33 Elisabeth Schöggl-Ernst1 APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS Abstract Appraisal is part of archival work also concerning digital information. Even though digital storage space is not expensive anymore, it remains still necessary to filter data with an evidence and information value from the digital overload to condense information and to avoid redundancies. In theory, there is no difference between appraisal of analogue records and appraisal of digital records, concerning the information itself. Appraisal of digital records includes technical and organizational appraisal criteria, but these criteria should not influence the appraisal decisions. Upon closer examination, we recognize that technical and organizational requirements have an influence on appraisal work. This paper deals with the question, how digital preservation chances appraisal deci- sions. Furthermore, it should be discussed if and how the offer of digital documents changed and so does the appraisal work compare with analog documents. Is digital preservation and preservation of digital heritage still in mind of data producers out- side the administration? Archivists have to keep all kinds of digital data in mind, which should be part of our digital heritage, from emails to file systems. Key words: appraisal, records management, archival information management tech- nologies, archival science LA VALUTAZIONE DEL’INFORMAZIONE DIGITALE – ALCUNE CONSIDERAZIONI Sintesi La valutazione fa parte del lavoro d’archivio anche per quanto riguarda l’informazione digitale. Anche se lo spazio di archiviazione digitale non è più costoso, resta comunque necessario filtrare i dati con un valore di evidenza e informazione dal sovraccarico digi- tale per condensare le informazioni ed evitare ridondanze. In teoria, non c’è differenza tra la valutazione dei record analogici e la valutazione dei record digitali, per quanto riguarda l’informazione stessa. La valutazione delle registrazioni digitali include criteri di valutazione tecnici e organizzativi, ma questi criteri non dovrebbero influenzare le decisioni di valutazione. A un esame più attento, riconosciamo che i requisiti tecnici e or- ganizzativi hanno un’influenza sul lavoro di valutazione. Questo documento affronta la domanda, come la conservazione digitale può prendere decisioni di valutazione. Inol- tre, dovrebbe essere discusso se e come è cambiata l’offerta di documenti digitali e così il lavoro di valutazione si confronta con i documenti analogici. La conservazione digitale e la conservazione del patrimonio digitale sono ancora in mente ai produttori di dati esterni all’amministrazione? Gli archivisti devono tenere a mente tutti i tipi di dati digi- tali, che dovrebbero far parte del nostro patrimonio digitale, dalle e-mail ai file system. Parole chiave: valutazione, gestione dei record, tecnologie di gestione delle informa- zioni archivistiche, scienza archivistica 1 Elisabeth Schöggl-Ernst, Ph.D., HR Hon.-Prof. Mag. Dr. MAS, Bereichsleiterin im Steiermärkischen Lande- sarchiv und Lehrbeauftragte an der Universität Wien. Email: elisabeth.schoeggl-ernst@stmk.gv.at. APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST 34 VREDNOTENJE DIGITALNIH INFORMACIJ – NEKAJ PREMISLEKOV Povzetek Vrednotenje predstavlja del arhivskega dela tudi pri digitalnih informacijah. Čeprav prostor za digitalno shranjevanje ni več drag, je še vedno potrebno filtrirati podatke z dokazno in informacijsko vrednostjo pred digitalno preobremenitvijo, da zgostimo in- formacije in se izognemo redundancam. Kar zadeva informacijo samo, teoretično ni raz- like med vrednotenjem. Vrednotenje digitalnih zapisov vključuje tehnične in organiza- cijske kriterije, vendar ti ne smejo vplivati na odločitve o vrednotenju. Ob natančnejšem