Beilage zur Laibacher Zeitung. M 3?/^ Siebenter Jahrgang. .4. Juli R863. Ich singe, wie der Vogel singt. Sonett. (Ich singe, wie dcr Vogel singt; indessen Nicht wie der Vogel in dcn grünen Zweigen, Wohl aber wie die Lerche, die dcn Neigen Im Dome führt, dcn Keiner noch ermessen. Tort lieb' ich, unbeirrt durch die Cyprcsscn Des Crdclcbcns, Himmclan zn steigen, Bis ich zuletzt, vom feierlichen Schweigen Umwallt, was in der Tiefe liegt, ucrgcsfcn, Uud klingt vielleicht auch keines meiner Worte, Zurückgeführt vom Erdcnccho, wieder Zu meinem Ohr, es macht mir keine Neue; Deuu leise spielen fic um Edens Pforte: In Hoffnung, daß von euch, ihr klemm Lieder, Gelockt, vielleicht ein Engel sich erfreue. Eroisilles. Novcllette. ^Hn dcn ersten Iabrcn der Regierung Ludwig XV. kehrte cm junger Mensch, Namens Croisillcs, der Sohn eiues Goldschmiedes , von Paris nach seiner Vaterstadt Havre zurück. Sein Vater hatte ihn mit der Besorgung eines Handelsgeschäftes bettaut, das in sehr günstiger Weise zu Ende geführt worden war. Nie Freude, Ueberlmngcr einer guten Nachricht zu sein, beflügelte seine Schritte: er legte nämlich, obwohl er eine bedeutende Summe mit sich führte, den Weg, aus Lust am Nan-^ dcrn, zu Fuß zurück. Er war ein lustiger uud dabei auch recht verständiger Junge, der sich jedoch mitunter solche Zerstreutheit '">d Unbesonnenheit zu Ecknlden kommen ließ, daß man lhn bisweilen für recht extravagant halten mußte. Die damals übliche Perrücke keck nach der Seite geschoben, dcn Hut unter dem Arm haltend, stand er frühzeitig auf, nahm das Nachtlager in den Schenken am Wege und freute sich, eine der schönsten Gegenden Frankreichs singend nnd pfeifend durchziehen zu lönncn. Die Aepfelbäumc der Normandie mußten ihm Tribut Zahlen: er erquickte sich an ihren saftigen Früchten und schmiedete dabei Verse zur Verherrlichung des schönen Fräuleins Nodcan, Tochter eines Gencralpächtcrs und eine dcr reichsten 'l^d darum auch viel umworbcnstcn Erbinnen von .^avre. Im , Hanse ihres Vaters fand Croisilles nnr zufällig Einlas;, wenn er nämlich Schmncksachen aus der Werkstätte seines Vaters dorthin brachte. Der geldstolze Godeau gestattete dem Sohne des Goldschmiedes keinen Zugang; da aber Fräulein Godeau wunderschöne Augen besaß, der junge Croisilles ein hübscher Bursche war, uud hübsche Burschen sich in dcr Regel nicht abhalten lassen, ihre Herzen an schöne Mädchen zu verschenken, so betete Eroisilles das Fränlein an, das diese Anbetung durchaus nicht übel aufzunehmen schien. Darnm waren anch seine Gedanken während der Wanderung nach Haorc ohne Unterlaß ihr zugewendet: leichtsinnig, wie immer, ließ er sich durch die fast ! unübersteiglichen, zwischen ihm und ihr liegenden Hindernisse in , der Veschäftignng, einen passenden Reim anf ihren Namen zu finden, nicht beirren. Da sie Julie hieß, so war die Aufgabe keine allzu schwere. Bei der Ankunft in Honflenr war Eroi-silles sehr guten Muthes, als er sich, sein Geld und seine Verse einschiffte; nicht minder fröhlich stieg er in Havre ans Laud und eilte sofort nach dem väterlichen Haufe. Tort fand er den Laden geschlossen i er erstaunte uud empfand anch eine gewisse Angst, als ihm auf sein wiederholtes