Meine Wallfahrt nach Mekka. Reise in der Küstengegend und im Innern von Hedschas von Heinrich Freiherrn von Maltzan. Zweiter Band. Das Recht der Ueberaoteung in fremde Sprachen bleibt vorbehalten, Leipzig 1865. Dyk'sche Buchhandlung. Zehntes Capitel. Mekka. Erster Besuch der Moschee. Menschettgedrftöge am Thor des Grusses. — Die Mctuafin oder religiösen Lohnbedienten. — Die Begleiter auf dem Umgang um das heilige Hans der Kaaba. — Kin seltsames altes Männchen. — Unverschämtheit der Ciceroni. — Eine Erkennuiursscene. — Hassan ben Ssadak und sein Vater. — Ich errwähle mir einen Metuaf. — Meine ägyptischen Reisegefährten. — Hassans Abschied und Verabredung mit demselben. — Ssadak ben Hanifa. — Eintritt in die Moschee. — Mangel eines architektonischen Ganzen. — Der Hof der Moschee. — Der Porticus, — Manniehfaltige Säulenformen. — Antikes Kunstmaterial. — Saracenische Architektur. — Erbauung der Mesdschid el Haram. — Der Arcadenstyh — Zahl der Säulen. — Inschriften und Figuren. — Eine mühsam erlangte und wenig kostbare Inschriftscopie. — Die Kuppeln des Porticus. — Die sieben Miuarete der Moschee. — Das Gebetesausrul'cu auf den sieben Thürmen. Hassan ben Ssadak, welcher bisher keinen Augenblick von meiner Seite gewichen war, war auch zu gleicher Zeit, wie ich und Ali schon im Quartier el Bscharual von seinem Kameele gestiegen, und hatte mit uns beiden den Weg zu Euss durch die Strassen seiner Vaterstadt gemacht, während unsre IL 1 Sattelthiere bei den Harbbeduinen, denen sie gehörten, blieben und nur das mit Gepäck beladene Kameel uns bis in die Nähe des Tempels folgte. Gross war die Verwirrung und der Menschenandrang, welche selbst in dieser frühen Stunde vor der Moschee herrschten. Ausser den zahlreichen Pilgern, welche ihr Gepäck und zum Theil ihre Thiere hier vor der Moschee, theils auf einem freien Platz, an dem nordöstlich gelegenen Thore des Grusses, theils in den weiten Räumen der Strasse el Emsa gelassen hatten, waren am Thore des Grusses auch noch einige hundert Mekkawia (Mekkaner) zusammengeströmt, von denen die meisten Metuafin waren. Der Metuaf (Singular von Metuafin) bildet eine ausschliesslich mekkanische Specialität. Er ist eine Art von geistlichem Cicerone,'ein religiöser Lohnbediente, welcher ein Geschäft daraus macht, die Pilger für Geld an die heiligen Orte zu führen und der ihnen bei jeder Stelle, die sie pflichtschuldigst besuchen müssen, das sagt und zuweilen auch vormacht, was sie nun an religiösen Handlungen zu vollziehen haben. Das Wort „Tuaf" bedeutet den siebenmaligen Umgang um die Kaaba, die erste Ceremonie, welche jeder Pilger gleich bei seiner Ankunft in Mekka zu begehen hat; das Wort „Metuaf" ist das Practicipium eines von dieser Wurzel „Tuaf' gebildeten activen oder transitiven Zeitworts (die zweite Form der arabischen Conjugation) und heisst wörtlich übersetzt: „derjenige, welcher einen andern den Tuaf (Umgang um die Kaaba) machen lässt oder vollbringen macht." Der Metuaf also ist das unvermeidliche Vadamecum desjenigen, weloher den Tuaf machen will. Doch übt er sein Amt, als religiöser Lohnbediente, nicht nur beim Tuaf selbst, sondern auch bei allen andern vorgeschriebenen Ceremonien, welche der Pilger durchzumachen hat, aus; da jedoch der Tuaf die erste und eine der wichtigsten dieser Ceremonien ist, so führt er von ihm seinen Namen. Aber nicht nur beim Tuaf, beim Sai (einer andern Ceremonie), beim Omra, bei der Wallfahrt nach dem heiligen Berge Arafa, ist der Metuaf der unzertrennliche Begleiter des Pilgers, er klammert sich auch gewöhnlich im bürgerlichen Leben des Reisenden wie Kletten an diesen an, er zeigt ihm die Merkwürdigkeiten von Mekka, er führt ihn in Kaffeehäuser und Barbierstuben, er macht den Mäkler für ihn in Kaufläden, er verschafft ihm eine Wohnung, begleitet ihn in's Bad, ja er vereinigt nicht selten eine andere Specialität mit seinem vielberufenen Handwerk, eine Specialität, welche mit seinem religiösen Stande sehr im Widerspruche steht. diejenige nämlich dass er — den Kuppler spielt und dem Pilger nicht selten zu einer Gefährtin seiner Pilgerfahrt, zu einer temporären Gattin verhilft, welche dem Hadsch die Langeweile seiner frommen Beschäftigung versüssen hilft. Unter der Schaar dieser am Thor aufgestellten religiösen Lohnbedienten, welche ich nun mit Genauigkeit musterte, um mir einen von ihnen zu meinem Begleiter auszuwählen, befand sich auch ein spündeldürres, kleines Männchen von greisenhaftem Aussehen und hinfälliger Gestalt, ein wandelndes Knochengerippe mit etwas pergamentartiger gelblicher Haut überzogen, dessen strohfarbene Wangen ein spärlicher, dünner, weisser Bart schlecht bedeckte l* und dessen kleine, schwarze Aeuglein int Hintergründe zweier tiefer Höhlen mit unheimlichem Feuer dämonisch funkelten. Das kleine Männchen war in bescheidene Lumpcntracht gehüllt. Es besass zu wenig Körperkraft, um die andern Metuafin, seine kräftigeren und glücklicheren Collegen, hinwegdrängen und sich selbst in den Vordergrund arbeiten zu können und so schien ihm wenig Hoffnung zu blühen, irgend einen frommen Hadsch zu seiner fetten Milchkuh zu machen. Bescheiden lauerte es im Hintergrunde und sah wehmüthig zu, wie die a ndern Metuafin nun in dichten Schaaren die Iladschadsch umdrängten, ja gewissermassen über sie herfielen und sich diesen wehrlosen Geschöpfen als Cicerone aufdrangen, ja aufzwangen. Aber diessmal war es vorn Schicksal vorausberechnet, dass es dem alten Männchen nicht schlimmer, ja vielleicht besser, gehen sollte, als seinen unverschämteren Gewerbsgenossen. Denn nicht nur meine Blicke hatten den Greis entdeckt, sondern auch die eines andern und dieser andere war mein Reisegefährte, Hassan ben Ssadak. Kaum bekam Hassan den alten hinfalligen Metuaf zu Gesicht, als er plötzlieh mit kräftigen Armen und Fäusten die unverschämte Menge zertheilte, rechts und links um sich hieb, sich einen Weg zu dem Greise bahnte und diesem mit kindlicher Zärtlichkeit um den Hals fiel. Dann entspann sich zwischen beiden ein lebhaftes Gespräch, wobei der Greis ein feuriges Geberdenspiel entwickelte, das ich im bei seiner Hinfälligkeit kaum zugetraut hatte. Diese beiden schienen sich viel mitzutheilen zu haben. Sie machten es aber in grosser Schnelligkeit ab, denn kaum waren wenige Minuten vergangen, so zerthcilte Hassan ben Ssadak, und zwar diessmal mit den ebonbegrüssten Alten an der Hand, auf's neue die Menge der Metuafin, von denen mich eben einige dreissig dicht umdrängten, um mich herum schrieen und . wenn das Geschrei nichts half, um meine Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen zu lenken, mich beim Ihram zupften und zogen und durch vieles Zerren an diesem schlecht-verhüllenden Gewände mich beinahe nackt ausgekleidet hätten, alles um sich um die Ehre zu reissen, mich in der .Moschee herumführen zu können. Diese Biedermänner hatten mich offenbar bereits als ein schon gefangenes Wild betrachtet, als eine Deute, um welche sie nur noch zu loosen haben würden, um zu entscheiden, Mein von ihnen die vollständige Ausbeutung meiner Person und meines Geldbeutels zufallen sollte. Aber ein andrer war ihnen zuvorgekommen und sie sollten unangenehm enttäuscht werden. Mein Reisegefährte hatte trotz dieses Gedränges der Zudringlichen dennoch keine Mühe, sie zu zerstreuen, denn kaum sahen sie, dass er mit dem alten Männchen an der Hand auf mich zukam, als sie sich alle von mir zurückzogen, denn sie mussten nun wohl wissen, dass ich meinen Mann gefunden hatte. Jetzt stellte mir Hassan ben Ssadak den Alten vor und zwar als seinen Vater, Ssadak ben Hanifa, das heisst Ssadak (der Gerechte), Sohn der Hanifa, welche letztere, wie ihr Enkel nicht ohne Stolz erzählte, eine. Dame von ganz besonderer Heiligkeit gewesen war. Jetzt war Hanifa verstorben, nachdem sie beinahe hundert Jahre zur Erbauung der sündigen Menschheit einen höchst exemplarischen Lebenswandel geführt hatte. Aber ihre Tugenden waren nicht verloren gegangen. Dieselben hatte Ssadak geerbt, der kleine hinfällige Greis, der jetzt vor mir stand und sich mir als Metuaf anbot, in welcher Eigenschaft ich ihn. auch gelten Hess, Ssadak hegrüsste mich wie einen alten Rekannten. mit einer Freundlichkeit, welche vielleicht das Interesse zum Motiv hatte, die mir aber doch wohl-that, denn ich fühlte mich unter dem Schwann dieser Lohnbedienten und Pilger, von denen ich nur die wenigsten einigermassen kannte, eigentlich recht einsam und trostlos. Meine ägyptischen Reisegefährten waren nämlich fast alle in dem undurchdringlichen Gewühl und Gedränge der Pilger vor dem „Thor des Friedens" von meiner Seite gedrängt worden, nur einer war geblieben, nämlich der dicke Haggi Omar, der zwar keines Metuafs bedurfte, denn er hatte die Pilgerfahrt schon mehrmals gemacht, der aber doch sich nun entschloss, von dem meinigen mitzuprofitiren und mich auf dem ganzen Umgang begleitete. Vor dem Eintritt in die Moschee hatte ich noch eine lächerliche. Erörterung wegen meines Negers Ali. Denselben wollte, ja musste ich unterdessen am Thore zur Bewachung meines Gepäck zurücklassen, da ich nur so verhindern konnte, dass dasselbe nicht gestohlen wurde. Ali fand diess jedoch sehr ungerecht von mir, da jeder Ankömmling in Mekka gleich den Tuaf machen müsste. Aber trotzdem musste er seine Andacht auf später aufschieben. Hassan nahm nun schnell von seinem Vater Ssadak Abschied, versprach jedoch uns nach zwei oder drei Stunden wieder in der grossen Ilauptstrasse von Mekka, el Emsa, im Kaffeehause eines gewissen Omar el Homsi aufzusuchen, um mich von da nach beendeter Andacht in mein Absteigequartier, bei dem vielgerühmten Hamdan ben Hamidu, zu führen. Wir träten mm in das Innere der Moschee ein, in die erste Moschee des Islam, in die weltberühmte Mesdschid el Hamm, in deren Namen allein sich das Wort Mesdschiil, von. dem das spanische Mesquita, das frauzösiche Mosque.e und auch unser deutsches .,Moschee" ursprünglich abstammen, noch erhalten hat, während es sonst in allen andern Moscheenamen, als veraltet, längst verschwunden ist und dem üblichen Dschema, (eigentlich Versammlung) Platz gemacht hat. Uebrigens kennen heutigen Tages auch selbst in Mekka nur noch die Gelehrten das Wort Mesdschid, alle andern nennen die grosse Moschee schlechthin el Tlaram (das Heiligthum) oder ganz einfach el Dschema, d. h. die Moschee katexochen. Manche Moslems hatten mir den Eindruck, welchen diese Moschee auf den, der sie zum erstenmal sieht, hervorzubringen pflegt, als einen wahrhaft überwältigenden geschildert. Aller Uebertreibung, die in ihren Schilderungen liegen mochte, Rechnung tragend, hatte ich mir doch immer etwas grossartiges unter diesen vornehmsten Heiligthume des Islam vorgestellt. Auch darin sollte ich enttäuscht werden, wie ich beim Anblick von Mekka enttäuscht worden war; denn die Moschee entspricht eigentlich gar nicht dem Begriffe dessen, was wir uns unter einem Gebäude von tempclartigen Formen und gottesdienstlicher Bedeutung vorstellen. Sie ist eigentlich, wenn man will, gar keine Moschee, wenigstens int architektonischen Sinne dieses Wortes, wie andere T.empel des Islam, wie z. B. die Sulimanija oder die Ba.ja.sidi ja (von der ursprünglich - christlichen Aja Sophia gar nicht zu reden) in Constantinopel oder wie die Dschema Jaja in Damascus und die Dschema Omar in Jerusalem, von denen jede einen in seinen künstlerischen Formen zu einem harmonischen Gan-zen gestalteten Centraibau bildet. Die Moschee von Mekka kann man zwar auch ein Ganzes nennen, aber dieses Ganze wird erst durch den sie umgebenden Porticus geschaffen, welcher den freien Raum, in dem die verschiedenen Ileiligthümer und Wallfahrtsorte zerstreut liegen, umgränzt. Auf den ersten Blick sieht man die vollständige Abwesenheit eines Planes. Die ganze Moschee ist ein Werk des Zufalls und ein Krzeugniss der verschiedensten Jahrhunderte und der Launen muselmännischer Fürsten, welche einzelne Theile bauen liessen. Nichts ist ursprünglich in ihr. als ihr Centrum, die Kaaba, das Gt'beteshaus des Islam, alles andere sind nur Accesorien. So unterscheidet sich also die Mesdschid el Haram auf's auffallendste von allen andern religiösen Gebäuden der Welt, welche fast ausnahmslos nach einem Plane und als ein Ganzes entstanden, während die Mekkamoschee planlos sich gleichsam von selbst gestaltete und erst durch den Zufall zu einem Ganzen ward. Der grösste Raum der sogenannten Moschee von Mekka wird von einem grossen vierekigen, nach oben völlig offenen Hofe von ungefähr siebenhundert, Fuss Länge und nicht ganz fünfhundert Fuss Breite, eingenommen, in welchem die zehn oder zwölf Ileilig-rhümer des Islam befindlich sind, welche neben der Kaaba die Centraipunkte des Islam bilden und zu denen alle Pilger wallfahrten müssen. Der Hof gewinnt erst durch den auf allen vier Seiten umgebenden Porticus eine Form und ein zusammenhängendes Ganze. Dieser Porticus ist zwar kein grosses Kunstwerk; so vermisst man an ihm beinahe jeden Geschmack in den Anordnungen der Einzelheiten; er ist ein Werk des Zufalls, wie alles in dieser Moschee ein Werk des Zufalls scheint; aber dennoch ist er im Stande einem architektonischen Forscher, namentlich einem Archäologen, einen grossen Genuss zu gewähren, so alterthüinlich und seltsam, launisch und phantastisch, wie wohl kaum ein Bauwerk auf Erden, offenbart er sich dem forschenden Auge. In seiner Unordnung selbst, in seinein architektonischen Chaos liegt etwas poetisches. Ja ich möchte fast den etwas paradox scheinenden Satz aufstellen, dass gerade diese Unordnung reizender ist, als die steife Regelmässigkeit einer künstlerisch geordneten Säulenhalle. An den vielen Säulen dieses Porticus lässt sich eine ganze Geschichte der Architektur ablesen. Sie sind von der grössten Mannichfaltigkeit in ihren Formen, ihrem Material und der Art ihrer Aufstellung. Einzelne korinthische Capitäler, aus der schönsten Zeit des hellenischen Kunstgeschmackes, mit ihren feinen zarten Acanthusblätterformen zeigen sich neben den feingewundenen jonischen Widderhörnern, denen zur Seite, freilich in viel grösserer Anzahl, die phantastisch gebildeten byzantinischen oder die zwar im ganzen plumpen und unförmigen, aber, trotz alledem , doch nicht eines gewissen Reizes ermangelnden saracenischen Formen der Säulenhäupter sich darbieten. Wie so viele Tempel des Islam, namentlich die ältesten, die in einer Zeit entstanden, als die Araber noch keine selbstständige Architektur be-sassen, so wurde auch dieser aus all' dem verlorenen Material, welches der griechische Götterdienst oder der byzantinische Cultus an den Küstenpunkten oder in angränzenden Strichen (z. B. in der Arabia patraea) aufgehäuft hatten, ohne Wahl zusammengewürfelt und man bediente sich, wenn man der Säulen überhaupt bedurfte, der ersten besten, welche man in den Ruinen der Heidentempel fand oder in den Kirchen unterjochter Völker raubte. Der arabische Architekt nahm im culturhistori-schen Kindheitsalter seines Volkes auf nichts Rücksicht, als auf das Bedürfhiss des Augenblicks, Ein Glück war es jedoch für das von ihm zu errichtende Gebäude, dass in einzelnen Theilen seines Vaterlandes, oder wenigstens an den Gränzen desselben, Colonien der Kunstvölker des Alterthums bestanden hatten, deren durch den Islam zerstörte Werke nun ein Material von hohem künstlerischen Gehalte lieferten, wie es manchen andern Nationen in ihren Kunstanfängen gänzlich abging. Diess antike Material bildete freilich nicht den Ilaupttheil der Elemente des Gebäudes, aber es diente doch als Modell für das zu ergänzende. So entstand die sogenannte saracenische Architektur, indem der Baumeister sich bestrebte, das antike Kunstmaterial zum Theil nachzubilden, was ihm, bei seinem tieferen kunstgeschichtlichen Standpunkte, nur schlecht und oberflächlich gelang und woraus jene seltsamen Monstra der Kunst, die uranfänglichen saracenischen Bauten, die gewiss schon Jahrhunderte vorMohamed im Typus vorhanden waren, entsprangen, welche jedoch einem höheren kunstgeschichtlichen Aufschwung die Bahn vorbereiteten, zu dem die spätere saracenisch-mittelalterliche Architektur mit ihren vielen Abarten sich erheben sollte. Waruni der Tempel von Mekka uns nicht ähnliche, herrliche, architektonische Formen, wie die Moschceen andrer islamitischen Länder darbietet, das ist nicht schwer zu erklären. Dieser Tempel ist eben seinem alten Modell und zum grossen Theil seinem alten Material treugcblicben und wenn auch öfters zerstört, neu aufgebaut, restaurirt und verschönert, so ward er doch eigentlich nie umgemodelt, das heisst der neue entstand, an der Stelle des alten, nicht als ein anderer, sondern als derselbe mit geringen, unbedeutenden Aenderungen. Der ursprüngliche Tempel entstand, wie man annimmt, nicht sehr lange nach dem Tode des Propheten, im Jahre 685 unsrer Aera, auf Befehl des Emir elHadsch-adsch ben Jusuf, eines Generals des jesidischen Chalifen Abd-ul-Malech, also zu einer Zeit, da sich noch keine selbstständige, arabische Kunst ausgebildet hatte, obgleich der Porticus in seiner jetzigen Gestalt erst dem Jahre 1030 unsrer Zeitrechnung seine Erbauung verdankt, Im wesentlichen trägt aber die Moschee noch jetzt die Form, welche ihr der Emir el Hadschadsch ben Jusuf verlieh. Warum bei den häufigen Umbauten und Restaurirungen die Mesdschid el Haram nicht in reinerem Kunstgeschmacke neuerbaut wurde, da doch zur Zeit dieser Verbcsserungen die Kunst des Islam schon eine hohe Blüthe erreicht hatte, das ist nicht schwer zu erklären. Hier in Mekka war nämlich von jeher ausschliesslich der Sitz des Alten. Jede Neuerung schien den Fanatikern der heiligen Stadt ein Verbrochen und selbst die verfeinertere Kunst anderer mohame-danischer Länder kam ihnen nur wie Ketzerei vor, da sie sieh ja mitunter nach ungläubigen Mustern ausgebildet hatte. Ein. anderes Glück war es für die früheste Architektur des Islam, dass derselben durch die Günstigkeit des Iliinmelstrichs eine Kunstform nahe gelegt worden war, welche das vorhandene, antike Material oder seine Nachbildungen leicht verwerthen konnte. Ich meine die Säulen und Arcadenform. welche von allem, was die antike Architektur geschaffen, vielleicht; das künstlerischste genannt werden kann. Das milde Klima von Mekka machte es wünschenswerth, ein Gebäude zu haben, welches eigentlich gar keine Wände besass, denn die äussere Mauer erschien nur als ein Schutz gegen profane Blicke; gegen die Witterung bedurfte man keines andern Schutzes, als der Decke des Porticus, aus der man auch wieder einen Zierrath machte, indem man die von den Byzantinern ererbte Kuppelform hier verwerthete. Der Arcadenstyl, wie wir ihn. bei älteren europäisch-christlichen Gebäuden, z. B. den Kloster-, gangen des Mittelalters, angewendet finden, (und die Mesdschid el Haram hat mit einem solchen Kloster-gang x. B. mit dem von Monreale bei Palermo eine auffallende Aehnlichkeit) verhindert immer, dass ein Baudenkmal gemein aussehe. So auch hier; wenn auch die Moschee von Mekka'keinen hohen Kunstwerth besitzt, so ist sie doch weit entfernt, in prosaische Gewöhnlichkeit zu verfallen. Im Gegen-theil ich möchte sie last poetisch nennen. Diese Säulengänge mit ihren schönen Arcaden, in denen die Luft frei circulirt, seheinen mir wie geschaffen, um im beschaulichen Nachdenken dahinwandelnde Menschen in sich aufzunehmen. Nirgends träumt es sich so schön, nirgends kann man mitten im Menschengewühl die Einsamkeit so gemessen, wie hier, und will man ihr entfliehen, so findet man auch nirgends ein Publicum in gehobenerer Stimmung, als hier, während für den weltlichen Sinn doch zugleich auch gesorgt ist, wie man weiter unten sehen wird, so dass in dieser Moschee jedem Geschmack etwas geboten wird. Für die äusserliche Begünstigung der Andacht scheint mir diese Säulenhalle ganz besonders geschaffen: man fühlt, dass man in einem Heiligthum ist, man hat ein noch grösseres Heiligthum (die Kaaba) vor sich und man ist doch zugleich in freier Luft, man geniesst Gottes Himmel und Erde, man ist nicht in einer kerkerartigen Mauermasse mit Kellerluft, was doch so viele Kirchen und Moscheeen sind, gleichsam gefangen, de mehr ich mir die Moschee und ihre architektonischen Formen ansah, um so mehr ward ich inne, dass alle Vorwürfe, welche man ihrer Anlage gemacht hat, unbegründet sind, und dass es eigentlich für den speciellen Zweck gar nichts geeigneteres geben könne, als eben diese Mesdschid el Haram, obgleich sie ein Werk des Zufalles und nicht der Berechnung genannt werden muss. Ein grossartiger Centraibau, wie er bei anderen Moscheeen vorkommt, würde die hier befindlichen Heiligthümer erdrückt und, da man wahrscheinlich versucht haben würde, das Centrum mit einer Kuppel zu überwölben, die Pilger des Anblicks des Himmels beraubt haben, welchen Anblick der Moslem mit Recht, als einem Beförderungsmittel der Andacht, einen besondern Werth in seinen gottesdienstlichen Handlungen beilegt. Was braucht man auch in einem Klima, wie dem von Mekka, eigentlich einen anderen Tempel, als Erde und Himmel? Die Mesdschid el Haram ist nicht viel andres als eine Warte, welche aus der einen in den andern blickt. Selbst in der Mannichfaltigkeit und Verschiedenheit der Säulen, in Form und Material, möchte ich eher einen Vorzug erblicken; die Monotonie, welche die sich ähnelnden Arcaden, die sich in der ersten Reihe um den Moscheehof allein schon achtzigmal wiederholen, doch im Grunde hervorbringen, wird dadurch abgeschwächt. Die Säulen sind von beträchtlicher Höhe, nach einer Messung, die ich mit einem Stocke an einem verhältnissmässig einsamen Abend anstellte, etwas höher, als achtzehn Fuss, während ihr Durchmesser zwischen einem und anderthalb Fuss variirt. Die Arcaden, welche im Spitzbogenstyl, jedoch nicht mit sehr engen Winkeln, erbaut sind und deren Spitzen sich zehn Fuss über die Säulenhäupter erheben, sind in Gruppen von je vier zu vier durch grosse achteckige Granitpfeiler abgetrennt, die bis an die dreissig Fuss hohe Decke des Porticus hinanreichen und einen Radius von nahezu drei Fuss haben mögen. Die Arcaden sind nicht alle gleich weit, aber im Durchschnitt mag die Entfernung von einer Säule zur andern elf bis zwölf Fuss betragen. An jeder der beiden Längenseiten sind in der ersten Reihe sechsunddreissig, an jeder Breitenseite vierundzwanzig Arcaden angebracht. Ausser der vorderen Säulenreihe hat jede der vier Seiten des Porticus noch zwei andere, so dass eine dreifache Colonnade den ganzen Tempelraum um-giebt. Auf der südöstlichen und südwestlichen Seite ist sogar eine vierte Säulenreihe, doch zieht sich diese nicht in der ganzen Länge der Moscheeseite hin. An der südöstlichen hat sie nur achtzehn, statt vierundzwanzig, an der südwestlichen nur zwanzig statt sechsunddreissig Säulen. Ausser dieser dreifachen, theilweise vierfachen Säulenhalle, welche die Moschee umringt, sind noch an zwei Stellen, im Nordosten an der Pforte ess Ssijada und im Südosten an dem Bab Ibrahim Vorbauten angebracht, welche nach Art des antiken Atriums auf allen vier Seiten von Säulen umgeben und nicht durch Wände vom Porticus getrennt sind, so dass es, wenn man z. B. am Thor ess Ssijada steht, den Eindruck macht, als habe man eine sechsfache Säulenreihe vor sich. Von den vierhundert und fünfzig bis fünfhundert Säulen, welche diesen Porticus bilden, gehören, was ihre Form betrifft, die meisten dein sogenannten saracenischen Styl an, einige dreissig haben schöne korinthische Capitäler, fünfzehn sind edle jonische Säulen und ungefähr fünfzig byzantinisch. Von den letzteren trugen viele ursprünglich Figuren in die Säulenhäupter eingenieisselt, wie diess der byzantinische Styl oft mit sich brachte, doch ist ihre Form jetzt nicht mehr zu erkennen, da diejenigen, welche Menschen oder Thiere vorstellten von den guten Moslems, die solche Darstellungen in ihrem Tempel natürlich für eine grosse Ketzerei und Lästerung halten mussten, längst mit dem Hammer zerstört worden sind. Nur hie und da, hat man die Sculpturen, welche Laubwerk und andere vegetabilische Gegenstände nachbilden, bestehen lassen. Einige der saracenischen Säulenhäupter enthalten Inschriften von hohem Alter, ineist in kufisehen Lettern und zwar sah ich vier, in denen die kufische Quadratform der Buchstaben, eine besonders künstlerische Gestaltung der Lettern, vorkam , und einige zehn mit der Cursivform der kufischen Lettern. Leider, da ich mich um jeden Verdacht zu vermeiden in der grossen Moschee sehr hüten musste Aufzeichnungen zu machen, konnte ich diese Inschriften, so grosse Lust ich auch dazu hatte, nicht abschreiben. Ein Moslem denkt natürlich nie daran, Inschriften abzuschreiben, denen er keinen andern Werth, als den von Talismanen beilegt und ein Talisman braucht nicht verdollmedscht zu werden. Nur eine einzige Inschrift gelang es mir, einmal, in einem einsamen Moment, aufzuzeichnen. Dieselbe war kufisch, mit der Quadratform der Lettern und befand sich in einem ziemlich abgelegenen Theil des Porticus, wo ich hinter die Säule gelehnt, in welche sie eingenieisselt war, Bleistift und Papier hervorholte und die Ileldenthat vollbrachte, denn eine Art von Heldenthat war es in einem gewissen Sinne des Wortes, die, wenn ich dabei ertappt worden wäre, unfehlbar grossen Verdacht erregt haben würde. Es giebt nämlich unter den heutigen Moslems gar keine Alterthumsforscher. Desshalb legen sie einem Copirer von alten Inschriften immer nur eine abergläubische Bedeutung bei und halten den Copisten für einen Entheiliger geweihter Talismane. Sie glauben zum Beispiel, eine solche Inschrift enthalte eine Zauberformel, mit welcher man Schätze heben oder, Gott weiss, was für Wunderdinge vollbringen könne. Die Moschee aber, besonders eine so heilige Moschee, wie die Mesdschid el Haram, eines solchen Talis-manes zu berauben, würde für schwere Sünde gelten. Ausserdem gilt es schon für Unrecht sich in dem heiligen Tempel mit etwas zu beschäftigen, was nicht entweder streng religiös, oder zum Leben nothwen-dig, oder doch wenigstens durch irgend ein natürliches, wenn freilich auch nicht immer geheiligtes Bedürfniss zu erklären ist. Fast alle Pilger essen und trinken in der Moschee, so viel sie Lust haben, wenn ihre Andacht vollendet ist. Ja selbst den Lüsten wird hier gefrölmt, wenn auch nicht in directer, so doch in indirecter, vorbereitender Weise, wie die zahlreichen Priesterinnen der Liebe beweisen, welche sich hier einfinden, um mit ihren Verehrern Zusammenkünfte zu verabreden. Daran jedoch findet Niemand etwas auszusetzen. Aber eine Inschrift copiren! Das lallt keinem Moslem ein. Das wäre eine ärgere Entheiligung, als wenn man, glaube ich, auf den schwarzen Stein der Kaaba spucken würde. Diejenige Inschrift jedoch, weicheich allen Vor-IL 2 urtheilen zum Trotz, dennoch abschrieb, entsprach leider nicht meinen Erwartungen. Sie an Ort und Stelle zu lesen, das wäre nicht gegangen, da kufische, namentlich quadratische Inschriften erst nach langem Studium und Vergleichen mit andern Inschriften selbst von den besten Kennern entziffert werden können. So musste ich also gewissermassen die Katze im Sack kaufen, d. h. die Inschrift abschreiben und nach Hause tragen, ohne zu wissen, was sie aussagte und ob sie des Abschreibens werth war oder nicht. Wer beschreibt jedoch meine Enttäuschung, als ich nach einigen Monaten, da ich nach Europa zurückgekehrt war und meine Bücher bei der Hand hatte, diese Inschrift durch Ver-gleichung mit vielen andern entzifferte und was heraus bekam? Was war das Resultat meines Wagnisses, welchen neuen überraschenden Aufschluss über die Geschichte Mekka's sollte es mir geben? Die Inschrift enthielt die wichtige Neuigkeit, dass — — es nur einen Gott gebe und dass unser Herr Mohamed, den Gott segnen möge, sein Prophet sei. Diess war der Mühe werth gewesen, um so viel Vorsichtsmassregeln zu gebrauchen und so viel Versteckens zu spielen, um auf Schleichwegen zuletzt zur Kenntniss einer Neuigkeit zu gelangen, die vielleicht ursprünglich sehr interessant war, die jedoch für mich, der ich dieselbe tagtäglich wohl tausendmal ableiern musste, leider den Reiz der Frische gänzlich verloren hatte und ihn wohl selbst für den unwissendsten Europäer nicht mehr besitzt. Ich zweifle jedoch nicht, dass andere Inschriften an Säulen und Pfeilern historischen Ereignissen gewidmet sein mögen, deren Kenntniss uns manchen wichtigen Aufschluss geben könne. Ob es aber jemal« gelingen wird, von diesen Inschriften eine Copie zu bekommen, das wage ich zwar nicht zu verneinen, da es beispiellos wäre, dass dem europäischen Forschungseifer auf die Dauer irgend etwas erreichbares, wenn auch sehr schwer erreichbares entginge, aber was für ein Mensch der Glückliche sein soll, der diesen archäologischen Schatz zu heben bestimmt ist, davon habe ich nicht die geringste Ahnung. Ein Muselmann einmal gewiss nicht, sei er selbst in Europa, erzogen, denn sein Fanatismus wird ihn stets daran hindern; und ein Christ, der unter Verkleidung sich in die Mesdschid el Haram schleicht, muss sich ohnehin schon so sehr in Acht nehmen, damit er nicht entdeckt werde, dass er stets alles vermeiden wird, was seine Handlungsweise von der der wirklichen Moslems unterscheiden kann. Was das Material betrifft, aus dem die Säulen des Porticus gebildet sind, so ist dieses eben so man-nichfaltig, wie die Form ihrer Capitäler. Ein Fünftel der Säulen besteht aus dem gewöhnlichen Granit, Welcher in der Gegend von Taif, selbst in der nächsten Umgebung von Mekka gebrochen wird. Ungeiähr zwanzig sind von schönem ägyptischen Porphyr. Alle andern sind von Marmor, meist von weissem. Die Schäfte der Säulen sind theils canellirt, theils gewunden, theils glatt. Ihre Piedestale sind auch wieder von allen verschiedenen Baustylen und bunt ohne Wahl neben einandergestellt. Einige Sockel stehen verkehrt. Bei andern Fäulen ist .sogar das 1* Capital unten und der Sockel oben, wie es eben der Laune oder Nachlässigkeit des Baumeisters gefiel. Dieselbe Planlosigkeit, welche sich im ganzen Gebäude kund giebt, hat auch in der Anlegung der vielen Thore geherrscht, welche von den Strassen und öffentlichen Plätzen Mekka's in die Moschee führen. Es sind ihrer im ganzen achtzehn, auf allen vier • Seiten des Porticus unregelmässig vertheilt. Auf der nordwestlichen Seite allein liegen fünf. 1) Die Pforte el Alaik, 2) die Pforte el Hadschela (der Wittwe), 3) die Pforte el Katebia (der Schreiber), 4) die Pforte ess Ssijada (das überflüssige Thor), und 5) die Pforte ed Deriba (des Schlages). Auf der nordöstlichen Seite befinden sich vier Thore: 6) das schon erwähnte Thor des Grusses, 7) das Bab en Nebbi (Thor des Propheten),' 8)das Thor des Abbas (Onkels des Propheten), 9) das Thor Alfs (Schwiegersohnes des Propheten). Auf der südöstlichen Seite sind am meisten, nämlich nicht weniger als sieben Thore angebracht: 10) das Bab es Sit (Thor des Oeles), 11) das Bab el Barhla (Thor der Mauleselin), 12) das Bab ess Ssafa (Thor der heiligen Säule Ssafa), 13) Bab er Rahma (Thor der Barmherzigkeit), 14) Bab edsch Dschiat (Thor der Ankunft), 15) Bab esch Scheriff (edle Thor), 16) Bab Um Hauva (Thor der Eva). Auf der südwestlichen Seite sind nur zwei 17) Thor Abrahams, 18) Thor der Omra. Der ganze Porticus wird auf allen vier Seiten von einer Dachterrasse gedeckt, aus der ein Heer von kleinen, grellweiss angestrichenen halbrunden Kuppeln aufragt. Jede Seite des Porticus hat über sich eine dreifache Reihe solcher kleinen Kuppeln, deren überjederSäulenreiheandenLä.ngenseiten je fünfzehn (im ganzen fünfundvierzig), an den Breitenseiten je zehn (im ganzen dreissig) befindlich sind. So kommen jedesmal über fünf Arcaden zwei Kuppeln zu stehen. Alle diese Kuppeln sind von metallenen, vergoldeten Halbmonden gekrönt und gewähren im Gesammtblick ein so acht orientalisches Bild. wie man es wohl überall, ausser hier, umsonst suchen möchte. Nur auf der nordöstlichen Seite des Porticus wird die Kuppelreihe einen Augenblick unterbrochen, indem sich in der nördlichen Ecke, gerade über dem Bab ess Ssijada. drei grössere Kuppeln befinden, von denen jede die Stelle von zwei kleineren einnimmt. Auch diese Abwechselung gewährt ein recht schönes Bild. Mir scheint es jedoch wünschenswerth, dass die regelmässigen Kuppelreihen auch an andern Orten unterbrochen sein möchten. Aber wie gesagt, alles ist hier planlos, die Abwechselung ist eben so unstudirt, wie die Regelmässigkeit. Wo sieh jedoch die Launenhaftigkeit des Bau styls der Mesdschid el Haram am deutlichsten offenhart, das ist in der Anlage derMinarets, deren die Moschee sieben zählt, welche mit der grössten Unregelmässigkeit aufgestellt sind und von denen keiner dem andern, was seine Höhe oder seine Form betrifft, völlig gleicht. Von diesen sieben Minarets stehen auf der nordwestlichen Seite allein vier, wenn man die beiden Eckminarets mitrechnet. Diese sieben Gebetesthürme führen folgende Namen: 1) Minaret der Pforte des Grusses, 2) der Pforte ess Ssijada. 3) der Pforte Katebi und 4) der Pforte, el Omra. Auf der nordöstlichen Seite der Mesdschid liegt dann 5) der Minaret der Pforte des Propheten. In der östlichen Ecke der Moschee: 6) der Minaret der Pforte Ali's und in der südlichen Ecke 7) der Minaret der Pforte des Flusses oder der Ahlutionen. Die Namen der Minarets sowie der Thore scheinen nur zum kleinsten Theil einen vernünftigen Grund als Ursprung gehabt zu haben, wie z. B. die Thore Mohameds, Abbas' und Ali's, weil auf dieser Seite die Wohnungen der Familie des Propheten lagen; das Oelthor, weil hierdurch das Oel für die Lanipen der Moschee gebracht wird. Alle andern sind fabelhaft und nicht selten lächerlich, wie das Thor der Mauleselin und das des Schlages. Der höchste der sieben Minarets ist der zweite, welcher drei übereinander angebrachte Brüstungen hat, von denen die Mueddin die Gebetesstunden verkünden; der niedrigste, und zugleich der zierlichste und schönste ist der fünfte, der über dein Thore des Propheten angebrachte. Alle Minarets mit Ausnahme des zweiten haben nur zwei Brüstungen d. h. ringsherumlaufende Balcone, Nur zwei dieser Thürme sind nicht rund, nämlich der fünfte und sechste, aber auch sie sind nur bis zur ersten Brüstung, der eine fünf kantig, der andere viereckig, jedoch so, dass sie unten breiter als oben sind. Auf allen sieben stehen vergoldete Halbmonde und ausserdem wird noch auf ihnen zu jeder der fünf Gebetesstunden die weisse, am Freitag eine Stunde lang die grüne heilige Fahne aufgezogen, zu welcher Zeit auch die Mueddin, die Gebetsnusrufer, die Balcone besteigen und, je nach der Secte zu welcher sie gehören, in mehr oder weniger singendem Tone, in mehr oder weniger psalmodirender Weise, das Glaubensbekenntniss des Islam ertönen lassen. Hier kann natürlich nur von den vier orthodoxen Secten, Hanefi. Maleki, Hanbeli und Schafei die Rede sein, da andere nicht zum Dienste der Moschee zugelassen werden. Die Hanefi, nieist Türken, psalmodiron das Glaubensbekenntniss mit weit mehr Variationen, als die drei andern Secten; sie machen einen wahren Gesang daraus, während die Maleki sich durch die Einfachheit ihres Gebetesrufes auszeichnen. Es bringt einen höchst eigen-thümlichen Eindruck hervor, wenn man zu einer der fünf Gebeteszeiten im Hofe der grossen Moschee steht und plötzlich, wie mit einem Schlage, die sieben weissen Fähnchen auf die Thurmspitzen fliegen, die zahlreichen Mueddin auf den Balconen erscheinen sieht und alle diese verschiedenartigen Weisen durcheinander hört, in welchen die vier Secten den Ge. betesruf ergehen lassen. Oft ging ich in die Moschee blos um diesem Schauspiel beizuwohnen, welches in seiner Art einzig ist. Der Leser verzeihe mir, dass ich ihn in der vielleicht etwras gedehnten Schilderung der Moschee so lange vom Hauptheiligthum, der Kaaba, noch zurückgehalten habe, aber um nicht ein und dasselbe zweimal zu erzählen, schien es mir geeignet, bei Erwähnung meines ersten Besuches der Mesdschid el Haram gleich alles das zu erschöpfen, was mir über das Gebäude selbst aufzeichnungswerth erschien, während ich meinen Umgang um die Kaaba und die Beschreibung der besondern Heiligthümer des Mo-scheehofes dem nächsten Abschnitt vorbehalte. Elftes Capitel. Mekka. Umgang um die Kaaba, Gang nach dem Hciligthumc. — Erster Anblick der Kaaba. — Seltsamer Eindruck derselben. — Die Fusstapfen Abrahams. — Begriissung der Moschee — Trinken des heiligen Wassers. — Undurchdringliche Pilgerschaaren um den schwarzen Stein. — Menge des Ungeziefers. — Gebet in einiger Entfernung vom schwarzen Stein zu sprechen. ■— Ich gelange durch eine List meines Führers au den schwerzugänglichen Stein. — Fabeln über den Hadschar el assuad. — Aussagen der christlich - saracenischen Schriftsteller über ihn. — Seine Geschichte. — Sein Aussehen. — Ceremonien und Gebet am Stein. — Aus welchem Material besteht er? — Die Thüre der Kaaba. — Die Fnsstapfen Abrahams. — Die Dachrinne. — Das Grab Ismaels. — Die syrische Ecke. — Der Jemenwinkel. — Der weisse Stein. Nur einen Augenblick war es mir, bei diesen meinem ersten Eintritt in die Mesdschid el Hamm, vergönnt, im Anblicken der Moschee zu verweilen, denn das im vorigen Capitel geschilderte ist keineswegs das Resultat meiner ersten, sondern vielmehr dasjenige aller nachfolgenden Beobachtungen des Gebäudes, welche ich bei meinen spätem Besuchen anstellen konnte. Ehe ich jedoch weiter in den Tempelhof, wo sich die Kaaba und die andern Heiligthümer befinden, vordringen durfte, musste ich mich noch der Pflicht entledigen, zwei Rikats zu beten, welche gewisser-massen der erste Gruss des Pilgers an die Moschee im allgemeinen sind, während man die Kaaba im besondern nachher an einem hierzu festgesetzten Orte noch durch zwei Verbeugungen begrüssen muss, ehe man in ihre nächste Nähe gehen darf. Dann nahm mich mein Metuaf, Ssadak ben Hanifa, bei der rechten Hand, der dicke Haggi Omar begleitete mich zur linken und beide führten mich nun schnurstracks nach der Mitte des Moscheehofes, wo das wunderliche Heiligthum des Islam, die Kaaba, thronte. Da lag sie, eine finstere, schwermüthige Masse, von schlecht zubehauenen Steinen erbaut. Ein viereckiges, schwerfälliges Monstrum der Kunst, plump und roh in seiner Anlage und Ausführung, wie es das Kindheitsalter barbarischer Tempelarchitektur erzeugt hatte. Da lag die. Kaaba, das Ziel meiner Wallfahrt, das Centruin des Islam. Sie ragte über alles was sie umgab empor, höher als der die Moschee umgränzende Porticus, höher, als alle das Gebäude umringenden Heiligthümer. Obgleich an und für sich eigentlich nicht sehr hoch, denn die Höhe der Kaaba beträgt nur vierzig Fuss, so nahm sie sieh doch, wegen der absichtlich niedrig gehaltenen Bauten neben ihr und um sie herum , imposant aus und schien dem Pilger, der keine Mühe und Qual gescheut hatte, um zu ihr zu gelangen, einen stolzen Willkomm zuzurufen und ihn aufzufordern, niederzufallen und ihrer schwerfälligen Masse in tiefster Verehrung seine abgöttische Huldigung dar-' zubringen. Die Kaaba, welche zwar Oubus oder Würfel genannt wird, aber kein Würfel ist, denn ihre Höbe beträgt beinahe das doppelte ihrer Länge und Breite, erregt durch diese ihre einfache, aber dennoch selt-saine Form, beim ersten Anblick unsre Ueber-raschung. Der Umstand, dass sie bei einer verhält-nissmässig kurzen und schmalen Basis eine Höhe besitzt, welche man mit der eines abgeschnittenen Thurmes vergleichen möchte, unterscheidet sie auffallend von andern barbarischen Heiligthüniern alter Zeiten, welche gewöhnlich fast immer von einer erdrückenden Niedrigkeit sind. Die Seltsamkeit dieser Form des Gebäudes, dazu sein finsteres Aussehen, seine bevorzugte Lage mitten im Tempelhofe, die Heiligthümer, welche es umringen, die Schaaren und Schaaren halbnackter Fanatiker, welche in wahnsinnigem Enthusiasmus bald vor ihr niedersinken, bald aufspringen, um sie und ihre Heiligthümer an Herz und Mund zudrücken, bald im verrücktesten Rennen um sie herumlaufen; diess alles verfehlt nicht, einen in seiner Seltsamkeit mächtigen, ich möchte sagen grauenerregenden Eindruck hervorzubringen. Auch bei mir war dieser Eindruck nicht von Grauen frei. Ich war von dem Schauspiel, welches ich vor mir hatte, tief ergriffen. In diesem Augenblick vergass ich mein eignes Ich gänzlich, ich dachte nicht im geringsten daran, mir Glück zu wünschen, dass ich nun am Ziel meinerWünsche stand, dass ich einer der wenigen Europäer geworden war, welche diess Heiligthum sehen durften. Nein! meine Sinne und mein Geist waren ganz von dem vor nur liegenden, in seiner Art einzigen Schauspiel in Anspruch genommen, ich möchte sagen, überwältigt. Eine finstre Dämonenburg erschien mir diese Kaaba, die wie ein koboldartiger Alp auf der Religion des Islam lastet und jeden freieren Aufschwung in ihr verhindert. Auf einmal wurde mir, wie durch Intuition, die düstere Bedeutung dieses einstigen Götzentempels klar. Alles, was die Kaaba und ihren Pilgerdienst betrifft, ist so ganz dem reineren Monotheismus fremd, alles diess ist so durchaus und so unzweifelhaft heidnisch, dass man deutlich erkennt, dass Mohamed, welcher dieses götzendienerische Element, um seiner Lehre unter den fanatisch-heidnischen Arabern mehr Anhänger zu verschaffen, in seine Religion mit aufnahm, dadurch sie für ewig zu einem Cultus von barbarischer Rohheit gestempelt hat. Aber, was auch meine Betrachtungen beim Anblick des grössten Heiligthums des Islam sein mochten , äusserlich war ich genöthigt, davor die grösste Ehrfurcht an den Tag zu legen Mein Metuaf rüttelte mich bald aus dem Nachdenken auf, in welchem er mich einen Augenblick unbehelligt gelassen, und mahnte mich an die Pflichten derPilgerschaft, welche ich jetzt zu erfüllen hatte. Die erste dieser Pflichten war, dass ich bei dem zweiten „Thor des Grusses" (denn es giebt eines am Eingang, und ein anderes mitten im Hofe der Moschee) die zweimalige Verbeugung zu Ehren der Kaaba machen musste. Dann schritt ich durch diess zweite Thor des Grusses, welches ein gänzlich freistehender, runder, etwa zwanzig Fuss hoher Bogen ist, nach den sogenannten „Fusstapfen Abrahams", welche direct auf dem Wege vom Thor des Grusses nach der Kaaba liegen. Dort musste ich das „Allahu Akbar" (Gott ist gross), welches man kurzweg das Takbir nennt, und das „La Illaha il Allah" (Es giebt keinen* Gott ausser Gott) das sogenannte Tahalil sprechen. Kaum hatte ich diese Formeln gesprochen. als zwei Diener der Moschee mit Krügen voll Wasser, aus dem links von Abrahams Fusstapfen gelegenen Semsembrunnen, auf mich zukamen und mir von der heiligen Flüssigkeit zu trinken gaben, wofür sie natürlich eine Vergütung erhielten, denn nichts ist in der Mesdschid el Haram umsonst , selbst für die Luft, die man einathmet, mussgewissermaassen gezahlt werden. Dieses Wasser, welches sehr viel wunderbare Eigenschaften haben mag, besitzt jedoch nicht die dem Trinker willkommnere Eigenschaft, geniessbar oder verdaulich zu sein. Es ist bitter, liegt einem schwer im Magen und hat viel mineralische Bestandtheile, die ein andres gutes Trinkwasser nicht zu haben pflegt. Aber es ist ein Wunderwasser; wer es trinkt, der ist des Paradieses gewiss und geniesst auch auf Erden schon eine Menge von Vorzügen, die mir nun alle zu Theil werden, sollten, von denen ich jedoch leider nicht viel z" spüren bekam. Den Frauen verleiht es eine Verlängerung ihrer Jugend und grössere Dauer ihrer Schönheit. Unfruchtbare werden durch seinen Ge-nuss mit Sprösslingen gesegnet, wozu übrigens die vielen temporären Ehen, welche hier eingegangen werden, auch kein Hinderniss bilden. lndess dem Semsembrunnen selbst durfte mein Besuch jetzt noch nicht gelten. Zuerst musste ich den schwarzen Stein küssen und den Tuaf, den Umlauf um die Kaaba, machen. Wir näherten uns also der Kaaba und zwar ihrer östlichen Ecke, wo der berühmte Iladschar el assuad, d. h. der schwarze Stein, sich eingemauert befindet. Anfangs konnte ich ihn jedoch wegen des dichten Gedränges von Pilgern, das ihn umringte, nicht sehen, und musste Ssadak aufs Wort glauben, dass er hier vorhanden sei. Da dieser Stein aber einige fünf Fuss über dem Boden eingemauert ist, und die ihn umringenden Hadschadsch meist klein waren, so bekam ich ihn nach kurzem Warten doch von Zeit zu Zeit zu Gesicht , wenn gerade ein besonders kleiner Pilger vor ihm stand. So viel ich jetzt unterscheiden konnte, so war er nur etwa acht Zoll lang, etwa ebenso breit, seine Farbe ein schmutziges schwarzbraun, ausserdem schien er mit einem Schwarzen dement überzogen. Zu ihm zu gelangen, das war jedoch wegen der ihn umlagernden, ihn umknieenden und ihn küssenden Pilgerschaaren vor der Hand nicht möglich. Wie eine. Mauer unbeweglich, so standen die Leiber dieser Hadschadsch da. Da ihre Gesichter alle dem schwarzen Stein zugekehrt waren, so sah mau nichts, als die knochigen Schultern, die kahlen Scheitel und die schmutzigen Lumpen des Ihram dieser Pilger. Man fühlte freilich desto mehr. Denn der schwarze Stein ist nicht nur ein Sammelpunkt der Mohamedaner suis allen Welttheilen, sondern leider auch dessen, was sie mitbringen, nämlich des Ungeziefers aus allen Himmelsgegenden. Hier geben sich die Springer unter den Insecten mit den kriechenden und hüpfenden Ungethürnen Rendezvous. Hier fehlt weder jenes grünliche Thierchen von grosser Lebhaftigkeit, das kein anständiger Europäer ohne Noth nennt, noch das verwandte weissliche Insect, noch auch das runde, braune Stechungeheuer, welches man bei uns in den Betten unreinlicher Gasthöfe zuweilen kennen lernt. Hier feiert namentlich der Culex annu-latus, das ägyptische Stechinsect, seine glänzendsten Siege und verschiedene Gattungen von Simulia versuchen sich am eisenarmen Blut der hinfälligen Hadschadsch, aus dem sie gewiss nur eine höchst dürftige Nahrung ziehen. Kurz, es war, als ob auch die Insecten ihre Pilgerreise nach Mekka und ihre Wallfahrt zum schwarzen Stein zurückgelegt hätten, ein Manöver, das ihnen weniger Mühe gemacht hatte, als den menschlichen Pilgern, da ja letztere das Beförderungsmittel , und nebenbei durch ihr Blut auch die Nahrung für die liebenswürdigen Thierchen abgaben. Alle diese springenden und hüpfenden Un-gethüme waren sich offenbar bewusst, denn es liegt Instinct in den Massen, dass sie hier sich ganz am rechten Ort befanden, dass nirgends in der Welt sie solche Immunität und solche Privilegien genossen, wie hier, wo kein Mensch ihnen ein Haar krümmen durfte, denn bekanntlich ist es dem Pilger unter Androhung der schwersten Strafen und Sühnopfer verboten , ein Schmarotzerinsect auch nur zu berühren, um es zu entfernen, weil er es dabei verletzen könnte. Desshalb genossen diese kleinen Tyrannen ihren Triumph vollkommen und labten sich am Blute der Hadschadsch nach Herzenslust, in vollen Wonnepokalen. Auch dem Schreiber dieser Blätter ging es nicht besser, als allen übrigen. War er bisher auf der Pilgerfahrt demlnsectencommunismus, dem einzigen durchführbaren Communismus auf Erden, einigermaassen entgangen, so war doch nun alle Vorsicht unmöglich geworden. Eine völlige Invasion aller hüpfenden und springenden Ungethüme fand statt, sie bestiegen meinen Rücken, meine Brust, sie tummelten in Bart und Haar, sie belebten meinen Ihram, sie feierten ihre Siege und riefen: ,,Jo triumphe!" Da es vor der Hand ganz unmöglich schien, in die Nähe des schwarzen Steines zu gelangen, so fragte ich den Metuaf, ob wir nicht das Küssen desselben für später aufschieben und jetzt gleich mit dem Tuaf, dem Umgang um die Kaaba, beginnen könnten. Ssadak bemerkte mir jedoch mit vielem Recht, dass wir später ja ebendieselbe, vielleicht noch mehr Mühe haben würden, als jetzt, um das schwarze Monstrum zu erreichen, und dass es wünschens-werther sei, gleich jetzt den Augenblick abzuwarten, wenn die Menge sich einigermaassen gelichtet und einen Zugang gestattet haben würde. Wir warteten also inmitten des Insectenkampfes, in dem wir leider, wegen des Pilgergelübdes, eine ganz passive Rolle spielen mussten, wohl eine Viertelstunde in der Nähe des Hadschar el assuad. Diese Zeit benutzte der Metuaf, um mir folgendes Gebet vorzusprechen, welches ich wiederholen musste: „OGott! Es giebt keinen Gott ausser Dir! Deine Versprechungen gehen sicher in Erfüllung. Wer Dir dienet, der wird den Sieg erringen. Es giebt keinen Gott ausser Dir, Du bist der alleinige Gott, der keine Nebengötter hat. Gottes Gewalt ist die höchste Gewalt. Gelobt sei Er ! der Herr aller Creaturen." Nachdem ich etwa, eine Viertelstunde umsonst gewartet hatte, dass sich das Pilgerheer verlaufen oder doch etwas lichten möge, fing dieGeduld an, mir endlieb ein wenig auszugehen. Ich verwünschte die fanatische Beharrlichkeit, mit welcher diese Pilger den Stein umlagerten und gleichsam von ihm Besitz genommen hatten, als ob er eine Schüssel voll Pilaff oder Kuss-kussu wäre, die sie verspeisen wollten. In meiner Ungeduld fragte ich den Metuaf, ob es denn kein Mittel gebe, um die Hadschadsch zum Aufstehen zu bringen. Ssadak erwiderte mir zu meiner Freude, es gebe allerdings ein solches Mittel, sogar zwei Mittel, das eine ein gewaltsames, das andre eine List. Das gewaltsame Mittel, nämlich das, die Pilger vom Heiligthum fortzustossen, könnten wir freilich nicht in Anwendung bringen, meinte Ssadak und deutete dabei auf seine abgemagerten, altersschwachen Aermchen. Aber da bliebe noch die List übrig. „Welche List,'.'" fragte ich. ,,0", erwiderte Ssadak, „eine sehr unschuldige List. Sie wird Dich jedoch einen Rial (spanischen Thaler) kosten, wenn Du sie anwenden willst." Neugierig, die versprochene List kennen zu lernen, gab ich dem Metuaf den Rial und nun ging er, mich einen Augenblick allein lassend, nach dem etwa zwanzig Schritt entfernten Semsembrunnen und erschien bald darauf wieder und zwar diessmal in Gesellschaft von vier kräftigen Kerlen, worunter zwei Mulatten, welche er dicht hinter die den schwarzen Stein umringende Pilgerschaar führte und daselbst aufstellte. Auf ein Zeichen von Ssadak begannen nun diese vier Burschen mit der vollen Kraft ihrer tieftönenden Bassstimmen folgendes zu rufen: „0 ihr Pilger ! Ein frommer Hadsch, den Gott segnen möge, hat dem Heiligthum ein Opfer dargebracht, damit ihr alle vom Wasser des geweihten Semsembrunnen umsonst trinken möchtet. Kommt herzu, ihr Pilger! Wer Wasser des heiligen Brunnens trinken will, der komme! Allah hat es Euch gespendet!" und so weiter. Das war die List, welche mir Ssadak vorgeschlagen hatte, und diese List gelang vollkommen. Denn die meisten der hier anwesenden und den Stein umlagernden Hadschadsch waren arme Leute, ja nach europäischen Begriffen halbe Bettler. Diese wollten natürlich eine so schöne Gelegenheit, um das Semsemwasser, für welches man sonst immer zahlen muss, unentgeltlich zu trinken, nicht unbenutzt vorübergehen lassen. Desshalb konnte ich nun zu meiner grossen Freude sehen, wie die meisten von ihnen aufsprangen und den Dienern des Brunnens folgten, die sie mit dem heiligen Nass tränken sollten. Es waren zwar noch Schaaren andrer Pilger da, welche alle ebenfalls des Augenblicks harrten, wenn sich die Menge lichten würde und die nun auf uen schwarzen Stein zuströmten, aber da ich imVorder • 11. 