Das Opfern des Schweins in der baltischen Tradition Nijolè Laurinkienè Pig Sacrifice in Baltic Traditions/ The article analyzes pig sacrifice and the use of pork as a ritual dish in customs connected with sowing and practiced by descendants of the Prussians. The author explores the custom, which has been described by various sources and practiced in East Prussia in the second half of 17th - century, in relation to the data collected by Lithuanian ethnographers of the 20th century that link the pig to various agrarian processes. Performed during the sewing period and often employing pig parts such as the head, legs, or the tail, the practice may be explained as an echo of sacrificing a pig to the earth and to Zemyna, the goddess of wheat who personifies the earth. It may be presumed that Zemyna had the same function as Demeter had for the Greeks and Ceres and Tellus for the Romans. Das Schwein ist eines der typischsten Tiere der chthonischen Mythologie, die von Religionsforschern als eine archaische Weltanschauungsphase betrachtet wird (^oceB 1980: 329; Simek 1984: 459; Gimbutiene 1985: 160-161; Gimbutiene 1996: 10,151). Das Verehren und Opfern des Schweins bzw. dessen wilden Vorfahren, des Wildschweins, ist in vielen Quellen der baltischen Religion und Mythologie bezeugt. Schon bei Publi-us Cornelius Tacitus, der im 1. Jh. nach Chr. Kunden über die Religion der aistischen -westbaltischen - Stämme angeführt hat, wird erwähnt, dass diese Stämme, die Verehrer der Göttermutter (mater deum) waren, als Zeichen ihres Glaubens Abbilder der Wildschweine getragen hätten. „Jenes Zeichen ist wie eine Waffe oder Schutzmittel: es schützt den Verehrer der Göttin vor allem sogar gegenüber den Feinden" (insigne superstitionis formas aprorum gestant: id pro armis omniumque tutela securum deae cultorem etia hostis praestat. Germania, 45; BRMS I 143, 145). Daraus würde folgen, dass das Wildschwein das Kulttier der Bekenner der Göttermutter war. Die von Tacitus erwähnte mater deum, verehrt von Ackerbauern, Brotgetreidebauern, wird von mehreren Mythologieforschern (Norbertas Velius, Vladimir Toporov) identifiziert mit der Erd- und Getreidegöttin der Nachkommen der Preußen (Pruzzen, Altpreußen; eine Ethnie baltischer Herkunft, die im südöstlichen Baltikum zwischen der Weichsel und dem Memel ansässig war und im 13. Jh. von dem Deutschen Orden unterworfen worden ist) und der Litauer, Zemyna (die als Entsprechung der griechischen Demeter gelten darf; BRMS I 140-141; Toporov 2000: 257). Also wurde das Wildschwein schon in einer der frühesten Quellen der baltischen Religion und Mythologie mit der Göttermutter in Beziehung gebracht. Das Wildschwein kommt auch in der Erzählung von der mythischen Figur Sovi-ji (Cobuu, N. Singular) vor, der den Brauch der Toteneinäscherung sowie neue Götter bei den Balten und einigen anderen Völkern eingeführt hat (Einschub der Chronik Joannes Malalas, 1261). Dort wird von der Zubereitung der Körperteile (der neun Milze) des Wildschweins für das Festmahl, mit anderen Worten, für die Opferung, berichtet, bevor es in die „Hölle" hinuntergeht (BRMS I 266-267). Es gab Deutungen von Auslegern dieses Mythos, dass das Erjagen des Wildschweins zum archaischen Ritus der Opferung der Göttin-Mutter gehören könnte ( Beresnevicius 1990: 114 ) und dass Soviji, indem er das Wildschwein besiegt, die Beziehung zur chthonischen Phase der alten Religion bricht - zu der Phase, die das Wildschwein vertreten habe (Greimas 1979: 10-11). So wird hier das Wildschwein dem Vorstellungskreis