Slowenische Musik heute zwischen Staat und Markt I. Kulturpolitik Viele Diskussionen über die Rolle der Kultur in der Gesellschaft wurden in Slowenien auch am Kultusministerium im heurigen Frühling eröffnet. Eine groß angelegte Tagung sollte mindestens einige heutige Probleme auf verschiedenen Gebieten der Kunst erörtern. Viele Diskutanten aus allen Bereichen der Kunst: Literatur, Theater, bildende Kunst und Musik, Kultursoziologen und Politiker haben sich ein paar Tage lang mit verschiedenen Fragen konfrontiert. Trotz manchmal heftiger Diskussion muß festgestellt werden, daß die ganze Tagung kein großer Erfolg war. Die Gründe dafür sind unterschiedlich, doch die Blicke auf die künftige Entwicklung der Kultur und Gegebenheiten für sie in Slowenien sind schon bei verschiedenen Kulturbranchen sehr verschieden. Es wurden viele Fragen gestellt, aber sehr wenige Antworten gegeben. Hier einige interessantere Fragen: Ist die Veränderung der Kulturpolitik eine Drohung oder eine Gelegenheit? Hier waren die Problemkomplexe wie »die Abwesen-heit einer Kulturpolitik als Problem« und »Kulturpolitik der Abwe-senheit als Errungenschaft« eingestellt. Die erste Möglichkeit (Abwesenheit der Kulturpolitik) hat ein negatives Vorzeichen, die zweite aber zeigt, daß die Abwesenheit der Kulturpolitik eine Qualität im Sinne einer Kulturautonomie für Autoren sein kann. Einige Diskutanten wollten die Kulturentwicklung den etablierten Kulturinstitutionen überlassen (einige verneinen sogar die Notwendigkeit des Bestehens vom Kultusministerium) und sehen eine Bürgschaft für die Erhaltung der künstlerischen Integrität nur in der Privatisierung der staatlichen Kulturpolitik. Die Anderen erwarten eine aktive Kulturpolitik des Staates und glauben, daß die jetzige Situation eine Autarkie der Kulturinstitutionen und Bildung eines Kulturghettos ist. Manche wollten die Kulturpolitik auf Erhaltung der nationalen Kulturidentität verengen. Aktuell sind auch folgende Fragen: Welche Kulturbereiche soll die Kulturpolitik einschließen? Welches kulturpolitische Model braucht man in Slowenien? Wie kann Kulturpolitik Kreativität unterstützen? Wie kann sie Rechte für Kultur zusichern? Wie soll man Kulturinstitutionen organisieren? Die erste Frage beschäftigte sich mit den Verhältnissen zwischen Kunst und Kultur, mit der Abwesenheit der Kulturpolitik auf dem Gebiet der Kulturindustrie und Massenmedien, mit der Kulturpolitik, die ein Entwicklungsfaktor (Fremdenverkehr, neue Arbeitstellen usw.) sein kann und besonders: wie soll man Kulturpolitik als eine Regierungsdimension stoppen. Die zweite Frage eröffnete die Diskussionen über Kulturpolitik in Slowenien. Hier wurden zwei Standpunkte erwähnt: brauchen wir eine reaktiv-deskriptive Kulturpolitik, die den heutigen Stand servisieren soll oder brauchen wir Politik, die eine Umstrukturierung der Kultur verursachen will. Und dazu: welches kulturpolitisches Modell ist für das Treffen von Entscheidungen brauchbar bzw. wie soll man die Entgegennahme der kulturpolitischen Entscheidungen demokratisieren und wie kann man die Transparenz der Entscheidungen über Finanzmittel sichern. Das waren einige Diskussionspunkte, über die man sich nicht einigen konnte. Keine Beschlüße wurden gefaßt. 295 Slowenische Musik heute zwischen Staat und Markt Sehr wichtig erscheint die Frage, wie man die Prinzipien der Qualität, Selektion und Vielfältigkeit, Verhältnisse zwischen der elitären und Liebhabermusik vervollständigen soll. Auch diese Frage blieb offen, und am Schluß einigten sich die Teilnehmer, daß es heute – grob gesagt – zwei Kategorien von Öffentlichkeit gibt: auf einer Seite sind die Konservativen, die Status quo verteidigen und auf der anderen Seite die Reformisten, die Veränderungen verlangen. Die Konservativen (das Wort ist hier nicht pejorativ gedacht) verteidigen ihre Positionen verschieden: das bestehende System soll man wegen vieler guten Seiten erhalten, die finanziellen Mitteln, die der Staat für die Kultur zuteilt sind so gering, daß es schade wäre, über Veränderungen zu diskutieren und daß Verdienste der Künstler für das Slowenentum so groß sind, daß