pregledu ugotovimo, da tehnične in organizacijske zahteve vplivajo na vrednotenje. Ta članek se ukvarja z vprašanjem, kako digitalna hramba vpliva na odločitve pri vred- notenju. Nadalje je potrebno razpravljati o tem, ali in kako se je spremenila ponudba digitalnih dokumentov in primerjava vrednotenja z analognimi dokumenti. Ali digital- no hrambo in ohranjanje digitalne dediščine še vedno v mislih ustvarjalcev informacij zunaj uprave? Arhivisti morajo imeti v mislih vse vrste digitalnih podatkov, ki bi morali biti del naše digitalne dediščine, od elektronske pošte do datotečnih sistemov. Ključne besede: vrednotenje, upravljanje dokumentov, tehnologije upravljanja ar- hivskih informacij, arhivistika APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST 35 EINLEITUNG Bewertung wird auch in der Zeit der digitalen Informationen nicht obsolet. Auch wenn mittlerweile günstiger Speicherplatz zur Verfügung steht, gilt es, aus der Flut an digi- talen Informationen jene mit Evidenz- und Informationswert zu extrahieren, Informa- tionen zu verdichten und Redundanzen zu vermeiden. Denn „Archivierung ohne Bewer- tung schafft Menge; Archivierung mit Bewertung schafft Wissen“ (Maissen, 2009). In der Theorie gibt es keinen Unterschied in der inhaltlichen Bewertung von analogen und digitalen Unterlagen. Die inhaltliche Komponente wird zwar durch technisch-or- ganisatorische Bewertungskriterien ergänzt, diese sollten aber die Bewertungsent- scheidungen nicht beeinflussen. Bei genauerer Betrachtung muss man aber erkennen, dass technische und organisatorische Vorgaben dennoch Einfluss nehmen auf die Be- wertungsentscheidungen. Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern digitale Archivierung die Bewer- tungsentscheidung beeinflusst. Darüber hinaus wird hinterfragt, ob sich das Angebot zur Bewertung und Übernahme von digitalen Daten im Vergleich zu den analogen Un- terlagen verändert hat. Eine grundsätzliche Fragestellung lautet, ob die Archivierung des digitalen Erbes bei den Datenproduzenten innerhalb, aber vor allem außerhalb der Verwaltung, als Aufgabe präsent ist. Seitens der Archive gilt es, den Überblick über die entstehenden und damit zu bewertenden Unterlagen zu behalten. Als Konsequenz die- ser Überlegungen ergibt sich ein Handlungsbedarf bei Archivarinnen und Archivaren. BEWERTUNG DIGITALER VERWALTUNGSUNTERLAGEN Digitale Unterlagen erfordern bereits frühzeitig die Aufmerksamkeit der Archive. Ne- ben der Sicherung der Datenqualität verschiebt sich der Bewertungszeitpunkt von der retrospektiven hin zur prospektiven Bewertung. Klare Records Management Richtlinien sind sowohl für die analoge und im Besonderen für die digitale Aktenführung in Behör- den notwendig. Sie garantieren die Authentizität, Verlässlichkeit, Vollständigkeit, Inte- grität, Gesetzmäßigkeit und Interpretierbarkeit der Informationen (ISO, 2016; Schmid- gall et al., 2018, pp. 157–159). Records Management ist eine Organisationsaufgabe der Verwaltung. Wenn sich Archivar*innen an dieser Aufgabe beteiligen dürfen, erleichtert dies in der Regel die Qualitätssicherung und den Weg der Archivierung digitaler Daten. Der Einführung der digitalen Aktenführung in der Verwaltung ging meist eine Verwal- tungsreform voraus. Kleinteilige Aktengruppen wurden häufig durch größere Sach- gebiete (Materien) ersetzt. Die Bewertungsarbeit setzt bei diesen Sachgebieten an. Im günstigsten Fall wird dem elektronischen Akt die Bewertungsentscheidung bereits hinterlegt, sodass zum Zeitpunkt der Übergabe an das Archiv nur mehr archivwürdige Unterlagen angeboten werden müssen (Schöggl-Ernst, 2020, pp. 112–120). Die Bewertung auf der Ebene der Sachgebiete bedeutet sehr oft eine geänderte Be- wertungspraxis. Wie sich das am Beispiel einer Reihe von Landesverwaltungen in Ös- terreich zeigt, waren