Valentin Kalan EINIGE POLiTiSCHEN DiMENSiONEN DER DiAiTA ALs Räumlichkeit des Daseins und als Lebensweise Xwpsl Se pavta kaL ^ela kaL avqpWpiva avw kai katw ameißom£va- 75 „Es geht alles, Göttliches und Menschliches, hier und her im Wechsel." (Hippokra-tes, nepL SiaLth~ 1.5). „Über mich und dich hinaus! Kosmisch empfinden!" Nietzsche, KSA 9, 443. 1. Diaita und Raum in der Aristotelischen praktischen Philosophie. - 2. Diaita und Mitte der Welt. - 3. Schiedsgericht und Gerechtigkeit. - 4. Gerechtigkeit, Gefühle und Nemesis (der gerechte Unwille). - 5. Aristoteles und Hippokrates. -6. Diaita und die Etymologie des Wortes aitLa - linguistische Beleuchtung der SLaLta als In-der-Welt-seins. - 7. Diaita und Kosmos bei Homer. Mythos und Philosophie. - 8. Diaita und Philosophie der Gegenwart. Alltägliche und geschichtliche Erfahrungen zeigen auf mannigfache Weise, dass es unmöglich ist politische Angelegenheiten und krisenhafte Situationen ohne Berücksichtigung der Lebensweise der Menschen zu lösen - was in der griechischen Literatur mit dem Wort SLaLta bezeichnet worden ist. Das Wort diaita ist uns am meisten als Ausdruck für die vorschriftsmässige Weise des Lebens bekannt. In der spätantiken Philosophie wurde ethische Theorie manchmal mit der medizinischen Diätetik ersetzt, so z. B. bei Galen aus Pergamon. In der Ni- 76 komachischen Ethik wird die díaita in die kategoriale Gliederung des Guten eingeführt: das Gute als Wesen (Gott, Vernunft), das Gute als Qualität (Tugenden), das Gute in der Zeit (der günstige Zeitpunkt) und das Gute im Raum (Diät): h Statta taya^ov sv topw (EN i.4.i096a27). 1. Diaita und Raum in der Aristotelischen praktischen Philosophie Das Gute im Raum wird in der Aristotelischen Philosophie in sehr unterschiedenen Hinsichten dargestellt. In der Nikomahischen Ethik ist Statta „ein Ort wo wir gut leben können", topo~ ssttv, sv w su Stayomsv (i.4.i096a27) ausgelegt, d. h. Wohnung, Wohnort, Aufenthaltsort. Vielleicht hatte der Beisasse Aristoteles in Athen den Ort vermisst, wo er in Ruhe verbleiben können hätte. Atatta ist weiter auch Lebensweise. In seiner kritischen Darstellung des spartanischen Staates bemerkte Aristoteles, dass die Lebensweise der Eforen nicht der Absicht der Verfassung entsprach (Pol. 2.9): sie forderten von den übrigen Bürgern eine übermässige Strenge, sie selbst aber lebten ungebunden in hielten sich nicht an ihre eigene strenge Gesetze. In der Schrift Über die Welt bedeutet Statta der passende Lebensort für jegliches Lebewesen, der durch die ordnende Kraft des ersten Weltbewegers bestimmt ist: Wassertiere haben ihr Lebenselement (Stattav) im Wasser, Landtiere haben seine Lieblingsplätze und Weidegründe (h^h xat vomou~) usw., wobei die erste Ursache ihnen allen ihre eigentümliche Beweglichkeit (sumapstav) verlieh (De mundo, 6.398b32ff.). Deswegen hat das Weltall den Namen „Weltordnung" (xosmo~) und nicht „Unordnung" (axosmta). Hier findet man Verbindung zwischen Statta und Bewegung, die für die etymologische Beleuchtung des Wortes a'ttta wichtig ist. Atatta bedeutet weiter die medizinische Diät. In der Großen Ethik (2.3) gibt es einen Parallelismus zwischen der medizinischen Sorge für die Besserung der Gesundheit und der sittlichen Haltung, die eine gerechte Ausführung der politischen Funktionen ermöglicht: Stattas^at ist synonym mit Staystv (MM, 2.3.ii99b34-35). Aristoteles gebraucht häufig auch das Verb Stattav in der medizinischen Bedeutung, das bedeutet.bestimmtes Mass im Essen und Trinken vorzuschreiben: „Die Heilkunst (zielt) auf Herstellung von Gesundheit und (schliesst ein) eine entsprechende Lebensweise (Statthsat)" (Top.2.3.iiobi8). Diaita bedeutet auch die Qualiät des politischen Raumes. Raum ist ein notwendiger Bestandteil des Staates. Aristoteles gebraucht drei Namen für den politi- sehen Raum: cwpa „Land" (2.3.i265a2i), iopo~ „Örtlichkeit" (276ai7ff.) und „Lage" (i33ia29). Die Untersuchung des Staatsraumes sehliesst auch einen Teil der physischen Geographie der antiken griechischen Welt ein. Aristoteles behandelt sehr ausführlich die physischen und geographischen Bedingungen für die Einrichtung des besten Staates, insbesondere die Zahl der Einwohner