man sie nicht mit Geld bezahlen kann. Die Skeptiker meinen, daß das bestehende System zwar nicht gut ist, daß aber auch Reformen nichts besseres bringten könnten, also nach dem alten Sprichwort: “Was besseres kommt selten nach”! Die Reformisten verlangen Veränderungen mit den Begründungen, daß wir in der Umwandlungsperiode leben und daß im Moment nur noch die Kultursphäre und alle Kulturbranchen so wie im alten sozialistischen Selbstverwaltungssystem geordnet sind. Das Verlangen nach Veränderungen kommt meistens aus den Reihen selbständiger Schöpfer, die das System als diskriminatorisch und ungerecht finden. Es ist aber klar, daß auf die Dauer das heutige System keine Zukunft mehr hat. Slowenische Kulturpolitik wurde schon im Jahre 1996 im Europäischen Rat vorgestellt und damit hat die Diskussion über die Zukunft der Kulturpolitik begonnen. Es gibt einige Expertgruppen, die sich mit der weiteren Entwicklung beschäftigen. Als Grundlage für die weitere Arbeit haben diese Expertgruppen sechs grundlegende Werte als Ausgangspunkte für die Entwicklung des nationalen Kulturprogramms ausgearbeitet. Diese Werte sind: 1. Kreativität als Vorbedingung aller künstlerischen Aktivitäten. 2. Autonomie, die eine Tendenz des Schöpfers nach Unabhängigkeit vom ideologischen und ökonomischen Druck der Umgebung bedeutet. 3. Selbstbeteiligung – die Kunst bekommt ihren wahren Sinn erst in der Interaktion des Schöpfens und ihrer Rezeption. 4. Demokratie – ein vorher bestimmtes formales Verfahren bei den Entscheidungen über Kulturentwicklung mit der Öffentlichkeit und dem Fach und mit politischen Faktoren. 5. Multikulturalität 6. Erhaltung des Kulturerbes. Diese formalen Gründe sind nun auch Ausgangspunkte für weitere Diskussionen. 296 PRIMO KURET (1935) II. Musikrealität heute Wie sieht aber die Realität des alltäglichen Musiklebens aus? Zuerst zitiere ich eine eher pessimistische Vision aus der Rede des Vorsitzenden an der Versammlung des Verbandes slowenischer Komponisten im Juni dieses Jahres (1998): „Das Klima in dem wir leben, ist alles anderes als dem kreativen, mit eigenem Kopf denkenden Menschen geneigt. Vierundzwanzig- stündiges Bombardieren der Medien, (fast) die ganze Abwesenheit von künstlerischen Gegenständen in den allgemeinbildenden Schulen, die künstlerische Nichterziehung von Menschen und besonders Politiker, die man nicht an Konzerten sieht (die Ausnahme ist vielleicht “Das blaue Orchester” – ein Pop Ensemble, Bemerkung des Autors) und Abwesenheit des Bedürfnisses nach einem höheren Niveau der Erlebnisse. Das alles hat uns so weit geführt, daß sich unser Staat mit der Subkultur statt Kultur gleichzustellen begonnen hat. Sehr klar hat sich das Gesagte im vorigem Jahr, also im Mai und Juni 1997, während des Europäischen Monats der Kultur in Ljubljana gezeigt, wo man an der Eröffnungsvorstellung die Alternative als Paradepferd dieses Staates eingesetzt hat. Verwirrte Politiker zeigten sich an falschen Veranstaltungen und klatschten über völlig verfehlte Ereignisse, die mit der Kunst nichts Gemeinsames hatten. Ein voller Schuß ins Leere war der Versuch die Gruppe Laibach und das symphonische Orchester der Slowenischen Philharmonie zu vereinen. Das Orchester mußte auf der Eröffnungsveranstaltung wegen unerträglichem Lärm auf Playback spielen. Einige entscheidende Personen aber meinten, daß die Gruppe Laibach unbedingt auftreten mußte, weil sie die einzige war, dank der Slowenien in der Welt bekannt ist. Bei solchem Nachdenken kann man sich über den Zustand nicht wundern, der momentan in unserer Kultur herrscht. Und als wäre das alles noch nicht genug, möchten die Politiker mit der Schulreform und Verdrängung von allem, was von den künstlerischen Gegenständen in den Schulen noch geblieben ist, dieses Land ah das Land der Handwerker und leicht lenkbarer Nichstkenner noch für ein paar nächste Generationen befestigen“. So der Vorsitzende, ein slowenischer Jazzkomponist. Daß alles nicht so schwarz ist, beweist ein reges Konzertleben jeden Tag, nicht nur in der Metropole, in Ljubljana, sondern auch in anderen Orten in Slowenien. Es gibt überall Möglichkeiten