- Die Schreckenstcrge ;>oa Laibach. 'Mj Bon A.«. - GMMcrt von riiicm ^nycureugtu. Mit Jllirstrationcu »ach Photographien aus dem Atelier Helfer. Laibach, 18S5. Max Fischer's Buchhandlung, Congressplatz (Tonhalle). -I Ä iti lir Fischer, Lllchhaildlaiig ConzrGlatz s Laibach * Tonhalle hält großes Lager von Büchern in allen Wissenschaften nnd besorgt nicht Vorräthiges in kürzester Zeit schnell und billig. Durch mein Antiquariat bin ich in der Lage, oft ganz neu erschienene Bucher antiquarisch zu bedeutend herab¬ gesetzten Preisen zu liefern. Es empfiehlt sich daher bei beabsichtigter Anschaffung eines Werkes erst stets bei mir anzufragen, ob dasselbe nicht etwa auch antiquarisch zu haben ist. Uateiyahlungen werden bereitwilligst gestattet. Abonnements auf sainmttiche Zeitschriften des Zn- nnd Auslandes. Maycr'jchcs Haus (Pctersstrcißc.) Die Zchreckenstcrge Mill Qliblich. Von 2. ti. Kescbitbevt von eiirern Angenzengen. Mit Illustrationen nach Photographien aus dein Atelier Helfer. Laibach, Max Fischer's Buchhandlung, Kongressplatz (Tonhalle). a;)ooL^o Die Schreckemkge mn Mach. Schilderungen eines Augenzeugen. I. R. Die Stadt. Lcribcrch, die Hauptstadt der Provinz Kram, hat nach der letzten Volkszählung 30.000 Einwohner in circa 1400 Häusern. Die meisten Gebäude sind alt und stammen meistens ans dem Ende des vorigen Jahrhunderts, so be¬ sonders die Umgebung der deutschen Ordenskirche, Hauptplatz und Alter Markt. Die Stadt ist um den Schloßberg, welcher eine Höhe von 364 in über dem Meere und eine Erhebung von circa 60 m über der Laibacher Ebene besitzt, malerisch gelagert und wird vom Laibachflusse, welcher im Bogen in einiger Entfernung die Hänge des Schloßberges begleitet, durchflossen. Nordwestlich von der Stadt liegt der Schischka- berg 427 m über dem Meere, südöstlich der voIZü Urib sOoIovso 438 inj. Nördlich und nordöstlich breitet sich das Laibacher Feld aus, im Süden und Südwesten liegt das circa vier Quadratmeilen große Laibacher Moor. Der Boden, auf welchem die Stadt steht, ist zweierlei Art; auf dem rechten Ufer des Flusfes besteht er, wie der Schloßberg, Oolovso und Schischkaberg, aus Thonschiefer, auf dem linken Ufer 1 2 aus Schotter Alluvium), welcher, durch's Wasser von den Oberkrämer Bergen hernntergebracht, das ehemalige See¬ becken ausgefüllt hat, und heute das ausgedehnte Laibacher Feld bildet. Die Stadt ist gerade im letzten Decennium in der größten Entwicklung gewesen. Zahlreiche öffentliche und gemein¬ nützige Bauten wurden vollendet, z. B. das Schlachthaus, Kinderspital, Museum, das Gebäude der krainischen Spar- casse, die Herz-Jesukirche, die Wasserleitung, die Jnfanterie- kaserne, Landwehrkaserne, das Theater; andere sind im Bau begriffen, z. B. das Landesspital; wieder andere sollten in nächster Zeit in Bau genommen werden, z. B. das Post¬ gebäude, Regiernngspalast, Augmentationsmagazin, unge¬ rechnet die vielen Privatbauten, welche bestimmt waren, der großen Wohnungsnot!) abzuhelfen. In alle Verhältnisse ist durch die Katastrophe eine große Verwirrung eiugetreten und heute ist es noch vollkommen unmöglich, die künftige Lösung vorherzusagen. Tas Beben. Das Erdbeben von Laibach gehört nach den Erklärungen der Gelehrten zu den sogenannten tectonischen oder Dislocations¬ beben. Man nimmt an, dass das Innere der Erde, der Kern, sich noch im flüssigen Zustande befindet und sich durch Ans- strahlen von Wärme in den unendlichen Weltenraum immer mehr abkühlt und infolge dessen zusammenzieht, kleiner wird. Die Oberfläche der Erde bildet die bereits abgekühlte Schale, deren Dicke absolut unbekannt ist. Sie besteht aus verschie¬ denen Gesteinsarten, welche in mächtigen Schichten überfi einander gelagert sind. Diese Schichtungen liegen aber selten parallel mit der Oberfläche, sondern sind meistens schief gegen 3 dieselbe gelagert, bilden auch große Bögen, so dass sie in Entfernungen von vielen Meilen wieder an der Oberfläche erscheinen. Auch sind nicht alle Gesteine von gleicher Härte, manche sind ziemlich weich, wie der Kalkstein, andere wieder hart, wie Granit, Porphyr re. Dadurch, dass sich der innere Kern der Erde zusammenzieht, wird der Raum in der Erd¬ kugel nicht ganz ausgefüllt, es entstehen leere Räume, und die ungeheuer schweren Schichten, die durch ihr Gewicht alle nach dem Mittelpunkte der Erdkugel drängen, kommen in Bewegung, verschieben sich und dadurch entstehen die so¬ genannten tectonischen oder Dislocations-jVerschiebungs-jErd- beben. Nehmen wir die Größe der Erdkugel in Betracht, so sind diese Verschiebungen unendlich klein und für die Form und Schicksale der Erdkugel als Weltkörper für unsere Zeit¬ rechnung belanglos. Wie die Natur über ungeheuere Zeit¬ räume, über die Unendlichkeit verfügt und über ungeheuere Kräfte, die sich unserer Schätzung entziehen, ebenso arbeitet sie langsam, für unser menschliches Empfinden und Fühlen gewöhnlich unsichtbar; jedesmal aber, wenn sie sichtbar ar¬ beitet, was glücklicherweise selten der Fall ist, daun sind es Katastrophen, welche die Menschheit schlagen, und denen sie vollkommen hilflos gegenüber steht. Einen Bergsturz, eine Springslnth, Ueberschwemmuugen, vulkanische Ausbrüche und Erdbeben kann die ganze Menschheit nicht aufhalten, ihnen gegenüber kommt sie zum vollen Bewusstsein ihrer Schwäche nnd Ohnmacht. Es gibt Gebiete auf der Erde, welche seit langen Zeiten mehr voir Erdbeben heimgesucht werden, als andere. Auch Laibach bekommt vergleichsweise viele zu spüren, obwohl die¬ selben meistens so schwach waren, dass sie den meisten Menschen 1* 4 gar nicht zum Bewusstsein kamen. Ueber das älteste Erd¬ beben berichtet Valvasor, es hat im Jahre 792 stattgesunden. Das heftigste war im Jahre 1511, ein ziemlich heftiges im Monate Mai des Jahres 1839. Keines reichte jedoch in seinen verheerenden Wirkungen an das jüngste aus der Osterwoche heran. Tie Katastrophe. Ostersonntag, der 14. April 1895, war ein herrlicher Tag. In wolkenloser Bläue lachte der Himmel auf unser schönes Krain herab, die Vögel sangen, die Menschen freuten sich des wiedererstandenen Frühlings, festlich gekleidet und frohen Sinnes geben sie sich dem Vergnügen hin, es herrschte eine rechte Feiertagsstimmung. Vielfach wurden Ausflüge in die Umgebung der Stadt gemacht, manche sind wohl auch weiterhin ausgeflogen, nach Oberkrain, Abbazzia, Venedig, Cilli, Agram usw. Das waren die vom Schicksal Begünstigten. Die Bevölkerung unserer Stadt feiert übrigens die Feiertage meistens streng kirchlich, macht nach dem Nachmittagsgottes¬ dienst einen Spaziergang, geht dann eventuell ein wenig ins Gasthaus und dann streng solid nach Hause. So wird auch am Ostersonntag abends der größte Theil der Bevölkerung in seinen Wohnungen gewesen sein. An einem Normatage gibt es kein Theater, keine größeren Concerte, höchstens private Familienzirkel, auf einige Personen beschränkt. Still und ruhig lag die Stadt da, unzählige Sterne leuchteten am wolkenlosen Himmel, majestätisch kam der Mond hinter den Bergen hervor und beleuchtete mit seinem Silber¬ licht die reizende Gegend. In den Straßen alles ruhig, in den Fenstern fast nirgends mehr Licht, die meisten Bewohner sind schon zur Ruhe gegangen. Da plötzlich, um 11 Uhr 17 Minuten, 5 ertönt, ohne daß ein Anzeichen vorhergegangen wäre, aus der Richtung von Brunndorf, südlich von Laibach, ein unter¬ irdisches Donnern; mit unglaublicher Schnelligkeit naht es gegen die Stadt her, immer unheimlicher werdend, auf einmal spürt man es unter den Füßen, ein furchtbarer Stoß — die Haare sträuben sich, jeder Blutstropfen weicht