Stem Oer Neger Katholische Mifsione=Zeitfchrift Herausgegeben von der Kongregation: Missionäre Söhne des heiligsten Herzeno Jesu Heft 1 Jänner 1938 41. Jahrgang Gottes Wege. Ungefähr 50 Kilometer von Barberton entfernt liegt eine Außenstation, auf der gegen 40 Katholiken, meist Italiener und Portugiesen, wohnen. Der Name des Ortes, der auch eine Haltestelle der lokalen Eisenbahn ist. ist Tonetti. Das Dörfchen verdankt seine Entstehung der Tatkraft und dem Unternehmungsgeist der Gebrüder Tonetti, einer italienischen Familie, die in den achtziger Jahren im Aufträge der Transvaal-Regierung verschiedene Eisenbahnstrecken baute. Als teilweise Entlohnung übergab die damals geldarme, aber „steinreiche" Regierung den Gebrüdern Tonetti ein Stück öden Buschwaldes, die heutige Haltestelle Tonetti. Aus dem öden Buschfeld aber haben die energischen Tonetti mit Hilfe anderer italienischer Ansiedler ein wahres Paradies geschaffen, in dem dank des heißen Klimas alle Arten von tropischen Früchten gedeihen. Vom gesundheitlichen Standpunkt aus ist es jedoch kein Paradies, sondern eine wahre Fiebechölle. Trotz aller modernen Fiebermittel bekommt fast jeder der Ansiedler jährlich einen oder mehrere Fieberanfülle. Es war eine unsäglich harte Pionierarbeit, welche die Gebrüder Tonetti hier leisteten, und drei Grabsteine im Kirchhof zu Barberton, die diesen Namen tragen, sind ein nur zu deutlicher Beweis dafür. Aber die harte Arbeit war mit Erfolg gekrönt, die Tonetti schufen sich einen guten Namen und erwarben ein ansehnliches Vermögen. Am gleichen Tag, da ich nach Barberton kam, wurde ich mit dem älteren der beiden damals noch lebenden Brüder bekannt gemacht. Es war der Wunsch seiner schon vor mehreren Jahren verstorbenen Mutter ge- wesen, daß die Tonetti-Brüder in dem Dorf, dem sie ihren Namen geben dursten, Gott zum Danke eine Kirche errichten sollten. Diesen Wunsch der Mutter wollte Herr Tonetti jetzt erfüllen, da es seine Absicht war, in einigen Monaten zu seiner Frau nach Italien zurückzukehren, wo er seinen Lebensabend ruhig zu verbringen gedachte. Er bat mich nun, ihm mit Rat und Tat beizustehen. Ich ließ einen Plan der Kirche anfertigen, und dann ging es an die Arbeit. Herr Tonetti selbst leitete den Bau, der rasche Fortschritte machte. Wenige Tage vor der Vollendung traf ich wieder mit Herrn Tonetti zusammen, um die letzten Besprechungen bezüglich der Kirchweihe zu halten, die am folgenden Sonntag stattfinden sollte und zu der der Apostolische Präfekt Msgr. Mohn sowie verschiedene andere Herren eingeladen werden sollten. Nach den Besprechungen lud mich Herr Tonetti zum Mittagessen ein. Ich lehnte ab, da ich schon eine andere Einladung hatte, versprach ihm aber, nach dem Essen zurückzukommen. Hätte ich nur seine Einladung angenommen, so wäre wahrscheinlich das kommende Unglück verhindert worden. Wir gingen beide unseres Weges und keiner von uns dachte daran, daß wir in diesem Leben das letzte Wort miteinander gesprochen hatten. Nach der Mahlzeit verließ ich meinen Gastgeber mit der Absicht, Herrn Tonetti nochmals aufzusuchen. Als ich das Haus verließ, kam ein Schwarzer auf mich zugestürzt und rief: „U Baas ufile!