Zwei Predigten an die evangelischen Glaubensgenossen im kaiserlich mexikanischen Freimilfigen-Loi'p8. Gehalten Wtwch, 1. und L. Minim.I86Ä, von Theodor Elze^ evang. Pfarrer. Laibach 1864. Gedruckt bei Jos. Blasnik. Verlegt »om Verfasser. 1. Rede bei der Vorbereitung zur Lommunion über Psalm 25, 7. „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend, und meiner Uebertretung, gedenke aber mein nach deiner Barmherzigkeit, um deiner Güte willen." Iliade sei mit Euch, und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesu Christo. Amen. Wenn Jeder von Euch, meine Glaubens¬ genossen im kaiserlich mexikanischen Freiwilligencorps, jetzt hier offen und aufrichtig, als vor dem all¬ gegenwärtigen und allwissenden Gott, seine Lebens¬ geschichte erzählen würde, so würden wir gewiß die verschiedensten Mittheilungen, die mannigfachsten Schilderungen und buntesten Bilder menschlicher Lebenswege zu hören bekommen. Aber in aller Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit würde gewiß Ein Gleiches sich zeigen und durch alle Erzäh¬ lt * 4 lungen wie ein rother Faden sich hindurchziehen, ich meine — die Sünde, denn wir sind allzumal Sünder und Keiner von uns kann mit Wahrheit sagen, er habe keine Sünde. Jetzt wollet Ihr nun die alte Welt und das alte Leben verlassen, in die sogenannte neue Welt gehen und dort ein neues Leben führen, möge es denn auch in tieferm Sinn ein wirklich neues sein! Unsere Kirche, welche Euch in Eure neuen LebensverhLltuisse ihren Dienst nicht nachscnden kann, giebt Euch jetzt noch ein letztes Lebewohl, ehe Ihr scheidet von der alten Heimath und von der kirchlichen Gemeinschaft, die Euch im Geist hier umgiebt. So zieht jetzt mit einander Euer bisheriges Leben, das nun gewissermaßen schon abgeschlossen hinter Euch liegt, noch einmal in aufrichtige und ernste Erwägung. Gedenket zunächst Eurer Kindheit und ersten Jugend, da Ihr noch heiter und unbe¬ kümmert des Lebens Euch erfreutet, gedenket Eurer Heimath, wo Ihr zuerst als Kinder spieltet, wo jedes Haus und jeder Baum Euch gleichsam alte Jugendbekannte sind, gedenket Eurer Eltern, des Vaters und der Mutter, Eurer Geschwister und Verwandten, Eurer Lieben und Freunde daheim. Wol mischt sich in diese süße Erinnerung so mancher bittere Gedanke, denn wir alle, Keiner ausge¬ nommen , erinnern uns dabei zugleich nicht weniger Uebertretungen und Sünden unserer Jugend. Wie 5 oft haben wir doch die Herzen derer verletzt, die uns so herzlich geliebt, wie oft sie durch Leichtsinn und Ungehorsam, vielleicht durch Frevel schmerzlich betrübt und gekränkt, wie haben vielleicht Manche von Euch gerade noch zuletzt, da sie ihren Lebens¬ weg hieher genommen, schweren Kummer und bitteres Herzeleid über Jene gebracht. Alle diese Gedanken und Erinnerungen tauchen jetzt in Euren Herzen empor, das Bild mancher lange vergessenen Stunde wird wieder lebendig, alle Irrthüiner und Fehler, die wir seit unserer ersten Kindheit be¬ gangen, reihen sich aneinander und wachsen zu einem großen Haufen, immer gewaltiger, immer zahlreicher, immer trauriger. Ach, wie schwer liegt das auf dem Herzen! Da stehen sie nun jetzt im Geiste um Euch, alle Eure Lieben aus der Ferne, der alte, sorgenvolle Vater, die liebende, tiefbekümmcrte Mntter, Brüder und Schwestern, eine ganze Schaar von theuern Menschen, die Euch innig lieb haben, und denen