Narodna in uniyerzitetna knjižnica I ___________v Ijubljanl______________| 76590 ■ JL__________ üer's '>>zVH8.Uki»tlll, „d Dr. Meirich Dilüllst. "^ AlkltMl. Ächilderungen von Land und beutln. Os0lg von OijuiliorisH. Ull?ei>Wwtl. k^ k. ^o^ uudNurlsttütM'Nli^nn^ltl in'Wirn ^ 1^. Kcutari. Albanien. ^H'//' Hchilderungen von Acrrrd MN^^H-L-M^-K--»---- DIJA&KA OIIŽNICA Kr. državna realka =* LJUCLJANA = Geürg o. Gturkoo Mit drei Illnstrlitionen, Wien. l88l. Alfred Holder, 1,. !->. Hof- und UniuersMUs-üilchhündlcr, Nothmthurinslraßc 15. 765W Alle NMe voitohaltc». 1 i^ ^ ? ' ' 1. Jur allgemeinen Orientierung. Albanien gehört ohne Zweifel zu den unbekanntesten Gebieten unseres Welttheiles. Die Wissenschaft weiß über die entferntesten, in anderen Continenten gelegenen Vander und Völker weit besseren Bescheid, als über die Nlbanesen, welche im Südwesten der Balkanhalbinsel, an der Ostkiiste der Adria nnd umringt von Serben, Bulgaren und Griechen, seit drei Jahren die Uufmerksamkeit von ganz Europa auf sich lenken. Seit mehr als zweitausend Jahren lebt das albane-sische Volk, hingestellt wie ein erratischer Block zwischen weit jüngere Nationen, als eine zähe und wilde Nasse, die von der Völkerwanderung, wie von jedem anderen weltenbewegenden Ereignisse bis auf den hentigen Tag unberührt oder doch unbewegt geblichen ist. Die Ethnographie hat noch immer über die Abstammung der Albanesen nichts endgiltig festzustellen vermocht und die Geschichte berichtet von ihnen nur ab und zu, nnr nach langen, oft Iahrhuuderte langen Unterbrechungen. Die christliche Religion, welche sonst die barbarischesten Völker der Erde bezähmt hat, ist an diesen Nachkonunen der Pelasger G, v, Vyurfovics, Alwinen. 1 — 2 — ziemlich spurlos vorübergegangen, und es gibt auch heute nur Krieger, Hirten und Räuber, nur albanesische Waffen, aber kein einziges albanesisches — Buch unter ihnen. Wenn im ^aufe der Jahrhunderte wildes Schlachtengetümmel weithin über die Balkanhalbinsel erdröhnte, dann wurden die Arnauten immer als die wildesten und habgierigsten Krieger genannt, aber kein Chronist des Orients weiß iu melden, dass jemals ein Albanese irgend etwas fiir die Cultur seines oder eines anderen Volkes gethan hätte. Die Arnauten wurden schon wiederholt die Tscherkessrn Europas genannt, aber doch nur im hinkenden vergleiche, denn das albanesische Volk ist ob seines Alters und seiner Eigenthümlichkeiten keinem anderen ähnlich und ware schon aus diesem Grunde des eingehendsten Studiums der Historiker, Juristen und Vo'lkerpsychologeu wert. Von dem Tode Skanderbeg's (1567), des albane-sifchen Nationalheldeu, bis zum 19. Jahrhundert war von den Albanesen in Europa nur selten die Rede und sie benutzten diese Zeiten vornehmlich dazu, um die benachbarten Serben gegen Norden, die Bulgaren gegen Osteu, die Griecheu immer mehr gegeu Süden zu drängen. Erst Ali Pascha von Tefteleni, dann der griechische Frei-heittlllmpf und endlich in unseren Tagen die Agitationen der vielgenannten „Liga" haben die Albanesen dem emo-päischen Gesichtskreis wieder näher gerückt, als ein schwer lenksames Mittel der treulosen türkischen Staatspolitik, als das cnlturfeindlichste Element der Polyglotten Balkan-Halbinsel. Es gibt zahlreiche Gebiete in Albanien, wo noch kein europäischer Forscher der letzten Jahrhunderte seinen Fuß — 3 — hingesetzt hat. Ich selbst habe während meiner Reisen in Albanien in den Jahren 1869 und 1873 — so z. B. in den Gebieten zu beiden Seiten des Drin — Wege eingeschlagen, die noch kein Europäer jemals betreten hatte. Unter solchen Umständen eine vollständige Schilderung des