und die Eigenschaften des Landes, cwpa (7.4.) Das Land soll den Bürgern ein freies und besonnenes Leben ermöglichen. Politische Planung soll auch die Gestalt des Landes (sl8o~ cwpa~, i326b39) in militärisch-strategischen Hinsicht betrachten. Die politische Philosophie des Aristoteles ist so konkret, dass sie sogar unmittelbar den urbanistischen Plan und die Architektur einer Stadt berücksichtigt (Pol. 7.10). Der Hauptstadt soll eine geeignete Lage haben sowohl in Hinsicht der Gesundheit des Bodens als auch in Hinsicht der Verteidigung: „Hinsichtlich der Privathäuser gilt es als die schönere und auch allen anderen Bedürfnissen besser entsprechende Anlage, wenn die Stadt nach der neueren hippodamischen Weise von den Strassen durchschnitten wird, für die militärische Sicherheit aber ist im Gegenteil die alte Bauart besser geeignet (7.io.i33ob24)." Die Bau einer Stadt soll Sicherheit und Schönheit (asfaXetan xai. kos^on) verbinden (i33ob32): die Stadtmauern sollen so gebaut werden dass sie zur Zierde (ppo<; xos^on) dienen und zum Schutz gegen militärische Angriffe (133^15) dienen. Die Stadtplaner (8iaxosm£in,i33ia24) sollen insbesondere die erhabene (spifavsiav te) und schickliche Lage (t^n th? qSsew? apet^n) für Heiligtümer und öffentliche Hauptgebäude finden. Der Stadtraum soll anmutig und angenehm (eu^api?, i33ia37) sein. 2. Diaita und die Mitte der Welt 77 Politische Philosophie muss auch die menschliche Natur berücksichtigen. Im Kontext der Untersuchung über die Natur (fusi~) der Bürger des idealen Staates gibt Aristoteles einen Überblick über die damalige politische Geographie. Ihn interessiert insbesondere die Rolle welche die griechischen Staaten in der Oiku-mene einnehmen können, und die Verteilung der ganzen bewohnten Erde unter die Völker (toT~ s^vssi) (7.5.i327bi8ff.). Die Bürger des besten Staates sollen „voll Mut und zugleich mit Denkvermögen begabt sein" (i327b27). Alle Nationen der Welt sind geteilt auf asiatische und europäische, die dritte Gruppe der Nationen sind die Griechen. i. Die Bewohner der kalten Gegenden Europas sind „voll Mut" (qumo~), sie leben frei, aber sind nicht tüchtig zur Bildung staatlicher Gemeinwesen. 78 2. Die Völker Asiens haben Denkvermögen und Kunstfertigkeit (diano^tika xai t senika), sind aber ohne Mut. Deswegen leben sie in Unterworfenheit und sogar Sklaverei. 3. Das Volk der Griechen wohnt in der Mitte zwischen asiatischen und nördlichen Völkern und vereinigt die Vorzüge beider, „denn es ist voll Mut und zugleich mit Denkvermögen begabt", so dass es imstande ist die Herrschaft über alle anderen Völker zu gewinnen, wenn es zu einem einzigen Staat verbunden wäre (i327b32). Mit diesen Ansichten folgt Aristoteles der hippokratischen Anthropologie, so wie sie in der der Schrift „Uber Lüfte, Gewässer und Örtlichkeiten" dargestellt wurde: „Nun will ich über Asien und Europa darlegen, wie sehr sie in allem voneinander verschieden sind; besonders will ich and der Gestalt der Völker (pspi twn Sqvswv zeigen, inwiefern sie sich unterscheiden und einan- der in keiner Weise gleichen."1 (12.1-3) 3. Schiedsgericht und Gerechtigkeit In der Politik (2.8.i268b7) ist das Wort diaita verwendet in der Bedeutung von Schiedsgericht. Der Unterschied zwischen dix^ und diaita, liegt darin, dass die Schiedsrichter über ihre Entscheidung unter sich beratschlagen, während die richterliche Entscheidung gemäss den Gesetzen gegeben werden soll. Im Begriff der schiedsrichterlichen Entscheidung kann man die Schwierigkeiten der genauen Bestimmung des Rechts und Ungerechtigkeit beobachten. Wenn eine Sache unbestimmt ist, dann kann sogar das ganze Lebensalter ausreichen um alle Möglichkeiten einer Situation zu erwägen. In solchen Falle braucht man Schiedsgericht und nicht Anklage: „Der Schlichtungsrichter hat das, was angebracht ist, im Auge, der Verhandlungsrichter das Gesetz. Denn gerade deshalb wurde das Schlichtungsgericht eingerichtet, damit auch die Billigkeit ihre Geltung hätte (Rh. i.i3.i374b2osq.)