ein berühmt werdendes Madonnen-blld befindet, bezeichnet den Plmtt, wo Ibrahim seinen Baldachin, das Symbol dcs Oberbefehls, aufpflanzte, um von hier aus die Schlacht zu leiten. Die Franzofen stellten dieser Streitmacht ctwa 20,000 Mann entgegen, eine kleine Zahl im Vergleich zu den Eingebrr-ncn, aber wie sehr in Beziehung der Disciplin, der Tactik, der Bewaffnung und überhaupt jedes Zweiges der Stratcgik jenen barbarischen Massen überlegen! Der erste Angriff erfolgte von Seite der Türken, nnd war s? heftig, daß die erste Division des Marschall Vourmont zum Weichen gebracht wurde. Die Ianitscharen drangen in den Ncdan ein, und nahmen, weiter vorwärts stürmend, eine Redoute des 28. Regiments. Aber ihr Triumph war ein kurzer. General Chouat dringt an der Spitze feiner Division vor, greift die Türken in den Flanken an nnd cs gelingt ihm, sie zur Aufgabe aller errungenen Vortheile zn zwiugcn. Während dieser Vorfälle unternehmen die Araber zwei und die Kabylen drei Reiterangriffe. Die französischen Divisionen erwarten sie in ssarru'6 geformt, und lassen sie ganz nabe herzu kommen, ohne ;u feuern. Erst als die unregelmäßige Reiterei sich in nächster Nähe der französischen Infanterie befindet, feuert diese und jagt jene wilden Massen, welche auf 129 eine ganz andere Haltung der in Vierecken aufgestellten Truppen-törper gerechnet hatten, in die Flucht. Jetzt ergreifen die Franzosen dk Offensive. Die Divisionen Berthenöze und Icverdo werfen sich anf die Ianitfcharen, während die Division Escars die Armee im Rücken gegen die Flankenschwenkungen der Araber deckt. Der Vayoncttangrisf, diese Hauptforce der französischen Infanterie, erweist sich auch hier siegreich und nach kurzem Widerstände ist die feindliche Armee in wilde Flucht aufgelöst. Die Araber uud Kabylcn irren zerstreut nach allen Seiten und die tintische Infanterie tritt in größter Unordnung den Nückzug an. Ibrahim Agha mit seinem Gcneralstab ruhte nach verlorener Schlacht nicht eher, als bis die Thore Algiers sich hinter ihm schlössen, wo ihm übrigens bei Hussein Dey ein sehr schlechter «'mpfang bevorstand. Im ersten Zorne setzte ver Pascha seinen Schwiegersohn von der Stelle eines Agha ab und schickte ihn in eine Villa auf dem Hügel Vufareah in Verbannung. Aber nicht lange, so besänftigte sich die Wuth des Schwiegervaters vor den Bitten seiner Tochter, uud Ibrahim wurde wieder zu Guadeu aufgenommen, eine Gunst, welche jedoch der Sturz des Deys bald werthlos machen sollte. Das ganze Lager der Türken fiel in die Hände der Sieger. Dreizehn Kanonen, hundert Kameele, eine Anzahl Pferde und Manlthicri.', sowie vierhundert Zelte, worunter das reichverzierte des türkischen Heerführers, wurden die Beute der Franzosen. Nach diesem Siege rückte Marschall Bourmont weiter gegcn Algier vor. 180 Vom 24. bis 29. Juni campirte die Armee auf der Höhe von Baschadereah: cine strategisch schlecht gewählte Position, in welcher die Franzosen von dcn benachbarten Bergesgipfeln ernsthaft belästigt wurden. Der General en (U)ef eilte diese gefährliche Stellung, welche der Armee in fiinf Tagen 900 Mann gekostet hatte, zu verlassen, um vor die Thore Algiers selbst zn rücken. Bis zum 5. Juli dauerten die Vorbereitungen zur Beschießung der Hauptstadt. Durch solche Verzögerung überrascht, glaubten schon die Algierer, die Franzosen hätten keine schweren Geschütze mitgebracht, und man erzählt sich, daß die Ianitscharen von den Stadtmauern herab dcn Belagerern spöttisch zugerufen hätten: ob sie ihnen etwa Kanonen leihe« sollten. Trotz dieses Uebcrnnlths dauerte der Widerstand der Stadt nicht lange. Am 5. Juli Morgens wnrdc daö Fort dc l'Empcreur beschossen, bald darauf von den Türken verlassen und in die Luft gesprengt. Wenige Stunden nachher wurde der Vertrag unterzeichnet, welcher die Stadt dcn Franzosen überlieferte. Hussein Dey war froh, mit seinem Priuatfchatz, den man auf 7 Millionen Franlen anschlug, sich zurückziehen zu können und so ein i!ebeu zu retten, welchcö in, der letzten Zeit von den Ianitscharcn äusserst gefährdet worden war. So wurde für ihu ver Fall seiner Hauptstadt noch ein Rettungömittel und gestattete ihm, zur Zahl der wcnigeu Der/s von Algier zu gehören, welche keiues gewaltsamen Todeö erlagen. Durch diesen Sieg wurde Algier französisch und die Ebene von Stüni'li, das hochberühmte Schlachtfeld, sollte bald einer 13l höchst friedlichen, wohlgenährten und sorgenfreien Genossenschaft znmWohnsitzangewiesen werden. Im Jahre 1840 wurdeuamlich hier ein Landstrich von 1(100 Hektaren dem Mönchsorden der Trappisten abgetreten nnd ein Kloster gegriwdet, an dessen Hauptgebäude man jetzt auf der Landstraße richt vorbeikommt. Ein Besuch dieser Localität überzeugte mich, daß die Mönche in Afrika dieselben liebenswürdigen Eigenschaften, Schwachheiten und Fehler besitzen, wie in allen andern Ländern. Ein ehrwürdiger „Pöre" mit schöner strahlenden Glatze, langem weißen Varte und obligate,« Schmeerbauch führte unö in deu heiligen Hallen herum. Der fromme Mann war in ein schneeweißes langes Gewand gekleidet, welches, nebst feinen blühenden rosigen Pausbacken, ihm ein besonderes kindlich naives, unschuldiges Aussehen verlieh. Im Kloster war eigentlich blutwenig zu sehen: das Refectorium sänen dem „Pöre" bei weitem das Wichtigste. In dieser Localität ließ er sich herab, uns die nach ihm so großen Qualen der Fastenzeit zu schildern, welche übrigens teine so entsetzlichen Folgen in Bezug auf die Abmageruug der irdischen Hüllen dieser weltentsagenden Seelen bis jetzt gehabt zu haben schienen. Wenigstens konnte ich im Kloster-garten einige Gestalten erspähen, denen die Kasteiung ganz besonders gut angeschlagen sein mußte, wie die Kugclruudheit ihres mittleren Körpers triumphireud bewies. Die Trappisten bildeu bekanntlich einen der allerstreugsten Ordeu, und wer in diesen eintritt, muß sich drei dem natürlichen Menschen gleich widerstrebenden Vorschriften uuterwerfen, nämlich Arbeiten, Fasten und Schweigen. Aber: „11 y u ixvec lo richtet, doch bereits einige obligate Wunder verrichtet haben soll. Diese Madonna hat denn auch von dem Schlachtfeld ihren Namen erhalten und unterscheidet sich von allen nbrigen Madonnen durch den schöne» Titel: „Notre Dame de StäuiUi". Der ehrwürdige „P^rc" verkaufte uns zum Schlns; ein paar Medaillen, welche, wie er behauptete, zum Troste der gläubigen Seelen von hier ans in alle Welttheile verschickt wurden und deren Aufgabe es sei, den im Werden begriffenen Nus der noch etwas obscureu „Notre Dame de Stäui-li" zu verbreiten. A'i der Klosterpfortc traf ich im Weggehen einen Hansen 133 spitzbübischer zerlumpter Araber, welche die Barmherzigkeit der frommen Väter hier mit einer Knochensuppe, aus den Abfällen des Klosters zusammellgebrliht, abspeiste. Dieser sich öfters wieberholende Act dcr Mildthätigkeit hat bis jetzt, zum Bedauern der heiligen Männer, noch keinen jener eingefleischten Jünger Mohamedö zu „Notre Dame de StäuiM" bekehrt. Zwcitcs Capitel. Blidah. Die Ebene Melidscha. — Ihr Nuf bei den Arabern. — M Bufaril. — Bem Mcrcd. — Vlibah's erster Anblick. — Dic Orcnigeuoase. — Wechjeltampf »mi Vlidah's Besitz. — Die Stcidt der Znaven. — Der Orangenplatz. — Die Ufer des Uöo el Kebir. — Marabut. Kein Punkt seiner Umgebung ist durch lebhaften Verkehr so innig mit Algier verbunden, kein benachbarter Ort verleiht durch seine beglückende Nähe der Hauptstadt mehr Annehmlichkeiten, als Blidah. Dieses liebliche Städtchen liegt am andern Gnde einer fruchtbaren Ebene, der Mctidscha, welche unmittelbar hinter Algiers Pillenregion ihren Anfang nimmt. Seine Entfernung mag ungefähr sechs deutsche Meilen betragen, welche man aber auf dem ebenen vortrefflichen Wege, vermittelst guter Diligenccn, in der verhältnißmäßig kurzen Zeit von etwa vier Stunden zurücklegt. Nachdem wir die Hügelkette Algiers überschritten hatten, öffnete sich vor unsern Blicken die schöne, den Reichthum künftiger Generationen in ihrem Schooße führende Ebene Mctidscha: 134 ES dehnt Metidscha ihre l5bene weit Vom Meer bis dorthin, wo zu mächl'geu Höhm Tcr Atlas Berge an Gebirge reiht. Der Zwergespalme Fächer luftig wehen. Des Oleandeis PurpurlMthenkleid, Die Wilde Myrlhe, Lorbeer übersäen Die sanftgewcllten dichtgestntppten Auen, Aus denen seltne Palmeu auswärts schauen, *) Die Metidscha hatte einen eigenthümlichen Reiz. An und fnr sich eine oerhältnißmäßig kahle, nur mit niederem Oestrilpp bewachsene, fast baumlose Vodenflache, aus der bis jetzt nur hie und da eine urbar gemachte Getreidestrecke oascngleich hervorleuchtete, gewann sie durch das allwätts sie umrahmende Atlas--gebirge Form und Charakter, (is waren zwar nur die Berge des sogenannte» kleinen Atlas, aber schon ihre Höhe war beträchtlich genug, um nicht selten im Winter und selbst noch im Frühling das schöne Schauspiel beschneiter Gipfel zu gewähren, welche über einer subtropischen Landschaft emporragen, aus der hie und da die Dattelpalme ihr Haupt erhebt. Einige der einzelnen Berge waren kahle graue Felsen-rilcken, andere prangten im dunklen Grün der sie bedeckenden Pinien un'v Cederuwaldnugcn, und wieder andere boten den Wicken bemattete schmclzige Wiesenhochebenen dar. In unmittelbarer Nähe der Landstraße gewahrten wir fast auf der ganzen Strecke französische Niederlassungen, weiter im Innern der Metidscha herrschte jedoch das schwarze, niedrige, aus Rinder-häuten gebildete arabische Zelt uor. Die einstigen Herren der Welt, die Kinder der Sieben- *) Pilgermuscheln, Gedichte don H. v. Maltzan. Leipyq, i««l». 135 Hügelstadt, welche in Afrika so viele Nolonien gründeten, scheinen sonderbarer Weise die Metidscha fast ganz «erkannt oder uerschmäht zu haben. Orst im Mittelalter erlangte diese Korn-tannner Algiers ihre Bedeutung und ihren Ruf. Die arabischen Schriftsteller sind ihres Lobes voll. Abulfeda nennt sie das „große Land". Leo Nfricanus Preist ihr Getreide als „das beste des Maghrebs" (des Nordwcsten von Afrika). Die Algierer früherer Jahrhunderte nannten sie: „die Mutter der Armen, die beste aller Ebenen, deren Fruchtbarkeit sich aus vollem Born wie die Wasserbäche ergießt." Noch im Anfang dieses Jahrhunderts beschäftigte der Ackerbau in derMetidscha über 150,000 Arbeiter. HeutzuTage würde mau sich umsonst nach solchem Ueberfluß umsehen. Gin großer Theil der Ebene ist jetzt Negieruugsland und wird in Parcellen an Co-lonisten verliehen, die es jedoch oft nur zum kleinsten Theile urbar machen. Viele dieser Ansiedler in Algiers Nahe sind nur falsche Kolonisten nnd wahre Speculanten, welche sich das Land verleihen lassen, um es bald wieder zum zehnfachen Preise zu verkaufen, denn in der Nähe der Hauptstadt nehmen Grund« stücke jährlich bedeutend an Werth zu. Halbwegs zwischen Algier uudBlidah kamen wir durch das ganz französisch gebaute Colonistendorf Vufarit, meist von Elsas-sern, die noch von allen Franzofen am besten zu n (iolonisiren taugen, bewohnt. Früher war hier einer der berühmtesten Märkte Algeriens gewesen, welcher zur Zeit des heiligen Krieges einer Art von großartigen politischemKIubb Platz gemacht hatte. Da war es, wo die fanatischen Marabuts ihre Philippika gegen die Franzosen donnerten und die kriegerischen Hadschuten, jenen un- ruhigsten und stärksten Stamm der Metidscha, zum Freiheitskampfe aufforderten und waffneten. Später, als Bufarit definitiv von den Franzosen besetzt wurde, ward es einer ihrer stärksten Vorposten gegen die genannten Hadfchuten. Der nächste Ort, welchen wir zwischen Vufarit und Vlidah erreichten, war das kleine Dorf Vcni Mcred, nach einem Be» duincnstamme der Nachbarschaft so genannt, jetzt jedoch nur von Europäern bewohnt. Auf seinem Marktplatze sahen wir eine Denksäule, welche zu Ehren eines hier im „heiligen Krieqe" von den Hadschutcn überfallenen und niedergemetzelten französischen Detachemcntö errichte« war: In Vufant das Frankcnlager war. Sie schickten aus Pedellen, zu erspähen, Ob nicht des Wüstcurosseo Mähneuh^ar Dem ^ager ual>', doch noch war nichts zu lohen. Vis Hieher sie gelangten, als gewahr Man plötzlich ward der Rosscschwcife W ehen: Dei Fiailten >varm ;>ran;!a., doch zu dielen Hund ei t die Feinde über sie hei sielen. Mm lrar's gewiß cin leichtes Ding zn sticheu, Doch fticheu galt dc>l muth'gcu Kriegern Schande', Sie zogm'ö vor, den blanken Stahl zu ziehen, Mit kleinstem Haus betämpfeub mächt'ge Bande. Der Säbel flog. der Kngelu moiorisch Mühen Drang zijcheud durch die schlottrigen Gewände. Und chcr nicht die Tapfern unterlagen, Als bis viel hundert Feinde sie erschlagen.*) *) Pilgermnscheln. ,3? Jetzt galt es nur noch einen kurzen Halt und neugestärtt flogen die Pferde durch die stanbbewölkte Ebene dahin. Plötzlich lag Vlidah vor unsern Blicken: eine orangengrüne, duftumwallte Insel aus dem Meer der steppenartigen Metidscha auftauchend: Oaseugieich auZ blätterloser Oede War V1idah'i> Gartellprangen aufgesprossen: Inmitten grüner Haine, blum'ger Beete. ^ag sic am Flusse^ufer hiiM^ossm, Und mcivchniglttch ob ihrer Gärtcu Vlllt^en Der weißen Kuppeln Silbermonde glühten. *) Ahmed Ven Inssuf, ein arabifchcr Dichter, wcl6)cr fein Leben auf Irrfahrten in Afrika zubrachte, hat eine Menge von politischen Dcntspn'ichcn iibcr die verschiedenen Städte Algeriens hinterlassen, welche im Munde der Eingeboruen noch fortleben. Ueber die meisten Ortc sind seine Epigramme nichts weniger als fchmeichelhaft. Von Blidah jedoch sagt dieser gelehrte Vagabund nur Gutes: „Die Menschen uannten dich: lleinc Stadt, ich aber ucnne dich: kleine Nose", lautet der schmeichelhafte Spruch deß dichtenden Aetteldcrwisch's. Ahmed Ben Justus hatte Necht: Man muß in der That ein unverbesserlicher Hypochonder seiu, um von Vlidah'S natürlichen Reizen nicht entzückt zu werden. Man denke sich einen Flächenraum von einer halben Quadrat-meilc, in eine Menge Felder und Gärten eingetheilt, welche sich theils in der Ebene hinziehen, theils terrassenförmig sich auf den niedersten Vorfprnngcu der Berge lagern. Alle diese Felder, diese Terrassen, diese Gärten grünen und sprossen von einem Meer ") Pilgcl»Nischeln. 138 der lieblichste«, dustendsten Blüthen. Ueber dieser niederen Vegetation rügen die tiefgriinen Vaubcölronen zahlloser Orangen^ bäume empor, aus denen die goldnen Aepfcl hervorleuchten und mit ihrein Glänze eine natürliche Glorie ausstrahlen; nähern wir uns ihnen, so empfängt uns der berauschende Duft der Silberblüthen, welche oft in holder Laune sich gefallen, neben den gold-nen Aepfcln ihre weißen Zprosftn zu zeigen. Frucht und Wüthe vereinigt nicht selten ein nnd derselbe Orangenbaum. Diese herrlichen Gärten umschlingt mit seinem Silberfaden der rieselnde Uiid-el-kebir und die Verge winken nah und fern und l^'n den Wanderer in das duntle Geheimniß ihrer Cedernwälder. Durch den Namen getauscht, hat I)r. Shaw in Blidah das alte römische Bida erblicken wollen, welches im Jahre 484 unserer Zeitrechnung als Sitz eines Bischofs erwähnt wird. Aber jetzt ist so ziemlich gewiss, daß das alte Vida sich an der Stelle des jetzigen, in der Kabylie gelegenen, Dschema Saha-ridsch befand; zudem ist der Name Vlidah offenbar arabisch, und zwar das Diminutiuum für Beled, Stadt. Das maurische Städtchen wurde erst zur Zeit der türkische» Herrschaft gegründet und im Jahre 18^5 durch ein Erdbeben fast gänzlich zerstört. Auf Befehl des Pascha's sollten die obdachlosen Bewohner ihre neue Stadt eine halbe Meile nördlich von der alten aufbauen; aber die Gewohnheit war zu mächtig und das neue Vll dal) wurde auf den Nuinen des alten aufgeführt. In den ersten Jahren nach der Einnahme Algiers durch die Franzosen war Blidah einem beständigen Wechsel feiner Beherrscher ausgesetzt gewesen. 13!) Am 25. Juli 1840 von Marschall Bonrinont zum ersten Male besetzt, wurde es nach einigen Tage» wieder verlassen. Den 19. November desselben Jahres von Marschall Clauzel nach einem hitzigen Gefecht wieder erobert, fiel es am 26. desselben Monats abermals in die Hände der Araber unter Führung des unternehmenden Beu Samue, welcher sich jedoch ebenfalls nicht daselbst zu behaupten vermochte. Marschall Clauzel rief indessen bald oie Garnison, welche Ben Samue verjagt hatte, wieder zurück nnd Blidah gehörte noch einmal den Fingebornen. Im März 1832 von General Berthenöze von Neuem unter« worsen, schüttelten die Bürger Vlidah's bald nachher das verhaßte Joch abermals ab und traten der von Sidi Saachi gebideten Verbindung gegen Frankreich bei. Die Erstürmung und Plünderung der Stadt am 20. Novbr. 