Pochen nicht geöffnet wurde. Er rief nach feinem Vater, erhielt aber keine Antwort. Von einem nur mit Niderstreben , Auskunft ertheilenden Nachbar erfuhr er endlich, daß sein Vater bankerot geworden und unter Znrücklassnng des Restes seiner Habe nach Amerika entflohen war. Zunächst fühlte sich Croisilles durch den Gedanken niedergedrückt, daß er seinen Vater vielleicht nie mehr wiedersehen werde. Er hielt es für unmöglick, dergestalt verlassen und ^ aufgegeben sein zu müssen; er wollte durchaus in den Laden dringen uno fast unter Gewaltanwendung mußte man ihm begreiflich machen, daß gerichtliche Siegel an den Thüren hafteten: cr setzte sich auf einen Eckstein, überließ sich ganz seinem Schmerze, weinte bitterlich, hörte nicht auf die Trostsprüche seiner Umgebung nnd rief ohne Unterlaß nach dem bereits weit entfernten Vater ; endlich stand er auf, schämte sich , der Menge ein Schauspiel geboten zu haben und schritt in tiefer Verzweiflung dem Hafen zn. Am Strande ging er, kaum seiner Sinn cmächtig, vor sich hin. Er sah sich rettungslos verloren, da ihm weder ein Asyl, noch ciue Aussicht, noch helfende Freundschaft zu Gebote stand. Selbstmordgedanken beschlichen ihn: es drängte ihn, sich und seine Leiden in der Sce zu ertränken. Schon wollte er diesem Dränge nachgeben, als ein alter Diener, Namens Jean, der seit vielen Jahren dem Hause seines Vaters angehört halte, ihm in den Weg trat. „Ach, lieber Jean," rief er diesem zu, „Du kennst das entsetzliche Unglück, das über uns hereingebrochen ist. Wie hat mein Vater nur, ohne ein Wort des Abschiedes, uns verlassen können?" „Das hat er nicht gethan," entgegnctc der alte Mann und überreichte ihm einen Brief. Eroisilles erkannte die Schrift seines Vaters und küßte deu Vrief, ehe er ihn entfaltete: daZ Schreiben enthielt jedoch nur einige Worte, welche den Schmerz des jungen Menschen noch mehr steigerten. Der alte, von jeher als ein sehr rechtschaffener Mann bekannte und durch den unvorhergesehenen Vanterot eines Geschäftsfreuudes ruinirte Goldschmied hatte seinem Sohne nichts als einige allgemeine Tröstungen zu sagen und sehr vage und unbestimmte Hoffnungen in Aussicht zu stellen. Als Croisilles das Schreiben gelesen hatte, sagte er: „Jean, mein Freund , Tu kennst mick von frühester Kindheit an und bist gegenwärtig gewiß das einzige Wesen, das ein wenig Liebe für mich fühlen kann, was mir sehr angenehm ist, Dir aber einen scbr unangenehmen Moment bereiten wird: so wahr nämlich mein Vater in diesem Augenblick das Meer bereist, so gewiß werde auch ich mich in das Meer stürzen, wenn auch nicht in Deiner Gegenwart und sofort, so doch einen dieser Tage, denn ich bin gänzlich ru'mirt und verloren." „Was läßt sich dagegen machen?" versetzte Jean, der ! den Verzweiflungsausbruch gar nicht gehört zu haben schien, nichtsdestoweniger aber Eroissilles am Noäschooße fest hielt, j „Was läßt sich dagegen machen, lieber Herr? Ihr Vater ist betrogen worden; er erwartete Geld, das nicht gekommen ist ^ und zwar keine geringe Summe. Wie bätte er also noch länger bleiben sollen. Herr, dreißig Jahre lang war ich sein Diener und Zeuge, wie mühsam er im Beginne sein tägliches Brot erwarb : ich habe ihn