Left 8 n. 9. Augnst-Seplember 1931. XXXIV. Z.chrqanq,. 8d)rift!eltung: fDisfionssemlnar 8t. (Josef, Cllroangen, Württemberg. Verwaltung: Missionshaus Srar. paulustorgasse 10. Österreich. Inhalt: Des Meeres Hyäne 113. — Meine Reise nach Südafrika 116. — Wer cs fassen kann, der fasse cs! 120. — Hinein in den Busch! 127. — Unser schwarzer David 129. — Der ehrwürdige Diener Gottes Daniel Comboni 131. — Die Morgenröte des Christentums in Südafrika 133. — Der Sohn des Freimaurers 134. — Abbildungen: Die „Rerurn-Novarum“=5eiet in Rom 115. —- Militär-Fcldmessc der katholischen Universität in Washington 118. — Fronleichnamsprozession in Berlin 121. — Die Fron-leichnamsprozcssion in München 124. — Die Professoren der Münchner Universität in der Prozession 125. — Die Fronleichnamsprozession auf dem Chiemsee 128. — Aus einer Frvnteichnamsprozession in London 130. — Kirchen- und Klosterbrand in Spanien 133. — Im Golf von Biskaya 136. — Barberton 139. — Unser schwarzer David 142. — Viehkraal einer Farm 142. Gebetserhörung und -empfehlung. Innigsten Dank meiner lieben Mutter von Lourdes, der kleinen hl. Theresia vom Kinde Jesu und dem hl. Antonius von Padua für auffallende, rasche Hilfe in einem sehr schweren Handleiden meiner Schwester und in einer sehr langen, schweren Krankheit meines Bruders: V. F. — Als Abonnentin des „Stern der Neger" bitte ich um Einschluß ins heilige Meßopfer und ums Gebet zum heiligsten Herzen Jesu, zur lieben Gottesmutter, zum hl. Josef und allen Heiligen um die Bekehrung meines ungeratenen Sohnes: I. F. Totentafel. Wir empfehlen dem Gebete unserer Leser die verstorbene Abonnentin: Margareta Opferkuch, Iggenhausen. R. I. P. ErnzrrHlungen für den „Giern der Sieger' durch Venknttlung folgender Geldinstitute: 1$Oftf«*>e*fEOSSti: Wien 86.211; München 26.266 (Missionsseminar St. Joses in Ellwangen-Jagsch Württemberg); Triest 11/3908, 4$anffOnti: Graz, Bauernvereinskasse: Böhmische Jndnstrialbank, Filiale Aussig a. d. E. (C. 8. R.) Bücherbesprechungen. Verlag Herder & Co., Freiburg im Breisgau, Baden. 3>er „©roste Herder" (Nachschlagewerk in 12 Bänden und 1 Weltatlas). Binnen kurzem wird der erste Band erscheinen. Schon die Probehefte bekunden deutlich, daß in diesem Lexikon ein neuer Typ geschaffen wird. Das crfcimt man sowohl an der methodischen Art, wie das Wissen wiedergegeben wird, als besonders auch an der vorzüglichen Auswertung des Wiffeits und Könnens für die Lebenspraxis. Der selige Weg. Von Georg T i m p e, P. 8. M. Gedanken für jeden Tag. (5. bis 10. Tausend.) Oktav. (VlII und 400 Seiten; ein Titelbild.) Herder. Mk. 4.—; in Leinwand Mk., 5.20. Der selige Weg ist gedacht als ein Buch/in das der Vielbeschäftigte, sei er Kaufmann, Gewerbetreibender, Beamter, Arbeiter, Lehrer, Student, jeder, der seinen Tag mit Gott und seiner Seele anfangen möchte, eben hineinsieht, ehe er an sein Tagewerk geht. Es wendet sich ausschließlich an den Laien, ihn,, der im Ee-haste unserer Zeit nicht ohne ejncn Gedanken der Selbstbesinnung sein will. Es soll keine weichen Gefühle erwecken, es möchte dem Tat-christen dienen zu freudigem Bekenntnis und zu selbstlosem Helfen. Wolf Hagenreuter. Von Eberhard S t r a u tz. Eine fröhliche Lausbubengejchichte/ Mit Bildern von Rudolf Schlichter. (1. bis 16. Taufend.) Fahrtenbücher. Herausgegeben von Ernst Drouoen. Band 3. Oktav. (VI und 182 Seiten.) Geheftet und beschnitten Mark 2.—; in Leinwand Mk. 3.—. Wer dieses rassige Buch liest, muß unwill- kürlich an das Wort Stanley Halls denken: „Ein Junge, der kein rechter Indianer^ war, wird nie ein Gentleman." Nicht wie der Junge Jein soll" — wie man ihn heute von allen Seiten frisieren möchte —, nein, ohne Larve, trutzig, kindlich und sehnsüchtig stehen sie da — Wolf Hagenreuter und seine Kameraden. Wirklich: kein Junge kann diese Fahrtengeschichte lesen, ohne mit hineingerissen zu werden in den Zauber ihrer Romantik und in den Bann dieser eigenartigen Knabenwelt, die von außen so harmlos aussieht und doch bluternst vom Jungen erlebt wird. Denn „Wolf Hagenreuter" ist nicht die Erfindung eines Literaten, der in falscher Wehmut ein verlorenes Jugendidol umschmeichelt, sondern es ist ein Lebensbuch, 'wie es nur ein ganz feinhöriger und erprobter Ju-gendfllhrer schreiben konnte. Was immer ein rechter Junge denkt und sehnt, liebt und haßt — Spannung, Gruseln, Schulnot, Kameradschaft, Gefolgschaft, Kampf um Ideale —, all das erfüllt sich in dem bunten Wechselspiel dieser „großen Fahrt" — wenn man nicht als das Schönste am ganzen „Wolf Hagenreuter" bcn Humor empfindet, der in dem Le- M-eMeM KchsllschMiZMWAltschO fierausgegeben »on der Kongregation: TOIfPonäre Sühne des heiligsten Nerzens "]csu. preis ganzjährig: Österreich 2 50 8, Deutschland 2 warst, Italien e Lire, Ungar: 2 50 peng», Tschechoslowakei 12 LK, Jugoslawien 25 Dinar, Schweiz 2 50 Franken übriges Ausland 2 Soldmark. »on »rixen, Srünn, @raz, Leitmerih, Linz, Olmüb, Warburg, Orient, Driest und Wien und Druckerlaubnis des Seneralobern Lest 8 u. 9. August-September 1931. XXXIV. Jahrgang. Des Meeres Hyäne. Der Haifisch ist ein sehr gefährliches Tier. Seine Kiefer haben furchtbare, zermalmende Kraft, denen selbst die harte Schale der Seeschildkröte nicht widersteht. Wenn ein großer Fisch, ein Lachs oder dergleichen, an der Angelschnur anbeißt und eben zu bluten anfängt, so sind auch schon die Haie auf seiner Spur. Wird dann der gefangene Fisch hoch-gezogen, so kommt es oft genug vor, daß im letzten Augenblick ein aufspringender Haifisch nach ihm schnappt, so daß nur ein Teil des Fisches hochkommt. Die Abbeißstelle aber ist so glatt, als wenn eilt großes Rasiermesser in Tätigkeit getreten wäre. Ferner haben die Haie die Fähigkeit, Blut im Wasser auf weite Entfernung hin wahrzunehmen, sei es, daß sie mit vorzüglichem Geruchsinn begabt sind, sei es, daß vergossenes Blut eine eigenartige Schwingung hervorruft, die sich auf der Wasseroberfläche fortpflanzt, wie einige annehmen. Schließlich schwimmt das Tier mit unglaublicher Schnelligkeit; ist es doch zur Fristung seines Lebens hauptsächlich auf schnellschwimmende Fische angewiesen. Eine besondere Art von Haien ist der „Waltöter". Sein Kopf ist hart wie Stahl. Er tötet Walfische, indem er sie von unten anrennt. Er arbeitet stets in Gemeinschaft mit einem „Drescherhai", der dem Wal mit seiner starken Schwanzflosse einen Schlag auf den Kopf versetzt. Nach Erlegung des Kolosses beißt der „Waltöter" dem Wale die Zunge aus und überläßt die übrige Beute dem Drescher und anderen Haien. In Durban, bertt südafrikanischen Hafen, ist eine Handelsgesellschaft, die den Zweck verfolgt, Haifische zu fangen und deren Häute und sonstige Erträgnisse gewerblich zu verwerten. Schuhe und Lederwaren aus Haifischhaut find bereits sehr geschätzt. Mit drei Motor- und sechs Segelbooten wird die Jagd betrieben. Beim Morgengrauen rückt die Flotte aus, und jedes Fahrzeug begibt sich an die ihm angewiesene Stelle. Alsbald holt die Mannschaft die 24 Stunden vorher ausgelegten Netze ein lind versorgt geschickt den Fang in den Booten. Dann werden die Netze wieder im Meere versenkt. Die Kiemen des Haifisches befinden sich beiderseits des Kopfes und werden leicht von den Maschen des Netzes geschlossen, weshalb diese Tiere schnell ersticken. Anders geht es bei Rochen und Sägefischen, deren Kiemen mehr bauchwärts liegen und deshalb nicht von beit Netzmaschen berührt werden. Deshalb sind diese Tiere gewöhnlich lange lebendig. Infolgedessen müssen die Fischer sehr sorgfältig umgehen mit ihrer Beute. Es wurden schon Rochen von 1800 Kilogramm Gewicht und Sägefische von 7.5 Meter Länge gefangen. Besonders letztere sind sehr gefährlich, doch wird ihnen die zackige Waffe sogleich abgenommen, sobald sie den Kopf über Wasser zeigen. Oft genug muß eine Kugel ins kleine Gehirn der Seeungeheuer die Sache zum Abschluss bringen. Mit Speeren oder Harpunen können die Tiere nicht gejagt werden, da die Felle ohne Löcher und sonstige Mängel bleiben müssen. Den gefangenen Tieren werden von geschulten Eingeborenen sogleich die Felle abgezogen. Diese werden gewaschen, entfleischt, gesalzen und verstaut, bis eine genügende Anzahl von ihiren die Sendung an die Gerberei rechtsertiat. Die Felle der ftcrie und Rochen sind statt mit Schuppen mit sehr harten Zähnchen bedeckt, die jedoch leicht entfernt werden können und ein Fell zurücklassen, aus dem das feinste Leder gemacht werden kann. Das Fleisch der Tiere wird in Streifen geschnitten und an der Sonne getrocknet. Es bildet ein geschätztes Nahrungsmittel der Eingeborenen, aber auch der Weißen, die es unter dem klangvollen Namen von „Felsenlachs" erstehen und ahnungslos verzehren. Die Leber der Haie urtlb Rochen ist besonders wertvoll, denn sie liefert ein gesuchtes Ol, das in geläutertem Zustand dem Dorsch-Lebertran ähnelt und wie dieser verwendet wird. Geringere Sorten des Öles dienen zur Herstellung von Margarine oder Kochbutter oder finden in der Anstreicherei sowie in der Seifensiederei Verwendung. Mit den Finnen oder Flossen der Tiere wird ein schwunghafter Handel betrieben. In Ostasien ist Flossenstippe eine anerkannte Leckerei. Deshalb werden alle Finnen sorgfältig an der Sonne getrocknet und mit gutein Gewinn nach China und dessen Nachbarländern verkauft. Aus den Überresten von Hai und Roche wird Kunstdünger hergestellt, Fischmehl genannt, der bis 17 Prozent Stickstoff enthält. Auf einem kleinen britischen Dampfer, der vor Port Jbo, an der südafrikanischen Ostküste, vor Anker lag, batte der Kavitän Köder ausgeworfen, an dem nicht lange danach ein Lachs anbiß. Schon waren etwa 200 Meter Schnur abgelaufen, als plötzlich ein Schlappwerden eintrat, so daß die Leine in aller Eile aufgehaspelt werden mußte. Einige erfahrene Seebären erkannten sogleich die Ursache der sonderbaren Erscheinung und sagten: „Ein Tigerhai!" So war es in der Tat; der gefangene Fisch kehrte eilig gegen das Schiff zurück, scharf verfolgt von seinem grimmigen Feinde. Schnell griff der Maschinist zu einein starken Eisenhaken von 30 Zentimeter Durchmesser und 45 Zentimeter Länge und nähte um denselben das Fell eines frisch geschlachteten Schafes. Diese für den Haifisch bestimmte Lockspeise wurde an einem halb-zölligen Stahlseil von 6 Meter Länge ins Wasser gelassen, an bent auch als „Schwimmer" zwei große verlötete Kannen und zwei Rettungsgürtel befestigt Innren. Während einer halben Stunde ereignete sich nichts. Plötzlich tanzten die „Schwimmer" lebhaft ans der Wasseroberfläche und verschwanden dann außer Sicht; der Köder war also genommen worden. Die Leine lief ab in schwindelnden Umdrehungen. Ein Boot wurde ausgesetzt, und der erste Offizier, bewaffnet mit einer Flinte, nahm die Jagd auf. Es ging zwei Meilen weit ins Meer hinaus. Als das wütende Tier an der Oberfläche erschien, jagte der Offizier ihm einige gutgezielte Kugeln in den Leib. Dann begann die mühsame Arbeit des Einholens des toten Kolosses. Es war ein Tigerbai. ein riesiaes Weibchen. In einiger Entfernung folgte die zackige Rückenflosse eines anderen Haies, offenbar des Männchens, der um das Schicksal seiner Gefährtin besorgt sein mochte. Als es näher zum Schiffe ging, verschwand er jedoch. Als das Tier an Bord gebracht war, fand sich, daß es eine Länge von 3.96 Meter hatte; der Rachen maß von Winkel zu Winkel 96 Zentimeter, überrascht waren die Zuschauer, als der Leib ausgeschnitten wurde. Da fand sich eine ganze Familie von 52 Jungen, die alle gesund und munter und sehr lebendig waren. Ihr mittleres Gewicht betrug 1.5 Kilogramm und ihre Durchschnitts-länae 90 Zentimeter. Die hi-lslosen Kleinen wurden erschlagen, um nie die Tiefen des Meeres unsicher zu machen. Diese Art Haifische besitzt eine Leibeshöhle, in der die sorgende Mutter zu Zeiten der Gefahr ihre Jungen verbirgt, indem sie sie mit dem Rachen verschluckt. Dort in der wohl-gewässerten Höhle bleiben sie so lange, bis die Mama es für angezeigt hält, sie wieder auszuspeien. Vielleicht hat der Prophet Jonas mit einem solchen Tiere Bekanntschaft gemacht. Kapitän C. Thompson erlegte mehr als 10.000 Haifische und pflegte im Busen von den Bug hinaus und der Mann fiel ins Wasser, ohne natürlich den Haifisch mit der Harpune getroffen zu haben. Der erste Gedanke des Kapitäns war, die Schiffsschraube zu vermeiden; deshalb machte er zunächst einige Schwimmstöße zur Seite; das aber brachte ihn um die Gelegenheit, nach der herabhängenden Harpnnenleine zu greifen. Ter Heilige Vater bei der „Reram~novarum“4fciet im Damasus-Hofe des Vatikans. Zum 40. Jahrestag des Rundschreibens Leos XIII. „Rerum novarum" über die gesellschaftliche Ordnung erließ Pius XL ein neues Rundschreiben, in welchem die Übel der heutigen Wirtschaft-weise blotzgclegt und die Mittel zu deren Beseitigung aufgezeigt werden. sAllniuic-Photv-Co.) Mexiko zu „jagen". Einst war er wieder in einem 9 Meter langen Motorboot draußen, um einigen Gästen zu zeigen, wie man Haifische mit der Harpune jage. Ein Zacken-flosser war aufgetaucht, und das Boot näherte sich ihm langsam. Es befand sich gerade in der richtigen Entfernung und Stellung, als der Kapitän die Harpune auf ihn schleuderte. Unglücklicherweise hatte jemand vorher einige Tropfen Ol auf dem Buge verschüttet. Als der Jäger die Harpune warf, glitt sein Fuß aus, rutschte über Der Mann am Steuerruder brefjte das Boot sogleich herum, um den zurückgebliebenen Schwimmer aufzufischen. Dieser selbst schwamm dem Fahrzeug entgegen, mit Bruststoß, wobei er beide Arme immer ganz nach hinten brachte am Ende eines Stoßes. Wären des Schwimmers Arme gerade in der Seitenlage gewesen, so wäre einer von ihnen sicher vom herbeigekommenen Haifisch abgestutzt worden. Dafür spürte der Schwimmende einen heftigen Schmerz an der Schulter, in die das Tier seine scharfen Zähne gesenkt. Der Mann bog unwillkürlich den Kopf zur Seite, und der