18AÄ durch die Armee dcö Herzogs von Novigu war die Strafe dafür. Aber auch dießmal gaben die Franzosen ihren Besitz wieder von selbst auf. Nach dem Mckzuge der französischeu Truppeu uuterwarfcu sich die Bewohner dem Emir Abd-cl-Kader, dem sie bis zum 29. April 1837 gehorchten. Der Friede der Tafna trat Blidah definitiv an Frankreich ab, und am g. Mai 18A6 nahm Marschall Bal6e im Nameu seiner Negierung officiellen Besitz davon. Seitdem hat das Städtchen, unter dem Schntze deö Friedens seine natürlichen Hülfsmittel entwickelnd, einen früher un-gelanuten Grad der Blüthe erreicht. Eine Menge neuer Bauten hat sich erhoben, leider freilich fast alle iu dem schwerfällige« kasernenartigen Sthle, der einmal bei den Franzofen in Algerien Mode geworden ist. 140 Am Fuße des zackigen, wildromantischen Atlas gelegen, in einem Wald von Orangen, Citronen, Granaten nnd Lorbeerbäumen versteckt, oon einem tiystalltlarcn Flllßchen, dem tti;d e! kebir, durchrieselt, bietet Blidah dem Wanderer die schönsten Nuhepunltc. Hier tränkt er sich noch einmal an dem vollen Quell reicher Naturfchönheitcn, ehe er den Ritt in das ödere Innere antritt. Blidah besitzt immer noch eine ziemlich starte maurische Bevölkerung. Die eingebornen Männer tragen dasselbe Costlim, wie die Algierer. Die Frauen habe» jedoch eine ihnen eigenthümliche Art, sich das Gesicht zu verhülln. Sie tragen ciuen dicken Wollenshawl auf dem Kopfe, lassen das eine Ende desselben über die linke Seite des Gesichts gerade herabfallen, während sie mit dem andern Ende einen Vug beschreiben, so daß dieses ihnen die rechte Gesichtsseite vom Kinn heranf bis ans Auge verhüllt. So bleibt nichts am ganzen Gesichte unbedeckt, als das eine Auge. Diese Art der Verschleierung ist uralt und war schon den Griechen und Römern bekannt, bei welchen sie unter dem Namen XalyMruu zum Theil eingeführt war. Ein in Pompeji aufgefundenes Basrelief enthält die Abbildung einer solchen / eroberte Marschall Clauzcl das Städtchen auf's Neue und setzte an die Stelle des iuzwischen verstorbenen Bcy's einen neuen, nemlich Mohamed ben Hosscin ein, welcher scine Anhänglichlcit an die Franzosen noch mit dem Leben bezahlen sollt?. Denn bald darauf wurde er von einem Statthalter 148 Abd-el-Kaders, dem kriegerischen Marabut El Verkam, besiegt und gefangen genommen, worauf ihn der Sieger in Ketten seinein Herrn, dem Emir, zuschickte. Dieser befahl den unglücklichen Mohamed nach Marokta zu transportiren, um als Siegestrophäe des heiligen Kriegs am HofeMulev.Abd°er°Nhamanszu glänzen, Aber der fanatische Kaiv eines marotlanischen Grcnzstädtchcns, Uschdab, wollte es sich nicht nehmen lassen, an dem abtrünnigen Moslem, welcher im Dienste der Ungläubigen gestanden hatte, sein Müthchen zu kühlen. Auf scinen Befehl wurde Mohamed hingerichtet und zwar geheult, cine bei Muselmännern fast unerhörte und äußerst schimpfliche Todcöart. Am 17. Mai 1640 wurde Medeah durch den Herzog von Orleans wicdererobert 'und den französischen Besitzungen für immer einverleibt. Medeah gilt bei den gläubigen Mosleminen für eine heilige Stadt. Man könnte es in einer Beziehung das Loretto des Islams nennen, denn wie die Casasanta jenes berühmten italienischen Wallfahrtsorts, so läßt die Legende auch Mcdeah von Engeln durch die Lüfte getragen werden. Von feinem ursprünglichen Staudorte im Belad Kedima entführten cö dic himmlischen Voten hiehcr an den Fuß des Atlas. Der arabische Dichter Ahmed Äen Iussuf sagt von Me° deah: „Medeah, die von Engeln getragene! wärest Du ein Weib, Dich hätt' ich zur Gattin genommen. Wenn das Böse in Deinen Thoren einkehrt, ehe der Abend naht, hast Du cs wieder hinausgestoßen." Mcdeah hat ungefähr 7000 Einwohner, wovon etwa zwei Siebentel Europäer, die übrigeu Mauren und Juden. Jede Confession besitzt ihr Vcthaus. Die katholische Kirche ist die einstige Moschee Dschema Mered. Ihr schöner Giraldaar-liger Vtinaret ist in einen Glockenthurm verwandelt und trägt jetzt znm Horror jedes gläubigen Moslem ein großes eisernes Kreuz auf seiner Spitze. Diese Dschema Mered war friiher die Hauptmoschee Me-deah's gewesen und gehörte den, Ritus der Hanefi an. Fast in jeder Stadt Algeriens wurde gleicherWeise, wie hier, ein Hci-ligthum dem Islam entzogen und der Religion des Siegers gewidmet. Freilich macht dieser keinen-großen Gebrauch davon, denn die religiöse Indifferenz ist unter den Franzosen Algeriens wo möglich noch mehr, als in Frankreich selbst, an der Tagesordnung. Einige bärtige Priester (denn alle Geistlichen der Al-gerie tragen den vollen Bart) sind jetzt beinahe die einzigen Besucher dieser friiher von dem Gebet der Mosleminen täglich wivertönenden Hallen. Das Gasthaus, in welchcm ich abstieg, führte den bedeutungsschweren Namen „au Gastronome", was aber gar nicht hinderte, daß man daselbst nicht besser, als anderswo, speiste. Horace Vcrnet, der berühmte Historienmaler, hat sich herabgelassen, dem Gastronomen ein Aushängeschild zu malen, welches die Einnahme El-Aghuats darstellt. Da man es jedoch zu schön für seinen wirklichen Zweck fand, so figurirt es nun im Speisesaal als Prachtgemälde. Das Klima von Medcah hat etwas Nordisches; die Orangen und Citronen fehlen, die Dattelpalme wird man umsonst hier suchen. Dagegen erheben die schlanke Pappel, der Birnbaum, der Maulbeerbaum und die lllmc, von Neben umrankt, ihre belaubten Häupter aus der fruchtbaren, zum Theil 130 angebauten Landschaft. Ein kleines Mißchen, der Md Mergan, schlingt seinen Silberfaden durch dieHochcbenc, iu welcher außer Medeah auch zwei kleine, ein trauriges Dasein fristende Colo-uistendörfer, Lodi und Damiette, liegen. Hier, wie überall in Algerien, horte ich die Klagen der Colomsten, welche durch den geringen Negcn der letzten Jahre nahezu ruinirt zu sein behaupteten; der wahre Grund ihres Nuins lag aber wohl in ihrer eignen Unfähigkeit zum Colouisiren. Die fast ausschließlich militärische Negierung der Colouie bekümmert sich wenig um die wahren Interessen der Landleute. Der alte Haudegen von Gouverneur, welchem die Colonistcn täglich die Ohren über ihr Elend voll schreien, gewährt ihueu zwar zuweilen großmüthig Unterstützung aus Regierungsmitteln, behandelt ihre Gesuche aber gewöhnlich mit der Geringschätzung, welche tapfere Helden dem Ackerbauer, der ein so bescheidenes Handwerk ausübt, zu weihen pflegen. Täglich sinkt der Zustand dcö europäischen Ackerbaues in diesem Lande einem frühen Verfall näher und näher. Colonist und Bettler wird wohl bald in Algerien gleichbedeutend geworden fein. Dlc Araber lachen sich in's Fänstchm über dieses ötouo^ mische Mißlingen ihrer Feinde. Die Juden taufm dem ruinir-ten Kolonisten für einen Spottpreis feine Besitzungen ab. Is« mael und Israel profitiren von dem Unglück und den zahlreichen Fehlern des europäischen Eindringlings. Wohin dieser Zustand der Dinge fülnt. das ist nicht schwer vorauszusehen: die euro« päische Niederlassung in Algerien wird nach wie vor nichtö Anderes fein und bleiben, als — eine große Kaserne. 131 Viertes Capitel. Das Grab der Christin. Die beiden Hauptdeulmäler des Alterthums in Algerien. — Marengo. — Der auönelroducte SeeHalulci. — Klibb-er-Rumijllh. — Erster Anblick. -^ Woher der Mine? — Sagenkreis. — Die beiden Dynastien Von Maiiritanien. — Größe des Denkmal«. — Berbrug-ger'ö Exploration. — Die doppelte Äetk'idung des Mausoleums.— Tipasa Maurttaniüe. — Die Stadt der Märtyrer und Wunder. Es giebt in derAlgerie außer unzähligen mehr oder weniger bekannten Alterthümern vorzüglich zwei Denkmäler der ältesten Zeit von kolossalen Dimensionen, deren Zweck und Geschichte, ja deren ursprüngliche Form bis jetzt in ein mystisches Dunkel gehüllt erschienen. Wie die Pyramiden Aegyptens, so erheben sich diese Monumente in oder, menschenleerer Gegend, von Niemand besucht, als von dem forschbegierigen Touristen, der zu ihrer räthselhasten Masse in sinnendem Erstaunen aufblickt. Das eine, wahrscheinlich das älteste dieser Denkmäler, das sogenannte Grab des Syfthax, von den Arabern Medrassen genannt, liegt in der Provinz Constantine, zwischen deren Hauptstadt uud dem Gebirgs-städtchen Bathna. Das andere ist das Kubb-er-Numijah oder Grab der Christin, ungefähr sechs deutsche Meilen westlich von Blidah, unweit der Nuiucu des altrömischen Tipasa Mauritaniae gelegen. Kein Reisender, welchen Neugierde nach Algier geführt hat und der sich nur im Geringsten fllr Geschichte und Alterthü» mer lnteresfirt, unterläßt es, nach dem Grab der Christin einen 132 Ausflug zu machen, während der Medrassen seiner größern Ent» fernung wegen weit seltener besucht wird. Mir war es gegönnt, beide Grabpyramiden in Augenschein zu nehmen und so diese Schwesterkolosse mit einander zu vergleichen. Hier kann jedoch, um den Gang der fortschreitenden Reise-fchilderung nicht zu unterbrechen, einstweilen nur von dem in Algiers Nähe gelegenen Denkmale die 3iede sein. Meine Anwesenheit in Blidah benutzend, machte ich von bort aus die archäologische Wallfahrt nach demKubb-er-Rumijah. Der Weg fiihrt von dem Städtchen der Orangen und Nosen durch die ganze Breite der fruchtbaren Metidscha nach dem französischen Colomstendorfe Marcngo, Derjenige Theil der „herrlichsten der Ebenen", welchcn wir hier zu unserer Rechten licßen, bildet eine wenig tiefe Versenkung, in welcher bis noch vor kürzcstcr Zeit der seichte Binnensee Ha-lula seine schmntzigeu Flnthen schaukelte. Jetzt hat ihn die französische Regierung austrocknen lassen und zwar mit einem Kostenaufwand von mehreren Millionen, wofür sie ein Terrain oon dreitaufend Hektaren eines Landes gewonnen, dessen Fruchtbarkeit man überaus hoch anschlägt. Aber wehe dein Kolonisten, der zuerst die Pflugschaar in diesen sumpfigen Boden ewfctzen wird! Ein Meer von Krankheiten steigt ans diesem mit Miasmen geschwängerten Moraste auf. Mein Nachbar in der Diligence zwischen Blidah und Marengo war ein noch junger Mann, dessen traute Gesichtsfarbe und verfallene Wangen ihm jedoch ein bedeutend älteres Aussehen verliehen. Vom Fieber geschüttelt, blickte er mit einem Ausdruck des Hasses nach der sumpfigen Ebene des einstigen 1S3 Halula hm: „Dort habe ich nur mein Fieber geholt," sagte er, und fing an zu erzählen, daß er als Ingenieur die Austrocknung des Sees geleitet habe. Seine Schilderung vom Loose der Soldaten, welche hier arbeiten wußten, lautete wie die Aufzählung eines langen Todten- und Krankenregisters. Keiner der unfreiwilligen Arbeiter entging dem Fieber, welches sich oft höchst gefährlich, nicht selten to'dtlich zeigte. Aber Keiner starb am See selbst. Dafür sorgte die Negierung. Erkrankte Einer, so wurde er schnell nach Blidah geschickt; dort erlagen sie zu Hunderten. Aber die officielle Heuchelei gestattete nicht, daß man sage, man hole sich den Tod bei Negierungsarbciten. Marengo liegt auf einem dcr leicht gewellten Hügel, welche im Westen die herrlichste der Ebcmn begrenzen. Einige achtzig moderner europäischer Hänser, traurig und geschmacklos, ein paar Hundert zerlumpte Colonisten, worunter leider auch einige Deutsche, einige schmutzige, tabalstinkendcKaffee-uud Bierhäuser waren so ziemlich Alles, was ich in diesem Verlornen Posten der Civilisation erblicken konnte. Auch eilte ich schnell hinweg von der modernen Prosa des Elends und der Ge« meinhcit zu der hehren Einsamkeit der Steppen, auö welcher die Denkmäler einer Vergangenheit aufragten, welche die Phantasie sich gefällt, mit poetischen Farben auszuschmücken. Nach einstündigem Nitt erreichten wir die kleine arabische Niederlassung Schenuah, zwischen welcher und Tipasa das Grab der Christin gelegen ist. Vald entdeckten unsere Blicke das ergraute Denkmal eines rälhselvollen Alterthums, welches aus der von Zwergpalmen, Lentisken, Cistusbüfchen, zackigen großen afrikanischen Ginsterarten, Aspodelen, verhältnißmäßig riesigen 154 Lylhospermen und anderen subtropischen Sträuchen bewachsenen Ebene emporragte. Der crste Eindruck, welchen dieser massenhafte Koloß auf den staunenden Beschauer hervorbringt, ist jedenfalls ein großartiger, wenn auch vielleicht kein erfreulicher. Denn die ursprüngliche Form dieses Monuments, dessen Architektur im Alterthume vielleicht einen ähnlichen Eindruck wie die Pyramiden Aegyptens hervorzurufen im Staude war, ist dnrch die steten Zerstörungsversuche der Araber so unkenntlich gemacht, seine Basis so durch Ruinen verdeckt worden, daß »nan jetzt kaum noch auf den einstigen künstlerischen W^rth dieser Baute schließen lanu. Anders ist es mit dem an seiner Stelle zu beschreibenden Medrasfen, dessen Pyramide, noch gut erhalten, deniKunstfreunde einen ungetrübteren Genuß bietet. Bald hielten unsere Pferde am Fuße der dunkeln Steinmasse. Halb Thurm, halb Pyramide oder vielleicht richtiger Kegel, umringt von einem wilden Chaos herabgefallener Niesensteine, bedeckt mit Trümmern, die seiner Höhe entstürzten, bewachsen von einem Wald von Strauchwert, lag das Grab der Christin da, wie ein von Giganten zum Hohuc der Menschheit hingestelltes riesiges Fragezeichen. Warum heißt dieses Monument das Grab der Christin, da es doch offenbar seinen Ursprung eiuer viel älteren Epoche, als die Lehre der Apostel, verdankt? Dieß beruht, wie so viele Namen afrikanischer Orte, lediglich auf einer falschen Ueber-setzung. Das Grab der Christin wird nämlich von den Ein-gebornen Kubb-er-Rumijah genannt. Die ursprüngliche Form dieser Worte war Kebbr Num ^»^Htz), nack Geseniuö das 155 Phönicische für königliche Grabstätte. Die Araber haben aus Rum Rumijah sim Arabischen das Femininum von Numih, Christ) gemacht und die Franzosen dieses Wort nach scincr heutigen Bedeutung übersetzt: Daraus entstand das „Grab der Christin." Um diese fabelhafte Christin hat sich denn auch, wie so oft in ähnlichen Fällen, ein ganzer Legendenlranz gesponnen. Einige behaupten, sie sei die Tochter jenes hispanogothifchen Feldherrn Theodors gewesen, welcher die Mauren nach Spanien rief, um sich an König Roderick dafür zu rächen, daß er dieser Tochter die Ehre geraubt hatte. Andere wollen in ihr die Tochter des Dscherdscher oder Gregorius, des letzten byzantinischen Gouverneurs von Afrits erblicken. Eine dritte Sage macht sie zu einer (ihristcnstlavm von wunderbarer Schönheit, Lieblings-gattin eines Königs des Maghreb, welche die besondere Vergünstigung genossen hätte, ihrer Religion treu bleiben zu dürfen. In fast allen diesem Grabe gewidmeten Fabeln dreht es sich um einen unermeßlich reichen Schatz, welchen das Denkmal bergen soll. Cö ist bei den Beduinen ausgemacht, daß dieser Schatz, über dessen Vorhandensein kein Eingeborner den leisesten Zweifel hegt, nur ein Numih (Christ) zu hcben im Stande ist; denn alle Versuche der Muselmänner, in das Innere des Monuments einzudringen, schlugen bis jetzt fehl. Vor einigen Jahrhunderten, so lautet eine dieser Sagen, lebte ein Maure, der, von christlichen Scräenbern gefangen genommen, au einen italienischen Astrologen vertäust worden war. Der Astrologe besaß die Zauberformel, welche die Schätze heben tounte, und der Maure erlernte sie von ihm. In sein Vaterland zurückgekehrt, suchtc er das Grab der Christin auf und fing an, die 13U auöwendiggelernte Zauberformel herzusagen. Plötzlich entstand ein Blitzen und Tonnern; die Pyramide öffnete sich und er sah eine lange Reihe von Schätzen aus derselben sich emporheben, in die Luft steigen und gleich einer Vogelfchaar dahinfliegl-n. Aber, o Enttäuschung! statt sich in denSchooß des Hersagers zu senken, zogen sie alle weit fort durch die Lüfte über's Meer hinweg, in der Hiicktuug nach der Heimath des italienischen Astrologen , der sie gebannt hatte. Voll verzweifelter Habgier nahm der Maure seinen Vernus, warf ihn hoch in die Luft, um vie Schätze in ihrem Fluge aufzuhalten oder wenigstens einige in den Falten des Kleidungsstücks aufzufangen. Aber plötzlich erbebte die Krde, Blitz und Donner brachen von Neuem auö dem Innern des Grabes hervor; die Schätze stockten in ihrer luftigen Laufbahn und der für immer vom Vlitz gelähmte Maure fand am nächsten Morgen in den Falten feines VcrnuZ nur Würmer und Schlangen statt der im Fluge erhäschten Schätze. Ueber die Bestimmung des Grabes der Christin ist man jetzt so ziemlich einig. Es war nämlich das Hlnuumoutum ouWWuQe I5(,'ß'inL Feuti» odcr das Grabdenkmal der Könige von Mauritcmien, ebenso wie der Mcdrafscn die Gruft der Könige von Nmnidien bildete. Von allen alten Autoren ist Pom-ponius Mela (I.idr. I. (>'npnt, VI.) der einzige, welcher diefes Monuments, welches er Hlonimvntuiu oorumuuL Neßwe ßen-ti» nennt, Erwähnung thut. Die Adnotatoren dieses Geographen haben sich die Köpfc darüber zerbrochen, was Mela mit diesem „Nauimlinwm" meinen tonne. Isaacus Vossius verfetzt da« Denkmal auf die Julia Caesarea (Scherschel) gegenüber gelegene Insel, wo das heutige Fort Ioiiwille sich befindet. Der winzige, 157 welcher von dem Nichtigen eine Ahnung hatte, war Iac. Pen-zonins *), der in seinen Adnoww ad 1'ompaninm ^lolciN Folgendes sagt: Monumentum lioc suit baud dubie locus inter Jol et Icosium, in quo intervallo Ptolemaeus posuit Ti-pasam. Man kann die Lage kaum besser bezeichnen. Welch« Dynastie mauritamscher Könige Hat aber dies Monument angehört? Diese Frage ist bis jetzt »och nicht befriedigend gelöst worden. Die Geschichte Hat uns iiber die ältesten Könige von Mau-ritanien beinahe gänzlich im Dunkeln gelassen. Bicl mehr wissen wir von dem zweitt» Königreiche Mauritania, welches, von der Gnade Roms geschaffen, dein <3nkel der alten Könige von Nu° midien, dem i« Rom erzogenen Iuba II., dem Muster aller „Reges inseruientcs" oder königlichen Sklaven, verliehen worden war und welches sich nur einer Dauer von fimfzig Jahren erfreut Hatte. Nach den Forschungen Verbruggers trägt jedoch der älteste Theil, der eigentliche Kern des Monuments, zu offen die Spuren einer ältern Zeit, als der Iuba's II. und feines Sohnes Ptolemäns an fich, um dem zweiten Königreich von Maurita-nien anzugehören. So bleibt nichts übrig, als ten ursprünglichen Bau dieses Mausoleums der so gut wie gar nicht bekannten ältern Dynastie von Mauritanien zuzuschreiben. Mannerly Hat sich zwar bemiiht, uns eine Geschichte dieser Dynastie zu gcbcn. *) ©iefte Jacobi Perizonii ad Pomponium Mclam Ad-notata in Ed. Gronovii. Lugduni Uatavorum 1748. **) Sieh« Äiiannert, GevssrapHie der Griechen und Nömer. 