arbeiten, Geschäfte machen und die Thaler nach und nach in fein Haus einziehen sehen. Er war ein Ehrenmann und dabei auch sehr geschickt in seinem Berufe: ! man hat fein Vertrauen in ganz entsetzlicher Weise genußbraucht. Noch iu den letzten Tagen war ich immer in seiner Nähe und habe mit diesen alten Augen gesehen, wie er einen Gläubiger nach dem andern befriedigte: als die Geldlade leer war, sagte er zu mir gewendet: Jean, in diesem Fach waren am Morgen noch hunderttausend Thaler! Wer so verfährt, ist kein leichtsinniger Cridatar und ein solcher Vankcrot hat nichts Entehrendes." „Ich zweifle eben so wenig an der Ncchtschasfenheit meines Vaters, als an seinem Unglück. Ich zweifle auch nicht an seiner Liebe zu mir: bei alledem weiß ich aber doch nicht, was ! ich jetzt beginnen soll. An Armuth und Noth bin ich nicht ^ gewöhnt nnd habe auch das Zeug nicht in mir, mir ciu Vcr- , mögen zu macheu. Hätte ich cs aber auch, so wäre mein ! Vater deßwegen nicht Weniger verreist. Wenn er dreißig Jahre ! gebraucht hat, um reich zu werden, so würde ich noch mehr ! brauchen, um mich von dem Schlage zu erholen, der mich getroffen hat. So lange wird er aber nicht leben i cr wird iu Amrrika sterben und ich besitze nicht einmal die Mittcl, lim i^u ^ dort aufzusuchen: uur im Tode können wir wieder zusamu:^ treffen." ! So verzweifelt Eroisilles aber auch war, so hinderte ih.'. doch sein religiöses Gefühl an der sofortigen Ausführung eines ^ Selbstmordes und darum ließ er sich auch von Jean wieder, geduldig nach der Stadt zurückführen. Als sie sich in die Gasse», derselben vertieft hatten und fchon weit vom Meere waro.', sagte Jean: „Lieber Herr, mich will bedüntcn, daß ein rechtschaffener Mann jederzeit oas Necht hat, sich am Leben zu erhalten, und daß ein Unglück kein Beweis gegen diese Behauptung ist. Ihr Vater hat sich, dem Himmel sei Dank, nicht entleibt, und so sehe ich auch gar nicht ein, warum Sie an dergleichen denken können. Entehrt ist er nickt, daß weiß die ganze Stadt, wen halb geben Sie sich also so ucrzweiflungsuollen Gedanken hin. Mau muß die Kraft haben, die Last der Armnth ertragen zu können. Was erschreckt Sie denn eigentlich? Gibt es doch so viele Leute, die arme oder auch gar keine Elteru habeu. Wal-hätten Sie denn angefangen, wenn Sie ein Findling gewesen wären? Von vorn herein ist Ihr Vater auch nicht reich gc-' wesen und gerade dieser Gedanke mag ihm zum Troste gereicht haben. Wären Sie den letzten Monat über hier gewesen, S:.' würden mehr Muth haben. Jedermann kann arm werden und Niemand ist vor einem Bankerotte sicher; Ihr Vater hat sick ^ aber trotz seiner überstürzten Abreise als Mann bewährt uno an der Schnelligkeit der Reise war vielleicht auch nur der Um stand schuld, daß eben ein Schiff nach Amerika abging, wa^ sich auch nicht alle Tage ergibt. Ich habe ihn bis zum Hafen begleitet. Der arme Maun war tief betrübt und legte mir ohne Unterlaß die Sorge für Sie ans Herz. . , Wahrhaftig, lieber Herr, Sie haben zuvor einen recht garstigen Gedanken gehabt. Jedermann muß in diesem irdischen Jammerthals eine Prüfungszeit durchmachen, uud zum Bcifpiel habe ich aU> gemeiner Soldat im Felde gedient, ehe ich im Hause Ihres Vaters mein