.HM5 >sIF Ein Opnziergang um l!ie Welt. Ein Spaziergang um die Welt von Alexander Freiherrn von Hübuer. Deutsche Ausssabe ' u/ o m Verfasser. Zweite Auflage. Iweiter Band. Leipzig, T. O. W e i g c l. 1875. Inhalt. Japan. «»it« I. Yokohama .............. 3 II. Voshida............... 23 III. Hatone............... 69 IV, Yedo................ 95 V dsaka................ 196 VI. KiyQto ............... 216 VII Der Mvasee.............. 259 VIII. Nagasaki............... 291 Sweiter T!ieil. Japan. tzUb,,er, Spaziergang II. ^) Ich befolge für japanische und chinesische Namen die englische Orthographie, weil sie die verbreitetste ist und das Auge am wenigsten verletzt. 1" ^Jokohamll. Dom 24. zum 26., vom 28. Juli zum 3. August; uom !4. zum !8. August; vom 18. zum l9. September.*) Esste Eindriictie. — ^hzjsianomie d« 5>M. -^ Handelsverkehr. — Viü Die Eindrücke des Ankommenden sind in den letzten zwölf Jahren unzählige Male geschildert worden. Englische, französische, deutsche Revuen haben mehr oder minder stark gefärbte Beschreibungen geliefert. Jeder französische Proviantkommissär oder Seekadet an Bord der hier stationirenden Kriegsschiffe halt sich für verpflichtet im officiellen Blatte seines Departements einen Artikel zu liefern; deßgleichen englische Officiere und Beamte. Auch an ernsthaften Büchern fehlt es nicht. Sir Rutherford Alcock, der Gründer von Yokohama, H. Olivhant und H. Richard Lindau haben sich in diesem Fache, jeder in seiner Art, verdient gemacht. 4 Aber Alles was der Reisende gelesen hat bleibt unter dem Eindrucke den er empfindet, in dem Augenblicke wo er sich mit Einem Male in eine ganz neue Welt versetzt sieht. Er traut den eigenen Augen nicht. Auf jedem Schritte frägt er sich: Ist dies Alles auch wahr und wirklich? Ist es nicht ein Traum, ein Feenmährchen, eine Erzählung aus Tausend und Einer Nacht? So schön ist die Vision daß man zittert sie könne in Nebel zerfließen. Eine Beschreibung zu liefern halte ich daher, weil sie doch nicht genügen würde, für überflüssig. Jedermann weiß heute daß das japanesische Volk sanft, liebenswürdig, artig, fröhlich, kindlich und kindisch ist; daß die Haut der Leute aus den untern Klassen von der Sonne gebräunt, häufig roth und blau tattuirt ist und dann ungefähr aussieht wie die Vasen von Vieux-Lack; daß alle Männer ohne Unterschied des Standes ihr Haar am Vorderschädel ra-siren und ein kleines Haarbüschel stehen lassen welches, an der Wurzel mit einem Bindfaden zusammengebunden, in zierlichen Schwingungen über dem nackten Scheitel schaukelt; man weiß daß sie im Sommer sich ihrer Beinbekleidung entledigen, und eine Tunika von Tafft oder Katun mit dem Fundashi ihre ganze Bekleidung bildet. Letzterer ist ein Lendengürtel den Jedermann vom Mikado bis zum Kuli trägt. Die Kaufleute nehmen in der geselligen Gliederung eine der unteren Stufen ein. Mehr oder weniger ge- 5 hört Jedermann einem Klan an der, selbst in verschiedene Kasten zerfallend, eine einzige große Familie bildet. Der Daimio ist ihr Haupt. Er hat seine Näche, Vasallen, seine Samurai oder Zweischwertmänner, Reisige und Knechte. Ein jeder trägt am Nucken und auf den Aermeln seines Leibrockes den Wappenschild seines Fürsten oder der Körperschaft der er angehört; eine Blume oder Buchstaben in kreisförmiger Einfassung. Die Schwerter der Edelleute, das Schreibzeug, die Pfeife und die Börse die sie im Gürtel führen, alles dies ist bekannt. Ebenso daß wer sein Leben liebt den Herren Samurai aus dem Wege geht, besonders wenn sie im Gefolge ihres Fürsten reisen, oder Vom Sake erhitzt aus einem Thcehause treten. Weniger bekannt sind noch die Reformen welche die gegenwärtige Negierung unternahm uud die beginnende Zerstörung des alten Lehenwesens. Aber die äußere Erscheinung des Landes hat sich noch wenig geändert. Für die Frauen schwärmen Alle die über Japan schrieben. Eigentlich sind sie nicht schön. Sie haben un-cn elmäßige Züge. Die Backenknochen springen zu weit vor. Die großen schönen braunen Augen sind zu sehr geschlitzt, und den wulstigen Lippen fehlt es an Feinheit. Und dennoch gefallen sie. Wenn nur die jungen Mädchen die entsetzliche Gewohnheit ablegen möchten bei ihrer Vermählung die Augenbrauen auszurechen und die Zähne zu 6 schwärzen. Die Absicht ist löblich. Sie wollen sich gegen sich selbst sicher stellen, dem Gatten eine Bürgschaft der Treue geben, das heißt sich weniger verführerisch für Andere machend um so leichter der Verführung entgehen. Aber, nach wie vor, sind und bleiben sie einfach, fröhlich und anmuthig. Eine angeborene Vornehmheit zeichnet dieses Geschlecht aus. Die jungen Autoren, welche ihre Studien über javanische Sitten in den Theehäusern in und um Yokohama gemacht haben rühmen auch ihre große Zugänglichkeit. Wahre Kenner des Landes urtheilen anders. Der Kopfputz der Frauen besteht aus zwei oder drei großen Haarbändern welche zwei Nadeln zusammenhalten. Mehrere Nadeln trägt nur die Kurtisane. Das Haar ist dunkel-schwarz und, weil immer stark geölt, glänzend. Ein Unterrock und eine kurze Jacke mit einer breiten Binde die am Rücken in einem großen Knoten endet bildet den Anzug. Die Fußbekleidung sind Holzsandalen auf hohen Absätzen die mittelst eines schmalen durch die Zehen gezogenen Riemens am Fuße befestigt werden. All dies ist sattsam bekannt durch zahllose Beschreibungen, Kupferstiche und Photographien. Aber kein Pinsel, keine Feder vermag die Wirklichkeit wiederzugeb'n. Man muß mit eignen Augen gesehen haben wie die Menge sich in den Gassen bewegt, wie einer dem andern anmuthig zulächelt, wie sie sich gegen einander tief 7 verneigen, vor großen Herren auf den Boden werfen, eben so behend als würdevoll, nicht niedrig oder kriechend sondern gleichsam nur in einer Anwandlung von Artigkeit, und weil dies eben die Etiquette vorschreibt. Wir gehen die Straße entlang deren Reinlichkeit uns auffällt, blicken rechts und links, und bedauern nur zwei und nicht hundert Augen zu besitzen. Kuli laufen an uns vorüber. Auf ihren athletischen Schultern ruht ein dickes Bambusrohr an dem Kisten oder Waarenballen hängen. Dabei regeln sie ihre Schritte durch einen eigenthümlichen Gesang oder vielmehr sie schreien im Takt. Der Schweiß trieft von ihren glänzenden, tattuirten Körpern. Den Lendengürtel abgerechnet find sie in dieser heißen Jahreszeit vollkommen nackt. Auch sie lachen unaufhörlich, schwätzen und sagen sich sogar Artigkeiten. Und die Häuser! Wer kennt sie nicht aus den zahllosen Abbildungen? Viele haben auch ein wirkliches Haus auf der Pariser Weltausstellung*) in Augenschein genommen. Aber um sich einen richtigen Begriff zu machen muß man biefe kleinen Gebäude an Ort und Stelle und in bewohntem Zustande sehen. Man muß in das Innere blicken, was keine Schwierigkeit bietet, denn sie stehen der ganzen Breite nach gegen die Gasse offen. Wie eigenthümlich da l) Und seither auf der Wiener Ausstellung. 8 Licht und Schatten mit einander kosen. Einrichtungsstücke gibt es nicht, wohl aber eine schöne reine Strohmatte. Im Hintergrund wird das Gärtchen sichtbar mit seinen Zwerg« bäumchen, die den Riesen des Waldes ähneln, gleichsam als Greise verkleidete Kinder. Doch ich will nicht beschreiben. Habe ich ja doch selbst erklärt daß weit geübtere Federn als die meinige der Aufgabe nicht gewachsen sind. Alles ist hier neu und seltsam. Wie die tausendfältigen kleinen Bedürfnisse des Lebens, die allen halb oder ganz civilisirten Völkern gemein sind, hier so ganz anders befriedigt werden! Man betrachtet, man prüft, man forscht, meist vergeblich, nach der Erklärung. Das Gesammtbild ist anmuthig, die Zeichnung zierlich, das Kolorit prachtvoll; aber in der Nähe besehen ist es ein ungelöstes Rebus. Vergessen wir die Europäer nicht. Yokohama ist die Schöpfung der ersten englischen Kaufleute Welche gleich nach Abschluß der Verträge*) Hieher kamen um in dem bis damals hermetisch verschlossenen Reiche der aufgehenden Sonne ihr Glück zu suchen. Während der brittische Gesandte Sir Nutherford Alcock mit den Ministern des Shogun über die den Europäern abzutretenden Grundstücke verhandelte, hatten sich diese in der Nähe des Fischerdorfes *) 1858. 9 Yokohama*) auf eigene Faust einer verlassenen Stelle am Strande bemächtigt, und dort einige Magazine und Häuser erbaut. Die Oertlichkeit besaß über die von Sir Rutherford empfohlene den bedeutenden Vorzug der leichteren Zugänglichkeit vom Meere her; bekanntlich ist der Golf von Uedo sehr seicht. Auch die japanesischen Minister äußerten sich zu Gunsten des Platzes der, zwischen dem Meere und einem Sumpf, zwischen einem Kanal und einem Flüßchen gelegen, alle natürlichen Vortheile darbot um in ein zweites Deshima, d. h. in ein Gefängniß umgewandelt zu werden. Für Sir Rutherford ein Grund mehr von der Wahl abzurathen; aber am Ende mußte er dem stürmischen Drängen seiner Landsleute und der Macht der Umstände weichen. Heute betrachten die Residenten sich für vollkommen sicher, und belächeln die Besorgnisse und, ihrer Ansicht nach, zu weit getriebene Vorsicht ihres damaligen Gesandten. Weil in den letzten zwei Jahren kein Fremder mehr in Jokohama ermordet wurde, glauben sie sich geborgen, nicht anders als ob sie in Charing - Croft oder am Strand wohnten. So ist aber die menschliche Natur. Nar das Wetter durch einen Monat schön, so glauben Viele es könne nie mehr regnen. Während der langen und glücklichen Friedensperiode zwischen den beiden 5) 'Wkohama hecht ,,den Strand entlang." 10 Napoleonen gab es Männer von Einsicht welche meinten der Krieg sei für alle Zeiten unmöglich geworden. Er vertrage sich nicht, behaupteten sie, mit dem Fortschritte der Civilisation. Er sei fortan eine Anomalie, ein überwundener Standpunkt. Wer daran zweifelte war ein Träumer, in den Augen Mancher ein gefährliches Subjekt. In dieser Gemüthsstimmung finde ich hier die europäischen Residenten. Hoffen wir daß die Zukunft den Optimisten Recht und dem klugen und vorsichtigen Sir Rutherford Unrecht gebe. Die Stadt war kaum gebaut als sie ein Raub der Flammen wurdet) Heute ist jede Spur des Brandes verschwunden. Yokohama bildet ein längliches Viereck welches drei große Hauptadern von Ost nach Nest, und mehrere Quergassen von Süd nach Nord durchziehen. Dem Meere entlang entfaltet der „Bund" seine schöne Häuserreihe. Oestlich vom europäischen liegt das japanische Viertel. Dort an der Ecke der Curiostreet steht der Palast des kaiserlichen Gouverneurs. Curiostreet ist die Verlängerung von Mainstreet, und besitzt schöne Kaufläden wo Bronzen, moderne Lackwaaren, Porcellan und andere Kuriositäten von Eingebornen feil geboten werden. Am Nordende der Stadt gelangt man durch ein von japanischen Truppen "I 20. November 18«ll. 11 sorgfältig bewachtes Thor und über eine Brücke nach dem Dorfe welchem die Stadt ihren Namen entlehnte. Gs bedeckt die beiden Abfälle einer steilen Anhöhe und steigt jenseits in eine kleine Ebene nieder. Zwischen einer doppelten Häuserreihe biegt die Straße nordwärts um als« bald in den Tokaido, der nach I)edo führt, zu münden. Wer einen aus menschlichen Wesen ieden Alters und Geschlechtes bestehenden Strom von Menschen sehen will, der lustwandle zwischen Kanagawa und Kavasaki. Vor ganz Kurzem noch eine li'chne, ja verwegene That' heute ein harmloses Vergnügen. Dieser Theil des Totaido wird veröden, wenn die im Bau begriffene Eisenbahn nach Mdo vollendet ist.*) Im Westen der Stadt, jenseits des erwähnten Flüßchens, erheben sich die berühmten Bluffs, eine in das Meer vorspringende Anhöhe, wo in den le.tzten Jahren mehrere schöne Häuser entstanden sind. Dort sieht man das unbewohnte brittische Gesandtschaftshotel, das Haus des englischen Nichters, die Wohnsitze mehrerer brit-tischer und amerikanischer Residenten und einige fremde Legationen. Die meisten dieser Gebäude liegen im Schatten prachtvoller Bäume, und genießen einer reizenden Aussicht: nordwärts nach dem Vulkan Fujiyama, gen West und Süd nach dem Stillen Weltmeer; ostwärts nach dem "°) Sie wurde seither dem Verkehr eröffnet. 12 langen, niedern, bewaldeten Vorgebirge und der weißen Häuserreihe von Kanagawa. Am Fuße der Bluffs steht die französische Kaserne, am Scheitel die englische. Bekanntlich geschah es daß während des Bürgerkrieges der japanische Gouverneur eines Tages erklärte, er könne nicht länger für die Sicherheit der Europäer bürgen. Da lieft der französische Admiral Iaurcs seine Marinetruftften ausschiffen und der englische Gesandte ein Linienregiment von Hongkong kommen. Diese Besetzung dauert noch fort und hat auch, meiner Ansicht nach, ihre guten Gründe. Die untere Stadt ist der Betriebsamkeit geweiht. Dort befinden sich die großen Banken, die Kontore der Handelsherren, die Bureaux der drei Damftfschifffahrtsge-sellschaften, die Waarenlager, die mehr oder minder gut versehenen Kaufläden und eine Unzahl Trinkbuden. Man sieht, es hat an Anstrengungen nicht gefehlt um die kaum entstandene Faktorei zum Range einer großen Handelsmetropole zu erheben. Indeß sind die Anzeichen einer Stockung augenfällig. Schwieriger dürfte es sein die Ursachen zu ergründen. Jedenfalls sind hier, wie in China, die schönen Tage der raschen und fabelhaften Gewinne, Wohl für immer, vorüber. Bis zu einem gewissen Grade erklärt sich dies durch das fortwährende Zuströmen europäischer und amerikanischer Kaufleute, durch die Errichtung so vieler neuer Handelshäuser und durch die 13 stetige Zunahme der chinesischen Mitbewerbung. Hiezu treten die natürlichen Schwankungen des Handels, und, ausnahmsweise, der Rückschlag der kriegerischen Ereignisse in Europa. Demungeachtet nimmt der Verkehr mit Europa im Ganzen zui aber seit zwei Jahren machen die Engländer weniger Geschäfte. Von allen Seiten höre ich klagen. Begreiflich genug. Man hat sich nicht zu den Antipoden verbannt und den befahren des Klima's ausgesetzt, um viel zu arbeiten und wenig zu gewinnen. Besser, man wäre zu Hause geblieben. Man hatte ein ungeheures Vermögen in kurzer Zeit zu erwerben gehofft. Jetzt kommt die Enttäuschung. Daher die üble Laune. Natürlich enthalte ich mich des Urtheils über einen mir nicht völlig bekannten Gegenstand. Aber ich fürchte die Berechnungen und rosigen Aussichten mancher fremder Kaufleute fußen auf Voraussetzungen welche eine genauere Kenntnis; der Hilfsquellen dieses Landes nur wenig rechtfertigen würde. Das japanische Volk scheint glücklich und zufrieden mit der Lage in der es sich befindet oder, besser gesagt, bis in die letzte Zeit befand. Elend ist beinahe unbekannt, aber ebenso auch Neberfluß. Die einfachen Sitten, die große Frugalität, die Unbekanntschaft mit Bedürfnissen welche Europa befriedigen könnte und möchte, sind, meiner Ansicht nach, eben so viele Hindernisse eines großartigen Austausches zwischen europäischen und japanischen 14 Erzeugnissen. Der hierländische Thee findet in Europa keinen Absatz, und, seit die besten Eier des Seidenwurmes von lombardischen Handelsreisenden aufgekauft werden, haben die japanischen Seidenstoffe an Qualität bedeutend verloren. Bleiben die zu eröffnenden Bergwerke welche Vielleicht Schätze liefern werden. Aber in ihrem heutigen Zustande sind weder Volk noch Land reich. Mit Ausnahme der englischen Katune, fühlen die Bewohner kein Bedürfniß nach europäischen Industrieartikeln! keinenfalls wären sie im Stande diese zu bezahlen. All dies kann sich ändern, aber nicht von heute auf morgen. Generationen werden vorübergehen, bevor solche Träume sich verwirklichen lassen. Die jetzigen Minister verfolgen das Ziel mit Niesenschritten. Kann die Nation, selbst wenn sie wollte, was noch zu beweisen ist, in diesem Tempo vorwärtsstürmen? Ich bezweifle es. Die europäischen Kaufleute hoffen es, weil sie es wünschen; sie begrüßen die Reformen mit lautem Beifall, weil sie sie auszunutzen gedenken. Aber besonnene, in solchen Fragen bewanderte Männer fürchten daß diese unvorbereiteten, voreiligen und kostspieligen Neuerungen für das Land, statt es zu bereichern, eine Quelle der Verarmung werden dürften, und daß der, heute sehr beträchtliche, Handelsverkehr mit dem Auslande bereits seinen äußersten Höhenpunkt erreicht habe. Die amtlichen Tafeln für das Jahr 1870 weisen 15 eine beträchtliche Zunahme des auswärtigen Handels nach. In runden Ziffern beträgt die Einfuhr in den fünf offenen Häfen einunddreißig, die Ausfuhr über fünfzehn, fomit der Gesammtverkehr, zwischen Japan und dem Auslande über sechsundvierzig Millionen Dollar. Die Analyse dieser Tabellen zeigt eine nicht unbedeutende Verminderung des Verkehrs mit England und eine kleine Zunahme des französischen Handels. Die fremde Schifffahrt hat zu-, die englische abgenommen. Dies erklärt sich dadurch daß seit einem Jahre fast die gesammte Küstenfahrt durch die Dampfer der Pa-cific-Mail-Comftany versehen wird. Die Bedeutung der verschiedenen Flaggen nach dem Tonnengehalt läßt sich durch nachstehende Reihenfolge darstellen: Engländer, Amerikaner, Deutsche, Franzosen und Holländer. Die deutschen Schiffe verführen als Fracht meist englische und Schweizer-Produkte, und nur wenige deutsche. Selten kommen sie aus deutschen Häfen: und treiben bis jetzt hauptsächlich die Küftenfahrt zwischen Yokohama, Hiogo, Nagasaki und Shanghai. Aber ihre Flagge weht auf allen chinesischen und japanischen Meeren, und in allen, selbst in den entlegensten Häfen^ dieser beiden Reiche. Zu Wasser und zu Land steigt und verbreitet sich die Thätigkeit der Deutschen. Neben den Chinesen sind sie die gefährlichsten Nebenbuhler des brittischen Handels und der brittischen Schissfahrt. Die, 16 viel minder zahlreichen, französischen Schiffe immer mit französischen Erzeugnissen beladen kommen fast alle aus Frankreich und kehren dahin zurück. In allen Geschäften richtet man sich nach den Notirungen von London und Liverpool. Diese beiden Plätze reguliren namentlich den Seidenhandel. Eine bedeutende Menge japanischer Seide die für französische Spinnereien bestimmt ist geht an Bord der Messageries maritimes nach Marseille, von wo sie durch Frankreich nach London und Liverpool versandt wird. Dort versieht sich der Lyoner Fabrikant mit seinem Bedarf. Japan kauft nur englische Waare: Birmingham und Manchester Goods. Die Amerikaner führen aus Ca-lifornien und Oregon Bauhölzer und Mehl ein, und laden, als Rückfracht, Thee welcher in den pacisischen Staaten in immer steigenden Quantitäten konsumirt wird. Ihrem äußeren Anstriche nach bietet die untere Stadt weniger Aehnlichkeit mit den großen Industrie- und Handelsplätzen Europa's und Amerika's. Keine dampfenden Essen, kein Gedränge von Fußgängern und von Fuhrwerken aller Art. Häuser und Menschen sehen ruhig, respektabel und ein wenig ländlich aus. Die Wohnungen sind dem Klima angepaßt worden, haben aber sonst ihren englischen Anstrich bewahrt. Neber die Dächer ragen Baum-Wipfel empor. Die Straßen beleben sich Morgens und Abends, ein Paar Stunden vor Sonnenuntergang, das 17 heißt wenn man nach oder aus dem Kontor geht. Eine willkommene Unruhe zeigen die Gassen auch um die Mitte des Tages. Um diese Zeit schließen sich Wechselstuben und Kaufläden. Alles eilt zum Tiffin das hier wie in China und Indien das Hauptmahl bildet; das Diner ist eine Ceremonie. Harte Arbeit kommt nur an den Posttagen vor wenn die großen Dampfer ein- oder auslaufen. Im gewöhnlichen Leben hat man um vier Uhr sein Tagewerk vollendet und denkt nur mehr auf Unterhaltung. Die jungen Leute werfen die Feder weg, und besteigen ihr Pferd oder ihr Kanoe. Die Mode will daß die Gentlemen ihr langes, schmales Boot selbst über die Straße tragen und flott machen. Dann wird zum Ruder gegriffen, und flugs sind sie uns aus den Augen entschwunden. Unter allen Himmelsstrichen liebt der Engländer athletische Spiele: das Zusammenwirken von Muth, Behendigkeit und Kraft. Um diese Stunde beginnt sich der Bund zu beleben. Aus den Nebenstraßen biegen Fuhrwerke ein: Gig und Phaeton, die in Hongkong gebaut und mit kleinen australischen oder philippinischen Pferden bespannt sind. Darin sitzen elegante Damen oder junge Ehepaare, denn Alles ist hier jung, und Alles bewegt sich jetzt in der Richtung der Bluffs, fahrt den steilen Neg hinan, dann oben dem Race-Ground entlang der in keiner brittischen Ansiedelung fehlt: erreicht endlich die neue Straße die über bewaldete Höhen, zwischen Hübner, Spaziergang II. H 18 smaragdgrünen Reisfeldern und Bambushainen nach der Bai von Mississipi hinabführt. Allenthalben begegnen wir englischen nnd französischen Officieren, weih gekleideten und beschuhten Gentlemen mit dem weißen, indischen Kattunhelm bedeckt, alle auf Ponies reitend oder auf hohen englischen Pferden, den letzten Veteranen des chinesischen Krieges. Es ist ein bewegtes, anmuthiges Bild; das Schönste dabei ist aber der Hintergrund, die Landschaft und, in dieser Jahreszeit, die unvergleichlichen Sonnenuntergänge: der Himmel karmesin, darauf einzelne große, geballte, tiefblaue Wolken: das lange niedere Vorgebirge von Kana-gawa mit perlfarbigen Tönen Übergossen: auf dem violetten Meer mit dem Purfturschimmer, die blaßschwarzen Silhouetten der Schiffe und Djonken, die einen an ihrem Anker schwankend, die andern lautlos gleich Gespenstern dahingleitend. Die Engländer bilden die große Mehrzahl der Residenten; nach ihnen kommen die Amerikaner, Deutsche und Franzosen. Italien wird durch die Graineure vertreten die im Sommer ankommen und im Herbst abreisen. Wenig zahlreich sind die Frauen. Im letzten Winter hatten Sir Harry und Lady Parkes auf einem Balle deren dreißig vereinigt, und noch spricht man von dem Ereigniß. Auf einer Soiree welche in diesen Tagen den Officieren des englischen Regiments bei seinem Abmärsche gegeben ward, 19 bewunderte ich die eleganten und frischen Toiletten der jungen Damen und noch mehr ihren heroischen Muth bei 30" k. zu tanzen. In der europäischen Stadt sieht man viele Einge-borne und Chinesen die im Dienste der Fremden stehen. Der so wichtige Posten eines Comprador (Einkäufer, Haushofmeister, in den Banken Zahlmeister) wird stets von Chinesen versehen. Ueberhauftt gewinnen letztere mit jedem Jahre an Bedeutung. Man zieht Diener dieser Nation den Japanern vor. Die Japaner, sagte mir ein alter Resident, haben einst von dm Chinesen die Civilisation, die Religion und selbst die Schriftzeichen angenommen. Jetzt ahmen sie die Europäer nach. Sie fühlen ein Bedürfnist nachzuahmen nnd sich nach dem Vorbild Anderer umzumodeln. Es liegt dies in ihrer Natur. Man vergleiche nur japanische und chinesische Diener. Die ersteren beobachten die Gewohnheiten ihres Herrn, und fügen sich in dieselben mit merkwürdiger Leichtigkeit. Nur darf man sie nicht ihren eigenen Eingebungen überlassen, denn es sind schwache Köpfe. Dagegen bleibt der Chinese überall Chinese: er beobachtet und ahmt weniger nach: aber was er thut ist wohlgethan, besonders wenn man ihm gestattet nach seinem eigenen Urtheile zu handeln. Der Japaner, vorausgesetzt daß man ihn nicht von den Vorschriften der landesüblichen Etiquette entbindet, ist sanft, fröhlich und 2* 20 dem Herrn anhänglich. Läftt ihn letzterer prügeln, so thut das seiner Ergebenheit keinen Eintrag. Das Bambusrohr schmerzt aber es entehrt nicht; der Vater hat seinen Sohn gezüchtigt. So wird hier die körperliche Strafe aufgefaßt. Behandelt man aber diese Leute wie europäische Diener, so werden sie über die Maßen zuthulich, grob und unausstehlich. Der Chinese empfindet für den Europäer dem er dient keine Zuneigung. Er ist stolz, rachsüchtig und sehr empfindlich, dabei aber äußerst artig. Bei der geringsten Bemerkung kündigt er den Dienst auf, gewöhnlich unter dem Vorwande seine Mutter sei erkrankt, oder indem er in den ehrerbietigsten Ausdrücken und mit einem gewissen unheimlichen Lächeln erklärt die beiderseitigen Charaktere stimmen nicht zusammen. Jedenfalls geht er; nichts vermag seinen Entschluß zu ändern. In einer der großen Straßen sieht man, hinter einer niederen mit Kreuzeszeichen geschmückten Mauer, eine schöne Kirche von mäßiger Grüße. Vor dem Portale steht die Statue der Jungfrau, auf der rechten Seite des Vorhofes ein niederes Haus, die bescheidene Residenz des apostolischen Delegaten Mgr. Petitjean und seiner Vikare, sämmtlich Priester der Missions ctrangcres de Paris. Apostolischer Eifer hat diese frommen Männer nach dem fernen Gestade geführt. Aber die Landesgesetze, die eifersüchtige Wachsamkeit der japanischen Behörden, der Haß gegen das Christen- 21 thum welchen die Neuerer des Tages bewahrt haben, die schuldige Rücksicht auf die Wünsche des diplomatischen Korps welches Konflikte und Verwickelungen vermeiden will, haben bis jetzt die Ausübung ihrer Mission vereitelt. Sie sind Hirten ohne Heerde, ausgenommen einige wenige katholische Residenten welche sich zuweilen erinnern daß sie Christen sind, und die französischen und irländischen Matrosen welche dies nie vergessen. In diesem Augenblicke schmachten Tausende von verfolgten Christen nach den Tröstungen der Religion: aber diese guten Väter können sie nicht reichen. Sie beten also und warten! vervollkommnen sich in der Sprache, der Geschichte, der Sitten des Landes, versprechen sich viel von der bevorstehenden Revision der Verträge, hegen die vielleicht nicht leere Hoffnung daß der Tag herannahe an welchem sich Japan nicht nur dem europäischen Handel sondern auch den Wahrheiten des Christenthums erschließen werde. Alles in Allem, ist Yokohama ein bedeutender Platz. Man arbeitet hier aber nicht zu viel. Die Thätigkeit ist nicht, wie in den großen Handelsplätzen Amerika's, eine fieberhafte und aufreibende. Es bleibt hinlängliche Zeit um auszuruhen, um sich zu zerstreuen, um des lieben Vater« landes, nie ohne Wehmuth und Sehnsucht, zu gedenken. Nicht vierundzwanzig Stunden hat der Ankömmling in Yokohama verweilt, ohne zu entdecken daß Jedermann am 22 Heimweh leidet. Man arbeitet wie gesagt und man unterhalt sich, jeder nach seiner Art. Unter der Sphäre des Gentleman befindet sich die Schichte der Rowdies, besser gezügelt als im amerikanischen ü,i- >V6st wenn gleich lärmend genug in den zahlreichen Billardsälen und Trinkstuben Yokohama's. Aber Alle, hoch und niedrig, sehnen sich nach der Heimath. Spricht man ihnen von Altengland, so zieht eine Wolke über ihre Stirne. So ist der Mensch. Immer und überall sucht er in der Zukunft das Glück statt es zu erfassen in der günstigen Stunde der Gegenwart. Das Leben in den fernen Gegenden entwickelt diese Seelen-stimmung. Zwischen der Sehnsucht nach dem was man verließ und der Hoffnung dessen stehend was die Zukunft bringen soll, verbringt man die Zeit in Unruhe und Zweifel. Die so wirklich reich geworden sind, und sie machen die Ausnahme, verlassen mit Freuden das Land der Verbannung in dem sie die schönsten Jahre ihres Lebens verloren. Sie gehen heim. Sie sind 1wm6>vai-ä dcmniN Welche Musik in den beiden Lauten! Die Zurückbleibenden antworten mit einem Seufzer. Ich glaube aber die schönste Zeit dieser glücklichen Sterblichen ist die Heimreise. Es ist eine Zeit süßer Täuschung. Kaum angekommen unter dem grauen Himmel, in der Nebelatmosphäre des Vaterlandes, sehnen sie sich nach der japanischen Sonne zurück', nach den schönen Cedern die ihr Haus auf den 23 Bluffs oder am Bund beschatteten, nach der zahlreichen Dienerschaft, nach der Arbeit, der Thätigkeit, der Aufregung ihres dortigen Daseins. In Mokohama waren sie Jemand, mindestens galten sie für einen Landesgouverneur, emen Chi-fu-Chi. In England sind sie Niemand, nuduä^. In Japan litten sie am Heimweh, in England leiden sie am Iaftanweh. Wäre ihr Leben wieder zu beginnen, würden sie wohl das Glück bei den Antipoden suchen?*) II. Yoshida. Vom 3. ;um i4. August. üapl»,, mit Ausnahme der Crade-jiorls und der blödle Mo »ud Osaka, »ach immer de» H'remden verschlösse», — Wie nm« im I>nnmi reist. — Uevergang ül'er die Gdowara. — Die I^cidcr >w>l MiMwihiln. — Di« FnjMma-ftilger. — 2m Tempel von ZMjida, — Der ltngpnft v^n Tori-ftwa. — hachuji. — AWKehr nach Z-Mohnnia. Die Verträge haben Japan nicht eröffnet. Nur in den fünf Häfen, welche die Engländer Trade- oder Treaty-Ports nennen, Yokohama, Hiogo (Kobe), Nagasaki, Niigata *) Laut Bericht des Sir H. Parkes vom 29. April 1671 residirten damals in Japan: 782 Engländer, 229 Amerikaner, 164 Deutsche, 156 Franzosen, 67 Holländer, 166 Europäer anderer Nation, im Ganzen 1586. I4 und Hakodate und in den beiden Großstädten (fu) Mdo und Osaka ist den Europäern Handel und Niederlassung gestattet. Das übrige Land bleibt nach wie vor hermetisch verschlossen. In der Umgebung eines jeden Vertragshafens ist ein kleines Gebiet von einigen Quadratmeilen dem Zutritte der Fremden geöffnet. Die Grenzpfähle tragen in japanischer und englischer Sprache die Inschrift: Vertragsgrenzen. Jenseits beginnt das verbotene Land. Den Häuptern der Gesandtschaften und den Generalkonsuln allein haben die Verträge das Necht gesichert im Innern zu reisen. Für alle andern Fremden wird das Verbot strenge aufrecht erhalten. Nur zum Besuche der Heilquellen von Miya-nöshita und Atami und zur Ersteigung des Fujiyama gestattet man Privaten die Bewilligung auf besonderes Verlangen der Gesandtschaften. In solchen Fällen wird der Reisende von untergeordneten Ofsicieren begleitet und überwacht. Man nennt sie in Yokohama gewöhnlich, aber wie man mir sagt irrthümlich, Jakunin, ein Name der höher stehenden Ofsicieren gebührt. Die entferntesten Punkte Welche der Fremde in Folge solcher Ermächtigung besuchen kann sind Subashiri, am Fuße des Fujiyama, fünfzig Meilen, und Atami, ungefähr sechzig Meilen von Yokohama entfernt. Bei der bevorstehenden Revision der Verträge*) *) Sie soll 1H?3 stattfinden. 25 Wird die Absperrung Japans wahrscheinlich zur Sprache kommen. Wenn die Gesandten die Minister über diese heikle Frage sondiren, erhalten sie gewöhnlich die Antwort: So lange die Samurai (aus der Kriegerkaste) bewaffnet sind müsse im Interesse der Fremden das Verbot aufrecht er halten werden, da letztere sonst der größten Lebensgefahr ausgesetzt wären: die Frage der Entwaffnung sei aber eine innere Angelegenheit welche sie mit fremden Gesandten nicht verhandeln dürfen. Hinter dieser Schlußfolgerung verschanzt man sich. Die Entwaffnung ^) der Samurai sei eine Revolution; den Fremden die Reisen im Innern gestatten, so lange die Samurai nicht entwaffnet seien, hieße neue Mordthaten hervorrufen. Wie viele wurden bereits sogar auf dem den Fremden zugänglichen Gebiete begangen? Was würde erst im Innern des Reiches geschehen? Gegen diese Schlußfolgerung läßt sich nichts einwenden. Sind heute die Reisen im Innern mit Gefahr verbunden? Hierüber vernahm ich verschiedene Meinungen. In den diplomatischen Kreisen gefällt man sich zur Stunde darin, Menschen und Dinge in Japan von der Glanzseite zu betrachten. Fortschrittsmänner, die sich für Freunde der ^) Diese Maßregel wurde während meiner Anwesenheit angeordnet, aber nnr sehr unvollständig ausgeführt. Nach den neuesten Nachrichten zeigen sich die Samurai wieder bewaffnet. 26 Fremden ausgeben, sind an der Gewalt. Man will sie schonen, gewinnen, vielleicht sogar ermuchigen auf der betretenen Bahn weiter zu schreiten. Man ist nicht abgeneigt, innerhalb gewisser Grenzen, ihnen die Erreichung ihrer wohlwollenden und aufgeklärten Absichten zu erleichtern. Allerdings, die Liste der ermordeten Fremden ist lang: sie flößt Entsetzen ein, wenn man die Menge der Opfer vergleicht mit der geringen Zahl der Residenten. Aber in der letzten Zeit, sagt man, sind ähnliche Blutthaten nicht mehr vorgekommen: und wenn, im Jänner dieses Jahres zwei Samurai denen ein dritter zufällig vorübergehender beisftrang, zwei Engländer (im japanischen Dienste) auf offener Straße in Jedo niederhieben, so haben die beiden Herren dies Mißgeschick sich selbst zuzuschreiben. Was hatten sie Nachts auf der Straße zu thun? noch dazu in Begleitung einer Frau, und ohne die Wächter deren sie sich um allein zu sein durch eine List entledigt hatten? Gewiß, Sir Nutherford erzählt in seinem Buche mit Recht daß wer einem mit seinem Gefolge reisenden Daimio begegnet sich in äußerster Lebensgefahr befindet: aber erstlich reisen jetzt die Daimio häusiger zu Wasser als zu Lande, und dann sind die Samurai nicht mehr so schlimm als sie waren. Sie beginnen sich zu ävilisiren. — Und der Mordanfall in Kiyöto auf Sir Harry Parkes, als er von seinen Ordonanzen und brittischen Soldaten umgeben 27 nach dem Paläste des Mikado zog! — O, seither sind drei Jahre verstrichen. Die Zeiten haben sich geändert« — Mit Einem Worte, in den Gesandtschaftskanzleien will man an keine Gefahr glauben. Die meisten Residenten in Yokohama theilen diese Meinung. Einige haben mir allerdings ihre Unlenntniß der Zustände im Innern eingestanden. Auch die katholischen Missionäre, so wohl unterrichtet in andern Ländern des äußersten Ostens, besonders in China, konnten mir keine Auskunft geben. In Einem stimmen jedoch Alle überein: das Volk ist gutmüthig, freundlich und wohlwollend. Den Zweischwertmännern gehe man aus dem Wege. Das Uebrige weiß man nicht. Gar Vieles ist noch unbekannt. Ein dichter Vorhang verhüllt das Innere. Den Vertretern der Großmächte mag es gelingen diesen Schleier hie und da ein wenig zu lüften, aber die Erkundigungen sind unsicher und lückenhaft: überdies haben sich alle Gesandtschaften, mit Ausnahme der englischen die sich in Dedo befindet, in Yokohama niedergelassen. Auch machen die Umstände den Gesandten Zurückhaltung zur Pflicht. Sie können die Gefahren der Reisen im Innern nicht allzu sehr betonen, ohne die Bewohner der Faktorei in Yokohama in Unruhe zu versetzen: sie dürfen aber auch nicht die wirkliche oder vermeintliche Sicherheit zu laut preisen, denn hieße dies nicht die dem Anglosachsen angeborne Lust an 28 Abenteuern reizen, ihn mittelbar zu lebensgefährlichen Unternehmungen anspornen, die Verantwortlichkeit für die etwaigen blutigen Folgen auf sich selbst laden? Sie schweißen daher. Aber in ihren Kanzleim, überhaupt in den officiellen, diplomatischen und Konsular-Kreisen, herrscht Vertrauensseligkeit. (8. August.) Der niederländische Gesandte Herr van der Hoeven hatte mir vorgeschlagen mich ihm auf einem Ausfluge nach dem Fujiyama anzuschließen. Eine' kostbare Gelegenheit die noch wenig bekannten Gegenden im Norden und Osten des Vulkans zu besuchen. Wir sind sechs Reisegefährten, darunter Herr Kempermann, ein trefflicher Iaftanologe und Dolmetsch der Gesandtschaft des Norddeutschen Bundes. Alle Vorbereitungen sind getroffen, die Befehle der Negierung an die Ortsbehörden durch Eilboten abgefertigt', der Koch im Kangho, die Mundvorräthe, Küchengeräthe und Betten auf den Schultern einer gehörigen Anzahl von Kuli seit gestern unter Weges. Heute Morgens, um fünf Uhr, bei dem herrlichsten Wetter aber schon zu dieser frühen Stunde bei sengender Sonne, besteigen wir einen Char-a-bancs der uns auf dem Tokaido bis zum Flusse Odawara bringen soll. Bis dorthin ist nämlich die Heerstraße fahrbar. Jenseits wird zu Fuß, zu Pferd, zu Kangho gereist. Unsere Schutzengel, die Munin, reiten auf magern kleinen H9 Kleppern neben und vor dem Wagen her. Kaum haben wir Platz genommen als ein jeder, mich ausgenommen da ich immer unbewaffnet reise, feine Pistolen, Jagdgewehre oder Hirschfänger prüft. Der junge Herr neben mir zieht einen gewaltigen Revolver aus der Tasche. Die Art wie er ihn handhabt beweist daß er besser mit der Feder als mit Mordwerkzeugen Bescheid weiß, und zum ersten Male auf diesem Spaziergange um die Welt zittere ich für mein Leben. Der Tokaido ist, wie immer, belebt. Fast ohne Unterbrechung folgen sich die Reisenden zu Fuß, zu Norimon, zu Kangho, Weiber, Kinder, Zweischwertmänner, glatt geschorene Priester, von Zeit zu Zeit ein Eilbote. Wie die meisten Männer in dieser Jahreszeit trägt er als einzige Bekleidung den Lendengürtel, auf dem Haupt einen großen tellerförmigen Hut, auf der Schulter ein langes dünnes Bambusrohr, von dessen Enden, hier seine Briefschaften dort sein leichtes Reisegepäck herabhängen. Mit anmuthiger Behendigkeit hüpft er an uns vorüber: kaum daß die kleinen mit Strohsandalen beschuhten Füße den Boden berühren. Im Ganzen eine olympische Erscheinung, Gott Merkur; in Wirklichkeit ein armer Teufel im Dienste eines Daimio, oder der Regierung oder der PostVerwaltung, denn es gibt eine Briefpost der man fogar musterhafte Regelmäßigkeit nachrühmt. Unsere Yakunin sind hübsche Bursche; ' 30 unter ihrem breitkrämftigen schwarzlackirten Paftierhut, in dem weiten Seidengewande sehen sie schmuck und stattlich aus. Zu beiden Seiten der Straße folgen sich Dörfer, Häuser und Kaufläden in fast ununterbrochener Reihe. Dazwischen Gärten und einzelne Baumgrupften. Um halb acht Uhr langen wir in der Tempelstadt Fujisawa an. Die Gegend ist reizend: Anhöhen die mit kleinen Thaleinschnitten wechseln: letztere abgeschlossen durch die Berge und gegen die Straße geöffnet: Alles, Verge, Thäler, Schluchten mit dem saftigsten Grün übergössen. Reisfelder beginnen in der Niederung, steigen dann von Terrasse zu Terrasse, von Schlucht zu Schlucht den Grath hinan welchen prachtvolle Bäume krönen: Pinien, Kryfttomerien, Bambus, japanischer Lorbeer. Das Frühstück wird in einem großen Theehause eingenommen. Die Nesan, Fräulein, d. h. prosaisch gesagt, Kellnerinnen, welche alle Reisebeschreiber zu verherrlichen pflegen, kauern um uns am Boden, und obgleich hier die Erscheinung von Europäern keine Seltenheit mehr ist, so füllt sich doch das geräumige Haus mit Neugierigen. Um halb zehn Uhr wird aufgebrochen. Eine Stunde später überschreiten wir die Vertragsgrenze, fahren durch den großen Flecken Oiso, und erreichen gegen Ein Uhr das Ufer des Flusses. Jenseits zeigt sich die Residenzstadt des Daimio von Odawara. 31 Hier springen wir aus dem Marterkarren, und ein jeder legt sich rücklings auf cm Brett. Zwei Oeffnungen am Nande gestatten dem Reisenden sich mit den Händen festzuhalten. Dies geschehen, laden vier nackte Kerle die Bahre auf die Schultern, und stürzen sich sofort in den Strom. Nicht ohne einige Gemüthsbewegung sehe ich wie das Wasser ihnen bis an die Schultern reicht. In der Mitte des Flusses reißt sie die Strömung mit sich fort, aber glücklich genug verliert keiner den Boden unter den Füßen. Die Ufer scheinen zu fliehen wie auf einer Flußschifffahrt. Wir nähern uns dem Meere, und schon fällt der Donner der Brandung in den Gesang der Kuli ein. Auch hier verleugnet sich das heitere Naturell dieser Leute nicht; obgleich vollauf beschäftigt, betrachten sie uns von Zeit zu Zeit mit neugierigen Blicken, und brechen dann in ein gutmüthiges Gelächter aus. Wo lacht der Japaner nicht? Wir selbst finden unsere Lager minder spaßhaft. Mit Leibeskräften klammern wir uns an die schwankenden Bretter. Eine eigenthümliche, phantastische Scene! Endlich erreichen die Männer das jenseitige Ufer, und laden uns am Strande ab. Noch einige Schritte, und wir sind in Odawara. Am Eingänge der Stadt empfangen uns der Ortsvorstand und seine Adjunkten !in vollem Staat, verrichten den Kow-Tow und geleiten uns in feierlichem Zuge nach einem großen Vorhaus wo Herrn van der Hoevens 32 gestern vorausgesandter Koch den Tiffin bereitet hat. Seit vorigem Jahre wurde Odawara mehrmals von Jokohama-Residenten besucht: dennoch ist die Ankunft weißer Menschen noch ein Ereigniß, und wir haben daher Mühe uns der Neugierigen zu erwehren. Nach Tische bringt ein Mann eine schöne Lackschachtel die, in vier Fächer getheilt, blauen, rothen, schwarzen und weißen Sand enthält. Er streut lhn auf den Boden wie der Landmann den Samen auswirft, und siehe da, es entstehen farbige Zeichnungen, Blumen, Ornamente, Vögel, am Ende erotische Gegenstände die an Pomftei erinnern. Frauen und Mädchen lachen mit, was uns keinen hohen Begriff gibt von weiblicher Sittsamteit im Reiche der aufgehenden Sonne. Aber be-wundernswerth ist die Geschicklichkeit des Gesellen: korrekte Zeichnung, ein merkwürdiger Farbensinn, dazu die wunderbare Behendigkeit des Mannes und das eigenthümliche Verfahren! Indem ich ihm aufmerksam zusehe, glaube ich einen Einblick zu gewinnen in das Wesen der japanischen Kunst. Um vier Uhr Aufbruch, diesmal zu Pferde. Bis Hieher sind wir westwärts gereist. Jetzt wenden wir uns gegen Norden. Der Weg zieht am rechten Ufer des Waldstromes hinan, gewährt einen Blick auf das von hundertjährigen Bäumen beschattete Schloß eines Daimio, wird allmälig immer steiler, und schlangelt sich dann das Berg- 33 gelände hinauf. Eine üppige Vegetation bedeckt die Höhen vom Fuße bis zum Scheitel. Gin besonders reizendes Landschaftsbild gewährt das kleine, in einer Schlucht gelegene Dorf Duinoto. Hier verlassen wir die Heerstraße nach Kiyöto, erreichen auf schmalen Pfaden, und über gebrechliche Brücken und Stege, zwischen bemoosten Felsblöcken und dunklen Baumgruftpen fortwährend steigend, gegen sieben Uhr Abends bei Einbruch der Dämmerung, den Badeort Miyanöshita. Entfernung von Nokohama vierzehn Ni oder fünfunddreißig englische Meilen. (4. und 5. August). Miyanöshita*) besteht aus einem Tempel, Mia, und einer Gruppe von Häusern welche über einander emporragend theils in die Felswand eingekeilt, theils über den Abhang einer gen Norden offenen Schlucht verstreut sind. In letzterer Richtung streift der Blick längs den östlichen Abfällen eines Hügelzuges hin; ringsum sieht man nichts als Berge ganz bedeckt mit Kryptomerien, anderem Nadelholze, Ahorn und Eichen. Alles ist grün außer die grauen Hausdächer, die rothen Pilaster welche sie tragen, und die weißen Papierwände. Die Gassen sind in den *) Wörtlich: Unter dem Tcinpel. Hübner, Spaziergang II 34 Granit gehauene Stufen. Die Gärtchen welche die meisten Häuser umgeben steigen terrassenförmig in die Schlucht hinab. Kleine Wasserfäden bilden kleine Kaskaden, beschattet von kleinen Eichen, kleinen Cedern, kleinen Tannen mit künstlich gekrümmten Aesten. Kleine aus Einem Steine bestehende Brücken führen über kleine Gießbäche. Gegen den Geschmack der Anlagen ließe sich Manches einwenden: man möchte sagen Kinder haben sie gezeichnet, aber Kinder mit sinnreicher Phantasie; das Ganze macht einen harmonischen Eindruck. Ich stehe auf dem Balkon und blicke in einen dieser Gärten hinab. Er sieht aus wie ein Park. Nun tritt aber ein Theemädchen ein, die höher ist als die höchsten Cedern. Das stört die Täuschung, man merkt nun daß der Garten nichts Anderes ist als ein Spielzeug, allerdings ein überaus reizendes. Der Ortskorstand hat uns in den besten Gemächern des besten Wirthshauses untergebracht. Eine Familie von Eingebornen mußte uns weichen. Ich hasse solche Machtsprüche der löblichen Behörden; aber da es nun einmal geschehen, nehme ich, wie die Andern, von meinem geräumigen Zimmer Besitz. Die Vertriebenen fügen sich übrigens in ihr Schicksal und lächeln uns freundlich zu. Das Theehaus, eigentlich ein großes Hotel, besteht aus mehreren abgesonderten Pavillons. Der Gang der sie verbindet gestattet einen Blick in das häusliche Leben der Japaner. 