vor der Verwaltungsreform Akten in kleineren Aktengruppen (Ak- tenplanabschnitten) organisiert. Damit fielen Bewertungsentscheidungen präziser aus, als dies bei den großen Sachgebietsgruppen möglich ist. Denn, auch wenn es nun eine Reihe von nicht archivwürdigen Akten innerhalb eines Sachgebietes gibt und nur ein Teil des Sachgebietes archivwürdig ist, wird der Inhalt des gesamten Sachgebietes als archivwürdig klassifiziert. Eine präzisere Bewertung auf Aktenebene soll zwar nach der Übernahme in ein digitales Archiv möglich sein, doch wird wohl der Arbeitsaufwand für eine Nachbewertung zu groß sein. Als Konsequenz daraus ergibt sich, dass eine größere Menge von nicht archivwürdigen digitalen Daten in das digitale Archiv übernommen APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST 36 wird und auch von den Archivar*innen in der Folge weiter erschlossen werden muss. Eine organisatorisch-technische Vorgabe beeinflusst in diesem Fall die Bewertungsent- scheidung. BEWERTUNG VON FACHANWENDUNGEN In vielen Bereichen der Verwaltung, in denen früher Akten gebildet wurden, werden seit Beginn der Digitalisierung Fachanwendungen geführt. Lediglich die Ergebnisse einer Ver- arbeitung fließen bestenfalls in den elektronischen Akt ein. In Österreich ist die Aktenfüh- rung noch fester verankert als dies in anderen Ländern oder außerhalb der Verwaltung der Fall ist. Im Vergleich mit dem elektronischen Akt wurde der Bewertung von Fachan- wendungen in Österreich bisher weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Auch seitens der Anwender gerät das Bewusstsein für die Archivierung von Fachanwendungen ins Hin- tertreffen. Dies birgt die Gefahr eines Datenverlustes, vor allem dann, wenn ein System- wechsel erfolgt und im Zuge dessen Altdaten gelöscht werden. Die Gefahr des Löschens von Daten besteht auch dann, wenn die stetig steigende Datenmenge die Funktionalitä- ten einer Datenbank verlangsamen. Die Bewertung von Fachanwendungen ist damit zu einer dringlichen Aufgabe der Archive geworden (Dässler & Schwarz, 2012). Fachanwendungen werden nach ihrem Inhalt und ihrer Funktionalität bewertet. Da- bei zeigt sich, dass nur ein geringer Prozentsatz aller Fachanwendungen archivwürdig ist. So waren beispielsweise in der Verwaltung des Landes Vorarlberg 2020 470 ver- schiedene Fachanwendungen im Einsatz, von denen nur 15 – also nur drei Prozent – als archivwürdig eingestuft wurden. In der Landesverwaltung Tirol wurden im Jahr 2020 433 Fachanwendungen betrieben. Mindestens 80 Prozent davon gelten als nicht archiv- würdig. Von den restlichen 20 Prozent werden nur Samples übernommen. Nur wenige Fachanwendungen wurden als vollständig archivwürdig bewertet. In Bayern werden im Vergleich dazu etwa zehn Prozent der Fachanwendungen als archivwürdig bewer- tet (Schmalzl, 2020, pp. 130). Die meisten archivwürdigen Fachanwendungen sind in diesen Fällen in ihrer Gesamtheit zu übernehmen. Die Bewertungsentscheidung erfolgt grundsätzlich nach inhaltlichen Kriterien, und zwar auch dann, wenn nur Samples aus- gewählt werden, die repräsentativ für die Gesamtheit der in der Datenbank erfassten Entitäten gelten (Verband deutscher Archivarinnen und Archivare, 2014). Die österreichische Justiz führt seit 1986 ein Fachinformationssystem mit dem Namen „Verfahrensautomation Justiz“ (VJ), welches die Indizes und Register verschiedener Ab- teilung abgelöst hat, aber auch zum Datenaustausch zwischen den einzelnen Gerichten dient. Mittlerweile hat sich die VJ zur größten IT-Applikation im österreichischen Jus- tizwesen entwickelt, mit welchem mehr als 60 Verfahrensarten, etwa 120 Millionen Akten und über 90 Millionen Urkunden verwaltet werden. Obwohl mittlerweile bereits Dokumente angefügt werden, handelt es sich bei der VJ um keinen elektronischen Akt, sondern