Nummer 103 die bellend herbeigesprnngen kam und den Fremden «ißtranisch beschnupperte, und geleitete dann Paul in daS Innere de« Hause«. Auf der Schwelle kam ihnen freudig, hausmütterlich erregt Ria, Günter» Frau, entgegen. »Wie freue ich mich, bah du end- lich den in unser Helm gefunden hast', sagte sie herzlich, ihrem Schwager die Hand reichend, die er gelant küßte. .Seit meinem Hochzeitstage habe ich dich nicht gesehen. Nun aber mußt du auf lange Zeit unser lieber Gast fein. Walter! Trubel Kommt und begrüßt euren Onkel!" Ein wenig schüchtern blickten vier blaue Sinderaugen verwundert auf den fremden Herrn, der sich gönnerhaft zu den »leinen beugte und ihre rosig runden Wange» streichelte. „Alle« wurde schon für die Feier bereitet. Die Tanne steht prächtig geschmückt im Erkerzimmer," flüsterte Ria geheimnisvoll, „der Raum ist von ihrem Duft erfüllt. Sie senkt ihre Zweige über ver- hüllte Gaben, so schön, so feierlich! Und daS Weih- nachtSgebäck, wie lecker fiel e« aus! DaS soll dir munden, Paul! Ja einer Stunde bricht die Däm> rnerung herein. Bis dahin erhole dich von d.r gewiß unerquicklich gewesenen Reise." Verheißend dem Schwager zunickend, huschte Ria durch die gewcih- geschmückte Halle, um überglücklichen Herzen« ihre hausfrauliche Arbeit zu vollenden. Indessen hielt Paul in seinem Giebelstübchen Einzug, da« alsbald ein süßlicher Wohlgeruch durch- zog, der au« dem geöffneten Koffer drang und von einer anderen Well erzählte. Keinen Blick erübrigte der Gast sür die weite, beseligende Aussicht, die sich ihm bot, sondern suchte nervös nach den mitgebrachten, kostbaren Geschenken. Draußen wurde kein Laut hörbar. Unüberseh« bar hüllte funkelnder Schnee die schlummernde Erde ein. Wiesen, Felder und sacht ansteigende Weinhügel ruhten von ihrem Geben au« und atmeten geborgen unter der weißen Decke dem neuen Grünen, dem neuen Werden entgegen. Uralte Nadelbäume de« Hochwaldes, der al« dunkle Linie den Horizont säumte, neigten ihre Häupter unter ihrer Last wie greise Männer mit weißen Bärten ernst zu Boden. Doch die frosterstarrten, eiSbedeckten Zweige beruhigten brüderlich einander und bildeten einen Dom, durch den da« deutsche Wintermärchen schritt . . . All- mählich schlichen Schatten zur Erde, die heilige Nacht brach an. Unter ihrer versöhnenden Umarmung ruhte inbrünstig da« weile Land, die Natur wurde Gebet. Au« den Fenstern dc« Gut«hause« strahlte fest« licher Schein. Alle«, wa« zartsinnige Liebe erdacht, um den Nächsten zu erfreuen, lag aus dem Gaben- tisch. Zn betörendem Funkelglanz prangte der decken- hohe Tannenbaum. Unzählige Lichtzünglein streiften leife knisternd die buntbehangenen Aeste, andächtige Freudenfeuer in den Augen der Umstehenden er- weckend. Helle überraschungSbtbende Jubelstiwwungen wurden laut, dann folgte ein überselige« stumme« Schauen, Bewundern. Günter war zu Paul getreten, der salonmäßig gekleidet gelassen am Fenster lehnte. „Wie reich hast du un« bedacht, Paul I J tzt schäme ich mich fast, dir mein Geschenk anzubieten. Doch wa« könnte ich dir auch andere« schenken, da du mit irdischen Gütern so reich gesegnet bist! Da dachte ich mir. ob dir vielleicht dieses Bild, das ich in einem Familienalbum fand und vergrößern ließ, ein klein- wenig Freude bereiten würde. Unsere Urgroßeltern, schollentreue Bauern, vor