Der ostseeslawische Kultstrand bei Ralswiek auf Rügen (8. - 10. Jh.). Bemerkungen zu einem neuen archäologischen Dokumentationsband Hans-Dietrich Kahl The author discusses the discovery of two Slavic cult sanctuaries from the eighth to tenth centuries. Both were found close to the Slavic-Scandinavian settlement and port Ralswiek along the Baltic Sea on the island of Rügen. The older sanctuary had been abandoned because of the rising sea level and had been replaced by a more recent one, which was destroyed by fire. As both were built close to the water, the author argues that the sanctuaries were consecrated to a female water goddess, probably Mokos. The article continues with a discussion of the Slavic settlement of Rügen and of the possibility of contact with the German natives. Evidence of this includes analysis ofpollen samples, while the pottery remnants argue otherwise. The author sees a methological-interpretative problem in this inconsistency. Die slawische Altertumskunde steht heute auf Fundamenten, von denen man noch vor einem halben Jahrhundert kaum träumen konnte. Die Fortschritte danken wir nicht zuletzt dem intensiven Ausbau archäologischer Forschung. Von ihm hat auch die Religionsgeschichte profitiert. Wir kennen jetzt eine beachtlichhe Zahl von altslawischen Kultplätzen; es wurde möglich, in zusammenhängender Darstellung für sie eine Typologie zu entwickeln.1 Wir verfügen auch, aller Zerstörungswut christlicher Missionare zum Trotz, über eine wachsende Reihe religiöser Skulpturen, denen dort Verehrung gewidmet wurde.2 Zu dieser Erweiterung unseres Bildes hat das Gebiet wesentlich beigetragen, in dem die slawische Sprache seit der Zeit Karls des Großen zurückwich, nachdem sie dort im Übergang zum Frühmittelalter zunächst Neuland gewonnen hatte - auf dem Boden des heutigen Deutschland3, in dem Gebiet, das in Gegenüberstellung zur Germania Romana im Westen und der angrenzenden Romania Germanica treffend als die Germania Slavica 1 L. P. SEUPECKI, Slavonic Pagan Sanctuaries, Warsaw 1994; vgl. auch DENS., Die slawischen Tempel und die Frage des sakralen Raumes bei den Westslawen in vorchristlichen Zeiten, in: Tor 25 (Uppsala 1993), S. 247298. 2 2 SEUPECKI 1994, S. 198-228; ein Neufund, der einen bis dahin nur aus Schriftquellen bekannten Typ repräsentiert, bei H.-D. KAHL, Der Millstätter Domitian. Abklopfen einer problematischen Klosterüberlieferung zur Missionierung der Alpenslawen Oberkärntens (Vorträge und Forschungen, Sonderband 46), Stuttgart 1999, S. 49f. m. Abb. 7 (S. 111). J. HERRMANN (Hg.), Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6.-12. Jh. Ein Handbuch, Neubearbeitung Berlin 1985. benannt worden ist.4 Dabei trat in den letzten Jahrzehnten zunehmend ein Ortsname auf Rügen hervor, von dem man vordem wenig gehört hatte: Ralswiek. In den beiden letzten Jahrzehnten der DDR, zwischen 1972 und 1989, hatten dort 18 großangelegte Grabungskampagnen stattgefunden, unter erheblichen Schwierigkeiten, etwa in Auseinandersetzung mit dem Grundwasserstand. Die Durchführung lag beim Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie unter Leitung von JOACHIM HERRMANN, einer Einrichtung der damaligen Akademie der Wissenschaften der DDR, die nach sowjetischem Muster organisiert war. Aufsehenerregende Funde drängten bald nach Aufnahme der Arbeiten in die Fachliteratur, teilweise allerdinge auf Grund provisorischer Informationen und Interpretationen, die sich nicht alle als haltbar erwiesen. Erst in den letzten Jahren ist die abschließende Dokumentationn in Gang gekommen. Sie wird gleichfalls von JOACHIM HERRMANN erstellt. Ihr zweiter Band ist es, der an dieser Stelle gesteigerte Aufmerksamkeit verdient.5 1. Rügen, Deutschlands größte Ostseeinsel, zeigt eine eigenartige Umrißgestalt. Im Norden und und Nordosten legt sich, fast wie ein abwehrend erhobener Arm, eine merkwürdig gebildete Halbinselkette vor den Inselrumpf. Sie besteht aus zwei, fast möchte man sagen: selbständigen Inselkörpern, Wittow und Jasmund, die durch schmale Nehrungen miteinander und mit dem Hauptteil Rügens verbunden sind; eine weitere Nehrung sticht von Wittow aus wie ein Sporn zu diesem Hauptteil zurück, ohne ihn zu erreichen. In der dadurch verbliebenen Lücke beginnt ein zusammenhängendes System von Meeresbuchten, hier mundartlich-niederdeutsch Bodden genannt; ihre Bezeichnungen wechseln je nach der angrenzenden Teillandschaft. Im sog. Kleinen Jasmunder Bodden greift dieses Gewässersystem tief ins Innere der Insel ein, bis in die Nähe von Bergen, wo sich einmal der Hauptsitz des Fürstentums der slawischen Rujanen oder Ranen befand. Vom nördlich angrenzenden Großen Jasmunder Bodden aus gab es bis tief ins Mittelalter hinein für die kleinen, flachen Boote der Zeit Durchfahrten in die Ostsee auch in östlicher 4 Th. FRINGS, Germania Romana (Teuthonista, Zeitschr. f. deutsche Dialektforsch. u. Sprachgesch., Beiheft 4 = Mitteldeutsche Studien, Heft 2), 1932; E. GAMILLSCHEG, Romania Germanica, 3 Bde. 1934-1936, I2 1970; W. H. FRITZE (Hg.), Germania Slavica I (Berliner Historische Studien I), Berlin 1980, und Folgebände; dazu H.-D. KAHL, Germania Slavica. Ein neues Vorhaben deutsch-slawischer Geschichte in Mitteleuropa und seine Bedeutung für die Forschung der Ostalpenländer, in: MIÖG 89 (1981), S. 93-105. -Das Zurückweichen der slawischen Sprachgrenze durch Eindeutschung einer verbleibenden Bevölkerung behandelt an einem quellenmäßig besonders gut beleuchteten Beispiel, an dem vieles z.B. an die Verhältnisse in Kärnten erinnert, J. STRZELCZYK, Die slawische Minderheit in Deutschland im Spätmittelalter und früher Neuzeit am Beispiel der Nachkommen von Dravänopolaben im Hannoverschen Wendland, bei A. Czacharowski (Hg.), Nationale, ethnische Minderheiten und regionale Identitäten im Mittelalter und Neuzeit, Torun 1994, S. 69-94. 5 J. HERRMANN, Ralswiek auf Rügen, Die slawisch-wikingischen Siedlungen II: Kultplatz, Boot 4, Hof, Propstei, Mühlenberg, Schloßberg und Rugard (Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorprommerns 33), Lübstorf "1998" (tatsächlich greifbar seit Anfang 2000), 183 S., 144 Textabbildungen, 11 Tabellen und 17 Beilagen auf 4 großformatigen Faltbättern. - Der erste Band, der vor allem die sog. Hauptsiedlung behandelt, datiert von 1997 (ausgeliefert 1998). - Bd. III mit einer detaillierten Fundpublikation ist in Vorbereitung. Zahlreiche Stücke sind schon im voraus berücksichtigt bei HERRMANN 1995 (wie Anm. 3); die unten zu erwähnende Griffelfunde aus der Hauptsiedlung S. 292 f. m. Abb. 140 sowie Taf. 25, b-c (bei S. 150). Richtung, die künstlich offen gehalten wurden. Von März bis November ließ sich daher mit einer eisfreien Route rechnen, auf der das stürmische Kap Arkona auf Wittow umschifft werden konnte. Zwischen den Großen un den Kleinen Jasmunder Bodden schiebt sich von Südwesten, also vom Hauptteil der Insel her eine Landzunge vor, die nur eine schmale Wasserverbindung offen läßt. Dicht nördlich an ihrer Wurzel, also am Großen Bodden, auf der Jasmund gegenüberliegenden Seite, liegt Ralswiek, heute ein Dorf von 6-700 Einwohnern. In den älteren Quellen tritt sein Name hinter dem von Arkona zurück. Dort, unmittelbar