“ — „Der Meister ist tot!", und als ich nicht verstehen wollte, deutete ec zur Kirche. Ich lief in der angegebenen Richtung, so schnell mich meine Füße mir tragen konnten, und fand Das Kirchlein in Tonetti. (Foto: P. A. Bieg.) Herrn Tonetti bewußtlos im Eingang der Kirche liegen und stöhnen. Was war geschehen? Herr Tonetti, der sich etwas fieberisch gesuhlt hatte, war nach einem kurzen Imbiß an die Baustelle zurückgekehrt und hatte sich, vom Fieber und der Hitze des Tages erschöpft, am Eingang der Kirche niedergesetzt und, das Haupt an die Mauer gelehnt, etwas geruht. Währenddessen stürzte das Gerüst in der Kirche zusammen, und ein schwerer Balken traf den ahnungslos Schlafenden am Kops und schlug ihm die Schädeldecke ein. Sofort telephonierten wir um einen Arzt, der in einer Stunde eintraf. Er konnte für den Verunglückten an Ort und Stelle nichts tun. Eine eigene Lokomotive mit einem Gepäckwagen brachte Herrn Tonetti nach Barberton. Sofort wurde eine Operation versucht, aber ohne Erfolg. Der Verunglückte lebte noch 36 Stunden, kam aber nicht mehr zum Bewußtsein. Der Tag der Kirchweihe wurde Herrn Tonettis Begräbnistag. Der Apostolische Präsekt Msgr. Mohn vollzog die Kirchweihe und hielt dann den Trauergottesdienst. Danach legten wir den edlen Mann in dem von ihm selbst erbauten Kirchlein zur ewigen Ruhe. Noch nie in meinem Leben habe ich einer so traurig-schönen Beerdigung beigewohnt. Alle Anwesenden waren tief ergriffen und zu gleicher Zeit erschüttert durch die Unbegreiflichkeit und Härte der Fügungen Gottes. Nach menschlichen Begriffen war diese Schickung sehr hart und ungerecht. Mit den Augen des Glaubens gesehen, konnte es jedoch kaum einen schöneren Tod geben. Am Tage, da Herr Tonetti ein Haus zur Ehre Gottes errichtet hatte, nahm ihn der Herrgott zur ewigen Ruhe in die himmlische Heimat auf. Aus dem Balken, der dem Verstorbenen den tödlichen Schlag beigebracht hatte, verfertigten wir ein Kreuz und stellten es am Eingang zur Kirche auf. Durchs Kreuz zur Krone! Vor drei Wochen spendete ich dem ersten Enkelkind des Verstorbenen in der Kirche seines Großvaters die heilige Taufe, und mein Taufwunsch war, es möchte der Eifer für die Ehre Gottes, der Herrn Tonetti beseelte, in diesem Nachkommen weiterleben. P. Anton Bieg. Gebetsmeinung für öen Monat Jänner: alle Christen in Abessinien zur Einheit öer Kirche zurückkehren/ Während der Weltgebetsoktav vom 18. bis '35. Januar flehen jedes Fahr zahllose Katholiken und nichtkatholische Christusgläubige zu Gott: „Daß alte eins seien." Fetzt im Januar bittet der Hl. Vater um besondere Gebetshilse für die Bekehrung der nichtkatholischen Christen in Abessinien. Dort leben ungefähr sechs Millionen Monophyfiten ■— Anhänger jener Irrlehre, die behauptet, daß in Jesus Christus die göttliche Natur die menschliche Natur ganz in sich aufgesogen habe, so daß nur mehr eine Natur übrigblieb. (Mohammedaner zählt man drei Millionen, dazu kommen eine Million Heiden und SO.OiX) Katholiken.) Das Nichtwissen um die wahre Lehre der katholischen Kirche bildet für die Rückkehr ein größeres Hindernis als das Festhalten am Irrtum. Wir sollen nun beten, daß die Zahl der katholischen Schulen sich mehre, daß Gott dem Lande viele eifrige Priester schenke, daß die mit Rom vereinigten koptischen Klöster zahlreicher werden. — Auch jene koptischen Christen, die noch durch das Schisma von uns getrennt sind, bilden gegen den vordringenden Islam einen starken Schutzwall, und dies zweifellos um so mehr, wenn sie sich einmal der römisch-katholischen Kirche angeschlossen haben werden. Stern der Neger 3 Heft 1 Sind unsere Neger Wilde? Wenn