3 gründe der Reihen, welche die ersten Andächtigen umringt hatten, stand, so kam ich nun fast ohne mein eignes Zuthun, lediglich durch das Vorschieben der hinter mir Stehenden, zu einein Platze dicht vor dem Stein, indem mich der drängende Schwärm geradein die erste Reihe derjenigen schob, welche den Hadschar elassuad nun umlagerten. Ich befand mich jetzt also in unmittelbarer Berührung mit dem Kernpunkt des grössten Heilig* thums des Islam, dessen Sagen und Geschichte Jahre lang vorher mein Studium gebildet hatten. Ich wusste fast alles, was die Fabel, diesen Stein betreffend, überliefert hatte: dass er im Anlange der Welt kein Stein, sondern ein lebendes Wesen und zwar ein bewachender Engel im Paradiese gewesen war, dass er mit Adam, und zwar diessmal als Stein, jenen Ort der Freuden verlassen und seinen Platz im heiligen Hause der Kaaba gefunden hatte , wo er bis zur Zerstörung des Tempels durch die Sündüuth verehrt wurde. Dann verschwand das schwarze Unge-thüm für eine Zeit lang gänzlich, bis endlich, als Abraham mit seinem So hm; Ismacl die Kaaba, wieder aufbaute, der Erzengel Dschibrail (Gabriel) ihn wieder vom Himmel, wohin er sich, wie es scheint, den Gesetzen der Schwere zum Trotz, zurückgezogen hatte, herunterholte, um ihn in demjenigen Winkel des Tempels, welcher gegen die Stadt Ibissora, zugerichtet ist, einzufügen, wohin er nach einigen schicksalsvollen Wanderungen im Gefolge von karma.thi-schenKetzern, die ihn gerauht hatten, zurückkehrte und wo er sich noch heute befindet. Ursprünglich, das ist bei allen frommen Moslems ausgemacht, war dieser Stein weiss wie Milch, aber vor Grauen über die Sünden der Menschheit hat er seine Farbe gewechselt und ist jetzt schwarz wie Tinte. Qui color albus erat nunc fit contrarius albo. War er auch noch so weiss, jetzt ist er schwärzer, als Tinte. Nach dem arabischen Schriftsteller Ahmed ben Jusuf (bei Poeoeke Specimina historiae Arabum) ist dieser Stein jedoch nur äusserlich schwarz und zwar durch iias viele Küssen von schmutzigen Pilgerlippen SO geworden, während er inwendig noch heute so weiss wie Milch ist, so weiss wie damals, als er den Namen Prachtbau (welches nach Assemanus der glänzende oder leuchtende Stein heissen soll) führte. Sicher ist, dass der Stein einst diesen Namen führte, doch möchte das Wort Prachtbau oder Brakhthan, wie mir scheint, ebensogut „der Gesegnete'- (vom Verbum bara.kal heissen, als „der Glänzende", wie Assemanus meint. (Assemanus de Manuscriptis bibliothecae Clcmentino-Yai.icanae. Korn 1728.) Die fromme Sage von dem himmlischen Aufenthalte des Iladschar el assuad, während der Periode von derSündfluth bis zu Abraham, erhält leider einen entschiedenen Stoss durch den gelehrten Ausleger des Koran Sanhadschar, welcher in seinem Com-öaentar zur zweiten Sure ausdrücklich behauptet, cJass der Stein auf dem Dschebel Kubis bei Mekka gefunden und von dort dem Abraham zum Bau der %$ba gebracht; worden sei. Dieser Stein führt unter andern mehr oder weni- 3* ger pomphaften Titeln auch den: „Imin Allah fiTArd" oder in literaler Form : „AI Iminu Allahi fi al Ardi", welche Worte nichts geringeres bedeuten, als „die Rechte Gottes auf Erden". Ein Stein, die Rechte Gottes auf Erden! Und jetzt behaupte man noch, dass die mohamedanische Religion den Götzendienst ausgerottet habe. Nein! sie hat weiter nichts gethan, als an die Stelle schöner, mehr oder weniger vollendeter Kunstwerke, der antiken Götterstatuen, ein plumpes, barbarisches Monstrum, eine rohe, nichtsausdrückende Steinmasse zu setzen. Es giebt wenig Wunder, welche von diesem Stein nicht behauptet werden. Sollte z. B. der Hadschar el assuad jemals verloren gehen, so hat man ein untrügliches, wunderbares Zeichen, woran man ihn wieder erkennen kann. Derselbe besitzt nämlich unter vielen wunderbaren Eigenschaften auch die, dass er niemals im Wasseruntergehen kann, sondern vielmehr auf demselben obenanschwimmt. An diesem Merkmal, erzählt Ahmed ben Jusuf, erkannte man ihn als den ächten wieder, nachdem ihn die Karmathen geraubt, die Mekkaner aber wieder erbeutet hatten. Der schwarze Stein hat jedoch nicht für immer auf seine Persönlichkeit, wie er sie einst im Paradiese als Engel besass, verzichtet. Fr hat sich nur resig-nirt während der kurzen Dauer der Erde, zum Trost der Gläubigen, ein Stein zu bleiben. Am jüngsten Tage aber, das ist bei allen Moslems ausgemacht, wird er seine Persönlichkeit wieder erlangen, mit Nase, Mund, Ohren, Augen, Händen und Füssen versehen auftreten, und am Thron des Weltenrichter» Zeugniss für diejenigen ablegen, welche während ihrer irdischen Laufbahn zu ihm gewallfahrtet sind, ihn mit brünstigen Küssen bedeckt und ihm mit der tiefsten Verehrung gehuldigt haben. So weit die Fabel. Was nun die Geschichte betrifft, so scheint es allerdings eine ausgemachte Sache, dass dieser Stein sich schon seit alter Zeit hier befunden hat. Man würde, glaube ich, jedoch irren, wenn man das Alter seines Cultus viele Jahrhunderte vor Mohamed zurückverlegen wollte. Dass natürlich die Sage von Abrahams Aufenthalt in Mekka, von der Errichtung der Kaaba und des schwarzen Steines durch ihn jedem Historiker nichts als ein mitleidiges Achselzucken ablocken kann, versteht sich von selbst. Was aber ist das Alter dieses Cultus? Wir wissen allerdings nichts streng historisches darüber. Die mohamedanischen Schriftsteller, welche uns die Geschichte der Araber vor Mohamed überliefert haben sind alle darin einig, dass der Hadschar el assuad schon in alter Zeit götzendienerisch verehrt wurde, aber sie sind über das Datum der Entstehung dieses Götzendienstes sehr im unklaren und voll Widerspruches untereinander. Ebensowenig Klarheit erhalten wir aus der Leetüre der christlichen Schriftsteller, welche in den nächsten Jahrhunderten nach derHedschra über denMohame-danismus schrieben. Dennoch, in Ermanglung verbürgter historischer Nachrichten, will ich das wesentliche dessen, was jene Autoren über dieses Heiligthum des Islam sagten, hier kurz zusammenfassen. Der älteste christliche Autor, welcher desgötzen- dienerisch verehrten Steines erwähnt, ist Clemens Alcxandrinus, der ausdrücklieh sagt: ..die And anbeteten im Alterthum einen Stein an - (Ölim Arahes lapidem adorahant). Maximu.s Tyrius in seiner aehtunddreissigsten Predigt (Sermonesj spricht vom Gotte der Araber, aber dessen Cultus man sehr wenig erfahren könne, dagegen diene ein viereckiger Stein als Sinnbild einer himmlischen Macht, welchen Stein er (Maximus Tyrius) gesehen habe. (Arahes Deum colunt. quem minine novi, statua autem. quam vidi, erat quadratus lapis.) Hier findet offenbar eine Verwechslung des schwarzen Steines mit der viereckigen Kaaba statt; denn der Stein ist keineswegs viereckig und die Kaaba ist ein Haus und keine Statue, wie Maximus Tyrius, dessen Behauptung-, dass er in Mekka gewesen , manchen Zweifeln unterliegt, seinen Stein nennt. Svidas sagt in seinem Commentar beim Worte fttotftiorjc, dass das Götzenbild der Araber ein schwarze; r viereckiger, unförmiger Stein , von vier Fuss Höhe und zwei Fuss Breite gewesen sei, welcher auf einer goldenen Basis geruht habe. (Statua autem est lapis niger quadratus informis, altus pedesquatuor, latus duo, cum aurea bäsi.) Hier erfahren wir bis jetzt nur. dass die.Araber einen Götzen unter der Form eines Steines anbeteten. Was sie sich aber unter diesem Götzen dachten, das versucht Euthymius Zigabenus in seiner Panoplia uns auseinanderzusetzen, indem er behauptet, dieser Stein stelle das Haupt der Venus vor, wrelche die Ismaeliten schon in alter Zeit angebetet hätten. (At praedictus ille lapis est caput Veneris. quam Ismaelitae jam olim adorahant.) Eine seltsame Idee, das Haupt der Göttin der Schönheit durch einen unförmigen Stein darstellen zu wollen! Derselbe Euthymius sagt, dass die Araber im Alterthum, ausser einer Menge untergeordneter Götzen, vorzüglich zwei Hauptgottheiten verehrten und er will beweisen, dass diese Gottheiten Dacchus und Venus waren, welche die Araber Allah und Khabar -oder Chabar genannt hätten, aus deren Namen dasTakbir: „A llahu Akbar- (Gott ist gross) entstanden sein soll, welches demnach eigentlich „Allah u Khabar" das heisst .,Allah und die Khabar" oder „Bacchus und die Venus" geheissen hätte. Folglich würde das jetzige monotheistische Takhir ursprünglich eine heidnisehe Bedeutung gehabt haben. Wir werden uns später, bei der Geschichte der Kaaba selbst, ausführlich mit dem Götzendienst der alten Araber zu beschäftigen haben. Da wir es hier jedoch vor der Hand nur mit dem schwarzen Stein zu thun haben, so sei noch bemerkt, dass Euthymius, der ihn also für ein Sinnbild der Khabar oder Venus, von den Arabern auch noch Sohara und Ozza genannt, hält, behauptet, dass auf demselben ein Basrelief, eine Venusseene darstellend, befindlich war. Derselbe Euthymius giebt uns auch einen dem heidnischen Aberglauben entlehnten Grund, um die Schwärze des Steines zu erklären, denn auch erkennt die Fabel, dass der Hadschar el assuad einst weiss gewesen sei. Demnach wäre dieser Stein (ähnlich wie die altceltischen Dolmen in der Bretagne), ein Wallfahrtsort der Frauen, zur Zeit ihrer monatlichen Periode, gewesen, welche einzelne ihrer Körpertheile mit demselben in Berührung zu bringen und den Stein dadurch zu verunreinigen pflegten. Wie durch diese Berührungen der Stein die Farbe verlieren konnte, sucht Euthymius folgendermaassen zu erklären: „traduntnigredinemamenstruaeolim contactu contraxisse." Man muss gestehen, dass nach solchen Enthüllungen viel Appetit dazu gehört, um diesen Stein zu küssen. Soweit beschäftigt sich Euthymius nur mit der heidnischen Fabel. Auf einmal beginnt er jedoch, auch den mohamedanisch-biblischen Mythus mit in's Spiel zu ziehen, indem er die Heiligkeit des schwarzen Steines dadurch erklärt, dass derselbe — das Ehebett des Abraham und der Hagar gebildet habe und der Patriarch Ismael auf ihm gezeugt worden sei. „Abrahamus super lapide nigro cum Agare coi-vit." Oder mit den Worten des Assemanus: „Ait Euthymius Arahes honorari istum lapidem quasi Abrahamus super eo cum Agare coierit." (Assemanus de manuscriptis bibliothecae Clementino-Vaticanae Vol. IV) Man muss gestehen, dass der Patriarch keine modernen Ideen über Comfort besass, wenn er sich einen so harten und noch dazu so kleinen Thalamus aussuchte. Aus diesen Zeugnissen geht hervor, dass der Hadschar el assuad schon vor Mohamed verehrt wurde, obgleich wir in Beantwortung der Frage, w i e lange vor ihm dieser Cultus schon bestanden, keinen Fortschritt gemacht haben. Sicher ist, dass Mohamed diesen Cultus in seiner höchsten Blüthe antraf und dass er nicht wagte, ihn aus seiner Religion zu verbannen, mit deren monotheistischer Lehre derselbe eigentlich ganz im Widerspruche stand. Aber Mohamed wusste wohl: Qu'il y a avec le ciel des accommodements. Der reine Monotheismus würde so verstockten Heiden, wie die Araber waren, nicht gemundet und eine Anbetung Gottes im Geist und der Wahrheit ihnen nicht geschmeichelt haben, denn durch eine solche Anbetung würde die Heiligkeit ihrer Kaaba und folglich die Bevorzugtheit von Mekka aufgehoben worden sein. Desshalb beschloss Mohamed, aus der Notheine Tugend zu machen und den Tempel der Kaaba, sowie viele mit ihm verwandte Heiligthümer, beizubehalten und ihnen durch eine bei den Ilaaren herbeigezogene Anwendung biblischer Erzählungen, namentlich durch die bekannte Geschichte von Abraham und Ismael, welche der Koran in einer ganz neuen, an Widersprüchen reichen Form wiedergab, eine monotheistische Weihe zu verleihen. Eine solche monotheistische Weihe erhielt der schwarze Stein, indem auch er mit dem Mythus des Abraham in Verbindung gebracht wurde. Zu dem Zwecke erfand man die Geschichte, dass Dschi-brail (Gabriel) den Stein aus dem Paradiese dem Abraham gebracht habe und alle andern Fabeln über denselben. Mohamed selbst gab das Beispiel der Verehrung dieses Steines, indem er ihn küsste und seine Glieder daran rieb. Dennoch wurde es einigen seiner eifrigsten Jünger, welche es mit dem Monotheismus vielleicht ernster und ehrlicher meinten, als der in einigen Dingen geschmeidigere und oft weltdienerische Prophet, schwer, sich mit dem Gedanken der Verehrung eines Steines auszusöhnen. So erzählt man, habe* Omar ben Kateb (d. h. der Sohn des Schreibers), der zweite Chalif des Islam, als er vor dem schwarzen Steine stand, ausgerufen: „Ich weiss, du bist nichts als eine träge Stemmasse , du kannst weder gutes noch böses thun, ich würde dich auch nicht küssen, wenn ich nicht gesellen hätte, dass unser Herr Mohamed es gcthan hat." Dieser Stein, von dem die Moslems behaupten, dass er unmöglich zerstört werden könne, sollte sich nicht immer dieses Privilegiums und noch weniger seines ruhigen Plätzchens im Bassorawinkel der Kaaba erfreuen, indem ihn die ketzerisehenKarmathen im Jahre 926 raubten und verschleppten,, worauf er jedoch im Jahre 950 von selbst wieder zurückkehrte1. Ein Jahrhundert später wurde er sogar auf Befehl des verrückten ('häufen von Aegypten, llakem b'omr lllah, von einem Diener desselben mit einer eisernen Keule zertrümmert, ohne dass sich jemand widersetzen konnte. Ausserdem litt der Hadschar el assuad im Laufe der Jahrhunderte noch mannich-fache Unbill, durch Wasser und Feuersnoth, indem die Kaaba mehrmals brannte und überschwemmt wurde und, ich glaube, ein wenig werden ihm auch die vielen Pilgerküsse zugesetzt haben, denn es ist bekannt, dass selbst Erz und Stein durch tausendfaches, Jahrhunderte lang sich wiederholendes Küssen an Masse verlieren können, wie man z. B. an der Petrusstatue in der Peterskirche zu Rom sehen kann, welcher man eine ihrer Zehen beinahe abgeküsst hat. Nach der jedesmaligen Zertrümmerung, denn die durch Hakem b'omr Utah war keineswegs die einzige, wurde der Stein stets wieder sorgfältig zusammengekittet und in einen soliden metallnen Rahmen eingefasst. Diesen berühmten Hadschar el assuad, oder wie er auch wohl in der Fcminalform genannt wird, die Hadschra ess ssauda, sah ich also jetzt dicht vor mir. Der Stein war von schwarzbrauner Farbe, von einem gleichfarbigen Cement überzogen, der jedoch dornen dtirch eine Lücke den Stein selbst gewahren liess; seine Form seinen elliptisch, seine grössto Längenausdehnung mag vielleicht neun, seine grösste Breite vielleicht sechs Zoll betragen. Offenbar besteht er aus mehreren Stücken, was durch die erlittenen Zertrümmerungen erklärt wird. Aber alle diese Stücke sind sorgfältig' durch Kitt, durch den sie bedeckenden, einige Zoll dicken Cement, und ausserdem hoch durch einen soliden silbernen Lahmen zu einem Ganzen vereinigt. Die Oberfläche des Steines ist durch das viele Küssen von schmutzigen Pilgerlippen und das Daranreiben ihrer Hände ganz polirt und mit einer glänzenden Fettkruste, überzogen, so dass er jetzt fast wie schönpolirter. schwarzer oder schwarzbrauner Marmor aussieht. So ekelhaft es mir auch -vorkommen möchte, so musste ich doch dieses schwarze Monstrum nun küssen, was ich nicht ohne grossen Widerwillen that. Dann musste ich beide Hände daran reiben, ihn mit der Stirne, mit den Wangen und dem Kinn berühren, was alles Ssadak mir vormachte, wobei ich ein kurzes Gehet sprach : „0 Gott! Ich begehe diesen heiligen Brauch im Vertrauen auf deine Hülfe, gemässs deinem heiligen Koran und nach dem Beispiel deines Gesandten (des Propheten), dessen Gott sich erbarmen möge. O Allah, meine Rechte streckt sich nach dir aus und ich bin voller Sehnsucht, zu dir zu kommen. Erhöre meine Gebete, erlöse mich vom Hebel, habe Mitleid mit meiner Zerknirschimg und verzeihe mir meine Sünden!" Nach Verrichtung dieses Gebetes küssten wir noch einmal den Hadschar el assuad, rieben nochmals Stirn und Hände daran und verliessen ihn endlich, um den Tuaf zu machen, indem wir nicht ohne grosse Mühe uns aus dem Gedränge herauswanden,, welches den heiligen Stein umgab, denn, war es schwer zu ihm zukommen, so war doch das Verlassen desselben nicht mit minderen Schwierigkeiten verbunden. Ehe ich vom schwarzen Steine Abschied nehme, muss ich noch ein Wort der Frage widmen, was das Material sei, aus dem derselbe besteht. Ich muss gestehen, dass ich bei Beantwortung dieser Frage in grosser Verlegenheit bin. Es ist nämlich sehr schwer, den Stein, so, wie er ursprünglich ausgesehen haben mag, unter der Decke von Schmutz und Fett, die ihn umgiebt, wieder zu erkennen. Burckhardt hat ihn bekanntlich für ein Stück Lava gehalten, einestheils weil er einzelne gelbe und andere weissliche Substanzen enthalten soll, die auch bei Laven vorkommen, sowie wegen seiner porösen Oberfläche, andern-theils wegen seiner grossen specifischen Leichtigkeit, die man allerdings nicht in Erfahrung bringen kann, sondern den Moslems aufs Wort glauben muss. Jene von Burckhardt beobachteten Farbenstreifen sind indess jetzt gar nicht mehr an dem Stein zu sehen und was die Porosität betrifft, so ist dieselbe ebensowenig unterscheidbar. Burton dagegen behauptet überzeugt zu sein. dass der Hadschar el assuad ein Aerolith oder Luftstein sei. Ich möchte diese Ansicht nicht absolut verwerfen , obgleich sie mir auch nicht vollkommen gerechtfertigt erscheint. Bekanntlich giebt es drei Arten von Aerolithen, die metallischen, steinigen und kohlenhaltigen. Dass er zur ersten Gattung gehört, welche fast neu- aus reinem Eisen besteht, ist vollkommen unmöglich, da er sonst nicht so leicht hätte zertrümmert werden können. Ihn in die dritte Gattung zu verweisen, würde sehr gewagt sein, da diese Gattung eine absolute Ausnahme bildet, indem man bis jetzt nur ein Exemplar von Kohlen-Aerolithen gefunden hat. Die Gattung der steinigen Aerolithen, welche auch etwas Eisen, hauptsächlich aber Nickel und ausserdem steinige, d. h. nichtmetallische Substanzen enthält, war mir, da sie die am häufigsten vorkommende ist, aus verschiedenen Museen Europa's bekannt, die ich eigens besucht hatte, um über den vermeintlichen Aerolithen von Mekka ein Urtheil fällen zu können. Da muss ich nun aber gestehen, dass der Hadschar el assuad mit jenen Aerolithen, welche es doch unzweifelhaft sind, gar keine, oder so gut wie gar keine Aehnlich-keit besitzt. Fast möchte ich desshalb die Ansicht Burckhardt's wieder hervorholen, welcher den Stein für Lava hielt. Es giebt schwarze, ja schwarzbraune Lava und die Farbe würde somit keine Schwierigkeit bilden. Lava ist freilich porös, aber die Poren können hier durch die den Stein überziehende Fettkruste verstopft worden sein und durch die durch das Küssen verursachte Glattheit, welche einer Polirung .ähnlich sieht, ihr ursprüngliches Aussehen verloren haben. Jedenfalls ist der Stein keine rein metallische Substanz. Vielleicht ist er ganz einfach Basalt, welcher ja in dem mit ausgebrannten Vulcanen gesegneten Arabien gefunden werden soll. Durch die Annahme, dass er ein Luftstein sei, könnte man allerdings die Fabel erklären, welche ihn als vom Himmel herunter gekommen annimmt, aber die Araber haben eine so üppige Phantasie, dass ihre Fabeln einer zu Grunde liegenden Thatsache sehr leicht entbehren können, auf welche die Mythen andrer weniger erfindungsreicher Völker zuweilen ihr religiöses Sagengebäude gestützt haben. Nachdem ich dein Hadschar el assuad mit anscheinend tiefer Inbrunst den Zoll meiner Ehrfurcht dargebracht, ja dieses ekelhafte schwarze Monstrum mit den Lippen berührt hatte, begann ich den Tuaf, den Umgang um die Kaaba. Mein Metuaf führte mich auf einen mit Granit gepllasterten Weg, der rings um das heilige Haus herumläuft, und Matef (der Gang des Tuaf) heisst. Um diesen Matef herum zieht sich äusserlich, und in einiger Entfernung, das heisst, zwischen ihm und dem äusseren Moscheehofe, und der Kaaba abgewandt, eine ein Halbrund um das heilige Haus beschreibende Reihe von zweiund-dreissig vergoldeten Bronzesäulen, zwischen denen Abends Lampen aufgehängt werden. Wer mit dem in Europa bekannten Plane der Mesdschid el Haram.. vertraut ist. der ist versucht zu glauben, dass dieses Halbrund den Weg des Tuaf bezeichnet Dem ist jedoch nicht so. Der Matef oder Weg des Tuaf geht beiliahe immer dicht an der Kaaba selbst hin und entfernt, sich nur an einzelnen Stellen, aber auch nur unbedeutend, von ihr. Zuerst musste ich ein Gebet sprechen, welches ich hier nicht wiedergebe, da es beinahe wörtlich eine Wiederholung des oben erwähnten, bei dem schwarzen Stein gesprochenen Gebetes war. Dann gelangten wir an eine Stelle, welche, el Madschan heisst, und zwischen dem schwarzen Stein und dem Eingang in die Kaaba. liegt. Hier befindet sich ein Stein, auf welchem der Sage nach Abraham stand, als er am Hau der Kaaba arbeitete'. Auch soll er hier den Mörtel zum Bau des heiligen Hauses bereitet haben, wobei ihm sein Sohn Ismael behülflich war. Am Madschan musste wieder ein kurzes Gebet gesprochen werden: „O Gott, du hast uns deine wahre Lehre geoff'en-bart. Vergieb, wenn ich jemals eines deiner Gebote verletzt habe.'" Nun kamen wir an die Thür der Kaaba, welche so hoch über dem Pussboden angebracht ist, dass ich ihre Schwelle kaum mit der ausgestreckten Hand erreichen konnte. Sie liegt ungefähr sieben Fuss über dem Boden, hat aber keine Treppe, sondern man bedient sich, um in sie einzudringen einer Leiter, die in der Nähe des Semsembrunnens aufgestellt ist und nur bei sehr seltnen Gelegenheiten herbeigeholt wird. Denn sonderbarer Weise gehört der Besuch des Heiligthumes selbst gar nicht zu den Pflichten eines Pilgers. Der Pilg«r läuft siebenmal um die Kaaba herum, er küsst den Stein in ihrer Mauer, er verehrt sie und ihre Heiligthümer auf alle nur mögliche Weise von aussen, aber, in das Allerheiligste einzudringen, das ist für ihn gar nicht nöthig. Ueber-haupt findet der Begriff eines Allerheiligsten streng genommen hier nicht seine Anwendung. Das Innere der Kaaba ist als Wallfahrtsort nicht heiliger, als jedes beliebige Grab eines Marabut und viel weniger heilig, als der schwarze Stein und die andern Stellen, welche der Pilger berühren muss. Wenn dennoch an den Oeffnungstagen viele Pilger sich in die Kaaba hineindrängen, so geschieht das mehr der Neugierde wegen, als aus Andacht. Die Kaaba ist nur dreimal des Jahres dem Publikum zugänglich and ausser dieser Zeit ihr Inneres zu besuchen ist unmöglich und wird vielleicht nur souveränen Fürsten gestattet, wenn sie es verlangen sollten, was übrigens noch nie geschah. An der Thür der Kaaba sprach mir Ssadak ein für diesen speciellen Fall vorgeschriebenes Gebet vor, das ich wiederholte: „Ü Gott! Diese Hütte ist deine Hütte! Dieses Heiligthum ist dein Heiligthum, der Ort der Zuflucht der Gerechten, hier ist der Ort, zu dem alle herbeiströmen müssen, welche der ewigen Verdammniss entrinnen wollen." Daraufkamen wir nochmals an Abrahams Fusstapfen vorbei, welche etwa zehn Schritte von der nordöstlichen Wand der Kaaba entfernt liegen. Hier wurde ein andres Gebet gesprochen: „O Gott, hier ist der Ort, wo Sidna Brahim (Abraham) zu dir flüchtete, um dem ewigen Feuer zu entrinnen. Auch ich flüchte zu Dir. Errette mein Fleisch, mein Blut, meine Gebeine und meine Haut vor den Flammen der Hölle.'' Abrahams Fusstapfen sind ein höchst sonderbarer Gegenstand der Verehrung. Man nennt nämlich so eine fabelhaft grosse Vertiefung, welche wie gesagt etwa zehn Schritte nördlich von der Kaaba in einer dort befindlichen Capelle im Boden existiren soll. Man behauptet sie sei mehrere Fuss tief, einige sechs Fuss lang und drei Fuss breit. Wenigstens versicherte mir Ssadak, dass diess die Dimensionen des Abdrucks des Fusses Ahrahams seien. Dieses ausserordentlich grosse Loch im Boden ist nichts geringeres, als die getreue Darstellung der Fusssohle des Patriarchen, und zwar geschah es durch ein Wunder, dass der Stein nachgab und den Abdruck dieses riesigen Fusses empfing, als Abraham von der beabsichtigten Opferung Ismaels und der wirklichen Opferung eines Widders zurückgekehrt war. welches Opfer nach einigen auch vor der Kaaba stattfand, wrährend andere es nach dem Thal des Wadi Menaa bei dem Berge Arafa verlegen. So wird den Gläubigen noch in spätester Zeit das Glück zu Theil, Abrahams Fussmaass anzustaunen, welches dasjenige eines Nilpferdes noch bei weitem an Grösse übertraf. Aber die guten Moslems müssen diess leider auf Treu und Glauben bewundern , denn das Loch im Boden ist stets mit einem erhabenen hölzernen Deckel, auf dem ein rothseidener Teppich liegt, bedeckt, und die Pilger dürfen auch nicht in die Capelle hineingehen, sondern müssen an dem Gitter, das die Kubba beinahe ganz umgiebt, in II. 4 welcher der heilige Fussabdruck aufbewahrt wird, aussen stehen bleiben. Die Capelle der heiligen Fusstapfen ist ein schöner, offener Pavillon, dessen Dach von sechs zehnfusshohen Marmorsäulen gestützt wird. An dem auf der Mitte derKubba, angebrachten, geschmackvoll gearbeiteten Eisengitter pflegen die Pilger sich aufzuhalten, um nach den heiligen Fusstapfen, oder vielmehr nach ikau dieselben bedeckenden Teppich zu schauen, bei welcher Gelegenheit sie ihre Andacht verrichten. Die; Araber nennen diesen Ort den Makam Sidna Brahhu d. h. die Stelle oder den Ort Abrahams. Die orthodoxen Moslems nehmen, die Fusstapfen des Abraham betreffend, ausser vielen andern Fabeln, vorzüglich drei Wunder an. Diese sind: Erstes Wunder: Dass der Stein einer der härtesten ist, und nie durch ein natürliches Ereigniss nachgeben konnte. Zweites Wunder: Dass die Fusstapfen so tief sind, dass sie einem gewöhnlichen Menschen beinahe bis an's Knie reichen. Drittes Wunder: Dass sie schon beinahe vier Jahrtausende gedauert haben und bis zum jüngsten Tage dauern werden. Von den Fusstapfen des Patriarchen bis zum sogenannten Irakwinkel, das beisst derjenigen Ecke der Kaaba, welche nach Irak (dem Land um Bagdad) zugekehrt ist, sind nur wenige Schritte. Es ist diess die nordwestliche Ecke des heiligen Hauses. Hier waren, der Tradition gemäss, die Horner des Widders aufgehängt, welchen Abraham statt seines Sohnes Ismael opferte. Dieselben wurden als götzendienerisch * von Mohamed entfernt, auf welchen Umstand das Gehet gegen Götzendiener ei, das man hier halten muss, anzuspielen scheint: „0 Gott! " so lautet dieses Gebet, ..ich flüchte zu Dir, bewahre mich vor Götzendienern, Scheinheilig? keit, schlimmen Gedanken, vor Diebstahl, vor Verunglimpfung der Kinder und Grausamkeit gegen sie.': Die letzten Worte scheinen nur eine Anspielung auf den Gebrauch der heidnischen Araber, ihre neu-gcbonien Töchter zu tödten, zu enthalten. Kinder umzubringen, galt bei ihnen für keine Sünde und erst der Koran hat diesen grausamen Gebrauch abgeschafft. Nun waren wir bei der westlichen, oder genau genommen, wes(nordwestlichen Seite der Kaaba angelangt, wo eine halbrunde Mauer eine Art von kleinem Vorhof beschreibt. Diese Mauer steht vier Fuss von der Wand des heiligen Hauses ab und heisst el flatim. Der Raum zwischen ihr und der Kaaba ward der Hadschar Sidna Smail, d, h. der Stein des Patriarchen Ismael genannt, Kinige Araber behaupten,* die Kaaba habe sich früher bis zum Ilatim ausgedehnt; doch scheint diess, wenn überhaupt, nur sehr kurze Zeit, nämlich in der Periode von Abd- Allah ben Sobir bis zu dem Emir el Hadschadsch Mohamed ben Jusuf, den beiden Erbauern der Kaaba, der Fall gewesen zu sein. Denn einige Jahre nachdem der Ursurpator, Ren Sobir, den Ilatim mit der Kaaba vereinigt hatte, ward er schon wieder vom Emir el Hadschadsch ben Jusuf ausgeschlossen und das heilige Haus auf seino früheren Verhältnisse zurückgeführt, die es seitdem immer behalten hat. 4 * Es ist desshalb durchaus falsch, wenn man behauptet, der Hatim sei ein Rest der ältesten Kaaba. Er ist nur ein Rest der Kaaba Sobirs. Die Mauer des Hatim ist nicht ganz fünf Fuss hoch und etwa ebenso breit. Auf dem sie bekleidenden Marmor sind eine Menge arabischer Inschriften eingenieisselt, die ich zum Theil gelesen habe. Sie enthalten jedoch nichts, als Gebetesformeln und Anrufungen. Der arabische Geschichtsschreiber Kut-beddin oder richtiger Katab ed Diu, d. h. der Schreiber des Glaubens, welcher in Mekka lebte, behauptet, dass die Marmorbekleidung und die Inschriften auf Befehl des ägyptischen Sultans Mohamed el Rhuri (im J. 1539 unsrer Aera) verfertigt worden seien. Im Hadschar Sidna Smai'l sind zwrei oder, wie einige annehmen, sogar drei Heiligthümer, bei denen der Pilger sich aufhalten und beten muss. Das erste dieser Heiligthümer ist der Misab, die goldene Dachrinne, welche das Regenwasser vom Dache der Kaaba herunterleitet. Sie ist nur fünf Fuss lang, so dass sie das Wasser aus einer Höhe von fünfunddreissig Fuss (die Kaaba ist vierzig Fuss hoch) herunterplätschern lässt. An ihrem unteren Ende befindet sich die Lahiat' el Misab auch Daknu el Misab genannt, welche Worte der,,Kinnbart der Dachrinne" bedeuten. Dieser ,,Kinnbart der Dachrinne" ist übrigens nur eine vergoldete Metallplatte. Der Misab, in seiner heutigen Form, soll im Jahre 1615 aus Con-stantinopel gebracht worden sein. Ob er wirklich Gold ist und mit welcher Beimischung andrer Metalle, darüber habe ich nicht tlie geringste Ahnung. Die Mekkaner behaupten fast alle natürlich, dass er vom reinsten Deheb (Gold) sei. Aber in einem unbewachten Augenblick gestand mir einmal Hamdan ben Ilamidu, mein Wirth in Mekka, ein, und dasselbe wurde mir von Ssadak ben Hanila, meinem Metuaf, bestätigt, dass der jetzige Misab gar nicht mehr der ächte goldene Misab vom Jahre 1615 sei. Diesen hätten vielmehr die Wahabia, die sogenannten Reformatoren des Islam und Entheiliger aller seiner geweihten Stätten, zu Anfang dieses Jahrhunderts gestohlen. Aber der Diebstahl sei von den ineisten Leuten, selbst von vielen Mekkawia, ignorirt worden, denn noch in derselben Nacht habe der Scheriff Rhaleb (Ghaleb) eine andere Dachrinne, jedoch nur eine vergoldete, welche übrigens der ersteren goldenen durchaus glich, verfertigen und an der leer gewordenen Stelle des Daches befestigen lassen. Diess sei so geheim bewerkstelligt worden, dass heut zu Tage nur die wenigsten Mekkawia. von dieser vor sechzig Jahren stattgefundenen Substitution einer falschen, an Stelle der goldenen, geraubten Dachrinne, eine Ahnung hätten. Ich lasse es dahin gestellt sein, was an dieser Erzählung wahres sein mag. Auffallend ist immer, dass Burckhardt, der im J. 1815 Mekka besuchte, also fünfzehn Jahre nach dieser vermeintlichen Substitution, gar nichts von derselben gehört hat, sondern die Dachrinne ganz einfach für die ursprüngliche, ächte, goldene hält. Am Misab sprach mir Ssadak abermals ein Gebet vor: „Gott! ich liehe zu Dir, dass Du mich nicht im Glauben wanken lassest und dass unser Herr Mohamed meine Stütze sei. Wenn der Tag kommen wird, an welchem alle Schatten schwinden und nur Dein Schatten bleiben wird, dann schütze mich; tränke mich aus dem Recher des reinen Wassers. welchen Dein gelobter Prophet, unser Herr Mohamed, in seiner Rechten hält. Wahrlich, wer von diesem Wasser trinkt, den wird nicht dürsten ewiglich. Es ist der Born des ewigen Lebens." (Diese Worte sind gewiss eine Reminiscenz aus den dem Propheten bekannten Evangelien.) Die letzten Sätze dieses Gebetes enthalten eine Anspielung auf das Wassel-, welches vom Dache der Kaaba herunterfliesst, wie überhaupt die Gebete fast immer solche weithergeholte Anspielungen auf die einzelnen Heiligthümer und Wallfahrtsorte enthalten. Gerade unter dem Alisa!) befindet sich ein Stein, unter welchem die Moslems den Patria rohen fsmael begraben sein lassen. Einige wollen sogar in einem andern danebenliegenden Stein das Grabdenkmal der Hagar erblicken. Ersteres Denkmal heisst Kebber Sidna Sma'il, das Grab unsres Herrn Ismaels. A bra ha in, der Vater Ismaels, liegt, selbst nach der Annahme der Moslems, in Hebron, in Palästina, begraben, wie es auch die heilige Schrift aussagt. Seinen Sohn Ismael dagegen, dessen Begräbnissort die Bibel nicht erwähnt, konnte der Stifter des Islam überall, wo es ihm beliebte und wo es seinen propagandistischen Zwecken entsprach, begraben sein lassen. Er hatte schon die Geschichte der Erbauung der Kaaba durch Abraham und alles, was damit zusammenhängt, für die Verbreitung seiner Lehre ausgebeutet, indem er dem alten Götzentempel, von dessen Verehrung er die Araber nicht abbringen konnte, durch geschickte Anwendung- dieser Erzählungen und Verlegung des Schauplatzes der Jugendbegebenheiten im Leben Ismaels an diese Stelle, eine biblische Weihe zu gehen versuchte. Da Ismaels Grab sonst nirgends genannt wird, und alle Araber eine grosse Verehrung für diesen vermeintlichen Patriarchen haben, der so ganz speciell ein Patriarch der Araber und Mohame-daner geworden ist, der in alle muselmännischen Sagenkreise verwebt erscheint und von dem sich ganze Stämme von Arabern abzustammen einbilden, so war dem Propheten eine schöne Gelegenheit gegeben, der Kaabg eine neue biblische Weihe zu verleihen, indem er auch das Grab des Sohnes Abrahams hierher verlegte. Der Grabstein hat in der Mitte ein Loch, durch welches das vom Misab niederplätsehernde Wasser abfliesst und somit hat der Patriarch Ismacl eine höchst feuchte ewige Ruhestätte, worüber ihn, wenn er überhaupt hier begraben wäre, die Gebete der Gläubigen nur höchst unvollkommen trösten möchten. Auch ich musste hier dem Metuaf ein Gebet nachsprechen : „0 Gott, hier ist wahrlich der Ort, wo unser Herr Ismael begraben liegt. O Gott, schütze mich vor bösen Geistern, vor bösen Menschen, vor dem Teufel, der Versuchungsworte in die Ohren bläst. Der Friede sei mit Abraham und Ismael; O Gott! segne sie, segne auch mich, dass ich der Versuchung trotzen möge." Vom Grabe Ismaels gelangten wir zum Schami-vrinkel, oder der syrischen Ecke der Kaaba, welche nach Südwest zugekehrt ist. Auch hier wurde ein Gebet gesprochen: ,,0 Gott! lass diese Wallfahrt Dir wohlgefällig sein! Nimm sie von mir als eine heilige Handlung an, als ein sicheres Mittel, um der Versuchung zu entrinnen. Ruhm und Lob sei Dir, Du Herr der Barmherzigkeit!" Dieses Gebet nennt man im speciellen das Pilgergebet, es ist gleichsam eine Besiegelung der Wallfahrt und muss wegen seiner Heiligkeit dreimal wiederholt werden. Nun kamen wir an die südliche, oder vielleicht richtiger gesagt, südsüdwestliche Seite der Kaaba, wo kein besonderes Heiligthum sich befindet. Dagegen bildet die Ecke der südlichen und östlichen Seite wieder einen Wallfahrtsort. Diess ist der sogenannte Rüchen el Jamani oder Jemenwinkel, die südöstliche Ecke des heiligen Hauses. An ihm befindet sich auch ein heiliger Stein, welcher von einigen, weil er von grauer und nicht von schwarzer Farbe ist, im Gegensatz zum schwarzen Steine, Hadschar el abiad d. h. der weisse Stein genannt wird. Er ist in gleicher Höhe wie der schwarze Stein eingemauert, steht aufrecht, ist etwa einen Fuss lang und einen halben breit; besteht übrigens aus demselben Material, wie alle Häuser Mekka's. Die Moslems selbst scheinen nicht recht einig über die Bedeutung des Steines am Iemenwinkel zu sein. Nach einigen soll, als Mohamed aus Medina, wo er seinen Prophetensitz aufgeschlagen, zum ersten Male wieder nach langer Abwesenheit in seine Vaterstadt Mekka zurückgekehrt war, um den Umgang um die Kaaba zumachen, und seine Feinde behaupteten, dass er alle seine Kräfte verloren habe, da soll der Prophet, um seine Widersacher Lügen zu strafen, die drei ersten Umgänge laufend zurückgelegt, und in diesem Augenblick soll dieser Stein plötzlich gesprochen haben und zwar legte er ein Zeugniss davon ab, dass Mohamed der Prophet Gottes sei und dass alle seine Feinde zu Schanden werden sollten. Andere wollen seine Geschichte mit der Abrahams in Verbindung bringen und behaupten, derPatriarch habe an dem Stein ein Kaineel angebunden, als er sich anschickte, seinen Sohn Ismael (nicht Isaak) zu opfern. Dieser Stein erfreut sich übrigens einer weit geringeren Verehrung, als sein schwarzer College , der berühmte Hadschar el assuad. Man berührt ihn nur mit der rechten Hand und küsst dann seine eigenen Fingerspitzen an den Stellen, welche, mit dem Stein in Berührung gekommen sind. Nachdem ich diese Ceremonie meinem Metuaf nachgemacht hatte, musste ich noch ein Gebet sprechen : ,,0 Gott! Zu Dir bin ich geflüchtet aus Furcht vor Elend und Tod, hilf mir gegen die Qualen des Lebens und des Todes. Schütze mich in der Zeit und Ewigkeit! Vergieb meine Sünden jetzt und immerdar ! Lass mich in diesem und in jenem Leben Ruhe finden und dem ewigen Feuer entrinnen." Jetzt kehrten wir, nach vollendetem ersten Rundgang um die Kaaba, zum Schwarzenstein zurück, den wir ebenso umlagert fanden, wie das erstemal. Damit hatten wir den ersten Tuaf, den ersten Umlauf um die Kaaba vollendet. Es müssen aber im ganzen sieben Umläufe um das heilige Haus gemacht werden, und zwar die ersten drei in schnellem , beinahe laufendem Schritte, die andern vier mit gemessener , bedächtiger Langsamkeit. Die Beschleunigung der drei ersten Umläufe geschieht zum Andenken an Mohamed und seine Gefährten, von welchen man, wie schon soeben angedeutet, erzählt, dass sie, nach mehrjährigem Aufenthalt in Medina von dort nach Mekka zurückgekehrt, und von der langen Reise ermüdet, hinfällig und schwäch aussehend , von den Mekkanern für krank gehalten und als kraftlos verspottet wurden, wesshalb der Prophet, um zu beweisen, dass es ihm nicht an Kraft fehle und dass er sich folglich seinen Feinden noch immer widersetzen könne, den Umlauf die drei ersten Male rasch zurücklegte, worauf sich viele seiner Widersacher bekehrten und erkannten, dass Gott ihn stark mache, selbst wenn sein Körper hinfällig aussehe. Es genügt übrigens nicht, dass man bei diesen drei ersten Unigängen schnell gehe, man muss auch noch die Schulte r n a u f- u n d a b b e w e g e n und. dadurch anzeigen, dass man sich der grössten Acti-vität und Lebenskraft erfreut, ähnlich wie es der Prophet gethan haben soll, um seine Feinde Lögen zu strafen! Auch ich legte den siebenmaligen, pflichtschuldigen Umgang zurück und war nun endlich von einer grossen Last frei. Jetzt galt es noch einige Heiligthümer im Moscheehofe zu besuchen und dann sollte ich endlieh dem heiligen Hause den Rücken kehren dürfen. Ehe ich jedoch zur Schilderung dieser Heiligthümer übergehe, muss ich noch ein Capitel der Kaaba selbst und ihrer Geschichte widmen, welches, da es den wichtigsten Gegenstand einer Wallfahrt nach Mekka, den Kernpunkt aller seiner Heiligthümer, die Achse, um welche sich das ganze Pilgerwesen dreht, behandeln soll, gewiss hier nicht am unrechten Orte gefunden werden wird. Zwölftes Capitel. Mekka. Das heilige Haus und seine Geschichte. Die Kaaba ohne Umhüllung. — Der Schleier der Kaaba. — Aberglauben bei der Bewegung des Schleiers. — Fabeln über die Kaaba. — Die älteste Kaaba. — Abraham. — Ismael. — Die sieben Wunder der Kaaba. — Die Kaaba als Götzentempel. — Die ältesten Gottheiten der Araber. — Bacchus oder Bar-Chus. — Urania oder Alilat. — Die sieben Götzentempel des alten Arabiens. — Das Bit Rhamdan in Jemen. — Hobal der Sonnengott. — Verehrung Abrahams, als eines Götzen. — Statue der Jungfrau Maria in der Kaaba. — Erbauung der letzten heidnischen Kaaba. — Zerstörung der Götzen durch Mohamed. — Die heilige Taube. — Untersuchung über das Alter des Monotheismus bei den Arabern. — Das Land Gottes und das Land der Götzen-Heidnische Heiligthümer, welche Mohamed beibehielt. — Geschichte der Kaaba nach Mohamed. — Neuerungen des Abd-Allah ben Sobir. — Die Kaaba auf ihre jetzige Gestalt zurückgeführt. — Bekleidung der Kaaba. Ein glücklicher Zufall wollte , dass ich die Kaaba gleich das erstemal so sehen sollte, wie sie wirklich ist, das heisst, entblösst von dem Kesua, der schwarzen Umhüllung, welche sie das ganze Jahr hindurch mit Ausnahme von vierzehn Tagen, bedeckt. Diese vierzehn Tage heginnen am fünfundzwanzigsten Du el Kada und dauern bis zum zehnten Du el Hödscha. Die Araber in ihrer bilderreichen Sprache sagen, dass die Kaaba während dieser Zeit „Orian", d. h. „nackt" ist. Wenn sie am zehnten Du el Hödscha wieder bedeckt wird, so heisst es, „der Sehneider hat ihr einen Kaftan geschickt". Auch gebraucht man von der Bekleidung und Entkleidung des Tempels das Bild des Ihram. Hat die Kaaba. ihr Kesua abgelegt, so sagt man, sie hat ihre Kleider ausgezogen und den Ihram angenommen. Der Ihram ist freilich bei Menschen noch immer eine Art von Bekleidung. Die Kaaba hat jedoch nicht nöthig, schamhaftig zu sein, sondern zeigt sich völlig „Orian" (nackt). Da ich Mekka am siebenundzwanzigsten Du el Kada zum ersten Male betrat, so hatte die Kaaba bei meiner Ankunft schon seit zwei Tagen den Ihram genommen. Jetzt sollte ich also das Bit Allah (Haus Gottes, wie die Kaaba auch heisst) während zwölf Tagen völlig frei erblicken können, bis nach meiner Wallfahrt nach Arafa, während welcher sie bestimmt war ihren Schleier wieder anzunehmen. Diess war zwar für meine Neugierde eine gewisse Befriedigung, aber auch sonst nichts, gewiss kein Kunstgenuss, denn als ein Gebäude ist die Kaaba sehr weit entfernt, ein Kunstwerk zu sein. Sie ist ein schwerfälliges, viereckiges Haus, dessen Dimensionen (40'Höhe, 18' Länge und L34 Breite) schon erwähnt wurden. In dieser Berechnung der Höhe ist auch die Flöhe der drittehalb Fuss hohen und ziemlich schiefen Basis, auf der das Haus ruht, mit einbegriffen. Die Kaaba ist von ganz gewöhnlichem grauen Stein, wie man ihn an allen Bauten Mekka's sieht, aufgeführt und somit auch nicht durch ihr Material ausgezeichnet. Die Werksteine, wenn man so roh behauene Steine überhaupt Werksteine nennen kann, sind von allen möglichen Formen und Grössen, meist plumpe, unregclmässige Vierecke, welche bald aufrecht, bald der Länge nach gestellt sind. Ein grober Mörtel verbindet schlecht die einzelnen Steine. Hie und da sind auf diesen Steinen Spuren von Inschriften zu erblicken, sie sind indess so undeutlich, dass ich keine derselben unterscheiden konnte, ja nicht einmal insofern, um sagen zu können, ob es kufische (ältere) oder neuarabische Schriftzeichen sind. Wenn die Kaaba das Kesua (den Schleier) anhat, dann sieht sie ungleich stattlicher, aber zugleich auch viel düsterer, ich möchte sagen, grauenerregend aus. Man denke sich ein vierzig Fuss hohes Gebäude, das wie ein immenser Katafalk ganz schwarz überzogen ist. Das Kesua ist von schwarzer Seide; schwarz war die Farbe der Abbasiden, der Chalifen von Bagdad, der letzten eigentlichen Cha-lifen, die es gab, als deren Nachfolger heut zu Tage sich die türkischen Sultane, welche von der letzten ägyptischen Dynastie ihr Recht ableiten wollen, ansehen, obgleich sie, was ihren Stammbaum betrifft, eigentlich gar keinen Anspruch darauf haben. Von jeher galt es für ein Privilegium der Beschützer und Oberherren von Mekka, den schwarzen Schleier für die Kaaba, zu schenken. Zur Ileidenzeit schon wurde die Kaaba mit Stollen überdeckt, aber nicht mit schwarzen, sondern bunten, von allen verschiedenen Farben. Dieser Schleier hat zu einem seltsamen Aberglauben Anlass gegeben. Zuweilen gefällt es dem Kesua, in Bewegung zu gerathen, was freilich die gewöhnlichen Sterblichen dem Winde zuschreiben würden, was aber nach Ansicht aller frommen Moslems einen viel wunderbareren Grund hat. Die siebenzigtausend Kugel nämlich, welche die Kaaba bewachen, feiern bei, in und auf dem Schleier ihre Geister-Feste, religiösen Ceremonieen und Tänze, wobei sie mit ihren Flügelpaaren so heftige Bewegungen machen, dass der Kesua in Schwingung geräth. Ssadak erzählte mir, dass er einst Zeuge einer Scene war, in der sich dieser letztere Aberglaube aufs lächerlichste offenbarte. Mein guter Metuaf war nämlich, ohne gerade skeptischer Natur zu sein (es giebt keinen skeptischen Moslem) doch nicht ganz ein „mouton de Panurgue", ja zuweilen schilderte er einzelne Ceremonieen und abergläubische Handlungen seiner Glaubensgenossen in einem solchen Licht, dass man sich fragte, ob er sich nicht über seine Re-ügionsgenossen lustig machen wolle. Ein Beispiel hiervon ist folgende Geschichte, die ich beinahe mit seinen Worten wiederhole. Ein ziemlich starker Nordwind bewegte das Kesua, welches gerade damals noch nicht ganz anliegend befestigt worden War, denn in der ersten Zeit nach der neuen Bekleidung lässt man den Schleier nur lose hängen. Der schwarze Schleier schwankte her und hin, wie ein grosses düsteres Segel, ein Bild, welches vielleicht einen melancholischen Eindruck hervorzubringen fähig war, aber auf diese Fanatiker einen ganz andern Einfluss ausübte. Denn plötzlich schrieen alle mit voller Kehlenkraft: „Labik" und „Mabuka . Ma-laika", das heisst „die Engel." Tausende von Pilgern fielen auf ihr Angesicht nieder, beteten, schluchzten und weinten: es war eine Scene voll der heftigsten Affectsäusserungcn, und das alles, weil der Wind im Kesua ein wenig herumgespielt hatte. Denn natürlich, die Anwesenheit von vielen tausend Engeln, wenn sie sich so deutlich zu erkennen giebt, muss jeden guten Moslem mit den frömmsten Schauern erfüllen. Auch Burckhardt war Zeuge ähnlicher Scenen, die. ich selbst nicht sali, wie ich überhaupt die Kaaba nur nackt erblicken sollte. Die Geschichte des heiligen Hauses ist in das gcheimnissvollste Dunkel gehüllt. Aber je weniger wir aus sichern Quellen darüber wissen, desto mehr hat uns die Sage über ihre Vergangenheit geoffenbart. Ehe ich dazu schreite, die uns durch Schriftsteller von Gewicht bekannten Ueberlieferungen zusammenzustellen, will ich noch „par aquit de con-science", die von Burckhardt erzählte und von Burton nachbuchstabirte Geschichte von der sogenannten ältesten Kaaba erwähnen. Burckhardt sagt (Gott weiss, wo er diesen Unsinn aufgefischt hat, von dem kein glaubwürdiger Araber heute etwas weiss), dass die erste Kaaba 2000 Jahre vor Erschaffung der Welt auf vier Jaspissäulen, mit einem Dache von Rubinen erbaut und von Legionen Engeln angebetet worden sei, welche auch schon den Tuaf, den Umgang, gemacht hätten (diese Fabel widerspricht übrigens der orthodoxen Theologie des Islam, wonach die Engel zu tief stehen und nicht würdig sind, die Kaaba anzubeten). Wahrscheinlich ist diese von Burckhardt erzählte Sage, sowie auch die von einer zehnmaligen Erbauung der Kaäba, nichts als eine obscure Tradition, welche nicht einmal den Werth besitzt, dass sie im Volksmunde gang und gäbe ist. Desshalb wollen wir ihr nicht einmal die Bedeutung beilegen, welche eine Fabel verdient und zu dem durch Quellen verbürgten Mythenkreise übergehen. Da finden wir zwar immer noch genug Unsinn, aber es ist wenigstens ein Unsinn, der geglaubt wird. Nach dem Tarich Montecheb (von Pococke in seinen Specimina historiae Arabum, Oxford 1720, citirt) stand bereits zu Adams Zeit genau an derselben Stelle, wo sich heute das Haus der Kaaba befindet, ein Zelt, in welchem der Aeltervater und seine nächsten Nachkommen ihre Gebete verrichteten. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, dass von Adam angenommen wird, er habe nur den einigen Gott, Allahu akbar, d. h. den grossen Gott, den Gott des Islam angebetet, und nicht jenen später hier verehrten oder vorgeblich verehrten Doppelgott Allah U akbar, d. h. Allah und die Kabar, wie die christlich-sara-cenischen Schriftsteller diese Worte auslegen, welche durchaus in dem Namen Allahu akbar oder Allah U Akbar eine heidnische Bedeutung erkennen wollen. Dieses Gebetszelt des Adam ward nicht von Menschenhänden errichteit. Es kam vielmehr direct vom Himmel IL 5 herunter, damit die Menschen in ihm den einzigen Tempel Gottes auf Erden erkennen sollten. Der Patriarch Seth, Adams dritter Sohn, erlaubte sich jedoch, wie derselbe Tarich Montecheb sagt, an der Stelle dieses vom Himmel heruntergekommenen Gebetszeltes einen steinernen Tempel zu errichten, in welchem von nun an bis zur Sündduth alle Kinder Adams den einigen Gott anbeteten. Die Sündlluth zerstörte die erste, von Seth errichtete Kaaba, welche nun bis zur Zeit Abrahams in Trümmern liegen blieb, so dass während dieser Zeit kein Tempel des einigen Gottes auf Erden bestand. Abraham oder Ibrahim, wie ihn die Moslems nennen, der Chalil Allah, der Vertraute Gottes , erhielt eine neue Offenbarung, die nöthig geworden war, da Noah's Nachkommen sich dem Götzendienst ergeben hatten. Der Patriarch hatte schwere Kämpfe zu bestehen, als er die Einigkeit Gottes bekannte; er wurde zum Feuertode verurtheilt, weil er die Familiengötzen zerstört und seinen Vater zu bekehren versucht hatte. Schliesslich zur Auswanderung gezwungen, kam er nach Mekka, wo er seine neue Laufbahn begann. Ehe er jedoch zum Rassul (d. h. richtig übersetzt Religionsstifter, im Gegensatz von Nebbi, welches nur Prophet bedeutet und einen geringeren Grad der Offenbarung anzeigt, als das Wort Rassul), ehe er also zum Religionsstifter erkoren wurde, sollte er an eben dieser Stelle einer schweren Prüfung unterworfen werden. Allah befahl ihm seinen Sohn zu opfern (die bekannte Erzählung der Genesis). Die Moslems behaupten jedoch, dass dieser Sohnnichtlsaakoderlshak, sondern Ismael (arabisch Smail) gewesen sei, vor welchem sie eine ungemein grössere Ehrfurcht haben, als vor seinem Bruder, denn von Ismael behaupten eine grosse Menge Araber, ja der Religionsstifter Mohamed selbst, abzustammen, eine Fabel, deren Nichtigkeit jedem einleuchten muss, der mit der wahren Geschichte der Araber vertraut ist. Die 37. Sure des Korans , welche die Geschichte von der beabsichtigten Opferung des Sohnes Abrahams durch diesen Patriarchen selbst erzählt, sagt zwar kein Wort davon, dass dieser Sohn Ismael und nicht Isaak gewesen sei. Aber die Muselmanen haben eine Tradition, wonach Mohamed behauptete, dass zwei seiner Vorfahren durch Gelübde ihrer Ael-tern dem Opfertode geweiht waren und nur durch besondere Dazwischenkunft Gottes gerettet wurden. Der eine dieser Vorfahren war des Propheten eigner Vater Abd-Allah, dessen Erzeuger, Abd-ul-Mottalib, das Gelübde ablegte, Gott seinen Sohn zu opfern, wenn er ihm den verschütteten Brunnen Semsem wieder offenbaren wolle, welche Bitte Gott auch erhörte, aber dem Grossvater Mohameds gnädigst gestattete , sein Gelübde durch das Opfer von hundert Kaineelen, statt seines Sohnes, zu lösen. Der andere Vorfahr soll der Patriarch Ismael gewesen sein , von dem ein überaus mangelhafter, lückenreicher und in jeder Beziehung hinkender Stammbaum, ja sogar mehrere Stammbäume, die sich einander widersprechen , den Religionsstifter des Islam abstammen lassen. Uebrigens, wer auch immer von beiden, Ismael °beL Hie Kaaba des Ahraham soll noch die heutige sein, sie wurde seit seiner Zeit nur ausgebessert, nie neuerbaut, so behaupten die orthodoxen Moslems, die alle Umbauten. Restaurirungen und Neubauten nicht gelten lassen, damit ihre Fabel keinen Stoss erleide. Zu welcher Epoche die Sage von dem hohen Alter der Kaaba und von ihrer Erbauung durch Abraham sieh so recht eigentlich festgesetzt hat, wann überhaupt die Erzählungen der Genesis in Arabien bekannt geworden und in den einheimischen Sagenkreis verwebt worden sind, diess ist jetzt, glaube ich, nicht mit Genauigkeit zu ermitteln. Wahrscheinlich geschah es in den vier ersten christlichen Jahrhunderten, einestheils durch israelitischen . andern-theils durch christlichen Einfluss. Der erstere machte sich geltend, als durch Einwanderung zahlreicher Judenstämme in die arabische Halbinsel sich jüdische Reiche in Jemen und Iledschas gebildet hatten, welche die Kenntniss der biblischen Erzählungen zugleich mit ihrer Religion, für die sie viele Rroselyten gewannen, verbreiteten. Der andere verschaffte sich Anerkennung, als zu Anfang des dritten Jahrhunderts zahlreiche christliche Gemeinden in Nordarabien und selbst ah der Küste von Jemen enstanden waren, die natürlich ebenfalls Kenntniss von der Geschichte Abrahams besassen und wahrscheinlich auch verbreiteten. Jedenfalls weiss eine genau verbürgte Geschichte nichts von einem solchen Cultus in der Kaaba, wie ihn etwa Abraham eingeführt haben konnte. Vielmehr erscheint das beilige Haus in historischer Zeit stets nur als ein Götzentempel und erst dem Reli- gionsstifter Mohamed gelang es, den Cultus des einigen Gottes hier einzuführen, obgleich der Islam in dieser Einführung nur eine Wiederherstellung des •vermeintlich uralt hier herrschenden Monotheismus erblicken will. Selbst die Moslems können nicht läugnen, dass die Kaaba vor Mohamed ein Götzentempel war, in dem sogar unter 360 andern Götzen auch der Patriarch Abraham als Gott verehrt wurde. DieserCultus des Abraham, als eines Götzen, könnte vielleicht von manchen für einen Beweis angesehen werden, dass die Tradition der Araber schon im höchsten Alterthum mit dem Namen des Patriarchen vertraut gewesen sei; dem ist jedoch nicht so, denn unter den alte sten Götzen der Kaaba wird Abraham gar nicht erwähnt. Seines Cultus geschieht erst kurz vor Mohamed Erwähnung. Das eclectische Heidenthum, dessen Tempel ja jeder Gottheit und jedem Heros offen standen, hatte (wohl nicht früher als im dritten oder vierten christlichen Jahrhundert) auch hier in Arabien den Patriarchen in sein Pantheon aufgenommen, wie dasselbe es im dritten Jahrhundert ja auch in Rom gethan hatte, wo Kaiser Alexander Severus unter seinen Hausgottheiten die Statuen von Abraham und Christus, als von Göttern, hatte aufstellen lassen. Die Muselmanen behaupten, Abraham habe in der Kaaba sich von Gott die Gnade erbeten, dass seine Nachkommen niemals Götzendiener und dass die Kaaba nie ein Götzentempel werden möge. Dieses Gebet, so nehmen einige spitzfindige Theologen an, sei wirklich in Erfüllung gegangen, obgleich es offenkundig ist, dass die Araber bis zu Mohamed Götzen- diener waren und die Kaaba als Götzentempel diente. Aber die frommen Moslems setzen sich, wenn ihnen Beweise fehlen, durch einige kühne Sprünge darüber hinaus. Was das hohe Alter der Kaaba betrifft, so scheinen übrigens nicht alle Moslems in früherer Zeit davon eine grosse Meinung gehabt zu haben. Zum Beispiel theilte der Chalif Ali, MohamedsSchwiegersohn, nicht diesen Aberglauben. Denn als man ihn fragte, ob die Kaaba der älteste, dem wahren Gott geweihte Tempel sei, sagteer ausdrücklieh: Nein, andere seien älter gewesen, unter welchen andern ohne Zweifel auch der Tempel Salomonis als inbegriffen angenommen werden muss, so dass also nach Ali's Geständniss die Kaaba keineswegs von Abraham , der ja tausend Jahre vorSalomon lebte, erbaut worden sein konnte. Man sieht, die Sage vom Alter der Kaaba leidet an dem Fehler aller andern Sagen, dass sie voll Verwirrung und Widerspruch ist. Um mit dem Mythenkreise zu schliessen, der das heilige Haus selbst zum Gegenstande hat, will ich'noch den gegenwärtigen Stand der Sagen erwähnen, welche sich im Laufe der Jahrhunderte zu jenem confusen Aberglauben kristallisirt haben, in dessen Gewände sie uns heute erscheinen. Sieben Wunder sind es vorzüglich, welche die Kaaba noch heute bewirken soll und welche sie vor allen andern irdischen Orten auszeichnen. Erstes Wunder: Die Herzen aller Gläubigen, werden von der Kaaba wie von einem Magnet angezogen, der nicht blos figürlich ist, sondern eine wirkliche, mystische, wunderbare Anziehungskraft ausübt. Zweites Wunder: Die Kaaba bildet die Gebetsrichtung, die Kebla, welche jeder wahrhaft fromme Moslem durch Intuition erkennt, wenn er sein Gebet verrichten will. (Die meisten kommen aber der Intuition durch kleine Compasse zu Hülfe, glauben somit, wie es scheint, nicht recht fest an dieses zweite Wunder.) Drittes Wunder: Es ist unmöglich, die Kaaba und den in ihr befindlichen schwarzen Stein zu zerstören. (Ein Wunder, das durch die Geschichte Lügeti gestraft wird, denn die Karmathen zerstörten im Jahre 929 die Kaaba zum Theil, und der verrückte Chalif Hakem b'Omr Allah Hess im Jahre 1022 den schwarzen Stein mit einer Eisenkeule zertrümmern.) Viertes Wunder. Selbst die Vögel haben Ehrfurcht vor der Kaaba und vermeiden es, sich auf derselben niederzulassen. (Ein Wunder, von dessen Unrichtigkeit ich mich selbst überzeugt habe, denn ich sah eine der vielen Bit Allah Tauben [Tauben des Gotteshauses], welche von Pilgern gefüttert werden und nicht getödtet werden dürfen, auf der Kaaba sitzen. Gewöhnlieh freilich fliehen die Vögel die allzu lärmende Umgebung des heiligen Hauses.) Fünftes Wunder: Die Kaaba kann, obgleich sie nur klein ist, dennoch unzählige Pilger zu gleicher Zeit aufnehmen, da die Engel sie nach Belieben ver-grössern oder verkleinern. Sechstes Wunder: Jeder, der die Kaaba sieht, muss Thränen der Rührung vergiessen. (Ein Wunder, das sich an mir nicht bestätigte.) Siebentes Wunder: Die Heftigen und Patriarchen kommen aus der andern Welt, um ihre Umgänge um die Kaaba zu halten, was zu thun auch die Engel vor Begierde brennen, was ihnen aber untersagt ist, da nach dem Islam die Engel Wesen von geringerer Vollendung als die Menschen sind und nicht an demselben Orte, wie diese, beten dürfen. (Was die Gespenster betrifft, welche die Kaaba besuchen, so sieht man allerdings daselbst genug, aber leider sind es lebendige Gespenster, nämlich die elenden, abgemagerten, skelettartigen, halbverhungerten Bettler, meist Indier, die den Pilger mit schwacher, fast sterbender Stimme um Almosen anflehen.) Die Berichte der altgriechischen, lateinischen und byzantinischen Schriftsteller und derjenigen Araber, welche wie Asraki, Ab-ul-Feda, Asami und andere, inmitten eines Chaos von Fabeln doch vielleicht einen Kern von Wahrheit enthalten, sind freilich nicht viel glaubwürdiger, als die obenerwähnten, mythologischen Erzählungen; da sie jedoch meisten-theils aus historischer Zeit stammen, so verdienen sie wohl eine kurz zusammenfassende Erwähnung. Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, dass die Araber im Alterthurne Götzendiener waren. Kein Schriftsteller des Alterthums weiss etwas von dem vermeintlichen Monotheismus der Araber im höchsten Alterthurne und noch weniger etwas von ihrer Abstammung von Abraham und Ismael, aufweiche man diesen Monotheismus zurückführen will. Bereits Herodot erwähnt die beiden Hauptgottheiten der Araber und nennt dieselben Bacchus und Urania vielleicht Venus Urania). Den Bacchus nannten die Araber, nach dem Vater der Geschichte, (Herodot, Lib. III.) Ilmtal, (Orataal, Ollataal) welches von Po-cocke für dasselbe Wort, wie „Allah Taal" gehalten wird, und demnach „Gott der grösste" bedeuten würde. Der Urania gaben die Araber den Namen Alilat, welches nach demselben Pococke für „Alilaha" (d. i. Göttin) oder vielmehr für die Pluralform Alila-hat (d. i. Göttinnen) stehen würde. Demnach würden die beiden Namen Urötäl und Alilat nichts bedeuten als „derhöchste Gott und die Göttinnen" (die Engel?). Ich muss gestehen, dass, trotz dem grossen Resnect, welchen ich vor Pococke's Gelehrsamkeit hege, mir diese Interpretation der Namen doch etwas weithergeholt erscheint. Offenbar hat dem grossen Orientalisten hier die Analogie mit den ältesten hebräischen Namen Gottes vorgeschwebt, mit den Namen Jehova oder Adonai undElohim, denn ähnlich wie Pococke in Alilahat den Namen (ha-Göttinnen oder Engel erblickt, so wollen einige Hebräologen in der Pluralform Elohim eine Göttermehrheit sehen. Nach letzteren hätten die hebräischen Namen Jehova und Elohim eine heidnische Bedeutung, nämlich „ dqr höchste Gott und die Nebengötter oder Engel"; demnach läge selbst im alten Testament die Vielgötterei versteckt. Bochart (liber I. cap. 2) versucht eine andere Deutung des Namens Bacchus, des vermeintlichen Gottes der Araber, zu geben, indem er ihn von Bar-Ohus, das heisst „ Sohn . des Ohus", ableitet. Nun spricht Plinius von einem Könige Arabiens, Namens Saba, welcher Sohn des Chus war, und von den Arabern zum Gotte erhoben wurde. Diese Deutung* würde sehr geistreich erscheinenT wenn die Araber ihren Gott überhaupt Bacchus genannt hätten, aber Herodot sagt ja ausdrücklich, dass sie ihn nicht so, sondern mit dem Namen Urotal benannten und dass er nur dem griechischen Gotte Dionysius oder Bacchus entsprach. Von diesem vermeintlichen arabischen Gotte Bacchus wollen auch viele den alten Namen von Mekka, welches früher Bekka hiess, ableiten. Selbst zuMohameds Zeiten hatte sich noch der Name Bekka erhalten und der Koran erwähnt seiner in der zweiten Sure. Aber diese Deutung des Namens Mekka leidet an dem nämlichen Fehler, wie die Ableitung des Namens Bacchus von Bar-Ohus, nämlich daran, dass die Araber den Namen Bacchus wahrscheinlich gar nicht kannten. Herodot, indem er dem arabischen Gotte, welchen er Urotal nennt und dessen Namen er wahrscheinlich falsch hörte und noch falscher aufzeichnete , für den Bacchus der Griechen und seine Gefährtin für die Urania des hellenischen Mythus erklärte, verfiel in den gewöhnlichen Fehler aller seiner Landsleute, welche einer fremden Nation keine Originalität zugestanden und in allein, was sie von einer .solchen wussten, nichts als Nachäffungen der Griechen erblickten. Die ältesten Gottheiten der Araber haben aber wahrscheinlich mit dem hellenischen Göttermythus nicht das geringste gemein. Wenn das arabische Pantheon überhaupt von irgend einem fremden Volke entlehnt ist, so möchte es eher von verwandten semitischen Völkern, wie den Syriern, Me-sopotamiern oder Phöniciern, als von einer so grundverschiedenen Nationalität, wie der hellenischen, über- kommen worden sein. In der That rinden wir, zur Bestätigung des eben gesagten, bei mehreren Schriftstellern Belege. Nach Asraki war es zuerst Amer ben Lahia, König von Hedschas, welcher den Götzendienst in die Kaaba einführte. Alle arabischen Autoren glauben nämlich, dass im heiligen Hause in ältester Zeit nur der einige Gott angebetet wurde. Amer brachte aus Hit in Mesopotamien den semitischen Götzen Hobal, welcher nichts anderes war, als der Baal der Phönizier und Syrier, dessen Namen man den Artikel Ha vorsetzte: Ha-Baal, d. h. .,der Baal", der Sonnengott der Phönicier und Karthager, vielfach in der heiligen Schrift erwähnt. Hobals Statue wurde auf der Spitze der Kaaba aufgestellt und diese als ein ihm besonders geweihter Tempel angesehen. Von dieser Zeit der Einführung •des Baaldienstes datirt nach Asraki die allgemeine Verbreitung des Götzendienstes unter den arabischen Stämmen, welche wie gesagt immer im höchsten Alterthum als Monotheisten fingirt werden. Bald wollte jeder arabische Stamm seinen Götzen haben. Ein Dattelbaum, unter dem Namen Ozza, wurde von den Beni Hozza angebetet. Die Beni Thekif verehrten einen Felsen unter dem Namen El Lat, welcher Name eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Alilat des Herodot besitzt. Die Koreischen feierten einen grossen Baum, Namens Sad Aruat. Auf den Hügeln Ssafa und Merua wurden die Götzen Asaph und Naila aufgestellt. In der Kaaba selbst wurde, vielleicht zu gleicher Zeit mit Hobal, der schwarze Stein eingeführt, unter dessen Gestalt man die Göttin Chabar, Kabar oder Akhbar verehrte. Ein König- von Persien schenkte zwei goldene Gazellen, welche von nun an auch im heiligen Hause angebetet wurden. Eine hölzerne Taube, ein Paar vergoldete Widder-hörner, eine Menge von Wurfpfeilcn, aus deren Werfen man das Schicksal weissagte, waren besondere Heiligthümer der Kaaba. Mit der Zeit mehrte sich die Zahl der Götzen dergestalt, dass ihrer nicht weniger als dreihundertundsechzig, für jeden Tag des Jahresein Götze, in dem Bit-Allahi aufgestellt wurden. Nach Asraki bildete die Kaaba stets das Hauptheiligthum der arabischen Stämme, gewissermassen das Nationalheiligthum der Araber, zu dem alle vermeintlichen Söhne Ismaels zu wallfahrten püegten. Diess kannjedochnurvon den benachbarten Stämmen um Mekka gelten. Denn, wie wir aus guten Quellen wissen, so hatten andere Gegenden von Arabien ähnliche Heiligthümer wie die Kaaba, welche sich bei den dort wohnenden Völkern einer ganz gleichen Verehrung erfreuten. Einer der bekanntesten dieser Rivalen der Kaaba war der Tempel der Venus in Sanaa, einer Stadt des südlichen Arabiens, das sogenannte Bit Rhamdan, welches der Chalif Otsman zerstörte. Nach dem Schahristan bestanden in ganz Arabien sieben heilige Häuser, welche als Wallfahrtsorte, jeder in seinem District, von den benachbarten Stämmen ebenso viel besucht und ebenso eifrig verehrt wurden, wie die Kaaba von den Völkern um Mekka. Diese sieben Tempel waren den sieben Planeten gewidmet, dasheisstdenjcnigenllimmelskörpern,welche die Alten für die sieben Planeten hielten, nämlich der Sonne, dem Mond, Mercur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Nach dem Schahristan wurde Saturn in der Kaaba verehrt. Nach andern war es jedoch die Sonne, wie auch aus dem Namen des Hauptgottes Hobal d. h. Baal, der Sonnengott, erklärlich wird, welcher Gottheit der Tempel von Mekka vorzüglich geweiht war. Wenn Asraki behauptet, Hobal sei der gemeinschaftliche Gott aller Araber gewesen, so hat er darin in so fern Recht, als ja im lleidenthum fast alle Götter gemeinschaftlich waren und ihrer überall, je mehr je lieber, verehrt wurden. Ja, die einzelnen Völker entlehnten sich gegenseitig ihre Götter und nahmen die anderer Nationen unter die Zahl der ihrigen auf. Natürlich muss der Cultus des Sonnengottes leicht eine grosse Verbreitung gefunden haben, wie auch der häufig vorkommende arabischheidnische Männernamen ,,Abd-esch-Scherns" das heisst „Diener der Sonne" beweist. Ebenso häufig waren die Namen „Abd-el-Kaaba", Diener der Kaaba, und „Abd-ed-Dar", Diener des Hauses (des heiligen Hauses), welche, da die Kaaba der Sonne geweiht war, nur Umschreibungen des ersten Namens bildeten. Der Eclecticismus des Heidenthumes gestattete bekanntlich die Aufnahme aller fremden Götter in seine Tempel und die Erhebung von Königen, Heroen und Patriarcheu zu Gottheiten. So geschah es, dass mit der Zeit, als die Erzählungen der heiligen Schrift bei den Arabern bekannt wurden und wegen ihrer Orginalität wahrscheinlich schnell grossen Anklang banden, die Heiden einzelne Bibelfiguren mit in ihr Pantheon aufnahmen. So wurde Abrahams Statue m der Kaaba aufgestellt und daselbst seltsamer Weise ganz mit denselben Attributen ausgestattet, welche den heidnischen Gott Hobal kennzeichneten. Ebenso befand sich eine Figur der Jungfrau Maria, mit dem Jesuskinde auf ihrem Schoose, in der Kaaba, wo sie in der Säule, welche der Thür zunächst stand, entweder eingenieisselt oder an sie angelehnt war. Die Statue des Abraham trug sieben Pfeile in der Hand, woraus man das Schicksal weissagen wollte, überhaupt war das Pfeilewerfen ein übliches Wahrsagungsmittel der heidnischen Araber. Der arabische Geschichtschreiber el Dschenab erzählt, dass als Mohamed im achten Jahre der Hedschra siegreich in den Tempel eindrang, er daselbst neben vielen andern Götzenbildern auch die Figur des Abraham fand. Dieselbe trug die schicksalsweissagenden Pfeile in der Rechten. Als diess der Prophet erblickte, rief er entrüstet: „Gott verfluche diejenigen, welche diess gethan haben. Unsern Ahnherrn stellten sie dar wie einen Schicksalsdeuter und Magier. Was hat Abraham mit der Magie gemein?" Darauf zerstörte Mohamed alle Götzen. Wenn wir über die Zeit der Erbauung der ursprünglichen heidnischen Kaaba auch im unklaren sind, so kennen wir doch genau die Epoche, wann sie zum letztenmal als Götzentempel errichtet wurde. Diess geschah zur Jugendzeit des Propheten. Damals waren die Koreischiten Herren von Mekka, an Stelle der früheren Beni Kossai, vom Stamme der Dschorha-miten, welche von den sogenannten Ismaeliten oder Ismaeliern, die sich der Abstammung von Ismael rühmten, vertrieben wurden. Der letzte Dschorha- weit, um in einem Tage zurückgelegt werden zu können. Hier kamen mir meine mitgenommenen Wasserflaschen recht zu Statten und ich machte mir dadurch viele Freunde, dass ich andern von meinem Ueberflusse mittheilte; wenn man überhaupt sagen kann, dass man sich bei Moslems durch Wohlthaten (Wasser ist aber hier wirklich eine Wohlthat), Freunde macht, denn diese Fatalisten pflegen alle Wohlthaten als unmittelbare Verleihungen Gottes anzusehen und der Wohlthätcr erscheint ihnen nur als ein blindes Werkzeug der Vorsehung, dem sie keinen Dank schuldig sind. 2 8. Schua 1. Nach sechsstündigem Ritt langten wir um 6 Uhr Morgens beim Rir lladsch Sliman an, wo die sämmtlicbe Reisegesellschaft mit Heissgier über das endlich gefundene Wasser herfiel. Hier befinden sich ebenfalls deutlich erkennbare römische Reste. Es sind offenbar die von Gebäuden der einfachsten Art, wie man sie auf solchen Wüstenstationen errichtete und welche wahrscheinlich der römischen Casa. wie sie Martial f'Ep. VI, 43) beschreibt, entsprachen. 2 6. Schual. Nach abermaligem sechsstündigen Ritt schlugen wir unser Lager in Kl Rida, d. h. dem weissen Ort, auf, so genannt von den weissen Felsen , welche dieses Thal umgeben. Der hier befindliche Brunnen führt den überraschenden Namen „Bir el Inklis", d. h. der Brunnen der Engländer. In der That wurde er von der englisch-ostindischen Armee auf ihrem Wege nach Indien gegraben. Einige fromme Muselmänner fragten hier unsern gelehrten Heisegefährten, Schieb Mustapha, ob es nicht viel-I. 5 leicht Unrecht sei, aus dem Brunnen zu trinken, den jene gottverdammten Ketzer gegraben hätten. Darauf antwortete Schien Mustapha etwa wie folgt: „Wenn ein Esel mit seinem Huf an einen Felsen schlägt und aus diesem Felsen durch ein Wunder Gottes eine Quelle hervorspringt, würdet ihr nicht aus derselben trinken, weil der Esel zu diesem Wunder Anlass gegeben hat? Ebenso ist es mit den Inklis. Diese ungläubigen Hunde haben nicht mit Wissen und Willen den Brunnen gegraben, sondern Gott hat sich ihrer als blinder Werkzeuge bedient, weil er wollte, dass fromme Moslems auf ihrer Pilgerfahrt hier ihren Durst stillen sollten." Uebrigens ist das Wasser aus dem Bir el Inklis kaum trinkbar und gewiss das schlechteste, welches man auf dieser Wüstenreise antrifft. 27. Schual. Eine Meile vom Brunnen der Engländer liegt der ebenfalls sehr schlechtes Wasser enthaltende Brunnen Bir el Ambadschi, wo wir uns übrigens nicht aufhielten, sondern von da unsern Weg nach dem l1/» Meile entfernten Kosseir gleich fortsetzten. Es mochte etwa 51j2 Uhr Morgens sein, als wir zum ersten Male an dem gewohnten monotonen Wüstenhorizonte eine Veränderung wahrnahmen. Statt der bisherigen ewigen Sandhügel und nackten Felsen, erfreute unsern Blick auf einmal eine lange, spiegelglatte, im Sonnenstrahl leuchtende Fläche, auf der zahlreiche, kleine, weisse Punkte phantastisch herumirrten. Es war der arabische Meerbusen, das rothe Meer, das von allen Pilgern auf's freudigste begrüsst wurde , denn es sollte uns ja die Pforte erschliessen, durch welche wir nach dem Hause Gottes in Mekka und nach dem Berge der Erkenntniss (Arafa) gelangen sollten. Durch diese schöne Hoffnung freudig belebt, legte unsre Karawane die letzten zwei Stunden jubelnd zurück und als wir um Uhr Morgens in Kosseir anlangten, da schienen uns schon die Hauptschwierigkeiten der Hödsch (Pilgerfahrt) überwunden. Viertes Capitel. Ueberfahrt auf dem rothen Meere von Kosseir nach El Imbu. Kosseir und Altkosscir. — Philoteras portus. — Die Schiffe im rothen Meere. —■ Verabredung mit dem Schiffshäuptmann. — Die Kandscha, — Ihre Bemannung. — Primitive Ai*t der Schifffahrt. — Alterthum der Kandscha. ■— Abfahrt von Kosseir. — Die Ssemara. -— Predigten und religiöse Gespräche. — Das Fehlsteuern des Schiffshauptmanns. — Küste von Arabien. — Jubel der Pilger. — Ein "wunderlicher Fisch. — Die Insel Noman. — Mersa Eslam. — Der Name des rothen Meeres bei den Alten. — Wedsch. — Scherm Abban. — Der Fischheilige. — Gefahrvolles Klippenlabyrinth. — Inselarchipel. — Haura und Auara. — Wir sitzen auf einer Korallenbank fest. — Insel Hassania. — Scherm Mahar. — Das siebenspitzige Vorgebirge. — Ankunft in El Imbu. — Die Reisenden nach Medina. Kosseir wird von Müller in den Noten zu seiner vortrefflichen Ausgabe der kleineren griechischen Geographen für den „weissen Hafen" (Albus portus) der Römer und Griechen gehalten, wie mir scheint, jedoch mit Unrecht, da es nach Ptolemäos um 40 Gradminuten südlich von Philoteras portus lag, welches letztere unzweifelhaft, wie Sir Gardener t Wilkinson*) entdeckt hat, Altkosseir ist; und da Alt-kosseir nur 4 Gradminuten nördlich von Kosseir liegt und nicht anzunehmen ist, dass sich Ptolemäos hier um 36 Minuten oder 9*/2 deutsche Meilen geirrt habe, so ergiebt sich für Kosseir durchaus kein antiker Name; es ist vielmehr wahrscheinlich eine mittelalterliche Schöpfung und wurde wohl erst nach der Zerstörung von Altkosseir gegründet, welches übrigens auch noch im Mittelalter von den Arabern bewohnt wurde und erst seit einigen Jahrhunderten ganz verlassen erscheint. Philoteras portus (Altkosseir) , das seinen ältesten Namen Aennum im zweiten vorchristlichen Jahrhundert gegen den eines Admirals Philoteros, der im Dienste des Königs Ptolcmäus Philadelphus stand, umtauschte, wird von mehreren alten Geographen erwähnt; es lag an einer Römerstrasse, welche der Küste entlang führte und im Norden Myos Hormos, im Süden Albus portus, Nechesia, die Smaragd-Steinbrüche, Lepte extrema und endlich Berenice berührte. Hafen und Stadt von Philotera waren jedoch nur klein und die antiken und mittelalterlichen Reste, die man daselbst sieht, sollen nicht bedeutend sein. Mein Reiseplan gestattete mir nicht, mich aus Kosseir selbst zu entfernen. Die neue Stadt erhebt sich an einer kleinen Rai, welche einen ziemlich sicheren Ankerplatz bietet, ist zum grösseren Theil aus dem hier so häufigen Korallenstein gebaut, besitzt ein schlechtes *) Sir Gardencr Wilkinson, Handbook for Travellers in Egypt, auch the Manners and Customs of Ancient Egyptians (London bei Murray). Fort mit einigen unbrauchbaren Kanonen, und wird hauptsächlich von Limbauwi, Arabern, welche von El Imbu, einem an der arabischen Küste, Kosseir gegenüber gelegenem Städtchen, kommen, bewohnt. Unsre Karawane fand ein schlechtes Unterkommen in einem halbverfallenen Chan. Ich zog es jedoch vor, in meinem kleinen Zelt zu campiren, in welches ich auch Schieb Mustapha aufnahm, welcher gutmüthige alte Mann sich immer mehr an mich an-zuschliessen schien, was mir im ganzen nicht unangenehm war, obgleich mich seine beständigen abgedroschenen Predigten über die Pilgerschaft und dergleichen am Ende zu langweilen anfingen. Wir hatten in Kosseir nichts anderes und, da der Ort sehr langweilig war, auch nichts eiligeres zu thun, als alles für unsre Abreise vorzubereiten. Zu diesem Zwecke sahen wir uns gleich am Anfange nach einem Schiffe um, welches uns nach der gegenüberliegenden Küste von Arabien tragen sollte. Schich Mustapha, seine 3 Neffen, Ali und ich, gingen zusammen an den Hafen, oder richtiger gesagt, den Ankerplatz, den Kosseir lediglich der Natur verdankt. Daselbst fanden wir zwölf Segelschiffe, wovon das bedeutendste nicht hundert Tonnen Tragkraft hatte. Die Mannschaft dieser Schiffe war im Augenblick fast sämmtlich am Lande, in der Nähe des Hafens, wo sie in kleinen zeltartigen Kaffeebuden sass, so dass wir keine grosse Schwierigkeit hatten, die verschiedenen Nachadain (Schiffshauptleute) und Mokka-dem (Schiffslieutnants) zu finden. Jedes Schiff hat nämlich zwei Nachada, der eine heisst Nachada el berr, wörtlich übersetzt der Capitän zu Lande, d. h. der Befrachter, manchmal auch Eigenthümer des Schiffes; der andere Nachada el bahr, der Capitän zur See, d. h. der wirkliche Schiffshauptmann, der die Matrosen befehligt und sonderbarer Weise zugleich Steuermann und Pilot ist, während der Mokkadem gar nichts erhebliches zu thun hat. Man kann mit jedem der beiden Nachadam seinen Handel wegen der Ueberfahrt abschliessen, doch wurde uns ge-rathen, diess eher mit dem Nachada el bahr zu thun, da wir nur so sicher sein könnten, dass dieser wirklich seinen Theil an der Summe bekäme, während im andern Falle der Nachada el berr ihn wahrscheinlich übervortheilen würde. Uns musste aber eher daran liegen, dass der Nachada el bahr zufrieden gestellt wurde, wreil wir denselben zum Reisegefährten haben sollten und er uns in Rücksicht auf das an ihn persönlich gezahlte Geld wahrscheinlich auch besser behandeln würde. Der Nachada el berr bleibt nämlich, wie sein Name andeutet, immer am Laiide. Er hat nicht, wie ein europäischer Kaufmann , den Schiffshauptmann und die Matrosen für einen bestimmten monatlichen Gehalt in seinem Solde, sondern er theilt mit ihnen nach gewissen, streng vorgeschriebenen Verhältnissen den Gewinn, wobei er natürlich den Löwenantheil für sich nimmt. Nach einigem Hin- und Herfragen gelang es Schich Mustapha, einen gewissen Hadsch Abu Abdallah ausfindig zu machen, welcher der Nachada el bahr (Capitän) eines Segelschiffes Namens „Um ess Ssalam" d. h. Mutter des Friedens war, welches als besonders solid betrachtet wurde. Der Hadsch war •ein altes Männchen mit negerartigen Zügen, einem dicken Bauch, ein paar triefenden Augen und einem blödsinnigen Gesichtsausdruck, Ausserdem war er mit der Krätze behaftet, was mich auf der ganzen Fahrt aus seiner Nähe verscheuchte. Wir kamen mit Leichtigkeit, was den Preis der Ueberfahrt nach El Imbu und der Küstenfahrt von dort bis Dschedda betraf, überein. Ich sollte für meinen Theil 1000 Piaster (etwa 60 Thaler) für mich und die Hälfte dieser Summe für Ali zahlen, wobei ausbedungen wurde, dass ich mein Bett in der Cajüte aufschlagen könne. Diess war nach europäischen Begriffen sehr billig, nach muselmännischen aber ein höchst anständiger Preis. Nachdem wir während eines 2tägigen Aufenthalts in Kosseir die nöthigen Lebensmittel für eine Ueberfa,hrt, die möglicherweise 5 Tage dauern konnte, eingekauft hatten, schifften wir uns am letzten Tage des Monats Schual (21. Mai) auf der „Mutter des Friedens" ein. Die „Mutter des Friedens" war eine sogenannte Kandscha d. h. ungefähr das uneivihsir-teste Fahrzeug, welches je ein Meer befahren hat. Die Kandscha ist ein Schiff von höchstens 80 — 100 Tonnen Tragkraft, das nur 2 Mäste hat und zwar ist der eine derselben viel kleiner als der andere; an diesen Masten befinden sich lateinische, dreieckige Segel, die, wenn ausgespannt, sich zu kreuzen scheinen und so von weitem recht malerisch aussehen; jeder Mast hat bei dieser Segelform nur eine Raae, von einem einzigen Baumstamm gebildet. Kehrt sich nun der Wind, so muss das Segel mit seinem Baum schnell umgedreht werden, was bei Sturm fast unmöglich ist und so oft grosse Gefahr verursacht. Die Kandscha ist offen, nur das Hinter-theil hat ein kleines erhabenes Deck , unter welchem die sogenannte Cajüte, ein enger, niedriger Raum, in dem man kaum aufrecht stehen kann, befindlich ist. Die Kandscha ist ein so altcrthümliches Fahrzeug, dass man durch ihren Anblick unwillkührlich zu dem Gedanken geführt wird, dass sie irgend einer antiken Schiffsform angehören müsse, welche sich nach zwei Jahrtausenden unverändert vorfände , wie ja in diesen, von der fortschreitenden Civilisation abgeschlossenen Ländern solche handgreifliche Erinnerungen an das Alterthum nicht selten sind. Welcher antiken Schiffsform entspricht jedoch die heutige Kandscha? Ohne Zweifel gehörte sie zur. Gattung der navis oneraria, d. h. der Kauffahrer; zu welcher Species aber könnte man sie rechnen? Ich muss gestehen, dass ich nicht finden kann, dass sie irgend einem einzelnen antiken Modell vollkommen gleicht. Sie scheint mir eher ein mixtum compositum aus zwei verschiedenen Schiffsfon neu; mit der navis actuaria hat sie das gemein, dass sie zuweilen auch mit Rudern versehen ist, mit der navis aperta oder semiaperta dagegen theilt sie die Offenheit oder IlalbOffenheit des Decks. Ohne Zweifel hatten die Alten solche Schiffe wie die heutige Kandscha , wenn auch auf keinem Monument ihre, genaue Abbildung zu sehen ist. Obgleich die Araber die Erfinder des Compasses sein sollen, so bedienen sie sich doch jetzt nur euro- päischer und zwar gewöhnlich sehr alter und unbrauchbarer Instrumente. So war am Bord der „Mutter des Friedens" auch nur ein so schlechter Compass und Senkblei zu sehen, dass man sie auf keinem Trödelmarkt in Europa wohl mehr an den Mann hätte bringen können. Unsre Kandscha mochte etwa 70 Tonnen Tragkraft haben, sie war aber so mit Waaren uud Passagieren überladen, dass sie ganz tief im Meere ging und man, um das Eindringen der Wellen von oben zu verhindern , Strohmatten am Rande aufgerichtet hatte, was jedoch nicht viel half. Der Nachada el bahr hatte uns versprochen, nur 50 Passagiere mitzunehmen, statt dessen fanden sich aber nahezu 90 ein, von denen jeder sich selbst zu den ursprünglichen fünfzig rechnete und die andern als Eindringlinge betrachtete, da jedem dasselbe versprochen worden war, woraus ein allgemeines Schimpfen der Pilger gegen den Schiffshauptmann und über einander entstand. Endlich trat eine verhältnissmässige Ruhe ein. Die Frauen wurden in dem offnen Theile des Schiffes, so gut wie möglich, installirt und um ihren Platz ein zeltartiges Tuch gespannt, damit kein frommer Pilger in Versuchung kommen könne, sie anzusehen. Die meisten Mitreisenden wählten gleichfalls ihren Platz im offenen Raum, wo sie sich niedersetzen und bis zur Ankunft sitzen bleiben mussten, da das Schiff zu eng war, um freie Bewegung zu gestatten. Da ich die Cajüte, welche ich gemiethet hatte, allzu sehr durch Menschen und Thiere, namentlich durch letztere belebt fand, so begnügte ich mich damit, mein Gepäck dorthin'tragen zu lassen und wählte meinen Platz in der Nähe meiner ägyptischen Freunde auf dem kleinen Deck. Man pflegt zwar gewöhnlich die Fahrt von Kosseir nach der arabischen Küste nicht in nordöstlicher Richtung, wie wir diess thun sollten, sondern entweder grade aus, d. h. in östlicher, oder selbst in südöstlicher Richtung zu machen. Da jedoch unser Nachada in Mersa Eslam, welches einen Grad nördlicher als Kosseir liegt, eine Ladung Waaren zu lassen hatte, so waren wir genöthigt, diese grosse Abschweifung nach Norden zu machen, was mir übrigens den Vortheil verschaffte, ein grosses Stück der arabischen Küste mehr zu sehen, als ich sonst erblickt haben würde. Den übrigen Mitreisenden war die dadurch entstandene Verzögerung gleichgültig, da man von ihnen für die längere Fahrt keinen höheren Preis verlangte und die Zeit für gläubige Moslems keinen Werth hat. Das englische Sprichwort „Time is money" würden diese Leute gar nicht begreifen können. Zum Glück waren Wind und Wellen günstig und unsre Fahrt begann unter den glücklichsten Au-spicien. Die Schifffahrt der Araber auf dem rothen Meere ist übrigens noch in einem solchen Urzustand, dass man es gewöhnlich kaum wagt, sich von der Küste zu entfernen, sondern dieser immer entlang segelt, um bei jedem drohenden Sturme gleich in einen der zahlreichen Ankerplätze einzulaufen und um nicht allenfalls genöthigt zu sein, eine Nacht auf offenem Meere zuzubringen, was bei der Abwesenheit oderUnbrauchbarkeit der nautischen Instrumente jedenfalls gefährlich werden könnte. Diese Scheu vor nächtlichen Reisen, welche im Alterthum, ganz wie heute, existirte, hat ohne Zweifel zu dem damals herrschenden Glauben Anlass gegeben, dass das rothe Meer gar nicht bei Nacht befahren werden könne, was noch Procopius (de hello Persico XIX.) allen Ernstes behauptet. In unserm Falle musste freilich das entsetzliche unternommen werden, nämlich wir mussten nicht nur uns aufs offne Meer wagen, sondern uns auch gefasst halten, zwei, vielleicht drei Nächte auf demselben zuzubringen. Nun erscheint aber eine Nachtfahrt auf dem Meere diesen Arabern als ein unendliches Wagestück. Viele unsrer Reisegefährten zitterten aus Furcht vor den Gefahren dieser nächtlichen Fahrt. Da wir Kosseir um 4 Uhr Morgens verlassen hatten, und der Wind (Westwind) im ganzen günstig gewesen war, so befanden wir uns gegen Abend schon völlig auf offener See und hatten die Küste aus den Augen verloren. Nach dem Gebete des Maghreb ging unter den Pilgern und Matrosen eine allgemeine auffallende Veränderung vor sich. Jeder schickte sich dazu an, die erste Nacht auf dem offenen Meere mit Andacht und Feierlichkeit zuzubringen. Eine solche Nacht wird „ess Ssemara" genannt und man bereitet sich zu ihr durch Kaffeegenuss, Tabakrauchen und gesellige Gespräche vor. Ans Schlafen denkt gewöhnlich Niemand. Die Ssemara ist eine grosse Heldenthat und der Pilger, der über Sues nach Mekka wallfahrtet, wird desshalb von einigen Moslems lange nicht so sehr geschätzt, als der, welcher die Reise über Kosseir macht, da ja ersterer keine Ssemara zu überstehen hat. Schieb Mustapha fand es seinem religio- sen Charakter angemessen, uns vor der Ssemara mit Kaffee zu tractiren, wobei seine Neffen mit vieler Gewandheit dem Wirthe beistanden. Dann wurde geraucht, geplaudert, gebetet, Ablutionen gehalten, Geschichten erzählt, gegessen und wieder Kaffee getrunken und zuletzt schlief wohl hie und da einer ein, aber nicht für lange, da Niemand sich bei der Ssemara eine regelmässige Nachtruhe gönnt, sondern alles, gleichsam als erwarte man den Untergang der Welt, in höchster Spannung der Dinge harrt, die da kommen werden. In dieser Nacht ereignete sich jedoch weiter nichts besonderes, als dass wir eine Zeitlang ganz fehl steuerten und statt vorwärts zu kommen uns wieder der ägyptischen Küste näherten, so dass wir am andern Morgen von unserm Reiseziele entfernter waren, als am Abend vorher. Der gute Nachada hatte nämlich geschlafen, aber das Steuer doch in der Hand behalten und ihm in seinem Schlummer unwillkühr-lich eine ganz falsche Richtung gegeben, was ihm Ufingens im wachen Zustande auch hätte passiren können. Die Folge hiervon war, dass wir nun noch drei Tage und zwei Nächte auf offenem Meere zubringen mussten, während wir sonst vielleicht schon nach zwei Tagen und ebensoviel Nächten das arabische Gestade erreicht haben würden. Hätten wir nicht, statt des in dieser Jahreszeit sonst auf dem rothen Meere vorherrschenden Nordwindes, ausnahmsweise Westwind gehabt, der uns auf unsrer nordöstlichen Fahrt günstig sein sollte, so würden ^ir wahrscheinlich noch viel länger zur Ueberfahrt gebraucht haben. Wir mussten also noch zwei feierliche Nächte, noch zwei Ssemara, auf offenem Meere zubringen, welche unter Wachen, Kaffeetrinken, Essen, Gebeten und frommen Geschichtenerzählungen glücklich verliefen, während wir die Tage in den Armen des Schlummergottes hinbrachten. Endlich, am vierten Tage nach unsrer Abreise von Kosseir, erblickten wir die langersehnte arabische Küste. Alle Pilger brachen bei diesem Anblick in einen Freudenjubel aus, der nicht ohne Ursache war, wenn man die Gefahren einer Schifffahrt auf einem so schlechten Fahrzeug, mit so unwissender Befehligung und Bemannung bedachte. Aber nicht nur die überstan-dene Gefahr, auch die Küste selbst, der heilige Strand des gelobten Arabiens, erregte in der Brust dieser Fanatiker freudige Gefühle. Da diese Gefühle jedoch hauptsächlich religiös-mystischer Natur waren, so äusserten sie sich theils in Gebeten und vor allem in langweiligen Predigten. Auch Schich Mustapha hielt sich verpflichtet mir bei dieser Gelegenheit eine religiöse Bede zu halten, deren Inhalt ungefähr folgender war: ,,0 Maghrebi, du siehst das Land vor dir, von dem aller Segen ausgegangen ist, wo der Prophet Gottes, Allah segne ihn, gewirkt und gewandelt hat, wo Sidna Adam und Sittna Hauwa (Eva) sich auf dem Berge der Erkenntniss (Arafa) wiedergefunden haben, nachdem die gottverfluchte Iblis sie aus dem Paradiese vertrieben hat, wo Sidna Brahim (Abraham) und Sidna Smail (Ismael) dem Herrn den Tempel der Kaaba erbauten, dieses glückselige Land siehst du vor dir. Danke Gott dafür und lobe ihn, bete, gieb Almosen und faste, o Maghrebi!" Obgleich ich grade nicht geneigt war zu fasten, so war ich doch genöthigt, diese fromme Rede mit gehöriger Andacht anzuhören. Glücklicherweise wurde der Schich verhindert, mit seiner Predigt fortzufahren und zwar durch einen für mich sehr interessanten Umstand, der meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Da seit ungefähr einer halben Stunde Windstille eingetreten war und wir nicht voranrückten, so hatte einer der Matrosen einen Versuch zu fischen gemacht, der vollkommen gelungen war. Er hatte nämlich einige sieben Exemplare des hier so häufigen, mir jedoch noch neuen, gehörnten Fisches, Chaetodon unicornis, welchen die Araber Abu Krön d. h. den Vater des Horns nennen, eingefangen. Dieser Fisch ist von seltsamer Gestalt, seine Flossen sind mähnenartig, sein Schweif entfaltet, mit zwei Ausläufern; das Horn steht grade zwischen den Augen und ist mit seiner Spitze nach unten gekehrt, also mehr ein Haken, als ein Horn. Sein Fleisch ist zähe und schlecht', trotzdem essen es die Araber, wenn auch nicht oft. Der Matrose, welcher diese Chaetodonen in einem Netze (dieser Fisch beisst nicht bei der Angel an) gefangen hatte, erzählte mir eine unglaubliche Geschichte von ihnen, die ich hier nur desshalb wiederhole, weil sie bei berühmten Naturforschern (z. B. Forskäl) Glauben gefunden hat, also wenigstens eine schon frühe verbreitete Fabel ist. Die Hornfische sollen nämlich einen sich aufs Meer niederlassenden Raubvogel, z. B. einen Seeadler, dadurch zu tödten im Stande sein, dass sie ihre Hörner in seine Klauen einstossen und da oft hundert solcher Fische diess zu gleicher Zeit thun, und dann in verschiedenen Riehtungen davon schwimmen, so soll der Raubvogel so in Stücke gerissen, gewissermassen geviertheilt werden. So lächerlich diese Geschichte auch scheint, so wird sie doch von allen Arabern geglaubt, ja, wie gesagt, ein bekannter dänischer Gelehrter, der Arabien im vorigen Jahrhundert mit Niebuhr bereiste, verschmähte nicht ebenfalls daran zu glauben. Dieser Fisch ist sehr gesellig und man findet ihn immer in Schaaren, oft von zwei- bis vierhundert. Nachmittags am 24. Mai 1860 kamen wir in der Nähe der Insel Noaman, auch Neiman, Noman, Naiuan oder Nöman genannt, an: ein längliches Felseneiland, aus wagrecht gelagerten Ivorallenschichten bestehend, zum Theil mit niedrigen grünen Büschen bedeckt, welches einen ziemlich freundlichen Anblick bot und theilweise bewohnt schien. Auf dieser Insel soll die Kubba eines berühmten Heiligen sein, dem zu Ehren unsre Matrosen, die sehr fanatisch und besondere Heiligenverehrer waren, eine kleine Festlichheit veranstalteten.welchehauptsächlichdarin bestand, dass sie sich in einem Kreise herum setzten, religiöse Gesänge mit näselnder Stimme vortrugen und dabei Kaffee herumreichten, welcher letztere überhaupt oft zu Ehren der Heiligen getrunken wird. Dasselbe sollten sie. von nun an fast täglich thun, da wir noch an vielen Heiligengräbern vorbeikamen, die alle von unsrer abergläubischen Schiffsmannschaft auf gleiche Weise verehrt und gefeiert wurden. Ich glaube, dass Mannert *) Recht hat, wenn er diese Insel für das Ancu des Ptolemäos hält, dem •) Monnert Geographie der Griechen und Römer VI, 1- mitische Herrscher von Mekka hatte, als er die Stadt verlassen musste, den schwarzen Stein und die beiden goldenen Gazellen in den Brunnen Semsein geworfen. Der Brunnen selbst war verschüttet worden und erst Mohameds Grossvater entdeckte ihn wieder, indem er ein Gelübde that seinen eignen Sohn zu opfern, wenn Gott ihm den Semsem offenbaren würde. Die Kaaba selbst brannte zur Jugendzeit des Propheten gänzlich ab und mit ihr eine Menge Götzenbilder, von denen die meisten von Holz waren. Die Koreischen erbauten die Kaaba wieder und zwar von Holz, in kleineren Verhältnissen, als die Kaaba der Dschorhamiten, welche letztere bedeutende Dimensionen besass, die wir jedoch nicht genau kennen. Sechs Säulen trugen das Dach des neuen Tempels, auf dessen höchster Spitze Hobal, der Sonnengott, aufgestellt wurde. Bei dieser Gelegenheit wurden höchst wahrscheinlich eine Menge neuer Götzen, worunter namentlich viele Engelsnguren, in die Kaaba aufgenommen. Auch ist anzunehmen, dass damals der Abrahamcultus eine erhöhte Bedeutung erhielt, da ja die Koreischiten in dem Patriarchen ihren vermeintlichen Stammvater verehrten. Diese Leichtigkeit, mit welcher sich die Heiden jeden neuen fremden Göttercultus assiniilirten, mag Mohamed die erste Idee gegeben haben. eine eigene Religion zu stiften, weiche freilich, weil sie in ihrer Eigenschaft als monotheistische Lehre exclusiv war, auf grosse Schwierigkeiten in ihrer Verbreitung stossen musste. Die Geschichte vom Prophetenthunie Mohameds ist natürlich den meisten meiner Leser bekannt. Da "wir es hier nur mit der Geschichte der Kaaba zu II. 6 thun haben, so will ich aus derjenigen des Stifters des Islam blos das erwähnen, was das heilige Haus im besonderen betrifft. Als acht Jahre nach seiner Flucht von Mekka, nach Medina der Prophet die heilige Stadt eroberte und siegreich in die Kaaba eindrang. fand er in derselben eine Menge Kngelsliguren und Bilder von Menschen und Thieren, unter andern auch die,,Mama in el ailan ", das heisst die heilige Taube, eine Figur von Holz, welche für die Abbildung derjenigen Taube galt, die Noah aus der Arche losgelassen hatte (wieder eine heidnische Anwendung einer biblischen Erzählung). Nachdem er dieselbe mit eigener Hand zertrümmert und seine Jünger mit den andern Götzenbildern dasselbe gethan hatten, befahl er seinem bevorzugten Lehrling und späteren Schwiegersohne Ali, auf das Dach der Kaaba hinauf zu steigen, und den dort aufgestellten Götzen herunterzuwerfen. Der Prophet bot Ali seine eigne Schulter als Stütze dar, damit derselbe anf das Dach hinaufklimmen möge, woraus man schliessen kann, dass die damalige Kaaba viel niedriger als die jetzige gewesen sein muss. El Dschenabi nennt den von Ali hinabgeschleiiderten Götzen Chosaja, welches vielleicht ein andrer Name für Hobal, vielleicht eine zweite hier aufgestellte Statue war. Drei der in der Kaaba verehrten Götzen erklärte Mohamed, Welcher, wo es nur immer thunlich war, die heidnischen Traditionen der Araber beibehielt und ihnen durch seine monotheistische Lehre neue Weihe, zu verleihen suchte, für Diener und Engel des einigen Gottes. Diese drei Götzen waren Allata, Allozza und Manata, olfenbar Ileidengöttcr, welche der Koran in der dreiundfünfzigsten Sure Al-Lat, Al-Ozza und Menat nennt und die von nun an in der Religion des Islam als Engel figurirten. (Pococke specimina historiae Arabum.) Mohamed macht in der dreiundfünfzigsten Sure Anspielungen darauf, dass die Araber ausser ihrer Götzenverehrung auch einen Cultus des einigen Gottes besassen. Die muselmannischen Theologen nehmen natürlich an, dass der Monotheismus früher unter den Arabern herrschend war, aber zu verschiedenen Zeiten vor und nach Abraham durch den Götzendienst verdrängt wurde. Diese Annahme des Monotheismus, als ältester Religion der Araber, beruht auf der Ansicht von dein fortgesetzten Prophetenthum e in der Race Seths und später Abrahams, von welchem alle Propheten die nach ihm kamen, abstammen und zwar durch seinen Sohn Isaak, während nur der letzte und vorgeblich grösste derselben, Mohamed , von Ismael seinen Stammbaum herleitet. Der Stifter des Islam, als einer monotheistischen Religion, musste natürlich suchen, für seine Lehre von der Gotteinheit in der Geschichte derjenigen Völker, welche er zu ihr bekehren wollte, einen Anhaltspunkt zu finden. Nun scheint ein solcher Anhaltspunkt wirklich existirt zu haben, das heisst, die Araber vor Mohamed hatten eine Kenntniss, wenn auch eine dunkle und verworrene Kenntniss von der Existenz eines höchsten Wesens, welches vor allen Göttern den Vorzug verdiene. Diese Anlage zum Monotheismus, welche durch die Geschichte der Religion der heidnischen Araber gegeben war, suchte Mohamed auszubeuten, indem er fingirte, dass der Monotheis- mus früher die wahre Religion der Araber gewesen und nur mit der Zeit durch den Götzendienst verdrängt worden sei; so schmeichelte er dem Nationalstolz der Araber, indem er sie glauben machte, dass sie, durch ihre Annahme des Islam, zu ihrer alten Religion zurückkehrten, zu einer Religion, welche vorzüglich arabisch sei. Daher kommt der heute noch von vielen Moslems getheilte Wahn von dem hohen Alterthum ihres Monotheismus: ein Wahn, denn, wenn auch bei einzelnen alten Völkern monotheistische Ideen, als ihrer Religion zu Grunde liegend, gefunden werden, so erscheinen sie doch gewöhnlich unter einer Last götzendienerischen Unsinns versteckt. Aus der genauen Forschung der Religionsgeschichte aller Völker, selbst die monotheistischen Juden nicht ausgenommn, erhellt nur zu deutlich, dass Götzendienst der Anfang aller alten Religionen war. Die monotheistischen Ideen, welche man ein--zelnen Lehren als zu Grunde liegend annimmt, beruhen nur auf den Traditionen aus dem Kindheitsalter dieser Lehren, auf der Erinnerung an die Entstehung und das allmählige Anwachsen des Polytheismus : denn begreiflicherweise konnte die Verehrung von so vielen Göttern nicht zu gleicher Zeit ihren Anfang nehmen, einer musste nach dem andern kommen und derjenige, welcher nun zufällig der erste war, wie es nun gerade der Phantasie der Völker anzunehmen beliebte, sei es der Sonnengott der Phöni-cier, sei es Pluto, Jupiter, Saturn, sei es der Ammon-Ra der Aegypter, sei es der Hobal der Araber, dieser Gott wurde als der erste, gewissermassen als das höchste Wesen angesehen, und alle anderen Götter, deren Verehrung- später eingeführt wurde, galten neben ihm nur für seine Satelliten. So und nicht anders war auch der wirkliche Ursprung der vermeintlichen monotheistischen Idee bei den Arabern, Mährend der fingirte Ursprung des Monotheismus von den Theologen in einer von Adam bis zu Mohamed fortgesetzten Reihe von Offenharungen gesucht wird. Wahrscheinlich war der vorzugsweise verehrte Gott der Araber, ihr „höchstes Wesen" nichts anderes, all der schon oft genannte Hobal. Sonderbar ist, dass der Cultus dieses Gottes, den man „den Gott" oder „Gott" im ausschliesslichen Sinne des Wortes nennen könnte, sehr vernachlässigt wurde. Das höchste Wesen wurde gewissermassen als ein Schat-tengott, wie die Götter Epicurs, als ein Gott, der weder helfen noch schaden kann, angesehen, ähnlich wie die Indianer Nordamerikas ihren „grossen Geist" betrachten, zu dem sie es für unnütz halten zu beten, während sie an die Untergötter und Dämonen ihre Ritten richten. Ein auffallendes Reispiel von der Vernachlässigung des Hauptgottes und der Ueberschätzung der Nebengötter bei den alten Arabern sieht man in der bei ihnen üblichen religiösen Widmung der Felder. Die Araber pflegten , nach Mirchond und Chondemir (bei Pococke a. a. O.) ihre Felder in zwei Theile zu theilen. Der eine Theil wurde Gott (Hobal'.'), der andere den Untergöttern gewidmet. Wenn nun eine Frucht oder irgend etwas aus dem Theil der Götzen in den Theil Gottes fiel, so wurde es mit der grossten Gewissenhaftigkeit zurückerstattet, damit ja die Götzen keinen Schaden ' h'iden sollten. Fand jedoch das Gegentheil statt, fiel etwas aus dem Theil Gottes in den Theil der Götzen, so wurde es nicht zurückgebracht, die Götzen blieben in dessen ungeschmälertem Besitze. Ein ähnliches Princip waltete bei Eintheilung der Bewässerung des Landes ob. Das Land der Götzen wurde sorgfältig bewässert und mit kleinen Kanälen versehen, welche ihm stets die fruchtbringende Feuchtigkeit zuführten. Das Land Gottes dagegen wurde trocken gelassen, seinem Schutzherrn allein blieb es überlassen, dasselbe durch Hegen zu bewässern, wenn es diesem Schatten-gotte überhaupt möglich war oder belieben mochte. Da aber in Arabien im ganzen nicht genug Regen fällt, um ein Feld fruchtbar zu machen, so trug das Land Gottes meist schlechte Aernten und diess verminderte noch mehr den Respect, den man vor dem vermeintlichen höchsten Wesen hegte. In der dreiundfünfzigsten Sure sagt auch Mohamed, dass die Araber Gott nur die weiblichen Thierc (vielleicht auch die neugeborenen Mädchen) zu weihen pflegten und, da sie alles weibliche auf's tiefste verachteten, ja die Geburt einer Tochter geradezu für ein Unglück hielten, so zeigt auch diess von der Vernachlässigung des Cultus des höchsten Wesens. Man muss dem Stifter des Islam grossen Scharfsinn und viel Muth zuerkennen, ersteren. dass er überhaupt die „monotheistische Idee" unter dem Gewand der Verehrung eines solchen Schattengottes wiedererkannte, letzteren, dass er es wagte, sie von den Schlacken zu säubern, welche jahrtausendlanger Götzendienst darauf gehäuft hatte. Sehr klug war es übrigens von ihm, die monotheistische Idee für etwas bei seinem Volke im Princip vorhandenes anerkennen zu wollen oder anzuerken- neu vorzugeben, da doch ein blos ruhmsüchtiger Mensch etwas darin gesucht haben würde, seine eigene Idee für eine völlig neue Idee auszugeben. Auch in einer andern Sache verdient die Klugheit Mohameds volle Anerkennung, darin nämlich, dass er aus dem Heidenthume der Araber so viel, als nur irgend möglich war, beibehielt; wenn wir auch seine Unehrlichkeit und den Treubruch, den er dadurch an seinem monotheistischen Principe beging, im höchsten Grade verdammen müssen. Manchen seiner ersten Jünger wie z. B. Ali und Omar, der vor dem schwarzen Steine einen so geringen Respect hegte, gab diese Weltdienerei des Propheten Aerger-niss. Aber bei der rohen Menge verschaffte sie ihm zahlreichen Anhang. Man könnte eine lange Liste aller heidnischen Heiligthümer entwerfen, welchen der Stifter des Islam durch seine Lehre eine neue Weihe zu geben suchte. Die vorzüglichen derselben sind: 1) Der alte Götzentempel, die Kaaba,. Mohamed gab sie für einen von Abraham dem einigen Gotte geweihten Tempel aus und hob dadurch das Hinder-niss auf, auf welches die Verehrung eines heidnischen Tempels bei guten Monotheisten natürlich stossen musste. 2) Der schwarze Stein. Das alte Symbol der Khabar, auch Kubar genannt, wurde für ein aus dem Paradiese stammendes Heiligthum ausgegeben. 3) Der Brunnen Seinsem. 4) Die beiden Säulen Ssafa und Merua. 5) Das Thai Menaa, 6) Der Berg Arafa. (Von dem dritten und vierten dieser Heiligthümer wird im nächsten Capitel, von dem fünften und sechsten bei der Wallfahrt nach dem heiligen Berge die Rede sein.) Die Geschichte der Kaaba, als eines Götzentempels, endet im achten Jahre der Hedschra, im Jahre 630 unsrer Zeitrechnung. Von nun an wurde das heilige Haus als der Kernpunkt des Islam auf Erden angesehen, ähnlich wie die Juden den Tempel von Jerusalem verehrt hatten. Die Kaaba wurde die Kehla, das heisst der Centraipunkt der Gebetesrichtung (das Adoratorium observationis, des TTQOrtxvvijfict naQaitjQijiJaioc). Als solche wurde sie auch zuweilen (z. B. von Euthymius Zygabenus) mit dem mystischen Titel „Bekka Ismakesch" genannt, den die Byzantiner wahrscheinlich nach einem arabischen Worte verstümmelt hatten. Euthymius, der alles im Islam (selbst das Gebet Allahu Akbar) auf eine heidnische Basis zurückführen will, sieht in den Worten Bekka Ismakesch die Namen zweier Götter, des Bacchus und eines andern, der Makesch geheissen haben soll. Pococke hat jedoch diese Worte ihres ganzen mystischen Pomps entkleidet, indem er sie einfach auf den Ausdruck ,,Bekka Asma Mekka" das heisst „Bekka ist der Name von Mekka" zurückführte. Ebenso hohl ist die Auslegung, welche Euthymius, und ihm nach-buchstabirencl, Assemanus, wie schon vielfach erwähnt wurde, von dem Tekbir: „Allahu Akbar". das heisst „Gott ist der Grösste" gaben, welches sie für die alte heidnische Formel: „Allah Wa oder U Rabat", d. h. Gott und die Kabar, oder „Allah Allah wa, Kabar Allah" d. h. „der Gott Allah und die Göttin Kabar" zurückführen möchten. Nein! Mohamed behielt wohl in localen Dingen manches heidnische bei, aber die Gebete des Islam sind durchaus monotheistisch. Da jeder Centraipunkt als ein Minimum angenommen werden muss, so könnte man, um mathematisch conscquent zu sein, unmöglich in der ganzen Kaaba, das heisst in dem ganzen viereckigen Gebäude, das Centrum der Gebetesrichtung erkennen. Dasselbe müsste natürlich an irgend einer bestimmten Stelle der Kaaba zu suchen sein. Wenn die Kaaba die Kebla (die Gebetesrichtung) ist; so bliebe also noch die Frage, wo ist die Kebla der Kebla, das heisst, wohin muss man sich wenden, wenn man in der Kaaba selbst betet? Nach ihrem Mittelpunkt, würde ein Europäer denken. Darüber sind die Moslems jedoch nicht einig; ja, da viele von ihnen nie die Kaaba selbst betreten, so fühlen sie auch nicht das Bedürfniss , über diesen Punkt aufgeklärt zu werden. Auch muss man von Moslems nie eine mathematische Consequcnz verlangen. Der mittelste Punkt des heiligen Gebäudes gilt nämlich sonderbarer Weise gar nicht für heiliger, als seine Wände. Einige Araber versicherten mir, dass sie in der Kaaba sich nie im Gebete niedergeworfen hätten, da sie nicht wüssten, wohin sie sich wenden sollten. Diess mag auch von dem Gedränge herrühren, welches an den drei Eröffnungstagen des heiligen Hauses gewöhnlich in demselben herrscht. Nur die allerwenigsten Pilger kommen dazu die acht Rikats zu beten, welche mit sechzehn Prosternationen (zwei für jeden Rikat) für das Innere des Tempels vorgeschrieben sind. Sind die Pilger aber draussen, so können sie natürlich die wahre Richtung, in der sie sich betend — m — hinstrecken müssen, niclit verfehlen. Diess mag auch ein Hauptgrund sein, warum das Innere der Kaaba so wenig besucht und so selten geöffnet wird, da sein häufiges Detreten bei vielen religiöse Scrupel und scholastische Streitigkeiten zur Folge haben möchte. Mohamed Hess die Kaaba als Gebäude in dem Zustande in welchem er sie getroffen hatte. Auch unter seinen nächsten Nachfolgern erfuhr das heilige Haus selbst keine wesentlichen Veränderungen. Diese begnügten sich, ihre Umgebungen zu verschönern. Omar ben Katab baute zuerst eine Moschee herum und Otsman ben Alfan, der dritte Chalif, vergrösserte dieselbe. Der letzten heidnischen Kaaba war jedoch keine lange Dauer bestimmt. Im Jahre 685 unsrer Zeitrechnung brannte sie gänzlich ab und zwar, nach der Behauptung tauiger, in Folge eines feurigen Pro-jectils, welches der damals Mekka, belagernde Herrscher von Darnascus, Jesid, darauf schleudern liess. Abd-Allah ben Sobir, dem es gelungen war, den Stammherrn der Chalifen von Darnascus, Jesid, aus Mekka zu vertreiben, erbaute die Kaaba wieder, erlaubte sich jedoch bei dieser Gelegenheit so viele Neuerungen, dass er die frommen Moslems scanda-lisirte. Kr schloss den Hatim , den Baum, welcher um Ismaels Grab hegt, mit in das heilige Haus ein. Auch liess er in dasselbe einen Brunnen, den Bir Uasef, aufnehmen. Statt der früheren sechs Säulen wurden jetzt nur drei, und statt des einlachen Daches ein doppeltes errichtet. Die grösste Neuerung war jedoch die, dass er mehrere Thören und zwar eine oder zwei zu ebener Erde anbringen liess, statt der früheren einzigen, schwerzugänglichen, hochgelegenen Thüre. Aber auf allgemeine Bitten aller frommen Moslems wurde zwanzig Jahre später, da inzwischen der Neuerer, Abd-Allah ben Sobir, gestorben war. die Kaaba wieder auf ihre alten Verhältnisse zurückgeführt, oder wenigstens diesen nähergebracht. Ben Jusuf el Tafak, der Emir el Hadschadsch, der damals Mekka für die Chäufen von Darnascus verwaltete, verringerte ihre Dimensionen, indem er den Hatim wieder ausschloss und nur jene äussere Mauer davon stehen liess, welche jetzt um das Grab Ismaels einen Halbkreis beschreibt. Auch vermauerte er alle Eingänge, welche Abd-Allah ben Sobir eröffnet hatte und liess nur die heutige Thür bestehen, welche sieben Fuss über dem Boden liegt. In dieser Form blieb im wesentlichen die Kaaba bis auf den heutigen Tag. Obgleich sie oft durch Krieg, Feuersbrunst und Wassersnoth litt, so wurde sie doch stets wieder in ihrer alten Gestalt restaurirt oder neu aufgeführt, Die Geschichte berichtet uns nur von einer einzigen gänzlichen Zerstörung des heiligen Hauses. Diese fand im .fahre 1C>2(' unsrer Zeitrechnung statt, als eine grosse Ueberschwem-inung Mekka, heimsuchte. Ein durch Wolkenbrüche angeschwollener Giessbach, der vom Dschebel Nur, dem .,Berg der Blumen", herniederstürzte. erfüllte im Nu den ganzen Moscheehof, ertränkte fünfhundert Hlger, welche gerade darin ihre Andacht verrichteten und strömte mit solcher Gewalt weiter, dass er drei Seiten der Mauern der Kaaba mit sich fortriss. Hierdurch war auch die vierte Wand so beschädigt worden, dass man nöthig fand, auch sie niederzu-reisscn, ehe man zur Aufbauung der neuen Kaaba schritt, welche übrigens ganz in den Verhältnissen blieb, welche die von Ben Jusuf restaurirte gehabt hatte. Seitdem ist die Kaaba unverändert geblieben.. Ihrem alten Namen Bit Allah d. h. Haus Gottes fügte man im ersten Jahrhundert nach Mohamed noch denjenigen bei, welchen sie jetzt führt, den Namen „Kaaba", das heisst „der Würfel", eine Benennung, welche zur Zeit Abd-Allah ben Sobirs passend erschien, denn durch ihn hatte sie wirklich die Form eines Würfels erhalten, da ihre Länge und Breite damals ihrer Höhe so ziemlich gleichkam. Seitdem hat sie diesen Namen behalten , obgleich er streng genommen nur während zwanzig Jahren eine Berechtigung gehabt hatte, denn ben Jusuf baute sie so um, dass nun ihre Höhe beinahe das Doppelte ihrer Länge beträgt. Schon im Alterthum liebte man es nicht, das Bit Allah unverhüllt zu lassen. Zur IIeidenze.it wurde ihm zweimal jährlich eine neue Umhüllung von buntem Stoffe gegeben, jedoch liess man damals die alte stets darunter liegen, so dass mit der Zeit die Bedeckungen bis zu einer beträchtlichen Dicke anwuchsen. Selbst noch in den ersten Jahrhunderten des Islam wurde diese Sitte beibehalten. Im Jahre 782 unsrer Zeitrechnung liess jedoch der Chalif el Mehedi von Bagdad, aus Furcht die vielen Decken könnten das Dach der Kaaba allmählig zum Einsturz bringen, alle alten Umhüllungen wegnehmen und seitdem trägt die Kaaba immer nur ein einziges Kesua (Sehleier), welches jedoch in seiner Forin seit Mohamed nie gewechselt hat. Was seine Farbe betrifft, so war dieselbe nicht immer schwarz. Die Heiden hatten hierzu die verschiedensten buntesten Farben gewählt. Damals besass die Kaaba ein Frühlingskleid und ein Wintergewand, beide von den buntesten Stollen. Die ersten Chalifen, die vier grossen Imama, Abu-Bekr, Omar, Otsman und der unglückliche Ali, der nur ein Jahr herrschte, liessen das Bit Allah mit einem weis sen Tuche bedecken. Die Chalifen vom Geschlecht der Oimniaden, welche in Darnascus resi-dirten, pflegten alljährlich ein scharlachrothes Kesua zu senden, denn das Schenken des Kesua war von jeher das Privilegium der Oberherren von Mekka. Als im Anfang des achten Jahrhunderts die Abassiden Chalifen wurden, wählten sie für das Kesua die Farbe ihres Banners, welche schwarz war und welche auch alle nachfolgenden Oberherren von Mekka, die ägyptischen Sultane und seit dem sechzehnten Jahrhundert die türkischen Grossherren beibehalten haben. Dreizehntes Capitel. Mekka. Weitere Heiligthümer d e r M o sehe e. Aufzählung der vorzüglichsten Heiligthümer im Moschee-hofc. — Die anderen Weniger heiligen religiösen Gebäude daselbst. — Die Gebctsorte der vier orthodoxen Secten. — Die Bibliothek. — Station am Semscmbrunncn. — Sturzbad von Semsemwassrr. — Wunderbare Entdeckung des Sein-sembrunneu. — Mutter Hagar stiftet den religiösen Brauch des Sai. — Die vier Wunder des Semsembrunnen. — Mine barbarische Wasserkur. — Komischer Anblick der begossenen Pilger. — Die Kanzel Mohameds. — Letztes Gebet. — Endliche Erlösung von den Qualen der ersten lalgercere-monie. — Die Strasse Kl Emsa. Ausser der Kaaba enthält der Hof der grossen Moschee noch folgende Heiligthümer, denen die Pilger ihre pflichtschuldige Verehrung beweisen müssen. 1) Der Makam Sidna, Brahim, die schon öfters erwähnten Fusstapfen des Abraham. Nach Eche-liensis (in Saracenis a Sylburgo editis) war der hier befindliche Stein , in welchem man den ausserordentlich tiefen und grossen Fussabdruck des Abraham sehen soll, derjenige Stein, „in quo Abrahamus cum Agare coivit". Nach andern war es der schwarze Stein der Kaaba, auf dem Ismael gezeugt wurde. Sonst ist alles, was von den Fusstapfen Abrahams erwähnt werden kann, schon gesagt worden. 2) Der Membar, die sogenannte Kanzel Mohameds , auf welcher der Prophet gepredigt haben soll. S) Die Pforte der Begrüssung, ein freistehender Bogen, unter welchem der Pilger hindurchgehen muss, wenn er das erstemal die Kaaba besucht. 4) El Derudsch, die leiterartige bewegliche Treppe, welche dazu dient in die Kaaba einzudringen und die gewöhnlich neben der Pforte der Begrüssung, einige zwanzig Schritte von der Kaaba, aufgestellt ist. Bei den seltenen Gelegenheiten, wann die Kaaba eröffnet wird, holt man die Derudsch herbei und lehnt sie an die nördliche Wand des Bit-Allah unter dem Bab el Ilaram, der Thüre des Heiligthums , an. 5) Der Brunnen Semsem. Ausser diesen Heiligthum ern im engern Sinne des Wortes (des schwarzen Steins, des Madschen, des Grabes Ismaels, des Roken el Jamani, der Dachrinne erwähne ich nicht mehr, da sie bei der Kaaba, zu welcher sie unmittelbar gehören, hinlänglich besprochen wurden) giebt es noch eine Anzahl religiöser Gebäude im Moscheehofe, zu denen man nicht zu wallfahrten braucht, da sie keine besonderen Heiligthümer oder Reliquien enthalten. Diese sind folgende: 1) Der Makam Hanbeli, dicht neben dem Sem-sembruimen, dein schwarzen Steine gerade gegenüber gelegen. Er ist ein schönes, offenes Pavillon von vier schlanken, gewundenen Säulen getragen, mit einem spitz zulaufenden, pagodenartigen Dache, ähnlich wie man es an den Capellen der Marabuts in der algierischen Sahara oft sieht. Die Hanbelia bilden eine der vier orthodoxen Secten, von denen jede in Mekka ihren Mufti, Imam und ihre Ulema hat. Der Makam Hanbeli ist dazu bestimmt, dass zur Gebetsstunde sich der Vorbeter der Hanbelia (einer der zwei genannten Würdenträger oder in ihrer Abwesenheit irgend ein beliebiger Anhänger der Secte) darin aufhalte und von dort aus die Gebete seiner Secten-genossen leite. Bei feierlichen Gelegenheiten thut diess wohl der Mufti selbst, sonst der Imam oder der Kiahia des Imam (sein Stellvertreter), aber strenggenommen kann jeder Moslem einen Vorbeter machen, wenn er nur das erste Capitel des Koran auswendig weiss. Da jedoch die Seetirer der Hanbelia sehr in der Minderheit sind, und da die vier orthodoxen Secten gegeneinander keinen Fanatismus hegen, sondern die Mitglieder aller vier für gleichorthodox gelten, so finden sich im Makam Hanbeli auch viele Hanefia ein. Ja zu gewissen Zeiten bildet dieser Makam den Gebetesort der vornehmsten türkischen Autoritäten. 2) Der Makam Maleki, auf der südlichen Seite der Kaaba gelegen. Er gleicht in seiner Bauart dem ebenbesehriebenen Makam Hanbeli durchaus. Die Malekia sind diejenige orthodoxe Secte des Islam, zu welcher fast der ganze Maghreb (Nordwesten von Afrika) von Tunis bis Marokko und folglich auch alle Algierer mit wenigen Ausnahmen gehören. Da ich mit dem Passe und unter dem Namen eines Algierers reiste, so hätte ich streng genommen auch zu dieser Secte gerechnet werden müssen. Ich hütete mich jedoch sehr davor, mich zu den Malekia zu zählen. Denn hätte icli diess gethan, so hätte ich meine Gebete später, so oft ich zu einer Gebetsstunde die Moschee von Mekka besuchte, an dem Makam Maleki und unter Anleitung des dortigen Vorbeters verrichten müssen. Wenigstens wäre es aufgefallen, wenn ich es nicht gethan hätte. Bei dieser Gelegenheit hätte ich aber nicht vermeiden können, mit vielen Algierern, meinen vermeintlichen Landsleuten, zusammenzukommen , welche ohne Zweifel bald entdeckt haben würden, was für eine unheilige Persönlichkeit sich unter der Verkleidung des vermeintlichen frommen Pilgers Abd-er-Rahrnan ben Mohamed es Skikdi verbarg. Bisher hatte ich zwar im ganzen den Ritus der Malekia befolgt, hauptsächlich dcss-halb, weil dessen Gebete viel weniger lang und ermüdend sind, als die der andern Secten. Die Malekia haben gewöhnlich nur die Hälfte von den Rikats zu beten, welche diellanefia verrichten. Ich kam jedoch hier in ein ziemlich unangenehmes Dilemma, Wollte ich fortfahren, zur Secte der Malekia zu gehören, so brachte mich diess in die gefährliche Berührung mit Algierern. Wollte ich meine Secte ändern, so musste diess meinen früheren Reisegefährten auffallen. Doch kam ich mit letzteren jetzt nur so wenig mehr in Berührung, dass diese Gefahr für mich die geringste war. Ich gab desshalb vor und sagte es meinem Metuaf Ssadak ben Hanifa, sowie allen, die es hören wollten, dass ich zwar in Algerien geboren sei, aber doch nicht zum Ritus der Malekia, sondern zu dem der Haneüa gehöre. Diess war nicht aurfallend, da II. 7 es in Algerien viele Nachkommen der dort ernst-herrschenden Türken giebt, welche alle zum hanefi-tischen Ritus gehören. Der Makam Maleki, ebenso wie der vorher erwähnte Makam Hanbeli wurden in ihrer jetzigen Gestalt im Jahre 1597 durch Sultan Bajesid den zweiten erbaut. 3) Der Makam Hanefi, auf der westlichen Seite der Kaaba, in derselben Richtung wie das Grab Ismaels und der schon beschriebene Hatim gelegen. Er ist der grösste Makam, nämlich ein dreissig Fuss langes und fünfzehn Fuss breites, viereckiges Gebäude, auf allen Seiten offen ebenso, wie die anderen Makam. Er hat zwei Stockwerke, von denen das erstere zwölf, das andere sechs Säulen zählt. Im untern Stockwerke halt sich zur Gebetszeit der Mufti der Hanefia und seine Nebenbeamten , im obern der Mueddin , der von hier aus die Einladung zum Gebet ergehen lässt, auf. Der ursprüngliche Makam Hanefi wurde im Jahre 1545 unsrer Zeitrechnung durch den türkischen Sultan Seiini den ersten erbaut und im Jahre 1589 vom türkischen Koscht-el-Chil (Stallmeister) Mustapha Fascha, welcher damals Statthalter von Dschedda war, auf Befehl des Grossherrn restaurirt. Die Hanefia bilden die angesehensteund vornehmste Secte, da zu ihr fast alle Türken und der Grosssultan selbst gehören, auch ist diese Secte bei weitem die zahlreichste. Hanefia und Malekia sind überhaupt zwei weit verbreitetere Secten als Schafei und Hanbelia. Was den Gebetsort der vierten Secte, der Schafei, betrifft, so haben dieselben keinen eigenen Makam. Ihre Vorbeter pilegen sich in dem von sechs Säulen getragenen Pavillon, welcher über dem Fusstapfen des Abraham liegt, aufzuhalten. Dieser Pavillon ist nämlich nur auf einer Seite mit einem Gitter umgeben und folglich hier unzugänglich. Auf der andern Seite, derjenigen, welche der Kaaba abgewendet ist, ist er völlig offen. Ausser diesem Absteigequartier im Makam Sidna Brahim (Fusstapfen des Abraham) haben die Schafei noch ein anderes, wo sich ihr Mufti und Imam , wenn sie etwas zu verhandeln oder zu entscheiden haben, aufhalten, da der ihrer Secte im Pavillon Abrahams angewiesene Raum zu klein ist, um allein allen Anforderungen eines Makam zu genügen. Dieser zweite Raum ist im oberen Stockwerke des Semsemgebäudes, von dem gleich ausführlich die Rede sein soll. Die Schafei haben somit zwei Orte, an welchen die religiösen und gesetzlichen Handlungen ihrer Sectengenossen vorgenommen werden, aber sie haben kein einziges ihnen ausschliesslich angewiesenes Gebäude. Dess-halb haben die Araber gesagt: „die Schafei haben zwei Makams und doch keinen". Die Genossen dieser Secte sind nicht sehr zahlreich. aber viele Mitglieder der besten Familien in Arabien, Palästina und Syrien gehören zu dem Ritus der Schafei. 