^"^H^< WandermM und MlM ^on Karl Seifart. Zweite, vermehrte Auflage, Tafjel H- Göttingcn. Georg H. W i g a n d. 4865. > Z n lj a 1 t. Em seltener Gcldinann.............. 1 Am Wege gefundene Geschichten........... l5 Eine Wanderung nach dcr Plcssc . .......^..... 24 In Halle.................- - 65 Em starkes, schöncö Mädchen............ 78 Ner will mit spuken gehen?............ 92 Pastor Waldschundt und dic Iudcuärztc ........ 104 Frühling ini ^^.'intcr............... 121 Eine Wandcnnig uach dcr Winzcnbnrg -....... 136 > 6 l»clll)!n?nl ^)l>8 luujou!!, LN8l?m1il6" las ich eben in dem Leitartikel einer französischen Zeitung, welcher sich mit ergötzlicher Naivetät über die Ännenonen auslies;, und lächelnd über die Pbrase, verfiel ich in Aachsiuneu, blickte über die Zeituug hinweg und schallte auf meinen emsigen Frennd, indem mir einfiel, daß bei ihm wmigNeuo (5hre und Profitmachen stets I anf das Verträglichste Hand in .yaud gegangen waren. Denn mein Freund nnd Geldmann ist ein Mann von .^erz nnd Gemüth «sonst wnrde ich ihn gar nicht besuchen, es sei denn, daß ich von ihm zn borgen hätte!, welchem das kalte Metall, das ihm neben einer trüben Flnth mehr oder weniger schmutziger Tresorscheine dnrch die Finger lämt, die Seele nicht erstarren ließ, so daft sie ihm kalt nnd eisig wie bei den zahlreichen Croupier-Natnren nnd Geiergesichtern der Wechselbureaus zn den Augen hinans-schanete; vielmehr spricht ans diesen klaren, dnnkelbran-nen klugen, die mir eben zuwinken nnd freundlich ans den vor mir stehenden wohlgefüllten, silbernen Cigarrenbehälter hindeuten, ebensoviel Verstand als Gemüth, und zwar ein Gemüth, das sich nicht allein beim blinkenden Glase in trantem Freundeskreise augeuelnn nnd gewinnend fühlbar macht, sondern welchem sich auch mancher fremdeil Lebens-noth und manchem Bedrängten gegenüber in der Weise erschloß, »vie jene persische Wnnderblnme. deren Tust, wenn man so glücklich ist, sie im Moment oe^ Anfblühens zu erreichen, dem Kranken Gesnndheit, deut Schwachen Stärke, dem bis in den Tod Betrübten neue Hoffnung nud Lebenslust giebt. — —^ Knrz, Freund Cdnard ist ein reicher, rechtschaffener, gefühlvoller >md hnmaner Maun. Lobens-werthe Eigenschaften, die sich freilich selten in einem nnd demselben ^ndividno zilsalumeufinden! Indeß sie finden sich doch ab nnd an, nnd Jeder, welcher Gelegenheit hat sich aufmerksam nnter Personen nmznsehen, welchen das ^nwkk m" der eigentliche Lebensbernf ist, wird sich auf diese oder jene Persönlichkeit besinnen, welche ihm eine tiefer 3 liegende und wahrere Achtnng abzwingt als jene, welche die Welt scheinbar nnd änßerlich jedenl Himderttansendthaler-Mcmn eben um des l^eldes willen zollt. Unter solchen oder ähnlichen Gedanken hatte ick mir, der stummen Einladung meines beschäftigten Freundes folgend, eine der feineil Npmann angezündet nnd mich, ermüdet vom Lesen, in die Sovhaecke zurückgelegt, als mein durch die hellen Fensterscheiben faltender Blick von einem reizenden Bilde angezogen wnrde. Die Straße, auf welcher mein Frennd wohnt, ist ziemlich eng, und weit in die enge Straße hinein schiebt das gegenüberliegende Hans seinen Erker vor, so dasi jeder Zng des überraschenden Bildes, welches sich am Fenster eben jenes Erkers zeigte, klar vor meinen guten Augen stand. Das Bild war sehr einfach, es war das Brnstbild eines schönen, blonden Mädchens, auch war es ein lebendes Bild, das bewiesen die fleißig gerührteu weißen Hände, welche emsig mit einer Stickerei beschäftigt waren; Ephen nud Monatsrosen ver-woben sich zum Nahmen nnd znr leichten Verschleierung der schönen Büste. — „Das ist Alles'^" wirst du sageu, mein Leser, „was ist daran so Ueberraschendes? solche Bilder kann ich nach den Toilette-Stnnden jeden Augenblick sehen, wenn ich die Straßen dnrchwandele oder znm Fenster Hinausschane!"---------c^ewiß! hübsche Mädchen- köpfe, blonde, braune, scbwcnze, ja, selbst allerliebste röth-liche, halb versteckt hinter Blumen am hellen Fenster, sind keine großen Seltenheiten, wenn auch seltenerAmnnth nnd Liebreiz in so reicher Fülle darüber ansgegossen sein mag wie über dem zarten Madonnengesichtchen meiner fleißigen Nachbarin. 4 Es thut der Anmuth dieser feinen, edlen Gesichts' formen keinen Eintrag, daß sich ungewöhnlich viel Verstand und Ernst darin ausspricht, nnd daß der kleine, rotde Mund nicht von jenen reizenden Grübchen flaukirt wird, ans welchen die Dichter den schalkhaften Sohn der schönsten Göttin lächeln lassen. Vielleicht wohl zn ernst nnd verständig blicken die sinnigen, blanen Angen jetzt die Straße entlang, aber Ernst nnd Verstand kommt freilich mit den Jahren, nnd meine Schöne zählt mindestens ihre acht-nudzwanzig bis dreißig. — Erleichtert athmest dn auf, schöne, jugendliche Leserin! „Treißig Jahre", denkst dn, „nnn mit diesem schier dreißigjährigen Wunderbilde wollte ich den Vergleich schon wagen." — Tas mag sein Necht haben. Aber jedenfalls gebe ich zu bedenken, daß man mit dreißig Jahren noch recht hübsch sein kann. Auch kann man meiner interessanten Nachbarin die Jahre sicherlich nicht aus dein klaren, von sanfter Nöthe angehauchten Gesichtchen lesen, nnd ich würde sie ans zwanzig schätzen, wenn ich nicht schon vor mehr als zwanzig Jahren die kleine Adele A. hätte zur Schule gehen sehen. — Ich sah dann das auffallend hübsche Kind, dem man mit Bewnndenmg nachschauete, wenn e^ mit seiner Schultasche dahinging, Zur schönsten Inugsrau erblüheu, ich sah sie als die achtzehnjährige Vrant eines lieben, unglücklichen Freuudes, der im ferneu Westen umherirrt, wenn nicht sein kummervolles Haupt bereite unter amerikanischer Erde ruht. Nicht die noch immer ergreifende Schönheit des Mädchens, nicht das reizende Spiel dieser feinen, schlanken Hände, welche gleich leicht nnd amnnthig bewegten Lilien 5 durch die ant Fenster suchenden Rosen schimmerteu, hatten für mich so viel Reiz und Ueberraschnng, es war vielmehr die durch Adeteus unerwartete Erscheinung wach gerufene (irinneruug au laugst entschwundene, schöne Tage, die mich das Bild unverwandt anschauen ließ, au Tage, deren Glück keiuer tiefer empfaud als der arme Ausgewanderte uud drüben das schöne damals achtzehnjährige Mädchen. Vor etwa zwölf oder dreizehn Jahren war's, an einem herrlichen Sommertage, als ich im kühlen Schatten des Waldes mit einer fröhlichen (Gesellschaft von Univer-sitätsfreuuden unter flüsterudeu Buchen beim goldenen Weine saß. Die meisten hatten bereits ihr Trienuium beendigt uud bereiteteu sich als Kandidaten für ihre verschiedenen ^ebensstelluugeu vor. Bald, wußten wir, würde der gewählte Beruf den emeu hierhin, den andern dorthin führen, uud dieser Gedaute gab dem behaglichen Gefühl frohen Zusammenseins einen Anstrich wehmüthiger Freude, so daß allzulallte Lust unserm Kreise fern blieb und manches lenchtende Auge in stillem Sinnen vor sich hinstarrte. — Da plötzlich rief uns die überraschende Mittheiluug eiues Freuudes zu lautem Jubel wach, im hellen Glockenton erklangen die gefüllten Gläser, und herzliche Glückwünsche, untermischt mit mehr oder weniger guteu Scherzen, regneten auf Wilhelm Hallert herab, den Candidate,: der Theologie, der uns soeben mit zaghafter Einleitung, dann aber im begeisterten Nedeflnsse eines glücklichen Herzens seine Berlobnng mit Adele B. verkündet hatte; „Mutter uud Onkel seien mit Allem zufrieden, nnd eine 6 Patronatspfarre stehe gleich nach dem zweiten Examen in Aussicht." — Wir ließen unsern frendeglnhenden Hal-lert nebst Braut hochleben; nun erst war er ein Eandidat der Theologie, wne er sein muß; eiue Hanslehrerstelle batte er bereits, und jetzt anch die Braut dazu. Nas fehlte idm nnn noch! Er hatte den Begriff eines Candioaten der Theologie vollständig erfüllt. — Und welch eine Brant hatte sich der brave Junge zn erwerben gewnßt! — Wer von nns sie noch nicht gesehen hatte, als wir mit dem Glücklichen zu dein am Waldrande ausgebreiteten Gärtcben des Wirtbschaftsgebändes hinabgegangen waren, wo Adele nnt ibrer Mutter nnd andern Tamen in Blü-tben-übergossener Laube saß, stand bei dein Anblick des wnnderschonen Mädchens überrascht nnd vergaß, sich dem Glückwunsch anzuschließen, den loir darzubringen die Lanbe betraten. — Bewundernd, aber neidlos wie die Gotter des Plato, sahen wir auf da5 schöne, glückliche Paar, denn der Hallert war NN5 stets ein lieber nnd braver Gesell gewesen, so daß wir nns seines Glückes anfrichtig freueten. Tas war ein Tag für den gnteu Hallert! So überreich an Glück sollte ibm kein zweiter werden. Ein Tag, der mit den wonnigsten Gesüblen der Viebe nnd Frenndschaft, der nut allen Seligkeiten des Himmels seine Brnn dnrch-glühete, ein Tag, wie er nnr änßerst selten unter der Mühsal des Bebens beschieden wird nnd dem tein Htaugel anhaftet als der, daß sich sein beseligender Hanch nicht am Abend in den herzertältenden Hauch des Todes verwandelt nnd dem Glücklichen sanft das freudestrahlende Ange 7 zudrückt, damit 05 keinen andern Tag medr schaue. — Hinweg! Ich halte nlich nicht gern lange dabei auf, von bittern Schmerzen nnd markzehrendenl Unglück der Ntenscheu zn reden. Also kurz, der Verbindung der glücklichen Verlobten stellten sich Schwierigkeiten in den Weg, die bald zn unnbersteiglicheu Hindernissen anfwachsen sollten. — Adelens Vater, ein nnoemittelter nnd verschuldeter Beamter, hatte dei seinem schon mehrere Jahre vor jener Nerlobuug ersolgtem .viuscbeideu, der Wittwe und dem einzigen blinde nichts binterlassen können, so daß Mntter und Tochter uur anf eine dilrftige, durch Schuldabtragung geschmälerte Peusion angewiesen !vareu; die nothwendigen Bedingungen zur Begründung einer FamilieueMenz mimten mitlün allein dnrch Hallert beschafft werden. Iudeß dazu konnte sich der junge, begabte Mann hinlängliche Kraft zntranen. Er hatte sein Voreramen mit Au^zeich-nnng bestanden, flingirte beglilckl von ^iebe nnd Hoffnung einige Jahre alo Hauslehrer u>w bereitete sich eben znm zweiten Cxaulen vor, als ein unvorsichtiger Schritt, den er im Wahrheitsdrange seines männlichen (''emütbs nicht zurückhalten konnte, ihm ein für allemal die begonnene theologische Laufbahn verschloß. Die Studien des jungen Theologen waren einige Semester hindurch in Tübingen geleitet, und sein von Haus philosohischer und kritischer >iopf war durck die dortige lichtvolle und» streng-wissenschaftliche Schule für alle jene brutalen Tuukelmäuuer - Bestrebungen uuzugäuglich gemacht, welche uach deu Nevolutionsjabren und mit dem Erstarken 8 der politischen Nückschrittsbewegnngen immer unverschämter und fanatischer ihr Haupt erhoben. Eine Predigt, welche Wilhelm Hallert gegen den persisch-jüdischen Aberglauben von der Persönlichkeit nnd persönlichen Einwirkung des bösen Prinzips gehalten hatte, verwickelte ihn in eine heftige Polemik mit einem de^ sogenannten modernen Nich-tnng zngewandten Superintendenten', es kam zn heftigen ))ledeu und Gegenreden in den Lokalblättern des Orts, nnd das Ende des Streits war für Hallert kein anderes, als daß ihm von betreffender hoher Behörde angedeutet wnrde, er habe nicht nöthig, sich für das zweite Eramen zn melden, seine Predigten nnd Schriften hätten bereits hinlänglich seine „Unfähigkeit zum Amte" dargethan. — So war's also mit der theologischen Laufbahn und mit der gehofften Patronatspfarre rein ails, denn znm henchlerischen und feigen Nachgeben war der mannhafte Charakter des jungen Gelehrten nicht geschaffen. Was aber nnn beginnen? — Wir riethen ihm damals, sich als Privatlehrer unter nns niederzulassen, nnsere Bemühungen nnd die Beliebtheit, die er sich dnrch seine Predigten nnd dnrch seinen Streit in der verständigen, allein Obscnrantismns abgeneigten Bürgerschaft erworben hatte, konnten ihm eine hinlängliche Anzahl von Schülern zuführen; allein anf's Tiefste anf-geregt und empört über die nngerechte Behandlnng, die er erfahren, wies er folch eine bescheidene Existenz von sich und kam, dnrch die Vorspiegelungen eines Glücksritters verleitet, anf die abenteuerliche Idee, sich in Ealifornien große Reichthümer zu erwerben. Mit diesen wollte er dann zurückkehren, seine geliebte Braut, anf deren Treue er nn- 9 ter allen Schicksalsschlägen rechnen konnte, heimführen nnd dann als unabhängiger Gelehrter leben, nm ohne Nahrungssorgen nnd mit allein Nackdrnck die kopfhängerischen Feinde des Lichts und der Wahrheit bekämpfen zu können. — Zu seinem Unglück mußte derzeit noch ein Nachbarkiud, welches als armer Schustergesell uach Amerika ausgewandert war, mit eiuigeu tauseud Tollars heimkehreu. — Nun hielten ihn weder die Thränen der Braut noch die Vorstellungen der Freunde länger von der Ausführung des abenteuerlichen Plaus zurück; er trug, nachdem er sich gewaltsam aus den 'Armen der ^iebe uuo Freundschaft losgerissen, seiu wuudes Herz über das Meer, und vor Verzweiflung bewahrte ihn nur der sire (bedanke, über kurz oder laug die Mittel zu erwerbe», um unabhängig und sorglos für Wahrheit und Freiheit, für die höchsten Güter der Meuscheu, wirken zu köuneu. Wie vorauszusehen war, giug es dem unpraktischen dentschen Gelehrten nicht nach Wuusch in Amerika. Jahr auf Jahr vergiug, Brief auf Vrief kam au die treue Adele und an diesen oder jeueu Freuud, aber jeder Brief brachte nur größere Klagen nnd geringere Hoffnungen. Eiue mehrjährige Abwesenheit vom i?rte sowie eine Fülle eigener Erlebuisse und ueuer Verbindungen hatten mich dann seltener an den uuglücklichen Abenteurer und seiue Braut denken lassen, letztere war mit ihrer Mutter, wie ich gelegentlich nach meiner Nückkehr erfuhr, in ein benachbartes Laudstädtchen gezogen, um dort billiger zu lebeu. Drum überraschte es mich um so mehr, als ich vou dem Zimmer meiues geldwechselnden Freundes aus 10 die schöne, treue Braut drüben an: Erkerfenster wiedersah; das Audenkeu au ibr und ibres und meines Freundes Schicksal, trat mir auf'5 lebhafteste vor die Seele, uud Erinnerilngeil und Gedanken jagten und träufelten sich in nur wie die blauen Nölkcheu, welche von der echteu Upniann vor meinen sinnenden und nach dein Fenster starrenden Augen anfstiegen. Tas Sinnen und Erinnern drängte lange meine Nen-gier zurück, endlich aber tonnte ich nicht mehr an mich halten, meinem beschäftigten Freund Eduard mit der Frage die rührige Feder zu hemmen 1 „Mein Gott, ist das nicht Adele B. da drüben am Fenster, ich meinte, die wodue mit ihrer Mutter iu 1>i.^" Der Bankier legte seine Feder nieder, fad fluchtig und mit leicht errotbeudem Gesicht nach dem Erkerfenster uud starrte mich dauu mit seltsamem Blick an. Jetzt erst fiel mir's auf, daß das Gesicht meines Freuudes eine unge-wöhuliche Blässe zeigte, und aus meine Frage, ob ihm nuwol'l sei, erwiederte er trocken: „O nein, durchauv uicht, das Fräulein B. da drüben am Fenster, wobnt dort seit der letzten Umzugszeit mit der Mutter, vor etwa vier Wochen sind sie wieder yier in die Stadt gebogen." — Vei den letzten Worten hatte Eduard,seiu Gesicbt bereits wieder auf deu Schreibtifch geneigt uud be^auu einen Geldbrief nnt deu vorschriftsmäßigen fünf Siegeln zll ver-lacken. Tavanf klingelte er einem iuugen Mann ini Ne-benzinuiler, übergab ihm den Brief mit noch andern Aufträgen und Baarschafteu uud schickte ihn zur Post. Wir warm allein. Eduard feufzte auf, wie mau li ev wohl nach niehrstündiger Arbeit zu thun pflogt, verschloß feinen Geldfchrant und nahm die andere Ecke des Eovhas ein. Ich begann sogleich das Gespräch wieder auf Adele zu lenken, denn mein wacb gernfeues Interesse für sie nnd Wilhelnt Hallert war zn lebhaft, als daß ich mich hätte mit meinem bloßen Sehen nnd Vermutbm begnügen können. „Wissen Sie, Ednard", bob ich an, „daß jenes Mädchen die Vrant des Eandidaten Hallert ist, der vor vielen Iabren nacb Alnerita answanderte'" „Ich loeisi e^", antwortete der Wechsler vor sich hinstarreud, „der Hallert ist der glücklichste Mann von der Welt, er bat an jenem Mädchen drüben einen Schatz, den iH mit Allem, was iä' habe, nicht bezablen kann." „Wie so, Hallert der glücklichste Mensch!" rief ich ver-wnndert aufspringend. „Was bilft dem armen Tenfel der Schatz da drüben, er kann ilm ja nicht beben nnd hat, wie ich nenlich hörte, nicht einmal so viel dkld erworben, um wieder nach (5nropa rnckkebren zn tonnen!" „Er ist jetzt znriickgetebrt!" erwiederte, die Arme verschränkend nnd dao blasse Besicht gradaus dem Spiegel Anwendend, mein reicher Freund, nnd als ich mm mit der Hast der lwchsten Verwnudernng ihn mit Frage auf auf Frage bestürmte, drückte er mich sanft in die Sopba-ecke zurück nnd bat, ilm rnhig anznhören. — Es lag etwas seltsames, etwa^ feierlicbe^ in seiner Stimme, so daß ich, anf5 Höchste gespannt, ilm obne Unterbrechung reden ließ. „Ich kenne", begann Eonard, „Ihre freundschaftliche Theilnabme für mich, drum sollen Sie der erste seiu, gegen den ich meinem Herben Lnft mache. Ein trübes 12 Geschick erträgt sich leichter, wenn ein theilnehmender Frennd darmn weiß, es ist, als ob man einen Theil der drückenden Last anf die helfenden und stützenden Schul-tern des Andern geworfen hätte. Nun denn, ohne viel zimperliche Worte, kaum hatte ich die neue Nachbarin drüben erblickt, so war in mir das lebhafteste Interesse für sie erweckt, und das Interesse steigerte sich zu einer heftigen, unseligen Neignng, als ich dnrch Dritte das Mhere über Adelens Gemüth nnd über ihre treue Liebe, die sie manchen vortheilhaften Antrag hatte zurückweisen lassen, erflchr. Meine Neignng faßte mich mit einer Gewalt und Macht, wie ich Aehnliches noch nie empfunden. — Schon war ich, weil mir kund wurde, Hallert habe seit Jahresfrist nichts von sich hören lassen, entschlossen, mich Adelen nnd ihrer Mutter zu erklären; vielleicht, so hoffte ich, sehen sie den Hallert uuu endlich als verschollen an, nnd du gehst als der glücklichste Mensch mit Adele dnrch's Leben. Da, etwa vor vierzehn Tagen, wie ich so brütend an meinem Pulte stehe, höre ich von drüben her einen lauteu Freudenschrei, — Hallert war zurückgekehrt. Adele lag in seinen Armen." Eduard verstummte und athmete tief auf; ich saß da mit sehr gemischten nnd peinlichen Gefühlen, denn einerseits überwältigte mich ein tiefes Mitgefühl für den wackern Mann, der mit gebrochenem Herzen mir zur Seite saß, und andererseits konnte ich kaum einen Ausbrnch der Freude zurückhalteu über Gallerts Rückkehr und sein Glück, welches er in Adelens unwandelbarer Trene und Liebe ftn-den mußte. Da unter solcheu Empfindungen ein schaler 13 Trostversuch nur kläglich ausgefallen sein würde, so fragte ich rasch: „Aber Waruni ist denn der Mensch noch nicht bei mir gewesen, und was soll nun werden? Hat er sich Vermögen erworben, kann er sich nnd dem edlen Mädchen eine anständige Existenz begründen?" „Er kann es", erwiederte Ednard rnhig nnd gefaßt, „sie werden so glücklich sein, wie sie's verdienen. Vermögen bat Hallert Zwar nicht erworben, vielmehr kanm so viel zusammengebracht, daß er die Ueberfahrt bestreiten konnte. Aber er ist jetzt versorgt. Die ^innde von dem Sturz des pietistisch-feudalen Regiernngssystems nnd von dem neuen Geist, der die Negierungshandlnngen leitet, hatte auch im fernen Amerika Hallert und andere Oemaft-regelte zu neuem Hoffen und Streben angefrischt. Sie sind zurückgekehrt, Hallert nur mit Hülfe der Unterstützung seines frühern Mäcens, des jetzt so einflußreichen Herrn von S. Derselbe hat auch mit dem besten Erfolg die erledigte, einträgliche Nentmeisterstelle anf den Klostergü-ern in M. für Hallert uachgefncht, nnd wäbrend der vierzehn Tage, die Hallert nun hier ist, haben diesen wahrscheinlich die nöthigen Besuche, die wiederholten Reisen in die Residenz nnd besonders das schwierige Werk, die bedeutende Eantion zn beschaffen, fo sehr in Athem erhalten, daß er Sie nnd seine andern Frenude noch nicht hat aufsuchen köuneu. Herr von S., nnr anf seine Besoldung angewiesen, konnte die nöthige Eantiou von vier tausend Thalern für Hallert nicht hinterlegen, andere Freunde ließen sich schwierig finden, konnten das Geld ihren Geschäften nicht entziehen, nnd was der Ausredm mehr sind. 14 „Bürgen ist so gut wie bezahlen", sagt das Svrichwort. Versicherungen des Wohlwollens und der Freundschaft erhielt Hallert von vielen Heiren anch in der Residenz, aber das war Alles, in Geldsachen, wissen Tie, hört die Gemüthlichkeit ans. ^chon drohete die ganze Bewerbung an der Cantiousbedingung zu scheitern, denn die Coucurrenteu konnten für sich das nöthige Geld beibringen, als sich Hallert, ich weiß nicht von wem veranlaßt, vorgestern an mich 'wandte." .... Und, Eduards! unterbrach ich überrascht und in höchster Tpaunung. „Nun", erwiederte der (Weidmann nnd lenchtete mich ans den großen, klaren Allgen an, „ich habe die Caution für ihn hinterlegt. Habe ihm auch tausend Thaler zn seiner Einrichtung vorgeliehen, die er mir wiedererstatten kann, wenn's ihm die Umstände erlanben." Von Hochachtuug und Rührung übermannt, war ich keines Wortes mächng, aber nnsere Blicke verstanden sich. Ich drückte dein Freunde warm die Hand nnd verließ ihn nüt dem Bewußtsein, daß das Hockgefühl der uneigennützigen, edlen That, das seine Brust schwellen mnßte, der beste Balsam für die tiefe Wunde seines Herzens sei. Äm Wsgc grfundcnc Gcschichtcn. "Wai> dcr Mcnsch lhut, lyut er sich selbst!« Trüber Himmel, fcharfer Nordostwind und eisiger Re^en driicken wohl zn allen Jahreszeiten schwer auf das menschliche Gemüth, hängt aber in der vielbesungenen, „wonnigen" Maienzeit ein trüber Himmel über dem zarten, frischen <>irnn der erwachten Natur, fegt der scharfe Nordostwmd dnrcb die halbentfalteten, zitternden Blätter der ersenfzenden Bäume, und zerschlagen eisgemischte Regentropfen die kanm erschlossenen Blüthen, so steigert sich das Nnbebagen an diesen tückischen, frnblings- nnd lebens-feindlicken Wmterstnichen zn einer ^tiinnlnng, slx trnb wie der grane Himmel, nnd so frostig, wie der eisige Äegen, der gegen nnsere Fenster prasselt nud uns beim sturmdnrch-orgelten ,^amin nud seiitem knisternden ^ener gefangen hält. Man tann zn ächter nnd rechter Winterzeit gewiß recht fröhlich sein im behagliche!! Zimmer bei einem Mase Punsch nnd nnter wackern Frennden, wenn, während eisige Stürme da^ Haus nmtosen nnd Schnee und biegen die Fenster peitschen, der Ofen milde Wärme ansstrahlt nnd das hellflammende Feuer dein tobenden Winter draußen 16 knackende und knisternde Schnippchen schlägt; nicken indeß grüne, blüthentreibende nnd doch schneebedeckte Zweige melancholisch vor nnsrem Fenster, so kann uus das gemüthliche Wiuterstubenlebeu nicht Zmn zehnten Theil ersetzen, was Wald nnd Flur, was Berg und Thal uus bieten würden, wenn nicht die harte, eisige Hand des Winters sich darüber hingelegt hätte nnd das Füllhorn der Frende und Nonne, welckes die Natur allüberall freigebig ausschütten möchte, ueidisch nnd gransam zusammenpreßte. Doch „gestrenge Herreu regieren nicht lauge!" Nur (Geduld! Bald wird die Quecksilbersäule im Wetterglas sich wie uenbelebt dehnen nnd strecken, uud die Wiudfahue drüben anf hohem (Diebel wird nicht mehr von dem gleichmäßig uud scharf streichenden Nordostwinde in derselben straffen Richtung erhalteu werdeu! Schall her, schon windet uud dreht sie sich uach reclM uud liuw und ihr leises Kreischen tönt uus diesmal wie liebliche Musik, denu wir wissm, daß es ein lauwarmer Lnftstrom ans Westen ist, welcher die Fahne anhaucht. Heftiger strömt jetzt zwar der Regeu, aber wir schaueu gern hiueiu, deun er fällt schlank und wann herab uud verwischt mit zauberhafter Schuelle die letzteu Schneespureu, welche der eisige Fuß des flieheuden Winters dort auf deu blauen Bergen zurückließ. „1'<>8i ,iu!)i!<» slwelius!" rief ich frohgelaunt uach einein solchen Witterungswechsel, als ich an einein der letzten, wenigen schönen Maienmorgen erwachte nnd mein Blick auf den klaren, blanm Himmel nnd anf die von der Morgensonne vergoldeten Nänme fiel, anf deren Blättern tansend Funken spielten, die der helle Sonnenstrahl in den Tropfen 17 entzündete, welcke dor N'arme Negen der verflossenen flacht darauf zurückgelassen. Da>? n>ar ein Älorgen, an welchem uns jede helle Vogelstimme tief im Herzen widerhallt nnd uns lockt nnd ruft, mitznsingeu und mitznschwarmen in der uenbelebten, grünenden nnd blühenden Welt. — Hin-ans denn! Ueber Anger nnd Berg, dnrch Feld nnd Wald! Wie hebt sich die vom linden Hanch des Westwindes an-gebanchle Brilst ans dieser sonnigen Höhe, welche UN5 die reiche Landschaft überblicken läs'.t! Die grünen Wiesen nnd die bellgelben Rapp^felder, über welchen die Lerche nner-nuidlicb il>re Triller schlägt, die von frischem Banmgrün nm-rahnnen Torfer, die beglänzten Höhen nnd der serne, nlit dnnllen nnd bellen Tinten gezeichnete Wald, alle^ einigt sich zn einem Bilde, das den trnnlenen Blick in schönen Fesseln hält ^ „Wie hcnlich lcuchtet Mir dic Naluv! Wie glänzt die Eonnc, Nit lc,cht die Flur!" Unwillkürlich drängten sich diese Maienjnbelverse (>>ö-the's anf ineine kippen, nnd ganz so, wie ich, empfand anch wohl der würdige Herr, der in: schwarzen Bnrschen-schafterrock nnd mit vreitkrämvigem Hnt anf den Tilber-locken zn inir herantrat nnd mir mit frendegeröthetem Geficht einen „gnten Atorgen!" bot. Es war der würdige alte Pfarrer ans dem Flecken, dessen weiße Hänfer sich in langen Reiben bis zn dem frischgrünen Walde hinziehn, der über die staffelförmig aufsteigenden Berge binwogt nnd sich im Nebelblan des fernen Horizonts verliert. 18 Tec alte Pfarrer gehört noch ',u der genulthl-chen Art, die im Parteihader unsrer Z.eit immer seltner lvird' eine küidlich fromme Weltanfchaunng, Äiilde des Urtheils und eine jetzt fast verpönte Tuldsamkeit erfüllen seine ^eele und sprechen aus den grosien hellblauen Aligen, die er stets so freundlich auf mick richtet, wenn er irqend eine seiner vielen (beschichten vorbringt, die stets einen sehr ernsten, sittlichen Hintergrund haben. Tligen und legendenartige beschichten sind es, die der Mann so gern erzählt, und ganz gegen seine Weife iväre es geloefeu, wenn er nicht auch hente, nachdem er in der scbönen Einsamkeit neben inir ans der Nasenbank Platz genmnmen, das eine oder andere 6>eschichtchen in sein Gespräch verflochten hätte. Wir tamen trotz allein, was die scdöne Mlur zn ompfindell nnd zn denken, qab, in dieser politischen Zeit doch sehr bald anf die Polink, sprachen, ilber die Vorfälle und Begedenl'eiten, lvelche das neueste Zeitnng^biatt gebracht hatte, und über das sichtliche Walten eincr Nemesis, welches ini Gang der G^schichlc so unverkennbar ^>n Tage tritt. — „Ja," ineinte der Greis, „wie int Groben, so ist's auch im Kleuien, die folgen bleiben nicht ans, nnd was der Mensch thnt, thut er sich selbst. — Ta will ich Ihnen eine Geschichte erzählen.: Was der Mensch thnt, thut er sich selbst. „Tort, wo die weißen Manertrüminer aus dein Gebüsch hervorblicken, stand, wie Äe Nüssen, einst die stattliche Burg eines mächtigen, den Gau beberrscheuden Grafenae- schlechts. Tie Bücher nnd Chroniken wissen nichts von l9 dem Unglück, das vor grauen fahren dort die Blüthe des Geschlechts knickte, und auch der Mund dor Leilte weiß heute nichts mehr darüber zu sagen, denn ivas kiUnnlert umn sich heute viel um die Todten und längst Begrabeneu, hat man doch mit den Lebenden genng zu thun! Ja, lange vor der westphälischen Zeit, als ich, noch ein kleiner Knabe, dort unten in die Schnle ging, da war's anders, da hat nns der gute Schulmeister, der unn scholl längst nnter'm Rasen ruht, die (beschichte oft als ein warnendes Beispiel erzählt, und nur ist's, als ob ich den guten Alten noch heute höre und die gau,^e Schuljugend gespannt seinen Norten lauschen sehe. „Nun, nm es kurz M sagen, dort drüben in ferner Waldeinsamkeit lebte in uralter Zeit in stiller .Mäuse ein frommer, in der ganzen legend hochverebrter Erenlit, der sich, wer weiß von welchen frühem Ledeu^stürmen hart betroffen, das Gelübde des Schweigens auferlegt hatte nnd außer seinen Gebeten, im Verkehr mit den Menschen, nur die Worte ausznsprechen pflegte-. „Was der Menjch thut, thut er sich selbst." — Ter Graf fchätzte deu Klausner wegeil seiner Frömmigkeit hoch und zog ibn in wichtigen Angelegenheiten zn Nathe, obwohl er wußte, daß der fromme Mann außer seinem bekannten Spruch nichts vor-briugeu würde. Aber was der Mund nicht sprach, das sprachen die Augen des erfahrenen Greises, und scholl in mancher verwickelten Lage waren dein Grafen die Gegenwart des Klausners und sein mahnender Spruch ein willkommener Fingerzeig zur Vorsicht nnd fruchtbringenden Ueberlegnng gewesen. 20 „Einst wollte die Gräfin, eine hochfahrende nnd übermüthige Fran, den Grafen zn einer ungerechten Fehde verleiten, die, wenn sie entbrannte, das Land in Jammer nnd Elend stürzen mnßte. Echon war es ihrer Ueberre-dnngsknnst gelnngen, den Geinahl fiir ihren Plan zn stincnien, als dieser den Eremiten kommen ließ nnd ihm da^ vorhaben tltnd that. „Was der Mensch tbnt, thnt er sich selbst!" sprack der Eremit tief anfsenfzcnd nnd mit bekümmertem Gesicht. — Da traf das Wort den Grafen schwerer als je znvor; lebhast traten ihm die schrecken de5 Krieges vor die Seele, die er ohne rechtlichen Grnnd über dies friedliche Tbal heraufbeschwören wollte, nnd fortan wie5 er alle Verlocknngen nnd Anreiznngen seiner (Gemahlin aufs ernsteste zurück. — Tarob ergrimmte die Gräfin nnd fchwnr bei sich, es dem Eremiten zn gedenken, that ilnn gegenüber indeß änsierlich frenndlich nnd schickte ihm nach wie vor das tägliche Vrod, welcbes der wenig bedürfende Greis der Wohltbätigteit des Grafen verdankte. „.^nrze Zeit nach jener Umstimnumg des Grafen dnrch-streiftell die gräflichen Kinder, ein paar blühende, stattliche Imtt'er, anf einenl Iaqdznge die Forsten nnd lehrten hungrig nnd ermüdet in der Klause des Eremiten vor. Auf ihr Begehr beeilte sich der Eremit, den Junkern das beste nnd frischeste Brod zn holen, welches ilnn die Gräsin bereits am frühen Morgen gesän'ckt batte, nnd bot es inil dem gewohnten Eprnche: „Was der Mensch thnt, thnt er sich selbst." Die Innter lächelten über den bekannten Sprnch des schweigsamen Alten, ließen es sich wacker mnnden nnd machten sich fröhlich wieder anf die Heimfahrt. Kanin aber 51 hatten sie die väterliche Vnvg erreicht, als si»,' unter Zuckungen dahiustarbeu, deuu das Vrod, das sie genossen, hatw die rachsüchtige (^räfiu vergiftet, uul des verhaßten Klausners und seines lästigen Spruches loszuwerden. Tie letzten Worte der sterbenden Gunter gaben der unglücklichen. Mutter die schreckliche Gewißheit, daß ibre sch^varze That den eigenen bindern den Tod gegeben, laut klagte sie sich in überwältigender Verzweiflung des Mordes an und »nachte ihrem Leben durch einen Slnrz vou den Zinnen ein Ende. — „Wa-> der Mensck thut, thnt er sick selbst!" seufzte der herbeigerufene Xlausuer, als er über den ^eicben ein leises (^ebet spracb. — ,/^ft dab^ ich's erlebt," fuhr der Pfarrer fort, „daß die böse That sich mit wunderbarer Hast nud auf der stelle bestrafte. Tort nuten das stattlicbe,v>aus, vorn aiu ^leckeu, habe iä! erbauen seheu, als ich noch zur Schule ging. Clans Telges, der es erbante, war ein reicher Manu, doch sonst war er uickts wertb, denn all der Stelle des Herzens trug er einen Stein. Was hat ihm seiu )1te!chthum geholfen? Was ist Claus Telges jetzt? ^tanb nud 'Asche ist or, na'bdezn er ein unglückliches Leben verlebt. — Noch weiß ick's wie heute, als er mit der zweiten Frau — d!e M'te war seiner Härte und seinen Mißhandlungen erlegen '— Hochzeit hielt uud es dort uuteu im Hanse hock herging mit Saus nnd Vraus. Alle reichen Ackerbürger waren geladen uud de-5 Jubels wurde lein Cnde, Ta taut auch der arme halb blödsinnige Vettelchristoph vor's Haus, rief: Juchhe Hochzeit! und wollte den Vräutigam beglückwünschen, aber Clans Telges schrie ihn an: „Wie kannst dn Bettel- 3I fetzen mir über die Schwelle kommend" faßte den armen Menschen mit roher Fanst und warf ihn von den Treppenstufen mit solcher Gewalt, daß der Stoffel mit dein Haupte hart gegen ein Wagenrad schlng und blnteno und für todt liegen blieb. „In denlselben Angenblick ritt, es war in der Kriegs-Zeit, ein stattlicher franzosischer Cuirassier in den Hof, war Zenge der That, schwang sich vom Pferde nnd ncchm sich des armen, verwundeten nnd schwer atlnnenden ZAenschell anf's liebevollste an. Mit grimmen Drobworten strafte er in seinem gebrochenen Dentsch den harten Tel-ges und forderte für den ^erwnnd.'ten eine Erqnicknng. Das erboste den Telges bi^ zur Sinnlosigkeit, so daß er auf den Soldaten losstürzte nnd sich thätlich an ibm vergriff. Da brach das Unglück los. Noch ist mir's als ob ich'5 eben sehe, wie der breite, blanke Pallasch ans der Scheide flog und Clans Telges zusammensank, — der Hieb hatte ihn anf derselbe»: Stelle am Kopfe getroffen, an welcher der arme Christoph seine Wnnde trng. Nun aber ward das Unglück erst groß; die Gäste fielen mit Wagenrungen nnd Knitteln noer den Franzosen her, der Tumult rief dessen Kameraden herbei, die eben in den flecken einzogen, nnd es gab ein sörmlicbes Gefecht, b^i welchem viele schwer verwundet wurden, bi^ es dnrch die Tazwiscben-klmft der Offiziere nnd anderer Mannschaften gelang, weiterer Gewaltthat zn wehren. — Tas war eine Hoch-Zeit! — Der Telges ist von seiner Wnnde nie wieder recht genesen, er ward in Folge derselben so geistesschwach wie der arme Cbristoph; dazn rnhte der Segen Gottes 2^____ nicht auf seiuem Hause, eiu Morgeu Land uach dem andern ward verkauft, b^ der Teiges iu Dürftigkeit starb und der Hof iu andere Hände Wut. — „Ja, Barmherzigkeit uud Mild? zu üben, das war die Lehre, die uiir nteine gnte, selige Mutter stet'> nneder-holte, uud hnndert Geschichten, Fabeln uud Lagen, die sie uns bindern erzählte, berichteten vou belohnter Mildtbätig-keit und bestrafter Harte. Eine dieser Sagen war dmuals in aller Leute Muude, es war die vou dem (leiste „Zick-leiu". — Jeder Schäfer wollte deu tteist, der zur Viittags-stunde iu der Gestalt eiues Lämmcheus bei der Heerde erschieu, geselieu habeu. Zläleiu war eiu guter Geist, und geru gabeu ihm die Schäfer eiue kleiue Portiou an Brod, die er allmittäglich beauspruchte. (5'iust aber gab iwn eiu roher Schäferkuecht statt des Brodes eiueu Hieb urit dem < Hakeustocke, da schwoll, wie vom Zanberstabe berülut, Zicklein zu einem Werwolf alif nud brüllte den znm Tod crsckrockeueu Schäfer au: „Willst du mir teiu Brod geben, so r.luk ick uur Fleisch holen!" — In der folgenden Nacht wnrde die Hälfte der Heerde von Wölfen zerrissen." — „Was der Menfch tbut, tlmt er sich selbst!" sprach icl, lächelnd M deni guteil Pfarrer uud reichte ibm zuin Abschiede die Hand. Lange noch schante ich ihn: nach, wie er durch die grünen Felder langsam dabinsclmtt; so bell und sonnig, wie in der blühenden Natnr, war's anch in seinem von gemntblichem, naiven Glanben und frenudlichen ^^oi'In'nilen geschwellten Herzen. Eme Wanderung nach der Plelsc. >ü8,) Auf dn'sm Trioiüücr» Hal' auch ich qsftssl'», Vrrgnuqt qctrlnttlii und gl'qrsscn, llnd in die Wt!t hinauegcichaitt. „Die uralte, mruehme und u^itberühinte Grenzstadt und Festung Göttinqcn," saqt ein alter Schriftsteller, „hat A)r^aqer in einem sehr schönen, frnchtbaren llnd lustigen Thale. Tie hat einen qntiqen Hiiinnel nnd te>n-perirte Luft, ecnen üppigen ,^iorn, Flachs und Obst tragenden Boden, klares und gesundes Quell- und /Nusi-wasser, gute Holznugen und Viebweideu. l^öttiugeu ist eiue mit vieleu herrlichen, zur Nahrung uud Ergetzuug des 'vienscken dienenden Sachen ain's mildeste und reichste von der Natnr begabte Ttadt." — Ja, so ist's, alter, treuherziger Kuabe! Vielleicht bast du vor hundert oder mehr Iahreu gleich mir hier am Abhauge des Hainbergs gestanden, und eiu Tommermur-gen, frisch und golden, wie der hentige, lachte über der reichen ^-lur, die dein entzückter Blick durchschweifte, er lachte dir tief ins Herz und l)ob deiu (Gemüth, daß es sich im 2'» Wonnegefühl des Taseins anfschwailg wie die in delude Lerche, die dort nnter der reine»! Himntelsbläue schwebt!— Hei, wie frisch nnd fröhlich dnrchflingt das mnntere Viorgen-lied der Lercke unsere Vrnst! Es ziebt nns machtig nach oben, im rüstigen Wanderschritt ersteigeil wl'r die Hohe, und ie bober wir steigen, desto weiter nnd reicher entfaltet sich das von der Morgensonne golden angehanchte Land-schaft^bild llnsern Blicken. .vente soll's noch ,;nr Plesse, aber hier eru einmal.vall! Ans einen llnlioeg koinntt'^ nn>5 nicht an. ^iegt docb der lange Sommevta^ noch vor nn^, er soll ganz nno gehören; ganz nnd voll, wie ein tiefer Trnnt' fnntelnden Weins, soll er in seiiler ^ommervracht dnrcli nnsere Seelen ziehen nnd, wenn ancb dei dem ^ollgennh der ')iatnr und der ^agen Poesie dieser reichen Landschaft die allen Büclx'r zn >>ansc einmal nnberührt liegen bleiben, so soll nns doch, wenn die letzten Strahlen der Sonne drüben nm jene ,^öhen spielen, kein nnmntln'ges .,> i>»'l')ainl'erg>> haben loir das ganze Panorama vor uns. Im Westen liegt die Stadt in einen leichten, blanlichen Nebelschleier gehüllt, welchen der rosige Dinger der Morgensonne von den liebeln der höchsten Hänser nnd den malerischen Spiken des ^obannis-thurms leise abliebt nnd nns das alte Gemäner im gold-rothell Glänze zeigt. Weit nnd breit im Thale nmwogen sailft rallschende Aehrenfelder zahlreiche mit grünem )'anm schmuck durchwebte Dörfer, deren altsassische ^a>nen uns bereite nralte Ilrtunden nennen. (^ewir> schanle schon vor 2 s! grauen Iahrhllnderten drüben voui „kleinen Hagen", al^ er noch die kaiserlicke Psal^ „b>rone" trug, das Ange de^ Königs der Teutsche» nüt iltnigenl Bebagen anf dies wohl-bebaute schöne Stncklein von: deutschen Neicb, lvelcke^ ebensowohl den Manien der goldenen Ane verdiente, wie da^ gesegnete Land, das seinen ))ieichthnm a»t Fnße dc<> .^yfshänsers ausbreitet. — Ueber das srische Grün des weiten Wiesenplans und nber den kleinen .v»aqen hinaus schweift der Blick zn de:n Halblreisc der N'aldgekrönten Nesergebirge nnd ihrer Vorhöben, von welchen yerab in alter Zeit manche Raubbura,, wie die Wäver, der Eekkclstein, die Vrackenbnrg ihvo zackigen biiebel und t'antiqen Thürine drohend dein reichen Thale anwandte; aber die Vlieden, Mangeln nnd Etnrm-böcke oer streitbaren Viirgcr brachen sie, wie dic Zwingburg der Stadt, den festen „Vallrns", in den bknnd, und n'.ancker überuuNhige Nitler oder herrschaftliche Voigt, wie weiland Heinnch Kipphnt, mnßte Zu seinem Schaden nr!t der Mebrt'raft der Tbalbewol^ier blntige Bekanntschasi machen. Ter hohe Vergkegel, loelcher dort int Sndwesten ans finster starrenden! Walde anfragt, trng einst das Nanb-schlost „Vrainbnrg", dessen Nitter, wie das Volt erzäblt, eine schwere Landplage n^aren nnd das ^eine- nnd H^eser-tbal nut Ranb nnd Brand bedrängten. Ter Nebernmtl) dor ränberischen Bnrgbe»vodner qmg so weit, daß sie einst ein Schifslem, in welchem der Welsen-Herzog die Weser I'inabfnhr, mit Steinen und Äolzen beschosseit. (5in Bolz traf den Herzog selbst, prallte aber von einem der groneu Knöpfe ab, wonlit sein Wamms besetzt war, ohne i!m zu verletzen. Ta schumr der Herzog allem, wa^ nianulich sei 27 auf der Vramburg, den Tod, sammelte seine Heerkrast und gewann die Burg nnt Eturin. Alles, was männlich war, fiel unter den Schwertstreichen der Sieger oder fand seinen Tod nnter den zersckeiternden Trnm:uern der brennenden Bnrg. ^lnr der Burgfrau ward freun Abzug siestattet, auch sollte ihr so viel von ilnenl Eigenthum überlassell bleiben, als sie >nit sicb in der Schürze forttragen könne. — Ta nalnu die Bnrgfrall ihr einzige»? Söbn-leiil, ivelche^ sie vor der Mordlnst der Krieger zu verbergen gewußt batte, in die Schiirze nnd zog davon. Alis ibre Bitte erlanbte ihr der Herzog, sich weiter im Tl'ale wieder anznbanen, jedoch nur unter der Bedingung, dan sie dru neuen Van nicht mit einor festen Maner, sondern unr 7nit eiuem Hagen nmzi^en lasse. „Tat fall mi en lewe Hagen siu! ir ein lieber Hagen sein!»" sprach die Burgfrau, und baute d^i Ort „Lewenbagen". In deu Gründen jener Waldgebirge ruht ein reicher, erst zum Theil gehobener Sagenschatz, avl'r anch die uns näherrückeuden, zel.'.t inl vollsten Sonneuglau^' strahlenden, Höhen, wie den waldigen Abhang über Eller^liansen und die weiten Gelände des „boben Hagen" umspielt die Sagen-dicbtend^ Volt5pwnwne. - ,^,u Walde iiber Ellcrs-hansen ist'i' niätt gedeue^, es geht dort ')lackts eine ge spenstische >vatze anf drei Beinen, sie ist w grof; als eilt Kalb. Auch wurde der ^ald sriwer durch ^iänderoandeu unsicher gemacht, nnd noch beute zeigt uns dort, hart au der Transfelder Heerstraße ein morsches Kreuz den 5?rt, wo mau einen unbekannten Erschlagenen fand, dessen Tod, da man des Mörders nicht habhaft wurde, nngesnlmt ^ ist. Drum hat der Arme teine Nnhe, und ein Vote, der spät in der Nacht von der .^nallhütte ka>n, wnsite wohl, wer anl Waldrande vor dein Grenze auf einem Steinhansen saß. Tor Vote wünschte mit verzagter Stimme einen gnten Abend, aber der da auf dem Steinbanfen sasi, antwortete nur mit einem tiefen Senfzer. — Da wurden, dein Voten „die .hacken lang", an jedem Haar hing ihm ein Schweißtropfen, nnd mit zitternden Knieen kam er in Ellerobansen an. Er will Nackts den Weg nie wieder ohne (Gesellschaft geben. — ^»lsliger als diese Mordgeschichte tlingt eine Sage, zn welcber weiter oben der hohe .vagen nnd das an seine»l Fnße liegende Städtchen Dransfeld die Scenerien geben; es ist ein schwant' ans den« Äiittelalter, alter-thmnlich derb, aber in (Gedickten des siebzehnten ^ahrhnn-derts nnd in ältern )1lelationen dnrch gelehrtes Beiwerk nnd erfnndene '.'laufen vielfach verkümmert. Der volks-thünlliche >lern der Sage ist folgender: Einst war der .verzog mit seiner Streitmacht von Münden ansgezogen nnd dachte die biöttinger zn znclNigen, »veil sie ihin den Zoll geweigert batten. Die l^öttinger aber sielen nut ihrer ganzen Weln'traft ans, überwanden den .verzog in offener ^eldschlacht nnd verfolgten ihn bis vor Dransfeld. Da aber machten die dem Herzog tren ergebenen Dransfelder einen Ansfall, bald war nnter der ^übrnng des Herzogs die Scblacht »oieder hergestellt, nnd ans den Siegern wnr-den nun Besiegte. Die (^ottinger mnßten sich nm das Hasenbannor schaa^en nnd wnrden mit großein ^erlnst bis nilter die Thore ihrer ^tadt Mückgeworfen. W So wurde dor Herzog durch die Tapfortoit derbrans' folder dos Tages froh und vorlich ibnon inanckorloi ,"rei-heiton, darunter das Iagdrockt. Uober dies Iagdrecht freuten sick die Dran^feldor am moisten, uud stollten bald oiue gros;e „>agd auf do>u boben Hagen au. ?a aber die guton Lou to uicht^ vou d^r ^>aqd vorftaudou und in ihroni Lobou noch toin Etiick Wild, ja uiä't oiuinal —> so bohauptetou wonigsteus die Göttiuqor — oiuon .^ason ^csl'bon hattou, so i'ioltcn sio eiuo anf dont d^dm Hag.n weidondo (I'soliu fiir oiuon Hason uud lcqlvn l/ockerfrcut ilno Klybogou au, um da^ Wild ,',u erloqcu. :'Ü5 sich aber da-? Wild sow zahm ',oiqte, dacluou sio ev l.'bo,ii)!q zu fanqon, !va-i' auck ohne Widerstand vou ^eitou do-5 Hasen ^elaug. Hocherfreut laqorteu sich jeht die ^agor nin den eiugofangenen Laugohr, und a!'