." Nach einem Wort von Archytas sind Schiedsrichter und Altar dasselbe, denn zu beiden wenden sich diejenige, denen Unrecht geschehen ist (Rh.3. ii. i4i2ai3). Der Richter sucht die Mitte zwischen Nutzen und Nachteil, zwischen Gewinn und Verlust und bestimmt damit das Gleiche. Deswegen wird der Richter bei Aristoteles als „verkörpertes Recht", dixaion s^u^on (ii32a22) und „Zweiteiler", dicasth~ genannt: „Daher der Name „dikaion" (das Gerechte), weil es sich um ein „dicha" (eine Zweiteilung) handelt. Es ist wie wenn man „dichaion" i Vgl. Diller 1962: 116. sagte und der „Richter" „Zweiteiler" hiesse, o SLxasth~ SLcasth~ (EN 5.7. ii32a30-32)." Jedes Recht fordert Gegengabe, avtapoSosL~ (EN.5.ii33a3). Die Gegengabe im Sinn der proportionalen Gleichwertigkeit ist das Wesen der Gerechtigkeit: „Manchen gilt auch die Widervergeltung schlechthin als gerecht (to avtLpe-povqo~ sLvaL apXW~ Sixatov). So lehrten die Pythagoreer, indem sie das Gerechte schlechthin bestimmten als das Erleiden dessen, was man einem anderen angetan hatte. Die Widervergeltung aber passt weder zu der verteilenden noch zu der regelnden Gerechtigkeit - wiewohl man auch der Gerechtigkeit des Rhadamanthys diesen Sinn unterlegen möchte." (EN 5.5.ii32b2i-26) Gegenseitigkeit und Proportionalität sind die Grundlagen der politischen Gerechtigkeit und der Stabilität der Staaten: „Herstellung der Gleichheit nach dem Recht der Widervergeltung ist dasjenige, was die Staaten erhält, sWZeL ta~ po1sL~" (Pol. 2.i.i26ia3o): Die Politik hat mit der Verteilung der Anteile zu tun. Diese Aufgabe der Politik ist im Namen alsumvhth~ „Herrscher" augedrückt - aLsa „Anteil". ALsumv-htsLa ist eine der Arten des Königtums, die Aristoteles als gewählte Tyrannenherrschaft bestimmt (Pol. 3.i4.i285a3i, i285b25). 4. gerechtigkeit, gefühle und Nemesis (der gerechte unwille) Politik hat von Anfang an auch mit menschlichen Emotionen zu tun. Gerechtigkeit ist nicht nur die Mitte zwischen „Unrecht leiden" und „Unrecht tun". Man soll auch die Mitte zwischen Emotionen entdecken - auch das ist SLaL-ta. Für die Gerechtigkeit haben drei Emotionen besondere Wichtigkeit: Zorn, Neid und Nemesis2. So sagt Aristoteles in der Eudemischen Ethik: „Was die festen Verhaltensweisen betrifft, nach denen (ihre Träger) benannt werden, so ist die Missgunst die Unlust über solche die sich in verdientem Glück befinden; der Affekt des Schadenfrohen aber, im selben Bereich, hat keinen Namen, wohl aber ist dessen Träger klar: sein Bereich ist die Freude über unverdientes Unglück. Der Mittlere zwischen beiden ist der Mann der gerechten Empörung und das was bei den Alten ,gerechten Empörung' hieß (msso~ Ss toutwv o vsmesh-tLko~, xaL o sxaiouv oL ap^aloL thv vsmesLv): die Unlust über unverdientes Unglück oder Glück und andererseits die Freude über verdientes - weshalb denn auch die Nemesis für eine Gottheit gehalten wurde (EE i233bi8-26) (übers. F. Dirlmeier)." 79 2 Die Verbindung zwischen Nemesis, Dike und Themis kommt im grossen Heiligtum der Nemesis in Rhamnus vor; vgl. Petrakos 1991. 80 Empörung oder Entrüstung ist Gegenteil des Mitleids: Mitleid ist das Empfinden von Schmerz über ein unverdientes Unglück, Entrüstung ist Empfinden des Schmerzes über unverdientes Glück (Rh. 2.9.i386b8sq.). Beide Emotionen haben Ursprung in derselben ethischen Haltung, beide Emotionen zeugen vom guten Charakter. In beiden Intentionalitäten erleben wir Unverträglichkeit zwischen Gerechtigkeit und Wert: „Was einem wider Verdienst zukommt, ist ungerecht, daher schreiben wir Entrüstung auch der Göttern zu," adtxov yap to papa t^v aXtav yiyvomevov Sto xal toT~ q£oI~ apodldomsv to vsm£sav (Rh.i386bi5). 5. Aristoteles und Hippokrates In der Aristotelischen Philosophie kommt es zur Spaltung des ursprünglichen einheitlichen Begriffes der Statta als kulturell bedingter Lebensweise. Solcher Begriff ist geläufig in den Hippokratischen Schriften, die dem Aristoteles sehr gut bekannt waren. In der Schrift Über die alte Heilkunst, nspi apcaih~ -h" tpikh~ sagt Hippokrates: „Die jetzige Ernährung (Statthmata) ist nach meiner Ansicht erst im Verlauf langer Zeit erfunden und künstlich zubereitet worden. Denn die Menschen litten viel Schlimmes von zu schwerer, für Tiere passender Nahrung, apo ^pLwSso~ Statth~ (3.15 -17)." Die Kultur des Ernährens ist eigentlich schon Vorstufe der Medizin. Deshalb ist die Medizin ist eine