^/?^ ^ ^/^ NciscskyM aus Aejt-Zndien, Mexico und Uord-Umerika, gesammelt im Jahre 1872. Von Uoger Graf lion Bruges. Leipzig, Dnncker & Humblot. 1873. Seinem Stiefvater dem Keneral-Aeutemnt v. Merger Bnches beabsichtige, mehr als hinreichend erfüllt. Paris, im November 1872. Der Verfasser. Inhaltsverzeichmß. Erstes Capitel. Seite Abreise von Hamburg. — Reisegesellschaft. — Havre. — Santanber. — Seekrankheit. — Leben an Bord ... 3 Zweites Capitel. Habana. — Hütel. — Leben und Bevölkerung. — Vo-lauten. — Neger-Sklaven. — Insurrection. — Vegetation. — Cubanische Nächte.........3s Drittes Capitel. Theater. — Tamberlick. - Japanese». — Stiergefechte. — Hahnenkämvfc. — Lotterien. — Deutscher sslub. — Thierquälelei. — Klima. — Krankheit. — Bevölkerung. — Forts und Kriegsschisse. — Spaziergäuge . 69 Viertes Capitel. Matanzas. — Die ssnevas. — Iicarita. — Hnckerplanta-gen. — Gastfreundschaft. — San Rafael."— Mosqui-tos. — Reise nach ^cra-^rnz........104 Fünftes Capitel. Küste von Mexico. — Vera-Cruz. ^ „Gazelle". — Mebellin. — Bankett. — Nationales Leben. Täuze. — Reise uach Cordoba. — Chiqnihnite. — Pic de Orizaba. — Vle-xicanisches Räuberwesen. — Plagio. — Orizaba. — Cumbres. San Auguftino Palmin- ...... 125 Techotcö Capitel. ' Seite Pilebla. — Popocatepetl und Iztahuatl. — Reise nach Mexico. — Texcoco-See. — Thal von Mexico. — Hauptstadt. — Cinco de Mayo. — Coleadero, -— Na-tio,ialfosl!l!ne. — Chapnltepec, ^ Statistisches und Be-uöltenmg ,..............171 Tirbentes Capitel. Pllsro de Bigas, — Kirchenfeste. — Crzbischof Labastida. — Santa Anita, — <. San ^nan del 5>?io, — ^7.uere!avo. ^ l^crro dc la^ (^nnpanac,, — ^a «rnz. — Las Capuchino'i, ^ ("efäügniü de^> z^aisers .Viariinitian. — Nüctt'eln nach ^cra l^n^ nnd Ha-bana. — ^ceise nach New Orleans. Älississippi . . 280 Nruntrs Capitel. New-Orleans. — Seine sociale Lac^e nach der Sclaven-Cnianciuation. — ')l0rdanierltauische Hotels und Cisen-bahnen. — Sleeping Cars. — Mammuths - Höhle. — Louisville. — Cineinnati..........311 Zehntes Capitel. Put in Vay. — Eriesee. — Niaczarafall, Lorcnzostrom.— Montreal. — Sociale Znstände. — Hndjoir. -^ 3cew-?)orl. — Präsidentenwahl, — Boston, — Newport. — Washington.— Baltimore,— Philadelphia.— Rückreise 355 I, Mft-Indien. «Graf Bruges, Nciseslizzen. 1 Erstes Capitel. Abreise von Hamburg. — Reisegesellschaft. — Havre. — San-tander. — Seekrankheit. — Leben an Borh. Als ich am Morgen des 9. März 1872 früh um 7 Uhr aus der Thür des stattlichen Streit's Hotel in Hamburg trat, um meine transatlantische Reise anzutreten, da stieg wie ein goldner Feuerball die Sonne ans dem Alsterbassin — dieser Hanptzierde der stolen Hansestadt — empor, einen herrlichen Tag verkündend. Wie mm stets das Wetter einen bedeutenden Einflnß auf die Stimmnng des Menschen ansübt, so erblickte auch ich beim Beginn einer großen Reise, die doch mehr oder wenige mit Gefahren verknüpft sein konnte, in dem herrlichen Frühjahrsmorgen ein günstiges Omen für den Ausgang meiner weitgehenden Pläne. Hierdurch in die günstigste Gemüthsstimmnng verseht, fühlte ich nicht so tief die Schwere des Abschiedes vom heimathlichen Boden nnd von den lieben, die ich da zurückließ. Allzu ernsten Gefühlen nachzufolgen, fehlte anch einerseits die Zeit, andererseits war der Gedanke an die nächste Zukunft der durchaus vorherrschende. 1* — 4 — Das Dampfschiff, das ich zuerst bestieg, war cm kleiner Elbdampfer, der die Passagiere an Bord des transatlantischen Steamer's „Germania", der wegen seiner Größe und Ladung nicht bis zu dem eigentlichen Hafen gelangen konnte, bringen sollte. Scenen der verschiedensten Art füllten die letzten Momente vor der Abfahrt aus. Hier fand ein schmerzlicher Abschied statt von Eltern, die ihre zwei, kaum dem Knabenalter entwachsenen Söhne in das Land der goldnen Hoffnungen schickten. Dort stand eine Gruppe Deutscher, die durch eine laute, wohl mehr erzwungene Heiterkeit die ernsteren Gedanken unterdrücken wollte. Werden alle diese Menschen, so verschiedene Zwecke verfolgend, nm irdisches Glück zu erlangen, ihre Pläne realisiren? Oder werden sie durch eine höhere gewaltige Hand daran erinnert werden, daß Plane zu schmicdcu der Menschen Sache, die Allsführung aber anderen Mächten überlassen ist? Dazwischen ertönten die lauten Rufe der Packknechtc, die noch die verschiedenen Colli an Bord zu befördern hatten. Bald nach 6 Uhr läutete zum letzten Male die Glocke, das Schaufeln der Nader begann, ein letztes Lebewohl und fort ging es! Trotz des frühen Morgens wnrde doch der Dampfer, als er die langen Häuserreihen und Speicher bis Altona durchpassirte mit Hochrufen und Tücherwinken begrüßt. Manches sehnsüchtige Gesicht verfolgte uns, das dnrch die Verhältnisse an die heimathliche Scholle gefesselt, gleich uns gern jenen weiten ungckannten Ländern zu- — 5 — geeilt wäre. Die Elbe gings hinunter, vorüber zog au uns das reizende rechte Ufer mit herrlichen Landhäusern und Gärten besäet, deren reiche Besitzer noch im tiefsten Schlafe lagen. Um 11 Uhr langten wir in Stade an und bestiegen die „Germania", einen schönen großen Dampfer von 2000 Tons, dessen mächtiger Leib weit aus dem Wasser ragte/ Doch wenn man vom Schiffe spricht, soll man dies nie thun, ohne dabei den Capitän zu erwähnen. Gr ist im wahrsten Sinne des Worts die Seele, die in diesem leblosen Körper wohnt, denkt und arbeitet. Ohne ihn ist das schönste Schiff weiter nichts als eine todte Mafse, die den Elementen nicht lange würde Trotz bieten können. Er ist es, der mit seiner Intelligenz den: Koloß Leben einflößt, der die geringste feiner Bewegungen leitet, der Wellen, Brandnng und Riffen zunl Trotz, nns in den erfehnten Hafen bringt. Diefer Kopf der Germania alfo ist der ssapitain Hcbich, ein noch junger Mann, dessen '57. Geburtstag wir eiuige Tage darauf an Bord feierten. Sein offenes vom Wetter gebräuntes Geficht macht einen vertrauenerweckenden Eindruck, der um so mehr gerechtfertigt erscheint, wenn man hört, daß Hebich mit 20 Jahren schon selbständiger Steuermann, mit 30 Jahren Capitain eines der großen Dampfschiffe war, die, der Hamburg - Amcricanischen Packetboot-Gcsellschaft angehörend, in so angenehmer und sicherer Weise den Verkehr der. beiden Welttheile vermitteln. Die Figur unseres Capitains ist dem Gesicht entsprechend. Sein robuster Körperbau scheint ganz ge- - 6 — schaffen zu sein, den Stürmen nicht allein des Lebens, sondern anch der Elemente zu trotzen. Erst jetzt kam ich dazu, nachdem bei der geringen Anzahl Passagiere man glücklicherweise eine Eabine für sich allein erhalten hatte, meine Reisegefährten, resp. Leidensgefährten in Anbetracht der Seekrankheit, genauer zu betrachten. Ich, verweile bei diesem Punkte mit einer gewissen Vorliebe, die darin ihren l^rnnd hat, daß mir eine überaus liebenswürdige Reisegesellschaft beschiedeu war. Bedenkt man, daß man über 3 Wochen in kritischen Lagen, bei Krankheiten u. s. w., mit diesen Leuten anf das Engste verbunden ist, so wird man gleich mir es verstehen, was man auszustehen haben kann, wenn diese Gesellschaft aus Elementeil znsammengesetzt ist, die Einem unsympathisch sind. Der Himmel hatte mich vor solcher Unannehmlichkeit beschützt. Die Zahl der Passagiere I. Cajüte war ca. 10, die des Zwischendecks 100. Rechnet man dazu 98 Mann, die znr Bemannung des Schiffes gehören, ferner 150 Köpfe, die theils in Havre, theils in Santander zukamen, so barg die Germania doch ungefähr 350 Leben in sich. Diese Zahl ist nicht so bedeutend, weun man erfahrt, daß bereits 1100 Menschen, bald nach Beendigung des Krieges von 1871, auf dieser Strecke vermittelst desselben Schiffs befördert worden waren. Die Passagiere erster Cajüte waren: Madame de Quellen mit vier Töchtern, von denen die drei ältesten Anita, Madelena und Mercedes in: Alter von 16 bis - 7 - 20 Jahren, nur die Wahrheit der schon früher gehörten großen Vorzüge der Creolinucn anf das Entschiedenste bestätigten. Die Damen verbanden init reizendem Aeußeru, von 5>em ich die schönen schwarzen Augen und die schlanken graciösen Figuren besonders hervorhebe, — eine große Persönliche Liebenswürdigkeit und eine vorzügliche Gr-ziehung. Die vierte Tochter, Namens Nieves, d. h. Schnee, ist das ernsteste Kind, das ich je gesehen habe, das im Neungen meinen lebhaftesten Neid dadurch erregte, daß, als Alles seekrank war, sie allein von diesem Nebel verschont blieb. Kinder leiden überhaupt selten daran. Diese Familie begab sich wieder nach Cuba, nachdem sie mehrere Jahre in Deutschland verweilt hatte, wo ihr Vater und Bruder Hülfe von Leiden snchten. Das Resultat davou war ein trauriges, der Tod hatte beide ereilt. Die übrigen Passagiere waren: Fräulein Auguste Hansen aus Kopeuhagcu, Herr Schramm aus Hamburg, mit der Absicht, mn die Welt zu reiseu; Herr Dedjen nnd mehrere Nordamcrikaner aus New-Orleaus beschlossen uuscru Cirkel, zu dem in Santandcr noch zwei spanische Familien kamen. Wir wurden alle um so bekannter, als wir uns durch das herrliche Wetter bis Havre in der besten Laune befanden. Die See durch den sonst so stürmischen (sanal war so eben wie ein Tisch und Tage lang glaubtcu wir uns auf einem Fluß- oder Landsec zu befiudeu, so gering waren die Schwankuugen des Schiffes. Man richtete sich recht gut in seiner Cabine ein, in welcher zwei über- — 8 - einander befindliche Betten — in das oberste gelangte man auf einer Leiter —, ein Waschtisch mit zwei Becken, ein Sopha und ein Wandschrank das Ameublement ausmachten. Alles war auf das Reinlichste gehalten und der Fnßboden mit starken Teppichen bedeckt. Die Verpflegung an Bord war recht gut und überaus reichlich. Man frühstückte nm 8 Uhr znm ersten und nm '/212 Uhr zum zweiten Male. Um 4 Uhr wurde das Diner scrvirt, das ans li—6 Gängen bestand, nnd um, 8 Uhr Abends beschloß ein Thee die Reihe der Mahlzeiten. Man glaubt gar nicht, wie materiell man anf einer Seereise wird. ^ast nur die Essensstunden zählen, die übrige Zeit sucht man todt zu schlagen. Ich begab mich im Verlauf der Reise ciumal hinab in die Vorrathsränme, und war erstaunt über die enorme Anhäufung von Provisionen, lebendiges Schlachtvieh, als Ochsen und Hammel befanden sich am Vordertheil des Schiffes, während eine große Anzahl von Hühnern, Enten und Pnten ihr melancholisches Dasein in der Nähe der Maschine fristeten. Täglich schmolz ihr Häuflein zusammen, bis in New-Orleans, dem Endziel der Germania, anch der Letzte dem unersättlichen Menschenmagen zum Opfer siel. Ein großes Gemach war für die Conservirnng des Eises bestimmt, das eine große Wohlthat später in den heißeren Regionen wnrde. Drei Köche und so und so viel Küchenjungen arbeiteten im Schweiße ihres Angesichts, und ein sehr geschickter Eon-ditor überraschte uns täglich durch die reizenden Formen. - 9 - die er dem Eis beim Dessert zu geben wußte. Er wurde seiner süßen Beschäftigung wegen bald der specielle Freund der Damen. Die Fahrt ging schnell von Statten. Von Hamburg bis Havana sind nngefähr 5000 englische Meilen und wir legten in einer Stnnde 11—12 Knoten, den Tag 'über 276 Knoten, durchschnittlich znrück. Am Morgen des dritten Tages lagen wir einige Stunden auf der Nhcdc uor Havre, da erst von 10 Uhr ab das Einlaufen in den Hafen möglich war. Wir hatten dadnrch hinreichende Gelegenheit, die hübsche Lage der Stadt, amphitheatralisch aus dem Meere aufsteigend, zu bewundern. Die ünßerste Spitze des Landes ist das Cap La Hsve; sie ist mit mehreren Leuchtthürmeu versehn, deren ausgezeichnete Construction von Sachkennern gepriesen wird. Ueberhanpt ist damit die ganze Küste von Frankreich überaus reichlich versorgt, uud damit rechtfertigt das Laud seinen angeblichen Beruf in Betreff der hohen Civilisation. Blickt man von der Nhede in das Land hinein, so kann malt weit den Lanf der Seine verfolgen nnd die wichtige Lage von Havre als Hafen von Nouen und indirect von Paris verstehen. Rechts von hier aus sieht man das fashionabelste Seebad im Norden Frankreichs, Trouville. Als wir in den Hafen einliefen, hatten wir Gelegenheit die großartigen Hafenbauten, in denen Frankreich überhanpt einen sehr hohen Rang einnimmt, zu be- — 10 - wundern. Allenthalben dringen Wasserarme ins Herz der Stadt hinein, dnrch prächtige Quais und gewaltige Molen gegen die Meeresströmungen geschützt. Langsam und stolz glitt uusere Germania durch das ruhige spiegelglatte Gewässer, von Hunderten von Müßigen, wie man solche so hänsig in Hafenstädten Frankreichs und des Südens antrifft, — angestarrt. Eigenthümliche befühle bewegten mich, wieder den französischen Voden, nnd noch dazu das Stammland meiner Väter, die schöne Normandie, zu betreten. Das letzte Mal, als ich dort weilte, war es in ernster blutiger Zeit, und mein Herz war aufs Tiefste bekümmert. Nicht über die Niederlagen Frankreichs, denn das ist Waffcnglück, und sie waren in diesem Falle gewiß eine gerechte Strafe des Himmels für den so schmählich ge-brochnen Frieden, für so mnthwillig hcraufbefchwornes unsägliches Eleud. Nciu, was mich damals tief betrübte, war, diese sonst so ritterliche Nation in so gränzenloser Demoralisation in ihren inneren Vcrhältnisfen zu erblicken. — Kaum gelandet, nahm ich einen Wagen, um nach dem eine Meile entfernten Harflenr zu fahren, woselbst meine Cousine, die Prinzessin de la Moscowa ein Schloß besitzt. Was ich befürchtet hatte, traf ein. Weder meiuc Cousine noch deren Gemahl und Kinder faud ich dort. Alle waren beim Kaiser Napoleon iu England, dessen Unglück ihre Anhänglichkeit und Dankbarkeit nicht erschüttert hatte. Ich benutzte die Gelegenheit mich dem — 11 — Concierge als nahen Verwandten seiner Gebieterin zn erkennen zn geben und sah mir das Schloß an. Es liegt in einem schönen Park, und macht im Renaissancestyl mit viel Geschmack erbant, einen recht wohnlichen Eindruck. Die elegant eingerichteten Rämne durchgehend, erblickte ich manche interessante Gegenstände und Andenken. Da hing das Oclgcmalde des erschossenen Schwiegervaters der Fürstin, der, aus altem lcgitimisti-schen Adel stammend, in einer gränzenlosen Schwärmerei für Napoleon I. der erste Eommandenr war, der mit seinem Negimmte zn dem Kaiser nach dessen Rückkehr ans Elba überging. Die gerechte Strafe ereilte ihn. Er wurde nach den hundert Tagen auf Befehl Ludwig XVIII. erschossen. *) Seine Wittwe überlebte ihn um 56 Jahre. Uud wuudcrbarer Zng^ weiblicher Energie nnd Eharakterfestigkeit, sie blieb trcn der Dynastie, die ihr den Gatten erschoß, und war die eifrigste Lcgitimistin bis zu ihrem letzten Athemzuge. Es ist dies ein erhabnes Beispiel, daß Treue und Ergebenheit für die Nachkommen des heiligen Lndwig nicht dnrch eine falsche, aber wohl sehr gerechtfertigte Sentimentalität alterirt wnrden. *) Prinzessin de la MoZcoiva hat die Söhne zweier durch Ludwig XVIII. Erschossenen geheirathet. Sie war vermählt: in erster Ehe mit dein Grafen de la Bedontzre, dem Besitzer des oben erwähnten Schlosses, in zweiter Ehe mit dem Generaladintünten nnd Fi-3,nä.v6n6ni' des Kaisers Napoleon III., Edgar Ney, Prince de la Moscowa, dem Sohn dcs MarschaU Ney. — 12 - Ein Papagei saß melancholisch in seinem Bauer, er war ein Geschenk der schönen Kaiserin Eugenie, bei der die Prinzessin lange Zeit Palastdamc gewesen war. Ge-, stürzte Throne, gebrochne Existenzen, wie oft wiederholt sich dieses Thema mit all seinen Variationen ill Frankreich. Wann wird dort endlich das Verbrechen des Mordes an dem edlen Königspaar gesühnt sein, wann wird in dem schönen Lande Nuhc nnd Friede wiederkehren!? — Auf der Rückfahrt nach Havre zeigte mir »nein Kutscher die Stelle, bis wohin die preußischen Truppen vorgedrungen waren. Auf eine Einnahme von Havre war unsererseits bald verzichtet worden, da die Stadt zu sehr außer unserer Linie lag nnd eiue Umschließung, schon der Seeseite wegen, seine Schwierigkeit gehabt hätte. Ein Spaziergang durch die Stadt belehrte mich, daß das Innere derselben nicht im Verhältniß zur schönen Lage stand. In dem neuen Stadttheil waren jene riesigen Häusersquares errichtet, die mau fast in allen größeren Städten Frankreichs vorfindet, und die Paris nachgeahmt, sonst in keinen: Verhältniß znr Größe der Stadt stehen. Das Hotel de Ville in dem Tuilerienstyl erbaut, umgebeu von Boulevards und hübscheil Garteuaulagcn ist eiu schönes Gebäude. Die Höhe des Hügels, an den sich die Stadt lehnt, ist von den Landhäusern der Reichen gekrönt, und hier in den Vorgärten fiel mir die üppige Vegetation dieses Landstriches anf, die Pflanzen uud Sträucher gedeiheu ließ, wie man sie in dem südlichen — 13 - England, in jener fast treibhausartigen feuchten Atmosphäre, — vorfindet. Der Blick von hier ans anf die Stadt nnd den Hafen mit seinem bewegten Treiben, den ein- und ausgehenden Schiffen, ferner anf die See und die einmündende Seine ist recht hübsch und belebend. Ein Epaziergang dnrch die Stadt versetzte mich recht lebhaft in die Zeit zurück, wo ich znm letzten Mal ill Frankreich war. Dasselbe Leben und Treiben in den Eaf«s, dieselben riesengroßen Plakate und sonstigen Eigenthümlichkeiten. Dabei das Militär mit seinen rothen Hosen und dem elastischen Schritt, das übrigens trotz der 5 Milliarden so vorzüglich, wie früher bekleidet war. Welcher Contrast mit der abgeschabten thcilwcise zerrissenen Kleidnng der spanischen Truppen, die ich wenige Tage darauf zu sehen Gelegenheit hatte. Ja, ja, in dem schönen reichen Frankreich geht es immer noch aus dem Großen. Solche ängstliche Sparsamkeit wie bei uus, kennt dieses Volk mit seinen so bedeutenden Hülfsquellen nicht. Was die Stimmung der Bevölkerung gegen die Deutschen anbetrifft, so konnte ich darin keine Gehässigkeit wahrnehmen. Man war höflich wie früher, nnd die mir erzählten Angriffe gegen den ehemaligen Feind, mögen vielleicht auch in einer, durch die Siege hervorgerufenen provocirenden Haltung, ihren Orund finden. Die neuen Straßen waren meistens nach den an Deutschland gefallncn festen Plätzen benannt. Der größte Boulevard führte den Namen Straßbourg, andere Straßen ^ 14 - hießen Phalsbourg, Belfort u. s. w. Den Zweck dieser Benennungen verstehe ich nicht recht, denn unmöglich kann das Lesen dieser Namen, die dnrch die erlittenen Niederlagen eine traurige Berühmtheit erlangt haben, angenehme Erinnerungen erwecken. Oder soll dnrch die Erwähnung dieser, für Frankreichs Waffen so unglücklichen Orte, gleich einem Nsnisnti inori, der Stachel des Rachegefühls stets geschärft erhalten werden? Wie dem auch sei, meiner Ansicht nach dient ein zu starkes Feiern der Siege ebenfalls nicht dem Zweck, nach Wiederherstellung des Friedens die Gemüther zu versöhnen. Deutschland hat darin ein Beispiel seiner hohen Mäßignng gegeben. All' die Tage jener großartigen Siege gingen selbst am ersten Jahrestage still und bescheiden an uns vorüber. Anf die Besichtigung des Aquariums verwendete ich einige Zeit. Die Anlage des Ganzen in einer dnnklen Grotte war recht ansprechend; die Thierchen, die man in den Bassins vorfand, waren aber nur solche, die man am liebsten todt, und recht schmackhaft zubereitet auf seinem Teller sieht. Außer Hummern, Karpfen, Aalen und höchstens Goldfischen war nicht viel zu sehen. Das so viel verhöhnte Berliner Aquarium ist also in meinen Augen gerächt. Wenu die Seestadt Havre darin nichts Hervorragendes zu zeigen weiß, was kann man von der Spreestadt Berlin erwarten? Am Eingänge befand sich übrigens das, wenn auch nicht in ein Aquarium gehörende, doch amüsanteste Thier des ganzen - 15 — Etablissements. Es war dies ein riesengroßer Pelikan, der jeden Eintretenden mit seinem langen Schnabel in den Arm zwickte. Der Wärter zeigte aber die kaut-schukartige Construction des Schnabels, der gar keiner Widerstandskraft fähig war, also anch keinen Schmerz vernrsachen tonnte. Die Personen, die bereits der Attaque des Ungethüms ausgesetzt waren, hatten nachher Gelegenheit sich an dem Schrecken der später Kommenden zn weiden. Der nut Bäumen bepflanzte Platz vor dem Theater, bis wohin ein Arm des Hafens sich erstreckt, bildet die Quelle des Hauptverkehrs der Stadt. Hier wird auch die Börse abgehalten, da ein Gebäude dafür nicht eristirt. Das schöne Wetter ersparte uns glücklicher Weise den Anblick, die ganze handelnde Stadt, nut anfgespannteu Regenschirmen bewaffnet, ihre Angelegenheiten ordnen zu sehen. Endlich, nach Verlauf einiger Tage tonnte man sich auch wieder Zeitungen kanfen. Der Figaro enthielt neben vielen „Blaguen" ein Gedicht anf Ponyer-Querticr, woriu dieser gepriesen nnd als Märtyrer hingestellt wird, der nur gefallen sei, weil er in dein Proceß Janvier de la Motte der Wahrheit die Ehre gegeben hätte, nnd das wäre in Frankreich eiu Verbrechen. Wohl wahr ist der Sinn dieses Gedichts, aber nach allen Seiten, anch nach der des Figaro ist dies zu beherzigen. Möge slch Herr von Villemessant das namentlich in Betreff der so wenig edlen Angriffe anf Trochu gesagt sein lassen, die ihn später in den bekannten Proceß verwickelten. - 16 - Bei Havre fällt mir eine Episode aus dem vorigen Kriege ein, die dort gespielt haben soll, und die ich damals in französischen Blättern selbst gelesen habe. Bei Annäherung der Preuften nach dein Treffen vom 27. November, das Amiens in den Besitz unserer Armee brachte, rüsteten sich die Havresen zn energischer Vertheidigung-ihrer Stadt. Es wurde zum Commandant sofort ein Commis mit dem Oberstlieutenants-Rang ernannt, der diesen wichtigen Posten zur Belohnung dafür erhielt, daß er den Schlupfwinkel einiger in Havre befindlichen harmlosen Deutschen verrathen hatte. Es ist dies eins von den Hunderten von Beispielen der Gambetta'schen Musterwirthschaft, die durch ihre Thatsachen lant gcnng reden, um jeden weiteru Kommentar dazu unnöthig zu machen. Den Abend verbrachte ich mit dem Capitain und Herrn Dedjcn in: (^lrunä ^livuti-e, wo wir allerdings einen merkwürdigen Begriff von der französischen Provin-zialbühne bekamen. In Paris ist die Schauspielkunst anf dem Gipfel der Vollendung, nnd hier in der Provinz liegt sie so tief am Boden! Es wnrden zwei Dramen gegeben, von denen wir an dem ersten von 7 Acten, das ^6 H1Ä8M6 äs i6r betitelt war, vollständig genng hatten. Das zweite Stück hatte l> Acte; danach hatte das Pnbli-cum den Abend über 12 Acte zu hören. Die Vorstellung begann um ^7 Uhr, und als wir nach 12 Uhr vorübergingen, wurde uoch immer gespielt. Ii6 luasHus äe ißi-, das, glanbe ich, anch übersetzt ___ 17 - auf deutschen Bühnen in Scene gegangen, ist eins von den Schauerstückeu, das so recht dem französischen Volte, das sich an der Pariser Morgue zu Tausenden ans Nm-gicrde herandrängt, das bei Ausgrabung der Traup-mann'schen Opfer in Pautiu kaum von der Polizei zurückgehalten werden kaun, — mit all seinen Ungeheuerlichkeiten, — uach seiuem (Geschmacke sein musste. Das Spiel war unter aller Kritik; der Hauptdarsteller, der den Oaston, den vermeintlichen Brnder Ludwig XIV., gab, hatte ganz die Allüren eines mit Geschäften überladeneu Kellners. Je mehr er aber herumtripprlte und schrie, desto größer war der Applaus. Eine Eigenthümlichkeit der Insceuesetzung war, daß beim jedesmaligen Auftreten eiuer Person die Musik eiuige Accorde into-nirte, wodurch allerdings der Situation des plötzlichen Auftretens, des I)6U8 6x in^cliiu^; der Eindruck total geraubt wurde. All' die schrecklichen Scenen, die beim Abnehmen der eisernen Maske durch Entstellung der Züge uud Gealtertsein beabsichtigt waren, schlugen bei uns ins Gegentheil um. Ein Umblick über das Publicum zeigte mir kaum einen Menschen aus den sogenannten gebildeten Klassen. Im ersten Nange saßen Männer m Blousen mit Mützen auf den Köpfen, feruer Weiber aus dem Volke mit kleinen Kindern anf dem Echooße. Sah ich mir diese Gesellschaft etwas uäher an, so glaubte ich fast, daß die Eommunc ihre tolle Herrschaft noch ausübte, so sehr war das Princip der „halite" darin vertreten. Eine Anfklarnna, zu diesem „gemischten" Pnblicum möchte Graf Arilgeö, RciMizzen, 2 __ 18 - Vielleicht darin gefunden werden, daß auf dem Programm mit großen Lettern stand i „rsM^ssntatiou po^nllürs". Doch anch dies war nicht mit den Preisen von 4 bis 6 Francs in Ginklang zn bringen. Dienstag den 12. März verließen wir Havre. Nur zu bald sollten wir erkennen, daß die schönen Stunden, wo das Meer glatt und eben ist, recht felten sind. Mit ihnen verschwand anch ein gutes Theil von- der Annehmlichkeit unseres Scelcbens. Im Laufe des Tages trat die Seekrankheit verheerend auf, bei Einem erschien sie früher, beim Andern später, aber sie kam und verschonte Keinen. Trotzdem hatten wir allen Grund mit dem Wetter zufrieden zu sein. Meistens war das Meer bei klarem Himmel recht schön beleuchtet. Die Wellen im Biscayischen Meerbusen waren laug uud gewaltig. In der Nähe erschienen fie unbedeutend, doch weiter hinaussehend gewahrte das Auge diese ewigen schwimmeudeu Berge und Thäler, die das Schiff in ihrem einförmigen Mollen in steter Schwankung erhielten. Sitzt man auf dem Deck, so gewahrt man in einem Augenblick die ganze ungeheure Wasserfläche vor sich, während man gleich daranf nur den Rand des Schiffs-geländers und den Himmel vor Augen hat. Das Alles verstimmt die Nerven in entsetzlicher Weise, so daß man sich selten auch nur einen Moment ganz wohl fühlt. Dabei äußert fich diefe Unbehaglichteit in geistiger Beziehung so abspannend, daß man weder mit Genuß zu __ ssj__ lesen noch zu schreiben im Stande ist. Am Morgen des zweiten Tages, als wir in directer Nichtnng nach Puden zu steuerten, sahen wir in der Ferne die schneebedeckten Berge der Nordküste Spaniens. Die Nnssicht bald wieder ans ^and zn kommen, stimmte uns entschieden heiter. Etwas wnrde anch nnsere Anfmerksamkeit ans die sogcnailnten Schwcinfische abgelenkt; sie sind ungefähr 4—l) Fnß lang nnd schwinlmeil mit einer fabelhaften Geschwindigkeit neben dein Dampfer, nm die ins Meer geworfenen Abfälle zn verzehren. Manchmal sprangen sie ^—4 Fnß über die Wasserfläche. Ihr Fleisch ist genießbar, aber sie sind schwer zn fangen. Nachmittags langten wir vor dem Hafen von San-tandcr an, dessen schmaler Eingang durch sehr bedcntende Brandnng, geringe Tiefe nnd weit hervorragende Felsen ebenso schwierig als gefährlich ist. Möchten doch die Spanier etwas von ihren Nachbarn, den Franzosen im Bauen von Häfen und richtigem Ansm'chen derselben lernen. Bis jetzt soll alles Derartige noch in einem be-daneruöwerthen Zustande sein. Die Indolenz des Volkes nnd die ewigen Pronunciamentos lassen dort solche gesegneten Arbeiten des Friedens nicht znr Neife gelangen. Der Thron von Amadeo primer» soll, wie mir die Bürger von Santander versicherten, anch schon gewaltig wackeln und es wird wohl nicht lange dauern, daß die Nemesis ihn dasselbe Schicksal erfahren läßt, was sein Vater, so gegen alles Recht uud Gesetz, der katholischen Kirche uud den legitimen Fürsten Italiens bereitet hat. ^ 20 - Den Abend verbrachten wir unter dem strömendsten Regen in der Stadt. Als Merkwürdigkeit wurde uus das Rathhaus gezeigt. Der Aufgaug dazu war mit den übelsten Gerüchen angefüllt, wie denn überhaupt diese uud Schmutz ein Hauptmerkmal der Stadt bildeten. In den nach französischem Geschmack eingerichteten Cafes war das Dominospiel die vorherrschende Beschäftigung. Der Tag der nun folgte, brachte uus rechtes Aprilwetter, oder wie der Franzose sagt, win^» ä« m^r«, da die wechselnde Witternng in jenm Ländern m dcn März fällt. Sonnenschein und Regenschauer folgten sich schnell. Dabei trieben plötzliche Windstöße die Brandung in enormer Höhe gegen die Felsen, von wo sie in weißem Gischt wieder zurückprallte. Oder die wild gepeitschten Wellen stürmten so gegen die Sanddünen an, das; sie auf der eutgegengcsetzteu Seite, Cturzbächen gleich, sich wieder hinabstürzten. Gegen 10 Uhr Morgens wurde ich ails meiner Cabine gerufen, um einen Schooner in nur 4—500 Schritt Entfernung von unserem Steamer stranden zu zu sehen. Es war ein spannendes schreckliches Schauspiel, von dem ich eine dctaillirtere Beschreibung geben will. Nnßer der Germania lageu uoch zwei kleinere Segelschiffe näher dem offnen Meere zu. Tiefer in den Hafen hineinzukommen, war ihnen nicht möglich gewesen, da die Ebbe eingetreten war. Dein kleinsten von beiden, — 21 — eiuem Schooner von ungefähr 10 Mann Besatzung, riß bei der hohen See der Anker, nnd von dein Momente an war sein Untergang besiegelt. In wenigen Mimtten, die kanm genügten, den größteu Theil der Mannschaft in ein Boot flüchten zu lassen, war der Schooner ein Spielball der wilden empörten Brandung. Bald erreichten die Wellen das Deck des Schiffes, und von nun an sah man bald den Kiel oben nnd die Masten unten, bald Alles umgekehrt, Eine lehte gewaltige Welle kam, und das unglückliche Fahrzeug wnrde fest in die Sand-dunen eingekeilt. Unsere bangen spähenden Blicke hingen an dem Wrack, nnd wir versuchten zu erkennen, ob noch Mensche» darauf wären oder nicht. Mehrmals glaubte der Capitain welche zu erblicken, aber der weiße Schaum der Wellen ließ keine (Gewißheit, und entzog uns das schrecklich schöne Schauspiel durch seinen Schleier. Bald nachdem die Aukerkette gerissen war, sah man ein kleines Boot in der Nähe des direetiouslos umhergeschleuderteu Schooners, in dein ungefähr 6—8 Menschen arbeiteten, um aus der todbringenden Vrauduug herauszukommeu. EZ war dies die Vcmanunug, die noch in der größten Lebensgefahr schwebte. Uebermenschliche Kräfte erforderte es, gegen die Wogen zu kämpfen, um uicht in den Strudel hincingcrifsen zn werden. Ein größeres Boot ging vom Hafen aus entgegen, und nach Momenten der suanncuo-sten Aufregung sah man die Menschen aus der kleinen Nußschale in das größere Fahrzeug gerettet. Wie ich __ 22 — später zu meiner Freude iu der Stadt erfuhr, waren Alle dem wüthenden Elemente entrissen worden. In der Nähe des Wracks erschienen nun von allen Seiten Gestalten. Sie kamen zn sehen, ob ihnen das Strandrecht eine günstige (5'rnte verspräche. Dasselbe giebt nämlich den Strandbcwohnern, in deren Nähe ein Schiff gestrandet ist, das Recht, — falls alle daranf lebenden Wesen umgekommen sind, — das Wrack und Alles was darinnen ist, als (Eigenthum zu behalten. Befindet sich dagegen noch ein lebendes Wesen darauf, und sei es selbst ein Hund oder eine Katze, so ist auf das Strandrecht nicht Ansprnch zu erheben. Nur zn häusig ereignet es sich, daß die Strandbewohner sich nicht sehr scrnpnlös darin zeigen, und etwaige ans dem Wrack noch lebende Wesen schleunigst in die andere Welt befördern, damit ihnen ihr Vortheil nicht entgeht. Unter abwechselnden heftigen Platzregen und Sonnenschein fuhren wir wieder in die Stadt, um dieselbe am Tage zu besichtigen. Die Lage uon Eantander ist sehr hübsch. Der von der Natur angelegte Hafen schneidet tief ins Land ein, umrahmt von vielen hohen, kegelförmigen Bergen. Allmählich erhebt sich die Stadt gegeil die Verge zn. Stattliche neue Häuser, 4—l> Stock hoch liegen am Quai, nnd gewähren einen imposanten Anblick, der einen nnr zu großen Contrast gegeil das ziemlich elende Innere bildet, beider verhinderte uns das unsichere Wetter un- — 23 — fern Vorsatz, einen Ausflug in die schone Umgegend zu machen, zur Ausführung zu bringen. Am liebsten wäre ich nach Vnrgos gefahren, das nur 4 Stunden per Bahn entfernt ist, um die so berühmte ssathedrale, die schönste Kirche Spaniens zn sehen; doch wollte ich mich nicht von meinen Reisegefährten trennen. So wenig Eantander Merkwürdigkeiten besitzt, so zeigte es mir doch zum ersten Male in meinem Leben eine spanische Stadt, und bot durch deu Reiz der Neuheit manches Interessante. Zahlreiches Volk lag am Hafen umher, gleich den meisten Südländern sich mit Nichtsthun beschäftigend. Theilweise war es schrecklich ^rlnmptcs Gesindel, aus dessen sehr mangelhaften Costümcn hauptsächlich die blauen nnd gelben Farben hervortraten. Auf dem Kopf tragen die Männer die sogenannte baskische Mütze, die malerisch auf eine Seite gesetzt wird. In den Mittel-Nassen hatten sie sich größtentheils den spanischen Mantel so umgeworfen, daß nur die schwarzen Augen hervorblitzten. Diese Drapirung erinnerte mich anf das Lebhafteste an meine Jugendzeit, denn gerade so hatte ich mir immer „Moros mit dem Dolche im Gewände", uor-gestellt. Ich gehe nun zu dem Anziehendstell der spanischen Bevölkerung über, das sind die Frauen. Unmöglich ist es, etwas Reizenderes, Graziöseres zu sehen, als ihren Gang und ihre Haltung. Die in die Höhe gekämmten — 24 — Haare sind mit der so kleidsamen Maittille arrangirt^ die über den Rücken bis zur Taille herabreicht. Ist mm, wie dies damals der Fall war, schlechtes Wetter, so heben sie in zierlicher Weise die Kleider in die Höhe^ und zeia.cn fast durchschnittlich einen schonen Fuß. Die regelmäßigen Züge, die großen schwarzen Angen haben etwas so Sanftes und Sympathisches, daß wir Neulinge uns gar nicht daran satt sehen konnten. Wir flanittm weiter in der Stadt umher. Die Hauptstraße, Calle San Francisco ist mit großen Quadersteinen gepflastert und nur für Fußgänger bestimmt. Vor jedem Fenster ist eine Art kleiner Ballon uon Eisen. Die malerisch gelegene Cathcdrale bot keine besonderen Merkwürdigkeiten für den Reisenden. Recht schlechte ^uft war darin, wie in den meisten Kirchen Spaniens. In dem großen alten Klosterl/ofc ging eine Anzahl Geistlicher spazieren, denen auch der Gebrauch der Seife seit längerer Zeit aus dem Gedächtniß gekommen zu sein schien. Hier fand ich, Mitte März, die schönsten blühenden Noscn. Hohe schlanke ssypressen wiegten leise ihr ehrwürdiges Haupt, uon milden Lüften bewegt nnd über dieser lachenden Natur wölbte sich ein herrlicher blauer Himmel. Ach, hier empfand ich zum ersten Male wieder die Poesie des Südens! Die blühenden Rosen und d«'r tiefblaue Himmel, sie machten die Eiskruste schmelzen, die mein Herz so lange - 25 — umlagert hatte, sie erinnerten mich an herrliche schöne Zeiten, die leider nie wiederkehren, die ich einst in Italien verlebt hatte! Ein altes Eastell das in Verbindung mit drin Kloster stand, zn betreten, wurde nns dnrch eine Schildwache verwehrt. Nachdem meine Begleiter mich dem wachhabenden Sergeanten als Officier vorgestellt hatten, erlaubte dieser den Eintritt, der nnr des hübschen Blickes auf Stadt und Hafen wegen von Interesse war. Was ich von spanischem Militair iu Sautauder sah, war nur ein kleines Detachement des iu Sautouia, einem festen Platze an^ der Küste, befindlichen Regiments. Es war nicht im Stande, mir einen großen Begriff dauon zu machen. Die Soldaten ware» erbärmlich augezogen, und von militairischer Haltnng war keine Spur vorhanden. Die meisten (Gefährte, die nur sahen, waren von Ochsen oder Maulthieren gezogen, die alle einen recht abgetriebenen Eindruck machten. Vor die Diligeucen faud ich manchmal !>, vor Vastfuhren ^ Manlthiere gespannt, und zwar immer ein5 hinter dem anderen. Das Mittagsmahl, das wir in der Stadt einnahmen, zeigte mir die den Spaniern so eigene Vorliebe, Fremden Alles zn geben oder zu bezahlen, was sie wünschen. Wir hatten den Agenten der Hamburg-Amerikanischen Packetboot-Gesellschaft, der uns bei Besichtigung der Stadt in liebenswürdiger Weise als Führer gedient hatte, eingeladen mit tins zu esfeu. Als wir die Rech- - U - Ming später berichtigen wollten, hatte er dies bereits gethan: Weder Bitten noch Drohungen konnten ihn bewegen, die Sache zu ändern. Und wir mußten uns hineinfinden, als er unser Weigern für ihn tief beleidigend erklärte. Den Abend verbrachten wir in einem Cafö, das von den mittleren Klassen Hauptsüchtich besucht war. Wir sahen dort etwas vom Volksleben und hörten ciuem mittelmäßigen (Uauierspieler zu, der herzhaft ein Instrument verhämmerte. Nach einer Pause löste ich ihn ab, und trug den erstaunten Spaniern deutsche Lieder vor. Am andern Morgen erwachte ich durch so heftige Bewegungen in meiner Cabine, daß verschiedene Toilctten-gegenstünde vom Nagel fielen, und ich in meinem Bette umhe'rrolltc. Ach, die leidige Fahrt hatte wieder begonnen, nnd dieses Mal dauerte sie 1(i Tage, ohne Unterbrechung, ohne daß Land sichtbar wurde. Ich will von den ersten Tagen schweigen, die ich nun verlebte, es wäre wenig Erbauliches dauou zu berichten. Schweigen will ich von den Unbehaglichkeiten nnd trüben Stunden, die man verbrachte. Hatte ich doch den Trost, Alle mit mir leiden zu sehen. Wie ist man doch in solcher Zeit unempfänglich für die Schönheit des Meeres; wie verwünscht man dasselbe, nnd glaubt es nur erschaffen, um den Menschen Qualen zu bereiten. Was mich anbetrifft, so muß ich gestehen, daß der Momente, in denen ich mich ganz wohl fühlte, nur recht wenige waren. Und doch hatten wir eine so schöne Ucberfahrt! - 27 — Die so übel berüchtigte Aequiuoctialzeit meinte es gnädig mit uns. War anch manchmal die See etwas bewegt, so hatten wir in: Ganzen die größte Ursache dankbar zn sein. Die einzige Möglichkeit Land zn sehen, war bei den Azoren, bei denen wir ziemlich dicht vorüber mnßten. Doch ein neidisches Verhängnis; entzog uns anch diesen Trost dnrch trübes Wetter. Den Geburtstag nnscres theuren Kaisers feierten wir so gut es anging, und da die See gerad? ziemlich ruhig war, wurde des Abends vom Capitain ein Ball arrangirt. Man tanzte fleißig, flog aber, wenn manchmal eine starke Welle ankam, mit seiner Dame mit dem Kopf au die C'isenstangen, die die Decke des Salons trugen. Die Wirkuug der südlicheu Richtung, die wir einschlugen, machte sich allmählich fühlbar und ein großes Leiuwaudzelt wurde aufgespauut, um uus gegen die glüheudeu Strahlen der Soune zu schützen. Theilweise recht schlimme Tage hatten wir ahrr noch zu verleben. Saß man auf Deck, so fiel mau mit dem Stuhle plötzlich um, und die Damm machten nur ihre Promenaden, wem: sie sich auf das krampfhafteste au den Arm eines Herrn klammern« kouuteu. Manchmal ereignete es sich, daß solche umhcrschwaukende Pärchen klüglich zu Mil kamen, znm erbarmungslosen Gelächter der übrigen Passagiere. Bei den Mahlzeiten flog Einem dann zuweilen durch eiueu heftigen Stoß ein Teller Suppe über den Hals, uud mau hielt sich an den Sitzeu fest, wie — 28 - cm Papagei im Reifen. Teller uud Gläser wurden nur durch hölzerne Nahmen auf dem Tisch erhalten. Ach, es waren zuweilen heillose Zeiten! Und man malte sich dann in seinem Innern den Plan aus, bei der ersten Landung die feste Erde nie wieder verlassen zu wollen, sich dort zu etabliren, und das treulose Element nicht wieder zu versuchen. Zu den körperlichen Leiden gesellte sich eine schreckliche Langeweile, dic deshalb nicht zu bekämpfen war, weil jede geistige Unterhaltung unmöglich wurde. Es war uueudlich schwer drei Minuten seine Aufmerksamkeit auf rillen (Gegenstand zu richten. Das Auge sah trostlos nur auf die Berge und Thäler, die das Meer bildete. Und doch waren es schöne erhabene Momente, wenn man gan^ vorne anf der Spitze des Schisses saß und durchnäßt zuschaute, wie das Vordertheil das Meer durchschnitt, dessen Farbe das tiefste Blau annahm. Wohl habe ich dann oft an die schöueu Seestücke des leider so früh verstorbenen Meisters Hildebrandt gedacht, mich erinnert, wie in Berlin, namentlich bei seinen letzten Werken, superkluge Kunstkritiker sagten: „solche tiefe Farbe hätte das Meer nicht, das wäre übertriebe» und ein ver-irrtcr Geschmack." Und doch war sie der Wirklichkeit treulich entsprechend und herrlich wiedergegeben. Stand man auf der Brücke deZ Eavitatns, so konnte mau am besten das Treiben nnd Spiel der Wellen beobachten und die Vermessenheit des menschlichen Geistes, auf we-nigm Bretteru den Elementen zu trotzen, bewundern. — 29 — Tage vergingen, ohne daß wir ein Schiff sahen, und erspähte man wirklich eins, so stürzte Alles nach den Ferngläsern, nnl Ort und Heimath desselben zu erkennen. Ungefähr !'> Tage vor der Ankunft in Habana wurde das Wetter herrlich nnd die Cee unendlich ruhig. Welche angenchtne Erinnerung gewährt mir dieser Abschnitt der Reise! Welch' reizende Stunden verlebten wir nui, zusammen, nachdem wir unsere Leiden vereint getragen hatten. Herrlich ging die Sonne unter nach des Tages Last und Hitze. Noch lange Zeit, nachdem sie in das Meer getancht war, erschien im Westen der ganze Himmel vergoldet. Man begab sich dann mit den Damen auf den zweiten Platz, wo die jungen Spanier mit viel Anmuth Fandango, Aragonesa oder andere Nationaltänze tanzten. Die Musik dazu war höchst einfach,, aber man konnte ihr Originalität nicht absprechen. Mit zwei zinnernen Löffeln wurde anf ein mit Möckchen versehenes Tam-bonrin der Takt geschlagen und dazu sang ein Nichttänzer den Rhythmus einer nationalen Melodie. Die Tänzer imitirten dazu die Castagurtteu. Um wie viel malerischer ist uicht solch' ein ächter Nationaltanz, als da5 nachgeahmte Hernmhnpfen desselben auf unseren Buhnen mit den aufgeputzten Darstellern und dem ewigen Grinsen auf dem Antlitz. Eine große Zerstreuung boten uns italienische Musikanten, die gleich uns nach Habana gingen, und die ihre - 30 - Kunst recht hübsch verstanden. Als großer Musikfreund hatte ich mich der Sache angenommen, die besten Kräfte ausgesucht und nur dadurch iu hohem Maße den Dank der Damen errungen. Michele Bolino uud seiu jüngerer Bruder Beppo, zwei Neapolitaner, vertrieben uns durch ihr reizendes Talent in uucudlich angenehmer Weise die Zeit. Grstrer spielte die Harfe, letztrer die Violine. Nach dem Gehör, das bei ihnen außerordentlich ausgebildet war, trugen sie uns aus fast allen italienischen Opern etwas vor, oder wechselten mit den so eigenthümlichen spanischen Weiseu der Malagcnia, des Bolero n. s. w. Nichts Poetischeres, Malerischeres kann man sich denken, als die Wasserfläche, die in ihrer Unendlichkeit so ruhig, so majestätisch war. — Der Mond fiel auf das weite Meer, das gleich einer silbernen fläche glitzerte und schillerte. Die sauften Töne der Harfe zogen sich klagend dahin, ein Kreis schöner anmnthiger grauen, durch das milde blasse ^icht des Himmelskörpers beleuchtet, hörte aufmerksam zu, und Wehmuth und Sehnsucht spiegelte sich auf manchem Antlitz wieder. Die Sprache der Musik, sie geht ja jedem fühlenden Wesen zu Herzen. Wie oft bedauerte ich, nicht durch deu Pinsel jene reizenden Scenen wiedergeben zu können. Und so saßen wir manchmal bis 3 Uhr des Morgens, die herrliche milde Luft auf Deck der heißen engen Cabinc vorgehend. Mond und Sterne erschienen hier unter dem südlichen Himmel viel größer uud glänzender - ^I — als bei uns. Ja, cs kam mir vor, als ob man am Firmament einige Millionen Sterne mehr erblicke; die Reinheit nnd Klarheit der Luft mag wohl die Ursache davon sein, daß Sterne, die man nntcr den Tropen cr^ blickt, dem Ange durch die schwerere Luft in der Heimath entzogen sind. Wundervolle Effecte bot der Mond, wenn dunkles Gewölk am Himmel stand. Bald drängte er sich hinter demselben hervor, die Nander davon all-mühlich versilbernd, bald bedeckte die tiefste Dunkelheit die weiten Gewässer. Diese Licht- nnd Schattcnpunkte geben ein trenes Vild des menschlichen Lebens und Herzens mit seinem Knmmer nud Wehe oder mit seiner anfiauch-zendcn Freude und Lust. Einen wundervollen Nnblict gewährte es, wenn Nachts eine leichte Arise die Oberflüche des Meeres kräuselte, die dauu ein Mcerlenchten erzeugte. Die ganzen Spitzen der Welleu erschieucu wie Feiler, bald heller, bald wieder erlöschend. Ueber den eigentlichen Grnnd dieses Phänomens sollen die Gelehrten noch nicht einig sein. Einige führen es anf Milliarden kleiner Thiere zurück, audere behaupten, daß es phosphorisch wäre, und diese Annahme will mir auch am meisten einleuchten. Nie habe ich das Meeresleuchten schöner gesehen, als im Hafen von Havana. Des Morgens crblickteu wir stets fliegende Fische in großen Schwärmen, die auch für dm Neuling etwas Märchenhaftes haben. Sie find uugefähr l Fuß lang, haben glitzernde Schuppen und erheben sich durch lange _ II _ mit großer Kraft begabte Rückenflossen. Höher als 2 bis 3 Fuß über die Wasserfläche steigen sie selten. Die Entfernung, die sie fliegen, ist vielleicht 1W Schritt; dann fallen sie wieder ins Meer. Eine Sturzwelle, die über Bord ging, brachte uns mehrere dieser Thiere auf das Schiff. Sie wurden gefangen und uns so Gelegenheit geboten, sie näher zu besichtigen. Große Massen grüner Gewächse mit gelben hqrten Beeren trieben im Meere umher; znweilen in solcher Anzahl, daß das Wasser ans Meilen hin grüne Farbe annahm. Endlich, es war gerade am Ostersonnabende, nachdem wir 14 Tage nnr Wasser gesehen hatten, erblickten wir Land. Unser tüchtiger Cauitain hatte uns nut großer Genauigkeit schon 24 Stunden vorher, die ^eit angegeben, zu welcher uns dieser so lang vermißte Anblick zu Theil werden sollte. Nls es uns zuerst gezeigt wnrde, sahen wir nichts davon und es bedürfte langer Hcit, ehr sich das Auge daran gewöhnte. Die Küste ist zndem recht flach uud deshalb schwer erkennbar. Die Frende war eine allgemeine. Die sonst so rescrvirten Spanierinnen fielen sich um den Hals nnd Alles war in der ausgelassensten Stimmung. Wir vassirtcn ziemlich nah die Bahama-Inseln, Nassau nnd am andern Tage Florida. Das 'Land erscheint öde und unfruchtbar, und ist deshalb schwach bevölkert. Für Iagdliebhaber soll Florida ein ergiebiges Terrain sein, und Panther und Büffel werden dort in Unzahl jährlich erlegt. Das Klima ist - 33 — sehr ungesund. Die flachen Küstenstriche nud großen Tümpfe erzeugen die verderblichsten Krankheiten. Am Morgen des zweiten Osterfcicrtagcs, am I.April erblickten wir Cuba, I^ ^eria, äs 1^8 ^Qtiii^, wie die Cpanier sie schon unter Columbus wegen ihrer Schönheit und Fnlchtbarleit uanutcu. Das herrliche klare Wetter ließ uus bald die zackigeu Gebirge erkennen, die sich in der Nähe von Matanzas einige Tausend ssuß hoch erheben. Das Meer war ruhig wie ein Laudsee, uud Alles war oben au Deck. Die Creolinncn weinten fast vor Freude ihr Heimathland wieder zu sehen, eiu Gefühl, das ich uollkommeu jetzt begreife, nachdem auch ich uuter den Palmen Cuba's gewandelt bin uud die herrlichen Lüfte mit vollen Zügen eingeathmet habe. Liebt doch der Lappländer das scheußliche trübe Land, das ihn geboren hat; er kommt vor Heimweh um, selbst in den schönsten Ländern: nm wie viel mehr gerechtfertigt ist nicht die Sehusucht uach den Tropenlündern, die die Natur in so üppiger verschwenderischer Weise mit allen Reizen ausgestattet hat. Allmählich entdeckte das spähende Auge die weißen Gebäude vou Habaua. Lang streckt sich die Stadt vou einer Landspitze am Meere bis in das Innere des Hafens hiuein. Die das Gauze bcherrscheudcn Höhen von wäßigcr Erhebung siud gekrönt von Festuugswerkeu, dereu Ctt)l, aus den Zeiten des Columbus bis auf die Jetztzeit, die verschiedeneu Phaseu erkeuuen läßt. No das Auge auf Grüues fällt, erblickt es Palmen, Graf Vrugcs, NcijesliMn. ^ — 84 - deren schlanker hoher Wuchs mit der groben Blättcrtronc in seiner Eigenthümlichkeit nnd ^^enheit einen unendlichen Reiz ausübt. Der Gingang in den weltberühmten Hafen ist sehr schmal. Felsennfer engen das Meer hier scharf zusammen. Steil erhebt sich das ,vort Morro mit seinein hohen Leuchtthurm ans dein Meere, jedem feindlichen Eindringen ein gewaltiges Halt zurufend. Mit großen schwarzen Lettern ist der Name seines Gründers, des Marschall O'Donnell, Herzogs von Tctuau, eines der bedeutendsten (General-Eapiiain^ der,^iisel, in den Felsen eingehauen. Der Lootse geleitete uns in den Hafen, der von unzähligen schiffen allev Nationen gefüllt war. Wer nie in seinem Leben eine lange Seereise mit all' ihren Beschwerden durchgemacht, tann nicht das (befühl das nns beim Einlaufen in den Hafen bewegt, begreifen. Es ist dies ein trenes Bild ans dem menschlichen Leben. Man arbeitet nnd strebt einem Hiel entgegen, das erreicht, im ersten Augenblick uueudliche Freude bereitet. Doch nnr gar zn schnell ist dies vergessen nnd rastlos treibt nnd jagt der Mensch vorwärts, bis er endlich im letzlen Hafen eingelaufen ist, wo allem Sehnen, Wüuschen nnd Hoffen für immer ein Ziel gesetzt wird. Es ist der Tod auch ein Hafen nach den Stürmen nnd wechselvollen Schlägen des Lebens. Nnr dort ist Schntz da^ gegen; nur dort ist das arme Menschcnherz befreit von all' den kleinlichen Sorgen, die nnr zu tief in das alltägliche Leben eingreifen. __ A-) __ langsam glitt die Germania durch das Wasser dicht am Ufer vorbei. Das Bild, das sich mm bot, war überraschend; es war weiliger schön, als neu und charakteristisch. Hnndcrte von Siegern arbeiteten oder standen am Ufer; kleine Kähne umschwärmten uns; die Insassen boten uns Früchte an, oder wollten uns nils Land fahren. Große überfüllte Dampfschiffe, ans denen die meisten Männer in weisen oder ganz hellen Anzügen gekleidet waren, das Haupt mil ricsigen ^trohhüten bedeckt, — vermittelten die Verbindung eines Ufers des Hafens mit dem andern. Um dem Bilde für einen direct ans Europa Kommenden einen noch' fremderen Charakter zu geben, flog ein immenser Pelikan mit ausgebreiteten Fittichen majestätisch dnrch die ,^nft. Ein nordamcrikanisches Kriegsschiff mit einein Admiral an Bord schickte sofort zu nnserm ^'apitün, ihn um dentsches Bier zn bitten. Der Augenblick dazu, wo ächterem der Kopf vor Arbeit brannte, Vootsen- nnd Saul> täts (Immission, Hafeubeainte, nnd <^ott weiß was noch Alles abzufertigen war, fchien mir nicht recht geeignet ^u sein. Doch danach frageil in der Regel die Nordameri-kaner nicht. Endlich wnrde der Anker geworfen, nnd ^war in der Nähe des wunderschönen spanischen Kriegsschisfes Saragossa, das man mit Ruhe betrachten konnte, und das aussah wie ein Schmnckkasten. Unsere Hoffnnng, gleich ans Valid gelangen zu töuncu, wurde bitter getäuscht, nud wir wurden gewahr, - 36 - daß wir in dm April l^es war ja gerade der erste), geschickt word eil waren. Es bcsandm sich nämlich im Zwischendeck zwei Pockenkranke. Der Capitain hatte mit sehr richtigem Takt, um die übrigen Passagiere nicht zu ängstigen, darüber vollständig geschwiegen nnd nnr der Schiffsarzt war natürlich Mitwisser dieses Vorfalls. Jetzt wollten uns selbstverständlich die Sanitätsbehörden mit Quarau-taine belegen. Welcher Verdruß! Das Frühstück schmeckte uns kaum. Die Sonne brannte furchtbar in dem von Bergen umschlossenen Hafen. Selbst ein heftiger Gewitterregen brachte teine Abkühlnng. Von Langerweile gequält, setzten wir uns zu Tisch, da tam die Nachricht, daß wir ails Land durften. Gin allgemeiner Freudenschrei beantwortete diese angenehme Botschaft, und Alles rüstete sich znm Anfbrnch. Doch da erst bemächtigte sich nnser der (bedanke des Abschiedes, der um so schwerer sein mußle nach unserem einträchtlichcn Leben. Man hatte sich tenncn nnd schätzen gelernt, all' die kleinen Beschwerden gemeinsam getragen jetzt riß uns das Schicksal wieder auseinander; vielleicht anf Nimmerwiedersehen. Za, manchmal will es mir erscheinen, als ob man sich nur tmnen lernt, um sich nachher wieder zu trennen, nnd als ob man durch den dabei empfnndenen Schmerz es dem Schicksal gegenüber entgelten mnßie, angenehme Stnnden verlebt zu haben. Dem Capitain wnrde eine Adresse von den Passagieren ^ 37 — der verschiedenen CaMcn überreicht. Die der ersten Cajntc hatte lediglich den Zweck, unsere Anerkennung für die in jeder Beziehung tüchtige Leitung, für gute Verpfleguug und Behandlung auszusprcchen. Die des Zwischendecks hatte aber noch einen tieferen Grund. Die Linie der spanischen Schiffe hatte, wahrscheinlich aus Neid über die Concurrcnz, in den Zeitungen die verschiedensten schlechten Gerüchte über die Hamburg-Amentanische Packctboot-Gesellschaft verbreitet, uud diese Adresse sollte, selbst von Spaniern ausgehend, die Uurichtigkeit solcher Augabm auf das Mäuzcudstc beweisen. Zweites Capitel. Habana. — H^itel. — Leben und Bevölkerung. — Volanten. — Neger-Ellaven. — ValnVarios. — Insurrection. — Vegetation. — «^ttbanischc Niichte, (^ war schon gegen Aln'nd, nlü wir in dein Bool des Capitains die Strecke vom Dampfschiff nach der Stadt zurücklegten, (iine Droscht brachte un5 init lobl.'N5w>,'rther Schnelligkeit nach dem ersten l^'astchof? Ha-banas, dem Hutel de Telegrafo. Die Fahrt dahin zeigte un5 die neuesten Bilder. Man sieht sich wie mit einem Zanberschla^e gleichsam in eine ncne Welt versetzt; die langen bis anf die Erde reichenden» Fenster sind mit lottern versehen, hinter denen die Damen, ssl'pnht im Festtagstleide sitzen. Die ganze innere (i'iurichtnng des Hauses liegt dem Beschauer znr Ansicht offen; dabei haben diese Gitter für den Neuling etwas Gefängnißartiges, an das sich aber das Auge gar bald gewöhnt. Da5 5/ebcn und Treiben ist ein anfterordcntliches. Unzählige Droschken und Wagen jagen durch die Straften, die überaus glänzend erleuchtet sind. — 39 — All' die Schwarzen, die in größerer Zahl als die Weißen auf Euba leben, tragen nicht wenig dazu bei, die Eigenthümlichkeit des Ganzen zu erhöhn. Was das Leben in den Straßen und die unzähligen Gasflammen anbetrifft, so erinnerte mich all jenem ersten Abend Habana, alles Andere natürlich abgerechnet, auf das Lebhafteste an Paris. Die überfüllten recht elegant eingerichteten Cafes zeigten mir den größten Theil der Mcnfchen in Uniform. EZ sind dies die sogenannten Voluntarios äs lg, 1il)sr» taä, wörtlich freiwillige der Freiheit, die zur Unterdrückung deö noch immer gährenden Aufstandes sich haben anwerben lassen, und auf die ich später, bei der wichtigen Stellung, die sie bei ihrer großen Anzahl einnehmen, noch ansführlich zurückkommen werde. Das Hütel de Telegrafo ist wie seine übrigen Geschwister in der t^ri-H tNlionts in'Vetreff von Bau und Einrichtung gänzlich verschieden von derartigen europäischen Etablissements. Es liegt an dem Eampo Märte, einem großen mit riesigen Gittern nnd Pfeilern eingefaßten Platze, anf dem ich aber alles Andere, als etwas dem Mars Angehörige sah, - im Mittelpunkt der Stad't. Die Eolonnadcn am Eingänge dienen dem fremden zum Sitzen und Luftschöpfen. Große Leinwandvorhänge, die bis znr Erde reichen, schützen am Tage uor der glühenden Einwirkung der Sonne. Der fremde Europäer kommt nuu augefahren iu der Erwartung, daß Jemand aus dem Hötel heransspränge, ihm behülflich zn sein, das Gepäck zu nehmen u. s. w. ^- 40 — Nichts davon! Nachdem wir eine Weile gesessen, entschlossen wir uns den Wagen zu verlassen und verlangten ein Zimmer, das nns versprochen wurde. Dieses Zimmer war aber, wie wir nachher ;u unseren: Schrecken bemerkten, der Eßsaal, wo wir von den Mosquito's während der Nacht auf solche Weise bearbeitet wurden, daß wir am audereu Morgen ganz entstellt waren. Da erst wnrden andere Zimmer frci und wir zogen mit ver-schwollnem Gesicht dort hinein. Die nnteren Nünme bilden die Eßsäle, die in sehr bedeutender Höhe so eingerichtet sind, daß jede Art Zug durchsausen kann. Die Wände und Decken sind unr geweißt. Tapeten oder gemalte Wände findet mau nirgends ans ^uba, selbst nicht in den vornehmsten Hänsern. Zug ist eine gesuchte Waare; im Zug zu sitzen ist der Ehrenplatz des Hauses, und ^tets placirt man so den Besucher. Glücklicherweise hat er in der heißen Zone keinen nachtheiligen Eiufluß auf die Gesundheit und Jeder sucht ihn gern ans. Schön bemalte Glasfenster, die man in Ha-bana als Luxusartikel häufiger antrifft, schützen bei unfreundlichem Netter während des Essens vor dem sehr lästigen Winde. Die Wohnzimmer im Hotel, die nm einen Hof liegen, um den etagenförmig Galerien laufen, sind allerdings unglaublich primitiv. Der steinerne unebene Fußboden lst nur vor dein Bett mit einem kleinen Stück Teppich bedeckt. Das übrige Ameublemcnt in diesem Naume, der mir wie ein Kerker vorkam, besteht in einem — 41 — kleinen wackeligen Waschtisch, einem Schemmel, zwei Stühlen und in einem schmalen Tisch. Kleiderschrank nnd Commode waren Luxusgegenstände, die dnrch Nicht-vorhandcnscin glänzten. Die Gardine, war ein graner Leinwandlappen und das Fenster wie allenthalben hier bis anf den Boden reichend, war mit Gitter versehen und hatte keine Scheiben. Die Thüre wurde dnrch ein großes Vorhängeschloß dem unbefngtcn Besucher versperrt. Das beste nnd dem Clima am meisten entsprechende Mcuble war das Bett. Es war au5 Eisen mit hohen Stangen, von denen Mnfselinvorhänge herabfielen, die gegen die Mosquitos schützen sollen. Eine Matratze und ein Strohsack waren nicht vorhanden, dagegen schläft man anf einem Nahmen, über den eine starke Leincwand fest aufgespaunt ist. Darüber eiu Laken und zum Zudecken eine leinene Decke. Hat man sich an diese Art Betten einmal gewöhnt, so sind sie recht angenehm. In nnseren europäischen Betten würde man es vor Hitze gar nicht anshalten. Die Stadt Havana ist regelmäßig gebant. Die Straßen sind eng, schlecht gepflastert nnd die Hänser haben selten mehr als einen Stock, in der Regel nur ein 582 clß 0Ü3.U8866. ^In jedem Hanse ist eine enorme Thür^ die zum Ein- nnd Ansfahren der Equipageu dient. Man geht fast gar nicht zu Fuß; die große Hitze macht es für die Gesundheit außerordentlich nachthcilig. Die meisten Leute haben eigenes Fuhrwerk, die Uebrigen __ 42 __ benutzen selbst ans den kürzesten Streckeu Droschken, die, glaube ich, in keiner Stadt uerhältuißmäßig in so großer Anzahl vorhanden sind als hier. Die Hauptstraßen Habanas sind zum großen Theil mit Leinwand überspannt, eine Maßregel, die bei dem Clima sehr wohlthuend ist. Die meisten Krankheiten haben ihren Ursprung, ich habe das selbst an mir erfahren, darin, daft man sich den Sonnenstrahlen aussetzt. Reinlichkeit und Ordnung sind Dinge, die man hier nicht vorfindet, weder am Hafen noch in den Straßen. Alle it-halben werden die Unräthe oder ^rnchlüberreste hiugc-schüttet, und bei der glühenden Sonne geht Alles iu Kürze in Verwesung über und beleidigt die Gernchsnerven in der empfindlichsten Weise. Kein Wnnder, daß ein <<1ima mit diesen Miasmen schädlich ist. Verführe mau selbst bei uus iu Norddentschland in solcher Weise, so würoeu Evidemieen die unausbleibliche Folge davon sein. Wie oft habe ich nicht in diesen Bändern, anch in Mexico, an den Straßen, anf den Feldern todte Pferde oder anderes Vieh gesehen, das völlig in Aas übergegangen, die ganze Gegend verpestete. Niemand dachte aber daran, diese Neste einzuscharren. Die unglaubliche Indifferenz der Bevölkerung läßt solche gemeinnützige ^deeu nicht aufkommen, lieber sieht man es, daß schreckliche Seuchen das ^aud verheereu; zudem betrifft mcisteus die Fremdeu das ^oos davon befalleu zu werden, also wozu noch Umstände! — In Betreff von Gebäuden und Alterthümern bietet — 4^; — Habana eigentlich gar Nichts. Einzig der Erwähnling werth ist der Palast des General-Eapilains an der ?1aok cls ai-nil>,8 gelegen. Wundervolle Bänme, zelt-artig beschnitten, umrahmen den Platz, in dessen Mitte eine Statne von Ferdinand VII. aus weißem Marmor steht. Vier schöne schlanke Königspalmen sind nm diese gepflanzt. Früher war hier der Hanptsammelpnntt der eleganten Nclt, die Abends tani, nm den Klängen der Militairmnstt zn lanschen. Doch jetzt ift die legend beim Teatro de s^acon, an dem schönen Prado Isabella segnnda in der Mode. Eine Eigenthümlichkeit de>) Platzes ist anch eine Eapelte, die ^nm Andellten an der Stelle errichtet ist, wo Ehristoph Eolumbns nach seiner Landnng die erste Messe lesen ließ. Ein daneben stehender Banm soll auch schon zn jener ^eit gcpflan;t sein. Der Plaea de armas niit seinen vier Königspalmen ist schön nnd poetisch, namentlich im Mondenschein, ^och seine Zeit ist vorbei, nnd das Hanpt-Eenirnm für ^'eben nnd Bewcgnng ist der schon oben erwähnte Prado. Mit zwei Reihen Bäumen, vielen eisernen dünken, Springbrunnen mil ziemlich geschmacklosen Figuren und einem ganzen Meer von <^a5slammen ist er der Hanptsammel-pnnkt der Stadt. Das große Eaf<5 de ^ouure, der oentsche Clnb nnd rin immenses Hänscrsqare, in dem das Theater Albisu, der spanische ( ,^-uß weit von der Achse gespannt, den Reiter nnd Führer tragen mnß. Dies ist stets ein Negrr in kurier, reich mit Goldborten versierter „^acke. ^nliilense Xanouei^stiefel bedecken den Unterschenkel, betleiden aber nicht den ^uß; der ist nackt, nnr sind riesige silberne Sporen daran geschnallt. Ein großer Strohhut nnd eine Hetzpeitsche in der Hand vollenden das Ajustement. Das andere Pferd ist außerhalb der Gabel neben das erste gespannt. Volante, Geschirr, Sattel, alles ist nberans reich mit Silber beschlagen. Später hatte ich Gelegenheit zu — 48 - erproben, wie bequem es sich in dem Gefährt sitzt; namentlich empfindet man nnr sehr unwesentlich die so üblen Einwirkungen der schlechten Wege. Die heftigsten Stoße fühlt man kaum. Im Uebrigen ist Bespannung nnd Vcrtheilnng der Last so unsymmetrisch wie möglich, indem das eine Pferd nicht allein das ganze Gewicht des Wagens, sondern anch noch die Schwere des Negers zu tragen hat. Das ganze Ensemble bildet etwas Eigenthümliches, besonders wenn man die schönen Ereolinnen in ihren eleganten Toiletten graziös dahin gestreckt, darin sieht, so das; man bei dem Gedanken an Habana unwillkürlich an die Volanten, als etwas cng damit Verbund-nes, denken muß. Die Einrichtung der Hänser, selbst der reichsten, ist überaus einfach, nnd ich möchte fast sagen, überall nach demselben Schema. Viel Menbles, überhaupt Alles was den Nanm beengen könnte, ist streng darans verbannt. Hohe große nnd lnftige Zimmer sind vor Allem erwünscht. Sämmtliche Sitze sind von Rohr, nie sah ich einen Polsterstnhl. In der Negel steht ein dreisitziges Rohrkanape an der Wand und dazn im rcchlen Winkel cmf ieder Seite drei bis vier Schankclstnhle, die hier sehr beliebt sind. Eine ganze Galerie kleiner Spuck-näpfc steht neben den Sitzen, und der, dieser Mcublcs in eleganten Hanshaltungen nicht gewöhnte Europäer wirft in der Negcl mehrere dieser Schälchen um oder tritt sie entzwei. Abends nach der Promenade auf dem Paseo fahren __ ^.g __ 5>ie Damen ins Theater, oder beslichen sich gegenseitig. Man ist außerordentlich gesellig ans Cuba; um 8 Uhr werden die Oaskronlenchter angesteckt und die Damen sthm in großer Toilette. Von außen kann mau stets w die Fenster hiuein sehen, da die Läden erst später geschlossen werden. Auf diese Weise kann sich der Vesnchcr schon vorher von der Gesellschaft überzeugen, ob sie ihm genehm ist oder nicht. Man ist sehr uett und ungenirt zusammen. Es wird mnsieirt, Bilder angesehen, oder der Unterhaltung gepflogen. Wenn jnngc Leute zusammen sind, ist die Liebe ein Thema, das oft in allen Variationen dnrchgearbeilet nürd. Und troh dieses gefährlichen Terrains, glanbc ich doch an eine Moralität m den Ohcn, die mir stets von beiden Theilen einen sehr zärtlichen (i'iudrnck machtcu. Leider ist es für den Fremden, der nicht des Spanischen mächtig, sehr schwierig, an der Unterhaltung Theil zu uchmen, da die Ignoranz, was Erlernnug fremder, Sprachen anbetrifft, außerordentlich groß ist. Madame Will, gleichfalls eine (ireolin, machte darin eine glänzende Ausnahme. Cic sprach mit Fertigkeit vier Sprachen. Allerdings war sie bereits l l Mal in Europa gewesen, und halte mithin die Ueberfahrt bereits ^ä Mal gemacht. Mich schandcrte bei diesem Gedanken. Die Liebe znr Musik ist auch ein durchgehender Zng auf ^»ba. ^ii allen Häusern steht man Pianos; überall "tönt Musik. Der am mcisteu verbreitete Tanz ist die „Dansa". Graf Vrug^), Nclsclttzze,!, 4 — 50 - Er ist am ähnlichsten in seinen Tonren der Mazurka; nnr so schnell diese ist, so langsam ist die Dansa, so langsam, daß sie manchmal nnr aus einem sinnlichen Hin- nnd Henviegen oder anf der Stelle treten besteht. Allerdings würden rasche Tanze nicht dem Mima entsprechend sein. Auf öffentlichen Bällen sah ich die Dansa in der obseöueu Weise des Cancan tanzen, freilich noch in unglaublich voten^irtrcr Weise. Ich komme mm dazu, das schönste von (5nba zu beschreiben, und bei dem Gedanken daran nmnieht es mich wie eine Art Heimweh danach. Das sind die Cu-banischen Nächte. Wer sie einmal gekostet hat mit ihren lauen balsamischen lüften, mit dem so fabelhaft hell glänzenden Mondscheine, mit den tansend nnd abertausend glitzernden Sternen, der wird sich nie wieder ganz frei von dem Stachel der Sehnsucht danach machen tonnen. In eigenthümlichen Formen zeichnen sich dann die schlanken Palmen am Himmel ab. Die tiefe Stille der Nacht ist nnr dann nnd wann dnrch den lieblichen Gesang eines Vogels unterbrochen. Die ganze Natur erlabt sich von des Tages unendlicher Hitze nnd athmet auf ill neuer Frische. Wie schwer wurde es mir manchmal, das heiße Lager aufzusuchen, anf dem man doch den gesuchten Schlaf nicht fand. Bis Mitternacht fuhr ich dann spazieren und konnte mich nicht satt sehen an dem herrlichen klaren Firmament. Fast tageshell beleuchtet treten Einem .