im Wesentlichen um eine Verarbeitung von Metadaten, also um ein Daten- managementsystem (Fröhlich, 2020, pp. 82–83). Den österreichischen Landesarchiven sowie dem Staatsarchiv wurde nach längeren Verhandlungen Zugriff auf diese Daten gewährt, da die Archive eine Übernahme von analogen Akten ohne Findbehelfe ver- ständlicherweise ablehnten. Diese Fachanwendung wird als solche keiner Bewertung unterzogen, sondern dient neben der Funktion als digitaler Findbehelf auch als Modul für die Bewertung von Justizakten. Die Anwendung ist zwar nicht so praktisch wie das deutsche Beispiel „Selesta“ (Koch et al., 2017, pp. 173–177), da es sich dabei nur um den Abzug der Metadaten aus dem Fachinformationssystem handelt, aber nicht um ein zu- sätzliches Bewertungstool. Dennoch wird es als praktisches Recherchetool dienen und damit auch Abfragen für die Bewertungsarbeit ermöglichen. APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST 37 Wie bei allen anderen Anwendungen wäre auch bei der VJ eine ständige Überprüfung der Metadatenqualität erforderlich. Auch hier zeigt sich Handlungsbedarf. Denn die Felder werden teilweise nicht nach den Vorgaben befüllt, was eine Auswertung der Daten erschwert. BEWERTUNG VON DIGITALEN ABLAGEN Während die Bewertung der digitalen Aktenführung in Österreich bereits umgesetzt wurde oder zumindest im Fokus der Archive ist, schiebt man die Bewertung und Archi- vierung von Daten in Ordnersystemen noch vor sich her. Die Ablage von digitalen Daten auf verschiedenen Speichermedien wird schon viel länger als die digitale Aktenver- waltung durchgeführt. Dass es mittlerweile aufgrund der mangelnden Wartung und generell der fehlenden Beachtung dieser Daten zu Datenverlust gekommen ist, davon kann man ausgehen. Das Problembewusstsein ist zwar vorhanden, diese Daten wurden aber aus verschiedenen Gründen bisher nicht beachtet. Zum einen liegt bei vielen Archi- var*innen der Fokus auf den analogen Daten. Der Grund dafür liegt in der laufenden Be- wertung und Übernahme von weiterhin analogen Unterlagen. Die gleichzeitig entstan- denen digitalen Daten werden in den Hintergrund gedrängt. Daten in Ordnersystemen der Verwaltung könnte man mit den analogen Handakten gleichsetzen. In den meisten österreichischen Archiven gibt es noch keine Lösung für die Archivierung unstrukturier- ter digitaler Daten. Eine Lösung wird aber auch nur zögerlich gesucht. Einerseits beruft man sich in großen Verwaltungsarchiven auf die vorgeschriebene Veraktung wichtiger Daten im digitalen Akt. Damit werden die daneben existierenden Datenablagen kur- zerhand als nicht archivwürdig erklärt. Andererseits sind die Mitarbeiter*innen von Verwaltungsbehörden aufgefordert, ihre Daten selbst zu verwalten und im Falle des Ausscheidens aus der Verwaltung zu löschen. Die Daten aller Verwaltungsbedienste- ten gelten mit Sicherheit nicht als archivwürdig. Man müsste sich aber die Zuständig- keitsbereiche dieser Personengruppen näher ansehen sowie auch den Grad der Ver- aktung, um eine generelle Skartierung vorgeben zu können. Schwerwiegender wird die Bewertungsfrage bei hohen Beamten, bei politischen Entscheidungsträgern und Personen des öffentlichen Lebens. Die von dieser Personengruppen in ihren jeweiligen Funktionen abgelegten digitalen Daten sollten jedenfalls einer Bewertung durch Archi- var*innen unterzogen werden, natürlich noch bevor ein Löschungsauftrag erfolgt ist. Die Bewertung dürfte hier keinesfalls den Personen selbst überlassen werden. Neben den digitalen Ablagen in der Verwaltung wurden und werden ungleich mehr Daten im wirtschaftlichen und im privaten Bereich produziert. Davon sind auch Ver- waltungsarchive betroffen, denn sie übernahmen schon seit jeher im disponiblen Be- reich Nachlässe, Sammlungen und Archive von juristischen Personen (Firmenarchive, Vereinsarchive). Wenn sie dies weiterhin tun wollen, müssen sie sich künftig mit digi- talen Daten in Ordnersystemen auseinandersetzen. Um ein Bild der Gesellschaft einer bestimmten Zeit abbilden zu können, wie es in den Zielen der Überlieferungsbildung von Archiven zum Ausdruck gebracht wird, muss das Augenmerk auch auf den nicht- amtlichen Bereich gelegt werden. Denn verschiedene Aufgaben wurden in den letzten Jahren von der Verwaltung in die Zuständigkeit verschiedener Organisationen gelegt, die keine amtliche Aktenverwaltung führen. Bevor eine Bewertungsentscheidung getroffen werden kann, muss festgestellt wer- den, ob die digitalen Daten archivfähig sind. Die Datenformate müssen für eine Ablage im Langzeitarchiv geeignet sein, und die Datenqualität den geltenden Normen ent- sprechen. Außerdem muss überprüft werden, welche Metadaten vorhanden sind. Für die Analyse der digitalen Metadaten gibt es elektronische Werkzeuge, die Autor, APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST 38 Format, Erstelldatum und weitere Dateiattribute filtern. Damit können temporäre Dateien und Doubletten ermittelt und in der Folge gelöscht werden. Semantische Methoden sind in Entwicklung begriffen. Sie ermöglichen inhaltliche Analysen. Sind grundsätzlich nicht genügend Metadaten zu erfassen, kann dies bereits ein Bewer- tungskriterium darstellen. Bei Daten, die in Ordnersystemen abgelegt sind, fehlen oft die Zusammenhänge, die Einordnung in einen Kommunikationsbereich und damit der Entstehungszusammen- hang. Damit geht auch der Evidenzwert der Daten verloren, denn der Weg zu einem Ergebnis und die Arbeitsweise einer Stelle sind aus den Fileablagen kaum ersichtlich. Bewertungsmethoden, die für strukturierte Verwaltungsakten angewandt werden können, wie beispielsweise die Listenbewertung, sind bei Fileablagen nicht möglich. Bewertungsentscheidungen können daher nur über die Person oder die Stelle getrof- fen werden, die diese Daten angelegt hat, jedoch nicht anhand der Daten selbst. Die Bewertung setzt demnach bei der Analyse des Provenienzbildners an. Dazu zählt seine Einordnung innerhalb einer Behörde, sein Zuständigkeitsbereich und das Aufgabenge- biet, im Falle einer Person, ihre Biografie und die Stellung innerhalb der Gesellschaft. Daraus lässt sich die Bedeutung der Stelle oder der Person ableiten, was aber noch nicht zwingend eine entsprechende inhaltliche Aussagekraft der vorhandenen Daten inklu- diert (Bacia et al., 2021, pp. 15–26). NACHLÄSSE Zu den Beständen mit wenig strukturierten digitalen Daten zählen die Nachlässe. Er- fahrungen mit der Bewertung und Übernahme digitaler Nachlässe kennen wir aus den USA – hier beschäftigen sich vorrangig Bibliotheken, wie die Library of Congress mit di- gitalen Nachlässen –, aber auch aus anderen Ländern. Die praktischen Erfahrungen bei der Übernahme dieser Bestände haben einige Problemfelder zutage gebracht. Man ist mit schlecht oder gering strukturierten Daten konfrontiert, mit mehrfach vorhande- nen Informationen, bei denen die Dateien nur anders benannt worden sind, mit nicht archivtauglichen Formaten, mit nicht validen Daten, mit einem Wirrwarr von Entwür- fen und Endfassungen, die nur schwer voneinander unterschieden werden können, und mit einer großen Datenmenge, in der Programme und Systemdaten sowie Dateien ohne Informationsgehalt integriert sind. Während man bei analogen Nachlässen eine retrospektive Bewertung durchführen konnte und sich die Bewertung nach dem vor- gefundenen Inhalt richtete, ist diese Vorgangsweise bei digitalen Nachlässen aufgrund der Datenmenge nicht durchführbar. Der inhaltlichen Bewertung geht eine technische Bewertung voraus, im Rahmen derer doppelte Dateien, Programme und Systemdatei- en bereits erkannt und eliminiert werden. Dadurch reduziert sich