35 Fastalle Anwesenden sind Badegästen. Am Ende des Korridors befindet sich die allgemeine Vadestube. Man sitzt traulich beisammen und begießt sich abwechselnd mit heißem und kaltem Nasser; dann geht ein jeder in sein Zimmer das in der Regel offen steht. Dort läßt man sich von einem Blinden oder, wenn man eine besitzt, von seiner Frau kneten. So sah ich einen dicken Herrn auf der Matte ausgestreckt: er rauchte und las, während die Frau, neben ihm kauernd, die breiten Schultern des Gemahls stundenlang mit ihren hurtigen, länglichen, feinen Fingern bearbeitete. Die Tochter, ein hübsches Mädchen mit reizendem Kopfputze und gesuchter Toilette, spielte dazu auf der Laute. Von Zeit zu Zeit krochen Diener auf allen Vieren in das Gemach um Thee aufzutragen oder die Pfeife des Familienvaters zu stopfen. Letzterer ist, wie ich höre, ein hochgestellter Bureaukrat aus Mdo. In einem anderen Zimmer sitzen unsere Jakunin im Kreise auf den Fersen, rauchen, singen und schwätzen mit den Nesan. In der Küche wird fleißig gekocht; Weiber und Mädchen überwachen die Töpfe am Feuer, und zerschneiden lebendige Fische in Scheiben. Alles geschieht methodisch und mit musterhafter Reinlichkeit. Nirgend wird das Auge verletzt. Alle lachen und plaudern: Alle sind guter Dinge'. Sorge oder Verdruß scheinen sie nicht zu 3* 36 kennen. Da die Gemächer an einander stoßen, und nur durch meist offenstehende Pavierwände getrennt sind, so dringt der Blick allenthalben ungehindert ein. Hübsch gekämmte Köpfe, nackte Büsten lassen sich im Halbdunkel errathen, indeß durch irgend eine Sftalte die Sonne einen Strahl sendet der wie ein Goldregen in die Dämmerung fällt. Weiter hinein, durch die Tiefe des Hauses hindurch, wird der Tag sichtbar. Da gewahrt man Bäume, wieder ein Stück Wasserfall, Vorübergehende welche die Felstreftpen hinaufsteigen, im Waldesgrün oder in einer Hütte verschwinden. ((>. August.) Kurz vor sechs Uhr bricht unsere Ka-ravane auf. Könnte man die Beine abschrauben so wäre das Reisen im Kangho eigentlich nicht unangenehm. Die landesübliche Sänfte ist ein offener Korb, drei Schuh lang, zwei hoch. Hievon muß der Durchmesser des dicken Bambusrohres an dem er hängt abgerechnet werden. Das Dach von Bambusblättern schützt nur unvollkommen gegen die Sonne, und ist so niedrig daß der Reisende am Rücken liegen und seine Beine an sich ziehen muß, da ihn die Nähe des vorderen Trägers hindert sie auszustrecken. Aber man gewöhnt sich an Alles, und wer dies nicht kann soll 37 nicht nach Japan kommen, wo eben Alles anders ist als in der übrigen Welt. Von Miyanöshita abreisend, umgehen wir zuerst die erwähnte Schlucht und kommen, immer nordwärts ziehend, durch einen schönen Wald. Nach dritthalbstündigem Marsch wird im Dorfe Scngokunohara gehalten. Abreise um halb zehn Uhr. Wir haben die Schatten verlassen und ersteigen, den Strahlen einer unbarmherzigen Sonne fast erliegend, die letzte Kette welche uns vom Fujiyama trennt. Das Gras erreicht beinahe Manneshöhe und ist auf der einen Seite weih auf der andern grün, daher die Berge je nach der Richtung des Windes hier lichtgrau dort hellgrün sind. Allmälig wird der Pfad äußerst steil. Hinter uns, im Westen, breitet sich ein dunkler schwarzer Wasserspiegel aus; es ist das nördliche Ende des Sees Hakone. Gegen elf Uhr haben wir, durch einen Engpaß kletternd, den Kamm erreicht. Er ist kaum einige Fuß breit und fällt auf der Nordseite fast senkrecht ab. Unten liegt eine wellenförmige Ebene, bedeckt mit Wiesengründen, besät mit Baumgruppen, Alpendörfern und einzelnen Gehöften. Die Farben sind das lichte und matte Grün des Sammetrasens', das dunkle, auf der Sonnenseite glänzende des Laubes. Jenseits der Ebene, gegen Nord-West, in der Entfernung von vier bis fünf Meilen, erhebt sich, vierzehn tausend Fuß über den Meeresspiegel, ein unge- 38 heurer Kegel, der heilige Berg, der riesige Vulkan Fujiyama. Er erinnert an den Aetna von Taormina aus gesehen' nur sind seine Abfälle weniger zerklüftet, die Linien weniger gebrochen; auch schmolz in dem ausnahmsweise heißen Sommer der Schnee der sonst an manchen Stellen das ganze Jahr über liegen bleibt. Die Reisenden gleiten sitzend auf den glatten Gras-abhängen in die Tiefe hinab. In wenigen Minuten haben sie die Ebene erreicht. Hier umweht sie frische elastische Alpenluft i mit Wollust schlürfen sie die balsamischen Wohlgerüche des Frühlings. Um Ein Uhr Ankunft in Gotemba und Mittagsruhe in einem netten Theehaus. Die Weiterreise ist ein hübscher Sftaziergang in einem englischen Park. Ueberall eine Fülle von Wasser und Schatten. Allmälig lichtet sich der Hain. Wir betreten die Steppe welche den Vulkan umfängt. Es ist ein Gürtel von Grasland und Lavablöcken. Hier liegt Subashiri, unser Nachtquartier. Ankunft daselbst um halb sechs Uhr. Entfernung von Miyanoshita sieben Ni oder siebzehn eine halbe Meile. Die ganze Tagereise war unbeschreiblich schön. Wer im Kangho reist streift so zu sagen am Boden hin. Als Wir am Morgen über die Niesengründe zogen, da streichelten Gräser, Schlingpflanzen und Blumen meine Wangen, und 39 mein Blick drang in geheimnißvolle Regionen die der Fußwanderer zertritt ohne fie zu sehen. Für mich war es eine neue Welt. Die Sonne spielte mit den Schatten der Blumenstengel und Grashalme. Ich beobachtete Bienen und Schmetterlinge und tausend Insecten wie sie heimlich in die Blumenkelche schlichen. Und was für Blumen! Große himmelblaue Glocken anmuthig geneigt über riesige Nelken: Lilien die ihr reines Kleid entfalten unter schirmenden, aus feinen Gräsern gewebten Kuppeln. Alles lächelt in diesem Lande: die Natur und die Menschen. Betrachtet nur Eure armen Träger. Keinen Augenblick schweigen sie, und niemals reden sie ohne zu lachen. Nnd dennoch fließt der Schweiß von ihren ehernen Körpern. Von drei zu drei Minuten wird die Schulter gewechselt was die Sache eines Augenblicks ist. Ein jeder von uns hat vier Kuli die sich ablösen. An steilen Stellen unterstützen die unbeschäftigten die Kameraden indem sie die Hand gegen ihren Rücken stemmen. Alle zehn Minuten lösen sie sich ab, immer nach einem Wortgefechte von Artigkeiten. „Eure Herrlichkeit muß müde sein. — Nicht im Geringsten, Eure Herrlichkeit irren." Darauf neues Gelächter und neue Komplimente. (7. August.) Von Subashiri aus oder, wenn sie von Hakone kommen, auf einem westlichern Pfade, besteigen die Europäer den Fujiyama, natürlich nur wenn hiezu er- ^0 mächtigt, und immer vorschriftmäßig beschützt, geleitet und bewacht. Dies ist die Jahreszeit der Wallfahrten, und die Pilger strömen in großer Anzahl von allen Seiten herbei; doch ist Joshida der gewöhnliche Ausgangspunkt. Jenseits Subashiri beginnt das geheimnisvolle, von Weißen wenig gekannte Land. Dort, im Nordosten dos Vulkans liegt Joshida, berühmt durch seine Tempel, durch die Sanctitas loci, durch die ungeheure Menge von Wallfahrern welche vor oder nach Ersteigung des heiligen Berges dort ihre Andacht verrichten. Uoshida ist das Ziel meiner Reise. Den Fujiyama überlasse ich nieinen Gefährten. Ich weis; daft der Genuß die Anstrengung nicht aufwiegt. Gin gltt erhaltener Pfad mit acht Stationen wo man die Nacht in Hütten zubringen kann, führt zum Nande des erloschenen Kraters empor. Ist, ausnahmsweise, der Himmel klar so genießt man dort einer weiten aber uninteressanten Aussicht. Der große Neiz sehr hoher Punkte besteht, wenn ich nicht irre, weniger in der Ausdehnung als in der Abwechselung der Nundsicht. Du stehst auf einem Gipfel des Hochgebirges. Mit Schaudern siehst Du hinab in die Schluchten und Abgründe die Dich umgeben; dann, gleichsam um das Auge zu beruhigen, blickst Du über die Bergkämme hinweg nach der Ebene. Den Gesetzen der Optik gemäß, überragt sie scheinbar jene Kämme und steigt am Himmel hinan bis sie die Höhe Deines Standpunktes er- 41 reicht hat. Diese Umgebung von Felsschluchten und Berggipfeln fehlt dem Fujiyama. Die nahen Höhenzüge erheben sich nicht über dreitausend Fuß. Daher kommt es daß das Land Uom Krater aus betrachtet aussieht wie ein verkrüppeltes, grünes, weiß geflecktes Stück Papier. Die weißen Flecken sind Mdo, Jokohama und die unzähligen Städte, Märkte und Dörfer des Kuanto.^) Die Vorbereitungen für die Ersteigung haben den Morgen ausgefüllt. Erst um zwei Uhr brechen meine Freunde auf. Ich selbst, in Begleitung des unschätzbaren Herrn Kempermann, des Einzigen unter uns der die Gabe der Sprache besitzt, steige zu Pferde um sofort in unbekannte Regionen zu dringen. Die Sonne ist grausam und die Gegend, so lange uns der Weg durch eine tiefe Erdspalte führt, ziemlich eintönig. Als wir sie verlassen, erscheint vor uns ein kleiner See; hinter ihm mehrere sich überragende Vergzüge, zu unserer Linken der Vulkan. Richtung Nord-Nord-Ost. Am Seeufer angelangt, genießen wir während einiger Minuten die Gastfreundschaft des Ortsvorstandes von Damanonaka. Es ist ein kleines Dorf das vom Secrande den Abhang eines Waldhügcls hinanklettert. Unsere Ankunft bringt die Bevölkerung auf die Beine. Von allen Seiten stürzen die guten Leute herbei, *) Dies ist der Kollectiv-Name von fünf Provinzen. 42 betrachten uns neugierig, und brechen dann in Gelächter aus, aber dies Gelächter hat nichts Beleidigendes. Wir sind, im Gegentheil, willkommen. Der letzte Theil des Rittes ist besonders anmuthig. Dazu breitet der Fujiyama seinen wohlthuenden Schatten über uns. Um halb fünf Uhr reiten wir am Eingänge des großen Tempels vorüber, und erreichen gleich darauf die ersten Häuser von Joshida. Der Bürgermeister harrt unser bereits. Er hat im großen Gasthause Quartier bestellt, und führt uns dort mit dem gewöhnlichen Ceremonie! ein. Entfernung von Subashiri sechs Ri oder fünfzehn Meilen. (7. bis 10. August.) Die Stadt Yoshida steht theils auf einer niedern Rippe des Fujiyama, theils im Thale. Ein Gieftbach durchbraust die Hauptstraße, mehrere winzige Kaskaden bildend, ihrer ganzen Länge nach. Die Häuser sind klein und die Dächer mit großen Steinen belegt. Von ferne gesehen, erinnern sie an die Sennhütten in unsern Alpen. Man glaubt sich nach Tyrol oder der Schweiz versetzt. Blicken wir zurück, gerade in der Richtung der großen Gasse durch welche wir einreiten, so sehen wir den ungeheuren Kegel des Vulkans in unmittelbarer Nähe. Ueber den heiligen Hainen welche die nächsten Anhöhen 43 krönen ragt er in die Luft empor. Gegen Ost, also in entgegengesetzter Richtung, erscheint ein Wirrsal von Felsgebirgen, Thälern und zerklüftetem Erdreich, Alles bekleidet mit dem üppigsten Wachsthum. Unser Wirthshaus, zugleich auch Tempel, ist ein weit-läusiges Gebäude mit vielen Zimmern die durch bewegliche Wände getrennt sind. Vorne dehnt sich ein weiter Hof aus. Ein langer, schmaler Raum längs dem Hause wird als Garten benutzt, falls einige Zwergbäume mit krampfhaft gewundenen Aesten und einige Steinlaternen, wie man sie in den Tcmpelhainen findet, auf diesen Namen Anspruch geben. Ueber die niedere Umfassungsmauer blickend gewahrt man dann wieder den Fujiyama. Von meinem Zimmer aus, es ist das nächste am Heiligthum, dringt mein Auge durch die ganz oder halb geöffneten Schiebwände in alle Räume dieses großen Karavanserai. Da wohnen viele Wallfahrer» darunter einige Herrschaften mit zahlreichem Gefolge, und in den Zimmern in der Nähe des Hofes eine Unzahl von Dienern und Reisigen. Letztere sind bewaffnet und tragen auf ihrem Lcibrocke das Wappen des Gebieters. In der Gasse ziehen Schaaren von Pilgern unablässsg vorüber. Alle sind weiß gekleidet und mit einer Handglocke versehen welche selten schweigt. Sie kommen von Fujiyama zurück. Unser Wirth, zugleich Priester des großen Tempels, bestätigt daß sie die Wall- 44 fahrt vollzogen haben indem er seinen Stempel auf ihr Pilgergewand drückt. Das Kleid vererbt sich als kostbare Reliquie von Vater auf Sohn. Mein geräumiges Gemach stößt an einen kleinen Hof und an das Heiligthum. Letzteres enthält den Altar mit den üblichen Leuchtern und dem heiligen Spiegel, aber weder Ungeheuer noch Götzen. Edle Einfachheit herrscht in diesen Räumen die, einer abstrakten Idee geweiht, die äußerlichen Attribute des buddhistischen Kultus verschmähen. Der verworrene Straßenlärm, das Getöse in der Küche und in den von Bewaffneten und Pilgern besetzten Zimmern dringen, gedämpft durch die Entfernung, in mein entlegenes Gemach. Magische, unerklärliche Lichter irren da im Raume umher, kriechen am Holzgetäfel empor, schimmern durch die Papierwände, spiegeln sich in den lackirten Rändern des Fußbodens, ersterben endlich in den finstern Ecken des Saales. Wie noch am Ende des sechszehnten Jahrhunderts in den italienischen Wallfahrtsorten üblich war, beschenkt hier der Edelmann bei der Abreise die Herberge mit seinem auf Holz oder Leinwand gemalten Wappenschilde. Dies wird dann neben den vielen Votivtafeln des Tempels aufgehängt. Letztere sind höchst interessant. Man sieht da den Donatair mit Familie oder Gefährten, im Hintergrunde gewöhnlich den schneebedeckten Fujiyama, oder geheilte Kranke, 45 siegreiche Krieger, Räuber die im Hinterhalte lauern und wnnderbar gerettete Reisende. Einige dieser Tafeln mögen dem siebenzehnten, höchstens dem sechszehnten Jahrhundert angehören. Obgleich sie keinen Anspruch auf künstlerischen Werth machen können, so zeugen sie doch nieist von feinem Naturgefühl, und gewähren einen Einblick in die Wandelungen des Geschmackes, in den Aufschwung und Verfall japanischer Kunst. Der Wirth ist, wie erwähnt wurde, Priester oder besser gesagt Tempelhüter; denn die Shintoreligion kennt, wie man behauptet, kein eigentliches Priesterthum. Die heute am Ruder befindlichen Männer sind systematische Gegner des Buddhismus, obgleich sich die ungeheure Mehrzahl der Nation zu ihm bekennt. Die Glaubenssätze des Shin-to'ism sind beinahe vergessen. Die Gelehrten allein kennen sie oder glauben sie zu kennen. Die heutigen Träger der Gewalt wissen wenig oder nichts von ihnen, und verwechseln sie absichtlich mit den Lehrsätzen des Konfucius die eigentlich nichts Anderes sind als moralische Maximen. Bekanntlich antwortete der große chinesische Philosoph auf eine Frage über die andere Nelt: „Ich war nie dort; ich kenne sie nicht." So oder ähnlich ist das Glaubensbekenntniß der gegenwärtigen Minister des Mikado, und so verstehen sie den Shinto'ismus. Letzterer wird von ihnen begünstigt und gewissermaßen dem Volke als Staatsreligion 46 aufgezwungen. Der Shmto'ismus war ohne Zweifel die alte Religion des Landes. Er mußte aber dem Buddhismus weichen der, gegen Ende des ersten Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung, auf Veranlassung des Kaisers von China von Amtswegen im Reiche der Mitte eingeführt wurde, und fünf Jahrhunderte später in Japan eindrang. Die Mikado fuhren fort sich, der Form nach, zu der alten Religion zu bekennen, aber diese nahm thatsächlich die Glaubenssätze und Gebräuche des Buddhismus in sich auf. Die Shogun waren sämmtlich Buddhisten. Dies erklärt warum die über China aus Indien eingeführte Religion in Japan später so festen Fuß faßte, sowie auch warum die Dogmen der alten Religion zuerst in Mißachtung und endlich in Vergessenheit geriethen: weil nämlich die politische Macht und der Einfluß der buddhistischen Shogune bedeutender waren als die nominale Oberherrlichkeit der Mikado. Der officielle Shintoismus des Tages ist einfach die Verleugnung einer jeden Religion und die Abschaffung eines jeden Kultus; er ist die Zerstörung der Buddhatempel (man hat sie bereits begonnen mit der theilweisen Niederreißung des Heiligthums von Kamakura und durch die beabsichtigte Einziehung der Kirchengüter,) aber er ist offenbar nicht die alte Religion des Reiches. In vielen Tempeln war eine Art von Simultankultus eingeführt worden. In andern, die dem Namen nach shintoisch 47 blieben, wie zum Beispiel die von Moshida und der Umgegend, wurden buddhistische Ceremonien, welche das Volk sehr liebt, innerhalb gewisser Grenzen angenommen. Nirgends haben sich die Lehr- und Glaubenssätze und der Ritus der alten Religion ohne buddhistischen Beisatz bewahrt. Hier und in dem ganzen Gebiete des Fujiyama bekennt sich die Bevölkerung zur alten Landcsreligion, aber thatsächlich ist sie mehr oder minder buddhistisch. Nnser ftriesterlicher Wirth gehört einer adeligen Familie an, trägt aber als geistlicher Herr keine Waffe. Jeden Nachmittag zieht er sein amtliches Gewand an und begibt sich nach dem großen Tempel. Seine Familie besteht aus der Gemahlin, einer noch schönen Matrone der ich etwas mehr Würde wünschen möchte (leider betrinkt sie sich jeden Abend) seinen beiden Töchtern, welche die Reisenden bedienen, und seinem Sohne, einem fünfzehnjährigen Knaben. Der junge Samurai, ein hübsches Bübchen, zeigt sich uns gerne in seinem Anzüge als Edelmann mit den beiden Schwertern im Gürtel. Seinen feinen Manieren entspricht offenbar ein zartfühlendes Herz. Er gab uns hievon eine Probe. Einer meiner Gefährten wünschte ein Votivbild als Andenken mitzunehmen. Die religiösen Skrupel des Tempelwirthes wurden, nicht ohne Mühe, durch ein bedeutendes Angebot beseitigt, und das Bild von der Wand genommen. Da brach der Knabe in Schluchzen aus. 48 ..Vater, sagte er, du hast nicht das Necht das Bild zu verkaufen. Es ist Tempelgut, und eine Zierde unseres Hauses; es gehörte unsern Voreltern; jetzt gehört es Dir, einmal wird es mein sein. Und dies soll verkauft werden, und noch dazu an Fremde! Welcher Schmerz, welche Schande!" Es versteht sich daß die Tafel wieder an ihren Nagel zurückkehrte. Der große Tempel liegt wenige Schritte vom Eingänge der oberen Stadt in einem Haine von vielhundertjährigen Cedern und Krhptomerien. Eine lange Allee dieser ehrwürdigen Bäume und eine doppelte Reihe von Steinlaternen führen von der Heerstraße zur Gabel, d. h. zu dem freistehenden Thore welches aus zwei aufrechten, nach innen etwas geneigten und aus zwei über einander gelegten Querbalken zusammengesetzt ist, und an einen Galgen erinnert. Solche Thore findet man in allen Shintotempeln. Unter der Furca durchgehend gelangen wir in den Tempel-Hof, der ein längliches Rechteck ist. In der Mitte des Platzes, gegenüber der Temftelhalle erhebt sich fünf bis sechs Fuß über den Boden eine Estrade deren schwerfälliges Dach einem aufgestülpten Filzhut gleicht. Für die heutige Ceremonie hat man die Estrade durch einen erhöhten Bretter-gang mit der Temftelhalle verbunden. Zu letzterer, welche das gleichfalls isolirte Hauptgebäude ist, führen Stufen empor. Längs der ganzen Fassade läuft eine Gallerie. Diese durchschreitend gelangt man in die eigentliche Halle 49 und, jenseits derselben, in das Heiligthum. Es steht dem Blicke des Profanen offen und enthält wie alle Shinto-Tempel den Altar mit den Kandelabern, dem (buddhistischen) Weihrauchgefäß und dem heiligen Spiegel. Die Gesimse des Gebäudes sind reich geschnitzt und tragen noch Spuren von Vergoldung. Im Hofe sehen wir einige Prachtexemplare von Itchö («!lÜ8l)M'ii<, aäimllntitolig,) und einen phantastischen Brunnen der durch ein Dach geschützt ist: die Rinne stellt einen Drachen vor; die Arbeit ist offenbar von hohem Alter. Dies ist der berühmte Tempel von Mshida, den wir täglich besuchten. Am Vorabende unserer Abreise wurde dort ein groftes Fest begangen. Der Hof war mit Volk gefüllt. Auf der Estrade stand ein kleiner blumenbekränzter Altar mit dem heiligen Spiegel, und vor dein Altar tanzte ein Priester. Er war in einen weiten Talar von Seibenbrokat gekleidet, trug am Haupte den Helm des Kriegers, und hielt zwei Schwerter in den Handen. Sein Gegner ist unsichtbar, aber der Kampf darum nicht minder erbittert. Bald greift der Priester an, bald weicht er zurück, dann dreht er sich im Kreise auf den Absätzen, dringt wieder vor, erlegt endlich den Dämon. Da der Kampfplatz kaum zwanzig Fuß im Geviert mißt, ist der Kämpfer häusig genöthigt sich umzuwenden, aber er thut dies mit Grazie und edlem Anstande; dabei regelt er seine Bewegungen nach den klagenden Tö- Hnbner, Spazicr^ailg II. 4 50 nen einer Flöte und den dumpfen Schlägen auf einer Trommel. Die beiden Musiker, ein Greis und ein Knabe, kauern auf ihren Fersen in einer Ecke der Estrade. Endlich zieht sich der siegreiche Krieger über den Brettergang nach dem Innern des Tempels zurück. Auf den Stufen erscheinen jetzt mehrere Priester die den Frauen und Kindern im Hofe kleine Kupfermünzen zuwerfen. Nun beginnt die zweite Ceremonie. Gin Bonze erscheint auf der Schwelle des Tempels. Majestätisch, mit dem schleppenden Gange des Tragöden schreitet er über den Brettersteg nach der Estrade. Sein Anzug ähnelt unsern Kirchcngewändern. Ueber einem weiten Talar trägt er eine reich gestickte Stola. Sein unge-schornes Haupt (er ist Shinto'üe uud nicht Buddhist) umfängt ein gestreiftes rothes Band dessen Ende sich über seinen Scheitel erhebt. In der Hand trägt er einen Bogen, und am Nucken den Köcher. Tiefes Schweigen herrscht in der, hier wie überall in Japan, dunkelblauen und bronzefarbigen Volksmenge. Nur das monotone Gezirpe der Cicaden und das leise Flüstern der Cedern unterbricht die sonst lautlose Stille. Tausend Augen sind auf den Priester geheftet: aber keine Rührung, keine Andacht oder Sammlung, ja selbst keine Neugierde belebt die Gesichter. Mehr als der Gottesdienst erregen die beiden Fremdlinge die Aufmerksamkeit der ihnen zunächst Stehenden. Sie be- 51 trachten uns mit dem Ausdruck des Erstaunens, fast des Schreckens. Zwei Weiße im Tempel von Joshida! Im Augenblicke wo der Priester auf der Estrade erscheint beginnt die Musik. Die Flöte läßt seltsame Weisen vernehmen, oder besser gesagt Recitative deren Ursprung sich offenbar in der grauen Vorzeit verliert. Zuweilen, entferntem Donner ähnlich, fällt die große Trommel ein. Der Bonze, die Augen gen Himmel gerichtet und immer wie am Kothurn cinhergehend, bewegt sich im Kreise, verneigt sich dann plötzlich, holt einen Pfeil aus dem Köcher, richtet sich auf, zielt nach dem bösen Geiste den er in der Luft entdeckt hat, und erlegt ihn. Da stimmt die Flöte eine Siegeshymne an. Der Priester beginnt einen neuen Nundgang, gewahrt und tödtet einen andern Geist, und das Orchester: die Flöte und die Trommel, malen in schrillen oder dumpfen Tönen die Wechselfälle des Kampfes. Endlich ist Joshida befreit von allen bösen Feinden; der Priester singt den Lobgesang, wirft Bohnen in die Luft, stürzt vor dem heiligen Spiegel zu Boden und kehrt sodann, feierlichen Schrittes wie er gekommen, nach dem Tempel zurück. Ich finde keine Worte um den Ausdruck seiner Züge zu schildern, das Mienenspiel, die klassische Schönheit seiner Stellungen, die ergreifende Wirkung der uralten Weisen, die edle und geheimniftvolle Heiligkeit des Ortes. Die 4* 52 Stellungen des Celebranten warm, wie gesagt, klassisch, aber sie waren dies nicht nur im allgemeinen Sinne des Wortes; sie erinnerten vielmehr entschieden an gewisse wohlbekannte und hochberühmte Typen der griechischen Kunst. Dagegen trug der Nebergang von einer Stellung zur andern das Gepräge des japanischen Geschmackes. Es waren kurze, heftige, unnatürliche, beinahe verzerrte, aber niemals häßliche Bewegungen. Daß diese Ceremonien älter sind als unsere Zeitrechnung unterliegt wohl keinem Zweifel. Daß gewisse rhythmische Bewegungen sich wieder-finden in dem Schnitzwerk und den Andachtsbildern des Landes, kann nicht Wunder nehmen. Aber wie soll man sich die klassische Reinheit der Stellungen und ihre auffallende Verwandtschaft mit der griechischen Kunst erklären, während dieser Anflug von Klassicität den japanischen Kunstprodukten so gänzlich fehlt? Man spreche mir nicht vom Zufall. Der Zufall erklärt Alles und Nichts. Ich frage mich: Ist während des goldenen Zeitalters der griechischen Kunst einer ihrer Strahlen, für Jahrhunderte belebend, nach dem äußersten Osten gedrungen? Die Geschichte gibt hierüber keinen Aufschluß. Nachdem die Jagd nach bösen Geistern zu Ende war, erschienen die Priester abermals auf der Tempclschwelle um Geld auszuwerfen. Ermuthigt durch die harmlose Haltung des Volkes, fassen die beiden Fremdlinge ein 53 Herz, und steigen tapfer die Tempelstufen hinan. Die Priester empfangen uns freundlich mit den üblichen Artig' keitsbezeugungen, nehmen eine bescheidene Gabe an, und versehen uns mit kleiner Kupfermünze die wir an ihrer Seite, nunmehr in Bonzen verwandelt, unter die Menge auswerfen. Einige Hunderte von Gläubigen balgen sich um den kleinen Gewinn. Ein burlesker Auftritt der allerdings mit der Sanetitas loei wenig stimmte. Wir hielten uns die Seiten. Auch die Priester lachten herzlich mit. Unter ihnen erkenne ich den Krieger der den Schwerttanz aufführte und den Geifterjäger. Sie haben sich die Schminke abgewaschen und ihre Waffen abgelegt und sehen nun aus Wie harmlose, gemüthliche Schildbürger. Auf den profanen Zwischenact folgt die Schlußcere-monic. Die Priester versammeln sich im Heiligthum, setzen sich im Kreise nieder und trinken der Ncihe nach aus einem Gefäße. Hierauf folgt ein Chorgesang. Dann erheben sie sich, durchschreiten die Halle, ziehen auf der Tempelschwelle ihre Schuhe an und gehen nach Hause. Alle tragen weiße oder blaue oder rothe Faltengewänder je nach ihrem Range. Die weiße Farbe bezeichnet den höchsten. Das Haupt hatten sie unbedeckt und nur mit den: gestreiften Bande geziert, oder sie trugen den fchwarzlackirten Papierhut der Höflinge. Jetzt verfchwindet die Sonne hinter dem Fujiyama 54 Ihre elektrischen Feuer vergolden die drei- oder vierfachen Bergreihen im Osten welche wenige Europäer betraten und die Wir, Glückliche, morgen und übermorgen übersteigen werden. Der Himmel ist rosenfarb mit lichtblauen Wolkenflocken wie ich dies nur in Jokohama, und auch da nur selten, sah. Ist dies Alles Wirklichkeit oder Traum, eine ideale Welt, ein Zaubermährchen? Noch im Schlafe verfolgen mich die geheimmhvollen Schauer des Tempels von Yoshida. (10. August.) Meine Gefährten sind gestern vom Fujiyama zurückgekehrt. Sie haben viel durch die Hitze gelitten, dafür aber die Nacht am Nande des Vulkans zubringen können. Sie bestätigen was andere Reisende erzählen. Sie konnten Aedo und Yokohama ausnehmcn. Im Uebrigen sahen sie nur einen großen dunklen Teppich mit weißen Punkten und einen ungeheuren Meereshorizont. Gegen Nord verhinderte Gewölk die Aussicht. Unser heutiger Tagesmarsch ist sehr klein. Abreise um zwei Uhr Nachmittags. Richtung Ost-Nord-Ost. Den Rücken fortwährend dem Fujiyama zugewandt durchwandern wir ein schönes, großes Thal. Die Verge sind ganz grün. Eine einfache Reihe von Bäumen, zwischen denen der Himmel durchsieht, krönt und kennzeichnet die schmalen Berg- 55 kämme. Es ist dies cm in japanischen Landschaften sich in das Unendliche wiederholendes Motiv. Wir kommen durch mehrere wohlhabende reinliche, ich möchte sagen, kokette Dörfer. Ueberall der sorgfältigste Feldbau. In der Tiefe, wo eine schmale Ebene sich zwischen den Thalwänden hinschlängelt, Reisfelder und viele Maulbeei Pflanzungen. Die Straße ist eigentlich nur ein, sehr wohl unterhaltener, Gehweg auf welchem sich Reisende, insbesondere Pilger, auf dem Fuße folgen. Letztere ziehen in größeren oder kleineren Banden einher, sind sämmtlich weiß gekleidet und lassen ihr Glöcklein unablässig ertönen. Wenn Regen droht werfen sie ihre dichten Strohmäntel um. Einige lassen sich von Dienern begleiten. Pilgerinnen sehen wir nur wenige. Auf dem ganzen Wege ergötzt sich das Auge an reizenden Einzelheiten; wie zum Beispiele, am zweiten Ri, unweit eines Theehauses - einige Stufen fiihren zu Gräbern hinab welche eine Gruftfte von Kryptomerien beschattet. Oder weiter unten, bei dem Dorfe Tötaichiba: ein schöner Wasserfall, umrahmt von der üppigsten Vegetation. Um halb fechs Uhr Ankunft in Zamura. Diese kleine Stadt liegt im Mittelpunkte eines der bedeutendsten Seidendistrikte. Man sieht nichts als Maulbccrbäume. Der Fluß dessen Ufern wir den ganzen Tag gefolgt sind braust hier zwischen kleinen, blumenbedeckten Niesengründen schäumend und tosend an Felsen vorüber deren Gestein sich 56 verbirgt unter einer Decke von Moos, Rasen und Bäumen der verschiedensten Gattung. Hinter uns ein Wirrsaal grüner Vergzinken, überragt vom Kegel des Fujiyama. Unsere Ankunft ist ein Ereignis;. Die ganze Bevölkerung läuft herbei, bleibt jedoch in ehrerbietiger Entfernung. Dieser Auftritt wiederholt sich übrigens überall. Die Babies weinen, die Kinder verkriechen sich hinter den Müttern, die jungen Mädchen fliehen; auch die Männer scheinen davon laufen zu wollen, nur die Mcuronen erweisen sich herzhaft. Mit ihnen wird das Gespräch angeknüpft; bald ist Jedermann beruhigt, und man hat sich vom ersten Schreck erholt, so sehen wir nur freundliche und lachende Gesichter. Man blickt uns wohlwollend an, man will sich nützlich machen, man kichert, man schwätzt, man umgibt den Reisenden, folgt ihm auf jedem Schritte, verläßt ihn nicht wieder, selbst während er seine Mahlzeit einnimmt oder badet, er müßte denn die Grausamkeit haben die Papierwände seines Zimmers zu schließen. Das meiste Interesse gewährt er während er sich an- oder auszieht. Ich spreche hier von den Volksklassen und nicht vom Adel. Meine jungen Freunde haben, unweit der Stadt, eine einsame Stelle am Ufer entdeckt, und sind eben im Begriffe sich in die kalte, krystallhelle Fluth zu stürzen, als die gesammte Bevölkerung erscheint: Männer, Weiber, Mädchen, Kinder. Die Makunin welche uns sonst nie verlassen 57 sind verschwunden und ihrem Vergnügen nachgegangen. So werde ich denn über die öffentliche Sittsamkeit wachen. Mit einem langen Bambusrohre bewaffnet fasse ich Stellung auf dem engen Damme der nach dem Vadevlatze führt. Die Männer werden zugelassen, aber für das schöne Geschlecht bin ich unerbittlich. Ein fruchtloses Beginnen. Auf die Gefahr hin in den Fluß zu rollen, umgehen die Damen meine Position, und klettern, mehrere mit ihren Säuglingen am Rücken, über die steilen Abfälle des Dammes hinweg. Andere greifen mich von vorne an. Es gab sehr hübsche Wesen unter ihnen, und an allen bemerkte ich die größte Reinlichkeit. Da stehen sie vor mir auf ihren kleinen Holzsandalen, mit leicht gebeugten Knieen, die Arme vorgestreckt und die Hände nach rückwärts verdreht, wie dies nur dieser Menschenstamm zu leisten vermag. Den bloßen Kovf ein wenig zurückgcneigt, überschütten sie mich mit einem Wortschwall,- dazu verführerisches Lächeln und bittende, sanfte Blicke aus den großen, braunen, weit geschlitzten Augen. Die Verdrehung der Gliedmaßen schadet vielleicht der Anmuth der Stellungen, aber Menschen und Dinge dieses Landes streifen immer an das Groteske. Diese Scene erhöhte meine Bewunderung für die Gewissenhaftigkeit und die Nachahmungsgabe der japanischen Künstler; denn die einzelnen Elemente dessen was um mich vorging waren mir nicht neu; ich hatte sie oft gesehen nicht nur 58 in Kunstwerken, Elfenbein und Holzschnitzwerk, Lack und Gemälden, sondern sogar in den rohen Bilderbögen die überall um einige Pfennige feil geboten werden. Endlich des Widerstandes müde, öffne ich den Zugang, und die neugierigen Geschöpfe stürzen nach dem Badeftlatz, nähern fich den Schwimmern so viel als möglich, weiden sich mit dem Ausdrucke der äußersten Befriedigung an dem nie erlebten, seltsamen, phantastischen Anblicke fünf ganz weißer Männer. Entfernung von Aoshida ^H Iamura vier ein halber Ri oder ungefähr zwölf Meilen. (11. August.) Abreise um fünf Uhr. Richtung Ost. Das Thal schlangelt sich immer zwischen drei- und viertausend Fuh hohen Vergen hin. Hinter uns erhebt sich der Fujiyama in seiner ganzen wilden Majestät. Zwei Ni von Iamura kurzer Halt in einem heiligen Hain. Um halb neun Uhr Ankunft in dem grosien und bedeutenden Marktflecken Saru-Hashi. Hier führt eine höchst eigenthümlich gebaute Brücke über ein Gebirgswafser das in einer tiefen Felsspalte fließt. Sie besteht aus über einander gelegten und an einander befestigten Balken welche allmälig von beiden Seiten des Ufers vorgeschoben wurden bis sie sich über der Mitte des Flusses begegneten. Es 59 ist dies die berühmte Assenbrücke die wir in Aoshida auf mehreren Votivtafeln abgebildet sahen. Die Gegend ist fortwährend lieblich, bewahrt aber dabei den Charakter des Hochgebirges. Ohne die fremdartige Vegetation würden wir uns im Kanton Nntcrwalden glauben. Auch hier begegnen wir vielen kleinen Pilgerzügen. Ihre Glöckchen läutend und singend gehen sie an uns vorüber. Von Andacht keine Spur. Herr Kempermann behauptet, kein religiöses Gefühl setze diese Tausende von Wallfahrern in Bewegung. Es sei eine Gewohnheit, Sache der Ueberlieferung, eine physische Bewegung, und gedanken« loses Plappern von Gebeten. Kopf und Herz blieben davon ganz unberührt. Vielleicht ist es so, vielleicht auch nicht. Der Anschein dieser Leute gibt Herrn Kempermann Recht; aber wie wenig ist Japan noch bekannt. Sind ja doch kaum einige Jahre verstrichen seit sechs oder sieben Punkte des Reiches den Fremden zugänglich wurden. Noch ist man der Sprache nicht vollkommen Meister geworden. Nie will man da in die Tiefen des Volkslebens hinabsteigen, die Herzen und Nieren prüfen und über die Seelen-zuständc der Nation ein endgültiges Urtheil fällen? Ich frage, wer hat alle diese unzähligen Tempel gebaut, wer hat sie beschenkt und mit so reichen Stiftungen bedacht? Gewiß nicht das Volk. Es gab also eine Zeit wo auch die Reichen und Vornehmen gläubig waren. In Folge 60 welcher Umwälzungen haben sie den Glauben verloren? Auf alle diese Fragen bleibt man mir die Antwort schuldig. Schöne und große Dörfer folgen sich in kurzen Zwischenräumen. Die reichliche Bevölkerung, das Leben in den Ortschaften, auf den Feldern, am Wege bilden nicht den geringsten Reiz dieser Gegend. Nir sind hier im Hochgebirge von Kuanto, und dennoch begegnen wir auf jedem Schritte den Spuren der menschlichen Thätigkeit und einer uralten Civilisation. Die Dörfer bieten alle denselben Anblick. Ein krystallreiner Bach fließt in der Mitte der Hauptstraße, meist eingesäumt von Blumenbeeten voll riesiger Valsaminen. Die Häuser sind fast alle neu, ein Beweis daß sie vor Kurzem verheert wurden durch Typhon, Feuersbrunst oder Erdbeben, diese drei Geißeln die, wie bei uns gewisse Epidemien, Japan periodisch heimsuchen. Aber wenn die Natur in ihrem Zorne eine Neihe von Häusern binnen wenigen Minuten dem Erdboden gleich macht, so verstehen es die Menschen die Gebäude binnen wenigen Tagen wieder aus dem Schütte emporzuführen. Allenthalben sind die Ortsvorstände von unserer Ankunft benachrichtigt worden. Sie empfangen uns am Eingänge des Dorfes mit ihren Beiständen, machen die üblichen Fußfälle, stellen sich an die Spitze unserer Karavane und geleiten uns nach dem andern Ende des Dorfes um dort mit demfelben Ceremonie! Abschied zu nehmen. Ueber- 61 all lächelt das Volk uns zu ohne uns zu grüßen; aber die Leute werfen fich zu Boden vor dem Anführer unserer Eskorte weil er, in seiner gegenwärtigen Sendung, die souveräne Macht des Kaisers vertritt. Man frage in Europa einen Bauer, worin der repräsentative Charakter eines Gesandten bestehe. Hier weiß es jeder Kuli; er kennt auch die Gesetze der Etiquette, befolgt sie gewissenhaft gegen Jedermann, und erwartet daß man ihm gegenüber desgleichen thue. In Saru-Hashi verlassen wir das große Thal das wir von Doshida an durchzogen hatten. Es bildet das Bett eines Flusses der, ein Emissär des kleinen Sees M-manonaka, sich zuerst nördlich wendet, sodann von ?)oshida an gegen Ost, und bei Sarn-Hashi gegen Süd-Ost fließt. Nach meiner großen japanischen Karte mündet er in das Meer bei dem Dorfe Oiso (zwischen Fujisawa und Odawara). Ankunft in Torisawa um halb zehn Uhr. Abreise um ein Uhr. Hier gelangen wir in ein Labyrinth von Bergen und zugleich in eine der schönsten Gegenden die ich je gesehen. Der Neg oder vielmehr der Pfad erklettert steile Abfälle bis er den schwindelnden Kamin erreicht der oft gerade breit genug daß ein Mann darauf gehen kann. An gewissen Stellen hätte ich nur auf Händen und Füßen kriechend mich vorbewegt: aber im Kangho ist mein Vertrauen 62 grenzenlos. Allerdings setzt dies einen Köhlerglauben voraus in die Tüchtigkeit und Sicherheit der Füße meiner Träger. Da sie alle drei oder vier Minuten die Schultern wechseln so sieht sich der Reisende abwechselnd über dem Abgrunde zur Rechten und dem Abgrunde zur Linken schweben. Wer denkt da nicht an Vlondin's Schwiegervater! Glücklicher Weise weichen etwaige Anwandlungen von Furcht beim Anblicke der Kuli. An den gefährlichsten Stellen lachen und schwätzen sie und überhäufen sich mit artigen Redensarten. Zu beiden Seiten des Kammes gähnt der Abgrund: Gin Fehltritt, und er ist Dein Grab, allerdings ein schönes Grab, denn Du wirst unter balsamisch duftenden Büschen ruhen, riesigen Vlumen, glänzendem Laubwerk und feinen Schlingpflanzen, Alles auf das Geschmackvollste geordnet, auf das Sorgfältigste gepflanzt und gezogen von der großen Gärtnerin Natur. Aber wenn Du nicht schwindlig bist, so wage es, während Dein schwankender Korb Dich über dem Abgrunde schaukelt, einen Blick in die Tiefe zu werfen und ihn dann allmälig wieder zu erheben. Es ist eine Nundsicht ohne Gleichen. Nach allen Richtungen steigen Bergketten hintereinander empor. An einer Stelle zählte ich zwölf verschiedene Hintergründe. Die Landschaft gleicht dem vom Sturm gepeitschten, plötzlich versteinerten Mere i darüber als Decke die üppigste Vegetation. Die große Mannigfaltigkeit der Aussicht erklärt sich durch 63 die verhältnismäßig kleinen Dimensionen der Bestandtheile der Landschaft und durch die geringe Breite der Bergzüge, die, schon einmal in ihren Grundfesten, steil aufsteigen und in Kämmen von der Breite eines Messerrückens endigen. Die Gegend hat aber nichts Kleinliches; im Gegentheil der Charakter ist großartig, wild, und doch anmuthig; die ofttische Wirkung schmeichelt dem Auge und erregt zugleich die Neugierdc des Reisenden. Auch in den Hochthälern kommen wir durch zahlreiche Dörfer: doch scheinen sie uns weniger wohlhabend als die von uns am Morgen gesehenen. In den meisten ist Jahrmarkt oder irgend ein religiöses Fest. Der Beweis, die blumengeschmückten Stangen, Bilder, Paftier-streifen an Bindfäden, farbige Bänder, und die Masse von Pilgern. Um halb Sieben Uhr erreichen wir Uyenohara. Entfernung von Damura neun ein halber Ri oder ungefähr fünfundzwanzig Meilen. (12. August.) Es regnet, und die Luft hat sich, Gott Lob, etwas abgekühlt. Um fünf Uhr aufgebrochen. Richtung Ost. Wir setzen in einer Fähre über ein breites fließendes Wasser: weiter unten mündet es in den Fluß der aus dem See Uamanonaka kommt, und dessen Ufern 6^ Wir in den letzten zwei Tagen beständig gefolgt sind. Auf sehr steilen Pfaden wird sodann der hohe Engpaß erreicht der über den letzten Verggürtel des Fujiyama nach der Ebene von Mdo führt. Bei klarem Wetter ist er in der Hauptstadt sichtbar. Noch immer bewahrt die Landschaft die charakteristischen Merkmale des Hochgebirges. Von vier bis eilf Uhr Rast im Dorfe Kamakino; das Theehaus allerliebst. Die Kuli freuen sich Hachöji zu sehen, und tragen uns um die Wette laufend in weniger als einer Stunde dahin. Um fünf Uhr Abends halten wir bei ungeheurem Volksauflaufe unsern Einzug. Hachöji hat als Stapelplatz für den Seidenhandel einige Bedeutung. Die Einwohner sehen wohlhabend aus, und in der Hauptstrafte stehen viele stattliche und elegante Häuser. Auch unser geräumiges, reinliches Wirthshaus hat ein vornehmes Gepräge. Unglücklicher Weise ist unser Kerzenvorrath erschöpft, und wir müssen uns mit landesüblicher Beleuchtung begnügen. Mehr Rauch als Licht, aber seht wie die hübsche Nesan die Kerze mit ihrer Haarnadel putzt. Welche Anmuth, welch' angeborner Adel in Bewegung und Haltung, welche (wahre oder gut vorgestellte) Bescheidenheit! Meine jungen Reisegefährten gerathen in Entzücken. Auf der ganzen, jetzt zur Neige gehenden Reise fiel mir die Seltenheit der Thiere auf. Wir sahen fast keine 65 Vögel, wenig Hunde, wenig Pferde, wenig Hornvieh; hier und da einige Hühner und Schweine. Entfernung von Uyenohara nach Hachöji sieben und ein halber Ri, ungefähr zwanzig Meilen. (13. August.) Aufbruch um ein Viertel auf Sieben. Die Hauptstraße ist noch menschenleer, aber schon haben die Bewohner ihre großen Regenschirme von gelben», geöltem Papier mit großen schwarzen Inschriften auf der Gasse zum Trocknen ausgespannt. Die Sonne steht noch tief, sie scheint uns in das Gesicht und verwandelt die Regenschirme in leuchtende durchsichtige Scheiben. Von der Morgenluft bewegt beginnen sie auf ihren Stielen zu tanzen. Kein Landschaftsmaler dürfte wagen oder vermöchte die doppelte Wirkung des direkten und des durchgelassenen Lichtes wiederzugeben: die Tinten von mattem und gebräuntem Golde die am Baden flimmern, auf den crzbraunen Beinen unserer Träger empor kriechen, das Holzgetäfel der noch geschlossenen Häuser belecken. Seit Joshida si^h ^^ 5,^ Hauptrichtung nach östlich gereist. Jetzt führt uns der Weg gegen Süden. Wir haben die Ebene erreicht. Es ist ein zerklüfteter Voden, hier von prachtvollen Bäumen beschattet, dort mit dichtem Bambusgehölze bedeckt. Ein Labyrinth von kleinen Hübner. Spazicrgaug II. 5 66 Pfaden führt zu den Dorfschaften die buchstäblich im Laube vergraben sind. Ich war in Begleitung eines unserer Gefährten früher als die Karavane aufgebrochen, meinend daß sie uns bald einholen würde. Sie nahm aber einen andern Weg. So setzten wir die Neise allein fort, uns mit der Gebehrdensprache behelfend, und auch bereit den Tag über mit landesüblicher Kost vorlieb zu nehmen. In einem vereinzelten Theehause wurde Halt gemacht. Eine unangenehme Entdeckung erwartet uns im Vorsaale. Da liegen auf dein hiezu bestimmten Möbel mehrere große Schwerter. Ein Beweis daß Samurai im Hause sind. Eine fatale Begegnung! denn diese interessanten Wesen, welche das Ritterthum des Mittelalters so glänzend vertreten, haben bekanntlich die üble Gewohnheit Europäer bei günstiger Gelegenheit niederzusäbeln. Offenbar gibt es keine bessere. Wir haben uns vor dem Hause niedergelassen und mein Freund nimmt, wie gewöhnlich, bei den Nesan Sprachunterricht. Da erscheinen unsere Zweischwertmänner. Es sind ihrer drei; sämmtlich hochaufgeschossene Gesellen: am Kopfe tragen sie eine Kalotte von lichtblauer, weißgestreifter Seide. Ihr Leibrock ist von demselben Stoffe und derselben Farbe und mit dem Wappen ihres Daimio geschmückt. Die jungen Mädchen brechen die Sftrachlektion in Eile ab, lassen sich unwillig genug von den Gesellen einen Kuß rauben, und fliehen in das Haus. Die drei 67 Nitter halten sich mit dm Armen umschlungen, Wanken auf und nieder, messen uns mit herausfordernden Blicken, und rücken allmälig näher. Sie haben offenbar gezecht, und suchen Händel. Mit Entsetzen bemerke ich daß mein Gefährte die Rechte in seine Hosentasche steckt. Ich weif; was sie enchält: den furchtbaren Revolver der mir schon bei der Abreise von Yokohama die Gänsehaut gab. Wenn die drei jungen Herren der Waffe ansichtig werden, so ist dies unfehlbar das Zeichen zum Kampfe. Ueber den Ausgang hege ich keinen Zweifel. Glücklicher Weise erscheint im kritischen Augenblick der Herr des Hauses, nähert sich den Samurai mit unterwürfiger Gebehrde, und führt die Niderstrebenden, halb in Güte halb mit Gewalt, zurück. Unsere Kangho hatte er in Bereitschaft setzen lassen. In Eile besteigen wir sie. So rasch als die Beine der Kuli vermögen, ziehen wir von dannen. Um zehn Uhr Ankunft in Tana. In der Nähe flies;: ein schöner Fluß, der nach meiner Karte und wie mir später gesagt wurde, derselbe ist dem wir von seinem Ausflusse aus dem See Iamanonaka bis Saru-Hashi gefolgt waren. Eine Fähre bringt uns an das jenseitige Ufer. Dort bieten Schiffer ihren Nachen zur Fahrt nach Atsugi an. Es war eine schöne und erregende Fahrt. Der Fluß bildet eine Reihe von Schnellen. Die Ufer sind mit Schilf "nd Arbustus bewachsen. Am Rande sitzen große Wasser- 5* 68 Vögel; unbeweglich und mit schläfrigen Augen betrachten sie uns. Mein Gefährte vertieft abermals seine Hand in die bewußte Tasche die sein Arsenal ist, zieht den berüchtigten Revolver hervor, richtet ihn gegen eine Gruppe von Pelikanen, zielt und schießt: aber der Revolver versagt. Wir untersuchen die Waffe. Sie erweist sich als vollkommen harmlos. Nie schade daß diese Entdeckung so spät kommt! Auf der ganzen Reise, jeden Morgen beim Aufbruche, in Mitten der Menge von Aufwärtern, Neugierigen und Dienern, glänzte dies Mordinstrument in der Hand meines Gefährten; nie, ich gestehe es, ohne in mir die schwärzesten Ahnungen zu erregen. Eine jener periodischen Gemüthsbewegungen, welche das Leben friedlicher Staatsbürger verbittern. Nunmehr bin ich beruhigt. Nein, auf dieser Reise vergießen wir kein unschuldiges Blut. 0'egen sechs Uhr Abends zeigte sich zwischen Baum-Wipfeln eine Masse grauer Dächer. Dies ist Atsugi, eine nicht unbeträchtliche Stadt. Hier haben wir die doppelte Befriedigung unsere Karavane und ein unser harrendes Abendmahl zu finden. Entfernung von Hachöji nach Atsugi sieben Ni oder achtzehn Meilen. (14. August.) Wir brechen um halb acht Uhr auf und erreichen um Mittag Fujisawa. Die Gegend trägt 69 denselben Charakter wie die gestern durchreiste. Ein Wagen bringt uns nach Aokohama wo wir, höchst befriedigt und nicht allzu müde, um sieben Uhr Abends eintreffen. Entfernung zwölf Ri oder dreißig Meilen.*) III. H atone. Vom 22. August zum l. September. 2ll5 Tyee!)