10ts deren Anlage man auf ihre ursprüngliche Form schließen kann. Das Ganze bildete ein tcmpclartiges, beinahe rnndes Polygon, dessen Dach statt der Kuppel eine Stufenpyramide ausmachte. Dic Stufen sind freilich jetzt verschüttet, theils sind die Steine ihrer Bekleidung herabgestürzt, theils von hinabgerollten höheren überdeckt, so daß die regelmäßige Form der Pyramide verloren gegangen ist. Auf der nördlichen Seite sind die gigantischen Trümmer, welche den Fuß des Kegels überall umhäufcn, durch die letzte Exploration Berbruggerö im Jahre 1656 hinweggeräumt worden. Man gelangt jetzt ungehindert zu der Schcinvforte des Nordens, welche aus einem kolossalen Monolith von zwölf Fuß Höhe und zwei Fuß Breite besteht. Auf beiden Seiten ver Pforte sind die untern Theile von Halbfäuleu erhalten, aus deren Entfernung von einander Berbrugger schließt, daß die einstige Form der Basis des Mausoleums zwölfeckig gewesen sei. 15ft Die Ordnung der Halbsäuleu ist die ionische, jedoch mit bedeutenden Abweichungen von den gewöhnlichen Beispielen dieses Baustyls. So sind die beiden Rundungen des Piedestals von gleicher Größe, nicht, wie beim jonischeu Styl gewöhnlich, ein dünner Sockel auf einem breiteren ruhend. Die Capitäler der Säulen an den Scheinpforten haben statt der Rundungen laubartige Verzierungen, ähnlich wie die jonischenCapiläler amErech-thcum zu Athen. Am Medrassen sind die Säulen der ältesten dorischen Ordnung ähnlicher und stammen vielleicht aus jener wenig bekannten Kunstepoche, in welcher aus dem ägyptischen Baustyl all-mälig sich der hellenische zu entwickeln begonnen hatte. Vielleicht war die ursprüngliche Bekleidung dcö Kubb-er.Numijah der des Medrassen ähnlich. Von dieser ältesten Bekleidung sieht man wenigstens noch hie und da, zwischen der Pyramide und ihrer Basis, oberhalb der neueren jonischenSäulenkrönung, Neste von Architrave«, welche, dcr Form nach, denen des Grabes des Syvhax vollkommen gleich sind. Diese Aehnlichkeit des Mcdrassen und der ersten Form des Kubb-er-Runüjah läßt uns vermuthen, daß beide gleichzeitigen Dynastien ihr Dasein verdankten; der Mcdrassen den Königen Numioiens und das Kubb-er-Numijah dem ältesten Herrschergeschlecht Mauritaniens. Diente das Kubb-er-Numijah ebenfalls der lchten inländischen Dynastie, den „Neges inservientes", Iuba dem Zweiten und Ptolemäus, zur Grabstätte? Das ist eine Frage, die man vielleicht lösen wird, wenn die Erforschung des Monuments, von Verbrugger begonnen, aber leider auf Befehl der Regierung aufgegeben, einmal wieder aufgenommen lN0 und durch die Entdeckung der Grabkammer gekrönt werden sollte. Verbruggev war, seiner Berechnung nach, bei seiner letzten Exploration nur noch etliche dreist Fuß von dem Mittelpunkte des Mausoleums, d. l). von dem Orte, wo man annehmen kann, daß sich dieGrabkammer befindet, entfernt gewesen, beider wendet die Regierung entsetzlich wenig an die archäologische Erforschnug des Landes. Die vcrhältnißmäßig geringe Summe von 5,000 Francs würde, so berechnet Verbrngger, ihn ermöglichen, das Grab der Christin vollkommen zu erforschen. Aber diese Summe wird der Beförderung der Wissenschaft mit kleinlicher Knauserei verweigert. Vom Grab der Christin führte uns ein kurzer Nitt durch ein fchöncs Thal, nach dem Ufer des Meeres, wo die Nuiuen des römischen Tipafa Mumcipwm unserer Aufmerksamkeit harrten. Aus einem Wäldchen hoher stämmiger Olivenbäume ragten hier noch die Reste einer christlichen Basilika von 180^ Länge und W' Breite unweit des Meeres empor. Daneben sah ich die Trümmer mehrerer Häuser. Das Forum war deutlich erkennbar, ja! eine ganze Straße ließ sich noch mit Sicherheit traciren. In der Maurcnzeit unbewohnt, tragen Tipasa's Ruinen noch den unverfälschten unübertllnchten Stempel des Römerthums an sich. Niemand war eö hier eingefallen, wie bei andern Nömerstädten der Algerie, den Häusern des Welwolts neuere Gebäude aufzupfropfen. Die Abgelegenhelt der Gegend mag dieß erklären. Einsam und nnbewohnt feiert 161 Tlpasa am Strande des unermeßlichen Meeres und trauert über die Loose der großen Noma. Diese Stadt, von deren vorchristlichen Zeit wir so gut wie gar nichts wissen, wird vom heiligen Ovtatus als der Sitz donatistischer Verfolgungen gegen Katholiken erwähnt. Im Jahre 464 erlitten die Bürger Ttpasa's mit besonderer Strenge ebenfalls die arianische Verfolgung unter Hmicrich, wclchcv sie sich schließlich nicht anders entziehen konnten, als durch massenhafte Auswanderung nach Spanien. Dieser Vandalenkönig hatte unter andern Grausamkeiten auch die begangen, daß er mehreren Priestern und Diaconen von Tipasa die Znnge ansreißen ließ, Eine solche Barbarei sollte indeß nur zur Verherrlichung der Bekenner ausschlagen, denn, o Wunder? die zungenlosen Mär-lyrer fuhren fort zu singen und zu predigen. Victor Vitensis, der um 500 n. Chr. lebte, schreibt in seiner I^rsoentio Vauäalie» hierüber: „Wer an diesem Wunder zweifelt, der gehe nach Constantinopel. Dort lebt noch am Hofe Kaiser Zeno'ö der Subdiaconus Neparatus, welcher, obgleich nuf Huucrich's Befehl seiner Zunge beraubt, dennoch sich vortrefflich und mit großer Beredtsamkeit in verfchiedeuen Sprachen ausdrückt." Man sieht, Afrika war von jeher das i!and der blauen Wunder! Prokopios berichtet ebenfalls von den zungenlosen Märtr^ rcrn aus Afrika, welche im Orient predigend herumzogen. Aber er setzt hinzu, daß diese wunderbare Verleihung der Sprachengabe an zungcnlose Menschen an die göttliche Bedingung geknüpft gewesen sei, daß diese Märtyrer nie ihrer Reinheit ver-lnstig würden. Zwei dieser frommen Vetenner vergaßen sich Ift2 jedoch, wie der byzantifche Historiker meldet. Vom Augenblick an, da sie gesündigt hatten, verloren sie ihre Sprache und wurden nun wirklich stumm. Protoftioö sagt: ^,'v 6<5o k/rktck,) Fünftes Capitel. Scherschell. Klagen über Elend der Colonisten. — Der Colonist in Asnla ein officiclleS Spielzeug. — Der Omnibus. — Die Colonie Zürich. — Scherschell. — Hotel. — Der altrömische Hafen. — Die Reges iuseivientes. — Die Bischöse von CAsarea. — Das Museum. ^ Archäologischer Spaziergang. — t^in Entdecker wider Willen. In Marengo zurück, mußten wir in einem elenden Kaffee» hause die Diligence abwarten, welche uns uon da nach Scher-schell bringen sollte. Um uns die Zeit recht angenehm zu vertreiben, unterhielt unö die Wirthin, welche zufälligerweise eine Deutsche war, von jenem heitersten aller Gegenstände, dem Elend der Colonisten. Die gute Frau fand es entsetzlich von der Regierung, daß dieselbe die Colonisten nicht ernähre, während sie doch so viele faulenzende Soldaten Mere. Sic schien offenbar die Idee zu haben, als stünden die Colonisten im Dienste der Regierung. Vielen giebt freilich der Staat schon Militärrationen, aber Alle aus Statsgeldern ernähren! Nicht als ob ihre Zahl eine bedeutende wäre und der Staat diese 1ft3 Ausgabe schwer empfinden würde! Aber wenn man diesen komischen Plan des Scherzes halber, oder menschlicher gesagt, aus Mitleid für die armen Teufel, auch nur eine Woche ausführen wollte, welch' ein Concert satyrischer Stimmen würde sich da erheben! Wie würde man dadurch Denen Recht geben, welche behaupten, daß der Colonist in Afrika nur ein officicller LuMgegeustand, ein von der Regierung erfundenes Spielzeug für dic Mußestunden ihrer Administrativbeho'rden sei! Frankreich wollte einmal in Afrika seine Colonisten haben, wie England in Kanada, in Anstralien die seinigen hat. Freilich, die englischen Volonifttn kriechen auf eignen Füßen; die französischen stud kostspielige Konstproducte, hiehervcrpflanzt, um die Welt irre zu führen und sie glauben zu machen, daß die französische Nation auch zu colonisiren verstehe. Endlich kam der holperige Räderkasten, Diligence genannt, in Mären go an, und eiue ssahrt von 3 — 4 Stunden brachte uns nach der alten Hauptstadt Mauritaniens. Die letzte Station, die wir vor der einstigen Julia Cäsarea erreichten war das kleine, ursprünglich von Schweizern gestiftete Colonistcndorf Zürich. Von den Gründern dieser Colonie ist jetzt kein einziger mehr am Leben, so ungesund war die Gegend, besonders in den ersten Jahren nach Urbarmachung des Bodens. Die armen Schweizer hatten mit germanischem Fleiß an dl'r Urbarmachung gearbeitet, um die afrikanische Erde mit ihren Leichen zu düngen. Jetzt sind französische Speculanteu die Besitzer der von ihnen angepflanzten blühenden Obstgärten und Felder. Einer von dieser schüneu Sorte, ein bombastischer dicker Franzose, stig in Zürich in den Omnibus ein, ebenso ein Geistlicher, und nickt lange 11 '' 194 brauchte es, so waren diese beiden in eine Discussion über die Ungesundheit der Colonie verwickelt. Der Priester behauptete, er habe Mrlich etliche 30 Begräbnisse, was bei eiuer Bevölkerung von 200 Seelen keineswegs auf Gesundheit des Klimas deute; aber der dicke Speculantwar andrer Ansicht: Er befand sich wohl, folglich mußte Zürich gesund sein. Mit den «iolonisten in Fiebcrlanderu geht es, wie mit den Soldaten im Kriege: Wer überlebt, der avancirt. Die Gefallenen sind schnell vergessen. Durch das Thor von Algier zogen wir in die Nue de Tenes ein, die schönste und, grölte des modernen Scherschell, was freilich nicht viel heißen will. Ich hatte Mühe, in der einstigen Hauptstatt Mauritamcns cm H^tel zu finden. Von den drei, welche mein Reisehandbuch uannte, waren zwei schon wicdcr eingegangen, so wenig Verkehr besteht in diesem Städtchen, welches gewissermaßen außerhalb der Welt liegt und nnr von dein Freund des Alterthums in treuer Wallfahrt besucht wird. Das dritte Hütel h'atte seinen Namen verändert, es hieß jetzt „H<^tel du Commerce", welche prosaische Benennung es — wahrscheinlich auf Wunsch französischer Commis vo^agcurs — statt des frühern historischen Titels „Hütel de Iuba II." angenommen hatt.-. Dieses H.)tel war i^doch keineswegs comfor-tabel; ei» altes zahnloses Weib vertrat die Stelle sämmtlicher Hellner und in meinem elenden Zimmerchen mußte ich mich erst lauge der Iuscctenjagv widmen, ehe es mir gelang, diesen Augiasstall einigermaßen zu reinigeu. Dieselbe verwitterte alte Hexe war zugleich erster und einziger „Gar mer von und un» geschätzt in dieser an antiken Resten überreichen Stadt. Mitten in diesem Gefilde liegt ein ovales, niedriges, offenes Gebäude, aus der Nömerzeit stammend, und doch beinahe noch unversehrt. Eine kurze Treppe führt hinan auf die das Gebäude umragende 175 Mauer, und von ihrer Höhe sintt der Blick ungestört in das offene Innere. Dieses ist ein langer ovaler Saal, mit Steinplatten belegt, zu dem Stufen herniederführen. Es war ein römisches Balneum, eine Art von Schwimmbad. Ein getreueres Bild des Alterthums, als dieses Vad der Diana, habe ich noch iu leiuen Ruinen gesehen. Von diesem lieblichen Denkmal des Alterthums wandte ich mich, am Hafen voibei, zu dem großen, schönen, mit Platanen bepflanzten Promenadeplatz Scherschells. Auf der einen Seite dieses Platzes erhob sich ein seltsames Gebäude, welches man den Palast der Proconsul» nennt. Eine unförmige Masse, aus den Trümmern jeder Epoche des Alterthums unharmonisch zusam-mengethürmt, läßt dieses jetzige Fort feine Entstehungsperiode, das byzantinische Zeitalter, unverkennbar bestimmen. Denn in Afrika ist das Vyzaütinerthnm niemals wie im Orient, schöpferisch aufgetreten. Hier folgte eo jener Epoche der Zerstörung, der Vaudalenherrschast; es mochte vielleicht eine neue baldige Zerstörungszeit ahnen; und da begnügte es sich, die Steine der Denkmäler, welche Roms Glanzzeit oder auch sein Verfall hier ansgesät hatte, nur filr das Bedürfnis; des Augenblicks zusammenzutragen. Ein Spaziergang vor das Thor von Tenes brachte mich an die von der heutigen ^ Meile entfernte, einstige Stadtmauer Cäserea's, welche noch mit größter Dcntlichteit an dem Graben, der sie allwärts begleitete, nachzuweisen war. Dort fand ich eine» armen Colonisten, der beim Urbarmachen des Bodens eben auf eine Reihe prächtiger Quadersteine gestoßen war. Er war sehr über den Maire vrnTcherfchell aufgebracht, welcher ihm verboten 174 hatte, diese Stein? zu entfernen. Der gute Mann wusste nicht, daß er eines der Thore von Julia Eäsarea entdeckt hatte. Sechstes Capitel. Milianah. Das Bureau arabe die wabre Regierung des Landes. — Nitt von Nlidah nach Miüanah. — Säüfsa. — OfficicUe Colonisaüon. — Tanaraiuusa Castra. — !^l Afslun. ^ lustiges Treiben Pariser Colonisteu. ^ Lllwenbratcn und Löwenjagd. — Milianak. — Das römische Malliana. — Ein Locus obscurus. — Garnison. ^ Die „Zephyrs". — Die falsche NiissclraNe. — Fabiicirte an-tite Inschristm. Dte Neise von Algier nach Oran taun uiali freilich am kürzesten zur See, vermittelst der Negierungsdampfschisfe, zurücklegen. Da es aber fast noch mehr mein Zweck war, das Innere des Landes zu sehen, als nach jener Hafenstadt zu gelangen, so zog ich die Neise zu Pferde durch die Provinzcu vor, und versah mich deßhalb in Algier mit einem Empfehlungsschreiben an den Chef des „Bureau arabe" in Blidah. Das Bureau arabe ist nämlich im ganzcu „Territoire militaire", d. h. in ^ der Alge-rie (denn das „Tcrritoire civil" begreift nur die Städte und ihre nächste Umgebung), die höchste und einzige entscheidende Autorität. Unter ihm stehen alle einheimischen Stämme, manchmal unmittelbar, manchmal durch die Vermittelung eines Agha's, eines Baschagha's, eines KaUfa oder eines Ka'ld. 175 Der Baschagha ist die höchste arabische Würde. Unter ihm stehen gewöhnlich eine Anzahl Aghalits, deren Häupter die Agha's sind. Dcr Bafchagha steht aber zugleich immer selbst auch direct einem Aghalit vor, in welchem sich nun gerade sein eigener- Stamm befindet. Unter dem Agha stehen dann die Scheikhs oder Hänpter der einzelnen Stämme. Diese ganz feudale Eintheilung der Bevölkerung stammt von den Türken. Eim echt arabische dagegen ist die in Kalifats und Kaidats. Der Kalifa hat gewöhnlich eine Anzahl Ka'i'ds unter sich und unter diesen stehen wieder Scheikhs. Oft hängt aber auch ein Kaid und selbst manchmal ein einfacher Scheith direct vom „Bureau arabe" ab. Die Franzosen haben überall diejenige Art von Eintheilung beibehalten, welche sie nun gerade zur Zeit der Eroberung vorfanden und in deren ursprünglichen Entstehung die größte Willtür vorgehcrrscht zu haben scheint. So findet man oft in einem und demselben Cercle ein Baschaghalit, gleich daneben ein Ka'l'oat, dann wieder ein unabhängiges Aghalik und vielleicht unter dem Bureau arabe desselben Cercle einige Scheikhs, welche weder einen Ka'i'd, noch Agha, noch Kalifa über sich anerkennen, sondern direct unter der französischen Autorität stehen. Das Bureau arabe ist, wenn man will, dic eigentliche Ne-gterung der Algerie, denn es ordnet die politischen Angelegenheiten der bei weitem größten Anzahl der Bevölkerung. Ohne von ihm autorisirt zu sein, kann auch weder ein Fremder, noch Franzose im innern Lande reisen. Erfreut man sich aber.des Schutzes des besagten Bureau, so hat man nicht nur die Erlaubniß zu reiseu, sondern auch Anspruch auf alle möglichen Bequemlichkeiten und Beförderungsmittel, welche in ver Macht der Un- 17« terthancn des Bureau arabc, das yeißt der Eingebornen, stehen. Nm dieser Vortheile theilhaftig werden zu können, gab ich in Vlidah uiciu Empfehlungsschreiben an deu Obersten von Sa-Iignac-F6n<"lon, den Chef des dortigen Bureau arabe, ab und erhielt von ihm, nebst jeder gewünschten Auskunft, Briefe für sämmtliche Chefs der besagten Bureaux in den Provinzen Algier und Oran, denen zunächst meine Neife gelten sollte. Au^eroem verschaffte mir Herr von F6n6lon auf Requisition von dcm nächsten arabischen Stamme ein Reitpferd und ein Maultln'er für's Gepäck, für welche ich strenge genommen nichts zu zahlen gebraucht hätte. Auch einen Spahiö, einen arabischen Neiter, gab mir der Oberst zur Bedeckung und zugleich als Wegfnhrer mit. Der Ritt von Blidah nach Milianah, meiner ersten Hauptstation auf dem Landwege nach Aran, führte mich über steppen-artigc Hochebenen nnd meist baumloses Gebirgsland. Als Vegetation herrschte auf diesen Höhen wirres Gestrüpp vor: die sub» tropische riesige Abart des Feldsteinsamcn mit ihren tornblumen-artigen Blüthen, der buschhohe Thyuüau, der gelbblühende Ginster, hie und da ein Vusch des bcrstigen Halpha (8t,ipa toua-oi»siin»), der aromatisch duftende LentiscuZ sI'i«wcia lciutiÄCUu), zahlreiche Euphorbiaceen und namentlich die zierliche Zwerg-Palme (tHameropä kumilig) wucherten in üppiger Unordnung. Väume waren so gut wie keine sichtbar; nur riesige Cactus» hcckrn, sowie die hochaufgeschossene amerikanische Agave, jene schöne stolze Pflanze, welche gewöhnlich mit der Alo« verwechselt wird und im Munde der Europäer deren Namen usurpirt, bil-deten die Einfassung des schmalen Gebirgspfades. Oft ficl mir 177 beim Anblick dieser Aloi^Agave ein Vers aus Freiligrath's schönem Gedicht, welches die Eroberung Algiers schildert, ein: Die Mandel blilbt im Thal. mit spitzeil dnnllen Blättern Trotzt auf dem kahlen Fels die Alri» den Wettern, Gesegnet ist das Land des Bey's von Titteri. Waren wir doch eben in das Gebiet des einstigen Beylits von Titten hineingeritten. Der Ritt des ersten Morgens brachte uns an dem kleinen Colonistcndorfe Schiffa, am gleichnamigen Flttßchen gelegen, vorbei. Dieses Dörfchen, von 250 Seelen bewohnt, war dnrch ein Mmisterialdecrct vom 22. December 1846 gegründet worden. Es ist überhaupt bezeichnend, daß alle Colonistendörfcr Algeriens auf ähnliche officielle Weise entstanden sind. Die naturgemäße Gestaltung eines Mittelpunktes der Bevölkerung, welche sich aus dem freiwilligen Verkehr, aus den Bedürfnissen einer Gegend entwickelt, findet hier nirgends statt. Nein! Die Negierung befiehlt: da oder dort soll ein Dorf gebildet werden. Um diesem, einstweilen nur auf dem Papier vorhandenen Dorfe nun Einwohner zu verschaffen, lockt der Staat eine Anzahl unglücklicher Colonist«, durch den Köder der Länderverlcihung an. Jedes dieser Colonisatwnöopfcr bekommt eine größere oder kleinere Concession Landes, von welchem er binnen Jahresfrist ein Sechstel, oft nur ein Zehntel urbar zu machen verpflichtet ist. Viele dieser officiell verpflanzten Bauern gehen zu Grunde. Die, welche dem Klima und dem Elend widerstehen, vegetiren in traurigen, Dasein fort und bilden die kostbaren Bewohner des officiellen Dorfes. Nach einstiindigem Ritt von Schiffa ans erreichten wir daö Drei Iahrc im Nordisten kon Ufiila, i. . l2 178 moderne Städtchen Musajah (französisch: Hlnunnin-vill«), welches sich einer Bevölkerung von 60s) Seelen rühmt. Musajah ist durchaus unbedeutend und wären nicht die Kupfcrminen, auf deren Wege es liegt, und welche ihm immer einen gewissen Verkehr sichern werden, so würde es kein Iahv mebr sein Dasein als sogenannte Stadt zu fristen vermögen. Diese Localität hat jedoch für dm wissenschaftlich gebildeten Touristen einen andern Werth, und zwar einen archäologischen In ihrer Mhe, an der Stelle, welche die Araber Gl Hadscheb nennen, hat man nämlich den Platz der alten römischen Station Tanaramusa castra wiedergefunden. Die hier entdeckte Grabinschrift eines Bischofs Donatus, welcher, nachdem er als Confessor des katholischen Glaubens eine lange Verbannung erlitten hatte, endlich hierher zurlickgetehrt war und im maurischen Kriege fein Leben verlor, läßt aus dem Namen und dem Datum des Todes dieser Persönlichkeit auf den wahren römischen Namen der Localität schließe«. Dieses Datum giebt nämlich die Inschrift als das Jahr der Provinz 456. Da die mauritanische Zeitrechnung mit dem Jahre 40 nach Christi Geburt, als dem Jähre der Einverleibung der Provinz in's römische Reich, beginnt, so entspricht diese Iahrzahl dem Jahre 49<5 p. sshr. n. Nun finden wir in der Liste der Bischöfe Afrikas aus eben jener Zeit einen Donatus flir Tanaramusa Castra. Außerdem entspricht die Lage der im Itinerarium Antonini Augusti angegebenen Entfernung vonNufuccurum(DcllY5)und von MaManalMilianali),*) :') Itinerariutu Antoniui Augusti. Ed. Parthey et Piu-dcr. Berolini 1848. 