heutzutage ein. Missionär nach Afrika geht, so wird er von vielen Leuten bedauert. Ginge er nach China, so würde er doch Menschen finden, die auf eine jahrtausendalte Kultur hinweisen können. Er hätte viele Anknüpfungspunkte in den verschiedensten Wissenschaften. Japan wäre in dieser Hinsicht natürlich noch besser. Auch in Indien lassen die Städte, die Häuser und Tempel aus eine hochstehende Kultur schließen. Die Indianer Amerikas stehen zwar hinter den genannten Völkern zurück, aber sie gelten doch als edel und wurden schon viel in dev Literatur verherrlicht. Sie sind klug, erfinderisch und entfalten in den Dingen, die ihnen zum Leben nötig sind, ein Geschick, das wir bewundern müssen. An vielen interessanten Erlebnissen würde es bei ihnen sicher nicht fehlen. Wer aber die Missionsarbeit unter den Schwarzen aufnehmen will, wird vielfach bedauert. Was kann es bei ihnen geben, das einen natürlich denkenden Menschen anziehen könnte? Sie wohnen in kleinen Hütten ohne Fenster, die aus Steinen und Lehm gebaut und mit Kuhmist überstrichen sind. Das Dach ist niedrig und besteht aus Stroh. Die Leute haben wenig oder keine Bildung, sie sind selber noch nie daraufgekommen, daß man schreiben könnte. Sie sprechen ein kaum zu erlernendes Kauderwelsch und haben darin Tonhebungen und -senkungen, die ein gewöhnlicher Mensch entweder gar nicht bemerkt, sicher aber nicht richtig nachmacht. Sie üben Zauberei und bringen Menschenopfer dar. Sie vergiften die Weißen und einander. Sie sind grob und ungebildet. — Es wäre leicht, den Leuten eine andere Ansicht und mehr Liebe für die Schwarzen beizubringen, wenn man einfach sagen könnte: „Das ist nicht wahr." Im großen und ganzen ist es aber wahr. Dürfen wir nun die Neger als Wilde bezeichnen? Ich glaube nicht. Wer auch nur kurze Zeit unter ihnen lebt, findet, daß sie alle, ob dem Körper nach erwachsen oder nicht, dem Geiste nach Kinder sind. Sie sind immer guter Dinge und singen für ihr Leben gern. Arbeit ohne Gesang, ein Fest ohne Gesang, einen Marsch ohne Gesang, das gibt es bei ihnen nicht. Weil sie Kinder sind, kümmern sie sich auch nicht viel um die Zukunft. Sie sagen zwar immer, sie seien in Not, sie tun aber nichts, um sie zu beheben. Sie sorgen nicht viel für ihre Felder. Wächst etwas, dann essen sie; mächst nichts, dann hungern sie. Sie bauen keine Häuser wie wir, weil die Hütten gut genug und schnell gebaut sind. Sie brauchen wenig Kleidung, weil es auch so warm genug ist. Sie handeln ganz wie Kinder. Sie können aber erzogen werden. In der Schule merkt man, daß sie durchaus nicht dumm sind. Sie lernen Missionssonntag in baskischen Landen stufte, so stellt sich das Buddhistenkloster im Westen der chinesischen Provinz Kansu dar. Diese Klöster geben dem Buddhismus einen starken Rückhalt. Eie mögen wohl dazu beigetragen haben, dieser Religion bis heule ihre Lebensfähigkeit zu erhalten. (Fides-Foto.) formulieren und, ans Provinzialgericht in Jalgaon weiterleiten." „Selbstverständlich ist mir das sehr erwünscht. Es must einmal ein ernüchterndes Beispiel aufgestellt werden, damit das gottlose Gesindel hier zu heilsamer Besinnung kommt und lernt, daß es noch Strafgesetze gibt." Vier Wochen später kam der Fall am Pro-vinzialgericht in Jalgaon zur Verhandlung. Nachdem der genaue Polizeibericht verlesen war, wurden die Zeugen, die beiden Schüler und mein Koch, verhört. Dann wurde der