____ ") s ____ die entfernten Gegenstände näher, währeitd weiterhin Berge und Thäler giganteske geisterhafte Dimensionen annehmen. Manchmal grante schon der Morgen, ehe ich von der Plattform des Hotels, wo ich stnndenlang allein gesessen hatte, herabfticg. Der Mondschein unter den Tropen rnft die eigenthümlichsten Erscheinungen hervor, nnd damns lässt sich seine bedeutende, bei uns nicht gekannte Einwirkung erkennen. Er bleicht z. B. Wäsche. Wer in seinem Scheine schläft, soll schrecklichen Vtrankheilsanfällen ansgesel,n sein. Völlige ,^ähinnng des Körperö, ja selbst Verstande^ver-wirrung sollen die unheimlicheil folgen dauon sein. Herrlich ist der Sonnenaufgang in diesen von der Natnr so begünstigten Bändern! Während der Dämmen rung schon ist der gan/,e Himmel ein ^enermeer, biü allinählicy nnd majestätisch die goldene Migel sich zeigt. Die Nebergänge von Tag zn Nacht nnd nmgekehrt sind hier merkwürdig schnell. Man findet sich manchmal von der Dnnkelhctt überrascht, ohne den Uebergang gewahr geworden zn sein. Die Cnbaner schwärmen in hohem Mafte für die Schönheit ihrer Zusel, nnd das mag wohl auch der Grund sein, daß sie so wenig davon fort kommen, das; sie, trotz ihrer immensen Reichthümer doch nnr die,^nsel als ihre Welt betrachlen. Wie oft lain mir nichi der Gedanke, wenn ich all' die herrlichen Franenerscheinungen sah, daß es ein Zammer wäre, so viel Schönheit nnd Anmnlh in einem ^o bc- 4* __ HI __ schränken Wirkungskreis zu sehen, während doch die ersten Gesellschaftskreise Europas eine ihrer würdigere Arena wären. Doch für sie ist dcr Paseo, die Abeud-unterhaltling oder das Theater der einzige <^eni!s;, und da sie nichts Besseres kennen, fühlen sie sich glücklich und empfinden nicht das Monotone der Sache. Die Granen sind recht religiös nnd fehlen in keiner Messe, .kommen sie in die Kirche, so trägt ihnen ein Sklave einen Teppich vorans, anf dein sie sich knieend niederlassen nnd sich nicht eher erheben, als bis der Gottesdienst beendet ist. Einen sonderbaren Eindruck gewahrt es, daß sie auch hier selbst das Facherspiel nicht unterlassen. Der Fächer kommt überhanpt nie aus den zarten Händen nnd sie haben in den Manipulationen desselben eine unnachahmliche (Grazie nnd Fertigkeit. Was man von jungen Männern sieht, aus welchen Ständen eü sei, trägt meistens die Uniform der Volnn-tarioo, nl^r deren Ursprung ich mich etwas weiter auslassen will. Eü 1UCU- im Jahre 1,<^s'^, ein Jahr nach der Sep-tcmber'Nevolntion, die den Thron der Königin Isabella stürzte, als der Aufstand in Enba ausbrach, der den Zweck verfolgte, die Insel von dem Mntterlaude loszureißen nnd gleich dein Nachbarlandc Caiuo Dommgo eine ^epuulik zu bilden. Der Moment war geschickt gewählt, denil e^ war zu einer Zeit, wo der in Span im heftig wogende Parteienkampf ein Entbehren von allzuviel Truppen sehr kritisch machte. Es ist nicht zu läng- — s^ — nen, daß 1>ie spanische Negiernng diese so herrliche Colo-^ nie, ui derselben Weise wie ehemals Mexieo nicht so behandelte, wie die Einwohner es als Bürger Spaniens beanspruchen konnten. Nie gelangte ein Creole in eine einflußreiche Stellnng im Staatsdienst, und es mlißte ihnen nnr zll luahr erscheinen, daß Cnba nichts 'weiter, als eine Sineenre spanischer Beaniten sei, die diese denn anch gründlich zn ihrem eigenen Vortheil anssangten. (>.'inen entschiedenen Anlaß ^ün Aufstand gab anch die durch die Septelnber^Negierniig herbeigeführte lheilweise Allfhebnitg der Sklaverei, die natürlich viele Bcsitzer in ihrem Vermögen beeinträchtigte. Andererseits ist es nn-läugbar, daß diese so tief ins ^eben eingreifende Maßregel unendlich mel rationeller nnd schonender eingeleitet wurde, alo iu den Siidstaaten ^^ord-Amerikas. Dort wurden mit einem Federstrich die sämmtlichen Sklaven frei. Tansende und nbertansende von ^riftenzen ivnrden hierdurch vernichtet nnd hente, noch, nach <^ fahren können sich jene Länder nicht im geringsten von dem schweren gegen sie gerichteten Schlage erholen. Hier in (>nba ver-fnhr man so, daß jeder Neger mit dein W. Lebensjahre frei wird, ebenso wie jedes seit I^l»^ geborene Kind frei ist. Dadurch ist ein Uebergangsftadium vorhanden, und die Maßregel an sich nicht so empfindlich. Der Aufstand konnte also wegen zn geringer Truppenmassen im ersten Jahre genügenden Grnnd und Boden fassen, uud als Spanien aufgeschreckt, den nahen Verlnst der Insel vor Augen sah, jetzt frische Truppen nach ___ s)^, ^ O (^uba schickn', hatte die Bekämpfung der Insurgenten schon die grölen Schwierig leiten. Vetztere, hatten den nnend-licheil Vortheil der genauesten Kenntniß des, wegen seines so sehr conpirten Terrains, seiner Urwälder nnd Schlnch-teii den l^iuerillalrieg so außerordentlich begünstigenden Landes. Außerdem erlagen die spanischen Truppen, des so verderblichen ^'lima^ ungewohnt, in sehr großer Anzahl der Hitze nnd Epidemien. Die,.^ahl der dein gelben Fieber anheimgefallenen Soldaten ist geradezu haarsträubend groß. Viele wollten in der Nichtlmterdrückung des Ans-standes die Polilil de^ damaligen <^eneral ^apitain Ver-snildi seheil, der a>5 Auhä,iger der Koiligin Isabella die Verlegexheil de^ Vailde^ benutzen wollte, um die Partei, der er diente, aus linder ^u bringen. Wie dein anch sei, ^ersundi nnirde abberufen, nnd die öffentliche Stimme, sprach die obeu erwähnte Ansicht darüber ans. Zu dieser Zeit, nw die Legierung ihre Truppen im /velde brauchte, wurden die l^orpü der Voluntm-in» äk 1a Ii!)«'ll,«I gebildet. Sie sollten eine Garantie der Ruhe nnd Orduung iu den uon Truppeu e„tblößten Städten sein. Jeder Spanier ließ sich darin anfnehmen, uud ihre Anzahl beläuft sich jetzt auf ca. l<»<>,. äe In.8 ^.iitiilu.8, nennt, wird seit vier fahren verbrannt nnd gesengt, daß es znm Weinen ist, daß man sich wirklich fragt: „hat Gott so viel Herrlichkeiten nnr dazn geschaffen, damit die Menschen sie in so ruchloser Weise zerstören?!" Dabei ist die Art und Weise der Kriegsführnng von beiden Seiten eiue so gransame, daß mir der stellvertretende General-Eapitain, der General Eeballo sägte: OK, «6 n'o8t c^i« 1^ e1iil886. — Stets sagen die spanischen Trnppenfiihrer, in ein paar Monaten würde der Anfstand 511 Ende sein; aber man glanbt es ihnen nicht mehr, denn diese ))^edcnsart führen sie schou seit Zähren. Mir machte es stets den Eindruck, als ob Spanien einsähe, die Iusel auf die Dauer doch nicht halten zu können, und sie deshalb noch nach Kräften aussangen wollte. Sicher ist die Regierung erbärmlich; anf Alles sind immense ..^öllc lind Abgaben steles^, ^iir Pässe niid Briefporto mnsseit exorbitante Sninmeu gezahlt n'erdcn. Das spanische Beamtenthum soll, znm größten Thcil we^ nigstens, durch nno durch eorrumpirt sein, nnd namentlich soll der persönliche Vortheil im Oeldpunttc nie das edle Gefühl des Patriotismus und der Uueigenuützigteit aufkommen lassen. Wahrend der ganzen unruhigen Zeit wirthschaften die Volnutarios auf fürchterliche Weise in den Städten. Nach dem Grundsatz: „wer nicht für mich ist, ist wider mich", sind selbst die nicht beim Anfstand betheiligtm Creolen aus Furcht theilweise genöthigt, sich anwerben zu lassen. Zwei Fälle sind es namentlich, die in der ganzen gebildeten Welt, in den Kreisen wenigstens, wo solche Grciguisse mit Interesse «erfolgt werden, einen gerechten Schrei der Entrüstung wegen ihrer Unmeuschlichteit her- — 57 — vorriefen. Der erste ist folgender: der spanische Journalist und Patriot Casaüo, der ebenfalls in den Volun-tarios diente, wnrde wegen feiildlicher Ai'tikel gegen die Creolen ermordet. Er wurde, wie dies ja auch natürlich ist, in spanischen Kreisen als Märtyrer geehrt uud mit großem Pump beigesetzt. Einige Heil darauf gingen ca. 40—50 Kreolen, meistens im Alter vou l<> Jahren oder darunter auf dm Kirchhof uud sollen das <^rab des (wsano verunreinigt haben. Andere mir ebenfalls glanbiuürdige D.uellen versichern, sie hätten mir an dem Denkmal, dan mil Mas überzogen, die Photographie <,>asano's enhält, dieses Glas mit einem Diamanten gerilzt. Ich sah wenigstens noch die Spuren diesem sogenannten ,,dummen Jungenstreichs", zu dessen Bestrafung einige Stöcke vorzüglichem Material geliefert hätte». Die jungen ^ente wurden bei dieser Dcmoustratiou erwischt und mit mehrsährigeu Gefäug-nißstrafeu belegt. Die Voluntarios, über diese nach ihrer Ansicht zn gelinde Vestrafnng aufgebracht, zogen vor das Haus des Höchstcommandircnden vou Habaua (zn seinem Nuhme erwähne ich, daß (^iraf Balmaseda, der General-Capitaiu, abwesend im Innern des Landes war), — demonstrirten sehr bedenklich und erzwaugen ein neues Kriegsgericht und Umstoßuug des Urtheils. Laut des ueueu Urtheils wurden uuu ^, kaum den: Kuabeualter eutuiachseiu' Creoleu auf der Puuta erschossen, die übrigen Angeklagten, 40 au der Zahl, zu lebenslänglichen Galeeren verurtheilt. Mail kaim sich die Auf- - 58 — reguug der Stadt ausmalen, wenn man bedenkt, daß die Vcrurthcilten dm ersten und reichsten Familien angehörten. Oft habe ich diese Unglücklichen, je ^wei mit furchtbaren Ketten aueinaudergeschmiedet, in der glühendsten Hitze der heißen Zune, gesehen, wie sie mit ihren verwöhnten Handen die niedrigsten Arbeiten verrichten mnß-ten. selche befühle mnßten sie nicht bewegen, wenn sie init Reinigen der Straßen beschäftigt, ihre Verwandten oder freunde in reicher (Miipage dahin fahren sahen. Nie habe ich diese Armen ahne das tiefste Mitgefühl be-trachlen tonnen, nnd bittere Entrüstung gährte in meinem Innern über solch' ein barbarische verfahren. Da^ andere Beispiel blutiger Prätoriailer-Wirth-schaft ist womöglich noch verwerflicher. Das erste VIafe Habana^, (^af^ de louvre, hat in feinem oberen Stock einen Restaurant. Eine, Compagnie Voluutarios inar-schirte vorbei, als dnrch nnanfgetlärte llrfache ein Echnß anü dem Fenster jenes ^Itestanrant abgefeuert wnrde, der einen Volnntario verwundete. Die gan^e Compagnie, ungefähr 100 Mann stark, umstellte daranf sofort die Ansgänge des (saf^ nnd fenerte in diese und in die Fcnfter hinein, jeder Mann -40 Stück Patronen. Wer sich flüchten wollte, wurde mit dem Bajonnet aufgefangen. Das Blutbad soll ein fürchterliches gewesen sein. Verschiedene Ausländer, die dabei schwer verwnndet wurden, haben es nicht an nachdrücklichen Reclamationen fehlen — 59 - lassen, und die spanische Regierung hat viel Entschädigung zahlen müssen. vvragt man nnu, wie sich die Neger der Revolution gegenüber verhallen, so ist, glaube ich, die richtige Antwort darauf, daß die völlige Indifferenz die sie gegen alles, was nicht Essen nnd Trinken betrifft, geigen, fie gar keine Stellung darin nehmen läßt. „Vhre geistigen Fähigkeiten sind noch so unendlich wenig entwickelt, daß ein tieferes Nachdenken bei ihnen nicht ^u snchen ist. b'in Hanpt-charakler^ug an ihnen ist die viehischste Sinnlichkeit, der sie sich, wo fie mir irgendwie Macht nnd "vn'iheit da^n haben, anf das Ausgedehnteste hingeben, Die vielen versuche, die von Philanthropen gemacht worden sind, nin sie steistig einigermaßen zn heben, find nur vo,i feln' geringem Gefolge gekrönt gewesen, und der ihierische Aufdruck, den sie im (Gesichte tragen, ist mehr oder weniger wohl der Stempel ihrer Seele. Die Haiiptthätigkeit, ^i der sie verwerthet werden, besteht iu Arbeiten, die eine gewifse Körperkraft verlangen. ?a;n find fie allerdings vermöge ihreo wirklich schönen Körperbauen, der bei Weik>m den der ^eis^'n übertrifft, ans;eroldentlich geeignet. Sie erinnerten mich, was Ban von (Genick lind Oberkörper betrifft, häufig an die Statuen der Athlcteu; dagegen haben fie alle außerordentlich dünue Waden. (l'igeitthümlich ist ihre Putzfucht. ,vür Alles in der Nelt möchten fie gern Weiße sein, nud da dao Schicksal ihnen das versagt hat, so imitiren sie die von ihnen — 60 — so beneidete Menschenklasse in jeder Beziehung. So sieht man z. B. die Granen, welche ebenfalls kolossal in Gestalt ilild Beiuegnngen find, fast alle in langen Schlepp-kleidcrn, detollelirt nnd mit schmutzigen Long-shawls, womöglich in den grellsten Farben, gehen. Das wollige, keiner ^risnr zngängliche Haar schmückt ein Niesen-Chignon mit Netz. ,Mr ^^'a,ig ist ebenfalls ein besonderer. Den Unterleib weit vorgestreckt, bewegen sie lebhaft den Oberkörper und biegen den Arm im Ellbogengelenk, sodaß die Hände in Schul terhöhe sind. Da weder Spanier noch Kreole sich zn irgend welchem niederen Dienst hergiebt, so sind natürlich die meisten Dienstboten Neger. Nnd trolz der <^wall, die die Herrschaft über die Sklaven hat, klagt man doch viel iider sie. ^hr Hanptfehler soll eine gränzenlose Trägheit sein. Behandelt man sie gnt, nnd das, werden sie nach Allem, was ich je gesehen habe, entschieden, trotz des Lngcn-romans ,,Onkel Tom" der Madame Veechcr-Stowe, so werden sie sogleich so familiär, daß die Herrschaft sich kllnm vor ihnen ^n retteil weiß. Die größten Dienste, die sie leisten, sind nnlängbar die in den Plantagen. Es wäre nnmöglich für die beißen, dort zn arbeiten. Die Neger aber ertragen die größte Hitze ohne jeden nachtheiligen Einflnß anf ihre Gesundheit. Was ich uon der Behandlung der Sklaven in Havana sah, so ist dieselbe im Ganzen besser nnd nachsichtiger, ala dies in Europa mit Dienstboten der Fall ist. — 61 — Es ist daö ja auch natürlich, denn da der Neger das Eigenthum eines Herrn ist, dcm er meistens zeillrbens angehört, so ist es dessen Vortheil dein Sklaven dnrch günge Behandlung Znteresse zli sich, seiner Familie und seiilem Hab und Gut einzuflößen. ^>ch hörie eo öfters aussprechen, daß es unendlich schwer sei, einen gnten Sklaven zu taufe!,, da sich von einem solchen sein Herr fast nie trennt. Die linder deo Sklaven wachsen mit den Kindern de5 Herrn auf. Sie machten mir immer deu Eindruck kleiner Schoßhündchen, so verzogen werden sie. Sie liegen in den vornehmsten Hänstrn im Salon nnd spielen an der Erde hernm. L^enn sie attcr sind, n'erden sie als Groom angezogen nnd zur ausschließlichen Bedienung der Franen oder Töchter des Hauses verwendet. Daß sie SNaoen sind, fühlen sie gar nicht, wenn sic eine gütige Herrschaft haben. Ja e^ giebt Mte, daß, wenn ihnen für langjährige treue Dienste die Freiheit geschenkt wird, sie dafür kaum Dank oder Erkenntlichkeit zeigen. Der Preis der Sklaven ist sehr verschieden, je nach dem Alter oder Körperkräften, ^ür einen jungen stämmigen Neger zahlt man manchmal den hohcn Prei>> von 15W Dollars. Da ich gerade bei dem ^h^ma der farbigen bin, die man in allen Nüaneirnngen auf Enba sieht, vom weißen Europäer bis zum tn'fdnnklen Neger, vom gelben Kuli bis zum Mnlatteu, — so will ich dasselbe weiter ansfnhrcn, nnd ich erwähne zunächst der - 62 — Mulatten. Sie stammen bekanntlich von einem weißeil Vater nnd einer Negerin, oder umgekehrt, ab, und sind gemäß ihres Ursprunges theilweise selbstverständlich Sklaven. Hat znm Beispiel ein weißer Dienstbote mit der Sklavin seines Herrn ein Verhältniß, das die Niederkunft dieser zur Folge hat, so gehört das von der Sklaviu geborene Kind deren Herrn. So häßlich fast sämmtliche Neg.'r siud, so hübsche intelligente Gesichtszüge findet man nnter den Mulatten. Der Teint ist gelblich, die Angen groß uud schwarz und die Haare lockig. Die Chinesen sind uugemein zahlreich auf Cuba vertreten. Die große Uebervölterung in ihrer Heimath ist der Grund, daß sie theils in Cuba, theils im westlichen Theil Nord-Amerikas sich ihr Brod zu verdienen snchen. Man schließt in der Ncgel einen Contract mit ihnen anf 10 Jahre, nach deren Ablauf sie einen neuen eingehen, oder nach China znrücktehren, wenn sie sich genügend Geld erspart haben. Man nennt sie Knlis nnd schätzt sie wegen ihres Fleißes und ihrer höhereu Intelligenz. In den großartigen Zuckerdepots in Negla sah ich sie fast ausschließlich die Arbeit verrichten. Sie sind recht häßlich. Ihr Gesicht hat jene schmutzig gelbe Farbe und die Backenknochen stehen weit hervor. Auch ihre Gestalten sind eckig. Man hält es . kaum für möglich, wie anscheinend so schwächliche Figuren so anstrengend arbeiten können. Ist man in Havana, so erkennt man bald, daß — 63 - man im Lande der Cigarren ist, denn alles raucht nnd ich kam mir als Nichtraucher recht einsän: vor. Anch die Fraueu niederer Stünde sieht man selten ohne die in einen Mundwinkel geklemmte Cigarre. In den besseren Ständen gilt das Nanchen der Damen nicht für anständig. Der dritte Laden ist fast immer eine Cigarren-fabrik nnd von der Straße ans kaun man dem Zn-bereitcn der Cigarren zusehen, so daß die in Vnropa verbreitete Ansicht über die theilweise unappetitliche Art und Weise der Zubereitung wohl jetzt nicht mehr gerechtfertigt ist. Am meisten werden Cigarrctten in Cnba nnd anch iu Mexieo geraucht, die in kleine Packele verpackt, erst durch Aufwickeln nud Zukleben dnrch Speichel ranchbar werden. Der Cousnm dieser Cigarretlen geht ins Fabelhafte. Ich hatte in der größten Fabrik, der „Honradez" Gelegenheit, die Schnelligkeit nnd Fertigkeit zu bewundern, mit der gearbeitet wird. Diese Fabrik zu sehen ist deshalb schon äußerst interessant, weil Alles, was zum Fertigmachen der Waare bis zum Verkauf nöthig ist, anch daselbst gearbeitet wird. Eine lithographische Presse verfertigt die reizenden Enveloppen mit Bildern nud Zeich-nuugeu der Firma. Neberaus ingeniöse Maschinen arbeiten die Kisten; kurzum es ist ein Institut, das einzig in seiner Art von keinem Fremden ' nnbesncht gelassen wird. Man wird anf das liebenswürdigste empfangen nnd herumgeführt. Beim Eingang schreibt man seinen Namen in ein Buch und erhält nach Besichtigung des — 64 - Etablissements zum Andenken ein Packet Cigarrctten geschenkt, anf dem der Name des Empfängers gedruckt ist. Ein gleichfalls überreichtes Buch giebt eine Uebersicht der Thätigkeit der Anstalt nnd eine Liste der Bcsnchcr, die dort waren nebst ihren Anmerkungen. Selbstverständlich hatte ich für so viele Artigkeiten auch einige höfliche Redensarten in das Fremdenbuch eingetragen, die in der nächsten Auflage milfignriren werden. 600 Arbeiter wurden in der „Honradcz" verwendet, und von diesen waren die meisten Chinesen. Oeffentlichc Gebande mit schöner Architectnr, Museen oder Sammlungen giebt es in Habcma nicht. Das Gebiet der >tmist liegt dort vollständig brach, ebenso ist man noch in den. Handwerken zurück. Die Cathedrale ist die einzige Kirche, die einer Erwähnung werth ist. Sie ist im alten spanischen Styl solid und ehrwürdig erbaut, uud im Inneren gnt gehalten. Links vom Hochaltare ruhen die Gebeine von Ehristoph Eolnmbns. Von den Handwerken steht nur die Production der Strohhütc anf hoher Stufe. Man verfertigt sie ans demselben Geflecht und uuter demselben Namen, wie die Panamahüte. Ihre Preise gehen je nach der Qnalität und Feinheit bis über 100 Pesos. Man kann die feinen Hüte so zusammendrücken, daß sie sich in eine kleine Tasche stecken lassen, ohne daß dadnrch beim Wiederanfschen die Form leidet. Alles trägt breitkrämvige Strohhüte nnd in der Negel einen weißleinenen Anzug, iu desseu Reinheit ein großer Lnrns gesucht wird. Bei schweren Arbeiten - 65 - ist die Bevölkerung au: ganzen Oberkörper unbekleidet, und die aus Europa kommenden Damen brauchen lange Zeit, um sich au diesen Anblick zu gewöhnen. Im Allgemeinen ist Reinlichkeit ein durchgehender Zug in West-Indien. Wie die südlichen Völker Europas sich iu der Regel durch gänzliche Abwesenheit dieser Tngend auszeichnen, so giebt es für deu Creolen oder den Neger keine größere Wohlthat, als deu ganzen Tag über im Wasser zu liegen. In den mittleren, ja selbst iu den unteren Massen sieht man meistens reine Wäsche. Der Anzug dieser Leute bestcht aus eiuer leiueuen Hose, eiuem Hemde, das je unter dieselbe getragen wird (letzteres soll noch kühler sein), nnd aus eiuem breitkrümpigen Strohhut. Die Haltung und der Gang der Creolcn ist elastisch und würdevoll. Häufig kam mir bei ihrem Anblick Schiller's: Stolz lieb ich den Spanier! — in Eriuuerung. Ihre Gestalteu sind ohne groß zu sein, hübsch, und sie zeichnen sich in allen Ständen durch sehr kleine Füße ans. Hat man mit ihuen zu thun, oder fragt man sie nach irgend etMs, so ist man stets sicher iu bereitwilligster Weise bedient zu werden. Welcher Gegensatz zu den Nord-Amerikanern, wenigstens zu denen, die ich ans Cuba sah, nnd die fast etwas zu suchen schienen, abstoßend nnd unangenehm zu sein. Mir fällt dabei eine Geschichte ein, die ziemlich genau diese Nation bezeichnet, in der ein Breitmachen sich in der unangenehmsten Weise zeigt. Ein Fremder hatte einen Empfehlungsbrief an einen New-3)orker. Er Graf Bruges, Neiseslizzen, 5 - 06 — geht auf der Straße und sucht dessen Haus. Da begegnet ihm ein Herr, deu er nach der gesuchten Adresse fragt, doch dieser antwortet ihm kurz, er wüßte sie nicht. Endlich findet Jener das, Haus nnd ist höchst erstaunt den Herrn von der Straße als den zu finden, an den er recommandirt ist. Das Hotel de Telegraf» war übrigens gefüllt von Nord-Amerikanern nnd ich muß zu meiner Schande gestehen, daß nie in meinem Leben ich mich so wenig aufgelegt fühlte, mich liebenswürdig zu zeigen als in ihrer Gesellschaft. Eieldprotzige Männer mit plumpen schlechten Manieren, geschmacklos aufgeputzte Weiber in kostbaren Stoffen mit theilwcise hübschen l^esichtern, aber dreistem unangenehmen Wesen und zuletzt die ungezogensten Kinder, die ich je in meinem Leben sah, die Droschkengänle hieben, Hunde quälten nnd anf dem (''lamer klimperten, — das waren in allen Altersklassen die Vertreter Nord-Amerikas in Hab ana. Und wie viele Europäer lassen sich nicht dnrch diese Leute imponiren, bei, denen der Eigendünkel fast ebenso groß ist, als ihre schlechte Erziehung nnd ihre Sterilität in Allem, was nicht gerade znr Speenlanon oder zum — Schwindel gehört. Was 'hat diese Nation denn je auf dem l^ebietc der Kunst und Wissenschaft geleistet? Mau kaun im Verhältniß zu ihrer großen Anzahl mit rnhigem «Genüssen antworten: „Nichta". Bei ihnen mnß Oield Alle? inachen und das erklärt anch die große Nolle, welche die Amerikanerinnen, die in den letzten Jahren de' - 67 - Kaiserreichs Paris überfluthcten, dort spielten. Sie konnten das wohl in cincr Stadt, wo der Werth des Menschen nnr nach seinen Renten geschätzt wird. Es war höchst komisch zu beobachten, wie diese Damen in.Habana, ge wiß innerlich den großen Unterschied zwischen sich nnd den so graciösen, reizenden (Kreolinnen fühlci^d, dlirch die Landestracht der Mantilla und den Dächer gewissermaßen jene imitireu wollten. Doch es half nichts. Es war nur eine neue Auflage der Krähe mit del» Pfauenfedern. Ein Deutscher erzählte mir mit viel Emphase, um die Amerikanerinnen in meinen Augen herauszustreichen, daß su' in Saratoga, dem fashionabelsten Bade im Regen und Schmalz die kostbarsten Toiletten trügm, um dadnrch ihren Reichthum zu zeigen. Mir ist ein höherer Beweis von nmuvai» S6ur6 noch uicht vorgekommen. Wenige Tage ehe ich in Havana anlangte, hatte der Großfürst Alexis von Rußland die Stadt verlafsen, in der er acht 5age verweil! hatte. Der Empfung, der ihm bereitet worden war, muß sehr glänzend gewesen sein, wenn man bedenkt, daß der Ball, der ihm zu Ehren in -dem Palast des Gencral-Eapitains gegeben wurde, allein ^OMl» Dollars gekostet hat. Er wurde die Zeit seines Aufenthaltes als <^ast der Stadt betrachtet, uud alles Mögliche ist aufgeboten worden, um ihn zu belustigen, und ihm die Gigenthüm-lichkeitm nnd das nationale Vl>beu der Zusel zu zeigen. Man bereitete ihm zu Ehren Stiergefcchte, Hahuenkäliipfe ''Nd Paraden der Voluntaries, ja selbst ein Tanzfest an - 68 — Bord der Fregatte l^crona, die nach den Photographien, die ich davon sah, an dem Abend wie ein Blumengarten geschmückt gewesen sein muß. Hatten die Habanesen dabei auf ein großem lHutgegmtommen, oder einen Ans-druck der Erkenntlichkeit von Seiten des holM Gastes für so viele Mühen und Kosten gerechnet, so hatten sie sich getänscht. ^s wnrde Alles so hingenommen, als ob es so sein müßte, nnd die Verstitnmung darüber machte sich ziemlich unverhohlen ^nft. Die Spanier nnd was mit ihnen zusammenhängt, mögen sie jetzt Creolen oder Mexicaner heißen nnd sich gegenseitig bekriegen (sie sind sich doch in den Ornndzügen Alle gleich), — sind die Liebenswürdigkeit selbst, aber sie beanspruchen auch mit Necht ebenso behandelt zu werden. Wo das nicht geschieht, fühlen sie sich sehr verletzt. Während meiner Reisen in jenen Ländern habe ich mich stets der grüßten Artigkeit befleißigt und biu außerordentlich gut dabei gefahren. Znt Uebrigen wnrde mir diese Handlungsweise nicht schwer, da man gerne stets das wiedergiebt, was man empfängt. Drittes Capitel. Then^r. — Tambevlick. — Japanesen. — Stirr^efeclüc. — Hah-uenkäinpfe. — Lotterie». ^ Deutscher (Uub. — Thierquälerri. — (iein Mensch schien sich zn sagen, daß anch Tenoristen dem Wechsel der Zeit unterworfen sind, zu mal wenn sie l>5 Jahre zählen. Doch die Aermsten, sie kannten ja nichts Besseres. Wer von den Sternen des Knnsthimmels wird bei dem gefährlichen Elima nach Havana kommen, trotz aller Berge von Cwld, die dort zu heben find. Dahin gehen nnr solche, die in Europa passirt sind, üder Anfänger. Die Primadonna war eine Signora Darlti, eine reizende Erscheinung ans Marseille, die aber für eine Sängerin den großen Uebelstand hatte, daß ihr Singen recht mittelmäßig war. Doch, um etwas an ihr zu loben, ebenso wie an Tamberlick, so spielten sie beide ganz gut. Das Orchester war, nm musikalisch zu reden, nntcr dem Fiedelbogen, nnd der Eapellmeister suchte in Ermangelnng anderer Fertigkeiten, dnrch ein selbstbewußtes Auftreten und eine soignirte Toilette zn glänzet,. In dem zweiten Theater, das in derselben praktischen Weise wie das Tacon, nur kleiner eingerichtet war, producirten sich japanefischc Akrobaten mit großer Virtuosität. Ich hatte das eigenthümliche Geschick, monatelang — 72 - immer mit ihnen zusammenzutreffen. Kam ich nach Vera Cruz, fand ich die gelben Gesichter mit den aufgewun-denen Zöpfen dort. Als ich später mit der Diligence in Orizaba eintraf, sah ich einen enormen Anflauf vor dem Hotel; ich glanbte natürlich, es wäre Revolution. EZ waven aber nur mciue Japanesen, die im Natioual-Costüm eben durch die Stadt reiten wollten, nm für die am Abend stattfindende Vorstellung einzuladen. Halb gerädert von der langen Neise langte ich ill Mexiko an, und wen sah ich im Hotel Iturbidc wieder? Den Prinzen Satsnma, Cousin des Mikado von Japan sso nannte sich der Führer der Gesellschaft), mit seinein grinsenden Lächeln. Kurzum, die Japanesen verursachten mir vollständiges Alpdrücken, ersparten mir aber jedenfalls eine Reisc nach ihrer Heimath, denn ich lernte aufs Geuauestc ihre Lebensweise, Sitten und Gebräuche keunen. Die aus 20 Mitgliedern bestehende Gesellschaft führte auch einige Amerikanerinnen mit sich. „Zwei Tänzerinnen von den Ufern des Hndson" waren recht hübsche Damen von eben so sichern: als familiären Auftreten. Von dem Theater in Havana sprechend, will ich hier gleich noch zweier eminent nationaler Schanstellnngen erwähnen, denen beizuwohneu mir von groftem Interesse war, nnd die znr Veurtheilnng des Volkes in so hohem Maße wie nichts Anderes vielleicht dienen. Das Theater an nnd für sich giebt stets dem Fremden das beste Material zur Hand, ein Land zu bcnrthcilen. Hier kann man — 73 — erkennen, was dem Geschmack des Voltes zusagt, was mehr oder weniger sein eigener Charakter ist. Als Beleg dieser meiner Ansicht führe ich Paris an. All' diese sittenlosen, jeder Moral baren Stücke, die in den letzten zehn Jahren auf der Bühne erschienen, wie genan geben sie nicht die Zerschnng der verschiedenen Gesellschaftsklassen wieder. Und dnrch den immensen Erfolg den sie hatten, bewiesen sie, daß das Pnblikmn diesem ungesunden Zustande Beifall znjanchzte. Wenn man es z. B. so rührend in „Froufrou" faud, daß ein Cavalier, nm den Nnf einer Dame zn retten sein Ehrenwort bricht, so kann man sich nicht wundern, das; die französischen Ergriffe von Chre im Zähre ,1^10 so laxer Natur wareu. War das Gift, wie ich selbst aufrichtig zugebe, anch süß nud angenehm, so blieb es immer ein Gift, nnd die schädlichen Folgen tonnten nicht fehlen. Das Theater ist im wahrsten Sinne ein Spiegel des Volkes. Ich rede dabei nicht von dem Urtheil der eleganten Welt iu dc^l Logen, die in vornehme Gleiche gnltigkeit gehüllt nicht dnrch äußere Heichen ihren Beifall oder ihr Mißfallen kund giebt. Meine Behauptung basirt sich anch nicht cmf die Gruppen bezahlter Cla-qnenrs, ein in diesen Dingeil geübtey Ange wird sie wohl zu unterscheiden wissen. Nein, ich rede vom Volke in seiner wahrsten Bedeutung, dessen Ansicht in der nn-gehencheltsten Weise sich äußert, unbekümmert um die Nachbarn, nur dem Gefühle des Innern Folge leistend. Die nationalen Belnstignngen, die mir viel zn denken — 74 - geben, sind das Stiergefecht und die Hahnenkämpfe. Ersteres fand in sehr glänzender Weise Sonntag den 21. April zum Besten der Kinder, die in der Insurrection ihre Väter verloren hatten, in der ^i-6na äs wi-08, statt. Also zu Wohlthätigteitszwecken eins der barbarischsten Vergnügen! Welch' innerer Widerspruch liegt nicht darin. Im Allgemeinen geheil die vornehmen Damen nicht zu diesen Belustigungen; heute aber, wo Dilettanten sich dabei betheiligten, junge Lions aus Habana, wo das Ganze unter der Protection der Eondessa so und so einen patriotischen Hwcck ^u spanischen Sinne hatte, war die ganze Elite der Gesellschaft dort vertreten. Lange Reihen der Volanten Inden ihren zarten Inhalt geschmückt wie znm Ball, aus. Hunderte von Wagen, Reitern und Fußgängern zogen nach dem Kampfplätze. Das Gebäude ist so constrnirt, daß es vollständig dem Circus unserer Länder gleicht, nnr sehlt das Dach gänzlich. ?er Ranm für die Aufführung, sowie das ganze Gebände ist aber bedeutend größer und die Logen sind ganz oben, dort, wo bei uus das Amphitheater sich befindet. Um möglichst die Cache selbst zu sehen, nahm ich mir einen Platz mitten im Volle nno dicht unten an der Arena. In der Wahl meines Platzes hatte ich gut gehandelt, denn ich befand mich im Schatten. Der immense Raum war überfüllt. Oben die elegante Welt, nno in einer grosten Mittelloge saß stolz die Protectorin des — il' — Ganzen, die ^'ondessa .^....., eine korpulente Daiilc in deil dreißiger Jahren mil so viel ^anclro äo ri/. auf Gesicht, Hals, Nacken und Armen, daß mau glaubte, sie wäre durch einen uuglücklicheu Zufall iu ein Mehlsaß gefallen. Auf den anderen Bäuken saß und staud eine. überaus bunte Gesellschaft, recht interessaut und malerisch anzusehen, Neger, Soldaten, Matrosen ans aller Herren Länder, Mulatten, Ehiuesen, Europäer. Das Ganze bot in seiner großartigen Mannichfaltigkeit einen herrlichen lebhaften Allblick dar. Mit unendlicher Cpannung sah ich dem Anfang entgegen, der durch eine furchtbar lärmende Mnfik eingeleitet wurde. Das Thor that sich auf, aber heraus kam nicht ein Stier, souderu eine Compagnie Boluu-tarios, wahrscheinlich aus den besten Kräften zusammengestellt. Unter dem stürmischen Beifall der Menge führten sie verschiedene Euolutiouen in sehr theatralischer Weise auf. Bald zum Kuüuel, bald zur Augriffskoloune fich formirend, sprangen sie heillos in der Areua nmher. Das Ganze machte nur den Eindruck ^»cr Comödie, obgleich ihre Bewegungen für nicht reguläre Truppen, ganz exact waren. Natürlich laffe ich bei dieser Bcnrtheilnng meinen preußischen Maßstab zu Hause. Das Costüm der Volnntarios ist ebenso kleidsam, als praetisch uud dem Clima angemessen. Eine Jacke mit zurückgeschlagenem Kragen, auf dem die Gradabzeichen find, lind eilt Beinkleid uon eng blau und weißgestreiftem Veinenzeng sind von recht hübschem Schnitt. Ein großer Strohhut — 76 - dient zur Kopfbedeckung. Ihre Waffe ist das Remington-Gewehr. Die (5ompagnie marschirte ab und cm junger Mann in der malerischen spanischen Tracht anf einem schönen Pferde reich mit Schleifen.in den Farben seiner Herzensdame geschmückt, ritt einmal im Kreise hn-nm nnd grüßte ehrerbietig die Condcssa, die nun das seichen zilm Anfang des Stiergcfechts gab. Zehn bis fünfzehn Männer mit großen rotheu Tüchern erschienen, sich in der Arena vertheilend, bleich daranf stürzte der Stier, dem auf den Rücken ein großes Bouquet gesteckt war, — herein. Durch das rings ertönende nervenerschütternde t^etöse erschreck!, blieb er einen Moment in der Mitte mit rollenden Augen und schnaufend stehen, als sofort mehrere der ,,(vnpmdores" ihm die rochen Tücher an den Kopf warfen, deren landen sie in der Hand behielten. Stets stürzte sich das Thier wüthend auf den ihm nächsten Capeador los, der sich aber durch außerordentliche Gewandtheit dem Stoß entzog. Wurde er zu weit verfolgt, so dienten'ihm am Rande des Cirkus angebrachte hölzerne Wände zum Schntz. Nachdem das unglückliche Schlachtopfer anf das fürchterlichste gereizt war, erschieneil zwei Reiter „Piea-dores" anf fchrecklich elenden Pferden; man nimmt solche dazu, da in der Regel einem oder zweien der Nanch vom Stier anfgestoßen wird nnd man sie dann todt stechen mnß. ^iese Reiter, mit langen Lanzen bewaffnet, atta- - 77 - quiren unaufhörlich den Stier, der seinerseits steto den Angriff annimmt, und häufig Pferd und Neuer über den Haufen rennt. Mücklicherweise sind die Beine des letzteren durch starte Schienen sehr geschützt. Den kritischen Moment müssen die Capeadores benutzen, um die Wuth des Thieres dnrch die rothen Tücher auf sich zu leuken und dem wehrlos Daliegenden Zeit zu lasseu sich wieder aufzuraffen. Das (Gefecht wird immer wilder nnd lanter; Alles brüllt wie besefsen, und meistens nimmt das Publikum die Partei des Stiers. Hat dieser dnrch einen kühnen Angriff seinen (Gegner recht in die Enge gebracht, so weiß man sich vor Inbel kanm zn lassen. Als ein Zeichen besonderen Beifalls beobachtete ich, daß einzelne Zuschauer ihre Hüte in die Arena warfen, die ihnen dann stets sehr bereitwillig znrückgeliefcrt wurden. Große Schleifen mit bunten Papierblumeu, unten mit langen Messerspitzen versehen, sind dein Stier schon auf die verwegenste Weise von den „Bandcrillero's" tief ins Fleisch gesteckt worden, die Nuth des Thieres hat damit den Höhepunkt erreicht. Man kann sich keinen Begriff von der Theilnahme machen, mit der jetzt das Gefecht verfolgt wird. Die sonst so reservirten Damen sitzen da mit offenem Munde, funkelnden Allgen, athemlos, während die betheiligten Herren am liebsten sofort hinabstiegen, um sich vor den Augen ihrer Schönen im gewagten Kampfe zu messen. Dieser Moment hat unläug- — 78 — bar etwas Romantisches, und erinnert an die Zeilen der Turniere. Jetzt tritt der „Matador" mit einem zwei Fust langen Degen anf nnd sticht denselben mit eben so viel Geschicklichkcit als Muth, stets den todbringenden Stößen ausweichend, dein Stier von vorne zwischen die beiden Schulterblätter hinein. Ist der Stoß sehr geschickt gewesen, wie ich das häufig sah, so darf nur der Griff noch au5 dem Fleische hervorragen. Der ganze übrige Theil muß bis tief in die Vuuge gehen. Dnnn wankt das mächtige Thier, das Blut strömt ans Nase und Maul und es stürzt zusammen, lim deu letzten sicheren Todesstoß hinter das Ohr zn empfangen. Aber auch nur zn oft ereignet es sich, daß dem unglücklich gequälten Schlachtopfer der Degen nur zur Hälfte eingedrungen ist, daß es von Blut überschwemmt noch minutenlang in der Arena herumgejag! wird, ehe ein nener Stoß ihm endlich vollends den Warans macht. Das sind dann Scenen die gräßlich sind und die Nohheit der Bevölkerung in der abschreckendsten ^^eise zeigen. Mec, haut, sticht und stößt danu aus den Stier ein. Kommt er zn dicht der Brüstnng, so betheiligen sich die Znschaner mit weit nach vorn überlegtem Oberkörper an dein Marlerwert. Es tobt dann ein Heulen, ein ^ärm, wie ich Aehnliches in der ganzen Welt noch nicht gehört habe. Der todte Stier wird nnn von 4 brcitgespannten ManUhieren mit bnnten Schleifen und vielem Schellen-wert iil der Carriere einmal in der Arena hermngeschlcift — 79 - und unter lantem Iubcl hinausssefchleppt. Auch dieser Moluent bot gräßliche Effecte. Man fah den blutenden Stier mit offenem Maule und verdrehten Augen im Staube, herumgeschleift, und die Schlußscene war würdig des Ganzen. Vier bis fünf Stiere wurden so au dem einen Nachmittage geopfert. Der Eindruck, den ich uon der Sache mitnahm, war der, das; ich in hohem Maße die Verwegenheit nnd Ge-fchicklichleit der dabei Belheiligten bewunderte, das^ >»ir aber der Meuseh in der großen Mafse auch nicht im Geringsten über der Bestie in der Arena ^u stehen, ja, daß mir dieselbe vielmehr einen edleren Charakter zu haben schien, al5 der im Anblick uon Niarter und Blut fchwelgendc Hanfe. Es ist meine feste Ueve^engnng, daß derartige Schauspiele die Rohhcit der Sitten stcigeru, und daß die in diesen Väudn'n so vorherrschende (^rausanit^ii nild Blutgier ihren großen (>'rund nnt iu diesen Schaustellungen hat. Zch sprach mit vielen Einwohnern über dieses Thema uud sie hielten mM Europäern stets dagegen das Boxen in England und die Parforce-Z'agdcn und Steaple-EhaseÄ bei uns uor. Es mag etwas Wahres darin liegen und ich gebe zu, daß in diesen unseren Vergnügungen auch eine gewisse Dosis Grausamkeit liegt, aber man schwelgt doch nicht so darin, wie e5 hier der Fall ist. Ein anderes recht nationales Vergnügen, da5 wegen der hohen Wetten, die dabei gemacht werden, manche Familien rniuirt, ist der Hahnenkampf. Ich hatte in ^ w — Mariano, einem eine halbe Stunde per Eisenbahn von Habana entfernten Dorfe Gelegenheit einen solchen zu sehen. Das Gebäude dazu llud die Arena sind ganz so eingerichtet, wie beim Stiergefecht, unr vielleicht den zehnten Theil so groß. Die Leidenschaft der Znfchauer aber ist dafür bedcntend größer, schon ans dem Grunde, weil durch das Wetten die materiellen Interessen mehr ins Spiel kommen. Zwei Hähne, viel kleiner wie unser stolzer Hanshahn werden gegen einander losgelassen. Mit Ausnahme von Hals und Schwanz sind sie sämmtlicher Federn beraubt. An den Füßen sind hörnerne oder metallene, lange, sehr spitze Sporen befestigt. Mit unendlicher Sorgfalt wiegt jeder Besitzer seinen Hahn in den Armen, deuu das Nenommoc des Siegers macht- in hohem Maße stolz. Das Gefecht beginnt damit, daß einer der Kämpfen-den immer im Kreise herumläuft, während der andere ihn verfolgt uud von Zeit zu Zeit uersncht durch in die Höhe springen den Gegner mit dem Sporn zu verwunden. Dieses Fliehen ist aber dnrchans nicht als Zeichen von Schwäche zu betrachten; c5 ist im Gegentheil eine List, um durch die Attaqnen den Gegner zu ermüden. Im Verlauf der Cache gewinnt das Ganze eine überaus lebhafte Gestalt. Im furchtbarsten Durcheinanderschreim werden Wetten angeboten nnd abgeschlossen, fodaß es mir noch heute unerklärlich ist, wie man bei dem Höllenlärm überhaupt eine Verständigung erzielt. Und doch geht es . — 81 — über Erwarten gut. Fast nie entsteht nachher darüber Streit und Alle einigelt sich aufs Beste, Tie Ehrlichkeit soll im B^ahleu iil dieser Bevölkerung, bereit Begriffsvermögen von mein und dein doch wohl noch recht gering ist, ganz merkwürdig groß sein. Ja, man sagte mir, lieber schlügen sie einen andcrn Menschen todt nnd nähmen ihm das (^eld, alc> daß sie ihre Spielschulden nicht bemahlten. Man muß sie sehen, diese Kreolen, mit welcher Leidenschaft sie dem Kampfe Anschauen! Mit ihren funkelnden Angen, weit vorgestrecktem Oberkörper und gestikulireuden Armen bieten sie einen fast dämonischen Anblick. Immer betäubender wurde der ^ärm nnd die Summen, die man verwettete, wurden immer höher. Ich sah ^ente, die im bescheidensten Anzüge nicht eine Piceta in der Tasche zn haben schienen, vier Unzen Gold -- <^8 Thaler Prcnß. in Wetten halten. Haus und Hos gehen dabei manchmal au einein Vormittage verloren. lind wie täuscht man sich häufig in den Kämpfenden. Zeitweise stürben sie vor Ermaitnng nieder, nnd doch, durch kaltes Wasser aufgefrischt, nehmen sie mit neuer Verzweiflung und einer Tapferkeit, die der edelsten, größten Idee werth wäre, den Kampf von Nenem auf, der itnr mit dem Tode eines Hahnes seinen Abschluß findet, Eine halbe Stunde sah ich ein Paar kämpfen, ehe die Entscheidung eintrat und ich von dem einen Beispiel angeekelt, meinen ^üekzng antrat. «ras Äruges, Neisejtizze». h - 82 — Stundenlang kann aber der Creole dabei bleiben und sich dafür enthusiasmiren. Santa Anna, wiederholt Präsident von Mexico, der gewandteste Consvirateur seiner Zeit, der vor einigen Jahren erst gestorben, schon in den zwanziger Jahren in seiner Heimath eine große politische Nolle spielte, — verlor auf Cuba alle die Millionen, mit denen er sich in Mexico auf Kosten des Landes bereichert hatte, im Hahnenkampf. Das Wagen ist nun einmal ein charakteristischer Zug jener Völker, die unter den Tropen wohnen. Das Clima begünstigt eine gewisse körperliche Trägheit, verbunden mit dem Sinnen und Trachten auf möglichst bequeme mühelose Weise Geld zu gewinnen, mit dem den Leidenschaften dann gefröhnt werden kann. In Habana folgt eine Lotterie auf die andere; man kann sich vor Collccteurs manchmal kaum retten. Die Gewinne sind bedeutend; so beträgt z. B. das große Loos 100,000 Piaster. Alles hascht nach Geld; sei es in der Lotterie, sei es in den dort fürchterlich verbreiteten Hazardspiclen. Sehe ich dagegen die vielen dentschcn Kaufleute an, die mit einer Emsigkeit ohne Gleichen rastlos fortarbeiten, ungeachtet des so erschlaffenden Einflusses des Climas, so kann ich nicht gcnng meine Hochachtung für solche Beweise von solidem Erwerb aussprechen, der sich in jeder Beziehnng frei gehalten hat von dem ätzenden Gift der Umgebnng. Sie repräsentiren in überaus würdiger Weise die deutsche Nation und erfreuen sich der unge- — 63 - theiltesten Achtung. Möge ihr Streben anf das Reichste von Erfolg gekrönt werden, das ist der aufrichtigste Wunfch meines Herzens. Wo ich mit ihnen zusammenkam, oder ihren gewiegten Rath nachsuchte, bin ich stets der außerordentlichsten Liebenmvüroigkcit, Gefülliglcit und Gastfreundschaft begegnet. Möchten diese Worte ihnen als Beweis dienen, von welch' lebhaften Gefühlen des Dankes ich durchdrungen bin. Der deutsche Club in Habana ist ein Ort, dessen ich namentlich mit Vorliebe gedenke. Eeiue schönen kühlen Rnnme enthielten Alles, was nur den Patriotis-mns nnd die Erinnerung an die Hcimath fördern konnte und die edlen milden Züge unseres Heldcukaiscrs erblickte man in Marmorbüste nnd Kupferstich. Hier verschlang ich mit Gier die nrnestcn Nachrichten ans der Heimath nnd las in der Kölnischen Zeitnng die schwungvolle Beschrcibnng des Reitergefechtes vom 2^. März. Eine Art lebhaftester Sehnsucht wandelte mich an, als ich darans erfnhr, daß das Regiment, in dem ich die lchle Campagne mitgemacht (das Gardehusaren-Regiment in Potsdam) nnd in dein ich vier glückliche .^ahre verlebt hatte, sich bei dieser Gelegenheit, ebenso wie im Felde, reiche Lorbeeren erworben hatte. Doch Nichts ist ohne Schattenseite in diesem Leben, nud diese bestand hier in der so schweren Verletzung, die sich mein Kriegskamerad, der Erbprinz von Natibor dnrch einen Stnrz mit dem Pferde wahrend des Festes zngezogen hatte. — Eine Erscheinung anf Euba, die ich anch in noch höherem Maße — ^ -. in Mexico vorfand, ist cm übertriebenco Anstrengen und Quälen der Thiere. Es ist gerade so, als ob die Leute bei den unglücklichen Geschöpfen gar kein Gefühl voraus-setztcn und oft hat mich die Behandlungsweise derselben empört. Um einige Beispiele davon zu geben fange ich mit dein edelste» nützlichsten l^efchöpfe, mil dem Pferde an. Es wird in einer Weise ansgenntzt, wie vielleicht nirgends, und den Lohn dafür beweisen dic vielen an den Straßen durch Erschöpfung verendeten Pferde. Meistens in Verwcsnng übergegangen, schwängern sie die Lüfte mit fürchterlichem Gestaute nnd ein Vortheil ist es noch, wenn sie möglichst fchnell von den Aasgeiern vertilgt werden. Bei meiner großen Liebe für die Pferde war mir solch' ein Anblick stets ein Stich ins .Herz. Oder ein anderes Beispiel. Ich fahre Abeu'dZ ü, I'lisurc- auf dem Paseo spazieren, mn die himmlisch milde Luft einzuath-men und das Firmament zn bewundern. Ich werde aber daran sehr gehindert, weil der Kutscher wie ein Bcfessner fährt (möchten doch die Berliner Droschenkutfcher das imitireu), ^ und der Weg so holpricht ist, daß ich, um nicht aus dem Wagen zu fliegen, mich krampfhaft an den Sitz klammere. Um das Herz meines Nosselcntcrs weich zu stimmen, sage ich ihm, er möchte aus Schonung für das Pferd doch Schritt fahren. Doch seine Anlwort darauf ist Lachen nnd uur noch schärfer hallt er auf das Thier eiu. Nachdem ich ihn nun bedeutet habe, daß ich aus Schonung für meiue Rippen eine weniger scharfe - 85 - Gangart wüusche, einschließt er sich widerstrebend, meineiu Willen ,volge zu leisten. Wie freundlich Stiere und Hähne behandelt iverden, führte ich schon oben an. Esel werden mit Allein beladen, was nian sich überhaupt denken kann, nnd ich habe die Ingeniosität bewundert, uut welcher die verschiedensten Gegenstände anf ihrem Nucken befestigt werden. Ta sieht man so viel Maiü auf einen Esel gepackt, daß von demselben gar nicht!-' zn seheil ist und da^ Gauze deil (Eindruck eines wandelnden grüueil Vergeb macht. Große Granitvlatten, Holz, Kohlen, Wasser, Alleo .'lllcs das mußte, der Esel mit seiner gleichgültigen Physiognomie heranschleppcn. Die Hühner, die zum Markt gebracht werden, sind an den /i'üßen ^n einer Art Bonqnet ^usainmengeschnürt. So werden sie über die Schulter, die >iöpfe nach unten, getragen; so werden fie des Abends wieder zurückgebracht, wenn fie nicht vertauft worden find. ^n dieser '^eise haben sie, den gangen Tag bei der glühenden Hitze ohne cinen Schlnck Wasser anbringen müssen. Und wie wird gar mit den reizenden VeueMäfcrn umgegangen, die in unendlichen Massen des Abends nni-hcrschwirren! Eine Haarnadel wird ihnen um den garten Leib gezwängt nnd so schmücken sie in großer Anzahl die Haare der ^ndianeritmen. Oder man trügt sie auch als Broche. Sie haben fast die (>iröße eines Maikäfers nnd der <"lan^ den fie verbreiten, ist fo groß, daß man dabei lesen kann. — 86 ^ Kein Mensch wandelt ungestraft unter deu Palmen. Die Wahrheit dieses Spruchs sollte auch ich recht hart empfinden. Zehn Tage war ich schon in Habana und unermüdlich, all' das Nene und Interessante zu sehcu. Ich erhob mich mit der Eonne, machte eine Promenade am Ufer des Meeres bis zur Punta, dem felsigen Eingang in den Hafen, badete mich im schäumenden Meere und schecrte mich den Henker um das berüchtigte Elima, um gelbes Fieber und Vomito. Aber letztere Krankheit scheertc sich um mich und kam zu mir in fürchterlichster Gestalt. Ich erwachte in einer Nacht durch so gräßliche Schmerzen, daß ich glaubte, meine Eingeweide würden zerrissen. Ich machte Licht, wartete eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, stets in der Hoffnung, die Krisis würde vorübergehen, ohne daß ich meinen Reisegefährten ans Deutschland, Herrn Schramm, einen älteren Herrn, der im zweiten Zimmer von mir schlief, nm seine Nachtruhe brächte. Da merkte ich allmählich ein Schwinden des Be-wnßtseins, ich raffte meine Kräfte znsammen und rief den bewußten Herrn. Darauf fiel ich wie ein Knäuel vor Schmerzen in mein Vett, nnd sicher, daß meine letzte Stunde gekommen wäre, «erlangte ich einen Priester. Sei es, daß Herr Schramm sich davon wenig Bcsseruug versprach, er ließ keinen Priester, souderu eiueu Arzt kommen, der mich in, Zeit von einigen Tagen vollständig wiederherstellte nnd mir grcttulirte, jetzt gegen die Einflüsse des Elimas gesichert zu sein. Sehr eigenthümlich , ' — 8? — war in jener Nacht die gegenseitige Furcht zwischen meinem Neger nnd nur. Ich hielt ill meinen Phantasien den schwarzen Wicht stets für den Teufel, nnd er war in Sorge, daß sein zartes Leben durch Anstecknng aus-geblascn werden könnte. Im Uebrigen hatte ich damals in Habana, wo an der kühlsten Stelle des Hanfes, im Hausflur 2,^" Reaumur waren, solchen Frost, daß vier wollene Decken mich nicht zu erwärmen im Stande waren. In dem Zimmer und auf der Straße im Schatten hatten wir meistens l'O", ja, einmal habe ich in der Sonne in Mariano 45" Reaumur, allerdings zur glühendsten Mittagszeit gefuuden. Normaler Zustand ist, daß der menschliche Körper sich in Schweiß befindet. Ohne Schweiß hält man sich für kraut. Die Gerüchte über das ungesunde Clima sind nach meiner Ansicht sehr übertrieben, und die vielen Fälle von . Krankheit haben meistens in eigenem Verschulden ihre.n Grnnd. Für einen Fremden ist es schädlich Eiswafser zu trinken, hitzige Getränke zu genießen nnd in der Sonne zu gehen. Jeder, der dort ist, weiß das und nichtsdestoweniger trinkt alle Welt Eiswasser in den größten Quantitäten, geht anch theilweise zn Fuß, während die ankommenden Matrosen in der ausgedehntesten Weise dein Alkohol hnldigen. Natürlich ist es nicht zn verwundern, wenn ganze Schiffe von der C'pidemie ergriffen werden und in» wahrsten Sinne des Wortes anssteroen nnd wenn der Procentsatz der Krankheiten nn^er den Fremden ein bedeutender ist. — 88 — Ich gebe zu, daß ein rationelles Leben recht schwer ist, daß man bei der Hitze gern viele und kalte Getränke trinkt. Aber Selbstbeherrschung ist sicher das beste Präservativ. Das Essen in deu Hotels ist im Allgemeinen gut, obgleich man sich an viele neue Gerichte erst gewöhnen muß. Namentlich ist es die sogenannte süße Kartoffel, die unter den vielen Gemüsen, die man auch bei uns kennt, einen hervorragenden Platz einnimmt. Sie hat ungefähr die Form einer Gurke und den Geschmack unserer Kartoffel, nur wie ihr Name dies besagt, verbunden mit eitlem süßlichen Geschmack. Viele Speisen bereitet man mit Chile ^n, einer sehr scharfen gcwürzhaftm Frucht. Die Obstsorten sind nngemein reichhaltig und die Buden, in denen sie feilgeboten werden, bieten den mannigfaltigsten Anblick dar. Da sind die Bananen, die am meisten vertreten sind. In großen Büscheln, all denen . manchmal 4» verschiedene Früchte sind, ähneln sie in der Form in etwas der Gnrke. Ihr Fleisch ist mehlig, aber aromatisch nnd ist am ersten mit unserer Birne zu vergleichen. Die bei uns so hochgeschätzte Ananas, hier Pina genannt, nimmt nicht einen so vornehmen Platz unter den Tropen ein. Für den Preis voll ein paar Silbergroschen erhält man 8 oder 4 Stück; in Gefrornes verwandelt ist sie sehr beliebt. Eis ist bei dem Elima ein werthvollcr ArtiM, der in ungeheuren Quantitäten in rohen großen Blöcken ans Oanada importirt wird. -^ 89 — Nie füllt man fast sein (^las mit Wein oder Wasser, ehe es nicht bis an den Rand mit l^is versehen ist. Die Damen lieben sehr Gefrornes, und da es nicht für schicklich gilt, daß sie das Innere eines Caft3 betreten, so halten sie Abends vom Paseo fommend iit langen leihen iui Waqen vor demselben, nm dort ihr Eis zu verzehreli. Die Begriffe vo>i Schicklichteit und Anstand find theilweise fo widersprechend, daß es für den Fremden schwer hält, sich darin ,^i orientiren. In den Gesellschaften init den Damen herrscht ein nnglanblich freier Ton, der nach meiner Ansicht wenigstens stets ohne Hintergedanken durchgeführt wird. Man unterhält sich zuweilen mit einer Ungenirtheit, die nicht verfehlte mich in großes Erstaunen ^n setzen, Das frühreife ,Wesen der linder nnd deren schnelle geistige (5'ntwiä'eUmg mögen anch darin ihren Grnnd haben, daß ihnen in dein zartesten Aller NiMs u^n der großen Sittenlosigl'eit der Stadt verborgen bleibt. Man sieht z. B. eine Schanstellnng des Inhalts' der öffentlichen Häufer, wie es mir bisher noch nicht vorgekommen ist. In den ersten Straßen Habanas fitzen die unglücklichen Opfer der Prostitutiou, gefchmückt mit Blumen und Geschmeide. Die Bauart der Häuser mit deu ricseu-großen bis znr l^rde reichenden Fenstern, laßt die glänzend erleuchteten Räume bis in alle Details von der Straße aus durchschauen. Dicht daneben wohnt vielleicht eine vornehme Familie mit Töchteru, die jedcu Abend von der Promenade oder dem Theater kommend bei den - 90 - oben erwähnten Häusern vorbei müssen; solcher Anblick kann wohl kaum von günstigem Eindruck für die Jugend sein. .Andererseits' ist man von einer Reserve gegen die jungen Damen, daß ich ans Unkenntnis; der Verhältnisse dort einmal recht hart anstieß. Von den vielen schönen Erscheinungen, die ich in Havana kennen zu lernen das Glück hatte, strahlte vor allen Seliora Helena oe ^anzan Gonzales, die Tochter des Conde Palatino, eines unermeßlich reichen Plan-tagcubesihers. Sie war so recht der Typus ciuer Creolin. Mit der unendlichen Weichheit nnd Harmonie ihrer Formen verband sie ein reizendes Wesen. Nichts Herrlicheres konnte man sehen, als die großen schwarzen Augen, beschattet von langen Wimpern. Schöne blauschwarze bocken fielen auf den üppigen Nackru. Feenhaft kleiue Hände und Füße schlössen sich in Harmonie dem Ganzen an. Nachdem sie sich mit mir, dem Fremdling aus das Liebenswürdigste unterhalten hatte, nachdem wir auch mehrere Male znsammen getankt hatten, rüstete sie sich zum Aufbrnche uud reichte mir zum Abschied die Haud. Ich wollte mich ihr gegenüber des Ausdrucks besonderer europäischer Höflichkeit bediencu und küßte ihre dargebotene Rechte. Wie ein Blitzstrahl fuhr diese eiufache Handlungsweise in die Gesellschaft. Senora Helena wurde nbwcchsclud roth und blaß, die Damen sahen sich ver-ontzt au (vielleicht glaubten sie, ich würde das Küssen — 91 - noch weiter fortsetzen), nnd die nmstehmden Herren verbargen mit Mühe das Lachen. Ich sah nun den taux pÄ8 ein, den ich gegen die habanesische Sitte begangen hatte, und suchte die gütige Vermittelung des Herrn Will, in dessen Hause das schreckliche Vergehen sich ereignet hatte, nach, — nnd bald war Nlles wieder im richtigen Geleise. Herr Will erklärte der erschreckten Senorita, ein Handknß wäre ill Europa der Ausdruck der beson-deren Hochachtung. Meine Spaziergänge führten mich nnch in die weithin gelegenen Vorstädte, wo allerdings ein bodenloser Schmntz herrschte und die Luft geradezu verpestet ist. In den Monaten Mai, Juni, Juli flieht Alles, was nnr irgend kann Habana nnd begicbt sich ans das Land oder in die nahe gelegenen Orte Eerro und Mariano. Pferde- nnd andere Eisenbahlteu befördcru in der kürzesten Zeit den Reisenden dahin nnd machen es möglich, daß die großen Gcwerbtrcibenden in der Stadt nach ihren Geschäften sich in den Schooß ihrer dort weilenden Familien begeben können. Mariano in schöner Vegetation, hübsch auf eiuer Auhöhe gelegen, von der man das Meer erblickt, hat reizende Besitzungen. Nnr aus einem Stockwerk bcstehcud, eutfalteu diese Villen schöne hohe nnd anßerordentlich lnftige Nänme. Ein Garten mit all' den herrlichen Pflanzen uud jener Ueppigkeit, die eben nnr die Tropen hervorzubringen im Stande sind, umgiebt die Villen. Große Gitter verschlicßeu meist die Herrlichkeiten. Kleine Ncgerkinder nut anßerordentlich - 92 — originellen Gesichtern kauern hinter dcm halbgeöffneten Laden, und sehen auQ wie Cerberufse, die dm Eingang lvehren wollen. beider war bei meiner Anivesenheit cin schrecklicher Staub, der fingerdick auf Blättern und Pflanzen ruhte, hinderlich die Schönheit dieser Etablissements ganz zu bewundern. In Mariano war ich öfters und genoß dort die Gastfreundschaft der beiden Herren Berndes, die wich auch in Havana nut ^renndlichkeiten überhäuften. Wir saßen dann gemüthlich beim frühstück nnter Bananen und Palmen, genossen den herrlichen Blick aufs Meer, nnd schwelgten, weit weit von Europa, in deutscher (Geselligkeit. Ich trank hier auch zum ersten Male ein sehr beliebtes Getränk, das Eocoswasser. Die große noch grüne Schaalc der Nnß wird oben geöffnet nnd giebt diefcn süßlichen Saft, der wie Wasser aussieht, dem !ch aber, als zn weichlich, keinen rechten Geschmack abgewinnen konnte. Der Anfenthalt in Mariano ist eigentlich die einzige Art von Landleben, die einzige Erholung, welche fich die thätigen Geschäftsleute gönnen. Es ist nicht viel, was Hllbana im Ganzen bietet. Alles ist Handel in der größten Ausdehnung, wie ihn diese Weltstadt, die eine so wichtige Station zwischen Enroua nnd Amerika bildet, bedingt. Es ist natürlich, daß in einem Lande, wo das Geld einen so geringen Werth hat, wo es sich so leicht ver- ^ !1^ — dicilt, n»o die Natur in solcher lleppigkeit Alles gedeihen läßt, — das Leben unendlich theuer ist. Alles wav mau in St. Petersburg und London bezahlt, den theuersten Orten Europas, ist halb geschenkt im Verhältniß zu l^uba. Das geringste Lebeusbcdürfniß, das uubedcuteudste Ver-guügeu, jede ^cqn^intichteit der Erholung imch umn fast mit Gold aufwiegln. Die Lohnsähe sind sehr bedeutend. So erhält ein Taqarbeitcr durchschnittlich 2 Piaster ^ 2 Thlr. ^N ^ssr. prenß.j. <^eschickte Handwerker werden nianchnial sogar nut 4 Piaster b^ahlt. Der ^n-flnß an Bevölkerung ist deshalb, und namentlich aus dem Mntterlande Spanien sehr groß. Man erträgt das Mima, die Hike >md sonstigen Beschwerden, nm später mit den Ersparnissen in die Heimath znrück^ukehreu, nut denen dann daselbst ein behagliches Vebeu zu führeu ist. Auch der mich in meiner Krankheit behandelnde Arzt, ein junger Mensch von uugefähr 2.-> fahren, schien aufs Lebhasteste diesem Hiele zuzustreben, denn ich mnßte ihm fiir drei Besnche 2^ Piaster zahlen. Später hörte ich allerdings er wäre der Neffe des ,^ir>l!e5 uom Hotel nnd wnrde al^o folcher stets zu alleu fremden gernfeu. Diec, nnire feine einzige Praxis. Zu seiuem Anftreteu hatte er viel von einem pstit oi-svs. (^r sehlie nie in der italienischen Oper, knrz, er genoß da5 Leben um vollen .