die zu bewertende Datenmenge. Gaby Pfyffer hat für digitale Nachlässe eine Strategie zur Überlieferungs- bildung erarbeitet, die in einer Empfehlung mündete. Sie geht davon aus, dass man mit den potentiellen Nachlassgebern im Vorfeld in Kontakt treten muss, um Einfluss zu nehmen auf die Strukturierung der Daten und auf die Datenqualität, damit das Archiv archivfähige Daten übernehmen kann. Auch für die inhaltliche Bewertung ist der frühe Kontakt mit dem Überlieferungsbildner von Bedeutung. Denn in gemeinsamer Arbeit kann eine Checkliste, die zuvor vom Archivar erstellt wurde, abgearbeitet werden. Da- mit werden im Vorfeld inhaltliche Weichen gestellt und organisatorisch-technische Pro- bleme vermieden oder zumindest verringert (Pfyffer, 2020). Wenn Archive eine über- schaubare Gruppe von Vorlass- bzw. Nachlassbildnern im Auge haben, ist eine solche Zusammenarbeit wünschenswert und durchführbar. Doch die meisten Nachlässe errei- chen die Archive erst eben nach dem Tod des Provenienzbildners. Dies erschwert na- türlich die Einflussmöglichkeiten auf die Datenordnung und -qualität. Dennoch könnte APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST 39 eine öffentlich zugängliche und offensiv propagierte Checkliste für digitale Nachlässe zu mehr Kooperation mit potentiellen Provenienzbildnern führen und damit die Daten- qualität erhöhen. E-MAILS Seit Jahren verdrängt der Mailverkehr den analogen Brief; Korrespondenzen werden zu ei- nem erheblichen Teil nur mehr über Email geführt. 2020 wurden weltweit rund 306 Milliar- den E-Mails versandt (Benauer, 2020, pp. 87). Angesichts dieser Zahl liegt die Feststellung nahe, dass dieses Medium zu einem bestimmenden Faktor in der internationalen Kommu- nikation geworden ist. Dass solche Mengen nicht archiviert werden können und auch nur teilweise archivwürdig sind, ist evident. Zur Bewertung und Archivierung von Emails gibt es bereits Best-Practice-Beispiele, wenn diese auch nicht in Österreich zu finden sind. E-Mails, die in der Verwaltung in den elektronischen Akt einfließen, unterliegen den Bewertungskriterien des elektronischen Aktes. Die österreichische Verwaltung blickt auf eine lange Tradition zurück, die auch im elektronischen Akt in einer ähnlichen Form weitergeführt wird. Dies trifft aber nicht auf alle Bereiche zu. Häufig passiert digitales Verwaltungshandeln ohne den Einsatz eines elektronischen Aktes, der dem analogen Akt nachgebildet ist. In der Bewertung dieser Daten müssen daher andere Strategien angewandt werden. Einen funktionalen Bewertungsansatz verfolgen die USA mit dem „Capstone Approach“ (Benauer, 2020, pp. 104f.). Dabei wer- den Entscheidungsträger innerhalb der Verwaltung ermittelt, deren E-Mail-Accounts als archivwürdig bewertet werden. Allerdings ist nicht gewährleistet, dass bei diesem Personenkreis auch die aussagekräftigsten Inhalte überliefert werden. Eine Einzelbewertung von E-Mails muss aufgrund der Menge verworfen werden. Ein weiterer Ansatz, eine aussagekräftige Teilmenge an E-Mails herauszufiltern geschieht mit Hilfe von Algorithmen, die nach bestimmten Vorgaben eine repräsentative Auswahl treffen. Die Schnittmenge, die daraus gebildet wird, muss nach Kriterien, die von den Archivar*innen festzulegen sind, ermittelt werden. Dass die Kriterien in gewissem Sinn subjektiven Charakter aufweisen, kann nicht vermieden werden, da schlussendlich im- mer menschliches Handeln hinter den Kriterien steckt. Theoretische Abhandlungen und praktische Umsetzungen existieren bereits. In Österreich müssen sich die Archivar*innen dieses Problems nur zeitnah annehmen, um allzu große Datenverluste zu vermeiden. INTRANET, SHAREPOINT Beispiele der Internetarchivierung kennen wir bereits. Websiten werden hauptsächlich von Bibliotheken archiviert. Die Österreichische