Angeklagte, Mr. Smith, der ganz zerknirscht und beschämt dastand, zu seiner Äußerung zur Anklage-und zu den Angaben der Zeugen aufgefordert. Er war zu allem geständig, und schluchzend bekannte er sich schuldig und bat mich um Verzeihung. — Das Urteil lautete auf sechs Monate schweren Gefängnisses. Darauf gestattete mir der Richter, einen etwaigen Wunsch meinerseits auszusprechen. Das tat ich denn auch kurz und sagte: „Aus Mitleid mit dem Angeklagten und seiner armen Familie und in Anbetracht seines ehrlichen Geständnisses und seiner reumütigen Gesinnung und Abbitte ersuche ich Euer Gnaden recht inständig, dem Verurteilten die schwere Strafe zu erlassen und dieselbe in eine kleine Geldbuße für die Armen umzuwandeln." Daraufhin sagte der Richter zu und verurteilte den Angeklagten zu einer Geldbuße von 50 Rupien. Dem Mr. Smith aber rannen die heißen Tränen herunter. Er siel mir zu Füßen und dankte mir. Er wußte sehr wohl, wieviel er mir zu verdanken hatte. Ohne meine Fürsprache für ihn hätte er nicht nur ins Gefängnis gemußt, sondern er hätte auch seine Stelle an der Bahn verloren, und er mit seiner Familie hätten auf der Straße gesessen. Der Fall war für ihn und andere eine gute Lektion, und mein Verhalten gegen ihn hat mir in der Station nur genützt. Zwei R c v o lv e r s ch ü tz e n. Auch ein anderes Mal hat die Vorsehung gütig über mir gewaltet. Es war an einem Sonntagabend. Ich hatte mich soeben in die Sakristei begeben, um die Abendpredigt und Andacht zu halten. Da tritt ganz bestürzt und verstört mein Sakristan zu mir und seufzt mir entsetzt entgegen: „Oh — Swami!" „Nun, was ist denn los? — Ist was passiert?" „O Swami, es sind zwei Mörder in der Kirche!" „Was du sagst, Anton, zwei Mörder? — Sind sie schon am Morden?" „Nein, noch nicht, Swami." „Nun, dann ist's ja nicht so schlimm, die wollen vielleicht mal eine Predigt hören und sich dann bekehren!" „O nein, Swami, sie wollen einen töten!" „So? — Wen denn?" „O Swami, — dich selbst wollen sie töten! Dich wollen sie auf der Kanzel erschießen!" „So? — Woher weißt du das?" „Herr N. hat mir's geroibe als ganz sicher mitgeteilt, um dich zu warnen. Er sagt, sie hätten geladene Revolver in der Tasche, um dich auf der Kanzel niederzuknallen!" „Gut, Anton — ist alles fertig?" „Ja, Swami, es wird gleich schlagen." Ans Herrn N. konnte ich mich verlassen. Er wußte immer Bescheid. Ich überlegte noch schnell, was ich auf der Kanzel sagen wollte, empfahl mich Gott und schritt zum Altar. Eine gewisse Beklemmung überfiel mich doch. Aber nach dem Heiliggeistlied und einem kurzen Gebet am Fuße des Altares war sie gewichen, und mit sicherer Zuversicht bestieg ich festen Schrittes die Kanzel. Nachdem ich kurz die Reihen mit meinem Blick durchmustert, fing ich ruhig und bestimmt an: „Meine lieben Christen! Statt meiner für heute abend bestimmten Predigt muß ich leider etwas anderes verkünden. Es sind, wie mir fest versichert wurde, zwei Mordgesellen mit geladenen Revolvern hier unter euch in der Kirche, die eigens gekommen sind, um mich, eitern Seelsorger, hier aus der Kanzel zu erschießen." — Eine große Unruhe ging bei diesen Worten durch die Kirche, entsetzt schauten alle einander an und blickten forschend umher und flüsterten wirr zueinander, flink sprangen einige kräftige Männer aus den Bänken und besetzten den offenen Haupteingang und die Seitentüre, während andere sich in wachsame Positur