aus dem Gesicht — dann ein entsetzliches Krachen im Gemäuer und auf den Dächern, hageldicht prasseln die Ziegelsteine auf die Straßen und Gassen, ganze Kamine zerschellen auf dem Pflaster, die Dachgerüste ächzen und stöhnen, und dabei bebt es weiter, ohne Unterlaß, Stoß kommt auf Stoß — es ist zum wahn¬ sinnig werden. Fenster und Hausthore werden aufgerissen, entsetzliches Jammergeschrei und Hilferufe auf allen Seiten. Die Leute stürzen mangelhaft oder gar nicht bekleidet auf die Straßen, einer ist nur im Hemd und Hose und hat in der Eile einen Teppich anfgerafft, hier stürmt eine Mutter wie wahnsinnig auf die Straße, ihr nacktes, geliebtes Kind in einen Polster eingewickelt, dort kommt bebend ein alter Mann dahergehumpelt, nur mit Hemd und Schlafrock bekleidet. Es geht zu, wie vor dem jüngsten Gericht. Mit fahlen Gesichtern, an allen Gliedern zitternd, eilen die Leute auf die freien Plätze, in die Gärten und hinaus aus der Stadt. Die Stern¬ allee, der Deutsche und Jakobsplatz, Kaiser Josefsplatz, Marienplatz, der deutsche Grund füllen sich mit Flüchtenden, die Leute werfen sich massenweise auf die Knie, laute Gebete erschallen um Abwendung des entsetzlichen Unglücks. „Bon der Geißel des Erdbebens, errette uns, o Herr!" Alles umsonst, Stoß kommt auf Stoß; kaum ist die Pause von einigen Minuten eiugetreten, schon machen sich die Muthigen daran, die Kranken und Sterbenden aus den Häusern zu holen, wo 6 sie im ersten fürchterlichen Schreck zurückgelassen wurden, da erdröhnt es neuerdings unter der Erde, wieder erzittern die Gebäude, und entmuthigt stieben die Tapfersten auseinander. Dem ersten Stoß folgte schon um 11 Uhr 20 Minuten der zweite, um 11 Uhr 45 Minuten der dritte und so fort, man zählte bis V4 8 Uhr Früh noch 31 Stöße. Diese waren alle glücklicherweise bedeutend schwächer und richteten keinen weiteren Schaden an. Nur der Stoß um 4 Uhr 15 Minuten früh war sehr stark, erschreckte die Menge in bedeutendem Grade und brachte noch einige Rauchfänge zu Falle. Bald nach den ersten Stößen ermannten sich die Leute, die Kranken wurden aus ihrer entsetzlichen Lage befreit und in Sicherheit gebracht. Herzzerreißend sollen die Scenen im Landesspitale gewesen sein. Die Leichtkranken und Reconvalescenten liefen vielfach davon und retteten sich auf eigene Faust, wie sie konnten, die Schwerkranken jammerten und stöhnten, riefen um Hilfe und beteten laut. Ueber alles Lob erhaben war das Verhalten der barmherzigen Schwestern; während alles auf die eigene Rettung bedacht, flüchtete, die Mauern krachten und mit dem Einstürze drohten, trugen sie mit todesverachtendem Muth und Pflichtgefühl die Kranken aus den Sälen in den Garten und ließen nicht nach, bis alle geborgen waren. In der Männerstrafanstalt auf dem Schloßberge und im Jnquisitionshause ereigneten sich grausige Scenen. Gleich beim ersten heftigen Stoß fingen die Sträflinge an sich wie rasend zu geberden. Sie rüttelten an den Fenstergittern, pol¬ terten an den Thüren, brüllten um Hilfe und fluchten ent¬ setzlich. Nachdem die Wache angetreten war, ließ man sie in die Höfe, wo sie sich für diese Nacht lagerten. 7 Um ein besseres Bild dieser entsetzlichen Nacht zu bieten, geben wir im Folgenden die Erlebnisse Einzelner nach ihren eigenen Schilderungen: Eine Mutter erzählt: »Wir schliefen schon alle seit beiläufig 10 Uhr, das Jüngste an meiner Seite, die beiden Größeren mit dem Vater im dritten Zimmer. Plötzlich werden wir durch ein furchtbares Zitteru des gauzen Hauses auf¬ geschreckt, die Fenster klirren, die Möbel klappern, alles Glas- und Porzellangeschirr auf den Kästen und Tischen tanzt und fällt durcheinander. Die Hängelampe fällt krachend zu Boden, die Kinder jammern; schnell zünde ich mit bebenden Händen die Kerze an, raffe an Kleidern zusammen, was bei der Hand war, und flüchte halb bekleidet unter die Thüre. Im selben Moment kommt mein Mann urit den beiden größeren Kindern herein gestürzt, wir kleiden uns eilig an und, noch dem Dienst¬ mädchen znrufend, sie solle absperren, laufen wir über die Treppe hinab. Gerade da kommt der zweite Stoß, alles wankt unter unseren Füßen, die freie Steintreppe droht einzustürzen, aber glücklich gelangen wir ins Freie. ,Lieber den Tod, als noch einmal so entsetzliche Minuten"«, beendet die Mutter ihre Erzählung. Ein junger Mann erzählt: »Sonntag abends spielte in der Restauration im Hotel Elephant eine Damenkapelle. Wir saßen, mehrere junge Leute, bei einem Tische zusammen, unterhielten uns vorzüglich und sprachen wacker dem edlen Pilsener zu. Die Damenkapelle hatte eben ein sehr interessantes Potpourri beendet, wurde auf das lebhafteste applaudiert und begann eben unter weiter dauerndem Beifallsklatschen einen feurigen Marsch zu spielen — plötzlich erdröhnt das Gemäuer, als hätte im Keller eine Pulverexplosion stattgefunden. Unter 8 unseren Füßen scheinen die Erdstücke durcheinander zu kollern, die Gasflammen flackern unheimlich, die Gläser tanzen und fallen durcheinander, ein vielfacher markerschütternder Schrei ertönt aus der Menge und dann entsteht das Chaos. Die Musikantinen werfen ihre Instrumente weg und stürzen schreiend unter das Publikum, dieses rennt durcheinander, Stühle werden umgestürzt, Tische verrückt, Glasthüreu ein¬ geschlagen, alles rennt und flüchtet. Ich springe beim ersten Stoß unter eine Gewölbgurte, lehne mich an den Pfeiler und lasse den Tumult vorübergehen. In einer halben Minute war das Local leer; Teller, Gläser, Servietten, Stühle, Speise¬ reste bedeckten den Boden in wüstem Durcheinander, jammernd und leichenblaß lief der Wirt umher und sah sich die Ver¬ wüstung an. Die Küche sah schrecklich aus, die Gewölbedecke an vielen Stellen geborsten, alle Geschirr-Regale umgeworfen, Porzellan und Tischzeug in Haufen auf dem Boden, alles zerschlagen, alles vernichtet. Als ich auf die Straße kam, stand ein Haufe von Menschen vor dem Local; es hieß, in der Elephantengasse sei jemand von fallenden Ziegeln erschlagen worden. Da kam der zweite Stoß und alles stob auseinander, die meisten liefen gegen die Lattermannsallee zu, weil dort am nächsten das Freie zu gewinnen war. Hier entstand die reinste Völker¬ wanderung, es wurde die Parole ausgegeben: ,ins Schweizer¬ haus' und alles strömte dahin. In den drei nur aus Holz und Glas bestehenden Pavillons war am sichersten warmes Obdach zu finden. Hunderte von Personen fanden sich ein, arme und reiche, jung und alt; die Familien lagerten auf mitgebrachtem Bettzeug in den Pavillons auf Tischen, Sesseln, ans dem Boden, wo nur em Platz zu erhalten war, in drang- Tirnauer Kirche. 9 voller Enge, die Männer mussten die Nacht meistentheils im Freien zubringen. Fortwährend sich erneuernde Stöße schreckten die nervös erregte Menge. Der Wirt vertheilte in liberalster Weise Rum und Cognac zur Erwärmung, gab alle verfüg¬ baren Kleider und Bettzeug her, und die ganze Nacht wurde gekocht und gebraten, trotzdem die Wände krachten und der Mauerbewurs von der Decke fiel. Die beherztere Männerwelt bezog die Stube des hölzernen Oberbaues, um sich einiger¬ maßen erwärmen zu können. Es kam sogar eine verhältnis¬ mäßig gemüthliche Stimmung aus; die einzelnen leichten Stöße genirten sogar sehr wenig, als aber um 4 Uhr 15 Minuten ein sehr heftiger Stoß kam, war die Stimmung dahin und alle stürzten in möglichster Eile über die Treppe ins Freie. Es gab viele alte Leute, die sich absolut weigerten, die Wohnungen zu verlassen, trotzdem ihnen der Bewurf der Decke auf's Bett fiel und sie oft in großer Gefahr schwebten. Sie wurden meistens durch Bitten ihrer Angehörigen bewogen oder auch mit Gewalt gezwungen, die wankenden Häuser zu verlassen. Nothwohnungen. Interessant ist es zu beobachten, wie schnell in so schweren Momenten die Lente ans praktische Ideen kommen. So war es hier z. B. in Rücksicht auf die Unterkunft. Biele Gartenhäuser, Scheunen, Schupfen, Remisen und ähnliche Bauten aus Holz wurden schon in der ersten Nacht bezogen; an der Tirnauerlände und am deutschen Grund wurden große Mengen von leeren Sauerkrautbottichen aus den Magazinen herausgerollt, in Reihen aufgestellt, mit Bettzeug versehen und als Lagerstätten und Schutz gegen Wind und Wetter benützt. 