Egypten und Anter-3talien. Rciseciudrücke von Dr. Hlobert ^lve ^allemnnt. Altuna, 1^72. ^crlazi von A. ^icntzel. FM MmßHW Zweircr Band. Inhalt. Neuntes Kapitel. Die Rückfahrt. G„ Ritt nach Abydos. i Ein lebhaftes Hafenbild noch einmal Tape! - un geheure Menge von Pelitancu ^ der Fliegentnltns in Egypten — Girgeh und Anfbrnch nach Abydos — genane Besichtigung einer Nilfläche — Harabat el Madsollneh — die Perle von Egyptcn - - das Sans-Eouci der Names sideu nnd die Hnngersnoth der Eingeladenen — die Dromedare!! — die Deipnosophisten — Madame Lonifa Collet verschwindet der iragbcnv Satt nud allgemeine Freude am Ritt nach Abydos, Zehntes Kapitel. Dic Grädrv von Beni Hassan nud die Pyraiuidcn. 4<> ? Ritt nach den Pura mideu von Gizeh die Tafel vou Eackarah Rück-kehr nach Kairo, Elftes Kapilel. Am Euczkaual. «« Wieder Hir, 2« - großer VottöcoiiMs; ill Masr eine Luft hei liste — noch einmal Kairo - jäher Aufbruch nach Ateraudrien und ein wilder Bednine — verfchlie Einschissnng<:anstvengnngcn — ^ahrt ans d?r Namanieh von Alerandvien nach Port Said — Äbonlir ein Morgen vor dem Sm"sanal ein Fesltablean von sovnc -das ichwumm'nde ^c^lend nnd das Fch von Iomaila — cin Ball am Timsahsce nnd eine ^win ans Rußland — großartiger Aufbrnch nach Sue; — Bekanntschaften anf dein Dach — die Bittersecen — Fcrlisicht auf Sue; nnd Strandiing in, vM^i, Meer — der Enrymai^hc Brüll äffen allf t^in rolhnl ÄiVx'r - cin Morgenalibrlich a>n Sinaigol'irgc — die groftartigc Schifsoparade ald (^röff^ — lV — Seite nnng des Kanals von Suez - Landnng und alte Ve« kannte — „Ich war der Doctor und Ihr kennt mich nicht?" - ein oa,f«,, ,e in Assuan für einen Novcmdcrtag wirtlich außeror- dmtlich gewesen. Der frische Wind wühlte dm Nil prächtig auf; an einzelnen Stellen glich der Strom einem wogenden ^andsce, nnd trieb kräftige Wellen gegen die Schiffe, deren einzelne Schlage gegen die Planken wir sehr dentlich fühlen tonnten. Vor Allem verminderte diese frische Temperatur und der Gegenwind bei schnellerer Fahrt unserer mit dem Strom eilenden Schlffc ein böses Uebel bei sämmtlichen Eingeladenen. Schon im alten Cgypten war das Symbol der Unverschämtheit nnd Zudringlichkeit die Fliege. So kommt sie in der beschichte aller Dynastiecu vor, so bei dm Juden und bei den Hytsos, so bei den echt egyptischen Pharaonen, — im Delta, m Ober-cgypten. Der Nilschlamm und der Arabcrschnmtz thun ihnen auch noch heutigen Tages Vorschub. Wo man steht und geht sind Fliegen, in der Stadt und auf dem Lande; auf dem festen Vodcn uud auf dem Flussc, auf den alten Pharaoumbauten und im mo-dernm Hotel. Uud das Schreckliche dabei ist, daß die fliegende Höllenbrut es ganz besonders auf eine Gegend in der Topographie des Menschen abgesehen hat, auf den innern Augenwinkel. — Kaum hat man >.>ine Leetüre, eine Schreiberei angefangen, fo sitzt einem auch schon die Fliege im Nasenwinkel des AnM, nnd erregt den widerlichsten Kitzel. Man scheucht sie fort! Im sclbeu Nu sitzen vier bis fünf Fliegcu wieder an derselben Stelle, und das Fort- — 6 — schönchen muß wieder beginnen, wenn man nur cinm Augenblick Nnhc haben will. Aber man hat nnn eben keine Ruhe, denn die Fliegen sind unendlich, nn^ sterblich, unermüdlich. — So ist wirklich alles Fortscheuchen nnr gan'^ momentan von Wirkung. — Da haben denn die Araber das beste Mittel ergriffen, das in solcheni Fliegenzustand ergriffen werden kann, die Gednld. Schon die kleinsten Kinder üben sich in Geduld mit den Fliegen. In ganzen Grnvpen und Trauben sitzen die Ungeheuer ihnen in den Augenwinkeln und lecken dort die Feuchtigkeit auf. Der damit verbundene Nciz vermehrt die Absonderung der Feuchtigkeit, und die Vermehrung dieser Absonderung vermehrt die Zahl der Gäste. So wimmeln die Au-geu aller Kinder in (5gyvten so von Fliegen, daß es wirtlich widerlich anzusehen ist. Und da nun jung gewohnt aueb alt gethan ist, so ist dieses Hegen und Pflegen vou Fliegen in Ägypten auch bei Erwachsenen eine förmliche Ehrensache, bei alten Veuten aber ein wirtliches Großkrcu^. Kein Wunder, wenn unter den kostbaren Schncksachcn der Mumie Aahotev auch eine eigenthümliche Kette von prachtvollen Fliegen sich wie ein Ordenszeichen fand, und die Statue der Königin Amcniritis vor Allem ein Flabcllnm, einen Fliegenwedel in der Hand hat, womit die gnte Königin übrigens auch auf ihre Mägde losgeschlagen haben mag. Als Gaste des Khedive waren wir denn auch am __ 7 __ Bord unserer Schiffe ganz besonders zu diesem uralten Wcgenkultus verpflichtet. Wir litten unendlich von dieser Pharaonenplage, bis sie sich unter den eben angegebenen Bedingungen, Dampfschifffahrt mit dem Strom gegen den frischen Nordostwind, verminderte, und wir wirklich tief aufathmcn konnten, ohne bei jedem Athemzuge cm halbes Dutzend Fliegen mit einzuziehen. Ich gestehe es ganz offen, daß mich alle Mosquitos, Piums, Vorachudos und Fincudos der verschiedensten Zonen und Waldungen Brasiliens in zwanzig Jahren nicht so geplagt haben, wie das eine Nilungethüm in wenigen Wochen, — die Fliege. Ziemlich früh erreichten wir die Stadt Girgeh, wo wir anlegten. Von hier aus hatten wir schon bei unserer Hinfahrt nach Theben und Assuan das alte, höchst merkwürdige This, Thinnis odcr Ebot besuchen wollen (woraus die Griechen das ihnen ge-länfigere Abydos gemacht haben), aber damals hin-drrtc uns der hohe Stand des Niles au dein Vorhaben. Jetzt hatten sich die Verhältnisse gebessert. Aber da ein Nitt nach Abydos, wenn er einigermaßen belehrend und lohnend ausfallen sollte, immer einen Tag erfordern konnte, so ward die Excursion für den folgenden Tag verschoben, nm desto großartiger zu gelingen, nnd wirtlich recht eigentlich eine Perle zu bilden in nnscrcu „schönen Tagen von Araujnez" am Nil. — 8 — So konnten wir, indeß man Alles zum Nitt nach Ebot vorbereitete, den Nest des achten Novembers zur Betrachtung der Merkwürdigkeiten von Girgch verwenden, welche sich freilich in wenigen Minuten ab-thnn ließen. Girgeh ist eine große graue Lchmstadt mit sieben Minarets, malerisch reizend vom Nil aus gesehen, erbärmlich in ihrem Innern. Eine schöne Moschee hart am Ufer ist am Einfallen; und ihre hübschen Bogenhallen werden wohl bald vom Nil ganz umgeworfen werden. Sonst ist ein Gang durch die engen Lehmwege, zwischen den Lehmhäuscrn öde und unfruchtbar. Wie überall am Nil euthalten die Menschen-wohmmgcn in ihren oberen Regionen Luftlöcher für Licht und Athmung. Außer diesen Oeffnungcn entdeckt mau kaum eine Hausthür auf der grauen Lehmwand. In der Kaufstraße, auf dem Bazar ist einiges Leben; besonders machten sich einige originelle Weberstühle und Klempnerbnden bemerkbar, ein paar Sei-dcnladcn und Pantoffclmachereicn, vor denen man vergebens nach den zierlichen Füßen sucht, die solche bunte Sandalen tragen dürften. Denn das ß-ros des Mannesvolkes, — Damen konnneu nicht zum Vorschein —, kennt außer der langen blaubaumwollcncn Tunica und dem weißen Kovftuch keinen anderen Aufwand als das Schmauchen aus langen Pfeifen, mit denen sie in weit sich hinziehender Kette am Ufer — 9 — stehen oder sitzen, gerade als ob nicht ein einziger von ihnen irgend einen ^ebensbcruf hätte, und man jedem die Worte des Volkstribun im „Julius Cäsar" des englischen Dichters zurufen müßte: ^Vliat ti'3,ä6, tnou Ilc.u8 einlenkn», welche man in Egyptcn damöd nennt, und ebenfalls sehr gern zu essen scheint. — Dazu ist in Girgch als Nest der untergegangenen Christenwclt ein katholisches Kloster und eine koptische Gemeinde unter der Invocation des heiligen Georg, von welchem Heiligen ja noch heute die ganze Stadt von ungefähr ^0,000 Einwohnern den Namen hat: Girgeh oder Sankt Jürgen. Sonst hat die in der Nähe des 26" n. B. auf dem linken Nilnfer gelegene Stadt keine Wichtigkeit, wenn es nicht etwa die ist, das; sie den Ausgangspunkt einer Karawanenstraße bezeichnet, welche vom Nil nach Westen in die große Oase hineinführt, und im Clfenbcinhandel nicht unbedeutend ist. Hochwichtig ist aber Girgeh für den Alterthums-forscher nnd Knlturhlstoritcr dadurch, daß, wie schon — 10 — angedeutet, wenige Meilen südlich von dein Orte das elende, wenn auch reizend unter Palmen gelegene arabische Dorf Hm-abat-olU^äfuiioI») das begrabene smlulfün) Harabat oder Ebot, die Stelle bezeichnet, wo das alte Abydos der Griechen, This oder Thiunis gestanden hat, wahrscheinlich der älteste Nomos der ganzen Welt, die merkwürdige Wiege des ersten Königsgeschlechtes, welches je ans Erden alls dem Kreise der Mythen nnd Sagen hervortrat mit einer wirtlichen Zeitgeschichte, nnd nach Jahren zahlte, so daß bei keinem Orte der ganzen Welt der Reisende, der denkende Mensch so wenig vorbeiziehen darf, wie beim alten Ebot, der Stammburg des ganzen alten Pha-raonenthnms, dem Grabe des Osiris, der Gcbnrts-stätte des Äl'encs. Am Frühmorgen des 9. November wurden nnsere Esel am Strande gesattelt, indeß wir am Bord Kaffee tranken. In kleinen Kavelingen rückte nnsere lange Gesellschaft, selbst die Damen trotz des weiten Rittes, aus dem Dinge heraus, — 168 n,no8 ot 1o« ><^vl«,ntft, wie es schon zur Zeit des ersten Napoleon hieß, wobei ich nicht die Bemerkung nnterdrücken kann, daß die großen Geister Europas sich auf den kleinen nn-gcmein behenden und zierlichen Eselchen Afrikas schrecklich unvorthcilhaft ausnahmen, und neben den Erscheinungen einiger Kawassen in flatterndem orientalischen Kostüm mit krummen Schleppsäbeln auf um- — 11 — thigen Rossen total wegfielen, und manchmal selbst abfielen von den Reitthicren. — Gleich hinter der Stadt hatten wir mittelst eines etwas M'znstä'ndlichen Fährbootes einen Kanal zu pas-siren. Dann ritten wir auf einem Damm in schnurgerader Richtung mindestens eine Stunde südöstlich bis zu einem Dorfe unter Palmen, Verdisse mit Namen, wo der Dammweg in einem rechten Winkel nach Südwestcu führt und nach Verlauf von mindestens einer Meile den Rand der libyschen Wüste erreichte. So hatten wir denn mehrere Meilen durch die fruchtbare Nilcbcne zu trabcu und damit eigentlich zum ersten Mal volle Gelegenheit, die angebaute Niederung des alten heiligen Stromes in einiger Ausdehnung genau kennen zu lernen. — Bor alleli Dingen sindet man auf solchem Ritt die Beobachtung bestätigt, daß das nächste Ufergestade des Nils in ssolgc der reichlicheren Schlammab-lagcruugcu zur Zeit der Überschwemmungen etwas höher ist, als die sich ferner ab vom Fluß ausdehnende Fläche, wie wir das auch schon bei Siout bemerkt haben. Während wir auf unserm ganzen Ritt von Mrgeh bis Äerdissc fortwährend die üppigste Vegetation von Zuckerrohr, Mais u. s. w. bis Mauucs-höhc neben nns erblickten, so daß wir mit Bestimmtheit annehmen tonnten, es wäre dort das Nilwasser — 12 — scho,l seit Wochen und selbst Monaten zurückgewichen, fanden wir von Berdissc nach Südwestcu gcgcu die Wüste hin dm Boden mit einer allmälig immer niedriger werdenden Vegetation bedeckt, bis das fruchtbare, dunkclschwarze Erdreich ganz bloß lag und endlich in einen grauen Landsec überging, der sich meilenweit längs der Wüste bin erstreckte, und erst nach einigen Wochen abgelaufen sein konnte. So scheint es denn, daß man in Egyptcn je nach größerer oder geringerer Entfernung vom Nil fast zu allen Zeiten säen und ernten könne. Daher kommt es aber auch, daß aller Landverkehr, soll derselbe nur einigermaßen sicher sein, nur auf Dämmen vor sich gehen kann. Wirtlich sind auch die Dämme hinter Girgeh, zumal der lange Damm von Verdisse bis zur Wüste, eine ausgesprochene sogar mit steinernen Brücken über einzelne Kanäle versehene Handstraße, die ich eine ganz wohl erhaltene nennen möchte, wenn nicht an einer Stelle von den mächtig anflutheudcn Wellen des austretcndeu Nil ein großes Stück des Dammes heraus gerissen gewesen wäre, falls der breite Nist nicht absichtlich gemacht worden war, nm die Landschaft möglichst uneingeschränkt den befruchtenden Wassern auszusetzen. Au der so entstandenen Lücke war eine provisorische Fahre angelegt, um nach und nach unsere gelehrte Escltarawane hinüber zu schaffen. Daß gerade dieser Dammweg von — 13 — Berdisse nach der Wüste der Anfang der schon ebeu erwähnten Karawauenstraße nach dcr großen Oase und Darfur ist, darf hier nicht übersehen werden. In der fnichtbaren Nilfläche trafen wir außer dem mehrfach genannten Flecken Berdisse eine Anzahl ganz kleiner Weiler (mr«^t) oder einzeln liegende Lehmhäuser. Alle Wohnungen macheu sich schon von fern kenntlich vurch ein kleines Bosquet von Dattelpalmen; alle Häuser liegen einen oder einige Fuß höher als die (5bene; nm alle schwärmen Tauben umher, die sich vollkommen gnt mit deu zahlreichen rothen Adlern, den unvermeidlichen Anwohnern solcher Weiler lind Dörfer zu vertragen scheinen, und damit dein ländlichen Vilde einen reizenden Friedeusanstrich geben. So wie mau deu ällßersteu Saum der Nilübcr-fchwemmung erreicht hat, steht man am Rand der unerbittlichen Wüste, so daß es durchaus keinen Ueber-gaug vom Ackerboden zum Wiisteuboden giebt. Wo der eine schroff aufhört, sängt der andere ebenso schroff an. Zur linken Seite den grauschwarzen Nilinorast lassend, trabte»; wir am Wüstcnraud vorwärts, dessen eiutönige Verödung nltr mittelst der aufwirbelnden Sandwolken einige Veränderung und einigen Äeweg-ungsaustrich gewann. Endlich tauchte ganz in der Ferne am Rande des Nilgruudes ein Palmctum auf mit ciuigen armscligeu Häusern, das Dorf Harabat-cl-Madfuneh, das be- — 14 — grabene Harabat. Und in der That, tieser im Sande der Wüste und dcr vollstälidigstcn Vergessenheit ist wohl nie ein historischer Pnnt't von großer Sedentnng begraben worden, als dieses Abydos! — Als Osiris gestorben war, ward nach vielen wunderbaren Fügungen seine Leiche in Ebot begraben; denn ganz besondere war „Osiris der Herc von Ebot". Ans diesem heiligen Osirisortc gingen mit dem ersten historischen König Menes oder Mena, nach Marictte etwa 5000 Jahre v. C., die beiden ersten Pharaoncndynastien hervor, die zusammen 555 Jahre regierten und gleich von vorn herein nach dem Vorbilde des göttlichen Osiris die Gestade des Nil zn herrlicher Blüthe entwickelten. Lag auch dcr Schwerpunkt des alten Egyp-tens später bald in Memphis und im Nildelta, bald in dcr hundcrtthorigen Thebc, immer blieb Abydos odcr Thinnis die heilige Stadt Egyptens, cin Mekka oder Jerusalem wegen der Grabstätte dcö egyptischen Propheten Osiris, aber auch eine Art von I'ero lg. 0i!ldi8o; denn Jahrhunderte, Jahrtausende hindurch strebten die vornehmen Egypter darnach, in der Nahe des Osiris begraben ;n werden. Und als nun zur Zeit der großen Thntmoseu und Namcssidcn, znr Zeit als man anfing, die Juden im Lande Goscn zn bedrücken uud als sie unter Moses von Egyptenland auszogen, Theben das Herrlichste ward, was die Welt bis dahin gesehen hatte, da gedachte man auch ganz — 15 — besonders der alten Ostrisstadt und errichtete dort prachtvolle Tempel, so herrlich, wie sie das Hundert-thorige Theben selbst kaum besaß. Und das Alles, was noch später dic Bewunderung der Griechen nnd selbst noch der Nö'mer erregte, verschwand im Sande! To spurlos verschwand es, daß man nicht einmal die Stätte mehr kannte, wo Thiu-uis oder (5bot gelegen war, bis der Name Harabat-el-Madsouneh als der eines „begrabenen" Ortes die Ansmertsamkeit auf einen nngehenrcn Schuttberg leitete, welcher fast wie eine kolossale Auhänfnug von Nugsand sich bis nmnittelbar an die romantische Mi-süre des arabischen Dorses herangedrängt hat. Ein nördlicher Anstäuser der Schuttgegend hieß Koiit-es' Sultan, der Snltanenhügel, gerade als ob eine alte historische Nhndnng, eine mündliche Tradition, die selbst mn Wüstenraiwe nicht schweigt, den Beduinen gesagt hätte, daß hier unter sebeinlosem Wüstenschütt alte ^ultanmgeschlechter, ogyptische Pharaonen begraben lägen. Durch die unermüdlichen Allsgrabungen von Ma-riette-Bei ist, nackdem man von Abydos die ersten Spuren nnd Tcmpel>innen schou früher wieder entdeckt hatte, der merkwürdige Ort, wenigstens zum Theil wieder, dem Licht und der Gegenwart zurückgegeben worden. Besteigt man an dem südlichen ^nde des Mächtigen Schutthaufens den Anberg, so blickt man __ ^ __ — und gewiß Jeder mit staunender Ueberraschung —-von der Anhöhe hinab in eine weite Vertiefung, in der sich ein Vorhof und die herrliche Vorderseite eines prachtvollen Tempels befinden, während die andern drei Zeiten des Bauwerkes noch im Schutt stecken, und nur das mächtige Dachplateau frei liegt. Der vou einer ganz niedrigen Mauer umgebene Vorhof ist nach meinen Schritten gemessen 60 Schritte tief und 74 Schritte breit. So breit ist denn auch der Tempel. Zwölf viereckige Pfeiler bilden die Facade. Hinter ihnen führt ein Doftpeleingang durch die dicke Mauer in den ersten Säutenraum, welcher aus vierundzwanzig Säulen, ill ;wei Reihen gestellt, sich aufbaut. Dann folgt wieder eine Mthcilungs-wand und hinter derselben wieder eine herrliche Säulenhalle mit sechsmwvrcißig Säulen in drei Reihen, ein Raum von mächtiger Wirkung. Nun aber ge-stallet sich der Ban höchst merlwürdig. Statt eines einzigen Mittelsanctnariums, wie sich ein solches in der Regel als Mittelstück des Hintergrundes in egyp-tischen Tempeln befindet, münden fünf längliche nnd gleich große Kammern, jede mit einem eigenthümlichen Längsgewölbe, auf diese letzte Säulenhalle. Wir habe)! schon in Theben beim Tempel der Hatason slicii-ol-Nakuii) gesehen, das; die Ägypter nicht immer wie wir ihre Gewölbe bauten. War ein Dach, ein Ueberbau fertig gemacht ans jenen ungehemen Onadcrstei- — 17 — nen, von derm Handhabung wir bei ihrer Länge von 20—24 Fuß mit 5 ssuß Dicke nnd Breite wirklich gar keinen Begriff haben, fo meißelte man ganz unbefangen nachher ein Längsgewölbe von nntcn hinein. Die kolossalen nnd doch so haarscharf eckigen nnd elegant zugehauenen Quadersteine hielten sich in gegenseitigem Drnck fest aneinander ohne alle Kalkverbin-dnng und tonnten ganze Voltsmasscn, ganze Lehmdörfer tragen. An die eben angedeuteten Längsgewölbe des Tempels von Ebot reihen sich dann im tiefsten Hinter^ gründe verschiedene kleinere Kammern an, so daß der eigentliche Plan des erst seit einigen Jahren bloßgc-legten Tempels noch gar nicht genau aufgenommen ist und auch auf den ersten Blick nicht klar eingesehen werden kann. Was aber dem herrlichen Tempel sein Hauptinteresse giebt, ist ein Anbau, ein Nebenban uuter ganz gleichen Dache im Süden des Hauptgebäudes, in welchen ein leichtansteigender Corridor führt, so daß der Tempel als ein Doppcltempel, oder doch als ein zwei-gethcilter Tempel anzusehen ist, gerade wie der Tempel von Kurnah in Theben, auf dem linken Nilufer, mit dem er aus ganz gleicher Zeit stammt, oder wie der Tempel von Ombos gleich unterhalb Assuan, in dessen Gleichthciligkeit wir vielleicht ein Gedenkzeich«, der Tagundnachtgleichen erkennen durften. — Dieser — 18 — Anbau, dieser secundäre Tempel von Abydos ist, — fast möchte ich sagen unbedingt die Perle von Egyp-ten aus folgendem Grunde. Der mächtige, eben erst wieder dem Sande abgewonnene Tempel von Abydos ist vom Pharao Sethi, dem Vater des großen Namses ll. erbaut, also zur Zeit der 19. Dynastie, wo Egypten alls dem Gipfel seiner Macht nnd seines Glanzes stand. Der eben genannte Sohn des Sethi hat offenbar mit Theil gehabt am Ban des Heiligthums, nnd so mag dieses dann gegen das Ncgiernngsende des Sethi errichtet worden sein, also etwa nm 1400 Jahre v. Chr. wo der eben erwähnte Tempel von Kurnah ebenfalls errichtet sein mag. Was ist aber der Tempel von Knrnah neben dem von Abydos! Schon der alte berühmte Geograph Strabo, der den großen Tempel von Abydos das Memnonium nennt, rühmt ganz besonders die wundervolle Pracht seiner Ausschmückungen. Und wirtlich, mir selbst erscheint nichts herrlicher als die Scnlft-tur, Hieroglyphik und Malerei von diesem Scthi-tcmpel in Abydos. Nirgends sind so viele Götterbilder dargestellt, wie hier. Der fromm sein sollende und doch so übermüthige Stolz der Thntmosen nnd Namessideu, der nns^in Theben nnd wo sonst nur immer jene mächtige Dynastien bauten und sich ver- — 19 — ewigten, entgegentritt, ist hier nirgends zu sehen. Da ragt kein Sesostris auf prachtvollem Schlachtwagen empor aus der Menge der zermalmten Feinde! Da sind keine Martcrsccncn dargestellt, auf denen den Besiegten, den Ketahs, Notennus und Kuschiten 2000 Ohren abgeschnitten uud noch schändlichere Verstümmelungen angethan werden. Da wird nirgends in bombastischer Nede und Selbstüberhebung erzählt, wie viele Krieger der Pharao selbst niedergestochen oder mit dem Volzcu erschossen habe! In Abydos ist Alles Friede, Stille, Anbetung, Götterverehrnng! Da sehen wir prächtig in Farben gemalt den klugen Gott Thot, den Hermes der Egypter mit seinen, Ibistopf, — weiterhin den jugendlichen Horus mit seinem Spcr-berkopf, den geliebten Sohn dcr Isis, — dann die Isis selbst mit einem wundervollen Frauenkopf, dessen feines Profil wirklich unübertrefflich schön ist, in der Hand das bekannte Zeichen des Lebens, woraus das Sistrum coustrllirt worden ist. — Da werden überall den Gottheiten Opfer zubereitet uud dargebracht! Eine Reihe von Männern Hai an langem Strick ei-uen wilden Stier herangeschleppt. Vögel flattern herbei, um den Himmlischen geopfert zu werden, — eine ganze Fauna von Egypten kann man ans all den Grnppen zusammenlesen, deren Farben, — roth, blau, gelb — wirtlich ganz merkwürdig erhalten sind trotz dcr 3000 Jahre und mehr, die daran vorbeigc- — 20 — zogen sind. — Fast möchte man vor solchen alten Farben an die Glasmalereien nnserer Dome denken. Und doch ist diese göttliche Darstellung, — ich möchte sagen diese katholische Zusammengruppiruug aller Heiligen des alten Egyptens noch immer nicht das Bewundernswürdige, das Imposante im großen Tempel von Abydos. Das ist vielmehr in der oben angedeuteten Seitenkapellc oder Nebenabtheilung nach Süden zu snchen. Hier ist die Färbung der Wände, znmal im Corridor, einfach dunkel, fast schwarz. Sethi nnd sein Sohn Nanism sind abgebildet, der eine vor dem Opferfeucr den (Göttern dienend, der andere einen Lobgesang anstimmend. Vor ihnen sind in langer Reihe gleichsam tabellarisch die Königsschilde von 76 Pharaonen basreliefisch dargestellt mit einer Genauigkeit, eincr Vollendung, die wirklich staunenswerth ist. Das erste Schild ist das des Königs Mcnes des Thinniten. Das Ganze ist eine wirkliche Königsgc-schichte, eine Pharaonenchronik von Ägypten, die kostbarste nnd vollständigste, die man nur haben kann, und die wohl jenen berühmten Papyrus in Turin, die hochwichtige Kammer aus dem Tempel von Kar-nat, und selbst wohl gar die so ganz einzige Tafel von Sadarah, von der wir noch weiter nuten reden werden, als historisch wichtige Monumente übertreffen möchte. — lHin audcrcs hervorragendes Monumcut von chronikalischer NedeuNmg war bisher die sogc- — 21 — nannte Tafel von Abydos im brittischen Muscnm zn London, eine in Stein gehauene Liste von 30 Königsschilden, deren ursprünglich 50 gewesen sein sollen. Diese Tafel ward in einem kleineren Tempel des Schuttes von Abydos gcfnnden, welcher Tempel von Ramses II. rcm Großen, herstammtc, und nur noch aus einer einige Fnß hohen Mauer bestand, die jetzt wieder vom Sande bedeckt zu sein scheint. Trotz all ihrer bis vahin einzigen Kostbarkeit soll ans dieser Tafel vieles nnklar nnd wiMnhrlich ^namentlich in der Reihenfolge der Dynastien gestellt sein. Das großartige Chvonikenmomiment dagegen im Sethi-tempel von Abydos übertrifft an Klarheit, Reichthum nnd Schönheit in der technischen Ausführung vielleicht Alles, was nns das Alterthnm an hieroglyphischer Darstellung hinterlassen hat, abgesehen von dev großen historischen ganz einzigen Bedeutung, die ihm von Fachmännern in der Ägyptologie eingeräumt Wird. Nirgends habe ich als absoluter Laie vor den Geheimnissen am alten Nil eine solche Impression von von schönen lithographischen Arbeiten der Pharaonenzeiten bekommen, wie in jenem düstern Corridor nnd dem Nebenlempel von Abydos, nnd ich glaube wirklich, wir haben in unserer europäischen Kunst gar keinen Begriff von solchen wnndervollen Kunstlei-ftungcn in großem Style, welche Leistungen wir in . — 22 — kleinem Maaße, und selbst da schon mit dem vollsten Rechte unter Staunen, auf einzelnen aus Diorit oder duukelschwarzem Granit, — meinetwegen Basalt genannt —, ausgehaueneu Sargdeckeln sahen, auf denen eine längere, emgegrabeue Inschrift allein ein Meisterstück genannt zu werden verdient, —- wirklich wir haben gar keinen Begriff von solchen Tcmpeldeco-ratioucu! — Da ist so eine ganze Tempelwand, oft eine Wand von den größten Dimensionen und so glatt wie eine polirte Tischplatte, von oben bis unten förmlich übersät mit Zeichen uud Zuschriften. Da sind alle Königsschilde haarscharf gearbeitet und vollkommen correct oval eins dem andern ganz gleich. Da sind Millionen von hieroglyphischen Buchstaben, alle wie aus einem Guß gemacht in Form, Tiefe der Figur uub Schärfe der Näuder. Weun die Zeichen alle gradlinig wären, so tonnte man sich ihr Zustandekommen schon erklären; aber außerordentlich viele Figuren sind wellig, haben runde Koutouren, sind Thiergestalten, — wirklich vor solcher Niesenarbeit steht dein Betrachter recht eigentlich der Verstand still. Und nun erst gar, wenn die heiligen Zeichen nicht vertieft eingetragen werden, sondern hervorspringen sollen! Da muß erst die ganze Zeichnung auf die Wand aufgetragen werden. Dann wird die ganze Wand zwischen den Zeichnungen nnd Zeichen sorgfältig abgetragen, so daß die Zeichen hervorspringend — 23 — stehen bleiben. Das ist aber cine Arbeit, die eine ungeheure Ausdauer nnd Sorgfalt verlangt; 'denn ein kleiner Fehler würde das gan;e Monument verunziert nnd umnöglich gemacht haben. Beim Anblick oder beim Hörensagen von solchen Herrlichkeiten dürfte wohl der alte Plinius (natur. ni»t. V. 11.) die Stadt kurzweg bezeichnen: Oppiäuin ^,d)äu8 Hloinnoni^ i-o^i«, c^t O^ii'is tc^m^io iuei)'-tum^ mit dem Znsatz, daß der Ort 7400 Schritte vom Flnß entfernt in Vibyen hinein läge. Und dabei kann ich eine Bemerkung nicht unterdrücken. Wenn Strabo den Tempel das Memnonimn nennt, nnd Plinius von einer lie^ia Ueiniwni» spricht, so dürfen wir, wenn wir schell, daß der Se-thitempcl von allen andern Tempeln Egyptens so merkwürdig abweicht, dasi er neben seinen prachtvollen Säulenhallen noch so viele wirkliche Prunkgemächer hat, die Idee gar nicht von uns abweisen, daß hier wirklich eine lio^in Hlomnoni«, eine Pharaoncnburg vor uns liege und raß jener andere Tempel das tvmplum Osii-ju des alten Plinius gewesen sei. Der Nebenbau am Menmoninm wäre dann recht eigentlich der Ahncnsaal dieser Pharaonenburg gewesen. — Auf geradem Wege durch die Wüste lag Ebot höchstens 15» Meilen von Theben. Wirtlich können die Namessiden in Abydos sich eine Art von Sans-Souci errichtet haben, in welchem sie sich dem Nachsinnen — 24 — über die lange Reihe der alten Pharaonen nnd der Verehrung der Götter, wie sie dieselben auf den Wänden der Burg hatten darstellen lassen, ungestört hingeben konnten. — Wir würden aber die volle Bedeutung des alten Abydos ganz verkennen, wenn wir nicht einen untersuchenden Blick auch auf seiue Lcicheusteine werfen wollteu. Schon oben sagte ich, daß von Alters her die vornehmen Egypter sich eine Grabstätte in der Nähe des großeil Osiris zu erwerben suchten, und daß dieser göttliche Held und Scgner der Menschheit in Ebot begraben worden wäre. Eine kleine Strecke nördlich vom Schutthaufen von Harabat-el-Madfouneh liegt eine andere Erhebung, Kom-es-Sultan, Hügel d'er Sultane. Als man vor wenigen Jahren anfing, den großen Schutthügcl von Kom-es-Sultan zu untersuchen, da fanden sich, oft Stein an Stein gedrängt, so viele mit Inschriften übcrsäete ^eichensteinc oder Stelen, daß sie wie Blätter einer fossilen Steinchronik in folio, wie Scholien zu den Königsschildcn im Mcnnwnimn, einen wundervollen Anhalt gaben, um mit ihren todten Namen und Legenden einzelne bis dahin verödet erscheinende Perioden der Pharaonen-gcschichte förmlich zu beleben. — Wer das egyptische Museum vou Boulacq durchwandert, wird überrascht Werden von der Menge von ^eichmsteineu und deren __ __ Inschriften. Vier Fnnfthcilc dieser zahlreichen Stelen, d. h. gegen dreihundert davon, sind aus dem Schutt von Kom-es-3ultan heransgegraben worden. Die meisten davon gehören der sechsten Dynastie an (3700 I. v. C.), der zwölften (3000 I. v. C.) nnd der dreizehnten (2800 I. v. C.), denen sich dann eine Menge ans der Vlüthezcit Thebens, ans den Zeiten der Thntmosen nnd Namessiden anreiht, — vielleicht ein großer, wichtiger Wink, die hier im Tode so eng vereinten Dynastieeu anch in ihrer Neiheufolge geschichtlich eng an einander zu rücken, nnd nicht immer die-Dynastieen Thebens, des alten Memphis nnd des Delta nach einander nnd zwischen einander, sondern anch recht oft neben einander anfznstellen nnd abzuhandeln. — Bei so merkwürdigen Funden von alten Stelen hofft Mariette-Bei allen Ernstes darauf, noch einmal das Grab des alten Osiris selbst zn finden lind eine alte Mythe in eine alte Geschichte umzuwandeln. — Wahrhaft glänzeud sind -manche Stelen von Nby-dos ausgerüstet. Sie enthalten merkwürdige Fami^ lieuuachrichten, Vcrwandtschaftsaugabcn und ganze Genealogien, oft lange Psalmen an die Gottheiten, Selbstverherrlichungen einzelner cgyptischcr Großer und ausgedehnte Lcbenslänfc mancher Pharaonendie-uer, s» daß mau oft alttestamcntarischc Psalmen, oft altjüdische Geschichten zu lesen glaubt. Der von — 26 — Marictte-Bel abgefaßte Katalog des Museums von Noulacq enthält eine Menge der interessantesten hierher gehörenden Nebersetzungcu und Details von einzelnen Stelen aus Abydos, denen sich dann noch sehr merkwürdige Scarabäen und andere Monumente aus Harabat-el-Madfouneh anreihen mit den eigenthümlichsten biographischen und historischen Notizen. — Ich kann nicht umhin, auch bei Gelegenheit von Abydos einige von diesen Notizen aus dem bezeichneten Katalog wieder zu geben. Nr. 5>41, großer Scarabäus von Amenophis III. (1418—1442 v. C. — 18. Dynast.), demselben Fürsten, von dem die Mcnmonssä'ule herstammt. Aus der -Inschrift sehen wir, daß die Frau dieses mächtigen Thntmosen Ta'ia hieß, die Tochter des Iouaa und der Touaa, und daß die Grenzen Egyfttens damals südlich bis zum Lande Kar-i, nördlich bis Mesopotamien gingen. Die Frau war nicht von königlichem Blut, nicht einmal Egypterin. Im mächtigen Grabmal der Pallakides oder Pallades von Theben haben wir sie mit rosigen Wangen und als weiße Frau gemalt gesehen. Sie war wahrscheinlich eine Asiatin, vielleicht eine Hyksos, ^üdin oder gar kleinasiatische Griechin. Ihr Sohn Amenophis IV. verfolgte den alten Annnondienst uud mit ihm das Andenken seines eigenen Vaters. Er nannte sich Khon-en-Aten nach einer neuen Gottheit Aten, die wahrscheinlich mit sei- — 27 —' ner Mnttcr importirt ward. Ob das cin Adonai-dienst, oder gar ein Athenedicnst war, läßt sich nicht entscheiden. Neben diesem Scarabäus ist ein anderer desselben Königs, ein Andenken an seine Löwcnjagdcn, aus dessen Inschrift wir sehen, daß der Pharao in den ersten zehn Jahren seiner Herrschaft mit eigenen Händen 102 Stück dieser schrecklichen Thiere erlegt habe. Nr. 51 !i. Fragment einer Komginstatne mit einem Geierkopfputz (Zeichen der Mutterschaft), welches sich in Mydos zwischen Denkmalen ans der 6. Dynastie fand. Mariette meint aber, es könne ans einer der beiden ersten, also wirklich Thinnitischen Dynastieen stammen und dürfte dann nach seine< Angabe etwa 6000 Jahre alt sein. Bei Gelegenheit von Karnak haben wir anf cinein Denkstein die Verherrlichung eines Menschen (Thutmes III.) gesehen. Ein Stein von Abydos giebt uns die Lobpreisung ciucs Gottes. — Nr. !»48 ist die Stele eines königlichen Mundschenken mit Namen Ronia zur Zeit der 19. Dynastie. — Oben auf dem Stein ist Roma, seine Schwester und seine Tochter dargestellt, die sich dem Osiris u. s. w. vorstellen. Dann folgt ein langes Gebet, in dem es nntcr Anderem heißt: „Heil dir, Osiris, erster Sohn des Gottes Seb, des Nettesten der fünf Götter, die von — 28 — der Göttin Nout geboren sind, ältester großer Sohn seines Vaters Ra, des Vaters der Pater, welcher einen Platz einnimmt neben Na, dem König der endlosen Zeiten nnd Herrn der Ewigkeit, — der Erste ill! Kreise der Götter, dessen Tugend mächtig ist? Kaum hervorgegangen ans den Eingeweiden seiner Mutter, hat er die weiße Krone angenommen; die Vereinigung der Königskronen ist auf seinem Haupte. Niemand kennt seinen Namen! Unzählbar sind feine Namen in den Städten und Distrikten. Wenn die Sonne am Himmel anfgcht, so geschieht das nach seinen: Willen; wenn sie untergeht, so betrachtet er ihre Schönheit. Heil dir, den sein tngendhafter Name so groß macht, dn ältester Sohn unter den Auferstandenen. Es giebt keinen Gott, der das thut, was er gethan hat! Er ist der Herr des Lebens und man lebt durch seine Schöpfuug. Niemand kann leben ohne seinen Willen! Er macht Alles gedeihen, was ihn nmgiebt. Er ist Osiris von Ebot, Herr von Tattou, König des Nmcnti (Schattenreich), er ist es, der sein Haupt bedeckt mit den beiden laugen Federn (der Gerechtigkeit). Wcuu er am Himmel erscheint, so begrüßt ihn Beset in ihrer doppelten Form vor ihm. Er ist die Seele der Todten in der Gegend der Abgeschiedenen! Er ist der Sahon der Herren im Gau von Abydos! Er hat die Sonne in ihrer Pracht erschaffen. Die Menschen und die Götter, die ____ ,!dn, die sich durchgeritten haben. Matt nnd abgespannt s^'.i an: Wü-stcnraud anch einige Memnonssäul?n auf ihven Posta-mcuten und seufzten im Abendsonn^nschiulni^r, wahrend audcre ssakire in Bcrdisse cintch.t,'!i, und sich nm etwas Kaffee mit den Barbaren nnd HeruschaZ verständigten. So kamen wir sehr sporadisch zurück nach Girgeh. Ich selbst hatte fünf Ztnnden anf dem Rückweg zn- - gebracht, obwohl ich, wie ich glaube, in Folge meiner siwbrafiliauischen Reisen, — ich ritt einmal in 11 — 35 — Tagen 93 deutsche Meilen, — wohl der härtete Neiter von der ganzen Gesellschaft war. Freilich hatte auch ich meiucn Escl cine volle Stunde hinter mir Herrchen inüssen; das arme Bieh war in der Wüste unter mir zusammengebrochen, und vermochte mich erst wieder auf dem Nildamm zu tragen, wo ich mir trotz des Dunkels wie ein Ritter von der allcrtra-gischsten Gestalt vorkam, und d«u Himmel dankte, als ich iu Girgeh abstieg von meinem unglücklichen Esel. Bis elf Uhr Abends hatten sich denn alle „Eingeladene", wie wir glaubten, wieder bei den Schissen eingefunden. Als aber cine genauere Revue gehalten ward, damit nicht etwa am nächsten Morgen Jemand zurückgelassen würde, siehe, da fehlten uns doch zwei Seelen. Nuserer dcutseben Section fehlte uuscr Dragoman Tchäffer; bei den Franzosen ward Madame Louise Collet vom Si^ele .vermißt, dieselbe Vonise Eollet, welche, was ick vorgreifend zum Trost derjenigen Leser bemerleu will, die nm die erlc Dame be^ sorgt seiu möchten, uicktt lange uael, den Sile;festen als Beschützerin eiue^ der beriihiuten Banditen von Marathon in allen Zeitnngen genannt worden ist. — Was tonnte aber am 7. November ails dem Dragoman, was an5 dem Titele geworden sein? Nach humaner Seite hin gesehen freute es uns, daß die Dame mit einem Mann verschwunden war, 3 5 -. 