stellten. Es fiel kein Schuß. Aber ich sah zwei unbekannte Kerle da unten, die auffallend verlegen dreinschauten. Und nun, da es etwas ruhiger geworden, fuhr ich in festem Tone fort: „Nun, ihr zwei Mordgesellen, wer immer ihr sein möget, die ihr gekommen seid, einen hilflosen Priester auf der Kanzel, wo er sich nicht wehren kann, meuchlings zu erschießen, — ihr meintet wohl, damit eine Heldentat zu verüben; aber das solltet ihr doch wissen, so etwas ist keine Heldenart, sondern eine ganz erbärmliche Feigheit! Wenn ihr noch ein wenig Mut habt, wohlan, so knallt doch los! Hier ist meine Brust, — sie ist breit genug, — ihr könnt sie kaum verfehlen! Nur los! Ich habe nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen, •— und ihr habt nichts zu gewinnen, aber alles zu verlieren!" — und dann hielt ich eine „Mordspredigt" für die beiden über das Verbrechen des Mordes an einem Menschen, an einem Priester Gottes, an geweihter Stätte und über die Folgen des Mordes für die Mörder. — Da hätte man die Gesichter der Zuhörer sehen sollen! — Dann folgte die Andacht. Aber auch da fiel kein Schuß! Ich war schon zu meiner Wohnung hinaufgegangen und hatte mich umgekleidet. Da kam der Sakristan und meldete mir, es seien noch zwei fremde Jungmänner in der Kirche, die beichten wollten. So ging ich denn wieder hin- Tempeltauben. Gleich dem St.-Markus-platz in Venedig find auch die Straßen und Plätze um die japanischen 'lem--pelschreine von Tauben umschwärmt, die von den Besuchern gefüttert werden. Kleine Packungen mit gekochten Sojabohnen werden von den Händlern dort feilgeboten. (Fides-Foto.) unter und hörte die Beichte der Fremden. — Nun wußte ich genau Bescheid und konnte Gott nur danken. Aus diesen zwei deutlich genug sprechenden Fällen geht klar hervor, wie die Hölle nicht ruhte und alles aufbot, mich einzuschüchtern, mundtot zu machen und mir die Säuberungsarbeit zu erschweren oder mich sie gar aufgeben zu lassen. Da stand ich die ersten Jahre als Zielscheibe zwischen so vielen Feuern, und manchmal war es arg genug, um mutlos zu werden. Was mich einzig und allein im Kampfe gegen das Böse tröstete und ermunterte, das war mein gutes Gewissen, mein göttlicher Meister im allerheiligsten Sakrament und die handgreifliche Tatsache, daß das Gute sich siegreich durchsetzte. Nach vier Jahren apostolischen Ringens und Durchhaltens war meine Pfarrei ganz dem heiligsten Herzen Jesu gewonnen und geweiht, blühte in ihr frisches katholisches Leben, war jeder erste Freitag des Monats ein Hochfest und hieß es allgemein, man kenne die Station nicht mehr wieder. 9. Das „böse Auge". Nicht nur gegen den Priester, sondern auch bei den Pfarrkindern unter sich, besonders bei den ganz ungebildeten, wie den Madrassis, zeigten sich zuweilen wilde Elemente. In einigen Fällen von bitteren Feindschaften und Ehezerwürfnissen kam es vor, daß man von Versöhnung absolut nichts wissen wollte und man tatsächlich versuchte, den Gegner oder den verhaßten Eheteil durch Vergiftung aus dem Wege zu räumen, überhaupt spielt Vergiftung als Rachemittel eine große Rolle in Indien. Ganz besonders aber suchen sich die im uralten, unheilvollen Aberglauben verstrickten Indier, als ob vom übelwollenden, neidischen oder lüsternen Blicke eines Menschen eine schaden- oder verderbenbringende Kraft ausgehe, an solchen Personen durch Vergiftung zu rächen, die im Verdachte stehen, durch ihren