Narodna in univerzitetna knjižnica v Ljubljani ' err. flfiTOH Aškerc. STUDIE MIT OBERSETZUftGSPROBEH VOH DH; GOJJVIIR RREK liflIBflCH VERIiflO L. SCfMENTNER 1899 c^-U 96439 Dedie pav V auteup a la chepe famille Jales pattet a St. Upsanne, Jara - Suisse. In jedem Dichter steckt ein Held. Karl Bleibtreu. Der hochbegabte, leider zu friih verstorbene Hermann Conradi, ein wackerer Kampe im Streit um die moderne Litteratur auf allen Linien, hat in einer Schrift »Kaiser Wilhelm II. und die junge Ge- neration« in geistreicher Weise den Begriff einer modernen Tragik aufgestellt, die ihm der Konflikt zwischen Wollen und Sollen, der Widerspruch zwi- schen Neigung und Oberzeugung im seelischen Leben eines und desselben Individuums ist. Als Held einer solchen psychischen Einzeltragodie erscheint ihm vorziiglich jener moderne Herrscher, der sich nach weislichem Erwagen des Fur und Wider, nach langem, hartem Kampf zu demokratischen Ansichten hinge- zogen fuhlt, den aber schliesslich doch wieder die Geister seiner Vater und die Stellung als Erbe von Macht und Wurden in die Bahnen althergebrachter Herrschertraditionen zuruckrufen. Auch unser Dichter dunkt uns eine tragische Konfliktsnatur in diesem Sinne. Anton Aškerc (sein Pseudonym war Gorazd) wurde am 9. Janner 1856 zu Globoko bei Romerbad 6 in Untersteiermark geboren, besuchte das Gymnasium in Cilli und die Theologie in Marburg. Seit Absol- virung der letzteren und Ausweihung zum Priester im Jahre 1881 wirkte er in verschiedenen Orten Untersteiermarks als Kaplan und lebt derzeit als stadtischer Archivar in Laibach. Aškerc ist also Priester. Ein Angehoriger seines Standes hatte ihm seiner Zeit vorgev/orfen, er hatte sich bei Abfassung seiner gutmiithig-humoristischen, dabei aber ernste Wahr- heiten enthaltenden Satyre »Ein Blatt aus der Chronik des Zajcer Klosters« (vergleiche meine deutsche Ubersetzung im dritten Abschnitt dieser Schrift) einer Geschichtsfalschung bedient, (was ubri- gens quellenmassig widerlegt wurde) um den geist- lichen Stand an den Pranger zu stellen. Dieser Vor- wurf erinnert mich lebhaft an eine wunderliche aber wahre Geschichte aus einer grossen deutschen Abderitenstadt, wo die Behorde die Auffuhrung eines Dramas verbot, weil der Autor darin einen Offizier als schlechten Kerl gezeichnet hatte. Beide Falle sind gleich symptomatisch. Denn allwo das Volk, das Land, das Reich unter dem Zeichen einer be- stimmten Kaste steht, die mit ihren guten, aber noch mehr mit ihren konservativen, ererbten, alt- vaterischen, ruckschrittlichen und daher schadlichen Ansichten und Absichten auf die ganze geistige Entwickelung influenzirend wirkt, da muss die grosse Masse, an und fur sich ein wenig bewegliches Ding, trotz Weltgeschrei vom Zeitalter der Humanitat, der Aufklarung, der Entdeckungen, der Oberkultur und wie diese fin de si-eklen Phrasen lauten mogen, mit 7 halben Beinen in mittelalterlichen Anschauungen stecken. Jenen Einfluss ubt aber eben im deutschen Reich, vor allem in den preussischen Provinzen der Wehrstand, unter dem Slovenenvolke, in Tirol und viel anderwarts der geistliche Stand. Denn so sehr es ausser Zweifel steht, dass der Priesterkaste in vielen Landern und so auch bei uns eine sittlichende Einwirkung auf den glaubigen Theil des Volkes zu- zuschreiben ist, so gewiss ist es auch, dass sie, jeglichem Fortschritt zur Wahrheit in Litteratur und Kunst abhold, deren frischfrohliche Entwickelung, besonders aber deren gesunde realistische Entfaltung hemmt. Aber noch weit schlimmer ist es, dass ein grosser Theil unserer mitzeitigen Junger Christi vielfach gerade der richtigverstandenen Lehre ihres Herrn und Meisters, der so edlen, tief gemtithvollen Friedens- und Liebeslehre, kurz der rein naturlich- menschlichen Lehre dessen, der da sagte: Kommet zu mir alle, die ihr miihselig und beladen seid, und ich will euch erquicken, ob allzuvielem theologischem Grubeln und Kommentiren ratlos und fremd gegen- ubersteht, daher alles, was sich Socialpolitik oder ahnlich nennt, als ein modernes Hirngespinst, ein Produkt hysterischer, uberempfindlicher Schwach- linge auffasst und mit schlecht verstandenen Bibel- stellen oder starren Dogmen als unchristlich nieder- zuschmettern meint. Diesem Stande also gehort Anton Aškerc an, ein Mann, der von dem glutvollsten Streben nach Erkenntnis der Wahrheit durchdrungen ist, der in diesem Princip allen geistigen Fortschrittes auch die oberste Regel fur den Kiinstler sieht, der also 8 mit Leib und Seele der realistischen Richtung hul- digt, mithin ebenderselben Richtung, iiber welche des Dichters Collegen kopfschuttelnd ein Anathema im Munde zu fiihren pflegen. Aber noch mehr. Unser Dichter ist auch Christ im Sinne der Lehre des Er- losers. ErfUllt von Gerechtigkeitsgefuhl verficht er mit warmen Worten und heissem Herzen das Recht eben derer, so da muhselig und beladen sind, ban- digt die Herrschenden, trostet die Duldenden, hebt die Gefallenen empor, kurz sieht in der hehren Re- ligion Christi vor allem das Gebot der edlen, hilf- reichen und guten Menschlichkeit Goethes, welche den Menschen erst zum Menschen und damit zum Ebenbilde Gottes macht, und beileibe nicht den dogmenstarren, orthodoxen Fanatismus, der liber seiner Verdammungslust der christlichen Liebe und Barmherzigkeit vergisst und den Glauben an ge- wisse kleinliche Satzungen hoher halt als das Leben nach den grossen Wahrheiten Christi. Und mit dieser idealen, wahrhaft christlichen Gottes- und Nachstenliebe im flammenden Herzen, stets die Wahrheit im sieghaften Panier fiihrend steht Aškerc, ein wahrer »Marschall Vorvvarts« des Geistes, mitten im Kampf ums fortschrittliche Leben — in Talar und Stola! Fugen wir vollends noch hinzu, dass der gegenwartig besonders in Krain am Ruder befindliche radikale Klerikalismus ganz im Sinne der oben beruhrten zelotischen Heilslehre ar- beitet und jeden Gegner derselben als Ketzer ver- schimpfiret, so ist, glaube ich, die eingangs von uns aufgestellte Behauptung von der tragischen Konfliktsnatur unseresDichters zurGeniigedargethan. 9 Aškerc ist wirklich der Held einer Conradi’ schen Seelentragodie. Aber noch in anderer Beziehung scheint mir der interessanteste Dichter des modernen sloveni- schen Parnasses jenen glanzenden Namen zu ver- dienen, nemlich in Bezug auf das ausserlich zur Kenntnis kommende Product jener Seelenkampfe, in Bezug auf seine Werke. Es ist namlich beinahe paradox, dass wir mitten im specifisch eisernen Maschinenzeitalter der Fabri- kation ein verweichiichtes, schwachliches Volk von Brudern sind; wenigstens was die Kunst anlangt. Wir vertragen, von lauter klecksenden und dich- telnden Stimmungspinslern grossgezogen keine Kunst der That mehr. Die leidende, weibliche Form zieht uns hinan: das, was man gemeiniglich Lyrik be- namset. Da hat der Kunstler freilich leichtes S p i e I. Er lasst die Aussenwelt ruhig auf die empfindliche Platte seiner Seele wirken und reproducirt dann die darin entstandenen Bilder. Das kraftige M-fiviv des thatenlustigen Fleldenzeitalters und die altjung- ferliche Blumenholdelei unserer Zeit stehen einander als Typen gegeniiber. Welch grosses Wunder daher, wenn heute einer kommt, der mit einem Funken genialen Altheldenthums in der Brust so viel Kraft in sich fiihlt, als thatiger, aus sich selbst heraus- producirender, an allen Ecken und Enden schaffender, kurz als epischer Dichter in die Schranken zu treten. Wie einen »verwunschenen« Prinzen, einen wieder- belebten Barbarossa wird ihn die vielleicht neugierig staunende, im Grunde aber doch unglaubig theil- nahmslose Menge empfangen. Ja, ich mochte beinahe 10 sagen: es gehort zu diesem Kunstlerheldenthum, das heisst zur Selbstverleugnung und Ausdauer beim epischen Schaffen auch ein Stiick Helden- und Mannesmuth. Und Aškerc ist vor allem Epiker. Abgesehen von den nicht sehr zahlreichen, grosstentheils reflek- tiven lyrischen Dichtungen, die an kunstlerischem Wert vielleicht nicht an das Ubrige heranreichen durften, besteht die grosse Uberzahl der Schopfungen Aškerc’ in Balladen, Romanzen, Legenden. Damit hat fur diese im slovenischen Schriftthum, heute aber auch in Litteraturen anderer Volker wenig ge- pflegte Dichtungsgattung eine glanzende Ara be- gonnen. Wie die Folge unter anderem dartun wird, bietet der Dichter hier vielfach nicht rein Episches sondern oft Reflexionsdichtung in epischem Gewande, und tragt diese seine eigene Verkittung der beiden Kunstgattungen auch nicht wenig zu dem hervor- ragenden Interesse bei, das der Dichter erweckt und das eine intimere Bekanntmachung des deutschen Publikums mit diesem Charakterkopf begrundet er- scheinen lasst. II. Quanto piace al mondo e breve sogno! Petrarca. In zwei umfang- und inhaltsreichen Banden, den 1890 erschienenen »Balladen und Roman- zen« und den im Jahre 1896 aus der drucker- schwarzlichen Werkstatt gekommenen »L y r i s c h e n und epischen Poesien« sammelte unser Dichter seine besten Schopfungen. Der weitaus grossere Theil seiner Erstlingsdichtungen und auch ein paar andere Stucke benebst einer prosaischen Arbeit sind darin nicht enthalten. Dieselben finden sich mit Ausnahme der letzteren in der fortschrittlichen litte- rarischen Monatsrevue »Ljubljanski Zvon«, zu deren fleissigsten Mitarbeitern Aškerc von allem Anfange an zahlte, und mogen vom Dichter nicht nur des- halb in die Anthologien nicht aufgenommen worden sein, weil sie sich mit ihren Kameraden kaum zu messen vermogen, sondern noch aus tieferen Grilnden. Erstens sind dieselben durchgehend lyrischer Natur, und »ein rechter Kerl«, wie Karl Bleibtreu sagt, »belastigt die Welt uberhaupt nur mit Lyrik ne- benbei, neben seinen grosseren Arbeiten«. Dann aber sind diese Gedichte noch Lehrlingschaft, viel- 12 — leicht zum Theile Nachempfindung, kurz nicht wirklicher Aškerc, das heisst Aškerc, wie er uns nach eiserner Selbstbildung und kunstlerischer Rei- fung jetzt als ein individuell von allen vor- und mitzeitigen Dichterkopfen abgegrenzter Kunstlercha- rakter entgegentritt. Trotzdem sind wir auch diesem jugendlichen alter ego des Dichterpriesters minde- stens eine stiefmutterliche Berucksichtigung schuldig. Um das Verstandnis fur Aškerc’ Epigonenthum zu ermoglichen, moge vorausgeschickt werden, dass dem fleissigen Jiinger Apolls angefangen von dem nun schon allerwege gekannten Altmeister Prešeren bis herauf zu Gregorčič Vorbilder die schwere Menge zu Gebote standen, welchen allen aber mehr oder weniger ein weltschmerzlicher Pessimismus gemein ist. Hervorgegangen aus dem seit Jahrhunderten schwer gepriiften, in der Geschichte fast durchweg nur die Dulderrolle spielenden Slovenenvolke, ange- wiesen, im harten Kampf ums Dasein das tagliche Brot zu erringen, sind sie alle, die Prešeren, Levstik, Jenko, Cimperman, Stritar, Gregorčič, schwermuthige, melancholische Naturen, verschieden nur in der Art der Philosophie, mit der sie dem Weltelend begegnen. Der eine findet jegliches Mittel, den Schmerzen zu entfliehen oder dieselben zu lindern, fruchtlos; er ertragt sie stili und stumm und findet zeitweilige Erleichterung nur in den Thranen, die er um das nie erreichte und auch unerreichbare Lebensgluck weint. Ein zweiter steht der Welt mit stoischem Gleichmut, mit mannlichem Stolz und Trotz gegen- uber; er lacht nicht, er weint nicht, kalt bis ans Herz hinan; aber ein’ feste Burg ist ihm sein strenger 13 unerbittlicher Glaube an des verneinenden Geistes Dogma, dass »alles, was entsteht, wert ist, dass es zugrunde geht«. Ein dritter wieder sucht Trost in der Religion, die fur das Erdendulden selige Beloh- nung im Jenseits winken lasst, und tragt die trub- selige Misere des Lebens in der Hoffnung auf jenes paradisische Fortdauern der Seele im Himmel. Ein anderer wieder macht seinem leidenden Herzen in bitterer Ironie, scharfer Satyre, beissendem Spott und Sarkasmus Luft, ohne sich jedoch dem Wahne hinzugeben, es mochte das etwas fruchten. Und wieder ein funfter brullt seinen Unmut und Uber- druss in grollenden Donnerworten der Menschheit in die Ohren, fordert die Welt auf, besser, mensch- licher zu werden, aber auch er ist sich bewusst, dass wir Erdennichtse mit starkem Geist und schwa- chem Fleisch in dem All-Milieu des Niedrigen, Bosen, Schlechten nur eine Bestimmung haben: jenes mephistophelische Wort vom Zugrundegehen zu erfullen. Das alles ist erwahnenswert, vveil es erst Aškerc, allerdings dem heutigen Aškerc vorbehalten blieb, das einzig erlosende Zauberwort zu sprechen, durch welches der Mensch jene qualenden Geister los werden kann. Doch davon spater! Der jugend- liche Aškerc lebte noch unter dem Einfluss seiner Vorganger und gab sich, ohne schon um einen Aus- weg zu wissen, eben den gleichen weltschmerzlichen Gedanken und Gefuhlen hin wie diese. Horen wir ihn doch nur selbst mit seinem im Originale sehr formschonen, »Wtinsche« (»Želje«) uberschrie- benen Ghasel: 14 Wenn meines Lebens Sonne geneigt zum Sinken ist, Wo wird sie untergehn zuletzt, o dass ich’s wiisst’! Ich wollte gerne kennen das Haus und auch das Bette, Darein ich mud’, ach mude mich schlafen legen miisst’, ich vviirde gerne kennen und kiissen heiss, euch Hande, Die zu dem letzten Schlummer ihr mir die Lider schliesst. Und . . . wird ein Aug’ ganz stille mir eine Trane weinen, Wenn an dies Herz, dies heisse, sich kalter Moder frisst? Das ist das Gedicht eines fiinfundzv/anzigjahrigen Mannes. Es gibt zu denken. Um die graue Stim- mung, wie sie sich besonders in der zagen, furcht- samen Frage der Schlusszeilen auspragt, als gemacht, manierirt, lediglich nachempfunden bezeichnen zu konnen, schwebt, wie mir scheint, ob dem ganzen Gedichte eine viel zu innige, herzentstromende und herzergreifende Trauer. Ich halte diese Unlustgefuhle fur echt und glaube das Poem richtig zu verstehen, wenn ich darin auch nicht eine Špur von Senti- mentalitat sehe, welche allerdings jede kunstlerische Wirkung zerstort, das Ding selbst ins Lacherliche zieht und zu einer Persiflirung geradezu herausfor- dert. Ich finde, was ich den allerjungsten Stiirmern und Dranglern wiederholt ans Herz legen rnochte, nichts von jener widerlichen Liebaugelei mit dem Schmerz. Mogen sich die Jilngsten besonders gesagt sein lassen, dass ein rechter Mann und also auch ein rechter Dichter sein Leiden nicht pharisaisch an die grosse Glocke hangt. Wahrlich, ich sage euch, nur wer standhaft der Versuchung widersteht, durch Ach’s und Weh’s Mitleid erwecken zu wo!len, wird Mitleid erwecken; nur wer mannlich und stumm, christlich sein Kreuz tragt, wird erhohet werden. Und Aškerc tragt es so. Nur einmal in einem Herbst- 15 lied, entringt sich ihm ein stiller Seufzer, als er die traulichen Zugler, die Schvvalben, nach dem Suden wandern sieht: Ich lehne am Fenster und starre euch nach, O konnt’ ich mit euch doch entschweben! . . . So bin ich gekettet an mein Gemach, Und schwer ist’s — stili duldend zu leben! Wie alle Weltschmerzler wirft auch der jugend- liche Aškerc nach der noch ungetrubten, hoffnungs- frohen Kindheit wehmiithige Blicke zuruck. So {uhrt er uns in seinem ruhrenden Gedichte »Dah e im« (»Na domu«), einer Allegorie & la Schillers »Erwar- tung und Erfullung«, an die Statte, da seine Wiege geschaukelt. Selig begrusst er sein Vaterhaus, in welchem er, ach, so susse goldene Traume getraumt und die hochfliegendsten Zukunftsideale angebetet, nichts wissend um die Sturme draussen im Meere des Weltlebens. Ja, hier hatte er in kindlicher Ein- falt, sorg- und kummerlos im Sande gespielt; hier hatte er dann mit einem jugendheissen Herzen voli unerfullbarer Erwartungen, unausfiihrbarer Plane, unerreichbarer Strebungen seine schwindelnden Luft- schlosser gebaut; hier hatte er endlich aber auch ahnungs- und furchtlos sein Lebensschifflein be- stiegen, um hinauszurudern ins offene Meer. Wohin lotst er seine Barke? Er weiss es nicht; aber gewiss ist, dass ihm der grosse, starke, erdriickende Ocean nach und nach alle die gottlichen Hoffnungen der ersten Jugend raubt; jetzt eine, dann wieder eine, und so geht es weiter, bis der Riesenpolyp nach dem letzten Rettungsanker lustern seine Fang- arme strecken wird. Ein furchtbar trostloses Bild! 16 Was wird? Ach, ein Zerschellen in Sturm und Wetter auf hoher See oder — treibt der Arme vielleicht doch stili auf gerettetem Boot in den Hafen gleich dem Schiller’schen Greis? Eine schone Allegorie; wie man sieht, wenig originell, dafur aber voli mit dem ganzen Herzen geschrieben. Dieses Allegorisiren, das mehr liebenswurdige als bedeutende Katze- und Mausspielen wirklicher Vorgangsvorstellungen mit entsprechenden bildlichen, ist ubrigens auch eine Lieblingsmarotte der Aškerc’- schen Vordern. O das haben sie fur ihr Leben gern. Auch heute noch ist dieser Tropus Funtek, einem hochtalentirten aber zu sehr von den Alten im Schlepptau gezogenen Poeten gar sehr ans Herz ge- wachsen. Ich halte das fur eine wenn auch oft rei- zende, so doch nicht ganz unbedenkliche kleine Schwache, weil in der Kunst allzuviel denken unge- sund ist, weil der Dichter nicht zu viel a conto des Kopfes arbeiten soli, weil es uberhaupt von kultu- reller Hypertrophie zeigt und daher ungesund, un- naturlich, Sunde ist, die Dinge nur mehr durch das Prisma oft recht uberspannter Phantasien zu sehen. Aber auch Aškerc hat sich nicht der von allen Seiten auf ihn einwirkenden Versuchung entziehen konnen, fleissig und flott draufloszuvergleichen und zu vermetaphern. Allerdings findetsich daauch manch einnehmendes Opusculum, wie beispielsweise das folgende rathselnde Lyrikon »Abends« (»Zvečer«): Sieh dort ein Bluten noch und gleich Sinkt sie hinab, die Sonne; Ein Letztes Leuchten uberm Teich Und letzte Lichtesvvonne. 