^iigen. Der <>>enerlll-^ap!lain von ^'uba ist jetzt ein l^raf von Balmi^seda. ^ch konnte ihm, trotz meines ^nnsches, nicht vorgestellt werden, da er in Puerto Prineipe, dcr — 94 — zweitgrößten Stadt des Landes, in der Nähe des Alls-standes war. Seine Stellung ist eine eben so mächtige als wichtige. Er herrscht fast mit königlicher Macht, bezieht einen sehr bedentenden behalt, und hat außer dem schönen Palast in der Stadt, noch eine Villa, eine halbe Stunde davon entfernt. Ein herrlicher Park umgiebt dieselbe. Man wandelt dort in Alleen schlanker mächtiger. Palmen. Blumeu vou außerordentlicher Größe, herrliche Düfte ausströmend, erblickt das Auge überall, und der Cactus zu kräftigen Bäumen mit knorrigen wunderbaren formen emporgeschossen, erhebt sich zu einer uudurchdriuglichcu Maller. Der Eindruck, den der Garten auf uns machte, war ein ganz eigenthümlicher. Mau glaubte sich iu die biblische Zeit, ja fast iu das Paradies verseht, in dem aber glücklicher Weise die wilden Thiere fehlten. Durch Herrn Will wurde ich dein Stellvertreter des General-Eapitains vorgestellt. General Eeballo ist eine schöne, vornehme, militairische Erscheinung, von den verbindlichsten Formen. Mit der allgemeinen spanischen Redensart beginnend, daß „sein Haus und Alles was sein wäre zu meiner Disposition («, I^ äi^ooiun äs Il^aä) stände", willfahrte er mit der größten Liebenswürdigkeit meiner Bitte, die Forts, die mililairischeu Ein-richtuugen und die Kriegsschiffe iu Augenschein nehmen zu dürfen. Noch an demselben Tage brachte mir ein Offizier seines Stabes den Erlaubnißscheiu dazu. Da auf demselben auch die Brfuguiß auf „meine — 95 - Begleitung" ausgedehnt war, so nahm ich mehrere Landsleute mit nach den berühmten Forts der Cabana und Morro. Ein verdeckter Gang, um die Truppen uicht in der Sonne die Höhe ersteigen zn lassen, führt auf ersteres, das auf Felsen gebant von großer Ausdehnung ist, und iu gutem Stande erhalten war. Die Besatzung bestand ausschließlich aus Voluntarios, dic mit ihren großen Strohhüten auf den drohenden Wällen stMdcu, die Stadt und Hafen beherrschten. Fort Morro liegt ebenfalls auf steil aus dem Meere sich erhebenden Felsen, ins Meer vorgestreckt. Der Blick von hier aus ist herrlich. Man sieht das lang am Ufer, in einem halbmondförmigen Bogen dahingestreckte Habana mit den dahinter liegenden Höhen, deren Gipfel von den übrigen Forts gekrönt sind. Das weite tiefblaue Meer mit seinem ewigen Rauschen, hie uud da iu der Ferne ein weißes Segel, dehnt sich in .unermeßlicher Weite aus. Das Auge ruht ferner anf dem Häusermeer mit seinen platten Dächern und seinen in grellen Farben bemalten Wänden. Der großartige tief ins Land einschneidende Hafen mit seinein Mastenwald, mit seinem unendlichen Leben nud Treiben, giebt ein Bild des menschlichen Geistes in seinem unablässigen Sehneu uud Haschen nach dem Unerreichbaren. Wenige Nuderschlägc ans dem mit 12 kräftigen Matrosen besetzten Boote, deren fast kaffeebraun gebräunte Gesichter den langen Aufenthalt in der tiei-rn, «alisnw anzeigten und großen Contrast gegen die schneeweißen - W - mit Blau besetzten Anznge bildeten, ^- brachten mich an Bord der ,,Saragossa", einer der schönste!, und größten Fregatten der spanischen Vcarine. Dieselbe hat ein großes Nenonnn6c, n>a» das Halten der Schiffe anbelangt. Wie cm Schmuckkästchen war der große (^oloß, in dein ich von einem Marineoffizier begleilet Alles in Augenschein nahm, nnd auch die recht gute Nahrung der Mannschaften kostete. Daß die Schiffe so gnt gehalten sind, zengt von deui dort herrschende» leiste der Ordnung, die verhältnißüiäßig sehr starke Bemaummg erleichtert die Instandhaltung des Ganzen. (i'inige iin Salon in liebenswürdigster Weise angebotene (5rfrischnngen machten mich mit dein Offi^ierkorps bekannt, dessen distinguirtes Wesen einen recht iwrtheil-haften (5'indrnck machte. Nnr ist die Unkeuntniß fremder Sprachen in ihrem Stande, in dem sie so die Welt durchreisen, mir unerklärlich. Sie ünßerteu sich darüber auch etwas beschämt nnd erkannten in hohen: Maße bi^, großen .Ueunlnisse d^r preußischen Marineoffiziere an. Das Schlafzimmer den Commandanten war wie das Boudoir einer eleganten Pariserin eingerichtet. Alles strotzte von Teppichen, Lüstres nnd auderen Luxns-gegenständen. — Die Spaziergänge des Morgens am Hafen waren fnr mich stets reich an nenen Bildern. Der Morgen, wo nnr das sich zeigt, was irgend eine Thätigkeit hat, giebt am ersten einen Einblick in die Verhältnisse nnd Beschäftigungen der nntcren blassen des Volkes. An — 97 — der Pmtta wurden Hunderte von Pferden ins Wasser getrieben, um eine gründliche Reinigung zu erfahren. Man hält dies der Gesnndhcit für sehr zuträglich, und die nackten Pferdeknechte, meist Neger oder Mulatten balgen sich lauge Zeit mit ihren Thieren im Wasser herum. Meiner Schätzung nach erblickte ich sicherlich manchmal 3—400 Pferde zu gleicher Zeit dort. Da häufig ein Neger 10—20 Pferde führt, so ist jedes Pferd mit dem Halftcrstrick an den Schwanz des Vorderpferdes gebunden. So geht eins ganz gemüthlich hinter dem andern in langer Reihe her, während der Führer anf dem vordersten reitet. Der Hafen von Habcma soll von Haifischen wimmeln, und wehe dem, der vielleicht beim Baden sich weit vom Ufer entfernen würde. Man nennt sie nicht umsonst des Meeres Hyänen. Bei der großen Anzahl von Pferden und Menschen im Wasser wagen sie sich nicht heran, da sie eben so feig als gefräßig sein sollen. Sie wählen mit Vorliebe den Hafen, da die vielen Abfälle uon den Schiffen nnd die verschiedenen todten Thiere, die man dort hernmtreiben sieht, ihnen eine willkommene Nahrnng bieten. Im Angreifen nnd Todten der Haifische wurden mir Facta erzählt, die ich erst dann vollständig glaubte, als sie mir von den verschiedensten Personell übereinstimmend berichtet wurden. Einzelne Neger-lungen sollen sich beim Herauuahen des Ungethüms ins Wasser stürzen, nnd durch einen geschickten Schnitt mit Graf Vrun es, Aciscstizzm, 7 - 98 - einem großen Messer ins Innere des Nachens dcm Thiere denselben aufschlitzen, was stets seinen Tod zur Folge hat. Eine Eigenthümlichkeit des Haies ist es, daß er beim Schnappen sich ans den Nucken legt nnd dies wird den Moment des Angriffs bedeutend erleichtern. Ein gewisser Ximenez wnrde mir gezeigt, der bereits über 3l) Haifische ans diese Art erlegt haben sollte. In der Nähe der Pnnta kann man die Neger im Wasser arbeiten sehen, wie sie nackend die Flöße mit Waaren ans Ufer schieben. Diese Arbeiten, die fabelhafte Kräfte erfordern, zeigten mir die athletischen Fignren der Schwarzen auss Nene. Die Breite der Schultern, die Stärke des Genicks nnd der Mnskeln ist bei ihnen ganz wunderbar ausgebildet. Die großen Holzbalken werden auf zweirädrige mit zwei Ochsen bespannte Karren geladen. Diese Fuhrwerte sind ebenfalls eine Eigenthümlichkeit der Insel Cnba. Die Ochsen find dnrch ein Vrctt an den Köpfen mit einander verbunden nnd werden dnrch eine Schnnr gelenkt, die dnrch die Nasenlöcher geht. Der Neger, der fährt, steht fast wie ein Trinm-phator ans dcm Wagen, sie mit einer langen Stange antreibend. Die Stärke nnd die Arbeitskraft dieser Thiere sind ebenfalls entsprechend denen ihrer Lenker. Von Morgen bis Abend angespannt liegen sie Stunden lang der glühenden Sonne ausgesetzt. Weiterhin am offenen Meere steht man viele ^ente mit Fischen befchäfligt, die auf diefe mühelose Weife sich ihren Unterhalt suchen. __ gg __ Augelstöcke wenden sie dabei nicht au. ^hr Apparat besteht aus einer langen anfgennckelten Schnllr mit Haken uud Senkblei, die sic niit großer (Nschicklichkeit ills Äieer schleudern. Das Ufer besteht aus flachein ^elseugruud, in den die unaufhörlich anbrandenden Wogeil tiefe Köcher gespült haben. Hier sind auch die in Felsen gehauenen Badeanstalten, bei denen es mir Spas; machte ;u seheu, n>ie, die Leute bei einer ?emperalnr de^ B^asser^ fnrchtbar schauerten, die bei uiw nie erreicht luird. Beiui ^>adm i»i ))c'eer an der schwedischen ^'nsle ging e') »lir nbriqens früher ebensa. Die Schiueden fanden die ^einperatur von > l —12" ^ll^aunlllr sehr genlüthlich, wälireod ich beinahe ^nn (<1üjapsen u.'urde. Die Bekanlltschaft uüt einem großen Handelsherrn, Don Messer, der trotz deutschen Namens diese Sprache nicht kannte, da schon seine ^'r^ilevn hier eingewandert waren, verschaffte nur Gelegenheit die enormen Zuckerdepots in Regla, auf der Habana enigegengefchten Seite des Hafens ^i sehen. Die Ausdehnung nud Anlage des Etablissements, sowie die dort vorhandenen Vorräthe waren imponirend. Nur glaubte ich mich unter die Bleidächer von Venedig versetzt, da das ^ach hier ebenfalls von Blei war, die Sonne aber noch viel stärkeren Einfluß hier hat als dort. Die Arbeiten werden fast ausschließlich von O'hinesen geleistet, die die großen Kisten wiegen und sie dann anf die Schiffe befördern. Da in — 100 - einzelnen.Eisten der Zucker (ich weiß nicht durch welchen Einflust) n'ieder flüssig wird, so sah man den gangen Boden damit bedeckt. Die Stiefclfohleu n>aren nach beendigter Besichtigung mit einer völligen ^nckertvnste beklebt, l^inem Ätenschen uut ^artm Nrrvcn ivär^ übrigens der «'"cinch d^o ^uckerÄ verekelt n'^rden, da ich einzelne Chinesen an den .^nckertisten ihre Bedürfnisse verrichten sah. Aus diesen Depots wird alljährlich für die Kleinigkeit von ^l> Millionen Piaster Gucker exportirt. Aon Regla führen wir nach ^manavacoa auf die. Besitznnq des Don Messer, (^in tühles Hans unt reibender (n lin'o anf nnd bald vereinigte uno ein lntllllisches Mahl uii! deil feinsten enropäischen deinen, inil herrlicheil /vrüchlen des .^andeö. Vier Schwarze bedienten uns, die nns jedesinal bciin Präseu-tiren eineQ Gerichtes selbst den Teller davon füllten. Ich denke mit viel Vergnügen an dieses Diner, das mit gröfucr Liebenswürdigkeit dargeboten, in sehr glänzender Weise die >iüche ('vnrouao nild der Tropen uereinte. Als wir beini Abschiede von unserm gastfreien Wirth unsern Tank ausdrückten, wehrte er denselben ab, und bezeichnete eü als ein Werk der Barmherzigkeit, dasi wir ihm bei seinem einsamen Mahle — Herr ,vl'M ist Wittwer — Gesellschaft geleistet hätten. Zn ll) Minuten brachte uns die Eisenbahn nach Negla zurück, nnd dort erblickten wir bei der Ueberfahrt über den Hafen ein wnnderbar schönes Mccrleuchten. ^ Ml — Jede Welle war ein Feuerschein, so n'eii das Auge reichte; nie sah ich es in so prächtiger Weise wieder. Daß sich die Strenge der spanischen (fesche auch unerbittlich ans die Ausländer ausdehnt, hörte ich am folgenden Tage. Ein junger Deutscher hatte, wahrschein< lich in angeheiterter Stimmung, auf der Straße ,,vivn, 1k Cnl)!^ lidi-g/', gerufen, ^nr diese Meinliugsäußerliug war er zn sechs ^ahre» Gefängniß verurtheilt uiordcu. Dieses fnrchtbar strenge Urtheil wurde motiuirt durch die Insurrection im Lande, ferner durch die (Gefahr solcher Exclamationen bei einer so leidenschaftlichen Bevölkerung wie die Creolen. Herr Will hoffte noch eine Milderung der Strafe zn erreichen, ^ür einen Nausch oder eine Kinderei ist es auch etwas viel. Ich muß gestehen, daß ich nach diesem Vorfall mich fast ausschließlich des frischen Wassers als Getränk bediente, nm nicht mit den Behörden i»i Collision zn kommen. Meine Absicht, mir einen Neger zn kaufen, sah ich doch als unausführbar ein. Deun sowie ich Cuba «erlasse, ist er frei und kaun mir fortlaufen wenn er will. Ich stand iu Unterhandlung um einen Iuugeu von 5 Jahren, der überaus niedlich und originell war; eigentlich halb Menfch, halb Affe. Vci einen: Kauf sollte mir der Vater gerichtlich feine Rechte au den Kleinen abtreten sich hätte ihn dann nach den (besetzen anderer Bänder bis zu seiner Majorcnuität behalten köunen); aber ein Arzt erklärte mir, daß Negerkinder in solch' zartem Alter in das rauhe Clima nach Enropa gebracht, — 102 — fast alle demselben erlägen, nnd deshalb verzichtete ich ans den Besih des kleinen „Gonzalcö". Häufig znachte ich Besuche bei den Quellm'scheu Damen, den Reisebegleitcrinncn von Hamburg her. Sie gefielen sich nicht besonders hier, und Senoriia Mercedes evtlärte, ihr rei^ende^ ^ockenköpfchen neigend, sie halle Heimweh nach dem Schiffe, nach der hübschen Musik dorl nnd nach den herrlichen Nächten anf dem Meer. Da ich von Allem in Habana spreche, so darf ich der Todten nicht vergessen, um so mehr als ihre Ruhestätten ganz eigenthümlicher Art sind. Die Stadt befitzt troh ihrer ^!')<)M»<> Einwohner nur einen einigen Kirchhof. Dieses ist allerdings nicht der richtige AuZdruck dafür. Unler Kirchhof versteht man bei uns einen gartenartigen Abschnitt, wo im Schalten schöner Bäume, unter Blnmen gebettet die ncheu, die uns im Lebeu theuer wareu. Hlai^ errichtet ihnen dann Monumente, nw der Hoffnung auf ein Wiederfehen Raum gegeben wird, in einer Welt, wo kein Schmerz kein Knmmer mehr den Menschen erschüttert. Hier ist alls dem ,vried-hofe eine Todleusladt, eine wahre Festnng geworden. Ein riesengroßes (Gebäude mit vielen Höfen und Etagen uimmt die Todten in der Weise auf, daß sie, um einen sehr profanen Vergleich zu gebrauchen, wie der Braten in den Bratofm geschoben werdeil. Die ^effunng, wo der Sarg hiueingesctzt wird, ist nur so groß aly die Schmalseile desselben. Zn (Gegenwart der leidtragenden — 103 — manern die dafür Angestellten das Loch zu. Selten sah ich etwas weniger Feierliches als diese Ceremonie. Will man die Ruhestätte eines Angehörigen später besuchen, nnd derselbe wohnt in der höchsten, der vierten Etage, so blickt mau dort oben hinanf nnd geht wohl-befriedigt dann wieder Heini. Viertes Capitel. MataiMs. — Dic CnevaZ. — Fcanta. — ZuckerplaiUagcu. — Gastfreundschaft. — San Nafael, — Mosquitos. — Neise nach Vera-Cruz. ,>ast vier Wochen hatte ich in Havana geweilt, hatte mit Muße und dem trägen Elima angemessen einen tiefen Einblick in das dortige Leben nnd die Verhältnisse gethan. Was hatte ich nicht alles Neues nnd Interessantes dort vor Augen bekommen. Ein Vorhang war vor mir aufgegangen nnd die Herrlichkeit der Tropen zeigte sich meinen gebleudeten Blicken. Und nicht allein das; der Welthandel Habanas nnd seine großartige Lage führte fast alle Nationalitäten der Erde vor. Hier kann man Menschenra^en studiren, hier kann man ein Leben kennen lernen, das in seiner ganzen Grundanffassnng so verschieden von dem europäischen ist. Meine (Hedanken richteten sich nun nach dem Innern der Insel. Ich hatte die reichen Produtte des Landes gesehen, wie sie in alle Welttheile versendet werden, jetzt wollte ich auch ihre Production erfahren. Ich wollte hinter die Coulissen sehen, wo doch so manches anders — 105 — ist, als es auf der Scene dcs Lebens'erscheint. Habana ist die glatte Oberfläche des Wassers, wo Alles durch die Wellen gleichförmig erscheint, während es iu der Tiefe nuten braust nud gährt, arbeitet und schafft. So reiste ich dcun mit guten Empfehlungen versehen zuerst nach Matauzas. Es ist natürlich, daß bei dem großen Handel in den Küsteustädteu die Eiseubah-nen eine große Nolle spielen, nm die Ausfuhrartikel dort-hiu zu schaffen. Cuba ist damit außerordentlich versehen, und die Eisenbahnen müssen sich sehr gnt reutireu, da einzelne besonders große uud reiche Hacieudas mit Zuckerkultur sich auf eigeue Kosten Zweigbahnen gebant haben. Die Einrichtung der Waggons ist die nordameritanische. Sie besteht ans nur eiueiu Naum, in dem durch die Mitte ein Gang durchgeht. Rechts uud links davon sind Nohrsitze, je für zwei Personen, Vom erstcu bis znm letzten Waggon cristirt eine Verbinduug. Die Lnft ist durch die vielen offeucn Neuster angenehm, und uiau wird verhältuißmäßig nicht sehr von der Hitze gequält. Alle diese kleinen Vorsichtsmaßregeln unserer Länder, diese Vevormuudung des Publicums seitens der Angestellten sind hier nicht vorhanden. Der Grundsatz herrscht: „Sieh du alleiu zu, daß dir kein Unglück zustößt." — Man steigt aus uud eiu, weuu der Zug noch im Gang ist; mail geht längs der Schienen spazieren, wenn Einem dieser Weg passend erscheint. Die die Eisenbahn durchschneidenden Wege sind bei Annäherung des Zuges auch nicht abgesperrt. — 100 — Und bei alledem soll durchaus selten ein UnglückZ-fall vorkommen, uiel seltner als bei uns, wo das Publikum durch ebeu diese Bcuormundnug verwöhiü, «erlernt hat, selbst aufzupassen, selbst für sein Wohl und seilte Haut zu sorgen. Ueberhaupt habe ich in diesen Bändern cine große Selbständigkeit der Charaktere wahrgenommen. Dazu kommt ein Selbstbewußtsein des Auftretens und eine angeborene practische Weltklugheit, die fürs wirkliche Leben von viel höherem Vortheil, als alle angelernte Gelehrsamkeit ist. Kinder uom dritten Zähre, an, erwerben sich schon ihr Brod nud sind dann schon auf sich selbst augewiest'n. Mau überträgt diesen kleiucu Wesen ^ommissioneu, die schwierig im Kopf ^u behalten sind, und deren gute Ausführung mich in Erstaunen setzte. Bei nus sind sie dann noch in den engsten Klanen einer sorgfältigen Aufsicht. Die Strecke uach Matanzas, die man in 4 Stnuden zurücklegt, ist reich an nmm Bildern. Sah man in Habaua im Allgemeinen nur wenig Vegetation, so fährt nian hier durch lauge Palmeuwaldcr, durch reiches cnlti-virtes Land, nur dann und wann von uudurchdriug-Nchem Gebüsch durchschnitten. Gleich herrlichen Guir-landen ist ein Baum mit dein andern durch Schlinggewächse uerbuuden. Große duftende Blumen wucherten üppig uud uameutlich waren es weiße Winden, die dabei ins Ange fielen. Es dämmerte schon, als ich in Malagas anlangte, wo mich der „I^eou äs oro" m sciuc hohcu stattlichen — 107 — Näume aufnahm. Nm andern Morgen erhob ich mich zeitig und tonnte mit Mußc das Panorama bewundern. Die Ctadt ist herrlich in ciuem Kesfcl am Meere gelegen, das hier in einem großen Bogen einen mächtigen ssinschuitt ins ^and macht. Zwei Flüsse ergießen sich in dasselbe, von denen der nördliche eiuen besonders malerischen Durchblick gewährt.. Unmittelbar vor der Stadt zwängt er sich durch ein senkrechtes Felsenthor hindurch. Allmählich erhebt sich die Stadt am Berge, von dessen Spitze mau das weite Meer nach Osten zu erblickt, während reiches schönes Land mit üppiger Tropen-Vegetation nach dem Innern der Insel zu sich den Blicken eröffnet. Außerhalb der Stadt, an dem großen Bogen, deu das Vaud bildet, liegen stattliche Pillen, deren Gärten nur durch einen chanssirteu Weg vom Meere getrennt werden. Ans der entgegengesetzten Anhöhe erheben sich große Gebäude, uon denen das Hospital und die Cascrncu besoudcrs hervorragen. Die Stadt selbst macht einen ungemein freundlichen Eindruck. Die Construction der Häuser ist dieselbe wie in Habaua, nur fand ich hier viel größere Sauberkeit und weniger üblen l^eruch. Der Hafen selbst war belebt durch viele, Schiffe, die von einem weit vorspringenden Steindamm aus, mit den Produelen des Bandes beladen wurden. Die Placa de Armas war mit stattlichen Gebäuden nnd eleganten Caft's besetzt. Die ganze eine Seite nahm der Negierungspalast ein. Schöne Gartrnanlagen mit — 108 — Bänken nnd Schaukelstühlen lnden Abends zur Erholung uach des Tactes Last nnd Hitze ciu. Ich nahn: ein Pferd uud ritt nach den 2 deutsche Meilen entfernten berühmten Encuas, zu deutsch Höhlen. Dieselben sind erst seit 7 Jahren durch einen Neger zufällig entdeckt worden, nnd vielleicht ist dieser tnrzc Zeitraum die Ursache, daß-sie nach meiner Ansicht dnrchaus in wissenschaftlicher Beziehung nicht so bekannt sind, als sie es in ihrer Großartigkeit nnd Schönheit verdienen. Sie sind ein wahres Weltwunder und stehen in Betreff uou Stalattitenbildnng ein;ig da. Um zu ihueu zu gelangen, folgt man einem Wege vom Meer ans auf eine Anhöhe von ca. 2—>>()() Fuß. Ueber den Eingang ist eine Art Hans erbant, in dem Proben der eigenthümlichen Etrinbildungcn der Höhle zum Verkauf ausgestellt sind. Auf einer Treppe steigt man hinab nnd befindet sich in einer merkwürdig warmen uud feuchten Atmosphäre. Der helle Schein der fackeln erlaubt erst nach nnd nach dem Auge sich ^i oricntiren, uud man erblickt eine Höhle von ungefähr W Fnß Höhe, der der Name des Gothischen Tempels gegeben ist. Das Gestein ähnelt ganz dem Alabaster nnd ist von der schönsten Klarheit nnd Weiße. Die Formationen lassen sich am ersten mit Eiszapfen vergleichen, nnr vielleicht zwanzig bis vierzig Mal größer, als man sie bei nns sieht, uud in den bizarrsten Formen. Eine schöne Wölbnng der Decke, von der taufende dieser glitzernden Zapfen tief herunterhängen giebt der Höhle den Anblick eines Feenpalastes. — 10!' — E'Nt gehaltene WM', die aber manchnlal so cng durchs Gestein lalifen, daß man sich tief bücken mnß, um vorwärts zu kommen, führen mehrere Lcgnas weit hinein ill das Innere. (5s bilde» sich immer wieder größere (Gewölbe von Zeit zn Zeit; alle in derselben Pracht und Herrlichkeit, denen man stets bezeichnende Namen, als „Venmanischer Spiegelsaal" u. s. w. gegeben hat. Andere Steine haben so eigenthümliche Formationen, daß sie aufs l^enaneste der Krippe in Bethlehem gleichen. Man sieht Maria mit dem Ehristnstinde; umgebende E'rnppen ähneln den Weisen ans dem Morgenlande, und so giebt es Hunderte von verschiedenen Scenen. Die ^nft wurde, als wir immer tiefer vvrdrangen so warm, daß wir selbst ohne Röcke, die wir am Eingänge gelassen hatten, vor Schweiß trieften. Eine Qnelle im Inneren bot uns deshalb eine willkommene Vabnng. Man hat noch immer nicht das Ende in der Erforschung der Enevas erreicht, und vielleicht stehen noch die interessantesten Entdeckungen darin bevor. Ein ^ng unglaublicher Nohheil nnd des thierischsten Vandalismns hatte sich kürzlich in der Höhle ereignet. Die Matrosen eines englischen Kriegsschiffes tamen in großer Anzahl dahin, tranken ohne Bezahlung Alles aus, was sich in einer kleinen dort befindlichen Eannue vorfand und zertrümmerten dann die herrlichsten Formationen der vordersten Steinbildnngen. Allgemein und mit Recht war man entrüstet über solche Ereesse, bei denen allerdings zu bedauern ist, daß die neunschwänzigc — 110 — Katze in der englischen Marine abgeschafft ist. Von Seiten der spanischen .Legierung wurde energisch Vestra-fnng der Uebelthäter und Schadenersatz für den Besitzer verlangt. Der englische Consul mnßte sich an Ort und Stelle von der Zerstörnng überzeugen und darüber ein Protoeoll aufnehmen. Durch Empfehlungsbriefe machte mich Herr Hofmann, der deutsche Konsul, iu sehr gefälliger Weise mit dem Besitzer einer Hacienda in einen: Landstriche bekannt, wo die Zuckercultur auf ihrcin höchsten (Zipfel steht und die reichsten Plantagen sich befinden. Die Tage, die ich im Herben der ^nsel in der l^gmd von Volondron verlebte, rechne ich mit zn meinen angenehmsten Reise-erinnernngen. Cmle «Gastfreundschaft, wie fie glaube ich, iu der Welt nicht ihre') bleichen findet, diesem Neilen und Fahren dnrch dao Land, durch jene mir ewig unvergeßlichen Palinenwäldcr mit ihrer prachtvollen Vegetation, der (iinblick in das Veben und die Stlavenver-hältnissc, Alles dao find Sache,!, so nen, so grundverschieden von All' dein, was nur bis jetzt zu sehen und zn hören beschieden war, daß. ich mich an die Stirn faßle, um mich zu überzeugen, daß ich das Alles wirtlich sähe, daß es Wahrheit und nicht das Gebilde einer aufgeregten Phantasie oder eines Traumes sei. AIs Scnor Nicolas Perez erfuhr, daß ich nach Iicarita, so hieß die ihm lind seinem Schwiegervater gehörige Hacienda, wollte, t'am er zn Herrn Hofinann mit dem Ersuchen, ich möchte doch erst den folgenden Tag — Ill — mit ihm dorthin reisen, da noch Borbereitnngcn zu meinem Empfange getroffen werden sollten. Da ich meinerseits dies Letztere gerade vermeiden wollte, andererseits es mit meiller Zeit so berechnet war Ulrich zu reisen, so wehrte ich es vollständig ab, mich so lange vorher anmelden zu lassen und wir lamen überein sofort zu reisen. Herr Perez holte mich in einer wunderschönen, reich mit Silber beschlagenen Volaute ab. Der Sieger, der auf einem der Pferde ritt, hatte ebenfalls sein malerisches Costüm an, bestehend ans einer blanen Jacke reich mit goldenen Tressen besetzt. Knrzum, mau sah ans den ersten Vlick, daß Alles geschehen war, um den Gast durch ein möglichst glänzendes Gepränge zn ehren. Die Fahrt in einer Volantc ist anßeroroenllich oeqnem. Durch geschicktes Leukeu und durch die riesengroßen, weit aus-eiuaudcr stehenden Näder werden sorgfältig die vielen umherliegenden Steiuc vermieden. Anf dem Bahnhof angekommen, wnrdeu sehr viel Coinplimente gewechselt, da mein Gastfreund sich nicht demon abbringen ließ, die Billets für mich und meinen Diener zu bezahlen. Ich müßte mich den Sitteu des Bandes, in dem ich reiste, fügen, war sein steter Einwand, dem ich zuletzt ermattet nachgab. Nach zwei Stunden Fahrt durch zahllose Zncker-plantagen, in denen das regste Treiben herrschte und Hunderte von Negern mit dem Abschneiden uud Auf-ladeu des Zuckerrohrs beschäftigt waren, gelangten wir in Bolondrou au. Wieder uahm uns eine Volante auf __ ^I __ uild brachte nils schnell nach Zicarita. Mein Koffer uou ziemlicher Dimension und Schwere wnldc auf eigenthümliche Art dorthin befördert. Ein reitender Neger nahm ihn vor sich aufs Pferd, nnd jagte damit fort. Die Plantage, von einem Zann mit Gitterpforte umschlossen, hatte vielleicht 4—:')00 Morgen Ausdehnung; ihr Werth in dieser Gegend, wo jeder Zoll Erde fast mit Gold bezahlt wird, ist also ein recht beträchtlicher. Wir fuhren in einen großen Hof, wo geradeaus sich die Maschinengebände mit hohen ranchenden Schornsteinen befanden, denen geradcüber das Wohnhaus lag. Dasselbe war klein nnd niedrig und enthielt eine Art Vorbau, unter dem man den größten Theil des Tages sich aufhielt. Der Herr des Hauses kam mir in offener liebenswürdiger Weise entgegen und schüttelte mir die .s>and so herzlich, als ob er einen alten Bekannten begrüßte und nicht Jemanden, der ihm fremd und dem fremd war, der mich ihm empfohlen hatte. Diese Gastfreundschaft ist ein so hübscher ritterlicher Zug an den Cubancrn nnd so wohlthnend uud zart für den, der sie empfängt, daß sie wirklich nicht hoch genug anerkannt werden kann. Mögen sie anch viele nnd große Fehler haben, jene Völkerschaften, so haben sie doch anch so große und gute Eigenschaften, daß erstere dnrch letztere ausgewogen werden. In der heutigen kalten Welt, in der wir leben, wo Jeder, unbekümmert um das Wohl und Weh seines Nächsten, fortschreitet, ja vielleicht gerade dnrch den Nuin desselben emporklettert znr Stufe von — 113 — Ansehen und Reichthum, sind solche Züge, wie die Gastfreundschaft, die hier geboten wird, doppelt anziehend. Cie heimeln an wir Erinnerungen an vergangene Zeiten, wo ein gastliches Dach so viele aufnahm, als darunter Platz hatten, wo ein treuer Hansherr patriarchalisch über sie herrschte, wo aber auch ihr Wohl sein Wohl war. Heut zu Tage glaubt Jeder sich mit so viel augeborenem Verstand begabt und mit so viel Gelehrsamkeit vollgepfropft, daß er achselzuckend und höhnisch jene Institutionen aus alter guter Zeit bekritteln und begeifern kann, daß er Religion und Treue für Phantome hält, von denen mau Gebrauch macht, wenn es Einem gerade paßt und wenn sie Nutzen bringen, die man aber sonst am liebsten in die Rumpelkammer der Vergessenheit wirft. Deshalb anch die Inconscanenz in allen Dingen, die früher hoch und nnersMtlerlich waren. Ineonscquenz iu der Politik, in der Religion, ja bis in die geringste Handlungsweise, kennzeichnet heut zu Tage so Manchen, der sich als Irmißn innnäi selbst vcrgöttert, der heute conseruativ, morgen liberal ist; es heute mit dem Bestehenden, morgen mit der Umsturzpartei hält, wenn es ihm mir in seineu Kram paßt. Ich komme nach dieser Abschweifung, deren Inhalt nicht allein auf (vnba, sondern in demselben Maße Vezng auf uns näher stehende Länder haben kann/ auf meine lieben Gastfreunde zurück. Das bald aufgetragene Mittagsmahl war streng nach eubauischcr Art hergerichtet, die ich hier zum ersten Vraf Äruges, NeifcskiMi, 8 — 114 — Male so gründlich kennen lernte. Oel, starke (Gewürze und Zwiebeln waren fast in allen (berichten, die sonderbarer Weise alle zn gleicher Zeit anf die Tafel gesetzt wurden. Die Unmassen von fliegen wurden durch Sklavinnen mit Zweigen fortgcschencht, nnd damit ich beim Essen ebenfalls nicht davon belästigt würde, war anf seder Seite von mir eine solche schwarze Nymphe postirt. Ich konnte mir znerst kaum das Lachen verkneifen, mich so wie ein Pascha von wedelnden Sklavinnen umgeben zu sehen; doch die Annehmlichkeit der Maßregel war so einleuchtend, daß ich sie mit Taltt hinnahm. Nachdem ich nach schrecklichem Nöthigen ungeheuere Portionen, die mir in ihrer Zubereitung widerstanden, hatte vertilgen müssen', wurde glücklicher Weise die Tafel bald aufgehoben und wir schritten ;nr ^esichtigimg der Zuckerfabrik. Alles wird hier durch Maschinen gemacht, die in den vorzüglichsten Constrnctionen ans Nordamerika im-vortirt werden. Jede einigermaßen größere Fabrik hat ihre eigene Locomobile. Zuerst wird das Zuckerrohr in einer Maschine zerbrochen und der Saft ausgepreßt. Die trockenen Ucberreste werden zum Heizen der Kessel benutzt, in deren oberen Theil der Saft hineinfließt. Nach häufigem Aufkochen wird er in verschiedene große Behälter vermittelst Nähren gefühlt, dort abgeschäumt und durch einen () der ^neker an die Oberfläche uild iverden von dort, iveilil sie hart gewor dell sind, entfernt. Der crystallisirte ^neker »vird nun durch eine Maschine zermalmt und anf dem ^oden alis-ssebreilcl. Viit der größten Harnilosisikeit spateren N'e^ev und Chinesen uiit bloßen ,vnßen anf ihm herum. ,^n diesem Zustande nut einer schnuchig gelben Farbe wird er dann exportirt. Dicht bei der Fabrik sind die WohnniMn der Skla^ vell, die wie ein kleiner Stndtthei! fnr sich in Hnilen bestehen, deren jede Familie eine hat. Dazwischen kriechen die Schweine nnd Fertelehen nwher, nnt denen die Neger, wie es mir schien, in großer Freundschaft lebten. ^« keaux iinder hielten jede Bekleidung fnr überflüssig. Die der arbeilenden Sklaven werden den Tag über ^nr Aufsicht in eine bestimmte Hütte gebracht, wo in der Regel ein aller arbeitsnnfähiger Neger über sie wacht. Zch sah hier wM, daß da5 Vootz der Schwarzen kein so gnteü war al^ in den Slädlen. Sie müssen unendlich viel arbeiten, und Erholungen nnd Zer-ftrenungen, wie sie deren zeilweise in Habana haben, cxistiren hier nicht für sie. Del, folgenden 5ag bemchlen meine lieben>>n'ürdigen Creolen dazn, mir die umliegenden Haciendas zn zeigen, nud ich sah auf diese Weise vielleicht das großartigste — litt — Etablissement, San Rafael». Tic Maschinen warm wirklich das ingeniöseste, was man sehen konnte; sie waren in Philadelphia eonstrnirt und wurden anch von ei nein Nordameritaner geleitet. Ein eigener Schienenstrang ans Kosten des Besitzers errichtet, führte bis nach Bolondron. 6W Sklaven arbeiteten hier, sei e5 an den Maschinen, sei es auf den Feldern. Rechnet man den Dnrchschnitts-prein eine'o Sklauen anf >^><»<> Dollars, so repräsentiren sie zusammen einen Werth von ^l)<),00!) Dollars, ^tech-net man dazu das ausgedehnte hier sc> werthvolle Terrain im vielleicht lhenerflen Bode>t der Welt, so kann man sich einen uugefä'hreu Begriff von dem enormen vermögen der Besitzer machen. Unser Ritt durch da5 ^and geschah auf den kleinen sehr guteu und danerhaflen Pferden, deren Hnuptqang-art der Paf; ist. Vian lonunt ebellso schnell dabei vor-würtQ, wie iin starten Traben auf unseren Pferden, nnr, ermüdet der Paßgang Reiter und Pferd uin ^ieleü n>e-uigcr. Äiceilenuieit kann man so reiten. Die bei uns üblichen schnelleren ^'angarteu wnroeu hier der Hitze wegen fchon durchaus unpractisch sein. llns voraus ritt ein Neger mit großer Hetzpeitsche, um den Weg ^u geigen, oder etwaige Thore zu öffueu. Es war schon spät als wir znrückkehrtrn. Der Mond schien herrlich, und die Pflanzen nnd Blumen strömten ihre süßesten 5üf>e aus. Recht müde von all' dem (besehenen nnd von den körperlichen Anftrengnngen suchle ich mein 1'ager anf, in der Hoffnung anf einen gesunden tiefen Schlaf. Doch — 1l? — ich hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht, ^rcch Mousselin-Vorhängen umschwärmten Tansendc von Mos-anitos uiich Unglücklichen. Hätten sie mich anch nicht so jämmerlich zerstochen, ans Schlafen wäre schon des Ge-snmmes wegen gar nicht zu denken gewesen. Mnn kann sich feinen Begriff von diesen Quälgeistern machen, wenn man sie nicht kennt. Man flüchtet sich hierhin, man flüchtet sich dorthin, überall folgen sie Einem, nnd stets haben sie mich immer ganz besonders geplagt. Ebenso wie Goethe sang: „Wer nie sein Brod mit Thränen aß", u. s. w. so sage ich: Wer nie todtmüde von Mosquitos gepeinigt worden ist, hat einen großen Theil Lebensqual noch nicht gekostet. Also anf Schlaf mußte diese Nacht verzichtet werden, das wurde mir klar. Ich sehte mich, mit Schleier und Handschuh bewaffuct in der Nacht vor die Hausthür, nnd hatte, ich will es nur offen gestehen, einen leisen enroll im Herzen gegen die sonst so vergötterten Cnbanischcn Nächte. So saß ich bis um 2 Uhr des Morgens, bis die Maschinen aufhörten zu arbeiten, nnd so saß ich noch um 6 Uhr. Als ich meiu Bett min auf-snchte, war dasselbe schwarz von Ameisen. Doch die Natnr verlangte in Etwas ihr Necht und ich schlief für kurze Zeit ein. Als ich bald daranf meinen Wirthen beim Caffee einen gnten Morgen wünschte und sie mich in der theilnchmendsten Weise fragten, wie ich geschlafen hätte, versicherte ich ihnen, selten eine so vorzügliche Nachtruhe genossen zu haben als in Iicarita. So verlangt — 118 — die Hof! ichteil e^ hiinfig im Veben, daß man Wahrheit und Dichiung nuteinander vertauscht. '.ilach zweitägigem Anfenthalt schied ich, nachdem ich im Lexikon alle nur möglichen auf Dank bezüglichen Phrasen heran^gesncht und angebracht hatte. Und es ,uar dieses nur ein schwacher Ausdruck ineiner ssvoßm Dank-bartrit für so vn'l (^'astfv^uudschafl und ^irbculoniiivdilp keit. ^rnor P^rc^ dl'glritrtc mich persönlich zurück nach Ncalan^aü und dort faud dasselbe ^rrcnoni^l, N'ic bn der Hinreise, statt. Volanten standen bereit die, mich nach dem Hotel brachten, und Händeschülteln und Dant'eswortc füllten die lehteu Momeiue vor der Trmnuug aus. (^ineu Tag blieb ich noch in der reizenden Stadt. Am Abend wär Concert der Militairmnsit anf der Placa de armaci, nio Alles, was nnr Beine hatie, versammelt war. ^in Schritt flihreil die Equipagen auf dem Fahr--damm, nnihrend zahllose Spaziergänger fich auf dem Plalz vertheilten. Die Damen in großer Toilette, stolzierte,! hernm, nm den Tönen der Musik zn lauschen, die bald in rauschender Weise die nationale Danza ertönen ließ, oder in sanften dahinziehenden Klängen ernstre Stücke spielte. Der Abend war wie immer herrlich nud der Mond verbreitete eine bei nns nie gekannte Helle. Fast senkrecht stand der alte Herr mit immer demselben Gesichte über nnseren Häuptern, (n- schaute hinab anf das Treiben nnd Gewühl der eitlen Menschenkinder diesseits und jenseits des Oceans, wie er schon hinabgeschaut hatte anf Tausende von l^enerationen vor mw. — 119 — Ich begreife ill gcwisscr Beziehung das etwas bla-sirte (^eficht dec, gnteil Viondes. Wenn inan iminer dasselbe ficht, in Nichl5 cine Abwechselung fiildet, so läßt sich dieses billig erklären. Selbst die schönen «legenden Hal er so viel schon gesehen, daß ihm auch dafür der Eindruck völlig verloren gegangen sein mnß. So wie unsere Schönen sich in der inilden Abendlnft ergehen, thalen es ge,viß schon die Römerinnen nnd ^gnplierinileu. Selbst da'ö Thema der »bespräche mnß n,igefähr dasselbe wie damalü sein. Die ^iebe nlld dreimal die Viebc, das sind so die Stoffe, die damals ebenso wie jetzt dnrch-gearbeitet ivurden. Man lese nnr 'Znln'er's ,,letzte Tage von Pompejis deren Inhalt in Betreff von Sitten und ^ebelwweise genan dem jungeren Plinins entnommen ist, und man wird meine Behauptung getreulich bestä^ tigt findeil. Abends bmu zu Bett gcheu, war mir uoch eine kleine Ueberraschuug ausgespart. (5in Skorpion hane sich bei mir eiugefnndeu, wahrscheinlich in der freundlieheu Abficht, mich, — der ich Alles im ^ande kennen lernen wollte, — die Bekanntschaft seineo langen Stacheln macheu zu laffcu. Da iedoch au diesem Abend meiue B^is; begierde sehr geriug war, so tödtete und legle ich ihn zum Andeuten, wie eiuc Blume Mu Pressen, iu meiu Tagebuch. Aiu auderu Ätorgen friih verließ ich Matanzas wieder lind wählte eiue Route uach Habaua, die die Eifeubahu iu ilur zwei Stuudeu zurücklegt. Die — 120 — Schnelligkeit, mit der hier gefahren wird, ist außerordentlich. Man fährt ca. 40 englische Meilen in einer Stunde. Die Gegend war noch hübscher als die auf der Hinreise berührten. Berge erheben sich von 2000 Fuß Höhe in der Nähe der Bahn, deren Spitzen die merkwürdigsten Formen haben. Bald einem runden Kegel gleich, bald in plötzlichen steilen Abfällen ziehen sie sich einige englische Meilen dahin. Die Bahn mündet in Negla, und da die letzte Strecke ziemlich bergab geht, so fuhren wir ohne Locomotive in den Bahnhof von Rcgla. In den letzten Tagen des April schiffte ich mich auf dem englischen Dampfer „ftorsita" nach Vera-Cruz ein. Ich nahm herzlichen Abschied von den vielen Bekannten, die ich in Habana gefunden hatte, nnd von denen ich nnr Freundlichkeiten erfahren hatte. Es war an einem Nachmittage, als wir den Hafen von Habana verließen. Noch lange stand ich am Hintertheil des Schiffes nnd blickte anf das Meer von weißen Hänsern, aus denen nnr wenige alte Gebäude hervorragen. Die Corsika, nur ausschließlich zum Dienst zwischen den Kolonien in diesen Theilen des Atlantischen Meeres bestimmt, war ein gutes Schiff, desfcn Bemannnng gänzlich aus Negern bestand. Es war aber ein ganz anderes Genre, als man ans Cnba zu sehen gewöhnt war. Bei ihnen war der Körperball nicht so überaus kräftig, dafür hatten ihre Bcwcguugen etwas leichteres, elastischeres und ihre Grsichtszüge waren hübscher nnd intelli- — 121 — genter. Ich weiß uieht, ob ich letztere Eigenschaft dem zuschreiben soll, daß sie Freie waren, oder ob dieser Menschenschlag ihrer Heimath, der Insel Barbados, eigen-thümlich ist. In 3'/., Tagen durchfnhren wir den Golf von Mexico. Was wir von dcr Hitze auszustehen hatten, übersteigt alle Beschreibung. Bei der großen Windstille, die herrschte, hatten wir fast nie die Annehmlichkeit einer frischen Secbrise. Tödtlich war die lange Weile, die uns quälte. Die Anzahl der Passagiere war sehr gering. Ich machte die Bekanntschaft eines Nordamcrikancrs, der in Mexico seit Jahren ctablirt ist; sein Sohn, ein gescheuter angenehmer Mensch war natnralisirtcr Mcxicaner. Durch ihu erfuhr ich Vieles, was mich in hohem Maße intercs-sirte, uud viele Details über das Land, das ich zu bereisen gedachte, uud über die ^cntc, mit denen ich darin zn verkehren hatte. Da ich stets vorsichtig in der Unterhaltung über Politik bin, — schlimme Erfahrungen, die ich dariu mit Andersdenkenden gemacht habe, schreiben mir eine möglichste Reserve vor, — so vermied uh dieses Thema so lauge, bis mein Reisegefährte selbst das Gespräch darauf hinleuktc. Er sagte, daß nach allen den Schriften, die in der letzten Zeit in Europa erschienen wären, mau dort die Mcxicaner für ciu schrecklich nncivilisirtes, blutdürstiges Volk halten müßte. Ich erwiederte ihm, daß das, was man in den letzten Iahreu über Mexico gehört hätte, wohl nicht dcr Art geweseu sei, viel Ver- - 122 — trauen in seine ^andslente sehen ^u können mid das; namentlich die Ermordllng^ — ich wählte absichtlich dieseil Ausdruck, des edlen Kaisers Maximilian einen Schlei der Entrüstung iu gan^ (Vnropa heruorgernseil hätte. Damit nahm min die, Nnterhallnng einen ctwas leidenschaftlichen (<> Fuß. Nähert man sich dcr Küste, so verschwinden allmählich die Gebirge nnd die öden Sandfläcben, jeder Vegetation bar, anf denen Vera-Cruz erbant ist, zeigen sich dem Ange. Rings nmher sind die Coralleuriffe zerstreut, die der Cchifsfahrt im Golfe so überaus gefährlich sind. ^mmer deutlicher treten die Steinmafsen hervor; links auf eiuer ^els^ninsel, den Hafen schützend,, ficht man San Juan de Ulloa, mit einem Fort, das zmn Staatsgefängniß dient. Vera-Cruz macht, was die Stadt anbetrifft, einen stattlichen Eindrnck. Die langen Linien der befestigten Enceinte, die vielen Kuppeln der Klöster nnd Kirchen, der schlanke Glockenthnrm der Ca-thedralc, Alles das aus der Spanierzcit stammend, trägt den Stempel dcr Vanten jener Nation an sich, sie sehen ans als ob sie bestimmt wären, der Ewigkeit zn trotzen. In hohem Maaße haben die Spauier es verstanden, das Manerwcrk auszunützen nnd Alles, was sie je darin geleistet haben, macht einen nngemcin soliden Eindruck. Das Land Mexico ist überaus arm an Häfen. Außer Vera-Cruz ist an der Ostküste Tampico, an der Westküste Acapulco und Manzanillo zu nennen. Und Hafen ist überhaupt schon eine kühne Bezeichnung für Vera-Cruz, denn weder Natur noch Knnst haben dafür etwas gethan. Es ist eine offene Nchde, die durch die — 127 — Iusel San Juan do Mloa etwas gegen heftige Stnrine geschützt ist. Wir hatten übrigens großes Glück nnt unserer .Ueise. Dicht vor Vera Cru^ zerbrach die Schraube unseres Steamers und acht läge mußte derselbe hier bleiben, uni den Schaden zu repariren. Ich hatte die große ,vrc»dc', das preußische Kriegsschiff, die „Gazelle", zu erblicken, dir auch über meine Ankunft da6 gleiche Gefühl hatte, da ich uugefähr l^l><) Briefe für sie aus Habana niilbrachte, die nur dort uom (General (^onsul zur Beförderung überliefert nnnden waren. Die Gazelle hatte den neuen Deutschen Gesandten in Mexico, Grafen Gnzcnbern, nach Vera-Cruz gebracht, und lag hier neue Befehle erwartend. Schon als man sich im tleinen Boote dem Ufer näherte, wurde man umweht vou deu üblen Ausdünstungen, die dein Clima dort s,o sehr verderblich sind. Humboldt erklärt dies daher, daß in dieser uon Sanddünen begränzten Gegend entnieder zn viel oder zu wenig Regen eintritt. Namentlich sollen in der Regenzeit, wo die heiße Sonne anf das in großen Pfnhen stehende Wasser scheint, sich unendlich ungesunde Ausdünstungen erzeugen. Gin hoher Wall uon Sand, der die Stadt umgiebt, und der sich durch die vom ^ande her wehenden Winde gebildet hat, verhindert das Hinströmen der frischen gesunden Luft von den Gebirgen her und dies ist auch theilweise, der Grund zu der bedeutenden Hihe, die in Vera-Cruz herrscht. — 128 - Die hier hauptsächlich und epidemisch auftretenden Krankheiten sind das gelbe Fieber nnd das Vomito, von welch' letzteren! ich ein Lied von Habana her zu fingen wußte. Hier in Mexico hält man beides für dieselbe Krankheit, während in New-Orleans die Aerzte darin einen Unterschied mache,!. Von diesen Epidemien wird Jeder ziemlich gleichmäßig befallen, der nicht seit seiner Jugend in diesen (legenden lebt oder doch wenigstens durch einen langen Aufenthalt hier aMimatisirt ist. Der Mexicancr ans den übrigen Theilen des Landes fällt ihnen eben so leicht zmn Opfer, als der nen angekommene Europäer. Beide bevölkern in erschreckender Weise den für den Ort jedenfalls riesengroß angelegten Kirchhof. Was haben nicht die Franzose,l bei der letzten Intervention für Mannschaften in Vera-Cruz dnrch jene verheerenden Krankheiten verloren! Eine kleine Insel in der Nähe, die ihnen ebenfalls als Kirchhof diente, giebt sprechende Ziffern. Und da der heutige Franzose über. Alles spottet, so ließ er anch die Verheerungen in seiner eignen Armee nicht nngeschoren nnd nannte Vera-Eruz ,,I« im-din ä'^ooli-instigation". Wofür aber wurden diese Tausende nnd aber Tausende dahin geopfert, deren (Meine unter der glühenden Sonne der heißen Zone bleichen? Und warum fließen nnzähligc Thränen um so viel junges lebcns-frischcs Vlnt, das fern vom Heimathlande, r>om schönen Frankreich erkaltete? Nur für ein Phantom, das eitelste und blutigste der Welt, das schon so namenloses Elend ^. 129 __ bereitet hat, für ein Phantoiu, dein die sonst so edle ritterliche Nation fast Alles geopfert hat, Wohlstand, Ansehn und selbst die (ihre. Mag die Idee des Kaisers Napoleon, die Monarchie in Mexico zu gründen, eine große und erhabene gewesen sein, mag sie in allen ihren weitreichenden ^äden im ^alle des Gelingens zu den glänzendsten Erwartungen berechtigt haben, die Sache war in ihrem Keime schon eine verlorene, denn sie trng den Stempel der Gewaltthat, der Ungerechtigkeit anf ihrer Stirne nnb mnßte deshalb fatten. Wie es so häufig in der Welt geht, so geschah es anch hier. Die wahrhaft Schuldigen gingen leer aus, während das Schicksal in seinen dunklen unentwirrbaren Fügungen die Edelsten nnd Besten, die in dieses Drama verwickelt wnrden, zermalmte; in einer Weise zermalmte, die jedes nur einigermaßen fühlende Herz bis in das Innerste erschüttern mußte. Doch es muß ja eine Gerechtigkeit, eine Nemesis geben, nnd da sie hier auf Erden nicht zn finden ist, so wird fie in einer bessern, gcläuterteren Welt sicher den Schnldigen treffen. Oder will man es vielleicht eine Vergeltung nennen, daß der Urheber jenes mericanischen Verbrechens depossrdirt in (5hislehurst sitzt, gut ißt uud trinkt und mit eiuer scheinbaren Gleichgültigkeit sein verändertes Loos trägt? Nein, das wäre doch gar zn zahm, das stände doch zu wenig im Verhältniß zu dem Sandhngel von Qneretaro, wo jener ritterliche Maximilian als Held sein ,Men uuter mörderischen kugeln aushauchte, oder Gras Bruges, !1!ei?estiz,en, 9 — 130 — mit jener Zelle im Schlosse Laeken, wo Kaiserin Charlotte, jene Frau, die vom Himmel mit Gaben des Verstandes nnd des Herzens gesegnet war, wie wenige, in jenen thierischen Zustand versnuken ist, der schlimmer ist, als ein zehnfacher Tod! Noch sind die Acten nicht geschlossen über diese verhängnisvolle Tragödie, noch leben zu viele dabei Betheiligte, mn wirklich klar zn sehn, nin das Ungeheuerliche der Sache in seinen verwickelten Fäden verfolgen zu können. Doch die Sonne wird Alles an das ^icht der Geschichte ziehn, nnd diese wird, in fünfzig Zähren vielleicht, die strenge unerbittliche Nichterin sein. Nach einer Schlacht von Pavia konnte Franz I., trotz seiner Gefangenschaft, noch stolz ausrufen: „Alles ist verloren, nur die C'hre nicht!" — Anch diesen Standpunkt behauptet Frankreich jetzt nicht mehr unbestritten. Drei Verbrechen, im Lanf eines Jahrhunderts begangen, haben ry um diese erste und schönste Tugend einer Nation gebracht. Das sind die Emhanptnng jenes unglücklichen Königspaares, die Mericanifche Tragödie nnd die tolle Wirthschaft der Commune mit ihrer Crinordung der Priester nnd Geiseln. So lange Frankreich nicht in vollster Selbsterkennuug dafür Buße thnt und seine Verbrechen einsieht, so lange ist an einen Aufschwung' nicht zu denken. Und wie weit ist man davon noch entfernt! Alle die so tiefen Leiden des Krieges und des Bürgerkrieges von 1870 und 71 haben so wenig Eindruck auf dieses Volk gemacht, daß es der tansende Da- - 131 - hingeopferteu vergesscud, heute schon seineu Zlistaild fur wundervoll prospcrireud hält und die Zut'nust in eiiu'in Nosenlicht, — das eben so trügerisch als verderblich ist, — erblickt. 3lie werde ich jene Ä^omenie emporellder Frivolität uergesseit, die mir mit^!erleben leider gegebeit war. (is war iu den letzten ?)^aitagen des .Jahres !^?!. Ich lag iil jenen paradicsisch schöiirn Orten von C'nghicn nnd Ct. (^ratien vor Paris in Quartier nnd sah täglich dic riesigen ^euerslN!l^n, die sich ans der Stadt erhoben, wo Frni^osen niit eineni Vnndalisnuis, der, sslanbe ich, ohne (bleichen in der Oieschichle ist, ihre herrlichsten historischeu Monumente, die Zeugen de^ Dchmo ihrer großen ^eiMNssenheil, zerstörte!,. (>-s ta>n nur manchmal dabei der (>iedante, daß dieselben in einer edleren stolperen Zeit errichtet, mit siecht i'erschn'änden, um nicht die Schande jener späteren entarteten l^eneraiionen mit an^nsehn. Hütten sie doch auch die Siaüie von Henrn IV". zer,-stört, dicsec edle vorznqliche Vc'onaxch pasft ja so lueuiss zu dieser hemissen llmqelninss! Ta^elanq stand ich ans dem Butte d'Orgemonl, ^on dem nno mau einen präch-tisscu Blick anf das moderne Babylon genießt, nlid sal, dem traurigen Schauspiele ;n, n.>ie eine Galion vor den Ailgen von !,^i!,!»!)<» '.viann seii^dlicher Trlippeu sich fclbst zersleischle. Vierzig ,Iahre ist es her, daß mein verstorbener Vater dem Vande seiner Ahneil den )>lückeu waudte, nachdem er sieh überzeugt hatte, daß nach dein Sturz Karl X. die ^ran^osm gar nicht daran dachten, . — 132 — ihr Uurecht von 1789 wieder gut zn machen. Vierzig Jahre ist ein kurzer Zeitraum im Verhältniß zn einer tausendjährigen beschichte, die meiu (Geschlecht in llnuutcr-brocheuer Reihenfolge bi2 zurnck auf deil ersten Roger von Montgomery in der Normandie ausweisen kann. Was Wunder, daß ich in solchen Augenblicken auch einmal französisch dachte, daß es mich mit tiesem schmerz erfüllte, die schöne Stadt, an die mich so reizende Erinnerungen fesselte», in flammen zu sehen! Was Wunder, daß ich nicht in das, (Geschrei so mancher l^nmeraden mit einstimmen konnte, die nur wünschten, daß oa5 gauze „Nest" abbrennen möchte. Hatte ich doch französisches Blut in meiuen Adern, lebte doch noch in meinem Herzen das Andenken an meine Ahnen, hatte ich doch noch jetzt Personell in Frankreich, die durch verwandtschaftliche Bande mir unendlich nahe standen und die in Kummer und Schmerz, als Patrioteil das Unglück ihres Landes ans das Tiefste mitfühlten. In solche Reflexionen uersnnken, höre ich eine große Gesellschaft Herren und Damen sich nähern, letztere möglichst hell gekleidet. Unter Lachen nnd Scherz erklimmen sie die Höhe. Glaubt man es wohl, daß bei diesen Leuten nicht ein einziger Zug des Schmerzes anf dem Gesicht ^u lesen war?! Weit davon! Sie fanden, wie ich auü ihrem Gespräch hörte, es höchst originell, Paris, das sie in allem Glänze kannten, nun einmal in Flammen zn sehen. Ich konnte es nicht länger dort aushalten; ich eilte fort mit der Ueberzeugung, daß ich im kleinen ^ 133 - Linger niehr Mitgefühl für dir linglüeliiche ^uidl halle, als diese gailze Gesellschaft in ihren frisirten Möpsen und verdorrten Herzen. Aian täuscht sich noch immer gänzlich über die Verhältnisse. Man überschüttet mit den lügenhaftesten, abgeschmacktesten Västereien die Deutsche Armee, und ^uar thut mau eö wissclillich falsch. WeuiMens tann ich unter den Journalisten, die namentlich dieser StraßenjMMu-Schimpfereien sich besleis^i^en, nichl solcl,e ^noran^, annehmen. Da inan die ^relchen nichl niil den B.'afsen hat besie^eil tünneu, nnlt man ihnen die l^hre abschnei beu, und mit »ueiiig ,^^itz und viel Behagen lonnnt ^uin tauseudsten Male die Pendnlen-l^eschichle imnler wieder ,^nm Vorschein. Aber die siai^e Well ist Gott ^ei Dank von der so vorzüglichen Di^eivlin, von der ^reue uild (^yrlichteil nilserer Ar,„^e ^i genal! milerrich,^, >>>n solche Lllbernheiten ^il glanben, ivährend sie ailderiueiiia sehr qnt weist, daß die höheren Führer der französischen Arinee in d'hina und in Acexieo sehr untlare Begriffe über „Mein lind Dein" hatteu. ^ünuentlich unn'den inir hier Dinge über diesen Gegenstand erzähtt, die nn glaublich Ningeu würde,,, wenn sie nicht dnrch Thatsachen bestätigt nniren, (^'o ist nach meiner Ansicht gerade^! llnpolitisch von der Französischen Presse gewesen, diesem Then,a jo lant abzuhandeln; wir brauchen bei einem eiwaigen Vergleich, mcht die Aligen niederzuschlagen. - 134 - Nach dieser Abschweifung kehre ich nach Vera-^rnz zurück. Mein Plan war zuerst, nur so lauge dort zu bleiben, bis der uächste lHiseubahuzug muh (iordoba giuge. Doch es tam ganz aiders uud ich blieb füuf Tage in dieser so übel beleumundeten Stadt, die für mich eine Quelle großer Vergnügungen uud Annehmlichkeiten wurde. War es, streng genommen, anch nichl Vera-0'ruz selbst, dem ich eiue so angenehme Erinnerung verdaute, so waren es doch die Bewohner nnd die Nmgebnugen, die mich beide überaus ansprachen. Erstere durch ihre Freundlichkeiten für mich, letztere durch ihre herrliche Vegetation und ^age. Zch überlieferte dem deutschm^onsnl, Herrn d'Oleire, ineiue EmpfehlungVbriefe uild theilte ihm meine Absicht, bald abzureisen, mil. Damit erklärte er sich indes; nicht einverstanden, da au demselben Abend die Dcutscheu in Vera-Cruz deu Offiziere» nnd Cadelten der „Gazelle" ein Bauquett in einem benachbarten Badeorte, ,,in unserem Baden-Baden", wie er sagte, geben würden, uud das^ mau sich sehr frcneu würde, einen Repräsentanten der Armee dabei zu sehen. ,^ch blieb also hier und etablirte mich in dem Holet de la Diligeueia, einem großen Gebäude, da^ die gauze Seite der Placa de la Coustitucion einnahin, nnd das ganz gut war. Beim Landen sah ich schon ein großes Treiben nnd Drängen der Massen uud eiu Glitzern von Waffe,i. Es waren Mobilgarden, die soeben anögeschifft waren und — 135 — die vom Kriege znrnckkamen. Franen, Kinder, ,Vrcnnde und Bekannte drängten sich an sie heran, sic mil Blumen zu schmücken und sie zu beglückn'ünschen zur glücklichen Heimkehr, obgleich mau nur versichere, sie hallen leinen Schuß gethan. Es waren, wie gesagl, Mobilgarden, aber selbst das konnte in meinen Augen den Anfzug, m dem sie erschienen, uicht rechtfertigen. Es wäre trotz des größten Snchens schwer gewesen, nnter der Trnppe, deren Stärke sich anf 1!)<»!) Mann belief, zwei herauszufinden, die gleichmäßig angezogen waren. Der erste trng Stiefel, der zweite Sandalen, der drilie ging barfnß niid die kappen, die ihm mn den Veib hingen, dienten tanm dazn, seine Blöße ^n decken. Dieser hatte einen Strohhut, jener eine Art Käppi oder eineil Filzhut anf dem Kopf. Mit einen, Worte, es war ein wahres Stnoinm von Verschiedenheiten der Anzüge möglich, denn Uniformen trugen die wenigsten. Nachdem sie einigermaßen rangirt waren, zogen sie, Mnsit an der Spitze, dnrch die Hauptstraßen der Stadt, mn dann entlassen zu werden. Mögen sie sanft auf ihren Vorbeeren rnhen! Vera-^rnz mit einer Einwohnerzahl von >l»,M<> Seelen ist unlängbar hübsch nnd regelmäßig gebant. Breite Straßen dnrchschneiden in ihrer ganzen i/änge die Stadt und erstrecken sich iu fast senkrechter Nichtnng anf das Meer, von dem sie aber dnrch eine die ganze Stadt unigebende hohe feste Maner mit vielen Thoren getrennt sind. Eine eigentliche Festnng ist die Stadt aber uicht. Nichts desto weniger wurde sie öfters belagert nnd — 136 — Cauta Anna ließ sie auch gründlich boiubardiren. Humboldt will dan uugesuude (^lima hierselbst zuin Theil dadurch erklärt wissen, daß die Bevölkerung auf einem unuerhälwißuiäßig kleinen ^Itaum lebt und daß dadurch sich ungesunde Vüfte uud Vciasmeu verbreiten. Die meisten Hänser sind zweistöckig uitd stattlich gebaut und wie allenthalben iu diesen Länder» mit flachen Dächern versehen, ^n eommercieller Beziehu!,g nimmt Vera-Crn^ eine hervorragende Stellung ein. (ß nnd Verständniß sich nicht allein bedeutende Reichthümer, sondern was noch mehr ist, einen geachteten Namen und eine angesehene Stellung erworben haben. Sie sind für die (^röße der Stadt zahlreich daselbst uertreieu, uud ihre Miueu sind wohl die bedeutendsten. Die Plaea de Armas ist recht hübsch und stattlich angelegt. Die eine Seite uimmt die iu geschmackvollem Style erbaule Hanpttirche, die andere das mit einem hoheu sehlaukeu Thurm versehene Regierungsgebänoe mit seinen offenen Arkaden ein. Das Hotel de la Diligencia uud hübsche Priuathäuser volleudeu das Viereck. Rings herum lausen au deu Häusern Kolonnaden enllailg, angenehmen Schuh gegen die Sounenstrahleu oder deu — 137 - Regen gewährend. Der mitten' Nanm des Platzes ist zu sehr hübschen Anlagen verwendet worden, die mir in dieser Wüstenei wie eine Oase erschienen. Neidende Gebüsche mit herrlich dnftenden Vlnmen, tngelartigen Vor-bccrbänmen niid bequemen Sitzpläheil haben namentlich für den Abend, wo häufig die Mililärmufit spielt, eineil sehr angenehmen ^lnfeüihalt geschaffen. Mil grower Mühe ist dies alles erreicht worden, denn vor ;ehn fahren n>ar der Platz em öder Steinhaufe,!, a»f den die Sonne ihre fürchterlichen Sirahlen herabsandle. Auch außerhalb der Stadt ist eine Art Prado mit Anlagen geschaffen, doch war dieser noch ^u sehr im Einstehen, nm schon >el,U wirtlich Genus; bieten ^n können. Ein <^ang in der Sladl zeigte mir nencs nauonales ^eben, Produele nnd Pflanzen des Vandeo, die mir völlig fremd waren, nnd die mich anf dao lebhafteste inter-essirlcn. Die Straßen sind reinlich gehallen; in der Mitte ist der ^mnstein, der an vielen Stellen mil Slein-platten überbrückt ist. Der Hnnptaiuheil an dem Forträumen des Unralhes gebührt einer Elasse von vögeln, die ebenso etelhasl a!^ nämlich sind und die in Schaaren sich l)ier befinden. Es find dieses die .