? oinor oomorkte, der Hase habo, ein volles Cutor, inackten sio sick daran idu zu melten und tbaten sich sittlich au dor noch nie a,okoste-teu Hasonnnlch. Kanin lvar indesi da>> Geschicktckon dou ^öttiussern lnutcrbrackt, als dio Trausfelder auch idron Spitznamen wog datieu und noch bis anf don l^eutigon Tag dio „Hasemnelter" heinou. Die Drallsfoldor bloibon'v i!'ue;i blickt schuldig und uonnen die (^ottinger dio „Eselfressor", und M'ar nach der gewöl)nlichon Uoborliefernng dofchalb, weil die (^öttinger die Dransfelder Jäger bei iyreül vermeintlichen Hasen überrascht und ihnen die Vente abgenommen bätten, welche dann von den Oöttingern ebenfalls für einou Hasoil auge^ schon und von ihnen geschlachtet und ver',edrt worden wäre. Tie Ertiärung dos Spitznamens (tselfrossor iu dieser Weise 50 lag nahe, iildein sie an den vorhin erzählten Vorgang laicht antllüpfen konnte, allein sie ist, da die Göttinger als jagd-bere6)tigte und jagdknndige Leilte genannt worden, unmo-tivirt nnd ohne Z'veifel eine Erfindung späterer Zeit, welcher eine ^age vom „Drat'enberg" ganz abhanden gekom-inen sein muß, die wir so glücklich waren, ans den: Mnnde eines alten Einwohners von Herberhansen zn hören. — Nm nus das Tors Herberhauscn anzusehen, wenden wir nns jetzt von der weiten Landschaft im Westen ab und erreichen nach iveuigeu Schritten einen ^tandpuilkt, der lms das östliche Thal zeigt, welches hier unter dem jähen Absturz des Hainbergs mit seinen von kahlen Höhen und waldigen Bergen eingekeilten Dörfern uns ein Land-schaftMld von ganz anderem Charakter bietet, wie das eben überscbante. Znnächst unler uns liegt Herberhausen. Aor uralten Zeiten lag dies Torf weiter nach dem Holze zn, welches znr „Vruck" fnhrt, und hieß Herberghausen, weil lier die uach dem „Klausberge" wallfahrenden Pilger ihre Herberge zu nehmen pflegten. — Der steile, kahle Berg, an dessen Fnße das jetzige Herberhansen erbant ist, heisit der Drakenberg uud trug vor vielen hundert fahren das Naubschlosi der gewaltthätigen und grausamen Herren von der Trakenbnrg. Der letzte Besitzer der Burg war ein alter, übermüthiger IunggeM; keine adelige Jungfer in der Nachbarschaft hatte ihm ihre .vaud geben Wolleu, und so saft er uubeweibt uud griesi-grämig auf seiner Bnrg, bis ihm das Haar schneeweiß wurde. Da war einmal auf dem „Inukeru-.vanse" iu Gdttingen ein großes ^c!t, z'.l welchenl viel vornehine Herren, grauen und Jungfern ans aller Welt Enden geladen waren; allck der Herr von der Dral'enbnrg erhielt, obgleich ihn eigentlicb n.ieiuand leiden luochte, eine, Ein^ ladllng zn,n ^este, nnd da---» N'ar iinn sehr lieb, „denn," dachte er, „nnter den vielen srenlden ^nngfern wird sich a!n Ende doch noch eine. finden, welche Lnft hat, deine ^mn zn U'erden." — Nnn schloß der alte Geck Kisten nnd basten anf, snchte seine besten Kleider bervor nnd pntzte sich, al^ ob er ein zwanzigjähriger Prinz wäre. ^)ao Kostbarste aber, wa-5 er anlegte, voareu >ei»e u^einen seideneu Strumpfe, ein Putz, welchen da>na!^ in hiesiger (legend die vornehnlsteil Lente noch nimt tannlen. Als nun der Herr voi: der Drakenbnrg b.'iul Inn-kern-Hanse vorfudr und in seine>l kostbareil Htriiutpfen ans dein Wagen slieg, lachten die nmstehenden t^öttiuger !ant anf nnd verspotteten, derb den eitlen, wei^sclien Mann. Da wllrdc der, Verspottete 'bitter nnd böse, schrie die Spötter an: „ttednld, ihr Tölpel, ich werde zuletzt la-^li!" >lnd fllhr inl volleil (salopp ivieder znni 'Albaner-^hor hinans. Als der ttriinnnge m seiire Bnrg einfuhr, lu'f ihm einer seiner Esel zwischen die Pferde, nnd mußw ^afiir sein ,^eben lassen, denn der zornige Herr stack ihn auf ^'r stelle todt. Wie das Thier nun a!lo Viere vo,i sich Nreckend dalag, loicrdc es dein Tratenbnrger, plötzlich tlar, ">^s »relcde Weise er stcb enipsindlich an den Köttingern ^acben tonne. Der näcbste Tag war ein Älarkttag, nud nacb daiua-ltger Sitt^ pflegten die umliegenden c^ntsbesitzcr fleisch an den l^öttiuger Markt zn schicken. „Toif (Warte)!" 5 I sagte der Herr von der ?rakenburg, zog dein E^el die Haut ab, schlachtete ibu ganz tnnstgerecht au^ nud packte am andern Morgen seiner Magd den Tragtorb voll Csels-fleisch-, auf den (»rnnd des Korbes aber legte er die Eselo-hant nebst einem Brief und schickte alles an den Mart't. Hier bot nnu die Magd da^ Fleisch des nnreinen Tbier^ für Kalbfleisch an^, und die (>iörtinger tanften so fleißig, daß der Kord bald bi^ ans den birnnd geleert war. Drauf machte sich da^ Vlädchen dllrtig an^ dem Staube, und die zuletzt kommenden Kauflustigen fanden iu dein geleerten Korbe die Esel^hant sammt dem Briefe. Eie brachten Beiden sogleich zum Magistrat. Hier öffnete der Bürgermeister den Brief und la5: „^amit man fnr alle Zeiten weiß, daß ihr enre^ bleichen freßt, so schreibt anf diese Esel^-hant, wac' ihr hellte von mir gekauft nnd gegessen dabt. Herr von der Tratenbnrg." Da aber lief den Herren vom Rath die ^alle über', sofort lieneu sie die Sturmglocke schlagen uud trugeu den sich mitsein' und Waffen sammelnden Bürgeru den Schimpf vor, loelchen der Trat'enbnrger der ganzen Stadt angethau hatte, '.'inu verfchivoren sich die Bürger, nicht eber ^ehr und Waffen abznlegen, bi^ die Trar'enburg der Erde gleich gemacht fei, zogen in hellen Haufen über den Hainberg nnd eroberten in grimmigem Muthe beim ersten Anlauf die Dra-tenburg. Alle^?, wa5 ^eben in der Burg hatte, mußte nber die Klinge springe», und der Burgherr ward von der Zinne des Hauptthnrmo in die Spieße der untenstehenden Eroberer gestürzt. — Mebrere Wocben lagerten die (Göttin-ger in Hcrberhausen, Rohringen nnd anl Klallsbevge und 33 zerstörten die Burg bis auf den Grund; erst als der Vurge-Meister da, wo die Nnrg gestanden hatte, den Pflng einsetzte und die Rathsherren Salz in die aufgerissenen Fnr-cheu strenen konnten, zogen die grimmigen Näcber wieder Zur Stadt. Hente findet man auf dem Drakeuberge nicht einmal mehr die Gruudmaner vor, über welcher sich das Schloß des Uebermüthigen erhob. — Wie oft mag im Lauf der Jahrhunderte durch Zerstören nnd Aufbauen, durch die nimmerrastcnde Arbeit der Kultur die Oberfläche dieser Höhen und Thäler eine andere geworden sein! Nur die Form der Hügel und der Berge blieb im allgemeinen Uniriß so, wie sie sich aus dein (5haos neptnnischer und vulkanischer Kämpfe emporrang, und eine längst untergegangene, ttppigwilde Vegetation mochte diese Lande bedecken und diese Hügel umranschen, bis dann der Mensch kam nnd mit Hacke, Axt und Grabscheit gegen die Wildheit der Natur zn Felde zog. Aber auch die Menschen, welche liier seit Jahrtausenden iil uuuuterbrocheuer Ameisenthätigkeit die Natur sich dienstbar machten und sie durch die Knust verklärten, wie Mnz anders an Geist nnd Weltanschauung habeu sie in jedem Jahrhundert hier ihre Felder bestellt, ihre Hänser Hebant, ihre Gärten gepflegt; wie verschieden waren ihre, durch die verschiedensten Zeitoerhältnisse an die Hand gegebenen Bestrebungen, Gedanken nnd Sorgen! Die Schablonen, nach welchen nns die gewöhnliche Geschichtsbetrachtung gauze Jahrhunderte in eine Kulturperiode znsammenm'alt, geben nns nur ein mattes Bild, nur einen Schattenriß 34 von dem lebendigen in: ewigen Flusse begriffenen Geistesleben, denn die Geschichte ist ein stetiges Einporwachsen unendlich mannigfaltiger Geistesblüthen, welche die Erde immer reicher und reicher überstreuen und mit ihrem Dnft erfüllen. Wenn auch der Anstoß einer mächtigen religiösen oder politischen Umformung über ein Jahrtausend und drüber durch die Seelen vibrirt uud vielen Menschenaltern einen gleichartigen Charakter aufdrückt, so ist bei dem stets gesteigerten Inhalt des Lebens doch das Thun uud Denken eines einzigen Menschenalters nicht dem des zuletzt vorausgegangenen völlig gleich und ganz anders als wir, dachte, sorgte und glaubte die grofte Mehrzahl derer, welche vor drei Decennien diese Pfade gingen. Nnd nun erst em Jahrtausend und Jahrhunderte früher, als dieseu sanft uach Norden laufenden Abhang, welchen wir jetzt entlang gehen, noch die heiligen Eichen des Wnotan's-Hames decken mochten, welch ganz andere Menschen betraten da diesen ranhen, steinigen Pfad! Hier senkte wohl von heiligen Donnereichen nmrauscht der nervige Ann des halbnackten Jägers in ehrfurchtsvoller Scheu den Speer, der ihm noch heute ein Wisent oder einen Ur erlegen sollte. Neber welchen ganz anderen Vorstellungen und Sorgen zog sich wohl die kranse Stirn seines bärtigen Gesichtes zusammen, als wie sie jenen im prangenden Waffenschmuck eiuherschreitenden Rittern die Köpfe unter den Stahlhelmen wann machten, jenen Rittern, welche zur Heerkraft Kaiser Lothars gehörten, der einst dort am Bach, welcher noch von ihm den Namen führt, sein Heerlager hielt! Zu Lothars Zeiten nnd noch später zogen diesen 35 Pfad, der uns jetzt an: Nicolausberg vorüberführt, auch fromme, Nallerschaareu unter flatternden Kirchenfahueu und hocherhobenen Kreuzen zu jenen Höhen, welche das Volk „klein Jerusalem" nennt. Weit und breit aus deu sächsischen Landen strömten da die Pilger zusammen nnd der nralten Kirche auf dem Klausberge zu, wo ihrer der Heilige harrte mit Wunderund Heilkraft uud tiefem Seelentrost. Ich seh' sie wallen und die Brüste schlagen und die Hände erheben im brünstigen Gebet, die buuten Schaaren! Im ganzen Gau, in Stadt und Dorf jubelt brusterschütternder Glockenklang znm blauen Himmel auf, als nuu das Pilgerheer aufsteigt zu den Stationen des Kalvarienbergs und dein Allerheilig sten folgt, welches die geweihte Hand des pnesterlichen Führers dem frommen Heere voraufträgt. Wie es im mannigfaltigsten „Stand und Gewand" da durch die Felder und zu den Bergen aufwogt, die glänzende Helmspitze des Ritters neben dem dunkeln Muschelhut des Pilgers, der schon gleich dem gerüsteten Wallgefährten, den ein eisern Gelübde zwingt im vollen Harnisch einherzuwallen, auf heiliger Erde ein dentsches Schwert mit den: Damascener eines tapfern Reiters aus Korboga's Schaaren gekreuzt haben mag! Und dort die Edelfrau, in kostbarem Schür-brant gekleidet, nebeil dem Weibe des Hörigen, welchem ein grober Wollrock nur dürftig die Blöße deckt. Uud nun das bunte Gewimmel der Bürger nnd Bauern, der Bettler und der Mönche im härenen Gewand! Hier sind sie alle gleich, und zu gleicher Audacht versammelt, mischen sie ihren tausendstimmigen Bittgesang mit den melodischen Klan- 36 gen der Glocken, „welche ihrer Töne weite kreise dnrch das Meer der stillen Lüfte ziehn." — Und wieder sehen wir diese Fluren von einem andern Geschlechte betreten. Der naive Glanbe und die Verzückung der Andacht spricht nicht mehr aus schwärmerischem Auge; droben in der Kirche des heiligen Nikolaus sind die alten Hymnen verklungen, der Schninck der neun Altäre ist unn in den Staub gesunken, und der Predigtstuhl, voll dem ulan die ueue Lehre verkündet, ist der Mittelpunkt der Kirche geworden. Aber auch für den nenen Glauben taun das neue Geschlecht gleich den Schaareu Gottfrieds von Bouillon in den Tod gehen, — das donnern uns die Karthaunen zu von GöttiugenZ wafseustarrenden Wälleu! Welch eiu grau-ser Kriegssturm durchfegt diese Felder, diese Wiesen, wie gierig frisit der Nimmersatte Brand die Dörfer ! Vonfurcht-bareu Schanzen starrt das Weender Feld, Rosse, welche die ferne Pussta erzog, netzeu die heiße Schnauze iu der kühlen Flut der Luther, und hier vom Pavenberge gähueu uns Kanonell an. Tilly's wilde Schaaren find's, die fern uuo uah, verheerend dnrch die Felder wogen, sie ballen sich enger uud euger zusammen um die Wälle der Stadt, die Feuerschlünde des Lohbergs deckeu ihreu Aurann und — „Jesus Maria !" braust's wie Douuersturm durch die daiupf-erfüllte Luft. „Gott mit uns!" autwortet duuipf und todes-uiuthig das gewappuete Volk allf den Wällen. Mit Don-nerkrachen fährt Blitz auf Blitz in den stürmenden Feind, es ballen sich die wilden Knäuel des wüthenden Hanoge-mengs, hin und her wogt das Gemetzel und — blutig, geworfen und zersprengt sammelt sich kuirschend der ge- 37 schlagene Feind Hintor den Schanzen und zieht nnter dem Inbelrnf und dein brausenden: „Ein' feste Burg ist unser Gott!" der Bürger gedehinüthigt zn den Lagern ab. Es ist bente grade ^ahrs- nnd TagsZeit jenes heißen Kampfes, und die Inlisonne brannte vielleicht auf die Helme und Kürasse der erbitterten Krieger mit derselben Glnt, wie sie bente anf die grünen Votanisirtrommeln iener Stn-dentenschaar brennt, welche dort mit ibrem docireuden Professor, einem nanlhaften Botaniker, in der Schlucht nach Doppelshanfen anfsteigt. Ja, das ist wieder ein ganz ander Geschlecht als das, welchem sich vor mehr als zweihundert Jahren anf diesen Angern und Feldern um des Glanbeus willen die Schädel zerbrach. Das Licht der Wissen fcbaft nnd der Urbanität lenchtet aus den klaren Augen, anch diese Schüler und ihr Lehrer sind Waller nnd Streiter, aber ihr Wallen und Streiten geschieht im Dienste einer verklärtern Weltanschauung und gehört zum Knltns der Wissenschaft, welcher mm schon über ein ^ahrlnmdert lang in der weltberühmten Stadt gepflegt wird, deren maurischen Anblick nns jcht die steil anssteigenden Bergwände verdecken. — Auf diesen Anger, anf dies Stein-geröll, welches nuser aufsteigender Fuß ill die Tiefe schlendert, fiel schou mauches Ange, ans welchem die Blihe eines hervorragenden nnd da^ menschliche Denken und Empfinden mit reicherm Inhalt erfüllenden O'.eiM leuchteten. Wie oft mag hier ein Lichtenberg, ein Kästner, ein Schlö-zer znui Walde aufgestiegen sein! Hier wandelte in rüstigen Jahren der große Gauß, der lockere Heinrich Heine stolperte vielleicht weinfchwer über diesen bemoosten Stein, 38 und droben vom Azur des Himmels lächelte Otfried Müller die Sonne, die schon dein Homer gelächelt nnd die Flnren des Stamander beschien. Hier küßte die Muse ihren Liebling Bürger, nud der Kuß ruft Thal nnd Hain znm bnnten Götterleben wach! Die flüchtige Nymphe verfolgt der delphische Gott, der Wald umzittert und nmranscht den großen Pan, auf den Höhen schwebt die Oreade, es naht, es naht der hehre Frenden-bringer, „nnd das Panthergespann rauscht durch die dröhnende Schlucht." — Und, schaut her! Es ist nicht nur die Phantasie des Dichters, welche diese Schlucht mit der alten Götter-Welt bevölkert. Schwebt dort nicht Iris nnd Aurora, Apollo und Antiopa? In der schönen Fauna der Blumen-Nektar trinkenden Falterwelt, welche hier in dem geschlitzten Thal die Sonnenglnt Znm buntesten Gewimmel weckt, leben die Namen der alten fröhlichen Götter würdig fort. Freilich der Mann dort, der mit dem Fangnetz die Zygänen verfolgt, deren saftiges Roth prachtvoll im Sonnenglanze schnnmert, ist fern vom Olymp! Er ist ein leidenschaftlicher Entomolog, er sieht nur Lepidoptera nnd Ko-leoptera. Wie sie da emsig sncht uud von Stein Zu Stein hüpft, die schmale Gestalt, selbst ein Insekt! Jeder Stein, jedes Nasenstück wird umgewandt, nm Larven oder Käfer zn erspähen. — Aber was kommt den Mann jetzt an? Er steht versteint und über der spürenden Nase starren die Augen wie verglast dort nach der bnschigen Distel. Ein Prachtexemplar der Paphia, wodl gar eine seltene Varietät, hat sich anf der Blüthe niedergelassen, nnd bis zu ^39 mir her glänzt ihr silbernes Band. Die ganze Seele des Iusekteujägers ballt sich krampfhaft in der Hand zusammen, welche das Fangnetz hält. Ein Schlag und — „gebet Nanm dein Flügelschlag einer freien Seele!" — hoch in blauer Lnft tummeln sich die bunteu Schwingen der Pa-phia, nnd mit einem unbeschreiblichen Gesicht starrt der unglückliche Jäger dein schönen Flüchtling nach. — Hätt' ich doch Schwingen, wie dn, schöne Paphia, um gleich rasch dieser Sonnenglnt zn entfliehen und den schattigen Wald zu erreichen! Doch Geduld, die rüstigen Beine thun auch etwas, nnd bald schreiten sie munter auf der Hochebene fort, der Meierei Döppelhausen zn. Nach dem langeu Steigen auf steinigem Grunde uud beim Ueberblick der vereinsamten, waldumhegten Höhe, auf welcher wir jetzt waudeln, überrascht es hier eiue cultivirte und fruchtbare Oase zu finden, welche Zeugniß von der Thatkraft und Beharrlichkeit menschlichen Fleißes giebt. Vor nr-alten Zeiten soll hier freilich schon das Dorf „Deboldes-husen" gelegen haben, aber es wnrde, mau weiß nicht wann, gänzlich zerstört, nnd die Stätte lag viele Meuscheualter hindurch znm größten Theil wüst. Nur eiu dürftiges Jägerhaus nnt einigen uoch dürftigern Gärten und Feldern unterbrach die öde Einförmigkeit des sterilen Bodens, bis dann vor etwa 70—80 Jahren der Förster Scheck nnt der Tapferkeit eines Pioniers der Civilisation in Amerika's Urwäldern deu verwahrlosten Boden angriff nnd glänzende Resultate erzielte. Jetzt ist das hübsche uud fruchtbare Gut ein Vorwerk der reicheu Domaiue Neende uud wird mit all der Kunst nnd all den rationellen Mitteln cul- 40 tivirt, welche der seit den letzten Iahrzehenden so bedeutend vorgeschrittenen Landwirthschaft zn Gebote stehen. Im, schattigen Vanmgarlen eines der Wirthschaftsgebäude lagert die botanisirende Stndentenschaar und erholt sich nach der Vorlesung, die sie eben in dem großen An-ditorimn der Natnr gehört, bei eineiu frischen Trunk und fröhlichem Geplander. O ja-. „Ein Pragcr Studlnlc, dcr möcht' ich w»hl scin, So zog' ich zum Frühjahr ms Land hincin; In blühenden Gürten, an Tischen voN Nein Mit Nachügalllöncn das Herz zn crfteu'n!" Das Liedlein fnnlnteud, dnrchschreiten wir den Bannigarten nnd betreten, einen nut üppigem Grase bewachsenen und mit Vlmnen überstreuten Anger, welcher uns d'em Walde zuführt, dessen voll sanftem Lnftzug bewegte Aeste uns freundlich zu ihrem Schatten und zn dein geheimnißvollen Lebeil ihrer grünen Zanberwelt winken. Auf dem üppigen Auger durchschreiten wir hübsch gepichte nnd sich fröhlich tummelnde Kinoergrnppen. Sie gehören Familien aus der Stadt an, welche den Nachmittag anf der Plesse zubringen wollen und in Dövpelshauseu ebenfalls Nast gemacht haben. Wohliger ist es nicht dem Fischlem im klaren Bach, als den bindern anf freier, bunter Wiese! „Es ist," sagt der vortreffliche, ästhetische Natnrbetrachter Ma-sins, „als schwebe über ihr der goldne Traum unserer eigenen Jugend nnd sicherlich wird die Schönheit einer Wiese nur von dem Kinde ganz genossen. Wiesen und Kinder, die Feldblumen und die Menscheublumen — eius mag 41 ohne das andere nicht gedacht worden. Auf der Wiese windet das Mädchen den ersten Kranz und stimmt seine Vrnst Mm ersten Liede. Anf der Niese ist der Tummelftlatz des Knaben. Hier darf er nicht verstohlen schleichen wie im bangen Duukel des Waldes, hier ist er der gebietende Herr. (5r jagt Falter und Käfer, kämpft gegen Erdwespen nnd Mücken, beschleicht den weidenden Swrcb und horcht träumend der fern ins Abendroth yiuaushalleuden Glocke seines Dorfes. Iugendlust, Gefühl der Verjüngnng, der Lebenserneuernug, darin liegt der tiefste Zauber der Wiese." Ganz verjüngt und mit gesteigertem Daseinsgefühl betreten wir jetzt die spielenden schatten des lichten Waldes, welcher nns mit seinem von Sonueugold und Himmelsbläue durchbrochenen Schleier da^ nahe, romantische Ziel unserer Wanderschaft neckisch verhüllt. Weit schattende Buchen nnd dichtes Gestrüpp wechseln mit frenndlichen Lichtuugeu, und wie wir fo bald über rafcheludes Laub, bald üb«r weicheu Rasen hinschreiten, da plötzlich zerreißt der grüne Schleier, eine baumdurchrauschte Schlucht gähnt vor uus auf, und drübeu auf schroffen: Hügel steht die Burg stolz nud tühn, die herrliche Plesse, die Krone der Burgen im ganzen Gau! — Halt, lagern wir nns hier, nm den Gesammteiudruck der massigen Thürme uud der tautigeu, vou grünem Gesträuch umuickten Mauertrümmer auf uus wirkeu zu lassen. Der alte red- und schreibselige weiland ldniglich grohbrittaunische Hofrath Meiner's übertreibt zwar, weun er iu seiller „Kurzen Geschichte uud Beschreibung der 42 Stadt Göttingen und der umliegenden Gegend" behauptet, er habe weder im ganzen übrigen Deutschland, noch im Elsaß und in der Schweiz ein Bergschloß gesehen, welches billsichtlich des Totaleindrucks sowie der Ansicht und Aussicht der Plesse gleichkäme. Schränken wir aber die Ve-hanptnng dahin ein, daß die Plesse mit in der ersten Reihe der schönsten Nurgen der genannten Länder stehe, so wird das jeder Kundige gern gelten lassen. Manches berühmte Aergschloß, wie die Wartburg, verdaukt seinen noch größern Neiz dem Zauber füllereicher Geschichte und Sage, welcher das alte Gemäuer magisch umspielt, aber selten findet sich ein so inniges, malerisches Verschmelzen prachtvoller Waldscenerien nnd romantischer Vnrgtrümmer, wie da drüben ans dem Pleßberge. Von allen Seiten tritt der mit den schönsten und verschiedensten Tinten gefärbte Wald an die Nurg herau uud umkränzt und umschlingt sie, als wär' es sein lieber, trener Schatz, er springt über ihre Maueru, umraukt ihre Spalten sorgsam mit eiserner Wurzel uud läßt selbst von der Spitze des Hauptthurms seiue grünen, ranschenden Banner lustig wehen. Wohlauf deuu! Noch eiumal Verg ab uud Verg auf, damit wir mit lebeu uud weben in diesem reizenden Spiel zwischen Natur uud sagenumwehten Burgtrümmeru. Die schöne Waldburg soll heute unser sein, wir wollen sie erobern, wir wollen sie ganz einnehmen mit der Mach^ des Gedankens und der Phantasie und uns droben in der brnsterweiternden Vergluft mit dem Selbstgefühl eines Herrn von der Plesse ergehen. Das lockende Ziel beflügelt unsere Schritte und bald stehen wir am epheuumraukten 43____ Burgthor. — Das hat warm gemacht, und die heiße Stirn trocknend, lesen wir die Verse, welche ein am Burgthor eingelassener Stein trägt: „Im tausend fünshundert «in und sicbcnzig Jar, Diß Haus; und ganze Herrschaft fürwar Zugcstorbcn und gefallen ist Dcm löblichen Fürsten ohne List, Herrn Wilhelm Landgrafen Gut, Zu Hessen der es hat in Hut, Ist dnrchlcuchtig Hochgeborn . In fürstlicher Tugend anscrforn. Hat es nnt gutem Titul bracht In scine Hand nud Gottes Macht." Der Stein ist nenerdings bei der Restanration der Nmgtümmer hier eingelassen, die Verse fanden sich aber früher ans mehreren in die Angen fallenden Steinen der Bnrg nnd beziehen sich auf die Vesitzergreifnng dnrch den Landgrafen Wilhelm von Hessen, der nach dem Ableben Dietrichs VI., des letzten Herrn von der Plesse, im Jahre l'»7i dnrch einen Handstreich die Plesse besetzte nnd sie neben andern Plessischen Gütern gegen die Ansprüche aus Nelfischenl Hanse behauptete. — Wir treten jetzt in die vereinsamten, den Klang unserer Schritte wiedergebenden Hallen, eine scharfe Zugluft weht uns an und mahnt uns ein schützendes Obdach aufzusuchen. Rasch steigen wir durch den Zwingerhof zu den grauen Resten der Kapelle und von da znm Platean ans, schenken dem riesigen Bergfried einen flüchtigen Vlick nnd erwidern den „guten Morgen!" des alten biedern Wirths, der nns empfängt und in ein kleines Bretterhäuschen führt. Hier 44 hat sich nach dem beschwerlichen Steigen in heißer Sommerzeit jeder abzukühlen, der nicht Lust hat, sich Katarrh oder Rhemnatismns von der Plesse zn holen, nnd nur sich galt) sicher zn stellen gegen den Anhauch der kühlen Berglnft, nnterwirft man sich hierznnächst einer homöopathischen Knr, man vertreibt Hitze dnrch Hitze, das heißt, man trinkt einen kleinen Cognac, nnd wer's vertragen kann nnd dem Mäßigkeitsverein nicht angehört, trinkt anch wohl zwei. Geschäftig nimmt der Wirth nnsere Vestellnng entgegen nnd wird dnrch nns der Knnde froh, daß nnten in Döppelshansen mehrere Gesellschaften angekommen sind, welche die lobenswerthe Absicht haben, hente anf derPlesse ihren Kaffee zn trinken. Nach der tüchtigen Wanderung erinnert nns anch der banansische Gesell, der Magen, daran, daß er den beiden Aristokraten über ihm, dem Herzen nnd dein Geiste, grimmig zwischen ihre ästhetischen Betrachtungen bellen würde, wenn man ihm nicht sofort gebe, was ihm von Gott nnd Rechtswegen znkomme. — Gut, dn sollst vollständig befriedigt werden! — „Herr Wirth!" — „Befehlen?" — „Schinken, (5ier nnd eine Flasche Nothwein." — Nährend der Wirth, der selbst rninenhaft znr Sonnnerzeit hier Tag nnd Nacht Zwischen den alten Trümmern hanst nnd nns die haarstranbensten Svnkgeschichten erzählen könnte, wenn etwas vom Instinns Kerner in ihm wäre, sich anschickt, den Wünschen nnseres Magens nachzukommen, lesen wir in einer dürftigen Chronik, die nns der Mann vorgelegt hat, dies nnd das über die Geschichte der Plesse. — Eine kritische nnd streng chronologisch ent- 45 wickelte Geschichte der Plesse soll noch geschrieben werden; was in dieser alten Schwarte nnd bei dein unzuverlässigen Lezner steht, sowie das, was später Nenk nnd der fleißige Eanonitns Wolf zusammengetragen haben, bleibt Stückwerk und laßt uns über ganze Iahrzehende und Jahrhunderte ^>n Dnntel. Lezner will an einem Steine des Hauptthurms bie Jahreszahl !103 gelesen haben und hält diese Zahl für die Iahresbezeichnnng, der Griindnng der Burg. Urkundlich steht fest, daß die Herrschaft Plesse schon i:n elften Jahrhundert bestand nnd Eigenthum des heiligen Meinwerk, Bischofs von Paderborn war, dagegen bleibt es unbestimmt, wann die edlen Herren von der Plesse, die sich auch zuweilen Orafen von der Plesse nennen, ano bloßen Lehnsleuten der Bischöfe von Paderborn selbständige Tynasten wurden; übrigens ist die ganze bis auf das Jahr 1571 herabgehende Dynastie uhne historisch bedentend hervorragende Persönlichkeiten gewesen. Es scheint überhanpt, als ob die edlen Herren es sich ^uf dem schönen Stücklein Welt, welches sie inne hatten, lehr bequem gemacht und sich nicht viel nn: die Welthandel bttüminert haben. Wohl allzn häufig mochten „Pallas llnd Thürme von lantem Frendenschall erdröhnen/ nnd ^el Geld mochte verthan werden, denn: „fast alles," be-Merkt Meiners, dessen vielgelesene Beschreibung nns ans ber Leihbibliothek des Herrn Otto hierher begleitet hat, „was Chroniken uud Urkunden von den edlen Herren von Plesse erzählen, besteht in Vergabnngen, Verkäufen oder Verpfändungen, feltener in Känfen oder andern Erwerbungen von Gütern. Eben deswegen, weil die Herren von Plesse 46 so selten erwarben, ist es um desto merkwürdiger, daß Johann und Gottschalk von Plesse im Jahre 1374 dem Herzog Otto von Braunschweig 400 Mark Silbers vorstreckten und dafür das Schloß Bovenden mit den Gütern und Rechten, die dazu gehörten, zur Hypothek erhielten." Es sind augenscheinlich arge Kneipgenie's gewesen, diese Herren von der Plesse, und ihre Vergabnngen und Veräußerungen sollen uns hier weiter nichts angehen, haben wir es heute doch auch nicht mit der Geschichte, sondern mit dein frischen Leben der Gegenwart und mit Natur nnd Sage zn thun. — Die Sage erzählt, daß die Herren von Schwan ring aus fernen Landen gekommen wären und sich in der Gegend der Plesse niederlassen wollten. Da geriethen sie im Jahr 892 in Fehde mit den Heeren von Veverstein; es waren ihrer drei Brüder: Siegfried, Sieghart und Gottschalt von Schwanring, und sie führten Schwanenflügel und Ring in ihren Schilden. Bodo von Beverstein erschoß den Sieghart nnd floh vor der Rache der Brüder nach Finnland, wo er sich niederließ. Die andern Brüder aber legten eine feste Burg an gegen die Schwanringe, geheißen Hardenberg, oder Bevernstein. Gottschalk und Siegfried gingen aber damit nur, eine Gegenburg anzulegen. Eines Tages jagten sie von Hückel-heim aus im Plessenwalde, und mit ihnen war ihr Bastardbruder, genannt Hei so Schwanflügel, ein guter, hirschgerechter Jäger, der Weg und Steg in Feld und Holz vortrefflich kundig; der wußte von den Anschlägen der Hardenberger. Heiso fand ein gutes Vauplätzchen im Walde und zeigte es seinen Brüdern; die sprachen: wohlan ____4?___ ein gut gelegen „Platzken"! Hier wollen wir eine feste Burg bauen. So geschahs; das Haus wurde Platzten und nach und nach Plesse genannt; endlich nahmen die Schwanringe selbst den Namen derer von Plesse an. Der Streit mit den Hardeubergern wurde vertragen. Die Schäfer zeigen noch die Stelle wo Sieghart erschossen wurde und sagen, daß daselbst vor Zeiten ein steinern Kreuz gestanden habe, das Schwaneuringer Kreuz genannt. — Anch einige fliegende Sagen, welche an vielen Burgen und Orten in Deutschland haften, durchhauchen den poetischen Duft, der diese Trümmer umweht: Als die Plesse gebaut wurde, glaubten die Leute, die Burg würde unüberwindlich sein, wenn ein Kind lebendig in ihre Grundmauern eingemauert würde. Es wurde deßhalb in allen Gemeinden bekannt gemacht, daß wer sein Kind zu diesem Zweck opfern wolle, der solle ein gut Stück Geld dafür erhalten. Lange wollte sich niemand finden, endlich aber verkaufte eine Fran aus Reiershausen ihr tanb-stummes dreijähriges Kind für 300 Pfennige. Als nun das Kind eingemanert werden sollte, erhielt es init einem-male die Sprache und sagte: „Mutter-Brust ist süßer als Honig, Mntter-Schooß weicher als Kißchen, aber Mutter-Herz ist härter als Stein." Einige sagen, der Bauherr habe dem Kinde die Fragen vorgelegt: „Was ist süßer als Honig, was ist weicher als Kißcheu und was ist härter als Stein?" Und als das Kind darauf die Fragen, wie eben gesagt, beantwortet habe, sei es nicht eingemauert worden. Allein dem ist nicht so, das Kind wurde wirklich eingemauert, nnd vor noch nicht hundert Jahren hat man 48 seine Knöchlein in einem bleiernen ^arge in der Vianer gefunden. Der Vrnnnen auf der Plesse hatte eine so ungeheure Tiefe, daß der an der Kette festgeschmiedete Eimer, wenn er der Ausbesserung bednrfte, nicht erst abgenommen, sondern an der Kette bleibend nach Bovenden geschafft nnd dort ansgebessert wurde. Einst setzte man ein paar Enten in den Plesser Vrnnneu, welche einige Tage drauf ganz nackt in der Qnelle Mariaspring wieder znm Vorschein kamen. Ein unterirdischer Gang führt von der Plesse nach Vovenden und von da nach Göttiugen nnd noch weiter — einige sagen, bis zu den Gleichen. An diese alte Ueber-liefernng knüpft sich eine gemachte oder sogenannte gelehrte Sage, welche im Jahr 1770 nnter dein Titel: „Wunderbare Begebenheit, welche sich mit einem Gottingischen Studenten ans dem alten Schlosse Plesse zugetragen," im Druck erschienen ist. Gottschalk hat dieselbe in seiuen „Ritterburgen und Bergjchlössern Deutschlands" aufgenommen nud nach ihm erzählt sie Veldeck in seinein Taschenbuche über Göttiugen uud Umgebuugen. Der Kern dieser in der Weise des Musäus erfundenen und erzählten Sage ist kurz folgender. Ein armer Stndent ans Göttingeu wurde auf der Plesse von ^c'acht nnd Unwetter überrascht. Es hagelte, donnerte nnd blitzte, daß es dein armen Schelm um sein Leben bangte und er in brünstigem Gebet zu Gott um Hülfe flehte. Da erschien bei dem falben Leuchten des Blitzes dem Bitteudell ein kleines granes Männchen, sprach ihm Trost zn und forderte ihn auf zn folgen. Das Männchen führte den Stndenten an den Brunnen, ans welchem ein Gerüst aufragte, dieses betraten sie uud sanken langfam und sanft bis auf den Spiegel des Wassers hinab. Am Wasserspiegel zeigte sich ein Lingaug in die Brunnen-maner, in diesen trat das Männchen mit dem Studenten ein nnd führte ihn dllrch einen langen finstern Gang. Plötzlich schwand die Finsterniß, und Beide standen im hellen Tageslicht in einer wunderbar schönen Landschaft. „Hier bist dn in der Welt des kleinen, stillen Volks," sagte das Männchen zn dem Studenten, „ich werde dich hinführen nnd du sollst es gut haben." Auf den wnnder-schönen Flnren lagen die Dörfer der kleinen, stillen Leute zerstreut, die den Fremdling willkommen hießen nnd ft'ennd-lich in ihre Häuser anfnahmen. ^n dein schönsten Hause ward der Student mit leckern Speisen nnd mit einem ^runk erqnickt, so schön, wie er anf der Oberwelt nicht zn finden ist. Ein Mädchen von der Größe eines fechs-la'hrigen Kindes, aber vollkommen ausgewachsen und wnnderhold, bediente freundlich den überglücklichen Fremdling. Tie kleinen Leute, die mit ihm aßen nnd tranken und ilch um ihn tnmmelteu, lebten alle in Glück nnd Frieden und kannten, wie sie ihm erzählten, nnr eine Noth. Die kau: ihnen von den in den fernen Vergklüfteu wohnenden Schlaugenmenschen, barbarischen Wesen, halb Mensch, halb Schlange, welche einen unversöhnlichen Haß gegen das kleine Volk hegten nnd es oft gransam nnd blntig bekriegten. — Der Studeut befand sich so wohl in der schöneu Unterwelt, daß er gar nicht dran dachte, wieder 50 nach der Oberwelt zurückzukehren, bis sein Führer ihu ernstlich mahnte und mit ihm nach dem herzlichsten Abschiede von den kleinen Leuten die Rückwanderung antrat. Zuvor aber hatten die Kleinen den Oberweltler in eine mit Ooldkörnern, Diamanten, Smaragden und Saphiren angefüllte Kammer geführt, nnd davon dnrfte er nehmen, so viel er in den Taschen lassen konnte. Ganz auf demselben Wege, den er gekommen war, ging nun der Student mit seinem Begleiter znrück, und als sie an den Vrnnnen gekommen waren, stand auch dort noch das Gerüst, welches sie in einend Nu auf die Oberwelt hob. Da sagte das Männchen freundlich Lebewohl nnd sank in den Brunnen zurück. — „Träum' ich oder wach' ich?" rief der Student aus, als er sich wieder mitten nnter den Ruinen der Plesse sah. „Wo war ich, was sah ich?" — Bald aber überzeugte ihn die Menge des Goldes, welches er bei sich führte, und das Blitzen der in der Sonne funkelnden Steine, daß er nicht getränmt habe. Seine Freude war nun grenzenlos. Man denke sich auch einen armen Göttinger Studenten, der bis dahin kaum hundert Thaler jährlich zu verzehren hatte und auf einmal zum Besitze von 20 bis 30,000 Thalern kommt! Er sprang auf dem Berge herum, klatschte in die Hände und wußte gar uicht, was er gleich anfangen sollte. Nachdem sich endlich der erste Rausch der Freude gelegt hatte, stieg er den Berg hinab und ging so froh, wie es nur jemals einem Studenten vergönnt war, nach Göttingen zurück Aelter und der Plesse eigenthümlich ist die Sage, — 51 doch halt, wir werden sie später erzählen, denn jetzt kommt unser Frühstück und Mttagbrod, und „Nur wollen uns ganz den: Vergnügen des Essens hingeben," wie ein griechischer Weiser sagte. Der Schinken ist vortrefflich und die Eier sind nach der Uhr gekocht, anch der St. Julien ist recht trinkbar, zumal nach der Hitze. Ueberhaupt wird man hier gut versorgt. Willst du aber emeu Tag auf der Plesse haben, um den dich die Götter beneiden, lieber Leser, so kaufe dir eine nicht zu geringe Zahl langhalsiger Flaschen mit Nüdesheimer oder Scharlachberger, schicke sie mit einem zuverlässigen Menschenden Tag vor deinem Ausflüge nach der Plesse und lasse dieselben in einen kühleu, feuchten Winkel legeu. Drauf ladest du dir, so etwa bis zur Zahl der Musen, eine Gesellschaft von gemüthlichen Freunden und Freundinnen ein, die des Sanges kundig sind und von welchen der eine oder andere auch wohl die Saiten einer Guitarre zu rühren versteht, und fährst nach Maria-spring. Von da besteigt ihr die Plesse und richtet ench oben so ein, daß ihr zu jedem Augenblicke sagen mögt: „O weile doch, du bist so schön!" — So haben wir's auch gemacht, und nie werden wir der Tage vergessen. — Dies Essen hier in der Einsamkeit ist nur ein halbes Essen, und wir wollen uns damit beeilen. „Aber wenn die Begierd' der Speis uud des Trankes gestillt ist," dann Wollen wir — trinken! Dies bischen war nur für den Durst, und trinken, wenn's Dnrst hat, das kann jeder Einhufer und Zweihufer und was fönst nach auf vier Beinen einhergeht, auch! Aber trinken ohne Durst, das kann nur der gradaufgerichtete, vernünftige Mensch. — Das 52 Trinken ans Durst ist nur eine erzwungene Abzahlung an deu habsüchtigen und ewig tretenden ordinären Philister, den Magen, ist der aber befriedigt, so geben wir das Gold des edlen Weines freudig und init vollen Händen den uobeln Geistern, die in Kopf und Herzen wohnen, und dankbar schmücken sie uns dafür die Erde Zum Himmel aus. — „Kinder, das Leben ist doch stellenweise sehr schön!" soll schon vor mir ein griechischer Weiser, Namens Aristipv, gesagt haben. Der Mann hat vollkommen recht, llN^HiWn wir nicht früher schon diesen tiefen Gedanken erfaU^so würde er uns jetzt zum Bewußtsein kommen, wahrend der Dampf der narkotischen Cigarre in blauen Wölkchen das blinkende Glas umspielt und helle Stimmen fröhlicher Menschen zn uns herauf töneu. Es wird lebendig dranßen, und auch wir Wolleu jetzt, gegen die schädliche!: Einflüsse der Luft vollkommen gesichert, die Bretterbude verlassen und auf das sonnige Plateau hinaus treteu. Tort an dem langen Tische ba-beu zechende Studenten Platz genommen, und hier am Bergfried vertheilen geschäftige Hansfrauen die rasselnden und klappernden Kaffeetassen unter einer bnnten Reihe von Herren und Damen. Es wird Zeit, daß loir uns ein gntes Plätzchen sichern, denn die vorhin so öden Ruinen werden immer belebter, nnd neue Ankömmlinge zeigen sich auf allen Zugängen des Berges. Wir belegen nns mit Glas und Flasche ein hübsches, ziemlich verstecktes Plätzchen im Osten an einem soliden Steintische und treten nun ruhig unsere Wanderung durch die Nuiuen an, deren gewaltige Dimensionen und Thürme nns überzeu- 53 gen, daß wir uns hier nicht in den Numen eines bloßen Burgstalls oder Steins, sondern in den Nesteu einer großen „Hofburg" befinden, welche einst als ein mächtiger Prachtbau majestätisch in die weiten Lande schaute. — Der freie Rasenplatz hier unter uus, auf der östlicheu Seite, war ohne Zweifel der Hanptplatz des zwischen der innern und äußern Mauer rings um die Burg laufeudeu Zwingerhofs, der Schutt der eingestürzten Manerthürme und der Wirtschaftsgebäude, welche sich an der äußern Zwingmauer eutlang ausdehnten, hat den früher ebenen Boden in einen hügeligen Abhang verwandelt. Hier schaarteu sich die Ritter zum fröhlichen „Tiost" und schallenden „Vnhurd" zusammeu und zeigteu ihre Waffenkünste vor dem Kranze der schönen Franeu, die mit „miunigli-chem Tanke" der Sieger harrten. Ringsum krönten feste Thürmchen und „Nikhäuser" die hohe Zwingmauer, den Harnisch der Burg, der sich schlitzend nm die zahlreichen Gebäude legte. Das hervorragendste dieser Gebäude war der aus dem engen Burghöfe alifragende Bergfried, der hohe, massige Thurm, vor welchem wir jetzt stehen. — Der untere Theil dieser Citadelle der Burg ist außerordentlich solid und ganz von behauenen Steinen aufgemauert, kein Aliedenwurf mochte ihu erschüttern; der Eingang befindet sich, einige dreißig Fuß über der Erde unk war früher um durch eine Strickleiter zu erreichen. Jede größere Burg hatte einen solchen Bergfried und er bot im Fall der Noth, wenn alle andern Werke bereits von einem erobernden Feinde genommen waren, den letzten sichern Zufluchtsort. 