36 — der ungemcin praetisch war, und deutsch, französisch und arabisch fertig redete, wobei ich ja nicht vergessen darf zu bemerken, daß auch unser Siücle gewiß ein halbes Jahrhundert hinter sich hatte, nnd, abgesehen davon, unbedingt nicht eine einzige Eigenschaft entwickelte, die einem Mann hatte gefährlich werden können. In der ökonomischen Perfassung unseres Schisfes konnten wir keinen empfindlicheren Perlust, als den unseres Dragomans haben, wahrend es der französischen Fraction unserer Nilauabasis so ziemlich indifferent erschien, ob Madame Collet da war oder nicht. — Als ein Reisender n, ^ brachte ich eine Hypothese über den Verbleib der Dame znr (Gewißheit. Ich hatte das „Siüclc" auf dem Hinwege nach Abydos anf dem Nildammc von Verrisse wohl bemerkt, war aber in einer Stimnumg daran vorbei geritten, die ich hellte Patriotismus nenne, damals aber als eine kleine Bosheit bezeichnet haben wurde. Die sehr volle Dame ritt, alls beiden Zeiten von einem stämmigen Beduinen gestützt, auf einem Damensattel dessen bescheidene, höchstens für eine schlanke Miß Bri-tania berechnete Dimensionen nimmermehr das „ Jahrhundert" fassen konnten. Nntt'r den aufgeblähten Nocken des Frauenzimmers war der lHsel, wie ein Schiffsriimpf unter den vollen Segeln einer Kriegs-brigg, ganz verschwnnden. Und wirklich wankte die Erscheinung hin nnd her im leichten Morgenwinde — 37 — wie eine bei flauer Vreeze auf wogender See langsam segelnde Fregatte. Nun, daß sie glücklich nach Nbydos kam, habe ich schon bemerkt. Doch schien sie mir schon damals stille nnd nachsinnend, was ich nicht allein ans die imposante Wirkung des Ortes, sondern auf irgend einen anderen vom Nitt hervorgerufeneu Umstand schieben zu müssen glaubte. Seitdem hatte Niemand mehr die nachmalige Löwin von Marathon bemerkt. Nach allen möglichen und unmöglichen Combinationen über deu Berbleib der beideu moderuen „Isis und Osiris", mit denen wir aber Keinen von ihnen herbeischaffte:!, beschlossen wir sämmtlich, da ja doch in der Nacht nichts anzufangen war, ruhig zu Bette zu gehen und den Morgen abznwarten. Und wirklich, uoch ehe die rosenfingerige (5os über dein Nil aufging und die Memnonssaule tönen machte, waren die Vermißten schon wieder da, und beim Frühkaffee ward die Geschickte von Hero und Veander bei Abydos nach mwr französischen Urkunde so dargestellt: Treu dem Dienste ihres Stöcke hatte die französische Wncvvo iuvit('o recht eigentlich invite ^lium'Vil, d. h. trotz großer Abgeschlagenheit den Nückritt von 'Varabat-el-Madfouneh mit al!m Anderen wirklich au-gotreten, war aber gleich anfangs mit ihren beiden Beduinen znrück nnd zuletzt ganz allein mit ihnen geblieben und wirklich verschwunden. Der Dragoman — 38 — hatte noch die Bepackung der Dromedare mit unserem Frühstücksapparat im Memuonium beaufsichtigt, und war viel spater als alle Anderen aufgebrochen. Da wo der Weg die Wüste verläßt und sich dem Nildamm gegen Verdissc zuwendet, hatte er die sonderbarste Gruppe gefuuden, die ihm je in Egyptcn vorgekommen war. Auf dem Wüstensand saß das Titele in stnmmer Verzweiflung, lag der Esel mit haugcuden Ohren, standen die beiden Beduinen in braunfarbiger Erstarrung! Sie konnten sich mit der Dame nicht verständigen, uud hatten sieh nun mit echt orientalischem Stoicismus als treue Dieuer derselben auf alle Eventualitäten gefaßt gemacht, die das Lebeu einer Frau durchkreuzen können, inclusive den Tod dnrch Perhungern oder Langeweile, denn interessant war gar nichts bei der Geschichte. Vergebens suchte der Dragoman die gckeutcrte Fregatte, die am Morgen noch so heiter hinaus gewogt war nach Abydos, noch einmal zum Reiten zu bewegen; die Frau konnte eben nicht weiter, und man mußte auf andere Transportmittel sinnen. Die beladenen Dromedare boten alle Unmöglichkeiten dar, eine Reiterin, die ohnehin nicht, und am allerwenig-stcu auf einem Dromedar reiten konnte, aufzunehmen. Desto brauchbarer erschieueu die beiden Beduinen. Der Dragoman impr^visirte emeu Sack zwischen den leeren Vorraths lasten in eine Art von Häugematte — 39 — um, in welche man zur Noth die Frau stecken konnte. Ans einem nahen Naget wurden zwei Stangen herbeigeschafft; der tragbare Sack ward fertig, nnd bewährte sich, als Madame Collet hineingesteckt worden war, vollkommen. Höchst human bestrahlte die erste Mondsichel den Pilgerpfad der leidenden Menschheit wenigstens bis Berdisse, von wo der Weg einfach und unter sdcm egyfttischcn Sternenhimmel leicht zu finden war. So ward denn noch die letzte Fraktion der (5botcxp edit ion rechtzeitig an das Ufer vonAGirgeh zurückgeschafft, nnd wir konnten Alle nur mit den frohsten Erinnerungen zurückdenken an das herrliche Abydos, dessen Besuch mir eigentlich den liebsten Paragraphen in meinem ganzen cgyfttischen Tagebuch ausgefüllt hat und mir unvergeßlich bleiben wird. Zehntes Kapitel. Die Gräber vonBem-Hassau und die Pyramiden. Wirtlich fliegend mit Daniftf und Strom schössen wir am sonnigstrahlenden Morgen des 10. November den Ml hinunter, wieder dicht unter deu prachtvollen Kalkwänden hindurch, deren oberer Kamm in weißem Wolkenschaume steckte, so daß mau sie sich bis zur Höhe vou Horeb und Sinai träumen konute. Wieder bei Achmim sausten wir vorbei, wo im Gegensatz zu unserm zischenden Geschwader ans breiter Nilftäche ein Pelikan mit seineu Jungen eine hübsche Natur-gruppe bildete. Bor Sohag schleppten uns wieder arabische Kinder Steinkohlen in die Schiffe, während die großen keilte wieder Xii iulimrlu'i iivopo ro» 08t uun spiclteu uud die Välbelounderllug fast als ihr einzig Element ansahen. Nach 1l) Mimltm schon jagten wir Weilers und erreichten sehr früh am Nachiliittag Siont, aber mitten — 41 — in toller Fahrt und inmitten des Flusses lief unser' Feroz mit vollem Dampf und Strom auf den Grund, daß uns beim ersten Pnff Hören und Sehen verging. Die Dahabieh im Schlepptau des Schisses schoß natürlich schnell daranf los, und konnte nur mit Mühe seitlich davon abgelenkt werden, mit um so größerer Mühe, als gerade ein ziemlich heftiger Wind wehte. Dennoch litt das Begleitschiff einige Havarie in der Takelage. Unter ungeheuerem Geschrei stürzten sich die Matrosen auf Segel und Tane, nm sie zu borgen. Einer von ihnen fiel über Bord, blieb aber am Schiff hängen und kam allerdings etwas ins Gedränge; doch war absolut keine Gefahr dabei. Da der Mordskandal! Wirklich es wurde einem christlichen Mann angst und bange dabei! Unter fürchterlichem Pathos wurde dem Mann das ^eben gerettet. Alle schrieen ihn an, daß er ihnen solche Todesangst gemacht hätte; der Arme war wirklich vom ^egen in die Traufe gekommen. Wenig fehlte, so hätte sich 5as Gesammtpersonal vor Naserei über die Unvorsichtigkeit und vor Begeisterung über die Nettuug geprügelt und umarmt. Dann schnatterten sie sich uüt furchtbaren Grimassen vor, was dein ins Wasser (nicht einmal ganz hinein) Gefallenen Alles hatte Passiren können, zumal zwischen den Kinnladen der ^.imsah's, derselben Krokodile, von denen wir im ganzen Nil nie eine Spur bemerken tonnten, — tnrz — 42 - es war eine lange Scene zum Todtlachen, bis es denn endlich den Vernünftigeren einfiel, daß wir fest säßen und wieder los kommen müßten. Die meisten Passagiere wurden zu den, Ende nach der Dahabieh hinüber geschafft. Wir stärkeren faßten mit an Stangen und Ruder, nm zu schieben; die Nä'der des Schiffes thaten gewiß das Äeste, — wir wurden flott, was die Arabia wieder mit einem Mvrdgeschrei und einen Psalm anf Allah's Allmacht begleitete; und unversehrt legten wir wieder an am Hafenort von Siout, dessen Minarets im Abendroth erglühten nnd auf dem Hintergrund der in bläulichem Duft schwimmenden Kalkgebirge des Westens ein reizend orientalisches Bild abgaben. Bald nach unserm Anlegen jagte das gan;e Damftf-geschwader der Kaiserin vorüber, ohne daß auf dem Schiff der Dame irgend jemand ;u sehen war; es war eben Speisestnnde. Dagegen schien der junge Erbprinz es sich nicht nehmen lassen zn wollen, uns im Vorüberfaliren von seinem Schiff, dem letzten von allen, z'f grüßen. Er that das in der freundlichsten Weise. Und wenn wir scim'N Gruß auch nicht mit oinem lauten Hnrrah erwiedern durften, so winkten wir doch in der dankbarsten Gesinnung nach dem Schiff hinüber. Die <äile der elf dahin fliegenden Schiffe erinnerte auch uns daran, daß wir einige F room eiue ganz kleine Kammer sich fiudet. In dieser ward die Mumie beigesetzt; sie war recht eigentlich der Todtenwinkel, mit dem mau, um nie eineu bebenden forthin gelangen zu lassen, oft förmlich Versteck spielte, so daß man den Brunnen manchmal noch tiefer machte, nachdem die Todtenkammcr verschlossen war, uud dauu die späteren Zeiten vergebens im Grunde nach der - Mumie suchten. Wirtlich bis in das Wunderbare, ja Wunderliche ward der ?cbmsausdr»ck in den Grotten der alten Gräber beibehalten, ^on mehreren der Inhaber kennt man die Nameu und den Lebeuslanf, den uns Mariette — 49 — die Freundlichkeit gehabt hat, aus den Hieroglyphen in sein „Itmol-lUl'o" hinein zn übersetzen. Im nördlichsten Grabe hanst Amcni-Amcncmha, der nns in der Inschrift zn beiden Seiten der Thür seinen ^ebenslanf selbst erzählt. Er war General der Infanterie nnter Ousortasen I. nnd machte mit dein Sohn seines Königs einen Feldzng gegen die Apoll nnd dann einen andern gegen die Acthiopcn. Allch war er Gouverneur einer Provinz, als welcher er sich für seine gute Verwaltung ehrenvolle Auszeichnungen von seinem Fürsten erwarb. Sein nächster Nachbar ist Nomn-Hotep, ebenfalls aus dem Anfang der zwölften Dynastie, nntcr dem König Amenemha III. lebend. Er erzählt nns ebenfalls seine Lebcnsgcschichte. Seine ganze Familie nnd er selbst stammten ans der Stadt Mcnat-Konfon (vielleicht Minich)^ Sein Vater war in derselben Stadt Gonveruenr der Ostdistricte und ein Staatsmann. Er selbst war, wie sein Nachbar, Gouverneur einer Provinz, nnd darf sich seiner Tugenden rühmen: Er hat die Götter geehrt und vie Tempel geschmückt, wie das die alten Egyptcr fast immer, ihren Tod anticipirend, von sich selbst sagen. — Seltsamer Weise befindet sich un Mnscnm von Vonlacq nntcr Nr. 2U eine nngc-fahr 3 Fuß hohe Statue ans Kalkstein, das Standbild eines Staatsmannes, der ganz denselben Namen trägt nnd derselben Dynastie angehört; die Farben Av>--5,'alk,„a,it, Fata Morgana. II. 4 — 50 — dieser vor ungefähr 5lXX) Jahren angemalten Statik sind »och merkwürdig frisch. Sie stammt ans Sackarah. — Wenn Ulan mit dcm Gedanken an ein so ungeheures Alter nun die einzelnen Wandmalereien in dcn Grotten von Bcni-Hassan, wenn man ihr buntfarbiges, so tausendfach sich gestaltendes Veben betrachtet, so geräth man, wenn man daran denkt, das; diese Wandmalereien die wirtlichen Vebcnssitnationen eines vor 5W0 Jahren Verstorbenen wiedergeben, in ein freudiges Erstannen; ja man möchte oft lallt auflachen über so manche ungeheure Naivität, nnv auorufen: (.''c^t Wut 0OMM0 (,'UL/ 1MU«! So ein alter mnmificirtcr Herr znr Zeit Iaeobs erscheint uns wie ein mecklenbnrger Gutsbesitzer, der Alles selbst überwacht uud leitet, nnd vorkoinmendeu Falles auch 3tockprügel austhcileu läßt. Da sehen wir seine Arbeiter das Koru in sehr merkwürdige backofeuförmige Gewölbe schütten, und Andere wieder Wasser aus dem Fluß fchöpfeu. Roch ein Anderer pflückt Früchte von einem Baum, der eben von Affen geplündert wird. °5>er es werren Weintranben her-beigetragen, wahrend verschiedene Ziegen auf oeu Hmterbcincn stehend den Weinstock benagen. In einer horizontalen, schlauchartigen Presse, die mich gänzlich an einen ähnlichen Apparat der brasiliamscheu Indianer zum Allspressen des frischen Maniocmeyls er- — 51 — innert, wird der Wein allsgepreßt. Nud dainit man un Oennsse des Weines mäßig sei, wird warnend an emem Bilde gezeigt, wie ein paar Kerle so betrunteu sind, daß sie von ihren <Ü0ntuI)Lrui0u,idu.^ fortgeschleppt werden müssen. — Stattlich macht sich dagegen der alte Toloatcnchef, wenn er in brillanter Sänfte, fast wie eine Badewanne gestaltet, sich spazieren tragen läßt. Auch läßt er sich von Männern und Granen etwas anf der Harfe vorspielen. Oder Gaukler machell ihm die seltsamsten Pirouetten nnd Schwiug-übnngcn, als ob sie sich anf einem deutschen Turnplatz befänden, oder anf einem Jahrmarkt eine Seiltänzer-gesellschaft repräsentirten. Selbst Francn nehmm Theil an solchen Sprüngen nnd Kautschnckproductio-uen oder führen die unglaublichsten Ballspiele anf, wobei sie oft aufeinander sitzen, beim Werfen nnd Fangen des BallcS hochspringen oder mit mehreren Bällen zu gleicher Zeit spielen. Auch seltsame Spiele ilnt Stäben kommen vor. Einige spielen ganz im-verkcnnbar das italienische Fingcrspiel Mora, Andere dagegen Dameh oder endlich eine Art von Schach, gerade wie wir solche Spiele alle noch heute treiben. — llud nun führen nus die bunten Wandbilder wie-^r hinans anf das offene Feld. Da rennen Sti.-re wüthend anf einander. Gefangene Gazellen, Hasen und Stachelschweine werden nach Hause getragen, an-derv Thiere mit dem Fangseil, einem wirklichen Vauir von einer 8ieihe solcher herrlicher resenfarbiger Granitqnader seinev Länge nach dnrchsl)^ ist, also zwei Gänge neben einander bildet, ^ie ^infasmngowände ringoniu sind ebenfalls prachtvoll polirte Granitblöcke,loelch^ an verschiedenen Ztellen wieder verschiedene kleine Seiteukaunnern au6 pvlirtem Granit enthalten. ^ianm irgeno wo in der Welt iann man eine eni-fachere, edlere und vollendetere Granitcoiisiruttion finden, alc> dieser Tempel zeigt, ^n seiner ganzeli Anlage v,irf man die älteste Basilika, die nobelste 5i.ata-tombeittirche erkennen. Die Behandlung deo Granit, die Schärfe der lacken, die ganz fngenlose Äneinanr.'c-silgllug der großen Quadern ist wahrhaft beionnder,'^-U'nrdig. Früher sollen noch präeytige Alabaslerver-zierungen deil Tempel geschnuickt haben. Ta^ ist — 68 — sehr möglich; denn in der Nähe des Tanctuariums liegen große Mengen von Alabasterfragmenten alif dein Pyramidenfelde umher. Doch giebt das Fehlen allen Schmuckes dem Tempel einen wunderbar ernsten Ausdruck. In dieser herrlichen Krypte mm hat der unermüdliche Forscher Mariette einen Wundervolleu Fund gethan, wie solcher nicht leicht aus dem Alterthum ;n uns gelangt ist. Aus einem geheiligten Wasserbrunnen in einer der Seitcnkammern zog er mit acht anderen Statuen ein prachtvolles Standbild hervor, welches anch wir im Muscum von Voulaeq unter Nr. 578 bewundert haben, nachdem es schon früher mit der Statue der Königin Ameniritis auf der großen Pariser Ausstellung das Stannen der Nelt erregt hat. Es ist ungefähr 5 Fuß hoch, aus dunkelm Diorit ausgehaucn, und stellt die Portraitstatue des Königs Schefren vor, der in der zweitgrößten Kältesten) Pyramide von Gizch bestattet worden ist. „Der König, — sagt Marictte bei der Gelegenheit seinen Fund eommentirend' — ist sitzend dargestellt in der Haltung des religiösen 'Brauches in Egypten. Hinter seinem Kopfe sitzt aufrecht ein Sperber mit offenen Flügeln als Zeichen des Schutzes. Der König hat dic linke Hand auf dem Bein ausgestreckt. Die Rechte hält eine zusammengefaltete Binde. Besonders merkwürdig sind die De- — 69 — tails des Sitzes. Die Seitenlehnen lanfen iu Löwen-köpfe alls. Auf den Seiten sind in kräftigem Relief die Stengel der beiden Pflanzen dargestellt, welche Ober- nnd Nutcregypten bezeichnen, und welche sich mn das Zeichen .^un, das Symbol der Vereinigung, hermuschlingen. Das Ensemble dieser Statue hat den Stempel einer gewissen Majestät und Nnhe, welche erfreut nnd in Staunen seht. Der Kopf, der unglaublich gut erhalten ist, ums; das Portrait des Königs in seinem reiferen Alter sein. Die Schultern, die Vrustwölbung, vor Allem die Kniee verrathen einen mächtigen Meißel, der vor der Sch. ierig^ keit des Stoffes nicht zurückschrak. Mehr als zu irgend einer andern Epoche vielleicht ist die Natur beobachtet und wiedergegeben. Freilich inmitten so vieler bewundernswürdiger Etatum aus dem alten Neich, welcke das Museum besitzt, nimmt nnser Sehefren als Kunstwerk ohne Zweifel nicht den ersten Nang cin. Aber das; die egyptische Kunst schou vor ^) Jahrhunderten eine Statue schaffen konnte, welche "hne ein vollendetes Meisterstück zu sein, sich dennoch über das gewöhnliche Niveau der egyptischeu Sculp-tur erhebt, daß diese selbe Statue mitteu durch so ^lele Jahrhunderte und so viele Zcrstörungselcmente Hindus fast ganz unverletzt auf uus gekommen ist, das ist mi Umstand, über den sich alle Freunde archäologischer Studieu freueu nuisseu. Ich habe uicht — 70 — nöthig hinzuzufügen, daß die Auffindung der Schcfrcn-statue ciuc Beweisführuug gegen diejenigen ist, welche noch heutigeu Tages hartnäckig die Resultate Cham-pollious weglängncn, und den Erbailcrn der Pyra-uüdeu vorwcrfeu, sie hätten nicht einmal die Schreibe-kuust gekannt." Von den anderen am selben Orte und zur selben Zeit aufgefundenen uud ebenfalls mit Schefrens Namen, wie die vorhergehende, versehenen acht Statuen konnte nur eine (Nr. 792) im Museum von Boulacq aufgestellt werden. Hier ist dor König etwas kleiner, älter, sitzend, am Sessel ebenfalls das Sam-zeichen tragend, dargestellt. Doch ist das Kunstwerk weniger vollkommen. Betrachtet man dazu noch den Stein (Nr. 5^1), dessen Inschriften uns die oben angegebenen Belehrungen über den Sphinx des Armachis und die Gründung der Pyramiden bringen, so müssen wir uns gestehen, dasi vor l!0ll.' ti':m«it. — 72 — gloi-i^ munäi! ruft Ulan unwillkürlich aus bei dem Anblick der majestätischen Pharaouenbauteu von Gizeh, deren Majestäten von der Zeit so gemißhandelt worden sind. Wenn mau von dein Pyramidenfclde vou Gizeh, in desscu unterirdischer Nckropole, theils nur in schräg absteigenden Gräbern, theils unler kleinen Pyramiden, ganze Königsfamilien bestattet wordeu sind, südöstlich schaut, so erblickt man eine lange, gedehnte Kette von Pyramiden, welche dem alten Memphis nahe liegen. Namentlich sind es hier die berühmten Pyramiden von Sackarah, welche das allergrößte Interesse erregen. Denn wenn sie auch an Größe gar nicht zn vergleichen sind mit den mächtigen Sauten der Khoufou, Schefrcn und Meukhcres, so umfasseu sie doch, während jene Niesenpyramiden eigentlich nur eine Dyuaslcugruppe,, die vierte, bezeichnen, einen großen Theil der ganzen cgyptischen Geschichte, uud bieten die reichhaltigsten und mannigfaltigslen Belege zu Sitten, Ncligionsgebrauchen, Kunstperioden des Pharaouenlaudes. Während z. B. die schon beredete aus sechs Stufen bestehende sogeuanutc Stuseupyra-mide vom König Onennephis, aus der ersten Dynastie gebaut sein soll, finden wir in denselben Ballten, derselben Nctropole die wundervollsten Andeuten aus der echten alten Memphiszeit, dann aus der großen Periode der Thutmosen und Namessiden (I!)—2l> __ __ Dyn.) und aus dm die alte Pracht cgyfttischcr Ban-ten noch einmal erneneruden Zeiten des Psammetich, ja selbst noch aus der Dynastic der Ptolemäer, als wirklicher Pharaonen. — Alis unserer Nilfahrt war es uns, wie ich schon angegeben habe, weder bei der Anffahrt nach Ober-cgyftten noch bei unserer Rückkehr vergönnt, bei Myt-Nahyneh, dem heutigen Namen des das alte Memphis bezeichnenden Ortes zu landen. Uud als von den Pyramiden vou Oizeh aus einige-„Eingeladene" einen Nitt nach Sackarah unternahmen, erfuhr ich zu spät den Aufbrnch der (Gruppe, um ihr noch nacheilen zu können uud sie einzuholen. Und so muß ich denn aus unserm „Itinm'luro" den trefflichen Mariette-Bci selbst reden lassen über jene hochwicbtige Gegend, die wir nur im Vorübereileu, nur aus der Ferne sehen tonnten. „Die Nekropolc von Sackarah, — sagt der gelehrte Forscher, — ist 'so mächtig grosi, dasi es unmöglich ist, sie ganz zu besuchen. Die Denkmale, die Man gewöhnlich in Augenschein nimmt, sind das Sera-pemn, das Grab des Ti, und das des Phtah-Hotep." — „Apis, als lebendes Symbol des zur Croe Her-abgestiegeneu Osiris, war ein Stier, der bei Lebzeiten stincu Tempel in Memphis (Myt-Nahyneh) hatte, im Tode aber sein Grab in Sackarah besaß. Der Paüast, den der Stier bei Lebzeiten in Memphis bewohnte. __ 74 __ hieß das Apiemn; Scrafteum dagegeu ward sein Grab genannt." „So weit man beurtheilen kann ans den bei den Ausgrabungen wieder gefundenen Resten war das Serapenm ein Gebäude, welches das äußere Ansehen der anderen egyptischen Tempel hatte, selbst derer, die keine Bestimmnng zur Feier von Todten haben. Eine Allee von Sphinxen führte zu ihm. Zwei Pylonen bildeten seinen Eingang. Es war mit einer Mauer umgeben. Aber was es von anderen Tempeln nntcr-schied, war, daß in einer seiner Kammern sich plötzlich ein schräg absteigender Weg aufthat, welcher bald den Felsen gewann, auf dem der Tempel gebant war, und so in ungeheure Souterrains führte, in die Apisgräber. " „Das eigentliche sogenannte Seraveum, d. h. das äußere Gebäude, ist heute nur noch eine Sandfläche, untermischt mit zerschlagenen Steinen, die nnglaub-lich durch einander geworfen sind. Das Serapenm existirt also nicht mehr. Aber der schönste nnd interessanteste Theil des unterirdischen Grabes kann noch besucht werden." „Nir wollen seine Geschichte erzählen. — Das Grab des Apis besteht aus drei getrennten Abtheilungen, d. h. Abtheilungen, die unter sich keinen direc-ten Zusammenhang haben." „Die erste und älteste geht bis zur 18. Dynastie — 75 — und bis zum Ameuovhis III. hinauf. Sie hat zur Bestattung dor Apis bis zur 20. Dyuaslie gedient. Die Grabstätten sind hier getrennt. So viel todte Apis, so viel Grabkammern, die man hier und da, sich etwas dem Zufall überlassend, im Tempel aushöhlte. Diese Kammern sind heute im Sande begraben. Wirklich boten sie nur ein mittelmäßiges Interesse." „Die zweite Abtheilung umfaßt die Gräber der verstorbenen Apis von Scheschonk I. (22. Dynastie) bis Tahkarrah (letzter .König der 25. Dynastie). Dieses Mal ist ein neues System angefangen. Die Gräber sind nicht mehr isolirt. Ein langer unterirdischer ^ang ist ausgehauen, und zu beiden Seiten dieses Souterrains hat man Kammern angebracht, welche man verwendete je nachdem ein Apis in Memphis starb. Dieses Souterrain, welches die zweite Abtheilung des Grabes bildet, ist heute uuzugänglich. Die Decken sind au verschiedenen Stellen eingestürzt, und der Nest bietet nicht genug Solidität, um den Reisenden den Eintritt zu gestatten." „Die dritte Abtheilung ist die allbekannte. Sie beginnt mit Psammetich I. (2<5. Dyuastie) und eudet mit deu letzteu Ptolemäern. Dasselbe System emes gemeinsamen Souterrains ist befolgt, aber nach nueiii weit größeren Maaßstab. Die neuen Galerien siud ungefähr 1100 Fuß ausgedehnt; der große Gang — 76 — allein ist von einem Ende zum andern 600 Fuß lang. Eine andere Bestattungswcise ist hier angefangen, die Bestattung in Sarcophagen aus Granit. Alan zählt deren vierundzwanzig in der ganzen Ausdehnung des Grabes. Alle sind ohne Inschriften mit Ausnahme von dreien, welche die Namen von Amasis (26. Dynastie), von Kambyses und Khcbasch (27. Dynastie) tragen, nnd eines vierten, dessen Schilde leer sind, aber durchaus vermuthen lassen, daß sie einem der letzten Ptolemckr angehören. Nas ihre Dimensionen betrifft, so habl.'n diese Sarkophage im Durchschnitt 7 Fuß Breite, 12 Fuß La'ugc und eine Totalhöhe von 10 Fuß, so daß diese Monolithen, einer mit dem andern, nach Abzug der Aushöhlung, nicht we» uiger als 1^0,000 Pfund wkgen." „Das sind die drei Abtheilungen des Npisgr-bes. Bekanntermaßen hat die Untersuchung dieses Grabes der Wissenschaft über Erwarten Materialien geliefert. Wirtlich kennen wir heute mehr als das sogenannte Skelett davon. Als das Grab entdeckt ward, war es, wenn auch verlcht von den ersten Christen, dennoch so ziemlich voll von Allem, was nicht Gold oder kostbare Materien waren. An gewissen Jahrestagen oder beim Tode und dem Leichenbegängnis eines Apis kamen die Einwohner von Memphis und machten dem Gott einen Besuch in smicm Grabmal, und ließen als Andeuten an vk'sen frommen Act eine — 77 — Stele, d. h. eine Art von Steinplatte, viereckig, »ben abgerundet, zurück, welche nian einließ in eine der Grabeswände, nachdem man daranf cine Lobpreisung des Gottes im Namen des Besuchenden und dessen Familie daranf gravirt hatte. Solche Dommente, ungefähr s>(>() an der Zahl, hat man größtentheils an ihrem alten Platze wieder gefunden, und da viele von ihnen nach dem Brauch jeuer Zeit datirt sind mit dem Jahr, dem Monat uud dem Tage des regierenden Königs, so ersieht man, w.elchc Hülfe die Vcr-gleichung dieser Stelen der Wissenschaft und besonders der Chronologie gewähren kann." Die Beschreibung der Gräber, welche unn in unserm ., Itnw,'n.ii'(^ folgt, übergehe ich, da wir die Verfassung mw die Bedeutung derselben schon bei (Gelegenheit von Beni-Hassau gesellen haben, mit denen sie gan; denselben Grundcharaeter besihen. Wenigstens gedenken indessen musi ich der Mlle von Mouliinenten lind Antiquitäten, mit der die Ne-t'ropolen von Gizeh nnd Sackaral, nach und nach die meisten egyptischeu Äillseeu Europas ,lud gan; besonders das Museuiu vou Voulaeq bereichert habeu, wenn ich zunächst anch nur die alte Pyraiuiden'^eit berühren, die Hc'emphisgegeud etwas besprechen wollte. Die Reichhaltigkeit dieser Zeit, dieser legend ergiesit sich fast über die gan^e ^andesgeschichte. Eine Äieuge vou Statuen nnd Statuetten aus Granit, Diorit, — 78 — Kalkstein, Vronc'o und selbst Holz, allen cgyptischcn Perioden angehörelid ist den bezeichneten Todtcn-schachtcn abgewonnen- cilie Vl'enge von Gedenksteinen mit den Nlerkwürdigsten Inschriften, die recht eigentlich dem Tode und der Nacht angehörten, ist dem Leben nnd dem Vieht der Wissenschaften wieder gc-gebeu worden. So z. B. ist Nr. tt. im Mnsenm von Boulacq ein prächtiger Sarcovhag nn't Deckel, ans granrothem (Granit, init vielen Inschriften nnd Göttcr-darstcllnngcn, gegen, 4 Fuß hoch, über 3 F. breit, iiber »! /v. lang, ein ächtes Prachtexemplar. In diesem stand ein kleiner Zarg alls Basalt; er enthielt ehemals die Neste eines Pristers Anth^Hapi, Sohn seines Vaters Tef-Nakht und seiner Mntter Tat-et. In demselben Todtellschachte fanden sich neben den Sarkophagen der Familie dieses Priesters noch die der /vamilie Oun-nofer und KemHapi. l^iner dieser Satrophage — Nr. 10 — ist in Form einer Mmnie, alls grauem Basalt lDiorit?), auf dem Deckel mit einein langen Gebet bedeckt, welches von der Brust bis ails die Fuße länft. Dieser Zarg ist etwa 5 7l> ____ gräbniß — der l) Fllß lange Sarg aus grünem Basalt (? — gewiß ist er aus Grünstein oder Diorit) der Dame Beta'ita, Mutter des Generals T'aho (Nr. 60.) Die Scnlptnren auf dem harten Stein sind von bewunderuswüroiger Feinheit und Sauberkeit. Mit Necht sagt Mariette bei Gelegenheit solcher Aus-arbcitilng: „Daß es den Ägyptern einmal glückte, eine solche Arbeit zu vollenden, darf nns nicht überraschen; aber was zum Crstauuen ist, das ist das, daß diese undankbare Arbeit für sie so leicht war, daß sie sie so zu sagen uuzählige Male wiederholten." — Die ehrwürdige Mumie Betaita hatte zwei Sohne vou gleichem Namen und gleicher Stellung, beide T'aho,, Tachos genannt, beide Generale. Marictte sagt sehr belehrend darüber: „Nir müssm hier einen uenen Beweis für deu so häufig im alteu Egypteu vortom-uieuden Gebrauch sehen, daß man deu Auteln deu Nameu ihres Großvaters gab. Eiu Tachos wird wahrscheinlich eine Tochter gehabt haben, die er nach seiner Mutter Betaita nannte, deren Sohn dann wieder Tachos hieß." Auch dieser Sarg ist prachtig aus grauem Grault, über 4 ssnß hoch, innerlich nnd äußerlich mit Seulptur bedeckt. Aehnlichc Särge fandeu sich uoch mehrere in demselben Leichenschacht. So hebt der forschende ssleiß nnsers Jahrhunderts ganze Faunliengeschlechtcr mit ihren prachtvollen, fürstlichen Särgen ans Mumieuschachtcu heraus, deren — 60 — Alter nach Jahrtausenden zählt, während die cingra-virten Inschriften, ^umal die alls hartem Diorit oder Basalt, sich den elegantesten Arbeiten unserer Zeit anreihen dürfen! Von allen aus Sackarah entführten Denksteinen indeß hat keiner eine so große Bedeutnng für die Wissenschaft nnd einen so berühmten Namen in der egyptischen Archäologie erlangt, wie der Ztein 'Ar. Vl! des Mnsenms von Boulacq, berühmt unter dein Nameu der „Tafel von Sackarah". Diese Kalkstcintafel ist etwa 10 ssnß lang und über 4 Fnsi hoch. Als ^aic dilrfte auch ich im Museum am Nil den merkwürdigen Chronitenstein be-wnnrern, dessen Beschreibung von einem gründlichen Kenner, Mariette selbst, in seinem Katalog, ich hier folgen lassen darf. ,Mn Priester in Memphis, Tonnar^i, starb unter Ramses II., lind ward in einem der Schachte bestattet, welche man mitten im Plateau südlich von der Stnfenpyramidc von Sactaral) findet. — Man errichtete, wie gebräuchlich, über diesem Schacht eine Tooteneapelle, welche mit Inschriften nnd Basreliefs geschmückt ward. Das Monument, welches wir beschreiben wollen, stammt alls dieser Kapelle." „Die Tafel von Sackarah ist auf beiden Seiten vollgeschrieben. Anf der Förderseile ist Tonnai'-i dargestellt, wie er Osiris und Horns anbetet nnd — 81 — eine lange Nede richtet an den Ersten dieser Gottheiten." „Die Rückseite zeigt uns ein Vild ganz anderer Art. Nach dem „Nitual" (dem Todtenbuch der Eghvtcr) genießen die Seelen der Gerechten, denen es gestattet ist, in die ewige Seligkeit einzudringen, daselbst die Gesellschaft der Könige. Tounar-i ist für gerecht erklärt nnd tritt ein in die erhabene Gesellschaft. Das ist im Allgemeinen der Sinn der Tafel von Sackarah." „Nun aber hatte die ganze Kapelle Tonnar-i's nicht hingereicht, wenn man in derselben die ganze Ncihe der sämmtlichen Fürsten hatte fignriren lassen wollen, die von Menes bis Namses II. nach einander Egyptm beherrscht haben. Der Schreiber, der mit der Ausschmückung des Grabes bcanftragt war, wird also eine Auswahl unter ihnen haben treffen müssen, und von Gründen geleitet, die uns entgehen, wird er die Pharaonenliste auf 58 Namen habm einschränken müssen, deren Andenken besonders hervorgehoben ist." „Keine Wahl übrigens hätte glücklicher sein kön-uen. Daß die Tafel von Sackarah trotz ihren Auslassungen nach demselben Original gravirt worden lst, welches den Mancthonischon listen zum Grunde ^egr, das ist evident. Auf beiden Seiten ist der Parallelismns constant. Die Könige, welche Manetho w ihrer chronologischen Stellung aufführt, sind in Avs-Lallemant. Fata Morgana. II. ß — 32 — derselben Ordnung auf der Tafel aufgezählt. Nirgends widerspricht die Tafel der Unordnung der Dynastieeu, wie wir dieselbe bei Manctho finden. Und noch mehr! Die beiden Listen fließen so sehr aus einer gemeinsamen Quelle, daß ihre beiden Verfasser sich in einem Zwischenraum von tausend Iah-" ren darüber verstanden, ein spezielles Gewicht zn legen anf gewisse Dynastien, deren Könige alle einen Namen haben, und durchaus mit Stillschweigen diejenigen zu übergeben, welche als dunkler und weniger rnhmvoll dem Lande keine die Aufmerksamkeit der Nachwelt verdienende Könige gegeben haben. Keine Wahl, ich wiederhole es, konnte in glücklicherer Weise angestellt werden. Bis jetzt ist, wie man wciß, noch immer Manetho unser sicherster Führer, um uns durch das Gcwirre der Dynastien Egyptens zu leiten. Alles, was Manethos Ansehen abschwächt, verdichtet die Finsterniß nm uns; alles dagegen, was das Werk des nationalen Geschichtschreibers hebt, befestigt unsern Standpunkt und sichert nnserc Resultate. So sind wir denn dnrch den Vergleich zwischen Manctho und der Tafel von Sackarah mehr nnd mehr gewiß, daß diese endlosen Reihen von Königen, die den Geschichtschreiber erschreckten, gerade die sind, welche die öffentlichen Monumente Egyptens vor den Angcn Aller aufrichteten. Manetho geht also siegreich ans der Untersuchung hervor. Seine Abreviatoren haben ihn verstümmelt — «3 — und entstellt; man findet aber trotzdem schon hicr nnd dort einige solide Anhaltsvnnkte, um fest versichern zu können, daß seine Listen in ihrer Totalität zur offieiellen Geschichte Egyptens gehören." Go weit Mariette über die berühmte Tafel von Sackarah! Ungern scheidet man von den Denkmalen der ältesten egyptischen Zeit, von den Pyramiden und Todtengestldcn des alten Memphis, mögen diese Denkmale nun an Ort und Stelle sich befinden, oder ihre Repräsentanten im Mnseum von Äoulacq aufgestellt haben, mögen dieselben nun aus schwarzem Basalt oder weißem Marmor, aus Diorit oder Granit, aus Kalkstein oder Sandstein, aus Broucc oder edleren Metallen gearbeitet sein, — Statuen, Stelen, Sarco-phage, — oder endlich gar noch alls Holz, iu dessen sorgsamer Verarbeitung die alten Egyptcr schon sehr früh Unglaubliches leisteten. Mit einer Holzstatue wollen wir aus dem alten, bem ältesten Egypten, aus dcm Cgypten der Pyramiden von Memphis, von Gizeh-Sackarah scheiden. Mit wirklichem Staunen haben wir im Museum von Boulaeq unter Nr. 4V^ eine prächtige Holzstatne bewundert, wohl eigentlich ein Unicum, dessen nähere Beschreibung uns Mariette giebt: „Em Mann steht brecht (über 3 F. hoch) mit einem Bcfchlshaberstab >u ver Hand. Sein Haar ist knr;; um seine Hüften — 84 — ist eine Art von ziemlich langem Unterrock geschlagen, welcher vorn in bauschigen Falten aufgenommen ist. Sonst ist der ganze Körper nackt. Nichts ist frappanter als diese Statnc, welche in bestimmtem Umriß das Lebensbild einer vor ^'M schaulustigen Publikum gezeigt werden zu können! "- Wahrlich, wenn einmal eine Maje.stat ^ust bekommt, !lch zu überhoben, so mache sie nur eine Partie nach ^izeh, und sie lommt ganz gewiß lnrirt wieder. — 86 — Auch Patroklns ist gestorben. Nnd war mehr als Du! All die wirklich erschütternden Gedanken, dic sich dcm Besucher von Gizch aufdrängen, auch wenn er keine Majestät ist, hinderten uns indeß nicht, unser ländliches Frühstück im Schatten der großen Pyramide einzunehmen, nnd uns der freudigsten Stimmung dabei hinzugeben, wenn es nur auch manchmal vorkam, als klopfte der Geist aus dem Hamlet unten im Boden. Dann verschwand der Eine langsam nach dem Andern von dem Plan nnd kehrte auf trippelndem Esel zurück zu dcu Schiffen, welche längst qualmten und mit den Signalpfeifen lärmten, um die „Eingeladenen" zum letzten Male einzuladen, nnd nach Boulacq hinüber zu trageu. Abcr erst nach einigen Stunden war alle Mannschaft am Bord. Wir stießen znm letzten Male ab, zum letzten Mal auf dieser herrlichen, großartigen, wunderbaren Nilreife. Vielleicht ist der Eine oder Andere meiner Leser mit Ernst und sorgsamer Betrachtung mir gefolgt bis znm fernen Phila, ein empfindender nnd denkender ^escr. Nnn, ein solcher wird sich sagen, daß es unmöglich sein mag, in so wenigen Wochen so viel Schönes, Herrliches, Ucbcrwaltigendes zu genießen irgend wo sonst in der Welt, wie wir es auf dem Nil, an dem Nil, in der Wüste genossen haben, wo — 87 — wir nur immer landeten, hinblicktm, genoßen und nachdachten. Und da sage ich denn recht offen, daß mir, wie viel Herrliches mir anch von des Himmels Scgnnngen im Leben zu Theil geworden ist, doch nur in sehr einzelnen Momenten das Herz und die ganze Seele so vom innigsten Dank gegen Gott und Menschen übergeströmt ist, wie in jenen Minuten, in denen uns unser guter Feroz über deu Nil, nördlich um die Insel Rodah herum, dahin trug nach Voulacq durch eine Scenerie hindurch, dercu tief poetische, morgeu-ländische Herrlichkeit sich eben nur hier, sonst nirgend wo in der Welt, so zauberhaft schöu entfaltet findet. Elftes Kapitel. Am Suezkanal. Noch hatte unser gutes Dampfschiff nicht völlig das Ufer gewonnen, als wir auch schon am Strande aus der Schaar der überflüssigen Zuschauer einen wohlthatigen Spiritns familiaris mit einem Tarbusch erkannten, der nur schon bei unserer ersten Ankunft in Kairo aufgefallen und befreundet war. Ich bemerkte nämlich damals, daß ein sehr junger, wohlerzogener cgyptischer Gentleman sich immer höchst bescheiden, aber auch immer beobachtend zu uns gesellte im Hotel, an unsern Mahlzeiten Theil nahm, und selbst wohl mit einigen leisen Winken an die Vcdiennng im Hotel intervcnirtc, wenn ihm dieses und jenes nicht ganz passend und augcmessen erschien. Als ich ihn einmal allein traf, nnd den jungen bescheidenen Mann anredete, that er sich mir kund als Emin Sei, ein dem Secretariat der auswärtigen Angelegenheiten attachirtcr junger E.qMer, der leidlich französisch sprach und den Auftrag hatte, unser Wohlergehen im — 89 — Hotel etwas zu beobachten, wofür ich ihm damals den allerbesten Dank zu sagen hatte. Wir hatten unsere Karten gewechselt, so daß cr meinen Namen kannte. Dieser junge Bei stand nun als unser Beistand am Ufer mit einem Packele von Logirzetteln; ans jeden: Zettel stand der Name eines „Eingeladenen" mit der Angabe des Hotels, wohin cr sich zu bcgcbm hatte. So wie nun die Einzelnen das Brett ftassirten, um ans Land zu treten, erhielten sie ihren Quartierzcttel, wobei wir aber gleich die Bemerkung machten, daß unser Nileonsortium nach allen nur möglichen Hotels an der Esbckieh aus einander gesprengt werden würde. Es waren ungeheuer viel Fremde in Kairo angekommen, die untergebracht werden mußten, und die Trennung untcr uns ließ sich nuu einmal nicht ändcrn. Nun, das war kein Unglück! Aber für mich schien es cm Unglück zu scin, daß ich allein ohne einen öogir-zettel blieb. Als ich das schreckliche Unglück, so ganz allein ein Ausgcstoßcuer zu sein am Nilstrand, dem jungen Bei etwas übertrieben vorstellte, lachte er und sagte mir, cr freute sich mir zu melden, daß ich im selben Hotel orieutal dasselbe Zimmer 'Nr. 25 für mich reservirt vorfinden würde, da es mir vorher so g"t gefallen. Und wirklich! Als ich nun mit einer Fraktion unserer Gesellschaft am Hotel vorfuhr, er-ln'clt ich meinen Schlüssel wieder und fand meine — 90 — Sachen vollkommen geordnet in meinem alten Zimmer, und mnßte dem guten Emin Bei, der eine freundliche Anrede von damals so hoch aufgenommen hatte, und nuu bald uns nachkam, um für uns zu sorgen, meinen allerbesten Dank für feine Zuvorkommenheit sagen, die um so größer war, als ich dadurch wieder im alleinigen Besitz eines hübschen großen Zimmers war, nnd mich ganz ungestört in demselben einiger ruhigen Reflexion hingeben konnte. Freilich war diese Reflexion nicht weit her. Die Suezfeste waren vor der Thür, und in Masr war eine ganze Welt znscnnmen gcfluthet, eine wogende, wallende, svringflutbige Welt von Nord, Süd, West und Ost. Was konnte man Besseres thun, als nach der Rückkehr aus dem alten Egypten am Rande der Wüste sich hinein zu begeben in diese wogende Hoch-flnth, in diese strömende Welt, nnd ihre Elemente entwirrend sie zu durchmustern! Bisher waren wir Eingeladene der ersten Rimesse von Marseille ein Gegenstand von einer gewissen Aufmerksamkeit gewesen. Aber nnsere Löwenschaft war längst abgethan. Es waren größere Majestäten, ja die Allergrößten gekommen, oder sollten kommen! Frankreich war schon da! Oesterreich und Preußen waren unterwegs, Abd-el-Kadcr ging, als Gerücht wenigstens, im Volke umher; die Niederlande wollten sich einstellen, Italien, Nnßland, ein schwedischer — 91 - Prinz wurden in Aussicht gestellt! Minister, Grafen, Staatsmänner von drei Noßschwcifen, possedirte nnd deftossedirte Fürsten zeigten sich überall, oder wurden doch überall, wo sich was Besonderes zeigte, vermuthet, — kurz, das Wcltkalcidoskop in Kairo drehte sich tüchtig, nnd schüttelte alle Formen nnd Farben, alle Größen nnd Zierlichkeiten, alle Menschenmöglich-leiten und Unmöglichkeiten durcheinander. Jeder schien nnr dazn gekommen zn sein, nm Allen zu einem gewissen Ergötzen zu dienen, nnd alle mußten sich no1<3nto8 vc)i6nt68 dazu hergeben, vor jedem Einzelnen Rcvnc zu Passiren nnd sich angaffen zn lassen vom Orient und im Orient, wie man etwa eine Hecrde ausgewachsener Dromedare im Occident bewundern würde. So war denn auch unser Hotel oriental recht voll geworden, nnd schon nnser erstes Diner zeigte den Sfteisesaal bis anf den letzten Platz besetzt. Es war nicht möglich, neue Bekanntschaften zn machen; man begnügte sich eben damit, nnr an einander vorbei zn streifen. Auch möchte es damals nicht schwer gewesen scin, auf etwas excentrische Elemente zn stosien. Noch unendlich voller als bei nnserem ersten Kommen war Kairo jetzt von der Aventüre. Mnsik, Ballet, Kunst-reiterei nnd die ganze Flnth von Divinitäten, welche das sterbliche Menschengeschlecht zn ergötzen geruhen, ließen sich überall gewahren. Sogar im Hotel oriental __ __ schwebte einige Male eine lnftige Ballerine dnrch un-sere Mitte über den Hofplatz hindurch und die pyramidenstufigen Treppen hinanf, — eine Luftheilige im Gegensatz zu den schwimmenden Wasserheiligen, die wir im Nil getroffen hatten, — und verschwand oben in ihren Zimmern. Das Musselinkind schien die Hatasou, die Löwin einer Balletgesellschaft zn sein, die in den Sucztagcn dnrch das rühmlichste Beispiel eine Veredelung in den Fantasias nnd unter den Nlmeh's anstrebte. Briefe, Zeitungen, Besorgungen nahmen nns vielfach in Anspruch! Am Sonntagmorgen besuchten wir noch einmal das Mnscnm von Boulaeq mit seinen stillen, heiligen Nissenschaftsmonumenten. Den Nachmittag zogen wir hinaus nach der prächtigen Schubrah-allce mit ihrer lauten, unheiligen Menschheit; denn wirklich machte der prächtige Vaumcorso ciucn sehr weltlichen Eindruck. Alle Vornehmheit nnd Bornchm-thuerei, aller Reichthum, alle Ueppigkeit, alle Abm-thcuerci lag da hingestreckt in den offenen Wagen und ließ sich vom dummen Volk anstaunen oder von der Mcnschcnkcnntniß mit Hohn, Spott uud Ironie geißeln. Aber doch machte das glänzende Anf- und Abfahren dieser Fragezeichcnmanncr uud dieser Aus-rufimgszcichl'nweiber einen glänzenden Eindruck, und mau giebt schon gern eine halbe Stunde dazu her, um die bewegte Fata morgana anzuschauen. — 93 — Beim Sonutagsdiucr erging zum Nachtisch urplötzlich die Parole: Morgeu nach Alexaudricu! — Nun es war auch hohe Zeit; dcuu am siebzehnten schon sollte die Eimveihuugsfcstlichkcit am Suczkaual beginnen. Und 'doch schied mau so uugeru vou dem oricntalischeu Märchen Masr-el-Kahirah mit seiner Citadelle und seinen dreihundert Moscheen und Minarets, mit seinem mächtig flutheuden Nil, seiuen Pyramiden lind sogar seinem Wüstengebirg Mokattam! Ein reizender Mondscheinabcnd auf der Esbckieh Machte unserm Aufenthalt in Kairo ein würdiges Ende. Der Tagestumult wich der stilleu Nacht. Weniger dichte Mcnschengrupvcu wandelten durch einander. Hic und da tönte noch eine Musik von fern, — langsam starb das Treiben völlig ab, uud die Stunde des Träumeus, der Märchenwelt regte ihre geräuschlosen Fittige. Ein brausender Nufbruch zum Meer, zuuächst, wie wir alle dachten, uach Alcxandrieu selbst, strömte uach eingenommenem Morgenkaffee am 15. November zum Bahuhof von Masr hiuaus, wo sich unscrc ganze Besatzung vom Möris wunderbar vollstäudig wieder zu-sammeufaud, uud selbst uoch einigen Zuwachs bekom-meu hatte. Uuser Gepäck wurde uus förmlich entrissen uud verladen; dann wurdcu auch wir verladen, und fast war schon der Zug iu Bewegung, als plötzlich eiu furchtbarer Tumult auf dein Perron entstand. __ 94 — und sämmtliche Mitreisende aus den Waggons herausspringen machte. Der Vorfall selbst war einfach. Ein banmstarker Beduine, nnr mit einem Beinkleid angethan, hatte, nm als blinder Passagier nach Scan-dcrich zu kommen, sich in eine graue Decke eingewickelt und in einen Gepäckwagen gelegt. Bei dieser Defraudation ward er entdeckt. Um der Strafe zu entgehen, wehrte er sich mit lallten: Gebrüll gegell seine Verhaftung; je mehr Trnffaldinc herbeistürzten, nm mit dem ungeheuersten Pathos nnd nnter den heftigsten Exclamationen den wilden Kerl zu arretiren, desto wüthender wurde dieser, bis es daun endlich doch gelang, freilich erst nach Citirnng des ganzen Koran und mindestens der halben Snnna, des Beduinen völlig habhaft zu werden, welcher zuletzt nur noch röchelte, wie ein abgestochenes Schwein. Die Scene hatte bei aller Brutalität doch etwas nrkomisches an sich, znmal da Niemand dabei Schaden litt. Endlich kam es denn doch noch zur Abfahrt. Der Zug ging sehr rasch; nur das Frühstück am Nilübergang machte einen Aufenthalt. Aber doch waren wir schon früh in Alexandrien — nicht, sondern befanden uns nrplötzlich auf einem Zchiemustrang, der am Bahnhof der Stadt westlich hinlief, und unmittelbar am Meer endete. Ehe wir Zeit hatten, lins nur einmal umzusehen, waren wir schon ill ein Hafcndampf-schiff übergeladen, und fuhren in den Hafen hinaus - 95 -I unter Bord eines großen egyptischen Dampfpacketes, der Behaire oder Bahari, wo wir anlegten. Unter etwas bnntem Tnmnlt enterten wir den Türken, wobei nns die immensen Neisctistcn einiger Damen ganz entsetzlich hinderlich waren. Wirtlich hatten wir schon Besitz genommen von dem Schiff, als nns angedeutet ward, daß dasselbe nur die Hälfte von nns aufnehmen könnte, und daß die anderen „Eingeladenen" anf das nächste, große Dampfschiff, die Namanieh eingeladen werden würden. — „Freiwillige vor"! hieß es also, und die Veliten unserer Cohortc, die wenig Gepäck hatten, wie z. B. ich, schifften nach der Namanieh über. Hier war eine schreckliche Unordnung. Das Schiff hatte erst knrz vorher Vefehl bekommen sich reisefertig zn machen, nnd lnd mm vor allen Dingen Kohlen, die fatalste Katastrophe, die ein Pafsagicr am Bord mies großen Dampfbootcs erleben kann. Nach einigem Parlamcntiren wnrde, da wir doch denselben Tag nicht wehr in See nach Port Said am Suezkanal gehen tonnten, beschlossen, daß unsere ganze für die Namanieh bestimmte Genossenschaft nach Alcrandrien umkehrte, nnd dort im Hotel den nächsten Tag abwartete. Und das war nicht nur das Angenehmste, sondern sogar das Zweckmäßigste für uns, zunächst für mich selbst, der ich in Alexandrien eine Menge Sachen für — 96 — die Rückreise nach Europa anzuordnen hatte, von deren Ausführbarkeit ich in der Hast nach den Kanalfesten mich nicht überzeugt hielt. — So logirten wir uns denn für die eine Nacht in unferm alexandri-uischcn Hotel ein, machten unsere Besorgungen, hielten ein tüchtiges Abcnddiner und verbrachten einen herrlichen Abend in kühlem Mondenschein an den plätschernden Bassins des Konsnlatöftlatzes, bei deren Rauschen es mir fast vorkam, als hätte ich die wunderbaren Erlebnisse seit dem Abend, wo ich das letzte Mal hier wandelte, doch nur geträumt. — Der folgende Morgen gestattete uns gar noch eine hübsche Ausfahrt durch die Stadt zur Besichtigung einzelner schon besuchter Puukte. Dann aber rief uns das Schiffscounuando an Bord der Namanich. Das stattliche Dampfpacket war 250 Fuß lang, sehr breit, uno nunmehr in der allersaubcrsten Verfassung. Wir logirten uns ein; mich führte das Geschick mit einem cgyptischen Beamten, einem Türken, in eine Kabine. Obgleich ich mit Vein Manu nicht sprechen konnte, so zeigte er doch die allergrößte Zuvorkommenheit, als wir unsers kleines gemeinsames Zimmerchen uns einrichteten. Dann ging eö in See nach Port Said, oder vielmehr sollte es in See gehen. Aber die Ausfahrt aus dem Binnenhafen ist so eng zwischen den beiden Molen, und ein anderes Dampft schiff hatte sich so unglücklich quer vor uns gelegt, — 97 — daß es einer langen Arbeit bedürfte, bevor wir auf die Nhcdc hinauslaufen konnten. Noch hatten wir das lange nach Norden hinwärts die Nhede von Alexandrien deckende Riff nicht nm-schifft, als eine etwas bedrohliche Vö mit Negen von Nordwest einherzog. Die See ward trübe, krans, nn-rnhig; eine Schanmwelle überschlng die andere, nnd wir sahen einein vollen Novembcrstnrm entgegen, der uns unn freilich keine Furcht machte, aber doch anch zur Einweilmng des Suezkanalcs nicht eben nothwendig schien, als nach einer Stnndc sich die Scenerie wieder aufklärte, nnd wir in der gemüthlichsten Stimmung nach Nordostcn dampften. Eine klassische Stelle dämmerte uns gleich nach Sonnenuntergang entgegen. Ein mit einem oder mit zwei kleinen Forts besetzter Vorsprung bezeichnet die Gegend, wo das alte Kanopus lag. Heutigen Tages heißt die Stelle Aboukir. An dieser Spitze, gerade da, wo einige kleine Inseln oder Klippen in das Meer hineinspringen, griff Nelson am Ende des vergangenen Jahrhunderts die französische Flotte an, nnd lieferte eine der furchtbarsten Seeschlachten, in dem n sich mit beispielloser Kühnheit zwischen das Land und die Flotte des Admiral Brueys legte, nnd nun blc ganze Seemacht des Feindes in den Grund schoß. — In stiller, leicht nmflorter Mondnacht umschifften Av6-?allcmant, F.Ua Moigmni. II. 7 — 98 — wir dann die Nilmündungen. Schon um halb vier Uhr des nächsten Morgens (17. November) sahen wir als ein hell erglänzendes Licht das Leuchtfeuer von Port Said brennen, und mußten etwas beilegen, um den Morgen abzuwarten. Hierbei darf ich wohl bemerken, daß fünf Leuchtfeuer zur Orientirung an der egyptischcn Küste am Mittelmecr brennen. Das mittelste Fencr brennt auf dem nördlichsten Küstenvnnkt grade in der Mitte zwischen beiden Nilmündungcn. Beide Nilmündungeu haben ebenfalls ihren Leuchtthurm, dessen Leuchtftcri-phcrien sich mit dem Mittelfeuer schneiden. Dann hat Alcxandrim und Port Said ebenfalls ein Leuchtfeuer, welches wieder in die Lichter an den Nilmündungen eingreift, so daß es unmöglich ist, bei Nacht die Küste von Egyftten zu berühren, ohne ein Leuchtfeuer gesehen zu haben. Jedes Licht scheint fünf deutsche Meilen in See hiuans. Während wir fern vom Feuer von Port Said auf den Tagesanbruch warten, mnß ich, wie viel auch seiner Zeit über den Suezkanal veröffentlicht ist, und auch meinen Lesern bekannt sein mag, dennoch einige wenige Worte über diese merkwürdige Wasserstraße sagen, welche jetzt zwei Wcltthcile trennt uud ven Occident mit dem Orient verbindet. Daß eine Nasserverbindung zwischen dein rothen uud dem mittelländischen Meer kein moderner Ein- __ »jli __ fall ist, ist allen Lesern bekannt. Schon die alten Pharaonen suchten verschiedene Male die östlichen Nilarmc mit dem rothen Meer zn verbinden. Herodot hat selbst einen solchen Kanal in voller Thätigkeit gesehen. Anch die Ptolomäer machten eine Wasser-verbindnng, von der Strabo berichtet. Trajan war ebenfalls ein Kanalbancr, wie denn anch einer der egyptischen Sultane eine Verbindung zwischen dem rothen Meer nnd dem Nil herzustellen sich bemühte. Doch all diese Versuche, mochten sie nun zu Ende geführt worden sein und dann erst wieder verunglücken, oder mochte die Arbeit anf halbem Wege liegen bleiben, warm immer nur Nilvcrbindungcn mit dem rothen Meer. — Einen ganz direkten Kanal von Meer zu Meer zu bauen, gerade durch die gauze Landenge von Suez, dieser Plan gchort ganz der Neuzeit an, nnd seine Ausführung verdankt die Welt einzig und allein dem berühmten Lesseps. Die Ausführung verlangte riesige Kapitalien, wcil die Arbeit riesig war. Zuerst mußte am mittellcmdi-scheu Meer ein Hafenplatz gegründet werden, wozn cs im eigentlichsten Sinne au einem Hafen und an einem Platz dazu fehlte. Dann mußte in dem stachen Movastsee Mansaleh eine Kanalrinnc gegraben werden. Dieser Arbeit folgte die Dnrchstechung eines schmalen Landstreifens zwischen dein genannten See und cinem kleinen südlich davon liegenden See, den — 100 ^- See von Vallah, durch welchen letzteren der Kanal ebenfalls hindnrch geführt ward. Nun stich man gar auf eine weiter ausgedehnte Vodenschwcllnng von Wüstcntaltstcin, die eine Riesenarbeit darbot. Cinc Art von Nnhepunkt, von Mittelpunkt, bildete der dann folgende Timsahscc. Südlich von ihm waren wieder große Schwierigkeiten in einem festen Boden, nach deren Ueberwindung man dann das etwas gebogene, einige Meilen lange Bassin der sogenannten „bitteren Seen" benutzen konnte. Noch einmal kam dann ein fester Voden, in den sich dann das seichte Wasser von Suez selbst hineindrängte, welches aber so wenig zu bcnntzm war, daß der Kanal auch durch dieses noch hindurch bis südlich von Snez geführt werden mußte, nnd anch hier noch bedeutende Hafen-bantcn verlangte. Ich sage: „Anch hier noch bedeutende Hafenbauten!" Damit will ich zn dem ans riesigen Bauten entstandenen Nordhafen des Kanals, nach Port Said zurückkehren, welchen wir beim Tagwcrdcn des 17. Nov. am fernen Südnfer anftanchcn sahen. Ganz außerhalb des Hafens lag die englische Flotte, fünf starke Panzerschiffe, vor Anker, nnd schien keinen Antheil zn nehmen an dem Festgedrängc, waS sich mehr nnd mehr, je näher wir kamen, vor nnscrn Augen entwickelte. Ehe wir aber nach dein bunten Wallen und Wehen — 101 — am Ufer bückten, mußten wir erst die beiden in das offene Meer hineinlaufenden Stcindämme bewundern, welche gemacht werden mußten, um eine sichere An-furth auf der versandenden Küste behaupten zu können. Der westliche Damm springt weiter hervor als der östliche. Zwischen ihren freien Endpunkten ist eine See-breite von mindestens tansend Fuß. Der östliche Damm strebt in südöstlicher Richtung gegen das Ufer hin, so daß am Ufer beide Dämme ungefähr dreitausend Fuß aus einander stehen. Der längere Damm ist über fünftausend Fuß lang, der andere mißt ungefähr drci-tausendachthnndert Fuß. Für beide Molen wurden die Blöcke künstlich ans Sand und hydraulischem Kalt' gemacht. Jeder Block wiegt gegen 50,000 Pfund. In beiden Dämmen stecken nngefähr eine Biertclmillion Blöcke. Schon damit ist eine Riesenarbeit bezeichnet. Was nun zwischen diesen Dämmen am Ufer ausgebaggert wnrde, ward auf der westlichen Seite aufgehäuft, und davor ein stattliches länglich viereckiges Bassin in das Land, oder vielmehr in den See Men-saleh hinein gegrabcu. Mittelst des gewonnenen Schlammes und Sandes gewann man, eben so wie man künstliche Steine zu den künstlichen Dämmen machte, einen künstlichen Boden für die an der Westseite des Binnenhafens sich bildende Stadt Port Said, die jetzt mindestens 10,000 Einwohner hat. — 102 — So hat denn hier die Kunst aus dem öden Mceres-ufer cine wunderbare Welt geschaffen, schützende Damme und Hafenbecken, einen Grund und Boden für eine Stadt, und auf diesem ersteren letztere. Und diese letztere feierte im glänzendsten Flaggenfchmnck ihre eigene Einweihung uud die des ganzen Kanales. Unsere Namauieh ging im Außenhafen zu Anker, nnd harrte der Dinge, die da kommen sollten. Aber es kam nichts! Während dicht vor uns Schiff an Schiff bis tief in deu Hafen hinein sich drängte, während die Flaggen aller seefahrenden Nationen wehten, während ein Salntbombardcment das andere überdröhute, dachte keiu Mensch an uns, die wir, je mehr wir ssesthcrrlichkciten am Ufer nnd in: Hafen erkennen konnten, uns desto mehr mitten hinein in das ssesttrciben wünschten, und zuletzt Alles verwünschten, was möglicher Weise uns davon abhielt, am Fest Theil zu nehmen. Schon sahen wir das Aachtschiff Aigle mit der französischen Kaiserin in den Kanal hineinfahren nnd in weiter Ferne verschwinden; schon folgte der Kaiser von Oesterreich mit einem österreichischen Dampfschiff, beiden dann der Kronprinz von Preußen nntcr norddeutscher Buudcsflagge, — schon kam eine niederländische, eine schwedische, eine italienische Dampfcorvettc hinterdrein, schon sahcn wir über dem Wasserspiegel des Seees Meusaleh eine ganze Kette von stattlichen — 103 — Fahrzeugen in weiten Distanzen südlich dahin schweben, als man dann anch endlich an nns unglückliche Namansehotcn dachte. Nns der Tiefe des Hafens nnd aus dem bnntcn Gewirr von Masten, Segeln nnd Flaggen kam ein kleines Schranbcndampfschiff mit einem länglich viereckigen Prahm an der Seite zu uns heransgedampft. Ans diesem Prahm hatte man ein hübsches Zelt improvisirt, mit langslanfenden Bänken versehen und mit luftigen weißen und rothen Festons nnd Gardinen geschmückt, so daß ihm ein reizender orientalischer Anstrich gar nicht abzusprechen war. Wir wurden in dieses seltsame Amfthibilnn, welches zwischen Wasser und Luft wie eine riesige Cuvierschc Qualle das Mittel hielt, eingeladen, nnscre Sachen nahinen die Mitte ein, und vertrauensvoll zogm wir gen Port Said dem Hafen zu. Zum Landen war keine Zeit. Nur im Dnrchfah-ren tonnten wir die Hafenbauten und die reizende aus Schlamm nnd Wasser so wunderbar heraus im-ftrovisirtc, ganz europäisch aussehende Stadt bewundern, in welcher bereits alle Handelsmächte ihre Consulate, alle Consnlate ihre Flaggenstangen hatten und von jeder Flaggenstange die ihr zukommende Flagge im Winde wehte. Besonders prangte ein grosies herrschaftliches Zelt unter allein nur denkbaren Festschmnck: hier war eine christliche Eiusegnungsceremonie am — 104 — Morgen vorgenommen worden, da bei den Türken derartige Aete unbekannt sind. Alles wallte nnd wehte nnter Flaggen. Aber doch erregte unser kleines buntes Schiffsungchener vor all dem bunten Treiben einiges Anfsehen. Die Menge der kleinen roth-wcisien Fähnchen, Läppchen lind Gewinde verrieth, wenn sie anch eigentlich ganz hanseatisch, namentlich ganz lübeckisch aussah, den türkifch-egyptischen Charakter, sonst hatte man das namenlose nnd noch nie dagewesene viereckige Schiff leicht für ein Narrenschiff, eine Delegation sämmtlicher europäischer Tollhäuser halten können. Unter einigem Hohngelachtcr zwischen den Mannschaften der stolzen Schiffe, an denen wir vorüberfuh-rcn, bogen wir dann südlich niu in eine Lücke hinein, welche von hölzernen Obelisken bezeichnet wurde. So waren wir eben in einer schnurgraden, unabsehbar langen, zu beiden Seiten von einen? schrägen ans Schlamm, Morast, Sand und Lehm und anderem fossilen Ungeziefer, aber ohne alle Spur von Thierwelt oder Pflanzenwelt, eingefaßten Wafsergasse, dem eigentlichen Kanal von Suez, und schifften mulhig durch den unerquicklichen Cocytus hindurch. — Eine kleine Meile, ja cine oder zwei Meilen ging das. Dann aber fanden wir den Kanal schrecklich langweilig, nnd sogar abstoßend und widerlich, womit wir freilich an den Lehmwänden nichts änderten. Höchst fatal war uns aber in dieser Lehmgasse, die wie eine etwas tief — 105 — liegende Eisenbahn von unabsehbarer Gradheit sich ausnahm, die Bemerkung, daß sämmtliche Schiffe, die uns allmalig nachfolgten, schneller fuhren als wir; alle zehn Minuten vielleicht kam, da sämmtliche Dampf-boote in gemessenen Distanzen und nach Art einer Schiffsproeession sich vorwärts bewegen sollten und nur mit halber Kraft gehen durften, so ein dampfen-der Ichthyosaurus halb neben uns halb über uns vorbeigerauscht, und jedesmal bemerkten wir den leisen Spott der vorbciprangcndm Menschheit. Zuletzt schien unser Diplozoon, welches in seinem Dimorphismus innig aneinander gefesselt, wie Philemon und Vancis im Festgewande vorwärts wackelte, vollkommen asthmatisch zu werden. Es ging langsam, stand manchmal ganz still, — und der Maschinenmeister meinte, wir würden damit gar nicht nach Ismaila kommen. Allgemeiner Aufrnhr! Doch schleppten wir uns noch vorwärts. Jetzt sing auch der Hunger an unter uns zu nageil. Es ging uns wie den Israeliten: uns fchltc Manna nnd Trinkwasscr. Nachdem wir etwa 6 deutsche schnurgradc Meilen zwischen den ^ehmwa'n-ben unter allen nur denkbaren Negationen zurückgelegt hatten, kam ein Etablissement, ein „Bahnhof", Kan-tarah, das Ende des Seces Mansalch. Hier ward angelegt. Muthig stiegen wir den Wall hinan. Nnd mm stimmte sich meine Apathie — 106 — in volle Bewunderung um. Die lange Kanalrinne von 6 Meilen war in einem ungeheuer weiten Snmpf ohne Busch und Strauch, einer spiegelglatten Fläche stagnirenden Wassers aufgegraben und aufgewallt worden. Welche Menschen konnten diese ungesunde Galeerensklavenarbeit ausgeführt haben, wie viele Tausende mußten nicht bei dieser Arbeit umgekommen sein! Eine vorausgesandte telegraphische Depesche hatte uns Halbtodten ein Essen bestellt. Ein leucophlegma-tisches griechisch-italienisches Ehepaar dieses „Bahnhofs" traitirte nns auch wirklich mit einem reichlichen Essen, aber es war so fett, daß man es kaum genießen konnte. Wasser war grundschlecht. So mußte eben Wein seine Stelle vertreten. Und nach leidlicher Abfütterung schifften wir uns wieder ein, nachdem auch die Maschine unseres kleinen Dampfers leidlich zurecht geklopft war, und uns bestimmt, wenn auch etwas spät, nach Ismaila zum Fest bringen sollte. Bald südlich nach Kantarah folgt wieder ein kleiner See, der See von Ballah, dessen Fläche, 'weil hier die Einfassung des Kanals sehr niedrig ist, wir sehen konnten. Die Landenge zwischen den: See Men-salch und dem See von Ballah ist höchst merkwürdig. Als der erste feste Punkt südlich vom See Mcnsaleh bildete diese Landenge die Brücke zwischen dem Nil-delta und Palästina, Syrien, Mesopotamien. Hi^ — 107 — zogen in uralten Zeiten die ersten Karawanen zwischen den beiden Welttheilcn hin nnd her. Hier zog Abraham seine Straße, hier Jakob nnd seine Söhne. Hier lag anch die eigentliche Straße, die Moses mit den Israeliten hätte ziehen müssen, nm in kurzer Zeit nach dem Lande der Verheißuug zn kommen. Freilich war es anch der Weg, ans dein ihm Pharao Menefthta am erfolgreichsten hatte folgen können. Es war Nacht geworden während nnsercr Fahrt. Doch schien der Mond dnrch leichte Wolkenschleier. Und da mir es nicht gclnngen war, einen Lagerplatz znm Schlafen zn finden, so konnte ich nnsere Fahrt weiter beobachten. Südlich vom See Vallah nnd der nicht fern von ihm gelegenen Station ol I^oräano hebt siä' der Boden anhaltend nnd sehr bcdentond, so daß hier der Grabnng eines Kanales unermeßliche Schwierigkeiten im Wege lagen. Fast hundert Fnß tief innßte hier gegraben werden, von welcher Tiefe die natürliche Folge war, daß auch die Breite des Kanalbettes ganz enorm ward. Kräftige Dampfmaschinen bewegten eiserne Krahne, um die losgearbeiteten Erdmassen auszuhe-bm, nnd in Form von mächtigen Dämmen aufzn-hänfen. Diese metallenen Arbeitsmaschincn, von denen wir noch eine Menge in und am Kanal sahen, machten in ihren seltsamen Formen beim Mondschein einen höchst originellen Effeet. Bis gegen 200 Fuß — 108 — hoch thürmten sie die Erddämme auf, welche oben an ihren Rändern 300 Fuß, an der Wasserfläche 200 Fuß aus einander stehen. Wohl kann man sagen daß dieser Durchstich der Sanderhebung von el Guisr das größte Werk am ganzen Kanal ist. Und ich gestehe offen, ich traute im eigentlichsten Sinne des Wortes meinen Augen nicht, als wir durch diese lauggcdchnte, furchtbar hohle Gasse hindurch fuhren, und ich die ungeheure Arbeit bemerkte. Plötzlich traten wir hinaus ins Freie. Ein großer, prächtiger Landsee that sich auf; eine Menge Achter blinckte im Westen, und zeigte uns den Weg an sämmtlichen Schiffen vorbei, die seit dem Morgen von Port Said durch den Kanal gegangen waren, um das Ein-weihnngsfest in Ismaila, am sogenannten Timsahsee feiern zu helfen. — Wir erreichten auch glücklich das Nfcr mit einem Landungsplatz, der als solcher nichts zu wünschen übrig ließ, dem aber doch Alles fehlte, was wir wünschten, Essen, Trinken, Wohnung, Vctt, überhaupt ein Unterkommen, denn Ismaila lag weiter zurück, und in der Nacht war garnichts anzufangen. So warf sich denn Jeder von uns, wo und wie er gerade konnte, hungrig und durstig auf den Sand uud erwartete, stoisch der Eine, ärgerlich der Andere, die goldene Morgenröthe, die den Wüstenjammer enden, und uns wieder zn Menschen machen lind bringen sollte. — Tiefer gesunken als in jener Nacht war — 109 — nie die gute Laune und Stimmung unter den Eingeladenen. Da fing wirtlich der Osten an, bleich zu werden. Aus einem Chaos von Wüste und Sand, von Wolken-balleu nnd wunderbar reinem Himmelsblau glühte die Morgenröthe empor aus der asiatischen Einöde, um die Sonne des berühmten Tages von Ismaila oder Ismailiah herauf zu führen; dcnu der Tag von Ismaila heißt ein für alle Mal im Almanach meines Lebens jener achtzehnte November, der mittcn in einer Wüste mir die wunderbarsten Zauber eines bransen-ben und doch in seiner Hochfluth so tief poetischen Lebens gewahrte, das Anschauen, den Triumphzug des herrlichsten, göttlichsten Friedens darbot. Mitten in der Wüste! — Möglich ist es, daß vor uralten Zeiten eine Ader des Nils vom Delta her sich bis in die Gegend des Timsahsceeö verlöret,, und dessen Wasser ziemlich süß erhalten habe, während von dicscm Ccntralbassin des Isthmus von Suez nördlich und südlich alle Wasseransammlungen bitter, salzig sind. Doch ist solche natürliche Wasservcrbiudung des „Krokodilenseecs", dessen Name sogar mit einer che-waligen Verbindung des NUs mit dem Timsahsce zusammenhangen mag, längst versandet. Indessen drängt uoch cin Nilarm aus dem Delta sich weit nach Osten hin; an ihm lag das alte Land Gosen, hente Gessen; -^ und nur zwei Meilm westlich vom Timsahscc wird — 110 — noch die Stelle bezeichnet, wo das alte Ramses lag. Von diesem nach Osten hin dringenden Nilarm ward neben dem Timsahsee hin nnd längs des Scctanalcs ein Süßwasserkanal gegraben, welcher in Suez mündete, und mm den ganzen Strich mit Trinkwasser versah, wie er denn die erste Ader gewesen ist, auf der in der neuesten Zeit ein kleines Schiff vom Mit^ telmeer nach Suez und in das rothe Meer gelangt ist. Und mit diesem herbeigelockten Lebenswasser feierte die Kultur sogar am See von Timsah ihr großartiges 8ui-F0 ot impm-l^! und zeigte uns mit dem erwachenden „Tage von Ismaila" ihr Dasein und ihre fortan unerschütterliche Domaine. Auf dein rings von der drohenden, aber vergeblich drohenden Wüste eingefaßten Seespiegel, der nach den dort hausenden Krokodilen seinen Namen hat, lind sonst nur von scheu vorüber streichenden Pelikanen besucht ward, — fast eiu Averner See, fast ein todtes Meer, — prangte umglüht vom Morgenroth des friedlichen Triumphtages eine herrliche Flotte von 40—50 auserwähltcn Dampfschiffen unter dein glänzendsten Flaggenschmuck. Eiu weithin rollender zReveilleschuß hatte Alle zum Leben erweckt. Selbst zu uns herüber flog das Schrillen der Vootsmaunspfeifen; Trommeln wirbelten, Signalhörner schallten, — alles das Kennzeichen, daß inmitten jener Flotte mannigfaltige Kriegsschiffe au- — Ill — kerten, welche auch an den weithin wehenden Wimpeln zu unterscheiden waren, nnd die herrlichste Sec-parade boten in gemessener, weithin sich erstreckender Front. Da flogen einzelne Adjudauten vor, kleine zierliche Hafeudamftfboote mtter verschiedenen Flaggen, namentlich französischen und egyptischen, welche in ihrem Wcttlanfe zum Ufer hin sich in der That viel wichtiger machten, als die Secmonarchen selbst, jene Kriegscorvettcn, zu denen sie gehörten. Offieiere und Matrosen sprangen an das Land. Nun kamen auch Ruderboote herbei mit sauber nniformirten Mannschaften; die Landungsbrücke nnd der ganze Strand füllte sich mit Menschen, ein so reizendes Marincbild, so voll von seemännischer Coquetteric im Fcstpntz, daß ich mich in die glänzendsten Seeparadetage von Nio dc Janeiro zurückträumte. Und in solch wnndervolles Marincbild kommen dann verschiedene ungeheure Dromedare hinein getreten, beladen mit diesem oder jeuein Schifssbedarf, der von wochigen Bcdninen abgeladen wird. So fratcrnisiren in Ismaila die Schiffe der Wüste mit denen des Meeres, so nagelneu die letzteren, so uralt die ersteren in härenem Gewände, aus dessen langen Zotteln schon Pater Abraham für seineu kleinen Isaac den Nock zurecht machte. Im Anschauen dieses unaussprechlich großartigen Hafcntreibens, — ich meine nicht dem Raum nach, sondern nach seiner Bedeutung mitten in der ehemaligen Wüste —, schien es fast, als hätten wir die Landscite mit Ismaila und besonders die schlaflose Nachtmisöre mit aller mangelnden Nahrung ganz vergessen. Hätten wir von dem ganzen Snezfcst, — und ich sage das mit ganzem, vollen, Ernst, — nur diese Scene am Rande und auf den» Spiegel des Timsah-secs erlebt, wir würden, ich wenigstens ganz bestimmt, vollkommen zufrieden gestellt gewesen sein, und kein Seeschlachtenbild würde sich mir so tief, so begeisternd ernst in die Seele hinein geprägt haben, wie dieses in der Mitte des ehemaligen Isthmns. Aber doch war es uns äußerst angenehm, als von der Stadt herab der Tagesbefehl tam, wir möchten Hinaufmarschiren, während unsere Sachen anf einen Wagen geladen wurden. Durch eine Porta triumfthalis und über eine Brücke des Süßwasserkanales führte nnser Weg inmitten eines Volksgetümmcls von Europäern, Asiaten und Afrikanern, dessen bunte Formen, Farben und Kompositionen sich garnicht definircn lassen. Es tam mir vor, wie 'das laute Stimmcu der Instrumente vor einem Monstreconzert; man vernimmt Alles, hört und versteht aber garnichts von der Wirthschaft; höchstens erkennt man die langen Hälse der Contre-bässc, — und solche Contrcbässc in meinem Wüsten- — 113 — conzertbilbe mögen die langen Dromedarhälse sein, die überall hervorragten. Aber schon schallt uns das Summen, Schnurren, Schnattern nnd besonders das Pankcn der Vednincn-mnsik entgegen, nnd wir biegen in den langen Hnai ä,6 N6ln3m«t, ^Ii ein, eine lange, freilich nnr erst von jnngein Anwuchs gebildeten Allee, ailf deren einer Seite in der Entfernung weniger Klafter sich der Süßwassertanal hin erstreckt, ans der anderen Seite aber in Zwischenraumcn nnd reizend nmgeben von wunderbar schönen jungen Gartenanpflanzungen einzelne prächtige Banten, kleine Sonnnerpaläste, ein ansehnliches, aufgctrcpptes Präfecturgeba'nde, einzelne Plätze — — doch davon nachher. Schanend, staunend, lachend über den Festtag, — denn Alles sah anö und war auch wirtlich ein Festtag, zn dem die Welt von links nnd rechts, von Kaiserthronen und Beduinenzelten eingeladen war, gelangten wir in das Präfeetnrgebände, wo wir eine Art von ^uartierzettel erhielten. Meiner lautete auf: 09,mpnmont äo In >I<>Iinf/n,) tonto nn. til — ^lr. I^pinrrO) l'mnini^n,'!!'«,'! Himmlisch, göttlich, noch nie dagewesen! Zwischen dem Mehemct Ali Ouai und dcm Süßwasserkanal war eine nngeheuer lange Reihe von niedrigen Zelten aufgeschlagen, jedes zn drei Mann. Ich suchte nnd fand bald mein Nr. lii, in welches ich mich mit zwei Ge- Nv6-LaUcm.i,tt, Flita Morgana, II. 8 — 114 — Heimräthen zusammen fand. Drei Matratzen unter-schieden es vom vollständigsten Beduinismus, — doch nein, auch eine kleine blecherne nagelneue Naschschaale fand sich vor, — das war das Olun^owcmt d<3 1a Noi^^/a tont« im. sil. ^otjuanl mftmonta i'0^n8 in lu'äui» «oiVlU'O m«n-tom, — aber wirklich, dieser Ncbus war zu köstlich, zu wundervoll! Nuf so reinem Sande, in so legitimem Wüstenzelte hatte ich noch nie campirt. — Die MM-henre Men,qe fremder Gäste war selbst der eqyfttischcn Gastfrenndlichteit über den Kopf ssewachsen, nnd man hatte zn allen nnr denkbaren Vcherbergunasmitteln seine Znflncht nehmen müssen. Es mochten mindestens hnndert Zelte, recht eigentlich Triclinien, anfgcschlagen sein für Europäer. — Jenseits des Kanals aber, zwischen diesem und dem Timsahsee, da war erst die rechte Nomantik unter aufgespannten! Leinen. Der ganze Vcduinismus, vom uralten Emir bis zum Dromedar, schien eingeladen zu sein gen Ismaila, um mit Europicn zu fratermsirm; nnr der Kanal trennte beide. In diesem Veduinenzeltlager, einer Art von improvisirter Zeltgasse mit zwei Reihen Zelten, hatte das Wüstcnlebcn des genuinsten Arabevthums seinen vollen Glanz entwickelt. -^ Ganle, Dromedare, Pfeifen und Pauken und alle musikalischen Disharmonien, die nur immer ein Mcnschenohr treffen und zerreißen können, wälzten sich dort mit den dunkelbraunen — 115 — Gästen umher im Sande, und jeder Einzelne schien sich köstlich zu amüsiren in: hellen Sonnenschein nnd am nrwüchsigeu Kommunismus. Mit Mühe gelang es, einiges Waschwasscr zn be-kommcn, und den Anzug etwas zu ordnen. Dann rannten wir znm Präfeeturgcbäude oder Hotel Gratis, wo wir unser Frühstück bekommen sollten. Ja, es hatte sich was zu frühstückeul — Kaum hatte man, — und der Wirth war wirklich eiu Meisterstück von Güte, Thätigkeit und Umsicht —, die Tafel im großen Esisaal servirt, so war sie auch leer gegessen und leer getrunken. Aber doch erwischte man noch ein splendides Labsal, nnd stürzte es hindurch dnrch den Zaun der Zalme, nm nur wieder das Freie zu gewinnen, und keinen Augenblick des köstlichsten Volks-treibens zu verlieren, welches sich zn Fnne, zn Esel, Pferd, Dromednr und selbst in einigen glänzenden Equipagen auf uud ab bewegte im Nahmen des wunderbarsten Jahrmarktes, den je dic Welt gesehen hattc. Da erschallte von fern eine lnibsche Kriegsmusik, und eiu prächtiger Militairzug rückte heran, erst einige Infanterie, dann Kavallerie. Natürlich dnrfte am Tage von Ismaila auch eine kurze Parade nicht fehlen, aber eben auch nur eine knr;e; denn wer hätte Zeit gehabt, die seltsamsten Dinge an solchem Tage länger als einige Minuten anzuschauen? Die Mannschaften 8* — 116 — waren ausgesuchte schöne Leute, dunkelbraun, mit kleinen Schnanzbärten, die Pferde etwas dicke, starke Thiere. Die Infanterie glich der französischen. Die Kavallerie schien mehr den preußischen Ulanen nachgemacht zu sein. Damit aber der im Schnellmarsch vorbeiziehenden Schaar kein exclusive europäischer Charakter anklebte, folgte noch ein Train mit vorgespannten — Dromedaren, welcher allgemeine Heiterkeit erregte, und einen immensen Beifall fand, wenn er auch vielleicht bei keiner europäischen Heeresmacht eingeführt werden wird. Kanm war dieser Trupftenaufmarsch beseitigt, so fing ein mächtiges Kanoniren auf dem Timsahsee an. Die dort anf den verschiedenen Kriegsdampfbooteu vor Anker liegenden fürstlichen Personen schienen eben mit dem Frühstück fertig zu sein, und begaben sich ans Land, nm zu sehen nnd gesehen zu werden. Unterdcß können wir noch einen flüchtigen Blick auf Ismaila werfen, d. h. anf den Theil der Stadt, der mit dein Qnai Mehemet Ali parallel laufend, das eigentliche Volk enthält. Dort ist namentlich eine lange Straße bemerkenswerth, in der es von Handwerkern, Kneipen, Väden und jeder Geldspcculation wimmelt. Besonders Griechen, Franzosen und Italiener treiben dort ihr Wesen. Einige bis dahin noch ziemlich wüste Sandplätzc sollen einmal eine Nolle spielen, und begnügen sich vorlanfig 11? „. mit pikanten Namen. Es giebt dort eine ^vonuo äo 1'Imi)6i'lvi>'i<,'0) einen Platz Odnin^olUoi,, einen anderen, dcr sogar nach nnscrm berühmten Leibnitz genannt ist. Am südwestlichen Elide dieser wirklich improvisirten Stadt liegt dcr Vahnhof, am nordöstlichen ein wenn anch von der Wüste ilnigebener, dennoch allerliebster Palast des Khedive. — Ueberall, wo das nur hat irgend wie im Boden haften wollen, hat man Gebüsch, Blumen und Baume gepflanzt; ja man sieht Garten, nud oft selbst große Gärten, wie z. V. den Garten hinter der Prafcctnr, deren noch jugendliche Reize, deren erste Blüthen, Noscn, Jasmin, Orangen, Poincettien und Poineianicn, eben weil sie so zu sagen mitten in dcr Wüste stehen, unaussprechlich anmuthig und poetisch aussehen, ein liebliches Morgenlandsbild, fast cine Fata morgana. So treibt man sich umher iu dem strahlenden Wüstcnbilde, und staunt über die seltsame Vereinigung des fortan getrennten Asiens und Afrikas, und deren verschiedene in Ismaila sich umher bewegende Stämme! Und siehe da, nun tritt wieder Europa großartig dazwischen. Etwa ein Dutzend europäischer Fürsten kommt daher gefahren, uud der Dromedaris-Mus des Orients weicht ihm einen Augenblick alls. Oesterreich, Frankreich, Preußen, Holland sind zunächst vertreten, — doch man kümmert sich nicht um einzelne Figuren, wenn die ganze Welt einen festlichen Jahr- — 118 — markt halt und unter freiem Himmel eine General-komödie spielt. Auch zieht etwas ganz anderes die Massen au. Am Nande der Wüste neben dem Palast des Khedive kommen ordnungslos prächtige alte Enure und Scheichs zusammen gesprengt. Die Zuschauer improvisiren einen Circus maximns, und nun beginnen die herrlichen alten Nitter des Orientes, Feuer, Flamme uud Iugeudluuth iin Antlitz, das prachtvollste Karousselreiten, was man nur sehen kaun. Zwei Schaareu stürmm gcgeu einander an, durchkreuzen sich mit muthigem Kriegcsschrci; — ihre Säbel blitzcn in den nervigen Fäusten, ihre Büchsen knallen, und die Lanzenschäftc zittern im rasenden Galopp. Hie und da stürzt wohl ciu Reiter, oder zwei Kämpeu prallen so gegen eiuauder au, daß deu Gäulen die Knochen krachen. Immer mehr alte Nnstengcsellcn jagen herai^ von den Zelten; auch jüngere Reiter kommen hinzu, zuletzt galoppirt sogar ein Maure auf hohem Dromedar hinterdrein. So rast das bunte, wilde Ncitcrspiel wohl eine Stunde umher im Sande, so viel Farbe, so viel Bewegung, so viel Zauber bietend, daß das philiströse Europa ganz starr und stumm dasteht vor den herrlichen Wüstenrittcrn, bis es zuletzt, als die Allen nicht mehr löuneu, nnd mit blitzenden Augen, glühenden Wangen und muthigem Lachen davon reiten, in ciuen lauten, weit durch die Wüste sich hinziehenden Beifallssturm ausbricht, und begeistert — 11U — von den Urenkeln der Galaddinc uud Malekadel ausein aud er, geht. — Die Sonne sinkt unter, und es wird Zeit, sich znm Diner zil versammeln. Wieder die Fastunmöglichkeit, den Speisesaal, den Tisch, einen Stuhl, einen Gar^ou, ein Essen zn gewinnen. Und doch macht die Gastlichkeit Egyvtens das Unmögliche möglich! Immer füllt sich der Tisch wieder, immer neue Leckerbissen erscheinen, immer nenc Weine fließen, bis man zuletzt nüt seiner Tasse Kasse sich in den Garten hinunter begiebt, und dort im friedlichen Mondschein, umduftet von Orangen und Jasmin, den Trank von Mocka an den Grenzen seiner Heimath schlürft, und dazu arabisch-persische Märchen träumt. Fast wünschte ich, unter solchen Traumen einschlafen zu dürfen in der subtropischen Mondnacht. Da hätte ich aber den Schlnß des Tages von Is-maila versäumt. Ich suchte meine tonto Nr. 61 auf der Nolmt'/^ d. h. mitten im Sande auf, um mich für den großen Ball im Palast des Vieekönigö aus-zustaffircn. Äald kamen auch die beiden Gcheimra'thc, und wir halfen uns gegenseitig bei unserer Toilette mit Hülfe einer Laterne, die wir nnö von der ungeheuren Menge von Illuminationsapparatcn, womit man den Quai Mehemct Ali in seiner ganzen Länge beleuchtet hatte, abhatten. So kamen wir wirklich in Qrdnuug und krocheu dann nach Art der Quadru- — 120 — peben — denn der Zeltausgang war nur cine niedrige Klappe — zum Dinge hinaus. Draußen strömte Alles längs der illuminirten Gasse, über der der volle Mond herrlich klar culmi-nirte, dem Palast des Khedive zu, um das Ankommen der Vallgastc zu beobachten. Zahlreiche Kawassen im besten Staat hielten die Zugänge frei. Der Vorgarten des Palastes war von unzähligen buuteu Laternen uud Lichtern illuminirt, in deren Farbenschimmer die Blüthen an den Vüschcu förmlich erschreckt aussahen. — Wirklich wundervoll sah der Palast aus. Das ganze stattliche Gebäude glich einem Lichtmeer. Der Treppenaufgang, die Säälc links und rechts, Alles schwamm förmlich in einer Lichtftuth, welche auf den vielen bunten arabeskcnartigcn Verzierungen der Wände uud der Decken einen reizenden, freilich etwas unruhigen Farbeneffeet machte. — Aber hell und bunt mußten nun einmal die Hallen sein, in denen sich die Welt von Ismaila versainmeln sollte, denn bunt nnd hell wogte sie von allen Seiten zusammen, diese Welt aus mindestens drei Wcltthcilcn, so durcheinander wogte sie, daß man kaum einzelne Erscheinungen geuau firiren konnte. Am interessantesten erschienen mir mehrere der mnthigen alten Karousselreitcr, die schon frühe kamen, und offenbar vornehmen Ständen angehören mußten. Besonders - 121 — war einer ein bildschöner alter Mann, wenn ciue prachtvoll orientalisch drappirtc dunkelbroncefarbige imposante Statnr mit dem schönsten semitischen Cha-raktcrkopf nnd krausem grauen Bart bildschön genannt werden darf. Die alten Ritter gingen leise mit einander redend auf und nieder, und schienen sich zu freuen, wenn man sie im Vorbeigehen grüßte, indem sie vollkommen die Meinung des Grußes verstanden, eine dankende Erinnerung an das schöne Festspiel, das sie uns den Nachmittag in der Wüste so prachtvoll aufgeführt hatten. Wie sehr sie sich nun anch ihrerseits das um sie herum wandelnde Europa anschauten, so schienen sie doch die uur gering vertretene Damenwelt am meisten anzustaunen, wie mir es schien fast mit einer Art von Zorn, Spott und Verachtung. In der That, wenn ich daran dachte, wie sich die Damen des Orientes so sorgsam züchtig, uud trotz aller Uuschönheit in ihrer Bcrmummung doch anständig gesittet öffentlich zeigen, und wenn ich nun die occi-dentalischen Prophetinnen der Kultur, der Sitte nnd des gnten Geschmackes ansah, denen die Kleidung oben so ungeheuer kurz, unten so ungeheuer lang war, als hätte sie sich einige Fusi tief gesenkt: so tonnte ich mir nicht verhehlen, das; die alten Ritter der Wüste das höchst anstößig finden musttcu, und daß ihnen diese magrebitischcn Damen im Saale, trotz ihrer vornehmen Stellungen, doch unendlich weiter fortge- schritten erschienen, als die inländischen Tänzerinnen. — Ziemlich spät war es schon, als ein Getümmel draußen und ein Drängen in den Sälen gegen den Eingang die Anknnft der Kaiserin von Frankreich und der anderen fürstlichen Herrlichkeiten ankündigte. — ^ou« 8MNM08 ätu>8 1a ^oatitnäß äo 111 Mix nennt Humboldt solch Fürstcneoneert, setzt aber ironisch hinzu: o«ttt uno mal^äio intormittonto. Und wahrhaftig, ich muß noch heute den Kopf schütteln, wenn ich au die I)6ll.tiwli6 <1o la Mix jenes Abends denke, die doch nur solche hoch ironische Nlüaäio inwrmitwnw war. Da thaten sie so freundlich, so lieblich mit einander, Frankreich, Oesterreich und Preußen, und doch war das nur die intoi-mittvl'i<2, was hier an der syrischen Grenze einen besonders wunderbaren Effect machte, von den Verdecken ertönte nnd auf den Pnlverdampfwolkcn gegen den OMiol ^ttuk:i hin getragen ward. Tausend kräftige Matroseutehlen — 136 — schrieen Hurrah, — laugsam dampfte die Aigle lim die ankernden Schiffe herum uud ging danu selbst zu Autor. Kaum hatte sich das Schiff gelagert zwifcheu deu „gräulichen Katzen" der Meere, als der Kaiser vou Oesterreich mit seiuem Schiff aus der Wüste heraus kam, uud das großartige Bild sich vou neuem aufbaute. Uuter der alteu Melodie: Gott erhalte Franz dcu Kaiser, und unter Kanonendonner machte auch die österreichische Kaiserflagge ihren Weg uud aukerte ebenfalls. Danu kam Preußm uuter scineni: Hell Dir im Siegerkrauz, — daun Holland, Schweden Italien. Immer rascher folgten sich die Schiffe, immer prachtvoller ward das Schauspiel; denn jedes ueu angekommene Schiff half mit an der Feier, an dem Kanonendonner, an dem Meeresconccrt, an dem Flaggen-g/an;e, — bis denn eudlich mit einem russischen Dampfboote uud der posanuentönigen Nationalhymne der Moskowiter, vielleicht der imvosantesten, die es giebt, das noch nie dagewesene und wohl nirgends wiederkehrende Seeparadebild ein l^nde nahm. Ja, es war ein großartiges Bild, ein uoch nie dagewesenes, ein nie wiederkehrendes! Das, was seit Jahrhunderten mehrfach die größten, Mäuner ihrer Zeiten gewollt und augebahnt hatten ohne es je in seiner vollen Wirklichkeit darstellen zn können, das Durchtrennen des den ganzen Weltverkehr so mächtig — 139 — hindernden Isthmns von Suez nnd dessen Uunoand-lung in cine Wasserstraße, ans welcher die Kultnr und der friedliche Verkehr, dieser wunderbare Segen der Menschheit, nnbehelligt seines Weges ziehen konnte, das war im laufenden Jahrhundert, im Jahr 1869, von der ungeheuren Willenstraft eines Mannes unter dem Schutz und Beistand eines morgenländischen Fürsten durchgeführt nnd zu (Hnde gebracht worden. Und nnn sollte vor den Augen der ganzen Welt das fast über Menschenkraft und Menschennwglichleit hinansgeheude Werk nntersncht und versncht werden. Dazn hatte die Welt, eingeladen von dem Fürsten, ihre hervorragenden Hä'nftter hingesandt unter den verschiedenen Flaggen. Die Prüfung hatte von den Molen von Port Said begonnen, und anf der Nhedc, von Snez am Mittag nnd Nachmittag des zwanzigsten November ihr (ände erreicht. Die Fahrstraße war offen, die Handelsschiffe konnten, selbst bis zu einer bedentenden Größe, die Friedensstraßc ziehen; nur die ungeschlachten Kriogstolossc, in