4) und 5) Die Zahl der religiösen Gebäude im Moscheehofe von Mekka wird beschlossen durch die beiden Kubbatin. Diese Kubbatin sind schwerfällige, viereckige Gebäude, von Kuppeln gekrönt. Sie sind von Mauern umgeben und bilden, in ihrer plumpen Massenhaftigkcit, einen aulfallenden Contrast gegen die schlanken Pavillons, welche alle offen sind und eigentlich nur aus Säulen und einem Dache bestehen. Die Kubbatin wurden in ihrer jetzigen Gestalt im Jahre 1540 auf Befehl des Sultan Mohamed des zweiten, des Eroberers von Constantinopel, erbaut. Diese beiden schwerfälligen Gebäude liegen hinter dem Semsembrunnen, im Nordosten 'des Moscheehofes, auf höherem Grunde als der Raum um die Kaaba, welcher letztere sehr tiefliegt, und zu dem man auf allen Seiten niedersteigen muss. Man trifft die Kubbatin beinahe auf seinem Wege, wenn man durch das Bab en Nebbi, das Thor des Propheten im Norden der Moschee, in den Tempelhof tritt und gerade auf die Kaaba zugeht. Diese beiden Capellen dienen als Auf bewahrungs-häuser für die Gefässe, mit welchen man das Wasser des Semsembrunnens zu schöpfen pflegt. Auch befindet sich in ihren Räumen eine Bibliothek von Werken meist religiösen Inhalts, welche von frommen Pilgern hierher gestiftet wurden und die meistens ungelesen und unbekannt in der Chesana(Bibliotheks-schrank) vermodern. Es gehört sehr viel Protection und Bestechung dazu, um die dort aufbewahrten Bücher besehen zu können. Sie zu lesen, daran denkt niemand. Es sollen jedoch, wie mir Ssadak versicherte, sehr werthvolle Raritäten unter diesen Büchern sein. Namentlich sprach man mir von einem Koran, der über tausend Jahre alt und ein Muster mikroskopischer Kalligraphie sein soll. Er soll nämlich gänzlich auf einer einzigen, nur zwei Fuss langen Rolle geschrieben sein. Nachdem ich unter Anleitung meines Metuaf, Ssadak ben Hanifa, die'sieben Umgänge um die Kaaba glücklich beendet und alle an den einzelnen Stellen vorgeschriebenen Gebete ihm nachgesprochen hatte, galt es noch, den andern Heiligthümern im Moscheehole meinen Besuch abzustatten. Ehe ich jedoch von der Kaaba ganz Abschied nahm, musste ich noch einmal an den Madschan zurück und dort den Stein, el Moltasem genannt, berühren, welcher im speciellen für denjenigen gilt, auf dem Abraham stand, als er den Bau der Kaaba leitete. Dort wurden Magen, Brust und Wange gegen die Wand gedrückt, dann kehrten wir zu den Fusstapfen des Abraham zurück, beteten um Vergebung unsrer Sünden, und zuletzt noch zwei Rikats, welche stets am Ende des Tuaf dargebracht werden müssen. Hierauf führte mich Ssadak an den Semsembrunnen , dessen Gebäude ich bisher noch nicht betreten hatte, da das Wasser desselben, welches ich beim Eintritt in die Moschee trank, mir bis an die Fusstapfen Abrahams gebracht worden war. Das Gebäude, welches sich über dem Semsembrunnen erhebt, ist viereckig und von massenhafter Bauart. Die Steine, aus denen es erbaut ist, sind die gewöhnlichen Mekkasteine, welche auf dem Dschebel Abu Kubis im Osten der heiligen Stadt gebrochen werden. Doch ünden sich ausserhalb des Gebäudes auch noch hie und da Marmorplatten angebracht, während das Innere ganz mit Marmor ausgelegt ist. Der Brunnen, welchen das Gebäude bedeckt und zu dem man durch eine im Nordosten gelegene Thür gelangt, ist von einer vier bis fünf Fuss hohen Mauer umgeben, deren ausserordentlich grosse Breite gestattet, dass die Tempeldiener, welche das Privilegium des Wasserschöpfens haben, sich auf ihr aufhalten können. Diese Diener des Semsembrunnen sind alle ächte Mekkaner, und zwar SchÖrfa (Abkömmlinge des Propheten). Man nennt sie die Semsemia und ihr Amt scheint in einigen Familien geradezu erblich geworden zu sein. Die Semsemia stehen bei abergläubischen Pilgern im Rufe der Heiligkeit. Sie begnügen sich jedoch nicht mit der blosen Verehrung der Hadschadsch, sondern wissen ihr Semsemwasser für sich in eine wahre Goldquelle zu verwandeln; indem sie keinen Tropfen aus der heiligen Quelle schöpfen und verabreichen, für den nicht entweder der Empfänger selbst oder ein Anderer für denselben gezahlt hat. .Jährlich erhalten sie sehr namhafte Summen von frommen Pilgern, um den Armen das Wassel- umsonst zu reichen, was sie so wenig als möglich thun. Von der Mauerbrüstung aus ziehen die Sem-semia das Wasser in ledernen Eimern aus dem Brunnen herauf und reichen es den Pilgern , welche dafür, je nach ihren Mitteln und ihrem wirklichen oder vermeintlichen Stand, mehr oder weniger zahlen müssen. Da es früher mehrmals vorgekommen sein soll, dass Wasserschöpfer in den Brunnen hineinfielen , woraus man sie nur mit der grössten Mühe retten konnte so hat man auf der Mauer zum Schutz der dort stehenden Brunnendiener ein eisernes Geländer angebracht. Als ich von dem Tuaf, dem siebenmaligen Umgang um die Kaaba, bis zum Hinsinken ermüdet, von den Sonnenstrahlen, denen ich mein nacktes' Haupt und ineinen beinahe nackten Körper über eine Stunde aussetzen musste, bis zum Fieber erhitzt, mit ausgetrockneter Kehle, und mit einem durch die vielen Gebetshersagungen beinahe gänzlich ausgedörrten Gaumen und Zunge, dürstend nach Wasser und lechzend nach Schatten, an den Semsembrunnen trat, da empfing mich unendlich wohlthuend die kühlere Atmosphäre, welche den Raum seines Gebäudes erfüllte. Ein junger, stämmiger Mekkawi, wahrscheinlich ein angehender Heiliger, aber durchaus wie ein roher Bauer aussehend, stand gerade vor mir ;mf der Mauer, die den Ziehbrunnen umgiebt und fühlte sich . vielleicht durch meinen hinfälligen Zustand zum Mitleid erregt, bewogen, mir einige Aufmerksamkeit zu schenken. Kr fragte mich, ob ich Wasser aus dem heiligen Brunnen trinken wolle, was ich natürlich bejahte. Nachdem ich von diesem von den Moslems so gelobten, aber in Wirklichkeit schlecht sein neckenden Wasser (von dem ich nicht begreifen kann, wie. es Ihirckhardt süss finden konnte) wegen meines grossen Durstes eine beträchtliche Menge getrunken hatte, wollte mir mein Mekkawi, durch das gespendete Trinkgeld günstig gestimmt, noch eine besondere Freude machen. Er holte nämlich Eimer auf Eimer aus dem Ziehbrunnen hervor und schüttete mir ohne weiteres und ohne zu fragen, ob es mir angenehm sei oder nicht, einen nach dem andern über den Kopf, so dass ich hierein so gründliches Bad nahm, als nur immer wünschenswerth sein konnte, was übrigens auf meine Gesundheit einen sehr wohlthuenden Effect hervorbrachte, und viel bucht hinderte, dass ich nicht (in Folge der steten Insolation, der ich eine Stunde ausgesetzt gewesen war) Fieber oder Sonnenstich davontrug. Ich sah zwar, wie man auch andern Pilgern dasselbe Sturzbad zukommen liess, aber das meinige zeichnete sich vor allen andern durch Reichlichkeit aus, denn ich bekam wenigstens zehn Eimer über den Kopf geschüttet, während die andern mit zwei zufrieden sein mussten. Was nicht ein zu gehöriger Zeit gespendetes Trinkgeld alles vermag? Die Geschichte des Semsembrunnens hängt begreiflicherweise mit der Geschichte von Mekka und der Kaaba auf's engste zusammen. Es kann nicht fehlen, dass derselbe auch einen biblischen Ursprung haben muss, wie die Kaaba, wie der schwarze Stein, der Madschan, das Grab Ismaels, die Fusstapfen des Abraham und Gott weiss, wie viele Heiligthümer noch mehr! Die Entstehungsgeschichte dieses Rrun-nens ist sehr rührend und von einer kindlichen Nai-vetät. Als nämlich Abraham , der grausame Patriarch, die Hagar, mit welcher er (nach einigen auf dem schwarzen Stein, nach andern auf den sogenannten Fusstapfen Abrahams) seinen Sohn Sidna Smail (Ismael) gezeugt, Verstössen hatte, wurde diese vermeintliche Stammmutter der Araber von den Engeln nach Mekka getragen. Denn, sonderbarer Weise, obgleich der Zeugungsact in Mekka stattgefunden zu haben scheint, so kam doch Hagar an einem von der heiligen Stadt sehr entfernt gelegenen Orte, in irgend einem obscuren Nest von Palästina, nieder und brachte Sidna Smail zur Welt. Aber Sara, die eifersüchtige, konnte die junge und schöne Hagar, welche dein Patriarchen besser gefiel als die neunzigjährigen Reize der Mutter Isaaks, nicht ausstehen und sagte zu Abraham: „Schicke die Verfluchte in eine Wüste ohne Wasser!" Der Patriarch war jedoch weit entfernt davon, der Sara nachgeben zu wollen, ihm gefiel die Ilagar weit besser und wenn es auf ihn angekommen wäre, so hätte er vielleicht die Sara in die bewusste Wüste geschickt. Auch wäre er gewiss nicht dazu zu be wegen gewesen, sich der Hagar zu entledigen, wenn nicht der Engel Gabriel der Sara, zu Hülfe gekommen wäre. Dieser Erzengel nahm die Partei der Eifersüchtigen und sprach zu Abraham: „Schicke die Mutter Ismaels mit ihrem Sohn fort. Ich selbst werde ihnen eine wasserlose Wüste aufsuchen." Abraham verstiess also seine Nebengattin Hagar und seinen Sohn Ismael. Da jedoch, wie es scheint, in der Nähe vom Wohnorte Abrahams keine anständige Wüste ohne alles Wasser, wie sie die gute Sara ihrer Nebenbuhlerin wünschte, vorhanden war, so gab sich der Erzengel selbst die Mühe, Mutter und Kind weit hinweg durch die Lüfte, nach dem Thal von Mekka, zutragen, wo sie übrigens unversehrt anlangten. Damals war an eine Stadt an dieser Stelle natürlich nicht zu denken, weit und breit wuchs nichts und kein Bächlein, keine Oase, keine Quelle war zu erblicken. Es war eine wahre, unzweifelhafte Wüste und Sara konnte zufrieden sein, denn der Engel Gabriel hatte ihre Nebenbuhlerin an einen Ort gebracht, wo sie höchst wahrscheinlich hätte verschmachten müssen, wenn nicht ein Wunder ihr zu Hülfe gekommen wäre. Natürlich suchte Hagar nach einem Brunnen, fand ihn aber nicht. Um sich die Zeit zu verkürzen, machte sie dann den Umgang um die Kaaba, welche freilich noch nicht existirte, ein sehr unbedeutendes Ilinderniss! Darauf bind sie für gut, den religiösen Brauch des Sai, des siebenmaligen, wahnsinnigen Rennens zwischen den Hügeln Ssafa und Merua, in der Strasse El Emsa von Mekka, zu stiften, indem sie sieben Mal verzweiflungsvoll auf und ab lief und zwar gerade an dem Ort, welcher jetzt die Hauptstrasse von Mekka bildet, wo nun die Pilger das fromme Rennen abhalten. Nachdem sie den Sai gemacht und so zu einem der verrücktesten, fanatischsten Gebräuche des Islam den Grund gelegt hatte, kehrte sie zu ihrem Söhnchen Ismael zurück; welches sie inzwischen auf dem Hoden unweit der späterhin zu erbauenden Kaaba, hatte sitzen lassen. Als sie zu dem Knäblein hinzukam, wollte, ihr scheinen, als ob dasselbe gerade ein natürliches Bedürfniss befriedige. Ein Wasserstrahl sprudelte zwischen seinen Beinen hervor, aber zu Hagars Erstaunen wollte er kein Ende nehmen. Sie hob ihr Söhnchen auf und jetzt erst sah sie, dass dasselbe nicht die Wasser-vergiessung verursacht hatte, sondern dass eine Quelle aus dem Boden hervorsprudelte. O Wunder! O Glück! Hagar, die verstossene, die ausgesetzte, hatte in der vermeintlich wasserlosen Wüste eine Quelle gefunden und was für eine Quelle! keine andere, als den hochberühmten Brunnen Semsem, oder Sarnsama , das heisst, den lieblich rauschenden, sanft murmelnden , denn das Wasser im Semsem ist ein messendes Wasser wie, glaube ich, Burckhardt von allen Reisenden zuerst entdeckt hat. Man kann sich denken, dass Sara, als sie die Kunde von der Entstehung des Semsembrunnens in der vermeintlich wasserlosen Wüste vernahm, dem Erzengel die bittersten Vorwürfe machte. „Warum, o treuloser Gabriel, hast Du die Verfluchte nicht verschmachten lassen?" Aber Gabriel antwortete ihr mit der gewöhnlichen, muselmännischen Glaubensformel: ,.0 Sara! Es war vorausberechnet. Denn aus Hagar soll der Prophet Gottes kommen. Wie konnte ich Hagar verschmachten lassen, da sie die Stammmutter Mohameds werden soll?" Als diess Sara vernahm , ward sie sehr traurig und rief: „Also die Schändliche soll noch eine Prophetenmutter werden? Und was werden denn meine Kinder sein?" Aber der Engel tröstete sie und sprach: Alle Propheten, und ihre Zahl ist gross, werden ans Sara kommen, nur ein einziger, der grösste und letzte, wird ein Nachkomme Hagars sein." Die Geschichte sagt uns nicht, ob Sara sich mit diesen) Trost zufrieden gab. Nur eines wissen wir, dass sie ihren Eheherrn, welcher immer eine Sehnsucht nach Hagar hegte, so viel es in ihrer Macht lag, davon abzuhalten suchte, der Mutter Ismaels nachzueilen. Aber die Sehnsucht Abrahams war zu gross und eines Tages verliess er Sara, wanderte schnurstracks nach dem glücklichen Arabien, besuchte seine geliebte Hagar wieder und freute sich äti den Spielen seines Sohnes Ismael. Seitdem scheint Abraham sich hauptsächlich in Mekka aufgehalten zu haben, wo er die Kaaba baute und den Abdruck seiner Fusstapfen zurüokliess. Nur einmal verliess er wieder Mekka, wanderte nordwärts, weit, weit hinweg, bis er wieder in Palästina ankam und zwar an einem Ort, Namens Hebron, wo er beschlossen hatte, seine Gebeine zu lassen. So entstand der Semsembrunnen nach Ansicht aller frommen Moslems. Wie er freilich nach Ansicht profaner Geschichtschreiber entstand, das ist eine ganz andere Sache. Diese ungläubigen Menschen wissen gar nichts von seinem wunderbaren Ursprung, sondern erblicken in ihm eine Quelle, wie eine andere auch, welche die Wüstenstämme Mittelarabiens bestimmte, sich in ihrer Nähe anzusiedeln. Zuerst kamen die Dschorhamiten und zwar die Beni Kossai, ein Stamm derselben, welche bis zum sechsten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung den Raum um den Semsem inne hatten, die Kaaba und die Stadt Mekka erbauten , die ihnen jedoch von den sogenannten Ismaeliten, vermeintlichen Nachkommen Ismaels, unter welchen auch die Koreischen waren, genommen werden sollte. Der letzte Dschorharnite, als er Mekka verlassen musste, verschüttete den Semsem, welchen Mohameds Grossvater wieder auf die bereits oben beschriebene Weise entdecken sollte. Die Karmathen, jene verruchten Ketzer, welche den schwarzen Stein raubten, warfen so viele Leichen von frommen Pilgern, die sie erschlagen hatten, in den Semsem, dass es eines ganz besondern Wunders bedurfte, um ihn wieder aufzudecken. Seitdem ist jedoch dem Brunnen kein weiteres Unglück begegnet. Im Gegentheil wurde er immer mehr und mehr ein Gegenstand des Cultus und viele fromme Fürsten verschönerten das Gebäude, welches ihn bedeckt, das übrigens in seiner jetzigen Form aus dem Jahre 1694 unsrer Zeitrechnung stammt. Natürlich hat das Semsemwasser viele wunderbare Eigenschaften, an denen nur die verstockteste Ketzerei zu zweifeln vermag. Zur Erbauung meiner Leser will ich ihnen die hauptsächlichsten dieser Wunder anführen. Erstes Wunder: Das Semsemwasser nimmt niemals ab. Millionen und Millionen können daraus trinken, nie wird man eine Abnahme seiner Wassermenge entdecken. (Ein Wunder, das seine Erklärung in der Natur so vieler Brunnen hat.) Zweites Wunder: Man kann vom Semsemwasser ohne Schaden so viel trinken, als man nur mit einem stets gefüllten Eimer den ganzen Tag lang in sich hineinzuschütten vermag. Tränke man auch tausend Maass, man würde kein Uebel davon verspüren. Drittes Wunder: Das Semsemwasser heilt alle Krankheiten. Je mehr man von ihm trinkt, desto gesünder wird man. Desshalb wird auch die Sem-semwasserkur von allen fanatischen Moslems dem Kranken als Universalmittel empfohlen. Diese barbarische Wasserkur scheint allen Muselmanen unfehlbar. Jeder Leidende muss durch sie geheilt werden, wenn er nur genug vom Semsemwasser trinkt. Wird er nicht gesund, oder fällt es ihm gar ein, zu sterben, so ist das keineswegs ein Beweis von der geringen Heilkraft des Semsemwassers, sondern nur davon, dass der Kranke nicht genug getrunken hat. Für jeden Kranken ist natürlich das Maass verschieden. Für den einen ist ein Glas schon genug, für den andern würden keine tausend Maass genügen. Aber man muss dann nur nicht kleingläubig sein. Der Glaube , der Berge versetzt, kann auch zweitausend Maass hinunterschlucken. Darauf kommt es allein an, dass man nicht zu wenig trinke. Merke Dir das, o Leser, wenn Du jemals die Lust verspüren solltest, eine Semsemwasserkur zu versuchen. Viertes Wunder: Das Semsemwasser kann nicht zum Kochen oder Waschen von Kleidern verwendet werden. Ueberhaupt darf man es nicht bis zum Siedepunkte erhitzen. Wer es dennoch versuchen wollte, einen so profanen Gebrauch von ihm zu machen, der würde bald die nachtheiligsten Folgen verspüren. Denn eine Menge von Geistern haust in diesem Wunderwasser, die zwar gewöhnlich sehr harmlos sind, die aber, wenn man sie sieden oder kochen wollte, sich in die schlimmsten Dämonen verwandeln und dem Frevler, der das Semsemwasser siedend machen wollte, die boshaftesten Streiche spielen würden. Man erzählt von einer alten Frau, welcher ihr Enkel den ruchlosen Streich spielte, ihr Semsemwasser in den Kochkessel zu giessen und die, ebenso wie der Missethäter, von den durch den Kochversuch wüthend gemachten Geistern in ein Schwein verwandelt wurde. Nachdem ich mich am Semsembrunnen durch Trunk und Bad erfrischt hatte, setzte ich in völlig triefendem Zustande meine Wanderung durch die Moschee weiter fort. Um mich herum waren noch eine Menge anderer Pilger, alle in demselben einem ebengefischten Häringe ähnlichen Zustande. Es war wirklich ein Anblick so komisch, wie man es, sich nur wünschen konnte. Hier wandelte eine Gruppe magerer, kleiner Beduinen, welche zwar jetzt im Sommer, wo ihnen ihre Hauptnahrung, die Milch, abging, entsetzlich ausgemergelt aussahen, die aber dennoch selbst in dieser hinfälligen Form eine gewisse Muskelkraft verriethen. Dort krochen mehr, als gingen, einige schwarzbraune Aegypter, ihre nassen, triefenden Leiber schwerfällig dahin-schleppend. Daneben zeigte sich nie und da irgend ein feister Türke, der in dem Bad des ihn überstürzenden Semsemwassers sich gerade so ausnahm, wie ein Nilpferd in einem zoologischen Garten, wenn es sich in der ihm angewiesenen Pfütze tummelt. An einer andern Stelle zeigte sich eine Gruppe knochiger, breitschultriger Neger mit den langen, dünnen Beinen und dem feisten, kugelrunden Leib, der zum übrigen Körper so ganz ausser Verbältniss stand, dass seine Besitzer jetzt in ihrem nassen Zustande eine auffallende Aehnlichkeit mit König Frosch in tausend und einer Nacht besassen. Elend und spindeldürr, schwach und hinfällig sahen die armen indischen Bettier aus. Sie hatten zwar nur ein sehr spärliches Bad von Seinsemwasser genommen, denn das heilige Nass wird nicht ohne ein Trinkgeld -verschwendet und die armen Inder konnten natürlich kein solches darbringen. Wenn sie überhaupt hie und da einen mitleidigen Eimer über ihre Jammergestalten geschüttet bekamen, so geschah diess auf Befehl eines reicheren Pilgers, welcher für sie zahlte. Ich glaube, sie hätten jedoch ganz gutwillig auf die fromme Begicssung verzichtet, denn die armen Teufel zitterten in Folge des Bades , als ob es Winter gewesen wäre. Mir fiel es nicht ein, an Kälte zu leiden. Im Gegentheil, obgleich ich mehr Wasser über mich geschüttet bekommen hatte , als zehn Pilger zusammen, so freute ich mich doch sehr über diese Begiessung. Uebrigens war ich in einer Viertelstunde nach dem Bade wieder vollkommen trocken. Ssadak ben Hanifa führte mich nun nach der Kanzel Mohameds, dem Meinbar, auf welchem der Prophet gepredigt haben soll. Die ursprüngliche Kanzel Mohameds, die von Holz war, ist übrigens schon längst durch Brand verunglückt. Die jetzige soll vom Chalifen von Bagdad, AI Moktadi, dem einunddreissigsten Abassiden , gestiftet worden sein, welcher sich der Moschee dafür dankbar zeigen wollte, dass man ihm gestattet hatte, die ursprüngliche Thür der Kaaba wegzunehmen, aus der er seinen Sarg verfertigen liess. Natürlich schenkte er der Kaaba eine andere Thür und der Moschee diese Kanzel, welche von Holz, wie die ursprüngliche und mit kunstvollen Schnitzereien versehen ist. An der Kanzel wurde zwar nur ein kurzes Gebet gesprochen, aber diess Gebet war von meiner Seite das aufrichtigste, welches ich bisher gehalten hatte, denn es war mein Dankgebet dafür, dass nun der entsetzliche Tuaf und alle die ermüdenden, angreifenden Ceremonien beendet waren. Jetzt endlich war ich frei. Ich athmete auf und folgte mit freudebelebtem Schritte meinem Metuaf, welcher mich nun schnell in den höher gelegenen Moscheehof führte, denn die Kaaba und die sie um- gebenden Heiligthümer liegen alle einige sechs Fuss tiefer, als der Moscheehof, und dieser wieder tiefer, als die daran grunzenden Strassen von Mekka,. Wir stiegen nun durch das Thor des Propheten aus der Moschee und fanden uns bald in der schönen, grossen Hauptstrasse, El Enisa, in welcher die Pilger den Sai, das siebenmalige Rennen, abhalten. Ich hätte diesen frommen Galopp strenggenommen nun auch zurücklegen müssen, da ich aber zu müde und angegriffen war, so entschuldigte ich mich durch Krankheit und gelobte für den jetzt unterlassenen Sai einen Hammel zu schlachten, das unvermeidliche Sühnopfer, welches der Pilger für jede, selbst die geringste Uebertretung darbringen muss. Hann ging ich mit Ssadak nach dem Kaffeehause, in welchem uns Hassan, Ssadaks Sohn, erwartete, um mich von da nach meiner Herberge zu führen. Vierzehntes Capitel. Mekka. Meine Wohnung und Umgebung in der heiligen Stadt, Ein mexikanisches Kaffeehaus. — Omar el Homsi. — Der zerstreute Barbier. — Entsetzlicher Kaffee. — Gang nach meiner Wohnung. — Abenteuer in der Hauptstrasse. — Komischer Unfall Alis. — Die Quartiere Mota und Maalc. — Der Stadtthcil der Afghanen. — Das Haus meines Wirthes. — Hamclan ben Hamidu, — Ein mekkanischer Typus. — Zärtlich komischer Empfang. — Herbergen in Mekka.. — Der Empfangssaal. — Politisches Gespräch. — Der räthsel-haftc Held. — Sonderbare Ansichten über europäische Politik. — Der Schreckpopanz. — Meine Mitgästc. — Die beiden Pilger aus Bochara. — Die persischen, Ketzer. — Stattlichkeit der Perser. — Schlechte Behandlung derselben. — Heuchlerisches Benehmen des Wirthes. — Der alte Mann aus Chorassan. — Die Mahlzeit. — Unmanierliches Essen. — Mein Zimmer. — Lächerliche Entdeckung. — Streit mit dem Wirth. — Neue Wohnung. Das Kaffeebaus, in welchem uns Hassan ben Ssadak der Verabredung gemäss erwartete und wo sich auch mein Neger Ali mit einem Theil meines Gepäcks einfand, war zugleich ein Barbierladen, welchen ein gewisser Omar el Homsi in C'ompagnie mit % einem Mekkaner, Namens Babali el Babutschi, hielt, Omar war zwar auch ein geborncr Mekkaner und wurde, wie alle von Fremden in der heiligen Stadt erzeugten Kinder, von dem mekkanischen Mittelstande als ein völlig ebenbürtiger Stadtsohn angesehen, während die vornehmen .Mekkaner ihn natürlich, nicht als solchen gelten Hessen, denn in Mekka findet der sonderbare Fall statt, dass der sämmtliche Mittelstand und die unterste Volksclasse fast ausnahmslos ausSöhnen von Fremden bestehen, die sieh Mekkaner nennen und die andern Söhnen von Fremden mit Leichtigkeit diesen Titel zugestehen, welcher, was Abstammung betrifft, streng genommen nur den Schörfa, Abkömmlingen vom Propheten, die die Aristokratie und die einzige autochthone Bevölkerung bilden, zukommen dürfte. Da aber Omars Vater aus der syrischen Stadt Horns stammte, so führte er einen Beinamen, welcher seinen ausländischen Ursprung ankündigte. , Uebrigens liebte er es nicht, wenn man ihn zu oft „el Homsi" betitelte, denn ein geborner Mekkaner verachtet auf's gründlichste alles, was fremd ist und an fremden Ursprung erinnert. Manchmal, während der zwei Stunden, weicheich in seiner Bude zubrachte, kam es vor, dass irgend ein frommer Hadsch an die Thüre kam und hineinrief: „Ist hier der Barbierladen des Omar el Homsi?" In solchen Fällen stellte sich' Omar ganz taub, er verstand die Frage nicht, obgleich sie im besten Arabisch an ihn gerichtet worden war; er hörte sie nicht, er wusste gar nicht, dass Jemand nach ihm gefragt hatte: eine Comödie, welche jedesmal die ganze Kaffeebude zu einem schallenden Ge- 8* lachtet* fortriss, was Omar auch nicht zu hören vorgab , da er sonst darüber sich beleidigt hätte zeigen müssen. Ueberhaupt ist der Stolz der Mekkaner kein geringer. Die Kaffeewirthe, Barbiere und andern Budenbesitzer pflegen sich den Fremden gegenüber keineswegs mit grosser Zuvorkommenheit zu benehmen. Sie wissen, dass nach muselmännischen Begriffen ein Mekkaner für besser gilt, als zehn Berania (Fremde). Sie sind zwar nicht geradezu unhöflich gegen die Pilger, welche ihre Läden besuchen, aber sie benehmen sich doch ganz so, als ob alles, was sie für die Fremden thun, nur Gnade wäre, welche sie ihnen für ihr gutes Geld gewähren. Es ist eine Gnade rasirt zu werden, eine Gnade, wenn man eine Tasse Katfee bekommt, eine Gnade, wenn ein Mekkaner mit einem Fremden spricht. Da ich, bei meinem Eintritt in den Barbierladen, die Vorsicht gebrauchte, einige Silberstücke in der Hand blinken zu lassen, so wurde mir die Gnade sehr bald zu Theil, dass Omar el Homsi mir einige Aufmerksamkeit schenkte. Besonders gnädig schien ihn jedoch der Umstand zu stimmen, dass mein Metuaf, welchen Omar natürlich kannte, ihm etwas mich betreifend in die Ohren raunte. Ich habe später vernommen, welche lächerlichen Gerüchte die Familie Ssadak, Vater und Sohn, über mich und meinen vermeintlichen Stand verbreiteten. Es ist nämlich eine Manie dieser religiösen Lohnbedienten, alle Fremden, in deren Dienst sie stehen, für sehr grosse Personagen auszugeben. Ueberhaupt wird der Stand eines Fremden gern zu hoch angenommen, natürlich aus Specu-lation auf seinen Geldbeutel.. Hier im Laden Omars merkte ich zum ersten Male etwas davon, dass die guten Leute mich für eine verkappte Standesperson von sehr hohem Rang hielten. Später sollte ich zu meinem Schaden und zum grössten Nachtheil für meine weiteren Reisepläne inne werden, für was für eine Herrlichkeit man mich ausgab. Ich galt nämlich für nichts geringeres als — für einen Sohn des Pascha, von Algier. Der Umstand, dass es schon seit dreisssig Jahren keinen Pascha von Algier mehr gab, schien diesen guten Leuten gar kein Hülderni ss zu sein. Hassan und sein Vater Ssadak sagten mir selbst zwar in der ersten Zeit nichts von dem pomphaften Titel, welchen sie für gut gefunden hatten, mir zu octroyircn, aber sie raunten ihn jedermann, mit dem ich in Berührung kam, in die Ohren, so dass ich bald bei der halben Stadt Mekka „als Prinz von Algier" wenn auch nicht persönlich, so doch gerüchtweise bekannt wurde. Man wird unten sehen, welche unangenehmen Folgen dieser vermeintliche Prinzen-stand noch für mich haben sollte. Einstweilen wusste ich noch nichts davon, war daher hocherstaunt, als der sonst so stolze Omar el Homsi mich mit einem Respect behandelte, an welchen ich bis jetzt unter Muselmanen gar nicht gewöhnt worden war. Omar el Homsi war ein Mann von etlichen dreissig Jahren, dessen Gesicht einen so entschieden orientalischen Typus darbot, wie ich es selten gesehen hatte, und zwar den orientalischen Typus in seiner extravagantesten Uebertreibung. Es war so ein Gesicht, wie man es in Europa, wohl hie und da bei irgend einem ultrakoscheren Schacherjuden sieht: eine Nase, die so sehr das hervorragende Element in diesem Gesicht bildete, dass alles andere neben ihr verschwand, eine Nase, welche sich in einem Winkel von weniger als fünfundzwanzig Graden gegen den Mund neigte, eine kühngebogene, kraftvoll entworfene Adlernase; darüber ein Paar schwarzer, unheimlich funkelnder, schielender Augen; darunter ein Mund mit dicken, jedoch nicht rundlich aufgeworfenen, sondern eher in der Form länglicher Schwielen aufgeschwollenen Lippen, den wahren Judenlippen, die zwischen Negerlippen und Europäerlippen die Mitte halten; dazu ein Paar länglicher schmaler Wangen, oder richtiger gesagt, zwei lange Runzeln, welche die Stelle vertraten, an welcher andere1 Leute die Backen zu haben pflegen; ein Paar Ohren, wie sie König Midas getragen haben mag, nachdem er die eines Esels bekommen hatte; ein zahnloser Mund; ein spärlicher, langer, spitzzulaufender Bart: diess war Omar el Homsi, ein prächtiges Exemplar von einem Araber, wie sie auf dem Theater zu erscheinen pflegen. Dieser „schöne" Mann wrar pomphaft gekleidet, er trug einen Kaftan von rosenrother Halbseide, einen Turban von Kaschmirshawl, einen Diamaniring am Finger, Leider waren seine Manieren nicht ganz im Einklang mit seiner vornehm scheinenden Kleidung. So sehneuzte er sich zum Bespiel mit den Fingern, was beiläufig gesagt fast alle Araber thun, selbst wenn sie, was zuweilen vorkommt, den Luxusartikel, Schnupftuch genannt, besitzen. Aber das Schnupftuch des Arabers ist nur Zierrath; zuweilen ist es mit Gold gestickt und dann wäre es schade, es zu einem praktischen Gebrauch zu benutzen; aber selbst der übliche Fetzen von dünnem geblümten Mousselin, das gewöhnlichere Taschentuch des Arabers, wird selten mit der Nase in Berührung gebracht. Auch ein anderer Umstand machte Omars Nähe nicht immer angenehm. Sein Kaschmirturban, seine Seidenkleider und vor allem seine holde Physiognomie diess alles war nämlich so schön, dass es nicht nur Mensehen gefiel. sondern leider auch einer unzähligen Menge grünlicher Insecten, die sich darauf niedergelassen hatten und in buntem Spiel ihrer lebhaften Glieder sich munter darauf herumtummelten: eine Lebhaftigkeit, die demjenigen, dem Omar die Gnade erwies ihn zu rasiren nicht immer angenehm war. Omars College, Babali el Babutschi, war ein ächter Mekkaner, so acht, wie es nur einen gelten kann. Fr stammte nämlich in gerader Linie von Mutter Hagar ab. Ich muss freilich gestehen, dass ich seinen Stammbaum, den er mir öfters erklärte, nie recht begriffen habe, aber das kümmerte ihn wenig. Da seine Stammmutter den Sa das wahnsinnige Hennen in der Strasse El Emsa, zuerst eingeführt hatte, so erfüllte es ihn jedesmal mit Stolz, wenn er einen keuchenden, schwitzenden Pilger im verrückten Galopp an seinem Laden vorbeirennen sah. Dann schmunzelte Babali wohlgefällig und sagte halblaut vor sich hin: „Alles zu Ehren meiner Mutter Hagar!" Diese vermeintliche Abstammung, dazu das mehr oder weniger ehrwürdige Aussehen Babali's verschafften ihm von Seiten der unwissenden Pilger viele Respectsbezeugungen. Die ächten Mekkaner schienen sich aber aus Babali wenig zu machen, sie hielten ihn offenbar für eine Art von Charlatan. Babali el Babutschi glich seinem Freund mi<> Collegen nur wenig, ja er hatte eigentlich nichts mit ihm gemein, als eine grosse Magerkeit und Eckigkeit der Formen. Im übrigen war sein Gesicht eher negerartig, als arabisch. Es glich sehr der Schnauze einer Bulldogge und wenn Babali seine zweiund-dreissig scharfen Kauwerkzeuge, die schönsten, die ich je bei einem Greise sah, fletschte, so war die Täuschung manchmal vollkommen. Leider hatte Babali einen Fehler, freilich einen anschuldigen Fehler, der aber bei seinem Geschäft zuweilen für die Kunden die unangenehmsten Folgen hatte. Er war nämlich über die Massen zerstreu!. Eine Folge hiervon war, dass er die fremden Pilger beim Basiren oft in die Wangen schnitt. Einem soll er g&r einmal ein Stück der Nase weggeschnitten haben. Beim Aderlassen, welches alle arabischen Barbiere besorgen, sowie beim Zahnausreissen spielte seine Zerstreutheit den Kunden zuweilen die schlimmsten Streiche. Ssadak erzählte mir, dass Babali einmal einen unglücklichen Pilger, mit dem er in seinem Laden allein war, nach dem Aderlassen unterbunden gelassen habe, wo sich der Arme dann beinahe zu Tode blutete, denn Babali war fortgegangen und hatte vergessen , dass er seinen Patienten nicht verbunden hatte. Zum Glück kam im kritischen Augenblick noch Hülfe. Dass er Zahnleidenden die gesunden Zähne statt der kranken ansriss, (bis war ein tägliches Vorkornmniss. Es war ein wahres Wunder, wie er noch Kunden haben konnte. Aber diese Kunden waren eben alle Fremde, die noch nichts von dem schlimmen Rufe wussten, dessen er sich als Barbier und Chirurg erfreute. Ein ächter Mekkaner ging nur etwa zum Kaffeetrinken in Babali's Bude und das auch nicht oft, denn die ächten Mekkaner halten Kaffeehäuser für unanständige Locale, die man besser vermeidet. Da mir Ssadak schon vorher etwas von der Zerstreutheit Babali's gesagt hatte, so sträubte ich mich natürlich mit Händen und Füssen gegen diesen, als er jetzt, mit einem grossmächtigen Rasirmesser bewaffnet, auf mich zuschritt und Miene machte, mir das Kopfhaar abrasiren zu wollen. Ich sah mich im Geiste schon um einen Kopf kürzer und wartete desshalb, bis Omar Zeit hatte, mich vermittelst des Rasirmesser;-.' meines Haupthaares zu entledigen. Da, ich die Wallfahrt nicht bei Hödscha. das heisst nicht die grosse Wallfahrt;, sondern die Wallfahrt bei Omra, die sogenannte kleine Wallfahrt, gelobt hatte, so konnte ich jetzt, nach zurückgelegtem Tuaf, mich rasiren, baden, kleiden, kurz den entsetzlichen Ihram ablegen und aufhören, wie ein wildes Thier, nackt und voll Schmutz und Ungeziefer herumzugehen; ich durfte endlich wieder ein Mensch sein, und ein menschliches Aussehen annehmen. Streng genommen hätte ich den Ihram erst nach dem Gange nach der Moschee el Omra ablegen dürfen, aber, da fast alle Pilger es nach dem Tuaf sogleich thun und dieser Missbrauch beinahe die Regel geworden ist, so verschob ich den Omra, ebenso wie ich den Sai verschoben hatte, auf spätere Tage und Niemand fand diess auch nur im geringsten auffallend oder ketzerisch. Nachdem Omar mich rasirt und gewaschen hatte, liess ich von meinem Neger ein vollständiges Costüm auspacken und kleidete mich mit Wonne wieder in eine menschliehe Tracht, in das bequeme, zweckmässige algierische Costüm, welches wie elenden Schmeichler Ssadak und Sohn sagten, mir, wie einem Pascha, so schön stand. Natürlich; denn ich galt bei diesen Leuten für einen „Prinzen von Algier" und für kolossal reich und im Orient ist jeder Reiche, sei er auch noch so alt und hässlich, mit ewiger Jugend und Anmuth ausgestattet. Jetzt brachte nur Babali eine Tasse voll des lieblichen braunen Getränkes, das den Ruhm Arabiens bildet. Ich setzte den köstlichen Trank an meine Lippen, aber wer beschreibt meinen Schrecken, als ich nach dem ersten Schluck in meinem Mund und Gaumen den heftigsten Brand fühlte. Es war wie wenn ich ebenso viele Stecknadeln getrunken hätte. War das der Kaffee von Mekka, dann musste ich auch ewig auf diesen Trank in der heiligen Stadt verzichten. Ich gab die Tasse an Ssadak und bat diesen, den unbegreiflich schmeckenden Kaffee zu kosten. Kaum hatte Ssadak die Tasse an die Lippen gebracht und den ersten Schluck gethan, als er sie mit Abscheu weit von sich wegschleuderte und rief: „Das ist wieder einer von den Streichen von Babali el Babutscht. Gott weiss, was für Zeug er in den Kaffeetopf gethan hat." „Ich wreiss es sehr gut", fiel Omar ein, „es wird schwarzer Pfeifer sein, von dem ich heute Morgen eine Tüte voll gekauft hatte und die ich seitdem nicht "wiederfinden konnte."' So war es auch. Der zerstreute Babali hatte statt des gestossenen Kaffce's den gestossenen schwarzen Pfeffer, den sein College eingekauft, erwischt und daraus das Getränk bereitet, welches mir den Mund verbrannt hatte. Man kann sich denken, dass ich in Zukunft nicht oft mehr versucht war, bei Babali el Babutschi Kaffee zu trinken. Nachdem ich nun den Ihram völlig beseitigt und durch eine zweistündige Buhe im Laden Omars mich von den Strapatzen des Umganges um die Kaaba erholt hatte, sehnte ich mich endlich danach, mit dem Vagabundenleben, wenigstens vor der Hand, zu brechen und eine regelmässige Herberge aufzusuchen. Ich habe schon oben der warmen Empfehlungen Erwähnung gethan, mit welcher mir Hassan ben Ssadak das Haus eines gewissen Hamdan ben Ilamidu, der im Stadtviertel der Solimanija wohnte, angerühmt und angepriesen hatte. Da ich völlig fremd in Mekka war und ausser meinen ägyptischen Mitreisenden, welche armen Teufel selbst kaum wussten, wo ihr Haupt niederlegen , auch unter den Pilgern Niemand kannte, so blieb mir nichts übrig, als mich der Familie Ssadak anzuvertrauen, die freilich geldgierig, verschmitzt und spitzbübisch genug war, aber doch nicht geradezu offenen Raub oder Diebstahl beging, was schon immer ein Vortheil war. Wir verliessen also die Kaffeebude und schlugen unsern Weg nach dem Quartier el Solimanija ein. Zuerst mussten wir durch einen Theil der schönen, breiten Hauptstrasse von Mekka, El Emsa genannt schreiten. Diess war jedoch nicht ohne Schwierigkeit zu bewerkstelligen. Denn eben hielten einige hundert Fanatiker hier den Sai ab, das heisst das siebenmalige Rennen von einem Ende der Strasse zum andern. Es war ein Anblick, wie man ihn ausserhalb Mekka's wohl nur in einem Tollhause zu sehen bekommen möchte. Alle diese halbnackten, staub-und schmutzbedeckten, keuchenden , schwitzenden, stöhnenden Wesen, von der Sonnenhitze, der ihr nackter Scheitel stundenlang ausgesetzt gewesen war, fieberhaft erhitzt, von den religiösen Ceremonien zu Tode ermüdet und doch zugleich fanatisch aufgeregt, alle diese von einem religiösen Wahnsinn wie tobsüchtig gemachten Menschen liefen, rannten, keuchend und dabei lautschreiend die Strasse auf und ab. Dass sie den zufällig durch die Strasse gehenden Leuten ausgewichen wäreti, daran war natürlich nicht zu denken. Vielmehr war es die Sache der Passanten, den Fanatikern auszuweichen. Aber wie sehr wir uns auch Mühe gaben, ihnen aus dem Wege zu gehen, so konnten doch einige Zusammenstössc nicht vermieden werdet). Ali, mein Neger, gab sich die grösste Mühe, den Läufern des Sai auszuweichen und es gelang ihm auch im ganzen vollkommen. Aber dennoch spielte ihm das tückische Schicksal in dieser Sache einen der unangenehmsten Streiche. Er war nämlich eben gerade einem besonders kräftigen, dicken und starken Pilger aus dem Wege gegangen, und hatte nicht bemerkt, dass hinter der Mastochsengestalt sich ein anderer Pilger hielt, der durch dieselbe beinahe ganz verdeckt worden war. Dieser letztere Hadsch brach nun aus seinem zufälligen Versteck hervor, das heisst er kam hinter dem Rücken seines Vormannes ganz plötzlich zum Vorschein und zwar lenkte er gerade seine Sehritte auf Ali zu, der ihn im Augenblick noch nicht recht sah und von ihm überrannt wurde. Da lag nun der arme Ali am Boden und sämmtliche Hadschadsch, welche eben gerade den Sai machten, schritten, liefen und rannten über ihn hinaus, wobei er natürlich manchen Fusstritt abbekam. Nur mit Mühe gelang es uns den armen Neger wiederaufzurichten. Bei dieser Gelegenheit wären wir selbst jedoch beinahe in die Gefahr gekommen, als Strassenpflaster zu dienen. Einen Augenblick, als ein besonders hastig rennender Pilger gegen uns drei mit Gewalt anstiess, während wir eben dem Neger behülflich waren, kamen wir alle drei zu Fall und bildeten einen verwirrten Knäuel auf dem Boden, in dem Ali, ich und die Familie Ssadak sich in bunter Unordnung wanden. Doch zum Glück dauerte diess nicht lange. Es gelang uns, uns eilig ernporzureissen und auch den Neger mit fortzuziehen. Diesem war allerdings von den vielen Fusstritten der frommen Pilger übel mitgespielt worden. Er war am ganzen Körper mit Beulen und blauen Malern bedeckt. Aber da die Fusstritte der den Sai abhaltenden Pilger für heilig gelten, so tröstete sich Ali über die ihm geschehene Unbill und rühmte sich derselben später sogar noch, denn ihm war nach den abergläubischen Begriffen einiger Moslems eine grosse Gnade wiederfahren. Aehnlich fühlen sich die Derwische in Kairo hochbeglückt, wenn an einem bestimmten heilig erachteten Tage ihr Oberer auf einem Pferde über ihre Rücken hinwegreitet. Endlich gelang es uns. aus dieser zur Zeit des Sai etwas allzugefährlichen Strasse herauszukommen. Da das Quartier el Solimanija, in welchem ich abzusteigen beabsichtigte, beinahe ausserhalb der Stadt, das heisst ganz an ihrem nordwestlichen Ende in der Nähe der Birk et (der Cisternen) liegt, so mussten wir nun den oberen Theil der Stadt in seiner ganzen Länge durchschreiten. Beinahe am Ende der Strasse el Emsa, nicht sehr weit von dem Punkte el Merua, dem einen Ziele des Sai, kamen wir an die öffentlichen Brunnen, wo stets eine Menge Pilger und Mekkaner lagern, um Wasser zu schöpfen. Das hier geschöpfte Wasser wird jedoch fast ausschliesslich zum Kochen und zur Reinigung der Wäsche benutzt , da man zum Trinken das hochberühmte Sem-semwasser vorzieht. Dann bogen wir in eine schöne, breite Strasse, el Mota genannt, ein, welche für eine Verlängerung der Hauptstrasse el Emsa gelten kann. Dieser Name ,,el Mota" bedeutet weiter nichts als „der Ort" oder „die Stelle". Sein Ursprung wird davon abgeleitet, dass früher die Pilger, welche von Norden kamen, hier ihre erste Station machten und Gebete hersagten. Es war ein „Ort", eine „Stelle" für geheiligte Gebräuche. Seitdem hat sich dieser Gebrauch verloren, aber der Name „el Mota" ist geblieben. Die Strasse el Mota zieht sich von der llaupt-strasse und der Kaaba, an welche sie beinahe an-gränzt, fast schnurstracks in nördlicher Richtung hin. Ihre Gebäude sind zwar nicht so stattlich und hoch, wie die anderer Quartiere, aber dennoch ist diese Strasse eine der wichtigsten der Stadt. Sie wird auf beiden Seiten von zwei dichten Reihen von Läden eingefasst, in welchen die Kleinhändler, Speeereikrämer, einige Handwerker, wie Schneider und Seidenwirker ihr Gewerbe treiben. Mitten in der Strasse el Mota kamen wir an einem massiven Gebäude vorbei, welches einst eine Universität gewesen sein soll, aber jetzt als Rumpelkammer der Militärequipirung benutzt wird. Zu Burckhardts Zeit war es ein Getreidemagazin und soll auch jetzt noch manchmal zu diesem Zwecke benutzt werden, wie es nun gerade der liebenswürdigen officicllen Laune gefällt. Am Ende der Strasse el Mota und noch höher, als diese steilaufstrebende Strasse, gelangten wir in die Strasse el Maale, welche, was ihre Richtung betrifft, nichts als eine gerade Fortsetzung von el Mota. ist. Hier Hessen wir rechts eine kleine Moschee liegen, welche, soviel ich entdecken konnte, das einzige religiöse Yersammlungshaus ist, welches Mekka ausser der Mesdschid el Haram noch zählt. Noch einige Schritte in der Strasse el Maale, das heisst der hochgelegenen, weil sie die höchste in der Stadt ist, und- wir erreichten das nördliche Ende von Mekka, wo die Karawanenstrassc nach dem Berge Arafa liegt. Hier beginnt eine lange sandige Ebene, in welcher auf einer Seite die Cisternen, auf der andern eine Menge hölzerner Buden, welche liederlichem Gesindel zum Aufenthalte dienen, liegen. Parallel mit dem durch sie führenden Pilgerwege. jedoch in nächster Nähe der Stadt und ziemlich vveit vorn Wege entfernt, liegen auf beiden Seiten von demselben noch einige Stadtquartiere, Eines dieser Quartiere war es, welchem wir uns jetzt zuwandten, nämlich dem etwa hundert Schritt vom Ende der Strasse el Maale in direct westlicher Richtung entfernten Quartier el Solimanija, wo sich das Haus des mir bestimmten Wirthes, Hamdan ben Hamidu befand. Das Quartier el Solimanija liegt am nordwestlichen Ende von Mekka, so zu sagen ganz ausserhalb der Stadt, am Fusse des Dschebel Hindi im Westen, und des von einem viereckigen Fort gekrönten Dschebel Lala (Berg der Tulpen) im Süden, während es im Norden an die Cisternen und im Osten an die Pilgerstrasse, die nach Arafa führt, gränzt. Dieses Quartier führt seinen Namen nach den Bewohnern von Afghanistan und Beludschistan, welche auf Arabisch Solimanija (Plural von Solimanje) heissen. Obgleich diese Leute hier ihr ausschliessliches Absteigequartier zu nehmen pflegen, so bildet doch das Stadtviertel, welches nach ihnen den Namen führt, keineswegs blos für die Pilger aus jenen Ländern einen Ort des Unterkommens. Allerdings sind es meist Hadschadsch aus den nordöstlichen Gegenden des mohamedanischen Theiles von Asien, aus Kandahar, Bokhara, Samarkand, der Tartarei, welche hier einzukehren pflegen, aber die Häuser stehen doch allen Fremden aus anderen Ländern offen, wenn sie nur Geld haben, welches hier in Mekka, wie überall, die beste Nationalität ist. Da ich übrigens mit einiger Sicherheit annehmen konnte, dass keine Maghrebia (Algierer), meine vermeintlichen Landslcute, denen die Herberge hier wohl meist zu theuer war, sich im Viertel der Solimanija einfinden würden, so war ich froh, hier mein Absteigequartier zu wählen. Das Haus des mir bestimmten Wirthes, Hamdan ben Hamidu, lag in einer ziemlich breiten Strasse des Stadtviertels und war leicht zu finden. Als wir an die Thür kamen, drang mir schon ein köstlicher Geruch eben bereiteter Speisen entgegen und ich wurde unwillkürlich an die Worte Molieres erinnert, dass der wahre Wirth derjenige sein muss, bei dem man gleich beim Eintritt in sein Haus einen gedeckten Tisch findet: Le verkable Amphitryon Est FAmphitryon, oü l'on dine. Der Anblick meines Wirthes Hamdan ben Hamidu war nicht weniger erfreulich für einen ausgehungerten Gast, als es der Geruch der Speisen war, der mir aus seinem Hause entgegendrang. Denn aus der Wohlgenährtheit, welche seine feisten Wangen und sein schöner, lieblich gerundeter Schmerbauch verkündeten, konnte ich auf eine nahrhafte Kost in seinem Hause schliessen, ein Ding, das mir bei meinem ausgemergelten Zustande sehr von Nöthen war. Ich war nämlich durch die Stra-patzen der Reise, durch die grosse ausgestandene Hitze, namentlich durch das beständige Schwitzen Und die schlechte Kost zu einem wahren Skelett heruntergemagert und bot in meiner Hinfälligkeit einen traurigen Contrast gegen den nach orientali-IL 9 sehen Begriffen wunderschönen Mann , Hamdan ben Hamidu, dar. Dieser Biedermann kam mir mit grosser Zuvorkommenheit, zugleich aber auch mit einer gewissen steifen Würde. welche fetten Leuten oft eigenthümlich ist, entgegen. Er machte einen wunderschönen Salamalek, bot mir die Hand zum Gruss und küsste mich dann auf den linken Ohrlappen, wahrscheinlich weil ich, auf solche Zärtlichkeit nicht gefasst, mein Gesicht ungeschickt dargeboten hatte. Hamdan ben Hamidu war ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, wahrscheinlich nicht von mekkanischer Familie, obgleich in Mekka geboren. Aber er hielt seinen wahren Ursprung, der, wie ich aus allerlei Anzeichen entdeckte, nicht ganz orthodox sein mochte, sehr geheim und die allerwenigsten seiner Gäste bekamen eine Ahnung davon, dass der Vater Ilamdans , ein gewisser Hamidu, ein schii-tischer Ketzer gewesen sei. Uebrigens dachte niemand daran, ihn nach seiner Abstammung zu fragen, was ihn sicherlich beleidigt haben würde. Wie konnte man aber einen Mann beleidigen, dessen schönes, rundes Vollmondgesicht stets von Amönität strahlte, dessen Mund fast immer zu einem graziösen Schmunzeln aufgelegt war und dessen Manieren die höchste väterliche Huld und brüderliche Herzlichkeit athmeten. Hamdan war zwar nach orientalischen Begriffen wunderschön, aber er war selbst nach europäischen Ideen nicht hässlich. Sein Gesicht war regelmässig geschnitten; seine grossen, braunen, stets feuchten Augen hatten etwas sehr schmachtendes , beinahe weibisches, wie die Augen so vieler fetten Leute; seine Nase war zwar klein, aber doch nicht kartoffelartig; sein Mund war zierlich, mit sehr kleinen, aber blendendweissen Zähnen versehen; keine einzige Runzel, kein Krähenfuss störte die Glattheit seiner Haut; sein Bart war weder dick, noch dünn, gerade dicht genug, um „benebarbatus" zusein und von einer schönen, dunkelbraunen Farbe, die freilich, wie ich später merkte, einem kosmetischen Mittel ihren Ursprung verdankte. Dazu kleidete sich Hamdan sehr stattlich und geschmackvoll, reich, ohne überladen zusein, weder pomphaft, noch auffallend, obgleich er mit den theuersten Stoffen behangen war. Die Füsse trug er nackt, und zwar, wie ich glaube, aus Eitelkeit, was wir ihm verzeihen wollen, denn Ham-dans Füsse waren nach orientalischen Begriffen wahre Meisterstücke der Natur; sie waren klein und voll, zierlich und rund und glichen auffallend denen eines neugebornen Kindes, eines gesunden, kräftigen Säuglings. Ebenso klein und zierlich waren seine Hände, die er stets reinlich wusch, hie und da färbte, und, glaube ich, nicht selten parfümirte. So war Hamdan ein wahrer orientalischer Typus, ein Typus des Islam aus der Zeit seiner höchsten Blüthe. Eine äussere und innere Harmonie, von der Natur in einen Manneskörper eingeschlossen und von Kunst und Geschmack verschönert und verziert. Alle seine Bewegungen waren, für seinen fetten und unbeholfenen Körper, wirklich sehr graziös zu nennen und doch hatte Hamdan niemals einen Tanzmeister gehabt, der ihn die fünf Positionen gelehrt hatte. Nur eines verunstaltete Hamdans Gesichtszüge. Das waren die drei grossen, länglichen Narben auf den Wangen, die von Einschnitten, welche man in der 9* Kindheit macht herrührten, und die jeder Mekkaner besitzt, an denen man einen Sohn der heiligen Stadt unfehlbar erkennen kann, und auf welche diese Leute, wie auf ein Zeichen von edler Abstammung, von „blauem Blut", stolz sind. Diese llässlichkeit wird hier mehr geschätzt, als die schönste Körperform, welche ja auch bei gemeinem Ursprung recht oft vorzukommen pflegt. Ilamdam führte mich nun in einen Saal zu ebener Erde, in welchem einige schöne Teppiche auf dem Fussboden lagen. Auf zwei Seiten des Saales zogen sich längs der Wände diwanartige Erhöhungen hin, auf deren einer man mich einlud, Platz zu nehmen. Hamdan setzte sich neben mich. die Familie Ssadak, welche von nun an mich gleichsam gepachtet zu haben schien und mich keinen Augenblick mehr verliess, ebenfalls, und nun begannen die Amönitäten der Conversation. Hamdan erkundigte sich mit gnädigen Schmunzeln nach meinem Befinden; ich gab ihm zur Antwort, dass ich zur Zeit mich zwar wohl, aber doch etwas schwach und zwar ausgehungert, fühlte. Ich hoffte, mein Wirth würde diese Anspielung verstehen und die Mahlzeit auftragen lassen, welche, wie ich aus dem herrschenden Küchengeruche schloss, bereit sein musste. Aber Hamdan war nicht zu so unceremoniellen Manieren zu bewegen. Erst musste eine gedehnte, langweilige Conversation eine halbe Stunde lang hinausgesponnen werden. So erforderte es der Anstand. Dann durfte erst an das Essen gedacht werden. Mancher meiner Leser wird denken: „Nun, bei einem Wirth, den man bezahlt, braucht man sich nicht zu geniren, man lässt die Mahlzeit auftragen, wann man eben will; und schickt den plaudersüchtigen Wirth, wenn er kommt uns durch langweilige Conversation vom Essen abzuhalten, dorthin, von wo er hergekommen ist." Aber im Orient sind die Sitten ganz verschieden. Der Wirth ist kein Wirth im europäischen Sinne des Wortes , das heisst keine Maschine, die einem für Geld und ohne gute Worte alles liefert, was ein hungriger oder müder Reisender begehrt. Nein! Der Wirth im Orient ist eine Art von Respectsperson. Obgleich er Geld und zwar recht viel Geld für seine Bewirthung nimmt, so gilt es doch immer noch für eine Gnade, dass er den Fremden aufnimmt. Er wird trotz seiner Käuilich-keit mit ganz demselben Respect behandelt, wie ein Gastgeher, der seine Gastfreunde in alter patriarchalischer Weise umsonst beherbergt und nährt. So wäre auch Hamdan um keinen Preis dazu zu bringen gewesen, die vorgeschriebene Empfangsfeierlichkeit abzukürzen. Die ceremoniellen Manieren gehen einem ächten Orientalen über alles, und sollte selbst der Gast verschmachten, die Leibesstärkung wird ihm erst dann gereicht, wenn es die Etiquette gestattet. Nachdem die ersten Fragen nach meiner Gesundheit, die ich beantwortete, und nach meinen vermeintlichen Aeltern, die in irgend einem Nest in Afrika fingirt wurden, welcher Frage ich auswich, gethan worden waren, ging die Conversation auf die Pilgerfahrt und endlich auf jenes Steckenpferd aller Araber, die Politik, über. Was die Pilgerfahrt betraf, so belehrte mich mein Wirth, dass in einigen Tagen die beiden grossen Pilgerkarawanen, die eine aus Darnascus, die andere aus Bagdad ankommen würden, was ein sehr schönes Schauspiel sei, dem auch er mit seiner sämmtlichen Sippschaft beizuwohnen gedenke. Ob ich nicht auch ihnen die Ehre schenken wolle, sie am anberaumten Tage vor's Thor zu begleiten, um die Karawanen ankommen zu sehen? Natürlich bejahte ich, machte einen Sala-malck und alles war in der Ordnung. Jetzt kam die Bede auf die Politik. Da hätten meine Leser die verrückten Gedanken hören sollen, welche diese Araber auf's Tapet brachten. Anfangs verstand ich freilich so gut wie nichts von ihrer politischen Kanncgiesserei. Als ich jedoch genauer hinhorchte, dabeiehrte mich ein stets wiederkehrender Eigenname, dass es sich um die Heldenthaten irgend einer berühmten Persönlichkeit handelte In allen Gesprächen kam nämlich stets der auffallende, mir gänzlich unbekannte Name „Kaliwalli" wieder. Ich hatte noch nie in meinem Leben etwas von diesem „Kaliwalli" gehört. Eine unverzeihliche Unwissenheit von meiner Seite, denn „Kaliwalli" war offenbar ein grosser Held, der die fabelhaftesten Thaten vollbracht hatte. Ich dachte natürlich, „Kaliwalli" sei vielleicht irgend ein obscurer Beduinenhäuptling, der im Innern von Arabien wahrscheinlich herculi-sche Heldenthaten vollbracht hatte, dessen Ruhm aber nicht über die arabische Halbinsel hinausdrang. Wer beschreibt aber mein Erstaunen , als auf meine Frage, was für ein Landsmann der grosse Held denn eigentlich wäre, nur der Bescheid ward , dass er ein Europäer sei. Neue beklagenswerthe Unwissenheit von meiner Seite. Aber ich liess mich in meinen Fragen nicht abschrecken und wünschte nun ZU wissen, in welchem Jahrhundert denn besagter „Kaliwalli" gelebt habe. Jetzt wurde mir der überraschende Aufschluss, dass der grosse Held ja noch le»e, dass er eine Berühmtheit unsres eignen Jahrhunderts sei. Da stand ich wie ein gewisses Thier am Berge. Da war ein berühmter europäischer Held unsres Jahrhunderts, von dem ich nie das geringste verno.nmen hatte. Nachdem ich mich von meinem Frstau'ien erholt, fiel mir ein. dass der Name „Kaliwalli-' «lenn doch vielleicht nicht die ganz richtige Namensbezeichnung für den grossen unbekannten Heiden sein möchte. Wahrscheinlich war er die Verstümmeln/ig irgend eines europäischen Namens. Ich ging desshalb im (reiste die Namen aller derer durch, welche in den letzten dreissig Jahren in Europa von sich besonders reden gemacht hatten. Endlich kam unrein lichter Gedanke. Ich rief über meine plötzliche Entdeckung voll Entzücken aus: „Garibaldi, das ist der Narne, von dem ihr Sprechen wollt". Aber die Araber schauten mich erstaunt an. Meine plötzliche Lebhaftigkeit, die nur das Resultat der Freude war, weil ich einen Namen, den ich lange gesucht, endlich gefunden hatte, schien ihnen fast wie ein Anzeichen von Geistesverwirrung. Hamdan Versicherte mich in allem Ernste, ich müsse mich irren, der Name heisse Kaliwalli und nicht Garibaldi. Ich war vernünftig und kaltblütig genug, um meinem Wirthe nun sogleich Recht zu geben, denn meine genauere Kenntniss europäischer Namen und euro-däischer Politik hätte natürlich auf mein Araberthum - 13t> — das schlechteste Licht werfen müssen. Einen Augenblick hatte ich mich beinahe verrathen. Aber dieser Augenblick sollte auch der einzige sein. Jetzt stellte ich mich wieder so unwissend, wie vorher, obgleich ich nun wusste, um was es sich handelte, denn der Name „Kaliwalli" war in Wirklichkeit nichts anderes, als eine Verstümmelung des Namens des bekannten italienischen Freisehaarenführers. Als nun von den einzelnen Heldenthaten dieser im Mund der Araber zur Fabelgrösse aufgeschwollenen Persönlichkeit die Rede war, da spielte ich meine Rolle als L'mvissen-der mit eben so viel Glück durch, wie vorher. Mit offenem Munde, welche Geberde bei allen Völkern stummes Erstaunen ausdrückt, sass ich da and hörte die Heldenthaten des grossen Mannes erzählen. Was hatte „Kaliwalli" nicht alles gethan! Lr war auf einer Insel mit Gewalt gelandet, deren Ufer ganz mit den Kanonen seiner Feinde bespickt waren, welche den dichteste]) Kugelregen auf ihn ergossen. Diese Kanonen hatte er ganz allein erobert und die Feinde nur durch den Schreckpopanz seines fürchterlich martialischen Aussehens in die Flucht geschlagen. Ich errieth, dass es sich hier um die Landung Garibaldis in Sicilien handelte. Mehr wusste man damals noch nicht in Mekka, Aber dieses Ereignis» wurde bis zu mährchenhafter Grösse hinaufgeschraubt. Zum Schluss entspann sich eine Discussion darüber, wiewohl der schreckliche Held aussehen möge. Einer behauptete, derselbe sei eigentlich gar kein Mensch, sondern ein fürchterlicher Dschin, oder böser Geist, der nur zuweilen menschliche Form annehme, um irgend eine mysteriöse Aufgabe auf Erden zu erfüllen. Aber Hamdan wusste besseren Bescheid darüber. Er kannte einen Rais (Schilfshauptmann) aus Alexandrien, der das Monstrum mit eignen Augen gesehen hatte. Desshalb belehrte er uns nun, Kaliwalli (Garibaldi) sei zwar ein Mensch, aber so hässlich und schrecklich anzusehen, dass er die Feinde durch seine blosse Erscheinung in die Flucht jage. Er habe einen rothen Bart, der Ins zum Boden hinabreiche, sein Mund sei fürchterlich gross und mit Zähnen, denen eines Ebers gleich, ausgestattet. Dazu sei seine Gestalt so gross, dass kein Mensch seinen Kopf mit der Säbelspitze in ausgestreckter Hand erreichen könne. Auch trage er ein rothes Hemd, welches täglich in's Blut seiner Feinde getaucht werde und davon seine Farbe herleite. Dieses blutige Hemd bilde ganz besonders den Schrecken der Feinde, denn aus seinem Anblick schlössen sie auf das grausame Loos, welches der entsetzliche Blutmensch ihnen bereiten würde, wenn sie in seine Hände fielen. Ein solches Ungethüm brauche gar keine Waffen, denn niemand könne seinen fürchterlichen Anblick ertragen. Seine Augen glichen verzehrenden Flammen, sein Mund einem Höllenrachen, seine Augenbrauen den Borsten eines