17« Die Verfolgungen, worauf sich die Inschrift bezieht, sind die, welche die ganze katholische Kirche Afrikas unter dem Aria-ner Hnncrich zn erleiden hatte. Die Verbannung ist diejenige, welche besagter Vandalenkönig über alle katholischen Blschöfc verhängte, und welche von 484 bis 494 dauerte, bis zu jenem Jahre nämlich, als König Guntamund den Katholiken ihre Kirchen und Bischöfe wiedergab. Donatns war also seit zwei Jahren in sein Baterland zurückgekehrt, als er von den rebellischen Mauren getödtct wurde. Diese interessante Inschrift befindet sich jetzt im Museum von Algier. In El Hadscheb wurde ebenfalls die schöne Statue des jugendlichen Bacchus gefunden, welche jetzt eine der Hauptzierden des Museums von Algier bildet. Die Nuincn einer christlichen Basilika des einstigen Ta-naramusa, Castra sind noch zu erkennen. In denselben fand VerbrnMr im vorigen Jahr? (1861), unter vielen andern Alterthümern, auch einen höchst interessanten Gegenstand der kirchlichen Archäologie. Es ist dies eine sehr große und massive drei« armige Vroncelampc, ans welcher das christliche Symbol der Taube mehrmals in erhabener Arbeit angebracht ist. Ueber-Haupt ist diese Lampe von einem Reichthum der Verzierungen, wie er bei Denkmälern aus jenem frühen Zeitalter der christlichen Kirche selten vorkommt. Cin zweistündiger Nitt führte uns von Mufajah nach unserm ersten Nachtquartier, dem Colonistendorfö El Affrun. El Affrun war ein ganz regelmäßiges, durchweg aus Stein gebautes Dorf. Ein Haus war genau wie das andere, einstöckig, solid und massenhaft, oou eingefcrchtem Gartenraum und Hof 12^ 18N umgeben. Aber welches war nicht mein Erstaunen, als ich das Dorf betrat! Keine Seele regte sich in dem Ortet Es schien ein Dorf der Todten zu sein. Nur in einem kleinen Wirths-hansc war etwas Leben und ich bekam, worauf ich nicht gchofft hatte, daselbst ein Bett für die Nacht. Beim Abendessen kam die Nede auf den verlassenen Zustand des Dorfes uud da erfuhr ich denn, daß dasselbe noch vor wenigen Iahreu der Schauplatz des belebtesten, lustigsten Treibens gewesen, aber ans Vefehl der Negierung von feiner Bevölkerung geräumt worden sei. Das Geheimniß war folgendes: Im Jahre 1648 haite die damals republikanische Negierung, um »nil Gewalt Algerien zu colonisireu, das aus etwa huudert Häusern bestehende Dorf auf ihre Koste» bancn lasftn, und danu gesucht, Bewohner fiir dasselbe und zugleich Ackerbauer für das benachbarte, sehr fruchtbare, aber noch urbar zu macheude i!aud zu finden. Zu diesem Zwecke hatte sie Icdem, der sich hier niederlassen wollte, den freien Besitz eines Hauses uud von sechs Hektaren LandeS zugesagt, unter der Bedingung, daß er binnen zwei Jahren den sechsten Theil sein^ V.'sitzthums urbar mache. Zudem verabreichte der Staat während dieser ersten zwei Jahre noch die Kost, in Gestalt von Militärrationen. Sollte man es glauben, daß Niemand die so leichten Bedingungen erfüllte? und daß Alle, welche sich hier eingefunden hatten, nach abgelaufener Frist wieder entlassen werden mußten? Ein seltsames buntes Völkchen soll es gewesen sein, welches sich auf Einladung der Regierung hier versammcN hatte. Der französisch? Ackerbauer wandert nicht leicht aus. Statt seiner aber fanden sich genug ruinirte Kleinhändler, Kaffectiers, 181 Periickenmacher, Friseure, ausgediente Polizeispione, unmöglich gewordene Tchanspielcr, stimmverlustige Sänger, veraltete Priesterinnen der kiebe, ehemalige Croupiers aufgehobener Spielbanken, Schwindler, Taschendiebe, welche sich nach Nuhc sehnten, und wie all die Kategorieen schiffbrüchiger socialer oder antisocialer Stellungen in einer großen verderbten Weltstadt noch sonst heißen möge«, zur Colonisiruug des afrikanischen Vo« dens und Civilisirung des Landes ein. Fast ohne Ausnahme waren diese Civilisatoren Pariser, und man mochte sich an der Seine wohl nicht wenig gefreut haben, solch unberechenbares Lumpengesindel losgeworden zu sein. Dafür mußte mm die stille afrikanische Hochebene Zeuge der Ausschweifungen und leider auch Spitzbübereien der ver« pflanzten Großstädter werden. Keines dieser für Afrika allzu-cwilisirten Wesen dachte auch nur einen Augenblick au's Arbeiten. Ein liebliches dolce far niente war im Dorfe an der Tagesordnung; Kaffeehäuser, Billards, sogar ein Liebhabertheater halfen die Zeit angenehm todtschlagen. Man hatte vor der Hand keine Sorgen. Wurde man doch zwei Jahre lang von der Negierung unentgeltlich gefüttert. So wurde das kleine Dorf bald ein Abklatsch eines der schlechteren Quartiere von Paris; und wie alles Uebel, wenn es nur Sinnenreiz gewährt, immer uncwilisirte Völker anzieht, so fanden sich auch mit der Zeit mehr und mehr Beduinen als Besucher hier ein, lernten sich inAbsinth bctiinten, spielen und andere Tugenden der Civilisation. Nun war dies Alles anders geworden, und die Todtenstille, welche jetzt hier herrschte, bildeten einen grellen Contrast gegen das frühere allzu lustige Treiben. 182 In El Affrun war es, wo ich zmu ersten Mal eine ctwas ungewöhnliche Speise zu kosten bekam, nämlich nichts Geringeres, als Löwenbraten. Das Fleisch des Königs der Thiere war jedoch keineswegs der König der Fleische, sondern vielmehr zähe und lederartig und man brauchte kein Feinschmecker zn sein, um ihm gewöhnliches Rindfleisch uorzuzichen. Seine bestialische Majestät war von einem Araber geschossen worden, und zwar durchaus nicht auf die heroische Art, wie Gerard und in neuester Zeit Chassaing die Jagd zu betreiben pflegten. Bekanntlich erwarteten diese tollkühnen Löwentödter, deren Erzählnngen das Anf-rcgende vou Schanderromanen übertreffen, den König der Thiere auf freiemFelde, und schössen erst dann los, wenn das Thier nur durch Sprungweite von ihnen getrennt war, und zwar feuerten sie immer nach dem Kopf. ^iel der Löwe nicht augenblicklich, so war der Jäger der größten Lebensgefahr ausgesetzt. Ein Sprung des Thieres und ein Griff mit seiner Tatze genügten, um dem tollkühnen Nimrod den Lebensfaden abzuschneiden. Darum hat man für nöthig gefunden, jene Ozplosiouskugel, „Balle Dcvisme" genannt, zu erfinden. Die bombcnartig ep plodirende „Balle Devisme" ist nämlich allein im Stande, den Löwen auf derStelle zu todten, während eine gewöhnliche Kugel selbst dem to'dtlich Getroffenen fast immer noch Zeit läßt, auf feinen Gegner loszuspringen und ihm gefährliche Wunden beizubringen. Aber die Araber haben keine „Balle Deviöme". Ihre Art des Jagens ist fehr verschieden von der der Gerard, der Vombonnel und der Chassaing. Cine Anzahl Jäger hält sich des Nachts in einer unterirdischen mit Schießscharten versehenen Grube, Silo genannt, auf. Außerhalb wird eine Ziege 183 ober cm Schaf als Lockspeise für das !)laubthier angebunden. Naht dann dcr Löwe und bemächtigt er sich des ausgesetzten Thieres, so wartet man, bis cr so recht in seinen Schmaus vertieft ist, und oft erlegt ihn dann eine der gleichzeitig losgeschossenen Kugeln. Diese Art der Löwenjagd ist die vorherrschende in Afrika. Ihr liegen außer den Arabern jährlich noch eine Anzahl naiver oder verrückter Touristen ob, welche gewöhnlich vor ihrer Abreise zu Hause das Gerücht verbreitet haben, sie gingen nach Afrika, „um Löwen zu schießen." Von den jungen Engländern, welche allwinterlich Algerien besuchen, kommen drei Viertel in der lautauögesprochencn Absicht Hieher, „um Löwen zu schieIen." Wenn sie Algier erreichen, erfahren sie erst, daß die Löwcnjagd » 1» G«rard für sie gar nicht angenehm sei. Sie werfen sich dann auf die Löwenjagd im Silo. N i e jedoch, nie, so lange Mcufchen gedenken, ist eü vorgekommen, daß einer dieser großen Renommisten eincn Löwcn geschossen hätte. Ich kannte Einen, der während vier Monaten jede Nacht im Silo.zugebracht hatte und zuletzt seiuc eigene Ziege todtschoß und schwer zu überzeugen war, daß dieselbe tei» Löwe sei. Die Meisten begnügen sich damit, eine Löwenhaut in Algier zu taufen, um diese Spolia opima dann zu Hanse im Kreise bewundernder Verwandten vorzuzeigen. Am andern Morgen verließen wir El Affrun und setzten unsern 3r. Shaw hat darin das römische Muni-cipium Malliana erkannt. Dieser englische Nrchäologe wollte hier das Grab eines Enkels des Pomvcjus aufgefunden haben. In der That liest man auf einem römischen Sarkophag, der unweit der Moschee aufgestellt ist, dm Namen Q. Pompejus Cneji Filius, und wir wissen aus Martial, daß der Enkel des großen Pompejus entfernt von seiner Heimath und „in loco obscuro" sein Leben endigte. So war also das römische Mal-liana, trotz seiner auf Luxus deutenden architektonischen Triimmer, dennoch ein „Locus obscurus", wie so viele afrikanische Orte und wie das in neuester Zeit so viel besprochene Icosium, die Mutler Algiers, wahrscheinlich der obscurste der obscuren war. Einige haben in diesem Grabe des Q. Pompcjus sogar die Ruhestätte des großen Pompejus selbst erkennen wollen. Freilich wissen wir nichts von einem andern Grabe des Trium-virn und Martial sagt (V. 74): 'I'erra to^it I^ili)^»; »I tu,m«n ulla te^it. Dieses ,,torrll to^it 1^il>^L«" scheint allerdings dafür zu reden. Aber Malliana liegt doch ein wenig gar zu weit von Pelusium entfernt, wo der große Römer feinen Tod fand! Malliana war während der christlichen Epoche, wie betnahe jedes Dorf in Afrika, Sitz eines Bischofs gewesen. Die Namen zweier dieser Würdenträger sind uns überliefert worden. Der I8U katholische Bischof Victor und sein Gegner der donatistische Bischof Nestorius erschienen 411 auf dem Concil von Karthago. Im Jahre 484 schickte Malliana seinen Bischof Paternus ebendahin, wo er zusammen mit den andern katholischen Bischöfen von Hunerich des Landes verwiesen wurde. - Der arabische Derwisch, Ahmed Ven Iussnf,d« National, dichter der Algeric, scheint über die Bewohner Milianahs eine keineswegs schmeichelhafte Meinung gehegt zu haben. Sem Ausspruch über die Stadt und ihre Insassen lantct: „Milianah! Du hast Wasser und Bäume in Menge, aber deine Vewolmer sind ungerecht, deine Weiber herrschen, und deine Männer sind Sklaven!" Ich war war nicht lange genug in Milianah um mich zu überzeugen, ob dieses wirklich ausschließlich der Wohnsitz von Pantoffelhelden sei, wie der Dichter zu glauben scheint. Im Jahre 1880, als die Macht der Türken in Algerien gefallen war, und Jedermann glaubte, eiuen ssctzcn von ihrer Herrschaft au sich reißen zu können, fiel es dem marokkanischen Kaiser ein, eiueu Statthalter nach Miliauah zu schicken, der auch wirklich einige Jahre daselbst regierte. Später gehörte die ,Stadt zu den Besitzungen des Emirs Abd'el^Kader, wclcher seinen eigenen Bruder zum Bey von Milianah einsetzte. Seit dem 2. Juli 1840 ist es französisch. Vci meiuer Ankunft in Milianah gab ich mein Empfehlungsschreiben an den Chef des Bureau arabe, Hauptmann Bernard, ab, welcher mich einlnd, an der Table d'häte der Offiziere mein Mittagsmahl einzunehmen. An diesem Tische tonnte ich wieder einmal so recht den Typus wenigstens bcs jüngeren 187 Theils der officiellen Franzosen in Afrika stndiren. Die hier Anwesenden waren fast durchgängig jüngere Offiziere: lebhafte, lebenslustige Leutchen, unbekümmert um das Land, in dem sie lebten, sich für nichts interessirend, was sie umgab. Was einen Touristen nach Afrika bringen konnte, das war diesen Herren ein vollkommenes Näthsel. Sie fanden am'ganzen Lande nichts, was der Aufmerksamkeit so großer Helden würdig gewesen wäre. War der langweilige Dienst beendet, dann kannten sic keine andern Freuden, als Absinthtrinken, Cigarrenrauchen oder Piquetsftielen. Das französische Afrika kümmerte diese Helden nicht viel. Sie hatten sich zwar bewogen gefunden es zn erobern, aber es kennen zu lernen, das mußte man ihnen nicht zumuthen. Sie hätten kein anderes Leben geführt, wenn sie, statt in Afrika, in Carpentras oder Pezenas, diesen französischen Krähwinkeln, ihre Garnison gehabt hätten. Die Garnison Milianah's bestand aus einen« der afrita» nischen Strafbataillons, welche man gewöhnlich mit dem Scherznamen „Zephyrs" benennt. Diese „Zephyrs" find fllr die Franzosen ungefähr das, was für die Ausländer in Frankreich die Fremdenlegion ist: ein wahres Nefugiun« peccatornm. Die Art der Zusammensetzung beider Corps ist freilich verschieden. Die Fremdenlegion besteht aus Lumpengesindel, welches sich aus aller Herrn Länder freiwillig eingefunden hat; .während die „Zephyrs" französisches militärisches Lumpengesindel sind, welches man strafbarer Handlungen wegen zum Dienste in diesem Corps zwingt. Das hindert aber gar nicht, daß die „Zephyrs" ineist höchst lustige, amüsante Burschen sind, von denen man sich die drolligsten Streiche erzählt. Unter Anderem war jenes natur- l88 historische Phänomen, die berüchtigte Msselratte, die kunstreiche Grfindnng eines „Zephyrs", welcher das Wunder einer, mit einem Rüssel begabten Nalte durch Absämcidung des Schweifes einer andern nnd Anheilung dieses Appendix an die Stirn eine« dieser Nagethiere hervorbrachte. Schon hatten Pariser Gelehrte das neue Thier beschrieben und classificirt, als man den Betrug entdeckte, zur nicht geringen Beschämung der Angeführten, und zum Bedauern des Zephyrs, für welchen der Verkauf dieser Ungethüme eine Geldquelle geworden war. Ich weiß freilich nicht, in wie fern dieses naturhistorische Wunder möglich war, und folgte in dieser Erzählung nur den allgemein geglaubten Berichten der französischen Offiziere. Waö ich jedoch wcisi,das ist, daß die Zephyrs große Anlage in Fabrikation antiker Inschriften besitzen. Ich habe selbst eine phü-nicische Inschrift gesehen, welche von Niemand Anders, als einem „Zephyr" verfertigt worden war. Diese Inschriften sind ost so täuschend, daß z.B. ein archäologischer Dillettant aus Paris neulich eine solche als echt für 2000 Francs taufte. Dieselbe gab freilich auch die überraschendsten historischen Auf-schliisse. Sie erzählte nämlich von einem Vordringen der Rö-mer bis in den Sudan nnd der Anlage einer römischen Colonie in der Nähe von Tombukto. Ein solcher Fund war Goldes werth, denn dergleichen hatte bis jetzt noch kein Historiker geahnt. Siebentes Capitel. Daö Scheliffthal. Der jüdische Vagabund als Gefangener und Reisebegleiter'. — Der Scheliff. — Das Getreibemeer. — Nachtlager bei den Vcni Najchid. — Qualen der Nacht. — Verschiedene Arten arabischer Gastfreundschaft. — Ankunft beim Schcikh dci Uleb Jala. — Mageres MittaMrod. — Cactushaiue. — Die Nömerstraße. — Tig.iva Mmiicipimn. — Nachtlager bei den Uled Khair. — Landschaft. „Aber die Pferde, welche das Bureau arabe liefert, sind auch gar zu schlecht," seufzte ich zu Capitän Bernard, als ich eben die Nosinante anhinken fay, welche mir das Bureau auf Requisition verschafft hatte. „Was wollen Sie Gules auf Requisition haben?" erwiderte der Hauptmann. „Aber ich bin gerne bereit zu zahlen. Ich will nicht umsonst die Pferde der armen Araber reiten." „Das ist freilich etwas Andres! Wenn Sie zahlen, so können Sie das Pferd des Schcikhö selbst reiten." Und so war eö auch. Nach einigem Warten verließ ich Milianah auf einem herrlichen Hengst, für dessen Miethe ich dem Scheich 5 Francs täglich zu zahlen hatte. Der arabische Spahis, der mich bis Orleansville begleiten sollte, hatte zugleich — eine sonderbare Zugabe für mich — die Eöcortirung eines Gefangenen zn besorgen. Es war dieß ein armer jüdischer Vagabund, aus der marrokkanischen Stadt Me-lines, einer vcr Residenzen des Kaisers Muley Mohamed, ge- 1!»U bürtig. Der arme Schelm stand im Verdachte, ein marottani-scher Spion zu sein, und sollte deßhalb per Schub in sein Vaterland zurückgebracht werden. Ein kläglich aussehendes, schmutziges, zerlumptes Wcsen, das offenbar nicht willig die Neise antrat. Meine Begleitung, welche aus dem Spahis und einigen arabischen Maulthiertreibern bestand, hatte alle Mühe, den Sohn Abrahams dazu zu bringen, sich in Bewegung zu setzen. Mit krampfhafter Beharrlichkeit kauerte er am Boden, und viele Fußtritte der Gläubigen gehörten dazu, Frennd Schmuhl zum Aufstehen zu bringen. Kaum hatte er sich aber erhoben, so verfiel er ins entgegengesehte öftrem, sprang rechts hin und machte einen verzweifelten Fluchtversuch. Dieser scheiterte jedoch, uud zwar nicht ohne mein Bedauern, denn diese Gesellschaft war mir begreiflicherweise nicht sehr angenehm. Nun mnßte der elende Mensch die unfreiwillige Neise unter den Püffen, Stören, Schlägen und FnsNlitten der Gläubigen antreten. Alle meine Bitten, ihn etwas menschlicher zu behandeln, halfen nichts. Von Miliauah aus stieg unsere kleine Karawane lang. sam von den kahlen Höhen des Zatkar in das weite fruchtbare Thal des Scheliff hernieder. Diese prachtvolle Ebene, welch.' sich zu beiden Seiten des größten Flusses Algeriens hinstreckt, stand jetzt gerade in dem schönen Schmuck wogender Getreidefelder und gewährte, von den letzten Vursprüngen des Zattar aus gesehen, einen herrlichen Anblick. So weit man sehen konnte, war das ebene Land ein gvldcner Teppich, bedeckt von den der Reife nahenden vollen strotzenden Achren; kein Baum ragte ans niesem Glanzesmccrc empor; kein Fels warf seine dunklen l»1 Schatten über die edelsten Früchte des Bodens: nur der Sche-Uff zog seinen Silbcrfadeu in cincr tiefen Schlucht dahin zwischen zwei Wänden von, üppigsten fruchtbarsten Humus gebildet. A,» Fuße des Dschebel Zatkar und bereits in der Ebeue des Scheliff begrüßte uns das lleine französische Colonistendorf Nffceville, nach Monselgneur Nffre, jenem Bischof »on Paris, welcher 16 l8 auf den Barritaden in der Tcinestadt sicl, be nannt. Affreville war ein officielles Dorf in einer Fiebergegend, von 80 Seelen bewohnt, deren Körper ihre Erhaltung vorzüglich dem Chinin verdankten. An diesem Pnntte befand sich ohne Zweifel eine der Niederlassungen der Nömcr. Zahlreiche hier aufgefundene antike Reste beweisen dieß. Das Museum vou Algier besitzt ein in, Affreville gefundenes Ofsuarium. Eö ist dieß ein Gefäß von Blei, mtt einem Deckel, der eigenthümlicher Weife bci diesem ssxemplare auö Esclöknochen gebildet ist. Was war aber der römische Name von Affreville? Man es das alte Zuccabar sein könne, welches auch Colonia Augusta genannt wird. Dennoch hat kein hier aufgefundenes Denkmal diese Ansicht bekräftigt. Ein leichter ebener Weg brachte unö in zwei Stunden von Affreoille nach dem Colo nist end örfchen Lavarande, am Flusseö-ufer gelegen. Die Brücke, welche hier über den Schcliff führi, ist zweifelsohne römischen Ursprungs, wie so ziemlich alle Brücken der Algerie, aber sie ist von den Arabern in einer solchen Weise restaurirt worden, daß es schwer wird, die ursprüng-liche Bauart zu erkennen. Hier verließ unsere kleine Kara^ 1!»2 wane das rechte Ufer, um von nun an bis Orleansville auf dem linken dem Lanfe des Flusses ;n folgen. Lavarande erfreut sich, so wie Affreville, und wie überhaupt alle Ort? im Scheliffthal, eines Fieberklima'ö. „Warum" so fragte mich ini Wciterreiten der Spahis, „wählen die Franzosen fo ost ungesunde L.igen znr Gründung ihrer Colonistendörfer?" „Wahrscheinlich aus demselben Grunde," antwortete ich ihm, „ausMlchem in Spanien, wie cm caslilianisches Sprichwort sagt, zur Zeit der Mittagshitze auf den Straßen nur Franzosen und Hun de angetroffen werden." „Die Franzosen sind eine große Nation. Sie fragen wenig nach dem Leben von armen Teufeln," sagte sententivs der gefangene Vetteljude, der uus überhört hatte. Unweit von Lavar^lide bemerkte ich zwischen dem Ufer und dem Wege einen Haufen römischer Nmnen, Die Araber nennen diesen Punkt El Khadra. Man entdeckt hier längs des Flusses noch die Reste eines antiken Quais, sowie den gegen Osten gelegenen Vecrdigungsplatz. Die Nuine einer römischen Brücke hängt majestätisch über der Woge des Scheliff und deutet an, daß El Khadra zur Zeit des Königsvolkö einige Bedeutung gehabt haben muß. Das Itinerarium des Antonin läßt uns an dieser Stelle die Lage von Oppidum novum vermuthen. Der Scheliff ist zwar der größte Fluß der Algerie, ja vielleicht des ganzen Maghreb, aber er ist dennoch weit entfernt davon, nach europäischen Begriffen ein großer Fluß zu fein. Scine Länge beträgt freilich von seinen beiden Hauptquellen an, von welchem die eine in der Oase Tiaret. die andere in der 1U3 Oase