17 O mag sie ruhig entschwinden ganz, • Lasst uns die Augen schliessen! Von neuem werden Licht und Glanz Am Morgen uns umfliessen. Wenn uns des Lebens Abend zwingt Zum Voneinandergehen — Wer weiss, ob dann ein Morgen bringt Uns auch ein Wiedersehen? Einen hubschen, wenn auch von Petronius (Mundus universus exercet histrioniam) und Shakes¬ peare her (Ali the world’s a stage, And ali the man and women merely players) wohlbekannten Gedanken filhrt aus das Gedichtchen »A u f d e r M a s k e r ad e« (»Na maškoridi«): Hei, viele buntschillernde Masken gibt’s heut’! Wer solite die Leute erkennen, Aus anderer Sprache und anderem Kleid Die Wahrheit entrathseln konnen? Und scheinen die Masken, gepaaret zum Tanz, Nicht Mimen, die ohne zu spiiren, »Das Leben« ein Drama, so treulich, so ganz Naturlich vor’s Auge dir fiihren? Dasjenige aber, was neben der pessimistischen Weltanschauung noch vor allem anderen samtliche Vorganger unseres Dichters charakterisirt, was sie alle zu den schonsten Schopfungen begeistert und entflammt hat, ist der Patriotismus, die lautere Liebe, mit welcher sie an ihrem Volk und an ihrer Heimat hangen. Diese Liebe, an und fur sich schon ein Thema, das, seit gesungen und gesagt wird, in allen nur irgend erdenklichen Weisen variirt wurde, stand bei den Vorgangern Aškerc’ schon deshalb im Vorder- 18 grunde, weil die traurige Lage des Volkes ihnen genug Anlass gab, sich mit dessen Schicksalen zu beschaftigen und so ihrem Weltschmerz nur noch kraftigere Nahrung zuzufuhren. Was Wunder, wenn auch unser Aškerc junior sich in seinen schonsten Jugenddichtungen an sein Volk, sein theures, an- schliesst und ihm treue Liebe schwort wie in der folgenden hiibschen Allegorie, einem seiner Herbst- lieder: Sieh, fahlgelbbraun farbt sich das Laub, Der Herbstwind wird es zerstauben; Im rothbraunen Buchenvvald Wird grun noch die Fichte bleiben! Und finsterer wird es im Holz; Schon haben die Winde zerstoben Das Laubwerl< im dunklen Hain, Die Fichte nur griinet noch oben! So sind auch entblattert mir langst Die Traume der Jugend, die kuhnen: Und nur meine Liebe zu dir, O Heimat, wird immerdar grunen! Bei Behandlung dieses Stoffes aber macht sich Aškerc zuerst von den uberkommenen Traditionen los, hier zuerst ringt er sich uber seine poetischen Vorfahren hinaus, hier zuerst gibt er sich mit blossem Denken und Fiihlen, mit lethargischer Defensive nicht mehr zufrieden, hier zuerst zerstreut er ein- zelne Nebel, hinter denen er schon die Alles er- leuchtende, Alles erwarmende Sonne ahnt. So glaube ich den Dichter in seinem gewaltigen Poem »Stur- mesrufen« (»Glas vetrov«) schon nahe dem Ziele zu sehen. Der Inhalt desselben ist ungefahr folgender: 19 An der Grenze des Vaterlandes steht der Dichter, auf hohem Berg, umbraust von Winden, die liber <3ie Bliitenfluren des fremden Gebietes hinwegrasen. Diese Winde sind dem Dichter die Geister seiner Volksgenossen, die in fremder Erde liegen, und er ruft sie an: Ihr Sturmesstimmen, ernst und gross, Ihr solltet donnern auf uns los, Uns wecken, lehren vorwartsgehn, Auf dass den Feind wir stolz bestehn. Ein Suchen nach dem Losungswort liegt allermin- dest in diesen Zeilen, aber auch schon ein Ahnen des Universalmittels, das alle Schmerzen heilt oder doch wenigstens dampft und nicht so sehr zum Be- wusstsein kommen lasst. Diese und ahnliche Schopf- ungen des jungen Dichters — bilden die Uberleitung zum gewaltigen Leitmotiv der ganzen Lebenssym- phonie des Aškerc senior. Es dammert ihm bereits. Bald geht die Sonne auf! 2 * III. Das \vahre Leben liegt nicht allein ausser- halb der Zeit, als ein Leben im Gegemviirtigen, sondern ist auch ein Leben ausserhalb der Per- sonlichkeit, als ein allcn Menschen gemeinsames Leben ' Graf Leo Tolstoj. Rien n’est beau que le vrai; le vrai seul est aimable. Boileau. Ich habe den Leser vielleicht iiber Gebuhr neu- gierig gemacht auf die allein seligmachende Philo- sophie unseres Dichters. Am Ende wittert man in letzterem gar einen Zarathustra vom zwanzigsten Jahrhundert, einen modernen Umsturzweisen, der in eifelthurmlichen, noch nicht dagewesenen Para- doxen macht. Nein! In der Arbeit sieht unser Aškerc jenes Mittel, das allein die Weltschmerzen za lindern imstande ist. In regster Bethatigung, ange- strengtestem und hingebungsvollstem Schaffen sieht er die einzige Rettung vor dem Untergange, welchem das Gros der Menschheit dadurch, dass es sich in momentanen, nervenzerriittenden Freudentaumel stiirzt, zu entfliehen meint, um dann nur noch elender zu erwachen. Gewiss! In intensiver Arbeit finden wir Vergessen unserer Leiden, da eine ewig- liche Konzentration der Gedanken auf das Eine, 21 Schreckliche dadurch hintangehalten und unmoglich gemacht wird. Aber noch mehr! Ein Leben, das nur in edlen Thaten aufgeht, gewahrt doch auch gewisse Befriedigung, es ist das Einzige, was hinieden po- sitiv zahlt. Denn wir sind damit unserem Volke, unserem Lande nutzbar, und das ist ja auch der Endzweck, dem jegliche Muhe des Einzeinen gelten soli: Al le n, der Gesammtheit, Gutes zu thun, christliche Nachstenliebe zu iiben. Arbeiten, Schaffen, dadurch sein Volk weiterbringen, das beschert dem gequalten Herzen Ruhe und auch ein ganz klein wenig von dem, was wir Gliick nennen. Es ist ge- wissermassen die Arbeit der letzte Sonnenstrahl, den die Menschen einfingen und sich erhalten haben damals, als die Sonne unbegranzten, unendlichen Gluckes von der Erde Abschied nahm, als die Be- wohner des lichten, freien Paradieses zu dem fin- steren, knechtischen Erdendasein verdammt wurden. Und wie die Arbeit, das rastlose Agens jeglichen Weltfortschrittes, unseren Dichter selbst besanftigt und befriedigt, wie sie ihn selbst mit weicher Feen- hand von hinbrutender, verzweifelnder Lethargie hinweggefuhrt hat zum Handeln, wie sie ihm selbst Kraft und Mut zum Leben gibt und ihn zu gestei- gertem Thatenleben entflammt, so ermahnt er, der Handelnde, Arbeitende, Schaffende auch uns alle, die wir ihn horen, mit eiserner Willensenergie ans Werk zu gehen, unser Volk gross und frei zu machen und dadurch uns selbst zu befreien. Daher schreibt auch Dr. Lamp£, ein Kritiker und Philosoph im Priesterkleid, (aber ein gerechter, wenn auch nach katholischer Asthetik urtheilender) unserem 22 Dichter eine mehr praktische als kunstlerische Ten- denz zu: »More matter, with less art«, »Mehr In- halt, weniger Kunst«. Wenn auch diese Behauptung sicherlich das Kind mit dem Bade ausschuttet, so ist sie doch ebenso gewiss nicht aus der Luft ge- griffen. Legt doch Aškerc selbst in seinem den »Lyrischen und epischen Poesien« an die Spitze gestellten Evangelium »Meine Muse« (»Moja Muza«) seine Absichten und Ziele, sein ganzes Kiinstler-Kredo also klar: Meine Muse ist kein zartes, Feines, biasses, kleines Fraulein; Feurig, ernst, gesund und kraftig Der Spartanerin sie gleichet. Meine Muse sitzt nicht mtissig Suss im Mondenscheine traumend, Nein, sie liebt die hellen Tage Und die heissen Sonnenstrahlen. Meine Muse schluchzt nicht jammernd Voller Weltschmerz mit den Andern, Ernst nur rufet sie zu Thaten, Die allein erlosen konnen. Mit der Fackel und dem Handschar, So voran stiirmt meine Muse; Leuchtet in die finstern Keller Und bekampfet die Tyrannen, Diese Philosophie hob Aškerc aber auch mit einem energischen Ruck aus dem ganzen Denkungs- kreis seiner Jugendvorbilder heraus. Wahrend diese nur in ihren Vorstellungen, Empfindungen, Gefuhlen lebten, die Aussenwelt nur aus dem Gesichtsv/inkel ihres eigenen Ich’s, ihrer eigenen Anschauungen und 23 also beileibe nicht objectiv beobachteten, sondern vieles hineintrugen, was nicht darin war, fuhrte das Evangelium der Arbeit, fur die es im Innenleben des Menschen allein an Raum gebricht, die nach Ubung und Nutzung der Krafte in der Aussenwelt zum Wohle der Gesammtheit ringt, unseren Dichter aus sich heraus ins volle stark pulsirende Leben, in die wirkliche Welt. NVahrend jene unvermogend, den gordischen Knoten gewaltlos zu schiirzen, den Lo- sungszug aus dem Matt des Lebens zu finden, als rechte und schlechte Fatalisten die nirwanische, sich in ihr Schicksal ergebende Ruhe zum Princip er- hoben, kampft Aškerc in stetiger Entfaltung seiner Krafte fur den Fortschritt und ward, nachdem er den alleinigen thatenlosen Ideenkultus vollig aufge- geben hatte, zu dem, was er jetzt ist — ein rea¬ li s t i s c h e r Kiinstler! Was dies bei den Slovenen zu besagen hat, inson- derheit, wenn es sich um die Person eines Priesters handelt, daruber geben einem reichliche Auskunft die zahlreichen Jahrgange des in Gorz erschienenen »Rimski katolik« (»Der romische Katholik«), des literarisch-krittelnden, philoso-phistischen, phi- loso-ttislichen, beileibe aber nicht philosophischen Organs der extrem klerikalen Parthei, welches von dem einstigen Theologie-Professor Dr. Anton Mahnič herausgegeben wurde. Realist und zugleich Ange- horiger des geistlichen Standes sein, bedeutet zahl- lose Verfolgungen und Verhetzungen, unerhorte per- sonliche Angriffe und Anklagen, gegen vvelche die von den deutschen Realisten (vergl. die unterschied- lichen Jahrgange der »Gesellschaft«) so sehr gebrand- 24 markte litterarische Kampfweise ihrer »idealen« Pe- gasus-Kollegen beinahe noch leibhaftige Objectivitat ist. Allein auch hier hat Aškerc allen heimtilckischen Verdachtigungen bei seinen Vorgesetzten, allen ab- scheulichen Verunglimpfungen und Beschimpfungen, welchen seine Muse ausgesetzt ist, treu und felsen- hart bei seiner Uberzeugung bleibend als ein Mann und Held standgehalten, obwohl ein hochst bekla- genswerter trauriger Pracedenzfall, die Suspension des Priesters und Dichters Simon Gregorčič, vorlag, dessen Leier nun beinahe ganzlich verstummt ist. Hier kam eben jener herostratische Wuther und Wuhler mal nicht an eine zartfuhlende, leicht zu verletzende, empfindsame Natur, sondern an einen hurnen Siegfried, der mit dem Gram-Schwerte der Wahrheit alle die gleissnerischen Verleumdungen, Beschimpfungen, Verhohnungen mit ein paar Schlagen zu Boden streckte. Erwahnenswert sind hier die beiden gehar- nischten Allegorien »Pegasus und der Esel« (»Pžgaz in 6sel«) und »Firdusi und der Der- wisch« (»Firduzi in derviš«), Es thut mir leid, keines dieser beiden Streitgedichte dem deutschen Publikum in seiner Sprache vorfiihren zu konnen, da dieselben im neuen Gewande kaum wiederzuer- kennen waren. Insbesondere wurde der espritvolle Witz des ersteren Poems plump und wenig fein klingen und auch die famose, bis ins kleinste durch- gefuhrte Ciselirarbeit dieser ironischen Allegorie par excellence verloren gehen. Errathen wird man ja haben, wer unter dem auf den Schwingen der Wahrheit und Begeisterung in die Lichthohen sich 25 erhebenden Musenross und wer hinwieder unter dem an die dustere Erdscholle, an das triviale, nuch- terne Alltagsleben geschmiedeten Grauthier zu ver- stehen sei. Des anderen Tendenzgedichtes Inhalt sei hier kurz erwahnt: Der persische Dichter Firdusi liest den Freunden und Verehrern sein von Marchen- prinzen und Helden, von blutigen Kampfen furs Vaterland und die Freiheit singendes Epos »Schach- Namž« bei geoffnetem Fenster vor. Einer der eifrig- sten Zuhorer von der Strasse, der Dervvisch und weitbekannte Prophet Machmud, findet sein Ver- gniigen darin, stets alle Verse und Gedanken zu verdrehen und, sich wie ein Wahnsinniger gebardend, verspottet und verhohnt er den Dichter selbst. Alles fordert Firdusi auf, sich dies doch nicht gefallen zu lassen. Allein dieser ervvidert im Stillen lachelnd: »Seid ihr nicht Perser? Lehrte nicht Zarathustra: ,Erbarmet euch der Kranken'? Mich dauert der arme Derwisch sehr, denn er ist schwer krank — am Geiste! Das allzufleissige Lesen des Korans brachte ihn in Verwirrung. Sunde war’s, ihn noch mehr auf- zuregen und zu erzurnen. Geht, Bruder, holt doch kaltes Wasser und kuhlet ihm den heissen Kopt!« Es braucht kaum hinzugefugt zu werden, dass die Allegorie, des orientalischen Gev/andes entkleidet und auf unsere Verhaltnisse verpflanzt, Aškerc selbst als Dichter Firdusi, Dr. Mahnič aber als Derwisch Machmud erscheinen lasst. Im Ubrigen moge man vor einer Beurtheilung des Gedichtes selbst auf Grund dieser trockenen Inhaltsangabe gewarnt sein. Es failt uns nun zwar selbstverstandlich nicht bei, im folgenden jenem Vertreter und Verfechter 26 einer hyperze!otischen Philosophie in polemischer Form an der Hand von Argumenten klar legen zu wollen, dass wir an der Schvvelle des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr so leichtglaubig sind wie die Juden von anno dazumal, (vergl. das Horazische »Credat Iudaeus Apella«) um die Stimme des Ru- fenden in der Wuste, besser des Verwustenden von Berufe fur den wirklichen, richtigen Messias zu halten. Auch selbst fur die Historie dieser gewiss denkwur- digen, kulturhistorisch und psychologisch hochst wichtigen und interessanten Litteraturfehde ist hier kein Platz. Immerhin wird man doch mit Recht fragen, welcher Art denn eigentlich die Schopfungen des Dichters seien, die den Zorn und Ingrimm jenes (io-flv so sehr entfacht haben. Es ist mir eine besondere Freude, auf diese Frage nicht mit Bei- spielen naturalistischer Ausschreitungen auf dem Gebiete der Geschlechtsliebe antworten zu mussen. Denn das, woran die katholischen Asthetiker vor allem anderen Anstoss nehmen, was sie dem Dichter so gar nicht verzeihen konnen, ist der Mange! dogmenstrenger Ansichten, ist das nach ihrer Mei- nung zu farblose, zu wenig orthodoxe Christenthum, das Aškerc in seinen Gedichten vertritt. Nun, laure- tanische Litaneien oder ambrosianische Lobgesange sind seine Poesien allerdings nicht, und brauchen sie auch nicht zu sein. Fiat. doch der Kunstler nicht erbauliche, uberhaupt nicht praktische Ziele zu ver- folgen, da ihm seine Kunst ja Selbstzweck sein muss. Anderseits aber wieder finden wir in den Arbeiten unseres Dichters auch nicht das geringste, was sich nicht mit dem wahren, wirklich christlichen Christen- 27 thum vertruge. Eines der Gedichte beispielsweise, welches Dr. Mahnič zum Gegenstande eines beson- ders heftigen Angriffes machte, die »S 1 o v e n i s c h e Legende« (»Slovenska legenda«),*) lautet folgen- dermassen in deutscher Ubersetzung: *) Um dieses Gedicht dem Verstandnisse des deutschen Lesers naher zu riicken, moge man mir hier einige aufhel- lende Litteraturbemerkungen gestatten. Wie aus mehreren Stellen der Legende selbst klar wird, bedeutet Primus Truber (Primož Trubar, geb. im Jahre 1508 zu Rašica in Unterkrain, gest. 1586 als protestantischer Pfarrer zu Derendingen in Wiirttemberg) fur die slovenische Litteratur soviel wie Dr. Martinus Luther fur das deutsche Schriftthum. Er ist Refor¬ mator und als Obersetzer und Verfasser zahlreicher religioser Lieder, Katechismen, biblischer Schriften u. s. w. in der Sprache des Volkes zugleich auch der Begrunder der neu- slovenischen Litteratur. Was er und seine Glaubensgenossen, unter denen besonders der grosse Bibeliibersetzer Georg Dal¬ matin hervorragt, geleistet haben, wurde von den katholischen Gegenreformatoren, worunter sich wieder in erster Linie die Laibacher Bischofe Textor und Hren hervorthaien, grossten- theils unwirksam und illusorisch gemacht, indem dieselben theils selbst als Arbeiter auf dem Brachfelde der Litteratur Ubersetzungen geistlicher Lekture im katholischen Sinne schufen, theils und insbesondere aber beinahe alle protestan- tischen Werke (in den Jahren 1600 und 1601) zu Laibach und Graz den Flammen preisgaben. Der im Gedichte erwahnte Lavanter Bischof Ant. Martin Slomšek (geb. 1800, gest. 1862) war Verfasser vieler erbaulicher Volksschriften, Erzahlungen und zahlreicher Gedichte, ein von wahrhaft christlichem Geiste beseelter toleranter Geistlicher. Bekannt.durfte wohl Methodius sein als der eine der beiden Slavenapostel (der andere ist sein Bruder Cyrillus), welche zur Regierungszeit der Papste Ni kol aus 1. und Hadrian II. (in der zweiten Halfte des neunten Jahrhunderts) besonders in den Landen des mahrischen Reiches und Pan- noniens als Verbreiter des Christenthums vvirkten. 28 »Hort! Offnet!« ruft jemand dort vor’m Paradies Und klopft an die Pforte dreimale; Da nahert Sankt Peter, sanft lachelnd und siiss, Die Schlussel zur Hand, sich der Halle. »Wer bist du, Kind Gottes?« spricht jenen er an Und misst ihn vom Kopf zu den Zehen, — »»Ein armer Slovene aus Krain««, sagt der Mann, »»Ich mocht’ in den Himmel eingehen.«« »Slovene seid ihr? O gern glaub’ ich euch das. Es geht euch zu gut nicht auf Erden; Drum ist euch das Leben dort unten kein Spass, Wollt Himmelbewohner bald vverden. »Ihr findet aus jedem der Stande allhier Viel Heil’ge in hehrem Geprange, Doch euer Nationchen schickt Martyrer mir Zumeist und in stattlicher Menge. »Doch nennt mir, bevor ich euch offne die Thiir Durch welches sie alle dort kamen, — Verzeiht! ’s ist so Sitte, ich kann nicht dafur — Noch euren vielwerten Namen!« »»Man rief Primus Truber mich drunten im Land, Wohl kennt mich hier wer in den Hohen .. .«« »Schon gut!« meint Sankt Peter zum Gehen gevvandt, »Bleibt hier nur ein Weilchen! Will sehen!« Es pranget im Glanze der himmlische Saal; Ein marchenhaft Strahlengeschimmer! Sankt Peter betritt durch das hohe Portal Der Heil’gen Berathungszimmer. »Dort draussen im Vorhof ein Pilgersmann steht, — Bedaure sehr, ihn nicht zu kennen, — Er hat unterthanigst um Einlass gefleht, Und — Truber, so sol! er sich nennen.« 29 »»Wie, Truber? Ist’s moglich ? So habt ihr gesagt? Er biisset noch nicht seine Thaten ?«« Sankt Petem Herr Textor, der Bischof, gleich fragt, »»Glaubt langst in der Holl’ ihn gebraten. »»Er vvollt’ ja in unserem Land liberall Uns unsere Schaflein verfiihren, Mit seiner schier teuflischen Predigten Schrvvall Sie alle zu Teufeln erkuren.«« »O weh! der slovenische Luther ist nah!« So klagt Bischof Hren den Genossen, »Will Ruh’ er uns geben auch nicht einmal da?! Lasst gleich ihn ins Feuer mir stossen! »Er bracht’ ja ins Land eine ganze Legion Slovenischer ,heiliger Schriften'; Nicht alles, doch vieles verbrannte ich schon, Von Schriften, die Glauben vergiften.« — »»Bedenket!««, nun Slomšek zu reden anhebt, »»Und richtet doch ganz unbefangen! Seitdem Primus Truber auf Erden gelebt, Sind dreihundert Jahre vergangen! »»Von seinem Irrglauben fand keine Špur Man mehr, als ich lebte auf Erden. Ja, ich mocht’ aufs dringendste vorschlagen nur: Er soli unser Bruder hier werden. »»In unserer viellieben Zunge hat er Die ersten Bucher verfasset! Und — was er gefehlt — gewiss unser Herr Dem Reumiith’gen gerne erlasset . . .«« Ach! das war ein Streiten und Zanken darauf Dort auf den slovenischen Sitzen! Es horchten auch neugierig andre bald auf, Ergiengen sich lachend in Witzen. 30 So schmunzelt’ der heilige Augustin Und that mit Hieronymus streiten, Es wollte der Bischof Viktorin Quirinus zum Lachen verleiten. Es hanselt und spottelt der Papst Nikolaus Methodius, den er gut kennet: »Nun siehst du, mein Bruder, und horst es heraus, Was slavische Eintracht ihr nennet!« Die goldenen Engelchen fliegen ringsum, Wind fachelnd mit zartlichen Flugeln . . . Sankt Peter beim Thor steht verlegen und stumm, Bereit stets, es aufzuriegeln. »Stili!« — hort man vom leuchtenden, strahlenden Thron Gott Vater selbst endlich auch sprechen; Das solit’ die slovenische Agitation Doch einige Zeit unterbrechen. »Es war euer Truber geschmiedet bis heut’ Ans Feuer und bilsste die Siinden, Nun mog’ er mit uns in der Seligkeit Den Lohn seiner guten That finden. »Weil er euch zuerst in der eigenen Sprach’ Hat Psalmen gelehret zu singen, So wird er jetzt ewiglich, tausendfach Das ,Heilig' slovenisch mir singen!« Der Schlussel erklirrt und ehrfurchtsvoll Tritt Truber herein durchs Portale. Gott heisset ihn (vielen zum Arger wohl!) Bequem sich’s zu machen im Saale. Und gleich, sieh! Prešeren an ihn sich dort macht: »Du bist es, der einst uns als Lehrer Erweckte zum Leben aus todgleicher Nacht, Nimm mich als den ersten Verehrer!