Ihr ihre Liebe oft so schlecht vergolten; da stehen sie, die Ihr vielleicht auf Erden nimmer wiederseht. Ihr waget nicht recht Eure Augen zu erheben und sie anznblicken, abgewendet drückt Ihr ihnen die Hände zum Abschied: Gott behüte euch! Thränen feuchten Eure und ihre Augen und alles, was Ihr seit Eurer Kindheit gegen sie gesündiget und gefehlt, tritt jetzt ergreifend vor Eure Seele, und 6 alle Gedanken und Gefühle, die in diesem Augen¬ blicke Euch ergreifen und bewegen, alles das preßt sich Euch zusammen in das Wort, bittend und seufzend, das Eine Wort: „Gedenket nicht der Sunden unserer Ju¬ gend, nicht unserer Ueücrtretungcn; gedenket unserer in Liebe und Güte." Ja, schreibt ihnen das noch nach Hans, wenn Ihr ihnen zum Abschied schreibt, ehe Ihr nun Europa verlasset; sei es Euer letztes Wort des Abschiedes an Eure Lieben, saget ihnen, daß es Euch in der Kirche in's Herz gerufen wurde zum Abschied, damit Euch selber dieses Wort mit seinem Segen hinüberbegleite in die neue Hcimath, und des Vaters Verzeihung und der Mutter Segen und der Geschwister herzliche Liebe Euch folgen, und ein vielleicht lange nicht mehr gekannter, be¬ seligender Seelenfrieden Euer Theil sei in der neuen Welt. Doch ich will Euch nicht weich machen, son¬ dern ernst, Euch nicht so sehr erinnern an die Heiniath hinter Euch, als an diejenige über Euch, an die ewige Heimath droben, erinnern nicht so sehr an den irdischen Vater, als an den himm¬ lischen, an den heiligen Gott. Da Ihr einst durch die Taufe ausgenommen wurdet in die Ge¬ meinschaft seines Sohnes, unseres Heilandes, da 7 Ihr dann an heiliger Stätte das Gelübde des Glaubens und der Tugend und der Treue ab¬ legtet, seid Ihr alle eingetreten § als Bürger in sein Reich. Habt Ihr denn nun dieser Reichs¬ bürgerschaft stets gedacht, habt Ihr den Gesetzen dieses Reiches immer gehorcht, habt Ihr nach denselben oder nach Euren eigenen Lüsten und der Welt Lust gelebt? Seid Ihr in Euren verschie¬ denen Lebensverhältnissen und in den mannigfachen Wegen dieses Erdenlebens immer treu gewesen im Glauben, im Gehorsam, in der Nachfolge Jesu Christi, wie Ihr einst heilig gelobt habt? Was ist aus diesem Gelübde, was aus den Hoff¬ nungen der Eurigen, was aus Euren eigenen Vor¬ sätzen geworden? — Wie ist doch das alles so anders geworden, als Ihr es einst selbst dachtet! Eine ganze Reihe von Uebertretungeu und Sünden steht als die Summe Eurer Verirrungen in den letzten Lebensjahren vor Euch. Wie oft habt Ihr den Götzen dieser Welt gehuldigt, wie oft Gottes heiligen Namen gemißbraucht, wie oft seinen Ruhe¬ tag entheiligt! Trunkenheit und Wollust haben Euch beherrscht, das heilige Andenken an Eure Eltern habt Ihr vielfach verunehrt, die Wahrheit verletzt, und überhaupt nicht Ein Gebot Gottes so gehalten, wie es hätte sein sollen. Da kann Keiner von Euch auftreten, auch nicht Einer, der da jetzt in dieser ernsten Stunde an diesen! heiligen 8 Ortze, nicht vor Menschen, sondern vor dem all¬ gegenwärtigen und allwissenden, heiligen und ge¬ rechten Gotte behaupten und sagen könnte: diese Worte seien Angerecht und thuen ihm zu viel. Denkt nicht in diesem Augenblicke an das Gute, das Ihr etwa hie und da gethan, oder an das Böse, das Ihr etwa einmal unterlassen habet! Es ist das ja nichts vor dem Heiligen, der da will, daß auch wir heilig seien in allen nnseru Werken. Vielmehr