unbekannten Landes zu geben, muss ich späteren Forschern überlassen. In den folgenden Skizzen soll nur durch anschauliche Darstellungen ein beiläufiges Bild von ^and nnd Renten von da und dort ans Albanien gegeben werden, damit, wer ?ust und Zeit zn geographischen ssorschnngen hat, Grundlage und Anregung zn weiterer, wahrhaft dankbarer Arbeit empfange. Ich werde daher weder mit ungenauen geographischen, noch mit zweifelhaften historischen Daten die folgenden Blätter füllen; wenn der Veser nach der lecture dieses Buches sagen kann: „Jetzt habe ich eine ungefähre Vorstellung von Land uud beuten in Albanien" — dann habe ich meinen Zweck vollkommen erreicht. Albanien ist mehr ein nationaler, als ein politischer oder historischer Begriff. Es gibt Albanesen, aber es gibt keine homogene continuierliche albanesische Geschichte, weil cs niemals einen einheitlichen albanesischen Staat oder eine solche Provinz gegeben hat. Es gibt nnr ein albauesisches Volk, das mit etwa 1,400.000 Seelen ein gewisses Territorium im Siiden unseres Continents bewohnt. In der heutigen europäischen Türkei leben ungefähr 1,010.000 Albaueseu ans einer Fläche von 40.(X!0Qnadrat-Kilometern, deren Uinfang durch die Städte Autiwan, Sjeniza, Prjepolje, Wranja, Skoplje, Monastir, Kasturia, Argyrokastro, Arta und den adriatifchen Küsten-säum eingerahmt wird. Auch außerhalb der Türkei wohnen Albanefen, und zwar an 200.000 Seelen in Griechenland und 90.000 in Süditalien. Die Geschichte kennt, wie schon gesagt, Albanien nie als ein politisches Ganzes. Das Land zerfiel allezeit ii, verschiedene, für sich bestehende Theile, sei es nun, dass es von unabhängigen Stämmen bewohnt wurde, wie zu den Zeiten, wo es in die Geschichte eintritt. oder dass cs größeren Ganzen, wie dem römischen, byzantinischen, bulgarischen, serbischen oder türkischen Reiche angehörte. Im Alterthum entbehrte das Land sogar eines gemeinschaftlichen Namens, denn es zerfiel damals in zwei Theile; der Norden wurde von den Illyliern bewohnt, den Süden aber, das sogenannte Pindusland, begriffen die Griechen unter dem Namen Epirus. Des letzteren Seegrenze reichte von der nordöstlichen Spitze Akrokerauuieus bis zum nordöstlichen Winkel des Ambrakischeu Busens, wo die Grenzen von Hellas begannen. Bei der Nordspitze Akrokerauniens aber, das heißt da, wo die Küstenebenen beginnen, fieug schon das Land der Illyrier an und reichte weit über die nördlichen Grenzen des heutigen Albaniens hinans. Anch der Eintheiluug, welche die Römer diesen Ländern gaben, scheint im wesentlichen die eben aufgestellte natürliche Gliederung zugrunde zu liegen. Zu des Ptolomäus Zeiten gehörte der nördliche Theil zur Provinz Illyrien oder specieller zu Dalmatien; die flache Küste und ihre Hinterländer gehörten zu Macedonieu nnd die Grenze zwischen dieser Provinz und Epirus scheint mit der Scheidegrenze der flachen und gebirgigen Küste zusammen zn fallen. Wenden wir uns von dem Lande dem Volke zu. Dif albanesische Nasse zerfällt in zwei Hauptstämme, den wskischen, welcher mit Einschluss des Gebietes von Verat Süd-Albanien — und den gegischen, welcher Mittel-und Nord^Albanien bewohnt. Die Dialecte, welche diese Stänuue sprechen, weichen etwa in dem Grade wie Süd-und Plattdeutsch von einander ab, das heißt: Tosken nnd Gegen verstehen einander nnr buchst nothdürftig, nnd es gehört für beide Theile einige Zeit dazu, sich in die Sprechweise des anderen Stammes zu finden. Die Sprachgrenze beider Dialecte ist sehr schwer genau zu ermitteln, doch dürfte sie nicht viel von der Linie des Flusses Schkmnbi abweichen. Dass diese Sprachgrenze eine uralte