Kunst in der niemand unwissend und Laie (lStWth~) bleiben darf (4.2). Unter den hippokratischen Schriften finden sich drei Abhandlungen über die Diät: Die Regelung der Lebensweise, 4 Bücher (nspi Statth~- Vict.), Über die Diät in den akuten Krankheiten (nspi Statth~ oXewv - Acut.) und Über die Diät der Gesunden (nspi Statth~ uyL£Lvh~- Salubr.). Die Regelung der Lebensweise betrifft fünf Faktoren: Speisen, Getränke, körperliche Übungen, Schlaf und Erotik. Um die Lebensweise des Menschen zu bestimmen, muss man zuerst „die Natur des Menschen vollständig erkennen und durchschauen", fu-stv avqpwpou yvwvat xai. StayvwvaL (1.2.1-3). Die Medizin soll den Aufbau des menschlichen Körpers, die Eigenschaften der Speisen und die Bedeutung der körperlichen Übungen für die menschliche Gesundheit kennen. Ebenso muss die Medizin auch die Geschehnisse in der Umwelt beachten: „Ferner muss man den Auf- und Untergang der Gestirne kennen, damit man sich darauf versteht, Änderung und Übermass bei Speisen und Getränken, bei Winden und im Ganzen Kosmos zu beachten, weil daraus den Menschen die Krankheiten entstehen (Vict. 1.2)." Medizinische Diät ist somit in der Erkenntnis des Wesens der Natur in der Erkenntnis des Aufbaues des Universums. Nicht desto weniger aber bleibt ein Unterschied zwischen der menschlichen Kunst und der Macht der Natur, den man berücksichtigen und austragen soll: „Denn Brauch und Natur, wonach wir alles ausführen, stimmen nicht überein, obwohl sie übereinstimmen. Den Brauch haben die Menschen sich selbst gesetzt, ohne zu erkennen, worüber sie ihn setzten; die Natur von allem aber haben die Götter geordnet. Was nun die Menschen setzten, bleibt niemals sich selbst gleich, sei es nun richtig oder nicht. Was aber die Götter setzten, ist immer richtig, das Richtige sowohl wie das Nichtrichtige. So groß ist der Unterschied." Nomo~ gap xai fusi~, oisi pavta Siapphssomeqa, ouc omologe-'etai omologeomeva- vomov gap eftssav avqpwpoi auto swutolstv, ou givwxovte~ pepi wv eqssan- fusiv de panxun qeoi Siexosmhsav-a mev ouv avqpwpoi eqesav, ouoepote xata twuto e^ei oute opqw~ v \ 5 cv ~ e ' ^v rv v ■>' rv ? \ ? ~> y \ \ ? oute mh opqw~- oxosa oe qeoi eqesav, aei opqw~ e^ei- xai ta op-qa xai ta mh opqa tosoutov Siafepei (Vict. 1.11.7). 6. Diaita und die Etymologie des Wortes altla - linguistische Beleuchtung der dlaita als des In-der-Welt-seins Zum Verständnis des griechischen Begriffs von Siaita kann etwas auch die semantische Verbindung mit aitia etwas beitragen. Unter zahlreichen Rätseln des griechischen Wortschatzes bereitet gerade die Etymologie des Wortes aitia viele Schwierigkeiten, weil es unmöglich ist, sie auf einen typischen indo-europä-ischen Wurzel zurückzuführen. Neue Beleuchtung der Etymologie dieses Wortes hatte Enrica Salvaneschi in dem Aufsatz „Sui rapporti etimologici del Greco ,altia'" gegeben. Das Wort aitia hat zwei Hauptbedeutungen: „Ursache" und „Schuld, Anklage". Nach Salvaneschi kann man nicht beweisen, welche der beiden Bedeutungen von aitia die ursprüngliche sei. Deshalb ist es nötig nach einem gemeinsamen Sem zu suchen, aus welchem im Prozess der kontextuellen Spezialisierung beide Bedeutungen entstehen können hätten. Solches gemeinsames Sem hatte Salvaneschi (Salvaneschi 1979: 27) in der dichterischen Sprache gefunden, un zwar an solchen Stellen, wo a'itio~ „der Schuldige" denjenigen, der „gibt", bezeichnet: „... so sind nicht immer die Sänger Schuld (a'itioi), weit eher Zeus, er gibt (SiSwsiv) den fronenden Menschen Einem jeden ein, was ihm gerade so gut dünkt." (Od. 1.347-349) 81 82 In diesem Satz ist wesentlich die semantische Verbindung zwischen Verteilung und Gebung. Aitio; ist bei Homer antonym für Owt^p. Die Götter sind Owt^ps; sawv „Geber der guten Dingen": Doioi gap te pi&oi xataxeiatai ev Dio; oudei owpwv oia oiowsi xaxwv, etepo; oe eawv „Denn in der Halle des Zeus da stehen zwei Krüge und spenden Ihre Gaben, der eine die bösen, der andre die guten." (Il. 24.527)' Von aitio; kann man schnell die Nähe zwischen aitio|/aitia und aisa bemerken. Aisa kommt aus *aitya, mit Suffix *-yd und mit phonologischen Übergang (trafila) *-ty->-s- und altia ist Abstraktum von aitio; mit