54 Das zweite Hauptgebäude war das eigentliche herrschaftliche Wohnhaus oder der „Pallas" mit seiuen weiten Nittersälen, seinen wohnlicheu Kemnaten. Die Burg Plesse scheint zwei solcher Gebäude gehabt zu haben, denn nicht allein in der Nähe des Bergfrieds deuten morsche Spuren verwitterter Mauertrümmer und Fensterhöhlen darauf hin, daß hier ein großes Wohnhaus gestandeu, sondern auch weiter unten, dem Burgthor zu, finden wir solche Neste, und wissen aus Lezner, daß ein sehr hoch und fest gebautes Haus, welches die Herren von Lndolfshausen als Plessische Burgmänner bewohnten und welches das Vnrgmannshaus oder große Steinhaus genannt wurde, an der Südseite des Zwingerhofes lag und die innern nnd äußeru festen Werke wie mit einen: aus Felsen geschürzten Knoten verband. Obgleich die Plesse noch im dreißigjährigen Kriege theilweis bewohnt war und viele ihrer Gebäude uoch iu leidlichen: Staude sein mochten, hat d'och, nachdem die Häuser als baufällig verlassen wareu und die hessische Negierung die bedeutenden Kosten zu einer Restauration der-selbeu nicht anwenden wollte, der Vandalismus des vori-geu Jahrhunderts so gründlich unter den Resten aufgeräumt, daß sich ails den vorhandenen Trümmern nichts gewisses über Construction nnd Lage der großen Wohnhäuser bestimmen läßt. Die anliegenden Ortschaften, namentlich das hier unter uns so sauber uud nett ausgebreitete Eddiehauseu, betrachteten die verlassenen Gebäude uud Mauern der Plesse als bequeme Steinbrüche, die sie zu ihren baulicheu Bedürfnissen ungehiudert benutzten, bis ^^55 ^ endlich gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts die Negierung ein strenges Verbot gegen diesen Mißbrauch erließ. Anch waren, wie das Volk erzählt, die abgeschiedenen Geister der Bnrgbewohner sehr übel mit der Zerstörung ihrer alten Behausung zufrieden; davon konnte ein Mann in Eddiehansen nachsagen. Als dieser nämlich einst anf der Plesse damit beschäftigt war, Steine ans einer Maner zu brechen, eutstaud um ihn ein so seltsames nnd granenhaftes Geräusch, daß er einer Ohnmacht nahe kam und mit zitternden Knien, so schnell es gehen wollte, den Pleßberg verließ. Für kein Königreich wollte der Mann wieder einen Stein aus der Maner brechen. Daß die Plesse noch zur Zeit des dreißigjährigen Krieges bewohnt gewesen sein muß, beweist uus eine zu Gnusten der Armen ill Eddiehansen gentachte Stiftung, welche dnrch folgende Begebenheit veranlaßt wurde. Zur Zeit des dreißigjährigen Krieges, an einem 5). März — die Jahreszahl ist uns entfallen, doch kann der Wirth eine Copie der über diese Stiftung anfgerichteten Urknnde vor-legeu -— übernachtete eine Landgräfin von Hessen auf der Plesse nnd reiste am folgenden Tage weiter. Es hatte über Nacht stark geglatteist, und wie nun der Neisewagen den steilen Berg hinabfährt, können ihn die Pferde nicht halten und er stürzt in den tiefen Abgrund, der noch heute das Fürstenloch heißt. Durch Gottes Wnnderkraft war die Fürstin unverletzt geblieben. Da bestimmte sie zum Dank für ihre Rettung, daß alljährlich am 5. März sieben Malter Roggen nnter die Armen in Eddiehansen vertheilt werden und von den: Prediger des Dorfs eine Dankpre- 56 digt gehalten werden sollte. — Früher wurde der Roggen in Eddiehansen selbst, später aber auf den: Amte in Bo-venden vertheilt. In der lvestphälischeu Zeit hatte, man sich einmal nicht nm die alte Stiftung gekümmert nnd die Vertheilnng nnterlaffeu, da hörte man änf dmn herrschaftlichen Kornboden in Eddiehansen immer ein gewaltiges Schaufeln und Rumoren, nnd folgendes Wunderlichen erinnerte die Leute an ihre Pflicbt: Unter dem Kornboden war ein Pferdestall, in welchem sieben Füllen standen. Diese waren nun in der Nacht vom 5. auf den 0. März alle ansgebrochen nnd konnten lange nicht wieder aufgefunden werden. Endlich entdeckte man fie alle sieben oben anf der Plesse, wo sie hart am Abgrunde grade über dem Dorfe standen. Sie konnten nnr mit vieler Mühe wieder znrückgebracht, werden. Rnser Blick muschweift jetzt das alte Gemäuer des auf der südwestlichen Seite der Burg ans felsigem (Grunde anfragenden Nartthurms, er drohte bereits den Eiu stürz, ist aber jetzt so weit restanrirt, daß er noch Jahrhunderte lang der Nachwelt von der Bauweise der Väter wird erzählen können. Einst nahm ein Herr von Hardenberg oben an jenein uralten Gemäuer ein schreckliches Ende. Das ging so zu: Ein Fräulein Adelheid von der Plesse erging sich an einem schönen, Frühlingstage im Walds nnd kam bis anf den Arensteiu bei Mariafpriug. Auf dem Platze grünte nnd blühte es so lieblich, daß der Jungfrau das Herz aufging und sie im fröhlichen Gesauge die Schönheit des Waldes nnd der Fluren pries, welche ihr entzückter Blick überschaute. Zwei vorüberreitende Herren von 57^^ Hardenberg, die grade mit denen von Plesse verfeindet waren, wurden durch den schöueu Gesaug angelockt, eut-deckteu das holde Bnrgfränlein nnd entfilhrten es mit roher Gewalt nach dem Hardenberge. Vald N'uvde das Frälllein auf der Plesse vermißt und überall vergebens gesncht, bis man endlich erfuhr, dafz sie mit räuberischer Gewalt nach dem Hardenberge gebracht sei. Da schickte der Herr von Plesse einen Herold nach dem Hardeuberge uud forderte die Geraubte ernstlich zurück, aber die Hardenberger lachten der Drohungen und warfen den Herold gar ius Verlieft. Nun verschwor sich der Herr von der Plesse mit seinen Vnrgman-nen, nicht eher zu ruhen und zn rasten, bis sie fürchterliche Rache genommen hätten, thaten den Hardenbergern in blutiger Fehde überall Schadeu nnd Abbruch und machten endlich einen der Herren zum Gefangenen. Diesen befestigten sie nnn mit eisernen Klammern an den Wartthurm, so daß er das Gesicht dem Hardenberge zukehrte uud Augesichts der väterlicheu Burg verhungerte. Die schöne Adelheid hatten die Hardenberger in ein Kloster zn Nordheim gesteckt, ans diesen befreite fie der Nangraf von Dassel, der schon lange ein minnigliches Herz zn der Jungfrau trug, mit Gewalt der Waffeu. Der Ra.ugraf nahm die Holde, welche im Tosen des Naffenlärms ohnmächtig geworden war, vor sich aufs Pferd uud jagte mit ihr im gestreckten, Galopp nach Fredelsloh. Von dort trng er sie anf seinen Armen nach dem Arenberg, hier wollte er die Ohnmächtige durch einm Kuß zum Leben wecken, aber 58 sein Mund berührte marmorkalte Lippen und die schone Iungfran war todt. — Aber uein! Nicht todt, sondern in der blühendsten Fülle des Lebens steht Adelheid vor uns! Schaut nur da das schöne, hochgewachsene, blonde Mädchen, welches mit dem weißen Tuche und deu tiefeu blauen Augen den Gefährtinnen dort im Wege so freundlich zuwinkt! Eine ächte deutsche Jungfrau! Ganz so muh Adelheid von der Plesse ausgeschaut haben, weun der tapfere Nangraf von Dassel oder sonst jemand, der ihrem Herzen lieb war, den Königsweg herauf kam. Alle Wetter, das Mädchen müßte ein Kaulbach sehen, wenn er Wände oder Leinwand mit hehren Gestalten der Vorzeit zauberisch belebt! — Die möcht' ich schanen, wenn sie auf schmuckem Zelter mit dein Falken auf der schlanken Hand dies grüue Revier durchflöge! Iu-gendlust und Muuterteit durchglüht die schöue Naldfee, uud es ist, als ob das Leben, welches uns rings nmlacht und umjubelt, sich hier zu einer schönen Gestalt, zu eiuer Göttiu der Freude uud Iugeud verkörpert hätte. „Wcg niit dcn Grillen und Corgen! Brüder, cö lacht ja dcr Morgen Uns in dcr Jugend so schon!" singen jetzt die Etudeuteu im schöuen, volleu Chor; und weit, weit schwebt auf den langgetrageneu, weicheu Tönen des Liedes unser Sinnen und Denken fort zu den Tummelplätzen unserer Iugeudlust feru au der Saale Strande, wo anch wir so kräftig einstimmten in das schöne Lied, wenn wir mit fröhlichen Genossen auf deu Felsen iu ilröll- ____59 ^ Witz oder im schattigen Garten zn Trotha saßen. — Glückliche Jugend, was singst dn nurvon Grillen und Sorgen ? Was waren denn das für Sorgen, die wir uns machten ? Nichts weiter als übertriebene Vorstellungen von den Schrecken des Examens, oder die Erinnerung an ein paar angebundene, unwillig brummende Bären, oder die Besorgnis;, daß der alte Hänisch über den Nusch spüren möchte, weun wir zu verbotenen: Werk auf der Döhlauer Heide versammelt waren! Tas war, wenn wir vielleicht noch ein bischen Liebesgedanken dazu nehmen, wahrhaftig alles. „Wo seid ihr zur Zeit mir. Ihr Lieben, geblieben," die Ihr diese Maikäfersorgen mit mir theiltet? Ach, alle zerstreut! „Dic einen, sie wcmcn, Dic andern, sic wandern, Du dritten noch mitten Im Wcchscl der Zeit, Auch viele cun Ziele, Zn den Todten entboten, Verdorben, gestorben In Fvcnd' und in Leid!" Iugendgenosseu, die ihr nach Ost und West, nach Süd und Nord zerstreut, noch mitten im Wechsel des Lebens steht, euch kommt dies Glas! Nud wo eiueu vou euch fern oder nah diese Zeilen treffen, da weisi ich, daß er mir's uicht schuldig bleibt und jauchzend mir nachtrinkt in der aufflammeuden Erinueruug an manche schöne Stunde, deren lauter Frendenschall längst, längst verhallt ist. Ench dieses Glas mit freuudlichem Grnß! — Uud nun ein Glas den Hunderten und Tansenden, 60 die nuter diesen Nniueu, die uuter dieser uralten Linde, welche ihr weitschatteudes Geäst über nns ausbreitet, scbou froh und gliicklich gewesen sind! Wie manches Herz hat hier schon freudiger geschlageu iuLleb und Lust, wie manche süße Erinnerung im weiten, schönen Deutschland fliegt anf den Flügeln der Phantasie zurück zu diesem alten Gemäuer und zu den rauscheudeu Wipfeln dieser Waldpracht. — So dachte schon vor mehr als einem halben Jahrhundert selbst der alte, trockene Meiners, als er unter dieser Linde saß, und sein dürrer Stil naym einen höhern Schwung. Ziehen wir das alte Buch hervor und lauschen wir seinen Worten. „Mit Fleiß nenne ich dich zuletzt, ehrwürdige Linde, Königin und Tchutzgöttiu der Plesse, welche gewiß noch die Hände eines edlen Nitters an den Rand des westlichen Abgrundes pflanzte, wo on seit Jahrhunderten allen Stürmen getrotzt hast und von allen Ungewitteru verschont ge-bliebeu bist. Tie gauze Oberfläche der Plesse ist für mich uud manche andere Einwohner von Oöttiugeu heiliger Gruuo. Weder zwischen der änßern nnd innern Mauer, noch an dem südlichen nnd westlichen Abstürze, noch auf der ober-steu Höhe des Berghügels ist irgend ein Fleck, auf welchem ich nicht mit innigst geliebten oder geschätzten Personen ländliche Freudenfeste gefeiert hätte. Ich mag hintreten, wohin ich will, so treffe ich immer die Fnßtapfen von Freunden nnd Freundinnen; nnd weuu ich einsam umher irre, so ist mir, als wenn mir die guteu Geister abweseuder oder längst eutschlafeuer Freunde uud Freundinnen begegneten. Wie oft habe ich auf der Plesse geseheu, daß Greise sich 61____ verjüngten und an kindlichen oder jugendlichen Scherzen, Spielen und Beschäftignngen den lebhaftesten Antheil nahmen ! Wie oft war ich Zenge, daß die ernsthaftesten Gesichter sich dort erheiterten; gepreßte Herzen sich der un-fchnldigen Frende wieder öffneten, Unbekannte dnrch gemeinschaftliches Vergnügen bis zur Vertraulichkeit Zusammengezogen wurden, Fremdlinge endlich bei dem Anblick der Nuiueu oder bei der Aussicht in die umliegende Landschaft entweder in stilles Entzücken versanken oder in laute Vewnndernng ansbrachen! Unter den heiligen Oertern der Plesse aber hat keiner für mich eine höhere Weihe, als der Platz, den die große Linde beschattet. Unter dieser Linde genießt man die weiteste Aussicht. Hier ist man uicht nur gegen die Strahlen der Mittagssonne, sondern anch gegen die meisten rauhen Winde geschützt. In ganz Europa gibt es gewiß nur wenige Bäume, unter welchem so viele Männer von großem Geist und edlem Herzen geruht haben, als unter der Linde anf der Plesse. Wenn eine marmorne oder eherne Tafel die Namen der Männer aufbewahrte, welche sich der Schönheit nnd des Schutzes diefes Baumes erfreut baben, so würden die Nachkommen zu der Linde auf der Plesse wallfahrten, nm die heilige Stätte zn segnen uud gleicher Freude theilhaftig, zn werden!" ^ Kühler weht die Luft, und hier von der Linde ans zeigen sich in der Landschaft die erstell groldrothen Spuren der abendlichen Sonne; auch die fröhlichen Stimmen ringsum hallen gedämpfter, denn unwillkürlich ehrt der Mensch das feierliche Schweigen der znm Schlnmmer neigenden Natur und stört es nicht gern dnrch allzu laute 62 Lust. — Wie prachtvoll breitet sich die weite Landschaft vor uns aus! — Erschien sie uns am Morgen, als wir sie vom Hainberg aus überschauten, wie eine verschlossene, vom Morgenthan befeuchtete Knospe, so liegt sie jetzt zu voller Blüthe entfaltet vor uns, und die weit ins Land fallenden Schatten und die mehr und mehr dunkelnden Tinten der fernen Berge geben ihr bereits eine elegische Färbung, eine Färbung, die uns daran mahnt, daß diese schöne Blüthe bald ganz hinwelken uud vom Mondlicht falb Übergossen, bleich in schwarzer Nacht dahinsterben wird. .— Schon rüstet man sich an den Tischen und auf den Lagerplätzen zum Aufbruch, und die Damen greifen nach Hut und Mäntelchen; wir eilen nicht so, wir verlassen nns auf unsere Wegkunde und auf unsere Handlaterne, fitzen vor unserm im Abend roth funkelnden Glase und stimmen mit leisem Summen, aber in tiefem Herzen mit lautem Jubel, iu das Lied ein, welches die Arm in Arm abziehenden Studenten von den zerfallenen Mauern der Burg widerhallen lassen: „Au dcr Saale kühlem Stvande Stehen Burgen stolz und kühn. Ihre Dächer sind zerfallen Und der Wrfid streicht durch die Hallen, Wolken ziehen drüber hin. Zwar die Ritter sind verschwunden, Nimmer klingen Speer und Schild, Doch dem Wandersmann erscheinen Aus den altbtmoostcn Stcmen Ofl Gestalten zart und mild. Droben winken holde Äugcn, Freundlich lacht manch' rothcr Mund. Wandrer jchaut wohl in die Ferne, Schaut in holder Augen Sterne, Herz ist munter und gesund." Und, da erscheinen sie ja, die Gestalten zart nnd mild, und heiter und gesnnden Herzens schaut der Wanderer in die Sterne holder Augen, welche noch einmal sinnig die Abendlandschaft dnrchschweifen. — Tretet mir nicht zn keck und waghalsig an den äußersten Nand der bröckelnden Mauer, ihr schönen Mädchen, sonst steigen romantische Net-tungsgedanken in mir auf! — Welch' tiefe Empfindung, welch' süßes Sinnen spricht sich in diesen dunklen Augen aus, die über den frischen, vom Abendroth rosig angehauchten Wangen erglänzen! Die Mädchen können sich nicht losreißen von dem überwältigenden Anblick der erhabenen Natur, und vergessen ganz, daß sie fast allein stehen auf der öder uud öder werdenden Nurg. „Pauline! Mathilde!" ertönt jetzt vom Burgthor her die klangvolle Stimme der besorgten Mntter, nnd aufschreckend eilen die Mädchen gleich scheuen Nehen davon. — Es ist doch eme Verläum-dnng, wenn Heinrich Heine behauptet, daß die Göttingerin-nen große Füße hätten. Die da wenigstens schweben auf den niedlichsten Füßen graziös dahin, und wenn es solcher Füße mehr in der Welt giebt, so begreift man, wie Dau-mer die Stiefeletten einer Schönen besingen konnte. — Mehr und mehr verhallen die Stimmen der Heimkehrenden im Walde, länger und länger fallen die Schatten der Thürme, und schon schimmern ihre höchsten Zinnen in 64 dem matten Lichte, welches der sich kräftiger färbende Mond auch über die Wipfel der eifrig flüsternden Bänme ergießt. -^ Fern im weiten Forst ertönt der gelle Schrei der Eule, nnd über uns hin ranscht es von: fanften Flügelfchlage der Vögel, welchen die Nacht gehört. Geheimnißvoll nnd feltfam lebt und webt es ringsnm. Was schleicht dort nm den Thurm? -^ Ls ist nur der alte Wirth, der nns die Laterne angezündet hat nnd dem wir jetzt gnte Nacht sagen. -^ Schwarz dehnt sich der buchenüberwölbte Pfad. — „Im Walde geh' ich wohlgemuch, mir graust's vor Räubern nicht!" — Lebe wohl, dn schone, waldvermählte Vnrg! — Wie sie dich jetzt wieder umspielen nnd um-necken, die im Silberlicht erzitternden Zweige, als hätten sie die schweigende Nacht zn trantem Gekose erwartet! Morgen erstrahlst du wieder in dem goldenen Brantschmuck, mit welchen: dich die Sonne umkleidet, nnd bietest gastlich wiederum frohen Menschen den Freudenbecher der Natur und Poesie. Mögen sie ihn leeren bis auf den Grund, und möge ihre dankbare Erinnerung sich den taufenden und aber taufenden zugesellen, welche dein waldbekränztes Gemäuer mit den Flügeln des Geistes umwehn! — In Halll. "Halle au 0rr Saale Strand«' Iss die ,'chölistc Stadt im Landr^ „Na, das is 'n schemes Nl'st! Das soll 'ne scheene Stadt sein! Na, dhnt m'r 'n Gefallen!" — So hörte ich jüngst in Halle einen Com mis Voyagenr ansrufen, der mit seinem von schwarzer Wachsleinwand überzogenen Probeka'st-chen nnd in anscheinend sehr engen Stiefeletten über das Pflaster der.Straße binkeuchte. In seiner Indignation redete mich der Jüngling an, nm mir seine Vemerknngen über schlechtes Pflaster, Brannkohlengernch und Gott weiß was sonst noch zn machen, ich aber entwand mich ihn, mit einigen Redensarten nnd bog behend rechtsab, nm meinen Weg dnrch die Promenaden zn nehmen. Auch nur gefiel Halle nicht, aber alls ganz andern Gründen wie sie der Hermes jünger hatte; war ihm die Stadt nicht hübsch genng, so war sie nur viel zu hübsch, kurz, es war nicht mehr „das alte, liebe Halle." Tie nencn Straßen nnd Oebände, das verbesserte Pflaster, die schönen Promenaden nnd die eleganten Läden verlöschten «6 in meiner Phantasie das mir lieb gewordene Bild der alten, verräucherten, winkligen Stadt, in welcher ich als Stndent gejubelt nnd geschwärmt hatte; ich fühlte mich nicht mehr zu Hanse, wo es mir einst so heimisch gewesen war. Alles sah mich kalt nnd fremd an. Die Hänser waren jünger, die Menschen älter geworden; hin nnd wieder begegnete mir ein bekanntes Gesicht, aber es schaute viel faltiger ans, als es in meiner Erinnerung gelebt hatte. In welch trause, düstere falten hatte sich die Stirn des mir am Postgebäude begegnenden Gelehrten gelegt, dessen blendende Gedankenspiele mich einst so mächtig angezogen, als er noch in voller Manneskraft vor nur nnd hundert andern jugendlichen Glänbigen sein geistreiches Gespinnst abwickelte! Mann und Philosophie sind alt geworden! — Die neue materielle und industrielle Zeit fin-det ihren wissenschaftlichen Ausdruck eben in den kalten, verständigen Theorien des Materialismus, und wenn die wahre, sich geltend machende Philosophie immer nur die ist, welche deu Geist uud die Nichtuug ihrer Zeit begreift nnd in wissenschaftlicher Form zum Bewußtsein bringt, so sind heute die Materialisten die wahren und echten Philosophen. Die schönen Zeiten, in welchen man über die Identität von Sein nnd Denken, Ich nnd Nichtich jetzt nicht mchr gelesene Vücher schrieb, sind dahin. Der schöne Idealismus uud die durch deutschen Scharfsinn verklärte scholastische und gnostische Phantastik sind gleich einer alten, gänzlich unbrauchbaren Charteke bei Seite geworfen; die eracten Wissenschaften mit ihrem positiven, znm Erwerb branchba- 67 reu Material werden täglich eifriger angebaut, und wenn Aristoteles einst behauptete, „das eben sei vor andern Wissenschaften der große Vorzug der Philosophie, dasi sie nichts nütze", so möchte dies tiefsinnige Wort wohl m leiner Zeit so allgemein als eine Verrrücktheit angesehen worden sein als in der unsrigen. Der Zng der Zeit zur Geschäftsthätigkeit nnd zum rastlosen Vrwerb inacht siä) denn anch in de»! früher kleinstädtisch behaglichen nnd gemüthlichen Halle nicht allein aus den belebten Bahnhöfen nnd in seder Straße bemerkbar, sondern zieht sich, wie ich bei einer Bierreise bemerkte, sogar dnrch die früher von allerlei Inks nnd holdem Blödsinn dnrchheiterten Wirthshansgespräche. Selbst die Studenten sprechen von Geschäften und Procenten. Fabelhaft, aber wahr! Stritten sich doch in der „Stadt Hamburg" Stndenten über die mögliche Rentabilität eines neuen, m der Gegend von Schönebeck M begründenden /sabriknnter-nehmens, bei welchem der eine, wie es schien ein Chemiker, bald eine Anstellung zu finden hoffte. Ein anderer, ein. Theologe, wollte ebenfalls recht bald und recht viel verdienen nnd rechnete die Silberrubel zusammen, welche ihm eine Informatorstelle in dem reichen nnd freigebigen Nutzland einbringen würde; dort sei anch volle Oewerbe-freiheit nnd man könne vielleicht sonst noch etwas vornehmen. (5in dritter, ein Jurist, meinte, das „schlage alles mcht zu Buche", wenn man aber das Nechselrecht tüchtig studire nnd so glücklich sei, an einem der größeren Handelsplätze als Anwalt angestellt zu werdeu, da ließe sich „was Borstiges" erwerben, das verlohne sich noch der Mühe, 68 er habe Aussichten ill Hamburg und wolle sich „tüchtig auf die Hosen setzen." Ich that einen tiefen Zug au5 meinem Seidel und gedachte der Zeiten, in welchen ich mit einigen (5ommili-tonen, wenn auch nicht zwischen diesen neuen, eleganten Wänden (denn anch die hat ein neues der verschönerten Stadt entsprechendes,,^leid anziehen müssen), so doch vielleicht auf derselben Stelle, die jetzt die drei jungen, kanfmännisch-verständig redenden Her-ren einnnahmen, über Glauben und Wissen, über die philosophische Begründung der Dogmatik, über den transscendentalen Iedeali^mus nud über einen „längst zmn Moment und Materialismns eifrigst verhandelt hatte, aufjanchzend über das philosophische Princip des alten Alecke, wenn er meinte: „meine Herren, das ist alles dummes Zeug, das Moos und dieLiebe regiert die Welt." Damals hatten die jetzt vor mir sitzenden Studenten noch den Laufrock an, und dennoch hatten ste uns an praktischem, zeitgemäßen Verstande weit überholt. Oder was hilft dir denn nnn, dn lieber, sinniger „Sparr-vogel", dein eifriges Studinm von Marheinecke und Hegel anf deiner kleinen, vereinsamten ,^andpfarre ill einer entlegenen Wildniß des Harzes! Hättest du mehr Verstand und weniger Vernunft gehabt, so wärest du unterm Mantenfch'chen Regimente schou Superintendent geworden, oder man hätte dir eine fette Pfründe gegeben; jetzt siel, zn, wie dn fortkommst anf deinem tieferonftigen Walddorfe mit deinen vielen Büchern, demen vielen Kindern und deinen wenigen Thalern. Und dn gar im fernen l',0 Amerika, scharfsinniger „Markwart", mit deiner allzeit Magfertigen Dialektik, der du Jahre lang als Trapper und unglücklicher Goldgräber dein kärgliches Mahl mit Blut nnd Schweift würzen mußtest, was hilft dir bei den Hinterwäldlern und Nothhäuten deine Schwärmerei für Gaus llnd seine Rechtsphilosophie, lvas deine specnlative Abhandlung über den Begriff der Strafe?!---------Nun, glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist! Haben wir doch anch unsere guten Tage gehabt, haben wir dock in einein wunderschönen, unvergleichlichen Utopien gelebt, erschien uns doch damals das alte.verräucherte Halle als ein glänzendes Athen und jene gemüthliche „Kränzchenkneiperei" auf der „Schürze" oder im „Paradies" als eiu geistgewürztes Symposion! Und anßer diesen sogenannten wissenschaftlichen Kränzchen, in welchen viel verdantes und noch mehr unverdantes Ieng verhandelt wnrde, wie fesselte nnd beglückte nus damals die laute ^ust und die stille (Gemüthlichkeit des romantischen Studentenlebens! Wo fände ich wohl hier in der modernisir-ten Stadt noch das alte, längst verhallte Treiben mit seiner Altsgelassenheit und seinen Phantastereien! Zwar sehe ich der bunten Mühen nnd Bänder genng, zwar wird's wie ehedem an Commereen uud Pautereien nicht fehlen, aber so wie damals kann's hier doch nicht mehr sein.-------- Jener schwärmerische, oft wahrhaft verrückte Sinn für das Ideale, sene Iean-Paulschen Iugendefeleien, sie kennzeichnen den Ttndenten nicht mehr, der früher gleich dem ^inde Parcival ohne alle Welt- und Lebenskenntnift zum erstenmal iu die Welt hinansgefchickt und auf sich selbst 70 angewesen wurde, um allerlei Thorheiten zu begehen und den Satz zu bestätigen, der nicht allein anf den Schwaben, sondern auf jeden echten Deutschen paßt, uämlich, daß er vor dem vierzigsten Jahre nicht klug werde. — Jetzt wird der deutsche Student so gut wie seder andere gute Deutsche früher klug, — nud er thut wohl daran. Wir haben lange genng geträumt nnd philosophirt, es ist wohl a>i der Zeit, daß man sich frnl) an das Handeln gewöhne, und wenn der Zug znm Handeln anch der idealeil Triebfeder entbehrt und meist nur wie bei jedem Handwerker nnd Handelsmann auf die Beseitigung der gemeinen ')ioth des Lehens gerichtet ist, so ist das für den Anfang genng, das Bessere und Bedeutendere wird schon nachkommen. So dachte ich ungefähr, als ich meine iuduftriösen Stndenten in der „Stadt Hamburg" bei ihrem Vier und ihren materiellen Gesprächen zurückgelassen batte nnd über den Reumartt hin dem Mrchthor zuschlenderte, nni Nachmittag und Abend in dem lieblichen (Hibichen stein nnd anf den (5rollwitzer Felsen zuzndrwgen. Da standen fie noch, die mir kleinen Häuschen betlebten Felsen, mit dein Fuße in der tiefen, kühlen Ftnth, ganz wie ich sie vor nnn bald einem Menschenalter verlassen. — Hinüber! Dort auf deu Felsen null ich mich in's weiche Moos werfen und vom alten Halle und vom alten Stndentenleben träumen. Ein Büchlein, welches ich mir von einem Antiquar in Leipzig mitgenommen, mag diesen Träninen reale Züge geben. Das Schriftchen ist 17Ü7 erschienen nnd führt den Titel: Taschenbuch für Stndenteu uud ihre Freuude. Das Ta-schenbnck ist ein lwchst unbedeutendes literarisches Prodmt 7l wahrscheinlich von einem Candidate der Theologie, in einer süßlichen, oft lamentabeln Weise geschrieben nnd enthält dürftige Darstellungen des Lebens und Treibens in HaUe, Göttingen, Erlangen, Jena und Frankfnrt. Ein Unistand indeß, der mir beim Durchblättern auffiel, machte mir das Sckrift-cben interessant, nämlich der, daß es nicht genug wiederholen kann, wie doch das Studeuteuleben zu des Schreibers Zeiten sich im Vergleich mit dem früheren so viel besser und sittlicher gestaltet habe. So heißt es unter cm-derm über Jena: „Der Ton der Studenten bat sich im vergleich mit den vorigen Zeiten äußerst geäudert. Ehedem war ein Ienischer Student das ,w„ plus „Ilre, vou Nohheit, eiu Mensch, den jeder andere verabscheuen nnd fürchten mnßte. Jetzt ist der Fall anders. Rnch Bürger uud Damen können iu (Gesellschaft der Bnrscheu sich fehr vergnügen und baben nichte zu fiirckten. Im Ganzen ge-nommen ist der Ton der Ienischeu Bnrschen dein der Hal-lischeu gleich, nnr nüt den, Unterschiede, daß er noch eber etwas roher und wilder ist." — Interessant ist auch folgende, lauge vor dem Entsteheu der Burschenschaften niedergeschriebene Bemerkung über die damalige politische Rich-tuug der Ieueuser Studenten: „Der Lande^vater wird nie bei ihueu gesuugen. Sie si»,d zn demokratisch gesinnt, als dasi sie dies thnn sollten, uud lacbeu deu, der auf des Laudesvaters Wohl triutt, aus." Doch nun zu HaUe. Älachdelu der Verfasser sich über die schmutzige und durcb allerlei Dünste verpestete Stadt weitlänfig ausgelassen hat, sagt er in Bezug auf den Ton der Stndenten: „Von Tulnnlten, öffeutlichen Scaudaleu 72 und dergleichen hat man in langer Zeit nichts gehört; ein Veweis mehr, wie gut der Ton der Studenten ist. Ich glaube nicht mit Parteilichkeit zu reden, wenn ich behaupte, daß der Ton der Hallischen Studenten allen andern Universitäten zum Muster dienen kann. — Die Vergnügungen, die die Studirenden genießen können, sind äußerst geringfügig. In Fannlienbekallntschaft zu kommen, halt sehr schwer, weil mau gleich deu Manien eines Franeuzimmers für befleckt hält, wenn sie mit einem Stndenten geht. Nie lächerlich dies Vorurtheil ist, ergiebt sich von selbst. Toch geht man sellen davon ab, so daß oft der ^all ist, daß, weuu Frauenzimmer sich mit Stndenten ein Vergnügen auf einem Torfe oder ähnlichen Orte macheu wollen, sie einzeln zum Thore hinausgehen uud da erst zusammentreffen. Die lieben Damen bedenken nicht, daß sie sich dadnrch eben verdächtig machen. In vorigen Zeiten, wo die Studenten noch äußerst roh waren, war den Familien diese Delicatesse nicht zu verdenken: allein jetzt, wo man dreist behaupten lanu, daß diese Nohheit verschwnnden ist, »lacht es ihren: Verstande keine Ehre. — Der Student hat alfo keine Vergnügungen, als die er sich selbst macht. Im Winter giebt es Concerte nud Bälle, doch sind diese Vergnügnngen nur für wenige da, zmnal die letztern, mit ziemlichen Kosten verbunden sind. Dein Studenten bleibt also im Winter nichts anders übrig, als auf das Coffechau^ zu gehen. Unter den Cosfeehäusern, die vorzüglich besncht werden, sind der goldene Löwe, Pcmlis Voffeehans, der Kronprinz uud Scharres Coffeehans zu merken. Auch kann man den am Markte belegenen Keller des Herrn Universitäts-De- 7^ stillateur Dost hierher rechneli. Mehrere, die gern ein Gläschen trinken, besuchen auch häufig die Weiuladen,- uon denen der des Herrn Sioli anl meisten von Studenten beimgesncht wird. Im Sonnner hat der Stndent schon mehr Unterhaltung, aber auch leider ntehr Kosten. Die nmliegenden Dörfer bieten, ihm. manches Vergniigen dar. Vorziiglich loerden besucht Passendorf, Schlettau und Nei-debnrg. Groß ist indessen da? Vergnügen nicht, loas inan da genießt. Der Bahrdtsche ^^einberg, der jetzt der ^rau Hauptnläuniil von Deutecom gehört, hat zuweilen starken Zusprnch, so nne der Kittelmann'fche Garten, dessen vortrefflicher Wirth allen andern Gastwirtheu zum Mnster vorgestellt weroeu kann. Während ler Badezeit gewährt das nahe liegende ^anchstaot den Stnoeuteu mauches Vergnügen, aber anch nlailcke starte Ausgabe. Mehr uoch ist das häilfige Bereisen der Leipziger Messen den Studenten zu verargen, (i^ tostet ibneu nngehenres Geld und gewährt beinahe gar kein Vergnügen. Doch lassen sie uicht davon ah und müssen, wenn sie nur einigermaßen ans den Namen fideler Burschen Anspruch machen, zur Messe rei-lon, und sollten sie auch Uhreu und Kleider versetzeu. O Thorheit! — Die LiebliuMeideuschaft der Studenten läßt Nch wohl im Ganzen uicht angeben, weil sie bei der gro-Neu Menge zu verschiedeu ist. Charteuspiel ist e^ wohl nur bei wenigeu, Billardspiel schon bei mehreren. Reiten, Mhren und Hauen sind wohl im Dnrchsclmitt ihre liebsten ^eschäftignngen; das ergiebt sich indessen scbon ans dem Wesen eines Stuoeuteu." Der Verfasser beschreibt danu die ^onluunc^, welche 74 damals schon fast ganz nnter denselben Formen wie noch heute abgehalten wurden; nur muß es auffallen, daß das Commerce-Programm auch Tanzvergnügen und Theetrinken enthält. Auch hier wird hervorgehoben, daß die ehemalige Nohheit bessern Sitten Platz gemacht habe. „Ehemals, heißt es, waren die Commersche Zusammenkünfte von Leuten, die man eher für eine Horde von Wilden, als für Sohne der Musen erkannte. Lieder, die mit ekelhaften Zoten und unfläthigen Ausdrücken überhäuft waren, wurden mit dein allgemeinsten Veifalle gebrüllt. Getränke jeder, oft der niedrigsten Gattnng, wnrdeu in solchem Uebermaße getrunken, daß oft mancher den Tod oder lebeuswie-rige Kraukheit sich holte. Häudel und Naufereieu jeder Art hörteu uie auf; öffeutliche Tumulte machten beinah immer den Schluß sulcher Feste...... Die jetzigen Commersche dagegen sind dein Tolle nnd Geschmacke der Zeit angemessen. Man sncht in den Gesängen nicht allein alles Ekelhafte uud Niedrige zu bannen, sondern man sieht auch auf Schönheit uud Gefälligkeit derselbeu. Zum Geträuke wählt man gewöhnlich Wein, Punsch und dergleichen, uud uur äußerst selten nimmt luau zu einem leichten Viere oder Vreihahn seine Zuflucht. Keiner ist gezwungen, über seine Kraft zu trinken, ein Viertelchen ist hinreichend, wenn es ihm selbst genügt. Unanständigkeiten jeder Art, die sonst das vorzüglichste der Unterhaltung waren, sind ganz nnbekannt, und selten findet mau eineu, der, um aufzufallen, einen zotigen Gedanken den Liedern einverleibt." . . . „Nach anfgehobeuem Commersch werden Anstalten zum Tanzen geinacht. Toch versteht es sich von _ _75 .. selbst, daß die Studenten bloß nuter sich tanzen und weder Frauenzimmer uoch Metzen dazu nehmen. Die, welche am Tanzen rein Vergnügen siuden, sitzen in Nebenstuben und unterhalten sich bei einer Tasse Thee über verschiedene Gegenstände. Einige Landsmannschaften, z. B. Pommera-uer und Märler, feiern ihre /snchscommerscbe auf einem Dorfe in Breihabu. Sie ibuen die^ bloß des Spaßes und der Verändenmg wegen llud baben den Vortheil, daß üe ächtes Getraute und nicht den elenden verfälschten Nein in der Stadt erhalten. Es geht im übrigen gewiß Mes so regelmäßig zu, al5 bei deu Coinmerschen iu der Stadt. Auf's höchste taun also uuv ein abgeschmackter Geck, dessen Feinheit il)U bei de>n Namen Breihahil einer Ohnmacht nahe bringt, darüber deu Mund verziehen." So viel über die damaligen Hallenser Studenten. Lassen wir nun das Urtheil deö Verfassern über die damaligen baltischen Philister folgen: „Das Betragen der Einwohner gegen die Studeuteu ist, im Ganzen genom-meu, uicht so, wie es wolü eigeutlich sein sollte. Die Vornehmen sollten die Stndenten mehr in ihre Gesellschaften ziehen und sie eben dadnrcb verfeineru und mehr ausbilden : die Niedrigen sollten nicht von dein Grundsätze ausgehen, daß der Etudeut alles doppelt bezahleu uud in jedem Stucke übertheuert werden inüsse. Wahre Einigkeit Nt also nicht unter deu Studeuteu uud den andern Einwohnern, Vor den Angelt siud letztere au5 ^rrcht artig, "nch lvohl unterthänig, hinter dem Rücken sprechen sie schlecht." Ich batte das eben gelesen nnd warf einen Blick über deu Spiegel der Saale hin zu den von der Abeudsouue 76 vergoldeten Porphyrselseu und auf den alten Thurm des (Michensteius, dessen Name auf Cultur nud Weltanschauung der grauesteu Vorzeit hinweist Zu dein Siegverleiher und „Geber" altes Guten, „Gibicho-Nuotan." — Fort mit den afterredenden Philistern nnd den theetrinkenden Studenten, die nnn auch schon längst in „Walhöll" eingezogen, sind! Was ist am Ende verloren an dein Treiben und dem Leben jener Musensöhne und ihrer Manichäer? Das spätere dnrch die Freiheitskriege und dilrch politische Schwärmereien gehobene Studentenleben hatte wohl einen bedeu-tendereu Inhalt, znmal weun wie danials in Halle ein reges und oon idealer Triebfeder bewegtes Interesse für die edle, aber nichtsnutzige griechische Wissenschaft jenem Leben eine höhere Weihe gab. — Auch das ist nun vorbei, nnd ein nenes Geschlecht mit anderer Weltanschanung und anderen Zielen bewegt sich in den Ganeu „Nudcici nnd Neletici", deren Felsen und Höhen nun schon auf so manches Menscheneremplar der verschiedensten Kulturstufen herabgeblickt haben. Hier im tiefem Saalstrom spiegelte sich einst die Nüstnng wendischer Krieger nnd der Wasfen-schmnck gewaltiger Sachsenhelden. Diese Fluthen nahmen den lockereu Ritter der deutschen Kaiserzeit auf, der deu kühnen Sprung von jenem Thurm wagte, und trugen später spanisches Kriegsvolk uud deutsche Laudskuechte. Von einem Meuschenalter zum andern habeu Menschen mit andern Kleidern uud andern Köpfen an diesem Strande gewandelt, unveränderlich stehen nur die Felsen und un-veräudert rollt der prächtige, Niren-belebte Saalstrom seine silbernen Wogen dahiu. — ?lnch wenn loir längst zu 77 Staub und Asche geworden, werden jene Felsen unerschütterlich stehen in der blinkenden Flntl', vernünftigere Menschen als kür werden daun zu diesen Felsen ans nnd zu diesem kühlen Spiegel Hinabschanen, und dniben in Halle wird man viele andere wissenschaftliche Hirngespinste in die Nnmpeltauunern geworfen baben, welche jetzt schon mit altem fteistesgerüll fast bis an die Tecken vollgestopft sind. Ein starkes, schönes Mndchrn. Erssarrcn in dcm irdischcn «Zcwühl«',« Niu die Schönheit dos Weibes zu schildern, haben die Dichter aller Völker die schönsten Farben verbraucht. Rosenrot!) nnd veilchenblau, lilienweiß nnd Rabenschwarz bedeckte ihre Paletten neben dem Milchweiß der Perleu für die Zähne, der Goldfarbe für blonde Locken, dein Korallen-roth für die Lippen und der reichsten Manmchfaltigkeit von Vrann, Schwarz und Blan für die Augen, ans welchen, „glanzvoll und bezaubernd die Seele leuchtet."-^Wohlan, die Farben siud genascht; fangen wir an zu malen, um den: Leser ein Bild von jenein holden Mädchen zu geben, welches dort auf schmuckem Zelter den Waldweg entlang getragen wird. Mit welch kühner Sicherheit lenkt die liebliche Amazone das edle Thier! — Hier der Haselbusch hart am Wege deckt uus gegen die leuchteuden Blicke, hier könneil wir nns ganz in dem Anschauen der reizenden Erscheinung, verlieren. Welch edle und vollendete Formen umspannt das knappe, braune AmaZonenkleid, und welch ein Manz strahlender Schönheit geht aus von diesem feinen, leichtgerötheten Gesicht, auf welchem die Schatten der ___^9___ nickenden Hutfeder em loses Spiel unl Kinn und Wange treiben! Ein waldnmrauschtes Götterbild! So mochte unsern sinnigen Ältvätern Fran Freyja oder Frau Verchta vor die andächtig träunieude Seele treten nnd Fl,lr und Hain mit ihrer Götternähe durchschauern. Der milde Ernst, der ans dem tiefen Glanz dieser Augen schaut, welche bald ans dem vom linden Lufthauch bewegten Nlätterwerk weilen, bald hell und leuchtend den ^eg entlang in die Ferne spähen, läßt uns ganz den Manbm der Väter verstehen, daß die Seele des Weibes etwas Heiliges und Vorahnendes nmschließe. Toch was tst das? Glänzt nicht eine helle Thräne an den langen Wimpern dieses seelenvollen Auges? Fort mit Pinsel und Palette und mit der pedantischen Ausmalung der Einzelheiten des herrlichen, von der holdesten Anmnth übergosse-"en Gesammtbildes edelster Franenschönheit! Warnm sie uur weint diese schone Reiterin, die eben tief aufseufzend, wit leichtem Gertenschlag das zierliche Thier zn kurzem salopp autreibend, an nns vorüberfliegt uud gleich einer Königin des -Waldes dahinschwebN Noch eiu flatterud ^and, ein Aufuickeu der Feder dort au der Weglnegung, und die feenhafte Erscheinung ist verschwnndeu. —Warum Ne loeiltt? — Ich will dir's erzähleu, lieber Leser. ^ Angela von O...stein, so heißt das schöne Fräulein, '>t die einzige Tochter dos alternden Freiherrn, dessen Ahnen ein>t dort von jener waldigen, trümmerbesäeten Höhe herab durch gewaltige Wehrkraft und reichen Besitz den Gan beherrschten. Schon vor der Zeit der Habsburger war das Fähnlein der O...steine zmn Vanner' abgestutzt, W denn sie hatten Land uud Leute genug, nm, lveliu der Kai ser rief, mehr als zehn Helme in's Feld stellen zn können. — Tie nene Zeit schlng die Vnrg nnd die Macht der Tynasten von O...stein zn Triilnnlern. — Den ersten groben Scklag führte der noch in der Voltssage lebende, fnrchtbare Jäkel vom Bruch, eilt verarmter nnd verlumpter Edelmann, der nut Seinesgleichen am^ Wege lagerte und den Lenten die Taschen ansfegte; dieser schlng sich zn den aufständischen Vauern nnd erstürmte mit einem Mnn-zerschen Hänfen die uralte Vnrg, loeil, wie das Volt sagt, seine Werbung nm das schöne Vurgfränlein schnöde abgewiesen war, Der Burgherr entrann mit sein ein Kinde nnd der Burgfrau, die schweren ^ns'.es ging, wie dnrch ein Wunder dem Blntbade nnd erreich re Heiligenstadt, wo seine (Gemahlin eitles Knäbleius gena^, dllrcl' welches das' Geschlecht erhaltell wlirde. Als dann die Aufständischen durch den leicbt ertanften 3ieg bei Frankenhausen vernichtet waren nnd mit eiserner Fanst Nnbe iln Lande gehalten wnrde, erbanete der Pnrgherr llllten int Thal das alte, spitzgiebelige Scbloß, welches wir hier vom Waldrande ab am Eingang de^ Dorfes erblicken. Der letzte noch lebende Sproß der O...steine, der alte Freiberr Arthur, bewohnt mit der wunderbar schönen Tochter noch heute das Hans seiner Väter, über welchem seit drei Jahrhunderten nnr selten ein guter Steru gestanden hat. Schon der alte Ahuberr nnd Erbauer des Hauses, der seine be-deutende, fahrende Habe im wilden Tumulte der Plün-dernng nnd des Schlosibrandes verloren datte, mußte eine Hllfe und ein (Gütchen nach dem andern zusetzen; ___ __ seine Enkel und Urenkel erübrigten im dreißigjährigen Kriege natürlich anch nichts, nnd einige lockere Herren des Geschlechts, welche zur Zeit der letzten französischen Ludwige der Mode, der Ueppigkeit und Verschwendung fröhnten, haben dort unten so übel hausgehalten, daß das wohl al8 fürstliche Oberteufel gebietet, welcheu eiue holl'sche Hcerschaar von lOOU) Legiouen Unterteufel zu Befehl steht. Dieser kleine Ho'llenzwang, ich trage ihn seit gestern ganz bequem in der Tasche, unterweist uns zugleich, wie man diese fürstlichen Teufel zu citiren hat. Wir wollen dies nnd das damns besprechen, deun es plaudert sich, während der Wind die Wolken über den Mond jagt, hübsch in diesen falbbeleuchteten Straßen von den finstern Phantomen, die fich vor der „flachen Aufklärung" und der „schäbigen, modernen Kultnr" wie die Enlen vor'm Tagslicht längst, wcr wein wobin, verkrochen haben und nur hin und wieder noch und fehr vereinzelt unter der dicken, niedrigen Schädeldecke eines altglänbiqen Theologen eine gedrückte nnd kümmerliche Existenz fristeu. — Doch halt! Ich weiß, wo sich's noch besser plaudert. Komm znrück zum Rathhanse, ans dessen seit vierhundert Jahren von fröhlichen Zecheru besuchtem Keller ein verlockendes Licht sirablt. Die alten, ansgeschlissenen Stufen, die wir hier hinabsteigen, betrat einst der eiserne Fuß tamvfgcrnsteter 99 RiUer und der bebänderte Schnh des bunt herausgeputzten Landsknechts, der schwere Reiterstiefel des Pappeuheimschen „Kürissers" und der knappe, leichte Weiberschuh des „Alainodenarren"; kurz, Schuh und Stiefel der verschiedensten und mannigfaltigsten Art haben im Lanfe der Jahrhunderte diese alten Stufen mnldenartig ausgehöhlt; nnd so grundverschieden, so kraus uud bnut loie dies Schnhwerk ioaren anch die Köpfe nnd Gedanken der Menschen, welche hier hinabstiegen; nnr eines ist sich gleich geblieben durch alle Jahrhunderte, das ist der g ro fte Durst der deutschen Männer von Sonst nnd Jetzt, für den hier das beste Kraut gewachsen ist. So, hier in der tiefen bische am altergebvännten Eichentisch, an welchem wohl einst eine Iechgesellschaft saß, wie sie das über uuseru Häupteru häugeude Bild des alten, niederländischen Malers zeigt, wollen wir beim blin-tenden Forster Platz nehmen nnd nuser Teufelsbuch durchblättern. Also, NMU» ^egiouen Teufel init <^ Obristen! Das nenn' ich mir eine respectabele Artnee! Sannel hilf! welche Namen, welche ^nchstaben, welche Sprache! Da heiftt'H' „Vnleth, ein großer und erschröcklicher König, auf rinem halben Pferde reitende, welchem Trommeten, Symphonie und allerlei Geschlecht der Mnfiea vorgehen. Damit er aber desto besser möge betriegen, erscheinet er vor dem Beschwörer, als wann er von Zorn und Wütherei aufgeblasen soi. Darmit aber der Exorcist znm besten verwahret sei uud daß er ihm seinen Stolz nehme, soll er ein Haselstäblein in der Hand halten, mit welchem er nach Mittag und Ausgang außerhalb des Cirkels die Hand 100 strecke. Dieser tteist ist aus der Ordnung der ?« Legionen'zu gebieten. — (5rorcist hat sich zu hüten, dah er diesen Geist wegen seines bösen Gestanks und unleidlichen Übeln Geruckt nicht zn nahe zu sich lasje." „Vapula ein großer starker Herzog oder Hanvtmann, wird wie ein ^ew lnit ^-liigeln, gleich einem kreisen gesehen, macht den Menschen in der Phiwwvhia, >ü »ncclul-ni<:!>! ill-liln!^ uno in den Wissenschaften der Bücher wim-derbav nnd bebend', ist ein Praeiectns und Amtmann über sech^linddreisti^ ^egiones." „Tap'"...... ^), wer kommt da! )inn „>oird mein schönstem (>'lnä zu nickte' Tan diese Mle der Gesichte" 102 .....„Guten Abend die Herrn! es ist doch ein wahrer Skandal, daß man diesen Materialisten, diesen frechen Nihilisten nnd schamlosen Atheisten so sinn- und gedankenlos feiert!" „Mem Gott, was ist denn los, Herr Eifermeier?" frage ich den eingetretenen, nur wohlbekannten frommen Herrn, der einen starken Glauben nnd einen noch stärkern Dnrst hat. „Nun, der freche B. ist von seiner naturwissenschaftlichen Neise zurückgekehrt, nnd der Vildungsvereiu bringt ihm eine Fackelmusik." „Da muß man die Nede hören', lomm, mein Spuk-gesell. Wollen Tie anch nnt nns gehen, Herr Eifer-meier?" „Keinen Fllß rühre ich um das Gewäsch!" „Nun, dann nehmen Tie hier das Buch nnd bleiben Sie bei allen Tenfeln! — — Hinans! mein Sftukgesell, und die alten Slnfen hinauf zn Licht nnd Leben! Ha, wie erstrahlt der malerische Markt so schön im tageshelleu Fackelglan^! Eule nnd Fledermaus, Katze, Kobold, Dä-niou nnd alle Eifermeier verkriechen sich in ihre tiefsten Schlupfwinkel. — Nie der rothe Schein die alten Hänser durchleuchtet, vor welchen nns jetzt die brausende Volkswoge rascher nnd rascher hindrängt. Ueber die alten Die-' len hinweg nnd bis hinten in die Döusen hinein erstrahlt die TaaMelle. Wie würde Flederwisch ausreißen, wenn er dort noch in der Tönse säße! — — Halt! Jetzt stopft sich die wogende Menge, und rauschender schmettert die Hornmusik. Tort unten im alten Pastorenhanse, ans web 103 chem schou ^iagifter Leberecht Kwge hervorging, al^ or die MM Meisterin zum lelUeu Gauge begleitete, wohnt unser Naturforscher. Schade, daß wir von seiner ^>lede nichts veruehmeu tonnen, ^as heißt eiu Gewühl! Toch horch!.....„Wenn die Resultate freier Forsclmuq int Volke Eingang finden, wenn die Wahrheit mit ihrer veredelnden nnd befreienden Kraft die Massen dnrchdringt" ...... Ol bei diesem ^ärm versteht man nur Alles halb; diese Eapperments-Schnsterjungen mit ihren ewigen Possen! ..... Pst!..... „ans Aberglauben und Vornrtheil schmiedete sich das Volt selbst die Ketten"..... Pst! Pst!..... „Wir gmgen durch eine lange Nacht znm Licht!" — Hurrah! Hunab! durch Nackt zum Licht! — durch Nacht zum Licht! Pastor Waldtschmidt und dis „Judon-Rerzte". (5m Kt'rchenbesuch U1N l660. "Vcrgcdcnt sucht der Dcutsckc die autc altr Zcit. Auch cin frommer Eiferer, dcr Hcgcl »nd Humboldt alt die qroßcn Athcistiil ucrdanoiu, auch dcr conscrvatiucOrxndhsrr, wclchcr fur diePri-»ilcgien seines Stand« not dm Mäcktcn der Oi'qcnwart liadrrt, sic wurdcn. in cini dcr lcMn IaftihlMdrili' zur>>cll'rrfttzl, zucrtt ci» loaßlrüü Slilu»,,!!, ^ulctz! cinln Schauder vor im'cc Umgebung cnll'ftndcn.» O. <^rsinaq, i>!ld!r aus d«r deutsch,'» Vcr» Gehen wiv au dl^fem schönen öonntagliiorqen l'in-mal m die .Nirch<', lieber Leser, und zwar in die Banüßer-kirche zn Frankfurt. Tort hält der rechtgläubige, hochgelahrte und eifrige Pastor Waldschniiot gerade die sechs-zehute seiner „Hexen- und Oespensterpredigteu"; der Mann weiß uus wohl uoch etluas Nechtschaffeues zn sagen vom „Teufel und seinein (Gesinde", drum fort auf dem Zauberroß der Phantasie und hinweg über die Schranken der Zeit und des Raums, bis zwei Jahrhunderte hinter uns liegeu und wir vor Ehren-Waldschmidts Preoigtstuhl stehen! konnten ja anch nnno 8gwti8 I860 uns in mancher Kircbe voul Teufel uorpredigen lassen, allein die Herren sind trotz ihres guten Willeus doch noch immer nicht soweit n«it ihrer Wissenschaft mngetehn, daß üe sich aus 105 Telrio, Nemigius, Podinns und andern gnten Lckriften Raths zn holen wüßten, nin nns den „erschroctlichen Dra-6,en" nach semen physischen nnd moralischen Eigenschaften anf's genaueste beschreiben zn tonnen; Waldschmidt aber kennt Farbe, Gestalt, Nachen, .