!i»5 in h(Ua. — Cine t'öse Nacht. — Des 5'!»n ini Dollie. — Aeijende Geister. — Die Heilquelle von Almni, — Die heilige Insel EuiMma. — Dnitmlsn. — Die alle hauMadl der 5hogü,,. — Buddha in üngimde. — Eine vornehme Dame. — Znnagawli. (2'i. August.) Gestern verließen wir Jedo. Meine Reisegefährten sind der brittische Geschäftsträger Herr Adams und der Gesandtschaftsdolmetsch Herr Satow. Bis Yw mow führte uns der Neg durch nur bekannte Gegenden. Dort wendet sich der Pfad der nach Miyanöshita führt "') Da dcr Weg den wir von Subashiri ab verfolgten sehr l^lten gemacht, und nie beschrieben worden ist, so hielt ich es ulr nützlich die Zeit der Abreise und Ankunft genau anzuae-bku. (5s ist dies eine unvollkommene Art die Entfernungen öu messm, wobei bemerkt werden must dah unsere Kuli im Durchschnitte fünf Kilometer in der Stunde zurücklegten. 70 gegen Nord-Ost. Diesmal reisen wir auf dem Tokaido in westlicher Richtung weiter. So erreichten wir heute Nachmittags, einem Waldbach entlang aufsteigend, das Dorf Hata, berühmt wegen seiner schönen Lage, seines guten Theehauses und seiner reizenden Gärten. Es sind eigentlich immer dieselben Elemente und dieselben Motive. Ner das Alles nur so recht anschaulich machen könnte ohne den Leser durch Wiederholungen zu ermüden! Wer es verstünde mit der Feder die kleinen Abstufungen zu malen, die feinen Tinten und Töne die ja eben der vorzüglichste Neiz dieser Landschaften sind. Die Photographie ist ganz unvermögend. Da wäre das schöne Holzgetäfcl des Theehauses zu beschreiben, dann die niedlichen, plätschernden Miniaturwllsserfälle i die Pfade die sich über Wiesen, durch dunkelnde Haine, zwischen Felsblöcken, den hohen Berg hinaufschlängeln: die hübschen Goldfische und die Riesenkarftfen mit bemoosten Häuptern, würdig ihrer Brüder in Fontainebleau, und die hübschen Theehausmädchen, die Nesan. Alle Abende laufen sie den Teichen entlang mit den kleinen Händen klatschend. Die Fische Wissen was das bedeutet, denn auf das Zeichen schlüpfen sie in ihr Nachtquartier, eine Höhlung im Felsen, welche die Mädchen sodann verschließen. Eine nöthige Vorsicht gegen die vielen Füchse und Schakale dcs uahen Waldes. All dies wurde in den letzten drei Jahren oftmals be- 71 schrieben; aber wie gesagt dic Schilderungen sind blaß und unähnlich und unvollständig, im Vergleiche mit der idyllischen, poetischen, phantastischen Wirklichkeit. Von Fujisawa, wo wir die letzte Nacht zugebracht, nach Hata cilf Ni oder achtundzwanzig Meilen. (24. August.) Da liegen wir ausgestreckt auf einer feinen, glatten, reinen Strohmatte, in einem gegen den Garten offenen Gemache, indeß reichlicher Negen den ganzen Tag über vom Himmel mederriesclt. Mit Wollust pflegen wir der Nuhe, athmen wir die frische, erquickende Vergluft. Dazu die sympathische Gesellschaft zweier hochgebildeter Männer die dies Land, eilt noch ungelöstes Räthsel, so gut kennen wie irgend ein Europäer. Da werden Fragen und Antworten gewechselt, bis wir von Japan auf das ferne, liebe Europa zu sprechen kommen. Ein amnuthiger Tag! Unsere Diener, der Thecwirth, seine Ehehälfte, die Nesan nahen uns nie ohne tiefe Verneigungen, kommen auf allen Vieren hereingekrochen, strecken den Kovf vor, während sie die Arme mit nach innen gekehrten Händen auf den Boden stemmen, nehmen am Ende in vertraulicher Weise auf ihren Fersen Platz. Da die Herrschaft auch am Boden liegt oder kauert, so befindet sich Jedermann am selben Niveau. Es sind eben die Formen einer ur- 72 alten Etiquette. Aehnliche Ghrfurchtsbezeigungcn waren in Europa noch bis gegen Ende des sechszehntm Jahrhunderts Sitte. Personen desselben Ranges verneigten sich zur Erde ehe sie sich umarmten. Kinder knieten nieder um den Eltern guten Morgen zu wünschen. Edelknaben bedienten knieend ihren Gebieter. Der Handkuß, bei sehr feierlichen Gelegenheiten, hat sich noch an mehreren europäischen Höfen bis auf den heutigen Tag erhalten. Aber die fremden Kaufleute in Yokohama finden diese Gebräuche sinnlos und entwürdigend, und haben sie in ihren Häusern verpönt. Die Folge ist daß die eingebornen Diener grob und ungeschlacht wurden. Gar leicht zerstört man die Formen einer alten Civilisation; schwer ist es sie durch andere zu ersetzen. ft 5. August.) Wir waren gestern Abend kaum zu Bette gegaugen, als uns das Heulen des Sturmes und das unheimliche Knarren der Ballen und der Holzverkleidung aus dem Schlafe weckten. Zwei hier zu Lande häufige Naturerscheinuugen haben zusammengewirkt: einer der furchtbarsten Tvvhone welche je das Kuanto verwüsteten und ein etwas minder heftiges Erdbeben. Heute herrscht Friede in der Natur. Hata welches auf festem Felsgrund gebaut ist und in einem kleinen Äergtesiel liegt hat nur 73 wenig gelitten^ aber nicht sehr angenehm war der Gedanke von dem schweren Hausdache erschlagen zu werden, sowie die Unmöglichkeit zu entfliehen; denn die japanischen Häuser werden Nachts durch eingesetzte Bretterwände in eine verschlossene Schachtel verwandelt. Das Netter hat sich aufgeklärt, und um acht Uhr Morgens setzen wir die Neise, zu Fuße, weiter fort. Der Aufbruch in einem Theehause ist immer eine belebte Scene. Zwischen einer doppelten Hecke von Neugierigen schreitet man durch eine Reihe von Gemächern. Die Wirthsleute haben von Eurem Comprador die Bezahlung erhalten, und verfolgen Euch mit ihren Danksagungen und Segenswünschen! lachend und mit einem großen Aufwande von Worten und Geberden laufen die Nesan hinter Euch her, glückliche Reise und baldige Wiederkehr wünschend. An der Schwelle des Hauses angelangt, sucht und findet Ihr Eure dort bei der Ankunft gelassenen Schuhe. Da stehen bereits die löblichen Ortsbehörden, werfen sich zu Boden, und geleiten Euch sodann bis an den Ausgang des Dorfes. Wir reisen noch immer am Tokaido der hier, sehr schlecht, gepflastert und an manchen Stellen für Pferde beinahe ungangbar ist. Die Landschaft bleibt dieselbe. Große Bäume der verschiedensten Gattungen beschatten den zerklüfteten, mit einem Vlumenteppiche bedeckten Boden. Nachdem wir einen Gebirgskamm erklettert, steigen wir in das Seebecken von Hakone hinab. Am Ufer steht eine kolossale Statue des Buddha. Hinter dem Götzen eröffnet sich eine Allee von prachtvollen Kryptomerien. Bewaldete Vorgebirge und mit weiß nnd grünem Grase bewachsene Höhen springen in den See vor, und spiegeln sich in seinen stillen, schwarzen Wassern. Dieser Vaumgang führt uns nach dem Städtchen Hakone, dem Ziele der Neise. Entfernung von Hata zwei Ri oder fünf Meilen. (26. August.) Am östlichen Seenfer befindet sich der hochberühmte, altersgraue Shintotempel Hakone-no-Iinja. Wie so viele andere Heiligthümer ist er so eben „gereinigt" worden! mit andern Worten, zum großen Kummer des Volkes, welches jedoch in stillem Ingrimm geschehen läßt, wurde er ausschließlich dem Shintodienste eingeräumt. Alle buddhistischen Vasen, Statuen nnd Ornamente sind entfernt oder zerstört worden. Halone-no-Iinja liegt am Abfalle eines Berges. Zwei Stein treppen führen zu dem Tempel empor wo wir einige prachtvolle Bäume und mehrere seltsame, offenbar sehr alte Gemälde auf Holz bewunderten. Die Halle ist baufällig, der heilige Ort einsam und verlassen, denn das seiner Götzen beraubte Volk verschmäht es die ihm von Umtswegen aufgedrungenen Gottheiten zu verehren. Ich ent- 75 halte mich jeden Urtheils. Ich bin weder Buddhist noch Shintoite, und kenne diese Frage nicht hinlänglich. Aber gewisse Dinge gleichen sich überall. Eine weise Regierung Vermeidet, so viel als möglich, die Gewissen zu beunruhigen. Sie vermag vielleicht die Landesreligion zu zerstören (an sich trauriger Erfolg): aber schwerlich wird es ihr gelingen die Glaubenssätze ihrer Wahl dem Volke dauernd aufzudringen. Nas hier geschieht ist einfach ein Werk der Zerstörung. (27. August.) Heute fuhr ich über den See. Da fiel mir die große Aehnlichkeit mit den schottischen Hochlanden auf. Allerdings Klima und Vegetation sind verschieden. Auch würde man vergebens nach den Dürfern, Cottages und Schlössern spähen welche die Ufer des Loch Lomond und Loch Catherin beleben. Der See Hakone entfaltet seine schwarzen Wasser zwischen abgerundeten Berghalden deren einzige Bewohner die Thiere der Wild-niß sind. Mit Ausnahme der kleinen Stadt und des Tempels denen der See den Namen gab habe ich nicht Eine Hütte erblickt auf seinem einsamen Gestade. Zuweilen verscheucht ein Windstoß die Woltenhülle vom Krater des großen Vulkans. Dann erscheint über den Bergen die den See einrahmen der Fujiyama: eine himmlische 76 aber flüchtige Vision. Die Details der Landschaft sind heiter und lieblich, der Gesammteindruck ernst, fast finster, aber großartig und erhaben. (28. August.) Ein amerikanischer Missionär, Doktor V. besucht mich. Er hat ein Jahr auf der Nordküste von Niphon, in Niigata, einem der fünf Treaty-Ports, zugebracht. Dort ist das Klima gänzlich verschieden. Die von der Manschurei fast das ganze Jahr herüber wehenden Winde erkälten die Luft. Im Winter ist die Stadt im Schnee begraben, und, wie in Hammerfest oder den Loffoden, verkehren die Einwohner durch Tunnels. Aber unerachtet der lang anhaltenden Schneeveriode fällt der Thermometer selten unter den Gefrierpunkt. Auf Null ist auch die Anzahl der europäischen und amerikanischen Residenten herabgesunken i denn Geschäfte werden dort wenig oder gar nicht gemacht. Der einzige Weiße der sich jetzt in Niigata befindet ist ein englischer Feldwebel, der Orderly des abwesenden brittischen Konsuls. Ich bewundrc meinen Reisegefährten Hrn. Satow. Er schwätzt mit Jedermann, immer mit dem Taschenbuch in der Hand. Da werden jedes Wort, jede Nuance in Sinn und Anwendung, jede ihm neue Redewendung sorgfältig verzeichnet. Indem er sodann seine Noten vergleicht, 77 vermag er den Werth eines jeden Ausdruckes festzustellen. Es ist eine unablässige Spannung des, Geistes, ein fortwährendes Lösen von Räthseln und, bei der Unvollständigkeit und Mangclhaftigkeit der bestehenden Grammären und Wörterbücher, die beste Methode die japanische Sprache zu entdecken. (29. August.) Die Regengüsse der letzten Tage haben die Flüsse geschwellt, die Brücken zerstört und die Verbindung mit Dedo unterbrochen. Der Versuch sich über die Odawara tragen zu lassen wäre thöricht. Bleibt also der Weg nach Atami, von wo wir zur See die Insel Enoshima und Yokohama zu erreichen gedenken. Dieser Weg steht den Europäern offen, wenn sie die Erlaubniß zur Reise nach Hakone und Atami erlangt haben. Wir ziehen einen andern westlicheren Pfad vor. Der Bürgermeister von Hakone und unser Wirth empfehlen ihn wegen der schönen Gegend, und in diesem Punkte kann man sich auf das Urtheil der Japaner, selbst wenn sie den unteren Klassen angehören, mit voller Beruhigung verlassen. Um Mittag Abreise im Kangho. Zwischen einer doppelten Reihe von alten Kryfttomerien ersteigen wir die Anhöhe welche der See gegen Westen begrenzt. Nach halbstündigem Marsch erreichen wir den Kamm. Die Aussicht 78 auf die Vai von Suruga ist feenhaft. Am höchsten Punkte liegt ein großes Theehaus, jetzt überfüllt mit Reisenden der verschiedensten Stände. Sie sind alle in Kiyoto zu Hause. Die hohe oder niedere Politik, persönliche Anliegen und Geldgeschäfte führen sie nach Mdo, denn leider, leider sagen sie, hat ihre uralte und eben noch so reiche und blühende Stadt aufgehört die Residenz des Kaisers zu sein. Alle bewundern die schöne Aussicht. Der Japaner ist Freund der Natur. In Europa bedarf der Schönheitssinn der künstlichen Entwickelung und Ausbildung. Unsere Bauern sprechen von der Fruchtbarkeit ihrer Felder, von dem Ueberflusse an Wasser das ihre Mühlen treibt, von dem Erträgniß der Wälder, aber nicht von dem malerischen Reize der Gegend. Nicht als ob sie hiefür ganz unempfänglich wären: aber was sie empfinden ist eine dunkle, kaum bewußte Befriedigung. Nicht so beim japanischen Landmanne. Ihm ist der Schönheitssinn angeboren. Vielleicht hat er auch mehr Zeit ihn zu entwickeln. Die Fruchtbarkeit des Bodens, der Regen und die Sonne thun die Hälfte der Arbeit. Müßige Stunden bleiben ihm in Fülle. Da liegt er auf der Schwelle seiner Hütte ausgestreckt, raucht seine Pfeife, lauscht dem Gesänge der Töchter, läßt seine Blicke über die Landschaft schweifen, und diese Landschaft ist überall schön. Wo möglich, baut er seine Kabane am Rande eines Vaches. An gewisse 79 Stellen legt er ein paar große Steine. So bildet er eine kleine Kaskade, denn er liebt das Plätschern des Wassers. Daneben steht eine junge Ceder. Er bindet einige Zweige zusammen, andere trennt er, wieder andere neigt er, mit Hilfe eines Brettchens, über seinen Wasserfall den sie beschatten sollen. Es ist dies ein Motiv das man auf den illuminirten Bilderbögen immer wieder findet. Daneben Pflanzt er einen Aprikosenbaum. Zur Blüchezeit gerathen der Mann und die Familie in Entzücken. Der Sinn für Naturschönheit zeigt sich besonders in den Erzeugnissen der japanischen Malerei. Weit mehr als in Europa sind hier Kunstgenuß und Kunstgeschmack bis in die untersten Klassen verbreitet. Im ärmlichsten Haushalte findet man hievon die Spuren: eine künstliche Blume, sinnreiches Kinderspielzeug, em Wcihrauchsgefäß, ein Idol, und auch andere Gegenstände die nur den Zweck haben das Auge zu ergötzen. Bei uns ist die Kunst, außer insofern sie der Kirche dient, das ausschließliche Eigenthum der Reichen und Wohlhabenden. In Japan gehört sie Jedermann; und wer zu arm ist um seine Hütte mit einem Bilde des beschneiten Fujiyama und des obligaten Birnbaumes im Vordergrunde zu schmücken: mit der Statue einer Sängerin die auf einem Todtenkopf sitzt-, mit einem kleinen gen Himmel fliegenden Vogel, einem Schmetterling der auf einem Regenbogen ausruht: mit einer liebäugeln- den Schnecke und einer die Huldigung verschmähenden Schildkröte — ei, der betrachtet mit künstlerischem Auge seinen blühenden Aftrikosenbaum, seine kleine Ceder, und lauscht mit Wollust dem leisen Flüstern seiner Kaskade. Nur widerstrebend entreißen wir uns dem Anblick der wunderbaren Fernsicht: ein Labyrinth von Thälern und Hügeln die gegen eine kleine Ebene abfallen; dann der mit grünlichen Kliftven besäte Golf, jenseits niedere, gegen Süd auslaufende Vorgebirge: über ihren phantastischen Nm-rissen eine andere höhere Bergkette die sich gegen Nord erstreckt, dann jenseits noch eine Felsgallerie, und über dieser noch eine andere, aber alle ganz grün, alle vom Fuße zum Scheitel bewaldet, oben im Kamme mit landesüblichen Federbüschen geziert, nämlich mit der Neihe von Bäumen zwischen denen der Himmel durchschimmert. Inmitten des vielfach abgestuften Grün sinken und schwellen die langen, flachen Wogen des stillen Meeres. Wir verlassen nunmehr den Tokaido, und wenden uns gegen Süd-Süd-West. Der Pfad verliert sich im Grase, und die Halme streicheln die Nasen und Schultern unserer Kuli. Vergeblich suchen sie den Weg: jede Fuß-sftur ist verschwunden. Allmälig trennen sich die Reisenden. Bald haben wir uns ganz aus dem Gesichte verloren. Umsonst schreien die Träger mit aller Kraft ihrer Lungen; nur die Echo der Wildniß geben Antwort. Ich 61 befinde mich mit meinen Leuten am Rande eines Abgrundes, oder besser gesagt eines beinahe senkrecht abfallenden Tiefgrabens der mit dichtem Grase bewachsen ist. Die Männer steigen muthig hinab. Zuweilen fallen sie: mein Kangho entgleitet ihren Schultern und schießt, in einen Schlitten verwandelt, pfeilschnell in die Tiefe; am Ende aber hält ihn das dichte Gras wieder auf. Zu fürchten ist da nichts außer Schlangen; aber wenn sich diese braven Bursche, in nacktein Zustande, in das Dickicht wagen, so kann die Gefahr nicht sehr groß sein. In wenigen Minuten sind wir unten angelangt. Nun heißt es die andere Wand des Abgrundes erklimmen. Auf glattem Grase zu gehen und zugleich eine sehr steile Anhöhe hinanzuklettern übersteigt meine Kräfte. Beim ersten Versuch rolle ich unter dem schallenden Gelächter der Kuli in den Graben zurück. Sie laden mich also auf ihre Schultern, schleppen mich den Berg hinan, finden auch wieder nach langem Suchen den Kangho, Alles mit unverwüstlich guter Laune. Endlich haben wir dies Meer von Sargaß hinter uns gelassen, und Zu meiner großen Befriedigung gewahre ich in dcr Ferne Herrn Adams, auf den Flanken eines Abhanges mit ähnlichen Mühseligkeiten kämpfend. Endlich finden wir einen Pfad der uns auf den rechten Weg führt. Plötzlich brechen die Kuli in wildes Gejohle aus, stellen die Kangho auf den Boden, und laufen davon. Nach einigen Minuten Hübuev, Sftazicrgang It. ß 82 kehren sie zurück einen jungen Bären schleppend den sie mit ihren Bambusstöcken erlegt haben. Um vier Uhr Ankunft in Karuizawa. Entfernung von Hakone ungefähr vier Ni oder zehn Meilen. Hier finden wir Satow der, ein tüchtiger Fußgänger, schon vor einer Stunde eingetroffen ist. Der Ortsvorstand hat ihm gesagt wir seien die ersten Europäer welche die Einwohner dieses Dorfes zu sehen bekamen. Ihr Benehmen bestätigt dies/ Es ist die Niederholung desselben Auftrittes: Weinende Babies, versteckte Mädchen, die Männer in gehöriger Entfernung, und nur die alten Weiber beherzt genug um uns anzulächeln und sich in ein Gespräch einzulassen. All-mälig wird die Menge zutraulicher, aber auf den ersten Schritt den wir vorwärts thun zerstiebt sie in allen Richtungen. Wer in einem Karpfenteich schwamm kann sich das vergegenwärtigen. Das schöne Dorf liegt halb versteckt zwischen zwei bewaldeten Bergen. Ein Bach durchfließt es; an seinen beiden Ufern sehen wir schöne Blumenbeete mit prachtvollen Valsaminen. Das Haus des Vorstandes bei dem wir abgestiegen sind ist ein Juwel, desgleichen das Gärtchen. Im Hofe steht, auf einem bewimpelten und bekränzten Gestelle, ein offenes Tempelchen, in Wahrheit ein Käfig. Er soll die morgen von einer Neise zurückerwarteten Geister der Abgeschiedenen aufnehmen. Sie haben irgend eine ferne Region der Ewigkeit besucht. 83 Abreise von Karuizawa etwas vor fünf Uhr. Richtung südwärts. Wir ersteigen einen der beiden Berge zwischen denen das Dorf liegt. Bäume und Unterholz verschlingen sich zu einem Tunnel. Wir brauchen eine halbe Stunde um den Kamm und dann fünfzehn Minuten um den Rand des südlichen Abfalles zu erreichen. Diese Berge sind die Verlängerung der unter dem Namen Ha-konegebirge bekannten Kette. Sie ziehen von Ost nach West dem Stillen Meere entlang. Ihre Flanken, die oben sehr steil abfallen, springen langgestreckt in horizontalen Linien vor, und stürzen dann fast senkrecht in die See. Von unserem Standpunkte gesehen erscheinen die Vorgebirge wie die Koulissen eines Theaters. Aber ich glaube nicht das; die Dekorationsmaler der großen Oper in Paris je ein phantastischeres Bild zu ersinnen vermochten. Im Hintergrunde einer kleinen Bucht, gerade zu unsern Füßen, gewahren wir eine weiße Linie. Dies ist Atami. Es war längst Nacht geworden als unsere braven Bursche, immer lachend und schwätzend, uns vor einem stattlichen Gasthofe absetzten. Entfernung von Hakone sechs ein halber Ni, oder etwas mehr als sechszehn Meilen. (30. August.) Atami ist schön gelegen am Ufer einer kleinen Bucht, am Fuße der Berge, einer Felsmsel gegen- 6" 84 über. Die Gassen fallen so steil gegen das Meer ab daß sie sich an vielen Stellen in Treppen verwandeln. Eine Schwefelquelle zieht in.der schönen Jahreszeit viele einge-borne und einige europäische Badegäste aus Yokohama herbei. Alle vier Stunden quillt das heiße Wasser mit großer Gewalt aus einer Oeffnung welche mit Fclsblöcken umgeben wurde. Innerhalb dcr Umfriedung hatte ein Engländer den sonderbaren Einfall seinem Hunde ein Grabmal zu errichten. Die Leute aus dem Orte hüten sich es zu beschädigen,' einige bezeugen ihm sogar ihre Verehrung. Vorsichtige Leute suchen eben mit den Geistern der Abgeschiedenen, wären es auch Hundeseelen, auf gutem Fuße zu leben. Hier wie in Hata verfertigen die Einwohner hübsche Köffercheu und anderes Geräthe von Kamphcrholz. Die Preise sind unglaublich niedrig. Um neun Uhr verlassen wir Atami in zwei sechsru-drigen Booten. In dem einen befinden sich die Reisenden, in dem andern die Dienerschaft. Die beiden Barken werden durch ein Seil zusammengehalten, und steuern nebeneinander. Die Schiffsleute stehen auf den Querhölzern, entfalten ihre athletischen, schmiegsamen, elastischen Gliedmaßen, beugen sich nach vorne, werfen dann den Oberkörper zurück, im Takte eines wilden, weithin hallenden Gesanges. Einige unter ihnen könnten für das Urbild männlicher Kraft und Schönheit gelten. Die meisten haben 85 allzu magere Beine, aber alle kleine, schön geformte Hände und Füße. Ich sehe nur zweierlei Bewegungen die sich immer wiederholen. Beide sind klassisch. Um die griechische Skulptur aus der goldenen Zeit zu begreifen muß man Japan im Sommer bereisen. Die großen attischen und korinthischen Meister lebten unter wenig oder nicht bekleideten Menschen, und hatten daher das Muskelspiel des menschlichen Körpers fortwährend vor Augen: unsere Bildhauer müssen sich mit Modellen begnügen deren Stellungen immer erzwungen sind. Zuweilen entfernt man das Seil, und die beiden Mannschaften beginnen eine rasende Wettfahrt. Dann sind sie nicht mehr Menschen sondern Dämoue; sie singen nicht mehr, sie heulen. Erst noch klassischen Statuen ähnlich, sind sie plötzlich zu Wilden geworden. Zu beiden Seiten der Boote haben sich die eben noch so friedlichen Fluchen in schäumende Gießbäche verwandelt. Endlich tritt die Natur in ihr Necht. Athemlos halten unsere Athleten inne, sehen sich an, und brechen in Gelächter aus. Da wird es mit Einem Male stille. Man ändert den Kurs, und steuert so geräuschlos als möglich in der Richtung eines schwarzen Baumstammes der im Wasser zu treiben scheint: in der That ist es aber ein ungeheurer Hai den die schwache Meeresschwellung hebt und senkt. Einer der Schiffer ist nach dem Vordertheil gesprungen. Da steht 36 er, den Körper- leicht zurückgeworfen, die Linke auf das Herz gedrückt als wollte er der inneren Bewegung Halt gebieten. Jetzt erhebt er sachte die rechte Hand über das Haupt, wiegt die Harpune in den feinen langen Fingern, holt zum Wurfe aus. Vor uns, in der Entfernung einiger Brassen schläft das Unthier. Welch' klassische, welch' erhabene Scene! Wo ist Phidias um sie wiederzugeben in parischem Marmor? Im entscheidenden Augenblicke erwacht das Ungeheuer, und verschwindet in der Tiefe. Ungeachtet dieser Episode haben wir ein gut Theil des Weges zurückgelegt. Anfangs steuern Wir dem Ufer entlang, welches hier mit fast tropischer Vegetation überwachsen ist: Orangenbäume neben Kryptomerien, dazwischen hohe Mauern zum Schutze der Gärten gegen wilde Thiere, insbesondere Bären. Wir kommen an Idzusan vorüber welches im Hintergrunde einer kleinen Bucht auf halber Höhe des Bergufers liegt, fast versteckt zwischen Orangen und Bambuswäldern; an Doshihama, auch einein bedeutenden Flecken, am Vorgebirge Madzu-nochama und an der Mündung der Oda-wara. Um fünf Uhr Abends haben wir Oiso in Sicht. Hier treten die Berge zurück, und das immer noch bewaldete Ufer verstacht sich. Unsere Schiffer haben acht Stunden ohne Unterbrechung gearbeitet. Jetzt ziehen sie die Ruder ein. Eine Hand voll Gerste, denn Neis ist das 87 Vorrecht der Wohlhabenden, und ein Schluck frischen Wassers machen ihr Mahl aus. Aber wie sie dessen genießen! Arm, ja wohl, sehr arm sind sie aber nicht unglücklich, denn sie kennen weder Elend noch Sorge. Die Sonne sank bereits als die Insel Enoshima erschien, ihre anmuthige jetzt im Absndrothe glühende Silhouette von dem dunklen Wolkenhimmel im Osten scharf abreißend. Um acht Uhr Abends langen wir an. Da das Boot wegen der Ebbe dem Ufer nicht nahen kann, laden uns die Schiffer auf ihre Schultern. Ein nächtlicher Spaziergang im Wasser der beinahe zehn Minuten währt aber unseren Burschen, die auch jetzt noch lachen können, nicht zu lauge vorkommt. Endlich erreichen wir das japanische Paradies. Die Nacht ist pechschwarz: über den Hausthoren hängen große farbige Laternen die ihr sanftes Licht in die enge Gasse werfen. Alle Häuser stehen offen, und sind mit Käufern und Verkäufern angefüllt. Hier werden Früchte feil geboten, dort sieht man Weiber und Mädchen die Neis sieden und den Fisch auf die Pfanne legen. Pilger ziehen im Lande umher; andere suchen Unterkunft. Ueberall flattern Wimpel in der lauen Luft. Von Haus zu Haus ziehen sich bunte Blumengewinde; denn Enoshima ist das heilige Eiland, und die Feste und heiligen Ceremonien folgen sich hier ohne Unterbrechung. Wir werden nach der besten Herberge geleitet. Sie ist 88 voll Gäste. Ueberall wird getrunken, gesungen und musi-cirt. Der Wirth selbst kündigt das Abendmahl an, wobei er die vorgeschriebenen Ehrfurchtsbezeugungen nicht vergißt. Dann überreicht er uns ein kleines, sorgfältig gefaltetes Stückchen Papier welches Zahnstocher und, auf dem Umschlage, folgende Inschrift enthält: „Kaiserliche Zahnstocher: Schiraki Wirth: Hauptstraße, fünftes Haus zur Linken; kaiserliche Nachtherberge, reichliche Kost, prompte Bedienung." Auf der Kehrseite findet man die Entfernungen verzeichnet zwischen Enoshima und Kamakura, Dedo und Kiyöto. Das Wort kaiserlich versinnbildlicht die Vortrefflichkeit von Menschen und Dingen. Von Atami nach Enoshima sechzehn Ni oder vierzig Meilen. ^'l. August.) Leider war das Nachtlager keineswegs kaiserlich. Die Pilger machten furchtbaren Lärm, und an Schlaf war nicht zu denken. Aber die herrliche Morgenfrische erquickt uns, und bald ist die schlechte Nacht vergessen. Wir steigen durch die kleinen Gäßchen den Berg hinan. Die Wallfahrer drängen sich bereits vor den Läden wo Rosenkränze, Votivbilder und Muscheln aller Art verkauft werden. Enoshima ist mehrmals und zum Theil sehr gut beschrieben worden. Es ist ein liebliches Eiland. Von Ka- 89 pelle zu Kapelle, auf Felstreppen emporsteigend, erreichen Wir die Kuppe. Dort bilden alte Bäume deren Wurzeln sich au den senkrechten Wänden in irgend einer Spalte festklammern einen prachtvollen Baldachin. Die Tempel sind klein und ohne besonderes Interesse, doch fehlt es nicht an schönen Details. So kamen wir zum Veispiele an einem Brunnen vorüber der das Vor- oder Nachbild einer venetianischen Palastcisterne scheint. Er stellt einen cylinderfo'rmigen Felsblock vor über den ein paar Schildkröten hmwegkricchen. Man sollte meinen sie entfliehen bei unserem Anblicke. Darüber erhebt sich der eigentliche Brunnen, unten aus stark bombirten Steinen gebildet welche ein breiter, glatter Neif zusammenhält. In der oberen Hälfte verschwindet das Rustico. Sie ist sorgfältig geglättet und mit Basreliefs und kleinen Kreisflächen geziert. Letztere ganz so wie man deren häufig in byzantinischen Bauten sieht. Nach West und Süd fällt der Fels senkrecht in das Meer. In kleineren Verhältnissen, der Salto di Tiberio auf Capri. Eine in die Wand gehauene Treppe führt nach dem Meeresrande herab. Wer als Pilger kam und über glatte wogeubespülte Granitblöcke zu springen versteht, besucht die „schwarze Grotte." Ein natürlicher Damm, der aber nur bei Ebbe gangbar ist, verbindet Enoshima mit dem Festlande. In die- 90 sem Augenblicke bedecken ihn kommende und gehende Pilger-schaaren. Wir ziehen den Seeweg vor, umschiffen ein kleines Vorgebirge, und landen nach einstündiger Fahrt bei dem Dorfe Sakanöshita. Hier sind wir wieder an der Vertragsgrenze angelangt. Es ist eine der lieblichsten und malerischesten Gegenden Nifthons. Wir wollen heute drei berühmte den Residenten von Dokohama wohlbekannte Punkte besuchen: den Daibutsu, Kamakura, die alte Hauptstadt der Shogun, und Kanazawa, gepriesen wegen der schönen Lage und der reizenden Gärten. Die kolossale Statue Buddha's, der Daibutsu, erhebt sich inmitten einer Baumgruppe unweit eines kleinen Dorfes. Den Gedanken zur Errichtung dieses Werkes gab der große Shogun Moritomo: aber erst fünfzig Jahre nach seinem Tode, gegen die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, ward die prachtvolle Statue vollendet und auf dem Platze aufgestellt den sie noch heute einnimmt. Das Antlitz des Gottes athmet vollkommene Ruhe und unbeschreibliche Sanftmuth. Ich frage mich, wie war es möglich mit so einfachen Mitteln eine so große Wirkung zu erzielen? Auch die technische Vollendung, welche eine für jene frühe Epoche merkwürdige Entwickelung der Erzgießerei beweist, ist be-wundernswerth. Das Fußgestcll ist vier Fuß hoch: die sitzende Gestalt des Gottes fünfzig; der Umfang des Kopfes mißt zweiunddreisu'g, die Länge der Nase vier Fuß. 91 Die Luft ist frisch und der Weg allenthalben beschattet. Wir marschiren also zu Fuße weiter, immer zwischen Reisfeldern und Wiesen. Ein einsames Theehaus an dem wir vorüber kommen war Zeuge der vor einigen Jahren an zwei englischen Officieren, Major Baldwin und Lieutenant Bird, verübten Mordthat. Sie kamen wie wir um den Daibutsu zu besuchen, als an dieser Stelle ein Bonze und ein Zweischwertmann sie plötzlich überfielen und niederhieben. Ihre Vakuum hatten nicht die Zeit oder fühlten in sich nicht den Beruf ihnen zu Hilfe Zu eilen. Hier beginnt die lange und prachtvolle Allee die nach Kamakura führt, heute ein Dorf, einst die blühende Residenz der Shogun. Dieser Baumgang ist Alles was blieb von der ehemaligen Herrlichkeit. Er allein deutet darauf hin daß die mit Ackerland bedeckte, auf zwei Seiten von Hügeln eingeschlossene Ebene die zweite Hauptstadt des Reiches trug. Feuersbrünste scheinen sie zerstört zu haben. Ihr Untergang begründete den Aufschwung ^)edo's. Das Hauptinteresse dieser verlassenen Stätte bildet der große Tempel von Hachiman den Mritomo am Ende des zwölften Jahrhunderts gründete. Mritomo und, nach ihm, Taiko-Sama sind in der japanischen Geschichte die hervorragendsten Gestalten. Ihr Lob ist noch in Aller Munde: ihre Thaten leben fort in den Volkssagen von Geschlecht zu Geschlecht. Aber wenn Aoritomo der Gründer dieses Tempels war, 9I so beweist dies nicht daß der Bau, welcher noch vor drei Monaten sich hier in ungeschmälerter Pracht erhob, jener fernen Epoche angehöre. Können überhaupt Holzbauten durch sieben Jahrhunderte der zerstörenden Wirkung des Wetters widerstehen? Es darf bezweifelt werden. Heute liegen die schönsten Theile des Tempels, nämlich die dem Buddha geheiligten, in Trümmern. Die Minister des Tages sind die Urheber der Zerstörung. Nur die dein officiellen Gottesdienste geweihten Gebäude wurden verschont. Welche Verwüstung! Da liegen gestürzte Säulen, Trümmer von reich geschnitzten und vergoldeten Pilastern, von Leuchtern, heiligen Gefäßen und Ornamenten in Vieux-Lack. Der Schmerz, die Wuth der Bevölkerung begreift sich. Der Geschichtsforscher und Kunstliebhaber beklagt die Zerstörung so kostbarer Reliquien: der Christ bedauert daß an die Stelle der Götzenbilder der magische Spiegel trat und nicht das Zeichen der Erlösung; der Staatsmann zuckt die Schultern, der Philosoph sagt sich lächelnd: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Wir wandern weiter durch einen Hohlweg den wundervolle Krypwmerien beschatten. Aus einem Engpasse tretend gewahren wir eine innere Meeresbucht. Sie ist mit lachenden Eilanden besät; ein grüner Gürtel von bewaldeten Hügeln umschlingt sie. Jenseits liegt die Stadt Kanazawa. Hier finden wir Gelegenheit uns in japanischen 93 Artigkeitsbezeigungen zu üben. Eine junge vornehme Dame aus Jedo - das Haupt ihrer Familie ist mit Herrn Adams näher befreundet — befindet sich hier zum Gebrauche der Seebäder. Kaum hat sie die Ankunft des Letzteren erfahren als sie, in Begleitung ihres alten Arztes, erscheint. Sie ist aus Kiyöto gebürtig, ungefähr achtzehn Jahre alt; eine edle Erscheinung, auffallend schön, weih wie eine Europäerin, etwas blaß da sie leidend ist, und mit der den Damen vom Stande eigenthümlichen eleganten Einfachheit gekleidet. Sie wirft sich zu Boden, macht den Kowtow das heißt sie berührt die Matte mit ihrer schönen reinen Stirne! liegt dann einige Augenblicke auf den Knieen, vorwärts geneigt und die nach innen gewandten Hände auf den Boden stützend; hierauf erhebt sie sich, bleibt in gebückter Stellung stehen wobei sie die Hände auf die Knie legt, läßt sich sodann auf ihre Fersen nieder. Die Komplimente sind vollendet; die Unterhaltung beginnt. Mein Freund, als galanter Mann der zu leben weift, hat dieselben Evolutionen ausgeführt. Einen Anfall von Lachlust mit Mühe unterdrückend, bewundere ich immerhin seine Behendigkeit. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten. Die junge Japanerin erhebt sich, wirft mir einen verführerischen Blick zu, stürzt zu Boden und vollzieht sämmtliche Pflichten landesüblicher Artigkeit. Nun kam die Reihe an mich. Die Dame und ihr Arzt, zu wohl erzogen um meine Un- 94 geschicklichkeit zu bemerken, nahmen sodann die Unterhaltung Wieder auf: ein Gemisch von banalen Redensarten, von freundlichen Blicken, von Kichern und Lachen. Später sandte uns die Dame zwei Körbe mit Früchten und Zuckerwcrk. (1. September.) Abreise um sechs Uhr. Als wir eben unser Kangho besteigen wollen, erscheint die liebenswürdige Nachbarin mit dem Doktor. Sie wollte, sagt sie, uns glückliche Reise wünschen. Ihre ganze Toilette bestand aus einem Hemd von Tafft; an den bloßen Füftchen trug sie die landesüblichen Holzsandalen, und das Haar war aufgelöst, da sie in Eile ihr Lager verlassen hatte. Im Ganzen ein reizendes Neglige. Der letzte Theil der Reise, fünf Stunden Weges, verging unter Ausrufen der Begeisterung über die Schönheit der Gegend und unter Schmerzenslauten welche uns die Kangho entrissen. Die Kuli liefen die ganze Zeit im Trabe, und wir werden jammervoll geschüttelt. Dazu überwältigende Hitze. Nm die Mittagsstunde setzen sie uns vor dem Hotel International in Yokohama ab. Entfernung von Kanazawa fünf Ri oder zwölf eine halbe Meile. 95 IV. Ye do. vom 26. zum 28. Huli; vom l8. jnm 22. August; vom 2. jum !8. September. Allgemeiner Anblick, ^ Die Umgegend, — Vesuch l'ei dm Minister dcs Aeusiern, 5awa. — Die denlsche 5chi,le. — Die 5ljil>a »»d ihre Amist. schätze. Offenbarer nl'er unerklärlicher CinjUch dcs italienischen Aurakism. — Gespräche mit dm neuen Minister Iwalinrn. — -'eine Ackormpl'äne, — ?^n»Dde»^ Seidenstoffe, ^inriosilälen. — Der ll.en!pel uon Megoro. — ^aigo, — Die heiliglhiimer von Ikegami. — Die jießennndvierzig Aonin — Ein Wend lk'i 5awn. — Der Palast yamagolen, — Diner l>ei Iwa-ln>ra, — Der Erste Minister 5onjo, — Im Cenipel »wn Ajaüiisa, Die dramnlische plinst. Eine japanische flösse. Das Fig»re»>ial>inct, — Uedo znr Nachtzeit. — Im Chechanse oe^ ).>!io.;en. — Audienz üeim Mikado. — Die l'Nllische Gesa»d!jchast. - Alueije. (26. bis 23. Juli.) Mein erster Aufenthalt ist einer allgemeinen Betrachtung Jedo's gewidmet. Erst seit zwei Jahren den Fremden eröffnet, wurde die große, noch immer geheimnisvolle Hauptstadt Japans früher von den Botschaftern Lord Elgin und Baron Gros, und seither von mehreren Europäern besucht. Die fremden Gesandtschaften schlugen dort für einige Zeit ihren Sitz auf. Unter den verschiedenen Beschreibungen, deren Zahl ich nicht zu vermehren gedenke, ist Richard Lindan's Schilderung*) die bekannteste und, meiner Ansicht nach, die beste. Es kom- 5) Gerichtet an die Voudoner Asiatische Gesellschaft; kui-tk ^liiün Iirkü^w. December 1864. 96 men darin zwar viele Lücken vor, denn zur Zeit seines Besuches waren mehrere Tempel, namentlich die Gräber der Shogun, die Shiba, die Perle und das letzte Wort japanischer Kunst, den Ausländern noch unzugänglich. Dies schmälert aber nicht das Verdienst des deutschen Schriftstellers der auch noch mit andern jetzt beseitigten Hindernissen zu kämpfen hatte. Hier mögen nun einige an Ort und Stelle von mir gesammelte Notizen folgen.*) Man stelle sich eine wellenförmige Ebene vor. Im Süden begrenzt sie der seichte Wasserspiegel des Golfes i im Osten nnd Norden ein schöner breiter Strom.. Niedere Anhöhen durchziehen sie in ihrem südlichen Theile parallel mit dem Meere. Ungefähr im Mittelpunkte der Ebene, aber näher am Golf, erhebt sich ein isolirter Hügel der ungefähr drei bis vier Meilen im Umfange hat. Im Nord-Osten läuft eine andere Hügelkette, vom Strom ausgehend, gegen Westen. So ist der Boden beschaffen auf welchem sich Jedo erhebt. Der Strom heißt Sumidagawa. Der isolirte Hügel im Centrum trägt das Schloß der Shogun, seit zwei Jahren die Residenz des Mikado. Der bewaldete Hügel im Nordost ist Ueno, der Tempelgrund und die Be- *) Sie machen, ich wiederhole es, keinen Anspruch für eine Beschreibung zu gelten. 97 gräbniftstätte mchrerer Herrscher von Jedo. Der andere Hügel im Süden ist die Shiba mit den prachtvollen Gräbern anderer Shogun. Zwischen den Anhöhen und rings um den niederen Kegel der das kaiserliche Schloß trägt dehnt sich die Stadt aus. Ihre Grenzen sind im Norden der Sumidagawa welcher nach einer scharfen Biegung südwärts in das Meer fließt: im Osten ein hügeliges Terrain; im Süden der Golf: gegen West kleine seichte mit Nadelholz, Bambus und Reisfeldern bedeckte Thäler und Hügel. Land und Stadt stießen da, sozusagen, ineinander. Oestlich vom Strome ist die große Vorstadt Hondjo; südwestlich von der Stadt das große Darf Shinagawa, eigentlich nur eine Fortsetzung der Vorstadt Takanawa. Dedo besteht aus vier Quartieren: dem Iiro, dem Sotojiro, dem Midzi und dem Hondjo. Der Iiro, das kaiserliche Schloß. Nur die Ringmauern sind sichtbar. Die von dem großen Taiko-Sama vor nicht ganz dreihundert Jahren*) gepflanzten Bäume entziehen dem Blicke der Profanen den Ort welchen heute der Sohn der Götter bewohnt. Ein grüner Sammetteppich von immer frischem Nasen bedeckt die Abhänge des Kegels: ein mit Nasser gefüllter breiter und tiefer Burg- *) 1596. Hilbncr, Epazicrgang II 98 graben, jetzt mit blühenden Lotusblumen gefüllt, umfängt ihn. Kein Sterblicher, außer den durch ihr Amt hiezu Berufenen, überschreitet die Schwellen des Palastes. Nur bei den, seltenen, Audienzen haben die fremden Minister Zutritt. Nings um den Iiro erstreckt sich der Sotojiro. Er enthält die Dashte (Paläste) der großen Hofwürdenträger, der Staatsminister und Daimio, welche letztere unter den Shogunen sechs Monate des Jahres in Aedo zubringen mußten. Seit dem Sturze ihres Gebieters zogen sie sich meist auf ihre Besitzungen zurück. Ein breiter Kanal, ein unregelmäßiger Kreis, bildet die Grenze dieses Quartiers. Nur ostwärts erstreckt es sich bis an den Smnidagawa. Diesen Theil vom Sotojiro durchziehen mehrere lange und, letztere im rechten Winkel kreuzend, eine Unzahl kleiner Gassen. Es ist die Residenz der Handelswelt, die City wie sie die Engländer mit Necht nennen. Die schönen und reichen Kaufläden, das Treiben in den Straßen, wo sich die Menge von früh Morgens bis zu Sonnenuntergang drängt, bilden einen grellen Gegensatz mit den meist geschlossenen Palästen, mit der Stille und Einsamkeit des aristokratischen Quartiers. Nördlich, westlich und südlich am Sotojiro entfaltet sich der Midzi oder die eigentliche Stadt. Mehrere hoch-bogige Brücken stellen die Verbindung mit dem Sotojiro 99 her. Die berühmteste ist Niphonbashi, oder die „japanische Brücke", so genannt weil über sie die große Kaiserstraße läuft, welche die Insel Nivhon von ihrem südlichen Ende gegenüber der Insel Kiushiu bis zur Nordsftitze, gegenüber von Hakodate auf Mzo durchzieht. Innerhalb Dedo heißt sie Odori, große Straße-, zwischen Medo und Nagasaki To-kaido, Weststrasie, von Vedo bis gegenüber von Hakodate, Oshiukaido oder Nordstraße. Der Tokaido ist, sei im Vorbeigehen bemerkt, fast überall gut unterhalten, bis zum Flusse Odawara sogar fahrbar, in den Bergen jedoch häufig durch Steintreftpen unterbrochen und daher für Pferde kaum überall gangbar. Niphonbashi gilt für den geographischen Mittelpunkt des Reiches. Auf den amtlichen Tabellen werden die Entfernungen nach allen Punkten des Reiches von der Niphonbrücke aus berechnet. In ihrer Nähe wurde Hr. Heusken, Sekretär der Nordamerikanischen Gesandtschaft, ermordet. Der Midzi ist ein buntes Gemenge volkreicher und verlassener Straßen, von Gärten, Reisfeldern, Tempeln, deren vorzüglichste die Asakusa, der Unno, und die Shiba sind, von Lustgärten und heiligen Hainen. Die belebtesten Theile des Midzi sind Odori und 5ne anderen mit dem Meere parallel laufenden Straften, die Umgegend der Shiba und der Asakusa. An andern Stellen könnte man sich am Lande glauben. Nördlich von Takanawa, gegen Meguro, geht die Stadt allmälig in 7* 100 Haine und Reisfelder über. Südlich, am Mceresufer, in geringer Entfernung an der Mündung des großen Stromes entstand in den letzten zwei Jahren Tsukiji, das Fremdenviertel. Von Kanälen umgeben und durchschnitten, ohne Gärten und baumlos, sieht es langweilig und traurig aus. Hier befindet sich das neue, fast immer leerstehende sogenannte amerikanische Aktienhotel, eine französische Garküche mit dem pomphaften Namen Hotel de France, und die Konsulate und die Wohnhäuser von etwa dreißig bis vierzig Europäern und Amerikanern. Weiße Frauen fehlen derzeit noch. In der Nähe, am Gestade des Golfes, erhebt sich das kaiserliche Lustschloß Hamagoten mit seinem prachtvollen Parke. Im nördlichen Theile des Midzi befindet sich das berüchtigte Joshiwara. Wer hat nicht die lügenhaften oder übertriebenen Schilderungen dieser Anstalten gelesen welche die Regierung überwacht und zum Theil selbst errichtet hat? Einige Reisende haben behauptet in Japan gelte das Gewerbe der Kourtisanen für ehrbar, anständige Männer wählen ihre Gattin in ?)oshiwara und dergleichen mehr. Dagegen Wird mir von glaubwürdiger Seite versichert, daß dies ganz falsch sei: es möge hicr wie anderwärts vorkommen, daß ein Mann sich in eines dieser unglücklichen Wesen verliebe und sie Heirathe, aber in Japan wie überall sind diese armen Geschöpfe ehrlos und die Orte, wo sie ihr Gewerbe treiben, Brutstätten von Krankheit, Laster und 101 Selbstmord. Gin Staatsbeamter, der beim Besuche eines solchen Hauses betroffen würde, verlöre seine Anstellung. Am linken User des Sumidagawa liegt die große Vorstadt Hondjo, mit ihren vielen Theehäusern und Ha-tagoya, wörtlich übersetzt, Häusern der Ruhe, in der That aber verrufenen Orten welche hauptsächlich von Studenten besucht werden. Mehrere große Negierungsmagazine und die Paläste einiger Daimio befinden sich im Innern der Vorstadt. Im nördlichen Theile hausen die Eta, der verfluchte Stamm, die Parias von Japan. So sieht Uedo im Allgemeinen aus. Vier Elemente wiederholen sich in das Unendliche. Sie sind: der Tempel, das Jashke, so heißen die Paläste der Daimio, das Bürgerhaus und der feuerfeste Waarenthurm. Im Tempel waltet der buddhistische Charakter vor. Aedo ist wesentlich eine Schöpfung der Shogune. Sie haben die Stadt erbaut und zur Hauptstadt gemacht, und waren von jeher Anhänger und Beschützer des Buddhism. Die Jashke haben mit dem Palast nur den Namen gcmein. Es sind Häusergrupften umgeben von einstöckigen, weißgetünchten Nebengebäuden deren Fenster mit einem schwarzen Holzgitter versehen sind. Diese Nebengebäude bilden zugleich die Ringmauer, und werden von den ade-llgen Zweischwertmännern, den Reisigen und Dienern bewohnt. Es sind immer niedere, weitläufige Parallelogramme 102 nut einem kasernenartigen Aussehen. Das Dach ist mit schwarzen weißgeränderten Ziegeln bedeckt. Weiß und Schwarz sind die beiden in Sotojiro vorherrschenden Farben. Hier wie überall in Japan ist das Bürgerhaus ein auf Pfeilern ruhendes, schwerfälliges Dach. Gegen die Strafte sowie gegen den Hof steht die Behausung bei Tage gänzlich offen: während der Nacht wird sie durch verschiebbare Bretterwände nach außen geschlossen. Die Zwischenwände im Innern sind gleichfalls bewegliche mit weißem Papier bespannte Holzrahmen. Von der Straße aus dringt also der Blick ungehindert in die Häuslichkeit der Inwohner. Der Japaner hat für Niemanden ein Geheimniß; zwei oder drei, in dieser Jahreszeit vom Gürtel aufwärts unbekleidete, Weiber gehen ihren häuslichen Verrichtungen nach; ein oder mehrere nackte Männer liegen rauchend oder schlafend am Boden ausgestreckt; im Halbdunkel spielen die Kinder. In einer Ecke brennt das Feuer, in einer andern eine Lampe zu Ehren des Haus-go'tzen; seinen Altar schmücken weiße Papierschnitzel und Blumen. Auf einem viereckigen lackirten Theebrett stehen die winzigen Tassen von feinem Porzellan, am Hecrde der Theekessel mit stets siedendem Wasser. Keine Einrichtungsstücke, auher der schonen am Boden ausgebreiteten Matte. Alles äußerst reinlich. Ist das Haus zugleich Kaufladen, so besitzt es meist ein Obergeschoß das als Waarenlager dient. 