ihrem Hause sitzend, aus dessen Grundmauern unser heutiger Besitz sich erhebt." Einen flüchtigen Blick darauf werfend nahm Paul daS Bild in Empfang: „Sehr freundlich von dtr, in solch sinniger Weife an mich gedacht zu haben. Ich danke dir vielmals, Günter. Doch jetzt beteile endlich da« Gesinde. Die Leute stehen fchim um den Baum." Glücklich wie ein junger König in feinem Reich wandte sich Günter an die Unle»gebcnen, hatte für jeden ein freundliche« Wort, einen Händedruck, eine torgfältig ausgewählte Gabe. Ria aber griff in dic Tasten und das alte deutsche WeihnachtSlied: „«stille Nacht, heilige Nacht", von Männern und Frauen gesungen, erklang mit der nie versiegenden, zu Herzen gehenden Weihe. Spät war e«. als Ria räch beendeter Feier die Kinder zur Ruhe brachte. Die Brüder saßen noch rauchend und plaudernd, an einer Flasche Wein sich gütlich tuend, beisammen. „Sag, Günter," unterbrach Paul die plötzlich eingetretene Redepause .ihr habt wohl wenig Um- gang mit den Besitzern umliegender Güter? Biele« w fremde Hände übergegangen, was? Genügt dir denn so ein beengte«, nur den ländlichen Borzügen geweihte« Leben?" Ueber Günters Anilitz glitt ein Zug schmerzlichen Betroffenseins, während sein Blick durchdringend aus dem Bruder ruhte. Dann erwiderte Tillier Ae'tun g er ernst: .Einem begrenzten Jitteresfenkreis sind wir mehr oder weniger fast alle unterworfen, Paul. Glaubst du, daß du imstande bist, ihm zu entfliehen, weil du dein Dasein im verwirrenden Lärm, im Hasten der Großstadt verbringst? Wie lausend an« dere Menschen hat auch dich da« Leben eingekreist, dir die Grenzen deine« Denkens, die Grenzen deines Fühlen« und Handeln« gesetzt, in denen du inner- halb ihre« Gebiete« dein ArbeiiSseld gefunden. Nur ganz großen Geistern ist e« vergönnt, über die eher- nen Alllagsgesetz« hinau« eine stille klare Fernsicht zu genießen. Sieh, Paul, wir aber sind doch aus derselben Scholle großgeworden, daher kann e« gar- nicht denkbar sein, daß unsere Empfindungen soweit auseinander gehen könnten. Ich will dir meine Gründe erklären, die mich unwandelbar bestimmen, an diesem Ort zu verweilen. Nach dem Tvde der Eltern fiel an dich da« väterliche Vermögen, an mich das ziem- lich vernachlässigte Gut. Du suchtest das Glück in der Weli, wechseltest verschiedene Male deinen Beruf und bist nun durch Spekulationeti reich geworden. Ich aber verblieb aus der Erde meiner Vorfahren, arbeitete wie der ärmste Knecht vom beginnenden Morgen bis zur sinkenden Nacht und brachte da« Anwesen wieder zu einem bescheidenen Wohlstand. Dann heiratete ich und die Liebe und da« Glück zogen mit Ria über die Schwelle de« Hauses. An dem Besitz wurden B-rbcsferungen vorgenommen. Unaushörlich suhlte ich den Drang in mir. da« Au- wesen meiner Väter zu vergrößern, pachtete gar die Mühle dazu und Ria« Mitgift verHals zur Erwei- lerung meine« Felder-, Wiesen- und Waldbcstande«. Vollste Bcfeligung lohnte mein Schaffen. Dann folgten die Kriegsjahre; harte düstere Zeiten, in denen sich darf Herz wundsehnte nach der Heimat. Endlich die Heimkehr, ein Wiedersehen! Glaubst, du Paul, daß ich da fühlte, daß ich fremdes Land be- trat? Trotz all der mich umgebenden Widerwärtig- leiten liebte ich um so heißer, um so inniger meine Scholle. Ich fühlte die tiefe Zusammengehörigkeit mir ihr stärker