der chthonischen und mit der Göttin-Mutter zusammenhängenden Religion zugerechnet. In einigen späteren historischen Quellen aus dem 16. Jh. ist bezeugt, das Schwein würde von Prußen geopfert. Lucas David bemerkt, wenn den Bauern von Samland nicht gelingen wollte, Fisch zu fangen, hätte der Waideler Waltin Suplit ein Opfer dargebracht. Am Ufer der Rantava wurde ein schwarzes, gut gemästetes, fettes Schwein geschlachtet. Der Waideler hätte seine Zitzen abgeschnitten und mit ein paar ausgesprochenen oder gemurmelten Worten sie ins Meer geschleudert. (BRMS II 259, 290). Caspar Hennenberger beschrieb eine Opferung des Schweins in der Gemeinde Pobeten mit ähnlichem Zweck wie im oben erwähnten Fall, d. h. um die Segnung Gottes zu bekommen und viel Fisch fangen zu können. Sechs Dörfer wären zusammengekommen, hätten zwölf Bierfässe gekauft und ein gemästetes Schwein geopfert (BRMS II 333, 345). In diesem Artikel ist man nicht bemüht, alle in den schriftlichen Quellen der baltischen Religion und Mythologie festgehaltenen Fälle der Opferung des Wildschweins, Schweins bzw. Ferkels zu betrachten und zu analysieren. Man möchte auf die Verwendung des Schweinefleisches in den Saatgebräuchen aufmerksam machen, die in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. von dem Historiographen Matthäus Prätorius in seinem historischethnographischen Werk über die Preußen ("Deliciae Prussicae, oder Preussische Schaubühne") beschrieben wurden. Man stützt sich auch auf die Zeugnisse zum betreffenden Thema, die im 20. Jh. von Litauern festgehalten sind. Die in diesen Quellen konservierte Verbindung des Schweins mit agrarischen Sitten und Bräuchen darf wohl als Relikt der alten mythischen Weltanschauung, die den Ackerbau mit bestimmten chthonischen Gottheiten und den ihnen dargebrachten Tieren in Zusammenhang brachte, in der baltischen Tradition gelten. Schweinefleisch - rituelle Speise der Nachkommen der Prußen nach der Saat Im Kapitel erwähntes Werks über das Saatfest in den von Nachkommen der Preußen bewohnten Gebieten (Nadrauen, Schalauen u.a.) berichtet also Prätorius, dass nach der Getreidesaat Schweinefleisch, und zwar wichtige Körperteile des Tiers wie der Kopf, unbedingt mit dem Rüssel, sowie die Füsse, als eine rituelle Speise aufgetragen würde: Nach diesem Rallen und Tournieren richtet die Wir-/thin den Tisch an, auff welchen sie gemeiniglich einen Schweins-/Kopf und Schwein- Füsse in einer Schüssel oder andere Speisen auff-träget, aber ein Schweins-Rüssel muß nothwendig seyn, anzudeu-/ten, daß die Pflüger leicht den Acker mit einem Eysen umbwer-//ffen mögen wie ein Schwein, wenn es in der Erden wühlet / und die Erde auffwirfft (P 5, 4, 8). Bemerkenswert ist die hier aufgeführte Erklärung des Autors, warum für das Festessen ein Schweinsgericht zubereitet wird, dessen Akzent der Rüssel ist: dies sollte wie ein magisches Mittel wirken, das die Arbeit des Ackerbauers beeinflusst. In der Tat assoziiert man das Schwein mit seiner Gewohnheit, in der Erde zu wühlen, mit dem Prozess der Bodenbearbeitung: mit seinem Rüssel wendet es die Erde um, ähnlich dem Bauer, der mit dem Pflug eine Furche in den Boden zieht. Wegen dieser Fähigkeit wurde dieses Wesen in alten mythologischen Traditionen (vor allem in der griechischen) neben die Göttinnen des Ackerbaus gestellt. Nicht zu vergessen ist außerdem, dass das Geschlecht der Schweine sich durch eine starke Fruchtbarkeitspotenz auszeichnet. Letztendlich konnte der Körper dieses Tieres selbst Vorstellungen der Fülle und des Überflusses wecken. Auch der gesamte vom Priester (dem Maldininks) am Tisch mit der Schweinefleisch-Schüssel ausgeführte Ritus unterstützt den Gedanken, dass der Schweinskopf und Schweinsfüße als eine Opferspeise zu betrachten sind: Darauff tritt der Maldininks / vor den Tisch und bethet ebenfalls dreymahl mit eben Cere-/monien wie zuvor, zum Vierdten mahl trincket er dem / Wirth zu, der es, wie er vor dem außgang seiner Leute be-/scheiden getahn, auß und herumb trincket, nachmals wirdt / gegessen <...