und dass die neueren Name» toskisch und gegisch ziemlich aleichbedentend mit epirotisch nnd illyrisch seien, das machen schon Angaben des alten Geographen Strabo sehr wahrscheinlich. Zwischen Tosken und Gegen herrscht eine gegen-" seitige, traditionell überkommene Abneigung, welche namentlich in den türkischen Feldlagern, wenn beide Stämme vertreten sind, häufig zu Neckereien und Händeln Nnlass gibt. Sie fechten so gerne gegen einander, 0^,6 die Pforte bei Unruhen in der einen Hälfte des Landes sich der in der anderen Hälfte geworbenen Söldner stets mit Erfolg bediente. Einen weiteren Gegensatz zwischen Nord und Süd bildet die Verschiedenheit der Confessionen, zn welchen sich das christliche Bevölkerungselement beider Hälften bekennt. Dagegen fcheint der Unterfchied in der Tracht weniger scharf in die Augen springend, denn der Fes ist __ ß __ allgemeine Kopfbedeckung, die „Fustanella" wird auch im Norden, wenngleich weniger häufig, getragen, und die weiten Hosen von Tuch oder weißem Wollenzeug sind auch im Süden nicht unbekannt. Die Schifferhose von blauem Baumwollzeug findet sich im ganzen Lande — nicht nur als Tracht der niederen städtischen Rajah, sondern auch einzelner türkischer Landstriche, zum Beispiel in Kurweljesch sogar als Frauentracht. Ebenso allgemein ist der Schiffermantel ( Mohamcdaner betragenden „Kastrati," die „Schkrjeli" mit 500 Mohamedanern und 4000 Ka-tholikeu, die angesehenen „Hoti" init 2500 Katholiken und 100 Mohamedanern, die „Gruda" mit 1500 Katholiken und 200 Mohamedanern und endlich die „Klemenü" mit Z500 Katholiken und 500 Mohamedaueru, welche auch einen Theil des Bezirkes von Plawa und Gusinje bewohnen. Es fällt mir wohl schwer, für jede der bisherigen Ziffern, welche in der Summe 180.000 Mohamedauer und 70.000 Katholiken ergeben, einzusteheu, aber sie sind, wie ich glanbe, die ersten, welche über diese eigenthümlich demokratisch organisierten Stämme in die Öffentlichkeit dringen — Ziffern, die gewiss hinreichen werden, um jene confesfiouellen und nationalen Factoren mit einiger Verlässlichkeit zu beurtheilen, welche ohne Zweifel die stärksten Elemente der jetzigen und zukünftigen „albanesischen Frage" bildeu werden. Noch interessanter als die ebeu gegebenen Stärkeverhältnisse sind die Sitten und Gebräuche der nord-albanesischen Kriegerstämme. Es ist selbstverständlich, dass bei diesen, je nach der Natur ihrer Wohnsitze, die Viehzucht oder der Ackerbau bei ihrer täglichen Beschäftigung vorwiegen, aber der kriegerische Sinn ist allen Älplern der Oegerei gemeinsam. Jedermann geht dort bewaffnet, auöge er Pflügen, hüten oder in Haus und Hof hcrnm- ?>^inn1iclv ^Tv^!^', ^ni,' .nncn. — 25 — lungern. Und selbst zur Nachtzeit liegen Pistolen und Iatagau uuter dem Kissen des Albaneseu, der es niemals versänmen wird, sie beim Ablegen sorgfältig zn untersuchen. Die Bevölkerung der meisten Berglandschaflen ist fo arm, dass sie häufig mit Mangel uud Noth zu kämpfen hat, aber sie hängt so sehr au ihrer Heimat, dass das Beispiel der südlichen Brüder, der Tosken, die sich als Handwerker und Söldner in der Fremde oft viel Geld verdienen, sie nicht zur Nachahmung zu reizen vermag. Die Hochländer sind, mit Ausnahme der Hoti und Schkrjeli, frei von jeder Abgabe an die Pforte, dagegen zur Heerfolge im Kriegsfalle verpflichtet. Die Bergdistricte kennen teiue andere türkische Autorität als den Pascha in Scutari, welcher indessen seinen Verkehr mit den Älplern nicht nach den Befehlen oder Gesetzen der Pforte, sondern nach dem alten albauesischeu Recht und Herkommen einzurichten hat. Zur Vermittluug dieses Verkehres