« 31 leh glaube: jeder unbefangene Leser, und moge er welcher Glaubenssekte immer angehoren, wird sich dieser von entzuckendem Humor durchleuch- teten liebenswurdigen Legende von Herzen freuen mussen. Ja, ich erkuhne mich, zu behaupten, dass sogar der strengglaubige Katholik in diesem Ge- dichte gerade seinen, d. i. den allbarmherzigen, langmuthigen, verzeihenden Gott wiedererkennen wird, von dem, wie ich wunschte, jene eifernden Herren wahrhaft christliche Nachstenliebe und Duld- samkeit lernen mogen. Die kleine satyrische Spitze, welche sich gegen die beiden Bischofe richtet, haben dieselben fur ihre rucksichtslose, um den literari- schen, ilberhaupt geistigen Fortschritt sich nicht im geringsten kummernde Vernichtungswuth reichlich verdient. Ich mag nun gar nicht erzahlen, wie hier Dr. Mahnič unserem Dichter Unkenntnis der heiligen Schrift vorwirft, wie er ihm unter Heranziehung der Stelle XVI., 16 des Evangeliums Marci haarscharf zu beweisen sucht, dass Truber zufolge seiner Ha- resie niemals ins Fegefeuer und dann in den Himmel, sondern stracks nur in die Holle hatte fahren diirfen, wie er sich dariiber argert, dass auch der Liebes- dichter Prešeren unter den Seligen erscheint u. a. m. Denn bei so viel Einseitigkeit und Naivitat, mit welcher strenge Glaubenssatze apologetisch auf schlichte, unschuldige Gedichte angewendet werden, kann man sich ja eines Lachelns mit dem besten Willen nicht erwahren. Trotzdem will ich noch mehrere der besonders angefeindeten Schopfungen Aškerc’ hier folgen lassen, nicht so sehr, um die Lacherlichkeit der Mahnič’schen 32 Kritik-Maxime darzuthun (das geschah schon mit jenem einen Beispiele, wie ich glaube, und ist iiber- dies auch nicht Gegenstand dieser Abhandlung), sondern um vielmehr die in unserem ersten Ab- schnitt aufgestellten Behauptungen bei dieser gun- stigen Gelegenheit durch Beispiele zu erharten und damit gleichzeitig die Bekanntschaft des Lesers mit dem Dichter wieder um ein etwas zu erweitern. So moge zunachst die Ballade »Das Erdbeben« (»Balada o potresu«), wegen deren letzter Strophe Dr. Mahnič unseren Dichter sogar der Blasphemie beschuldigt hat, dem deutschen Publikum nicht vor- enthalten werden: Ein Fahnengeflatter, ein Glockengelaut’! Es singt in endlosen Reihen Die Procession Litaneien, Dass Singen und Beten man horet gar weit: »Beschiitz uns, o Gott in den Hohen, Vom Beben der Erde!«, sie flehen. »Ihr Heihgen, erhort uns doch nur diesesmal, Ihr Freunde im Himmel, ihr fernen, Bewachet uns liber den Sternen! Seht! bittend und betend \vir nahen uns ali’ Ihm, der von den himmlischen Hohen Herab auf uns gnadig mog’ sehen!« »Gewiss! Der Erhorung sind wtirdig nicht wir; Erhorung verdienet alleine Die Jugend, die schuldlose reine. Fur der Jugend Gebet moget einstehen ihr: Der Vater auf himmlischen Thronen, Er moge uns gnadiglich schonen!« Ein Fahnengeflatter, ein Glockengelaut’! Es wallt in die Kirche in Reihen 33 Das Volk und singt Litaneien; Noch briinsfger als sonst ist die Andacht heut’. Man betet zu Gott in den Hohen: »Vorbei lass den Kelch an uns gehen!« Die machtige Orgel, sie rauscht vom Chor, Die Messe liest drunten der Priester, Schickt mit der Gemeine Gefliister Vereint zu Gott seine Bitten empor: »Ach, schiitze, o Herr in der Hohe, Uns Arme vor jeglichem Wehe! »Und, Kon’gin der HeiFgen, hor du uns doch, hor’! O Jungfrau, die rein du empfangen, Zu dir mog’ die Bitte gelangen! Du kunde dem Sohn unser seufzend Begehr: Der Herr moge doch sich erbarmen Des Volks, das ihn ehret, des armen!« Und lauter sie singen, die Orgel rauscht hehr. Horch’! Donnert’s? Der Boden erbebet, Die Erde schwingt, schwanket und schwebet!. . . Sieh! selbst die Madonna, sie neigt sich gar sehr .... Und matt nur zu Gott in den Hohen Erhebt sich ein halblautes Flehen! Ganz stili? — Und die Kirche? ... Die Erde, sie klafft! Aus Abgrunden ragen Ruinen . . . Ist’s stili denn und stumm auch in ihnen? O nein! denn die To d ten mit furchtbarer Kraft Sie schreien zu Gott in den Hohen: »Erhdre, o Herr, unser Flehen!« Wegen eines anderen, wie man sagt, ketzeri- schen, der katholischen Religion gefahrlichen Ge- dichtes »Der Sun d er« (»Grešnik«) hat man Aškerc, um ihn womoglich auch noch seiner Exi- stenzmittel zu berauben, bei seiner kirchlichen Ober- 3 34 behorde denunzirt und ihn beschuldigt, er habe mit dieser Dichtung eine Persiflirung der katholischen Beichte beabsichtigt. Man priife selbst unbefangenen Geistes das Gedicht: Am Ganges in einsamer Hutte Bei diisterem Fackelschein Da halten die Monche die Andacht 'Mit Buddha in frommem Verein. Mit halb nur beleuchteten Mienen Sehn \veltentriickt alle sie aus, Als seien aus anderer Welt sie Gekommen in dieses Haus. »Nun, Briider«, bricht Buddha das Schweigen, »Wer ist eines Fehls sich bewusst? Hat keiner hier mehr zu beklagen Der Seligkeit herben Verlust? »Weh dem, der da vvollte verhehlen Die Siinden aus Ehrgeiz und Scham! Denn bisher ein reuloser Siinder Ins sel’ge Nirwana nicht kam. — »Hat keiner mehr was zu gestehen ? Wir enden den heiligen Brauch ? . . .« Noch einer! . . . Der Schiller Ambattha Er beichtet nun reumuthig auch: »lch habe gesiindigt o Meister! Ich habe gesiindigt gar schwer; Wie soli ich mein Ungliick dir kiinden ? Nicht fand dazu Muth ich bisher. . .« »»Nicht fiirchte dich! Hat dich zur Siinde Verfiihrt wohl dein heisses Blut? Du sahest — nicht wahr? — allzu tief wohl Ins Aug’ einem Magdelein gut? —«« 35 »Gedacht hab’ ich, ach, euer Wurden Mit eigenem Kopte gar dreist! Es wollte verwegen ergriinden Das Rathsel des Lebens mein Geist. »Des Weltalls Grund und Bestimmung Wollt’ aufdecken voli ich und ganz; Drum dacht’ ich oft uber den Ursprung, Das Werden der Weltensubstanz. »Ich sehnte mich, endlich der Wahrheit Zu sehen ins Antlitz einmal, Und mit dem Verstand sie zu finden, Versucht ich wohl tausendmal. »Ich habe dem Flug der Gedanken Bisher keine Grenze gesetzt; Damit aber, lehr’n die Brahmanen, Hab’ schwer ich den Glauben verletzt. »Nur was in den heiligen Veden Zur Richtschnur geschrieben steht, Nicht tiefer, nicht hoher, nicht weiter Ein frommer Brahmane geht!« Es lachelt ein wenig der Meister — Das hat wohl die Beichte gemacht — Und lehrt den verzweifelnden Schuler Die Wahrheit also mit Bedacht: »Wozu hatte Brahma gegeben Dir, jedem von uns den Verstand? Gewiss hat er, dass wir ihn wiirden Gebrauchen, im voraus geahnt. »Die Fusse verlieh er zum Gehen, Die Hande zur Arbeit dir, Und mit dem Verstand solist du denken . . . Nur Gott ist’s, der denkt ausser dir! 3 * 36 »Je freier du also stets forschest, — Nun hor’s! — desto mehr vvirst du Gott, Wirst Brahma dich allmalig nahern; Dran hindert dich gar kein Verbot! »Drum denk’ wie zuvor, mein Ambattha, Und suche der Wahrheit Licht! Dass Sunde es ware, zu denken, Das glaub’ den Brahmanen nur nicht!« Riesendornen sind dem Auge des Gorzer Kri- tikers weiters jene Schopfungen Aškerc’, in welchen seiner — des Kritikers — Ansicht nach der Stand der Ordensleute verhohnt wird. Hieher gehort vor allem die »Cillier Romanze« (»Celjska romanca«), bei deren Recension Mahnič mit Worten wie »ge- mein, Schmutz, Zotte, Ekel, Nihilismus, Polizei« nur so herumvvirft. Der Inhalt dieses in Stoff und Sprache gleich humorvollen, dabei eine demokratische Ten- denz nicht verleugnenden Gedichtes ist folgender: Graf Ulrich von Ciili reitet als Monch verkleidet in mondbeglanzter Nacht aus dem Schloss, um ein Madchen aus dem Dorfe Tiichern zu besuchen. Da ertappen ihn die Dorfburschen auf dem Wege dahin: »Weit iiber’s Land hinaus ist die Schonheit unserer Madchen bekannt und beruhmt; was Wunder, wenn schliessiich auch ihr, Herr Graf, euch in deren Netze gefangen habt. Aber leider kann bei dem Stande der Dinge nichts daraus werden. Denn unsere Madchen bekamen rotes Blut mit auf die Welt, in euern. Adern aber rollt blaues! Allein weil ihr ein mach- tiger Herr seid, konnt ihr auch dieses Hindernis be- seitigen, indem ihr mit uns zum Schultheissen kommt und die Schrift unterzeichnet, die dieser schon bereit. -T) ^ 37 halt.« Graf Ulrich, dem angesichts der Eisenfauste der slovenischen Bauernburschen angst und bange wird, muss sich darein finden und unterschreibt die Urkunde, welche die Bauern von Tiichern in den Adelsstand erhebt. Im Wappen mogen sie zwei sil- berne Sterne fuhren zum Andenken an die schonen Augensterne Margarethens, der sie den Adel danken- So sind die Tticherer, die schlauen Helden, noch heutzutage Edelleute. Aus demselben Grunde, wie die »Cillier Ro- manze« wird auch das schon eingangs erwahnte »Blatt aus der Chronik des Zajcer K1 o - sters« (»List iz kronike Zajčke«) von Mahnič als das Opus eines Rapisardi’schen idealista della por- cheria in den Staub gezogen. Die Ubersetzung*) lautet: Ruhmbekranzter, grosser heil’ger Bruno, Der Kartauser-Monche hehrer Vater! Der im wilden Thale uns geboren, *) Diese Ubertragung ist vorher erschienen in Gregor Kr e k’s (Vaters) »Slavischer Anthologie« (J. G. Cotta- sche Buchhandlung Nachf.). Die anderen in dieser Ab- handlung gebrachten sowohl inhalts- als auch formgetreuen Obersetzungen vverden, wo nichts weiter e r w a h n t, hier zum erstenmale veroffent- licht und ruhren mit ein paar besonders ver- merkten Ausnahmen vom Verfasser dieser Studie selbst her. Die Originale dazu sind tast a u s - nahmsios in den zwei obenerwahnten Gedicht- sammlungen »Balade in romance« (»Balladen und Romanzen«) und »Lirske in epske poezije« (»Lyrische und epische Poesien«) enthalten, welche Werke in den Jahren 1890, beziehungs- eise 1896 im Verlage von Ig. v. Kleinmayr und e d. Bamberg in Laibach erschienen sind. 38 Ferne in dem Thale der Kartause; Der du hier auch uber uns den Mantel Breitest, die wir hier in Zajc versammelt; Ach vergib, o Vater, ach, vergib mir, Dass dein Sohn, der alte Mariophil — Deines Klosters einstger Uberwacher, Jetzt unwurd’ger Prior dieses Hauses — Heute hier in diese Chronik schreiben Und dem Pergament muss einverleiben Eine Kunde, die dich wird betriiben. Dreissig lange Jahre flossen seither In die Ewigkeit, ja, dreissig Jahre! ’s war ein warmer, prachtiger Tag im Herbste, Als ich hergepilgert kam vors Kloster, Barhaupt kam vor unser Zajcer Kloster. Mit der Rechten stiitzt’ ich auf den Štab mich, Und den Rosenkranz hielt meine Linke. Dicht vor unsrer Kirche blieb ich stehen. Dann betrat ich sie, andachtig betend. Durch die hohen gofschen Bogenfenster Fluteten die hellen Sonnenstrahlen. Sieh! Das Gotteshaus ist leer, verlassen! Nun ins Refektorium! Es werden Dort die Bruder sein. Denn angelweit ist Da die Thtir geoffnet; alle Tische Schwanken von der Last des Mahles; doch auch Hier im Saal ist keine einz’ge Seele! Durch die langen Gange schreit’ ich einsam — Leer ist jede Zelle, alles stille, Hore laut nur meine Schritte hallen, Wunderlich echoend im Gemauer! Ernste Mienen uberrasch’ ich, die auf Mich verwundert von den Wanden schauen: Bilder langst entschlafener Prioren, Bilder der VVohlthater dieses Klosters. Leises Grauen schleicht mir durch die Seele. Weiss selbst nicht, wie lang herum ich irrte: Halt! zu ebner Erde, dort im finstern 39 Korridor ist angelehnt die Thiire, Hinter der ich Larm und Worte hore! Auf den Zehenspitzen schleich’ ich hin mich, Horche, horche — das klingt eigenthumlich! Stil! wird’s, hor’, man singt mit hoher Stimme »Verschiedner Orte, Zeiten Gibt’s Bucher bei uns hier, Doch ich lob’ unter allen Den Band Gedichte mir. »Was sind Horaz und Pindar, Was Sappho und Ovid! Nur dies mein Buch hat hoh’ren Poetischen Esprit. »Wenn siiss mich dessen Inhalt Empor zum Himmel hebt, Dann fiihl’ ich, wie auch mein Geist In Dichterspharen schwebt!« . . . Ei, die Vater in der — Bibliothek hier?! Von Gelehrten dieses Klosters hort’ ich . . . Also wirklich! . . • Horch, ein zvveiter Bruderl »Mein Lieblingsfoliant ist der alte! Aus ihm ich mich gerne belehr’; Die Zeit hat die Jahrzahl zernaget, Den Drucker, den kennt man nicht mehr. »Wenn ich diese tiefen Ideen Durchdenke bis spat in die Nacht, Entschleiert Natur ihre Wunder, Dass gleich sie zum Weisen mich macht!« Ernst stimmt jetzt ein tiefer Bass sein Lied an, Dass der Saal gewaltig drohnt vom Echo Und die Mauern ober uns erzittern: 40 »Die Wahrheit hab’ lange umsonst ich gesucht, Unzahlige Schriften durchwiihlet; Erst die ser Folianten gewaltige Flucht Hat gleich meinen Durst mir gestillet!« Doch da hor’ ich lautes Glaserklirren! Offne ganz die Thiir, tret’ ein und griisse: »Mementote mori!«... Welch ein Keller! Kuhi empfangen mich die weiten Raume. In der Mitte der gewalt’gen Fasser Aber sitzen die Kartauser-Patres, Rings um einen Eichentisch gelagert; Jedem schaumt ein Becher voli in Handen . . . »Theure Briider! Dominus vobiscum! Eure Bibliothek ist also das hier?! — Streng nach dem Befehl von der Kartause Kam zu euch der Bruder Mariophil, Dass er euer Zajcer Kloster sehe Und den Fortschritt in den Wissenschaften, Die aus dieser Bibliothek euch fliessen . . .« Schweren Herzens schrieb ich diese Zeilen, Schrieb auch die Begebenheit ich nieder. Du Erloser hier auf meinem Pulte, An der Wand du, Mater dolorosa! Ihr seid Zeugen mir, dass schwer ich heute, Ungern meine Gansefeder fiihrte. Doch der stind’ge Monch Mariophil, der im Schreiben dieses grossen Buchs ergraut ist, Dieser Chronik unsres Zajcer Klosters, Ach, er konnte und er durft’ nicht anders! Treu soli der Chronist stets nur berichten Wahrheit, lautre Wahrheit soli er schreiben. Niemals blick’ nach rechts er, nicht zur Linken, Frage nicht darnach, was Zeitgenossen, Nicht darnach, was Spatere noch sagen! — Und so wirst du’s wohl nicht ubelnehmen, 41 Dass dein Sohn Mariophii in der Chronik Die Begebenheit hat aufgeschrieben, Die im schonen Zajc sich zugetragen, Als der Jahre tausend und fiinfhundert Vierundsechzig man nach Christus zahlte — Sicher wirst in deiner Herrlichkeit du Mir vergeben, Vater Bruno! Amen. Eine dritte nicht allzustark vertretene Gruppe der von der katholischen Kritikastergilde verponten Stoffe endlich enthalt Schopfungen, welche von der grossen Masse (leider auch vom Gros des im iand- laufigen Sinne gebildeten Publikums) gemeiniglich mit dem viel missbrauchten Schlagwort »Realistisch« verdammt zu werden pflegen. Man gestatte mir auch hier noch wenigstens folgende wenige Inhaltsangaben. »Die Hochzeit in Log« (»Svatba v Logčh«): Unter den dem Brautpaare zu Theil werdenden kost- lichen Geschenken findet sich auch ein niedliches Korbchen, das der Muller Mohorko im Auftrage seines Ziehtochterleins Julika dem Brautigam dar- reicht und in welchem — sieh nur das Wunder! — ein ailerliebstes Engiein schlaft. Ganz Ebenbild des Brautigams! Zu erwahnen ist hier ferner die »See- ballade« (»Balada o jezeru«) mit einem der Idee des bekannten Kaulbach’schen Gemaldes »Die Lebens- miiden« ahnlichen Vorwurf. In anderem Zusammen- hang wird noch des ergreifenden Gedichts »Die drei Voglein« (»Tri ptice«) gedacht werden. Nicht zu vergessen ware hier auch »Beim Todten- m a h l« (»Na sedmini«), eine Therese-Raquin-Ballade, welche wie der gedachte Zola’sche Roman mit der hier ebenso meisterlich durchgefiihrten Zwangsvor- stellungs-Psychologie operirt. 42 Diese und alle die sonstigen, zum Theil noch andervvarts heranzuziehenden Dichtungen Aškerc' behandeln ihre an und tur sich etwas heiklen Stoffe mit ihres gleichen suchender Discretion und Fein- fuhligkeit, bekunden aber dabei eine geradezu ele- mentare Kraft in der Kunst, dem Leser gewisse Stimmungen einzuflossen oder bereits vorhandene zu erwarmen und zu sattigen, die mich bei der Lekture oft und oft unwillkurlich der stimmungs- und gedankentiefen Farbenkunst Bocklins gedenken lies. Nebenbei bemerkt schuf Aškerc ein Gedicht, »Die Sense« (»K6sa«), welches der gleichen Ein- gebung entsprungen sein mag wie des Schweizer Malers geistreiches »Selbstportrait«: Horch, es dengelt seine Sense Jemand irgendwo im Ort; Durch die Damm’rung jeder Schlag sich Schneidig scharf ins Ohr mir bohrt. Morgen triih wird durch die Sense Fallen reihenweis’ das Gras, Mit dem Grase manches Blumlein Senken ’s Kopfchen, thauig nass. Lauschend diesen Hammerschlagen Ahn’ ich, was, weiss Gott allein: Dass der Tod die Sense scharfe, Mich zu streichen aus dem Sein.*) Zur Beschreibung des zeitlichen und ortlichen Milieus und zur Bezeichnung der fortschreitenden Handlung genugen Aškerc oft wenige Worte wie iiberhaupt *) Diese Ubersetzung erschien in den »Stimmen aus Bosnien« 1898, Nr. 4 und ist unterzeichnet mit F. S. (offenbar Franz Selak). 43 fast sammtliche Schopfungen neben der vornehmen Sprache dramatische Kurze des Ausdrucks aus- zeichnet. Man vergleiche beispielsweise die Schluss- scene der Ballade »Der Fahrmann«*) (»Brodnik«): Mit donnerndem Drohnen durchs Thor Gigantischer Felsen hervor Walzt Sava die langsamen Wogen. Ein Nachen wiegt schaukelnd sich dort, Der einsame Fischer am Bord Hat drinnen der Ruhe gepflogen. »Hoi, Alter, die Ruder zur Hand, Setz’ rasch uns hinilber ans Land Hier liber der Save Gewasser! Hor’: funkelndes tiirkisches Gold Sei, ruderst du uns, dein Sold, Wenn nicht — talit dein Kopt durch das Messer!« »Noch schvveigen der Wald und das Feld, Dort driiben im christlichen Zelt Ruhn sicher noch alle die Recken; Gehiillt in den Mantel der Nacht Sind her wir gesendet, ganz sacht Des Feindes Versteck zu entdecken.« »Behaltet doch nur euer Gold, Wusst’ nicht, was es niitzen mir solit’, Umsonst ja schiff’ ich hiniiber! Auch habt ihr das Kopfen nicht not, Denn statt zu erleiden den Tod, Willfahr’ ich euch tausendmal lieber!« Schon schiesst vom Ufer der Kahn, Er tragt der Spione drei Mann; Der Fahrmann regieret den Nachen *) Diese Ubersetzung brachte ich zuerst in der oben citirten »Slavischen Anthologie«. Spater erschien dieselbe in der Wiener »Osterreich-Ungarischen Revue« XXIII. Band. 44 Im Auge den Strudel, der wild Gar gern mit den Schiffen erst spielt, Dann gierig sie reisst in plen Rachen. »Ja wahrlich, ein Schiffer ihr seid, Wie keinen man weit und breit Wohl finden mag hier in der Runde! Gelingfs uns, welch herrlichen Lohn Hat der Hauptmann versprochen uns schon Fur eine erfreuliche Kunde!« »Zur Steli’!« ruft den dreien der Mann Laut zu — es erzittert der Kahn — »Hier euer und mein Lohn! ’s ist besser!« »Zum Teufel du Djaur!« — Ein Schrei, Ein Schwanken der We!len dabei Und stille ist’s uberm Gewasser! Die in Ubersetzung mitgetheilten, mit Ausnahme des »Fahrmann« von Mahnič mit besonderem Fana- tismus verfolgten und mit oft lacherlichen Argu- menten verurtheilten Stucke sowie die wenigen aus dem »Romischen Katholiken« eingestreuten Citate insonderheit werden nun auch den ansonst unein- geweihten Leser zweifellos davon uberzeugt haben, dass man den sonderbaren Einvvendungen und fana- tischen Beschuldigungen der genannten Zeitschrift unmoglich Wert und Bedeutung einer ernsten, ge- sunden Kritik beilegen kann. Die grossere Ausfuhr- lichkeit dieses Exkurses aber wurde besonders noth- wendig bedingt durch die nachhaltige Einwirkung, welche die Mahnič’schen »Machenschaften« auf Aškerc und dessen Charakterentwickelung ausubten. Denn es vvurden zwar die Ansichten des Theologie- Professors uber Aškerc nur von einer geringen Zahl unselbstandiger Nachbeter, grosstentheils aus der 45 Cohorte seiner Standesgenossen, und selbst hier nicht von allen gebilligt u»d getheilt. Hat ja doch Aškerc’ Muse beileibe nichts mit ali dem Jammer- geschrei uber die »unsittliche Moderne« zu thun, sondern kommt, wie aus den Beispielen ersichtlich, viel eher dem gemassigten russischen Realismus nahe, der nur in der Wahrheit, aber nicht in jeder Wahrheit das Schone sucht und findet. Noch viel weniger konnte es naturiich den Mahničianern ge- lingen, den Dichter selbst einzuschuchtern oder gar in ihr Lager zu locken. Allein alle die auf Aškerc einsturmenden Arifeindungen brachten doch nicht nur eine ganzliche Abgeschlossenheit seiner Person von den Kollegen, sondern auch eine sonstige allge- meine Vereinsamung des Dichters mit sich; und wohl nur einem an und fiir sich so standfesten,. selbstandigen und mannlichen Charakter mochte es gelingen, dieses Unlustgefuhl des Mutterseelenalleine- stehens in der Welt glticklich zu iiberwinden. Man vergleiche hierilber das folgende Gedicht »Das ewige Licht« (»Večna luč«): Auf weite Eb’nen blinkt hinaus Gar einsam ein klein Gotteshaus. Ein goldenes Lichtlein flackert sacht In der Kapelle Tag und Nacht. Mag auch weit uber die Halde gehn Ein Regenschauer mit Sturmeswehn; Er loscht mit allem Saus und Braus Dies ruhige Lžimpchen nimmer aus . . . Steh ich nicht auch, ein Kirchelein, Im Leben einsam und allein? . . . Was macht sich drin mein Herz daraus, Wenn’s wettert um das Gotteshaus? 