> (P 5, 4, 8). Bevor der Schweinskopf und Schweinsfüße verzehrt werden, wird also gebetet und „Zeremonien wie zuvor" werden vollzogen. Hier meint der Autor die von ihm bezeugten religiösen Zeremonien vor der Saat, während deren der Priester Bierlibationen für Zemynele, die Göttin des Ackerbaus, mit Begrüßungsworten vollführt hatte und, wie im letzteren Fall, herumtrinken ließ (P 5, 4, 4; BRMS III 180, 286). Es ist nicht zu bezweifeln, dass das nach der Saat verzehrte Schweinsgericht eine rituelle Speise war und wahrscheinlich als Opfer der für das Getreide und dessen Saat zuständige Göttin, wie der Kontext zeigt - der Zemyna, galt.1 Die Beziehung des Schweins zum Agrarbereich zeigen auch andere von Prätorius angeführten Zeugnisse. Dieses Tier wurde von den Preußen nicht nur zur Saat, sondern auch während des Mistfahrens geopfert, indem das Ritual des Bier-Trankopfers zu Ehren der Zemyna wiederholt wurde ( P 5, 10, 1; BRMS III 194-196, 297-298). Zuletzt ist zu bemerken, dass auch das gewöhnliche Schlachten dieses Tiers an das Ritual einer Opferung den Göttern erinnerte. Während des von Prätorius beschriebenen Schweinsschlachtfestes wurde ein Biertrinken veranstaltet mit gewöhnlichen der Zemynele gewidmeten Riten: Es pfleget aber auch mit / palabinken, Zemynelauken und offtermahligen umbtrincken ge-/feyert werden (der Begriff Zemynelauken bezeichnet den Ritus des Biervergießens mit Gebet für Zemyna; mit palabinken 'mit den Grüßen' ). Die verbrannten Schweinsknochen wurden in der Erde vergraben. Dies ist zweifelsohne ein Opfer der Erde und ihrer Göttin (P 5, 10, 5; BRMS III 195, 298-299). Opfern des Schweins bzw. Ferkels bei anderen Völkern Der Zusammenhang zwischen dem Schwein bzw. Ferkel und der Saat und den Göttinnen des Ackerbaus ist aus religiösen Traditionen der Völker Südeuropas bekannt. Das Schwein galt als das Tier der griechischen Demeter, mit dem zusammen sie häufig auf 1 Nicht nur Zemyna war mit der Saat verbunden, sondern auch der Gott Pergubrius, dem auch Schweineköpfe geopfert wurden: Also ist dem Pergubrio so woll im Martio, alß im Herbst gefey-/ret worden, denn sie davor gehalten, sie hatten den Arbeits- Gott / von der nöthen so woll im Vorjahr, wenn sie da Feldt einrichteten / Zur Sommer-saath, alß auch wenn sie dasselbe zur Winter-saath / bearbeiten müsten. . Im Martio wen die Arbeit angegangen / haben sie ihm umb hülffe gebethen, dabey sie Ihm zu Ehren / Schweins-köpfe verzehret < > (P 4, 7, 17; BRMS III 141, 255). den Terrakotten dargestellt wird (Wissowa, 1901: 2761 col.). Laut Georg Wissowa, ist die nahe Beziehung des Schweins wird zu dieser Göttin aus dessen enormen Fruchtbarkeit zu erklären (weshalb es sowohl zum Opfer, als auch zum Attribut der Göttin wurde) sowie aus der kathartischen Wirkung des Schweinebluts (ebenda). Während der Thesmophorien - des herbstlichen Saatfestes - wurden Ferkel auf bestimmte Weise der Demeter geopfert. Der Monat, in den dieses Fest fiel, würde unserem Oktober entsprechen (Wissowa 1901: 2751 col.). Das archaische Ritual