Blick, d. i. „böses Auge", Unglück, Krankheit oder Tod in ihrer Familie verursacht zu haben. — Mit einem solch traurigen Fall mußte ich auch einmal Bekanntschaft machen. Zu später Nachtstunde wurde ich einmal zu einer Madrassi-Hütte gerufen. Dort sei ein junger Madrassi am Sterben. Als ich eintraf, sah ich im matten Kerzenlicht den jungen Mann sich in Krämpfen und Schmerzen windend auf dem Boden liegen. Er war bereits bewußtlos, stöhnte furchtbar, knirschte mit den Zähnen, zog jeden Augenblick die Knie hoch und hielt die Hände fest verkrampft über der Brust. Ihm gegenüber hockten gegen die Lehmwand gelehnt weinend und betend seine junge brave Frau und deren Eltern. Nachdem ich die Sterbegebete beendet, erzählte mir die Frau unter Tränen, ihr Mann sei tags zuvor von einem Freunde, dessen jüngstes Kind vor kurzem plötzlich gestorben sei, sehr eindringlich zum Abendessen eingeladen worden, und seit dem Morgen habe er sich so unwohl gefühlt, daß er nicht zur Arbeit habe gehen können. Gegen Abend sei es aber immer schlimmer geworden, er habe schreckliche Krämpfe bekommen und hald das Bewußtsein verloren. Weil aber ihr Mann das Kind so gern gehabt habe, so hätten sie starken Verdacht, der Freund habe ihn wegen des „bösen Auges" vergiftet. — Ich dachte bei mir: „Da magst du recht haben , denn aller Anschein sprach dafür. Der arme Mann starb noch in derselben Nacht — in aller Wahrscheinlichkeit als Opfer des Aberglaubens an das „böse Auge". Als Beleg für diesen landläufigen und verhängnisvollen Aberglauben in Indien will ich einen ganz ähnlichen Fall anfuhren, der vor achtzig Jahren in ganz Indien großes Aufsehen erregte. Ein hoher englischer Beamter, der einen ausgedehnten Bezirk in Nordindien verwaltete und wegm seiner Klugheit, Mäßigung und Gerechtigkeitsliebe von all seinen Untertanen hochgeichätzt war, verschwand plötzlich auf geheimnisvolle Weise. Überall wurde nach ihm geforscht, alle Teiche und Brunnen wurden durchsucht, nach allen Bahnstationen und Seehäfen des indischen Reiches flogen Telegramme — aber von dem Vermißten fand sich keine Spur. Er blieb verschollen. Seine Pferde, Fahrzeuge und Jagdgewehre wurden verkauft und sein Haus blieb leer stehen. Mit der Untersuchung des eigentümlichen Falles wurde ein tüchtiger Polizeibeamter betraut, der auch gleich an den Ort zog, das leerstehende Wohnhaus des Verschwundenen vom indischen Besitzer mietete und die setzt herrenlose Dienerschaft klugerweise beibehielt. Von diesen Dienern konnte er jedoch nichts Aufklärendes über das Verbleiben ihres früheren Herrn erfahren, und der „Boy" oder Kammerdiener Bahadur Khan meinte, der Herr sei wohl heimlich nach Europa gereist. Damit mußte er sich vorläufig bescheiden. Aber er war fest entschlossen, auszuharren und abzuwarten und der geheimnisvollen Sache vielleicht doch auf den Grund zu kommen. Was nun der Kriminalpolizist Tag für Tag und Nacht für Nacht in seiner Wohnung erleben mußte, bestärkte ihn in seinem Entschlüsse und brachte ihn zur klaren Erkenntnis: In diesem Hause geht es nicht mit rechten Dingen zu! Denn über Tag war es immer, als ob ein gewisser unsichtbarer Jemand Lurchs Haus huschte, und in der kurzen Abenddämmerung konnte der Beamte deutlich sehen, wie trotz der absoluten Windstille und schwülen Hitze die Vorhänge zwischen den Zimmern sich so bewegten, als wäre gerade einer hindurchgegangen. Selbst sein großer Rampurhund