46 Aškerc ward ein Einsamer. Und dieser Umstand er- klart manchen Wermutstropfen, der dem Nektar seiner Poesien beigemischt ist; er erklart aber auch die starre trutzige Felsenfestigkeit der Oberzeugung, welche sich bei einer nun einmal so ungev/onlich ausgebildeten, selbstbewussten Individualitat als na- tiirliche Folge unbedingt einstellen musste. Nur diese Individualitat hat ubrigens Aškerc dem slove- nischen Volke gerettet. Und nun, zum Schlusse der hier gebotenen sparlichen Bemerkungen in Sachen des Aškerc’schen Realismus, noch folgendes: Wie schon fluchtig be- riihrt, zahlt unser Dichter durchaus nicht zu den extremen Vertretern jener Kunstrichtung. Gegenstand kiinstlerischer Verarbeitung ist ihm vielmehr zwar nur das Wahre, aber das Hassliche auch nur inso- weit, als es nothwendig ist zur Erreichung des be- zweckten kunstlerischen Eindrucks. An realistischer Detailmalerei findet Aškerc kein Vergnugen, ebenso- wenig an Modellarbeit. Umsomehr ist ihm fremd, was man wissenschaftliche Methode (besonders der Naturalisten) nennt. Die perspectivische Verkurzung ist es, von der Aškerc ungewohnlich starken Ge- brauch macht. Im Vordergrund steht das Allgemeine, Einzelheiten deutet nur der Hintergrund mit der moglichsten Beschrankung an. Beinahe uberall aber belebt ein grosser, freier, schoner Gedanke die Wirklichkeit der Aškerc’schen Dichtung, welch letz- tere formell, in der Sprache, iiberhaupt nichts Rea- listisches an sich tragt. Dass es sich bei Vervvirk- lichung des Wahrheitsprincipes in der Kunst auch nur um Verfolgung eines Ideales, aber eines anderen 47 als das der Idealisten handelt, dass somit jeder Realist in diesem Sinne Idealist ist, hat Aškerc seinen Gegnern in dem Tendenzgedichte »Die Statue des Herkules« (»Herkulov kip«) mit etwas sophistischer, im heutigen Sinne des Wortes sophistischer Logik nachgev/iesen, womit es ihm m. E. nicht gelungen ist, Klarheit in diese hochst verworrenen Kunstbegriffe zu bringen. IV. Ich bin ein sch\vertgegiirteter Vorkiimpfer in der Schlacht, Ich bin ein zartbemyrtheter Spielmann auf stiller Wacht. Protzt die Verlogenheit, Bin ich zum Hieb bereit; Licb’ ich ein siisses Kind, Wind’ ich ein Angebind. Kein Wahn von himmlisch blinkender Unsterblichkeit mich narrt, Ich bin ein zukunftwinkender Poet der Gegenvvart. Karl Henckell. Es ist, glaube ich, keine Zufalligkeit, dass die gesunde Wirkiichkeitsrichtung, das allgemeine Streben nach Wahrheit, das sich nicht bios in den Werken der Kunst, sondern in allen Schopfungen des Geistes offenbart, eine Begleiterscheinung socialpolitischer Bestrebungen ist. Denn was heisst Realist sein an- deres als ein helles Auge haben fur das, was ist? Solite diesem scharfen Beobachtungssinn die bittere Nothlage und athemnothige Geistesatmosphare ent- gehen, in denen die Plebs und ganz besonders das. Grossstadt-Proletariat schmachtet? Gewiss nicht! Ebenso naturgemass scheint es dann auch zu sein,. wenn die Wahrnehmung und die sich daran schliess- ende Erkenntnis des Elends nun auch das Streben 49 wachruft, jene Enterbten des Gliicks physisch und psychisch zu heben, und das ist eben Socialpolitik. Wie nun die ganze Kulturwelt in ihrem Ringen nach Klarung und Erkenntnis durch den Realismus gleichsam eine einzige grosse allgemeine Rettungs- gesellschaft zu werden im Begriffe steht, so voll- zieht sich ein ahnlicher Process auch im Mikro- kosmos, in der lVliniatur-We!t des Individuums. Auf diese Weise scheint mir auch unser Dichter, nach- dem er einmal zur Fahne des Realismus geschworen hatte, ein Dichter der Armen und Hilflosen, ein s o c i a 1 i s t i s c h e r Dichter geworden zu sein. Socialistisch! Es thut mir immer leid, wenn ich mich bei Beschaftigung mit der Kunst wissenschaft- licher Begriffe bedienen muss. Es ist, wie wenn man der Rose ihren thaufrischen Reif, dem bunten Falter seinen wonnefarbigen Schmelz nehme. Und tiber- haupt Begriffe! Man sieht ihnen gewissermassen die schwere Geburt, die intensive Gedankenarbeit an. Wie sollen zu herzensheissem Fabuliren die zarten Seelen-Saiten mitschv/ingen und mitklingen und mit- singen, wenn der rauhe Brummbass des Katheder- tons ali die Glutenharmonien mit seiner kalten, harten, bebrillten Weisheit niederwuchtet? Ich mochte daher nicht mit dem schweren Geschiitz wissenschaftlicher Untersuchung, mit dem Seciermesser des Denkens diesen dichterischen Schopfungen Aškerc’ nahen, sondern vielmehr so thun, als wilsste ich gar nichts von politischer Oko- nomie, und nur mit offenem Herzen und warmen Gefuhlen wi 11 ich das empfangen, was mir der Dichter gibt. Aber auch den Dichter will ich nicht 4 50 griibeln sehen uber der socialen Frage. Auch er soli mir nur ein offenes Auge haben fiir das gramge- beugte Schwanken und Schleichen seiner ihm be- gegnenden Mitmenschen, auch er soli nur fiihlen mit ali dem Leid und Jammer, der zum Himmel und zu den himmlisch Lebenden auf Erden schreit, und in den steinernen Herzen derer Mitleiden wecken, welche sei es selbst ihre Nachsten nicht aufrecht gehen lassen, sei es berufen sind, mit der That Hilfe zu bringen. Wie alles einmal besser werden kann, ergrunde nach reiflichem D e n k e n und Wagen die Wissenschaft, die Wissen schafft. Aus dem Gesichtspunkte des Empfindens ohne Gehirnarbeit (letzteres natiirlich nicht medicinisch zu nehmen) die sociale Frage beobachtend, scheint mir nichts schoner zu sein, als die altersgrauen, greisesmilden, schmerzlindernden Worte des Erlosers auf mich wirken zu lassen. Haben wir da nicht das edle mitleidende Fiihlen eines gottmenschlichen Her- zens, haben wir da nicht Socialismus - Poesie ? In diesem Sinne stelle ich mir Aškerc als einen wahren, echten und rechten, seinen Meister lobenden Jiinger Christi vor. Und jemehr ich mich in dieses milde, die Seele balsamisch glattende und beruhigende Bild hineinlebe, jemehr ich den Dichter-Priester als Hei- land, als Arzt und Krankenwarter den muhselig Be- ladenen die feine, milde, gottliche Hand auflegen sehe und Friedensvvorte iiber seine edlen Lippen fliessen hore, desto lieber und dem Herzen niiher wird mir sein Schaffen und ich merke gar nicht, dass in meiner Vorstellung nicht mehr der Dichter lebt, sondern sein Ideal — Christus, der Heiland 51 selbst! Gott sei’s geklagt: Menschen konnen nicht so sein und auch Aškerc ist nicht so. Haben wir ihn nicht in seiner »Muse« als Fackel und Hand- schar tragenden Sturmer und Dranger, als schwert- gegurteten Kampfer gegen die Tyrannen ins Treffen hinausziehen gesehen ? Seid — umschlungen — Mil- lionen -— Liebe ist ein Ausnahmszustand der Seele, in dem wir nur in Augenblicken iiberschwanglichster, beinahe ubermenschlicher, explosiver Lust-Gefiihle und — Empfindungen schwelgen. Ja, und selbst da: wir lieben alle, gewiss; aber auch jeden einzelnen unter ihnen? Diese Liebe ist keine Nachstenliebe, sondern eine Liebe zu dem, was ist, ein Naturge- fuhlsrausch. Alle und jeden umfassende Nachsten¬ liebe aber ist nicht menschlich, sondern eben gottlich. Aber trotzdem ich weiss, dass es nicht menschlich und daher nicht moglich ist, dass der Dichter so ware, wie ich mir ihn im Traumen malte, stort mich diese seine menschliche Beschranktheit. O, wie hatte ich ihn gerne vollkommen, gottlich gesehen ■— ein gottlicher SangerH Hort ihr’s, wie das klingt? Nun so ist Aškerc eine starke menschliche Natur, stark in der Liebe zu den Unterdruckten, stark aber auch im — Hass gegen die Unterdrucker! Und auch die Starke im Hass miissen wir achten, wenn wir sie auch nicht lieben konnen. Nehmen wir unseren Dichter also zunachst von dieser Seite! Fur mein personlich Theil gibt mir, wie schon oben angedeutet, Aškerc hier ziemlich wenig. Er wird in diesen Schopfungen eintonig, (Andere werden es vielleicht »unermudlich« nennen) wenn 4 * 52 er auch vielfarbig bleibt. Wir begegnen da bei- nahe uberall einem und demselben Gedanken, aller- dings proteusgleich in den mannigfaltigsten Varia- tionen, gekleidet in Historien und Legenden der verschiedensten (meist aber alter) Zeiten und Volker, dem e i n e nGedanken nemlich,dass die Volksobersten, die Tyrannen, wie Aškerc sie meist nennt, nicht nur die geborenen Tagediebe, sondern die unbarm- herzigsten Rauber der Freiheit, die grausamsten Wutheriche und Uberteufel sind, welche sich gleich- sam im Blute der unteren Massen des Volkes walzen, um ihren ausgesuchten Wollusten zu frohnen. In vielen dieser Dichtungen geht Aškerc uber das Mass des Realismus hinaus, oder besser gesagt: er wird Idealist auf der negativen Seite, so dass seine Herr- scher-Gestalten an die dem Kontrast dienenden beel- zebubischen, sogenannten »schlechten Charaktere« alterer Schuldramen erinnern, in denen sich nur Engel und Teufel herumtummeln; gleichsam Him- mel und Flolle in die Erde zusammengeruckt. Da suchst du vergeblich nach Seelen fur’s Fegefeuer. So konnen auch die Aškerc’schen Regenten nicht schandlicher gedacht werden, sie entbehren auch der vvinzigsten Tugend, tragen dagegen alie nur irgend erdenklichen Laster zur Schau, wahrend die Bedruckten lauter gottliche Dulder sind, ausgestattet mit eitel goldenen Heiligen- und Glorienscheinen. So modern der Stoff scheint, so unmodern ist die Behandlung desselben. Ich weiss wohl, was man mir einwenden wird: Du kennst die Geschichte nicht! Oder hast du nie von Nero, Kaligula, Domitian und vielen anderen 53 gelesen? Gemach! Was wir von diesen Herrschern wissen, stammt aus der Feder alter Geschichts- schreiber. Diese waren von unschuldig naiver, mehr kindlicher Gemuthsart, grosstentheils einseitig und beileibe nicht objectiv. Sie giengen von einer Idee aus z. B.: Nero, der Grausame. Und dann spann die Phantasie mit Hilfe des Horensagens um diese Idee ein reiches Netz von Anekdoten: Dichtung und Wahr- heit bunt durcheinander. Viele Historiker der alten Zeit machen mir daher nicht sosehr den Eindruck streng objectiver Gelehrter als vielmehr den von Kunstlern, Poeten, Romanschriftstellern *) u. dgl. Aber auch die neueren Geschichtsforscher und — Gelehrten! Was thaten sie? Was alle Gelehrten vor Darwin und Comte thaten : auch sie giengen von einer (religiosen, nationalen, socialen etc.) Idee aus. Dann wurde dieser Idee zuliebe in den »Quellen«, eben in jenen historischen Romanen, gesucht, gefunden, und was etwa nicht darinnen war, mit viel Aufwand von Geist hineininterpretirt, bis man eine gehorige Anžah! Belegstellen beisammen hatte, und die Wissen- schaft war fertig — grob gesprochen naturlich. Dass *) Deshalb muthen mich auch — in parenthesi gesagt — die gewiss recht ehrlichen Bemiihungen der Germanisten, Rechtshistoriker und Alterthumsforscher, an der Hand klug und weise interpretirter Ausdrucksweisen, Wort- und Satz- stellungen u. s. w. die Zustande der alten Germanen etc. genau und sicher zum Leben wiedererwecken zu vvollen, ge- radeso sonderbar an, wie wenn sich jemand im 20 + xten Jahrhundert an die Marlitfschen Romane machen wiirde wollen, um daraus das zarte, minnigliche Magdulein des 19. Jahrhunderts zu »reconstruiren«. Aus Zola, ja, und manchen anderen Neueren, da liesse sich vielleicht schon etwas machen. 54 ein schlauer Kopf geradeso viele oder vielleicht mehr Bev/eise fur die entgegengesetzte Ansicht hatte auffinden konnen, daran dachten wenige. Fur die wahre Wissenschaft konnen diese Werke ebensowenig ausschliessiiche Quelle sein, wie fur die wahre Kunst. Die Kunst hat uber- haupt nur eine verlassliche' Quelle: D as Men- schenherz! Dieses studire der Dichter, dieses suche er zu ergriinden und er wird zweifellos gewahr werden, dass es solche Herrscher, solche Menschen nicht geben kann, und dass sie daher auch nicht Gegenstand r eal i s t i s c h e r Kunst sein durfen. Nun ja, wird man sagen, die Ubertreibung auch zugegeben; diese uberlebensgrosse Scheusslichkeit einerseits und der ubermenschliche Seelenadel ander- seits, sie dienen ja doch dem Kunstler zur Erreichung seines Zweckes, seiner Tendenz. Weit gefehlt! Mit dem Moment, wo der Kunstler wahr zu sein auf- hort, verliert er auch Glauben und Kredit. Und dann Tendenz! Verstehe ich darunter den praktischen Zweck, den der Dfchter erreichen wi 11, dann frage ich mich vergeblich: we!ches Ziel hatte Aškerc im Auge? Vielleicht die Anvvendung auf unsereTage? Das ist, wie ich meine, die einzige Moglichkeit; und doch wird auf diesen Bahnen dem Dichter schwerlich jemand folgen wollen, er sei denn utopistischer So¬ cialist. Unsere modernen Herrscher sind gewiss am allerv/enigsten Aškerc’sche Tyrannen. Zu dieser Beobachtung brauchen wir nicht in die Ferne zu schweifen, denn das Gute liegt wahrlich nahe genug. Haben wir Osterreicher an unserem erlauchten Mo- narchen, an unserem alllieben Kaiser doch das 55 schonste Beispiel eines von wahrhaft christlichem Geiste beseelten, humanen, socialpolitisch denkenden Regenten. Oder gebraucht der Dichter vielleicht partem pro toto. Herrscher fur die Besitzenden uber- haupt? Wiirden dann diese besonderen Praemissen einen logischen Schluss auf das Allgemeine ver- statten? Kurz, es bleibt mir im Unklaren, was der Dichter mit diesen Schopfungen eigentlich will. Wagt er es nicht, sich sein Zukunftsbild voli auszumalen ? Oder ist er vielleicht mit sich selbst noch nicht im Reinen? Ich glaube das Letztere und mochte (wie ich meine, nicht ohne Grund) vermuthen, dass hier der Punkt sei, wo eine weitere Entwickelung Aškerc’ einsetzen wird zur vdlligen Klarung seiner diesbe- zuglichen Ansichten. Man verzeihe mir den Eifer, mit welchem ich mich in dieses ziemlich belanglose Thema hinein- geredet habe, zumal ich ja trotzalledem auf den Odipus warten muss, der mir diese Rathsel lost. Etwas anderes steht aber objectiv sicher und muss erwahnt werden. Aškerc ist namlich auf diesem Ge- biete, soweit es sich um den Stoff handelt, nur selten originell, meist Epigone, Nachempfinder, was zu beweisen nicht schwer fallen wiirde.*) *) Was slavische Dichter anlangt, denke man nur an den jiingst verstorbenen Adam Asnyk, an die stimmungstiefe polnische Poetin Marya Konopnicka. Der deutsche Leser mache sich mit den ausgezeichneten Verdeutschungen dieser Dichtungen aus der Feder des trefflichen Dichters und nun- mehrigen Brilsseler Professors Ladislaus Gumplowicz ver- traut. Einige vvenige Proben, so das ergreifende Gedicht »Und als der Konig zogins Feld« in Gumplowicz’ vollendeter Nach- — 56 Schliesslich notire ich noch gewissenhaft, dass andere und gewiss massgebende Leute sich uber diese Tyrannis-Dichtungen Aškerc’ sehr anerkennend ausgesprochen haben, so dass ich also mit den obigen Ansichten vielleicht nur mein p e r s on 1 i c h e s * *) Urtheil dem Leser unterbreite. Ja, und ware es selbst ein V or-Urtheil; wenn es ehrlich ist, scheint es mir immer noch besser zu sein als ein unehrliches Urtheil. Gott helfe mir, ich kann nicht anders! Kommen wir nun zu den Dichtungen selbst. Im Gegensatze zur Eintdnigkeit derselben hob ich vorhin deren Vielfarbigkeit hervor. Ich v/ollte damit sagen, dass Aškerc es verstehe, seine dichtung findet man auch in Professor Krek’s (Vaters) »Sla- vischer Anthologie«. Einen Vergleich unseres Dichters mit der italienischen Socialismus-Poetin Ada Negri hat ein Herr L. in der neuge- griindeten Zeitschrift »Katholische Rundschau« (»Katoliški Obzornik«)Jg. 1897 Nr. 1 mit mehr oder weniger Gliick versucht. *) Hier werden die Herren Kritiker strengster Obser- vanz, die auf »scientifischer Hohe« stehen, unzweifelhaft ihre weisen Kopte schiitteln. Kritiken miissen objektiv sein! So heischen sie und schreiben — ihre Ansicht nieder. Fur mich besteht der Unterschied zwischen subjektiver und ob- jektiver Kritik nur darin, dass die erstere aufrichtig ist und freimiithig gesteht, dass dies und das nur ihrer Wenigkeit un- massgebliche Ansicht sei, wahrend sich die letztere auf- bauscht zur Allerweltsweisheit und mit ihrem verklausulirten Lob dem Kunstler mehr schadet als der offen ausgesprochene Tadel eines sich ausdriicklich zur subjektiven Kritik Beken- nenden. Die Analogie mit der Wissenschaft auf dem Gebiet der Kunst-Kritik scheint mir ganz unpassend. Trotzdem ist vielleicht auf der anderen Seite unsere neue Civilprocess- Ordnung mit dem Princip der freien Beweiswiirdigung ein Sieg der subjektiven Kritik! 57 Idee in uberraschend prunkende z. B. orientalische oder altromische, altgriechische Gewande zu kleiden. Es ist eigentlich grossentheils RefIexions-Dichtung im Tone der Erzahlung oder Schilderung, was uns hier geboten wird. Wir haben auf diese Eigenart Aškerc’ schon einleitungsweise hingewiesen. Das historische Milieu trifft der Dichter meist recht glucklich, wenn man auch zugestehen muss, dass er sich hier lieber auf sicheren, weil conventionellen, althergebrachten Bahnen bewegt. Als Beispiele fur Aškerc’scheTyrannis-Dichtungen mochte ich anfuhren: »Afanasius Sjemjonovič«, eine Ballade nach russischen Volksmotiven: Car Ivan Vasiljevič halt Gericht. Als Anklager tritt der junge Afanasius Sjemjonovič vor und fiihrt Klage iiber einen Tataren, der ihm seine Braut geraubt. Welche Strafe habe der Wutberich wohl verwirkt? »Den Tod!« urtheilt der Car und gibt den Haschern den Befehl, den Schuldigen zu verfolgen und den Spruch an ihm zu vollstrecken. »Ach, ein Held bist du, Ivan Vasiljevič! Nimm zuriick den Befehl und die Strafe schwer! Der Tatar bist ja — du, edler Gosudar! Du hast, ach, mir mein Roslein siiss gepfliickt, Du hast, ach, mir gestohlen Nataša, die Braut!« Allgemeiner und gewaltiger angelegt ist die archao- logische Legende »Titus Marcus«. Schauplatz ist eine Statte antiker Ausgrabungen. Man findet einen Sarg, dessen Deckel die Aufschrift Titus Marcus tragt, von dem aber niemand zu ergrunden vermag, wessen Uberreste er enthalt. Da tritt ein Greis im Silberhaar herzu und, versunken in den Anblick 58 jener Buchstaben, erinnert er sich der Zeiten, da jener, der hier Ruhe gefunden, mit ihm in der Schenke am Tiber gesessen, das schwarzgelockte, zauber- augige Wirtstochterlein besungen, der Auguren Dumm- heit und des Kaisers Schwache angeulkt und in be- geisterten Liedern den Bedruckten den Tod der Tyrannis und eine Zeit der Freiheit verkundet hatte. Da ruft er’s aus: »Wann erftillt sich, was du prophezeiet? Ein Jahrtausend — mehr! von dir mich trennt, Seit die Tragikomodie ich schaue, Die die Menschheit Geschichte benennt . . . »O, wie konntest du her dich verirren? Hat des Kaisers Zorn her dich gebannt? Ward zur Heimat dir fremdland’sche Erde, Wo der Himmel den Tod dir gesandt? »Titus Marcus, Heil dir! denn du fandest Endlich Ruhe nach deinem Begehr; Wann, ach, wird sie zu Theil deinem Freunde, Deinem ewigen Freund Ahasver?