der Thesmopho-rien bildet das Herausheben der verwesten Reste der Ferkel aus speziellen unterirdischen Höhlen. Die Ferkel wurden als Opfer zusammen mit anderen geopferten Dingen, dies geschah im voraus - bereits in der Dreschezeit darin geworfen. Sie wurden in spezielle unterirdische Höhlen zusammengeworfen, und später hob man ihre gefaulten Reste heraus und vermischte sie mit dem Samen. Das Vermischen des Samens mit Fleischresten war ein wirksames rituelles Mittel. Denn man glaubte, dies habe eine magische Wirkung auf das Getreide (Nilsson 1995: 312, 319). Unterirdische Gruben mit darin geopferten Ferkeln konnten auch Kores Untergang in die niederen Regionen darstellen und daran erinnern, wie die Erde sich damals auftat und darin eine Schweineherde versank. Die Thes-mophorien waren ein Agrarfest, ein Bauernfest, an dem nur Frauen teilgenommen haben. Es ist daraus zu erklären, dass der Ackerbau in primitiven Gesellschaften eine weibliche Erfindung war, die Frau war es, die zuerst den Boden zu bestellen, den Samen zu streuen und Früchte zu züchten versuchte. Wahrscheinlich deshalb waren auch die Gottheiten des Ackerbaus bei vielen Völkern weiblichen Geschlechts. Auch den römischen Göttinnen Ceres und Tellus wurde das Schwein geopfert, und zwar eine trächtige Sau. Dies könnte geschehen - wie auch bei anderen Völkern der Ackerbauer - während des Saatfestes. Dieses Fest hieß sementiuae/sementinae (sein Datum steht nicht fest, denn der Zeitpunkt könnte sich wegen wechselnder Klimabedingungen ändern). Aus diesem Anlass wurden Libationen den Göttinnen vollführt, Ceres, die Göttin der Vegetation, wurde um gutes Aufgehen und Wachsen des Getreides gebeten, die ihr nahestehende Tellus, die eine Personifikation des die Ernte bringenden Ackers war, darum, dass das gesäte Korn in ihrem Schoß gut geborgen ist (Guillen1985: 98). Die Ägypter hielten, laut Herodot, das Schwein für ein unsauberes Tier, doch für manche Götter, und zwar für Selene und Dionysos (der Historiker meinte Isis und Osiris; Isis wurde von Griechen mit Demeter identifiziert), wurden Schweine bei Vollmond geopfert. Der Ritus der Opferung wurde in einer bestimmten Weise vollzogen. Nachdem das Schwein geschlachtet wurde, legte der Priester das Ende des Schwanzes, die Milz und den Unterbauch zur Seite und deckte sie mit dem Bauchfett des Tieres ab. Dies alles wurde verbrannt. Das restliche Fleisch wurde während desselben Vollmonds gegessen (Hero-dot 2, 47). Isis' nahe Beziehung zum Schwein bestätigt auch die Tatsache, dass, laut dem Ägyptologen und Religionsforscher Hans Bonnet, eine der Erscheinungen dieser Göttin die Gestalt des Schweines hatte (Bonnet 1971: 326). Kehrt man zurück zu der den Litauern und Preußen näher stehenden vorchristlichen lettischen Religion, so ist zu bemerken, dass ein schwarzes Ferkel dem Ceruoklis (Cereklicing, Cerekling) dargebracht wurde, dem „Felder- und Getreidegott", der seinem Herrschaftsbereich nach mit Zemyna verwandt ist. Außer dem schwarzen Ferkel, opferte man ihm in den Wäldern ein schwarzes Huhn und einen schwarzen Ochsen sowie einige Fässer Bier (Jahresbericht 1606 der Rigaer Jesuiten; BRMŠ III 550, 555, s. auch BRMŠ III 557, 562). Laut Historiker Stanislaw Rostowski, war Ceruoklis „der aus der Hölle stam- mende Gott der Gastlichkeit (ex orco ille hospitalitatis deus), dem die Menschen die ersten Bissen jedes Essens und die ersten Schlucke jedes Getränks geopfert hätten" (1768, BRMŠ IV 142, 146; s. auch BRMŠ III 567). Opfern des Schweins der Erdgöttin in Litauen Von