103 Endlich der unverbrennbare Thurm, der aus Holz gebaut, meist sehr niedrig, mit einer dicken Schichte Cement bekleidet und schwarz übertüncht ist. Die sehr kleinen Fenster werden durch Läden von massivem Eisen geschlossen. Dies ist der Sicherheitsort. Wenn Feuersbrünste, Erdbeben oder Thvfthone wüthen, schafft der Eigenthümer seine Werthvollcn Gegenstände eilends in den Thurm, verschließt ihn, und rettet sich sodann wie er kann. Seine Habseligkeiten sind in Sicherheit; Sturm, Feuer, Erdbeben können ihnen nichts anhaben. Dies sind die vier Elemente welche der Phyfionomie von Mdo ihren eigenthümlichen Charakter verleihen. Man stelle sich vor, daß die Tempel in der ganzen Stadt verstreut sind, die Aashke sich hauptsächlich in der Nähe des kaiserlichen Schlosses zusammendrängen, im Hondjo hie und da, im Südwest der Stadt selten vorkommen: man stelle sich sodann ein Meer vor von unter einander vollkommen ähnlichen kleinen Häusern und, in Sotojiro, neben den meisten Kaufläden, den, niederen schwarzen Thurm; in den langen und nicht breiten aber wegen der geringen Höhe der Häuser breit scheinenden Straßen, eine Menge von Männern und Weibern aus den unteren und mittleren Klassen, denn die vornehme Dame zeigt sich selten oder nie; von Kindern, von Blinden in entsetzlich großer Zahl, von Nornnon, Kangho und Iinritisha. Bekanntlich ist der 104 Norimon ein geschlossener, der Kangho ein offener Korb welcher an einem dicken Bambusrohr hängend von Kuli getragen wird. Beide, der Norimon und der Kangho, ersetzen den indischen Palankin. Der Iinrikisha besteht erst seit einem oder zwei Jahren, und zählt man deren in 3)edo bereits über zwanzigtausend. Er ist ein zweirädriges Fuhrwerk, mit lackirtem Kasten und einem Oberdache von Segeltuch, nach Art unserer Kaleschen. Ein Mann vertritt die Stelle des Zugviehs. Der Name bezeichnet dies.*) Der Erfinder ist ein reicher Mann geworden. Der Kuli legt im kleinen Trab drei bis vier Meilen die Stunde zurück. Wer sich des Fuhrwerkes bedienen will, vermeide die Berührung mit dem dienstbaren Geiste der zugleich Kutscher- und Pferdestelle vertritt, sitze aufrecht und ziehe Füße und Kniee an sich. Er sei auch auf häufige kleine Unfälle gefaßt. Ein verlorenes Nad, ein zusammenbrechender Sitz, der Verlust des Daches wenn es an einem Aushängeschilde hängen bleibt, gehören zu den gewöhnlichen Ereignissen. Also diese Fuhrwerke stelle man sich vor, in ununterbrochener Neihe auf einander folgend und gefüllt mit Weibern, Bonzen, Tänzerinnen und Sängerinnen, — sind an dem übertriebenen Haarputze erkenntlich — kurz mit Japanern und Japanerinnen, genau wie sie auf den *) Iin, Mann; rill, Kraft; sha ist das verdorbene englische Wort «!>r Ein dnrch Mcnschenkraft bewegter Karren. 105 tausend Vasen, Fächern und Bilderbögen die Jedermann gesehen hat vorkommen, und man bildet sich, ohne allzu großen Aufwand von Phantasie, eine ziemlich richtige Vorstellung von der großen Hauptstadt des Ostens. In den reicheren Stadtvierteln, wo die mögliche Beute die Diebe anzieht, vervielfältigen sich die Wachtposten und Straßengitter welche Nachts geschlossen werden zur großen Unbequemlichkeit der ehrlichen Leute und ohne allzu großen Nachtheil für die Strolche. Aber eine Schattenseite des Gemäldes darf nicht unerwähnt bleiben: die Männer die den Dünger in großen Körben nach den Gärten und Feldern tragen. Rasch den Kopf gewandt und die Nase zugehalten! Auch die Gossen verbreiten keine Wohlgerüche; aber, dies ausgenommen, gibt es in Asien keine, in Europa gewiß nur wenige Städte die im Punkte der Reinlichkeit mit Jedo den Vergleich aushielten. Es ist nicht nur eine reinliche, es ist auch eine heilere, wohlhabende Stadt. Kein Tag vergeht wo nicht in irgend einer Gasse dem Lokalgötzen gehuldigt würde. Vor den Häusern erheben sich Fahnen und hohe Bambusrohre an deren Spitze Wimpel flattern. An Bindfäden sind Pa-ftierschnitzel gebunden. Künstliche Blumen und natürliche im Neberfluß. Vor dem Tempel beflaggte Stangen. Bonzen in Menge. Musik und Trommel. Die ehrsamen Bürger, an der Schwelle ihrer Buden die Procession erwartend. 106 Für Jedermann eine tressliche Veranlassung den Tag über nichts zu thun. Was liegt auch daran! Neis oder mindestens Gerste hat man ja doch, und der Neis oder die Gerste genügt; im alten Japan gibt man sich mit Wenigem zufrieden. Uebcrfluß und Elend find unbekannt. Man hält die Mitte. Es ist dies das Loos der Glücklichen und, trügt der Anschein nicht, das Loos der Mehrzahl der Bewohner dieser Stadt. Nur wenige Bettler sah ich. Es gibt deren am Tokaido und gewiß auch in Mdo. Aber sie drängen sich nicht auf. Die welche mir vorkamen schienen eher ein Gewerbe auszuüben und sahen eigentlich nicht elend aus. In den Theehäusern kamen Kinder an uns heran um zu betteln. Sie waren dazu abgerichtet ihren großen rasirten Kopf zu schütteln, dazu die Händchen hin und her zu bewegen um das Lob des Reisenden zu singen. Die Wirkung war überaus komisch. Ist dies nicht seltsam? Das Elend, welches um Mitleid einzustoßen als Karrikatur auftritt! In Europa will der Bettler rühren, hier will er heiter stimmen. Die Seufzer lassen uns kalt, denn wir hatten sie für erkünstelt. Aber die Schwanke des armen Japaners rühren zuerst die Milz und dann das Herz. Der Gedanke ist nicht schlecht: er ist praktisch, ich möchte beinahe sagen tief. Ich habe umsonst nach einem Höhepunkte geforscht von welchem man die ganze ungeheure Stadt übersehen 107 könnte. Die Beschaffenheit des Bodens und der Mangel an Thürmen machen dies unmöglich. Vom Dache des großen Hotels im Frcmdenviertcl sieht man ein Dreieck dessen Scheitel das Schloß ist. Gegen Nord und Südwest begrenzen der Ueno und die Shiba den Horizont. Südlicher zeigen sich die Secforts welche bei Annäherung des amerikanischen Geschwaders in Eile errichtet wurden^), das Vorgebirge von Kanagawa und der Golf. Jenseits desselben fliehen Luft, Erde und Wasser in einander. In Sotojiro, in unmittelbarer Nähe des Schlosses, erhebt sich zu ungefähr gleicher Höhe mit letzterem ein Hügel den ein ärmliches Thcehaus krönt. Von da Übersicht man denselben Theil von Jedo, aber in entgegengesetzter Richtung. Blicken wir um uns: von Nord nach Süd, zu unserer Rechten ist die Aussicht durch eines der Schloftthore und eine Vaumgruppe beschränkt; links durch die Anhöhen von Ueno; vor uns zu uusern Füßen entrollt sich ein Bild das einzig ist in seiner Art. Ich habe schönere Fernsichten gesehen aber keine so seltsam eigenthümliche. Auch die Verhältnisse sind überwältigend, eine Beschreibung kaum möglich: in einen ungeheuren grünen Teppich sind weiße Linien, graue und weiße Puukte eingewebt. Je mehr sie sich dem Horizonte nähern je dichter 'y 1854. 108 erscheinen sic dem Auge. Eine natürliche Wirkung der optischen Gesetze. Kein Anfang, kein Ende. Ich weiß daß hinter dem Ueno zu meiner Linken, hinter dem Schlosse zu meiner Rechten, sich ein Gemische von niedern Häusern, Bäumen, Gärten, Feldern ausdehnt. Ich sehe es nicht, aber ich weiß es. Vor mir rollt sich dasselbe Bild auf. Nichts was den Blick besonders fesselte. Hie und da ein ragendes schwerfälliges Tempeldach i viele Fahnenstangen und Holzpfeiler an welchen die Verordnungen, darunter die das Christenthum verpöhnenden Dekrete, angeschlagen Werden. Die kleinen unverbrennbaren Thürme sind zu niedrig um bemerkt zu werden. Nur zwei Gebäude erheben sick) über das allgemeine Niveau: das Aktienhotel und das Zollhaus welches ein englischer Architekt für die japanische Regierung eben ausführt. Die Entfernung mildert die ungefällige Wirkung dieser beiden fremdartigen Elemente. Nichts stört also den Eindruck des Gesammt-bildes. Neber der Stadt herrscht tiefes Schweigen. Der Gesang der Lastträger und Veto verhallt ungehört. Kaum daß ich das dumpfe Dröhnen der Tempelgong vernehme. Vögel, soviel ich weiß, gibt es nicht. Einzelne schwache, verworrene Töne dringen zwar zuweilen an mein Ohr, aber sie sind so verschieden von dem Straßenlärm unserer Städte daß sie in dem Europäer die Empfindung des nie Dagewesenen nur erhöhen. Das Ganze hat etwas Un- 109 erklärliches, Geheimnißvolles, beinahe Unheimliches! Ich Verzichte auf den Versuch dies Etwas zu beschreiben. Im Nord-Osten der Stadt gewährt die Anhöhe Ata-goyama den Blick nach einem andern Theile Jedo's. Zwei steinerne Treppen führen zu ihr hinan. Prachtvolle Kryp-tomerien krönen den Scheitel, und werfen ihre breiten Schatten über ein elegantes Theehaus. Man muß gegen Sonnenuntergang hingehen. Südwärts dehnt sich der westliche Theil des Midzi aus. Nach der entgegengesetzten Richtung gewandt, erfreut sich das Auge, in unmittelbarer Nähe, an niedern Waldhügeln, kleinen mit Nasen bekleideten Schluchten, schönen Baumgruppen und saftgrünen Reisfeldern. Ein überraschender und unbeschreiblich reizender Gegensatz. Hier eine unermeßliche Stadt, dort, hart daneben, eine Gebirgslandschaft. Beides ist Mdo.*) Niemand unterlasse Oji zu besuchen. So heißt ein kleiner Velustigungsort außerhalb und im Nord-Westen der Stadt. Kleine Hügel, ehrwürdige Kry ptomerien, kühle Schatten, ein rieselnder Bach, Wasser in Menge, hübsche, 5) Ich gebe absichtlich keine statistischen Einzelheiten, weil ich den vorhandenen mir wenig Glauben schenke. Gewöhnlich wird der Flächenraun, Pcdo's auf 85 Quadrat-Kilometer, die Bevölkerung sehr verschieden auf zwei, anderthalb Millionen, ja Nur auf 800,000 Einwohner berechnet. Ich verbürge keine dieser Zahlen. 110 zierliche Theemädchen die die Gäste anlächeln, ihnen Thee, Tabak und Wüschen Fisch serviren, im Kreise sitzend Unterricht ertheilen in der schwierigen Kunst, statt Messer und Gabel, die kleinen Elfenbeinstäbe zu handhaben; die nach vollendetem Mahle niedere, schmale Schemmel bringen. Ein jeder ist mit einer kleinen Nolle von Baumwolle versehen die, in ein frisches Blatt Papier gewickelt, als Kopfkissen dient. So strecken wir uns auf der leuchtenden, glatten, reinen Strohmatte aus. Die Nesan schieben die Paftierwände zusammen, und entfernen sich die Reisenden der Ruhe überlassend. Nur die dem Garten zugewendete Seite des Gemaches ist offen geblieben. Da entschlummern wir. Ein frisches Lüftchen ist in die Schlucht gedrungen, spielt mit den Wasserfällen, mit den riesigen Blättern der Lotusblume, mit den flüsternden Zweigen uralter Zwergeichen, fächelt und kühlt unsere brennenden Wangen. All dies ist reizend und hundertmal beschrieben worden. Die Nesan sind, wie gesagt, Aufwärterinnen die sich wie vornehme Damen kleiden, und die Formen der großen Welt angenommen haben. Nicht mehr und nicht weniger. Was man sonst von ihnen erzählt beruht auf Vermuthungen, Vielleicht auf Verleumdungen. Wer an solchen Geheimnis-Gefallen findet möge die Wahrheit ergründen. In geringer Entfernung von Oji, etwa zwanzig Minuten Weges, befinden sich Theeftflanzungen. Ich vergaß Ill den Namen des Ortes. Ein gewaltiger Bach stürzt von einem Fels herab. Alte Pinien haben mit ihren Aesten über den schäumenden Nassern eine immergrüne Kuppel gebaut. Hier werden Douchebäder genommen. Daneben sah ich ein mir neues Spielzeug *), wie es nur der Genius dieser Nation zu erfinden vermochte. Ein ausgehöhlter, kugelförmiger, rothlackirter Kürbis wird in den Wasserstrahl eines Springbrunnens gebracht. Die Kugel dreht sich um sich selbst, steigt durch die Wasserkraft in die Höhe, sinkt am Scheitel des Strahles angelangt durch ihr eigenes Gewicht herab bis wo sie, überwältigt durch letzteren, wieder nach oben getrieben wird. Der Rückweg führt uns durch eine Allee von Zwergbäumen mit künstlich verschränkten Aestcn. Eine schöne junge Frau, mit einem Kinde auf dem Rücken, einem anderen an der Hand, tritt uns lächelnd entgegen. Plötzlich stößt sie einen Schrei aus. Tödtliche Blässe übergießt ihr Antlitz. Wir eilen herbei, und gewahren auf einem nahen Baum eine Schlange. Den Schweif hat sie um, einen Ast geschlagen, den flachen Kopf und den schwarzgesprenkelten Oberleib streckt sie gegen die junge Mutter aus. Diese steht wie festgebannt, zitternd und unfähig zu entfliehen. *) Ich höve dah es vor einigen Jahren nach Europa gebracht wurde. 112 Unsere Wächter entfernen sich mit den Kindern, und Verneigen sich bis auf den Boden vor dem Thiere welches die Nähe so vieler Menschen nicht zu beirren scheint. In der That es hat nichts zu befürchten. Schlangen sind heilig und zwar aus guten Gründen. Weiß man nicht daß Drachen zuweilen die Gestalt von Schlangen annehmen, und Götter in Gestalt von Drachen zu uns irdischen Wesen herabsteigen? Ner eine Schlange tödtet begeht vielleicht einen Göttermord. Darum befinden sich diese Thiere so wohl im Reiche der aufgehenden Sonne. (li^. August.) Ich genieße hier der liebenswürdigen Gastfreundschaft des Herrn Adams, und kehre von meinen verschiedenen Ausflügen mit immer neuem Vergnügen nach der brittischen Gesandtschaft zurück. Heute Morgens hier angekommen, fand ich den englischen Nichter Herrn Han-nen und seine liebenswürdige Gemahlin, die andern Glieder der Legation und Doktor Wheeler. Welcher Abstand zwischen diesem Kreise angenehmer und unterrichteter Menschen und dem wilden Treiben im Gasthaus zu Jokohama! (19. August.) Langer Sftaziergang in der Umgegend. Ein englifcher Park mit japanischer Vegetation. Alles ist I 13 hier anders als in der übrigen Welt. Zum Beispiel: wir verlassen den in einer sehr belebten Straße gelegenen Gesandtschaftshotel: wir treten in die nächste Nebengasse. All-mälig gewinnt sie das Ansehen eines Dorfes. Noch einige Schritte und ländliche, schweigsame Abgeschiedenheit umfängt uns. Wieder einige Schritte weiter, und wir befinden uns mitten in einer volkreichen Stadt. Uebrigcns hört man wenig Lärm, selbst in den bevölkertsten Stadt -thcilen: denn es gibt kein Pflaster, keine Wagen, fast keine Pferde. Die Strohsandalen der Fußgänger dämpfen den Schall des Trittes. Eigentliches Gedränge ist selten, und wo es vorkommt, gleiten die Menschen sanft an einander vorüber. Sie sind nicht schweigsam: im Gegentheil es wird fortwährend geschwatzt, aber nicht überlaut, und man vernimmt mehr Gelächter als Worte. (20. August.) Heute ist Sonntag. Im Tsukiji, dem europäischen Quartier, gibt es weder Priester noch Prediger, weder Kirchen noch Kapellen. Dagegen liest man an allen Orten wo die Negierungserlasse angeschlagen sind das Verbot gegen die Ausübung der christlichen Religion. Die gegenwärtigen Träger der Gewalt, obgleich Männer des Fortschrittes, sind infofern Konservative, als sie die christliche, besonders die katholische Religion hassen. Die 114 Ausübung ihres Kultus ist den fremden Residenten in den Treaty-Ports gewährleistet. Aber wie verhält es sich mit Jedo und Osaka? Diese Frage wird bei der bevorstehenden Revision der Verträge wohl eine befriedigende Lösung erhalten. Heute Nachmittag war ich bei Sawa Nabuyoshi, dem Ersten Minister des Aeußeren. Er ist nur fünfzig Jahre alt, sieht aber wie ein Greis aus. In Japan wird rasch gelebt. Sein Gesicht gefällt mir;.offen, Wenn er scherzt, ein wenig satirisch aber wohlwollend und gemüthlich. Man kann den alten Herrn nicht ansehen, ohne ihm gut zu sein. Er und sein Sohn tragen eine einfache Tunika von leichtem Seidenstoffe. Ihr Benehmen ist würdevoll und unge« zwungen. Das Gemach, in dem wir uns befinden, entbehrt aller Einrichtungsstücke, den Tisch ausgenommen den der Minister für die fremden Diplomaten aufschlagen ließ. In einer Nische steht eine Vase von böhmischem Krystall, ein Andenken der österreichischen Gesandtschaft welche Japan im vorigen Jahre besucht hat. Auf Befehl seines Vaters bringt der Sohn die Gallakleider seiner Mutter herbei und legt sie unter vielem Lachen an. Es sind reiche schwere Gold- und Seidenstoffe. Sawa ist Gelehrter und erzählt uns viele interessante Dinge. In den alten Gebräuchen, in Geschichte und Archäologie gilt er für sehr bewandert. Seine Liebbaberei für Alterthümer benutzend 115 bringe ich meinen Wunsch an Kiyöto (Miako) zu besuchen. „Was wollen Sie in Kiyöto machen?" sagte er mit verlegener Miene. „Es ist eine alte Stadt; ein wenig herabgekommen seit der Kaiser seine Residenz nach Dedo verlegt hat, und überdies unlängst durch Feuersbrünste theilweise zerstört. Wenn Sie nach Kiyöto gehen, werden andere Europäer dasselbe thun wollen. In Kiyöto gibt es böse Leute. Es könnte Ihnen ein Leid geschehen. Gehen Sie nicht hin. Sind ja doch gerade die neuen, die schönsten Häuser abgebrannt." — „Ich bin überrascht, antwortete ich, Sie so sprechen zu hören. Nicht der neuen Häuser wegen will ich nach Kiyöto reisen: die alten Gebäude und Tempel, die schönsten und berühmtesten in Japan, möchte ich besichtigen. Sawa, ein so großer Kenner der Alterthümer, ein so feiner Würdiger der Architektur, könnte er ernsthaft behaupten daß Kiyöto nicht die älteste Stadt des Reiches ist?" Die Bemerkung wirkte. Der Minister lächelte, gab mir Recht, und erbat sich nur einige Tage, um „die nöthigen Gründe zu finden mit denen er im Ministerrath meinen Wunsch zu unterstützen" gedenke. Sawa ist ein aufgeklärter Geist, er begünstigt die Reformen und huldigt dem Fortschritt, wenn er gleich zu verständig ist um die Ueberstürzungen der gegenwärtigen Rathgeber des Mikado zu billigen. Dennoch ist ihm der Gedanke unangenehm daß ein Europäer die heilige Stadt 8* 116 betrete, und nicht ohne Schwierigkeit wird es ihm gelingen die Zustimmung seiner Kollegen zu erhalten. So tief wurzelten hier, während der letzten drei Jahrhunderte, die Furcht vor den Fremden und der Grundsatz ihrer Ausschließung. Dies hindert aber die neuerungssüchtigen Minister keineswegs junge Leute massenhaft nach Europa zu schicken, unsere Tracht anzunehmen und den Gingebornen aufzudrängen, und das Studium unserer Sprachen zu begünstigen. Soeben haben sie in Mdo eine deutsche Schule errichtet. Ich besuchte sie unlängst und fand ein Dutzend Knaben und Jünglinge, welche folgende zwei Sätze im Chor Wiederholten: „Der arme Mann will sein wie der reiche Mann" und „Der reiche Mann will nicht sein wie der arme Mann." Zuweilen irrten sie sich und sagten, der Reiche will sein wie der Arme. Der Lehrer, das Urbild des deutschen Schulmeisters, gerieth in Entrüstung: ,,^i-i-mk2on") rief er mit strengem Tone, „arim^,,, nicht, nicht!" Und die Knaben sielen wieder im Chore ein: „Der — ar — me — Mann—will — nicht — sein — wie — der —reiche". Hierauf neuer Zornesausbruch des Schulmeisters. Das Wort reich bereitete den japanischen Kehlköpfen unüberwindliche Schwierigkeit. Ich glaube in meinem Leben nicht herzlicher gelacht zu haben. Das Komischste war aber der Herr Lehrer. Diese Jungen werden wahrscheinlich das 117 Deutsche wieder vergessen; noch wahrscheinlicher werden sie es nie erlernen: aber der Grundsatz wird in ihren Oe-müthern eingeprägt bleiben — es steht nicht im Evangelium — daß Reichthum mehr werth ist als Armuth. (21. August.) Ich war heute zum dritten Male in der Shiba und habe dort den ganzen Morgen zugebracht. Die Shiba enthält mehrere Shogungräbcr, Tempel und reiche Klöster. In diesem Augenblicke werden die Bonzen der letzteren, theilweise, ihres Besitzthums beraubt. Mit ein wenig Geld und der Aufhebung des Cölibats findet man sic ab. Die mit Beschlag belegten Klöster Werden in Kasernen verwandelt. Dies ist die neueste Maßregel, schwerlich die letzte ihrer Art. Im Ministerrathe erheben sich Stimmen welche die Abschaffung des Buddhism von Amtswegen, die Aufhebung aller Klöster und die Abtragung der Shibatempel verlangen. Letztere enthalten bekanntlich, mit denen von Kiyöto, die äußersten Leistungen japanischer Kunst. Heute bestehen sie noch in all' ihrer zauberhaften Pracht. In der Mitte des Hofes erhebt sich die große Tempelhalle, neben ihr die mit einem schweren Dache bedeckte Estrade-, zwischen alten Bäumen ein mehrstöckiger, vierseitiger Thurm. Diese Gebäude sind im gewöhnlichen 118 Style der Buddhatempel aufgeführt, aber alle andern übertreffen sie durch die Vollendung des Schnitzwerkes, durch den Reichthum im Einzelnen, durch den verschwenderischen Anfwand an Vergoldung. Die unbeschreibliche Harmonie der Farben läßt das Barbarische der Architektur, das Groteske der Bildhauerei übersehen. Gewiß, die Gottheit herrscht hier, aber umweht von Hofluft. Unwillkürlich denkt man an die Kapelle Ludwigs XIV. in Versailles. Die wahren Schätze der Shiba sind die Gräber. Von einander durch niedere Mauern getrennt, folgen sie sich eine breite Allee entlang. Die Bäume, Koniferen verschiedener Art, wurden zu Ende des sechszehnten Jahrhunderts von Taiko-Sama gepflanzt. Die ältesten Gräber reichen nicht über das erste Drittel des siebenzehnten Jahrhunderts zurück. Ich habe sie alle zu wiederholten Malen besucht und aufmerksam besichtigt. Sie zeugen von einer allmäligen Entartung der Kunst. Dies ist wenigstens mein Eindruck. Erst nach dem Besuche der gleichfalls von Taiko-Sama herrührenden großen Tempel und des Schlosses von Kiyöto werde ich mir ein Urtheil bilden können. Die Mausoleen der Shiba bestehen aus drei verschiedenen Elementen: diese sind der Hof, die Tempelhalle und, hinter dem Tempel, das Grabmal. Der Hof ist von dem großen soeben erwähnten Baum- 119 gange durch eine Mauer getrennt, die nach innen eine bedeckte Gallerie bildet. Die Fenstergitter dieser Mauer find durchbrochene Hautreliefs in Holz geschnitzt, Pfauen, auf Wolken sitzende Fasanen, schwimmende Wasservögel vorstellend. Das Vor- uud Zurücktreten der Glieder verräth eine seltene technische Fertigkeit, Die Farbenpracht und die reiche Vergoldung erhöhen den wundervollen Eindruck dieser kleinen Meisterstücke in denen die Naturwahrheit der schuldigen Rücksicht für den idealen und symbolischen Charakter des Gegenstandes mit merkwürdigem Zartgefühl bis zu einem gewissen Grade geopfert wird. Im Hofe sind hohe Steinlaternen, wie sie in keinem Tempel fehlen und in den meisten Gärten vorkommen, in doppelter Reihe aufgestellt. Bei jedem Schritte, neues Erstaunen über die Verschwendung des Materials, den Reichthum an Ornamenten, die Vollendung im Einzelnen, die feierliche Pracht des Ganzen. Gegenüber dem Eingänge steht der eigentliche Tempel. Hier erinnert Alles an die Größe des verblichenen Potentaten, an seine Macht, seinen Reichthum, seinen mystischen Glauben. Zu beiden Seiten der Thüre gewahrt man die, in Buddhatemfteln selten fehlenden, zwei Götzen in Lebensgröße. Der eine, mit roth lackirtem Gesichte und zornigem Ausdruck, crmahnt den Eintretenden zur Gottesfurcht oder zu anständigem Benehmen: der andere, gewöhnlich grün 120 lackirten Antlitzes und mit verhältnißmäßig minder scheußlichen Zügen, heißt ihn willkommen. Diese Erklärung gab mir ein Bonze. Wenn irrig, bitte ich Fachgelehrte um Berichtigung. Eine reich geschnitzte und mit Goldbronzen eingelegte Thüre führt in das Innere. Bei meinem ersten Besuche stand die Sonne bereits tief, und mein Auge bedürfte einiger Zeit um sich an das geheimnißvolle Dunkel zu gewöhnen: dann aber gewahrte ich in seiner vollen Majestät, unter den goldkantigen Balken und Gesimsen des Heiligthums, hinter dem blumcngeschmückten Altartisch, Gott Buddha, das Symbol der äußersten Unempfindlichkcit, der absoluten und ewigen Ruhe. Or«t<> m'6 il «anno o logger <1 .lapul!, bereits oben citirt. 145 Nahrung seiner Ehre eine Schrift bei sich in welcher er seine Beweggründe darlegt. Verschiedene Schriftsteller haben dieser blutigen Episode erwähnt; der junge englische Iapa-nologe hatte, der Erste, das Verdienst sie zu beschreiben und in ihrer ganzen Bedeutung bekannt zu machen. Gegen meine Gewohnheit in diesem Tagebuche Anderes als was ich sah und erlebte zu verzeichnen, gab ich hier einen Auszug aus Herrn Mitforts Erzählung. Ueber den Gedankenkreis der Nation, über die Sitten des Landes so wie sie vor noch nicht langer Zeit bestanden, so wie sie bei der ungeheuren Mehrheit des Volkes gewiß noch heute bestehen, verbreiten die Geschichte der Siebenundvierzig und die Verehrung deren sie genießen reichliches Licht. „Wir hqben", sagen sie in ihrer an die Manen Talumi's gerichteten auf ihren Leichen gefundenen Rechtfertigung, „wir haben dein Brot gegessen." Dies ist ihr Beweggrund. Als treue Diener und als lehenspflich-tige Ritter mußten sie den Tod des Herrn rächen. Dann kommt die Rechtfertigung. Sie entlehnen sie einer der Maximen des Konfucius: Du sollst nicht leben unter demselben Himmel noch betreten denselben Boden mit dem Feinde Deines Vaters oder Deines Herrn. „Wie hätten wir, fragen sie, diesen Vers sprechen können ohne zu er-rothen?" Die öffentliche Meinung billigt ihr Verhalten. 146 Das Volk und die Daimio bewundern diese an die äußerste Grenze getriebene Treue. Vor drei Jahren kam ein Mann nach Sengakuji, betete am Grabe des jungen Chikara, so hieß der sechzehnjährige Sohn Kuranosuke's, und öffnete sich den Bauch. Da die Wunde nicht tödtlich schien, schnitt er sich die Kehle ab. Ein in seiner Tasche gefundenes Blatt Papier besagte, er sei Ronin, habe im Klan der Fürsten von Chöshiu vergeblich Aufnahme gesucht, wolle keinem andern Herrn dienen, und sei daher gekommen um bei den Gräbern dieser Taftfern zu sterben. Dies trug sich im Jahre 188 betrachtet werden. So befanden wir uns den Männern gegenüber welche, je nach dem Standpunkte des Beurtheilenden, die Neubegründer Japans sein werden oder seine Zerstörer. Von Iwakura uud Sanjo habe ich bereits gesprochen. Beide scheinen was sie sind, große Herren. Otuma, noch am Vorabende der Revolution ein armer Student in Nagasaki, ist, mit Kido, einer der wichtigsten Männer des Tages geworden. Diese beiden und ihre Genossen waren, ehe sie so hoch stiegen, einfache Samurai oder Köto, und die neue Größe hat ihre Manieren noch nicht geschliffen. Aber aus ihren Gesichtszügen sprechen Verstand und Verwegenheit, del,l,mü als Handelsstadt, 5eme PMmwmie. — Die tlMlechn^e, — Das schlaft TaikU'bcmia'5. — Der Chi-sx-si, (10. September.) Um vier Uhr Nachmittag begebe ich mich an Bord der Costarica, eines der schönsten Boote der „Pacisic-Steamship-Company" welche zwischen Joku- 197 hama und Shanghai einen regelmäßigen Dienst unterhatten und Hiogo (Kobe) und Nagasaki anlaufen. Diese Schiffe gehen ab und kommen an viermal, die Boote der Peninsular-Gesellschaft Zweimal im Monat zwischen Yokohama und Honkong. Man findet also jede Woche Gelegenheit nach Nord- und Süd-China. Sie wird mcr von wenigen Japanern benutzt, die Studenten und Touristen ausgenommen welche die hiesige Negierung im Auslande reisen läßt. Aber viele Chinesen kommen auf diesen Schissen nach Japan. Daher die stetige Zunahme des chinesischen Elementes in den Treaty-Ports, besonders in Yokohama und Nagasaki. Wenn die beabsichtigten Reformen nicht zu Katastrophen führen und das Innere des Landes den Fremden erschlossen wird, so dürften die Europäer in den Chinesen bedeutende Konkurrenten finden. Einige Freunde kommen an Bord. Wie sie mich beneiden! Aber der Scheidende ist nicht sehr heiter gestimmt. Der Abschied von Orten welche man gewiß nicht wieder sieht hat immer etwas Peinliches. Man blickt zurück und fühlt daß diese Epoche oder Episode unseres Lebens abgeschlossen ist für immer. Ein Vorgeschmack des Todes: ein feierlicher Augenblick der zu Betrachtungen anregt und zu Gefühlen des Dankes, wenn man wie ich mit Freundlichkeit überhäuft wurde. Als die Nacht hereinbrach waren wir bereits aus 1W dem Golf gesegelt. Vei dem unsichern Dämmerlichte erkenne ich die Umrisse des Eilandes Enoshima und die beiden Hörner des Hakonegebirges. Olympische Klarheit umfluthet den Fujiyama. (20. September.) Die japanischen Meere haben einen üblen Leumund, besonders in dieser Jahreszeit des Mon-soonwechsels, der gefährlichsten wegen der häufigen Typhone. Heute aber ist das Meer spiegelglatt. Eine andere Gefahr entspringt aus dem Mangel an nautischen Karten. Die Kapitäne suchen einen gewissen bekannten Kurs einzuhalten; wird aber ein Schiff durch die wechselnden und noch wenig bekannten Strömungen oder durch schlechtes Wetter von dem deattln track verdrängt, so liegt sein Geschick in der Hand des Zufalls. Gegenwärtig lassen die französische und die englische Regierung hydrographische Messungen in dem „inneren Meere" vornehmen. Mit Ungeduld erwarten die Seefahrer die Veröffentlichung der Karten. Wir sind an Bord wenig zahlreich und sehr uninteressant. Dagegen ist das Vorderdeck mit Japanern überladen. Auch am ersten Platz haben wir deren einige. Alle begeben sich nach Kiyöto oder nach der Insel Kiushiu. Auf fremden Schiffen pflegen die Japaner sich ihres Cere-moniels zu entledigen, woran sie ohne Zweifel sehr recht 199 thun: aber wenn sie die europäischen Manieren nachäffen, Werden sie, einfach gesagt, ungeschlacht und unerträglich.^ Ausnahmen gebe ich natürlich zu. Gegen drei Uhr Nachmittags nähern wir uns der Küste welche hier den Charakter der Gegend um Dokohama beibchält: zerklüftetes Felsgebirge, ganz bewachsen und auf den Kämmen mit den gewöhnlichen grünen Federbüschen geschmückt. (.21. September.) Um zwei Uhr Morgens geht die Costarica von dcr europäischen Niederlassung Kobe, eine Meile östlich von dem japanischen Ken Hiogo, vor Anker. Entfernung von Yokohama dreihundertzweiundvicrzig Seemeilen (sechzig auf den Grad). Kobe ist einer der fünf Vertragshäfen. Thatsächlich wurde er erst vor drei Jahren eröffnet, und schon bedeckt sich die «Koncession" mit schönen Häusern und großen Waarenlagern. Die Anzahl der Residenten mit Inbegriff der flottirenden Bevölkerung dürfte sich kaum auf dreihundert Seelen belaufen; aber als Hafen von Osaka hat Kobe Zukunft. *) Hr. Mcdhurst, englischer Konsul in Shanghai, sagt dasselbe von dcn (sehr seltenen) europäisirten Chinesen. (5r nennt ste mazt iii5,ul>'lul,>6 c!rLÄt>n>>8. Siehe 1'Ii« foreigner in t'ar ^nU.^, London 1872. S. 170. 200 Ich bin bei dem englischen Konsul Herrn Gower abgestiegen. Sein Haus ist ein kleines Juwel. Am AbHange des Berges ließ er sich als Landwohnung ein in Osaka gekauftes japanisches Haus aufstellen. Ringsherum dehnt sich der Garten aus, und das Auge schweift mit Wonne über den weiten Golf und seine reizenden Gestade. Hinter dem kleinen Tuskulanum führt eine Treppe zu einem im Laube versteckten Tempel hinan. In Kobe machte ich die Bekanntschaft des P. Monico von den Misstons etrangcres zu Paris. Er ist Vorstand der hiesigen Mission und gab mir über die gegenwärtige entsetzliche Lage der eingebornen Christen interessante Aufschlüsse. Dieser würdige Priester ist aus Tarbes im südlichen Frankreich gebürtig. Blasse, edle Züge: darauf der Ausdruck der Sanftmuth und Entsagung. Der Typ des Apostels. Nenn er spricht belebt sich sein Antlitz, und ein feines Lächeln spielt auf den vertrockneten Lippen des Asceten. Bei den Residenten von Kobe, obgleich die meisten Protestanten sind, steht er in großem Ansehen. Er gilt für einen vorzüglichen Kenner der japanischen Sprache.*) Der Golf von Osaka dringt von Süd gegen Nord ^) P. Momco starb, allgemein betrauert, wenige Wochen nach meiner Durchreise in Kobe. 501 in das Land ein. Im Osten breitet sich der Fu, d. h. die Großstadt Osaka auf beiden Ufern des Jodogawa aus. Dieser Strom fließt von Nord nach Süd, und mündet, ein wenig unterhalb der Stadt, in den Golf. Mehrere kleine Steamer welche, das Eigenthum japanischer Gesellschaften, von englischen Kapitänen befehligt werden, laufen zwischen den beiden Häfen. In einem dieser Boote, dessen Bestandtheile aus Deutschland gebracht wurden, erreichen wir nach anderthalbstündiger Fahrt die immer schwierige und oft gefährliche Barre des Jodogawa, gleich darauf die ersten Häuser von Osaka, und eine halbe Stunde später, um elf Uhr Vormittags, die sehr kleine „Koncession". Innerhalb der Barre, in der Nähe und etwas unterhalb seiner Mündung, ist der Strom enge, tief und reißend; die Häuser haben, wie fast alle dieser Stadt, nur ein Erdgeschoß. Den Ufern entlang liegen, in zwei-, drei-und vierfachen Reihen, Djonten aller Art vor Anker. Sie verengen das Flußbett und erhöhen die Schwierigkeiten der Schifffahrt. Osaka, einer der drei Fu, zählt, wie man mir sagt, vier- bis fünfhunderttausend Einwohner. Sein Flächenraum ist bedeutend kleiner als der von 3)edo; aber es gibt hier weniger Dashte, weniger Tempel und Temftel-gründe, weniger Privatgärten und Felder. Wahrscheinlich bleibt die eben genannte Zahl einer halben Million Ein- 202 wohner unter der Wahrheit zurück. Drei Arme des Do-dogawa und ein kleinerer Fluß durchströmen die Stadt. Ein Netz von Kanälen setzt sie unter einander in Verbindung. Man zählt über zweihundertsechzig Brücken, darunter einige von beträchtlicher Länge. Osaka ist die bedeutendste Handelsstadt in Japan. Alle für die Mittelgegenden des Reiches bestimmten Waaren kommen hier durch. Daher die ungeheure Anzahl der vor Anker liegenden Schisse. Die Bewegung im Flusse von Pedo steht hinter dem was ich hier sehe weit zurück. Der Dampf beginnt eine Rolle zu spielen, und in diesem Punkte haben die Japaner den Chinesen den Rang abgelaufen. Letztere sind noch nicht im Stande eine Maschine zu bedienen und einen Steamer zu lenken, aber die Japaner haben uns das bereits abgelernt. Der Fürst von Tosa (Insel Shitoku) besitzt mehrere große Dampfschisse; Kapitän und Maschinisten sind Eingeborene. Drei prachtvolle Dampfer die außerhalb der Barre vor Anker lagen gehören diesem Daimio. Sie treiben zwischen Jokohama und den kleineren Häfen des „inneren Meeres' Handel, und find im Gegensatze mit den amerikanischen Steamern, wegen der niederen Preise, immer mit Passagieren überfüllt. Von Osaka gehen die zur See gekommenen Güter auf dem Jodogawa bis Fujimi, von wo sie zu Lande nach Kiyöto gebracht werden. Andere Djonken segeln den Strom 203 hinauf bis zu seinem Ausflusse aus dem See Viwa oder Omi. Ich wohne hier bei dem englischen Vice-Konsul, Hrn. I. I. Enslie. Obgleich noch jung, gehört er schon zu den Veteranen des brittischen Konsularstabes, lebt in dem Lande seit zehn Jahren, versteht und spricht die Sprache, und kennt insbesondere die Menschen und Dinge in diesem Theile von Japan. Er wird die Güte haben mich auf der Neise nach Kiyöto zu begleiten. Gin unschätzbarer Vortheil; denn hier zu Lande gibt es nicht wie in der Levante gute oder schlechte Dollmetscher deren Dienste man miethen kann. Neberhaupt ohne einen sehr wirksamen und sehr weit ausgedehnten Schutz der diplomatischen und Kon-sularbehörden scheint es mir unmöglich in Japan mit Nutzen zu reisen. Das Fremdenviertel liegt am Südende der Stadt, ist durch den Strom und durch Kanäle nach allen Seiten ab- und eingeschlossen und wird von einer gehörigen Anzahl von Mkunin und Spionen beschützt lind überwacht. Es enthält zwei oder drei europäische Häuser, das in einem hübschen kleinen Vashke untergebrachte brittische Konsulat Und einige japanische Käsen welche weifte Barbaren ihren Bedürfnissen angepaßt haben. Gin Paar schöne Bäume sind die einzige Zierde dieses Verbannungsortes der vorwiegend den Stempel des jungen England tmgt^ das heißt 304 ein wenig amerikanisirt aussieht. Man zählt an zwanzig Weiße, Europäer und Mnkee, ebensoviele unter den Beamten der Münze, und vier oder fünf französische Militärerzieher die im Schlosse wohnen, im Ganzen an fünfzig Ausländer. Frauen von unserer Hautfarbe fehlen dermalen noch. Weder Kirchen, noch Priester, noch Prediger. Die eingeborne Bevölkerung würde, sagt man, die Ausübung des christlichen Gottesdienstes nicht dulden. Auch steht das Necht hier Kirchen zu errichten, vertragsmäßig nicht fest, da Osaka kein Treaty-Port ist, sondern nur eine den Fremden geöffnete Stadt. In dieser Faktorei ist Alles unsicher und provisorisch. Die Geschäfte geben wenig Gewinn. Die besten Kunden der Europäer waren die Daimio welche früher einige Monate des Jahres hier zubrachten, aber, seit dem Sturze des Shogun, nicht wieder erschienen sind. Die cingebornen Kaufleute hassen die Fremden: die Behörden, allerdings mit Vermeidung des Anscheins, legen ihnen möglichst viel Hindernisse in den Weg. Die kleine Kolonie kann also nicht rasch gedeihen, und die meisten Residenten beabsichtigen nach Kobe überzusiedeln. Die Bevölkerung ist entschieden feindselig. Wenn man in den Straßen geht, sieht man die Eltern ihren Kindern in oas Ohr flüstern: es sind Schimpfworts welche die Kleinen hinter den Fremden herlaufend laut wiederholen. Die Soldaten der neuen Armee — man 205 vermeide ihre Begegnung — zeichnen sich durch Frechheit aus. Die Beamten unterhielten früher diese Stimmung im Publikum. In Folge energischer Vorstellungen der Gesandten in Yokohama, haben sich die feindseligen Demonstrationen in den letzten Monaten etwas vermindert. Kaum im Konsulat angelangt, lieft sich der Gouverneur der Stadt melden. Ein Kourier Iwaknra's hatte ihm meine bevorstehende Ankunft angezeigt. Ginige Minuten später erschien er in Begleitung des Vice-Gouver-ncurs und eines Dollmetschers. Er ist das Urbild der javanischen hohen Staatsbeamten, artig, würdevoll, ein wenig verlegen, was ihm gar nicht übcl steht; die Stirne für die Gelegenheit gefaltet, die Gesichtsmuskeln zusammengezogen, der Ausdruck des Gesichts nichtssagend, beinahe etwas dümmlich. Die Etiquette erheischt' dies eben. Etwa bei uns der Kanzleistyl, der weder schwungvoll noch hoch-trabend ist, den Charakter des Individuums den Erfordernissen des Dienstes unterordnet, llebrigens, sobald die banalen Redensarten gewechselt worden, verschwindet die Spannung der Muskeln, und das angebornc Naturell, gewöhnlich ein freundliches, tritt in sein Necht. Die Artigkeitsmaske wird abgelegt und erst beim Fortgehen wieder vorgesteckt. Der Chi-fu-ji, das heißt Gouverneur eines Fu, trug den schwarz lackirten Ceremonienhut, sein großes Gala- 206 kleid: ein faltenreiches weites Gewand mit sehr breiten und steifen Aermeln aus schwerstem goldgestickten Seidenbrokat. Seine beiden Schwerter, deren eines über die Maßen lang, das andere von gewöhnlicher Dimension war, zeichneten sich durch kunstreich gemeißelte Griffe aus. Sein Gefährte, der Vice-Chi, hatte ein offenes Gesicht, eine Stentorstimme und eine herzliche Art laut zu lachen, ich möchte beinahe sagen, zu wiehern. Dies gefiel mir so sehr daß ich gerne die seltene Unregelmäßigkeit seiner Züge übersah. Seine Kopfbedeckung war eine ftavierne fthry-gische Mütze von kolossalem Umfange, sein Leibrock von violetter Seide mit blaßrothen Blumen. Der Gouverneur beglückwünschte mich zu meiner Audienz beim Mikado, einer unerhörten Ehre, sagte er: zugleich theilte er mir mit daß er Auftrag habe mich auf der Neise in seinem Gouvernement als Gast des Kaisers zu behandeln. Kaum waren diese hohen Herren abgezogen als wir zwei Iinritisha besteigen. Herr Enslie hatte auf meinen Wunsch, nicht ohne Mühe, die Yakunin vermocht uns unserem Schicksale zu überlassen. In Mdo wäre dies unmöglich. So treten wir denn allein unsere Fahrt durch die Stadt an. Osaka macht Geschäfte und Osaka unterhält sich. Auf den ersten Blick gibt sich dies kund. Die Gesichtszüge sind langweilig, aber der Ausdruck interessant. Ueber dem leb- 207 haften Treiben in den Gassen vergißt man die Häßlichkeit der Häuser. Die Gassen sind gerade, sehr eng — vier bis acht Fuß breit — sehr rein gehalten, sehr lang und kreuzen sich im rechten Winkel. Es gibt ganze Stadtviertel die nur Kaufläden enthalten. Das Häusermcer ist in lange Parallelogramme getheilt. Die Häuser gleichen sich alle. Oben ragt ein schwarzes Vordach in die Gasse. Neber demselben dient eine niedere Attica als Magazin und trägt das gleichfalls niedere Hausdach. Dem Auge erscheint ein solches Stadtviertel wie ein ungeheurer schwarzer, von dem Straßennetze durchfurchter Block. Schwarz und Grau sind die herrschenden Farben. Nichts ist trauriger als eine solche Strahenansicht, aber man hat nicht Zeit sich bei ihr aufzuhalten. Man wünschte hundert Augen zu besitzen um den Reichthum, die Abwechslung, die Sonderbarkeit der Gegenstände zu betrachten welche feilgeboten werden, sowie die bunte mannigfaltige Menge der Kaufluftigen. In dieser Dopvelströmung menschlicher Wesen, welche sich begegnen ohne sich zu berühren, sieht man einige wenige Iinritisha und sehr wenige Reiter. Eine der Gassen, die von Nord nach Süd läuft und über mehrere Brücken führt, durchschneidet den größern Theil der Stadt. Es ist Osaka's Oxford-Street. In einer Parallel-Gasse stehen zwei große alte Buddhatempel welche der Montosekte angehören und daher von den neuerungssüchtigen Staats- 208 männern in Medo geschont werden, „denn", sagte mir ein Minister des Mikado, „es sind mächtige, einflußreiche Leute." In diesen beiden Tempeln herrscht und regiert Shaka*) noch ungestört. Niemand behelligt weder ihn noch seine Untergötzen, Heiligthümer und Priester. Diese beiden Tempel reichen weit in das Alterhum zurück. Wie die meisten Gebäude ihrer Gattung sind sie weder gemalt noch mit Lack verziert. Das Holz behielt seine natürliche einst roth-braune, jetzt im Laufe der Jahrhunderte lichtgrau gewordene Farbe. Am Eingänge und im Innern sieht man reiches Schnitzwerk welches aber, älter als Taiko-Sama, keine Spuren des späteren Varokismus verräth. Die hohen Dächer der beiden Tempel, aufgestülpte breitgekrämpte Filzhüte, überragen die Stadt und bringen einige Abwechslung in das einförmige Bild. Wir haben unsere Iinritisha verlassen, sind auf Stufen in die obere Stadt hinaufgestiegen und betreten nunmehr die Theatergasse. Mehrere Schauspielhäuser ziehen dort die Menge an. Der obere Theil ihrer Fassaden ist mit großen Guachegemälden bedeckt: letztere, in sehr kräftigen ja grellen Tönen gehalten, stellen Scenen aus den beliebtesten Stücken dar, besonders aus historischen Dramen. An den Eingängen großes Gedränge. Da sehen wir athem- *) Shaka, der japanische Name für Buddha. 309 lose Greise, hagere Gestalten mit blassen Gesichtern in fieberhafter Aufregung: Frauen und Mädchen; Tänzerinnen und Sängerinnen die in reichem Anzüge, stark geschminkt, drei oder vier Nadeln im Haar, immer in kleinen Banden zusammengehen. Das Publikum betrachtet sie mit wohlwollender Ncugierde und macht ihnen gerne Platz. Wir selbst lassen uns sanft vorwärts schieben. Eine ungeheure Menschenmasse füllt die Gasse. Alles strömt den Theatern zu, aber Keiner stößt den Andern. Wie überall in Japan, ist die Menge blau und fleisch-, eigentlich bronzefarbig. Viele Herren von Rang gewahren wir, aber keine Damen. Erstere machen sich nicht durch ihren Anzug kenntlich, denn Jedermann trägt hier zu Lande dieselbe Tracht, sondern durch ihre hellere Gesichtsfarbe, die reinen wohl-geftflegten Nägel, durch ihre ganze Haltung. Auch Zweischwertmänner schwellen die Reihen der Theaterfreunde. Ueber diesem Mcnschenknäuel und über den erwähnten Bildern erhebt sich ein Wald von bewimpelten Masten. Blumengewinde, Seile mit Flaggen und Paftierschnitzeln behängt, verbinden sie untereinander, Alles bewegt von der lauen Abendluft. Man sieht den Menschen an daß sie nur Eines im Sinne haben: sie lechzen nach Vergnügen. Ein sonderbares Schauspiel. Ein Gemisch von Eleganz und grotesker Verzerrung; aber, im Ganzen wie im Einzelnen, feiner Geschmack und ein gewisses vornehmes Salonwescn. 210 Wir haben nun die Theatergasse in ihrer ganzen Länge glücklich durchschritten und steigen auf einer breiten Stein-treppe zur Temftelstraße hinan. Im Stadtviertel der Ver-gnüglinge die äußerste Belebtheit-, tiefe Einsamkeit am Wohnsitze der Götter. Auf beiden Seiten niedere Mauern. Durch die großen Portale sieht man den kleinen Vorhof, im Hintergrunde den Tempel. Da ist immer für ein paar prachtvolle Ichö, für eine Ceder oder einige Kryptomerien Platz. Mit ihren gekrümmten, verschlungenen Aestcn reichen sie über die Mauer in die Gasse hinaus und spenden den wenigen Vorübergehenden ihre wohlthätigen Schatten. Auf der Schwelte sitzen die kahlgeschorenen Bonzen in schmutzigen abgenutzten Talaren von gelbem oder violettem Tafft, schmauchen ihre Pfeife, werfen den beiden Fremdlingen neugierige boshafte stechende Blicke zu. In einigen dieser Tempel wohnten die diplomatischen Vertreter Englands, Frankreichs, der Vereinigten Staaten und der Niederlande, als die Ereignisse des Jahres 1«U6 sie in diese, früher von keinem Europäer betretenen, Gegenden gerufen hatten.