gutes Brot finden konnte. Ich habe damals rechi viel ausgestanden, war aber jung, erst in ihrem Alter, lieber Herr, und tonnte nicht glauben, daß die Vorsehung einem erst fünfundzwanzigjährigen Menschen nicht noch Besseres vorbehalten sollte. Warum wollen nun Sie der Vorsehung Hindernisse m den Weg legen, wenn sie das Schlimme wieder gut, inachen will? Lassen Sie ihr nur Zeit und Alles wird wieder in da> rechte Geleis kommen. Wenn ich Ihnen einen Nath geden . darf, fo werden Sie ein Paar Iährchen warten und sich gewiß dabei recht wohl befinden. Um aus der Welt zu gehen, finden sich jederzeit Mittel. Für jctzt aber haben Sie'keinen Grund, zu deuselben zu greisen." Während Jean in solcher Weise den jungen Herrn zu ermu-thigcn trachtete, wandelte dieser schweigsam an seiner Seit,?, von Zeit zn Zeit, wie cs Leidende gewöhnlich zu machen pflegen, um sich blickend, um unwillkürlich nach Etwas zn spähen, wa^ ihnen wieder Lust am Leben einflößen könnte. Nun fügte e-der Zufall, daß eben Frl., Godeau mit ihrer Gouvernante aü-ihm vorüber kam. Das von ihr bewohnte Hotcl lag in d^ Nahe, und Croisilles sah sie in dasselbe eintrct-r.. Ticsc Begegnung hatte mehr Erfolg, als alle Beredsamkeit Jean's. Wir haben bereits bemerkt, daß er von Natur aus leichtblütig und für jeden Eindruck ungemein empfänglich war, so wie er cmch jedem ihm durch den Kopf zuckenden Einfalle sofort nachzugeben pflegte. Ohne ein Wort zu verlieren und rasch ent- ! schloffen, ließ er den Arm seines Begleiters fahren und begehrte Emlaß am Hausthore des Herrn Godeau, (Fortsetzung folgt.) Pcr Condor der Anden. Tiefer ungeheure und mächtige Vogel ist — aus Gründen, die man bisher noch nicht aufzuhellen vermochte — nie jenseits des Nequators nach dem Norden zn gefunden worden, obgleich er südwärts sein Neich durch Wolken und Stürme bis zur Magellan-Straße ausdehnt. Man kann die Höhe, bis zu welcher der Condor in die Luft aufsteigt, nicht genau bestimmen, allein er erhebt sich unbestreitbar weit über die höchsten Berggipfel des Erdballs hinaus, wo, der allgemein angenommenen Meinung nach, der Act des Athmens, für den Menschen wenigstens, unmöglich ist. Allein, solche Ideen zerfallen vor dem Lichte der Erfahrung allgemach in ihr Nichts. Menschen sind in Luftballons volle sechs (engl.) Meilen über den Meeresspiegel hinaufgestiegen, und lhre Lungen wurden, wenn die Leute stark und kräftig waren, nur sehr wenig davon berührt. Hinwiederum haben in Gebirgsgegenden englische Reisende Höhen erreicht, in welchen, wie man früher vermuthete, die Luft allzu dünn sei für das Athmen. Wir müssen daher die peinlichen Gefühle, von denen die Naturforscher in den Anden befallen wurden, anderen Ursachen zuschreiben. Zu was immer für einer Schlußfolgerung wir hierüber in Beziehung auf den Menschen gelangen mögen, es ist gewiß, daß der Condor es für, möglich findet, meilenweit oberhalb des Gipfels des Chimborazo zu athmen: denn er erhob sich in Gegenwart eines mit scharfem Gesicht ausgestatteten Beobachters, der von der Fläche des ewigen Schnees aus ihm nachschaute, in den Aether, bis er, nachdem er eine Zeit lang wie ein schwarzer Fleck ansgcsehen, verschwand und sich im Alan des Firmaments