10 Auf die Bahnhöfe kamen große Massen von Menschen, um in den Waggons zu übernachten, welche ihnen auch von den Verwaltungen der Süd- und Staats-Bahn in zuvor¬ kommendster Weise zur Verfügung gestellt wurden. Der An¬ drang war ein so großer, dass die Leute sämmtliche Sitz¬ plätze occupierten und infolgedessen mehrere Nächte in sitzen¬ der Stellung zubringen mussten. Andere etablierten sich in den Fracht- und Viehwägen, ließen das Bettzeug aus den Häusern holen und hatten sohin eine ziemlich behagliche Ruhestätte. In langen Reihen stand Waggon an Waggon, jeder mit einem Täfelchen mit Nummer und dem Namen der Insassen versehen, so dass man jeden leicht finden konnte. Es war dies aus dem Grunde sehr nothwendig, weil Tau¬ sende von Telegrammen und Briefen zuzustellen waren, welche von geängstigten Angehörigen von Auswärts eingeschickt wurden. Es standen auf dem Südbahuhofe allein gegen 250 Wagen als Wohnstätten in Verwendung. In den ersten Tagen sollen bis zu 4000 Personen auf den Bahnhöfen Unterkunft gefunden haben. Das Militärärar stellte alle entbehrlichen Zelte zur Verfügung. In Laibach lagert das Zeltmaterial für eine Truppendivision; davon mussten in erster Linie eine Batterie¬ division, die wegen der einsturzdrohenden Kaserne delogiert wurde, bedacht werden, dann die delogierten Kranken des Militär- und Civilspitals. Die übrig bleibenden Zelte wurden in der Sternallee j20j, neben der Dampfmühle <5), vor der ehemaligen Zuckerfabrik s4), im Hofe des Verpflegsamtes <8), auf dem deutschen Grunde (2), auf dem deutschen Platze jlj, auf der Wiese neben dem Koliseum <5> aufgestellt und der freien Benützung des Publicums übergeben. Solange das 1l Wetter schön war, war der Aufenthalt in den Zelten ein sehr behaglicher, mit dem Eintritte der schlechten Witterung musste jedoch auf ein festeres Obdach Bedacht genommen werden. Vielfach haben die Leute selbst Zelte improvisiert; aus Leintüchern, Wagendecken, spanischen Wänden, Kisten, Verkaufs¬ ständern sah man abenteuerliche Gebilde entstehen, die sich sehr interessant ansahen, wenn sie nicht unter so traurigen Um¬ ständen entstanden wären. Ueberhaupt glich die Stadt in den ersten Tagen nach der Katastrophe einer belagerten Festung, die ein Bombardement durchgemacht hat. Tie Opfer. In diesem entsetzlichen Unglück hat die Stadt Laibach noch viel Glück gehabt, wenn man diese so ironisch klingende Bemerkung machen darf. Ein Glück war es, dass die Straßen menschenleer waren, ein Glück, dass das Beben nicht während einer Theatervorstellung eingetreten ist, denn dann hätten wir viele Hunderte von Todten zu beweinen. In den Straßen wäre eine Rettung vor den herabsausenden Dachziegeln und Schornsteinen rein unmöglich gewesen, denn ihre ganze Fläche war mit Trümmern bedeckt, es wäre nur wenigen Passanten gelungen, sich mit einem Sprung in irgend ein Hausthor zu retten. Der erste Hauptstoß dauerte nur sechs bis sieben Secunden und im selben Moment waren auch schon Trümmer auf der Straße. Tragisch ist das Schicksal des Musikfeldwebels Reinholz vom Infanterie-Regiment König der Belgier Nr. 27 zu nennen. Er saß im Gasthause Perles in der Elephantengasse; als der Stoß kam, flüchtete er eiligst und kam gerade unter die fallenden 12 Trümmer eines Rauchfanges. Es hat ihn also zu eilige Flucht ins Unglück gestürzt. Er liegt heute noch mit zertrümmerter Hirnschale hoffnungslos darnieder. Schriftsetzer Pasche! Johann aus Schlesien, ein junger Mann von 27 Jahren, war gerade am Bortage aus Wien gekommen, um in die Buchdruckerei des Herrn O. Bamberg einzutreten. Er saß in einem Gasthause in der schmalen Judengasse, stürzte beim ersten Stoß hinaus und wurde von Ziegeln schwer verwundet. Er starb tagsdarauf im Civil- spitale. Wirt und Wirtin Lustersiö in Oberschischka wurden von der einstürzenden Zimmerdecke erdrückt, hinterließen neun unversorgte Kinder, welche sämmtlich gerettet wurden. Außerdem wurden noch getvdtet: Die achtzehnjährige Magd Francisca Škerjanc am Karolinengrnnde; A. Brecelnik in Oberschischka; schwer verletzt: Nadiö Franz, Volöiö Ma¬ rianna, Bolöiö Johanna, Klesnik Jakob jist auch schon ge¬ storben) und Commis Mayer. Die Frau des Herrn Landes¬ hauptmannes Otto Detela wurde durch herabfallenden Mauer¬ bewurf im Bette förmlich verschüttet, aber glücklicherweise nur leicht verletzt. Weiters sind drei Kinder einer Familie gestorben nnd zwar an den Folgen der Verkühlung, die sie sich in der ersten Nacht beim Campieren unter freiem Himmel auf einer nassen Wiese zugezogen hatten. Wie viele Opfer noch der Schreck, die Verkühlung und schlechte Nahrung fordern werden, das wird man überhaupt nie erfahren, weil sich dies der Controls entzieht. Auch die Rettungsarbeiten haben schon ihre Opfer ge¬ fordert. Am 18. April fiel der 64jährige Arbeiter Andreas Svetek anläßlich der Reparatur eines Daches in der Peters- 13 straße herunter und blieb sofort todt. Am 23. April fiel Pionnier Jmbro Bajs beim Aufstellen einer Baracke auf dem Kaiser Josefs-Platze sammt dem stürzenden Gerüste zu Boden, erlitt einen doppelten Beinbruch und innere Verletzungen, welchen er auch Tags darauf erlag. Ter angerichtete Schaden. I. Die Kirchen. Laibach besitzt große und sehr schöne Kirchen. Der fromme Sinn der Bewohner ließ sie immer mit freigebiger Hand zur Verschönerung und Ausschmückung der Gotteshäuser beitragen. Die hochaufragenden Thürme geben der Stadt einen viel großstädtischeren Anstrich, als sie ihn sonst wirklich hat, und machen das Bild imposant und abwechslungsreich. Leider haben fast alle Gotteshäuser bedeutenden Schaden genommen; die Herstellungskosten werden ganz bedeutende Summen er¬ reichen. Die meisten mußten wegen Einsturzgefahr gesperrt werden, der Gottesdienst wird mit fürstbischöflicher Bewil¬ ligung in Freien abgehalten. In der Sternallee, auf dem Jakobs- und Kaiser Josefs-Platze erheben sich Altäre, an denen täglich unter großem Zudrang der Bevölkerung Gottesdienst gehalten wird. Die Zuflucht zum Allmächtigen ist für viele Tausende der einzige Trost, der ihnen in dieser schweren Zeit der Noch und Gefahr geblieben. Betrachten wir die einzelnen Kirchen genauer: Die Frauciskauerkirche, ein Bau mit im¬ posanter hochaufragcnder Fayade und zwei Thürmen ist in Renaissance- und Barockmotiven gehalten und hat ganz be¬ deutenden Schaden genommen. Viele Frescogemälde sind 14 vernichtet, hinter der Faoade klaffen im Hauptschiff und Tonnengewölbe zwei große Sprünge, weil eine Gurte ge¬ borsten ist. Beim Hochaltar ist einer Marmorfigur die Hand abgefallen, die meisten plastischen Ornamente sind zerstört, eine zinnerne Orgelpfeife ist herabgefallen. Auf den Thürmen waren an Stelle des Kreuzes die Figuren des Engels und Mariä, weil die Kirche der Verkündigung Mariens geweiht ist. Die Figur des Engels ist herabgefallen, z Maria ist in der Mitte fast rechtwinklig umgebogen. Die Zifferblätter der Uhr sammt Umrahmungen sind meist herunter- gestürzt, das Kirchendach vielfach zerstört, die Nische des Hoch¬ altars zeigt viele Sprünge. Das Kloster ist furchtbar zu¬ gerichtet, alle Gewölbe auf den Stiegen gesprungen, die ° Bibliothek und der ganze erste Stock müssen abgetragen i werden. Die Herren ??. wohnen im Garten in einer Holz- baracke. Merkwürdig sind die Verdrehungen der Obelisken ' auf der Hanptfaaade; sie wurden aus ihrer Lage gebracht,; und um die Axe um einen bestimmten Winkel gedreht, ohne j herabzufallen. Die Tirnauerkirche, ein zierlicher zweithürmiger. Bau im romanischen Stil, erst in den Fünfzigerjahren erbaut,! wurde entsetzlich mitgenommen. Dem linken Thurme sind auf einer Seite sämmtliche Fialengiebel abgefallen, so, daß die! blanken Dachbalken in die Luft ragen, die Fasaden der Seiten¬ kapellen haben sich vom Dachstuhl losgetrennt, die Nische st des Hochaltars ist kreuz und quer gesprungen, viele Gesims- theile liegen zerschmettert am Boden. ! Die St. Jakobskirche hat an den Thürmen am meisten gelitten. Der rechte ist knapp ober dem Dache des Haupt-i' schiffes rundherum geborsten und droht mit dem Einstürze. ! 