einem im Herbst (in autumno colenda) in Litauen (in Žemaitkiemis, Bezirk Ukmerge) allein von Frauen ausgeführtes Ritual, und zwar von einer Opferung des Schweins, der Erdgöttin (tellure dea) gewidmet, hat 1583 der Jesuitenmissionar Jacobus Lavinius geschrieben: Nam principio de tellure dea, in autumno colenda, ea superstitio fuit, ut suem illi diuturno tempore saginatam solae mulieres, saga accersita sacrificarent unde solae, quoque ipsam opipare preparatam absumebant, cumque aliqua in convivio de cerevisia deae illi iam oblata biberet, illam reliquae verubus ligneis sibilantes simulabant. „Denn zuerst war dieser Aberglaube mit der Erdgöttin (tellure dea) verbunden, die im Herbst verehrt wurde und der die Frauen alleine ein lange gemästetes Schwein geopfert haben, das sie selbst, schön zubereitet und zusammen mit einer eingeladenen Priesterin, aufaßen; und wenn während des Schmauses eine von ihnen dieser Göttin geopfertes Bier trank, haben die anderen diese mit Holzstangen zischend angetrieben" (BRMŠ II 605, 608). Ganz deutlich wird gesagt, dass das gemästete Schwein ein Opfer für die Göttin ist, die als tellure dea, d. h. Erdgöttin, vorgestellt wird. Höchstwahrscheinlich ist hier Žemyna gemeint. Diese Auffassung bestätigt auch das von Frauen geopferte Bier - eine typische Opfergabe für Žemyna -, das die Teilnehmerinnen der Zeremonie getrunken hätten. Die Einladung der Priesterin als Leiterin der Opferung zeigt, dass hier von einem entwickelten Gottheitskult die Rede ist, für dessen Funktionierung spezielle Kultbedienstete nötig waren. Die Teilnahme allein der Frauen an dieser Opferung und die Tatsache, dass sie gerade im Herbst veranstaltet wurde, erwecken Assoziationen mit griechischen Thesmophorien, die, wie erwähnt, auch ein Frauenfest waren, genauso im Herbst begangen und der Göttin des Ackerbaus, Demeter, sowie der von ihr betreuten Aktion - der Saat - gewidmet. Die zu vergleichenden Rituale stimmen also in mehreren ihrer Komponente überein. Lavinius gelang es, ein von den Litauern noch in der zweiten Hälfte des 16. Jhs. praktiziertes Ritual festzuhalten, das besonders archaische Züge der Verehrung der tellure dea bewahrt hatte. Es ist zwar nicht gesagt, zu welcher Situation im agrarischen Kalender diese Darbringung Beziehung hatte, doch die Andeutung, dies hätte in autumno colenda, „an den Herbstka-lenden", stattgefunden, d. h. am ersten Tage eines Herbstmonats (lat. Calendae - der erste Tag eines jeden altrömischen Monats), lässt annehmen, dass sie mit der Wintergetreidesaat im Herbst verbunden sein konnte. Aber dies ist natürlich nur eine von den möglichen Voraussetzungen. Das Opfern des Schweins der Göttin Erde (Deae Telluri) ist auch im Jahresbericht 1588 des Vilniusser Jesuitenkollegiums registriert: In oppido quodam tam crassa erat ignorantia rerum, ut porcam immolarent Deae Telluri, Solem multi Lunamque venerarentur <...> „ In einem Städtchen herrschte solche Ignoranz, dass man ein Schwein der Göttin Erde opferte <...>" (BRMŠ II 618, 626). Von dem der Erde (offenbar der Göttin der Erde) geopferten Schwein berichtet auch der Jesuit Rostowski in seiner „Geschichte der litauischen Jesuitenprovinz" [Litvanicarum societatis Jesu historiarum provincialium]: Telluriporca faciebant <...> „Der Erde wurde ein Schwein geopfert <...