«lauen, Zähne, Tücke und Nucke des Erzfeindes so genau, als ob er selbst mit ihm ans dem Blocksberg zu Nacht gegessen hatte, deinem red-licben Eifer gegen das „Herengeschmeiß" ist es anch gelungen, der Obrigkeit das (Gewissen zn scharfen, so daß sie ohne 'Ansehen der Person mit ssener nnd Schwert nnter die „abschenlichen Götzendiener" fährt, welche sich von dem Drachen berücken und zn dem „erschröcklichen Laster der Zanberei" verführen lassen. — vorgestern sind wieder zu Bockenheim drei „Tenfelsliebchen" anf's Feuer gesetzt, und Alles kreuzt nnd segnet sich über die Verderbtheit der Welt, deren wohlverdienten und ganz nahe bevorstehenden Untergang Pastor Waldschmidt säst in jeder Predigt voraussagt. — Wir haben zn eilen, denn nnser ^eelenhirt ist ein sehr gesuchter Redner, nnd am vorigen Sonntag, als er die i^rage erörterte, ob anch kleine linder wegen verübter Zanberei mit dem Tode zn bestrafen seien, war die Varfü-ßerkircbe so dicht mit Andächtigen gefüllt, daß die zn letzt kommenden vor der Thür bleiben mußten. — Wir wollen hier von der Allerheiligen- nach der Indengasse einbiegen; doch halt! die Ketten sind vorgezogen, es ist ja Sonntag, da sperrt man die „vertenfelten,^nden" ein, damit sie frommen Xirchgängern kein Aergerniß geben; also denn nnr dmch die ^abrstrane zur Tchnurgasse, sie wird NU5 bald W6 zum Ziele sichren. — Da wären wir endlich. — Aber wir kommen nicht weit vor, der breite Weg im Mittelschiff ist ganz gefüllt mit „Alamodeherren." Wie ernst und finster jene saltigen (Gesichter nnter dem laugen, anf die breiten Spitzentragen herabfallenden Haar Hervorschanen! Tas sind Herren, welchen die Notb und Sorge des dreißigjährigen Kriegen die besten Mannesjahre verbitterte; vielen hängt die schlottrige Tracht recht abgeblaßt nnd fadenscheinig um die dürren Glieder, und grell stechen die silbeniohheit und Unsittlichkeit vorherrschen konnte. Ja, für diese Zeit ist das mehr als hundert Jahre früher gedichtete Kirchenlied nock lange nicht bezeichnend genng, das taun ich dir in hundert Büchern nachweisen, weun wir von unserer Zauberfahrt heimkehren. Was half auch den armen Renten ihre Kirchlichkeit! .hörten sie denn bei ihren fleißigen Kircheubesuchen etwas, das sie hätte vermenschlichen und veredelu kouueu? l^rade — — doch halt mit dem Oevlauder! da tommt ja der Pastor, — da steht das berühmte Kirchenlicht schon auf dein Predigtstuhl, nud bald wird der (^lauz, der von ihm ans^ strahlt, dieses Tausend andächtiger Köpfe erleuchten und erbauen. — Welch ein Besicht! Das lange schwane und auf die schüsselgroße Halskrause herabfallende Haar und der starke Schnurr- und Knebelbart, welcher die gepreßten Lippen umwuchert, stechen erschreckend ab von den bleichn, harten Zügeu, die nicht eine Spur von Milde und Menschlichkeit verrathen! Ein selbstständiger, eigener l^edante hat diese kleinen, finster dreinblickenden Augeu wolil nie durchleuchtet; die gauze Physiognomie hat etwas Brutale und zeigt nichts von geistiger Erregung, ausgenommen etwa einen Zug geistlichen Hochmuths, der sich in der herausfordernden Spannung der breiten Nasenflügel ausdrückt. Das ist Zug um Zug dac- wahre Urbild eiues Zeloten de5 finstern unmenschlichen Jahrhunderte, ganz ein Manu, 100 dessen Fetisch der todte Vnchstabe ist; das Abgestorbene, Geistlose, Finstere ist sein Gott nnd Geist, Licht nnd Leben bekämpft er als feindliche Mächte. — Olme zn zucken haben diese dünnen, fahlen Lippen wohl schon mancher zum Tode verurtheilten nud dnrch die Folterqnalen er-lahmten Zanberin salbungsvoll die von der Agende^» vorgeschriebenen Worte zugesprochen: „Endlich darfst dn auch das Feuer, darein inan dich setzen wird, nicht fürchten oder scheuen, sondern leide es geduldig, denn es ist ungefähr um ein Stüudlein zu thuen, so geht es ans." Nie ihm jetzt die kleineu Mougolenaugen blitzen im Eifer der Rede! Nie er das Pult bearbeitet mit den derben Fänsten nnd über die Gemeinde hindonnert, dcch die alten Weiblein zitternd zusammenfahren! (5r hat eben das geputzte „Franenziefer" besonders imAnge und erklärt mit stechenden Blicken auf die allzuweit ausgeschnittenen seide-uen Jäckchen, daß der Teufel nicht immer brüllend nnd abscheulich einherschreite, sondern daß er weit öfter als ein ^iner Junker im grünen Tresseurock die Kinder der Nelt umschleiche ttttd da seien denn die ausgeschnittenen Jäckchen, die aufgepauschteu Aermel, die großen Stutzerkrausen ''> Tan siiv die HcrzozNdümcv V r c :n r n ilnd Vc vdcn im Icchve ^lO von dcm töinglich schwedischen Consiftonal-SecrctarmS Dictrich ytrauo^e^cbcnc ,^l»n>l!,!e eoclesinsUcum odc^ Kivchcnl'attdbuch" cnt^ ^cill noch dkscn geistlichen Trost, — Als (wriolum dinfle noch an-zllfi'chren sti,^ haft die Agendc kürzlich wieder von cinem der abgestorbenen Kultur huldigenden Blatte wegen ihre« ,.cchtlir ch lichen l östlichen In hallo" ocsoudns nupfohlcn »ourde. 110 vor dcn Händen, die Brnststräußchen und die Nosenschuhe nnt den Hörnerspihen die rechten Garne nnd Angeln, worin sich das hoffärtige Franenziefer selbst fange nnd des grünen Junkers Bente werde. — — Schau! dort das hübsche Kind mit dein frischen, blühenden Avfelgesichtchen, wie es zusammenzuckt nnd bleich nnd roth wird, als fühle es sich von jenem Worte des Predigers hart getroffen; heftig wogt das silberne Sträußcheu auf dein gestickten Brustlatz, nnd die feinen zarten Händchen, welche ans der wolligen Evitzenmanschette hervorblicken, umfassen zitternd die silberbeschlagene Postille. Pastor Waldschmidt ist selbst Schuld daran, wenn diese liebliche Tochter Evas jetzt an ganz andere Dinge denkt als an den Tenfel nnd an das Laster der Zanberei. Warum erwähut er auch den grünen Junker? Hat sich doch das feine Mägdlein bereits ganz und gar in den Stricken und Garnen eines grüuen Junkers gefangen; aber der, das weiß das Iüngferchen nur zu gut, der ist kein Teufel, foudern ein schmncker, hirschgerechter Jäger drüben ans dem Hessenlande, der nm der Iuugfer willen länger als nöthig in Frankfurt weilt, Eicherlich erkennt die Schöne jetzt keinen Buchstaben in der eben nlechanisch anfgefchlagenen Postille, obwohl sie aufmerksam hineinzublicken scheint, nnd statt der erbanlichen Verse des Erasmns Alberus ziehen ihr Verse ähnlich wie folgende dnrch den liebeheiften Sinn: „Könnt' ich in Honigseim mir mcincn MlUld vcvkchvcn, KoniU' ich in Cchwancn doch vcrkleiocn mcinc Brust, Konnt' ich mit linder Hand dir cinc Lnst gewährn, Dic auch dic Licblichfcü zu^or nicht ha: gckost', ^n Könn:' ich ale Valj.uu dcch auf dl'incnl Tchooß zcvflicßcu, So mcint' ich. daß das Wcib, da« durch dic Sonnc mus;. Mir an dcr Würdigkeit wohl N'iirdc wcichcu müssrn, Dcnu ich bin mchr al> sic, sic kiicqct tcinru xust." Doch wohin gerathen »vir^ Hören ,vir jetzt bildlich anst nwrksmu auf die erbaulichen Worte unsers Pastors! Er hat schou lange und eiudnltglich enuahnt, sich vor dcu Werk-Mgen des Teufels zu hüten ; solche zn Zauberei lmd Oötzen-^leust verfiwreude Teufelswerkzeuqe seien vorab die Zau-^lner, Hereu, Krystallseher nud Wahrsager, dallu aber auch die „verfluchten Juden." Eine schwere Süude sei es, solche Teufelswerkzeuge selbst in Leibes- und Lebeusnöthen zu qe-braucheu, nud doch wäreu Mauche so gottvergessen, daß s^e iu der Krankheit nach einem „verfluchten Iudenarzt" schickten. Wer das thue, sündige hundertfältig. Doch hö-reu wir nuseru Naldschmidt vou Wort ;u Wort: „Du sündigst N'ider deu heiligen Geist, der lehrt in ^'iuein Wort näinlich, luau solle uicht au fremdeiu Joch zü'heu nut deu Uugläubigeu, das Licht habe keine Gemeinschaft mit der Fiuftcruisi, Christum stilume nicht mit Belial. Du aber handelst dawieoer, du zeuchst au fremdem Joch wn deu Ungläubigen uud nimmst den in's Hans, der Christi Lehr nicht nnt sich bringt. Du als ein Christ wilt ein Kind des Lichtes sein und hast Gemeinfchaft mit eiuem Kiuo der Fiusteruis;, Du lvilt Christi seiu uud halst dich zn dt'lu, der des Velials ist! - Du versündigst dich aber auch an den lieben heiligen Engeln, die sollten sich um dew Krautenbott herlageru, dagegen verjagst du sie, wenn 112 du dem Teufel uud seineu Werkzeugen Raum und Platz bei deiuem Bett giebst. „Du versündigst dich auch au demeu Mchsten, den ärgerst du, wauu dn Iudeu-Aerzte brauchest, denn er weiß, daß es Unrecht uud Sünde ist; er hört auch, daß solches in deu Prediqteu oft als Sünde uud Unrecht gestraft wird, darwieder du uuu fürsetzlich haudelst. Ä)iit solchem Aergerniß verdieuest du aber deu Mühlstein an deinen Hals, ja noch ein größeres, nämlich das Wehe die zeitlich uud dort ewiglich. „Du betrübst auch deine Prediger und Seelsorger. Denn bedenke doch, müsseu fie ihr Amt deines Ungehorsams halber nicht mit Seufzen thuu, wauu sie zu dir iu deiner Krankheit wnuuen uud dich mit dem heiligen, hochwürdigen Abendmahl versehen müssen, und müssen hören und vernehmen, auch wohl seheu, daß du einen verfluchten Iudeuarzt brauchest! Thust du danu anders, als daß du deine Seele durch Christum, oeiueu Leib aber durch den Teufel uud seiu Werkzeug wilt gesund macheu lassen? Müsseu sie aber deswegen ihr Amt mit Seufzen bei dir thueu, o! so ist es dir uicht gut, dir! dir! ist es nicht gut. „Daher versündigst dn dich auch au dir selbst. Dann wie dn Gott damit erzürnst, und dich au Ihm, an seiuem Sohn, au dem Heiligeu Geist uud seiuem Wort, an den heiligen Engeln uud au deiuein Nächsten versündigst, also verletzest und beschwerest du damit dein eigen Gewissen, du zeugst Gottes Zorn und Unguad, auch seine Straf dir damit auf den Hals, nnd wenn's gleich Gott zuläßt, daß du durch Hüls des Teufels und seiner Werkzeuge am ^eib gesund wirst, so leidest du dargegen nur größeren Zcha-den a»i oeiuer Seeleu, die der Satan nur destomehr im Aberglauben uud süudlichen Vertranen auf seine Werke stärkt nud erhält. Oui<1 i»'u<>O!-l! ^llrnrt' ^<,i-pul, l,,iii»l> p^l'ounl«: Was hilft's, wauu der ^eib gesund geinacht, die Seele aber darüber verloren wird! Du sollt billig in deiner «Krankheit an deinen Tod gedenken und dich anf allen Fall zn einem seligen Sterbestündlein bereiten, auch dasjenige meiden, das dir in deiner Andacht kann verhinderlich sein, wem« du nun aber Juden-ärzte um dem Nett steheu hast, mußt ihre Mäuler anseben, damit sie Christum täglich anfeinden und verspeieu, nimmst Arznei von ihren Händen, daunt ste Christum geru noch einmal tödteteu, wann sie könnten, läßt dir Herzen und Gemüther rathell, die das ,ttn'uz Christi hassen uud beschimpfen, was soll dadurch für gute Andacht bei dir erweckt, erbalteu uud gefördert werdeu? .... Ei, möchtest dn sagen, ist da>in dies so große Sünde, warnm wird , es dann ihnen erlaubt zu praetieiren? Nann solches ihnen nicht erlaubt wäre, so wollte ich auch ihrer müssig gehen und sie nicht brauchen. — Aber liöre, besser wäre es, es würde ibnen nicht erlaubt, sondern verboten und niedergelegt. Die so es erlanben, sind nicht gar ungleich den knechten Sanls in nnserm Text, die den Saul, ihren Herrn, znr Zauberiu gen Endor binwiesen, sich Naws bei derselben zu holen." Doch nun ist's genug! Das maßlose Staunen, welches die Predigt Ehlen-Waloschmidts in uns wachrief, möchte 114 sich zum Schauder und Entsetzen vor ihm und unserer gaw zen Umgebung steigeru, wenn wir noch länger in dieser dumpfen und drückenden Atmosphäre weilten; drum fort aus dieser Oespenstergesellschaft nnd ans diesem vermoderten Jahrhundert in das frische lichte Leben der Gegenwart! — Frisches, lichtes Leben? Wie so, sagst du. Hind denn nicht auch heilte noch der Waldschmidte genug, welche die Frische des Lebens in den Moder des Todes tauchen, welche das Licht der Vernunft nut semitischen und persischen Löschhörnern ersticken möchten! Feindet man unser Bayle, unsere Tindal, nnsere Thomasius und Lessing nicht noch heute auf'Z heftigste an, weil sie ihren Heroenkampf mit der Hydra der Barbarei getämpft nnd Herzen und Köpfe der nachfolgenden Geschlechter verklärt nnd veredelt haben?! Wird man nicht im Jahre 2060 Tausende von Büchern ails unserer „frischen nnd lichten Zeit" mit demselben Staunen und mit demselben Schauder durchblättern, wie wir heute Pastor Naldschmidts Predigten?! Nun, nun, lieber Leser, nicht so geeifert, ganz so schlimm ist's doch nicht, laß dich hier gesälligst nieder in meinem behaglichen Mnseum. Die Frühlings sonne scheint durch die hellen Scheiben auf den von Büchern bedeckten Schreibtisch, sie bescheint Böses und Gutes, ihr freundlicher Strahl fällt auf Freytags Bilder aus der deutschen Vergangenheit und anf Pastor Waldschmidts Hexenpredigten, auf Humboldt's Briefe uud auf, — doch lassen wir die modernen Waldschmidte und bleiben wir noch beim alten, denn das Denkmal, welches er uns in diesem vergamen- 115 tenen, 1060 durch Hieronyinum Polich gedruckten Quartbande hinterlassen, ist zwar ans gröberem Material ge» hanen, als diese moderne, flache Apologie der Lehre Za» ratustra's, aber es ist dafür solider und mit dein ehrlichen Bewußtsein gnten Rechtes ausgearbeitet, man weiß, was man an ihm hat, denn der alte Waldschmidt hatte sich uoch nicht groß zn schämen vor der Kultur seiner Umgebung, während die neuen Waldschmidte mehr oder weuigcr doch von der Kultur selbst beleckt sind, die sie bekämpfen. Der Titel des seltenen Buchs ist allein schon eine reichfließende Quelle für die Geschichte der Kultur des siebzehnten Jahrhunderts und verdient vollständig hierher gesetzt zu werden i PManj88u Lmlorog, das ist: Acht und zwanzig Hexen - nnd Gesven st - P reoigt e n, genommen aus der Histori von der Zauberin zu Endor, 1. B. Samuelis ^8, in welchem die Schröcklich-Gräulich- uud Abscheulichkeit der Zaubereisünde allen Christen zur treuherzigen Warnung für Augen gestellt, auch die Materie von den Gespeusten also abgehandelt wird, daß der Text der Histori gründlich lich erklärt, die nothwendige Lehr heneben derselben "Utzen nnd Gebrauch herausgenommen, und mit darzu dienlichen Exempeln und Historien ausgeführt wird. Gehalten in der Kirchen zum Varfüssern in Frankfurt, und nunmehr mit uützlicheu, aus vornehmer Ikkowgormn nnd anderer berühmten /Vuwrum Schriften genommenen Anmerkungen vermehrt, auf Begehren um dieser letzten AUen willen zum Druck übergeben von Bernardo Waldschmidt, evangelischen Predigern." - Auf diesen Titel folgt eine Widmung, die ebenso cha- 116 rakteristisch für die Vildung ihrer Ze'tt lst uno oil' uns zugleich vermuthen läm, das; dor heilige Eifer des Pastors, wenigstens soweit sich derselbe anf die jüdischen Aerzte bezieht, nicht ganz ohne weltliche Motive gewesen fein mag; es sind nämlich drei Schwäger, Schröder, Hochstatt und Witzel, „alle drei bochberühmte Medicinä Doetores und hochlöblicher Freier Neichs-Stadt Frankfurt wohlbestallte 1'Ir^ic-i m-liontt5 und Einrede der Zauberpatronen und Hexenpla-centiuer, die uenüich mit ihrer Antwort auf die Frag, ob 117 man auch die Herenmeister, Zauberer und Zauberin todten solle? gar leis sind und gewaltiglich sehr stammeln, kaun Meister Hemmerling mit seinem Gankelsack, mit der Tor-wr nnd Folter feil^ artig refutiren nnd beantivorten." — In der vierzehnten Predigt erniahnt der Seeleuhirt seine andächtige Geineinde, sich reckt fleißig und ohne Scheu nach den Ianberern nnd Heren umzusehen, dieselben anf-Msftnren nnd gewissenhaft der Obrigkeit anzuzeigen. Wer so thue, sei kein Verräther, sondern handele nach dein Worte Gottes, denn Mose 5, 13. v. 0, 7, 8, 9, stehe anM'ück-lich, das; wenn Jemand von dem wahren Gott abfalle und sich andern Göttern ergebe, so solle man seiner nicht schonen, noch sich seiner erbarmen, sondern selbst Hand an-l^en, „m ihn zu erwürgen, Zu falschen Göttern aber seien nnn die Zauberer nnd Hexen abgefallen, darnm erklärten anch die weltlichen Rechte, das; der für keinen Ver-bather zn halten sei, der eine Zauberin der Obrigkeit an-zeige, vielmehr müsse mau demselben noch eine gute Ve-^bnnng geben. „Taher," sagt unser Prediger wörtlicb, „soll em Jeder nach Vrforoernng seines Bernfs dazu hel-sen, daß sie vertilgt nnd ausgerottet werdet«, sie seien auch, wer sie wollen. Kein Mann soll für sein Weib, kein 'And für seineu Vater nnd Mntter, noch ein freund für den andern bitten, sondern seinen lieben Gott nnd Heiland Iemm Chnstmn, dessen geschworene Feinde Zauberer nnd Hereu sind, mehr als die Menschen lieben und helfen, daß ">le die Gott abgesagt haben, gestraft werden." " Wohin solch eine Pastorale Ermahnung führte, wird dem mit der Gräuelgefchichte des Hexeuproceßgesetzes Ver- N8 trauten bekannt sew; die Uumenschlichteit feierte ihren höchsten Triumph, die heiligsten Familienbande wurden gesprengt, das niederträchtigste Tennnciationswesen gefördert, die Gerechtigkeit mit Füßen getreten, Bosheit in den Herzen, Wahnsinn in den Köpfen wachgerufen. — Statt vieler Beispiele nur eins. — In seiner berühmten Streitschrift, dem wahren Protoevangelinm deutscher Aufklärung nnd Vermenschlichnng, erzählt der große Thomasius, daß er Folgendes alls dem Munde eines Schwedischen Gerichtsassessors selbst gehört habe: „Ich und andere Beisitzer des Gerichts (nemlich zu Mora, wo im Jahr 1670 fünfzehn Kinder nnd 72 Weiber nebst vielen Männern wegen Hexerei hingerichtet wurden) waren anfangs vollkommen über-zengt, daß gegen einige der angeklagten Personen nicht der mindeste rechtliche Grund znni peinlichen Aerfahren, sondern nur die Denunciation von Seiten einiger nnverstäudiger Kinder vorliege. Allein die geistlichen Beisitzer machten geltend, daß der heilige Geist, um der Ehre Gottes willen, den Kindern nicht zulassen würde, die Unwahrheit zu sagen, und stegten durch Anführnng des Spruchs -. „Ans dem Munde der juugeu Kiuder uud Säuglmge hast du dir eiue Macht zugerichtet, daß du vertilgst den Feind und den Rachgierigen." — In Folge davon, erzählt der Assessor weiter, sei dann gegen verschiedene unschuldige Personen heimlich verfahren und dieselben dein Feuer übergeben. Endlich aber, als wiedernm ein angesehener und rechtlicher Mann von einem Knaben der Teufelsbnndnerei deschnldigt worden wäre, habe sich einer der weltlichen Nichter mit den andern be- N9 redet, den Knaben auf die Probe zu stellen, und ihn, einen halben Thaler versprochen, wenn er anssagen würde, daß er sich in der Person geirrt habe und einen andern Mann angeben wolle. Die Mans sei richtig in die Falle gegangen, und znr Befckämung der geistlichen Hen'en Beisitzer alle Knaben, welche sich als Angeber hätten brauchen lassen, mit der Ruthe gestraft. Dadurch habe der große Proceß endlich seine Grenze gefunden, doch leider allzuspät, denn Mr viel unschuldig Vlut sei bereits vergosseu gewesen. — Wiederum, sehen wir, sind es die geistlichen Beisitzer, die Hüter der erstorbenen Knltur, welche zu dein Härtesten rathen und die Stimme der Menschlichkeit mit einer bei ben Haaren herbeigeschleppten Bibelstelle ersticken. Man sehe sich weiter um in der Geschichte der Entwickelung der Menschheit zur Humanität; wo irgend ein neues Licht durchbrechen will, gleich sind die Hüter der verschabten Kultnr mit ihren Loschhörnern da, wo Milde uud Menschlichkeit gegen veraltete Barbarei in die Schranken treten, — „sind auch wir!" sagt der Grosiwqnisitor. — — Als man an-swg auf die Gedankenlosigkeit nnd die Barbarei des Foltergebrauchs aufmerksam zu machen, predigten nnd schrieben Geistliche gegen die „flachköpfigeu Neuerer" uud snchten nugs wie Pastor Hosmann iu Celle (vergl. dessen fürtreff-liches Denkmal von der güldenen Tafel n. s. w., Celle l?l8) nach Nibelstelleu, welche den Gebrauch der Folter sanctioniren sollten. Wohl wissen wir, daß Johann Grevins (ein pelagi-anin'render, anninianischer, o. h. zur Humanität und Menschenachtung neigender Prediger) ein vortreffliches Buch 120 gegen die Tortur geschrieben hat, wohl wissen wir, daft Cornetins Loos, daß Sftee und Valthasar Becker zum geistlichen Stande zählten, aber, gehörten diese nicht zn den „Wenigen, die thöricht genng ihr volles Herz nicht wahrten, dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schanen offenbarten?" Durfte etwa Spee sein humanes Herz nnverhüllt zeige», schmachtete Grevins nicht im ftefängnih, mußte der t'atho-lische Priester Cornelins Loos nicht tviderrnfen, ward dem Balthasar Becker nicht die Kanzel verboten nnd er von seineu Amtsdrüdern aufs Vitterste angefeindet?! — Genug! Wo immer einmal ein Hüter der abgestorbenen Knltnr zusaminenschanderte vor dem Moder, dem er ein Scheinleben einhauchen sollte, und mitschwimmen oder gar voranschwimmen wollte im Strome des neuen Kulturlebens, gleich waren die gegen den Strom arbeitenden Haifische da, um ihn in den Grnnd nnd in den Schlamm zu zerren. 8»p>6nti 8iU! Frützling im Winter. Der „wnnderschöne Monat Mai" macht sick am schönsten in den Versen dl'r Dichter, wahrend er in dev Wirklichkeit mi5 nnr allzuoft frostig daran erinnert, daß er sich eben erst den eisigen .vänden des Winters entwand. Indeß wer weif; nicht, dasi der vielgefeierte auch seine Tage hat, welche die Vegeifternng des Dichters mit Lerchenge-lang und Nachtigallenschlag wach rnfen nnd den ganzen Menschen mit nnaussprechlichem Wohlbehagen nnd sanft herabweheuden Blüthen überschütten! Anl Morgen eines solchen Maitags war's, al? ich nnter den duftenden Vlnwenbänmen der vor dem südlichen Thore einer kleinen norddeutschen Stadt gelegenen Gartenscbenke 5aj;, in welcher »veniger Einheiinische als Fremde vorsprechen , die banfig die kleine Stadt und ihre Umgebungen wegen ihrer reizenden Lage besncheu, Ein Schoppen Bier oder eine Tasse Kaffee ist so ziemlich Alles, was mau aus der Gartenschenke haben kann, aber das genügt, bonn wer Hieher kommt, hat bereits in den wohlversorgten Gasthöfen der Stadt den kostspieligeren Anforderungen des Lebens genügt nnd bescheidet sich, mit dem Answande emes Groschens ein Plätzchen zn erwerben, von wo aus er dlv5 von einem breiten Strom durchzogene Wiesentbal 122 überschauen kann, welches durch steil anfragende Waldhöben begränzt wird. Die spielenden Fischerkäbne, die weidenden Heerden und die von Wein mnlaubten, zerstreut liegeuden Hütten bilden bier die Scenerie für ein liebliches Idyll, welches vor der träumenden Seele des sinnigen Wanderers auftaucht, der von dieser Gaisblattlaube aus in die frische grüne Welt schaut, während ibm, wenn er zuvor auf einer der nördlichen, steil über der Stadt aufragenden Hohen stand, das Wiesenthal ganz in der wildromantischen Landschaft aufging, welche mit ihren waldigen Bergen nud Kluften, mit ihren Felscolossen und mit den alter-graueu Tbürmen der tief unten liegenden Stadt sein Gemüth überwältigt, daß es gepackt von der Erhabenheit des Anblicks aufwogt, wie der nnten brausende Strom, dessen schaumspritzende Wogen donnernd über das Webr fallen. Hier auf der kleinen Gartenschenke tönt das Brausen des fernen Katarakts nur wie leises Summen zu uns her-über, Alles um uns und vor uns athmet tiefen Frieden und wonnige Ruhe. Wir find noch ganz allein bier, und mn dem Schifflein, welches dort auf dem ruhigen Strome zwischen blumigen Ufern dahinzieht, fließt der Blick in die stille Ferne oder haftet an dem nickenden Gaisblatt und den vollen Nlüthendolden über uns, welche der fanfte Hauch der lauen Luft oder die durchschlüpfenden Voglein leise bewegen. — Da klingt die Thür im Gartensaal, und eine schlanke, weibliche Gestalt verschwindet, nachdem sie uns freundlich wie einem alten Bekannten zugenickt, mit 123 einem leeren Bierkrug in dem Felsenkeller, um den einsa-. men Gast durch eine» frischen Truuk zu erquicken. Diesmal hast du dich getäuscht, lieber Leser, wenn es mit der Erwähnung einer schlanken, weiblichen Gestalt sofort bei dir feststand, das; dn nun etwas von den „schwarzen Nabenlockeu" oder dem „Ooldhaar und oeu Veilchen-äugen" einer schmucken Kellnerin boren würdest. Nichts davon. Denn den „Roseumund" jener Hebe, welche jetzt m knarrenden Schuheu, mit dein schäumenden Bierkrug in der Hand auf uns zu trippelt, haben, um mit Clauren zu reden, bereits vierzig Sommer geküßt, und unter solch häufigem Küsseu des heißen Sommers, weißt du, welken die Noseu der Lippen dahin, zumal wenn der so lange Geküßten keiu freundliches und verjüugeudes Leben lächelte. Fräuleiu Meta ist auch nicht die Kellnerin, sondern oie Eigeuthümerin der kleinen Schenke und Niemand geht lhr bier zur Hand, als die an derbe Hansarbeit gewöhnte, ebenfalls unverbeiratbete Tante, welche dort am Fenster des Gartensaals beim Nähzeug fitzt; die beiden alteu Mädchen können auch die kleine, wenig besuchte Wirthschaft vollständig verwalten. — — „Guten Morgen, Herr Doctor! so ganz allein hier?" — „Ja, Fräulein Meta, die Freunde blieben iu der Stadt, ich aber mußte hinaus um mich eines freundliche« Grußes und eines frischen Trnnkes auf der Gartenschente zu erfreuen, nud da finde ich ja beides ganz so, »vie ich's wünsche. Es geht Ihnen gut, liebe Meta, nicht wahr?" — „Besten Dank, lieber Herr, es geht so leidlich hin. Sie wissen, die Schenke bringt wenig aus und, wn müssen fleißig Nadel und l24 Scheere rühren, wenn wir Brauer und Bäcker befriedigen wollen; es ist unn einmal so." — „Nuu, so lassen Sie's gut sein, Meta, holen Sie doch Ihr Nähzeug hierher und lassen Sie uns ein halbes Stündchen verplaudern in dieser schönen Einsamkeit." — „Ach, dein Herrn kaun wenig an meiner Unterhaltung gelegen sein," lispelte Meta ; „doch wie Sie befehlen." Ta geht sie hin gesenkten Hanptes, nnd wohl nicht heitere Frühlingsgedanken prägell sich in den Falten der welkenden, einst gewiß marmorklaren Stirn alls, deuu die Meta soll, wie ich höre, in ihren jüngeren Jahren eins der hübschesten Mädchen der Stadt gewesen sein. Auch hatte man's ihr nicht an der Wiege gesungen, daß sie einst anf der kümmerlichen Oartenschenke jedem Ankömmling mit einem Krug Bier aufwarten müsse, und heiter nnd wolkenlos hatte ihr der Himmel der Kindheit und ersten Jugend gelächelt. Da brachen, als Meta sechszehn Jahre zählen mochte, Stürme über das wohlhabende Kanfmanns-hans herein, in welchem Meta als die einzige Tochter mit aller elterlichen Liebe lind Sorgfalt erzogen wurde, und der Wohlstand des Hanses kam gänzlich in Versass. Mit den Trümmern seines Vermögens kanfte Mela's Pa-ter die kleine Gartenschenke und lmtterlien sie, als auch die Mutter vorausgegangen, nach einigen Iahrm als einziges Erbe der Tochter, welche nun mit der arbeitsamen Tante schon manchen Sommer über hier wirthschaftet. Im Winter beziehen die stillen Lebensgenossiuneu eine kleine Wohnung in der Stadt, denn die Gartenschenke ist so leicht gebaut, das; sie nicht gegen die eisiaen Stürme hin- 125 länglich schuht, welche diese freiliegende, luftige Sommerwohnung von allen Seiten erfassen und mit Mlte nnd Unbehagen überschittten können. — So werden nnn diese beiden alten Mädchen in einförmigster Lebensweise nnd in ewiger Arbeit ihre noch beschiedenen Tage hinbringen, bis ihnen die fleißigen Hände schlaff herabfallen oder sich zum letzten Gebete falten. Ach, nicht allen ist es vergönnt volt dem Leben als einer „schönen, frenndlichen Gewohnheit des Daseins nnd Wirkens" zn scheiden, gar Mancher schleppt es hin mit Dnldnng nnd Ergebung als eine drückende Last nnd überläßt dem erlösenden Tode gern die Bürde, die ihm das Herz zusammenpreßte. — Da kommt die Arme und versucht ein heiteres Lächeln, während sie das Nähkästchen vor mir auf den Tisch stellt. Sie rückt eine ans ranhem Tannenholz gefügte nnd. halbverwitterte Fnßbant zurecht nnd uimmt anf dem Har-tenstuhl Platz, nm an dem blendenden WelsMng zn arbeiten, welches idreu Schoosi bedeckt. „Was soll denn da werden, Fräulein Meta, mit dem feinen Leine»! nnd den rothen Fädchen?" — „Ich will Wäscke zeichnen, schauen Sie mal lier, dieses Alphabet anf dem Muster, sind die Buchstaben nichi reizend ver-schlnngen? Dieses U und dieses L habe ich gewählt; die Mte Hermiue führt mm bald einen andenl Familiennamen, es gehört zu lhrer Änsftener, was ich hier zeichne." -— „Wer ist denn die glückliche Braut?" frage ich, froh em Thema gefnnden zn haben, welches die Unterhaltung nicht sobald ins Stocken gerathen lassen würde. — „Ja wohl, seufzt Meta, es ist eine glückliche Braut, die Her- 126 mine, die nun bald Frau Doctor Schiller heißen wird; ihr Bräutigam hat sich vor nicht langer Zeit bei nns als Arzt besetzt, und er ist ein sehr liebenswürdiger und solider Mann. Aber Hermine verdient's auch," fährt Meta mit Wärme sort, „daß es ihr gut geht, sie war ein herziges liebes Mädchen von Kindheit auf; wie oft habe ich die Kleine ans meinen Armen gehalten, als der Vater nuch lebte und wir in der Stadt wohnten. Ganz so glücklich wie sie damals ans den klaren, blauen Augeu nach anlächelte, lächelte sie mich gestern an, als sie ihre Be-stelluug machte; sie reichte nur die Hand wie einer alten Freundin nnd will Alles meinem Geschmack überlassen, — Ihre Eltern aber find hochmüthige Leute und gehen stolz und kalt an mir vorüber, kaum meinen Gruß erwiedernd, obgleich unsere Familien vor langen, laugeu Jahren befreundet waren. — — Doch so geht's dem Armen," seufzt das Mädchen nach einer Pause, und es feuchten sich die ans das Weißzeng geneigten Angen. „Ei, wer wird sich um solch thörichte Leute Kummer machen," meinte ich tröstend und warf, da mir im Augenblick nichts Besseres einfallen wollte, einige allgemeine Redensarten hin über die Laune des Schicksals und raschen Glückswechsel, welcher oft gauz unerwartet und plötzlich ein sich abhärmendes Herz in ein froh und glücklich schlagendes verwandeln koune. — Doch Meta, antwortete kopfschüttelnd und durch Thränen lächelnd- „Ach, für mich ist das Alles nicht, lieber Herr, denu".....„Warnm nicht," unterbrach ich scherzend, „können Sie nicht so gut wie gestern Veitel Hirsch das große Loos gewinnen, oder 127 kann nicht noch alle Tage ein reicher Freier kommen und der noch immer hübschen Meta aufgeben, recht fleißig an der eigenen Aussteuer zu arbeiten!" — Niemals hatte ich Ursache, einen leicht hingeworfenen Scherz so tief zu bereuen, als diese ganz unschuldige Aeußerung, die mau mancher alten Jungfer sagen darf, ohne dafür scheel angesehen zu werden. Aber was war das mit der Meta? Kaum waren meine letzten Worte in dem Rollen und Rasseln einer eleganten Karosse verklnngen, welche hart an der Gartenschenke auf der Landstraße da-hinbrauste, als Meta mit einem leifen Schrei krampfhaft nach den: Herzen fuhr, heftig das Weißzeug von sich warf und laut weiuend dem Gartensaal, zueilte. Verdutzt starrte ich der Fliehenden und dein dahin rollenden Wagen nach, aus welchem das blasse Antlitz eines Mannes zu mir heraufblickte, und folgte dann der Meta, um sie zu begütigen. Aber an der Schwelle des Gartensaals trat nur verstörten Gesichts die Tante entgegen und sprach mit Hast: „Ach Gott, das arme Kind, es hat sich in der Küche verschlossen mit seinein alten Uebel, dem Weinekrampf, es ist herzzerreißend!" — Auf meine beforgte Frage, ob ich die Arme gekränkt hätte, erwiederte die Tante: „Nein, nein! ich weiß schon, es ist um den dort", und damit zeigte sie dem eben vorbeifahrenden Herrn nach. — „Wer ist denn der Mensch, nnd was hat ihm die arme Meta gethan ?" fragte ich mit reger Theilnahme. „Ach, das ist eine lange Geschichte, lieber Herr," antwortete die Tante, „doch ich will's kurz machen, ich sehe Gäste die Straße entlang kommen. Stellen Sie sich vor, 128 der dort zum Thor einfährt, ist der reiche Werner, er war vor länger als zwanzig Iabren mit der Meta so gut wie verlobt, und mehr als einmal hab ich's mit diesen meinen Ohren gehört, daß er ohne die Meta, die ihm von ganzem Herzen gut war, nicht leben könne. — Da kam, wie Sie wissen, das Unglück über nnser Halls, und Meta wnrde ein armes Kind. Nun ging'o an ein Znreden von Eltern nnd Verwandten nnd andern neidischen Leuten anf den Werner, er solle doch bedenken, was er vorhabe, ein armes Mädchen wäre ihm nichts nütz, er müsse Geld im Geschäft haben, nnd einer reichen Braut in H . . . wäre er herzlich willkommen. Lange hat er sich gewehrt, aber endlich hatten sie ihn mürbe genlacht, und er reiste ab, nm mit einer reichen Fran wiederzukommen. Gott! wenn ich noch an die Zeit denke, mochte ich vergehen. Wir glanoten, die Meta wäre nns gestorben, da war gar kein Trost möglich, nnd oazu nm> die ungewohnte Noth und bald drauf da5 kümmerliche Leben bier anf der Garteu-schenre! Äch, ec> wollte nn^ kein sroher Tag mehr kommen. Aber der Werner ist seiner reichen Frau auch nicht frod geworden; ob ihm doch das Herz blutete wegen der verlassenen Meta, die wie eilt Schatten wurde, oder ob seine Fran, oon der er nun schon seit Jahren gerichtlich geschieden ist, wirklich so bös war, wie die Lente sagten, — genug, er soll trotz seines vielen Geldes immer mürrisch nnd nnznfriedeu gewesen sein. Nachher ist er nach H . . . gezogen, und, obwohl er der Frau das Ihrige zurückgegeben, noch immer reicher geworden, woraus man sieht, daß das Wort Necht behält, welche« sagt: Wer 129 unglücklich in der Heirath ist, der ist glücklich in: Spiel und im Geschäft. Das Geschäft hat er mm ganz angegeben nnd wohnt seit letztem Winter wieder hier, er ist erst 45 Jahr alt nnd schon fast ganz weiß, aber ich sehe ihn noch vor mir, als wär's gestern gewesen, mit seinen kastanienbranuen Locken, wenn er kam und der Meta sagte, daß er nicht ohne sie leben könne. Acl', das arme Kind hat ihn nie vergessen. Wie oft hab' ich drum mit ihr gezankt und ihr die Gedanken an den Falschen ausgeredet; half Alles nichts. Seit diesem Frühjahr ist's schlimmer mit ihr geworden als die Jahre vorher, als der Werner fort war. Ist's doch auch, als ob der böse Mensch die Anne noch verhöhnen wollte, da er fast täglich hier vorbeifährt; es giebt doch der Fahrwege mehrere nnd bessere. Aber so bös, uns zn verhöhnen, ist er doch wol)l nicht, denn schlecht war er eigentlich nie, allein die Meta kann ihn nicht sehen, ohne daß das alte Nebel eintritt. Aber da kommen die Gäste, ich mnß mich rühren, das arme .^tind ist ganz verweint nnd kann sich nicht sehen lassen. Beehren Tie nns recht bald wieder, >)err Doctor!" „Frent ench des Bebens! Weil noch das ^äinpchen glüht!" fingen die den Garten betretenden Gäste, junge, gesnnde Bursche, die dein Frohsinn und dem vollen Lebensgefühl, welches ans ihren glänzenden Augeu leuchtet und von ihren frischen Wangen strahlt, in dem ersten bestell Inbelliede Ansdrnck geben. — Was mag die anne Meta deuten, wenn der Jubel dieser glücklichen Menschen die einsamen Wände durchhallt, welche Zeugeu ihrer 130 Thränen und ihrer Qual sind! „Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual," sage ich mir leise, als ich die dnftende Fliederhecke entlang der Stadt znwandere. Fern nnd nah in der lachenden Natur umspielt mich fröhliches Leben, die bnnten Falter und Käfer tnmmeln sich ausgelassen über den nickenden Blüthen, der Wettgesang der Vögelein dnrchklingt lustig die frisch grünen Zweige, nnd drüben auf weitem Wiesenplan jagen sich in übersprudelnder Lebenslnst die jungen Füllen, welche mit ihren Koboldsprüngen die anfbrüllenden Heerden der „breitgestirnten, glatten Schaaren" in dein behaglichen (He-nnn der süßen Weide stören. Wie klangvoll und so ganz aus voller, freudig gestimmter Seele ertönt das lnstige Lachen jener Nleicherinnen zu >nir herüber, vor welchen dort der junge Tchifferbursche seinen Kahn allhält, nm seine wohlaufgeuomineuen Scherze zu treiben. Einen blitzenden Regenbogen uou dichten Wassertropfen schlendert der Schalk mit dem Nuder auf die Mädchen, nud kreischend stürzen sie mit ihren Wnrfschauselu zum Ufer, um bleiches >nit Oleichem zu vergeltet^ aber der Bursche weiß das Rnder zu führen, ein paar kräftige Stöße treiben ihn in die Mitte des Stroms, nnd die drohenden Mädchen anslachend schießt er mit dein leichten Kahn pfeilschnell dahin. — „Halt, Schiffer, Landsmann, nehmt mich mit zum Werder!" — Und gleick knirscht der Kahn des gefälligen Schiffers anf dem Ufersande, nimmt mich auf uuo führt mich rasch den Freunden auf dem Werder zn. — Die lagern dort singend nnd plaudernd bunt im Grase, 131 und der Strahl der ungetrübten FrüIMngssonne umzittert ihre gefüllten Gläser mit goldenen! Feiler, Sie lassen die Gläser erklingen und entflammen mit dein goldenen Feuer das Herz, daß es höher schlägt im Wonnegefühl des Daseins; aber mein Becher bleibt unberührt, ich kann jetzt nicht fröhlich sein mit den Fröhlichen, denn das ringsum, blühende Frühlingsleben verwandelt sich vor nur in die Oede des Winters, wenn ich des armen gebrochenen Herzens gedenke, welches drüben anf der Gar-tensckenke sich abhärmt in tiefem, unheilbaren Weh. — ^-Ich setze mich zu einem alten, braven Herrn ans der Stadt, den die Würde der Jahre nnd der Schmuck der Silberlocken, welche sein schönes Greisenhanpt umspielen, von der allznlauten Lust der Jugend ferner halten, nnd theile ihm mit, was mein Herz winterlich trübe stimmt inmitten der Frühlingswonne. „Ach ja, das arme Mädchen," meint der Herr theil-uehmend, „ich kenne die Geschichte von Anfang an: der Herr Werner würde auch froher dnrch's Leben gehen, wenn er dein Mädchen nicht die Treue gebrochen." — „Ist denn der reiche Mann nicht glücklich?" — „Ah, sehen Sie ihn nur an, er ist an Jahren ein Jüngling gegen mich, aber wenn wir zusammenstehen, soll es Ihnen schwer werden zu entscheiden, wer von uns der ältere ist. Der hat mit seiner Fran ein Leben geführt, wie ich'Z meinem ärgsten Feinde nicht wünsche. Und seit er sich dem unerträglichen Ehejoche entwnnden hat, ist's mit ihm um nichts besser geworden, es ärgert ihn die Fliege an der Wand, und man munkelt gar von einem Selbstmordver- 132 such, den er ueltlich gemacht baben soll, und der durch semen Buchhalter glücklicher Weise vereitelt wurde." Uuser Gespräch stockte, »veil jeder von uns wohl viel zu denken hatte. „Wie öd und winterlich mag es in dem Herzen des nnglücklicheu Mannes aussehen," dachte ich bei mir, „der vielleicht heute dort so froh wie Jene sich des Weins und des Frühlings freuen würde, wenn er vor langen Iahreu das Herz, welches er brach, an das seinige gezogen hatte. Wie froh würde er seines Reich-thnms, wie froh vielleicht einer blühenden Kiuderschaar jeiu, während jetzt in den öden Prachtsälen nur Melancholie, Trübsinn und vielleicht anch Rene seine einzigen quälenden Gesellschafter sind." Im ^aufe des Tags uud im (Geräusch der Heimfahrt vergaß ich der beiden unglücklichen Menschen und ibres srendenlosen Daseins und dachte wohl mehrere Wochen nicht viel darau; hat doch ein Jeder im Dränge des Bebens so sehr mit sich selbst zn thun, das; ibm weitig Zeit übrig bleibt, sich viel mit den Schicksalen und Lebenswegen Anderer zn beschäftigen. Da ward mir eines Morgens ein Vrief überbracht, und wer beschreibt mein Erstaunen, als mir beim Oeffnen desselben eine >tarte ent-gegenfälli, anf welcher tief schwarz und träftig die lapidarischen Worte erglänzen: „Notn l? —, t5V«5»'!,ci-, Jetzt ließ es mich nicht im Hause, ich mußte wieder hin zu den waldigen Bergen, zn den grünen Wiesen nnd dem wimpelbedeckten Strome der Stadt, wo jent zwei 133 Herzen sich verjüngten und noch einmal warm wurden im Frühliugsgefühl der Jugend, der Ingend, die in ihrer ganzen Kraft uud Lebensfülle längst für sie vorüber war, die aber jetzt noch einmal gleich der scheidenden Sonne hell und warm in ibuen aufflammte nnd sie die winterlich trüben Tage vergessen ließ, die ilir bekümmertes Gemüth Inmitten der schönsten Tonnenpracht angefröstelt hatten. Mein erster Neg führte anf die Gartenschenke. Ein mich fremd anblickender Kellner brachte mir den verlange ten Schoppen, und anf meine ^rage nach dem Fräulein Meta antwortete der Bursche respectvoll: „Fräulein Meta sind ebeu mit dem Herrn Commerzienrath znr Stadt gefahren." — „Ist denn die Tante nicht zu Hause?" — „Ja, Fräulein Katharine sind in der Küche, ich bin zur Aushülse bier, doch nur anf einige Wochen, denn sobald Fränlein Meta ihre Ansstener besorgt hat, mit welcher sie jetzt beschäftigt ist, wird die Hochzeit ausgerichtet, uud ich trete dann bei der Herrschaft als Bedienter ein, um sie zunächst auf ihren Neiseu zu begleiten. Die Gartenschenke geht dann ein, weil der Herr Commerzienrath hier ein Landhans bauen wollen." Ich frenete mich von ganzem Herzen darüber, daß die Gartenschenke auf solche Weise dein Pnbliknm verloren ging, und begrüßte die Taute, die mir mit dem, glücklichsten Gesicht uud in gewohnter Redseligkeit entgegenkam i „Nicht wahr, Sie wundern sich, lieber Herr", flos; es ihr geflügelt vom Munde, „das hätt' ich anch im Tranme nicht gedacht, datz es noch fo kommen follte! Aber der Herr Werner ist nicht umsonst nnd am allerwenigsten aus Hohn 134 so oft hier vorbeigefahren, er hat's eben nicht lassen können, nnd es ist ihm nicht besser ums Herz gewesen als der Meta. Gott! ich dachte, sie würde nicht wieder alls der Ohnmacht erwachen, als am Tage vor Pfingsten der Werner so blaß nnd verstört hier heranfkam nnd grade anf nns zn in den Gartensaal trat. Geweint hat er wie ein Kind, und als die Meta sich endlich vou ihrem Sckre-cken erholte, hat er wohl hnndert Mal gesagt i sieh'st dn nun wohl, Meta, daß ich ohne dich nicht leben kann, ich hatte es wabrlich nicht gelogen, wenn ich dir dus früher sagte, nnd wenn du nun willst, dah ich leben soll, so mußt dn mit mir leben als meine liebe, liebe Fran. Na, das Andere können Sie sich denken; Meta sagte natürlich nicht nein, nnd Alles ist in Ordnung. Mein Himmel! das wird zu thnn geben fnr die Hochzeit, die ganzen Honoratioren werden eingeladen, und es kommen jetzt keilte, uns zu gratuliren, die nils früher nicht gekannt haben nud ganz nntröstlich sind, das; sie das Glück unserer Bekanntschaft so lange hätten entbehren müssen. Ich denke natürlich mein Theil dabei, es ist ja ein-nlal so in der Welt, vor dem Gelde bengt sich Alles, aber freilich, den Werner hätt's dock nickt'froh gemackt, wenn er die Meta nickt nahm." Nicht ohne Mühe entfloh ich endlick mit guter Mc^ nier dem Nedeslnß der Alten, nnd ihre letzten Worte fest haltend dachte ich, als ich wieder zwischen den Fliederhecken der Stadt znging: „Ja, allmächtiges Geld, wer vermag mehr über den Altagsschlag der Menschen als du! Die Menge betet dich an, ist dein Eclav und du 135 schlägst Herzen und Gedanken in goldene Fesseln, dn machst Lüge zur Wahrheit, Thorheit zur Weisheit, Schurkerei zur Tugend, du fassest selbst mit kalter, metallener Hand in den mächtigen Zng der Natnr, welcher das Herz zum Herzen zieht. Aber was kannst dn deinen Sclaven geben für den Verlust der edelsten Gefühle und der Selbstachtung? Nnr immer und immer wieder dich selbst. Nnr immer den blinkenden Schein des Glücks, aber nicht das wabre Glück, dessen Füllhorn edleren Händen anvertrant ist. Dn tonntest den tiefen Riß in Werner's Leben mit Goldschauni überziehen, aber nicht ibn heilen, und nicht mit Millionen hättest dn dem treuen Herzen der Meta da5 einmal verkümmerte Leben verschönt. — Schall, da tommcn sie ja Arm in Arm den Weg herauf." Glück nnd Frende strahlt ans den Gesichtern, al^ ich freundlich grüßend meine Graduation anbringe, ^ch konnte nicht umhin an mein prophetisches Scherzwort zn erinnern, nach welchem die Meta bald mit der eigenen Ansstener zn tlmn baben würde; nnd selig blickte mich jetzt das Mädchen au, das damalv weinend von mir gestoben war. Herr Werner bot mir herzlich die Hand, nnd ich nmßtc ilnu mein Wort geben, daß ich bei der Hochzeit nicht fehlen würde. Das gab ich nnd verließ froh die Glücklichen. Silberner blinkte mir heilte der Strom, blumiger erschien mir die Niese, nnd fröhlicher erklang mir das Leben in der schönen Landschaft, die mit all ihrer Wonne jetzt wohl noch tiefer empfnnoen wnrde von dein lang getrennten Paar, dem nach trüber winterlicher Zeit endlich noch ein holder Frü tiling lächelte. Eine Wanderung nach der Winzenlmrg. Hasi dn Lust, lieber Leser, mit nur Blüthen alter Bolksvoesie zu drecken, wie sie frisch nud bunt an einem über Niesen, Feld und Wald führenden Wege blühen, so begleite mich ans einer Wanderung von Hildesheim uach den Trümmern der Winzenbnrg, dem uralten Sitz des berühmten Hausgeistes Hödeken. — Kein anderer Landstrich im alten Stift möchte dein Sammler ober dein Arennde der Volkspoesie eine so reiche Fülle vou Sagen bieten, wie der, welcken wir jetzt durchstreifen wollen. Kanm haben wir das südliche Thor der altehrwürdigen Stadt verlassen, um den fernen waldgekrönten Bergen zn-zuwaudern, welche die Thäler von Saldetfurch nno Lammspringe umkränzen, so wandelt unser Fuß ans dem Anger, welcher das versunkene Dorf Hoheusen bedeckt. Ist's eine Sonntagsfrühe, in welcher wir unsere Wandernug antreten, so dürfen wir uus uur auf dem üppigen Rasen niederlassen und das Ohr an die Erde legen, dann Kurd leise herauftiingender Orgeltou und (^lockeuklang aussagen, daß die versnukene Gemeinde auch in der Unterwelt noch weiß, wie dieser Tag der Tag des Herrn ist. 137 Mitten im Anger stoßen wiv ans den Torso eines Steinbildes. Man erkennt nnr noch das Brnststück, Das ist der letzte Rest vom Bürgermeister Prallas, welcker einst mit feinem Spießgesellen Kattenbrat' die Stadt verrieth. Die Verräther hatten versncht, den Feind znm Hagenthor einzulassen, wnrden aber an ihrem bösen Vorhaben verhindert nnd zur Strafe ihrer Verrätherei in eisernen Körben a>n Tbor aufgehängt. Als sie nnn in diesen Körben gestorben nttd verdorben waren, stellte man znm ewigen l^ed^uken der Verrätherei ihre Steinbilder ans der Stadt-maner am Hagenthor anf. Da standen sie Jahrhunderte lang nnd wurden von den bindern nu't Steinen geworfen, bis vor der alles umkehrenden Zeit Thorgewölbe nnd Mauer, und mit ibnen Kattenbrak nnd Prallas znsmnmen-stiirzten. So lange die Bilder standen, liefen jedesmal am Charfrcitagmittag die Kinder der ganzen Stadt vor dem Hagenthor zusammen, denn dann, hieß es, würden die Steingebilde Schlag zwölf Uhr auf eines Hahnenschrei's ^ä'nge lebendig und kehrten ihre sonst abgewandten (Gesichter der Stadt zu. — Der liebliche Reiz der Landschaft, welcher sich jetzt reicher nnd reicher unsern Blicken entfaltet, rnft die Gedanken alls dem Moder eutschwnndener Jahrhunderte ins frische Lebl.'n znrück. Rüstig wandern wir, von wogenden Kornfeldern nmrauscht, auf den Höhen dahin, und unser Ange schweift über das frische l^rün der weithingestreckten, von der vielfach gewundenen Innerste mit silbernen Borden geschmückten Wiese zn dem Aznrblan der fernen Berge, welches mit dem altergranen, von stolzen Pavpeln um- 138 grünten Schloß Marienburg verschmilzt und den trunkenen Vlick gefesselt hätt. Eine feierliche, milde Ruhe liegt in dieser Tonn tagsfrühe anf dem weiten grünen Plan, er lockt uns von der kahlen Höhe zu seinen weichen Pfaden und, wie steil auch der Adbaug ist, wir stürmen ihn, wie in fröhlicher Knabenzeit kühn hinab, der Iubelschlag der Lerche begleitet unsere tollen Sprünge und verschwimmt, wie nur ausathmend nuten anf schwellenden! Rasen stehen, mn den tief znm herzen sprechenden Tönen desMöckleins im fernher schimmernden Dorft'irchthurm. Die Töne tragen nnsere Gedanken davon nuo wiegen sie ein in träumerische, wonnige Rübe, -- da gähnt uns aus dein Thon-schieferhügel, welcher neben unserm Pfade herläuft die schwarze Müudung einer Höhle an, es ist das „Zwergs-locb"; eifrig flüstert nnd nickt ein seltsam verzweigter Hagedorn vor dein schwarzen Eingang, als plauderte er dort mit uusichtbaren Wesen, die seine Sprache verstäudeu uud theilnehmend zuhörten, wie es einem alten, wetterzerzausten Hagedorn zu Muthe ist. Die Zwerge lasseu sich nicht mehr seheu, die meinen sind längst ausgewandert, nnd der Rest hat sich ties in das Innerste der Höhle zurückgezogen und vor den zudringlichen Menschen auf immer verborgen. Vor Zeiten hausten sie liier als ein arches Volt uuter einem mächtigen König, und der Vesilzer der kecker, welche über dem Zwergsloch liegen, war ein glücklicher Mauu, deun die Zwerge wareu fleißige Schmiede, und durch die Hitze ilirer immer ranchenden Esse, welche den Erdboden weit uud breit durchwärmte, gedieh das Korn oben so wuuderbar, das; es 139 hundertfältigen Ertrag gab. Ja, nicht selten sol! man in den dort geernteten Achren silberne und goldene Körner gefunden haben. — Ein reicher Sagenschatz von hober Alterthümlichkeit nnd tiefer mythologischer Bedeutung mochte frülier über die Lippen des Volks gehen, wenn des Zwerglochs erwähut n'nrde, denn schon das Venige, was erbal-ten wurde, ist bedeutsain, schön und drollig, ec> tnnlmelt sich vor unserer Phantasie wie der prachtvolle Machaon, der dort mit dem getigerten Segelfalter den Distelbusch anf kahler Höhe umflattert, nnd begleitet uns zur „itarbe", einer öden Bergschlncht vor Marienbnrg, nm hier durch die Erinnernng der Sage verdrängt zn lverden, die an dem schanerlichen Orte haftet, welchen wir jetzt betreten. Der hart am Ufer der Innerste sich hinziehende Thon-schieferhügel, dem wir nun schon eine halbe Stuude laug gefolgt sind, fpaltet sich bier in kahle Wände, welche nach uuteu so nahe znsammentreten, daß das lnndurchfließeude Riesel kaum uoch einein ^i:ßgänger 3tau»l laßt. Mit Mühe verfolgen wir den ,^anf des Bachs, der über tleine Abhänge stürzend, leise plätschert nnd murmelt, als habe er Oeheimuißvolles zu erzählen. Die Sprache des Baches ist der einzige Laut, den mau in dieser Einsamkeit ver-nimml. Plötzlich aber rauscht nnd flattert es ringsnncher, und eine Flncht Krähen bebt sich lautkrächzend in die, Luft. Indem wir nnwillkilrlich die Flncht mn dein Ange verfolgen nnd unsere Blicke nach allen Seiten hinwenden, sehen loir nns gauz von den Thouschieferwändeu eiuge-schlössen. Da ist kein Ansgang nnd kein Eingang nud keine Ferusicht, nur ein kleiues Stück der Himmelsblau? 