haben wir Alle in unserm Leben nur zu oft und zu sehr Gottes, unseres himmlischen Vaters, vergessen; wie? wenn er uns nun auch nur Einen Augenblick vergäße! Oder wenn er unser gedächte, aber nur nach unserm Verdienst! Was sollte da aus uns werden? Oder wenn wir jetzt gar zu ihm ins Gericht gehen sollten wegen der Uebertretungen seiner Ge¬ bote ? Wahrhaftig ein solcher Gedanke kann uns Angst und Furcht erwecken, die Furcht des Ge¬ wissens vor dem gerechten und strengen Richter, eine Furcht, welcher auch der sonst Furchtloseste nicht entgeht, wenn er anders gewissenhaft und ernst gegen sich selber ist. So rechnet denn jetzt einmal alle Verirrungen und Sünden zusammen, in welche Ihr ans Euren Lebenswegen durch Thorhcit oder Leichtsinn, durch Uebermuth oder Wankelmuth, durch Muthwillen oder Bosheit gerathen seid, und welche Euch so vielfach unglücklich, unzufrieden g und friedelos gemacht haben. Welch fortlaufende Kette, welch große Summe an Uebertrctungen stellt sich da vor Eure geistigen Augen hin! Mit Wehmuth und Reue gedenket Ihr nun vielleicht an Eure Kindheit, an das Glück des Vaterhauses, an die Seligkeit des frommen Kindersinuö, an die verscherzte und verlorene Liebe des himmlischen Vaters. Wie der verlorene Sohn im Evangelium, der auch des Vaterhauses Glück nud des Vaters Liebe verachtet hatte, nud in die Welt gegangen war nm nach seines Herzens nud Fleisches Lust zu leben, sprecht Ihr wol jetzt mit Seufzen: Vater, ich habe gesüudiget im Himmel und vor dir und bin hinfort nicht Werth, daß ich dein Sohn heiße. Und alles, was in selbstbereiteter Sorge, in Leid und Gewissensbissen Eure Herzen jetzt bewegt, drängt sich schmerzlich in das Wort: „Gedenke nicht, o Gott, der Sünden unserer Jugend und nuferer Uebertrctungen, sondern gedenke unser nach deiner Barmher¬ zigkeit und Güte." Ja, und er ist barmherzig und gnädig, und verfährt nicht mit uns, wie wir es verdient haben, sondern er will, daß allen Sündern geholfen werde, und alle zur Erkenntnis; der Wahrheit kommen. Darum hat er Jesus Christus in die Welt gesen- 10 det und uns zum Versöhner und Heiland gegeben. Der will uns die Last abnehmen und hat dazu sein Leben am Kreuze für uns gelassen, auf daß wir in ihm hätten Vergebung der Sünden, und vor Gott wieder wohlgefällig und gerecht würden. Auch für Euch hat er das gethan, für einen Je¬ den unter Euch ist Christus gestorben. Wendet Eure Gedanken jetzt auf ihn. Dazu hat er ja die frohe Botschaft von der Vergebung der Sünden in die Welt gebracht, daß wir in Buße und Glauben bei ihm der Sünden und Uebertretungen unseres vergangenen Lebens ledig werden können und die Versöhnung haben durch sein Blut. Und das ist heute meine Aufgabe an Euch, in seinem Namen Euch diese frohe Botschaft noch einnial recht lebendig ins Herz zu rufen und Euch zu mahnen zu Buße und Glauben, ehe Ihr hingeht, wo Ihr durch Jahre nicht mehr die Stimme eines Predigers des Evangeliums hört, welche Euch ernst und freundlich an Eure Verirrungen und Uebertretungen erinnern, und zugleich den Frieden mit Gott und mit Eurem eigenen Gewissen verkündigen könnte. So lade ich Euch denn ein, ich bitte und beschwöre Euch, nicht um meinet¬ willen, sondern um Eures eigenen jetzigen und künftigen Wohles, um Eures zeitlichen und ewigen Heiles, um Eurer Seelen Seligkeit willen: lasset Euch versöhnen mit