>" (1583, BRMS IV 140, 146; anscheinend stützte er sich auf Zeugnisse von Lavinius). „Die Reste des Tiers bewahrte man zu Hause, denn man glaubte, dies würde Wohl und Sicherheit gewährleisten" (ebenda). Fasst man die erwähnten Zeugnisse zusammen, so bleibt wohl kein Zweifel daran, dass die Litauer noch im 16. Jh. ihrer Göttin der Erde das Schwein geopfert haben - der Göttin, die in den schriftlichen Quellen als tellure dea, Dea Telluri, mit einem Wort - Tellus bezeichnet wird. Tellus ist nicht nur ein Gattungsname des Lateinischen, das „die Erde" bedeutet, sondern auch der Name einer der ältesten römischen Gottheiten. Ihre Entsprechung in der litauischen Mythologie ist ganz gewiss Zemyna. Die Letztere umfasste mit ihrer Tätigkeit die sowohl der Ceres, als auch der Tellus eigenen Funktionen (Ceres hat in der römischen Mythologie mit der Zeit die archaischere Tellus ausgestoßen). Opfern des Ferkels den Steinen-Deyues In einem der Jahresberichte (1600) des Vilniusser akademischen Kollegiums der Jesuiten wird von einer Opferung des Ferkels den Steinen mitgeteilt, die als Deyues (lit. deive - 'die Göttin'), also Göttinnen, bezeichnet werden (dies könnte in Zemaitija der Fall gewesen sein; der genauere Ort ist nicht angegeben). "Die Göttinnen" werden hier größere Steine mit flacher Oberfläche genannt, die in den Speichern in die Erde eingegraben und mit Stroh bedeckt waren: Alibi lapines non parui in horreis, in terra defossi, superficie plana sursum versus, non terra, sed stramine contecti asseruantur, quos Deyues appellant, atque vt custodes frumen-torum et pecorum religiose colunt. Focus ipse ita omnibus obseruatur religiose, vt nemo accedere propius audeat; quod si quis eum attingat, eum confractum iri credunt. „In manchen Speichern werden nicht kleine in die Erde eingegrabene Steine, mit flacher Oberfläche nach oben, aufbewahrt, nicht mit Erde, sondern mit Stroh bedeckt; sie werden Deyues genannt und fromm verehrt als Behüter des Korns und des Rindviehs. Der Platz der Opferung selbst wird allgemein so gehütet, dass sich keiner getraut, näher zu treten. Würde man [diesen Stein] berühren, so glaubt man, würde man vom Blitz erschlagen" (BRMS II 620, 628). Diesen Göttinnen, die in Gestalt von Steinen verehrt wurden, hatte man ein schwarzes, noch gesäugtes Ferkel geopfert, von dessen Darbringung weiter im Text des zitierten Jahresberichts 1600 der Jesuiten erzählt wird: Mactant parcellum lactantem omni parte nigrum, quem coctum pater et mater familias, cum anu sacrifica comedunt; particulas autem tam ex porcello, quam ex aliis cibis, si qui forte parari fuerint, cum ter nouem buccellis panis, anus in horreum defert, vbi dictum Deyues sola, remotis omnibus, placat. „Man schlachtet ein gesäugtes ganz schwarzes Ferkel, das gekocht von dem Vater und der Mutter der Familie zusammen mit einer alten Opferpriesterin aufgegessen wird; einen kleinen Teil von diesem Ferkel sowie vom an- deren Essen, wenn es zubereitet wurde, zusammen mit siebenundzwanzig Stücken Brot, bringt die Opferpriesterin in den Speicher, wo sie zu den genannten Deyues [d. h. zu den Steinen] ganz alleine, während sich alle entfernt haben, fleht" (BRMS 620, 628). Das den Deyues-Steinen dargebrachte Ferkel- und Brotopfer sowie die genannte Funktion dieser "Göttinnen" (Behüten des Korns und des Rindviehs) sind ein hinreichender Grund, sie mit der Göttin der Erde zu verbinden. Schweinefleisch in späteren litauischen Saatgebräuchen Die von den Litauern noch vor gar nicht langer Zeit befolgten Saatgebräuche, wenn auch entsakralisiert, ohne Verständnis ihres eigentlichen, mit den ursprünglichen Glauben verbundenen Sinns ausgeübt, haben eine enge Beziehung zu dem Schwein als einem mythischen Tier bewahrt: sie widerspiegeln die Korrelation