140 lacht über uns und wir wissen, daß wir an „Schaper-jobanns" feuchtem Grabe stehen. Hiev nämlich hat der Bach ein breites Beckeu ansgewühlt und in diesem rnhen die Gebeine Schaperjohanns. Schaperjohann war der 'limne eines zllr Zeit des dreißig jährigen Kriegs berüchtigten Räubers und Mammonsdieners, der durch eine lange Reihe von Verbrechen große Schätze znsammengebänft hatte, Tiefe vergrub er in der Schlllckt und leitete den Bach über den verborgenen Hort. Von Zeit zn Zeit aber begab er sich in diese Einfamkeit, um sich all seinem Mammon zn erfrenen nnd ihn dnrck nelle Bellte zn vernlehrell. Tann dämmte er oberhalb den Bach ab, legte das Flußbett trockell llnd lvühlte gierig ill dem unrechten l>ld stürzte /,-els-stiiäe vor sich herivälzend auf den Räuber nieder, so daß er zusammenbrach lind für immer mit seinen SäMen zn Grunde ging. Run geht er Nachts nm nnd schreckt die ^ente dnrch einen Weheruf, der das Blnt erstarren macbt. (5ines Nachts erschien er einem beherzten Schäfer in der Hürde nnd offenbarte ihm, wer er sei nnd wie er nm-gelommen, nnd bat den Schäfer flehentlich, ihn zn erlöfen. — „Was trieg ich dafiir >lnd ivie fang' ich's an^" fagte der beherzte Schäfer. — „Tn gehst, wenn die Sonne hoch im Mittag steht," antwortete mit einem tiefen Seufzer das Gl'fvcnst, „in die jtarbe bis an das große Wasserlock, 141 dämmst oberbalb das Wasser ab nud gräbst und gräbst und läß'st dich durch nichts irren, bi^ dn »leine Gebeine findest, die hebst dn ans lind begräbst sie mit einem Vaterunser in geweihter Erde. Dafür soll der Schatz dein sein, über welchem jetzt meine (Gebeine ruhen, er wird hinreichen, dir eine Grafschaft dafür zn taufen." — „Gut," sagie der Schäfer, „ich will'5 thnn." — Da verschwand der Geist. Ml folgenden Mittag machte sich der Schäfer nut dem Grabscheit ans den Weg, nnd als er die Schwcht betrat, flog ein Nabe so groß wie eine Gans auf, zeigte dem Schäfer den Weg und rief: „Grab, grab, grab!" — Der Nabe setzte sich über dem großen Wasserbecken auf einen Hagedornstranch nnd ließ nicht nach mit seinem Rnf, bis der Schäfer arbeitete, daß idm der Schweiß von der Stirn floß. Er sperrte mit einem starten Damm den Bach ab nitd schöpfte mit seinem Hute das Wasser ans, welches über Schaperjohanns Grabe stand, dann fing er eifrig zu graben an und hatte schon einen gnten Theil Schlamm nnd Schntt weggeränmt, al? ferner Donner ilm anfhorchen nnd mit der 'Arbeit einhalten ließ. Da schlng der Rabe wild mit den Flügeln nnd schrie lauter nnd eifriger als zuvor 1 „Grab, grab, grab!" — Mit ängstlicher Hast grub der Schäfer tiefer nnd tiefer, da flammte ein Blitz anf, ein fnrchtbarer Dounerschlag machte den Berg erbeben nnd gleicb einem Nolteubrnch stnrzle der Regen berab. Erschrocken sprang der Schäfer ans der Grube, aber sein Schrecke« sollte sich ,inm Entsetzen steigern, denn der riesenbaste Rabe stürzte anf ilm herab, schlng ilm grimmig mit den scdwarzeu Flügeln und 142 rief mit einer Stimme, die den Donner übertönte'. „Grab, grab, grab!" — Da zischte, henlte und pfiff eine Winds-brant durch die Schlncht und N'arf den Naben vor sich her, vergebens kämpfte er gegen die Stnrmesgewalt, nnd bald erschallte uilr noch ans weiter, weiter Ferne wie von verzweifelnder, ersterbender Stimme das schauerliche „Grab, grab, grab!" — Aber mit dem Graben war's aus, denn der dochangeschwollene Bach durchbrach den Damm, stürzte seine donnernden Wogen in das trocken gelegte Becken nnd deckte mit Schlamm nnd Felsstncken die Gebeine Schaper-johanns für immer. Denn den Schäfer hätte, wie er später versicherte, kein Königreich dazu gebracht, die Arbeit wieder anfznnehmen, nnd wird anch kein Anderer so vermessen sein, die Erlösnng zu wagen. Drnm werden die Gebeine des Räubers dort im feuchten Grunde anf nn-rechtem Gnte ruhen, bis zum Tage des Gerichts. Auf, binans, ans diesem unheimlichen Erdwinkel in die heitere, sonnige Landschaft! — Wir folgen dein Bache answärts und sehen uns bald im bnnten Gewimmel der Landstraße, der folgen wir der rauschenden Papelreihe entlang nach der Marienburg, welche, wie das Volk sagt, einst die Veste mächtiger Tempelritter war. Unser Blick schweift nm das graue Gemäuer nnd haftet am Giebel an dem Storchennest, ans welchem eiubeiuig, ehrbar und würdevoll Vater Storch steht nnd nach der Frauliebsten ansschant, welche dort im Niesengrnnd schwebt und am froschreichen Weiber als brave Hcmsfran anf der Familie Nahrung nnd Nothdurft bedacht ist. Da holt uns, als wir langsam auf Eqenstedt znschrei- 143 ten, cin bekitteltes und rauzenbehängtes Bänerlein ein und wnnfckt unsere Oesellschaft, »veil es sich in Gesellschaft besser gehe. Das geben wir zu, nnd uachdem die einleitenden Redensarten über die Vesckaffenheit des Wetters abgemacht sind, bleibt unser Mann plötzlich stehen, zeigt ans einen Stemhanfen an der Straße nnd erzählt nns, daß hier der Raubmörder Fritz Hartmann seinen Wohlthäter gransam erschlagen habe. „Doch er hat seinen Lohn gekriegt," fabrt das Bänerlein fort nnd zeigt nns drüben am „Son-nenberqe" ein iveiftes Kreuz, „dort ist ihm nack Urtheil und Recht der Kopf abgeschlagen, den er nnn nnterm Nrm trägt, lvenn er allnäcbtlich vom Kreuze bis zn dieser Mordstelle seinen Gang hin nnd znrück macht. — O!" fährt der Mann nut geh ei mnisiv oller Miene fort, „dort ant Sonnenberge ist noch mehr vorgegangen, davon ließe sich viel erzählen!" — „Immer erzäblt, guter freund!" sagen wir, und unser Reisegefährte hebt au, »vie folgt -. Ein Mann, der fpät iu der Nacht von Hildesheim nack Salzdetfurtb botenweis ging, sah anf eininal mn Sonnenberge auf der Haide einen hellml Schein. Neugie-rig ging er näher nnd sah bei einem hellen Feiler nnd viel tanseud «Achtern eine große (Gesellschaft von Männern, grauen nnd schön gepntzten Inngfern, die tanzten und lackteu, aßen nnd tranken, als ob Freischießen wäre. Ei, dachte der Bote, da kannst du wohl auch noch Einen auf die Rackt für den Magen nehmen, nnd marscbirte munter auf die lustige ^»esellfchaft los. Doch kaum war er anf Steinwnrfsweite herangekommen, als ein großer schwarzer Mann mitten aus der Gesellschaft anf- und bis in die 144 Wolken wuchs, der tbat seinen Mund, in welchen man wohl um einem Fnder Heu hätte fahren tonnen, anf nnd rief: „Es sind zwei Augen zn viel, soll ich sie aufblasen ^" — Da merkte der Bote, wen er vor sich hatte, und schrie laut: „Jesus, Maria und Joseph!" — Kaum waren die Worte ans seinem Mnnoe, so stand er in der dichtesten Finsternis; und statt des Jubels und des Lachens borte er nur Heuleu und Geschrei, das kam aber ans weiter, weiter Ferne, in der Mbe war alles todtenstill geworden. Der znm Tode erschrockene Mann betete nun ein Va-ternnser nnd ein Oegrüßet sei'st du! nach dem andern nnd wollte sich anf den Weg machen, aber es war ihm nicht möglich von der Stelle zn kommen, so dicht war die Fiu-steruiß riugsunl. Da dachte er - es kanu nicht mehr lange hin sein bis znm Morgengrauen, ich will hier warten. Er befahl sich in Gottes Schutz nnd setzte sich da, wo er gestanden, auf den Rasen nieder, um das Morgenlicht zn erwarten. Aber er wartete Stnnde nni Stuude und es wollte nicht Tag werden. Da merkte der arme Mensch endlich, daß er blind geworden, und jammerte lant. Auf sein Hülfeschreien tan» ein Schäfer herbei, der ihn zu Leuten brachte, die ibu mit in die Stadt ualnneu. Nenn Monate, neun Wochen und neuu Tage laug blieb er blind, als diese Zeit aber nin war, da hanckte es ihn auf einmal in der Morgenfrühe wie von Rosen und Nelken an, und er war wieder sehend. Seine Freunde und Vettern liatten iyn ost anfgefor-dert, vor den Rath zn treten und die Lente, welche er in der lustigen Gesellschaft auf der Heide erkannt hade, an- 145 zuzeigeu. Aber er schüttelte immer den Kopf und sagte: „Mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen!" — Da merkte man wohl, daß recht vornehme Leute, vielleicht gar Rathsverwandte nnd Amtleute an dem sündigen Werke theil gehabt hatten. — Ei, da haben wir ja ein Hereubanket, so schön wie es nnr in Prätorius Blocksbergs-Verrichtnng oder im Simvli-cissimns beschrieben werden kann! Die Geschichte ist einen quteu Trunk werth, nnd den tonnen wir hier anf der „Mordmühle" habell. Wir treten in das gastliche Nirthsbans, welches den furchtbaren Namen führt, nnd stärken uns durch ein gutes Frühstück zu der anstrengenden Wanderung durch die Berge, welche jetzt im grüueu Waldschmuck vor nn5 anfragen. Unser Bäuerlein Zecht für seine Geschichte tapfer mit, wird lebhaft und mittheilsam nnd meint, ob wir denn wohl wüßten, woher dies Haus den Xiamen Mordmüble habe? Wohl wissen wir'Z, aber der Mann mag's in seiner Weise erzählen: „Vorlieben laugen Jahren, in einer heiligen Chrismackt, war der Müller, denn dazumal war die Mordmühle noch eine wirkliche Mühle, mit Frau und Kindern und allen seinen Leuteu uach Tetfurt zur Nachtkirche gegangen. Nur eine einzige jnuge Magd war zn Hause gebliebeu, nm für die Herrschaft uud die Knappen ein Warmbier zn kochen, damit sie doch etwas Warmes in den Leib kriegten, wenn sie zn Hanse kämen; denn es fror die Nacht Bickelsteine. Die Magd stand nun, es mochte wohl Mitternacht vorüber sein, in der Küche, welche dicht am Mi'chlbett lag, bei ihrem Topfe uud aHute nichts Böses. Mit eiuemmale fängt's 146 draußen an zu flüstern und an den Wänden zu graspeln, daß der Magd die Haare Zu Berge steigen. Doch sie befiehlt sich Gott und alle« Heiligen, faßt sich ein Herz und fängt Zu horchen an. Da hört sie denn, daß ein Mann sagt: „Es ist blos die Magd zu Hanse, mit der wollen wir bald fertig werden, ich null hier dnrch das Wellenloch einknechen und ihr Andern tonnt nachfolgen, ich weiß, daß der Müller mehrere tausend Thaler im Hanse hat." — Da dachte die Magd -. jetzt heißt es, ich oder dn! nahm eine schwere scharfe Barte und — sowie der Kopf des durchkriecheuden Kerls Zum Vorschein kommt, — hast'n nick/ gesehen! — haut sie ihn mif's Genick, daß der Kopf gleich dabei liegt, dann zieht sie leise den Nnmpf nach mtd läßt ihn langsam auf den Boden gleiten. „Vist dn drin?" flüstert es jetzt dranßen. — „Ja," antwortet leise die Magd, nnd gleich daranf kommt ein zweiter Kopf zum Vorschein. Auch der blieb nicht auf dem Nnmpfe sitzen nnd es ging ihm grade wie dein erstell. Als die Magd den Körper nachgezogen nnd neben dem andern leise niedergelegt hatte, hieß es wieder draußen: „Bist du drin?" — „Ja," sagte das Mädchen, nnd gleich daranf versalzte es wiederum einem Räuber das Einsteigen, nnd so ging's fort, bis es neuu Räuber geköpft nnd hineingezogen hatte. Da hörte alles Flüstern nnd Graspeln anf nnd es ward wdtenstill. — Als sich nnn die Magd so mutterseelenallein mit den blutigen Leichen im Hause sah, konnte sie es vor Angst und Grausen nickt mehr aushalten, sie stürzte hinaus und lief, was sie lanfeu konnte, auf Detfurt zu und ihrer Herrschaft 147 entgegen. Tie Herrschaft war auch schon anf dem Heimwege lind bog eben da, wo der große Busch steht, um den Vrink, als das Mädchen herangelanfen t'am, noch ^einmal um Hülfe rief und dann vor Ermattung uud Äugst dicht am Busche zur (5rde stürzte. Davon heißt der Bnsch noch heute der „Störtebnsch" lStürzebnsch). — Tie erschrockenen Müllersleute hoben die ohnmächtige Magd auf uud trugeu sie ius Hans zurück, da sahen sie deuu mit Ttannen und Grauen, was das beherzte Mädchen ansgerichtet hatte. Der Müller ließ gleich satteln nud holte den Doktor von Talzdefurt aus dem Bette, der brachte denn die Magd wieder ins Leben, und die Müllersleute haben sie ihr Lebetage keine Noth leiden lassen. — Teit jener Mordnacht aber hieß die Mühle die Mordmühle." — Wir verlassen die gastliche Mordmühle und das fagen-kundige Bänerlein, scheuten den: Eto'rtebufch eiuen flüchtigen Blick nnd erreichen bald Ealzdetfurt, welches nnt feinen langen, von parallel laufenden steilen Waldhöhen eng eingeschlossenen Hänserzeilen wie kein anderer Ort an das Thüringische Ruhla eriuuert. Mit Staunen bemerken wir hoch am Kirchthurm die eingegrabenen Wasserzeichen nnd begreifen nicht, wie die Lamme, so heisit das winzige Fluß-chen, welches den Ort dnrchfließt, zu solch verderblicher Hohl' anschwellen kann. Nnd doch ist es fo, der Ort hat m Folge seiner Lage, ringsum eingekeilt von steilen Bergen, welche bei heftigen Gewitterregen ihre wilden Wasser mit rasender Schnelle in das schmale Thal herabstürzen, schon oft die schrecklichste Wassersnoth erlitten, nnd wenn jene Zeichen am Thurme nicht trügen, so müssen schon in 148 dell niedrigst gelegenen Gegenden des Fleckens kaum die Schornsteine der Hänscr ans den tobenden Flntheu hervorgeragt haben. Einst wurde, wie man sagt, durch den Leichtsinn nnd die Vermessenbeit gottloser Leute ein solches Unheil über den Ort verhängt. (5s war nämlich im heißen Sommer an einem Sonntagnachmittag und noch nnter der Kirche, als eine Kegelgesellschaft mit vielem Toben nnd Schreien ihr Spiel trieb, nnd von verständigen frommen Lenten ermahnt, mit dein Kegeln nnd Toben doch bis nach dein Gottesdienste zu warten, den Ermahnungen nur Spott und Hohn entgegensetzte. Ja, als ein Gewitter aufzog und der Donner immer drohender nnd drohender rollte, vergaß sich einer der Spieler so weit, daß er sagte: „Der da oben kegelt ja anch nnd muß doch am besten wissen, ob es recht ist oder nicht, wenn man nnter der .Kirche kegelt!" Doch bald verging den Leuteu das Spotten, denn das Gewitter entlnd sich grade über dem Flecken mit^iner Gewalt, als ob der Tag des Gerichts gekommen wäre, und ein Wolken-brnch prasselte nieder, der in wenigen Minuten die Lamme so hoch trieb, dasi die meisten Leute nur noch Schutz auf ihren Äiiden finden konnten. Da nahmen viele großen Schaden an ihrem Eigenthnme, die Spötter aber ertranken alle. — Wir verfolgen jetzt den Lanf des unscheinbaren Flnß-chens, welches sich mit zauberhafter Schnelle in einen verderblichen Strom verwandeln kann, aufwärts und deuten im rüstigen Wanderschritt bald seiuen von lieblicher Sage nm-wobenen Ursprung zu erreichen. Durch lachende, Dörferbesäete 149 Fluren geht's zu dem brannschweigischen Flecken Bodenburg, und haben wir auch dieses im Rücken, so erhebt sich vor UN5 der waldnmranschte „Todtenberg", den wir nicht so heiter und sorglos besteigen würden, wenn statt der hellen Tagessonne nur das ungewisse Mondlicht flimmerte oder gar schwarze Nacht auf jenen Wäldern lagerte nud sie von jenem gransen, weithallenden Klageruf erbebten, der hier schon manch' Mutterkind bis auf den Tod erschreckt hat. — Es ist ein unheimlicher Ort, dieser Berg, ans welchem wir jetzt stehen, er führt seinen Namen von den todten Niesen, die an seinem AbHange begraben liegen; deutlich sehen wir hier noch die ungeheuren (Gräber uud unterscheiden leicht das Grab des Niesenkindes von den Gräbern der Erwachsenen. Ob's diese Riesen sind, die Nachts ihr unheimlich Wesen treiben und in thurmhoher Nebelgestalt über den Anger und dnrch die erzitternden Väume schreiten, oder ob Hackelberg hier ein Lieblingsrevier hat nnd im Nettersturm dnrch die ächzenden Gipfel fährt? Wer kann das wissen! Genng, der Ort ist nicht gehener. — Weich nnd melodisch ertönt ein Glöcklein ans dem Thal herüber, welchem wir jetzt znschreiten; das Glöcklein klingt ^ und singt auf dein Kircbthnrm zu Lammspringe, nnd mild / uud weich wie seiue Töne ist auch die Sage, die nns dort manch schöner Mund erzählen kann. Der Ort Lammspringe führt seinen Namen vom Lamm-chensvrmg oder Lämmchenborn. Dieser Vorn öffnete sich durch die Wnndertrast des Gebets. — Vor uralten feiten uämlich stand auf der Stelle, wo später das Lammspringer Möncholloster erbaut wurde, ein Nounentloster. Einst 150 kamen dort die frommen Schwestern in große Noth, weil in Folge anhaltender Türre alle Brnnnen versiegt waren und weder für Thiere noch Menschen das nöthige Wasser beschafft werden konnte. Diese Noth schnitt einer Schwester recht tief durch die Seele, als sie im Klostergarlen lustwandelnd, sehen mußte, wie Blüthe und Frucht dnrch die anhaltende Dürre erstorben und verdorrt waren: sie warf sich auf die ^lnie nieder uud flehete im inbrünstigen Gebet zn (^ott, der Noth gnädig ein Ende Zu machen und den ihm geweihten Boden mit reichlichem Wasser zn versorgen. — .^anm hatte die Nonne das Gebet vollendet und sich gestärkt erhoben, als ihr Blick auf em Lämmchen fiel, das sie aufgezogen hatte und welches ihr wie ein Hündlein überallhin zu folgen pflegte. Tas Lämmchen scharrte eifrig den Boden nnd plötzlich entsprang der stelle, wo da^ Lämm-chen gescharrt hatte, ein kräftiger, klarer Quell. Ta war der Noth für immer ein Ende, nnd noch bis anf den hentigm Tag sprudelt dort der Quell al^ Ursprung de>> Flüßchens, welches den Namen Lamme fübrt. Zum ewigen Gedenken des Wunders ward der Brunnen überwölbt uud das Bild des Lämmchens, dnrch welches das Wunder geschehen war, ziert noch heute einen der bemoosten Steine des Bruuueus. Tas Kloster Lammspringe, dessen stattliche Kirche vor UN5 liegt, wenn wir die freundlichen Hänserreihen des Orts durchschritten haben, genoß im frühen Mittelalter so hohe Uchtnng weit und breit, daß auch ans entfernten Gegenden des Reichs Sprößlinge der edelsten nnd mächtigsten Ge-scklecbter nicht selten in dieser klösterlichen Einsamkeit Nuhe im Leben nuo Rübe im Tode suchten, so daf; selbst der 151 gewaltige Markgraf Albrecht der Bar seilte wuuderbolde Tochter vermuthlich hier einkleiden, gewiß aber beerdigen lien. Doch jetzt hinein in die erhabenen Eiusamkeireu nnd Tempel der Natur, ill die Tome der herrlichen Buchen-Waldungen, welche uns den schattigen Pfad Zur „TchauZe" und zur „Wiuzeuburg" offnen. Wie wir die durch goldgrüne und purpurne Lichter sanft erhellte Waldnacht betreten nnd es unn ring^ nm uns flüstert, wie das leise Gebet vuu tausend bebenden kippen im dohen Münster, uub wie es über uns hinrauscht durcb die flininiernden Wipfel in mächtigen Akkorden, gleich dem brusterschütterndeu Tonnergesang der Orgel, da fühlen nur, une die Schaareu unserer Altvordern fühlen mochten, wenn ihre Hebren Heldengestalten bier im heiligen Hain versammelt warcn nud die Echaner der-)iäbe des großen Wllotan ibr einfaches, t'ühues Gemüth durchstürmten. — Und —er hau^t noch hier, der alte Gott! Weuu ailch durch einen Mächtigeren herabgestoßen voll seiner sonnigen Höhe nud aus dem.Leben des Tages verbanut, so ist ihm doch noch die Nacht mit ihren Echaueru gegönnt. Auf weißem Roß branst er al^ wilder Jäger au5 finstern Wolkenklüfteu nud stürmt, wenn alles bebende ruht nud jedes geweibte Glöckleiu schweigt, mit seiller Windsbraut durch die Wipfel, daß sie erkracheu uud erseufzeu und sich tief, tief beugeu vor ihrer alten Majestät. Im Wetterleuchten uud Touuersturm schießen seine Nabelt, seine Wölfe vor ihm her, im Feuerglanz schüttelu die tau-sendjährigeu Eichen ihre Niesenglieder, nud dann wird's still, todtenstill, nitr noch ans weiter, weiter Ferne ertönt verschwilumend da^ ho bo! der Jagd', das Mondlicht bricht 152 durch die eilig fliehenden Wolken nnd versilbert die Zweige und Blätter, welche sich langsam aufrichten uud noch leise im Silberlicht uachzitteru vou dem Auhanch des vorüber-gestürmteu Heidengottes. — Horch! Ist das ein Hülferuf, der dort schauerlich aus duutlem Vucheuschlag ersckallc? Ja, doch fort! Verstopfen wir das Ohr nnd gehell wir ruhig unseru Weq, wir möchten sonst eine schwere Last zu trageu haben; denn hier haust die gespenstische „Hülfe", die flugs uns anf den Schnltern sitzt und uus zwiugt, sie bis auf die hohe Schanz'e zu tragen, wenn wir dem tückische« Ruft folgen. O diese Waldpracht, wie viel des Grauenhaften, Wuuder-bareu und Schönen birgt sie iu ihrem grünen Schooße! — Es sind noch nicht fünfundzwanzig Jahre der, da begab sich hier, wo wir stehen, Wunderbares. Ein Kuabe von der Winzenbnrger Glashütte, der auf einem dieser weit-schatteuden Vänme dürres Holz brach, sah plötzlich eine weiße Iungfran von der Schanze herabsteiqen, uud kaum hatte er sie erblickt, als sie auch schon neben ihn, anf den Zweigen saß. Sie reichte dem schreckgelähmten Knaben drei knospende Hosenzweige uud sprach: „Pflanze diese Knospen nud komm morgen wieder hier zur Stelle, dann sollst du mich dnrch einen Knß aus einer hundertjährigen Gefangenschaft erlösen nnd es soll dein Glück sein!" Da verschwand die Inngfrau. — Der Kuabe lief ganz voll von dem, was er gehört nnd gesehen, zn Hans lind brachte das ganze Dorf in Aufregung. Neder Eltern, uoch Prediger, noch Lehrer touuteu dem Knaben einreden, daß er sich getäuscht habe, er blieb mim'chütterlich bei seiner Aus- sage. Am folgenden Tage zog das ganze Don mit ihm zu Holze nach der bezeichneten Stelle. Es war aber keine weiße Jungfrau zu sehen, doch wollen einige ein behaartes Ungeheuer am Baume erblickt haben, welches verschwand, als die vielen Leute näher kamen. — Ja, nnd schau! Seltsam und ungeheuerlich blickt's da hinterm Baum hervor aus dem Wachholdergestränch. — Welch ein wunderlicher, alter Stamm ist das! Wie er winkt mit den dürren, lanblosen nnd seltsam gekrümmten Armen! Wie eiu breiter, schwarzer Mund grinst das Astloch unter der knorrigen Nase und der eckigen Stiru hervor, die sich ganz in der grünen, zottigen Perrücke verliert, zu welcher sich der auf dem moderudeu Holze üppig wuchernde Grasbüschel geformt hat! Flirr! da speit er uns aus dem zahuloseu Muude ein Nothschwänzchen entgegen, so plötzlich, dasi wir erschrecken, und nnn schüttelt sich das alte Gestell und verrenkt die dürren Glieder so wunderlich, als ob es nns auslache. — Ab! richtig, hier sind wir bereits im Zauberrevier des alteu Schalks, des Hödeken, — wer weiß, ob jenes da nicht eiu ganz ander Ding ist, als ein alter, modernder Stamm! — Und wie sie nun hier und da und wieder hier in dieser öden Waldgegend neben uns herlanfen, die alten knorrigen Hagebnchen, wie sie dort mit ihren gekrümmten Beinen die steile Anhöhe erklimmen und schwer an den Höckern und Wülsten zu tragen scheinen, womit sie bepackt sind! Ein Heer von Wichteln und Kobolden zieht im Dunkel der Nacht oder bei falbem Mondlicht iene Höhe hinanf zu dem Meister Hödeken, jetzt aber beim hellen Tageslicht nehmen sie die unschuldigste Hagebnchen- 154 oder Wachholderstrauchmiene an und Haben's doch faustdick hinterm Ohr, wie ihr Meister. — Ja, wie der dort oben, als die WinZenbnrg noch mit ihren gewaltigen Thürmen nnd Zinnen dastand nnd als ein gefürcktetes Schloß weit in die Lande scbante, seine Streiche trieb, wie er den neckischen Küchenjungen nnd den polternden Koch bestrafte nnd manche grause That, die jene zerfallenen Manern mit Blnt färbte, dnrch Heulen nnd Geschrei oorherucrknndete, das kannst on alles in alten Biickern finden, lieber Leser; am besten aber erzählt dir's das lebendige Murmeln des frischen Sagenborns, den der Zanberstab der Gebrüder Grimm hervorsprudeln ließ. — Ta sind loir endlich ans der Höhe nnd am Ziele unserer Wandernng. Die morschen Steine, an die nuser ermüdeter Fnsi stößt, sind die letzten Neste der alten Winden-bnrg. Hier ans dieser bemoo»ten Steindant, welche einst wobl das Gesims eines Schloßfensters bildete, ans welchem schöne Augen klar und sinnig anf das nns umbrausende grüne Waldmeer schanten, soll nuser Ruhesitz seiu. Hödeken wird unsere Nube durch teineu bösen Streich störeu, weun nur ihll uicht durch vermesselie Nedeu beleidigen. — Auch ist er wM nicht zu Hanse, denn seitdem die Mnzenbnrg zerstört und in diese Trümmer zerfallen ist, treibt er sich lieber im Felde umher nnd macht sich gern mit Pferden uud Wagen zu thun, ladet auch wohl Heu anf und geht unsichtbar den knechten zur Haud. Doch mnß man sich hüten, ihn zn beleidigen. (5in Baner ans dieser Gegend, der eben auf seiuen Acker geben wollte, sah ans der Ferne ein kleines graues 155 Männchen damit beschäftigt, den Dünger auseinander zu streuen. Der Bauer hatte Niemand mit diesen» Geschäfte beauftragt und beschleunigte seine Schritte, um zn sehen, wer ihm nngerufen den Dienst thue. Als der Bauer aber zu laufen anfing, stand das Männchen still, wie ein Stuck, nnd als er seinen Äcker erreichte, sah er dort nichts, als den alten nwrschen Wegweiser, der anf dein Kreuzwege hart am Nege stand. „Du Lork hest mek wat'e brüet!" iDn Kröte bast mich geneckt!) brummte der Bauer, der ganz außer Athem war, nnd gab dem Pfahl einen derben Schlag mit dem Stocke. Aber wie erschrack er, als der Wegweiser kläglich aufftbrie und mit seiner lebendig gewordenen iopf wird sichtbar dort am Waldrosenstrauä). Aber das ist nicht der häßliche Kopf eines Zwerges oder eines neckischen Wichteo, es ist ein schöner von Golddaar um-rabmter und von der Abendsonne rosig angehanchter Mäd-cheukopf. Und da t'omml auch ein Jägersmann gleich dinteudrem mit klugen, tlaren Waiomann^angen und einem bärtigen Hubertusgencht. Und dann kommt nock ein Griin-rock und noch einer, nnd wiederum eine muutere, schöne Waldfee, mit deren dunklem Lockenharr der linde Abend-Wind fein lofes Spiel treibt, — Acb, es sind lanter 156 gute Freunde und Bekannte, glückliche Verlobte und ein glücklicher Vater! „Das trifft sich ja herrlich!" rufe ich laut. nnd Freund Hubertus wirft seiuell Hnt in die Luft imd freut sich über das erwünschte Zusammentreffen im luftigen grünen Revier. Konnut auch gleich nut einem Waidspruch uud ruft mir zu: „Waidmanu, lieber Waidmann, sag' mir an: Was ist weißer denn der Schnee, was ist grüuer denn der Klee, schwärzer deun der Nab' nnd klüger denn der Iägerknab'?" Da bleib' ich's ihm nicht schuldig, nnd seinem schwarzbraunen Mädel zuwinkend, sprech ich den Gegellspruch: „Io, ho! lieber Waidmauu, woit gut! Das kann ich dir wohl sagen: Der Tag ist weißer als der Schnee, die Saat grüuer als der Klee, die Nacht schwärzer als der Rab', schöne Mädchen klüger als der Iägerknab'!" — „Hurrab! auf diesen goldenen Spruch gehurt ein goldener Weiu!" ruft Freund Hubertus, Der Flaschen-, korb gibt seiue letzteu Schätze her uud bald perlt uud glänzt der edle Nndesheimer in den kristallklaren Römern. — Waldesgrnu uud Himmelsbläne, rothes Sonnengold und silberner Wölkchen Glanz durchleuchtet das blinkende Glas. Und wie loir's, uacbdem es an des Freundes Glase im reinsten Glockenton erklungen, au den Mund beben und in langen, dnrstigeu Zügeu leereu, da ist's als ob Waldesgrün uud Himmelsbläue, rothes Sonnengold nud silberner Nöltchenglanz, als wenn eine schöne, herrliche Zauberwelt in nns einzöge, um uuser Gemüth anf jene Höhe zu erheben, von welcher man freudetrunken Herabr»ft: „Ecid umschlungcn MUlionen!" Eine til)einfahrt im Sommer 1855. (Iudcu jctzt und sollst,) "Sanftcrc Iaftrftundcvlc ^erdrailgen Philippe Zliten.» Marquis Äosa. An eineiu schonen Inlitage, saß ich zu Deutz in dem cony'ortablen Hotel Bellevne an der gutbesetzten Mittagstafel. Mein Tischnachbar zur Rechten war, wie ich später erfuhr, ein reicher, jüdischer Bantier aus einer großen deutschen Handelsstadt, welcher nebst Frau und Tochter seit einigen Tagen eins der großen Balkonzimmer des Hotels bewohnte. Frau nud Tochter saßen mir bei der Tafel gegenüber; niemals hatte ich solche Indiunen gesehen, die Einfachbeit ihrer dennoch eleganten Toilette zeigte den gebildetsten Geschmack, selbst die Mutter trug weder goldene Kette noch Uhr und erschien änßerst anspruchslos. Tie in ,^ugeud^ frische uud Schönheit strahlende Tochter war sich ihrer glänzenden Eigenschaften wohl bewußt nnd detbeiligte sich lebhafter am Gespräch über die orientalische Frage, als man dies sonst von einem achtzehn- oder zwanzigjährigen Mädchen gewohnt ist; doch was sie sagte, verrietl, Verstand nnd Bildung, nnd ich mußte mir, nachdem ich das 158 erste Befremden überwunden hatte, gestehen, daß es der jnngfränlicben Anmuth und Weiblichkeit gar keinen Vntrag that, wenn nns Fanny, su hiesi die Schöne, merken ließ, daA sie Custines nnd Harthansens Schriften über Rußland mit Interesse und Verständniß gelesen hatte. In der Erinnerung an den Fanatismus und die heimlichen Gränel russisch-christlicher Dissidenten, wie der Dnchoborzen, Malakanen und MoreltsctM, rötheten sich die Wangen des gebildeten Mädchens höher, glänzten feuriger noch die großen, schwarzen Augen und -mahnten an die Heldinnen des alten Testaments; ich glanbe, ihr Nnssenhaß war so energisch, dasi Mentschikoss nicht sicherer bei ihr gewesen wäre als weiland Holofernes bei der Indith. — „Solch eine feingebogene, sich kanm ans der griechischen Schöuheitslinie erhebende Nase unter leuchteudeu Augen, welcbe von unbeschreiblich schön ge-schwnngenen Brauen nmrahmt, das Bild der Seele in den feurigsten Farben malten, solche „Granatäpfel-Wangen" nnd Korallenlippen haben gewiß den Dichter des hohen Liedes zn seinen kolossal schönen Bildern begeistert", dachte ich, während die Blume des ausgesnchteu Geisenheimer Kapell-garteus meine entzückten Sinne in den Rosen- und Ninbra-dnft des Orients tanchte, — das war so einer von deu wenigen Augenblicken nn Leben, zn denen man sagen möchte: „O weile doch, du bist so schön." Als sich Fannv ntit Grazie erhob, da sah ich sie leibhaftig dahinschweben die „holde Blume von Saron", „die Rose des Tbals", so „schön war ihr Gang in den Schuhen." Ja, schön warst du, Tochter vom Libanon, schön wie Fer-dusis Menische, lieblich wie die Leilas nnd Selmas des 159 Hafis; wollte ich etwas an dir tadeln, so wäre es allein dein häßlicher Name Fannv. Ueberhanpt haben jüdische Fautilien in der Ans^uabl der Namen für ibre schönen Töchter wenig Geschmack gezeigt, viel lieber als diese Fanny's, Nosalien, Rosinen, Natalien nnd Georginen sind mir noch die veralteten, jetzt mehr nnd mehr in den proletarischen Hintergrund jüdischer Alterkleiderläden znrückgedrangten Namen: Schprinzchen, Pesschen, Blümchen, Vögelchen, Tänb-chen, Veilchen. Welch behagliche Tabbatabendsgemütblichkeit liegt in diesen Mädchennamen! Nie allerliebst beleuchtet diese Pesschen nnd Veilchen die tranliche Schabbeslampe, und diese Tänbchen nnd Vögelchen, wie passen sie so hübsch zu den grünen, von flimmernden Lichtstrahlen durchbrochenen Zweigen der „Lanbhütte!" Aber diese Natalien, Rosinen und Nosalien, wer kann sie sich zu einer Laubhütte passend denken? Die wären da am Platz wie die Klatschrosen in einem Veilchenstranß. Diese Namen sind von einer prahlerisch häßlichen Pracht nnd erinnern an gelbe Seide und Klebelöckchen' es sind Uebergangsnamen, entstanden während der Halbemancipation, durch welche nnser menschlicheres Jahrhundert die Inden, wenigstens mit halbem Leibe, über die schmachvolle Stellung in der Gesellschaft nnd jene dadurch hervorgerufene Kriecherei nnd Verstecktheit des Charakters emporhob, welche Iost, der mit lobenswerther Objectivität lmd Unparteilichkeit die Geschichte seines Volkes schrieb, im sechszehnten Kapitel des achten Theils seines Werks so treffend veranschaulicht und als durch die drückenden Verhältnisse entstanden begründet. Wer findet es nicht ganz natürlich, daß das 160 Selbstbewichtsein eines Jahrhunderte lang verachteten, verspotteten, in den Staub getretenen Volkes sich bis zmn Uebermuth steigert, wenn ein hnmaneres Jahrhundert ilnn das befühl seiner hohen Kultllrfähigkeit nnd menschlichen Gleichberechtigung anfs lebhafteste znm Bewnßtsein bringt'^ In diese»» Uebermnth, den eine peinliche Besorgniß leitet, nicht nnbedentender, uuedler und geschmackloser zn erscheinen als die frühern Unterdrücker, wird mancher Mißgriff geinacht, der Scheiu für das Wesen genommen und taktlos renommirt. Daher jenes linkisch-kühne, zutavpige Wesen, jenes Haschen nach überladenem, geschmacklosen Aufputz in Wohnung und Kleidung, nach hochtönenden Namen u. dgl. Jedoch alle diese Erscheinungen, weit entfernt das Volk endgültig zu charatterisiren, sind nur natürliche Uebergangsformen, wie sie sich in der Geschichte der Völker sowohl wie am einzelnen, sich entwickelnden Individuum vorfinden; jeder uicht apathische Mensch, wenn er den Truck der Lehroder Schuljahre überstanden hat, verfällt in ein Stadimn des Uebermntl)5, welches sich zunächst als Flegelei und Neuommage änßert. Weil seinein Charakter noch die Neife und der gediegene Inhalt fehlt, sich auf veruüuftige Weise geltend zu machen, begnügt er sich einstweilen mit dem Schein nnd bleibt ein Geck, d.h. ein gleißender, nnweseut-licher, unbedeutender Mensch, wenn er mit der Reife der Jahre diesen Standpunkt nicht überwiudet. Tas merkwürdige, hochbegabte Volk der Juden wird sicher diese Uebergangsperiode der Scheiuseligkeit überwinden und hat sie iu einzelnen Individuen bereits mehr oder weniger überwunden. 161 Eo verrieth Fanny's Vater, mein Tischnachbar, keine Spnr mehr von jener Nenommisterei und Zutavpigkeit, es war ein Mann von gediegener Nildung nnd angenehmen Atanieren. Was mich von vornherein für ihn einnahm, war die Art seines Zechens, — zeige nur, wie nnd was du trinkst, nnd ich will dir sagen, wer du bist —, er betrübte mich nicht durch jene übertriebene, jüdische Zucker-wasser-Mäßigkeit, welche uns christliche Germanen auetelt, auch trank er keinen renommirenden Champagner, sondern feine, den Kenner verrathende Ausbrüche und ließ sich von deu Geistern des Weins in die jovialste Laune wiegen. Er lebte überhanpt nobel ohne Ostentation; die Nheinreise, welche er mit Frau und Tochter machte, war eine Ver-gnügnngsreise, nnd ich freuete mich fehr darauf, am folgenden Morgen auf dem zuerst abfahrenden Dampfboot die Gesellschaft meiner Tischnachbarn weiter genießen zu können. Ein Herr, der Herr Aaron angeredet wurde („war gewiß ein Baron Nothschild", will nur hier ein in apologetischen Kniffen erfahrener, romantischer Judenfeind hämisch ein-weuden, aber er kommt diesmal nicht durch, der Baron war ein reiner, christlicher Germane mit hellblondem Haar und langen wohlgepflegten Nägeln) und mit höflicher Vertraulichkeit den Bantier begrüßte, setzte sich mit ihm und den beiden jüdischen Damen zum Kaffee. Ich empfahl mich, um mir Köln zu besehen, zahlte dem Zöllner meinen Ziusgroschen und ging tief in Betrachtungen versunken über die Schiffbrücke. 0 wlnpor«, . ,. laufsalbe, Ohnsmi, durch Mssatbcsc crrlumpirt Chrisnm, ___^T^ Alle frühem Verfolgungen übertraf indeß die während und nach der großen Pest von 1348. Die Inden sollten bekanntlich durch Vrunnenvergiftung „das große Sterben" erregt haben, aber die Sache stand so, wie Ulrich iu seinen jüdischen Geschichten iu der Sckweiz annimmt: „Pfaffen und Pöbel hatten damals daö gleiche Interesse ihre Schulden durch Flammen zu tilgen." Während dieser Verfolgung wurden unter anderm am 1 l. Februar N!4!) an einem Sabbath 1800 Juden zu Straßburg auf dem jüdischeu Begräbuißvlatze lebendig verbrauut. Was Wunder, daß hier lieber Mütter mit ihren Kindern in die Flammen stürzten, als daß sie die Kinder taufen und in dem fanatischen Aberglauben eines Volks erziehen ließen, welches bei aller Neligionsschwarmerei von solcher Herzenshärtigkeit war, daß es 1800 unschuldige Meuschen an einem Tage lebendig verbrennen konnte! Ein Böllerschuß ruft mich auf's Verdeck, wir gleiten eben am Lorlen vorbei, uud eine Gruppe Studenteu singt mit hübschen, kräftigeu Stimmeu: „Ich wciß nicht, wao soll cs bcdcutcn, Dah ich so traunss bm!" Mächtig und iu zauberischer Pracht wie der Nheinstrom selbst, wogte das Lied „mit der wnndersamen, gewaltigen Melodey" durch die stille, kühle Luft. Die Luft ist fühl, und cs dmütlt, Und ruhig flicht dcr Rhcm! und meine Gedanken flössen mit iu weite, weite Ferue, ich hörte kaum, wie Fauuy bemerkte, „daß das Volk seiue Loreley nnt diesem Liede eigeutlich erst dem Heiurich Heiue 174 zu verdanken habe, noch vor kurzen: habe Bruder Julius, der in, Berlin studire und auch deutsche Mythologie treibe, erwähnt, daß diese Sage als Volkssage nicht echt sei, und daß Wolfgang Wenzel in seinem Odin einen vergeblichen Rettungsversuch der Loreleysage mache." — Ich hörte das Alles nur mit halbem Ohr und war dies einzige Mal wirklich nngalant gegen Fanny, denn ich war mit meinen Gedanken in goldener Ferne, in dem goldenen Zeitalter, welches allein die Zukunft birgt, ich sah kommen einen Tag der Versöhnung über alle Völker, einen „Iom Kiftur" über die ganze Welt. Peter Fellner. Wanderer, "Und wen uinwed« dN5 frischc Grae? — Tod ten grab er. Es ist aUmorqens thranennaß! Wc<ß nicht, ob Nacht» dir Waise wciüt, Ob Engel, Morgenroth, ob Freund? Wanderer. Und wer ruftt unterm Ahornbaum? Todtcngräbcr. Drr Sänger >N's mit srinc»! Traum: Hier, wo sein morsches Krcuzlcin ragt, Seid ihr der erste, der mich fraqt.« Begleite mich, lieber Leser, auf einen Friedhof! — Das ist eben keine angenehme Einladung, wirst dn sagen. — Aber warnm nicht? Ein gut gepflegter Friedhof mit seineu durch die andenkende Liebe der Hinterbliebenen sorgfaltig und sinnreich geschmückten Gräbern bleibt immer ein karten, ein Garten, der viel zu denken gibt, wenn man seme verschlungenen, kiesbestrenten Wege durchwandelt oder auf den Bäukchen im Schatten der Tranerweiden nnd Cypressen Platz nnnmt. Die weißen Grabsteine nnd Monmnente, welche ringsnm ans dem saftigen Grün uud dem blühenden Nosengesträuch hervorblickeu, machen einen freundlichen Eindruck; es muß sich sanft nnd behaglich ruhen unter diefen Marksteinen aller Lebensmühen und Sorgen, welche in prangender Goldschrift der Nachwelt von unsern Tugenden 176 erzählen. — Ja, nur von unsern Tilgenden. — „Geht man über einen Kirchhof und liest die Epitaphien", sagt einmal, ich weiß nicht gleich welcher mil den Lebenden nnznfriedene Schriftsteller, „so sollte man sich in einer Welt von Tugend-Helden wähnen, denn die Grabsteine bedecken überall die mnsterhaftesten Gatten, Eltern und Kinder, die thätigsten nnd redlichsten Bürger, die hoffnungsvollsten Jünglinge und Jungfrauen, die alle viel zu früh ans einem Leben schieden, welches sie sich und andern verschönten." Nun, man lasse es so. Wir wollen hier nicht den Echiller'schm Vers auf die Hoffnuug dahin parodiren, daß der Mensch noch am Grabe die „Lüge" aufpflanze; es ist gut gemeint mit dem Lobe, und das „cle morwi« nil m»i I»t?