an der Ostseeflanke von Wittow, befand sich im 12. Jh. das Heiligtum des Swantewit, den die Ranen als ihren Hauptgott verehrten, und ein Handelszentrum von überregionaler Bedeutung. Der genannte nordwestslawische Stamm war damals, nach dem Untergang des Ljutizenbundes, zu einer gewissen Vormachtstellung an der südwestlichen Ostseekünste aufgestiegen. Er entfaltete eine Art slawisches Wikingertum und wußte seinen Einfluß machtpolitisch, wirtschaftlich und religiös geltend zu machen; die Anziehungskraft Arkonas auch für skandinavische und deutsche Kauffahrer wurde dabei geziehlt eingesetzt. Den wichtigen Platz archäologisch zu durchforschen, ist weitgehend unmöglich geworden, denn die See hat ihn zum größten Teil hinweggerissen. Einiges konnte gleichwohl erreicht werden, und neue Untersuchungen sind im Gang.6 Besonders gute Schriftquellen ermöglichen trotz aller Einschränkungen eine ziemlich gute Vorstellung von der Beschaffenheit des einstigen Heiligtums.' In Sommer 1168 wurde es mit deutscher Unterstützung durch die Dänen zerstört und die Insel zwangschristianisiert. Es scheint, daß es dabei neben handfesten politischen Interessen um einen späten Ableger jenes merkwürdigen Kreuzzugs von 1147 gegen die "Heiden des Nordens" ging, für den sich in den Geschichtsbüchern die verfehlte Bezeichnung "Wendenkreuzzug" festgesetzt hat.8 Die Bedeutung von Ralswiek reicht offenbar weiter zurück als die jenige von Arkona, hielt jedoch weniger lange an und erreichte keinen vergleichbaren Rang. Die Siedlung entstand um die Mitte des 8. Jh., und zwar als ein Seehandelsplatz jener frühen Form, die J. HERRMANN, Arkona auf Rügen. Tempelburg und politisches Zentrum der Ranen vom 9.-12. Jh. Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen 1969-1971, in: Zeitschr. f. Archäologie 8 (1974), S. 177-209; ergänzende Hinweise bei DEMS., Ralswiek II, S. 35-37 samt Tabelle 7. Vgl. Anm. 7. 7 J. HERRMANN, Ein Versuch zu Arkona. Tempel und Tempelrekonstruktionen nach schriftlicher Überlieferung und nach Ausgrabungsbefunden im nordwestslawischen Gebiet, in: Ausgrabungen und Funde 38 (1993), S. 136-144. 8 H.-D. KAHL, Die Kreuzzugseschatologie Bernhards von Clairvaux und ihre missionsgeschichtliche Auswirkung, bei D.R. Bauer - G. Fuchs (Hgg.), Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, Innsbruck 1996, bes. S. 306-309; zum Begriff "Wendenkreuzzug": DERS., "... Auszujäten von der Erde die Feinde des Christennamens..." Der Plan zum "Wendenkreuzzug" von 1147 als Umsetzung sibyllinischer Eschatologie, in: Jahrb. f. d. Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 39 (1990), S. 134-136 (auch zu den "Heiden des Nordens"); vgl. auch DENS., Die Ableitung des Missionskreuzzugs aus sibyllinischer Eschatologie. Zur Bedeutung Bernhards von Clairvaux für die Zwangschristianisierungsprogramme im Ostseeraum, bei Z.H. Nowak (Hg.), Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung des Ostseegebietes (Ordines militares I), Torun 1983, S. 129-139. Ergänzend DERS., Die weltweite Bereinigung der Heidenfrage -ein übersehenes Kriegsziel des Zweiten Kreuzzugs, bei S. Burghartz u.a. (Hgg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für F. Graus, Sigmaringen 1992, S. 63-89. - Zum allgemeinen: L. LECIEWICZ, Rügen, in: Lexikon des Mittelalters VII (1995), Sp. 1091 f. mit weiteren Nachweisen. vor allem im Ostseeraum des Frühmittelalters weit verbreitet war.9 Wir haben an eine skandinavische Initiative zu denken, die in Zusammenarbeit mit den einheimischslawischen Machthabern Ausführung fand. Die erhaltenen Holzbautenreste deuten teils auf nordgermanische, teils auf slawische Handwerkstraditonen, und dasselbe gilt für die aufgefundenen Boote. Erschlossen wurde eine Hauptsiedlung in geschützter Lage, leicht erhöht, zwischen dem Großen Jasmunder Bodden und einem inzwischen verlandeten Binnensee, in dem sich die bemerkenswert ausgebauten Hafenanlagen befanden. Sie umfaßte weniger als 20 Hofstellen, darunter auch Gewerbebetriebe im Stil der Zeit (Metallverarbeitung, nämlich Eisen und Bronze, ferner Verarbeitung von Horn bzw. Geweihen, von Bernstein u. dgl.).10 Hinzu kamen eine kleinere Südsiedlung, die noch manche Rätsel aufgibt, Kultstätten, ein umfangreicher Bestand an Hügelgräbern in Gruppen, abseits gelegen, noch nicht abschließend publiziert, und Befunde aus jüngerer Zeit, unter denen im Grabungsbereich merkwürdigerweise keine Kirche erschien, obwohl Ralswiek nach 1168 eine Propstei des Bistums Roskilde aufzunehmen hatte. Hier geht es um die vorchristlich-sakralen Plätze - ein archäologisch oft heikles Problem, in dem möglicherweise noch mancherlei Neuland zu erwarten ist. Auch Ralswiek hat Unerwartetes geboten. Der Band, der uns jetzt vorallem über den bedeutendsten dieser Plätze unterrichtet, räumt ihm von 183 großformatigen Druckseiten nicht weniger als 79 ein. Er weckt wieder Vertrauen. Dokumentation und Interpretation sind nach Möglichkeit getrennt, was die Überprüfung erleichtert; die Auswertung erfolgt vor dem Hintergrund des bisher verfügbaren Vergleichsmaterials von anderen Stellen; zahlreiche Fotos, Zeichnungen und Tabellen bieten das Beleggut. Zu den wichtigen Feststellungen gehört, daß die Schichtenfolge in der Hauptsiedlung und an den Kultplätzen offenbar gleichläufig ist. Das ermöglicht Gegenüberstellung, die es gestattet, manche Aussage zu präzisieren. In älterer Literatur wird die Zahl der sakral genutzten Stätten bei Ralswiek mit drei angegeben. Das läßt aufhorchen in Hinblick auf eine Grundsatzfrage, die ANDREJ PLETERSKI angeschnitten hat. Er rechnet für altslawische Zeit mit einem verbreiteten System von jeweils drei Kultstätten, die auf einander bezogen und in einem "heiligen Winkel" von etwa 23° miteinander verbunden waren.11 Es muß festgestellt werden, daß sich in Ralswiek bei relativ hohem Alter für diese Konzeption keine Stütze ergab. Die eine der drei Stätten wurde auf dem sog. Mühlenberg, unweit der Südsiedlung, gesucht. Sein flacher Rundwall hatte bei erster Begehung die Frage geweckt, ob sich dort nicht ein neues Beispiel für den längst bekannten Typ eines kreisförmigen Kultplatzes in Höhenlage finden würde, und diese provisorische Vermutung erhielt in vorläufiger Auswertung einen Bestimmtheitsgrad, der ihr keineswegs zukam. Die 9 , Hier genüge neben Ralswiek I der Hinweis auf W. EOSINSKI, Zur Genese der frühstädtischen Zentren bei den Ostseeslawen, bei H. Brachmann (Hg.), Burg - Burgstadt - Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa, Berlin 1995, S. 68-91; L. LECIEJEWICZ, Kaufleute in westslawischen Frühstädten in archäologischer Sicht, ebd., S. 60-67, sowie V. SCHMIDT, Frühstädtische Entwicklung in Nordostdeutschland, ebd., S. 108-117, samt weiteren Beiträgen dieses Sammelbandes. 