hat jeder Stamm einen sogenannten Bujuk-Vaschi in der Nähe des Pascha, der, nebenbei bemerkt, ein Mo-hamedaner sein muss. Das Ehrenamt des Bujut-Baschi ist in der Regel in irgend einer Familie erblich uud es hat derselbe nicht nur die Interessen seines Stammes beim Pascha zu vertreten, sonder» auch jeden Stammesangehörigen bei dem Pascha einzuführen und sich dabei als Dolmetsch und Anwalt zu verhaltet«. Der Aujuk-Vaschi übermittelt feruer die Befehle des Pascha an dcu Stamm; er vollzieht die für Mord und andere Verbrechen festgesetzten Strafen, die zumeist in Geldbusieu bestehcu, von denen er dann ein Driltheil als Lohn erhält; er schreibt Steuern aus und treibt sie ein. Während des Krieges vermittelt — 26 — er den Verkehr zwischen dem türkischen Commandanten und den Anführern des Stammes und besorgt die Verpflegung der ausgerückten Banner. Jeder Stamm zerfällt in mehrere größere Gemeinwesen, an deren Sftitze sich je ein Häuptling oder „Woj-wode" befindet; diesem steht ein Rath der Altesten, „Plezenija," zur Seite. Bei der Kriegsformation theilt sich der Stamm in mehrere Banner, von denen jedes durch einen „Bajraktar" (Bannerträger) befehligt wird. Die Executive steht den „Djobaren" (Djobe, Strafgeld) zu, welche die Ältesten der Geschlechter sind. Die letzte nnd höchste Gewalt steht jedoch dem Volke selbst zu, welches diese in den .Mibenti," den Volksversammlungen, ausübt. Die regelmäßigen Volksversammlungen werden mindestens zweimal im Jahre abgehalten. In den ackerbauenden Bezirken wird sowohl der Tag wie der Ort der Zusammenkunft, in den Viehzucht treibenden nur der Ort für diese Volksversammlung bestimmt, und es heißt dann in der nationalen Ausdrucksweise: „Der Berg versammle sich, wenn er mit seinen Herden zwischen den Alpen uud dem Scutarisee da oder dort augekommen ist." Es gibt aber auch außerordentliche Volksversammlungen, die dann durch besondere Boteu einberufen werdeu. Bei jeder Volksversammlung muss wenigstens ein Mann von jedem Hause erscheinen, denn jeder Ausbleibende wird mit einer Strafe von zwei bis vier Schafen gebüßt. Wenn das Volk in genügender Zahl vorhanden ist, setzen sich die Würdenträger des Stammes in einen Kreis; die Volksmenge sitzt oder steht um sie her; jedermann trägt seine Waffen. Einer der Wü'rdeuträger eröffuet die Ver- — 27 — fammlling mit einer Rede, worin er der Veranlassung zur Volksversammlung erwähnt. Hierauf setzen sich die Ältesten der einzelnen Geschlechter, die Djobaren, zusammen und berathen über den angeregten Gegenstand. Vereinigen sich diese zu einen: Beschluss, dann wird er dem Volke kundgemacht und in besonders wichtigen Fällen lässt der Vorsitzende der Versammlung alle Anwesenden auf die kreuzweise gelegten Flinten schwören: dass sie der neuen Satzung gehorchen wollen. In selteneren Fällen handelt es sich um die Feststellung neuer Stammes-satzuugen, zumeist um Feststellung oder Eintreibung von Bußen wegen Feldfrevel oder um inneren Parteihader. Zu den seltsamsten Gebräuchen der albanesischen Stämme gehören der „Blutbann" und die „Blutrache". Begeht ein Albanese einen Mord, dann muss er sammt seiner Familie entfliehen, um sich der Blutrache, d. h. der Verfolgung auf Tod und Leben seitens der Familie des Ermordeten zu entziehen. In vielen Gegenden wird nach der Flucht des Mörders dessen Haus niedergebrannt nnd die auf den Mord nach Sitte und Branch entfallende Strafe entweder vom Vermögen des Mörders oder von seiner Familie eingetrieben. Es ist begreiflich, dass unter Umständen ein Mörder sein ganzes Geschlecht ruinieren taun; doch ist es damit noch nicht abgethan. Die Familie