^apilole'5 oder Aasgeier. Mit einer ,vnrchtlosigleil sind sie anf den Plänen nnd in den Straßen, daß sie den« Vorübergehenden gar nicht aufweichen. Sie sind sich sehr wohl ihrer Stellnng nnd des^ Schlitzes, den ihnen das besetz gewahrt, bewußt. Ein solchem 5 hier ^n todten, hat eine empfindliche Geldstrafe >nr ,vo!ge. Soll ich sic nut — 138 — einem bei uns bekannten Vogel vergleichen, so ähneln sie am meisten einem schwarzen Trnthahn, nur der gebogene Schnabel zeigt, daß sie zur (ilasse der Raubvögel gehören. Ebenso wie ein l^assenfeger selten rein ist, so starren auch die Zapilote's vor Schmutz. Sie erinnern mich lebhaft an die Hunde in Eonstautinopel, die herrenlos in Schaaren herumlaufen, um die auf die Straße geworfeucu Abfälle zu vertilgen. Der dommaudaut der „Gazelle", Herr Areut, schickte mir in freundlichster Weise ein Boot, um mich an Bord holen zn lassen und seit langer Zeit befand ich mich wieder anf Preußischem Boden. Nach eingenommenein recht gmen Mittagsmahl wurde das Schiff besichtigt und ich verlebte einige angenehme Stunden im kreise liebenswürdiger Kameraden. Die Hihe, über die Alle so klagten, fiel mir nicht so beschwerlich; ich war allerdings von Euba her eine stärkere DoD gewöhnt. Um s> Uhr war ungefähr der Anfang den schon oben erwähnten festes, das mit der Fahrt alls der Eisenbahn nach diesem „Baden-Baden" Mexieo's, nach Me-dellin, begann. Wenige Miuuten Fahrt änderten, wie mit einem Schlage den Anblick des Landes. Statt der öden Sanddünen zeigte sich uns eine herrliche üppige Vegetation. Bänme von ungeheurer Ansdehnnng und Höhe gewährten Schatten. Schliugwerk vereinigte Alles zu einem Ganzeil und machte ans der großartigen Vegetation ein undurchdringliches Dickicht. Und wo dasselbe einmal durchbrochen war, durch eine Waldblöße, sah man — 139 — die kleinen Ansiedelungen der Indianer, die mit ihren braunen Gesichtern, ihrem scheuen leisen Wesen und ihren großen sympathischen Augen erstaunt den Zug anblickten, au5 dem ihnen uubekaunle Uniformen entgegcnglitzerten. Ihre Hütten bestehen meist nur aus Pfählen, die mit großen Zweigen bedeckt sind, uud die ihnen unmöglich in der Regenzeit geilügeuden Schuh gewähren können. Aber Mäßigkeit in jeder Bequemlichkeit des Lebens und in der Nahrung zeichnet diese Nace aus, die gleichsam mit einem unendlich zarten Eiefühl besaitet, noch immer sich der rauhen Berührung des Europäers zu entziehen sucht. Jahrhunderte der Unterdrückung haben dann keine Aendcrnng, keine Annäherung hervorzubringen vermocht. Das einzige, was sie damals, gezwungen freilich, annahmen, war das E!,r!stemhum, durch dessen striete Ausübung sie später bedeutend die neuen Eindringlinge übertrafen. Es ist unmöglich eine größere uud tiefere Andacht in den Neligionsübungen zu sehen, als bei deu Indianern. Stundenlang liegen sie auf den Knieen auf dem hdrtcn steinernen Fußboden der Kirche. Nichts ist dann im Stande, ihre Aufmerksamkeit abzuleukeu oder sie zum Umsehen zu bewegcu. Uud daß die christliche Neligiou nicht allein bei ihnen in Aeußcrlichkeiten zu finden ist, das beweist das einstimmige Urtheil uon Lenten der verschiedensten Nationen, mit denen ich darüber sprach, und die alle darin übereinstimmten, daß sie gute Menschen im wahrsten Sinne des Wortes wären. Nach einer halben Stuude Fahrt kamen wir nach — 14l» — Medcllin, das am ^alapaflnß in herrlicher Vegetation gelegen, ein Vergnngnngsort des ganzen Districts ist. Die ländlich ausgestatteten Häuser sind fast sämmtlich zu Tanz, Eang und Spiel eiitgerichtet. Ersterer findet in der Negcl in einer Art Vorhalle statt, die nnr ntit eitiein Dach bedeckt, an den Seilen offen ist. Der 'Drt in sci-uer Art, die «Gesellschaft, die dort hinkommt, das ganze Leben nnd Treiben daselbst ist unch ineiner Aitficht einzig in seinem Genre. Der Anydrnck ,,^adrort^ ist nur ein Aushängeschild, hinter dcm man die, verschiedensten verbotenen Sachen treibt. Denn gebadet wird nnr m dem Ialapa, der, vielleicht "'O Fnß breit, wenige ^nsi ^iefe hat. ^n seiner Mitte sind grosse Hütten von Palmen-blättcrn errichtet, in denen man baden soil, die man aber in der Regel gleich verläßt, nm eo mttcr freiem Himmel zu thliu. Nichts Reizmder^' tanu niau sehen, a!s die Iiser, die mit prächtigen Bäumen bcsei.u iu eineni himlulischeit Vlnthenschmnck prangen. Manche Bäume, die faft nlir Blumen nud gar keilte Blätter haben, reichen nn't ihren langen Zweigen tief ins Wasser. Die ,v"nsicht ist dnrch da5 üppigste Grült beschränkt lntd der Flnß zieht sich itt großen Windungen dahin, die seinen weiteren Vans dem Auge entliehen. Wir wurden Alle in verschiedene Hänser einquartiert nnd ich theilte meine Wohnung mit dem d'apilain Arent nnd (sonsul d'Oleire. (5'5 dunkelte schon, als wir' un5 auf allgemeinen Vorschlag noch schnell in den ^alapa stürben, doeb war — 141 — das Wasser zu warm, um wirtlich zu erfrischen. Durch unsere große Auzahl, das lebhaste (Geräusch der Stimmen und die Bewegnng wurden etwaige naseweise Alli qa!0i>,,, die sich Hier manchmal zeigen, fern gehalten. Medellin ist der Versammlungsort des ganzen Distrittes, wie ich schon oben anführte, aber namentlich in deu Nächleu vom Sonnabend zu Sonntag ist der Ort fast überfüllt. Man hatte auch diesmal diesen Zeitpunkt gewählt und vielleicht anch des Festes wegen war der Andrang ein außerordentlicher. Daa <^anze bot mir mter-essaute nationale Bilder. Mexieaner kaineit zli Pferde angejagt in ihren, malerischen Costüm nlit den riesengroßen Sporen; hier schanten Indianer in überaus leichtem Kostüm dem ^eben nnd treiben zn. trotzdem die Gesellschaft die gemischteste der Welt war, herrschle doch ein Ton, der bewundern^werlh war. Der reiche Haeimdabesiher befleißigt sich gegen den barfüßigen Pferdeknecht der größten Höflichkeit. Alles redet sich mit „Cenor" an, schüttelt sich die Hände nnd frügt nach dem gegenseitigen Befinden. Harte, grobe Ausdrucksweise, stolzes Herabsehen des (w,en anf den Audereu, das waren Sachen, die nicht im Entferntesten vorkamen. Eine der Hanptleidenschaften der Mcxicaner ist das Hazardspiel und manche rniuiren sich dadnrch in der kürzesteil Zeit. Die unteren Classen spielen dabei unendlich hoch und deu Verdienst ganzer Monate frißt häufig eiue Nacht in Medellin. Nie aber wird man es ihueu ansehen können, ob sie gewinnen oder verlieren. ^ 142 — Mit stolzer Miene werfen sie ihre Peso's auf das grüne Tnch, als ob Schiffe mit Gold zu ihrer Verfügung ständen. Mir wurden Beamte gezeigt, die für ihre Verhältnisse sehr bedeutende Summen verloren. //Ach, der wird wohl nächstens mit seiner Kasse durchgehen", wurde mir ganz harmlos gesagt. Sechs Epiclgelegcn-heiten bemerkte ich nngefähr. Das Roulette zog mehr die Neulinge an, während die raffinirten Spieler sich beim Monte, einer Art 1'i-6uto Rentner. Das vor dem Hafen gelegene Fort San Inan de Ulloa ist hauptsächlich der Aufenthalt der großeil Anzahl (^aleereusklaoen, die ill Vera^rnz ist. Man hält sie dort im Gewahrsam, nm sich ihrer zu entledigen, denn das (^lima ist todbringend. Unaufhörlich sickert das Wasser in ihren Kerker, der anßer ihnen noch Ratten nud anderem scheußlichen Ungeziefer zum Aufenthalt dient. Am Tage arbeiten sie iu den Straßen, wo man unaufhörlich dan Klirren ihrer Kettelt hört. Oder sie graben im Wasser, nm den Hafen zn vertiefen nud hierbei tonnte man ihr traurigem Vous in seiner ganzen Anödchnnng wahrnchmeu. Um den Leib war ein breiter eiserner Ring, desgleichen einer nm den Fnß geschmiedet, ^iese beidm Reifen werden mit Ketten mit denen de5 Nebenmanueo verbunden. Wo der eine hingehen will, muß der andere folgen nud hier hat das Recht des Stärkeren seiue ausschließliche Anwendung. Bis tief auf den Rücken herunter waren Brandmale vor^ Handen. l0* — 145z — Wanderte man unter den Eolonnaden nm großen Platze umher, so sah man all' die Erzeugnisse des Landes, die zur Stadt gebracht wurden. Zwei große Flamingos mit rosenrothem (Gefieder erregten meiu Erstaunen. Mit ihren langen lind geschmeidigen Hälsen arbeiteten sie in der Luft hermn nnd wer sich ihnen nahte, den snchten sie mit dem Schnabel zu kneifen. Viele Ausschlüsse über Land und Leute bekam ich hier. Man kann deren nicht genug sammeln, wenn man nicht nur die Länder als Panorama sehen, sondern mit den Einwohnern, nm sie zu verstehen, denken nnd fühlen will. Einem deutschen Arzt in Vera-Eruz, Doctor Heine-mann, mr.oanke ich manche Belehrungen. Er war zur Kaiscrzeit nach Merico gekommen, wo ihm an der zn gründenden Universität der Hauptstadt eine ehrenvolle Stellung zugedacht war. Wie aber alle die vorzüglichen Intentionen des Kaisers Max, das Land in jeder Ve-zichnng zu heben nnd anf das Niveau anderer civilisir-ter Staaten zu bringen, an der Indolenz nnd an dem schlechten Willen scheiterten, so kam auch jener segensreiche Plan, die Gründnng einer Universität, nicht znr Ans-führnng. Bei einem Besuche des Doctor Heinemaun sah ich die verschiedensten Thiere. Im Wohnzimmer ging gemüthlich eine große Schildkröte spazieren, während ein kleiner Alligator ebenda sein Leben fristete. Im Schlafzimmer wanden sich sogar verschiedene Schlangen umher. Der Doctor beschäftigt sich viel mit Angenhcilknnde nnd jene drei Arten Thiere, deren Augeu genau die Eonstruction — ^l) — des menschlichen Auge') haben sollen, mußien zll Experimenten dienen. Ain l. Mai reiste ich nach Eordoba. Man bcslcigt die Eisenbahn von einem Brelterschuppen aus, dem ich nicht den stolzen Ausdruck ,,Bahnhofs geben taun, welcheil er auch,selbst wahrscheinlich gar nicht beansprilcht. Die erste, Strecke, die man durchfährt, bietet wenig Anziehendes. C>'roße Ebenen mit Sumpf, hier und da mit Gestrüpp bewachsen, sind wenig bevölkert, ^on .^eit zn ^eit huscht inan bei einer Indianern nsiedelnng vorbei, deren Znsassen, trütz Eisenbahn und anderer Verkehrs-mittet doch eben so wenia. der Eultur näher grtreteu siud, als die>) früher der ^all >uar. Ä^ir uäherl'en nns deu l^ebir^en, die leider von Wolken etwas nmhüllt waren. Altmühlich begann die ^teissling, die znletzt so bedelltend wurde, wie ich sie anf keiner anderen Bahn bis jetzt a,e-fnnden zu haben sslanbe. Wild zerrissene Echlnchlen, jetzt an^^ctrocknet, in der ^M'n^eil aber von reißendeil Ber^ strömen angefüllt, waren überbrückt. Die Schiuierisskeitcn, die dem Ban der Bahn wegen des Terrains entgegenstanden, sind von der größten Art, und erst Ende dieses Jahres glanbt man die gan;e Strecke von Bera-(^ruz bis Merico dem Berlehr übergeben zn können. Der schönste Pnntt an diesem 5 age war die Mhrt an dem Ehiqnihnite vorbei, der sich an der Bahn fast senkrecht miige Tausend ^uß erhebt. Sein ganzer Abhang ist bedeckt mit schönen großen Bäumen, an denen sich Schlinggewächse bis znr Spitze hiuanfschlängcln, um von dort, - 11)0 - gleich den Zweigen der Trauerweiden, sich tief herabzusenken. Herrliche Blumen, Granatgcbüsche, in denen reizende Colibris hernmflattern, erhöhten die Scenerie. Der ganze Berg gewährte den Anblick einer Wand von Blättern und Blüthen. Ein l^ebirgoflliß, der Atoyac, stürzt sich ans enger Felsenspalte tief in einen Abgrund und bildet einen malerisch schönen Wasserfall. Anf der Hohe angelangt, war ein Haltepnnkl und es tam mir fast vor, als sollte sich hier die arme Lokomotive von ihrer übermenschlichen Anstrengung erholen. Wenige Minnten Fahrt noch und ich langte in Cordoba an, das so versteckt n'i Anhöhen, Gürten nnd' prächtigem C'rnn liegt, daß man e5 von der Station an5 nicht sehen tann. Fch tletlerte anf das Deck eines Omnibus uin ^«ichlö von der herrliche» Vand-schaft zu verlieren. Nenn Manlthiere brachten uns schnell in die Stadt, die ans einem großen Plak besteht, von dem ans regelmäßig die übrigen Straßen sich abzweigen. Den Vans derselben verfolgend, gemährt das Ange die üppigsten (Bärten, die die gcinze Stadt umgeben. Ala eine Eigenthümlichkeit hebe ich an Cordoba die Dächer, in der Form unserer deutschen, hervor, die auch mit siegeln gedeckt sind. Die, das ganze Jahr hier herrschende Feuchtigkeit macht diese Ausnahme von dein spanischen Styl zu einer Nothwendigkeit. Eine für die Verhältnisse der Stadt riesengroße Kirche, wie alle im Vande, nach ein und demselben Mnster gcbant, da') eine Mischung des alten Ba- — ^151 — filiken- nnd italienischen Stuls ist, sowie ein nenange-legter (Garten nehinen den Haupttheil des Platzes ein. Das Hotel war noch sehr bescheiden und mein Zimmer-ranm Nllr mit dem Allernothwendigsten versehen, aber ein französischer zloch bereitete mir ein ganz gutes frühstück. Die Lage von Cordoba ist eine der reitendsten, die man sich nlir denken kann. ^n einem Thal von hohen Bergen mit wunderbar schönen formen umschlossen, ist die uüchste Umgebnng ciu ^)tahmen der üppigsten Vegetation. Da die Caföcnltnr hier in großer Blüthe ist, so reiht sich An kleiner Besitz an den anderen und sie bilden znsammcn geradlinige reizende Wege. Dazwischen gucken ans den Zweigen die kleinen Hütten heruor, die reich mit Blnmen geschmückt sind, uud au denen Gebauer mit herrlich singenden Vögeln in glänzendem (Gefieder hängen. Die Caftzstande selbst hat eine zarte weiße Blüthe mit feinem angenehmen Geruch. Schweift der Blick nach Norden, so ist man fast geblendet von der nnponircnden Schönheit der Landschaft. Der Pic dc Orizaba, der ehemalige, gewaltige Vulkan erhebt sich ^6,300 Fuß hoch. Die Reinheit der Lnft läßt ihn so nah erscheinen, daß man das geringste Fleckchen anf seinem schneeigen Rücken zn erkennen glanbt. Sieht man ihn znerst, so kann das Auge nicht seine ganze Höhe begreifen, weil die Steigung eiue außerordentlich gleichmäßige ist. Er erinnert auf das Lebhafteste an eine Pyramide mit abgerundeter Spitze. Fällt aber der umherschweifende Blick ganz zufällig auf ihn, so erscheint er so — ll>2 — gigantisch, daß er einem Wolkengebilde gleich zu sein scheint. Ein Spa^icrgaug in der Nähe der Stadt war überaus reich an den malerischesten landschaftlichen Effecten. Eine Brücke führt in hohem kühnen Bogen über einen Bergstrom, der seine Wasser bald strudelnd dnrch ^els-blöcke zwängt, bald in einem breiten Becken der Nnhe, ja fast der Stagnation hingiebt. Die Höhe ist gekrönt von den Ruinen des großen Klosters San Antonio. Out gepflegte Oiemüsegärten sind a« den Nninen angelegt, während weiter steil bis ans Wasser hinab eine undurchsichtige Wand von Bananen, Lorbeer- nnd Grauatbäuiuen sich ausdehnt. Alles ist dnrch raufende Gewächse mit großen blauen Blumen verbunden, an denen Schaaren der buntesten Echmetterliuge sich laben. Oben auf der Brücke treibt ein Indianer seine schwer-beladeneu Maullhiere, unten wascheu die Weiber im Fluß die Wäsche. Nur mit Badehosen betleidet brci-teu sie dauu dieselbe auf den Felsen zum Trocknen aus. Empfehlungsbriefe wieseu mich au eiueu Herrn Hugo Fink, in dessen gastlichem Hause ich deu Abclid ver-brachte. Seit fast W Jahren iu Mexico lebend, hat er den Nuf, der Manu zu sein, der am Bewandertsten in der Flora und Fauna des Landes ist. Und es ist erstere bei dem großartigen Pflauzenreichthmn eiue Wisscuschast von der bedeutendsten Ausdchnnng. Er bewohnte erst seit kurier Zeit bie Stadt, früher lobte or meilenweit von Ortschafteil entfernt mitteil im Waldo, wo er eine ^af«-plantagc als sein Eigenthllin bewirthschaftete. Allein dort mit seiner Familie, der herrliche!, Natur und dcr so genau vou ihm gekannten Vegetation, gestand er mir, die glücklichste ^eil seiues Lebens zugebracht zu haben. Es giebt l'boi l^lückseligkeiten bei einem zufriedenen (Gemüth, bei dein Bennlßtsein des guten Gewissens, die mit allen Schätzen der (5'rde nicht zu erhandeln sind. (Glückliche, beueidensrucrthe Charaktere! — Mit welchem Stolze können sie ans dn> Reichen uud O'roßeu Herabseheu, die mit all' ihren Schätzeu doch inir zu häufig weiter ^cichts sind, als <^efäs;e, in denen sich Neid, ^iitrigue und Äii-si^re anhänfen. Gegeil Abend machte ich einen Spazicrgang in die nächste Umgebung der Stadt. Die (^af«staudeu standen gerade in Vlnlhe uud strömten ihren herrlichen zarten Duft an5. Zwischen Bananen mit riesigen Blättern, fast herabgedrückt durch die üppigen ^rnchlbüschel befinden sich die kleinen Hütten. ,^ndianenueiber mit ihren sanften klugen Angen blickten mich fremden scheu an. Ich knüpfte ein Gespräch mit ihnen an. Freundlich und nnterwürfig ;eiglen fie mir ihre Hülteu uud ihr Besitz-thnm. (''in Indianer bot mir das seinigc zum Kauf au. Unter alten dürreu Blättern entdeckte er mir liraltes <^'emäuer, das vielleicht noch ails der Aztekenzeit stammte. „Hier", meinte er, ,,!äge ein Schatz verborgen, nach dem er schon seit zwanzig Iahreu suche"; der ("edauke ihn — 154 — nicht zu findet», beunrnhigte ihn derart, daß er sich der Finka'^) entäußern wollte. An: andern Morgen besuchte ich noch mit Herrn Fink einen Naucho^'), den er für den Consul d'Oleire verwaltete. Die ^age desselben ist herrlich und der Blick anf den Pic de Orizaba überaus klar. Ich wunderte mich, daß der Besitzer hier nicht zeitweise wohnte, doch erfuhr ich, daß die Unsicherheit zu groß wäre und daß namentlich Männer von dein Neichthnm des Herrn d'Oleire nur gar zu bald die lüsternen Nngen der Räuber auf sich ziehen würden. Ich bin.da bei einem Thema angelangt, daß in Mexico eine so fürchterliche Nolle spielt, daß mau Bände damit anfüllen tonnte. Politik und sociale Verhältnisse, Handel und bewerbe, Alles leidet unter dein schrecklichen Drncke eines Näuoer-unweseus, von dein man sich in Europa gar keine ^'or-stellnng machen kann, so groß, so weitgehend nnd so tief einschneidend ins tägliche Vebeu ist seine Bedeutung. Das, was mau in Italien, Spanien oder Griechenland über diese Plagen hört, gehört glücklicherweise doch immer nur zu den AnVnahmefällen, von denen man bei sedcm einzelnen ein großes (Geschrei in der Presse macht. Hier aber, es ist wirklich hart zu sageu, aber es ist wahr, siud die europäischen Autznahmefälle die Regel. Das *) Finka, üixe Neine Äl'sitzuilg. **) Nittrr Nancho uerstlcht inan einr größere ^sitzung auf deiil Lande. — 155 — Näuberuuweseu ist geradezu sauctiouirt von der Regierung, denn soilst mußte sie doch dagegen Abhülfe schaffen; uud mag dieselbe noch so schwer seiu, sie ist uach meiner Ansicht möglich. D115 hat ein kurzer Regierungsabschnitt Santa Anna's bewiesen. Abhülfe gegeu Räuber ist natürlich recht schwer, wo Räuber auf dem Präsidentcn-stuhle, in der Justiz und in der Armee auf das Festeste eiugenistet sind. Denn nach meinem Dafürhalten steht derjenige anf völlig gleicher Stufe, der in einem Hohlwege den Reisenden ausplündert, — mit den Männern, die die höchsten Aemter des Staates in der Hand haben und diese nur dazu benutzen sich und ihre Angehörigen anf dosten deö Bandes zu bereichern. In meinen Augeu ist ein solcher Nichter noch viel verwerflicher als der Wegelagerer; deuu Jener benutzt die Göttin der Gerechtigkeit als Schild, hinter den: er desto frecher selbst das Recht mit Füßen treten kann. Durch seine Bestechlichkeit und Geldgier machte er die Göttin zur feilen MeNe, die sich dem Meistbietenden hingiebt. Was Wnnder, daß da das niedrige Volk von Pro-bität doch nur sehr unsichere Begriffe hat! Um den allmählichen Entwickelungsgang der Sache genau verfolgen zn können, muß man zurückgehen bis auf die Spamer^it, die kurz den Unabhängigkeitskümvfen voranging, damals stand Mexieo, was persönliche Sicherheit und Ehrlichkeit anbetrifft, anf sehr hoher Stnfe. Das Silber aus den damals noch unermeßlichen Minen wurde in großen Transporten auf Maulthiereu durch — 150 — das Land nach dcr Küste überführt, und wer bildete das Geleit dazn? Ein einziger Indianer. Nic sollen damals Beraubungen solcher Eondncte vorgekonnncn sein. Dic Mexieaner schüttelten das spanische Joch ab nnd nun kommen jene blntigen Parteikäinpfe nin die Herrschaft, wo Einer den Anderen durch Grausamkeit nnd Geldgier immer zn überbieten wnßle. Durch die verwerflichsten Mittel in der Negel anf den Präsidcnten-stnhl gelangt, snchte man die kicrze ^rist, ehe man von einem noch Mächtigeren weggejagt wnrde, zn benutzen, das Land znm eigenen Vortheil anszusaugeu. Die natürliche Folge dieser ewigen Bürgerkriege war, daß das Land schrecklich verarmte, daß Handel und Gewerbe brach lagen, daß die Enltnr des Bodens gänzlich aufhörte. Denn wo^u arbeiten, wenn das Product den Schweißes von Horden aufgegriffen wurde, wo^u das ,veld beackern, wenn die Dörfer verbrannt, die Felder verwüstet wurden? Wie unendlich viele Nnincn im Lande geben ein beredtes Zeuguiß meiner Anssagen, wenn es nicht schon sprechend gmng wäre, daß bei der großen Ansdchnnng des Landes nnd der geringen Bevölkerung der National-reichthum so unbedeutend ist. Und so ist es denn gekommen, daß eine Nation, die vom Schöpfer nut großen Talenten und Fähigkeiten ansgestattet wnrde, in die völligste Demoralisation nnd Eorrnvtion versank, aus dcr sie ^u heben, wohl kanm ein Mensch im Stande ist. All' jene hohen Gedanken, Trcnc, Glanben, Liebe, jene Geschenke einer Gottheit, um das erbärmliche Alllagsieben — 157 — zu verschönern, zu veredeln, alles dieses ist dem Mcri eauer nur ein nebelhaftes Phantom, ^tach seiner Ansicht sind Eid, Trene und Liebe nur dazu da, um sie zu brechen und der Glaube nur, um ihn zu tänschen. So ist denn das Land, ein Paradies an Schönheit, eins der unglücklichste!: der Welt. Man kann genau nachweisen, das; jene schlimmen Zustünde progressiv ;u-nehmen. Kein Wort gilt, Keiner tränt dem Anderen. Der Mörder läuft frei umher; die Ungerechtigkeit trinm-vhirt. Und das wird Alleo hinter schönen glatten Wonen versteckt, in denen man unendlich gewandt. Wehe dem, der sich bethörcn läßt dnrch das gleißnerische, falsche. Wesen, da^ um so gefährlicher ist, als es außerordentlich blendet. Es ist natürlich, daß bei solchen Verhältnissen das Meisen ebenso gefährlich als beschwerlich ist, nnd daß ich, nachdem ich anf das Gewagteste, trotz theilweiser Anarchie das ^and dnrchstreift hatte, — doch ein beruhigendes Gefühl bei meiner Abreise nicht unterdrücken konnte. Früher fielen die Nünber nur die Diligeneeu an, nahmen den Znsassen ihre Habseligkeiten fort nnd tödteten fie nur bei Widersetzlichkeit. Da man das wußte, nahm mail nur das Nothwendigste mit und schmälerte dadurch sehr den Verdienst dieser edlen Menschenfreunde. Doch bei ihrer nnlängbarcn Schlauheit wußten sie sich bald genng zn helfen. Sei es, daß ihnen die Art der süd-europäischen Vrigauteu, die Menschen selbst znraubeu, um ein Lösegcld zu erpressen, zn Ohren gekommen war, - 158 - sei es eigene Erfindungsgabe, sie stahlen von jcht ab die Reisenden. Die unglücklichen Opfer wurden in die Berge geschleppt. Dort mnßten dieselben uon ihren Angehörigen, die in der Negel sehr bedentcnden Snmmcn zum Freikauf verlangen. Währte nun die Auszahlung lange, sodaß die Nüubcr darin einen Verrath zu wittern glaubten, dann begingen sie an ihren Opfern die raffi-nirtesten grausamsten Folterqualen. Sie gruben sie z. B. bis uuter die Armhöhlen in die Erde ein und ließen sie so hülflos ausgesetzt den Einflüssen des verderblichen Elimas, oder in der Furcht eine Beute wilder Thiere oder Schlangen zu werden. Zu diesen Sorgen nnd Martern der Unglücklichen gesellte sich noch quälender Hunger und Dnrst, da man ihnen nur gerade so viel Nahrungsmittel giebt, um sie am Vebeu zu erhallen. Andere Räuber schlagen ihre Geiseln auf die unbarmherzigste Weise, so daß diese neue Aufforderungen ab^ schicken, damit alles uur Verlangte ihren Henkern bewilligt würde, uni ihr Leben zu erhalten und aus der fürchterlichen Situation herauszukommen. Kommt das geforderte Löscgeld nicht an, so ist das ^eben der Gefangenen verwirkt. Bei der großen Verbreitung dieser Uebclständc sind dafür eigene Worte geschaffen worden, ^la^iar, d. h. Mrnschm raubeu; ^a^iln-i« ist der Räuber; pla^i^äo der Geraubte, uud plugio der Raub selbst. Es ist natürlich, daß bei der jahrelangen Uebung, die die Mexicaner in dieser Sache haben, sie eine große — 159 — Fertigkeit darin erlangten, sich ihre Opfer anzusuchen. Sie fangen am liebsten Jemand, von dem sie schon vorher wissen, daß er reich ist. Und ans das (>)cnaueste nnd Geheiinnißvollste si^d si^ dann uon den Reiseplänen solcher Individuen unterrichtet. Das Gelingen all' solcher ^revelthatcn ist selbstuerstündlich nnr ermöglicht dnrch die völlige Indifferenz, oder was ich noch mehr glanbe, dnrch eine heimliche Eonnivenz der Einwohner der Ortschaften, in deren Nahe der Anfall geschieht. Hierin sitzt nach meiner Ansicht anch der Punkt, vermittelst dessen die Negierung die Sache inhibircn könnte. Die Ortschaften müßten verantwortlich gemacht werden die Rünber ans-znliefern, nnd die Bewohner mit den härtesten Strafen dazu gezwungen werden. Man wird mir darauf erwiedern, in wie hänfigen fällen würden aber dauu Unschuldige leidcu. Zugegeben; -^ ich frage aber dann nur, ob die Opfer des Plagio nicht anch unschuldig sind. Solche werden je anf jeden Fall getroffen, nur ist nach meinem Plan eine Abhülfe doch eher wahrscheinlich. Anscheinend giebt sich die Regierung Mühe, Maßregeln gegen jene so fürchterliche Plage zu ergreifen, aber es sind eben nur halbe uud uicht energische Maßregeln. In welchem Maße das Nänberwesen immer mehr zunimmt, davon kann man sich gar keinen Begriff machen. Jeder Reisende besteigt mit Zittern die Diligence oder Eisenbahn. Größere Excnrsionen allein zu Pferde zu macheu, wie ich fie täglich im Thal von Merico unternahm, — 160 - wird für Wahnsinn erklärt, und dies galt mir mn so mehr, als ich mich nicht der allgemeinen Sitte, Revolver selbst in der Stadt von Morgens bis Abends zu tragen, unterwarf. Ich mnß sagen, so lange ich ein gutes Pferd unter mir habe und eine tüchtige Reitpeitsche in der Faust, fühle ich mich sicher, liegen meuchlerische Anfülle schützt mich auch das Tragen von Revolvern nicht. Ans-der belebtesten Promenade, eine Viertelstunde von Mexico wurde am hellen Tage ans drei Damen, den ersteil Familien angehörend, ein Anfall gemacht und man hätte sie sicherlich in die Berge geschleppt, wenn nicht zn ihrem Glücke der eben vorbeifahrende liisenbahnzug die Räuber verscheucht hätte. Ich erinnere mich keines Tages während der li Wochen, die ich in der Hanpt-stadt zubrachte, wo ich nicht einen oder mehrere Anfälle, Plagios oder Morde in der Zeitnng gelesen hätte, die in dem Thal von Mexico, das die ungefähre Größe von 1l) dentschen Quadratmeilen hat, vorkamen. Leider exi-stirt in einem so liederlich verwalteten Lande keine Statistik. Die Zahl der anf unnatürliche Weise ums Leben gekommenen Menschen müßte eine haarstränbcnd große sein. Das Menschenleben hat dadnrch natürlich gar keinen Werth. Das Land, wie es jetzt ist, ist ein Schandfleck für die henlige Civilisation, nut der man sich ja so breit zn machen pflegt! (5s ist ein Staat, der durch seine Politik, seine Ungerechtigkeiten nnd seine ungeheuren Verbrechen jeden Anspruch auf Lebensfähigkeit nnd Selbststündigkcit verloren hat. Die letzte nnd beste Gelegenheit, sich zu heben, — 161 - haben die Mexikaner durch den Mord an ihrem edlen hochherzigen Kaiser, der in der Spitze seines kleinen Fingers mehr Wohlwollen, Liebe und Interesse für das unglückliche Volk hatte, als sämmtliche Präsidenten zusammengenommen in ihren verkommenen Herzen, — auf das Blutigste zurückgewiesen. Ja, wäre Maximilian ein im Dienste ergrauter Director einer Verbrecheranstalt gewesen, dann hätte er vielleicht reüssircn können, aber sein offenes, edles Wesen, das selbst jeder Gemeinheit und Niedrigkeit so fern stand, setzte das Gleiche, bei den Me-xicanern voraus, die ihn mit ihrem glatten, falschen Wesen nur um so mehr zu umgarnen suchten, um ihn nachher mit französischer Hülfe desto sicherer verrathen und verderben zu können. Es ist möglich, daß es Mexicaner giebt, die ein klares offenes Auge für diese verfaulten und zerfetzten Zustände ihres Landes haben; ich bin leider Keinem begegnet während fast viermoucnlichcn Aufenthalts daselbst. Ich habe nur Leute getroffen, die fich selbst und ihre Thaten mit Weihrauch bewuchern, die voller Illusionen leben uud dic mir sagteu, all' die Uebelstünde ihres Landes wären auch in Europa zu finden. Mit einer ivirklich tiudischeu Eitelkeit feieru sie ihre militärischen Erfolge, die doch eben nur in Bürgerkriegen zu finden uud die aus diesem Gruude cigeullich nur eine Schmach für eine Nation find. Wie es fchciut befinden sie sich recht wohl in ihren Verhältnissen. Natürlich, wer im Trüben sifchcu will, dem muß ja die Klarheit lüstig seiu. Oraf A rug es, Nciscstizzen. 11 — 162 - Noch cine kurze Strecke tonnte ich von Cordoba aus mit der Eisenbahn fahren. Die Bahn, die von Vera-Cruz nach Mexico gebaut wird, hat nnr die Strecke «on Fortin bis Pnebla noch nicht dein Verkehr übergeben. Doch soll auch dies noch in diesem Jahre, ungeachtet der großen technischen Schwierigkeiten, geschehen. Der 7W0 Fuß hohe wilde (Gebirgsrücken, die Cumbrcs, sind zu erklimmen. Es ist das der Gebirgszug, der sich uon Nordamerika in den Rocky Mountains nach Süden zn dnrch Central-Ame-rika zieht nnd der dann in Südamerika seinen höchsten Punkt in den Andes erreicht. In Fortin mußte ich die Eisenbahn gegen die Diligencia vertauschen. Am Morgen war in der Nähe ein Zndiaucrfest nud mit vielen: Interesse sah ich all'diese eigenthümlichen Physiognomien dahinziehen. Die Diligencia ist verhältnißmüßig recht gut nud praktisch eingerichtet. CZ ist ein großer neunsitziger, zugemachter Wagen, der wegen der aller Beschreibung spottenden schlechten Wege in immensen Federn hängt, die die Heftigkeit der Stöße um ein bedeutendes mildern. Auf dem hohm Bock sitzt der Kutscher mit seinem Adlatus nud auch für Personen ist ein, wenn anch nicht bequemer, doch luftiger Platz dort oben vorhanden. Das Geführt ist das solideste, das mau sich denken kann, über und über roth angestrichen und mit Vlumeu an den Schlägen bemalt. Cin Wagen europäischer Construction, selbst für die Provinz Preußen berechuet, wo mau auch etwas au Wegen erleben kaun, würde hier kaum l> Minuten halten, l)—10 Maulthiere oder Pferde werden vom Kutscher mit - 163 — bewnndernswerther Fertigkeit gelenkt. An den wildesten Vergabhängen oder Schlnchten, wo eiu fehltritt Alles ins Verderben stürzen würde, geht es entlang, was die Thiere laufen können. Der Kutscher trägt das schöne malerische Nationnl-^ostüm. Der mit riesiger Krampe versehene reich mit silbernen Tressen besetzte Sombrero bedeckt sein Hanpt, während eine rohlederne, ebenfalls mit silbernen Schnüren versehene Zacke nnd ein paar Hosen ans Ziegenlcder, an denen die langen Haare noch sind (elinMi-sras), den Körper bekleiden. Mit stetem Zurufen treibt er die Thiere zn schnelleren! Gange an, hin und wieder mit großer Sicherheit die riesige Peitsche handhabend. Da von seiner Tüchtigkeit das Leben vieler Menschen abhängt, so ist er natürlich eine sehr wichtige Persönlichkeit, die ausgezeichnet bezahlt wird. (<-in solcher Kntschcr steht sich manchmal aus WW Thaler Preußisch; deshalb ist der Andrang ein großer nnd man hat die Answahl nnter tüchtigen nnd znverlässigcn Renten. Die Strecke von ^ortin nach Orizaba, die ich am ersten Tage mit der Diligencia znrücklegte, betrng nur zwei S müden. ,^ch sente mich oben ans den Bock, nm einen bessern Ueberblick über das Land ^,n haben. Der Weg war setzt in gutem Zustande, früher soll er aber übel' alle Beschreibung schlecht gewesen sein. l>r bestand thcilweise nnr anQ einem ^lnßbette, nnd man zeigte mir die Stelle, die die Verzweiflung der Reisenden wie der Klitscher ehemals ansmachte. Diese Stelle war ein tiefes Loch, das man passiren mußte, dem man den bezeichnen- 11' ^ 104 - den Namen »als 8i pusäs«, d. i. sich zu, wie du heraus-kömmst, gegeben hatte. Die Gegend war schön und malerisch. Zuerst fuhren wir einen so steilen Vergabhang hinab, daß ich mich an die Lehne anklammern mußte, um nicht hinunterzufallen. Ein Fluß, an dem ein Dörfchen lag, war durch eine hohe Steindrucke überbrückt und bildete etwa die Hälfte des Weges. Wir erkletterten noch eine Höhe, auf die der Weg kunstvoll in Schlangenlinien angelegt war und sahen daun vor uns Orizaba in prächtiger Lage, in einem wahren Hain von Orangenbäumen, deren Reichthum an Früchten sie sich tief beugen machte. Hohe steile Berge in bizarren Formen treten dicht an die Stadt heran, die trotz ihrer 1l),0W Einwohner einen ziemlich dorfartigen Anstrich hat. Auch hier sieht man, wie fast in ganz Mexico jene großen Kirchen, die in keinem Verhältniß zum Orte stehen. Die Spanier haben deren unendlich viele erbaut, nud zwar nicht allein in Ortschaften, sondern auch mitten im freien Felde erblickt man von Zeit zu Zeit solche kolossalen Kircheu, von denen allerdings ein ziemlicher Theil halb verfallen ist. Bald nach meiner Anknnft hüllte ein undurchdriuglicher Nebel, vermischt mit einem feinen Negen, Stadt und Landschaft in einen tiefen Schleier. Dadnrch und auch dnrch einen kranken Fnß wurde mein Plan verhindert, die wegen ihrer Schönheit berühmte Umgegend zu bcsncheu. Prächtige Wasserfälle sollen sich in der Nähe befinden. Auch die Besitzung eines großen deutschen Gelehrten in der Pflanzenwelt, des Herrn Sartorius in Mirador, erfreut fich wegen ihrer herrlichen Vegetation eines großen Rnfes. Ich langweilte mich 24 Stnuden recht herzlich in einem großen kalten und ungemnthlichen Hotel und war froh, als ich am andern Mittag wieder die Diligencia bestieg, um meine Neise nach Puebla weiter fortzusetzen. Das schlechte Wetter hielt noch an m,d raubte nur jeden Blick auf die Cumbres, die wir min allmählich erstiegen. (Glücklicherweise war ich auf der Rückreise mehr begünstigt und ich hatte (Gelegenheit, diese großartige wilde Landschaft bewundern zu können. Als wir ans der Stadt hinausfuhren, sahen wir ein Detachemeut Truppen einziehen. Man konnte sofort erkenucu, daß sie uicl durch Wetter und große Märsche gelitten hatten. Dieser ewige Guerillakrieg bietet aber anch unendliche Schwierigkeiten und Entbehrungen und nur ein so außerordentlich abgehärtetes Volk wie die Indianer sind im Stande, dergleichen zu ertraget». Nach anderthalb Stuudcn Fahrt wurden in der Negel die Pferde oder Maulthiere gewechselt. Manchmal befiudeu sich die Statiouen dafür ganz allein an der Landstraße und bestehen dann nur aus einem elenden Stalle. Das Umspannen nimmt stets ziemlich viel Zeit in Anspruch, da die Mexicaner von dem hohen Werth derselben keine Ahnung haben. Der Kutscher, der stets derselbe für 10—12 Stunden bleibt, hält sich für verpflichtet, allenthalben Konversation zu machen nnd das mit dem größten Aufwand ^ 16« ^ von formen und Höflichkeiten, selbst im Gespräch mit Renten ano den untersten Classen. Schon um ^ Uhr war es fast ganz dunkel durch den Nebel und mühsam auälte sich das schwere Gefährt den steilen Weg hinauf. Jede Fernsicht war mir entzogen, nnr in der nächsten Nähe konnte ich schönes frisches Grün lind reizende Vlnmen erkennen. Dazwischen rieselten spiegelklare Bächlein in leisem Plätschern dahin, an deren Nande üppig wuchernde Bäume standen. Der Weg wie die Felder waren eingefaßt uon hohen Cnetushecken. Je höher wir kamen, desto kahler wnrde die Vegetation und desto mehr fror ich anch. Ich ^og einen Winterüberzieher an, wickelte mich ill eine große Neisedecke und konnte mich damit nnr spärlich gegen die scharfe naßkalte Lnft schützen. Und das war in den ersten Tagen des Mai in der heißen .^one. Einsam mid wie abgestorben war die ganze Gegend. Nnr hin lind wieder begegnete inan einem Trupp schwer beladener ,^astthiere, die dnrch einige Indianer getrieben, ihren Weg nach den Häfen fortsetzten. Das Kostüm der Treiber machte mich noch mehr dnrchschanern. Ein dünner leinener Anzug, die Hosen ganz heranfgerollt, daß der Oberschenkel bloß war lind der große Sombrero, nnter dem ihre großen schwarten Augen scheu hervorblickten, das ist Alles, was sie bei der ranhen Witternng tragen. Oben ans dem Platean hörte fast jede Vegetation ans. Nnr die Magney, zur Aloefamilie gehörend, kommt noch in dem mageren Sandboden fort. Man findet sie im ganzen — 107 — ^ande Wildwachsend oder auch sorgsam cilltivirt. In riesiger Größe und Nliodehilling streckt sie nach allcn Seiten ihre spihen Stacheln alls, während ans der Mitte, schlank wie eine Tanne, sich der Stamm erhebt, an dem die Blüthen wachsen, ächtere haben die Form nnd Größe unserer Sonnenblumen, nur ist das Gelb matter und farbloser. Man schäht den Werth der Magney deshalb so hoch, weil anh ihr der Pulque, das 3iationalgeträlik, fabricirt wird. Der auo den fleischigen Theilen gewonnene Säst wird gegohren und bildet, dann in den verschiedensten, Farben, blau, roth, weiß jenen so gesuchte» Artikel. Der Pnlque ist von berauschender Wirkung und häufig sieht man bei Volksfesten die üblen folgen des' ^n starten Genusses an den sonst so mäßigen Merieanern. Zch habe diesem Getränk keinen Geschmack abgewinnen können. Soll ich es mit irgend einem europäischen Getränk uer-gleiehen, so würde es am erstell dem Cider gleichkommen. Endlich halten wir die Höhe erreich!. Um das tirfü Dunkel der Nacht ;n verscheuchen, halte der Gehülfe des Kutschers eine hellbrennende große Fackel in der Hand, deren Vicht gespenstische Schatten der Pferde und des Gefährtes warf. ,^ener l^'ehülfe ist ebeufalls eine sehr wichtige Persönlichkeit. Während der Kutscher seine 1<» Mgel m der Hand hall, treibt jener die Pferde zu schnellerem Laufe an und thut die5 theils mit der Peitsche, theils — 168 — mit Steinen, die er in großer Anzahl auf dem Bock hat, und mit denen er sehr geschickt die Vorderpferde zu treffen versteht. Doch nicht allein seine Pferde berührt er mit der Peitsche, sondern Alles, was ihm begegnet. (<-sel, Menschen, Hunde Alles bekommt seinen Hieb scherzhaft ab. Der Plah des Gehülfen ist die Schule, die man durchmachen muß, um sich dann später zu der wichtigen Stellung des Kutschers emporzuschwingen. (Gewandtheit ist vor Allem nöthig. Im schnellsten Laufe muß er von oben herabspringen, wenn die Hügel in Unordnung sind; in eben demselben Tempo klettert.er wieder herauf. Er muß Kenntniß von Schlosserei und Stellmacherei haben, da bei den schlechten Wegen häufig etwas zerbricht und dies dauu stets an Ort nnd Stelle ausgebessert werden muß. Das erste Dorf, das wir auf der Höhe des Plateaus uon Auahuac crrcichteu, war Canada. Zwischen hier uud Morello fand die große ^tscheidnngsschlacht zwischen Mexicaueru und Spaniern statt, die die Unabhängigkeit der ersteren besiegelte. Die zweite Station war Sau Augostino Palmär, ein größerer Flecken, und es war um 2 Uhr des Nachts, als wir in das große Portal des Hotels de la Diligencia (so heißen sie fast alle in Mexico), hineinfuhren, und uus zum crsteu Mal nach zwölfstüudiger Fahrt zwei Stunden Nnhe gegönnt wurde. Es war Alles dort so fremd, so kalt, so ungemüthlich in dem großen Speisesaal, daß ich die aufge- — 169 — tragenen Gerichte verschmähte und todmüde auf ein Bett sank. Ich glaubte eben erst eingeschlafen zu sein, als man mich weckte zu neuem Nufbruch. Nach kurzem Kampf trennte ich mich vom warinen Lager? das ich gegen die unbequeme Diligencia vertauschen mußte. Fort ging es von Neuem, wir hatten ja erst die Hälfte des Weges bis Puebla hinter uns. Und wie augcnehm war diese Reise im Vergleich zu späteren, die ich im Lande machte. Hier war der Weg gnt, die Gesellschaft bestand nur aus drei Herren, die nett und anständig waren. Wie auf allen Reisen in jenen Ländern bilden das Hanptgespräch die Nänber oder Plagiarios. Diese Landplage übt einen solchru Eindruck auf die Gemüther aus, daß mau Nichts Andres denkt, träumt, und spricht. In der Regel einigen sich die Reisenden bald zu Anfang, welche Maßregeln im Falle eines Ueberfalls zu treffen sind. Findeu sich z. B. !)—10 gut bewaffnete nno beherzte Männer znsammcn, so denkt man an Widerstand. Vci einer geringeren Zahl, mit Frauen dabei, wäre derselbe Wahusiun uud meiue Begleiter gaben den Gedanken ganz nnf, trotzdem sie, wie jeder Merieauer, Revolver bei sich führten. Innerlich stimmte ich ihrem Vorschlage völlig bei, weidete mich aber an ihrem Cnt-schen, als ich erklärte, ich wollte Jedem, der sich mir nahte, den Cchüdcl zerschmettern. Diese lobenswerthe Absicht auszuführen, wäre mir übrigens deshalb schon - 170 — schwer geworden, weil meine Waffen nur in einer Nagelscheere und einem Regenschirm bestanden. Nachdem meine Geführten mir nnn ganz bestürzt sagten, ich würde dnrch etwaigen Widerstalid sie Alle mit verderben, trat ich ihrem VorWagc bei. Hcchotcs Cnpitel. Puebla, — Popocatrpl'tl nub Iztahnatl. — ^^clse nach Mrnco. — Texcoco-See. — Thal vo» Mexico. — Hauptstadt. — Cmco de Mayo. — Coleabero. — Nationaltostüme. — Chapultepec. — Statistisches und Aeuölkerung. Wundervoll ging die Eonuc auf. Klar und deutlich zeichnete sich zuerst am Horizont der Pic de Orizaba ab. In seiner ungeheuren Höhe glaubte man fast cm Wolkengcbilde zu sehen, bis die ersten Sonneustrahlcn den schneeigen (Gipfel vergoldeten. Wir gelangten bald zu der Stelle, wo man die drei großen Sultane zu gleicher Zeit sieht. Während im Osten der Pic de Orizaba sich erhebt, zeigen sich im Westen der Popocatepetl und der Zztahuatl. Ersterer gleicht in der ,M'm dem Pic de Orizaba, eine hohe Pyramide mit abgerundeter Spitze; er ist der höchste Berg Mexico's, 16,600 Fuß hoch. Der Zztahuatl, 1000 ^usi niedriger, ist ein hoher Gc-birgsstock mit zerrissenem Gipfel und schneeigem Haupte. Em vierter Berg zeigt sich nun noch, weniger durch seine Höhe, als durch wunderbare formen die Aufmerksamkeit fesselnd, das ist der Malinche. — 172 - Ich benutzte das schöne Wetter, nm mich hoch oben auf den Sitz, noch über den Kntschcr zn schwingen llnb hatte so genügend Muße, mich an dein herrlichen Panorama, das sich vor mir ansbreitete, zn weiden. In einem weiten Thale, dem die beiden Vulkane als Hintergrund dienen, dehnt sich die Stadt nnd Festung Puebla de los Angeles ans. Die wunderbare Klarheit der ^nft in einer leichten bläulichen Färbung brachte die entferntesten Gegenstände überans uah. Die Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchteten in magischem Effecte die unzähligen Kirchthürme. Rechts von der Stadt erhebt sich das Fort Guadelupe, der Schlüfselpunkt der Festung nnd bekannt dnrch die Niederlage der Franzosen unter General LanremM am 5. Mai 1862. Hinter der Stadt sieht man einen kleinen Hügel in merkwürdig regelmäßigen Formen, mit einer Kirche daranf. Das ist Eholnla. An diesen Namen knüpft sich die Erinnerung an Strome von Blut, die dort vergossen worden sind, an die schrecklichen Menschenopfer, die die Azteken ihren Göttern brachten. Der Hügel ist errichtet worden durch Menschenhände im wahrsten Sinne des Wortes. Alle zum Tode bestimmten Opfer mnßteu au der Aufwerfung desselben mitwirken nnd man will wissen, daß an einem Tage dort 1l,0()0 Menschen umgebracht worden sind zur Ehre einer Gottheit. Noch heute ist' der ganze umliegeude Acker voll von kleinen thöuernen Götzen, die der Pflug immer wieder zn Tage fördert. Bei dem Gedanken an diese Grünelscenen wollte es mir - 173 — fast erscheinen, als ob es die Bestimmung jenes schönen Landes wäre, daß darin sich die Menschen unter sich umbrächten. Die wilde Bestie, sie verschont doch wenigstens ihre Art; doch der Mensch denkt und grübelt seit Jahrhunderten darüber, auf welche Weise er möglichst schnell und in großer Anzahl das Blnt seines Nebcnumischcn vergießen kann. So ist durch die Entartung des menschlichen Geschlechts demselben der Stempel der Gottheit von der Stirn gewischt worden; selbst die hehre milde Lehre des Heilandes, die Toleranz, die Nächstenliebe, sie erfahren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Verfolgungen uud Verleumdungen der schlimmsten Art, nnb all' nnsere große und hohe Civilisation ist doch im Ganzen weiter nichts als menschliche Aufgeblasenheit, kindischer Stolz und tiefste Verblendung. Das Laud um Puebla ist reich uud fruchtbar. Schöne Wiesen wechseln mit üppigen Feldern ab, die tausendfachen Ertrag bringen könnten, wenn die Indolenz dcr Bevölkerung auf irgend eine Weise zn brechen wäre. Bei uns qnült sich dcr Mensch ab, anf seinem mageren Sandboden einigen Ertrag zu erzieleu, der ihm mühsam den alltäglichen Lebensunterhalt gewährt, nnd hier liegen die fruchtbarsten Aecker unbebaut. Nicht als ob die Veuölkeruug so reich wäre, daß sie uicht die Felder zu bestelleu brauchte. Das ist durchaus nicht der Fall. Aber mau ist zu bequem, um auf solche Weise allmählich einen gewissen Wohlstand zu gewmuen. - 174 — Man will Geld haben, ohne etwas zu thun und das erwirbt man am leichtesten dnrch das Nä'ubcrhand-werk. Ich hatte früher stets geglaubt, Mexico wäre ein reiches Land und diese Ansicht herrscht im Allgemeinen in Enropa. Ich war daher höchst erstannt, so namenlose Armuth nnd so viel Elend zn finden. Ja, das Elend ist so groß, daß dadurch in den niederen Classen und namentlich bei den Indiaucru, eine merkwürdige Gleichgültigkeit gegen den Tod herrscht. Wie oft hörte ich nicht den Anssprnch: „Was haben wir vom Leben? Doch nichts weiter als Kummer nnd Noth. Die Todten allein sind glücklich, sie h,aben keine Schmerzen, sie sind im Himmel in ewiger Glückseligkeit." — Troh dieses Nachsatzes, der anscheinend ans religiöftm Gefühl cutspringt, ist diese gauze Anffassuugsweise ciu erschreckender Beweis von namenloser Demoralisation. Der wahre Ehrist kann sich wohl den Tod wünschen, als eine Ve-frcinng irdischer Qnalen, aber Gott hat doch anch scine Gebote gegeben, uach deucu der Meusch hier auf Erdcu leben und wirken soll für das eigene Heil, aber auch für das Wohl seines Nebeumenschen. Der Schöpfer hat in nnscr Her; jenen so rührenden Zng der Liebe zu Eltern, Kindern, Verwandten und Freunden gelc-gt. Das ist es, was nus hier ans Erden schon das Leben verschönern, was den Kenn zn cblen großen Handlungen erwecken soll. Jene Gleichgültigkeit findet sich in demselben Maße bei den Ehiueseu wieder, und da ist es - 175 - ebenso wie hier, der Beweis einer unglücklichst mißverstandenen Existenz. Eben im Begriff, in die Stadt hineinzufahren, ging die Kutsche entzwei. Doch wurde der Schaden durch die mitgeführten nöthigen Utensilien schnell ausgebessert. Pucbla ist eine Stadt von 70,000 Einwohnern mit hübschen geraden Straßen und vielen originell bemalten Häusern. Den Namen Los Angeles, die Engel, verdankt sie der überaus großen Anzahl von Klöstern und Kirchen, von deren ersteren es über 80 giebt. Von den vielen Kirchen ist die Cathedrale erwähnenswert!). Sie ist schön im Nenaissancestvl in Krcuzesform erbaut. Hohe reich verzierte Thürme erheben sich ans beiden Seiten der Facade. Das Innere war gut gehalteu, nur durch zu viel Reichthümer und Vergoldungen etwas überladen. Namentlich kennen die Goldrahmcn in ihrem Uebermaaße gar keine Grenzen. Unzählige lebensgroße Statuen der Heiligen aus Holz geschnitten machen deshalb einen etwas störenden Eindruck, weil sie in ihren bunten Farben zn natürlich erscheinen. Man erschrickt unwillkürlich, wenn man in Gedanken versunken zufällig den Blick auf sie richtet. Die Cathedrale liegt auf einem großen Platze mit hübschen Oartenanlagen, der, wie in all' diesen Städten, entweder Placa de Armas, oder de la Constitueion heißt. Die an demselben liegenden Hänser haben große Bogengänge im Erdgeschoß, in denen die Indianer ihr Zuckerwerk oder Früchte feil bieten. — 176 — Nach dreistündigein Aufenthalt bestieg ich die Eisenbahn, die in sechs Stunden nach Mexico geht. Die Waggons sind auf europäische Weise eingerichtet und recht bequem. Der Andrang war ein großer, da am folgenden Tage ein Nationalfcst im ganzen Lande gefeiert werden sollte, das viele Leute in der Hauptstadt verleben wollten. Die Eisenbahn führt nicht den Weg über Niofrio, der früher die große Straße von Pucbla nach Mexico bildete, wegen zu großer Terraiuhiuderuisse in den Gebirgen. Man hat die weitere Strecke gewählt, die stets durch die großen Ebenen, los Llanos, führt. Auf dem vordersten und hintersten Wagen befanden sich ca. .5 bis 400 Mann Soldaten, die jeden Train begleiten müssen. Ohne diese Bedeckung zu reisen ist fast zur Unmöglichkeit geworden, nachdem die Nünber fast jedesmal zu Hunderten die Schienen aufrissen, den ganzen Zng ausplünderten und die ihnen als reich bekannten Passagiere in die Gebirge schleppten. In demselben Coup« mit mir befand sich ein Herr mit seiner Familie, der sehr nett und freundlich für mich war und recht angenehme gewandte Formen hatte. Später erfuhr ich, er wäre Offizier gewesen und hätte als solcher ein junges Mädchen, das ihm ihre Tugend uicht Hütte opfern wollen, meuchlerisch erschossen. Für dieses kleine Vergehen hatte er einige Monate im Gefängniß gesessen und damit hatte die Bestrafung ihr Ende gehabt. Von der elenden Justiz des Landes kann man sich gar — ^77 — keinen Begriff machen. Man kann mit den nettesten, elegantesten Lenten an einem Tische sitzen nnd nicht wissen, ob nicht der Eine oder der Andere schon ein halben Dlcheno Menschen nmgebracht oder Gott weiß was für Verbrechen begangen hat. In diesen trüben Verhältnissen trinmphirt das Laster, wahrend die ehrlichen Vcnte zu kämpfen haben, daß ihnen ihr Hab und Out erhalten bleibe. Und dabei haben die Mexicaner so etwas Treuherziges, Höfliches, daß man wirklich in der ersten Zeit ganz empört über die ^cute ist, die ihnen so viel Böses nachsagen. Die Kinder jenes Herrn im Alter von 8 bis ^0 Jahren amüsirten mich sehr mit ihrer Unterhaltung, zu der die Politik ihnen den Stoff lieferte. Sie sprachen über Iuaristen nnd Porfiristen mit einer Sicherheit des Urtheils, daß ich mich vor Erstaunen kaum erholen konnte. Die Anhänger des Präsidenten Juarez heißen Inaristen, während man die Insurgenten nach ihrem Führer Porsirio Diaz Porfiristen nennt. Die Eisenbahn führt stets durch die Ebene, aus der fich nur hier nnd da einzelne Berge erheben, die alle vulkanischen Ursprnngs sind. Ihre Form ist ziemlich steil und der Gipfel kratcrartig gezackt; sie bilden nicht zusammenhängende Gruppen, sondern steigen einzeln, fast wie Pilze, aus der Erde. Ihre Abhänge bestehen aus lavaartigen Gesteinen und machen in ihrer grauen, jeder Eultur baren Formation einen öden Eindrnck. Wir mochten ungefähr die Hälfte des Weges bis Graf Arusses, Neisestizz^n, ^ — 178 — nach Mexico zurückgelegt haben, und der Zng ging in ziemlicher Schnelligkeit dahiu, als mit einem Mal ein Schuß fiel, worauf ich das Pfeifen uud das 'Einschlagen der Kugel in unseren Waggon hörte. Den freundlichen Abseuder derselben zu entdecken, war mir nicht möglich; er fchien aber nach dem dahinfahrenden Zuge zu schießen, wie man dies bei uns nach einer beweglichen Scheibe thut, oder wie man einen Spatzen erlegt. Obgleich Niemand verletzt war, bedürfte es doch geraumer Ieit, ehe sich die Damen von ihrem Schreck erholt hatten. Es war dies das einzige Mal, daß ich in dieser Weise in Lebensgefahr in Mexico war, und ich darf nach den dortigen Verhältuissen wohl bchaupteu, daß das Glück mich sehr begünstigte. Viel habe ich späterhin das Land zu Pferde uud im Eilwagen dnrchstrrift, ohne das; mir das Geringste begegnet wäre. Wir tamcn gegen Abend an den größten der beiden Seen, die einen beoeuteuden Platz in dem Thal von Mexico einnehmen, an den Lago de Texcoco. Er ist von bedeutender Ausdehnung und erstreckt sich vom Fuß der Gebirge in westlicher Nichtuug bis auf eine halbe Meile au die Stadt heran. Ich kann nicht gerade sagen, daß die Seen sehr hübsch wären. Sie haben flache Ufer und tein schönes klares Wasser, und deuuoch giebt die große Wasserfläche der Landschaft einen belebten Anblick. Namentlich von den Bergen aus erblickt, würde das Nichtvorhandcuseiu der Sem dem Bilde großen Abbruch thnu. Eine Erscheinung, die man seit fahren beobachtet, ist das allmähliche Abnehmen nnd sich Verringern der Wassermasscn. Zu den Zeiten, als unter Cortez die Conqnistadores iu das Vand kamen, lag die ganze Stadt fast ans einer Insel nnd mir dnrch einen einzigen festen Damm war sie mit dem Thal verbunden. Die Vcvlegung dieses Dammes von Monteznma's Kriegern brachte ja eine kurze Zeit Cortcz mit seinen Mannen in die größte Gefahr, ihr ganzes Unternehmen scheitern zn sehen. Und welches Unternehmen war es! Man mnß stannen über die Größe nnd den Hcldenmuth des Cortez nnd seiner Schaar, in ein fremdes stark bevölkertes Land einzn-dringen, mit nur 3—400 Kriegern bis in dessen Her^ vorzugehen nnd die mächtige Hauptstadt zn erobern. Damals war auch das herrliche Thal von Mexico einer der schönsten Pnnkte der Welt, mit Hainen immergrüner wichen bedeckt, die durch die Spanier leider ausgerottet wurden. Die großen Seen in einer Höhe von über 7000 Fuß über dem Meeresspiegel sind eine nberans wunderbare Erscheinnng. Nach wenigen Minuten erblickte ich die Stadt Merico. Endlich lag sie vor mir, das Ziel meiner Wünsche, der Tranm meiner Kinderzeit, jenes Merico mit seiner märchenhaften poetischen uud doch so blutigen Geschichte. Alles, was ich seit Jahren mit Interesse darüber gelesen und gehört hatte, was Alexander von Humboldt mit so glühenden Farben geschildert hatle, ich sollte es vor mir sehen in der kürzesten Zeit. Der -^. 180 " ganze Zeitabschnitt uon der Entdeckmiss Amerika's bis zum hentigen Tage zog in bunten Vildern, gleich einer Laterna magica vor meinem Geiste dahin. Znerst die blutigen Kämpfe jener kleinen Heldenschaar, geführt nnd begeistert uon der Indianerin Marina, der Geliebten des Cortex Dann die reichen Zeiten unter der spanischen Herrschaft, wo in unersättlicher Goldgier die Minen des Bandes durchwühlt wurden, wo die Saumthiere der Last der edlen Metalle fast erlagen, die sie nach den Insten hintragen mnßten. (i'S folgt dann die Epoche, wo von Neuem das Blut in Strömen floß, so daß mau sagen könnte, die alten Tage der Azteken mit ihren Menschenopfern wollten sich ernmeru. Jene Zeit, wo das Laud nm seine Unabhängigkeit kämpfte. Der schöue Name der Freiheit wurde besudelt durch Kämpfe, die persönliches Interesse der Heerführer zum Motiu hatten. Um zu Macht und Rcichthlim zu gelangeu, opferte man iu hilndert uuseligeu Bürgerkriegen das Herzblut seiner Landsleutc. Das Panier der Freiheit diente als Aushängeschild, hiutcr dem man seine niedrigsten Leidenschaften, seine wilde Rachgier, seine unwürdigen Intriguen verbarg. Doch auch jene Tage schienen schwinden zu wollen. Es hatte endlich den Anschein, als ob dem unglücklichen in sich so zerrissenen Lande anch einmal die Segnn »gen des Friedens, der Ordnung nnd der Gerechtigkeit zu Theil werdcu sollten, als ob in die wunden Stellen ein lindernder Aalsam eingeflößt würde. Ein edler, hoch- ^ .181 — herziger deutscher ^nrst ui der Blüthe der Jahre, entschloß sich, dieses humanitäre Werk zu nnteruehmeu. Ail der Seite seiner schönen und geistvollen Gemahlin zog er ein in Mexico unter dein Inbelrnf der Povölkernng. die ihn ans seiner fernen Hcimath zn dcr hohcu und großen Anfgabe herbeigerufen hatte. Unmöglich war es wohl, einen Menschen mit besserein Willen für das Wohl feines Volkes Tag nud Nacht zu arbeiten, aufzufinden, als den Kaiser Marimilian. Und was war der ^oh» für so viel Treue, Hingebung, Arbeit und <.5utsagung? — Verrath in der feilsten Weise. Franzosen und Mexi-caner suchten sich darin zu übertreffen. Ja, wcuu ich au die Aussagen für mich in höchstem Maaße glaubwürdiger Mäuuer denke, so ist von Vazaiue, — nicht in der letzten Zeit, da mochte es, so verwerflich es anch war, seinen politischen Zweck haben, — ueiu, vou Anfang an so operirt worden, als ob man absichtlich das junge Kaiserreich nicht sich eonsolidireu lassen wollte. Die besten und edelsten Absichten des Kaisers sind stets so vereitelt worden, daß man nicht an Zufall dabei glauben konnte. Das Loos des Landes nach jenem Kaifermord in Dueretaro ist wieder dasselbe geworden, was es nach der Zeit der Unabhängigkeitscrklärnng war. Unaufhörliche Bürgerkriege, Naub uud Mord auf den Straßen und ein Daniederliegen von Ackerbau und Handel in der bedauerlichsten Weise, — das ist in wenigen Zügen der jetzige Zustand. — 182 — Doch ich wende mein Auge ab von diesem düsteren Gemälde, um mich dessen zu erfreuen, was vor mir liegt. Der Sonne letzte Strahlen gaben der vor mir sich ausbreitende Landschaft eine nnendlichc Klarheit und Reinheit. Das Auge war nicht mehr geblendet, die Nebel, die des Morgens die Höhen verschleiern, sie waren gewichen und endogen mir nicht den Anblick der Gipfel der Berge. Vor mir erstreckte sich in der l^bene in großer Ausdehnung die Stadt Mm'co. Die flachen Dächer der Hänfer wnrden überragt dnrch die vielen Kuppeln nnd Thürme der Kirchen, unter denen die Ca-thedrale bedenlend sich hervorhob. Die Fenster funkelten in der Beleuchtung wie Feuer und der Ranch flieg in der Stille der Luft kerzengerade zum Himmel anf. Nach allen Seilen hin ift da^ Thal, das eine Ausdehnung von ungefähr 20 ^egnas hat, begränzt durch hohe Gebirge. In südöstlicher Richtung erhoben sich die Vulkane Popocatepetl nnd Izlahuatl, gleich zwei Niesen in wunderbarer Klarheit. Allmählich zogen sich dann nach Süden nnd Westen zu die Berge von San Angel in den eigenthümlichsten Formell. Am Fuße davon zeigte sich, halb verborgen, im herrlichsten saftigsten ^'ri>n Tacudnya, der Sommcrauf-euthall der Neicheu. Nach Norden zu lagerten sich ebenfalls hohe Vulkane, au deren Fnße der berühmte Wallfahrtsort von Nuestra Seüora de Guadclupe mit prächtiger Kirche liegt. (bleich Fühlhörnern der Berge sind die beiden Pcüon — 183 ^ vorgeschoben, während cm ivildzerklnfteter Höhrnzug den Texcoco vom Chalco-Sce trennt. Die Ebene ist bedeckt mit reichen nnd fruchtbaren Feldern und Wiesen, anf denen Heerden in großer Anzahl weideten. Wege mit riesenhoher Aloe- oder Eaetuseinfafsnng verbinden die vielen Dörfer mit einander, in denen die seltensten und schönsten Blumen wucherten und ihren süßen Duft in der milden Abendluft ausströmten. Die ^arbencon-traste waren groß, und denuoch bildeten sie znsammen eine Weichheil nnd eine Harmonie, die dem Ange wohl that. Die näheren Sultane hallen eine düstere Mrbc, während die entfernteren ein herrliches Blau annahmen. Dagegen stach das prächtige Grün der Wiesen, der Schnee nnf den (Zipfeln der ^erge und die glänzende Wasserfläche der Seen scharf ab. I^ie Bahn führt in einem großen Bogen um einen Theil der Stadt, der allerdings einen wenig stolzen (Eindruck Macht, ^''roße .Klöster, halb verfallen, anf ausgedehnten Plätzen oder breiten Straßen, stechen scharf ab gegen die elende,! Vehmhntten, die weder Schornstein noch Fenster haben, und deren einzige Oeffnung die Thür ist. Die ärmeren Massen der Bevölkerung bewohnen diese äußeren Stadlthcile. Die ganze Stadt ist mit Thoren, hier Garita's genannt, versehen, die aber anf einen große» ^nwacho berechnet sein müssen, da sehr viel nn-bebanles Vand mil in die Enceinte gezogen ist. Es findet sich dasselbe Verhältniß vor, wie es in Nom — 184 — existirt, wo auch der dnrch die hohen Mauern gebildete Umkreis noch vielleicht für eine halbe Million Einwohner Häuser enthalten könnte. Nach der Ankunft anf dem für eine Stadt von 180,000 Einwohnern recht bescheidenen Bahnhofe nahm ich schnell einen mit bunten Blumen bemalten Wagen, den zwei Manlthiere zogen. Das Hotel Iturbide, das mich aufnahm, ist eins der schönsten Gebäude Mexico's. Von einem reichen spanischen Marqnis im Nenaissancestyl erbaut, hatte der Kaiser Augustin ,^tnrbidc diesen Palast erworben nnd die kurze Zeit seiner Regierung dort residirt. Drei große Höfe befinden sich in der Häuserntasse, von denen der vorderste mit schönen offenen Säulengängen eingefaßt ist, die ebenso wie die Straßenfront reich mit Stückarbeit geschmückt sind. Die Einrichtung des Hotels ist gut und niwerhältnißmüßig besser, als die meines Hotels in Habana. Zch muß gestehen, daß ich recht froh in der Aussicht war, mich wenigstens für vier bis fechs Wochen hier etwas einrichten und ausruhen zu können. Die Neise von Vera-Crnz herauf mit ihren verschiedenen Zwischmfällen ist doch auf die Dauer augreifeud. Zudem war mir jetzt Gelegenheit gegeben, an diesen Aufzeichnungen zu arbeiten, uud iu mciuem Geiste all' die verschiedenen Bilder vorbciziehn zu lassen, um nicht erdrückt zu werden von dem vielen Nenen und Interessanten. Die Stadt Mexico ist auf derselben Stelle erbaut, — 185 — wo die Hauptstadt des Reiches des Monteznma stand. Letztere wurde leider nach der Erobernng durch die Spanier gänzlich zerstört, und unendlich zu bedauern ist dieser Verlust im archäologischen .Interesse. Die hohe Cnltur, in der die Azlekeu lebteu, laßt sich noch aus deu spärlichen Ueberresten jener Zeit erkennen. Sie hatten ihre eigene Architektur, geometrische Berechnungen und Sinn für Künste nnd Wissenschaften damals schon, a>5 man weder von ihrer Existenz noch von dem Vorhandensein Amerika's in Europa eine Ahnung hatte. Ich möchte sie in diesem Pnnktc mit den Chinesen vergleichen, die hinter ihrer Mauer schon Erfindungen gemacht hatten, deren Geheimniß man erst in Europa Iahrhnnderte später entdecken konnte. Die unordentliche Regiernngsweise und das geringe Interesse her Bevölkerung für die historischen Erinnerungen Mexico's lassen wenig Eutdeckungeu aus der Aztekenzeit zu Tage kommen. Sicher wäre das Land noch eine sehr reiche ssuudgrube für Alterthumsforscher. Die Stadt hat einen modernen Anstrich. Sie hat gerade Straßen, an deren Enden man die Gebirge erblickeil kann, und ihre Bauart ist eine überaus weit-läuftigc. Zahlreiche Kirchen und Klöster in fchr gros^ artigen Proportionen füllen die Plätze ans. Seit der Eonstscirung der Kirchengüter dienen viele der den Heiligen geweihten Stätten sehr profanen Zwecken. Man hat sie entweder zu' Kasernen oder Gefängnissen eingerichtet oder zu Pfcrdeställen benutzt, au deren Wänden — 186 — man dann manchmal noch einen halben Altar erblickt. Andere sind iil Ruinen zerfallen und mahueu an den Nerfall des Landes. T'ic Haupiftraße ist die (^alle Sau Franziseo; sie hat hübsche Väden; in ihr liegt das Hotel ^tnrbide und die Häuser vornehmer Mexicaner, deren Acußeres häufig gairz mit bunt bemalten Kacheln betleidet ist. Selbiges sah ich anch häufig auf den Kuppeln der Kirchen, und es gab stets ein sauberes gefälliges Ansehn. Genannte Straße bildet die Verbindung der beiden größten Plätze tm- Stadt, der Alameda mit der Placa mayor. (Ersterer ist ein längliches Viereck, dessen Außenseite von Häusern eingefaßt ist, während nach innen zu dann eine breite Straße kommt. Eine Manor von einigen Fuß Höhe mit großen Gitterthoren, die Abends Schlag 7 Uhr geschlossen werden, umschließt die in der Mitte, des Platzes sehr großartig angelegten Gartenanlagen. Ein Reit- und Fahrweg zieht sich längs der Mauer um den ganzen Garten hin, während viele Fußwege denselben durchschneiden. Hohe schöne Bäume, einer Erlenart angehörend, gewähren angenehmen Schatten nnd Knhlnng. Da, wo die H^egc sich kreuzen, sind Blumen in geschmackvollen Beeten gepflanzt. Statuen, Springbrunnen nnd Baute fülleu die Rondel's aus. Die Alameda ist ein sehr beliebter Aufenchalt für die Mexicanerinuen des Morgens, weuu sie aus der Messe, kommen. Sie pflegen sich hier, mit dem geschmackvollen schwarzen Schleier in den Haaren geschmückt, zu — 187 - ergehen. Sonst machen sie stets ihre Ausflüge im zugemachten Wagen. Man sieht dann ferner die Reiter im Natioualt'ostüm von dein Morgenritt zurückkommen, oder in den Gängen die Studenten hin- nnd herlaufen mit dem aufgeschlagenen Buch in der Hand, nm ihre Aufgabe zu lernen. Nachmittags um !> Uhr wimmelt es wieder in der Alameda uon Ncitern und Equipagen, da man dieselbe passiren mnß, um nach dein Paseo, der großen Promenade, zn gelangen. Die Plaea nun)or ist einer der grüßten Plätze der Welt; sie hat ungefähr die ^orm eines Quadrats. Die ganze Südseite ist von dem Palacio, dem Negierungs-gcbäude, eingenommen; dasselbe ist einstöckig und recht geschmacklos erbant. Drei große Portale führen durch dasselbe in die zahlreichen Höfe lind Flügel, von denen mehrere zu, Casernen, die meisten zn Bureaus dienen. Was das Ange am meisten am Palacio stört, ist ersteno das eine einzige Stockwerk bei der so kolossalen ^ünge, ferner der gänzliche Mangel an Symmetrie in Betreff der Fenster, von denen im ersten Stock stets zwei auf demselben Ranm angebracht sind, der für eins im Erbgeschoß bestimmt ist. Ueber jedem Portal in der Höhe des Daches befindet sich eine Siegesgöttin, die meiner Ansicht nach eine recht traurige Beschäftigung hat, da sie doch nnr den militärischen Rnhm ewiger Bürgerkriege verherrlichen kann. Die Ostseite nimmt die Kathedrale mit der daran angebauten Pfarrkirche (dem Sagrario) in der Weise - 188 — ein, daß das Portal dem Platze zugewandt ist. Der Bau ist im Gauzcn edel uud großartig im italienischen, Kreuzftnl gehalteu. Die deu sehr großartigen Verhältnissen angemessenen Thürme, von denen man eiueu bezaubernden Blick auf Thal und Stadt hat, haben als Spitzen zwei riesige Glocken in Mauerwerk aufgeführt, die eineu ebenso geschmacklosen als störenden Eindruck macheu. Nie tonnte ich sie anseheu, ohne au jcue Iu-strumeute zu dcukeu, mit deueu man die dichter auslöscht. Das Innere der Cathcdrale ist von schöuen Dimcu-sioncn. Die fünf Schiffe werden dnrch hohe luftige Säulen gebildet, in dcueu eiu vollendetes Ebcnmaaß herrscht; der Altar erhebt sich in bedeutender Höhe unter der Kuppel und bildet darin eine Nachahmung von Sanet Peter in Nom. Eine Thür führt von der Kathedrale nach dem Sagrario, das im Nenaissancestyl erbaut, zu überladen iu seiner All'öschmückung ist. Unzweifelhaft das Interessanteste an der Kathedrale ist der an der äußeren Wand ciugemanertc Aztetische Kaleudersteiu. Er ist rund, hat einen Durchmesser von 5 Fuß und ist außerordentlich gut erhalten, ^ür den Laien sind die darauf gemeißelten Gegenstünde Hieroglyphen, uou'denen uur in der Mitte ein Kopf mit iveit aufgerissenem Mnndc erkennbar ist. Die Gelehrten bewundern diescu Stein als ein Zeugniß des hohen Eulturlebeus der alten Azteken nnd sie können nach demselben heute noch Jahre, Monate, Tage und Stunden - 189 - herauslesen. Die halbe Westseite des Platzes nimmt das Municipalgebäude ein, an das sich ebenso wie an der Nordseite Häuser mit Läden und laugen Colonnadcn anreihen. Hnr Zeit als Kaiser Maximiliau nach Mexico kam, war das ganze Iuucre der Placa mayor frei, und dieses bildete iu seiuer Größe eineu nachtheiligen architektonischen C'inflnß auf die nur einstöckigen Gebäude. Man ließ sofort hübsche Oarteuanlagen dort anbringen, und Dank dem glücklichen Himmel gediehen dieselben so schnell, daß sie heute eine angenehme schattige Promcuade bilden, auf der mehrere Male des Abends in der Woche die Militürmusik spielt uud Inug und Alt anlockt. Ich hatte meine Neise nach der Hauptstadt deshalb sehr beschleunigt, um daselbst dem großen Natioualfeste, dem (sinco de Mayo (5. Mai), beizuwohnen. Denke ick) zurück an die Ursachen des Festes, an die Art und Weise, es zu feiern, so kann ich mich nicht eiues Lächelns erwehren, denn sie zeigteu mir iu drastischer Weise die bodenloseste Eitelkeit uud die lächerlichste Selbstüberhebung dieses Volkes. Wenn man in Prenßen die Tage von Leipzig, Waterloo oder Sedan so feiern wurde, so könnte dieses je nach der Anschauungsweise des (s'inen oder Andern passend oder übertrieben gefunden werden, kein Mensch würde aber den Preußen die Berechtiguug dazu absprechen können, denn die eben genannten drei Tage bilden Wendepunkte von der höchsten Wichtigkeit _ 1l^) _ in der Geschichte, sie schließen welthistorische Ereignisse in sich. Dies ist aber mit dem Cinco dc Mauo nicht der Fall; um die Bedeutung desselben klar zu machen, muß ich zehu ,^ahrc zurückgehn. . 