deren Kielwasser die ^ernichtnng nnd die Fragmente der Zerschmetterung treiben, die Panzerfregattcn nnd was dahin gehört, blieben ansgeschlossen. — So war denn das nie dagewesene nnd nie wiederkehrende Marinefest auf der Nhede im rothen Meer leine ^riegsostontation, kein eitles Prnnken nnd Gleißen mit Widderschiffen nnd Armstrongkanoncn oder Krnpp'schen Mörsern, — nein, — 140 — die Kriegsschiffe kamen mit ihrer Pracht, die Fürsten mit ihren Räthen nur darum', um dem Frieden zu huldigen, um die Annektirung des Ostens an den Occident, um die Verbrüderung aller Völker im gemeinsamen Perkehr feiern zu helfen. Darnm hat mich, wie ich das gern hier erkläre, das Fest von Suez so tief bewegt, so ganz durchdrungen, so begeistert, so andächtig gestimmt. Der Himmel, gestützt auf dem Gcbirg des alten Egyptcns, in welchem Israel ein Bolk ward, gestützt auf den Felsen der sinaitischen Halbinsel, auf deren Hoch-giftfel der Herr einst seine Gebote gab, käm mir vor wie ein großer Friedensdom, nnter welchem Alle heute ihre Andacht mit gleicher Berechtigung halten dnrften. Das rothe Meer schien noch einmal seine Wnnder zeigen zu wollen: Wer friedlich seine Straße ziehen will, der findet seine Gasse, aber die Zwietracht Me-nefthtä und der Kriegszug scheitert und vernichtet sich in sich selbst. Dem Frieden hatte der Herr damals von Land zu Land eine wandelbare Straße dnrch das öde Meer gebahnt; dem Frieden hatte derselbe Gott der Pharaonendynasticn im neunzehnten Jahrhundert n. Chr. auch heute, dieses Mal von Meer zn Meer durch das öde Land, eine fahrbare Wasserstraße geöffnet. Aber nur dem Frieden! Dort drüben auf jener sinaitischcn Halbinsel hatte der Herr einst gesagt: Du — 141 — sollst nicht todten! Und geschworen hatte er, daß wer mit dcm Schwerte richtete, mit dem Schwerte wieder gerichtet werden sollte. — Den ersten Pharao, der den Frieden seitdem gebrochen hat, hat er verworfen, den Pharao von'Paris; nnd das Volk des vertriebenen Phra Napoleon ersäuft sich seitdem in dem blut-rothen Meer des Bürgerkrieges. Die schöne Snltana, die erste Zeugin jener heiligen Handlnng im rothen Meer, hat den Frieden von Snez gebrochen. Darnm cndet mit ihr ihre Dynastie, nnd in den Ruinen des Palastes neben dem Obelisken von Lu^or an der Seine wird das Grausen wohnen wie in den öden Hallen des Thntmosenpalastes von Theben, nnd nach allein Morden wird ein anderes Geschlecht herrschen im unglücklichen Frankreich. Da kam denn endlich ein kleines Dampfschiff an nnsern (5'urymanthe herangecnialmt, nnd brachte nns nach der Fahrt einer guten halben Stunde an das Ufer von Snez. Dort aber konnte man vor wogender Menschheit kaum ans Vand steigen. Das Treiben der Europäer war im „englische)! Hotel" dicht am Meer gelegen am eoneentrirteslen. Das Hotel ist iiu großartigsten Maaßstab angelegt. Aber bei solchem Andrängen von Menschenmassen hört selbst die großartigste Großartigkeit auf. Und so erklärte denn anch der sehr zuvorkommende Wirth, als ich mit einem Freunde ihn an- — 142 — ging uns anfznnehmcn als „Eingeladene des Khedive", Essen und Trinken könnte er nns genug geben, aber alle Zimmer des Hanses wären besetzt. Aber der Mann liesi mit sich sprechen, nnd bekannte nns Seiden, in einem der Zimmer deö Hotels ständen zwei Betten nnd ein Sopha, nnd das Zimmer hätte nnr einen Einwohner, nnd zwar einen Dentschcn,— nnd wir möchten nnser Heil versuchen. Vorsichtig klopften wir an die Thür, vorsichtig öffneten wir das Zimmer, — es war leer, aber doch stand ein lieber alter Bekannter im gastlichen Ge-mack, der Koffer nnseres lieben Neisekollegen, des Geheimraths Erbkam, des Hnmansten aller Menschen. — Ilcnn't^li! rief ick, der weist nns nicht ab! Und wirklich, als wir nnsere zarten Gewissen fragten, ob nur so ohne Weiteres bleiben dürsten, kam der berühmte Baumeister selbst herbei, nnd frente sich noch gar, daß er nns lästige Gesellen anfnehmen konnte. — Augenblicklich war nnser Triclinium angeordnet, eine wundervolle Entschädigung für die letzten beide Nächte nnt den wilden Engländern auf dem Eurymanthe, nnd in der wnte no. 61 auf der Unnlckx:», im Sand von Ismaila, — nnd unendlich beruhigt um alles Weitere, denn Essen nnd Trinken hatte der Wirth nns vollauf schon versprochen, stiegen wir wieder hinab auf den Landungsplatz vor dem Hotel und in den — 143 — rings umbauten Hof, wo im Freien das Diner ser-virt werden sollte. Da trafen wir denn gleich verschiedene Bekannte nnd Ncisekollegen, welche uns seit zwei oder drei Tagen aus dem Gesicht gekommen waren. Das war freilich nicht lange; aber in solchem Volkstreiben ist es immer eine Frende, sich überhaupt einmal wieder zu finden. — Was sollte ich aber sagen, wenn ich nralte Bekannte am O.uai des Hotels von Suez finden sollte! Ich begrüsite den Kommandanten der damals norddeutschen „Hertha", welcher den Kronprinzen, von Preußen durch den Kanal gebracht hatte, ich glaube ans der „Grille". Wir brauchten nns nnr einige Minuten einander gegenüber zu stehen, als wir uns auch eines sehr frohen Diners erinnerten, welcbcs wir zusammen in „Itio (^m^rnlo" bei Rio de Ia^ neiro genossen hatten, als die den Dänen abgenommene Fregatte „Gefion" unter vreusiischer Flagge damals nach Nio gekommen war. Es muß im Jahr 1^53 oder 54 gewesen sein. Der Kommodore damals war ein Holländer, der Commandant ein Norweger, das Schiff cm dänischer Boden, die Offiziere gute Deutsche, und unter diesen befand sich auch der damalige Lient-nant zur See und nun Commandant Köhler. Das Zusammentreffen erregte Heiterkeit, und in solcher Heiterkeit nahmen wir unsere Plätze au der Tafel ein. Aber die Geschichte ward noch heiterer. Mein Nach- — 144 — bar links war cm Nüsse, der ein Mann aus dor feinsten Gesellschaft sein inußte, und auch einmal Admiral angeredet ward. Den interessirte nnser Riogc-spräch sehr, denn er war, wie er bemerkte, selbst zweimal in Nio gewesen, IA37 und I<^Z',)! (5r sprach von deui dainaligen russischen Gesandten ^omonossosf, deil ich sehr gut gekannt hatte, lind mm nannte er mir auch das Schiff, auf dein er als junger Offizier gewesen war bei seinem zweiten Besuch in Nio, die große Barke Abo, ein Schiff der Handelscompagnie von Sitka. Jetzt konnte ich ihn au einen Arzt erinnern, der in Nio de Janeiro an Bord kam, nui zwei Kranke zn behandeln; denn das Schiff hatte seinen Arzt, wenn ich nicht irre, in Sitta gelassen, „^ch war der Doetor und ihr kennt mich nicht?" durfte ich fröhlich hinzu fügen, denn wohl macht es fröhlich, wenn nlan selbst frisch imd gesund auf den Labyrinth-Wegen dieses Lebens plötzlich einen anscheinend ganz wildfremden Mann in Snez neben sich sieht, mit den: man sich vor Z<> Jahren schon einmal auf nordischen Schiffsplanten im fernen Südwesthafen zusammen gefunden hatte. Iukl>" die Moscsquelle gezeigt wird, nicht nur als eine archäologische Merkwürdigkeit, sondern auch als der Brunnen, von dem ans die Einwohner von Snez ihr Trinlwasser holten, bis der Nilkanal von Ismaila auch zn ihnen hinabgcleitet ward, — das darf hier gewiß nicht vergessen worden. Zum Besuche dieser merkwürdigen Quelle lud uns der Commandant Köhler ein, der am nächsten Tage mit seinem Schiffe eine ^ustparthie dorthin machen wollte. Als aber Alles am folgenden Morgen nach Kairo und Alexandricn drängte, gab ich die Parthie auf. Dieser folgende Morgen übertraf an drastischem Drängen Alles, was ich in der Art erlebt habe. Wir bildeten einen förmlichen Exodus! — Nun, von Is-maila nach Suez war die Wanderung auch nicht — 14? — schlecht; aber ein bedeutendes Gros der Heuschrecken war längs des Kanals gefahren mit allen zu Gebote stehenden Mitteln. Der Rückweg dagegen konnte nur 1»oi- Eisenbahn gemacht werden, die von Suez über Ismaila nach Zagazig geht, und sick' dort nach Masr nnd Scandcrieh ans einander zweigt. Der nrzuständlichc Bahnhof, — ein Billetansgabc-zimmer nnd eine Geftackkammer, — alles Andere ist unter blauem Himmel —, wimmelte von Leuten, d. h. wir gingen im Sande spazieren, ^angsam erschienen einige Beamte, die einen Extrazug nach Masr schickten. Nach einer Stunde sollten auch wir nach Alerandricn geschickt werden, so das; wir gemüthlich erst noch Suez-tafse trinken konnten und noch einmal das wunderbare: Lane und Meer d?ö alten Mn ^uf. des Schilfs-mecrcs überblickten, von dessen Schilf leine Spur mehr zu seben war. So verging die Stunde! Aber jetzt war die Geschichte erst recht schlimm geworden. Es war keine Ordnung, keine Aufficht, ^ch lies> mein Gepäck in den Packwagen von Alexandrien legen und sah die Effecten von verschiedenen Neiscgenossen unserer Alerandriatour in denselben Wagen gepackt werden, so daß ich glaubte sicher zu sein. Alles warf sich ol)ne Billet in die Wagen, Damen und Herren; — die Damen drängten sich durch die Thüren, die Herren durch die Fenster; die Unordnung überstieg wirtlich 10 5 — 145 alles Maaß. Ich tonnte nur noch einen Stehplatz unter dem vorspringenden Dach eines Waggons gewinnen, wo schon fünf Mann standen. Mit beiden Handen mußten wir nns festhalten. Und so sollte man vom rothen Meer nach dem Mittelmeer fahren! Was aber eine kleine Zuvorkommenheit nicht thut! Am Morgen von Ismaila traf ich eine Gesellschaft von Deutschen aus Rußland, die sich ill Odessa eingeschifft hatten, um direkt nach dem Sueztanal zu gehen. Vor dem Präfecturgcbäudc lernten wir uns kennen, und ich schenkte einer Dame ein ganz kleines Metallbild eines Apis, welches ich an den Pyramiden eingeschachert hatte, damit sie doch, falls die Gesellschaft nicht nach den Pyramiden käme, ein Andenken von dort hätte. Dieselbe Gesellschaft saß drinnen im Wagen, nnv rückte freundlichst so zusammen, daß ich mich noch bei ihr auf eine Ecke aufhangen tonnte. Nachdem wir so einige Stunden zusammengepackt gesessen, gehangen, gestanden hatten, ging der Zug wirklich fort hinaus in die Wüste, all der, wenn mail sic ,mr einigemal gesehen hat, gar nichts zu sehen ist. Manchmal steht ein Stationshaus im Sande, ein unbegreifliches Phänomen! Einmal fahen wir die „bittereil Sceen" flimmern! Wie schrecklich muß die Täuschung sein, wenn ein Karawancnzug auf so einen bit- — 149 — teren Wüstellsee trifft, und ihn für süßes Wasser hält! — Ziemlich dicht neben dem schon oft angedeuteten Süßwassertanal läuft die Eisenbahn; und schon in der Ocgend des Seraftiums scheint eine Art Leben zn erwachen zwischen Ismaila und deu bitteren Seeen, welches Leben dann bei Ismaila selbst ein entschiedenes Dasein bekundet, aber eben auch nur von dein einzigen Wasserfaden, der ans Gosen hergeleitet ist, abhängig in seiner gauzeu Existenz. Aufenthalt in Ismaila war gar nicht. Vom Tini^ sahfce geht die Bahn, die von Suez nach Ismaita ja natürlich nördlich führt, ganz rein westlich. Anch bleibt Ismaila ganz weit ab östlich von dem Ber-bindnngspunkt der Bahn liegen, nnd hat eine, wenn auch nur kurze, doch immer besondere Abzweigung. Ismaila ist nun einmal die Hafenstadt, die Seestadt, die Marincstation des Sueztanals, nnd der Landweg mittelst der Bahn ist nur eine Nebensache. Ja, im Interesse der Suezcompagnie liegt es natürlich ganz besonders, laß Ismaila möglichst gar teine Landverbindung habe, da ja jeder einzelne Passagier, der vom Mittclmeer nach Snez durch den Kanal gelangt, zehn Franes zu zahlen hat. Von Ismaila westlich ist anfangs noch Wüsten-bodcn vorherrschend. Dann aber schimmert ein grüner Streifen, ein wirtlich erquickender Anblick, aus — 150 — der Erde Heralts. Hier beginnt das ^and loosen, hier lag Namses; — nach wenigen Minuten, nach einer Viertelstunde, einer halben Stunde ist man in dein gesegneten Delta, oder doch in: Nillande östlich vom Arm von Damiette, im Bereich des alten pclnsischen Nilarmes, nnd mm trieft Alles von Segen, von Vegetation, von Ueberfluß. Ein ununterbrochener Garten ist links nnd rechts die ganze von Kanälen nnd Gräben durchfurchte Gegend, eine Taftfülle, die sich mit Worten gar nicht sagen laßt. — Wenn man aber zurückdenkt an die Wüstenscenericn anf der Landenge von Suez, wenn man sich die schreckliche Einöde vor Augen führt, welche ^acob nnd seine Söhne nnd sein ganzer Stamm, diese kcni .jli<-ud, zu dnrchpilgern hatten, um nach Egypten zu kommen, nnd weun man dann diese Gartenwonne vom östlichen Nilland sieht, da begreift man l's, wenn der Stamm Wnrzrlu faßte, und viel Aeste trieb, nnd ein großes Volt ward, und sich noch lange zurücksehnte nach den Fleischtöpfen Egyptcns! Wir kamen nach Zagasig, dem Orte, wo das alte Bnbaste lag. Hier schieden sich die Eisenwegc nach Kairo und Alexandrien. Um den wirtlich entsetzlich gemischten Zxg auseinander zu sondern, bedürfte es vieler Zeit nnd vieler Mühe, bis das Experiment gelungen schien. Da aber entdeckten wir. — oh Graus! daß die Gepäckwagen ganz promi^us die Effecten der — 151 — Passagiere aufgenommen hatten. Egypten wollte es es nicht glauben; mit Gewalt fast mußtcu die Züge zurück gehalten werden, bei welcher Gelegenheit der ganze Zng Menschen ganz besonders dem Generalpost-director Stephan, dessen Energie und unerbittliche Strenge wirklich Wunder that, sciuen Dank darbrachte. Er ließ nnter Gottes freiem Himmel den ganzen Schwindel auspacken. Jeder Passagier mußte seine Sachen an sich nehmen. Und nun wurden auf das Positivste die Gepäckwagen nach Masr und nach Scan-derieh bezeichnet. Unter jedes Passagieres Augen wurden dann seine Effekten hineingeftackt und endlich die Nagen zugeschlossen. Jetzt wurden die Züge neu rangirt, und nachdem wir einige Stunden im Freien zugebracht, und uns das Land Gosen, eben meine ganze Schwärmerei, gründlich angeschaut hatten, fnhr derMenschentnäuel, welcher in so engem Zusammenhang die wunderbarsten Tage zusammen verlebt hatte, auseinander, die Meisten, nm sich im Leben nicht wieder zu sehen. Jetzt kamen aber die unangenehmen Folgen unserer Verzögerung znm Vorschein. Mit wüthendem Hnngcr kamen wir nach dem großen Nilübergang vom Ben-Ha. Hier hatten die Passagiere eines von Kairo kommenden Znges die für nns telegraphisch bestellte und bereit gehaltene Mahlzeit aufgegessen. Und man unchte sich mit einigen Resten von übrig geblie- — 152 — belien Speisen behelfen. Das war ein Malheur, das wenigstens etwas dadurch verbessert werden konnte, daß man nach dem zweiten Nilübergang, nach Kaffer-Siut, telegrafthirtc nnd ein Diner bestellte. Das zweite Malheur aber war, daß wir zwei Stunden warten mußten, weil ein Zug unterwegs war, dem wir nnr in Ben-Ha ausweichen tonnten. — Nun, Gednld überwindet Alles, und so ward anch das überwunden, der Zug kam und ging. Wir passirtcn den Nil, und durchliefen das Delta, (^egen 10 Uhr kamen wir denn endlich nach dein zweiten Nilübergang von Kaffer-Siut, und fanden vor Allem ein sehr hübsches Diner für die Eingeladenen des Khedive. Und nnn, nach dem die berühmten orientalischen Feste zu Ende warm, sah man sich doch genöthigt, eine leise Eontrolc wenigstens zu versuchen. Vei Tische fragten die Marqueure sehr bescheiden jeden Einzelnen, ob er ein Eingeladener wäre, oder auf eigene Kosten reiste. Auffallend Wenige waren „Nichtcingeladcn", die dann einige Francs, ich glanbe zwei, — zn bezahlm hatten. Unter dem Rest waren nicht Wenige, die gar keine Eingeladene waren, und sich doch dafür ausgaben, da man Jedem auf sein Wort hin glanbte, und Niemand seine „Einladung", die wir nach ausgesftrochencm Wunsche und zu unserm eigenen Portheil immer bei uns in der Brieftasche zu führen hatten, vorzuzeigen brauchte. — Was aber damals in Egyplen für Mißbrauch getrie- — 153 — ben wordcn ist mit der offenen Gastlichkeit, das laßt sich gar nicht in Worten fassen. Nachts nm 2 Uhr kamen wir denn endlich in Alexandrien an. Dort hatte es wie mit Mulden gegossen. Ans dem dicken Kalkstanb war ein Schlamm geworden, der gar nicht zn dnrchwaten war. Erst nach längcrem Warten wnrden wir von diversen Droschken befreit ans nnsorer langweiligen Lage, nnd fanden trotz der zn späten oder zn frühen Stnnde Einlaß nnb Unterkommen in der schon öfter bcregtm angenehmen Weise des Hotels am Consulatsplatz, in welchem Hotel ich diesmal meinen Anfenthalt mit dem Wackersten aller Eingeladenen, dem Bildhancr Drake bekam in einem Zimmer mit Schlafgeinach. Wirtlich etwas „ab" von allem Erlebten schliefen wir in den Morgen hinein. Zwölftes Kapitel. Von Mrandrien nach Drindisi. Noch eiumal sollten lvir einige Tage der Fassung, der Sammlung genießen in Alexaudrieu, uni an alle Erlebnisse, wenn auch noch so flüchtig, zurückzudenken. Aber an rechte Fassung, an rechte Sammlung war auch hier am Mittclmecr gar uicht zu deuten. Noch immer ucue Ncisende kamen' zum Vorschein. In Kairo sollte großer, fürstlicher Schlußball im (^»r oi M sein am 22. November. So gingen denn ganze Schwärme zum Bahnhof, um znm Nachmittag in Masr zn sein, und Abends den Staatsball daselbst mitzumachen. Da nun augenblicklich kein Dampfschiff für die Rückreise nach Europa fertig lag, so gingen sogar uoeh einige von den „Eingeladenen" und Snez-festleuten nach Kairo zurück, grade als ob mau Alles, aber auch Alles, bis auf den Boden austriuken müßte. Uud unermüdlich bot die egyptifche Gastlichkeit sich dar, Allen gerecht zu werdeu! Man begreift so etwas uicht — 155 — Denen aber, welche ernsthaft darall dachtell, nach Europa möglichst bald znrückzutehren, — mw zn doncil gehörte ich ili erster Millie — war ein Dampfschiff nach Marseille und eins >lach Brilldisi in Aussicht gestellt, so wie fich <>l» Eingeladene für einell der beiden Häfen mit Bestimmtheit zusammengefunden uud vereint haben würdeil. lind Nllll failden kleilie Iiitrigliell statt; es war eine Parthei Marseille, eine Parthei Brilldisi. Jede suchte aber der andern die Partheigänger zu entziehen, ohne daran zn denken, das? eine Entschlußlosigleit ni dringenden Zcitverhältnissen das Allerschlimlnste ist. — Endlich hatten sich 55 Köpfe für Brilldisi znsam-mengefnnden. Aber Colneei^Bei, der ailsgezeiehnete Gonvernelir von Alcxandrien, dnrfte lücbt voil der ihm ein für alle Mal anfgetragenen Zahl i><) abgehen. Uild als wir ihn einmal etwas dringend ersuchten, bat er nns förmlich darmn, nur noch zwei oder drei Tage die orientalische Gastfrenndlichteit zn ertragen, wofür er uns aber anch mit dein schönsten Schiff der ägyptischen Marille fortschicken wollte. Dafür wnrde l'r aber auch einmal sehr fcharf gegeil emen iuligen Hc'isifporli, der sich ohne eine bedeutende Stellung einzunehmen, ili etwas fassungsloser Weise gegen den Gonverneur benahm. Ich bemerke das hier ausdrücklich; denn mall hat später in den Zeitungen einige — 15k — Anecdoten erzählt, um mit ihnen zu beweisen, daß mau am Ende der Suczfestc iu weniger freundlichem Ton, als mau die Gäste empfing, sie wieder los zu werden versucht habe. Wem irgend etwas Unfreund-liches bcgcguet seiu sollte, der hat es gewiß durch Hochmuth und Unverschämtheit selbst hervorgerufen. Die gastliche Güte, Geduld und zuvorkommende Aufmerksamkeit Egyptens gegen Europa ist im wörtlichsten Sinne des Wortes endlos und unermüdlich gewesen. Dagegen ist manche Unverschämtheit Europas in Egypten so grell aufgetreten, das; sogar die Kllnstreitergesellschaft in Kairo eine bekannte uu-vcrschä'mte Persönlichkeit mittelst einer Farce persiflirte und an den Prauger stellte, so dasi die cgyptische Polizei das berittene Aristophanische Stück verbieten mußte. Mannigfaltige Bcsorguugeu beschäftigten uus vielfach iu Alexandricn. Die originellste Besorgung meinerseits war die Besorgung eines Reisepasses. Zwar hatte ich von Lübeck bis Assuan keinen Paß gebraucht. Die Christcnwelt uud die Mohammedanische Polizei hatte mich nirgends angehalten. Aber ich hatte den Plan, von Brindisi einen Abstecher nach Neapel und Rom zu machen, und für Rom brauchte man damals noch einen Paß. Ich hielt in Alcxaudrim die Paßgeschichtc für ciueu Scherz, sah aber später — 157 — ciu, wie rocht ich gethan hatte, mich von Alexandrien ans mit dem Document versehen zu haben. Wenn wir mm auch in Alexandrien nicht müde wurden, Dieses und Jenes noch einmal zu sehen, wenn es anch eine ,^rendc war, noch einmal zum Scklllß des egyptischen Aufenthaltes am ssnß der Pomvejus-säule zu stehen und das herrliche Tableau von Vand und Meer zu überblicken, so freuten wir uns doch von Herzen, daß wir am -i5. November Morgens im Hotel de l'Europe die Einladung bekamen, uns am Nachmittag drei Uhr nach dem Hafen zu begeben, mn uns dort nach Vrindisi einzuschiffen. Schnell wnrde noch der Rest der Besorgungen uud Einkaufe abgemacht, um zwölf Uhr das letzte höchst lebhafte frühstück eingenommen, bei welchem ich im Stillen die Pharaonen aller Dynastien, zumal der gegenwärtigen, die uns Alle so freisinnig eingeladen, so verschwenderisch bewirthet hatte und nun so gütig wieder hcim-saudte, leben ließ. Wie groß die Rechnungen waren, die wir dem trefflichen Khedive zum Oezahlen hinterließen, mögen die Götter wissen. Um orei Uhr schifften wir nns ein. Unser Schiff lag im äußeren Hafen. Nach wenig Minuten wareu wir installirt. Unser Schiff hieß Masr, ein vollendetes Prachtschiff von 126 Metres Lauge, also ungefähr 360 Fuß lang Es trug 6 messingene und 2 größere Bronee-Kauonen — 15k — und eine aus Matrosen nnd einigen Soldaten gemischte Besatzung. Das Fahrzeug war uns als ^acht des Erbprinzen bezeichnet worden, und wirklich war es einer so hohen Bestimmung nicht unwürdig. Denn außer einem prächtigen Verdeck und dem ganzen höchst eleganten äußern Zuschnitt waren seine innern Aecom-modationen ansierordcntlich schön. Der große Hauptsaal mit vier Tischen bot überreichlich Platz, ja noch einmal so viel Platz, wie wir oecupiren konnten, und auch die Schlafkabinen, jede mit zwei Betten, waren für eine Schiffsgelcgeuheit sehr bequem. Die Wände des Salons bildeten Spiegel mit Zwischeuarbeitcn von Mahagonihol;, kleinen Alabastersänlcheu und blauscidenen Gardinen, mit welchem hübschen Putz alles Weitere im Schiff im vollsten Einklang stand. Der Kommandant nannte sich ^rcdcrigo-Bci, offenbar ein Dalmatiner, eine knrze gedrungene Figur mit einem entschlossenen Besicht, wie Jemand der seine Pflicht kennt und thut, aber anch von Jedermann verlangt, daß auch er seine Pflicht thne. So machte unsere ganze Nciseaussicht den allerbesten, nnd zugleich den allervornehmsten Eindruck. Mr fehlte Eins noch, und gerade das, was wir, die wir nns einmal eingeschifft hatten, am meisten und dringendsten wünschten, — die Abreise. Der Rest der Passagiere tam; freilich fehlten uns noch drei Mann an den fünf Dutzend, mit denen wir abreisen — 159 — sollten; doch glaubten wir gar nicht, daß die Sache so genan genommen würde. Aber ganz genau ward sie genommen. Statt zu heizen, um noch am Abend in See zu gehen, ließ Frcdcrigo-Bei, die prächtige lange Dampfyacht in Flaggenschmuck und Hafenparadestaat setzen, weil der Kaiser von Oesterreich zn seinen Schiffen zurückkehrte. Nnn, das Alles sah prächtig ans. Die mächtig weite Rhede von Alexandrien lag voll von großen Kriegsschiffen, ein fluchendes, wallendes Meer von Flaggen nnd Wimpeln aller Nationen! Man hätte sich nach Suez zurückversetzt glauben tonnen, wenn nicht hier vor Alexandrien Alles, die Meeresfläche, die Stadt, die Menge nnd Größe der Schiffe nnendlich viel größere Dimensionen gezeigt hatte. Cs war ein herrliches, majestätisches Bild; wir weideten nnsere Angen daran, lavige, bis Sonnenuntergang; nur fehlte immer noch das Beste, — die Abreise. Als mm aber bei untergehender Sonne alle Flaggen nnd der ganze Hafenpomp gestrichen wurden, nnd noch immer tein Ranch ans unsern Schornsteinen steigen wollte, da mnßten wir nns darein fügen, hente bestimmt nicht mehr abreisen zu sollen, eine Ncbcrzengnng, die eine unangenehme Bcrstimmunc; hervorrief, wenn auch dazu kein Grund war. Es ward dunkel. Und mm begann eine wunder- — 160 — bare Hafenillumination. Die rings umherliegenden Fregatten stellten mit einer Unzahl von Laternen ganz die Form der Schiffe dar. Masten, Nacn, Wanten, Kanonenluken und Schanzkleider, Alles war durch eine Perlenschnur von Lichtern sichtbar gemacht. Und da die einzelnen großen Schiffe bis ziemlich weit in die Ferne Hinanslagen, und selbst im Hafen die größeren Gebäude illnminirt waren, so machte diese Abschiedsbeleuchtung einen wahrhaft feeenartigen Eindruck. Der fliegende Holländer, hätte er eine ganze Geister-flotte um sich versammeln können, würde nie eine solche Pracht damit haben entwickeln können, wie die Nhedc von Alexandrien sie entwickelte. Es schien wirtlich, als hätte sich die meerleuchtende Fläche des tropischen Oceans abgelöst von der Tiefe, und schwebte frei in der Luft. Dazu war auf einigen Schiffen noch Abendmusik, und die Tolle durchschallten harmonisch das herrliche Nachtgcmälde. — „Aber der Wastel tirolte umsonst!" Wir hätten statt der tauseud Hafenlichter und der weichen Melodien lieber den dunkelsten Abend auf der See und das harte Blasen des Windes um uns gehabt, wenn wir uns nur auf dem Heimweg befunden hätten. Selbst das ermuthigende ^r.i8 wxons itoi'lüiimu« aecznor wollte nichts helfen. Wie freudig sprangen wir indeß am Morgen dieses Ora» aus unsern Betten, die ihre Proben vor- — 161 — trefflich bestanden hatten; denn kein Einziger von uns hatte etwas zu klagen; wie freudig eilten wir auf das Verdeck, weil nnser Schornstein und die Dampfventile laut renommirten. Aber wieder Irrthum! Zwei ganz nahe Dampfboote warcu im vollen Aufbruch begriffen, und gingen prangend vor unsern Augen iu See; und aus unsern eigenen Schornsteinen stieg kaum ein hcctischcr Rauch auf. Freilich waren einige Anzeichen, einige Znrüstnugen zu einer Abfahrt auch auf unserm Masr unverkennbar, aber der kleine Tnmnlt legte sich wieder, der Ranch ward dünner und dünner; in großer Seelenruhe ging der Kommandant auf dem Verdeck auf und ab. Je prächtiger sich die Morgentintcn des Osthimmels entwickelten, je lauter das ganze Leben um uns ward, gerade als ob der ganze Hafen aufbrechen wollte und in See gehen, desto ungeduldiger schlugen unsere Nückzugs-herzeu, desto fataler ward die Stimmuug. Da hatte ein Franzos voll bekanntem Wisscn-schaftsnamen nud angesehener Stellung die Unvorsichtigkeit, dem Kommandanten zu sageu, er möchte doch eudlich aufbrechen. Der Dalmatiner ward bleich, — er schien seinen Ohren nicht zn trauen. Kalt fragte er den Franzosen, wer er wäre. Icncr gab seine Stellung etwas anmaaßend tuud! „Gut, ant-wortete der Offmcr, ich bin der Kommandant vom Masr, uud gehe in See, wcnn ich meine Ordre be- Au6-Lallcma»t, Fala Morgana, 11. 11 — 162 — komme! Und so lange warten Sie auch und geben mir kcinm Befehl." Der Franzos drohte an Land zu gehen und sich zu beklagen. „ Gehen Sie, sagte höhnisch der Befehlshaber, aber wenn Sie eine Sekunde nach dem Aufhissen der Treppe kommen, lasse ich Sie nicht mehr an Bord." Und damit schloß die fatale Scene. Glücklicherweise fuhr eine fürstliche Person durch den Hafen. Ueberall hißte man Flaggen, überall salu-tirtc man; ja ein norddeutsches Kriegsschiff und eine große türkische Fregatte, die hart neben uns lagen, bombardirten uns so zu sagen ins Gesicht, daß uns Hören und Sehen verging. Und da, oh Wunder, — kam in einem Boote mit den drei noch fehlenden Passagieren, welche als Nachzügler von Kairo sich noch eingefunden hatten, die Ordre zur Abreise für den Bai. Durch das eine Wort: Abreise, schien ein Sturm von Thätigkeit, Leben, Eile, Ueberstürzung beinahe, durch den ganzen Masr zu fahren. Die Ankerwinde ging rasch; die Schornsteine entwickelten dichte Qualmmassen, der zischende Wasserdampf fuhr mit immer größerer Heftigkeit aus dem Ventilrohre; das ganze Schiff zitterte geheimnißvoll unruhig vom Kiel herauf. — Bei der großen Länge des Masr aber, welche ihn verhinderte, in engen Räumen einen Bogen zu machen, mußte das- Schiff von der seitlich — i»;3 — liegenden eghptischen Fregatte her mit dein Bugspriet seewärts geholt werden. Als das geschehen, wurden die Treppen und das letzte Boot aufgehißt. Nach einigen Minuten einer gewissen feierlichen Spannung gab der Bei ein Zeichen und das herrliche Fahrzeug dampfte westlich. Nach wenigen Minuten schon verließ uns der Lootsc, und der nach Nordwest eingeschlagene Conrs mit einem leisen Wogen des Schisses verrieth uns, daß wir uns in See befanden; es war elf Uhr Vormittag. Und nun wir in See gegangen waren, wnrde es uns schwer, uns von dem Anblick des langsam ferner tretenden, langsam in das Meer zurücksinkenden Ale-^andriens zu trennen. War der Anblick von Land und Meer, von Hafen und Stadt uns bei unserm Ankommen vor sechs Wochen wunderbar großartig erschienen, so mußte ein noch viel mächtigeres Bild davon nns beim Scheiden zurückbleiben in der Erinncruug. Bon der Gründung der Stadt her bis in die von uns erlebte Neuzeit hatte die Metropole des großen Alexanders nie solche Macht, solche Herrlichkeit, solche Weltbedeutung vor sich, um sich, in sich gesehen, wie wir sie beim Scheiden vor uns ausgebreitet sahen. Und was hatten wir von jenem Freitag unseres Antommens, am 15. October, bis zu dem Freitag unserer Abfahrt am ^. November, was hatten wir in diesen sechs Wochen nicht Alles erlebt! (Hinc ganze 11* — 164 — Weltgeschichte war an uns vorbeigewandelt mit ihren großartigsten Erscheinungen nnd Thatsachen! (Äne ganze Kultnrgeschichte, eine wunderbare Kunstwclt hatte uns ihre geheimnißvollen Heiligthümer ausgeschlossen in unendlicher Fülle! Nnd dazn hatte die Gegenwart nicht nur ihre imposantesten Leistungen uns vorgeführt, sondern sie hatte auch in jeder Woche, an jedem Tage, oft Minute um Minute die reizendsten Märchen nm uns herum gewebt, in denen uns dav sonst so Riesenhafte bis zur Zierlichkeit klein lind anmuthig, das Unbegreifliche ganz natürlich, das Unerhörte ganz selbstverständlich vorlam. Huudertmal hatten wir mit den Patriarchen des alten Testamentes im freundschaftlichsten Verkehr gelebt, hundertmal waren wir mit den ersten christlichen brennten in die Thebaica hinausgezogen, wenn anch Keiner von uns als Anachoret dort geblieben war. Und bei all diesen Mythen und Märchen hatte uns die au das Unbegreifliche grenzende Gastfreiheit des Khedive wie ein unsichtbarer, aber immer gegenwärtiger, immer helfender Kobold zum vollsten, unbefangensten Genuß verholfen, ohne daß dieser Gnom Dant oder Vcrgeltuug beanspruchte! Ja, es war eine großartige Schöpfung des Khedive, so einen Böltcrkongreß ins Leben zu rufen, nnd demselben die größten Werke des grauen Alterthums, das größte Werk der n^ien Zeit vor Augen zu führcu. Und was man auch für dankbare Herzen von lHgyp- — 165 — ten mitnehmen mochte, genug danken für diese sechs Wochen im Orient wird nie Jemand dem Herrscher von Egyptcn können. Noch war es ziemlich lebhaft von Schiffen um lins, als wir zu unserm ersten Mittagsfruhstück in den Salon hinabstiegen. Als wir aber wieder hinauf kamen anf das Verdeck, war es einsam um uns geworden! Nur der Leuchthurm von Scanderieh war noch zu erkennen, nur das Kapital der Pompejussäule schwebte noch wie ein Phönir über dem Mccreshorizont. Dann sank auch das in die Fluth hinab, und ails war das wundervolle Märchen von Epyptcn, vom Nil, von Masr, Theben, Philä, — aus das Märchen von Ismaila und von: rothen Meer, das vom Riescnsvhinr am Rande der Wüste und von den ewigcu Pyramiden der vierten Pharaonendynastie. — Mit 13 Knoten Fahrt durchschnitten wir das Meer beim schönsten Wetter. Doch wurden am Abend die Bramracn gestrichen; denn wir kamen nördlicher, und dem November ist selbst im Mittclmeer nicht zu trauen. Vor Dunkelwerden noch holten wir die beiden Dampf-boote ein, die einige Stunden vor uns die Nhedc von Alerandrien verlassen hatten, und sahen sie noch im letzten Abcndschimmer vergebens sich anstrengen, mit dem Masr das weite Nasserfeld zu durchrennen. Wir ließen sie hinter uns und eilten hinüber zu europäischen Meeren. — 166 — Nach einer stillen Nacht brachte uns ein leicht umflorter Morgenanbruch mit dem 27. November einen an-niuthigen Scetag. Vollkommen einsam war es um uns; die Wasserfläche schien sich kaum zu regen. Grade das Wetter war es, unter welchem die Gattin des Ceyx nach Ovids Erzählung, auf dem Wasser schwimmend mit dem Neste als verwandelte Halcyone, ihre Eier unbesorgt ausbrüten kann, dasselbe Wetter, mit welchen: Arion auf seinem musikalischen Delphin nach Corinth und zum Periander zurückschifftc. Hatte doch Keiner vou uns Allen in der Nacht daran gedacht, das seitliche Glasfenstcr seiner Kabine zu schließen oder gar zuzuschrauben. Kein Schwanken des Masr hinderte nns auch nnr im Geringsten im Ankleiden, Frühstücken, Umhergehen. Letzteres vor Allem war köstlich. Der Masr bot den' herrlichsten Spaziergang von der Welt. Nickt nnr die Länge des ganz freien Verdeckes machte einen imposanten Eindruck, sondern auch die Breite war äußerst bedeutend, so daß das ganze Schiff den Ausdruck einer gewissen Wuchtigteit hatte, und eben deßwegen auch sehr still auf der Sce lag. Es zeigte einerseits die Ordnung eines Kriegsschiffes, untermischt andererseits mit den: orientalischen lai- nicmto, was auf dem Mittelmeer gewiß verzeihlich ist; doch lag nichts Hemmendes in der submartialen Haltung. Wir gingen, saßen, stände»! umher, wo wir wollten, uud hatten überall den freisten Spielraum, — 1<)7 — so daß das weite Verdeck eigentlich leer aussah, trotz der 60 Passagiere. Alles ging viel ordentlicher zu, als auf dem Möris von Marseille, und beide Schiffe waren, schon weil der Masr vielmehr seine Kriegs-schisssstellung herauskehrte, und ein ununterbrochen freies gleichliegendes Verdeck hatte, gar nicht mit einander zu vergleichen. Höchst originell sah auch daö Gemisch in der Kleidung der Besatzung aus. Vollkommen bunter Oricntalismus fraternisirte mit der Thecrjacke, und wenn der Wachtposten antreten mußte unter Trommelschlag nnd Pfeifenklang, so sah das doch gar zu komisch anS. Daß das Schiff aber bei solchem stillen Wetter 13—14 Knoten ohne Unterbrechung lief, war gewiß eine nnschätzbare Tngend von demselben. Dieser (Geschwindigkeit verdankten wir es, daß schon um halb elf Uhr des Morgens die Insel Kandia zum Vorschein kam in Anfangs noch fernen, aber doch gleich gewaltigen Umrissen, die schnell schärfer nnd bestimmter zum Vorschein kamen, weil es schien, als ob wir unsern Cours gerade auf die Insel richteten. ^ So bekamen wir denn nach unserm Mittagsfrühstück bis in die späte Nacht hinein ein Seeschauspiel, wie es in solcher kühnen Schroffheit der Küste, in solcher leichten Bewegung der Fluth nur im Mittel-Meere vorkommen mag. Vom Vorgebirge Matala an befanden wir uns iu — 168 — der nächsten Nähe der Küste. Der reinste Sonnentag lag über Land und Meer. Wunderbar klar, scharf nnd zackig hoben sich die Kalksteinwände der Insel aus der Fluth empor, immer höher und höher ein Joch das andere überragend bis über 7Wl) Fuß himmelwärts. Blendende Farben entstanden auf den gewaltigen Felswänden von den refleetirendcn Sonnenstrahlen. Und dann wieder unmittelbar zwischen deu nackten Massen, und oben auf ihren luftigen Häuptern, wo nur immer eine, Vegetation sich anklammern kann, dieses reizende, saftige Grün trotz des spätherbstlichen Novembers! Waldparthieu waren zu erkennen, oft wirkliche Anpflanzungen, hie nnd da ein Haus oder deren mehrere zu einer kleincu Ortschaft zusammen gruppirt, danu wieder ein lothrecht nieder-steigender Abgrund von einigen tausend Fuß Tiefe. Ganz oben auf den höchsten Kuppeln und Spitzen, die manchmal iu anscheinend messerscharfe Grathe auslaufen, lag der reine Schnee und bildete einen unaussprechlich anmuthigen Gegensatz zu der Vege-tatiou auf den Felsen uud eiu rechtes Extrem in unserer Erinnerung an die Palmen von Alcraudrien, die wir noch vor vier und zwanzig Stunden gesehen hatten. So die ewig starren Felsmassen unmittelbar aus der ewig beweglichen Fluth hcrausragend, so die lieblichste Vegetation über den todten Steinmassen sich — 169 — hinziehend, so über dem grünen Lebensbildc der unbefleckt weisie Schnee hingelagert, mw über dem Ganzen der von einzelnen Wolken durchschiffte blaue Himmel, — ja es war ein schöner Nachmittag linier Kreta, und jede Stnnde bot neue Scenerien; hinter jeder Felseckc sprangen urplötzlich neue Formen hervor; an jedem umschifften Kap zeigten sich andere Färbungen mw Gestaltungen. Wir fnhren zwischen Kreta nnd der kleinen Inselgruppe von Gozzo hindurch. Als wir gegen Sonnenuntergang uns den westlichen Vorgebirgen der Insel näherten, fing es aus Nordwest an zu wehen. Losgerissene Wolkenmassen jagten hastig und regellos umher auf den höchsten Höhen, und brachten entzückende Lichtbilder in den Strahlen des scheidenden Hyperion auf dem Grün und dem Schnee, auf den Felsen nnd auf dem Meer hervor. AIs es aber dämmerte und Abend ward, brannte oben, im Gebirge ein Feuer, wahrscheinlich von Zicgenhirtcn angefacht, welche dort oben dicht unter dem Himmel ihre Sennhütte haben mochten. Noch bis spät in die Nacht hinein fahcn wir den rothen Schein von« Wachtfeuer der nmthigen Kandiotcn, die turz vorher vor der Areopag des europäischen Christenthums leine Gnade gefunden hatten, sondern nach heißem Kampfe, ungeheuren Opfern und vielem vergossenen Blute unter das — 170 — Joch des verfallenden Türkenthnms zurückkehren mußten. Unwillkürlich dachte ich an die feurige Cephalo-nierin von: Vord des Möris, als wir nach Alej.'an-dricn fnhren, — an die anmuthige Fran, die in ihrer Lebhaftigkeit gar nicht genug Worte des Spottes, des Hohnes und der Nache gegen alle europäische Diplomatie und Staatsweisheit finden kounte. Ob sie Recht hatte in ihrem Feilereifer oder die alten Räthe Europas in ihrer kalten Berechnung, muß ich unentschieden lassen. — Der Zugwind aus Nordwest, der uns am berühmten Krionmctopon begrüßt hatte, und nnscrc Fahrt allerdings etwas hemmte, ließ uns eigentlich eine etwas ungcmüthliche Nacht befürchten. Vis Mitternacht war es allerdings etwas unruhig und besonders etwas kalt. Doch fiel keine Störung oder auch nur geringe maritime Unbchaglichkeit vor. - Vielmehr sollten wir, als eben der Morgen des 28. November anbrach, noch einmal einen Sonntag von so wunderbaren Netzen erleben, wie er mir nur in den glücklichsten Momenten und an den schönsten Küsten meiner Lebensseefahrt vorgekommen ist. Es war still und feierlich im Himmel nnd auf der Erde, denn es war Sonntag, der erste Advents-sonutag des Jahres. Spiegelklar ging die Sonne auf. Wunderbar blau lag seitlich hinter uns die __ 171 — Insel Cerigo, aber noch viel wunderbarer blau seitlich vor uns der hoch aufsteigende Peloponnes, das echte, alte Griechenland, zunächst das Kaft Matapan und der tief in das kühne ^aud einschneidende Busen von Kalamata oder Corou. Das blaue Kolorit der Scenerien läßt sich nicht beschreiben; Meer, Himmel und Land schwammen förmlich in blauem Dnft. Und wenn ich nicht schon einmal, bei der Erinnernng an die Insel Madeira, das Wort ans meinem „Ausou" ausgerufen hätte: So hoch dciu Himmel u»d so ticf dein Mcer, So blau m blau smd bndc hingegossen, — ganz gewiß würde es mir beim Anblick dieser wunderbaren Peloponncsfarben in den Sinn gekommen fein. Sinnend nnd staunend ließen wir all die Formen und Farben langsam an uns vorbeiziehen. Nnd wer sollte in diesen Gewässern nicht mit besonders dankendem Auge dort fern nach Osten Hinblicken, wo das alte Hellenenthnm sein ^acedämonischcs Schwert führte? Wer nicht mit Begeisterung die nächste Küste beschauen, wo an der Bucht von Modon nnd Navarino das mit dem Tode ringende Griechenland befreit uud znm ^cbcn geweckt ward? Die Schlacht von Navarino! Eine meiner wonnigsten Knabenerinnerungeu war der Tag von Navarino! — Navarino war das alte Pylos; hier wohnte er selbst einst, Nestor, er, der alte Zecher, der drei Menschenalter