getraute sich nicht allein in ein Zimmer hinein und schaute immer mit gesträubten Haaren und stieren Blickes einem gewissen Etwas nach, das drinnen herumging. Während der Nacht wurde die Ruhe erheblich gestört durch jemand, der überall im Hause herumzog, überall herumflatterte, flüsterte leise jammerte und stöhnte. Wer mochte das wohl sein? Was sollte das alles bedeuten? Die Sache sollte sich bald klären. Ein guter Freund kam gerade durch die Station und wollte ein paar Tage beim Polizeibeamten zubringen, der natürlich hocherfreut war liber diesen lieben Besuch. Aber der gute Freund mußte auch die eben erwähnten unheimlichen Erfahrungen im Hause seines alten Kameraden machen. Schon nach zwei Tagen hatte er genug und hatte keine Lust, noch eine weitere Nacht in dieser unerguick- lichen Atmosphäre zu verbleiben. So zart und schonend wie nur möglich teilte er dies beim Abendessen seinem Hausherrn mit. Dieser aber bat ihn recht inständig, doch noch etwas dazubleiben, um zu sehen, was alles, was da vorging, zu bedeuten habe. Dabei schaute er gerade aufwärts auf das weißgetünchte Zimmerdeckentuch, das oben an die Balken und unten den Wänden entlang befestigt war. Und was mußte er da sehen? Die Schwänze von zwei braunen Schlangen hingen zwischen dem Tuch und dem Wandgesimse herunter. „Was? Schlangen in meinem Hause? Nein! Die darf ich über meinem Haupte nicht dulden", dachte er. Schnell holte er eine Leiter herein, lehnte sie gegen die Wand und stieg, mit einem langen Stocke bewaffnet, hinauf. Dann riß er das Deckentuch vom Wandgesimse los und stieg höher in den Dachraum hinein, um alles Gewürm herunterzuklopfen. Da gewahrte er aus dem Hauptbalken einen größeren Körper. Was mag das wohl sein? Wie er mit seinem Stocke daran stochert, kommt das unbekannte Etwas auch schon ins Rutschen und Fallen. „Aufgepaßt da unten! Es kommt was Schweres herunter!" rief der Polizist. Damit senkte sich auch schon das Deckentuch mit einer Gestalt ausgebaucht sackartig in die Mitte des Zimmers hinunter und schüttete seinen Inhalt aus den Tisch. Was war das? Es war die ausgedörrte Leiche des geheimnisvoll Verschollenen. Der Polizeibeamte und sein Freund konnten dieselbe kaum anschauen. Sie waren aufs tiefste ergriffen. Zeigte doch die Leiche einen gräßlichen Halsschnitt, der von Ohr zu Ohr ging. Wer mochte wohl dieses furchtbare Verbrechen begangen haßen? Das sollte nun bald offenbar werden. Der Polizei-Saheb rief den Kammerdiener Bahadur Khan herbei und wies ihn auf die Leiche auf dem Tische hm. Wie dieser die Leiche vor sich sah,, wurde er aschfahl und zitterte am ganzen Leibe. „Saheb, Saheb!" winselte er mit heiserer Stimme, „ich bin ein Mann des Todes!" „Da hast du recht, denn in einem Monat wirst du gehängt!" „Ich muß also sterben, weil ich gebötet habe? Aber, Saheb, erwäge doch, warum ich es tun mußte! Mein Herr warf einen Blick auf mein Kind. Er nannte es ein nettes Kind und streichelte ihm den Kopf. Dadurch hat er es behext, so daß es nach zehn Tagen am Fieber starb. Darum habe ich meinen Sahch ermordet und ins Dach hinaufgebracht. Er ist der Schuldige, und — ich, ich muß sterben! Die beiden Freunde mußten sich,in trauriger Stimmung gestehen, daß der so meuchlings Hingemordete ein Opfer seiner Unwissenheit geworden war, da er keine Ahnung hatte von dem verhängnisvollen Aberglauben der Eingeborenen an das „böse Auge . (Fortsetzung folgt.)