*) Wir haben nun das nordöstliche Ende und zugleich den höchsten Punkt der Stadt erreicht. Hier erhebt sich das von Taiko-Sama") erbaute Schloß das in der Ge« 5) Einige Jahre früher war Sir Nutherford Alcock durch Osaka gekommen ohne sich aufzuhalten. **) 1590. Ill schichte Japans so häufig und, zum letzten Male während des Sturzes des Shogun, eine so wichtige Nolle spielte. Die Umfriedung könnte beinahe eine Cykloftenmauer genannt werden. Die riesigen Steine sind im Nustikostyle roh gemeißelt und in absichtlich gekrümmten Linien aneinander gefügt. (Auch ein barokes Motiv.) Zwei tiefe, breite, in ähnlicher Weise gemauerte Graben umgeben sie: aber zwei breite, solide Steinbrücken erleichtern den Belagerern den Zugang. Im Mittelpunkte der zweiten Ringmauer stand der Palast. Der Shogun ließ ihn im Jahre 1868 als er das Schloß räumte, verbrennen. Auf seinen Befehl wurde auch das große Jashke des Fürsten von Sat-suma, eines der Urheber seines Sturzes, in Brand gesteckt und fast gänzlich vernichtet. Die Trümmer des Schloß-Palastes sind weggeräumt worden, aber die zweite Ringmauer mit ihren vier Eckthürmen ist erhalten. Von einem derselben übersieht man Osaka und seine Umgegend. Eine wundervolle Rundsicht. Zu unsern Füßen dehnt sich die Stadt aus. Vier breite, silberweiße Bänder und eine zahllos scheinende Menge kleiner Wasserfäden ziehen sich wie ein Netz durch die Häusermasse. Ueber die niederen Hausdächer und die FilzlMe der beiden großen Tempel hinweg blickend, sieht man den Golf, zu dieser Stunde ein glänzender Metallspiegel. Jenseits hohe Berge, jetzt 14* 212 von der untergehenden Sonne vergoldet, aber schwarz gesprenkelt durch die Schatten leichter Wölkchen welche die Abendluft über den Golf treibt. Der Himmel rosa und ultramarin! Dies ist die Aussicht nach Süd, West und Nord-West. Gegen Norden öffnet sich das flache Thal des Mdogawa den wir morgen hinauf dampfen werden. Im Osten schieben sich, grün vom Fuße zum Scheitel, anmuthige Höhen bis in die Nähe der Stadt vor. Felder und Gärten füllen den schmalen Zwischenraum aus. Dem Schlosse gegenüber, jenseits des Stromes und etwas weiter hinauf, erhebt sich die neue Münze, ein anspruchsvolles europäisches Prachtgebäude das, für Rechnung der Regierung, von einem englischen Architekten gebaut und von englischen Beamten geleitet, Millionen verschlungen hat. Die Einrichtung des für japanische Würdenträger bestimmten Nartesaales allein kostete zehntausend Dollar! Die Kanapes und Lehnstühle sind mit Lyoner (!) Seidenstoffen bespannt. Nicht ohne Kopfzerbrechen werden die Herren lernen darauf zu sitzen. Alles Ucbrige zeigt ähnlichen Luxus. Die Münze hat so eben ihre Thätigkeit begonnen indem sie den ersten Rio prägte. Zum Schlüsse erwidern wir den Besuch des Gouverneurs. Er empfängt uns in seiner im Centrum der Stadt gelegenen Amtswohnung. Hier wird uns einer jener Lichteffekte zu Theil wie sie nur in diesem Himmelsstriche und 213 in japanischen Häusern vorkommen. Das in den Hof führende große Portal, das für uns weit geöffnet wurde denn Standesftersonen treten nie durch Seitenthüren ein, dies große Thor ist schwarz übertüncht und mit schwarzen Ziegeln eingerahmt. Im Hofe herrscht Halbdunkel. Dem Portal gegenüber steht das gleichfalls durch eine schwarze Holzverkleidung eingefaßte Vorzimmer seiner ganzen Breite nach offen. Im Innern sieht man die schöne lichte Strohmatte am Boden, und die weißen Paftierwände. In diesem Augenblicke wird die Sonne durch eine Häuserspalte dem Jashke gegenüber sichtbar; dem Untergange nahe, sendet sie ihre fast horizontalen Strahlen durch das Portal, über den im Schatten bleibenden Boden des Hofes hinweg, in das Innere des Vorgemaches. Die Wirkung ist unbeschreiblich. Eine Masse von Licht. Kaum erträglich für das Auge. Eine leuchtende Scheibe von mattem, von glänzendem Golde, umgeben von durchsichtigen aber tiefschwarzen Schatten. Man führt uns durch die um diese Stunde verlassenen Bureaux, ein Labyrinth von Sälen und Zimmern wo soeben, zum Gebrauche der Beamten, Tische und Stühle aufgestellt wurden. Das allein ist eine Revolution. Der Japaner schreibt stehend oder auf den Fersen kauernd, mit weit vorgeneigtem Kopfe. Den Pinsel hält er senkrecht in der Hand, damit die chinesische Tusche deren er sich be- 214 dient und die er wenig verdünnt durch ihr Gewicht leichter abläuft. Sitzt der Schreibende an einem Tische, so neigt er die Feder natürlich nach rückwärts. Man wird also die Tusche durch unsere Tinte ersetzen oder verdünnen müssen. Wie sollen dann aber die abwechselnd sehr breiten und feinen chinesischen Schriftzeichen hervorgebracht werden? Daher, als Folge der Stühle und Tische, die Nothwendigkeit die europäischen Buchstaben anzunehmen, in welchen sich jedoch die Laute der mongolischen Sprachen nicht ausdrücken lassen. Ein Beispiel, im Kleinen, auf welche fast unüberwindlichen Schwierigkeiten die Nachahmer Eurofta's in Japan stoßen.*) Der Chi-fu-ji empfängt uns in seinem Gartensalon. Auch er ist im Besitze eines Tisches um welchen wir Platz nehmen. Ein höherer Beamter setzt sich zu uns, nicht ohne früher den vorschriftmäßigen Fußfall verrichtet zu haben. Zwei Pagen — sie fehlen, wie bereits bemerkt, in keinem vornehmen Haushalte — und drei Zweischwertritter kauern in demselben Gemache, in ehrerbietiger Entfernung, auf ihren Fersen. Es wird vom Theebau ge- ^) Die Regierung des Mikado hat i,u September des folgenden Jahres (1872) hundert Lehrer aus Nordamerika verschrieben und die englische zur Gelehrten-Sprache erhoben, zugleich verordnet daß in Zukunft die Landessprache mit lateinischen Buchstaben zu schreiben sei!! 215 sprochen, und der Chi gibt uns interessante Aufschlüsse. Die besten Gattungen erzeugt die Provinz Udji, nach ihr die von KirMo. Er will uns selbst zeigen wie der Thee bereitet wird. Der Tisch ist ihm aber unbequem, daran; werden Theemaschinen und Schalen auf den Boden gc-stM i er kauert daneben und servirt uns mit eigenen Händen den feinst varfümirten Thee der mir je vorgekommen. Folgendes sind die Regeln. Man siede das Wasser in einem irdenen Geschirr, ja nicht in einem metallenen. Man berechne genau die Menge des Wassers und die Anzahl der Blätter nach der Anzahl und Größe der Tassen; man trinke den Thee sehr heiß, und gieße nie ein zweites Mal Wasser auf. Sodann wurde verzuckertes Obst von verschiedener Farbe servirt. Es schien mir Anfangs etwas fade, hatte aber doch einen sehr feinen Geschmack der dem Gerüche verschiedener Blumen entsprach. Die Japaner sind große Feinschmecker und, weil ihr Gaumen viel weniger überreizt ist als der unsrige, im Stande Nuancen zu würdigen welche uns entgehen. Wir kehrten in einer Barke nach der Niederlassung zurück. Obgleich der Palast des Gouverneurs sich im Mittel-Punkte der Stadt befindet, brauchten wir doch, sehr schnell rudernd, mehr als eine Stunde um das Fremdenvicrtel Zu erreichen. Viele Theebote, an den farbigen Laternen kennbar und gefüllt mit jungen Herren und Sängerinnen, 216 große schwerfällige Denken, beladen mit Reisenden nach und von Kiyöto, glitten an unserem Kahne vorüber. An den Ecken, wo sich die Kanäle kreuzen, stehen meist Theehäuser, um diese Stunde im Innern glänzend erleuchtet, und heute Nacht mit dem magischen Lichte des Vollmondes übergössen. Allenthalben Gejauchze, Lachen, Gesang, Flötentöne und zu zarten Gefühlen stimmender Lautenklang ! VI. Kiyoto.«) vom 22 ?um 2b. September. Am Jadognwli, — Fliiimi. — Die Hauptstadt des Westens. — Der Kai- j'erliche palnst. — Das 5chlosi des 5!)o>M,. — Die Cempel, — Blick a»s Ri^>lo, — Guion-mnchi. (22. September.) Außer den großen Segel- nnd Nuderbooten welche Passagiere befördern, verlassen kleine Dampfer Osaka am Morgen und erreichen Fujimi, je nach der veränderlichen Beschaffenheit des Flußbettes, gegen Abend oder in der Nacht. Kapitän, Maschinisten und Matrosen sind Landeskinder. Daher die sehr zahlreichen Unfälle. *) Das Miako unserer europäischen Karten. In Japan geräth dieser Mme außer Gebrauch. 217 Zu unserem Troste sagt man uns daß in letzterer Zeit keines der Boote in die Luft flog. Auf einem dieser kleinen Steamer schifften wir uns heute Morgens um sieben Uhr ein, und zwar mit einer sehr beschränkten Ehrenwache. Den energischen Vorstellungen Hrn. Enslic's nachgebend hat sie der Gouverneur auf zwei höhere Beamte, zwei Officiere und vier Soldaten vermindert. Der Koch des Konsuls und unsere Diener, sämmtlich Eingeborene, vervollständigen unser Gefolge. Der Chi-fu-ji ließ uns das ganze Hinterdeck und die Haufttkajüte vorbehalten: wir sind also sehr bequem untergebracht. Das Schiff dampft an mehreren Palästen vorüber; der größte ist das vom Shogun verbrannte Jashke des Fürsten von Satsuma. Nur die Außengebäude, die zugleich die Ringmauern bilden, blieben stehen. Weiter oben bewundern wir die neue Münze. Dann weichen die Häuser allmälig den Gärten und Feldern. Die Uferdämme verhindern uns viel vom Lande zu sehen, aber was man sieht zeugt von sorgfältigem Anbau und einem fruchtbaren Boden. Allmälig verflachen sich die Ufer des Dodogawa, und wir steuern fortwährend zwischen Nambushainen und schönen Baumgruftften: Ahorn, Lerchenbäume und Trauerweiden. In kurzer Unterbrechung folgen sich bedeutende Marktflecken, kleine und größere volkreiche Dörfer. Alles sucht blühend und wohlhabend aus. Während an den 216 Haltestellen Passagiere abgesetzt und aufgenommen werden, können wir sehen wie japanische Artigkeit am Dorfe geübt wird. Die Abreisenden geleitet, die Ankommenden empfängt man am Landungsplätze mit Bezeugungen der Freundschaft oder der Ehrfurcht. Kleine Gruppen bilden sich; man plaudert, wie es Leuten von Erziehung zukömmt, in gebückter Stellung, mit gebeugten Knieen, die Hände auf die Schenkel gestützt. Einsame unbewohnte Stellen sind selten und haben, wo sie vorkommen, einen idyllischen Anstrich. Auf dem Strome selbst herrscht allenthalben ein bewegtes Leben. Die Schiffe haben ein einziges ungeheures viereckiges ganz eigenthümliches Segel. Es besteht aus mehreren langen senkrechten Streifen von Schilf welche durch dünne Stricke mit einander verbunden sind. Zwischen den Streifen haben Auge und Wind freien Durch? gang. Ein sonderbarer Anblick! Aber wir sind eben im Herzen von Japan. Alles scheint dem Europäer neu, weil ihm Alles unbekannt ist. Der Flußgott begünstigt die beiden Reisenden: denn bereits um vier Uhr Nachmittags langen sie bei Fujimi an. Dort wird ihnen ein glänzender Empfang zu Theil. Die Behörden, in Flügelkleidern, erwarten sie am Strande und führen sie in ein schönes, festlich geschmücktes Haus. Den Tisch und die zwei Stühle die wir dort finden hat 219 der Gouverneur geschickt. Diese nützlichen Möbcl werden uns auf der ganzen Neise folgen. Fujimi wird in der japanischen Geschichte oftmals genannt. Die hier vor drei Jahren gelieferte Schlacht entschied über das Schicksal des Shogun. Auch Andenken anderer Art knüpfen sich an diese Stadt. Hier verweilte der heilige Franciskus AavcriuZ als er, das Krucifix in der Hand, den Bettelsack auf den Schultern, mit erfror-nen Füßen und Wundmalen an seinem Körper, nur von zwei Katechumenen begleitet, nach dem Hoflager des Mikado zog. Zwischen Fujimi und Kiyöto hebt sich der Boden all-niälig. Zu beiden Seiten der sich oft krümmenden Slraße folgen, ohne Unterbrechung, Haus auf Haus. Man hat Fujimi vorlassen, man hat Kiyöto erreicht ohne es zu merken. Die ganze Straße ist eine einzige drei Ni oder ungefähr acht Meilen lange Gasse. Die Landschaft bewahrt den idyllischen Charakter der Ufer des Dodogawa. Unter Weges besuchen wir zwei sehr alte Tempel. In dem einen, Inari-no-Däjiro, ein kleines Shinto-Tem-ftelchen, wiederholt sich der Fuchs in den Skulpturen der Balken, der Gesimse, der Balustraden. Einen Ri weiter östlich befindet sich der große Buddhatempel Tö-fu-Kuji, nach Angabe unserer japanischen Freunde vom Shogun Doritomo im Anfange des dreizehn- 320 ten Jahrhunderts gegründet. Die meisten Tempel Japans wnrden mehrere Male neu aufgebaut. Daß dieser aber sehr alt sei, lassen die Beschaffenheit des Schnitzwerkes und die lichtgraue Holzfarbe vermuthen. Leider kommen wir, Herr Enslie im Norimon getragen, ich auf seinem schönen Pony reitend, nur äußerst langsam vorwärts: denn wir schleppen mehrere Oberbeamte, Ofsiciere und an dreißig Soldaten mit uns. Der Chi-fu-ji von Kiybto hat diese Leute geschickt als Ehrengarde. In Wahrheit sind wir ihre Gefangenen. Dazu die Neugierigen! Sie stürzen aus den Häusern, versperren uns den Weg, betrachten uns mit offenem Munde, weiden sich, ein jeder nach seiner Art, an dem seltenen für die meisten ganz neuen Anblicke der beiden Europäer. Um sechs Uhr betreten wir die Hauptstadt des Westens, und beschließen eine halbe Stunde später die interessante Tagereise an der Schwelle einer großen Herberge. Unter unserem Balkon fließt der Kamagawa auf dem jetzt eine Menge kleiner beleuchteter Lustboote schwanken. Der Dai-Sanji oder Vice-Gouverneur erscheint um uns im Namen des Chi-fu-ji zu begrüßen. Letzterer läßt sich für morgen sieben Uhr ansagen, mit dem artigen Beisätze, er habe diese frühe Stunde gewählt damit wir die Stadt in der Morgenkühle besehen könnten. Entfernung von Osako nach Fujimi zehn Ni: von 221 Fujimi nach Kiyöto drei Ri, zusammen etwas über dreißig Meilen. (23. September.) Die beiden Oberbeamten von Osaka verlassen uns hier. An ihre Stelle treten der Vice-Dai-Sanji und eine andere Notabilität. Sie werden uns beschützen, überwachen und kuf den Spaziergängen begleiten. Heute Morgens erschienen sie bereits bei Sonnenaufgang mit einer ungeheuren Nolle, einem acht Fuß langen Papier, auf welchem die Namen der zu besuchenden Tempel in großer Schrift verzeichnet sind. Nicht ohne Mühe erlangt Herr Enslie daß einige derselben gestrichen werden. Der Vice-Dai-Sanji ist ein kleiner Herr mit einem gewöhnlichen durch die Pocken entstellten Gesichte, aber lebhaften verständigen Augen. Sein tellerförmiger Hut von lackirtem Papier läuft in eine Spitze aus an welche der Eigenthümer, nach Sitte der Anglo-Indier, einen weißen Musselinschleier befestigt hat. Er trägt einen weißgeränderten, violettfarbigen Leibrock von Tafft, europäische Beinkleider und Stiefletten. Seine beiden Schwerter hat er nicht in den landesüblichen Gürtel, sondern in die kunstvoll durchlöcherte Westentasche gesteckt. Das Kurzschwert, dessen Griff ein Meisterstück von Bronzearbeit ist, befindet sich seit Tait'o - Sama's Tagen im Besitze seiner Familie. Die ganze Erscheinung macht einen unbeschreiblich komischen 222 Eindruck. Uebrigens der Typus des höheren Bureaukraten wie er sein soll. Aeußerst resftectvoll gegen die Vorgesetzten, sehr artig mit uns, kurz angebunden und steif gegen die Untergebenen, schlürft er mit sichtlichem Wohlbehagen die Ehrfurchtsbezeigungen des Volkes ein. Sein Gefährte hat es im Fortschritte noch weiter gebracht. Sein struppiges, unlenksames und wenig gekämmtes Haar ist in europäischem Style geschnitten. Morgenrock und Pan-talon stehen ihm entschieden übel. Hemd und Halsbinde kennt er noch nicht, und die glänzenden lackirten Stiefel scheinen ihn zu belästigen, denn er entledigt sich ihrer von Zeit zu Zeit und ersetzt sie durch die landesüblichen Sandalen. Der junge Mann hat übrigens offene, einnehmende Züge; in japanischer Tracht sähe er gewift ganz hübsch aus, aber die der Barbaren gibt ihm ein ungeschlachtes und gemeines Aussehen. Genau um sieben Uhr erscheint der Chi-fu-ji im Gast-Hause. Während er durch die verschiedenen Vorhäuser schreitet wirft sich Alles zu Boden: deutlich vernehmen wir das Klappern der Köpfe auf dem Fußboden. Der große Mann überhäuft uns mit Artigkeit. Ein Schützling der leitenden Männer in Mdo, hat er seinen Posten erst kürzlich angetreten, aber für den öffentlichen Unterricht, namentlich den der Mädchen, bereits viel geleistet. Visher, einige wenige Damen der höhern Stände ausgenommen, 223 lernten die Frauen weder lesen noch schreiben. Wie Iwa-kura, wie Kido, versichert der Gouverneur, die große Reform werde in drei Jahren vollendet sein. Dieser feste Glaube an die eigenen Ideen gefällt mir. Er ist ein Gewähr des Erfolges wo der Erfolg möglich ist. Um von unserer Herberge die im südöstlichen Theile der Stadt liegt nach dem Schlosse des Mikado, nahe am nordöstlichen Ende, zu gelangen, muß man Kiyöto in seiner ganzen Länge durchschreiten. An der Spitze des Zuges kapriolirt ein Samurai, in der bei den Zweischwertmännern beliebten Weise, auf seinem großen Rappen; sechs Wachmänner reiten unmittelbar vor, der Sanji und sein Gefährte so nahe als möglich neben den beiden Europäern. Die Veto laufen zu Fuße; nur mit Mühe verhindern wir sie in die Zügel unserer Pferde zu greifen. Sechs berittene Zweischwertmänner und Fußvolk bilden die Nachhut. Im Ganzen etwa vierzig Personen. Unser Erscheinen erregt ungeheures Aufsehen. Die Vorübergehenden bleiben stehen: die Kaufleute, ihre Lehrlinge, Weiber und Kinder stürzen aus den Läden auf die Gasse: Alles fällt beim Anblicke des Sanji auf die Kniee. Die anderen Ofsiciere werden mit tiefen Bücklingen beehrt. Für die zwei Barbaren hat man nur neugierige, kalte Blicke, aber keinen Gruß. In den Stadtvierteln der Konservativen, oder, wie der Sanji sagt, der Schlechtgesinnten, ,sahen wir nur unfreundliche 234 Gesichter. Wo wir hielten wurde mein Augenglas bewundert. Einige Herren entlehnten es von mir, und das sonderbare Instrument wanderte dann von Hand zu Hand, versetzte Hunderte von Menschen m Erstaunen und kehrte immer wieder in meine Hände zurück. Der Palast des Mikado nimmt ein Weitläufiges Terrain ein. Außerhalb der ersten Ringmauer befindet sich das von den Dienern, niedern Beamten und Samurai bewohnte Quartier. Von den andern Stadtvierteln unterscheidet es nur eine gewisse feierliche Stille, jene eigenthümliche Hofluft die man m allen königlichen Nesidenz-schlössern athmet. Auch hier fühlt ein jeder seine Wichtigkeit und beansprucht seinen Antheil an dem Glänze des Gebieters dcr aber, leider, für immer geschieden ist. Den Naum zwischen der ersten und zweiten Ringmauer, letztere die der „neun Thore" genannt, nehmen die Paläste des hohen Hofadels, der Kuge, ein. Ihre Aashke gleichen denen der Daimio und liegen meist in kleinen Gärten, Wo Lorbeerbäume mit Zwergcedern und den schönsten und größten Trauerweiden wechseln die ich jemals sah. Auf dieser Reise nach Kiyöto legte ich besonderen Werth darauf das kaiserliche Schloß zu sehen, das Absteigequartier des geheimnißnißvollen Wesens das ein Sohn der Götter, dessen wahrer Wohnsitz der Olymp ist. Ich 225 Wollte seine irdische Behausung vergleichen mit den drei prachtvollen Residenzen der Shogune in Mdo, in Osaka und hier in Kiyöto. Ich hoffte hiedurch, wenn auch nur in geringem Maße, einen Einblick zu erlangen in das so wenig gekannte Verhältniß zwischen Mikado und Shogun. Aber in Moo und Yokohama hatte man mir gesagt: „Unmöglich! Denken Sie nicht daran! Kein Sterblicher hat Zutritt am Sitze Gottes." Ich dachte aber doch daran, und erlangte auch, in Folge der warmen Verwendung des brittischcn Geschäftsträgers und längerer Verhandlungen Hrn. Satow's mit den japanischen Ministern, ein Schreiben Iwakura's an den Palastintendanten. Es enthielt, als letztes und äußerstes Zugeständnis;, den Befehl mir die „neun Pforten" der zweiten Ringmauer zu zeigen, mit andern Worten, mich in das Quartier der Kuge einzulassen. Von dort, sagte man mir, könne man den Palast sehen. Aber an Ort und Stelle angelangt, gewahrte ich durch die glücklicher Weise offenen Thore nur eine andere Mauer, vom Schlosse aber nicht die geringste Spur. Ich bestand also auf Einlaß in den zweiten, zwischen der zweiten und dritten Ringmauer liegenden Hof. Der Sanji verhehlte nicht sein Befremden, fast möchte ich sagen Entrüstung über die unerhörte Zumuthung. Er zog eine Depesche des Ministeriums aus der Tasche und bewies daß ein weiteres 226 Vordringen unstatthaft sei. Ich blieb abcr bei meiner Forderung. Man habe mir versprochen daß ich das Schloß von außen sehen würde, und sehen wolle ich es. Dagegen lärmende Proteste. Fast schien die Sache eine ernste Wendung zu nehmen. Je fester ich mich aber zeigte, je mehr stimmte mein Sanji den Ton herab. Auf die barsche Weigerung folgen Bitten, Lachen, zuletzt ein verlegenes Schweigen: offenbare Symptome von Unentschlossenheit. Ich gebe also meinem Pferde beide Sporen i es setzt über die Schwelle der geheimnißvollen Pforte. Einen Augenblick darauf ist Hr. Enslie an meiner Seite. Wir sind im zweiten Hof. Die beiden Würdenträger, die Samurai, und der übrige Troß folgen uns. Man sieht sich an, aber man spricht nicht. Das Ungeheure ist geschehen. Auf allen Gesichtern lese ich den Ausdruck der Bestürzung. Ein großes Verbrechen ist verübt, das Heiligthum entweiht. Darüber herrschte wohl kein Zweifel. Aber in Japan, wie anderwärts, fügt man sich zuweilen den vollendeten Thatsachen. Nir reiten also um die letzte innerste Ringmauer, die Mau:r „der sechs Pforten" genannt. Man gestattet un^ diese Thore mit Muße zu betrachten. Es sind das „Südthor", das nach Osten gewandte „Sonnenthor", das „Gartenthor", das „Thor der Frauen des Mikado", das „Küchenthor", endlich das „Thor der Würdenträger", welche nach Nord-Ost, Ost, West und Süd- 2Z7 West schauen. Sie sind sämmtlich Holzkonstruktionen im Style der Temftelftortale. Die blaßgraue Farbe des Holzes zeigt von hohem Alter. Wenig Schnitzwerk und einige kaum sichtbare Sfturen von Vergoldung. Weder Lack noch Malerei. Die innerste Ringmauer besteht aus einem steinernen Unterbau auf dem der eigentliche Wall steht. Er ist aus leicht zurückgeneigten Pfählen gebildet, mit grauem Cäment belegt und durch Holzpilaster in Felder getheilt. Ein kleines Dach von schwarzen Ziegeln schützt ihn gegen den Regen. Vom Schlosse war, ein paar Giebel und die Bäume des Gartens ausgenommen, nichts zu sehen. Einige der „sechs Pforten" standen halb offen, andere waren geschlossen. Als ich Miene machte in das Heiligthum einzudringen, sah mich der Sanji mit so siehenden Blicken an daß ich mein Pferd anhielt. Umsonst verschwendete Hr. Enslie die Künste seiner Beredsamkeit. Wir erhielten immer dieselbe Antwort: „Die Schloßverwaltung ist unabhängig vom Gouverneur: der Schlosiverwalter gehört der alten Hofftartei an! er haßt die Minister, den Fortschritt und, über Alles, die Europäer." Als letztes Zuge-ständniß führt uns der Sanji zum „Küchenthor" von wo aus man über die Dächer einiger Nebengebäude hinweg den Giebel der großen Palasthalle gewahrt. „Nun," rief er mit erzwungenem Gekicher, „seid Ihr zufrieden? Wenn Ihr «ach Europa zurückkehrt, könnt Ihr Euch rühmen ge- 15* 228 sehen zu haben was Niemand sah, den Palast des Kaisers." Bei diesen Worten warf er sein Pferd herum. Es sei spät, sagte er, der Chi-fu-ji erwarte uns im Schloß; der Weg sei weit, der Tag heiß i auch an das Frühstück müsse man denken. — „Nein," antwortete ich, „ich bin nicht zufrieden. Wie, Ihr ahmt unsere Sitten nach, nehmt unsere Tracht an; Ihr wähnt Euch auf bestem Wege zur Civilisation, und verweigert uns, aus Aberglauben, den Eintritt in die Wohnung Eures Kaisers. Ja, ich werde von Euch in Europa erzählen. Wie wird man da lachen wenn man erfährt, die Erlaubniß den Palast des Mikado durch die Küchcnthüre zu betrachten, sei das Aeußerste was Eure neue Aufklärung zu leisten vermag." Ich hatte Hrn. Enslie gebeten diese Worte langsam und mit lauter Stimme zu verdolmetschen, so daß alle Anwesenden sie hören könnten. Dies geschah. Als mein Gefährte geendigt hatte, entstand tiefes Stillschweigen. Soweit dies sein mongolischer Teint gestattete erro'thete der Sanji. Nach einer kurzen Berathung mit leiser Stimme zwischen ihm und seinem Amtsbruder, wandte er sich an mich. „Sie haben Necht, sagte er, man würde über uns lachen." Er wolle sogleich den Intendanten sehen, verspreche sich aber keinen Erfolg, denn außer Sir Harry Parkes und seinen drei Kollegen, deren kurze Anwesenheit in Kiyöto eine so große Aufregung erzeugt und zu einem Blutbads geführt habe, sei nie ein Europäer 889 hier eingedrungen. Damit verschwanden er und sein Kollege im Innern des Palastes. Mittlerweile ruhten wir im Schatten einer prachtvollen Linde, umringt von einer Gruppe Neugieriger, meist Diener und Dienerinnen der Kuge, die uns aber nicht belästigten. Die Weiber und Mädchen sielen uns weniger durch ihre persönlichen Neize als durch den eigenthümlichen und hübschen Kopfputz auf. Im Uebrigen, nichts was das Auge fesselte: ein öder Hofraum, die unförmigen Ringmauern, über ihnen grüne Baumwiftfel und in der Ferne dämmernde Verge. Nach einer halben Stunde kommen unsere Unterhändler mit freudiger Miene gelaufen. Der Zweck ihrer Mission ist erreicht. Der Schloßintendant und der Unterinspektor legen bereits ihre Umtstracht an: alsbald werden sie erscheinen. Da kommen sie. Lange, verdrüßliche Gesichter! Thut nichts. Man fügt sich; das genügt. Von den beiden Intendanten geleitet, überschreiten wir also, durch die Pforte „der Würdenträger", die verbotene Schwelle. Unerachtet der sengenden Sonnenhitze entblößen hier Alle das Haupt. Die Zumuthung dasselbe zu thun weisen wir zurück, schließen aber unsere Sonnenschirme, womit man sich zufrieden gibt. Die Leute unseres Gefolges werfen sich auf den Voden und füllen ihre Taschen mit kleinen Kieseln indem sie uns rathen dasselbe zu thun, denn diese Steine schützen gegen Krankheiten aller Art. 230 Wir sind in einen geräumigen verödeten Hof getreten. Tiefe Stille herrscht hier. Bewegungslos wie Bildsäulen, für die ich sie zuerst hielt, kauern drei Wächter im Schatten eines geräumigen Thorweges. Gin hinter ihnen aufgestellter Schirm, mit der üblichen Malerei auf Goldgrund, hemmt den Blick nach dem Innern des Palastes. In diesem Augenblicke erscheint ein Kugc in voller Amtstracht aus Goldbrokat, mit breiten, gesteiften, flügelartigen Aermeln. Gemessenen Schrittes geht er durch den Hof, an den drei unbeweglichen Wächtern vorüber, verschwindet sodann hinter dem Schirm. Dieser Hof wie alle andern die wir noch sehen sollten sind von gedeckten Gallerien umgeben deren Säulen weiß und roth, das heißt mit den Shintofarben übertüncht sind. Am Ende der Gallerie angelangt biegt der Intendant kurz um und macht Miene uns auf dem Wege den wir gekommen vor die Thüre zu setzen. Das wird selbst dem Sanji zu viel. Gr vrotestirt, schreit, ge-stikulirt. Herr Enslie bringt wo er kann ein Wort an. Die üble Laune und Verlegenheit des Intendanten steigen sichtlich, aber, am Ende, zum großen Aerger des Adjunkten, gibt er nach. Derselbe Auftritt wiederholt sich an allen Thüren die glücklicherweise offen stehen, und durch die ich ohne Weiteres eindringe sobald ich bemerke daß die strenge Amtsmiene der Beamten dem Ausdrucke der Aengstlichkeit oder Unentschlossmheit Platz macht. Die japanischen Bü- 231 reaukraten, sagte man mir in Medo, sind schwerfällig, fte-dantisch nnd gefallen sich in Schwierigkeiten, aber mit Artigkeit, Geduld und Festigkeit erlangt man in der Regel Von ihnen was man will. Dies hat sich heute bewährt, Nir sind im großen Hofe. Hier steht, der „Südpforte" gegenüber, ein isolirtes Gebäude, die Halle oder der Saal wo der Mikado seine seltenen Audienzen ertheilt. Zwischen dem Thore und der Halle wehrt ein gemauerter Schirm die indiskreten Blicke der Vorübergehenden ab. In diesem Sale hatten Sir Harry Parkes und seine drei Kollegen mit ihrem Gefolge vor zwei Jahren die Ehre den Sohn der Götter von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Es war das erste und bis heute Morgen das letzte Mal daß Euroftäer den Fuß auf diesen geheiligten Boden setzten. Die Gesandten wurden durch das große Portal eingelassen und auf demselben Wege hinausgeführt. Die übrigen Theile des Palastes blieben ihnen unsichtbar. Das Audienzhails ist ein gewöhnlicher vier Fuß über den Boden erhöhten Holzbau zu welchem eine breite Treppe führt, ein Rechteck dessen eine Langseite die dem Hofe zugekehrte Fassade bildet. Das gedoppelte breitkrämpige Dach ist hoch schwer häßlich, die Querbalken welche es tragen an ihren Enden mit Schnitzwerk und Vergoldung geziert. Sowohl Balken als Getäfel haben, einer Hoftradition gemäß, ihre natürliche Holzfarbe bewahrt. Im Innern 232 nackte Wände, am Boden eine feine Matte. Es war zu dunkel um etwaige Verzierungen auszunehmen. Die Audienz-Haus ist vor ungefähr zwanzig Jahren erbaut worden. Die Säulengänge im Haupthof sind roth und weiß angestrichen. In der Nähe befindet sich em kleiner isolirter Kiosk in welchem die Neichstleinodien, die mystischen Insignien der kaiserlichen Würde, das Schwert, der Koffer, der Spiegel, seit undenklichen Zeiten aufbewahrt wurden. Im vergangenen Jahre mußten diese Schätze nach ))edo wandern. Nach neuen Kämdfen und neuen Siegen dringen wir in den östlichen Hof wo sich die „Sonnenpforte" befindet. Kurz gesagt, nimmt der eigentliche Palast des Mikado, ohne die beiden Quartiere der Kuge und der Diener, einen verhältnißmäßig kleinen Flächenraum ein und unterscheidet sich von den Jashke der Daimio nur durch größere Dimensionen der Zimmer und durch den ihm entschieden eigenthümlichen Temftelstyl. Es ist ein Wirrsal von Höfen, kleinen isolirten durch Gänge und Holzwände verbundenen oder durch Gäßchen getrennten Häusern und Kiosken. Die Dächer ruhen wie in Shintotempeln auf horizontalen Querbalken welche theils weiß lackirt, theils die natürliche Holzfarbe bewahrend, an den Enden vergoldet und mit kleinem Schnitzwerk geschmückt sind. Einige dieser Skulpturen halte ich für Meisterstücke. Die Ecken der Häuser 233 sind gemauert oder, wenn aus Balken bestehend, mit Stuck überzogen. Wie in allen Privathäuscrn bestehen die Wände aus mit weißem Papier bespannten Holzrahmen. Zuweilen schützt sie ein leichtes Holzgitter von feiner, anmuthiger und sinnreicher Zeichnung. Die Vretterverschalung bewahrt durchwegs ihre natürliche Holzfarbe, je nach dem Alter, lichtgrau oder mahagonibraun. Hie und da sind Stäbe in schwarzem Lack angebracht. Der Gesammteindruck läßt sich nicht wohl beschreiben. Der sanfte Farbenschmelz, die Schönheit der Einzelheiten, die Vollendung der sich nirgend vordrängenden Ornamente, der feine Geschmack, die Einfachheit, welche in diesem geheimnißvollen und unzu-gänglichen Labyrinthe herrschen, beruhigen und erquicken das Auge. Man übersieht dabei ganz die primitive und barbarische Anlage des Vaues. Von den prachtvollen Skulpturen, von den durchbrochenen Hautrelicfs wie sie in der Shiba und in allen Gebäuden Taito-Sama's vortom-men, und welche der Geschmack und die Shinto-Traditionen der Mikado vielleicht verschmähten, fand ich hier nicht die geringste Spur. „Aber wo ist die Wohnung, das Schlafgemach des Kaisers? — Im Garten. — Also in den Garten! — Unmöglich. Nur zwei Thüren führen dahin. Die eine, die äußere, ist die große „Gartenpforte". Der Eintritt von Fremdlingen würde bemerkt werden und das Volk erbtt- 234 tern. Die andere ist vernagelt. Also unmöglich. — Wir beanspruchen nicht den Eintritt durch das große Portal. Wir sind bescheidene Menschen. Das kleine Pförtchcn genügt uns. Nichts ist leichter, als durch eine vernagelte Thüre zu gehen. Es bedarf nur des guten Willens und einer Zange." Der Sanji und der Intendant sind in Verzweiflung, der Vice-Intendant verbirgt seinen Ingrimm nicht länger, wirft wüthende Blicke auf uns, zischelt seinem Vorgesetzten in das Ohr, muntert ihn offenbar zum Widerstände auf. Ich gestehe, daß mich das nachdenklich machte. Schon sinne ich auf den Rückzug, als Herr Gnslie sich in das Gespräch der Cerberusse mischt. Am Ende gelingt es ihm sie umzustimmen. Wir gehen also in den Garten und zwar durch eine kleine aber unvernagelte Thüre. Die Nägel erweisen sich als eine Erfindung der Herren Intendanten. Der Garten des Mikado ist ein Teich mit künstlichen Vorgebirgen und Buchten. Ein See im Kleinen. Auf zwei Seiten beschatten ihn schöne hohe Bäume, auf der dritten schließt ihn die Ringmauer ab, und gegenüber stehen zwei unansehnliche Häuser auf Piloten. Ein Gang verbindet sie. Sie waren die Wohnung des Mikado und seiner Frauen. Das Innere haben wir nicht gesehen. Die. Matten und kostbaren Gegenstände welche sie enthielten wurden nach Jedo gebracht. Ueber den kleinen See führt 235 eine Brücke im Zickzack. Dies barok scheinende Motiv, Welches in China sehr häufig vorkommt, hat eine symbolische Bedeutung. Es soll die Windungen der Schlange vorstellen. Die Schlange ist der Repräsentant des Drachen, und der Drache das Sinnbild der obersten Gewalt. Der Garten des Göttersohnes ist äußerst vernachlässigt. Ich begreife nun, abgesehen von den mystischen Gründen, warum uns der Intendant nicht zulassen wollte. Alles erinnert hier an die Abwesenheit des Eigenthümers. Der Teich ist mit dürren Blättern, Schlingpflanzen und Schlamm bedeckt, Gras wächst auf den Gehwegen und Unkraut zwischen den Büschen. Vor den Häusern stehen einige Blumentöpfe, der einzige Beweis von dein Dasein eines Gärtners. Aber ganz abgesehen von dein Verfalle, welcher Unterschied zwischen dem wahrhaft kaiserlichen Schloßpark des Shogun in Jedo und dem elenden Theehausgarten des Sohnes der Götter! Vom Palaste gehen wir nach dem Schlosse. Es liegt im westlichen Theile der Stadt. Wir haben also bei furchtbarer Hitze Kiyöto in seiner ganzen Breite zu durchreiten. Das Schloß, ein höchst merkwürdiges und prachtvolles Gebäude, wurde von Taiko-Sama vom Grunde aus neu erbaut und trägt das Gepräge des Genius und der Macht dieses großen Mannes. Es liegt auf einer geräumigen, 236 auf einer Seite von einer Vaumreihe begrenzten Esplanade. Die Ringmauer unterscheidet sich von denen des Palastes nur durch größere Festigkeit. Durch das aus altersgrauen Balken und Brettern gezimmerte grofte Thor betritt man einen geräumigen Hof. Gegenüber gibt das Ehrenportal Einlas; in das Hauptgebäude. Ich bewundere die Sopraporta, eine überaus reiche Skulptur: Vögel und Blumen in Hautrelief, vergoldet, gemalt, lackirt; ganz im Style der Shiba. Die Gemächer sind bedeutend höher als die, gewöhnlich, niederen Zimmer der Daimiohäuser. Alles athmet hier die Pracht jener Epoche. Es war das goldene Zeitalter der Künste und der Macht des Shogun.*) Auf dem Plafond, in mattem Gold, kreuzen sich geschnitzte Balken in Schachbrettform. An den Punkten wo sie sich durchschneiden, Scheiben in Goldbronze; die Zeichnung letzterer von unbeschreiblicher Eleganz. Wir sind durch mehrere Gemächer dieser Art geschritten und haben nun den großen Saal betreten. Er ist ungefähr achtzig Fuß lang, dreißig breit und zwanzig hoch. Ueberaus schön ist der in dem oben beschriebenen Style gehaltene Plafond: die beweglichen Papierwänd? und die Mauern sind mit Ge- *) Diese Epoche umfaßte ungefähr cin halbes Jahrhundert, von 1580 bis 1030. ö37 mäldcn auf Goldgrund bedeckt: große Bäume mit kühnen Strichen gezeichnet, aber nicht frei von der landesüblichen Verzerrung/') Längs dem Pruntgemache läuft ein Gang dessen Fenster, durch Reichthum und Abwechslung in der Zeichnung und durch Pracht der Ausführung, dem Schönsten das man in der Shiba sieht zur Seite stehen. Etwas weniger reich aber in demselben Style sind die Gastzimmer gehalten. Die Wohnungen des Shogun zeigen schönes Getäfel mit Wandstäben in Vieux-Lack und einige wundervolle Staffeleibildcr. Letztere liefern den schlagenden Beweis daß, im Widersprüche mit der allgemeinen Annahme, die Gesetze der Perspektive den japanischen Künstlern nicht unbekannt waren. Das Kleeblatt, das Wahrzeichen der Shogunc, von einem Ninge umgeben, wiederholt sich hier in das Unendliche. Der Gouverneur bewirthete die fremden Gäste im großen Saale und führte sie dann in die Bureaux Auch ") Der Gouverneur ließ uns einen Augenblick allein. Ich benutzte die Gelegenheit um in Eile eine Skizze des Saales zu entwerfen. Später verglich ich sie mit einer, ganz ähnlichen, Zeichnung Engelbert Kämpfers (1«91). Vielleicht fand dic Audienz der holländischen Abgeordneten, deren Kämpfer einer war, in diesem selben Saale statt. Bekanntlich bewohnten die Mikado zuweilen das Schloß, besonders während der Anwesenheit der Shogune, welche dies Gebäude bis zur Abschaffnng ihrer Würde (IW8) besessen haben. S. Kämpfcr's Geschichte von Japan gedruckt im Anfange des vorigen Jahrhunderts. 238 dort, wie in Osaka, waren vor einigen Tagen Tische und Stühle aufgestellt worden. Die Beamten schienen sich in der neuen Lage nicht bequem zu fühlen und schrieben, ohne aufzublicken, mit großem Eifer, denn so will es die Etiquette bei Anwesenheit des Vorgesetzten. In jedem Zimmer steht eine Konsole auf welcher die Schwerter niedergelegt werden. Dies Möbel hat seine Wichtigkeit. Keiner der hier schreibenden Beamten, sofern er der Militärklasse angehört, hat vergessen, daß er vor Allem Edelmann ist. Ihm ist das Schwert Haupt-, der Schreibepinsel Nebensache. Mit diesen Zweischwertmännern ist nicht zu spaßen. Kürzlich unternahmen die Vertreter zweier fremder Mächte in Jokohama eine Reise nach Kiyöto. In einem nicht weit von hier gelegenen Städtchen geschah es daß einer von ihnen, während der Rast in einem Theehause, zufällig mit dem Fuße das am Boden liegende Schwert eines Da-kumns berührte. Der Mann hielt sich für entehrt. Seine Gefährten jammerten über die ihm widerfahrene Schmach: die zahlreichen Neugierigen und Müßiggänger fielen in das Jammergeschrei eini am Ende gesellte sich auch das Volk hinzu. Alles beklagte das Loos des Unglücklichen dem nichts übrig bleibe als Harakiri zu machen. Die Lage der Europäer begann kritisch zu werden, als einer der japanischen Dollmetsche dem Dakunin sagte: „Du hast Dein Schwert auf den Boden gelegt und nicht, wie es die Vor- 239 schrift erheischt, auf die Konsole. Der fremde Herr hat also Deine Waffe aus Zufall berührt und nicht absichtlich. Deine Ehre ist nicht gekränkt worden." Diese Auslegung befriedigte Jedermann, besonders den Officier, den sie der unangenehmen Pflicht enthob sich den Bauch aufzuschlitzen, und dic beiden Reisenden welche der im Ehrenpunkte so kitzlichen Einwohnerschaft mit Vergnügen und eilends Lebewohl sagten. Auf Befehl des Gouverneurs war unser Mittagsmahl im Gemeindehaus eines entlegenen Stadtviertels bereitet worden. Der Speisetisch wurde in einem schönen Saale aufgestellt, mit einem Seidenteftpich bedeckt und als Tafelaufsatz mit einem wenigstens fünf bis sechs Fuß hohen Blumenstrauß geschmückt, wie man deren in den Tempeln findet; auch sah unser Tisch wie ein Altar aus. Ueber die Stühle hatte man Shawle geworfen und am Boden einen englischen Teppich ausgebreitet. An diesem Tische nahmen nur die beiden Europäer und die zwei Sanji Platz. Die Officiere des Gefolges speisten im selben Saale aber am Boden sitzend. Die übrigen Begleiter wurden in den anstoßenden Zimmern bewirthet. Das Mahl war überreichlich und die Gerichte von großer Abwechslung. Den Glanzpunkt bildete wie gewöhnlich der berühmte Tay. Dieser Fisch wird lebend mit sehr scharfen und dünnen Messern in Scheiben geschnitten die man jedoch nicht von 240 einander trennt. Die Operation verlangt große Geschick-lichkeit und Eile. Hierauf wird der Fisch, wie man behauptet, noch lebend aufgetragen, man gießt etwas Gssig in seine Augen. Es folgt darauf eine konvulsivische Bewegung ; die Scheiben fallen aus einander, das Thier verendet. In diesem Augenblicke verzehrt man es. Ekelhaft, grausam, aber rafsinirt! Diesmal mißlang der Versuch. Mehrere Europäer versichern mich diesem abscheulichen Experimente mit vollständigem Erfolge beigegewohnt zu haben. Ma io nol viildi, no credo cho sia. Neben dem Saale ist die Schule; wo eine große Unzahl kleiner und erwachsener Mädchen, Knaben und Jünglinge sich im Schreiben üben, das heißt ökonomischer Weise dasselbe Blatt Papier immer wieder mit Tusche beschmieren. Der Gouverneur hat diese wie so viele andere Schulen in den letzten Monaten improvisirt. Nach Tische wird der Shinto-Temvel Kitano-ten-jin besucht. Er ist dem Andenken eines großen Feldherrn aus dem fünfzehnten Jahrhundert geweiht Sodann durchziehen Wir die unabsehbaren Gassen der westlichen Stadt. Um Ende gehen sie in lange Vaumgänge über. Daneben fließen Bäche. Vor uns im Westen thürmen sich hohe Berge auf. Das Ziel dieses Rittes ist der dem Helden Tojimizu 241 geheiligte, sehr reiche Buddha-Tempel Kin-laku-ji.*) Er unterscheidet sich von den übrigen Vor-Taiko-Sama'schen Tempeln hauptsächlich durch die Schönheit und Ausdehnung des heiligen Haines. Japanische Gartenkunst feiert hier ihre höchsten Triumphe und erreicht zugleich, im Lächerlichen und Grotesken, die äußersten Grenzen des Möglichen. Da sieht man, zum Beispiel, eine riesige Pinie lebendigen Leibes in ein Schiff umgestaltet. Der Stamm stellt den Mast vor; die höheren Aeste die Naaen, die niedrigen die Ruder. Der poetische Reiz dieser geweihten Stätte liegt in ihrer Abgeschiedenheit und in den unbeschreiblich schönen Fern- und Durchblicken. Die Stadt selbst bleibt übrigens unsichtbar; ein dichter Laubvorhang verhüllt sie. In der Nähe erhebt sich ein isolirter Hügel von dessen Scheitel Kiyöto ohne Zweifel zu sehen wäre; aber unglücklicher Weise steht dieser Punkt nicht auf dem Programm des Gouverneurs. Der gute Sanji gibt sich die Mühe es mir zu beweisen, indem er das lange Papier mit der Marschroute aufrollt. Aber meine Erfahrungen von heute Morgen sind nicht verloren. Flugs springe ich vom Pferde und steige allein den Berg hinan. Hr. Gnslie beschwichtigt alle Skrupel. Nicht sehr willig folgen uns die Würden-träger, die Officiere, die Soldaten, nachdem sie ihre Pferd' *) Erbaut um 17N). HUbn«r, Spazi^Mng 1!. Iß 242 unehrerbietig genug, am Gitter eines kleinen Tempels festgebunden haben. Der Weg ist steil aber die Mühe lohnend. Zu unsern Füßen breitet sich Kiyoto aus. Ein dunkles Häusermeer, umgeben von einem Meere grüner Baumwipfel. Das Ganze eingerahmt durch Berge. Darüber durchsichtige, perlgraue und rosige Tinten von unbeschreiblicher Zartheit! Am Heimwege beschleunigen wir den Schritt unsrer Pferde und brauchen doch eine Stunde und zwanzig Minuten um die Herberge zu erreichen. Als wir ankamen War es bereits vollkommen dunkel. Am Flusse, wie gestern, ein venetianisches Fest: erleuchtete Lustboote, fröhliches Geschrei, Gesang, Musik. Darüber die schwarzen Schleier einer lauen Sommernacht. (24. September.) Es gibt hier ausgezeichnete Ver-fertiger von sogenannten Kuriositäten. Ich nenne sie absichtlich nicht Fabrikanten, eher noch Künstler. Sie bringen uns ihre Produkte, darunter ein paar wahre Meisterstücke. Leider finden die reichen und vornehmen Leute des Landes Behagen an derlei Gegenständen und geben zuweilen sehr hohe Preise. Lack und Schnitzwerk in Elfenbein scheinen mir hier vorzüglicher als Alles was man in dieser Gattung in Yokohama und selbst in Jedo sieht. Die Bronze- 243 arbeiten sind reizend. Ich kaufte eine Schale und eine Schachtel, eine Art von Bonbonniere, beide aus Kupfer, mit Gold und Silber eingelegt. Der Name Goroza, der mit dem Beisatze „Neunte Generation" auf den beiden kleinen Kunstwerken eingegraben ist, erhöht ihren Werth in den Augen der Kenner. Der erste Goroza war der Cellini Japans; seine Nachkommen zeigten sich bis jetzt des Ahnherrn würdig. Um sieben Uhr Morgens wieder zu Pferde. Wir beginnen mit dem größten Buddhatempel (von der Monto-sette) in Kiyoto, Nishi-hon-guan-ji. Er stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert, wurde Ende des sechszehnten von Taiko-Sama fast vollständig umgebaut und besteht aus zwei Tempeln oder Tempelhallen welche ein Korridor verbindet. Sie nehmen die hintere Langseite des großen oblongen Hofes ein. In der Mitte ein mehrhundertjähriger Baum. Zwei Portale führen in den Hof. Die beiden Tempel tragen das Gepräge des Zeitalters Taiko-Sama's. Der eine ist dem Gründer der Montosekte, Shinranshozo, der andere der Göttin Amida geweiht. Der Tempel des Gottes ist eine hundertachtzig Fuß lange, und sechsundfünfzig Fuß breite Halle: die dem Haupteingange gegenüberliegende Seite nehmen fünf Kapellen ein deren mittlere und größte das Heiligthum ist. Diese Anordnung erinnert an die gothischen Kirchen in 16* 244 Toskana. Zwischen den Kapellen und dem Saale läuft, von letzterem durch ein niederes Geländer getrennt, ein enger Gang hin. Die Säulen welche die Decken tragen sind geglättete Baumstämme ohne Kapitaler denen man die Holzfarbe ließ. Wir fanden den Tempel mit weißgekleideten Männern und Weibern angefüllt. Bursche deren Toiletten nur aus dem Lendengürtel bestand, hatten sich ein Stückchen weißen Papiers in das Haar gesteckt. Weiß ist die Farbe der Trauer. Sie wurden nach einander in den Gangweg gelassen, verneigten sich vor dem Heiligthum, sagten ein kurzes Stoßgebetlein für ihre Todten und verliefen sich dann rechts und links unter Geschwätz und Lachen. Obgleich die Menge sehr groß war, sah ich nirgend Gedränge noch Unordnung. Unser Sanji lachte viel über den Köhlerglauben dieser braven Leute. Gerne benutzte er die Gelegenheit vor uns als Freigeist zu glänzen. Wie die meisten seiner Standesgenossen hat er sich zu dem Standpunkte der Konftssionslosigkeit emporgeschwungen. Die Wände der Kapellen und die jetzt offenstehenden Thürflügel sind so wie die schön geschnitzten Sopraftorten Vergoldet. Außerordentliche Pracht entwickelt die Haupt-kapelle. Dort steht der schwarzlackirte Altar; auf ihm ein verschlossener Tempietto, wahrscheinlich das Götzenbild enthaltend, von überreich ciselirter Bronze! vor dem Altar ein länglicher Tisch mit den üblichen Gegenständen, dem 345 Weihrauchgefäße, den zwei aufrechtstehenden Tafeln und den zwei Porzellanvasen deren eine einen riesigen Strauß von natürlichen Blumen enthält. Die Tischdecke ist reich gestickt; die Zeichnungen hiezu byzantinisch! Zu beiden Seiten des Altars sieht man niedere Schemel in symmetrischer Ordnung aufgestellt. Ich erfreue mich an ihren reizenden Arabesken in Gold anf schwarzem Lackgrund. Die Wände der Hauptkapelle sind matt vergoldet und mit leicht hingeworfenen, farbigen Ornamenten geschmückt. Von dem gleichfalls vergoldeten Plafond hängen vier große Lampen tief herab. Ihr Licht verschmilzt in magischer Weise mit der von außen eindringenden Tageshelle: Sonnenstrahlen welche, vom Fußboden des Hofes zurückgeworfen, sich im Säulenwatde der Halle verloren haben und nun im Heiligthume wiederfinden. Die Residenz der Göttin Amida ist nach demselben Plane gebaut. Dieser hochberühmte Tempel, der Stolz der alten Hauptstadt und zugleich eines der verehrtesten Heiligthümer, besaß ein sehr bedeutendes Stiftungsvermögen, und groß war noch vor ganz Kurzem die Anzahl seiner Priester. Aber unerachtet der Absicht der Regierung die Montosekte aus politischen Rücksichten zu schonen, haben sich die finanziellen Verlegenheiten des Staatsschatzes stärker erwiesen als die Regeln der Klugheit und die Achtung vor dem Necht. Das Ministerium hat also die Anzahl der Priester 246 vermindert, einen Theil des Stiftungsvermögens eingezogen und von den schönsten Gebäuden am Tempelgrunde Ve-sitz ergriffen. Letztere läßt sie für den Empfang ihrer (eingeborenen) Gäste einrichten. In einem dieser Häuser sah ich ein wundervolles Gemälde: drei Frauen am Eingänge eines Palastes. Die Perspektive läßt nichts zu Wünschen übrig. Alle Gebäude, Hallen und Häuser zeigen, mit Ausnahme eines offenbar viel älteren kleinen Portals, soweit es sich um Skulptur und Malerei handelt, die charakteristischen Kennzeichen des Taiko-Sama'schen Barokstyles. Das Emblem des großen Regenten*) findet sich auch hier vor, diesmal in etwas veränderter Gestalt: drei Kleeblätter, die sich an dem Mittelblatte berühren, von Einem Ringe umfangen. Die Blätter sind im heraldischen Style gezeichnet, mit absichtlicher Verschmähung der Naturwahrheit welche die japanischen Künstler, wenn sie wollen, so trefflich nachahmen. Hinter dem Tempel dehnt sich der heilige Hain aus; er gilt für einen der größten und schönsten in Japan. Die vielen Palmen und Vananenbäume geben ihm einen *) Taiko-Saina war nie Shogun. Sein Name war Toyo-tomi Hidiyoshi; sein Titel Kuambatu d. i. Regent. Als er zu Gunsten seines Sohnes abdankte, nannte er sich Taiko, b. i. Regent im Ruhestand. 