sah! Hier schlug Demosthenes — 172 — die Spartaner zur See, wurden die Venetiancr von den Türken geschlagen, hier schlugen sie hinwiederum die Türken, um dann wieder von ihnen geschlagen zu werden, so daß Navarino recht cm blutiger Zankapfel war zwischen Christen und Türken schon in älteren Zeiten. Und da sollte es ächt klassisch werden in Griechenlands Auferstehungsperiode. Die Hellenen, diese nn^c -7<,>'/>ss/.X'^c,» meiner Ccphalonischcu Frei-heitsmä'nade, eroberten es 1tt21, und ich weiß noch meine Knabenfreudc damals, — aber auch meinen Knabengrimm, als es 1825 wieder verloren ging. Damals sammelten wir Schillinge und Sechslinge in der Schule für Griechenland, und bekamen einmal Maulschellen dafür. — Da wollte es Gott, daß fast ganz gegen ihren Willen, wenigstens beim Ausbruch der Schlacht ohue eine bestimmte Absicht, die Admirale Nigny (Frankreich), Haiden (Nußland) und Codring-lon (England) am 20. October Nachmittags drei Uhr die Seeschlacht von Navarino begannen und nach wenigen Stunden den furchtbarsten Sieg davon trugen. Keine Schlacht hatte seit der Schlacht von Leipzig so den ganzen Norden erschüttert, wie diese; keine Nachricht so die Christenheit gepackt, wie der Sieg von Navarino! Wir Schulbuben waren außer uns, — es war der Tag meiner höchsten Begeisterung, — und Griechenland wurde frei! So ward uns wenigstens gesagt, bis wir älter werdend bemerkten, daß Europa — 173 — clue traurige, infame, niederträchtige Farce spielte und mit Cutziehung eines kleineu Läudcheus dem „tranken Manu" zur Krücke, zum Liuimcut, zum Heftpflaster nud zur Bandage diente, weil man fich um die Erbschaft nicht einigen konnte. Einen einzigen Ritter hatte Europa damals, den Kaifcr Nikolaus; aber was wußte damals, was wußte noch später, im Krimmkrieg, dieses waschledcrne Europa von der Begeisterung eines echten Kreuzfahrers, dem das Herz gebrochen ist vor Numuth, vor Zorn und Gram über die politische Niederträchtigkeit von England und Frankreich nud von den: klcincreu Staatengesmdel, welches stch zu Guustcu uuseres Erbfeindes, des Türken, befangen ließ, und zu einem Judas Ischarioth ward? Meiu Gott, wie kam ich denn nach der Krimm? ^ Unterdeß ist auch die Gegend vou Modon uud Navarino passtrt, und wunderbar spielt die Mittagssonne auf den blauen Felsenhöhen von Messenien, Ais nnd Arkadien! Da rennt der Masr fast schnur-grade auf eine Art Iuscl los, ein Dings so klein, daß es kaum ein Dnodezfort nnd einen ^euchtthurm tragen kann. Das ist Stamfano, grade mitten zwischen Zante ilnd Navarino, in der That nur ein Verdacht von einer Iusel. Hart, gauz hart schifsteu wir daran vorbei, und hätten uns mit den Leuten zurufen können, wenn nur welche zn hören uud zu fchen gewesen Wärcu. Aber keiue Seele ließ sich erblicken, wie wuu- — 174 — derklar auch die Sonne don kleinen Pnnkt beleuchtete. Uebrigens liegen dort zwei Inselchen neben einander, die bei den Griechen Strovhades genannt wurden, und den Harpyicn zum Wohnsitz gedient haben sollen. Die berühmteste dieser Harpyien war die Podarge, welche sich mit dem Erfinder der Draisine vermahlt und mit ihn: das Vclociftöde gezeugt zu haben scheint. Zum Andenken an dieses merkwürdige Epithalamium mag wohl das Lcllchtfcner auf den Strophaden brennen. Nun kam noch Zante dicht an unS heran, Cepha-lonicn rückte näher, so daß wir die schmale, tiefe Bucht von Argostoli schon erkennen konnten, — aber die Nacht überfiel uns, und nur in Gedanken konnten wir noch weiter nördlich nach dem ^ande der Phäakcn schauen, oder nach dem hinter Cephalonien liegenden Lande des klugen Königs Odysseus. Einmüthig gestanden wir uns am Abend auf dem Masr, daß wir keinen schöneren Sonntag beim Hin-und Herfahren von Egypten erlebt hätten, als diesen 28. November zwischen dem „SchaafStopf" von Kreta, dem Borgebirge Krioumetopon und der Insel auf welcher die schöne Nausikaa ihre Gewänder wusch und Ball spielte. Wir gingen sehr spät auseinander, weil wir durchaus, wenn auch nur in dunkeln Umrissen, Korfu sehen wollten, welches mir scholl einmal in seiner hochauf-steigeuden Pracht erschienen war im Jahre 1657, als — 175 — ich auf der Fregatte Novara unter österreichischer Flagge aus dcm adriatischen Meer kam. Doch mußten wir uus, ohne eine Spur der steilen Insel entdeckt zu haben, zu Bette legen. — Eine etwas verbrauchte Berliner Redensart wirft die Frage auf: „Was thue ich so früh in Potsdam?" Sie schien wirklich in der Nacht vor dem ^9. November auch auf dcm Masr die Parole zu sein. In meinem Bett tonnte ich fühlen, daß die Maschine weniger heftig arbeitete und unsere Schraube sich weniger schnell drehte. Offenbar hatte der Kommandant nicht zu früh n. Brindifi sein wollen. ^ Als ich beim Anbruch des Tages aus meinem kleinen Kabinenfenster sah, passirten wir eben das äußerste Südosttap von Italien, Santa Maria di Leuca und liefen in die Straße von Otranto ein, mittelst welcher das adriatische Meer in das Mittelmeer einmündet. Doch hatte sich der Himmel stark bedeckt, und das schöne Wetter von Egyptcn, der reine Himmel vom Peloponnes hatten uus vollkommen in Stich gelassen. Erst nachdem wir auf der Breite von Otranto waren, gelang es uns, einzelne Oertlichkeiten genau zu erkennen. Besonders kennzeichnete sich der spitze Thurm des hochliegenden Lecce, welcher weit hinaus auf die See den Schiffern am Tage zur Orientirung dient. So näherten wir uns dmu dem Ziel unserer Reise, dem Hafen von Brindisi. Bald erkannten wir die — 176 — Stadt im Hintergründe einer hübschen Bucht. Ein Lootse kam, um nnserm Masr den Weg zu weisen um eine flache, aber weit in die See hineinspringende Felsenkette herum, wo man dann auf eine weite, und doch schon ziemlich geschützte Nhede einläuft, die endlich in einen Außenhafen übergeht, an welchem sich mancherlei Arsenalsanlagen nnd Schanzen befinden, und sich bestimmt die allerausgezeichnetsten Anstalten treffen lassen, um Brindisi zu einem höchst bedeutenden Welthafen zu machen. Hier touunen die Gesmwheits-und Zottvisitationen an Bord. Zuletzt läuft man zwischen zwei wirtlich etwa^ dicht neben einander hingehenden Steinbollwertcn in oen Binnenhafen ein, der sehr eng ist, abcr den ungemeinen Vortheil hat, daß selbst bedeutende Schiffe uumittelbar am Quai anlegen können, und die Waaren vom Straßenpflaster aufgenommen und direct in die Fahrzeuge geladen werden. Da schieden wir denn von unserm guten Masr, dem schönsten Schiff, auf dem ich je gefahren bin, überhaupt einein der schönsten Schiffe oder vielleicht das schönste, das ich je gesehen habe. Die Reise war unbedingt die beste, die ich gemacht habe. So schnell die Fahrt, so prachtvoll das Wetter, so geräumig die Accomnwdalwnen, so splendide die Bewirlhung, — und so großartig, so wunderschön, so ächt tlassich dic Scenerien. Innerhalb zweiundsiebenzig Stunden — 177 — erlebten loir das herrliche Vilb von Alerandrien mit seiner Nhede voll von Fürstenschiffen nnd dem bnn-tcsten Gewimmel von Fahrzeugen aller Kategorien,— sahen unr das imposante Kreta auftauchen, mn llns au seinem Anblick fast einen ganzen Tag zn weiden, denn die Insel ist an 36 Meilen lang, — umschifften dm blancn vielgestaltigen Peloponnes mit den ionischen Inseln, — landeten in Italien! Egypten, Griechenland, Italien innerhalb drei Tagen, — innerhalb zweinndsiebenzig Tagen die Schauplätze der drei größten Kultlirperioden der alten Welt! Man braucht nicht sentimental zn werden, man braucht nicht in profuse Erclamationen aufzubrechen, wenn man so ans Land springend in Brin-disi der letzten sieben kochen gedentt. Am neunten October von Marseille sort, den ganzen Nit hinauf bis über den ersten Katarakt hinans, bis in Nubien hinein, — dann Ismatta und Suez am fernen rothen Meer, — nnd am nennnndzwanzigscen November in Ärindisi! — Je rnhigcr und besonnener mal> .arüber liachdelüt, sich das (^eschene nno Erlebte vergegenwärtigt, sich den geistigen, den ungeheuren Gewinn anschaulich macht, den man daraus gezogen hat, desto höher müssen Freude und Gegeisteruilg über das Erlebte den (klebenden heben, und ihm sagen, er habe als einer der bevorzugtesten Sterblichen genug erlebt, um den Nest seines ganzelt Bebens darüber Avli-i!allcmanl, Fata MmZcma. 11, 12 — 178 — nachzudenken, und auszusprechen: Ja, das war eiue große, cine schöue, eine herrliche Zeit im Orient, und ich habe sie mit erlebt, mit durchgemacht! Zunächst mußten wir uns mit der Dogana, dem Zollamt von Brindisi abfinden, was uns nngemetn leicht fiel, da die Zollofficianteu, vor oeren Lokal wir ans Land gestiegen waren, nnserc Neisezwccke wußten, und nns nnr zum Schein visitirten. Dann gingen wir mit nnseren Effecten znm Bahnhof hinaus, nm dieselben unterzubringeu. Gegen Abend ging der Eouricrzug nach Norden fort. Aber über Eins wußte man uns keine Aufklärung zu geben, was auch für uns eiue delicate Sache war, auf die ich gleich zurückkomme. Erst wollen wir einen Gang durch die Stadt machen. Vrindisi, das alte Brundusium, ist bekanntermaßen eine alte Stadt, welche von den Kretern gegründet, von Vakonicru erweitert, von No'mern großgemacht, von ^i'netianern besessen, einer der größten Plätze Unteritaliens ist, und schon bis auf 60,<)W Einwohner gehabt haben soll. — Als bekannter Ucbergangspnnkt nach Dyrrhachium und Griechenland hatte es von jeher eine Hafenwichtigkeit. Hier endete die vil^ ^s»sna, hierher zog sich der größte Theil des Nömerverkehres mit dem ganzen Orient, wozu die sichere, vielgcglie-dertc Hafenbildung ganz von selbst einlud. Doch ließ man den Hafen versanden, und die Stadt verkommen. __ 17!) __ die bis auf 6,000 Einwohner zusammensank und einem alten Kirchhof glich. Und dieses Kirchhofsausehen hat die Stadt noch, so wie man sich vom Hafeu abwendet. Zwar ist auch am Hafen, — der Binnenhafen ist sehr klein, und mag nicht viel über zwanzig Schiffe fassen —, kein grosses Leben; doch steht man einige Menschen, die dort ziemlich unnütz umherstehen oder sich stellen, als thäten sie etwas. Ruch mehrere größere Gebäude er-bllckt mau, uatürlich unvermeidliche Hotels und Restaurants; aber man braucht nur die nächste Nähe des Wassers zu verlassen, so befindet man sich in so engen lassen, vor so antiken Hänsern, daß man glauben möchte, man wäre noch immer in der alten Nömer-Navt, in welcher Birgil starb, und zn welcher Horaz some originelle Wanderung machte. Viele Spuren haben auch die Beuetianer gelassen, doch scheinen die Straßen in Bezug auf die Breite ganz nnverändert geblieben zu sein. ^ln Kirchen uud Klöstern fehlt es natürlich nicht; auch trifft man viele Heiligen abgemalt an den Wänden in der nnscho'nsten ^orm. Ich betrachtete eine Darstellung evangelischen Ursprungs auf dem Weg nach der Eisenbahnstation, die so unschön war, daß ich meinte, wer in Prindisi zuerst ano Vand stiege, um Italien als Wiege der Malerei kennen zu lernen, müßte diese Windelversuche in Brindisi abschreckend finden. Pirgils Sterbehaus wird noch gezeigt. Der 12* — 180 — römische Dichter hat, wie es scheint, sehr schlecht logirt in Brnndusimn. Das Hans ist dicht bei der hohen Alabastcrsänle, welche dcn Ansgang der vin. ^»^ii», bezeichnet. Es standen ihrer ursprünglich zwei Säulen ans dem kleinen Platze, der etwas hoch liegt, und gleich in die Augen fallt, so wie man nur im Binnenhafen ist. — Die Aussicht von dieser Stelle ans ist wundervoll. Daß beim genaueren Eingehen in die Einzeluhcitcn von Brindisi gewiß außerordentlich vieles interessante auftaucht, läßt sich mit Bestimmtheit voraussetzen. Aber der Totalemdrnck ist uugcmem klösterlich, todt, enge und befangeud. — Nach der Bahuhofsst'ite, südlich von der Stadt, stehen noch die alten, kolossalen Steinmauern der alten Festimg. Ein prächtiges altes Wappen ist von ^arl dem Knusten herstammcud, was mich an ein ganz gleiches erinnerte über dem «Hewölbs-thor der Festung Gibraltar. Beidc deuteten die tino« Imiiorii liomlnü, d. h. des römisch-dentschcn 3teiches an, als eo noch dem Papst fromm zn Füßen lag, des ungeheuren Weltreiches von Karl dem Fünften, iu dem die Aonnc nie unterging. Neben diesem alten Gtcingeröll, auf dem statt der Batterien jetzt ein Kloster steht, macht der noch furchtbar nrzuständliche Bahnhof einen ziemlich bcjammerns-werthen Eindruck. Offenbar ist er nur provisorisch. Auch sind cs nicht die Baulichkeiten, die man vermißt. Man vermißt die Straße dahin, man vermißt alles Leben am Bahnhof, man kann ihn, obwohl er ganz allein anf einem miserablen Felde steht, gar nicht finden; denn Niemand hält das Ding da dranßen in der nnzngänglichcn (Anöde für einen Bahnhof. Und doch, doch hat diese ächt römisch-katholische Klosterstadt, dieser schiMcere Hafen, diese nndefinirbare Bahnhofseinöde eine nnermeßliche Zukunft vor sich, seitdem man den Snezkanal gebant hat, nnd Brindisl seinen Schienenstrang besitzt. Ganz Europa findet in Brindisi, wenn anch die Bahn noch bis Otranto wei^ tergeführt ist, den südöstlichsten Anschluß seiner Eisenbahnnetze, nnd den kürzesten Dampfschiffswcg von dort nach dem Oriente. Von England nnd Frankreich geht der Eilzug über den Mont-Eenis durch Italien bindnrch in kürzester Fahrt am adriatischen Meer entlang nach Brindisi. ^ Gerade von: Norden kommend münden zahlreiche Schienenstränge ans Deutschland -gegen Baiern hin und übersteigen den Brenner, mn dann in dieselbe Bahn ansznmi'mdcn. Nnd von Nordosten her überwindet die kühne Bahn vom Sem-mcring auch dort die Alpenkette, nnd verbindet sich über Tricst-Benedig mit derselben Schienenstraße, so daß Marseille und Trieft an Brindisi schon eine Concurrenz haben, die für die ^ampfschifffahrt gar nicht zn nnterfchätzen ist, nnd bereits so sehr sich geltend macht, dass England fchon jetzt seine hanpt- — 182 — sächlichsten Posten für Ostindien über Brindisi schickt. Legt man ein Lineal anf die Weltkarte, so kann man ziemlich gerade einen Bleifederstrich von London nack ,Aden am Anfang des rothen Meeres ziehen, nm Loudon-Brindisi-Port-Vaid-Inez in ihrer nnnnterbro-chenen Damvfverbindnng zil schneiden. Wenn Italien diese merkwürdig günstige Lage aus-znbeutcn weiß, so ist die Zukunft von Vrindisi trotz Marseille und Trieft gesichert. Gerade wie Aleran-drien aus einer verfallenen Schuttstadt wieder auferstanden ist zn einem Hafen ersten Ranges, als Schlüssel und Eingang zum Südosten, so wird Brindisi wieder groß werden als Welthafen nnd Verkehrsweg nach nnd von dem Nordwcsten, ein wirkliches italienisches Alcxandrien. — Was dazu noch fehlt an Schifffahrtsgelegenheiten, läßt sich Alles machen, weil die Natur Alles gegeben hat. Wie schon obm angegeben worden, sollten wir mit dem Schnellzuge gegen Abend abreisen. Hier entstand nnn der für uns Alle delicate Pnnkt, nach dem wir nach all der wirklich unbegreiflich verschwenderischen Gastlichkeit in Egypten nicht fragen mochten, und den wir doch bedenken mußten. In unseren Einladungen waren wir nach Paris gerufen, um von dort weiter nach Egypten geschafft zu werden, wie wir das ja gesehen habe»,. Aehnliches war für Brindisi angedeutet worden; man tonnte aus — 183 — den Einladungen verstehen, daß die über Vrindisi reisenden Gäste noch von der Gastlichkeit des Khedive anf der italienischen Ostbahn bis in Frankreich nnd Dentschland hinein spedirt werden sollten. Da mm in Abwesenheit des Bahnhofchefs nichts Positives hier- > über im Bahnhof zu vernehmen war, und ich doch einen Abstecher nach Neapel und Rom machen wollte, so nahm ich mir ^in Billet nach Neapel über Foggia, und gab meinen Koffer anf die Gcpäckkammcr. Je naher mm aber die Itunde der Abfahrt heran rückte, desto lebhafter ward die Frage, ob auch bei der Rückkehr in das Herz Europas hinein wir auf Rechnung der egyptischcn Regierung spedirt werden würden, vcntilirt, und ward zuletzt selbst unangenehm laut besprochen. Geradezu verlangt konnte die freie Neise nicht werden. Auch war Niemand da, der im Namen des Khedive die Entscheidung hätte gebeu können. Da erschien denn endlich noch in der letzten Stunde der Kommissair vom Masr mit dem Vahn-hofsinspektor, und nun erhielten die Reisenden nach Paris ihre Reife bis dahin belegt. Die Norddeutschen erhielten ein Billetheft bis — Bamberg, denn so weit ging die Verbindung der italienischen Eisenbahnen, das Billet erster Klasse zu 200 Frs. Mit der größten Freundlichkeit nahm man mein Neapclbillet zurück, und ver Bahnhofschef gab mir ebenfalls, als einem „Eingeladenen" mein Buch nach Vamberg. — 184 — Er meinte, ich könnte bestimmt in der Nacht in Foggia, wo die Bahn nach Neaftel von unserer offiziellen Ost-bahnroutc abzweigt, ein Billet nach Neapel nchmen, von Neapel nach Nom gehen, von Nom nach Aneona, — das natürlich anf nieine Kosten —, nnd dalul von Ancona mein Bamberger Buch weiter benntzen. Das war aber so wunderhübsch, daß ich dem Mann für seine Invention dankte, und mich sonnt der Fraction: Neapel-Nom unserer Masrgesellschaft anschloß. Es kamen noch verschiedene Passagiere aus Vrin-disi zum Bahnhof; auch ein Zug von Beamten in Gallauniform. Und als wir nun nach deren Bedeutung forschten, fand es sich, dasi der österreichische Staatskanzler Graf Beust mitten unter uns war. Wahrscheinlich hatte ihn ein österreichisches Schiff in Brindisi abgesetzt, denn natürlich war er auf dem Masr nicht gewesen. Nun dankten wir noch dem Kommissair vom Masr herzlichst. Er sollte unsern Dank an Egyftten mitnehmen, zunächst an den wackeren Colueci-Bei, den Gouverneur von Alez-andrien, der mit feinem Versprechen, uns das beste Schiff seiner Flotte zu stellen, wenn wir nur etwas Geduld haben wollten, so vollkommen Wort gehalten hatte. — Schon am folgenden Morgen sollte das Fürstcnschiff zurückkehren nach Alcxandrien. Es war wirklich nur für uns sechszig — 185 — Vrindisipassagierc in See gegangen, die letzten Reste der Eingeladenen vom Möris ans Marseille! Wann scheu wir uns, Brüder, Nuf einem SchMcm wieder? Dreizehntes Kapitel. Atehmzüge in Neapel. Große Scene männlicher Rührung auf dem Bahnhof von Foggia um Mitternacht war das erste Ereig-niß nach unserer gemeinsamen Abreise von Ärindisi. Wir hatten die A5 Meilen zwischen den beiden genannten Orten im Dunkeln znrückgelegt. In Foggia wurden die Reisenden für Neapel aus dem gemeiusamm Zuge ausgesondert; und der dirette Zug für Norditalien branste nach einer sehr drastischen, von Vielen kaum bemerkten nnd von Manchen sehr indifferent erlebten Abschiedsscenc vorwärts. Unser kleiner Rest, — die größere Hälfte nuserer Reisegesellschaft ging direct weiter —, ward in den bereit stehenden Neapelzug eingepackt. Doch fehlte es an Platz. Einigen von uns gab man eineil ganz nagelneuen Waggon, der aber gar nicht an den Zug angehängt worden war. Glücklicher Weise bemerkten wir dcn kleinen Uebelstand, der aber doch, wenn wir überhaupt mitkommen sollten, — 1«7 — recht wesentlich war, und so wurden loir noch als Au-häugscl zum Train dem Z>lge bei^egebeu. Von Loggia hatten wir uugefahr 27 Meilen bis Neapel, von welcher Distanz eine gute Strecke querdurch den Appcuin führte, ^n dunkler Nacht irar nichts zu erkennen, aber doch einmal ctwas sehr Merkwürdiges zu hören. Es schien mir, das; wir in einen Tunnel einliefen, in welchem die Schnelligkeit des Zuges bedeutend nachlieft. Doch mustte ich mich getäuscht haben, denn das Tunnelgcräusch dauerte sehr lange, Wollte gar nicht wieder aufhören. Endlich schienen wir doch wieder ins Freie zu gelangen, und ich glaubte mich geirrt zu haben. Da entwickelte sich plötzlich ein nächtliches Abm-theuer um uus, eine vollkommene Vrigantenscenc der originellsten 'Art. Der Zug kielt. Eine Menge Fackeln flammten, — „Aussteiaeu" hieß es: ein buntes Volt wimmelte umher, eine Reihe vou Wagen mit unruhigen Pferden und den pittoreskesten Kutschern standen bereit, Alles und Alle röthlich angestrahlt von Fackeln und Wachtfeuern. Wir wurrcü m ein großes Orctterhaus geführt, und fanden uns in einem Yöchst urzustäudlicheu Warlesalou, in dein mau vor allen Diugeu Essen uud Trinken bekommen tonnte. Der nächtliche Ueberfall hing einfach so znsammen, dasi eine Strecke der Bahn Foggia-Neapel nicht fertig war, uud etwa eiue Meile Ehausfse über oie Aveni- — 188 — ncn in Wagen gefahren werden mußte, welche nun an jener provisorischen Station bei Ariano, zwischen Vovino und Venevento, bereit standen. Das Niu-laden dcs ganzen Eisenbahntrains nahin viel Zeit in Anspruch, lind gönnte uns vollkommen Muße, uns in der ersten Frnhstunde auf unbestimmte Zeit satt zu essen. Ich erkundigte mich nach jenem Tunnelgcräusch, und erfuhr von einem Schaffner des Trains, daß wir wirklich einen Tunnel von drei Kilometer Länge und noch darüber, passirt wären. Endlich wurden wir, immer zu vier Mann, aus der vermeintlichen Banditenherberge herausgerufen und iu deu bereit stehenden Wagen gepackt, wobei man so gewissenhaft zu Werte ging, daß uach jedem vierten Manu die Varackenthür immer wieder geschlossen wurde. So ging die Einschiffung per Achse außerordentlich gut und schnell ohne alles Gedränge vor sich. — Und siehe da, als wir Alle verpackt waren, uud das Zeichen zum Aufbruch gegeben ward, ließ sich auch schou das Morgeuroth gewahren, und die lange Wa-gcnkctte stürmte vorwärts. Ein köstlicher Anblick, eine wundervolle Scenerie! Die gut augelegte und gehaltene Chaussee führte ziemlich steil anf und nieder über, auf und zwischen den nur mit ganz spärlichen Gras bedeckten Bergen hin, die eben deßwegen rattcnkahl erschienen. Nirgends war ein Baum, ein Anbau zu sehen; nnr einmal tra- — 1«u — son wir cm armes Dorf. Die Wagen schienen oft in den Abgrund fahren zil n'ollcn, aber die auf den Thieren selbst reitenden Betturini hatten ihre Pferde, drei in einer Reihe vor den Fuhrwerken gespannt, vollkommen in der Gewalt, nnd ergötzten fich und lins mit Zurufeu nnd Peitschenknallen! Ganz wie Fra Dia-dolo sahcn die nicisten jui^gen Banditen ans in ihrer kleidsamen Bergtracht, — farbige Jacken mit vielen blanken Knöpfen, rothe oder blaue Westen und besonders ein brcitkrämpigcr Hnt, nnd unter demselben meistens cm trcnherzigcs Gesicht. So jagten die Gesellen mit !^ärm und ^usl durch den Apennin ans nnd nieder, und bcrcitctcn uns, ohne daß sie cs merktci'. und >onßten, einen wahren Genuß. Oft, wenn wir mu eine Bergecke biegend uns umsahen nnd die nacheilenden Wagen hinter uns cben an solcher Ecke zum Vorschcm toinuicn sahen, so war das ein Anblick, zu dem »nr noch ein wirtlicher Fra Diavolo gehörte, um rine Brigantensccncric vollständig aufgeführt um sich zu haben. Vor cincr kleinen Station S. Spirito endigte die hübsche Morgentour. Dort beginnt die Bahn wieder und wir stiegen in die bcreitstehenden Waggons des Znges nach Neapel, ich besonders zu diesem Abstecher attachirt au den trefflichen Architetten Franzins aus Berlin nnd auf das Beste harmonirend mit ihm, s» das; ich mit großer Freude an ihn zurück denke. — 190 — Und min entwickelte die Fahrt in sonnigem Morgen strahl einen prächtigen Reiz. Die Bahn folgt den: vielfach gewundenen Thal eines kleinen Flusses, der sich in dcn Volturnus ergießt. Es ist ein ewiger Wechsel in der Scenerie. Buchten und Schluchten öffnen und schließen sich; weichausteigcude Berge wechseln mit den wildesten Klippen und nacktesten Gesteins-masscn, deren Auftreten in solchen Massen, dereu Nähe bei solcher lieblichen Fruchtbarkeit man gar nicht zusammenreimen taun. Und wirklich zum Bezauberu sind diese Thäler, diese weichen Abhänge unter den schroffen Felszertlüf-tungen; selbst uoch am Ende des November erkeunt man ihren Charakter, — Fruchtbarkeit mit Schönheit innig vermählt, — wie diese Kombination sich schon an jeder Ulmc zeigt, in die sich die Nebe mit inniger, epheuartiger Anschmiegung hoch hinauf rankt und dem Dichter dessen bekanntes vito« maritln-o ulmi» ganz von selbst zuruft. Oder vou Baum zu Baum gezogen hängen die Wcinstöcke frei schwankend in der 5wft, hängen herab aus den Baumkronen, legen sich wohl auch manchmal, wie uusere Brombeergesträuche, über kahle Steiublöcke hin, während der Boden unter ihnen von reinem Grün, spätem Oemüse, oder für das nächste Jahr aufgchendcu (äerealieu, — so scheiut es wcuigstens —, segenverknndend überzogen ist. An sonnigeren Abhängen treibt die Olive ihr stilles bc- — 191 — scheidenes Wesen, wahrend drüber hin dunkelhanptige Pinien malerisch sich abheben vom kahlen Boden, und m einer gewissen Einsamkeit stehend dem nordischen Fremden Heimathsklange herab wehen. — Klansen, Klöster, kleine Städte oder doch Ortschaften erscheinen bald links, bald rechts, bald auf steiler Höhe, bald am Thalabhang, nie aber im Grunde gelegen; denn der Fluß ist, das sieht man ans den ersten Blich trotz seiner augenblicklichen Kleinheit, ein sehr gefährlicher Nachbar, der bei jedem Gewitterregen ans seinen: langen, vielgewundenen Weg ans dem Apennin heraus ge-wisi rasend rasch aufschwillt nnd das Thal dnrchwü-thet. Das beweisen schon verschiedene Brücken, namentlich einige alte, deren mächtige, fast plumpe Bo-Hm hoch über den Bach sich hinwölben. Manchmal ist der Mittelbogen des starken, aus ganz schmalen Backsteinen aufgebauten Viadnctcs, der damit wohl feinen altrömischen Ursprung zeigt, eingestürzt; nnd da hat denn die Genügsamkeit unserer Zeit einen höchst dürftigen Zwischenban von Holz hincingeftfuschert, der den Eintagsfliegen einer kümmerlichen Gegenwart genügt, so lange er nicht unter ihnen zusammenbricht. Aber wie sollte ich nicht vor Allem des Anblickes von Benevcnto gedenken, dort drüben halb hoch gelegen und noch höher sich hinanstreckend an das Gebirge, das alte Bencventum der Römer, nachdem es vorher — 192 — Maleventum geheißen hatte, denn es war schwer hinein zn kommen, — schon vor 13 Jahrhunderten ein Herzogthum, welches ans Meer gehend Salerno nnd Capua mit beherrschte, — dann vielfach von Kirchen-versammlnngen eingenommen nnd von Kirchenfehden heimgesucht! Seine einstige Größe verkündet es noch heute herab von seiner hohen Warte. Trajans Trinmph-bogen ist sein Stadtthor, ein Schloß und neunzehn Klöster sein Ruhm, ein echtes Fulda oder Bamberg des Südens, wenn sich dieser Süden mit irgend etwas vergleichen ließe. Immer weiter, immer großartiger wird die Welt. Einmal thut man einen Blick in endloje Weite, aus deren dampfenden Gewölk der Vesuv herausragt, — einen Augenblick nur, und wieder schließt sich das Thal. Weiter nuten ist es von einem Meisterwerk der Baukunst überbrückt, dem Aquäduct von Maddalone welcher in drei Etagen übereinander die Höhe von 18l) Fuß erreicht, nnd das nahe Caserta mit Wasser versorgt, gewiß einer der großartigsten Bauten des vorigen Jahrhunderts. Die Wasserleitung von Caserta in Maddalone! Maddalone nnd Caserta! — Diese wonnige Pracht muß man sehen, nm sie ahnden, auffassen und begreifen zu tonnen! Um die Pracht förmlich neckisch werden zu lassen, macht die Eiseubahn hier einen Schncckengüng von Langsamkeit, von Biegung, von — 1l)3 — Tunnel, — man weiß wirtlich gar nicht was man sieht, wohin man sehen soll, — genug, daß man die beiden Städte im seltsamsten Wechsel übersieht am Ausgange dos Thales, und daß in dcr Ferne der Vesuv den poetischen Hintergrund bildet. Maddaloue und Caserta! Beide zusammengenommen ein Paradies, — jedes einzelne für sich ein Paradies, — Maddalone am Gebirge liegend, ein buntes Chaos von Stadthäusern und Landhäusern, Kirchen, Garten und weithin sich dehnender Landschaft, — Easerta mit seinem ungeheuren Schloß, welcbes in seiller Hanpt-front ^40 Fensler, mw in seinen Zeitenflügeln ^00 Fenster zahlt, ein ganzes Kastell, eine Art von Stadt ist es, so prachtvoll gelegen zwischen seinen endlosen Alleen in Mitten seines Partes, daß man unwillkühr-l!ch an Versailles erinnert wird. In diesem Palast, .wenn das ungeheure, in seiner etwas kahlen Einheitlichkeit vielleicht kalt erscheinende Gebäude (eine Art Mafra oder Eskurial) sich mit dem Nameu befriedigt, ist das bekannte Theater mit fünf Rängen, dessen Hintergrund sich öffnet, lind den vollen Blick in die Landschaft hinaus gewährt. Verläßt mau mit diesen herrlichen Abschiedspunkten ben Apennin, das Thal des Polwrnus oder feiner Znströmung, welches Thal bis über Venvecuto hinauf wirklich zu dem Entzückendsten gehört, was mall nur schauen kann anf Erden, so rollt man lang- — 194 — sain, sehr langsam, zum Verrücktwerden langsam durch das „Ackerland" auf Neapel los, — wir haben zu den vier Meilen ungefähr drei Stunden gebraucht, doch mag die sorgfältige Bodenkultur, der ewige hochrankende Weinbau, die dunklen jungen Pinien, Orangengärten nnd ^orbecrbosquets den Umuuth etwas mildern, daß man so spät ankommt in Neapel, d. h. gegen Sonnenuntergang, während wir spätestens nm Mittag hatten dort sein müssen. Doch man ist in Neapel, findet im ^11x3,-^0 di Iloma ein angenehmes Zimmer; das Meer rauscht; offen liegt die Vucht da; drüben lacht die Stadt Sorrent, 1a «oni-iant^ nnd man ist glückselig in dem Gedanken, einige Tage hier am Wasser mit den Lazza-roni umher faullenzen zu dürfen, bevor man an dle Arbeit und den Winter des Nordens zurückleyrt. Biesce impossibilo all' imaginazione de fig'U-rarsi qnanto sia bella Napoli da qualunque parte la si esamini. Es«a ad ima felicita di sitviazione unisce una dolcezza di clima, una förtilitä straor-dinaria ed una bellezza talo7 cbe il motto antico j,Vedi Najioli v. poi luori^non lo si trova si tanto esagerato. So beginnt in einer kleinen DL.-lc.i-i/iouo di Xa-pnli von P. E. Sacchi auf Seite 32 die d^w-i^mno dklia ^itta^ nnd ihr anpotto e. topo^rati:!. Unv wirklich Neapel, diese Stadt-des Gesindels, der Kanaille laßt — 195 — au Anmuth, Majestät und Naturpracht Alles hinter sich, was man an großen Städten, — und Neapel hat nngefahr eine halbe Million Einwohner — nur auf dem Erdenrund finden mag. Und ich möchte jedem Menschen wünschen, nnr einmal Neapel sehen zu, tonnen, selbst wenn er dasselbe erlebt, was ich in deu ersten Stunden meines Aufenthaltes daselbst erlebte, und nie wieder vergessen werde. Ganz Neapel schwamm in Jubel und Entzücken am Tage meiner Antnnft, am M. November. Dem König Victor Emanuel war ein Enkel, der präsum-tive Kronprinz, geboreu, und zwar in Neapel selbst geboren,.und dieses Geburtsfest sollte nnn ganz besonders begangen werden. Was seit dem Morgen schon Alles an Festlichkeiten begangen worden war, kaun ich nicht sagen, aber auf der Toledostraße sollte am Abend eine Monstre^llmmnation srin, zu welcher ich mir das Terrain vorher einmal ansehen wollte. Bekanntlich steigt Neapel amphithoatralisch von seinem schönen Golf empor av einem Hohenzug. Die Hauptstraße, die vom Ufer, oder zunächst vom Palast-Platz, I.zu'^o l^I I'wdi^iw nach oben emporsteigt und endlich den höchsten Punkt (^l><„izmm,w erreicht (nachdem sie vorher den Namen gewechselt hat) ist die Toledostraße. Sie ist unbedingt die Hauptstraße zwischen der oberen nnd nnteren Stadt. Vor allen Dingen mnß man aber nicht an die Hauptstraße irgend 13" — 196 — einer andern großen Stadt denken. Die Tolcdostraßc ist schmal, unschön, unerquicklich, nirgends auch nur im geringsten großartig. Indeß ist sie nun einmal die Hauptstraße, und als solche mußte sie am 30. November figurirm und dem Volksfest Rnmn geben. Allerdings waren die Zurüstungen dazu wunderhübsch. Fahucudrapiruugeu und alle uur erdenklichen Illumiuatiousapvaratc an den Seiten, über deu Köpfen der Menge Lampions in bunten Farben, manchmal in unbegreiflicher Weise in der Luft schwebend, versprachen einen feeeuhaft reizenden Abend. Auf den Halkons uud au den offenen Fenstern saßen und standen die neapolitanischen Damm, von dcy.cn eigens lich keine eine schöne Erscheinung war, wenn auch alle in Klciduug uud Haltung den besten Willen zeigten, recht schön zu sein, und einen wohlthuenden Eindruck auf die Borübergehenden zu macheu. Aber diese Vorübergehenden bemühten sich nicht, diesen wohlthueudeu Eindruck zu crwidcru. Zwar war das Publikum, das sich auf den Trottoirs bewegte, gemessen und leivlich anständig. Dagegen war die schmale Fahrbahn der Mitte vou einer Horde, einer Vande iuvadirt, für die ich keinen Ausdruck, keiue Worte fiudc. Iu Trupps von 20, 40, 60 Köpfen zogen blasse, schmutzige Burschen schreiend und drängend auf uud ab. Oft hatten sie sich Arm in Arm untergefaßt, und marschirten heulend gegen die Menschheit an, — 197 — dic ihnen anch scheu und höflich auswich. Was aber nicht auswich, wnrde über die Seite gedrängt ober znr Umkehr geyvungen. Noch viel toller und infamer trieben sie den Unfug, als es leicht an zu tröpfeln fing. Sowie ein anständiger Mensch seinen Regenschirm öffnete, umheulten sie ihn mit ihrem heiseren Geschrei: I'mlii-cli:», uinlnoiin! nnd der Arme mnßte nur Gott danken, wenn er ohne Mißhandlung schnell seinen Regenschirm verbergen und sich selbst in eine Nebengasse hinein verliehen dürfte. Der Skandal ward gegen die Dämmerung so arg, daß ich jeden Augenblick fürchtete, es möchte Mord und Todtschlag von diesem Gesindel ausgeübt werden, dessen Physionomie man wirklich Alles zutrauen konnte. Prächtig eostümirte Gonsdarmen standen zwar überall umher, überragt von nngeheuren Hüten. 'Aber kein Mensch kümmerte sich um Ordnung oder Unordnung, so lange kein Messerstich vorfiel. Alle Gemeinheit, alles Henlcn schien diesem Lnmpenpack erlaubt zu sein; es war eben das sonveränc Volt, das Volt des Plcbisscits, das Volt, das so einstimmig: It^Iin mm gcquäckt hatte, und desfen Ovationen mit Garibaldi und den Nothhemden Idolatrie getrieben hatten. Ich hatte wirtlich nicht an solche Art des Lazza-ronismus gedacht, als ich poetisch angehaucht vom Anblick des Vesnvs, von Ischia und Capri, von der ganzen Ncapelsituation, von dein Hotel Noma — 198 — nach der Toledostraße gegangen war, — hatte auch noch nicht den Muth aufgegeben beim Hinaufwandrvn der Strafte, oie mich, weil sie oben einsamer wurre, bis nach l^apodimonte hinausführte. Aber beim ^)lück-weg hatte sich die Springflnth dieses stinkenden Schlammvnlkans hoch ailfgestanct in der Strafte, und ich, oben angekommen, wnftte keinen anderen Weg zurück. So mußte ich denn, langsam und hart an der Häuserreihe mich hinbewegend, den ganzen Patrioten-schwärm an mir vorbei heulen lassen, dankte l^ott, daß ich endlich wieder ans den Plebisseitplatz ankam nnd das Ufer der heiligen Vueia erreichte, wo mein Hotel lag, nnd versöhnte mick, wenn anch nnr langsam, an der wohl besetzten Table d'hote wieder mit Neapel. Man tröstete mich damit, daß ich Neapel gerade im nngliicklichsten Moment, am Nachmittage eines Volksfestes, kennen gelernt hätte, denn das Volk wäre nnn einmal neapolitanisches Volt, nnd winde immer so bleiben. Meineiwe.qen! Aber nach solchem kennenlernen eines Volkes kaun ich doch nur sagen, daß ich in der alten nnd in der nenen Welt nichts auch nnr annäherungsweise von so gemeinem (befindet getroffen habe, wie in Neapel. Wie aber könnte ich genug reden nnd sagen von dem folgcuden Tage! — Am Morgen friih schon traf ich mit dem trefflichen Franzins zusammeu, der sich — 199 - im Hotel de Nussie einlogirt hatte, und nun eben auf dem O.uai der heiligen Lueia saß und zeichnete. Man braucht nur ans der Thür ;u treten in Neapel, um von dieser herrlichen Welt, von Laud und Meer entzückt zu werden. — Doch das Cutzücken kanu man in jeden: Handbuch, iu jedem Skizzenbuch lesen. Deu wunderbaren Golf von Neapel keunt ja jedes Schul-kind auswendig; und kaum möchte man in einer ml-tivirten Stadt noch einen Menschen finden, der nicht ein Bild vom Vesuv angesehen und lebhaftes Interesse dafnr gefühlt hatte, von der ,/Stummen von Portm" gar nicht zu reden und der berühmten Barearole: „Ihr Freunde, seht es strahlt der Morgen!" — Drum lasseu wir all diese herrliche Scenerie für deu Augenblick stehen und liegen, und betreten ciu Heiligthum, vou deui man gar nicht genug redeu kaun, und wirklich lauge nicht genug geredet hat, so daß es mich, wie kaum etwas ans meiner ganzen Neise, überraschte, fesselte uud mir fortan unvergeßlich bleibt. Und dieses Heiligthum ist das Uu^cc Xn/.imuilo oder 1'n!n.//mf»ri aus Herknlanum, — und besonders das wnnderbar schöne nnd ganz merkwürdig erhaltene Mosaikbild der Schlacht zwischen den Griechen und Persern (Alcxandcrschlacht) aus dem sogenannten Hanse des Fanns, (Pompeji Nr. 105) und als Prachtmosaikstück ebenfalls die sich beißenden Hähne. Aber mm die Statueu! Diese Fülle, diese ewige Schönheit, dieser Marmoradel! Was soll ich da zuerst nennen, was am meisten hervorheben, was als das Schönste preisen? Götter und Menschen ringen nm den Preis, römische Imperatoren nnd Männer dcr einfachsten Bürgertngenden, Venusstatuen und edle Matronen, Musenbildsäulcn und Amor mit Bacchus! Noch heute, wo die edelsten Formen jenes Museums iu großen, außerordentlich schönen Photographien vor mir liegen, treten sie alle wieder vor meine Allgen, diese imposanten Kunstrcihcn, diese reichen Gruppen, diese dicht gedrängten Ketten des Marmoredelgesteins, so dicht gedrängt, daß es bei der photographischen Aufnahme nicht einmal gelang, einen Gegenstand — 202 — allein in das Bild zu bringen; man mußte anch links und rechts davon etwas mitnehmen, eine Büste, eine Gowandfalte des Nachbarn. Und wenn man mm gar anf ein größeres Bild sieht, welches einen Längsein-blick in eine Halle gewährt, fo staunt man tief auf über die Fülle und Pracht, die man, — ich schäme mich dieses Bekenntnisses nicht — gar nicht vorher wußte, garnicht kannte in dieser wunderbaren Zusammenstellung und /Mle. Wahrhaft mächtig sind die Statnen römischer Imperatoren anfgefasit, so besonders eine sitzende der Körper fast gan; nackt, nnr hier und da leicht mit der Toga überwerfen, im Haar ein Lorbecrkran;, die Linke erhoben, — das ganze männliche kraftvolle Bild ein ächter Jupiter tonans; es siammt aus Her-kulanum.— Als ein wuchtiger Krieger steht Julius Cäsar da im reich verzierten Waffenrock, die Toga lose hinten hinunterhängend; der kleine Kopf auf dem breiten Thorax giebt ihm ein kolossales Ansehen. — Noch reicher gewappnet ist Lucius Vcrus, der Panzer mit schön gewölbter Arbeit besetzt und unten in fein ausgearbeiteten Schuppen 'auslaufend; doch verräth der sauber frisirte Kopf und Bart und die ganz niedrige Stirn nebst einem gemachten Majestätsaus-drnck in Miene imd Haltung den mittelmäßigen Stutzer. — Außerordentlich ähnlich mit diesem ist das — 203 — Standbild eines Marcus Olcouius, in Poinpeji gefunden, ganz derselbe Pcmzerschmuck, ganz dieselbe Haltung, ganz dieselbe Behandlung der wegfallenden Toga; aber der Kopf des Olconius ist ein tüchtiger Characterkovf voll von Nuhe, Ernst uuv Nilleuskraft und soiuit gewiß ein höchst gelungenes Portrait. Unter den äußerst zahlreichen Büsteu von berühmten Männern hebe ich besonders das edle Haupt des An ton ins Pins hervor, eine ausgezeichnete Arbeit voll von Kraft und Sicherheit. So ist auch eine Ärntnsbüste voll von Energie aber auch voll vou tiefein Ernst, welcher sich iu der behelmten Büste eiues Hannibal zu ciuem wehmüthigen Schmerz steigert. Die häßlichste Liebenswürdigkeit aber liegt in einer Sokratcsbüste, oder Sotrateshcrme, mit griechischer Inschrift, offenbar dem Beginn der Apologie des Sokratcs, welche Büste von der lebendigsten Wahrheit ist. Dieser ehrlichste aller Philosophen führt mich zn eiuer Statue, die den ehrlichsten aller Menschen, nnd was noch mehr sagen will, die den ehrlichsten aller Staatsmänner darstellt, zu der Statue des Aristidcs. Eine so edle Ehrlichkeit, so bescheidene Nnhe, so nachsichtige nnd vergebende Freundlichkeit ist wohl nie in Marmor ausgedrückt worden wie hier, wie in diesem togauuchnllten Athener. Mich zog das edle Standbild wegen seiner ofsenen Wahrheit ganz wuuderbar — 204 — an. Und zu meiner Freude erfuhr ich später, daß Canova diese Statue ganz besonders hoch schätzte, und sogar drei Punkte ans dem Fußboden des Standortes angemerkt haben soll, von wo aus gesehen sie ihren hohen Werth ganz besonders hervortreten liesse. Es war mir das wieder einmal ein Beweis, wie das Edle, das den Meister entzückt, auch den unkundigsten Laien fesselt nnd zur Bewunderung hinreißt. Fast möchte ich auch von einem weiblichen Aristides im Neapclmnseum reden. Es findet sich nämlich aus Herkulamm stammend eine ganze Familie in vier vollendeten Standbildern im p^n.