helle Bauch des Haies glitt über ihn hin. Die Insassen des Bootes glaubten bereits, es sei um ihn geschehen, als er wieder hochkam und mit der Kraft der Verzweiflung auf das rettende Boot zuschwamm, in das ihn die Freunde zogen und hoben, ehe das Ungeheuer zu ihm zurückschnellte. Trotz seiner Schmerzen hatte der Kapitän die Geistesgegenwart und den Zorn, eine andere Harpune zu ergreifen und sie dem Tiere in den Leib zu schleudern, als dessen Rückenflosse wieder sichtbar wurde. Dann aber verließen ihn die Kräfte. Er bedurfte einiger Monate sorgsamer Pflege zu seiner Wiederherstellung. Vor kurzem wurde ein menschenfressender Hai, der die Badelustigen der Falschbucht (südlich von Kapstadt) während des ©om= mers in Furcht gesetzt hatte, in der nahen Kalkbucht gefangen. Viermal war es einem Hafenangestellten gelungen, das Tier anzuködern, doch dreimal entkam es nach hartem Kampfe. Das letztemal gelang es, den angeseilten Hai langsam an den Hafendamm heranzuziehen, wo zwei wohlgezielte Schüsse das bereits erschöpfte Tier erledigten. Ein badender Jüngling an der südafrika- nischen Küste zwischen Port Alfred und East London wurde von einem Blauhai am Oberschenkel gepackt. Ein furchtbarer Kampf entspann sich im Wasser; es gelang dem jungen Manne schließlich, sich zu befreien; sein Bein aber war arg zugerichtet. Immerhin erreichte er den Strand und begab sich sogleich in ärztliche Behandlung. Glücklicherweise war der Hai nicht völlig ausgewachsen, sonst wäre der Badende nicht so glimpflich davongekommen. Ein anderer Junge badete in Gesellschaft zweier Freunde in der Kiddbucht. Als sie in brusthohem Wasser waren, das hochgehende Schwellwogen warf, die zeitweilig die Aussicht benahmen, war es dem jungen Manne, als ob einer seiner Freunde ihn scherzhafter-weise untertauchen wolle. Sogleich aber spürte er einen stechenden Schmerz an beiden Beinen ' und erkannte zu seinem Schrecken, daß er von einem Haifisch von etwa 1.5 Meter Länge gefaßt sei. Er stieß urfb schlug wild um sich, und es gelang ihm, sich frei zu machen und den Strand zu erreichen. Man brachte ihn sogleich in einem Kraftwagen nach East London, wo ein Arzt seine Wunden ausbrannte und verband. Bruder August Cagol. Meine Reise nach Südafrika. Von P. Franz M. Morscher, F. S. C. (1. Fortsetzung.) Stürmische See in der Biscaya. Schon seit unserer Landung an der holländischen Küste in Rotterdam beschäftigte uns die Frage: „Wie wird es uns in der Biscaya ergehen?" Mehrere Passagiere hatten schon in der Nordsee die Seekrankheit verspürt und doch ist die Nordsee mit der Biscaya verglichen ein ruhiger Ententeich. Bekanntlich schiebt sich zwischen Südfrankreich und dem Nordwestzipfel Spaniens der Atlantische Ozean vor und bildet den sogenannten Golf von Biscaya. Er ist überaus tief, bis gegen 3000 Meter, und berühmt, besser gesagt berüchtigt, wegen der heftigen Stürme, die dort häufig auftreten. Böses Unheil ahnend, zogen viele Passagiere, wir nicht ansgenommen, allerlei Schnäpse und Tinkturen und Heiltropfen aus den Reisekoffern, um der Seekrankheit wirksam entgegenzutreten. Als wir eines Morgens aus unseren Schlafmatten stiegen, merkten wir schon bald, daß nicht mehr alles stimmte. Das Schiff schwankte, der Fußboden wackelte einem unter den Füßen, daß man sich, beim Gehen an der Wand festhalten mußte, um nicht zu fallen. Draußen heulte der Wind zum Erbarmen. Von Zeit zu Zeit schlug der Gischt klatschend herauf gegen das festverschraubte Kabinenfenster. Das Schiff hob und senkte sich unaufhörlich; schlenkerte von vorn nach hinten, rollte von links nach rechts. Dieses fortwährende Auf-nndnieder ist ein Angriff, dem auch ein gesunder Magen auf die Dauer nicht standhält. Man bekommt die gefürchtete Seekrankheit. Auch ich verspürte ein sonderbares Unwohlsein und leichte Kopfschmerzen. Sollte das gar der Anfang sein? Ich wollte um keinen Preis den Fischen opfern und seekrank werden. An diesem Morgen zelebrierte ich nicht. Ich stürmte über die Stiege hinauf aufs Deck. Ein paarmal in Eilmärschen über das Deck gestampft, ein paar Dutzend kräftige Atemzüge in der frischen Luft, und alles war wieder gut. Jetzt aber hatte ich Muße genug, mir die Lage anzusehen. Ja, welch großartiges Schauspiel bot sich da meinen Blicken! So weit das Auge reichte, war das Meer ein brodelnder Hexenkessel! Weißer Gischt und hohe Wellen mit weißen Schaumkämmen ringsum. Ein feindliches Heer schien zum Sturm gegen uns heranzureiten. Woge um Woge prallte gegen den ächzenden Schiffsleib, zerschmetterte aber hochaufspritzend an den Stahlplanken und fiel ohnmächtig zurück ins Meer. Hätte nie geglaubt, daß es so hohe Wogen geben könne. Schätzte ich doch die Höhe einzelner Wellenberge bis auf 10 Meter, und es kam nicht selten vor, daß Sturzwellen über Deck schlugen, so daß das Meerwasser bachweise in die Abzugsrinnen floß. In das gewaltige Naturschauspiel nüschte sich das ohrenbetäubende Tosen des Meeres. Der Sturm heulte und rüttelte an den Türen, winselte in den Werspannungsdrähten der Antennen und pfiff mir um die Ohren, daß ich es vorzog, Deckung zu suchen. Ich trat hinter einen Eisenpfosten und schaute mit Hochgefühl hinaus auf die wilderregte See. Ich freute mich über unsere tapfere „Wangoni", die hart, aber siegreich mit den aufgepeitschten Fluten rang. Gleichsam schwer atmend hob und senkte sich ihr stählerner Leib. Bald schwebte das Heck hoch in der Luft, dann wieder senkte das Schiff den Bug, wie um Anlauf zu nehmen gegen den mächtigen Feind. Mehr als eine Stunde stand ich wie gefesselt von dem Anblick dieses grandiosen Kampfes zwischen Meer und Schiff. Als ich um 8 Uhr zum Frühstück kam, bot sich mir im Speisesalon ein ungewohntes Bild. An allen Tischen waren Randleisten, auf den Tischen selber aber fächerartige Holzrahmen angebracht; dadurch sollte das Herabgleiten des Gedeckes verhindert werden. Als ich mich ein wenig umsah, bemerkte ich, daß die Reihen der Tafelgäste stark gelichtet waren; alle Damen waren seekrank, und mehr als die Hälfte der Passagiere fehlte. Sie lagen stöhnend in ihren Kabinen. Schiffsarzt und Stewards hatten die Hände voll zu tun. Im Speisesalon der ersten Klasse spielte sich um dieselbe Zeit ein tragikomischer Vorgang ab. Die letzte Handvoll Herren saßen eben beim Frühstück. Platsch! fegte dröhnend eine Sturzwelle über das Schiff, das sich stark nach der Backbordseite neigte. Das genügte, um das Unheil herbeizuführen. Innerhalb weniger Sekunden lagen Teller, Tassen nnd Bestecke auf dem teppichbelegten Fußboden. Ein paar Herren und Stühle nahmen denselben Weg. Einer der Herren, ein dicker Engländer, lag pustend wie eilt Nilpferd auf dem Teppich, eingeklemmt zwischen zwei umgefallenen Stühlen und dem Tisch. Ein herbeigeeilter Steward befreite ihn aus der verzwickten Lage. Der Vorfall war nicht ohne Verletzung abgegangen. Der Verletzte aber war glücklicherweise nicht der Engländer Mr. Smith, sondern sein Stuhl. Die Schiffschronik berichtet nämlich von seinem Unglück nur: „Kleiner Unfall am 17. Dezember bei hohem Seegang. Mehrere Per-jonew kamen zu Fall, ein Stuhl brach das Bein . . . Bierundzwanzig Stunden lang stürmte es." In den nachfolgenden Tagen ließ der Wind nach, und die See glättete sich allmählich. Die Biscaya war nun glücklich durchquert; die Seekranken gesundeten rasch. Mit Volldampf ging es nach Süden, nach den Kanarischem Inseln, von den Alten „Inseln der Seligen" genannt wegen des wunderbar milden Klimas. Spanien in Sicht. Unser Dampfer „Wangoni" fuhr mit 12 Knoten, also mit etwa 23 Kilometer Geschwindigkeit pro Stunde, durch den Atlantischen Ozean. Das Meer begann allmählich uns auch seine schönen, angenehmen Seiten zu zeigen. Wir hatten fast immer strahlenden Himmel. Die Sonne stand schon bedeutend höher und hatte viel mehr Kraft als in Hamburg bei unserer Abreise. Man merite, daß wir uns langsam dem Süden näherten. Oft stand ich am Hinterdeck des Schiffes und schaute hinab auf das geheim-nisvolle Meer, das sich wie ein Riesenspiegel in die Weite dehnte. Seine gewöhnliche Farbe war ein tiefes, glänzendes Schwarzblau. Manchmal jedoch, zumal im Kielwasser des Schiffes, leuchtete es in prächti- gem Hellgrün, durchsetzt mit milchweißen Schanmadern. Man hätte glauben können, wir führen über einen herrlichen Teppich von edlem grünem Marmor. Ganze Schwärme von Möven begleiteten fast beständig das Schiff. An manchen Abenden setzte ich mich in einen Deckstuhl an die Reeling und ließ halb wachend, halb trän- ken wie von einem Riesenpflug zerpflügt in brausenden Gischt zerfallen. Mit Gott voran nach Afrika, der neuen Zukunft entgegen! Lustig wehte die fchwarz-weiß-rote Flagge, und die scharfe Brise, die mir um das Gesicht strich, schien mir von irgendwoher zuzutragen: „Gib Seelen, nur Seelen gib mir." Militär-Feldmesse der katholischen Universität in Washington. Etwa 35.000 Studenten, mehrere tausend Gäste, viele hohe Mitglieder der Regierung und das diplomatische Korps nahmen an der jährlichen Gala-Militär-Feldmcsse in dem katholischen Universitätsstadion in Washington teil. Unser Bild zeigt die Geistlichkeit, an der Spitze der Erzbischof von Baltimore Michael I. Curley, beim Betreten des Stadions. (AUantic-Photo-Co.) mend meine Gedanken nach Norden wandern §n all den Lieben daheim; auch nach Ellwangen, wo unsere Studetlten sich auf dem Spielplatz tummeln oder hinter den Büchern schwitzen. Dann kamen mir beim Anblick der weißen, nordwärts ziehenden Wolken die Verse Schillers in den Sinn: „Eilende Wolken, Segler der Lüfte, Wer mit euch wanderte, wer mit euch schiffte! Grüßet mir freundlich mein Heimatland." Oft stand ich ganz vorn am Bug des Schiffes, wo die Flagge weht und die Wel- Eines Nachmittags ging die Kunde durchs Schiff: „Land in Sicht." Ich schaute nach der angegebenen Richtung. Wirklich! Da hing in Weiber Ferne unter dem .Horizont ein zarter blauer Streifen, der nach und nach deutlicher wurde. Es war keine Wolke, es war das Kap Finisterre, der äußerste Westzipfel Spaniens. Mit dem Fernrohr konnte man auch die mächtigen, über 3000 Meter hohen Pyrenäenberge sehen, die zu uns herübergrüßten. Lange schaute ich hinüber nach dem Sonnenlande Spanien, der Heimat so vieler Helden und Heiligen. Ich dachte an Kolumbus, der von dort zum erstenmal zur Entdeckung Amerikas ausfuhr im Jahre 1492. Ich dachte an Vasco da Gama, den kühnen Umsegler Amerikas. Ich erinnerte mich bewegten Herzens an Ignatius von Loyola, den Stifter des Jesuiten« ordens, und an Franz Daverius, den großen Heidenmissionär, beide Söhne Spaniens. Am 20. Dezember endlich erblickten wir die Berge der größten Kanarischen Insel Gran Canario. Sie ist wie die anderen Kanarischen Inseln spanisch. Die Palmenstadt Las Palmas. 20. Dezember 1930. Die Kanarischen Inseln sind vulkanischen Ursprunges. Das erkennt man schon an der eigenartigen Kegelform der Berge. Die Insel Teneriffa mit dem 3000 Meter hohen, tätigen Vulkan Pik de Teyde verdeckte uns leider ein dicker Wolkenvorhang. Hurra! Das ist ja schon der Hafen von Las Palmas. Freundlich grüßten die grünen Hügel, die in lebhaften Farben gestrichenen Häuser und die ersten Palmen §it uns herüber. Wir freuten uns unbändig, die Palmenstadt zu besichtigen. Langsam gleitet unser Dampfer in den Hafen. Englische und spanische Schiffe liegen an den Docks vor Anker. Die spanische Flagge wird am Mast gehißt. Da der Hafen zu seicht ist, konnte die „Wangoni" nicht am Strande anlegen. Die Passagiere muß-ten in Motorbooten ans Land gebracht werden. Kaum hatte sich der Dampfer verankert, da schossen auch schon ganze Schwärme von Händlerbooten auf uns zu. Braune Männer mit schwarzen Haaren, wild aussehende, schwarzäugige Kerle standen darin. Sie brachten Körbe voll Orangen, Bananen und allerlei Südfrüchten. Hier wurden Zigaretten angeboten, dort feine einheimische Webwaren und Stickereien, immer natürlich zum Doppelten und Dreifachen des eigentlichen Preises. Ein Feilschen und Handeln geht los; alle südländische Lebhaftigkeit, alle Beredsamkeit der Zunge und der Gebärden wird aufgeboten, um die kaufnnlustigen Nordländer zum Kaufen zu bewegen. Wir erstehen ein Dutzend Bananen, wickeln das Geld in ein Stück Papier und werfen es hinab ins Boot. Der dunkeläugige Bursche prüft vor- sichtig, ob der Betrag stimmt. Dann wirft er init sicherer Hand ein Seil über die Brüstung des Schiffes herauf, an dessen unterem Ende das Körbchen mit dem Gewünschten hängt. Durch Zurufen und Händewinken bedeutet er uns „Hochziehen!" Dort in jenem Kahn steht ein anderer. Er entfaltet vor unserem neugierigen Blick ein Dutzend feingemusterter Tischtücher und spitzenbesetzter Hemden. Auf unsere unwilligen Abweisungen hat er bloß eine Antwort: „Nicht? Sehr billich!" Da vorn sitzen in einem Boote zwei dunkeläugige Spanierbuben in Badehosen and zeigen ihre Kunst. Eine Dame wirft ein Geldstück hinab ins Meer. Ein Sprung; zwei Füße zappeln hoch, und der eine Junge verschwindet in der blauen Tiefe. Nur ein kleiner Wasserwirbel verrät die Stelle, wo er in die Tiefe getaucht hat. Es dauert keine zwei Minuten, da erscheint er wieder an der Oberfläche; er schüttelt sich, steigt ins Boot und zeigt beweisend die Münze zwischen den Zähnen. So geht es noch ein paarmal. Es ist unglaublich, welche Gewandtheit diese Burschen im Tauchen haben, wie sie mit größter Sicherheit auch ein Pfennigstück aus den Fluten heraufholen. Es wäre interessant gewesen, dem Treiben länger zuzuschauen. Doch wir hatten keine Zeit zu verlieren, wenn wir noch vor Sonnenuntergang etwas von Las Palmas sehen wollten. Ein Motorboot bringt uns ans Land. Da wartet auch schon das bestellte Fuhrwerk auf uns. Aber was für eines! Es ist eine sogenannte Karreta, ein zweirädriger, mit Segeltuch überspannter Karren, davor ein kleines, mageres Pferdchen. „Dieses Steckenpferdchen soll uns zwei Stunden lang ziehen können? Ausgeschlos-sen!" dachte