'Bekanntlich wurde die Mcrieanische Expedition im Jahre 1861 von Frankreich, l>'n,glaud nnd Spauicu gemeinsam unternommen. Nachdem letztere beiden Staaten erkannt hatten, daß die Motive dazu uur in selbstsüchtigen Zwecken Frankreichs lagen, riefen sie sofort ihre Truppen ab und ließen die französische Eskadre allein zurück. Das Expcditiouscorps dieses Staates bestand aus uur 7000 Mann, uou denen der General Laurenhai 2000 znv Deckn»g der ^cückzngöliuie beorderte, während er selbst mit !',«»<»<> Mann gegen die Festung Puebla zog. Der Schlüsselpnukt davon u>ar das die Stadt beherrschende /Mt ,de l^nadelupe mit einer Besatzung von !2,»)<,)l) Ä^auu. Mit der bctanuteu Uuterschätzung anderer Truppen wollte der französische General dieses >vort, das auf steilem Berge liegcud eine unendlich feste Positiou bildet, durch einen Handstreich nehmen. Die natürliche Folge war, da man durch die starke Position und dcu Vortheil der Defeusiue, die Kräfle der Mericaner als wenigstens das doppelte der wirklichen Zahl iu Anschlag bringen konnte, daß die 5000 Franzosen mit blutigen Köpfen gehörig znrückgcschlagen wurdeu, uud sich bis hiuter Orizaba zurückziehen mußten. Nach ^audnug — 19, — neuer Truppen gingen sie daun wieder uor uud nahmen Puebla nach langer Belagerung ein. Diesen so billigen Sieg feiern die Mexieauer als das größte Nationalfest des Bandes, und er diente mir als Gelegenheit, alle die üffieirllen Persönlichteilen zu-saunneuzusehn. Das Programnl war folgendes: Des Morgens früh feierliche Musik auf deu öffentlichen Plätzen. Um 9 Uhr Zug des Präsidenten mit dem Ministerium, den Congrcßmitgliedern nnd.den anwesenden Truppen nach der Alameda, woselbst auf das Fest bezügliche Nedcn gehalten werden sollten und die Musik deu Zaragossa-Marsch spielen würde. Zaragossa n>ar der Name des Heldengenerals, der ans jenem Fort mit I2Wl) Mann 5<»W Franzosen zurückschlug. Nachmittags Volksfeste nud Abends glänzende Illumination nnd Fcncrwert. Ich begab mich knrz vor !) Uhr nach dem Palacio, wo ich bald genug gewahr wurde, daß die, Pünktlichkeit die Höflichkeit der Könige, aber nicht der Präsidenten der Republiken ist, denn es war beinahe ll> Uhr, als sich der Zug in Bewegung setzte. Korans marschirten die Militairmnsiken, unter denen ich aber Musiker in recht schäbiger Civilklciduug sah; vielleicht hatten die Umformen zn diesem Tage nicht alisgereicht, oder ein allzn-ehrlicher Beamter hatte sie vielleicht anf Rechnnng gesetzt sie aber in Wirklichkeit nicht beschafft. Dann folgten die Schnlrn nnd die Offiziere der Stäbe, von denen einzelne in dem Zuge gauz gemüthlich ihre Cigarrette rauchten. — 192 — Endlich erschien der Präsident Don Vcnito Juarez, den zu sehen mir natürlich uon hohem Interesse war. Es ist ein Mann in den Sechzigen von mittlerer Größe mit kurzem Halse. Ans reinem Indiancrstamme entsprossen, hatte sein Gesicht die gelbe ^arbc seiner Nace; im übrigen sind seine Züge von großer Häßlichkeit, und drücken eine gewisse Verschlagenheit verbunden mit großer 'Indolenz ans. Es ist eins von den (Gesichtern, die, schwer zu enträthseln sind, die aber entschieden den Eindruck des Grausamen nnd Herzlosen machen. Herr Juarez war ebenso wie das Ministerium und die Eongrcß-Mitglieder im schwarzen Frack nnd stühte sich ans einen starken, mit goldnem Knopfe versehenen Stock. Die einzige Uniform in seiner Umgebnng trng der Kriegsminister, General Mejia, sie war reich, aber überladen nnd zeigte nicht besonders guteu Geschmack. Herr Mejia hat sich in früherer Zeit mit den Geschäften eines Arriero abgegeben, d. h. er trieb die Lastthierc von den Städten zu den Häfen. Und das ist die Kunst nnd das Talent jener Nation, daß sie in Manieren nnd Worten gänzlich ihre frühere niedere Stellnng verläugnen können; eine Eigenschaft, selbst dem Schweinehirten nicht abzustreiten, besitzen sie, das ist eine gewisse Ritterlichkeit im Wesen. „Jeder .^oll ein Caballero", wie sie selbst gern zu sagen pflegen. Hinter dem Congreß folgte das Cadettenkorps und die hier anwesenden Truppen. Von diesen will ich nur sagen, daß sie in ihrem Aeußcren nnd Ajnstement traurig — 193 - aussahen, daß sie aber in ihrem Lande nicht zu unterschätzende, ja sogar höchst gefährliche Gegner fnr europäische Truppen sind. Der Schnitt ihrer Uniform ist französisch, allerdings theilweise sehr entstellt. Nachdem ich diese ganze Gesellschaft bei mir hatte Vorbeimarschiren lassen, wobei es mir theilweise schwer blieb, den lächerlichen Eindruck, den mir das Ganze machte, zu unterdrücken, hatte ich fürs Erste genug vou dem Feste und zog mich zurück. Nur ein Faetnm null ich noch erwähnen, das ist, daß kein Mensch daran dachte, den Präsidenten zn begrüßcu. Ich begab mich nun auf den Weg, mn die Empfehlungsbriefe abzugeben, mit denen mich der Varon von Maguns, derzeitiger preußischer Gesandter in Hamburg, anf das Liebenswürdigste und Reichlichste für meine Reise versehen hatte. Eine bessere Nceommandation, als die seinige, konnte ich nicht haben, denn Herr von Magnus erfreut sich allenthalben noch ans der Zeit seiner politischen Thätigkeit Hierselbst der ungcthciltestcn Hochachtnnss sowohl wegen seines ritterlichen, liebenswürdigen Benehmens, als anch wegen des wirksamen Schntzcs, den er uermöge seines Einflusses seinen deutschen Lanosleutcn gewahrte. Die Dienste, die Baron vou Magnus in der traurigcu Zeit der Gefangenschaft des Kaisers demselben unter deu schwierigsten Verhältnissen mit völliger Hintansetzung seiner Person und seiner Gesundheit geleistet hat, brauche ich hier uicht zn erwähnen; sie gehören der «ras A ru 8 cs, MlscjkizM. 1Z ^ 194 __ Geschichte an und werden dort späterhin ihren würdigen Platz einnehmen. Der dcntsche Minister-Resident, Graf Enzcnbcrg, war erst wenige Tage vor meiner Anknnft auf seinem neuen Posten angelangt. Er war aber schon in früheren Jahren als Tourist in Mexico gewesen. Seinen hohen Kenntnissen und seinem scharfen Verstände verdanke ich viele Belehrnngen. Den wesentlichsten Nutzen für diese Reise gewährte mir der deutsche Consul, Herr Venncckc. Da er seit fast 40 Jahren im Lande weilt, in welchem er durch seine ausgedehnte Thätigkeit fast allenthalben Beziehungen hat, so genoß ich seinen Schuh uud sciue Empfehlungen so lange, als ich den Boden Mexicos nnter meinen Füßen hatte. Das Ansehn des Herrn Venneckc ist in Mexico ein ganz außerordentliches. Seine Ehrenhaftigkeit und seine Uncigennützigkeit stehen auf gleich hoher Stnfc mit seiner Liebenswürdigkeit und seiner nncndlichen Gefälligkeit. Selten habe ich in meinem Leben eine solche einstimmige Benrtheilung der Hoheit Eigenschaften eines Mannes gehört, als dies hier der Fall von Mexicaueru und Fremden aller Nationen war. In seinem gastfreien Hause verlebte ich sehr angenehme Stunden, nnd nie verließ ich dasselbe, ohne nicht gnte Rathschläge und Belehrungen über Land und Leute mitgcuommen zu haben. Am ersten Tage schlenderte ich viel umher und verweilte mit großem Interesse bei all' den ncncn nnd anziehenden Bildern, die sich mir boten. Die Stadt war ^ 195 — heute gefüllt wegen des festes und in den Straßen .herrschte das regste Leben. In keiner Stadt, in keinem Flecken Mexicos giebt es wohl eine Straße, die nicht den Namen des Cinco de Mayo führte. Unzählige Fondas ^Herbergen) tragen dieses Datum im Schilde, wozu bei einigen noch ol «ol, die Sonne, hinzngefügt ist, gleich der Sonne von Ansterlitz. Am Nachmittage wohnte ich dicht vor den Thoren der Stadt nationalen Vergnügungen bei, von denen ich znerst den (^oleadero nenne. Zch muß dabei vorans-schicken, daß die Mericaner von fugend auf fast mit dem Pferde verwachsen sind, daß nirgends in der Welt so viel geritten wird wie dort, und daß man bedeutend mehr Reiter als Wagen in der Stadt sieht. Die Vor-züglichteit der mexicanischeu Pferde, ihr sanfter Charakter, ihre angenehmen Bewegungen lind ihre Gelehrigkeit läßt ihnen beim Reisen oder zum Spazierenreiten den Vorrang vor dein Wagen geben, obgleich das Reisen zu Pferde, trotz der Annehmlichkeit im Vergleich zur Dili-gencia, jetzt wegen der Ränber etwas abgekommen ist. Ein einzelner Reiter ist ziemlich ficher Ueberfüllen ans-gesetzt, und man kann es nnr magen in größeren Irnpps die Reisen zu unternehmen, (xs ist natürlich, daß bei dem steten Reiten, schon von früher Jugend an, die Mexicaner eine große Sicherheit zu Pferde haben, obgleich ich sie entschieden nicht für gute Reiter nach unseren Begriffen erklären kann. Dazu fehlt die richtige Einwir-knng anf das Pferd. Sie wissen sich mit Anstand und 1^ - 196 — Sicherheit auf dem Pferde zu halten, lmd bieten in ihrer malerischen Tracht auf den schönen reichen Sätteln eiu^ reizendes Bild. Ich hatte oft Kämpfe dieser meiner Ansicht wegen zu bestehen, da die Fremdelt, die hierherkommen, wegen der schon erwähnten Eanftmuth der Pferde sich meist darauf wagen und sich und die Mexicaner danit für die besten Reiter der Welt halten. Ich biu sicher, wenn man Reiter dieser (Kategorie ails unsere schwierigen englischen oder ostpreußischen Pferde setzen würde, daß sie bald mit ihrer Kunst zu Ende sein würden. Doch ich lehre, zum Eoleadero zurück. Dieses ist eine längliche Nennbahn, gauz von Brettern und Sitzplätzen eingefaßt, in der Vänge von 2 bis WO Schritt, während die Breite nnr 20^0 Schritt beträgt. Die schmalen Seiten der Bahn entHallen Thüren, durch die von Zeit zu Zeit ein Stier herausgelassen wird, der in Carriere den Raum durcheilt, um die der schmalen Seite entgegengesetzte Pforte zu erreichen. Im Innern befinden sich 4—5 Reiter, die sofort dem dahineilenden Thiere sich an die Fersen heften und versuchen, durch Herabbeugen des Oberkörpers den Schwanz desselben mit der rechten Hand zu ergreifen. Ist dieses einem gelungen, so nimmt er, indem sein Pferd dabei im schnellsten Laufe bleibt, den Schwanz des Stieres durch ciu Emporheben des rechten Oberschenkels zwischen Oberschenkel und Sattel nnd wirft durch einen gewaltigen Ruck, wodurch dem Stier die Beine unter dem Leibe fortgezogen werden, denselben zu Boden. Es ist klar, daß dazu vor Allem .... 197 - eine große Uebung, dann aber viel (Gewandtheit gehört, namentlich wird durch letztere (ngmschaft vielnichr erhielt, als durch große Kraft. Dir (Construction des Sattels ist uon großem Vortheil bei der Veistung, da der Reiter sehr fest darauf sitzt nnd vorne einen großen Zwiesel znm Festhalten hat. Der Name,,( Uhr und saß nm l^ Uhr bereits auf meinem Pferde. Wenn dies — 202 — nun auch der Mexicaner ebenso thut, so war ich doch in der Wahl meiner Allsflüsse bei Weitein wählerischer als jener, der fast immer mir den Paseo aufsticht. Welche herrlicheil Wege zum Reiten und wie unendlich viel Abwechslung giebt es nicht im Thal von Mexico! Stets glaubte ich die Stelle erreicht zu haben, die am schön" sten, am großartigsten die Gegend erschallen ließe, doch immer fand ich wieder andere Pnntle, die die vorhergehenden entweder übertrafen, oder ihnen doch gleichkamen. Ich fange mit der besuchtesten Promenade an, das ist der große Weg, Paseo del Emvcrador, vom Kaiser angelegt, der direct in einer halben Stunde von der Stadt nach dein Schlosse Chapultepec führt. Derselbe ist rechts und links von Niesen eingefaßt, die von Canälen sehr zahlreich durchschnitten sind und anf denen die Hirten ihre Heerden nnchertrcibm. Das Schloß liegt auf einem steilen Felsen, der sich nach Mexico zu fast senkrecht an seiner schmalen Seite erhebt. Nach rückwärts zu flacht er sich allmählich ab, und diese Seite ist benutzt worden zur Anlegung einer schönen breiten Fahrstraße, die in einmaliger Windung sich heraufzieht. Das Schloß selbst ist wenig mehr als ein halbverfallener, recht geschmackloser Ban, der ohne die prachtvolle ^age gar nicht von sich reden machen würde. Ein getrennt von dem Hauptgebäude liegender Pavillon diente dem Kaiserpaare zur Wohnung. Wahrhaftig, ich habe der Anspruchslosigkeit derselben meine Bewnnderung zollen müssen, denn abge- - 203 — , sehen von der Unannehmlichkeit, einen kleinen Garten durchschreiten zn müssen, um in den Spcisesaal zu gelangen, war die aus 6 oder 7 Zimmern bestehende Woh-nnng eben weiter Nichts als ein (Gartenhaus. Ans beiden Seiten der Himmer waren schlecht schließende Thüren und Fenster und der Nanm so beschrankt, das; ein Mensch in bürgerlichen Verhältnissen von nnr einigermaßen Ansprüchen sich damit nicht befriedigt hätte. Kaiser Mar und seine hohe Gemahlin hatten keine Klage dafür, sie schwelgten in der allerdings prächtigen Aussicht, die man vom Thurme deo Hauses hat. Und hierin konnten sie mit Necht sagen, daß kein Monarch der Welt wohl einen schöneren Blick uon den Fenstern seines Palastes aus hätte. , Die schnnrgcrnde Straße entlang, auf der mau fast einen Etechiadelkopf liegen sehen kann, liegt die ausgedehnte Stadt mit ihren vielen Kuppeln und Thürmen, dahinter die weile fläche der Seen lind noch weiter zurück die beiden Bergriesen, der Popocatepetl und der Iztahuatl mit ihren ewigen Schneegcfilden. Gleich Ameisen sieht man die fernen Hecrdeu vor sich, dereu leises Geläut ill der Stille der Natur bis hier hinanf tönt, die vielen Reiter und Wagen, das reiche fruchtbare ^and mit seinen Dörfern in den blühenden Rosenhecken. Man erblickt rechts Tacubaya an die Höhe des Berges angelehnt, mit seinen reichen schönen Besitzungen, die halb versteckt in dem tiefen Grün der herrlichsten Bäume liegen, während nach links zu an einem bräunlichen Vulkan das Kloster — 204 — Guadelupe sich erhebt. Dieser Blick, so ergreifend, so erhaben schön soll den Kaiser mit vielen Widerwärtigkeiten, die er nur zn bald antraf, versöhnt und sein edles > Herz gestählt haben zu neuem Kampfe den vielen sich ,ihm aufthürmendcn Schwierigkeiten gegenüber. In diesen Räumen lebt jetzt im Sommer Herr Juarez, und das einzige Andenken an den frühereil Besitzer war ein Waschnapf mit M. und einer Kaiserkrone gezeichnet, in dein Herr Inarez jetzt sein wenig edles (Besicht reinigt. Der Felsen mit dem Schloß liegt in einem großen Park, der sehr schlecht gehalten ist, aber doch eine der seltensten Zierden besitzt. Dieses sind die Väume, die die gewaltigsten Stämme der Welt haben. Sie gehören einer Ccdernart an nnd man will ihr Altt'r nach Jahrtausenden berechnen. Einzelne dieser (i'xemplare können von 7 Menschen mit ausgebreiteten Armen nicht nm-spannt werden. In den verschiedensten Gestaltnngen haben die Stämme sich manchmal gewunden. Die Bänme sind ganz bedeckt von grauen Wucher- und Schlingpflanzen, die ihre Aeste gleich Trauerweiden nach unten ziehen und ihnen das Ansehn bemooster Hänpter geben. Welche eigenthümlichen Zeugen der (beschichte sind diese schweigenden ehrwürdigen ledern nicht schon gewesen! Welche Völkcr-stämme, welche Herrschaften sahen sie nicht schon vorüberziehen und vergehen! Bei ihrem Anblick hat mau einen leisen Anklang an das Wort „Ewigkeit". Und doch ist ihr nach Zahrtanscnden zn berechnendes Vorhanden- — 205 — sein auch weiter Nichts, als eiu Tropfen in das Meer der Ewigkeit. Wie klein, wie winzig erscheint einem dabei ein Menschenleben im Vergleich zu diesen verwitterten Stämmen mit ihren grauen Häuptern! Bei Chapustepec überschreitet man das Geleise der Bahn und ist dann in wenigen Minnten in Tacubaua. Hübsche Villen in reizenden (Bärten bieten hier den reichen Städtern eine angenehme Villegiatnr. Von allen Besitzungen ist wohl die schönste die des Herrn Varron, eines Engländers, der aber schon seit Zähren im Lande ansässig ist nnd ein bedeutendes Vermögen erworben hat. Der Part' ist recht hübsch gehalten und mit vielen Kosten hat man alles nnr Mögliche, Teiche, kunstvolle Alleen, Terrassen mit herrlichem Blick auf Stadt und <^ebirqc angebracht, beider ist die Anlage noch etwas u^n, so daß man alte schöne Bäume vermißt. In den letzten Jahren soll da6 Landleben in Tacnbaya und in den noch weiter liegenden Orten auch nicht viel Sicherheit mehr gewahrt haben. Allerdings g^ht eine Eisenbahn und eine Pferdeeisenbahn in knrzer Zeit dahin, doch wer spät aus der Stadt oder umgekehrt zurückkehren will, kann leicht mit den Banditen in Berührung kommcu, lind dies hat einen lähmenden Einfluß anf das Landleben znr Folge gehabt. Nus dem l^birgc gehen über Tacn-baya nach Mexico die grossen Aqnadnete, die Stadt und Umgrgcud mit Trinkwasser versehen. Aus der Spanier- — 206 — zeit stammend, ist ihre Anlage eine großartige, die sich bis ans zwanzig englische Meilen erstreckt, und eine Wohlthat für die Stadt. Sie münden dort an zwei verschiedenen Stellen, von denen das eine Reservoir Salto de Aqua heißt und eine Erinnerung aus der Zeit Carl V. bildet. Dies kann man an dem unter vielen Skulpturen befindlichen Deutschen Reichsadler erkennen. Von hier schöpfen die Wasserträger, Aguadores genannt, ihre großen Kruge voll, die sie anf Brust und Rücken tragen, uud durchziehen dann die Stadt nnter dem Rufe: „Agna, Agua"! Sie bilden in ihrem eigenen Costüm und in ihrer Thätigkeit Erscheinungen, an die man sich gleich beim Gedanken an Mexico erinnert. Doch ich kchrc zn meiner Promenade zurück. Von Tacubaya reitet mail durch schöne Alleen nach dem kleinen Ort Piedad, nnd von hier ans führt eine gerade Straße nach dem Paseo Bucarcli, nach der Arena für die Stierkämpfe ss genannt. Man kommt an zwei Kirchhöfen vorbei, von denen der erste der Französische ist. Hier ruhen die Angehörigen der in Mexico lebenden 3W0 Franzosen nnd die während des Krieges gestorbenen, gefallenen oder ihren Wunden exlegenen Offiziere und Soldaten. Er ist recht hübsch gehalten nnd war zu der Zeit meiuer Anwesenheit ein prächtiger Rosengarten. Ziemlich geradeübcr liegt das Pantheon, der neu angelegte große Kirchhof. Da ein Pantheon aber doch mir als Ruhestätte für dir großen Männer eines Landes bestimmt ist, ich aber den hiesigen schon — 207 — ziemlich bevölkert fand, so denke ich, man wird in der Auswahl wohl nicht sehr streng sein. In gerader Richtung des Paseo Bucareli, der mit verkrüppelten Bäumen bepflanzt und dnrch Bassins, Statnm uud Bänke verschönert ist, kommt man ans den Platz, wo dieser Paseo und der del Emperador anscinander gehn. Die Mitte des Platzes nimmt eine große schöne Neilerstatue Carls IV. in Imperatorentracht ein. Kam ich so zwischen 9 und :lO Uhr vom Ritte zurück, so flanirte ich in der Stadt nmher, wo sich dem Fremden vieles Interessante zeigt. Da sieht man znerst an der Ecke der Calle San Francisco und der Kirche Professa ein wahres Feld der schönsten Blnmenbouqnets, die hier feil geboten werden. Mexico ist das Land der Blnmm, und namentlich sind es die sanftäugigen Indianer, die'.diese herrlichen Kinder der Natnr zu Freunden haben. Ich zählte einmal 270 riesengroße Bouqnets an der Erde, die mit ebenso großem l^eschmack, als Verschwendung zusammengestellt wareil. Die Blumen haben hier keinen Werth. So nimmt man zn einzelnen Bouquets nur zarte Nosenknospen nnd das in sehr großer Anzahl. Oder man nimmt, der Symmetrie wegcn, verschiedene Farben der Blnmen, aber jede genau in demselben Zustande des Erblühns, wie die andere. Für ein paar Realen (1 Real -^ 5 Silbergroschen), hat mau Bonqnets, für die man in Berlin vielleicht 20 Thaler ausgeben würde. Und wie merkwürdig und entgegengesetzt ist hier — 208 — der Gebrauch; hier lieben die armen Indianer die Blumen, während sie den reichen Leuten znm mindesten gleichgültig sind, denn nie sah ich im Theater noch sonst uio eine Dame mit einem Bouquet. Also anch darin zeigt es sich von Neuem, daß man nur auf das, was Geld tostet, Gewicht legt. Anf der Placa mayor herrscht des Morgens ein reges Getriebe. An vielen Stellen sind Schenktische aufgestellt, die ebenfalls mit Blumen und Sträuchern zierlich ausgeschmückt siud, nud an denen der Pulque in den verschiedensten Farben verabreicht wird. Unter den Colonnaden bieten die Indianer alle nur möglicheu Bedürfnisse des Lebens feil. ,^ier wird mau angegangen, sich an einer Lotterie zu belheiligen, die es in dieser Stadt zu Hunderten giebt. Mir erging es mit ei nein Loose sehr eigenthümlich. Ich hatte vielleicht in fünfzehn verschiedenen Lotterien kleinere Vruchtheile vou Loosen genommen und dieselben dann in einen verschlossenen Kasten in meiner Wohnung gelegt. Niemals war bis jetzt' eine meiner Nummern herausgckommcu, als ich es endlich doch einmal, es war nur ein bescheidener Gewinn, richtig traf. In der Absicht, mir diesen abzuholen, öffnete ich meinen Kasten lind fand sämmtliche Loose in größter Ordnnng darin, nnr dasjenige, das gewonnen hatte, fehlte. Man besaß also Nachschlüssel, hatte sich meine Nummern notirt und das gewinnende Loos eher vräsentirt, als ich es in den öffentlichen listen gelesen hatte. Ich tröstete mich schnell - 209 - und sagte nur, daß, wenn ich mit so billigem Verluste aus diesem Lande herauskäme, ich ganz zufrieden sein wollte. Die Republik Mexico hat auf einem ^lächenraume von 3WW Quadratmeilen eine Bevölkerung von 7 bis 8 Millionen Einwohnern; sie ist also außerordentlich schwach bevölkert. Von diesen Einwohnern bilden den Haupttheil die Indianer in einer Anzahl von 5 Millionen. Gegen eine Million sind Weiße und der Rest besteht, mit Ausnahme einiger Tansend Neger, aus Mischlingen von Indianern und Weißeil. Dies ist die Berechnung, die man in Büchern findet, und die auch im Lande selbst auf Befragen angegeben wird. Und doch habe ich hierbei meine Zweifel nicht ganz unterdrücken können, denn es ist'ein geschichtliches Factum, daß nach der Eroberung dnrch die Spanier diese sehr schnell ehelicheVerbin-dnngen mit den Indianerinnen eingingen, daß sie ferner keine Granen mitbrachten und daß auch sehr wenige nur nachkamen. Woher kommt dann also mit einem Male die Million Weiße? Nach dem, was ich sah nnd was ich nach Aussagen anderer mir competenter Urtheile zu glauben berechtigt bin, ist die Zahl der Weißen über-ans hoch gegriffen. Sei es, daß man nicht Indianerblut in seinen Adern haben will, sei es daß man überhaupt über seinen Ursprung nicht ganz klar ist. Ich glaube, daß in Wirtlichkeit die Zahl der Weißen sehr gering ist. Graf Bruges, Ncijeslizzcn. 14 — 210 — Die Indianer sind mit Ausnahme einiger noch wilder Volksstämme im Norden, sämmtlich Katholiken, die mit großer Begeisterung an ihrer Religion hängen, die sehr ergeben schon deshalb dem Elcrns find, weil derselbe zu allen Zeiten sehr energisch für ihre Rechte gegenüber den Spanischen Bedrückungen eingetreten ist. Soll ich ihren Bildungsgrad, ihre intcllcctuellen Fähigkeiten genauer beschreiben, so bilden sie ungefähr eine Mittelstufe zwischen dem Weißen und dem Neger. Und doch mnß ich gleich vorausschicken, daß die Indianer grundverschieden von Letzteren sind, daß sie nichts mit ihnen gemein haben. Der Indianer ist ein Mensch mit entschieden hervorragend guten Eigenschaften und einem sympathischen Wesen. Wenn ich von dieser Ra^e spreche, so verstehe ich nicht die darunter, welche schon dem verderblichen Einfluß der Städte ausgesetzt gewesen sind. Nie taun ein reiner Stahl ohne Nost bleiben, wenn er einige Zeit int tiefsten Sumpfe gelegen hat. Ich spreche also von denen, die wie die Pest jede Berührung mit der Civilisation meiden, von denen, die keinen Begriff von der Bequemlichkeit des Lebens haben, die, mit cmem Lappen nm Lenden und Oberkörper gewickelt, schen nnd ängstlich dem Enropäer aus dem Wege gehen, den sie nach . fast 409 Jahren noch als Eindringling betrachten. Ich würde gerne und mit großem Interesse unter diesem Volksstamm gelebt haben, nm ihre Eigenheiten nnd ihre Art zu denken und zu haudclu kennen zu lernen, Hütte mich nicht der bodenlose Schmntz, in 211 ^- dem sic leben, und das da^u gehörige Ungeziefer ill Schach gehalten. Ich mnß sie in mancher Beziehung für Philosophen in der weitesten Bedeutung des Wortes halten, da sie Alles, wonach andere Menschen ihr ganzes Leben lang sich sehnen, vollständig verachten. Sie verachten den Reichthnm nnd das Wohlleben, nnd sie habeil gar keinen Ehrgeiz, leine Ansprüche. Mag ihr Besitz noch so groß sein, sie werden nur ein so großes Fleckchen anf dem Felde anbancn, daß es ihnen genügend Mais liefert, ihren Hunger zu stillen. Ihre kleine elende Hütte, kaum hoch genlig, nin darin stcheu zn können, ans Blätterwcrk erbaut, genügt ihnen völlig. Ueber dem Eingänge ist ein Kreuz angebracht, das mit den ihnen so lieben Blumen geschmückt ist, nud diese Hütte dient ihnen so lauge zur Behausung, bis sie in ihr lehtes Haus, ins Grab gelegt werdeu. Auch dieser Gedanke hat für sie keine Schrecknisse; sie zeigen anf den Todten hin lind sagen: „der ist glücklich, da er befreit von dem Jammer des Bebens ist." Beim Tode kleiner Kinder werden wilde Täii^e nm die deiche aufgeführt, alls Frende, daß das kleine Wesen in den Himmel gekommen ist. In den Kirchen sind die Indianer stets sehr zahlreich vertreten. Stundenlang habe ich sie auf den Knieen liegen sehen, ohne sich umzublicken, starr die Angen auf den Altar oder die Kanzel gerichtet. Ihr Mißtranen uud ihre Scheu gegeu die Weißen ist über alle Begriffe groß. __ 21I __ » Giebt man ihnen ein Geldstück, so prüfen sie es auf alle mögliche Weise, ob es auch ächt sei. Ihre Figuren sind nicht groß, aber schlank, pro-portionirt und hübsch gebaut. Die Hautfarbe ist gelb, die Augcu sind sehr groß und schwarz, und die Zähne die schönsten, die ich je gesehen habe. Sie sind wie gemeißelt, so regelmäßig, und von einer blendenden Weiße. Die Haare ans dem Haupte sind start, etwas struppig und reichen bis tief auf die Stiru. Dagegen haben sie wenig oder fast gar keinen Bart. Ihre Körperkraft ist ganz außerordentlich groß, ebenso wie ihr Vermögen, Strapazen zu ertragen. Ich habe sie Lcistcu tragen sehn, die sie anf den Nucken mhmeu, indem sie niedertnn'tm, wo sie beim Aufstehn fast zusammenbrachen; uud damit trippeln sie ssie gehn nicht) 20-^l<» ^egnas s><) 15 deutsche Meilen) an einem Tage. Die,^ast, die sie auf dem Rücken tragen, ist durch einm Riemen um die Stiru gewunden, so daß diese das Hauptgewicht aushalt, eiue Sache, die mir auch gan^ ertlärlich ist. Das Eigenthümlichste au ihnm sind die Füße, uud ich bin da zu eiuer Ansicht gelangt, die ich früher belächelt habe uud die man in Europa theilweise so scharf angegriffen hat; das ist die die Abstammung der Menschen uon den Affen, die Darwin'fche Theorie iu erneuerter Karl Vogt'schcr Ausgabe. Die Füße der Indianer haben die völlig gleiche Forin der des Orang Mang; d. h. sie sind laug, schmal und lanfcn in einem Bogen nach der Spitze zu, nach innen etwas sich biegend. Ich will durchaus uicht gegen - 213 — die Lehren der heiligen Schrift ssront machen, ich sage nur, daß man die Möglichkeit einer Kreuzung zwischen Menschen nnd Affen nicht so scharf ablängucn wird, wenn man ein aufmerksamer nnd gewissenhafter Beobachter solcher Umstände ist. Es sind viel Versuche gemacht worden, die Indianer geistig zu heben, ihnen Interesse an Wohlstand einzuflößen, ihnen selbst Ehrgeiz beizubringen, aber dieselben sind da, wo sie gelnngcn stud, zu deu größten Aus-nahmeu zu rechnen. Im Uebrigen ist eiu gelehrter Indianer ein wahrer Ausbuud von Schlauheit und Gewandtheit, der mit der fabelhaften Ausdauer unermüdlich seine Zwecke so lange verfolgt,, bis er sie endlich erreicht hat und sollte ein Meuschcnalnr darüber vergehen. Als lebendigen Beweis dafür führe ich Don Benito Juarez an. Als Advokaten sind sie dann Meister im Perdrehen von Worten. In derselben Minute erklären sie Einem, daß weiß schwarz uud g,rüu blau ist, uud sie machen das so geschickt, daß mau es selbst glaubt und crstannt ist, je es für etwas Anderes gehalten zn haben. Der größte Theil der Armee besteht ans Indianern, nnb aus dem oben Angeführten ist schon zn ersehen, daß sie in hohem Maaße Eigenschaften besitzen, die zn einem vorzüglichen Soldaten gehören. Ihre Leistungen im Marschieren und ihr (^ewöhutseiu an das Clima, das sind schon Vortheile, gegen die eine Europäische Armee schwer aufkommen kann. Da^u gesellt sich noch die - 214 — völligste Bedürfnislosigkeit. Sie ruhen auf der harten Erde ohne Stroh, ohne Mantel, höchstens mit ihrem Scrape zugedeckt; haben sie Hunger, so suchen sie sich Früchte und stillen ihn damit. Kein Berg ist ihnen zu wild oder zu steil, auf den sie nicht hinaufklettern, für sie giebt es keine Schwierigkeiten des Terrains. Nnn stelle mau sich dagegen vor, was die Europäischen Armeen Alles bedürfen; man male es sich aus, wie die Trains nnd Wagen in diesen bodenlosen Wegen stecken bleiben würden, welchen schrecklichen Einfluß die wech-felude Temperatur auf den Gesundheitszustand ausübt, nnd zuleyt, wie das so zerklüftete, von Bamuka's (Schluchten) durchschnittene Terrain günstig für die Söhne des Vmckes ist, ihre Uebcrfälle zu nuteruehmen, nnd man wird mir Recht in meinen Bchanptnngm geben. Seitdem die französische Expedition mit so fürchtcr-licheu Schwierigkeiten und Verlusten zu kämpfen gehabt hat, sieht man Seitens der mexikanischen Negicrnug mit großer Gemüthsruhe einer neuen Zntervenliou entgegen, und darum ist dort für die Diplomaten ein fo schwieriges Terrain, weil man auscheiueud allen ^orderuugen cin geneigtes Ohr leiht, hinterher aber Nichts hätt. Der einzige Staat, vor dem dir Mexicaner Angst haben, sind die Vereinigten Staaten. Diese können schnell über die Gränze anf die Hanptstadt vorrücken, und sie halten sich alle Verräthereien womit abV Mit Prügeln. Es ist nämlich ein Factum, daß der Mexicancr vor oiefcn — 215 — zittert, weil sie ihm Cchmerz verursachen, daß er dagegen vergnügt, mit der Cigarre im Munde, zum Tode geht. Daß nun die Mcxicanische Armee troy der gutcu Mcmeute Nichts leistet, das ist die Schuld der Generale und Offiziere, die wohl nur zu häufig eine zweideutige Nolle spielen, die ferner von Disciplin und Führung noch recht unklare Begriff habeu. Eine Maßregel, um Truppen im Falle der Noth zu werben, ist die Leva. Jeder Mensch wird demnach im ^ande aufgegriffen, der keine Veschäftignng hat, oder fich nicht über seinen Lebensunterhalt genügend legitimiren kaun, weil man dann vermuthet, daß er fich mit dem edlen Näuberhandwert abgiebt. Diese Maßregel, mit großer Gerechtigkeit durchgeführt, würde ficher ein gutes Mittel sein, die iu Mexico so' große Anzahl vou Tagedieben etwas zu vermindern, aber auch dabei kommen Intriguen nno nn-lantere Absichten ins Spiel, die aus der Sache selbst eine fürchterliche Geißel machen. Von Zeit zu Zeit sah man, nmgebm von Soldaten, ganze Trupps solcher Aufgehobenen in die Stadt marschieren. Da bemerkte man zwischen den zerlumpten Lepcr»5 einen fein gekleideten Herrn lind dergleichen d'on' traftc mehr. Da Gleichgültigkeit in allen Dingen ein hervorragender Zug des mericanischen Charakters ist, so war auch auf,deu Gesichtern jener Veute nichts von Kummer oder Vcftürzung zn lesen. Die Indianer, die in der Armee waren, werden nicht mehr zu den guten — 216 — Elementen ihres Stammes gezählt, da sie dort Stehlen und Rauben fleißig lernen. Aus all' dem, was ich bis jetzt über sie gesagt habe, wird es sich erklären lassen, daß die Indianer, trotz ihres Unmenschen Ucbergewichts, gar keine politische Rolle spielen, daß sie regiert werden, wie man eine Heerde Schaafe leitet, daß aber die Regierung ihren wenigen und sehr harmlosen Eigenthümlichkeiten Rechnung trägt. Sie waren treu ergeben dem Kaiser Maximilian. Sei es, daß seine leutselige Persönlichkeit sie gewann, oder sei es, daß sie in ihm den weißen Mann aus dem fernen Osten sahen, der ihucn vor Jahrhunderten verheißen war, und der ihuen Glück bringen sollte, das was unlaugbar feststeht, ist eine rührende Treue uud Anhänglichkeit, von der ich später bei meinem Aufenthalt in Queretaro selbst Augenzeuge war. Sprechen sie dort von ihm, so nehmen sie den Hut ab, ihre sauften duldenden Züge nehmen einen noch ernsteren Ausdruck au, und sie nennm ihn „el Seiior Emperador". Den Hauptantheil am politischen Leben haben die Mischlinge, die mau unter dem Namen Mexicancr versteht. Sie haben jenes schlaue, gewandte und süßliche Wesen, das dem Unbefangenen ein großes Vertrauen einflößt, in dein derselbe nur zu bald sich getäuscht sieht. Treulosigkeit, Eitelkeit, Mangel an Offenheit, Gewissenlosigkeit, Selbstüberschätzung, das sind die Fehler, die dieses Volk vielleicht zum verkommensten des Erdballs machen, die die Ursache sind, daß von den Fremden — 217 - jeder Umgang mit ihnen gemieden wird, und wenn sie noch so lange im Lande sind. Trotz ihres Verstandes nnd ihrer Talente lernen sie doch wenig. Sie haben alle einen oberflächlichen Schliff und imitiren in ihrem Wesen und Aenßcrn sehr die Franzosen, was um so mehr zu verwundem ist, als jene nicht sehr zart mit ihnen umgegangen sind. Doch sie brauchen sie zu nothwendig, denn alle hübschen Läden gehören den Franzosen, und namentlich sind die Schaufenster der Juweliere, die die reizendsten Sacheu enthalten, fast ganz so wie im Palais Royal. Ein französisches Journal, Is trait ä'union, ist ein vielgclesenes Blatt. Da der Redacteur wahrscheinlich verhungern würde, wenn er anders handelte, so schimpft er weidlich auf die Prussiens und seine Spalten sind gefüllt mit geistreichen Peudülegeschichten, nach denen jeder dcntschc Soldat ein wahres Uhrenlager bei sich zu Hause haben müßte. Siebentes Capitel. Paseo de ^igaci. — Rircholfcsk. -^ ( Oioldilnzen für die Erlaubniß gegeben hatten. Die Unterhaltung, die ich erwartet hatte, beschränkte sich auf einen lärmenden Hänfen Menschen an, großen Platz, die bis in die Nacht sich stark in Pulque berauschten. Ich benutzte die Zeit den .reizend gelegeueu Ort anzusehen, wo Huuderte von Quelleu aus dem uahen (Gebirge plätscherten und wo eine reiche üppige Vegetation das Nuge erquickte. Die Straßen wurden gebildet dnrch über ^!> ^nß hohe gewaltige Mancrn, hinter denen die Besitznngeu lagen. Als ich bei der Kaserne vorbeikam, sah ich einen todten Indianer auf der Straße liegen, wie man etwa einen Hund oder eine Katze findet. Anf mein Befragen ob der Unglückliche ermordet worden wäre, wurde mir nm nein geantwortet; trotzdem konnte, ich meine leisen Zweifel darüber nicht unterdrücken. Es dunkelte schon, als ich mich zum Bahnhof begab, von wo, nach der Anzeige,, der Zug um acht Uhr nach Mexico gehen sollte. Wer beschreibt aber wein Erstannen, als ich dort erfuhr, es ginge hente — 2^ — kein ^ug mehr. Außer nur waren noch fünf oder sechs Passagiere, die gleichfalls sehr entrüstet über solche nicht angezeigte Veränderung waren. Ich schlug einem Herrn vor, einen Wagen mit mir zu nehmen, und nach Mexico zu fahren, doch er erwiederte, daß wir dann wenigstens drei Mal angefallen und womöglich in die Berge geschleppt würden, C'mnz deprimirt setzte ich mich ans den Iwhnhof hin, um zu überlegen, was zn thnn wäre, und begab mich dann in die einzige Ionda, nm dort ein Unterkommen zu snchen. Doch die anderen Leidens geführten waren mir schon znvorgetommen, und alle andern Versuche ein Nachtlager aufzufinden waren fruchtlos. .In welche Vage war ich geratheu! Ich giug spazieren bin 10 oder ,l l Uhr Abends, al5 ein fürchterliches Gewitter mich überraschte nnd meine Silnaiion ^il einer ganz verzweifelten machte. Nachdem ich an mehrere Häuser vergeblich geklopft halte, öffnete sich endlich die Thür einer armfeligcn Hülle, und ich bat nm (iinlaß und Schntz für die Nacht, ^u der freundlichste,! Weise forderle man mich auf einzutreten und eulfchuloigte fich wegen zu großer Armuth, mir nicht mehr wie eine Ma^ tratze gebm >u können. Der Bewohner war ein Indianer, der an der Eisenbahn arbeitete, mit seiner Fran nnd vier kleinen Kindern. In einer so netten und sanften H^eisc gaben sie mir Alles, was sie hatten, daß ich wirklich ganz gerührt War. Beim Schein einer schlecht brennenden Lampe musterte ich mein Asyl und ein leiser Schauer lief mir dabei über __ '>)<) __ den Rücken. Der Nanm hatte nur eine Oeffnung, das war die Thür. Das Amenblemcnt nxir so elend, wie nnr möglich nnd in einer Ecke hockten verschiedene Schweine und Hühner gemüthlich zusammen. Doch damit selbst war es noch nicht genug. Es fanden sich noch vier Personen ein, darunter eine alte Eroßmntter, die förmlich sinnlos iu Pulque betrunken war. während sie mm an der Erde sich herumsielte, wurde sie sehr förmlich ersucht, „ob die Senora sich uicht erheben wollte, da sie dort doch sehr unbequem läge." Ich bin nicht nmsoust lauge Soldat gewesen und habe gelernt, mich in jede Vage des Bebens zu fügen, sonst hätte ich es diese Nacht in diesen: Quartier nicht ausgehallen. Denn außen den li> Personen, den Schweinen und Hühnern, bemerkte ich noch andere fühlbare lebende Ä^seu. Mis Tagesgrauen erhob ich mich, schüttelte sämmtlichen Insassen inclusive der betrunkenen (^roMntter, die Hand znm Dante für genossene Gastfreundschaft. Ich gab dem Hansherrn einen Peso, den er aber durchaus nicht annehmen wollte. Es würde ihn tränken, wenn ich ihm die Gastfrellndschaft bezahlen wollte, sagte er. Erst als ich ihn bat, das Geldstück nicht als Bezahlung, sondern als Andenken anzunehmen, willigte er ein. Da es noch drei Stunden währte, ehe der erste Zng nach Mexico abging, so erneuerte ich meine Promenade von gestern nnd fand den todten Indianer noch au derselben Stelle. Ich mnß gcstehu, daß mich diese geringe Scheu und Ehrfurcht vor dem Tode doch entsetzte. — 230 — Das erste, was ich nach meiner Ankunft in Mexico that, war, ein langes nnd gründliches Bad zu nehmen. Als nachher jede Spnr dieses Abentencrs verschwunden war, konnte ich meine innere l^enngthuung, es erlebt zu haben, nicht unterdrücken, denn es hatte mir einen hübschen edlen Zug in diesem Volte enthüllt; es hatte mir gezeigt, daß nnter diesem elenden zerlumpten Hemde ein biederes Herz schlug, und mein Vertrauen sdeun wie leicht nnd beauem hätte man mich nicht iu jener Nacht ermorden und berauben t'önuen) — war glänzend belohnt worden. C'iue Stunde von Mexico liegt das Kloster Senora de <^'uadelnpe, der heiligen Jungfrau Maria geweiht, das in seinem ^nuern ein Mnttergottesbild auf gauz grober Veinwand gemalt, enthält, dessen Ursprung durch nachfolgende legende erklärt wird. Ganz in der ersten Zeit, nach Bekehrung der Indianer zum Christenthum, hörte eiuer ihres Slammes anf der Stelle, wo hente das Kloster steht, seinen 'Namen rufen. Er gab nicht Acht daranf; das Nnfen wiederholte sich nnd die heilige Jungfrau Maria erschien und befahl ihm, er möchte sich gleich zum Erzbischof begeben, ihm von der Erscheinung erzählen nnd ihm sagen, daß hier eine ihr geweihte Kirche erbaut werden sollte. Die heilige Znngfran legte ihn: daranf in die Schürz, die er znm Arbeiten trug, viele Blumen mit dem Befehl, sie vor dem Erzbischof auszn-schütteu. Der Zndianer that wie ihm geheißen, und siehe da, auf der groben Leinwandschnrzc befand sich in den herrlichsten Farben die heilige Jungfrau gemalt, ganz so, wie sie dein armen Indianer erschieneil war. Man begab sich gleich ans Werk, nnd jene Kirche wurde die reichste im ganzen Lande. Ihre immensen Silbervorräthe sind allerdings im Vanfe der Bürgerkriege verschwunden, aber das Bild der heiligeil Jungfrau prangt in herrlicher Frische. Auf dem Hügel, an den sich der kleine Ort lehnt, ist ebenfalls eine Kapelle erbaut, vor der in Malierwerk ein schwellendes Segel errichtet ist. Die Errettung aus einer (Gefahr auf dem Meere gaü den Anlaß dazu. (finen sehr hübschen Allsflug zu Pferde machte ich in der liebenswürdigen Gesellschaft dreier Deutschen, der Herren Bietsch, Dösebrock und Bock nach der Canada. Es war eine peinlich scharfe Partie, bei der nur 12 Stunden' im Sattel saßen. Früh um halb <^i Uhr verließen wir Mexico und ritten über San Angel tief ins Gebirge hinein nach den Dörfern Coittrerao und Maria Magdaleua. Uebcrall erschlossen sich uns die prächtigsten Fcrnsichten auf das Thal. Bald hinter San Angel bc-ginnl da>o j>w 5rüu bedeckt ist. Ohne den Fernblick auf das Thal mit seinen Vnlkanen und Seen im Hintergründe hätte ich mich nach Deutschland, z. B. nach dein Schwarzwald, zurückversetzt glanben können. Das Kloster selbst ist trotz seiner großen Ausdehnung nur von zwei oder drei Menschen bewohnt, die theils dnrch die Bebauung eines kleinen Gartens, theils durch die Jagd ihr Dasein fristen. Für eine kurze Zeit hatte man hier eine Glasfabrik eingerichtet, doch muß diese sich nicht rentirt haben und Alles ist jetzt dem Verfall und dem zernagenden Einfluß der Witterung ausgesetzt. Von der Knppel des Klosters ans schweift da^ Ange über die Wipfel der Bäume, die im verschiedensteil Grün hier prangen. Man könnte in dieser Waldeinsamkeit schwelgen und ein Stück reizender Idylle träninen; Alles - 235 — scheint hier geschaffen zu sein, Nuhe und Frieden in das zerrissene Meuscheuhcrz zu flößen. Und doch wehe dem, der sich zu sehr derartigen Gefühlen hingeben würde! Gleich einer Schlange unter duftigen Blumen lanert anch hier Tod nnd Verderben deni allzu Vertrauenden. Der Fluch der über diesem Lande schwebt, aus welchem Nuhe und Sicherheit auf ewig verbannt zu sein scheiuen, verfehlt in Nichts seinen fürchterlichen Einfluß geltend zu machen. Die Regenzeit, die man erst Mitte Znui durchschnittlich erwartet, hatte sich ^u meinem Nachtheile in diesem Jahre um volle vier kochen früher eingefnndeu. ,^u dieser Zeit ist es des Morgens schön und klar, und am Mittage oder Nachmittage regnet es dann täglich sehr stark. Wiesen lind Wälder erhalten ein wunderschönes Grün, und der soust so lästige Staub quält die Einwohner nicht mehr. Das Angenehme, des mexicanischen Climax ist die außerordentliche Negelmäßigteit, mit der sich ganz genau das Wetter voraus bestimmen läßt. Will man bei uns eine Landpartie machen, so ist man ziemlich sicher, daß der Himmel seine Schleusen öffnet; hier braucht man sich fo schlimmen Ueberrafchungen nicht auszusehen. Die Negen unter den Tropen find aber anderer Art als bei uno; sie hängen fast stets mit Gewittern zusammen und ergießen sich dann gleich so mächtig, daß z. B. in Me-rieo beinahe sämmtliche Straßen uiner Wasser stehen, und daß nur häufig nicht das H5tel Iturbide uerlasseu tonnten. Will man dann von eiuer Seite der Straße zur — 286 - anderen gehen, so winkt man einein Indianer, die immer barfnß oder höchstens mit Sandalen bekleidet sind, lind die Beinkleider bis zum Oberschenkel aufgerollt tragen und läßt sich von ihnen anf den Rücken nehmen, nnd so hinüber befördern. Mit einem kleinen Geldstück belohnt man diesen Dienst. Die Indianer selbst tragen während der Regengüsse ebenso einfache als praktische Regenmäntel, die ans Blättern gefertigt sind, nnd von denen der Regen vorzüglich ablauft. Recht eigenthümlich ist zuweileu der Strich des Regens. Es kann z. V. an der Stelle, wo man sich befindet, in Strömen geregnet haben, während l> Minuten davon kein Tropfen herabgekommen ist. Da ich eben bei dem Wasserthema mich befinde, will ich eine Hydrobatenvorstellung erwähnen, die, ich als einzig in ihrer Art bis jeht kennen gelernt habe. Um ein großes ansgemauertes Basfin, das gewöhnlich zu einer Schwimm schule dient, waren die verschiedenen Logen nnd Breitersitze angebracht. Ich ums;, um das Sonderbare der Situation begreiflich zu machen, vorausschicken, daß Damen sehr zahlreich der Vorstellnng beiwohnten. Nach einer schrecklich lärmenden Mnsik erschienen drei oder vier Kinder nnd drei Männer, allerdings noch ganz bekleidet, nm die verschiedensten Schwimmknnste zn pro-dncircn. Da es ohne Narren oder Hanswnrst in diesen Ländern ja nie geht, so erschien alsbald ein solches Individuum im rothen Sammetrock mit Hermelin besetzt. Sofort ertönte der Ruf: „el I000 ai a^ua!" (der Narr __ 237 — ins Wasser), woranf derfelbe aber nicht Anging. In dm folgenden Productioneu zeigten sich die Künstler nur mit Badehosen bekleidet, n>ao aber die anwesenden Damen nicht ^u stören schien, denn sie blieben anf ihren Plätzen. Den Schluß bildete, so stand auf dem Programm, lg. 03,1'rora, äß 1o8 onoliino» (das Schweiuercnuen), das darin bestand, daß eine Anzahl Schweine ino Wasser geworfen wllrde, die man nun schwimmend zu erreichen suchte. In dem allgemeinen ^ärm und Jubel und unter dem Ouiken der geäugstigteil oooliino« entledigte sich von den Zuschauern, wer da wollte, seiner Kleider lind betheiligte sich an der Vorstellung. (^ kamen die komisch-steu Seeuen vor, die man sich denken kaun, uud das Ganze endigte mit dem wüthcndstcn ^ärm der Welt. Da iä) auch gern etnia?, von eavallcristischen (vrcr-cilieu sehen wollte, so begab ich uuch eines Morgens auf den Plah. Ich kam aber nicht recht zn meinem ^iele, da uüiu wahrend ganzer acht Tage täglich mehrere Stunden da5 Auf- nud Absitzen, nach, wie ich glaube, preußischem System nach Zählen übte. Danach hätte man allerdings vermuthen sollen, daß diese Uebung wenigstens in höchster Vollendung ausgeführt würde. Dem war aber nicht so, denn während der verschiedenen Tempos kratzte sich der eine Soldat am Kopfe, der andere au Gott weiß was für einer Stelle, nnd der dritte machte sich etwas an seinem Sattel zu schaffeu. Der Höchst-kommandircnde ritt mit einer Militairschabrarkc in einem höchst schäbigen Civilanzuge umher. Die Pferde — 2^8 — waren meistens elende und recht schlecht gehaltene Gäule. Wenige Tage vor meiner Abreise rückte ein In-fcmterie-Negimcnt, wahrscheinlich uom Kriege kommend, unter den Klangen der „Wacht am Rhein" in die Stadt. Diese Melodie, sie war mir wie ein Stich ins Herz, denn sie erinnerte mich ans das Lebhafteste an das schöne flotte Regiment, in dem ich den letzten Krieg mitgemacht hatte, nnd das für immer nun für mich verschlossen ist. Noch hente ist es mein Stolz, ihm angehört zu haben, in seiner Mitte gleich einer Windsbraut über die Ebene gejagt zu sein, die unter den Hnfschlägen erdröhnte. Ich dclchte mit Nehmuth an jene große Zeit, wo ick) meinem Negi-mmtc voraus, als Quartiermacher durch ganz Dcutsch-laud eilte, da« erbrauste von der Wucht derselben Melodie, die hier in der Ferne an mein Ohr schlug. Ich gedachte der Rückkehr über den schönen Rhein, wo ebenfalls das Lied crtönte, aber schwächer und leiser, denn es fehlten so Manche, die in Frankreichs Erde den ewigen Schlaf schliefen. „O, schöne Zeit, wo man die schmucke Uniform des Königs trug, wo man im Kreise fröhlicher und liebenswürdiger Cameraden den Becher schwang, unbekümmert nm die Sorgen des Lebens, dich werde ich nie vergessen, dir werde ich ein heiliges Andenken in meinem Herzen bewahren bis zum letzten Athemzuge. Und dann soll man mir noch einmal den Rock anziehen, in dem ich für König nnd Ehre dem Tod ins Auge sah?" — — 239 - In iedcm Lande, wo Freiheit auf gleiche Stufe gestellt wird mit Zügellosigkeit, sind Ausschreitungen der gröbsten Art vou Seiten der Presse wohl an der Tagesordnung, nnd dauou weiß Mexico in ganz besonderer Weise etwas zu erzählen. Die Anzahl der erscheinenden Zeitungen ist für die Stadt, und namentlich für das Publikum, das überhaupt Zeitungen liest, sehr bedeutend. Da sich daraus schon ein gewisser Brooueid ergiebt, so ist die Polemik eiue doppelt scharfe. Nichts wird verabsäumt, um deu Nebeumeuschcu in den Augen seiner Mitbürger herabzusetzen nnd zu schmähen, und Wahrheit und Dichtung laufen da hänfig durcheinander. Kein Gesetz, keine Bestimmung, und mögen sie noch so humau sein, sind im Stande, die entgegengesetzten Parteien zu befriedigen. Der Präsident wird mit Namen belegt und mit Invectiven überschüttet, die man nicht für Schmeicheleien halten kann. Aber alle Ausbrüche der Leidenschaft oder der fiugirten Erregungen prallen ab an einem wahren Panzer uou Gleichgültigkeit derer, gegen die sie gerichtet siud. Bedenke ich alle die Umstände, die sich der Schreiber solcher SchmähartikV'l inacht und halte ich dagegen die geringe Wirkung, so biu ich erstauut über so viel verlorene nnd verschwendete Liebesmüh. Im Uebrigen wäre es in einem Lande, wo Jeder sich wohl etwas vorzuwerfen hat, mehr angebracht, nachsichtig gegen seinen Nächsten zn sein, um nicht zu Vergleichen herauszuforderu. Allerdings läßt sich das Schiefe der Sache völlig be- - 240 - greifen, wenu Herr Juarez drakonische Gesetze gegen die Räuber erlassen will, während jeder Mensch weiß, daß er als Präsident diese Eache «i ^ro8 betrieben hat. Ein Beispiel, das mir als wahr versichert wurde, wirft ein eigenthümliches Streiflicht ans ihn. Als er daü erste Mal zum Präsidenten gewählt worden war, ereignete es sich, das; fremde Kaufleute aus einer Stadt, wenn ich nicht irre, war es Sau Luis Potosi, ciueu Silbcrcou-duct von 2 Millionen Pesos au Werth nach einen: Hafen-platze schassen lassen wollten, und um sich gegeu Räuber sicher zu stelleu, sich von der Regierung gegeu hohe Bezahlung eine Truppen-Eskorte geben ließen. Nachdem uuu der Eonvoi eiuige Meileu hinter die Stadt gelangt war, kam uou der Regierung von Juarez, die sich damals gerade in ^inanz-Ealamitüteu befand, der Befehl, den Convoi für die Regierung aufzuheben, also ganz einfach, ihn den Kaufleuten zu stehlen. Etwas soll allerdings vom Geld wieder bezahlt sein, aber wie will mau ein solches Vorgehen benennen? ' E5 gehört überhaupt ein wahres Uebermaß von Geduld dazu, iu diesem Lande als Fremder zu leben, wo man in Nichts denselben entgegenkommt, wo auch nicht ein Schimmer von Gerechtigkeit vorhanden ist. Jeder Proeeß ist von voru herein für den Besitzenden verloren; mau zieht ihu so in die Länge, bis auch der letzte Real aus der Tasche ist. Derjenige, der Nichts hat, kann ja selbstverständlich anch Nichts verlieren; gewinnt er aber den Proceß, so hat er den Vortheil davon. Mir wurde — 241 - ein ^all mitgetheilt, der ganz ausgezeichnet geeignet ist, einen Begriff von dei, dortigen Verhältnissen zu geben; wie der Verbrecher sich auf die Corruption stützt, um zu seinem nnlantcrn Zweck zu gelangen. Ein junger Mann hat eine bedeutende Erbschaft an Hacienda's und (^eld gemacht, als er eines Tages einen Brief von einem Individuum, nur wollen es einmal H. nenueu, erhält, in dem ihm mitgetheilt wird, er, H. befände sich im Besitze eines Dokumentes, nach dem ihm ein großer Theil der Erbschaft gehöre. Mein Mexicaner bittet nun H. doch zu ihm zu kommen nnd empfängt ihn gleich mit den Worten: „Ich durchschaue vollständig Deinen Plan, Du willst <>'eld von mir erpressen; weißt Dn was, ich werde Dir 1W Pesos geben, dafür überläßt Du mir has Papier uud die Sache ist abgemacht." — „O nein", entgegnete daranf H., „so billig ist das nicht." Kurz und gut, sie handeln lange Zeit mit einander, bis H. gegen ein paar Tansend Pesos das überaus geschickt gefälschte Dokument überläßt. Hätte nnn der Mcricaner einen Proceß angefangen, so würde derselbe vielleicht zwanzig Jahre oder noch länger gedauert haben, bis die unersättliche Habgier der Juristen Hacienda's, Vesitzthum, Geld und Häuser vcrschlnugcn haben würde nnd er selbst ein Bettler geworden wäre. Jede Gelegenheit, sich zu bereichern, nimmt dieses Volk mit. Läßt sich vielleicht Jemand verleiten, einen Mexicaner zu schlagen, so ist es wohl möglich, daß sich Jener mit dem Messer oder Revolver znr Wehr setzt; wahrschein- Graf Bruges, Neiseslizzen, 16 — 242 - licher ist es aber, daß er sich ruhig zu Bette legt, Aerzte komme»! läßt uud sich sehr krank stellt, so daß derjenige, der den Schlag ausgetheilt hat, bezahlen muß, daß ihm Hören und Schell vergeht. Fragt man sich nun, wie diesem Chaos ein Ende zu machen ist, so ist die einzige Lösuug davon in einer Annexion Mexicos durch die Vereinigteil Staaten zu erwarten. Und damit hat es auch noch lange Zeit, denn für's Erste hat Nord-Amerika selbst noch so ungeheure Strecken nicht angebauten Bodens, das; es Mexico nicht bedarf, zumal es durch einen solcheu Zuwachs die so unruhige und corrumpirte Bevölkerung mit ill Kauf nehmen müßte. Ich bin weit entfernt, ein Schwärmer für die nordamerikanischen Verhältnisse zu sein, aber ein Aufgehn Mexico's in seinen großen Nachbarstaat würde für ersteres ein Segen sein. Es würde dann doch einigermaßen genügende Garantie für die Ruhe des Landes und für die Sicherheit des Lebens und Eigenthums vorhauden sein. Eine commercielle Verbindung zwischen beiden Republiken wurde gerade ill meiner Anwesenheit angestrebt. Die Nordameritanischen Generäle Roseukrantz und Palmer bewarben sich um die Concession zum Bau einer Eisenbahn von Mexico nach Texas. Mir will das Gedeihen einer solchen durch eine so große Länderstrecke, die jedes Handels, jeder Cultur bar ist, nicht recht einleuchten. Von einem geistigen Leben, von einer regen Thätigkeit in dieser Hinsicht konnte ich in Mexico nicht viel — 243 - wahrnehmen. Ich sah wohl einzelne Leute mit großer -Einseitigkeit sich irgend einem Studium ergeben, doch habe ich kein rechtes Vertranen in die Ausdauer. Man hat ein recht großartiges Colleg dort, die Mineria, desgleichen die Malerschule Sau Carlos und das Museum; doch fehlt zu Allem wohl das gute Beispiel und die durchaus uöthige geistige Anregung. Was hätte Alles aus dem Lande werden können, wenn der Kaiser Maximilian dort einige 20 Jahre regiert hätte. Er mit seinem Sinn für Kunst nnd Wissenschaften und mit dem besten Geschmack, voll dem ein Miramar solch beredtes Zengniß noch liefert. Die kurze Zeit seines Wirkens hatte schon hier ihre großen Früchte in geschmackvollen und gemeinnützigen Anordnungen getragen. Doch nnr zu bald wird auch darau der Zahn der Zeit seineu nageudeu Einfluß ansgeübt haben. Ein deutscher Elnb, in dem ich als Gast anfgenommen war, hielt die verschiedensten Zeitungen aus Deutschland, während die Lonja Mercantile, der Merieanische Elub einen mehr internationalen Charakter hatte. Ueber fünf Wochen hatte ich in der Hauptstadt verweilt, und war von früh bis Abends thätig gewesen, nicht allein zu sehen, sondern auch zu lernen und zn arbeiten. Mit Dank habe ich stets den Worten gelauscht, die gediegene Männer, mit den Verhältnissen des Landes auf das Innigste vertraut, gesprochen haben, und namentlich verdanke ich überaus interessante und glaubwürdige Mittheilungen den Herren Consul Bennecke > l(j* — 244 - und Professor Hassey, welch letzterer mich auch vorzüglich in der spanischen Sprache unterrichtet hat. Ich habe diese Belehrungen, mit dem, was ich persönlich sah und erlebte, verglichen, um mein Urtheil zu stärken und mich nicht dnrch den ersten Anblick blenden oder täuschen zn lassen. Nnn mußte ich anch daran, denken, wenigstens das uom Lande zn sehen, was man mit einiger Sicherheit zn erreichen hoffen konnte. Leider schob die in mehreren Provinzen so wild entfesselte Anarchie einen gewaltigen Riegel vor meine Wißbegierde. ^ast schon zn lange hatte ich mit meinen Reisen ins Znnrre des Landes gezögert, da die täglichen Regengüsse die Wege schon grnndlos machten, nnd die Dili-geucia's sich nin viele Stunden verspäteten. Meine Gedanken und Pläne richteten sich nach zwei Puukten ganz besonders. Dies war zuerst Mernavaeca, das mit seinen prächtigen Thälern und tropischer Vegetation einen unendlichen NeiH haben sollte, und ferner 5?.uere-taro. Dorthin wollte ich pilgcru, um dem Andenken jenes so edlen ritterlichen Kaisers eine Thräne zn weihen, und niederknien an der Stelle, und für ihn beten, wo mörderische Kugeln seiu hehres Dasein endeteu. Eiileu Tag vor meiner Abreise machte ein Verbrechen viel von sich reden, nicht etwa um seiner selbst willen, sondern wegen der Persönlichkeit, an der eö verübt worden war. Ein General, mir ist der Name entfallen (es giebt ja so viele Generäle dort), war auf einem Nilte von seiner Hacienda, die nur wenige Meilen von ^ 245 — der Stadt entfernt war, plagiart worden. Dabei hatte er sich zur Wehr gesetzt und war verwundet wordcu. Auf die, Kunde davon waren seine Diener angebrochen, ihm iu die, Berge gefolgt und hatten uach lcbhaflem Kampfe ihreu Herrn befreit, für den die PlagiarwÄ die Kleinigkeit von 2',,<>0<) P^so Lösegrld verlailgt hatten. Die ^unde des (Generals ivar aber so schwer gewesen, daß er ihr wenige Tage nach feiner Befreinng erlag. Mail bereitete ihm ein sehr feierliches Leichenbegängnis^ wobei mir ein Bürger versicherte, der verblichene sei ein Hauptspihbnbe gewesen. Weilit es also in diesem ,valle dm Dienstlenten möglich u>ar, ihren Herrn zu befreien, warum gelingt dafselbe nicht den Polizisten nud Genso'ar-men des Präsidenten? Denen sollten doch noch ganz andere Mittel, eine viel größere Gewalt in diesem Puutte zur Seite stehen. Meine ,>rage tonnte mir Niemand beantworten, ich glanbe aber anf dem richtigen Wege zu seiu, wenn ich behaupte, daß bei allen dieseu Räu-bereieu die Einwohner oder die Polizei unter einer Decke nut den Banditen stecken. Man erzählte mir, daß, wenu Jagd anf einen Epitzbnben gemacht würde, die Umstehenden dann dächten i „Ach, daß er nur nicht gefangen wird, der Arme; er stiehlt ja nur um zu leben und der, dem er es genommen hat, ist ja wohlhabender als er." Mit solchen Principien kann allerdings das Eigenthum und das Leben sich keiner Sicherheit erfrenen, nnd dieselben gcbeu ciuen ncncn Beweis, vou der alle Klaffen der Gesellschaft beherrschenden Korruption nnd selbst von - 246 - dem geringen Unterscheidungsvermögcn zwischen Gntenl und Schlechtem. Eineo Aiorgcns früh nin 4 Uhr trat ich meine Reise nach (üiernavacca an. Die Diligeneia war im Innern anf allen 9 Plätzen beseht nnd man saß darin ungefähr wie ein eingesalzener Hering in der Tonne, was freilich ailch den Vortheil hatte, daß man bei den grundlosen Wegen von den heftigen Stößen nicht so im Wagen nmhergeworfen wnrde. ,^ch war übrigens noch glücklich genng, einen (Vckplah errnngen zn haben, was bei dem im Wagen herrschenden u>enig gnteil Genich, mir wmigsteno den Vortheil der frischen Vnft gewährte. Die Reisegesellschaft, mit der ich die Diligencia auf vierzehn Stnnden eingepfercht theilen sollte, gehörte im Allgemeinen den niedrigen ('lassen an; sie war wenig geeignet, das Unangenehme meiner Lage zn verbessern. Um nach Cncrnauacea zn gelangen mnß ein .»WO ^nß hoher nnd sehr steiler Höhenrücken uasfirt werden, bei dessen Ersteigen nian überraschend schöne Blicke ans das Thal und die Stadt Mexieo hat. Gleich Coulissen auf dem Theater schieben sich die einzelnen Vnlkane vor, bald dir See>> in ihrer ganzen fläche zeigend, bald sie theilweise verdeckend. Von dem allmählich sich empor-windenden steilen Wege erblickt man, je nach den verschiedenen Richtungen, immer wieder nene nnd verschiedene Ansichten. Dabei war die'Veleuchlnng dnrch den mit Regen drohenden Himmel eine so sonderbare, daß in jeder Minnte die entgegengesetzten Effecte znm Vor- - 247 - schein kanten. Bald strahltm die Kuppeln der Berge im hellsten i/icht dnrch die stechenden Sonnenstrahlen, wahrend das Thal mit tiefen langen Schatten bedeckt war; bald hatten die so eigenthümlich gefärbten Vnlkane das tiefste Schwarz angenommen nnd wie ein Fcenland, glänzend nnd verheißungsvoll, zeigte sich das Thal in dem herrlichsten Kolorit. Wir passirlen Tlalpam, wo ich mich nach meiner gastfreien .