Suffix *-ya. Das Sem der Distribution kommt in beiden Hauptbedeutungen der aisa „Anteil", „Schicksal" (Salvaneschi 1979: 30) vor. Zwei Beispiele aus Pindar: c^ovo; aisav „Teil des Landes" (Pyth. 9.56), Mslifpov aitiav „honigsinnende Anteil" (Nem. 7.11). Das Sem der Teilung hat auch das Verb popsiv „verschaffen", „darreichen". So sind bei dem Chorlyriker Alkman Aisa und Popo; die älteste göttliche Zwei-heit. In Alkman's Kosmogonie hat Poros die Bedeutung des Prinzips (Salvaneschi 1979: 32). Koradikal mit a'itio|/aitia und aisa ist auch das Verb Oiaitaw „zu leben geben, ernähren, sich aufhalten, wohnen, Schiedsricher sein; leiten, regieren, vollenden; bestimmtes Mass im Essen und Trinken vorschreiben, gewisse Speisen zu essen geben und auf diese Weise kurieren; Med.: eine gewisse Lebensart führen; Schiedsrichter sein, als Schiedsrichter entscheiden; leiten, regieren; anordnen" (W. Pape) und das Hauptwort Oiaita „Lebensart, Leben, vom Arzte vorgeschriebene Lebensweise; auch in moralischer Beziehung; Lebensunterhalt, Lebensbedürfnisse; der Aufenthalts-, Wohn-Ort, ,Zimmer'; das Schiedsrichteramt, schiedsrichterliche Entscheidung." Für das Verb Oiaitaw sind folgende Teilungen möglich: 8i(a)-aitaw, Oi-ait-aw in Oi-ai-taw. Unterschiedliche inhaltliche Entwicklungen können alle auf das Sem der Teilung zurückgeführt werden: „verteilen (der Nahrung)". Für die rechtliche Spezialisierung der Worte aitia und aisa sind folgende Beispiele besonders charakteristisch: Siaithth; „Schiedsrichter", aisumv^thl 3 Salvaneschi 1979: 28; diese Stelle kommentiert Platon in der Staat (379c) „Kampfrichter, Herrscher", a'tsumvav „jedem sein gebührendes Recht geben, herrschen" und Stattav „verwalten". So sagte Pindar: ... poXtv S " wpassv Xaov te Stattav. „... und die Stadt übergab er ihm und das Volk zu verwalten."(Pindar, Ol. 9.66) Mit der linguistischen Analyse der Worte attsw „verlangen, betteln", a'tth~ „Bettler" - Homer, Aristoteles (Poetik, i405a7-i9) und a'tthst~ „Bitte" hatte Sal-vaneschi gezeigt, dass die attta in das lexikalisch-semantisches System des Tausches gehört. In solchem System kommen sehr häufig die Kontraste zwischen Geben und Nehmen, zwischen Verteilen und Fordern, a'ttsw und StSwmt, zwischen Xamßavw „nehmen" in StSwmt „geben". Zwischen Xamßavw und a'ttsw besteht die Opposition zwischen Grundhandlung und erwünschte Handlung, zwischen Nehmen und Nehmen wünschen (>verlangen um zu gewinnen). Das gemeinsame Sem in dieser Opposition ist Teilnahme, bzw. Partizipation. Die Beziehung zwischen a'ttsw und Xamßavw, die zuerst inhaltlich ist, kann auch etymologisch werden: so bei dem seltenen, mit Xamßavw synonymen archaischen Verb a'tvumat „nehmen". Salvaneschi hat versucht die zwei gegensätzlichen Seme (Distribution und Partizipation) auf ein gemeinsames Ur-Sem („arcisema") zurückzuführen. Vom Stamm *ai-t ausgehend hatte sie seine Beziehungen zur Wurzel *ai-, die von a't-vu-mat abgeleitet wird, genauer bestimmt. Salvaneschi, i979: 38) Die Bedeutungen „geben" und „nehmen" beziehen sich auf die Wurzel *de und *nem, die die Aktualisierungen des identischen Sems des Wechsels sind. Die beiden Seme, das Sem der Teilung und das Sem der Partizipation sind komplementär: „verteilen um zu geben", „geben um zu nehmen" (Salvaneschi i979: 39). Für die Klärung der Bedeutung des Verbes a'tvumat, das die Schlüsselstellung der Argumentationskette darstellt, nimmt Salvaneschi folgende Stelle aus der Ilias: Tsöxpo~ S " aXXov o't'stov Sf " " Extopt caXxoxopusth Atvuto ... „Teukros ergriff einen andern Pfeil für den eisernen Hektor." ^5.458-459) Das Verb a'tvumat vereinigt zwei Seme, Partizipation und Distribution; somit handelt es sich um ein Verb „mit drei Stellen" (Lyons, § 8.2.i), weil es sich mit Subjekt, mit dem unmittelbaren Objekt und mit dem mittelbaren Objekt verbinden kann: i. Subjekt - „bewegen"; 2. Objekt, 3. Richtung: a) „von" (das Sem der Partizipation) „geben" und b) „zu" (das Sem der Distribution) „nehmen". (Salvaneschi i979: 40-4) Weil das Verb a'tvumat den Augment -t- nicht aufweist, vermutet Salvaneschi eine phonologische Veränderung auf der Ebene 83 84 des Signifikanten *ai->*ai-t-, die aus dem Verbaladjektiv e^aito? „ausgewählt, vorzüglich" (Salvaneschi i979: 42) entspringt. Neben dem Verbaladjektiv auf *-to- besteht auch das Verbaladjektiv, gebildet mit dem Suffix *-no-, d. h. aino? „derjenige, der nimmt, der ergriffen ist; schrecklich" und das etymologisch mit atnu^ai verwandt ist. Salvaneschi gibt zwei Beispiele aus Odysee: 1.) alla m ' ' Odussho? po&o? ainutai o'icomenoio. „Doch nach dem fernen Odysseus ergreift mich Bangen und Sehnsucht." 