247 tropischen Anstrich. Hier häufen sich die Erinnerungen an Taiko-Sama. Unter diesem Baume Pflegte er um die Mitte des Tages seine Siesta zu halten: dort den Vollmond zu betrachten. Diese beiden Vögel hat er an die Gartenmauer gemalt. Ich übergehe die Beschreibung anderer Tempel die wir, pflichtschuldig, besuchen mußten. Der bedeutendste ist Higashi, ein Scitenstück des Nishi, und ebenfalls von Taiko-Sama neu erbaut. Eine Feuersbrunst hat ihn unlängst theilweise zerstört. Hr. Enslie besitzt eine alte japanische Handschrift in welcher die Gründungsjahre der vornehmsten Heiligthümer von Kiyoto verzeichnet sind. Kann man ihr Glauben schenken, so reichen die ältesten nicht über das neunte Jahrhundert christlicher Zeitrechnung zurück.*) Gewiß, der Besuch dieser Oertlichkciten bietet das lebhafteste Interesse; aber bald erkaltet es. Eine Masse von Fragen drängen sich auf, aber Niemand weiß sie zu beantworten. Unsere Kenntniß der japanischen Mythologie ist noch sehr lückenhaft. Dagegen führen die unermüdlichen Bonzen den Besucher bei drückender Hitze durch die Weiten Gründe, zwingen ihn fast senkrecht stehende morsche *) Die ältesten sind aus den Jahren 839, 67»), 1102,1185 und 1240. Der Wiederaufbau der beiden so eben erwähnten Tempel Nishi und Higashi durch Taiko-Sama fand 1578 und 1592 statt. 248 Leitern auf- und niederzuklettern, schleppen ihn in unterirdische, finstere Räume um ihn, am Ende, einen Kiosk, eine Vretterhütte, einen Stein sehen zu lassen, weil sie Zeuge irgend eines lächerlichen Wunders waren oder Gegenstand einer widersinnigen Legende. Die Tempel in und um Kiyöto scheinen unzählig. Ginige besitzen ein Stiftungsvermögen in liegenden Gründen auf welches die Regierung jetzt mit unbarmherziger Hand Beschlag lcgt. Andere genießen oder vielmehr genossen eine Subvention des Staates. Viele sind für ihren Unterhalt auf Almosen angewiesen. Die Thatsache, das; Kiyöto noch heute mehr als dreitausend Buddhatempel zählt, zeugt von der überwältigenden Macht welche die, buddhistischen, Shogune in der Residenz und unter den Augen der, dem Shintokultus zugethanen, Mikado besaßen.*) Im Süden der Stadt, am lmken Ufer des Kama-gawa und bereits am AbHange der Berge welche das Ki-hötotbal im Osten begrenzen, liegen die Lustorte Guion-machi und Shima-barra. Dort steht Theehaus an Theehaus. Die elegante Welt, die jungen Herren von Adel sind ihre Kunden. Wir richten unsere Schritte gegen *) Die Mikado waren immer äußerlich Shintoiten, doch konnten oder wollten sic das Ueberhandnehmen des Vuddhism nicht verhindern. 249 Guion-machi wo beständig Festtag ist. Ueberall bewimpelte Maibämne, Blumengewinde, Schnüre mit Papierschnitzeln die von Dach zu Dach gespannt sind; überall Gesang, Flötentöne und Lautensftiel, dazwischen das schallende Gelächter der fröhlichen Gäste. Auf einem sehr steilen Fußpfade erreichen wir eines der elegantesten Theehäuser, berühmt auch wegen seiner prachtvollen Aussicht über die Stadt. Kiyöto ein ungeheures Parallelogramm, liegt in einem von Nord gegen Süd sanft abfallenden Thalgrunde. Zwei Flüsse begrenzen es: im Osten der Kamagawa, im Westen der Katsuragawa. Beide vereinigen sich südlich und in geringer Entfernung von der Stadt um weiter unten in den Jodogawa zu fallen. Das Kivötothal ist auf drei Seiten von Bergen umschlossen; gegen Süden geht es in dem flacheren und breiteren Thale des Mdogawa auf. Die Berge im Osten der Stadt von welcher sie nur der Kamagawa trennt, erheben sich wohl kaum über tausend Fuß, aber die jenseitige etwa acht englische Meilen entfernte Bergkette des Atagoyama erreicht mindestens eine dreifache Höhe. Die Stadt Kiyöto zeigt sich dem Auge als eine verschwommene Häusermasse. Nur die schwarzen Dächer sind sichtbar. Zu unserer Linken, in weiter Ferne, machen sich die Giebel und weißen Ringmauern des Schlosses bemerk- 250 bar. Vor uns, etwas zur Rechten, sehen wir ein Labyrinth von Gebäuden und einige hohe alte Bäume: den Palast des Mikado. Das Häusermeer überragen, in Form aufgestülpter Filzhüte, unzählige Tempeldächer; doch erscheinen sie niedrig im Vergleiche mit den beiden Heilig-thümern Taiko-Sama's deren dunkle Massen den Blick immer wieder an sich ziehen. Wir befinden uns in den ersten Stunden des Nachmittags. Man stelle sich einen ungeheuren Strom vor der gewaltige Kohlenblöcke führt: schwarz, glatt, glänzend an den Kanten. Ueber diese dunkle und doch leuchtende Fläche, denn sie wirft das Tageslicht zurück wie ein schwarzer Spiegel, sind zahllose grüne Eilande, die Gärten und Tempclhaine, ausgesäet. Rings um die Stadt ein Ocean von Baumwipfeln und von eben noch saftgrünen, jetzt im vorgerückten Herbste, bereits gelblichen Reisfeldern. So stellt sich Kiyöto dar, wenn man es von dieser Anhöhe und mit der Sonne im Gesicht betrachtet. Bis auf halbe Höhe mit zahllosen Tempeln und dichtem Gehölz bedeckt, springen, zu unserer Rechten, die Bergrippen in das Thal vor. Gegenüber und etwas zur Linken, im Nord-West und West, entwickelt der Atagoyama seine dämmernden Massen. Wer könnte den wunderbaren Farbenschmelz beschreiben? Schwarze, silberne, goldene, ultra- I51 marinblaue Töne! Dazu die überaus sanfte Klarheit der Luft. Die gastronomischen Genüsse welche wir der Gastfreundschaft des Chi-fu-ji und der Kunst des Theewirthes verdanken, mögen ungeschildcrt bleiben, ebenso auch die Komplimente und zahllosen Kow-tow mit welchen dieser Grand Vatel die Gäste seines Kaisers beehrt. Endlich wird die Tafel aufgehoben. Wir gehen an einem nahen Tempelchen vorüber, wo ein Dutzend Bonzen in verlumpten Talaren den Gottesdienst verrichten. Sie sitzen auf der Schwelle in Reih' und Glied und singen Litaneien: dazu paukt ein jeder aus Leibeskräften auf einer vor ihm stehenden Trommel. Dicht neben ihnen spielen Erwachsene und Kinder im Grase. Von den Bonzen nehmen sie keine Notiz. Unter einem Bretterdach bietet ein Greis Photographien feil. Er hat nie einen Europäer gesehen und seine Kunst von einem japanischen Photographen erlernt. In technischer Beziehung ließe sich an seinen Erzeugnissen Manches ausstellen: aber er besitzt eine andere Kunst welche der Himmel allein verleiht, die Kunst den Dingen ihre schöne und malerische Seite abzusehen. Nahebei liegt der Tempel Chionin welchen Sir Harry Parkes während seiner kurzen und denkwürdigen Erscheinung am Hoflager des Mikado bewohnte. 25I Auf der Heimkehr nehmen wir den Weg den dieser Gesandte mit seinem Gefolge einschlug als er sich an dem verhängnißvollen 23. März I8l>0 in feierlichem Aufzuge zur kaiserlichen Audienz begab. Herr Enslie zeigt mir die Stelle wo der Mordanfall stattfand.^) Sir Harry, wie alle seine Sekretäre die ihn umgaben, waren zu Pferde und in großer Uniform, lieh sich aber, nach Landessitte und um die friedlichen Absichten der Gesandtschaft auszudrücken, den Degen durch einen Diener nachtragen. Drei-Zehn englische Ordonnanzen ritten vor ihm, fünfzig Mann Linientruppen der englischen Garnison von Vokohama folgten zu Fuße. Sir Harry hatte sie mitgebracht um für die Sicherheit der Mission zu sorgen und ihren Glanz zu erhöhen. Sie bildeten die Nachhut. Japanische Oberbeamte und Zweischwertmänner, Reiter und Fußvolk, im Ganzen an Zwölfhundert Mann, schlössen den Zug. Eine ungeheure Menschenmenge drängte sich längs den Häusern. Die erste Hälfte der Kolonne bog eben um die Ecke eines engen Gäßchens welches in eine der großen Querstraßen mündet, als die Spitze des Zuges plötzlich in Unordnung gerieth. Man sah zwei große Schwerter in der Luft glänzen. Im Nu lagen von den dreizehn Ordonnanzen neun, schwer *) Ich erzähle dies blutige Ereignis; nach den mündlichen Mittheilungen der Herren Satolu und Enslie. Beide waren Augenzeugen. 253 aber nicht todtlich verwundet, am Boden. Einer der Mörder, ein Samurai, drang mit gezücktem Schwert auf den Gesandten ein welchen hier, wie in der furchtbaren chinesischen Gefangenschaft, Geistesgegenwart und Unerschrockenheit nicht verließen. Schon war der Mann bei ihm angelangt, schon erhob er den Arm zum Todesstöße, als er über einen der verwundeten Reiter strauchelte und fiel. Mit Wunden bedeckt, raffte er sich auf, flüchtete in einen Kaufladen und wurde dort von japanischen Soldaten niedergemacht. Der andere Angreifer, ein Vonze, ward auf Verwendung eines der Gesandtschaftsselretäre nicht getödtet sondern verhaftet, den Landestribunalen übergeben und später hingerichtet. Hr. Enslie, der sich im Gefolge des Ministers befand, war noch nicht um die Ecke geritten; er hörte verworrenes Geschrei, Waffengeklirr, das Stöhnen der Verwundeten. Vergebens suchte er seinem Chef zu Hülfe zu eilen; auch die englischen Soldaten vermochten nicht vorzudringen: das Gedränge in dem engen Gäßchen, die am Boden liegenden Menschen und Pferde versperrten den Weg. Herr Enslie blickte zurück, und, siehe da, Würdenträger, Hofbeamte, Samurai und das erst noch so zahlreiche Publikum waren verschwunden, die Gasse wie ausgestorben, die Europäer allein. Sie eilten nach ihrer Wohnung im Tempel Chionin zurück. Während eines der volkreichsten Stadtviertel Zeuge dieser Blutthat war, 254 saß der Mikado den Gesandten erwartend auf seinem Thron. In der Stadt herrschte die größte Gährung. Eine Wiederholung des Unfalles schien nicht unwahrscheinlich. Dennoch fanden die Audienzen am folgenden Tage statt, worauf die vier Gesandtschaften so rasch als möglich nach Osaka zurückkehrten. Die gerichtliche Untersuchung und andere Erhebungen lassen keinen Zweifel darüber daß dies Attentat so wie die meisten bei Yokohama und in Jedo verübten Angriffe auf Europäer das Werk politischer Fanatiker war. Eine augenblickliche Stimmung, zuweilen erzeugt unter dem Ginflusse des Sake, leitet den Arm der Mörder die sich selbst im Vorhinein dem Tode weihen. In der That zwei Männer die mehr als tausend Bewaffnete angreifen wissen daß sie verloren sind. Die Anwesenheit der Gesandtschaften hatte den Haß gegen die Fremden neu angefacht. Man Weiß wie tief er in den höhern Klassen wurzelt, und zwar nirgend mehr als in der alten Hauptstadt der Mikado. Ein Samurai und ein Bonze gaben ihm Ausdruck. Mit Blitzesschnelle warfen sie sich auf die Engländer. Es waren keine Verzweifelte, keine Trunkenbolde; es waren Männer die das Unglaubliche, die Alles wagten, weil sie Alles zu geben, weil sie ihr Leben zu opfern im Vorhinein fest entschlossen waren. Es ist immer dieselbe Geschichte. Samurai fitzen in einem Theehause beisammen. Das Ge- 255 sprach kommt auf die Ausländer. Man erhitzt sich. Ein Ritter sagt.- Ich will einen von ihnen umbringen. Ein anderer steht auf und erklärt sich bereit ihm beizustehen. Sie prüfen ihre Schwerter die wie Rasiermesser geschliffen sind, verlassen das Theehaus und säbeln den ersten Europäer nieder dem sie begegnen. Sie wissen sehr wohl daß ihr Leben verwirkt ist. Sie sind bereit zu sterben. Sie wissen daß sie unter Henkershand enden: wenn Adelige den Harakiri vollziehen müssen. In beiden Fällen harrt ihrer der Tod. Aber ihr Name wird fortleben; auf ihren Gräbern werden Weihrauch und grüne Zweige niemals fehlen, und die Verehrung der kommenden Geschlechter wird ihr Andenken mit dem Glänze des Helden und des Märtyrers umgeben. Dieser, seinem innersten Wesen nach, politische nicht religiöse Fanatismus wurzelt im Herzen der Nation, äußert sich im Adel als ein ritterliches Gefühl, trifft seine Opfer mit der Raschheit des Blitzes und sucht die Sühnung der That in der Hingebung des eigenen Lebens. Diese Seelenstimmung erzeugt für europäische Reisende im Innern eine wirkliche, vielleicht die einzig wirkliche Gefahr. Kiyöto liegt in der Provinz Iamashiro*) und ist, *) Dieser Thcil von Mtteljcchan heißt Gökinai und umfaßt die fünf Provinzen Yainashiro, Mnato, Idsumi, Kauaji und Satsu. 256 nach der Angabe eingeborener Geschichtsschreiber, seit dem Ende des achten Jahrhunderts*) der Sitz des Mikado. Aber, mehrmals durch Feuer zerstört, verschwand allmälig das alte Kiyöto. Vor Uebersiedlung des Hofes nach Dedo zählte die Stadt etwa vierhunderttausend Einwohner. In den, letzten zwei Jahren wäre die Bevölkerung auf die Hälfte zusammengeschmolzen. Doch, wie bereits gesagt, entbehren derlei Angaben einer festen Grundlage. Sämmliche Straßen sind schnurgerade. Sie durch« ziehen die Stadt von Nord gegen Süd, von Ost nach West und kreuzen sich im rechten Winkel. Die ersteren, deren sieben zu den bestbewohntcn gehören, sind nmnerirt. Die zum kaiserlichen Palaste führende ist Nummer Eins. Ihre Breite wechselt von zwölf zu zwanzig Fuß, ihre Länge von zwei zu fünf englischen Meilen. Die viel schmäleren Quergassen, deren Länge etwa dritthalb Meilen beträgt, werden durch Namen bezeichnet. Die Häuser haben durchwegs nur ein Erdgeschoß, gleichen denen aller andern Städte und enthalten meistens Kaufläden. Seit der Umsiedlung des Hofes sind viele Hauseigenthümer nach Aedo gezogen; ihre Wohnsitze sind verödet aber noch nicht verfallen. Ich sprach bereits von dem zweiten Ringe des Kaiserplllastes, dem Viertel der Kuge. Hundertzwanzig *) In, I. 796. 257 dieser großen Herren sind mit ihren Familien hier geblieben : die übrigen ließen sich in Aedo nieder. Mit Ausnahme von zwei oder drei Hauptstraßen ist Kiyöto eine todte Stadt. Die Hauptquelle des Wohlstandes ist versiecht. Das Leben ebbt nur mehr schwach in dem großen Körper. Man sieht nur Fußgänger: keine Imrikisha, keine Wagen, keine Reiter; zuweilen, aber selten, ein schwarzes Ochsengespann. Die Menschen unterscheiden sich von den Jedoern durch eine hellere Hautfarbe; die Frauen scheinen mir den Ruf der Schönheit zu verdienen. Seit einigen Wochen halten sich hier zwei in japanischen Diensten stehende Europäer auf, ein englischer Ingenieur, der die Vorstudien zu einer Eisenbahn nach Osaka macht, und ein deutscher Schullehrer! Ich bedauere diese beiden Pioniere der Civilisation nicht gesehen zu haben. In den höheren Ständen sollen die Ansichten über die Reform des Ministeriums sehr getheilt sein. Die Männer des Fortschritts geben natürlich den Altkonservativen viel Aergerniß. Man denke nur, sie besudeln sich sogar indem sie Fleisch genießen. Es ist unerhört. Jetzt wird, wie kürzlich in Aedo, auch hier eine Schlächterei errichtet. Einmal die Woche können die Neuerer frisches Rindfleisch essen. Nichts ist dem Japaner widerwärtiger. Er ißt Gerste, Reis und Fische; äußerst selten Schweinefleisch und Geflügel. Den Orthodoxen gilt auch dies für Hübner. Cpazn'rgang II. 17 356 Sünde. Brot kennt man nur dem Namen nach. Es heißt Pan, das portugiesische pno. Dies Wort ist, wie ich höre, die einzige Spur welche die Portugiesen des sechszehnten Jahrhunderts hier zurück gelassen haben. Zu den Reformatoren zählen auch die Fürsten von Tosa und Chiöshiu. Letzterer hat soeben ein Edikt publicirt durch welches er seinen Soldaten auferlegt Fleisch zu essen. Als Grund wird die stärkende Kraft dieses Nahrungsmittels angegeben. Die Neuerung begegnete Anfangs hartnäckigem Widerstand und konnte nur mit Gewalt eingeführt werden. Der Fürst von Tosa wollte die Strohsandalen seiner Soldaten durch Lederschuhe ersetzen. Die Schwierigkeit war Schuster zu finden i denn die Berührung todter Thiere besudelt. Nur Eta gaben sich dazu her. Am Ende versprach der Fürst den Adel jenen welche sich herbeilassen würden Schuhe aus Leder zu verfertigen. Das Schusterhandwert verleiht fortan in seinen Staaten den Adel. Während dieser zwei sehr fleißig benutzten Tage haben wir zu Fuß und zu Pferde vom frühen Morgen bis zur einbrechenden Nacht die Stadt durchzogen und ihre vorzüglichsten Monumente besichtigt, allerdings ohne das Programm des Gouverneurs zu erschöpfen. Der Sanji ist hierüber untröstlich. Er fürchtet die Unzufriedenheit seines Vorgesetzten und hätte uns auch gerne gewisse wunder- 259 thätige Steine mit mystischen Inschriften sehen lassen: denn, sonderbar genug, oder vielmehr gar nicht sonderbar, glaubt dieser Freigeist an Wunder, und je abgeschmackter sie sind, desto fester glaubt er sie. Er bedauert also lebhaft daß wir nicht Alles sahen, doch hütet er sich uns zu längerem Verweilen zu ermuntern. Und daran thut er wohl. Wenn Kiyöto mit Necht für den Mittelpunkt der Europa feindlichen Gesinnung gilt, so haben die beiden Fremdlinge von Glück zu sagen. Sie drangen allem und ohne verläßlichen Schutz in das Innere des Reiches; sie besichtigen die ge« heimnißvollc Stadt in all ihren Theilen, und kein unangenehmes Abenteuer störte sie im Genusse dieser unvergeßlichen Tage. VII. Der Viliasce. Vom 25. ZUM 27. September. Gtsu, — Der 5«. - Des Oommumr und seine Dyl>on8« in Alt-England. Es war Tiffins- 300 zeit. Der Chiken-ji, sein Dai-Sanji mit den Dollmctschen, Kapitän Hewitt vom Ocean, und die verschiedenen Konsuln find an der Tafel des Hrn. Annesley versammelt. Man spricht von dem neuen Neformprogramm und überhäuft den Gouverneur mit Fragen: „Was sagt dic öffentliche Meinung dazu? Wird die Regierung auf Widerstand stoßen? Wird es zu Aufstanden kommen? Und die Daimio Sind sie wirklich so gutmüthig die ihnen aufoltroyirten! Opfer zu bringen? Oder bleiben all diese schönen Verordnungen beschriebenes Papier?" Der Gouverneur und seine Dai-Sanji erwidern buchstäblich was mir die Minister und Oberbmmten in 5>)edo, in Kiyöto, Osaka, Otsn und Hiogo geantwortet haben. Alles wird trefflich von statten gehen, die Reform in drei Jahren vollendet sein. Offenbar regeln diese Funktionäre ihre Sprache nach d^n Vorschriften der Regierungsmänner in ?)edo. Aber werden die Daimio gehorchen? Werden sie, in pflichtschuldiger Ausführung der neuen Hofdekrete, den politischen und finanziellen Harakiri an sich vollziehen? Hierüber sind die Ansichten getheilt. Vis jetzt scheinen die Minister des Mikado noch nicht gewagt zu haben von den Häuptlingen der großen Klane die Ausführung der neuen Dekrete zu verlangen. Als Beispiele erzählt man folgenden bezeichnenden Vorfall der hier vor einigen Tagen stattfand. Es sollte das Telegraphenseil welche. Nagasaki mit Shanghai verbinden wird 301 unweit Nagasaki gelandet und befestigt werden. Die Gesellschaft bewarb sich in Z)edo um die nöthige Ermächtigung, aber die Regierung erwiderte, die Kompagnie habe sich in dieser Sache an den Landesfürsten zu wenden, auf dessen Gebiet das Seil gelegt werden sollte. Nun ist aber dieser Herr der Fürst von Hizen, das heißt Haupt eines der vier großen Klane welche die Revolution von 1ftli8 angestellt und durchgeführt haben und welche sie heute ausbeuten. Wie stimmt dies mit der Abschaffung der Daimiate? Auf der andern Seite liegen viele thatsächliche Beweise vor daß die Ideen des Fortschrittes und der Reform mit jedem Tage an Boden gewinnen. Ein Daimio hat, wie oben erzählt wurde, sein Schloß abgetragen um den Baugrund in Aecker zu verwandeln. Hier sieht man seit einigen Tagen mit Vergnügen weniger Zweischwertmänner in den Gassen umherlaufen. Die Samurai fangen an unbewassnet auszugehen oder nur mit Einem Schwerte; sie fügen sich der neuen Vorschrift um nicht ihre Reisrationen einzubüßen, einige Weil sie wirklich den neuen Ideen huldigen, Jedenfalls gibt es seither weniger Naufhändel und, für die wenigen hier lebenden Europäer, größere Sicherheit. Ueberhaupt gähren jetzt sonderbare Gedanken m den japanischen Köpfen. So sagte unlängst ein vornehmer Herr zu einem der hiesigen Konsuln: „Wir haben 302 Bogen und Schild gegen die Kanonen und Flinten der Europäer vertauscht weil wir die Ueberlegenheit ihrer Waffen erkannten. Vielleicht kommt der Tag wo wir auch Eure Religion annehmen." Eine merkwürdige Rede die, in zwei Worten, die Oberflächlichkeit und den Leichtsinn der japanischen Neuerer bloßlegt. Sie sind bereit dem sogenannten Fortschritt Alles zu opfern: Sitten, Traditionen, Gesetze, Verfassung, ja selbst die Religion. Sie ahnen nicht daß jede Religion den Glauben voraussetzt und daß der Glaube aus den Tiefen des Gemüthes entspringt, nicht aber aus den vorübergehenden Beziehungen zwischen materiellen Vortheilen und der wechselnden Laune des Tages. Und dennoch, geht vielleicht die Weissagung in Erfüllung. Ein geistreicher Mann, ein Diplomat in Yokohama, sagte mir: „In weniger als fünfzig Jahren wird sich Japan vielleicht zum Christenthum bekehrt haben." Möglich. Die Neuerer, welche die Götzenbilder gewaltsam zerstören und nichts an deren Stelle setzen, schaffen die Leere, das Nichts, und aus dem durchbohrenden Gefühle des Nichts kann vielleicht die Sehnsucht, der Drang nach der Wahrheit hervorgehen. Die Geschichte kennt solche Bei« fpiele. Ich zweifle aber daß die Wege welche der Radikalismus zu wandeln pflegt, die Verachtung des Rechtes, die oberflächliche Nachahmung europäischer Zustände, Moden und Dinge, die Nivellirungs - ja die Zerstörungssucht und 303 despotische Willkür, ich bezweifle, daß diese Wege zum Christenthum führen. Als kurze Zeit nach dem Abschlüsse der Verträge die Priester der Missions etrangeres de Paris in diesem Theile des „fernsten Osten" ankamen, wußte man nicht daß es überhaupt noch eingeborene Christen gab. Man glaubte vielmehr die großen Verfolgungen im siebenzehnten Jahr« hundert hätten das Nerk Franciskus-Xaverius' vollkommen zerstört. Erst drei Jahre nach ihrer Niederlassung in Nagasaki erfuhren die französischen Patres daß im Innern der großen Insel Kiushiu mehrere Dörfer, darunter der beträchtliche Marktflecken Urakami, letzterer nur wenige Ri von Nagasaki entfernt, von Christen bewohnt seien. Die Missionäre begaben sich dahin und übten dort ihr Amt, bis ihnen ihr geistlicher Vorgesetzter, der apostolische Delegat in Yokohama Mgr. Petitjean, auf den Wunsch des französischen Gesandten, untersagte die Vertragsgrenzen zu über« schreiten, das heißt das den Fremden vertragsmäßig als Aufenthalt gestattete Gebiet zu verlassen. Also unerachtet der grausamsten ^Verfolgungen, obgleich allen geistlichen Trostes beraubt, — denn seit 1638 hatte kein Missionär den Fuß auf japanischen Boden gesetzt, 304 — blieben die Christen ihrem Klauben treu, bewahrten unter sich, obgleich verdunkelt und entstellt, die Haupt-Dogmen der christlichen Religion und empfingen das Sakrament der Taufe. Die Männer welche es spenden heißen Täufer, und das Amt ist in gewissen Familien erblich. Auch einige alte Gebetbücher fanden sich vor: wahrscheinlich von Franziskancrmönchen herrührend, da sie die Anrufung des Heiligen dieses Ordens enthalten. Später erfuhr man dasi sich auch auf den Gotoinseln und an der Südwestspitze von Niphon in vielen Gemeinden das Licht des Glaubens erhalten habe, allerdings getrübt durch Unwissenheit, Aberglauben und heidnische Gebräuche. Ein neuerliches Edikt der Negierung verurtheilt die christlichen Bewohner eines Dorfes bei Mdo zu schweren Strafen und liefert dadurch den Beweis daß die christliche Religion bis in diese von dem Schauplätze der apostolischen Thätigkeit der ersten Missionäre so entlegene Gegend gedrungen sei. Man erklärt dies durch die Vermuthung baß die Negierung, zur Zeit der großen Verfolgungen, die Christen, wie gegenwärtig, nach verschiedenen Puntten des Innern dcportircn ließ. Zwischen dem ersten Erscheinen des heiligen Franciskus Taverius und der Schlußkatastrophe am Papenberg verflossen neunzig Jahre; die Epoche der großen Bekehrungen umfaßt kaum ein halbes Jahrhundert, und dennoch, ungeachtet periodisch wiederkehrender 305 Verfolgungen und unausgesetzter Plackereien, erhielt sich die christliche Tradition bis auf den heutigen Tag. Gegen Ende 1869 verbreiteten sich in Uolohama dunkle Gerüchte von neuen Christenverfolgungen auf den Gotoinseln. Sir Harry Parkes, welcher an Bord eines Kriegsschiffes eben die neu eröffneten Vertragshäfcn besuchte, begab sich sogleich nach Goto. Ich wciß nicht wie er die Dinge dort fand, aber auf der Rückreise lvar er, in Nagasaki, Zeuge der grausamen Behandlung welche den christlichen Bewohnern von Urakami widerfuhr. Am Neujahrstage 1370 wurden viertausend Menschen, Männer, Weiber, Greise und Kinder, ihren Wohnstätten entrissen, geknebelt an Bord einiger Djonken gebracht und nach unbekannten Orten abgeführt. Sir Harry Parkes gab seiner Entrüstung durch eine energische Protestnote an den Minister des Aeußeren Ausdruck. Den Statthalter von Nagasaki ersuchte er, in Erwartung neuer Befehle, die Einschiffung der unglücklichen Opfer aufzuschieben. Der Chi-ken°ji entschuldigte sich jedoch mit seinen Weisungen die in der That gemessen waren, und Sir Harry eilte nach Yokohama zurück. Die Trauerkunde von Uratami war dort bereits vor ihm angekommen, und die Mitglieder bes diplomatischen Korps hatten unter dem ersten Eindruck, ohne sich mit einander vorläufig zu verständigen, gegen die Greuelthat Verwahrung eingelegt. Man erwartete nur Hübn«. Spa»i«rgang U, 20 306 den brittischen Gesandten um einen Gesammtschritt zu thun. Jetzt begaben sich sämmtliche Missionshäuser nach Jedo und traten dort zu einer Konferenz zusammen welcher auch Sanjo, als Erster Minister, und Iw-akura, noch nicht Minister aber schon die Seele der Regierung, als Mitglied des großen Rathes beiwohnten. Der englische Gesandte erzählte was er mit eigenen Augen gesehen, sprach aber mit größter Zurückhaltung und in den schonendsten Ausdrücken. Er wende sich, sagte er, an die Gefühle der Menschlichkeit des Mikado und seiner ersten Näthe. Auch aus Rücksichten der Klugheit würden sie den üblen Eindruck vermeiden wollen welchen ähnliche Maßregeln in Europa hervorrufen mühten. Mit den neuen so löblichen Neformbestrebungen ständen sie jedenfalls in grellem Widersprüche. Hr. Outrey sprach mit Wärme von den lebhaften Sympathien Frankreichs für seine Glaubensgenossen. Uebrigens stellte er sich auf den Boden den sein englischer Kollege gewählt hatte. In sehr energischer Weise redete Hr. Delong, der Gesandte der Vereinigten Staaten, den verfolgten Christen das Wort. Hierauf nahm Iwakura das Wort. Den Reklamationen der Diplomaten stellte er die Beschwerden seiner Regierung entgegen. Die schwersten Anklagen wechselten mit den geringfügigsten, man könnte sagen, mit kindischen Beschuldigungen. Der Zweck war offenbar den Christen politische Verbrechen zur Last zu legen. 307 „Dic (eingeborenen) Christen", sagte er, „weigern sich an dem landesüblichen Gottesdienst Theil zu nehmen. Damit begehen sie einen Akt der Rebellion gegen den Mikado, den Sohn der Götter, das Oberhaupt der von den Christen verschmähten Staatsreligion. „Die Christen unterlassen die für Schmückung der Altäre bestimmten Blumen zu liefern. „Sie vermeiden es unter der Furca (die Furca ist, wie bereits gesagt, das äußere Temftelthor), und durch die Tempelhaine zu gehen. „Sie erkennen fremde Priester als Vorgesetzte an und verweigern der kaiserlichen Obrigkeit den schuldigen Gehorsam. „Dem Brauche entgegen, lassen sie die Bonzen nicht zu bei Geburt ihrer Kinder, bei Eingehung der Ehe und bei Begräbnissen. (Das heißt sie verweigern den Bonzen die bei ähnlichen Anlässen erhobenen Sporteln.) „Endlich, und hauptsächlich, seien sie Verschwörer, denn sie halten geheime Versammlungen: Nebellen gegen das Staats- und Religionsoberhaupt, gegen die Gesetze und Gebräuche des Landes." Die Vertreter der Mächte widerlegten diese Behauptungen und forderten das; die deportirten Christen nach ihren Wohnsitzen zurückgebracht würden. Dagegen versprachen sie, im Einvernehmen mit Mgr. Petitjean, dafür 20* 303 zu sorgen daß kein katholischer Priester die Vertragsgrenzen ferner überschreiten noch bei den christlichen Bevölkerungen die Seelsorge ausüben werde. Sanjo und Iwakura verlangten sich vorerst mit ihren Kollegen zu besprechen. Die Sitzung wurde also aufgehoben. Aber die Entscheidung ließ nicht auf sich warten. Die beiden japanischen Staatsmänner kamen nach Aoko« hama um sie den Diplomaten zu eröffnen. „Man könne nicht eine Maßregel zurücknehmen welche der Monarch gebilligt habe, welche bereits vollzogen sei, welche sich der Zustimmung des Landes erfreue. Es wäre eine Verminderung des kaiserlichen Ansehens, eine Herausforderung der öffentlichen Meinung. Mit Einem Worte, das Verlangen der Gesandten sei unzulässig." Hiebei blieb es. Eine, letzteren gleichzeitig überreichte Denkschrift sagt: „Die Regierung des Mikado bedauere daß gewisse Maßregeln welche gegen einige Unterthanen des Mikado ergriffen werden mußten das Mißfallen der fremden Minister erregt hätten. „Die Regierung lege zu großen Werth auf die Pflege ihrer Beziehungen mit den auswärtigen Mächten um nicht alle gewünschte Auskunft zu geben, jedem möglichen Mißverständnisse vorzubeugen. „Die japanische Negierung werde nie Menschen ihres Glaubens willen verfolgen, so lange diese nicht, wie dies 309 der Fall in Uratami gewesen, die Absicht verrathen sich gegen die bestehenden Gesetze aufzulehnen. „Die Regierung mische sich nie in Neligionsangelegen-heiten ihrer Unterthanen. Mehrere Fremdlinge die, als (Protestantische) Missionäre Hieher gekommen, seien in den japanischen Staatsdienst getreten und lehren Wissenschaften und fremde Sprachen in den öffentlichen Schulen. Der Verbreitung fremder Bücher, selbst wenn sie von religiösen Fragen handeln, werde kein Hinderniß in den Weg gelegt. Viele /olcher Vücher wurden in die Landessprache übersetzt und seien in den Buchhandlungen zu finden. Alles Beweise von der Freisinnigkeit und Duldsamkeit der Regierung in Fragen der religiösen Ueberzeugungen. „Wenn aber unsere Unterthanen sich taufen lassen in der Abficht ungescheut Verschwörungen anzuzetteln und die Verachtung der Grundgesetze des Reiches frech zur Schau zu tragen; wenn ganze Gemeinden dem Mikado den Gehorsam verweigern, und ihre Katechisten (die Täufer) ihnen den Schutz der Fremden in Aussicht stellen, bann, allerdings, könne die Regierung nicht unthätig bleiben. Zum Schutze des Ansehens, der Ehre, der Machtfülle des Kaisers müsse sie die nöthigen Maßregeln ergreifen, seine verirrten Unterthanen mit Gewalt zur Erfüllung ihrer Ob« liegenheiten nöthigen. Diese Pflicht werde den Ministern auferlegt durch die Macht der Umstände, die Erbitterung 310 der öffentlichen Meinung, durch die Erinnerung an die traurigen Vorgänge zu welchen vor zwei Jahrhunderten das Auftreten der katholischen Missionäre die Veranlassung gab. Noch heute verlange die allgemeine Stimme daß ähnliches Unheil nicht wieder gestattet, die Unabhängigkeit der Nation nicht wie damals wieder gefährdet, der Thron nicht dem Untergange nahe gebracht werde." So endigte diese Verhandlung mit einer kategorischen Abfertigung. Sie hatte kein anderes Ergebniß als die Schwächung des moralischen Ansehens der fremden 'Gesandten und die von letzteren übernommene Verpflichtung den katholischen Missionären die Ausübung ihres Aftosto-lats außerhalb der engen Vertragsgrenzen zu untersagen. Es geschah bereits der energischen Sprache Erwähnung welche der Gesandte der Vereinigten Staaten in jener denkwürdigen Konferenz geführt hat. Präsident Grant, theils unter dem Einflüsse der Bibelgesellschaften, theils in einer Anwandlung von edler Entrüstung, billigte nicht nur Hrn. Delong's Benehmen sondern erklärte sogar die Absicht mit Frankreich ein Einschreiten zu Gunsten der japanischen Christen zu verabreden. In der That, machte das Kabmet von Washington in Paris und London Eröffnungen in diesem Sinne. Der bald darauf zwischen Frankreich und Deutschland ausgebrochene Krieg brachte die Angelegenheit in Stockung. 311 Die japanischen Minister hatten auf das Feierlichste versichert daß die christlichen Deportirten gut behandelt würden. Bald erfuhr man das Gegentheil. In kleine Banden getheilt waren diese Unglücklichen, auf verschiedene Punkte der großen Insel (Nivhon) zerstreut, einzelnen Daimio zur Bewachung überliefert oder nach der Umgegend von Kiyöto oder ?)edo geschleppt worden. Sie schmachteten in dunklen Löchern und wurden behandelt wie das Vieh. Die wenigen welche unter diesen Leiden ihren Glauben abgeschworen hatten erhielten die Erlaubniß sich den Tag über als Arbeiter zu verdingen: die Widerspenstigen, nämlich die in ihrem Glauben treu Ausharrenden, blieben Tag und Nacht eingekerkert. Die Einen wie die Andern erhielten eine spärliche Ration an Lebensmitteln, gerade hinreichend um sie vor dem Hungertode zu bewahren. So lauten die hier gewissenhaft und ohne Uebertreibung gege-benen Auskünfte welche man zuerst durch einen amerikanischen (protestantischen) Missionär erhielt, und die ein von Sir Harry Parkes auf Kundschaft ausgesandter Konsulatsbeamte bestätigte. Uebrigens besuchte dieser Agent nur drei Orte wo sich gefangene Christen befanden. In zweien wurden sie, seiner Aussage nach, mit einiger Menschlichkeit behandelt.*) *) Später scheint die Negierung ihre grausamen Maßregeln etwas gemildert zu haben. Ein Dekret vom 2. Värz 1872 312 Man versichert daß zu Ende des vorigen Jahres ungefähr ein Drittel der Deportirten aus Urakami dem Hunger, der Kälte, Krankheiten und moralischen Qualen erlegen waren. Vielleicht, hoffentlich aber nicht wahrscheinlich, ist diese Angabe übertrieben. Gewiß ist daß der Tod die Reihen der Märtyrer lichtet. Einige Wenige haben ihren Glauben abgeschworen. Dafür, wie bereits erwähnt, durften sie unter Tages ihre verpesteten Kerker Verlassen. Während der Nacht wurden sie wieder eingesperrt. Die übrigen, die große Mehrzahl, würdige Söhne der Märtyrer des siebenzehnten Jahrhunderts, geben das erbauliche Beispiel der christlichen Standhaftigkeit und Treue. Das in den Einzelheiten bisher wenig bekannte Benehmen der fremden Minister erfuhr verschiedene Beurtheilung. Die europäischen Kaufleute waren es wohl zufrieden daß jede den Handel störende Verwickelung glücklich vermieden wurde. Einige erhoben sich zu einem hu-mamtarischen Standpunkte. Als Menschenfreunde tadelten sie die Schwäche welche die Vertreter der Mächte an den Tag legten. Letztere hätten sämmtlich genau dieselbe und zwar eine drohende Sprache führen sollen: dann hätte die japanische Regierung nachgegeben, die Minister sich das wohl« ordnete die Heimsendung der abtrünnig gewordenen Christen. Die Treugebliebenen schmachten nach wie vor im Gefängniß. Viele hat der Tod erlöst. 313 feile Verdienst erworben viertausend arme Teufel zu retten; sie hätten sich die Demüthigung erspart unter ihren Augen harmlose Leute zu Tode quälen zu sehen, unschuldige Opfer ihres religiösen Fanatismus und des politischen ihrer Henker. Endlich gibt es in Yokohama auch einige wenige, gläubige und eifrige Christen, Katholiken und Protestanten. Diese beweinten das schreckliche Loos ihrer Glaubensbruder und machten die Häupter der Gesandt« schaften dafür verantwortlich. Auch sie meinten, ein kräftigeres Auftreten hätte den Widerstand der japanischen Re« gierung gebrochen. Ich theile den Schmerz um die Märtyrer: ich theile nicht die ungünstige Beurtheilung der diplomatischen Da-zwischenkunft. Dieser Vorfall in Urakami berührt staatsrechtliche Fragen von großer Tragweite. Eine kurze Erörterung sei mir gestattet. Ich gebe, obgleich zweifelnd, zu daß wenn sämmtliche fremde Vertreter genau dieselbe Sprache geführt, wenn in ihr gewisse Abstufungen, die dem scharfen Verstande Iwa-kura's nicht entgehen konnten, die Gesandten nicht von vorneherein zum Theil entwaffnet hätten, ich gebe zu daß dann vielleicht ein besseres Ergebniß möglich war. Aber die vorläufige Vereinbarung einer ganz gleichen Sprache bildet ja eben in der Diplomatie, bei gemeinschaftlichem 314 Auftreten, die große Schwierigkeit. Außer der gemeinsamen Angelegenheit welche ihrer Natur nach immer vorübergehende Interessen zum Gegenstande hat muß ein jeder der Repräsentanten darauf bedacht sein die seinem Lande eigenthümlichen permanenten Interessen zu wahren, und diese letzteren sind von denen der Staaten welche seine Kollegen vertreten oft sehr wesentlich verschieden. Wer je in einer europäischen Konferenz saß weiß wie schwierig es ist, selbst zwischen Bevollmächtigten nahe verbündeter Mächte, dieselbe Sprache und Haltung zu verabreden. In dem vorliegenden Falle lastete auf Sir Harry Parkes, in Anbetracht der ungeheuren englischen Kapitalien die dermalen im japanischen Handel angelegt sind, eine schwere Verantwortlichkeit. Daher seine Zurückhaltung und der Mangel an Energie die man ihm vorwirft. Frankreich hat sich die Sendung gegeben die katholischen Interessen in nicht christlichen Ländern zu vertreten. Daher Hrn. Outrey's verhältnißmüßige Wärme: aber diese Wärme wurde bedeutend abgekühlt durch politische und kommerzielle Rücksichten. So viel war klar daß er sich von seinem englischen Kollegen nicht trennen, und daß letzterer in den Vorgängen von Uratami gewiß keinen Casus Belli finden würde. Iwakura konnte dies nicht entgehen. Ich weiß nicht wie sich der Geschäftsträger des norddeutschen Bundes aussprach: ich vermuthe wie der Vertreter einer Großmacht 315 der seine Stimme erhebt ohne die Interessen der, in diesen Meeren nicht unbeträchtlichen, deutschen Schissfahrt bloßzustellen. Der amerikanische Gesandte ftrotestirte energisch. Aber seine Kollegen wußten nicht ob die Negierung von Washington sich für einverstanden erklären, ob sie zur Handlung geneigt, ob sie auch allein zur Anwendung der Waffengewalt schreiten würde in dem wahrscheinlichen Falle, daß England, in dem möglichen daß Frankreich passiv blieben. Nußland das in Japan keine Handelsinteressen und dermalen keine Gesandtschaft besitzt, Oesterreich welches hier weder Handels- noch politische Interessen zu wahren hat und zu jener Zeit noch keinen diplomatischen Agenten beim Mikado beglaubigt hatte, Oesterreich und Rußland waren in der Konferenz unvertreten und genossen sonach des zuweilen sehr wesentlichen Vortheils der Abwesenheit. Man sagt, Japan hätte nachgegeben wäre die Sprache der Gesandten eine drohende gewesen. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Große Regierungen drohen nur wenn sie zur Handlung entschlossen und bereit sind. Der Drohung, war sie einmal ausgesprochen, mußten, falls sie wirkungslos blieb, die Zwangsmaßregeln auf dem Fuße folgen. Verfügten die Gesandten über die nöthigen Streitkräfte, Truppen und Schiffe um die Feindseligkeiten zu eröffnen? Nein. Man mußte also dann entweder schmählich zurück- 316 Weichen oder sich in Abenteuer stürzen und Ereignisse von unabsehbarer Tragweite hervorrufen: Sturz der gegenwärtigen japanischen Minister die, im Vergleiche mit ihren Gegnern, Freunde der Fremden sind; Uebergang der Regierungsgewalt an die alttonservative, antieuroftäische Partei, gänzliche Stockung des Handels, Wiederbeginn der isolirten Mordthaten und mögliche Angriffe gegen die Faktoreien. Um viertausend Japaner zu retten, setzten die Gesandten zweitausend Europäer dem Nankeroutt, dem Verluste ihres Lebens aus und verwickelten überdies ihre Negierungen in Krieg. Rechtsgründe für eine diplomatische Einmischung suche ich vergebens. Die Verträge sichern den Fremden in den offenen Häfen die freie Ausübung ihrer Religion. Der eingeborenen Christen thun sie mit keinem Worte Erwähnung. War ja doch ihr Dasein den beiden Bevollmächtigten welche jene Verträge unterzeichneten, Lord Elgin und Baron Gros, vollkommen unbekannt. Die einzige Verpflichtung welche die japanische Regierung außerdem in Bezug auf das Christenthum übernahm ist die, zuerst mit den Niederlanden vereinbarte, Abstellung der „beleidigen« den Uebungen". Atso von dem Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit und praktischen Ausführbarkeit ebensowohl als von dem Rechtsstandpunkte aus beurtheilt, scheint mir das Benehmen der 317 Gesandten gerechtfertigt. Der moderne, der konfessionslose Staat hat auf das Recht verzichtet die Christen im Auslande zu schützen wenn er nicht durch besonderes Uebereinkommen hiezu ermächtigt ist. Zu Gunsten der Humanität mag er, mit oder ohne Erfolg, die Stimme erheben. Aber das Christenthum von dem er sich lossagt zu vertheidigen hat er weder Recht noch Beruf. Kann er die schwanken» den, schwer zu definirenden Rücksichten der Philanthropie als Rechtsgründe für ein bewaffnetes Einschreiten geltend machen? Ich bezweifle es. In dem gegebenen Falle werden die feurigsten Philanthropen zugeben müssen daß ein Einschreiten der Mächte höchst wahrscheinlich mehr Blutvergießen und mehr Jammer verursacht hätte als die Henker der armen Christen von Nrakami. Nachdem die Repräsentanten der Mächte die Klugbeit und die Großmuth der japanischen Regierung fruchtlos angerufen hatten, blieb ihnen nichts übrig als sich auf die Rolle passiver Zeugen zu beschränken, passiver und ohnmächtiger Zeugen der Greuelthaten die von dem philanthropischen Ministerium des Fortschrittes unter ihren Glaubensgenossen verübt wurden. (2. Oktober.) Das letzte Stück Japan, die Goto« Inseln, versinkt hinter uns im Meere. Die New-York 318 dampft fort, immer ihre vorschriftmäßigen zelm Meilen in der Stunde. Das Gelbe Meer, dieser sonst so ungeschlachte Geselle, hat für uns nur gnädiges Lächeln. Der Reisende benutzt also die ruhigen Stunden der Ueberfahrt um seine Eindrücke zu sammeln und seine Gedanken über die politischen Zustände Japans auf diesen Blättern niederzuschreiben. Die ersten Europäer welche im Reiche der aufgehenden Sonne erschienen waren Portugiesen. In den Häfen von Kiushiu, der südlichsten von den vier großen Inseln welche Japan bilden, warfen sie ihre Anker. Gleichzeitig landete Franciskus Aaverius. Damit beginnt die Epoche der glänzenden Geschäfte in den portugiesischen Faktoreien und zugleich die Epoche der massenhaften Bekehrungen zum Christenthum. Sie umfaßt ungefähr neunzig Jahre.