^ndianerfamilie erkundigte, aber Nichte von ihnen erfahren tonnte. Weiter ging es im langen Galopp durch die öden Straßen über das fürchterlich holprige Pflaster. Niesenhohe Manern verschlossen die (kürten, ans denen manchmal ein üppiger Banin seine reichen Aeste streckte, oder eine schlanke zarte Zypresse leise ihr. eriisti'5 Haupt im Winde hin- nnd herbewegte. Als wir nefer ins Gebirge kanten, nm^ wölkte sich der Himmel mehr nnd mehr nnd bald fiel ein dichter Nege» herab, der Alles mit einem undurchdringlichen Nebel umgab. Mühsam mit dampfenden Pferden hatten wir das Platcan erklommen, das landschaftlich recht häßlich war. Wellenförmigen kahles Terrain zog sich dahin nnd erschien in seinn' Unebenheit und Oede außerordentlich zn Neberfällen geeignet, da wan selten weiter als einige hundert Schritt vor sich die Gegend übersehen konnte. Auf dcr Hälfte unseres Weges wurde ein längerer Halt gemacht, um den Passagieren Zeit ;n lassen, das Mittagsmahl einznnehmen. Wenn ich nicht irre, hieß der Ort Torpilejo nnd bestand 248 aus einigelt elenden Baracken, die ans Lehm nnd Brettern errichtet waren. Unsere Fonda hatte weder Thüren noch Fenster; sie bestand in ihrer nntercn Partie ans einem Haufen zusammengeworfener Steine, über die man einige Bretter gedeckt hatte. Die vielen luftigen Ritzen waren mit Blättern verstopft, aber nicht hinrci^ chend, nm der Zuglnft den Eintritt zu verwehren. Zu diefem Halbdnntel, ses war das ein Glück, man war dadurch außer Stande, der Reinlichkeit einen prüfenden Blick zu scheuten), staud ein wackeliger Tisch, anf dem uns die Speisen servirt wurden, während einige Bretter uns zu Sitzen dienten. Das Mahl bestand ans den landesüblichen Gerichten, Eiern, gekochtem Reis, Schöpsenfleisch nnd Hühnern, nnd da man hinreichend Hunger hatte, mundete es recht gut. Wie oft Hütte ich iu dem Kriege Gott gedankt, wenn mir der vierte Theil dieser Speisen geboten worden wäre. Der Hecrd war in demselben Raume, in dem wir aßen, und der zu gleicher Zeit Menschen nnd Vieh znr Behausung diente. Meine Reisegesellschaft, die sich nur theilweise an dem Mahl betheiligt hatte, — einigen war es hier noch zn vornehm gewesen, nud sie suchten ein Hotel zweiten Ranges auf, — bediente sich fast ausschließlich der Finger znm Essen. Mit diesen langten' sie in die Schüssel, oder zerrten einem Huhne die Beiue auscinauder. Kurzum, man konnte wohl sagen, es war „ländlich", wenn ich auch von „sittlich" nicht viel bemerkte. Den die Rontc abznuatrouillirendcn Kavalleristen .__ 249 __ schien das Wetter nicht zn behagen, drnn statt sich nntcr-wegs aufzuhalten, kanertcu sie in den Hütten umher in ihren großen Mantel gewickelt, der bei einigen blau, bei anderen aber anch roth und gclb war. Die Pferde standen halb verslinken im Kothe dach- lind schutzlos an den Hütten angebunden. Nach einem Aufenthalt von einer halben Smnde bestieg man mit Widerstreben sein fahrendes Gefängniß; solchen Gindruck machte mir die Diligencia, — und vorwärts ging es von Neuem. Wie gern hätte ich ein Pferd bestiegen nnd Hütte frei wie ein Vogel deu Raum durchschnitten, doch mein vi^-ä-vis lachte über diese Ansicht und sagte, allein würde ich nicht weit kommen. Ich mußte mich also in das Unvermeidliche fügeu. Wir kamen, bald in einen Wald von engen vertrüppeltm Nadelhölzern nnd hier wurde der Weg fast ganz grundtos. Endlich hielt uuser Gefährt an, wir steckten die Köpfe zu den kleinen Fenstern hinaus und erblickten ein trostloses Bild. Der Weg war nämlich dadurH fast ganz Versperrt, daß ein großer Frachtwagen mit zehn Maulthieren bespannt an der tiefsten Stelle der Straße in einer großen Lache ein Nad gebrochen hatte uuo umgefallen war. Da solche Transporte aber nie allein, sondern stets mindestens zu vier oder fünfen gehen, so müssen bei dem Unfall eines Gefährtes auch die audereu ihre Fahrt so lange einstellen, bis dem verunglückten Hülfe geschafft worden ist. Der Anblick hier war mir noch neu, doch auf meiner Neise nach Queretaro sah ich — 250 — so viel derartige Bilder, daß ich nur dann Acht darauf gab, wenn wir dadurch an der Weiterfahrt behindert wnrden. Ein steinernes Krenz, Cruz del Maranez, bezeichnet die höchste Stelle des Weges nach Cnernavacca, die wohl 8—90W Fnß über dein Meere liegen mag. Hat man diesen Punkt erreicht, so athmet mau leichter auf, denn nun geht es schnell vorwärts. Aber die, Leiden der Neisc sind dann noch keineswegs beendet; im Gegentheil, sie fangen erst recht gründlich an. Das Herabfahrcn anf den so überaus steilen Wegen, die so uueben nnd zerfahren sind, daß man über Erdhaufen nnd Steine von zwei Fnß Höhe mit einem Rade in der schnellsten Gangart fahren mnß, bringt Stöße hervor, daß man zuweilen mit dem Kopf oben an die Decke des Wagens fliegt, oder zwei sich Gegenübersitzende mit ihren Köpfen ü, l^ollision gerathen. Es war dies ungefähr dieselbe Wirkung, wie ich fie einmal in Deutschland bei einem Eisenbahnunglück, dein Znsammenstoß zweier Züge erlebte. Glücklicherweise sind an den Fenstern nnr sehr wenig und ganz kleine Scheiben, der größte Theil ist mit einem ^cder znm Zuschnallen versehen, sonst würde man häufig »lit dein Kopfe in-die Scheiben fahren. Unerklärlich ist mir noch immer die Construction der Diligencias, die dieses ansznhalten vermag. Es kommt hänfig vor, daß etwas daran zerbricht, es ist aber nichts im Verhältniß zu den Stößen, denen sie ausgesetzt sind. Anßcr obigen Transporten begegneten wir keinem — 251 — sterblichen Wesen. Hier und da huschte ein Indianer, gleich einem schonen Nch dnrch den Wald, trotz Kälte und Regen fast halbnackend. Näherte er sich, so zog er den großen, tief im Nacken sitzenden Strohhnt znm Ornße und war ebenso schnell in den Gebüschen uer-schwnnden, als er gekommen war. Bei diesem Netter führen sie fast das Leben von Amphibien. Nachmittags langten wir in der letzten Etation vor Cnernavacca, in Hnichilac, an. Der Regen hatte aufgehört und der Himmel war aufgeklärt, obgleich er noch immer keinen guleu Fernblick gestattete. Ich bedauerte das umso mehr, als das, was ich hier vor Angeu hatte, wohl den schönsten Landschaften der Welt windig zur Seite gestellt werden taun. Huichilac liegt an dem äußersten Rande des Berges, der sich 2—M)0 Fuß hoch steil wie ein Wall und weil vorragend über das Thal von (>neruavacca erhebt. Von' hier ans muß man einen ähnlichen Blick haben, wie von dem Berge, von dem Moses den Juden Kanaan, das ^and ihrer, Väter und der neuen Verheißung zeigte, von dessen Anblick und Schönheit berauscht sie auf die Kniee fielen, um Ichova zu danken für deu Schulz und die Fürsorge, mit denen er sein au^erwähltes Volk so belohnte. Gleich einem Meer wogte das grüne frnehtbare Thal in der herrlichsten V gelation der Tierra calicnte. Die sich anfthürmeuden steilen Berge, die zeitweise so eigenthümlich groteske Formen annehmen, heben sich wie Inseln daraus hervor, von einem wahren Wall weißer Wolken — 252 - umgürtet. Gleich rechts erhebt sich ein Berg mit den herrlichsten immergrünen wichen; kein kahles Fleckchen stört daranf die unendliche Harmonie und laßt den Berg wie eine großartige grüne Wand erscheinen. Nuten im Thal liegt in der lieblichsten ^age der Welt, halb versteckt nnter den prächtigeil Mangobäumen und den breit sich ausdehnenden Bananenwäldern, (weruavacca. Alles ist emsig dort unten; die Schornsteine ranchen, auf den Feldern ist Bewegung und Arbeit. M das dieselbe Bevölkerung als sonst, oder läßt die Höhe nnd Entfernung Bilder erblicken, die beim Herabsteigen verschwinden nnd sich in das banale Alltagsleben auflöscu? Ganz im Hiutergrund zieht sich eiue Gebirgskette uebeu uud über den anderen dahin. Ach, wer alle diese Berge sehen und bewundern könnte! Ihr Anblick erregte Sehnsucht im Herzen, Sehnsucht, die aber nicht befriedigt werdeu lanu, denn der Gedanke vermag wohl den Naum zn dnrchfliegen, aber der schwerfällige menschliche Körper kann nicht dem kühnen Gedankm- lind Geistesfluge folgen. (5r trägt den Stempel des Unvollkommenen an sich und wird bei einer großen Idee gewaltsam an seinen Ur-sprnng aus vergänglichm Slofsen erinnert! In wildem ,^anfe fnhren wir den steilen Berg hinab uud wnrden dnrch die heftigsten Stößc vom Beschauen und Bewundern abgelenkt. Immer von Neuem snchte ich meinen Blick auf die Gebirge zu heften, die dnrch äußerliche C'inwirknngen noch ungehenerlichere formen annehmen. Der eine Berg zeigte sich in seiner hohen schlanken Figur als ein Niese, während neben ihm ein kurzer dicker Kegel als Zwerg den Kontrast erhöhte. Mit heftigen Gerassel klapperte nnsere Kntsche über das holprige Pflaster der Placa dc armas, (ohne ihn thut es mm einmal kein Ort spanischen Ursprungs), und hielt dann vor dem Hotel de la Diligemia in Cncr-navacca an. Eine alte Frau mies mir ein bescheidenes Gemach als Wohnung an und verschaffte nur auf nieine Bitte einen Führer, der mir das Interessante der Stadt und Umgegend zeigen sollte. Ich wollte den folgenden Tag wieder abreisen, da für die nächsten Tage nicht auf besseres Wetter zu hoffen war. Cuernavacca ist ein kleiner Ort von 3—40M Einwohnern, der von jeher bekannt wegen seiner wunderschonen Lage gewesen ist, und der noch iu der nenesten Zeit der Liebliugsaufeuthalt des Kaiserpaars war. „Euer-navacea sei die Perle Mexicos", ist ein authentischer Allsspruch der Kaiserin Charlotte, und die hohe Frau zog sich häufig hierher zurück, um sich von den schweren Lasten der Negieruugsgeschäfte, au denen ja die hochbegabte Tochter des Königs Leopold von Belgien den lebhafteste!, Antheil nahm, — zu erholen. Anch hier zeigten Maximilian sowohl als Charlotte jene Anspruchslosigkeit in der Wahl der Wohnung lind in den Bedürfnissen des Lebens, die ich schon in Mexico zn bewnndern die Gelegenheit gehabt hatte, und die namentlich einen bemerkeuswerthen Gegensatz zu dem Pracht liebenden Erzherzog Ferdinand Maximilian aus Mailaud nud Mira- — 254 — mare bildete. Ihnen war hier die Natur Alles; in ihr wollten sie leben und schwelgen und sie in ihren Geheimnissen belauschen uud bewuudern. Das t'ann man so recht au einem kleinen Häuschen erkennen, das der Kaiser in dem dicht benachbarten Agapalcingo hatte erbauen lassen, uud das ganz iu einem dichten Vananen-wald gelegen, uur vier Nämne hatte. Die Idee ist in der Ansführnng nntcrbrocheu worden. Andre wichtigere Begebenheiten störten die getrimmte Idylle nnd ,,^>, oa^a äsl Nnpßr^Iftr" ist, obgleich nie bemcht, hellte halb zerfallen und bietet ein trenes Abbild des Bandes, das so unentwickelt in seinen Kräften, sich in dein schlimmsten Zerschungsproceß befindet. Das mir zum Führer dienende Individuum hatte keine Ahnung von dem Vorhandensein des Hauses; es führte mich allenthalben herum uud schien nicht recht zu wissen, was ich sehen wollte, bis zuletzt ein alter Indianer uns ans die Epnr brachte. Man geht in Agapalcingo durch euge schattige Gäuge, wo üppig die herrlichsten Pflauzcu nmcheru. Prächtige Mangobäume beugen sich unter der Last der Früchte, währeud daneben die Bananen, Zapole und Mainey's im Uebermaß gedeihen. Erreicht man das Vndo jener traulichen Gänge, so zeigt sich einem die Stadt von einer nenen Seite, die gleichfalls im höchsten Grade malerisch ist. Das Stadthans erhebt sich mit seinen hochgewölbten Loggien auf einem steilen Puukte, über einer Baranka, (Felsschlucht), in der sich ein rauschender Fluß seinen Weg durch das mit Fclssteinen angefüllte Bett sucht. — 255 — Man überschreitet denselben auf einer alten steinernen Brücke, die in hohem Aogen darüber führt. In der Stadt wohnte der Kaiser in einem alten Kloster, in dein einige Nünme nothdürftig für ihn hergerichtet warm. Er hatte dieselben gewählt wegen eines daran stoßenden Gartens, der allerdings einen zauberhaften Reiz hat. Ich habe viele und schöne (Bärten in meinen: Leben gesehen, wohl anch die an: besten gehaltenen von Allen, ich kann mich aber nicht erinnern je einen so tiefen Eindruck davon cmpfnnden zu haben, als von diesem verwahrlosten Fleckchen Erde, wo das Unkraut in den Gängen wucherte, wo die Hecken seit Jahren nicht mehr geschnitten waren, wo Alles einen so nilendlich wehmüthigen Eindruck machte, den ich nur selbst nicht zu erkläre»: im Stande war. Dieser Garten ist von einen: im 17. Iahrhnndcrt in Mexico eingewanderten Franzosen angelegt worden, der im Lande unermeßliche Reichthümer erworben hatte. Er ließ ihn in dem Geschmack der damaligen Zeit bestellen, mit Treppen, Terrassen, Bassins, Statuen nnd namentlich mit langen Lanbengüngen der herrlichsten schönsten Rosen. Die Lage ist ebenfalls entzückend. Eine tiefe große Felsenschlncht trennt ihn von drüben sich erhebenden Hügeln, die ein üppigstes Grün schmückt nnd von einem hohen Altan übersieht man das Ganze. Von dem Gründer wird folgende Geschichte erzählt. Er war bei seinem großen Reichthum ein treuer Diener der Kirche und schenkte der Eathedralc von Mexico eine Monstranz — 256 — in dcul fabelhaften Werthe von 70,000 Peso. Nach einiger Zeit gingen die Geschäfte schlecht, er hatte Unglück und verlor sein ganzes Vermögen. Da wandte er sich an den Erzbischof mit der Vittc, ihm, der jetzt so arm sei, die Monstranz wieder zu geben, er wolle sie verkaufen, um sein Leben zu fristen. Man willfahrtete seinem Verlangen, er begann von Nenem zu arbeiten. Das ans so heiligem Gegenstände erlöste Geld brachte ihm Gluck, und cr wurde reicher, denn je. Nun schenkte er der Cctthedralc von Mexico abermals eine Monstranz zn 100,000 Peso. Wo dieselbe im Laufe der Heil geblieben ist, wird schwer zn erforschen sein. Wahrscheinlich wird sie an den Fingern irgend eines habgierigen Präsidenten kleben geblieben sein. Der Garten ist heute vernachlässigt, doch der eigenthümliche Zauber ist ihm geblieben. Die Zeit war mir günstig, denn die Noseu in diesen langen Gängen standen in herrlichster Blüthe. Es waren fast mehr Blumen als Blätter au deu Zweigen, die Alleen waren in die zarte gelbe Farbe ganz eingehüllt uud die süßesten Wohlgerüchc schwängerten die milde Abenolnft. Als nnn gar der Mond aufgiug und sein bleiche Licht durch die dichten Zweige sandte, als die Terrassen und Treppen mit ihren Statuen davon beleuchtet wurden, da kam mir das Gauze in der milden lanen Lnft wie ein Sommer-nachtütraum vor. Allcs schien sich zu beleben und sich des herrlichen Abends zu erfreuen. Doch es war keine laute Fröhlichkeit; die Stimmung schien bewegt nnd ernst - 257 — zu sein, und selbst der süße Gesang der Vögel paßte sich dem allgemeinen Gefühle an; sie sangen so weich nnd so klagend, daß es Einem zu Herzen ging. Erst als man den Garten schloß, eilte ich hinweg, und pflückte mir zum Andenken zwei schöne Rosen ab. Am andern Morgen nm 3 Uhr saß ich oben auf dem Bock der Diligencia. Ich hatte diesen Platz gewählt, weit es nicht regnete, weil die Gesellschaft im Innern noch weniger angenehm, als gestern war, und endlich, weil ich trotz der noch herrschenden Dunkelheit mit den Augen wenigstens die Nichtnng nach der Gegend verfolgen wollte, die mich gestern so entzückt hatte, und die mir so sympathisch geworden war. Wie ich schon erwähnte, war dieser Theil des Berges nnendlich steil nnd wir branchten lange Zeit, ihn zu erklimmen. Ich war darüber uicht unzufrieden, denn ich hoffte immer in der Dämmerung etwas von dem schönen Thal erspähen zu köuneu. Auf bcidcu Seiteu des Weges marschirten Truppen, eiue unheimlich ausseheude Gesellschaft. Mau mußte ihnen auch nicht traueu, denn blieb einer einmal zurück, so wnrde gleich uach ihm geschickt, als fürchtete man, er könnte sich gänzlich entfernen. Wir fuhren gerade über einen recht hohen Stein, so daß ich mich oben an mein Geländer anklammerte, um nicht herunter zu rutscheu, als es am Wagen einen derben Krach gab. Es war etwas daran zerbrochen, das aber mit dem stets mitgeführtm Werkzeuge in einer Stunde wieder ausgebessert war. Diese Zeit geuügte, um die Graf Vrug es, Äeiscslizzcn. 17 — 258 - allmähliche Dämmerung, den Kampf der Finsterniß mit dem Licht bewundern zu können. Es war ein schönes nenes Schauspiel, das ich vor Augen hatte nnd das mich mächtig anzog. Zuerst zeigten sich die schwarzen Spitzen der Berge nnd das ganze Thal wie ein Meer dahin gestreckt, lag noch im weißen Nebel, aus dem sich die Verg-spitzen als Inseln erhoben. Immer mehr siegt die Helle und die Nebel verschwinden. Glnthroth wurde der Himmel, die schneeigen Gipfel der Berge strahlten schon kurze Zeit vorher, als sich dann die goldene Kngel im Osten aus dem Gebirge erhob. Mit Huichilac nahm ich Abschied von dem schönen Bilde für's ganze Leben. Immer noch einmal wandte ich den Blick zurück, um mir alle Einzelheiten davon recht tief ins Gedächtniß einzuprägen. Der Weg war noch schlechter und weicher, als gestern. Einzelne Stellen mußten vor dem Passircn erst nothdürftig allsgebessert werden; so warf der Gehülfe des Kutschers die großen Löcher mit Stemm zu, oder nivellirte zu große Unebenheiten mit Baumstämmen. Die Ncise war tödtcnd langweilig nnd anstrengend. Nichts Neues begegnete uns, anch das Mittagsmahl wnrdc in derselben eleganten Weise wie gestern servirt. Mir fielen die Kreuze auf, um die herum Steinhaufen aufgeworfen sind und die man ziemlich häufig antrifft. Das find die Stellen, wo Menschen ermordet worden sind, nnd die Sitte erfordert es, daß jeder Vorübergehende einen Stein auf den Haufe,: wirft. Das ^ 259 — soll dem Unglücklichen, der ohne geistliche Stärkung den Weg ins Jenseits antrat, Nuhc und Frieden in die Seele bringen. Die große Anzahl dieser Zeugen von dem schrecklichen Verbrechen des Mordes liefert anch einen Beitrag zur Statistik des Landes. Als wir gegen Abend ill Mexico ankamen, war ich herzlich froh, am Ziele angelangt zu sein. Innerhalb 46 Stunden hatte ich 86 Stunden bei den schrecklichen Wegen im Wagen gesessen, vier Stunden geschlafen, nnd sechs Stnnden mit Umhergehen nnd Besichtigung von Cnernavacca zugebracht. Von den Stößen, die ich erhalten hatte, war mein Nucken blutrünstig gewordeil, nnd dies wird wohl mehr als alles Andre, dafür sprechen, was man zur Regenzeit von den Wegen zu erleiden hat. Den einen Ruhetag, den ich vor meiner Abreise nach Queretaro mir angesetzt hatte, brachte ich größten-theils im Bette zn, denn ich hatte das befühl als ob ich gerädert worden wäre. 17"° ächtes Eapitel. Reise nach Queretaro. — Steckenbleiben im Koth. — Tula. — Armuth und Mend des Volkes. — Sau Iuau del Rio. — Queretaro. — (serro de las Cmnpanas. — La Cruz. — Los Capuchinos. — Gefängniß des Kaisers Marimilian. — Rückkehr nach Vera-Cruz und Habana. — Reise nach New-Orleans. — Mississippi. Am <^. Juni trat ich mit eiucm leisen Schauer meine Reise wieder an. Ich hatte die Ueberraschung, daß, während ich noch im Bureau sprach, die Diligencia mit meinen Sachen weggefahren war. Schnell ließ ich bei meinem Herrn Vreuer zwei Pferde satteln, eins für mich, eins für den Mozo, und vorwärts ging es mm wie die wilde Jagd. Da bis zur ersten Station der Weg gut war, und die Diligeucia dann immer außerordentlich schnell fährt, so lag die, Vermuthung nahe, daß es schwer sein würde, sie bis dahin einzuholen. Nach den Cpuren konnte sie die große Straße noch nicht passirt sein. Zch äußerte dies gegen den Mozo, doch der, dem dieses fabelhafte Gejagc außerordentlich Spaß zu macheu schien, erwiederte, er wüßte es genau, denn er wäre selbst — 20l - Jahre lang bei der Diligencia angestellt gewesen, — daß . dieselbe schon einen weiten Vorsurnng hätte. Nachdem wir nun 2 Leguas nnser Nennen fortgesetzt hatten, nnd ich sowohl, als mein (^anl allmählich anfingen, gcnng davon zu haben, fragte ich Leute, die mir entgegen kamen, oder die an dem Wege Häuser hatten, ob sie denn die Diligcncia schon hätten vorbeifahren sehen. Dies wnrde entschieden und bestimmt in Abrede gestellt. Wir mnßten sogar noch eine halbe Stunde auf sie warten. Schon von weitem sah ich sie ankommen, bemerkte aber auch zu meinem Entsetzen, daß im Innern wieder nenn Personen saßen und oben auf dem Bock fünf. Die Strecke von Mexico nach Qneretaro beträgt 35 deutsche Meilen oder 70 Leguas. Davon werden den ersten Tag 30 Legnas znrückgclegt und dann in Tula genächtigt, nnd den zweiten Tag der Nest. Das Wetter war schön und klar, die Wege befanden sich aber noch durch den vorhergehenden Ncgen in trostlosem Zustande. Die Reisegesellschaft bildeten eine sehr dicke Dame, die nach zweitägigem Stoßen uud Nnttelu sichtlich magrer wnrde nebst ihrem Manne, zwei Seüoritas (Fränleins), die aber des Lebens Mai schon weit hinter sich hatten, drei Männer, aus denen ich nicht klug werden konnte; jedenfalls hatten sie recht gemeine Manieren, nnd znletzt ein Abgeordneter Don Enriqnc Nubbio. Letzterer war ein liebenswürdiger und netter Mann, wenn man von seinen politischen Znconseqncnzcn absah. Wir waren ohne den Kutscher und seinen Gehülfen 10 kräftige Männer - 202 — mit 15 Feuerwaffen versehen, wovon 10 Revolver nnd fünf gezogene Carabiner. Ich war der Einzige, der ohne Schußwaffe war; mir wurde aber sofort ein Earabincr und ein Neuolver zn etwaigem Gebrauch von EcNor Nubbio überreicht, der allein mit seinem Diener l) En-field-Earabiner nnd 2 ^cevoluer zn diesem Arsenal gestellt hatte. Die Parole wurde ausgegeben: ^uLrrs ^ outrauos, und ich konnte innerlich den Wunsch nicht unterdrücken, daß wir ein kleines Abenteuer oder Scharmützel zu bestehen haben möchten. Die Gegend, durch die'wir zuerst reisten, war schön nnd fruchtbar. Rechts dehnten sich in großer Entfernung die Llanos de Apam aus, während lints Hacienda an Haeicnda an uns vorüberzog, jede einzelne mit großem Aufwand an Maner-werk errichtet und mit langen Alleen geziert, die zur Hauptstraße führtt'u. Die erste Station war Santa Maria, eiu größrer Ort, der aber kein Pflaster hatte, und wo wir innerhalb der Straßen beinahe im Kothe versanken. Hoffentlich wird dem so sorgsamen Alkalden später ein Denkmal für seine hohen Beweise administrativer Fürsorge gesetzt. Ein längerer Aufenthall, um das Mittagsmahl einzunehmen, wurde iil Euantlitlau gemacht. Schaarcn von Bettler,l umgaben uns sofort, die ihre theilweisen Orbrcchrn in wenig angenehmer Weise zur Schau trngcn. Sie setzen ihre Bitten um ein Almosen in merkwürdig conseqnenter Weise fort, die mich um so mehr verwunderte, als verhültnißmäßig sehr selten Jemand Etwas — 263 - giebt. Von den höchsten Tönen bis zum tiefsten Baß geht ihre Skala des Flehens, die in der Negel mit niiw, ^'chmeichclnderNamc für junge Männer, eigentlich Knabe,) angefangen wird, nnd auf die dann „uo lia^", sun-geführ „es giebt Nichts") geantwortet wird. Als ein Zeichen der geringen Civilisation sehe ich die vielen Schaden an, die das Volk in Folge gewaltsamer Ereignisse an seinem Körper hat. Entweder müssen sie sich bei Beschädigungen nicht an die Aerzte wenden, oder diese verstehn nichts von ihrer Kunst, denn anders taun ich mir diese Schaaren von Einäugigen, von Renten, denen das Nasenbein eingeschlagen ist, oder andre, die durch Beinbrüche gänzlich verkrüppelt sind, nicht erklären, Eine sehr häufig wiederkehrende Erscheinnng sind Menschen, denen die Beine im Stadium der Entwickelung vollständig zurückgeblieben sind, so daß diese dann nicht die Kräfte haben, den Besitzer davon zu tragen und ganz klein geblieben sind. Solche unglücklichen Individuen rutschen dann mit Hülfe des Gesäßes nnd der beiden Hände anf dem Boden vorwärts. Sicht man so vieles Elend, so kommt man sich zeitweise recht undankbar gegen den Schöpfer vor, wenn man über hundertfach geringere Uebel klagt nnd sich beschwert. Als einen Zug besondrer Nohheit, den ich allerdings, Gott sei Dank, nicht häufig sah, muß ich noch erwähnen, daß manchmal die Gesunden solche armen Wesen noch neckten und verhöhnten, nnd ich wußte dann nicht, welches Gefühl in meinem Innern das vorherrschende war, die - 264 - Empörung über solche Lästerer, oder das Mitleid mit den Opfern. Von Cnautlitlan ab bekommt die Gegend einen ganz, anderen Anstrich. Man wird sehr bald gewahr, daß man aus dem cultivirtestcn nnd bevölkertsten Theile der Republik herans ist, nnd daß nicht nmsonst Mexico ein überans schwach bevölkertes Land genannt wird. Meilenweite Strecken legt man zurück, ohne nnr eine Spur von menschlicher Vehansung zu entdecken. Das Land ist weit und breit unbebaut nnd mit Steinen besäet. Nur in einem Punkte bleibt sich Mexico getreu, das sind die allenthalben aus der Erde sich erhebenden Berge vulkanischen Ursprungs Die Reise wurde ab und zu uuter-brochcn durch Unglücksfälle, wie ich sie auf der Reise nach Cuernauacca gesehen hatte, d. h. große Waaren-transportc, die im Kothe stecken geblieben waren. Bis Nachmittag 3 Uhr konnten wir stets anf solchen Schiffbrnch stolz herabblicken, da mit einem Male erging es uns ebenso. Der Hauptnachtheil des durch die hiesigen Regengüsse erweichten Erdbodens ist der, daß ein Haltcnblciben anf einer Stelle sofort ein sehr schnelles Einsinken zur Folge hat. Wir kletterten Alle aus dem Nagen und überzeugten uns, daß die schwere Diligeucia so schnell einsank, daß die Axen nicht mehr zu sehen waren, während die viel leichteren Manlthiere von der Decke des Kothes getragen wurden. Alle möglichen Arten des Anspanncns wnrden versucht. Alles prügelte auf die Maulthiere und warf sie mit Steinen; die Thiere - 265 - zogen nach Kräften an, aber der Wagen rückte und rührte sich nicht von der Stelle. Ein und eine halbe Stunde waren auf diese Weise schon vergangen, als der letzte Versuch angestellt wurde. Vermittelst Spaten wnrde jeder Zoll nach vorwärts an den Rädern erst ansgegraben. Dies half und mit allgemeinem Jubel sahen wir die Diligeneia ans einen: festen steinigen Untergrnnd stehen. Es war übrigens die höchste Zeit wieder einzn-steigen, denn am Himmel hatten sich Wolken anfgethürmt, so schwarz und so dick, daß es beinahe ganz dunkel wurde. Gleich darauf brach ein Unwetter los, von dessen Stärke man sich gar keinen Begriff machen kann. In Zeit von wenigen Minutcu waren Berge nnd Felder schneeweiß von Hagelkörnern, die in der Größe von Tanbeneicrn herunterrasselten, l^s mnßte gehalten werden, denn die Maulthiere wurden mild, und der Kutscher und die Passagiere oben konnten es vor Schmerzen und vor Benlen kaum mehr aushalten. Dabei regnete es in wahren Bächen. Gleich Seen stand Alles nntcr Wasser und von den Bergen stürzten sich kleine Ströme herab. Zwei arme Reiter, wahrscheinlich Hirten, auf Manlcseln reitend waren auch gleich uus von dein Unwetter überfallen, und an ihnen sah ich wieder ein Beispiel, wie das Volk hier abgehärtet ist. Der Hagel schlug nut vollster Gewalt an ihre nackten Beine oder in ihre Gesichter; sie setzten aber ganz gemüthlich ihren Marsch fort nnd erst als ihre Thiere nicht mehr vorwärts zu bringen waren, verkrochen sie sich hinter unsern Wagen. - 266 - Die Kälte während dieser ganzen Ncise war übrigens recht empfindlich trotz des Monats Juni in der heißen Zone, nnd ich wurde nicht warm, obgleich ich einen Wiutcrnberzieher trug. Abends nm neun Uhr langten wir in Tula an, und stiegen im Gasthause ab. Die Raume waren so uugemüthlich wie nur möglich, die Bettwäsche feucht und die ^uft in dem Zimmer dnmpf. Wir nahmen noch ein gutes Nachtmahl ein, und zogeu uns dann zurück. Am andern Morgen erhoben wir uns um drei Uhv, klappernd vor Kälte, und um uier Uhr setzte sich unser Marterkastcn in rasselnde Bewegung. EZ war Sonntag, und wo wir hinkamen, schickte sich das Volk an, in die Kirche zu gehen. Die Gegeud war trostlos uud die Armuth der Bewohner jeder Beschreibung spottend. In dcu elendesten Hütten krochen diese armen Geschöpfe umher, erust und traurig in ihren Mienen. Für sie gab es ja nicht die Freuden und Lustbarkeiten der Welt; sie schienen nur geboren zn sein, die trüben Seiteu des Lebens, das Elend und die Noth kennen zu lernen. Und trotz dieser Misöre herrscht stets die, Höflichkeit in den Formen, die den Mexicauer kennzeichnet. Ein Bild des Jammers machte namentlich einen tiefen Eindruck auf mich; auf irgend einer Station kroch ein solches unglückliches Wesen mit verkrüppelten Beinen, das außerdem noch das große Unglück hatte, blind zu sein, au uuseren Wagen herau, uud sang mit wohlklingender Stimme, die Begleitnng auf der Guitarre - 267 - spielend von üm-66, n,m«i- und jn-iin^vsi-a,, also von Blumen, Liebe nitd Frühling. Der Contrast in dem Ganzen war ein so schneidender, der Gesang so weich nnd melancholisch, daß namentlich nach einein Vers über la^i-i-IUK8, Thränen, jede Fiber meines Herzens erbebte. Armes Geschöpf, hast du wirklich eine Nhuung von Poesie des Lebens? Kannst dn, des Lichtes beranbt, einen leisen Auklang empfinden, was Liebe, Vlnmen nnd Frühling sind? Ist der sympathische Klang deiner Stimme Zufall? Oder begreifst dn ganz dein namenloses Unglück nnd erzitterst deshalb, wenn dn von Thränen fingst? Selten hat mich eine Mnsit so ergriffen, wie diese Paar Tönein einem elenden Neste Mexico's; sie stimmte mich tranrig auf längere Zeit. Das ist aber die große Macht und Kunst der Mnsik, das menschliche Herz weich zn stimmen. Und mag die erste Primadonna der Welt noch so kunstvoll trillern, wenn sie das nicht vermag, bleibt ihre Kunst eben nnr mechanisches Spiel. In einer weitausgedehnten grünen (Ocne, anf der die ganze deutsche ssavnllerie mit Bequemlichkeit hätte, excrciren können, ohne sich dabei gegenseitig zu stören, lag eiue große Haeienda, in der wir das Mittagsmahl senn'rt fanden. Immer dieselben Gerichte! daß die Leute so gar keine Abwechselnng darin bieten. Der Weg war dicht mit großen Steinen besäet und beim langen Berg-abfahreu wurde scharf der Hemmschnh angelegt; das zusammen gab ein Gcrünsch, daß mir der kalte Schweiß auf die Stiru trat, und ich mich wie im Fieber befand. — 268 - Manchmal dauerte diese Marter eine halbe Stunde anf einmal. Nie wieder nach Mexico zu reisen, das stand unwiderruflich in mir fest, und meiue Sehnsucht, möglichst bald das Land zn verlassen, steigerte sich ordentlich krankhaft in mir. Es war schon dunkel, als wir in San Juan del Rio, einer Stadt, 10 Legnas noch von Queretaro entfernt, ankamen. Es entstand mm eine sehr lebhafte Debatte, ob wir die Reise noch weiter fortsetzen, oder hier bleiben sollten. Die noch zurückzulegende Strecke ist eine der berüchtigtsten in ganz Mexico wegen der vielen Pla-giarios. Enrique Nubbio und ich stimmten auf das Energischste für eine Weiterreise, da man erstens hier sehr schlecht unterzukommen die Aussicht hatte, und ferner doch auch endlich eiumal ans Ziel zn gelangen wünschte. Da sehr häufig ein Einverstäudniß der Nänbcr mit den Bewohnern der nächsten Ortschaften herrscht, so zeigten wir beim Verlassen der Stadt die vielen Feuerwaffen, indem wir die Laufe zum Fenster heraussteckteu und selbst den Damen wnroen zu diesem Behnf Gewehre in die Hand gedrückt. Die Stimmung war im Allgemeinen eine sehr ernste und erwartungsvolle. Die beklommenen Gesichter machten mich innerlich eigentlich schrecklich lachen. Die dicke Senora mir gegenüber betete ein Vaterunser über das andre, und schlug so heftig Kreuze, daß ich dabei einen Schlag ins Auge bekam. Die Nacht war stockfinster und die Fackel auf dem Bock ließ in ihrem schwankenden Lichte lauter eingebildete - 269 - Gestalten am Saume des Weges sehen. Athemlos saß alles da, als mit einem Male von oben drei Reiter signalisirt wnrden. Heimlich lachte ich aus Leibeskräften, legte an nnd sagte: „.!« 1o nmwr<3", (ich werde ihn tödtell). Bei näherer Besichtigung ergab es sich, daß es ganz harmlose Leute waren, die wahrscheinlich eben solche Angst vor nns, als einige von nns vor ihnen hatten, denn sie zogen ihren Hut beinahe bis znr Erde ab. In der Mitte des Weges wnrde die Bespanmmg gewechselt; die Scüora, mein vis ü, vi«, war so schwach geworden, wahrscheinlich von der ewigen Anstrengung des Kreuz-schlagens, daß sie zuerst Chokolade für sich, und liebenswürdiger Weise auch für uns kochte. Die letzte Strecke wurde ohne irgeud welches Abenteuer zurückgelegt. Es war zwei Uhr des Morgens, als wir in die Thore von Queretaro hineinfuhren. Hoch über uns konnte ich beim Schein der Fackel den wirklich gigantenhaften Aqnaduct sehen, der die Stadt mit Wasser versieht. Sei es die finstre Nacht, oder die trüben historischen Erinnerungen, oder war die vollständige Erschöpfung der Kräfte daran Schuld, mir Alles in düstrer garbling erscheinen zu lassen, mir kam das Innere der Stadt so trostlos öde und kirchhofartig vor, daß ich einen ordentlichen Schauder cmpfaud. Ein großer Gasthof nahm uns Alle auf, und ich brauchte noch den letzten Aufwand meiner Kräfte dazn, mir wenigstens ein Zimmer für mich alkin zn erwirken. Gar oft ist man in Mexico gc-zwnngcn, dasselbe mit fremden Lenten zu theilen, was — 270 — gerade bei dieser Veuölkeruug sehr viel Unangenehmes mit sich bringt. Recht erschöpft niid unwohl erwachte ich am anderen Morgen. Doch der Ruhe zu pflegen, war keine Zeit vorhanden, da ich mn meinen Plänen für die nächste Zeit nicht in Unordnnng gerathen wollte. Ich war von Herrn Bennecke an einen Seuor Trinidad de Rivera empfohlen worden, zn dem ich mich anch bald begab nnd in ihm einen kleinen dicken Herrn kennen lernte, der sehr gefüllig nnd freundlich für mich, war nnd sich ganz zu meiner Disposition stellte. Da man in Mexico nnr mit dem allernothwendigstcn Gelde versehen, eine Reise nnter-nimmt, und stets Anweisungen für die betreffenden Plätze, wo man hinkommt bei sich führt, so bat ich ihn zuerst um Geld, und dann um seine Hülfe, alle die Punkte zu sehen, die während der Belagerung nnd in der Zeit der Gefangenschaft des Kaisers eine Rolle gespielt hätten. Seiior Trinidad de Rivera versprnch mir, vcrsönlich Cicerone sein, nnd mich zn einer Rnndfahrt um 2 Uhr Nachmittags abholen zu wollen. Früher hatte ich gcglanbt, daß Beweise des Interesses und der Symvathieen für den dahingeschlachtcten Kaiser mißfällig bemerkt werden würden, doch ich wurde hier schnell von dem Gegentheil überzeugt. Wenn man darüber sprach, zeigte sich ganz offen die größte Anhänglichkeit nnd Hochachtung für den Kaiser, nnd namentlich sind es die Damen, die sein Andenken verehren und heilig halten. Dieser Sachuerhalt ist auch ziemlich er- - 271 — klärlich dadurch, daß Maximilian vou einer hinreißenden persönlichen Liebenswürdigkeit gewesen sein soll, nnd daß auf diesen: beschränkten Platzes während der scchswöchcnt-lichen Belagerung wohl Jeder mehr oder weniger mit ihm in Berührung kam. Ferner erregte seine Tapferkeit in all den Gefechten, wo er stets sich fast am meisten den Gefahren aussetzte, so daß Viele darin ein Auf-snchen des Todes erkennen wollten, — die ungetheilteste Bewunderung. Rechts und links von ihm sollen die Personen seiner Umgebung getödtct worden sein, doch ihm hatte das Schicksal eine gransamere Todesart aufbewahrt. Nicht die Kugel iu der Schlacht, soudcrn der Tod durch Mörder sollte ihm zu Theil werden. Es war allerdings dadurch dem Kaiser Gelegenheit gegeben, seine ganze Seelengröße zu zeigen, um in der Geschichte mit der unvergänglichen Krone des Märtyrers geschmückt zu werden. Da es noch lange Zeit bis zum Zusammentreffen mit Herrn Nivera dauerte und iu der Stadt selbst recht wenig zu sehen war, so ging ich hinaus auf den <> Schritt vor den angespannten Thieren herlaufen nnd nicht einen Angenblick das Tempo, das der Kutscher oben angiebt, verändern. Als ich in ssortin, der Nnfangsstatiou der Eisenbahn, aus meinem fahrenden Gefängnisse herausklettcrte, da hätte ich aufjubeln mögeil vor Freuden. Doch zu läugrrenr (^euusse kommt uiail nicht recht in Merieo, denn die überall, so auch hier herrschende namenlose Unordnung gibt dem Reisenden leine ruhige Secunde. Entweder ist das Gepäck nicht da oder es fehlt an etwas Anderem, oder die Bemmen geben nicht die genügende Auskunft auf das Befragen; kurz es ist keine ungetrübte Freude, in diesem schönen Lande zu reise». Alle meine großartigen Pläne, mehr vom Znnern zu sehen, hatte ich schon wegen der noch immer herrschenden Anarchie opfern müssen, und nur zu sehr konnte ich zufriedeu sein, daß mir bei meinen Kreuz- und Qner-zügen die Bekanntschaft mit den Plagiarios erspart worden war. Namentlich Oajaca und Mcatau nicht besucht zu habeu, bedauerte ich von ganzem Herzen. Ersteres soll landschaftlich unendliche Reize haben, wahrend das Mcatan noch großartige indianische Tempel- und Palastruinen bergen soll, stumme Zeugen hervorragender Cultur — 293 — zu einer Zeit, wo man in unserm alten Erdtheil noch keine Ahnunss von dein Vorhandensein des (^oldlandcs Amerika hatte. Mein erster Plan war gewesen, Mexico bis znr Küste des stillen Oceans zn durchreisen, und unch in eillenl der Seehäfen von Manzanillo oder Acapillco nach Kalifornien einzuschiffen. Nnf diese Weise hätte ich dann jenes so interessante Land bereisen tonnen, das zn sehen dnreh die spätern Verhältnisse nur nicht möglich wurde. Alles mußte unterbleiben, weil die Unsicherheit der Wege die Neise nicht zuließ. Uud welcher Ruhm liegt auch darin, zn versuchen, es durchzusetzen? Um nachher in die Hände solcher Hyänen zn fallen, die durch Foltern die Freilassungssumme zn erhöhen suchen? Absichtlich eine unwürdige Behandlung aufzusuchen, gereicht uicht zum Ruhme. Recht leidend traf ich am !4. Juni Abends in Vera-Cruz ein, aber die ebeuso vorzügliche äls liebenswürdige Behandlung des Herrn Dr. Heinemanu stellte mich in Zeit von fünf Tagen wieder her, so daß ich am 1^. Juni den französischen Dampfer „Nmweau Moude" zu meiner Reise uach Habaua bcuutzen konnte. Allerdings konnte ich meinen Plan in Mcdcllin, jenem so reizenden und beliebten Badeorte, der mich gleich nach meiner Aukuuft in Mexico so entzückt hatte, nnd wo das schöne Fest zn Ehren der Gazelle gefeiert worden, — cm paar angenehme Tage zu verlebeu, nicht zur Ausführung bringen. In Vera-Crnz begann schon die — 294 — Fiebersaison und uiaii mußte also sehr vorsichtig sein. Einige Fälle dieser schrecklichen Pest warm schon con-statirt worden. Bei meinem Besnch beim Doctor Heinemann fand ich wieder dessen Menagerie vor. Der Alligator war ziemlich gewachsen, uud um sich nicht Freiheiten gegen die Fußspitzen der Anwesenden zu erlauben, war ihm der lauge Nachen mit eiuem Bindfaden zugebunden. Da ich nicht sehr der Festigkeit desselben traute, weilten meinc Augen häufig mit eiuiger Besorgniß am Boden. Meine Befürchtung ohne Bekannte an Bord eines französischen Schiffes weilen zu müssen, wo man die Stimmung der Mannschaft mir, eitlem Preußen gegenüber, nicht recht im Voraus beurtheilen konnte, wurde auf sehr angenehme Weise beseitigt. Aus Mexico kamen am Abend vor der Abreise Vckauute vou mir, um gleich mir sich auf dem „Nouveau Monde" einzuschiffen. Es war dies der uordamerikauische General Palmer mit seiner hübschen uud liebenswürdigeu Frau, Miß Kingslcy, eine Engländerin, ferner der General-Eonsul Nord-Amerikas iu Mexico, Mr. Stilton, und der Governor vom Staate Colorado. General Palmer war vom stillen Ocean nach der Hauptstadt gegangen, uud hatte mehrere Neucoutres mit den Vrigauteu gehabt, von deneu er persöulich zwei erschossen hatte. Diesen so glücklichen Ansgang verdankte er erstens recht guten Waffen und ferner eiucr zahlreichen Reisegesellschaft. Meine Neise von Vera-Cruz nach New-Orleans .- 295 - nmrde dadurch recht erschwert und in die Länge gezogen, daß ich über Habana gehen mußte, weil eine directe Verbindung jener beiden Häfen nicht existirte. Man ist also genöthigt, nicht allein einen doppelt so großen Weg zurückzulegen, sondern mit dein Aufcuthalt in Habana, der mit Erwarten des passenden Dampfers hingeht, brancht man vierzehn Tage für eine Strecke, die man mit einem mäßigen Dampfer in uicr Tagen fahren könnte. Nm Nachmittage des 18. Juni begab ich mich, von Doctor Heincmann begleitet, an Bord, nm Merico für immer zu verlassen. Bald darauf wurde der Auker heraufgczogeu uud der große Coloß von 4090 Tons setzte sich in Vcweguug. Soweit mein Auge noch Land erkennen konnte, schaute ich nach der blauen Küste des sageureicheu schöueu Landes. Allmählich entschwand auch bie Iusel Sau Juan dc Ulloa, jeues berüchtigte Staatsgefängniß, dem Niemand wegen der furchtbar uugesuudeu Luft lange widerstehen kann, und in welchen auch Prinz Salm gefangen war — meinen Blicken. Der „NouvcauMoude" war eiu großer Naddampfer, also von einer veralteten Bauart. Er war recht gut eingerichtet und hatte sehr ruhige Bewegungen. Mein Verhältniß zu den französischen Schiffsofsizicreu war selbstverständlich ein sehr kühles, doch schienen fie Leute Von guter Erziehung zu sein, und somit siel auch jede unangenehme Berührung fort. Im Uebrigen hatte ich ja auch die amerikauische Gesellschaft zu meinem Um- — 296 ^ gange und konnte deshalb jene entbehren. Die Hitze Ende Juni im Golf von Mexico war ganz entsetzlich, und von Schlafen unten in den Cabinen konnte gar leine Nede sein. Man verbrachte die Nächte oben anf dem Deck, wo man sich verzweiflungsvoll von einer Bank zur andercu begab, bis zuletzt kein Plätzchen sich vorfand, auf dein man nicht einen Versuch zu schlafen gemacht hätte. Dadurch wurde die Zeit unendlich lang und wir waren herzlich froh, am Nachmittag des dritten Tages Cuba zn sehen und am Morgen des vierten in den Hafen von Habana einznlanfcn. Doch das war nicht mehr das alte heitere Habana vom Avril her mit dem regen Leben und Treiben. Es waren am Hafen allerdings noch viel Arbeiter und viele Geschäfte, doch die Straßen und öffentlichen Plätze waren leer; ein heißer wüstenartiger Wind jagte darüber und ließ dichten und undurchdringlichen Staub aufwirbeln. Der Himmel erschien in der schwebenden Hitze in graublauer Farbe und die Lüfte waren angefüllt mit schädlichen Miasmen. Alles was die Stadt jetzt meiden konnte war weit fortgcflohen, entweder auf das Land, an die Küste oder nach dein nahe gelegenen Eerro oder Mariano. Wer von den Enroväern es der Geschäfte wegen ermöglichen kounte, war nach Europa gereist. Diese Jahreszeit ist auf Cuba verrufeu wegen des herrschenden gelben Fiebers, das zahlreiche Opfer jährlich verlangt. Am Sonntage fuhr ich auf den Paseo. Es waren hier noch viele Wagen, aber alte Droschken nahmen die — 297 — - Stelle der ninlerischen Volantcn ein, uild alle diese reizenden Erscheinungen, die mich damals so blendeten, sie fehlten jetzt und wareil weit fort auf dein Lande, oder hatten sich der dnntelblanen schäumenden See anvertraut. Es war so heiß, daß ich mich nnr des Morgens ganz früh oder des Abends nach Sonnenuntergang herauswagte. Ich aß uiel Gefrorenes um nicht zn schinelzen, und verschwendete fast ein Vermögen an Fächern. Endlich nach Zeit von vier Tagen sollte die Stunde der Erlöfuug schlagen und ich schiffte mich anf der „Ha-bana" nach New-Orleans ein. Es war diese ein Amerikanisches Steamboot, und wie dies in der Vezeichnnng liegt, ein Dampfer, der eigentlich, vermöge seiner hohen ctagenförmigen Banart nnr zum Dienst anf Flüßen oder längs der Küste benutzt wird. Die ohne Etagen gebauten Dampfer, die wegen ihrer solideren Construction auf dem Meere verwendet werden, heißen Steamer. Die ganze Einrichtung flößte mir kein übermäßiges Vertrauen ein, doch in dieser Jahreszeit kann mail in dem sonst recht stürmischen Golf von Mexico wohl anf gutes Netter rechnen. Zu meiner großen Freude reisten meine Amerikanischen Freunde auch wieder mit^ was mir um so angenehmer war, als die übrige Reisegesellschaft nicht gerade sehr einladend anssah. Um 6 Uhr Abends wurden die Anker gelichtet und kaum waren wir aus dem Hafen, als ein heftiges Gewitter begann. Das Meer war sehr anfgcrcgt und die Schwan- - - 398 - kungen des Schisses wegen der bedeutenden Höhe desselben so unangenehm, daß wir fast Alle von tüchtiger Seekrankheit befallen wnrdcn. Drei Stunden waren wir ungefähr in See, als der Barometer so auffallend fiel, daß man einen heftigen Wirbelwind erwartete, der Schiffe solcher Construction, einmal erfaßt, sofort umwirft. Der Cavitain that also das einzige Vernünftige in dieser Lage, was überhaupt zu thuu war, und kehrte sofort nach dem Hafen von Habaua zurück, wo wir um 1 Uhr in der Nacht wieder eintrafen und deu Hafen von Neuem um 4 Uhr Morgens verließen, nachdem das Unwetter fich gelegt hatte. Diefe ganze Angelegenheit ließ mich mit einem Schlage erkennen, daß ich mich in Nord-Nmerika, — die Nationalität des Schiffes ist bestimmend für das ^and, — befand, wo man mit einem Leichtsinn sonder Gleichen Menschenleben anf das Spiel setzt, weuu nur für die Actiouaire möglichst hohe Zinsen bei dem Geschäfte heraus-kommen. Man läßt Schiffe Neisen auf dem Meere unternehmen, die entschieden nicht seetüchtig sind. Wären wir z. B. schon sechs Stunden weiter in unserem Course gewesen, so hätte mau einen Hafen uicht mehr erreichen können, und die Möglichkeit wäre stark vorhanden gewesen, daß die gauze „Havana" mit Mann und Maus uuter-gegaugcu wäre. Die so berühmte amerilauische Freiheit besteht eben auch darin, Niemanden daran zu verhindern, Menschenleben anf das Spiel zu setzen, wenn der andere so leichtsinnig ist, nicht an sein eignes Heil zn denken. — 299 - Allerdings, der Schein ist gewahrt worden. In den Vereinigten Staaten prüft ebenso wie bei uns eine Commission die Seetüchtigkeit der Schiffe nnd anf der „Havana" bewiesen die vielen aufgehängten (sertifitatc eine solche stattgehabte Thätigkeit. Wie es aber in der That damit beschaffen war, dauon legt eben meine (beschichte ein Bei-spiel ab. Außerdem befanden sich nnr zwei Rettungsboote an Bord, die jedes vielleicht 15 Menschen aufzu-nehmen im Stande waren, während wir mit Bemannung eine Zahl von ca. 100—120 Menschen bildeten. Die ganze Bedienung nnd Aufwartung ließ mir in ihrer Nonchalance schnell klar werden, daß man es mit „freien" Amerikanern zu thnn hatte. Ach, gar bald sollte ich noch andere Erfahrungen darin machen! Das n>ar Alles hier nur das Vorspiel. Am Mittage des folgenden Tages kamen wir nach Key-West, einer ganz kleinen Insel an der Südspitze der Halbinsel Florida. Wir hielten hier 5—6 Stunden, und ich benutzte diese Zeit, trotz der schrecklichen Hitze, einen Spaziergang dnrch das ganze Eiland zu machen, anf dem sehr viel Neger leben. Die Insel bildet eine wichtige Station für den Handel voll Florida und hat eine überaus reiche Palmen-Vegetation. Fast in jedem Hause war ein Bar-room, d. h. ein Schenktisch, an dem man im Stehen Spiritnosen trinkt nnd die man im ganzen Süden der Vereinigten Staaten in unendlicher Anzahl antrifft. Ob diese Bar-room's die Ursache des übermäßigen Branntweiutrinkens sind, oder ob sie nur - 300 - deshalb da sind, weil so viel getrunken wird, und durch ihr Vorhandensein einen: allgemeinen Bedürfnisse abgeholfen wird, das ist eine ,^rage, die häufig aufgeworfen noch nicht gelöst ist, die übrigens au dem Ganzen nicht viel ändert. Unser Dampfer, der hauptsächlich znm Transport von Waaren diente, brauchte recht lange Zeit zu dieser Misc. Während die Bremer und Hamburger Schiffe in drei Tagen von New-Orleans nach Habana gehen, ohne irgendwo anznlegen, und in directer Richtung, branchten wir, allerdings mit mehrfachen! Anlegen uud eiuigcn Zwischenfällen sechs volle Tage dazu, die ich nicht zu den heitersten meiner Neise zählen kann. Am dritten Tage ankerten wir vor Cedar-Keys an der Südküste von Nord-Amerika, uud hier verließen mich leider meine Nord-Amerikaner. Die Eisenbahn ist hier bis dicht an den Landungsplatz der Dampfschiffe gebant worden, sodaß die Schienen nngefnhr eine Englische Meile auf einer langen Neihe von eingerammten Pfählen gelegt worden sind. Der ganze Van ist völlig dnrchsichtig und macht einen eigenthümlichen Eindruck, ^m Einrichten von kühnen Schienenwegen sind die Amerikaner Meister und stehen unerreicht da. ^lir ihren praktischen Sinn giebt es keine Schwierigkeiten, und sind welche vorhandelt, so werden sie mit einer Leichtigkeit nberwnnden, die staunenswert!) ist. Am Landungsplätze stauden viele Negerinnen, um sich die Passagiere anzusehen und es war höchst komisch, — ^.01 — wie sic in ihrer gränzenlosen Eitelkeit sich aufgeputzt hatten. An dem wolligen Haar nurd ein :)liesenchignon befestigt und anf dem häßlichen dickn Kopf mit den thierischen ^ngen thront ein zartes Tnll Hütchen mit Bln-un'n nnd Federn, ^ch konnte sie nie ansehen, ohne dabei an die Scenen im Affentheater ^i denken, luo man ebenfalls diese Thierchen anfgepntzt nnd bekleidet sieht, nnd wo das Gan^e anch nie orden,lich sitzen will, weil bei icder hi'ftil^'N Bewegnn^ die Toilette in Unordnnng ge-rüth. Dabei haben die Negerinnen ein wahres Talent sich stets Kostüme anzuschaffen, durch die ein solcher urkomischer ^'ffeet entsteht. Man hat ihnen wol)! die Freiheit Mebeii, n,id sie fnhlen sich in hohem Acnaße als Ladies, unr fehlt ihnen noch die weiße Farbe, nnd diese nicht erlangen zu können, das können sie nicht verschmerzen. In die langweiligen übende wnrde etwas Abwechslung gebracht dnrch außerordentlich heftige Gewitter, die aber, da sie stets in einiger l^ntfernnng uon uns waren, das Meer rnhig ließen. Diese häufigen nnd starten «Zwitter haben ihren Ursprnng in der so bedeutenden O'leetrieität ^'r Vnft in diesen heißen Gegenden. >vast nie sah ich fo la,igdallernde nnd so helle Blitze. Namentlich wenn l's schon spät war, konnte man anf weile Entfernungen das Meer hcll wie am 5age belenchtet sehen. Wir halten nns vielleicht eine halbe Stnnde von Eedar-Kcys entfernt, nnd befanden uns noch nahe der Küste, als wir mit unserem Dampfer anf Grnnd fnhren, und fest saßen. Allcö Arbeiten der Maschine änderte — 302 — daran nichts, und wir mußten anch diese Verzögerung, mit der ersten, der Rückkehr in den Hafen von Habana mit in Kauf nehmen. Acht Stunden rührten wir uns nicht vom Fleck und füllten wir diese ^eit mit Angeln aus, welche Beschäftigung uns wenigstens zn einem Gericht guter Fische verhalf. Gegen Abend t'am die Fluch, wir wurden wieder flott, und steuerten iu westlicher Richtung weiter. Am Morgen des sechsten Tages kamen wir an die Mississippimündungen. Schon viele Meilen vorher verliert das Meer seine schöne blaue Farbe und bekommt das häßliche gelbe Colorit, das dem Fluße auf seinem ganzen Laufe eigen ist. Der Mississippi hat drei Mündungen, die ein großes Delta bilden. Wir fuhren in die mittclste ein. Tausende van großen, vier bis sechs Fuß langen, schwarzen Schweinsischen zeigten sich und sprangen mit ihrem glänzenden Körper in die Luft. Die Einfahrt in den Fluß ist über alle Begriffe unschön. Drei bis vier englische Meilen ficht man zuerst weiter Nichts, als verkrüppelte Baumstämme, die aus dem Wasser hervorragen und vereinzeltes hohes Schilf. Dazwischen erhebt sich hier und da ein auf Schifffahrt bezügliches Signal. Sieht mau sich jene Mississippi-müuduugcn auf der Karte au, so nimmt sich dies wunderbar genug aus. Auf der ersten ziemlich laugeu Strecke faßt ein ganz schmaler Streifen Land die Ströme ein, und trennt sie dadurch vom Meere. Das crste Land, das mau dann antrifft, besteht - 303 — aus großen Niederungen, die vollständig unfrnchtbar sind und ein sehr verderbliches Clima haben. Das einzige lebende Wcscn, das hicr in schr großer Anzahl haust, ist der gefräßige Alligator, der in früherer Zeit mit unendlicher Dreistigkeit stch den Schiffen näherte. Doch da jetzt auf ihn geschossen wird wo er sich zeigt, so ist er scheu geworden nnd ihn zu sehen ist im Allgemeinen eine Seltenheit, trotz der Massen, die in dem Wasser und namentlich zwischen den Holzstämmcn sich verstecken. 20 bis 30 Meilen nach der Einfahrt sieht man von Zeit zu Zeit menschliche Behausungen hart am Flufte. Von allen Seiten voll ungesunden Sümpfen eingeschlossen, müssen die Bewohner dort eine wenig beneideuswerthe Existenz führen. Nach einiger Zeit gelangten wir an die Gebäude der Sauitäts-Commission und hatten dort das große Glück, hart an einer viertägigen Ouarautaine vorbeizu-schlüpfen. Es war der l. Juli und von diesem Tage cm war solche von der Negierung in Ncw-Orleans verordnet worden. Doch unser Capitain schien befrenndet mit den Behörden zu sein uud dies half uus aus der kritischen Situation. Unsere Verzögerungen und Ver-svätnngcn hätten uns aber leicht hierin einen unangenehmen Streich spielen können. Von nun an wurden die noch immer flachen Ufer belebter. Uevpige grüne Waldungen wechselten mit An-sicdlungen ab, deren Häuser, wie meistens in Amerika - 304 — von Holz erbaut sind und deren blendende Weiße angenehm contrastirt zn der grünen Umgebung der Waldeinsamkeit. Oder man sieht die kleinen Hütten der Schwarzen, aus denen die Kinder, nieist puris naturalidug angelaufen kommen und mit Geschrei das Dampfboot begrüßen, fruchtbare Wiesen mit schönem kräftigen Vieh breiten sich aus. Es war interessant zu erfahren, daß man in ganz Amerika vor der Entdeckung weder Pferde noch Nindvieh kannte, und daß diese erst Verbreitung durch zahlreiche Einfuhr aus Europa fanden. Das einzige, allerdings zur Klasse des Nindvich's gehörige Thier, was Amerika auszuweisen hatte, ist der Bussel. Die herrlichen Prairieen und das milde Elima schienen den neu dort aufgesetzten bindern gut zu lhuu und sie verbreiteten sich so schnell und dergestalt, daß sie über uud über den Bedarf decklen uud dauu verwilderten. Co stammen also anch die großen Pferdehecrden, die wild in den Steppeil um hersagen von den dorthin impor-tirteu Europäischen Pferdeil ab und der Indianer oder Texauer eilt ihnen jetzt mit dem Vasso nach um sie wieder cinzufangen. Und dasselbe ist in Süd-Amerika mit dein Rindvieh der Fall. Wie sich nun Jahrhunderte hindnrch manche Gebräuche in den Völkern erhalten, so wird auch uoch jetzt in ganz Merico kein Kalb geschlachtet und zwar deshalb nicht, weil nach der Eroberuug durch die Spanier cin sehr strenger Befehl dagegen erschien, nm der schnellen Verbreitnug des Nindvieh's nicht entgegen zu arbeiten. Während meines fast dreimonatlichen Aufenthaltes im — 305 - Lande erinnere ich mich nicht ein einziges Mal Kalbfleisch gesehen oder Messen zu haben. Die Louisiana, jene alte französische Colonic trägt noch immer lebhaft den Stempel des Franzosenthmus an sich, nnd es ist erstaunlich, wie lange sich das erhalten hat. Selbst in der Bauart ihrer Häuser, ferner in der Weise ihre Gnrtcu nnd Plantagen anzulegen, habm die Bewohner ihren Ursprung nicht verläuguen tonnen. Gin Fort anf jeder Seite des Stromes erhebt sich ungefähr N<> englische Meilen uor New-Orleans. Dieselben sind vorzüglich gehalten nnd haben stets eine Garnison von ein Paar hnndert Mann. Was die Breite des „Vaters der Ströme", wie man den Mississippi in Amerika nennt, anbelangt, so hatte ich dieselbe bedeutender geglanbt. Es ist allerdings sehr schwer die Entfernung«: auf Wasserflächen taxiren zn wollen, aber uach meiner Schätzung habe ich den Strom taum eine englische Meile breit gehalten. Ich verbrachte den Tag hauptsächlich damit, nach Alligatoren zu spähen, aber leider immer vergebens. Mein Hauptthema in der Unterhaltung bildeten diese Thiere. Endlich am Nachmittage, ich saß in die lecture irgend eines Buches uersnuken, schlug mich ein Amerikaner, der neben mir saß mit aller Gewalt anf die Schulter, schrie fürchterlich nnd zeigte immer nach etwas. Ich war von dieser unsanften Berührung so conster-nirt, daß ich im ersten Aligenblick unsicher war, ob ich wieder schlagen sollte, oder nicht, als ich der Direction des Fingers jenes Herrn folgte. Und da sah ich denn Graf Bruges, Rciscst>!zc,!. ^ — 30l) ^ hart am Ufer auf cm Paar alten morschen Baumstämmen zn'ei Ungethiimc von Alligatoren von sechs biü acht ,^uß Länge dahin kriechen. Ihr Nucken war von dein Lehm des Uferrandes ganz gelb und grau und verlieh denselben eiuen noch et'elhafleren Anblick. Die Länge des gräßlichen Rachens hielt ich für wenigstens einen Fuß, sie tonnten also schon einen ziemlichen Bissen verzehren, und wehe dem Unglücklichen, der damit Bekanntschaft macht. Die Alligatoren sollen bei Weitem nicht die Größe nnd Stärke der Erokodile im Nil erreichen, die manchmal eine Länge von 1,0—12 ^nß haben. Je mehr wir nnß New-Orlrans näherten, desto belebter nnd enltivirter wnrden die Ufer. Eine Art Nntzen ans dem Boden zu ziehen, war mir in diesen Ländern neu. Das ist die Cultur der Oraugen- uud Eitronen-bämne. Ich sah manchmal Gärten von der Länge und Breite einer Meile damit ans das Sorgfältigste bepflanzt. Ein Baum stand symmetrisch genau so wie der andere. Der Ertrag soll ein sehr bedeutender sein, so daß viele Plantagen diese Cnltnr der des O'afu's oder des Zuckers vorziehen, zn der ihnen nach der Emancipation der Sklaven fast ganz die Arbeitskräfte fehlen. Die Aussicht diesen Abeud uoch landen zn können, schwand leider gänzlich, nicht minder die zn schlafen. Seit dein Eintritt in, den Mississippi hatten sich viele Mosquito's eingefnnden, die mit Dunkelwerden so nber-hand nahmen / daß man sich nirgends davor zn retten - 307 — wußte. Ja selbst angezogen, mit Handschuhen und Schleier vor dem Gesicht konnte man sich der Vlntgier dieser Ungehener von Quälgeistern nicht entziehen, denn sie stachen — (es mnßtc das hier eine besonders gntc Sorte sein —) dnrch die Kleidnng und die ledernen Handschuhe durch. Man mnßte sich also für diese Nacht auf das Deck setzen und zählte die Minuten bis zur Ankunft in Ncw-Orleans. Endlich sahen wir ganz in der Ferne die langen Neihen von Gasflammen, die uns die Stadt andeuteten, die uns Erlösung bringen sollte. Es vergingen noch anderthalb Stunden, ehe uiir an den Punkt der Levöe, d. i. der große Hafendamm, ankamen, wo die Dampfer gewöhnlich anlegen, nno der sehr bequem, dicht im Mittelpunkte der Ctadt liegt. Endlich hatten wir auch dieses ^icl erreicht, ich rieb mir vergnügt die Hände in dem Gedanken an ein schönes Vett mit Vorhängen gegen die Mosqnitos im St. Louis Hotel, als sich zwischen dem Capitain und Jemanden am ^ande ein Gespräch erhebt, das zur Folgc hat, daß der uuglückliche Dampfer sich vou Nenein in Bewegung setzt. Der Grnno war folgender: Die Waarenladnngen, die wir mit nns führten, sollten am folgenden Tage auf ein anderes Schiff geladen werden, das sich vier Meilen stromanfwärts befand. Diese Strecke sollte sofort, nm Zeit zu gewinnen, noch zurückgelegt werden. Ich war starr, als ich das hörte, nnd nahm im Geiste so tief als möglich meine Mühe vor der Geduld und Nachsicht — 308 — der Amerikaner ab. Damit also das Dampfschiff bequem seine Packetchen umladen konnte, schleppte man 40 Passagiere in der Nacht um 4^ Uhr noch vier Meilen weit von der Stadt fort und nahm ihnen somit jede Möglichkeit, das Schiff bald, und selbst am anderen Morgen nur, — da soweit von der Stadt keine Wagen zu haben sind, — mit den größten Schwierigkeiten zu verlassen. Daß man das 40 Passagieren anzuthun wagte, wunderte mich nicht, denn im „^ande der Freiheit" wagt man noch ganz andere Sachen, daß dieselben sich aber das ruhig gefallen ließen, das fand ich geradezu rührend bei der Ergebuug in mein Schicksal, und das erklärte mir später Manches. Hätte Jeder so gedacht wie ich, wir hätten uns gegen diese Ordre empört; abcr da die übrigen Leidensgefährten dazu schwiegen, so wäre mir allein am Ende eine Meuterei nicht gut bekommen. III. Uord-Umerika. Neuntes Capitel. New-Orleans. — Seine sociale ^age nach der SellNien-lnnancipa-tion. — Nordanicritanische Hotels nnd ^ij^ilmhucn. — Sleeping <>aiZ. — Wammnihs-Höhle. — Loniüuille. — Cincinnati. Als am anderen Morgen die Sonne aufging und einen recht heißen Tag versprach, hatte ich vom schiffe zuerst Gelegenheit, einen Blick über die Stadt und den Fluß zn werfen. New-Orleans ist an einer großen Biegung des Mississippi gelegen, der dadurch eine fast seeartige Gestalt annimmt. Die Ufer sind bepflanzt mit frischem Ornn und das Land zieht sich gan; eben dahin, ohne anch nnr von der geringsten Anhöhe unterbrochen zu sein. Auf dem Strom herrscht ein nberans reges Leben nnd namentlich sind es die riesenhaften etagenförmigcn Flußdampfer, die das Ange des Neulings fefseln. Wenn auch New-Orlcans viel Verkehr nach dem Meere zu haben mag, so geht doch der Hanpthandel nach dem Norden, also längs des Flusses weiter hinauf. Die Dampffchiffuer-bindung mit Europa ist in den drei heißen Sommer- — 312 — monaten, ebenso wie mit Habana gänzlich unterbrochen, und ist das hier herrschende gelbe Fieber nnd die daraus für die Schifffahrt entstehende so lästige Quarantäne der Grund dazu. Daß diese Epidemie solche Ausdehnung jährlich annimmt, läßt sich aus der ungesunden Lage der Stadt, die von allen Seiten mit den Swams, großen Sümpfen, umgeben ist, erklären. Ferner fehlt es gänzlich an gutem Trinkwasser, nnd man mnß dazn das gelbe, ekelhafte Wasser des Mississippi im filtrirten Zustande nehmen. Die Luft in den Straßen scheint anch recht nngesnnd zu sein, denn erstens liegt aller Unrath dort umher und ferner herrscht in ihnen eine eigenthümlich fenchte, warme Atmosphäre. Anch hier uertäßt Jeder, der es nnr irgend kann, in diesen drei Sommermonaten die Stadt, in der so wie so der Handel flan geht nnd die versengenden Sonnenstrahlen einen lähmenden Einfluß ausüben. New-Orleans, mit einer Einwohnerzahl von 200M0 Seelen, ist wie die meisten nordamerikanischen Städte, ganz außerordentlich weitläufig gebaut. Lange Vorstädte strecken nach allen Seiten ihre Fühlhörner aus nnd lassen Einen manchmal recht die großen Entfernungen empfinden. Die Ansdehnnng diefer Städte ist nicht allein durch die Einwohnerzahl bedingt, sondern sie wird dadnrch sehr erhöht, daß die meisten Häuser, die nicht gerade im Herzen der Stadt liegen, nur ein-, höchstens zweistockig nnd in der Negel von einem kleinen Gärtchen nmgcben sind. — 313 - Man kann also leicht denken, welchen Raum das Ganze beansprucht. Nach allcdcm, was ich früher von New-Orleans gehört und gelesen hatte, war ich etwas enttäuscht. Ich hatte es mir schöner, besser gehalten und großartiger vorgestellt. Allerdings stammten die meisten jener von mir gelesenen Berichte ans der Zeit vor dem Kriege und seitdem hat sich Alles unendlich verändert. Die ganzen politischen und socialen Verhältnisse sind bis jetzt noch so wenig geklärt, daß man es im Interesse jener Lander nur wünschen kann, die jetzige Situation möchte ein Uebergangsstadium sein, das mit der Zeit sich bessert. Was jene Länder, nnd speciell New-Orleans, dnrch die Emancipation der Sklaven gelitten haben, das geht geradezu ms Fabelhafte. Diese reiche stolze Stadl soll sich im Verhältniß zn früher in einem Zustand befinden, für den man keine andere Bezeichnung, als „ein Hinsiechen" hat. Und das liegt dnrchans nicht lediglich an der Freilassung der Sklaven, sondern an der geringen Fürsorge der Regierung in Washington für diese ihre freigelassenen Schützlinge, die vollständig zn Grunde gehen. Nach der Niederwerfung der Rebellen war die allgemeine Lage folgende. Das Sklavcngesetz dictirte mit einem Federznge die Freilassung einer Anzahl Individuen, die durch ihre früheren Verhältnisse sich in dem Znstande der völligsten Unmündigkeit befanden. Das erste, was diese nun thaten, war, daß sie nicht mehr arbeiten wollten, nm das Leben der großeu Herren zu führen. Da ,__ <^^ .