ich. Wir waren sieben Personen im Wagen. Der Hochwürdigste Bischof, ich mit den zwei Brüdern, eine Dame mit ihren zwei Kindern und als Zugabe noch der Kutscher selber, eine ziemlich „gewichtige" Persönlichkeit. Aber es g'ng besser, als ich geglaubt hatte. Das Pferdchen lief, daß es eine Freude war; mehr als eines der kanarischen Autos überholten wir. Las Palmas ist eine Stadt mit rund 68.000 Einwohnern; sie liegt etwa 6 Kilometer vom Hafen entfernt und ist der Sitz des spanischen Gouverneurs und eines Bischofs. Der Weg führt an hohen, gelben Sand-dünen vorbei, -durch schöne Palmenalleen. Die entzückendsten Landschaftsbilder ziehen an unseren Augen vorüber: Da leuchtet eine Gruppe weißer Villen, in Den leichtgeschwungenen Linien des maurischen Stils erbaut, zwischen Palmenwäldchen hervor. Dort eine Häuserzeile hinter hohen Bananenständen. Fast alle Häuser haben flache Dächer und prangen in der südlichen Sonne in den verschiedenartigsten Farbtönen: hier rote, dort gelbe, andere oliv- oder orangenfarben. Dazwischen ragen malerisch die rötlichen Tuffsteinfelsen ins Stadtbild herein. Ans dem Fußsteig neben der Fahrstraße herrscht reges Leben. Frauen und Mädchen in fremdländischer Tracht gehen sittsam einher; nebenan tummeln sich ein paar lebhafte spanische Jungens. Aus ihren sonnverbrannten Gesichtern blitze:: uns tief-schwarze Augen an; balgend und lärmend laufen sie hinter unserer Kutsche her, uns zurufend: „Gib Geld!" Die Schlingels hatten scheinbar unsere deutsche Herkunft erraten. Je näher wir der Stadt kamen, desto größer wurde der Verkehr. Kutsche um Kutsche rollte daher; eigentlich waren es Sänften auf Rädern. Zwischen den spitzm-besetzten Vorhängen guckten neugierige Kinder heraus. Hinterdrein tuteten ein paar Autos, bei deren Anblick man hätte glauben können, sie stammten noch aus den ersten Zeiten der Erfindung. Sogar eine (allerdings primitive) Trambahn verkehrte auf der Via Principal, der Hauptstraße. Das ganze Verkehrsleben trägt, wie die Stadt selbst, ein gewisses altertümliches Gepräge. Unser braver Kutscher hatte Mühe, für uns den Weg freizumachen. Er verwendete dazu eine neben dem Kutschbock angebrachte Auto-hupe. Wo sie nicht hinreichte, die Fußgänger zum Ausweichen zu bewegen, da halfen kräftige Pfiffe und rauhe Worte nach. Im Innern der Stadt besichtigten wir die uralte, hochtürmige Kathedrale; wegen der einsetzenden Dunkelheit konnten wir nicht viel mehr feststellen, als daß sie wunderbare Glasfenster in gotischem Stil hatte. Schnell besichtigten wir noch einige spanische Basare, den Stadtpark mit seinen herrlichen Palmen, Lorbeerbäumen und tropischen Gewächsen. Auf dem Rückweg konnten wir den ganz eigenartigen Zauber der Palmenstadt auf uns wirken lassen; bei der nächtlichen Beleuchtung machte sie den Eindruck einer ganz orientalischen Stadt. Dazu der in feenhaftem Lichterglanz daliegende Meerbusen! Ich fühlte mich wie in ein Märchen aus „Tausendundeine Nacht" versetzt. In Las Palmas trafen wir auch eine Menge deutscher Landsleute. Bischof Hennemann und ich wurden eingeladen, an einer Weihnachtsfeier der deutschen Auslandsschule teilzunehmen. Es waren gegen 60 deutsche Kinder, die uns mit allerlei Gesängen und Reigenspielen überraschten. Mich persönlich hat es am meisten ergriffen, als unter Absingung des schönen Liedes „Fröhliche Weihnacht überall" und „Es ist ein Reis entsprungen" der Christbaum angezündet wurde. Mit dem letzten Motorboot fuhren wir zum Dampfer zurück. Um Mitternacht wurden die Anker gelichtet. Lange noch schaute ich vom Bette aus hinüber nach der Palmenstadt, bis ihre letzten Lichter im Meere versinkend verloschen. (Fortsetzung folgt.) ,,28er es fassen kann, der fasse es!" (3. Fortsetzung.) Heilen rückte ein wenig an seinem Stuhl, so daß Gertrud sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Dann war er noch eine Weile still, wie jemand, der erst weiten Weges zurückwandern muß, um sich zurechtzufinden. Mit der rechten Hand hielt er die Augen überschattet, die Linke hielt spielend ein kleines Medaillon, das an der Uhrkette hing. Er gab sich einen Ruck und begann: „Du weißt, Gertrud, daß deine Mutter noch sehr jung, kaum neunzehn war, als sie -mir angetrant wurde. Sie war ein Landkind, ich ein Großstadtjunge. In den Ferien, die ich immer bei der Großmutter in der Uhlenmühle verlebte, wurde ich allemal zum Dorfbuben. Welch wunderschöne Zeit wir da zusammen verlebten, die Brigitta vom Waldhofe und ich. Andere Häuser und Spielgenossen wa- ren in der Nähe nicht. Mutter hat euch ja oft an Winterabenden davon gesprochen. Ich wurde immer fremder in meiner Heimat der Schlote und Zechen, immer heimischer im Tal der Uhle, zwischen Berg und Wald mi) Wällen und Hecken. Ich bin in den langen Heimatmonaten nie ohne Heimweh gewesen nach meiner Mühle im Wiesengrunde, nach Schwalbe und Nachtigall und nach dem Wallhose und meiner kleinen Ka- ich trug schon die weiße Primanermütze, war Brigitta nicht mehr da. Von der Elementarschule weg war sie nach Heiligenstadt zu den Schulschwestern gezogen. Das waren nun stille Ferien. Wäre nicht der alte Müllerklaus und nicht der Teich mit seinen Forellen unit) der Schäserjost mit seinen zweihundert Lämmern und dem wilden, pechschwarzen „Luzifer" gewesen, ich glaube, ich hätte meine jälhe Vereinsamung manchmal ^ H Im Fronleichnamsprozession in Berlin. Links Mitglieder der Regierung. (Atlantic-Photo-Co.) meradin. Unser Landidyll war eine Welt für uns. In ihm verlebten wir wahre Wunder, im Osterlenz, wenn die ersten Schneeglöckchen und Schlüsselblumen aus der Erde guckten und der Kuckuck uus foppte. Pfingsten, wenn das ganze Tal bräutlich in der Maisonne' lag. Im Sommer, wenn die Weizenfelder golden wogten und die junge Schwalben- und Lerchenbrut ihre ersten Jugendfeste in den Lüften feierten . . . Wer, da verlier' ich, alter Schwärmer, mich ja heillos ... Also zur Sache! In einem Jahre, nicht ertragen. Jedes Jahr einmal kam Brigitta heim, im August. Wer sie war sehr sittiglich geworden, und das lose Umherstreifen in unserer Wunderwelt hatte ein Ende. Wir saßen wohl noch stundenlang unter den Linden des Wallhofes oder am Mühlenwehr und träumten in ■ die Ferne. Ab und zu brach iber alte Übermut wieder dlirch, aber dann drohte uns die alte Tante Hanna, das schicke sich nicht für eine Klosterjungsrau. Als ich das Wort zum ersten Male hörte, habe ich Brigitta erschrocken ange- scheu. „Klosterjungfrau, Brigitta, das bist du doch nicht. Pensionärin oder Klosterschülerin nennt man das, nicht wahr?" Da wurde sie besangen. „Ich höre es aber doch ganz gern, Erhard", sagte sie leise. „Meinetwegen nenne ich dich Äbtissin, wenn du nur im Kloster das Lachen nicht verlernst", spottete ich. „O du, da müßtest du mal in der Erholung mit dabei sein! Da gibt's eine ,Lerche', eine ,Amsel', eine ,Drossel', die Anna Hamman ist die Nachtigall, weil sie immer im Grau geht, aber wie eine Primadonna singt. Die Helene Noren ist der Kreuzschnabel, weil sie stets ein wenig schwermütig tut und für rote Bänder schwärmt..." — „Habt ihr auch einen Uhu — Oberuhu?" neckte ich sie. „Auch. Aber das ist Geheimnis", lachte sie. Und dann — ach, ich wollte mich ja kurz fasten. Aber aus jener schönen Zeit ist mir noch jede Einzelheit so lieb und so klar, als wäre es gestern gewesen. Und da sitzt hier als reifes Menschenkind schon das Kind jener kleinen Brigitta ..." Heilen schwieg ein Weilchen, den Blick ernst lächelnd auf seiner Tochter. Gertrud war merkwürdig berührt. Wie den meisten jungen Menschen war es ihr eigentlich nie in den Sinn gekommen, sich die Eltern in jungfräulicher Jugend vorzustellen. Sie waren einfach immer die Eltern gewesen, schon zu der Zeit, wo ihr eigenes Leben aus dem Unbewußten unmerklich ins Bewußte hinübergegangen war. Sie ahnte auch, was nun kommen, was der Vater ihr erzählen wollte. „Du magst dir denken, Gertrud, wie es dann kam. Die kleine Brigitta vom Wallhofe wurde immer älter, immer schöner un>d — immer zurückhaltender. Ich hielt es für mädchenhafte Scheu. Nie war mir der Gedanke aufgestiegen, daß es einmal anders kommen könnte, als wie wir es schon als Kinder in unseren Spielen geträumt hatten, wenn wir Burgritter und Burgfrau spielten. Ein Schloß, das hatten wir mit der Zeit fallen lassen. Aber ein stilles, trauliches Bürgerheim, das mußte es schon sein. Ich sprach bei Tante Hanna vor, als ich zu den Osterferien ins Uhlental kam. Ich hatte meine Anstellung an der Bank in der Tasche. Sie sah mich erschrocken an. „Ja, Junge, weißt du denn nicht? Das wird aber wohl nichts geben. Brigitta will doch . . ." — „Was will Brigitta?" Ich habe die Gute am Arm gegriffen, daß sie das Gesicht verzog- „Ich weiß nicht, ob ich's verraten darf. Da frag sie lieber selber", wich sie aus. Merkwürdig, ich wußte gleich, was Tante Hanna meinte. Ich drang nicht in sie, weil ich Angst vor der Wahrheit hatte. Seit dem Tage gingen wir uns aus dem Wege, Brigitta und ich; wenn wir uns zufällig trafen, waren wir beide still. Es war etwas Fremdes zwischen uns gekommen. Und vor diesem Fremden hatte ich eine große Scheu. Der Pfarrer im Kirchdorf Elswinkel, dem immer der erste und letzte Ferienbesuch galt, mochte merken, daß ich an irgend etwas herumtrug. Er frug mich beim Abschied ohne Neugierde. Und da — war es heraus. Oh, ich sehe noch sein wissendes Lächeln. In mir war ein großes Vertrauen hochgekommen, daß er mir irgendwie nützen könne. „Laß sie selbst entscheiden. So etwas verträgt nicht gut einen Dritten, und wenn es auch der Pastor ist", riet er in seiner ruhig-icheren Weise. „Wenn sie dir entschieden ab-agt, dann laß die Finger davon. Der Herrgott möchte es dir sonst übel vermerken. Gibt sie dir aber noch ein gutes Auge, dann laß die Sache für dich gedeihen. Weißt ja doch wohl Bescheid mit der Brigitta." Am anderen Tage, ehe ich abreiste, hat Brigitta dann entschieden. Ich vergesse nie diesen Tag. Als ich kam, sah Tante Hanna mich nicht weniger als liebreich an. „Es wäre doch viel besser, du ließest das Kind in Ruhe", grollte sie. „Für euch beide wär's besser. Die ganze Nacht hat's wieder geweint. Schier krank wird's mir noch, wären die Ferien nicht bald zu Ende. Wie ein Linnen sieht's aus." Ich hab' dann aber doch getan, wie der Pfarrer mir geraten hatte. Geweint hat Brigitta, aber als ich abreiste, waren wir beide glücklich. Dennoch bin ich nie ganz den Gedanken los geworden, daß ich — ich muß es so nennen — als Gegenpart den Herrgott hatte und ihm den Rang ablief. Er wird es wissen, wie es gewesen ist. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, daß ihm so viele schöne Blumen blühen. Und für mich eben nur dieses Rös-lein int Tal. Und daß er, hätte er es stir sich gewollt, seine Rechte wohl entschiedener geltend gemacht hätte." — „Hast du nie mit Mutter darüber gesprochen, Vater?" fragte Gertrud leise. „Niemals. Es mag dir merkwürdig scheinen. Ich glaube, an dem Tage, an dem deine Mutter mir ihr Herz in die Hände gab, hat -sie abgeschlossen mit jenem Tramm Aber ein wenig ernst ist sie doch immer geblieben, du weißt es. Mir war, als hätte jener Jugendtraum ihr eine eigene Weihe gegeben. Und dann — wurdest du geboren, Gertrud. Als ich dich zum ersten Male im Arme hielt, da kam wieder jenes Empfinden über mich, so als ob ich dem lieben Gott gegenüber eine Schuld hätte. Und da — an deinem Tauftag, da habe ich ihm gesagt, wenn dem so wäre, möchte er dich als Ausgleich nehmen. Da kam eine große Ruhe über mich. Und nie hat seither mich wieder ein Zweifel gequält, als ob ich für mich genommen hätte, was dem Herrgott gehörte. Wir gehörten ihm ja nun alle zusammen, wenn auch auf andere Art, als deine Mutter es sich einstmals gedacht. Schon als du sechzehn Jahre-alt warst und über dein Alter ernst und reif, dachte ich, daß der liebe Gott mich beim Worte nehmen würde. Dann aber wurde es still. Ich dachte, daß nun alles so schön bliebe. Ich Egoist machte mit der Mutter Pläne für unseren Lebensfeierabend. Nun aber, was der Herrgott mir einstmals ließ, doppelt nimmt ■ er es sich wieder." „Doppelt?" Gertrud war überrascht. „Lies den Brief hier. Von Pater Harlem Heribert hat sich ihm anvertraut und bittet um unseren Segen." Gertrud las den Brief des Paters. Tränen stiegen ihr in die Augen. Daß der Bruder dem Altare zustrebte, hatte sie längst vermutet. Aber nun das Missionskreuz! Und just zur selben Zeit wie sie, das ergriff sie. „Weiß das Mutter schon?" fragte sie. „Nein. Wir wollen noch ein paar Monate damit warten. Heribert bleibt noch im Konvikt. Unterdes hat Mutter sich gefaßt. Lieber Gott, sie ist ja so opfermutig, aber die Natur hält der Seele nicht immer die Waage. Weißt du nun, weshalb ich dich — und auch Heribert ■— so ruhig ziehen lasse? Und weshalb ich dir diese Geschichte erzählte?" Gertrud nahm seine Hand und hielt sie in der ihren. „Ihr (Sit- ten! Aus solchen Gesinnungen heraus mußten wir ja erblich belastet werden", lächelte sie. „Jetzt weiß ich auch, wem ich nächst Gott das Glück meiner Erwählung verdanke." „Dann wollen wir nun zur Mutter gehen. Ich glaube, heute abend dürfen wir sie nicht lange allein lassen." Am andern Tage wartete Margret Hil-berg im Schulflur auf Gertrud. „Du machst dich immer seltener, Menschenskind," schmollte sie. „Ich weiß wirklich nicht, was mit dir los ist in letzter langer Zeit. Ich will's dir nur verraten, wir haben dich gestern bei Rektor Meiners zwischen gehabt. Darfst dich aber feste dagegen verwahren." „So? Und darf ich das Schuldregister erfahren?" lachte Gertrud. „Jawohl. Also Wöring hat behauptet, du wärest deshalb so, weil du in der Entpuppung zum Nönnchen begriffen wärest. Er will sechs Wochen keine Zigaretten rauchen, wenn er unrecht hat. Spute dich, Gertrud, den schwarzen Verdacht von dir zu nehmen." — „Ist der so schwarz?" — „Wenn du so lieb darüber lächelst, nicht. Weißt du, was ich