zwischen den Realien der chthonischen mythischen Welt - Erde, Saat und Schwein -, eine Korrelation, die tiefe Wurzeln in den alten Religionen Europas hat. Das rituelle Essen des Schweinefleisches habe direkt auf dem Felde, vor dem Beginn der Getreidesaat, stattgefunden: Sejant javus / laukq issinesa kiaules kojas ir degtines puskvortj, ten suvalgo ir sugeria, tai sako, kad geriau javai auga. „Bei der Getreidesaat nimmt man Schweinebeine und ein halbes Quart Schnaps mit auf das Feld, isst sie und trinkt es aus, damit das Getreide besser wachse" (Pabirze, BlZ 22/343). Gaspadine niekuomet neatiduoda kiaules uodegas seimynai suvalgyti, pakol neprade-da seti vasarojy, - kai sejejas pareina pirmqkart sejgs vasarojy, tai jam atiduoda, kad varpos tarpty, kaip kiaules uodega. „Die Hausfrau gibt nie den Schweineschwanz der Hausgemeinschaft zum Essen, solange man nicht beginnt, das Sommergetreide zu säen, - wenn der Säer nach der ersten Sommergetreidesaat nach Hause zurückkommt, gibt sie ihn ihm, damit die Ähren werden wie der Schweineschwanz" (Klovainiai, BlZ 22/344). Die bezeichnete Intention, die das Motiv des Ritus erklärt, - damit das Getreide besser wachse, damit die Ähren gedeihen, - zeigt, dass diese Handlungen auf eine eigentümliche, mit einer bestimmten mythologischen Tradition verbundene Denkweise gegründet wurden. Das Essen des Schweinefleisches auf dem Felde vor der Saat oder das Überreichen des Schweineschwanzes dem Säer des Sommergetreides, wenn dieser nach der Arbeit nach Hause zurückkommt, sind als eine Opferung der die Fruchtbarkeit des Getreides bestimmenden chthonischen Gottheit zu interpretieren. Auch dem Säer der Erbsen wird empfohlen, bei der Saat ein Schweinebein zu essen, damit die Ernte reich wäre (BlZ 57/925), während man bei der Gerstensaat einen Schweineschwanz zwischen den Zähnen halten soll, dann werden die Ähren groß wachsen ( BlZ 50/813-817). Eine magische Wirkung auf die Fruchtbarkeit des Getreides und anderer gesäten Pflanzen hätte, wie man meinte, nicht nur das Schwein selbst, sondern auch Dinge, die mit ihm in Berührung gekommen waren und seine spezifische Kraft erworben hatten, -der Strick, an dem das Fleisch hängte, und auch das Stroh, das vom Sengen des Schweins geblieben war: Sédamas turi laikyti dantyse pant¡, su kuriuo buvo mésa pakabinta, tada javai derés. „Beim Säen muss man den Strang in den Zähnen halten, an dem das Fleich gehängt war, dann wird das Getreide fruchtbar (Daugailiai, BlZ 27/420). Kai kiaulg svilina, tai stengiasi, kad ty siaudy likty pabirzyti pavasar¡ pradéjus séti: uzaugs gery javy, kiaulés bus geresnés ir bus kuo penéti. „Wenn man das Schwein sengt, bemüht man sich, dass von dem Stroh etwas zurückbleibt, womit man dann im Frühling beim Säen markieren kann, bis wohin die Samenkörner fallen: so wird das Getreide gut wachsen, die Schweine werden besser und man hat mehr Futter" (Antazavé, BlZ 27/421a). Die Schweine werden auch zu der Zeit der Roggensaat in Beziehung gebracht. Um Aukstadvaris herum sagt man: Rugius pradeda séti, kada kiaulés miega, tai duona bus soti ir skalsi. „Man beginnt Roggen zu säen, wenn die Schweine schlafen, dann wird das Brot reich und satt" (Aukstadvaris, BlZ 40/658). Die betrachteten litauischen Saatgebräuche, in denen in vielen Fällen Schweinefleisch vorkommt - Beine, Schwanz, die zugunsten der besseren Vegetation der gesäten Pflanzen während der Saat aufgegessen oder auf eine andere Weise gebraucht werden, können ausgelegt werden als Widerspiegelung der Schweinsopferung für die Erde