gänzlich verlor. Wenn der Condor schreiben könnte, welch glühende und glänzende Schilderungen könnte er nicht geben von den Landschaften, die, in Momenten, in wFchen der Durchmesser seines Horizonts mehr als tausend (engl.) Meilen betragen muß, vor ihm ausgebreitet liegen! Nie lange er so in den Himmeln begraben bleibt, muß theils von seiner ! Flügelstärkc, theils von seiner Enthaltsamkeit abhängen, die so ! groß ist, daß man sagt: er lünne in der Gefangenschaft vierzig ^ Tage lang ohne Nahrung ich<>,^ gleich im Zustande der Freiheit seine Gefräßigkeit die aller andern Thiere übertreffen ! soll, selbst den Geier nicht ausgenommen. Und was seinen Geschmack anbelangt, so ist der Condor keineswegs wählerisch, sondern er zieht frischem Fleisch das im äuhcrsten Znstande der Zersetzung befindlichen Aas vor. In allen südc'.mcrikanischen Staaten, vom Acquator bis zu den äußersten Grenzen von Chile, führen die Landwirthe einen tödtlichen Krieg mit diesem Vogel, dem ihre Hecrden und zuweilen auch ihre Kinder zur Vcute werden, und er wird unbarmherzig niedergeschossen oder ^ auf den Kopf geschlagen, so oft sich eine Gelegenheit hiczu bietet. Ohne seine Freßgier würde indeß der Condor selten die Beute der Bauern werden. Er könnte ein junges Vicuna oder Lama in seine Krallen nehmen, oder ein Lamm oder em Knüblein in seinen unzugänglichen Horst in der Cordillera wegschleppen, ohne dem Schützen die Gelegenheit eines Schusses zu bieten, so schnell ist seine Schwinge, so Plötzlich und augenblicklich sein Entrinnen. Allein, völliger Sclave seiner Freßlust, achtet er, wenn er eine Beute vor sich hat, nicht auf die Folgen. Kaum rechts oder links schauend, zerreißt und würgt er hinab, so lange, als noch ein Viertelszoll in seinem Magen unausgefüllt ist. Hat er dann gespeist, so ist er so schwer, daß es ihm ganz unmöglich ist aufzusteigen: er muß erst ziemlich lang hin und her laufen, um Luft in seine Schwingen zu sammeln. Da die Bauern seine ungeheure Gefräßigkeit kennen, so todten sie einen Ochsen, und umgeben den Cadaver mit einer kleinen Umzäunung hoher Palissaden. Die CondoreZ riechen bald den Köder, und steigen in Flügen in die Falle herab, wo sie zerren und kreischen und verschlingen, bis man glaubt, daß sie sich in einem für den Tod oder die Sclaverei, reifen Zustande befinden. Da sie keinen Raum für ihre vorläufige Bewegung haben, so können sie sich innerhalb der Palissaden nicht in die Höhe erheben, und werden so entweder mit Keulen todtgeschlagen^ oder mit dem Lasso gefangen, und in Gefangenschaft zurückbehalten — zu welchem Zweck aber, wird nicht angegeben, wenn nicht etwa oazu, ihren Gefangennehmen! das Vergnügen zu gewähren, zu sehen, wie sie vergeblich nach den Pics der Cordillera schauen. Man erzählt eine Anekdote von einem Landniann in Peru, der ob seiner Grausamkeit gegen den Condor schwer bestraft wurde. Der Vogel blieb, nachdem man ilnn seine Flügel beschnitten, trübselig um daö Haus herum zurück, und verschlang dann und wann einLäm-lein oder ein Zicklein. Allmälich sielen die alten Federn aus, und nene kamen und wuchsen, bis der Condor fühlte, daß ihm seine Kraft zurückkehre. Nun ergriff er ein junges Kind, den Liebling seines