//o äo^Ii ^tuäi vor, Ball) us Vater und Sohn in zwei trefflichen Neiter-statuen, eine Tochter nnd die alte Mntter Vici-ria. Alle vier verrathen ein gewisses reiches Ansehen, und so mag Balbus wirtlich der reiche Konsul aus Gades sein, der erste Ausländer, der je in Nom Consul geworden ist. -- Die Vieiria ist eine herrliche kräftige Gewandstatue in einfacher grader Stellung. Ein langes Untergcwand hüllt von oben bis nnten den Körper ein ohne den Ansdruck von Gesundheit und fast Derbheit zu verstecken. Ueber dem Kopf ist ein langer Marmorschleier fast madonnenartig geschlagen und von den Armen um Schultern nnd Oberkörper gewickelt und dann noch bis unter das Knie herabhängend. Nnr die Fußzehen, die herabhängende linke Hand und die das Gewand auf der Brust zu- — 205 — sammcnfassendc Ncchte nebst dein Antlitz sind unbedeckt. Das Antlitz blickt mit einem entschieden frommen Dantesansdrnck nach oben zu den Göttern, von denen die alte Dame, derm sauber geordnetes Haar selbst im Marmor silbergran zu seiu scheint, so unendlich viel Gutes empfangen hat. Man könnte die edle Statue als cine S. Anna auf jeden christlichen Altar stellen. Das Letztere kann man aber von einer Fülle von Vmloro« <üi^»iäiuo^tt, Fata Morgana. II. 14 — 210 — treiben, scheint eben bittend und leicht zürnend von den schönen Lippen geflossen zn sein. Unter den Broncestatuen hat sich der betrunkene Faun, oder vielmehr der tanzende Faun ans Pompeji nnd aus demselben Hause, in welchem die prachtvolle Aleranderschlacht in Mosaik sich fand, den grös^ ten Namen erworben. Und doch sind in dem Vronce-saale zwei nach meiner Ansicht unendlich größere Meisterwerke. Das eine ist der „rnhcnde Merkur" der leicht nnd lose auf einer Fclsenspitze sitzt, nnd sinnend hinansschaut mit seinem Schelmengesicht, etwa als ob er nach dem Argns lauschte und seinem Entschlummern, um ihm den Kopf abznschlagen, oder als ob er nachsänne über einen delicaten Anftrag, den Inpiter ihm gegeben. — Das Andre ist der „ssio^a-tl»vo äci dikno") ein schlanker Knabe, der eben seinen Discus geworfen hat, nnd voriibcrgebcugt und mit haschender Hand nachschaut, wohin sein Spielzeug gefallen ist. Schlankheit der Formen, natürliche Stellung des Körpers, die eben in Vorwärtsschreiten übergehen soll, nnd reizende Unbefangenheit, des Gesichtes mit dem leicht gewellten Haar auf dem Hanpt machen diesen Discuswerfer zn einem vollendeten Meisterwerk. Der kleine Mann ist so aus dem Leben gegriffen, daß man über ihn lachen musi, und ihn gar nicht genug anschauen kann. Aber genug von diesem Museum und seinen __ 211 __ Schätzen! Wir müssen nun auch einmal einen Ueberblick von Neapel selbst gewinnen. Wo das herrliche Neapel sich nach Südwesten längs seiner Bucht hinzieht und eben unter der dichter gegen das Meer sich hindrängenden Höhe verschwinden will, streckt sich das eigentliche ^vc^wuä der Stadt hin, die sogenannte Mlv^ der Quai, der Kajen, eine breito Esplanade, die einerseits von palastartigen Hänsern eingefaßt ist, andererseits von einem prachtvollen langen, wenn auch nnr schmalen (Zarten, dem öffentlichen Spaziergaug, flanfirt wird, viN^ Ilo^lo genannt, gegen dessen Außenseite dann die See anbrandet. Das Ganze bildet einen Korso zum Spazierenfahren, eine Promenade zum lustwandeln, wie sie in der Welt teine zweite Residenz zu bieten hat, wobei noch das Eigenthümliche zu bemerken ist, daß die weiter fortlanfende Straße ihren Weg dnrch den Pansilippo hindnrchnimmt. (5he diese Chiaja in die berühmte Pausilipftogrottc einmündet, zweigt sich eine langsam anfsteigendc nnd sich längs der Höhe unter dem weltbekannten Fort Sauet Elmo hindurcbziehcnde Straße, der (^"'5<» Vitwvm I^imunoic! nach Norvosleu ab, von welcher abwärts blickend, — denn sie hat nur einzeln stehende Häusergruppen, und bietet überall die freisten Aussichten und Durchblicke — man Neapel reckt eigentlich unter sich entstehen und anwachsen sieht. Gci jeder 14* — 212 — Ecke, auf jeder Windung dieses Corso gestaltet sich die Stadt uutcn schöner und schöner, bis man zuletzt die hoch gegen (^»oäimontO anschwellende Häuserflnth und das Meer uud den Himmel vollständig mit dem Auge durchschweifen kann. So gelangt man allmälig auf die Hohe, und zwischen wunderbar schönen Villen und Gärten hindurch zuletzt nach dem alten massigen Fort von Sauet Elmo selbst, welchen wir in seinem soldatischen Theil unberührt lassen. Dagegen treten wir in das Kloster Sauct Martino ein und durchwandern seiuc stilieu Korridore, uameutlich den Gang um seinen Mittelhos, einen ächten Klostertirchhof, wo friedlicher Todesschlnmmer mit prunkendem Marmor seltsam abwechselt. Ganz am Ende öffnet der Führer eine Thür, uno man steht auf einem Balkon einige hundert Fuß faft lothrccht über der Stadt, dein hervorspringendsten Punkte von gauz Neapel. Nein, es ist wahr! Il motto antwo „Voäi Ui^xili Dieses: Siehe ^ieapel nud danil stirb! hat nichts Uebertriebencs in sich, selbst nicht einmal, wenn man im Anfang des December Neapel sieht. Da liegt tief uuter uns Neapel, die in ihren Schöuheitölinien unergründliche, uuerschöpflichc Parthe-nope, die Staot, von der die Einbildungstraft so gern träumt, und die doch in ihrer Wirklichkeit jegliches Fautasiegediloe hinter sich läßt! Da steigt das Häuser- - 2l3 — chaos nut seinem bis hier heranf noch hörbaren Men-schengctümmel unmittelbar zum Meer nieder; da drängt sich das Meer so schönbusig gegen das Gestade heran; da hebt sich der Vesuv sy herrlich jen Himmel; da senkt sich der Himmel so segentriefend hernieder znr (5rde, auf lvelchcr, wie weil auch Belanbung mangeln niochte, dennoch all die Pinien, die Myrrhen, die Lorbeeren, die Orangen grünten, dunkelgrün wucherten, und im dichten Laube der letzteren die Goldäpfel überall erglänzten. — Sogar Schmetterlinge umflatterten uns alif der Hohe. — Und wo die reizend ansteigende Ufcrbildung sich zwischen dem Vulkan nnd dem Meer durchzieht nach Südost, nach Süd nnd nach Südwest, da hebt sich höher nnd höher der Voden; über den lieblichsten Städten ragt die blaue Masse der Landzunge hervor, auf deren Nordwestrand Castellamare und Sorrent liegen, bis denn endlich das steile Capri nnr wenig getrennt vom Fcstlandc, die herrliche Scenerie nach Süden abschließt. Nach dein Nordwcstrand der Bncht 'werden wir gleich nachher einen Blick thun tonnen. Was der mächtigen Scenerie ihren Hanptreiz verleiht, ist der wundervolle Gcgcusatz zwischen Leben nnd Tod, zwischen Alibau und Vernichtung. Grade nach der Richtung, in welcher Hermlanum, Pompeji nnd Stabiä liegen, die vom Ansbrnch des Vesnvs so gränlich vernichteten Städte, gerade da, wo der gegen — 214 — den Vulkan sanft anschwellende Boden fortwährend in Gefahr ^l sein scheint, noch einmal überschüttet zu werdcn, grade da hat sich ein Knltnrteppich, eine Lebensfülle, ein ganzes Äieer von Anmuth verbreitet, wie man es nirgends wieder findet. Da Portiei mit Nesina vor dem vernichteten Herculanum! — Da das immer bedrohte Torre del (^)reeo! Da Torre dell'Annnnziata mit dem untergegangenen Pompeji! Da die reizende Guirlande von Castellamare bis Sor-rent! Und das sind keine Dörfer, das ist keine armselige Romantik von Fischerhütten undÄauerhanschen! Portiei, eine gnteMeile von Neapel hat 11,000 Einwohner, Resina 12,000; Torre del Greco, eine gute Biertelmcile weiter, hat deren über 9000. Dann k^mul ^/l Meiwl weiter Torre dcll'Annun;iata mit 16,000 Bewohnern und Castellamare, ans den Trümmern von Stabiä, mit 20,000 Köpfen. Auf geraden: Wasserwege mag es bis nach Sorrent 4 Meilen sein. — Ho wohnen denn an diesem Theil der Bucht allein in den Städten 75,000 Menschen, von welchen Städten nnr Sorrent aus dem Eruptionsbereich des Vesuvs herausliegt, in welchem 79 Jahre v. Chr. die drei Städte untergingen. Doch das genirt die leichtsinnigen Fliegen vou Neapel nicht. Nundhernm mn den Vesuv ist die gauze gclind ansteigende Gegeud durch Vilteu und Vignen zu einem Paradies nmgeschaffen. Und von — 215 — einer Höhe gesehen, wie vom Kloster Sau Martino sieht das Land aus wie ein schwellender buut durchwirkter persischer Teppich. Zwischen Mcerestoben uud Vnlt'anscrnptionm, zwischen Lavablöcken nnd Weingärten, neben dem Schutt untergegangener Städte nnd auf den Feldern über diesen Städten, nnd selbst noch im gelinden Hagel von Asche nnd Bimslein jnbelt nnd jauchzt das Leben von Menschen nnd Thieren überall hin, gedeiht selbst noch am Abhang des Vesuvs die edelste Nebe Neapels! Fährt man dann jenseits des Forts von S. Elmo hinab znr Ebene und zu den: Oolf von Bajä, wo Pozzuoll liegt, so hat man auch auf dieser Seite eine herrliche Landschaft, über welcher sich vor allem das Kloster von Camaldoli anf kühner Höhe erhebt und einen schönen Anblick gewährt. Bevor man hier den Meeresstrand erreicht, kommt man an einen Tunnel im Bergrücken, dessen bedeutende Länge man mit einem Führer und mit Lichtern durch-wandelt. Er mündet hoch über einer ganz einsamen von schroffen Wänden eingefaßten Bucht, au welcher ein Borsprnng die Klippe Virgils heißt. Hier lag einst eine römische Villa, ich glaube vom Sejan. — Die Stelle athmet eine wilde, furchtbar einsame Nomantik, und ist doch wunderbar schön. Kehrt man von dort zurück, so blickt man nieder anf die ganz — 216 — kleine Insel Nisida, die mit stattlichen Bauten, nnter diesen anch ein Quarantainclazareth, ganz bedeckt ist. Wunderbar diaphan erscheint von oben gesehen das Meer, wie denn hier von jeher berühmte Badeplatzc waren. Prächtig wird dieser Golf von Bajä im Westen vom Kap Misenmn eingefaßt. Hinter diesem erhebt sick das vom Meer umfluthete Procida, nnd endlich die herrliche Insel Ischia, in ihrem Monte Evomeo 2500 Fuß hoch anschwellend, einem rnhcndcn Vulkan, wie denn anch dieser Theil der Neapelbncht, Bajä und die Gegend von Pozzuoli, durchaus vulkanisch ist. — Am Außenstrand aber, wo das Meer donnernd Brandung über Brandung an die Küste hinauf schleudert, lag das alte Cumä, wo Aeneas, nachdem ihm sein Palinnrns vom Deck gespült war, mit Thränen in den Augen landete. Wer gedenkt nicht der lebhaften Worte des Birgil: „Nudus et in sicca, Psilinurc, jacebis arena!" Sic fatur lacryraan», classique immittit habenas, Et tandem Euboicis Cumarum adlabitur oris!" wcnn er so von der Höhe Herab auf die Gegend schaut, wohin der pw8 ^6no».8 law pioluFU8 gelangte und der Swnnnvater eines Heldenvolkes ward. Leider konnten wir Pozznoli selbst nicht besnchcn. Der Weg wendet plötzlich ab vom Meer nnd geht durch eine fruchtbare Ebene grade gegen den Fnß des HöHmzuges des Pansilivvo. Ehe man sich daranf — 217 — gefaßt macht, fährt man in die scbmale, lange Tunnel straße ein, die fortwährend beleuchtet werden nniß. Diese Fahrstraße ist etwa W Fuß breit nnd gcgeu 50 Fuß hoch; die Länge mag 2—.'iOl)tt Fuß betragen. Die Richtung ist schnnrgeradc, so daß im Februar und Oktober die sinkende Sonne gerade hindurch scheint. Die Straße ist eine sehr lebhafte Verkehrs--sträße, da sie, wie schon angedeutet, die halbe Million Menschen von Neapel mit Pozzuoli sU?,000 (5.) m Berbindnng bringt.' Hat man sie zurückgelegt, so trifft man noch an der Wand die Grabstätte Virgils und befindet sich plötzlich wieder in Neapel, am Ende der Chiaja, wo der Corso Vittorio Emanuelo unter dem Fort von S. Elmo sich cmporwindct. — Wir hatten eine herrliche vom schönsten Wetter begünstigte Fahrt gemacht. Am folgenden Morgen sollte uns eine Excursron in entgegengesetzter Richtung nach Pompeji bringen. Aber schon am Abend fing es au zu wehen, und in der reizenden Villa Reale war es, als ich dort noch etwas umhcrwandelte, ziemlich kalt, so daß selbst das vornehme Neapolitaner Publikum, welches iu den elegantesten Eqnipagen auf der Chiaja umherfnhr, recht frostig nnd prosaisch aussah, und uamcntlich die Damenwelt trinen jener Reize entwickelte, womit sie sonst auf dieser berühmten Eorsofahrt glänzen soll. — 216 — Immer heftiger ward der Südwestwind. Schon in der Nacht hörte ich, da unser Noma-Hotel dicht am Wasser lag, das Donnern der Wogen, nnd viel Geschrei anf der Gasse. Und wirtlich hatte sich, als der Morgen kam, ein Schanspiel entwickelt, das den Neapolitanern selbst unerhört zu sein schien. Ein wilder Stnrm geißelte Land nud Meer. Am Himmel wurden dicke Wolkenmassen ans der See über die Stadt weg nach Nordosten gepeitscht. Das nach Südwest gan; offen daliegende Meer rollte mächtige Wogen donnernd an das Ufer; die Wellen schlugen bis in die Straße, in welche man schon am frühen Morgen die Boote hincingeschleppt hatte. Verschiedene Bojen waren von ihren Ankerplätzen losgerissen nnd auf den Quai geworfen worden; eine Brigg schien ihrem Beispiel folgen zu wollen, nnd cine grosie Fraction der edeln Neapolitaner Einwohnerschaft wartete mit freudiger Spannung auf das Schauspiel, ein Fahrzeug auf dem Pflaster der Stadt Schiffbruch leideu zu sehen. Unter hartem Unwetter erreichten wir den Bahnhof. Dicht vor demselben ist der große Marktplatz, anf welchem die „ Kavetingische Unthat" im Jahre 12l'»tt dm Eonradin von .hohenstanfen mit dessen Freund Friedrich hinrichten ließ, nnd wo Masanicllo 1647 seinen Aufruhr anzettelte. Alle drei, die hingerichteten Prinzen und der Dictator von Portiei, lie- — 219 — gen in der hart am Markt sich befindenden Karmc-litcrkirche begraben. Mitten in einem Banditenwetter führen wir ab. Die Bahn folgt dem Seeufer ganz unmittelbar, sodaß die Wellen oft an dcn Danun und die Waggons hinanspritzcn. Die Brandungen waren wirklich mächtig und donnerten Stoß auf Stoß. ^n Portiei hatte, man die Fischerfahrzcngc in Menge auf das Land geflüchtet; was uoch auf dem Wasser lag, flog wie ein Fcderball auf nnd ab, nnd selbst in deui kleinen, recht künstlich angelegten Hafen schlugen die Boote vielfach an einander. Aber an der Bucht von Neapel ist es immer schön, selbst wenn sie granfarbig und fchmutzig aufkocht, wie, ein Hö'llcnpfnhl. Nnd so sah es denn wundervoll aus, wie die Schaummassen wüthend gegen all' die Tuff-stcinmassen, Basalttlötzc nnd Vavablöckc, die sich hier dem Meer in chaotischer Unordnung entgegengedämmt habcn, empor leckten und züngelten. So in der romantischsten Fahrt dahin brausend zwischen dem tobenden Meer und dem schweigenden Vulkan, der besonders zwischen Portici und Torre del Greco einen tiefernsten Anblick gewährt, wenn er auch nicht speit, sondern nur mit den tief hängenden Wolken sein Spiel treibt, erreichten wir das Stationshaus von Pompeji, denn wirtlich liegt Pompeji als ein beliebter Vergnü-gungoort an der Eisenbahn. — 22U — Hier wandert man durch einen Garten und betritt ein 'Wachthaus, wo uian sich ein Eintrittsbillet löst für Pompeji und damit zugleich einen militärischen Begleiter bekommt. Das ist eine ungcmein zweckmäßige Einrichtung. Man erhält damit für eine höchst billige Abgabe einen kundigen Führer nnd ist aller weiteren Zudringlichkeiten überhoben. Natürlich ist auch die Absicht bei dieser Einrichtung, daß nicht, wie das hundert mal schon geschehen ist, Fremde sich an Pompeji, vergreifen nnd plündern, was ihnen grade gefallen könnte. So betritt man eine Art von Nasenumwallung und befindet sich so unmittelbar vor Pompeji, in Pompeji, daß man wirklich ganz erstarrt dasteht. — Zunächst glaubt man vor einer weit ausgedehnten Brandstätte zu stehen, in der man freilich keine Feuer-spuren, namentlich keine angebrannten Balken mehr sieht. Am allerwenigsten empfängt man den Eindruck, daß das eine verschüttete Stadt gewesen sei. — Besonders muß man die Borstellung, die ich immer selbst bis dahin gehabt habe, daß man in eine Art von ha^b-unterirdischer Welt hinabsteigen müsse, nm in Pompeji zu sein, ganz aufgeben. Pompeji liegt in ganz offenem Felde da, und wird eben so hell vom Tage beschienen, wie jede andere Landstadt. In seinen engen Straßen, in seinen eingefallenen Häusern nnd deren aufgeräumten Gemächern ist es eben so sonnig, wie in jedem Dorf; man begreift wirklich nicht, !>.ie d;e gauze Stadt jemals vollständig verschwunden sein könne, nnd kann nnr dann dieses seltsame Verschwinden für möglich halten, wenn man sich vorstellt, daß die Gebäude wohl alle nur sehr niedrig gewesen sind. — Selbst die Tempelbauten müssen nicht hoch gewesen sein; sie machten mir dazu noch den Eindruck, als ob etwa Zerstörung und Einsturz vielmehr uoch von dem Erdbeben herstammte, das scchszehn Jahre vor der Verschüttnng die Stadt großen Theils vernichtet hatte, als von dem ungeheuren Auswurf des nahen Bulkaucs. Nuu, dem sei, wie ihm wolle, das taghell uud offen daliegende Pompeji macht eiuen eigenthümlichen Miniatureindruck. Nichts ist wät, nichts ist breit, nichts ist hoch, nichts ist eigentlich großartig, wenn wir nicht ttwa das große Theater, dic Basilica u. s. w. ansuehmen. Die Straßeu sind schnurgerade, aber unendlich eng; in der Mitte ist eine Fahrbahn, auf beiden Seiten ein wirkliches Trottoir, aber Alles etwas sehr sparsam dem Raum nach. Anf dem Fliesen-Pflastn- erknnt man noch die Wagengeleise. Wenn man so, — mW ich folge da imuu'r meiner Impression — vou allem Eindruck von Großartigkeit absirahircu, muß beim Durchwandern von Pompeji, so wird man hoch erquickt uud begeistert vou dem Neiz uud der Anmuth, die sich in diesen — 222 — kleineu Hällscrn, in diesen beschränkten (Gemächern, in diesen unbedeutenden Zwischenhöfen, in diesen Gärt-chen von wenigen Schritten ^änge überall anfthut. Da ist fast jede Wand hübsch einfach übermalt und die Uebermalnng mit einem sauberen Rand umgeben. AlleAugenblicke entdeckt man eine hübsche Verzierung, eine gemalte Nanke, eine kleine Figur, eine naive Humoreske, einen Schmetterling, eine Blume; — Mosaikeinlegungen erscheinen als Hauptpassion, und Mosaikarbeiten, die man ans Pompeji in verschiedene Museen gebracht hat', z. V. die schon besprochene Alexanderschlacht, sind znm Theil die großartigsten Kunstwerke. Man zeigte uns eine noch nicht gar lange aufgefundene Vrunnennische, die wirklich wun^ dervoll gemacht ist, und zu den bedeutendsten alten Mosaiken gehört. — Von den wundervollen graziösen ^reseomalereien Pompejis, die man geschickt hat ablösen und in das Museum von Neapel hat bringen können, brauche ich hier gar nichts zu sagen, sie sind zu berühmt, zu oft abgebildet^ als das nicht Jeder, der sich überhaupt einmal um Pompeji bekümmert hat, sic kennen sollte, — diese reizenden mnsicirenden Tänzerinnen, die an Anmuth Alles übertreffen. — Und was dabei das Merkwürdigste ist, man blickt zwischen all diesem Neiz, dieser Anmuth mitten hinein in das römische ?eben einer Landstadt in ihrer vollsten Naivität, in ihrem einfachsten bürgerlichen Gewände. Wir erblicken die — 223 — ganze Scenerie zu jedem Lustspiel von Plantns nnd Terenz, wir schon die Barbicrstube und die Weinkneipe nud noch ungenirtere Vocale für die jungen römischen Bummler, so recht das: Zlviax tt^Li'n«, ot, vo8 oon-tulxü'iiioiK^ des Dichters. Aber wir sehen auch die edlen Näume und Gartchen mit Vlarmorstatuen der vornehmen Gesellschaft, der Staatsmänner, der Gelehrten, der reichen Kaufleute. Man blicke z. V. nur hinein in das Hans, in den Hofranm des Lucretius mit dcu hübschen Hermen, den kleinen Bildsäulen, mit der Mittelnischc zum Brunnen, mit all den kleinen reizenden Niedlichkeiten, — oder man mache nur einen Besuch beim Herrn Proculus; da zeigt er uus gewiß sein Wandgemälde: Achill mit den Töchtern des Lykomedes, vom Ulysses überrascht, — sein Urtheil des Paris, ^ Ariadne nnd Bacchus. Wie glänzend mlch es nicht beim Pansa ausgesehen haben! Wie reizend ist nicht das Peristyl im Hanse der O.nastorcn! Es war ja Alles eine Pracht, eine Kunst neben der andern, — Architectur, Sculptnr, Malerei! Und nun diese prächtige Basilica, dieser Vcuus-tempel, das Forum, der Isistempel! Diese unzähligen cannellirten Saulcnschafte, diese Pfeiler und Nischen! — Ueberall, allüberall in den eingestürzten Hallen der Götter, in den verödeten Wohnungen der Menschen, überall hat die Schönheit, in welcher Form — 224 — Mtd Farbe auch nur immer, ihre Spureil, ihre vollendeten Werte zurückgelassen! Und wohl inußte ich mir inmitten dieses Kirchhofes zurufen: Was für ein,Volt war doch das, daß es überall nur das Schölle um sich dlildcte! Und doch liegt etwas Furchtbares über diesem Harabat-el-Madfonnch Süditalicns. Nirgends lag solche Geistergcwalt anf mir, wie im großen Theater von Pompeji, dcm Amphitheater, welches, ganz östlich vlin Stadtende, noch eigentlich keinen Straßenzusam-menhang mit dem bisher ausgegrabenen Stadttheil hat, denn nur die westliche, besonders südwestliche kleinere Hälfte ist bis jetzt ansgegraben. Dieses elliptische Amphitheater, alls dem wirtlich eben erst die Zuschauer fortgegangen zu sein scheinen, tonnte .gegen ^OMO Menschen fassen. Zwei schräg absteigende Zugänge führten hinein in den Naum; an sieben und neunzig Stellen konnte man eintreten in die Zuschauerränge. Drei Gänge führten in die Arena, einer für die Gladiatoren, einer für die wilden Thiere, deren «m'^ws noch vollständig stehen, — emer zum Fortschaffen der Todten. Die Frauen hatten oben ihre Nängc, hinter denen sich eine Reihe von gesonderten ^ogen befinden. Die zwanzig tausend Menschen aber, diellicht da sinv, um den Kampf von Menschen gegen Menschen zu sehen, und nm zu applaudiren, wenn die Bestien Sclaven oder Bcr- — 225 — brecher zerrissen, — oben die macheil einen unheimlichen Eindruck. Hinter dein Amphitheater ragt der Vesuv, der furchtbar schweigende, heraus, — ich dachte au die I:^t än,^8 >><^i und die Sceue in diesem Circus, wahrend welcher Pompeji's Untergang beginnt. Diametral diesen: großen Theater entgegengesetzt, im Nordwesten der Stadt ist eine Todtenvorstadt, in der sich ein Grabmonumcnt an das andere anreiht. Das dahin sührende Thor ist das Hertulanische. Hier ist auch links am Wege der Platz, wo die Todten verbraunt wurden, Gau; am Äwe dieser Todteustadt liegt noch eins der größten Häuser Pompejis, das des Arrius Diomedes, wahrscheinlich eines großen Weinhändlers; ein großer Keller zieht sich schräg unter das Haus hinunter, dessen Gewölbe noch fest ist, doch stand Wasser in demselben, so daß wir es nicht ganz durchwandern tonnten. Nach dieser westlichen Stadtscite hinwärts liegen auch die warmen Bäder, in denen ein prachtvolles Tepidarium mit all seiner reichen Ausschmückung noch ganz wohl erhalten ist, und einen ganz gemüthlichen Salon abgeben müßte. — Doch genug von Pompeji! Nicht einmal halb ist die Stadt wieder ausgegraben. Welche uugeheure Ausbeute wird uoch uuter dem Ackerlande der andern Hälfte zu finden sein! Der Senator Fiorelli, der die Av6.^cillemant, Fata Morgaini. II. 15 — 236 — Ausgrabungen in Pompeji seit 25 Jahren leitet, hat m einem Bericht über seine Thätigkeit von 1846 bis 1866 das ungeheure Resultat melden können, daß er in dieser Zeit seiner Thätgkeit 25,874 verschiedene Gegenstände aufgefunden habe, allein an Münzen 9831 Stücke. So wie man nur gräbt, so wird auch gefunden. Nnd so sahen wir denn auch in einem Verschluß eine erst kürzlich ausgegrabene kleine Penus aus schneeweißem Marmor stehen, ein anmuthig abgerundetes halb kindliches Madchen, nnd dabei so merkwürdig conservirt, daß man glauben möchte, die Statue hätte eben die Werkstatt des Bildhauers verlassen. Beim Zurückkehren aus der Stadt vor 1800 Jahren besahen wir uns noch eine prächtige Sammlung von Kunstsachen und Nachahmungen pompeja-nischer Funde, Gemmen, kleine Mosaitarbeiten, geschliffene Lavagegenstände u. s. w., die dort den Besuchern zum Verkauf angeboten werden. Man muß offen gestehen, daß diese Sachen für die Feinheit der Arbeit und für die Klassicität des Verkaufsortes Pompeji ungemein billig erschienen. Im Hotel „Diomedcs", nicht in dem am nordwestlichen Ende von Pompeji, sondern in einem am Stationsgebäude liegenden Restaurant erfrischten wir uns, und kehrten nach Neapel zurück, denn bei dem stürmischen Wetter mit obligaten Regenschauern und — 227 ^ selbst der Kürze der Tage war an ein Hinaufreiten auf den Vesuv, wie wir es von Pompeji aus vorhatten, um über Torre del Greco zurück zu kehren, absolut nicht zu denken, abgesehen von einer gewissen Gefahr von Seiten des Gesindels ans dem Lande, welches in winterlichen Zeiten und einsamen Gegenden sein Räuberhandwert bis in die Nahe von Neapel treiben soll. Em nngehenrer Regen machte es uns fast unmöglich, vom Bahnhof nach dem Hotel zu gelangen. Unbarmherzig gemißhandelt von aller nur denkbaren Ungunst der Witterung kamen wir nach Hause, lind restaurirten uns gründlich im Hotel Roma. Und da gönnte mir denn ein freundliches Schicksal eine einsame, gemüthliche Abendstunde in meinem Zimmer, um noch einmal Neapel an meiner Seele vorbei wandern zu lassen. Ich that es vor einer Reihe von schönen Photographien, die ich mir aus der deutschen Buchhandlung von Detten und Rocholl am Plebiscitplatz noch schnell im Halbdunkel geholt hatte. — Mit diesen Bildern 50g mir noch einmal bic edle Kunstsammlung in ihren Hanptgestaltungen, die ganze legend um die Bucht, Pompejis zertrümmerte Säulen an der 3eelc vorbei. Nur Athemzüge darf ich mmien kurzen Besuch von Neapel nennen, wonige kurze Athemzüge gar nur im Spätherbst, im hereinbrechenden Winter. Aber 15" — 22« — dort im Süden ist kein eigentlicher Winter mehr. Die edelsten Bäume verlieren dort ihr Laub nicht einmal, nnd die Orange hört nicht auf zu blühen und Früchte zu tragen. Der nächste Tag, an dem wir nach Nom reisen wollten, gönnte uns noch einige Lichtblicke abwechselnd mit rauheren Windstößen. Das Polk am User beschäftigte sich damit, seine Boote wieder slott zu machen, und die Schreierei des schachernden Tages trieb sich wieder umher auf dein Quai uud dem Markt. — „Warum schreit das Volt fo, und rennt?" das fiel mir urplötzlich ein. Und wahrhaftig, nirgends trifft die vom Dichter selbst hinzugefügte Antwort so den rechten ssleck, wie in Neapel. Ein ungehenres Proletariat scheint mir die ganze Volkswirthschaft ;u sein, nnd ich möchte eigentlich den Volkstern jedes Landes, den Mittelstand anch von Neapel kennen lernen. Diese Vazzaroni sind es gewisi nicht. Unter einem prasselnden Hagelschauer fuhren wir dann zum Bahnhof hinaus und befanden uns bald anf dem Wege nach Rom. Zuerst ging es wieder nach Caserta, welches wir diesmal von der Rückseite zn sehen bekamen; dann erreichten wir Cavna, an dem gar nichts zu scheu war. Doch soll die Kathedrale sehr schön sein, und sonstige bedeutende Baulichkeiten sich vorfinden. — — 229 — Das alte Capua Hambals ist es übrigens nicht mehr; das llegt eine ziemliche Entfernung vom heutigen Eapua und soll noch eine bedeutende Nuine bilden. Ob das jetzige Capna mit etwa 10,000 E. noch irgend einen Reiz anf einen fremden Barbaren ausüben kann, weiß ich nicht. Es liegt ziemlich insidide in der Fläche, und hat eine fatale Berühmtheit wegen seines ungesunden Klimas und seines schlechten Trinkwassers. — Bald aber wird die Gegend längs der Bahn bewegter und wirtlich reibend. Drei Meilen schon von Capua liegt halb am Gebirge, das jetzt zn beiden Seiten des Schienenwegs sich in den amuuthigsteu Contouren hinzieht, Teano mit bübschen Kirchen, ja fast nnr aus Kirchen bestehend, ein Nest voll katholischer Romantik, welches mich wieder an unser Fnlda erinnern könnte, wenn cs nicht so reizend anf und ab umher hinge im Gebirge, nnd ein noch viel größeres Doles tar uwnt^ ein ächtes Italienisches, an sich trüge, als das hessische zu zeigen im Staude sein würde. Einige geistliche Herren, dir hier einstiegen und einige andere, die ausstiegen, brcmchten viele Zeit, so daß sie mich den sichern Schluß machen ließen, es möchte in Tcano Wohl keine große geistige Regsamkeit sein, zumal keine schnell fortschrittliche. Und angehaucht von dieser Eigenschaft schien anch nnser Train sich in langsamerer Bewegung geistigen Betrachtungen hinzugeben, so daß wir nns die nächste Einfassung der Bahn, oft wunder- — 230 — hübsche Bergparthien und reizende Felsmassen, gemüthlich anschen konnten. Diese Gemüthlichkeit und behagliche Beschaulichkeit steigerte sich aber bald zn lebhafterem Interesse nnd längeren Aufblicken und Nachsinnen, als wir in der Ferne links vor nns ein großes, prächtig anf hoher Bergspitze prangendes Kloster erblickten, welches uns dann, weil die Bahn hier zwischen den Bergen einen großen Bogen macht, zur Rechten trat, und von uns einige Minuten vom Haltepunkt St. Germano alls betrachtet werden konnte. Das Kloster ist wohl eins der ältesten, reichsten und bedeutungsvollsten in der gangen Klostergeschichte. Es ist der berühmte Monte Casino, schon 530 vom beiligen Benedict gegründet, und mithin die Stammburg der Beuedietiner, — recht eigentlich eine Wart^ bürg für die katholischen Wissenschaften, deren Werth in einer Zeit der Dunkelheit, Barbarei und Unwissenheit wir gar nicbt. hoch genug anschlagen tonnen. Ist doch anch die Arzuciwisseuschaft von hier aus, verlnmden mit dem berühmten Salerno, bedeutend gefördert, oder doch wenigstens vor dem gänzlichen Verschwinden gerettet worden. In seiner höchsten Blüthe zählte der Monte Casino, auf dessen Höhe sonst ein Appollotemvel lag, 15,000 Bcnedictinerklöstcr. Der Orden hat in den 13 Jahrhunderten seines Bestehens 15,700 nam- — 231 — hafte Schriftsteller, 4000 Bischöfe, 1600 Erzbischöfe, 200 Cardinäle, 24 Päpste und 1560 kanomsirte Heilige hervorgebracht. — Wer sich mit der Geschichte der Mamlscripte und der älteren Buchdruckerei beschäftigt, wird dem gewaltigen Orden, wenn er sonst vor den Anfeindungen der Klostcreinrichtungen gar nichts Gutes gehabt haben sollte, das nie abstreiten können, daß er dnrch Besorgung der zahlreichsten nnd gewissenhaftesten Manuftriptarbeitcn und dann Bücher ausgaben, eine tief eingreifende culturhistorische Bedeutung habe für alle Zeiten. Und damit finde ich den mir eben ans der Feder gefchlüftften Ausdruck, Monte Casino sei recht eigentlich eine Wartburg für die katholischen Wissenschafteil, vollkommen gerechtfertigt. Ja, wenn ich nicht irre, so hat fogar die Itniia una bei ihren Vexatiouen der Klöster nnd der Kirche es nicht gewagt, Hand an den Monte Casino zu legen, sondern hat ihn in seinem Fortbestehen und seinen Rechten belassen. Bald nach dem Kloster folgt das kleine, nnd doch so alte, so merkwürdige Aquino, der Geburtsort des Centurio von Syene, des bissigen Juvenal, und des Thomas von Aquino, jenes immensen, schlagfertigen Scholastikers, des doctor uuivoi-8kU« aus dem ganz nahe gelegenen Noccasecca. — Und da wir nur einmal an der Wiege von bcdcuteu-den Männern stehen, so sei es mir vergönnt, an das — 232 — weiter östlich hinein in das Gebirge gelegene Arpinum zn errinnern, wo zwei auf den Wogen ihrer Sturmes-zeit mächtig einherziehcnde Männer, wenn anch ganz verschiedenen Schlages, geboren sind — Marius nnb Cicero! Vierzehutes Kapitel. StreWge durch Nom und Rückkehr nach Lübeck. „Halt! Und Regimenter fesselt das starre Kommando, Lantlos steht die Front!" oder wie die Worte eigentlich heißen mögen. — lautlos blieb die lange Front des Znges stehen, und wir harrten der Dinge, die da kommen sollten, nnd die nun auch außerordentlich langsam kamen. Wir waren in Ceprano. Ccprano! Isolctta nnd Ceprano bilden, oder bildeten damals die neapolitanisch-pontifical«: Gränze, nndHvurden schrecklich bewacht von der päpstlichen Mauth und der päpstlichen Polizei gegen Schmuggelei nnd Garibaldianer. — Unsere Koffer wnrden in einen Saal gebracht, nachdem uns vorher ein Gensdannc unsere Pässe abgenommen nnd dafür Empfangscheine nebst Ansprüchen ans einen Paß in Nom gegeben hatte. Die Ceremonie dauerte außerordentlich lange nnd es begann zu dämmern, als wir langsam weiter dampften. Gern hätten loir noch etwas gesehen von dem altklassifchen Nömergebicte, aber es dunkelte sehr schnell nnd ward vollkommen Nacht, eine Neumondsnacht im December, die — 234 — mir unter dcr Regierung des Papstes recht wie eine egyptischc Finsterniß vorkam, während uns im Oriente gar oft der Vollmond, immer aber doch der türkische Halbmond sein mildes Licht zugestrahlt hatte. Im vollen Dunkel hörten wir die klassischen Namen Lavinia und Albano auf zwei Stationen aussprechcn, und eine kleine Stunde darauf blickten wir durch die öde Nacht und über einer öden Fläche hin, die auch nicht das Geringste erkennen ließ, viele Lichte schimmern, die ili dem feinen feit einer Stunde niederrieselndcn Regen irrlichtartig sich bewegten und uns hätten Glauben machen können, wir wären in die Pontinischcu Sümpfe hineingerathcn. Da uun aber der Zug teiue Miene machte weiter zu gehen, und auch die ausgc-sticgeneu Passagiere nicht wieder kamen, kam ich auf den schlauen Gedanken, zu muthmaßcn, wir möchten wohl in Rom angekommen sein. — Und wirtlich wir waren in Nom! Wirtlich fanden wir unsere Koffer in einem langen Saal auf dem Tisch stehen, und ohne daß mal» ltlls lim unsern Glauben fragte, ließ man uns abziehen. Vor der Thür des Bahnhofs sah es schaurig alls, und wer da uicht weiß, daß der Bahnhof von Nom un-mittelbar an den ungeheuren Thermen des Diocletian angränzt, also ill einer ganz abgelegenen Gegend liegt, der hätte immer noch nicht den Glauben an die Pon-tinischen Sümpfe aufgegeben. — Eine Droschke nahm — 235 — uns alls, um uns nach dem Hotel delta Minerva zu-bringen. — Vergebens lauschte ich anf der Schneckenfahrt hinaus, ob ich nickt irgend etwas Römisches, etwas Großartiges entdecken könnte, — aber umsonst. Die Einöde löste sich in enge, schmutzige Straften auf; einige bellte mit Regenschirmen sahen grade aus wie uuserc Spießbürger im Norden, und als wir nun endlich auf einem kleinen Platze vor einem Gewölbeingang still hielten, und einige K'ülvmis und ein Hausknecht in Rock und Hosen ohne eine Spur von Sagum, Tunica oder Toga erschienen, nnd nnserc Sachen in Empfang nahmen, da fand ich deu ersten Eindruck von Rom höchst alltäglich. Ehe ich aber ins Haus hineinging, warf ich einen Blick auf den Platz Und siehe, mitten auf dem Platz stand ein großer Elephant mit einen: Obelisken anf dem Rücken, seitlich von beiden eine Kirche. Das ist gewiß das wunderlichste Triumvirat, womit Rom je einen Fremden begrüßt hat. Im Hotel dclla Minnerva schien Alles vollgepfropft von Menschen zu sein. Nnd das hatte seinen besondern Grnnd. Das berühmte Eoneil, das schon so lange am Horizonte der katholischen Kirche wie eine Wetterwolke umhergezogen war, sollte im Anfang des Deeember aufgeführt werden. Bou allen Weltgegeu-deu waren die Kirchenfürsten zufammengeströmt, um ihre Rolle zu spielen; — von den fernsten Zonen — 23l> — waren Priester, Mönche und Touristen aller Färbungen herbeigekommen, um das geistliche Schauspiel zu sehen, und zu bewundern. Hatte ich doch sogar in Alexan-drien schon zwei Bischöfe aus Nenholland und Tas- mcmieii, bcr Right Rev'1 Dr. Murphy, bishop of Hobart Town, nut ben R. R. James Quiim, 1). D. hi slum of ] iris bane, kennen nnd sehr hoch schätzen gelernt, als zwei hnmane, unterrichtete und ächt christlich gesinnte Männer. So war denn auch das Minerva-Hotel bis unter das Dach angefüllt mit Geistlichen, vom Erzbischof bis zum einfachen Pfarrer, und Wir hätten doch nicht so leicht noch ein Unterkommen gefunden, Wenn nicht eine freundliche Intervention schon vor meiner Ankunft im Hotel stattgefunden hätte, welche mir Gelegenheit giebt, hier mit Dank und Hochachtung eines alten Freundes zu gedenken, den ich mir Vor vielen Jahren in Nio de Janeiro erworben habe. Dieser Frcnnd ist der Bildhauer Ferdinand Pett-rich aus Dresden, der schon früh durch die Gnade des vorletzten Königs von Sachsen nach Rom gekommen, und dart fünfzehn Jahr Thorwaldsens Schüler gewesen war, er und Bissen in Kopenhagen hochgeschätzt von dem alten Meister. Er hatte sich mit einer Römerin vecheirathet, nnd War von Rom nach Washington gegangen, um dort auf dem Kapitol verschiedene Bildhauerwerke zu machen; der ehrenvolle Auftrag er- — 237 — weckte ihm Neider und einen Messerstich, dessen Wiederholung er dadurch am sichersten ;n entgehen glaubte, wenn er von den vereinigten Staaten fort nach Brasilien ginge. So kam er mit ehrenvollen Empfehlungen nach Rio dc Janeiro, wo er bald an dein Minister Ioze Elemente Pereira einen eifrigen Beschützer und an dem Kaiser Pedro II. einen hohen Bonner fand, welcher dem fremden Künstler im Schloße der Stadt selbst ein Atelier einräumen und seine jugendliche Statue in Marmor vvn Pettrich ausführen ließ, wäh-reno der genannte Minister ihn ebenfalls mit. Arbeiten, namentlich für die beiden schönen eben fertig werdenden Heilanstalten, die Miserieordia und das Irrenhaus, reichlich versah, welchen Arbeiten dann der Kaiser, als der Minister, ein eminenter Mann, eben gestorben war, noch die Anfertigung der Statue des Staatsmannes hinzufügte. — Zuletzt hatte Pettrich noch cin großes Werk, einzelne Statueu und eine Neihe von großen, kühnen Basreliefs ans dem ^eben der noroameritanischen Indianer in Gyps angefertigt, und eine Statue von diesen, den „sterbenden Toeom-M", m Marmor prachtvoll ausgeführt (jetzt auf dem Kapitol in Washington). Cr war dann mit seiner Familie und seiner Kunst über England nach Rom zurückgekehrt, und hatte dort seinen bleibenden Wohnsitz genommen. Wie er schon früher zu Thorwaldseus Zeiten die beiden Engel auf dem Scitenaltar in der — 238 — Kirche S. Maria dci Angeli zu machen gehabt hatte, so ward ihm der ehrenvolle Auftrag, das Grabdenkmal des Cardinal Pacca anzufertigen, ein Werk, wo-ranf die deutsche Kunst stolz sein kann. Endlich ließ der Papst Pettrichs Indianer in einem großen Saal des Lateranpalastes aufstellen, und verstand es mit der ihm innewohnenden Humanität, des deutschen Künstlers alte Tage in Rom vor Sorgen sicher zu stellen. Von Neapel aus hatte ich dem lieben brasilianischen Freunde geschrieben, — und nun war er im Minerva-Hotel gewesen, hatte mir ein Zimmer reservireu lassen, und seine Adresse hingelegt. — So bekamen wir denn noch ein, zwar vier Treppen, d. h. 115 Stufen, hochgelegenes, aber doch sehr nettes Zimmer, nnd fühlten uns außerordentlich gut aufgehoben, vorläufig beim gemüthlichsten Abendessen, bei den: wir also gleich unsere Pläne für den kommenden Tag machten. Und dieser kommende Tag war unsern kühnsten Plänen wundervoll günstig. Als der Morgen anbrach, konnte ich unsere Fcnsterthüren weit aufmachen, denn aus dem Unwetter von gestern war ein weicher sonniger Herbsttag geworden, und ich tonnte unter dem Läuten und Bimmeln der römischen Morgenglocken von unserer hohen Warte aus einen großen Theil des Hänsermeeres übersehen. - 239 - „^dveun,, liUAScius via«», qua, nuu« yzt waxima Itom», So sang schon der Elegiker in der Glüthezclt Roms! Und was sollte nun so ein Ankommender vom December 186!) sagen, wenn er die maxima Itoma, unserer Zeit vor sich liegen sah, wie mußte er sich nicht begeistert fühlen vom geistlichen Rom, wo Mitwelt und Vorwelt so mächtig zu ihm reden in dem einzigen, einfachen Gedanken schon, daß er eben in Nom ist. Nir machten uns zum Ausgehen fertig und traten hinaus auf den Platz mit seinem wahnsinnigen Elephantenobelisken uud seiner Kirche. Was soll doch nur die tolle Verbinduug, und wie kommt die Minerva mit einer katholischen Kirche, mit einem Elephanten, mit einem Obelisken zusammen? Wir müssen uns doch wenigstens darnach umsehen, uns doch einmal darnach erkundigen. Und da erfahren wir Folgendes: Pompezus baute hier nach seinen asiatischen Siegen der Minerva einen Tempel, welcher mit dem alten Rom zusammenfiel. Auf demselben Tempelfunda-ment baute die spätere Zeit die Kirche Santa Maria softra Minerva. Ganz in der Nähe fand man einen kleinen Obelisken, zu dessen Aufrichtung der große Bernini beauftragt wurde. Der war eben von einer Neise durch Frankreich zurückgekehrt, wo man ihn „wie — 240 — einen weißen Elephanten" angestaunt hatte. So machte sich der gewaltige Baumeister mit Anspielung auf jene Oafferperiode selbst ein Monument. (5r selbst stellte den weißen Elephanten vor nud ließ den Obelisken auf seinen Nucken setzen, damit das Publikum recht etwas zu gaffen hätte. Nnd am Ende sind die Gegensatze nicht anders, als die Mauern des Minervcntempels mit der Marienkirche. — Nnd dazu war unser Hotel auch eine Schicksalsdumorcste. Aus einem römischen Pallast der Conti ist ein Gasthof gemacht worden. Ja, wohl darf ich das Alles Schicksalshumoreste nennen, ohne mit Ausspielnng des Wortes leichtsinnig zu erscheinen. Nenn man in N^'m, dem ewigen, dem schönen, dem göttlichen, himmlischen etwas anderes als erstaunt, entzückt, jubelnd und jauchzend sein könnte, wenn man sentimal dort sein wollte und über die nn-gehenre Schicksalstragödie jammern, nnn da hätte man viel, viel, nnendlich viel zu jammern: „ Seine Tempel, seine Hallen, seine Götter sind gefallen". Da müßte man darüber weinen, daß die Stadt der Cäsa-ren, die Zeit der Easaren, die Bauwerke der Casaren Hingefunken wäre, nnd dürfte dann gar nicht bemerken, was die lange Kette der geistlichen Cäsaren geschaffen hat, — da müßte man die Baumeister des Pantheons und des Colosseums aus den Gräbern zurückwünschen, und hätte kein Nccht, keinen Anspruch auf einen Vramante, auf eiuen Vuonarotti, auf einen — 241 — Bernini! Und alle römische Kultur, alle römischen Gottheiten, wie wir sie anch immer ansehen, entschuldigen oder verehren mögen, haben ja doch in Nom, grade am meisten in Nom, der ewig unerschöpflichen Quelle des einzig Guten, des einzig Wahren, des einzig Ewigen Platz gemacht, dem Christenthum, dem ill Rom auch der äußeren Form nach triumphirenden. — Ja, eben dieser Sieg des Christenthums in Nom über Nom, mag daran sich an Allswuchs auch angehängt haben, was da wolle, dieser wunderbare Sieg neben dem Besiegten, auf dem Besiegten, dessen Zeichen überall hoch ragen, dieser Sieg, der die Monumente der Besiegten schonte, pflegte, ausbaute und noch fortwährend überwacht, er gerade ist es, der so erwärmt, so feurig anregt, so glühend empfinden inacht in der ewigen Noma, und so ewig heiße Sehnsucht nach der herrlichen Stadt, dieser eigentlichsteil ni-do äoll'ord« angefacht erhält im Herzen dessen, der sie einmal durchwandert, sie einmal angestaunt hat. So ist es mir wenigstens, dem Protestanten, in Nom ergangen. Es war auch ineiu Nom, das aus dem Evangelium, aus dem Sieg der christlichen Kirche hervorgegangcne Nom, mag uns anch seit einigen Jahrhunderten der Generalstab dieses geistlicheil Noms etwas verkehrt, uullng, eigensinnig und tyrannisch verft'sscu auf seinen Satzungen vortommrn. lind welchrr Fraktion ein nach Nom kommender Ehri- Av6-?