10Eingehend: Ralswiek I. 11A. PLETERSKI, Strukture tridelne ideologije v prostoru Slovanih, in: Zgodovinski časopis 50 (1996), S. 163184, mit deutscher Zusammenfassung: Räumliche Strukturen einer dreiteiligen Ideologie den Slawen, ebd., S. 184 f,; vgl. auch DENS., Die Kärntner Fürstensteine in der Struktur dreier Kultstätten, bei A. Huber (Hg.), Der Kärntner Fürstenstein im europäischen Vergleich, Gmünd (Kärnten) 1997, S. 43-119, passim. ergrabenen und nun vorgelegten Befunde schließen eine derartige Nutzung dieser Höhe mit voller Sicherheit aus; es gab dort lediglich eine spätmittelalterliche Windmühle, die in jüngerer Zeit einging. Übrigens hätte eine Sakralstätte dort zu den beiden anderen nicht in dem gesuchten Winkel gelegen. Was diese angeht, so waren ihre Stätten benachbart, doch sie waren nicht gleichzeitig in Gebrauch: Der zweite, bei der sog. Südsiedlung näher am Mühlenberg, hat den ersten, der der Hauptsiedlung näher lag, offenbar in zeitlicher Folge abgelöst. Da die Funde aus dem Bereich jener Südsiedlung noch nicht gebührend aufgearbeitet sind, bleiben Art und Verlauf dieses Ortswechsels zunächst unklar; die vorliegende Publikation erfaßt außer dem Mühlenberg nur noch den Kultstrand am Bodden, un zwar als die Stätte, die zu ihrer Zeit nach bisheringer Kenntnis als einzige ihrer Art bei Ralswiek bestand. Sie wird als Opferplatz eindeutig erwiesen durch einen außerordentlich reichen Bestand an Knochenmaterial, das in seiner Zusammensetzung charakteristisch von demjenigen der Hauptsiedlung abweicht, ebenso übrigens wie bei der mutmaßlichen Nachfolgerin weiter südwärts. Die Hauptsiedlung zeigt das, was dort abfällt, wo man wohnt, als Überrest täglicher Nahrungsaufnahme. Die beiden anderen Stätten bieten ein völlig abweichendes Bild. Statt gewöhnlicher Fleischtiere wie Schwein und Ziege, Geflügel und Wild traten Pferd, Hund und Rind (offenbar in dieser Reihenfolge) ungewöhnlich stark hervor, nicht nur in anderer Häufigkeit, sondern auch in anderer Beschaffenheit. Vor allem aber beherrschten menschliche Skelettreste das Feld, vorwiegend von Erwachsenen beider Geschlechter, kaum von Kindern, Jugendlichen und Greisen; vorwiegend Einzelknochen, gelegentlich zusammenhängende Skeletteile, jedoch kein einziges vollständiges Skelett; teilweise deutlich durch gewaltsamen Eingriff verändert (besonders Schädel- und Oberschenkelknochen). All diese menschlichen und tierischen Überreste traten in auffällig enger räumlicher Konzentration um bestimmte charakteristische Punkte auf. Vergleichbares ist bisher an keinem anderen frühgeschichtlichen Grabungsplatz bekanntgeworden, zumindest nicht in entsprechender Menge und Intensität. Der Befund schließt deutlich auch aus, daß es sich um Relikte eines Überfalls handeln könnte, vergleichbar etwa der Hinterlassenschaft der babenbergischen Eroberung der Thunauer Schanze bei Gars am Kamp (Niederösterreich), wo im Übergang vom Früh- 12 zum Hochmittelalter ein slawischer Kleinfürst gesessen hatte.12 Auf dem Platz bei Ralswiek fand sich, wie gesagt, kein einziges vollständiges menschliches Skelett. In Schriftquellen sind, auch für den slawischen Bereich, gerade auch für Seehandelsplätze, Menschenopfer gut bezeugt. Ein Rückgriff auf sie bietet hier die einzig plausible Erklärung. Sie wird gestützt durch Streufunde von Keramik und anderen Gebrauchsgegenständen, die so, wie sie auftreten, für jeweils begrenzte Nutzungsdauer sprechen, nicht für ständige Besiedlung am Platz. 12 Herrn Prof. Dr. Herwig FRIESINGER, Wien, danke ich persönliche Erläuterungen bei einer Führung vor Ort. Zusammenfassende Allgemeinorientierung gibt E. SZAMEIT, Gars-Thunau - frühmitelalterliche Residenz und vorstädtisches Handelszentrum, bei Brachmann (wie Anm. 9), S. 274-282; aus dortiger Literatur hebe ich hervor M. TESCHLER-NICOLA - K. WILTSCHKE-SCHROTTA, Der Erschlagene von Gars-Thunau, in: Archäologie Österreichs 1990/1, S. 40 f. - Für die Befunde aus Ralswiek, vorstehend und weiter sämtlich nach HERRMANN 1998 (wie oben Anm. 5) referiert, sei hier und weiter auf Einzelbelege verzichtet. 2. Die damit bestimmte Stelle, der die wichtigste Dokumentation des vorgeführten Bandes gilt, lag knapp 200 m südwestlich der Hauptsiedlung und ihres Hafens, am gegenüberliegende Rand eines niedrigen Moränenrückens und unmittelbar an der damaligen Strandlinie, die sich mittlerweile durch Verlandung vorgeschoben hat. Der Große Jasmunder Bodden treibt an dieser Stelle eine kleine Bucht relativ weit nach Süden vor, nach Osten hin begrenzt durch die Landzuge, die ihn vom Kleinen Jasmunder Bodden trennt. Die Kultstätte umgab im Bogen ein Bach mit seiner Niederung; seine Einmündung in den Bodden unterlag während der in Betracht kommenden Zeit starken Veränderungen. Er kam aus dem See, in dem der Hafen entstanden war, und dürfte oft mehr Brackwasser als Süßwasser geboten haben. In jedem Fall lieferte er ein Frischwasser, das für die Bereitung von Opfermahlzeiten unentbehrlich war. Vielleicht bot er zeitweise sehr flachen Booten auch eine behelfsmäßige Durchfahrt zum Hafengebiet. Die eigentliche Hafeneinfahrt kam von Nordwesten her zum See; die Südsiedlung, sofern von ihr in den Anfängen schon etwas bestand, befand sich jenseits des Baches. Im Ganzen war also für den Kultbezirk eine gewisse Abseitslage gegeben, wie sie einem solchen Areal zukommt. Im Fundmaterial von Ralswiek lassen sich insgesamt fünf Perioden unterscheiden. Die Ausgräber haben sie mit den Buchstaben A bis E bezeichnet. Periode A setzt in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ein. Der Kultplatz wird damit zu einem der ältest bekannten in der slawischen Welt, für die Nordwestslawen vielleicht einstweilen nur durch 13 Feldberg bei Neustrelitz (Mecklenburg) in den Schatten gestellt.13 Im Lauf des 9. Jh. vollzog sich der Übergang in die Periode B, die sich noch über das 10. Jh. erstreckte. Mit der dann einsetzenden Periode C bricht die Nutzung des Kultplatzes ab; er weicht, bevor der Geländeabschnitt wegen veränderter Wasserverhältnisse ganz aufgegeben wird, einer deutlich profanen Verwendung - an seine Stelle trat ein relativ großes Gebäude, in dem z. B. in größerem Ausmaß gesponnen wurde und in dem Schreibgriffel zur Verwendung kamen, im Verhältnis ein Hallenbau. In den ersten Jahrzehnten seines Bestehens wurden die Opferhandlungen unmittelbar am offenen, flachen Strand durchgeführt. Sie gruppierten sich um eine Steinpackung von ovaler Grundform auf leicht erhöhtem Geländepunkt, deren Längsachse, ca. 3 m, von Südwest nach Nordost verlief; die Querachse kam auf ca. 2 m. Im Zentrum erhob sich ein hölzerner Pfahl, etwa 30 cm eingetieft und mit Steinen verkeilt. Er wurde umgestürzt aufgefunden, im Oberteil zerstört. Erhalten war er bei 20 cm Durchmesser in einer Länge von 1,60 m; ob der verlorene Oberteil in größerer Breite ausgestaltet war, wie sich das anderweit findet, etwa eine Art Büste trug, kann nicht mehr geklärt werden. In 12 und mehr m Entfernung befand sich, gleichfalls auf dem offenen Strand, eine Gruppe von Feuerstellen mit deutlichen Überresten von Opfermahlzeiten. Mit der Zeit begann der Wasserspiegel sich zu heben; Überflutungen kamen in Sicht oder setzten schon ein. Um 790 kam es daher zu einer durchgreifenden Umgestaltung des 13 J. HERRMANN, Die Ergebnisse der Ausgrabungen in Feldberg, in: Ausgrabungen und Funde 13 (1968), S. 198-204; vgl. DENS., Feldberg, Rethra und das Problem der wilzischen Höhenburgen, in: Slavia Antiqua (1969), S. 33-69; weiters bei S. KÜHNE-KAISER-B. JÄHNIG, Feldberg, bei H. Bei der Wieden (Hg.), Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands XII: Mecklenburg-Pommern, Stuttgart 1996, S. 32 f. -Gegen ältere Annehme scheidet Feldberg für die Lokalisierung von "Rethra" aus: dazu jetzt V. SCHMIDT, Rethra - Lieps am Südende des Tollensesees, in: Studia mythologica Slavica 2 (1999), S. 33-46. Geländes; die gefundene Lösung mag zusätzlich durch gehobene Prestigebedürfnisse beeinflußt worden sein. Etwas landeinwärts neben dem alten Steinoval, also unter beachtlicher Wahrung der Platzkontinuität trotz allem, wurde ein Podest errichtet, in prinzipiell gleicher Längsrichtung. Seine Grundfläche hatte ca. 6-7 x 8 m. Die Holzkonstruktion (Fundamentpfähle, Ankerbohlen und Flechtwerk) blieb genau erkennbar. Sie überragte das ursprüngliche Bodenniveau um ungefähr einen halben Meter und blieb damit 25-30 cm über dem ansteigenden Spiegel des Boddens. Eine neuerliche Umgestaltung in Periode B hat die Spuren dessen, was sich einmal auf diesem Podest erhob, gründlich getilgt, nicht aus feindlicher Absicht, sondern um dem alten Zweck noch besser zu genügen. Indizien, zugegebenermaßen schwach, könnten dafür sprechen, daß sich dort ein Flechtwerkbau mit Lehmverstrich erhoben hatte. Es dürfte ein Tempel oder eine Kulthalle gewesen sein, d.h. entweder Götterwohnung oder Gemeinschaftshaus für sakrale Anlässe, doch ist selbst Überdachung nicht zweifelsfrei zu sichern. Die Entscheidung zwischen beiden Möglichkeitenn wird dadurch erschwert, daß das definitive Ende der Steinsetzung am Strand mitsamt dem Mittelpfahl sich chronologisch nicht einwandfrei festlegen läßt. Wir sehen, daß dieser Pfahl, ob nun Holzstele oder bloßer Träger einer Skulptur, am Platz verblieb. Er wurde also, was immer mit einem etwaigen Oberteil geschah, selbst nicht in das Gebäude überführt, doch wir erkenne nicht, ob er an der neuen Stelle, in nunmehr sakralem Raum ersetzt wurde oder nicht. Das verstellt zugleich den Blick auf den Verwendungszweck des zu vermutenden Bauwerks. Völlig unklar ist, wo die Opfermahlzeiten zubereitet wurden, nachdem die Feuerstellen am Strand unbrauchbar geworden waren. Die Anhebung des Wasserspiegels jedenfalls setzte sich fort. Gleichwohl blieb man an der bisherigen Stelle, doch sie wurde in Periode B nochmals aufwendiger ausgestaltet. Sogar das bisherige Kultniveau wurde weiterhin für ausreichend erachtet. Das bestehende Podest wurde um etwa 5 m nach Osten, also auf den Bodden hin, in prinzipiell gleicher Konstruktion erweitert; es maß nun etwa 8 x 11 m unter Drehung der Längsachse um 900. Auf ihm entstand auf Schwellensteinen ein Holzbau ohne Nägel, für den mehrere Konstruktionsweisen erwogen werden können, mit Abmessungen von ca. 9 x 4,5 m, also annähernd 45 m2. Er war gleichfalls der Boddenseite zugekehrt. Gleichzeitig wurden die Böschungsbefestigungen am Bodden, deren Abstand vom neuen Gebäude nur noch gering war, verstärkt. Außerdem wurde ein weiteres, sehr viel leichter gebautes Podest von 6 x 10 m aufgeschüttet und befestigt, das offenbar unbebaut blieb. Es schloß nur teilweise an den Erweiterungsteil des älteren Podestes nach Südosten hin an, wohin seine Längsachse lief; es war dabei etwas nach Osten hin verschoben, den erweiterten Spielraum nutzend, den dort das verbliebene Gelände bot. Das Niveau blieb 30-50 cm über dem ursprünglichen Strand. Auf dieses Podest konzentrierten sich nunmehr weitgehend die Opferhandlungen. Unverkennbar scheint der Wunsch, sie in größere Nähe des Wassers zu rücken. Oft genug mag die Flut die beiden Erweiterungsteile unmittelbar bespült haben. 3. An den Kultformen hat sich, soviel erkennbar, die ganzen Perioden A und B hindurch, also über zweieinhalb Jahrhunderte, nichts Nennenswertes geändert. Es war Opferkult, der Menschen forderte und ausgewählte Tierarten bevorzugte, ohne daß andere ganz fehlten. Bemerkenswert ist ein besonderer Umstand: Die Hauptsiedlung zeigt deutlich teils slawisches, teils skandinavisches Gepräge; beide Ethnien werden dort gemeinsam gewohnt haben, wenigstens für einen beachtlichen Teil der genannten Zeitspanne, und sei es mit saisonalen Schwankungen. Am Kultplatz spricht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß er von anderen betrieben und genutzt worden sein könnte als von Slawen. Überraschend ist diese Feststellung nicht. Für Arkona berichtet Helmold von Bosau kurz vor der Zerstörung als Zeitzeuge: Kaufleute fremder Herkunft, nicht zuletzt aus christlichen Ländern, hätten dort nur Zutritt, wenn sie dem Haptgott etwas zum Opfer brächten; wurde bemerkt, daß ein christlicher Priester in ihrer Mitte seinen Gottesdienst verrichtete, so wurde seine Auslieferung verlangt, um den Zorn der einheimischen Gottheiten zu beschwichtigen; auch sonst brächten die Ranen gern Christenopfer dar - sie wären ihren Göttern besonders wohlgefällig14 (dies wird man auf Kriegsgefangene allgemein, gleich welcher Herkunft, beziehen dürfen). Die Stelle zeigt offenbar, daß die Fremden das Opfergut zu stellen und den einheimisch-slawischen Priestern auszuliefern hatten, die dann die entsprechende Kulthandung vornnahmen; fremder Kult aber (ein peregrinum sacrificum nach Helmond,15 der damit authentisch wirkt, weil er die Aussage nicht auf Christliches einengt) - ein nicht am Ort eingewurzelten Kult wurde nicht zugelassen. Für die Zeit, in der der Kultplatz bei der Hauptsiedlung von Ralswiek blühte, war eins anders als im 12. Jh. vor Arkona: Skandinavier und Slawen standen beide in gentilreligiöser Mentalität, ohne dass Christentum hereinspielte; sie hielten folglich beide für selbstverständlich, daß es Zuständigkeiten von Stammes- und Landesgöttern gab, in die Außenstehende sicht nicht einzumischen, die sie aber im Kontaktfall anzuerkennen hatten.16 Die skandinavischen Partner in Ralswiek werden sich also gehütet haben, dort ein peregrinum sacrificum auf eigene Faust darzubringen. Sie werden die Zuständigkeit der Ortsgottheit nicht zugunsten eigener bestritten, sondern sie werden es der dortigen Priesterschaft überlassen haben, nach ihrem Ritus durchzuführen, was danach zu geschehen hatte; den Fremden blieb die bloße Ablieferung der Opfergaben. Sehr viel merkwürdiger als die einseitige Nutzung ist die Lage der Opferstätte. Warum befand sie sich nicht auf dem Mühlenberg, keinen halben Kilometer weiter landeinwärts in gut gesicherter Höhenlage? Warum wurde sie am Bodden angelegt, warum vor allem dort beibehalten über einen derart langen Zeitraum hinweg, aller wachsenden Gefährdung zum Trotz? Waren auf dem Mühlenberg die Wasserverhältnisse zu ungünstig für kultische Mahlzeiten - oder kam es auf die Strandsituation an? Wurde die Nähe nicht nur zum Wasser gesucht, das man auch am See hätte haben können, sondern zu seiner größterreichbaren Fläche? Hat gerade diese Lösung etwas mit der Gottheit zu tun, die von diesem Seehandelsplatz aus verehrt werden solte? War es womöglich Mokos oder eine ihrer Nachfolgeformen? 14 HELMOLD von BOSAU, Slawenchronik, c. 6 (cur. Heinz Stoob, Darmstadt 1963, S. 54, 19 ff); vgl. c. 108 (S. 374, 9 ff.). 15HELMOLD, c. 108 (S. 374, 19) 16H.-D. KAHL, Heidnisches Wendentum und christliche Stammesfürsten. Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion im abendländischen Hochmittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 44 (1962), S. 72-119; ausführlicher bei DEMS., Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des 12. Jh. (Mitteldeutsche Forschungen 30/I-II), Köln-Graz 1964, S. 76-105 (eher geschrieben, doch später ausgeliefert, mit noch weniger präzis ausgebildeter Terminologie). Der Name dieser Gottheit gehört ja doch wohl zur Sippe von poln. mokac "naß machen," mokrosc "Nässe" usw. Aus gar zu spärlicher Überlieferung ist sie besser bekannt als Schutzherrin der Fruchtbarkeit und als weiblich geltender Arbeiten wie Mähen (also zunächst Sicheln) und Spinnen. Der Blick der Forschung hat sich oft dermaßen einseitig darauf fixiert, daß die skizzierte Herleitung des Namens in Zweifel geriet, was zu abenteuerlichen Konstruktionen führte. Übersehen wurde dabei eine Eigentümlichkeit archaischen Denkens: es hat keine Schwierigkeiten, das Fruchtwasser der Frau mit "Wasser überhapt" zu einer Gesamtvorstellung zu verbinden, und diese ist es, die hier die Brücke zunächst zur Namensetymologie und dann zu weiterem schlägt. Der Augenblick, in dem das Fruchtwasser abgeht, leitet für Mutter und Kind eine Phase extremer Gefährdung ein; sie braucht besonderen Schutz derjenigen, die über die Wasser gebietet, und die Macht, die ihn gewährt, bezieht auch die sonstigen, die weniger gefahrenträchtigen Bedürfnisse des weiblichen Lebens in ihr Walten ein. Sie kann aber auch die Schiffahrt schützen, und wenn kraft ihres Wirkens die kleinen Boote der Frühzeit den Hafen erreichen, hat sie Anspruch 17 auf Dank. Überlegungen dieser Art schließen nicht aus, auch für Ralswiek an eine männliche Gottheit zu denken, wie Swantewit sie für Arkona repräsentiert, nur sollten wir uns nicht im voraus auf eine solche festlegen: Wieder Helmold bezeugt eine Stammesgöttin der Polaben (im engeren Sinne), die um Ratzeburg saßen, eine dea Polaborum, die er Siwa v 18 nennt (ob Ziva gemeint?)18 Auch weiblichen Gottheiten konnte also im Einzelfall hohe Bedeutung zugeschrieben werden. Der Pfahlrest, der am Ralswieker Kultstrand ans Licht kam, zeigt in den erhaltenen Teilen keinerlei Merkmal für eine Geschlechtsbestimmung. Kann sein Holz weiterhelfen? Es ist Rotbuche, unter den bekannten slawischen Kultbildern aus Holz eine Seltenheit - sonst herrscht Eiche vor. Auch im erkennbaren Baumaterial des sakralen Platzes kommt Rotbuche nur gelegentlich vor - Eiche bestimmt auch dabei im wesentlichen das Bild. Außer dem Stelenpfahl (falls er so genannt werden darf) kam in Ralswiek noch ein verstümmeltes Kleinidol zutage, das einmal 30 cm gemessen haben mag; erhalten sind die oberen 17 cm, also gerade der Teil, der bei dem größeren Kultobjekt fehlt. Der Ausgräber glaubt eine abstrakte Menschenfigur mit symbolisch gestaltetem männlichen Kopf zu erkennen. Warum diese Kopfandeutung 17 ■■ Über Mokos zuletzt, höchst einseitig, doch mit weiteren Nachweisen R. ZAROFF, Organized Pagan Cult in Kievan Rus'. The Invention of Forreign Elite or Evolution of Local Tradition? in : Studia mythologica Slavica 2 (1999), S. 66, der dabei sogar an eine persönliche Erfindung Vladimirs d. Gr. denkt; in den weiteren Ausführungen, die sich für Anknüpfung Vladimirs an altslawische Tradition aussprechen, wird S. 67 nochmals die Unsicherheit aller Kenntnis über Mokos betont, die soeben wiedergegebene Vermutung jedoch nicht zurückgenommen (wie kann eine neugeschaffene Gestalt eines nur sehr kurzlebigen Reichskultes ohne nennenswerte Tiefenwirkung Einzug in lange nachwirkenden Volksglauben gewinnen?). Die Einsicht in die Schlüsselbedeutung des Fruchtwassers danke ich eingehender Unterrichtung über Forschungsergebnisse von MARIJA GIMBUTAS; nicht vorgelegen haben deren Bücher: The Language of the Goddes, San Francisco 1989 (Deutsch: Die Sprache der Göttin, Frankfurt/Main 1995), und: The Civilization of the Goddes, San Francisco 1991; sowie The Slavs, London 1971. Wie weit Mokos in diesen Schriften mit behandelt ist, wäre zu prüfen. 18HELMOLD, c. 52 (S. 196, 22). Dazu B. REHFELDT, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte. Zur Rechtsund Religionsgeschichte der germanischen Hinrichtungsbräuche, Berlin 1942, S. 41 f., vgl. 49 f. u. ö. Das viel zu wenig genutzte Buch behandelt über die Titelankündigung hinaus auch die Martyrien von Christen bei Slawen, Balten und ostseefinnischen Stämmen in aufschlußreicher Weise. männlich sein soll statt einfach und schlechthin menschlich, auch mit weiblicher Deutungsmöglichkeit, läßt die Abbildung nicht erkennen . Das Material ist wieder nicht Eiche, sondern eine Buchenart - allerdings nicht Rot-, sondern Hainbuche. Sind das Anhaltspunkte, auf denen sich weiterbauen läßt? Einstweilen bleibt nichts als Ungewißheit - und das Auffällige der Lage am Strandrand, samt ihrer Bewahrung trotz wachsender Gefährdung über dermaßen lange Zeit. 4. Wie ging es mit diesem Opferplatz zu Ende? Das ist im Grunde nicht zu beurteilen, bevor nicht das Fundmaterial der Südsiedlung in gleich umsichtiger Sorgfalt dokumentiert vor uns liegt, denn beide Stätten können abschließend nur im Zusammenhang ausgewertet werden. Festzustehen scheint, daß der alte Kultstrand durch der neuen jenseits des Baches abgelöst worden ist. Aber wie? Geschah dies unmittelbar, durch einfache Verlegung, oder nach einem Hiat? Es fällt auf, daß nicht nur das sakrale Gebäude auf dem erweiteren Podest der Periode B durch Feuer endete, sondern auch die profan genutzte Halle am gleichen Patz in der Periode C. Dazwischen schoben sich tiefgreifende Umgestaltungen des gesamten Geländes: Anhebung des Niveaus durch umfangreiche Aufschüttungen - ihnen danken wir nicht zuletzt die Bewahrung großer Teile des älteren Knochenmaterials - , Anlegen einer neuen Schiffseinfahrt, der Hallenbau, Veränderungen im Wegenetz und anderes mehr. Es war also Macht wirksam, die sich lange genug zu entfalten vermochte, um unter den primitiven Voraussetzungen der Zeit umfangreiche Erdarbeiten in Gang zu setzen, und sie hielt so lange an, daß für nicht näher bekannte Dauer im neuen Gebäude ein profanes Leben Platz greifen konnte. All das geschah, wie gesagt, zwischen den beiden Bränden. Wie haben wir das alles zu verstehen? Es kann sich - zugegeben - um bloße Willkür des Zufalls handeln, um rein äußerliche Parallelität zweier Schadensfälle in zeitlichem Abstand am selben Platz, die nichts mit einander zu schaffen haben. Es kann jedoch, und gerade im hier gegebenen Rahmen, auch um ein Wechselspiel von Repression und Reaktion gehen, mit dessen zweitem Akt sich auch die Erneuerung des bisherigen Opferkultes am neuen Platz verband. Mit anderen Worten: Wurde der alte Kultplatz damals, als man ihn preisgab, lediglich verlegt, sein bisheriges Areal nur umgestaltet und umgewidmet - oder wurde die Stätte gezielt profaniert, und die Halle mit ihnen neuartigen Nutzungsmöglichkeiten hatte in erster Linie der Zweck, das bisherige Treiben dort für die Zukunft zu blockieren? Warum entstand der neue Kultplatz nicht, besser gegen das steigende Wasser gesichert, unter Wahrung der vordem so eindruckvoll gewahrten Platzkontinuität? Es gibt mehr Fragen. Was ist davon zu halten, daß in dem Hallenbau, der den alten Kultplatz mit profaner Nutzung