Vaters, zog damit im Hofraum umher, breitete dann seine gewaltigen Flügel aus, stieß wider den Boden, und erhob sich Angesichts der ganzen Familie mit seinem Opfer in die Lüfte. (Aus Chamber's Journal.) Ein Freund am S'terbcbette. Dem Briefe eines im Unionistcnhcerc dienenden Lands-mannes entnimmt ein deutsches Blatt die nachstehende rührende Scene: Schon seit längerer Zeit ist meine Wunoe so weit hergestellt, daß ich zwar das Bett, aber nicht das Hospital habe verlassen können. Ich versehe seitdem den Dienst eines Wärters, leiste Beistand, wenn Glieder abgenommen und Wunden verbunden werden, und Tu magst es mir glaubeu, ich könnte Bande schreiben von den herzbrechenden Geschichten, die ich hier gesehen und erlebt habe. Doch bestand das schwerste Stück Arbeit, welches ich habe verrichten müssen, darin, das; ich meinen Daumen von dem Oberschenkel eines Verwundeten zurückzog. Du wirst nicht begreifen, aber höre: Unter einer Menge von Verwundeten wurde ein junger Mann in das Krankenhaus gebracht. Die Kugel war durch den Oberschenkel gegangen und es mußte zur Amputation geschritten werden. Das Vein wurde dickt am Leibe, weggeschnitten, die Aterien wurden unterbunden. Der Kranke befand sich erträglich und wan glaubte gewiß, ihn am Leben erhalteu zu können. Nach ^ einigen Tagen sprang eine Aterie. Es wurde ein Einschnitt 5 gemacht und dieselbe wieder unterbunden. Der Wundarzt sagte, ^ cZ sei ein Glück gewesen, daß nicht die Hauptarterie gesprun- ! gen, sonst wäre der Mann todtgcblutet, ehe ihm hätte Bei- > stand geleistet werden können. Es besserte sich dann erheblich !-init Eharley und wir freuten uns Alle über ihn. Lines Nachts, I wo ich im Krankensaale zu thun hatte, sagte er plötzlich, als 5 ich an seinem Vette vorbeikam, zu mir: „Heinrich, mein Vein blutet wieder." Ich warf die Vetteu zurück und das Blut spritzte in die Luft. Der Schürf der Hauptartcrie hatte sich abgetrennt. Glücklicherweise wußte ich, was zu thun war: im ^ nächsten Augenblick drückte ich meinen Daumen auf die Stelle, I und stopfte die Blutung. Es war so dicht am Leibe, das; kaum ! Raum für meinen Daumen blieb, aber es gelang mir, ihn -daselbst festzuhalten. Ich weckte einen der Reconvalescenten und sandte denselben zum Wundarzt, der in der nächsten Minute crschien. „Ich danke Ihnen, A—" , sagte er zu mir, als er ! mich sah, „daß Sie zur Stelle gewesen sind und wußteu, was ! zu thun sei, denn außerdem wäre er verblutet, bevor ich hier sein konnte." Als er aber die Stelle untersucht hatte, nahm sein Gesicht einen sehr ernsthaften Ausdruck an, und er fandte zu den andern Wundärzten mit der Bitte, sie möchten fogleich kommen. Es erschienen alle, die im Hause waren, und sie gingen zu Nathe über den arMen Vurscheu. Ihre Entscheidung war einstimmig. Es war kein Naum da, wo sie operircn konnten, außer der Stelle, auf welcher mein Daumen lag; j unter dem Daumen konnten sie nicht arbeiten: nahm ich den- ^ selben fort, so würde er zu Tode geblutet sein, bevor die ^ Arterie unterbunden werden konnte. Es gab keinen Weg, sein j Leben zu retten. Armer Eharley! Er war sehr ruhig und ge- ! saßt, als ihm sein nahe bevorstehendes Ende verkündigt wurde, und bat, daß sein Bruder, der