2.) ... fileeske gap ainw?. „... aus grosser Liebe und Freundschaft." (Scheffer) (i4.i44 und i.264). Auf der Grundlage der interlinguistischen Beziehungen hat Salvaneschi die in-do-europäische Wurzel *aei- rekonstruiert (Salvaneschi i979: 44). Der Augment -t- zur Wurzel *3ei-, dessen Herkunft vom Partizip entspringt, war produktiv in den Ausdrücken: a'itio?, aitia, aitiaomai, aitew und wahrscheinlich auch in (di)aitaw und diaita. Diaita ist demnach die sekundäre Formation in Hinsicht auf (eX)aito? und aisa - von *ai-t-ya (53). Jetzt haben wir zwei Wurzeln, *dei- und *3oi-, beide sind erweitert mit zwei Suffixen: — t — für nomen agentis und — n- für Präsens. Das Sem der Teilung und das Sem der Partizipation sind Spezialisierungen des Ur-Sems (arcisema) des Tausches, das seinerseits eine Variation des Ur-Sems der Bewegung darstellt (Salvaneschi i979: 59). Vor dem Geben oder Nehmen gibt es das Phänomen des Bewegens, vor der Aisa gibt es Poros. Zwischen Geben und Verursachen besteht eine ähnliche Beziehung wie zwischen Geben und Bewegen. Geben mit Infinitiv bedeutet verursachen, z. B. in der Bitte von Sappho: Ton kasign^ton dote tuid ' ikes^ai. (fr. 5 LP, 2) „Seien Sie die Ursache des Heimkehrs meines Bruders." (Salvaneschi i979: 62) In Sanskrt haben wir die Wurzel *da<*de32 „teilen" und *da<*de3$ „geben". Die Wurzel *de32 ist der Stamm der folgenden griechischen Worte: da-te-o-mai „teilen", damo?, da-i-omai da-i-nu-mi, da-i-^w „austeilen, zerteilen, zerreissen", da-i-mwn „Verteiler der Lebensloose", dai?, -to? „Gastmahl, Mahlzeit", daptw „zerreissen", dapanh „Ausgabe, Aufwand" (W. Pape). Hier besteht Verwandtschaft der semantischen Resultate unter den Ableitungen aus jenen Wurzeln, deren Bedeutung von dem Sem der Partizipation oder des Tausches markiert sind. Aisa kann auch vergöttlicht sein, ähnlich wie Moira. Salvaneschi har ihre Abhandlung mit dem dichterischen Wort von Aischylos unterstützt: 1 \ \ ty 1 / rv ~ ei m£v gap £U ppaxaimev, aitia qeou' „Wenn es nämlich gut uns ginge, Werk wär's eines Gottes." (Aischylos, Th. 4). 7. Diaita und Kosmos bei Homer. Mythos und Philosophie In der griechischen Dichtung und Mythologie hat Siaita auch kosmologische Bedeutung. Mit dem Begriff der Siaita wird das Verhältnis zwischen Menschen und Göttern ausgedrückt. Im griechischen Mythos hatten die Fragen der Entstehung des Kosmos und die der Mitte der Welt besonderes Gewicht. Die mythologische Rede über die Welt hatte auch die Geschichtlichkeit („Veränderlichkeit") in der Welt beschrieben. Solche Ansichten sind auch in der griechischen Medizin zu finden. So sagt Hippokrates in der Schrift Über die Diät: „Es geht alles, Göttliches und Menschliches, hier und her im Wechsel" Xwps! de pavta kai qeia kai av^ptopiva avw kai katw ameißomeva... Was sie sehen, erkennen sie nicht, und trotzdem geschieht ihnen alles durch göttliche Notwendigkeit, was sie wollen und was sie nicht wollen. Indem jenes hierher geht und dieses dorthin und sie sich miteinander vermischen, erfüllt ein jedes den ihm bestimmten Anteil (thv psppwmsvhv moiphv ekastov Ikpl^poi), zum Größeren und zum Kleineren hin." (Vict. 1.5.1-15) Ebenso wie die Medizin eine humane Lebensweise in der Welt der Natur herzustellen bestrebt ist, so war auch der Mythos weltbildend. Die Weltordnung wird mit dem Sieg der Olympischen Göttern Im Mythos wurde die Weltordnung durch den Kampf des Zeus und der Kroniden gegen die Titanen aufgerichtet. So sprach Poseidon in der Ilias: „Wir drei Brüder stammen von Kronos, von Rheia geboren: Zeus und ich, und der dritte ist Hades, der König der Schatten. Dreifach ist alles geteilt, teil hat ein jeder am Herrschen: Ich erloste das graue Meer zum ewigen Wohnsitz, Hades erhielt durchs Los das finstere Dunkel