des Ermordeten ist nämlich nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, für das ihr zugethane ^cid an dem Mörder uud seiner unter Vlntbann stehenden Familie Vergeltung, d. h. Blutrache, zu iiben. Da mm jedes Opfer einer Vergeltung wieder die Blutrache auf der anderen Seite hervorruft und sich die Nachepflicht auf Kinder und — 28 — Kindeskinder vererbt, so rottet in manchen Fällen die Blutrache ganze Geschlechter aus. Todtschlag fordert ebenfalls Blutrache, doch kann die betroffene Familie Verzeihung eintreten lassen. Der Ehebrecher verfällt ebenfalls der Blutrache; die Ehebrecherin dem Tode, oft durch Steinigung. Die Aufhebung der Blutrache erfolgt entweder auf dem sehr seltenen Wege der Verzeihung oder auf dem Wege eines Ausgleiches durch gegenseitiges Beschenken mit Geld, Vieh und prächtigen Waffen. Die unter den Südslaven bestehende „Verbrüderung" soust miteiuauder nicht verwandter Menschen findet sich auch bei den Nlbanesen vor. Der von den zu Verbrüdernden gewählte Gevatter, Kumpare, unterbindet beiden den kleinen Finger der rechten Hand, ritzt diesen auf, lässt ein paar Tropfen Blut in ein Glas Branntwein fallen, welcher dann von den zn Verbrüdernden ausgetrunken wird. Hierauf folgen herzliche und zahlreiche Umarmungen uud ein feierliches Mahl. Das Verhältnis des Mannes zum Weibe ist bei den Albanesen nicht minder interessant. Die Männer heiraten im Alter von 20 bis 25 Jahren, die Mädchen mit 14 bis 20 Jahren. Die Braut wird bei den Albanesen thatsächlich gekauft; der übliche Preis beträgt nach österreichischem Gelde im Durchschuitt 33 Gulden, wovon 30 Gulden der Vater oder Vormund, 3 Gulden die Mutter der Braut erhalten. Die Braut wird in manchen Gegenden schon vor der Trauung heimgeführt und die kirchliche Einsegnung oft bis zur ersten Geburt verschoben. Gemeinsame Abstammung bildet in ganz Albanien ein Ehehindernis und dies geht soweit, dass z. B. die aas dem — 29 — Stamme der Hoti und Schkrjeli ihre Frauen nur von anderen Stämmen holen. Das heiratende Mädchen tritt ganz aus dem Verbände ihres Stammes und ihre Kinder gehören unter allen Umständen dem Stamme deS Vaters an. Die Weiber haben kein Erbrecht und werden nicht besser als Dienerinnen gehalten. Es ist überhaupt bei den Albanesen eine große Unart, viel von Weibern zu reden. Nach der Schilderung der allgemeinsten Sitten und Gebräuche der albanesischen Älpler verlohnt es wohl anch der Mühe, sich in der Natnr umzusehen, welche sie umgibt. Der ^eser möge mir auf dem Wege folgen, der ans dem Seebecken von Scutari nach dem im vorigen Jahre viel nmstrittcnen Gebiete von Plawa und Gusiuje führt . . . ,Mr6 io ^ono, uon dem Haupte der katholischen Christenheit, sprechen tonnte. Nach einigen Fragen, von wo er daheim wäre uud durch wessen Ver-mittluug er nach Nom gekommen sei, begann Don Pasquale die Erzählung seiner Lebensgeschichte, die ich aus dem Gedächtnisse hier möglichst getreu wiedergeben will. „Ich war ein armer Hirtenknabe," hub der Pfarrer mit einem schweren Seufzer an. „Ich bin kein Mirdite von Geburt, sondern bei Lesch zuhause. Ich bin auch nicht -^ 86 — als Christ geboren. Mein Vater Mahmud lebt heute noch als armer Türke und dient dem Imam (Geistlichen) einer kleinen Moschee in Lesch. So oft der Frühling wiederkehrte, trieb ich, als der jüngste Sohn des Hauses, eine Schafherde, die mehreren wohlhabenden Familien in Lesch gehörte, auf die Almen bei Kalmeti. In Kalmeti wohnte der Bischof der Mirditen, eilt edler frommer Mann, der Rathgeber und Helfer für jedermann in der Noth, ohne Unterschied des Glaubens. War es Neugierde oder Zuneigung zu dem