15 Auch die Florianikirche ist im Innern vielfach beschädigt, während die Domkirche, die Herz-Jesu- und S t. P e t e r s k i r che ganz heil geblieben sind. Bei letzterer ist der Glockenstnhl zerrüttet worden, so daß die kleine Glocke herabstürzte, und einen Blitzableiter, dick wie ein Männerarm hat es in der Mitte umgebogen. Man kann daraus entnehmen, mit welch entsetzlicher Gewalt das Erdbeben gewüthet hat. II. Die öffentlichen Gebäude. Das Palais der Landesregierung, das so¬ genannte „Landhaus", ist so beschädigt, daß es kaum noch wird benützt werden können. Das Gemäuer ist gelockert, haufenweise liegen im Hofe die Ziegel. Die Amts-und Kanzlei¬ locale sind ganz durcheinander geworfen, von einigen Decken der ganze Anwurf abgefallen. Die Privatwohnung des Landes- Präsidenten ist in einem fürchterlichen Zustande, das kostbare Mobiliar vernichtet, Nippes und Anderes total zerschlagen. Das Landesmuseum „Rudolfinum" hat einen unersetzlichen Schaden gelitten; einzelne Gänge und das Stiegen¬ haus bieten das Bild unserer Gassen im Kleinen. Mörtel- und Stuckmassen, welche sich von den Decken lösten, bedecken den Boden. Von den Candelabern im Stiegenhause sind die Lampen herabgeworfen, eine der schildhaltenden Figuren am Giebel ober dem Haupteingange hat den Kopf verloren, der vor dem Hause lag. Archiv und Bibliothek, die im Parterre liegen, haben wenig gelitten, dafür ist in der mineralogisch¬ geologischen Sammlung alles durcheinander geworfen. Von den Stellagen wurde alles herabgeschüttelt, die Erze und Gesteine zerschlugen die Glastafeln, fielen zu Boden und liegen dort in Haufen beisammen. Die Ordnung und Nen- 16 bestimmung der Namen und Arten wird unglaublich viel Zeit, Mühe und Geld kosten. Die ganz einzigen Sammlungen aus der Römerzeit und die Pfahlbautenfunde sind zum Theil vernichtet; der schwere Mauerbewurf der Decke, welcher aus einer Höhe von 7 »r auf die Glaskästen fiel, hat die kostbaren Urnen, Glas- und Thonobjecte in Tausende von Stücken zertrümmert, die Niemand mehr znsammenzusetzeu vermag.; Die Fische und Amphibien, früher in Spiritus verwahrt,; liegen mit Skelettrümmern vermengt auf dem vom Spiritus! durchtränkten Boden. So sieht heute dieses liebevoll gepflegte! vaterländische Institut aus. Das Landestheater, ein kaum drei Jahre alter,; ungemein zierlicher Bau, wie es wenige Provinztheater gibt,! hat stark gelitten, die Giebelgruppe ist verschoben und beschädigt, eine Kinderfigur auf dem Dachrande hat den Kopf verloren.; Auf der rechten Seite des Gebäudes, in den Gängen klaffen viele Sprünge. Die ungemein schwere Bersenkungsmaschinerie ist umgeworfen worden. Im Probesaal ist der Plafond ein¬ gestürzt, in den Garderoben der Anwurf abgefallen und hat viele Requisiten zerstört. Auch am Dachboden ist die Verwüstung eine große. Die landschaftliche Burg ist demolirungsreif, die Acteu wurden total durcheinander geworfen. Der Fürsten Hof, ein sehr alter, durch seine Bauart interessanter Palast, in welchem einst die Laibacher Stände tagten und die Aristokratie sich versammelte, verlohnt nach dem Urtheile von Fachleuten kaum die Reparaturskosten. Die Rauchfänge sind eingestürzt, das Dach ganz zerstört, das Gemäuer voller Sprünge. In mehreren Sälen ist die Decke eingefallen und hat die kostbaren alten Malereien vernichtet, 17 nur die unteren gewölbten Räume sind noch theilweise brauchbar. Die Tabakfabrik, eine der größten Oesterreichs, die bei 3000 Arbeiter beschäftigt, hat im Ganzen wenig gelitten; einzelne Stiegenpartien sind eingestürzt und Sprünge im Innern entstanden. Es wurde jedoch sofort an die Be¬ hebung der Schäden gegangen, und den Arbeitern für die arbeitslose Zeit der halbe Lohn ausbezahlt, um größerem Elend abzuhelfen. Heute wird zum großen Theil wieder ge¬ arbeitet. Das Landesspital ist eines jener Gebäude, die am meisten gelitten haben. Die Decken sind eingestürzt, das Ge¬ mäuer ist so zerrissen, daß man aus einem Zimmer ins andere sieht. Man kann sich die Verwirrung und Verzweiflung der armen Kranken denken, als das Erdbeben kam. Diesesmal wurde wirklich „Alles gerettet". Nur zu den Geisteskranken, die ein eigenes Gebäude im Garten bewohnen, traute sich niemand; in den Garten auslassen konnte man sie nicht, weil alle durchgegangen wären und entsetzliches Unheil an¬ gerichtet hätten, besonders weil sie durch das Erdbeben un¬ gewöhnlich aufgeregt wurden und furchtbar schrieen. Und merkwürdig, gerade diesem Gebäude geschah absolut nichts, es blieb vollkommen intakt. Wäre nicht das neue Spital im Bau, so könnten sich in den nächsten Jahren ernste Verlegenheiten ergeben, so wurden aber die Kranken mit Hilfe von Transportwägen des „Rothen Kreuzes" ins Choleraspital hinter dem Südbahnhofe überführt und wegen ungenügenden Raumes zum Theil in Spitalsbaracken desselben Vereines untergebracht, bis sie im Herbst den neuen Ban beziehen können. 2 18 III. Die Privatgebäude. Bon den circa 1400 Häusern Laibachs ist wohl keines ohne jeden Schaden davongekommen. Davon sind gewiß 20 baufällig und müssen abgetragen werden: 50 °/g werden nur durch Umbau und Reconstructionen in bewohnbaren und sicheren Zustand zu bringen sein. Im ersten Moment hat man den Schaden viel zu gering angeschlagen, weil die Defecte äußerlich wenig sichtbar sind. Die meisten Häuser haben innerlich gelitten, die Gewölbe sind gesprungen, die Gewölbgurten gerissen, Zimmerdecken dem Einsturz nahe, die Stiegenhäuser unsicher, eiserne Schließen, besonders ihre Ver¬ ankerungen durch den ungeheueren Druck verbogen wie Blech. Jeder Tag deckt neue Schäden auf, schon jetzt schätzt man den Schaden an den Gebäuden allein auf 4 bis 5 Millionen Gulden und noch sind kaum zwei Drittel der Häuser unter¬ sucht worden. Das Schlußresultat dürfte noch viel ungünstiger ansfallen Man hat mit den Gebäuden ganz eigenartige Erfah¬ rungen gemacht. Alte festungsartige Bauten mit meterdicken Mauern haben furchtbar gelitten, z. B. das Birantsche Hans „zur Sternwarte", der „Sitticherhof", der „Fürstenhof" usw. Die stärksten Gewölbe sind geborsten. Dagegen haben neue leichtgebaute Hauser auf Traversen die Schwingungen viel besser mitgemacht und nur in den höheren Stockwerken mehr gelitten. Ebenso sind Fabrikskamine trotz ihrer Höhe und Schlankheit meist stehen geblieben, obwohl die meisten im oberen Drittel geborsten sind, und manche solche abgebrochene Theile Verschiebungen erlitten haben, z. B. der große Kamin der Badeanstalt im Hotel „Elefant", der Kamin der Appretur- 19 anstatt „Reich". Ja, sogar der große Kamin der Tabak-Haupt- Fabrik ist trotz seiner seit jeher schiefen. Lage intakt stehen geblieben. Nur der Kamin des Ringziegelofens der Baufirma ist aufs Maschinenhaus gestürzt, hat die Maschine zum Erzeugen von Preßziegeln zertrümmert und so die Fabrik außer Action gesetzt. Ebenso ist der große Kamin der Leykam-Josefsthaler Papierfabrik umgefallen und hat das ganze Hauptgebäude zerstört. Man wird wahrscheinlich bei den Neubauten die ge¬ wonnenen Erfahrungen berücksichtigen und nach ganz neuen Principien bauen, ohne Gewölbe und keine hohen Häuser. Schier unlösbare Aufgaben traten an die Behörden heran, hauptsächlich an die Landesregierung und den Gemeinde¬ rath. Es galt eine ganze Anzahl äußerst wichtiger Fragen trotz der herrschenden Verwirrung ruhig, aber mit äußerster Energie einer gedeihlichen Lösung entgegenzuführen. Solche Fragen sind: 1. Die Organisierung der öffentlichen Sicherheit, 2. die Beköstigung der nothleidenden Bevölkerung, Z. Herstellung von Nothwohnungen für die Delogierten, 4. die commiffionelle Untersuchung der Baugebrechen und die Delogierung der Wohnparteien und Sicherung der Gebäude gegen Einsturz, 5. Die Sicherungsarbeiten und Straßenabsperrungen, 6. Sanitäre Maßnahmen zur Verhütung der Entstehung von Krankheiten, 7. Einleitung einer allg. Hilfsaction im großen Style. Im Folgenden soll eine kurze Schilderung gegeben werden, wie den Anforderungen dieser einzelnen Punkte bisher Ge¬ nüge gethan wurde. 2» 20 1. Tie öffentliche Sicherheit. Im ersten Schrecken liefen die Bewohner mit Zurück¬ lassung all ihrer Habe davon. Unzählige Lampen blieben brennend stehen, die Wohnungen und Hausthore wurden offen gelassen, jeder war nur auf Rettung des nackten Lebens be¬ dacht. Welch schöne Gelegenheit für das Gesindel jeder Art Beute zu machen! Und doch geschah in der ersten Nacht kein Einbruch, kein Diebstahl wurde zur Anzeige gebracht. Gleich nach dem ersten Stoß wurde das Militär konsigniert, und Patrouillen in die Gassen der Stadt entsendet, schmale, ge¬ fährliche Gassen und Passagen durch Posten gesperrt. Die freiwillige Feuerwehr wurde «Alarmiert, um für allfällig entstehende Brände bereit zu sein, die ganze ohnehin nicht zahl¬ reiche Sicherheitsmannschaft (30 Mann) in Dienst gestellt. Die Feuersgefahr war eine eminente, die zahlreichen brennend stehen gelassenen Lampen konnten durch neue Erdbebenstöße umgeworfen, zertrümmert werden und zahlreiche Brände ver¬ ursachen. Welch gütige Fügung des unerbittlichen Schicksals! Kein Brand entstand, Gasbeleuchtung und Wasserleitung er¬ litten keinen Schaden und functionierten tadellos. Doch schon am zweiten Tage änderte sich die Situation; aus der Umgebung der Stadt wurden Einbrüche gemeldet. Die Triester Polizei berichtete, daß viele gemeingefährliche unter geheimer Bewachung stehende Individuen aus der Stadt verschwunden waren und sich vermuthlich nach Laibach ge¬ wendet haben, um dort ihrem sauberen Handwerk nachzugehen. Um die Bewachung zu verschärfen, wurde dre Sicherheits¬ wache durch Aushilfsmannschaft verstärkt, eine ganze Anzahl von Wächtern zur speciellen Bewachung der Verkaufsgewölbe angeworben, die Zahl der Militärpatrouillen vermehrt, die 21 Gendarmerie durch Zuziehung aus entfernteren Bezirkshaupt¬ mannschaften auf einen höheren Stand gebracht. Alle verdächtigen Personen wurden ergriffen, zur Ausweisleistung gezwungen, und theils in den Gefängnissen nntergebracht, theils unver¬ weilt in ihre Heimat abgeschoben. Auch einzelne Hausbesitzer bewaffneten ihre Hausmeister und ließen sie Wachdienst machen. In den Ortschaften der Umgebung patroullieren die Burschen bewaffnet die ganze Nacht; es sollen sich Zigeuner¬ banden gezeigt haben, vor welchen die Landbevölkerung große Furcht hegt. So wurden die Sicherheitszustände genügend entwickelt und allem Unfug vorgebeugt. 2. Tie Beköstigung der nothlciScnSen Bevölkerung und Seren Unterstützung mit Geld. Wer über die Verhältnisse unserer Stadt genügend in¬ formiert ist, konnte voraussehen, daß es Tausende von Be¬ wohnern geben wird, welche, in den ersten Tagen ohne jeden Verdienst, auf die öffentliche Mildthätigkeit angewiesen sein werden. Die große Schaar der Taglöhner und Fabriksarbeiter, welche von der Hand in den Mund leben, und ihre zahlreichen Angehörigen lebten ohnehin in den ersten Unglückstagen nnr mehr von Brod und Erdäpfeln, die sie meist geschenkt bekamen. Dazu kamen noch viele Arme aus den umliegenden Dörfern, welche, aller Subsistenzmittel entblößt, ihre Hoffnungen auf die Hilfsmittel der reicheren Stadt setzten. Hier galt es, um Hungersnoth und den Ausbruch von Krankheiten hintanzu¬ halten, init rascher Hand einzugreifen. Wie immer in Noch und Gefahr, war es auch hier unser allergnädigster Kaiser und Herr, welcher mit der munificenten Spende von 10.000 Gulden für die Stadt Laibach und 5000 für das Land der größten Roth 22 einen Damm entgegensetzte. Vom Landespräsidenten ging ein detaillierter Bericht an die Generaldireetion der allerhöchsten - Privat- und Familienfonde ab, welcher den huldvollen Mon- ! archen von dem namenlosen Elend in Kenntnis setzte. Auch der Gemeinderath der Stadt beeilte sich 10.000 Gulden dem Bürgermeister zur Vertheilung au die durch das Erdbeben Nothleidendsten der Bevölkerung im Einvernehmen mit der Armensection des Gemeinderathes zu übergeben. Die Ber- ! theilung der Allerhöchsten Spende wurde in der Art durch¬ geführt, daß eine eigene Commission unter dem Vorsitze des Regierungsrathes Marquis Gozani, der die Pfarrgeistlichkeit und die Armenväter zugezogen wurden, die Vertheilung vor- uahm. Die wirklich Bedürftigen wurden mit Anweisungen - betheilt und ihnen gegen Einhändigung derselben Spenden von mindestens 10 Gulden gegeben. Das Präsidium der Finanzdirection in Laibach wurde über Bericht des Landespräsidenten seitens des hohen k. k. Finanz¬ ministeriums angewiesen, den Betrag von 25.000 Gulden zur Gewährung von Nothstandsunterstützungen anläßlich der Erd¬ bebenkatastrophe zur Verfügung zu stellen. Ueber Verwendung des Landespräsidiums entsandte die „Wiener freiwillige Rettungsgesellschaft" ihren Chefarzt Dr. Charras und Dr. Husserl, dann den Sekretär Herrn ' Wartmann nnd kais. Rath Hostnig, einen gebürtigen Krainer, j mit drei Küchenwagen und dem nöthigen Bedienungspersonale . nach Laibach. Die Küchenwägen sind aus Plätzen der Stadt ' und zwar in der Sternallee, ans der Krakauerlände und bei der Dampfmühle aufgestellt und sofort in Thätigkeit gesetzt , worden. Sie können alle drei Stunden 2500 Personen mit - Suppe, Fleisch und Gemüse beköstigen. 23 Welters wurde eine Nothstandsküche des ersten Wiener Volksküchenvereines auf der Tirnauerlände aufgestellt, welche zur Speisung von 3000 Personen benützt werden kann. Als erste Hilfe wurden vom selben Vereine in Speisetransportgeschirren 2000 Portionen Hülsenfrüchte und 200 Portionen Gulyas mit der Bahn von Wien zur sofortigen Vertheilung übersendet. Die immer und jederzeit munificente krainische Spar- casse lässt täglich 1400 Personen in der alten Schießstätte durch den hiesigen Volksküchenverein beköstigen. So wurde durch Energie und zielbewusste Leitung der Landesregierung eine ausgiebige Hilfe eingeleitet. Maueran¬ schläge und Kundgebungen in den hiesigen Zeitungen in¬ struierten die arme Bevölkerung über die Zeit der Aus- speisuug und den Vertheilungsort. Groß war der Andrang; lange vor der festgesetzten Zeit strömten sie herbei aus allen Enden der Stadt, Kinder und Greise, Kranke und Gesunde, Männer und Weiber; wüthender Hunger stand manchem im Gesichte geschrieben, hatten ja doch manche schon mehrere Tage nichts Warmes genossen. Feuerwehr, Sicherheitswache und Gendarmerie wurden aufgeboten, um Ordnung zu halten. Sie hatten einen schweren Stand, den das Gedränge wurde immer ärger, begehrliche Blicke wurden auf den Küchenwagen geworfen, in dessen Kesseln die so heißersehnte warme Nahrung brodelte. Als endlich die erlösende Minute herankam, da gab es ein Schieben und Drängen, Hunderte von Händen streckten sich zu gleicher Zeit dem vertheilendcn Personale entgegen, schwielige Männerhände, gewöhnt an harte Arbeit, blasse abgemagerte Frauenarme, zarte Kinderhändchen. Alle möglichen Geschirre wurden hergehalten, einfache tönerne Kochtöpfe, Porzellautassen, Zinn- und Eisengeschirr. 