__ dazu aber Geld gehört und sie teius besaßen, so stahlen sie es, wo sie es fanden und noch heute beklagt mau sich über die zahlloseu Einbrüche Seiteus der Schwarzen, die so an der Tagesordnung sind, daß keiu Geschäftsmann auch nur einen Dollar Abends beim Verlassen seine:, Lokals dort lassen kauu, soudcru Alles nach der Baut schickt. Doch uicht allein im Stehlen dokummtirte sich der uureife Zustand der ehemaligen Sclaven, sondern, was noch schlimmer war, fie ließen ihrer Ranküne gegen ihre ehemaligen Herren freien Lauf, uud wollteu dieseu ein wirklich erlittenes oder eingebildetes Unrecht ^etzt nachtragen. Die Regierung der Vereinigten Staaten, die eine gewisse Milde den ehemaligen Rebellen gegenüber zur Schau trng, verhinderte nicht allein nicht der-artige Ansschreüuugeu, sondern beförderte sie iudirect gewissermaßen. Denn in dieseu ehemaligen Sklaven-staaten setzte sie einen Schwarten, der erst freigelassen, ja total uumüudig war, zum Gouverneur ein. Dieser brachte eiue Schaar Neger mit sich, um die Verwaltung oder Polizei mit ihueu zn besetzen. Schon ein gebildeter denkender Meusch, mit einem Schlage znin Herru über deu ehemaligen Unterdrücker gesetzt, wird sich nur unendlich schwer uou Versucheu der Wicdervergeltuug freihalten können; in wie viel ausgedehnterer Weise wird sich aber der stumpfe rachsüchtige (vharakter der Neger dazu versucht fühleu. Und nun hieß es allerdings Auge um Auge, Zahn um Zahu! Und wer früher einem Neger irgendwie etwas Uuaugeuehmes zugefügt hatte, — 315 — der konnte sicher baranf rechnen, daß nun die Reihe an Jenen gekommen war, der Alles mit Zinsen zurückzn-zahlen gedachte. War der Haß im Süden schon groß wegen des immensen Nuines dcs Landes, hervorgerufen durch die Emancipation der Sklaven, durch die Brand' schätzn ngen jenes berüchtigten Bntler, der sich selbst nach Möglichkeit die Taschen füllte und den man den Pascha von New-Orleans nannte, so mußte die persönliche Unterdrückung des feurigen Südländers denselben bis znr tödlichsten nnversühnlichstcn Wirkung steigern. Dies mag Ulan in Washington vielleicht eingesehen haben und größere Modifitatioueu folgteu darauf. Vci der sehr gerechtfertigten Abncignng der Weißen gegen die Schwarten ist jcht die Lage so, daß erstere letzteren nur selten Beschäftigung geben, »m sie fühlen zu lassen, daß sie allein NicIM beginnen können, und zahllos sind die Schwarzen, die wan uoch jetzt iu den Straßen von New-Orleans ohne jegliche Beschäftigung sieht. Die Negierung hatte sich nach der Emancipation der ehemaligen Sklaven annehmen müssen, d. h. darauf halten sollen, daß Jene auch ohne die Peitsche des Sklavenhalters yurch ihrer Häude Arbeit sich ihr Brod verdienen. Sie hätte bei der Gleichstellung der Nacen, auch diese oon der Natur mehr vernachlässigte durch Volksschulen und andere nützliche Institntionen geistig heben sollen, damit sie den ihr neu angewiesenen Platz im Staate ehrenhaft ausfüllen konnte. Doch nichts dergleichen ist geschehen und die Folge ist eine große Degeneration der Neger. Schon ^ 5l1l) — heute kanil man statistisch nachweisen, daß sic in der Zahl bedeutend abgenoinmen haben und die Zeit wird es bald lehren, daft sie ebenso im Aussterben sind, wie die Indianer. Ihr Korperbau zeigt überhaupt eine geringere Kraft, aly der ihrer Stammesgenosscn auf Enba, gegen die sie sich fast wie Zwerge aufnahmen. Ich verließ den wenig angenehmen Dampfer nnd begab mich uach dem schönen und stattlichen St. Louis-Hotel, das in dem Stadttheil gleichen Namens liegt. In Europa stellt man sich uuter dcu nordanu'rikanischen Hotels gewöhnlich deu Inbegriff von Glückseligkeit und Güte vor; auch ich kam mit gleichen Ansichten in die Vereinigten Staaten, wurde aber ganz gewaltig enttäuscht. Will mau die Gnte eines Hotels nach der ^änge, Vreitc und Tiefe, nach der Anzahl der Zimmer und der Höhe der Ttocknmte bemesfeu, ja dauu sind es die besten der Welt, denn solche Niesenkasteu haben- wir glücklicherweise ill Europa uicht. Ich habe stets die Erfahrung gemacht, je größer das Gebäude nnd die Anzahl der Zimmer, desto mehr Unrnhe hat der Reisende nnd desto weniger Bedienung. Von letzterer muß mail nun in Amerika gänzlich absehen, nnd ich habe mich oft genng gewnndert über die Kuöpfe zum Klingelu iu deu Zimmern, da beim Gebrauch derselben weit eher darauf zu rechnen ist, daß Niemand kommt, als daß das Gegentheil dauon geschieht. Das kommt eben daher, daß es iu Nord-Amerika keine dienende Klasse giebt, und derjenige, der sich znr Verrichtung von Bediennng gegen hohe Vezahlnng wider- — 317 - strebend herabläßt, wird Jedem es ziemlich deutlich fühlen lassen, daß er ein ebenso „freier amerikanischer Bürger" ist, wie der, dem er jetzt gerade zufällig einen Dienst leistet. Sämmtliche Hotels in Amerika (darunter «ersteht man i>l den Vereinigten Staaten stets dieses Land allein, nach der allerdings in eine Republik sehr wenig hineinpassenden Ansicht: 1'ukHt c^k inni) ^ sind nach einem System erbant, das folgende Grundsätze hat. Zn einem Gebäude dir größtmöglichste Anzahl Fremdenzimmer zn haben, die selten mehr enthalten, als ein sehr großes und gutes Vctt, zwei Stühle, einen Waschtisch und eine Commode. Den ganzen Fußboden bedeckt ein Teppich. Den Hanptranm nimmt das Vett ein, der übrige genügt kaum, lim sich anzuziehen nnd sich zn bewegen. Manch-wal dachte ich, daß die Amerikaner doch ein recht eingefleischtes Znseluolk waren, die es nie vergessen lassen wollten, daß man in einer Cabine zu ihnen kommen nnd von ihnen wegreisen müßte, denn viel größer als eine Kabine ist daa Zimmer hänfig nicht. Es ist selbstverständlich, daß ein so eingerichtetes Zimmer keine große Gemüthlichkeit gewährt. Diese würde man auch uer-gebens in Amerika snehen. Man hält sich fast, nie darin auf, mit Ausnahme des Schlafens und des Toileltemachens, sondern die Herren sitzen meist unten im Hausflnr, wo in der Ncgel bequeme Stühle zu diesem Zweck aufgestellt sind. Die Damen lind die Herren, denen ersterer Nanmdistrict nicht sehr nach Geschmack ist, gehen in die Parlours. Dies sind mehrere größere Näume mit vielem - 318 - Comfort eingerichtet, wo man aber auch nicht recht znr Nnhc und Annehmlichfeil gelangen kann, denn die Damenwelt und namentlich die schrecklich ungezogenen amerikanischen Kinder machen in der Neget einen Heidenlärm. Jeder Herr, der allein in ein Hotel kommt, nnd mag er so viel Millionen wie andere ^cntc Viergroschenstücke haben, wird sofort in den dritien oder vierten Stock befördert. Es wird dabei auf gnte klingen gerechnet, nm ein solche Treppensteigen ohne Nachtheil ertragen zn können. In einigen Hotels fand ich freilich Elevators, dnrch die man vermittelst, Dampf in die Höhe befördert wird. Kommt dagegen eine ^ady (in Amerika ist Alles Lady, was nicht männlichen Geschlechts ist, jede Köchin, ^edes atte Hökerweib lrügt diesen Titel), so wird ihr ein Zimmer iin ersten Stock mit Salon lind aller möglichen Eleganz angewiesen. Und damit diese zarlen holden Wesen nm Gottes willen nicht den rauhen männlichen Blicken ausgesetzt sind, eristirt sogar in den meisten Hotels ein ,,I^d^ ttiitiÄno«", d. i. ein besonderer Eingang für die Damen. Ich breche hier bei dem Eapi-tel über „Franenachtnng" ab, das eine ebenso lächerliche, als hervorragende Nolle in Amerika spielt nnd das zn jenen tollen Extravaganzen nnd Emancipationen des schönen Geschlechts den Hauptgrund bildet nnd kehre zum Hotel zurück. Der Speisesaal ist ein großer, ziemlich niedriger Raum mit vielen Tischen nnd einer ganzen Armee von __ I19 __ Kellnern, die im Norden aus Negern, hier im Süden aber ans Weißen gebildet ist. Da man in den Hotels stets das Essen bezahlen muß, mag man dort seine Mahlzeiten einnehmen oder nicht, nnd da die Küche überall mangelhaft ist, so läßt man sich an einem Tisch nieder nnd wählt sich nach einer Karte, ans der beinahe seder Bissen Brod gedrnckt ist, sein ganzes Diner oder Souper ans. Hat man sich dasselbe aus neun Gerichten oder nur zweien zusammengestellt, so erhält mau stets die neun oder zwei Gerichte zu gleicher Zeit, was uatürlich zur ^olge hat, daß mau das erste warm, die übrigen acht aber kalt genießt. ^ür die Mahlzeiten sind bestimmte Zeiten angesetzt. Hat man den schlechten Einfall, dazwischen Hunger zn bekommen, so ist es für kein Geld möglich, elwas zu esst'n zu erhalten. Jene Zeiten werden durch Schlafen f^'gen ein metallenes Vecken bezeichnet. Dieses verursacht ^incn neruenerschütternden Lärm; das Instrument ist jedeu-falls dem Tamtam der Wilden nachgeahmt. Da man in Amerika sehr viel reist, so sind die Gasthäuser iu der Ncgel sehr stark besucht. Alles, was ich bis jetzt über die amerikanischen Hotels gesagt habe, wird ün Allgemeinen dein Europäer nicht recht zusagen und ^ ist au der ^eit, auch die sehr guten Eigenschaften, an denen man sich in Europa ein Muster nehmen könnte, zu erwähnen. Znerst macht die größte Reinlichkeit überall nnen sehr wohlthuenden Eindruck; ferner sind die Preise Mar hoch, und das ist bei dem theuren Leben auch — 320 - natürlich, aber solchen unglaublichen Prellereien, wie sehr häufig in Europa, ist der Reisende nicht ausgesetzt. In jedem Zimmer hängt ein Tarif, auf dem der Preis für koÄ,räir><; und laä^inF, also für Mahlzeiten und Wohnung fest angegeben ist, der in den ersten Gasthäusern in der Negel vier oder fünf Dollars, Alles in-begriffen, beträgt. Außerdem fällt das so unangenehme Lauern auf Trinkgelder, jene am Wagen aufmarschirten grinsenden Kellner gänzlich fort. Dadurch ist das gauze Verfahren ein kürzeres geschäftsmäßigeres und für den Reisenden bedeutend angenehmeres. Was das Essen anbelangt, so ist die amerikanische Küche nicht gut. Selten bekommt mau ein weiches Stück Fleisch. Ich weiß mich bei meinem monatelangcn Aufenthalt in jenem Lande nur dreier Hotels zu erinnern, in denen die Küche recht gnt war. Das sind das St. Lonis-Hotel in New-Orleans, 11i6 ^rliußton 1wn36 in Washington und H6V6I-6 Knu86 in Boston. Die Straßen in New-Orleans sind meistens nicht gut gehalten. Die vornehmste ist Eanalstreet mit hübscheu Vüdcn und überaus zahlreichen Pferdeeiscnbahncu, die von hier ans nach allen Nichtnngen die Stadt durchziehen. Die Hälfte der Häuser ist wohl aus Holz gebaut, das sehr zierlich aussieht und uicht so heiß ist, aber auch allerdings den Nachtheil der großen Fenergeführlich-keit hat. Der Preis solcher hölzernen Hänser stellt sich aber doch höher heraus als ich glaubte, und der Unterschied zwischen ihnen uud steinernen ist nur gering. — 321 — Zieht man noch in Betracht, daß die hölzernen Häuser viel eher verfallen als die steinernen, so kommt man zn dem Resultate, daß sie nicht eben billig sind. Mit Eisenwerk wird große Verschwendung getrieben. Die meisten Häuser haben eiserne Balkons und Gallerten, während Landhäuser Umzäunungen in den reizendsten Mustern haben. Ich komme auf die Pfcrdecisenbahnen zurück, die eine Eigenthümlichkeit der amerikanischen Städte sind, nnd die ich für einen sehr gewaltigen Factor zur Größe nnd schnellen Entwickelung derselben halte. Für einen Preis von 5 Cents, Ungefähr 2 Silbcrgroschen, legt man die größten Entfernungen in einer Stadt mit denselben zurück. Sie ermöglichen es, daß die Kaufleute, die ihre Comptoirs in 5>er engen verpesteten Stadt haben, draußen in der frischen Luft der Vorstädte wohncu, daß die Arbeiter Abends nach 5m billigeren entlegenen Wohnungen sich begeben können, baß überhaupt die Entfernung dadurch schwindet, die wegen, ber Hitze zu Fuß gar uicht zurückzulegen wäre. Bedenkt man, wie Wenigen es ermöglicht ist, sich der Droschken zu bedienen, da der Preis für eine Fahrt 1—2 Dollars kostet, so wird man den großen Segen jener Ginrichtung sichtig würdigen können. Diese Pferdceiscnbahuen sind gewissermaßen die Adern jener riesigen Städte, durch die die Bevölternng als Blut uud belebende Kraft betrachtet, strömt. Den ersten Tag meiner Anwesenheit in New-Orleans konnte ich nicht viel unternehmen, da ein so heftiges Gewitter sich entlud, daß die Straßen gänzlich überschwemmt Grns Bruges, Neiseslizzcn. !>1 waren und jede Passage unterbrochen wurde. Vielfach hatte dcr Blitz eingeschlagen und auch drei Knaben ge-tödtet, die unter einer Brücke Schutz gegen das Unwetter gesucht hatten. Am folgenden Tage ging ich zu Herrn Kruttschnitt, dem deutschen Consul, der mir meinen Neise-plan dnrch die Vereinigten Staaten entwerfen half. Nm Nachmittage machtet, wir zusammen eine Ercurston nach dem Magnolia-Park, wo ein Wettrudern stattfand. Der Weg, von einer Stunde Länge, führt stets durch Straßen der Porstädte, wo Hans an Haus stand, alle umgeben von niedlichen Gärtchen, die im schönsten Blumenschmuck prangten. Namentlich traf mau immer wieder anf große weiße, duftende Blumen, die anf Bäumen wnchsen. Die Vegetation ist hübsch und frisch, uugefähr die Oberitaliens, trotz der gleichen Lage von Ncw-Orlcans mit Algier. (5s ist beachten5werth, daß jene Halbkugel in dcr Vegetation gegen die unsere in denselben Breitegraden ziemlich zurück ist. Den belebtesten Theil der Stadt bildet unzweifelhaft die Lcv«c am Mississippi und hier erblickt man die großen ^lußdampfcr, von deren Dimensionen man sich bei uns kaum einen Begriff macheu rann. Sie haben die Höhe von ein- bis zweistöckigen Hänsern nnd bergen in ihrem Niescnlcibe in verschiedenen Etagen die Passagiere und die Waaren. Das ganze Gebäude ist weit überragt vou zwei hohen dünnen Schornsteinen, deren oberste Spitzen in Verzierungen endigen. Da stets eine große Anzahl dieser Flußungethüme an der Lev^e liegen. - 333 - so sind sie nicht parallel mit dem Damm, sondern mit ihrer Länge senkrecht oder im Winkel von 4') Grlid angelegt, so daß nur das Hinterlheil mit der Leu^e durch Brücken verbunden ist. Das Leben nnd Treiben ist ein sehr reges und lebendiges, da die Südländer nichts ohne viel Lärm und Geschrei thnn können. Was dem Neuling einen besonders merkwürdigen Eindruck beim Betreten einer amerikanischen Stadt macht, sind die Niesenplakate, die mit Bnchsiaben fast so groß wie ein Mensch bemalt sind. In den Geschäftsgegenden namentlich sieht man selten etwas von der Farbe des Hauses, da auch das kleinste Fleckchen zum Anhefteu von Anzeigen dient. Oder man sieht solche an Stricken über die Breite der Straßen oder sogar in der Diagonale der Krenzunnkte derselben gebogen. Am 4. ,^nli wird das ^est der Unabhängigteil in den Vereinigten Staaten begangen, das aber im Süden, wo man sich in so lebhafter Opposition gegen die Negierung uon Washington befindet, nicht so gefeiert wird als im Norden. Und doch wurde auch hier ein Heidenlärm veranstaltet. Kleine Kinder uon uier bis fünf Zähren schössen Terzerole ab, ältere Leute warfen Petarden nnd der Konsum von Pnlvcr ist an diesem Tage stets ein außerordentlicher. ,Ich habe einmal gehört, wie viel Menschen bei diesem ^este dnrch die Knallerei nnd in ^olge dabei erfolgter Unglüclsfälle dnrch onrch-gchende Pferde n. s. w. in der Regel zu Schaden kämen, 21* - 324 - und ich erinnere mich, daß die Zahl eine recht beden-tende war, gar nicht zu reden von verbrannten Fingern und andern Kleinigkeiten. Um 12 Uhr marschirte eine Abtheilung Milizen, fast lauter Neger, die Canal-Street entlang zur Feier des Tages. Es war dies vom militärischen Standpunkte ein ebenso trauriger Allblick, wie er sonst betrachtet, komisch war. Weder Haltung hatten diese Tapferen, noch marschirten sie in richtigem Tritte; es war ganz unglaublich zu sehcu, und ich dachte gleich an den Ausspruch des Herrn Sheridan. Dieser General hatte die Ehre, den letzten Krieg thcilweise im Hauptquartier des Kaisers Wilhelm mitmacheu zu dürfen. Als er nun nach Amerika zurückkam, wurde er von einer Deputation empfangen und die dentsche Armee war so überaus glücklich, aus dem Munde des Bürgergenerals zu höreu, daß sie so ganz leidlich ihre Aufgabe geleistet hätte, daß sie aber gar nichts im Vergleiche zur amerikanischen Armee wäre. Von dieser düukelhaftcn Aufgeblasenheit hatte ich schon während meiner Reise öfters Proben zu hören gehabt. Ich gab mir aber nie die Mühe, nur irgendwie etwas zu widerlegen nnd dachte, was versteht der Blinde von der Farbe! Anderweitig erfuhr ich bei verschiedenett Gelegenheiten, daß in dem großen Bürgerkriege die Führung ciue so unglaublich geniale gewesen sei, daß die meisten Leute durch die Kugelu ihrer cigcneu Partei gctödtet oder verwuudet worden wären. Möchten doch die gnten Amerikaner es sich merken, — 325 - daß die Kriegskunst heut zu Tage nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch vielleicht die schwierigste von allen ist, und daß die Zeiten vorbei sind, wo man heute Tütendreher oder Ndvokat oder Gott weiß was sonst ist, und morgen ein guter General sein will. Der hervorragendste Führer beider Armeen, der die Truppen der Union unendlich oft durch sciue genialen Pläne zum Zittern gebracht hat, war unbestreitbar der Gcueral Lee; er war ein Mann, der Soldat von Bcrnf, der in Westpoint erzogen worden war, ein Mann, der unendlich viel in seinen: Fache studirt hatte, und nach Vecndignng des Krieges ein guter Schulmeister in Lexington wurde. Ob die umgekehrte Reihenfolge der beiden Carriören ebenso glänzende Resultate zur Folge gehabt hätte, möchte ich doch stark bezweifeln. Zur Feier des Unabhängigkeitsfestes waren am Nachmittage Volksbelustigungen in Fair-Ground, eine halbe Stunde von der Stadt, veranstaltet worden, die aus Pferderennen, Cricketspielen nnd öffentlichen Concerten bestanden. Erstere waren ziemlich primitiver Natur, die Pferde wurden meistens von kleinen Neger-jungen, die sich fest anklammerten, geritten. Andere Reiter erschienen in zerrissener Jacke und schienen mir zn diesem Zwecke auf der Straße aufgegriffen zu sein. Das Crickctspiel ist außerordentlich verbreitet und bildet das leidenschaftlichste Vergnügen der jungen Leute. Die Gesellschaft bestand zum größten Theil aus den unteren Classen der Bevölkerung, und ich hatte dabei Gelegen- - 326 — heil zu bemerken, wie in ihnen die grauen anfgepnht waren. Das war ein Anfwand von Bändern, falschen Locken, Blnmen nnd (Chignons, die sich manchmal zu einer schwii^delnden Höhe aufthürmten. Auch herrliche Exeniplare schwarzer Ladys erblickte ich in großer Anzahl; also für Stoff znr Heiterkeit war hinreichend gesorgt. Fragt man in irgend einer Stadt Nord-Amerikas, was denn eigentlich Sehenswerthes in derselben fei, fo erhält man stets mit einer merkwürdigen Uebcrcin-stimmnng die Antwort darauf: „Nichls"! W ist aber wirklich so, außer dem manchmal interessanten Straßenleben bieten die Städte, die alle rasch emporgewachsen sind, aber anch gar nichts, was Bezug anf (beschichte, Curiositäten oder gar Kunst Hütte. Außerordentlich hübsch ist meistens ihre Lage; doch auch hierin bietet New-Orlcans wegen der großen Ebnen und der Sümpfe, die es nmgebcn, durchans nichts Besonderes. Die, einzige Erholung für seine Bewohner ist der Lake Poutchartrain, den man in einer halbeil Stnndc mit der Eisenbahn erreicht, und wohin ich einen Ausflug mit der Familie des Herrn Krüllschnitt machte. Der See ist eigentlich nur ein tiefer Einschnitt des Meeres und sein Gehalt Salzwasscr. Er erstreckt sich in großer Ausdehnung und seine Ufer sind stellenweise mit den Landhäusern der reichen Kaufleute besetzt. Was ihn zu ciuer großeu Annehmlichkeit macht, das sind die Bäder und die frische Seebrise, die mau nach der schlechten Lnft uon New- - 327 - Orleans mit großem Behagen einathmct. Die (Gegend, durch die man fährt, ist völlig unelillivirt. Sumpf und Schilf, mit verkrüppelten Baumstamnien durchwachsen, dehnen sich rechts und links vom Schienenwege, der auf einem erhöhten Damm angelegt ist. Der einige sehenswerthe Platz in New-Orleans ist der vor der katholischen Kathedrale. Die Mitte ist mit der Nciierstatne des Präsidenten nud Generals Jackson geschmückt, nmgeben von hübschen Gartcnanlagen, während die allen stattlichen Häufer es einen Moment vergessen lafsen, daß mall sich im neuen Wclttheil befindet. Die Stadt ist übrigens scharf nach Strafen iu der Sprache getrennt. Während in den neneu Stadttheilcn das Englische ausschließlich herrscht, bedient man sich in den älteren Stadttheilen nnr der französischen Sprache, die allerdings mehrfach gegen die nenen Gesetze der Akademie in Parin verstößt. Zn einer Nacht hatte ich während eines ^eucrc, Gelegenheit, die praktische Einrichtung des Löschwesens zu beobachten. Man ist darin in ganz Nordamerika überaus tüchtig nnd geübt; so wird z. B. das Wasser nicht dnrch Händearbeit, sondern durch Dampfkraft herbeigefchafft. Nach viertägigen! Aufenthalt reifte ich nach Norden ab nnd machte leider die gründlichste Betauntschaft mit den Eisenbahnen, auf denen ich im Ganten weit über 3000 Meilen zurücklegte. Mancher Seufzer hat fich meiner gequälten Brust entwuudcu, und ich kanu im Großen und Ganzen nicht dm Leuten beistimmen, die — 32« — die dortigen Einrichtungen in jeder Beziehung über die europäischen stellen wollen. Ich gebe gerne zu, daß man bei uns noch unendlich vieles Gute von hier lernen könnte, und daß namentlich die praktische Seite, wie die Amerikaner im Betriebe ihrer Eisenbahnen Schwierigkeiten zu überwinden wissen, wohl als mustergültig bezeichnet werden kann. Sämmtliche Eisenbahnen sind in Händen von Actiengesellschaften. Staatseisenbahuen giebt es nicht. Da man mit Concessionen sehr freigebig zu sein scheint, so entsteht natürlich auf allen frequentirten Strecken Concurrenz und jede Gesellschaft ist bemüht, sich durch die albernsten Rcclamen der Welt so viel Passagiere als möglich zu verschaffcu. Auf den Plätzen, an den Straßenecken, kurz überall, sieht man die größten Anpreisungen der und der Nailway-Noad, wobei man selbst die schönsten Abbildungen nicht verschmäht. So sieht mau z. B. einen Billetvcrkäufcr in seiuem Bureau so beschäftigt, daß er kaum die zahllosen Passagiere, die aus Weißen, Negern und Chinesen bestehen, abfer-tigen kann, die alle mit der kürzesten, besten, billigsten und sichersten Bahn sman spricht in Amerika bei diesen Gelegenheiten immer nur im Superlativ) nach Dingskirchen fahren wollen. Eine angenehme Einrichtung ist es, daß man die Billets in der Stadt schon Tags zuvor für die entferntesten Strecken kaufen kann, und daß man die Fahrt überall unterbrechen kann, ohne dabei die Gültigkeit des Billets zu beeinträchtigen. Eben so praktisch und an- — 329 - genehm wird mit dem Gepäck verfahren, von dem man so viel mitnehmen kann, als man will, ohne dafür etwas zu bezahlen zn brauchen. Daher auch die Größe der Damenkoffer, die man zu sehen bekommt. Mau erhält als Garantie eine Marke, und nie habe ich gehört, daß etwas verloren gegangen ist, oder unordentlich besorgt worden wäre. Die ersten 24 Stnnden legte ich ohne Unterbrechung zurück, und dann war diese eine recht unfreiwillige, wie man später ersehen wird. Zncrst fuhr man durch die nnwirthsame Nachbarschaft von New-Orlcans, Swams genannt, ein Terrain, das durchfurcht ist durch von der Natur gebildete Graben, eingefaßt mit mannshohem Gestrüpp. Doch auch desfeu Wurzel ruht nicht in fester Erde, denn Alles, was als solche erscheint, ist Morastgrund oder Sumpf, versteckt durch Schling- und Wucherpflanzen. Bald wird die Gegend freundlicher. Schöne üppige Eichen- uud Buchcuwälder nehmen die Stelle ber Swams ein, deren Bäume durch malerisch sich rankende Schlingpflanzen auf das Innigste mit einander verbunden sind. Gleich einem prächtigen grünen Teppich zieht stch der von Moos und Blumen durchwachsene Bodeu dahin. Sanfte anmuthige Höhen wechseln mit lieblichen Seen ab, in deren glänzender Fläche sich Anhöhe nnd Bäume spiegeln. Die ganze Landschaft trägt den Stempel der Ruhe und des Friedens cm sich. Diese prächtigen Wälder, die noch theilweise unentwciht durch den Fuß des Eindring- - 330 - lings sind, in deren Gründen das Geräusch der Axt noch ein fremdes ist, sie machen einen unendlich wohlthuenden Eindruck, wenn man aus dem wüsten Geräusch der Stadt kommt, wo das kleinliche Haschen uach Geld der rothe Faden ist, der sich durch alle amerikanischen Verhältnisse hindurchzieht. Ab und zu eilt der Zug an einer Waldblöße vorbei; hübsche reinliche Häuser, zierlich ans Holz gebaut, künden die Nähe von Ansiedlern au. Im Schweiße ihres Angesichts suchen sie dem Boden Gewinn abzuringen, nachdem sie ihu zuerst urbar gemacht habeu durch Niederhauen der ehrwürdigen Stämme, durch Ausroden der knorrigen Wurzeln. Das ist so der Charakter der Landschaft einige hundert Meilen weit, und ich war im Ganzen erstaunt über die genüge Abwechselung. Nachdem ich aber die ganzen Vereinigten Staaten und Canada durchreist habe, kaun ich das Urtheil wohl aussprechen, daß es in dieser riesigen fläche überhaupt nur sel,r geringe Abwechselung giebt. Wer 40 Meileu mit der Eisenbahn gereist ist, kann sich eine ganz genaue Vorstelluug vom Lande macheu. Dadurch wird es, trotz der großen Lieblichkeit, doch etwas einförmig. Die Einrichtung der Waggous ist dieselbe, wie ich sie schon in Cuba besprach; eine durchgehende Verbindung vom ersten bis zum letzten Wagcu. Es mag dieses seinen Vortheil für die Administration haben, für die Passagiere ist es nicht angenehm. Die Unruhe in dem Coups, sowie der Zug siud uuerträglich. Vesiudet sich - 331 - ein schreiendes Kind darin, so sind nicht li oder 8 Personen, wie in Europa, sondern 30—-4i> dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Die Bänke, deren dehnen man vermitteist eines Ueberschlagens, nach jeder Seite zum Sitzen einrichten kann, sind für lange Reisen ermüdend, da eben diese dehnen zu niedrig sind, n»i dem Kopf als Stütze zu dienen. Unter einem ewigen Hin- und Herlaufen nnd Thüreuzuschlagen u'erdell den Passagieren von Agenten stets Sachen ans den Schooß gelegt, die wan kaufen soll und die man stels gezwuugen ist wieder zurückzugeben. Zeitungen, Vücher, Kästchen mit Obst sind die Artikel, >nit denen man geqnält wird. ,^a selbst wenn man eingeschlafen ist, wird man noch deswegen aufgeweckt, und ich bewundere hierin, wie in so vielen anderen Punkten die ^angmuth der Amerikaner. Doch ich komme zn dein größten Ilebelstande auf ben Eisenbahnen. (!>'s giebt nämlich nur eiue eiuzigc Klapse auf deil meisten Strecken, so daß man gezwungeu ^!k, mit alleu uur möglichen Eleinenten iu einem Waggon zu sitzen. Ich gebe ^u, daß dies iu Amerika eher mög-lüh ist, als irgend wo anders, weil die ^eute der niedren blassen dort inehr Schliff haben als bei uns. Dazu kommt'das Gefühl der allgcmciueu (Gleichheit, das Alle beseelt uuo das zur ^olge h eine große Naturmerkwür--digkeit. Nachdem wir nns todmüde gclanfeil hatten, nahinen wir nnjcr Mittagsmahl ein und traten unseren Rückweg an. Man hatte eine wahre Sehnsucht, das Tageslicht zu erblicken und konnte den Moment der Befreiung kanm erwarten. Andere Oesellfchaften durchzogen gleich uns dieses Labyrinth, darnnter befand fich eine, die kostümirt wie zu einem Maskenball war. Die Damen waren in schwarzsammlncn Dcbardeurcostüm mit eben solchen, reich mit Silber geschmückten Kappen. Sie schienen in den stillen weihevollen Räumen der Erde ein Bacchanal abGraf Aruges, Nciseslizzcn, 22 — 3,^8 — halten zu wollen, so viel Körbe mit Champagner wnr-den ihnen nachgetragen. Ihre Stimmung war eine so heitere und laute, daß ich sie schon für „leichte Waare" halten wollte, bis ich später im Hotel das Gegentheil erfuhr. Vei der großen Extravaganz der Amerikanerinnen und bei der unglaublichen Art, wie sie vom stärkeren Geschlecht verwöhnt werden, ist der Unterschied zwischen der ganzen uud halben Welt schwer für den fremden zu erkennen. Ich bin sicher, daß die Damen in Europa reisend mit diesem Wesen oft Unannehmlichkeiten oder Zudringlichkeiten ausgesetzt sind. Den verschiedenen Formationen im Gestein hat man auch entsprecheude Namen gegeben uud so heißt eine besonders schöne Stalattitenform des Sommers letzte Nose. Bald ist die Decke der Höhle dnrch große Pfeiler gestützt, die beiunhe den Eindruck machen, als seien sie künstliche, bald ist die Höhle durch eine riesenhafte, Spannung getragen. In den Formationen deo Gesteins ist die Mammnthshöhle gar nicht zn vergleichen mit den herrlichen Gestaltungen der Euevas von Matanzas, wogegen lchtrn- sehr in der Antzdehnnng gegen jene zurücksteht. Gegen l-> Uhr Abends gelangten nur endlich au den Ansgang und waren fast geblendet vom Tageslicht, das uns so herrlich, so warm entgegenstrahlte. Hunderte von ^ledrrinänsen schwirrten uns so nahe an den Köpfen, daß ich stets eine Berührung mit dieseu unaugenehmen Thieren fürchtete. Fast .12 Stunden im unebenen steinigen Boden hatte unsere Wanderung ge- dauert! Mit welchem Behagen suchte man jetzt sein Lager auf! Bei Tagesgraucn brachen n>ir auf, unt die Eiseu-bahu uach Louisville zu erreichen. Wir langten um 2 Uhr Nachmittags dort an. Da ich drei Stunden Zeit hatte bis zum Abgang des Zuges nach Cineinnali, so sah ich mich etwas in der Hauptstadt des Staates Kentucky um. Von den 11)0,000 Einwohnern besteht der größte Theil aus Deutscheu. Die Stadt bietet uichts besouders Interessantes, ist aber freundlich gebant. In jeder Strafte sind hübsche Alleen und nette propre Häuser. Besonderer (N'wähnuug ist die große Eisenbahu-brncke über den Ohio werth wegen ihrer hohen Pfeiler, und ihrer außerordentlichen Länge. Die legend zwischen Louisville nud Cincinnati ist bedeutend cnltivirter, als dab vorher von mir durchreiste Laud. Ueberall erblickt mau bebaute Felder, schön gehegte Walder lehnen sich all reizende Anhöhen gleich einem Park an. Hier und da sieht man hübsche Besitzungen, turz, die Landschaft machte einen wohlhabenden lachenden Eindruck. Auch die Reclame zeigte sich in uuangenehmer breitspuriger Weise; so erblickte ich wohl-'U'—20 Meileu lang auf dein, die Felder gegen den Schienenweg abschlicßeudeu Zaun die Worte vmon hier führt der Weg steil bergab dnrch Anlagen wilder Kirsch- nnd zahmer Kasianienbänme nach Svringgrove, zu Deutsch: ^rühling^Garlen, Diesen poetischen Namen hat man dem Kirchhofe gegeben, nud wer denselben gesehen hat, wird das Treffende desselben zugeben. Man stelle sich den Kirchhof dnrchans nicht nach unserem Mnster vor, wo die Grüber zusammengepfercht, militärisch gerichiet daliegen. Hier ist es ein Part vou mehreren Meilen Umfang, wunderbar schön gehalten, mit sanften Anhöhen, spiegelklaren Gewässern, wo sich von Zeit zn Zeit auf dem dunklen Grnnd der (lypresseu ein weisi marmornes Denkmal abzeichnet. Keine Hügel bezeichueu die Gräber; iede Familie hat ihren Platz nnd weiß, daß dort ihre Theuren den ewigen Schlaf thun. Spring-Grove inacht einen sehr wohlthnenden und doch ernsten Eindruck; jede unangenehme Seite des Todtenplatzes, als steife — 342 — pompöse Beinhäuser u. s. w. ist hier nicht zu finden. Alles athmet tiefen Frieden, Frühling und Auferstehung. Ich muß gestchen, ^mß ich in einem so materiellen nüchternen Lande wie Nordamerika nicht solche Verehrung der Todten erwartet hätte, und daß ich davon erstaunt nnd ergriffen war. Mein liebenswürdiger Führer zeigte mir auch die Stelle, wo füuf semer Kinder beerdigt waren, u»d ich konnte ihm mein innigstes Mitgefühl über solche harte Prüfung nicht versagen'^'). ^ir wählten ciueu andern Rückweg und ich sah dabei die großartigen hnmanitärcn Anstalten, die von der Stadt errichtet waren, als das Armenhaus, das Blindenhaus u. a. m. Alles macht den Eindruck ciner guten Verwaltung. Eine sehr merkwürdige Erscheinung ist es, daß die Eingewanderten stets ihre Sympathien mit den Vandestheileu haben, in die sie znfüllig eingewandert sind. So sind die Deulscheu im Süden, z. B. in Ncw-Orleans, so gründliche Hasser des Nordens, als es die Ureinwohner nur sein können. Im Süden wurde mir gesagt, zwei Füuftcl der Staatseiunahmcn würden durchschnittlich veruntreut, was die Kleinigkeit von 200 bis 'j!>0 Millionen Dollars ungefähr ausmacht, während man mir gerade in (lineinnati versicherte, daß Veruntreuungen wohl vorkämen, aber nur in unbedeutendem Manßstabe. Ich glanbe, nm annähernd das Nichtige *) Dev Rllhin der Anlage des schöllen geschmackuolleu und groMtiqcn Spring-Groue gebührt einem Gerlmer. - 343 - herauszufinden, thut man wie immer im ^eben am besten, das authentische ^iittel ans beiden Anosagen zli nehmen, und das repräsentirt in diesem ^alle doch noch iinmer eine haarsträubende Snmme. Die gliten Nepilblikaner bilden sich also ein, eine große Ersparniß zu machen, wenn sie ihrem Präsidenten nnr 2l»,()W Dollars Gehalt jährlich geben, anstatt wie in den Monarchien dem Souuerain einige V^illionen (viuillistc. Sie scheinen aber außer Acht dabei zu lassen, daß dies einem Mann gegeben ist, der durch die Erblichkeit der Krone in seiner Familie ans das Innigste mit dem Wohle des Landes verknüpft, das Interesse des Vandes zu dem seiuen »lacht, während )eder nene Präsident mit einer Schaar l^eld-sanger als Beamten sein Amt antritt, wodurch Unterschlagungen von solcher Höhe Jahr aus Jahr eiu vorkommen, nne sie in Monarchien nie, glanbe ich, zu constatiren gewesen sind. Und doch, das ist mein Kopszerbrechen während der ganzen Zeit meines Anfenthaltes dort gewesen, nnd doch, sage ich, geht Alles leidlich gut. Das ,^and prosperirt, der Handel nimmt die großartigsten Verhältnisse an, die Schaaren der Einwanderer verdoppeln und verdreifachen sich, so daß man in einzelnen Läuderu Europas schon die ernstesten Befürchtungen der Entvölkerung har. Es geht alles gnt dort, trol) der fürchterlichsten Korruption des Beamtenthnms nnd der beklagenM'erthen Gerechtigleitopflege. Die einzige ^ösnng dieser il'ld zn geiuinnen, überaus zeitig in die ,Nöpfe und es ist erstaunlich zu sehen, mit welchem Geschick und mit welcher Vernünftigkeit arme Kinder im Alter von 6—5-, Jahren sich selbst in diesem Niesengetümmel der volkreichen Städte ihr Brod erwerben, lind so kommt es, daß sie mit 14 Jahren schon Erfahrung nnd Lebeiwlmntnis,' besitzen, wie man solche bei uns erst im 22. Lebensjahre ungefähr anzutreffen gewohnt ist. Das ist für die Eltern wohl ein bequemer, für die Kinder aber keineswegs gesnnder Zustand. Nach den Naturgesetzen will alles sriue ^it haben nnd nngestraft überschreitet man jene nicht. Dell Kindern ist dnrch die frühzeitige Arbeit die Gelegenheit benommen, sich körperlich auszubilden nnd der frühreife, Znstand der Ingend ist ein gewaltiger Schritt znr Degeneration. In den wohlhabenden Familien ist die Erziehung auch nnr auf den Handel zugeschnitten. Bis zum 14. Jahre bleiben die inngen Leute in deu Schnlcn und Gymnasien, um sich dann den Geschäften zu widmen, denen sie vielleicht sehr gewachsen sein mögen, aber tiefes Wissen, Kenntnisse nnd geistige Regsamkeit sind nicht voll ihnen zn verlangen. Bis znm 30. Lebensjahre kleiden sie sich sehr gesncht, aber über alle Begriffe geschmacklos und iu einem ^arbeureichihn»!, daß mau sie fast für Papageieil halteu könnte. Von da ab tritt die größte Vernachlässignng des Aschern ein. Sie lasseil sich eiueu - 347 — Bart stehen, wie weiland Lincoln ihn trug, d. h. einen Vollbart, mir die Oberlippe ist gänzlich rasirt. Sie lanen Tabak, spucken entsetzlich uiel und sind nichts weniger als schön lind elegant zu nennen. Die Bewegungen des schönen wie des starken Geschlechts sind steif und disgraziös, man könnte ungefähr sagen, der Engländer im so und so viel potenzirten Maßstabe, und namentlich ist ihr Tanzen, auf das sie übrigens sehr stolz sind, für den Neuling derart, daß es schwer fällt, ernst zu bleiben. Die Verbeugungen im Lancier erschienen mir fast wie Earikatnreu. Den Amerikanern wird es beim fitzen, unendlich schwer, die Füße tiefer zu habeu als den Kopf, und sie strecken sie manchmal in schwindelnder Weise in die Wlft. Entweder ist es die Lehuc eines auderen Ttuhls, oder ein (Geländer, oder ein Pfosten, der ein (Gebälk trägt, der diese nichts weniger als zierlichen Geh-Apparate des Amerikaners stutzen muß, und nnr wo ein absoluter Mangel, sie irgendwie höher zu placiren als auf den Fußboden, vorhanden war, habe ich sie in normaler Weise ihre Füße halten scheu. Nach meiner bescheideneu Ansicht hat Gott die Füße geschaffen, um mit ihnen den Boden zu berühreu, ebenso wie den Kopf, nm ihn in der ^uft zu tragen. Viel (^ue und uiel Formen eristiren im Umgänge nicht. ,^n einer barscheu tnrzen Weise fragt man selbst Bescheid und wird ebenso gefragt. Doch ist man sicher eine geuügellde Antwort zu erhalten. Was ich im Allgemeinen von Schwindel iu Geschäften und im alltäglichen i/cben hörte, klingt allerdings fabelhaft sich habe — 348 - glücklicher Weift persönlich keine Bekanntschaft damit gemacht), und das wurde mir ziemlich klar, daß die rafsi-nirtestcn Glücksritter Enropas im Vergleich zu ihren Collegen in Amerika doch nur erbärmliche Stümper wären. Daher kommt auch diese anscheinende Ehrlichkeit in Kleinigkeiten, mit denen sich abzugeben man nicht der Mühe für werth hält. Man beobachtet z. V. auf der Eisenbahn in Betreff Stehenlassens von Neisesäcken die größte Sorglosigkeit, weil man sicher ist, daß NiäM fortkommt. „Der Unterschied der Strafe, ob ich eine Million oder eine Bagatelle stehle ist so gering, daß ich mich nicht einer Lumperei wegen einer großartigen Strafe aussehen werde." Im Uebrigeu, stehle ich eine oder mehrere Millionen, so ist die Annahme nicht bestraft zu werden uiel größer als das Gegentheil. „Ich bin dnnu in Aller Mnude und gelte für ein großes l^'enie." Das sind so die Naisonnements, die man häufig dort hört. Es ist selbstverständlich, daß nicht Alle so denken, und ich bin sicher, daß es in den Vereinigten Staaten gewiß ciue sehr große Anzahl cdcldeukender vorzüglicher Männer giebt, aber im Allgemeinen ist es nicht das ^ano, wo Edelsinn, Großmnth und Selbstverleugnung so überaus heimisch sind. In den Augeu der Amerikanerinnen habe ich schon einen argen Verstoß dadurch begangen, daß ich die Männer vor dcu ^raueu erwälM habe, denn dort ist die wahre Heimath des Frauenknltns. Ich muß vorausschicken, um nicht für ciuen ungelenken Bauer gehalten - 349 ^ zu werden, das; ich sehr für die Achmng des zarten Geschlechtes bin, daß ich dasselbe für überans nothwendig für die Fortsetzung des Menschengeschlechts halte nnd daß ferner nns das Leben durch dasselbe versüßt nnd verschönt wird; ja ich füge noch hinzu, daß ich ein eifriger Gegner des jetzt in Paris epochemachenden Buches .^no/!^' von Alexander Dnmas Sohn *) bin, nnd daß, mag kommen was da wolle, man stets Milde nnd Nachsicht walten lassen müsse, deren man ja selbst so unendlich viel bedarf. Aber Alles hat seine Grenzen und diese müssen dann doppelt scharf gezogen sein, wenn ein Ueberschreiten derselben anfängt gemeingefährlich zu werden, wenn die Ehre des Hauses nnd der Familie, ja selbst die Bande der Gesellschaft dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Es mag hart klingen, aber es ist wahr, alle die Verrücktheiten und Extravaganzen des weiblichen Geschlechts, jene Tollheiten der Frauenemancipation haben ihren Herd in Nord-Amerika, der Hcimath, nicht der Franenachtung, denn das wäre ein Nnhm für das Land, aber der lächerlichsten Frauenuergötlerung. Die Männer erniedrigen sich zn den Kammerdienern ihrer Fraueu uud der Lohn dafür sind die tollsten Skandalgeschichten und die grüßien Ausschweifnngen, in denen New-3)ork den ersten Rang *) Derselbe predigt darin, das; im ssalle des Ehebruchs der Gatte ,licht anders handeln darf, als seine Fran todten, l^r beendigt seine an uielen Paradoxen leidende Schrift mit dem schr kategorischen Ausruf: ,,1'no 1a!'- Zi Auflage» erschienen dauon m 3 Monaten! - 350 — einnehmen soll. Man ist z. V. auf dem Deck eines Dampfschiffes nnd eine „Lady" läßt sich dort mit Stnhl, Kissen nnd Bagage nieder. Nach fünf Minnten sieht fic mif und geht an einen anderen Platz. Sofort nnterbricht der Gatte jede Beschäftigung nnd stürzt sich hin, nm der „Theuren" alle Packetchen und den Stuhl nachzutragen, nnd so wiederholt sich das häufig vier- bis fünfmal in einer Stunde. Hat mail in der Pferdecisenbahn einen Platz nnd eine „Lady" steigt ein nnd findet einen solchen nicht mehr vor, so überlaßt ihr der Herr seinen Platz sofort, wofür er kaum einen Dank erhält. Sicht man der Tame an, daß sie den gebildeten Sländen angehört, so ist eine solche Handlungsweise ja nicht mehr als billig, aber ich rnfe immer wieder ins Gedächtniß znrück, daß eben in Amerika Alles Lady ist. Die Amerikanerinnen siud unzweifelhaft recht hübsche Erscheinungen mit schönen (Gestalten, aber leider thnt ihnen ihr disgraeiöses unweibliches Wesen, ihr übertrieben sicheres Anflreten nnd eine große G^irrtheit gewaltigen Abbrnch. Ihre Hauptbeschäftigung ist, sich zu pntzen und so oft wie möglich mit Toiletten an einem Tage zu wechseln. Zch mache ihnen daraus keinen Vorwurf, im Gegentheil, e5 ist mir eine Augenweide, schöne uud elegante Toiletten zn sehen, aber die Ladies verstoßen häufig nnr zu arg gegen den Geschmack. Bei dem in Amerika herrschenden fabelhaften Neichthnm, bei dein schwindelhaft schnell erworbeneu Vermögen sieht man in Toiletten nnd Diamanten das Kostbarste, was man - 851 - nur denken kann, aber es ist Alles ohne Effect, weil eben der (Geschmack und die Grazie es ;u tragen, fehlen. Grelle und verschiedene Farben, übertriebene Anwendung der Pariser Modelle lassen stets das Ensemble ohne Harmonie. Eine Eigenthümlichkeit der Amerikanerinnen ist es, daß sie nie wissen, wie und wo sie ihre Hände halten sollen, und es ist komisch zu sehen, daß nach irgend welcher Ueberlegung sie dieselben dort haben, wo sie am wenigsten hinpassen. Viag der Mann in den Geschäften arbeiten von früh bis spät uud Millionen auf Millionen hänfen, die Frau rührt nichts an. Nie nimmt sie eine Handarbeit Vor, selten ein Buch. Je größer ihre Extravaganzen sind, desto höher steigt die Bewnnderung für sie, und in Bild und Schrift wird sie verherrlicht. Co machte in einer illustrirten Zeitnng die Geschichte einer ,,!>.ä/' von ü) Zähren in Boston großes Aufsehen, welche sich einen Veichcnwagen kommen ließ, sich in elegantester Toilette, eine ^'igarrette rauchend, hineinsehte ^die Leichenwagen haben nur eine Art Baldachin, die Seiten sind frei, so daß man den Sarg sehen kaun, —) und eine Spazierfahrt in diesem Auszüge durch die Stadt Boston machte. Hu meinem Bedauern konnte ich am Ende der Geschichte nicht ersehen, ob die Eltern oder Verwandten dieses Frauenzimmers dasselbe tüchtig dafür durchgeprügelt haben: es wäre dies die einzig richtige Behandluug für solches Gebahren gewesen, wenn mau sie nicht etwa iu ein Tollhaus stecken wollte. - 352 - Ich verlasse dieses wenig erquickliche Thema mit der Bemerkung, daß es Gott sei Dank auch Ausnahmen unter den Amerikanerinnen giebt, daß diese aber doch sehr in der Minorität zu sein scheinen. Auch ich habe, namentlich während meiner Rückreise nach Europa wahre Perleu des weiblichen Geschlechtes kennen gelernt und mau versichert mir auch, daß fern von dem verderblichen Ein-flnß der großen Städte die Aerhällnisse iu diesem Punkte bedeutend besser wären. Amerika ist das Eldorado des Proletariats uud wäre ich se in Europa in dieser Klasse von Menschen geboren, ich würde Tag und Nacht arbeiten, um mir das zur Neberfahrt nöthige Geld zu ersparen. Was hat uusere arbeitende Klasse für ein elendes Dasein im Verhältniß zn der amerikanischen! Mühselig arbeitet uub quält sich der Manu Jahr aus Jahr ein, um sich uoth-dürftig zu eruühren; ist er verhcirathet, so arbeitet die Frau ebenfalls, sorgt für ihre Kinder und wird durch dieses überanstrengte Leben vor der Zeit alt und grau. Strenge Gesetze, hartherzige Beamte drücken sie beide und verbittern ihnen mit ihrer Pedanterie dieses schon so wenig freudenreiche Leben. Uud das, was ich hier schildre, ist noch der günstigste Fall. Wenn aber Krankheit, Alter und Arbeitsunfähigkeit eintreten, wenn der karge Lohn eben nnr ausgereicht hat, deu Hunger zu stillen, es uichl möglich war, zn sparen, was dann? Nnu dann gesellt sich zur Armuth die bitterste Noth und der Kummer, die Seilten leiden zu sehen. - 353 — Mißmuthig und verzweifelt sieht man dein Tode als Erlösung dieser irdischen Qual entgegen. Wer mir nun sagen wird, ich übertreibe, dem erwiedere ich, keineswegs; es ist dies nur eins von den Tausenden von Bildern aus dem täglichen Leben gegriffen, und wer sie leugnet, der schließt uur hartherzig die Augeu bei ihrem Anblick, um sich dadurch nicht in seinen Vergnügungen stürm zu lassen. Ich will dagegen die Situation des Amerikaners oder des Eingewanderten nicht besonders ausmalen, nur hervorheben, daß ich nicht von denen rede, die dnrch ihr Talent, durch ein außergewöhnliches Glück oder durch Schwindel begüustigt, sich zum Milliouär emporgeschwungen haben, ebenso wenig wie ich anderseits nicht von Taugeuichtseu uud verkommcuen Subjecteu spreche, souoern von dem Durchschuitt der eiugewandcrten Personen. Sie erhalten einen so bedeutenden Lohn nnd können trotz des thenren Lebens dort solche Ersparnisse machen, daß sie im Fall von Alter uud Krankheit genügend gegen die Noth geschützt sind, ja, daß sie sich selbst ihr eigenes Häuschen bauen lassen können. Sind sie friedfertig und bezahlen sie ihre Steuern, so quält sie kein Mensch. Kein Nangesuuterschied cristirt für sie, sie sind dasselbe, was der Reichste und frei in der wahrsten Bedeutung des Wortes. Wundert man sich noch über das Ueberhandnehmen der Auswanderungen bei uns? Der Staat schaffe dem Proletariat solche günstige Verhältnisse nuo keiu Meusch wird daran Graf Bruges, Nch'cstizzen. 23 - 354 — denken, denn in jeder Brust lebt das Gefühl der Liebe, zur Heimath, das bewiesen mir die zahlreichen Thränen, die ich beim Verlassen Europas von solchen Auswanderern vergießen sah. Cincinnati zählt unter seinen 309,900 Einwohnern ein Drittel Deutsche, nnd in einem Stadttheil glaubt man fast in Deutschland zu sein, zumal man uoch einen Fluß dort den Rhein genannt hat. Wie Amerika in kühnen Ingenicurarbeiteu der ganzen Welt voran steht, so besitzt auch Cincinnati in eiuer großartigen Kettenbrücke über den Ohio einer Probe davon. Man muß namentlich die Spannung von unteu sehen, um einen Begriff von dem gewaltigen Werke zu bekommen. Eine andere Eigenthümlichkeit ist eine Eisenbahn, die den unteren Theil der Stadt mit dem oberen verbindet, nnd die in einer Böschung von circa 49 Grad herauf- nnd herunterfährt. Die Construction ist hauptsächlich darauf basirt, daß starke Stricke ein Ucberstnrzen der Wagen beim Hcrabfahren verhindern, während diefelben beim Ersteigen als Hebel dienen. Die Fahrt geht überraschend schnell und das Ganze ist überans praktisch und ingeniös. Cincinnati ist an einer Ncihc von steilen Hügeln erbant, auf denen sich die Landsitze nnd Parts befinden, während der untere Theil ausschließlich dem Handel gewidmet ist. Zehntes Capitel. Put in Bay, — »^riesce. — Niagarafall. — Lorcuzostroin. — Montreal. — Social« Zustände. — Hudson. — Newport. — Präsidentenwahl. — Voston, — Newport. — Washington. — Palriinore. — Philadelphia. - ^ Rückreise. Meine nächste Ncise galt einem sehr beliebten Sommcranfenthalte, der Insel Put in Bay im Eriesee. Nach zehnstündiger heißer und staubiger Eisenbahn fahrt erreichte ich die Stadt Sandnsky, uon wo ans inali mit dem Dampfschiffe noch vier Stunden zn fahren hat. Die Afer des Sees sind lieblich nmrahint von frischem l>irün, und doch bieten sie, dn sie ganz eben sind, keine außergewöhnlichen Reize, ^ir eilten dnrch die grüne klare Flnth einer Grilupe von Inseln zn, die ziemlich dicht aneinander liegen, nnd deren entfernteste Pnt in Bay ist. Schon von weitem taun man das große kasernenartige Hotel erkennen, das an einer kleinen Bncht halb versteckt von hohen Bänmen liegt. Eine kleine Insel, den stolzen Namen Gibraltar wegen eines steilen Felsens führend, lagert sich davor nnd dient einen: reichen Ban- — 356 - quier zum Sommeraufcuthalt. Große Gruppen von Herren und geputzten Damen tummelten sich auf dem Vorplatze umher, sich iu angenehmer Unterhaltung die Zeit vertreibend, oder sich vou deu Promenaden auf dem kleinen Eiland ausrnhend. Wie wenig entspricht doch das dortige Landleben dem unsrigen, wo mau glücklich ist, aus der räucherigen Stadtluft herauszukommen, wo mau frei und ungeuirt sich bewegen kann, und wo die Damen in weniger steifen Toiletten aufathmen. Nichts uou diesen Bequemlichkeiten bemerkt man hier, und dieses heerdcnartige Landleben beweist mir von Neuem, daß dem Amerikaner der Begriff von Gemüthlichkeit gänzlich unbekannt ist. Er athmet hier wohl Landluft uud die frische Brise des Eee's, aber uou irgend welcher ruhiger Erholuug kann wohl nichr die Nede sein, wenn man mit 4—500 Personen unter einem Dache wohnt. Ich glaube auch kaum, daß die Amerikanerinnen sich sehr danach sehnen; sie ,,donnern" sich hier ebenso wie in der Stadt auf, nm sich bewnndern zu lassen. Ueberall wo ich solche Massen-Erholungsorte berührte, sah ich sie auf demLande leben, aber eine ganz städtische Lebensweise führen. Mich konnle nn Allgemeinen dieses asfectirte Leben und Treiben nicht recht ansprechen uud es drängte mich bald wieder fort, umsomehr, als all' mein Sehnen und Trachten schon uach dem Niagarafall ging. Vor meiner Abreise aus Put iu Van hatte ich einen in Amerika recht seltenen Genuß, der eineu um so tieferen (5'indrnck auf mich — 357 - machte, als ich ihn so lange hatte entbehren müssen. Eine reizende blonde Dame sang im Salon so schön nnd ergreifend, daß ich selten eine so herrliche smnpa-thische Stimme gehört zn haben glanbte. ,Vhrc Schnlc waransgezeichnet, nnd die Fertigkeit, mit dcr sie namentlich in italienischer Sprache sang, bewies mir, daß man es mit mehr dcnn mit einer Dilettantin zn thnn hatle. Ans deni Dampfboole ertönte znm letzten Male die Glocke, nnd fast mit Gewalt riß ich inich von der amerikanischen ^oretry los. Zwanzig Stnnden später langte ich in dem Städtchen Niagarafall an. Es erscheint nur ein «ermessenes Unternehmen, mit meinen schwachen Kräften ein Bild non diesem großartigsten aller Natnrschanspielc geben zn wollen. Es giebt eben gewisse Dinge in der Welt, die zn schildern eine menschliche Feder nicht im Stande ist. Man kann wohl Zahlen angeben, man kann sagen, der nnd der Fall ist so hoch nnd so breit, man kann hinzufügen, er ist sehr gewaltig nnd schön, nnd doch kann derjenige, der es. liest, sich keine Vorstellung von der Wirklichkeit machen. Von dem, was ich zn sehen Gelegenheit hatte, sind es besonders drei Gegenstände, die jeder Schilderung spotten, nnd die man meiner Meinnng nach nnr ans eigener Anschannng erkennen nnd begreifen kann. Da ist znerst die St. Peterskirche in Nom in ihren so edlen, gewaltigen nnd harmonischen Formen, ferner das Eolofsenm eben daselbst in einer Größe, Aus-dchnnng nnd Hohe, wie es nnr eine Zeit wie die da- — ^58 — maligc lnid -ein die ganze Welt beherrschendes Volk her-vorznrufen im Ctande war und zuletzt, zwar deshalb von den ersteren sehr verschieden, als er ein Werk der Natnr und nicht uon Menschenhänden ist, der Niagara-fall. Ich habe viel von der Welt gesehen, ich habe Enropa, den Orient und seht auch den größten Theil von Amerika durchwandert, und ohne Besinne» spreche ich es auö, daß er das größte Nalnrschanspiel ist, das es vielleicht ans der gan^n Erde giebt. Mau kann die beschwerliche Seereise uon (i'nropa ans machen, um nur den Ningarafall zu sehm, dann sofort wieder zurückkehren, und man wird doch reichlich sich für alle An-strcngnngen der Reise belohnt fühlen. Amerika ist in Allem großartig. Sein Handel, seine Unternehmungen, seine Verbrechen, seine Nnglnck5-fülle find cs. Aber auch seine Natnrwnnder sind es, das beweisen der Niagarafall nnd die Maminnthshöhle. Ueber 200 Jahre sind jetzt verflossen, daß ein Iesniten-Missionar nntthvoll in die Hütten der wilden Indianer eindrang, lim die Vehn' (>hristi dort zu verbreiten. Anf einer dieser Wanderungen entdeckte er den Niagarafall, nnd dort, wo vor W Jahren noch die Indianer anf die Skalpe ihrer feinde lauerten, steht jetzt ein hübscher Ort mit prächtigen Hotels nnd unzähligen Magazinen, in denen Andenken an die Indianerstämmc, die früher hier hausten, feil geboten werden. Tausende nnd aber Tausende von Reisenden beleben jetzt die großartige Natnr nnd stören sie leider nur zn oft mit ihren tri- - 359 — vialen Redensarten. Schon von Weitem hört mail das ewige Brausen nnd Rauschen der sich hinabstürzenden Fluthen, während eine Art weißer Wolke sich darüber lagert. Man nähert sich und sieht den breiten Strom mit reisender Geschwindigkeit und in Stromschnellm, gewissermaßen wie von einer schiefen Ebene herab, sich an die entscheidende Stelle hereinstürmen. Kurz vor dein Fall ist er bnrch drei oder vier kleine Inseln mit reizenden Parkanlagen nnd wundervollen Baumpartien, durch Brücken mit einander verbunden, getrennt. Diese Eilande, so umspült von den tosenden Gewässern, macheu einen eigenen friedlichen Eindruck nnd es ist zn verwundern, daß sie so lange den Elementen haben Trotz bieten können. Der Fall ist durch diese Inseln in zwei Theile getheilt, die man als den amerikanischen unddencanadischen, je nach dm Ufern, deueu sie am nächsten siud, bezeichnet. Sie bilden zusammen ungefähr eiucu rechten Winkel und nmfassen eoncentrisch den nuten sich dahingehenden Strom. Der eanadische Fall ist der größte und wasserreichste, auch nimmt der Strom seine Richtnug an. Man nennt ihn den Horse-shoe (Hnfeifcn) Fall, da er fast ganz diese Form hat. Der amerikanische Fall ist IlM) Fnß breit; er stürzt sich fast in einer geraden ^inie 1l»l> Fnß tief hinab, nicht etwa übereilt und dnrchciuauder, soudern majestätisch und einer Wand oder einem Vorhang ähnlich. Der Horse-shoe-Fall gleitet anch allmählich 156 Fuß tief hinab, und seiue Breite beträgt 1800 Fuß. Doch kommt diese durch den tiefen inneren Einschnitt nicht so - 360 - zur Geltung, wie beim amerikanischen Fall. >!^ Millionen (^ubikfuß Wasser stürmn sich in jeder Minute hinab. Man wird ans den Zahlcu ersehen, daß die Ausdehnung und Breite der Fälle eine ganz außerordentliche ist. Von hundert verschiedenen Seiten und Stellen, uon oben und unten sieht man sich das Naturschanspiel an, das stets als Tutaleindruck am schönsten nnd gewaltigsten von der Cauadaseite erscheint. Das große Becken, das durch die Fälle gebildet ist, wird umschlossen von hohen senkrechten Felsen, und die Verbindung der beiden Ufer geschieht durch eine in schwindelnder Höhe über den Strom construirte Hängebrücke von wunderbarer Schönheit und Feinheit. (Mich einem Bogen ans Spinngewebe erscheint sie Einem, und giebt hier in Gegenwart der großartigsten Natur Zeugniß von der Arbeit und dein Fleiße des menschlichen Geistes. Manche haben sie hier störend gefunden; ich bin aber entgegengesetzter Ansicht, und wcun sie auch nnr des schonen Blickes wegen da wäre, den man von ihr auf die Fälle hat. Gleich nach dem Falle arbeitet der Gischt der Wassernlassen fast über die halbe Höhe wieder empor, dann ist die Wasserfläche des Beckens ruhig und ohne bedeutende Aufregung. Der Niagara-Strom hat eine schöne, sehr dunkelgrüne Farbe und sein Wasser ist von einer wunderbaren Klarheit. Regenbogen spiegeln sich unaufhörlich in den Fällen in den verschiedensten Größen, einzelne sind ganz rund geschlosseu. ,Iu den Horsc-shoe-Fall ist weit hinein anf einem Felsen, zu dem man vermittelst einer hölzernen — .861 — Brücke gelangt, ein Thurm erbaut, von dem aus man vorzüglich das Spiel der Wogen, namentlich in der concaven Form des Falles, beobachten kann. Leuten, die an Schwindel lciden, ist nicht genng Porsicht anzurathen beim Stehen an der Wasserfläche, denn jedes Jahr fast ereignen sich Uuglücksfällc durch Hinabstürzen und noch kürzlich war eine überspannte Dame, die sich einen zu übcrschwüuglichcn Platz, hart am Nandc des Felsens ausgesucht hatte, in die Tiefe gestürzt. Eine recht lohnende interessante Partie ist es, hinter den amerikanischen Fall zu gehen, und mit Vewnndernng und Grauen denke ich daran zurück. Nachdem man sich seiner sämmtlichen Kleider entledigt hat, wird Einem ein wasserdichtes Costüm uud eiue Kappe übergeben. In Begleitung des Führers steigt man eine Treppe längs der Felsen hinab nnd befindet sich nnmittelbar am ^nß der Mle. Das Ge-ränsch ist betäubend, ohrzerreißcnd. Nun beginnt die Wanderung, bei der man sich fest an ein Geländer halten muß; zur rechten Hand hat man den Felsen, links die herabstürzenden Wassermassen. Im Angenblick des Betretens dieser Passage stutzt man unwillkürlich, doch vorwärts geht es. Man sieht Nichts, der Athem stockt fast und man glanbt, mit hineingerisfen zu werden in den Strudel. Gleich einer nngehenren Lawine stürzt links das Wasser hernieder und die einzige Besinnung, die man noch behält, sagt Einem, daß man das Geländer fest halten mnß als -Rettungsanker in den Alles mit sich fortreißenden Gewässern. So muß dem Taucher — 302 — bei Schiller zu Muthe gewesen sein, als er seine glänzende Beschreibung des, Grundes des Meeres macht und mit den Worten schließt: „Dort«unten aber ist es fürchterlich und der Mensch versnche die Götter nicht." 