denn zuvor." »Aber deine Kmder, Günter! Dein Sohn! Willst du hier seine Erziehung leiten, ihn einer fremd» sprachigen Schute überliefern?" „Das soll keine Sorge für mich fein. Mag er getrost die Schule besuchen! Unbeschädigt an Seele und Geist wird er sie wieder verlassen, jedoch nicht eher seine Studien an anderer Stelle sottsetzen, bevor er nicht von dem Bewugtsem durchdrungen ist, daß wahrhaft deutsche Männer nirgends standhafter und stärker sind als auf dem ererbten Grund ihrer Bäter und keine Grenze sie so schmerzlich zn treffen weiß al« die, die ihre eigenen StammeSarüser in Berblen« vung mitunter selbst zwischen sich und ihrer Heimat ziehen. Vor solch einem Tun will ich dich bewahren, Paul. D-nn haltlos, beoauernSwürdlg möchtest du mir erscheinen, wie jene nach Genuß haschenden, im hinsälligen Großstadilnxus wühlenden Menschen, die in dem Glauben leben, Tiäger unserer Kultur zu sein." Günter war aufgestanden und öffnete da« eiSblumen- geschmückte Fenster. Eine klare, bläulichweiße Nacht sah herein. Sterncnketten durchzogen mit funkeludem Leuchten da« Firmament. We tn wonniger Be freiung dehnte >>ch die glitzernde Ebene. Anblickoer- sunken sprach er verzückt: „Bis zu jener welligen Hügelreide, so weit das Auge reicht, mein, alles mein! O, Paul, könnlest du ahnen, wie labend diese« Bewußtsein auf mich wirkt!' Und dann in jäher ausbrechender Freude: „Morgen, ja, morgen durchstreifen wir den weihnachtlichen Forst. So wird auch dein Herz rückfindend die Schönheit heimatliche» Boden« preisen!" Da schien e&, als ob der kalte, von außen eindringende Lufistiom Paul« bloffeS, unbewegliche« Gesicht neu beleben wür«e und er sagte in einem seltsam veränderten, nachdenklichen Tonfall: „Etwas Köstliche», Starkes, ganz Großes muß es um die Bodenständigkeit sein. Weihe mich in ihre Offen- barungen ein — wenn du mich ihrer noch für wert hältst!" Weiynachtsg^öräuche im Hottfcheer Ländchen. Bon Jakob Fritz, Grafenfel». Ueber ein halbe« Jahrhundert ist verflossen, seit ich daS letzicmal als Knabe mit meinen Ge- schwistern daS Hl. Christfest feierte. Ich will ver- suche», so gut es mir die Erinnerung erlaubt, die Gebräuche zu schildern, die damals im Gotticheec- lande gang un^ gäbe waien in den heiligen Weih- nachtSnächien. Seite 9 Schon einige Tage vorher ging e« in __ dem Hause zu wie in einem Bienenstöcke. Wir größeren Kinder hatten den Christbaum au« dem tiesverschneiten Walde geholt, schmückten ihn mit rotbackigen Aepfeln, mit vergoldeten Nüssen, mit mancherlei Zuckerwer? nnd mit bunten Papier ketten. Daß dabei die holde Heimlichkeit, die am heiligen Abend in den hellen Stadthäusern geübt wird, verloren ging, machte un« Bauernkindern nichts au«. Denn für un« waren die dunklen Ecken de« Haufe« mit dem geheimnisvollsten WcihnachlSzauber gefüllt. Der Friedrichstein hob sich im verscheidenden Lichte mit Tausenden und Äber- tausenden silbernen Ehristbäumen m den Himmel de« Hl. Abend« empor. Wir hatten der Mutler daS Zuckerwerk abgebettelt, der Vater war um diese Zeit niemals zuhause. - Der Christbaum wurde damals nicht mit einem Untergestell auf den Tisch gestellt, sondern er hing an einem Haken umgekehrt auf den Tisch herab, wv er ja keii.en Platz gehabt bitte, denn hier war alles voll belegt. In der Mitte' stand das Weih- nachtSbrot, in der