>illc,»liüt, Fata Morgana. II. 16 — 242 — stenmensch auch angehören mag, wenn er sich nicht ganz besonders als Christ in Rom gehoben fühlt, wenn er gar darum jammert, baß das klassische Alterthum so dem neuen Weltlicht trotz seiner Streiflichter hat Platz macheil müssen, so verdient er gar nicht Rom überhaupt betreten ;u habcn uno ein Christ ;u sein. Darum hat mich auch nirgends in Rom die wunderbare Fusion der Altcrthnmsmonumente mit den christlichen Monumenten verletzt. Nirgends habe ich mich daran gestoßen, wenn heidnische lvorm christliche Bedeutung und Bestimmung annehmen mußte. Ich fand dic Verehrung unseres Gottteö, des alleinigen und einigen, im Pantheon vollkommen schön nnd begeisternd; und als ich den heiligen Panlus statt des Antonin, und den heiligen' Petrus statt des Trajan auf den beiden berühmten respective!! Zänlcn paradiren sah, fand ich das allerdings originell nnd höchst naiv, — war aber nicht im Geringsten skandalisirt darüber. Und so ging es mir denn zunächst mit der Marienkirche ans dem Minervcntempel neben unserm Hotel, wenn ich auch unwilltuhrlich au die ^usiaden des Camoens denken mußte, in denen Gama von der angeflehten heiligen Jungfrau nachdrückliche Hülfe empfängt durch die Venus und deren reizende Hofdamen. Da wir nun aber einmal vor der einfachen Facade — 243 — der ^anta Maria sopra Minerva stehen, wollen wir einen Blick hineinwerfen, ^a, fast prallt man zurück, wenn man noch keine römische Kirche sah. Von dem Marmorcstrich streift das Auge all Marmorsäulen empor znm blaiten mit goldenen Sternen geschmückten Gewölbe! Von alleu Seiten, ans allen Kapellen, dnrch alle Vergoldungen hindurch prangen die herrlichsten Meisterwerke der italienischen Malerei hervor, eines >ippi, Muziano und anderer. Dort jener kräftige Gotteskämpfer ill Marmor ist Michelangelos Christus, uns fremdartig erscheinend, aber der Meister konnte in der Kraftfülle seines Genins nicht anders arbeiten. — Dazu ist die Kirche auch eine großartige Todten-statte. Unter dem Altar liegt die heilige Katharina von 3iena; eine ganze Reihe von Päpsten hat hier Nnhestälten und prangende Denkmale. Unter den Stei-ucn verschiedener Kardinäle trägt der des Kardinal Bcinbo, jenes cdeln, hoch allsgezeichneten Gelehrten, den besten Namen. Alte Adelsgeschlechter mit berühmten Personell sind ebenfalls vertreten, Künstler n. s. w. Um die herrliche Kirchenhallc herum dämmern prächtige Glasmalereien. Da bleibt freilich kein Andenken an die Minerva. Und doch! Die Kirche ist die Klosterkirche des mit ihr zusammenhängenden Dominikanerklosters, und hat die berühmte ^idliotnecl«, <^l»auat6N8j8 im Besitz, ali gedruckten Büchern die erste Bibliothek Noms, recht 1«" — 244 — eigentlich ein litcrarisches Hciligthum der klugen Minerva. So bildet denn Kirche und Kloster eine ganze Welt von Knnst, von Wissenschaft, von Vergangenheit nnd Gegenwart, ein Pantheon im edlen Sinne des Wortes. Und doch, wie wenig spricht man von ^ilut:», N:u'i'u 80P1-3. Ninm'Vli.) wenn von Nom die Nede ist! Vielleicht ist die nächste Nachbarschaft Schnld daran. Kaum hatten wir dem Elephanten Bernini's den Nucken gewandt nnd die nächste Ecke des Platzes umgangen, so gelangten wir ans die 1'il^x^ ä« 1^ I,otunäu, ans dessen Mitte sich wieder ein Obelisk erhebt, an dessen Seite aber anch die herrliche Ilotnu-ä«., das Pantheon steht, jener imposante Nnndbau des Agrippa, welcher von allen Nömerbantcn a»n nnver^ letztesten ans nns gekommen ist. (5ine wnndervollc Colonnade von 1s, Säulen, Monolithen aus rothem Granit von Z5 ^. Höhe nnd über 4F. Durchmesser, welche entschieden aus Egyptcn sind, nnd lebhaft an die, wenn auch mehr als doppelt so mächtige Pompc-jussä'ule in Alerandrien erinnern, bildet das Vcstibn-lnm zn der jctzt christlichen Kirche, an deren Nnnd-wand Altare, Sanlen nnd Denkmale angebracht find. Alles Licht fällt von oben durch eine Mittelöffnnug der Klippcl, wodurch eine imposante Wirknng hervorgebracht wird, — aber das Pantheon muß man sehen es läßt sich nicht beschreiben, sondern nnr andeuten — ^45 — in seinen edeln, einfachen, großartigen Verhältnissen. Wie em so mächtig weiter Rundbau, dessen flache Gc-wölbskuppcl noch dazu eine Oeffmmg von 2« Fuß Durchmesser hat, nicht in sich zusammenstürzt, ist wirklich ein Räthsel. Dieses Meisterwerk der alten Archi-teetur, als Kirche ßanta, Naria ad Nart)i'l>8 genannt, enthält unter feinet, ausgezeichneten Gräbern auch die Grabstätte Raphaels in der dritten Nische links yom Hauptaltar dem Eingang gerade gegenüber, dessen Epitaphium der Cardinal Bcmbo in folgendem Disti^ chon abfaßte: IIlo liic- ess IJjipliaol, timiiit quo sospitc vinci llerum rnagmi jjarens ct lnoricnto nion. —■ Nicht nnr als römisches Bauwerk ist das Pantheon so alt, sondern auch als christliche Kirche. Denn schon im Jahre W7 am 14. Mai ward cs von Boni-faz IV. von „<^'ni i,cf:,,, ^utilitü" gereinigt, wie Mi alter italienischer Schriftsteller sagt, t'accmäo ti-a»- portare da, vari ciiiiitcri 2 l'a.i voKu i,a5<'(;van<» ^,:>vi inc'MlVGnioi^O. Denn hier wurde den Hinzuwallfahrtendcn ebenso viel Al^ laß ertheilt, als wenn sie nach Jerusalem gepilgert wären, — Alles die Folge der 2^ Blockwagen voll Gebeinen der beiliaen Märtyrer. — 246 — Nicht so glücklich wie dem Pantheon ist es einem nahen Heiligthum des Neptun oder Mars gegangeu an dor Piazza di Pietra, ivelckes sich aber wohl als die Basilica Antoniua herausstellt.' Im Vorbeigehen auf dem Wege zu meinem alten Freunde Pettrich in der Via San Basilio bci der Piazza Barberina sahen wir.die seltsamste Komposition, die je die Baukunst erfinden konnte. Dreizehn mächtig hohe schlanke kan-nellirtc korinthische Säulen, die das Alleinstehen nicht mehr hatten ertragen wollen, waren in die hohe Wand eines gewöhnlichen Hauses der Iehtzeit hineingezogen Worden, und bilden damit die „Vanddonane", wieder eine ächte Schicksalshumoreske. Wo man geht und steht, sieht mail in Nom diese architektonischen Anachronismen im tiefsten Frieden durcheinander gewachsen. Kaum hatten wir Zeit, im Vorbeigehen die Säule des Antonin, oder richtiger Marc Aurels, anzusehen, auf der Piazza (5olonna, wo auch ein schöner Brunnen ist. Hier thaten wir den ersten Blick in den berühmten Corso, jene lange von Palästen nnd vornehmen Hänsern, von Hotels und Prachtladcn gebildete, leider aber schmale Straße, die schnurgradc vom Hauptthor Roms, der Porto del Populo durch die ganze Stadt, fast bis zum Kavitol hindurch führt. Sie ist die eigentliche Pulsader der Stadt, und ist auch lebhaft durch den Verkehr zu Fnß und zu Wageil, — 247 — hat aber doch, schon wegen der meistens ziemlich dunkel gehaltenen Farbe der römischen Häuser, kein brillantes Ansehen. Und ich glaube, daß ziemlich jeder Fremde, zumal wenn er London und Paris oder gar Petersburg kennen sollte, sich beim Betreten des Corso, von dem er so viel, gehört hat, entschieden sehr getäuscht fühlen wird, wie denn überhaupt römische Straßen, in denen die heutigen Quirlten wohnen, mich an nichts mehr erinnern, als an die Altstadt Von Wien und selbst Dresden. Anf dein fernen Wege zu meinem bildhauenden Freunde fiel lins besonders ein Banwert anf, welches in seiner Art wirtlich Alles hinter sich läßt, was mir vorgekommen ist. Von den vielen großartigen Wasserleitungen, die nnst die 1400 Brunnen des alten Noms speisten, sind noch drei in vollcin (^ange. Die eine von diesen, die .Vsjua Vii'^'o des Agrippa, heute ^.oyua Ver-Fine;, mündet nicht gar weit östlich vom Corso auf einem kleinen Platze an der Zeite des Palastes der Herzöge von Poli, wo sich mehrere Straßen kreuzen. Der dort angelegte Brunnen ist die i^nntlMil cli 'I^vi. Wenn man sich diese ^lmwnn, äi ^rsvi vorstellen will, so muß man vor allen Dingen den Pedanten an einen haushälterischen Brunnen gan'^ fallen lassen. — An die hohe Scitenfa^ade des genannten — 248 — Palastes lehnt sich eine hinten geschlossene, also nur drei Nischen bildende Porta trinmphalis an, von vier korinthischen Sänleu getragen, in verschiedene Felder getheilt, mit Basreliefs und Inschriften geschmückt. In der Mitteluischc ist ein Neptun auf einer Muschel, allegorische Figuren ihm zur Seite. Eine bunt durcheinander geworfene Menge von Travertinfelscn bilden eine schräge Fläche vor dem Triumphbogen und sind unten von einem weiten Marmorbeckeu eingefaßt. Unter uud vor dem Neptun braust eine üppig schwellende Wassermasse hervor, die von Fels zu Fels geworfen eine Menge von großen und kleinen (iasca-dcn bildet, uud uach ihren: kurzen brausenden Lebens-laufe wieder verschwindet. Das Wasser ist das köstlichste Trinkwasser, von dem der ganze Stadttheil sich ^eben und Frische holt. Trotz eines gewissen Noeeocco-styles ist dieses Posidoninm, —- denn es ist ein wirklicher Tempel Neptuns —, ein rechtes Prachtstück von Nom, cm ewig plauderndes, rauschendes, tobendes Wassermärchen, bei welchem jeder Vorbeigehende, uud wäre er uoch so grämlich und hartfühlig, gewiß staunend und freundlich angeregt wenigstens einen Augen-blick verweilt. Förmlich verjüngt hatte ich mich im weit umher gebauchten Wasscrduust der poetischen Caseade, als ein juugcr Mann auf mich los rannte, mir um den Hals fiel, uud in freudigster Erreguug meinen Namen — 249 — ausrief. -^ Ja, wahrhaftig, ich hatte in 14 Jahren entweder gar nicht gealtert, oder die Wafser äi 'I^vi hatten nur soeben das Im><»um :iovi I»nmn,ni ^intinni^ wie Taeitus 14 Jahre nennt, von der Stirn fortge-fpült, — der jnnge Mann, der mich überfiel, war einer der Söhne meines alten Pettrich, der mich mitten in Nom fo sicher erkannt hatte, daß er anch keinen Augenblick ail meiner Identität zweifelte. Nach einer eilenden Wanderung erreichten wir bald das Stndio in der Via San Oafilio, wo der Alte mit drei Söhnen seine edle Kunst trieb. Wenn man einen alten Freund, mit den: mau manchen ^ebcnsernst, manche Lebensfreude getheilt hat in, feruen Welttheil, ganz unverhofft einmal wieder sieht, so ist das gewisi eine Freude, wie es uicht leicht eine andere geben mag. Und so freuten auch wir uns unseres so eigenthümlichen Zusammentreffens, nachdem wir nns in Nio de Janeiro vor 14 Jahren ^cwohl für immer gesagt hatten. Bei mir aber wischte sich ein Schmerz in die Freude. Mein alter transatlantischer Freund war nicht nur 71 Jahre alt geworden, also recht alt, fondern seine sonst so biedere Seele litt an einem nagenden Uebel, sie machte sich religiöse Bedenken. Nie habe ich das Sprüchwort, man solle den Teufel nicht an die Wand malen, so handgreiflich bewahrheitet gesehen, wie in dcm Studio Pettrichs und in der Seele Pcttrichs. In überspru- — 250 — dcludcr Künstlcrlaunc hatte er schon früher einen sitzenden Mephistopheles modellirt, der eine entschiedene Berühmtheit erlangt hat. Die lvigur mackte auf Alle, die sie sahen, einen gewaltigen Vindrnck, z. B. anf den alten König Ludwig von Baiern, als er znm letzten Mal in Nom war. ^r hatte den Tenfel bei Pettrich gesehen. Als er wiedcrkanl, rief er schon von draußen dein ltünstler zu: „Pettrich, bangen Sie Ihren Teufel zu, ich kann ihn nicht aushalten!" Und Pettrich schien ihn selbst psychisch nicht ertragen zu können. Zwar machte er ein milderndes Gegenstück dazu, die Versuchung dieser Welt, — zwar stellte er ein versöhnendes Prineip zwischen Beide, ein Agnus Dei, — aber Pettrich litt seitdem nnter religiösen Zweifeln, unter einem religiösen Druck; er war entschiedener Katholik geworden. Und statt dasi mein sonst so fröhlicher Alter weise wie König Salomo geworden wäre, rang und büßte er, wie der König Wiswamitra; und da ich kein Wasischta war, der ihm die Kuh der Zufriedenheit hätte zeigen und gewähren können, mußte ich ihn gewähren lassen. läiner der Söhne erbot sich, uns nach Zeit und Kräften zum Wegweiser iu Nom zu dienen. Und wenn wir auch dem fleißigen Bildhauer uicht zumuthen wollten, uns Tage laug zu führen, so war uns doch seine Begleitung für die eine oder andere Stunde sehr — 251 - erwünscht. Dafür muß ich ihm noch hier meinen besten Dank sagen. Zunächst zeigte er uns seine Nachbarschaft; denn in Rom ist in jeder nächsten Nähe etwas zu sehen. Wir gingen zu den nahen Thermen des Diocletian, wo wir am Tage zuvor, — denn dort liegt der Vahn-hof von Nom —, angekommen waren. Die Thermen Dioeletians waren die größten Warmbäder Roms, ja sie waren übcrhanpt das größte Bauwerk der alten Stadt, wenn wir vielleicht das Colosseum ausnehmcn. Gerade wie zum Colosseum 30.000 Juden Steine backen nnd zusammenschleppen mußten, wnrden zum Ban der diocletianischen Thermen 40,000 Christen verbraucht; denn die Thermen bildeten mit ihren kühnen Rundgewölben ein nach m>em geordneten Plane erbautes Stadtviertel, in desseu weiten? Tepidarium mehr als W00 Vadescsscl stanzn, — eine ganze Population zu gleicher Zeit sich baden tonnte. Wunderbar hat auch hier die Macht der Vorsehung und der Zeit ihr ernstes Recht geltend gemacht. Einsam lagen lange die mächtigen Ruinen am Ende der ^wigm Stadt, und sind endlich auch großentheils dem Dienst des Christenthums zugewiesen worden, welches zu der Errichtung derselben Tausende von Opfern und Märtyrern hatte hergeben müssen. Währeud einige Gewölbe zu Magazinen benutzt worden — 252 — sind, haben andere eine edlere Verwendung gefunden. Ans einem Theil der ungeheuren Nuiuc ist eine große Wohlthätigkeitsai^stalt gemacht worden; ein anderer Theil, cine eigenthümliche Rotunde, ist in eine Kirche des heiligen Bernbard von (>lairvanx . i^^-nlu-do 3,116 ^«i'Mft) umgewandelt; und ans dem herrlichen Tcpidarinm, sowie es da stand nnd lag, hat das gewaltige architeetonische, (^enie des großen Michael Nngelo Buonarotti eille der interessantesten Kirchen Roms geschaffen. Diese Kirche heißt ftnntl^ ^lnril» r Vnmnm grlockt!" Der Platz ist als solcher kaum nmncnswerth. Eigentlich schneiden sich hier nur zwcl Straßen, deren vier Ecken abgestumpft sind und Brunnen mit allegorischen Figuren bilden. Aber doch hat die so bescheiden aussehende Stelle einen eigenthümlichen Neiz. Nach allen vier Seiten hat sie einen hübschen Prospect, der nach drei Seiten — einen Obelisken zeigt. Die alten Nömer haben eine entschiedene Vorliebe für die Obelisken Egyptens gehabt. Sie haben über 40 Obelisken vom Nil nach der Tiber gebracht, von denen noch 12 vorhanden sino. Von den vier Vnm-uen aus sieht man davon drei aufrecht stehen, ein ungeheurer Luxus, wenn ich bedenke, daß ich in ganz Egyvten nur in Alerandricn, Heliopolis, Luror, Kar-nak mw Phila Obelisken gesehen habe. — Nir wollen del, Obelisken nach Süden zum Wegweiser nehmen, der uns längs dc'r Bärten des Oni-rinals zum Monte Eavallo führt. Seltsam, seltsam! Aber iu Rom ist es nicht anders. Es ist nun einmal Alles seltsam. Der Ouirinal ist einer der drei Paläste des Papstes, eine ganze Palastmasse mit reizenden (Zarten und voll von den edelsten >t,mstsachon, in kirchlicher Beziehung besonders, in welche das neue italienische Hofleben sich gar nicht hineinschickt. Hier ward Piilö VI I, gi'saiig^n genommen, derselbe Mann, der seinen Gegner Cmm^ü-mw ins Besicht hinein nannte. — So ist denn mit dem Ouiriiu-l! ein Untergehen des Papstthums bezeichnet. Mit vcm Obelisken AvckLMcüiant, Fata Morgana. II. 1? — 256 — aber erinnern wir au die untergegangene egyptifche Herrlichkeit, und das Wort Moute Cavallo macht uns mit Wehmuth des untergegangenen Hellas gedenken. Denn hier stehen die wundervollen mächtigen Statuen der Dioscnren mit den kühnen Rossen, welche man dem Phidias lind Praxiteles zuertheilt, jene meisterhasten, großartigeil, unbegreiflichen Griechenfchöpfnngen, welche so tausendmal nachgeahmt und aufgestellt in Museen, Palästen, Eingängen von Parks ein ganzes Kunstschaffen in diefer Pferde bändigenden Weife ins ^ebeu gerufen haben. — Dazu gewährt der Monte Cavallo eine herrliche Aussicht. Man sieht, denkt, träumt, jauchzt und weint über Rom hinweg, und in Mitten der Herrlichkeit muß mau dem alten i^gyplen, dem alten (Griechenland, dein allen Rom, dem alten Papstthum zurufen: Deine Tempel, deine Hallen, reine Gölter sind gefallen. Denn auch das Papstthum hat sich einer gar bunten (^ötterverehrung schuldig gemacht. Und in die Mitte dieser ungeheuren Mahnung an Vergänglichkeit siedelt sich jetzt ein neues Dynastengeschlecht an, und richtet iu Rom ein Königs-Han5 alls. — Nun: l, ,1)c>i', Ilmunm ^riiwi^io rc^os !,^>n,<;>'0, so beginnt jener kleine romische Gesehichts-schreibcr, den die Jugend mit fieberhafter Begeisterung als die erste Frucht von dem so sauer empfundenen m(>n^> der Vatinitätsstudien zur Hand nimmt, — nun ja: Die Stadt Rom hatte im Anfang Könige, ^- — ö5l! — warum sollte sic nicht noch einmal Könige halben am Ende? Aber doch ist der 'Anfang dieses Endes, der so begonnene Anfang des so beginnenden Endes ein Scandal, eine Impossibilität, eine Impietat, wie sie lange, lange nicht vorgekommen sind, immer noch die Anolauser des depossevirenden rothhemdigen Garibal-dianismns. Das waren meine ersten drei Morgenstunden in Nom, ein ganzes Fluchenmeer von Größe, von Herrlichkeit, voll Schönheit, — freilich alle vorher geahndet, sawn seit Jahren, ja von Jugend ans znsammen-getra'umt niw znsammcngcdacht, namentlich ans den Banken unseres klassischen Liibcckcr (Gymnasiums, — aber mm da in Wirklichkeit, in Wahrheit wie auo einem (^nß da vor mir liegend, „oh wie fühlte ich micl) in dem geistliche,, ')lV'm so begeistert!" Das waren meine ersten Morgenstunden! Und doch hatte ich nur meinen alten Freund Pettrich aufsuchen wollen. Jetzt aber wanderten wir quer dnrch die Stadt, um auch einmal das ^oltotreiben zu erleben und in ihm nach der Peterokirche ;n gelangen. Das ^olkstreiben in Nom! '"b das Concils-treiben, was in diesen Tagen seine Hohe erreicht hatte, uoch ein besonderes Treiben war, kann ich ja nicht sagen; aber mir kam dao ^olkstreiben in Nom, ;u-mal wem ick an N'eapcl zurück dachte, außerordentlich wohlgesittet, lind gutmüthig philiströs vor, und ich — 2i<;<> — will gern einen Theil der Rücksicht zuschreiben, dic man vor den Tausenden von fremden geistlichen Gästen hatte, »nid dcn: lHinfluß zurechnen, den sie wiederum ans das Volk ausübten, Geistliche aller Kategorien sah man überall, ja Roms Bevölkerung mag noch nie so mit Geistlichkeit versetzt gewesen sein, wie bei Eröffnung des Concils. Aber doch leuchtete oder schimmerte auch aus der gewöhnlichen Volksmenge mir eine große Harmlosigkeit entgegen. Nirgends erschien mir jenes fieberhafte Treiben, um zu verdienen, wie z. B. in London; nirgends dieses Umher-flamren, um sich zn amüsiren, wie in Paris, — nirgends dieses lotterbnbcnartige Nichtsthun oder gar die tückische Absicht, Andere zu stören, wie in Neapel. — Die Leute gehen still nnd unbefangen ibren Weg, find unendlich zuvorkommend, wenn man sie anredet und nach einer Wegrichtnng fragt, nnd scheinen sich an ihrer ewigen Stadt zn freuen. Nur mich man sich nicht zn viel pikante volksthümliche Erscheinungen im Hänfen vorstellen. Daß man viele (Geistliche nnd manche seltsame Ordenstrachten sicht, läsit sich begreifen. Auch manche Hirtengcstalten und Vandlonte sehen gnt aus. Unter den letzteren bewegen sich oft hübsch costümirte kräftige Frauenerschcimmgm umher, schöne sinnige Gesichter, der Oberkörper besonders hübsch uud sittig dvavpirt. (Än Mierer endet schon nnter den Armen; die oberen Formen sind dann von weitem weißen Gewand dicht nnlfaltet, ein flatternder weißer Aermcl ist über der Hand geschlossen. So bewegt sich der füllereiche Oberkörper elastisch und elegant beim Daherkommen, aber keine Erscheinung war sich dieser kräftigen Anmuth bewußt. Und dabei muß ich die Bemerkung machen, daß ich eigentlich in ganz Rom keine widerliche Straßencoquetteric vou Zeiten irgend welcher Frauen bemerkt habe. Auch darin bildete Rom mit seinem Coneilstreiben einen schroffeu Gegensatz zu Masr mit seiner Snezberau-sckung. Höchst originell, und ein echter Charakterzng waren die vielen Pifferari in Nom, die von dem sich vorbereitenden Weihnachtsfcst und vom Concil herbeigezogen sein mochten, ernste dunkle Gestalten oft mit schwarzen Vockcntöpfen, die mit ihren Dudelsäcken in den Straßen oder vor einem Heiligenbilde ihre schrillende, oft schneidende und dennoch nicht nnange-nehlne Mlisik machen. Der Dudelsack selbst ist ein Ziegenbalg, gerade so einer, in dem die egyptischen Arbeiter das Wasser holen, um die Straßen damit zu begießen. Während die Piffcrari den Balg anfblasen, drücken sie ihn nuter dein Ann; die Luft durchströmt eine Doppclpfeife oder eine Art Klarinette oder Hoboe. So machen sie ihre Apenninenmnsik, wozu oft cin Knabe umhertanzt, bis man ihnen etwas Geld vom lMiM- niederwirft. Dann wandert der Hanfe fort. — 2(^ — und n^ch wenig Minuten steht ein anderer an seiner Stolle. Unvermeidlich waren in jenen Tagen auch die Huaven des Papstes, unvermeidlich nnd anziehend zu gleicher Zeit. Ihr Kostüm n^ar grali, eine flotte, nnr oben am Hals zugeknöpfte Husarcnjacke, — nnn, ein Zuavenjackchen unserer Damenwelt ....., eine. unter dem Knie endende und zusammengeholte Türtenhose nnd dazu Kamaschen, das kleidsame Theaterzeug mit einem rothen Streifen eingefaßt, der Hals ganz bloß, — das ist der ganze coquette Anzug. Fast alle waren blutjunge Bürschchen, Knaben, Kinder fast, man halte sie für verkleidete Mädchen halten mögen. Oft redeten wir die jungen Abenteurer an. „Mer saind fast Alle dütsch oder Schwietzer" meinte einmal einer, und wirtlich hörten wir ganze Trupps von ihnen schwäbisch reden, so daß wir sie nuwillkührlich „die Schwaben des Papstes" hatten tanfen mögen. Auffallend wohlgesittet und voll von frenndlichcm Anstand waren die meisten, dazu viele von ihnen geborene Aristokraten, die wirklich aus fanatischem i^ifer für den Papst nach Nom gekommen waren, gerade wie einst die Kreuzfahrer gen Jerusalem zogen. Da plötzlich öffnete sich die l^asse, wir erreichten einen offenen Ouai; ein schmutziger /»wß mit merkwürdiger Gnfassnng wälzte feine grauen dicklehmigen Wasser einher, eine schmale drucke, ornben die Engels- — 2li3 — burg, ^ links die Petcrskirche? — Auswendig wußte ich längst das Bild, gerade so, haarscharf so, auch nicht ein Pünktchen anders, — und als ich »s nun sah, das welthistorische Bild, mit meinen Augen selbst vor mir sah, da hatte ich laut aufjubeln mögen, und alle ehemalige Pariser Stadttoquetterie vom Pont nenf neben der Reiterstatue Heinrich IV. gesehen, nnd aller Londoner Menschentumnlt vor London Bridge, vom Brandmonument ans beschaut, schien mir trivial und gewöhnlich zu sein neben diesem klassischen Tiberbilde: Die Brücke S. Angelo, die Engclsburg, die P^terskircho! Unzertrennlich wic die heilige Dreieinigkeit sind diese Monumente; sie sind das Wahrzeichen des Papstthums, seine Burg, feine Acropolis. Kein Papst ohne diesc Trias, aber auch unmöglich, diese Trias ohne einen Pavst! ^ Nir betreten den „Borgo" von Nom, die Burg der Welt, wie die Welt nic wieder eine Burg haben wird, und nie eine gehabt hat, — cine wirkliche evangelische Aerovolis! Zunächst hängen die Brücke und die Engelsbnrg innig zusammen; erstere führt schnurgerade auf letztere zu, und letztere steht so dicht am Wasser, daß sie kaum Platz fnr die Passage nach links am Itrom entlang burch den Borgo l'indurch nach S. Peter lästt. — Die aus Tuffstein gebaute Brücke ist noch ganz die- — 2 Menschen tamen beim Stnrz in den Flnß nm das ^eden. — Now« Ilmli'ilmi) die Eugelsburg! Wer kennte nicht aus irgend einer Beschreibung, nach irgend einem — 205 — Bilde diese unerschütterliche Burg N'oms, diese kreisrunde Citadelle jenseits der Tiber, um welche die furchtbarsten Slüriile von mehr als ciuem Jahrtausend getobt hattcl,, ohne sie zil vernichten, — diesen Tower, diese Bastitte, wie der Erdkreis leine ähnliche kennen gelernt hat! -- Nm die Prackt selbst eines Augustäi-schen Viausoleums zu überbieten, ließ Hadrian, wie ein Pharao am Tiberstrand, sich diese ungeheure Grabkammer bauen, deren Masse, wenn auch nicht ihrer ssorm, dock' ihrer Bestimmung nach, mich an die Pyramiden des Khousau, des Schafra erinnerte. Dem Tode gereiht, war ihre Bestimmung in der ganzen Zeit ihres Bestehens, in wildem Hader der Wl^ ler Tod und Verderben ;u bringen, im Streit der Päpste und Fürsten Hinrichtinigen zu sehen, im Kampfe gegen Vandalismus und Brutalität die edelsten Knust-leistungen vernichtet werden zu lassen. Der heutige Bau war gan; mit panschen: Marmor bedeckt und mit herrlichen Säulen umgeben, mit welchen Constan-tin ver Große die Basiliken S. Peters und Pauls ausschmückte. Oben ans dem Ringe standen Statuen von Marmor, von Vronce, — Sicgeswagen und Nosse, und diese in solcher Menge, daß sie, als znr Zeit des Belisar und Narses die Burg belagert ward, zu WnrMgenständen auf die steindc herab benutzt werden konnten. Zur Zeit der Pest in Nom (^M er^ schien hier die heilige Jungfrau und rettete die Stadt, — -^m — dann aber ward die Geschichte dcr Engelsburg fnrcbt^ bar. Hier hauste die entsetzliche Marozia mit ihren drei Gatten, und ließ den Papst Johann X. ermorden. Der Dictator von Nom Creseentius ließ hier den Papst Benedict VI. strangnlirm und Johann XIV. verhungern. Dafür ward er selbst oben auf der Burg von ^tto III. hingerichtet, aber auch derKai^r von der Wittwe des Crescentius vergiftet. Hier troyte der belagerte Gregor VN. dem deutschen Kaiser Heinrich IV.; hier belagerte Friedrich Barbarossa vergeblich die Macht seiner römischen Feinde. Aber auch die Päpste belagerten sich hier ^gegenseitig, nnd die Nömer selbst rissen den Marmorbeleg ab, um die Straßen damit ;u pflastern. Einmal tam die Cngels-burg m die Hände des Königs von Neapel, nachdem Bonifaz IX. sie in eine wirtliche Citadelle verwandelt hatte. Alexander VI. verband sie mittelst eines verdeckten Ganges mit dem Vatican. Gegen den Conne^ table von Bourbon ward sie von dem berühmten Benvenuto Cellini vertheidigt. Urban VIII. erweiterte ihre Befestigungen, unv ließ sie mit Kanonen und Mörsern versehen, ^u denen er das Metall vom Pantheondach hernahm. Endlich ließ noch Benedict XIV. den Crzengel Michael von Bronce oben darauf setzen. Neben dieser Statue ist die verhängnißvolle Glocke, durch deren bauten der Stadt Nom der Tod des Papstes angekündigt wird. Das ist eine lange wilde Geschichte die über dem l^rabe Hadrians gespielt worden ist! Und was wird dieser beschichte noch hinzugefügt werden? Denn mich dao hat die Cngclsbnrg mit den Pyraniiden ge-mein, daß sie für cine ^'wigteit gebant zu sein scheint. Offenbar ist sie die dauerhafteste unter den römischen Bauten. Nachsinnend über das ungeheure Kastell und über die in ibm sich offenbarende Macht der Vorsebnng, welcke Päpste und Kaiser niederwirft und todt tritt wie Würmer, gingen wir durch den Borgo, in welchem gleich vornan weitausgedehnte Hospitale von der Munifieenz der Kirchenfürstcn sprechen. — Plöhlich standen wir vor der Peterstirche. — Wie sich Rom, die ewige Stadt, mit keiner Stadt der Welt vergleichen läßt, — wie sich daun wieder der Borgo von Nom, seine Dreiheit: (5ngelsbrücke, Engelsbnrq nnd Peterskirche, — sich mit keinem Tbeil Non,5 ^usamlnenstcllen läßt, so läßt sich endlich der Kern von der Welt, von Rom, vom Borgo, die Peterslirche mit nichts in der weiten Welt vcr-gleichm. ^hre Vage, /corm, Einfassung, — ihre innere Ausschmückung, ihre kirchliche Gedeutung — das Alles '"acht sie zu einem Gall, der gan; einzig dasteht, und siel» allem Vergleich entzieht. Diese wunderbare Perle des Weltall? besteht nun wieder in sich nnd ihrer ganzen Grundbedeutung ans drei Charakterstücken, deren Betrachtung mir vorkommt wie die Disposition zu einer Predigt, so daß wir sagen können, wir haben, wenn wir in Andacht die Stätte betreten und verlassen wollen, dreierlei zu besehen und zu bedenken: 1. Den Platz vor der Kirche, 2. Den mächtigen Bau neben der Kirche, die Wohnung des obersten Bischofs, den Vatican, 3. Die Kirche selbst, anßen und innen. (5s ist vielfach ausgesprochen worden und auch in Rom gegen mich geäußert worden, daß man beim Betreten des Platzes, und beim Ueberblickeu des Ganzen die räumlichen Verhältnisse, von denen man ja so viel gehört, von denen man so viel geträumt hat, anfangs gar nicht so groß finde, als man geglaubt hat. Wer sich aber einigermaßen geübt hat, freie Ränme, in denen keine Unterbrechungen durch Gegenstände einen Maßstab abgeben, zu überblicken, wer sich geübt hat in der Augenmessung von Erhebungen hinter freien Räumen oder aus freien Räumen heraus, z. B. eines hohen Baunies in freiem Felde, — nnd wer dann einen menschlichen Maßstab anlegt, eine menschliche Forderung stellt an ein menschliches Bauwerk, den: wird es beim Betreten des Petersplatzcs, wenn er von der Engelsburg kommt, gerade wie mir gehen, ^ er wird da unten ani Eingänge, vielleicht etwas links tretend, um auch den Vatican recht in den Raum zn — 26V — bringen, wie angenagelt stehen bleiben, wie angedonnert schauen, nnd bann wohl in stillem Ianchzen ausrufen: Bcth-El, des Herrn Hans! Klassischer tann keine christliche Kirche in. Nom lu'gen. >^icr lag sonst der mächtig weite (lirens des Nero! Hier ließ dieses Ungeheuer, dein Nichts heilig war, znm Ergötzen der Nömer die Christen von wilden Thieren hetzen lind zerreißen! Nenn es eine Stelle w Nom giebt, welche ein Märtyrerfeld genannt zn werden verdient, so ist es diese. Darnm erhob sich schon sehr früh hier eine alte, ehrwürdige Basilika, deren Prächtige Ausstattung im ^auf der Jahrhunderte berühmt wnrde, bis fie von den Saracenen geplündert ward, nnd dann im großen Brande des Borgo, so wie auch in der Belagerung durch Friedrich Aarbar-rosfa bedeutend litt. Die Zeit der Päpste in Avignon nagte ebenfalls an dein alten Bau, so daß beschlossen ward eine ganz nene Basilika in großem, würdigem Styl zu crbanen. Den Hauptplan dazu machte der Meister Donato ^azzari aus Uroine s1444—1.'>14), genanm Bramante; die angefangene Basilika ward vl.'n dem gewaltigsten >lnnstler aller Zeiten Michael Äug.'lo Buonarotti, al«s dem Haufe der Grafen von Kanossa, Maler, Baumeister, Bildhauer und Stratege in rini.'v Nalur i! l74 ~!5>i>.'!) ails Florenz fortgesetzt, nachdem verschiedene Meister, salbst ^)üiphael daran gearbeitet hatten. Namentlich ist die Knppel — ^70 — von Sanct Peter, das Pantheon doch oben in den lüften schwebend, Bnonarottio gewaltige .voee. Doch dieser^ obwohl !><» ^ahre alt geworden, erlebte nicht die ^llendnng vec< Bailee, der gan; im Sinn des groben 3)<> ward die Vaterne oben anf die Kuppel aufgesetzt, lmd somit das mächtigste Banwert vollendet, das alo cm einheitliches in der Christenheit anfgebant ist. — Als der dritte große Baumeister von St. Peter erbaitte nnn noch Bernini an? Neapel i,!5!