24 Welch freudiger Schimmer auf den Gesichtern derjenigen, welche sich ihren Theil bereits ergattert hatten! Viele setzten sich gleich auf den Boden nieder und verzehrten mit Gier die so lang entbehrte warme Speise. In den Gesichtern der Funktionäre der Rettuugsgesellschaft, welche gewiß gegen allerlei Elend schon ziemlich abgestumpft sind, konnte man doch die Rührnng bemerken, welche diese Menge unsäglichen Elends erregt hatte. Es ist doch etwas Schönes um die Mild- thätigkeit! Kaum war die Vertheilung beendet, der Küchenwagen wieder gereinigt und in Stand gesetzt, so wurde gleich wieder eingeheizt und schon warteten andere Unglückliche ans die nächste Vertheilung — in drei Stunden. Von Seite der Landesregierung wurde der Wiener allgemeinen Rettungsgesellschaft volle Vergütung der Spesen zugesichert, und da die Südbahn den Transport des Materials ohne Entgeld übernahm, weiters ein wahres »goldenes Wiener Herz« ungenannt zur Speisung 1000 Gulden gespendet hatte, so war diese Angelegenheit schon geordnet. Herr Landespräsident Baron Hein inspirierte persönlich die Hilfsactionen und sprach den Functionären der Rettnngsgesellschaft seinen Dank und seine Anerkennung aus. Auch Frau Baronin Hein ist zur Linderung der Noth unermüdlich thätig; an der Spitze der Damen des Vereines der christlichen Liebe trifft sie alle nöthigen Anordnungen und beaufsichtigt selbst die Beköstigung und Unterbringung zahlreicher Nothleidender. Ans die Dauer konnte natürlich diese ausgezeichnete, weit über den Bedarf reichende Beköstigung im gleichen Um¬ fange und in gleicher Qualität nicht fortgesetzt werden, da ihre Aufgabe, den zahlreichen durch die Ereignisse überraschten Pferdestall des^k. u. k. Divisions-Artilleric-Regünents Nr. 7. 25 Bewohnern, welche oft mehrere Tage keine warme Nahrung genossen hatten, eine ausgiebige, stärkende Verpflegung zu verschaffen, erfüllt war. Die Beköstigung wurde nunmehr derart organisiert, dass die Nothstandsküche in der Tirnau aufgestellt wurde, von welcher aus die Speisen in 50 Speisen-Transport- Geschirren des Wiener Volksküchen-Vereines nach fünf Stellen in der Stadt expediert und dort vertheilt werden. Ein Mcheu- wagen blieb zur freien Verfügung der Baronin Hein, in einem zweiten werden gegen Entgeld von 15 Kreuzern Suppe, Fleisch und Gemüse verabreicht. Die Funktionäre der Wiener freiwilligen Rettungsgesellschaft sind zum Theil bereits ab¬ gereist, zum Theil werden sie nachfolgen, bis das hiesige Personal in der Bedienung der Küchenwagen eingeschnlt ist. Alle wird der heiße Dank der hiesigen Bevölkerung für ihre aufopferungsvolle und hiugebende Thätigkeit begleiten. Auch Geldunterstützungen werden keine mehr verabreicht, weil sich die Elemente beruhigt haben, und Arbeit in Hülle und Fülle zu haben ist; dagegen wurden vom Landespräsidenten eiserne Oesen und Kochherde angeschafft und in den impro¬ visierten Wohnungen vertheilt, was sich alles sehr segensreich bewährt hat. 3. Herstellung von Nothwohmmgen für die Delogierten. Die Bewohner, welche bisher zu Tausenden und Tau¬ senden in Zelten und improvisierten Baracken campiert hatten, wurden aufgefordert, ihre benützbaren Wohnungen wieder zu beziehen. Für die leider sehr zahlreichen Delogierten mussten wetterfeste Ubicationen beschafft werden. Dies geschah in erster Linie durch Freistellung von gut erhaltenen Schulränmcn, wie 26 in der Realschule, Lehrer-Bildungsanstalt, ersten städtischen Volksschule, der Reitschule, des Civil-Reiter-Clubs rc. Die Waggons auf deu Bahnhöfen mussten geräumt werden, weil sie die Bahnverwaltungen dringend benöthigen. Dafür ent¬ stehen allenthalben solide Holzbarackeu, die theils von Privaten ans eigene Kosten, theils von Vereinen und von der Stadt¬ gemeinde errichtet werden, welche zu diesem Zwecke 10.000 st. gewidmet hat. Ueber Bitten der Stadtgemeinde wurden zwei Compagnien Pionniere hieher geschickt, welche sich auch der Aufstellung von Baracken mit großer Unverdrossenheit widmen. Leider sind die Holzpreise bedeutend gestiegen, auch hat sich großer Mangel an Holz überhaupt eingestellt. Täglich kommen große Sendungen von Auswärts. In der Sternallee ist neben den Zelten schon ein ganzes Barackenlager entstanden. Zahl¬ reiche Geschäftsfirmen haben um die Erlaubnis zur Herstellung von soliden Baracken angesucht, um mit ihrem Geschäft in dieselben übersiedeln zu können, welche ihnen vom Gemeinde¬ rath auch auf die Dauer von zwei Jahren ertheilt wurde, so die Bank- und Manufacturwarenfirma I. C. Mayer, die Firma Schmitt u. a. Die Stadtgemeinde wird eine große, solide Baracke zur Unterbringung von Möbeln Delogierter Herstellen, welche constant bewacht werden wird; auch wird die Firma Schleußner in Mödling über Intervention der Rettungsgesellschaft eine Baracke für 500 Personen errichten. Um die Aermsten der Armen in den elenden impro¬ visierten Unterkünften vor Kälte zu schützen, wurden vom Landespräsidenten mehrere Hundert Kotzen aus den Unter¬ stützungsgeldern gekauft und von seiner Frau Gemahlin Baronin Hein zur Vertheilung gebracht. 27 Herr Johann MatevLe in Triest, ein gebürtiger Lai¬ bacher, spendete zu demselben Zwecke 50 Bettdecken. Viele besser situierte Familien sind aus Laibach fort¬ gezogen, manche auf Nimmerwiederkehr, obwohl zu wünschen wäre, dass es nicht geschieht, denn es ist zum Schaden der Stadt; viele wohnen an den Stationen der Oberkrämer Bahn. Für diese wurde ein eigener Localzng bis Lees-Veldes eingeführt, der abends um 7 Uhr abfährt und in der Früh um 8 Uhr wieder ankommt, wodurch cs vielen Familien¬ vätern ermöglicht wird, auf dem Lande zu wohnen und auch ihrer regelmäßigen Beschäftigung in der Stadt nachzugehen. 