Gottscheer Mundart „Schipliug" genannt. Beim Backen de« Schiplings halfen wir Kinder alle mit. Wir formten ein Eyristuskind au« dem Teig mit schwarzen Hirseaugen, da« in die Mitte des Brotes kam al« Symbol der Geburt de« Erlösers, mit einer ausgefransten Teigdecke darüber. Ringsum wurde ein drei- oder vierfach geflochtener Kranz au« Teigsträhnen gelegt, der in Form einer Masche geschlossen wurde. Dann setzten wir Teig- tauben aus da« Brot mit eingeschnittenen Schwänzen und Flügeln, soviele alS Linder da waren. Sie faßen in regelmäßigen Abständen dtm Christuskinde zuge- kehrt und solllen an die unbefleckte Empfängnis er- innern. Der übrige Teil der großen Tischplatte war fast überladen von den verschiedenariigsten Gegen- ständen. Da waren e:n Beil, eine Sichel, Meffer und andere Werkzeuge, ein Ochsenjoch, Hüte, Kopf- tüchel, Sonntagskleider. Sie sollten in den Weih- »ächten für daS ganze Jahr geweiht werden, daß sie Segen brächte» und kein Unglück. Wir Kinder legten unsere Schultaschen hin und glaubten fest daran, daß wir dann leichter lernen könnten. Al« wir später im Kreise meiner eigenen Familie der neuen Zeit entsprechend einen stehenden Christbaum hatten, wurden einige Kerzen darauf angebracht, die beim Beten de« Rosenkränze« angezündet wurden, wa« die Feierlichkeit unserer Andachl sehr erhöhte. In aller «ugen spiegelten sich die Lichter, während wir in heiligem Eifer, nach dem Alter im Halbkreise gruppiert, um den Tisch knieten und beteten: Den du. o Jiingsraii. zu Bethlehem geboren hast . . . Zum Schlaffe erklang da« rührende Lied: .Slille Nacht, heilige Nacht . . ." und die Bauern« kmder waren seliger als manches Stadtkind. Sehnlich wie der Hl. Abend wurden auch die anderen WnhnachtSnächte. Neujahr und Hl. Drei- könig begangen. Erst am letzten WeihnachtSiage war die Weihe vollständig, da erst wurden die Schätze de« Christbaume« verteilt. Auch da« WeihnachtSbrot wurde „angegänzt" und alle Hausgenossen aßen ein Stück. Aber auch jede« S-ück Bieh Im Slalle, Hund und *ntze, bekamen ihr Teil. Diese Gebräuche sind al« dunkle Erinnerungen ane der Urliefe unserer BolkSvergangenheit auf unlere Tage gekommen. Es weihnachtet. Bon Fritz Högler, Ebental. In bunten Regenbogenfarben g'itzern die Eis kristalle an Busch. Baum und Gesträuch, funkelnd in der Wintersonne. Die Bäume in Feld und Wald freuen sich ihres schimmernden weißen Schneekleide«. Stauden uud niedttges Gestrüpp geben sich mit Schneefetzen zufrieden, wissen sie ja. da» es Fetzen sind vom kostbaren Mantel der Schneekönig«, die in Mitternächten über die Heide schreitet, zauberhaft, geisterhaft . . . Manch kecker Dorn reißt sich dann in Eile ein Stückchen aus dem Kleide der Geheimnis- vollen. Durch die Gassen der Großstadt flutet die Menge, reich in Pelze gehüllt oder frierend in dünnen Mänteln. Behäbig blcbt der Reichtum vor den weihnachtlichen AiiSlagen stehen und wählt sich hochkostbaren Schmuck für den Weihnachtsbaum oder auch blitzende Gold- ringe sür die zarten Hände der Frauen. Bon der Mensa wandert ein Studiosus. Durch seinen Sommerrock sähtt der Wintersturm lind wirft dem jungen Manne manch kalte Schneeflocke in« knochige Gesicht. An großen Schaufenstern führt ihn sein Weg vorbei. Er sieht warmgefütterte Mäntel, Handschuhe, Winterkappen, Wollhemdcn und — Christbäumchen.