Gott! Jetzt, scheidend von II der alten irdischen Heimat und Euren Lieben da¬ selbst, von der alten Welt und von Eurem alten Leben, wendet Euch bittend zn dem Allbarmher- zigen, daß er Euch alle Sünden vergebe, die hinter Euch liegen; damit Ihr, in Euren Ge¬ wissen gereiniget und gestärkt, in der neuen Hei¬ mat wahrhaftig ein neues Leben beginnt in Glaube, Treue und Gottesfurcht. Werdet Ihr jetzt mit solchen Gesinnungen der Reue und Buße und mit solchen heilig-ernsten Vorsätzen zum himmli¬ schen Vater rufen, so wird er Euch erhören und Euch nicht verlassen, wohin Ihr auch gehet, wenn nur Ihr hinfort treu an ihm haltet. Ihr, meine Glaubensgenossen im kaiserlich mexikanischen Freiwilligencorps, wollet gehen in einen ander» Erdtheil das neue Reich eines deut¬ schen Fnrstensohnes begründen und erhalten zu helfen, für dasselbe zu kämpfen, und, wenn es Gottes Wille ist, zu sterben, — wohl! gehet, -— aber zuvor machet Friede mit Gott! Amen. (Hierauf die Vorbereitung zum Abendmahl- nach der Agende.) 2, Predigt über Jcsnia 41, 10. „Fürchte Dich nicht, ich bin mit Dir; weiche nicht, denn ich bin Dein Gott. Ich stärke Dich, ich helfe Dir auch, ich erhalle Dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit." Äie Gnade unseres Herrn Jesu Christi, und die Liebe Gottes des Vaters, und die trost¬ reiche Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen. Bei unserer gestrigen Andacht sprach ich zu Euch, meine Glaubensgenossen in der kaiserlich mexikanischen Armee, über ein Wort der heiligen Schrift, welches sich bei der letzten gemeinsamen Feier in unserer evangelischen Kirche wie ein Ab- schicdswort von Euch an Eure Heimat, Eure Lieben, Eure Kirche aus der Tiefe Eurer Herzen cmporrang. Aber wo ein Abschied ist, da werden 13 gewöhnlich von zwei Seiten Worte gesprochen, nnd so mag die Bibelstelle, an der wir uns heute erbauen wollen, Euch gewissermaßen als eine Ant¬ wort auf Eure Bitte erscheinen, aber als eine Antwort nicht von Menschen, sondern aus der Höhe des Himmels, von dem Herrn der Heer- schaaren: „Fürcht Dich nicht! ich bi» mit Dir". Ich redete schon gestern von der Furcht, aber von der Furcht des Gewissens vor dem heiligen Gott. Bei Euch, deren Viele schon dem Tode furchtlos ins Ange gesehen, die Ihr Euch vor nichts in der Welt fürchtet, kann auch heute von dem nicht die Rede sein, was die Menschen ge¬ wöhnlich Furcht nennen. Jedoch mir zwei Arten von Menschen haben gar keine Furcht. Selbst das Thier fürchtet den Tod, aber diejenigen Men¬ schen fürchten ihn nicht, welche in Rohheit und Laster, in Glaubenslosigkeit nnd Herzensverhärrung noch unter das Thier hinabgesnnken sind, noch diejenigen, welche durch den Glauben uud das Bewußtsein ihrer Versöhnung mit Gott darüber erhaben sind. Nur die letzteren kommen uns heute in Betracht. Welcher Mensch im Elend der Sünde sich zu dem einzigen und rechten Helfer vertrauens¬ voll gewendet hat und aus den Irrwegen nnd Uebertretungen seines Lebens reuig umgekehrt ist, 14 ganz der barmherzigen Liebe und Gnade des himmlischen Vaters in Christo Jesu sich anheim¬ gebend, kurz den wahren, srommen und gläubigen Christen erfüllt furchtlose Hoffnung und er blickt getrost auf den Tod, als auf den Eingang in sein wahres und ewiges Leben. Aber es handelt sich nicht bloß um die Furcht vor dem Tode, es gibt auf Erden außerdem noch so vieles und