>i>—16^0) die Kolonnade, und schloß damit das große, edle Werk ab, den» man nichts vergleichen ears, wie viel Zchöncs, Edles nnd Großes von der bildenden Menschheit an Domen anch anfgebam sein mag. vergleiche sind meistens unglückliche Bersuche im Gebiete des 3chönen, zumal architektonischer Schönheiten! Oder gab..' es doch einen Menschen, der beim Betreten dec> Kölner Donjes sagen möchte, er hätte schon einen schöneren Dom gesehen? wahrhaft würdig nnd weihevoll liegt zncrst der Petersplatz vor nns da. Die ^age der Kirche nnd des ganzen Borgo bringt es mit sich, daß anf dem Pctersplatz gar ieine andere Passage, gar kein anderer Vcrt'ehr ist, als der znr Kirche hm nnd dcr von der Kirche her. Kein Platz der Welt ist so sehr ein Kirchen platz, wie dieser- keiner ist so sehr für seine .Kirche vorbehalten, wie der von Bernini eingefaßte riesige Platz, deßwegen so riesig erscheinend, weil er eben schon ein Thcil, cm nnuuterbrochener Theil der Kirche ist. Ohne den Platz könnte man die Kirche garnicht aus einiger Ferne nnd mit Niche ansehen; ohne die Kirche hatte der Platz keinen vollen Sinn, keinen Charakter. Der Platz möchte fast einem Amphitheater gleichen. Er bilvct ein Oval, dessen Onerdnrchmesscr grade die Mitte der Kirche trifft. Ueber IM> mächtige dorische Säulen bilden den weiten Ponuno, immer 4 Sänlen in einer Reihe, so daß sie drei Hallen bilden; die miltclsle so breit, daß sich zwei Wagen darin ausweichen tönneu. Auster dem Hauvtcingang, der ganz offen ist, sind an den beiden Zeiten, also in der Längsachse des Platzes zwei Eingangsportale. Außerdem zählt dic imposante Colonnade noch «« Eckpfeiler an den Allsgängen n. s. w. Oben auf der Balustrade stehen l große Hei. ligcnstatuon, die in solcher Menge einen wunderbaren Eindruck machen, wcnngleick die einzelnen etwas wie wunderliche Heilige aussehen. Besondere herrlich macht sich der Anschlnß des mächtigen Säulenamphitheaters an die Kirche. Großartig steigen zwei Galerien gegen dieselbe empor, so daß gleichsam ein zweiter viereckiger Platz unmittelbar vor der Kirche entsteht, aus dessen Mitte ansteigend >lNd in drei Msäyeu unterbrochen die hohe Treppe '>>nr Kirche emporführt. — 272 — Nnd dazu ist auch der Beleg des Platzes ausgesucht gehalten. Durch das sauber gelegte Pflaster führen n<^ tnlo geschieht. Des Kommens und Gehens war kein Ende; besonders viel Geistliche kamen znm Essen. Schrecklich schmuddelig sahen Tischtuch und aller Eßaftftarat' aus; doch war das Essen vortrefflich, — Suppe, Braten, Kartoffeln, Maccaroni, Brot, Käse, Wein! — Wein (Qrvieto) und Käse, letzterer etwas trocken, waren wirklich ganz ausgezeichnet, die Maccaroni unsterblich! Und znletzt ward noch originell die Abrechnung gemacht. Zwar haben die Artikel ihre festen Preise, aber der Wirth glaubt noch an die Ehrlichkeit der Gäste; er fragt, was man gehabt habe, und hatt die große durchsichtige Orvietosiaschc gegen das Licht und die Rechnung ist fertig; sie schien mir unmäßig billig zu sein. Wir gingen an der Kaserne vorbei, welche von dem Garibaldiamsmus zum Theil in die ^uft gesprengt ward, ein Pandalismus, der sich den neusten Excessen dcr Eommnno von Paris an die Seite stellen darf. — Doch kehrten wir nicht über die Engelsbrücke zurück, sondern blieben anf dem rechten Tibcrnfcr (ti'n,8wvoi-L) und wanderten längs der ziemlich breiten und geraden vili. cieil^ I^ng-ara bei einer eisernen Brücke vorbei, die im alten Rom allerdings einen modernen Eindruck macl,t. — — 275 — Wir hatten in der via äelia I^onAarn aber eim Speculation, die uns fehlschlug. Am Ende der ge^ uauuten Straße liegt der Palast I^a I^rnc!8in«,, der so beri'ihmt geworden ist durch Raphaels Pinsel. Hicr ist seine herrliche Geschichte der Psyche in 10 Bildern dargestellt, hicr seine unnachahmliche Freske: Der Triumph der Galathea, ein Bild, dessen Kupferstich mir immer den Eindruck hinterlassen hat, als tonnte kein mythologisches Bild so viel maßvolle Fülle, Schön^ heit und Nbrundung enthalten, wie dieses. — Aber 1.3, I^l'nottinn, war nicht zugänglich! Nach einer neuen Einrichtung ka«m man sie uur zweimal im Monat besehen. Doch muß ick hierbei bemerken, was freilich schou bekannt genug ist, daß die römischen Patricier in Darbietung ihrer Kunstschä'tzc zum Betrachten eine fabelhaft humane und freisinnige Weise befolgen, wo^ für sie rechl eigentlich den Dank der Wclj verdienen. Also heute kein Raphael, weder Psyche noch Gala-thea! Aber doch bot uns der kleine Umweg, — wir wollten nock ^,m Kapitel ^, verschiedenes Interessante. Am Ende der Straße kamen wir durch den Il^-mto ^ui'6iin.n<', Aurelians Stadtmauer, über den Ponte Sisto, eine auf altrönnschen Substructionen vom Papst Sixtus dciu vierten ucu aufgeführte Brücke, in die eigentliche Stadt zurück uud machten zunächst einen Gang dnrch den sogenannten Ghetto, der freilich heu^ tigcn Tages seine Eigenthümlichkeit und sein Interesse — 279 — verloren hat. Früher war hier in diesem winkeligen Quartier an der Tiber, der Tiberinsel gegenüber, das Iudenqnartier mit verschließbaren Thoren, zwischen welchen Nachts die Inden eingeschlossen wnrdcn. Damals soll dasselbe einen vollkommen israelitischen Anstrich gehabt haben, nnd namentlich reich an Trödelladen nnd allen nnr denkbaren Voutiken des Kleinhandels gewesen sein. Seitdem es aber den Juden in Rom gestattet ist, zu wohnen, wo immer sie wollen, nnd der Ghetto nicht mehr verschlossen wird, — ich habe auch keine Thore bemerkt —, so hat das Stadtviertel seinen ehemaligen Charaktcrzug ganz verloren und sieht nnr ein ganz klein wenig schmntziger aus, als die schmutzige ewige Stadt selbst, in der von einer Straßenpolizei gar keine Rede ist. Aber zwei Ermneruugen an eine bessere Zeit sind am Ghetto, die wir anfsnchten, die eine ist das Theater des Marcellus, die andere der sogenannte Schildkrötenbrunnen. Wenn man vom Ghetto aus auf einen kleinen Platz, die Montanara, gelangt, also geheißen von den Landlenten oder Arbeitern ans den Gebirgen, die dort umhersteheu und Arbeit suchen, so entdeckt man gar leicht hübsche altrömische Snbstrnetionen eines Amphitheaters, in welches sich der Krautmartt und die Hökerei des gewöhnlichen Volkslebens hinein parasitirt hat, während andererseits ein römischer Palast darüber — 280 — hinweg gebaut ist. — Das von Cäsar und Augustus erbaute Theater, nach den: Enkel des Letzteren, Mar-cellus, tnon,ti-iim ^lln-cs'Ni genannt, konnte 30,000 Zuschauer fassen, und war eins der reizendsten Vau-ten des alten Roms; namentlich soll es an Eleganz das Colosseum hinter sich gelassen haben. Aber leider liegt das untere Geschoß mit dorischen Säulen ganz in 'der Erde; das zweite trng jonischc Säulen; statt des dritten Stockwerkes erheben sich heut zwei Stockwerke des Palastes Orsini-Savclli drüber hinaus. Aber auch so noch bietet es in seinen Resten und besonders in seiner Fayade nach der Montanara ein reizendes Muster von Eleganz und reinem Geschmack. Trotz des Namens Orsini Savelli dachte ich beim Anblick des modernen Neberbaues an die arabischen ßehm-häuser in Luror, und an Esneh, die Stadt auf dem Tempel. Vielleicht gräbt man doch noch »inmal das herrliche tii^atium NaroeUi auoi'ium I^>MlUMI1>. Als Wahrzeichen davon hat man im inneren Naume, nachdem schon viele Jahrhunderte an dem architektonischen Ricsengcbäude Steine und Metalle geplündert batten, die Zeichen des siegenden Christenthums auf-,gl.'pflcmzt. Mitten in der Arena steht ein großes Kreuz aufgerichtet, und 14 Betaltarc oder kleine Ka-p-llen sind ringsher eingebaut. Sie thnn dcm Am- 19 5 — 292 — phitheater nicht dm geringsten Abbruch in dem Ausdrucke seiner Größe und Majestät, sind aber die bestimmtesten Denkzeichen und Erinnerungen, daß da, wo sie stehen, keine blutigen Dramen wieder aufgeführt werden. Ganz herrlich, ganz tadelfrci und edel ist nun noch seitlich vom Colosseum nach dem palatinischen Berg hinwärts der Triumphbogen Constantino, vielleicht der am besten erhaltene und der schönste von allen Triumphbögen aus der Nömerzeit. Dennoch hat die genauere Untersuchung an diesem wahrhaft glänzend ausgestatteten Bau eine Doppclnatur in Anlage und Ausführung erkannt, so daß mau den Triumphbogen aus benutzten Resten eines Trajan-dcnkmales oder Siegesbogens, und dem wirtlich für Constantin errichteten Bau zusammengeschmolzen sich denkt. So sind denn auch die basreliefischen Dar-stellungeu gemischt, theils reiu heiduische, theils aber sich der Zeitstimmuug hinneigend, die den Imperator zum Christenthum leitete. Doch dem sei, wie ihm wolle, der Triumphbogen des Conslantm ist trotz dcr Verschiedenartigkeit des Styls, der Ausschmückung und einer gewissen Ncberladung von Pracht ciu so wundervolles und dabei so gut conservirtes, ich möchte sagen, trotz des einen oder anderen kleinen Defeetcs, so um aussehendes Monument aus alter Zeit, daß man es — 293 — gar nicht genug beschallen, gar nicht genng bewundern, sich gar nicht genug daran freuen kann. Damit war unsere Wandernng des ersten römischen Tages zu Gide, — oder fast zu Ende, denn noch Etwas sollte sie uns bringen. Wir gingen beim Faustmentempel in die Straße hinein und klopften bald an eine Thür, die nils in ein Waisenhaus führte nnd in Begleitung einer Schaffnerinn durch einen Garten nnd eine Treppe hinauf oben auf das platte Dach der Basilica des Constantin gelangen ließ. Ans dieser leicht schräg geneigten Platte kann man die Mächtigkeit der Nnine selbst in ihrem Ueberrcst vollkommen übersehen. Besonders aber kann mau von hier hinabschaueu auf die imposante Trümmerwelt des oinnim viu^ino. Ganz am östlichen Ende des klassischen Belvederes erhebt sich die abschließende Wand mit einer Fensteröffnung, die eins der zauberhaftesten Bilder gewährt, welche nnr zu finden sein mögen. Die Oeffnung umrahmt fast neckisch grade das Colosseum, es steht ganz frei, ganz isolirt in dem Bilde. Ueber der niedrigen Seite des mächtigen Baues hinweg schweift das Auge in die Ferne und weilt gern all den dort malerisch aufsteigenden Bergen. Sollte bas Fenster mit seinem Durchblick oben auf dem Dach der Basilica Konstantins einmal photographirt werden, wan würde vielleicht die Existenz solcher anmnthig großartigen Spielerei bezweifeln, und dio Umfassuug — 294 — des Colosscums nur für einc photografthischc Effect-hascherei halten. — Ner aber in den nächsten Zeiten einmal die Stelle aufsucht, und dnrch den Kohlgarten geht, dcr sick hinter dcr Basilica hinzieht, der sehe sich den dort stehenden Orangenbaum an. Der Kerl ist ein vollendetes Prachtexemplar an Zierlichkeit des Stammes und prächtiger Abrundung der dnnkel nnd dicht belaubten Krone, auf welcher der Ucberfluß der goldenen reifen Aepfel weit hinschimmert. Und nun noch einige Schritte weiter die Strafe hinauf! Dort steht die Basilica Endoriana oder St. Pietro in Vineoli. <Än schönes Marinorftortal bildet den Einqang in die Kirche Betritt man diese, so steht uian wieder in einer wundervollen Basilica zwanzig antue caneilirte korinthische Jaulen tragen das Mittelschiff, nnd machen jenen zauberhaften Tempeleffect, der, wie versckieden auch die Details sein mögen, doch an die St. Maria Maggior^ erinnert. Und so ist Alles, aber anck Alles, Alles ^r rbenralls herrlich, kunstsinnig und förmlich erblickend für /mg- und Herz. Die Kirche enthält unter ihren Nerüoürdigkeilm die Aettcn des heiligen Petrus, und rechts an der Seite eine jener Kunflleistungcn, die recht eigentlich tx uug'no leemcm erkennen lassen. Hier sitzt der Moses des Michael Bnonarotti, der Herkules vom Sinai, ein Vöwe unter den lV'csctzgebern, der — 295 — eben ron seinem Sessel auffahren will, ,lin begeistert und fast zornschnaubend das Wort in die Welt hin-einzndonnern: „Ihr sollt!" -- Welche Kraft, welche Fülle, welche Entschlossenheit in dem Mann Gottes! Das ganze sitzende Standbild, ein jüdischer Ramses, ist l'iue wunderbare Studie? Nur der Genius, der das Pantheon auf das Kreuz der Peterskirche setzte, konnte solchen Moses ersinnen und aus dem Marmorblock heraushauen. Nahcl nnd ^ea neben ihm, im Zinne einer Maria und Martha aufgefaßt, sind viel weicher gehalten. — Sie sollten das Denkmal des Papstes Julius II. bilden, welches Denkmal, — ein riesiger Gedanke —, auf 40 Statuen berechnet war. Vielleicht wäre es ein „jüngstes Gericht" in Marmor ausschauen geworden. Keine Statue der Welt hat Aehn-lichteit mit diesem Moses, ebenso wie kein Künstler Aehnlichkeit gehabt hat mit Buonarotti. /Als wir in der schönen Basilika den gewaltigen Mann umstanden, — cs hatten sich einige Gruppen von Geistlichen cingefuudcu —, fing es an zu dämmern Im Halblicht gewann der Moses wirklich ein furchtbares Ansehen. Ür sah aus wie sein eigener Jehovah. Und in tief 'ernster Stimmung verließ ich St. Pietro in Pineoli! — Welch ein Tag, so ein Nömertag, so ein erster Tag in Nom! Ja, man ffchlt <'ö, weil man cs hört und sieht an allen Ecken und Enden, daß das nur — 296 — die ewige Stadt sein kann, welche man durchwandelt, die mit ihren Monumenten über ihre eigene Gründung Hinansgriff bis in die Zeiten hiuaus, wo Jacob nach Egypten zog, nnd man im alten On, Hc-liopolis, Obelisken aufrichtete, — die Stadt der Republik, welche sich ganz Italien unterwarf, — die Stadt der Imperatoren, der die Welt zu Füßen lag, — die Stadt der Päpste, welche in langer Neihe fortschreitend die uralte Legitimität vorstellen nnd alle anderen Dtznastenfamilien nur als Parvenus erscheinen lassen, — die Stadt des alten italienischen Adels, die Stadt der Pallästc, deren über 70 in der ni'do äoll' «rde stehen! — Mit Recht sagen Wittmer und Molitor m ihrem „Rom" darüber: „Mit Nccht wird Rom noch immer die Stadt der Paläste genannt. Keine andere Stadt der Erde kann sich mit ihr messen, was die Anzahl der durch Architektur und Kunstgegenstände ausgezeichneten Palastbauten angeht, deren Besitzer einen in der That fürstlichen Gebranch von ihren Kunst-schätzen machen, indem sie mit großartiger Liberalität den Zutritt zu denselben gestatten. Es gehört das mit zu dem Luxus der römischen Prineipi, und mau muß gestehen, daß dies ein wahrhaft edler Luxus ist. Den mittelalterlichen, burgähnlichen Charakter, wo den Höfen der Barone der Thurm uicht fchleu dürfte, haben diese Bauten längst verloren. Sie sind im Styl der Renaissance aufgeführt, mit weiten, faulen- — 297 — tragenden Vestibülen, prachtigen Trepftenanlagen, Höfen mit perspektivischen Durchsichten und weitläuftigen Nebengebäuden. Neben den Riescnruinen der antiken Stadt entstanden, uchmcn sie, gleichsam gezwnngen, Theil an deren kolossalen Verhältnissen und Dimen-.sionen. Wenn diese Nlir weniger in die Augen springen, so liegt die Ursache hiervon theils darin, daß sie mitten unter solchen grandiosen Nnincn selber wieder in so großer Anzahl sich erheben, — theils sind sie in den dichtbevölkerten Stadtthcilen nicht selten sehr ungünstig in engen Straßen gelegen, wo sich die Pracht der Architektur nnd die Großartigkeit der Nänme nur nn Innern entfaltet. Adcr auch hier hat der Südländer andere Begriffe von Nohnlichkeit, Behaglichkeit und Eleganz, als wir im Norden sie haben, und es Macht immer einen heitern Eindruck, wenn der beschränkte Gesichtskreis eines Fremden im italienischen Haus Dinge vermißt, wofür der Italiener weder Sinn uoch Bedürfniß hat. Für ihn besteht die Behaglichkeit des Lebens im Haus vor Allem in hohen, weiten kühlen Räumen, und dafür wird so reichlich wie möglich, ja verschwenderisch gesorgt. Die Bequemlichkeit darin zu finden, daß man den Salon, wie es die neueste französische Mode will, in ein Möbelmagazin ^Mvandelt, durch dessen einzelne Stücke man sich durchwinden muß, dazu hat es der Römer noch nicht gebracht. Dafür bieten die in diesen weiten Marmor- — 2W — räumen aufgehällftcn Kunstfchätze den reichlichsten Er-satz. Die Museen der Paläste, wie der Villen Noms, in welchen nnscr staunendes Ange so viele Meisterwerke der modernen Kunst erblickt, versetzen nns sogleich in die antike Welt zurück, nnter deren ernsten Marmorgestalten wir sinnend umhcrwandeln. Götter, Heroen, Weise nnd Gelehrte, Fiirsten, Staatsinänner, Feldherrn, Dichter und Künstler der alten Zeit umgeben uns; selbst die verstümmelte Inschrift nnd das verwitterte Relief lassen uns oft einen tiefen Blick in l>^ist nnd Wesen jener heidnischen Jahrhunderte thun. Nenn wir aber anch in solcher Weise nicht die mannigfaltigsten nnd tiefsten Einblickein das Leben jener entschwundenen Zeit gewinnen, einen bleibenden Eindruck, welcher zum Nachdenken den reichsten Stoff bildet, werden wir jedenfalls von diesen Mar-morgestaltm mitnehmen. Es ist der unvergeßliche Eindruck, welchen die tiefe, oft bis znr finstern Härte und zum Trotz gesteigerte Schwermuth, die auf den schönsten Zügen fast aller dieser edelen Gebilde liegt, anf den Beschauer macht, das ernst mahnende Wahrzeichen der nnerlosten Menschheit!" Gewisi! Und eben deßwegen mußte vor Allein Nom, — und das ist das große Providenzzeichen der ewigen Stadt, — die Stadt dcr christlichen Kirchen werden. — Mit den 70 Palästen erheben sich an U>!> Kirchen in Nom, Kirchen die zum Theil an 1500 Iah« ihren Platz imie haben, Denksteine «ind niatheiuatisch unwiderlegbar!: Wahrheiten des Evangeliums, wie denn ja der ersle Sendbrief an die Christenheit, an die Nömer geschrieben ist. ^- Das ist es, ja dao gau; besonders nnd vor Allein ;u?rst, was mick am ersten Tag in Nom so gepackt ha: und gefesselt hält, das von Uralters ber dociünentirte ^hristenthlini! — Wie ist denn am Ende dieses schwcrluiugiirtetc Römerthum gewesen? Naö konnte es sein nnd werden, wenn nocl, unter einem Trajan im Colosseum ein Ignatius von Antiochien ;nm Gaudiun: des Volkes von Löwen zerrissen wnrde? Damals eristirte 8"om schon über 690 Jahre; — waren jene Circusmenschen auch nur ein Häa'rchen besser geworden als die Räuber des Romulus und Nemns? — ^a, das ckrittlichc Rom von 15M) Jahren, von 1^ Jahren, das ist das Rom, das so wunderbar entzückt! Und in einein ein;igcu Tage hatte ich Noms Gegensätze, seine edelste Kirche und seinen bluttriefenden Nömereircus durchwandert! Am nächsten Tage war nun qar ein Sonntag! Unser Fenster war schon offen, als der Morgen roth-glühend anbrach. Die eine mw andere Frühglocke schlug au, doch war es nur ciu Erwachen, kein Wachsein. Da plötzlich donnerten in langgemesscnen Zchla-gen die Kanonen der <ängelöburg über Nom hin, uud nun erwachte Nom völlig! Nun begannen seine Glocken — 300 — ihr buntes Durcheinandcrtlingen in allen nur niög-lichen Metallstininieu und Tempi, und cincm möchte statt des normalen Weges die hohe Treppe hinab das Herz aus dem Fenster fliegen, meinetwegen bis in den italischen Himmel hinein! Und nun begann auch nnser Wandern wieder! „O Wandern, Wandern meine Lust, o Wandern!" Kaum sollte man es denken, daß einer Menschenseclc das Lied einfällt, wenn es sich um eine Stadtwaude-rnng handelt. Aber in Rom ist das Wandern so ächtes, klassisches Wandern! Und nun gar, wenn man die Absicht hat, nach einer Höhe zu wandern, nm von dort ans Rom zu überschauen. Unser junger Pettrich hatte dazu den Ianiculus ausersehen. Der Monte Gianieolo liegt am Wcstrande der Stadt, jenseits der Tiber, und steigt ziemlich ansehnlich auf. Eine Nordhöhe bei der ewigen Stadt, der Monte Piucio soll die Aussicht noch weiter geben; doch bildet er selbst einen schönen Hintergrund hinter dem Hä'uscrchaos, wenn man auf dem Ianicnlns steht. Und so wurde dieser Standpunkt vorgezogen. Da man mm aber in Rom nicht den kleinsten Weg machen tann, ohne eine Kirche zn treffen, und man nicht leicht eine Kirche trifft, die nicht künstlerisch oder tirchengeschichtlich merkwürdig wäre, so daß man sie sehen muß: so betraten wir auf unserm Wege zur Tiber und dem Pontc Sisto zwei Kirchen, deren — 301 — eine merkwürdig ist wegen ihrer Marmorpracht, die andere wegen eines Monumentes. Wenn ich vorzugsweise von der Marmorpracht einer Kirche in Nom rede, so wird ein Kenner der herrlichen Stadt ziemlich bestimmt voraussetze!,, oaß ich von der Kirche äol (l^ü, von der Iesniterkirche rede. Wirklich ist sie von den Marmorkirchen Noms vielleicht die marmornste! Gewiß bleibt man betroffen stehen, wenn man in diese, freilich überladene, aber eben deßwegen zauberhafte Prachthalle getreten ist.— Die Wände sind mit Marmor verschiedener Färbungen bedeckt. Die Pfeiler ringsher tragen gelben eanellir-ten Marmor, der unten in weißen geäderten Marmor übergeht. Auf dem Hochaltar stehen prachtvolle Marmorsäulen, Marmorstatuen, — wohin mau sieht. Prangt dem Auge das edelste Material entgegen, weun es nicht anderem (Gestein, ;. B. dem Lapis lazuli Platz macht. Dazu sind alle Kapellen und Altäre mit Bildern von den brillantesten Farben geschmückt; die Decke des Hauptschiffes ist die üppigste Goldverschwen-du„g, — Alles, Alles ist die wirtliche Pracht eines Märchens, welche Pracht, trotzdem daß die Kirche ziemlich groß ist, sich so dicht aneinander drängt in ihren Einzelnheiten, daß Ulan zur Betrachtung des Einzelnen gar nicht kommen kann. Unter dem Altar liegt der heilige Ignatius von Loyola begraben, der Stifter des gewaltigen Ordens, der seine Macht, sein Ansehen — 302 — zu einem weltgebieteuden zu macheu verstand, dessen Kirchen, wenn auch nur' in Resten noch dastehend, ich schon in den Grassteppen von Südamerika augestaunt habe. — Kein Orden hat so wie dieser den Keil d.'s Christenthums in die Barbarei und die Horden der Wildnis; hineingetrieben. Und die berühmte Bulle ^)miiinu!< ilthnn i'Oäouiptm' nO8toi- hat im fernen Auslande nneudlich Vieles zerstört. Wegen dieser welthistorischen Bedeutnng des Jesuitenordens ist diese Kirche ci^I (lc^n in Rom anch geschichtlich höchst merkwürdig, wenn freilich bei dem Anblick uud der genaueren Untersuchung ihres Inneren man fast die ganze (beschichte von den verpönten Ic-sniten vergißt, und eben nur schanen nnd bewundern tanu. Ick) möchte die Kirche an der ina//xn, äol s^o«ü das Schniucktästchcn größten Maßstabes von Nom nennen, und Jedem, der ans weiterer Ferne, zumal aus dem protestantischen Norden, nach Rom kommt, rathen, zuerst eiumal diese Kirche zu betreten. Er wird ihr den Kirchencharakter weglaugnen wollen, wird aber doch eingestehcn müssen, daß der Eindruck ein wirklich überwältigender ist. Die zweite Kirche uuserer Morgcnwandernng war G. Maria in Camftitelli. Ihre Grnndlagc ist merk' würdiger Weise das Fundament des alten Tempels vom Inpitcr Ttator, dem Zeus Polias von Nom. - - Eine prächtige Wirkung in diesem schönen, gric- chischen Tempel, ^ denn dm Eindruck macht die Kirche doch immer etwas —, macht die Fülle der korinthischen Gäulen, welche die Schiffe und Kuppel tragen. — Hier ist im Querschiss das Denkmal des Kardinal Paeca von meinem alten Freunde Pettrich in Marmor ansgchauen. Die liegende Statue de^ entschlafenen Kirchenfnrstcn ruht mit dem Haupt in den Armen eines Engels, — ein edler Gedanke edel und streng kirchlich ausgeführt! Gewiß hat sich mein eoler, im Lebcussturm vielfach umhcrgeworfener Freund mit diesem Denkmal selbst ein bleibendes Denkmal gesetzt. Und nun standen wir oben auf dem Ianicnlus. ^oen an der Stirne des berühmten Hügels, nicht weit voll der Stelle, wo Nnma Pompilius bestattet sl-'m soll, liegt eine Kirche 2. Pietro in Montorio, bic dem Andenken des heiligen Petrus ganz speciell Mveiht ist. Denn im Hofe von S. Pictro in Mou-torio soll unter Nero der heilige Petrus gekreuzigt worden sein. Die Stelle wird in den Traditionen so ,^nau angegeben, daß Ferdinand und Isabella voll Spanien die noch sichtbare Tiefung, in der das Kreuz stand, durch Vramante von einer Kapelle überbauen ließen. Die Kirche selbst ist neben anderen römischen Kirchen etwas scheinlos, zumal wenn man eben die ^esniterkirchc gesehen hat. Früher enthielt sie unter lhren schöm-n Bildern alter Meister das vollendetste — 304 — Stück aller Malerei, die Transfiguration von Raphael, die jetzt im Vatican aufgestellt ist. Vor dieser Kirche ist eine Terrasse aufgebaut worden, von der aus man einen vollen Blick über Rom hin werfen kann. Und solch ein Blick ist Alles, was das Auge an Größe und Vergänglichkeit erschauen kann. Nach Norden, Osten, Süden dehnt sich das Häusermeer aus, aus dem Hunderte von Kuppeln und Thürmen heraustauchen. Aber wie ein bewegtes Meer erscheint die ewige Stadt. Einzelne größere Schwellungen bilden die berühmten Hügel, deren Sicbenzahl der Stadt den Namen gegeben hat. Stolz und kühn, Ivcltgebietcnd nnd allmächtig ragen mannigfaltige Bauten höher heraus aus dem Hügelmeer; aber auch mehr als ein nngeboures Wrack, auf einer Untiefe gestrandet, ist zu entdecken; und die goldne Mor-gensonnc, die auf alle vergangene Herrlichkeit und alle gegenwärtige Größe hcrabschant, mahnt uns nirgends in der Welt so wie hier daran, daß nur Gottes Weltorduungen ewig sind, daß nur in ihnen Friede und Harmonie liegt. So wunderbar zerrissen, ich möchte sagen, zerfetzt sieht Nom von oben herab gesehen aus! Bald bildet eine große Insel in dem Stadtmeer ein wirtlich zusammenhängendes Quartier, bald scheint wieder eine Gegend ganz verödet zu sein. Der nordwestliche Theil Roms ist wirtlich Stadt; — 305 — alles Ucbrige ist eine auseinandergesprengte Herrlichkeit, ein Gemisch von Palast, Park, Stcinwüste und ungeheuren Ruinen. Und während unten am Fuß des Ianiculus die uralte Tiber mit ihrer langgedehnten Spirale an der dichter bewohnten oder dichter aus Häusern gebildeten Sladt sich hinwälzt, braust der Eiscnbahnzug ganz im Osten ans den dioclctianischen Vädcrn herans und theilt sich außerhalb der Mauern in die Arme nach Florenz, Neapel und Civitavecchia, welcher letzterer in weitem Bogen den ganzen Züden Roms mit seinen alten Ruinen und seinen modernen Villen umspannt und danu am Monte Testaeco über den Tibcrstrom hinübergreift. Nur die Peterskirche vermißt man in dem großartig ernsten Biloe. Hie tritt nordwestlich hinter dem Hügel zurück, grade als ob sie mit ihren edelen, harmonisch schone,! Elementen sich gar nicht hineinmengen dürfte in das Chaos der Weltstadt. Dagegen steht in einiger Entfernung von der Ningniailer außerhalb Nom hinter dem Monte Testaceo weg die Basilica St. Paolo fnori lc mura, die Grabkirche des Apostel Paulus, ein durch und durch edles Baumonument,'welches mir in der Menge des Schcnswnrrigen in Nom und in dem Drangen meines iur;en Aufenthaltes daselbst nicht vergönnt worden ist zu besuchen. Wendet man sich ab von der Aussicht auf die — 306 — ewige Stadt, so findet man ganz oben auf dem Scheitel des Ianiculus ein prächtiges ans alten und neuen Elementen zusammengesetztes Bauwerk, welchem unter ununterbrochenem Brausen und in nie versiegender Fülle Wasser entströmt. Eine Abzweigung der alten Trajanischen Wasserleitung ist vom Papst Paul V. hier zu einem mächtigen Sprudel unter dem Namen der Acqua Paota hergeleitet worden. Die frische Welle bricht cms emem wirklich imposanten Trimnphlhor Heralis, dessen Marmor und Granitsäulen von einem ehemaligen Minerventcmpel entlehnt worden sind. Grade hier auf der Höhe macht der Brunnen einen wundervollen und großartigen Eindruck. Das Wasser treibt bei seinem rapiden ^auf in die Tiefe verschiedene Mühlwerke uuo versieht einige Brunnen mit Wasser. Wenige Schritte hinter dem VrunülMgebände liegt die Porta St. Pancrazio, wo wir zum Thor hinano-gmgen. Die Gegend hinter dem Iamenlus bildet ein tiefes Thal mit Gärten, Villen, Parls und Kohlpflanzungen in der cordialsten Einigkeit. Wir folgten dem einsamen Wege gleich 'nach rechts unmittelbar hinter ocr Stadtmauer, deren festen alten Ball man grade anf diesem Ncge besonders betrachten und be-wnndern tann. Bald sieht man hier aus dem Grnnde ill wirtlich imposanter Größe und eigenthümlicher Isolirnng die Pcterstuppel aufsteigen, während die -' 30? — Stadt vollständig hinter der Stadtmauer versteckt liegen bleibt. Und hinter der Stadtmauer blieb uns auch das Kloster St. Onofrio versteckt liegen, Tassos Aufenthalt, wo noch heutigen Tages dic Tassoeiche steht, und dcn Fremden gezeigt wird. So wie man nuv eben hinuntergestiegen ist vom Bcrg und das Kavallericthor durchschritten hat, tritt man durch cinen Seiteneingaug auf den Petcrsplatz, und steht wieder vor dcr imposanten Basilika. Im Dome war die volle Menschmfinth eines Sonntagmorgens, ein ununterbrochenes kommen und Gehen, ein Messeläuteu nahe uud seru, Andacht und Umherschaucn überall, vornehme und geringe Veute lnieend vor den Altären. - Die Grabstätte des Apostels war glänzend erleuchtet. Um die drunneu-artige Vertiefung standen viele Andächtige, aber anch gewiß viele gedankenlose Menschenkinder, wie denn das allerdings in St. Peter ungemein stört und rechl oft ärgert, daß bei dem weilen Raum in dcr Kirche den Kommenden lind Gehenden cs oft gar nicht einfällt, etwas Nuhe und Haltung zu bewahren, und kaum darauf Rücksicht zu nehmen, wenn sie an einem Altar vorbeigehen, an dein grade Messe gelesen wird. 6ast taul es mir wie ein Unrecht vor, wenn auch wir an solchem Sonntag Einzelnes in dem mächtigen Gotteohause betrachteten und uno an der herrlichen Kunst erbauten. Nir betrachteten besonders die Seite 20 5 — 308 — nach der Sacristei zu, alsu links vom Haupteingaug. Hier sind die prachtvollen Mosaikbilder Ananias und Saphira, und die Transfiguration. Hier ist auch das Grabmal Pius VII. von Thorwaldseu, welches in N.itten der katholischen Welt einen etwas protestantischen Eindruck macht nud selbst bei der Größe des Nannies die Figuren klein erscheinen läßt. Mir machte das Denkmal Pins VIII., als Einfassung des Sakristeieinganges von Tencrani den Eindruck, als ob es viel mehr zum Petersdom paßte, als Thorwaldsens ruhige Darstelluug. Die Sakristei der Kirche, ein ganzes Gebäude für sich, in das wir sehr zuvorkommender Weise hineingelassen wurden, ist eine förmliche Rüstkammer eigener Art, eine Wnuderbare kirchliche Rüstkammer im größten Styl, in welcher freilich das Zurüsten einzelner für die Kirche bestimmter Gegenstände, das Ankleiden von einigen Priestern, das Abstreifeu der (Gewandung von anderen, die eben aus der Kirche kamen, einen nicht wohlthuenden Effect macht. Man sollte vielleicht Niemanden hineinlassen, wenu die Sakristei im activen Dienst ist. Es ist eben ein? fatale Reminiscenz an den „Raum hinter den Coulissen" des großen Kirchcn-actcs. — Außerordentlich lobenswcrth ist dagegen eine Eiu-richtung in jener linken Seite der Kirche. Hier stehen zahlreiche Beichtstühle an den Seiten. Jeder hat eine Ueberschrift: „Polnische Sprache, Deutsche Sprache, 3W Französische Sprache" n. s. w., so baß nicht leicht ein Katholik M- Beichte kommen kann, ohne einen Beichtvater zu finden, der seine Muttersprache nicht verstände. Aber man sieht sich ganz matt, ganz blind, ganz todt in diesem hehren, hocherhabe.nen Labyrinth frommer Kunst, an all den Statuen und Bildern in Mosaik, besonders an all den Grabdenkmalen von Päpsten, oe>n Fürsten, Prinzessinnen, von Männern die im Veben so >>roß waren nnd oft kaum in einer halben Welt Naum fanden, während sie nnn so ftill nnd friedlich im Tode daliegen nnd ihre Nähe nur dnrch ll're Denkmale anzeigen. — Oft trat bei diesen be-, rühmten Todten der Hinfall ihrer Größe schon bei ihren Lebzeiten ein. Mit Wehmnth blieben wir noch zuletzt vor dem vonCaneva wirklich poetisch nnd einfach gemachten Denkmal der letzten Stuarts stehen, ^>aeobo III. und seiner beiden Söhne, von denen der l'me als kardinal starb. — Selbst das Taufbecken z^igt den Hinfall menschlicher Größe an. (5s ist ein gwszcs prächtig aus Porphyr geschliffenes Becken, und stammt noch ans dem Grabdenkmal Hadrians, aus ber Cngelsbnrg her. (5ine Zrit taug reckte es dic Asche oes Kaisers Otto II. zu, welcher bekanntlich in Nom 983 starb. Vor der Kirche fuhren prächtige Cqnipagen mit wunderlichen Kutschern und allerlei Wappen anf den — 310 — Wagen ab mW zu. Fürsten aller Arten, Kardinäle aller Ausgaben, Fürstbischöfe aller Zungen kamen und gingen. Besonders schienen viele vornehme Personen vom Papst selbst zu toniinen, zu dem die Treppe uu mittelbar an der Kirche, gleichsam hineingebant in das Vestibulnm derselben, hinaufführt. Von der Kirche herabschauend ans die glänzende Hin- nnd Herfahrt hatten wir einen wirklich glänzenden, belebten und hochvornehmen Anblick. Und bei ocm bedanken, daß alle diese vornehmen, reichen, mächtigen Patricier unter den weltlichen nnd geistlichen Fürsten, die eigentliche Cröme derselben dem heiligen Vater die Cour mach-. ten, konnte man kaum das Scherzwort unterdrücken-„Der Papst lebt herrlich in der Welt." Fast wollte sich nnser Sonntag wie der Tonnabend gestalten. Wenn man in geschlossenen Räumen, — und am (5nde ist 3. Peter doch auch ein geschlossener Naum —, blendende Knnstsachcn lange gesehen hat, sehnt man sich nach offener Scenerie! S. Gesu, Campitelli, Montorio, Pcterstirche greifen mächtig an. Nnd um uns davon zu erhol,n/ schlenderten wir dnrch den Borgo bei der Engelöburg, über die Brücke vor derselben, tiefer in die Stadt hinein, freilich nicht, ohne auf rem füdlichen Ende der Brücke, oder nebeu derselben auf dem offenen Quai einen langen Blick nach dem Borgo, von der Engels-bnrg bis nach der Peterc-tirche, hinüber geworfen zu — 311 — haben. Unbedingt ist das doch der nobelste Anblick den Rom gewährt; ich habe keinen imposanteren gefunden. ^angs des Corso, der Palastgasse, schlenderten wir dann weiter. Endlich standen wir vor der Kapitols-trcppe. lind wenn man einmal da unten zwischen den Mi wasserspeienden ^öwen steht, mit denen die Treppe beginnt, so kann man die Stufen nicht un-betrcten lassen. Nir bogen aber dieses Mal auf der Treppe links ab, nnd stiegen nach der Kirche S. Maria in Ara Coeli hinauf. Hier, gerade hier, wo die Kirche steht, war einst der Tempel des Capitolinischen Jupiter. Und hier soll August eine Vision gehabt, und einen himmlischen Altar am Himmel erblickt haben, worauf er auf dem Capitol einen Altar gründete, und so Anlaß zur Benennung der später hier erbauten alteu Kirche gab. Die alte, einfache Kirche, die am oberen Nande einer Marmortreppc von 124 Stufen eine kühne Stellung hat, macht, wenn man sie nur eben betreten hat, einen tiefernsten, ehrwürdigen Eindruck. Sie hat drei Schiffe ncbcn einander, die von 22 alten Sänlen getragen und von einander geschieden werden. — Die Decke ist von Holz, der Boden mit uralten Grabstein-Platten belegt, auf denen sich halb ausgetreten? Figuren und Namen befinden. Noch viel reicher sind dio Wände nnd Kapollen an alten Bcgräbnißmonumenten, — 312 — deren nähere Betrachtung einen wirklichen Zauber an sich hat, da sie großenteils historisch angezeichneten Personen angehören und an merkwürdige Vorfälle erinnern. Sogar das Madonnenbild, das der heilige Lucas nach einer Vision gemalt haben soll, wird auf dem Altar aufbewahrt. Auch die Gebeine der heiligen Helena ruhen hier in einer Porphyrwanne, deren Deckplatte den Altartisch bildet. Ueber diesen« Altartisch war sonst auch Raphaels berühmte Madonna di Foligno, eins seiner edelsten Bilder. Verläßt man den alten Muttergottestcmpel mit seiner friedlichen Grabesstille, und tritt aus einer Scitenthür auf ein Area neben der Kirche, so hat man von dort einen vollen, mächtig imponirendcn Blick auf den 0!N' «,i'l»!', der legitime Centralpnnkt alles dessen, was aus dem Gebiete des Schönen nnd Erhabenen besonders hervorragt, lind das Papstthum hat seit Jahrhunderten ja gan; wesentlich mir für die Knnst, die edle, herrliche gestrebt, die nnter solchem Schntzc nie das Maaßvolle überschreiten durfte, sondern immer eine geistliche, vergeistigte und geistreiche blieb, ohne je einem ängstlichen Puritanismns zu huldigen, der überhaupt dem ganzen italienischen Leben, der gan;en italienischen Natur fcrn liegt, und selbst ganz unkatholisch sein würde. Aber ebenso, wie sich die Peterskirche nicht streng definiren lasit, uno am aller wenigsten beschrieben werden will, ebenso ist auch der Vatiean das Unbeschreibliche, das Undefinirbare. Man muß eben selbst — 316 — durch diese langen Gallerien wandern, von Knnst zu Kunst, von Anmuth zu Anmuth, von Entzückendem zu Entzückendem, um die Weihe des Ortes zu ahnden und zu begreifen. — Bencidenswerth der Glückliche, der in Rom leben darf, nnd im steten Wiederkehren von einer Halle zur andern, von dieser Gruppe zu jener, von einer Malcrfchule zur andern fortschreiten kann. Wer aber Rom nur besucht, der muß nicht Alles scheu wollen, nm es eben nur gesehen zu haben. Er mag sich mit dem Besten begnügen, wenn in dem Genuß des Besten überhanpt eine Genügsamkeit denkbar ist. Und wirklich wird ihm immer doch die eine oder andere Knnstbildung, sei es Natur, sei es Bild, im Gedächtniß bleiben als ein von Nom mitgenommenes Eigenthum, als eine Erinnerung vom freundlichsten Charakter, von der imposantesten Nachwirknng. So denke ich, wenn ich mich zu den Statuen des Vaticans zurückversetze, ganz besonders gern jenes Euripides, jenes Demosthenes, als vortrefflicher Statuen ans bürgerlichen Verhältnissen, jener schönen griechischen Amazone mit feinfaltigcm Umwurf, jener anmnthigen Anadyomene, die sich das Haar aufbiudet, — und nun gar des prächtigen Athleten, der sich die Hant striegelt, — des herrlichen colossalen Nilgottes mit dem reizenden Kindergcwimmel! Ganz wundervoll ist jene heftig agitirte Gewandstatne ohne Kopf lind Hände, die mich ganz an eine vom Gott ergriffene Kassandra erinnert. — 317 — Und welch einen edcln Gegensatz dazu bildet nicht jene schlafende Ariadne, das lieblichste Todtendenkmal, das man sehen kann! Und doch athmet es in der schönen kräftigen Form, zumal in dem rechten Arm jene Ge-snndheit nnd Fülle, die es ganz dem Leben vindiclrt. Die Gewandung ist unnachahmlich schön, - ja diese Ariadne ist mir eigentlich das Liebste im ungehenren Statuenlabyrinth des Vaticans. Ein wirtliches NM8 ing'ou» ist der Torso von Belvedere! „Man sieht noch am zcrhanncn Stumpf, wie mächtig war die Eiche" würde Uhland von ihm sagen. In seiner Nabe passirt aber wohl einem Jeden eine Unterbrechung, eine Störung. Vom hohen Vatiean ans übersieht man Rom, und wirft einen Blick in das ferne Gebirge, auf welchem, — es war ja December —, reizendes Grün mit Schneestreifcn m paradoxer Neckerei abwechseln, und den Ernst der Knnstbetrachtnug im Vatican selbst mit dem glänzendsten Erfolg unterbrechen. In dem sogenannten Cortilc di Belvedere erreicht die Scnlptnr des Batican ihre Spitze. Hier sind in vier Eckgemächorn einer offenen Area, die noch von Bramaute geballt wordeu ist, die herrlichsten Sachen "lter und ueuer Must. In dem einen Gemach stehen Meisterwerke Eanova's, sein Persens mit dem Gor-goncnhanpt in der Hand, offenbar vom Meister dazu bestimmt, lnit dem Apollo von Belvedere um den — 315 — Preis der Darstellung jugendlich männlicher Schönheit zu ringen, — und die beiden Fanstkämpfcr, die gewiß höchst vollendet sind, mir aber einen widerlichen Eindrnck machen; denn sie sehen aus, wie zwei nackte Wahnsinnige. Wie kann man doch nnr so viel Mühe, so viel hohe Meisterschaft an so eine Venus Calipygos in Neapel, an so zwei Boxer in Nom verschwenden, wenn sie nicht etwa, — die Venus als Wahrzeichen von Paris, die Boxer als Stadtbild von London —,. von irgend einem Original bestellt worden sind! Herrlich ist ocr Mcrcurins von Belvedere im zweiten Gemach, — — mächtig, gewaltig, erschütternd die Vaoeoonsgrnppc im dritten, fast zu viel für ein Kunstwerk, fast zu viel Studium und Uebcrlegung, zu viel Anatomie für das gegen ein ungeheures Schicksal ringende Mannesthmn, — gerade wie der mm folgende Apollo von Belcvcderc fast zu viel Aumuth, Schlank-bcit, Knabentrotz und Hohn selbst noch nach voll-führter Nache, in Stellung und Miene zeigt. — Die Laocoonsgruppengeschichtc möchte ich lieber erzählt als in Marmor ausgehauen sehen, und der Apollo müßte zehn Jahr älter sein. Die Sala degli Animali in der 'Nähe dieser Gemächer, gerade dieser, macht einen höchst wunderlichen Eindruck: Ochsen, Hunde, (Hscl, Pferde, Schafe, Hirsche, — das in Stein und Erz ist gewiß bewundernswürdig. Dock) gebe - ich im Vatican neben der — 319 — Peterstirche nichts darum, und habe mir in ihrer Betrachtung auch keine Mühe gegeben. Aber genug der Herrlichkeiten aus Marmor? — Werfen wir noch einen Blick auf die Malereien! Am großartigsten haben sich an dieser herrlicheil Kunststätte die beiden hervorragendsten Künstler aller Zeiten, Michael Angelo und Raphael verewigt, b. h. so lange verewigt, wie Malerei übcrhanpt dauert. Und das ist eine wehmüthige Parenthese, die besonders auf Michael Angelos Bilder sich bezicht. Nur nennen darf ich hier die Cappella Sistina, diesen mächtig hohen Kirchmsaal, einen der berühmtesten Räume der ganzen Nclt. Die Längsseiten enthalten herrliche Gemälde ans der besten italienischen Zeit von Signorelli, Bottieclli, Perugino, Ghirlanrajo; -^ aber sie erbleichen bereits, und am Ende, wer betrachtet sie lange und gewissenhaft, wenn er über sich und im Hintergrnnde bis 60 Fuß ansteigend, Michael Angelos mächtige Schöpfungen vor sich sieht, jene wunderbar poetischen und gewaltigen Deckenfrestcn, die paradiesisch schönen Bilder von Adam und Eva, die mächtigen Phropheten nnd Sibyllen und dann das Riesenwerk des jüngsten Gerichtes, eine Dautcsche Divina Comcdia iu Form und Farben gebracht. Man kann dieses wirklich ungeheuer großartige Bild, die Auferstehung aller Leiber der Weltgeschichte gar nicht fassen. Gerade wie die Weltgeschichte Alles im Leben — 320 — durch einander treiben und flutheu ließ, so flnthet auch hier die uugeheure Menschenwellc hervor aus dem Schooß dcr Erde und durch einander, Stellung, Bewegung ins Nnfaßliche gehelid. Aber doch sind das, — und das hat mich bei den: Bilde feindlich berührt —, die Leiber der Menschen ganz .in ihrer irdischen Form; es sind eben nackte Männer, nackte Frauen, und ihr ungeheures Gewimmel in der unbegreiflich hoch anfsteigenden Dimension kann kaum vom Auge ertragen werden. ivast scheint es mir unmöglich, daß ein Christ sich das jüngste Gericht wirklich so vorstellen solle. — Ich kann eben nnr Dantes Divina Coinedia mit dieser gemalten Divina Comedia zusammen stellen. An die Sixtinische Kapelle reihen sich die Räumlichkeiten an, die durch Raphaels Pinsel so berühmt geworden sind, die Loggien und Stanzen, — erstere mit den reizend anmuthigen Vibelgeschichten in echt Ravhaelischer Naivität, letztere mit den großartigen Bildern aus den ersten Christenzeiten in Nom, th.'ils ganz von Raphael selbst ausgeführt, th^ls von seinen Schülern ganz ans der Seele des Meisters dargestellt. So die Bilder in der Sala di Constantino, mit großen Züge»', aus dem ^eben dieses christlichen Kaisers, die Kreuzes^rscheimmg, — dio »nächtige Schlacht bei der milvischen Brücke, — Constantius Taufe, ^- — 321 — seine Schenkung Roms an den Papst! So die Stanze des Heliodor mit dem Tempclraub, und dem Begegnen Attilas nnd ^eos. Die Äiloer über dem Fenster, seine berühmte Messe von Bolsena und Petris Befreiung aus dem Gefängniß sind entweder schon von der Zeit mitgenommen oder fallen wegen des Lichtes unmittelbar nntcr ihnen nicht vollständig ins Auge. Man sieht sie sehr ungünstig. Die Stanza della Segnat'lra ist eine großartige Malerpoesic, ein lyrisches Epos, m welchem alles Edle und Große aus Wissenschaft und Kunst in Form ihrer Repräsentanten ans dem Heidenthum nnd Christenthum harmonisch nnd versöhnt zusammenfließt, — eine Composition, von dcr das schöpferische Genie Kaulbachs durchdrungen gl.'w?scn sein mag, als er sein goldenes Zeitalter Griechenlands nnd seine Reformation im Berliner Museum malte. Aber Raphaels Darstellungen sind gar keine Zeiten, wie Kaulbachs, cs siuv geistige Erhebungen der Menschheit, die nur in .'im'm seligen Jenseits in so wunderbarer Harmonie zusammen kommen können, ein wirtliches himmlisches Jerusalem aller Bmst, aller Wissenschaft. Das nun folgende Gemach, die Stanza del I^-cendio, hat seinen Namen nach oem berühmt.'» nno Wohl tausendmal abMnicklcn und ab^'in.Uten „Hrand im Borgo" erhalten, gew!ß einem oer allerbeoeutend-sten Gemälde Raphaels, bewundernswürdig in Form, — 322 — Gewandnng,Oewegung und Färbung,wobei wohl überall^ wie verschieden auch die Drapvirung sein mag, Raphael allerdings an die Erzählung des Aeneas vor der Dido im Virgil sliMMum, ve^in;»,, ^nl)6« vonn-vai'o ^s»Iorom) gedacht haben mag. — Neben dieser, fast im Geiste Michael Angelos gehaltenen Eompo^ sition, fallen die beiden Gemälde derselben Stande aus dein Leben .Karls des Großen einigermaßen znrück. Aber höchst wunderlich macht es sich, wenn man von solchem „Brand im Borgo" fortgeht, und durch dle nächste Thür in einen hellen Saal tritt, in dem mit den zierlichsten Formen nnd Farben und einer ängstlichen Stntzerfeinheit, in großen Fresken die Kirchenversammlnug gemalt ist, in welcher Pius IX. das Dogma von der unbefleckten Empfängniß Maria durchbrachte. Der Maler heißt Podesti. Solche mo^ dernc Ereignisse mit solchen modernen Fornicn schicken sich absolut nicht neben den alten Naphaclischen Kunstinspirationen. Fast schmerzlich berührt der Anblick der berühmten Raphael'schen „Tapeten", denn sie gehen dem vollständigen Verbleichen entgegen. Welche Macht, welche Poesie, welcher Ernst in diesen Bildern! — Die Strafe des Ananias, — Panlns in ^ystra — Paulus in Athen, — Paulus zu Philippi — der Tod des Stephanns, — welche Größe, welche göttliche Inspiration!