verdrängte, Schreibgerät zum Vorschein kam - ein unverkennbarer Griffel aus Horn, etwa 11 cm lang, und zwei Objekte, die die Deutung als Reste von Griffeln mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit zulassen? Es gibt Griffelfunde auch aus der Hauptsiedlung. Sind sie an beiden Stellen gleich zu beurteilen? Griffel weisen auf Wachstafeln als Beschreibstoff, ein antikes Erbe der damaligen westlichen Welt. Alltagsnotizen, Schulübungen, Rechnungen, Konzepte für Urkundentexte oder auch für literarische Entwürfe, wohl auch Briefe wurden dort eingeritzt. All das kommt jedoch in unserer bisheringen Vorstellung von den Ostseeslawen jener Zeit nicht vor. Wir sehen sie als Träger einer oralen Kultur - die gelegentliche Behauptung, die Götterbilder im Tempel von "Rethra" hätten eingeschnitzte Namen gezeigt, wirkt unglaubhaft. Wir sehen aber auch keine Gründe, für Laienkreise des damaligen Westens Schriftkundig-keit zu vermuten. Die Schreibkunst scheint uns dort für die Jahrhunderte, in die Ralswieks Periode C fiel, auf geistliche Kreise beschränkt. Laiensklaven aus Dänemark, aus Polen oder dem Reich, deren Schreibkenntnis von slawischen Besitzern ausgenutzt werden konnte, passen in dieses Bild ebensowenig wie Kaufleute aus gleicher Nachbarschaft, die sich die schwierige Kunst angeeignet hatten. Christenpriester, aber die erkannt wurden, wurden unter gentilreligiösen Slawen den Göttern geopfert. Wer also schrieb damals im Ralswiek der Periode C, über dem aufgelassenen (profanierten?) Kultplatz? In der Hauptsiedlung mögen die Griffel von Orientalen oder von Skandinaviern benutzt worden sein (einer trägt eine Inschrift in arabischen Zeichen). Spricht das Schreibgerät im Hallenbereich für eine vorübergehende Festsetzung christlicher Invasoren, und das Ende der ersten Kultstätte, die Profanierung des Platzes geht auf diese zurück? Die bekannte Geschichte liefert keine Daten für einen derart massiven Eingriff zu in Betracht kommender Zeit, im früheren 11. Jh., und auch nicht für einen Gegenschlag, der den alten Kult wieder hergestellt hätte. Doch eine wirre Zeit ist es damals gewesen, mit vielfachem Hin und Her von dänischen Vorstößen und slawischen Gegenaktionen: So viel ist bekannt, auch wenn vieles im Dunkel verbleibt. Vielleicht gibt es eine Alternative. Schriftkundig waren im damaligen Mitteleuropa auch die Juden, mit ihren besonderen Zeichen, jedenfalls in verhältnismäßig breiter Schicht, Folge ihres speziellen Verhältnisses zu ihrer Heiligen Schrift. Das 10. und 11. Jh. brachte ihnen eine Blütezeit mit vielfacher Privilegierung; sie wurden damals zu einem wichtigen Faktor in der Entwicklung zeitgemäßer Frühformen von Märkten und Städten -z.B. in Magdeburg, dem wichtigen Tor zum slawischen Nordwesten; erst mit der Katastrophe des Ersten Kreuzzugs begann dieses Bild sich zu wandeln. Ihre Wege und Verbindungen ostwärts des Elbstroms lassen sich aus Quellenmangel nicht näher verfolgen, abgesehen von dem einen, dem berühmten Ibrahim ibn Ja'qüb zur Zeit Ottos des Großen. Stammen die Ralswieker Schreibwerkzeuge von einem seiner Stammesgenossen, der ähnlich unterwegs war? Dann brauchten wir sie nicht mit etwaigen christlichen Zerstörern von "heidnischem Unflat" in Verbindung zu bringen und den Brand des Hallenbaues, mit dem die Funde zusammenhängen, nicht mit einer altgläubigen Reaktion. Es bliebe dann aber noch immer die Frage, wie dessen Brand sich gegenüber der Einrichtung des neuern Opferplatzes südlich des Baches in die relative Chronologie einfügt, ob in denselben Zeithorizont oder in einen anderen, vorher oder danach, und es bliebe nichts zuletzt das Auffällige, das in der Aufgabe der vorher so lange trotz Schwierigkeiten gewahrten Platzkontinuität lieg. Dergleichen wiegt für sakrale Orte ungleich mehr als in anderen Fällen. Noch etwas fällt auf. Der vernichtete Hallenbau wurde nicht erneuert oder anders ersetzt. Die in Verbindung mit ihm neugeschaffene Schiffseinfahrt wurde nicht freigehalten; sie konnte versanden. Viellleicht gab es Versuche, den Bach zu regulieren, der gleichhfalls allmählicher Verflachung verfiel (wann?). Das Gelände blieb sich selbst überlassen, zeitweise wohl noch als Weide genutzt; nach und nach entwickelte es sich zu dem grasbewachsenen Ödland, das die Ausgräber vorfanden - wie weit sich vor der Beweidung auch wieder ein Hiat gegenüber der vorausgehenden Brandkatastrophe einschob, ist schwer zu klären. - Wurde die weitere Verwendung der Stätte zu kulturellen Zwecken, so oder so, gezielt unterlassen, aus besonderen Gründen? Es war möglich geworden, das Heiligtum zu vernichten und die Stätte zu profanieren. Wurde das als Zeichen genommen, daß der Segen der Götter nicht mehr auf ihr ruhte, aber auf dem, was dann an die Stelle gesetzt worden war, offensichtlich auch nicht? Der Hallenbau war ja ein äußeres Zeichen der Profanierung. Denkbahnen, die aus der alten Religion eingeschlagen wurden, konnten wohl so verlaufen, und doch bleibt die Frage, ob der mehrfache Wechsel vielleicht doch einfach äußeren Gründen entsprang, bedingt durch die Entwicklung des Wasserstandes. Es ist kaum zu erwarten, daß die aufgeworfenen Fragen einmal sämtlich Antwort finden, Trotzdem sollten wir sie stellen, um uns die Grenzen unserer Erkenntnismöglichkeiten bewußt zu halten. Einstweilen wird es richtig sein, sich nach keiner Richtung hin festzulegen, sondern zunächst einfach unvoreingenommen die möglichen Interpretationsalternativen bereitzulegen, bis die methodische Aufarbeitung der Materials der Südsiedlung und ihres Umfeldes neue Voraussetzungen schafft, sei es für die Erhellung der relativen Chronologie, sei es darüber hinaus. Zu den wichtigen Elementen, die dann abzuwägen sind, wird - neben dem Problem der Griffel - die Zähigkeit gehören, mit der der alte Opferplatz vor der Periode C gegen alle Widrigkeiten festgehalten wurde. Ob wir dann auch näheren Einblick in die Art seines Endes erhalten werden, bleibt abzuwarten. 5. Zum Schluß sei der Blick auf ein Problem gelenkt, das die Kultgeschichte von Ralswiek nicht unmittelbar berührt, wohl aber die Voraussetzungen für ihren Beginn: die Slaweneinwanderung auf Rügen. In die Grabungskampagnen, die der vorliegende Band dokumentiert, wurden auch gezielte Punkte des Hinterlandes jener Siedlung einbezogen. Von ihnen erstreckte sich eine auf den sog. Schloßberg, knapp 3 km nordöstlich Ralswiek, an der Spitze der Landzunge, die den Großen vom Kleinen Jasmunder Bodden scheidet, also an der verengten Durchfahrt zwischen den beiden Gewässern. Auf dieser Erhebung war eine Wallanlage aufgefallen. Ein Suchschnitt erwies sie als völkerwanderungszeitlich; die Befunde wurden zu den Ergebnissen eines weitgespannten Netzes von pollenanalytischen Untersuchungen in Beziehung gesetzt. Wie oft schon andernorts, ergaben sich auch dabei gravierende Widersprüche zwischen den archäologischen und den paläo-botanischen Daten; Die ersten sprechen nach herkömmlichen Interpretationsmustern für einen deutlichen Hiat zwischen germanischer und slawischer Besiedlung, die anderen für eine Siedlungskontinuität, in die slawische Elemente, kenntlich an der Einführung von Roggenbau, spätestens im 