mannigfaches Leiden, so viele Angst, Sorge und Noth im Leben, von denen auch der Christ nicht frei ist, und welche geeignet sind, auch dem menschlich- schwachen Herzen des Christen bange zu machen. Ihr könnet Euch nicht ver¬ bergen, daß Ihr einem Leben entgegengeht, wel¬ ches trotz aller Hoffnungen, die Ihr Euch jetzt vielleicht davon macht, Euch gewiß nicht weniger Mühseligkeiten und Widerwärtigkeiten bringen wird, als dieß bisher in Eueren Verhältnissen der Fall war. Wenn aber zu diesen Leiden gar noch das Bewußtsein der eigenen Verschuldung hinzutritt, wenn das Gewissen über die Erneuerung der Sünde die Seele peinigt, wenn dann der Gedanke an die Strafe und das Gericht lebendig wird, — und es gibt wahrhaftig ein göttliches Gericht, ob auch der ungläubige Spötter es läugne, in wel¬ chem wir alle offenbar werden müssen vor dem Richterstuhle unseres Herrn und empfangen werden, je nachdem wir gehandelt haben, — dann mag 15 es schon Einem, der auch sonst die gemeine Furcht nicht kennt, bisweilen recht angst und bange werden ums Herz. In allen solchen äußern und inner» Nöthen nud vor ihnen fürchtet sich nur Derjenige nicht, welcher einen Schirm und Schild, einen Helfer und Heiland kennt und hat, der wahre Christ, der auch dann, wenn er wieder aus Schwachheit in Sünde gefallen sein sollte, weiß und vertraut, daß für Alle in Christo Erlösung zu finden ist von aller Noch, von der Sünde und ihren Folgen, von der Furcht vor Gott und seinen Strafen. Zu Christus wendet er sich wie¬ der in bußfertigem und gläubigem Gebet, da schwindet alle Angst, — was thut die Noch, was will der Tod? wenn der Herr mit ihm ist, wer will wider ihn sein? und des Herrn Wort ruft ihm zu: „Ich bin mit Dir, fürchte Dich nicht!" Dann weiter kommen noch andere Stunden im Menschenleben, dunkle, nächtige Leidensstnm den, in welchen das Gefühl des Alleinseins nnv der Verlassenheit wie eine unerträglich schwere Last des Menschen Seele niederdrückt. Wenn nun im fremden Lande, unter andern Bäumen, unter fremden Menschen mit fremder Sprache, unter Anhängern einer andern Kirche, Eure Ge¬ danken sich bisweilen, wie in Heimweh, hinüber wenden werden zu den in der alten Heimat zurückgelassenen Lieben, zum Vaterhause, zur 16 Mutterkirche, zu den Spielplätzen der Kindheit, und Ihr Euch so recht trostlos einsam und allein suhlt, dann erklinge Euch in solchen bangen Stunden das heutige Textwort tröstend und stärkend in die Seele: „Fürchte Dich nicht, ich bin mit Dir!" Er, der Allgegenwärtige, der überall und den Seinen überall nahe ist, so weit der Himmel und die Wolken gehen, er derselbe alte Gott, zu dem Du in der alten Heimath schon als Kind gebetet hast, er der himmlische Vater, der Deiner nicht vergessen, ob auch Du schon manchmal seiner vergessen hättest, er ist mit Dir! Darum so fürchtet sich der Christ nicht, weil er weiß, daß er nirgend allein, daß überall der Herr mit ihm ist, dessen Liebe und Hilfe weiter gehen, als die¬ jenigen der Menschen, auch wenn sie uns noch so sehr lieben. Aber auch nur so lange fürchtet der Christ sich nicht, als der Herr wirklich mit ihm ist; der aber ist so lange mit Euch, als Ihr bei ihni bleibet, der verläßt Euch nicht, so lange Ihr ihn nicht verlasset. Darum: „Weiche nicht! ich bin Dein Gott." Wer sich nicht fürchtet, der weicht nicht. Also weichet nicht vom Glauben, vom evangelischen