« Hier spricht es Aškerc ganz deutlich aus, dass er in den gegenwartigen socialen Verhaltnissen noch immer keine nennenswerte Besserung gegenuber der Zeit des absoluten Regimes unter den romischen Caesaren sieht. Diese Ansicht, so allgemein ausge- sprochen, theilen wir gewiss nicht, konnen und wollen aber ebensowenig leugnen, dass auch unsere Zeit bei weitem noch nicht auf dem Ziel- und End- punkt der kulturellen Entwickelung steht und dass Manches und Vieles auch wir noch der Zukunft uberlassen mussen. Der einzelne Mensch ist, und 59 mag er auch noch so machtig sein, eben ohnmachtig gegenuber dem ehernen Gesetz der Natur, was Aškerc selbst in dem herrlichen Gedicht»I c h «(»Jaz«) anerkennt. Nur scheint er nicht auch im socialen Werdegang solche Naturgesetze walten zu sehen, da ihn letzteres sonst gewiss davor bewahrt hatte, fur alle Auswuchse unserer gesellschaftlichen Zu- stande einzelne Menschen verantwortlich zu machen. So stellt er z. B. in seinem sonst trefflichen Gedicht »Der Kampf bei Pirot« (»Boj pri Pirotu«) auch den Krieg als ein von den Herrschern willkur- lich begonnenes frivoles Glucksspiel dar. Er schil- dert darin Scenen aus jener Schlacht am 28. No¬ vember 1885, in welcher die Bulgaren das serbische Heer aufs Haupt schlugen, und lasst darin einen sterbenden Soldaten sein Gesprach mit dem Konig also beenden: »Doch, Konig, wenn sterben ich werde, Dann kilnd ich’s der Welt insgesammt: Wer Bruder auf Bruder mir hetzet, Der sei mir verflucht und verdammt!« Damit thut Aškerc den Herrschern gewiss Unrecht, da die Ursachen des Krieges (nach Malthus*) *) »Versuch iiber das Bevolkerungsgesetz«, deutsch von Stopel, S. 638. Vergl. Professor Ludwig Gumplowicz’ »Allge- meines Staatsrecht« S. 423 ff. und des gleichen Gelehrten »Sociologische Staatsidee«, in weich letzterer sich unter an- derem die Stelle findet (S. 120): »Das starkste sociale Motiv aber jeder Gruppe ist das der Selbsterhaltung und von der Stellung der socialen Gruppe im Staate hangt es ab, welche Massregeln dieses Motiv ihren Mitgliedern dictirt. Die hochste herrschende Gruppe im Staate hat nun offenbar zum Zvvecke der Selbsterhaltung das 60 urspriinglich »Die Unzulanglichkeit des Raumes und der Nahrung«) ebenfalls tief in der Natur be- griindet sind und hochstens die nachste Veran- lassung zu demselben auf Handlungen eines oder mehrerer Menschen, somit auch der Herrscher zuriickgefuhrt werden kann. Aškerc steht eben mit diesen Humanitats-Gefuhlen wie in allem und jedem mitten im Strome seiner Zeit. So konnte es denn auch nicht fehlen, dass der Ruf »Die Waffen nieder!«, grosste Interesse an der Erhaltung des Staates, weii ihre ganze sociale Stellung von der Erhaltung desselben abhangt. Dieses Streben aber der Machtigsten im Staate nach Selbsterhaltung und Erhaltung des Staates, in dem sie die herr- scbende Stellung einnehmen, concentrirt sich unbewusst im Herrscher, den sie umgeben und erzeugt in ihm die starksten, seine VViliensbildung entscheidend beeinflussenden Motive. Daheristes derWille dieses socialen Kreises, der im Herrscherwillen zum Ausdruck gelangt.« Nun hat der Krieg aber den Staat geschaffen und erhalt ihn auch. Was Wunder, wenn die Herrscher, eben durch Gewalt und Krieg zur Herrschaft gelangt, den Waffen stets dankbar und getreu bleiben und den Krieg, der ihre sociale Stellung begrundet hat und festigt, iiber alles auf Erden lieben? Es ist Selbsterhaltungs -- Naturtrieb! Auch geht uberdies aus der dem Gumplowicz’schen Werke entnommenen Stelle her- vor, dass der Herrscher im Banne der herrschenden Klasse steht und daher am allerwenigsten fur seine Handlungen verantwortlich gemacht werden kann. Es gehoren diese Be- merkungen zwar streng genommen nicht in den Rahmen meiner Schrift, doch vvollte ich wenigstens an einem Bei- spiel zeigen, dass Aškerc bisweilen, ohne das Wesen der Dinge so ganz recht zu erfassen, sociale Missstande unge- rechtfertigter Weise der »Tyrannen-Wirtschaft« auf das Kerb- holz schreibt. Trotz Socialpolitik u. s. w. diirfen wir, denen die Erkenntnisquellen offen stehen, nicht dem Arbeiter helfen, ungerecht zu sein! — 61 der allerwege erschallt, auch in ihm Wiederhall fand und ihn insbesondere auch zur »Historie vom Frieden« (»Istbrija o miru«) anregte, einer ebenso glanzenden als erschutternden Satyre auf die euro- paischen Heeresrustungen, welche alljahrlich Mil- lionen und Millionen Geldes dem allgemeinen Kultur- werk entziehen. Noch schlimmer freilich ist es, wenn Herrscher nicht um des vaterlandischen Schutzes und Friedens wiilen sondern, um ihre blasirten Schau- und Blutgeluste zu befriedigen, mit Soldaten spielen, wie uns der Dichter dies in »Kali¬ gulah Spielzeug« (»Kaligulove igrače«) schil- dert, einem echten und rechten, ebenso grausigen als von bedeutender Pinsel-Kunst zeigenden Farben-Bacchanal. Er offenbart uns in dieser Scho- pfung die ganze intime Seelenfaulnis des romischen Herrschers, indem er ihn sich weiden lasst an den Jammergestalten der halbverhungerten, zu seiner Unterhaltung miteinander ringenden Soldaten. »O sancta simplicitasl«, ruft der »gottliche« Kaiser aus, als ihm ein Opferpriester zu Gemuthe fuhren will, dass es der Manover ja nicht bedurfe, da doch Friede sei, und dass er die Soldaten heimschicken moge, da das ganze romische Volk sonst Hungers sterben \viirde — »O sancta simplicitasl Du glaubst wohl, dass ich zu heissen Kampfen mit den Bar- baren mich riiste? Ha, ha! Was kiimmert mich das Vaterland und sein Jammer und Elend? Kam denn dir, dem Weisen, nicht der Gedanke, dass man etwas neues wiirde finden miissen, um uns die lange Zeit zu vertreiben ? Langeweile haben wir bei vollen Tischen, Langeweile bei Sang und sussem Liebesspiel. 62 — Der romische Imperator amusirt sich nun einmal auf diese Weise. Nun machen diese Leiber ihm Freude, die im Schweiss gebadet sich bemuhen, den Kaiser zu zerstreuen. Ja, Unterhaltung sind uns die Qualen, die das Volk durch unsere Hoheit leidet, Unterhaltung sind uns die Thranen und das Stohnen der Wittwen und Waisen! Ha! ist nicht die ganze Welt geschaffen, uns zu unterhalten? Nun, so gehet hin und thuet eure Pflicht! Auf eures gottlichen Ka- ligulas Miene ein Lacheln zaubern, ist euer aller letzte Bestimmung, und giengt ihr darob auch vor Hunger zugrunde, und zerfiele darob auch der ro¬ mische Staat!« Es scheint eine Art Wollust des Dichters zu sein, in diesen schandlichen Herzens- regungen der menschlichen Bestie zu wuhlen, was uns ein wenig an Hamerlings Manier erinnert. Von der Sucht, diese Begierde zu befriedigen, lasst er sich bisweilen dazu verleiten, diese Scheusale sich selbst ironisiren zu lassen, wie in dem obigen Bei- spiel. Was der Dichter und wir mit ihm allen Ern s te s von jenen Kreaturen denken, das legt er ihnen selbst in den Mund und setzt ihnen dabei nur eine ironisch, satyrisch grinsende Miene auf. Gerade dieses Manover ist aber vorzuglich geeignet, im Leser Zweifel bezilglich der Wahrheitsliebe des Dichters entstehen zu lassen. Den Gipfelpunkt dieser eigen- artigen Dichtungen scheint mir die nach orienta- lischen Sagen verfasste Legende »Satans Sterben« (»Satanova smrt«) zu bezeichnen, die, wie sich der Leser selbst tiberzeugen moge, wahrhaftig in jeder Beziehung eine verteufelte Tragikomodie der Menschheit ist: 63 Wie sie weinen, ach! und wie sie stohnen so laut In dem Thronsaale heute der Holle! Unaufhorlich fliesst allen der Thranen Flut! Sagt, was ist ihres Herzensleids Quelle? »Wehe! Satan ist krank — im Sterben er liegt!« Diese Nachricht durchflog alle Welten. Eine bunte Schar kommt nun herbeigestromt, Ali das Gute ihm so zu vergelten. Alle Sprachen der Volker erklingen hier, Man sieht die verschiedensten Rassen; Ja, es sandte ans Sterbebett jeglicher Stand Seine besten Vertreter in Massen. Und es drangen und schieben sich alle zum Thron Rings und stellen sich auf die Zehen, Um die boshaften Homer im krausen Haar Und den Ziegenbart nochmal zu sehen. Um den Hals, um die Hand hatt’ sich Satan zum Schmuck Prachtig schillernde Nattern gewunden; Und nun gar unterm Mantel der Pferdehuf da! — Wird wohl sicher den Teufel bekunden?! Seine Linke, sie liegt auf der Erdkugel gross, Und das Scepter er halt in der Rechten; Wie er athmet so schwer! — Ja, die Lungen sind’s, Die erkrankten und altersgeschwachten. Sieh! es blitzen ihm unter der Štirne hervor Zwei verloschende dustere Feuer, Ein sarkastisches Lacheln umspielt den Mund Selbst dem sterbenden Ungeheuer. . . Und rings seufzen und weinen sie alle ... Da tritt Vor den Thron mit gemessenen Schritten Aus der Menge einer und kusst Satans Huf; Drauf voli Wehmuth hebt an er zu bitten: 64 »O, verlasse uns nicht, Vater unser! Gar schwer Kommt’s uns an, mit der Wahrheit zu streiten: Denn was weiss ist, das nennen wir schwarz, was schwarz, Wir benennen es weiss alle Zeiten. »Was der Mensch denkt, eroffnet die Zunge ansonst, Doch bei uns ist sie gar verschwiegen; Denn zwar sfiss enttraufeln die Worte dem Mund, Doch sie sind nichts als gleissende Liigen. »In die Netze zu locken von Tiicke und Trug Ali die Menschen, ist unser Bestreben. Eine muhsame Arbeit! Nur du, Ideal, Weisst den wankenden Mut uns zu heben« Sieh! nun meldet ein zvveiter sich, hager und diirr: »Wo in Liebe sich zwei umfassen: Ich zerstore, zerreisse das Freundesband Und ich hetze sie, bis sie sich hassen. »Schwarze diesen bei jenem recht boshaft an, Sa’ des Neides, der Zwietracht Samen. O, du musst, Satan, leben und leiten das Werk, Denn zu schwer ist’s, wir wurden erlahmen!« Und ein anderer vviederum trippelt daher, Wer ist nur dies Mannlein, dies glatte? Alles duftet um ihn . . . Und wie wichtig er schwatzt, Gleich als war’ er ein Diplomate: »Was im Kleinen mein Vorredner treu fur dich thut, Wir hier bringen’s zustande im Grossen: Ohne uns waren, o Schrecken! die Volker ali’ Fest vom Friedensbande umschlossen! »Ach, wie hat man uns nothig in dieser Welt, Ja, sie konnt’ ohne uns gar nicht leben! Nun und wir? O, wie konnten wir ohne dich Uns dem Fischfang im Triiben ergeben ?« 65 Und ein Vierter, den Beutel voli Gold’s in der Faust, Scheuen Aug’s aus dem Hintergrund schleichet; Die Versammlung durchfliegt sein unsteter Blick — Mich dunkt: Iskariots Bruder er gleichet! »Ideal warst du, Satan, mir stets und du bleibst’s, Ja, bei Gott — sieh den Sack voli Metalles! Um ein Geldstuck verkaufe die Seele ich dir Und den Vater, die Mutter, kurz alles. »Ich habe um’s Geld Uberzeugung feil, Und Ehre und andere Gaben. Wer loset mir meinen Charakter ab, Er ist billig, sehr billig zu haben. »Ich gab’ euch ftir Gold meine Heimat gern hin, Wurd’ mein eigen ich nur eine nennen, Denn dem Gold nur gilt Liebe und Leidenschaft, Die im gierigen Herzen mir brennen.« Doch wer drangt sich dort prahlerisch vor an den Thron ? Sieh! ein Turban ihn wunderlich schmiicket! Wird ein Denvisch wohl sein, der mit Worten gelehrt Konig Satan nun also begliicket: »Majestat! Nicht ist terne das Ende der Welt! Denn schon mehren sich bosliche Zeichen: Aus der Finsternis nahert dem Lichte der Mensch Sich stets mehr, und er wird es erreichen! »O dass allzuviel Licht das sterbliche Aug’, Dass Erkenntnis den Menschengeist blendet; Dass im Dunkel nur Heil sei — wir sagen es oft, Doch die Welt uns nicht Glauben mehr spendet! »Nur zurtick in die seligen Zeiten, da hoch Die heiligen Feuer noch brannten, Auf denen die Opfer der Freiheitsidee Ihr letztes Gebet zu Gott sandten! 66 »Soleh ein Feuer, soleh Licht, o das lieben auch wir, Solchen Fortschritt im geistigen Leben . . . O verlassest du, Lucifer — Sonne! — uns nicht, Dann kann’s einen Sieg doch noch geben!« Zages Seufzen, sonst tief heifge Stille im Saal, Denn man horcht, was nun Satan wird sagen: »Nicht auf steinigen Boden mein Same fiel, Er hat reichliche Friichte getragen! »Liebe Bruder! Zu Thranen habt ihr mich geriihrt; Eure Reden mich Hessen erkennen, Dass den Teufel ihr mehr liebt denn Gott, dass ich euch Meine wiirdigen Schuler kann nennen! »Ich bin unfahig — seh’ es nun ein — furderhin Euch als Meister und Vorbild zu leiten, Denn es hat uberholt weit den Lehrer schon Seiner Schuler jungriistiges Schreiten. »Ich bin alt und kann folgen nicht mehr eurer Zeit, Es war’ sinnlos, noch weiter zu leben; — Ich kann ruh’gen Gemiiths euch die hohe Mission, Die auf Erden ich hatt’, iibergeben. »Mog’ sie heilig auch sein! . ..« Doch wer keucht athemlos Dort heran? Schwer den Thron er erreichet, »’s ist der Khan«, hort man flustern, »des neunten Lands, Einem Karnevals-Schweinchen er gleichet.« »Ach, verzeihe!« entschuldigt sich dieser devot, »Doch das Reisen, so weit, macht Beschwerden. Dann auch haufen sich einem die Sorgen im Reich, Dass man konnte verriickt dabei werden. »Sehr ums Heil meines Landes bin ewig besorgt ich, um glucklich nur alles zu sehen. Das sociale Problem hab’ ich endlich gelost; Doch hort selbst nur, wie dieses geschehen: 67 »Einen Prunkpalast baut’ fiir den Harem ich mir, Darin dreihundert Roslein mir bluhen; Ach, die schonsten sind’s, die ich im Morgenland fand, Doch sie kosten mich auch manche Miihen. »Dann der Marstall, der Hundestall, beide im Bau, Werden bald auch vollendet nun vverden; Sind zwei prachfge Palaste! So schon wohnt nicht mal Der gewohn!iche Burger auf Erden. »Karavvanen aus allen Bezirken des Reichs Bringen Abgaben mir und Geschenke; Wo soli bergen ich alle die Sachen ? Auch das Macht mir taglich mehr Sorge — bedenke! »In zwei ungleiche Lager sind weise getheilt Die Bewohner; so scheinfs mir am besten: Hab’ ins grossre die hungrigen Bettler geschickt, Gut im klein’ren die Reichen sich masten. »Unter letzteren stehe naturlich auch ich, Schenke ihnen nur ali meine Gnade; Ha, ha, uns geht es gut! Nach dem Armenpack auch Noch zu seh’n, ha, das fehlte mir grade. »Dass die galligen Bettler mit ihrem Gestohn Uns nicht storen beim Mahlzeit-Verdauen, Sorgte auch mich gar sehr; doch ich wusste mir Raths: Lass’ Kasernen nun uberall bauen . . . »Sieh, so hab’ ich nach deinen Principien getreu Fur mein Vaterland heiss mich bemuhet: Doch o Wunder! Trotz allem der Undank im Volk Immer weitere Kreise mir ziehet. »Und die Sclaven sind nicht mehr zufrieden mit mir, Ja, sie murren und knurren wie Hunde; Alles reisst an den Ketten, um sich zu befrei’n — Also kommt aus den Landern mir Kunde. 5 * 68 »Und sie briillen und schreien von Unrecht und Recht Und ahnlichen narrischen Sachen! Was Gerechtigkeit ist — das weiss ich nicht einmal, Doch sie wissen’s!? ’s ist wirklich zum Lachen! »Millionen sei’n Hungers gestorben, so heissfs, Ach, nach Brot hatt’ gehort man sie wimmern! Ich bin satt! Wenn’s ein Unterthan nicht ist, ja was Hatte das, frag’ ich, m ich denn zu kummern? »Sieh, so liegt mir mein Reich, eine Felsenlast, Auf dem Herzen und macht mich nervose . . . Nun, es findet Gefallen bei dir doch die Art, Wie sociale Probleme ich lose? . . .« Schon im Stillen hatt’ Satan oft herzlich gelacht, Wenn der Khan so recht Weises erzahlte; Doch nun halt’s ihn nicht langer: er richtet sich auf, Da der Kitzel ihn allzusehr qualte. Und nun iacht er, die Hande ara Bauche, und lacht, Dass der Thronsaal erdrohnt und erzittert; Und im Nu steckt die ganze Versammlung er an, Dass sie alle das Lachen erschuttert. Doch was seh’ ich — o Schrecken! — er taumelt und sturzt — Die Gebalke der Holle, sie krachen —: Auf der Erde liegt Satan und regt sich nicht mehr — Hat der Schlag ihn getroffen vor Lachen! Mit diesem gewaltigen Stuck schliesse ich, wie ich glaube, wurdig die Bemerkungen ab, zu denen mir die Tyrannis-Dichtungen Aškerc’ Veranlassung gaben. Wir haben gezeigt, wie der Dichter hass- erftillt gegen despotische Niedertracht ficht, wir haben gesehen, was es heisst, ihn zum Feinde zu haben. Wir mussen nun auch kundv/erden lassen, wie Aškerc’ Liebe waltet. Davon im folgenden Ab- schnitt, aus dem wir, so hoff’ ich’s, alle in warmerer Stimmung hervorgehen werden. v. Als s5e aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesum allein. Evangelium Matih. XVII) S. Lber dem, was ich jetzt sagen will, soli es wie Verklarung liegen. Kein unnutz Wort soli sich zwischen meinen Dichter und meinen Leser drangen. Ich will ihm, dem Dichter, seine Schonheit ablau- schen und sie durch das Prisma meiner eigenen Stimmung leiten. So werden Nachdichtungen ent- stehen, bald getreu, bald abgetonter, bald lebens- frischer, je nach meiner Stimmung. Immer aber wird der Dichter selbst durch mich zu euch sprechen und die vveisse, heisse Sonne seiner Liebe soli euch kalte Finsterlinge erleuchten und erwarmen . . . Ecce homo! Die machtigen Glocken des Domes brausen wieder einmal ihre dumpfen Todesklange. Denn wieder hat ein letztes menschliches Stohnen an die metallne Krone geschlagen. Sie haben ihn auf die Bahre gelegt und rings um ihn Fruhling gemacht, duftenden, sonnenlichten Fruhling. Und sie haben Thranen in den Augen ge- habt und fur ihn gebetet. 70 Und jetzt, wo die Stunde der Trennung und des Abschiedes gekommen war, haben sie ihn alle, die zahllosen Freunde, mit Sang und Klang, mit Duft und Licht, mit allem irdisch Schonen uberschuttet, und gebeugt von tiefem Schmerz haben sie ihn hinausbegleitet an seine letzte Wohnstatt. Die aber ringsum standen und zusahen, sprachen zueinander von dem vielen, vielen Gelde, das der Mann hinterlassen, und von der »schonen Leiche« .. . Auch du, mein lieber, guter, armer Freund, auch du hast nun endlich ausgerungen. Auch dir hat man gelautet, freilich nicht mit den feierlich drohnenden, stadtbewegenden Glocken des Doms, aber mit dem Armensunderglocklein der kleinen Vorstadtkirche. Und kein Fruhling, kein Duft, kein Licht webte um deinen schwarzen, schmucklosen Brettersarg, hinter dem nur dein angebetetes Weib und deine geliebten Kinder so mude und muhsam, ach, und schluchzend zum Herzzerreissen einhergewankt sind. Und als sie dich hinabsenkten, da wollte sie dir nachsturzen, dein Weib, und jetzt gab auch sie dir ihren Fruhling, ihr Licht, ihren Duft, ach, das unendlich schonste auf Erden gab sie dir mit hinein — die Liebe und damit alles, was sie ihr eigen nannte. Aber die Todtenleute waren schon ungeduldig und drangten sie weg von dir, die in unsagbarem Schmerze Zusammensinkende: du lieber Gott, bei soleh blutarmem Teufel schaut ja doch fur sie nichts heraus! (»Dva pogreba« »Zwei Begrabnisse«) . . . Und der Tod war noch das Schonste in seinem Leben. Denn es war das Ende des Leidensweges 71 von Bethlehem nach Golgatha. (»Rešiteljica sužnjeva« »Die Erloserin des Sclaven«) ... Ich sehe ihn noch vor mir, als er einstens nach des Tages Muh’ und Arbeit heimgekehrt war. Wolken lagen uber der gramdurchfurchten Štirne. Da streckte sie ihm, das gliickstrahlende Weib, den Erstling entgegen, und es war wie ein Auf- leuchten von sonniger Seligkeit in seinen Augen. Doch nur ein Aufleuchten. Dann schoben sich wieder die Wolken vor. »Wozu, Kind«, fragte er, »bist du gekommen auf diese unbarmherzige, selbstische, auf diese hass- liche Welt? Wie wir wirst du, zeitlebens ein elender Wicht, die rasselnde, ach, so unsaglich schwere Sklaven- kette nach dir schleifen, die dich niederbeugen und zusammenknicken wird. Und sie werden an deiner Jugend, an allen deinen Leibes- und Geisteskraften zehren, damit auch du die Bibelworte erfullest und im Schweisse deines Angesichtes dein Brot essest.« Und er gieng hinaus und weinte bitterlich. (»Pokaj . . . ?