„tt" ist ein ans so edler Negnng hervorgegangenes Wort, daß wir es gern in Ehren halten wollen. Die strenge Geschichte hat nur über sehr wenige der anf den Friedhöfen Nnbenden zn Gericht zn sitzen, nnd zumal hier auf diesem kleinen, am sonnigen Hügelabhange belegenen Kirchhof, welchen wir jetzt betreten, hat Klio's eiserner nnd nnbestech-licher Griffel den Kreuzen nnd Monumenten die lobpreisende Lapidarschrift nicht einzugraben. Auf diese weißen Felder und unter die steinerne» Urnen und Schmetterlinge schrieben nur Schmerz nnd Liebe über die einfachen Menschen, welche man dort aus jenem freundlichen Landstädtchen hier hinauftrug und znr Ruhe bettete. — Sieht man sich das harmlose Leben in dem von der großen Verkehrsstraße durch hohe, waldige Berge abgetrennten Landstädtchen näher an, so ist man leicht geneigt zu glauben, daß dort das Menschenleben ohne allen höheren Aufschwung und ohne alle Anreguug 177 zn kräftigen und bedeutenden Lebensäußerungen dahinfließe, und daß für alle hier Begrabenen keine passendere Denkschrift gefunden werden könnte, als die: „Er lebte, ncchm ein Weib und starb." — — Allein dem ist nicht so. Anch dort in dem Landstädtchen schläft nicht jeder ruhig ein, um von Kartoffel- nnd Waizenbau, oder von Mäuse- nnd Raupenfraß zu träumen; hinter deu grellbemalten Wänden jener rothbedachten Hänser sind bereits kummervolle Nächte durchwacht, erheischte nicht selten eine große Schuld große Sühne nnd verkettete Thaten, Gedanken nnd Leidenschaften Zu Begebenheiten, welche den Alltagsgang des Lebens so ungewöhnlich unterbrachen, daß die Phantasie unserer Romandichter ihre Noth haben würde, Äehnliches zu erfinden. Wenn wir nns überhaupt Mühe geben, tiefer iu's Menschenleben hineinzuschauen uud uns nicht bloß oberflächlich an die abgeschlissene Maske halten, uuter welcher die Menschen im gewöhulichen Geschäftsleben und im alltäglichen Verkehr vor nns hintreten, so werden wir das Wort der Rahel nicht übertrieben finden: „Daß jede Hütte, jede Stube ihren Roman habe, wenn man nur die Herzen kenne." — Auch Feldheini, so mag daß Städtcheu heißen, hat seine Romane uud Tragödien erlebt, und es ließe sich aus seinem Wilderer- und Pascherleben manch wilde Geschichte erzählen. — Eo decken die beiden verfallenen, von Nesseln überwucherten Hügel im fernen Winkel der Friedhofsmauer die Gebeine trotziger Wilderer; der Vater fiel durch die Kugel des Forsteleven, der Forsteleve wieder durch die rächende Kugel des Sohns, der sich gleich daranf durch Selbstmord dein Schwerte der Gerechtigkeit entzog. Damals 178 gab's eins Wilde Scene dort drüben im Buchenwalds, welcher in breiter Fülle an der Grenze der letzten, südlichen Gärten des Städtchens allfragt nnd ill mächtigen Wellen über die Hügelketten hinrauscht, die den Fuß des in die Wolken ragenden Berges bilden, dessen kahles, felsenbestreutes Haupt ein dichter, schwarzer Kranz von Fichtenholz umgibt. — Jetzt ruhen sie hier alle friedlich neben einander, deren Schicksal einst Liebe und Haft, Leidenschaft und Schuld zu einein Knoten schürzten, der drüben im Vucheuschlag gewaltsam uud blutig gelöst wurde; dort die beiden Wilderer, hier uuter dem weißen Kreuze mit der zierlich eiugehauenen Nehkroue der Forsteleve, und in jener vom zierlichen Eisen-stakett umschlossenen Familiengruft deckt die marmorne, von Nosen umnickte Urne ein edles, schönes Mädchenherz, welches einst heftig schlng in Liebe und Hoffnnng, in Furcht nnd Verzweiflung, als das blutige Drama zwischen den grünen Conlissen des Waldes spielte. — — Doch fort mit den blutigen Geschichten! Weilen wir lieber bei dem Leben des merkwürdigen Mannes, welcher hier am Ahornbaume unter dem schon morschen, hölzernen Kreuze ruht. „Hier ruht in Gott Peter Feilner." So lantet die einfache, halb verwaschene Inschrift am Kreuze. Niemand denlt viel an diesen armen, obscnren Peter Feilner, der hier seine Ruhestätte fand. Wohl steht er drüben im Städtchen wegen seiner Harmlosigkeit nnd Redlichkeit, bei den Gebildeten auch wegen seiner Geschicklichkeit uud seiner für einen Handwerksmann seltenen Kenntnisse noch im besten Andenken, aber „kein Mühlrad ist um ihn steheu geblieben", als er starb, sagt man, und deutet damit au. 179 daß Peter Feilner's Thätigkeit und Wisseu uicht in das allgemeine Getriebe wesentlich emgriff, daß sein Leben ein unbedeutendes war. Dennoch war Peter Feilner nichts mehr nnd nichts weniger als Philosoph, Poet, Bildschnitzer und Uhrmacher; ein Mann, wie er nnr in Deutschland vorkommt oder vielmehr vorkommen konnte, denn das jetzige Deutschland ist nicht mehr so vorwiegend wie früher das Land der Dichter und Denker, der Tränmer und Grübler-. unverkennbar hat sich auch bei uns mehr und mehr eine Praktische Richtnng Nahn gebrochen, welche sich uuabweis-lich selbst ans den Gebieten geltend macht, auf welchen sich früher der ungebundenste Idealismus uud die aller „trivialen Wirklichkeit" abholde Gemüthsseligkeit tummelten.— Unsere Poesie muh heute eine realistische sein, wenn sie dem Geschmack nnd den Neigungen der gebildeten Menge entsprechen will, und unsere Philosophie eiue materialistische, wenn sie Wirklich ist, was sie sein soll, nämlich das wissenschaftlich begriffene und systematisch dargestellte Bewußtsein der Zeit über ihr Streben uud ihr Ziel. — Freilich sagte Peter Feilner mir noch kurz vor seinem Hinscheiden: Die Leute haben keine Lust mehr am Denken! Und er hatte in seinem Sinne vollkommen Recht. Hört man doch hente auch in Gelehrten-Kreisen die Behauptung oft genng wiederholen, daß es mit dem Philosophiren aus sei, und der Hinblick auf die immer leerer werdenden Hörsäle der geschulten Philosophen mnß uns überzeugen, daß es allerdings mit der Philosophie, welche man dort vorträgt, aus ist, das heißt, daß sie keine Wirklichkeit nud Wirksamkeit "lehr hat, nnd zwar ails dem Gruude, weil sie nicht das 180 wissenschaftliche Bewußtsein über die Bestrebungen unserer Zeit, sondern das einer vergangenen, abgethanen Zeit zur Darstellung bringt. So wunderlich und vereinsamt wie heute ein Kantianer, Fichtianer, oder ein auf die Worte des Meisters schwörender Hegelianer im Leben steht, welches mit hastiger Vielgeschäftigkeit achtlos an ihm vorbeieilt, so wunderlich stand auch Peter Feilner mit seinen Gedaukeudingen in der ihm fremd und frenider werdenden Welt. Er war keiu gelehrter Lehrer der Philosophie uud auch keiu wahrer Philosoph, denn ein solcher ist nur der, der seine Zeit begreift und ihr zu sagen weiß, was sie eigentlich will; eineu Eklektiker hätte mau den Peter Feilner ueuueu tönneu, wenn er eine schulmäßig gelehrte Bildung gehabt hätte, denn in seinem unermüdlich grübelndeu Geiste fanden sich Anklänge aus allen Systemen, welche seit der Zeit der Iouier uud Eleaten bis auf Hegel herab ausgesponuen waren. Ohne wohl jemals die Namen Leucipp uud Democrit gehört zu haben, war seine Anschauung des Weltbaus und der Weltorduuug eine atomistische, und ohne zu wissen, daß uns Platon eineu Timäus oder Phädo hinterlassen habe, hielt ihm nicht der Zufall, sondern eine Weltseele die atomistische Welt i,n Innersten zusammen, uud wunderbar war das Zusammentreffen seiner bedanken mit den Resultaten guostischeu, mystischen, scholastischen und moderuen Philosophirens, wenn er sich am traulichen Feierabend über alle seiuer buntgemischteu Bildung erreichbaren Gebiete des Lebens vor einem vertrauten Freunde mit Begeisterung erging. Peter Feiluer war der Sohn eiues biedern Schlossermeisters 131 gewesen, der ihm außer einigen werthlosen Charteten nichts hinterlassen hatte als einen großen ans Stabeisen geschmiedeten Vogelkäfig, merkwürdig dnrch allerlei complicirte Künsteleien nnd wirklich schön dnrch das wnndervoll getriebene und verschlungene, eiserne Blätterwerk, womit die kunstfertige Hand des Meisters das Kabmetstück bekleidet hatte. Tolche Handwerker gibt es heute nickt mehr; unsere Meister haben weder Zeit noch Lust, Werke hervorzubringen, deren Kaufpreis mit der darauf verwandten Mühe in keinem Verhältniß stehen würde. Tie Welt verliert damit freilich manchen sinnreich gebauten Secretär mit geheimen und wunderlich versteckten Schubfächern, manchen schön ausgeschnitzten Schrank, manchen Rock nnd manches Paar Schnhe ohne ^'ath und manches den ganzen Planetengang darstellende Uhrwerk, aber die Meister verdienen dafür mebr Geld als ihre lauseudkünstlerischen Vorgänger, sie haben nicht Lust und (beschick ihr Handwerk zur Kunst zn verklären, wissen aber oasnr kanfmännisch zn arbeiten nnd reichlicher zu erwerben. -^ Mr sind weit entfernt diese praktische Richtung der ^'enzeit beklagen zn wollen, denn wäre sie nicht vollkommen berechtigt nnd an der Zeit, so würde sie sich nicht so gebieterisch geltend machen, wie sie's thnt, aber zu längnen lst e5 nickt, daß das Leben der alten kunstfertigen nnd künstelnden Meister weit gemüthlicher nnd an stillen, geheimen Freuden nngleich reicher war, als das des jetzt lebenden, gewandten Geschäftsmanns, der sich nicht einmal — Inzwischen besuchte uns Minchen mit ihrer Mutter, oder auch aNein — auf dem Lande nimmt man das ja nicht so genau — fast alle Tage und sah bei der Gelegenheit auch oft die Stiefmutter, die immer recht freundlich mit ihr that. — So ging alles in Nuhe nnd Frieden ab, das heilige Christfest wnrde mit Cantors und mit andern Gästen fröhlich gefeiert und wir traten gesnnd und munter in die „Zwölften"*), da sollte das Schlimmste kommen. — Mag man glauben, was man will, mir ist das einerlei, aber in den Zwölften ist's nicht so wie sonst, nnd ich bin immer heilfroh, wenn wir den heiligen Dreikönigstag hinter uns haben und die Tage um einen Hahnenschrei länger werden. „Es war den dritten Tag nach dem Feste, als im 5) Dirab. — Es kommt ja über eiuen Menschen wohl einmal eine schwache Stunde", fuhr Ilse nach eiuer kurzen Panse und mit seltsamem Blick auf das gegenüber liegende Schloß fort, „der Herr wird der guten Seele gnädig fein. Gut war Wilhelms Mutter, unr zu gilt; auch hat sie redlich für das Kind gesorgt, das ich als Pflegesohn auuahm, Ich war damals erst einige Jahre mit meinem Steffen verheirathet, .Ander hatten wir nicht nnd drum war's auch ihm recht lieb, daß ich ihm das kleine, bildhübsche Eöhncheu ins Haus trug. — 263 „Weil es Jedermann bekannt war, daß ich das Kind unterm Nnßbanm gefunden hatte, so gaben sie ihm nach der Tanfe den Namen Nottbom, und böse Leute nnd Kinderdachten schon früh daran, nnsern Wilhelm dadurch zn kränken, daß sie ihm vorwarfen, er sei hinterm Zaune gefunden. Dadurch kam der gute, sonst kreuzbrave Junge schon in früher Kindheit zu einem hartköpfigen, jähzornigen Wesen, was manchem der kleinen Spötter zum Schaden gereichte, denn Nilhelm schlug mit seinen kleinen ruuden Fäusten drauf wie auf altes Eisen. Später, als Wilhelm zu Gottes Tische gegangen war, sich der Ackerwirthschaft mit annahm und groß nnd stark wurde, ließen ihn die andern Burschen im Dorfe gern ungeschoren, denn er war stark wie ein ^öwe und keine Drei zusammen im Dorfe Hütten ihn geworfen. „Ach lieber Gott. ich sehe den schmncken Burschen noch hente vor mir, wie er so ins achtzehnte Jahr trat, ein Besicht wie Milch uud Plut hatte der Krauskopf und ein paar Augen, als ob er einen damit durch nnd durchsehen wollte. Flink war der Wilhelm znr Arbeit wie znm Tanze, alle Mädchen im Dorfe hatten ihn gern und des Schnlzen Marlene hätte ihr ^ebeu für ihu gelassen. Aber er auch für sie, sie gingen mit einander nnd Schnlzen« hatten nichts dagegen, sollte doch Wilhelm, weil wir kinderlos blieben, unsern kleinen, schuldenfreien Hof haben, uud zudem hatte der Junge selbst Vermögen, denn seine Mutter, die selbst Nilhelm nicht kannte uud niemals kennen lernen durfte, hatte schou so viel in meiue Hände gedrückt, daß mem Steffen achtzebu Morgen ^and dafür hatte kaufen können, das hatten wir ihm, 264 wie jedermann wußte, auf der Amtsstube als Schenkung zuschreiben lassen. „Bis dahin war alles gut, Wilhelm benahm sich gegen uns wie ein gnter Sohn und auch andere Leute kounten keiue Klage über ihn führen, er war gefällig und freundlich auch gegen dem Geringsten nnd nnr eins konnte chn in Hitze bringen und wild macheu, nämlich wenn man ihm andeutete, daß er hiuterm Zaune gefunden sei. Das war auch lange nicht geschehen, denn, wie ich gesagt habe, nahm man sich vor Wilhelms Zorn und Stärke sehr wohl in Acht. — Da sollte der Kirmestag das Unglück bringen; nm die Marlene kam's her. — „So hübsch und schmuck unser Wilhelm war, so häßlich war Tönnies Hans, dafür tonnte er freilich nichts, aber sein Herz hätte besser sein könneu; hatteu ihn doch seine Eltern eifrig M Kirche und Tchulo angehalten, anch saß nnter seinen schwarzen, zerstrobelten Haareu Verstand und Einsicht genug, so daß er wohl wissen konnte, was man Gott und den Menschen schnldig ist. Tönnies Hans aber handelte nicht nach dem Spruch: „was du uicht willst, das man dir thue, das thue einem andern auch uicht", obwohl er deu Spruch recht gut kannte, denn der Herr Pastor hat ihm denselben mit gutem Bedacht bei der Einsegmmg ins Gesangbuch geschrieben und mit aufs Leben gegeben. Dem Hans war es nicht wohler, als wenn er alle Menschen tränken und ärgern konnte, darüber wurde er sehr verhaßt nnter den Nurscheu nnd anch die Mädchen konnten ihn nicht leiden, schon weil er-so häßlich war. „Zum Unglück mußte dieser Tönnies Hans seine 265 kleinen, stechenden Augen grade auf die Marlene werfen, und als die ihn mit bösen Worten abwies und treu zu ihrem lieben Wilhelm hielt, faßte der Hans einen giftigen Grimm auf beide, und kein anderer als er hatte drei eichs-fcldische Heedeukerle aufgekriegt, die uusern Wilhelm, als er eines Abends ans der Spinnstnbe kam, beim alten Heiligeuhäuschen überfielen und mordwüthig mit ihren dicken Stöcken drauf losdroschen. Aber Wilhelm wußte sich zu wehreu, er schlug alle drei zusammeu, und kaum Hütten sie gesnnde Veiue behalten, um durch Snmpf und Moor davou zu laufen. Sie haben sich uie wieder iu der Gegend sehen lasfeu. — Ein tückischer Streich kam nach dem andern. Unser Nilhelm zog sich eine kleine Baumschule, die war uächst der Marlene seine größte Freude. Eines Morgens fand er die kleinen Vänmcheu Stamm für Stamm welk, es war ihuen allen während der Nacht die Lebenswurzel abgeschnitteu. — „Das kommt von Tönnies Hau?", sagte der arme Junge uud große Thräuen liefen aus seinen blaneu Augen über die rothen Backen; dann knirschte er mit seinen weiften Zähneu wie ein wilder Keiler und hob mit bösen Blicken oroheud die Faust drübeu uach dem strohgedeckten Hause, wo damals die Töunies wohnten. — „Innge, Junge!" sagte ich, „mach' kein Unglück!" — „Sei Sie ganz ruhig, Mutter", sagte er, „ich weiß wohl was ich thu'!" — „So stand's mit Tönnies Hans nnd uuserm Wilhelm, als die Kinnes heran kam und die jungen Leute zu Tanze gingen; Tönuies Hans, Wilhelm und Marleue waren natürlicherweise auch da und alles ging anfangs gut und im 266 Frieden ab, nur TönnieZ machte gleich wie's zmn Tanzen ging, viel Lärm und Aufhebens und trank mehr als jeder Andere, man sah ihm wohl au, daß er was im Schilde führe. Wilhelm hielt sich ganz ruhig und tanzte einen Tanz nach dem andern mit der Marlene nnd den andern Mädchen, den Tönnies Hans beachtete er gar nicht. Da, es mochte wohl gegen acht Uhr Abends sein, brach dieser die Gelegenheit vom Zaun, um mit Wilhelm Streit anzufangen, er verließ sich auf drei handfeste Vnrschen aus Elvershauseu, die er mitgebracht hatte uud oeuen er so fleißig einschenken ließ wie sich selber. Wilhelm sollte den: einen dieser Burschen vorgetanzt haben, das war nicht wahr; ein Wort gab das andere, Wilhelm nnd seine Frennde, sowie Tönnies Hans und die Elvershäuser wurden immer hitziger, nnd als der halbbetrnnkene Hans dnrch den Saal schrie: „was denn so ein hinter dem Zaune aufgelesener Beugel gegen ordentliche, ehrliche Vanersöhne wolle?" tam's znm Schlagen, daß alles Kopf unter- und überging. „Die Elvershäuser flogeu zur Treppe hinuuter und Wilhelm hatte den Tönuies uuter sich und möchte ihn schon da kalt gemacht haben, wenn man ihn nicht mit großer Gewalt weggerissen hätte und Marlene ihm uicht jammernd und schreiend in die Arme gefallen wäre. Indem sie aber so den Wilhelm von dem Tönnies wegreißt, zieht dieser Tückebold ein Messer nnd trifft nnsern armen Jungen in den Arm, glücklicherweise nicht gefährlich. Glücklicherweise sage ich? Ach Gott, es wäre für Wilhelm besser gewesen, der Tönnies hätte ihn anf der Stelle todtgestocheu, dann läge er doch neben meinem Steffen alls dem Friedhofe 267 unter den Rosenbnschen, die ich ihm aufs Grab gepflanzt hätte! — Nnn, es hat nicht so sein sollen, des Herrn Nilte geschehe, Amen! — „Natürlicherweise wäre der Tönnies von den Andern jetzt halb tudtgeschlagen, wenn es ihm nicht geglückt Wäre, nachdem er seinen Rock nnd seine Schovßweste in den Händen der wüthenden Burschen gelassen, die Treppe hinunter und ins Freie zu kommen. Wilhelm ließ sich ganz nchig von der Marlene das Halstnch nm den Arm binden uud ich sprach meinen Blntsegen darüber; es hatte anch nichts Zu sagen, die Blutung ließ bald uach. Marlene und ich baten uud fleheten, daß er im Saale bleiben möchte, er nickte mit dem Kopfe nnd zog sich mit den Zähnen das Verbandtnch fester. Wir dachten an nichts Böses, und ich will eben mit der Marlene eine Nachbarin anreden, als der Unglücks-Wilhelm wie der Blitz ein paar Burscheu zur Seite schiebt uud zur Thür hiuans ist. „Herr Jesus!" schrie ich auf, „das gibt nichts Gutes, der ist dem Tönnies Hans nach!" — Meine Ahuuug sagte mir das, eiu „Griffeln" lief mir über deu Rücken uud vor meiner Seele stand Wilhelm ganz mit Blut Übergossen und so bleich, so bleich wie der Schnee. — Äch Gott, so sollte ich ihn später wirklich sehen. Mein Herz stand still vor Schrecken und ich fiel meiner Sinne nicht mächtig der Nachbarin in die Arme. — „Das ich nur kurz über das Uuglück, welches mir gleich schwaute, weggehe. Die Marlene nnd viele Freunde von Wihellu waren in Todesangst dnrch die Twete nnd auf Tönnies Haus zugelaufen, nnd da sie nicht mehr dnrch die W8 Gitterthür kommen können, lanfen sie hier nm den Zaun. Da hören sie gleich den Tönnies Hülfe rnfen nnd die Worte: „Herr Iesns, erbarme dich meiner! Wilhelm, Wilhelm, nicht anf den Kopf! Du schlägst mich todt!" — Dazwischen hören sie, wie der Wilhelm mit ganz heiserer Stimme kencht: „Nein, nicht todt, aber Arm und Veine sollst dn nicht ganz mit zu Hanse bringen, dn Grzhallnnke!" — Das haben Marlene nnd die andern Zengen nachher vor Gericht ansgesagt nnd beschworen.-------- „Als Marlelie mit den Vnrschen nnter lantem Angstgeschrei zur Stelle kam, — die Unglücksstelle ist ungefähr dreißig Schritte von hier, dort zwischen der hohlen Weide am Rinnsal nnd der alten trockenen Vnche in der Hecke; der Baum war damals noch frisch nnd grim — war's zn spät. — Tönnies Hans lag blntend nnd röchelnd am Boden nnd Wilhelm stand blas;, steif nnd starr da wie ein Bildstock, gestützt anf den Zaunvfahl, den er ans der Hecke gerissen nnd womit er anf den Hans losgeschlagen hatte. „Unglückskind!" rnft die Marlene, was hast dn angerichtet! Fort, fort, so weit dich deine Füße tragen! Nm Gotteswillen, der stirbt! Fort, sag ich, Wilhelm! Ach Gott, ach Gott, ich vergehe in meinem Elende!" — „Ja, fort, fort!" rnfen die Bnrschen, „mach' dich gleich anf nach Heiligenrode, dort hält der Wachtmeister mit den blauen Husaren, Iocheil Heine ist dabei und Inst Värmann nnd der Lieutenant uom Schloß kennt dich anch, die nehmen gern solche Nnrschen! Weg von hier so weit dich deine Füße tragen, die Engländer suchen Lente, laß dich annehmen!" — So haben sie auf ihn eingeredet, nnd er 369 that recht, daß er folgte. Du lieber Gott, ich seh' ihn noch ins Haus springen. „Mutter, Mutter, gute Mutter", rief er, „ich muß fort nach Heiliqenrode, vielleicht seht Ihr mich uicht wieder! Vater, Vater, wenn der Tönnies Haus stirbt, Gott weift es, mit Willen hab' ich's nicht gethan, er hatte mir zu fest ins Leben gegriffen! Lebt wohl, lebt wohl! Grüßt mir die Marlene!" „Iocheu Heiue und Inst Värmann, treue Menschen, waren mit in der Stube und trieben ihn zum Laufen an. Vtein brechendes Herz wollte mich nicht auf den Beinen erhalten und meinem Steffen bebten die Knie; mit zitternden Händen rafften wir ein paar Dutzeuo Thaler zusammen und schoben sie in seine Tasche und fort flog er wie der Wind zum Hause hinaus und über den Zaun, und weg war er in der dämmerigen Mondnacht. — Am andern Morgen war der Tönnies Haus scholl todt und au demselben Morgen tamen auch schou die Lauddragouer und wollten nnseru Wilhelm holen. Sie fanden ihn nicht, wir konnten mit gntem Gewissen sagen, er sei fortgelaufen, wohin wüßten wir nicht; dabei blieb die Geschichte ruheu Jahr auf Jahr. — „Sie wisseu, daß damals der französische Kaiser mit vielem Volt ins Neich gefallen war und wie sich nach und nach die Potentaten gegen ihn zur Wehr fetzten. Ach das war eine wilde Zeit, damals habe ich in ein paar Jahren mehr erlebt, als nachher in zehn und in zwanzig Jahren. Auch habe ich den Aouaparte einmal gesehen, als ich mit der Herrschaft eiue Reise ms Preußische machte. Ich hatte schon mehrere Jahre meinen Steffen und war uicht mehr 270 auf dem Schlosse, aber die gnädige Frau ließ mir heruntersagen- „Liebe Nademacherin, Sie muß mit, wir müssen da nach Erfurt hin und ich mag keine Person Ueber nm mich haben als Sie." Da konnte ich nicht anders, nahm von meinem Wilhelm nnd meinem Steffen Abschied und fuhr mit der Herrschaft ins Preußen land. Wo wir hinkamen, nichts als Himmel und Franzosen! Da hab' ich auch in einer kleinen Stadt den Kaiser gesehen, und als ich ihn da auf dem Markte auf seinem kleinen Pferde sitzen und ihm in die „gluen" Augen sah, da schwante es mir gleich, daß das ein absonderlicher Mensch sei und ich sah vorher, daß um ihn noch manch Mutterkind unter die Erde müßte. Aber so soll es sein, sprach es in nur, nnd allzulange werden diese Augen auch nicht leuchten, auch sie werden ausbrennen uud der mächtige Kaiser und seine tauseud und aber tauseud Soldaten werden in kurzer Zeit nicht mehr sein, und dann ist's wieder anders in der Welt. So schwante es mir uud es ist alles eingetroffen. — „Ja, eingetroffen! Die Völker sammelten sich gegen ihn und auch die Engländer uud Hannoveraner, dabei war unser Wilhelm. Ein wackerer Husar bei den Engländern — englisch-deutsche Legion nannten sie's, ich weiß es noch heute — war er geworden, nnd in ferne Lande gezogen. Pulver nnd Blei war ihm nm den Kopf geflogen uud er war gesund geblieben, so schrieb er's uns iu vielen Briefen, und wenn ein Brief tam, holte ich die Marleue. Ach, das arme Mädchen küßte die Schrift von den Briefen, herzte das Papier und wollte sich „von Tagen thun" vor Frenden. „Jahr auf Jahr ging hin, der Wilhelm schickte immer 271 gute Briefe und schrieb, daß seine Vorgesetzten sich so sehr über ihn freueteu uud daft der Rittmeister ihn seinen liebsten Jungen nenne. Vor dem Tode fürchte er sich gar nicht mehr, nnd keine Kugel und kein Säbelhieb könne ihn treffen. Das komme aber daher, weil er immer munter dranfginge; wer sich fürchte der sei längst verloren. Je wilder man dazwischen haue, desto weniger kriegte man selbst ab, nnd darüber freueten sich der Major und der Rittmeister, daß er so dächte. — Bei so schönen Vriefen lebte die Marleue, die in der ersten Zeit nach dein Unglück mit Tönnies Hans krank und hinfällig gewesen war, wieder auf nnd blühete wie eine Rose. Viele Anträge von reichen Vauernsöhnen wurden ihr gemacht, aber sie sagte: „Nein, ich habe meinen Wilhelm." — Das arme Ding! — Mir sagte sonst mein Vorahneu viel, aber an das Unglück, das mit dem Wilhelm noch kommen sollte, dachte meine Seele nicht. — „Jahr anf Jahr war auch vergaugeu, man dachte nicht mehr an Tönnies Hans nnd alle Welt war voller Freude, denn die Franzosen waren nuu ganz ans dem Felde geschlagen nnd die Tromveter durchritten die Städte und Ortschaften und verkündeten den Frieden. Da. war alle Welt froh uud feierte Friedeusfeste, uud des Singens, Tanzens und Trinkens wollte kein Ende werden. Da kamen auch nach uud nach unsere ^andeskinoer, die der Tod verschont hatte, zurück. Jochen Heine war der erste, das ganze Dorf versammelte sich um ihn und die Marlene ging nicht von seiner Seite, denn Jochen tonnte ihr nicht genug von unserm Wilhelm erzählen, der der beste Kamerad 272 nnd ein Liebling der Officiere gewesen wäre. „Ja", meinte Jochen, „ich weiß gar nicht, wo der Wilhelm das Zeug her hat; das war so ein wahrer Kriegsheld nnd dabei so klug, als ob er alle Schulen durchgemacht hätte. Der wäre gewiß Wachtmeister oder gar Lieutenant geworden, wenn die beschichte mit dem Napoleon noch eine Weile gedauert hätte." — „Aber wißt ihr was, Mutter Rademachern nnd Marlene", sagte der Jochen an einem Sonntag Nachmittags beim Kaffee, ich vergeß es mein lebelang nicht, „es wäre besser, der Wilhelm käme gar nicht wieder hierher, die Geschichte mit dem Tönnies Hans ist freilich vor vielen Jahren geschehen, aber wer weiß, wie oft der Böse sein Spiel hat. Die Herrn vom Gericht vergessen nichts und unser Rittmeister, — Wilhelm hat es mir selbst gesagt — hat ihn gewarnt vor der Heimat. Ein Kerl wie er könne überall Brod nnd Dienste finden, er solle doch seinen Abschied nicht nehmen nnd lieber bei seinen Kameraden bleiben, sie würden in die Residenz verlegt nnd dort sollte ihn der Teufel selbst nicht aus der Schwadron herausholen!" — „Marlenen und nur würd' es ängstlich ums Herz bei solcher Nede, aber wir setzten nns bald darüber hinweg, dachte doch an den Tönnies Hans keiner mehr, seine Eltern waren anch schon vor Jahr nnd Tag verstorben, nnd der Amtmann, der nach dem Unheil, welches der Wilhelm angerichtet, die Marlene nnd die Burschen verhört hatte, war längst in ein fremdes Gericht gesetzt nnd ein anderer an seine Stelle getreten. Ach, ich frente mich so rechtschaffen daranf, den guten Jungen nach so vielen Jahren wieder zu sehen, denn seit Jahr und Tag war mein Steffen zu 273 des Herrn Freude eingegangen, und ich saß da als vereinsamte Wittwe. Mir schlug das Herz wohl so lant, wie das der Marlene, als an einein Sonntag Nachmittag, als wir eben beim Kaffee saßen lind von nnferm Wilhelm sprachen, der Postbote in die Etube trat und einen Brief aus dem Westpbalen brachte. Der war von ihm; Ende nächster Woche käme er, wolle ein paar Tage bei uns bleiben und danu des Königs Pferd nnd Sachen in der Residenz abliefern und seinen Abschied mitbringen, um seine liebe Marleue zu nehmen. — „Die Marlene wurde ganz närrisch vor Freuden, bald lachte sie laut ans nnd klatschte ill die Hände, bald schlug Ne die Häude vor's Gesicht und die hellen Thränen liefen ihr dnrch die Finger, man konnte kein vernünftig Wort mit ihr reden; nur aber war's auch ganz närrisch zn Mnth. — Die ganzen Tage hindurch dachten wir wohl uur an den Wilhelm nnd ich konnte nichts Nechts beschaffen, alles was ich angriff, zitterte mir in den Händen, doch bei aller Freude, die ich anf das Wiedersehen hatte, beklemmte mir eine große Angst die Brnst nnd meiue Vorahnung sagte nlir nichts Gutes. Ja in der Nacht, die dem Freitage vorherging, an welchem Wilhelm kommen wollte, jagte mich ein schrecklicher Traum vom Lager auf. Ich sah den Wilhelm wieder so mit Vlnt übergössen, wie er mir damals anf dem Tanzboden vor die Seele trat, als er eben dem Tonnies Hans nachgestürzt war; Hände und Gesicht waren so bleich wie Schnee, die Lippen fahl und um den schloßweißen Hals lag ein blntrother Nina. ^ Laut schrie ich auf, machte mit zitternden Händen Licht 274 an und nahm das Gebetbuch und las darin bis zum hellen Morgen. „Nach elf Uhr kam schon die Marlene ins Haus gesprungen nnd rief ganz außer sich: „Mutter, Mutter, sie kommen!" Und als wir vor die Thür liefen, da horten wir Pferdegetrappel, da bliesen die Trompeten und dann zogen sie über die breite Straße und sangen — Wilhelm hat's nachher noch oft im Hause uud auch noch im Gefängniß gesungen: — „Hört lhr die Trompcttn blasen, Jetzt ,'nuß ich mcin Lcben lassen, Ich und mancher Kamerad!" „Ach Gott, ach Gott, da kam er angeritten. — „Mutter, Mutter, Marlene, Marlene!" rief er nnd richtete sich hoch im Sattel auf, wir Weiber streckten die Arme nach ihm aus und wollten vor Freuden vergehen. Da ritt er hin mit den Andern; sie mußten erst auf den Ge-meindeanger, wo siö ihre Ordres und ihre Quartierzettel kriegten, der Wilhelm kam natürlicherweise zu uns, und sein Rittmeister ritt mit seinem Bedienten zum Schloß hinauf, wo sie ihm das Quartier bestellt hatten. „Dauerte nicht lange, da kam er angetrabt, der gute, der liebe Junge, sprang vom Pferde, daß alles rasselte und klirrte, drückte mich an seinen blauen Dollmann und seine weihen, harten Schnüre, daß nur fast der Athem verging, aber ich verbiß alles und ließ ihn drücken, ich hätte vor Freuden umsinken inögen. Die Marlene hob er gar wie ein Kind auf die Arme, herzte und küßte sie stumm 275 und dumm llnd tanzte wie ausgelassen mit ihr in der Stnbe nmher. Da kamen Nachbarn nnd der Jochen Heine, da ging es wieder an ein Drücken nnd Hände schütteln, und da wollte der Eine noch mehr fragen als der Andere, aber Wilhelm sagte — ich hör' es noch wie heute — „Dienst geht vor!" Und damit sprang er zur Thür hinans, nahm dranßen dem Jungen das Pferd ab nnd zog es in den Stall, um es abzusatteln und vorschriftsmäßig zu besorgen. „In der Stube konnten wir uns nicht genng darüber wundern, daß der Wilhelm so ein gewaltiger Husar geworden war. Hatte er vor Jahren hier schon hübsch ans-geschaut, so war das nichts gegen jetzt. Zwar war er brauner geworden, aber das sah nicht übel aus, nnd der blaue Dollmann und der Pelz und die Seehundsmütze mit dem steifen Federbnsch auf seinein Krauskopfe., alles saß ihm wie angegossen. Der Marlene liefen die Freudenthränen nur immer so über die Backe». Ach, großer Gott, die Freude sollte nicht lange währen!" — Die Altmutter ließ das greise Hanpt in die dürren Hände sinken und machte eine lange Pause. Ich störte sie nicht in ihren schmerzlichen Erinnerungen, die ein Zeit-ranm von dreißig Jahren nnd darüber nicht hatte verlöschen können in ihrer Seele. Ich kannte ja aus den Akten und alls anderer Leute Mund das traurige Ende Wilhelms, das noch hente, während ich dies schreibe nnd nachdem die Rademachers Ilse schon längst neben ihrem Steffen auf dem Friedhofe ruht, iu der gauzen Umgegend tlef beklagt wird, - 276 ,Fiut MM,« Öl l>^!l oul »nlnllux!" seufzte ich anf und tippte, mich vom Nafen erhebend, der ganz in sich versunkenen Alten mit den Worten auf die Schulter: „Mutter Rademacheru, wir wollen nicht mehr davon sprechen, ich weiß ja das audere!" — Die Altmntter drückte in innigem Einverständnis; mit ihre», dürren Handen die meiuigen, erhob sich au ihrem Stäbe nnd sagte lnir Lebewohl. — Da wankte sie hin den blühenden Hagen entlaug, die so viel nnd so Bitteres in ihrem langen Leben erfahren! „Unser Leben währet siebenzig Jahre, nnd wenn es hoch kommt achtzig, nnd wenn's köstlich gewesen, so ist es Mühe und Arbeit gewesen!" —- Ja, Mühe nnd Arbeit macht das Leben süß nnd die Arbeit ist nicht „imzi«-«)!)»,!'!," aber dir, du arme Ilse, haben der Menschen Pedanterien und veraltete Satzungen das durch Arbeit versüßte, lauge Leben verbittert und der Marlene haben sie das Herz gebrochen. — „Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit fort." Soll diese Kranweit nicht für die Gesellschaft zur Plage und für Einzelne verderblich, vielleicht todtlich werden, so ist allerwegen darauf zn achten, daß die gesetzlichen Bestimmungen mit dem .Allturstandpunt'te und der Humanität der vorgeschrittenen Zeit im Einklang stehen und daß stets die Billigkeit der Gerechtigkeit die Wage halten hilft. Nach unserm heutigen Strafgesetzbuche und der üblichen mit den Anfordernngen der Zeit mehr in Einklang gebrachten Praxis hätte man den beklagenswertheu Wilhelm Nottbom, der aufs schmählichste von seinem Gegner gereizt, ja sogar von ihm verwundet worden war und dranf im andaueruden Affett der Nache einen unvorsetzlichen Todtschlag an ihn: 277 beging, wohl auf einige Jahre zum Zuchthaus, aber nicht zum Tode vernrtheilen dürfeu. Indeß damals geschah das leider, des braven Soldaten Haupt, das in so mancher Schlacht dem Tode kühn die Stirn geboten, fiel alls dem Schaffot unter dem Schwertstreich des Henkers. — Das harte Urtheil entsprach schon derzeit so wenig dem allgemeinen Nechtsgefühl, daß es selbst die rohesten Gemüther empörte und im Torf ein Krawall entstand, als man trotz alles Bittens und Flehens von Seiten der armen Pflegemutter und der unglücklichen Marlene, dem Hingerichteten kein ehrlich Pegräbniß in geweihter Erde gönnte, sondern den Todten der Anatomie ablieferte. Anch hier das „linl .Mtilil, ol pl mm,«w8", — die Universität hatte eben ihr altverbrieftes Anrecht auf solche Cadaver geltend gemacht! — Auffällig muß es dem mit deu Verhältnissen des norddeutschen Landes, in welchem vor vierzig und mehr Jahren dieser tranrige Kriminalfall spielte, nicht bekannten Leser erscheinen, daß lüer das Staatsoberhaupt nicht mit der rettenden Macht seiner (^nade einschritt, znmal, wenn er erfährt, daß Wilbolms Oberster nnd Rittmeister sich die auertenuenswertheste und erdenklichste Mühe gaben, den schmählichen Tod von dem braven Soldaten abznwenden, dom nicht allein die ehrendsten Zengnisse über seine Tapferkeit uud Tiensttrene, sondern auch die Liebe und Achtnng aller seiner Kameraden znr Seite standen. Doch das fruchtete nichts, der Regent war nämlich in England nnd hatte knrz nach den Kriegen wohl mehr zn thnn, als sich ein Langes und Breites über einen armen Delinquenten referiren zn 276 lassen; und des Regenten Stellvertreter im deutschen Lande fühlte sich damals zu sehr zur angestrengtesten politischen Thätigkeit für die Organisation der nenen politischen Zustände berufen, als daß er in solch „unbedeutendem" Fall seine energische Vermittlung hätte einlegen mögen. Kurz, der todte Buchstabe, der schon manches Mutterkind getödtet hat, triumphirte, er brach dem Wilhelm Nottbom den Hals und der Marlene das Herz. — Aus einem altcn Buchr, "Der Uebcl größtes aber >N dic Gchuld:» Gin wnnderbar poetischer Zauber dnrchhaucht die elegische Stille, U'elche auf den Friedhöfen der Klöster und Stiftskirchen ruht, deren alterthümliche Kreuzhänge in schönen Bogenhallen um den freien, grünen Platz lanfen, der mit seinen blühenden Nosen nnd altergrauen Grabsteinen die Gebeine längst Vorangegangener bedeckt. Nach allen Seiten durch die Bogenhallen des Kreuzgangs uud durch die Mauern des Htilufters abgeschlossen, fern vom profanen Treiben nnd dem lNeränsche des Lebens, ist solch ein Ort wie kein anderer geeignet, Mr Einkehr in sich selbst anznregen nnd die Gedanken anf Menschen, Zustände und Tinge zu richten, welche uns die Hast des modernen Bebens nnd die gänzlich veränderten Knltnrverhältnisse nicht mehr vorführen. — „sitter ämlin>«i>l«, l>liii! I<;85." — So lautet die eiufache Grabschrift auf einem vor mir liegenden Sanosteiuwürfel, welcher auf dem vom Krenzgang umschlossenen Friedhof, halbver-snnken nnd von einem üppig wuchernden Hagedorn beschattet, die Asche eines Mannes deckt, der nach einem wildbewegten, 280 von manchem harten Schicksalsschlag getroffenen Dasein endlich in der Entsagung des Klosterlebens eine Sühne seiner ihn dnrch's Leben geißelnden Schuld, im Grabe Ruhe fand. In der oberm Halle des Kreuzgauges führt, dort wo die seltsam gewundenen Säulen das Gewölbe tragen, die kleine Spitzbogenthür znr alten Klosterbibliothek', von dort holte ich mir das sauber geschriebene Buch, welches der hier Ruhende über sein Leben nnd seine Schicksale hinterließ. Auch dieser alte in Pergament gebundene Band ward so ruhelos hin und her geworfen wie der Mensch, von dessem Leben er aphoristisch und dunkel erzählt, bis dann int Kloster die zweite Hälfte seiner jetzt vergilbten Blätter mit rnhigerer Hand aufs zierlichste mit Gebeten, frommen Sprüchen, Prophezeiungen, geistlichen Betrachtungen uud medicinischen Recepten beschrieben wurden. Dieser Pergamentband hat vor mehr als zweihundert Jahren im Schnapftsack des wilden Soldaten ganz Deutschland durchwandert, das Feuer der Schlachten hat ihn verschont, und könnte er reden, er würde uns noch nmsiändlicher als der Simplicissimus und Philauder uou Sittewald vou jener wilden Heit erzählen. Dietrich Storr, der nachmalige Pater Ambrosins, den Tchnld nnd Rene unter die Soldaten trieben, erzahlt nns ans diesen Blättern nnr weniges und dürftiges über die Kriegesnoth, er hat anf jedem Blatt genug mit sich und seinem Gemüthszustande zu thuu und wird erst redseliger, wenn er erzählt, daß er die Schweden und seinen Glauben verlassen uud das Klosterleben gewählt habe. Die ewige Selbstantlage um das traurige Geschick 281 von „Annecken Martens" zieht sich wie ein rother Faden durch höchst dürftige Schlachtberichte und durch dieSchilderung der Noth, welche Dietrich als Gefangener und Verfprengter erlitt; hin und wieder nur scheint den Verfasser eine so heitere Stimmnng überkommen zu sein, daß er Soldatenlieder niederschreiben tonnte, von welchen uus das folgende am besten gefällt: Warumb sollen wir dann tr^wreu, Und weinen ulxrall, Haben wir doch dicke Mauern, Und liegen hinterm VM ^lauter Soldat, In unserm Ornat, Frisch auff Eoldat, Gott hclfs uns frnh und spat. Wir haben cin pravcn Hcldcn, Dazn fnsch jun^c Lcut, Wir zichcn daniit zu Fclbc, Und »nachcn frische Beut, Blanlcr Soldat, In unserm Ornal, Frisch aufs Soldat, Gott hclsf unö^ s>üh und spat. Dcr König auö Cchwcden Lande, Der ssroßc General, Dem dicncu wir z' Nasscr und Lande, Lasseu uns auf ihu all, Blanker Soldat, Iu unserni Orna!. Frisch aufs Coldat, Gott helss uns snN) und spat. 382^ Wann andere Lent« schlaffen Und ruhen in der Nacht, So zichn wir an du Waffen, Und schießen das cö kracht. Blanker Soldat, In nnserin Ornat. Frisch ciuff Soldat, Gott helff uns fnch und spat. Ihr Capitaincn alle, Ihr Cavallierer gut, Ewer Nnhm qeht »nil schalle, Habt nnr ein guten Muth. Blanker Soldat, In unserm Ornat, Frisch anff Soldat, Gott helsf ilns friih nnd spat. Jetzt trettcn wir zusammen, Und liffern eine Schlacht, Ein jeder seinem Namen, Groß Lob rmv Nuhm jetzt macht. Vlanler Soldat, In unscnn Ornat, 5lisch aufs Soldat, Gott hclff nn^ früh nnd spat. Mit solch frischem, muntern Liede mochte Dietrich vielleicht ab und an die Stimme seines nagenden Gewissens übertäuben; auf lange Zeit scheint ihm das jedoch nicht gelungen zu sein, denn der Name Annecken Martens nnd die Bitte zu Gott mn Vergebung unterbricht ihn oft mitten im Niederschreiben eines Liedes, so das; uns die folgenden Verse verloren gehen. — „Die Zeit lindert jeden Schmerz", 283 sagt man. Das ist nur bedingt wahr. „Der Uebel größtes ist die Schuld", die Qnal der Schuld folat dem Schuldigen bis an den Rand des Grabes: „Cupio dissolvi, ne malo vitae ineae oxcinplo aliis sirn, et maneam causa ruinae spiritualist 0 clcinentissime Jesu! ego miser peccalor deprecor te, ul rospicias in me miserum huinililer vcniam petentem." „Annecken Vtartens" steht am Rande des Blattes, welches obige Seufzer aufbewahrt, es ist das letzte beschriebene Vlatt im Vnche, die Schrift, die es trägt, ist die verzerrteste und undeutlichste, welche das Buch zeigt, zweifellos Hat sie Pater Ambrosius kurz vor seinem Hinscheiden niedergeschrieben. Was quälte den nnglücklichen Maun bis zum Grabe, "nd was Hatte er mit Annecken Martens? Ich will versuchen ans den dürftigen, von ewigen Selbstanklagen unterbrochenen Notizen die Geschichte von Dietrich Swrr's Schuld kurz und im Znsammenhange zn erzählen. Dietrich Storr war der Sohn begüterter Eltern in einer niedersächsischen Stadt, die sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts außerordentlich durch Handel und Gewerbfleiß gehoben batce und die sich auch im folgenden Jahrhundert trotz der Schrecken und Verwnstnngen des großen dentfcheu Kriegs ihreWoHlHäbigM erhielt. Dietrich's ältern mochten das einzige Söhnlein wohl verhätschelt Haben, denn ein Thunichtgut scheint er in seinen jllngen Jahren gewesen zn sein; daranf denten weniger die selbst für jene Zeit änßerst nnfläthigen, lateinischen Stammbuchs-^erse, als vielmehr der Umstand Hin, daß er in Erfurt relegirt wurde und bei Strafe des Stranges die Stadt 284 nicht wieder betreten sollte. Es gehörte in jener rohen, wilden Zeit schon viel daz-n, wenn mau mit solcher Strafe nnd Drohung gegen einen Studenten einschritt, denn auf ihre Privilegien gestützt, durften Studenten ungestraft Dinge begehen, die hentzntage mit Zuchthaus geahndet werden würden. Gemeine Diebstähle, von Studenten begangen, gehörten zu den gewöhnlichsten Vorkommnissen, grobe Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Gewaltthaten aller Art waren an der Tagesordnung. Welches Verbrechens sich Dietrich schuldig gemacht hat, wird aus deu Aufzeichnungen nicht klar, wahrscheinlich hat er sich desselben in aufrichtiger Neue so sehr geschämt, dasi er es dem Papier nicht anvertrauen mochte. Bald uachher stardeu uuserm Wildfang die Eltern, nnd er übernahm mit ihrem bedeutenden Vermögen deu ausgedehnten Garnhaudel, welchen der verstorbene Vater länger als ein Vierteljahrhundert mit dein besten Erfolge betrieben hatte. Viele Blätter erzählen von den nnendlichen Plackereien, welche die „Kramergilde" dem ehemaligen Studenten machte, der ohne Weiteres das Geschäft seines Vaters fortsetzen wollte. Aber lzmxj non! das ging nicht in jener goldenen Zeit des Zunftzwanges; der ehemalige Stndent, angehende Doctor und reiche Mann, mußte sich nach einer Reihe verlorener, kostspieliger Prozesse bequemen, als Lehrling bei einem Kramer in die Lehre zu treten nnd daranf noch eine vorgeschriebene Zeitlang als „Kausmannstuecht" (Commis) fungiren, bevor ihm erlaubt wnrde, das inzwischen aomini-strirte Geschäft des Vaters fortzntreiben nnd als echtes und rechtes Mitglied der Kramergilde angesehen nnd aufgenommen 285 zu werden. Er sollte es nicht lange bleiben, denn Dietrich Storr lud schon als Knecht die Schuld auf sich, die ihn mit der Fnriengeißel durch's Leben trieb. Vei dem in ziemlich dürftigen Umstäilden lebenden Kramer Henning Martens war Dietrich wohl deßhalb in die Lehre getreten, weil er den Mann durch einen bedeutenden Vorschuß von sich abhängig gemacht hatte- so zu seinem „Lehrprinzen" gestellt, durfte er nicht fürchten hart wie I^der andere Lehrling gehalten zu werden, was er sich bei Mlem von ihm unabhängigen Kramer, trotz seiner reifen Jahre, seines Reichthums, und seines ehemaligen academischen Nürgerthumv wohl oder übel hätte gefallen lassen müssen. Zu Henniug Marteus aber scheint sich, verschiedenen Andeutungen zufolge, Dietrich so gestellt zu habeu, daß er als der Herr im Hause erschien, und diese Stellung mochte wohl der leidenschaftlichen Neigung zu statten kommeu, die n für das, seinen Seufzern uuo Verseu nach zu schließeu, bildhübsche Töchterchen vom Hause faßte. Aeunchen („An-necken") Martens liebte den vornehmen, leichtsinnigen Knecht, der demnächst einer der reichsten Krauter wurde, vielleicht nnt derselben Gluth wie Oretchen ihren Faust, und wie Gretchen mag das arme Kind. als es zum Schlimmsten gekommen war, geseufzt haben: Doch — allcs wcw dazu mich incb, Gott! war so c^ul! ach war jo licb! Den Dietrich Storr trifft laut seiner Selbstantlage die schwere Schuld, daß er das arme, verführte Mädchen treulos verließ und der Verzweiflung und dem gräßlichsten Geschicke 386 anheimgab, um von niedriger Habsucht bestimmt, einereiche Wandschneiderstochter zu heirathen, die „frisch und rnstig" (rüstig, wohlauf, wohlgemut!)) im Fenster lehnte, als man das unglückliche Annecken, welchem wegen Kindesmord „ans Gnaden das Schwert zuerkannt war", auf den Marktplatz führte und vor der gaffenden Menge hinschlachtete. Dietrich Storr, dessen schwere Schnlo nns aus den ewig durch Gebete unterbrochenen Aufzeichnungen in ihrem ganzen Umfange nicht recht klar wird, verlieft Vermögen, Haus und Weib und diente in dem inzwischen ausgebrochenen Kriege zunächst dem Dänenköuig, der in der Schlacht bei Lutter am Barenberge unterlag. Nichts vermag auch wohl das Schuldbewußtsein erfolgreicher zu übertäuben als der Donner der Schlachten, als der ewig drohende Tod, der den im Herzen nagenden Wurm des Gewissens mit dem Herzen selbst zu zermalmen verspricht. Aber Dietrich Storr fand in allen Schlachten und Scharmützeln den Tod nicht, den er suchte, und der ihm „vom sauern bittern Brode helfen sollte." Das blutige Gespenst des unglücklichen Mädchens verfolgte ihn überall, und feine Geißel blieb ihm fühlbar während aller Schreckeu und Gefahren des verwüstenden Krieges. Nach der Schlacht bei Nordlingen in die harte Gefangenschaft der Kaiserlichen geratheu und nahe daran sich selbst den Tod zu geben, rettete ein „frommer Iesniter seine Seele." — Mehrere Bogen des alten Buchs erzählen nun in breitem Wortschwall von Dieterichs Conversion, von der Vergebung, welche nur in der „einen, wahren" Kirche zu finden fei, von Bußübungen und von den Sünden und Lastern dieser Welt. 287 Der Name Annecken Martens ftndet sich seltener und nie ohne ein Gebet für ihre arme Seele. Ueber seine Aufnahme in den Capuzinerorden geht Dietrich Storr oder vielmehr jetzt Pater Ambrosius kurz hinweg, und sein Tagebuch wird von Blatt zu Blatt einförmiger. Im Jahre 1662 sollte ihm auch die Nuhe des Klosterlebens wieder gestört werden; ein durch die Umtriebe der Jesuiten hervorgerufener Aufstand der protestantischen Aürger der Stadt, endete mit der Vertreibung der Mönche und der Aufhebung des Klosters, Pater Ambrosius ward wiederum in die Welt hinausgeschleudert, fand aber bald Aufnahme und Verwendung bei den Chorherren der Stiftskirche, auf derem Friedhofe er jetzt ruht. Während seines geistlichen Lebens bei 5en Chorherren setzte Pater Ambrosius sein Tagebuch fort, verzeichnet aber nur geistliche Betrachtungen nnd medicinische nnd moralische Vorschriften, hin und wieder in ganz guten lateinischen Versen. So ist wohl ein Gedicht des Drückens und Aufhebens werth, in welchem er den Priestern als das beste Mittel gegen Ungemach nnd Verführuug empfiehlt, stets zu Hause zu bleiben. Dasselbe trägt die Ueberschrift: ^«öiein» ot enuteln pro 8l,oo5l1ollbu8 und lautet wie folgt: sin»«>» enoientu« , «lisce m lines« «lumi. N»!, in eun^u sur<<8 lonwlia lnultl», viclen^u ut le nun vin«»t, llizce inunere äomi. I^e »ul, neve ße!u, neliulne, vo! putriäu» n«l lne^ere te vnlennt, zog mich rasch ans dein Gewühl in das Gartchen zurück, um mit Muße meinen neuen Schatz zn betrachten. Es war ein Kniestück von Meisters Hand, und zwar, nach dem Costüm der jungen Dame zn schließen, zur Zeit der Fremdherrschaft gemalt. Ein weißes enges Kleid mit sehr knrzcr Taille, die ein blanes Scidcnband umgürtete, nmspanntc den schlanken Leib und ließ Schultern und Arme frei; das waren wahrhaft klassische Formen, die kein Ideal des Künstlers hätte übertreffen können. Ja, die ganze, von der holdesten Anmuth übergossme Gestalt war ein Ideal, schönere, regelmäßigere Züge hatte ich nie in Wirklichkeit gesehen; das braune, träume-rische nnd doch lebhafte Auge strahlte eine Engelsgüte aus, und um den kleinen Mund spielte ein sanftes Lächeln so ge-winncnd nnd hinreißend, daß ich nnwillkürlich meine Lippen auf die todte Leinwand drücken mußte. Und dies Ideal hatte wirtlich gelebt? So mußte es scin, riefen die bietenden Leute doch da drinnen den Namen „Melanie," als ob ihnen der Anctionator eine alte Bekannte zeige; da nmß ich mich sogleich erkundigen! Raschen Schritts-wollte ich das Haus wieder betreten, als mir ein bejahrter^ graub artiger Forstmann mit den Worten entgegen kam: „Da haben Sie ein schönes Bild gckanft, wahrlich ich hätt's nicht gelassen, wenn ich's übrig hätte; ich habe unsere Melauie gekannt, als sie fast noch so schön war wie da auf dem Bilde, nur war fic dazumal, als ich noch als Iu.ngc hier im Hause aus- und einging, blässer und nicht mehr so voll; ja, das gute Fräulein hat auch sein Päckchen zu tragen gehabt; zumal, als der alte Oberst noch lebte." 