Glauben, wenn auch Ungläubige unter Eueru Kameraden und anderwärts ihn und Euch ver¬ spotten, wenn auch mancherlei Versuchungen Euch 17 zum Abfall verlocken, wenn auch Weltlust und Hoffnung irdischer Vortheile unter einem anders¬ gläubigen Volk im fremden Lande Euch die Ber- läugnung Eures evangelischen Glaubens in trü¬ gerischer Vorspiegelung als klug und unwichtig darstellen. Weichet nicht! haltet fest am Glau¬ ben und an der Treue, die Ihr einst an heiliger Stelle gelobt habt, da Ähr den Bürgereid des Gottesreiches schwüret; seid treu nud wanket künftighin nicht, wie etwa jetzt hie und da Man¬ cher unter Euch wankend wurde; seid Ihr auch nur ein kleines Häuflein, aber treu und fest, so wird der Herr mitten unter Euch sein. Weichet nicht vom Gehorsam gegen Gott, haltet des Herrn und seines Reiches Gebote, in der neuen Welt noch besser als bisher in der alten, denn der Knecht, der des Herrn Willen weiß und nicht darnach thut, wird zweifache Strafe leiden müssen. Weichet nicht von der Tugend, widersteht den Versuchungen der Welt und des bösen Beispiels, folget nicht den Lüsten Eurer Augen und Eures Fleisches; Euer gottesfürchtiges und tugendhaftes Leben sei fortan das laute Bekenntnis; und das beste Zeugniß Eures evangelischen Christcnthums, daß die Leute Eure guten Werke sehen und dar¬ über Gott preisen, daß sie auch daraus erkennen die Herrlichkeit unsers Glaubens und die Kraft des Evangeliums, welches Euch belebt und heiligt, 2 18 und alle beseligt, die daran glauben. „Weichet nicht!" Denn er ist Euer Gott; er, der Herr, der Allmächtige, welcher jedes einzelne Menschenleben so gut in seiner Hand hält und regiert, wie die großen Sonnenwelten, er, der die Stärke selber und dessen Kraft in den Schwachen mächtig ist, er, der Euch bis hieher gnädig erhalten, Euch so viel Gutes gethan, und Euch mit so viel väter¬ licher Liebe und Geduld getragen hat, er, von dem alle Hilfe an allen Enden der Erde kommt, er ist Euer Gott! Er will und wird, wenn Ihr von ihm nicht weichet, in allen Lagen Eures Le¬ bens, in Noth nnd Tod Euch trösten, stärken, helfen. — „Weichet nicht!" Thut's ja nicht, denn er, der Euer Gott ist, ist auch Euer heiliger und gerechter Richter, vor dem wir alle erscheinen müssen. Was würde denn aus Euch werden, wenn Ihr ihn hienieden verlassen hättet und ge¬ wichen wäret von Glauben und Treue, von Gehorsam und Tugend? Stehet vielmehr fest und kämpfet den guten Kampf des Glaubens. Wenn jedoch Stunden der Schwachheit kommen, dann möge das Wort: „weiche nicht, ich bin Dein Gott!" einen Jeden unter Euch mahnen nnd stärken, damit er einst des Sieges Preis erlangen möge. Aber die Antwort von oben auf Euer Ab¬ schiedswort ist nicht allein ernst, sondern zugleich 19 auch so freundlich und herrlich, wie kein Men- scheuwort: „Ich stärke Dich, ich Helse Dir auch, ich erhalte Dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit!" In einigen Wochen, ans der weiten See¬ fahrt, in dem neuen Lande mit seinen Reizen werdet Ihr vielleicht dieses schöne Wort- bald wie¬ der vergessen haben, aber ich glaube, in so man¬ chen Stunden Eures Leben, dann wenn's Noth ist, werdet Ihr es in Eurem Geiste Euch wieder znrufen hören. Dann denket herüber an diese kleine Kirche und Gemeinde, an den Boten des Evangeliums, dcr's Euch verkündigt, an die Rührung dieser Weihestunde, da es Euch ergriffen