Nationalbibliothek archiviert bereits seit 2009 Websites (Predikaka, 2020). Auch in anderen Ländern haben sich Bibliotheken der Web-Archivierung angenommen; die Deutsche Nationalbibliothek betreibt ebenso Web-Archivierung wie etwa die Luxemburgische Nationalbibliothek, die Französische Nationalbibliothek oder die British Library, um nur diese Beispiele zu nennen. Aber auch Archive sind mit der Aufgabe der Web-Archivierung betraut. So feiern die National Ar- chives im November 2021 25 Jahre UK Government Web Archives (Web Archiving Team at The National Archives, 2021). Die Bewertungsgrundlagen bilden einerseits die Aus- wahl der zu archivierenden Domaines, es werden aber auch inhaltliche Sammlungszie- le festgehalten und verfolgt mit thematischen und eventbezogenen Schwerpunkten. Verwaltungen und Firmen kommunizieren mit ihren Mitarbeiter*innen häufig über das Medium des Intranets. Erlässe und andere rechtliche Regelungen, Personalangelegen- heiten und IT-Maßnahmen werden über das Intranet verbreitet. Wichtige Projekte wer- den auf Sharepoints dokumentiert, wobei die Projektabwicklung über dieses Medium APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST 40 nachvollzogen werden kann, die Projektergebnisse in der Regel veraktet werden. Der Akt bildet allerdings den Prozess der Entscheidungsfindung nicht mehr ab, wodurch wichtige Informationen verloren gehen. Der Bewertung und Archivierung beider Platt- formen wurde bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Es gibt bereits Beispiele für Intranetarchivierung durch Archive. So sehen die Thüringer Staatsarchive dies als eine ihrer Aufgaben und haben die Anbietung und Übernahme von In- tranetseiten in ihren „Empfehlungen zur Anbietung und Übergabe elektronischer Unterla- gen an die Thüringischen Staatsarchive“ festgehalten (Landesarchiv Thüringen, 2013). Antje Schlieter lieferte bereits 2003 ein Konzept für die Archivierung des Intranets der Dresdener Bank AG, mit dem das Historische Archiv der Bank beauftragt wurde (Schlieter, 2003). Die Archivierung und Bewertung von Daten aus den verschiedenen sozialen Medien ist ein weites Feld, mit dem sich die Archivwissenschaft bereits auseinandersetzt, das an dieser Stelle aber nicht weiter erörtert werden soll. ZUSAMMENFASSUNG Die Bewertung digitaler Daten sollte in optimaler Form prospektiv erfolgen. Für den di- gitalen Akt gibt es in Österreich bereits Beispiele. Die österreichische Verwaltung blickt auf eine lange Verwaltungstradition zurück. Daher werden viele amtliche Vorgänge veraktet. Verschiedene Prozesse werden aber seit Jahren mittels Fachanwendungen verarbeitet. Von denen finden höchstens die Ergebnisse Eingang in den elektronischen Akt. Der Prozess der Entscheidungsfindung geht dadurch verloren, wenn die Fachan- wendungen nicht selbst archiviert werden. Archivar*innen haben diese Fachanwen- dungen einer Bewertung unterzogen mit dem Ergebnis, dass von deren Inhalten nur ein Anteil von weniger als 20 Prozent archivwürdig ist. Ein großteils in Österreich noch vernachlässigter Bereich ist die Bewertung unstruktu- rierter digitaler Ablagen. In der Verwaltung geht man davon aus, dass wichtige Infor- mationen veraktet werden. Wir wissen aber, dass dies nicht durchgehend umgesetzt wird. Daher sollten die digitalen Dateien von Entscheidungsträgern einer Bewertung durch Archivar*innen unterzogen werden. Für die technische Analyse existieren bereits Tools, die man einsetzen kann. Nachlässe zählen zum disponiblen Bereich der Verwaltungsarchive. Für die Bewertung von digitalen Nachlässen gibt es bereits Strategien. Damit die Daten grundsätzlich zur Übernahme archivfähig sind, sollte bereits in einer frühen Phase mit den potentiellen Provenienzbildnern Kontakt aufgenommen und auch die Bewertungsrichtlinien kom- muniziert werden. Zu den