7. Jh. eindrangen. Wie ist das aufzulösen? Die diffizile Problematik umfassend aufzugreifen, ist in einer Grabungsdokumentation nicht der Ort. HERRMANN beschränkt sich daher auf prinzipielle Hinweise, die früher von ihm Vorgetragenes weiterführen, ohne einer definitiven Lösung verzugreifen; es geht dabei ja letztlich um nichts anderes als um die Möglichkeiten und Grenzen des archäologischen Nachweises von ethnischen Bewegungen überhaupt. HERRMANN stellt in diesem Zusammenhang den Aussagewert rein typologisch fundierter Folgerungen aus keramischem Material erneut in Frage. Dem wird weiter nachzugehen sein. Das Problem berührt sich in manchem mit der Lage in Kärnten. Auch dort besteht ein Hiat: Slawen sind für die Übergangszeit zwischen Völkerwanderungszeit und Frühmittelalter durch Schriftquellen sehr gut bezeugt, archäologisch wollten sie sich geraume Zeit nicht zeigen, bis es wenigstens für das 8. Jh. zu Neudatierungen kam.19 Für Rügen ist das weitgehende Fehlen vergleichbarer schriftlicher Nachrichten zusätzlich in Rechnung zu stellen. Die Komplizierung der ostalpinen Situation durch unumgängliche weitere Fragen wie die nach Restromanen und awarischen oder sonstigen Steppennomaden bleibe hier aus dem Spiel. 20 Ein Restgermanenproblem verbindet beide Schauplätze.20 Es ist oft in schiefe Richtung gedrängt worden. Daß es gleichwohl legitim aufgeworfen wird, läßt sich aus Schrift- 21 quellen belegen,21 durch die auch etymologische Erwägungen gerechtfertigt bleiben, selbst wenn sie manchmal in die Irre gehen. Ein besonderer Aspekt des Restgermanenproblems, der gerade auch für Rügen in Betracht kommt, ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen slawischen Einwanderern und etwa verbliebener Vorbevölkerung. Der Berichterstatter vermag dazu nichts zu sagen, doch sei betont, daß in zu entwickelnde Modellvorstellungen die bekannt starke Durchsetzungskraft slawischer Idiome einbezogen werden muß. Mit Grund wird dazu auf ein Zeugnis verwiesen, das das sog. Strategikon des Maurikios bietet. Dort ist die ungewöhnlich starke Bereitschaft der Slawen betont, fremde Elemente als "freie Freunde", also in günstiger 22 Rechtsstellung, in die eigene Sozialordnung einzubeziehen. Eine zahlen- und machtmäßige Überlegenhheit setzt allerdings auch das in jedem Fall voraus. Wie diese Faktoren sich aur Rügen ausgewirkt haben, mindestens viele Jahrzehnte, bevor der Seehandelsplatz Ralswiek entstand, bleibt bis auf weiteres im Dunkel. Die Germanen, die sich an seiner Gründung beteiligten, waren mit Sicherheit keine auf Rügen altheimischen aus Jahrhunderten vor der Völkerwanderungszeit. Mag sein, daß es auf slawischer Seite damals noch Nachkommen solcher Restgermanen gegeben hat, die sich etwas von ihrer zeitweise vorauszusetzenden Zweisprachigkeit bewahrt hatten. Wirkten solche mit, so könnte das die für den Anfang entscheidende Verständigung erleichtert haben.23 Doch dies gehört mit zu den interessanten Fragen, auf die niemand eine Antwort weiß. 19 E. SZAMEIT, Merowingisch-karantanisch-awarische Beziehungen im Spiegel archäologischer Bodenfunde des 8. Jh.s. Ein Beitrag zur Frage nach den Wurzeln der frühmittelalterlichen Kulturerscheinungen im Ostalpenraum, in: Neues aus Alt-Villach. Jahrbuch des Museums der Stadt Villach 31 (1994), S. 7-23; DERS., Zu Funden des 8. Jh. aus Kärnten, in: Acta Historiae 2 (1994), S. 79-92; DERS., Frühmittelalterliche Siedlungstätigkeit im Ostalpenraum und der Nachweis von Slawen im Lichte archäologischer Quellen. Bemerkungen zu einem Modell der archäologischen Fundsituation des 6.-9. Jh.s in Österreich, in: Mitt.d.anthropolog. Ges. Wien 125/128 (1995), S. 291-309. 20 H.-D. KAHL, Früheste Formen slawischer Staatenbildung im Ostalpenraum (in Vorbereitung für ein Sammelwerk: "Slowenien und Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche", hg. von der Slowenischen Akademie der Wissenschaften). 21H.-D. KAHL, Die Anfänge Schwerins, in: Mecklenburg. Jahrbücher 113 (1998), S. 12 f. 22 MAURICII Strategikon 11,4 (hg. G.T. Dennis - E. Gamillscheg, Copus Fontium Historiae Byzantinae 17, Wien 1981, S. 372), dazu W. POHL, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, München 1988, S. 127 u.ö. 23 Möglichkeiten frühmittelalterlicher Verständigung zwischen damals noch weniger weit auseinanderentwickelten germanischen Idiomen zeigt A. LASCH, Das altsächsische Taufgelöbnis, in: Neuphilolog, Mitteilungen 36 (Helsingfors 1935), S. 92-133, am Beispiel der Auseinandersetzung angelsächsischer Missionare mit der Sprache ihres altsächsichen Missionsgebietes. Gleichgültig indes, ob diese Möglichkeit in Ralswiek mitspielte oder nicht: Es kommt hier auf das Prinzipielle an. Das Restgermanenproblem in der heutigen Germania Slavica, als legitim abgesichert, kann helfen, eine Erinnerung wachzuhalten, die die beiden letzten Jahrhunderte nur zu oft verdrängt haben. Es trifft sich dabei mit der Frage nach dem Verbleib slawischer Vorbevölkerung im gleichen Gebiet nach dessen mittelalterlichdeutscher Durchdringung, nur daß beide sich auf verschiedenen Bahnen bewegen. Frühere Zeiten mochten sich in der Vorstellung gefallen, daß "Völker", was immer man darunter verstand, als geschlossene Einheiten auf Wanderschaft gingen, Billardkugeln gleich, die einander stießen und dann ihre Wege nahmen. Dies festzuhalten ist endgültig verbaut durch die bahnbrechenden Forschungen, die REINHARD WENSKUS vor drei Jahrzehnten vorgelegt hat.24 Am Beispiel der frühmittelalterlich-germanischen gentes entwickelt, sind sie weithin übertragbar auf andere Gruppierungen wie auch auf andere Zeiten. Völker und Nationen sind keine statischen Größen, die man in Geschichte und Prähistorie beliebig weit zurückverfolgen könnte. Sie entstehen und vergehen in vielfacher Fluktuation, deren Intensität wechselt, und sie bilden sich keineswege alle zu gleicher Zeit; dabei sind biologischer und sprachlicher Traditionsgange gegen ersten Augenscheine weder gleichläufig noch gar identisch. Beide nehmen verschiedene Wege, die sich nur teilweise berühren. Der einseitige Sprachnationalismus, der so vielfach eingerissen ist, verdrängt daher wichtige Lebenswirklichkeiten anderer Art, und das hat immer wieder verheerende Folgen.25 Wir Völker Europas sind alle viel stärker durchmischt und viel enger verwandt, als man dies langezeit wahrhaben wollte, gleich, ob wir nun in der Romania Germanica leben, in der Germania Romana, in der Germania Slavica, in der Slavia Germanica (von der man sehr wohl ebensogut sprechen könnte) oder wo immer sonst. Das Restgermanenproblem ist eine unter vielen Karten in diesem Spiel. Sie sticht allerdings nicht an allen Plätzen, an denen man sie auszuspielen suchte. Was nun die Übergangszeit zwischen Völkerwanderung und Frühmittelalter auf Rügen angeht, so wird man die Hinweise der Paläobotanik ernst nehmen müssen, nur daß von ihnen aus, soviel ich sehe, das Zahlenverhältnis zwischen Einwanderern und Vorbevölkerung offen bleibt. Es mag dazu erlaubt sein, an ein paar Binsenwahrheiten zu erinnern, von denen keine für sich etwas Neues bringt, doch im Zusammenhang könnten sie vielleicht weiterhelfen. Auch Paläobotanik und Archäologie leben, wie mehr oder weniger alle Wissenschaft, in der Spannung von Befunden und Interpretation. Dabei ist die Ausgangslage verschieden. Pollenanalysen bieten für die Zeitspanne, die sie erfassen, und den Umkreis, den sie einbeziehen, den Befund lückenlos, von Jahr zu Jahr. Wielange ein bestimmter Fruchtanbau sich fortsetzt und wann ihn ein neuer ergänzt, kann sie beweisen; 24 R. WENSKUS, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, KölnGraz 1961 = Köln-Wien 1977. 