hat. Dann betet, wie Ihr heute betet, und das freundlich-ernste Wort des Herrn wird sich an Euch wieder lebendig erzeigen, Euch stärken, trö¬ sten, beseligen. Dann wendet Eure Herzen in der neuen Heimat wieder wie jetzt zu demselben Gott, und der alte Gott wird Euch auch dort wieder nahe sein, wie er jetzt Euch nahe ist. Wohl denn, meine Glaubensgenossen, in allen Leiden und Nöthen, im Leben und im Sterben klinge des Herrn Wort Euch zu: „Fürchte Dich nicht, weiche nicht, ich helfe Dir!" Wer weiß, wie nahe Jedem von uns die letzte Stunde, wer 2* 20 weiß, wie Vielen von Euch es beschieden ist, die alte Heimat wieder zu sehen. Habt Ihr doch einen evangelischen Kameraden schon hier zur letzten Ruhe gebracht, ehe er den Weg zu seiner neuen Bestimmung angetreten hatte. Wer von Euch nun nach Gottes Willen im fernen Lande sein Leben enden soll, dem erklinge auf seinem letzten Lager, wo keine Hand der Liebe ihn pflegt, keine Stimme des Seelsorgers ihn tröstet, dem erklinge in seine einsame Sterbestunde stärkend und segnend das Wort von oben her: „Ich bin mit Dir, ich bin Dein Gott, ich erhalte Dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit!" Dann sei Ench nahe Gott Vater, Sohn und heiliger Geist, mit seiner Gnade und seinem Segen, die er Euch jetzt noch im heiligen Abendmahle versiegeln will. Amen. (Hieraus die Kommunion; nach derselbe»:) Ihr scheidet. Die Kirche mit ihrem Dienste kann Euch nicht folgen. Nur Eins noch ist mir möglich für Euch, zu thun. Eine Dame aus un¬ serer Gemeinde, welche in guten und bösen Tagen das Wort Gottes als ihr höchstes Kleinod erkannt und festgehalten hat, hat mich in den Stand gesetzt, alle evangelischen Offiziere und Soldaten des kaiserlich mexikanischen Freiwilligencorps mit Bi¬ beln zu betheilen. So übergebe ich diese denn jetzt Ihnen, Herr Major und meine Herren 21 Offiziere, für Sic und die Mannschaft. Nehmet also, meine Glaubensgenossen, beim Abschiede von unserer theuern evangelischen Kirche den sckwn- sten Schatz derselben mit; seien diese Bibeln Euch ein Unterpfand der Liebe Gottes, ein Zeichen der Liebe Eurer Brüder, ein Band geistiger Gemein¬ schaft zwischen Euch und uns, das der Herr seg¬ nen wolle! (Herr Major Klei», als dienstältester Offizier evang. Conf., trat hierauf vor, ergriff eine der da¬ liegenden Bibeln, dankte für dieses Geschenk, und ermahnte die Mannschaft, da sie hinfort keinen Seel¬ sorger haben werde, sich umsomehr an das Wort Gottes und an das Gewissen zu halten. Darauf folgte die Ertheilung des Segens:) So spreche ich denn noch mit tiefbewegtem Herzen als verordneter Diener der evangelischen Kirche den kirchlichen Segen über Euch. Manche von Euch empfangen ihn vielleicht zum letzten Male in einer solchen Versammlung kirchlicher Gemeinschaft. Sei Euch die Erinnerung daran gesegnet, wie wir Euer gedenken werden in nnserm Gebet. Dieser Segen begleite Euch hinüber in die ferne neue Heimat, in die Weihestunden und Leidenstage Eures fernen Lebens. Und wenn cs Gottes Wille ist, daß Ihr dort Eures Erden¬ lebens Ende findet, — die Erde ist überall des 22 Herrn — daun töne es noch wider in Eure lebte Lebcnsstnnde, in Euer fernes Grab: Der Herr segne Euch und behüte Euch! Der Herr lasse sein Antlitz leuchten über Euch, und sei Euch gnädig! Der Herr erhebe sein Angesicht auf Euch, und gebe Euch seinen Frieden! Amen.