Wildschweins. Dazu verspeise er kleine Kinder und lasse keine Grausamkeit ungeschehen. So hatte die fruchtbare Phantasie dieser guten Eeute den italienischen Freischaarenführer mit allen Eigenschaften des Menschenfressers der Kindermärchen ausgestattet. Während ich dieses fabelhafte Gespräch anhörte, hatte sich der Speisesaal allmählig mit Gästen gefällt, von denen einige mit uns an der Mahlzeit Theil nehmen sollten, während andere aus religiösem Vorurtheil ausgeschlossen werden mussten. Zu den ersteren gehörte ein Kaufmann ausBochara, welcher Murad Oghlu Khan hiess und dessen Sohn Selim, mit welchen beiden ich während meines Aufenthalts in Mekka etwas näher bekannt werden sollte. Leider konnten wir nur sehr wenig miteinander sprechen, da Murad vom arabischen nur ungefähr so viel wusste, wie ich vom türkischen, seiner Muttersprache, das heisst. einige fünfzig Worte. Murat war ein vierschrötiger , kräftiger, knochiger Mann von einigen sechzig Jahren. Sein Gesicht bot einen acht tatarischen Typus dar. Es war kurz und breit, mit hervorstehenden Backenknochen , tiefliegenden, kleinen, funkelnden Augen, einem grossen Mund mit schlechten Zähnen, einem spärlichen, grauen Bart, auch war er von einer heinahe citronengelben Gesichtsfarbe, gelber als seine Landsleute, die sonst gel!» genug sein mögen, gewöhnlich sind, jedoch nicht gelber, als sein Sohn Selim, der wirklich die per-sonificirte Gelbsucht schien. Dieser Selim war ein kleines, gedrungenes Kerlehen, noch jung, aber bereits sehr abgelebt, mit hängender Lippe und schlaffer Gesichtshaut. Dazu dieser überaus gelbe Teint, der auf eine Leberkrankheit und ein sehr biliöses Temperament schliessen Hess und mit Recht, denn Selim war höchst heftiger Natur. Seine Heftigkeit offenbarte sich in den steten Streitigkeiten, welche er mit Murad hatte, wobei dieser Erzeuger seiner Tage nicht immer zum besten wegkam , und nicht selten Spuren vonThätlichkeiten seines Spröss-lings davontrug. Murad war kein Behüte; folglich kein Ketzer, Obgleich die Mehrzahl seiner Landsleute es sein soll. Er war in Mekka sehr gut bekannt, da er alle vier oder fünf Jahre einmal dorthin zu pilgern pflegte, aus Frömmigkeit, wie er vorgab, aber in Wirklichkeit aus Interesse, denn er trieb einen ziemlieh vor-thcilhai'ten I'elzhandel. Als I'olzhändler besass er auch einen Laden . den er in einer der lebhaftesten Strassen von Mekka für einen Mmiat zu iniethen pflegte, ähnlieh wie es die Grosshändler auf der Leipziger Messe thun. Uoherhaupt hat der Pilgerverkehr grosse Aehnlichkeit mit einer deutschen Kaufmesse. Wie im deutschen noch das Wort .,Messe" andeutet . dass auch bei uns eine religiöse Ursache der ursprüngliche Grund des Zusammenströmens der Kaufleute gewesen war. so hat bei den Arabern das Wort >,Hödsch" (Pilgerfahrt) ausser seiner religiösen auch etile kaufmännische Bedeutung erlangt. Schon nach zwei Tagen war meine Bekanntschaft mit Ifnrad Oghlu Khan so weit gediehen, dass er mich einlud . ihn oft in seinem Laden zu besuchen, was ich auch zu grosser Befriedigung meiner "Neugierde that. Mit Selim vertrug ich mich freilich anfangs nur sehlecht, aher ich wusste, mir den interessanten jungen Mann durch einige geschickt angebrachte Geschenke geneigt zu machen. Ausser diesen beiden . welche gleichfalls bei Hamdan wohnten, waren noch drei alte Männer aus Afghanistan, ächte Snlhminija . meine Mitgäste. Biese waren also hier, in dem Quartier der Afghanen, völlig an ihrem Platz. Diess Quartier heisst übrigens nur so, es ist keineswegs ausschliesslich für Solimanija allein bestimmt, denn die Heimath dieser Leute liegt so weit weg, dass nur wenige von ihnen jährlich die Pilgerfahrt machen und die Wirthe, wenn sie nur Afghanen beherbergen wollten, oft ihre Häuser ganz leer sehen würden. Diese drei Afghanen waren fürchterliche Fanatiker. Namentlich behandelten sie die hier wohnenden Perser (welche alle Schiiten, folglich Ketzer sind) mit der grössten Geringschätzung, warfen, wenn sie ihnen begegneten, mit den gemeinsten Schimpfwörtern um sich und wollten natürlich nicht dulden, dass diese gottlosen Ketzer mit ihnen bei Tisch Platz nahmen. Uebrigens waren diese Solimanija, stattlich aussehende, wohl-häbige Männer, schön gekleidet, mit vielen phantastisch geformten Waffen versehen, von denen sie die leicht tragbaren im Gürtel führten. Ihr Fanatismus schier» sie mit einer Art von Instinct zu begaben, welcher den guten Moslem von dem schlechten beim ersten Anblick gleichsam durch Intuition erkannte, gewissermaassen herausfühlte. So waren sie auch sehr bald in ihrem inneren Forum darüber einig geworden, dass es mit meiner Orthodoxie nicht recht stehen musste. Alle meine Aufmerksamkeiten gegen sie fruchteten nichts. Sie hatten einmal beschlossen, dass ich eine Art von Ketzer sein müsse und sie blieben bei ihrer Meinung. Da ich mich jedoch wohl hütete, ihnen in meinem Auftreten oder durch meine Aeusserungen Deweise an die Hand zu geben, aus welchen sie meine Eigenschaft als Ketzer oder gar als Ungläubigen herausdemonstriren konn- ten, so mussten sie schweigen und mich, für wie gottlos sie mich innerlich auch halten mochten, wenigstens äusserlich als einen orthodoxen Moslem gelten lassen, mit mir zusammen bei Tische sitzen, wenn es die Gelegenheit mit sich brachte, und mich sogar mit einigen höflichen Redensarten, der kleinen Münze der arabischen Conversation von Zeit zu Zeit abspeisen. Diese waren die Hauptpersonen der orthodoxen Gesellschaft im Hause des Hamdam ben Hamidu, zu welchen sich später noch ein halbes Dutzend verschiedener Landeskinder gesellte, die ■'die an ihrem Platz einer Beschreibung gewürdigt werden sollen. Die heterodoxe Gesellschaft dagegen bestand einstweilen erst aus drei Persern und Einern alten Mann aus Chorassan. Dieser ketzerische Theil unsrer Hausgenossen, von den orthodoxen Gläubigen durch die unübersteigliche Kluft des religiösen Fanatismus geschieden, durfte natürlich nicht mit uns guten Moslems bei Tische sitzen. Ja, selbst Wenn gar nicht gegessen und nur schöne Conversation gemacht wurde, mussten diese Schiiten einen eignen Winkel des Saales bewohnen. Dort sassen sie auf dem Teppich des Fussbodens, denn in ihrer Ecke gab es keinen Diwan mehr, zwar mit möglichster Würde, in recht künstlerisch geschmackvoll gewählten Positionen, aber doch, was sie freilich zu verbergen suchten, etwas genirt durch die Unannehmlichkeit ihrer Lage als Ketzer im Hause eines Sunniten und inmitten anderer Sunniten. Sie hatten offenbar hier eine falsche Stellung und wären gewiss keine Stunde in diesem Hause geblieben, wenn sie ein andres besseres Unterkommen hätten finden können. Aber eigentliche Okala (Wirthshäuser) giebt es in ganz Mekka nicht. Dafür werden die Pilger fast in allen Privathäusern für Geld beherbergt und bewirthet. Nun existirt zwar in Mekka eine Anzahl von Häusern, in welchen man fast ausschliesslich Perser und andere schiitische Ketzer aufzunehmen pllegt, welche Herbergen entweder von Schiiten, welche in Mekka ansässig sind, oder von Mekka-nern, die im Geruch der Ketzerei stehen, gehalten werden. Ja es giebt in Mekka ein eignes Perserquartier, da aber dieses sehr nahe an demjenigen Stadttheil, den gewisse Damen bewohnen, liegt, so hebt es kein ernster Adschemi (Perser) dort abzusteigen. Diess war ein Grund * warum unsre Ad-schenda nicht in Perserhäusern wohnten; der zweite war der, dass ein Theil dieser Häuser bereits überfüllt, der andere den mit der Bagdadkarawane erwarteten Hadschadsch (Pilgern) versprochen war. So blieb diesen Sectirern Ali's nichts andres übrig, als im Hause eines Menschen, den sie noch mehr hassten, als einen gewöhnlichen Sunniten (denn Hamdan galt für einen abtrünnigen Schiiten) ein Unterkommen zu suchen. Diese drei Perser, meine Hausgenossen, sahen einer beinahe wie der andere aus. Sie glichen sich dergestalt, dass man sie für Brüder halten konnte, und dennoch waren sie gar nicht mit einander verwandt. Jeder hatte dasselbe regelmässige Gesicht, dieselbe ziemlieh lange, feingeschnittene, gerade Nase, denselben vollen, dichten, schwarzen oder schwarzgefärbten Bart (denn alle Perser färben ihre Barte), dieselben dunklen Augen, dieselben mit Kohol geschwärzten Augenwimpern, dieselben leingezeichneten Augenbrauen, denselben kleinen Mund, und dieselben dünnen Lippen. Auch schienen sie alle drei in gleichem Alter zu stehen, obgleich ich später erfuhr, dass der älteste fünfzig, der jüngste erst fünlünddreissig Jahre alt war. Aber das Färben des Bartes und der sehr täuschende olivenfarbene Teint gaben dem älteren ein viel jugendlicheres Aussehen. Dazu waren sie auch noch alle drei beinahe gleich gekleidet, Sie trugen seidene röthliehe Unterkaftans von schönem, dem tscherkessischen ähnlichen Schnitte und darüber tuchene, dunkle Oberkaftans, sowie reiche Kaschmirgürtel und hübsche lederne Babuschen. Ihre Kopfbedeckung bildete der bekannte zuckerhutförmige Hut aus Lammfell, ein sehr charakteristisches Toilettenstüek, welches den schlechten Muselmann schon von ferne gewahren lässt und jedem guten Sunniten, so oft er es sieht, Flüche über die orthodoxen Lippen bringt. Im ganzen sahen diese Perser höchst stattlich aus. Ueberhaupt habe ich unter allen tausenden und tausenden von Hadschadsch , welche mir auf meiner Wallfahrt nach Mekka vorkamen, keine stattlicheren, keine männlicheren Gestalten gesehen, als die der vielgeschmähten Adschemia, von denen meine drei Hausgenossen vortheilhafte, jedoch keineswegs ausnahmsweise Exemplare waren. Unter allen Orientalen, welche ich beobachtete, scheint mir , im ganzen genommen und von allen Einzelheiten abgesehen, der Perser der ächteste Typus des Mannes im vollen Sinne des Wortes zu sein. Er soll es auch, was seine körper- liehen Kräfte und virilen Eigenschaften betrifft, im höchsten Grade sein und manches hörte ich über die ausserordentlichen Fähigkeiten dieser Adschemia erzählen , das den Ruhm eines Casanova oder August des Starken verdunkeln würde. Doch die Erzählungen der Mekkaner, welche über diesen, wie über alle andern , bei uns für anstössig geltenden Punkte, sich höchst frei und mit ganz antiker Offenheit auszusprechen pflegten, sind in einem in Europa zu druckenden Buche unwiederholbar. Dass solch' stattliche, durchaus männliche Leute, wie die Perser, natürlich ihre gehörige Dosis von Selbstgefühl haben, welches leicht in Stolz ausartet, wird man erklärlich finden. Aber hier in Mekka müssen sie ihr Selbstgefühl vollkommen verläugnen. Sie erfahren, als Ketzer, bei jeder Gelegenheit die bittersten Schmähungen, man scheut sich nicht, sie mit Koth zu bewerfen, ihnen in's Gesicht zu spucken, sie mit Füssen zu treten. Früher zur Zeit Sultan Murad des Vierten (1650) war ihnen der Besuch der Moschee von Mekka sogar gänzlich untersagt. Jetzt ist er ihnen wieder gestattet, aber wie vielen De-müthignngen müssen sie sich unterziehen, wenn sie die heilige Wallfahrt unternehmen wollen ? Wenn so ein unglücklicher Adschemi es trotz aller Unannehmlichkeiten, die seiner warten, dennoch unternimmt, nach Mekka zu pilgern, so ist es von seiner Seite wirklich der grösste Beweis von moralischem Muth, ein wahres Märtyrthum, oder wenigstens ein Bekennerthum im Sinne der ersten christlichen Jahrhunderte. Jeder Adschemi, der ein Iladsch wird, verdient den Namen „ Confessor", denn er bekennt seine Religion unter den grössten Erniedrigungen, beinahe unter Torturen, die nicht immer blos moralische Torturen sind. In früheren Jahrhunderten zwang man die Perser oft, sich zur sunnitischen Orthodoxie zu bekehren und tödtete diejenigen, "welche sich weigerten. Aber auch jetzt zwingt man sie noch, namentlich wenn sie Medina, die Stadt, wo der Prophet begraben liegt, besuchen, Dinge zu thun, welche mit ihren Glaubensbekenntniss im ärgsten Widerspruche stehen. Zum Beispiel müssen sie an den Gräbern der zwei dort ruhenden Imama, der Chalifen Abu-Bekr und Omar, welche die Schiiten verabscheuen, stehen bleiben und beten, so oft sie daran vorbeikommen, wo sie natürlich nur mit den Lippen ihre Andacht verrichten, innerlich aber Verwünschungen auf das Andenken der hier begrabenen Nachfolger Mohameds häufen. Ich konnte mich jedesmal, wenn ich so einen stattlichen, in jeder Beziehung den Arabern überlegenen Perser von dem elenden Volk in Mekka beschimpft werden sah, ohne dass er auch nur Miene machen durfte sich zu rächen, eines seltsamen Gemischs von Mitleid und Ehrerbietung nicht erwehren. Dieses Beschimpfen der Perser von Seiten der an Zahl und Macht ihnen hier wreit überlegenen Sunniten gleicht so ganz jenem Fuss-tritt, welchen der Esel der Fabel dem sterbenden Löwen gab, es liegt so viel moralische Feigheit darin, dass es jeden Menschen, der ein männliches Herz hat, mit dem tiefsten Ekel erfüllen muss. Das Benehmen unseres Wirthes gegenüber den drei bei ihm wohnenden Adschemia war ein höchst sonderbares. Er hatte sie in sein Haus aufgenom-U. 10 men, er gab ihnen Obdach und Speise, wofür sie tüchtig zahlen mussten, aber er schien ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken, wenigstens so lange nicht, als ein orthodoxer Moslem in Sehweite nahe weilte. War jedoch der letzte Fanatiker zum Saal hinausgegangen, waren alle Sunniten fort, ich natürlich auch, denn auch ich galt für einen Sunniten, dann nahm auf einmal Hamdan hcn Hamidu einen ganz anderen Ton an. Da das von mir während der ersten Stunden bewohnte Zimmer nur durch eine mit vielen Kitzen versehene Bretterwand vom Saal getrennt war, so konnte ich leicht, durch eine der besagten Bitzen, alles beobachten, was vorging, als sich Hamdan mit den Schiiten allein befand und unbeachtet glaubte. Es war der schönste Bühneneffect den man sehen konnte. Wie durch einen Zauberstab war plötzlich die frühere Gleichgültigkeit und stille Verachtung, welche Hamdan den Persern gegenüber zur Schau trug, verscheucht. Sein .Gesicht nahm einen freundlichen , fast väterlich wohlwollenden Ausdruck an, wie er nach der Ecke ging, wo die Adschemia sassen. Einige sehr ceremoniöse Salamaleks wurden dargebracht und von den Persern in stummer Würde, mit einer gewissen edlen Steifheit erwidert. Diese braven Leute verachteten natürlich den schönen Hamdan aufs äusserste, nicht nur wegen seiner Doppelzüngigkeit, sondern auch desshalb, weil dieser, wie ich zuweilen von seinen indiscreten Freunden andeuten hörte, ursprünglich auch ein schiitischer Ketzer, dessen Vater ein Perser aus Bagdad, war, und jetzt mit viel geschickter Heuchelei den fana- tischen Sunniten spielte und vorgab zur Secte der Hanelia zu gehören, welche im Stadttheil der Solimanija die herrsehende ist. Was Hamdan wirklich, im Grunde seines Herzens, war, Haneli oder Ketzer, das habe ich nie ergründen können. Aber das weiss ich, dass, sowie er sich mit den Persern allein befand, er sich ganz als Schute geberdete, mit Verachtung von den Sunniten und den vier orthodoxen Secten sprach, die vier Muftis mit den unreinsten aller Thiere verglich und die drei sunnitischen Imama, die ersten Chalifen des Islam, welche den guten Ali von der Nachfolge des Propheten so lange ausgeschlossen hatten, der Verwünschung preisgab. Die Perser konnten trotz dieser liecantation dennoch natürlich den Wirth nicht als einen guten Schiiten ansehen, denn, so wie nur ein Sunnite in den Saal trat, war Hamdan wieder wie umgewandelt, schimpfte dann mit ebenso viel Feuer auf die Sectirer Ali's und nannte sie Götzenanbeter, weil sie Hassan und Hossein, die Söhne Ali's, abgöttisch verehrten, wie er dann behauptete. So konnten also die Adschemia begreiflicher Weise nicht viel Sympathie mit diesem Heuchler hegen. Aber sie durften, aus Gründen ihrer eignen Sicherheit, seine Zuvorkommenheiten dennoch nicht ganz zurückstossen. Sie liessen also alles mit sich geschehen, was Hamdan gutes und schönes mit ihnen machen wollte, so wie er mit ihnen allein war. Sie mussten die abgeschmacktesten Zärtlichkeiten über sich ergehen lassen, die kriechendsten Schmeicheleien vernehmen, sich selbst mit Löwen und ihr Land mit der Sonne vergleichen hören und so weiter. In den Augenblicken, wenn er 10* keine Gegenwart von Sunniten zu fürchten hatte, liess Hamdan die Sectirer Ali's auch nicht im Winkel des Zimmers sitzen. Sie mussten hervor kommen und die Ehrenplätze auf dem Diwan einnehmen. Hamdan holte ihnen selbst den besten Mochakalfee. sein Sohn, ein geschminkter Jüngling von weibischem Aussehen, brachte die schönsten Nargilia (Wasserpfeifen) herbei, welche die Perser ausschliesslich lieben, kurz den Adschemia wurde geschmeichelt und schöngethan, dass es eine Freude war. Ob diese sich jedoch dabei sehr glücklich fühlten, das lasse ich dahin gestellt sein. Der alle Mann aus Chorassan, welcher mit den Persern zusammen, so lange als Sunniten im Zimmer waren, den verlorenen Winkel des Speisesaales bewohnen musste*, war ein wahrer Biese an Gestalt, kräftig von der Natur entworfen und vom Alter ungebeugt, aber er war ein wahrer Zwerg an Intelligenz, der alles glaubte, was ihm die Familie Hamdan an Lügen und Fabeln auftischte und der nicht selten der Spottapfel der ganzen Gesellschaß wurde. Dieser gutmüthige, aber einfältige Mensch trug, trotz der unerträglichen Hitze, welche in diesem Sommer in Mekka herrschte, einen dickem mit Zobelpelz gefütterten Kaltau, weil man ihn glauben gemacht hatte, dass sein vermeintlich hoher Rang ein so stattliches Kleidungsstück erfordere, welches ihn in Aller Augen als einen vornehmen Mann erscheinen lassen würde, das ihn aber in Wirklichkeit nur lächerlich machte. Ueberhaupt heben es dieMekkaner sehr, sich über Fremde lustig zu machen, wenn sie Leute finden, die einfältig genug sind, es sich gefallen zu lassen. Ein solcher Mann war Sliman, der Chorassaner, und die Streiche, welche ihm die Familie Hamdan spielte, gränzen an's unglaubliche. Ich selbst war Zeuge von einigen derselben. Diese waren die Hauptpersonen, welche zur Zeit meines Eintritts in das Haus Hamdans nieine Mitgäste bildeten. Nachdem die holden Wonnen der Conscrvation abgethan waren, nachdem man sich mit dem grossen Heiden der Neuzeit, dem bluttriefenden Kaliwalli (Garibaldi) hinlänglich beschäftigt hatte, wurde endlich die Mahlzeit aufgetragen. Drei Neger brachten die Hauptschüsseln herein, deren eine mit Reis, eine mit Hammelfleisch und eine andere mit einem unausstehlich süssen Gebäck gefüllt war, und setzten sie auf grosse, hölzerne Piedestale gerade in die Mitte der Hungrigen, dicht vor den Diwan, auf dem ich mit Murad und Selim sass, während die beiden Ssadak mit Hamdan uns gegenüber auf dem Teppich des Fussboden hockten. Das komische unsres Sitzens bei Tische war, dass wir drei auf dem Diwan höher, als die Schüsseln, die anderen drei auf dem Boden jedoch niederer sassen, so dass die einen mit der Hand nach unten, die andern nach oben fahren mussten, wenn sie etwas von den Speisen erwischen wollten. Erst wurde der Pilaff, ein Thurm von gesalzenem, starkgepfeffertem, in Butter gekochtem Reis angegriffen und zwar mit hölzernen Löffeln. Dieses Manöver wurde zuweilen dadurch unterbrochen, dass einer oder der andere mit der Hand in die Schüssel voll Hammelfleisch fuhr, ein Stück herauslangte und mit den Fingern seinem Mund näherte. Dazwischen brachte man uns kleine Nebenschüsseln. verzuckerten Rahm, eingemachte Aprikosen, Rosenconfituren, welche von drei Knaben, den Söhnen unsres Wirthes, präsentirt wurden. Diese Dürschchen blieben neben uns stehen, hielten uns die Schüsseln unter die Nase und schienen offenbar uns ihren Inhalt selbst in den Mund stecken zu wollen. Einige von uns.Hessen sich diess Manöver auch gefallen, ich hatte jedoch nach europäischer Sitte schon im Alter von zwei Jahren selbst zu essen gelernt und war entschlossen, es auch in Zukunft zu thun, wenn mir der Schöpfer den freien Gehrauch meiner Glieder lassen würde. Dcsshalb verschmähte ich die Hülfe der schelmischen Knaben, die, ungezogen, wie alle arabischen Kinder, sich beim in den Mund Stecken der Speisen mit den Pilgern oft allerlei Scherze erlaubten, ihnen die Nase mitConfi-turen beschmierten, Rahm über die Wangen strichen und dergleichen unschuldige Spiele noch mehr, auf welche ich gut verzichten konnte. Soweit ging alles gut, Das Essen erfolgte mit ziemlichem Anstand, die Streiche der Knaben freilieh abgerechnet, ja, mit Reinlichkeit und nicht ohne eine gewisse feierliche Gemessenheit. Als aber der Reis und das Fleisch verspeist waren, und nun die Reihe an das süsse Gebäck kam . da sollte ich bald etwas anderes zu sehen bekommen. Alle Orientalen sind nämlich wie Kinder in Süssigkeitcn verliebt. SÜSS-essen gilt ihnen ausschliesslich für Gutessen. Das süsse Gericht erfreut sich desshalb, unter allen Speisen einer Mahlzeit, bei weitem ihrer Vorliebe und , sollten sier vorher auch noch so viel schon gegessen haben, so sind sie doch stets im Stande, von der süssen Speise eine ganz unbegreiflich grosse Quantität sich zu Gemüihe zu führen. So fielen nun auch meine Tischgenessen über die Süssigkeit mit Heisshunger, mit einer wahrhaft thierischen Gier her. Hatten sie vorher ihre Hände mit Ruhe und Anstand, und nie mehr, als eine Hand auf einmal, der Schüssel genähert, so fuhren sie nun mit beiden Händen zugleich, ich möchte beinahe sagen, mit den Armen bis an die Ellenbogen, in die Schüssel und langten deren Inhalt heraus. Das in derselben enthaltene Gebäck schwamm aber; nach beliebter arabischer Sitte, in einer Brühe von Honig und flüssiger Butter, in einem wahren Meer gelblicher Flüssigkeit, und diese Flüssigkeit platschte und spritzte unter den Bewegungen der in die Schüssel fahrenden auf die Körper aller Anwesenden, in ihr Gesicht, auf ihre Kleider, ihren Turban, alles besudelnd und verderbend. Wie ein wahrer Springbrunnen sprudelte die hässlichc, fei (ige und klebrige Materie aus der Schüssel hervor und mir blieb nichts übrig, als mich eiligst zurückzuziehen, um nicht von ihr über und über bekleckst zu werden. Dennoch war es schon zu spät. Bereits war mein ganzes Costüm mit Butter und Honigflecken übersät und ich eilte in mein Zimmer, um es zu wechseln. Die andern Essenden störte jedoch der Schmutz und das Fett gar nicht, sie behielten ihre befleckten Kleider, die noch viel fettiger und honigreicher geworden waren, als die mehligen, nicht nur den ganzen Tag, sondern auch die ganze folgende Woche noch an und wechselten sie erst dann. als sie von der kleinen Wallfahrt, der Pilgerfahrt nach der Omra, zurückkehrten. Nur der reinliche und auf sein Aeusseres etwas eitle Hamdan und sein ältester Sohn, der schon erwähnte, geschminkte, rosenrothe Jüngling, hatten, wahrscheinlich durch frühere Erfahrungen über die schmutzige Fresserei gieriger Pilger gewitzigt, sich bereits vor dem Angriff auf die Honig und Buttermasse zurückgezogen und sahen nun aus einiger Ferne den Verschlingungskunst-stücken der Familien Murad und Ssadak zu, welche wirklich aussergewöhnliches leisteten. Die schiitischen Ketzer hatten im andern Winkel des Zimmers genau ähnliche Gerichte wie wir vorgesetzt bekommen, sie benahmen sich aber bei dem Essen der süssen Speise viel anständiger, als die orthodoxen Mitgäste, welche reinliches Speisen offenbar für eine Tugend hielten, deren ein rechtgläubiger Sunnitc entbehren konnte. Als ich von Honig und flüssiger Butter beinahe triefend, auf mein Zimmer zu gehen verlangte und diesen Wunsch meinem Wirthe zu erkennen gab, machte mir dieser ein pfiffiges Zeichen, wodurch er mir zu verstehen gab, dass ich ja nicht mit lauter Stimme von meinem Zimmer sprechen solle. Denn ich hatte wirklich ein Zimmer, — ein unerhörter Luxus in einem arabischen Hause. Gewöhnlich pflegen nämlich alle in einem mekkanischen Hause einquartirten Pilger gemeinschaftlich auf »dem Teppich des Fussbodens im Empfangssaale zu schlafen. Dass ich ein eignes Zimmer bekommen hatte, das verdankte ich der Vorsorge des Hassan ben Ssadak und meinem vermeintlichen hohen Bang, denn einen „Prinzen von Algier" konnte man doch unmöglich „pele mele" mit all' den fettigen, schmutzigen und keineswegs wohlriechenden Pilgern auf dem Fusshoden schlafen lassen. Auch musste ein so orthodoxer Moslem streng vor der Berührung mit schiitischen Ketzern gehütet werden. Ich hatte also ein eigenes Zimmer, welcher Art wird man gleich sehen ; aber die andern Pilger waren weit entfernt davon, so begünstigt zu sein und, um ihre Eifersucht nicht rege zu machen, wurde mir empfohlen, die Existenz meines Zimmers so geheim als möglich zu halten. Ein junger Negersklave führte, mich in dieses nur bestimmte Gemach, welches freilich sehr klein war, jedoch auf den ersten Anblick sich ganz hübsch und sogar wohnlich ausnahm. Es war auf drei Seiten mit ordinärem, gedrucktem Cattun behängt, der die Stelle der Tapeten vertrat; auf der vierten lag die grosse hölzerne Thür, deren viele Bitze mir Gelegenheit verschafften, hier mein Observatorium aufzuschlagen, um alles, was im Saale vorging, zu beobachten. Möbel besass dieses Zimmer nicht. Aber ich hatte genug Gepäck bei mir. um es ganz auszufüllen. Nachdem ich mich der langersehnten Siesta, ergeben hatte, benutzte ich mein Observatorium dazu, um das. was im Saale vorging zu beobachten, welche Beobachtungen schon oben erwähnt wurden. Ich mochte etwa drei Stunden in meiner Stube gewesen sein, als ich plötzlich einen Besuch kam. der mir die wahre Eigenschaft meines vermeintlichen Zimmers offenbarte. Dieser Besuch bestand in einem sehr schönen Calcuttahahn, welcherplötzlichunterdein Cattun zum Vorschein kam mal sein lautes Kikeriki dicht neben meinem Ohre ertönen liess. Dem Ilauswecker folgte bald sein zahlreicher Harem und im Nu war mein ganzes Zimmer mit einem Heere von Federvieh angefüllt, welches gar nicht herauszubringen war. Denn es befand sich in der That hier an seinem gewohnten Orte, es hatte mein Zimmer erst seit einigen Stunden verlassen und war nicht zu überzeugen, dass es einem „Prinzen von Algier" zu weichen habe. Meine Wohnung war, wie ich nun klar erkannte, nichts anderes, als der Hühnerstall, den man nothdürftig ausgeputzt hatte. Hinter dem die Wände schmückenden Cattun war nichts, als Bretterleisten, die ein Gitter bildeten, nicht einmal ein zusammenhängender Bretterverschlag. Ks war ein wahrer Käfig, in welchem ich wohnte oder vielmehr wohnen sollte, denn die Gesellschaft des Federviehes brachte mich schnell zum Aufbruch aus dem Buhnerstall. Kaum angekleidet, stürmte ich zu Hamdan in den Saal hinein und setzte ihn nicht wenig durch meinen Zorn in Erstaunen: „GlaubstDu denn, o Hamdan! " so rief ich, „dass wir Pilger so gutmüthige Thiere seien, um uns auch alles gefallen zu lassen? Hältst Du mich vielleicht für einen Barbaren, einen Wilden, der mit dem lieben Vieh zusammen wohnen will? Wagst Du es einen rechtgläubigen Sunniten im Hühnerstall einzuquartieren? Denn trotz Deiner Künste, trotz der Verhängung des Leistengestells habe ich nur zu schnell die wahre Eigenschaft des Zimmers erkannt, welches Du nicht anstandest, nur anzuweisen ! " Hamdan war sehr unangenehm dadurch berührt, dass ich so schnell die Entdeckung gemacht hatte, am unangenehmsten aber dadurch, dass ich dieselbe so laut verkündete,, denn alle Bewohner des Saales hörten meine Worte und brachen nun in ein schallendes Gelächter über Hamdan und seinen Hühnerstall aus. Unser Wirth war auf einmal der Spottapfel aller seiner Gäste geworden und blieb es auch während der nächstfolgenden drei und vier Tage, wo mau oft an ihn Fragen, wie diese, richtete: „Nun, Hamdan, hast Du wieder einen Gast für Deinen Hühnerstall bekommen? Wie verträgt sich der neue Hadsch mit Hadsch Scrduk (dem Pilger Hahn). Weisst Du nicht, dass es Unrecht ist, einen Mann in ein fremdes Harem (zu den Hennen) zu bringen?" und dergleichen Spässe mehr, welche un-serm Wirth keineswegs angenehm waren. Um mich schnell zu beschwichtigen führte mich nun Hamdan selbst in ein anderes, im ersten Stocke gelegenes ziemlich hübsches und sogar etwas möblir-tes Gemach, welches, wie er sagte, für einen indischen Prinzen hergerichtet war. das aber eine ganz andere Bestimmung hatte, wie man im nächsten Capitel sehen wird. So war ich denn in Mekka nun nothdürftig in-stallirt. Ich fing damit an. mich einigen nassen häuslich einzurichten, packte aus und schärfte Ali ein. nie aus dem Zimmer zu gehen, wenn ich nicht selbst zu Hause sein würde: eine höchst nothwendige Vorsichtsmassregel, denn die Frömmigkeit der Pilger verhindert sie keineswegs zu stehlen, wenn sich eine gute Gelegenheit dazu bietet. Trotz dieser Vorsicht sollte dennoch manches Stück meiner Habe anderswohin wandern. « Fünfzehntes Capitel. Mekka.nisches Hauswesen und Unwesen. Das Quartier der Solimanija. — Burtons Wohnung in Mekka. — Schlechte Häuser. — Allgemeine Anlage der Gebäude. — Bestimmung der Stuben. — Hamdans Haus. — Das Haremszimmer. — Ein sehr vollzähliger Harem. — Die drei legitimen Gattinnen. — Die Hauptgattin. — Ileirathen zwischen Vettern und Cousinen. — Die ,, Bent el Am". — Ihre bevorzugte Stellung. — Die zweite legitime Gattin, — Ein Mann in Weibertracht. — Erstickender Haarwuchs. — „Mein Liebchen". — Die dritte legitime Gattin. — Adel der Abstammung. — Scenc zwischen der jüngsten Gattin und einer Sklavin. — Die Nebengattinnen. — Die schwarze Favoritin. — Ihre Grausamkeit. — Schreckliche Scene. — Hamdans blutiges Prügeln der schwarzen Nebengattin. — Gottloser Scherz eines Knaben. Das Quartier der Solimanija (Bewohner von Af-ghanisten, Beludsehista.n u. s. w.) in welchem ich ein Absteigequartier gefunden hatte, war sonderbarer Weise gerade derselbe Stadttheil, in welchem Capitän Burton, mein Vorgänger in der Mckkareise, vor acht Jahren auch gewohnt hatte. Er hatte freilich ein ge wisses Recht darauf, hier zu wohnen, denn er gab sich für einen afghanischen Derwisch aus, nachdem er die Haut eines indischen Doctors und eines persi- sehen Prinzen abgewerfen hatte, und da diess der afghanische Stadttheil war, so befand er sich hier weit hesser an seinem Platz, als ich, der vermeintliche Maghrebi, derangehende „Prinz von Algierf, wie Ssadak und sein Sohn mich überall nannten, um sich selbst, als meine Fremdenführer, mehr Wichtigkeit zu geben. Aber für mich war es, wenn auch mein natürliches Absteigequartier nicht hier lag, dennoch weit ungefährlicher, als für Burton, hier zu wohnen. Denn da dieser sich für einen Afghanen ausgab, so musste er im afghanischen Stadttheil jeden Augenblick in die Gefahr kommen, einem seiner vermeintlichen Landsleute zu begegnen, und dann wäre er ohne Zweilei auf der Stelle als Betrüger entlarvt worden, denn Burton war nie in seinem Leben in Afghanistan gewesen und konnte unmöglich die Bolle eines Afghanen einem ächten Afghanen gegenüber aufrecht halten. Der Umstand, dass die Solimanija, wahrscheinlich in Folge der steten Unruhen in ihrem eigenen Vaterlande, in neuester Zeit nicht viel mehr nach Mekka pilgern, dieser Umstand allein rettete Burton, der so der Gefahr entging, mit wirklichen Kindern des Landes, für dessen Sohn er sich ausgab, zusammen zu kommen. Ich kannte zwar den Maghreb (Nordwesten von Afrika) und die Ma-ghrebia, «eine Bewohner, ihre Sitten , Sprache, und Gewohnheiten im ganzen hinlänglich, um die Bolle eines recht leidlichen Maghrebi spielen zu können. Aber trotzdem vermied ich die Berührung mit irgend einem meiner vermeintlichen Landsleute und floh, wie die Pest, jede Gelegenheit, welche mich mit diesen Biedermännern zusammenbringen konnte. Dess- halb hatte ich mein Absteigequartier im afghanischen Viertel gewählt, wohin so leicht sich kein Maghrebi verliert. Die Maghrebia pflegen nämlich in einem eignen, von dem hier gelegenen ganz entfernten Stadttheile zu wohnen. Desshalb hatte ich auch meine religiöse Secte geändert, denn bis zu meiner Ankunft in Dschedda hatte ich mich für einen Maleki. ausgegeben, da aber fast alle Algierer Malekia sind und ich fand, dass ich als Maleki mit ihnen an dem-selben Gebetesort in der Moschee zusammenkommen musste, so gab ich mich nun für einen Hanefi aus, was nicht auffallend war, da auch einzelne Westafrikaner, wenn auch wenige, Hanefia sind. Aus dem Umstand, dass die zwei einzigen Europäer, deren Berichte ihrer Reisen nach Mekka in den letzten zwanzig Jahren vor die. Öffentlichkeit traten und hiemit treten, in dem Quartier der Solimanija wohnten, möchte man vielleicht schliessen, dass dieses einer der bekanntesten, ausgezeichnetsten und schönsten Stadttheile von Mekka sei. Wenigstens würde man diess Quartier für das wohnlichste halten. Diess wäre jedoch durchaus falsch geschlossen. Der blose Zufall hatte uns beide, Burton und mich, hierher gebracht, ihn der Zufall, dass er als Afghane reiste, mich der Zufall der Bekanntschaft mit Hassan ben Ssadak, der, wie ich bald entdeckte, em Courtier oder Eremdenzubringer, ein Mäkler für Unterbringung der Pilger bei der Firma Hamdan ben Hamidu war. Der Stadttheil der Solimanija ist weit entfernt davon, schön zu sein. Seine Häuser sind klein, niedrig, schlecht gebaut und oft baufällig, denn in Mekka pflegen die Häuser nicht lange zu stehen und man findet hier kein einziges Baudenkmal, welches über vierhundert Jahre alt wäre, die Moschee, allein vielleicht abgerechnet und selbst diese wurde so oft re-Staurirt, dass diess beinahe einem Neubau gleichkam. Im Stadtviertel der Afghanen sieht man z.B. die Beste einer kleinen Moschee, die noch keine zweihundert Jahre alt ist und doch schon zu Burckhardts Zeiten in Trümmern lag. Jetzt ist sie nur noch ein Chaos von Steingeröll. Die rasche Verwitterung des Mekkasteines und die schnellen Uebergänge der Temperatur von grosser Hitze zu verhältnissmässiger Kälte, von Feuchtigkeit zu ausserordentlicher Trockenheit, welche natürlich auf Stein und Mörtel mit der Zeit nachtheilig wirken, erklären die geringe Dauer der Häuser der heiligen Stadt, gering, wenn man sie mit der Dauer der Bauten in andern orientalischen Städten vergleicht Die Häuser in dem von mir bewohnten Stadttheil waren meist ein- oder höchstens zweistöckig, während doch die Gebäude in Mekka's besseren Strassen selten weniger, als drei Stockwerke, zählen. Fast alle Gebäude dieses Quartiers waren über einen und demselben Leisten geschlagen. Sie bildeten alle dieselben gedrückten, würfelförmigen Kasten von schwarzgrauer Farbe und mehr oder weniger traurigem Anblick. Die meisten dieser Häuser hatten höchstens vier Stuben. Die vornehmste derselben war der im Erdgeschoss befindliche, gewölbte Raum, eine Art von grosser Halle, die als Speisezimmer, Empfangssaal, Schlafzimmer für die Pilger diente. Man konnte diese Halle den „Pilgerstall" nennen, denn die frommen Hadschadsch wurden in derselben sehr wenig verschieden von gehörnten oder langohrigen Stallbewohnern behandelt. Zweimal des Tages fand die Fütterung statt, Nachmittags wurde der Stall gereinigt. Abends schliefen die Pilger auf dem Fussboden des Stalles. Morgens war die Tränke und Reinigung der Stallbewohner. Im ersten Stockwerk war der Raum in zwei Zimmer von ungleicher Grösse eingetheilt. Das eine, grössere, war der Frauenkäfich, in welchem gewöhnlich zwar nur die verschiedenen Gattinnen und Nebengattinnen des Hausherrn eingesperrt waren, das aber zur Pilgerzeit noch eine beliebige Anzahl frommer Pilgerinnen, alter Weiber, junger Wittwen , gewisser Damen und solches Volk aufzunehmen pflegte, welche hier in holder Eintracht und nicht selten Zwietracht, in schwesterlicher Liebe und schwesterlichem Schmutz, untereinander, des engen Raumes wegen, oft beinahe aufeinander lagen. Das andere kleinere Zimmer des ersten Stockes war das Gemach des Hausherrn, das heisst, dieser hatte es sich selbst vorbehalten. Nicht als ob er darin schlief, oder wohnte. Nein, er betrat es nur selten. Aber er trat es zuweilen für Geld ah fromme Pilger ab, welche daselbst mysteriöse Zusammenkünfte mit einzelnen Bewohnerinnen des nahen Käfichs haben mochten. Zur Zeit war ich der Bewohner dieses Gemachs- im Hanse Hamdans geworden. Ein viertes Gemach war nur in denjenigen Häusern dieses Stadttheiles vorhanden, welche, wie das Haus meines Wirthes, ein zweites Stockwerk be-sassen. • Selbst da jedoch, wo ein solcher zweiter Stock vorhanden war, bestand er nur zur Hälfte, das heisst. das zweite Stockwerk war nichts, als eine viereckige Stube, die auf der Dachterrasse erbaut war. Diese Stube wurde gewöhnlich an privilegirte Glückskinder, Pilger mit besonders langem Geldbeutel, oder Pilgerinnen vom interessanten Wittwenstande mit einer geringen Anzahl von Frühlingen und einer grossen von Verehrern, vermiethet. Das Haus meines Wirthes, Hamdan ben Hamidu, entsprach genau der obigen Beschreibung. Da jedoch Hamdan als Wirth grosse Prätentionen besass, so konnte ihm ein solcher vierzimmeriger Mieth-kasten auf die Dauer nicht genügen. Er hatte dess-halb zwei Häuser nebeneinander gemiethet, von denen das zweite die genaue Wiederholung des erstem war. Nur konnte hier das Frauengemach im ersten Stockwerk ausschliesslich fremden Damen eingeräumt werden, während in dem Hause, in welchem ich wohnte, der Frauenkäfich ausser den Bilgerinnen auch noch den sämmtlichen Harem des Wirthes einschloss. Dieser Harem war nicht gering. Er bestand nämlich: erstens, aus drei legitimen Ehegattinnen, nicht aus vier, wie der Koran gestattet, aber Haindan hatte auf die vierte mit stoischer Enthaltsamkeit verzichtet , welche uns freilich weniger stoisch vorkommen wird, wenn wir, was gleich geschehen soll, ihren wahren Grund vernehmen werden. Zweitens gehörten zum Harem zwei oder drei Negerinnen, welche wohl gelegentlich als Nebengattinnen figuriren mochten , auf die aber der mit vielem Schönheitssinn begabte Hamdan keinen übertriebenen Werth zu legen II. Ii pflegte, worin er sich sehr von der Masse der übrigen Mekkaner unterschied, welche gewöhnlich für schwarze Haut und bulldoggenartige Reize eine entschiedene Vorliebe zeigen. Das dritte Element des Frauenkäfichs war die zahlreiche weibliche Nachkommenschaft des Amphitryon, ein wahres Nest von Mädchen und Jungfrauen, deren Zahl ich nie ergründen konnte und welche Tag und Nacht sich Mühe gaben, mit ihren überaus hellen Stimmen, die gewiss um zwei Octaven höher erklangen als europäisch weibliche Organe, ein so durchdringendes Geschrei zu unterhalten, wie ich es noch selten in meinem Leben gehört hatte. Da die Nähe meiner Wohnung mich zu einem Nachbarn des Frauenkäfichs machte und dessen Insassen keineswegs das ,,nil admirari" zu ihren Tugenden zählten, sondern nur dann, wenn ihr gestrenger Eheherr in der Nähe weilte, die Thüre ihres Gefängnisses geschlossen hielten, so kam es, dass ich im Laufe meines vierzehntägigen Aufenthaltes im Hause Hamdans , seine sämmtlichen Gattinnen , Nebengattinnen, temporäre Gattinnen, Sklavinnen, Töchter und Säuglinge zu Gesicht bekam und nach Herzenslust beobachten konnte. Da waren zuerst also die drei legitimen Ehegattinnen. Dieselben standen in sehr verschiedenem Alter. Sie folgten, was ihr Geburtsjahr betraf, in Zwischenräumen von ungefähr zehn Jahren aufeinander. Die älteste mochte Hamdans Alter, zwischen vierzig und fünfzig, zählen, die zweite in den dreissigen stehen, und die dritte erfreute sich einiger fünfundzwanzig Frühlinge. Mit vierzig Jahren ist natürlich eine Araberiii schon längst verblüht, Dennoch war Hamdans erste Gattin noch immer eine Erscheinung, welche man mit Interesse, ich möchte fast sagen, mit Wohlgefallen betrachten mochte, obgleich sie begreiflicher Weise keinen heisseren Wunsch mehr rege machen konnte. Sie war von einer massigen Corpulenz und hatte ihre glatte Gesichtshaut ziemlich gut bewahrt, so dass nicht allzuviele Runzeln ihr wirklich regelmässig schönes Gesicht entstellten. Eine Nase von angedeuteter Krümmung, nicht zu gross, nicht zu klein, gerade gebogen genug, um die Aiaberin nicht zu verläugnen; schwarze, sehr grosse, noch immer feurige Augen; ein zwar nicht mehr sehr reichliches, jedoch noch immer pechrabenschwarzes, vielleicht gefärbtes Haupthaar; Augenbrauen die eine einzige Linie bildeten; ein kleines rundes Kinn; niedliche, winzige Ohren; zierliehe Hände und Füsse bildeten ein Ganzes, dessen jetzt noch erträglicher Anblick darauf schliessen liess, welch' eine vollendete Schönheit sie in ihrer Jugend gewesen sein musste. Hamdans älteste Gattin nahm auch offenbar noch die erste Stelle im Hause, wenn auch vielleicht nicht im Herzen, ihres Eheherrn ein. Sie würde übrigens, selbst wenn sie sieh auch weniger gut conservirt hätte, wahrscheinlich doch den Vorrang behalten haben, denn sie war Hamdans eigene Cousine, und zwar die Tochter seines väterlichen Oheims, ein Grad der Verwandtschaft, der bei den Arabern in einer ganz besondern, beinahe geheiligten Ehrfurcht steht. Wenn ein Araber die „Bent el Arn" (die Tochter seines väterlichen Onkels) heirathen kann, so hält er diess für ein besonderes Glück und eine Ehre, selbst II* wenn seine Cousine gar keine körperlichen Vorzüge besitzen sollte. Diese Sitte ist so verbreitet, nicht nur bei Stadtarabern, sondern auch bei Beduinen, dass die Worte ,,Bent el Am"- im besten arabischen Dialect beinahe gleichbedeutend mit „Gattin" geworden sind und zwar bedeutet der Ausdruck „ Bent el Am" stets die erste und bevorzugte Gattin. Kann ein Araber keine „Bent el Am" zu seiner Gattin bekommen , so begnügt er sich zuweilen mit einer „Bent el Chal" (Tochter des mütterlichen Oheims) und dann tritt dieselbe in alle Hechte der Cousine von väterlicher Seite. Ist aber eine solche vorhanden, so steht jene bei weitem nach, denn die väterliche Verwandtschaft erfreut sich bei Arabern stets grosser Bevorzugung vor der mütterlichen. Es ist beinahe beispiellos, dass eine „ Bent el Am " von einem ächten Araber den Scheidebrief bekäme. Ausserdem ist es selten, dass man sich von einer Frau, welche ihrem Manne Kinder geboren hat, trennt, so lange diese Kinder noch leben und nicht erwachsen sind. Von kinderlosen Frauen dagegen scheidet man sich mit der grössten Leichtigkeit und braucht dazu gar keinen andern Vorwand, als eben den der Kinderlosigkeit. Da Hamdans „Beut el Am" ihm einige sechs Kinder geboren hatte, so war sie in doppelter Eigenschaft, als Mutter und Cousine, vor Scheidung gesichert, insofern überhaupt eineMohamedanerin hier-vor gesichert sein kann, denn der Mann ist immer der Herr und kann die Scheidung vornehmen, wann es ihm nur gefällt. Nur die Furcht vor schlechtem Leumund kann ihn zuweilen von der Will kührlich' keit im Brechen ehelicher Bande abhalten, wenn er überhaupt etwas auf seinen guten Leumund giebt, was nicht bei allen Arabern der Fall ist. Der jüngste ihrer Söhne, der Benjamin der „BentelAm", war der schon öfters erwähnte rosenrothe Jüngling, ein verzärteltes Muttersöhnchen, welches im Hause beinahe ebenso viel galt, wie sein Vater, der über alle seine Geschwister als Despot herrschte und sich über die einquartierten Pilger dieselbe Tyrannei anmasste. Die anderen Sprösslinge der „Bent el Am" waren zum Theil schon verheirathct und wohnten nicht mehr im Hause ihres Erzeugers. War Hamdans zweite legitime Gattin auch um zehn öder zwölf Jahre jünger, als die „Bent el Am", so besass sie doch keinen andern Vorzug vor dieser, als den der verhältnissmässigcn Jugendlichkeit. Diese Dame war ein wahrer Grenadier in Frauentracht, eines der plmnpesten, vierschrötigsten Monstra,, welches jemals den Namen eines Weibes getragen bat. Sie war von der Grösse eines eher gross, als klein zu nennenden Mannes. Es war ein Glück, dass die Mode der Handschuhe in Mekka unbekannt war, denn sie würde unmöglich eine Handschuhnummer gefunden haben, welche ihren kolossalen Fäusten gepasst hätte. Auch lebte sie auf einem Fusse von so lächerlicher Proportion, dass ich einmal, als sie an der Haremsthüre stand und von meinem Zimmer aus nichts von dieser Dame sieht bar war, als eben diess ihr Piedestal, der Meinung wurde, der Biese aus Chorassan habe sich erlaubt, das Frauengemach zu betreten und stehe an der Pforte des Weiberkätiehs. Aber nein, es war nicht der dumme Biese von Chorassan, es war niemand anders, als die „ schöne " Habiba, die zweite legitime Gattin des schönen Hamdan ben Hamidu. Diese Dame führte nämlich den zärtlichen Namen „Habiba", das heisst „meine kleine Freundin" oder „mein Liebchen", ein Name, welcher mich jedesmal, so oft ich ihn von den andern Frauen diesem weihlichen Grenadier beilegen hörte, zu einem unüberwindlichen Lachen fortriss. Die Gesichtszüge welche „ mein Liebchen " auszeichneten, waren an und für sich gerade nicht hässlich zu nennen. Sie waren regelmässig, gerade geschnitten, ihr Mund war für sie nicht eben allzugross, ihre Nase nicht zu kartoffelartig, ihre Augen glichen nicht ganz den Billardkugeln ; aber es waren im Grunde genommen doch nicht die Züge eines weiblichen Wesens, sondern eher etwa diejenigen eines kräftigen, flämischen Bauernkerls , unter denen es auch manchmal regelmässige Physiognomieen giebt. Was jedoch „mein Liebchen" auszeichnete, was ihren Stolz und ihren Segen ausmachte, das war eine wahrhaft erstickende Masse-unordentlichen schwarzen Haares von ausserordentlicher Steifheit und Härte, wahre Rossesmälmen, welche nicht einmal durch ein ganzes Pfund Butter, das Habiba im Laufe einer jeden Woche in sie hineinschmierte, zu irgend einer künstlerischen Frisurform zu bringen waren. Für ihre fünfundreissig oder drei-unddreissig Lenze hatte „mein Liebchen" ihren natürlichen Hauptschmuck ausserordentlich gut con-servirt, ich dachte aber nicht ohne Schrecken daran, was derselbe gewesen sein musste, als die Schöne erst achtzehn Jahre zählte. Auf diese ausserordentliche Fülle ihres Haupthaares war denn auch Habiba nicht wenig stolz, ihr verdankte sie die Erhaltung der Gunst ihres Eheherrn, welchem übrigens die Grenadiergestalt ,. meines Liebchens" kein Nachtheil schien, denn viele Orientalen lieben Frauenzimmer von recht männlichem und vierschrötigem Aussehen. Diese Art von ,, Schönheit" pflegt sich auch gewöhnlich sehr lange zu erhalten. Das Kleeblatt der legitimen Gattinnen meines Wirthes wurde vollzählig gemacht durch eine Erscheinung, die auf den ersten Blick dem oberflächlichen Beobachter eher unbedeutend, als anders, vorgekommen sein möchte. Es war eine schlanke, junge Frau, nicht so skelettartig mager, wie die Beduininnen, aber doch weit entfernt von jener Fülle der Formen, welche man sieh gewöhnlich als das Ideal orientalischer Schönheit denkt. Ihr Gesicht zeigte einen zwar regelmässigen, aber doch keineswegs durch besondere Schönheit auffallenden Typus. Ebenso ihre Gestalt, die zart und schlank war, aber doch gar nichts glänzendes, in die Augen fallendes, nichts von dem, was man „brillant" nennt, hatte. Dennoch musste diese, auf den ersten Blick und dem rohen Menschen gewiss stets unbedeutend scheinende Gestalt, diese nur von Eingeweihten zu schätzende Physiognomie, dem genaueren und verständigeren Beobachter höchst interessant vorkommen. Denn in ihr war jenes gewisse Etwas geoffenbart, das man nur bei Söhnen und Töchtern altadliger Geschlechter findet, jenes gewisse Etwas, das sich so schwer de-finiren aber doch von dem mit dem Verständniss des Edlen begabten Sinne so leicht erkennen lässt. Wie arabische Pferde, von ächten Vollblutracen, ober- flächlich besehen, oft sehr unbedeutend scheinen, wie die arabischen Windhunde von grösster Racenrein-heit oft entschieden hässlich sind, so tritt auch beim Menschen die edle Racenhaftigkeit nicht immer in einem äusserlieh glänzenden Gewände auf. Nein, aber über die ganze Gestalt ist ein gewisser Hauch der Veredlung und angebornen Feinheit ausgegossen, welchen man nie bei einer plebejischen Natur findet. Eine plebejische Natur kann sich durch Erziehung, durch mamiichfache Bildungsmittel veredeln und verfeinern , aber sie wird sich doch nie bis zu aristokratischer Feinheit erheben. Eine edclgeborene Natur dagegen kann durch Vernachlässigung, durch den Aufenthalt in einem ihr wenig angemessenen Mittelpunkt, manches einbüssen und andres unentwickelt lassen, aber ihr wird doch immer noch etwas edles ankleben, sie wird selbst in der tiefsten Erniedrigung ihre Racenhaftigkeit noch offenbaren. So war es auch bei dieser jungen Araberin. Sie war weit entfernt davon, in äusserlieh vornehmen Umständen zu senn, sie war nicht hoch im Leben gestellt, sie hatte keine Bildung genossen, ihr fehlte alles, was wir Europäer civilisirte Verfeinerung nennen. Dass sie aber aus dem edelsten Geschlechte stammte, das hatte ich trotz all' dem auf den ersten Blick errathen. Jener leichte, natürliche, ungezwungene, wahrhaft vornehme Anstand; jenes edle Sichgehenlassen, das übrigens trotz der grössten Freiheit der Bewegung nie gänzlich aus einer gewissen angeborenen Gemessenheit herauskommt; jene Sicherheit in dem Benehr men, welche der angestammten Superiorität eigen ist; jene Einfachheit im Geschmack, die alles Uep- pige verschmäht und doch nicht bis zur Aermliehkeit hinabsinkt; diese und noch viele andere Eigenschalten , welche dem wahren Adel entschieden innewohnen , konnte ich bei der jüngsten Gattin Hamdans beobachten. Dass sie aus iütarabischem Geschlecht stammte, dem edelsten, welches vielleicht, wenn es unverinischt vorkommt, unter der Sonne existirt, das würde ich aus ihrem ganzen Wesen, Aultreten und Gebahren errathen haben, selbst wenn es nur meine Hausgenossen nicht gesagt, hätten. Sie gehörte durch ihren Vater der Familie der Seheriffe von Mekka, an, durch ihre Mutter stammte sie von den Beduinen vom Stamme de/ Ivoreisehen, aus dem bekanntlich der Prophet hervorgegangen war. Wie hatte Hamdan eine Gattin aus so gutem Geschlechte bekommen, er, der Sohn eines Fremden, er, ein halber Ketzer? Wäre sie bei den Verwandten ihrer Mutter, den stolzen und freien Beduinen, aufgewachsen, nie würde ein solcher Plebejer, wie Hamdan, die Hand nach ihr auszustrecken gewagt haben. Aber die Stadlaraber sind weniger streng, was die Beinerhaltung ihres Stammbaums von plebejischer Verwandtschaft betrifft, die Scheriffe von Mekka selbst heirathon oft Negerinnen, die doch noch tiefer in der Scala der Bacenhaftigkeit stehen, als gemeine Araberinnen. Jemand, der so ein schwarzes Monstrum heirathen kann, der muss schon alle Gedanken an Familienadel aufgegeben haben. So hielt auch der Vater dieser jungen Mekkanerin wie es schien wenig auf edles Blut, und so kam es, dass der plebejische Hamdan, der von schiitischen Ketzern abstammte, eine ächte Tochter des Propheten zu seiner Gattin bekam. Ob- gleich weder auffallend schön, noch eine brillante Erscheinung, so hatte doch diese junge Frau eine Physiognomie, die man, wenn man sich einmal an sie gewöhnt hatte, je länger, je lieber anschaute. Ihre Wangen waren zwar blass und hager, ihre Mundwinkel leichthin hängend, ihre Gesichtsfarbe matt, alles diess kündete wenig Leben an, aber dennoch, welch ein Ausdruck lag nicht in ihren Augen? Diese Augen waren gross und leichthin hervorstehend, schwarz und glänzend , soweit glichen sie vielen andern Augen, aber durch den Adel der Seele, durch die Hoheit des Selbstgefühls, welche sie ausdrückten, unterschieden sie sich von allem, was ich bisher unter Araberinnen gesehen hatte. Eine Scene wird mir unvergesslich Ideiben, welche ich einmal vor der Thüre des Harems beobachtete und in welcher sie sich in ihrem ausdrucksvollen Wesen höchst vor-theilhaft darbot. Eine junge Negerin, plump und unbeholfen , wie die ungeschulte schwarze Race überhaupt ist, hatte ein Kaffeebrett mit gefüllten Tassen und Kännchen fallen lassen und das meiste des Kaf-fee's auf die Kleider ihrer Herrin vergossen. Das sclrwarzc Mädchen , den Zorn ihrer Gebieterin fürchtend , war vor derselben auf die Kniee gefallen und schmiegte, um Verzeihung bittend, ihr hässliches Hulldoggengesicht an die Füsse der jungen Frau. Jetzt hätten meine Leser die Züge dieser herrlichen Araberin sehen sollen! Statt des Zornes, welchen eine gemeine Person unter solchen Umständen ohne Zweifel an den Tag gelegt haben würde, drückte ihre Physiognomie nur Mitleid und Verachtung aus, Mitleid mit der elenden ihr zu Füssen liegenden Bar- barin , Verachtung mit der Ueberschätzung des Unfalls und mit der Meinung, welche die Negerin von ihr zu haben schien. Aber wie schön drückte sie diess aus! Ihre grossen , klaren und doch dunklen Augen hoben sich mit Majestät nach oben, gleichsam als wollte sie andeuten, dass dort die Richtung sei, vor welcher allein ein Mensch sich im Staube niederstrecken dürfe. Mit der einen Hand wandte sie sich gegen die Negerin, gleichsam als wollte sie dieselbe aufheben, aber dennoch, als halte sie mitten inne in dieser Handlung, wie wenn die aufzurichtende ihrer nicht würdig wäre. Es war ein Gemisch von mitleidigem Gefühl und einem gewissen edlen Stolz, welches ihr Angesicht wiederspiegelte. Wie verschieden war dieses edle Mienenspiel von allem dem, was ich bisher unter Orientalen und Orientalinnen gesehen hatte. Adel der Geburt und Adel der Seele waren hier vereinigt. Hamdans jüngste Gattin wäre würdig gewesen, in einer glanzvolleren Zeit des Islam, an der Seite eines ausgezeichneten Gatten zu leben und das tückische Schicksal hatte sie jetzt, zur Epoche des tiefsten Verfalls ihrer Glaubensgenossen, entstehen lassen und zur Gattin eines ganz gemeinen Menschen, was doch Hamdan war, gemacht! So wie diese junge Araberin, muss Ajescha, die Gattin des Propheten, so muss Sobeida, die Gemahlin Harun al Raschids, ausgesehen haben. Leider nahm diese junge Frau im Hause nicht den ihr gebührenden Rang ein. Hamdan war zu gemein, zu sinnlich, um ihre edle Schönheit zu verstehen , ja nur zu ahnen. Dennoch hatte er sie zur ersten Zeit seiner Verheirathung mit ihr, vor etlichen acht Jahren, anfangs heftig geliebt, aber die Eifer-suchtsscenen der andern beiden Gattinnen, vielleicht auch die an Kälte gränzende Gemessenheit der jungen Frau, hatten allmählig zur Folge gehabt, dass dieselbe jetzt nicht mehr, kaum so viel, als ihre beiden Colleginnen, galt, von denen die eine noch dazu als „Beut el Am" einen grossen Vorzug vor ihr besass. Aber über Hamdans kaltwerden schien sie sich leicht zu trösten, er war ihr zu-unebenbürtig, um ihrer würdig zu sein. Jetzt schien sie nur für ihre beiden Töchter, zwei reizende kleine Mädchen von sechs und sieben Jahren, zu leben, welche ihr alles, ihr Trost und ihr Segen waren. Soviel von den Gattinnen meines Wirthes. Was nun seine Nebengattinnen betrifft, so verdienen dieselben kaum einer Erwähnung. Es waren eben gekaufte Negerinnen aus dem Sudan, mit den bekannten Bulldoggengesichtern, dickem Mittelkörper und Schwefelhölzern, statt Armen und Beinen. Eine von diesen hässlichen Schönen war von Hamdan zur Mutter gemacht worden und besass ein kleines schwarzbraunes Töchterlein, das oft in mein Zimmer gelaufen kam und dort wie ein Kätzchen in irgend einem Winkel spielte. Biese Schwarze hatte somit ein Recht erlangt, niemals-verkauft zu werden, denn die Araber verkaufen keine Sklavin, mit der sie ein Kind gezeugt haben. Sie genoss einen Mittelrang zwischen der Stellung einer legitimen Gattin und derjenigen einer gewöhnlichen Sklavin. Diese Zwitterstellung gab ihr oft Gelegenheit, die Gemeinheit ihres Charakters zu offenbaren. Den drei legitimen Gattinnen ihres Gebieters gegenüber war sie kriechend und demüthig. von diesen liess sie sich alles gefallen: wenn die ,,Bent el Am" sie „eine schwarze Hündin" nannte, oder wenn Habiba ihr einen Tritt mit ihren Grenadierfüssen versetzte, alles nahm sie dankbar und ruhig hin. Den andern Negerinnen gegenüber spielte sie jedoch die Rolle einer Sultanin. Da erklangen die heftigsten Schimpfworte, da ertönten schallende Faust-und Peitschenhiebe. Die schwarze Favoritin rächte sich an ihren Hautfarbegenossinnen über all' die Unbill, welche ihr von den weissen Frauen zu Theil ward. Nicht selten hörte ich in meinem Zimmer das Wehklagen einer oder der andern schwarzen Sklavin, welche unter den Hieben dieses Monstrums litt. Hamdan wusste wohl, wie sehr seine dunkelfarbige Favoritin die andern schwarzen Frauen misshandelte, aber, wenn er, was oft geschah, das Geschrei der Geschlagenen bis in den Speisesaal hinab vernahm , da pflegte er nur mit den Achseln zu zucken oder auch wohl lächelnd zu sagen: „Es ist gut, wenn die Hunde nur einander Schaden zufügen." Denn obgleich die Schwarze eine vor andern Negerinnen bevorzugte Stellung im Harem einnahm, so war sie doch weit entfernt davon, von ihrem Gebieter geliebt zu werden. Nein. Hamdan hatte ihr diese bevorzugte Stellung nur in Gemässheit. der arabischen Sitte, das heisst weil sie Mutter geworden war, eingeräumt und so lange sie dieselbe nur dazu missbrauchte, ihre schwarzen Schwestern zu misshandeln, so lange war Hamdan alles einerlei. Wehe ihr aber, wenn sie, was sie auch einmal that, sich zu Thätlichkeiten gegen ein -Kind Hamdans hinreissen liess! Einer solchen Scene sollte ich auch einmal als entfernter Zeuge beiwohnen. Als ich eines Nachmittags in der schönsten Siesta, in tiefster Zurückgezogenheit meines Zimmers, begriffen war, wurde ich plötzlich durch