4. Tie commissionelle Untersuchung der Bangebrechen. Trotzdem der Bevölkerung der Stadt großer Schrecken in den Gliedern lag, konnten sich viele doch nicht enthalten, ihre alten, gewohnten Wohnungen aufzusuchen, wenn dieselben auch nicht gerade einladend aussehen. Besonders älteren Leuten war das Uebernachten in den feuchten Zelten, in Wägen oder ähnlichen Unterkünften gar zu beschwerlich und unangenehm, sie gingen gleich am zweiten Tage zurück und machten alle weiteren Erdstöße in den wackelnden Wohnungen mit. Die verschiedenen Aemter mußten auf jeden Fall und um jeden Preis wieder in Gang gebracht werden, sollten nicht die öffentlichen Interessen empfindlichen Schaden leiden. Es waren also verschiedene Gründe da, welche darauf hindrängten, daß alle Gebäude, in erster Linie aber die öffentlichen Bauten einer gründlichen Untersuchung unterzogen, und die Schäden, wenn nur möglich, wenigstens provisorisch behoben werden. In Anbetracht der 1400 Häuser der Stadt, die bis vielleicht 2 °/o alle mehr oder minder beschädigt waren, war dies eine- 28 enorme Aufgabe, und von der Gemeinde allein mit ihrem kleinen Bauamt unmöglich zu bewältigen. Der Gemeinderath wendete sich an die Landesregierung mit der Bitte, ihm zur Aushilfe die Ingenieure des Regierungs¬ bauamtes zuzuweifen, was auch sofort geschah. Es wurden drei Commissionen gebildet, welche sofort die Untersuchung der öffentlichen Bauten begannen und deren Sicherung oder Räumung anordneten. Da bei jedem Gebäude der Befund protokollarisch festgestellt werden mußte, so stellte sich natürlich schon in den ersten Tagen die vollkommene Unzulänglichkeit dieser drei Commissionen gegenüber der enormen Aufgabe heraus und es mußte auf schleunige Abhilfe gedacht werden. Die Landesregierung hatte bereits alle verfügbaren Kräfte der Gemeinde zugewiesen und war nun genöthiget, sich an das Ministerium des Innern um Aushilfe zu wenden. Dasselbe entsendete von Wien vier Ingenieure und drei Poliere, von Graz zwei Staatstechniker und mehrere Bau- und Maurer¬ poliere. Nunmehr war es möglich sechs Commissionen zu bilden, welchen von der Gemeinde die nöthigen Hilfskräfte beigestellt wurden. Die Leitung des Ganzen wurde von Seite der Landesregierung dem k. k. Ober-Ingenieur Nöllig an¬ vertraut, welcher die Stadt in Rayons theilte und diese den einzelnen Commissionen zuwies. Die angeordneten Sicherungs¬ arbeiten müssen unbedingt, und bei Widerstreben des Haus¬ besitzers zwangsweise durchgeführt werden. Auch diese sechs Commissionen haben sich bereits als unzulänglich erwiesen und es muß neuerdings auf deren Vermehrung gedacht werden, weil das unbeständige Aprilwetter noch großen Schaden an¬ richten kann, wenn die Sicherungsarbeiten nicht in kürzester Frist beendet werden. 29 Diese genaue Untersuchung der Bauten hat leider das traurige Resultat zu Tage gefördert, daß die Verwüstungen des Erdbebens viel ärgere sind, als man ursprünglich an¬ genommen hat. Viele Häuser und Baulichkeiten, die scheinbar wenig gelitten haben, sind als baufällig erkannt worden und müssen abgetragen werden. 5. Die Sicherungsarbeite» »nd Stratze»absperru»ge». Große sichtbare Defecte wurden wohl zum Theile gleich am ersten Tage nach Möglichkeit behoben oder es wurde durch Aufstellung von Militärposten oder Schranken einem Unglück nach Möglichkeit vorgebeugt. So wurde das zerrüttete Mayer- sche Haus in der Petersstraße gleich in der ersten Nacht mit einem Militärposten versehen, der untere Theil der Bahnhof¬ gasse und die Judengasse gesperrt re. Als nian aber die Gebäude commissionell zu untersuchen begann, viele Haus¬ besitzer auch eine Untersuchung ihrer Gebäude von Baumeistern auf ihre Kosten durchführen ließen und sich infolgedessen viel¬ fache Pölzungen als nothwendig erwiesen, da ersah man, daß es in Laibach an den nöthigeu Arbeitskräften, wie auch an dem nöthigen Materiale, besonders Holz gebrach. Der Schrecken hatte solche Wirkungen geübt, daß sich sowohl heimische Maurer und Zimmerleute, als auch die Italiener vielfach weigerten Arbeiten anzunehmen. Besonders auf die Dächer, zur Ab¬ räumung und Sicherung noch stehender, beschädigter Rauch¬ fänge wollten sich die Wenigsten wagen. Da war es unsere freiwillige Feuerwehr, welche durch aufopferndes und oft wirklich todesmuthiges Vorgehen ein leuchtendes Beispiel von treuer Pflichterfüllung gab. Es gab keinen noch so einsturz¬ drohenden Rauchfang, den die braven Steiger nicht sofort 30 ohne Zagen heruntergeholt hätten. Mit der großen Leiter wurde das Dach erklommen, mit den kleinen zusammen¬ gesetzten der First erreicht, und dann ging es an die Demo¬ lierung. War der Rauchsang innen weit, so wurden von obe« die einzelnen Ziegel abgebrochen und in den Rauchfang hinein geworfen, so daß fast nichts auf die Straße fiel; war der Rauchfang eng und diese Methode unthunlich, so wurde er einfach durch Beilhiebe umgeworfen, nachdem vorher die Straß! oder der Hof abgesperrt worden war. Rauchfangkehrer und Zimmerleute sahen verwundert diesem kühnen Beginnen zu, ermannten sich dann und gingen auch arbeiten. Um die äußerst zahlreichen Pölzungen durchführen zu können, mußten Bau¬ meister, Poliere, Arbeiter berufen und Holz von Graz und anderen Orten bezogen werden. In allen Straßen und Gasse« wurde gepölzt. Um die Passanten nicht zu gefährden, und die Arbeiten ungehindert durchführen zu können, mußten die Straßen gesperrt werden, nur den darin wohnenden und de« Amtspersonen wurden von der Polizei Passierscheine aus¬ gefolgt. An allen Ecken und Enden sah man Militärposte« stehen, in allen Gassen wurden Stützbalken aufgerichtet. Das die Geschäfts- und Gewerbslente durch das Absperren del Straßen durch mehrere Tage bedeutend geschädiget waren, läßt sich denken, ungerechnet, daß der Wagenverkehr durch den Wald von Stützbalken in vielen Gassen auf Monate hinaus unmöglich gemacht ist. Nach durchgeführter Pölzung wurden die meisten Gassen, wenigstens für den Verkehr der Fußgänger wieder geöffnet. Heute find nur noch wenige Gasse« versperrt, dafür sind die Demolierungsarbeiten schon aller Orten im Gange. Alles, was die Sicherheit gefährdet, als geborstene Feuermauern, abgesprengte Gesimsecken, Fabriks- 31 kamine rc. wird abgetragen, viele Rauchfänge sind bereits neu aufgebaut oder hergerichtet, damit der Misere des Nicht- kochenkönnens abgeholfen wird. Die beiden Pionniercompagnien arbeiten unverdrossen Tag für Tag an den Pölzungen der öffentlichen Gebäude. Für den unbetheiligten Fremden mag die Stadt ein ganz interessantes Bild gewähren. Die kreuz und quer ge¬ stützten und verspreizten Gassen, die vielen Zeltlager und Barackenbauten ans den öffentlichen Plätzen, das heute sehr- geschäftige Thun und Treiben, der Zuzug der vielen Fremden, von denen manche mit photographischen Apparaten die Stadt durchstreifen und Aufnahmen machen, bieten viel Abwechslung und selten vorkommende Situationen. Eine unangenehmere Seite sind die täglich zahlreicheren Delogierungen der Wohnparteien, welche bequartiert werden Müssen. Die beruhigenden Erklärungen der Behörden und ihre -Aufforderung, die gut erhaltenen Wohnungen wieder zu be¬ ziehen, damit nicht den behördlich Delogierten der Platz weg¬ genommen wird, haben wohl schon ihre Wirkung geübt, aber doch gibt es noch genug geängstigte Gemüther, die sich den Manern nicht anvertrauen wollen. Trotzdem der Bau der Baracken aufs Energischeste gefördert wird, ist es doch un¬ möglich mit den Delogierungen gleichen Schritt zu halten. Es müssen noch immer die mangelnden Schutz gewährenden Zelte bezogen werden, welche in dem ewig wechselnden Aprilwetter für gewöhnliche Leute kein entsprechender Aufenthalt sind. Bei schönem, trockenem Wetter halten sie, wenn geschlossen, die Wärme noch ziemlich gut, in feuchter Luft oder gar bei strömendem Regen wird auch in den Zelten alles feucht, und kann zu vielerlei Erkrankungen Anlass geben. 