200 Schritt gingen wir so vorwärts und die Zeit wollte nur fast eiue Ewigkeit di'mkeu. Wir langten au einer Stelle au, wo der Fall eine Wenigkeit unterbrochen war. Mühsam blickte, ich nach oben, da mir stets der Gischt in Strömen in die Augen fiel, und ich gewahrte den überaus herrlichen und erhabenen Wall von Wasser. Die Sounc schien darauf und gleich Millionen der kost-barstm Diamanteu strahlten die unzähligen Tropfen, die hinabstürzten. Wir setzten unseren, Marsch laugs der Fclseu, die wir überkletteru mußten, fort. Tausende von kleinen Wasserfällen bildeten hier die spiegeltlareu Flutheu, die dem Gestein im Lauf der Jahre die wunderbarsten Gestaitnugen gegeben hatten. Gleich beim Beginn der Wanderung war mein wasserdichter Anzug so durchnäßt worden, daß er mehr hinderte als nühte. Da dock) nichts mehr trocken zu erhalten war, benutzte ich die Gelegenheit, dicht am Fuße des Falles ein köstlich erfrischendes Bad zu nehmen, in Folge dessen ich mich gründlich erkältete. Ueberaus befriedigt von dem Erlebten, kletterte ich wieder nach oben, ohne mir so recht sagen zu können, was ich denn eigentlich gesehen nnd erfahren hatte, und doch tausche ich die Erinnerung' darau uicht um viele Schätze. Der ganze Eindruck, den man von deu Fällen — 363 — hat, wächst mit zedcr Stunde, die man länger dort verweilt. Ich blieb drei Tage dort und saß halbe Tage lang im Anschauen derselben vcrsnnkm und konnte mich nicht satt sehen. Jedes Mal, wo man sie wieder von Neuem sieht, ist mail im ersteil Augenblick wie geblendet davon. Zn jeder Tageszeit eilte ich hin, mn mir die Erinnerung recht tief in das Gedächtnis; zu prägen. Namentlich des Abends im hellen Glänze des Mondes ist der Anblick überirdisch, geisterhaft, schön. Man glanbt sich in Dante's Purgatorio verseht, und in dem weißen Dampf und Schaum erblickt man die Seelen der Abgeschiedenen, Nuhe suchend. Wie schön, wie heimlich war es dann! Das eitle Geschwätz der vielen Neiscnden war verstummt, und man war allein mit der Großartigkeit des Natnrschanspiels. Hnnderte von fremdartigen Gedanken kochten nnd gährten im Herzen, gleich den Wogen tief unten, von denen mau sich keine Rechnung zu gebeu im Staude war. Wie eine Vision aus dem Geisterlrben sah ich hier zum ersten Male in meinem ^ebm den Monoscheinbogcn. Zart wie ein Hanch, farblos wie ein Nebelstreifen,-wölbte er sich zum klinge und schwebte über der Wasserwand. Nach dem, was ich gehört uud auf Photographien auch gesehen habe, mich der Niagarafatt im Winter noch bedeutend schöner als im Sommer sein. Die Kälte ist hier sehr groß nud der Ml friert theilweise zu. Daun bilden sich die eigenthümlichsten Eisformationeu in gc^ waltiger Größe. Kühne Eisbrücken in luftigster Eon- — 364 — struction, herrliche Grotten gleich Feenpalästcn aus Eru-stall, Vannie fast erliegend unter der Last des Schnees die wunderbarste:: Formen annehmend, alles das bildet der Winter am Niagarafall. Bis ungefähr tansend Schritt hinter den Fällen fließt der Strom rnhig dahin, doch da anf einmal, als wäre dieses noch eine Nach-wirknng, empört er sich und bildet solche Strndel nnd Stromschnellen, wie ich sie noch nie gesehen habe. So bäumt sich der Whirlpool bis zur Höhe von 30—40 Fuß Höhe empor. Die Ufer sind großartig erhaben schön, sie bilden noch immer jenes gewaltige steile Flnßbctt. Prächtige Vegetation nnd herrliche Dnrchblicke bieten sich allenthalben. Eine halbe Meile weiter ist wieder solche kühne Suspensionsbrücke, aber gewaltiger als die erste. Sie hat zwei Etagen, die nntere für Wagen und die obere für die Eisenbahn. Einen schwindelndeil Eindruck macht cs, deu Zug darüber sauseu zu sehen. Die In-dnstrie hat sich an diesem von der Natnr so bevorzugten Fleckchen Erde sehr breit gemacht. Man thut am besten, während seines dortigen Aufenthaltes das Portemonnaie stets offen in der Hand zu behalten, denn jeder Schritt kostet Geld. Bald ist es diese Brücke, bald jene, bald dieser Thurm, bald jener, wo man bezahlen muß. In die Läden wird man von den dort verkanfenden sehr eleganten Ladns beinahe mit Gewalt gezogen, und ehe man mir den Mund geöffnet hat, um irgend Etwas zu verlangen, find Einem schon für 40—50 Dollars Sachen eingepackt. Meistens sind es indianische Producte, rei- - 365 — zende Fächer von Federn mit einem ausgestopften Eolibri darauf u. a. in., die zu enormeu Preisen feilgeboten werden. Eine Industrie, die großen Beifall erntete, ist es, die Fremden zu photographiren mit den Fällen als Hintergrund. Mir kommt diese Idee geradezu wie eine Ironie vor, denn der Mensch erscheint im Verhältniß zu diesem gigantischen Naturschauspiel wie ein Wurm, den man nur vermittelst eines Mikroskopes zu entdecken im Stande ist. Ans der canadischen Seite angekommen, berührt man den englischen Boden. Ginge ich iemals wieder dorthin, so winde ich auf dieser Ceite' in dem schönen Cliftonhouse wohnen, von wo anü man den günstigsten Blick auf die Fälle hat. Prächtige Exemplare schwarzer Bärcu und Newfoundlander Hunde tonnte man auf dieser Seite bewundern. Am Morgen des vierten Tages verließ ich Niagara-Falls nnd ich muß gestehen, daß ich dabei zum ersten und einzigen Male in Nordamerika das Gefühl des tiefen Bedauerns beim Scheiden von einein Orle empfand. Die Schönheil und Erhabenheit der Natnr Hierselbst hatte einen großen und bleibenden Eindruck auf mich hervorgerufen. Ich fuhr in ^/.. Stunden mit der Eisenbahn nach Lewston. Der Schienenweg führt hart am AbHange des steilen Flußufers, in Felsen gehauen, hin. Er ist unendlich reich an landschaftlichen Netzen. Tief, tief unten sieht mall den prächtigen smaragdgrünen Strom, umrahmt von den herrlichsten Bäumeu. Von Zeit zu Zeit — ^0 — kann man den gälten noch einen letzten Scheideblick zn-werfm. Und selbst wenn das Angc sie nicht mehr gewahrt, so erblickt man noch jene, weißen Wölkchen am Horizont, hervorgerufen dnrch den Gischt der Gewässer. In Lewston mündet der Niagara in den Ontario-Scc und man besteigt hier das Dampfboot, um nach Toronto in Canada zu fahren. Es ist dies eine aufblühende Stadt von 70,090 Einwohnern, aber ohne jegliche Merkwürdigkeit für den Fremden. Ich war froh, als die vier Stunden Anfenthalt verflossen waren und ich von Neuem mit der Eisenbahn, die Nacht hindnrch, nach Kingston fahren konnte. Die Bahn führt dicht an der nördlichen Seite des Sees. Es ist ein historischer Boden, und manche Schlacht wnrde hier zwischen Engländern und Amerikanern geschlagen. Bei Tagesgranen kam ich in Kingston an. Dort bestieg ich das Dampfboot, mit dem ich den Lorenzo-Strom hinunter nach Montreal fahren wollte. Da es gerade die Hanptsaison für die Tonristen war, so wnrde das Schiff unendlich überfüllt. Eine drückende Hitze lagerte sich auf dem Strom, wo kein Lüftchen wehte. Stromabwärts kommt man an den „tansend Eilands" vorbei, die von den Amerikanern sehr bewundert werden, wozu ich allerdings die' Berechtigung etwas vermißte. Es sind dies nnzählige kleine Inselchen und Felsriffe, die aus dem Wasser hervorragen, und die die obenge-uannte Zahl erreichen sollen. An den Küsten von Schweden und Norwegen sieht man dieselben Formationen __ IH^ __ in hundertfach größerem Maaßstabe und ucrlicrt kein Wort darüber. Eine andere Eigenthümlichkeit des Lorenzo-Stromes, die wirklich im höchsten Grade interessant und sonderbar ist, sind die fabelhaft reißenden, sehr gefährlichen Stromschnellen. Sie dehnen sich manchmal über 1000 Fuß lang aus; die ganze Wasserfläche des gewaltigen Stromes gleicht dann einem reißenden Gebirgs-bach und die (Gewalt derselben ist so groß, daß das Dampfschiff zeitweise völlig quer im Wasser vorwärts geht. Diese Stromschnellcn sind überaus gefährlich für die Schifffahrt und maucher Ungtücksfall durch sie hcr-vorgcrnfen, ist zu registriren. Die größten und heftigsten befinden sich einige Stunden uor Montreal. Der Strom nimmt eine fast seeartigc Breite an, reizende Inseln mit schönen Eichen- uud Buchenwäldern uutcrbrecheu ihn nnd tragen durch ihr schräg Davorliegen auch dazu bei, die Heftigkeit des Gewässers zu erhöhen. Da stroman zu fahrcu selbst den Dampfschiffen an diesen Passagen unmöglich ist, so hat man stellenweise daneben Eanäle augelegt. Nach vierzehnstündiger Fahrt sahen wir endlich den Montreal oder Mont Royal in der Ferne liegen, der der Stadt den Namen gegeben hat. Es war schon zu spät geworden, mit dem Dampfschiff zur Stadt zu fahren, da auf der letzten Strecke noch eine Stromschuclle zu passiren ist und man das in der Dunkelheit nicht wagen kann. Wir stiegen an das Land, wo ein Extrazug der zahlrcicheu Gesellschaft harrte, der uns bald nach Montreal — 368 - brachte. Halb todt und ermattet von den großen Anstrengungen der letzten Zeit langte ich in dem überfüllten Ottawa-Hotel an. Gin Zelle wie ein Gefängniß nahn: mich auf; solche Nänme erwarten den Reisenden stets, selbst in den vornehmen Hotels, wenn er ohne „Lady" reist. Ich sollte acht Tage das Zimmer nicht verlassen, denn ich wurde recht krank. Die Wasserpartie am Niagarafall hatte reichlich dazu beigetragen. Dank der Behandlung eines englischen Arztes und der liebenswürdigen Fürsorge des deutschen ssonsnls, Herrn Mnnderloh, erholte ich mich bald wieder und widmete der Besichtigung der Stadt und deren reizender Umgebnng noch einige Tage. Montreal, in der herrlichsten Lage an dem Berge gleichen Namens erbaut, bespült von dem hier zwei Meilen breiten Lorenzostrom ist die schönste, volk- nud gewerbreichste Stadt von (ia-nada, und ihre Einwohnerzahl belänft sich anf 18l),<)!><) Seelen. Trotzdem hat sie den Rang einer Hauptstadt dem nnbedentenden Ottawa abtreten müssen. Eine Ver-legnng, von der häufig die Nedc ist, wird deshalb als unmöglich angeschen, weil man am letzteren Ort eiu prachtvolles Parlamentogebäude errichtet hat. Gerade, gut gehaltene Straßen, schöne palastartige Gebäude, außerordentlich viele und stattliche Kirchen,. Handel nnd Treiben anf großen Reichthum deutend, alles das giebt Montreal ein sehr großstädtisches Ansehen. Der englische Einfluß macht sich anch in angenehmster Weise geltend dnrch viele gemeinnützige nnd wohlthätige Anstalten. So vereinigt - än>1 nnd die Iesniten-kirche hervorznheben. Die verschiedensten Seeten haben sich hier niedergelassen nnd auf einer Stelle zählte ich dicht aneinander sieben Kirchen, sieben verschiedeneu Con-fessiourn angehörend. Ihr Styl ist meistens sehr ansprechend. Sie sind häusig von rohen Fclssteinen erbaut, nnd die Wände sind reich mit Vphen bewachsen. Die ganze Stadt liegt in einem prachtvollen Flor vom frischesten l^'rün, und oben vom Berge, reich beschattet von fast tausendjährigen Bäumen, hat man einen so reizenden Blick ans die reiche Stadt mit den vielen Kirchen, Palästen und Villen, auf den belebten Strom nnd die riesenhaft lange Brücke, daß man sich gar nicht genug daran »weiden kann. Die Bevölteruug macht gleichfalls einen sehv angeuehmcu Eiudruck. Sie ist größer und stärker als die nordamerikanischc. Ihr Wesen ist ernst und sehr höflich, so daß die bei nns so verbreitete Redens- Gnis Ärugc«, Ncisl'skizzc,!. 24 — 370 - art: „Ein Canadier, der Europens übertünchte Höflichkeit nicht kannte", wohl jetzt nicht mehr ganz zutreffend ist. In den verschiedenen dort vertretenen Culten ist man sehr streng und gewissenhaft, und namentlich zeichnen sich die Katholiken Canada's durch ihre große Anhänglichkeit und Treue an ihren Glauben nnd den Papst aus. Die politischen Verhältnisse des Bandes find so günstig gestaltet als nur möglich. Canada genießt den Schutz Englands, ohne dessen Lasten zu tragen, d. h. die sämmtlichen Einnahmen werden zum Besten des Landes selbst verwendet. Soldaten werden nicht ansgehobeu, nnd die dort in Garnison befindlichen Truppeu siud aus England herübergeschickt. Schon oft hat sich die Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten auf dieses Nachbarland gerichtet, und im Mlle eines Krieges mit England könnte wohl Canada der Preis des Sieges für erstern Staat werden. Eine Vertheidigung dort ist unendlich schwer, wenn man bedenkt, daß nur ca. 5 Millionen auf ein Land kommen, daß in seiner Ansdehnung bedeutend größer als die Vereinigten Staaten ist. Das Clima hat die Eigenthümlichkeit, daß die dort herrschende Hitze ungefähr dieselbe Anzahl Grade erreicht, als tief im Süden in New-Orleans, der Winter aber überaus streng und lang ist. Vom NovembG bis Ende März schwindet der Schnee nie von den sselßern und Straßen, und kein anderes Gefährt, als der Schlitten — 371 — ist dann zu verwenden. Tie Luft ist reiu, klar uud gesund. Das läßt sich anch leicht begreifen, denn der uach-theilige Einfluß des Winters auf die Gesundheit bei uns hat seinen Grund weniger in der Kälte, als in dem häufigen Wechsel und der Feuchtigkeit der Witterung. Ein sehr verbreitetes Vergnügen ist dann das Schlittschuhlaufen auf dein Strom. Auf dem Laude bedient man sich der großen Schneeschuhe, um vorwärts zn kommen. Wirft man einen Blick anf die Karte dieser Gegenden, so ist man erstaunt über die große Anzahl indianischer Namen, die sich bis auf den heutigen Tag in der Heimath der Tfchirokcsen und Mohikaner erhalten haben. Von Montreal fuhr ich mit der Eiseubahn über die Victoria-Bridge wieder zurück nach Noussepoiut am ^at'e Champlain, wo ein schöner, elegant eingerichteter Dampfer die zahlreichen Reisenden anfnahm. Die Fahrt auf dem See ist reizend. Schöne bewaldete Ufer mit gewerb-reichen Ortschaften oder hübschen Landsitzen auf den Hügeln wechseln schnell mit einander ab, während man in der ^erne dic hohen Gipfel der VVIiits Nount^in», der amerikanischen Schweiz, erblickt. So fährt man 6 Stnnden bis nach Ticonderoga, einem kleinen Ort am südwestlichen Ufer. Eine große Auzahl hoher vierspänniger Neisewageu fanden sich für die Reisenden vor und uach ciuer reizenden Fahrt von 1^, Stunde durch üppige Wälder vou wilden Kirschbümnen mit den malerischsten Durchblicken ans Berge und Thäler, durch ein so lachen- 24^ — 372 des schönes Land, daß man es für einen (Zarten mit silbernen Bächen nnd Cascaden halten konnte, kainen wir an den Lake (George in einer vollständig gebirgsartigen Scenerie gelegen. Wir bestiegen ein kleines Dampf-schisf nnd dnrcheilten die klare dunkle Fluth, entzückt über die Schönheit der Ufer, die sich bald eng zusammenzwängten, bald sich zn lief einschneidenden Bnchten ge-stallelen, an dencm schöne ^esilznngen in sanber gepflegten Bärten halb versteckt lagen. In der letzten Stnnde ging nnser l'onrs direct nach Süden, und schon von weiten» konnte man das palastartige, in schönem zierlichen Etvl erbante Fort William-Mac-Henry-Hotel mit seinen ^alkon^ und seiner großen Terrasse erkennen. Hnnderte von fremden genossen dort ivieder die Sommerfrische. Der Platz da^n ist wirtlich reibend gewählt, denn von hier ans erblickt, erinnert der S^e mit seinen Gebirgen an einen Schwrizer-Eee. Die l^esellschaft schien im Ganzen eine eleganle zn sein. Nach dem Diner er-schienen die Damen in großer Toilette im Salon nnd das Orchester des Hotels spielte znm Tanze ans, welcher Nnffordernng reichlich, wenn anch in wenig graziöser Weise, Folge geleistet wnrdc. Am anderen Morgen brach ich wieder ans, nnd die Fahrt in der schönsten frischen Morgenlnft im großen Neisewagen war reich an hübschen landschaftlichen Bil dcrn. Wir stiegen eine steile Höhe empor, nnd hatten zeitweise die reizendsten Dnrchblicke anf den dampfendeil Scee und das schön gelegene Hotel. Die nächste Eisen- - 373 ^ bahnstation war Glensfall, ein Ort fast gänzlich nnr aus Landhäusern und hübschen Gärten bestehend. Eine Stnnde später langte ich in Saratoga an, dem berühmtesten Luxus-Bade des reichsten Vandes der Welt, deln Baden-Baden Nord-Amerikas. Und welcher Unterschied zwischen jenein irdischen Paradies im Schwarzwalde, jenem Inbegriff von Geschmack nnd Lnrns, von reizenden Arrangement und amüsantem Leben nnd Treiben nnd Saratoga. Lnxns nnd Verschwendung sind reichlich dort zn Hause, aber mit dem Geschmack sieht es schwach ans, und jene von Geldstolz nnd Hochmnlh strotzenden steifen Amerikaner, hie man hauptsächlich dort vertreten sieht, sie, stehen gewaltig znrück gegen die so hoch elegante nnd distingnirte, Gesellschaft Baden-Vadens. Die beiden ersten Gasthänser Union-Hotel und Kongreß-Hall sind, ihrem Aenßeren nnd ihrer Größe nach, wahre Köuigspaläste, die li — <^l)(> fremde in ihren Manern bergen. Diese großen Hotels haben ihre eigene Mnsit, ihre Gärten lind Cnrsäle. Sie bilden gewissermaßen eine Welt fnr sich nnd dadnrch fehlt es gänzlich an einem Versammlnngspnnkt für die ganze Badegesellschaft. Es sind wohl einzelne hübsche Anlagen mit zahmem Dammwilde, aber ich habe sie meistens ziemlich vereinsamt gefunden. Das Leben nnd Treiben in dm Straßen ist ein überans reges. Wagen, mehr oder weniger elegant jagen hin nnd her, die extravagantesten Toiletten gehoben dnrch prächtigen Edelsteinschmnck ziehn vorüber. Was die Ecsniuagm in den Vereinigten Staaten — 374 — anbetrifft, fo sieht man ihnen wohl an, daß man sich viel mit ihnen beschäftigt, und daß man damit gern glänzen möchte, aber die Wirkung ist doch nur sehr wenig erreicht. Die Wagen sind War gnt und recht zierlich gebant, das Geschirr ist auch gut, und desgleichen sieht man im Ganzen schöne tüchtige Wagenpferde mit ausgezeichnetem Gangwerk. Aber die Znsammenstellung aller dieser Theile ist meistens recht mangelhaft und geschmacklos uud die Haltung von Kutscher oder Bedienten ge-rndczn karikatnrenhaft oder unverschämt. Sehr häusig lassen sich die Domestiken als freie Bürger Amerikas nicht herbei, ,^im'6e tragen zu wollen. Dafür nehmen sie aber als solche doch mit freier Wohnung nnd Kleidung einen monatlichen behalt von ?l<^^>» Dollars. Ginen recht hübschen Viererzng sah ich in Saratoga, an dem so ungefähr Alles in Ordnnng war, nnr der Besitzer, der dieses Gespann leiten wollte, paßte nicht dazn. (5r saß auf dem Bock wie cm Schuster auf seinem Schemmel und konnte nicht fahren. Albany, das ich passiren mußte, um nach New-Dork zu reisen, liegt recht hübsch wie die meisten amerikanischen Städte auf und an einem Hügel im schönsten Grün. Großartige Bn'ickenbantm verbinden die beiden Ufer des breiten und wasserreichen Hudson, dieses wahren Königs der Ströme, der sich an Schönheit und Breite den gerühmtesten Flüssen der Welt würdig zur Seite stellen kann. Als einen Beweis der großen Freiheit in Amerika sah ich in Albany am Nachmittage mn 3 Uhr anf — 375 - dem Hauptplatz Leute damit beschäftigt, .Krähen von dm Dächern zn schießeil. Ob diese Freiheit anch denen sehr angenehm erscheinen »nag, die zufällig dadurch verletzt werden könnten, möchte ich bezweifeln. Von Albany den Hndson stromabwärts fährt man in 10 Stunden nach New-3)ork. Diese Strecke ist eine der landschaftlich schönsten in gauz Nord-Amerika. Die Ufer bieten mit ihren bewaldeten Hngelreihcn, mit ihren lachenden Ortschaften ein Bild von unendlichem Reiz. Der Strom in seiner großeil Breite mit seinem dunkleu schönen, klaren Gewässer fließt so ruhig und majestätisch dahin, als wäre er sich bewußt, daß das Land, das er mit seinen Wellen benetzt, stolz auf ihn sei. Kurz vor Westpoint, der berühmteil Kriegsschule, dehnt er sich weit, fast secartig aus, um bei Wcstpomt selbst von Vergen, die steil am Ufer abfallen, wieder mehr eingeschlossen zn werden. Wenn man von dem Gesichtspunkte ansgeht, daß die geistigen Fähigkeiten junger Menschen durch den Aublick schöner Landschaften angeregt werden, so ist Westpoint als Kriegsakademie unübertrefflich gewühlt, denn man kann stch tauin einen reizenderen Fleck Erde denken. Auf einem Berge in dem Grüu prächtiger Bäume liegt die Austalt. Tief unten fließt der Slrom nach der Hanptader des Landes, dem volkreichen New-3)ort, zu. Hunderte von Schiffen, uom kleinen Segelboote bis zu den riesengroßen etagenförmigen Dampf-böteu, deren Leiber gleich einen: Hans aus dcm Wasser ragen, beleben den Hudson. — 376 — Es war (Men Abend, als unser Schiff sich allmählich New-3)ork näherte. Das linke Ufer ist besäet mit den schönsten Villen nnd reizendsten Gärten, während nach rechts gleich einem immensen Wall meilenweit das Ufer dnrch senkrechte Felsen gebildet wird. Blickt das Auge geradeaus, sü gewahrt es den unermeßlichen Hafen und das Meer, und wenn des großen Dichters Stelle „von der Schiffe mastenrcichem Wald", )e treffend angewendet werden kann, so ist es hier am Platze. Denn nie sah ich in meinem ganzen Leben ein solches Durch-und Ineinander von Schiffen und so zahlreiche Masten. Lange ehe wir anhielten, kamen wir an den großartigsten Fabriken nnd Etablissements vorbei, und Alles legte Zeugniß ab von den riesenhaften Ausdehnungen des hier herrschenden Welthandels. Ich snchte so schnell als möglich aus dem betäubenden Lärm beim Landen herauszukommen, uud fnhr uach den: Prescott House, dem von einem Deutscheu gehaltenen Hotel. Die Lage dcsselbeu ist überaus günstig. Ungefähr in der Mitte des Broadway, der größten uud belebtesten Straße vou New-3)ork gelegeu, konnte ich von meinem Fenster oder dein Balkon aus ungestört auf das Leben und Treiben, das dort uuteu herrschte, hiu-abschauen. Ich war glücklich, eudlich an dein Orte augekommen zu sein, von dein ans ich meine Rückreise uach Europa anzutreten gedachte. Und nach achtmonat> lichem Aufenthalte in diesen Ländern, ill denen ich so uueudlich viel Neues und Interessante gesehen und — 377 — gelernt hatte, boschlich mich eme kaum mehr zn bewältigende Sehnsncht nach dem alteil kleinen Europa, wo doch, nach meiner Ansicht, wenigstens der Mensch, der dort geboren ist, nur allein wohl und behaglich sich fühlen kann. Indem ich hierher kam, nm meine Wißbegierde reichlich zu befriedigen, habe ich es von Neuem fühlen uud erl'ennen gelernt, daft man an der Scholle mit ganzem Herzen hängt, und seine Heimalh nennt, wo ein trenes Mntterherz entgegenschlägt, wo mitfühlende Seelen Theil an Freud' nud Kummer nehmen. In der kalten Fremde fühlt man eine innere Leere, die man wohl augenblicklich, Angesichts des Nenen uud Schönen vergessen, aber nie für immer ganz unterdrücken kann. Wohl dem, der noch zurück kann in die theuere Heimath, der nicht durch äußere Verhältnisse gezwungen ist, fern von ihr ein ^ebeu zu führen voller getäuschter Hoffnungen, oder in der trostlosen Vage eines verfehlten Lebenszweckes. Wenn mich auch hier uoch das gewaltige Meer von meinen Lieben trennte, so fühlte ich mich ihnen doch näher. Sah ich nicht täglich die großen Schiffe ihren Cours nach Osten einschlagen? Ich zählte dann mit Ungeduld die Stunden, die mich noch von dem ersehnten Ziele trennten. New-^ork mit einer Einwohnerzahl von 1,'/., Millionen ist in verschiedene Stadtlheilc eingetheilt, die meistens ihre Gränzen in den verfchiedenen Wasserarmen haben. Der eigendtiche Stadtheil Newport, der Hauptsitz des Handels, der größten Bauten, der Theater nnd der Straßen — 878 — - der Reichen hat die Form eines Rechteckes, dessen Ost-scite dnrch das Meer, die Südseite durch den Hndson, die Nordseite durch einen Meeresarm, den East River, nnd die Westseite durch Land gebildet wird. Der Hndson und der East Niver nehmen die langen Seiten jenes Rechtecks ein. In der ganzen Länge wird die Stadt durch den Broadway durchschnitten; die meisten übrigen Straßen und Auennm sind numerirt und haben keine besondern Namen. Der am östlichen Ende des Broadway gelegene Platz am Meere, die Battery genannt, ist mit hübschen Anlagen versehen nnd bietet einen sehr belebten Blick ans dcn Hasen. Die Sladtihcile jenseits des Hudsons heißen Hobokeu und Jersey, derjenige jenseit des East Riuer auf der uor dem Hafen sich lang dahinstreckenden Insel Long Island heißt Brooklyn. Eine zweite Insel liegt südlich von oben genannter und führt den 'Namen Sknen Inland. Der Hafen, gebildet durch den Fluß, in den die grüßten Schiffe einlaufen können, und das Meer, geschützt dllrch die beiden Iusclu, ist einer der größten, schönsten und sichersten der Welt uud einer der hervorragendsten Factoren für die Weltbedeutung New-))orkö. Die Verbindung der verschiedenen Stadttheile vermitteln überaus große Dampfführen, die Wagen, Neiter und Fußgänger in sich anfnehmen. Man ist jetzt im Begriff eine Brücke nach Long Island zu bauen und zwar in solcher Höhe, daß die größten Segelschiffe unter ihr werden durchgehen können. Mit Ncw-^ork erging eZ mir ebenso wie mit den — 379 — übrigen amerikanischen Städten. Anf mein Befragen, was es denn hauptsächlich hier Sehenswerthes gäbe, wurde mir mit einen, schlichten „Nichts" geantwortet. Und ich habe tief die Wahrheit davon empfunden, als ich später die Stadt überall durchforscht hatte. Es ist eiu immenser Häuserhaufm mit dein größten Handel der Welt vielleicht, doch mit Stätten der Kunst oder hervorragenden Monumenten und Gebäuden ist New-^ork noch sehr im Rückstände. Man hat wohl großartige Gebäude, aber ihr Styl ist so vermischt, so wenig passend zu der ganzen Umgebung, daß sie gar keinen Eindruck machen. Mit weißem Marmor, den das Land in reichem Maaße besitzt, ist viel Lnxus getrieben. Oeffentliche Gebäude sind meistens gänzlich davon erbaut, und auch anf dein Broadway erblickt mail häufig große Geschäfthlokale aus diesem edlen Gestein. Eine Eigenthümlichkeit de5 Broadways ist es, daß diese Hauptstraße nur weuig zum Bewohnen, dagegen fast ausschließlich zu Geschäften und Bureaus benutzt wird. Uud passirt man och Abends dieselbe, nachdem alle Lädeu und Comptoire geschlossen sind, so ist sie wie ausgestorben. Dafür herrscht am Tage daselbst ein Leben und Treiben, wie man es nnr mit der Eity in London etwa vergleichen kann. Im Wagen schneller als im Schritt vorwärts zu kommen, gilt fast als Unmöglichkeit. Der Brodway ist die einzige Straße, in der keine Pferdeciseubahncn sind. Diese nützliche Instimtion ist in Newport ausgebreitet, wie nirgends, und da en wie keiue Stadt, schon — 380 — wegen der breiten Wasserarme, innerhalb seines Weichbildes solche riesenhafte Entfernungen anfznweifen hat, so würde man gar nicht ohne sie existircn können. Wenn ich manchmal von einem Stadttheil nach dem andern fuhr, so war es gar nichts Ungewöhnliches, daß ich allein zn der Hinfahrt zwei Stnnden branchte. Mit Aufenthalt nnd Rückfahrt tonnte man also wohl von mn'r Tagereise sprechen, ohne der Uebertreibung beschuldigt zu werden. New-'^ork ist uon allen amerikanischen Städten Vielleicht am wenigsten geeignet, einen Begriff von Amerika zn geben, da es durch den anßercndentlichen Andrang vielleicht ebenso viel fremde als Einheimische dort giebt, und die Stadt gänzlich einen internationalen Charakter angenommen hat. Man schätzt die Hahl der Deutschen daselbst allein anf 2—/'>0<»,<>(><>, nnd in den ganzen Vereinigten Staaten anf -'> bi5 <> Millionen. Im Sommer flicht ^eder, wer nnr kann die Stadt der großen Hitze wegen, die hier einen sehr verderblichen Einftnß ausübt. Während meiner Anwesenheit wnrdm an Einem Tage 165 Sonnenstiche cunstatirt, von denen über l<)l> mit tödtlichem Ansgange. Der Handel nnd die Geschäfte leiden natürlich durch den Sommer keine Unterbrechung und den Tag über kommen die Geschäfts-lcnte, von dem Lande herein. Mit wein ich zn thun hatte, oder wessen Bekanntschaft ich machte, der wohnte anf dem ^ande, und ich war in der Thal sehr erstaunt, doch noch immer so viel Menschen in der Stadt an Antreffen. — 381 - Die Umgegend von New-Aork ist außerordentlich hübsch, sei es cm den Ufer des Hudson, oder am Meere und auf dm Inseln, ftin schönes frisches Grüil, reizende schattige Alleen, hübsche wohnliche Landsitze in einem Flor von Blumen, wechseln reichlich mit einander ab, sowie man nur die Stadt verläßt. In den ersten Tagen meiner Anwesenheit hörte ich ein Concert in Hoboken, wohin ich mit Herrn von Mohl, dein Kanzler des Deutschen Generalconsulats, der sich sehr frenuolich meiner annahm, ging. Dasselbe interessirte mich deshalb in hohem Maaße, weil es uon der Cavelle des Preußischen Kaiser-Franz-Regiments nnter der ^eitnng ihres tüchtigen ^'hefs Saro gegeben wurde. Der Andrang und der Enthusiasmus waren sehr bedentend, nnd die Einnahme der Eapelle während eines uierwöchentlichen Aufenthaltes in Nordamerika belief sich ans gegen W,OW Dollars. Dabei waren die Musikanten von ihren Landslenlen so mit Festmahlen überschüttet worden, daß ihueu der Aufenthalt dort nichts gekostet hatte. Die Ueberfahrt war von der Bostouer Gesellschaft, die jenes Monstre-Mnsikfest veranstaltet hatte, wobei jenes Musikkorps mitwirkte, bezahlt worden. Bei t^elegenheit dieses Concertes, daß fast ansschlicßtich von Deutschen der unteren blassen besticht war, fand ich das, was mir schon früher mitgetheilt worden war über die Auffassung der Freiheit uon den Einwanderern, sehr lebhaft bestätigt. Jene Lcnle, in einem gewisfen Zwang geboren nnd erzogen, wußten nicht mit dem so delicaten Besitz nmzu- - 382 - gehen. Sie identificirten den Begriff Freiheit mit einem Ueber die Stränge-Schlägen, mit Rohhcit und mit Rücksichtslosigkeit, nnd ich muß hier es wiederholen, daß der Amerikaner, der von Jugend anf an diese Freiheit gewöhnt ist, sie mit Maaß benutzt und den Oemeinsinn dabei uicht ans den Augen läßt, sehr vortheilhaft gegen den nicht gebildeten Einwanderer absticht. Ich wurde auf dem Deutschen Club eingeführt und machte dort die Bekanntschaft mehrerer deutschen Kaufleute, deren liebenswürdiges Benehmen nnd angenehme formen mir bewiesen, daß der gebildete Mensch jene Freiheit nicht allein vertragen kann, sondern daß sie auch von überaus günstigem Einfluß auf sein Wesen ist, erkannte daran, daß eben die Wirkungen jener Freiheit, je nach der Anffassung des gebildeten und ungebildeten Menschen eine fast ganz entgegengesetzte Richtung einschlagen. Daß Amerika das Land ist, in dem der Schwindel in den verschiedensten Sachen sich ein besonderes Hei-mathsrecht erworben hat, ist eine bekannte Sache und ich hatte noch an den Resten des Nilsson-Schwindels zu zehren, trotzdem die berühmte Künstlerin schon längst das Land wieder verlassen hatte. Im Allgemeinen versteht der materielle Amerikaner außerordentlich wenig von der Musik, trotzdem verlangt es aber seine Eitelkeit, daß er als reicher Mann die Künstler und Künstlerinnen ersten Ranges, die sogenannten „Stars" bei sich im Lande hört. Dann wird den großen Sängerinnen ein — 883 — wahrer Cultus bereitet; sie werden mit Gold, Diamauten »ud unzähligen Blumen überschüttet. Es ist selbstverständlich, daß sie sich nicht schlecht dabei steheu uud Fräulein Christine Nilsson, jetzige Madame Nougcaud, hat nach sechsmonatlichem Anfcnthalt in den Vereinigten Staaten die Kleinigkeit von 280,000 Dollars mitgenommen. Sie ist forts aber ihr Bild strahlte einem in fast jedem Schaufenster noch entgegen und in den sonst mit Dollarnoten ausgepolsterten Herzen der Amerikaner scheint es auch noch seinen Plah bewahrt zn haben. Und so geht es fort, bis Frau Pauline Lucca, die die amerikanischen Goldstücke den prenßischen Thalern vorzuziehm sich erlaubt hat, den Stern der Nilsson dort wird erbleichen machen. Eine Haupterholung für die Einwohner von New-3)ork ist der Central-Park, der seit einigen zwanzig Iahreu augelegt, außerordentlich hübsch uud sehr ans-gedchut ist. Mau scheint sich das Bois de Vologne znm Muster genommen zn haben, vieles in der Anlage erinnert daran. Die reizendsten Wege, hübsche Felspar-tieen, Sem und Springbrunnen, Alles auf das Beste gchalteu, dazu im Hintergründe die schöne Landschaft, das Alles ist wohl im Stande, mit den: sonst nicht sehr angenehmen Aufenthalt in der Stadt etwas auszusöhnen. Erstaunlich ist die große Anzahl von Wagen, nnd der Leichtsinn, mit dein gefahren wird. Alles fährt selbst. Damen uud Kinder ohne männliche Begleitung jagen umher und mehrfach habe ich Unglücksfälle selbst mit — 384 - angesehen. Man hat meistens zweisitzige Wagen mit vier Rüdern ans dem sehr harten Hickory-Holz ganz dünn nnd fein gearbeitet. Die Unglneksfälle sind mir stets sehr natürlich vorgekommen, denn die Einrichtung des Wagenkastens macht eine schnelle Wendnng unmöglich; geschieht nnn solche einmal nnfreiwillig, so schlagt sofort der Wagen nm. Zn dem zoologischeil karten im Eentral-Park bemerkte ich, das; einzelne Thiere, als Elephanten nnd Büffel z. B. ganz frei auf dein Rasenplatz umhergingen. New-3)ork ist im Sommer ärmer an Vergnügnngsorten, als eine deutsche Stadt von 15)—20,WO Einwohnen nnd die einzige Zerstreuung für die Abende ist ein deutsches Eoneert nnter dem Enpellmeister Thomas, ^n den Bierhänsern am Broadivai) wandelten sämmtliche Kellnerinnen als Debardeurc verkleidet ninhcr. In den letzten Jahren hat man es versucht, in den Vereinigten Staaten Pferderennen einzubürgern. Dieselben haben Beifall gefunden, sind aber nicht ini Stande gewesen, das sehr nationale Vergnügen des Weltfuhrenh zn verdrängen. Dieses ist zu einer hohen Slnfe der Vollendung gelangt nnd ich sah darin in Tlcetwood-Park ganz außerordentliche Leistungen. Der Znschnitt des Wett-fahrcus ist analog dein nns^rer Rennen. Der Führer sitzt anf einem Wägelchen der leichtesten aber darnin doch sehr soliden Bauart, die man sich denken kann. Die vier Räder sind überano hoch nnd spinnenarlig. Der Sitz fnr den Fahrer ist ein tlei-ne^ Brett ohne Vehne, mit .- 885 — einer Vorrichtung, kräftig die Füße nach vorne stemmen zu können, um das Pferd an den Zügel zn treiben und sich zum Pariren tief hinten hiuuntcrlegen zu können. Nachdem man die Pferde trainirt, werden fie eingefahren, und dies geschickt zn thun, erfordert unendliche Fertigkeit. Zuletzt fliegen die Pferde mehr als sie gehen im Trabe durch die Luft, nnd es giebt einige, die eine englische Meile in 2^ Minuten zurückgelegt haben. Die Preise solcher berühmten Traber erreichen die Höhe der theuersten Rennpferde Europas und die Wetten, die beim Trabrennen selbst cngagirt werden, sollen fabelhafte Summen zum Objecte haben. Es läßt sich denken, daß bei dem in Amerika herrschenden durchtriebenen Charakter die größten Bestechungen der Fahrer an der Tagesordnnng sind, und daß alle Mittel, den Gegner hinter das Licht zu führen, sicherlich in Anwendung gebracht werden. Durchstechereien lind Unterschlagungen sind namentlich in der Beamteuwclt an der Tagesordnung, und um zn beweisen, daß »nan es nicht der Mühe für werth hält, sich mit Kleinigkeiten abzugeben, so erinnere ich nnr au die ^'0 Millionen Dollars, die ein Herr Tweed, hoher Beamter der Stadt Newport unterschlug. Eine prächtige Villa am Hudson, eil, Haus in New-))ork, das sind die Lorbeeren, auf denen Herr Tweed ruht, denn wer wird wohl einen so geschickten, einen so reichen Mann ver-urthcilen?! Und nichts desto weniger singen fast die Spatzen auf den Dächern von dem großen Spitzbnbcu Tweed. Graf Vrug cs, Üicisoskizzen, , 25 — 386 — Mau lobt stets sehr die schöne Lasse uon Ncw<')ork. Doch finde ich, daß es an einem günstigen Uebersichtspunkt gänzlich fehlt. Zwar hat man vom Hafen ans, auf einer von den vielen Dampffähren, wohl einen ganz hübschen Blick, ich würde es aber gerechtfertigter finden, wenn man an Stelle der schönen Lage mehr von den, wirklich reizenden Umgebungen spräche. So ist z. B. eine Fahrt anf den neuen Bonleuards mit dem Hndfon tief nntcr sich, mit den schönen Landhäusern nnd dem fernen betreibe und Gewoge der Niesenstadt außerordentlich anziehend nnd reich an landschaftlichen Effecten. Anch Staten Island, wo ich einen Nachmittag zum Besuch bei Herrn von Mohl war, nnd wo viele New-3)orker ihre Villcgiatnr aufgeschlagen haben, hat sehr schöne Pnntte und besonders gewährt eine Anhöhe den prächtigsten Blick anf den Hafen mit seinen ans- nnd eingehenden Schiffen. Die im November stattfindende Präsidentenwahl erregte schon gewaltig die Gemüther. „Hie Grant, hie Greeley", das waren die Parteirufe uach deu Namen der Kandidaten. Die einzelnen Stadttheile zogen über die Straße von den Dächern gegenüberliegender Häuser aus die Nicseilportraits ihres Kandidaten uud des künftigen Vice-Präsidenten. Mit den unglaublichsten Znsnrien wurden die beiden Concurrents! von den ihuen feindlicheu Blättern überschüttet uud gleich Verbrechern der schlimmsten Art an den Pranger gestellt. Wenn es je Jemanden inter-essirt, zu wisseu, wie viel Birnen er als Knabe von dem — Z87 - Baume des Nachbars gegessen, oder wie oft er ihm die gellster mit einem Ball eingeworfen, oder einem seiner Spielkameraden ein paar Ohrfeigen gegeben hat, der muß sich als Kandidat zum Präsidenten aufstellen, und er wird in den ^eituugeu der Gegenpartei die^ ganz genau detaillirt finden, Hllgleich aber anch die Folgerung, daß er ein Dieb, ein Unruhestifter nnd cm !yrann sei. Ich mich zn meiner Schande gestehen, das,' mein Interesse au den politischen Begebenheiten in den Vereinigten Staaten ein überaus geringes ist. Die ganzen innern dämpfe sind so bodenloc, langweilig und kleinlich, die Hunderte von Heiln »gen einer Parteifarbe sagen so genau dasselbe, nnd die (beschichte des ^andeö ist so neu, so poesielos, so materiell, daß ich beim besten Willen mich nicht dafnr begeistern kanu. Die Zeimugeu werden dort mit einem wahreu Heißhunger verschlungen, und ich habe mir oft genug den Kopf zerbrochen, was denn Alles die Veute eigentlich daraus ersehen wollten, da man sich den Inhalt ziemlich genalt schon vorher sagen konnte. Vierzehn Tage hatte mein Aufenthalt in New?)ork gedanert, nnd ich mnß sagen, daß ich hinreichend genug davon hatte. Ich begab mich nach Boston nnd wählte zu meiner Reise die Route, die fast unausgesetzt längs des Meereonfero geht und die deshalb die Shore-Line heißt. Hübsche Vandschaslen, gleich einem ("arten, unendlich viel ^andhänser und zur Rechlen das weile Meer, so hatte das Auge reichliche Abwechslung bis Boston. 25* — 388 — Die hier im Osten so zahlreiche Bevölkerung läßt übrigens erkennen, wie wenig das Land im Süden nnd Westen bevöltert sein muß. Auf dein so unendlich großen Gebiet der Vereinigten Staaten leben nur ^»2—4s> Millionen Menschen. Auf dieser Bahn befanden sich sogenannte Palast-Ears, die das Vollendetste nnd Eleganteste sind, was man in diesem Fache sehen tann. Der ganze innere Waggon ist in einen sehr schönen Salon mit Fauteuils und langen Spiegeln, Portiören uud schwcreu Vorhängen verwandelt. Doch ist darum die Gesellschaft nicht viel angenehmer als in den anderen Eouues. Auf der Hälfte des Weges kamen wir an einen breiten Meeresarm, was den amerikanischen Unternehmungsgeist wenig stört. An Stelle einer übermäßig kostspieligen Brücke wurde dec ganze Zug ans eine Dampffähre gepackt, anf der sich oben die Räume eines Restaurants befanden. So konnte man ohne Zeitverlust seiu Mittagsmahl einnehmen. Einen Beweis der großen Ingeniosität in allen Communications-mitteln konnte ich auch in New-^orl erblicken. Durch eine der lebhaftesten Straßen führt eine Eisenbahn, die in der Hohe der Fenster de5 ersten Stockwerken auf einem ganz durchsichtigeu Gestell von lHisrn ihren Schienenweg hatte. Man stelle sich in dieser Lage eine Entgleisung uor. Es war schon spät Abends, als ich in Boston ankam nnd Aufuahme im Reverc-Hotel fand. Die Stadt gilt als der Hauptfitz von Kunst und Wissenschaften in Amerika, nnd das im Jahre I872 stattgehabte große Monstre-Concert, bei dem eine so große Orgel mitwirkte, - 389 — daß sic durch Dampf getrieben werden mußte und über 100 wirkliche Ambosse in Thätigkeit waren, spricht schon, wenn auch in etwas amerikanischer Weise dafür. Boston gefiel mir am besten von allen amerikanischen Städten. Bei allem Handel und Treiben, die hier herrschen, gewahrt man doch eine gewisse Stabilität iu den Verhältnissen, die einen wohlthuenden (Kontrast gegen das sonstige fieberhafte Haschen nach Gewinn bildet. Die Stadt ist sehr schön auf Hügeln gelegen, von denen aus man einen großartigen Blick auf die Stadt und das überall tief in das Land einschneidende Meer hat. Die Landschaft ist reich nnd lachend. Zm köstlichsten <^rün winden sich Flüsse dahin, auf den sanften Anhöhen gewahrt mau reizende Landsitze. Den schönsten Blick auf Stadt, Meer und Umgegend hat man vou dem Bunker-Hill-Monument, das auf derselben Stelle errichtet ist, von wo Washington die Schlacht übersah nnd leitete, in der die Engländer eine bedentende Niederlage erlitten. Es besteht ans einem sehr hoheu Obelisk, auf dessen Spitze man von innen hinaufsteigen kann. Das Innere der Stadt hat einen entschieden vornehmen Anstrich. Die schöneil stattlichen Hänscr sind reich verziert mit kleinen Erkern nnd Thürmchcn, und sind eben so geschmackvoll als angenehm in ihrer inneren Einrichtnng. Die Anlage Bostons ist so weitläufig, daß die sehr ausgedehnten Public- und Commungarden ungefähr im Mittelpunkte liegen. Diese beiden Gärten bieten wundervolle schattige Promenaden unter deu ur- — 390 - alten Bäumen. Im Pnblic-glirdcu ist cine sehr schöne 9teiterstatne Washington's errichtet. Herrlicher Nasen nut den köstlichsten Blumenbeeten umgiebt das Denkmal, wahrend weiterhin sich die Aulagen mit Teichen, Springbrunnen und Statuen weiter ausdehnen, die so schon gehalten sind, als man sich nur vorstellen kann. Meich Cincinnati ist auch Boston wegen seines Kirchhofes Mount-Anburn berühmt. Zst jener mehr parkartig und weniger einem Kirchhofe gleichend angelegt, so ist dieser reicher an prächtigen Monumenten, Erbbegräbnissen nnd Kapellen, obgleich auch hier Alles vermieden ist, was dnrch übermäßige Symmetrie im (tanzen einen Eindruck des Knauserns mit dem Raum machen köunte. Ein besonderer Reiz des Monul-Anbnru besteht darin, daß er, wie es schon sein Name besagt, auf einem bergigen welligen Terrain liegt, durch das sich unzählige Wege dahinschläugeln und das sehr geeignet zu reizenden <^arten-anlageu ist. Man wandelt iu einem herrlichen Flor von Blumen nnd den ausgesuchtesten Gewächsen. Die Wege und Beete sind sauber eingefaßt von Muscheln nud anf den Teichen befinden sich sogar Schwäne nnd kleine Nachen. Bei den Denkmälern siel es mir auf, daß mau darin die Sitte des Mittelalters wieder aufgefrischt hatte, uud den Hund als Symbol der Treue sehr oft darauf vorfand. Wie eigen man mit Mouut-Anburn ist, das bewies mir eine Tafel am Eingänge, auf der in wenigstens zwanzig Paragraphen Alles verzeichnet war, was man bei seinem Besuche zu unterlassen hätte. Diese Ver- — 391 — chrung der Todten durch so schöne Kirchhof und solche sinnige Denkmäler thut außerordentlich wohl zu sehen, obgleich mir versichert wurde, daß auch ein bedeutender Theil Eitelkeit mit dabei unterliefe. Des Abends wurde ich höflich im Hotel gebeten, mein Zimmer gegeil ein anderes zn vertauschen, da das uon mir bewohnte mit zu, der Neihe gehörte, die für die japanische (Gesandtschaft in Vereitschaft wäre. Was für japanische (Gesandtschaften in der Welt herumreisen, ist wirtlich erstaunlich. Außer meinem freunde ans Mexico, dem Prinzen Satsnma, Cousin des Mikado, habe ich noch verschiedene angetroffen nnd dieser so regsame Verkehr läßt darauf schließen, daß es den Japanesen wirklich ernst ist, in engen Verkehr mit den Culturmächten zn treten. Am andern Morgen kam ich beinahe zu spät zur Eisenbahn, so vollgedrängt waren die Straßen, nm jene gelben Gesichter zu sehen. Doch die Menge war gewaltig enttäuscht, denn die Abgesandten des Taitnn trngen statt ihrer Landestracht die einfache europäische Kleidung. Ich begab mich nun nach dem mir zwei Stunden entfernten Newport, wohin ich einer Einladung dec, deutschen ^ega-tionssecretair (trafen Arnim />olge leistete. Ich war gespannt darauf, das berühmteste Seebad Amerika's kennen zu lernen, das die eleganteste lind diftingnirteste Gesellschaft zn seinen alljährlichen Gästen zählt. Man macht nämlich in Amerika einen sehr großen Unterschied in der Gesellschaft zwischen den Familien, die ein bedeutendes Vermögen oder großen Grundbesitz seit — 392 — längerer Zeit, z. B. ^00 Jahre etwa besitzen, und denen, die erst kürzlich durch irgend eine glänzende Speculation zu solchen günstigen Verhältnissen gelangt sind. Letztere werden von Ersteren als Parvenus betrachtet und nicht ganz für voll angesehen. Wenn man jene näher betrachtet, so ist ihnen der Stempel des Paruennhaften nicht abzusprechen. Sie zeigen weniger Geschmack, aber desto mehr Sucht mit dem schnell und häufig mühelos erworbenen Gelde zn glänzen, das sie manchmal geradezu zum Fenster hinauswerfen. Der von ihnen bevorzugte Ort ist Saratoga, während erstere Categoric hauptsächlich in Newport vertreten ist. Wenn ich diese Verthei-lnng in solcher Weise anführe, so soll damit durchaus nicht gesagt sein, daß nicht anch einzelne von den sogenannten „guten" Familien nach Saratoga gehen nnd von den neuerdings zu Gelde gelaugten nach Newport, da ja keine Negel ohne Ansnahme ist. In hohem Maaße ist es aber erstaunlich, daß in einer Republik, mit der man sich jeden Augeublick breit macht, ein solcher Kastengeist überhaupt möglich ist, ja, daß die Kluft noch nm Vieles schroffer als in einer Monarchie ist. Newport ist ein Ort, wo jede auf Distinction Anspruch machende Familie eine Villa haben muß, und da das Geld bei diesen Leuten keine Nolle spielt, so ist es natürlich, daß diese Landsitze ebenso glänzend als luxuriös ausgestattet sind. Leider hält der Luxus und der Reichthum anch hier nicht immer gleichen Schritt mit dem Geschmack, der der schwache Punkt der Amerikaner über- — 393 - Haupt ist. Obgleich man in Newport auf dcm Lande lebt, so ist das Leben dort dnrchans nicht ländlich, nnd die Leute machen es sich unnöthig steif und schwer. Die Tagescinthcilung ist gänzlich dieselbe, wie in der Stadt und ein gemüthliches Zusammenleben existirt nicht. An dem und dem Tage empfängt Mistreß T. 3j- .3- und am folgenden Madame A. B. C. Um so und so viel Uhr fahrt man spazieren, die Direction ist auf das Genaueste vereinbart worden. Nche dcm, der dabei nicht so adjustirt ist, als es die Vorschrift im Hyde Park oder im Vois de Boulogne besagt; ein ungeuirtcs Lächeln von allen Begegnenden würde die unmittelbare Strafe dafür sein. Graf Aruim, in dessen Cottage ich wohnte, zeigte mir in freundlichster Weise alles Sehenswerthe, und die Nachmittage wnrden mit sehr hübschen Spazierfahrten in der reizenden Equipage meines liebenswürdigen Wirthes, gewöhnlich längs des Ufers des Meeres nach Fort Adam, ausgefüllt. Da hatte ich denn hinreichend Gelegenheit, alle Celebritätcn von Newport mit Muße schell zu können. Unter der Damenwelt waren reizende Erscheinungen, die schmachtend dahingegossen in ihren Equipagen ruhten, und die Toiletten verriethen bei ihrem großen Luxus auch etwas mehr Geschmack, als ich bis jetzt in Amerika wahrgenommen hatte. Wir verbrachten den Abend in Ocean-House, wo wir die Bekanntschaft mehrerer junger Damen aus Kentucky machten, mit denen wir Champagner tranken. Nach zweitägigem Aufeuthalt verließ ich Newport, und wählte — 394 — zu meiner Rückreise nach Neni-3)ork den Seeweg. Der-selbe wird in den größten nnd schönsten Dampfern zurückgelegt, die es ans der Welt giebt. Der „Bristol" hat wohl über Wasser die Höhe eines zweistöckigen Hauses. Der ganze mittlere Nanm bildet einen riesengroßen Saal dnrch sainmtliche Stockwerke hindurch, an dem drei Galerien, übereinander hernmlaufen, anf die die Thüren der Stuben sCabinen diese, Mnme zu nennen, würde nnge-recht sein), herausgehen. Die größten dieser Stuben sind wundervoll eingerichtet mit Betten von vier Fuß Breite. Der große Saal ist des Abends glänzend erlcnchtet, mit prächtigen Teppichen bedeckt und augefüllt mit Mnteuils, runden Tischen mit Büchern u. s. w. Da diese Schiffe nur die Nächte hindurch fahren, so steigt mau in der Regel um !) Uhr cm nnd bis 11 Uhr Monds coucer-tirt eine gute (iapelle. Man glaubt sich in jeder Beziehung fast iu eiuen ^ouversationsfal nach Homblirg oder sonst irgendwohin versetzt, so angenehm, so frei uon jeder Reiseunbequemlichkeit ist Alles eingerichtet. Die Schwankungen des Meeres sind kaum wahrzuuehmeu, da der Dampfer stets längs der Küste geht und den größten Theil der Strecke 1)urch Long Island gegen die Einflüsse des Meeres geschützt ist. Man legt sich zu Bett, schläft in der Regel ausgezeichnet in dieser Arche und gelangt früh in dein Hafen von New-^ork an. Mau ist keineswegs gezwungen, sich dann gleich zu erheben; will man weiter schlafen, so kann man dies ungestört bis ^ oder - 395 - 10 Uhr thun. Ich muß sagen, etwas Bequemeres für Reisende zu erfinden, ist vollständig unmöglich. Ich verlebte einen sehr langweiligen Sonntag in New-Mork und reiste dann am anderen Morgen nach Washington. Die Fahrt war sehr heiß nnd sehr staubig. Wir passirten querst das schön gelegene freundliche Philadelphia und dann Baltimore. Hier wurden uor jeden Waggon «—^) starke Pferde angespannt, und so fuhren wir dnrch die ganze Stadt bis znm andern Bahnhöfe. Bei der Ankunft präsentirt sich Washington, die Hauptstadt der mächtigen Republik, uou einer wenig vor-thcilhaften Seite. Oede gelbe Sandflächen nnd elende Häuser bilden einen schneidenden Contrast gegen die..gewaltigen Umrisse des stolzen Kapitols. Näher betrachtet machte mir Washington vollständig den (Eindruck eines Badeortes. Die breiten mit Bäumen bepflanzten Straßen, die großen Hotels neben den kleinen Priuathäuseru und das überall sichtbare Eude der Stadt wolleu nicht recht zu einander passen. Nachdem ich mich in dem vorzüglichen Arlington-House vou dem Neisestaub gereinigt hatte, ging ich sofort nach dem deutschen (^esnndtschafls-hotcl, um Herrn von Schlözcr meinen Besuch zu macheu. Da der C»5esaudle nicht zu Hause war, so folgle ich eiuer der großen Anzeigen nnd ging in das Theater. Mau hatte besänge der Nigger Minstrels angezeigt uud da ich solche uon London her in gutem Andeuten be hallen hatte, freute ich mich darauf, dieselben in ihrer Hcimath ihre Künste produeiren zu sehen. Ich wnrde aber arg -^ ,';<»6 — enttäuscht, denn statt der Neger erschienen beiin Aufziehen des Vorhanges 16 schwarz angestrichene Weiße, die recht mäßig sangen. Ich fand dieses freilich die Unverschämtheit anf die Spitze getrieben, dem Publikum hier, in der Heimath der Neger weiß machen zu wollen, daß diese Angemalten wirklich Neger wären. Im Ncbrigcn herrschte in dem Theater in den Zwischcnacten ein solcher neruen-erschütternder Lärm, ausgeführt von kleinen Ncgerjungen, die aussahen wie kleine Teufel mit ihren blitzenden Augen, daß ich bald das Weite suchte. Kaum im Hotel angelangt, hatte Herr von Schlözer die große Freundlichkeit, mich aufzusuchen, und in seiner liebeuswürdigeu Gesellschaft verlebte ich den Nest des Abends uud fast den ganzen folgenden Tag. Washington trägt schon vollständig den Charakter des Südens, den man auch daran crkeuneu kann, daß man auf den Straßen in dem von der Hitze ganz weich gewordenen Asphalt tiefe Spureu seines Schuhzcuges zurück läßt. Die Bevölkerung ist wieder sehr stark uuter-mischt mit Negern, die man fast ill ebenso großer Anzahl als die Weißeu erblickt. Das Weseu ist schlaffer als in dem geschäftigen New-3)ork, wo es eigenthümlich zu beobachten ist, daß Jeder anf der Straße so schnell als möglich geht, da der Spruch „tims is inou6^" seine höchste Bedcntnng dort hat. Am andern Morgen, nachdem ich bei Herru von Schlözer gefrühstückt hatte, machte ich mich auf deu Weg, um die Prachtbauten, die die verschiedenen Amtsgebäude — 397 — und Ministerien bilden, zn besichtigen. Dieselben sind alle mit unendlichem Lnxns dnrchweg im antiken Styl in weißem Marmor erbant. Leider verlieren sie deshalb etwas an Eindrnck, weil sie entfernt von einander errichtet, thcilweise in einer ihr durchans unwürdigen Umgebung sich befinden. Hütte man sie alle in einer Straße mit dem Kapitol im Hintergründe crbant, so wnrde diese vielleicht die schönste Straße der Welt gewesen sein. Ich fange mit dem Kapitol an, das dnrch seine riesigen Dimensionen, seine edel geformte Knppel, die Weiße seines Marmors, trotz einiger Fehler in der Harmonie, einen gewaltigen Eindruck zn machen durchaus nicht verfehlt. Man kann das ganze Gebäude in vier Theile zergliedern, das Mittelgebüude, die beiden Flügel nnd die Knppel. Jeder Theil einzeln betrachtet, ist in seinem edlen griechischen Styl von unendlicher Schönheit und Harmonie der Formen. Die drei erstgenannten Theile mit ihren riesigen Freitreppen, den hohen schlanken korinthischen Säulen kann man nicht genng bewnndern. Die Knppel ist eine Nachahmung derjenigen von der St. Peterskirchc in ^tom, nnd dieser wieder hat zum Vorbilde jene kleine Kapelle im Klosterhofe von San Pietro in Montorio gedient. Der Erbauer nnd Erfinder dieser tausendfältig nachgeahmten Capellc ist der unsterbliche Vramante, nnd jede dieser Knppelu, die einem vor Augen kommt, erinnert au deu großen Meister. Die Kuppel in Washington ist gekrönt von der Statne eines wilden.Indianerhäuptlings in seinem Kriegsschmuck. Hier — 398 — erhebt man ihn auf die Spihe des Hanfes, wo die Repräsentanten des souveränen Volkes das Wohl des Vandes berathen, und draußcu in der grünen Prairie, ill die er zurückgedrängt worden ist von den bleichen Männern, den Eindringlingen in seinem Lande, wird er gehetzt wie ein scheues Wild, dem der Todesstoß früher oder später sicher ist. Nach meiner Ansicht ist die Knpuel zu gewaltig für die übrigen Theile des Gebäudes und das hat für letztern ein gewisses gedrücktes Verhältniß zur Folge. Das Innere bietet mit Ausnahme der hohen schönen Rotunde, die mit Fresken aus der .^eit der Ent-decknug Amerikas und des Unabhängigkeitskrieges geschmückt ist, nichts Besonderes, Große gußeiserne Thüren > mit schöner erhabener Arbeit, in München gegossen, verschließen die Notnnde. Dnrch die hohen Sänlengänge, die mit Statnen Washingtons und des unvermeidlichen Lincoln geschmückt sind, gelangt man in die Flügel, die die Sitzungssäle' des Senates nnd des Congresses enthalten. Da das Kapitol auf einem Hügel erbant und zugleich außerordentlich hoch ist, so erblickt mau es schon in großer Entfernnng. Das nächstdem bedentendste Gebände ist die Tresnrie oder das Finanz-Amt. Es ist ebenfalls im griechischen Style gehalten und eine Neihe schöner jonischer Sänlen umgiebt es von drei Seiten, 6 — ,WO junge Mädchen arbeiten täglich darin nnd fertigen das Papiergeld an. Da recht hübsche Gesichter darunter sind, und das Umhergehen in den großen Gängen nicht verboten ist, so ist das Innere der Tresurie ein beliebter Spaziergang, lind Mancher blickt dann sehnsüchtig durch die geöffneten Thüren sowohl nach den hübschen Mädchen, als anch nach den 100 Dollarsnoten. Das „weiße Hans", die Amtswohnnng des Präsidenten, ist ein großes geränmiges Gebände in einem Garten gelegen; ein Säulcngang befindet sich vor dem Eingänge. Es macht den Eindruck des Landsitzes eines wohlhabenden Mannes. Da ich im Allgemeinen ein entschiedener Gegner solcher Republiken bin, wie sie in Wirklichkeit heltte eristiren, nnd nicht das geringste Interesse für Leute habe, die sich nicht Monarchen nennen, aber in ihren Befugnissen viel weiter gehen als solche, so verzichtete ich ans eine Besichtigung des Innern vom HMite Honse. Ich bin also anfter Stande mitzutheileu, wie viel Stühle im Schlafzimmer des Herrn Grant sind, und wie breit sein Vett ist, weil ich nicht wüßte, was mir gleichgültiger als das wäre. Nach eingenommenem Diner machte Herr v. Schlözcr eine Ausfahrt, um mir die Umgegend welche sehr hübsch bewaldet nnd hügelig ist, nnd namentlich den Invalidenpark, zu zeigen. Es war^ ein herrlicher Abend und mit voller Lnst sog ich noch einmal die süße milde Lnft des Südens ein. Es war das letzte Mal, nnd obgleich ich mich nach der Heimath sehnte nnd mit Freude dem Moment entgegen sah, der mich ihr wieder zuführen sollte, so konnte ich einen Anflng von Schmerz über die Trennung von dem schönen milden - 400 — Clima, von dem ewig blauen Himmel, dem prächtigen Grün der Vegetation, nicht ganz unterdrücken. So ist Nichts anf dieser Welt ohne Schmerz! Ich eilte zurück und hielt mich einige Stunden in Baltimore anf, von dem ich Nichts weiter erwähnen kann, als daß die Lage überaus hübsch ist. In Philadelphia blieb ich etwas länger, nnd die Stadt des frommen Penn verdient auch einen längeren Besuch. Alles hat hier einen solideren Charakter, als man ihn sonst in Amerika zu findeu gewohnt ist. Die riesengroße Quäkerstadt, die zweitgrößte Stadt der Union, dehnt sich sehr bedeutend an den Ufern des schönen Delawareflusscs aus. Mächtige V rücken vermitteln die Verbindnng seiner Ufer für Eisenbahnen uud fuhrwerke. Auch hier herrscht überall eiue große Verschwendung von weißem Marmor. Nährend in ganzen Straßen man sich desselben zu Treppeu und Fenster-gcsimsen bedient, hat man einige Kirchen ganz daraus errichtet. Philadelphia ist sehr reich an wohlthätigen Stiftungen und an zweckmäßig eingerichteten Gefängnissen. Von hier aus hat sich das System der Einzelhaft verbreitet, nnd eigenthümliche Wendung — hier ist dieselbe als etwas zu Barbarisches — bald wieder abgeschafft worden. Die Hauptzierde für die Stadt sind die prachtvollen Umgebuugeu uud der wuuderschöue ^airmouut-Park. Derselbe hat die herrlichsten Eichenwalduugeu, grüue Rasenflächen uud Blumeuaulageu der Welt. Er erstreckt sich mehrere Stundeu über Verge nnd Thäler an den — 401 - reizenden Ufer» des Delaware dahin, über den eine malerische Eisenbahnbrücke mit hohen schlanken Possen führt. Uebcrall hat man von den Höhen reizende Durchblicke nnf das Hällsermeer der Stadt. Der höchste Pnnkt des Fairmonnt-Park ist der im reichsten Blumenflor prangende Georgeshill, von dem ans man einen wunderbar schönen Blick ans Philadelphia nnd die im lachenden Grün geschmückte Umgegend hat, die wie ein Meer mit seinen Hügeln nnd Thalern sich dahin erstreckt. Keine Hauptstadt der Welt hat, glanbc ich einen schön gelegeneren Park mit solchen Aussichtspunkten auszuweisen. Gern Hütte ich Philadelphia noch einen Tag seiner schönen Umgebung wegen gewidmet, doch mit mächtigen Schritten näherte sich für mich der Angenblick, das ^and zu verlassen. Deu lchtcn Tag in New-^ork hatte ich noch Gelegenheit, zwei berühmte Zndianerhänptlinge, die „Nothhaut" und den „gefleckten Schwanz", wie sie sich in ihrer pocsicreichen Sprache nannten, zn sehen. Sie waren aus ihren Prairien gekommen, um mit der Negierung zu verhandeln, die sie glänzend anfnahm und sie im Grand Uuion Hotel einlogirt hatte. Von hier aus sahen sie fast den ganzen Tag zum Fenster hinaus anf den belebten Broadway, vor dem sich viel Volk angesammelt hatte, um sie anzustaunen. Zhrc Oesichler hatten eine fast tupferhafte Farbe. Das schwarz-starke Haar, in den: sich lange Federn kühn aufrichteten, reichte bis tief in die Stirn und an den Ohren trugen sie große Ninge. Graf Bruges, Reis^tlzM. 2Ü — 402 — Da sie mit den besetzen des Landes stets in Feindschaft leben, indeni sie dem Eindringen der Ansiedler in ihr Gebiet uiit' allen Mitteln entgegenarbeiten, so sucht die ^tegicruilg sich gnt >uit ihnen zu steileil, ilnd läßt sie von ^eit zu Zeit nach Neiu ^')ort entbieten. Man thut daü deshalb, um ihnen durch die Macht des Staates dergestalt zu imponnen, das; sie von ihren Feindseligkeiten abstehen möchtcu. Mit (beschenken reich beladen, versprechen sie Alles, was man von ihnen verlangt, doch zurückgekehrt in ihre Wildnis; betrachten, sie die Weisen doch nur als ein Wild, das man erlegt, uud jene machen es mit ihueu ebenso. Der Naceuhaß wird nur mit dem Ansstcrben der Indianer anshören. Seitdem sie nicht mehr die alleinigen Herren in ihren Prairien nnd Wäldern sind, seitdem die verhaßte Civilisation sie allenthalben verfolgt, vermindern sie sich über alle Begriffe schnell und jetzt schätzt man in den ganzen Vereinigten Staaten ihre Zahl nnr noch auf 25<),l)l)<) Seelen. Es war an einem wunderfchöncn Nachmittage, als ich die „Deutschland", (^apitain Neinaber, uom Norddeutschen ^lond bestieg, um mich nach Enropa einzuschiffen. Am Vordcrtheil des Schiffes stehend blickte ich zum letzteu Male auf die herrliche Landschaft, die ich versuchte scharf in mein Gedächtniß einzuprägen. Hinab ging es den wunderschönen breiten Hudson, rechts und links das Häusermcer, das durch die tausende von Masten durchblickte, hinter uns zurücklassend. Wir kamen in das Meer, eilten schnell an den üppigen grünen Inseln — 403 - .^ong Island und Statcn Island vorbei nnd wenige Stunden darauf erblickte das Auge nur noch Himmel und Wasser. Die „Deutschland" ist ein schönes Schiff; sie hat deshalb cin besonderes Interesse, weil dem Kaiser Wilhelm bei seinem Besuch des Vremerhafens ans ihr ein Bankett gegeben wurde. Das Wetter war nn Ganten schön sallcrdings ohne etwas Seekrankheit kam man nicht davon), die Zahl der Mitreisenden war nicht groß nnd die Küche an Bord ausgezeichnet. Ich verlebte sehr angenehme Stunden in der (Gesellschaft des überans liebenswürdigen Capitains nnd mehrerer anderer Herren. Von den Passagieren erwähne ich des Kaiserqnartetts des Herrn Kosleck, das vom Musikfest in Boston kommend, wieder nach Berlin zurückkehrte. Die Herren erfrenten nns wiederholt durch ihre schöne Knnst und der Effect davon war bei schönen Abenden und ruhiger See eiu ganz herrlicher, ferner waren a,> Bord eine Miß Slausson mit zwei sehr liebens-würdigen Töchtern und einem kleinen Jungen nnd ein ältliches Ehepaar, das sich nach England begab, nm sich von dort nach dem Cap der gnten Hoffnung einzuschiffen. Sie wollten ihren Sohn, der dort lebte, besuchen; Elternliebe trieb sie hinaus in die fernsten Meere. Im Zwischendeck befand sich eilt altes Mütterchen, das seinen tti). Geburtstag unterwegs feierte. Wir machteu eine Sammlung für sie, die über ?l) Thaler einbrachte: dieses Geburtstagsgeschenk sollte sje als Unterstützung zur Neise nach ihrer Heimath in Baden verwenden. 26 5 - 404 - Wenige Tage, ehe wir uns der englischen Küste näherten, sahen wir in nicht allzugroßcr Entfcrmmg mehrere Walsische. Lange uorher war meine Aufmerksamkeit schon auf einen hoch in die Luft gehenden Wasserstrahl gerichtet worden, nnd ich zerbrach mir den Kopf, wie denn hier ein Spriugbrnnueu mitten im Meere möglich wäre, als ich gleich darauf den wahren Grund davon erfuhr. Vom schönsten Wetter begünstigt, fnhrcn wir längs der englischen Küste dahin, prächtige Effecte zeigten sich beim Sonnenuntergange. Am anderen Morgen kamen wir bei den Needels, jenen hohen dünnen Felsformationen an der Nordwcstküste der Insel Wight vorbei nnd gingen Angesichts der Stadt Southampton mit ihrem riesengroßen palastartigen Marinehospital vor Anker. In der Ferne sahen wir Osborne nnb andere reizende Landsitze der lieblichen Insel. Von hier ab bis nach Bremcrhafen hatten wir stets den Wind gegen nns, was unsere Ankunft nm ^2 Stunden etwa verzögerte. Nachts ankerten wir vor dem Eingang in die Weser und bei Tagesgrauen brachte uns ein kleiner Dampfer nach Bremer-Hafen. Welche Gefühle mich bewegten, als ich zum ersten Male wieder den Voden Europas betrat, kann ich nicht beschreiben. Ich hätte laut aufjubeln mögen vor Freude. Nur Leute, die in derselben Lage gewesen sind, können solche Freude begreifen, andere lächeln vielleicht darüber. — 405 — Ich eilte schnell über Bremen nach Hannover, wo meine Eltern mich auf dein Bahnhöfe empfingen und wo ich von Neuem erkannte, daß es in der Welt, in der Fremde wohl schön ist, daß aber der Mensch doch da am glücklichsten nnd zufriedensten sich fühlt, daß nur da seine wahre Heimath ist, wo ihm ein liebendes Mutterherz entgegenschlägt, wo trene, fühlende Seelen Leid und Frcndc mit ihm theilen. Prc>ducti!.'-Gc>,0!se>,>>l'lifi Tculjcl'i'r ,!',!>> ^ > , ' ^ .'>>1v,>.':^ !!i^ud»i^ ^virii,^.