beliebtesten Kommunikationsmitteln unserer Zeit zählt das E-Mail, das den Briefverkehr weitgehend abgelöst hat. Um die Bewertung von E-Mails außerhalb der Verwaltung hat man sich in Österreich noch nicht bemüht. In Ländern mit einer ande- ren Verwaltungstradition hat sich die Archivwissenschaft mit diesem Thema bereits auseinandergesetzt. In den USA verfolgt man den Ansatz, die E-Mail-Accounts von Ent- scheidungsträgern zu archivieren. Einen anderen Weg geht man mit der Ermittlung von archivwürdigen Themen, aus denen mit Einsatz von Algorithmen Schnittmengen aus- gewählt werden. Mit der Bewertung und Archivierung von Internetseiten beschäftigen sich hauptsäch- lich Bibliotheken. Sharepoint und Intranetseiten werden ebenfalls bereits berücksich- tigt. Die Archivwissenschaft beschäftigt sich auch mit den sozialen Medien. Die aktive Bewertung von Daten aus sozialen Medien ist derzeit für österreichische Archive aber noch kein Thema. APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST 41 LITERATURNACHWEIS Benauer, M. (2020). E-Mails, ihr Wert und ihre Bewertung. Scrinium, 74, 87–115. Verband deutscher Archivarinnen und Archivare. (9. 12. 2014). Bewertung elektronischer Fachverfahren. [Diskussionspapier des VdA-Arbeitskreises „Archivische Bewertung“]. https://www.vda.archiv.net/fileadmin/user_upload/pdf/Arbeitskreise/Archivische_ Bewertung/Bewertung_Fachverfahren_Positionen_StandDez2014.pdf Bacia, J., Fisher, O., Limberg, B., Plassmann, M. & Wendenburg, A. (2021). Bewertung schwach strukturierter Unterlagen. Mit Beiträgen aus dem Arbeitskreis, Archivische Bewertung“ im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. Mitteilun- gen aus dem Stadtarchiv von Köln. Dässler, R. & Schwarz, K. (2012). Archivierung und dauerhafte Nutzung von Datenbank- inhalten aus Fachverfahren – eine neue Herausforderung für die digitale Archivi- erung. Archivar, 63, 6–18. 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Since many years, administration offices and business enterprises use data management applications. Only the results of such applications become part of the ad- ministration documents. As a result, the process of decision-making is lost. Some of the Austrian archivists have evaluated hundreds of data management applications with the result that a rate of three until 20 percent of them are of archival value. Appraisal of digital file systems is largely neglected in Austria because the administra- tion use digital records management systems which includes that all administrative processes should be part of this digital records management system. However, we know that this is not consistently implemented. Therefore, the digital files of decision makers should be subject of evaluation by archivists. Personal papers belong to the disposable area of the administrative archives. Strategies already exist for valuing digital personal papers. We have to get in contact with the cre- ators of provenance much earlier to get digital data which are in an archivable state and to transmit our guidelines for appraisal. For years now, mail traffic has been displacing the analogue letter; correspondence is conducted to a largely extent only by email. Austrian archivists have not dealt with the appraisal of emails. Archivists of the USA keep email accounts of decision makers (“cap- stone approach”). Another approach to filtering out a meaningful subset of emails is done with the help of algorithms that make a representative selection according to cer- tain specifications. Libraries deal with archiving of webpages. Archival science is also concerned with ap- praisal and keeping of social media – this is a topic for a further paper. Typology: 1.04 Professional article APPRAISAL OF DIGITAL INFORMATION – SOME CONSIDERATIONS ELISABETH SCHÖGGL-ERNST