32 8. Sanitäre Matznahmen. Wird eine Bevölkerung plötzlich in ungewohnte Wohn- nnd Witternngsverhältnisse versetzt, müssen besonders Frauen und Kinder die gewohnte, wenn auch geringe Behaglichkeit entbehren, so ist immer die Bedingung zur Entstehung ver¬ schiedener Krankheiten gegeben. Besonders Feuchtigkeit und Unreinlichkeit sind da wichtige Faktoren, mit ihnen im Zu¬ sammenhang Kleidung und Nahrung. Wie diesen verschiedenen Punkten Rechnung getragen wurde, ist ja bereits in den frü¬ heren Kapiteln geschildert worden. Es erübrigt nur die rein sanitären Maßnahmen zu besprechen. Da ist in erster Linie die Desinfection zu erwähnen. In einem Aufrufe wurde die Bevölkerung ermahnt, in den Baracken auf peinlichste Reinlichkeit zu sehen und sich vor Verkühlungen zu schützen. In der Nähe wurden öffentliche Anstandsorte er¬ richtet, die täglich desinficiert werden. Die Stadt wurde in Rayons eingetheilt und die städtischen Aerzte mit der Auf¬ sicht über die sanitären Maßnahmen betraut. Auch wird die Wasserleitung bis zum Choleraspital verlängert werden, um den jetzt dort untergebrachten Kranken des Landesspitals gutes, Trinkwasser zu verschaffen. Bis zur Durchführung dieser Arbeit wird Wasser aus der städtischen Wasserleitung in Fässern dorthin geführt werden. Eine größere Anzahl gan^ comfortabler Spitalsbaracken des „Rothenkreuzvereines" wurde! aus Wien hieher gesendet und zum Theil neben dem Cholera¬ spital, zum Theil im Garten des alten Landesspitals auf¬ gestellt. Der Gesammtbelagsraum beträgt mehrere hundert Betten über den normalen Krankenstand. Dies war aus meh¬ reren Gründen nothwendig. Man kann in den Baracken aus Gründen der öffentlichen sanitären Sicherheit keine Kranken 33 belassen und dann muß immer darauf gedacht werden, daß trotz aller Vorsicht doch irgend eine Jnfectionskrankheit mit einer abnormalen Zahl von Kranken ausbrechen kann. Der Stadtphysikus hat einen schweren Stand und sammt seinen Organen große Verantwortung. Es ist aber alles geschehen, was bei den geringen Mitteln nur möglich war. 7. Einleitung einer großen Hilfsaction. Die genaue Schadensumme an den Gebäuden allein wird durch eine eigene Commission ermittelt werden. Erst dann wird man einen genaueren Einblick in die verheerenden Wirkungen des Erdbebens gewinnen können, um die Rettungs¬ action demgemäß zu organisieren. Die Schwerstbetroffenen sind entschieden die Hausbesitzer. Manche von denselben nannten ein kleines, altes Haus ihren ganzen Besitz, von dessen Miethertrag sie lebten. Viele haben neben ihren Häusern keine Kapitalien, wohl aber oft Lasten darauf liegen. So mancher von ihnen, der bisher ein sorgenloses Auskommen hatte, sieht nun mit thränenden Augen einer düsteren Zukunft entgegen, denn sein Haus, welches ihu bis¬ her ernährt hat, ist heute ein werthloser Schutthaufen. Wird ihm nicht auf irgend eine Art Hilfe gewährt, dass er das Haus wieder Herstellen oder neu aufbauen kann, so kann er 7. Bettelstäbe greifen oder ins Versorgungshaus gehen, verzinsliche Darlehen können so manchen retten; er wird tzdem gezwungen sein, seine Lebensweise auf Jahre hinaus zuschräuken. Eine große Steigerung der Miethzinse wird m durchzuführen fein, denn diese bewegen sich in Laibach ehin schon in den äußersten Grenzen. 3 34 Auch alle übrigen Schichten der Bevölkerung haben vielfachen Schaden gelitten, sei es direct oder indirect; für die Gemeinde- und Landesbeamten wurden von den maßge¬ benden Faktoren schou außerordentliche Theuerungszulagen bewilligt, auch der Staat wird nicht säumen, seine Beamten entsprechend zu bedenken. Die Gewerbetreibenden und Ge¬ schäftsleute, sowie die arbeitenden Klassen werden aus den einlaufenden Hilfsgelderu betheilt werden. Folgende größere Maßnahmen wurden bisher vor¬ genommen : 1. Der Gemeinderath wendete sich an den Landesprä¬ sidenten um Erwirkung einer Staatsaushilfe und sendete in gleichem Sinne ein Telegramm an den Minister des Innern. Dasselbe beschloß der Landesausschuß. Die unmittelbare Folge war die Anweisung von 25.000 Gulden seitens des Finanz¬ ministeriums. 2. Im Abgeordnetenhause wurden zwei Dringlinchkeits- anträge eingebracht. Graf Hohenwart, Dr. Graf Kuenburg, Ritter von Zaleski und Genossen beantragen: Die Regierung sei aufzufordern, über das Erdbeben in Krain Erhebungen zu pflegen, eine umfassende Hilfsaction einzuleiten und für die erforderlichen Geldmittel noch in dieser Session eine Borlage einzubringen. Abgeordneter Freiherr v. Schwegel und Genossen beantragen, die Regierung aufzusordern, den Entwurf eines Gesetzes einzubringen, durch welches: ch für alle Neu- und Umbauten in Laibach und den angrenzenden Bezirken, welche durch das Erdbeben verursacht wurden, eine 25jährige Steuerfreiheit gewährt wird; b) allen jenen Häusern in Laibach und Umgebung, welche durch das Erdbeben empfindlich geschädigt wurden, Kcmtz'sche Essigfabrik. 35 aber ohne Umbau noch rekonstruiert werden können, die landes¬ fürstliche Hauszins- und Hausclassensteuer für die nächsten drei Quartale des laufenden Jahres ganz erlasfen und für die Zukunft entsprechende Steuerbefreiungen, beziehungsweise Verlängerung der ihnen eventuell noch zustehenden Steuerfreiheit bewilligt werden. Die Anträge wurden einstimmig angenommen. Se. Ex- cellenz der Herr Minister des Innern hat die Einleitung einer allgemeinen Sammlung in allen im Reichsrathe ver¬ tretenen Königreichen und Ländern, ausgenommen das Land Krain, zu Gunsten der durch die jüngste Erdbebenkatastrophe betroffenen Hilfsbedürftigen Bewohner Krams angeordnet. Die krainische Handelskammer hat an die General- directionen der Staatsbahn und Südbahn das Ansuchen um Anwendung des Ausnahmstarifes für Frachtsendungen von Baumaterialien gestellt. Dieselben haben 50°/» Ermäßigung gewährt, nur müsseu die Sendungen behufs Controlle an den Stadtmagistrat Laibach adressirt werden. Die k. k. Eisenbahn-Betriebs-Direction in Villach hat den Bahnamtsvorstand in Laibach ermächtiget, au nothleidende Bedienstete aller Dienstzweige Vorschüsse bis zur Höhe eines Monatsgehaltes oder Lohnes auszuzahlen, da zur Unter¬ stützung des Personales eine Hilfsaction im Zuge ist. In Wien bildete sich ein Hilfscomits für Laibach und Umgebung, mit Graf Hohenwart an der Spitze, dem die glänzendsten Namen Oesterreichs angehören. Dasselbe hat bereits einen Aufruf zu Sammlungen erlassen, welche bisher vom günstigsten Erfolge begleitet waren. Auch in Laibach selbst hat sich ein ähnliches Counts gebildet mit Obmann Hofrath Raöiö und unter dem Ehren- 3* 36 Präsidium des Landespräsidenten Baron Hein und der Bice- Präsidenten Landeshauptmann Otto Detela und Bürger¬ meister Grasselli. Allenthalben werden von adeligen Damen, Künstler- und Bürgerkreisen und Vereinen Veranstaltungen von Vorstellungen zu Gunsten der schwergeprüften Stadt getroffen. Als erste ist die hochherzige Spende Sr. Majestät des Kaisers eingelaufen, weiters große Spenden seitens aller Mitglieder des erlauchten Kaiserhauses, sodann reiche Sen¬ dungen von Sparkassen, Vereinen, Assekuranz-Gesellschaften, Banken usw. usw. die noch immerfort einlaufen. Ueberhaupt hat es sich gezeigt, daß die Mildherzigkeit in solchen Fällen keine anderen Rücksichten kennt, als die des Wohlthuns. Möge die Quelle der thätigen Nächstenliebe recht reichlich fließen, damit die freundliche, schöne Stadt aus Schutt und Trümmern, wie ein Phönix ans der Asche, schöner und blühender wieder erstehe! Ist heute die Ruhe wieder eingekehrt in die Gemüther der schwergeprüften Bewohner, so ist es ein Verdienst der Behörden, die alle in vollstem Maße mehr als ihre Pflicht gethan haben, und ein Verdienst der Hilfespender. Auch der Bevölkerung kann man die Anerkennung nicht versagen; ihr Verhalten war mustergiltig. MKMM IN onioc^inrnn War Fischer, slanzreMatz * K'lliblllh * Tanhallc empfiehlt auf das Angelegentlichste die Be¬ nutzung seiner großen, nur ans den neuesten und beste« Autoren bestehenden o LeilMöL'ioLfiek; deutsche und französische Romane. Abonnement pro Ntonat sl. 1'—. Nach auswärts mit Porto-Zuschlag; es werden dann stets 10—12 Bücher auf einmal gesandt. Für meine auswärtigen Kunden habe ich eigene Holzkistchen anfertigen lassen, so dass den Abonnenten durch Verpackung keine Schwierigkeiten entstehen. Kataloge werden zur Ansicht übersandt. Katholische Buchdruckerei in Laibach.