einen Höllenlärm aufgeschreckt. Es war ein fürchterliches Geschrei eines Kindes, welches unter einer körperlichen Züchtigung litt. Ich trat vor meine Thür und da auch die des Harems offen stand, und Hamdan fern war, so hinderte mich nichts, Zeuge der ganzen Scene zu werden. Da stand die Negerin mit beiden Füssen auf dein zu Boden geworfenen Körper des zehnjährigen Sohnes meines Wirthes und bearbeitete denselben mit Peitschenhieben. Ihr Angesicht stand wie in einem Fieberschweiss, ihre Augen funkelten mit wahnsinnigem Feuer, Schaum bedeckte ihren Mund und die hässlichsten Zornesrunzeln, bei der schwarzen Race wahrhaft thierisch, verzogen ihr Gesicht zu dämonischer Widermenschlichkeit. Umsonst zerrten alle drei Gattinnen Hamdans an ihr, umsonst suchten sie ihr ein Bein zu stellen, umsonst war alles, was sie versuchten, sie in ihrer entsetzlichen Beschäftigung zu unterbrechen. Der arme Knabe dauerte mich tief in die Seele, aber ich konnte, ihm nicht zu Hülfe eilen, da das Prügeln im Harem stattfand und es Todsünde gewesen wäre, wenn ich den Harem betreten hätte. Die Frauen wussten sich jedoch zu helfen. Sie schickten ein Kind zu Hamdan hinunter, um diesen herbeizurufen, denn sie selbst durften natürlich nicht hinuntergehen, weil Männer im Saal waren und keine der andern Negerinnen wollte sich dazu hergeben, da sie die Rache der schwarzen Bevorzugten fürchteten. Endlich erschien der Herr des Harems. Was nun geschah, konnte ich anfangs nicht mehr recht sehen, da ich mich schnell in mein Zimmer zurückziehen musste, damit Hamdan nicht merke, dass ich sein Harem zu einem Observatorium für meine Beobachtungen muselmännischtr Sitten benutzte, wodurch mir mein Ilauptvergnügenin Mekka verdorben worden wäre. Wenn ich aber auch am Anfang nur wenig, das heisst nur so viel sah, als mir eine Ritze in der Thür meines Zimmers gestattete, so hörte ich desto mehr. Hamdan hatte sich der Negerin bemächtigt, ihr die Peitsche entrissen, sie zu Boden geworfen und der sämmtliche Harem trat nun auf der Unglücklichen herum. Dann liess sie Hamdan nackt ausziehen, in die Hausflur bringen, und zwar dicht vor mein Zimmer, in dem er mich vielleicht nicht anwesend vermuthete, so dass ich nun wieder alles sehen konnte; dort wurde sie über einen Holzblock gelegt und ihr unterhalb des Rückens einige hundert Peitschenhiebe von Hamdan selbst applicirt. Ihr Geheul war dergestalt ohrzerreissend, dass ich es kaum in meinem Zimmer aushalten zu können glaubte. Bald kam der Peitschenriemen von der jedesmaligen Berührung mit dem Körper der Elenden bluttriefend zurück. Aber Hamdan, weit entfernt, sich durch den Anblick des Blutes zu milderer Handlungsweise umstimmen zu lassen, schien sich im Gegentheil noch mehr zu ereifern; zwischen den Hieben fügte er jedesmal noch einen Fusstritt auf den Kopf der Negerin hinzu, welcher diesen hart auf den Steinboden aufstossen machte. Endlich, erst dann, als eine wahre Lache von Blut bereits den Bo- den bedeckte, hielt er inne und gestattete, dass die Arme in den Harem zurückkroch, denn gehen konnte sie nun, und überhaupt so lange ich noch in Mekka weilte, nicht mehr. Ich habe später den Grund vernommen , warum sie den Knaben geschlagen hatte. Derselbe hatte sich nämlich einen höchst unanstän-ständigen Scherz mit ihr erlaubt, der jedoch wie so vieles andere, was ich in Mekka sah und hörte, un-wiederholbar ist. So war die Negerin im Grunde genommen mehr zu beklagen, als zu tadeln, und die Ungerechtigkeit ihres Gebieters und halben Gemahles war um so schreiender, als dem Knaben nicht die geringste Strafe für seinen sehr grausamen sowohl, als obseönen Spass zu Theil ward. Im Gegentheil, der elende kleine Bengel wurde noch gehätschelt und bekam Zuckerwerk, um ihn die wohlverdienten Prügel, welche die arme Negerin ihm gegeben hatte, vergessen zu machen. Sechzehntes Capitel. Sittenzustände in Mekka. Warum mein Wirth nur drei Gattinnen hatte. — Die Pilgerinnen. — Junge Wittwcn. — Geschiedene Frauen. — Seltsamer Gebrauch der temporären .Eben. — Die blos gesetzlich gültigen Ehemänner. — Ein Gewerbszweig der religiösen Lohnbedienten. — Die vierte Gattin meines Wirthes. — Die schone, reiche Wittwe aus Syrien. — Plünderung der reichen Wittwcn. — Die „Mutter der blauen Augen". — Kostbares Geschmeide. — Orientalische Goldschmiede, — Ueppiges weibliches Costüm. — Die temporäre Königin des Harems. — Verfall des orientalischen Luxus. — Nachlässigkeit der Araberiunen in Haltung ihres Costüms. — Die Söhne meines Wirthes. — Der rosenrothe Jüngling. — Seine Putzsucht und weibisches Aussehn. — Eigentümlicher Geschmack orientalischer Frauen. — Ein kleiner Roman. — Fatma und Mehdi. — Mysteriöse Entwicklung ihrer Liebesgeschichte. — Die neue, indische Gattin meines Wirthes. Wenn Hamdan ben Hamidu, mein Haus wirth in Mekka, sich mit drei legitimen Ehegattinnen begnügte, während doch der Koran jedem Moslem gestattet ihrer vier zu besitzen, so geschah diess, wie ich schon oben angedeutet habe, keineswegs aus stoischer Enthaltsamkeit, sondern aus einem völlig verschiedenen Grunde, dessen Auseinandersetzung «sin ganz eigenthümliches Licht auf die sittlichen Zu-W 12 stände von Mekka während der Pilgerzeit werfen kann. Der vierte Platz unter den Ehehälften des Ainphitryon blieb nämlich (zur Zeit der Pilgerfahrt, aber auch nur zu dieser Zeit) keineswegs unausge-füllt, im Gegentheil er (wurde nur zu oft ausgefüllt und nicht selten lösten sich in der Pilgerzeit vier bis fünf temporäre Ehehälften in der Besitznahme dieses beneidenswerthen Platzes ab. Dieses Institut der temporären Gattinnen ist, glaube ich, eine der heiligen Stadt ganz eigenthümliche Erscheinung, welche in andern muselmännischen Ländern zwar auch, aber doch nie in dem Grade vorkommen soll, wie hier. Wenn nämlich Frauen die Pilgerfahrt machen, so können sie diess, nach den Gesetzen des Islam, streng genommen, nur in Begleitung ihrer legitimen Eheherren. Da nun nicht alle weiblichen Wesen mit solchen gesegnet sind und es namentlich im Orient eine Menge Wittwen und geschiedener Frauen giebt, welche doch auch das Bedürfniss der Frömmigkeit empfinden, so kommt es nicht selten vor, dass dieses Gebot verletzt wird und fromme Pilgerinnen sich auf die Wallfahrt nach Mekka begeben, ohne auch nur von dem Schatten eines Ehegatten begleitet zu sein. So lange sie nur auf der Reise sind, geht alles gut. Man kann allenfalls auch ohne legitimen Ehemann in der Welt herum ziehen. Wenn aber die frommen Pilgerinnen nach Mekka kommen, dann macht sich ihnen auf einmal das Bedürfniss nach einem gesetzlichen Eheherrn lebhaft fühlbar, denn in der heiligen Stadt kann eine Frau, die nicht ganz für eine Gesunkene . füt eine Bewohnerin eines gewissen Stadtviertels gelten will, ohne legitime Begleitung keinen Schritt thun, namentlich wird sie gar nicht in die Moschee kommen, da alle Frauen, welche den Ihram tragen, folglich durch ihr Costüm anzeigen, dass sie Hadschat (Pilgerinnen) zu werden wünschen, wenn sie unhegleitet sind, dort abgewiesen werden; wahrend man doch eine Menge ,, gewisser Damen die unter allerlei llandelsvorwänden, als vermeintliche Verkäuferinnen von Seherbet, Confituren und Kuchen, in Wirklichkeit aber in ganz anderer Absicht , sich in die Mesdschid el Haram schleichen, in derselben völlig unbehelligt lässt. Aber natürlich wünschen anständige Pilgerinnen, junge oder alte Wittweh und die interessanten Geschiedenen nur in den seltensten Fällen für Personen solchen Gelichters, für „gewisse Damen" gehalten zu werden. Die frommen Pilgerinnen sehen sich desshalb, gewöhnlich gleich nach ihrer Ankunft in Mekka , insofern sie diess auf anständige Weise thun können, nach einem Manne um, der die Rolle eines legitimen Ehemannes spielen will und spielen kann. Da jedoch sehr viele Mekkaner schon mit Gattinnen hinreichend gesegnet sind, überhaupt auch nicht gerne eine Fremde heirathen, so haben sie oft unter den Bürgern der heiligen Stadt keine grosse Auswahl. Sie werfen sich dann auf die Pilger. Da nun auch diese zum grossten Theil in ihrem Vaterland schon hinlängliche Ehehälften besitzen, so können sie sich in Mekka nur auf ein vorübergehendes Verhältniss einlassen, was gleichfalls einige Mekkaner thun, die nun gerade einen Platz in ihrem viersitzigen legitimen Harem frei halien. So entstehen diese temporären Verbindungen, welche übrigens als völlig regelmässig 12* geschlossene Ehen angesehen werden, denn man fändet sich gegenseitig nicht ohne Contract, eine Bedingung, die freilich in einzelnen Fällen, nichtsehr streng genommen wird. Diese, temporären Verbindungen, nach europäischen Begriffen natürlich im höchsten Grade verwerflich und als solche wohl in ein Capitel über Sittenverderbniss gehörend, werden von den Moslems gar nicht für unmoralisch gehalten und sind es auch in einigen Fällen selbst nach Euro-pa's strengem Sittencodex gewiss nicht, denn manchmal ist die ganze Ehe nur Comödie, der vermeintliche Gatte verzichtet auf seine Rechte und spielt in Wirklichkeit nur den Lohnbedienten der Frau , die er auf ihren Gängen nach der Moschee begleitet, und sonst gar nicht sieht. Natürlich können nur wohlhabende Wittwen oder Geschiedene sich solche uneigennützige Ehegatten verschaffen, welche für Geld auf die Süssigkeiten des Honigmondes verzichten. Auch findet sich nur selten ein junger und noch stattlicher Mann bereit dazu, eine so demüthigende, in den Augen der Araber geradezu erbärmliche Rolle zu spielen, wie die eines blos gesetzlich gültigen Ehegatten. Aber abgelebte, alte und bettelhafte Männer giebt es genug, welche sich nicht schämen, auf diese Weise ihr Brod zu verdienen, eine Weise, welche vielleicht nicht unmoralisch ist, die aber doch gewiss dem wahren Mannessinne widerstrebt. Namentlich die armen Teufel von Metuafin, die oben geschilderten religiösen Lohnbedienten , haben diese Specialität zu einer ihrer zahlreichen Erwerbsquellen erkoren. So auch mein Bekannter, Ssadak ben Hanifa, welcher Biedermann, obgleich neun Monate im Jahre dem Wittwerstande angehörend, während der drei übrigen Monate sich eines wahren Cyclus legitimer Ehegattinnen erfreute. Diese Ehen Ssadaks dauerten gewöhnlich nicht länger als vierzehn Tage. Während dieser Zeit hatte die Pilgerin, welcher er für ihr Geld seine Hand geschenkt, gewöhnlich ihre verschiedenen Andachten verrichtet und wurde dann wieder geschieden, was ausserordentlich leicht war. da hier der Fall des „ma.trinioiuum non consum-matum" stattfand, welcher, wie alle Juristen wissen, die Ehe gleichsam von selbst auflöst, natürlich, wenn er gerichtlich bewiesen werden kann. Nur einmal im Jahre und zwar zur Zeit der Wallfahrt nach Arafa, machte Ssadak von dem Privilegium eines jeden Moslem , vier Gattinnen zu besitzen Gebrauch. Da nämlich diese Wallfahrt nur an einem einzigen, bestimmten Tage im Jahre, dem neunten Du el Hödscha, stattfindet, so konnten sich die Pilgerinnen, welche sie zu machen wünschten, diessmal nicht im fingirten Ehebett ablösen, sondern mussten sich zu einander gesellen. Es war wahrhaft komisch das hinfällige, alte Männchen auf der Pilgerfahrt nach dem heiligen Berge inmitten seiner vier Gattinnen des Augenblickes zu sehen, die wie lange Gespenster, in den Ihram der Frauen gehüllt, das Gesicht mit einem Pflaster bedeckt, um Ssadak herumstanden und von denen die schwächste im Stande gewresen wäre, ihren Eheherrn mit einem Nasenstüber umzuwerfen ; eine solche Ironie auf den Namen des Herrn der ■Schöpfung, wie diesen Ssadak, eine solche Ironie auf den Titel eines Ehemannes und Besitzers von vier Gattinnen, wie diese abgelebte, unmännliche Gestalt war mir noch selten vorgekommen. Ssadak zog aus diesem Geschäfte , wie :ms demjenigen, Pilger beim Umgang um die Kaaba zu begleiten, seinen Erwerb, von dessen Erlös er während der neun Monate der todten Jahreszeit in Mekka, wenn alle Pilger abgezogen sind und Handel und Gewerbe darniederliegen, leben musste. So lange die Pilger da waren lebten er und sein Sohn auch noch gewöhnlich ganz umsonst, aufKosten des jedesmaligen auszubeutenden Hadsch, indem sie sich als dessen permanente Begleiter in der Herberge installirten. wie sie es nueh in meinem Falle gethan hatten. Nur der Umstand, dass Ssadak, weil der Ära fa.-Tag herannahte, ganz besonders mit seinen Ebeplänen beschäftigt war, verschaffte mir von Zeit zu Zeit Ruhe. Auch Ssadaks Sohn, der noch unverheirathete Hassan ben Ssadak , liess sich von seinem Vater bereden , das einträgliche Geschäft Pilgerinnen zu Innrathen, anzufangen. Kaum waren wir acht Tage in Mekka, so hatte er bereits zwei Vermählungen gefeiert; aber ich möchte viel wetten, dass Hassans Ehen nicht so platonisch waren, wie die seines Vaters. Mein ilauswirth in Mekka hatte aus keinem andern Grunde den vierten Platz in seinem vier-sitzigen Harem frei gelassen, als um in denselben von Zeit zu Zeit irgend eine schöne, junge und reiche Pilgerin aufzunehmen. Denn Hamdan war viel zu sehr Speculant, um die Sache blos „pour les beaux yeux de la belle - zu thun; nein, die Pilgerin, welche das Glück hatte, seine temporäre Gattin zu werden, musste dafür bezahlen und zwar nicht wenig bezahlen. Zugleich war aber auch Hamdan viel zu sehr Mann, um blos einen gesetzlich gültigen Eheherrn zu spielen. Nein, Hamdan feierte den schönsten, regelmässigsten Honigmond, den man sich denken konnte , und da ein Orientale eine Frau nach einmonatlichem Besitz gewöhnlich schon satt ist, so fand er auch ganz seine Rechnung dabei, dass die Ehe nach dieser Frist aufhörte. Uebrigens dauerten diese Ehen selten so lange. Hamdan war Kenner. Er hatte einige dreissig Jahre schon dasselbe Geschäft betrieben. Auch war er wählerisch und oft hatte er nach einer wöchentlichen Verbindung an seiner temporären Gattin so viele Fehler entdeckt, dass er sich nach einer andern sehnte. Hann wurde die Gute unbarmherzig geschieden, sie bezahlte den ausbedungenen Preis für Hamdans Gunst und trat die Wanderung in ihre Heimath wieder an, gewöhnlich ohne strenggenommen das Recht zu besitzen, sich den Titel einer Hadscha (Pilgerin) beizulegen, denn zur Wallfahrt nach Arafa, welche allein dieses Recht giebt, war Hamdan nur sehr schwer zu bewegen. Wollte seine temporäre Gattin durchaus diese Wallfahrt unternehmen, dann überliess sie mein Wirth gewöhnlich dem alten Ssadak oder irgend einem andern Wittwenheirather. Es versteht sich von selbst, dass Hamdan nur solchen Frauen seine Hand bot. welche sich durch Schönheit und Jugend auszeichneten und ich selbst kann bezeugen, dass er in seiner Wahl gar keinen schlechten Geschmack offenbarte, denn während ich in seinem Hause weilte, fand ein Gattinnenwechsel statt, und ein besonderer Zufall gestattete mir, sowohl die alte, als die neue von Angesicht zu sehen. So lange die temporäre Gattin im Hause meines Wirthes wohnte, wurde sie übrigens mit der gröss-ten Aufmerksamkeit behandelt. So lange galt sie offenbar für die erste Person im Hause. Alle Gemächer desselben standen zu ihrer Disposition, den Saal im Erdgeschosse natürlich ausgenommen, welcher den Pilgerstall bildete und den kein weibliches Wesen betreten durfte. Aber im Haremszimmer , in der Stube des zweiten Stockes, war sie unumschränkte Herrin und selbst mein neben dem Harem gelegenes Gemach war mir nur durch eine besondere Vergünstigung und nicht ohne ausdrückliche Erlaubniss der temporären Gattin eingeräumt worden. Gewöhnlich hielt sich diese Dame in der Mensa, das heisst dem Zimmer auf der Dachterrasse, auf; dort empfing sie ihren zeitweiligen Eheherrn; dort wurde der Honigmond oder die Honigwoche gefeiert. Wenn jedoch Hamdan sgine Geschäfte in den Pilgersaal oder Pilgerstall führten, dann stieg die Schöne hinab in's Haremszimmer, setzte sich dort auf ihren Thron, ein grosses, mit Goldbrokat überzogenes Kissen und um sie herum standen ihre zeitweiligen Unterthanen, die Gattinnen und Nebengattinnen ihres Eheherrn. Denn alle waren angewiesen, zu ihren Diensten zustehen. Die Negerinnen waren gleichsam ihre persönlichen Sklavinnen geworden, bereiteten ihr Dad, wuschen, kneteten, und bürsteten sie, halfen ihr bei den Geheimnissen der Toilette, heim Färben der Augenwimpern und beim Schminken der Wangen. Aber auch die legitimen Gattinnen, ihre temporären Colleginnen mussten, wenn es ihrer Laune gefiel, Dienste für sie verrichten. Selbst die stolze „Bent el Am" war nicht von dieser Vasallenschaft ausgenommen., Ucbrigens fanden sich die Drei ziemlich leicht bereitwillig, diese temporäre Rolle zu übernehmen. Die Anwesenheit der vierten' Gattin war eine willkommene Zerstreuung in ihrem monotonen Ilaremsleben. Sie bildete gleichsam ihr Kaifeehaus, ihr Theater, ihre Zeitung, ihre Romanlectüre, alles in allem, kurz sie vertrat-ihnen die Stelle jeder Art von Unterhaltung, aufweiche die unglücklichen Ilaremsgeschöpfe sonst natürlich verzichten müssen. Zudem wussteu sie, dass dieselbe nicht lange den Scepter über sie schwingen würde, sie kannten Hamdans Unbeständigkeit zu gut, um auch nur einen Augenblick zu fürchten, dass er die temporäre Gattin zu einer permanenten erheben möchte. Als ich Hamdans Gast wurde, hatte er bereits seit zehn Tagen seine vierte Gattin genommen. Der Honigmond nahte seinem Ende. Bald sollte sie durch eine andere ersetzt werden. Aber einstweilen genoss sie noch alle Freuden und Privilegien ihres bevorzugten temporären Standes. Diese zeitweilige Inhaberin des vierten Platzes im viersitzigen Hareni Hamdans war eine junge syrische Wittwe, aus Aleppo gebürtig, Wittwe eines türkischen Offiziers, der in seiner Jugend ein Günstling des reichen Pascha's von Bagdad gewesen war und als solcher verhältniss-mässig grosse Rcichthümer gesammelt hatte. Diesen Besitzstand hatte, da ihr Mann ein Findling gewesen nnd folglich ohne alle Verwandten war, auch keine Nachkommen besass , fast ausschliesslich die junge Wittwe geerbt und so kam es, dass sie wohlhabend, ja nach orientalischen Begriffen reich genannt werden konnte. Wie jeder Orientale, welcher durch einen glücklichen Zufall zu Oelde kommt, am Anfang seines Reichseins gewöhnlich keinen'andern Gedanken hegt, als die Pilgerfahrt nach Mekka zu machen, eine ganz eigenthümliche Erscheinung, die die nomadischen Instincte dieser Völker beredt offenbart, so hatte auch die junge syrische Wittwe, kaum dass sie den alten Türken begraben, lebhaft das Bedürfniss der Frömmigkeit empfunden und sich auf die geheiligte Wanderung begehen. Sie nahm ihre sämmtliche tragbare Habe mit, und dieselbe war höchst anständig; übrigens sollte sie diese im Hause ihres mekka-nischen Eheherrn sämmtlich los werden und nur etwas Schmuck und so viel Geld behalten, um auf der Rückreise, nicht Hungers zu sterben. Ihr übriges Vermögen bestand in Häusern und liegenden Gründen, welche im Orient immer sehr "Schwer zu Geld zu machen sind und das war ihr Glück, sonst würde Hamdan sie wahrscheinlich länger behalten und gänzlich ausgeplündert haben. Aber mit liegendem Besitzthum in Syrien ist einem Mekkaner wenig gedient, da im Orient der entfernte Eigenthümer so gut wie niemals seine Renten ausgezahlt bekommt und so bildete die junge Wittwe, nach Plünderung ihrer tragbaren Habe, und nach genossenem Honigmond, für den schlauen Mekkaner keinen Anziehungspunkt mehr und sie konnte ruhig in ihre Heimath entlassen werden. Diese junge Dame hiess, wie ich schon am ersten Tage meiner Anwesenheit in Hamdans Hause erfuhr, Fatma bent el Amir, das heisst Fatma, Tochter des Emirs. Was für eine Art von Emir ihr Vater gewesen sein mochte, davon habe ich nicht die geringste Idee. Dass er aber eine schöne Tochter besass , das habe ich mit eignen Augen gesehen. Denn die Schöne war keineswegs von einer grausamen Sprödigkeit und geruhte oft, wenn ihr temporärer Ehemann ferne war, sieh in der Hausflur völlig un-verschleiert zu zeigen. Fatma stand im bcneidens-werthen Alter von achtzehn oder neunzehn Jahren; sie war eher klein, als gross zu nennen; eher mager, als wohlbeleibt, vielleicht etwas zu sehr das erstere, aber ihre Jugend verhinderte, dass diess ihr ein abgelebtes oder hinfälliges Aussehen gab. Sie sah gewiss ebenso jung aus, wie. eine Europäerin von gleichem Alter, obgleich eine solche Behauptung sonderbar scheinen möchte. Aber das schnelle Verblühen der Frauen im Orient ist nicht ohne Ausnahmen. Die Frauen auf dem Lande, bei Beduinen und Fellahin, allein verblühen sehr schnell, weil sie sich Wind und Wetter. Sonne und liegen aussetzen und die härtesten Arbeiten bei schlechter Nahrung verrichten müssen. Dagegen erhalten sich die Stadtbewohnerinnen , in reicheren Häusern, welche nur spielend arbeiten, sich nie der Sonne aussetzen, keine! Sorgen haben, und gesunde, kräftige Nahrung gemessen, zuweilen wirklich beinahe ebenso lange wie Europäerinnen. Selbst unter den Frauen von 'zweifelhaftem Rufe in Mekka giebt es einige, die noch in den dreissiger Jahren Eroberungen machen. Aber Fatma war von diesem Alter noch weit entfernt. Worin die Araberinnen und die wenigen Araber, welche sie zu' Gesichte bekamen, einen besondern Vorzug ihrer Schönheit erblickten, das wa r der Kontrast zwischen der Schwärze ihrer dunklen Haare, die in wilden, natürlichen Locken Ins auf Brust und Nacken niederhingeu, und der liehen Farbe ihrer Augen, ein Contrast, bei Europäerinnen eben nicht selten vorkommend, bei Araberinnen aber nahezu ein Phänomen. Diese Augen wurden ,,blaue Augen" genannt, sie waren aber in Wirklichkeit nur grau, indess der Araber erweist allen hellen Gesichtswerkzeugen die Ehre, sie „blau" zu nennen. Graue Augen sind nach unsern Begriffen eben nichts schönes, aber im Orient werden sie ihrer Seltenheit wegen sehr geschätzt, freilich nur bei Frauen, denn bei Männern liebt man sie gar nicht und hält sie für ein Zeichen von Falschheit. Der Leser weiss aus meinem im ersten Bande erläuterten Passe, dass auch der Schreiber dieser Blätter ähnliche Augen besitzt, wie die, welche die Araber „blau" nennen. Daher kam es, dass man mich nicht selten „Bu Ain asrak", das heisst den „Vater des blauen Auges" nannte, indem die Araber es sehr lieben, allen Leuten Beinamen zu geben und diese Beinamen fast ausschliesslich mit dem Namen „Bu", das heisst „Vater" beginnen. Man ist Vater von allem, was man an und um sich hat. Der eine ist „Vater des Schnurrbarts", wie Burton, der andere „Vater des schielenden Auges", wie Leon Boches, ein dritter „Vater der langen Nase" und so weiter. Ebenso sind die Frauen Mütter von ihren unterschei- denden Kennzeichen. Die eine ist „Mutter des Ilaar-zopfes", wie Hamdans zweite Gattin. die andere Mutter der Triefaugen", wie die „Bent el Am", welche an diesem Uebel litt, eine dritte „Mutter des ilundsgesichts",' wie die schwarze Favoritin, die im vorigen Capitel so unbarmherzig geprügelt wurde. Eine Engländerin, die bekannte Lady Ellenborough, welche jetzt mit dem Scheich von Palmyra in Syrien verheirathet ist,und im Winter stets zu Darnascus lebt, hörte ich bei meiner Anwesenheit in letzterer Stadt öfters die „Mutter der Milchweisse" nennen, wahrscheinlich wegen des blendendweissen Teints, den diese einst so grosse Schönheit, deren Portrait mau in der Schönheitsgallerie in München sehen kann, sich zu conserviren gewusst hatte. Auch Fatma entging ihrem Beinamen nicht. Derselbe war ein Seitenstück des meinigen, nämlich „Um Ain asrak" das heisst „Mutter des blauen Auges". Diese „Mutter des blauen Auges" wurde oft in den Gesprächen des Harem, die ich alle deutlich überhören konnte, mit dem „Vater des blauen Auges" in eine scherzhafte Verbindung gebracht und dabei Witze gerissen, die den „Vater des blauen Auges" errÖthen hätten machen können, wenn er es der Mühe werth gehalten hätte. Fatma püegte sich sehr reich zu kleiden und mit einer Menge massiven Geschmeides zu behängen. Das Geschmeide orientalischer Frauen glänzt nicht durch die künstlerische Schönheit der Form, auf weiche diese Völker ausserordentlich wenig zu «eben pflegen. Im Gegenthcil suchen sie bei Ver- fertigung des Schmuckes vorzüglich im Auge zu haben, dass bei demselben die Facon sowenig als möglich koste. Gewöhnlich wird das Gold von demjenigen, der es zu Geschmeide verarbeitet haben will, selbst zum Goldschmied gebracht und dieser überwacht, damit er ja nichts davon abhanden kommen lasse oder stehle. Ein oder zwei Procent des Werthes werden meistens für die Verfertigung gezahlt und der Schmuck behält somit fast immer denselben Werth. Welch ein Unterschied gegenEuropa, wo sich kaum ein Goldschmied mit weniger als zwanzig, oft nicht mit dreissig Procent vom Metallwerthe für Facon begnügt. Aber die Form des morgenländischen Geschmeides entspricht natürlich auch dieser wohlfeilen Fabrication. Die Armbänder und Beinspangen orientalischer Damen sind plumpe, unförmige Hinge, wie man sie in Europa, kaum im Mittelalter von so roher Form hatte. Aehnlich ist es mit Edelsteinen; diese werden nur roh geschliffen, die Diamanten nie brilliantirt, und die Schmucksachen sehen desshalb ungelähr aus, wie die alten gothischen Kronen - und Kirchenkostbarkeiten aus dem Kindheitsalter der Kunst, nicht wie diejenigen aus besserer Zeit. Sie haben somit niemals einen üctiven Werth, wie goldne oder silberne Kunstgegenstände ihn manchmal in Europa behalten. Aber sie bilden ein sicheres Capital, freilich ein todtes, aber doch kein zum Theil verlornes Capital, wie europäischer Schmuck. So hatte auch Fatma in der ersten Zeit ihres Aufenthalts in Mekka, eine Menge Schmucksachen mit höchst kostbaren Edelsleinen, werthvoll obgleich von roher Form besessen, welche würdig gewesen wären, in einer Schatzkammer als alterthümliche Curiositäten zu figuriren. Jetzt hatte jedoch der sehlaue temporäre Gatte den Einfluss des,Honigmondes benutzt, um ihr das meiste ihrer Kostbarkeiten abzuschwatzen. Die Gute hatte es hergegeben, denn eine orientalische Frau kann ihrem Manne selten etwas verweigern. Bald sollte sie völlig ausgezogen werden, um aller ihrer schönen Federn beraubt, in ihre Heimath zurückzukehren. Sie musste das Glück, den schönen Hamdan zu ihren Füssen zu sehen und auf vierzehn Tage die Königin seines Harems zu sein, theuer zahlen, theurer, als die Sache werth sein mochte, wird manche Europäerin denken; aber eine Orientalin denkt nie so. Alle morgenländischen Frauen sind erwachsene Kinder, und werden stets Kinder bleiben, mit denen ein geschickter Mann anfangen kann, was ihm nur immer beliebt. Als ich die schöne Fatma das erste Mal sah, besass sie jedoch noch manche ihrer goldenen Ketten, Armspangen und Beinringe, obgleich die Edelsteine bereits den Weg alles Fleisches gegangen waren. Namentlich hatte sie noch sehr schöne, sogar reiche Kleidungsgegenstände. Des Morgens erschien sie, nach Art der Bräute, bald in Goldbrocat, bald in weissem, goldgestickten Moire; trug feine, indische Goldstofftücher auf dem Haupt und einen sehr reichen Kaschmirshawl um den Leib. An den Füssen hatte sie allerliebste, kleine, zugespitzte Schuhe von rosen-röthem Leder, welches man aber kaum sehen konnte, da es dicht mit Ferien überstickt war. Wenn sie ging, so klapperten die Ketten ihres Halses, welche aus lauter aneinandergehefteten (nicht gelötheten) türkischen Goldstücken bestanden. Dieser holde Lärm lockte mich jedesmal, so oft ich ihn vernahm, aus meinem Zimmer hervor, denn nun konnte ich zweier Dinge gewiss sein, einmal, dass Hamdan fort war und dass folglich Niemand meine Ilaremsbetrachtungen stören konnte, dann, dass die Schöne sich aus ihrem Privatzimmer im zweiten Stock in das grosse Haremszimmer im ersten begeben hatte, wo sie in ihrer Art ihre Triumphe feierte. Da sass sie auf dem Kissen von Goldbrocat und um sie herum standen oder lagen ihre dienstbaren Geister des Augenblicks. Die Negerinnen brachten ihr eine schöne, lange Jasminholzpfeife mit einem reichen Mundstücke von milchig trübem, weisslichen Bernstein der geschätztesten Art. Sie füllten den gold-beränderten Pfeifenkopf mit wohlriechendem, schwarzen Latakia-Tabak, legten eine brennende Kohle darauf und bald entstiegen dem kostbaren Bohre die duftendsten Bauchwolken und wanden sich in phantastischen Spiralen zur Decke des Haremszimmers hinan. Dann brachten sie in kleinen, silbernen Kannen, von denen jede nur den Inhalt einer Tasse in sich schloss, den aromatischsten, frischgebrannten Mochakaffee herbei, schenkten ihn in feine, japanische Tässchen ein und reichten ihn der schönen Fatma und den drei andern Gattinnen ihres Herrn auf kunstvoll gearbeiteten, silbernen Untergestellen von indischer Filigranarbeit dar. Es war ein Bild von so acht orientalischem Gepräge , welches sich mir in dieser Haremsscene darbot , wie ich es in meinem Leben noch nicht gesehen hatte. Das eigentliche morgenländische Frauenleben hatte sich, so viel ich auch in Ländern des Islam gereist war, bis jetzt meinen Blicken immer eifersüchtig entzogen. Was ich in Algerien vom Haremsleben hatte sehen können, das war nur ein charakterloses Zwitterding gewesen, welchem der wahre orientalische Stempel nicht mehr in unverlälschter Reinheit aufgedrückt war. Auch das, was man orientalischen Luxus nennt, hatte ich bis jetzt immer umsonst gesucht zu Gesicht zu bekommen und nie gefunden, denn in den Gegenden der Türkei und Afrika's, welche dem Europäer am zugänglichsten sind, ist der orientalische Luxus durch den europäischen, oder durch ein hässliches Gemisch beider ganz verdrängt worden. Selbst im Harem des Sultans in Constantinopel soll nur noch ein Zwitterding von Pariser Luxus und türkischer Barbarei herrschen, wie mir eine Deutsche, welche jenen Harem sehr gut kannte, denn sie versah daselbst ein hochwichtiges Amt (Hebamme), hinreichend versicherte. Aber hier in Mekka, diesem letzten Zufluchtsorte des Orients vor europäischem Schwindel und türkischer Reform, dieser in ihrer Art einzigen Stadt, wo Sultan Mahmuds reformatorische Pläne nie Einlluss erlangt haben, wo man sich noch in die holde Zeit der Unordnung und Janitscharen zurückversetzt denken kann, da sollte es mir gelingen, noch ein Stück unverfälschten Orients und sogar die sonst unzugänglichste Seite desselben, das Haremsleben, zu sehen und zu beobachten. Selbst der orientalische Luxus, wenn man unter diesem Wort nicht eine übertriebene Sumptuosität, sondern nur eine alles fremde II. 13 verschmähende Geschmacksrichtung versteht, sollte sich mir hier offenbaren. Man denke sich jedoch dieses Haremsbild nicht als ein fleckenloses, selbst im Buchstäblichen Sinne des Wortes. Im Orient ist kein Bild ohne seine schreienden Schattenseiten. Neben Palästen liegen Ruinen und elende Reiserhütten. neben Goldbroeat und Perlen findet man Lumpen und Schmutz. So ist es wohl von jeher im Orient gewesen. Diese Leute haben nie auf die Einheit eines Bildes gesehen. Dass man in Schriftstellern voriger Jahrhunderte, welche mit der Levante in Berührung kamen, immer nur von dem Luxus des Orients" reden hörte. das ist kein Beweis , dass die Lumpen damals nicht auch in ihrer vollen malerischen Zerfahrenheit existirten. Sie-fanden nur keine Beschreibe!-. Heutzutage ist der „orientalische Luxus", wo er nicht ganz durch psetulo-europäischen verdrängt worden ist. wie in Constantinopel undCairo, nur etwas ärmlicher und schwächer geworden, die Lumpen haben überhand genommen, das ist alles ; die Verhältnisse sind geändert, aber Luxus und Lumpen existirten gewiss schon zur Glanzzeit des Islam nebeneinander wie jetzt, nur dass letztere jetzt vorherrschend geworden sind. Natürlich verstehe ich unter solchen Nebeneinandersein von Luxus und Aermlichkeit nicht jenes, das in allen Ländern vorkommt, wo arme und reiche Leute nebeneinander wohnen. Nein, ein solches Nebeneinandersein würde gar keine Merkwürdigkeit bilden. Dass aber in einer und derselben Häuslichkeit, in einer und derselben Familie, die Fine in Edelsteinen und Schmuck prangt, die Andere in Lumpen geht, das rindet man nur im Orient. Ja, was uns Europäern noch auffallender vorkommt, ist der Umstand, dass oft eine und dieselbe Person ein Gemisch von Luxus und Lumpen darbietet. In Europa würde eine Frau, welche zum Beispiel einen ächten, kostbaren Kaschmirshawl besitzt, denselben nur mit einem entsprechend werthvollen Kleide, mit einem schönen Hute tragen wollen, oder, wenn es ihre Mittel vielleicht im Augenblick nicht erlauben ein theures Kleid anzuschaffen, so würde sie doch ein solches wählen, das nicht durch seine Aermlichkeit, oder durch Abgetragenheit allzusehr gegen den kostbaren Shawl abstäche. Nicht so im Orient. Macht der theure Gatte seiner Frau ein kostbares Geschenk mit irgend einem Tuch von Goldstoff, Kaschmir oder persischer Seide, so bestrebt sich die Schöne gar nicht, ihre übrige Toilette mit diesem Gegenstand in Einklang zu bringen. Nein, ist sie auch noch so sehr zerlumpt, sieht sie auch völlig aus wie Aschenbrödel , so wird doch das neue Geschenk ihrer alten Toilette einverleibt und so bietet sie uns Europäern das grösste Toilettenräthsel, das wir sehen können. Manche Leserin wird vielleicht vor Mitleid die Achseln zucken und denken: Die Aermste hat eben kein Geld, um entsprechende Kleider zu kaufen. Darin würde sich aber die Mitleidige irren. Allerdings haben die Haremsbewohnerinnen wenig Geld, aber sie können sich doch meist reinliche, weisse, wenn auch wohlfeile Kleider verschallen und diese würden keinen so grellen Contrast gegen die Kostbarkeiten bilden, wie die Lumpen. Nein, die un- 13* glaubliche Nachlässigkeit der Orientalen ist allein an dieser Inconsequenz ihrer Costüme Schuld. Zudem zieht eine Orientalin stets ein zerlumptes, einst reiches Gewand einem unzerlumpten, wohlfeilen vor. Lumpen aber werden selbst die schönsten Kleider bei diesen Damen sehr schnell, die nicht die geringste Sorgfalt darauf verwenden, die des Nachts in denselben Kleidern schlafen, welche sie Tags vorher trugen und welche sie morgen wieder tragen werden, die ihre Anzüge durch all' den Schmutz, welchen das Essen mit den Fingern mit sich bringt, besudeln und beflecken, die so linkisch sind, dass sie oft Kaffee darauf träufeln und brennende Kohlen aus der Tabakspfeife darauf fallen lassen, die Tag und Nacht'auf dem Fussboden liegen, die zuweilen wohl auch in kindischen Spielen sich zerren und balgen, zwar bei jedem Riss ihrer feinen, durchsichtigen Schleier zu weinen anfangen, aber nichts ausbessern und denen Flickarbeit ebenso unbekannt ist, wie ein Waschen ihrer Gewände. Man klagt in neuester Zeit viel über die Kostspieligkeit europäischer Damenmoden. Ich glaube aber, dass es noch viel kostspieliger sein würde, wenn man eine orientalische Frau stets unzerlumpt und reinlich gekleidet halten wollte, von allen Kostbarkeiten abzusehen. Man müsste ihr eben jeden Morgen einen neuen Anzug schenken. So bot auch das Haremsbild, welches es mir gegeben war, im Hause Hamdans zu beobachten, man-nichfache Dissonanzen, welche ein europäisches Auge beleidigen, die aber ein Orientale gar nicht bemerkt. Die schöne Fatma war freilich untadelhaft in der reinlichen, unzerlumpten Haltung- ihres Co~ stüms. Sie kleidete sich eben als eine Arussa (Braut) und die Bräute sind im Orient die einzigen Wesen, welche sich täglich neu anziehen, hier eine unum-stössliche Bedingung für Reinlichkeit des Anzugs, da das Schlafen in den Kleidern ihnen schon am zweiten Tag jede Frische raubt. Sie glänzte somit als ein fleckenloses Gestirn am Himmel des Harems. Aber wie viele Flecken besass derselbe nicht sonst! Da war die „ Bent el Am ". die Hauptgattin; sie hatte zwar auch kostbares Geschmeide'an, auch auf ihrem Haupte zeigte sich ein indisches Tuch von Goldstoff, aber wie wenig passten hierzu ihre andern Gewände. Da klafften zahlreiche Wunden in ihrer Sederija, da malten sich hässliche Butterllecken auf ihrem Unterkleide, da schien ein ganzer Topf von Kaffeesatz über ihre Schärpe ausgegossen zu sein. Die zweite Gattin war geradezu ekelhaft anzusehen, so strotzte sie von Lumpen, Schmutz und leider auch von Ungeziefer. Die dritte, die aus edlem Blut stammende, war leider auch nicht von Lumpen frei, aber selbst diese Lumpen sahen hei ihr malerisch aus, sie drapirte sich mit vielem künstlerischen Geschmack in dieselben, man hätte sie für eine gefallene Königin halten können. Die Negerinnen waren plumpe, unförmige Pakete von grobem, durchlöchertem und beflecktem Baumwollstoff, doch auch sie waren nicht ohne Toi-lettenprätentionen, trugen goldene Spangen auf ihren ungewaschenen Armen und Perlenschnüre im unordentlichen, buttergetränkten, allzu bevölkerten Haare. Hamdans Töchter, wovon die zwei ältesten wirklich hübsche Mädchen waren, schienen sich Mut- ter Eva in ihrer Paradiesestracht zum Modebild gewählt zu haben. Sie trugen nur die dürftigsten Kleidungsstücke an sich und sie thaten vielleicht recht daran, denn so waren sie wenigstens sicher, keine Lumpen auf ihren zarten, schlanken Körpern zu haben. Am stattlichsten waren Hamdans Söhne gekleidet, welche zwar nicht regelmässig den Harem bewohnten, jedoch in demselben täglich und stündlich ein- und ausgingen. Sie trugen schöne seidene Kaftans mit Schärpen von Kaschmirshawlen; da sie die Dschebba (Untermantel) und den Benisch (Obermantel) jetzt, in der heissen Jahreszeit, abgelegt hatten , so war ihre Tracht ebenso einfach , wie geschmackvoll. Dass man die jüngeren von ihnen im Harem frei ein-und ausgehen liess, wunderte mich nicht. Dass aber selbst der Sohn der „Beut el Arn", der achtzehnjährige, geschminkte Jüngling, daselbst freien Zutritt hatte, fiel mir sehrauf. Die Folgen davon sollten denn auch nicht ausbleiben. Ein kleiner Roman entspann sich zwischen dem rosenrothen Jüngling und der jungen syrischen Wittwe, den ich, da ich so ziemlich Zeuge desselben wurde, erzählen will. Dieser jüngste Sohn von Hamdans Hauptgattin hiessMehdi, stand jetzt ungefähr im achtzehnten Jahre und war ein so verzärteltes Muttersöhnchen, wie es nur eines gehen kann. Seine ganze Erscheinung war eher vortheilhaft, als das Gegentheil, wenn man überhaupt die Schönheit eines Weibes, wenn sie bei einem Manne gefunden wird, vortheilhaft nennen kann. Davon also abgesehen, dass er durchaus weibisch aussah, war sein Aeusseres ein gewiss sehr günstiges. Er war lang gewachsen, schlank, gut gebaut, seine Glieder schienen freilich der Festigkeit zu entbehren, doch lag das vielleicht eher in einer angenommenen Manier, sich weibisch gehen zu lassen , sich in den Hüften schlangenartig zu wiegen, und, wenn er sass, seinen Oberkörper zuweilen so hin und wieder zu winden, dass man. versucht war, denselben mit dem Unterkörper als nur lose zusammenhängend anzunehmen. Sein Gesicht war fein und nicht allzu mager; kleiner Mund, weisse Zähne, gerade Nase, schwarze, schmachtende Augen, langes dunkles Haar, nichts fehlte ihm, was man bei orientalischen Jünglingen schön nennen kann. Zu dieser natürlichen Schönheit kam noch die künstliche hinzu, wenn diese überhaupt den Namen von Schönheit verdient. Hie Haare trug er gegen die arabische Männersitte lang und in so phantastischen Locken, dass, glaube ich, das Brenneisen hierbei das seinige geleistet haben musste, obgleich dieses Instrument sonst bei Arabern ganz unbekannt ist; aber Mekka ist ein solcher Sammelplatz fremdartiger Waaren, dass man kaum in Erstaunen dadurch gesetzt wird, selbst den ungewöhtdichsten Gegenstand hier anzutreffen. Seine Wangen waren mit einer zarten, rosenrothen Schminke bemalt, sehr künstlerisch und sehr geschickt aufgetragen, so dass ich die Rothe derselben gewiss für Natur gehalten hätte, wäre mir nicht bekannt gewesen, dass in ganz Arabien Niemand von Natur rothe Backen hat. Sonst war seine Gesichtsfarbe für einen Eingeborenen des Hedschas ziemlich hell, das heisst sie war immer noch braun genug mit der Farbe eines Türken oder eines Mauren von Algier verglichen, aber sie nahm sich doch hier, in Mitte so vieler schwarzen, schwarzbraunen und braungelben Gesichter, beinahe weiss aus. Dieser Jüngling kleidete sich in amaranthrothe Halbseide von der Art, welche man Garmasut nennt, und die in einer syrischen Stadt, welche ebenso, wie der Stoff, heissen soll, fabricirt wird. Garmasut ist einfarbige Halbseide, während die zwei oder mehrfarbige, meist gestreifte Halbseide den Namen Aladscha, ebenfalls den einer syrischen Stadt, führt. Aladscha und Garmasut sind die Lieblingsstoffe der Mekkaner für Sommerkleider. Ganzseidene Gewände werden zwar auch in Mekka, getragen, sind aber natürlich verhältnissmässige Luxusartikel; sie werden von Bagdad und meistentheils wohl aus Persien bezogen. Mehdi sah in seinem amaranthrothen Kaftan recht hübsch, aber auch hierin entschieden weihisch aus, wozu die Form des mekkanischen Kaftan nicht wenig beitrug; denn derselbe gleicht fast einem europäischen Damenschlafrock aus der Zeit vor Einführung der Crinolinen. War Mehdi zu Hause, so schlang er eine goldene Schärpe um den Leib, welche sonst nur Frauen tragen; auf der Strasse hätte er diese jedoch nicht anbehalten können, da man ihn sonst gewiss für einen Bewohner eines gewissen Quartiers gehalten haben würde, in welchem beide Geschlechter dasselbe Geschäft betreiben. Was seinen Charakter betraf, so war Mehdi nicht stolz, obgleich sehr eitel, übrigens recht geselliger Natur, gleich mit allen fremden Hadschadsch gut Freund und namentlich ein sehr entschiedener Verehrer aller jungen Wittwen, welche die beiden Häuser seines Erzeugers bewohnten. Auch die interessanten Geschiedenen waren, wenn jung, dem rosenrothen Jüngling nicht gleichgültig. Man erzählte mir, dass er schon mit dreizehn Jahren zärtliche Abenteuer mit frommen Pilgerinnen bestanden habe. Seinerseits gefiel Medhi den frommen Pilgerinnen nicht weniger, als diese ihm gefielen. Viele orientalische Frauen lieben bei Männern zwei Dinge, welche die Europäerinnen gewöhnlich zu verschmähen pflegen. Diese sind ein sehr jugendliches Aussehen und zweitens eine gewisse Weibischkeit. So paradox diess auch klingen mag, so ist es doch wahr, dass manche Araberinnen ein sehr männliches Aussehen nicht lieben, das heisst wohlverstanden diejenigen unter ihnen, welche überhaupt Passionen haben und befriedigen können, denn die andern, die als Besitzthum legitimer Ehegatten in Harems eingesperrt gehalten werden, sind eben willenlose Geschöpfe, denen ein Mann nichts ist, als der Tyrann, der mit ihnen macht, was er nur muH und sie als die reinsten Gegenstände behandelt. Diejenigen Araberinnen aber, welche sich einer gewissen Selbstständigkeit erfreuen, die in diesen Ländern so selten dem weiblichen Geschlecht zu Theil wird, die jungen Wittwen und Geschiedenen, wie solche sich in Hamdans Haus als Gäste befanden,* geben sich nicht selten der Leidenschaft, welche sie für junge, nur halbreife Männer empfinden, mit ganzer Seele hin. Was namentlich Araberinnen an jungen Männern lieben, ist ihre völlige Bartlosigkeit. In vielen ihrer Liebesliedern preisen die Frauen ihren Geliebten als einen bartlosen Jüng-lir"g und vergleichen ihn zu seinem Vortheil mit irgend einem andern bärtigen Freier, den sie gewöhnlieh als einen zottigen Brummbär schildern und lächerlich machen. So hatte auch die schöne Fatma allmählich eine Leidenschaft für den rosenrothen Jüngling gefasst, dessen weibisches Aussehen, dessen bartloses Gesicht und grosse Jugend alles bei ihr nur Empfehlungen waren. Anfangs hatte sie zwar der Liebe Hamdans Gehör gegeben, sich sogar überreden lassen, dessen Gattin zu werden, aber die Honigwoche hatte bei ihr gewiss nicht länger gedauert, als eben ein Mondsviertel. Wenn sie noch nicht ihren Abschied aus dem Hause verlangte, in welchem man sie ausgeplündert hatte, so geschah diess einzig und allein aus Iziehe für Mehdi. Das sonderbarste bei diesem kleinen Roman warr dass er das Geheimniss des Folichinell war, dass der ganze Harem davon wusste. Der ganze Harem war in das Liebesgeheimniss Fatma's und Mehdi's eingeweiht und es war recht bezeichnend für die angeborene Verstellungskunst arabischer Frauen , zu beobachten , wie keine einzige auch nur durch einen Wink in 1 lamdans Gegenwart etwas verrieth. Denn Hamdan durfte natürlich nichts von dieser selbst nach muselmännichem Gesetz strafbaren Leidenschaft seines Sohnes wissen. Nicht als ob er nach Verlauf der Honigwoche noch viel Liebe für Fatma und Eifersucht wegen seiner Braut empfunden hätte. Nein, Hamdan war seine temporäre, vierte Gattin bereits so ziemlich satt geworden und sah sich inzwischen schon nach einer andern um, welche während des Restes der Pilgerzeit den vierten Platz im vier- sitzigen Harem einnehmen sollte. Aber als Familienvater und guter, wenigstens für gut gelten wollender Moslem durfte Hamdan natürlich nicht gestatten, dass sein Sohn der Gattin des eignen Vaters den Hof machte. Dieser Umstand, dass Fatma die Gattin meines Wirthes geworden wnr, bildete den schicksalsvollen Verwicklungspunkt in dem Romane. * Es war ein recht hübsches Bild, was ich während einigen Tagen jeden Morgen und Nachmittag, so oft Hamdan den Harem verlassen hatte, in demselben beobachten konnte. Da kam der rosenrothe Jüngling in das Frauengemach und setzte sich gewöhnlich auf den Teppich des Fussbodens, gerade vor das Kissen von Goldbrocat, auf welchem die schöne Fatma ruhte. Ohne sich durch die Gegenwart seiner Mutter und Schwestern, sowie des übrigen Harems, auch nur im geringsten beengt zu fühlen, gab Mehdi seiner Liebe vollen Ausdruck, legte sein Haupt in den Schooss der Schönen und blickte ihr mit schmachtenden, wässrigen Augen in das schöne, braune Gesichtchen hinein. Fatma wand ihre mit Ringen bedeckten Finger »in die langen, schwarzen Locken des jungen Mannes, streichelte sein glattes Kinn, liebkoste ihn, dass es eine Freude war, oder schäkerte auch wieder in muthwilligem Spiele, kindisch, wie alle Araberinnen mit dem Erwählten ihres Herzens. Indess der kleine Roman sollte sein baldiges Ende erreichen, wenigstens insofern er in Mekka spielte und mir bekannt wurde. Bereits hatte Damian eine neue, reiche Pilgerin gefunden, welche Fatma's Platz einnehmen sollte. Desshalb musste diese nun schleunigst geschieden werden. Diess geschah. Wäre ihr temporärer Gatte nicht Mehdi's Vater gewesen, so würde dieser sie nun haben hei-rathen können. Aber auch so verzweifelte der rosen-rothe Jüngling nicht, seine Leidenschaft zum Ziele zu führen. Als die Schöne am Anfang des Monats Du el Hödscha Hamdans Haus verliess, und später nach Syrien zurückkehrte, da verschwand plötzlich der rosenrothe Jüngling. Kein Mensch, ausser den Frauen des Harems, wusste, wo er hingcrathen war. Einige behaupteten, er sei nach Syrien gegangen, habe dort die schöne Fatma unter anderm Namen geheirathet und niemanden ahnen lassen, dass dieselbe einstmals seihe Stiefmutter gewesen sei. Wenn dem so war, so hatte nach muselmännischen Gesetzen Mehdi natürlich grosses Unrecht begangen. Den wahren Ausgang seines Romans habe ich jedoch nie erfahren, da bei meiner Abreise von Mekka noch nichts vom Wiederauftauchen des rosenrothen Jünglings verlautet hatte und die schöne Fatma bereits vergessen und verschollen war. Ich glaube übrigens, dass Mehdi kein so tragisches Schicksal genommen haben wird, wie ein gewisser spanischer Prinz, welchen unser Schiller auch als in seine Stiefmutter verliebt schilderte. Unterdessen war Hamdans neue temporäre Gattin angelangt, eine junge Indierin von schönen, regelmässigen Zügen und schlankem Wuchs, aber so schwarz wie die Kohlen. Auch sie war reich und wurde von Hamdan während der Honigwocher tüchtig ausgeplündert. Für mich hatte jedoch der ganze Harem nach Abreise der schönen Fatma sein Hauptinteresse verloren und ich vermochte nie, mich lebhaft für ihre schwarze Nachfolgerin zu interessiren. Siebenzehntes Capitel. Wanderungen durch Mekka. 'Oricntirung in der heiligen Stadt. — Plan von Mekka. — Eintbeilung in vier Stadtviertel. — Die obere und untere. Stadt. — Suika und Schamija. — Der Stein des Propheten. —- Der ,,Vv*eg der Chinesen". — Das Quartier der Töpfer. — Der kleine Markt. — Die niedere Stadt. — Zerstörtes Karawanserai. — Das Castell von Mekka. — Der Palast des Grossschcriff. — Die Strassen von Mekka. — Lebhafter Verkehr. — Das Fremdenlebcn. — Die Strasse el Kaschkaschia. — Laden meines Bekannten des Pelzhändlers. — Der Tar-tarc Murad und sein Sohn. — Kondsche Scenen im Pclz-laden. — Der Stammeshäuptling des Nedsched. — Pferdeliebhaberei. — Selims Escapade. — Besuch des Kaffeehauses der Opiumraucher. — Schrecklicher Effect des Opimnge-niessens.— Das syrische Quartier. — Ich treffe meine ägyptischen Bekannten wieder. — Die Bude des Zuckerbäckers. — Der Mochalebi. — Die Strasse el Emsa. — Die Eunuchen des Tempels. — Die Schörfa von Mekka. — Besuch eines beduinischen Kaffeehauses. — Das Quartier Schab el Amer. — Traurige weibliche Erscheinungen. ■— Die Koreischen. — Stolz eines bettelarmen Edelmannes. — Der Viehmarkt von Mekka. — Die Beduinen der Umgegend. — Die Pferde in Arabien. Manchem Durchblätterer dieser Reiseerinnerungen möchte es vielleicht seltsam vorkommen, dass der Verfasser bei seiner Ankunft in Mekka nicht gleich zur Beschreibung der Stadt, ihrer Strassen, Paläste, Basars und Bewohner überging und statt dessen den Leser erst in drei Capiteln mit der Moschee langweilte und nachher ihm ein häusliches Leben und Treiben vorführte, während doch das öffentliche vielleicht mehr Interesse versprochen hätte. Aber dem Grundsatze treu, die Dinge im allgemeinen in der Reihenfolge zu schildern, in welcher sie sich ihm darboten, hat der Verfasser sich zuerst mit dem beschäftigen müssen, was die erste Pflicht des Ankömmlings in Mekka ist, mit der Moschee, dem Umgang um die Kaaba und den Heiligthümern der Mesdschid el Ilaram. Dann hätte er gleich mit Beschreibung der Stadt selbst heginnen können, wenn nicht diese Beschreibung für ihn ein Anachronismus gewesen wäre. Denn gleich nach dem Besuch des Tempels war es ihm noch nicht gegönnt, die Stadt zu erforschen. Zuerst machte ihm Ermüdung, Angegriffenheit von der Reise und ihren Strapatzen und in Folge davon eingetretnes Unwohlsein eine mehrtägige häusliche Zurückgezogenheit wünschenswerth. Was er während dieses freiwilligen Hausarrests sah , und beobachtete, davon hat er in den vorigen Capiteln eine Schilderung zu geben gesucht. Endlich, durch Ruhe wieder gestärkt, konnte er dann seine Wanderungen durch die Stadt selbst antreten, auf welchen er den Leser nun zur Begleitung auffordert. Diese blos durch den Zufall gegebene Eintheilung des Stoffes möchte vielleicht selbst in einem höheren Sinne nicht so unconsecment erscheinen. Religion und Familienleben, mit denen sich die vorigen Capitel beschäftigen, bilden ja die Grundlagen des öffentlichen Lebens und so könnte der Leser das schon geschilderte als eine nicht zwecklose Vorbereitung auf das zu schildernde ansehen. Ehe ich dazu übergehe, dein Leser meine Wanderungen durch die heilige Stadt vorzuführen, muss ich demselben zu seiner Orientirung noch einen kurzen Plan von Mekka entwerfen. Als Ausgangspunkt desselben will ich die grosse Moschee, das Centrum des Islam, die Herzkammer, in der alle Pulse des religiösen Verkehrs der ganzen mohamedanischen Welt zusammenschlagen und in welcher auch der kleinere Verkehr der heiligen Stadt seinen Mündungspunkt hat, erwählen. Die vier Ecken der grossen Moschee stehen beinahe direct nach den vier Himmelsgegenden, so dass ihre vier Seiten nach Südwest, Südost, Nordwest und Nordost zugekehrt sind. Auf der nordwestlichen und südöstlichen Seite der Moschee dehnt sich die Stadt in die Breite, auf der nordöstlichen und südwestlichen Seite in die Länge aus, jedoch so, dass die Länge ungefähr das vierfache der Breite beträgt. Die grösste Längenausdehnung von Mekka möchte ich ungefähr auf viertausendachthundert Fuss schätzen, während seine grösste Breitenausdehnung wohl nicht mehr als dreizehn bis vierzehnhundert Fuss gefunden werden dürfte. Natürlich sind diese Angaben nicht das Resultat einer Messung, welche anzustellen mir unmöglich gewesen wäre, auch sind sie nur oberflächlich und auf's Ungefähr hin gemacht. Von der nördlichen Ecke der Moschee, an welcher, bereits etwas auf der nordöstlichen Seite des Tempels, des Bab es Salam (Thor des Grusses), durch das ich meinen ersten Eingang in die Moschee gemacht hatte, liegt, erstreckt sich die schon früher erwähnte Strasse el Mota heinahe direct nach Norden hin, von welcher die Strasse el Maale nur eine Fortsetzung bildet. Diese Strasse el Mota und el Maale trennt die nördliche Jlälfte von Mekka in zwei ungleiche Theile. Ich will diese Theile das erste und zweite Viertel von Mekka nennen, das erste nach Nordwest, das zweite nach Nordost gelegen. Denn um mehr Deutlichkeit zu gewinnen. soll hier Mekka in vier Viertel getheilt werden, von denen die zwei ersten, wie wir gesehen haben, nördlich von der Moschee abgegrenzt wurden. Die zwei andern Viertel traeire ieh dann südlich von der Mesdschid el Ilaram und nehme als ihre nördliche Grenze den Tempel selbst an. Die lange Strasse el Mesfala, welche vom Dab Ibrahim, dem Thor Abrahams, sich beinahe südlich bis zum Pilgerwege von Jemen erstreckt, diene als Scheidung dieser beiden südlichen Viertel, so dass das dritte Viertel südwestlich, beinahe westlich, gegen Dsehedda zu liegt, und das vierte südöstlich, beinahe streng südlich (denn die Richtung der Strasse el Mesfala ist etwas gegen Westen) abgegränzt wird. Es versteht sich von selbst, dass bei dieser Ein-theilung der Stadt in Viertel nicht das gemeint sein kann, was man zuweilen Stadtviertel nennt, von denen oft mehr als zwölf auf ein Dutzend gehen, sondern ich will das Wort Viertel hier in seiner ursprünglichen Bedeutung, das heisst, als Viertheil, genommen haben, wobei ich mich doch sehr dagegen verwahren muss, dass man nicht glaube, als wollte Wn diese Eintheilung für eine bei den Arabern II. 14 bestehende gelten lassen; nein nur der Bequemlichkeit , des Ueberblicks wegen, wird sie von mir hier gewählt. Wenn man aber auf die Eintheilungen der Araber geht, so kommt die mathematische Rechnung heraus, dass die Stadt einige zwanzig Viertel hat, was in einer so wunderreichen Stadt, wie Mekka, Niemand auffallen wird. Für das nun, was die Araber Viertel nennen, will ich hier den Ausdruck „Quartier" gebrauchen, der freilich ursprünglich mit Viertel gleichbedeutend ist, der aber als ein Fremdwort im deutschen doch nicht so lächerlich klingen möchte, als es lauten würde, wenn man zum Beispiel sagte, eine Stadt habe zwanzig Viertel oder Viertheile. Beginnen wir also beim nordwestlichen Viertel, welches wir das erste genannt' haben. Diess fängt bei dem dicht an der Moschee, auf ihrer nordwestlichen Seite, gelegenen Hause des Kadi Hanefi, des ersten Kadi von Mekka, an. Daran stösst der Stadttheil Suika, d. h. der Stadttheil des kleinen Basars, denn Suika ist das Diminutivum vorn Worte Suk (Basar). Hier sind die Läden der Didier, welche Korallen, Juwelen, Gold, Filigranarbeit und dergleichen verkaufen; auch der Sklavenmarkt wird in kleinen, verschlossenen Buden dieses Basars abgehalten, und nicht mehr öffentlich, wie zu Burckhardts Zeit. Ein Theil des Suika (des Basarchens) ist mit einer Dokana (Dach) überdeckt, welche diese Strasse angenehm kühl macht. Dicht an den kleinen Basar,, beinahe an die nördliche Ecke der Moschee stossend, liegt das Quartier der Syrer, Huma el Schamija genannt. Zur Zeit der Pilgerfahrt verwandelt sich die Hauptstrasse dieses Quartiers, die sonst leer ist, in einen Basar von Bretterhütten, in welchen die hier wohnenden Schamija. (Syrer) die Waaren ihres Vaterlandes die llahseide von Aladscha und Garmasut, den Baumwollstoff von Horns, Homsi genannt, die feine Leinwand aus Baiästina, Teppiche aus Darnascus und vor allen die Kefija, die roth und goldfarbenen seidenen Kopftücher, feilbieten. Der Stadttheil der Syrer grän/.t im Nordost an die berühmte Hauptmasse von Mekka, el Emsa. Eine Verlängerung dieser Strasse geht mitten in das erste Viertel, mit dem wir es jetzt zu thun haben, hinein. An ihrem in diesen Viertel gelegenen Ende befindet sich die Säule el Merua, der eine Zielpunkt des Sai, des religiösen Rennens, das zum Andenken an Mutter Hagar abgehalten wird. Neben dieser Säule el Merua ist der Suk ed Delalin, der Basar der Versteigerungen, wo stets auf und ablaufende Versteigerer verschiedene Artikel, meist in türkischer Sprache, feil bieten. Die ollentliehen Brunnen liegen auch nicht weit von el Merua. Das Quartier, in welchem die Strasse el Emsa ihr Ende nimmt, ist das schönste und reichste der Stadt, alle Häuser sind dreistöckig, mit schönen grossen luftigen Fenstern versehen und gleichen so sehr europäischen Stadtgebäuden. In diesem Stadttheil, welcher den Namen el Krara führt, dessen Bedeutung mir stets ein Räthsel blieb, liegt auch eines der vielen Häuser des Seheriffs von Mekka, welcher derselben einige zwölf in der Stadt und einige sechs dicht vor der Stadt besitzt. Dem Hause, dieses ^Würdenträgers gegenüber und mit ihm einen traurigen Kontrast bildend, liegt, beinahe schon ausserhalb der Stadt, das Quartier el Dschemal (das