d:s Dsckebel Amur im Herzen der Sahara entspringt, beinahe achtzig deutsche Meilen. Aber feine breite, seine Tiefe, und sein WasscrMall sind höchst unbedeutend, und sichern ihm den Namen eines Flusses, statt eines Backes nur hier, in einem Lande, wo ein das ganze Jahr hindurch fließendes Wasser eine Seltenheit ist. Die Araber nennen den Scheliff ihren großen Fluß, ähnlich wie die Juden den Jordan groß nannten, dessen Proportionen bekanntermaßen doch so bescheiden sind. An der Stelle, welche wir jetzt durchritten, wurde das Flußthal durck cinen Ausläufer deo 6100 Fuß hohen Berges, des Dfchebcl Dui, eingeengt. Dieses majestätische Gebirge beherrscht? mit seiner dunkeln Masse weithin das lachende Gefilde. Auf feinen Höhen hausen halbwilde kaum, unterworfene Vedui« nenstämmc, wahrscheinlich die Nachkommen jener Völker, deren Rebellion einst dem Comes Thcodoslus so viel zu schaffen machte. Der Abend res ersten Tages seit mmicr Abreise von Milianah sollte uns iu das Lager eines arabischen Scheiths, Namens Mu« stapha ben Hamed, des Oberhauptes der Ulad Iaia, bringen. Aber durck Freund Schmuhl'ö Widerspenstigkeit verspätet, mußten wir bei einem andern arabischen Stamme, den Vcni Na-fchiv, übernachten. Nun kann Jeder, der vom Bureau arabe empfohlen ist, auf die officielle Gastfreundschaft der Araber Anspruch machen, die einen Theil ihrer Kontribution an die Legierung bildet. Aber um sein Recht auf dieselbe zu beweisen, dazu gehörtauch ein officielleö Schreiben. Ein solches besaß ich zwar an dcn obengenannten Scheich, nicht aber an die Bcni Nasckid, bei denen mich mein Unstern jetzt zwang, zu übernachten. Leider ist die Trci Iahic im Nortwcsten von A^rila l, 1A 1N4 sprichwörtliche freiwillige arabische Gastfreundschaft mit der Franzosenherrschaft fast ganz verschwunden, und jetzt existirt für Europäer nnr noch jenes gierung für ihre Schützlinge anbefohlene. Ucberhaupt hat man da« Verdienst, welches in der Gastfreundschaft dieser Böller liegt, übertrieben, da die Bequemlichkeiten, welche dem Gaste geboten werden, fo unbedeutend sind, daß derselbe feinem Wirthe weder Mühe noch Kosten verursacht. Worin die freiwillige Gastfreundschaft der Beduinen ihren Stammesgenossen gegenüber bestehe, das sah ich hier bei den Beni Naschid. Ein unbewohntes Zelt, welches Gemcineigenthum war, und bei Tage als Moschee diente, wurde des Nachts den Durchreisenden überlassen, um dort ihr müdes Haupt auf dem harten und nackten Fußboden auszuruhen. Hätte ich nicht den Spahis bei mir gehabt, dessen militärischer Stand, verbunden mit seiner Eigenschaft als Araber, einigermaßen »mpomrte, so wäre ich zweifelsohne hungrig eingeschlafen. Aber der Dringlichkeit dieser immerhin von den Arabern, welche eine lächerliche Furcht vor Allem, was Uniform trägt, hegen, mit Respect behandelten Persönlichkeit gelang es endlich, einen Beduinen zur Herausgabc von ein Paar Eiern zu bewegen. So wurde cö mir möglich, wenigstens den dringendsten Hunger zu beschwichtigen. Der Durst mußte freilich unbefriedigt bleiben; denn obgleich man annehmen sollte, daß diese Stämme, denen Wein und Bier verbotene, und oft unbekannte Dinge sind, wenigstens alle Mittel anwenden würden, um sich guteö trinkbares Wasser zu verschaffen, fo begnügen sich doch sehr viele mit nichts Besserem als schlammigen Pfützenwasser, nnd selbst dieses müssen sie oft 193 eine halbe Meile weit holen. So stammte renn auch das Wasser bei den Veni Nackid aus einem röthlich-gclben Blutigelteiche der Nachbarschaft. Jetzt standen mir noch die Qualen der Nacht im Bedut« ncnzelte bevor. Von der Art und Weife wie diese Kinder des Tell in ihren Zelten zu übernachten pflegen, hatte ich mir bis jetzt nur einen höchst unvollkommenen Begriff gemacht. Hier sollte ich die Lebensweise der Beduinen in ihrer ganzen Nacktheit kennen lernen und gczwmlgencr Weise mitmachen; denn jenen obligaten Neiseapparal, bestehend aus Zelten, Betten, Küchenbatterie, Cantine und dergleichen, welchen mau im Orient nicht entbehren kann, hatte ich bei diefer meiner ersten Tour in Algerien gänzlich verschmäht, da mich die Offiziere des Bureau arabe versicherten, ich würde fast überall Unterkommen auf europäische Weise finden, und wenn ich je einmal bei den Eingebornen übernachten müßte, so sei dies; nur bei Kal'ds oder Scheiths, wo dem ofsiciell Empfohlenen immer alle erwünschten Bequemlichkeiten geboten würden. So wäre es auch gewesen, hätte nicht die Langsamkeit dcö marokkanischen Betteljnden unsere Pfade gehemmt. Aber diese etwaö harte Strapaze, zu welcher ich jetzt verurtheilt war, hatte wenigstens denVortheil, mir ein Stück Wahrheit vom Vedumeuleben, welches den meisten Nei-fenden entgeht, zu offenbaren. Denn nur wenige Touristen bekommen von dem Leben der Eingebornen cine andere, als die vfficiclle Seite zu sehcn. Jene Schaaren junger Engländer, welche unter dem selbsttäuschenden Vorwand, der Löwenjagb obzuliegen, alle Jahre Algerien durchziehen, haben gewöhnlich ihre Tafchen voll Empfehlungsbriefe au die Tcheikhs, Agya'6 und 13* 1U6 Basckagha'S, bei denen sie mit dem offiziellen Ku^kusfuh der Stabsoffiziere abgefüttert und zuweilen anf Löwenhäute gebettet werden, letzteres wahrscheinlich, um fie für die Enttäuschung ihrer stets erfolglosen afrikanischen Iägerlaufbahn zu trösten. Sie sehen nur die aufgeputzte officielle Seite, ren Sonntagsstaat rer arabischen Gastfrenndschaft, welche die Franzosen so bezeichnend , kukpiwiit/! ci'llppalat" benannt haben. Das hindert aber niese jungen Springinsfelde gar nicht, später ihre Reiseeindriicke als Schilderung des wahren Treibens nnd Bebens, der wahren Sitten der Beduinen zu geben. Aus diesen und ähnlichen Duellen stammen so viele falsche Ideen, die man sich in Europa iiber ras ^'eduincnlcben macht. Das wahre Leben der Beduinen ist, was Comfort odcr vielmehr Nichtcomfort betrifft, ungefähr dieses: Sie wohnen in unschließbaren, Wind und Regen offenen Zellen, ans schmutzigen Rinderhänten gebildet; sie schlafen auf der harten Erde, ,welche nur der Reiche mit einer Strohmatte bedeckt, essen gewöhnlich nichts als faure, ölige Gerstenteige, welche sie euphemistisch Brod benennen, und trinken meist schlammiges Wasser. Kaffee und Tabak, welche Dinge eine falfche Vorstellung der »leisten Europäer als unentbehrlich fiir jeden Muselmann hält, sind dergestalt Luxusartikel, daß man sie nur bei den reicheren Scheikhs und Kaids antrifft. . Ueberhaupt gilt Tabakrauchen im ganzen Maghreb (Nordwesten von Afrit.,) fiir eine Gewohnheit, welche beinahe Unrecht ist, d. h. Tabakranchcn ist zwar nicht Haram (Sünde), aber es ist Makruh (verabscheuuugswürdig). Kaffeetrinken galt früher für Avb seine Sache, deren man sich schämen muß), uno lein Sohn vm'ft^ orr feinem Vater oder Obeim, kein Jüngling vor 197 einem Greise das luxuriöse Getränk schlürfen. Mein Freund, HadschHamed in Algier, pflegte immer jungen, selbst 25jährigen Männern Ohrfeigen zu geben, wenn dieselben sich erlaubten, in feiner Gegenwart Kaffee zu trinken oder Tabak zu rauchen. Die Kleidung der Beduinen ist gewöhnlich ein alter zerlumpter Bernus, welcher Tag und Nacht getragen und nie gewechselt wird, bis er das Möglichste an Zerlumptheit, Fetzenhaftigteit und Alter geleistet hat. Auffallend war es mir, je mehr ich mit dem wahren Leben der Beduinen bekannt wurde, zu finden, wie sehr dieses Leben dem entsprach, welches schon im Alterthum die Maure» oder Maurusier, welche eben dieselben Gegenden Afrita's bewohnten, geführt hatten. Ich habe schon oben gesagt, daß die meisten der Beduinen, welche sich selbst für Araber halten, autochthonen. d. h. berberischen oder kabylischen Ursprungs sind. Deßhalb kann man jene Maurusioi, deren rauhes ^.'eben uns Prokopios schildert, mit Necht für die Vorfahren vieler der heutigen Beduinen der Algerie halten. Der Geschichtschreiber des vandalischen Krieges sagt über diese Autochthoncn Afrika's (I'ro-kopius, clo Voll« vanälüioo. II.): „Die Maurusier führen das rauheste, abgehärtetste Leben. Sommer wie Winter kleiden sie sich auf dieselbe Weise und legen ihre Kleider auch des Nachts nicht ab. Ein faltiges Obergewand (r(,^ Milliarien. Aber man wird leicht diese 9^ Milliarien herausbekommen, wenn man alle die Krümmungen berücksichtigt, welche die Nömcrstraße, Welche dieser unebenen Küste entlang führte, nothwendiger Weise machen mutzte. Ptolcmäos giebt Cäsarea als 2" 30< östlich von Lartcnnae gelegen an. Der Unterschied der geographischen Länge zwischen Scherschell und Tcueö beträgt aber nur 50 Minuten. Ptole-niäoö würde uns hier also vollkommen irreführen, wenn wir nicht das Itincrar des Autonin zu unserer Richtschnur hätten. Ueberhaupt ist Ptolemäos mit seinen Oradmcssungen voller Unrichtigkeiten. Zweifelsohne war Cartennae zur Nömcrzeit eine wichtige, wenn auch keine große Stadt. In der That muß man sich wundern, wenn man bei Plinius liest, Cartennae sei der Sitz der zweiten Legion gewesen, ähnlich wie Lambesis der Sitz der dritten war; denn welch ein Unterschied zwischen dem großen, an Ruinen so reichen und so vielen Naum bedeckenden Lambesis und Tenes, dessen einstiger, jetzt noch deutlich nachweisbarer Umfang 22? nicht größer war, als der der modernen kleinen französischen Stadt, welche genau anf dem Platze der alten Garnisonsstadt der zweiten Legion erbaut ist. Die acht oeutschen Meilen, welche Orleansvill? von Teues trennen, legte ich vermittelst einer höchst wackeligen Diligence, welche täglich diese Fahrt macht, auf ziemlich guter Landstraße in fiilif bis sechs Stunden zurück. Der Weg führte anfangs noch dnrch das getreidereiche Scheliffthal; dann strebte er aufwärts, und wir kamen über hügeligen Grund mit dem düsteren Charakter einer Slcppenlandschaft, wo oft weit und breit tcin menschliches Wesen zu fchen war, wo kein Baum emporragte, und nnr der schrillend bellende Schakal hie und da seinen Nuf vernehmen ließ und die einfame Hyäne traurig umherschlich. Zwei kleine europäische Colonistcndörfcr, die „troiö Pal-miers" und die „cinq Palmierö" allein unterbrachen, in nicht großer ^Entfernung von einander, ungefähr halbwegs zwischen Orlcauöville und Tcnes, die Einsamkeit dieser kahlen Halde. Mehrcrc der Häuser dieser auf Negicrungsbefehl gegründeten ,,00 Fuß, welche anf allen vier Selten isolirt erscheint. Die abschüssigen Wände dieses Hügels stehen beinahe senkrecht in die Höhe. Die nördliche Wand senkt sich dem Meere, die östliche der Llx'm, und die westliche einer von Oleander überblühtcn Schlucht ;u. Auf der Südseite allein verbindet «ein dammartiger Weg die Hügclstadt mit dem übrigen 232 Lande und zieht sich von hier nach dem dunklen Gebirge, an dessem Fuße die Maurcnstadt ruht. Das moderne Ctädich.'n mit einer Bevölkerung von ungefähr 1600 Europäern, wovon ein Driltlhcil Spanier, und einer Garnison von 500 Mann, war noch zum Theil aus BrettcrlMeu gebaut. Selbst die Kirche war ciue Bretterbude. Doch erheben sich jährlich ein,- Anzahl neuer europäischer Steinhäuser, welche jedoch leider immcr nach dem bekannten, geschmacklosen, kascrnenartigen Muster, welches nun einmal in der Algerie Mode ist, errichtet werden. Noch keinem der Franzosen ist es eingefallen, die maurischen, auf das Klima und auf die Gcfahr der Erdbeben so wohl berechneten, und dabei fo unendlich reizenden Häuser Algiers bei ihren Neubauten nachzuahmen. Ein alter römischer Brunnen, welcher neuerdings wieder ln Stande gefegt worden war, trug dazu bei, das französische Teneö mit Wasser zu versehen. Sonst waren im Ganzen die römischen Neste viel unbedeutender, als man bei vem einstigen Wohnort einer Legion vermuthen tonnte, namentlich, wenn man Tenes mit seiner Schwcstcrlegionsstadt, LambcsiS, verglich. Eine nmfaligreiche Mosa'i'klafel, welche man in neuester Zeit entdeckt hatte, bildete die archäologische Hauptmerkwürdigkeit des einstigen Cartennac. Ueber die Identität des »eufrauzösifchen Tencs mit der Römerstadt kann übrigens, trotz der verhällnißmäßigcn Dürftig» lelt der hier aufgefundenen antiken N^stc, dennoch kein Zweifel mehr llbrig bleiben. Wir wissen nämlich eines Theil?, daß das rümijche Carteunae genau so auf einer nach allen Seiten zu ab- 233 fchüßigen Hochfläche, wie das heutige Teues, gelegen war. Ferner stimmt die Lage, welche sowohl das Itincrarium des Antonin, als die Beschreibung des Plinius der Legionsstadt verleihen, vollständig mit der dieses Küstenpunktes überein; uud endlich haben zwei hier aufa/fnntcne, jetzt in Paris befindliche Inschriften nach Leon Nenier'ö allgemein geschätzter Auslegung siegreich bestätigt, daß in der That hier Cartennae, und nickt, wie Mannert behauptet, Julia Cäsarea zu suchen sein müsse. Vor das westliche Thor des kleinen Städtchens tretend, befand ich mich plötzlich einer nackten Wand des Abgrundes gegenüber, welche die Stelle der antiken Pekropole vertreten zu haben schien. In dieser Felsenwand bemerkte ich eine Menge viereckiger, regelmäßig aufgehauener Stuben, welche, wie man nach den hier entdeckten menschlichen Gebeinen mit Bestimmtheit schließen kann, Gräber waren. Eine sehr beträchtliche Anzahl steinerner Sarkophage, meistens aus dcr christlichen Epoche herrührend, ebenfalls in den Höhlungen dieser Gräberstadt aufgefunden, lassen keinen Zweifel mehr über die Lage der Netropole übrig. Diese Felsenwand bildete eine der oier Seiten des Plateau's, ans welchem Cartcnnae lag. Sicherlich befanden sich über ihr Häuser; uud so wohnte ein Theil der Insassen der Nömerstadt über den Fclscnstubcn der Netropole. Die Wohnungen der Legionäre lagen vielleicht über ihren ewigen Ruhestätten, ihre nächtlichen Lager über. ihrcu ewigen Lagern. So liebte eö die frühe christlichcZeit, dcr ja fast ausschließlich Caaten-nae'ö Gräber angehören, Zeit und Ewigkeit in düsterem Bunde zu verknüpfen! Die Menge dcr hier aufgefundenen Gräber läßt schließen, daß. wenn auch Cartennae sich teiner großen Aus- 234 dehnung erfreute, eö dock wahrscheinlich eine fiir seincn Umfang besonders dichtgedrängte Bevölkerung besessen habe. Die in Tenes aufgefundenen antiken Münzen stammen fast alle aus der Zeit des Constantin. Leider ist hier an Ort und Stelle nichts für Aufbewahrung der Alterthümer gethan worden. Dagegen besitzt dasMuseum von Algier vier hier entdeckte Iuschriftstafeln, welche bestimmt waren, das Andenken von Nedilen der Stadt zn verherrlichen. Eine derselben erwähnt die Vertheidigung der Volonie gegen einen Ucberfall der Vaquatcn (wahrscheinlich ein nnmidischcr Stamm), durch Fulci-nius, Sohn des Marcus vom Stamme der Quirlten. Carten-nae war in der christlichen Periode unter dcn Namen Episco-patuö Cartenuitanus ein berühmter Bischofssitz. . Fünf seiner Bischöfe sind der Vergessenheit entgangen. Der donatistische Bischof Nogatuö von Carttimae war der Stifter einer eigenen Secte. ver Nogatisti, geworden. Er lebte noch zur Jugendzeit des heiligen Augnstinns. Victor war zn Geiserich's Zeit Vi-schof von Carknnae, und machte sich durch eine Schrift gegen den Arianismus bemerkbar, was jedenfalls seinem Muth viel Ehre machte. (5s ist auzunehinen,daß CartennaczurZeit der arabischen Invasion zerstört wurde,um nicht wicderauö seinen Ruinen zn erstehen; wenigstens geschieht seiner von nun an keine Erwähnung mehr. Das sogenannte alte Tenes, die jetzige maurische Stadt, liegt etwa 3000 Fuß vom Mcereöufer entfernt in südlicher Nichtimg von dem französischen Tenes, welches letztere erst 1843 aus den Trümmern des wahren alten Tenes erbaut worden ist. Die heutige Araberstadt vertritt vielleicht die Stelle 235 des Laguet des Ptolemäus. Ihre 1200 Einwohner sind ausschließlich Gingeborne. Im Mittelalter war Alttenes der Sitz cines ziemlich lebhaften Handels. Die Stämme des Dahrah tauschten hier die Häute ihrer Thiere, die Wolle ihrer Heerden, die Feigen ihres Verglandes, damals beriihmt unter den Namen der Feigen von Madschena, ihren Honig und ihr Wachs gegen die Waaren europäischer Industrie, welche die Pisaner, Genueser und Venetianer ihnen feilboten. Nach dem Fall der Beni Zian, welche von Tlemsen aus auch Teues beherrscht hatten, wurde diese Stadt von dem echt arabischen Stamme der Ulad Mehal unterjocht, welche hier ein kleines unabhängiges Königreich stifteten. Dieses begriff die Städte der N'achbarschaft, Masuuah, Mostagauem, Masagran und das zwischen ihnen gelegene Land. Dieser kleine selbst--ständige Staat fristete sein Dasein bis zum Jahre 1517, als Arudsch es seiner Alles verschlingenden Herrschaft unterwarf. Die Bewohner von Tenes haben unter ihren Stammesgenossen von jeher einen sehr schlechten Nuf genossen. Man warf ihnen Falschheit, Gierigkeit. Naubsucht vor. Letzteres uicht mit Unrecht, da sie im Mittelalter als Seeräuber weit gefürchtet waren. Ahmed Ben Iussuf hat wohl mehr, als irgend Einer, zum schlechten Mfe der Teneser beigetragen, indem er über dieselbe« einer seiner kräftigsten Fliiche auösprach: „Tencs!" so lauten die Worte des arabischen Vctteldich-ters. „Stadt auf Kupfer gebaut! (Anspielung auf die Kupfer-miucu der Gegend). Dein Wasser ist Vlut, Deiue Luft ein 23« Pestgestank, Deine Söhne sind Lotterbuben und Deine Töchter noch Schlimmeres!" Man sieht, der dichtende Derwisch ging nicht mit fauler Hand zu Werke, wenn er einmal ins Schimpfen lam. Der Handel von Altteneö ist heut zu Tage ganz durch den der neuen französischen Stadt, so unbedeutend dieser auch sein mag, verdunkelt. Gleich einer längst gefallenen Fürstin, entehrt, besudelt und gealtert, bietet die einstige Hauptstadt der Beni Mchal jetzt den traurigen Anblick einer Nuincnhaftigtcit, eines Schmutzes, einer Unordnung car, pieman sie wohl kaum an einem bewohnten Orte vermuthen möchte. Vor deu halbzerfallen Häusern saßen, malerisch in ihre Lumpen drapirt, (denn die Lumpen dieser weiten Gewände sind immer malerisck), die würdevolle«, aber bettelarmen Einwohner, die trotz ihrer Armuth dennoch das süße Nichtsthun als angenehmste und höchst aristokratische Beschäftigung erwählt hatten. Die Stämme der Umgegend waren von ihrem früheren Gewerbfleiße etwas weniger entartet. Die Ulad Junes, ein Stamm, dessen Zelte zwei deutsche Meilen südwestlich von Teneö liegen, verkaufen noch hcute, wie im Mittelalter, den vortrefflichsten Honig, welcher aus Nordafrita aufgeführt wird; auch bereiten sie Leder, wie zur Vlüthezeit ihres Handels mit den ita» lienischen Republiken. Dntle« Juck. Iiiwinz Gran. Erstes Capitel. Masunah. Der Mai in Nordafnta. — Reise von Orleanöville nach Masunah. — Ein Streich dcö gefangenen Vctteljudcn. — Nachtqual tier beim Kaid dcr Sbcah. — Dis Tahrahgel'ivgc. — Masunah. — Lieutenant kucaö, — Seine arabische Gattin. — Ahmed Bcn Iussuf als Prophet. — Vu Masah'ö Fniheitslampf. — Besuch der Grellen von Fem'chich. — Tic Verbrennung dcs Stammes der Bcui Namah. — Der