21 « 324 Diese Aeußerungen des Försters steigerten natürlich mein schwärmerisches Interesse für das Vild nnd spannten meine Nengierde auf's höchste. Ans meine geflügelten nnd sich über-stürzenden Fragen um nähere Auskunft erwiderte der Grün-rock, indem er seine kurze Pfeife stopfte: „Nun ja, wissen Sie denn nicht, dies Haus hat ja Fräulein Mclanie gehört, und erst vor vier Wochen haben sie die Gute hinausgetragen. Sie ist ohne Testament gestorben, sonst hätte sie noch mehr gethan für die Stadt, deren Wohlthäterin sie bei Lebzeiten war. Ja, darum wollten auch viele Leute, die sonst nichts alls Bilder halten, gerade dies Bild taufeu, ich hätte es selbst gern gehabt, aber ich konnte ihnen nicht folgen. Du lieber Gott, bei meiuem Gehalte! Zum Sattessen zu wenig nnd zum Perhnugcru zu viel. Glücklicherweise hatte das gnädige Frünlcin dies große Haus hier schon bei Lebzeiten der Stadt durch eine Schenkung zugewandt, damit nach ihrem Tode alte, arme Hospitalitcu ihr Unterkommen darin fänden; ja,- hätte die Melanie das nicht gethan, so würde die Stadt keinen Groschen gesehen haben, denn die Pfennigfuchser ails V., ihre Erben — Gott weiß, wie sie vielleicht im hundertsten Gliede zn der Verwandtschaft mit dem Fräulein tommcu, von Adel sind sie nicht — raffen Alles an sich nnd schlagen Alles zu Gelde. Ist es nicht eine Sünde und Schande, daß sie sogar dies Vild nnter den Hammer brachten!? Mnßtcn sie das nicht zum ewigen Andenken in der Familie bewahren nnd von Kind zu Kindeskind vererben? Lumpenpack das, sappermentsches!" Nach diesem Fluche, deu ein anhaltendes, dumpfes Murren begleitete, wollte der Förster, an dessen Munde ich in höchster Spannung hing, in seinen Auseinandersetzungen fortfahren, 325 als ein kleiner Schncioerfo'rmiger Mann aus der Thür trat, die hohlen Hände an den Mund legte nnd dem Gri'mrock leise und mit pfiffigem Blinzeln zurief: „Vst, Herr Förster, drin Obersten seine alten Gewehre!!" Rasch wandte sich der Förster ab nnd wollte dem Hause zuspringen; ich aber, in meiner Aufregung, erfaßte einen seiner grünen Rockschöße, ich weiß nicht mehr, mit welchen dringenden Fragen. Doch mit einem: „Kreuzdounerwetter, Herr, lassen Sie mich los, ich muß im Anftrage der Herrschaft die alten nichtsnutzigen, mit Perlmutt ausgelegten Kuhbeine kanfen!." spraug der Mann wie ein Jüngling in's Hans und ließ mich in großer Auf-regnng mit meinen Bildern zurück. Als ich mich etwas gesammelt hatte, sagte ich mir, daß ich den Förster ja nach Beendigung seines Geschäfts erwarten künue, führte ihn doch auf seiner Heimkehr sein Weg an meinem Gasthof vorüber; anch fiel mir bei, daß dort der alte Friedrich, der ja viel älter war c?ls der Förster, vielleicht noch mehr wisse von der reizenden Melanie, und darnm nahm ich getröstet meinen Lorenzo nnd meine Jessica nebst der Melanie unter den Arm nnd schritt meinem Gasthofe zu. Die scheidende Sonne warf bereits goldrothe Strahlen über dic rußigen Dächer hin, nnd der hereinbrechende Abend 'nachte die am Nachmittag so öde Straße belebter. Hecrden uud Menschen kehrten heiln aus Feld und Flur, die steinernen Bänke vor den Häusern waren besetzt, nnd die Nachbarn besuchten, nach des Tages Last nnd Hitze ihr Pfeifchen raucheud, die Nachbarn. Vor ihren Hausthüren standen, aus sehr langen, mit allerthiunlichcn Abguß versehenen Pfeifen raucheud, die Krämer uuo «erfolgten mich mit fragenden, fast herausfordern- 326 5>en Blicken. Ein Trupp hübscher, frischer Landmädchen in Hemdsärmeln und den Rechen auf der Schulter begegneten mir und wichen mit blüdcm Kichern ans, eine Schaar Kinder tanzte unter lautem Singen einen Reigentanz, kurz, die Nachmittags so öde Straße war recht lebhaft geworden. Sogar «inige gelblackirte, stark besetzte Equipagen, aus deren offenen Schlägen sich bauschige Crinolinen drängten, rollten dahin. Die Crinolinen fuhren nach meinem Gasthof zum Casinoball; auch der sonst dein Tanzvergnugen abholde Pastor mit seinen fünf erbsündigen Töchtern war dabei, wie ich später von Friedrich erfuhr. Behagen, Lust und Leben wehete mich von allen Seiten an, und ich begriff nicht, wie ich am Mittag und Nachmittag dein Städtchen hatte so grain sein künnen. Dasselbe alte holprige Pflaster, das ich jetzt betrat, hatte ja auch einst der' schöne Fuß der engelgleichen Melanit betreten, ihr klares, einen Himmel in sich schließendes Auge hatte zu denselben alten Gebäuden aufgeschaut nnd vielleicht auch manchmal hier im Laden das Ei im leeren Schnapsglase oder den seiner Farbe nach uralten hölzernen Häringskopf gestreift, der jetzt wie milde zwischen der gespreizten Heckmscheere ruhete. Alles im Städtchen hatte mit einem Male für mich ein hohes Interesse, und Manches, was mir vorher widrig oder komisch erschienet« war, erschien mir jetzt angenehm und ehrwürdig. Melanie's Auge hatte darauf geruht. Als ich meinen Gasthof betrat, war unten auf der Flur reges Leben, neugierige Kinder nnd Frauen drängten sich herbei, um sich die elegant geputzten Damen und Herrn zu beschauen, welche die breite Treppe zum Äallsaal hinaufstiege». Lohn-Diener liefen geschäftig auf und ab, und Mägde mit schwer 327 bepackten Körben drängten sich durch die Menge: im Gast-zimmer dagegen war es so öde nnd leer wie am Nachmittage, ich setzte meinen Bildcrschatz sorgsam gegen die Wand nnd durchmaß mit langsamen Schritten das große Zimmer, die Eindrücke nnd Erlebnisse des Tages noch einmal an meinem geistigen Auge vorübergehen lassend. Da trat der alte Friedrich freundlich grüßend cm und fragte nach meinen Befehlen. „Ich wünsche für jetzt nichts, lieber Friedrich," erwiderte ich, „aber sehen Sie 'mal, welch hübschen Kauf ich gemacht habe." Damit holte ich die Bilder herbei nnd stellte sie uor ihn an die Softhalchne. „Ach Gott ja!" rief der Alte die Hände znsammenschlagcnd ans, „das ist ja nnscre gnte Melani; das Bild kenne ich schon manches Jahr, so gnt wie das andere Bild. Sie wissen gar nicht, lieber Herr, welch gnten Kauf Sie an dem unscheinbaren Bilde gemacht haben." Auf's Frcndigste erregt und überzeugt, etwas Näheres über Melanie uon dem Alten erfahren zu können, fragte ich zugleich, warnm ich mit dem unbedeutenden Kupferstich seiner Mcinnng nach einen so besonders guten Kanf gemacht habe? „Es ist, wie ich sage," erwiderte senfzend der Alte nnd fuhr mit der stachen Hand über die Augen, „sie sind von einem und demselben Meister gemalt." „Wie!" rief ich mit fast mitleidigem Lächeln, „der alte englische Kupferstich da und die Mclanie von einem nnd dem-selben Maler gemalt! Nein, guter Freund, das ist nicht möglich!" „Doch, doch," versicherte Friedrich mit schwcrmüthigem Lächeln, „cö ist gut, daß Sie mir das Bild gezeigt haben, foust hätten Sie es vielleich bis an Ihr seliges Ende au die 328 Wand gehängt, ohne zn wissen, was Sie daran haben. Jedem Hinz und Kunz, der das Bild gekauft, hätte ich das Geheinmiß auch nicht verrathen, aber nichts fur ungut, lieber Herr, Sie mag ich leiden, Ihncu gönne ich auch die gute Melanie. Sie werden doch die Bilder nicht verkaufen?" — „Beileibe nicht, Onkel," fiel ich dem Alten in fieberhafter Spannung in's Wort, „aber nun sagen Sie nur, was ist's mit dem Bilde und was wissen Sie von dex schönen Mclanie?" „Gern, recht gern," betheuerte der Alte, „ich kann bei Ihnen bleiben, die Herrschaften oben halten sich eigcue ttohn-diener zum Bedienen, bringen sich auch ihren Wein mit und zahlen Korkgeld, nnd den wenigen Gästen, die noch heute Abend kommen möchten, kann der Kellner anfwartcn; mein armer, kranker Neffe im Seitenflügel wird durch die Wartefrau versorgt; darum habe ich Zeit, wenn mir der Herr die Ehre geben will und" — — — „Keine Comftlimcnte, Onkel," unterbrach ich hastig, „holen Sie rasch eine Flasche vom Besten und zwei Gläser, dann sollen Sie mir erzählen, und wmn's bis Mitternacht dauert." Während der Alte die Flasche Wein holte, eilte ich mit dem Kupferstich an's Fenster, um denselben anf's Genaueste zu betrachten, doch es war bereits zu düster; schnell zündete ich eine Kerze au und beleuchtete das Bild von allen Seiten, konnte aber bis auf den ungewöhnlich starken und plumpen Rahmen, der mir schon früher anfgefallen, nichts Besonderes entdecken. Friedrich, der jetzt mit Flasche und Gläsern eintrat, sah lächelnd auf mein Beginnen nnd meinte: „Wenn es Ihnen recht ist, so gehen wir drüben in die kleine Ncbenstube, dort sind wir ganz ungestört." Auf mein bejahendes Nicken nahm 329 der Alte den Wein und ich die Bilder. Wir traten in ein behagliches Stnbchen, wo Friedrich zwei Kerzen anzimdete, die Gläser zurechtstellte, auf mein Geheiß füllte nnd sodann vor meinen gespannten Blicken den Kupferstich mit der Rückseite nach oben auf den Tisch legte. Vorsichtig löste er darauf mit einem Messer die leichte Paftierdccke ab, bog die schwachen Stiftchcn zurück, die eine zweite in Holz eingefaßte Decke zu halten schienen, nahm diese Decke behutsam heraus und — o Ueberraschung! — hielt mir im strahlenden Kcrzenscheine ein prächtiges Oelbild im Bliudrahmen entgegen. Das Bild war auf's genaueste in den augenscheinlich dazn angefertigten, tiefen Nahmen des Kupferstichs ciugcpast, und der Kupferstich selbst hatte ihm als gute Decke gcdieut. Die Farben warm so frisch uud kräftig, als hätte das Bild gerade erst die Staffelci verlassen. Es war das Portrait ciues Napoleouischen Gardekürassier-Offiziers iu voller Uuiform. Jetzt verstand ich den Alten vollkommen. Anffassnng und Behandlung, sowie eine wunder^ volle Hannouic der Fmbeu, criuuertcn an Melanic's Bild, derselbe Meister mußte beide Portraits gemalt haben. Den schönen Kopf, aus dessen edlen, männlichen Gesichtszügeu tief-schwarze Augen wie lebendig hcrvorstrahltcn, deckte der gc-schmclckuvllc Helm mit der Oärcnfellraupe, von einem rothen Feocrbusch überwallt, die Brust umschloß ein Harnisch von Kupfer mit glänzender Stahlplattc. Ich verwaudtc kein Auge von dem schoueu Bilde. Der Alte weidete sich lächelnd an meiner Ueberraschung uud Verwunderung uud erläuterte dann ganz unaufgefordert: „Ja, das ist er, wie er leibte und lebte, Monsieur Bietor Dubois; ich sehe ih« noch in voller Kraft 330 oor mir auf seinem prächtigen Apfelschimmel, er war Ritt' meister oder, wie'S die Franzosen nannten: ^»pilnnw cls c»v3l6i-i«." — Ich rückte ganz erfüllt von der Endeckuug des Bildes zwei Stühle dem Tische nnd den Kerzen nah, lehnte Melanie's Bild neben das des Eapitäus an die Stuhllehnen, ließ das möglichst günstige Vicht daranf falleil nnd setzte mich erwartungsvoll dem Alten gegenüber. Dieser begann, ohne daß ich meine Aufforderung zum ErMlen zu wiederholen nöthig gehabt hätte, in seiner schlichten Weise wie folgt: „Ja, lieber Herr, Keiner hier im Orte weiß so genau wie ich, wie es um jene beiden gutcu Meuscheu dort stand und was sie erlebt und erlittm. Es war gerade auf den Tag, als man den Autritt des neueu Jahrhunderts feierte, und eben nach dem Gottesdienste, als hier eine schwer mit Koffern und Kasteu bepackte Equipage vorfuhr, der mau es ausah, daß sie eiue weite Ncise gemacht habeu müsse. Ich seh' es noch wie heute, denn ich war damals schon eiu straffer Burfchc und griff tüchtig mit zu hier im Hause, worm damals meiu Bruder die Wirthschaft betrieb. So sprang ich deuu au deu Kutschcnschlag, um den Herrschaften beim Aussteigen zu helfeu; der Kutscher, der zugleich Bedienter war, machte sich etwas laugsam vom Bocke heruuter, uud so stützte sich oeuu der alte, weißbärtige Herr, welcher im Nageu saß, auf meineu Arm und stieg aus. Ich erschrack fast vor dem griesgrämigen von Narben durchfurchten Gesichte des alten Herrn, defscn Benehmen mich auch gleich belehrte, daß er keinen Spaß verstehe, denn kaum staud er auf der Straße, so wetterte und fluchte er auch schon auf den Bedienten los, wie ich es in meinem Leben nicht geHort. Der Kerl sei schon auf der ganzen Reise 331 ciii Erzschliugel und das Brod nicht werth gewesen, schrie der alte Herr vor aUcu Leuten ans, und als der Bediente eine gauz bcschcidcue Entschnldignng anbringen wollte, hieb er gar nach ihm ans nnd geberdrte sich wie ein Toller. Doch damit ich's turz sage, der arme Johann wnrde tnall und fall fort gejagt, nachdent ihiu sein Herr ein paar preußische Doppel-fuchse vor die Fuße geworfen. Daranf befahl der Herr, die Pferde zu pflegen, .nnd ließ sich auf sein Zimmer führen, wo er sich einschloß. — „Da haben wir eine schöne Bescheerung," sagte, sich hinter'm Ohr kratzend, mein Bruder, der sehr äugst-licher Natur war; „Friedrich, Du mußt zusehen, wie Du mit dem alteu Griesgram fertig wirst, mich ziehen keine vier Pferde zu ihm hinein, wenn er was befiehlt." — Uuteu in der Mtscher-stubc saß der fortgejagte Johann nud schien gar nicht betrübt ^n sein, vielmehr ließ er sich's recht wohl schmecken und meinte, als wir ihm unser Bedauern ausdruckten, er sei heilfroh, daß eo so getommcn, mit dem alten Wnthcrich käme doch Niemand ans, der habe den leibhaftigen Teufel im Leibe; übrigens habe er ihm mit den Doppelfüchscu viermal mehr gegeben, als sein Lohn betrage. Es sei der Oberst von Dillfeld, habe schon im siebenjährigen kriege gedient und sich nachher als alter Kerl wieder unter dem Herzog von Brannfchweig mit den Franzosen herumgeschlagen, auf die cr eine solche Nuth habe, daß er sie alle fresseu möchte, wenn er nur könnte. Bei Kaiserslautern schwer verwnudet, habe der alte Eisenfresser lange krank ge-legen uud, am rechten Arm nud rechten Fuß gelähmt, seinen AbschicV nehmen müssen. Seit mehreren Jahren habe er nun bald hier, bald da in Deutschland gewohnt und am liebsten solche Orte und Länder aufgesucht, wo ihm die „verfluchten 332 Königsmörder," so nenne er die Franzosen, nicht zu Gesichte käuten, er bekomme Krä'mpfe, wenn er ihnen anf's Fell gncken müsse. Jetzt sei er auf der Reise nach Preußen, weil er meine, daß die „französische Canaille" dort schon weit genug weg bleiben werde. Geld habe der alte Teufelskerl übrigens wie Heu, und es lasse sich etwas an ihm verdienen." Der Johann war noch im besten Erzählen, als oben auf des Obersten Zimmer geschellt wnrdc, daß wir nicht anders meinten, als der Glockcnzug müsse darüber zu Grunde gehen. Mein Bruder sah sich ängstlich nach mir um, ich aber war flugs zur Thür hinans, nahm drei Treppenstufen anf einmal, klopfte an lind trat anf des Obersten donnerndes Herein mit tiefer Reverenz in's Zimmer, „Kisten und Koffer in's Schlafe zimmcr besorgt?!" fuhr mich der Oberst, dem ich gemd und freundlich in's Gesicht schaute, an. — Ja wohl, gnädiger Herr!'— „Gnt, bring das Essen und eine Flasche Wein!" — Zn Befehl, gnädiger Herr, sagte ich und war zur Thür hinaus. — Nnn, daß ich's kurz sage, ich bediente den Herrn mehrere Tage zu seiner Zufriedenheit, ließ die Kutsche auf's Sauberste reinigm, verpflegte die Pferde gut und hatte die Freude, daß mir der Oberst eines Mittags, als ick ihm das Essen brachte, ganz freundlich sagte: „Friedrich, Du li^st ein ordentlicher Kerl, Du sollst mich ausführen, ich will das Nest und die Umgegend besehen, laß gleich anspannen!" — Wie der Alte mir diese Befehle gab, saß er bei einer großen Landkarte nnd blickte nicht davon auf. Ich sah wohl, daß co die Karte von nnscrm Händchen war und daß der Oberst" nnfern Ort dreimal roth unterstrichen hatte. '.»cachmittags fuhr ich den Alten aus und beantwortet 333 alle Fragen, die er über unsern Ort, seine Lage und Verhält-nissc au mich richtete, nach besten Kräften. Auch mußte ich seinen Arm nehmen und ihn auf den Kettcnbühr fuhren, von wo ans er unser euges Thal gau; überschaute. Als ich ihn nun wieder behutsam himmterführte, brummte er in den weißen Bart: „Alles gut, ich bleibe hier!" — „Berzeiheu gnädiger Herr," wagte ich zu bemerken, „ich fürchte, daß es dein Gnädigen bei uns gar so eiusam sein wird, nuser Städtchen liegt anßer allem Verkehr"---------„Dummes Zeug, Gelbschnabel," fuhr mich der Oberst au und hätte mir fast semen Arm entrissen, '„da verstehst Du den Tenfcl davon, ich bleibe also hier, hörst Du? Und mm iu dm Wagen und rasch nach Hause!" Au demselbcu Abcud, als ich dem Obersten die Suppe hinaufbrachte, klopfte er mich ganz zutraulich und freundlich auf die Schulter uud sagte: „Ho'r' 'mal, Friedrich, ich bin rm alter Miuu, der eiueu ordentlichen, zuverlässige« Menschen um sich haben muß; Du gefällst mir, Friedrich, ich kaufe mir hier eiu Haus, und Du bleibst bei mir! Berstandeu?" — Als ich überrascht uud erschrockeu, ich weiß uicht mehr was, henwrstottcrtc, schnob er dazwischen: „Halt's Maul! Abgemacht! Scla! Hier hast Du das Haudgeld!" uud damit drückte er mir seiue goldene Uhr in die zitternde Hand. Ich weiz? nicht mehr, wie ich zur Stube hinausgekommen bin uud was uoch geschah, t'ur;, das Ende vom Liede war, daß der Oberst uom Ober Amtmaun das Haus kaufte, iu welchem Sie heute zur Auction wareu, uud daß ich zu ihm als sein Bedienter zog. — Manches Jahr bin ich bei dein vergrillten Alten gewesen, uud mauches Donnerwetter habe ich über mich ergehcn lassen müssen, aber der alte, wunderliche Ehrenmann 334 würde sich heute noch im Grabe umdrehe», wcnn ich sagte, er hätte mich schlecht behaudelt. Nein, das wäre eiuc schund--liche Lüge, er hielt mich mehr wie eincu Sohn als wie cincn Diener und hat mich auch, Gott gebe ihm eine fröhliche Urständ, in seinem Testamente bedacht. Nebcrhanpt war das Herz des polternden, gntcn Herben krcn^brav, er war ein Wohlthäter der Annen und hat hier manchem Bedrängten ans der Patsche geholfen; Alles wäre anch gut gegangen nnd keine einige Kummcrthränc hätte er aus eiucm Auge gc;wnngen, wenn nur seiu gan; wüthender Franzosenhaß nicht gewesen wäre. Na, davon kann ich ein ^icd singen, dieser Grimm des Obersten ans die Franzosen hat mir Wehtage genug gemacht. „Das erste, was er mir, uachdem er sich iu sciucm ueucn HmHe vollständig eingerichtet, befahl, war, daß ich nach dem Postamt gehen solle, nm den Hamburger Korrespondenten für ihn zu bestellen. Jeden Sonnabend kamen die Malefizzeitnngcn hier an, und mit Schrecken und Graueu sah ich diesen Sonn-abendcn entgegen. Denn war der Herr die ganze Woche über leutselig und wie cm Kind'gewesen, so wnrde er in der Regel Sonnabends, wenn er die Zeitungen las, wie ein wildes Thier. Schreckenstage, sage ich Ihnen, lieber Herr, waren das für mich. Sobald ich ihm nämlich die Zeitungen überreicht hatte, commandirte er: „Hingesetzt! Zugehört!" Dann mußte ich oft Stundenlang da sitzen und Mut schwitzen. Denn fast immer fand er von neuen Siegen und ueucm Vordringen der Franzosen geschrieben, nnd ich mnßte dann das Bad austragen. „Was hast Du mir heute wieder für Schwcinezeug vou der Post gebracht, Du Himmelhund!" flnchte er dann tirschbrcmn vor Zorn, „lauter imfame Lügen! Da hast Du dcu ganzen 335 Lugenbcttcl!" und damit warf cr mir wohl den ganzen Zeitung^ Gallast zerknittert nnd zusanuncngcquetscht in's Gesicht. Am andern Morgen, wenn ich die zerknitterten Zeitungen bei Seite geschafft, war er dann wieder dci beste Mensch von der Welt^ „So ging's jeden Sonnabend manches Jahr hindurch. Nnr sehr selten, nnd zwar wenn die Franzosen irgendwo eine Schlappe gekriegt hatten, war der Oberst Sonnabends gnt gelaunt, dann befahl er mir wohl gar, ein Paar Flaschen Wein heraufzuholen, nnd ich mußte auf seine und der Sieger Gesundheit tapfer mittrinken. Ja, einmal, es mochte so im Jahr 8 oder 9 sein, die Mclanic war bereits viele Jahre bei uns nnd schon ein straffes, schönes Fräulein, ganz wic Sie sie da auf dem Hilde sehen, ging's ganz hoch und kreuzfidel her im alten Steinhansc. Da hatte der Herr, der sich sonst um Niemanden kümmerte, nnd als cr sich hier besetzt, auch keinem Menschen eine Visite gemacht hatte, alle Vornehmen der Stadt nnd Umgegend zu einem großen Feste eingeladen, weil die Oestcrreicher, ich weiß nicht mehr wo, über den sonst nnbczwinglichm Napoleon einen Sieg erfochten hatten. Keiner der.Geladenen blieb aus, obwohl der alte Herr so viele da-durch vor den Kopf gestoßen hatte, daß cr sich gar nicht nm sie bekümmert; Alle kamen, uud war es auch nur um den wunderlichen Kauz sich einmal in der Nähe zu besehen. Da ging's hoch her! Da waren Köche aus B. bestellt, und die Tische, trachten unter den köstlichsten Weinen. Auch den Änrgcrn und kleinen Leuten hatte der Herr einen frohen Tag in, Vrau-hause bestellt, dort zechten sie wacker anf seine Kosteu, und ich mußte nachher über H50 Thaler für die Zeche hintragen; die gab mir der Herr ohne Murren und meinte, wenn sie nur 336 den Napoleon aus Rock und Kamisol schlügen, so wolle er gern das Dreidopftelte bezahlen. Indeß damit war's Essig, wie Sie aus den Büchern wissen werden, lieber Herr, die Franzosen saßen bald wieder oben, und es ward noch schlimmer als bisher. Schon als wir 1807 westphälisch wurden, wollte der alte Herr aus der Haut fahren, als sich aber das west-phälische Regiment mehr uud mehr befestigte und er täglich auf die Uniformen westftWischer Gensd'armen sehen mußte, war kciu Aushalten mit ihm, zumal als cs klar wurde, daß er sich mit dem oben erwähuten Feste eine böse Suppe ein--gebrockt hatte. „Bevor ich jedoch auf den bösen Haudel komme, muß ich, damit Sie Alles recht verstehen, der guten Mclanic gedenken. Das liebe Kind war schon im erstcu Jahre meines Dienstes mit seiner Mutter iu's Haus gekommen. Die arme, gnädige Frau Mutter, die ekn Bruderkiud des Obersten war, hatte ciu Gut an der belgischen Grenze gehabt uud ihren Mauu uud fast alle Habe durch die Kriegsläufte ucrloreu. Da flüchtete sie sich dauu mit ihrem einzigen Kinde, der Mclauie, die damals ueuu oder zehn Jahre zählen mochte, zu meinem alten Obersten, ihrem Onkel, der sic natürlich mit dein Kiude freundlich aufuahm uud Mord uud Element auf die Frauzoseu herabfluchte. Nur zwei Mouate lebte die von Kummer uud Krauthcit ganz aufgeriebene gnädige Frau bei uns, da starb sie uud ließ uns die kleine, bildhübsche Mckanie zurück. Der Großonkel aß das liebe Kind fast auf vor Mbc, er wurde gauz jung wieder mit dem Mädchen, gewährte der Mclanic Alles, was er ihr au den Augen ab scheu kouute, und hielt ihr sogar für theures Geld Lehrer uud Gouveruaute. 337 Aber, mit Verlaub zu sagen, die beste Gouvernante war ich, mit Niemandem hatte das Kind lieber zu thun, ich mnßtc ihm Geschichten erzählen, Sftielfachen schnitzen, mit ihm in's Holz gehen, kurz, das Kind hing an mir wie an einem Vater oder älteren Bruder, und der alte Oberst, der, wie ich Ihnen gesagt, mich so gnt leiden konnte, freute sich halb todt darüber und schenkte mir einst an einer Weihnacht, als ich der Melanic einen großen Tannrnbaum wunderhübsch aufgeputzt, nicht allein einen ganz neuen Anzug, sondcru noch vier Louisd'or dazu. Die Melanic war nun aber auch ein ganz herziges Kind, sie konnte keine Fliege beleidigen, uud alle Leute im Orte hielten große Stücke auf sie; dcuu sie sprach uud verkehrte freundlich auch mit der, geringsten Bürgerstochter, uud die Cautors^luue, die uachher den Steuer-Controleur heirathete und mm auch schon mehrere Jahre im Grabe liegt, war ihre beste Freundin bis iu den Tod. Mit den Jahren erwuchs Mclanic zu dem bildhübschen, schönen Fräulein, wic's da auf dein Bilde vor Ihum steht. So schaute sie aus, als das vorhin erwähnte Fest gefeiert wurde und das große Unheil ausbrach. „Wie schon gesagt, das Fest hatte Folgen, die mciuen guten, alten Herrn fast nm den Verstand brachten, denn einige Wochen darauf kamen ihn: der Commissar und die Gensd'armcn uicht mehr aus dem Hause. Er mußte, so viel er auch fluchte und tobte, Verhör auf Verhör, auch auf dein Amthause, oe-stchm, uud die Sache sah höchst bedeullich aus. Man beschuldigte ihu, er habe eiueu Sieg der Fciudc gefeiert, und oas komme dein Hochverrath nahe, vielleicht unterhalte er auch hochverräthcrifchc Verbindungen mit aufrührerischen Personen; eiil wahrer Patriot nnd getreuer Unterthan, hatte der Commissar 22 338 ihm vorgehalten, tonne leinen Sieg der Ocsterrcicher feiern, das sei Verrath an Kaiser und König. „Was dergleichen Beschuldigungen derzeit auf sich hatten, können Sie denken, mein Herr, denn das westphälischc Polizei-Regiment war damals ärger als je, man war von Spionen wie von Schmeißfliegen umgeben und bedachte die Worte zwanzigmal, ehe man sie aussprach. Diese strenge Polizei-Aufsicht kam daher, weil es sich derzeit schon an vielen Ecken und Enden in Deutschland zu regen anfing gegen die Franzosen; noch ehe der Herr in Untersuchung kam, hatte bereits ein hessischer Oberst oder General, den Namen habe ich vergessen, einen offenen Aufstand angeblasen, und während der Herr vor Gericht mußte, brach gar der Herzog v. Oels und der Schilt los; das war sehr schlimm für den Herrn. Ach was hat die Mclanie damals für trübe Tage gehabt! Sie, die sonst Alles über den alten Herrn vermochte, versuchte jetzt Alles vcrgebeus, um ihn zu beruhigen; es gab Tage, wo wir iu höchster Angst und Noth nicht anders erwarteten, als der Schlag müsse ihn rühren, so tobte und fluchte er, wenn ihm der Handel durch den Kopf ging. Und ich bin fest überzeugt, das einzige, was ihn aufrecht und am Leben erhielt, war gerade das, was seine Sache verschlimmerte, nämlich die kühnen Thaten des Majors Schill und des Herzogs von Braunschweig; wenn er davon hörte oder las, ward er ruhig, lachte wohl gar vor Frcnden laut auf und ließ sich von der Melanie lustige Weisen vor-singen. Brachte aber cm Gensd'arm eine Citation oder sonst etwas, so war's mit dem Frieden aus und der Herr ganz nnd gar aus dem Häuschen. Derzeit ist mir manches an den Kopf geflogen, obwohl ich's nicht verdient hatte. 339 „Indeß der schlimme Handel verlief sich doch allgemach im Sande, man tonnte dem Herrn nichts beweisen. Denn so unvorsichtig war er nicht gewesen, daß er damals, als er die Ante znm Feste cinlnd, jeden: Hinz nnd Stoffel gesagt hätte, nm was es sich eigentlich handele. Den Bürgern im Brauhausc hatte er sagen lassen, sie sollten seinen Geburtstag feiern nnd anf sein nnd des Paterlandes Wohl trinken. Das wnrdc anch nachher durch Zeugen festgestellt. Aber gerade beim Obersten im Hause selbst, nntcr den geladenen Vornehmen, die zum Theil wcstphälische Beamte waren, hatten die Vcr-räthcr gesessen. Indeß auch diesen hatte der Herr nicht offen von einer Siegesfeier gesprochen, aber, je nun, als dem alten Herrn der Wein zu'Kopf gestiegen war, da mochte er wohl mworsichtige Aeußerungen gethan nnd gefährliche Gesundheiten ansgcbracht haben; das mutzten sie ihm auf, und darum entstanden die ganzen Weitläufigkeiten, die meinen gnten Herrn fast iu's Tollhaus brachten. Doch genug, die Untersuchung ward niedergeschlagen, nnd der ganze Handel hatte nnr dazu gedient, meines Herrn Zorn gegelt Alles, was französisch oder westphälisch hieß, noch grimmiger zu machen. „Wieder vergingen ein paar Jahre, bis Bonaparte seinen Krieg mit Rußland anfing und die großen Armeen zu seinem Ftldzug zusammenzog. Da brach über diesen Ort, der bis dahin fast ganz von der Kriegsnoth verschont geblieben war mid außer den Geusd'armen kaum einen französischen Soldaten gesehen hatte, groß Unheil herein und — die Mclanie da und der Victor haben anch ihr Theil davon tragen müssen bis an ihr seliges Ende. Den eigentlichen Grund zu dem Unheil legte der Haß und Grimm gegen die französische Herrfchaft, 22 * 340 der mit den Jahren in nnscrn deutschen Ländern immer heftiger geworden war. Anch hier an: Orte steckten die ^ente wegen des drückenden Polizei-Regiments, besonders aber der Con-scription wegen, zähneknirschend die Köpfe zusammen, nnd die Gesinnungen des Obersten, die man sehr wohl kannte, schürten das Feuer. Da waren ein paar besonders oerwegcuc Bursche, Kaspar Tills und Jochen Stein hießen sie, die wiegelten die Andern auf, sich der Conscription zn entziehen, und es gab fast jeden Sonntag mörderische Schlägereien mit den Gens-d'armen. So standen die Sacheu, als gerade auf den Sonntag Rogate, ich vergesse es in meinem Vcbcn nicht, wieder eine blutige Schlägerei Statt hatte, in welcher zwei Gensd'armcu schwer verwundet wurdeu. Das hatte üble Folgeu. Hätten sich doch der Caspar Tills nnd Jochen Stein, welche be-sonders unter fürchterlichem Schimpfen auf Kaiser nnd König die Gcnsd'armeu so zngcdcckt, aus dem Stanbe gemacht? Aber nein, sie wollten nicht hören. Selbst den Obersten wollten sie nicht hören. Zn dem waren sie mit andern tollkühnen Burscheu nnd Bürgern gekommen und hatten geineütt, der Oberst solle sie anführen, es würden in diesen Tagen frau-zösischc Trnppen aus der nächsten Garnison cm marsch ireu, um schwere Strafgerichte zu haltcu, sie aber hätten gute Flinten und wollten die Hallunten schon zum Teufel schicken, wenn sie nur einen guten kricgstimoigcu Auführer hätten. Der Oberst, — ich war zugegen, — lachte bei diesem Antrage so herzlich, das; er sich den Bauch hielt, dann aber wurde er sehr ernst, erhob sich an seinem Krückstock vom Sessel nnd meinte, indem er dem Sprecher, Kaspar Tills, zutraulich die Hand auf die Schulter legte: „Ihr seid recht wackere 344 Bursche, Kinder, aber waö Ihr da vorhabt, ist ganz vermaledeiter Nnsiun, der, wenn Ihr ihn ausführt, Euch und dm ganzen Ort unglücklich macht. Ich muß das besser verstehen als Ihr, ich hasse die Franzosen wir kein Mensch auf der Welt und will das jedem Spion vor den Bart sagen, Wenn's darauf ankommt; ist doch an mir altem, lahmen, gicht-brüchigen Kcrl nicht's mehr verloren, uud mögen sie mir die alten Knochen ill Kassel znsammenschießcn, wcnn's ihnen Plaisir macht, — aber an offnen Widerstand gegen diese Menschen zu denken, die eben in vollster Macht sind und über den Kaiser voll Rußland her wollen, ist gauz verdammter Unsinn! Versteht ihr mich? Und nun packt Euch! und du Tills und ihr Andern, die Ihr alls die Gcnsd'armen losgeschlagen und auf den HieronylMls geschimpft, macht, daß ihr fortkommt, ehe die Truppen einrücken, sonst holt Ench alle zusammen der Teufel!" -^ Damit humpelte der Herr wieder uach seinem Sessel nud trommcltc grimmig mit dem Stocke anf dem Fußboden. Die Bursche gingeil verdutzt davon, wollten sich leider aber nicht rathen lassen und stürztcu sich in's größte Unglück. Ich will mich bei dem Jammer nicht lange aufhalten. Kurz nnd gut, den andern Mittag nach dem Gesuche der Burschen gab's Mord nnd Todtfchlag. Die Bnrschcn hatten sich in Branntwein toll nnd voll getrunken und sich mit geladenen Flinten, trotz des Obersten wiederholter und öffentlicher Verwarnung, anf Hoden nnd in Kellern versteckt. Da dies nun den an-rückeuden Frauzoseu, es warcu Kürassirc, »erkundschaftet wurde, machten sie eine Strecke vor der Stadt Halt und schickten einen Parlamentär mit zwei Gemeinen in die Stadt, um mit den beuten vernünftig zu reden und ihucn die härteste Strafe 342 anzudrohen, im Fall sie Widerstand versuchten. Der Parlamentär war dort der Kapitän Dubois. und kaum war er mit seineu Leuten iu's Thor geritten und nugefähr bei nnserm Hause angekommm, als drüben aus den Äodenluckeu drei Schüsse fielen; der Parlamentär nud ein Gemeiner stürzten vom Pferde. Der Onkels der unten am Fenster gestanden, schlug vor Wuth mit dein Krückstock in den Spiegel nno schrie: „Nein! das sei eine niederträchtige, unerhörte Gemeinheit, alls den Parlamentär zu schießen, der Cavalier habe im Dienste gehandelt und seine Pflicht gethan, das infame, feige, mench-lerischc Lumpenpack müsse an den lichten Galgen." Unter solchen Worten lief er mit mir, so schnell es seine podagrischen Füße erlaubten, zu deu beiden Verwundeten; der Gemeine war leider schon todt, der Kapitän aber hatte sich mit halbem Leide aufgerichtet uud erwiderte mit gepreßter Stimme die theil-nehmenden Fragen, welche der Oberst alls franzosisch an ihn richtete. „Aufgepackt, Friedrich!" schrie mich darauf der Oberst an und herrschte noch ein paar Lümmel, die Manlaffcn feil hatten, herbei.' „Donnerwetter! Hunde, eilt Euch, mir den Herrn in's Hans zu schaffen." Das geschah; aber taun: hatten wir die Thüre hinter uns zugemacht, als die Erde vom Hnfschlag erbebte und dröhnte uud die Kürassiere, die kaum zehn Minuten von der Stadt gehalten hatten, hereinwetterten. Herr Gott, das Hcnlcn und Geschrei auf der Straße! Es läyft mir noch heute eiskalt über deu Nucken, wenn ich daran denke. Eine Menge neugieriger, dummer Teufel, darunter Weiber und Kinder, waren nach dem Schießen auf der Straße zusammengelaufen, standen theils vor unserm Hause, theils um den todten Kürassier, deu sie auf eiue Steinbank geschleppt 343 harten; fast Alles stürzte unter die Hufe dcr Nosse, Viele wurden niedergehauen. Im gestreckten Galopp jagten, die wüthenden Soldaten die Straße entlang, dann wieder zurück und nochmals hin und zurück, so daß mchrcre der Gefallenen ganz zerquetscht nnd zertreten wurden. Beim letzten Zurück jagen ließ der französische Oberst au unserm Hause halten uud absitzen, ließ auch ein paar Bürger aus den nächsten Hänsern zusammenschleppen uud fragte in grimmen Worten nach dem Parlamentär. Diese, die ihn nicht verstanden, aber wohl deuten tonnten, was er meine, zeigten mit schlotterudcu Knieen und liebenden Händen auf unser Hans; dort aber stand unser Herr schon in der Thür und rief mit seiner gewaltigen Stimme dein französische« Obersten ein paar Worte zu: dcr stutzte, wico seiue wüthenden Leute zurück, die mit gezogenem Pallasch auf's Haus loswollten, uud folgte mit nur zwei Kürassieren unserm Herrn, der ihn uuteu m die Stube rechts führte, wo der verwundete Kapitän im ^chnstuhl ruhetc und Melanie ein Tnch um seinen blutenden Arm wickelte; Helm und Mraß hatte ich dem Herrn abgenommen uud wusch ihm eine wcittlaffende Wunde am Hiuterkopfe mit kaltem Wasser auö. „Dcr frauzo'sische Befehlshaber grüßte Melauie ehrerbietigst, wechseltc daun mit dem Verwundeten, der Sprache und Bcwnßtsein nicht verloren hatte, cinigc Worte, salutirtc uuscrm Herrn uud trat dam« wieder auf dic Straße hinaus, wo ich ihn mit lauter Stimme zn der Mannschaft reden horte. Da dauerte es auch uicht lauge, so hörtcu wir die Kürassiere wieder auffitzen und zur Stadt hiuaustrabm, um sich auf das ^and zn vertheilen; wir haben keinen wiedergesehen, bis auf den Duttor, den der Oberst hergeschickt hatte, um unsern 344 Kranken, den wir jetzt m's Bett schafften, zu behandeln. Auch unser Oberst hatte nach feinem Arzt geschickt, und so war denn der Kapitän in guter Pflege. — Sobald die Kürassiere abgeritten waren, herrschte eine öde schauerliche Ruhe in der Stadt;' das sollte aber nicht lange dauern, denn kaum zwci Stunden später rückten mehrere Compagnien Infanterie ein, und nun ging die Plage für den Ort erst recht an. Fast jedes Haus wurde stark bequartirt, nur uusers blieb verschout, uud sogar zwei Wachtposteu wurdcu vor unserm Hause aufgestellt. So hattcu wir denn Frieden, aber Jammer und Noth war vollauf in den übrigen Häusern. Viele Familim hatten Verwuudete, einzelne sogar Todte; damit aber war's noch nicht abgemacht, denn nun giug's an's Verhaften. Fort uud fort zogen, begleitet von dem Commissar uud Gensd'armcn, einzelne Trupps von Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett und gespanntem Hahu an unserm Hause vorbei und führten Gefangene in die Amtsgcfängmsse. Nach Kaspar Tills und Jochen Stein hatte man am meisten gesucht, doch die hatten sich aus dem Staube gemacht, wurdcu aber nach einigen Tagen erwischt, nach Kassel geschleppt uud dort erschosscu. Auch noch andere schwere Strafgerichte gab's, doch ich gehe darüber hinweg. Das französische Fnßvolt lag über vier Wochen bei uns und zehrte manchen Bürger arm uud bloß; daun rief ciues Morgens die Trommel plötzlich alle zum Aufbruch. Damit war die Plage, aber noch nicht zu Ende, denn die Zahl der bisher hier stationirt gewesenen Gcusd'armen wurde, während die Untersuchungen noch immer ihren Gang gingen, auf das Vierfache erhöht. Ach Gott, das war gar nicht nöthig. Die Stadt hatte ein für allemal genug, und es war ein solcher Schrecken 345 über die Bewohner gekommen, daß kaum einer laut zu dem andern zu reden wagte. „Mit der Besserung nnsers tranken Kapitäns ging es indeß langsamer vorwärts, als man erwartet hatte. Er verfiel in die hitzigsten Fieber nnd wäre ohne Mclanie's und ohne unsers Doctors (der französische Doctor war schon längst seinem Corps nachgereist) sorgsame Pflege sicherlich nicht wieder auf die Beine gekommen. Unser Oberst billigte es oon ganzem Herzen, daß die Mclanic den Kranken sorgsam Pflegte; das sei Menschenpflicht, meinte er, nnd in solchen Nothfällen bleibe der Mensch dem Menschen gegenüber Mensch, nnd es komme nicht darauf an, ob er Franzose oder Türke sei. Anch sei der Kapitän von betrunkenen, menchlerischm Hallnnken in seinem Ehrendienst schändlich maltraitirt, lind er wünsche ihm die baldigste nnd beste Gesnndheit. Gleichwohl ging der Herr nicht gern in das Krankenzimmer, sondern ließ sich durch die Melanic nach des Kranken Befinden ertnndigcn, indem er vorgab, das Podagra halte ihn auf dem Zimmer zurück. Aller-dings hatte der Herr anch die ganze Zeit hiudnrch, während die Franzosen im Orte lagen, sein Zimmer nicht »erlassen, anch Krankheit vorgeschützt, als der Colonel nnd andere Offi^ ziere ihm ihren Besuch machen wollten, Melanie hatte die Herren empfangen müssen; ja, die Melanie sprach französisch wie eine Französin und war nbcrhanpt ein grundgcscheidtes Mädchen. Nachher kamen die Herren, die dnrch den Commissar gewiß die Gesinnungen des Obersten erfahren hatten, anch nicht wieder; nnr tnrz vor dem Abmarsch kam der Colonel noch einmal und sprach für sich nnd seine Kameraden seinen Dank dafür alts, daß man den Kapitän so gut verpflege, darauf 346 hatte er noch eine lange Unterredung mit dem Kapitän, wovon ich nichts verstand, nud schenkte mir beim Fortgehen zwei Goldstücke. Ich tonnte überhaupt die Franzosen, welche ich kennen gelernt, gar nicht so hassenswürdig finden, wie der Oberst, aber der war in seinem Franzosenhaß ganz unbeugsam. Auch der Kapitän, obgleich er sich gcgeu ilm nichts merken ließ, schien ihm auf die Dauer lästig zu werden, und er ließ wiederholt den Arzt heraufbcstellen, um sich zu crtuudigen, wie lange es wohl noch mit der gänzlichen Wiederherstellung währen möchte. „Zwei Monate uud darüber mochte der Kapitän in uuscrcr Pflege gewesen sein, als der Arzt erklärte, er sei nnn so weit hergestellt, daß er ausgehen tonne, doch dürfe er noch lange nicht zur Armee abreisen, solchen Strapazen sei sein Znstand noch nicht gewachsen. Da beschloß der Kapitän, der die franzoscnfemdlichen Gesinnungen unsers Herrn kannte, dem-selben nicht länger lästig ;n fallen, sondern bis zu seiner ganz--lichen Wiedcrherstellnng hier in meines Bruders Haus zn ziehen, wo auch sein Pferd untergebracht war. Die vielen Dankesworte, die der Kapitän bcim Abschiede dcm Obersten sagte, unterbrach dieser, indem er wieder von seiner Mcnschenpflicht sprach; doch war er so artig als möglich und drückte sogar dein Kapitän beim Abschiede die Hand. Indeß tonnte er, als dieser fort war, seine große Freude nicht darüber verbergen, „daß der Franzose zum Halls hiuans sei," mid er sprach das, gerade als ich Mittags servirte, mit großen: Hrhagen gegen die Melanie aus. Da, Herr, sah ich das Fräulein so bleich werden, wie ihr Tcllertuch, auch stand sie, Unwohlsein vorschützend, auf und ging hinans, mir wurde das Hcr; beklommen, 347 und ich hätte fast die Bratenfchiissel fallen lassen, so erschrack ich, als ich wieder heraufkam und die Mclanie auf ihrem Zimmer laut weinen und schluchzen hörte. Da hatte ich gleich meine eigenen Gedanken nnd sah in meiner Ahnnng ein schweres UnMck nber das liebe, herzensgute Fräulein heraufziehen. „Nun, daß ich's kurz mache, Sie können sich's wohl denken, wie die Sachen standen. Gelier Gott, was fragen anch ein paar Menschen, die sich gut sind, nach der Nation! Knrz, die Melanie und Herr Victor Dubois waren einander so gut, wie es nnr zwei Menschen nntcr sich sein können, nnd Niemand sonst als die treue Freundin, die Cantors-Anne, hatte darnm gewußt. Jetzt, da die Noth groß wurde, ward auch ich als eiu treuer Mensch, der das ssränlein, wie ein Vater sein Kind, liebte, mit in's Vertrauen gezogen; da bekam ich bald viel zu thun mit Brieftragcn nnd Bestellungen machen. Es stand bald so, daß die beiden ^ente nicht ohne einander leben konnten, und der Kapitän hatte geschworen, daß er gleich in der ersten Schlacht den Tod suchen würde, wenn er die Melanic nicht hcirathcn dürfe. Wie war nun daran bei den Gesinnungen des Obersten zu denken? Der Kapitän blieb im Orte, auch als er schon ganz gesund war, nnd erwartete wichtige Documcnte aus Frankreich, die sehr lange ausblieben. Während dieser Zeit sprachen sich die beiden Leutchen heim» licher verstohlener Weise auch bei der Cantors - Anne. Ich habe sie aber nie dort frühlich gesehen, wenn ich manchmal eilends hergelaufen kam uud anzeigte, daß der gnädige Herr nach dem Fräulein frage: das gute Fräulein hatte immer ver-weinte Augen, und der Kapitän war stets ernst und düster. Nur einmal sah ich sie recht heiter; es waren gerade die 346 wichtigen Papiere ans Frankreich angekommen, die der Kapitän so lange erwartet, nud das Fränlcin sagte mir nachher zu Hause: „Der liebe Gott wird noch Alles zum besten Ende führen, gnter Friedrich." Um diese Zeit war's auch, als der fremde geschickte Maler hier im Gasthof wohnte und den Kapitän da malte. Daranf kam er anch zu uns nnd bat den gnädigen Herru> sich malen zu lassen, der aber schnob ihn an: „Meine alte Fratze braucht nicht anf die Nachwelt zn kommen!" hatte aber nichts dagegen, daß er das Fräulein male; drum zog der Maler mit seinen Gcrä'thschaftcn ans einige Tage bei nns ein und malte das Bild da; anch noch mit ganz andern Farben nnd ganz klein für ein Medaillon malte er, ohne des Obersten Wissen, die Melanie, das Bildchen bekam der Kapitän, der es fortan anf dem Herzen trng. „Kurze Zeit daranf war die Melanie ganz außer sich, hatte keine Ruh und keine Rast, nnd die Angst malte sich täglich schärfer in ihrem Gesichte ans. Ich erfnhr von der Cantors-Anna nnd auch nachher uon dem gnädigen Fräulein selbst, daß der Kapitän zur Armee abreisen würde, daß er aber durchaus erst über sein Schicksal Ansknnft haben und bei unserm gnädigen Herrn um sie anhalten wolle. So gc-schah's; ich zitterte, als ich dem Hansknccht eines Tags ein großes, an den gnädigen Herrn adressirtes Packet vom Kapitän abnahm; dasselbe enthielt, wie ich gleich vermuthete und später erfuhr, einen sehr vernünftigen und ausführlichen Brief vom Kapitän, worin er um die Melanic förmlich anhielt, und dazu die Documentc aus Frankreich, die den Herrn Victor Dubois als einen reichen Gutsbesitzer aus angesehener Familie aus- 349 wiesen. Zitternd brachte ich das Packet dem noch dazn gerade sehr übel gelaunten Herrn nnd entfernte mich schnell. Unten im Empfaugziunucr sah ich das Fräulein anf dem Sopha sitzen, regungslos nnd die Hände vor's Geficht gepreßt. — Noch hatte ich meine Gedanken nicht ganz gesammelt, als der Herr oben ganz wüthend schellte, nnd als ich mit schlotternden Knieen hinanflicf nnd in das Zinnner trat, sah ich den Soden mit Briefschaften und Papieren überstreut, ans welchen der Herr wie rasend mit seinen sammtncn Stiefeln herumtrampelte, mich anfangs gar nicht beachtete und tirschbraun vor Zoru m's Gclag hineinschric: „Ja, so sind diese Franzosen! So vergelten sie die Gastfreundschaft! Hol' der Tcnfrl die Canaille neun und neunzig Mal! Da haben wir den Dank! Meiner Nichte den Kopf zn verdrehen! Nas, die einen Franzosen, einen abgesagten Feind des Vaterlandes heirathen?! Eher will ich ihm, ja, eher will ich mir nnd dem Mädchen ciue Kugel vor den stopf schießen!" „Endlich erblickte mich der wüthende Herr, rüttelte mich, so heftig es nur seine altersschwache Kraft znließ, am Kragen und befahl nur die Papiere anfzulesen. Dann trat er an den Schreibtisch, nahm eiuen ganzen Bogen, schrieb ingrimmig mnrrend nnr wenige Zeilen darauf nnd befahl mir, den Brief mit den aufgelesenen Papieren zusammenzupacken und sofort dem Kapitän zu überbringen. Auf dem Porplatze traf ich die arme Mclanie, sie hielt sich mühsam am Treppengeländer und sah einer wandelnden deiche gleich, ich flüsterte nur die wenigen Worte: „Ach, das war vorauszusehen, liebes Fräulein, fassen Sie sich nm Himmclswilleu, Gott taun noch Alles zmn Guten wenden." Sie antwortete nicht, und ich ging stracks 350 zum Kapitän, hörte aber in der Thür noch mit Schändern, wic der Herr nach der Melanit rief. „Den Kapitän traf ich im düstern Nachsinnen auf dem Sopha sitzend, hastig erbrach er das Schreiben und ward todtenbleich. Dann, nachdem er den Inhalt überblickt, wandte er sich in unserer Sprache an mich (er sprach recht gut deutsch, drum hatten sie ihn auch au jenem üben crwähutcu furchtbaren Tage zum Parlameutür gewählt) und sagte gefaßt, ohue daß seine Stimme merklich gezittert hätte: „lieber Friedrich, ich reise in diesen Tagen zur Armee. Nehmen Sic deu alten Kupferstich da, den ich von Ihrem Bruder gekauft, uud tragen Sie ihn zu eiuem rechtlichen, verschwiegenen Meister, damit er einen Rahmen darnm mache, in welchen meiu Bild da paßt, das soll hinter dem Kupferstich eingefügt werden." Auch unterwies er mich, daß ich dem Meister angeben solle, hinten in der ersten Hohlkehle des Nahmens eine ganz feine stille von der Breite eines Messerrückens machen zu lassen, damit man, wenn man wolle, den Kupferstich herausnehmen könne und das Oclbild vor das Glas trete. So ist's geschehen. Sehen Sie, lieber Herr, redete mich Friedrich an und nahm das Bild des Kapitäns, hier oben befindet sich die Rille, aber das selige, gute Fräuleiu hat sie vielleicht kurz vor ihrem Tode mit eiuem feinen Streifcheu schwarzen Papiers verklebt, ich bemerkte das gleich, als ich das Bild in Ihrer Hand sah und Sie vergebens nach dein Geheimniß desselben fuchtelt." „Nun, wie gesagt, der verschwiegene Meister Amclung führte das aus, uud ich übergab das Doppelbilo mit anderu ähnlichen Kupfcrstichcu der treuen Cantors Anne, die mußte die Bilder iu Gegenwart des alten gnädigen Herrn scheinbar 35 l der Melcmie schenken. So tam das Portrait in's Haus und hing zu der schwcrgcbengtcn Mclanic unbeschreiblicher Freude Versteckt uud sicher an der Wand ihres Zimmers. (3s war nuch dem wüthenden alten Herrn gegenüber alle Vorsicht nöthig, denn er paßte auf wie ein ^uchs, uud Mclauic durfte nach dem Antrage des Kapitäns bis zu seiner Abreise das Hans nicht mehr verlassen. Auch hatte der Alte gleich an jenem Unglückstage, als der Kapitän seinen Antrag gemacht, mttrr den heftigsten Vorwürfen der Melanie Effekten nnd Commoden nach Briefen dnrchsncht, doch glücklicherweise war Alles, was der Kapitän geschrieben, anf die Seite geschafft. Ach, nicht einmal Abschied nehmen wnntc die arme Mclanic von ihren: Bräutigam, er hatte seine Abschiedsworte schriftlich der Cantors-Anne gegeben, von der holte ich den Brief, in welchem er die Melnnie zu Muth, Geduld und Gottvrrtranen ermähnte, Gott halte sie doch einmal für einander bestimmt, nnd ewig könne der hartherzige Onkel nicht zwischen ihrer Mbe stehen. Melauie träutte- den Brief mit ihren Thränen, nnd dann nahm sie das thenre Bild ihres Victor hinter dem Nahmen weg nnd bedeckte es mit tausend Küssen, lind so geschah es von da ab jeden Tag, wenn die Gute sicher war, von dem alten Herrn nicht überrascht zn werden. „Die häufigen Briefe des Kapitäns, die alle an die ge^ trcnc Anne adressirt waren, nnd das Vild da, vor welchem sie manche Stnnde saß, wenn sie sich sicher wußte, machten Mclanic's einzige Frende ans, aber das war ihr auch genug, znmal da die Briefe immer ante und tröstliche Kuude brachten. Nur während der znm (5oloncl avancirte Kapitän in Rußland war, sah's schlimm nm die arme Melanie aus. Monat auf 352 Monat verging, ohne daß ein Brief kam, statt dessen mnßte sie vom Großonkel ans den Zeitungen Nachrichten über die große Noth der Armee vernehmen, die ihr fast das Herz abdrückten, den Onkel aber ganz ansgclassen lustig machten. Als der alte Mann gar den Brand von Moskau und den traurigen Rückzug der großen Armee vernahm, ward er ganz kindisch vor Freuden, rcdcic häufig ganz verwirrtes Zeug und ist in diesem Zustande verblieben bis an sein Ende. (är starb als hoher Achtziger gleich nach Beendigung der Kriege und der Verbannung Napoleons, sein Testament hatte er schon Jahre vorher noch bei gesnndem Perstande gemacht und das, gnädige Fräulein zur Unwcrsal-Erbin eingesetzt. „Aber doch, was half der Guten das große Vermögen! Ihr Herz war gebrochen, denn ihr getreuer, heißgeliebter Victor war längst auf dem Felde der Ehre zu Gott eingegaugen. O das grausame Schicksal! Stellen Sie sich vor, der brave Manu war glücklich ans Nußland zurückgekehrt, uud das Fräulein, das ihn längst als todt bewciut, erhielt eines Tags durch die getreue Auue ciucn Brief ans Schlesien, worin er seine glückliche Nückkehr nach tansend Gefahren meldete. Aber die Freude dauerte nicht lange. Vasseu Sie mich über den Jammer hinweggehen! Genug, der Brave, der so manche große, heiße Schlacht überlebt, siel in einem kleinen Scharmützel kurz vor der Schlacht bei Kulm. Nachher stand's iu den Zeitungen zu lesen. — Von der Mclauie unsagbarem Schmerze mnß ich schweigen, sie uergiug wie ein Schatten. Gleichwohl wurden ihr viele Hcirathsanträgc gemacht, die sie mit Heftigkeit von sich wies, und nm sich der Zudringlichkeit der lästigen Freier zu entziehen, siedelte sie, nachdem sie mich 353 zum Verwalter ihres Hauses uud hier belegten Vermögens ernannt, nach Trier zu entfernten Verwandten über. Sie' nahm fast nichts von hier mit als das Bild ihres geliebten Victor, das sie, obgleich sie mm schon Jahre lang uor des Onkels Späherange sicher gewesen, stets in seinem Verstecke ließ. Außer mir und der Cantors-Aune sollte eben Niemand von ihrer unglücklichen Liebe und von dem Geheimniß wissen. Auch als fie als gealterte Dame nach mehr als zwanzig, Jahren hierher zurückkehrte, um hier ihre Tage zu beschließen, hat sie das Bild wieder so hergebracht, wie fie's mitgenommen. „Da hing denn das ihr so theure Bild noch manches Jahr, während die von Allen verehrte Dame eine unermüdliche Wohlthäterin der Armen war, auf ihrem Zimmer, für Fremde immer bedeckt; nur wenn ich manchmal kam nud sie wieder einmal ihr Herz an dem Bilde aufgerichtet hatte, verhüllte sie es nicht, uud es strahlte dann so frisch nnd frei vou der Wand, wie es da jetzt vor Ihnen steht. Vor wenigen Wochen nun ist die Gnte, Schwergeprüfte zu Gott heimgegangen, und das Bild, welches ihr eiuziges ^cbcnsglück ausmachte, ist denn Gottlob iu gute Hände getommcu." Damit reichte mir der alte Friedrich tief bewegt nnd nassen Auges die Hand und wünschte mir eine gnte Nach:. Ein äußerst lebhafter, durch Friedrichs Erzählung ange-regter Traum beunruhigte meinen Schlaf uud ließ mich schon sehr früh am Morgen erwachen. Noch ganz erfüllt von dem, Was ich über die Bilder gehört, ließ ich meinen verliebt Plauderudeu Lorenzo mit seiner Jessica wieder über Victors Portrait gleiten, packte die Bilder sorgfältig ein nnd rief dem Hausknecht, mir mein Roßlein aufzuschirren. Der alte rüstige 22 354 Friedrich stand schon unter dem Thorweg, um nur Lebewohl zu sagen; ich drückte ihm eiu Geldgeschenk in die Hand, das er jedoch freuudlich ablehnte, indem er meiutc, es sei ihm schon genug, wcun ich die Bilder gut hielte. Das versicherte ich mit einem warmen Händedruck und fuhr durch das öde, mir jetzt so interessante Städtchen in dcu Morgen hinans der Heimath zu, woselbst ich das Erlebte uud Gehörte, im Angesicht der vor meinem Schreibtisch aufgehängten Bilder, sofort niederschrieb. Ein deutscher Ncgulus. »Duloe et decorum est pro pat via mori.» ^ine große, reiche Geschichte hat dem deutschen Volke die hohe Ettltnrstnfc angebahnt, die es jetzt einmnnnt nnd nnt Stol; dürfen wir zurückblicken anf die historische Entwicklung unserer Nation, auch wenn wir diese Entwicklung nnö nur in den Haupt-- nud Grundzügen vergegenwärtigen, welche die allgcineine politische Geschichte vorführt; ziehen wir aber die Spccial^Geschichte heran nnd schlagen wir die Chroniken alter Städte nach, dann begegnen w-ir' wahrlich nicht selten Brispio lcn oon so glühender Vaterlandsliebe nnd heroischer Opfei> frendigkeit, wie sie sonst nur in der Geschichte Griechenland's und Rom's znr Bewunderung hinreißend hervortreten. Ja, cs scheint, in Betracht der schlichten, schmucklosen Weise, womit der Ehronist diese oder jene Großthat Verzeichnet, als habe man es fnr selbstverständlich gehalten, daß Gut und Vlut freudig dahiu gegeben werden müsse, wenn Ehre und Gemeinwohl diese Opfer forderten. — 23' 356 Durch solch eine kurze schlichte Notiz errichtete unter audern ein Hildesheimer Chronist einem deutschen Helden-jüngling ciu Ehrendentmal, welches sich dem eines Rcgulus oder Decius tühu zur Seite stcllcu darf. — Wohlan! Suchen wir dieser dürftigeil Notiz Blut und Leben eiuzn--hauchen nud vergegenwärtigen wir uus dcu edlcu Helden und feine Zeit ini lebendigen Bilde. Zur Zeit der blutigen Kämpfe, welche Kaiser Heiu-richs des IV. Streitigkeiten »nit den Sachsen nnd nüt Papst Gregor hervorgerufen, erwuchs iu der alten Kaiscrstadt Goslar „Eilhard," der einzige Sohn des der Sache des Kaifers mit unwandelbarer Trene zugethanen Kwftcruogts Otbert. Im April des Jahres 1088 griffen anf Anstiften Otberts die Burger von Goslar zu deu Waffeu gegeu Bischof Burk-hard vou Halberstadt, der, ein erbitterter Feind des Kaisers, mit großein Gefolge in Goslar weilte, lind erschlugen ihn und die Mehrzahl seiner Dienstmannrn. Hm den Folgen dieser blntigen That zn entgehen, entfloh Otbert mit seinem Sohn Eilhard und begab sich in Schutz des Bischofs Udo von Hildeshcim, der, ein treuer Anhänger des Kaisers, eben seine ganze Heerkraft aufgeboten hatte, um die Stadt gegen deu Markgrafen Eckbert von Thüringen zu schützen, welcher mit einer Schaar auserlesener Ritter und einem gewaltigen Troß von „Wäppncrn" nnd Belageruugowertzeugcu von Werla her herauzog und die dem Kaiser treu ergebene Stadt Hildesheim bedrohte. Bei Ringelhcim kam es zum Treffen und hier war es, wo der junge, damals erst zwei nnd zwan- 357 zigjährige Eilhard durch cinc Tapferkeit und Umsicht glänzte, welche den Kampf zu Guustcu der Bischöflichen entschied und den Markgrafen nnter schweren Verlusten zmn 3lückznge zwang. Eilharo's Bater, ein alter, viewers»chter Kriegs-manu, dem die Führnug dco bischöflichen Heeres anvertraut war, siel beim ersten Zusammenstoß der feindlichen Massen und schon wollten Udo's Mannen verzagt zurückweichen, als Eilhard ein theures Hciligthum der Stadt, ein au einem Banner befestigtes Reliquiarinm mit aller Kraft uuter die Feinde schlenderte und uuter dem Zuruf: „Die heilige Jungfrau mit uus! dem fliegenden Banner nach, mitten uutcr die andrängenden Feinde stürmte. Seine gewaltigen, alles vor sich niederwerfenden Schwertesschlage brachen dcu crmuthigten bischöflichen Reitern Bahn; das Banner ward zurückerobert uud flatterte iu Eilharo's hochcrhobencr Hand jetzt wieder über den Helmen der siegenden hildcsheim'schen Reiterschaar, welche von gewappneten Bürgern und Bogenschützen kräftig unterstützt, das markgräfliche Heer vernichtet haben würde, wenn nicht die hereinbrechende Nacht dein hcißcu Kampfe ein Eude gemacht uud dein Markgrafen den Rückzug ermöglicht hätte. — Der Sieges- uud Dankcsjnbel, welcher dcu jnngen Hel-dcu ans tausend und aber tausend Kehleu umbraustc, linderte wohl iu etwas den hcrbeu Schmerz um den Verlust des theucnl, alten Vaters, dessen wnudeubedecktcu Leichnam der Sohn mit sich führte uud feierlich auf dein Domfriedhofe beisetzen ließ. Schmcrzgebcugtcn Hauptes, obwohl ein laut nmjubclter Triumphator, war Eilhard in die vor dem Friude bewahrte 358 Stadt eingezogen, um bald zu noch angestrengterer, kriegerischer Thätigkeit berufen zu werden; die Gunst des Bischofs, der Dank der Bürger und Eilhard's erprobte kriegerische Tüchtigkeit beriefen ihn zum obersten Schaarmeistcr der städtischen Streitmacht und die aufgeregte, schreckenvolle Zeit gab schon nach wenigm Monden Anlaß zu der Ueberzeugung, das; mau keine bessere Wahl hätte treffen tonnen. Eine große Horde heidnischer Wenden und Sorben nämlich gedachte den Bürgerkrieg der Deutschen auszubeuten und wälzte sich von der unteren Elbe her wie eine vernichtende Mccrcsfluth über das voll strcitbarcu Männern fast entblößte Sachscnland; rauchende Trümmerhaufen früher blühender Ortschaften bezcichnctm den blutigen Pfad der Heiden, welche bereits bis an die obere Weser vorgedrungen waren und das reiche Stift Hildcsheim bedrohten. Ein Glück für die Stadt, daß Markgraf Eckbert sich noch nicht so weit von seiner Nie-Verlage wicdcr erholt hatte, um ein zureichendes Heer gegen Bischof Udo in's Feld führen zu können; Eckbert dem nichts heilig war, der wiederholt beiden Parteien gedient und dem Kaiser eben so oft als den Feinden des Kaisers den Eid der Treue gebrochen hatte, würde selbst mit den Heiden Gemeinschaft zu machen kein Bedenken getragen haben. So aber, wie die Sachen lagen, war die Stadt noch eine geraume Zeit vor einem erneuerten Angriff Eckbert's gesichert und der Schaanncister Eilhard konnte seine ganze Heerkraft gegen die räuberischen Heiden entfalten. Unweit der alten Abtei Cor-vei, in dem engen von der Weser durchflosscnen Thale erreichte er den Vortrab des Raubgesindels und warf ihn mit der Ueberlegenheit seiner schweren, geharnischten Reiter auf 359 Heristal^) zurück, wo der Sorben Häuptling wie einst Pipin ein Heerlager hielt. Znglcich nut den fliehenden Feinden drangen die Bischöflichen in das schlechtbcfestigte ^ager deS überraschten Häuptlings, der vergebens seine Streiter znm Widcrstmide zn sanuncln suchte; er fiel von lHilhard's Hand, mit ihm die Mehrzahl der Naubgenosseu. Dieser glänzende Sieg erhob Eilhard in der Gunst des Bischofs und des Voltes bis zur Vergötterung, man überhäufte ihn mit C'hrenbeMgungen und Geschenken, doch war ihm nichts so lieb und theuer als die Ncignng, welche er bei der schönen Eli'ta, einer Tochter aus dem edlen Hause Win-zeubnrg fand und die Udo's Segenspruch mit ihm vermählte. Nicht lange aber tonnte sich das junge, schöne Paar in Ruhe seines Glückes freuen, denn im Herbst des Jahres W89 zog Markgraf lHckbert wiederum mit großer Macht auf Hildeshcim heran, um die Scharte von Ningccheim ansznwctzcn. An Widerstand uou Seiten der Stadt im offenen Felde war Eck-bert's weit überlegener Macht gegenüber nmsowenigcr zn den-lcn, als lurz vorher das kaiserliche Heer in Thüringen von Eckl'M überwunden war nnd der Baiser, der einen Zng nach Italien vorbereitete, sich gänzlich außer Stande sah, der getreuen Stadt die wohlverdiente Hülfe zn leisten. So waren denn Bischof nnd Bürger dem drohend heranziehenden Ungcwitter gegenüber allein auf fich, auf ihren tapfereu Schaarmcister uud anf die festen Mauern der Stadt angewiesen, womit der heil. Bern ward, einer der hervorragendsten Männer seiner Zeit, den aufblühenden Ort umgeben hatte. Die Stadt, durch Ludwig *) Jetzt Herstelle zwischen Höxter und Karlshafen. 360 den Frommen begründet, war aber zur Zeit noch von so geringem Umfange, daß das markgräfliche Heer dieselbe voll-standig einschließen und ihr allc Znfnhren abschneide konnte. Dieser Umstand und die unausgesetzten Augriffe, welche Eck-bert gegen die Burg, den festesten Theil der Stadt, der mit seinen Ringmauern den Sitz des Bischofs nnd den Don: umschloß, richtete, steigerten die Noth der taftfcru Belagerten bald anf's Höchste; unaufhörlich schlenderten von starken Schanzen gedeckt, die Mieden, Mangeln und andere „Ant-werke" des Feindes gewaltige Blöcke und Felsstncke gegen Mauern nnd Thürme der Bnrg, so daß sic in ihren Grund-vestcn erbebten und den Einsturz drohctcn. Da wurden viele Krieger verzagt uud dachten au Ucbergabe; aber der Schaar-meister Eilhard und Bischof Udo versammelten die Zuverlässigsten ihrer Mannen ans dem weiten Raume des Domhofcs und redeten ihnen in begeisterten Worten zn, den Tod der Knechtschaft vorzuziehen, welche im Fall einer Ucbcrgabe von Sei-ten eines uurcchtmüßigen und grausamm Herrn über sie verhängt werden würde. Nur eiu tapferer Altsfall, vor dessen Wucht und Anprall die feindlichen Reihen zusammenstürzten, nur die Beruichtuug der Tod schleudernden Mieden nnd Aut-werke, deren Geschosse selbst das Gotteshaus nicht schonten, könne vor drohender Schmach und Knechtschaft schützen. Gott und die heilige Jungfrau, deren geweihtes Haus der gottlose Feind in einen Schutthaufeu zu verwandeln drohe, würden mit ihuen sein. Sei doch in vcrwichencr Nacht auch einem Chorherrn der Ritter St. Georg im Traume erschienen, angethan mit weißen Gewändern und goldener „Brünne" (Rüstung), habe ihm tröstlich zugesprochen und „in Treuen" 364 versichert, daß Eckbert nimmer die Stadt in seme Gewalt bekommen werde; viel edles Blnt würde es kosten nach Gottes Rathschluß, endlich aber doch der Markgraf mit Schimpf und Schande abzichm müssen. „Wohlall!" rief Eilhard, nachdem der Bischof den Kriegern das Traumgesicht des Chorhcrrn verkündet; „so laßt uns nach Gottes Rathschluß nnser Blut vergießen, denn Gott will es, was wäre uns auch das Leben werth, müßten wir es hinschleppen ehrlos und in Knecht-schaft!? Drum mir uach und über den Feind wie ein Wet-terswrm, St. Gcorg's Schild decke unsern Anrann!" Nach diesen Worten brach lauter Jubel aus uuter den ermuthisstm Kriegern, mit gewaltigem Schall schlüge» sie uach altsassischcr Weise zum Zeichcu ihres Beifalls Schilde und Waffen zusammeu und empfingcu nach inbrünstigem Gebet aus Udo's geweihter Hand den Leib des Herrn. Mit dem Einbruch der Nacht ordnete Eilhard seiue todcsmuthigcu Schaarcu, rückte vou der Burg ab durch das Pantaleonsthor und überrumpelte mit leichter Mühe die sorg-losc Wachtmaunschaft des siegcsgewissen Feindes. „Maria, hilf!" brauste und douucrte es aus tausend Kehlen und ver^ nichtcnd ergoß sich der eiserne Strom schwcrgcwapftnctcr Männer über das westliche Lager des bestürzten Feindes. Auf--flammende Zelte und Hütten beleuchteten bald das granenhafte Morden; selbst Eckbcrts „Pavelune" Mdhcrrnzclt) ging in Flammen auf nnd kaum entrann der Markgraf auf schnellem Nosse dem Schwerte des Bischofs, der an Eilhard's Seite Wie ein Weigand focht; vom Kopf bis zu Fnß in glänzendem Ringpanzer, wallte ihm vom Helm bis zum Gürtel cm Sca-Pulier, das weit im Winde hinflattertc, gleichwie das rotl> 362 blonde, lange Haar des gewaltigen Recken Eilhard, dem eine feindliche Mordart das Helmband gesprengt. Solch gewalti-ger, deutscher Männer Kraft nnd Muth hatte bereits vor grauen Jahrhunderten die „kricgsgcwohutrn" Römer eutsctzt und vernichtet und auch heute noch unter christlichem Banner lenchteten bei blutroth auflodernder ssohe die „blancn wilden Augen" der Sachsenhelden in so grimmen Feuer, wie einst zur Zeit als ihnen Wuotans Schlachtmrabe voranflattcrtc nnd des Kricgsgottcs Hcerwolf durch die graueu Woltm strich. Wie die Halme unter der Sichel des Schnitters, stürzten von den krachenden Schwertcsschla'gcn der Helden die Feinde zusammen; im niederschmetterndsten Nurann waren die sich Sammelnden aufgerollt uud mit wildem Sicgcsgcschrci stürzten die Sieger über die von ihren Schutzwacheu entblößten Bclagernngswertc her und gebrauchten in wüthenoster Hast Feuer und Axt zur Vernichtung des verderblichen Werf- Mgcs. Der Ausfall war über alle Erwartung gelungen und der Hauptzweck desselbcu, die Vcruichtuug der Verderben schleudernden Micocu und Mangeln erreicht, als das wandet bare Kricgsglück sich tückisch von den Siegern abwandte uud deu Siegesjubel der Städter iu Jammer und Wehtlageu ver-waudeltc. Eilhard uud Udo hatten sich nicht bei Zerstörung des Wcrfzcuges aufgehalteu und waren in ihrer Sicgesfurie — nur von wenigen Rittern gefolgt — in das östliche La--ger eingebrochen, wo iuMschm die Hauptmacht Eckberts Zeit zum Sammeln gefuuocu hatte und wohl gerüstet den Feind erwartete. Zwar wurden auch ihre erstcu Reihen durch Eil-Hard's uud Udo's gewaltigen Auprall erschüttert, aber bald 363 erfuhren die Allzutühnen dilrch das sic umtobende Gedrünge der Ueberzahl, daß sic die höchste Gefahr bedrohe. Kaum iwch vermochten sie das Strritroß herlimzilwerfeu und vor dm cntgegenstarrcndeu Speeren zinu Streiche auszuholen, als Udo in's Heerhoru stieß, uu» die uoch immer bei dm Vela-gcruugswerten tobenden N^anuschafteu herbeizurufen. Doch wohl ward der Horuruf iibcrhort durch das laute Freuden-geschrei des Feindes; denn eines ^»ecken Kculcnschlag hatte den Bischof vom Noß geworfen und der wildnmdrängcndc Ätm-schcnkuäucl auch dcu beispriiMudm Eilhard wehrlos qnnacht. — Die Helden warcu gefangen. — Vauter Siegrsruf verbreitete blitzschnell dies Unglück der Städter nuter Freund nnd Feind uud entflalnnüc den Muth der Markgrttflicheu in demselben Grade, wie er dcu der Bischöflichen uicderbengle. Gar bald wurdeu ans den verzweifelnden Siegern Besiegte nnd mchr fliehend als iu georduemu i)Nickzllgc errcichteu sie eud-lich uutcr schwere:, Verlusten das Pantaleonsthor, froh genng, daß es dem wüthend nachsetzenden Feinde nicht gelang, zugleich mit ihnen einzudringen. Unbeschreiblich war der Jammer der Dicustmannen nnd Bürger über den Verwst ihres Obcrhirten und ihres vergötterten Schaarmcisters (iilhard. Anch hatte manche Mutter den Sohn, mancher Sohn dcu Batcr oder Bruder und manche Gattin den ans der Wahlstatt todt nud blutig hingesunteum Gatten zu beweinen; doch erreichte wohl kein Schmerz das nneudlichc Weh, welches die schone (^ilila, die junge Geiuah-liu des gefangenen Eilhard dnrchbrbte. Wohl warf sich das schmerzzcrtnirschte junge Weib nieder in der heiligen Stille des Münsters vor dein Bilde der allbarmhcrzigstcn Mutter 364 und flehte im inbrünstigsten Gcbctc nm dcs gefangenen, then-ren Mannes Rcttltng, aber das kummcrschwcrc Herz ward der Ortenden nicht leichter, „und war es ihr doch gewesen, als ob das Bild mit dem schmerzlichsten Ausdruck wie weinend auf sie hernicdcrblickc." Da beklemmte ciue finstere, grauenvolle Vorahnung angstvoll ihre Brust, lautlos nnd ohn-mächtig sank sie den beispringcnden Fraucu in die Arme nnd Nacht umdiistertc das schöne, glänzende Angc, das so oft und gern mit der zärtlichsten Innigkeit zu dem herrlichen Helden ihrer Wahl ^rbcu und Freude ausstrahlend aufgeblickt hatte. — Wie sehr aber auch Schmerz und Seelenqual die Gemü-ther in der Stadt niederdrückte, so ward doch der Mnth zum Widerstände nicht gebrochen. Wallram, ein tapferer nud trcner Vasall des Bischofs, wnrde nach eiuem, auf dem Dom-Hof abgehaltenen Kriegsrath zum Schaarmeister erwählt nnd eifrigst machten sich die Burger au die Ausbesserung der Mauern nnd trotzten wohlgewauvuet auf den starkbcschteu Ziuncn und „Wikhänscru" dm, Feinde, welcher keine Miene zum Angriff machte, (äs war auch sobald au keinen crncncr-ten Angriff von Seiten deö Feindes zu denken, denn die Mark-gräflichen hatten außer ihren Belagcrnugswerkzengcn wohl ein Drittel der Mauuschaft eingebüßt, mehr als die Hälfte ihres Lagers war in Flammen aufgegangen und der Markgraf selbst nicht unerheblich verwundet. Er fand es daher gern-then, sich weiter von der Stadt zu der ttwa ciue halbe Wegstunde entlegenen Bcnnoburg zurückzuziehen, welche er während der Belagerung in seine (Gewalt bekommen hatte. Ans diese Burg wurdcu auch die beideu rdleu Gefangenen Udo und Eilhard geführt und in strenger Haft gehalten. Ja, Eckberts 365 Strenge verwandelte sich nach wenigen Tagen besonders gegen Udo bereits in Grausamkeit, cr ließ den Bischof in ein feuchtes, finsteres Kcllergcwolbc der Burg legen, und wenn cr (iilhard schonender behandelte und ihm auf dem Bergfried oder Haupt-thunn in einem leidlichen Gemache verwahren ließ, so hatte das nur darin seinen Grund, daß cr Eilhards Einfluß nnd Bercdtsamtcit für fich dem Bischof gegenüber auszubeuten dachte. - Mit (Hckbcrt und seiner start zusammcngchauencn Mannschaft stand es nämlich weit schlimmer, als die Belagerten sich vorstellen mochten. Ein Hilschccr zur Ergänzung der Perlnste sollte zwar alsbald in Thüringen nnd in den Marken gesammelt werden, allein Eckbcrt wnßtc selbst sehr wohl, welche Schwierigkeiten solchem Unternehmen im Wege standen. Inzwischen konnten sich die Belagerten, zumal wenn ihnen erst Ectdcrts Schwäche nach ihrem ganzen Umfange kund geworden war, zu einem Ausfall crmuthigcn, und dann wäre der Ansgang den muthigcu und wnthcntbrannten Städtern gegenüber kanm zweifelhaft gewesen. Dazu hatten Kundschafter die Nachricht gebracht, daß eine Schaar von Kaiscrgctrcum Harzbcwohnern sich mn Goslar sammle und sich bereits tai-scrlich gesinnten Rittern anschließe. Das waren dem Markgrafen bedenkliche und bedrohliche Zeichen und cr beschloß, die Stadt, da er mit Gewalt nichts vermochte, so schnell als möglich durch List und Ucberredung zn gewinnen. Zu dem Zwecke ließ sich (ickbert in das Verließ führen und snchte nntcr den lockendsten Versprechungen den gefangenen Bischof zu bewegen, bei der Bürgerschaft die Uebergabe der Stadt zu erwirken. Als aber Udo, obwohl trank und dem 366 Tode nahe durch die entsetzliche Kerkerhaft, die Znnmthnng mit Verachtung von sich wies, wandte sich Eckbert in feinem harteu und grausamen Siun von Versprechungen zu Drohungen und Folterqualen, ließ Udo mit schweren Ketten belasten und Tage laug die Nahrung entziehen. Da endlich, gebrochen an ^eib uud Seele, willigte der Bischof iu die Ueber-czabc uud befahl Eilhard, dem Willen Eckberts gcnüis?, mit martgräflichcn Abgesandten znr Stadt zu reiten und den Bür-gern die Tranerbotschaft zu verkünden. Eilhard mußte dein Markgrafen eidlich versprechen, M rückzntchreu und als Geisel auf der Bennoburg in Haft zu bleiben, bis die Bedingungen festgestellt seien uud die Ueber^ gäbe erfolgen würde. Wie mochte sich Eilhards Heldengestalt heben uud es iu sciuen Mgen uon großen Entschlüssen blitzen, alö er willig den Eid ans das ihm uurgchallenc Ne-liquiarinm leistete! „Mein Manneswort hätte dir schon fiir meine Rückkehr gebürgt!" sprach er uach der fcicrlicheu Hand lung zu Eckbcrt, schwang sich anf sein Noß uud ritt ohne Gruß, begleitet von den markgräflichen Gesandten, nach der Stadt. Mit unbeschreiblichem Jubel ward der Held in der Stadt empfangen, Männer und Weiber stürzten herbei, nm den Saum seines Gewandes zu tüsseu uud Thränen der Freude rannen selbst alten verhärteten Kriegern in den grancn Hart. Nicht mächtig, ihre Gefühle zu bcmcistcrn, drängte mit lau-tem Frcudcngcschrci uud mit Mühe, uou ihreu Frauen gefolgt, Eilika durch die Mcugc uud lag schluchzeud iu Eilhards Annen, der sie mit dem Ansdruck nueudlicheu Schmerzes an feine Brust zog. Das fiel dem neben der Grnppc haltenden 367 Waltram und andern nahestehenden Krieqern schwer anf's Herz und Waltram sprach: „Ga! Eilhard, Du hast dem Weib nnd uns, wärmn bist du nicht fröhlich mit den Fröhlichen?" Da erhob Eilhard znm Zeichen, daß er reden wollte, seine Rechte, während die Linke noch mit sanftem Druck die selig ;u ihm anfblickende Eilita umschlang; lautlos lanschtc die Menge.--------- „Freunde nnd Waffengenossen!" begann der Held mit fester, weithallendcr Stimme, „bevor noch dort hinterm Ostrc^ berge die Sonne znr Rüste geht, bin ich durch Wort und Eid qelmuden, wiederitNt in Eckbcrts Gewalt!"---------Ein Angstschrei Eilita's nnd ein nnwillia.es dumpfes Mnrren der Versammelten unterbrach Eilhards Worte; er beschwor die laut jammernde Fran um Ruhe nnd Fassung nnd erlaugtc es eudlich, daß sie sich von den dieueudeu Franeu wegführen ließ, um vor dem Schwesterntloster am Pantaleonsthor seines Abschiedes zu harren. — — ^angc nnd kummervoll blickte Eilhard der Dahinschwantenden nach, Todtcnblässe bedeckte sein Gesicht unk krampfhaft fuhr die Hand an das pochende Herz; dann aber sich mit seiner ganzen Vcannestraft zusammen-fassend, versammelte er Waltram nnd eine auserlesene Schaar von Bürgern mu sich nnd begab sich mit ihnen nnd den mark-gräflichen Abgesandten anf das Stadthans, nachdem er der Menge mit lauter Stimme zngerufcn, daß er ihr alsbald ver-künden würde, was er nnd was der zusammentretende Nath beschlossen. „Kühne und ssetreue Männer!" sprach Eilhard zum versammelten Rath, „unser Todfeind hat dnrch schweren Kerker 368 und Folterqualen unseren Bischof gezwungen, in die Ueber-gäbe der Stadt zu willigen und ich bin gesandt, cnch des Bischofs Willm zu verkünden. Ich aber sage Euch, es ist besser, daß die Stadt in Flammen aufgehe und daß wir alle erschlagen den Boden decken, als daß wir iu der Treue gegen den Kaiser wanken, der unser aller und auch des Bischofs Obcrherr ist!" — Da wollte einer der markgräflichen Abgesandten den Helden mit grimmen Worten unterbrechen, aber drohend ward ihm Schweigen geboten nnd wie aus einem Munde ertönte der lante Rnf: „Nieder mit dem Markgrafen! Es lebe der Miser!" „Ja, nieder mit dem Markgrafen!" fnhr Eilharo fort, „Gottes Zorn wird ihn zn Boden schlagen nnd das Traum--gesicht des Chorhcrru hat uicht gclogcu. Wisset, ich habe trotz der Haft ertnndet, daß ein drohendes Wetter gegen den geschwächten Feind heranfzieht, unsere Freunde sammeln sich bei Goslar nnd bevor znm drittcnmalc die Sonne anfgeht, werdet ihr ihre Helme anf der Wiese blinken sehen, nun dann hinans uud auf die Markgraflichcn! St. Georg wird Euer Führer seiu uud erfüllen, was er im Traumgesicht verkündet!" „Ja! ja, hiuaus nnd auf die Feinde! Du Eilharo führst uns!" rief Waltram, riefen die Bürger. Aber abwehrend und das Haupt schüttelnd, winkte Eil-hard zur Ruhe uud sprach: „Ich, ihr lieben Freude und Waffengenosfcn, kann Euch nicht führen! Wort und Eid rufen mich zur Rückkehr ins feindliche ^ager und— ich gehe! Halt! lein Wort der Widerrede! Da würde ja Gott und St. Georg wahrlich nicht mit euch seiu, wenn ihr euch durch 369 einen ehrlosen, wort- und eidbrüchig gewordeneu Manu führen ließet! Mag der grimmige Eckbert das Schlimmste über mich verhängen, mag er mein Olnt vergießen, gern gebe ich es hm für deu Kaiser, für nnfere gerechte Sachc, für die Ehre und Freiheit 'nnserer Stadt! Weiß ich doch, daß aus meinem Blute der Nachc^Engel erwachsen würde, der den Feind zerschmettert! Wohlan, ihr Männer, wenn ihr Gott, wenn ihr den Heiligen, wenn ihr mir in Trene und Liebe zugethan seid, so schwört mir jetzt bei Eurer Seelen Seligkeit, daß ihr die Stadt halten und lieber sterben, als sie iu den Handen des Feindes scheu wollt! Nach diesen Worten weinten und schluchzten die Versammelten laut, aber Waltram faßte sich und sprach mit fester Stimme: „Eilhard, es sei wie du sagst, wir schwören! ric feu die Hürger mit hochcrhobencn Händen, Gott will es! Gott will es! „Wohlan denn ihr Getrcueu," begann Eilhard, nachdem er von jedem Manne an Eides statt den Handschlag geuom men, „so laßt uns hcranstrcten unter die Laube uuo dem Volte vertüudcu, was wir geschworeu!" — Das geschah! — Mit Jubel ward die Verwerfung der Uebergabe uon der Menge aufgenommen, dagegen aber mit wildem, drohcudm Geheul die Kunde, daß Eilhard seinem Eide getreu als Geisel iu's feindliche ^agcr- zurücktchrcu wolle. Ja, die wiloeu, in die Stadt aufgeuommeucn Äaucru des vom Markgrafen zerstörten Dorfes Losebeck, welche zahlreich mit ihren Aexteu und Keulen die am Stadthausc wieder vor-geführten Rosse der markgrüflichen Gesandten umdrängten, droheten des Markgrafen Mannen zu erschlage« und es be 24 370 durfte des ganzen Aufwandes von Eilhards Kraft nnd An^ sehen, um das Schlimmste zu verhüten. Eilhard schwang sich mit seinen finster vor sich nieder blickenden Begleitern auf's Ruß; zn beiden Seiten deckten die Nciter eine eherne Mauer von Waltrains Mannschaft und langsam bewegte sich der Zug durch die heulende, jammernde und wilddrohende Menge dem Pantalconsthurc zu. Dort am Schwcstcrnttostcr angekommen, trat winkend der Voigt zu. Eilhard heran nnd brachte dem schmerzdnrchbcbtcn Mann die Traucrtnnde, daß Eilita, von schwerem Sicchthum befangen, in der Pflege der Schwestern sei, dort liege die edle Frau wie todt, der Schmerz habe ihr die Sinne geraubt.---------Da entrang sich Eilhards Helden-- brüst ein schwerer, schmerzlicher Scnfzer nud Thränen ent-stürzteu den Allgen des starken Mannes. „Gott nnd der heiligsten Jungfrau sei die Theuerste befohlen," lispelte er kaum hörbar, „nnr droben sehe ich sie wieder!" Mit feuchtem Auge zum Himmel blickend ritt der Schmerz-gebeugte durchs Thor, die Zugbrücke fiel, die Rosse fühlten den Schenkeldruck nud sprengten in donnerndem Gallop über Brücke und Damm der Bcnnobnrg zu. Vor Zorn und Wuth außer sich, schrieen die marigräf-lichen Begleiter Eilhards schon von ferne dem harrenden Eck-bert und feinem Gefolge zu, wie Eilhard seine Botschaft aus-gerichtet, aber mit ruhiger Würde ritt der Held zu dem knirschenden Markgrafen und zu seinem tobenden Gefolge heran und sprach: „Es ist so, wie deine Dicnstmannen sagen, hier bin ich, thu mit mir wie dir's gut dünkt." — „Das soll geschehen!" keuchte der Markgraf unter grim- 37l men Blicken und befahl Eilhard in schwere Fesseln zu legen und auf den Thuriu zu führeu. Eckberts Zorn uud Wuth waren gränzenlos, taun« hatte er an sich gchalteu, den verhaßten Eilhard niederzustoßen und unr der Gedanke, den unliengsamcn Helden für seine Zwecke trotz Allein, was vorgegangen, noch auszunntzcn, hielt seine bereits an den Mordstahl gelegte Hand zurück. Eckbcrt mußte nämlich mn sich gegen das von Goslar bereits anrüt-kende Heer zu halten, inn jeden Preis die Stadt haben, nur hinter ihren festen Mauern dnrftc er hoffen, den Zuzug aus Thüringen und den Marten erwarten ;u tonnen. Darum entschloß er sich nach einem noch in der Nacht gehaltenen itriegsrath zum letzten, änßersten Mittel, die Stadt sollte sich crgcben, oder Eilhard im Augesichte der Stadt sterben. — Schon am folgeudeu Margen gleich nach der Mette ließ er dnrch seinen Kapellan nnsern Helden zum Tode uorberei» ten und gefaßt nnd mit sich und seinem Gott versöhnt emvfing Cilhard den ^cib des Herrn. Dann ward er hinausgeführt nnd eine Schaar gewappneter Männer, Eckbert voran, geleitete ihn bis fast uuter die Thore der Stadt, deren Mancrn sich, sobald man die ungewöhnliche Bcwcgnng im feindlichen Vager bemerkte, mit bewaffneten Bürgern füllten. Bald flogen Pfeile uud Steine den Anrückenden entgegen, da ließ, an der äußersten Gränze der Schnßweite angelangt, Eckbert bei einein Hügel halten nnd Eilhard anf denselben führen; mit ihm bestieg cm finsterer Mann mit langem Schwert den Hügel. Man erkannte sofort auf den Mauern, hinter den Zinnen und Scharten, Eilhard den verehrten Schaarmeistcr uuo dumpfes, lang anhaltendes Gemurmcl dröhnte zu den Martgräflichen 24* 372 herüber, dann, als Eckbert mit einer weißen Flagge winkte, trat Todtenstille ein und Schlmdcr nnd Bogen rnheten. Ein Herold sprengte cmf Eckberts Wint heran, empfing die weiße Flagge nnd ritt langsam bis dicht an das Ostra-thor vor. Hier- hielt er nnter dein start besetzten Eckthnrm und als Waltrams bärtiges Gesicht sich über die Zinne bog und nach seinem Begehr fragte, hub der Herold an, wie folgt: „Ihr Männer voll Hildeshcim! ich spreche zu cnch nach dein Willen nnd im Namen meines erlauchten Herrn, des Markgrafen Eckbcrt und frage cnch zum ersten, zweiten und drittenmal, wollt ihr euch und eure Stadt meinem Herrn unweigerlich nnd ohne allen Vorbehalt in Nccht nnd Gewalt geben, odrr soll drüben vor eurem Allgesicht das Blut eures Schaarmeistcrs fließen?!" — Ein gellender Schrei dnrchzit tertc die ^uft gefolgt uou einem nm die ganze besetzte Mancr laufenden Toben nud Brausen. — Endlich beruhigte Walt-rams mächtige Stimme die zuuächst stehenden Genossen und foglcich fuhr der Herold fort: „Ich gcbc Euch Bedenkzeit auf die Vängc eines Rittes uon hier zn meinem Herrn und zurück, dann will ich Bescheid!"---------„Reite in die Hölle!" rief ein Wäppncr von der Zinne nnd schleuderte einen ichwc rcn Stein nach dem Herold, den cr jedoch fehlte; mit gcuaucr Noth hielt Waltrams oroheuocr Befehl die andern von der Ermoronng des nnverlctzlichen Scnolings ab. — Da winkte auf nahen« Hügel im Angesicht dieser Vorgänge Eilhard abwehrend und beschwichtigend mit den gefesselten Händen und lautlos starrte die Menge bei dieser Bewegung. Sodann erhob er die gewaltige Stimme nnd sie erdröhnte wie ein Wisenthorn, weit und breit auf der besetzten Mauer vernehmbar: 373 «Fluch dem, der dm Sendling schädigt! Fluch aber auch den Stadtvcrräthcrn! Haltet euch mannhaft! Gott fasst mir's, die Hülfe ist nah! Mein Blut komme über meine und mere Feinde!" Noch.hatte der todesmuthige Held uicht ausgeredet, als Eckbcrt iu rasmder Wuth dem Heuker befahl zu thuu, was seines Amtes sei uud fast iu deiuselben Allgcublick sah mau Eilhard lnit gefalteten Häudcu uiedcrkuiecu, das Schwert blitzte hinter sciucm Haltfttc auf, uud das edle Blut des deut-scheu Ncgnlus floß iu Etrmum auf dm grünen 3laseu. — Von der Stadt her folgte ein Schrei des Entsetzens der blutigen, grausamen That; danu trat ciuc schauerliche, un-heimliche Slillc ein und die Besatzung vcrlor sich von den Manern bis auf die Wachtmannschaften. — Da, lieber Vescr, hast Du die Großthat eines dentschen Heldeujünglings. Das, wonach du weiter fragen möchtest, will ich dir mit so kurzen Wortcu, wie sie der Ehronist gebraucht, beantworten, dmu dciue Gedanken möchten doch wohl gern ungestört zurückeilen zu der Hcldeugröße vou der du eben vernommen und zn dem tragischen Schicksal ihres Trä-gers.---------Also mit weuigeu Wortcu zu dm übrigen Personen, die iu diesem Drama sftielm: Markgraf Eckbert erutctc den Vohu seiner vielfachen Trcnlusigtcitm uud Oraltsaulteitcu. Wie Eilhard ahucud vor-ausgesagt, erwuchs aus seinem Blntc der Nachc Engel, der Eck-bcrts Niacht uild ihn selbst uermchtete. Schou aiu folgenden Tage nach Eilhards Ennordnng machten die Bürger in ra-- 374 sender Erbitterung, aber wohlgeordnet unter Naltrams Wh-ruug einen Ausfall. Lange schwankte das Treffen, bis end-lich der erwartete Goslar'schc Hccrhaufcu eintraf und die Entscheidung brachte. Eilhards Tod ward anf's blutigste gerächt, wenige der Markgraflichcn cntkanicn, nut ihnen Eck-bert. Aber eine Anzahl hildesheilnischcr Ritter hatte sich »er-schworen nicht eher zu ruhen, bis sic Eckbcrts Blut fließen gesehen. Sie verfolgten die Spur der Flüchtigen bis in die Thäler und Gründe des Harzgebirges, dort ficl Eckbert nutcr dcu Schwertstreichen seiner Verfolger in einer Mühle im Seltethale, in die er sich geflüchtet. „Das Glück des Kai-sers siegte," sagt ocr Annalist, „uud der Fciud fiel, nicht anf dcul Schlachtfeldc, sondern uurühmlich iu einer Nlühlc." — Bischof Udo ward vou seiuen siegreicheu Vtanueu aus seiucr schrccklicheu Kerkerhaft befreit, genas uon seinen Qltaleu mid regierte noch fnnf uud zwauzig Inhre lnilg zum Segen des Stiftes, das er durch dcu Erwerb von großen Aesitzuugcu bereicherte. Die edle, bcjammeruswcrthc Eilita eudlich, muß ihren ungeheuren Schmerz in einem Kloster begraben haben; wir finden ihren Namen mit der Bezeichnung Edle von Wmzciv bnrg in einer Liste der Schwestern zu Gandcrshcim, welche während der letzten Regiernngsjahre Udos niedergeschrieben wurde. — Von demselben Verfasser erschien früher in unserm Verlage: Sagen, Märchen, Schwanke und Gebräuche aus Stadt und Stift Hildcsheim, 2 Bände, welche sich nicht allein dem Unterhaltung snchenden Publikum, sondern auch, wegen der den Sagen angefügten wissenschaftlichen Anmerkun-gen, der wissenschaftlichen Welt anfs Beste einpfohlen haben. Das literarischc >3cutralblatt sagt darüber nntcr anderm: „Eine vortreffliche Sammlung nach Stoff und Darstellung, die sich nicht allein in ihrer Heimach, sondern anch in weiw teren Kreisen viele Freunde erwerben wird. Die Sagen und Märchen sind meist mündlicher Ucberlicfcrnng entnommen nnd trefflich erzählt; dem Tcz-te find wissenschaftliche Anmerkungen beigcgeben, die sehr viel brauchbares Material alts der älteren Literatur beibringen." Aehnlichc Urtheile haben Professor Franz Pfeifers Germania und viele andere wissenschaftliche und belletristische Blätter gebracht. — Gleichen Beifall haben die ebenfalls in nnscrm Verlage erschienenen Altdeutschen Geschichten von Karl Seifart ge funden. DieHackländer-Höferschen Hausblätter (Jahrgang i862. 2. B. S.319.) brachten folgende Bcnrtheilnng: „Mit Wal)--rem Vergnügen, ja mit vollem nud warinen Danke gegen den Verfasser fur die vortreffliche Gabe, empfehlen wir unsern Lesern das oben ssenannte Buch, Karl Seif art ist einer der besten Kenner nnd der unbefangensten nnd zugleich liebevollsten nnd tüchtigsten Darsteller der deutschen Vorzeit. Wir finden in diesen Bänden Erzählungen von solcher Frische, solchem Reiz, solcher Wärme nnd Wahrheit, wie wir ihres Mcichcn in unserer Literatur säst vergeblich suchen dürften." — Anßcrdem haben sich die Kölnische Zeitung, die Zeitung für Norddcutschland, die Hannoverschc Zeitung, die Leipziger Illustrirte, die St. Gatter Blätter und viele andere Zeit-schriften von den verschiedensten Richtungen und Tendenzen über die Altdeutschen Geschichten einstimmig mit großer Aner-tennung ausgesprochen. — Drück vl'i, O,>hsüds> Gntlhslft !n Casse».