« »Wozu Und so wurde ihm alles vergramt. Wenn es auch manchmal schien, als wolle v/irklich heiterer Himmel heraufziehen, als wolle die Sonne des Gliicks die Wolken seiner Štirne siegend durchbrechen — man hatte sich geirrt: es war nur ein Wetterleuchten vor dem Unwetter; die Blitze und der Hagel haben dann alles wieder zusammengeschlagen. Manchmal habe ich ihn trosten vvollen und ihm vorgehalten, nicht undankbar zu sein seinem 72 Geschicke. Trotz Kampf um’s Brot, trotz bittrer Da- seinsnot beschere doch auch ihm das Leben manch eine schone Gabe. »Freund«, sagte ich, »Du hast ein Weib, das dich liebt, das du liebst; du hast ein paar rotwan- giger Kinder, die du zu zukunftsfrohen Menschen erziehen und in denen du wieder jung werden wirst. Und du kannst fur sie arbeiten und wenn du heim- kommst, sieht ihnen allen der Dank und die Liebe aus den Augen heraus. Ist es nichts Schones, arbeiten konnen fur den, den man liebt, arbeiten konnen fur die, die an uns mit allen Fasern ihres Lebens hangen? Ist das nicht Gluck?« »O wie du schon reden und fuhlen kannst. Unser einer kann das nicht. Wir haben zeitlebens nur hasslich reden und hasslich fuhlen gelernt. Wenn dann etwas liber uns kommt, etwas so Schones wie es die Liebe ist, dann fallt der edle Same auf einen schlechten Acker und es wird nichts recht’s daraus. Arbeiten konnen ist ein Gluck, sagst du, wenn man heimkommt und Weib und Kind einem die Liebe entgegenbringen. Ach, brachten sie doch Brot, Brot! Ich wiirde dann schlafen, eine Nacht wiirde ich ruhig schlafen. So aber walze ich mich auf meinem Stroh und zermartere mir das Hirn: Wovon werden wir morgen leben ? Und wenn ich gegen Morgen erschopft endlich in schweren Schlaf versinke, dann wahrt’s nicht lange 73 und es weckt mich mein Weib: Mann, sagt sie sanft, es ist Zeit! . . . Wirst du heute gezahlt? . . . Und ganz leise noch: Wir haben nichts mehr! . . . Es schneidet mir ins Herz, aber ich muss wieder und wieder — es ist das drittemal — nein sagen und gehe zur Arbeit, todmude noch von gestern und zitternd vor Angst, mein ermattetes Leben der Ma- schine zu opfern, dieses Leben, das ich den Meinen erhalten muss und das ich doch so gerne, ach, so gerne von mir werfen mochte! So reibt mich die Arbeit auf und richtet lang- sam aber sicher den Ernahrer zu Grunde — und jetzt sage noch, dass das Gluck ist! Aber ich weiss ja, dass auch die Reichen nicht glucklich sind. Ich seh’s ja an meinem Nachbarn. Auch er wacht bei Nacht und grubelt tagaus tagein, was er mit seinem vielen, vielen Gelde beginnen soli. Und auch ihm hilft der liebe Gott nicht. Trotzdem bete ich allabendlich zu unserm Himmelvater, dass er den Reichen erleuchten moge. Denn hat nicht Jesus es gesagt: Selig seid ihr Armen, denn euer ist das Reich Gottes, und: Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude voll- kommen werde ? Es ist aber zum Verzweife!n. Alles Beten und Bitten fruchtet nichts. Der Reiche verstehfs nicht. Nur wer mit Elend selbst gerungen hat, Der wird den Bruder, Dulder tief bedauern; Geboren wurden Philanthropen stets In Hutten nur, nicht in Palastes Mauern. 74 (»Večerna molitev siromakova«, »Abendgebet eines Armen« und »Božična pesem siromakova«, »Weinachtslied eines Armen«)... Ja, der Tod war noch das Schonste in seinem Leben. Denn hatte er gesehen, was jetzt geschieht — er ware dreimal gestorben. Nur der Wa!d am Morgen ist so thaufrisch wie es sein tannenschlankes Kind war, sein Buben- madel mit dem Madonnengesicht, den kusslichen Lippen, den nachttiefen Augen, den fliegenden Zopfen — o, es war so etwas Krystallklares wie die Mur- melquelle, suss platschernd zwischen Moos und Farnen. »Ach was!« sagte sie, »geht mir mit eurem Versauern bei Hunger und Kalte und Arbeit. Man muss doch auch einmal das Leben geniessen.« Gestern aber hat sie sich endlich einmal satt gegessen und getrunken und gewarmt. Und die kusslichen Lippen haben gekusst und die Nacht- augen haben gelacht. O sie haben sich kostlich amusirt mit ihr! »Dieses selige Gestern« dachte sie am Morgen, »dieses lustige Gestern muss Heute werden, hei, es muss Heute werden und Morgen und Ubermorgen! Immer und immer muss es so sein!« Aber wehe, wehe, es kommen Tage, wo sie betrubt sein wird bis in den Tod. (»Delavčeva hči«, »Arbeiters Tochter«)... So gieng und geht es den Armen und Schwa- chen allezeit und allewege. Lasst euch erzahlen! Anno 1515 des Heils. 75 Zu Augsburg im alterthumlichen Saale halt Max, der letzte Ritter und erste Neuzeitmensch zu- gleich Audienz. Ein Wink Sr. kayserlichen Majestat hatte die hofischen Ritter von der traurigen Gestalt und die ganze Kaiserpracht in Erstaunen gesetzt. Die marmornen Steinfliessen hatten verwundert und ziemlich moquirt aufgeschaut, als sie das keines- wegs hoffahige Geklapper und Getrampel von einem Dutzend schwerer Lederstiefel vernahmen, und die Fresken, die auf die aventiurlichen Inhaber dieser Stiefel, auf deren lederne Hosen, talmisilbernen Knopfe und altvaterischen Mantel herabschielten, vermochten sich eines geringschatzigen Lachelns nicht zu erwahren. Nur der Kaiser hiess die Deputation willkommen und forderte sie auf, ihm vorzutragen, was ihres Begehrs sei. »Wir Bauern«, sprach der VVortfuhrer, »wir Bauern zwischen Adria und Mur, wird sind ein armes Volk von Brudern. Im Riicken schlagt der Turke uns, ins Angesicht der Schlossherr. Ja, die Tiirken, die Heiden, die sind noch zu ertragen, denn, haben sie einmal ihre Beute, dann gehen sie wieder. Doch die christlichen Geier, so in den schloss- herrlichen Nestern hausen, die hacken sich bi utrunstig in unser Fleisch und zerkrallen und zerkratzen und zerschinden uns und — fliegen nimmer fort. Robot rackern von fruh bis spat und Zehent zahlen ohn’ alle Ergotzlichkeit und wenn du nicht freundlich lachelst zu aliedem — die Peitsche seiner 76 gestrengen Gnaden, des frumb-ehrsamen Herrn Vogts, das ist unser Los! Wir saen, sie ernten. Das ist unser Leben! Kaiser, Kaiser! gib uns unser Recht, unser aites Recht zuruck!« Die donquichottelichen mittelalterlichen Hof- schranzen mit dem schlechten Gewissen und dem Geier-Gelusten argerte diese Rede gar sehr und sie fuhren die Bauern, wie sie’s gewohnt, grob an und schrien, man wolle den reichstreuen Adel ver- Ieumden. Nur der neuzeitliche Kaiser machte ein mild- ernstes Gesicht und gab den Bauern sein Kaiserwort, dass es besser werden wiirde. Als die Bauern aber tort waren, berief er den Ritter Lamberg zu sich, den Helden, und entsandte ihn nach dem Saveland, den Bauern wiederzugeben ihr aites Recht, ihre »stara pravda«. (»Pred cesarjem«, »Vor dem Kaiser« aus »Stara pravda«, »Das alte Recht«)... Rasche Hilfe that not. Denn nicht liber alles hatte der Bauer beim Kaiser Klage gefiihrt. Manch eine grausige That der machtigen Herrn, die gar nicht ans Licht gekommen ist, offenbart sich erst heute in redseligen Rabennachten dem Lauscher, der dem polternden und rieselnden Ruinengebrockel beim Fallen und Rollen zuhorcht. Dort ragt auf zerkliifteten Felsen So einsam ein Schloss und so hehr; Der Epheu nur ist ihm Genosse, Die Eule Hoffraulein im Schlosse, Der krachzende Rabe der Herr. 77 — Dort stand ich gar oft auf den Zinnen, Vom prachtigen Ausblick gebannt! — Doch wenn sich das alte Gemauer Vermummt in den nachtlichen Schleier, Gieng’ dort ich hinauf um kein Pfand! Denn kiinden die Schlage der Dorfuhr Verhallend die Mitte der Nacht, Wird’s hell in des Schlosses Gemauer; Beleuchtet von zaubrischem Feuer, Erglanzt es in einstiger Pracht. Und bleich sitzt der Graf mit den Freunden Im herrlich erleuchteten Saal, Ein Magdlein er kuhnlich umschlinget, Das scheu seinem Arm sich entringet, Er jauchzet und schwingt den Pokal. »Nicht furchte dich, reizendes Madchen! Nicht furchte dich!« trostet der Herr, »Lass ab von den bitteren Thranen, Wirst bald ja an mich dich gevvohnen, Sieh, Holde, ich lieb’ dich so sehr!« Ein schallendes Trinklied ertonet Zu Ehren dem Burggrafen bleich, Und wild lacht die Sippe beim Weine, Es schluchzet, es schluchzt nur die Kleine,. Sie vveinet und — lachet zugleich. Doch horche! Wer raset und wiithet Jetzt unter dem Schlosse so blind? Die Waffen in Handen ihm beben, Ach, ihm soli zuriick man sie geben — Sein Kind, sein gefangenes Kind! Bald aber verstummet dort unten Des Bauern wehklagend Geschrei ..» Es bringt vor die tollende Menge Das blutende Haupt im Gedrange Der Henker gehorsam herbei . . . 78 Im Dorf kraht der Hahn schon zur Friihe, Schon blitzet Aurorens Geschoss: Im Nu ist der Glanz erblichen, Die Zauber sind wieder gewichen, Und finster ist’s wieder im Schloss. (»Stari grad«, »Das alte Schloss«*)... Der Kaiser hatte den Bauern sein Wort gegeben. Aber es war auch des Kaisers Wort nur eines Menschen Wort — es wurde nicht gehalten. Die Bauern verschworen sich nun und zogen mit Dreschflegeln und Heugabeln, mit Holzschlageln und Sensen und Sicheln aus und »Ain yeder wolt sich rachen«. Aber wieder wurden sie untergekriegt. Mit den meisten derer, die nicht im Kampf bei Rann zu- grunde giengen, hat man im Garten der Stadt die Baume bevolkert. (»Boj pri Brežicah«, »Kampf bei Rann« aus »Stara pravda«, »Das alte Recht«)... Sie kamen um, aber sie wurden frei von Robot und Zehent, so dass auch in ihrem Leben der Tod das Schonste war. Nur die nicht umkamen, wurden nicht frei, sondern sie rackerten aufs neue Robot und zahlten Zehent und litten die Peitsche, sie und ihre Kinder und Kindeskinder. Der Adel aber mastete sich und gab dem Bauern sowenig, was des Bauern war, als er Gott und dem Kaiser gab, was Gottes und des Kaisers war. *) Diese Obersetzung erschien zuerst in der citirten »Slavischen Anthologie« und spater in der Wiener »Oster- reichisch-Ungarischen Revue« XXIII. Band, 2. und 3. Heft. 79 Wahrend nun anno domini 1573 auf Schloss Sosed die Herrn beim braunroten Wiseler Tropfen sassen und »Ain yeder schwur bey seinem ayd: si wolltens frischlich vahen an und khainen baurn leben lan«, und wahrend Herr Josef Turen mit Franz von Tahi, Herrn auf Sosed, ein feuriges slovenisches Bauernmadel gegen einen feurigen Eisenschimmel wettete, rot wolle er die Save farben, ehe dreimal sieben Tage verflossen — wahrendem thaten auch die Bauern sich von neuem zusammen, »schrien ser, ye lenger, ye mer: Stara pravda!« und schwuren, hundertfachen Tod lieber zu sterben, als einmal noch frohnen zu gehen. Den Bauer Gubec aber koren sie zu ihrem Konig. Und als drei Wochen verflossen waren, war Herr Josef Turen sicher, dass er sein feuriges Bauern¬ madel fur sich behalten konnte. Denn er war auf die Jagd gegangen, und ehe er noch heimgekehrt war, rotelte es in dem Save-Gewasser von — Bauern- blut. (»Tabor«, »D a s Lager« und »Stava«, »Die Wette« aus »Stara pravda«, »Das alte Recht«)... DieKronungderTragodie aberwar derChristus- Tod des Bauernkonigs Gubec auf dem Markusplatz zu Agram, allwo der Martyrer des geknechteten Freiheitsdranges zu dem Volk mit gebrochener Stimme die erschutternden Worte sprach: »Als Konig zum erstenmal schau’ ich euch heut’ — Zugleich ein »Lebtwohl« mein Mund euch entbeut . . . Das Volk, das gesammte, gekront ists in mir, Geschmiickt mit des Konigs geheiligter Zier . . . 80 Charfreitag ist heut’ dem getretnen Geschlecht, Wann tagt unser Ostern: das alte Recht? . . . Mein Geist, du mein Volk, wird dich leiten — o wag’s! — Ihr aber gedenket des heutigen Tags!« Und sie setzten ihm auf flackernden Feuer- thron eine goldig-gliihende Krone aufs Haupt und druckten ihm ein goldig-gluhendes Scepter in die Hand. Und sie bogen die Knie vor ihm, verspotteten ihn und spien ihn an und schrien: Sei gegrusst, Mathias Gubec, du Konig der Bauern! (»Kronanje v Zagrebu«, »Die Kronung zu A gr a m«*) aus »Stara pravda«, »Das alte Recht«)... Von Bauernnot und Bauernkriegen erzahlt auch die Geschichte. Doch nimmer kann sie fassen ali dass Leid und Elend, das Einzelmenschen leiden und gelitten haben. Davon singt nur zuweilen der moderne Dichter und — weniger schon zwar, doch nicht minder ernst oft — die socialistische Arbeiterzeitung ein Lied. Unser Dichter aber sang auch dieses: Anka wandert einsam langs der Felder, Weichen Wiesen und gewtirzten Walder. VVeinend wandert sie und kann verschmerzen Nicht ihr bitterboses Weh im Herzen. Thranen trocknend klagt die arme Waise lhre Noth und schluchzend spricht sie leise: »Ach, ihr Blumen, wie ich euch beneide, Gluckbegabte Tochterchen der Freude! *) Die metrische Ubersetzung der letzten Worte Gubec’ entnahm ich einem von Johann Souvan verfassten, in Nr. 206 des Jahrganges 1890 der Prager »Politik« veroff- entlichten, unseren Dichter betreffenden Feuilleton. 81 Voli lasst ihr die Sonn’ ins Herz euch strahlen, Ahnet nichts von Menschenleid und Qualen. Aber weh’ dem, der daheim nicht bleiben Kann, den sie vom Vaterhause treiben, Der die armen Eltern, ach, begraben Und nun, will er Brot zu essen haben, Fort muss! O ihr Blumen, habt Erbarmen, Sagt, was soli auf dieser Welt uns Armen?« Doch die Blumen bluhen, Diifte weben, Keine Antvvort sie dem Magdlein geben. Und es vvandert vveiter dann die Waise, Dort die Voglein will sie fragen leise, Die im Busch so lustig zwitschernd singen, Sicher werden sie ihr Antwort bringen. »Ach, ihr Voglein habt ein glucklich Leben: Frei und troh so in den Luften schvveben, In den hohen, hellen Wolken oben Jauchzend unsern Himmelvater loben — Welch ein Gliick! Doch wehe, wer nicht bleiben Kann daheim, wen sie vom Hause treiben, Wer die guten Eltern hat begraben Und, wenn Brot er will zu essen haben, Fort muss! O ihr Voglein habt Erbarmen, Sagt, was soli auf dieser Welt uns Armen?« Doch die Voglein trallernd ihr entschweben, Keine Antwort sie dem Magdlein geben. Anka aber wandert rastlos weiter, Bachlein wird ihr murmelnder Begleiter. »Bist« spricht sie, »ein lustiger Geselle! Welle hanselt platschernd sich mit Welle, Hilpft und plaudert siiss und will sich necken, Kennst nichts von des Lebens Ernst und Schrecken; Doch weh dem, der nicht daheim kann bleiben, Den sie von des Hauses Schwelle treiben, Der die armen Eltern, ach, begraben 6 82 Und nun, will er was zu essen haben, Fort muss! Ach, mein Bachlein, hab’ Erbarmen, Sag’, was soli auf dieser Welt uns Armen?« Und das Bachlein hort die Arme weinen, Sieht die dicken Thranen, die der Kleinen Hastig rollen liber ihre Wangen, Rieselnd leise spricht es zu der Bangen: »Weit komm ich herum, doch vvas ich sehe, Gibt nur eine Trostung deinem Wehe: Nicht die Erst’ bist, nicht die Letzt’ auf Erden, Der hienieden solche Lose werden!« (»Anka«) . . . Ein anderes Frauenschicksal. Vor meinem Fenster duftet ein Fliederstrauch siiss und schwerlastend. Das deutet auf Liebe und Tod zugleich; auch die violette Bliitenfarbe, in der sich das Rot der Liebe und das Schv/arz des Todes zu einem wollustig-muden Moll-Zweiklang eint. Auf diesem Flieder halten gerne die Vogel weltfliichtend Rast, und es muss ihnen dabei wohl dann und wann die berauschende Liebes- und Todes- melodie des Flieders zu Kopfe steigen. Denn oft fangen sie, auf dem schwanken Geast sich wiegend, ganz menschliche Geschichten zu er- zahlen an — von der Liebe und vom Tod. Ich kann das dann ganz gut in meine Schreib- stube hereinhoren . . . Ein halbes Jahr ist es her. Die Fliederdolden prangten in rothlichen Farben und dufteten siiss ins geoffnete, Fenster. Wenn dann ein schmeichelnderWestwind sie streichelte, schickten sie umso heissere Liebesdufte herauf. 83 Damals wiegte sich an einem schwermuthig sehnenden Abend eine Schwalbe auf dem zarten Gezweig und sang, berauscht von dem Tristan- und Isolde-Gestohn des Flieders, eine Liebesgeschichte: Am Teich eine Fischerhutte. Der Alte angelt tagsuber. Die Junge haust allein in der Htitte. Sie sehnt sich nach etwas Wunderbarem. Und er kommt oft und oft — aber nicht der angelnde Alte. Sie schmiegt sich dann an i h n; sie kussen und sie lieben sich. Jetzt kommt er nicht mehr, der reiche Ritter. Sie aber halt etwas Siisses, Kleines, Warmes in den Armen und weint. Am Abend erst kommtdann immerder Alteheim. So sang die Schwalbe. Stark narkotische Duft- wellen waren dann das Zeichen, dass sie die Flieder- dolden in Schwingungen gesetzt hatte. Sie war fort- geflogen . . . Es gieng gegen den Sommer. Die Bluten unten waren verblut und schickten die letzten Duftseufzer zu mir herauf. Auf einem Fliederzweig sass eine Kohlmeise und pipste wieder etwas Menschliches: ln der Stadt eine Kirche. Grosses Geprange. Drei Ja-Worte vor dem Priester. Der junge Ritter fuhrt das reiche Ritterfraulein heim. ln einem Betstuhl aber schluchzt eine Junge und wartet auf das Wunderbare. Ich kenne sie von der Fischerhutte am Teich. 6 * 84 So pipste die Kohlmeise. Die Blatter des Flie- ders schiittelten sich ein wenig. Die Meise war fort. .. Eine sturmische Herbstnacht ist heute. Ich kann nicht schlafen und setze mich ans Fenster. Stossweise streicht die Nacht mit ihrem Fiedel- bogen — das ist der Wind — auf den Saiten der Linden und Kastanienbaume. Ieere Bass - Quinten, dass sie sich achzend biegen. Das durre Laub ra- schelt dann zogernd zur Erde. Es ist eine traurige, schaurige Nacht. Die Fliederdolden duften langst keine Liebe mehr, der Strauch tragt die gelb - braun - schv/arze Farbe der Auflosung. Plotzlich will sich ein ungeschlachter Rabe auf dem Flieder niederlassen. Der ist aber viel zu schwer und brutal fur den zarten Liebesflieder. Er wuchtet die Zweige nieder, dass sie schwankend baumeln und entsagend unter ihm einknicken. Der Liebesflieder ist im Zusammenbrechen. Der Rabe hat also nicht viel Zeit. Er krachzt nur etwas wie »Tod im Teich«, dann flattert er un- geschickt auf die nachste Linde, deren Krone ein heftiger VVindstoss durchrtittelt . . . Mich frostelt und ich schliesse das Fenster . . . Das ist die Geschichte von der Liebe und vom Tod. Wunderbares ist aber nichts dabei. (»Tri ptice«, »Die d r e i Vogel«)... Ja auch das Sterben dieser Menschen ist oft seelenmarkdurchschauernd tragisch, weil um den Endenden so selten nur die Liebe waltet, horchend 85 auf die letzten Athemzuge, zahlend die verblašsenden Pulsschlage, inbr/instig flehend um das Leben! Einsam oft, in eisiger Wintersnacht frieren diese Menschen hinuber an das jenseitige Eiland, nach der einsamen Todteninsel. Im einsamen Leben ein einsames Sterben. Man schaue noch ein solches Lebens-Bild, umflort schon von den Zeichen des Todes: Aufs Pflaster tritt er hart und steif, Sein Bart, er starrt von VVinterreif. Tief unten klingfs von Spiel und Tanz r Der Saal erstrahlt im Lichterglanz. Es lud der Festungsgeneral Die Burger ein zu Schmaus und Bali. In Kelchen schaumt Champagnerwein, Die Paare fliegen hin im Reih’n. Auf blosse Nacken sonder Zahl Und Busen fallt der Kerzen Strahi . . . Hei, draussen gibt’s auch Tanz genug, Er sturmet himmelvvarts im Flug! Die Windsbraut ist die Tanzerin, Sie flieget mit dem Schnee dahin. Doch er, in Winters Sturm und Braus, Bewacht das test gebaute Haus. Es ist die letzte Wache heut’, Friihmorgens man ihm Abschied beut. Je mebr die Nacht dem Tage weicht, Je hoher Wind und Wetter reicht. Die Kalte dringt durch Mark und Bein, Dringt eisig in sein Herzblut ein. 86 Fort wandelt er auf seiner Wart’, Geht auf und ab, ist halb erstarrt. Doch gluhend heiss sein Herze schlagt, Sein Sinnen ihn nach Suden tragt. Nach Suden, in sein sonnig Land, Wo Frost und Winter unbekannt. Und morgen schon voli Lust und Giuck Kehrt er ins ferne Heim zuruck. So mag denn sonder Ruh und Rast Wind, Schnee umwirbeln den Palast! Er achtet nicht des Sturmes Wuth, Daheim, da ist’s so gut, so gut! Zum Fensterlein er wieder schaut, Ins Aug’ er blickt der treuen Braut. Ach, dieses Siidens laue Luft Und dieser Nachte Zauberduft! . . . »Und wenn der junge Morgen graut, Fuhr’ ich dich heim als einz’ge Braut!