Wasscrfall von Masuuah. Von Tcncö war ich nach Orleansville zurückgekehrt. Dort hielt mich der ucrhältnißmäßtge Conifort ciues europäischen Wirthshauses noch ein paar Tage fest. Denn jetzt stand mir eine dreitägige Reise bevor, auf welcher ich keine» europäischen Ort antreffen follte. So eine erbärmliche europäische Natur, wie die meinige, brauchte leider alle Mal vor oder nach einer afrikanischen Strapatze kräftigende Nuhe oder Erholung. Inzwischen war der schöne Maimonat angebrochen, der, wenn er auch mitunter hier zn Lande schon recht sommcrheiße Tage bringt, doch im <Äanzcn noch eine sehr angenehme, zum Ncisen wohl geeignete Zeit ist. Noch war die blühende Frische der Gefilde, welche die Frtthlingsregen ihnen verliehen hatten, nicht vom brennenden 24ft Hauche des Scirocco verscheucht worden, Noch prangten in blumigen Gewänden die Rosen des Feldes; die Convolvulus althäoives zeigte ihre herrlichen scharlachrothen Trichterblumen; die Iris pfeudoacoruö prangte anl Rande der Va'chlein im gelben ^lüthcutletde; die Fcttpflanzen, Crassula rubcnö, nnd der Umbilicus lutcus wanden sich in seltsamen Verschlingungen am Boden hin, sie bedurften nicht des ladenden Wasscrtropfens, um ihre üppigen Knospenstcrne zu entfalten; vie Cactus Opnntia bot ihre goldenen Glocken, die Agave Americana ragte mit tausendfachen Niesenstielcn, welche oft der Zeitraum einer Woche aufschieben gesehen hatte, in die goldenen Lüfte, der Oleander schmückte sich mit dem zarten und die Granate mit dem lebhaften Roth ihrer Vlüthenknospen. Eine herrlichere Jahreszeit zum Reisen tonnte ich nur kaum wünschen. So lenkten sich denn denn auch bald meine eiligen Schritte neuer Wanderung zu. Dießmal galt eö Masunah zu erreichen, welches mir die Pfade nach Mostagancm und Oran erschließen sollte. Um nicht wieder auf das magere, uralte Huhn und den öligen Gerstentcig, Vrod genannt, alö einzige Nahrung angewiesen zu sein, ließ ich eines der Maulthiere diesmal tüchtig mit Lebensmitteln beladen, ohne den uutoschern Nebensaft zu vergessen. Aber, wie es so oft im Leben geht, daß Dem, der da hat, gegeben wird, d. h. daß mau dauu Uebersinß findet, wenn man nichts braucht, so fanden wir auf dieser Tour stets die reichlichste, trefflichste Vewirthung, unv daö Mitschleppen von Wwaarcn wäre ganz unnöthig gew,esen. Nur der Wein kam sehr zu statten. Abermals bildete der unglückliche, gefangene Petteljude, 241 dessen Bestimmung es zu sein schien, unter den Fußtritten der Gläubigen seine gezwungene Wallfahrt bis nach Marokko fortzusetzen, ein Glied meiner kleinen Karawane. Den Morgen des ersten Tages umgab uns immer noch die schattenlose, getrciderciche Ebene des Scheliff. Dießmal liefen unsere Pfade auf dem rechten Ufer des Flusses, anfangs ihm cnt« lang. Dann begannen wir uns allmälig von demselben zu entfernen und uns dem im Nordost gelegenen Gebirge des Dahrah zu nähern. Zur Linken begrüßte uns ein zierlicher kleiner Marabut oder Nubba, dem in Algerien so hochverehrten muselmänuifchen Heiligen Sidi Abd-el-Kader el-Dschelali gewidmet. Mein Maulthiertreiber, ein frommer Muselmann, ließ diese Gelegenheit nicht unbenutzt, um dem Heiligen mit näselnder Stimme seinen Gruß mit den Worten: „Sbah-el-kheir ja Sidi Abd-el-Kader!" (wörtlich: Gutentag, o Herr Abd-el« Kader!) zuzu-smgcn. Im Laufe des Vormittags durchwateten wir den U«d Uaran, einen kleinen Nebenfluß des Scheliff. Wir befanden uns im Gebiete der Ulad Fers, welche unter dem Aghalik der Eönam stehen. Mittags rasteten wir in der Nähe des Stammes der Sbeah, nachdem wir vorher den kleinen, jetzt bereits ausgetrockneten Uüd Grescdiah überschritten hattcn. An dieser Stelle begegnete cin Zwischenfall, der mich herzlich wiinschen ließ, Freund Schmuhl möge nicht mehr einen Theil meiner kleinen Karawane ausmachen. Es war ziemlich heiß gewesen und meine Beduinen, so wie ich, wurden stark vom Durste geplagt. Aber an unserm Nuhc- D«l Jahre im Nordweslcn von Afrila. I. !"I 242 platze neben dem Bette des ausgetrockneten Fluchens herrschte ein vollkommener Wassermangel. Mit brennender Kehle fragte ich meine Begleiter, ob nicht einer von ihnen eine Quelle in der Nähe wisse. Gin Bursche versicherte, er kenne eine solche, und erbot sick, daselbst für uns Wasser zu holen. Die Quelle war invest sehr weit und es dauerte wohl eine Stunde, bis er zurückkam. Nicht ohne große Freude erblickten wir den Nahenden, als er endlich mit einem Gefäß voll der kostbaren Flüssigkeit wiederkehrte. Unsere durstigen Seelen trinmphirtcn. Wir sollten das köstliche Naß unferu trockenen Lippen nähern tonnen? Wonne und Genuß ohne Gleichen! Aber wer beschreibt unser Entsetzen, als wir nun sehen mußten, wie Plötzlich der schmutzige Betteljude, der bisher barfuß gegangen war und dessen Füße überaus schwarz aussahen, dem Kommenden entgegeneilte, ihm das Gefäß aus der Hand nahm und, ehe noch irgend Jemand ihn daran hindern tonnte, seine ekelhaften Füße hineinsteckte und abwusch. Noch einmal Wasser holen zu lassen, das erlaubte die Zeit nicht; und so mußte ich denn mit dem puren starten pro-venzaler Wein, welcher ohne Beimischung von Wasser die Trink-begierde eher erregt als lindert, meinen Durst, wenn nicht zu stillen, so doch zu täuschen versuchen. Die weinschcucn Araber jedoch, nachdem sie sich gehörig in Schmähreden über die zur Unzeit erfolgte Ablution des Juden und über diesen selbst ausgelassen hatten, entschlossen sich zuletzt doch noch zu dem Unglaublichen, nämlich dazu, das kühlende Naß, obgleich von Freund Schmuhls Fußstaub besudelt, — dennoch zu trinken: eine Operation, deren Anblick für meine Magenuervm eine nicht geringe Prüfung war. Unser Ihudi (Jude) tonnte sich 243 rühmen, au feinen Wächtern eine fürchterliche 3iache geübt zu haben. Wir übernachteten in einem kleinen Dorfe der Sbeah, dessen Ka'i'd, Namens SidiHamed, uns den Befehlen des Bureau arabe gemäß auf's Vestc und zwar natürlich nach arabischer Sitte bewirthete. Das Bcrdsch oder die tarawansereiartigc Wohnung dieses Würdenträgers war auf einem kleinen Hügelvorsprung, welcher eine weite herrliche Landschaft beherrschte, erbaut. Auf der luftigen Terrasse, in meinen Vernus gewickelt, schwelgte ich hier eine 3tunde lang, ehe die Mahlzeit unseres Gastgebers bereitet war, in den reinen Wonnen eines herrlichen Naturgcnusses. Von l,ier sah ich einen der schönsten Effecte der untergehenden Sonne, welche in Afrita so überaus reizend sich darbieten. Im Südwefttn blintte die silberweiße, vom Sonnenstrahl zart geröthete Decke des noch nicht vom Schnee befreiten Nareusenio, wie ein Alpenglühen der Echweiz. An feinen» Fuße lauerte die schwarze Felsenmasfe LerMittleren Verge, welche gleich einer Niesensphinx jene unermeßliche Schatzkammer der goldncn Achren, das Thal des Schellst, bewachte. Auf riefen Felsenwänden schuf die letzte Gluth des sinkenden Tages-gcstirnö ein Meer von Farbcntöneu, welche unter einander zu contra stiren schienen, und doch ein harmonisches Ganze bildeten. Die platte, der Sonne gerade cntgegeugewanrte Vergcsmauer von weißlichem Kallstei« hatte orcmgegclbe Tinten angenommen. Unter ihr strahlte cm phantastisches Conglomerat in einem dun-telröthlichen Farbenton. Die Wälcer, welche auf den weniger felsigen Tcitcnabhangen ruhten, schienen braungold vonl Hauch deö Sonnenscheins übergössen. In den Fch'enritzen unv 244 Schluchten herrschte ein tiefrimkler Farbenton, kaum mehr blau zu nennen und toch auch nicht ganz schwarz; aber an einzelnen Stellen schien selbst er von einem zarten Goloe leichthin angehaucht. Das Ganze bot jedoch, oberflächlich angesehen, nichts, als ein Meer blauer und violetter Tinten, mit zartem, strahlendem Gelb untermischt. Von Südost nach Nordwest schlangelte sich der silberne Lichtstreifen des Schcliff, von den Strahlen deö untergehenden Feuerballes leuchtend durchdrungen. Im Siiden erhob sich der Dschebrl Dui in weiter nebelgrauer Ferne, wie ein undeutliches Bild vergangener Tage, welches sich nur noch hie und dH in nnserc Erinuenmg drängt. Im Norden zog sich rcr schwarze Nucken des Dahrah, der einstige gefürchteteSitz des fanatischen Freiheitskampfes Vu Mafah's, schlangelnd hin. Mit seinen mächtigen Verfchlingungcn glich dieses lange Gebirge einem fabelhafte» Niesendrachen, welcher in ungeheuren Wendungen von tühner Krümmung sich dem Mittelmeere zu-wälzte. Aus den tief empfundenen Freuden dieses Naturgennsses störte mich die donnernde AaMmme des Spahis auf, welcher mir zu melden kam, daß die Disfah oder Gastmahlzeit des Ka'irs unserer warte, Der Ka'i'd, ein ehrwürdiger, reinlich aussehender, weiß gekleideter und weißbärtiger Greis, nahm mit mir nnd dem Spahis an dem Abendtischc Platz. Das heißt: wir hockten auf oem Teppich des Fußbodens um eine auf einem Fußgcstell erhöhte hölzerne Schüssel herum, aus welcker nach arabischer Sitte die Speisen mit den Fingern genommen wurde«. Das Nachtessen bestand aus dem unvermeidlichen Kußkußuh, jenem Hauptgericht und Lieblingsessen der Amber des Westens, welches bei 245 ihnen jede andere Speise verdrängt oder, wenn man will, in sich schließt. Denn das Kußkußuh ist ein Neceptaculum flir jedes irgend nur wünschenswerthe und oft auch nicht wimschcnö-werthe Lebensmittel. Die Grnndlagc und den Hauptbestandtheil desKußtußuh bildet jedoch cin in unzähligen kleinen griesartigen Kügelchcn zerriebener Mehlteig. Das Mehl ist bei anständigen Disfah's (Gastmahlzcitcn) stets Weizenmehl. Die ärmeren Araber nehmen Gcrstenmehl. Ich habe mit Erstaunen in Pur-ton's Ncise nachMckta und Medina gelesen, daß dieser berühmte Ncisendc Kußkußuh für Mais hielt. Mais ist gerade dasjenige Getreide, aus welchem das Kußkusmh niemals bereitet wird, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es im ganzen Maghreb (Nordwestcn von Afrika) leinen Mais giebt, er sei denn von Europäern in neuester Zcit gepflanzt worden. Und doch waren cs Maghrcbincr, welche Vurton das Kußlußuh anboten. Die Kligclchcn des KuUußuh, welche einer Art von „pütc ä'Iwiie" ähnlich sehen, werden lhuvmariig aufgehäuft, in Fett, Putter oder Vrühc geschmort und dann wieder mit Brühe begossen. Auf den Haufen derselben legt man gewöhnlich zuerst Zwiebeln, Pfeffcrschoten, und Gewürz aller Art, dann zuweilen noch Gemüse, aber immer und hauptsächlich Fleisch. Ilebcrhaupt sind die Veispeiscn, je nach den Mitteln des Wirthes, reichlich und mannichfaltig. Oft wird eine Lage saurer, dicker Milch zwischen das Fleisch nud den Thurm griesartiger Mehltügelchen hineingegossen. Das Ganze krönen dann bei Wohlhabenden Rosinen, Feigen und Melonenscheibchen. Dießmal fehlte tcmm eines dieser Bestandtheile des Kußkußuh, welches, trotz des seltsamen Gemisches, sonderbarerweise dennoch recht schmackhaft war. Ich 24« dankte übrigens meinem Schöpfer, daß ein Ingredienz, welches man znw eilen auch dein Kußkuhuh beimischt, hier fehlte. Das war der Honig, dessen Anwesenheit in einem Fleisch- nnd Vouillougericht einem Europäer nur höchst unangenehm vorkommen muß. Namentlich au Hammelfleisch und Hühnern war hier lleberfluß. Letztere wurden vom Ka'i'o selbst mit seinen vorher reinlich gewaschenen Fingern zerlegt und uns davon die besten Stückchen mit der Hand angeboten. Ein seltsamer Zwisckenfall sollte mir hkr einen weiteren Einblick in arabische Sitten «erschaffen. Als wir Drei mn das Kußlußuh herumsaßen nnd alle Andern sich von uns in respect-voller Entfernung hielten, trat Plötzlich ein unendlich zerlumpter, von Schmutz strotzender Bettler derein, ging gerade auf unsern Wirth zn, nahm, ohne ein Wort zu sagen, neben diesem Platz nnd griff mit seineu ekelhaften Händen gierig nach den vom Ka'l'd vorgelegten Hiihnerschnittchen. Sidi Hanied wehrte ihn nicht ab. Nachdem der Bettler fast alles Fleisch gegessen, welckcs der Ka'l'd eben vor sich liegen hatte, griff er mit seinen entsetzlich schmutzigen Fingern in die vor nnö stehende Schüssel voll Kuß-tußuh und führte sich große Massen dieses Gerichts zu Gemüthe. Sidi Hamed war feines Bastes wegen verlegen; aber er traute sich nicht, dem Bettler sein unanständiges Benehmen volznfttllcn, over ihm Einhalt zu thun. Dennoch begriff er, daß einem Europäer ein solcher Tischgenosse nur höchst unangenehm sein mnßte. Deßhalb wandte er sich mit entschuldigender Gebcrde an uns. Er zuckte die Achseln, iudem er nach dem Bettler hinwint'te, und sprach die Worte aus: „Derwisch, Mabul, Marabut." — Damit war Alles gesagt. Der alte Bettler war oder galt für 24? verrückt, und jeder Verrückte gilt den Muselmänner» für heilig. Einem solchen Heiligen muß man natürlich Alles nachsehen. Er darf die anstößigsten Tinge öffentlich vornehmen und thut cS auch, und lein Mensch darf es rüge». Oft verbirgt sich ein Spitzbube hinter diesen, Gewände des Wahnsinns und der Heiligkeit. Dieses Exemplar vou einem tollen Heiligen trug das Haupt völlig blos. Sein Haar war ungeschoren und wuchs in wilden ^ollenbüscheln wie eine schwarz Krone um seinen breiten Scheitel herum. Sein Gesicht strotzte von Gesundheit, aber auch von Schmutz. Seine Augen halten einen Röchst unverschämten Aufdruck, und er schien sich wohlbewustt, welches Prestige ihm sein Wahnsinn und seine Heiligkeit bei diesen abergläubischen Stammen gaben. Nichts ist bequemer, als tie Nolle eines solchen Narren. Von Jedermann hochverehrt, er mag nun thun, was er will; unfähig, für einen Missethäter zu gelten, selbst n?eun er einen Mord begehen sollte; vou Allen gefüttert, gehätschelt und gefürchtet, ist er ein wahrer Fürst unter diesen abergläubischen Menschen. Nachdem wir abgespeist hatten, lam die Reihe an die Knechte, sowohl die deö Ka'lvö, wie die uusrigen, und zuletzt vou Allen an reu armm Attteljuden, der jedoch das arabische Gericht nicht koscher zu finden schien und sich statt dessen mit Vrod und rohen Zwiebeln begnügte. Nach vollendeter Mahlzeit wurce un« der Kaffee in den bekannten Fingerhuttäßchen gereicht. Das gemüthliche Beifamlnensitzcn nach eingenommener ^'eibeöstärkung führte dann zu eimm willkommenen Plauderstündchen, in welchem ich die Ehre rer Fortführung absichtlich dem Ka'id überließ. Derselbe hatte den bernhmlen Fretheitshelden Bu Masah 248 gekannt und wußte viel von ihm zu erzählen. Ich frug ihn, ob das Thier, die Ziege nämlich, von welcher sich Bu Masah immer begleiten ließ, und nach der er auch benannt wurde (Vu Masah heißt Vater der Ziege), wirtlich zur abergläubischen Verehrung , welche ihm die Beduinen zollten, beigetragen haben. Sidi Hamed bestätigte dieß und führte mir als Beispiele alle die andern Freihcitöhcldcn und religiösen Fanatiker an, von denen der eine sich von einer Eselin, der andere von einer Katze, ein dritter von einer Gazelle begleiten ließ. - Mein ehrwürdiger Gastgeber war seit Besicgnug der Rebellion ein guter Franzose geworden; früher hatte er aber start iin Verdachte gestanden, mit dem „Vater der Ziege" ans sehr freundlichem Fuße zu leben. Er war natürlich sehr zurückhaltend in allen seinen Aeußerungen über sein eigenes einstiges Verhältniß zu dem Scheriff. Officiell schimpfte er sogar mit nicht immer gewählten Ausdrücken über diesen Sultan eines Tages. Aber ein unheimliches Funkeln seiner vom Alter noch nicht des Feuers beraubten Augen verrieth, wie schr sein muselmännisches Gefühl bei diesen ofsiciellen Lügen gemartert wurde. Wie gern hätte er alle Franzosen dorthin geschickt, wo der Koran allen Ungläubigen nach ihrem verruchten Leben das siedende Wasser als ewiges Bad verspricht! Die Nacht brachte ich im Gastzimmer des Ka'ids, auf dem Teppich des Fußbodens liegend, mit meinem Nachtsack als Kopfkissen und ganz angekleidet zu, denn selbst bei wohlhabenden Beduinen wird man das Möbel, Bett genannt, stets umsonst suchen. Der Araber schläft, wie schon erwähnt, völlig angekleidet und zwar auf derjenigen Stelle des Fußbodens, wo er nun gerade zufällig des Abends vorher gesessen hat. Seine weiten 249 Gewände'gestatten ihm, ohne Unbequemlichkeit in denselben zu übernachten. Für den eng gekleideten Europäer ist dieß aber begreiflicherweise höchst lästig. Aber gegen mein früheres Uebernachten in Beduinenlagern war die Herberge bei Sidi Hamed immer noch ein großer Luxus, so unbequem sie auch an und für sich jedem Europäer scheinen mußte. Wenigstens hatte ich hier einen reinllchen Tcppich statt der dortigen schmutzigen Strohmatten zum Lager, auch war dasHauö schließbar und nicht, wie das stets thürlose Zelt, jeder Nauhheit derWilterung offen. Außerdem sah ich zu meinem unauösprechlichen Iubel,daß außer mir nur vier Personen in dem Gastzimmer Platz nahmen: nämlich der Spahis und drei reisende Bettelderwische, geheiligte, hochverehrte Persönlichkeiten, in entsetzlich zerlumpten, über die Maßen befleckten Bernussen, deren geweihtem Charakter natürlich überall der Ehrenplatz gebührte. Alles übrige arabische Lumpengesindel, sowie der gefangene Bettelnde, schlief im Stall; denn Sidi Hamed besaß wirtlich einen Stall: — ein fabelhafter Luxus für einen Veduinenchef! Gewöhnlich bei Arabern bleibt alles Vieh des Nachts im Freien. Am andern Morgen fühlte ich mich immerhin zwar recht steif von dem Lager auf dem dünnen Teppich, der alle Härten des Backsteinfußbodenö energisch durchfühlen ließ. Aber wenigstens hatte ich etwas schlafen können. Ich war bereits um 5 Uhr munter. Die Sonne ging in lichten rosigen Nebeln herrlich auf; vor ihrem Angcsickte wusch ich meine Augen in der silbe» hellen Quelle und trieb dann meine Gefährten zu eiliger Abreise. Der zweite Tag vou Orleansvillc aus führte uns anfangs wieder durch ein Stiick der fruchtbaren, aber monotonen Sche- 25 U liffebene, welcher wir jedoch jetzt bald den Nucken kehrten, um m die kahlen Felsenschluckten des DahrahgebirgeZ einzulenken. Der Dahrah ist ein einzeln stehender Gebirgsstock.von kühnen wildromantischen Umrissen, der sich längs des Meeres von Tenes bis zur Scheliffmündung hinstreckt. Diese Berge waren der Schauplatz der berühmten Insurrection Vu Mafah's gewesen, welche Pelissier, der jetzige Herzog von Malatoff, schließlich überwältigte. Dieser Krieg endigte bekanntlich mit einem entsetzlichen Drama, nämlich mit der Verbrennung oder Erstickung durch Rauch von mehreren tausend Beduinen, welche sich in die Grotten von Freschich im Dahrah geflüchtet hatten. Der Hauptort des Dahrahdistrictes ist das zwei- bis dreitausend Einwohner zählende Masnnah, welches wir gegen Abend erreichten: eine echt arabisch-maurische Stadt. Es war die erste dieser Art, welche ich in Algerien sah, die noch so echt den einheimischen Character bewahrt hatte und in welcher noch kein curo-päisclies Gebäude einen Mißton in der Harmonie orientalischer Bilder hervorrief. Freilich war die Bauart dieses Landstadt« cheus unendlich einfacher und ärmlicher, als die des maurischen Quartiers von Algier, aber sie war in ibre» Principien am Ende dock dicsclb >. Durch das Thor des Sndenü hieUcn wir unsern Einzug in die engen Gassen Masunah's, in welchen vor den Thüren ihrer würfelförmigen Häuser die bernuöumhüllten Bewohner saßen und uns mit Nengierdc musterten. Der gefangene Betteljude, der, um Mitleid zu erwecken, recht klägliche Griin-massen zum Besten gab, verfehlte nicht, ihre Heiterkeit zu erregen. Viele dieser engen, einstöckigen, mit Terrassen bedeckten Häuser 231 Masunah's waren aus Stein aufgeführt, was für arabische ^andstädtchen schon einen verhalwißmäßig hohen Grad von Cultur verrieth; renn sonst findet man auf dem Lande überall Gebäude von ungebrannten Ziegeln. Verblendend wcißeAnstrich gewährte diesen Häusern cin freundliches, lachendes Ausfehen. In ganz Masunah befand sich bei meiner Ankunft nur ein cinziger Europäer, nämlich der Chef des Bureau arabe, Lieutenant Lucas, der mich unter fein gastliches Daä> aufnahm und dessen liebenswürdige Gastfreundschaft mir stets-als ein lichter Puntt meiner afrikanischen Wanderschaft im Gedächtniß schweben wird. Masunah war so reizend a,u Abhang des Dahrah gelegen, das Städtchen bot in seiner Unverfälschtheit so viel Originelles, die Umgegend so schöne als interessante Ausflüge, daß ich mich leicht von mein cm freundliche» Wirthe bereden ließ, hier einen Ruhetag zn machen. Lieutenant Lucas war nicht nur der arabischen Vnlgär-Sprache vollkommen mächtig, sondern auch mit der Literatur des klassischen Arabisch, d. h. der Koranssprache, bekannt: eine nicht geringe Seltenheit bei französischen Offizieren. Er besaß eine große Vertrautheit mit einheimischen Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten, wozu der Umstand viel beitragen mochte, das; er selbst mit einer jungen Veduinin vermählt war. Diese, die Tochter eines Schcikhs des Daln'ah, war ein hübsche»?, rnnt'elbrünettes, auf der Stirne leichthin tättowirtes Mädchen von erst 13 Jahren, aber trotz dieses zarten Alters doch bereits ein Bild vollendeter Weiblichkeit. Ihre große Lebhaftigkeit und kindliche Ncngier erlaubten ibr nicht, nach arabischer Sitte, gänzlich zurückgezogen zn bleiben, und öfters verschönerte ihre Gegenwart unsere Gesellschaft. 