*) Fabelhafte Gewinne, etwa wie deren in unsern Tagen Während einiger Jahre in Shanghai und Honkong gemacht wurden, bereicherten Makao, damals da<5 große Emporium des portugiesischen Handels im fernsten Orient. Zu den schönsten Hoffnungen berechtigten die ersten Erfolge der Missionäre. Auf der Insel Kiushiu, im Fürstenthume Na-gato (Chioshiu), in den Domänen des Fürsten von Tosa, auf den Goto-Inseln, auf Firando entstanden viele christ- *) Von 1549 bis 1638. 319 liche Gemeinden. Selbst in Kiyöto, am Sitze des Mikado, ward das Kreuz gepflanzt. Aber der Rückschlag ließ nicht warten. Menschen und Dinge scheinen sich gegen die Kaufleute aus Lissabon und Porto und zugleich gegen die Missionäre zu verschwören: der Haß der Bonzen, der verletzende Uebermuth der plötzlich reich gewordenen Portugiesen, der zunehmende Argwohn des Shogun gegen die vorlauten Emporkömmlinge; die unbedachten Aeußerungen eines kastilischen Edelmannes der ihm von der unwiderstehlichen Macht Philipp's II. sprach: die Besitzergreifung der Philippinen durch die Krone Spanien und das dadurch gesteigerte Mißtrauen der japanischen Machthaber: endlich und hauptsächlich, die Umtriebe der Holländer, damals der bittersten Feinde und gefährlichsten Nebenbuhler der Portugiesen in Asien. So tritt der Umschwung ein. Den neuen Glauben treffen gesetzliche Beschränkungen, dann theilweise Verfolgung, zuletzt absolutes Verbot. Wer sich taufen läßt verfällt dem Tode. So standen die Dinge in dm letzten Jahren der Regentschaft Taiko-Sama's und unter dem ihm folgenden Shogun. Der Aufstand einer christlichen Gemeinde an welchem sich einige Portugiesen betheiligten, führte die Schluftkatastrofthe herbei. Im selben Jahre*) wurden die portugiesischen Residenten vertrie- *) 1638. 320 ben, die Holländer welche auf der Insel Firando eine Faktorei gegründet hatten in der portugiesischen Niederlassung von Deshima aufgenommen, die Ausrottung des Christenthums mit der Hinschlachtung der Missionäre und der Ertränkung mehrerer Tausende eingeborner Märtyrer besisgelt. Von jenem Tage bis zur Ankunft des Nordamerika-nischen Geschwaders*), also während mehr als zweihundert Jahren, blieb Japan hermetisch verschlossen. Während dieser langen Epoche übten die auf ihrer kleinen Insel eingesperrten holländischen Kaufleute das Monopol des Handels mit Europa. Was die Welt von diesem geheimnißvollen Reiche wußte, verdankte sie den alten Missionären und den holländischen Kaufleuten, insbesondere zwei deutschen Gelehrten, dem Doktor Kämftffer der am Ende des siebenzehnten Jahrhunderts als Arzt der Faktorei von Deshima prakticirte, und in neuerer Zeit dem gleichfalls in Deshima angestellten Doktor Siebold. Aber diese beiden Männer lebten auf der kleinen Insel und wurden, wenn sie die sogenannte Botschaft der Faktorei nach Ado begleiteten, als Gefangene behandelt. Die Auskünfte welche sie geben waren also meist auf indirektem Wege gesam- ") Commodore Perry kam 1644 an und schloß seine be-«ühmten Verträge im darauf folgenden Jahre« 321 melt. Vor ihnen, zur Zeit der Portugiesen, reisten die Missionäre im Inneren ohne Hinderniß. Aber ihre Aufgabe war die Rettung der Seelen mehr als die Bereicherung der Wissenschaft. Daher geben ihre werthvollen wenn gleich lückenhaften Aufschlüsse keinen klaren Einblick in die damaligen Zustände des Reichs. Auch manche Irrthümer hatten sich eingeschlichen. Einer derselben sollte, wie der Leser sogleich sehen wird, zweihundert Jahre spä-ter, auf die Geschicke Japans einen wesentlichen Einfluß üben. Von jeher bestand einiger Verkehr zwischen diesem Lande und China; zu wiederholten Malen fühlte es, trotz der Entfernung, den Rückschlag der Ereignisse die sich im „himmlischen" Reiche vollzogen. Die Halbinsel Korea, dem Namen nach der Oberherrlichkeit des Kaisers von China unterworfen, mehrmals von javanischen Heeren angegriffen und besetzt, bildete das geographische Band zwischen den beiden großen Nationen mongolischer Abkunft. Von China, über Korea, drang der Buddhism ein, kamen die philosophischen Definitionen, die Moralmaximen des Konfucius, ja selbst gewisse in China vorherrschende poli-üsche Doktrinen nach Japan. Später wurden sogar die chinesischen Schriftzeichen angenommen, in geistiger politischer und materieller Beziehung, ein neuer und großer Schritt der Annäherung. Je mehr unsere Linguisten im Hllbnei, Spazieraang II. 21 Studium der japanischen Sprache und Literatur, in der Kenntniß japanischer Zustände vorschreiten, je mehr offenbart sich der in diesem Lande stets bedeutende Einfluß des Reiches der Mitte. In richtiger Auffassung dieser geschichtlichen Thatsache, ertheilte der König der Niederlande, als der Opiumkrieg ^') zur Eröffnung einiger chinesischer Häfen geführt hatte, dem Shogun den wohlgemeinten Rath dem Beispiele China's zu folgen. „Thut es", schrieb er ihm, „lieber freiwillig als gezwungen. Erspart Euch eine Demüthigung." Die Antwort des Shogun lautete ablehnend. Die Regierung der Vereinigten Staaten, deren Schifffahrt im nördlichen Theile des Stillen Weltmeeres an Bedeutung gewann, unternahm es mit Japan in Verkehr zu treten und, im Wege der Verhandlung oder durch Gewalt, die Eröffnung einiger Häfen zu erlangen. Ein Geschwader, unter dem Befehle der Kommodore Perry, erschien zweimal vor Jedo. Mit Hilfe des moralischen Mittels der Kanonen, wurde nach kurzen Verhandlungen ein Friedens- und Freundschaftsvertrag vereinbart und in dem Dorfe Kanagawa unterschrieben.**) Zwei Häfen wurden den amerikanischen Schiffen und Kaufleuten eröffnet. Aehnliche Zugeständnisse erlangten bald darauf England 55) 31. März 1654. 323 und Nußland, vertreten durch die Admirale Sterling und Putiatin.^) Aber in Mdo gab das Erscheinen der Europäer zu blutigen Auftritten Anlas;. Die den Fremden feindselige Partei blieb nicht unthätig. Der Shogun starb in seinem Palast durch Gift oder Dolch. Nährend der Minderjährigkeit seines Sohnes übernahm der weise und ge-mähigte Ii-Kamon-no-Kami die Leitung des Staates als Negent. Aber auch er galt für Europa freundlich. Am Gingange des Schlosses von Medo, bei hcllem Tage, wurde er ermordec, scm Kopf nach Kiyöto geschickt und dort öffentlich ausgesetzt. Der Schlag war vom Fürsten von Mito ausgegangen. Ein Ritter im Dienste des Regenten erschlug den Vater des Fürsten. Die Holländer hatten durch die Nerträge mit Nordamerika, England und Nußland ihr lang genossenes Monopol thatsächlich verloren. Sie traten in Verhandlung und erwarben einige Zugeständnisse. Das wichtigste erschließt ihnen die andern Nationen geöffneten oder zu eröffnenden Hafens) Die Faktorei in Dcshima wurde (damals noch) aufrecht erhalten, und die japanische Regierung Zeichnet. Der russische Ä^'l^ ist nicht veröffentlicht worden. **) S. Vertrag abgcschlossrn u> Nagasaki im November 1855. Iusatzartikel von, Jänner I^n. 21* ^324 versprach die Abschaffung des Gebrauches das Krucifix mit Füßen zu treten. Bald darauf brach der letzte chinesische Krieg aus. Für die siegreichen Westmächte, England und Frankreich, eine günstige Gelegenheit auch in Japan mit neuen Forderungen aufzutreten, das abgeschlossene Neich dem Handel und der Civilisation zu eröffnen. Die Flotten, die englische mit Lord Elgin, die französische mit Varon Gros an Bord des Admiralschisses, erschienen rasch nach einander im Golfe von Jedo und schlössen mit dem Sho-gun die Verträge*) welche noch heute in Kraft sind. Hier folgen ihre wesentlichsten Bestimmungen. Diplomatische Agenten werden ihren Sitz in Jedo nehmen, Konsularagmten in den geöffneten Häfen. Diese Häfen sind Hakodate, Kanagawa (Yokohama) und Nagasaki. Später wurden Hicgo und Niigata hinzugefügt. Französische und englische Unterthanen können sich dort niederlassen, Häuser bauen, Handel treiben, Kirchen errichten und ihre Religion ausüben. Innerhalb einer gewissen Frist sollen sie auch in Osaka und Jedo zugelassen werden, jedoch nur um dort Handel zu treiben (was das Recht der Ausübung ihrer Religion auszuschließen scheint). Nur der diplomatische Missionschef und der Generalkonsul haben *) Der englische Vertrag wurde am 20. August, der französische am 9. Oktober 1656 unterzeichnet. 325 das Recht im Inneren zu reisen. In den auf die freie Religionsübung der Fremden bezüglichen Absätzen nehmen die Bevollmächtigten Akt von der mit den Niederlanden vereinbarten Abschaffung dcr das Christenthum verunglimpfenden Gebräuche. Endlich wurde die Revision der Verträge nach Ablauf von zwölf Jahren festgesetzt. Aehnliche Verträge fchlofsen später Preußen, Spanien, Belgien und, vor zwei Jahren, Oesterreich. Die Mssionäre des siebenzehnten Jahrhunderts hatten zuerst die Meinung verbreitet daß Japan von zwei Kaisern beherrscht werde. Der eine regiere die Seelen, der andere das Reich. Die Gelehrten in Deshima theilten diese Ansicht welche uns allen, als Kindern, beim Unterricht in der Geographie, beigebracht wurde. Der eine, der Mikado, über die geistliche Macht, die weltliche liege in den Händen des Shogun. Lord Elgin, Baron Gros, vor ihnen die Admiräle welche die ersten Konventionen mit Japan unterzeichneten, verhandelten daher mit dem Sho-gun und schlössen mit ihm die Verträge. Erst später entdeckte man daß die Shogune, obgleich seit dem zwölften Jahrhunderte in den wichtigsten Landestheilen mehr oder weniger im Besitze der Macht, doch nur die ersten Vasallen der Kaiser waren, daß sie der Berechtigung ermangelten mit ausländischen Mächten in Verhandlung zu treten, und die letzten Verträge gegen den Willen des Mikado 3ä6 abgeschlossen hatten. Es zeigte sich daß der damalige Machthaber in Jedo, bereits in seiner Stellung erschüttert, aus seinen Beziehungen zum Auslande Vortheil zu ziehen, den kaiserlichen Hof von Kiy^w und die großen Damno, seine Gegner, einzuschüchtern gedachte. Letztere drängten damals den Kaiser zum Bruche mit dem Shogun. Ob dieser, wie behauptet wird, um die Fremden in ihrem Irrthum zu bestärken, geflissentlich den chinesischen Titel Tai-kun annahm, weil dies Wort den Begriff der Landeshoheit ausdrückt, während Shogun oberster Befehlshaber der Armee bedeutet, lasse ich dahin gestellt. Gewift ist das; die Haltung des Shogun in ihren Folgen seinen Erwartungen nicht entsprach, ja im Gegentheile zu einer Verbündung der Gegner und zur Abschaffung des Shogunats führte. Die oberste Gewalt wurde, dem Namen nach, wieder in den Händen des Mikado vereinigt. Thatsächlich ging sie auf die Häupter der vier groften Klane über oder, eigentlicher, wurde sie von ihren Agenten, di>' ' '> o„"^s,., und Minister des Kaisers sind, an sich geris> falls mußte die Ankunft der Europäer früher oder spälcr die inneren Zustände des Reiches wesentlich umgestalten; aber die irrige Ansicht der Bevollmächtigten von England und Frankreich daß der Shogun der gesetzmäßige weltliche Herrscher sei, die Thatsache daft fie mit ihm verhandelten und nicht mit dem Mikado, beschleunigte das Zu- 3Z7 stllndekommcn des Bundes zwischen den dem S^ogun feindlichen Großen, und die Abschaffung des Shogunates. Die Interessen der Europäer haben dadurch nicht gelitten. Im Gegentheile, die. innere Zerrüttung gestattete ihnen mn 'o leichter Fuß zu fassen. Aber für Japan war das plötzliche Verschwinden des Hofes von Jedo ein Verhängnis;-volles Ereignisi. Nach Abschluß der Veriräge ward zur Ausführung der einzelnen Artikel geschritten. Die fremden Gesandtschaften ließen sich in Dedo nieder, die Konsuln und Kaufleute auf dem Gestade von Yokohama wo, in wenigen Iahrcn, eine beträchtliche Stadt emporwuchs. Das russische Kabinet ernannte keinen diplomatischen Vertreter, sondern begnügte sich mit der Errichtung von Konfulatcn in Uokuhama und in Hakodate auf der Insel ?)ezo, dem den russischen Besitzungen am Stillen Weltmeere nächst gelegene Punkte. Es befolgte hiebei den alten und weisen Grundsatz daß eine diplomatische Vertretung gerechtfertigt sein müsse durch das-Dasein wirklicher und großer Interessen welche die Negierung verpflichtet und bereit ist, nöthi-genfalls, mit Waffengewalt zu schützen. In dieser Weise wurden die in diesen Meeren noch unbedeutenden Handels- und Schifffahrtsinteressen Nußlands hinreichend gewahrt und, durch die diplomatische Abwesenheit, die eventuelle Einmischung in Angelegenheiten veunieden welche 328 dem russischen Reiche fremd waren. Es war dabei nichts zu gewinnen und Manches zu gefährden. Daß die Lage der Europäer in Japan eine schwierige und wenig gesicherte sei, zeigte sich mit jedem Tage mehr. Man hatte mit dem Shogun Verträge geschlossen. Man wußte wenig, man wußte fast nichts von den Vorgängen im Innern, am kaiserlichen Hofe zu Kiyoto, am Hofe des Shogun in Ie-do, im Lager der verbündeten Daimio. Gin undurchdringlicher Schleier verhüllte die Zustände des Reiches. Man erfuhr daß die Häupter des Bundes die Vertreibung der Fremdlinge verlangten und vorbereiteten; daß die oberen Schichten der Nation die Fremden haßten, daß die Negierung des Shogun mit der man verhandelt hatte in ihren Grundfesten erschüttert, vielleicht dem Sturze nahe war. Dennoch stützten sich die Gesandten auf den Shogun, entschlossen ihn ihrerseits zu unterstützen, ohne zu bedenken, vielleicht auch weil man keine Wahl hatte, daß ihn der moralische oder gar der materielle Beistand der Ausländer in den Augen der Nation herabsetzen, mittelbar seinen Untergang beschleunigen müsse. Um diese Zeit drehte sich Alles um die immer mehr hervortretende Schwächung des Shogunates. Was waren die Ursachen dieser Schwächung? Niemand konnte mir hierüber befriedigenden Aufschluß geben. Man spricht von Verderbtheit, Käuflichkeit, Verrath. Dies sind Worte. 329 Thatsachen hat mir Niemand geben können. So dichtes Dunkel ruht noch heute über Ereignissen die unter den Augen der Europäer vorgingen. Was man hierüber erzählt, sind reine Vermuthungen. Iwakura allein antwortete mir auf diese Frage klar und bündig. „Der Sho-gun", sagte er mir, „fiel unter der allgemeinen Verachtung, unter dem Hasse der japanischen Nation welche mit Liebe und Treue an ihrem rechtmäßigen Beherrscher, dem Mikado, hängt." — „Aber", entgegnete ich, „wie kommt es daß die ihren Kaiser so sehr liebende Nation den Usurpator durch siebenhundert Jahre ertrug, und warum erwachte diese so lange schlummernde Treue gerade jetzt und mit Einem Male?" Hierauf blieb mir der Minister die Antwort schuldig. Hiemit wäre also ein wichtiger Punkt festgestellt: als die Europäer erschienen, fanden sie das Shogunat, welches seit dem zwölften Jahrhundert mit wechselnden Geschicken bestanden hatte, aus unbekannten Gründen, erschüttert. In Kiyöto wurde von den Kuge, dem alten hohen Hofadel, die Behauptung aufgestellt, die Verträge mit den Europäern bedürften, um in Wirksamkeit zu treten, der Genehmigung des Mikado. Es war der erste Stoß den die Hofpartci dem Shogun versetzte. Von jenem Augenblick an suchten beide, letzterer um seine bedrohte Macht 330 zn starten, der Mikado um die. ihn: seit Jahrhunderten geschmälerte wieder herzustellen, die Unterstützung der Europäer. MMo wurde ein Herd von Intriguen. Zu jeder Zeit spielte, wie es scheint, der Süden in den japanischrn Revolutionen eine bedeutende Nolle. Agenten wurden dahin entsandt. Ihre Aufgabe war die öffentliche Meinung gegen dcn Shogun zu entflammen, ihn zu beschuldigen daß- er das Land den Barbaren überliefers. Gewaffnet wurde von beiden Seiten. Der Shogun sowohl als die großen Daimio stellten fremde Ossieiere als Lehrer an, lauften Hinterlader und Kanonen in Europa, bestellten Krics/"'^^ auf europäischen Werften. Die Häuptlinge der ,, ^n Klane von Satsuma, Choshiu und Tosa, denen sich der von Hizen späler anschloß, ver-langlen im Verein mit den Kugc, laut und offen, die Vertreibung der Ausländer und richteten an den Mikado das Anpnncn, er möge den Shogun beauftragen die Eindringlinge in da« M/er zu werfen. Der Befehl wurde wirklich gegcben. Der Shogun antwortete mit eincr Entschuldigung: seine .', ' ,, 'al^irn es nicht. Die Leiter der. Bewegung, ivrl^, ilnmer mehr unter den drängenden Gin-flnß ihrer Samurai, Zwcischwertmänner, überhaupt der Mli^vlallc geriechen, forderten nun die Bestrafung des ^ Milado, lagten sie, möge selber den Ver- tilgu,! gcgcn die Barbaren aufnehmen. Dieser 331 Schritt blieb erfolglos, Weil sich damals der Mikado in den Händen des Fürsten von Aidzu befand, eines der mächtigsten Daimio im Norden, zur Zeit Militär-Gonver-neurs von Kivöto, eines Freundes und Verwandten dos Shogun. Da versuchte der Fürst von Choshiu, der auch unter dem chinesischen Namen Nagato bekannt ist, um sich der Person des Mikado zu bemächtigen, einen Handstreich gegen Kiyoto.^) Die Choshiu drangen in die Stadt, griffen dk Kriegsleute des Fürsten von Aidzu an, wurden aber geschlagen und zurückgcworsen. Sie Zogen also nach Hause, das heißt nach der Cüdsvitzc von Niphon, gegenüber von der Insel Kiushiu. Für den Augenblick waren der Fürst von Aidzu und der Shogun am Hofe des Mikado, der sich in ihrer Macht befand, die Herren. Sie zwangen ihn den Shogun mit der Bestrafung der Choshiu zu beauftragen. Um diese Zeit begaben sich die fremden Gesandten nach Hiego um den Mikado um die Ratifikation der Verträge zn bitten. Hr. Roche bot zur Unterwerfung der Choshiu die französischen Streitkräfte an. So wie du' Dinge standen, war dies eine militärische Intervention zu Gunst^il dcs Shogun. Der Mikado lehnte wie natürlich das Anerbieten ab, genehmigte aber die Verträge. it^. 332 Mittlerweile hatten zwei Zwischenfälle stattgefunden. Seit längerer Zeit verlangten die Engländer für gewisse Unbilden von dem Fürsten von Satsuma fruchtlos Genugthuung. Jetzt bombardirten sie seine Hauptstadt Ka-goshima.*) Im folgenden Jahre beschossen Schiffe der vier Vertragsmächte, wegen feindlicher Angriffe auf ihre Flaggen, die Stadt Shimonoseki welche den westlichen Eingang des „Inneren Meeres" beherrscht und dem Fürsten von Choshiu gehört. Die Stadt wurde eingeäschert. Beide Vorgänge machten die Japaner nachdenklich. Sie erkannten die Ueberlegenheit der Europäer. Da traten die Häuptlinge der Satsuma und der Choshiu mit den fremden Gesandten in Verkehr. Bald nahmen diese Beziehungen einen freundlichen Charakter an. Zweimal zog der Shogun gegen die beiden eben genannten Klane zu Felde. Noch harrte man der Entscheidung als ihn, im Schlosse von Osaka, der Tod ereilte.**) Einige Monate darauf folgte ihm der Mikado in das Grab ***), und der gegenwärtige Kaiser, kaum zwölf Jahre alt, bestieg den erschütterten Thron seiner Ahnen. Keiki, ein jüngerer Sohn des Fürsten von Mito, wurde mit der Würde des Shogunats betleidet. Gegen den Wunsch sei- *) 1863. **) Ende 166«. 5""") Februar 16N7. 333 nes Vaters und der übrigen Verwandten, sämmtlich Erbfeinde der Shogune, nahm er sie an und bezog das Schlost in Kiyöto, erklärte aber seine Absicht bei der Wiederherstellung der kaiserlichen Vollgewalt mit zu wirken und das Shogunat niederzulegen, sobald die zu einem Großrath berufenen Daimio die neue Verfassung votirt hätten. Eine solche Versammlung wurde in der That ausgeschrieben. Mehrere Daimio kamen. Aber die Häuptlinge der Sat-suma, der Choshiu und der Tosa umringten die Stadt mit ihren Streitkräften.*) Entscheidende Ereignisse folgten. Am 3. Jänner**) drangen Kriegsleute des Fürsten von Satsuma in Kiyöto ein, erwirkten von dem Mikado den Befehl an den Sho-gun das Schloß, an Aidzu den kaiserlichen Palast zu räumen den sie sogleich besetzten. In ihrer persönlichen Sicherheit bedroht, verließen Keiki und sein Freund noch am selben Tage Kiyöto, und zogen sich eilends nach Osaka zurück. Schon am folgenden Morgen trafen sie dort ein. Während sie sich am Marsche, eigentlich auf der Flucht befanden, erschienen bereits, im Namen des Kaisers, mehrere wichtige Edikte. Der Mikado erklärte seine kaiserliche Gewalt sei hergestellt und erstrecke sich fortan gleichmäßig *) December 1W7. **) 1868. 334 über alle Theile des Reiches. Das Shogunat sei aufgehoben. Gin anderes Dekret enthielt die Grundsätze der neuen Verfassung. Da beredete der Fürst von Aidzu dcn Shogun einen letzten Versuch zu wagen. Vereinigt mar-schirten sie gegen Kiyöto. Bei Fujimi, fünf Meilen von der Hauptstadt, kam es zwischen ihren Truppen und den Satsuma und Choshiu zu einer blutigen Schlacht. Sie endigte mit der Niederlage der Angreifer und ihrem Nück-zuge nach Osaka. Dort angelangt, ließ der Shogun das Schloß verbrennen und kehrte dann am Vord einer seiner Fregatten nach Jedo zurück. Dahin richteten sich auch die siegreichen Klane auf dem Landwege. Von einem nahen Verwandten des Mikado befehligt zogen sie, fast ohne Schwertstreich, in Uedo ein. Der Shogun war in den Tempel von Ueno geflüchtet. Man gestattete ihm freien Abzug auf seine Güter. Dort lebt er seither, unbelästigt, in tiefer Zurückgezogenheit. So endigte das Shogunat nach siebenhundertjährigem Bestände. Der Fürst von Aidzu führte seine Kriegsleute nach seinen Landen zurück, schloß mit mehreren Daimio den sogenannten Nordbund und setzte den Krieg noch einige Zeit fort. Eine am Schluß des Jahres*) erlittene Nie- *) 1868. Z35 derlage machte zugleich dem Nordbunde und dem Bürgerkriege ein Ende. Allenthalben, außer an Einem Punkte, war die kaiserliche Macht anerkannt. Bekanntlich ist ^czo die nördlichste der vier großen Inseln aus denen Japan besteht, ein einziger ungeheurer Wald, reich an Mineralschätzen, an Kupfer und Kohle, aber von Urbewohnern, von wahren Wilden, schwach bevölkert. Einige Punkte auf der Südküste haben die Japaner kolomsirt. Auf der Südspitze, Niphon gegenüber, befindet sich ihre wichtigste Niederlassung, Hakodate. Auf Verlangen des Kommodore Perry ist dieser Hafen, wie bereits erwähnt, den Amerikanern und später als einer der fünf Treaty-Ports allen Fremden eröffnet worden. Während die Truppen der Daimio gegen Jedo marschirten, bemächtigte sich der japanische Fregattenkapitän - Gnomoto der im Golfe liegenden Flotte des Shogun und segelte mit ihr nach Hakodale. Seinen; Erscheinen folgte der Ausbruch einer unblutigen Revolution. Einer der französischen Instruttorcn, Hauptmann Vrunet, trat an die Spitze der Bewegung. Man proklamirte die Nepublit und das allgemeine Stimmrecht! Letzteres allerdings wurde dem ausschließlichen Genusse der Samurai, das heißt der Mi-litärkaste, vorbehalten, und alle andern Kasten davon ausdrücklich ausgeschlossen. Die sehr wenig zahlreichen europäischen Residenten, meist Abenteurer, und einer der fremden 336 Konsuln erklärten sich für die Revolution. Während mehrerer Monate lebte man unter dem Schirme dieser grotesken Verfassung. Jedermann schien sich sogar mit den neuen Zuständen zu befreunden, nur nicht die kaiserliche Negierung. Sie entsandte ein kleines Geschwader. Ein Seegefecht fiel zum Nachtheile der republikanischen Zweischwertmänner aus; Herr Brunei kehrte nach Frankreich und die Insel Iezo unter die Botmäßigkeit des Mikado zurück.*) Die Wahl der Hauptstadt war die erste zu erledigende Frage. Während Jahrhunderten lag der Schwerpunkt des politischen Lebens in Jedo. Jedo theilt auch mit Osaka die Suprematie auf dem Gebiete des Handels. Alle Fäden der Verwaltung in den Staaten des Shogun, und sie reichten bis Iezo und Kiushiu, vereinigten sich in seiner Hauptstadt. Mdo wurde also zur künftigen Residenz des Mikado erkoren. Der junge Kaiser besuchte die Stadt, kehrte für kurze Zeit nach Kiyöto zurück und nahm endlich bleibend seinen Sitz in Jedo.**) Werfen wir einen Blick auf die Haltung der fremden Gesandten, auf die Lage der Europäer während des Bürgerkrieges. Während einiger Zeit schien die offene Feindseligkeit der höhern Klassen, im Vereine mit der Schwäche *) 1869. **) 1869. 33? der Dedoer Regierung, den Bestand der jungen Kolonie ernsthaft zu gefährden. Mehrere Mordthaten wurden verübt: in Yokohama, in der Umgebung, in der Hauptstadt; dreimal wurde die brittische Gesandtschaft in Jedo angegriffen. Iil Yokohama herrschte Bestürzung. Die Vertreter der vier Mächte, die Admiräle mußten für die Sicherheit ihrer Landesangchörigen Sorge tragen. In Aedo waren die Gesandten des Lebens nicht sicher. Mit Ausnahme des amerikanischen, der noch einige Zeit blieb, zogen sie sich nach Yokohama Zurück. Sie befanden sich da in unmittelbarem Verkehr mit den Landslcuten und unter dem Schlitze der Kanonen ihrer Kriegsschiffe. Eines Tages erfuhr man daß sich rings um Yokohama Bewaffnete sammelten. Zugleich erklärte der japanische Gouverneur sein Unvermögen die Faktorei zu schützen. Da ließ Admiral Iaurcs die Marinetruppen einer französischen Fregatte ausschiffen und die Bluffs besetzen. Der englische Gesandte verschrieb ein Regiment Linientruppen aus Hongkong. Die gemeinsame militärische Besatzung wird noch heute aufrecht erhalten, allerdings mit gewissen Abänderungen und mit der nothigen Schonung japanischer Empfindlichkeit. Aber noch befinden sich englische und französische Soldaten in Yokohama, und es wäre nach meiner Ansicht nicht gerechtfertigt fie zurückzuziehen: denn plötzliche Angriffe sind immer möglich, und in einem solchen Falle würden diese 338 schwachen Streitkräfte wenigstens hinreichen die Flucht der Fremden an Bord der Schiffe zu ermöglichen. Bald darauf ließ sich die brittische Gesandtschaft wieder in ?)cdo nieder wo sie. sich noch heute befindet. Die übrigen Gesandtschaften blieben in Yokohama. Gegenwärtig ist, so sagt und glaubt man oder will man glauben, jede Gefahr verschwunden, und in der Niederlassung herrscht, wenigstens dem Anschein nach, unbedingtes Vertrauen. Ich sprach oben von der zweideutigen, im Grunde aber Europa freundlichen Politik des Hofes von Jedo der die Fremden schonen mußte und zugleich die ihnen feindliche Stimmung des Landes nicht verletzten durfte. Sein ganzes Benehmen ließ daraaf schließen. Als die Gesandten der vier Mächte den Shogun von ihrer Absicht verständigten den Fürsten von Choshiu durch die Beschießung von Shimonoscki zu züchtigen, antwortete er mit einer geheimen Zustimmung und mit einem öffentlichen Protest. Der Mikado hatte ihm befohlen die Fremden zu vertreiben. Er erließ ein Edikt im Sinne des ihm gewordenen Auftrages, bat aber die Diplomaten seiner Proklamation keinen Werth beizulegen. Als er, unter dem Vorwandc dem Kaiser zu Hilfe zu eilen, den Feldzug gegen die Choshiu unternahm, ersuchte er die Admiräle seine Hatamoto auf französischen und englischen Kriegsschiffen und zwar, aus Schonung für die öffentliche Meinung, unter japanischer 339 Flagge nach dem Kriegsschauplätze zu befördern. Das Ansinnen wurde natürlich abgelehnt, ihm aber gestattet englische Kauffahrteischiffe zu diesem Behufe zu miethen auf welchen er seine Flagge aufzog. Alles dies hat seine Bedeutung. Eine Regierungsgewalt die zu solchen Auskunftsmitteln ihre Zuflucht nehmen muß ist gerichtet, ihr Sturz nur mehr eine Frage der Gelegenheit und Zeit. Die Lage war, wie man sieht, verwickelt, die Aufgabe dcr Diplomaten keine leichte. Zunächst kannten sie die Vorgänge im Innern wenig oder gar nicht. Die Kunde die ihnen von Kiyöto und aus dem Südwesten zukam, also von den Hauptherden der gegen den Shogun gerichteten Umtriebe, ja sogar die Nachrichten aus dem nahen ^cdo waren lückenhaft und oft widersprechend. Die Politik der Enthaltung empfahl sich offenbar als die weiseste. Enthaltung ist aber schwer wenn die Landsleute periodisch ermordet, eine dcr Gesandtschaften (die englische) nächtlich überfallen, deren Mitglieder verwundet oder getödtet werden. Mit gekreuzten Armen zusehen hieß die Frechheit der Gegner ermuntern und neues Unheil heraufbeschwören. Handeln hieß Negc betreten deren Richtung und Ausgangspunkte man nicht kannte. Jedenfalls muhte für die Sicherheit dcr Niederlassung gesorgt, Genugthuung gefordert und erlangt werden. Das Ansehen, in nächster Folge, Eigenthum und Leben der Fremden standen auf dem Spiele. 22* 340 Die Schwierigkeit lag in der Wahl der Mittel. Sollte man sich auf die Künste der Ueberredung beschränken, oder drohen oder losschlagen? Einige Zögerung, einige Unsicherheit war da unvermeidlich. Demungeachtet erlanbe ich mir die Ansicht auszusprechen daß die Vertreter der brittischen Krone, Sir Nuthersord Alcock, Oberst Neal und Sir Harry Parkes welche nach einander die englische Gesandtschaft leiteten, auf der Höhe ihrer verwickelten Aufgabe standen. Sowohl wegen seiner sehr bedeutenden Handelsinteressen als durch die vorwiegenden Streitkräfte, über die es im äußersten Osten verfügt, fiel die erste Rolle England zu. Seine Vertreter mußten den Ausschlag geben, und sie handelten in den schwierigsten Augenblicken mit Klugheit und Muth, und, was im öffentlichen Interesse das Wichtigste ist, ihre Thätigkeit krönte der Erfolg. Der Vertreter Frankreichs, Herr Noche wandelte andere Wege; er verhehlte nicht seine Vorliebe für die Jedoer Negierung und ging, wie oben gesagt, hierin fo weit daß er dem Mikado, das heißt unter den gegebenen Umständen dem Shogun, die französischen Kriegsschiffe zur Verfügung stellte. Als letzterer vom Schauplatze verschwand, wurde auch Herr Roche von seinem Posten abberufen und durch Hrn. Outrey ersetzt. Der Minister der Vereinigten Staaten nahm eine zurückhaltende Stellung ein. Die, natürlich beschränkte, Ginwirkung des niederländischen Agenten trug 341 das Gepräge der nüchternen und vorsichtigen Gepflogenheiten der holländischen Diplomatie. Nach ihren ersten Erfolgen fühlten die Häupter der Bewegung das Bedürfniß mit den fremden Mächten in Verkehr zu treten. Der Mikado ließ daher die Gesandten einladen ihm ihre Beglaubigungsschreiben in Kiyöto zu überreichen. Man kennt die blutige Episode, zu welcher diese Feierlichkeit Anlaß gab.') Neuerliche Nachforschungen und Entdeckungen, welche großentheils dem Eifer und der Thätigkeit der Gesandt-schaftsdollmetsche und Dollmetschzoglinge zu verdanken sind, haben die bisher in Europa über die japanische Verfassung verbreiteten Ansichten wesentlich umgestaltet und berichtigt. Man Weiß jetzt daß der Mikado der oberste Herrscher ist und immer war. Sohn der Götter, unsichtbar (bis in die ganz letzte Zeit) wie Iehova der in Wolken gehüllt zu Moses spricht, vereinigt er in seiner Person alle Attribute der Gottheit. Er ist die Quelle aller Macht, Er ist kein Papst, wie man so lauge gewähnt, kein Neligionsoberhaupt, kein Spender geistlicher Gnaden, kein Wächter des Glaubens. Er ist mehr als dies, er ist ein Sprosse der Gottheit. Nie wurde unterschieden zwischen der geistlichen und weltlichen *) Dcr Wordansall auf Sir Harry Parkes ereignete sich "u 28. November 18W. S. Seite 242. 349 Macht. Seit dem neunten Jahrhundert hatte er seinen Sitz in Kiyöto. Dort wohnen auch die Kuge, der alte Hofadel, und nach Kiyöto berief er zuweilen, in außerordentlichen Fällen, die Daimio des Reiches. Der Oberbefehl über die Streitkräfte war zwei Großwürdenträgern anvertraut. Der eine führte ihn im Norden, der andere im Süden, daher ihre Titel Shogun, gleichbedeutend !mit Höchst-Kom-mandirendem. Einem derselben gelang es, im zwölften Jahrhundert diese Würde in seiner Familie erblich zu machen und zugleich, immer unter der Oberherrlichkeit des Kaisers, die reichsten und bedeutendsten Provinzen Japans an sich zu reißen. So entstand das Shogunat. Es erhielt sich durch siebenhundert Jahre. Der Shogun war der erste Vasall des Mikado. Die Grenzen seiner Befugnisse unterlagen gewissen Schwankungen. Seit Joritomo (im zwölften Jahrhundert), einer der großen Gestalten in der japanischen Geschichte, aber der Zeit nach zu entfernt um auf der Grundlage verläßlicher Angaben nach Gebühr gewürdigt zu werden, hat der furchtbare Taiko-Sama (am Ende des sechszehnten Jahrhunderts) den hervorragendsten Einfluß auf die Geschicke des Reiches geübt. Seinem Genius, seiner Thatkraft, seinem Glückstern und feiner Vermählung mit einer Dame von fürstlichem Geblüt verdankte der in Niedrigkeit geborene Mann den Thron der Shogun den 343 er als „Regent" bestieg und durch lange Jahre einnahm. Noch lebt er fort in dem Andenken des Volkes; noch zeugen seine gewaltigen Bauten in Mdo, in Osaka und selbst in Kiyöto von der Ausdehnung und dem Glänze seiner Macht. Die Shogune waren oft unbotmäßige, ineist unruhige, immer unbequeme Vasallen des Mikado, aber Vasallen waren und blieben sie bis zu Ende. Von Zeit zu Zeit erschienen sie in Kiyöto um ihrem Lehensherrn zu huldigen. Ueber diese Zusammenkünfte hat sich ein interessanter Bericht zweier holländischer Delegirten erhalten. Aus den Fenstern des Hauses in denen sie bewirthet und bewacht wurden sahen sie die feierlichen Aufzüge der beiden Potentaten. Das Territorium des Shogun bestand aus den acht Provinzen, darunter Jedo, welche unter dem Sammelnamen Kuanto bekannt sind, und aus den Städten und Stadtgebieten Osaka, Nagasaki, Niigata und Hakodate. Diese Städte und Provinzen befanden sich m unmittelbarer Botmäßigkeit des Shogun und wurden durch von ihm ernannte Statthalter verwaltet. Er selbst war unumschränkter Gebieter. Der Handel war sein Monopol, die Erträgnisse der Zollämter flössen in seinen Schatz. Weit geringeren Einfluß übte er in den Han, d. i. Städten und Gebieten 5er ihm lehensftflichtig gewordenen Daimio. Diesen mußte nnt Schonung und Rückficht begegnet werden. Daher kam es daß, bei den Verhandlungen mit den fremden Ge« 344 sandten, der Shogun nur die Eröffnung der unter seiner unmittelbaren Herrschaft stehenden Häfen gestattete. Er hütete sich dies Zugeständniß auf die Han auszudehnen, wohl wissend daß die Maßregel bei seinen Vasallen Widerspruch, wahrscheinlich bewaffneten Widerstand gefunden hätte. Der Kern seiner eigenen Streitkräfte waren die „Hatamoto", wörtlich übersetzt: „Männer unter der Fahne". Der erste Shogun, nach dem Rücktritte des Regenten Taiko-Sama, hatte aus seinen Kriegsmannen die Kaste der Hatamoto gebildet. Er verlieh ihnen Länderci und den niederen Adel. Dafür waren sie in Kriegszeiten zum Militärdienst verpflichtet, entweder persönlich oder indem sie sich durch Stellvertreter oder durch eine bestimmte Geldentschädigung befreiten. Sie zählten achtzigtausend Mann. Mit dem Sturze des Shogun verschwanden auch sie. Viele wurden Kaufleute: eine größere Anzahl, Ronin, d. h. dach-und fachlose Leute. Außer den mit dem Shogun im Lehensverbande stehenden Daimiö, gewissermaßen mediatisirten Fürsten, Grafen und Herren, gab es die Daimio des Mikado. Sie hingen von ihm unmittelbar ab, erwiesen sich je nach dem wechselnden Gange der Ereignisse mehr oder minder fügsam oder unbotmäßig, mehr oder minder „Könige" wie die alten Missionäre die achtzehn hervorragendsten Groß-daimio zu nennen pflegen. Die Lehensfürsten im nörd- 345 lichen Theile dor großen Insel zeigten den meisten Sinn für Unabhängigkeit. Man hat gesehen welche große Nolle der mächtigste unter ihnen in der letzten Revolution spielte. Aber diese nördlichen Provinzen sind entlegen, schwach bevölkert und arm, schon deshalb weil sie aus klimatischen Gründen keinen Reis erzeugen und dies erste aller Bedürfnisse vom Süden kaufen müssen. Nie hat der Norden auf die Geschicke Japans einen entscheidenden Einfluß geübt. So stand es, noch vor zwei Jahren, mit der politischen Verfassung des Reiches. In socialer Beziehung zerfällt die Nation in Klane, und jeder Klan in Kasten. Die Kaste der Krieger ist dic vornehmste. Dagegen stehen die Kaufleute unter dem Landmann, auf einer der niedrigsten Stufen der gesellschaftlichen Hierarchie. Bonzen und Lite-raten genießen eines gewissen Ansehens. Eine sehr geachtete und achtbare Klasse bilden die Bauern. In jedem Dorfe und Flecken geht der Vorstand oder Bürgermeister aus der freien Wahl der seßhaften Familienväter hervor. Europa kennt keine freisinnigere Gemeindeverfassling. Ehrfurchtsvoll gegen die Höherstehenden, strenger Befolger der Etiquette, leicht zu leiten und leicht zu leben, hält der Vauer mit großer Zähigkeit an seinen Rechten, und wehe der Obrigkeit welche sie verletzt. Vor einigen Wochen ereignete sich folgender Fall. Die Bewohner eines großen 346 Fleckens, sämmtlich Bauern, hatten von den Negierungs-beamten viele Plackereien zu erleiden. Sie betraten also den Petitionsweg, und da ihre schriftlichen Klagen erfolglos blieben, sandten sie eine zahlreiche Deputation an den Statthalter der Provinz. AIs nach längeren Verhandlungen die Abgeordneten die "Ueberzeugung gewannen, dah der Chi-ji für ihre Vorstellungen taub blieb, erschlugen sie ihn in seinem Aashke und gingen ruhig nach Hause. Die öffentliche Meinung billigte die Blutthat als einen Akt der Selbstwehr: sie fand ihn durch die Umstände gerechtfertigt. Wer gedenkt da nicht unseres frühen MittelaltcrZ! Es ist der Feudalismus, entstanden im Dunkel der Vorzeit, gewachsen und entwickelt im Laufe der Jahrhunderte, belebt und getragen durch die Ritterlichkeit, innig verwebt mit allen Lebensbeziehungcn, mit den Ideen, den Traditionen, den Sitten der Nation. Der Handel, wie eben erwähnt, die Gewerbthätigkeit, sogar die Kunst nehmen den untersten Rang ein. Nur der Waffenschmied macht eine Ausnahme. Er gilt für adelig. Wenn er den schwierigsten Theil seines Werkes vollbringt, nämlich zur Ginlegung der Schneide von Stahl in die eiserne Klinge schreitet, schließt er seine Nerkstätte gegen die Gasse ab und zieht sein Hofkleid an. So erzählt Hr. Mitford*) und so wurde *) 1':,!L8 !^! .Inp^ln, bereits citirt. 347 mir versichert. Das Schwert und der Dolchdegen vererben sich von Vater auf Sohn, von Geschlecht zu Geschlecht. Die Zweischwertmänner kennen die Namen aller guten Waffenschmiede in Kiyrto, Dedo, Osaka, und sprechen häufig von ihnen. Früher wurden in den vornehmen Familien sogar die Töchter in der Handhabung der Hellebarde geübt. Es gab und gibt noch Verbündungen unter Männern derselben Kaste, die entweder eine Art HilfsVerein sind oder die gegenseitige Vertheidigung gegen Feinde zum Zwecke haben. In Jokohama hörte ich oft von Europäern behaupten, dies Alles habe sich überlebt, das Lehens- und Nitterwesen haben ihre Zeit gemacht, sich abgenutzt, seien Zu den Todten geschieden. Ich werde weiter unten diese Ansicht Prüfen. Aber was man auch von dem Lehensinstitute und der bisherigen japanischen Verfassung denken wöge, Eines wird von Niemandem in Abrede gestellt. Bei Ankunft der Europäer und bis in die letzte Zeit, war das japanische Volk glücklich und zufrieden. Mit Ausnahme ber kolossalen Einkünfte einiger Großdaimio, denen jedoch die mit der Stellung des Besitzes verbundenen Lasten entsprachen, wozu noch kam daß diese fürstlichen Vermögen gewissermaßen als Gemeingut des Klanes betrachtet wur-den, gab es wenig übergroße Vermögen und wenig Arme. Obgleich ein großer Theil der Bevölkerung Waffen trägt, 346 kamen, Verhältniß mäßig, wenig blutige Ausschreitungen vor. Die Geschichte dieses Landes kennt keine Greuclthaten wie die an Scheußlichkeit Alles überbietenden Massenmorde der chinesischen Taeftmg. Selten wurde hier die öffentliche Ruhe gestörl, und in keinem heidnischen Lande sind Leben und Eigenthum besser gesichert. Die Bodenkultur, die bedeutende Entwickelung einzelner Gewerbszwcige, der Geschmack an den Künsten und ihre Nebung zeugen von einer alten und, innerhalb gewisser ("renzen, weit gediehe-nen Civilisation. Gewisi, diese Civilisation ist unvollkommen und lückenhaft, weil ihr das Licht und die Wohlthaten des Christenthums fehlen. Grausame Gebräuche verunstalten die Ritterlichkeit, traurige Auswüchse das Ehrgefühl welches dieses Volk in so hohem Grade auszeichnet. Grober Aberglaube verdunkelt die Geister, hemmt die Erhebung der Gemüther die in den Lehren des Buddhismus, zu dem sich die grofte Mehrzahl bekennt, nur geringe Befriedigung finden. Unglaube und Zweifelsucht haben sich der höheren Klassen bemächtigt. Die Familie bildet zwar die Grundlage der staatlichen Einrichtungen: aber die Frau, obgleich weniger Sklavin und geachteter als in irgend einem anderen heidnischen Gemeinwesen, harrt noch der Anerkennung ihrer Würde.*) Daher eine entsetzliche Er- ') Tcr ühcgaltc schickt sein Wcib cinfach wrg und »nacht hicvon dil.' Anzeige an dcn Häuptling seines Mcmes. Ist 34<^ schlaffung der Sitten; doch kommen die grauenhaften Laster welche das chinesische Volk beflecken in Japan selten vor. Die Achtung der väterlichen Gewalt, die Treue gegen den Häuptling des Klanes, des gemeinsamen Vaters aller Stammesangehörigen, Tapferkeit, Verachtung des Todes, den man sich selbst gibt wenn es die Ehre erheischt, waren und sind die am höchsten geschätzten und meist verbreiteten Tugenden dieser heitern, artigen, liebenswürdigen, sorglosen und ritterlichen Nation. Während Jahrhunderten hatte das Shogunat im Staate einen ungeheuren Platz eingenommen. Jetzt war es verschwunden. Die Lücke die es zurücklieft mußte ausgefüllt werden. Daß dies nicht ohne Erschütterungen, ohne stampfe geschehen konnte, lag am Tage. Aber Nie' mand hatte die Tragweite der Umwälzung vorausgesehen. Kaum war der Bürgerkrieg beendigt als seine vornehmsten Urheber, die Männer nämlich welche sich zum Sturz des Shogun verschworen und ihn herbeigeführt hatten, die Fürsten von Satsuma, Choshiu, Tosa und Hizen an den Mikado ein Gesuch richteten. Der Verfasser der Schrift, und wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grade der Einflüsterer der Gedanken die sie enthielt, war ein gewisser Kido, ein einfacher Samurai oder Zweischwert- dlese Formalität erfüllt, so bctrachw cr slch als gesetzlich geschieden. 350 mann aus dcm Klane der Choshm, heute eines der ein-fluftreichsten Glieder des Reichsrathes. In diesem merkwürdigen Dokumente bieten die großen Fürsten dem Mikado ihre Domainen und Kriegsleute an. Es war ein Akt der Selbstvernichtung. Das Opfer ward angenommen. Die übrigen Daimio, darunter eilf uach längerem Zögern, folgten gezwungen und widerstrebend dem Beispiele ihrer mächtigeren Siandesgenossen. Von dem Tage an betrat die Negierung des Mikado die Wege der Reform. Mit unglaublicher Verwegenheit, mit beispielloser Rücksichtslosigkeit schritt sie voran. Die Titel Daimio (hoher Lehcns-adeliger) und Kuge (vom hohen Hofadel) wurden abgeschafft und durch die allgemeine Bezeichnung Katsoku, adelig, ersetzt. Die Daimio wurden zwar an der Spitze ihrer Klane gelassen, aber nur als Vertreter und Statthalter der Negierung, von Lehensfürsten wurden sie durch einen Federstrich zu Beamten degradirt. Bald darauf*) fand ein Ministerwechsel statt. Die eigentlichen Leiter der Bewegung vom Jahre 1865, Iwalura und die vorzüglichsten Nathgeber der vier Fürsten hatten bisher hinter den Kulissen gewirkt. Jetzt betraten sie die Bühne. Mit Sanjo und Saigo bilden sie dermalen das Ministerium und den Nath des Mikado. °") August 1871. Während cincr mein« Rclscn im Inncrn. 