der Tiefe, Zeus empfing den Himmel, gebreitet in Äther und Wolken; Allen zusammen gehört die Erde und hoch der Olympos." IpiCqa oe pavta oeoastai, ekasto~ o emm°pe timh~' 'S* 5 V 1 V r'-, f IV h toi egwv elacov poli^n ala vaie^ev aiei 85 86 paXXomevwv, ' AL§h~ S ' eXace Zofov hepoevta, Zeu~ o elac oupavov eupuv ev aLqepL kaL vefeXhSL- Tala S ' etL Xuvh ^avtwv kaL makpo~ " OXumpo~. (Homer, Il. i5.i87-i93) Diese Verse wurden von C. Collobert einer philosophischen Interpretation unterzogen. In diesem ursprünglichen kosmischen Mythos ist das Weltall in fünf Instanzen geteilt: Erde, Himmel, Zeus, Poseidon und Hades. Zwei Gebiete bleiben ausserhalb der Teilung: Himmel und Erde. Es wird nichts gesagt davon, welche Mächte die Verteilung der Anteile gemacht haben. Die Anteile sind durch das Los gegeben. Weil Erde und Himmel allen zusammen gehören, kommt es sehr häufig zum Streit. (Collobert 200i: i4) Vor der Teilung befindet sich das Weltall im Zustand der Unordnung. Die göttliche Teilung ist demnach ein Übergang aus der titanischen zur olympischen Wirklichkeit, d. h. Übergang vom Dunkel zum Licht. In der Verteilung der Weltgebiete besteht hierarchische Ordnung: Olympos und Himmel, See und Erde und Untererde. Der Himmel ist den Menschen unzugänglich, Hades und Poseidon's Weltgegend sind der menschlichen Anwesenheit angeboten. Die göttliche Herrschaft des Zeus wird ermöglicht durch die Verbannung der Titanen in Tartaros (Ilias, 8.i3sq.), der sich unten dem Hades befindet. Die Welt hat seine Grenzen, die einerseits von Zeus selber garantiert werden, andererseits bewachen die drei Horen die Türen zum Himmel und zu Olympos. Weil die griechischen Götter die Weltordnung ermöglichen, wurden sie $eoL genannt. Die semantische Verbindung zwischen tLShmL „setzen, stellen; ordnen" und qeo~ kommt in dem folgenden Satze von Herodotos vor: ©eou~ Se pposwvoma-sav sfea~ apo tou toLoutou otL kosmov qevte~ ta pavta pphgma-ta kaL pasa~ voma~ e'Lcov, „Götter aber (d. i. Ordner) nannten sie dieselben darnach, dass sie alle Dinge in Ordnung gebracht und alle Einrichtdungen gehörig vertheilt hätten" (Hist. 2.52.4-5)^ R. B. Onians hatte deshalb das Wort qeoL mit „placers" übersetzt. (Onians i954: 383) 8. Diaita und Philosophie der gegenwart Den kosmologischen Mythos der Ilias hatte Platon im Dialog Gorgias in seine neue Auffassung der Welt übernommen. Für Platon ist die Welt eine Gemeinschaft vom Himmel und Erde, von Göttern und Menschen, die auf der proportionalen Gerechtigkeit beruht. Der Platonische Text lautet: 4 Diese Etymologie wird bei Chantraine als annehmbar dargestellt. „Denn weder mit einem anderen Menschen kann ein solcher (sc. Ungerechter) befreundet sein noch mit Gott; denn er kann in keiner Gemeinschaft stehen, wo aber keine Gemeinschaft ist, da kann auch keine Freundschaft sein. Die Weisen aber behaupten, o Kallikles, daß auch Himmel und Erde, Götter und Menschen nur durch Gemeinschaft bestehen bleiben und durch Freundschaft und Schicklichkeit und Besonnenheit und Gerechtigkeit, und betrachten deshalb, o Freund, die Welt als ein Ganzes und Geordnetes, nicht als Verwirrung und Zügellosigkeit. (xai. oupavov xai ghv xai ^sou; xai av^p^pou; thv xoivwviav suvsceiv xai filiav xai. xosm.othta xai swfposuvhv xai SixaiOThta, xai. to olov touto d.a tauta xosmov xaXousiv, w stalps, oux axos^iav ouds axolasiav) Du aber, wie mich dünkt, merkst hierauf nicht, wiewohl du so weise bist, sondern ist dir entgangen, dass die geometrische Gleichheit (h isoth~ h gswmstpLxh) soviel vermag unter Göttern und Menschen, du aber glaubst alles komme an auf das Mehrhaben, weil du eben die ,Meßkunst' vernachlässigst." (507e6-508a8) Die griechische Idee der Kosmos haben in die gegenwärtige Philosophie besonders Nietzsche und Heidegger übertragen. Nietzsche wollte durch seine Idee der Welt den modernen Egoismus überwinden. In seiner Kritik des modernen Individualismus wird Egoismus als Irrtum dargestellt. Deshalb schlägt er Überwindung von Ego in Richtung des kosmischen Empfindens vor: „Über ,mich' und ,dich' hinaus! Kosmisch empfinden!" (KSA 9:443) Dieses neue kosmische Empfinden verlangt ein neues Verhalten zur Natur, zur Erde und zum eigenen