heisst der 14" Kameele); es ist ruinenartig- und wird nur von armen Leuten bewohnt. Im Nordwesten befindet sich das Quartier Schab el Mulud das heisst der „Hügel der Geburt des Propheten'-. Daran gränzt im Norden der Wadi en Naga, das „Thal der Kameeistute ", einst das lieft eines ausgetrockneten Flüsschens, jetzt von Häusern eingefasst. Mit diesem Punkte sind wir am Nordende dieses Viertels angekommen, wo das von mir bewohnte Quartier el Solimanija beinahe schon ausserhalb der Stadt am Fusse des mit einem kleinen Fort gekrönten Dschebel el Lala (Berg der Tulpen) gelegen ist. Dort befindet sich die Strasse nach Arafa, die Cisternen der Syrer und Aegypter, und die zwei grossen Kirchhöfe, sowie die gepflasterte Strasse zu dem Heiligthum eines gewissen Schien Mahmud, dessen Grabcapelle von vielen Pilgern besucht wird, welchen ich jedoch imbesucht liess, da sein Besuch nicht obligatorisch ist und ich mit dem Obligatorischen in Mekka schon ganz genug hatte. Soviel vom ersten der vier Viertel von Mekka. Das zweite ist ungleich grösser und wichtiger, als irgend ein andres, denn in ihm befindet sich die grosse Hauptstrasse von Mekka, die vielerwähnte Strasse el Emsa. Sie bildet die südliche Gränze dieses Viertels und trennt dasselbe von der nordöstlichen Seite der grossen Moschee, welcher entlang sie sich hinstreckt, ab. Das eine Ende des Sai, wo die Säule ess Ssafa, der erste Zielpunkt des Laufes, aufgestellt ist, liegt im Süden dieses Viertels und von ihm beginnt die Hauptstrasse, welche in el Merua endet. Eine lange von Süden nach Norden gehende Strasse, welche von el Emsa ausläuft, trenpt dieses Viertel in zwei ungleiche Hälften; von denen die eine ein sehr lebhaftes Handelsquartier, die andere stiller aber ausgedehnter ist. Man nennt diese Strasse el Kaschkasehia an ihrem südlichen, und Rhassa an ihrem nördlichen Ende. Da die Strasse el Kaschkasehia. fast parallel mit der Strasse el Mota läuft, und erst im Norden einen Bug macht, um mit dieser zusammen zu treffen, so folgt daraus, dass die eine Hälfte dieses Viertels zwischen beiden Strassen völlig eingeschlossen ist, mit Ausnahme des kleinen südlichen Endes. wo sie an die el Emsa siösst, Zuerst finden wir hier im Süden und an die el Emsa grunzend, das Quartier Suk el Hadschar, wörtlich der „Markt des Steines11, so genannt von einem hier befindlichen heiligen Stein, der einst den Propheten täglich, auf dessen Wege aus der Moschee, begrüsste und rief: Salam ja Basul Allahi (Sei ge» grüsst o Prophet Gottes). Dieser einst beredte, aber jetzt leider wieder verstummte Stein wird von den frommen Hadschadsch berührt, von einigen sogar geküsst. Im Norden von diesem Steine ist ein kleines halbverfallenes Haus, welches als ein grosses Heiligthum des Islam verehrt wird. Dieses Haus ist; nämlich nichts geringeres, als das des Propheten, nicht dasjenige, worin er geboren ward, sondern das, * wo er mit seiner ersten Gattin Kadidscha lebte und seine berühmte Tochter Sittna Fatma, die Gattin Ali's, zeugte. Man nennt dieses Haus auch Mulud Deila Fatma (Geburtsort der Fatma). Hier liegen schöne Häuser, in denen viele Pilger zu wohnen pllegen. Dann kommt eine Reihe wink-hger Gässchen, ein wahres Labyrinth, in welchen sich Buden an Buden dicht neben einander reihen. Ein Theil dieses winklichen Chaos heisst Suk el Mas-rija, der „Markt der Aegypter", weil dort die Leute , dieser Nation ihr Wesen treiben : daneben liegt die Huma el Maghrebia, das Quartier meiner vermeintlichen Landsleute, das einzige, welches ich aus guten Gründen niemals zu betreten wagte, folglich nicht schildern kann ; auch ist hier ein kleines schmutziges Quartier Darb ess Ssini genannt, welcher Name der „Weg der Chinesen" bedeutet. Man würde hieraus je doch mit Unrecht den Schluss ziehen, als habe es in Mekka jemals soviel Chinesen gegeben, um einem eignen Stadtquurtier ihren Namen zu verleihet). Nein, es giebt in China nur sehr wenige Mohamedaner und von diesen wenigen verlieren sich alle Jahre wohl kaum zwei oder drei mich Mekka. Zu meiner Zeit war kein einziger Sohn des himmlischen Reiches der Mitte hieher gekommen. Der „Weg der Chinesen" soll seinen Namen dem Umstand verdanken, dass hier vor siebzig oder achtzig Jahren einmal ein chinesischer Händler seine Bude hatte. Die zweite Hälfte des zweiten Viertels erstreckt •sich im Osten der Strasse el Kaschkasehia bis an den Fuss des berühmten Berges Bu Kubis, auf dem der Engel Gabriel dem Propheten so oft erschien. Hier liegen: die Quartiere Schab Ali, vom Schwiegersohn des Propheten so genannt, dessen Geburtsort hier in einer kleinen Capelle, die ich übrigens nicht sah, gezeigt werden soll; das Quartier Mulud en Nebln, wo Mohameds Geburtsort in einer Art von Crypta gezeigt wird, welche ich ebenfalls unbesucht liess, da ich ihren Besuch auf die Zeit nach der Wallfahrt nach Arafa aufgeschoben hatte und mich dann ein Unfall nöthigte, Mekka plötzlich zu verlassen; das Quartier Suk el Lil, das heisst des „nächtlichen Marktes", wo manchmal in den Ramadannächten ein glänzender Basar stattfinden soll; das Quartier Rhasse, in welchem der Viehmarkt abgehalten wird. Alle Häuser dieses Viertels, namentlich der zweiten Hälfte desselben, sind hochgelegen. Gegen Norden und Nordosten steigt das Terrain immer mehr und das östlichste Quartier dieses Viertels liegt beinahe schon auf dem Berge Bu Rubis. Diess Quartier heisst el Mamela und enthält grosse Töpfereien, Namentlich werden hier die grossen schweren Krüge gebrannt, welche man, mit Semsemwasser gefüllt, von der Pilgerfahrt zuweilen mitnimmt, obgleich die meisten Pilger diese Krüge zu schwer finden und sich mit Bleehflaschen begnügen, welche in der Strasse el Emsa in ungeheurer Menge zu diesem Zwecke verfertigt werden. Am Ende dieses Viertels liegt das Quartier Schab Amir,das übelberüchtigtste von Mekka,, in dem die Prostitution ihr Banner aufgepflanzt hat. Das dritte Viertel von Mekka, das westliche und kleinste der vier, habe ich bei meinem ersten Gange vom Dscheddathdre zur Moschee, bei meiner Ankunft in der heiligen Stadt, zum grossen Theil schon geschildert, will also von ihm nur die Quartiere Schebika, Suk es Serhir, Bab el Omra und den daran stossenden Friedhof Chan-Darsa erwähnen. Das Quartier Schebika wird von ächten Mekkanern bewohnt, welche meist von Scheriffen abstammen, sich Sehr von andern Bewohnern Mekka's abgesondert halten und im ganzen die Fremden nicht lieben. Im Suk es Serhir, dem kleinen Markt, haben die mekka-nischen Kleinhändler ihre Läden. Im Quartier Lab el Omra wohnen die religiösen Lohnbedienten, die Metuafin. Die meisten Häuser dieses Viertels sind nur ein - oder zweistöckig. Iiier liegt auch ein Dulasl des ScherifTs und das grosse Hauptbad von Mekka, welchem ich am letzten Tage meines hiesigen Aufeut-balt.es einen Besuch abstatten, der für mich leider die unangenehmsten und für meine Heise die hinderlichsten Folgen haben sollte. Das vierte Viertel bildet den am niedrigsten gelegenen Stadttheil. wie auch sein Name el Mesfel (d. h. das untere) andeutet. Der südliche Theil dieses Viertels, das eigentliche unterste Quartier, liegt gegen die Pilgerstrasse von deinen zu. liier wohnen Krämer von ärmlichem Aussehen, meist Araber aus Jemen oder Uadhr.iin.iuf, welche im kleinen bescheidene Geschäfte treiben. Im Osten glänzt ein völlig launenhafter Stadttheil an dieses Viertel, in dem sich das einzige Wirthshaus in Mekka, der Chan el Jama-nija d. h. Wirthshaus der Araber aus Jemen, befindet oder vielmehr befand, denn es ist nur noch ein Haufen von Ruinen. Im Südost beherrscht diesen Stadttheil- das hoch auf einein Ausläufer des Bu Kubis gelegene Castell, eine schwerfällige, mittelalterliche Bauinasse, welche nach Ansicht der Araber uneinnehmbar sein soll. Auch glauben die Mekkaner, diess Castell könne eine Garnison von zwanzigtausend Mann aufnehmen. Jetzt beherbergt es jedoch nur einige tausend schlechte türkische Infanteristen und besitzt zwanzig alterthümliche, wahrscheinlich unbrauchbare Kanonen. Am Fuss des Castellberges liegt dann das schone grosse Palais des Scheriff, einem grossen europäischen Gebäude nicht sehr unähnlich, obgleich natürlich von einer Dachterrasse gekrönt. .Wenn man von diesem Palais nach der Moschee geht, so kommt man über einen grossen freien Platz, dem einzigen, welchen die Stadt besitzt. Er beginnt dicht, an der Moschee. Mitten auf ihm ist ein grosser Brunnen, dessen Wasser jedoch ungeniessbar sein soll: auch gränzen an diesen Platz zwei weitere Häuser des Scheriff. Im Nordost dieses Viertels befindet sich das Quartier el Pschijad, welches von den Familien, die im Dienste des Scheriff stehen, bewohnt wird. Meine Wanderungen in der heiligen Stadt sollten begreiflicherweise den lebhaftesten Quartieren derselben, den besuchtesten Strassen und den an Verkehr reichsten Basars gelten. Während die religiöse Seite des Pilgerlebens sich vorzüglich in der Moschee und der daran grunzenden Strasse cd Emsa. eeutrn-lisirt, vertheilt sieh der mercantile und sociale Pilgerverkehr hauptsächlich auf vier Strassen: die Strasse el Mota, in ihrer Fortsetzung el Maale genannt; die mit dieser beinahe parallel laufende Strasse el Kaschkasehia, an ihrem nördlichen Ende Suk el Lil und er Bims so geheissen; die sowohl als Wallfahrtsort, als für den Verkehr wichtige Hauptstrasse el Emsa, in welche die beiden erstgenannten Strassen ausmünden; und endlich die westlich von der Moschee gelegene, vielgewundeue, oft ihren Namen wechselnde Strasse, welche zuerst, da, wo sie südlich von der Säule el Merua. in die Strasse el Emsa mündet, den Namen esch Schamija (die Syrerstrasse), dann den ■Namen es Suika (Strasse des kleinen Basars) und 'endlich den Namen el Hammamat (das heisst der Bäder) führt und die in die ebenfalls noch lebhaften Strassen esch Schebika und el Omra mündet. Alle diese vier Strassen sind sehr lebhaft und in ihnen concentrirt sich der Haupthandel, welchen die Pilger nach Mekka bringen, während der eigentliche inekka-nische Handel in den Strassen el Mesfala (dem niedrigen Quartier), Suk es serhir (dem kleinen Markt) und esch Schebika gipfelt und der beduinische Handel, •der hauptsächlich ein solcher ist, wie er auf Wochen-märkten vorkommt, am nördlichen Ende der Stadt auf dem grossen Vieh- und Getreidemarkt, betrieben wird. Der mekkanische Handel im engem Sinne, den der wenigen einheimischen grossen Handelshäuser natürlich abgerechnet, welche ihre Geschäfte in den von Pilgern bewohnten Stadttheilen, mitten zwischen diesen, betreiben, beschränkt sich mehr aufConsum und Kramerei, und bietet einen getreuen Abklatsch von den Basars anderer orientalischen Städte, mit dem einzigen Unterschied, dass hier die Krämer Mekkawia und nicht Syrer und Aegypter sind. Interessanter ist der beduinische Verkehr, der •seiner Zeit bei Beschreibung des grossen Marktes seine Erwähnung rinden soll. Aber im höchsten Grade interessant ist der Pilgerverkehr, der sich hauptsächlich in den vier ebengenannten Strassen vereinigt. Kein Europäer und kaum ein Orientale, der nie in Mekka gewesen ist, kann sich einen annähernden Begriff machen von der Buntheit, Vielfältigkeit, Mannichfachheit der Bilder, welche dem Beobachter hier vorgeführt werden. Eine europäische Stadt bietet in ihrer Bevölkerung meistens die grösste Monotonie. In orientalischen Städten sind jedoch, selbst in den einförmigsten , gewöhnlich fünf bis sechs verschiedene Bevölkerungselemente vertreten , welche sich durch Beligion und Sitten, durch Hautfarbe und Trachten. durch Auftreten, Gang und Gebehrden, durch die verschiedenartigsten gesellschaftlichen Stellungen und Abstufungen, und oft durch die seltsamsten socialen Widersprüche auffallend machen und von einander auf schlagende Weise unterscheiden. Was den Glauben betrifft, so ist nun allerdings in Mekka kein andrer, als der mohamedanische, vertreten, wenn wir nicht die heimlich dem Heidenthum anhängenden oder dessen beschuldigten Indier ausnehmen müssen. Dabei gewinnt jedoch nur die pittoreske Seite der Bevölkerung, denn die christlich-orientalischen Secten und die Juden im Orient haben sich in neuester Zeit so sehr europäisirt, dass sie allen Stempel der Originalität verloren haben und als hässliche, europäische Flecken eine Dissonanz in jedes orientalische Gemälde bringen. lieber nichts freute ich mich mehr in Mekka, als darüber, dass ich ich daselbst keine Griechen, Armenier , Kopten und Maroniten, und wie all' die entarteten, christlich-orientalischen Völker noch heissen mögen, zu sehen bekam, welche einem im übrigen Orient alle Poesie, sowie nicht selten auch den irdischen Tand, rauben. Nirgends, ausser in Mekka und Medina, kann man heutzutage eine Bevölkerung und einen Fremdeninflux ächter Moslems, der mit fremden Elementen noch gänzlich unvermiseht ist, finden. Die Moslems sind in allen orientalischen Städten diejenigen, welche sich am schwersten der europäischen Sitte bequemen, und wenn auch einige der höhern Stände die Reform Sultan Mahmuds im Costüm annahmen, so haben sie doch mit der Zeit etwas halb orientalisches , freilich unschönes, aber doch charakteristisches daraus zu machen gewusst. Selbst diese Reform schlug nicht bei allen gleich an; die einen befolgten sie strenger, die amiern laxer, andere wieder so gut wie gar nicht, und so entstanden wieder eine Menge Mannichfaltigkeiten , welche nur im Orient, in dem Lande der Buntheit, möglieh waren. Auch in die Auffassung der Religion, welche im Grunde vielleicht die monotonste der Erde genannt werden kann, und welche sich in jeder Sure ihres Korans bestrebt, alle Menschen in ein und dasselbe Modell hineinzuzwängen, haben diese launigen orientalischen Völker in holder Inconsequenz eine Menge Mannichfaltigkeiten gebracht, so1 dass jetzt wahrscheinlich Mohamed, wenn er wieder zur Erde niedersteigen würde, sich in dem Chaos von Secten und Ritualverschiedenheiten kaum zurechtfinden und in all' den verschiedenen Sectirern wohl schwerlich die Jünger des von ihm gepredigten nüchternen, unerbittlich einfachen Monotheismus erkennen würde. Welch ein rntersehied besteht nicht zwischen den Schiiten, Wahabiten, Sunniten, Metuaü, Ismae-liern und wie alle die Secten noch heissen mögen. Diese Verschiedenheit der Confessionen einerseits, welche mannichfache Formen des Gottesdienstes erzeugt hat, die sieh seihst im gewöhnliehen Lehen oft dein Beobachter aufdrängen, andrerseits die Verschiedenheit derBacen, welche sich in der Hautfarbe, den Sitten, und vor allen Dingen im Costüm kuud-giebt (denn das Costüm ist dem Orientalen als Kennzeichen seiner Abstammung beinahe ebenso wichtig, als die heiligsten Gebräuehe), ferner die grosse Abwechslung in Gewerben und Handelszweigen, alles diess macht den Aufenthalt in den belebtesten Strassen Mekkas so äusserst interessant> in welchen man wie in einem Kaleidoskop die verschiedenen Völkerschaften in buntem Farbenspiel durcheinandergewürfelt sieht. In dem Pelzladon des tartarisehen Kaufmannes Murad Oghlu Khan, meines IIerbergsgeuossen, war es, wo ich meinen Standpunkt erwählte, um von hier aus das Strassenleben von Mekka , wie ein Zuschauer aus dem Sperrsitz eines Theaters, vor mir deliliren zu lassen. Dieser Laden lag in einem der lebhaftesten Quartiere, in der Strasse el Kaschkasehia, das heisst der Strasse der Opiumraucher, einer der obenerwähnten Ilauptarteruui des mekkanisehen Verkehrs. Die Bude Murads war nichts, als eine kleine, offene Nische, in deren Innerem höchstens zwei Personen Platz hatten, während die Waaren auf einer Bank vor der Nische aufgethürmt waren und den hinter ihnen sitzenden Kaufmann, sowie seinen neben ihm hockenden Sohn, beinahe verdeckten. Murads Geschäft ging ziemlich lebhaft von Statten, das heisst was ein Moslem lebhaft nennt: er verkaufte vielleicht alle halbe Stunden einmal etwas. Doch wurde viel öfter bei ihm nach dem Preise ange- fragt, und mancher komische Kauz liess sich mit ihm in einen Handelsdialog ein, der zu nichts führte. Besonders oft kamen Perser, die grosse Vorliebe für Pelzwerk zu haben schienen. Aber diese guten Leute waren meistens von einem so beispiellosen Geiz, dass die Geschichte gewöhnlich damit endete, dass sie über die Waaren und der Tartare über sie schimpfte, wobei natürlich des Ketzerthums dieser Schiiten gehörig gedacht wurde. Die Araber, seien sie. nun ans Arabien selbst, aus Syrien oder Aegypten, namentlich aber die Maghrebia, kaufen kein Pelzwerk oder nur sehr selten als Zierrath für Kinder und Frauen. Desto öfter fanden sich jedoch Türken und Bewohner nördlicher Länder des Islam ein. Da Murad geläufig türkisch sprach. so liess er sich mit diesen bei einer Tasse Kaffee und einer Pfeife Tabak gewöhnlich in ein langes Gespräch ein. ehe man handelseinig wurde. Mebrigens war es schwer mit dem Tartaren überhaupt handelseinig zu werden, da derselbe immer unsinnig hohe Preise für seine Waaren verlangte. wie überhaupt in Mekka alle Luxusartikel^ um das dreifache ihres Werthes wegkommen. Eigentlich war nichts komischer, als dieser Pelzhandel in Mekka, in einem Lande, wo es selbst im Winter sehr warm ist und wo gewiss Niemand das Bedürfniss nach solchen Kleidungsstücken fühlt. Murad war, glaube ich, auch der einzige, der einen so widerspruchsvollen Handel in der heiligen Stadt ausübte. Nicht selten blieben Pilger bei seinem Laden stehen, namentlich oft sonnverbrannte Beduinen, die sich über ihn und seinen Handel herzlich lustig machten. „WillstDu", so hörte ich einen rufen, ,,inir nicht „einen Katzenpelz leihen, um ihn als Pilgergewand zu tragen?-' Ein kräftiger Hadramauther, ein schlauer, verschmitzter Kerl, der die Rolle eines wahnsinnigen Heiligen spielte, rannte einmal mit einem sehr schönen Zobelpelz davon und als der Sohn des Tartaren, der gelbsüchtige Selim, ihm nachsetzte und ihm nicht ohne Mühe das Kleidungsstück wieder entriss, hatte jener es schon besudelt und hing es an der schmutzigen Stelle dem Kaufmannssohne um, welcher ungeziemende Scherz dennoch alle Lacher auf die Seite des Verrückten brachte. Der Pelzhandel war offenbar nicht populär in Mekka,. Man konnte auch bei der jetzt herrschenden Hitze nicht ohne Schaudern all' dieses Pelzwerk ansehen. Der einzige Araber, welchen ich etwas bei Murad kaufen sah, war ein Häuptling .ins dem Nedsched, dem Innern von Arabien. Er erstand einen sehr schönen Bärenpelz zum grossen Erstaunen seiner Begleiter, die gar nicht begreifen konnten, was er damit machen wollte. Diese seine Begleiter, welche von demselben Stamme wie er, mithin seine Untergebenen waren, schauten ihn lange verblüfft an, als ob sie glaubten, ihr Chef sei plötzlich verrückt geworden, denn nur durch Wahnsinn konnten sie sich erklären, wie ein Aniberhäuptling des Nedsched ein Caprice für einen Bärenpelz empfinden konnte. Endlich wagte es einer mit der Frage hervorzurücken: „Aber, o Schien! was willst Du denn mit dem Bärenpelz machen?" Jetzt erst schien der Sehich zu merken , dass er etwas zu thun im Begriffe stand, was ihn in den Verdacht der Verrücktheit bringen konnte, denn bei Arabern gilt jeder, der in dem kleinsten Stück von althergebrachter Sitte abweicht, oder sonst irgend einen ungewöhnlichen Einfall hat, für geisteskrank oder, was noch schlimmer ist, für ketzerisch. Desshalb hielt es der Schieb nun für nöthig, sich durch eine; lange Tirade bei seinen Untergebenen zu entschuldigen. Er verschwor sich hoch und theuer, dass er jenen Pelz nicht desshalb kaufen wolle, um ihn etwa zu tragen. Nein, Gott behüte, ein Schieb des Nedsched in einem Bärenpelz! eine solche Ketzerei sollte nicht vorkommen. „Ich will Euch sagen, meine Kinder", so fuhr der Schieb fort, „warum ich diesen Pelz kaufen will. Schon öfters, wenn ich an dem Laden dieses nordischen Mannes (des Tartaren Muradj vorbeikam, fiel mir dieser schöne, volle, dicke Bärenpelz in die Augen. Auf diesem Felle, dachte ich , muss es sich recht weich liegen. Nicht als ob ich selbst oder jemand von den meinigen so verweichlicht wäre, auf einer so zarten Decke schlafen zu wollen. Nein! aber zu Hause habe ich ein Fohlen von der besten Nedschedrace, einen ächten Koheil, dessen Stammbaum jeder Araber auswendig weiss. Dieses schöiie, feingegliederte, zarte Thier will ich auf dieser weichen Decke ruhen lassen, denn für ein achtes Koheilfohlen kann selbst der theuerste Teppich nicht zu kostspielig sein." Diese seltsame Entschuldigung wurde sonderbarerweise von allen Arabern mit dem höchsten Respect aufgenommen. Auf einmal war der Schien in der Achtung seiner Untergebenen nicht nur wiederhergestellt, sondern sogar gestiegen, denn einem ächten Araber gilt keine Fürsorge, welche man für ein edles Pferd haben kann, für übertrieben. Diess war freilich noch, mehr als blosse Fürsorge. Aber der Araber betrachtet ein edles Fohlen wie ein Kind von den vornehmsten Aeltern und, wie man einem verzärtelten Kinde gern seine phantastischsten Launen erfüllt, wie man es mit bunten und kostbaren Kleidern und Zierrathen schmückt und alles thut, um ihm das Leben luxuriös und angenehm zu machen, so macht auch der Araber ein edles Fohlen zu seinem Lieblingsgegenstand, an den er Tag und Nacht denkt und forscht, was er wohl alles thun könne, um ihm das Leben zu versüssen. Nicht selten liebt ein Araber ein edles Fohlen mehr als seinKind. Oft gefällt er sich, • in seiner reichen Phantasie, eine Art Verwandtschaft zwischen dem edlen Thiere und ihm selbst anzunehmen. Wenn eine edle Stute dem Gebären nahe ist, so wartet der Eigenthümer den Augenblick ab, um das neugeborne Fohlen bei der Geburt in seinen Armen zu empfangen und verrichtet so einen Hebammendienst, auf den er sonderbarerweise stolz ist. Das beste Pferdeland im eigentlichen Arabien ist der Nedsched, das Vaterland des ebengenannten Schich. Hier soll es die meisten Koheil (Vollblutpferde) geben. Diese Nedschedpferde sind jedoch nicht immer schön; nicht selten sind sie sogar schwach und allzuzart, aber, wie oft ein Prinz aus edelstem Fürstenhaus schwächlich und keineswegs von imposanter Gestalt und majestätischen Zügen ist, IL. 16 und dennoch durchaus den Stempel seines aristokratischen Ursprungs trägt, so verrathen auch diese Nedschedpferde, selbst wenn sie keineswegs glänzende Erscheinungen sind, dem wahren Kenner auf den ersten Blick ihren edlen Stammbaum. Dieser Stammbaum, bildet man sich in Europa ein, werde aufgeschrieben und vom Eigenthufmer sorgfältig bewahrt. Diess ist jedoch ein Irrthum, über den ein Araber mitleidig lächeln würde. Ein achtes Vollblutpferd braucht unter Arabern keinen geschriebenen Stammbaum, denn seine Race offenbart sich durch das edle Ebenmaass seiner Glieder. Nur dann, wenn ein Araber, was selten geschieht, sein Pferd an einen Fremden verkauft, lässt er den Stammbaum desselben nachher aufschreiben und durch Zeugen bekräftigen. Der Nedsched, wo es die edelsten Koheil giebt, besitzt jedoch nicht die nach europäischen Begriffen schönsten arabis'chen Pferde. Wir Europäer lieben zu sehr eine glänzende Erscheinung bei einem Pferde und verstehen nicht genug jene Anzeichen edlen Blutes, welche sich oft in unbedeutend scheinenden Details offenbaren, um nicht die stattlicheren und imposanteren Pferde der syrischen und mesopotamischen Ebenen den feineren Nedsehedpferden vorzuziehen. Was man in Europa „arabische Pferde" nennt, sind alles Pferde aus Syrien, aus der Gegend um Bagdad oder gar aus Aegypten. Aechte Vollblutpferde des Nedsched sind in Europa unbekannte Dinge und möchten, selbst wenn sie eingeführt würden, vielleicht anfangs gar nicht gewürdigt werden. Mit den Pferderacen ist es wie mit dem alten Wein. £s gehört gewisserrnaassen eine Erziehung unsres Geschmackes dazu, um beide gehörig, würdigen zu können. Ich zweifle auch, ob man jemals in Europa dahin kommen wird, die ächten Nedsehedpferde nach ihrem wahren Werthe schätzen zu lernen; man hat sich bei uns in den letzten hundert Jahren zu sehr an den englischen Pferdetypus gewöhnt, man hält diesen beinahe schon für das Ideal dessen, was ein Pferd sein soll, um nicht den arabischen Pferdetypus, der in vielen Dingen gerade das Gegentheil des englischen ist, von Jahr zu Jahr weniger zu würdigen, bis man zuletzt den Geschmack für diese edle Race vielleicht ganz verlieren wird. Waren Murads Preise, welche er für seine in Mekka so seltenen und so unbrauchbaren Pelzwaaren forderte, exorbitant und lächerlich, so waren es die der andern Kaufleute des Basars, welche Waaren andrer Natur feilboten, nicht wenige?. Ueberhaupt habe ich mich immer darüber gewundert, wie denn die Leute so unpraktisch sein können, in Mekka überhaupt etwas zu kaufen, was nicht absolut noth-wendig ist. Denn hier kamen syrische Halbseiden-waaren, indische Seide und Kaschmirtücher in Menge in Absatz und zwar um's dreifache oder vierfache ihres wirklichen Werthes. Auch Bücher wurden zuweilen von Pilgern verkauft und zwar immer an Pilger, da die Mekkaner, von denen man doch annehmen sollte, dass-sie für arabische Literatur Vorliebe besitzen, dennoch so gut wie gar nicht lesen und keine Bücher kaufen. Die Bewohner der heiligen Stadt interessiren sich für nichts^ als für Luxusartikel und Speisewaaren, welche dem süssen 15* Schlendrian ihres faulenzenden Lebens wünschens-werth erscheinen. Solche Zwischenfälle, wie die Erscheinung* des Nedschedhäuptlings, halfen die Zeit im Laden Mu-rads angenehm verkürzen. Oft jedoch waren die Verkäufer die langweiligsten Menschen von der Welt. Namentlich die Türken wurden mir unausstehlich, wenn sie sich mit dem Tartaren in ein nie enden wollendes Gespräch einliessen. In solchen Augenblicken floh ich schnell aus der Bude des Pelzhändlers , wandelte durch die Strasse Kaschkasehia oder durch den Suk el Lil und sah dem lebhaften und eigenthümlichen Treiben daselbst zu. Eines Tages, als ein alter, monströs fetter Mufti aus Kleinasien, trotz seiner ungeheuren natürlichen Umhüllung, sich auch die künstliche eines russischen Fuchspelzes zu eigen machen wollte und desshalb ein interminables Geschwätz in unverständlichem türkischen Patois , einem Gemisch von Kurdisch und Türkisch, mit Murad begann, wurde sogar dem gelbsüchtigen Selim die Zeit lang und er machte mir ein Zeichen, dass er mich auf meiner Flucht aus dem Laden begleiten wolle. Diesem glücklichen Umstände sollte ich es verdanken, dass ich mit einem eigenthümlichen Locale bekannt wurde, das bis jetzt noch kein europäischer Mekkareisender gesehen hatte. Ich hatte mich oft darüber gewundert und gefragt, warum denn die Strasse, in welcher Murads Laden lag, Kaschkasehia, das heisst die Strasse der Opiumraucher und Opiumverkäufer heisse ? Kasch-kasch bedeutet nämlich die Mohnpflanze, aus welcher der Opium verfertigt wird. Noch nie war mir im Orient bis jetzt ein eigentlicher Opiumraucher vorgekommen, denn diejenigen, welche wir Europäer gewöhnlich Opiumraucher nennen, sind in Wirklichkeit nur Kifraueher und Haschischraucher; unter Kifund Haschisch versteht man aber nicht Opium, sondern den afrikanischen Hanf, welcher opiumähn-lichc Eigenschaften besitzt. Kif- und Haschisch-raucher hatte ich in Algerien, Tunis und Marokko genug gesehen und selbst in Constantinopel, wo ich das von den Europäern sogenannte „Kaffeehaus der Opiumrauchcr" besuchte, hatte ich die Entdeckung gemacht, dass alle diese vermeintlichen Opiumraucher nichts waren, als Kif-oder Ilaschischraucher. Hier in Mekka sollte ich jedoch zum ersten Male die eigentlichen Opiumraucher sehen und folglich durch den Besuch ihrer Bude erfahren, warum die Strasse el Kaschkasehia vom betäubenden Mohn ihren Namen führte. Selim führte mich in eine kleine, winklige Seitenstrasse der Kaschkasehia, wo wir in das Erdgc-schoss eines sehr alten, ruinenartigen Hauses eintraten. Von der Thürschwelle mussten wir jedoch noch einige sieben Stufen niedersteigen, ehe wir uns auf dem Niveau dieses sogenannten Kaffeehauses befanden, das eigentlich in einer Art von Keller lag. Anfangs sah ich hier gar nichts, denn der Unterschied der grossen Helle in den weiten, offenen Strassen von Mekka gegen die Dunkelheit dieser Spelunke war zu gross, um mich nicht ganz zu blenden. Allmählig gewöhnten sich jedoch meine Gesichtsorgane an die Dunkelheit und ich fing an, den Raum zu gewahren, in welchem wir uns befan- den. Es war das gewöhnlichste Kellerloch, in dem man sich befinden konnte; Meubles waren nicht in ihm vorhanden, kein Teppich, keine Strohmatte bedeckte den Boden; an den Wänden waren steinerne Vorsprünge, eben so kahl wie der Fussboden, welche die Sitze der Gäste bildeten, angebracht. Ein kleiner Kochherd, in dem jedoch fast nie Feuer gemacht wurde, denn der Name „Kaffeehaus" war hier nur ein Vorwand und keine Wirklichkeit, befand sich in der einen Ecke. Als ich nun anfing, die verschiedenen Gestalten zu beobachten, welche diesen unterirdischen Baum füllten, so wollte es mir vorkommen, als sei ich in das Reich der Schatten niedergestiegen und sehe die blutlosen, blassen Bewohner des Hades um mich herum. Einige zwanzig Menschen füllten diesen unterirdischen Raum. Sie waren aus aller Herren Länder zusammengewürfelt, einige aus dem Maghreb, die einzigen meiner vermeintlichen Landsleute, vor denen ich mich nicht zu fürchten brauchte, andere aus der Türkei, andere aus Arabien selbst, jedoch die Mehrzahl aus Ostindien, diesem Vaterland des Opiums. Alle diese Leute, selbst diejenigen, welche einen ganz dunklen Teint besassen, waren durch eine gewisse geisterartige Blässe auffallend, die selbst durch die braune Haut der schwärzesten unter ihnen durchzuschimmern schien. Diese Blässe hatte so etwas krankhaftes, dass man ihre unnatürliche , verderbliche Ursache auf den ersten Blick errieth. Die meisten dieser Schatten hatten kleine, kurze Pfeifenrohre in der Hand, aus denen jedoch keine Spur von Rauch hervorquoll. Denn wenn man beim Opium von „Rauchen" spricht, so ist diess nur ein Ausdruck, ähnlich dem, welchen die Araber gebrauchen, wenn sie sagen, dass sie den Tabak „trinken". Der Opium wird nur aspirirt, ähnlich wie bei uns der Kampher in Federkielen manchmal von brustkranken Personen aspirirt wird. Dieses Aspiriren hat freilich noch keinen so berauschenden Einfluss, als das Essen des Opiums, mit welchem auch einige in dieser unterirdischen Halle beschäftigt waren. Diese eingefleischtesten aller Opiumliebhaber pflegten ihr geliebtes Element in kleinen, pillenartig gerollten Teigkügelchen zu sich zu nehmen. Sie sahen womöglich noch elender und schlechter, als die sogenannten „Raucher" des Opiums, aus. Nachdem wir uns in dem Kellerloche niedergelassen hatten, schenkte man uns lange nicht die geringste Aufmerksamkeit. Die Geniesser des Opiums sassen da mit offenen, bald sehnsüchtig schmachtenden , bald wollüstig sinnlichen, bald starr vor sich hinstierenden Augen. Sie mochten sich wohl in die wonnigsten Träume gewiegt fühlen , denn die Mundwinkel vieler umflog ein süsses Lächeln, wie wenn ein unbeschreibliches Glück ihnen zu Theil geworden wäre. Aber keiner von allen sprach auch' nur ein Wort. Dieser Einfluss des Opiums war mir höchst auffallend, da er sich sehr von demjenigen unterschied, welchen der Kif oder Haschisch hervorzubringen pflegt. der oft seine Geniesser sehr gesprächig macht und sie den grössten Unsinn, die atterkühnsten Phantasiebilder zum besten geben lässt. Aber nein! hier war alles stille, keine Sylbe Verrieth die wonnigen Einbildungen, die süssen Phan- tasieen, welche das Gehirn der Opiumgeniesser beleben mochten. Nur hie und da entfuhr einem oder dem andern der Ruf: „O Allah!" oder „O Güte Gottes!", als fühle er sich-von Dank beseelt für den Schöpfer, der ihm solchen Genuss ermöglicht hatte. Wir mochten etwa eine Viertelstunde in diesem Local gesessen haben, als ein Mann in das Kaffeehaus trat, der sich von den andern Insassen desselben auf's auffallendste unterschied. Waren diese leichenblass und abgezehrt, so war erwohlhäbig und gesund aussehend. Trugen diese nur beschmutzte oder zerlumpte Kleider, liederliche und halbzerrissene Turbans, so schmückte jenen das schönste mekka-nische Costüm mit Dschebba, Kaftan von Seide, Schärpe von Kaschmir, Turban von vergoldetem Mousselin. Dieser Mann kam auf uns zu, begrüsste uns mit vieler Höflichkeit und brachte uns zwei kleine Opiumpfeifen, genau von der Art, wie sie die andern in der Hand hielten. Er war Niemand anders als der Herr dieses übelberüchtigten Locades, der aus demselben einen grossen Gewinn zog und zwar nicht nur durch den Verkauf des berauschenden Stoffes, sondern hauptsächlich durch das Plündern der Opiumraucher, welche gewöhnlich, sowie sie berauscht sind, sich ganz gutmüthig vom Wirthe ihre Taschen ausleeren lassen, und die später, wieder nüchtern geworden, nicht einmal klagen können, da, die türkische Regierung das öffentliche Opiumgeniessen in neuester Zeit streng verboten hat und den Geniesser, eben so gutwie den Verkäufer, Strafe treffen würde. So werden die Opiumgeniesser als die Mitschuldigen des Opiumverkäufers angesehen und dieser hat jene gewöhnlich gänzlich in seiner Gewalt. Ich hütete mich natürlich, an der kleinen Pfeife zu saugen und den Opium in ihr zu aspiriren, gab mir aber doch die Miene, als thäte ich diess, da meine Gegenwart hier sonst nicht gelitten worden wäre und man mich wahrscheinlich für einen Polizeispion gehalten hätte. Wer aber sich nicht blos stellte, als geniesse er den Opium, sondern diess wirklich that, war Selim, mein Begleiter, dessen gelbliche, krankhafte Farbe nur nun auf einmal erklärt ward. Die Folge davon sollte denn auch nicht ausbleiben. Bald war Selim ganz in demselben halbblödsinnigen Zustande, wie die anderen Insassen dieses Kaffeehauses und, als ich nach einiger Zeit, nachdem ich die Schattengestalten der Opiumgeniesser hinlänglich betrachtet hatte, fortzugehen verlangte, da konnte diess nur ohne meinen Begleiter geschehen, der, wie ich später vernahm, erst am folgenden Tage in einem völlig abgestumpften und verdummten Zustande wieder auftauchte und seinen Vater nicht wenig gegen ihn erzürnt machte. Diese Sitte des Opiumgeniessens, oder wie man sie fälschlich nennt, des Opiumrauchens, herrscht eigentlich sonst gar' nicht in dem westlichen Theile des Orients, sondern nur in dem östlichen, nämlich in Ostindien und angrenzenden Ländern, besonders in China. Aber Mekka konnte als Centraipunkt des Islam seinem Schicksale nicht entgehen, unter andern exotischen Auswüchsen auch das Opiumrauchen hier eingeführt zu sehen. Manchmal galten meine Wanderungen durch Mekka auch dem syrischen Quartier und dem daran gränzenden Suika (kleinen Basar). Um dahin zu gelangen, wandte ich mich südlich, bis ich am Ende der Strasse der Opiumraucher, die schöne grosse Hauptstrasse el Emsa erreichte, welcher ich nun bis nach der Säule Merua folgte, wo das Quartier esch Schamija beginnt. Als ich einmal so recht gemüth-lich durch die mit Kaufläden umringte Strasse der Syrer schlich da hörte ich mich plötzlich beim Namen nennen. „O Abd-er-Rahman" ! so rief eine Stimme, die offenbar aus dem Boden hervorkam, „wie freut es mich, Dich zu sehen." Ich sah mich um, konnte aber lange nicht entdecken, wo derjenige sich befand, der über das Wiederzusammentreffen mit mir seine Freude äusserte. Endlich gewahrte ich im tiefsten Erdgeschoss eines Hauses, welches durch davorstehende Buden beinahe ganz verdeckt war, einen monströsen Ball, der ruhig in einer Ecke zu liegen schien. Wie ich diesen Ball etwas genauer analysirte, fand ich, dass es mein Reisegefährte, der dicke Haggi Omar war, der dort sein Musestündchen feierte. Ich stieg zu ihm nieder und bald befand ich mich in einem syrischen Zuckerbäckerladen, wo verschiedene süsse Speisen ein buntes Völkchen zu ihrem Genuss versammelt hatten. Hier sass nicht nur der dicke Haggi Omar im glückseligen Verdauungsmomente, nachdem er gerade enorme Quantitäten von Süssigkeiten zu sich genommen hatte, sondern auch einige andere meiner bisherigen Reisegefährten, unter anderen Schich Mustapha und seine drei Neffen, diejenigen meiner Mitreisenden, mit denen ich am genauesten bekannt geworden war. Diese sämmtliche Gesellschaft war eben eifrig damit beschäftigt, kleine Teller voll eines süssen Gerichtes, Mochalebi genannt, leer zu essen. DerMocha-lebi ist eine Art von Drei, welcher aus Reisniehl und Milch bereitet, stark verzuckert und mit Zimmt, Ingwer und andern Gewürzen bestreut wird. Der syrische Koch, bei welchem sich meine Reisegefährten befanden, war für Zubereitung dieses süssen Reisbreies berühmt und nicht wenige fromme 'Hadschadsch, besonders viele Türken, die die Süssig-keiten womöglich noch mehr lieben, als die Araber, pflegten in seinem Laden einzusprechen. Der arme Schieb Mustapha war leider nicht mehr der Alte, die Strapazen der Pilgerfahrt hatten ihn stark mitgenommen. eine stete Diarrhoe, an der er in Folge der Ihrambekleidung und dadurch verursachten Erkältung litt, hatte ihn dergestalt heruntergebracht, dass er jetzt nur noch der Schatten von dem früheren Schieb Mustapha war, so schattenhaft dieser auch ausgesehen hatte. Der arme Mann erwiderte auf meine Frage, wie es ihm ginge: ,,0 mein Bruder! Ich sehe, dass es mit mir sich zum Ende neigt. Gott gebe nur noch, dass ich den Tag der Pilgerfahrt nach dein heiligen Berge Arafa erlebe, denn diese Wallfahrt will ich zurücklegen, selbst wenn ich dort den Geist aufgeben müsste. Auf Arafa zu sterben, das ist jetzt noch der einzige Wunsch meines Herzens." Der arme Mann ahnte nicht, wie buchstäblich! sein Wunsch in Erfüllung- gehen sollte. Ich war innig gerührt über den elenden Zustand des guten alten Mannes, von dessen Tode ich nach einigen Tagen Zeuge werden sollte. Die anderen Anwesenden schienen ebenfalls gerührt und trösteten in ihrer banalen Weise mit acht muselmännischem Fatalismus den kranken Greis, indem sie ihm die wichtige Mittheilung machten, dass er nur in dem Falle bald sterben werde, wenn sein Leben „kurz-berechnet" wäre. Ich konnte mich jedesmal eines Schaudern nicht erwehren, wenn ich diesen fatalistischen Satz aussprechen hörte, hinter dem sich oft die grösste Herzlosigkeit verbirgt. Ich kenne nichts gefühlloseres , als fatalistische Tröstungen, die uns immer vor Augen führen, dass wir selbst gar nichts zu unsrer Besserung beitragen können. Was für ein Trost kann für einen armen Teufel, der dem Sterben nahe ist, darin liegen, gesagt zu bekommen, dass sein Leben „kurzberechnet" war? Von dieser traurigen Scene sollte ich indessen bald zerstreut werden und zwar durch den Eintritt in den Laden eines Dutzend junger Türken, eines leichtsinnigen, liederlichen Völkchens, von den frechsten Manieren. Sie schienen olfenbar eben aus einem Baki-(Branntwein) Laden zu kommen , an denen in der heiligen Stadt keineswegs Mangel ist, die aber die frommen Pilger gewöhnlich nur bei Nacht besuchen. Diese Bürschchen setzten sich ohne weiteres wohin es ihnen nur beliebte, auf die ersten besten Plätze ohne zu fragen, oder ohne zu sehen, ob schon Jemand dort sass. Die Folge davon war, dass sie nicht blos die Leute verdrängten, sondern auch manchmal geradezu auf sie zu sitzen kamen. Eine allgemeine Unordnung, ein gegenseitiges Geschimpfe auf Türkisch und Arabisch fand nun statt, ohne dass eine der beiden Partheien die meist unsaubern Reden der andern verstanden hätte. Da jedoch die arabisch Redenden meist Aegypter waren, die sich vor Türken und seihst vor so jungen, jedoch türkischen Springinsfelden schrecklich zu fürchten pflegen, so behielten die luftigen Bürschchen bald die Oberhand. Sie riefen nun mit lauter Stimme nach Mochalebi, den sie im Nu verschlangen. Dann benahmen sie sich nach türkischen Begriffen höchst anständig, indem sie sich ihren Nachbarn ins Gesicht rülpsten, der höchste gute Ton bei Türken nach vollendeter Mahlzeit. Ich • war nahe daran, einen dieser Jünglinge mit einer Ohrfeige zu tractiren, als ich eben eine solche Expec-toration unter die Nase bekam. Aber derjenige, welcher mir diese türkische „Höflichkeit" bezeigt hatte, schien offenbar zu glauben, dass ich mich dadurch geschmeichelt fühlen müsse. Er wollte sich mit mir sogar in ein Gespräch einlassen, das aber aus Mangel an Sprachkenntniss von meiner Seite bald stockte, denn im Türkischen hatte ich es noch nicht weit gebracht. Endlich entfloh diese leichtsinnige Bande und wir konnten uns wieder ungestört dem Mochalebi widmen. Schich Mustapha's Neffe Mahmud schien sich ganz besonders in der Zuckerbäckerbude zu langweilen, hauptsächlich weil er in Gegenwart seines Oheim nicht rauchen durfte, was nach der Sitte aller Gegenden, wo Abkömmlinge von Arabern wohnen, also auch Aegyptens, im Beisein älterer Verwandten für unanständig gehalten wird. Er machte mir desshalb ein Zeichen, welches deutlich sagen wollte, dass er sich aus diesem Laden mit mir zu entfernen wünsche. Da ich darauf einging, so waren wir bald im Freien und nun schlug der schlaue Heuchler mir vor, die Moschee zu besuchen: ein frommer, aber wenig aufrichtiger Vorschlag, da er wohl wusste, dass neuangekommene Pilger in den ersten Tagen ihres Aufenthaltes in Mekka die Mesdschid el Haram nicht anders zu besuchen pflegen, als mit dem heiligen Pilgergewande, dem Ihram, bekleidet, und wir waren weit entfernt davon, in einem so halbnackten Zustande zu sein, wie es der Ihram mit sich bringt. Da ich ihm also auf seinen hypokritischen Vorschlag hin keine andere Antwort gab, als dass ich ihm unter die Nase lachte, so liess er von der Heuchelei etwas nach und ermässigte seinen Vorschlag dahin, dass er mir sagte, wir wollten eines der lebhaftesten Kaffeehäuser besuchen. Damit war es ihm zwar auch noch nicht Ernst, denn ich hatte bald bemerkt, dass seine wahren Absichten ganz wo andershin steuerten, abpr einstweilen, da ich ihn beim Wort zu nehmen schien, blieb ihm nichts andres übrig, als das Kaffeehaus aufzusuchen. Wir verliessen also das syrische Quartier, wandten uns wieder in die Strasse el Emsa, an deren nordwestlichen Ende, bei der Säule Merua, wir einen Augenblick dem lebhaften Treiben der dortigen Delalin (Versteigerer) zusahen, und folgten dann der schönen grossen Hauptstrasse von Mekka, beinahe bis dorthin, wo dieselbe bei der andern Säule ess Ssafa ihr Ende nimmt. Da es Nachmittag war und die frommen Pilger ihr verrücktes Rennen zwischen den beiden Säulen, in der vollen Länge der Hauptstrasse, gewöhnlich nur Morgens abhalten, so kam es, dass die Strasse jetzt nur eine grosse Menge ruhiger und friedlicher Spaziergänger in den buntesten Costümen darbot. Nichts ist schöner, als der Effect dieser Strasse, wenn sie sich so gleichsam in ihrem Sonntagsgewande zeigt, das heisst, wenn sie zur Pilgerzeit nicht von den schmutzigen und tollen Pilgern im Ihram gefüllt wird, sondern von menschlich gekleideten Hadschadsch, die bereits die ersten Ceremonien gemacht, das heilige Gewand abgelegt haben und sich nun in der reichen Buntheit ihrer abwechslungsvollen Nationaltrachten darbieten. Da schlenderte ein dicker officieller Türke im Gewände der Beform, mit dem Uniformrock nach Europa's Muster, und dem krummen Säbel am Ledergut neben einem freien, leichten Beduinen, dem Sprossen der unermesslichen Wüste, in fliegenden, blauen Gewanden. Da erhob sich der thurmartige Spitzhut der Perser neben dem niedrigen Tarbusch des Aegypters oder neben dem kolpäkartigen, höheren Fes des Tunisers oder dem Turban der Syrer. Da wandelten kräftige männlichaussehende Chorassaner und Sa-markander neben weibischen, mit Goldspangen verzierten Negereunuchen, den Dienern der Moschee einher. Diese schwarzen Widersprüche in der Natur gingen meist trägen, schleppenden Ganges einher. Sie waren reichgekleidet und zwar alle in dem rnekkanischen Costüm, dessen Kaftan sie jedoch immer von Seide trugen. Dieses mekkanische Costüm hat an und für sich schon immer etwas weibisches, und ich konnte mich oft kaum überzeugen, wenn ich mekkanische Jünglinge sah, dass dieselben unserm Geschlechte angehörten; wenn aber unglückliche Geschlechtslose dieses Costüm tragen, so bleibt, wenigstens was die jüngeren betrifft, dem oberflächlichen Beschauer die Illusion vollkommen. Da die hundert oder mehr junge und alte Eunuchen, welche den Dienst der Moschee beinahe ausschliesslich verrichten, alle in der Strasse el Emsa und in ihrer Nähe wohnen, so kommt es, dass man stets hier eine besonders grosse Menge sieht, so oft nicht eine der fünf Gebetesstunden oder ein wichtiger Tempeldienst sie in die Mesdschid ruft. Von diesen Eunuchen sind vielleicht zwei drittel Knaben, welche unter Aufsicht der älteren stehen und sich zu dem Amte ausbilden, welches diese schon versehen. Sie sind fast ausnahmslos Neger und gehören natürlich dem Sklavenstande an, doch können sie, nachdem sie der Moschee gedienthaben, nie an einen andern Eigenthümer verkauft werden. Sie stammen theils aus Assuan, theils aus Darfur und Kordofan, zum Theil sogar auch aus Abyssinien, mithin von christlichen Aeltern, die sie als Kinder verkauften oder denen sie geraubt wurden- Es ist sehr selten, dass ein weisser Eunuche in Mekka gesehen wird. Zu meiner Zeit war kein einziger da, obgleich früher solche vorgekommen sein sollen. Ueberhaupt giebt es jetzt in muselmännischen Ländern nur mehr äusserst wenig weisse Verschnittene. Nur in Constantinopel sah ich einige dreissig, welche dort den äussern Dienst des Serails versehen, während die schwarzen den inneren besorgen, welche Verschiedenheit ihrer Beamtung, die Verschiedenheit ihrer Castratiön zur Ursache hat, indem die Neger vollkommen (exsecta virga), die weissen gewöhnlich nur zum Theil (exsectis testis) verstümmelt sind. Unter den Eunuchen, welche zu meiner Zeit den Tempeldienst in Mekka versahen, befanden sich nur sieben, die nicht ganz schwarz, sondern mulattenartig schwarzbraun waren. Alle diese Verschnittenen, welche bei der Mesdschid el Ilaram angestellt sind, erfreuen sich einer gewissen abergläubischen Verehrung von Seiten der Pilger, welche alles, was mit dem heiligen Hause in Verbindung steht, mit einem mystischen Nimbus umgeben, einer Ehrfurcht, die sich sogar auf die Tauben ausdehnt, welche täglich im Moscheehofe gefüttert werden und die man Bit-Allah-Tauben, das heisst Gotteshaustauben nennt; sie dürfen nicht getödtet werden, ihr Flug wird, wenn er sich zu bestimmten Zeiten einem bestimmten Ziele zuwendet, als gute, zu andern als schlechte Vorbedeutung angesehen. Die Eunuchen des Tempels haben mitunter recht hübsche Wohnungen in der Strasse el Emsa, welche an die nordöstliche Seite der Moschee gränzt. Es wurde mir das unglaubliche versichert, dass viele dieser Tempeldiener in Besitze von Harems seien, für sie freilich der unnützeste Luxusartikel, den man sich denken kann. Ausser den Häusern dieser Moscheebeamten liegen in der Hauptstrasse noch viele andere stattliche Gebäude, südwestlich ein grosser Palast, ursprünglich eine Art von Universität, jetzt die Herberge hochgestellter Beamten der türkischen Begierung; hier pflegt der Pascha, welcher die syrische Dilgerkarawane coinmandirt, abzusteigen. Unweit II. Kl davon erhebt sich ein anderes grosses Gebäude, einst ein Armenhaus, jetzt gleichfalls eine Herberge bevorzugter Pilger. Sonst uingränzen diese Strasse noch viele Häuser der Schörfa (Plural von Scheriff) von Mekka, alle vermeintliche Nachkommen des Propheten und meistens bei der Moschee angestellt. Einige davon haben die Wache der Kaaba und beziehen, an den Eröffnungstagen derselben, bedeutende Trinkgelder von den armen, ausplünderten Pilgern. Diese Schörfa haben im ganzen den beduinischen Typus : langen hohen Kopf, weiches, feines spärliches Barthaar, kleine Gesichter, gebogene Nase, vorstechende Augen; doch sind sie meistens fleischiger, grösser und anscheinend kräftiger, jedenfalls sehen sie viel stattlicher aus, als ihre Stammesverwandten, die Beduinen, aber auch unter den Schörfa sieht man selten jene Wohlbeleibtheit, welche bei Türken und andern städtischen Orientalen so sehr auffällt. Zwischen einem Scheriff von Mekka und einem Beduinen ist ungefähr derselbe Unterschied, wie zwischen einem wohlgenährten Stallpferde und einem halbwilden, freien Araberross. Diese Schorfe, deren Oberhaupt jedesmal der Grossscherif von Mekka ist, sind ein höchst eingebildetes Geschlecht, welches die ganze übrige Welt wie seine geborenen Sklaven ansieht. Die Verehrung, welche ihnen von den Pilgern bewiesen wird, bestärkt sie in dieser hohen Meinung von sich selbst. Die Türken müssen sie zwar als ihre politischen Herren ansehen, aber sie verachten sie im Herzen aufs höchste; auch tritt die türkische Macht in Mekka beinahe zaghaft und jedenfalls viel demü-thiger, als in Aegypten, aufj wo die Osmanlis die un- ausstehlichsten Tyrannen sind. Ein Scheriff von Mekka hält sich selbst und wird von den meisten Moslems für das edelste, was ein Mensch auf Erden sein kann, gehalten. Von allen Muselmanen wird der ächte arabische Stamm so ziemlich als der vornehmste des Menschengeschlechts angesehen und da die Schörfa der Adel unter den Arabern sind, so bilden sie gleichsam die Aristokratie der Aristokratie. Man kann sich also kaum darüber wundern, dass diese Schörfa sich fühlen und zwar sehr fühlen. Ganz besondere Verachtung hegen sie für alle übrigen Mekkaner, welche sie als Eindringlinge, als Usurpatoren des geheiligten Titels „Bürger von Mekka" ansehen. Denn sonderbarer Weise besteht beinahe die ganze übrige Bevölkerung von Mekka aus Fremden oder Söhnen von Fremden, welche sich in Mekka niedergelassen, hiesige Sitten, hiesiges Costüm und hier übliche Namen angenommen haben und die nun sich mit den ehrfurchtgebietenden Titel „Mekkawia" brüsten, während die wahren Mekkawia doch eigentlich nur die Schörfa, sind, deren Seelenzahl tausend nicht übersteigt. Dieses Loos, eine Niederlassungsstätte für Fremde zu bilden, thcilt Mekka mit andern religiösen Hauptstädten, des Orients sowohl, wie Europa's, denn selbst in Rom soll nur ein sehr kleiner Bevöl-kerungstheil acht römischen Ursprungs sein; in •Jerusalem giebt es kaum eine Familie, die seit vier Generationen dort ansässig ist; in der andern Re-%ionshauptstadt des Islam, in Medina, soll das Be-v°lkerungsverhältniss ungefähr dasselbe sein, wie in ^fekka. Die Schörfa haben seit alter Zeit, um der 16* Betrügerei vorzubeugen, dass Fremde sich für Mekkaner ausgeben möchten, was von jeher vortheilhaft war, denn in vielen Ländern gemessen die Mekkawia Stipendien und Privilegien, die Sitte ein geführt, die neugeborenen Kinder mit drei grossen Einschnitten auf jeder der beiden Wangen zu bezeichnen, welche Sitte noch heute fortbesteht. Aber zum Schrecken der Schörfa haben alle Fremden, die in Mekka angesiedelt waren, diese Sitte nachgeahmt und auch ihren in Mekka geborenen Kindern die drei Backeneinschnitte gemacht, so dass jetzt dieses Zeichen nichts mehr bedeutet, als dass der Träger desselben in der heiligen Stadt geboren ist. Der Fremde erkennt nun an diesen Einschnitten in die Wangen die Kinder der heiligen Stadt, welche überall in der mohamedanischen Welt grosse Verehrung gemessen. Aber die Schörfa sind dennoch weit entfernt davon, diese Kinder von fremdem Ursprung, seien ihre Vorfahren auch schon vor zwanzig Generationen in Mekka ansässig gewesen, als ebenbürtig anzusehen. Sie unterscheiden sehr wohl, sie kennen sich alle untereinander und nennen nur sich selbst ächte Mekkawia, alle andern sind bei ihnen nur Berrania (Fremde). So untolerant diese Schörfa, was Ursprung betrifft, sich auch zeigen, um so toleranter sind in dieseni Punkte die übrigen Mekkaner, welche jedem, der nur in Mekka geboren ist, sei selbst seine Mutter nur wenige Monate vor seiner Geburt hierher gekommen, den Titel eines ächten Stadtkindes zuerkennen. Aber die ächten Schörfa verachten all' dieses Volk als die ärgste Plebs, sie gehen nicht mit ihm um, vermeiden auf's strengste alle, verwandtschaftlichen Bande und Heirathen mit den Kindern der fremden Eindringlinge und leben ganz zurückgezogen, nur mit dem Tempeldienst, der in ihren Geschlechtern erblich ist und ihren persönlichen Geschäften sich befassend. Sie haben nämlich alle höheren Aemter des Tempels gleichsam in Erbpacht, während die Eunuchen nur die niederen versehen. Seltsamerweise scheint es ihnen keine Degradation, Negerinnen zu heirathen, während sie plebejische weisse Frauen zurückstossen würden. Daher kommt es, dass sie im Laufe der Generationen sich sehr dem Mulattentypus genähert halten und sich auch dadurch von ihren Stammverwandten , den Beduinen, unterscheiden , die ihren arabischen Müttern eine verhältniss-niässig hellere Hautfarbe verdanken. Das Beherbergen der Fremden versehmähen die Schörfa und überlassen dieses ihnen unwürdig scheinende Gewerbe den andern Mekkanern, den Plebejern der heiligen Stadt. Da jedoch der Tempeldienst nicht für alle genug abwirft und der Mensch, selbst wenn er Scheriff ist, nicht blos von Hochachtung und Vornehmheit leben kann, sondern leider auch des irdischen Tandes bedarf, sö halten es diese vornehm geborenen Männer nicht unter ihrer Würde, Handel zu treiben, namentlich Grosshandel, welcher hier zum Theil in ihren Händen ist. Viele Schörfa haben ihre Handelshäuser sowohl in Mekka, als in der Hafenstadt Dschedda, über welche jetzt neun Zehntel der Handelsartikel eingeführt werden. Einige von ihnen sind sehr reich, vom grossen Grundeigenthum des Grossscheriffs gar nicht zu reden, welchem beinahe die halbe Stadt Mekka und ausgedehnte Ländereien in der Umgegend gehören. Andere Schörfa leben jedoch nur in einer bescheidenen Mittelmässigkeit und selbst in Armuth, was sie aber gar nicht verhindert, sehr stolz zu sein und sich für besser zu halten, als die reichsten Mekkawia, welche nicht Schörfa sind. Nachdem ich mit Mahmud die Strasse el Emsa durchwandelt, Hessen wir uns, seinem heuchlerisch geäusserten Wunsche gemäss, in einem Kaffeehaus an ihrem östlichen Ende nieder, wo wir uns plötzlich in einer ganzen Gesellschaft von Beduinen befanden. Diese Leute waren klein und sehr mager, und jetzt im Sommer, wo ihnen ihre Hauptnahrung, die Milch, altging, auch schwach und hinfällig aussehend, obgleich sie. in Wirklichkeit, wenn es darauf angekommen wäre, vielleicht manchen Ringkampf und manche Balgerei siegreich bestanden hätten, denn diese, muskulöse, sehnige Magerkeit täuscht sehr, namentlich einen Europäer, der gewohnt ist, einen starken Mann sicdi als stattlich aussehend zu denken, was diese Beduinen eigentlich niemals sind, selbst wenn sie, wie sie es im Winter können, sich kräftiger nähren. Die meisten dieser Steppenbewohner oder Wüstennoma-den, wie man will (denn ihre Ueimath ist ein Mittelding zwischen Wüste und Steppe), welche war in dem erwähnten Kaffeehause antrafen, gehörten zum Stamme der Beni Feham, welche im Tieflande südlich von Mekka wohnen. Es ist sonderbar, dass ihr Name, Beni Feham, nicht von ihrem Ursprung, sondern von ihrem Erwerbszweig herzurühren scheint, denn Feham heisst die Holzkohle und folglich Beni Feham die „Söhne der Kohlen", das heisst Kohlen- Verkäufer, was gerade die Beduinen dieses Stammes ausschliesslich sind. Da die Beni Feham den Buf gemessen, das allerschönsto, reinste Arabisch zu reden, so war es mir höchst interessant, mit einigen dieser Menschen ein Gespräch anzuknüpfen. Leider war mein eignes Arabisch sehr weit entfernt davon, sich dieser sprachlichen Reinheit zu nähern, da ich es in Algier gelernt hatte, wo der Dialect sehr verderbt ist, und obgleich ich auf meinen Reisen in Aegypten und selbst auf meiner kurzen Wallfahrt nach Mekka, mich mit dem reineren Idiome vertraut gemacht hatte, so ging diess doch nicht so weit, um gutes Arabisch fehlerfrei reden, wohl aber, um es, wenn ich es hörte, würdigen zu können. Da ich ausserdem mit dem Kamus (dem einzigen Lexicon, das die arabische Sprache hat und dessen Elemente vom Verfasser auf einer Wanderung durch die Gebiete aller Beduinenstämme gesammelt wurden) ziemlieh vertraut war, so konnte ich viele ächtarabische Ausdrücke, die in andern Gegenden nur noch der Schriftsprache angehören, aus dem Munde dieser Beduinen verstehen. Es ist eine der arabischen Sprache ganz eigenthümliche Erscheinung, dass dieselbe von dem Landbewohnern besser, das heisst dem geschriebenen Idiom ähnlicher, geredet wird, als von den Städtern, gerade das Gegentheil von dem, was man bei andern Sprachen beobachtet. Diese Beduinen sprachen das reinste Arabisch des Koran, sie Hessen fast alle Vocale ertönen, welche sonst oft nur die Schriftsprache kennt, während die Dialectc, seihst der gebildetesten Städte, gern einige Vocale unterdrücken oder anders aus- sprechen. So zum Beispiel kennt die arabische Schriftsprache nur drei Vocale A. I. und 0.; die Dialecte machen aber aus dem A, wenn sie es nicht ganz verschlucken, nicht selten ein stummes E; nicht so diese Beduinen ; sie sagten da, wo ein Nasba (A - Laut) in der Schriftsprache steht, stets A. Ein einziges Beispiel stehe hier für alle. Alle Araber mit Ausnahme einiger, sich durch Sprachreinheit auszeichnenden Beduinen nennen den Namen des Propheten „Mohamed". Diess