351 Ich habe in diesen Vlättcrn bereits der bedeutsamsten Akte erwähnt welche die neuen Minister, ihre Urheber, mir selbst mitzutheilen und zu erklären die Güte hatten. Vor Allem die Abschaffung der „Han" und Umwandlung dieser bisher den großen Lehenshcrren gehörigen Städte in „Ken" oder kaiserliche Städte. Es war, mit andern Worten, die Vernichtung der Verfassung. Das Land vernahm die Kunde mit sprachlosen, Erstaunen, dic bisher sehr reformfreundlichen Europäer in Yokohama mit unverhchltcm Befremden über den ebenso kecken als in seinen möglichen Folgen bedenklichen Schritt. Die Daimio waren, wie gesagt, aus Lehensfürsten in einfache Staatsbeamte, in Administratoren ihrer ehemaligen Lehen umgewandelt worden. Wenige Tage darauf traf sie ein neuer Schlag. Sie wurden förmlich beseitigt und sollten durch von Mdo gesandte Gouverneure ersetzt werden. Zugleich wurden sie zur beständigen Residenz in der Hauptstadt verhalten. Bekanntlich mußten auch die dem Shogun lehenspflichtigen Daimio sechs Monate des Jahres in Jedo zubringen, aber diese Verpflichtung wurde ihnen auferlegt zur Zeit wo sie mit dem Shogun in den Lchensverband traten, und in Folge eines gegenseitigen Ucbcreinkommcns. Der Erlaß der neuen Minister ist ein Akt der Willtür. Er raubt den höchst gestellten Männern des Reiches ein Recht dessen selbst der 352 Eta und der letzte Bettler genießt, das M'cht zu leben und Zu sterben wo seine Wiege stand. Der Fürst Ichikusen hatte sich die Unzufriedenheit der Minister zugezogen. Er wurde durch einen Staatsbeamten ersetzt, nach Jedo berufen und in seinem Palaste (unweit der englischen Gesandtschaft) eingesperrt. Einem alten Brauche gemäß, wurde das Ehrenportal des Dashke abgetragen, und die Oeffmmg mit rohen Balken und Brettern vernagelt. Die Minister rühmten sich ihrer Thattraft. All dies ereignete sich während meines Aufenthaltes in Aedo. Die Klane waren durch die Abschaffung der Dai-miate in das Herz getroffen. Die Negierung bleibt jedoch hiebei nicht stehen. Sie will die großen Klane in mehrere kleine zerspalten, mehrere kleine zu größeren vereinen. Ein Werk der Zerstörung, die Auflösung der Nation in Atome! Die Regierung verkündigte die Absicht eine kaiserliche Armee zu bilden. Die großen Daimio wurden aufgefordert ihre Kriegsmannen und ihr Kriegsmaterial nach Jedo zu schicken, und die Häupter der vier großen Klane beeilten sich scheinbar einem Befehle zu gehorchen der einen Wesentlichen Theil ihres Programms ausmacht. Der Freude der Machthaber in Jedo entsprach das sprachlose Erstaunen des Publikums. Ein ähnliches Beispiel von bis zum Selbstmorde gehender Opferfreudigkeit war noch nicht da- 353 gewesen. Weil man Kasernen brauchte, vergriff man sich an den Klöstern der Shiba. Mit oder ohne Entschädigung wurden die Bonzen ausquartiert. Die Soldaten erhielten europäische Uniformen und Waffen. Auch die religiöse Frage konnte sich dem Wirken der Regierung nicht entziehen. Die neuen Minister proklamir-ten die Rückkehr zu den reineren Dogmen der Staatsreligion der Mikado. Demgemäß befahlen sie die Zerstörung der buddhistischen Symbole und Götzenbilder in den ehemaligen Shintotemfteln. Die Ausführung wäre in Wirklichkeit die Vernichtung der vom Volke am meisten besuchten und verehrten Heiligthümer, mittelbar die Ausrottung der Buddhareligion. Schon spricht man von der Abtragung der prachtvollen Shiba-Gräber, dem Höchsten was japanische Kunst geleistet hat. Im ganzen Lande begann die theilweise Einziehung der Kirchengüter. Die vertriebenen Mönche haben Anspruch auf eine kleine Geldentschädigung. Außerdem entband sie das Ministerium von dem Gelübde der Keuschheit. Hiedurch hofft es den wehklagenden Mönchen den Mund zu schließen. Das Volk sieht zu, schweigend, bestürzt, ich möchte sagen, betäubt und den eigenen Augen nicht trauend. Es begreift die Machthaber nicht. Es fragt sich warum sie die Priester mißhandeln, die Priester und die Götter! Noch eine andere Quelle der Unzufriedenheit kommt 354 hier in Betracht. Die Finanzlage ist nicht glänzend und die Neuerungen sind kostspielig. Es gibt keinen einfacheren Staatshaushalt als den der bisher bestand. Der Mikado, der Shogun, die Daimio, der Bauer lebten von dem Erträgnisse des Bodens. Der Landmann zahlte seinem Daimio eine gewisse Steuer, dieser seinen Tribut, je nach seinem Lehensverhältnift, an den Mikado oder an den Sho-gun. Die Kriegsleute des Letzteren, die Hatamoto waren mit Grundstücken belehnt. Die Samurai des Mikado und der Daimio bewirthschafteten ihre kleinen Felder; ihre Haupteinkünfte bestanden aber in einer gewissen Anzahl von Kolu Reis: der Preis des Koku war ein veränderlicher: im Durchschnitt galt er ein Pfund Sterling. Der Kaufmann und der Gewerbtreibende im Allgemeinen waren steuerfrei. In Jahren der Mißernte wurde die Grundsteuer nicht erhoben, sondern auf die folgenden Jahre re-partirt, vorausgesetzt daß die Ernte reichlicher aussiel. Diese Erleichterung entsprach dem Wesen der gegebenen Zustände. Der Fürst war der Vater des Klanes; wenige dieser Herren vergaßen daß ihre Unterthanen zugleich Glieder ihrer Familie find, und daß die Verarmung des Bauern auf den Herrn zurückfällt. Der neue Staat, das komplicirte Näder-wert der neuen Einrichtungen, die kostspielige Verwaltung machen ähnliche Nachsicht unzulässsg. Fortan werden die Steuern, ohne Rücksicht auf das Ernteerträgniß, mit un- 355 erbittlicher Strenge eingetrieben. Daher die bereits sichtbaren Spuren der Unzufriedenheit in der so wichtigen Klasse der Bauern, das heißt in der großen Mehrzahl der Bevölkerung. Um ihnen eme Erleichterung zu gewähren beabsichtigt die Negierung, was sie bei ihren steigenden Ausgaben gewiß nicht vermag, die auf dem Landmanne lastenden Steuern zu verringern, und, was sie jedenfalls thun wird, die bisher steuerfreien Kaufleute und Industriellen zu besteuern. Die Wirkung kann nur eine Vermehrung der Unzufriedenen sein. Aber die Negierung verfügt noch über andere Hilfsquellen. Die Daimio haben ihre Ländereien und fomit ihre gesammten Einkünfte auf dem Altar der Neformen niedergelegt. Die Regierung eignet sich diesen Besitz an, und läßt den ehemaligen Eigenthümer im Genusse des Zehntels seiner frühern Einkünfte; dagegen übernimmt sie die mit seiner bisherigen Stellung verbundenen Lasten. Außer dem Ankaufe von Kriegsschiffen und der Anschaffung von Kriegsmaterial, wodurch sich einige der großen Fürsten während des Bürgerkriegs verschuldeten, bildet der Unterhalt der Samurai die bedeutendste dieser Lasten. Es wurde bereits oben gesagt, daß die Negierung beschloß diesen Männern, mit einem oder zwei Schwertern, zwei Drittel ihrer bisherigen Pen-swn auszuzahlen und das dritte in einen öffentlichen Fonds zu verwandeln, mit dessen Hilfe sie hofft binnen zehn 23* 356 Jahren die andern beiden Drittel zu liquidiren. Inzwischen ist das edle Metall verschwunden: man sieht nur Kupfermünzen und Papiergeld. Hierauf beschränken sich vorläufig die theils beabsichtigten, theis vollzogenen oder im Zuge befindlichen Finanzmaßregeln der Reformatoren. Geldnoth und Verlegenheit steigen mit jedem Tage. Zwei Ursachen sind sie zuzuschreiben. Zunächst der Störung aller bestehenden Verhältnisse durch die Plötzlichen und tiefgreifenden Reformen, und, als unmittelbare Folge dieser Störung, einer bedeutenden Verringerung der Einkünfte. Die zweite Ursache der Geldverlegenheit des Staatsschatzes ist die ungeheure Vermehrung der Ausgaben. Man betrachte nur, was die Negierung mit Einem Schlage ausführen will: Schaffuyg einer Centralverwaltung nach dem kostspieligen Vorbilde der europäischen Administrationen; Schöpfung und Unterhalt einer kaiserlichen Armee! Errichtung von Schissswerften und Tclcgraphenlimen; Vau von Eisenbahnen; Gründung von Schulen, besonders für den Unterricht in fremden Sprachen: Vollendung und Ausschmückung der mit dem äußersten Aufwande neu erbauten Münze in Osaka: endlich, eine große Wohlthat, Vermehrung der Leuchtthürme an den Küsten und im „Inneren Meere". Zu all diesen Werten bedarf man der Fremden. Mit ungeheuren Besoldungen werden europäische und amerikanische Ingenieure, Architekten, Mlitärinstruktoren an- 357 gestellt, sogar Nechtsgelehrte (!) und eine gehörige Anzahl englischer, französischer und deutscher Schullehrer. Junge Leute werden nach Europa und Amerika geschickt, die einen „für das Auge", die andern „für den Mund", das heißt als einfache Reisende mit dem Auftrage europäische Ideen einzusaugen und nach Hause zu bringen, oder als Studenten die auf unsern Lehranstalten Vorträge über Me-diein, Mechanik und Naturwissenschaften hören sollen. Während ihrer Abwesenheit werden sie frei gehalten und beziehen überdies eine Gratifikation von tausend Dollar. Wie mir versichert wird beläuft sich die Zahl dieser jungen Emissäre bereits auf mehr als fünfhundert, die hie-durch dem Staate verursachte Auslage auf mehr als drei-malhundert tausend Pfund Sterlinge! Englische, deutsche, französische Bücher, meist oberflächliche Auszüge aus unsern Konversationslerikon, werden auf Staatskosten über« fetzt, gedruckt und im Publikum verbreitet. Im Widersprüche mit diesem glühenden Verlangen Japan plötzlich in den Besitz aller Wohlthaten der europäischen Civilisation zu setzen, stehen der Haß der Reformatoren gegen das Christenthum, die grausame Verfolgung der eingebornen Christen welche die letzten Shogune wenig belästigten, das schroffe Zurückweisen des freundschaftlichen Einschreitens der europäischen Diplomatie. Und nun, wer sind die wahren Urheber der Revolu- tion von 18W? Wer beutet den Umschwung aus? Was ist das angebliche, was das geheime, das wahre Ziel dieser Männer? Hören wir zunächst Stimmen von Eingeborenen. Iwa-kura sagte mir, was er Jedermann sagt: „Die Nation liebt und verehrt den Mikado. Der Shogun war ein Gegenstand des Abscheues, sein Sturz eine Nothwendigkeit geworden. Nun hatte er aber die ihm lehenspflichtigen Daimio im Zaume gehalten. Von jeher unruhig, strebten sie, als sein Sturz erfolgt war, nach vollständiger Unabhängigkeit. Dies muftte verhindert werden. Der Mikado allein war berufen ihren Widerstand zu brechen. Dies setzte die Wiederherstellung seiner Macht voraus, und dies Werk wird jetzt vollzogen; in drei Jahren wird es vollendet sein." So lautet die officielle Sprache. Allerdings gibt sie nur wenig Licht. Aber ich sah eine äußerst merkwürdige Denkschrift, die offenbar aus den ersten Monaten der Revolution herrührt, also aus einer Zeit wo die Vertreibung der Barbaren noch auf dem Programme der vier siegreichen Klane stand. Sie ist überschrieben Fuko-ko-ron: „Rückkehr zum alten Negierungssystem".*) „Man glaubt allgemein und man behauptet vielseitig, *) Diese Schrift befindet sich, wenn ich nicht irre, unter den dem englischen Parlamente mitgetheilten Papieren. der Kaiser vermöge nicht das Neich durch längere Jahre zu regieren. Nas dergleichen sagt beweist dast er nicht zu denken und nicht zu beobachten versteht, daft ihm die Gabe fehlt in den Zeichen der Zeit zu lesen. Nun folgt eine geschichtliche Auseinandersetzung. Der Zweck des Verfassers ist, im Gegensatze mit der Wahrheit wie ich glaube, den Beweis zu liefern daß die Mikado, während zweitausend Jahren, ohne Mitwirkung der Militärkaste regiert und ihr höchstens vorübergehend und zwar aus freiem Willen die Zügel überlassen hätten. Dann fährt er fort. „Diesmal ging die Wiederherstellung der kaiserlichen Vollgewalt vom Volke aus. Die Bewegung begann unter den Ronin*), ergriff sodann die Kerai, später die Karo, endlich die Daimio (das heißt sie stieg von unten nach oben). Also, im Volke entstanden, verbreitete sie sich immer mehr, und endete mit der Rückkehr der ganzen Nation zur alten Regicrungsform. Hieraus folgt daß der Mikado, selbst wenn er diese Politik verlassen wollte, es nicht vermöchte -. denn die öffentliche Meinung würde dies verhindern. Man hört sagen: Die gegenwärtige Bewegung ist dem Anschein nach die Wiederherstellung der kaiserlichen Macht, *) Anspielung auf die sechshundert Ronin welche sich 1865 in den Provinzen Mmato und Tajima, unter der Führung cixigor Kugc, ssegen den Shogun empörten. Sie wurden zersprengt. Die Kugc flohen zum Fürsten von Choshiu. 360 in der That aber kommen die Daimio an die Gewalt. Dies heißt sich über die Thatsachen täuschen. Das Volk hat die Bewegung begonnen, das Volk hat sie zu Ende geführt. Wie könnten die Daimio sie zu ihren Gunsten ausbeuten? Wer den Gang der neuen Negierung prüft muß einsehen daß sie in allen, selbst den unbedeutendsten Angelegenheiten zuerst die Meinung der Daimio vernimmt. Dann entscheidet der Mikado. Wahres Ideal einer volks-thümlichen und nationalen Regierung' Die Förderer dieser Revolution waren ohne Zweifel zuerst Satsuma, Choshiu und Tosa; später schlössen sich die andern Daimio an, und leisteten kräftigen Beistand. Wer sich also gegen das zweckmäßige und billige Uebcrcinkommen auflehnen wollte, begegnete dem Widerstände der vereinigten Kräfte des Reiches. . . . Wie kam es daß die unteren Klassen die Bewegung hervorriefen? Seit zweihundert Jahren gewöhnte sich das Volt daran die Frage von der Unterwürfigkeit die man dem Souverain schuldig sei zu erörtern. Es zählte die in den letzten Zeiten des Shogunats begangenen Verbrechen. Aus Anlaß des Abschlusses von Verträgen mit dem auswärtigen Barbaren deutete das Volk seine Entrüstung durch einige Vorgänge an." Diese Andeutungen waren: die Ermordung des Regenten Ii-Kamon-no-Kami, der Mordanfall auf den zweiten Minister des Aeußern Tsushima der mit einer schweren Verwundung davonkam; 361 die wiederholten Angriffe auf die brittische Gesandtschaft, wobei der Koch und ein Orderley getödtet, der Legations-fekretär Hr. Olifthant (der Schriftsteller) schwer verwundet wurde i der Aufstand der sechshundert Ronin, die Scheidung des Klanes von Mito in zwei Parteien deren eine sich für den Mikado erklärte.*) Diese offenbar von den Häuptern der Bewegung eingegebene Denkschrift ist reich an absichtlichen Entstellungen der Thatsachen und an inneren übrigens durch die Lage der leitenden Männer erklärlichen Widersprüchen. Aber auf den Ursprung der Revolution und auf ihre Richtung wirft sie ein helles Licht. Zuerst wird die allgemeine Volksansicht von der traditionellen Negierungsunfähigkeit der Mikado zu widerlegen versucht; sodann der Bewegung ein wesentlich demokratischer Charakter unterschoben. Das Volk, das in Wahrheit mit gekreuzten Armen zusah, habe die Bewegung begonnen um die herrschende Militärtlasse, die Samurai, der usurpirten Gewalt zu berauben, wählend es gerade die Samurai waren welche unter den Fahnen ihrer Klansfürsten den Shogun zu Falle brachten! Die Denkschrift bezeichnet als ersten Zweck der Revolution die Wiederherstellung der kaiserlichen Macht, fügt aber eilends bei daß es dem Mikado nicht gestattet sei die Ge- *) Diese Vorfälle ereigneten sich in den Jahren 18U0, 18ttH und 1865. 302 walt, dem Volkswillen entgegen, wieder in die Hände der Kriegerkaste zn legen. Der Voltswille wird also über den Willen des Herrschers gesetzt. Die Schrift gibt zu, das größte Verbrechen des Shogun seien seine Verhandlungen und der Abschluß von Verträgen mit den Barbaren, und sie bezeichnet als Ideal geordneter staatlicher Verhältnisse die Herrschaft der Daimio, das heißt der drei großen Klan-Häupter welche die Bewegung begonnen und durchgeführt und die „der Mikado bevor er seine Edikte erläßt um Rath frägt." Ein naives Geständniß, welches jenen Recht zu geben scheint die die Ersetzung des Shogunats durch eine Oligarchie als den Zweck und als das vorläufige Ergebniß der Revolution betrachten. Wie lauten nun aber die Ansichten der Europäer, und zwar der Bestunterrichteten von ihnen? Ich fasse die Auskünfte welche sie mir gaben in Kürze zusammen. Der Gedanke der Bewegung entsprang in den Köpfen der ersten Räthe der beiden Groß-Daimio von Satsuma und Choshiu. Nun schlössen sich einige Kuge an. Unter letzteren nahmen Sanjo, durch Geburt und Familienverbindungen, Iwakura, durch Thätigkeit und geistige Begabung, die erste Stellung ein. Die Z)ashte der Fürsten von Satsuma und Choshiu im Süden, Kiyöto im Centrum, waren die Hauptherde dcr Intriguen gegen den Shogun. Sein gänzlicher Sturz, Zerstörung seiner Macht, Abschaffung seiner Würde bildeten 363 dm nächsten Zweck der Verschwörer. Um sich der Mitwirkung der großen Klane zu versichern, schmeichelte man ihrem Fremdenhaß, fügte man zu dem Feldruf: „Restauration des Mikado", das Losungswort „Vertreibung der Barbaren." Als der erste Theil des Programms verwirklicht war, verlangten daher die Zweischwertmänner mit Ungestüm gegen Mkohama ^ marschiren. Da suchte man sie zu beruhigen. „Bedenkt", sagte man ihnen, „das; die Fremden starker sind als wir, besser bewaffnet, reicher, mit einem Worte in jeder Beziehung uns überlegen. Sie haben Kagoshima und Shimonoseki verbrannt. Sie würden Mdo und Osaka verbrennen. Wartet! Unsere Zeit wird kommen. Vor Allem müssen wir rüsten, unsere Waffen vervollkommnen, unsere Truppen abrichten, von den Barbaren lernen wie man es anfange um sie zu vernichten." So ließen sie sich beschwichtigen. Was sind nun aber die Gesinnungen der Häupter in Beziehung auf die Europäer? Hierauf entgegnet man mir: Die Männer suchen vor Allem sich an der Macht zu erhalten: sie theilen nicht den lodernden Haß der Samurai, aber es wäre arge Täuschung zu glauben daß sie uns lieben. Das Volk, dem die japanische Tentschrift die Initiative der Bewegung zuschreibt hat nicht den geringsten Antheil daran genommen; es mischt sich überhaupt nie in Politik: gegen die Europäer ist und war es immer artig, liebenswürdig u-ld gleichgültig. 364 Das bisher Gesagte scheint über jeden Zweifel erhaben. Die angeführten Thatsachen sind erwiesen. Aber Vieles bleibt doch im Dunkel. Um den Schleier zu lüften nimmt man Zu Vermuthungen Zuflucht. So höre ich behaupten: Die Fürsten, überhaupt alle Daimio, seien gänzlich herabgekommene, verthierte, blödsinnige Menschen, blinde Werkzeuge in den Händen ihrer Räthe. Letztere, die sämmtlich der Klasse der Samurai angehören, gaben den Anstoß zur Umwälzung, unter dem Vorwande den Shogun zu stürzen und die Macht des Mikado wiederherzustellen. In Wirklichkeit kümmerten sie sich aber wenig um diese beiden Potentaten. Das drückende Joch ihrer Gebieter, der Daimio (welche sie ja, wie dieselben Stimmen behaupten, ausnutzen und beherrschen!), das Joch der Daimio wollten sie abschütteln. Die aus Europa und Amerika eingeführten, demokratischen Ideen der Neuzeit haben sie ergriffen. Das Feudalwesen habe sich hier wie bei uns überlebt. Ein Luftzug reichte hin um es zu vernichten. Der Verkehr mit den Europäern habe den Literaten die Augen geöffnet: immer Weiter verbreite sich der Drang nach dem Fortschritte, der Wunsch, nach unserem Beispiele, die Wege der Civilisation zu betreten. Die häufigen Reisen nach Europa und Amerika fördern diese Bestrebungen und sichern ihren Erfolg. Hierauf erwiderte ich: „Kennen Sie die Fürsten per- 3 65 sönlich?" Man muftte gestehen, das; man sie nicht oder nur oberflächlich kenne. Nei feierlichen Gelegenheiten habe man sie gesehen. Ihr Schweigen, der nichtssagende Aufdruck ihrer Mienen fielen auf, aber beide sind, in solchen Anlässen, durch die Etiquette vorgeschrieben, und berechtigen daher zu keinem Schlüsse auf die geistige Begabung und den Charakter dieser Herren. Daß sich viele von ihnen durch ihre Minister oder Näthe leiten lassen, ist möglich, ja wahrscheinlich, und spricht zu Gunsten jener Annahme. Es kann sein daß. viele von ihnen wenig Verstand und wenig Thatkraft besitzen. Das; aber alle Fürsten und Dnimio Idioten seien, bleibt zu beweisen. Ebenso wenig konnte durch Thatsachen dargethan werden daft die Samurai als Zweck des Aufstandes (unter den Fahnen ihrer Gebieter) den Sturz der letzteren im Auge hatten. Diese Behauptung beruht also vorerst nur auf Vermuthungen. Ich nahm geflissentlich die Geschichte der siebenundvierzig Nonin in mein Tagebuch auf, weil sie die Apotheose der dem Lehensherrn schuldigen Treue ist, das heißt der Tugend Welche die moralische Grundlage des Feubalwesens bildet. Allerdings sind seither an hundertfünfzig Jahre verflossen: aber noch heute betet das Volk an den Gräbern der Märtyrer dieses Princips. Dort gab sich auch, vor nicht länger als drei Jahren, weil ihm der Eintritt in den Klan eines großen Fürsten verweigert wurde, ein Nonin den 366 Tod. Aber um die Lebenskraft des Lehenswesens, sowie es wenigstens noch im Jahre 1868 in Japan bestand, in schlagender Weise darzuthun, gibt es noch einen andern, wie mir scheint, unwiderleglichcn Beweisgrund. Es ist die Geschichte der letzten Revolution. Die Macht des Shogun, obgleich erschüttert, war noch kolossal. Er beherrschte die blühendsten und reichsten Provinzen des Reiches-, er verfügte über ein wohldisciftliuirtes Heer, seine achtzigtausend Hatamoto; er bezog die Zollerträgnisse der fünf Treaty-Ports und der Häfen von V)edo und Osaka; er genoß der, zwar nicht offen ausgesprochenen aber allgemein bekannten, moralischen Unterstützung des diplomatischen Korps. Und dennoch wurde er besiegt, besiegt durch drei Fürsten welche in der Feudalorganisation Alles fanden was erforderlich ist um den Krieg zu organisiren und mit Erfolg zu führen: Waffen, Vorräthe, Geld, hauptsächlich aber Männer in hinreichender Zahl, gewohnt die Waffen zu tragen und entschlossen sie zu tragen unter den Fahnen ihres angestammten Herrn. Daft es eine öffentliche Meinung gibt, und zwar eine in gewissen Kreisen sehr verbreitete, welche nach Fortschritt lechzt ohne recht zu wissen worin er besteht, welchen Weg man betreten, wie weit gehen, wo anhalten solle — das Dasein solcher dunkler aber lebhafter, ja feuriger Wünsche, Bestrebungen und Träume steht außer allem Zweifel. In- 367 dem sie sich dieser Richtung ergaben, eröffneten die heutigen Träger der Gewalt die Aera des Umschwunges. In ihrem Unternehmen ermuntern und unterstützen sie das fast einstimmige Beifallsjauchzen der eurvftäischen Kaufleute, die wohlwollende Aufnahme die ihre häufigen Bitten um Rath in Finanz- und Verwaltungsangelegenhciten bei den fremden Gesandten finden (welche letztere hoffentlich zu weise sind um auch über die innere Politik eine Meinung zu äußern), die Mitwirkung einer beträchtlichen Anzahl von Amerikanern und Europäern im Dienst des Mikado, endlich das bereits von der andern Seite der Erdkugel herüber tönende Echo, die günstigen Beurtheilungen in der amerikanischen und englischen Presse, die begeisterten Briefe der die Civilisation in vollen Zügen einsaugenden Studenten, der von Amtswegen nach den Vereinigten Staaten, nach England, Deutschland und Frankreich entsandten Jünglinge. Auf diesen Wegen dringen Europa und Amerika in Japan ein. Ich frage mich, werden die Dekrete der Mdoer Reformatoren auch ausgeführt? Ueber diesen so wesentlichen Punkt geben die immer seltenen und häusig widersprechenden Nachrichten aus dem Innern wenig Aufschluß. Erwiesen ist nur daß die Fürsten von Satsuma und Hizen deren Königreiche, um mich des alten Ausdruckes zu bedienen, sich über den größten Theil der großen Insel Kiu-shiu erstrecken, erwiesen ist daß diese beiden Fürsten an 368 Macht und Ansehen in ihren Dominien auch nicht die geringste Einbuße erlitten. Die Residenten in Nagasaki, die dies wohl wissen können, lind ein oder zwei im Dienste dieser Potentaten stehende Engländer bestätigen die Thatsache. Wundern dürfen wir uns hierüber kaum-, denn Satsuma stand ja mit Chioshiu und Tosa an der Spitze der Revolution und Hizen schloß sich sofort an. Sie waren ihre Urheber, sie beuten sie aus. Aber die übrigen Daimio, welche, gutwillig oder widerstrebend, Kido's berühmte Petition unterschrieben, sollten sie geneigt sein sich wirklich den Todesstoß zu versetzen? Hierüber ist man dermalen noch im Dunkel. Personen deren Urtheil mir das größte Vertrauen einstößt, darunter einige Missionäre und Diplomaten, bezweifeln es. Leicht erklärt sich die, in den letzten Tagen allerdings etwas gedämpfte, Freude der fremden Kaufleute an dem jungen Reformwerk. Der Anglosachse ist geborner Philanthrop und macht gerne Propaganda für seine Lieblingsideen, besonders für die sogenannten nützlichen Kenntnisse. Er gewinnt das Land lieb in dein er lebt, und jede Neuerung die ihn an seine vaterländischen Institutionen erinnert begrüßt er mit aufrichtigem Beifall. Hiezu tritt das Interesse. Die Civilisation soll neue Bedürfnisse schaffen, und die englische Industrie, der englische Handel berufen sein sie zu befriedigen. Wird Japan auch zahlen 369 können? Man hofft es in Yokohama. Besitzt das Land nicht unerschöpfliche Mineralschätze? Aber diese rosige Auffassung der im Werden begriffenen neuen Zustände wird doch nicht von Jedermann getheilt. Auch mißbilligende Stimmen lassen sich vernehmen. „Die Minister" hörte ich sagen, „verstoßen gegen den gesunden Menschenverstand, sie sind Kinder; sie zerstören das Bestehende bevor sie wissen wodurch es zu ersetzen sei. Sie suchen Vorbilder in Amerika und Europa und bedenken nicht dasi ihnen die Mittel fehlen Aehnliches zu schaffen. Sie jagen nach Begriffen deren Sinn, deren Tragweite sie nicht verstehen. Es ist ein Fieberanfall der vorübergehen wird. Vielleicht bleibt doch etwas Gutes zurück. Am Ende thun sie ja nur was vor ihnen die Wilden auf den Sandwichinseln thaten: sie nahmen, bekanntlich, die europäische Tracht an, wenn nicht die Wäsche, so doch Pantalon und Gehrock, dazu ein Parlament mit zwei Kammern und ein verantwortliches Ministerium." Dies ist die in den Faktoreien am meisten verbreitete Beurtheilung. Wenig schmeichelhaft für die Japaner die man den Wilden der Südsecinseln an die Seite setzt: und überdies ein seichtes Urtheil, denn wenn die Minister in ihrem Reformwerke gegen den gesunden Menschenverstand sündigen, wie soll das Werk der Thorheit und des Widersinnes in seinen Folgen ein gutes und nutzbringendes sein! 370 Hören wir nnn die, weniger zahlreichen, entschiedenen Gegner des japanischen Fortschrittes. „Die Reformen der neuen Minister", sagen sie, „vorausgesetzt daß sie nicht ein todter Buchstabe bleiben, find der Nuin der Daimio welche sie des ererbten Ansehens entkleiden, ihrer Einkünfte bis auf ein Zehntel berauben ; sie sind die gänzliche Vernichtung und Ausrottung der in Bettler verwandelten Samurai. Also diejenigen welche Euch, Träger der Regierungsgewalt, zur Macht verhelfen haben, sollen widerstandslos von Eurer Hand und, da ihre Krieger fortan Eure Armee bilden sollen, durch ihr eigenes Schwert das Euch gedient den Todesstoß erleiden? Kann man dies wirllich für möglich halten? Und dennoch ist dies der Ausgangspunkt Eurer Reform. Hiezu treten die Finanzverlegenheiten, die unglaubliche Verschleuderung der Staatsgelder, die Erschöpfung des Schatzes, die Unmöglichkeit ihn zu füllen ohne das Volk zu Grunde zu richten, der unvermeidliche Vankrutt, die kindischen und lächerlichen Versuche die Ver-fassungs- und Verwaltungsformen der am meisten vorgeschrittenen Staaten nachzuäffen, die Einziehung der Kirchengüter und, als nothwendige Folge, die steigende Unzufriedenheit der Bauern, der Priester*) und vor allen *) Die Zahl der Vo^cn soll sich auf zwcihunderttausend belaufen. 371 der Kriegerkaste. Damit das Werk der Reform, so wie es unternommen wurde, ^ und es ward unternommen mit einer Vermessenheit, einer Nebereilung und Leichtfertigkeit die ohne Beispiel sind in der Geschichte, — damit es gelingen könne, muß man voraussetzen dürfen, daß die Daimio vollendete Idioten, die tausendjährigen Bande zwischen ihnen und ihren Klansmännern vollkommen zerrissen, daß die letzteren ebenso blödsinnig seien als ihre Gebieter. Der so unabhängige, auf seine Rechte so stolze und so eifersüchtige Bauer, er dessen Klasse die Mehrzahl der Nation bildet, muß Plötzlich unter den egyfttischen Fellah, unter den Neger ill Central - Afrika herabgesunken, die Bonzen, von der göttlichen Gnade Buddha's erleuchtet, müssen fortan nur von dem Wunsche beseelt sein ihre Götzen und Tempel in Trümmerhaufen verwandelt, sich selbst ihrer Reisrationen beraubt und an den Bettelstab gebracht zu sehen. Und alle diese Wunder müssen gewirkt werden damit es möglich sei die Nation mit Negierungs-formen zu beglücken welche entlehnt sind wem? den Barbaren deren Vernichtung die siegreiche Revolution als Losungswort auf ihre Fahnen schrieb! Ist es wahrscheinlich, ist es möglich daß derlei Experimente nicht auf verzweifelten Widerstand stoßen? Entweder ist die japanische Nation ein todter Körper, oder es blieb ihr noch einiges Leben. Im ersten Falle haben die Reformatoren nichts 24* 372 zu befürchten und nichts zu hoffen. Wie Arzneimittel über Leichname nichts vermögen, so werden auch ihre Ne-formversuche ohne Wirkung bleiben. Lebt aber das japanische Volk noch, dann wird es nicht sehr lange diese Angriffe dulden gegen sein Eigenthum, seine Gebräuche, gegen die ererbten Zustände und den ererbten Glauben. Es wird aufstehen wie Ein Mann: es wird die vermessenen Thuren niederschmettern welche die frevelhafte Hand erhoben gegen Alles was ihm theuer und heilig ist. Anarchie und Bürgerkrieg werden das Land mit Blut und Trümmern bedecken, die europäischen Ansicdlungen bedrohen, vielleicht mit in den Abgrund ziehen, denn die Reaktion wird hereinbrechen unter dem Feldgeschrei: „Tod den Barbaren!" So oder ungefähr so lauten die trüben Ahnungen der Schwarzseher. Ich selbst finde mich taum berufen ein Urtheil auszusprechen. Um die Umwälzung und ihre Folgen unparteiisch zu würdigen fehlen mir manche Vorbedingungen: eine genaue Kenntniß des Nationalcharakters, der an der Spitze stehenden Männer, der Natur ihrer Beziehungen zum Mikado und zu den vier großen Klanen: der Stimmung und Ansichten dieser letztern, des Einflusses und des Ansehens der Ncgierungsagenten im Innern. Ueber alle diese Puntte befinde ich mich mehr oder minder im Dunkeln, oder beschränkt auf Mittheilungen deren Werth ich 373 nicht ermessen kann und die, obgleich am den besten Quellen geschöpft, doch meist nichts Anderes sind als Vermuthuw gen. Jedoch in alleu menschlichen Dingen wirken Elemente die sich allenthalben wiederfinden, die unter allen Verhältnissen und Himmelsstrichen und, die Lokalfarbe abgerechnet, bei allen Völkern dieselben, ja sehr oft gerade die wichtigsten sind. Wenn ich mich auf diesen Gesichtspunkt stelle, das heißt die letzten Ereignisse in Japan nach ihrem allgemeinen menschlichen Werthe prüfe, so gelange ich zu folgenden Schlüssen: Zunächst fällt mir in den leitenden Männern ein innerer Widerspruch auf. Ich wundre mich über die Tiefe und zugleich über die Seichtigkeit ihres Geistes. Die Tiefe. Sie wollten das Shogunat abschaffen. Zu dem Ende ist ihr erster Schritt die Verkündigung der Restauration des Mikado. Damit geben sie ihrem Unternehmen eine rechtliche Grundlage. Sie gehen von einem Princip ails, dem der kaiserlichen Macht, und dies Princip ist das erhabenste in den Augen, das am tiefsten wurzelnde im Herzen der Nation. Um die Veistimmung der Männer zu gewinnen deren Schwerter sie brauchen wenden sie sich an die herrschende Leidenschaft des Tages, an den Fremdenhaß. Sie schreiben also auf ihre Fahne.-Restauration des Mikado, Vertreibung der Barbaren. Aber der Mikado ist nur ein Begriff, ein kostbarer Talis- 374 man den man besitzen muß um über die Nation Zu verfügen. Von finanziellen, Politischen, militärischen Hilfsquellen, von wirklicher Macht keine Spur; aber die moralische ist ungeheuer. Der Mikado hat feine Frauen, seine Kuge welche von Zeit zu Zeit ihr Flügelkleid von Goldbrokat anlegen und sich vor dem Idol in den Staub werfen; er hat auch einige Samurai; er hat keine Armee. Bald dieser, bald jener große Daimio wird gerufen, oder kommt aus eigenem Antriebe, um mit seinen Mannen die Wache zu beziehen bei der geheiligten Person des Sohnes der Götter. Demungeachtet scheint es ausgemacht daß ohne den Mikado nichts zu erreichen ist. Die letzten Ereignisse sprechen für dies Axiom. So lange der Fürst von Aidzu das Schloß in Kiyöto besetzt hält, stehen die Angelegenheiten seines Freuudes des Shogun ganz gut. Daher suchte Choshiu, bevor er das Zeichen zum Aufstande gab, sich vor Allem der Person des Kaisers zu bemächtigen: einmal, was bei Zeiten verrathen wurde, indem er ihn in einen Tempel vor der Stadt zu locken suchte; sodann indem er mit seinen Truppen in Kiyöto gewaltsam eindrang. Diesmal wurden sie zurückgeworfen. Aber am Ende fiel der Talisman in die Hände der Verschworenen. Von dem Tage an war die Sache des Shogun verloren. Also neben einer sehr großen moralischen Macht eine entsprechende materielle Ohnmacht. So steht es mit dem 375 Mikado. Wenn man daher um die durch das Verschwinden des Shogunats entstandene Lücke auszufüllen nichts Anderes hatte als den Mikado, der Alles ist als Princip und nichts als wirkliche Kraft, so lag am Tage daft jeder Versuch eine kräftige Negierung und dauerhafte Zustände zu gründen nothwendig scheitern mustte. Dann zerfiel das Neich in groftc und kleine, völlig unabhängige Dai-miate. Also entweder Bürgerkrieg oder beständige Anarchie. Dem kräftig organisirten Shogunat mußte eine gleichfalls kräftig organisirte Gewalt folgen, bereit und im Stande sogleich den Nachlaß des erstcrn zu übernehmen. Diese neue Gewalt war die der vier Fürsten welche, gleichviel ob sie selbst oder ihre Näthe den Gedanken der Bewegung zuerst gefaßt, die ihn ausgeführt, die die Last des Krieges getragen, den Sieg errungen, den Gegner vernichtet hatten. Die Revolution von ittNß hat keinen Sinn, oder sie ist die Ersetzung des Shogunats durch die Herrschaft der vier Fürsten unter der nominellen Oberherrlichkeit des Mikado. Für den letztern hatte die Umwälzung eigentlich keine andere Folge als die Verlegung seiner Residenz. Aedo war der Mittelpunkt der Macht des Shogun geworden; es hatte dieselbe Bedeutung für seine Nachfolger, die vier Fürsten. Nun konnten sie aber, sie oder ihre Mandatare, den Mikado nicht aus der Hand geben. Der Talisman wurde also von Kiyöto nach ?)edo gebracht. Hiemit will 376 ich nicht sagen daß sie dem Kaiser Gewalt anthun. In: Gegentheil, der junge Herr soll an allem was um ihn vorgeht Gefallen finden. Er weiß nicht was sie thun. Also, thatsächlich, lassen sich die neuen Zustände so defini-ren: mehr oder minder unbeschränkte Kollektivherrschaft der vier Klanhäuftter über alle Theile des Reiches, ausgeübt im Namen des Mikado, durch seine Minister die aber in dor That die Mandatare der vier Fürsten find. Gin tief und klug angelegter Plan, dem eine richtige Auffassung der gegebenen Verhältnisse zu Grunde liegt. Die neue Negierungsgewalt bedürfte des Haltes einer bewaffneten Macht. Die Hatamoto des Shoguns hatten sich zerstreut: ihrem ehemaligen Herrn ergeben, konnten sie der neuen Regierung kein Vertrauen einflößen. Der Mikado, wie bereits gesagt, besaß niemals eine Armee. Blieben also die Klane der vier Fürsten welche in den entferntesten Theilen des Reiches leben. Hier beginnen die Schwierigkeiten und mit den Schwierigkeiten die Fehler, Fehler entsprungen aus Leichtsinn und seichter Auffassung der Lage. Die vier Fürsten hatten dem Mikado ihre Territorien angeboten und die anderen Daimio gezwungen dem Beispiele zu folgen. Nun hieß es ein zweites Opfer bringen. Die Kriegsleute sämmtlicher Klane sollten nach Dedo geschickt werden. Aus ihnen gedachte man die Armee des Kaisers, besser gesagt, die Armee der 377 neuen Kollektivgewalt zu bilden. Eine tief eingreifende und weittragende Maßregel die für den Augenblick im Interesse der vier Fürsten lag, denn sie setzte sie in Stand ihre neue Macht im Centrum des Reiches zu befestigen und die übrigen Daimio unschädlich zu machen indem sie sie entwaffnete. Zugleich aber zerstörte sie das Klanwesen, aus welchem sich das politische Leben der Nation entwickelt hatte, in seinem innersten Wesen. Also vom Standpunkte des augenblicklichen Bedürfnisses beurtheilt, war die Maßregel vortrefflich, aber, in socialer Beziehung und wegen ihrer nothwendigen Wirkungen, halte ich sie für höchst verderblich, selbst für die vier Fürsten, denn indem sie die Klanverfassung vernichteten zerstörten sie zugleich die Grundbedingungen ihrer eigenen Existenz. Die Ccntralregierung besteht aus einigen Ministern, deren bedeutendster Iwakura ist, und aus vier kaiserlichen Räthen, den Abgeordneten der vier großen Klane. Diese vier Abgeordneten theilen die Regierungsgeschäfte mit den Ministern-, zugleich kontroliren und überwachen sie dieselben. Kido ist, wie bereits erwähnt, unter ihnen der thätigste und begabteste. Auch Saigo leistet große Dienste. Die oberste Leitung des Staates liegt also in den Händen der Männer welche, für die vier Fürsten und mit den Truppen derselben, die Revolution von 1368 gemacht haben. Wenn sie den Titel von kaiserlichen Ministern 378 und kaiserlichen Räthen führen, so geschieht dies weil man die kaiserliche Macht, als Princip, aufrecht erhalten will und muß. Thatsächlich sind sie die Mandatare der Fürsten: ihre Macht beruht auf dem Zusammenwirken dieser Fürsten und, da die Fürsten wie man glaubt sich in der Hand ihrer Näthe befinden, auf dem Zusammenwirken dieser Räthe welche sich, ihrerseits, aus die leitenden Männer in den Klanen stützen. Dabei beobachtet man folgendes Verfahren. In Dedo wird eine wichtige Maßregel geplant. Die Minister und die vier Näthe sind hierüber einverstanden. Das Programm wird von letzteren nach den Provinzen geschickt, dort von den herrschenden Koterien eines jeden Klanes geprüft und, wenn angenommen, in Form einer Petition an die Minister zurückgeleitet. So entstehen die reformatorischsn Dekrete der Regierung die, indem sie sie Verlautbart, sich auf die Wünsche der o'ffent' lichen Meinung beruft. Als Beweis werden die Petitionen publicirt. Mit anderen Worten, die Oligarchie in Mdo stützt sich auf die kleinen Oligarchien in den vier Klanen. Daher das unablässige Kommen und Gehen der Sendboten zwischen der Hauptstadt und den Residenzen der Fürsten von Satsuma, Choshiu, Tosa und Hizen. Wird sich dieser Zustand lange als haltbar bewähren? Unter dem Dränge unabweislicher Bedürfnisse nimmt die Negierung in immer steigendem Maße die Lebenskräfte der 379 Klane, ihr Blut und ihre Habe in Anspruch. Sic muß es thun, damit das Räderwerk der neuen Staatseinrich-ungen nicht in Stocken gerathe. Man hat die Daimiate, wenigstens am Papier, zerstört, die Samurai zu Grunde gerichtet, die Klane am Sitze ihres Lebens tödtlich getroffen: man sieht sich genöthigt dem Volke eine unerschwingliche Steuerlast aufzubürden; man nimmt zu den verderblichsten Finanzoperationen Zuflucht. Die nächste, die unausbleibliche Wirkung ist, ohne Zweifel, ein rasches Sinken des allgemeinen Wohlstandes. Kann man annehmen daß die großen Klane, obgleich die Herren und Meister, hie-von unberührt bleiben ! daß in ihrer Gesinnung, unter dem Drucke der steigenden Noth, nicht früher oder später ein Umschwung eintreten; daß sie nicht die Leitung ihrer Angelegenheiten den heute herrschenden Koterien entziehen und altkonservativen Männern anvertrauen werden? Doch über die Stimmung der Klane fehlt mir (wie allen Europäern in Japan, auch den bestunterrichteten) verläßliche Auskunft. Noch ein anderer Umstand kommt hier in Betracht. Was geht im Herzen der Vertreter dieser Klane in Jedo vor? Mir scheint, es liegt in der menschlichen Natur und in den gegebenen Verhältnissen, daß, im geeigneten Augenblicke, diese Männer (Iwakura, Kido und ihre Genossen) versuchen werden die Vormundschaft der vier Klane abzuschütteln. Je mehr die Bildung des kaiserlichen Heeres 380 vm schreitet, um so mehr werden sie die eigenen Kräfte fühlen, um so weniger sich in der Rolle einfacher Mandatare gefallen. Schon die, am Ende des Bürgerkrieges, in das Ministerium berufenen Männer hatten Reformen nach europäischen Mustern beabsichtigt. Ihre Nachfolger, die wirklichen Urheber der Revolution, ergeben sich derselben Richtung mit verdoppeltem Eifer. Alle eben erwähnten, so überaus radikalen Maßregeln: Entsetzung und Plünderung der Daimio, mittelbare Zerstörung der Klane, Zugrunderichtung der Militärklasse waren das Werk der wenigen Tage die seit dem Amtsantritte der gegenwärtigen Minister verflossen sind. Zugleich haben sie einen Feldzug gegen den Buddhism, die Landesreligion, eröffnet und, nur die mächtigen Montoiten schonend, einen Theil der Kirchengütcr eingezogen. In dem Maße in welchem das Ministerium mit den alten Traditionen und ihren Anhängern bricht stützt es sich auf die neue Meinung welche die Vorbilder der zu schaffenden Staatseinrichtungen in Amerika und Europa sucht. Gewift, meine Absicht ist nicht die merkwürdigen Männer die heute an der Spitze des Landes stehen zu verunglimpfen oder dem Verdachte preiszugeben. Solange nicht das Gegentheil erwiesen ist, halte ich ihre Absichten für rein, ihre Vaterlandsliebe für unzweifelhaft. Ich fühle in mir keine zärtliche Vorliebe für 3ft 1 Gott Buddha, aber ich fürchte daß, indem man seine Tempel und Statuen zerstört, angeblich um die officiellc Religion, die keine ist, wieder herzustellen, das Volk seines Glaubens, und was noch schlimmer, der Fähigkeit zu glauben beraubt! ein schlechtes Mittel die Völker zu civilisiren und glücklich zu machen! So verführerisch seine äußern Formen sind, so habe ich doch keine Thräne für ein barbarisches Ritterthum; aber dies Ritterthum, mit seinen zarten Blüthen und rohen Auswüchsen, war entsprossen auf dem Boden der Lehensverfassung die man zerstört ohne zu wissen was man an ihre Stelle setzen könne. Ich billige die, in den oberen Schichten der Nation, zu Tage tretende Sehnsucht nach Fortschritt, nach Verbesserung, nach Aufklärung. Auch die Versuche durch Nachahmung des Auslandes die Wohlthaten der europäischen Gesittung zu erreichen, haben ihre löbliche Seite. Aber die Art wie man zu Werke geht scheint mir, auf das Gelindeste gesagt, unpraktisch. Die fremden Zeitungen und die meisten Residenten in Yokohama finden, der Weg sei gut, nur schreite man allzu rasch vorwärts. Ich halte auch den Weg nicht für gut. Ich glaube, daß die wahre Reform vor Allem die Herzen rühren muß. Sie muß in sie die Keime der Nächstenliebe legen und der Verzichtung auf sich selbst. Erst wenn das geschehen, wird man Gewaltthaten und Blutrache nüt Erfolg verftönen und philan- 382 throftische Anstalten gründen können. Durch die Anerkennung der Frauenwürde werden das Eheband geläutert und gestärkt, die Sitten gehoben, die Familie wiedergeboren werden, und die Familie ist allenthalben die Grundlage der staatlichen Gesellschaft. Dann werden sich die Achtung des Eigenthums -und die nöthigen Bürgschaften der öffentlichen Nuhe von selbst ergeben. Ohne diese Bürgschaften ist aber ein wahrer und dauerhafter Aufschwung der Industrie ein leerer Wahn. Dann wird es an der Zeit sein Telegraphen aufzustellen und Eisenbahnen zu bauen. Damit zu beginnen scheint mir, insofern es sich hier von dem Besten des javanischen Volles handelt und nicht von einem guten Geschäft europäischer Spekulanten, ein sehr großer Irrthum. Gin Japaner kann lernen wie man einen telegraphischen Apparat handhabt oder eine Lokomotive führt, und dennoch ein Barbar bleiben: wenn er an einem Bettler vorübergeht das Bedürfniß fühlen die Schärfe seines Schwertes an dem Unglücklichen zu erproben, oder, weil ihm sein Vorgesetzter einen Vorwurf gab, zur Wiederherstellung semer gekränkten Ehre sich den Bauch aufzuschlitzen. Alle diese Fragen werden in den Faktoreien eifrig besprochen. Wenn ich die vorstehenden Ansichten gegen die Herren äußere, so antworten sie mit einem freundlichen Lächeln. Sie sind zu wohl erzogen um laut zu lachen. 383 Aber damit beschwichtigen sie meine Besorgniß nicht daft diese Neformversuche üble Früchte tragen tonnen. Immer noch war die Berührung unserer Civilisation den wilden oder halbwilden Volksstämmen verderblich, wenn dieser Berührung nicht die Erleuchtung durch das Christenthum vorausging. Doch genug der Betrachtungen! Nur die Thatsache will ich hervorheben welche heute im Reiche der aufgehenden Sonne die Zustände beherrscht. Die Minister haben sich in die reformatorische Bewegung gestürzt, sei es um sie zu leiten, oder um sie auszubeuten, oder um in ihr die Waffen zu finden zum Kampfe mit den Gegnern, mit dem erstaunten, noch schweigend zusehenden, augenblicklich eingeschüchterten, aber vielleicht noch lebensfähigen alten Japan. Hierüber mache ich ihnen keinen Vorwurf. Was ich tadle ist die gänzliche Mißachtung erworbener Rechte, die Willkür die all' ihre Maßregeln kennzeichnet, der Leichtsinn den: nichts heilig ist, der Mißbrauch den sie mit dem Namen des Mikado treiben, dessen tausendjähriges Ansehen wohl erbleichen, ja erlöschen könnte in ihrer ungeübten und vermessenen Hand. Wie dem auch sei, unter lärmendem Veifallsgejauchze welches sich aber beim ersten Unfälle in bittern Hohn und Tadel verwandeln wird, ist der Nachen der die Geschicke eines großen Reiches trägt vom Ufer gestoßen. Rasch 364 gleitet er mit der Strömung hinab. Wird er den Hafen erreichen? Möglich. Wird er umschlagen und versinken? Wahrscheinlich. Wer weiß es? Nur das ist sicher, daß er nicht anhalten, nicht stromaufwärts zurückkehren kann. Also auf gut Glück voran! Das Schauspiel ist anziehend aber nicht neu. Schon Guicciardini sagt: Wer eine Neuerung im Staate versucht, sieht nie die Wendung voraus welche dieHVewegung nehmen wird, und erlebt selten ihr Ende. (Ende des zwcttrn Theiles.) Druck von H. Nculiärger m Dessau.