und auch Stipendien für besonders Talentierte in allen künstlerischen Sparten, zu Hause und auch im Ausland. Neben die fast zu vielen Musikveranstaltungen reihen sich durch das ganze Jahr und besonders im Sommer viele Festivale in verschiedenen Orten mit spezifischen oder spezialisierten Programmen (Breice, Radovljica, der großangelcgte Sommerfestival in Ljubljana, Festival der Kammermusik des 20. Jahrhunderts im Termalort Slatina Radenci, Barocker Festival in Maribor), um nur einige zu nennen. Es gibt noch Slowenische Musiktage (jeden April) in Ljubljana, verbunden mit einem internationalen musikwissenschaftlichen Symposium. Sie stellen seit schon 14 Jahren die Mühe um die Popularisierung der slowenischen Musik dar. Mit alljährlichen Aufträgen für neue Werke unterstützt man besonders junge Komponisten. In diesem Augenblick könnte sich ein Künstlerverein keine Selbstzufriedenheit, keine Hermetik oder Selbstgenügsamkeit erlau-ben. Die Verschlossenheit in eine erhabene Exklusivität kann nur schaden. Man muß damit rechnen, daß ein Konzert der zeitgenössischen (besonders slowenischen) Musik nur ein paar Zehn Hörer zuhört, daß 297 Slowenische Musik heute zwischen Staat und Markt aber zehntausende einer Popgruppe in demselben Moment applaudieren. Die Zeiten sind anders geworden und die Identität der Hochkultur, verstanden als staatlich subventionierte Repräsentationskultur und Gegenpol zur Massenkultur, hat sich überall verändert. Die Werke der Hochkultur sind nun entweder – in Form von Massenveranstaltungen – so nahe an die Populärkultur herangerückt, daß sie mit ihr identisch oder, durch Weiterführung alter Muster, anachronistisch wurden. Kommerzielle Produkte der Massenkultur und früher als “trivial” abgewertete Genres haben in der Zeit des kulturellen Chaos an Bindungs- und Deutungsfunktion gewonnen. Solche, die wie etwa Rolling Stones oder Drei Tenöre, Erfolg bei einem Millionenpublikum haben, signalisierten damit nicht einen notgedrungen subalternen Stand, sondern eine Konsensfähigkeit, die im Zeitalter der angestrebten “Integration” und der Suche nach dem Dialog über das überzeugendste Kriterium für Evaluierung der Kunst entstanden ist. Der Trend, angesichts der Identitätskrise der Hochkultur nicht mit ästetischen Kriterien, sondern mit Verweisen auf ihre erzieherische Potenz für ihre Erhaltung zu werben, läßt sich allerorten erkennen. Andererseits ist die musikalische Realität heute medienbedingt und mediengeprägt. Aus einer deutschen Statistik aus dem Jahr 1995 macht der Konzertbesuch (Live-Darbietung) in der musikalischen Nutzungsstatistik der deutschen Bevölkerung nur noch knapp ein Prozent aus (zitiert nach Helmut Rösing und Alenka Barber-Kersovan, „Musikvermittlung in der modernen Mediengesellschail“, in: Musikwissenschall – Ein Grundkurs. Hamburg 1998). Wenn wir über slowenische Verhältnisse sprechen, ist es notwendig, auch die Frage der Musikerziehung in den allgemeinbildenden Schulen zu erwähnen. Diese Probleme hat schon der Vorsitzende des Slowenischen Komponistenverbandes erwähnt, In Slowenien erfolgt im Moment die Reform des ganzen Schulsystems. Die Musikpädagogen haben schwere Kämpfe um einen entsprechenden Musikunterricht in der neuen neunjährigen Volksschule ausgefecht. Der Erfolg in den letzten Monaten war zwar befriedigend, aber noch nicht in solcher Maße, daß wir zufrieden sein könnten. Der Musikunterricht in den allgemeinbildenden Schulen ist nämlich äußerst wichtig, weil er der einzige Musikunterricht für die ganze Population ist. Auch in den Mittelschulen soll in der Zukunft mehr Musikunterricht als bisher sein. Wir stellen fest, daß von frühester Kindheit an für die Musik etwas getan werden müßte. Musik ist unter anderem etwas psychomotorisches, wenn sie aktiv betrieben wird und muß sehr zeitig im Menschen trainiert und ausgebildet werden. Darum ist es auch wichtig, daß Schulen mit entsprechenden Instrumenten und der entsprechenden zeitgemäßen technischen Infrastruktur ausgestattet werden. Der Musikunterricht wird in Slowenien durch das Angebot von ungefähr 50 Musikschulen ergänzt. Diese Schulen waren schon in der Vergangenheit in das staatliche Bildungssystem einbezogen. Auch heute ist die Musikschulausbildung ein integraler Teil des Schulsystems in der Republik Slowenien. Die Musikschulen werden von ca. 10% aller Kinder besucht. 