gleichfalls im Hospital lag,, geweckt und zu ihm gerufen wurde. Dieser kam, setzte sich an der Aettseite nieder, ich stand drei Stunden, hielt durch den Druck meines Daumens das Leben von Charley auf, während die Brüder zum letzten Mal auf Erden miteinander sprachen. Gewiß, es war eine ganz eigenthümliche Lage, in der ich mich , befand, zu fühlen, daß ich das Leben eines Mitmenschen in ^ der Hand hielt, und uoch sonderbarer das Gefühl, daß eine z gcnnge Vaocguug meinerseits den Tod zur Folge haben werde. ! Der Gcdante war für mich ein schmerzlicher und drückender, , um so mehr, da ich den armen Burschen lieb gewonnen hatte, ^ aber cZ gab keinen Ausweg. Die letzten Worte waren ge- ! sprochcn, Eharlcy hatte seine Angelegenheit mit seinem Bruder ^ geordnet und gab demselben zärtliche Bestellungen an seine Lieben in der Ferne, die wohl wenig ahnten, wie nahe am Nand des Grabes ihr theurer Freund und Verwandter stand. ^ Thränen füllten meine Augen, als ich diefc Abschiedsworte ver- ! nahm. Als er damit geendet hatte, wandte er sich an mich ! und sagte: „Jetzt, Heinrich, denke ich, wäre es am besten, Du nähmest den Daumen fort." „Ach, Eharlcy," cntgegnetc ich, „wie kann ich das?" „Es muß fein," erwiderte er freund- lich. „Ich danke Dir für Deine große Gefälligkeit und nun lebe wohl." Er wandte sein Haupt ab, ich hob den Daumen, noch ein Mal floß der Strom des Lebens und in drei Minuten war Charley cinc Leiche. Desinition des Kusses. Der Philosoph: Der Kuß ist die Vereinigung von rein Materiellem mit dem rein Ideellen; er ist ein stilles Ineinan-dergrcifen von geträumtcn Seligkeiten mit der Wirklichkeit eine? rein physischen Gefühls und der Weihe des physischen Bewußt seins. Er ist der stille lautlose Ausdruck einer tiefempfundenen Neigung, die, wie der Vlick im Strahle, mit dem Hauche spricht; er ist ein Auflösen des eigenen Ich und ein Wieder? finden im fremden Tu. Der Theologe: Der Kuß ist göttlichen Ursprungs und ist die Ahnung des Himmels, die durch die Brust des Mew schen zieht: cr ist ein stillflüsterndcs Gebet, die Weihe der Reinheit zweier Seelen. Er ist, wird er empfindend gegeben und empfunden, das Siegel Gottes unter der Eidesformel der Treue und der Segen Gottes für zwei Menschenleben. Der Rechtsgelehrte: Der Kuß ist eine lwnulio int«' vivos und gehört dein Familicnrechte an. Er ist unter Liebenden Pflicht, gehört unter die erwcrblichen Rechte und zum Eigenthumsrechte. In der Ehe wird er znr Gütergemeinschaft. Es gehört der nnimu» pos^ili^lilli dazu. Mauche Juristen rechnen ihn unter die Servituten, er gehört aber unter die Geschenke. Der Medicin er: Der Kuß ist die Comprcssion dcr Labialmustelu, die Toppelberühruug der Lippenränder. Er c^ zeugt fiebernde, jedoch nicht krankhafte Alteration des Nervew systems. Die begleitenden symptomatischen Erscheinungen sind: Erhöhter Puls, Herzpochen, gcröthete Wangen und intensives . Feuer im Auge. Er tritt bei Liebcuden epidemisch auf. Er ist ein elektrisches Fluidum; eine odisch - magnetische Naturlrafi, cinc selbstbewußte Attraction des Mundes an einen andern Mund- Vcrantwortli^cr Redacteur I. v. Klcinmayr. — Druck und Verlag von Ign. v. Kleinmayr N F. Bambcrg in kaibach.