für einen Gegentrumpf aufgespielt habe? Mußt aber nicht böse sein. Sie kann doch auch eine Liebe haben', habe ich gesagt. Ich könnte das nämlich so gut begreifen, daß — nun, ich will nichts sagen. Und daß man zu solcher Zeit fromm ist und viel zum Herrgott betet, ist auch ganz erklärlich. Wer hat recht, Wöring oder ich?" Gertrud sagte nichts. Sie sah Margret lächelnd von der Seite an. Aber im Ansehen glitt dieses Lächeln in einen so schweren Ernst über, daß Margret auch ohne Worte wußte, wer recht hatte. Sie blieb auf offener Straße stehen. „Gprtrud!" — „Still," sagte die und ging ruhig weiter. „Nun komm doch, Margret! Was soll das nun? Es ist doch kein Weltbegebnis, was du dir da zusammendenkst." — „Nicht? Du! Ach, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das bringt mich ganz durcheinander. Das ist einfach unmöglich." — „Und passiert in der Welt mindestens an jedem Tage einigemal. Was ist denn groß dabei?" — „Und du willst wirklich fort? Nonne werden, mit deinen . . ." — „... einunddreißig Jahren? Ein richtig Altjüngferchen schon, gelt?" vollendete lächelnd Gertrud. „Ach geh, nun spottest du noch. Und willst etwa schon bald ausreißen? Wie du dir das wohl mit mir denkst, was dann aus mir werden soll, wenn du — wenn ich dich nicht mehr habe — und ganz allein hier herumlebe? Ein Blatt im Winde! Das war die Margret ja immer. Einerlei auch." Gertrud war betroffen. Sie kannte von jeher nur eine immer lustige Margret Hilberg. Und nun auf einmal dieser Weltschmerz! Oder war es etwas anderes? „Bist du nicht glücklich, Margret?" fragte sie nach einem Weil- glücklich, das drittemal selbstverständlich, und dann — nun, ich hol's mir eben. Langsam wurde es Alltag auf der ganzen Linie. Ob das nun immer so bleiben soll?" „Unser Beruf ist aber doch ein Sonntagsdienst, nach dem der Priester wohl der idealste!" — „O ja, so ideal, daß du ihn zum alten Eisen legst," spottete Margret. „Mitnichten! Ich bleibe Lehrerin. Nur, daß ich die Sphäre und vielleicht auch die Die Fronleichnamsprozession in München. Odeonplatz. (Atlantic-Photo-Co.) chen. „Was ist glücklich? Damals im Seminar, als wir noch mitten zwischen den Scharteken saßen und lernen und lieb sein und parieren mußten, da dachte ich, wenn ich mal jenseits vom Examen als selbständige Magisterin ganz auf eigenen, trotzigen Füßen stehen würde, das sollte dann Glück sein. Nun sitze ich in der eigenen molligen Klause; meine Puten, nun, sie sind mir gut zu; an jedem Ersten hole ich mir mein Monatliches von der Amtskasse; zum erstenmal mit einem Luftsprung, zum zweitenmal still- Methoden wechsle. Wir bleiben also Kolleginnen." — „Ach!" — „Möchtest du denn lieber — verzeih, es ist keine Neugierde, — möchtest du denn lieber Hausfrau sein?" Margret lachte lustig au!f. Aber dann wurde sie ernst. „Eine Zeitlang habe ich es mal gedacht. Ich bin ja auch ein Evaskind und hab mit dem alten Adam so meine Scharmützel. — Warnm soll sch's b emänteln? Aber als der Linthorst damals ..." Sie blieb jäh stehen und wurde feuerrot. „Gertrud, wie konnte ich nur mich so verplappern! Es wußte -doch keiner und sollte keiner wissen, weil es -doch längst erledigt ist. Du hast doch damals nichts -gemerkt?" „Aber gewiß, Margret. Ich bin nur nicht klug aus der Sache geworden und nicht aus dir. Als Apotheker Linthorst dann hier so mit einemmal-e -alles aufgab und keiner wieder von ihm hörte, ja Margret, da -sollte einer nicht vor Rätseln tappen! Du warst ziemlich still in der Zeit." „Ich glaube, du würdest ein liebes Hausfrauchen abgeben." — „Nein!" — „Also dann nicht!" — „Nein!" Margret würgte innerhalb an etwas. Einigemal machte sie den Versuch, zu sprechen, aber -seufzend stockte sie immer wieder. „Laß," sagte sie schließlich mutlos. „Mir kann doch keiner helfen. Ich glaube, nicht einmal der Herrgott versteht mich. Er hat rätselhafte Kostgänger auf seiner Erde." Sie Die Professoren der Münchner Universität in der Prozession. (Allantic-Photo-Co.) „Weil ich so schwer mit mir fertig werden konnte. Und es mir so hart war, einem guten, wirklich guten Menschen zu enttäuschen. Und — weil mein eigenes Selbst mir immer fremder, immer unbegreiflicher wurde. Und ich das alles so ganz allein ausfechten mußte." — „Warum allein?" — „Weil ich mich schämte, irgend jemandem zu gestehen, ich habe den Linthorst gern. Jeder gute Freund würde mir gesagt haben: ,Nun, so nimm ihn halt!" Aber das — das ist es ja. Da sitzt ja 's Häslein im Pfeffer!" „Warum sitzt es drin?" lächelte Gertrud. lachte gepreßt. Gertrud sah sie an und war überrascht von dem schweren Ernst in Margrets sonst immer frohem Gesicht. Das hatte sie nicht gewußt, daß diese lachenden Augen auch traurig blicken konnten. Hatte sie die junge Kollegin verkannt, überhaupt nicht gekannt? Sollte diese frohlebige Sonnennatur Tiefen bergen, die sie selbst nicht einmal kannte? „Gertrud, sag mir eines, hast du das auch schon einmal erfahren, daß du gerade dann, wenn du froh sein wolltest unter frohen Menschen, wenn alles um dich Freude, Scherz, Lust war, daß du dann traurig wurdest?"—„O Margret, wenn du es wüßtest!"— „So wie damals," fuhr Margret überstürzt fort, als nrüsse sie Drängendes, Jmmerverschwiegenes aus sich herausstoßen, ehe es sich wieder in dunkle Winkel vergrübe, „als mich das kribbelige Fastnachtsfieber packte — schämen sollte ich mich, es zu sagen — und ich einmal mittun mußte, einmal tanzen, Schabernack treiben, mich austollen, •— Gertrud, was ich da erlebt habe, hier inwendig, — ich habe selbst kein Deuten dafür. Ich hatte das Empfinden, als hätte ich zwei Seelen. Die eine tollte wie ein bunter Falter in dem Lustreigen, trank sich satt am süß schäumenden Wein . . ., die andere aber saß in einem Winkel und hungerte und klagte. Oder auch, als wäre meine Seele in zwei Teile gespalten, und die beiden Teile strebten der eine nach oben, der andere nach unten, oder sie drängten doch nach verschiedenen Richtungen auseinander. Und keiner war, der den Zwiespalt löste. Mir stieg's mitten im Fastnachtstrubel bis zum Halse, was, das weiß ich nicht. Ich war, ohne es recht zu wollen, plötzlich draußen. Als wäre mir jemand auf den Fersen, bin ich heimgehetzt, habe den bunten Tand von mir geworfen und habe geweint, die ganze Nacht. Und wußte immer noch nicht, warum. Kannst du es mir nicht sagen, Gertrud?" Gertrud fühlte eine tiefe, fast heilige Freude. Warum hatte sie die köstliche Innenwelt dieses jungen Menschenkindes nicht eher erkennen dürfen? Dieses rührende Unwissen, diese herzerquickende Kindlichkeit, die müßte den Herrgott selber freuen. „Du weißt es auch nicht," sagte Margret leise. „Hätte ich nur nichts gesagt."— „Deshalb schwieg ich nicht, Margret. Aber du fühlst es doch sicher selbst, daß das, wovon du sprachst, die immerwache Sehnsucht der Seele nach Besserem, Höherem ist, das ewige Heimweh ihres höheren Teiles nach Geistigkeit, nach Reinheit, nach Gottnahe, ■— einfach nach ihm selber. ,Der Seele Hälfte, die vom Himmel stammt, sie strebt mit großer Sehnsucht heim zu ihm . . .‘, sagt so wahr ein Dichterwort. Der Seele Hälfte aber, die der Erde gehört, sie strebt auch zur Erde, liebt die Evde und ihre Sonne und ihre Lust. Das gebiert dann die tiefe Unruhe zu Gott." „Ich bin aber gar nicht fromm. Immer beten iväre mir schrecklich. Das ist wohl das einzige, das mir an Nonnen nicht gefällt. Aber so mit ganzer Kraft mich für eine große Sache aufreiben, so, daß ich kein Blut mehr in den Adern hätte, ich glaube, dann würd's mir hier drinnen ruhig." „Kind Gottes, das ist doch Gebet, was du da meinst, Gebet der Tat." „Sieh, als im vorigen Jahre während der Typhusepidemie die junge Pflegerin aus Aachen sich aufrieb für die Kranken, und gerade für die Ärmsten, wie sie sich Tag und Nacht keine Ruhe gönnte . . . Gertrud, ich habe gesehen, wie sie sich hinschleppte, als sie selbst schon den Tod in den Gliedern hatte; und wie sie doch immer noch lächelte, daß es einem in die Seele schnitt. Und wie es dann mit einemmale hieß, daß sie tot sei ..." Margret schluckte auf, aber sie kämpfte die Ergriffenheit nieder. — „Als ich ins Hospital kam und sie auf der Bahre im Leichenhause wiederfand, als ich sie daliegen sah, mit dem weißen, schmalen Gesicht, ein Genügen, ein so wunderbares Satt-und Seligsein im Ausdruck — und sie war einundzwanzig —, da, Gertrud, hätte ich aufschreien mögen! An den verarbeiteten Händen hätte ich sie fassen und hochziehen und ihr das Geheimnis ihres Friedens ent-reißen mögen. Zwei Tage später kam dann Linthorst und ließ mich in ein anderes Glücksland schauen. Es war schön, Gertrud, verlockend, daß mir fast schwindelte. Und doch — und doch habe ich nicht gekonnt. Ich bin ein Rätsel und an diesem Rätsel gehe ich zugrunde . . ." Die Stimme war immer leiser gewovdeu. Gertrud sah die Kollegin von der Seite an. Jede Fiber in dem sonst so lachenden Gesicht glühte, alles an ihr war vibrierende Erregung. Sie hatte die Vorstellung, als wenn ein hoher Meister in dieser Seele eine geheimnisvolle Harfe spiele, deren wundersame Klänge hie und da noch von Gegentönen, von Mißtönen unterbrochen würden. Einmal würde der Klang ganz rein, ganz lauter werden. Und dann erst würde sie den großen Harfenspieler erkennen. Daß es so werden möchte, darum ging durch ihre Seele eilt Gebet. Gertrud hatte- nicht bemerkt, daß sie an Margrets Wohnung angekommen waren. Ehe sie noch recht Antwort geben konnte, war Margret mit einem halbverschluckten Gruß in der Tür verschwunden. Gertrud sah ihr sinnend nach und ging heim. Die Offenbarung dieser Stunde nahm sie ganz gefangen. Ihr schien, als wäre es über ihrem Zukunftsland nun noch heller geworden. Sie bereute es sehr, daß sie es nie versucht hatte, tiefer in Margret Hil-bergs Eigenart einzudringen. Schmetterling, hatte sie gedacht, als die Frischgebackene vor zwei Jahren nach Erseld gekommen war. Sie war ein Kind des frohen Rheines, das erklärte manches. Es fiel ihr ein, was Margret ihr einmal ins Album geschrieben hatte, lachend, wie alles, was sie tat. „Menschen, die an großen Strömen geboren sind, tragen ein unstillbares Heimweh, und erst im ewigen Ozean wird Ruhe ..." Das hatte das Rheinkind geschrieben, mitten zwischen Singen und Trällern und Schalken. Und hatte eine Stunde später in ihrem Stübchen vielleicht geweint.----------- Hinein in den Busch! Von P. Dr. Matthias Raffeiner, P. 8.6. (3. Fortsetzung.) Zur Regenzeit kaum es den Fuhrwerken passieren, daß sie tagelang am Ufer warten müssen, bis der angeschwollene Fluß wieder fällt und die Durchfahrt gestattet. Übergangsmittel, die man bei uns zu Hause Brücken nennt, werden in Südafrika nur in den dringendsten Fällen gebaut. Ich meine schon solche über Flüsse; denn Brücken ztl einflußreichen und Gold einbringenden Stellen werden auch hier mehr gebaut, als es Ufer gibt. Und wozu denn auch Brücken? Einmal kosten sie eine Unsumme Geld, und dann hat man ja Zeit, einige Stunden oder auch Tage zu rasten; das ist für Menschen und Vieh eine angenehme Abwechslung. Das Zugvieh: Ochsen, Muli oder Esel, werden ausgespannt, damit sie sich, an Ort und Stelle ihr Futter suchen; wozu sie in solchen Fällen ein von der Behörde sanktioniertes Recht haben, die für das Wohlergehen der Vierfüßler immer ein warmes Herz im Busen trägt und dafür vielfach mehr besorgt ist als für das der Menschen. Viehschinder werden tüchtig bestraft, und das ist ganz in Ordnung; Leutschinder können's treiben, wie sie wollen; und das ist hierzulande wie andexswo vor dem Wächter des Gesetzes auch in Ordnung. Für den Schoßhund wird ein eigener Koch bestellt, und für hungernde Kinder armer Leute hat man nicht einmal eine Brotkrume übrig. Die Fuhrleute können freilich nicht auf die Weide gehen; die legen sich ins Gras oder auf den Sand, und sobald der Appetit sich meldet, kochen sie sich ihren Kaffee oder Tee, einen Maisbrei oder ruvfen gar eine Henne. Die Leute wissen nämlich, daß derlei unfreiwillige Rasttage sich öfter einstellen, und versorgen sich also stets mit den nötigsten Geräten und Rohmaterialien, um die Magenfrage, die ja bei allen Völkern eine große Rolle spielt, zur eigenen Zufriedenheit zu lösen. Wirtshäuser an den Straßen wie bei uns zu Hause gibt's hierzulande nämlich keine; und das ist übrigens auch gut; denn sonst käme der weiße wie der schwarze Wanderer bei der enormen Hitze, dem vielen Staub und der durstigen erblichen Belastung überhaupt nicht vom Fleck, selbst wenn über alle Gewässer Brük-ken geschlagen wären. Wir aber kommen jetzt schnell vom Fleck, da dem Führer ab und zu der poetische Zuruf an die Ohren klingt: „Nur immer hinein in den Busch!" Der Weg, der machte alle möglichen Veränderungen durch: nach Norden, Westen, Suden und alle Grade dazwischen, wie es ihm eben einfiel, bald in scharfem Winkel, bald in elegantem Bogen; Sandgräben, Steinplatten wurden überholt, bald auswärts, bald abwärts, in horizontaler und schiefer Ebene. Es ist klar, daß unter solchen Umständen auch unser Karren allen nur erdenklichen Schwankungen unterworfen war; daß er nicht umkippte, ist nur dem Schutzengel zuzuschreiben oder dem Umstand, daß er dazu keine Zeit fand. Wir wurden aber so durch- und über-unib untereinandergebeutelt, daß wir fast unsere Haxen verwechselt hätten. Nur der kundige Lenker faß, weil eingeklemmt, fest am Steuer, das Falkenauge aufs Ziel gerichtet, das er gar mcht wußte. Wie ist es da zu verwundern, daß wir uns plötzlich in einem Sacke befanden, vor den Hütten des Häuptlings Mashabele, von wo aus nur mehr eine Rindviehfährte über den fängnis, ins Narrenhaus oder gar auf den Galgen, auf dem es aber doch gar zu windig ist. Mit Verneigungen, Biegungen, Buckelrundmachen kommt der Mensch leider oft viel schneller vorwärts, zumal auf die Höhen, wohin man sich hinaufwindet, ähnlich den Serpentinenstraßen, die die Alpenpässe bezwingen. Deshalb wird diese höfische Methode