Körper. Auf diese Weise bekommt die Idee der Diät für Nietzsche eine neue Bedeutung. Nietzsche spricht über Diät in seiner Kritik der Moral. In seinem Aphorismus „Zur Pflege der Gesundheit" aus der Morgenröte (Nr. 202) meinte er, dass man die bisherige „praktische Moral" in eine Art Heilkunst und Heilwissenschaft verwandeln sollte. Obwohl dafür noch die Ärzte fehlen, sollte man „die Lehre von dem Leibe und von der Diät" in allen Schulen zum Pflichtgegenstand machen. (KSA 3: 178) Zur eigentlichen seinsgeschichtlichen Dimension der Diaita führt uns Heidegger's Denken. Aus der Erfahrung der Heimatlosigkeit versucht Heidegger „am Haus des Seins" zu bauen. Das menschliche Leben wird dann als „Wohnen in der Wahrheit des Seins" verstanden: „Dieses Wohnen ist das Wesen des ,In-der-Welt-seins'." (Heidegger 1967: i88ff. und Mattei 1989: 155) In Sein und Zeit deutet er das „In-Sein" als Wohnen. (Heidegger 1963: §12) Für die wesentlichen Fragen der gegenwärtigen Weltkonstellation sind viele sehr heterogene Deutungen der theologischen und religionsphilosophischen Fragen charakteristisch. Dieser Prozess ist in den Beiträgen zur Philosophie (Vom Ereignis) als „Götterung" bezeichnet. 87 Die Thematik der Räumlichkeit des menschlichen Aufenthalts auf der Erde ist heute in sehr vielen Hinsichten aktuell, z. B. Globalisierung, Poly- oder Mono-Zentrismus in der grossen Politik, ökologische Besorgnisse usw. In seiner Betrachtung über das Wohnen beginnt Heidegger mit dem Denken über das Bauen: „Dieses, das Bauen hat jenes, das Wohnen zum Ziel." (Heidegger 1976: 19) Darin denkt Heidegger aristotelisch. Etwas ganz anderes aber ist seine Deutung der Welt. Ausgehend von der vorsokratischen und platonischen Vierheit: Himmel und Erde, Götter und Menschen, betrachtet Heidegger die Weltfrage zuerst als die Frage nach dem Ding, das uns angeht. So kommt er zur Bestimmung der Welt als „Einfalt von Erde und Himmel, Göttlichen und Sterblichen". (Heidegger 1976: 52sq) Dieses Geviert bildet eine Einheit, die sich dynamisch ereignet als Ring, dessen Mitte durch das Geschick des Seins bestimmt ist. Nach Mattei hatte Heidegger Erde und Himmel der vorhomerischen Mythologie und Menschen und Götter der homerischen Mythologie verbunden. (Mattei 1989: 189) Jedenfalls wird in Heideggers Schriften der Platonische Gorgias nicht erwähnt. Nach dem Zeugnis von Beaufret sollte Heidegger in einem Gespräch im Mai i975 die Verwandtschaft des Gevierts mit der Tetrade des Gorgias anerkannt haben: 88 „Dans ce texte de Platon, les quatre sont bien dénombrés, mais Y Uniquadrité (c'est-à-dire le caractère rassemblalnt Ge- des quatre ( Vier) en leur mutuelle communauté) est absente, là où au contraire la parole poétique de Hölderlin nomme, dans l'esquisse à laquelle sera plus tard donné le titre de Der Vatikan, le wirklich, ganzes Verhältnis, samt der Mitt, l'entier du rapport y compris son centre, qui n'est jamais aucun des quatre." (Mattei 1989: 188-9) Das Seinsgeschick hatte Heidegger auch Moira genannt: „Er (Parmenides) nennt die Molpa, die Zuteilung, die gewährend verteilt ... Die Zuteilung beschickt (versieht und beschenkt) mit der Zwiefalt." (Heidegger 1967: 47) Der Zusammenhang zwischen Heideggers Seinsgeschick und Diaita als Regelung des persönlichen Lebens und der grossen Politik gehört zu den dringendsten Fragen der Gegenwart. Verschiedene Bedeutungen des griechischen Wortes Statta können als Hinweis zum Verständnis der gegenwärtigen Welt und der internationalen Politik verstanden werden. Der Begriff der Statta umfasst sowohl die Bedeutung der Teilung als auch die Bedeutung der Verursachung; eine „Diät" enthält Anteile (atsa, mopo~) für die gerechte Lebensführung als auch Ursachen und Verantwortlichkeit (attta) für die Aufrichtung einer gerechten Ordnung in der Welt. Auf diese Weise kann Statta als Anfang und Ursprung einer pluralistischen Gestaltung des politischen Kosmos bezeichnet werden. Literatur Aristoteles (1969': Eudemische Ethik, übersetzt und kommentiert von F. Dirlmeier, Werke in dt. Übersetzung, Bd. 7, Berlin: Akademie Verlag. Aristoteles (1994): Politik, nach der Übersetzung von F. 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