ist aber unrichtig; in der Schriftsprache heisst er Mohamad, da die arabische Sprache einen E-Laut ursprünglich gar nicht kennt. Nun hatte ich bis jetzt mich immer umsonst nach einem Araber umgesehen, welcher den geheiligten Namen so aussprechen würde, wie er geschrieben wird. Schon war ich nahe daran, anzunehmen, dass das Nasba (das A-Zeichen) im arabischen zwei Lesarten zulasse, in einigen Fällen als A, in andern als E. Hier aber sollte ich zu meiner freudigen Ueberraschung vom G-egen-theil überzeugt werden. Da ertönte mit unverkennbarer Deutlichkeit aus dem Munde der Beduinen das Wort Mohamad, nicht Mohamed. Es war für meine Ohren ein köstlicher Schmaus, dieses ächte Arabisch reden zu hören und gerne hätte ich hier Stunden und Tage verweilt, um den Lauten, die aus dem Munde der Beduinen kamen, zu lauschen. Aber mein Begleiter war weit entfernt davon, von demselben sprachlichen Enthusiasmus, der mich erfüllte, durchdrungen zu sein. Er schätzte keineswegs die schöne reine Sprache der Beduinen, sondern verfiel vielmehr in den Fehler fast aller Moslems, welche ihr Arabisch für das beste halten, eine Lächerlichkeit, welcher sich sogar die Algierer schuldig machen, deren Dialect doch mit Recht überall als das grösste Kauderwelsch verschrieen ist. Mahmud trieb also zum Aufbruch und ich musste ihm folgen, um nicht mit diesen, zwar "was ihre Sprache betraf ausgezeichneten, aber sonst doch rohen, ungeschlachten und spitzbübischen Beduinen allein gelassen zu werden. Jetzt erst kam der heuchlerische Mahmud mit seiner wahren Absicht etwas mehr zum Vorschein, obgleich er, mit acht musehniinnischerVerstellungskunst, sich noch immer hütete, dieselbe beim Namen zu nennen. Diese Absicht war, ich hatte es schon längst errathen, ein gewisses Quartier zu besuchen, welches für alle jungen Araber eine so grosse Anziehungskraft besitzt, obgleich es ein Europäer kaum begreifen möchte, was man dort Anziehendes erblicken kann, denn das vermeintlich Schöne ist dort meist so über die Maassen hässlich, dass es einen für Schönheit empfänglichen Menschen nur abschrecken kann. Wir durchschritten also die Strasse el Emsa noch einmal, gingen an den öffentlichen Brunnen vorbei, liegen dann in die Strasse el Mota ein, die wir, sowie ihre Fortsetzung, die Strasse el Maale, in ihrer vollen Länge, durchwandelten. Jetzt waren wir am nördlichen Ende, der Stadt angelangt, wo die Pilgerstrasse nach Arafa beginnt, auf deren linker Seite die Cisterne der Syrer und das von mir bewohnte Viertel der Solimanija jag, während auf der rechten die Cisterne der Aegypter und daneben ein »gewisses Quartier" befindlich waren. Nach diesem unkten wir unsre Schritte und bald befanden wir ■uns in einem Stadttheil, dessen Häuser meist niedrig und zum Theil baufällig waren. Von diesen Häusern schien nur das Erdgeschoss bewohnt und zwar fastaus-schliesslich von weiblichen Wesen, welche in kleinen, nischenartigen Buden auf dem Teppich oder der Strohmatte des Fusshodens dasassen und ihre Beize dem vorübergehenden Beschauer darboten, insofern es die angelehnte Thüre aller dieser halbgeschlossenen Buden gestattete, denn ganz offen darf dieses Gewerbe selbst in dem verderbten Mekka nicht betrieben werden. So waren denn all' diese Buden halbgeschlossen, jedoch in der Art, dass man sehr gut die „schönen" Bewohnerinnen derselben durch die Thürritze gewahren konnte. Wenn ich „schöne" Bewohnerinnen sage, so geschieht diess freilich hier einzig und allein aus Rücksicht für ihr Geschlecht, welches überall „das schöne" genannt wird und es, Gott sei Dank, meistentheils auch ist, einige traurige Ausnahmen abgerechnet. Aber zu meiner Enttäuschung sollte icli gewahren, dass diese traurigen Ausnahmen hier, in Mekka, und namentlich in diesem Quartier, in dem freilich nicht die feineren und besser bezahlten Personen, welche dieses Gewerbe ausüben, wohnen, ein ganz besonders starkes Contingent bildeten, ja vorherrschten. Nachdem ich an den etwa hundert Buden der schonen Selbstverkäuferinnen vorbeigegangen war, hatte ich die Erfahrung gemacht, dass die meisten dieser „Schönen" hässlich waren. Aber was für eine seltsame Hässlichkeit! So etwas ist in Europa glücklicherweise völlig unbekannt, und würde es vorkommen, so dächte gewiss kein Mensch daran, es für „schon" oder verführerisch passiren zu lassen. Man denke sich Züge von einer Magerkeit, Würdig jener Jahrmarktseuriosität, die in meiner Jugend auf Messen herumzureisen pflegte und das „lebende Skelett" hiess. Der Orient ist das band der excentrischsten Gegensätze, der extravagantesten Uebertreibungen. Wie" ein Araber nur geizig oder verschwenderisch . nie aber vernünftig sparsam zu sein versteht, so weiss auch keine Araberin in ihrer' Wohlbeloibtho.it die vernünftige Mitte zu halten. Entweder aufgedunsene Fettigkeit oder skelettartige Magerkeit, eines von beiden, aber selten ein passendes Mittel, ziert diese lYiestorinnen der Liebe. Fs mag paradox erscheinen, wenn ich körperliehe Eigenschaften, «de Magerkeit oder Körperfülle, mit sittlichen, wie Geiz und Verschwendung, in eine Linie1 stelle . denn gewöhnlieh nimmt man die ersteren als unabhängig von unsorm Willen an und sie sind es auch in den meisten Fällen gewiss, um- nicht in dem dieser Araberinnen, von denen die einen sieh förmlich mästen und so, durch ihre eigen« Fürsorge, zu jener von vielen Orientalen so geschätzten Wohlbeleibtheit gelangen, während die andern sich, was ihre Nahrung betrifft, dergestalt vernachlässigen und so sehr von ungesunden , nach ihren De-grilfen aber wohlschmeckenden Speisen nähren, dass sie wirklich in vielen Fällen selbst die Schuld daran tragen, wenn sie zu jener skeleltartigen Magerkeit verfallen. Natürlich ist der Lebenswandel dieser brauen auch nicht geeignet, dem Körper die natür-llfihe Frische ZU erhalten, sondern im Gegentheil bringt er Krankheiten in Menge mit sich, welche immer ungeheilt bleiben und die unglücklichen Opfer einem frühen erbärmlichen Tode entgegenführen. Dazu ein übermässiger Gebrauch von Dampfbädern, wodurch die Haut förmlich abgebrüht wird. Eine gelbe oder schwarzbraune Haut, langes, spärliches, butterbeschmiertes Haar, gedehnte, schmale, fast durchsichtige Züge, meist längliche und gekrümmte Nasen, oft schielende Augen, ein megärenhafter, ausgemergelter Körper, dünne, knochige, roth bemalte Hände mit schwarzgefärbten Nägeln, nackte, verrunzelte Füsse , das waren die körperlichen Herrlichkeiten , aus denen die meisten dieser hässlichen Schönen zusammengesetzt waren. Diejenigen der Bewohnerinnen dieses Quartiers, welche der Mühe werth sein konnten, dass man sie ansah, mochten wohl fast alle in intimer Conferenz mit ihren Verehrern begriffen sein, denn sehen konnte ich nur zwei oder drei, welche sich durch ein einigermaassen vorteilhaftes Aeussere auszeichneten. Uebrigens wird das Quartier Schab Amir nur von den gewöhnlicheren, den am geringsten geschätzten und am schlechtesten bezahlten Frauen dieser Classe bewohnt, welche jedoch hier, wie überall, die grosse Mehrzahl bilden. Gerne hätte ich einige der bessern Classe angehörige gesehen, denn ich zweifelte nicht, dass unter diesen einzelne vorhanden waren, welche mit der schönen Hanifa in Dschedda einen Vergleich aushalten konnten. Aber einmal wohnten diese Damen nicht in einem abgesonderten Quartier, wie ihre geringeren Standesgenossinnen , sondern in der ganzen Stadt zerstreut, und ihre einzelnen Wohnungen waren folglich nicht ohne Cicerone zu finden, dann lebten sie jetzt, zur Pilgerzeit, fast alle sehr zurückgezogen, ein wahres Privatleben: nicht als ob sie ihrem Gewerbe entsagt hätten, aber sie hatten fast alle, für die Dauer der Hödsch , ein festeres Bündniss geschlossen , indem viele fromme Pilger unter ihnen temporäre Nebengattinnen gewählt hatten. Es war lächerlich anzusehen, welche Prätentionen, die „ehrlichen Frauen" zu spielen, diejenigen dieser Personen an den Tag legten, welche für einen Augenblick ihr Gewerbe, das sie sonst Öffentlich betrieben, nur privatim ausübten. Mehrere dieser Mädchen wurden mir gezeigt und dickere Schleier und Umhüllungen, einen geregelteren, gravitätischeren Gang, eine sittsamere Haltung, besser niedergeschlagene Augen, unschuldigere Bewegungen hätte man kaum erblicken können, und dennoch waren es Personen, die zu andern Zeiten sich auf's auffallendste benahmen. Die meisten der Frauen im Schab Amir waren vom Beduinenschlage, nicht jedoch die Töchter freier, noch mächtiger, angesehener Stämme, welche nie eine der ihrigen so tief fallen lassen würden, sondern unglückliche Kinder halbaufgelöster, verkommener Tribus, wie deren in den letzten vierzig Jahren einige aus den steten Partheikämpfen der Beduinen hervorgingen. Ihr Gewerbe war auch in pecuniärer Hinsicht ein elendes, denn die Moslems pllegen solcherlei Dinge nur sehr schlecht zu bezahlen. Dass die Unglücklichen es gewählt hatten, war eben ein Beweis, dass sie auf keine andere Weise ihr Unterkommen linden konnten. Ich eilte schnell hinweg von dieser Stätte des moralischen und physischen Elends, musste jedoch "meinen Begleiter hier zurücklassen, denn dieser heiss-blütigo ägyptische Jüngling war selbst durch die abschreckende IIässlichkeit dieser Wesen nicht zu einer kühlem Stimmung zu bringen. fn diesem Stadttheil Schah Amir. der jetzt eine so traurige Bedeutung hat, mitten unter den Stätten der Verworfenheit, wohnen auch noch die letzten unglücklichen Reste des edlen, einst hochberühmten Stammes der Koreischen, welche ehemals die Herren von Mekka waren, welche sich directer Abstammung von Ismael und Abraham rühmen, und aus deren Geschlecht der Prophet Mohamed selbst hervorging. Auf einem andern Gange, den ich in Begleitung meiner zwei Inseparablen, (Ssadak und seines Sohnes, die mich nie allein Hessen, ausser wenn sie mich im Laden des Tartaren Murad instalhrt glaubten, wo sie nicht zu befürchten schienen, dass sich dort ein andrer Metuaf meiner bemächtigen würde), durch dieses Quartier machte, wollte mir mein Metuaf einige zehn Familien zeigen, welche noch ächte unzweifelhafte Abkömmlinge der Koreischen seien. Aber wie elend, wie heruntergekommen sahen diese Sprösslinge eines edlen Geschlechtes aus! Lumpen bedeckten ihre abgemagerten Glieder, Schmutz und Unrath füllten ihre elenden Hütten. Jedoch inmitten dieser Lumpen und dieses Schmutzes verrieth sich trotz allem der Stolz der Abkömmlinge eines edlen Geschlechtes. Die Frauen besonders, welche zum Theil unverschleiert gingen und abgemagerte, hexenartige Wesen waren , sahen jämmerlich aus. Dieser Anblick rührte mich zum Mitleid und gerne hätte ich einem oder dem andern dieser armen Leute, ein kleines Geldgeschenk gemacht. Aber Ssadak, dem ich meine Absicht bekundete, rieth mir davon ab, indem er mir vorstellte, dass diese. Leute weit entfernt davon seien, betteln zugehen und überhaupt andere Almosen zu empfangen, als diejenigen der Moschee, welche zu nehmen von Niemand, selbst von dem Scheriff nicht, als eine Schande angesehen wird. Dennoch konnte ich nicht umhin, einem Familienvater, den ich von zehn kleinen, halbnackten, oder vielmehr nur mit Schmutz bekleideten Kindern umgeben sah, einen Rial (2% Gulden) anzubieten. Diess Geld war das Schauspiel, das mir nun geboten werden sollte, allein schon werth. Das Geberdenspiel des Koreischen war unvergleichlich, wie die angeborene arabische Habsucht und der Stolz eines edlen Geschlechtes sich sichtbar in ihm einen Kampf lieferten und lange keiner den Sieg über den andern erringen konnte. Seine Augen glühten vor Habsucht und Geldgier, welche, nebst einem unberechenbaren sinnlichen Bedürfniss, die charakteristischen Eigenschaften eines jeden ächten Arabers sind; im ersten Impuls der erwerbslustigen Freude streckte sich schon die Rechte nachdem dargebotenen aus, aber sie hielt in dieser Bewegung mitten inne, denn nun kam der Stolz, der dem Abkömmlinge des edelsten arabischen Stammes sagte, dass es seiner unwürdig sei, eine Gabe von dem ersten besten Fremden anzunehmen, von einem Menschen, der gegen ihn, den Koreischen, an Adel wahrscheinlich sehr zurückstand , der in seinen Augen nicht würdig war, ihm das Wasser zu reichen. Endlich jedoch schien wieder die Geldgier die Oberhand zu gewinnen. Wäre das dargebotene eine kleine Gabe gewesen, so würde vielleicht dem Stolz schliesslich doch der Sieg verblieben sein. Aber ein Rial ist nach beduinischen Begriffen nicht wenig, eine ganze Familie kann davon vierzehn Tage oder noch länger leben und so wurde der Kampf zwischen Geldgier und Selbstgefühl zu ungleich, so dass endlich dieses dem andern das Feld räumen musste. Der Koreische nahm die Münze, indem er sagte: „Ich nehme diess von Dir, indem ich Dich für den Schatzmeister Gottes ansehe". Hinter diese Formel flüchtet sich stets der muselmännische Stolz. Nicht dem Geber eines Almosens gebührt die Ehre, nicht ihm wird Dank erwiesen, sondern dem fatalistischen Gott des Islam, der von Ewigkeit her jede einzelne Handlung eines jeden Menschen vorausbestimmt und vorausberechnet hat. Ich möchte übrigens die Vermüthung äussern, dass jene wenigen Koreischenfamilien, welche im grössten Elend jetzt das schlechteste Quartier von Mekka bewohnen, denn doch in Verlegenheit sein möchten, ihre Abstammung untadelhaft zu beweisen. Was aus dem einst mächtigen und in Mekka herrschenden Stamme im Laufe der Jahrhunderte geworden, wann er aufhörte, als imponirende Einheit dazustehen, wie und durch welche Ursachen er einem so traurigen Verfall entgegenging, das sind Fragen, die mir kein Araber genügend zu lösen verstand, da, wie es scheint, die Geschichte der Koreischen nach Mohamed nicht aufgezeichnet wurde. In Burckhardts Zeiten waren in Mekka nur noch fünf oder sechs Koreischonfamilien vorhanden, meist sehr arme Leute, welche im Dienste der Moschee standen. Von diesen scheinen diejenigen, welche mir gezeigt wurden, keine Abkömmlinge zu sein, da sie sonst wahrscheinlich auch zum Moscheedienste erzogen worden wären. Der Grosssehcriff von Mekka seihstund die übrigen Schörfa werden von manchen auch für Koreischen gehalten, da sie vom Propheten abstammen sollen, der bekanntlich auch ein Koreische war. Aber der Titel Scheriff wird seihst durch weibliche Nachkommenschaft fortgepflanzt und beweist folglich nicht einen Ursprung vom Mannesstamm der Koreischen. Aus dem ärmlichen Stadttheil des Schab Amir führte mich dann Ssadak nach dem grossen Markt von Bhasse, der zwischen dem Schab Amir und der Strasse Suk al Sil (dem nächtlichen Markt) liegt. Da es gerade Markttag war, so konnte ich auf diesem Platze eine nicht unbeträchtliche Menge von Beduinen sehen, welche mit den Erzeugnissen ihrer Heimath hier Handel trieben. Da wandelten sie, diese freien Söhne der arabischen Ebenen, Wüsten und Berge, von keinem Herrscher unterjocht, keinem Tyrannen gehorchend, wild und kühn, männlich und stolz, die Freiheit ihrer Wüsten, trotz Armuth und Beschwerden, dem üppigen Leben der Städter, die sie als Sklaven verachten, vorziehend. Auch in ihrem Costüm jeden Schmuck als weibisch und entartet verschmähend, hüllten sie sich nur, mit malerischer Drapirungsgabe in weite leinene oder baumwollene, kaum genähte Gewänder, meistens von IL 17 hellblauer Farbe. Eine einfache baumwollene Toba (Aermelhernd), ein grober wollener Benisch (Mantel) nach Art der antiken Toga darüber geworfen, das war alles, was sie bedeckte. An den Füssen verschmähten viele von ihnen irgend etwas, selbst die dünnsten Sandalen zu tragen. Auch ihr Haupt war völlig nackt und das lange, niemals geschnittene Haar hing in zottigen Massen wild von den seltsam geformten Schädeln auf ihre mageren Schultern hernieder. Diese blosen, langen Ilaare, durch deren Tragen die Beduinen sich so sehr von der sonstigen muselmännischen Sitte des Haupthaarrasirens unterscheiden, erinnerten mich lebhaft an dieWorte desPlinius: „Arahes intonso crine degunt", ein Beweis, dass Plinius die ächten Araber, die Vorfahren der Beduinen, meinte, welche vor zweitausend Jahren ganz so lebten, wie ihre Nachkommen heute, während er unter den „Arabes mitrati" wahrscheinlich die Städter, welche schon damals eine Art von Turban besassen, bezeichnen wollte. Diese langen Haare werden leider sehr unreinlich gehalten und wenn man sie überhaupt wäscht, so geschieht diess nicht etwa mit Wasser, das überall selten und kostbar ist, sondern mit — Urin, was natürlich sie noch unreinlicher macht. Manchmal wird auch Butter (nicht Oel, das den ächten Arabern kaum bekannt ist) in die Ilaare geschmiert. Ausserdem sind sie voll Staub und Schmutz, und bilden wahre kleine Wälder in anderer Beziehung, die ich nicht deutlicher zu bezeichnen brauche. Die Haare einiger sind von Natur schlicht, wie zum Beispiel die der meisten Beduinen vom Stäfl io der DuiBaraka, welche sich rühmen, Schörfa (Nachkommen Mohameds) zu sein. Die Männer dieses Stammes, der im Wadi Fatma und Wadi Limu dicht bei Mekka haust, haben, so viel ich an den auf diesem Markte gegenwärtigen Exemplaren sehen konnte, im ganzen kräftige, männliche Gestalten, wie überhaupt die Bewohner der Umgegend von Mekka meist wohlgenährter und knochiger sind, als die der entfernteren Gegenden, namentlich die der Wüsten, welche an dem nöthigsten oft Mangel leiden. Was die Lebensart und die Sitten der ächt-ara-bischen Beduinen betrifft, so haben sich dieselben im Laufe der Jahrtausende gar nicht, oder so gut wie gar nicht, geändert. Man rühmt an ihnen noch heute die patriarchalische Tugend der Gastfreundschaft und die Heilighaltung des sogenannten Salzrechtes, das heisst, dass sie denjenigen, welcher einmal mit ihnen das Salz gekostet hat, so lange er in ihrem Gebiete weilt, nie verfolgen, möge er auch sonst ihr bitterster Feind sein. Da die städtischen Araber weit entfernt davon sind, dieses Salzrecht so hoch zu halten, wenn sie es überhaupt ausüben, so werden sie von den Beduinen mit dem Schimpfnamen „Schänder des Salzes", das heisst „Verletzer der heiligen Rechte der Gastfreundschaft" gebrandmarkt und sie verdienen diesen Schimpfnamen gewiss, wenn alle die Geschichten von Beraubung von Pilgern und namentlich von Pilgerinnen wahr sind, welche man mir erzählte und von denen die Behandlung von Hamdans temporären Gattinnen einen Beleg liefern mag. In vielen Beziehungen haben die Beduinen 17* Arabiens Aehnlichkeit mit den Kabylen von Algerien und Marokko. Namentlich was die Zähigkeit betrifft , mit welcher sie an der barbarischen Sitte der erblichen Blutrache festhalten, von der sie nie lassen und welche sie von Generation auf Generation fortpflanzen, gleichen sich diese beiden so entfernt von einander hausenden Völker; ebenso auch in der Treue ihrer Freundschaften und fingirten Bruderschaften. Denn wie ein Kabyle Algeriens seinen Naja oder fingirten Bruder hat, dem er im Leben treu zur Seite steht und dessen Tod er blutig rächt, so kennt auch der Beduine ein ähnliches Verhältniss welches er Bafikia nennt. Jeder Rafik muss seinem fingirten Bruder im Leben und Tode zur Seite stehen, dessen Verwandten werden als die seinigen betrachtet, er erbt alle Blutfehden seines Bruders und dieser alle die seinigen, wodurch die Tragweite der Erbrache eine noch grossere wird. Noch in einem andern Punkte unterscheiden sich die Beduinen vortheilhaft von den städtischen Arabern, das ist in der Reinlichkeit. Sie lassen keine crepirten Thicre in der Nähe ihrer Wohnungen liegen, sie begraben die Menschen gleich nach dem Tode, sie halten ihre Waschungen regelmässig. Leider scheint es ihnen jedoch keine Verunreinigung, sich des Urins zum Haarwäschen zu bedienen, der doch nach dem Koran als die grösste Unreinigkeit angesehen wird. Die Beduinen vom Stamme der Lahian, welche zwischen Mekka und Dschedda wohnen, sowie ihre Stammverwandten, die Metarefe, hatten auf diesen Markt Kameele und Kühe zum Verkauf gebracht. Neben ihnen sah ich Beduinen aus Jemen, welche Schale verkauften. Diese Jemania waren meist vom Stamme der Beni Dschehadela, hatten gelocktes langes Haar, welches in länglichen Ringelocken, ähnlich denen, die in Europa die Frauen tragen und die man „Anglaises'" nennt, herunterhingen. Auch zahlreiche Repräsentanten des mächtigen Stammes der Asyr tummelten sich hier zwischen den Kameelen, Kühen, Mauleseln, Eseln und Schafen umher. Es waren kleine, magere, muskulöse Männer mit spitzen, langen, dünnen Gesichtszügen, spärlichem Bart und gestutztem Schnurrhart, wie denn überhaupt die lindsten Beduinen nur auf der Oberlippe und am Kinn etwas Ilaare haben, während bei ihnen ein Backenbart etwas völlig unbekanntes ist und gar nicht wächst. Beduinen von den Bergen um Taif sah ich gleichfalls hier in [Schaaren, die Hodeila boten ihre Ziegen, welche ihren Hauptreichthum bilden . zum Verkauf; die berüchtigten Tueirek, die grössten Räuber Arabiens , schlenderten hier umher, vielleicht nicht in der besten Absicht; die Thekif, ein betriebsames Völkchen, boten Futter für Kameelc und Pferde feil. Pferde wurden auf diesem Markte nicht zum Verkauf geboten. Ueberhaupt ist der Hedschas kein Pferdeland, der Jemen noch weniger, Pferde, giebt es eigentlich in ganz Arabien, als Race, nur im Nedsched, denn die Gegend um Bagdad, der Irak Arabi, wo auch gute Pferde gezogen werden, kann wohl kaum, und das reichste.Pferdeland, die, syrischen Ebenen, gar nicht zu Arabien gerechnet werden. In Mekka haben nur der Grossscheriff und die wohlhabendsten Schörfa, sowie einzelne der reicheren Kaufleute Reitpferde. Die Beduinen der Umgegend der heiligen Stadt besitzen gar keine. Ein Pferd ist desshalb hier ein grosser Luxusartikel und wird, trotz der Nähe des Nedsched, des besten Pferdelandes, theurer verkauft, als in Syrien und Aegypten, weil der Nedsched eben zwar sehr gute, aber doch nicht viele Pferde erzieht, während die syrischen und mesopotamischen Ebenen eine weit grössere Zahl aufweisen können. Ich wurde mit einigen dieser Beduinen bekannt, welche meines Führers Ssadak Freunde waren, wenigstens behauptete diess Ssadak. Ich sah jedoch gleich an der verächtlichen Manier, mit welcher die freien Wüstenbewohner den Metuaf, dessen Gewerbe so ziemlich das allerverachtetste ist, behandelten, dass diese Freundschaft nur von seiner Seite existirte. Gewiss hatte er mit diesen Beduinen kein Salz gegessen , vielleicht hielten sie ihn gar nicht des Salzrechts für würdig. Diese Bekannten Ssadaks waren von den nächsten Stämmen um Mekka. Einer von ihnen lud mich ein, ihn in seiner Heimath zu besuchen, was ich jedoch leider nicht ausführen konnte, denn einmal war der Weg sehr unsicher, und dann würde ich bei diesen guten Leuten beinahe Hungers gestorben sein, da sie im Sommer so gut wie nichts zu leben haben und es sie doch beleidigt hätte, wenn ich mich selbst mit Lebensmitteln versorgt haben würde. Ich glaube, dass ein europäischer Beisender, der das Innere von Arabien so recht gründlich kennen lernen wollte, mit den Beduinen ziemlich gut aus- kommen könnte. Nur müsste er in allem ihre Gebräuche befolgen und sich auch keinen Fingerbreit davon entfernen, da die Wüstenbewohner nicht die geringste Abweichung davon dulden. Freilich müsste er sich den grössten Entbehrungen und Strapazen unterziehen, denn das Leben der Beduinen ist ungefähr das frugalste und abgehärtetste, welches ein Mensch führen kann. Ein Beduine bedarf täglich kaum eines halben Pfundes an Lebensmitteln, um seinen kleinen, spindeldürren, dünnknochigen Körper in einem leidlichen Kraftzustande zu erhalten. Auch schlafen diese Leute nur wenig und unregelmässig; setzen sich im Winter in ihren dünnen leinenen Gewanden der Kälte, im Sommer mit ihrem unbedeckten Haupte den glühenden Sonnenstrahlen sorglos aus. Eine Zeit lang könnte ein Europäer dieses spartanische Leben vielleicht mitmachen, ich zweifle aber, ob es ihm auf die Dauer gelingen wird, sich bei den Beduinen zu acclimätisiren. Achtzehntes Capitel. Weitere Pflichten der Pilgerfahrt. Meine vermeintliche Frömmigkeit. — Wiederholter Besuch der Moschee. — Gang nach der Mesdschid el Harum bei Nacht. — Aberglaube über die Beleuchtung von Mekka. — Das Thor des Prophetea. — Erleuchtung der Moschee. — Seltsamer Kindruck derselben. — Der Raum um die Kaaba. — Der Porticus halb erleuchtet. — Eigcnthüinlichc weibliche , schützen. Manche trugen auf dem Kopfe einen leichten Turban (obgleich viele, als ächte Beduinen, ganz blosköpiig und „intonso crine" erschienen) und die Zipfel dieses Turbans hingen so tief in's Gesicht herab, dass die Männer von verschleierten Frauen schwer zu unterscheiden waren. Einige Beduinen von Mekka's unmittelbarer Umgegend Hessen sich von ihren Gattinnen begleiten, die ebenso, wie ihre Eheherren, das heisst nicht tiefer als dieselben, verschleiert waren und nebenbei oft eben so muskulöse, magere und verwitterte Körper, ebenso schwielige und sonnverbrannte nackte Arme und Beine zeigten, und ebenso kriegerisch, aber zugleich in den meisten Fällen, auch eben so abschreckend hässlich aussahen, so dass oft die Täuschung vollkommen war, und es schwer wurde, zu entscheiden, welches Individuum dem schönen, und welches dem hässlichen Geschlecht angehörte, wenn man überhaupt bei diesen Menschen, bei denen die Frau dem Typus „Hexe" am ähnlichsten sieht, von schönem Geschlecht reden kann. Obgleich man nämlich die Gesichter dieser „Schönen" nicht sah, so konnte man doch aus den vielen Runzeln des übrigen Körpers schliessen, dass auch sie frühgealtert und verwittert aussehen mussten. Mit meiner ägyptischen Gesellschaft und der wie Kletten an mir klebenden Familie Ssadak schloss ich mich der Nachhut der syrischen Pilgerkarawane an. Wir sassen alle auf kleinen Eselchen, mit Ausnahme von zwei der Neffen des Schieb Mustapha, welche neben diesem nun ganz hinfällig gewordenen Greise einhergingen und ihn auf seinem kleinen Esel aufrecht hielten, denn der Arme war bereits wie sterbend und so schwach, dass er gewiss, ohne die Hülfe seiner Neffen, vom Thiere gefallen wäre. Aber er hatte es sich nicht nehmen lassen, die fromme Wallfahrt, welche nur an diesem einzigen Tage im Jahre gemacht werden kann, trotz Krankheit und Hinfälligkeit anzutreten, welche Wallfahrt übrigens sein letzter Schritt in diesem Leben sein sollte. Gleich an dem nördlichen Ende der heiligen Stadt beginnt eine grosse sandige Ebene, durch welche sich der Mekkacanal windet, der die Stadt mit reichlichem, übrigens ziemlich schlechtem Wasser, welches man nicht zum Trinken gebraucht, versieht. Neben ihm zieht sich, fast immer parallel mit demselben, die Pilgerstrasse nach Arafa hin. Diese Strasse wird an ihrem Beginne noch zum Theil von Gebäuden und öffentlichen Anstalten eingefasst. Zuerst führt sie zwischen den beiden grossen Cister-nen. der der Syrer und der der Aegypter, hindurch. Dann lässt man links, das heisst auf der westlichen Seite, den grossen Friedhof von Mekka liegen, welcher einen wahren Wald von riesigen Cypressen bildet, denn über jedem Grabe pflegen die Araber einen Baum dieser Species zu pflanzen , der zwar nicht gepflegt , aber auch nichlr beschädigt wird und so mit der Zeit eine beträchtliche Höhe erreicht. Aehnlich sind in Pera bei Constantinopel die Friedhöfe wahre Wälder. Dem Friedhof gegenüber liegt, östlich vom Wege, neben einem grossen Wasserbassin, welches aus dem Mekkacanal gespeist wird, ein Palais des Scheriff, ganz wie ein grosses mekkanisches Stadthaus erbaut. Diesem schräg gegenüber, gerade neben dem nördlichen Ende des Friedhofes liegt die grosse türkische Caserne, in welcher sich zur Zeit eine ziemlich starke Garnison befand, von welcher sich die meisten Soldaten eben anschickten, die Hödsch (Pilgerfahrt) mitzumachen und im Kasernenhofe, mit den beiden Tüchern des Ihram bekleidet, völlig bereit standen, um, nachdem sie die Karawane vorbeidefiliren gelassen hatten, sich derselben anzuschliessen. Dadurch, dass nun diese türkischen Soldaten die Nachhut der syrischen Tilgerkarawane bildeten, wurde unsre kleine Schaar von derselben, der sie bis jetzt unmittelbar gefolgt war, getrennt und zurückgedrängt, wie wir denn überhaupt noch mancherlei Verzögerungen erleiden sollten. In Folge steter Einschiebsel neuhinzutretender Pilger wurde zwischen den Syrern und uns die Kluft immer grösser, so dass wir zuletzt beinahe anderthalb Wegestunden hinter der Damascuskarawane zu stehen kamen. Die neu hinzugekommnen türkischen Soldaten sahen meist elend aus. Obgleich alle junge Männer, deren älteste wohl kaum siebenundzwanzig Jahre zählen mochten, so schienen sie doch schon sehr abgelebt. Schlechte Nahrung, Krankheit, nachlässige Verpflegung und sinnliche Ausschweifungen schlagen in der türkischen Armee jährlich bedeutende Lücken und diejenigen, welche überleben, tragen meistens eine gebrochene Gesundheit davon. Man hat berechnet, dass von den jährlich der Conscription verfallenden Türken kaum ein Drittel das Ende ihrer gezwungenen Dienstzeit erreichen. Zwei Dritttheile gehen regelmässig zu Grunde. Es sind meist Krankheiten gastrischer Natur, typhöse Fieber, Dyssenterie und dergleichen, welche diese Unglücklichen hinwegraffen und daran, dass diese Krankheiten bei den Truppen so sehr um sich greifen, trägt gewiss die schlechte Nahrung, Verpflegung und Kleidung die Hauptschuld. Nach der Kaserne kamen wir an eine grössere Aneinanderreihung von Häusern, die beinahe eine Stadt zu nennen war. Es war die äusserste Vorstadt von Mekka, el Moabida geheissen, welche von Beduinen aus benachbarten Stämmen bewohnt wird, von denen einige auf immer, andere für längere, wieder andere nur für kurze Zeit ihren Wohnsitz hier aufgeschlagen haben, während ausserdem noch eine Menge blos durchziehender Beduinen hier eine flot-tante Bevölkerung bilden. Die Häuser sind meist klein und schlecht. Ausser Steingebäuden zählt die Vorstadt el Moabida auch noch eine Menge Geraba (Reiserhütten) und Kemlis, in denen Beduinenweiber den Pilger11 Brod, Butter und Obst feil bieten. Bei dieser Vorstadt el Moabida trennt sich die grosse Hauptstrasse, welche sich von Mekka nord- wärts erstreckt, in zwei Zweige ab. Nach Osten zieht sich der Pilgerweg, der zum heiligen Berge führt, direct nach Norden die Strasse des Wadi Fatma, weiche nacn Medina und Syrien gent. Wir folgten natürlich dem ersteren dieser beiden Wege. Am äussersten Ende von el Moabida liessen wir südlich einen abermaligen Palast des Grossscheriffs liegen, \n we\cYvevn dieser xnweWen im Yrünjani TewJnren. soll. Das war wenigstens schon der zwanzigste Palast dieses Würdenträgers, den ich seit meiner Ankunft in Mekka gesehen hatte. Diesem Hause des Scheriff gegenüber, links von der Pilgerstrasse, befand sich jetzt gerade das Lager der ägyptischen Pilger. Dasselbe war jedoch, was die Zahl der Pilger betraf, nur unbedeutend, da in neuester Zeit die meisten Aegypter die Seereise über Sues oder über Kosseir der beschwerlichen Landreise vorziehen. Dennoch hat die ägyptische Karawane eine gewisse Wichtigkeit bewahrt und zwar durch den Umstand, dass mit ihr jedesmal das geheiligte Kameel, el Mhämel genannt, nach Mekka kommt, welches die Geschenke des Sultans für die Kaaba, unter andern auch das neue Kesua, den schwarzen Schleier des heiligen Hauses, trägt. Dieses geheiligte Thier wurde, als die syrische Karawane eben an dem Lager der ägyptischen vorbeizog, von unzähligen Pilgerkehlen mit lautem Labikrufen hegrüsst und dann neben seinen syrischen Gefährten, an die Spitze des ganzen Pilgerzuges gebracht, welchen es von nun an in Gemeinschaft mit dem Mhämel aus Darnascus anführte. Dieses für heilig erachtete Thier wurde von zwei Aegyptern geführt, welche vielleicht die komischsten Käuze waren, die ich bis jetzt auf meiner Pilgerfahrt gesehen hatte. Alle beide glichen sich darin, dass sie sehr mager und triefäugig waren, was überhaupt so viele Aegypter in Folge von Ophthalmieen sind. In allen übrigen Punkten waren sie aber gänzlich verschieden. Der eine war ein altes Männchen von etlichen sechzig Jahren, schwärzlichbraun wie ein Mulatte , mit stets offenem Mund, aus dem seine blendend weissen Zähne hervorblitzten, mit einer sehr kühn nach oben gekehrten Stumpfnase, mit einem spärlichen weissen Bart, der wie ein Judenbart in eine lange Spitze auslief. Der andere mochte vielleicht erst fünfundvierzig Jahre alt sein, hatte ein längliches Raubvogelgesicht; seine ziemlich weisse Haut war vielleicht einmal glatt gewesen, jetzt aber bot sie in Folge einer Hautkrankheit nur noch eine Aneinanderreihung von unzähligen kleinen Hügeln und Thälern dar; er schien am ganzen Körper von Warzen bedeckt und was für Warzen! auf jeder dieser Warzen wuchs ein kleines Büschel von Haaren; diese fleckige Haut gab ihm ein so seltsames Ansehen, dass man ihn nicht anschauen konnte, ohne zwischen Mitleid und Lachen zu schwanken. Aber das Komische dieser beiden Erscheinungen lag weniger in ihrem Aeusseren, sondern vielmehr in ihren Manieren, ihrem Gange und ihren lächerlichen Prätentionen. Sie schienen sich als Führer des heiligen Kameeis öelbst schon für kleine Heilige zu halten und wollten offenbar von den frommen Pilgern als solche verehrt Und behandelt sein. Beide gingen so aufrecht wie Stöcke und blickten so stolz und kühn um sich, wie es nur immer der traurige Zustand ihrer Augen ge- Btattete. Die ganze übrige Welt war offenbar nichts neben ihnen, den Führern des heiligen Kameeis, die alle Verehrung, welche man diesem bewies, als ihnen selbst erzeigt, annahmen. Leider wurden diese geistlich Hochmüthigen nicht immer mit grosser Veneration behandelt. DieAegypter, ihre Landsleute, freilich neigten sich nicht selten vor ihnen und küssten ihnen die schmutzigen Finger. Dann genossen die beiden einen Augenblick der höchsten Befriedigung, ihre hässlichen Gesichter verklärten sich und ihre nassen Augen wandten sich in erheuchelter Extase gen Himmel. Aber die Syrer waren weit entfernt davon, vor diesen vermeintlichen Heiligen gleiche Verehrung an den Tag zu legen. Sie vermieden nicht nur, ihnen die Hände zu küssen, sondern sie stiessen auch die geheiligte Rechte, wenn sie ihnen dargeboten wurde, nicht selten unter Flüchen zurück. Ja, einen besonders unverschämten Jüngling sah ich selbst auf die Hand eines dieser vermeintlichen Heiligen spucken. Die beiden Kameelführer trugen jedoch in solchen Fällen die grösste Gelassenheit, welche einen starken Beischmack von Feigheit, jener ägyptischen Haupteigenschaft, besass, zur Schau. Sie spielten die Märtyrer, die für eine gerechte Sache Leiden und Schmach ertrugen. Zuweilen blickten sie auch in solchen Fällen, mit einer Affectation von Rührung, nach dem heiligen Kameel hin, als wollten sie sagen: „0 Herr! (denn das Kameel schien ihr Götze zu sein) solche Unbill leiden wir für Dich Aber das Kameel sah in diesen Fällen ebenso dumm drein, wie gewöhnlich, das undankbare Thier schien seinen Dienern nicht die geringste Rechnung für die seinethalb erlittene Schmach zu tragen. Die nicht sehr zahlreichen ägyptischen Hadschadsch, welche zur Pilgerkarawane aus Kairo gehörten, schlössen sich hier bei ihrer Lagerstätte ebenfalls an die Nachhut der syrischen Karawane an, in welcher bereits viele ihrer Landsleute, die auf dem Seeweg über Dschedda gekommen, befindlich waren, so dass wir hierdurch noch mehr von der Hauptkarawane getrennt wurden. Unterdessen war es vollkommen Nacht geworden. Um halb acht Uhr Abends waren wir von der Kaaba aufgebrochen und um halb zehn Uhr befanden wir uns noch bei el Moabida, kaum eine halbe deutsche Meile von der Mesdschid el Haram entfernt. Da wir bereits in die Zeit des zweiten Mondviertels eingetreten waren, so sollten wir bis einige Stunden nach Mitternacht Mondschein behalten, ich konnte folglich die Gegend, durch welche wir kamen, wenn auch nicht deutlich, so doch wenigstens einiger-massen gewahren. Während der ersten zwei Stunden, von el Moabida aus, kamen wir durch ein ziemlich weites Thal nördlich vom Dschebel Bu Kubis, in östlicher Richtung von Mekka gelegen. Es war, so viel ich sehen konnte, sehr schlecht oder, so gut wie gar nicht, bewachsen. Unermesslich streckte sich, vom Halblichte des Mondes matterleuchtet, die Wüste oder Steppe hin, aus der nur hie und da ein Baum, vielleicht eine Acacia vera, vielleicht ein Balsam Strauch sein Haupt wie träumerisch in die Lüfte trug. Dann kamen wir ein Thal, welches sich allmählig verengte, immer mehr verengte und zuletzt auf beiden Seiten felsige Umgränzungen darbot, zwischen denen der Durchgang oft schwer wurde. Immer schmäler und schmäler werdend, artete dieses Thal zuletzt in eine wahre Schlucht aus. Hier erlitt der Pilgerzug einen grossen Aufenthalt, da nun alle Hadschadsch, zwei und zwei, ja, an einzelnen Stellen, einer nach dem andern, hintereinander folgen mussten, während sie bisher sich nach Belieben über die ganze Breite des Thaies ergossen hatten. In diesem Schluchtenthal liegt das für heilig erachtete Dorf el Menaa (von Burckhardt mit englischer Orthographie Muna geschrieben). Die Häuser und Buden, welche es bildeten, schienen zum Theil noch unvollendet, und nahmen sich beim Scheine der Fackeln, welche einzelne Pilger trugen, wie phantastische Ruinen aus, in denen, so konnte man ohne grossen Aufwand von Phantasie sich vorstellen, Geister hausten, mit welchen die weissumhüllten, halbnackten Pilger wohl verglichen werden konnten. Ein lautes Geschrei begrüsste dieses heilige Dorf. Der Ruf Labik hallte donnernd von allen Steinwänden und Felsenkämmen des Wadi Menaa wieder und schallte weit und breit durch das ganze Thal hindurch. Bei diesen Dorfe hielten wir jedoch diessmal nicht an. Erst wenn man von Arafa zurückkommt, hat man sich dort aufzuhalten und besondere, abergläubische Bräuche zu verrichten. Ungefähr um fünf Uhr Morgens, nachdem wir die ganze Nacht, unter vielen Stockungen, zwar langsam, aber doch immer vorwärts gekommen waren, traten wir aus der Felsenschlucht hervor und, da es nun Tag geworden war, so sahen wir die Ebene am Fusse des Berges Arafa in voller Deutlichkeit vor uns liegen. Diese Ebene war eine Wüste, in der nichts zu wachsen schien, nicht einmal die trockene Distel, eine Wüste voll Steinen und Steingeröll, aus der sich der niedrige Hügel des Arafa, eine beinahe völlig kahle Felsenmasse, trostlos erhob, es war eine Wüste so schaurig und traurig, wie ich nur je eine gesehen hatte. Ein einziges Element lebte und regte sich in dieser Trostlosigkeit und belebte ihre Einsamkeit. Das war der religiöse Fanatismus eines abergläubischen Pilgerheeres, der in dieser Einöde seinen Thron errichtet hatte. Nur in der Ferne wurde das monotone Bild durch die zackigen Berge von Taif etwas verbessert, aber auch sie sahen kahl und trostlos aus, wie alles um uns her. Die meisten Pilger hatten, als wir ankamen, bereits ihre Zelte errichtet, so dass wir nun, nach anderthalb-stündiger Wallfahrt durch die sandige Ebene, in eine höchst belebte Lagerstadt unsern Einzug hielten. Viele Hadschadsch waren schon am vorhergehenden Tage angekommen und hatten die Nacht, entweder in ihren eigenen Zelten, oder in den zahlreichen Kaifeebuden und Reiserhütten, welche die Mekkawia (Mekkaner) hier errichten, zugebracht. Diese Lagerstadt am Fusse des Arafa bot einen ganz eigenthümlichen Anblick dar. Da lagen Zelte über den ganzen, weiten, sandigen Plan zerstreut, da zogen sich Reihen von Hütten und Buden hin, welche form liehe Strassen bildeten, in denen Basars und Märkte abgehalten wurden. Zwischen den Zelten lagerten un-II. 21 zählige Kameele, Maulthiere und Esel, von malerisch zerlumpten Beduinen bewacht. Hie und da schimmerte leuchtend beim Schein der Morgensonne der goldene Halbmond auf dem Zelte eines reichen Mekkaners, welches von rothen und gelben Stoffen gebildet und mit vielen bunten Verzierungen ausgeschmückt war. Im Osten war das eigentliche Militärlager, wo die türkischen Soldaten ihr lärmendes Wesen trieben. Aus diesen erhoben sich die grünen Zelte des Gross-scheriffs und der Würdenträger, von vielen Fahnen und Standarten nmragt. Hier hatten auch die heiligen Kameele ihren Ruhepunkt gefunden und die von ihnen getragenen Fahnen entfalteten majestätisch ihre grüne Seide unter dem Hauch des Ostwindes. Die ärmeren Hadschadsch hatten ihre kleinen, niedrigen Zelte im Südwesten aufgeschlagen. Nur die wenigsten Pilger schienen jedoch, trotz der durchgemachten, langen, nächtlichen Wanderung, das Bedürfniss der Ruhe zu empfinden. Höchstens ein Viertheil der Gekommenen zog sich in die Zelte zurück. Alle übrigen (die Zahl sämmtlicher Pilger möchte ich auf etwa dreissigtausend, gewiss nicht höher, schätzen) schwärmten zwischen den Zelten umher oder füllten die Strassen des Dorfes Arafa, welches von Hütten und Buden gebildet wurde. Dieses elende Hüttendorf bot an diesem Tage fast alle Ressourcen einer grossen Weltstadt dar. Da hatte fast jeder bedeutendere Kaufmann aus Mekka seine Bude, in welcher er die Pilger nach Herzenslust prellte und sie für die grössten Erbärmlichkeiten zehnfache Preise zahlen liess. Da waren unzählige Kaffeehäuser und Barbierstuben, denn das Rasiren des Haupthaares spielt bei den Ceremonien von Arafa eine grosse Rolle. Auch auf die Ausbeutung der menschlichen Verirrungen wurde, hier, in dieser heiligen Pilgerstadt, eben so gut wie in einem verderbten Volksccntrum, speculirt. Da waren Buden, in welchen geistige Getränke, allerdings im Geheimen, verkauft wurden, und selbst die Haschischraucher hatten hier ein Absteigequartier, wo sie die Seligkeit ihres geträumten Paradieses finden und in ihrenPhantasieen den heiligenBerg mit den kühnenBil-dern,den Erzeugnissen ihres eigenen erhitztenGehirns, in Verbindung bringen konnten. Wer jedoch nicht blos im Geheimen sein Gewerbe betrieb,das war eine grosse Anzahl „gewisser Damen", welche sich hier eingefunden hatten und die vielleicht auch das Bedürfniss nach Frömmigkeit und nach dem religiösen Titel von Pilgerinnen empfanden, was sie aber gar nicht hinderte, andere fromme Pilger von erbaulichen Gedanken abzulenken. Ausser den nur für den Augenblick errichteten Wohnungen, befanden sieh hier auch einige Steingebäude , welche über die ganze Hüttenstadt zerstreut und durch deren ephemere Bauten fast verdeckt wa.-ren. Es waren dies: ein Haus des Grossscheriff. dicht neben dem Mekkacanal gelegen, in welchem dieser jedoch nie wohnen soll; eine kleine Moschee, Dschema. es Sachara genannt; eine Schule, hei der die ägyptischen Pilger lagerten; mehrere überdeckt« Wasserbehälter; hie und da ein kleines militärisches Postenhaus und verschiedene andere unbedeutendere Baulichkeiten. Wir befanden uns so ziemlich unter den letzten, 21* weiche an diesem Tage im Hüttendorfe angelangt waren. Die syrische Karawane hatte schneller den Weg zurückgelegt und bereits vor Tagesanbruch ihre Zelte aufgeschlagen. Da es erst der achte Tag des Monats du el Hödscha war und die Hauptceremonien erst am neunten vor sich gehen, so hatten wir folglich einen ganzen Tag am Fusse des Arafa zuzubringen. Dieser sollte uns jedoch keine Langeweile, sondern vielmehr die höchste Abwechslung bieten. Nachdem wir in einer Palmstammbude, die als Kaffeehaus und Barbierladen diente, einige Stunden geschlafen und daselbst ein Absteigequartier für die nächste Nacht ausbedungen hatten, trieben wir uns den ganzen Tag in der Zelt- und,Hüttenstadt umher, in welcher das bunteste, regeste Leben herrschte. Bald sahen wir den gefährlichen Spielen indischer Gaukler zu, welche die Pilger dadurch zu ergötzen vermeinten, dass sie sich selbst Messer in's Auge, Dolche in den Bauch rannten: allerdings Taschenspielereien, die jedoch durch Ungeschicklichkeit manchmal lebensgefährlich werden. Bald kamen wir in einen Zuschauerkreis, der sich um einen modernen Psyllen gesammelt hatte, welcher sich von Nattern und andern Schlangen beissen liess und dieselben verzehrte. Hier lauschten wir einer arabischen Musikbande, aus unharmonischen Flöten und Trommeln bestehend. Dort hörten wir den Gesang einer Alme an, welche das Glück der Pilger pries, und zugleich bei diesem frommen Gesänge in einer höchst unheiligen Weise umherschielte. Dann stiessen wir auf einen Haufen menschlicher Gespenster, Frauen, welche den weiblichen Ihram trugen, der die ganze Person mit einem einzigen monströsen Schleier hermetisch umhüllt und kaum ahnen lässt, wo denn das Gesicht befindlich sein möge, denn die zwei Löcher für die Augen sind auch wieder manchmal von einem Tuche bedeckt. Einige Stunden verbrachte ich im Geplauder mit dem Pelzhändler Murad, der hier seine Bude hatte und selbst hier sich der Illusion hingab, Pelze an den Mann zu bringen, aber keine Kunden fand. Darauf besuchten wir das Beduinenlager, welches in einem Kreise, in dessen Centrum die Kameele und anderen Thiere eingepfercht waren, aufgeschlagen worden war. Hier hatten sich viele Gruppen gebildet, welche dem Gesänge eines beduinischen Dichters lauschten, der im reinsten Arabisch die Thaten seiner Vorältem pries. Endlich brach der Abend an und mit ihm ein herrliches Schauspiel. Die ganze Hütten- und Lagerstadt erleuchtete sich mit unzähligen Lampen und farbigen Ballons, welche ihr ein überraschendes Ansehen gaben. Vor vielen Zelten brannten lichte Feuer, überall war Helle und Glanz und in diesem Glanzesmeere wogte das unzählige Pilgerheer bis gegen Mitternacht auf und ab. Erst nach ein Uhr konnten wir in der bestellten Kaffeebude unser Nachtlager aufschlagen und eine kurze Ruhe gemessen, welche schon um fünf Uhr durch den Kanonenschuss, der den heiligen Tag verkündete, unterbrochen wurde. Nachdem wir im Freien unser Morgengebet verrichtet hatten, suchten wir, da unser Nachtquartier bereits überfüllt war, ein anderes Kaffeehaus auf, in dem es jedoch völlig unmöglich war, etwas Geniessbares zu bekommen. Kaum dass wir dort ein wenig Platz zum Sitzen finden konnten. Dieser Raum war übrigens so schwül und schmutzig, dass ich ihn bald mit meinen beiden unzertrennlichen Begleitern, der Familie Ssadak, floh und in's Freie eilte, um den heiligen Berg Arafa zu besuchen. Wie ich vor das Thor der Kaffeebude trat, da genoss ich einen überraschenden, grossartigen Anblick. Die gluthrothen Strahlen der Sonne brachen sich auf den Granitwänden des heiligen Berges und schufen dort heisse Tinten, Tinten von einer Wärme und Intensität des Farbentones, wie man sie in un-serm beleuchtungsarmen Europa nie erblickt. Da lag die ganze, beinahe völlig kahle Felsenmasse, glühend und strahlend wie ein feuerrother Ofen, als wäre sie eben aus dem Schacht eines Vulkans hervorgezogen worden. An Bäumen fehlte es gänzlich, selbst von Gesträuchen war nur wenig zu sehen; auch errieth man, dass eine üppig grüne Pflanzendecke hier gar nicht an ihrem Orte gewesen wäre. Aber statt der vegetabilischen Ausschmückung hatte diese Landschaft heute eine höhere organische erhalten : die unzähligen weissen Punkte, die auf dem Berge, bald einzeln, bald in Gruppen, herumirrten: die mit dem weissen Ihram bekleideten Pilger. Dieser Berg, den man Arafa, d. h. Berg der Er-kenntniss oder des Wiederfindens nennt, weil auf ihm Adam seine Gattin nach hundertundzwanzig-jähriger Trennung wiederfand, heisst auch manchmal im Munde der Moslems „Dschebel er Bahma", das heisst „Berg der Barmherzigkeit", weil Gott sich hier dem Propheten geoffenbaret haben soll. Kein Ort in der ganzen Welt, selbst Mekka und Medina nicht ausgenommen, gilt dem Moslem für heiliger, als dieser Berg der Erkenntniss. Unzählbar sind die theologischen und poetischen Lobpreisungen, in welchen die arabischen Dichter und Mystiker diesen Berg gefeiert haben. Ein einziges Lobgedicht auf den heiligen Berg, welches mir von Ssadak mitge-theilt wurde und das bis jetzt noch kein Europäer kannte, will ich hier statt aller andern, bekannteren in freier Uebersetzung wiedergeben: 0 Arafa! die Pilger seh'n In dir ihr höchstes Glück, Und rufen, wenn auf dir sie steh'n, In frommer Brunst: Labik. Wer deiner Wallfahrt sich befüss, Der kehrt erlöst zurück; Des Paradieses ist gewiss, Wer auf dir rief: Labik. Als Adam aus des Edens Ruh' Verjagte das Geschick, Lenkt trostlos er die Schritte zu, Zu dir und rief: Labik. Verirrt hat sich sein theu'res Weib. Sic war sein höchstes Glück, Die Gott aus Adams eignem Leib Entnahm und rief: Labik. Er sucht die theu're Gattin, die Von seinem Leib ein Stück; Auf Arafa, da sucht er sie, Ruft hoffend aus : Labik. Hier nun der Menschen Vater stand, Als sein entzückter Blick Die theu're Gattin .wiederfand, Da rief er aus: Labik. Und Eva, die den Gatten lang Gesucht mit feuchtem Blick, Hier endlich ihren Arm sie schlang Um ihn und rief: Labik. Und neuvereinet kehrten sie Von Arafa zurück, Und der Versucher trennte nie, Die hiev gesagt: Labik. Von diesem Wiederfinden stammt Die Menschheit und ihr Glück, Von jener Lieb', die hier entflammt Der fromme Ruf: Labik. 0 Arafa! seit jenem Tag Bist du die Himmelsbrück' Für jeden, der hier betend lag Und auf dir rief: Labik O Arafa! o Seligkeit! Die Herzen stets entzück'; Von Ewigkeit zu Ewigkeit Ertön' der Ruf: Labik. Labik! hier bin ich Herr! so ruft Der Mensch einst, wenn zurück Zu Gott sein Geist kehrt und die Gruft Besiegt der Ruf: Labik. Und wenn vom Grab hervor wir gch'n. Zur obern Welt zurück, Dann rufen, wenn vor Gott wir steh'n, Wir jubelnd aus- Labik. Der Weltenrichter kennt das Wort, Und wenn er hört: Labik, Krsohliosst er uns den scl'gen Ort Dort rufen wir: Labik. Wo holde Mädchen uns umfahn, Wo wir im höchsten Glück Dem Quell der ew'gen Wonne nah'n, Wo's ewig tönt: Labik. „Labik", dieser Gebetesruf der Pilgerfahrt im allgemeiner»,dieses Losungswort der Hödsch, ist ganz besonders derGebetesruf der Wallfahrt nach Arafa. Waren bishermeineOhren nur von Zeit zuZeit von diesem donnernden Rufe heimgesucht worden, so hörte ich nun seit meiner Ankunft in Arafa beinahe nichts anderes mehr. Jedes andere Wort schien seine Wichtigkeit verloren zu haben, die ganze Sprache schien nur in diesem einen Worte: „Labik" aufgegangen zu sein. Labik, so tönte es in den Strassen der Hüttenstadt; hervor aus ihren Zelten drang der Ruf: „Labik" ; Labik, so schrie ein jeder Pilger, der eben sein Gebet verrichtet hatte; Labik, so hallte es durch die ganze Ebene wieder und wieder und das Echo des Granitfelsens Arafa gab zwar schwach, aber doch hörbar, den Ruf „Labik" zurück. In Begleitung meines Metuaf und seines Sohnes bestieg ich nun die Granitmasse, welche man den „Berg der Erkenntniss" nennt. Sie ragt nur etwa zweihundert und fünfzig Fuss über die Ebene empor. Der Weg zu ihrem Gipfel besteht zum Theil aus Stufen, welche in den Felsen eingehauen sind. Nachdem wir etwa fünfundvierzig dieser Stufen erklommen hatten, befanden wir uns am sogenannten „Mota Sidna Adam", das heisst an der Station Adams. Hier soll der Aeltervater des Menschengeschlechtes seine geliebte Ehehälfte wiedergefunden haben. Es rnuss jedenfalls ein sonderbarer Anblick gewesen sein, als diese beiden riesigen Menschen, die nach der Tradition des Islam zwischen fünfhundert und sechshundert Fuss hoch waren, auf dem kleinen Berge Arafa standen, welcher mit seinen zweihundert und fünfzig Fuss Höhe der Mutter Eva kaum bis an die Taille reichte. Auch weiss man nicht, was man von der Sage denken soll, welche an diesem „Mota Sidna Adam", den Aeltervater stets sein Gebet verrichten lässt, da doch offenbar Adam, wenn er sich betend auf's Angesicht niederstreckte, den ganzen Berg Arafa mit seiner kolossalen Körpermasse zudecken musste. Ich muss gestehen, dass diese wenig erbaulichen Zweifel sehr alle Andacht störten, welche ich auf dem heiligen Berge etwa hätte empfinden können. Warum hat auch der Prophet Mohamed für das Wiederfinden des riesigen Aelterpaares nicht einen wahrscheinlicheren Berg ausgewählt, als den kleinen elenden Arafa? Aber, was auch meine Zweifel und ironischen Empfindungen sein mochten, äusserlieh war ich genöthigt, die grösste Andacht an den Tag zu legen und die für diese Stelle vorgeschriebenen Gebete nachzusprechen, welche mein Führer Ssadak ben Hanifa mir vorsagte. Nach Erklimm ung einiger sieb enzig Stufen erreichten wir den Membar, d. h, die „Kanzel", eine diesen Namen tragende Plattform, auf welcher der Chetib an diesem Tage seine Arafa - Predigt halten sollte. Hier sah ich eine Marmortafel im Felsen angebracht, worauf eine Inschrift befindlich war, die ich jedoch zu lesen nicht Zeit hatte. Von der Plattform aus wurde der bisher breite und ziemlich sanft aufsteigende Weg immer steiler und enger. Schaaren von Pilgern bedeckten ihn, so dass wir nur mit Mühe zum Gipfel des Arafa gelangten. Hort bezeichnet eine kleine Capelle die Stelle, wo Mohamed seine Jünger zu unterrichten und wäh- rend der Pilgerfahrt selbst zu beten und zu predigen pflegte. Es war jedoch nicht daran zu denken, in das Heiligthum Einlass zu erlangen, so dicht war dasselbe mit Hadschadsch besetzt, von denen ganze Schaaren förmlich darin Posten gefasst zu haben schienen. Wir begnügten uns desshalb, unsre Gebete vor der Thür des Heiligthums zu verrichten und liessen die andächtige Menge im ungestörten Besitze desselben. Als ich nun vom Berge Arafa wieder hinunterstieg, fand ich überall eine Menge unbeweglich dastehender Pilger, welche alle bereits hier ihren Platz genommen hatten, um die Predigt, die erst in sieben bis acht Stunden vor sich gehen sollte, desto deutlicher zu vernehmen. Ich verspürte keine Lust, mir diese Qual des siebenstündigen Wartens aufzuerlegen , blos um eine insjpide Predigt anzuhören, die nur aus Gemeinplätzen bestand, wie ich es nachher gut genug vernehmen sollte. Statt dessen besuchte ich mit meinem Metuaf noch die am Fusse des Arafa gelegene kleine Moschee es Sachara, das heisst, ich sah mir dieselbe von aussen an, denn die Pilger schienen ihr Inneres förmlich mit ihren Leibern gepflastert zu haben, so dass an ein Eindringen auch hier nicht zu denken, was übrigens kein Unglück war. Nachdem ich die Ueberzeugung erlangt hatte, dass an der Dschema es Sachara nicht das geringste zu sehen sei, lenkte ich meine Schritte nach der von meinen Reisegefährten temporär bewohnten Kaffeebude zurück, wo ich den Rest des Tages bis zur Stunde der Predigt zuzubringen gedachte. Auf dem Wege dahin hörte ich mich plötzlich anreden. „Ja Abd er Rahman", rief eine Stimme, die mir wohlbekannt schien, „wohin so eilig? Der Chetib wird noch lange nicht seine Predigt beginnen. Komme doch zu uns und feiere einstweilen hier deinen Kif (Siesta)." Ich wandte mich um und erblickte vor mir eine fette, halbnackte und sehr haarige Gestalt mit blossem, kahlen Haupte, in welcher ich nur mit grosser Mühe den sonst so stattlich aussehenden und pomphaft gekleideten Hamdan ben Hamidu wieder erkannte. Er hatte den Ihram angelegt, wie es alle Mekkawia, thun, welche zur Pilgerzeit den heiligen Berg besuchen, wo sie dann sich den übrigen Pilgern ganz gleich benehmen und alle Ceremonien mitmachen. Aber dieser Ihram stand dem feisten Manne gar nicht gut. Er trug zwar seine Vorliebe zum Luxus auch in diesem Kleidungsstücke zur Schau, seine Moharem (Umschlagtücher) bestanden aus den feinsten Kaschmirshawlen ; aber da der Ihram für alle gleich gross sein muss, so war bei dem massenhaften Körper Hamdans die Folge? dass die Tücher überall Olfen standen und seinen mit dichten grauen Haaren bewachsenen Körper an vielen Stellen gewahren Messen, wo man ihn lieber nicht gesehen hätte. So lange Hamdan in seinen gewohnten Kleidern ging, sah er viel jünger und wirklich schön aus. Nun aber bildete sein gefärbter Bart mit den grauen Ilaaren, welche seinen übrigen Körper bedeckten, einen so lächerlichen Contrast, dass es mir schwer wurde, bei seinem Anblick meine Heiterkeit zu unterdrücken. Dennoch bemeisterte ich meine Lachlust und wechselte nun mit Hamdan die ausgesuchtesten Höflichkeitsphrasen, in welchen wir uns gegenseitig mit der Sonne verglichen und unser zufälliges Begegnen als das höchste irdische Glück priesen. Mein Wirth lud mich mit einer höchst graziösen Geberde ein, in einem seiner Zelte (er hatte deren drei) Platz zu nehmen, wo ein schöner Teppich auf dem Fussboden lag, auf dem Nargileh's (Wasserpfeifen) standen, welche von einigen zehn intimen Freunden Hamdans, allen sehr verschmitzt aussehenden Kerlen, geraucht wurden. In dieser Gesellschaft liess ich mich nun nieder, rauchte und trank Kaffee, rauchte wieder und trank von neuem und so eine Stunde lang, während ich Hamdans geistreiche Conversation anhörte. Hamdan hatte für heute ein triumphirendes Wesen angenommen. Er benahm sich ganz als Aruss (Bräutigam oder junger Ehemann) und die Bräutigame tragen bei den Orientalen fast immer ein gewisses Etwas in ihrem Wesen und ihren Manieren zur Schau, woran man sie unter tausenden erkennen kann. Auch Hamdan zeigte heute ganz jene Selbstzufriedenheit, jenes siegreiche Wesen, jene stolze Ruhe eines befriedigten Herzensfressers, der eben die süssesten Eroberungen gemacht hat. Dieses Benehmen, welches der Franzose „fatuite" nennen würde, ist jedoch das einzige, woran man einen muselmännischen Bräutigam erkennen kann oder vielmehr errathen muss, denn seines Bräutigamstan-