von den Strebern oder meinetwegen Die Fronleichnamsprozession auf dem Chiemsee. (Atlantic-Photo-Co.) Berg führt! — Der Steuermann war im Übermut gerade losgestürmt und hatte ganz übersehen, daß die „Bezirksstraße" eine Schwenkung um 90 Grad macht, und so wieder einmal danebengeschossen. Jungen, eifrigen Seelen passiert das öfter im praktischen Leben; gar mancher ist mit seinem Geradeaus- und Drauflosstürmen in eine Sackgasse geraten, aus der es keinen Rückzug, sondern nur mehr ein Abzugblasen gab. Es ist eben nicht wahr, daß Geradheit und Offenheit auch immer eine offene Gasse finden, es sei denn in Pension, ins Ge- von den Klugen dieser Welt so häufig angewendet. Der Häuptling Mashabele scheint noch ganz im Busche zu stecken; denn nicht nur existiert hier weder Kirche noch Schule, sondern auch die übliche neugierige Kinderschar ließ sich nicht blicken; auch dpn großen Misthaufen in des Häuptlings Kraal suchten wir vergebens, ein Zeichen, daß nicht viele Ratssitzungen abgehalten werden. Damit soll freilich nicht gesagt werden, daß in Ratssälen immer Stroh gedroschen und Geschwätz gemacht wird. Der hohe Dorfgroße war aber doch so freundlich, uns einem Abkürzungsweg zu zeigen, auf dem wir, ohne umzukehren, wieder auf die rechte Straße kämen. Du lieber Himmel, das war eine interessante Abkürzung quer über den weiten Talkessel; kein gewöhnlicher Sterblicher hätte es gewagt, uns einen so weisen Rat zu geben! Zuerst ging's einen Fußsteig am Rande alter Durrahfelder entlang; die zweite Hälfte des Weges aber bildete ein aufge-sandetes, trockenes Bachbett, das beiderseits von undurchdringlichem Dornengestrüpp flankiert ist. Jedenfalls stak noch kein Auto in dieser Klemme. Aber dank der Umsicht des Lenkers — vielleicht war auch etwas Ehrgeiz mit im Spiele, wovon ein gewisses Quantum jede Männerbrust erfüllen soll —, dank auch unseren anspornenden Zurufen: „Hinaus aus diesem Busch!" gelangten wir schließlich doch, wenn auch in langsamem Tempo, aus dem vorsintflutlichen Labyrinth wieder auf die fahrbare Straße. Wir saßen durch diesen romantischen Hohlweg hindurch so eingezogen in unserem Versteck, daß auch der strengste Novizenmeister seine helle Freude daran gehabt hätte. Ursache solcher -Eingezogenheit waren die kratzenden Geräusche der Dvrnenbüsche, welche das Auto beiderseits liebkosend umschmeichelten und jeden Augenblick eine Panne befürchten ließen. Aber endlich waren wir draußen und konnten unseren wunden Nasen wieder mehr Freiheit gewähren und mußten es auch, denn die Gegend war zu interessant und verlockend. -(Fortsetzung folgt, wenn ich das Leben hab e.) Unser schwarzer David. Die Missionsstation Glen Cowie hat etwa ein halbes Hundert Rinder. Sie gehören der einheimischen Art der Afrikander-Rasse an, die sich durch Widerstandsfähigkeit gegen klimatische Einflüsse sowie durch Genügsamkeit bezüglich des Futters auszeichnet. Die mit gewaltigen Hörnern ausgestatteten Ochsen werden zum Pflügen und Ziehen verwendet, während die Kühe nm= geblich der Milchlieferung dienen sollen; es müßte sich aber eine jede von ihnen in diesem Punkte vor einer rechtschaffenen Schweizerziege schämen. Die vorhandenen Kälber verschiedener Größe sehen gleichmütig in die Zukunft, die entweder im Zeichen eines Zugjoches oder eines Melkeimers stehen wird. Außer den Rindern werden etliche Einhufer gehalten, ein Pferd, zwei Maultiere und einige Esel. Selbstverständlich bedarf eine so zahlreiche Herde eines Hirten. Diese wichtige Persönlichkeit möchte ich im Nachfolgenden den verehrten Lesern vorstellen. Es ist ein Bursche von kaum 14 Jahren, ein echter Mosutu vom Volke der Bapedi. Sein Name ist nicht im Verzeichnis der Heiligen seines noch überwiegend heidnischen Stammes zu finden; -seine Eltern ent-lchnten ihn kurzweg dem früheren Besitzer dieser Farm; er ist daher gut deutsch und lautet: Kühl mann. Der schwarze Träger dieses weit nnd breit bekannten Namens, wohl unterrichtet über den Sinn der zweiten Silbe, wünscht ein Mann zu sein, für männlich gehalten zu werden. Seine Stimme ist tief und rauh, ob von Natur, ob infolge frühen und fleißigen Rauchens, ob durch künstlichen „Stimmwechsel", bin ich leider außerstande zu sagen. Rauchen, sei es aus einet kurzen Pfeife, sei es in der vornehmeren Form der Zigarette, ist denn auch seine Lieblingsleidenschaft. Im Rauchen stellt er trotz seiner kurzen Höschen voll und ganz seinen Mann, und mit Rauch alien kann man leicht sein Herz gewinnen. Nichtsdestoweniger kommt das Kind wieder zutage, wenn es sich um Obst oder Süßigkeiten handelt, die ihm gut munden. Kürzlich bat er mich um einen -Apfel; in Ermangelung von etwas Besserem konnte ich ihm nur eine rote Tomatenfrucht geben. Er schüttelte bedauernd sein junges Haupt und belehrte mich, diese Frucht sei nicht lecker, Apfel seien lecker. Doch war er Philosoph genug, sie in Ermanglung von etwas Besserem zu verzehren. Weltweisheit ist -auch durchaus nicht seine schwache Seite. Von Natur aus mit tatkräftiger, zum Zorne geneigter Gemütsart ausgestattet, faßt -er das Leben mit Ruhe auf, günstiger Gelegenheiten gewärtig, um sie frischfröhlich beim Schopfe zn fassen. Indessen übersieht er den Angenblick nicht, sondern genießt ihn heiter und fröhlich, den Mittelweg einhaltend zwischen Sorglosigkeit und Pflichtbewußtsein, stets ein gewinnendes, leicht spöttisches Lächeln auf den noch flaumlösen Lippen, den Schelm im Auge. Nachdem er morgens mit viel zu großem Melkeimer die kurze Runde bei den Mhen bald Warnung, bald Tadel, bald Drohung ausdrücken und auch so aufgefaßt werden, treibt er seine Schutzbefohlenen auf die Weide, bald hierhin, bald dorthin, innerhalb der ihm wohlbekannten Grenzen der ausgedehnten Missionsfarm, nicht zu fern dem Wasser, nicht zu nahe den Saatfeldern, immer aber auf Plätze, wo auch der Hirte auf seine Rechnung kommt. Bei nassem Wetter nimmt der klug -vorbauende Kuhlmarm Aus einer Fronleichnamsprozession in London. (Atlantic-Photo-Co.) gemacht und das spärliche Ergebnis in der Küche abgeliefert hat, treibt er seine gehörnten und ungehörnten Pflegebefohlenen aus. Seine Amtskleidung besteht aus einem Anzug aus blauem Schürzenstoff (in den Taschen Pfeife, Tabak, Zündhölzer und Mundharmonika), auf dem Kopfe die malerische, gestrickte Mütze mit der Hängequaste der Basuto, an den Füßen derbe Lederschuhe, in den Händen den Ochsenziemer und eine leichte Keule. Mit melodischen und schrillen Pfiffen, die bald Aufmunterung, außer einem groben Mantel ein weiteres Ausstattungsstück auf Me Weide mit, einen Regenschirm, den er um IV2 Schilling im Laden eines jüdischen Händlers erstanden. Natürlich kann der Anblick des grasenden oder wiederkäuenden Hornviehs des jungen Hirten regen Geist nicht immer fesseln. Deshalb nimmt er auch gern eine Sutofibel und eine Schiefertafel auf die Weide mit, um aus ersterer die Kunst des Lesens zu erlernen und auf letzterer die krausen Buchstaben nachzumalen. Wenn er in der Nähe einer bestimmten Wassergrube ist, wo sich schmiegsamer, schwarzer Lehm findet, entstehen unter seinen geschickten Fingern allerlei Figuren, langhörnige Ochsen mit großem Fettbuckel, männliche Gestalten mit der achtunggebietenden Dienstkappe des Polizisten auf dem Kopfe, die gewichtige Pfeife im Munde. Seinem Hellen Auge entgeht sicherlich nichts, was sich innerhalb feines Wirkungs- und Gesichtskreises regt; gäbe er alle seine Beobachtungen zum besten, die Naturwissenschaft erhielte vielleicht wertvolle Bereicherung. Allein sein jugendlicher Magen verträgt nicht andauernd geistige Beschäftigung, sondern treibt ihn an.zu minder wissenschaftlicher Naturforschung. Da sind wilde Früchte aufzusuchen, die zwar meist herben Geschmack aufweisen; da find eßbare Wurzeln aufzuspüren und das süßliche Mark gewisser Schilfgräser auszuzupfen; da Hält Mutter Natur eine wohlgefüllte Fleischkam-mer bereit mit wohlschmeckenden fchwarz-weiß-roten Riefenraupen, mit Heuschrecken, Grillen und Ameisen, deren fettstrotzende Hinterleiber wahre Leckerbissen bilden; da gibt es Frösche, Springhafen und nicht zuletzt die gefiederten Bewohner der Lüfte. So ein findiger, mit Zündhölzern versehener Bursche weiß da leckere Gerichte zu bereiten und zu verzehren nnd den stets wachen Hunger der Neger nach Fleisch zu stillen. Natürlich gibt es auch andere Hirtenknaben in der Runde, und was ist da natürlicher, als daß sie sich gelegentlich, und nicht zu selten, Stelldichein geben, indem sie ihre Herden zusammen grasen lassen, während sie Gelegenheit zu gemeinsamer Unterhaltung finden. Kuhlmann ist bereits über ein Jahr im Dienste der Mission, eine schrecklich lange Zeit für ein körperlich wie geistig so bewegliches Naturkind. Er besitzt offenbar ein stark entwickeltes Pflichtgefühl und hat sich während dieser langen Zeit nie etwas Besonderes zuschulden kommen lassen. Leider sind seine Eltern eingefleischte Heiden, die, eine Wegstunde weit entfernt, im großen Dorfe Mapoti wohnen. Sie wollen nicht zugeben, daß ihr Sprößling am katholischen Religionsunterricht teilnehme. Erst soll er den heidnischen Mannbarkeitsritus der Bapedi mitmachen und dadurch ein würdiges Mitglied feines Stammes, ein ganzer Mofutu, werden. Möge Gott das begabte Menschenkind trotz dieser Hindernisse auf seine Wege führen. A. C.. Der ehrwürdige Diener Gottes Daniel Comboni. (Fortsetzung.) 5. Die Übergabe der Mission an den seraphischen Orden. In der frischen Berg- und Seeluft der teuren Heimat erholte sich Comboni wider Erwarten ziemlich rasch. Nach Verona zurückgekehrt, widmete er sich der Leitung und Erziehung der irrt Mazzaschen Institut untergebrachten Negerkinder. Leider ließ deren Gesundheitszustand viel zu wünschen übrig. Deshalb entschloß sich Don Mazza, sie in das von -dem Franziskanerpater Ludwig da Casoria in Neapel gegründete Negerinstitut „Delle Palme" zu senden. Um jene Zeit, im November 1860, traf in Verona ein Karmeliterpater aus Indien ein, der Don Mazza berichtete, daß sich in der katholischen Mission zu Aden« an der arabischen Küste eine Anzahl von Negerkindern befände, deren Verbringutrg nach Europa von den Missionären sehnlichst gewünscht würde. Die kleinen Schw-arzen waren von arabischen Sklavenhändlern geraubt worden. Ein englisches Schiff hatte das Fahrzeug der Sklavenhändler angehalten und die Kinder, 60 Mädchen und 30 Knaben, befreit und der Mission übergeben. Don Mazza beauftragte unsern Comboni, nach Aden zu reisen und wenigstens einen Teil der Kinder nach Italien zu bringen. Am 30. November langte Comboni in Neapel an. Die vier kranken Negerknaben, die er aus Verona mitgenommen hatte, fanden im Palmenheim liebevolle Anfnahme. Zu seiner Überraschung vernahm da Comboni, daß die ägyptische Regierung den Transport von Negerkindern nach Europa strengstens untersagt hatte. Er mußte daher zunächst am Hofe des Königs Viktor Emanuel II. in Palermo und hierauf seitens der Propa- ganda iw Rom sich die nötigen Empfehlungen und Geleitbriefe verschaffen, ehe er am 21. Dezember 1860 die Reise nach Aden antreten konnte. Tags zuvor hatte er noch das Gluck, von Papst Pius IX. in kurzer Audienz empfangen zu werden. Als Comboni am 12. Jänner 1861 in Aden landete, befand sich nur mehr ein kleiner Teil der Kinder in der Mission. Die Mehrzahl hatte bereits in verschiedenen Familien Unterkunft erhalten. Nur mit Mühe gelang es dem Diener Gottes, sieben Knaben um sich zu sammeln und mit ihnen die Rückfahrt zu wagen. Im Hasen von Alexandrien wurden allesamt verhaftet. Erst nach mehrstündigen erregten Verhandlungen!, bei welchen Comboni seine Pflegebefohlenen als indische Untertanen zu erweisen suchte, wurde endlich die Einschiffungsbewilligung erteilt. Einer der Negerknaben namens Dubai studierte später am Propagandakolleg in Rom, wurde Priester und wirkte unter Combonis bischöflicher Leitung in Kordofan. Wenige Monate nach der Rückkehr des Dieners Gottes aus Aden vollzogen sich in der Nilmission durchgreifende Personalver-änderungön!. Provikar Kirchner verfügte infolge der zahlreichen Todesfälle unter den Missionären nur mehr über 5 Priester und sah sich deswegen gezwungen, die Übergabe der Mission an einen religiösen Orden in Rom zu beantragen. Nach mühevollen Verhandlungen erklärte sich der Franziskanerorden zur Fortsetzung des opferreichen zentralafrikanischen Missionswerkes bereit. Daher mußten auch die beiden Missionäre des Mazzaschen Institutes, Beltrame und Dal Bosco, nach Italien zurückgerufen werden. Für Don Mazza sowohl wie für Comboni bedeutete diese Maßnahme der Propaganda in Rom einen harten Schlag, denn sie entriß ihnen die Hoffnung, einen Teil des ausgedehnten Gebietes als selbständigen Missionsbezirk für das eigene Institut zu erwerben. Zwar unternahm Don Mazza noch einen Versuch, um seine Missionäre im Sudan belassen zu können und sandte Comboni im Dezember 1861 zu Besprechungen mit dem Kardinalpräsekten und sonstigen einflußreichen Persönlichkeiten nach der Ewigen Stadt. Der Franziskanerorden hatte aber inzwischen die Mission bereits übernommen und unverzüglich die erste Karawane nach dem Sudan abgesandt. Als Nachfolger Kirchners trat der Steiermärker P. Rein-thaler an die Spitze der Mission, der schon zwei Jahre im Sudan tätig gewesen war. Allein von den 6 Priestevm und 28 Laienhelfern dieser ersten franziskanischen Expedition starben viele, bevor sie die Arbeit überhaupt aufgenommen hatten. Einer zweiten Missionskarawane, bestehend aus 23 Ordensleuten und Laienhelfern, erging es nicht viel besser. Der Provikar P. Rein-thaler selbst erlag dem Klima. Von den 51 Personen der franziskanischen Unternehmung hatten nach kaum zwei Jahren nicht weniger als 22 Manu ihr Grab im heißen Wüstensand gefunden. Die Überlebenden kehrten nach Europa zurück oder wandten sich der Orientmission zu. Alles schien verloren. Von der Gründung der Mission im Jahre 1848 bis zum Scheitern der missionarischen Anstrengungen des Franziskanerordens, also innerhalb 16 Jahren, hatten insgesamt 44 Priester und Laiengehilfen! für das Missionswerk im Vikariat Zentralafrika ihr Leben geopfert. Diese erschreckend hohe Sterblichkeitszisfer machte selbst auf das römische Missionsministerium einen lähmenden Eindruck. Für den verstorbenen Provikar P. Reinthaler wurde darum kein Nachfolger mehr ernannt, sondern die Mission dem apostolischen Delegaten von Ägypten unterstellt. Sie bestand vorläufig nur noch dem Namen nach. Fast 10 Jahre währte dieser trostlose Zustand. In Kartum befand sich als einziger Priester P. Fabian Pfeifer, den zwei Laien in dem bescheidenen Wirkungskreis unterstützten. Er wurde 1868 von dem Missionär Stadlmayr aus Innsbruck abgelöst. Die von Kirchner in Schellal am ersten Nilkatarakt gegründete Erholungsstation war 1866 von Ludwig da Casoria für das Palmeninstitut zu Neapel in Besitz genommen worden. Während so die ungeheure Mission verwaist war, bereitete die Vorsehung Schritt für Schritt jene Ereignisse vor, die dem Evangelium neuerdings und dauernd, freilich erst nach schweren Umwälzungen, den Weg in die Nilländer bahnen sollten. Das Werkzeug der Auserwählung hiefür war Daniel Comboni. Er wurde der Retter und Neubegründer der zentralafrikanischen Mission. (Forts, folgt.) Die Morgenröte des Christentums in Südafrika. Von Br. August Cagol. (Schluß.) Die Apostolische Delegatur von Süd- laten der Unbefleckten Jungfrau in den fünf afrika umfaßt heute 22 Missionssprengel Vikariaten: Natal, Kimberley, Basutoland, (11 Apostolische Vikariate, 10 Apostolische Transvaal und Windhoek; die Oblaten vom Präfekturen und eine Mission) und erstreckt hl. Franz von Sales in den beiden Vika-sich über die folgenden politischen Gebiete: riaten Oranjefluß und Groß-Namaqua- Kirchen- und Klosterbrand in Spanien. Mitte Mai wurden in Spanien. 