« . . . Es tagt. . . Horch, welch ein Freudenton, Zur Hochzeit Iadt der Spielmann schon! Doch aus dem Saal nur klingt’s empor, Und der Soldat steht vor dem Thor. Er starrt im Schnee von Winterreif, Lehnt am Gevvehr, ist todt und steif. (»Die letzte Wache«, »Poslednja straža«.*) So spielt das Schicksal Bali mit ihnen. Und wie der Tod in ihrem Leben das Schonste ist, so *) Diese Ubersetzung stammt von Prof. Anton Funtek, welcher dieselbe zuerst in der Wiener »Osterreichisch-Unga- rischen Revue« veroffentlicht hat. 87 bedeutet auch manches Andere, das den beati pos- sidentes Grauen und Schrecken einflosst, wovor sie Abscheu empfinden, wie Schande und Verbrechen, im Dasein der misera contribuens plebs noch einen lichten Punkt. Welch bittere Ironie! Davon weiss insonderheit jeder Strafgerichtler traurige Beispiele aus seiner Praxis zu erzahlen, was ihn aber beileibe nicht hindert, iiber Gelehrte wie Vargha und Genossen mit iiberlegen veracht- Iichem Lacheln den Štab zu brechen. Unser Dichter zeichnete folgende Episode aus dem Gerichtssaal auf: »Funt Monate!? . . . Nun also bis zum Mai, Wo doch die strenge Winterszeit vorbei . . . »Ihr wisst, was Schonheit hier vermag auf Erden. Ich liebte sie, sie mich, so musst’ es werden. Der Sperling darf die Seine sich erwahlen, Wer solite das dem Menschen wehren konnen ? Und’s wollt’ uns jedermann das Glilck auch gonnen, Das zu den Rechten der Natur soli zahlen. »Sie konnt’ nur Liebe mir zur Mitgift geben, Ich ihr den Namen und mein ganzes Leben! . . . Herr Richter! Wohlig habt ihr’s hier bei euch, Habt warmen Ofen, hei, und liebe Warme — Ach, wie ich frierend fur die Warme schwarme! In unsrer Hiitte war es freilich anders. Wie jetzt hort’ ich die Sturme draussen wiithen, Wie jetzt Eisblumen an den Fenstern bluthen. Und sterbenskrank lag sie im Fieberbeben, Die meinen armen Wurmlein gab das Leben. Und ich bin arbeitslos daheim gesessen; Ach, ohne Arbeit gibt’s bei uns kein Essen . . . Ja, mit der Zeit versteinert und verhartet 88 Des Menschen Herz sich in des Lebens Jammer, Im Kampf uras Brot, in eisluftschwangrer Kammer: Und nimmer konnt’ ich sehen dieses Elend, Ich eilt’ aufs Schloss, man liess mich draussen steh’n: ,Erbarmen, ach! Die Kinder frier’n, die schwachen, Gebt nur ein wenig Holz zum Feuermachen!’« »»Ha, wenn sie ’s friert, so heiss’ sie schlafen geh’n!«« »Ach, gnad’ger Herr, dann mocht’ um Brot ich bitten!« — »»Fort! Bettler werden nicht bei uns gelitten!«« »Dann ware etwa alte Kleidung zu entdecken, Auf dass die Kinder ihre Blosse sich bedecken« — »»Weg! Packe d i c h!« « »ich hab mich fortgemacht — Zum Diebe musst’ ich werden diese Nacht! Einst lehrt’ mich’s Miitterlein: ,Du solist nicht stehlen!', Ach ja, Gott soli es ihr zum Heile zahlen! — »Ihr habt ein Herz, ihr Herren vom Gerichte, Schenkt doch Erbarmen mir, dem armen Wichte! Dass nicht an mir sie sich ein Beispiel nehmen Und auch so tief wie ich herunterkamen: O sperrt mit mir sie ein, die armen Knaben, Dass sie sich vvarmen und zu essen haben! . . . »Hei, trauter Ofen, siisse, liebe Warme, Ach, wie ich frierend fiir die Warme schwarme! Und, ha, wie draussen eisge Winde sturmen, Im wilden Tanz den Schnee zu Bergen thiirmen!« (»Zimska romanca«, »NVinterromanze«)... Und so geht es den Armen und Schwachen allezeit und allewege. Horchen wir noch hiniiber nach dem fernen Osten! Da vernehmen wir folgendes Zwiegesprach: 89 »Lehne nicht so einsam traumend, Edler Ali, weiser Ali; Sieh, es woget laute Freude Buntbevvegt im lichten Saale. Was verfinstert dir die Štirne? Sieh, es fliegen hin die Paare, Fiirstensohne, Furstentochter Schvvingen sieh im leichten Tanze. Weiser Ali, welterfahren, Sage doch, an welchem Hofe Sahst du solehe Pracht erglanzen, Solcher Feste Glanz und Hoheit? Feurig spielen Diamanten In Sultanens Diademe; Es verlangt mich zu erfahren, Wo ein schSnres Spiel zu sehen. Weiser Ali, gibt es Ketten, Goldne Ketten, schvverer vviegend, Als sie heute Jusuf Pascha Tragt, im Staatsgewande blitzend ? Und die feenhaften Trachten! Ja, wo gibt es solehe Seide Wie an meinen Odalisken? Wo Kostume also reizend? . . .« Auffahrt Ali traumverloren, Steht dem Konig Red’ und Antvvort, Lustig klingt die Schellenkappe, Spottisch grinst sein Satyrantlitz. »Steine sah ich heller spielen, Perlenreihen reiner spriihen, Kleiderstoffe reicher strahlen, Kettenbande schvverer drucken! — 90 - Nicht in fremder Herren Landern, Nah genug kannst du’s erfahren, Dass dein Narr, der weise Ali, Wahres nur dir offenbaret. Theurer als die Staatsgewander Sind die rauhen Bauernkleider, Da durch schwere Handearbeit Jedermann sie tragt zu eigen. Schvverer als die goldnen Ketten, Welche jene Gecken schmucken, Herr, sind wohl die Sklavenbande, Die mein Volk zu Boden driicken! Hellre Perlen willst du sehen ? Thranen sind’s von Millionen: Herr, si fallen Deinetwegen, Der du schwelgst in uppger Hoffahrt. Und die schonsten Diamanten ? — Das sind wohl die Tropfen heilig, Ihm von heisser Štirne rinnend, Der da kampft ums Brot der Seinen. (»Dvorski norec«, »Der Hofnarr«*)... So also geht der Meister hinaus und spricht unentwegt zu seinen Jungern: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet werden; verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammet werden; vergebet, so wird euch vergeben werden. Gebet, so wird euch gegeben werden; ein gutes, ein eingedrucktes, ge- rutteltes und aufgehauftes Mass wird man in euern *) Diese Ubersetzung stammt aus der Feder des slo- venischen Dichters Anton Funtek. . 91 Schoss geben; denn mit demselben Masse, womit ihr messet, wird euch wieder gemessen werden. So predigt er uberall und immerdar das grosste Gebot: Du solist deinen Nachsten lieben wie dich selbst! Habt ihr’s nun endlich gehort, ihr Heuchler, wie unser Dichter das Wort Gottes verkiindet? . . . Und sie hoben ihre Augen auf und sahen nie- mand als Jesum allein! VI. Die Flamme der Begeisterung fiir Wahrheit Und Recht, nie moge sie erloschen euch! Fiir Heimat, Volk und Freiheit lodre stets sie Hoch auf in euch dem heilgen Feuer gleich! Anton Aškerc in »Sveti ogenj« (»Das heilige Feuer«). \'\'ir leben in der Zeit des Anarchismus, was die Kunst anlangt. Vielleicht keine Schaffensperiode war so bar aller sogenannten asthetischen Gesetze, wie unsere. Das kommt vielleicht daher, weil man einsehen gelernt hat, dass in der Kunst uberhaupt nicht Ge¬ setze herrschen, d. h. Normen, nach welchen von einem bestimmten Zeitpunkte an alle und jede Kunst sich zu verhalten hat. Es gibt nur eine Kunstgeschichte, jene Wissen- schaft, welche die E n t w i c k 1 u n g s - Gesetze der Kunst zu erforschen hatte. Die Kunst selbst ist bei den Grossen Sache der Stimmung, welche die Aussenwelt im weitesten Sinne in ihnen naturnotwendig auslost, bei den Kleinen ist sie Nachahmung der Grossen, Epigonen- thum. Wer wird nach alledem noch leugnen wollen, dass auch die K u n s t-K r i t i k, abgesehen von der 93 Priifung der rein technischen Fertigkeit, Stimmungs- sache ist, dass es mit anderen Worten nur sub- jective Kunst - Kritik gibt? Ich habe Bocklins Meerbilder gesehen und deren Farbenpracht bevvundert. Allein verstanden und er- fasst habe ich ali den Phantasiezauber erst, nach- dem ich das gewaltige, geheimnisvolle Leben des Meeres in tieftintigem Abenddammer an mir habe vorbeirauschen lassen. Wie oft hinterliess mir manch prachtiges, Ju- gendgluck strotzendes Fruhlingsliedel, das ich in geheizter Stube las, den Eindruck der Sentimenta- litat, der Manirirtheit. Schmolz aber erst der Schnee und guckten die Primeln, die Vorhut Ritter Lenzens, erst aus dem saftigen Boden, dann diinkte mich’s, als hatte der Dichter aus meinem erwarmten, glucksehnenden Herzen gesungen, als hatte er nur gesagt, was ich nun tiefinnig und voli wieder- empfand. Der Fruhling zog durchs Lied, ich fuhlte das im Fruhling. So habe ich auch meine Zeit, wo ich mir mit Vor- liebe ganz bestimmte Musik mache, z. B. herb-helden- hafte.dann wiederschmelzend-schmeichelnde; lichter- loh-leidenschaftliche, dann wieder sanft-sinnende. Und so gibt es auch Tage, wo ich am liebsten einem ganz bestimmten Dichter in die Brunnentiefe seiner Seelenwelt nachzuklettern versuche, wo ich diesen einen Dichter ganz besonders gut zu ver- stehen meine . . . Heute war wieder einmal ein Aškerc-Tag. Nicht uberflussig scheint es mir, denselben mit meinem Leser nochmal zu durchleben. Man schreibt und 94 liest sich dann mehr in die Stimmung hinein und wird empfanglicher fur das, was der Dichter aus seiner Stimmung heraus geschaffen hat. Also es ist so ein herbstelnder Tag mitten im Hochsommer. Kein Sonnenschein, auch kein Regen. Aber schmutzige, bleigraue Wolken driicken mit voller Wucht auf Horizont und Stimmung. Die Natur ist stili, gespannt, regungslos. Nur im breitkronigen Lindenbaum pipst ein Distelfink und aus der Mergel- grube schnabelt eine Amsel gierig die Spulwurmer auf, die sich aus der gelockerten Erde emporringeln. Es muss aber anders werden. Regen kommt oder Sonnenschein. »Diane« soli Gras gefressen haben. Und dann riecht man ja auch den Regen. Die Luft birst beinahe von Feuchtigkeit. Und doch standgestern mein Aneroid auf »bestandig«.IY1enschen- arbeit — halbe Arbeit. Wahrend ich herinnen gruble, rathselt die Natur draussen. Plotzlich biegt ein sanfter Wind die Zweige der Linde. Und gleich darauf wirbelt ein fester Luft- stoss den kleinen Sand der Strasse in wuchtigem Bogen in die Hohe. Das war der Vorbote des Regens. Es tropfelt schon . . . es rieselt ... die Wolken brechen ... ein Regenschauer zieht durch Wald und Feld. Alles herum sieht aus wie eine grosse schraffirte Ebene. Aber der beengende Druck des Zweifels hat aufge- hort. Frisch und kuhi weht die Luft und sauerstoff- reich . . . Das Wolken-Platzen und -Plarren lasst bald nach. Nur ein sanfter, feiner Rieselregen spruht noch herab. 95 Die ganze Natur weitet ihren Brustkorb und athmet tief auf. Distelfink und Amsel, die sich unter das Biatterv/erk geduckt haben, spreiten iustig ihr Gefieder. Auch die Spatzen sitzen ganz wonne- behaglich auf dem Telegraphendraht, sie duschen sich gern. Und gar die selbstbewusste Linde da druben, wie sie sich dehnt und reckt und knospt, voli Lust, das Rinde und Mark erquickende Wasser zu schlurfen. Mir auch, uns auch Natur! Mit den Spatzen pfeifen, mit der Linde knospen, Mensch, das solist du dar.n und wann! Lass einmal nur das Grilbeln sein und freue dich! AIso flugs in die wasserdichten Stiefel, in den bergenden, kapuzebegabten Wettermantel und hinaus in den Wald und frischfrohlich gezecht vom Becher der perlenden, uberschaumenden Natur! Mittlerweile hat es auch zu rieseln aufgehort, es tropfelt nur mehr. Wie ein lachendes Kinder- gesicht nach dem Weinen, so schaut draussen die Welt drein. Und die Sonne, die Kreuzspinne, sitzt hinter ihrem zerfetzten, fadenscheinigen Wolken- gespinst, das mehr und mehr in Fransen geht. Ihr ausgelassenes Strahlengekicher steckt mich an. So steige ich hinauf uber uppige Almwiesen, deren. Blumen ihre Kelche geoffnet haben. Der Erde entstromt ein berauschender Duft. »Mouh! . . . Mouh!« und » K1 i n g! . . . Klang!« empfangen mich mit regenthranenden intelligenten Fragaugen die gemuthvollen milchspendendenWieder- kauer und weiden das thauende Gras. 96 Und weiter hinauf geht es, wo die Bussarde kreisen mit majestatischem Flugelschlag, sie sind die Tyrannen der Lufte. Ganz droben aber im dunklen Tannengeholz ist ein prachtiger Auslug hinab in die Ebene des Doubs, hinuber zu den nachbarlichen Bergen des franzosischen Jura und weithin in verschv/immende Ferne nach den hochsten Einsamen des Schweizer Hochgebirgs. Ja, wem da nicht das Herz aufgeht; wer da nicht in seligem Schonheitsrausch aufjauchztund es hinaus- schreien mochte in den gottlobenden, biauaugigen Tag: Frei sein, frei sein, ach, wie ist das doch so schon; wahrlich, wessen Seelen - Saiten diese urkraftige Natur nicht in wonniger glutvoller Musik erbeben macht — der bleibt ein armer Mensch sein Lebelang. Hier setze ich mich auf einen moosuberwuch- erten Steinklotz und sauge mit allen Sinnen die Schonheit dieses Sommertages ein, an dem alles eitel Lachen und Leben ist. Nach zweimonatlicher Wanderfahrt durchs ganze herrliche Schwyzer Land, auf dem vi er Nationen in idealer Eintracht nebeneinander leben, in dem die V at e r 1 a n d s 1 i e b e zu Hause ist, wo es formlich nach Freiheit in nationaler, religioser und socialer Beziehung riecht und wo die Natur alles erdenkliche Schone zusammengehauft hat, raste ich seit zwei Wochen in der einsamen, weltvergessenen, aber umso traulicheren franzosi¬ schen Kleinstadt da unten bei liebwerten Gastfreunden, die mich verzarteln und verziehen und mir Freude machen, wo sie nur konnen. 97 Man wird begreifen, dass ich mich nach Ein- driicken, wie sie das rustige Zurcher Fortschrittsleben, der vier Waldstatten See mit den vielen Tells-Erin- nerungen, die alte Klostergelehrten - Herrlichkeit von St. Gallen, der Berner Bundespalast sonder Nationali- taten-Streit und -Hader, die drei eisigen Unzertrenn- lichen des Oberlandes, Lac Lčman mit dem in By- rons Freiheitssang verherrlichten chateau de Chillon, wie sie Vevey, Montreux, Lausanne und tausend andere schone Dinge dieses gesegneten krieg- und militarabholden Bodens auf mich austibten — dass ich mich nach solchen Eindrucken, die ich losgelost von allen Fesseln des Alltagslebens zu geniessen so glucklich war, in dieser freudvollen Gegenwart zum Lesen einer Poesie angeregt fiihle, die im grossen und ganzen eine Apotheose des Freiheits- gedankens und eine Verherrlichung alles wahrhaft Schonen genannt werden kann. So empfieng ich denn auch den ersten Anstoss zu dem Gedanken, uber Aškerc zu schreiben, voriges Jahr unter den rauschenden Riesenpappeln der fle Rousseau angesichts der Statue des hier geborenen grossen Encyclopadisten und Menschenfreundes, an¬ gesichts des gottbegnadeten Genfer Sees und der weisshauptigen Aiguilles d’Argentieres. So ubersetzte ich auf Klein - Scheideck unter dem Eindrucke des- zu Thal stiirzenden Lawinen- gedonners und des Eishauches der wolkenthonenden Jungfrau und unter dem Eindrucke der erschutternden Nachricht, dass diese Stolze soeben wieder drei Menschenopfer gefordert habe, mit dem Gefuhl des winzig Lacherlichen gegenuber der unbeugbaren, 7 98 ernsten Grosse dieser Natur — so ubersetzte ich zu Fussen dieses allmachtigen Gletscherkolosses Aškerc’ gewaltige, beinahe polytheistisch angehauchte Ode »Ich« (»Jaz«), welche ich hier folgen lasse: Floss’ Furcht ich ein vielleicht auch dir, Den gottliche Vernunftkraft lenket, Der die Natur zu zahmen denket, O Mensch, du zitterst auch vor mir? Ach du, der du dich selbst vergotterst, Den Wiedersacher niederschmetterst, Sieh ins Gesicht mir, Erdgestalt, Ich bin’s, ich, die Naturgewalt! Doch wie nennst du dich, Allbezvvinger, Du Weltbeherrscher, Siegerringer ? Was jenes Thier, am Boden kriechfs, Das bist du mir; ein Wurm, ein Nichts! Stets kann damit nach Lust ich schalten Und spielen und mich unterhalten. Gelustefs mich, gleich konnt’ ich hier Die Erd’ erschiittern unter dir: Und stohnend miisst’ das Felswerk springen, Das keine Macht je konnt’ bezwingen; Die Erde schvvankt und wankt und wiegt Sich in den Angeln und es triigt Der teste Boden wie die Wogen Des Meeres, kommt ein Sturm gezogen . . . Und was du dir, »Der Schopfung Herr«, Auf schvvankem Grund erbaust gar schwer: Palaste, die gen Himmel streben, Darin die Wissenschaft du lehrst, Darin die heii’ge Kunst du nahrst — Als Spielzeug sind sie mir gegeben! O wenn ich will, ein Wink geniigt, Dass alles das im Staube liegt. Nichts wird dir deine Kirchen schtitzen; Pagoden alt mit Thurmesspitzen Und Dschamien und Synagogen, 99 Darin sooft du mich belogen: Sie alle reiss’ ich nieder, alle. Und nach der letzten Gotzen Falle Magst du selbst aus den Triimmern flieh’n Und als ein Bettler weiter zieh’n . . . Nicht darfst du drob dem »Vater« fluchen, O fluche ja nicht deinem — Gott! Er bringt dich nicht ums taglich Brot,1 Ihn darfst mit Groll du nicht versuchen. Ein guter Vater stosst sein Kind Nicht aus dem Haus bei Nacht und Wind, Er vveckt es nicht aus siissem Schiafe, Er treibt es nicht einmal zur Strafe Halbnackt hinaus aufs freie Feld! Und aus dem Bett bei Nacht und Kalt’, Jagt er nicht schvvache Wochnerinnen Mit ihren V/tirmlein, zitternd in den Linnen. Den Vater harmt des Kranken Leid, Wenn schmerzdurchvviihlt vor Weh er schreit Er zerrt das Kind nicht, das im Sterben, Hinaus ins Freie liber Schutt und Scherben . O fluche ja nicht deinem Gott! Nur ich bin’s, die dich stiirzt in Not, Die Allmacht, Allkraft der Natur, Fur dich, Mensch, ein Verhangniss nur. . . Du bebst?! Erfasst ein Grauen dich? Du hassest und verachtest mich? Wozu? Anstatt mich zu verachten Sollfst du mich zu erkennen trachten! Wer bin ich? Brahma, der dich schuf; Es zaubert mein allmachfger Ruf Dir eine Welt hervor voli Lebens, Voli weisen, eintrachtsvollen Strebens. Dann freilich bin ich Siwa auch, Kehr’ diese Welt in Schutt und Rauch. Und doch bin keiner ich von jenen: 7 * 100 Naturkraft mich die Menscben nennen! Auch lass nicht Welten ich ersteh’n Und wieder dann zugrunde geh’n — Ich rege, riihre und bewege Mich ewig nur und allevvege . . . Ich kenne nicht was Leben heisst, Was Tod, was Hass und Rachegeist, In Liebe auch ich nicht entbrenne; Ich weiss nicht, was man Gut und Schlecht, Was Sundhaft nennt und was Gerecht, Nur mein Gesetz ist’s, das ich kenne; Und dies ist ewig, eisern hart, Von unerbittlich strenger Art! Wer bin ich? O durchforsche mich, Sieh endlich zu ergriinden mich — Welch geist- und freudvolles Vergnugen — Wirst finden freilich nie Geniigen! Ich deine Sclavin? Du mein Knecht? So kampfen ewig wir ums Recht. Was soli der Streit? Wann wird er enden Und endlich sich zum Frieden wenden ? Wer bin ich? Merke dies Axiom: Ich bin das Ali, du — ein Atom! So sitze ich denn auch, meine Arbeit dem Ende zufuhrend, auf Schweizer Boden hier oben in meiner moossammet-gepolsterten Felsen-Chaiselongue und ruhe aus und traume bald, bald lese ich im Dichter, bald horche ich auf das Weben der Natur ein dolce far niente, so wohlig und mollig, so unendlich siiss wie die Ruhe in der Geiiebten. Auch Aškerc hat in zahlreiche seiner Schopf- ungen inniges Naturgefuhl einstromen lassen. So in das prachtige Gedicht »Buddhas Wunder«, (»Buddhova čudesa«) oder in das schon allegorisi- rende, allerdings an ein beruhmtes Heine’sches 101 Muster erinnernde Poem »Ahorn und Linde«*) (»Javor in lipa«): Von bleichem Monde beschienen Erhebt sich ein Ahorn am Hang, Es rauscben in nachtlicher Stille Die Zweige so siiss und so bang. Geheimnisvoll flustert auf ihnen Das Laub sich wiegend im Traum . . . Was mag wohl so seltsam bevvegen Den armen vereinsamten Baum ? Es bluht neben ihm eine Linde, Die schonste im ganzen Hain; Es drangt ihn nach ihrer Umarmung Der Sehnsucht qualvolle Pein. Lass ab von der Linde, mein Ahorn, Es lockt dich vergeblich ihr Duft! Es trennt dich auf ewig vom Liebchen Eine uniiberbruckbare Kluft. Hier ist auch der Ort, der zahlreichen anmu- thigen Stucke des »R e i s e t ag e b u c h e s« (»Iz po¬ potnega dnevnika«) Erv/ahnung zu thun. Dasselbe enthalt etliche 20 interessante Stimmungseindrucke, welche der Dichter auf seinen Reisen insbesondere nach Wien und Budapest (1884), Prag und den Alpen- landern (1885), Bosnien (1886), Venedig (1887), West- ungarn (1888), der Slovakei und Krakau (1889), den Balkanlandern und Konstantinopel (1893) empfangen hat. Letztere Reise trug ausserdem noch die Frucht eines kleinen prosaischen Buches. *) Die Obersetzung stammt von dem sudslavischen Asthetiker Franz Selak und erschien zuerst in der Prager »Politik« Jgg. 1893, Nr. 254. 