allgemein verehrten Manne, ich weiß es nicht — aber jedesmal, wenn die Glocke tief unten zum Gottesdienste rief, zog es mich hinab und gar bald vergaß ich den Freitag, den Feiertag meiner Väter, und stahl mich am Sonntag hinab zur Kirchenpforte, wenn die Christen geschmückt und von allen Seiten zum Gottesdienste herbeiströmten." „War die Kirche uicht allzusehr gefüllt, so trat ich wohl auch in das Innere — und am liebsten, wenn der Bischof zu der versammelten Meuge sprach, sie ermähnte oder verwies, weil sie Gottes Wort stets zuwider handelte. Ich verstand ihn lange nicht, besonders, wenn er von Liebe zum Nächsten, von Verzeihung dem Sünder sprach; aber eine iuuere Stimme sagte mir gar bald, dass er jedesmal Recht habe. Wenu ich dann zu meiner Herde zurückkehrte, stritt ich lange m mir, wer größer sei, Allah oder der milde Gott der Christen, Mohamed, der große Prophet in Mekka, oder Jesus, der fromme Dulder, den t»ie Juden und Römer aufs Kreuz schlugeu." „Als ich dann im Herbste mit der Herde nach ttesch hiuabzog, gefielen mir weder die Menschen drunteu, noch — 8? — das väterliche Haus, noch die schlanke Moschee mit dem kleinen Imam, obzwar er auch ein gelehrter und guter Mann war. An jedem Sonntag stahl ich mich aus dem Hause und gieng zur Messe ins Kloster St. Antonio, am jenseitigen Ufer des Drin. wo Brüder aus dem Orden des heiligen Franciscus das Volk belehrten. Don Giuseppe mit dem klugen Auge und weißen Haar war der mildeste und mir der liebste unter ihnen. Er war als Arzt weit und breit berühmt; selbst Muselmänner giengen zu ihm, wenn sie das böse Sumpffieber allzusehr plagte und wenn die alten Weiber nicht mehr helfen konnten. Meine heimlichen Besuche bei den Franciscanern von St. Antonio blieben kein Geheimnis und mein Vater hatte manch bösen Austritt mit seinem Herrn, dem Imam, der es nicht dulden wollte, dass ich den schwarzen „Giaurs mit den dicken Bäuchen" — wie er die Franciscaner zu nennen pflegte — in die Nähe gieng. Ich aber wusste mir immer eine Gelegenheit fiir die vielen Dienste zu finden, welche ich den Franciscanern ungerufen und freiwillig leistete." „So war ich denn ein recht unglücklicher Junge ge-wordeu; weder Christ, noch Heide, weder Mensch, noch Thier. Ich bedauerte den Imam, wie mciueu armen Bater, die beide nicht wussten, wozn Gott die Welt und die Menscheu erschaffen hat — aber am Ende war ich noch schlechter daran als sie, denn ich als Mohamedaner verabscheute im stillen den Koran uud den Propheten. So gieng es einige Monate fort und fast wäre ich für immer der unglückselige Hirte geblieben, wenn mich nicht ein Uuglücksfall in meiner Familie gerettet uud dahin gebracht hätte, wo ich heute bin." — 8K — Don Pasquale hielt einen Augenblick inne. Er nahm das volle Weinglas zur Hand, stieß nach einem leisen „Nv-viva!" mit mir an und trank das Glas auf einen Zug aus^ als ob er sich zur folgenden Erzählung stärken müsste. „Signor," hub er mit einem schweren Seufzer an, „ich hatte eine Schwester — Gott habe sie selig. Sie war mild und schön wie eine Lachtaube; sie hatte ein Herz voll Liebe und Güte, aber eben darum wurde sie ein unglückliches Geschöpf. ... Ich sollte Ihnen eine lange, für die Sitten unseres Landes ganz ungewöhnliche Lebensgeschichte erzählen, aber begnügen Sie sich mit dem Ende derselben — sie wollte einem jungen Mohainedaner folgen, den sie als Iugeudgespielen von der Straße her schon als Kind gekannt hatte. So sehr es nach unserer Landessitte eine große Schande ist, ein schwaches weibliches Wesen zu misshandeln, so wird doch eine Missrathene fürchterlich bestraft. Sie wird aus dem