25 s. Anm. 4, dazu H.-D. KAHL, Wer ist in Kärnten "autochthon"? Anmerkungen zur Bevölkerungsgeschichte zwischen Karawanken und Tauern, in: Carinthia I/186 (1996), S. 419-427: DERS., Solium Ducatus Karinthie. Fragen um Kärntens Füstenstein und seine Rituale, in: Carinthia 188 (1998), bes. S. 243 f. Zur Ungleichzeitigkeit des Entstehens von Nationen und dem Versuch, diese Tatsache durch Erfindung von Geschichtsmythen zu beschönigen: DERS., Der Mythos vom Zollfeld/ Gosposvetsko polje, bei A. Moritsch (Hg.), Karantanien - Ostarrichi. 1001 Mythos (Unbegrenzte Geschichte 5), Klagenfurt/Celovec 1997, S. 54-58. was das dann bedeutet, ist Auslegungssache - es kann vielfach nur durch Anleihen außerhalb des Faches klargestellt werden (daß es Slawen sein dürften, die den Roggen mitbringen, steht nicht in den Pollen). Ebenso haben Archäologen ihre spezifischen Befunde: Diese Scherbe vertritt den Feldberger, jene den Menkendorfer Typ; wer aber wann die Gefäße herstellte und wer sie wann benutzte, bleiben Fragen für sich. Immer wieder begleiten sie Datierungsprobleme, sehr viel weniger eindeutig als bei der Pollenanalyse, und deren Auflösung ist oft nur mit einem Unsicherheitsfaktor möglich, ob nun groß oder klein; verfeinerte Methoden können im Nachhinein auf Umdatierung drängen. Fundlücken verdunkeln zusätzlich das Bild, und sie sind tückisch: Jeder Tag kann Neues bringen, was sie verringert oder schließt, nur daß die meisten Tage dies nicht tun; bewiesen werden kann hier nur, was ist, nicht aber auch, was nicht ist, und Negativbefunde können immer nur bis auf weiteres gelten. Das sind Gegebenheiten, die die Archäologie gegenüber der Paläobotanik in Nachteil bringen, nicht weil sie von Haus aus weniger sorgfältig arbeitete, sondern von den Grundvoraussetzungen des Faches her. All das berührt die Aussagemöglichkeiten beider Disziplinen, die eben von Natur nicht gleich sind, und das wirkt auf das Restgermanenproblem zurück, für Rügen und anderswo. Wenn Pollenanalysen methodisch sauber erarbeitet sind und deren Interpretation auf unanfechtbaren Voraussetzungen fußt, muß ich den Aussagen glauben, auch wenn zur Zeit keine entsprechenden Scherben oder Kämme sie stützen. Für den Archäologen bleibt dann die Frage, ob für das ihm vorliegende Material die Interpretationsansätze bisheriger Forschung überdacht werden müssen. Erweisen sie sich als weiterhin tragfähig, so bleibt die Kluft zwischen den beiderlei Aussagemöglichkeiten bestehen, und es muß weiter abgewartet werden, ob, wann und wie sie sich vielleicht doch noch einmal schließt, zum Beispiel durch Neufunde. Bringt die Herausforderung durch das Nachbarfach den Durchbruch zu neuen Interpretationsmöglichkeiten, so kann es vielleicht trotz allem schließlich zum Einklang kommen. Wenn ich recht verstehe, ist damit auch HERRMANNs Auffassung wiedergegeben. Jedenfalls sucht er, mit neuem Ansatz Bewegung in die Methodendiskussion seines Faches zu bringen, und dem sollte man mit Offenheit begegnen, gleichgültig, ob dieser Ansatz sich dabei noch modifiziert oder nicht. 6. Der Band Ralswiek II ist mit alledem nicht ausgeschöpft. Auch so schon wird deutlich geworden sein: Hier ist wieder einmal vielseitige Information mit reichen Anregungen verbunden, die auch andere Fachrichtungen nun aufgreifen können, um am möglichen gemeinsamen Ergebnis weiterzuarbeiten. Dafür dürfen wir JOACHIM HERRMANN und seinem Mitarbeiterteam dankbar sein. Hoffentlich kann die Aufarbeitung der noch ausstehenden Materialien dieser Grabungskampagnen bald weitergeführt werden - nicht nur für die Südsiedlung, von der für die hier offen gebliebenen Fragen so besonders viel abhängt. Slovanska kultna obala ob Baltiku pri Ralswieku na Rügnu/Rujani (8. - 10. st.) Pripombe k novemu zvezku arheološke dokumentacije (Povzelo uredništvo z dovoljenjem avtorja) Avtor predstavlja novosti, ki jih izpod peresa JOACHIMA HERRMANNA prinaša novi zvezek objave arheoloških izkopavanj vikinško-slovanske naselbine in pristanišča Ralswiek na Rügnu/Rujani. Naselbina je nastala približno sredi 8. st. in je imela poleg najmanj 20 bivališč tudi pristaniške gradbe, delavnice za obelavo železa, brona, roževine, jantarja. Ob tej je bila še manjša naselbina in dva kultna prostora. Tretjega so domnevali na bližnji vzpetini Mühlenberg, a so izkopavanja pokazala, da gre za ostanke poznosrednjeveškega mlina na veter. Glavna pozornost prispevka velja obema sosednjima kultnima prostoroma. Da so na obeh opravljali žrtvovanja, kažejo najdbe številnih kosti, ki se po svojem sestoju močno ločijo od tistih iz naselbine. Namesto svinj, drobnice, perutnine in divjačine, prevladujejo kosti konj, psov in goveda ter, kar je še posebej značilno, številni kostni ostanki človeka, v glavnem odraslih ljudi, a nikoli v anatomski legi. Kultna prostora sta si časovno sosledna. Starejši je ležal tik ob nekdanji obali v kolenu potoka, 200 m jugozahodno od glavnega naselja. Nastal je v drugi polovici 8. stoletja. Sestavljal ga je 3m dolg kamnit oval, ki je imel v sredini lesen kol, 12 m stran pa je bila skupina kurišč z ostanki obrednih pojedin. Nato se je začela vodna gladina dvigati. Ob starem ovalu so zgadili novega, večjega, a enako usmerjenega proti severovzhodu. Tu je stala stavba s stenami iz pleterja, ki je bilo ometano z glino. Kultnega stebra niso prenesli. Ker se je dvigovanje vodne gladine nadaljevalo, so nasutje razširili, zgradili novo leseno stavbo in nov podest, na katerem sicer ni stavbnih ostankov, so se pa poslej žrtvovanja dogajala ob njem. Tako je bilo do konca 10 stoletja. Za razliko z naselbino, kjer se mešajo najdbe slovanskega in skandinavskega izvora, pa na svetiščnem prostoru vse kaže zgolj na Slovane. Avtor tega prispevka to okolnost razlaga s pravnim položajem Skandinavcev. Ti naj bi kot tujci ne imeli pravice do svojih žrtvovanj. Nadalje poskuša pojasniti poudarjeno obvodno lego svetišča. Domneva, da gre za češčenje vodnega božanstva, morda Mokoši. Pri tem opozarja, da je bil kultni steber bukov in ne hrastov, kakršnega bi pričakovali. Poleg tega je bil v Ralswieku najden tudi kipec človeške postave, ki je bil izrezljan iz gabrovine. Svetišče je nadomestila profana stavba, v kateri je bilo najdeno pisalo. Vprašanje, ali je pripadalo poganskim svečenikom, krščanskim duhovnikom, ali celo neznanemu židovskemu trgovcu, pušča avtor poročila odprto. Stavbe na svetiščnem prostoru je uničil požar in jih niso obnovili. V nadaljevanju teče beseda o slovanski naselitvi Rügna/Rujane in vprašanju stika z germanskimi staroselci. Tega nakazujejo analize vzorcev cvetnega prahu, razlage ostankov lončenine govorijo proti. Avtor prispevka vidi v tem metodološko-interpretativni problem. Tega pa obravnava tudi predstavljeni zvezek.