100—200 Kirchen und Klöster innerhalb weniger Tage geplündert und niedergebrannt, ohne daß die Regierung sich nennenswerte Mühe gab, die furchtbaren Ungerechtigkeiten gegen die Kirche und die Ordensleute, denen das Land unendlich viel Gutes verdankt, zu verhindern und gebührend zu ahnden. (Atlantic-Photv-Cv.) die Union von Südafrika, bestehend aus dom vier Provinzen Kapland, Natal, Oranje-Freistaat und Transvaal; das Gebiet von Südwestafrika, das als Mandatsland des Völkerbundes von der südafrikanischen Union verwaltet wird; die britischen Protektorate von Betschuanaland, Basutoland und Swaziland; Süd-Rhodesia und der südliche Teil von Nord-Rhodesia. Außer Welt-priestern in den Vikariaten Westkapland und Ostkapland sind in Südafrika tätig: die Ob- land; die Missionäre von Mariannhill im Vikariat Mariannhill und in den beiden Präfekturen Umtata und Betschuanaland; Benediktiner im Vikariat Eshowe und in der Präfektur Nord-Transvaal; Priester der Gesellschaft Jesu in den beiden Präfekturen Salisbury und Broken Hill; Pallottiner in der Präfektur Zontralkapland und in der Mission Queenstown; Priester vom heiligsten Herzen Josn in der Präfektur Gariep; Väter vom Heiligen Geist in der Präfektur Kroonst-ad; Diener Mariens in der Präfektur Swaziland; Missionäre Söhne des heiligsten Herzens in der Präfektur Lydenburg. Ferner sind in Südafrika tätig: Dominikaner, Kapuziner, Redemptoristen und Salesianer. Die protestantischen Missionen in Südafrika. Während katholischen Glaubensboten lange Zeit der Eingang nach Südafrika verwehrt war, kamen früh schon protestantische Sendlinge ins Land, so am Ende des 18. Jahrhunderts die Mährischen Brüder, die die Kapkolonie mit zahlreichen Stationen überzogen. Ihnen folgten im Kapland und in Südwestafrika Schweizer Kalvinisten. Die Anglikaner gründeten 1847 in Kapstadt ihre erste südafrikanische Diözese, der im Laufe der Zeit die Errichtung bischöflicher Sitze zu Erahanistown, Pietermaritzburg, Bloemfontein, Zululand, Umtata. Pretoria, Mashoualaud, Lebombo und Johannesburg folgten. Die Wesleyaner überzogen Südafrika mit Uber hundert Stationen. Die kalvinistifchen Buren zeigten wenig Neigung zur Verbreitung ihres Bekenntnisses unter den Eingeborene!:, doch ließen sie andern protestantischen Sekten freie Hand; nur die katholische Kirche fürchteten und verabscheuten sie. Unter den protestantischen Bestrebungen taten sich die beiden lutherischen Unternehmungen der „Berliner Mission" und der „Hermannsburger Mission" besonders hervor. Von der ersteren trafen 1833 die fünf ersten Sendlinge in Südafrika ein. Während zwei von ihnen in der Kapkolonie zurückblieben, um die durch die damals erfolgte Sklavenbefreiung über das Land zerstreuten, arbeitsscheuen, in Armut uiti) Trunkenheit dahinlebenden Scharen Farbiger für Arbeit und Ordnung zu gewinnen, zöge!: die andern unter vielen Abenteuer!: zur Dreiländer- oder Dreiflüsseecke am Riet-fluß, wo Kapprovinz, Oranfefreistwat und Transvaal aneinanderstoßen und Oranje-, Baal- und Rictfluß sich vereinigen, und ließen sich unter den nomadisierenden Hottentotten-stämmen der Grigua und Koronna nieder. Der Häuptling Adam Kok überließ ihnen so viel Land, a-l's sie von einer gewissen Quelle aus nach allen Richtungei: in einer Stunde Reitens erreichen konnten. Später wirkten die Berliner Missionare unter den stolzen Losa in Britisch-Kaffraria, hatten aber viel zu leiden unter den von Zeit zu Zeit ausbrechenden Kaffernkriegen, in denen ihre Stationen niedergebrannt und sie selbst zu eiliger Flucht genötigt wurden. 1845 wurden sie von: Statthalter Theophilus Shepstone nach Natal eingeladen, denn in diese eben begründete englisch« Kronkolonie suchte man weiße und schwärze Einwohner zu ziehen. Die Berliner Missionare gründeten dort und im Oranje-Freistaat eine Reihe Stationen und drangen I860 auch in den noch wenig bekannte!: Transvaal ein, wo sie bei den Bakopa und Ba-pedi arbeiteten. Im Jahre 1853 kamen die ersten Hermannsburger Missionare nach Südafrika. Es waren ihrer 8 Prediger und 8 Siedler, die die Niederlassung Neu-Hannover in Natal gründeten. Im Jahre 1856 brachte die „Kandare". das eigene Schiff der Herm-an-nsburger Misjioi:. die ersten Frq-uen, Bräute der 1853 ausgesandten Missionare, nach Süd-afrika, und außer ihnen 5 neue Siedler, davon einer mit Frau und 5 Kindern. Im folgenden Jahre kam die zweite größere Aussendung, 12 Missionare, 14 Kolonisten, 7 Frauen und Bräute und 9 Kinder. Im selben Jahre berief der damalige Staatspräsident des Transvaal, Martin Pretorias, die Hern:anns-burg-er Missionare in sein Gebiet. Sie ließen sich -im äußersten Westen, dem heutigen Bet-schu-anala-nd, bei Setschele, dem König der Bakwe-na, nieder. Im Natal und im Transvaal entstanden nach und matij tin 40 wohl-angelegte Siedlungen, vielfach mit deutschen Namen, wie Kirchdorf, Wartburg, Liliental. Harburg, Lüneburg, Bergen, Braunschweig, Wittenberg, Augsburg, Marburg. Im Zulukrieg. Ende der 70er Jahre, hatten diese deutschen Siedler viel zu leiden. Mehr als einmal flüchteten sie sich mit Weib und Kind in die feste Kirche zu Lüneburg, um sich dort vor den wilden Horden der Zulu in Sicherheit zu bringen. Auch der Burenkrieg war -eine schwere Prüfung. Die Männer kämpften -auf Seite der Buren, und die Frauen und Kinder wurden von den Engländern in die öden Konzentrationslager geschickt. Mittlerweile wurden die verlassenen Wohnstätten ausgeplündert und verwüstet, und mancher Siedler hatte nachher wieder von vorn anzufangen. Der Sohn des Freimaurers. Bon Anna Kayser.' (Fortsetzung.) Die nächste Station war ein kleines Städtchen in idyllischer Lage. Hans Reinerts Heimat. Lebhaft erinnerte Herbert sich noch des lustigen Maifestes -vor vier Jahren, zu dem Reinert die „Fidelitas" geladen. Mar- lies, -des Freundes blondes Schwesterchen, war seine Partnerin gewesen. „Hast nit Lust, mein Schwager zu werden?" hatte Haus ihn am Abend auf der Heimfahrt -geneckt. Da waren Ruths braune Druck und Verlag der Bonifatius-Druckerei in Paderborn. Augen vor seinem Geiste aufgetaucht. Er hatte nur gelächelt und den Freund ohne Antwort gelassen. Auch jetzt im Erinnern mußte er lächeln. Ja, das war der sorglose Herbert gewesen, der Träumer. Der jetzt über dieses wohlbekannte Pflaster geht, das ist Frater Werner, der Jesusjünger. Sein Begleiter ging schweigsam neben ihm her. Da drangen Wagenrollen und verwehte Klänge einer Gitarre zu ihnen herüber. Eine Staubwolke wirbelte auf. Das Gefährt war ihnen bereits auf den Fersen. Sie traten zur Seite. Da — ein Ruf: „Werner! Herbert! Halt! Zum Donnerwetter, Kutscher, halt!" Ein Ruck. Der Wagen hielt. Zwischen Birkengrün und Fähnchen und weißen Mäd-chenkleidern weg löste sich eine Gestalt und sprang mit ein paar Sätzen auf Werner zu. „So, endlich habe ich dich erwischt, du Mordskerl! Seit zwei Jahren suche ich dich steckbrieflich. Dachte, der Nil hätte dich verschluckt! -----Also ist es doch wirklich wahr . . ., du bist wirklich . . ." „Auttenmann", vollendete der Überrumpelte lächelnd, während ifjirti vom Wagen herab wohl zehn Augenpaare musterten. Frater Mehren war weitergegangen, und Reinert bedeutete den Bewimpelten, ebenfalls weiterzufahren. Er selbst kam langsam mit Werner nach. „Was in aller Welt hat denn dein alter Herr dazu gesagt?" begann er wieder, während er Werners sehr veränderten äußeren Menschen von der Seite eingehend studierte. „Ich meine, soweit ich ihn kannte ..." Er brach ab, da er sah, wie ein Schatten über Herberts Gesicht glitt. „Es ist gekommen, wie es kommen mußte", entgegnete der ausweichend. „Wie geht es denn dir?" „Ausgezeichnet, wie du sichst. Wir sind die Genießer, für deren Sünden du, armer Junge, büßen mußt. Aber das muß ich dir verraten. Dein und Helmuts Schritt wirkten damals auf die ,Burgundicü und die Fidelitas' insbesondere wie drei Kapuzinermissionen. Beinahe wäre die ganze Bande kopfüber in den Aschensack gekrochen. Ich gestehe, ganz habe ich diesen Plan noch nicht aufgegebelni." „Wirklich nicht?" lächölte Werner mit einem belustigten Seitenblick aus Reinerts hellen Sportanzug. „Übrigens das Neueste: Ab nächster Woche bin ich Assistent an der Klinik deiner Heimat. Soll ich Grüße ausrichten?" „O ja, bitte", versetzte Herbert erfreut. Er hatte den lustigen Hans immer gerngehabt, trotz seines forschen Draufgängertums, wohl gerade deshalb. Vielleicht, daß er ein wenig Sonnenschein daheim ins Elternhaus bringen konnte. „Mach' dich ein wenig heimisch bei den Meinen. Du tust mir wirklich einen Gefallen. Weißt ja . . ." „Wüßte nicht, was ich lieber täte. Kann mir denken, wie-leergebrannt die Stätte ist. Was sängt übrigens das verehrte Kusinchen an? Trägt, wohl Witwentrauer, was? Herbert! Herbert!" — Er drohte schalkhaft mit dem Finger. — „Ich ahne, da hast du was angerichtet!" „Ich -muß sagen", fuhr er fort, als Werner schwieg, „für mich hatte Donna Ruth damals bei aller Ursprünglichkeit etwas Unnahbares, Hoheitsvolles, aber auch wieder Fesselndes, etwas, was vielleicht ernste Männer veranlassen könnte, die Klingen zu kreuzen. Man wird, ob man will oder nicht, unwillkürlich brav in ihrer Nähe." „Du hast recht. Ruth ist ein Edelmensch. Sie verjagt die Unholde der Schwermut aus meinem Vaterhause, wie Mutter mir schrieb. Ich wünsche ihr ein Glück, wie es ihrer hochgesinnten Natur entspricht." Reinert war ernst geworden. Herberts schlichtes Wesen, sein idealer Sinn, der ein Glück, wie es nur wenigen Sterblichen blüht, einfach beiseite legt, nur weil es ihm ein Hindernis auf seinem Höhenstiegc war, machte avfs neue einen tiefen Eindruck auf ihn. Wieder tat er einen Blick in die Sphären jener Geister, die ben Körper nur mehr als den Diener in dem großen Kaurpfe betrachten, die Pfade klimmen, enge, schmale, auf denen nicht Platz ist für viele — nur für etimen —, für einen, der überwunden hat. Wieder, wie bei dem letzten Zusammensein in München, hätte er das Haupt entblößen mögen vor diesem Geheimnis, das ihm wohl ewig Geheimnis bleiben sollte. Ein mannhaftes Einsetzen für eine große Idee hatte ihm stets imponiert, selbst wenn diese auf unbewußtem Irrtum beruhte oder auch Über seinen Horizont ging. „Den lieb' id), der Unmögliches begehrt", dieses kühne Goethewort war and) das seine. Darum konnte er auch Herberts Vater von seinem Standpunkt aus verstehen. Er tat ihm leid. „Herbert, sag' mir eines: Bist du glück-lid)? Ganz 'glücklich? Fandest du, was du suchtest?" Frater Werner empfand, wie selten vor- laden. Vor allem schreib bald einmal, wie es den Meinen geht." „Selbstverständlich. Aber wie ist's mit der Zensur in eurem Kust . . ., in eurem Kloster?" „Ist ungefährlich, wo Brüder friedlich beisammenwohnen. Anarchistische oder nihilistische Ideen werden deine Episteln doch nicht enthalten?" „Wer weiß! Bin dod) noch ein ganz Un-bekehrter." Im Golf von Bisknha. Ausnahme vom Schiffe aus während der Fahrt. her, das Glück seiner Berufung. Zärtlich glitt sein Auge an seinem schlichten Kleide herab. „Möhr, als ich suchte", entgegnete er mit Innigkeit. „Möge auch dein Teil auf Erden so reich werden wie der meine." „Wann wirst du geweiht?" fragte Reinert unvermittelt. „Genau weiß ich es noch nicht. Sobald meine philosophischen und theologischen Studien beendet sind. Das kann noch ein paar Jährchen dauern." „Darf ich mit dabei sein?" „Das wolltest du? Bist herzlich einge- „Nun muß id) gehen. Leb' wohl! Daß es dir wohl ergehe!" sprach Werner und reichte Reinert die Hand. „Auf Wiedersehen, mein ehrwürdiger Freund! Leb' wohl!" Eilig schritt Werner aus, den Gefährten einzuholen. Er kam ins Pfarrhaus, wo er ihn anzutreffen hoffte. Der Pfarrer aber erklärte befremdet, daß er von einem Novizen nichts gesehen noch gehört habe. Sie gingen zur Kirche. Herbert vermutete, daß es den Schwerringenden nach dem Frieden des Tabernakels verlangt habe. Er täuschte sich. Er fand seine Spur nirgends. Er mußte durchs Städtchen hindurchgegangen fein, hinaus in die Freiheit. Vielleicht hatte ihn nachträglich