und sie verkörpernde Gottheit. So bekräftigen auch diese späteren ethnographischen Nachweise die Interpretation des Schweinefleisches als einer rituellen, mit der Gottheit der Erde vebundenen Speise in den von Prätorius beschriebenen Saatgebräuchen. Daraus würde folgen, dass die Balten während der Saat ähnliche Rituale ausgeübt haben wie die Völker Südeuropas: sowohl der Demeter der Griechen, der Ceres und der Tellus der Römer, als auch der Zemyna der Nachkommen von Preußen und der Litauer wurde das Schwein geopfert. Abkürzungen und Literatur BlZ - Balys, Jonas. Lietuvi^ zemdirbystés paprociai ir tikéjimai [Agrarische Bräuche und Glauben der Litauer] , in: Lietuvi^ tautosakos lobynas [Schätze der litauischen Folklore], X. Silver Spring, MD, 1986. BRMS - Balt^ religijos ir mitologijos saltiniai [Quellen der baltischen Religion und Mythologie], sudaré [Zusammenstellung von] Norbertas Vélius, Bd. 1: Von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. Vilnius, 1996, Bd. 2: Der 16. Jahrhundert. Vilnius, 2001, Bd. 3: Der 17. Jahrhundert. Vilnius, 2003, Bd. 4: Der 18. Jahrhundert. Vilnius, 2005. P - Pretorijus, Matas. Prüsijos jdomybés, arba Prüsijos regykla [Praetorius, Matthaeus. Deliciae Prussicae, oder Preussische Schaubühne], Bd. 3. Vilnius, 2006. Die erste Zahl nach der Abkürzung bezeichnet die Nummer des Buches, die zweite - die des Kapitels, die dritte - die des Paragraphs. MNM - Mh^h HapogoB Mupa / rn. peg. C.A.ToKapeB, t. I - 1980, T.II - 1982, MocKBa. Beresnevicius, Gintaras. 1990. Dausos [Das Jenseits]. Klaipéda. Bonnet, Hans. 1971. Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte. Berlin, New York. Gimbutiené, Marija. 1985. Baltai priesistoriniais laikais [Die Balten in der prehistorischer Zeit]: Etnogenezé, materialiné kultüra ir mitologija. Vilnius, 1985. Gimbutiené, Marija. 1996. Senoji Europa [Die Alte Europa]. Vilnius, 1996. Greimas, Algirdas Julius. 1990. Tautos atminties beieskant: Apie dievus ir zmones [Bei der Suche nach dem Volksgedächtnis: von Göttern und Menschen]. Vilnius-Chicago. Guillen, Jose. 1985. Vrbs Roma: Vida y costumbres de los romanos, Bd.3. Salamanca. Nilsson, Martin P. 1995. Griechische Feste von religiöser Bedeutung mit Ausschluss der attischen. Stuttgart und Leipzig. Simek, Rudolf. 1984. Lexikon der germanischen Mythologie. Stuttgart, 1984. Toporov Vladimir. 2000. Balt^ mitologijos ir ritualo tyrimai [Untersuchungen der Mythologie und des Rituals der Balten], sudaré [zusammengestellt von] Nikolai Mik-hailov. Vilnius. Wissowa, Georg. 1899. Demeter, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, unter Mitwirkung zahlreicher Fachgenossen, herausgegeben von Georg Wissowa, neue Bearbeitung. Stuttgart. ^oceB, AneKcen.1980. rpeHecKaa MM^onoma, in: MNM I . Žrtvovanje svinje v baltskem izročilu Nijolé Laurinkiené V prispevku avtorica raziskuje pojav žrtvovanja svinje ali prašiča v baltski tradiciji. Pozornost je posvečena uporabi svinjskega mesa kot obredne jedi v šegah, vezanih na setev, pri potomcih Prusov, ki so bili opisani v drugi polovici 17. stol. v Vzhodni Prusiji. Avtorica se opira na podatke litovskih etnografov 20. stol., ki pričajo o povezavi svinje z agrarnimi procesi. Analizirani setveni običaji, v katerih pogosto figurirajo deli svinje (glava, noge, rep) se lahko da razložiti kot odmev žrtve svinje zemlji in zemljo personificirajoči boginji Žemyni, ki je bila boginja žita. Raziskava je pokazala, da so potomci Prusov žrtvovali svinjo Žemyni, tako kot Grki Demetri, Rimljani pa boginjama Cereri in Tellus.