298 PRIMO KURET (1935) III. Schluß Der Zustand des gesellschaftlichen Umfeldes wirkt sich selbstverständlich auch auf die Entwicklung der Kulturbranche aus. Die neuen demokratischen Strukturen haben zu neuen Verhältnissen auch innerhalb der Kultursphäre geführt. Es gibt weniger staatliche Subventionen und auch die staatlichen Kulturinstitutionen kämpfen jeden Tag um das nötige Geld. Doch die Musik ist ein Teil unseres Lebens, als kultureller Wert und es ist egal um welche Art der Musik es schon geht. Alle haben das gleiche Problem: sie suchen Publikum, sie wollen ihre Produkte verkaufen, sie wollen Tantiemen beziehen, sie wollen international bekannt werden und alle kämpfen um knappe Subventionen und Sponsoren. Es entsteht dabei auch eine gesunde Konkurrenz. Die Rolle der Massenmedien haben wir schon erwähnt. Die Medien transportieren Musik von einer Seinsform in eine andere. Damm ist ihre Rolle auch für die Vermittlung der Musik so wichtig. Man muß feststellen, daß die musikalischen Bereiche in Europa und auch bei uns über die Jahrhunderte subventionsbedürftig waren und finanzielle Unterstützung vom Staat oder Sponsoren benötigten. Es gibt nur wenige Komponisten, die allein mit dem Komponieren ihren Lebensunterhalt verdienen. So wie überall müßen auch slowenische Komponisten eine Lehrtätigkeit bestreiten, oder eine andere Arbeit übernehmen um zu überleben. Der slowenische Markt ist klein, mit internationalen Erfolgen können nur wenige Ausgewählte rechnen. Manche versuchen im Ausland Erfolg zu erreichen, wo die Verhältnisse noch strenger als zu Hause sind. Einige Komponisten sind in den letzten Jahren aus dem Ausland zurück nach Slowenien gekommen, wenn eine Stelle an der Universität oder Musikakademie frei wurde. Trotz gewechselter Verhältnisse, die für alle Kulturbranchen härter sind, ist es klar, daß einige Formen ohne staatliche Unterstütztung nicht lebensfähig sind. Das zeigt sich in einem kleineren Land viel deutlicher. Damm muß man Gespräche über die Kulturentwicklung noch weiter führen und neue, bessere Lösungen suchen. Objavljeno v: Slovenskí skladatelia I. Medzinárodné kolokvium. Editor Nad’a Hrèková. Bratislava, Katedra hudobnej vedy Filozofickej fakulty Univerzity Komenského, 2000. Str. 81–88. 299 Slowenische Musik heute zwischen Staat und Markt Povzetek Slovenska glasba danes - med dravo in trišèem Drubeno okolje samoumevno vpliva tudi na razvoj kulturne dejavnosti. V Sloveniji kot mladi dravi so nove demokratiène strukture vnesle drugaène odnose tudi v kulturne kroge. Ugotavljamo, da je v sedanjem èasu manj dravnih subvencij, pa tudi dravne kulturne ustanove se morajo dnevno boriti za potrebna denarna sredstva. Kakorkoli e, glasba je kot kulturna dobrina del našega ivljenja, in to v vseh plasteh. Vsi deleniki kulture imajo iste teave: borijo se za obèinstvo, prizadevajo si prodati svoje »proizvode«, prièakujejo zasluene honorarje, stremijo k mednarodni prepoznavnosti in ne nazadnje, prav vsi se borijo za skromne subvencije in išèejo pokrovitelje. Med njimi je nastalo zdravo tekmovanje. Ugotavljamo, da so bili glasbeniki na širšem evropskem prostoru in pri nas skozi stoletja deleni dravne podpore in da zaradi narave svojega dela tudi v aktualnem èasu ni prav niè drugaèe. Èe se osredotoèimo na skladatelje, ugotovimo, da je med njimi zelo malo takih, ki bi lahko iveli od svojega dela. Tako morajo tudi slovenski skladatelji za dostojno preivetje prevzeti pedagoško ali drugo delo. Slovenski trg je namreè po naravi majhen, z mednarodnim uspehom pa lahko raèunajo le maloštevilni umetniki. Vsekakor marsikdo skuša prodreti v mednarodni prostor, vendar je potrebno poudariti, da so tam pogoji še ostrejši kot doma. Kar številni slovenski skladatelji so v iskanju boljših monosti odšli v tujino in nekateri so se v zadnjem èasu tudi vrnili, predvsem, èe so našli monost delovanja na pedagoškem podroèju. (Edo Škulj) 300 PRIMO KURET (1935)