die Scham erfaßt, 'feine stürmische Seslenwelt dem Mitbruder aufgedeckt zu haben. Herbert kannte zu gut diese Eigenart, die lieber einsam verblutet, als irgend jemand einen Blick oder ein Anrühren ihrer Wunden gestattet. Er konnte nichts für ihn tun als ihn der göttlichen Vorsehung empfehlen. Nach acht Tagen kam er ins Kloster zurück. Er hätte die Arme ausbreiten mögen, als er feine Zelle wiedersah. Der Pater Magister war nicht überrascht, als er allein heimkam. Ein Brief, den er in der Hand hielt, gab ihm traurigen Aufschluß über Rudolf Mehrens Verbleib. Und gewährte ihm endlich Einblick in eine von tausendfachem Kämpfen und Lieben und Hassen und Schwanken vulkanisch aufgewühlte Menschenseele. Es tat ihm weh, daß gerade dieser Novize, der anfangs so viel versprochen hatte, stets stolz und verschlossen eigene Wege gegangen war und' den Notschrei seiner Seele erst zu ihm sandte, als es zu spät war. Noch einmal las er traurig einen Teil des Briefes, der am Abende jenes Tages, da Herbert den Mitbruder vor dem Tabernakel gesucht hatte, geschrieben war. „. . . Wäre ich vor einem halben Jahre zu Ihnen gekommen! Hätte ich doch den Mut gehabt! Ich würde Sie beschworen haben: ,Helfen Sie mir! Halten Sie mich!' Heute sage ich es nicht mehr, denn es ist zu spät. In mir ist alles tot, was einmal als Glut brannte. Nur nicht das Eine, für das ich 'keinen Namen habe. Was ich einmal liebte, fast hasse ich es jetzt. Was ich verließ, es lockt mich wieder mit tausend Stimmen. Meine Seele ist zu müde, um noch nach Rettung zu verlangen. Meine himmelstürmenden Ideale, Trümmer sind sie, verkohlte Glut. Nichts findet in meiner Seele noch Widerhall als der Todesschrei des Gekreuzigten: /Gatt, warum hast du mich verlassen'?' Er hat recht getan, ein Schiff zu verlassen, das am Versinken war. Alle Quellen meiner Seele sind versiegt. Und da lauschte ich den Klängen wieder und sog die süßen Düfte ein, die aus den verlassenen Blütengärten der Welt in meine Wüste her- überwehten. Ich fand den Weg nicht mehr zu Gott ■— und nicht zu Ihnen — weil ich lieber verschmachten wollte, als vor Gerichtsschranken stehen. Ich weiß, was den glänzenden Lichtträger ehemals ans seiner Höhe in den Abgrund stieß. Es hat auch mich aus seinem Frieden getrieben. Und doch will kein „mea culpa“ über meine Lippen. Ich bin gegangen, weil ich gehen mußte. Aber ich weiß nicht, ob meine Seele nicht mit tausendfacher Sehnsucht nach der Zelle zurückverlangen wird, nach der Zelle, die ihr Kerker war. Vielleicht schon morgen. Um diese Stunde gehen die Brüder zum Chorgebet. Wenn Sie den leeren Platz im zweiten Stuhl sehen, dann sprechen Sie ein ,Miserere1 für einen Verlorenen. Öfter nein, tun Sie es nicht. Was tot ist, kehrt zum Leben niemals wieder! . . . Verzeihen Sie, daß ein Unwürdiger den Frieden Ihres Hauses entweihte. Denken Sie, daß er auch ein Unglücklicher war,Her grausam litt ..." Hier brach der Brief jäh ab. Keine Unterschrift, keine Angabe irgendeiner Adresse. Der Schreiber hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen. Pater Fels war erschüttert von diesem schonungslosen Selbstbekenntnis. Der Ärmste! Wäre er doch eher zu ihm gekommen! Ihm hätte geholfen werden können. Mehren tocir ein stolzer, schwer zu behandelnder Charakter, mit stark ausgeprägter Eigenart. Mit glühender Liebe zum Ideal und starker Begeisterungsfähigkeit, neigte er sehr zu Gegensätzen, bedurfte er einer zielsicheren leitenden Meisterhand, die er aber von Anfang an hart empfand. Hätte er sich durchgerungen und ausgeharrt, schlackenloses Gold würde einmal zum Vorschein gekommen sein. Er gehörte zu denen, denen die Auserwählung nicht als freies Gnadengeschenk kampflos gegeben wird, die vielmehr schwer darum ringen müssen. Daher auch die eigenen Zweifel an seiner Berufung. Der besorgte Priester konnte einstweilen nichts tun, als die zerrissene Seele des Ringenden in die Hände Gottes legen. Die Pirkholts in Nürnberg waren ein altes Patriziergeschlecht, Kaufleute von traditioneller Gediegenheit und Großzügigkeit. Ihr Geschlecht reichte bis weit über die Reformation hinauf. Pirkholtsöhne hatten sich zu allen Zeiten in höchsten kirchlichen Ehrenstellen bewährt. Des Hauses ältester Sohn hatte stets vom Vater den reinen Kaufherrnschild übernommen und seinem erstgeborenen Nachkommen vererbt. Johannes Pirkholt, der jetzige Hüter des alten Wappens, trug den alten Namen mit Sorge. Zwanzig Jahre war es her, da legten sie ihm sein Töchterchen in die Wiege, — seine Gattin in den Sarg. Mit ihr war auch in ihm etwas gestorben, das nie wieder aufleben wollte. Er war gedrängt und gemahnt worden, ihr eine würdige Nachfolgerin aus Nürnbergs Töchtern zu wählen, das alte Geschlecht nicht dem Sterben zu weihen. Er hatte es nicht vermocht. Ob lebend oder tot, seine Brigitta blieb ihm die trene, alleinige Weggefährtin, die nie ein anderes Bild verdrängte. Seine Schwester Elisabeth blieb gerne bei ihm im Elternhaus und wurde der kleinen Maria zweite Mutter.----------—- Ein traulicher Abend im Frühherbst. Einer der wenigen, die Pirkholt ganz dem ©einigen widmen konnte. Ferdinand Bert-hold, ein junger Architekt und Neffe Pirk-holts, dem es in seiner „Möblierten" zu einsam war, verlebte diese Abende mit seiner Braut meist bei den Verwandten. „Daß Maria aber auch gerade heute wieder zu ihren Rangen mußte!" äußerte er mißlaunig und dehnte sich im Klubsessel. „Ich glaube, sie ist nur mehr im Nebenamte Pirkholtsche Haustochter." Der Hausherr zuckte die Schultern. Tante Elisabeth sah den Neffen strafend an. „.Rangen^ darfst du zurücknehmen. Es sind sehr liebe, artige Kinder im Vinzenzheim. Ich freue mich, daß Maria nicht, wie so viele junge Damen, ihre Zeit vertändelt und vergähnt. Die Kleinen in St. Vinzenz vergöttern sie." „Verzeihung, gnädigste Muhme. Aber fürchtest du nicht, daß dein Töchterchen dir eines Tages ein Nönnchen wird? He, Ohm, man munkelt schon!" „Nanu, das ist mir das Neueste. Ich habe munkeln von ganz was anderm gehört. Ob's Hand oder Fuß hat, wird nur meine Tochter wissen." Seine Schwester ließ die Häkelarbeit in den Schoß fallen und sah die beiden groß an. „Zwei Sensationen auf einmal! Und ich habe keine Ahnung", tat sie etwas verletzt. „Ah, jetzt fällt mir's ein. Das letzte Gerücht läuft, seit mein junger Kollege hier ist. Ei, sieh da, unsere klatschhungrige Damenwelt!" warf Berlhold ein. „Meinst du den jungen Mehren? Das ist, soviel ich weiß, am Stammtisch ver-hechelt worden", nahm Pirkholt das angegriffene schöne Geschlecht in Schutz. „Jawohl, Möhren! Ich habe ihn hier eingeführt, er hat ein paar Skats mit uns gekloppt, ein paar Arien mit Maria gespielt. Wupp, die Sache ist fertig. Das heißt, in Kränzchen und Kasinos." „Ja, in Kränzchen und Kasinos", lachte Elfriede Stein, Bertcholds Braut. Pirkholt war ernst geworden. „Was weißt du von Mehren?" fragte er unvermittelt. Berthold sah den Onkel überrascht an und warf Tante Elisabeth einen vielsagenden Blick zu. „Was ich von ihm weiß? So viel wie nichts. Ich weiß nur, daß ich ihn sehr schätze, mehr als irgendeinen anderen jungen Mann meiner Bekannschaft. Warum, weiß ich selber nicht. Jedenfalls ist er der bedeutendste Mensch und die interessanteste Psyche, die ich in meinem dreißigjährigen Dasein kennenlernte." „Ich glaube, du hast recht. Auch mir war der junge Mann vom ersten Sehen an sympathisch. Nur — ich weiß nicht recht — wenn ich ihm in die Augen sehe, ist mir, als stände ich vor unlösbaren Rätseln." „Ich auch." „Weißt du nichts über seine Vergangenheit? Ihr geht doch öfter zusammen", forschte Tante Elisabeth. „Ich erfuhr nur von ihm, daß er ein Kind des Badener Landes ist, aus gemischter Ehe stammt, daß er auf einer Auslandsreise mitten auf hoher See geboren ist, daß er weder Eltern noch Geschwister mehr hat, auch, wie mir scheint, keinerlei angenehme Heimat- oder Kindheitserinnerungen. In diesem Umstand mag man den Schlüssel zu seiner starken Eigenart suchen. Er ist ein sehr verschlossener Charakter." „Aber jedenfalls keiner, der mit der Herde läuft oder nach der Menge fragt", ent- gegnete Pirkholt nachdenklich. „Und solche sind zu unserer Zeit Weiße Raben. Mehren scheint mir ein Mann, der noch an Ideale glaubt, aber vielleicht an solche, die in den Wolken liegen. Er scheint mir noch keinen festen Grund unter den Füßen zu haben. Er sucht noch." „Bist du aber ein prächtiger Seelen-forscher, Onkel! Aber ich habe denselben Eindruck. Was meinst du, Tante?" „Ich habe auf dem Winterfest der ,Unitas" eigentlich nur Mehren-Studien be- griffen. Er mochte sehr weit weg sein, denn er bemerkte mich nicht. Ich suchte nämlich Setfelds, die mit uns früh heim wollten. Nachher wurde Mehren vermißt, man suchte ihn. Ich habe sie suchen lassen. Er war ohne Abschied weggegangen, und die Gesellschaft hat ihn monatelang nicht mehr gesehen." „Vielleicht hat er Sorgen", wandte Pirkholt ein. „Nein, nein. Seine äußeren Verhältnisse liegen sehr klar, klarer als seine Vergangen- Barbertmi. (Präfektur Lydcntzurq.) trieben! Einerseits war es mir ergötzlich, wie die junge Damenwelt den neu aufgetauchten Helden umschwärmte, andererseits wollte ich feststellen, wie der Löwe" die Huldigungen ausnahm." „Und das Resultat?" lachte Ferdinand. „Hatte er eine andere Methode als wir gewöhnlichen Sterblichen?" „Ich glaube, er pendelt zwischen zwei Polen. Einmal fand ich ihn als feuer- und witzsprühenden Mittelpunkt eines sehr angeregten Kreises, als unermüdlichen Tänzer und Billardspieler. Gegen Mitternacht sah ich ihn zufällig im Teekabinett sitzen, ganz allein, den Kopf im tiefsten Grübeln in die Hand gestützt, eilte Melancholie im Gesicht —! Ich war erstaunt oder vielmehr er- heit. Einem Gerüchte zufolge hat er theologische Träume gehabt. Ich mochte es glauben. Vor längerer Zeit sah ich ihn abends beim Dämmern durch ein Seitenportal in die Klosterkirche gehen. Ich suchte ihn, hatte Geschäftliches mit ihm zu besprechen. Anderthalb Stunden wartete ich ans ihn im Cafe gegenüber. Ich glaube, er ist an dem Abend nicht mehr herausgekominen. Ob ihm die Mönche Nachtasyl gegeben haben?" Er zuckte die Schultern. „Merkwürdig!" entgegnete Pirkholt. „Aber der Mann gefällt mir." „Ich denke, wir laden ihn zu unserer kleinen Gesellschaft ein an Marias zwanzigstem Namenstag", sagte Tante Elisabeth nachdenklich. Die Tür ging auf, und die Tochter des Hauses kam herein, mit strahlendem Gesicht, in äußerst guter Stimmung. Sie grüßte munter und ließ sich neben ihrer Tante nieder. „Eines, teure Kusine", sagte Berthold, ehe sie noch ein Wort gesprochen hatte, „spar deine Verlautbarungen in punkto Vinzenz-nnd Elisabethhaus für morgen. Laß uns diese kostbare Stunde zum Projektieren des nahen Festes ausnutzen." „Festes? Mir keins bekannt." „Nun, kleines Nönnchen, feierst du nicht nächste Woche deinen zwanzigsten Namenstag? Das hast du wohl über ,Ringelreihe' und ,Blinde Kuh' vergessen?" neckte Elfriede. Maria lächelte. Pirkholt sah voll Stolz auf feinier weichherzigen Brigitta liebliche Tochter. „Nun, was ist da groß zu überlegen? Ihr habt doch sonst immer alles arrangiert bei solchen Gelegenheiten." „Es geht um die Einzuladenden. Wen will das Festkind zum Partner haben?" „Mir ganz einerlei." „Ich dachte, meinen Freund, den Architekten." „Herbholz?" „Nein, Mehren." Ein jähes Rot stieg in das vorher so gleichmütige Mädchengesicht. Verwirrt griff sie nach Tante Elisabeths Häkelmuster und sagte, seinem Blicke ausweichend: „Du mußt es wissen. Wenn er. .., wenn es Herrn Mehren recht ist!" Ihre Hand, die die feine Häkelarbeit musterte, bebte leise. „Abgemacht! Und wer soll noch alles eingeladen werden?" „Sehr wenige, bitte. Nicht wahr, Tante? Vater, du meinst doch auch, daß wir nur im kleinen, gemütlichen Kreise feiern, wenn es schon nicht ganz zu umgehen ist." „Also wie beim Maifest zu deinem achtzehnten Lenz", schlug Berthold vor. „Weißt du dann vielleicht noch eine Dame, mit der wir Freund Herbholz behaften könnten? Der arme Kerl tut mir leid. Solch ein Toggen-burgergeschick trägt sich schwer." Er sah Maria forschend an. Aber ihr Gesicht war unergründlich. „Wißt ihr, was ich möchte? Ruth Hel- torf einladen. Ob sie kommt, ist allerdings eine andere Sache. Sie ist sehr still geworden, seitdem ich im Februar zum Eislaufen am See war. Ich erwarte sie seit Monaten." „Ah, die ,Mignon' von Valkenburg?" rief Berthold. „Ich habe sie ja damals bei unserer Rheinreise kennengelernt. Ganz was Apartes. Die braunen Augen dieser Donna Ruth vergißt man nicht so leicht. Und sie ist doch eigentlich nicht, was man so gemein-weg schön nennt. War sie nicht quasi mit einem Vetter fünften Grades verlobt?" „Verlobt eigentlich nicht, aber es war schweigendes Übereinkommen von jeher. Es ist nichts daraus geworden, weil — du rätst nicht, warum." „Nun, da ist eben einer von den beiden abgeschwenkt. Kommt alle Tage vor." „Mitnichten. Dr. Werner ist Missionskandidat in JE." „23a------as?" „Ja nun, warum wundert dich das? Ist für den Herrgott und seine Sache irgendwas oder irgend jemand zu schade?" warf Tante Elisabeth ein. „War Werner nicht der einzige Sohn? Und sein Vater — Freimaurer?" fragte Pirkholt im höchsten Grade interessiert. „Allerdings. Ich kann die Tragik nicht ausdenken, die noch jetzt über dem einst so frohen Wernerschen Hause liegen mag. Deshalb mag Ruth auch wohl so schweigsam sein", gab Maria ernst zurück. „Davon mußt du mir aber Näheres erzählen, Kind", sagte Tante Elisabeth. „Das hört sich ja an nach Aloisius und Franziskus. Ich meine, das ist schon Heldentum, von einer Ruth Heltorf geliebt werden und dann — den schwarzen Rock anziehen." „Weißt ja gar nicht, daß sie ihn liebte", warf Elfriede dazwischen. „Das wußten wir schon im Kloster", sagte Maria versonnen. „Deshalb war Ruth auch allen so interessant. Herbert Werner war einmal mit seiner Mutter in Valkenburg. Wir sahen ihn mit ihr und Ruth im Garten. Von dem Tage an war Ruth die Allbenei-dete. Wie mag sie es tragen?" „Schade, den jungen Mann hätte ich kennen mögen", sagte der Hausherr nachdenklich. „Ein Trost, daß unser Jahrhundert noch solche Geister zeugt." „Meine Reverenz solchem Übermenschen- Heft 8 u. 9 ©ter-rt der Neger 141 tum! Aber wer kann ans seiner Haut? Es muß ja auch Alltagsinenschen geben. Servus! Es schlägt zehn. Gute Nacht!" Berthold stand ans. Im Kamin verglomm die letzte Glut. Nach einer halben Stunde lag Hans Pirkholt in Ruhe und Dunkel. Nur Maria saß noch eine Weile sinnend bei abgedämpftem Li-cht und träumte in die herbstliche Nacht. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch und schrieb einen langen Brief an ihre Pensionsfreundin Ruth Heltorf. Woher das tiefe Heimweh nach einer jungen, verstehenden Freundin kam, Maria Pirkholt wußte es in dieser Abendstunde selber nicht. Es war am Tage vor dem Feste. Maria ging mit ihrem Vater über die Promenade, um frische Blumen für die Dafel zu besorgen. „Freust du dich?" fragte Pirkholt und sah sie forschend an. „Sehr, Vater." „Früher war dir. ein Herumtollen mit deinen Vinzenztrabanten lieber als zum Beispiel der Ball bei Landrats, der doch die ganze Jungmädchenwelt entzückte. Weißt du, dein Papa hat hie und da Herzbangen um sein Töchterchen gehabt." „Warum?" „Deine 9Jtutter hat in ihrer Jugend Klostergedanken gehabt. Und ba meinte auch Tante Elisabeth, ihre Tochter könnte erblich belastet . . . wollte sagen, bedacht sein." „Als Mütterchen dann aber meinen herrlichen Papa kennenlernte, hat sie doch nicht Nonne werden können, nicht wahr, Väterchen?" tain’S leise zurück. Pirkholt sah, daß ein weicher Glanz in den Augen seiner Tochter aufleuchtete. „Ach, was Ernstes wird es auch mit dem Nonnewerdenwollen nicht gewesen fein. Vielleicht so eine Pensionatsschwärmerei. — Weißt du auch, Kind, daß du — schon viele Hoffnungen znm Tode verurteilt hast? Beschweren dich so viele Trümmer nicht?" lächelte er gutlaunig. Sie blieb ernst. „Vater, ist ein einziger bis jetzt gekommen, der — auch nach ant)ernt ge- fragt hätte als nach meines Vaters Tochter? Etwa nach — meiner Seele?" „Und ist er nun gekommen?" Sie wandte das erglühte Gesicht zur an- dern Seite und sagte leise: „Ich weiß es nicht!" Sie waren an der Blumenauslage angekommen. Maria wählte weiße und rote Rosen. Es waren die letzten. „Früher hattest du nur die weißen gern," äußerte ihr Vater verwundert. „An deinem achtzehnten Geburtstage war alles Warme, Rote verbannt. Mir lass eigentlich leid." „Ich weiß selbst nicht, Vater, warum ich jetzt auch die roten so gerne habe. Ich glaube, Ruth Heltorf hat sie auch gern. Damals hatte ich das weiße Arrangement den Schwestern von Maria Hilf" für das Ewige Gebet zugedacht, das am folgenden Tage war." „Kommt Ruth Heltorf?" „Sie hatte erst abgeschrieben. Aber aus mein Ultimatum hin hat sie zugesagt." „Auch Architekt'Mehren hatte erst abgelehnt, aber ich habe ihn selbst nochmals gedrängt. Ich schätze ihn sehr, Maria." Wieder forschte er in den Zügen seiner Tochter. Was er feststellte, machte ihn sehr glücklich. Maria war froh, daß sie gerade Bekannten begegneten, die sie der Antwort überhoben. — Das Fest war da und hatte eine Fülle leuchtender Herbstsonne mitgebracht. Ruth Heltorf kam am Vorabend. Maria ging ein unbeschreibliches Gefühl durch und durch, als sie die Freundin nach einem halben Jahre wiedersah. Unsagbares mußte Ruth erlebt haben. Es lag eine Reife und Abgeklärtheit über ihr, daß Maria sie ans dem Wege vom Bahnhöfe immer wieder ansehen mußte. „Ich glaube, Ruth, du bist nicht gerne gekommen?" fragte sie nach der Begrüßung. „Zn dir kam ich gerne. Nur wäre ich lieber zu anderer Zeit gekommen. Ich weiß nicht, ob ich zum Festseiern tauge", gab Ruth verhalten zurück. „So warst du früher nicht, obschon du lautem Trubel abhold warst. Ich meine, solch ein kleines Familienfest im kleinen, ausgewählten Kreise! Übrigens, wie steht's daheim am See?" „Gut. Ich, habe viele Grüße mitgebracht. Es ist ziemlich still bei uns geworden, seit du das letztemal bei uns warst." „Ich weiß ..." Unser schwarzer DaviS. In Ruth Heltorfs Augen lag ein Ausdruck, der Maria schweigen ließ. „Ich hatte große Sehnsucht nach dir, Ruth. Ich glaube, das Fest hätte mich nicht gefreut, wärest du nicht gekommen." „Eines möchte ich dir gleich nur sagen, Maria: Ich tanze morgen nicht!" Maria Pirkholt erschrak fast vor dem müden Ton, in dem Ruth sprach. Sie ent-gegnete nichts, denn auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig ging eben ein Herr grüßend vorüber. Ruth Heltorf sah, daß ein tiefes Rot der Freundin bis in die Stirn stieg, und sah sie fragend an. „Architekt Mehren", gab Maria mit leiser Stimme Bescheid. „Er ist ein Freund meines Betters. Den kennst du ja. Ferdinand führte ihn bei Uns ein. Vater schätzt ihn sehr." Um Ruth Heltorfs Mund spielte ein Lächeln. Aber sie sagte nichts. „Du mußt erst ein Stündchen ausruhen, ehe du Vater und Tante begrüßest, Ruth. Du siehst furchtbar abgespannt aus", sagte Maria bestimmt, als sie daheim Ruth auf ihr Zimmer begleitete. „Überhaupt", sie legte den Arm um die Schultern der Freundin und sah ihr tief in die Augen, — „du scheinst mir sehr verändert. Bist so still — und so ernst — und — ich weiß nicht, ich haben keinen Namen dafür." Sie legte beide Arme um Ruths Nacken und drückte ihre heiße Wanege an der Freundin kühle. Ruth, ich glaube, du leidest." Uber Ruths Gesicht ging ein weher Zug. Sie wandte den Blick weg, hinaus in den verglühenden Herbsttag. Dann sah sie Maria an, und in diesem Blicke lag eine Resignation und Traurigkeit und eine flehende Bitte: „Frag mich nicht!", daß Maria die Tränen in die Augen stiegen. Leise, 'fast scheu küßte sie Ruths Stirn. Als sie sah, wie es um ihren Mund zuckte, ging sie still hinaus und ließ Ruth allein. — Tante Elisabeth konnte kaum das Fest erwarten. Sie hatte Ruth Heltorf noch nicht ausschließlich für sich haben können. Sie war sehr begierig, Näheres über ihren Vetter Herbert zu hören. Endlich nach dem Diner sah sie Ruth ganz allein an einem Seitentischchen sitzen und in einem Buche blättern. Maria stand mit Rudolf Mehren im Erker, über Künst-blätter gebeugt. „Darf ich mich ein wenig zu Ihnen setzen, Fräulein Heltors?" Viehkraal einer Farin. „Bitte." Ruth legte -das Bitch weg. „Wie geht's gu Hanse? Wir hatten lange nichts von Ihnen und den verehrten Verwandten gehört." „Danke, wir sind zufrieden. Dante Mathilde läßt Sie besonders grüßen", gab Ruth lächelttd Auskunft. „Und was ich höre, Doktor Werner, Ihr verehrter Vetter, hat sich der hohen Scholastik zugewandt?" Der junge Architekt im Erker fuhr hastig heritm, als der Name Werner fiel. Er sah Ruth Heltorf an, drängendes Fragen in den Augen. Aber er beherrschte sich und wandte sich scheinbar unbewegt Maria wieder zu. Auch Maria hatte die Frage der Tante gehört und warf ihr einen bittenden Blick zu. „Mein Vetter ist seit einiger Zeit Missionskandidat in T-", gab Ruth ruhig Antwort und griff unbewußt wieder zu dem Buche. Ihre Finger bebten. Aber die alte Dame war zu sehr interessiert, um abzulassen. „Ist es dem jungen Herrn ganz plötzlich eingefallen? Ich Mine, er war doch sehr lebensfroh, und von diesem Unglaublichen ist nie etwas verlautet. Maria hätte es mir sicher gesagt, da sie weiß, daß mich solches von jeher brennend interessierte." „Es mag ihm doch nicht über Nacht ge-kontmen sein. Es liegt in seiner Art. Und sein Onkel, Tante Mathildes Bruder, war ja auch Missionar. Den letzten Ausschlag mag sein Freund Helmuth gegeben haben, der vor zwei Jahren Franziskaner wurde. — Welch wunderschönes Gemälde drüben! Ist es neu?" .Tante Elisabeth merkte, daß Ruth ablenken wollte. „Es ist von einem jungen Künstler, der noch nicht recht warm sitzt. Mein Bruder fördert ihn sehr. Er ist einer unserer Besten. Wetterleuchten aus der Alm? Gefällt es Ihnen?" Ruth stand auf und trat zu dem Bilde über dem Flügel. „Kannst du haben", kam Maria dazu. „Da sitzt der Künstler bei Vater und Herbholz. Ein Tiroler Kind. Er hat das Wetterleuchten selbst aus hoher Alm erlebt, als Hütebub, wie er stolz erzählt." In Marias Gesicht war Verstimmung. Sie konnte sich Mehrens plötzliche Schweigsamkeit tticht erklären. Sie wirkte fast verletzend. Ihre letzte Frage, was er für einen Eindruck von ihrer Freundin Ruth Heltors habe, hatte er ganz überhört. Sie sah ihn zu ihrem Vetter treten, der eben zum Rauchkabinett ging, und sich ihm anschließen. Er war noch ernster als sonst. Er war und blieb ihr ein Rätsel. Einmal glaubte sie eilte ganze Welt von Interesse und Verständnis in seinem immer etwas verhaltenen Blicke zu lesen, und in derselben Stunde lag eine Abwehr, ein wahres Mysterium in seinen Augen, in seinem ganzen Wesen, daß sie sich nwdchenstolz hinter himmelhohe Wälle hätte verbergen, das leiseste Interesse hätte tausendmal widerrrufen mögen. In solchen Augenblicken fühlte Maria Pirkholt erschauernd ein rätselhaftes Verhängnis auch über sich heraufziehen und ihr Herz und Seele und Leben umklammern, ohne daß sie sich dagegen zu wehren vermochte. „Kennen Sie einen Dr. Werner, der Missionskandidat in T. ist?" fragte Architekt Mehren seinen Freund Berthold, als sie int Rauchkabinett allein waren. „Jawohl. Aber ich weiß nur, daß er einziger -Sohn und Erbe des Wernerfchen Namens, daß er ein überaus liebenswerter Kerl ist und von jeher mit seiner holden Kusine weitläufigen Grades, die mit ihm aufwuchs, sozusagen verlobt war. Auch daß sein alter Herr Logenbruder ist und zu diesem waghalsigen Schritte seines Einzigen wohl ein merkwürdiges Gesicht gemacht haben wird. Weiteres können Sie sich denken. Kennen Sie die Werners?" „Den jungen Werner, ja. Ich traf ihn in — einer Gesellschaft. Habe aber seitdem nichts mehr von ihm gehört. Er interessierte mich." „Was sagt Fräulein Heltorf dazu?" fragte Mehren nach einer Weile. „Was sie dazu sagt, sieht ihr ein schlechterer Psychologe als ich aus hundert Meter Abstand an. Ein interessantes Menschenkind übrigens! Wir Männer können- manchmal grausam sein. Meinen Sie nicht auch, Herr Kollege?" Er sah Mehren vielsagend an. Der schien weit weg, merkte nichts. „Soll mich wundern, ob meine Kusine sich für Herbholz oder für den Wetter-leuchter" Hertling entscheidet!" versuchte er den andern durch einen Gewaltakt zur Wirklichkeit zurückzurufen. Da sprang Mehren auf. „Was meinen Sie? Der Maler? Ich — verzeihen Sie — ich dachte gerade — ich habe den Kopf voll Pläne. Lassen Sie uns zu den andern gehen." Maria Pirkholts Gesicht leuchtete auf, als ihr Partner angeregter und liebenswürdiger als je zurückkam und sie tu ein lebhaftes Gespräch zog. „Ich fürchtete schon, Sie fühlten sich gar nicht wohl bei uns!" sagte sie, und ein leiser Vorwurf klang durch. „Mehr als wohl. So daß ich wünschen nröchte, dieses Fest möchte Ewigkeitsdauer haben." Er sah sie an, und ein Glücksstrom ging ihr durch und durch. „Sie waren vorhin sehr ernst, ja betroffen, als meine Dante den Fall Werner erwähnte. Interessiert er Sie?" „Allerdings. Der Name erinnert mich an ein — Erlebnis, das Sie aber kaum interessieren dürfte. — Tanzen Sie gern, gnädiges Fräulein?" „Ich tanzte wenig in meinen bisherigen zwanzig Jahren, da ich dieser Unterhaltung nie viel Geschmack abgewinnen konnte. Und Sie?" „Ganz meine Ansicht. Aber ob man sich heute ganz ausschließen darf? Wenn es Ihnen jetzt recht wäre?" Eben schwebten die einladenden Klänge eines Walzers durch den Festraum. Sie mischten sich unter die tanzenden Paare. Maria fühlte, daß Mehren immer noch nicht bei der Sache war. Sehr bald schon ließ er ab und führte sie zum Erker. Setzte sich ihr gegenüber, stützte den Kopf in eine Hand und sah sie an. Maria senkte den Blick vtr dem seinen. Sie fühlte, wie seine Seele tastend, suchend, fragend nach der ihren griff. Ein Schauer ging ihr durch Herz und Seele. In dieser Stunde wußte sie, ein Geheimnis war in Rudolf Mehrens Leben, das auch sie vielleicht in seinen Bann ziehen würde, wenn sie sich dem merkwürdigen Einflüsse, den dieser Mann wie kein anderer vom ersten Begegnen auf sie ausgeübt hatte, nicht entziehen würde. Das aber — konnte sie nicht mehr. Verwirrt griff sie nach der Goldtroddel der Portiere und ließ sie mechanisch durch die Finger gleiten. „Sie sind mir noch eine Antwort schuldig, Herr Mehren", sagte sie endlich leise, .um etwas zu sagen. „Wie gefällt Ihnen meine Freundin Ruth Heltorf?" „Da sind zu viele Rätsel, um sie in so kurzer Zeit zu lösen. Solchen Menschen begegnet man nicht alle Tage. Hat sie irgendeilt ernstes Erleben gehabt? Sie sieht über ihre Jahre gereift aus." „Sie hörten ja, daß ihr Vetter ins Kloster gegangen ist. Sie galten allgemein als füreinander bestimmt. So etwas verwindet eine Ruth Heltorf nicht." „Was sagen Sie zu Dr. Werners Be-ruf?" Er sah sie dunkel an. „Ich bin ganz Bewunderung. Heldentum ist das! Und doppelt von einem jungen Menschen wie Herbert Werner, dem die ganze lachende Welt zu Gebote stand. Und dazu eine Ruth Heltorf." „Was würden Sie von einem Menschen sagen, der dieses Ideal erwählte und — auf halbem Wege umkehrte?" fragte er verhalten und sah sie an, als erwarte er einen Gerichtsspruch aus ihrem Munde. „Da müßte ich schon seine Gründe ken-nen. Auch dazu gehört ja Mttt, einen begangenen Irrtum einsehen und gutmachen." „Und wenn es kein Irrtum gewesen wäre? Nur Schlappheit, erbärmliche Feigheit! Was dann?" „Auch dann stände mir kein Richten zu. Denn— nicht alle fassen es!" „Glauben Sie, daß Fräulein Heltorf dieses Erleben überwinden wird?" „Überwinden vielleicht. Aber so wie ich sie kenne, wird nie ein anderer Mann ihr Herbert Werner ersetzen können. Er wird ihr Geschick bleiben. — Ich glaube, Herr Mehren, Sie lieben ernste Probleme. Waren Sie tntuter so — so tiefgründig?" tg folgt.)' Eigentümer, L^auSgeber unv Verleger: Kongregation der Missionäre