232 Solche Ehen zwischen französischen Offizieren und arabischen Mädchen sind nichts Ungewöhnliches. Dieselben werden durchaus nach muselmäunischem Gesetz nnd zwar vor dein Kadi abgeschlossen, haben somit fiir den Franzosen nach dem Code Napoleon nichts absolut Bindendes. Der Franzose, welcher eine Araberin als Ehehälfte zu besitzen wünscht, bezablt das Kaufgeld an die Eltern ebenso, wie es jeder arabische Bräntigam für scinc Brant erlegen muß, und oft giebt das höhere Angebot deS Europäers diesem den Vorzug. Das, Kaufgeld, welches die Eltern der Brant vom Bräutigam erhalten, beläuft sich gewöhnlich zwisclien 100—300 Franken, selten auf mehr. Ein Lieb-liugsgegcnstand des Gesprächs fast aller Beduinen, mit welchen ich in Berührung tam, bildete der Kaufpreis ihrer verschiedenen Gattinnen. Dieser richtet sich bezeichnender Weise weniger nach der Schönheit des ssaufobjccts, als nach dem Rang und dem Einflüsse der Eltern. Dcr vornehme Araber erhält bessere Preise für feine Mädchen als dergeringe Mann und nichtselten bildet die Ver-heirathung seiner Töchter eine schöne Einnahmequelle für den Pater. Man erzählte mir von einem Scheikh, welcher von seinen vielen Gattinnen und Nebengattinnen etliche dreißig Töchter besaß und welcher sich blos durch geschicktes und wohlcingc-thciltes Verkaufen derselben während einer gewissen Neihe von Jahren eine Rente von 3000 Franken gemacht haben soll. Häufig wurde ich in meinem Verkehr mit Beduinen von diesen gefragt, wie viel mich meine Ehehälfte getostet habe' denn die guten Leute nehmcn an, daß Jedermann verheirathet sein müsse, da sie es selbst fast Alle sind. Die europäische Art des Ehcccn-tractes war ihnen ein vollkommenes Räthsel. Das; die Braut 253 dem Eheherrn manchmal noch Geld mitbringe, dieß namentlich, schien den Beduinen ebenso unbegreiflich als unnatiirlich. Dies Verkaufen der Töchter gilt übrigens nur von den Bewohnern des Innern, nicht von den Mauren Algiers, welche cwi-lisirter sind. Bei diesen giebt zwar der Bräntigam stets auch einen Preis für scine Frau. Aber das Geld dieses Preises wird von den Eltern der Braut zu Anschaffungen flir das juuge Paar benutzt, und nicht selten geben die Verwandten der Frau für diese Anschaffungen viel mehr aus, als der Bräutigam ciu-gebracht hat. Ein Maure macht ein schlechtes Geschäft, wenn er seine Tochter verheirathet, eln Araber des Innern jedoch einen vortheilhaften Handel. Aber dafür ist die Verachtung auch groß, welche der femere Maure dem groben Beduinen widmet. Hamar (Esel) ist seine Lieblingsbezeichnung flir Letzteren. Trotz seiner arabischen Gattin bewirthete mich jedoch Lieu« tenant Lucas ganz auf französische Weise; ja, des Nachts sollte es mir vergönnt sein, meine müden Glieder in einem wirtlichen europäischen Bette auszuruhen, ein (5omfort, den Entbehrungen mich schätzen gelehrt hatten. Nach dem Diner führte mich mein freundlicher Wirth auf dcu Marktplatz, wo die Honoratioren des Ortes uns vor dem arabischen Kaffeehause höchst respectooll empfmgeu. Wir mnßten die Ehrenplätze einnehmen und wurden mit den üblichen drei Täßchen Kaffee bewirthet. Um uns herum saßen der Mufti ^Priester), der Kai'd (Bürgermeister), der Kadi (Richter) und eine nicht geringe Zahl Scheikhs der Umgegend. Die Würdenträger dvr Stadt trugen das malerische maurische Costüm, aus dem bauschigen Beintteiv, der mit Seide gestickten Schnürjacke und den zwei Westen, nebst der reichen 254 Schärpe bestehend, und ließen über ihren bücken dc» dünnen durchsichtigen Hait oder Shawl von feinster Wolle lose herabhängen. Diese Trockn, reick und wiirdeooll zugleick!, verlieh diesen ehrwürdigen Gestalten, deren Züge, wie die Aller von echt arabischem Ursprünge, erel mir feingeschnitten waren, etwas Imposantes, ruhig Majestätisches, Alle anderen Anwesenden hüllte» sich in die groben, selten unzerlumptcnVernufse der Beduinen. Masunal) ist eine von der großen Heerstraße so sehr abgelegene Stadt, daß die meisten Franzosen der Algcrie sie gar nicht kennen. Bei den Eingeborenen genießt sie jedoch dc5 höchsten Nufcö. Im Mittclalter gegründet, gehörte Masunah, sowie die benachbarten Städte, viele Jahrhunderte hindurch dem mächtigen berberischen Stamme der Magrnah, von wclckcm sick noch viele seiner jetzt arabisch redenden Bewohner abzustammen rühmen. Später mid noch bis zur Alles verschliugeureu türkischen Besitzergreifung bildete cö einen Theil des kleineu Kö-nigreichs vcn Tenes unter dem 1,ocl,edlen arabischen Geschlechte der Me Hal. Masnnah war von jeher ein Hauptsitz musclmälüüschcr Gelehrsamkeit gewesen und stand als Süujah (Universität) im höchsten Nnfe, weöliaib es auch lange von deu Arabern deö Westens ausschließlich „die Stadt der Weiseu" genannt wnrde. Ein Taleb (Schriftgelchrter), welcher „die Bücher in Nlasnnah ge-lesen hatte", erfreute sich überall einer unbczweifeltcn Autorität. Jene, einst ihrer Weifen wegen berühmte Moschee, in deren Hofe früher eine der besuchtesten Koranschulen abgehalten wurde, war jetzt leider halb verfalle» u»d schien überhaupt 253 als Gebäude unansehnlich gewesen zu sein. Dennoch sah ick) auf ihren Trümmern einen ehrwürdigen Marabut, vielleicht den letzten „Weisen von Masunah , sitzen und einer kleinen Zahl zerlumpter Vettelsturenten das vom Himmel gefallene Buch erklären. Dieses geistige Leben mitten auf den Trümmern, diese heilige Flamme der Weisheit, welche den Tempel überdauerte, der ihr einst zum schützenden Horte gedient hatte, schien mir ein Bild eines noch kräftigen Geistes, dessen Hülle bereits der auflösenden Krankheit preisgegeben ist. Ahmed ben Iussuf sckicn keine günstige Meinung von Masunah zu haben. Er gefiel sich ihm das Loos Niniveh's zu prophezeien. Der verwünschende Spruch des Bettelderwisches lautet: „Masunah, Stadt der Wandelbarkeit! DeineVewohner sollen auswandern nndFcncr wird Deine Häuser, ja Alles, was in Dir ist, und selbst den Boden, auf dem Du stehest, verzehren!" Bis jetzt ist die schreckliche Prophezeihung des Dichters nur zum Theil eingetroffen, dcnn eine gute Hälfte der Stadt wurde während des Dahrahtrieges in Trümmer gelegt. Da aber jedes Orakel eine große Freiheit der Deutung gestattet, so könnte ülan vielleicht Masunah als den Namen des ganzen Di-strictes gelten lassen, und dann das Feuer, welches seine Bewohner verzehren sollte, auf die entsetzliche Verbrennung eines Araberstamm es in den unfern von Masunah gelegenen Grotten von Freschieh beziehen, wobei selbst der Boden vom Rauche geschwärzt ward, welches bildlich ncht gut für das unmögliche Verbrennen des Bodens stehen kann. So hätte denn Ahmed Ben Iussnf das Unglück des Dahrahtrieges vorausgesehen! Und doch ist eö Niemandem eingefallen, ihn zu einemHeiligen zu erhe- 25«) bm; während dock so viele stinkende Bettelderwische, welche nicht einmal das Wachsthum einer Zwiebel vorauszusagen vermochten, dieses ehrwürdigen Ranges genießen! Im Jahre 1844 war Masunah einen Augenblick die Hauptstadt des berühmten FrcihcitshcldenBuMasah, dcö „Vaters der Ziege", gewesen, welcher sich hicr zum Sultan ausrufen ließ. Vu Masah, dessen eigentlicher Name: Mohamed Ben Abd-Mah war, stammte aus Marokko, wo er zu dem im ganzen Maghreb vielverbrciteten religiösen Orden oder Khuan des Muley Ta'i'eb gehörte. Der Ttifter diesci« einflußreichen Ordens, der von den Arabern hochverehrte Marabut Muley Ta'ieb, war es, der zu Anfang tiefes Jahrhunderts jene so berühmt geworden? Prophezeiliung ausgesprochen hatte, nach welcher die Türken von einer christlichen Nation auö Algier vertrieben, dagegen die Sieger ihrerseits wieder von einem arabischen Häuptling verjagt werden sollten. Da dcr erste Theil dieser Prophe-zeihung eingetroffen ist, so verlieh dich natürlich dem zweiten Theile desto mehr Glaubwürdigkeit. Seit dieser Prophezeiliung, welche bei den abergläubischen Beduinen schon deßwegen eitlen immensen Splelraun« haben mußte, weil sie ihnen etwas vorhersagte, was sie Alle sehnlichst wünschten, hatten viele Fanatiker sich für den von Muley Ta'icb verheißenen Netter ausgegeben und als betrogene Betrüger sich oft wohl selbst für diesen versprochenen Messias gehalten. Für diesen verheißenen Heiland galt eine Zeitlang auch dcr „Vater dcr Ziege". Dieser suchte die arabischen und tabyliscben Stämme des Dahrah und Uarensenis zuerst durch religiöse, auf ihre« Aberglauben schlau berechnete, GaukMinste von seiner göttlichen Sendung zu 237 überzeugen) und reizte sie denn dann durch begeisterterte Predigten zum Freiheitstampfe gegen die verhaßten Franzosen anf. Dieß gelang ihm über Erwarten. Der religiöse Stamm der Schorfa (alle Glieder dieses Stammes behaupten vom Propheten abzustammen) adoptirte den „Vater der Ziege", welcher als Marokkaner bisher ein Fremdling geblieben war, und betrieb dessen Sache auf's Eifrigste. Von achtzig >5a','ds, welche die französische Negierung selbst im Vertrauen auf ihre Anhänglichkeit an ihre politischen Unterdrücker eingesetzt hatte, wurden acht-nndsechzig abtrünnig uud traten zu Bu Masah über. Aber dessen Herschast sollte nur von kurzer Dauer fein. Im Iriwjahr 1845 wurde der „Ziegenvater" in der Scheliffebene von St. Arnaud, dem späteren Mars6M,auf's Haupt geschlagen und seine undisciplinirten Schaaren zerstreuten sich. Seltsamerweise gelang eö jedoch diesem Meister in derAnsbcntnngdeö Aberglaubens den Beduinen diese seine Niederlage als einen Sieg zu schildern und als solchen in ihrer Meinung annehmen zu lassen. Seine Macht wuchs, bis eine neue Expedition gegen ihn nöthig wurde. Drei Colonnen, befehligt von St. Arnaud, Pclissier und Lamoriciöre, ucrfolgten die rebellischen Stämme, welche sich vor solcher Ueber-macht zurückzogen, bis in die unwirthbaren Schluchten des Dah-rah. Alle freiheitskämpfenden Stämme unterwarfen sich bei der erdrückenden Ueberzahl der französischen Truppen, und die Empörung des „Vaters der Ziege" war somit überwunden. Nur der einzige Stamm d« Beni Aamah, welchen Pelissier verfolgte, war in seinem Freiheitsgeiste unbezwinglich. Aber, was weder Waffen noch Überredungskunst vermocht hatten: diesen hart-nackigen Stamm zum Frieden zu zwingen, das sollte der ent° Drn Hahrc im Nordwesten vu» Asnta, l- 1? 238 setzlichsten aller Naturkräfte, dem Feuer, gelingen. Freilich war die Ruhe, zu welcher dieses schreckliche Element die Beni Ramali zwang, eine ewige, die Ruhe eines Kirchhofes im buchstäblichen Sinne des Wortes. In den Grotten von Freschieh sollte dieser Heldenstamm zu Tode gebrannt werden. Diese schreckliche Katastrophe endete den Krieg mit dem „Vater der Ziege", welcher bald daranf selbst in die Hände der Sieger fiel, um von nun an in Frankreich ein langweiliges Leben der Einsfterrung zu sichren. Am Tage nach meiner Ankunft in Masunah machte mein gefälliger Wirth mit mir einen Äuöftug nach den eben erwähnten Felseugrotten von Freschieh im Dahrahgebirge, dem Schauplatze jener schauerlichen Begebenheit aus den Tagen der Insurrection. Sie liegen in einsamer, felsiger, wildromantischer Gegend und sind nur äußerst schwer zugänglich. Ein Ritt von Z — 4 Stunden, theils bergauf, zwischen den wilden Felögrup-Pirungen des Dahrah hindurch, theils thalwärts durch die sandigen Bette ausgetrockneter Flußchen, brachte uns vor eine riesige Bergeswand, die in ihrer finstern Majestät gleich einem Zaubcrschlosse höllischer Mächte in dieser einsamen, unwirthba-ren Gegend dalag. Auf den Felsen ringsherum zeigte sich teine Pflanze, als hie und da eine große Distelart, (^räun» Uarinnug, welche ihre weißgeädcrten dicken Blätter sternförmig ausbreitete oder ein Vusch des baumartigen Haidekrauteö n sich so spröde, So arm au Ki^pcn und cm BliUhen zcigt, ^Itur feiten Zweige nei^t: Toch um dich hcr da sprossen Die blumigcn Genossen. Ulid ^cnz hat sich ob dcincni Strand ergossen. Aus dllftgelabtm Blättcr», autz den dunkeln, Fcnrig Granaten funleln; Ali^ griincr Myrthcli;weige Chor Silberner Blüthe»flov. Des Oleandc« Noscn Gleich Hnrio mit den lo'cn Zcphyrm il> den Abcndliisteü kosen. Die Cactnö lockt itn lcu^lmfloss'ilen Thal Den goldneil Soiinenstrahl. Die Aloi' vom Rand dcr Felscnklüftc 9>a^t baniuhoch in di< ^iiste. Von Siidcus Olnth eracht, Der Palme Stamm mit Macht Gen Himmel trä>t dcv ^ächnkrone Pracht, *) PilgermuscheNi. 2V3 Zweites Capitel. Moftaganem. Aufbruch von Masmiah. — Flucht des gefangenen Betteljuden. — Nachtlager bein» Stamme der Schöisa. — Der Schcliff. der Chinalaph des Ptolcmäoö. — Dm Colonistendörser. — Der alte Ianitschare als Kaffecwirth. — System des Koftfabschneidens. — Aukunst in Mostagancm. — Der unhöfliche Eap.tcin dei> Bureau arabc. — Die „Turcos." — Ealtabia. ^ Ahmed Ben Iussnss Schmährcdc ilbcr Mvstagancm. Als am dritten Tage nack meiner Anlnnft in Masunah die Stunde der Abreise schlug, Pferde gesattelt, Maulthiere beladen waren nnd meinc Araber zur Wcmdcrung bereit standen, da zeigte es sich zu allgemeinem Erstaunen, daß der unglückliche, meinem Spahis anvevüvmte, jiidischc Vagabund, der gefangene marokkanische Spion, verschwunden war. Der Spahis hatte ihn während unserer Anwesenheit in Masunah dem Kalo oder Bürgermeister des Orts zur Bewachung übergeben. Dieser Würdenträger ließ ihn in ein nntcrirdischeö Gefängnis;, Silo genannt, einsperren und befahl seiner sogenannten „Garde", nämlich einigen zerlumpten Bettelbeduinen, davor, oder vielmehr darüber, denn das Silo befindet sich ja in der Erde, Schildwacht zu stehen. Das unbegreifliche Verschwinden des Gefangenen aus diesem Silo wurde erst am andern Morgen unserer Abreise von der Wache constatirt. Wie die Flucht gelungen, das wußte Niemand. 3lber dieß hinderte gar nicht, daß der Ka'id seiner „Garde" unverzüglich die Bastonade ertheilen ließ. Man raunte W4 sich nämlich in die Ohren, der widerlich zerlumpte und elend ärmlich aussehende Betteljude habe dennoch eine kleine klingende Barschaft besessen und dic „Garde" des Kaid mit der für Araber sehr bedeutenden Summe von 10 Franken bestochen. Für 10 Franken aber läßt sich jeder Eingeborene beinahe zu Tode prügeln. Die „Garde" erlitt muthig die Bastonade und behielt das Geld. So mußten wir denn, zu meiner nicht geringen Grleich» terung, ohne Freund Schmuhl uns auf die Weiterreise begeben. Nach einigen Stunden ließen wir, zwischen felsigen Abgründen hermederklimmcnd, das Gebirge des Dahrah hinter uns. Abermals befanden wir uns in der mir schon wohlbekannten ährenreichen Ebene des Scheliff, In dem goldenen Aehren-felve dahinreitend, kamen wir zuerst durch das Gebiet des Stammes der Beni Zcntis und später durch das der Veni Scrual. Den ganzen Tag war die Gegend, die wir durchreisten, wenn auch nicht unschön, so doch vun einer ununterbrochenen Einförmigkeit. Unser Nachtquartier bildete das arabische Lager des Stammes der Schörfa, in wclchcm das stets leerstehende „Zelt der Gastfreundschaft" uns beherbergte. Dieses Wort „Schörfa" bildet den Plural des bekannteren „Sckeriff" und bedeutet nichts Geringeres, als Nachkommen des Propheten. Hier war also ein ganzer Stamm, welcher sich rühmte, von Mohamed selbst in directcr i!iuie und zwar vurch ^ella Fathmah, seine einzige Tochter, abzustammen. Solcher Stämme giebt es, sowohl bei den Arabern, als auch bei Kabylen, eine nicht geringe Anzahl. Da die Vermählung eines Stammvaters mit einer Scherisfa, d. h. zy5 einer Nachkommin des Propheten, genügt, um allen Kindern und -Enkelkindern den Titel „Scheriff" zu verleihen, so ist diese Ver. mehrung des Stammes Mohameds am Ende nickt so unertlär» lich. Dennoch scheint mir die Zahl der Schörfa ein wenig gar zu groß. Ich fühle mich raher versucht, anzunehmen, daß die Eitelkeit oft einen Titel usurpirt hat, welcher nur durch die Geburt verliehen werden kann. Das Nachtlager bei den Schörfa war übrigens ein elendes und glich sehr dem oben beschriebeneu bei den Bcui Naschid. Schon um 4 Uhr des Morgens erhob ich mich, steif an allen Gliedern, von dem steinharten Lager und trieb nieine Reisebegleiter zum Anfbruch, wo;u sich die!> nicht lange bitten ließen. Denn der Veduine liebt die Morgenstunde zum Neisen, uud der Luxus der ,,^rl^üo lulltinc^" ist dicscm an Vetteu ungewöhnten Schläfer gänzlich unbekannt. Zndcm hat er nicht die Mühe des Antlcidens, da er seine Kleidungsstücke niemals ablegt, und da der Araber auch nicht frühstückt, sondern erst gegen Mittag etwas ißt, so konnte meine kleine Karawane immer fünf Minuten nach dem Aufwachen zur Abreise bereit sein. Jetzt näherten wir uns dem Strande des Scheliff. Wir waren endlich am Gnde seines langen Flußthales angekommen und nicht mehr ferne vou der Stelle, wo er seine hier gelblichen Fluthen nnt der blauen klaren Welle deö Mittelmeeres vermischt. Diesen Strom überschritten wir auf einer Brücke, welche etwa eine halbe Meile vor seiner Mündung den hier etwas breiter gewordenen Fluß überwölbt. An dieser Stelle befand sich seit dem Jahre 1852 eine kleine ackerbautreibende Colonie, deren Wohnungen aus einigen zwanzig Häusern und Vretterhtttten bestanden. 