102 Zu den schonsten, am meisten aus der Stim- mung heraus gemeisselten Stucken des genannten »Tagebuches« scheinen mir zu zahlen: » A u f K a l e- meydan«, »In der G o n d e l« (»V gondoli«), »Im Dogenpalast« (»V doževi palači«), »Auf Ve- l eh rad«, »A m Bos poru s« u. s. w. Aber auch hier erscheint immer wieder das Freiheitsmotiv in den mannigfaltigsten Variationen, so in einigen der eben erwahnten Schopfungen und besonders auch in »Einer Harems-Rose« (»Ha- remski roži«), »Im Passe von Kasan« (»V La¬ zanski soteski«), »Einer Mohamedanerin« (»Mohamedanki«) und anderen noch zu erwahnenden Gedichten des »Reisetagebuches«. Wir haben schon gelegentlich der Besprechung der Tyrannis- und der socialpolitischen Liebes-Dichtungen eine Reihe von Documenten des tief in der Seele des Dichters wur- zelnden, in dessen Lebenslauf begrundeten Freiheits- dranges, soweit sich derselbe auf social e m Ge- biete aussert, herangezogen, und wol!en es an dem genug sein lassen. Der Freiheitsgedanke aussert sich bei Aškerc aber natiirlich auch auf allen anderen Gebieten, ins- besondere puncto Religion und N ati o n. Was die erstere anlangt, so war gleichfalls schon die Charakterentwickelung des Dichters Ver- anlassung, an Schopfungen wie der »Siovenischen Legende« und im ganzem V. Abschnitt dieser Ab- handlung zu zeigen, dass in unserm Dichter ein wahrhaft christlicher IMensch lebt, dessen Nachsten- liebe-Princip es ihm keinesfalls gestattet, einen phari- 103 saischen Parteistandpunkt bei gleichzeitiger Verdam- mung aller anders Gesinnten einzunehmen. Nachstenliebe, Erbarmen und Duldsamkeit sind dem Dichter die Kardinalpunkte der religiosen Ge- sinnung. Diese Anschauung vertrat Aškerc schon in einer noch der alteren Schaffensperiode angehorigen Dichtung »Der Sturame von Ossiach«*) (»Mutec Osojski«), welche in Dbersetzung folgender- massen lautet: »Gegrtisst, du Ort des Friedens, du Kloster altersgrau, Gegriisst, du See, so lieblich im tiefen Wogenblau, Du kostlichste der Perlen im schonen Karntnerland, Ob wohl je Frieden findet mein Herz an deinem Strand?« Wer ist der fremde Pilger, der also stille spricht? Sein Auge leuchtet feurig, doch bleich ist sein Gesicht, Gebieterisch sein Wesen und ritterlich sein Gang — Wer ist’s, der furder schreitet zum Stift den See entlang? Schon tritt er an die Pforte, daseibst er stille steht, Gemachlich sich im Garten des Klosters Abt ergeht, Doch keine Mar ihm kiindet des Pilgers stummer Mund, Er reicht ein Blatt dem Monche, darauf die Botschaft stund. »Gutheiss’ ich deine Kunde; du kommst aus Rom hieher. Willst hier in Demuth dienen, so lautet dein Begehr; Tritt ein, mein frommer Pilger, wenn dein Verlangen echt, Magst furderhin hier weilen, magst dienen uns als Knecht!« Und stumm betritt der Fremdling des Klosters stillen Ort Und stumm die schwersten Dienste verrichtet er hinfort, Verlasst sein hartes Lager, da kaum der Tag erwacht, Begibt sich erst zur Ruhe in muder, spater Nacht *) Verfasser dieser Ubersetzung ist Prof. Anton Funtek.. Dieselbe erscbien zuerst in der Wiener »Osterreichisch-Un- garischen Revue«. 104 Und niemand mehr heischt Kunde, woher gekommen er, Man fragt nach seinem Lande, nach seinem Stamm nicht mehr, Fremd weilt er in des Klosters ersehntem Heiligthum, Man lasst ihn einsam weilen, er ist ja stili und stumnn! Da eilt zum stummen Knechte der Abt von Ossiach, In enger Zelle schmachtet der Kranke sterbensschwach, Auf seinem harten Bette er bleich und miide lehnt, Ihm bringt der greise Vater das Sterbesacrament. »Vernimm, ehrwurd’ger Vater, des stummen Dieners Flehn!« — Der Abt horcht auf betroffen: welch Wunder ist geschehn ? Da er durch sieben Jahre im Kloster stili gevvohnt, Nun lasst er sich vernehmen, spricht, was er nie gekonnt! Durch offenes Gestandnis erleichtert er sein Herz, Ergreifend klingt die Kunde von Schuld und Seelenschmerz: Von Stanislaus, dem Bischof, besagt sein stockend Wort, Dem er in jahem Zorne dereinst die Brust durchbohrt. . . Und da am dritten Tage die Sonne stieg empor, Sang fromme Todtenvveisen der Klosterbruder Chor, Im schwarzen Messgevvande der Abt Gebete sprach, Es schlief im Sarge friedlich der Knecht von Ossiach. »Zu dir in Deinen Himmel, Gott, seine Seele komm’«, Sang Vater Tencho leise und sprach Gebete fromm, »Hat Boleslav gesundigt, er that auch Busse schwer, Den todten Polenkonig verstosse nicht, o Herr!« Wie die in freiheitlich-liberalem (das ist heutzu- tage keine Tautologie) Geiste verfassten Staats- grundgesetze, so gewahrleistet auch Aškerc trotz katholischer Priesterschaft volle Glaubensfreiheit und driickt diesen Gedanken der christlichen Duldsamkeit mehr denn einmal in schoner Weise aus. Beispiele finden sich in dieser Arbeit allenthaiben verstreut 105 und beschranke ich mich auch diesbeziiglich auf den Hinweis und die Anfuhrung von ein paar noch nicht beruhrten diese religiose Anschauung verrathenden Schopfungen des Dichters. So sei hier der prachtigen Romanze»Peruns Opferpriester« (»Perunov žrec«) gedacht, die uns in die Zeit versetzt, da die noch heidnischen Slaven dem donnergewa!tigen Gotterhauptling Perun unter der hundertjahrigen Linde opferten und auf gleicher Steile lieber den Martyrertod starben als dem Glauben ihrer Vater untreu zu werden. Damals war es ein Kaiser Otto, der zur Starkung seiner politi- schen Macht den kathoiischen Glauben mit den Waffen in der Hand verbreitete. Und so wollte man aus eitel Eigennutz und Herrschsucht jenseits der Leichen derer, die standhaft ihres Herzenz Meinung bev/ahrt hatten, das Kreuz aufpflanzen, das Symbol einer Religion, deren oberster Grundsatz Nachsten- 'Jiebe ist? Nein! Uber Blut geht der Weg zur Macht aber nicht zum Herzen. Und Religion ist Herzens- sache. Das spricht unser Dichter in dem Sarajever Reisebild »In Begs Dschamie« (»V begovi dža¬ miji«) aus, in welchem er, die herrliche Kuppel- Moschee und die Andacht der betenden mohamme- danischen Serben schildernd, denselben die Worte widmet: »Ich ehr’ meinen Gott auf meine, Ihr ehrt ihn auf eure Art; Doch gleich gut sind unsre Gebete, Wenn Gutes das Herz bewahrt.« Glucklich, wer so ganz voli aus dem tiefsten Inneren heraus beten kann, so mit dem Herzen, wie 106 — die glaubige Frauenseele betet: felsenhart vertrauend, hingebend, liebevoll. Wehe aber jenen, die nicht glauben konnen und die ihr Beruf dazu zwingt, An- dere beten zu lehren, ohne dass sie selbst es ver- mogen. Dieser Letzteren nimmt sich der Dichter mit besonderer Warme an. So schildert er schon in der Romanze »Der Schwarzschuler« (»Črnošolec«) mit ergreifenden Worten den Abschied des von den Eltern zum Priesterstand bestimmten »verlorenen Sohnes« von Haus und Heimat, allwo derselbe ver- flucht vom Vater, beweint von der Mutter und be- hohnt vom ganzen Dorf, von dannen ziehen muss, weil er seinem Herzen folgend um seines lieben Madels willen einen weltlichen Beruf erkor. Beson- ders schon aber findet dieser Gedanke der Zwie- spaltigkeit zwischen innerer Seelenregung und aus- serlicher Pflicht Ausdruck in dem herrlichen Gedichte »Des S a n g er s Grab«*) (»Pevčev grob«), welches wohl kaum anders gedeutet werden kann, denn als »ein Bruchstuck dergrossen Confession« des Dichters: Hier also die Statte, wo einsam er ruht, Wo Frieden gefunden sein wallendes Blut; Der Name, er steht auf dem Steine, Kein Zweifel, er ist’s, den ich meine! Wohl lange, wohl lange schon ruhet er hier, Und doch ist’s, als stiinde er wieder vor mir So, wie er gelebt und gewesen So, wie ich in Schriften gelesen . . . im Garten des Klosters, da stand einst ein Baum, Da traumte er sinnend so mancherlei Traum, Die Voglein, sie kamen von Ferne, Die Blumlein, sie lauschten so gerne! *) Die folgende Obersetzung stammt von Anton Funtek. 107 »Maria, die Jungfrau, pries lange mein Mund, Will singen andere Lieder zur Stund; Hort Voglein, euch will ich vertrauen, Euch, Blumlein, auf sonnigen Auen! Ein wunderbar Sehnen das Herz mir durchzieht, Ich darf es nicht singen, das herrlichste Lied, Und kann es doch nimmer verdrangen, Es wiirde die Brust mir zersprengen! Doch wenn ich gestorben, dann, Voglein, ihr alP Lasst iiber dem Grabe erklingen den Schall; Spriesst, Blumen, empor aus dem Herzen, Lasst klingen verhaltene Schmerzen! Und wenn ich geschlafen Jahrhunderte Iang, Lasst tonen, lasst duften den hehren Gesang Hoch oben in Liiften, den blauen, Tief unten auf bluhenden Auen! . . .« Doch als er gestorben in einsamer Zeli’, Nicht konnte er ruhen im Garten, so hell, Musst schlafen im Kirchlein alleine, Tief unter dem marmornen Steine. Und was er gesungen, der traumende Mann, Wie konnte es tonen am Grabe fortan ? Nicht konnen die Vogel es singen, Nicht kann es aus Blumen erklingen,. . Und dies nun die Statte, wo einsam er ruht, Wo Frieden gefunden sein vvallendes Blut? Sein Name, er steht auf dem Steine, Kein Zvveifel, er ist’s, den ich meine. In uppigem Haine sein Grabmal nun steht, Von Baumen beschattet, mit Blumen besaet Und mitten im Walde darinnen, Da stehen des Klosters Ruinen. 108 Wohl brausten die Sturme vernichtend einher, Auf dass sich erfulle des Sangers Begehr, Auf dass er im Grabe noch hore Der Vogel beriickende Chore . . . Es jauchzen viel Stimmen im sonnigen Licht, Die Voglein, sie singen des Monches Gedicht, Und nun so die Tone erklingen, Versteh’ ich dies Sagen und Singen . . . Es klagt von vergeblicher Hoffnung der Sang, Er seufzt von verlorener Freiheit so bang: Wie Hoffnung so jahlings entschwindet, Wie Freiheit sich nimmermehr findet. . . Und wie Aškerc in dem thatengebarenden Wohl- wollen gegen den Nachsten und in der opferwilligen Drangabe des Ichs im Dienste der Gesammtheit, wie er in wahrer Menschlichkeit und Liebe, in echter Hu- manitat den Kernpunkt des Religiosen sieht, so steht er auch hoch erhaben uber ali dem schalen Wortge- zanke der nationalen Parteien, iiber der seichten Bierbankpolitik und der chauvinistischen Presshetze, welche Hass saet, vvahrend er Liebe pflanzt. Sein Volk, seine Heimat, seine slavischen Briidernationen hat er gar sehr im Herzen. Wir haben das schon oben im II Abschnitte gesehen und konnten zu diesem Thema noch genugend Belege aus den Poe- sien des Dichters beibringen, wolien uns aber hier mit dem Hinweis auf die hiibschen Reisebuch-Stucke »Rausche, Marica...!« (»Šdmi, Marica...!«), »In die Welt!« (»V svet!«), »Auf Velehrad« (»Na Velegradu«), auf die schone Allegorie »Die Reliquie« (»Svetinja«) und die, Stoffe aus der slavischen Vergangenheit behandelnden Romanzen 109 »Svetopolks Vermachtnis« (»Svetopolkova oporoka«), »A tti la und die Konigin der Slo- venen« (»Attila in slovenska kraljica«), »Die i 11 y r i s c h e Tragodie« (»Ilirska tragedija«) be- gniigen. Von Wesenheit aber ist es — und wir haben auch dies an der citirten Stelle schon angedeutet' — zu betonen, wie sich der Patriotismus bei Aškerc aussert: nicht in Schonrednerei und parlamentari- schen Kunststiicken, noch viel weniger aber in auf- reizenden Standreden gegen andere Nationen, sondern lediglich in fleissiger, im Dienste des Volksganzen stehender Kulturarbeit und in steter Anspornung seiner Volksgenossen zu ebenderselben. Christliche Liebe, singt er in »Wir auferstehen!« (»Mi vsta¬ jamo!«) und in »Den sloveni schen Soko¬ li s t e n « (»Slovenskim Sokolom«), christliche Liebe soli die Rache der aus Grabesnacht zur hellen Oster- feier erstehenden jungen Volker sein, Fortschritt und Bildung seien die Waffen, die sie fiihren lernen und mit denen sie im VVettstreite der Nationen, im unblutigen Kampfe der Geister in die Schranken treten und zum segenbringenden Siege kommen miissen. Also hoffnungsfroh und zukunftvertrauend, mit starkem Willen und vereinten Kraften unter dem Banner des Rechtes und der Wahrheit an die Arbeit! »Denn nur das Volk — dess seit bedacht — Das fur die heimatliche Erde Ervvirbt und schaffet stets, verdient, Dass sie ihm auch erhalten werde!« (»Einem alten Schriftsteller«, »Staremu pi¬ satelju«.) 110 So klingt und singt es alluberall in den Schopfungen unseres Dichters von thatenzeugenden Freiheitsgedanken, deren herrlichste und glanzendste Apotheose, das Gedicht »Die erste Martyrerin«*) (»Prva mučenica«), hier noch folgen zu lassen ich mir nicht verwahren kann: Der Holzstoss ist hochaufgeschichtet, Drauf steht sie, die Martyrerin. Unselige, wehe dir, wehe, Bald sinkst du in Asche dahin! Am Pfahle, da steht sie gefesselt, Man riss ihr vom Leib das Gevvand — Mich diinkt sie ein gottliches Wesen, Kein Weib aus agyptischem Land! Es flattern die Haare im Winde, Sie blicket herunter vom Stoss: Ganz Memphis versammelt sich heute, Es gaffet der Miissigen Tross. Sie aber mit gluhenden Augen Schaut endlos ins Weite hinein — Ob Martyrerstolz sie erhebet, Ob Glaube an ewiges Sein ? . . . Sie nahen mit brennenden Fackeln, Die Priester erscheinen mit Licht, Die heiligen Diener des Apis, Und also ihr Oberster spricht: »Man weiss nicht, woher sie gekommen, Ihr Heim ist uns keinem bekannt; Sie hat nicht den Namen des Vaters, Nicht jenen der Mutter genannt. *) Diese bisher noch nicht gedruckte Ubersetzung war Herr Prof. Anton Funtek so liebenswiirdig, mir im Manu- skripte zur Verfiigung zu stellen, wofiir ihm hier der herzlichste Dank abgestattet wird. 111 Ward sie nicht im Niiland geboren, So hat sie den Ganges gesehn; Man sandte sie hieher aus Babel, Vielleicht aus dem weisen Athen. Seitdem uns Osiris mit Isis Gedeihen und Leben gevvahrt, Seitdem man in unseren Landen Den heiligen Apis verehrt: Wir horten die Jungfrau noch niemals! Verwegen ist’s, kiihn, \vas sie spricht: Sie leugnet die Ordnung, die alte, Sie beuget selbst Gottern sich nicht! Ali ihre Ideen und Lehren — Wo sind sie geschrieben zu sehn ? Nicht einmal in Hieroglyphen Soleh frevle Anschauungen stehn . . . Wir wollten zum Schweigen sie zwingen Und geisselten sie bis aufs Blut. . . Vergebens! Die Volker des Nillands Verfuhrt’ sie mit trotzigem Muth. Wir vvarfen in Ketten und Banden Sie dann in den Kerker hinein, Auf dass auf verfaulendem Lager Vermodre der Fremden Gebein. Zur Nachtzeit schloss auf sich die Thiire . Zersplittert das eiserne Schloss . . . Sie sprengte die ehernen Bande Und riss sich ans Tageslicht los . . . Es ziirnen die Gotter daruber, Schvver trifft uns der Himmlischen Wut — Agypter, so lasst uns sie opfern, Wir werfen sie hin in die Glut! 112 Ans Werk denn!« .. . Schon lohet der Holzstoss, Dichtqualmender Rauch steigt empor, Es ziingelt die Glut an der Jungfrau — Die blickt nur mit Lacheln hervor. Was deutet dies seltsame Lacheln, Der Augen lichtflammender Schein ? lst’s heilige Martyrerhoheit ? !st’s Glaube an ewiges Sein ? »Lasst flammen den Haufen, an Sphinxen Und an Pyramiden vorbei, Auf dass aus dem nachtlichen Dunkel Das Weltall erhebe sich frei! O Licht!« ... Da verstummet die Jungfrau. Schutt, gltihende Asche — — wohlan, Wo bleibst du nun, trotzige Gottin, Wo deiner Unsterblichkeit Wahn? Doch sieh, aus dem glimmenden Haufen, Da hebt sich’s gewaltig empor! Lebendig steht vvieder die Jungfrau, Ist herrlicher noch denn zuvor! »Wer bist du, geheimnisvoll Wesen, Du Phonix, sag an, wer bist du ?« Sie sagt es mit Hoheit den Schergen, Sie lachelt wie spottisch dazu: »Ich habe den Tod auch bezwungen! ich wandle auf ewiger Bahn . . . Denkfreiheit, so lautet mein Name, Und mein ist die Erde fortan!« — Damit bin ich am Schlusse meiner Studie an- gelangt. Zur rechten Stunde! Denn schon dunkelt die Sonne langsam hinter den Bergen in ihre duf- tende Waldwiege hinab. 113 Manche, die den Dichter kennen, vverden viel- leicht das eine oder andere ihrer Lieblingsstticke nur fliichtig ervvahnt, vielleicht auch ganz uber- gangen gefunden haben. Es schien mir eben in den betreffenden Fallen die Anfuhrung der besagten Dichtungen nicht unumganglich nothwendig zur Er- reichung meines Zweckes: den Studienkopf des Dichters zu skizziren, die wesentiichen Charakter- Zuge seines mannlich-strengen Prophils, als da sind: Arbeit, Menschenliebe und Freiheit, aufs Papier zu werfen. Ist dieser Zweck nur halbwegs erreicht und erkennt man den Dichter aus den roh hingeworfenen Strichen vvieder, so bin ich belohnt genug . . . Ich kann nicht mehr lesen noch schreiben und auch zum Traumen ist keine Zeit mehr. Denn jah- lings pinselt das Dammer seine violetten Tinten uber die ganze Natur. Feuchtkuhl weht es aus dem schlum- mernden Geholz und der Abendfriede legt sich ins Thal. Noch einen diese ganze Schonheit da droben umarmenden Blick hinauf, hinuber, hinab, und ich gleite vorsichtig, nichtsdestoweniger oftmals glit- schend uber das schlurfende Grasicht der Almen thalzu. Bald umfangt mich der einsame, volltrunkene Wald, und es rascheln und knistern die Tropfen von den Nadeln herab, wenn ich unter den Baumen weg- schreite oder gar wenn ich rutschend auf einen der- selben mich sttitze. Schon winken die Lichter der Villa und bald bin ich im Kreise der lieben Gastlichen beim Souper. Nachher aber gehen wir junges Volk — Haus- tochterlein, Freund und ich — nochmals hinaus in den Garten, setzen uns auf eine Bank und sind stili, 8 114 ganz stili. Man hort nur das wehende Athmen der Walder und das terne Rauschen des Doubs. Ein Wort furchtet die gottliche Ruhe dieser Nacht zu storen. Wir warten auf etwas Wunderbares, das von weit kommt und wieder weit fortgeht und das die ganze Weltbegrabenheit dieses Ortes aufrutteln wird. Horch! Ein Koboldsgehammer durch die Bergel Es rauscht und donnert dumpf und verhalten. Plotz- lich ein befreiendes Durchbrechen und zwei Gluh - augen gleiten glanzend hoch oben aus dem Tunnel von la Croix, hundert Lichter nach sich ziehend. Sie huschen am Rande des Berges vorbei und eilen weiter und weiter, bis sie hinter der Biegung ver- schwinden. Fort sind sie hinaus in die grosse weite Welt! Wir aber steigen in unsere friedlichen Zimmer hinauf und »Bon soir, bonne nuit!« geht es zwei- und dreimal mit weichem, liebevollem Accente hin und zuruck, dann schliessen sich die Jalousien. Das war ein schoner Tag; stili und frdhlich klang er aus wie ein sehnsuchtiges Mollstuck, das mit dem weltversohnenden, auferstehungsfrohen Dur- accord der Tonika schliesst. Gott gebe — so v/iinschen der Dichter und ich — Gott gebe allen Menschen solche Tage und solchen Schluss ihres Lebens! St. Ursanne im franzosischen Jura, Sept. 1898. 7 , VII, 1946 NARODNA IH UNIUERZIfETNn KNJIŽNICA