26Y An dieser Brücke des Scheliff, denn sie eristirte schon zur Nömerzeit, lag auch möglicherweise das bei Ptolemä'os erwähnte Buchambari. Wenigstens giebt Ptolcmäos die geographische Breite von Buchambari 32" 40' und die 3änge 16" 50^ an und die Mllndung des Ehinaphal (wahrscheinlich der Scheliff) liegt nach ihm 33" Breite nnd 16" 4lV Länge. Vuchambari wird von Einigen fiir das Succubar des Pliniuö gehalten. Dieses Buchambari des Ptolcmäos und Succubar des Plinius ist möglicher Weise mit dem Succarda der Kirchengeschichte identisch. Wenigstens wird ein Bisthum dieses Namens in der Mauritania ssaesaricusis angeführt, dessen Lage foust nicht bekannt ist. Im Mittelalter führen El Vekri und Ebe Haukal eine Stadt Namens „Scheliff" an. Es ist möglich, daß diese Araberstadt auf den Nuinen der unweit der Scheliffmündung gegründeten Nümer-station (Vuchambari) erbaut war. Jetzt ist sie spurlos verschwunden. Der Scheliff selbst war vermuthlich den Alten unter dem Namen Chinalavh oder Chinaphal bekannt gewesen. Wenigstens haben verschiedene archäologische Autoritäten, wie Shaw"'), Mannert und in neuester Zeit Pcrbrugger, in ihm diesen von Ptolemäos erwähnten Flus; erkennen wollen. D'Aoezac**) hat indessen schon darauf aufmerksam gemacht, daß Ptolemäos den *) Shaw, Travels in Barbery and the Levant. Oxford 1738. **) d'Avezac, Esquiase gdm!rale de l'Afrique. Paris 1844. 2«7 Chinalaph in die nächste Nähe von Julia Cäsarea verlegt; und in der neuesten Zeit hat Pelissier, der Verfasser der „^nnaiLg ü^lienno«" zu beweisen gesucht, daß dieser Flnß der nahc bei der einstigen Hauptstadt Mauritania sich in's Meer ergießende Ui^r Tefsert sein müsse. Aber Ptolemäos, der einzige Geograph des Alterthums, welcher den Chmalaph erwähnt, zeigt sich oft über afrikanische Topographie so oberflächlich unterrichtet, namentlich kommt es. ihm so wenig auf genaue Angabe der geographischen Breite und Länge an, daß man, trotz der von ihm dem Fluß angewiesenen Nähe von Julia Cäsarea, doch, nach seinem eigenen Vorgehen, das heißt nach der Bedeutung, die ihm der Alexandriner beilegt, indem er diesen Strom allein von allen Flüssen in diesem Theile Mauritaniens der Erwähnung werth hält, mit einigem Recht im Scheliff den Chiualaph wiedererkennen darf. Gesenius hat für beide Lesearten des antiken Namens des Scheliff phönicische Auslegungen. Das Wort Chinalaph leitet er von Chen alaph (^« ^) ab; dieses hieße „Zierde der Ochsen". Chinaphal hält jedoch der große Hebräologc fnr Chen ha Vaal (l,5,2.i ,si), „Gnade des Vaal". Uebrigens wurde der Scheliff im vorigen Jahrhundert von den meisten Geographen für den llartennns des Pwlemäos gehalten. Aber der Alexandriner giebt den Carteunus nur 15^ westlich von Cartcnnä an, nnd dcr Scheliff liegt 1 " 20' westlich von Tenes. Von der Brücke des Scheliffs an begann unser Weg ;it steigen. Wir tlommen cin^i steilen Abhang hinan, auf dessen Seiten eine von einem Vächlein dnrchzogene Schlucht, von 2«8 Mhenden Bäumen und Vüschen ausgefüllt, den freundlichsten Anblick gewährte. Unbeschreiblich schön zeigte sich in dieser Schlucht der herrliche karec^upnn» tmn«^pn?l1u8, dessen blau-grline, neunfach ^isammengesetzte Vlättchen in kreisrunden Polstern, aus denen die prachtvollen Vlnmen hervorragten, in dem kärglichen Naß der Aelsenwände grünten. Am Strande des Bächleins entfaltete seine duntle Pracht derSodomsnachlschatten s8olnnuin 8eäl>luouui) nut seinen tiefbucktig cingeschnittenen nnd vielfach zertheilten Blättern mid seinen blanschwarzcn Stengeln, aus welchen die gelben, fast einen Zoll langen Stacheln neben den violetten Blüthen hervorstanden. Die Nuineu eines oberhalb dieser Schlucht gelegenen tlir-tischen Forts beweisen, das; dieser Punkt unter der Herrschaft der Iaiiitscharen in strategischer Bcziehmig nickt ohne Wichtigkeit gewesen sei. Nach einer Stunde erreichten wir das auf einem Hligel liegende Colonistendorf Euk el Mituh. Es war ausschließlich von Parisern bewohnt, welche zur Zeit der socialistischen Träumereien von 1848 nnd 1649 hierher auswanderten, um cine Mustercolonie zn grlindeu, jedoch nur ein Muster von Unordnung zu stiften vermocht hatten. Die Pariser genießen in der ganzen Welt den Nuf, daß, wenn man sie ihrer gekünstelten Atmosphäre an der Seinestadt entrückt, sie die Unpraktischsten aller Sterblichen seien, unr sie haben hier wenigstens ihr Möglichstes gethan, nm diesem Nufe zu entsprechen. Eine halbe Meile weiter durchritten wir ein anderes Centrum der Colonisation, Vn Tcdles, welches auf Regierungsbefehl 2«9 im Jahre 1848 gegründet und 1856 erweitert worden war., dieser Marktflecken mit etwa 400 Anwohnern schien sich eines verhältnismäßig größeren Wohlstandes, als die übrigen, meist im Elend versunkenen, Colonistendörfer Afrika's zu erfreuen. Die Häuser sahen freundlicher aus, die Straßen hatten Trot-toirs; eine neugebaute Kirche, cine öffentliche Waschanstalt, eine fchöne Fontäne auf dem Marktplätze gewährten den Gindrnck eines Dorfes in Europa. Von Nin Tedles nach Tnnin betrng die Entfernung anderthalb deutsche Meilen, Wir tamen hier durch das Gebiet der Messchcher, die unter dem Aghalik gleichen Namens standen. In einem kleinen maurischen Kaffeehause halbwegs zwischen A,n Tedles und Tunin hielten wir uusere Mttagörast. Der Wirth diesesKaffeehauseö war ein fünzig-bis sechzigjähriger früherer Ianitschare, ans Smyrna gebürtig, und sonnt ei» echter Tiirke. Trotz seines mehr als 30jährigen Aufenthalts in Algerien schien er doch noch so gut wie gar nicht arabisirt. Er schien sich innig darüber zu freuen, als ich bei Gelegenheit einige Worte in seiner geliebten Muttersprache mit ihm wechselte. Meine freilich leider unvollkommene Kenntniß des Türtischen imponirte dennoch meiner arabischen Begleitung sehr; denn die Türken und Alles, wag sich ans sie bezieht, flößen noch immer diesen einst von ihnen tyrannisirten Völkern einen tiefen, an Furcht grenzenden Respect ein; während sie sich doch zugleich eines wärmeren Sympathiegefühls gegen die Osmanli's, als ihre Glaubensgenossen, nicht erwehren können. Dieser alte Soldat, welcher jetzt das friedlichste aller Geschäfte betrieb, dachte nicht ohne Wollust an seine frühere Energischere Lebens- 270 weise. Er tonnte nicht umhin, mir mitzutheilen, das; er früher ganz andere Waffen, als die Kaffeemühle gehandhabt und statt der Zuckerhüte manche Christexhüte und den Kopf darunter abgeschlagen habe. Ein Jahr lang hatte er sogar das Scharfrichteramt unter dem letzten Bey von Konstantine verwaltet und damals hinreichend Gelegenheit gehabt, seinen Z^störnngstrieb auf die crlaubetcste Weise zu befriedigen. Kopfadschneiven scheint in der That so recht das Ideal der zersto'rungöfrcudigcn Wollust in manchem musolmannifchen Gehirn zu fein. Dieser Ef-fcharfrichter besaß eine, seinem einstigen Verufe vollkommen angemessene Naubvogelphysiognomie; dazu einen wildzerrauften Tigerschuurbart und trotz seines Alters funtelteu seine' schwarzen Augen immer noch mit unheimlichem Feuer. Dieses jetzt nicht mehr verstandene Genie tritisirte bitter die mildere Justizverwaltung der Franzose«. Vei solchen humanen Verfahren mit den Eingebornen werde man nie eine andere Herrschaft lxgründen, als eine solche, welche die immerwährende Anwesenheit einer Truppenübermacht bedinge. Nach seiner Ansicht brauchten die Franzosen nicht den vierten Theil der Truppen, welche sie jetzt in Afrika hätte», wenn sie sich entschließen wollten, das türkische System des Terrorismus nachzuahmen. Fleißiges Kövfeab-schnelden, zahlreiches Hängen, tägliche Bastonaden seien die einzigen Mittel, um auf das Gemüth der Eingebornen mit Erfolg einzuwirken. Die Gefängnisstrafe, welche jetzt fast die einzige Vergeltung der meisten Verbrechen ausmache, fei gar leine Strafe für den Ärabcr, im Gegentheil, er freue sich zu. weilen über sie, weil er im Gefängniß viel besser, als zu Haufe, lebe. Der alte türkische Kanadschi (Kaffeewirth) stand nicht 271 isolirt mit seiner Ansicht da. Dieselbe wird so ziemlich von allen Türken und selbst von den meisten arabischen Stammeshäuptern getheilt. Lautete doch der Rath, welchen Hussein Dey, gleich nach Verlust seines Thrones, dem Marschall Bourmont gab, auch dahin, daß Algerien mir durch Tcrrorismns regiert werden könne. Tnniu, welches wn nun erreichte», war eine kleine Colonie vom Jahre 1846 und bestand ebenfalls meist aus früheren Pariser Handwerkern, welche Noth oder socialistische Träumereien zu Bauern gemacht hatten und denen eö nicht viel besser ging, als ihren ^andsleuten von Sut-el'Mituh. Bon Tuuiu gelangten wir in einer Stunde nach der französischen Colonie Leu läb^s, im Jahre 1846 durch Ordre des Kriegsministeriums gegründet. I,«» Libsr».'» sollte ursprünglich, wie der Name sagt, eine Niederlassung vom Dienst befreiter Militärs bilden. Aber es fanden sich so wenig von dieser Klasse willig dazu, das von der Negierung erbaute Colonistcndorf zu bewohnen, daß der ursprüngliche Zweck unerfüllt geblieben ist. Seitdem hat sich eine Anzahl bürgerlicher Colonistcn hier niedergelassen. Diese zeigten sich bald mit dem allzusehr an Kommis-brod erinnernden Naiuen ihres Dorfes unzufrieden und gingen in neuester Zeit den Kriegsminister um Veränderung der Orts» bencnnuug an, welchem Gesuch denn auch gewillfahrt wurde. Der Minister wählte mit wohlbercchncter Schmeichelei den Namen eines seiner bei Hrfe besonders gut angeschriebenen Marschall-Kollegen, des alten Haudegens von den Grotten von Freschieh, des lorbeergekrönten Herzogs von Malatoff, und seitdem heißt das kleine Colonistendorf in officieller Sprache Pelissier. 272 Jetzt zeigte sich Mostagancm unseren Blicken. Vom Wege aus gesehen gewährte die weiße StaN, auf einer leichten abgerundeten Anhöhe, etwa taufend Schritt vom sonuebeschienenen Meere entfernt, gelegen, einen besonders freundlichen Anblick. Auf einem kleinen Hügel ihr zur Seite strahlte im Glänze feiner lichten Zelte das Lager der „Chasscnr^ d'Afrique" und einer Abtheilung der Tnrcoö. Eine Stunde vor Sonnenuntergang hielten wir unsern Oiuzug in die kleine Stadt. Ich ritt sogleich an's Bureau arabeund gab demCapitän desselben mcinEmpfehlungs-schreiden von Obe,rst Salignac-F^n^lon ab. Aber, zu seiner Uu ehre sei esgesagt, dieser Capitän kam durchaus nicht dem nach, waü ich von ihm nutliteckt erwarten dürfte. Eine solche Freundlichkeit, wie sie mirNeuteuaut^ucas in Masunah bewicseu hatte, tonnte ich freilich kaum von irgend Jemand mehr hoffen. Aber alle auoern Offiziere vom Bureau arabe hatten sich biö jetzt, wenn auch nicht freundlich, so doch wenigstens hoflich gegen mich gezeigt. Diesem Hauptmaun beliebte es jeddch, als eine häßliche Aufnahme zu glänzen. Ich betam ihu während meines Atägigcn Llufeuthaltes iu Mostagauem kein einzige,? Mal zu sehen, und da er der einzige Mensch war, an welchen ich in dieser Stadt Empfehlungsschreiben befaß, so fühlte ich feiue Unartigtcit doppelt. Mostaganem, arabisch Most-arh°Rhenim (Ebene der Lämmer) genannt, war ein sogcnanteö Hafenstädtchen. Aber fein kleiner versandeter Hafen bot den Schiffen nur einen höchst precaren Schutz. Der Handel war uubedeuteud. Die Bevölkerung war zu gleichen Theilen europäisch uuo maurisch, und betrug gegen 3000 Seele». Eine katholische Kirche, ein protestantisches Vethaus, eine Moschee, verschiedene, Hütelö, Kasernen in Hülle 273 und Fülle und das obligate maurische Vab bildeten die Hauptgebäude des Ortes. Im Oanzen kam mir Mostagancm, wie ich einmal darinnen war, traurig nnd langweilig vor. Namentlich das überall sich spreizende, hier ausschließlich vorherrschende Militär trug dazu bei, die „Ebene der Lämmer" dem Touristen unausstehlich zu machen. Vei meiner Anwesenheit waren, außer tausend Mann Linientrnppcn, einem Dctachcmcnt „Chasseurs d'Afriquc", einer Abtheilung Artillerie, anch zwei vollzählige Bataillons von „Turcos" hier in Garnison. Diese Truppe, rfficiell „Tirailleurs indigenes "geheißen, aber fast nurunter dem Namen der „Turcos" bekannt, unter welchem sic Italien und Paris gefeiert hat, ist den Zuavcn nachgebildet, nur daß sie meist aus Einheimischen der Algerie und zwar aus Leuten von allen Hautfarben, Stämmen und Zungen besteht. Es sind größtentheils lebhafte, beweg-lichc, blutjunge Vürschchen, darunter einige maurischen Ursprungs von der Weiße des Europäers, andere gebräunt, echte Kinder des kabylischen Tells und der arabischen Sahara, endlich viele Mulatten oder selbst vollkommene Neger. Letztere schienen mir hier ein besonders großes Contigcnt gestellt zu haben, was dadurch erklärlich wurde, daß die Neger das allcrnievrigste einheimische Proletariat der Algeric bilden. Denn sastnur dcrAus-wurf der Menschheit laßt sich bei den Turcos anwerben. Ein Maure oder Aeduine muß schon sehr weit heruntergekommen sein, um willig die französische Uniform anzuziehen. Die Turcos sind ein Frciwilligmcorps. Sie erhielten früher eine ziemlich reichliche Löhnung, etwas wie einen Franken täglich. Jetzt sind sie aber auf die bescheidene Summe von 5 Sous Drei Ja!)« im ^ordweftcn uou Airtta. I. 18 274 reducirt worden. Unter ihnen giebt es auch nicht wenig Europäer, Leute, aus aller Hcrrcn Länder zusammengelaufen, und meistens nicht geringes Lumpengesindel. Unter andern sah ich Deutsche und Italiener darunter. Diese Truppe steht nämlich als ein Fremdencorps allen Nationen offen, jedoch unter der Bedingung, daß jeder Eintretende officicll einen arabischen Namen annehmen muß. Ein Apotheker aus Sachsen, von Gott weiß, welchem Schicksal nach Afrika verschlagen, war z. B. Sergeant bei dieser braunen Truppe und trug den Pseudo» namcn Mustapha. Er klagte nur viel vor über den Mangel an Menschenwürde, den Schmutz, die Unredlichkeit uud Unmo-ralität seiner arabischen Commilitonen. Das schöne, mitArcaden von arabischen Hufeisenbogen umgebene „Vainmaure" war während meines Aufenthalts in Mostagancm gar nicht zu betreten, wegen der fast beständigen Anwesenheit der tumnltuarischen Tur» cos, die dort täglich ihr allzulautes Wesen trieben. Mostagancm wird von Einigen für eine römische Niederlassung, deren Namcn Caitadia gewefcn sei, gehalten, und welche aus mehreren zerstreuten Dörfern bestanden haben soll. Dieses Caltadia wird in der Kirchcngeschichte Caltadria genannt. Morcclli*) vermuthet, es tonne das Cartilis des Itincrcrarium Antonini sein. Aber Cartilis lag östlich von Cartennae und Mostaganem liegt westlich von Tenes, welches letztere doch Cartennae ist. Bischof Victor von Caltadria wurde mit vielen feiner Kollegen 484 von Hunerich verbannt. Leo Africanuö spricht von einer hier im Alterthum gegrün« *) Morcelli, Africa Christiana. Brixiao Bettoni 1816. 273 delen Niederlassung von Germanen. Vielleicht wollte er die Wandalen damit bezeichnen. Aber unsere germanischen Stammes-genossen verstanden sich besser aufs Zerstören, als auf's Aufbauen, darum wohl findet man auch keine Neste dieser obscurcn Niederlassung. Die Araber behaupten jedoch, den Archäologen uud ihrem (5altadia und Lco uud seiner Vandalencolonie zum Trotz, Mostaganem sei erst im zwölften Jahrhundert gegründet worden. Ebn Khalduu ^) erzählt un5, daß die Stadt im vierzehnten Jahrhundert dem mächtigen biberischen, allmälig aber arabisirten Geschlechte der Maghrua gehört und die Oberhoheit deö Königs von Tlemsen anerkannt habe. Nhmed-el-Nbd, der Häuptling jenes arabischen Stammes der Mehal, welcher die Besitzungen der Maghrua eroberte, erhob im fünfzehnten Jahrhundert das früher verhältuißmäßig unbedeutendere Mostaganem zum Range einer Festnngöstadt. Eine namhafte Einwanderung spanischer Maurcn brachte um dieselbe Zeit Handel und Industrie hierher. Arudsch, der Aelteste der Varbarossen, unterwarf Mostaganem 1516 und seitdem herrschten hier die Türken mit ihrcrgewohnten Tyrannei. VonMostaganem sollen diese, sich anf'i^ Plündern wohlverstehenden Herrscher besonders reichliche Einkünfte bezogen haben. Im Jahre 1792 wanderte cin großer Theil der Einwohner Mostaganems nach Oran ans, welches eben den Spaniern zum letztenmal abgenommen worden war, um besagte Stadt mit einer Kcrnbevölkcrung von guten Muselmännern zu beschenken. *) Ebn Khaldoun, Histoire des Berbi;res, 5 volumes, tra. duite de l'arabe par le Baron de Slane. Paris 1857 —1862. 18* 270 Mostaganem erkannte schon im Jahre 1830 die französische Oberhoheit au; aber lang»: wurde cs noch von einem eingebor-neu Bey regiert. Der Vertrag der Tafna sicherte es den Franzosen, doch wurden sie hkr oft vom Lande aus durch Abd-el« Kader's Truppen so gut wie bloquirt. Seit 1841 besteht die heutige Ciuilverwaltung. Ahmed Bcn Inssnf, der schon oft erwähnte Veltelderwisch, der Nationalrichter Algeriens, war wenig erbaut von den Sitten der Bewohner Mostagancms. Namentlich wirft cr ihnen ihre Frcßsucht vor, die er selbst zu feinem eigenen Nachtheil erprobt haben soll. Als nämlich der dichtende Vagabund auch einmal wieder durch Mostagancm reiste, wurde er im Hause eines Reichen beherbergt. Da man sich nun eben zu Tische setzen ' wollte, fanden sich zum unangenehmen Erstaunen des hungerigen Bettelderwischcö so viele Gäste aus der Stadt selbst ein, die gar nicht eingeladen waren, daß cs schien, als fei ganz Mostaganem dem Gerüche der dampfenden Schüsseln nachgelaufen- Da der Araber einen Gast, sci er auch noch so zudringlich und unerwünscht, nie abweisen darf, so mußten auch diese Leute aus Mostagancm zur Mahlzeit zugelassen werden. Es scheint, daß dieselben so schnell mit demKlchtußnh dcr Gastfreundschaft fertig wurden, daß dem Dichter nicht einmal genug übrig blieb, um sich satt essen zu tonnen. Da rief in seinem, vom Hunger aufgestachelten Zorn Ahmed Ben Inssuf: „Mostagancm! Stadt der Fresser! Wenn eine Schüssel in dir dampft, fo hört man in allen Straßen nur das Ge-tlapper der Kinnladen Derer, die an dcr Mahlzeit Theil ueh-men Wolleu. Bürger von Mostaganem! Ihr seid frcßsüchtige 377 Schweine. Bürger von Mostaganem? Ihr seid gierige Hunde." Auch dismal nahm der Dichter, wie man sieht, kein Blatt v^r den Mund, wenn es ihm einmal zu schimpfen beliebte. Drittes Capitel. Masagran, La Makta. Sumpfgegend. — Masagrau. — Verzweifelte Vertheidigung bc« Forts durch die „Zephyrö". — Der Entsatz. — La Stidia. — Die preußischen Colonistei,. — Ihr elendes Looo und ihre Auo» dc,uer. - Die Sümpfe dou La Matta. — Aboel-Kade,^ Hauptsieg 1'ei La Äialta. — Gn,era< Trödel. — Md-e!