elterlichen Hause gejagt, verfällt dann nicht selteu der Volksjustiz uud noch immer kommen Fälle vor, in denen ein solches Mädchen von der empörten Menge gesteinigt wird." „Meine Schwester ereilte nicht dieses, aber doch ein trauriges Schicksal. Ihr Freund floh, sie verlassend, in die Gerge und niemand weiß, was aus ihm geworden ist. Man sagte wohl, dass ihn die Hirten von Pulati erschlagen hätten, dann hieß es wieder, er sei im Scutari-See ertrunken — soviel ist aber gewiss, dass bis heute niemand auf seine Spur gerathen ist. Das arme Mädchen hatte aber böse Tage; nur eine Schwester meiner Mutter und ich standen ihr bei, wenn die Misshandlungen von „ HA .__ Seite der Eltern, Geschwister und Verwandten zu arg wurden und die Ärmste der Verzweiflung nahe war. . . Nach und nach bemächtigte sich ihrer ein unheilbarer Trübsinn, sie verfiel in eines jener bösartigen Fieber, die in unseren Sumpfgegenden nur zu häufig sind, doch niemand Pflegte sie als die Schwester meiner Mutter. Ich lief zu den bewährtesten Quacksalberinucn in der Umgebung, wohl auch zu den frommen Patres nach St. Antonio, aber es half kein Mensch, kein Mittel. Die Ärmste, von aller Welt Verlassene und Verstoßene fiel immer mehr ab — und an einem Sonntagsmorgen sagte ihre Pflegen«: „Heute geht's zu Ende mit ihr." Don Pasquale wischte sich eine Thräne aus den Augen und den perlenden Schweiß von der Stirne. „Verzweiflung fasste jetzt auch mich, denn ich hatte noch immer Hoffnung anf ihre Wiedergenesung gehegt. Ich betete zu Allah und dann zu dem Gotte der Christen, aber keines der Gebete wollte helfen. In meiner Angst eilte ich aus dem Hause und hinüber in die Messe bei St. Antonio. Ich wollte Don Giuseppe aufsuchen, um von ihm ein letztes Rettungsmittel für die kranke Schwester zu erstehen. Ich trat in die hell erleuchtete Kirche; es war ein hoher ssesttag der Katholiken, die zahlreich? Menge war festlich geschmückt und lauschte den Worten des Bischofs von Kalmeti, der des hohen Festtages wegen nach St. Antonio gekommen war, die Messe zu celebrieren. Er predigte über jene Stelle im neuen Testament, wo der Evangelist Johannes von dem Weibe berichtet, welches die tückischen Pharisäer vor Jesu geschleppt hatten, um ihn zu versuchen. Die Pharisäer verlangten nach dem Gesetze — 90 — Moses', dass das sündige Weib gesteinigt werde, Jesus aber sagte zu ihnen: „Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!" — und die Pharisäer giengen beschämt von dannen. . . ." „Ich brauche Ihnen wohl nicht zu schildern" — setzte Don Pasquale seine dramatische Erzählung fort — „wie mich die Worte des Bischofs ergriffen und was ich unter ihnen litt. Und als er die Worte Jesu: „Gehe hin und sündige hinfort nicht mehr" ausgesprochen, überkam mich etwas, was sich nicht schildern lässt und oft die Gewalt eines Glaubens, einer Religion genannt wird. Ich drängte mich durch die dichte Meuge hindurch, trat vor den Bischof hin und warf mich vor ihm auf die Knie nieder. Was ich sagte, was ich stammelte, weiß ich nicht mehr, aber die Iubruust eiuer verzweifelten Seele, eines zweifelnden Gemüthes sprachen aus mir — und ich verlangte die Taufe, die Aufnahme iu den Schoß der katholischen Kirche. Eine Religion, welche sich auch meiner verstoßenen Schwester annimmt, die mnss besser sein, als der Glaube an Allah und seinen Propheten. ..." „Und zur selben Stunde verstarb meine arme Schwester. Ich aber kam bald nach Rom, wurde zum Priester erzogen, kam unter dieses wilde Volk als Pfarrer und lehre sie seitdem alle Tage, dass es keinen Sünder gibt, aus dem nicht eiu guter Christ werden könnte....." T)on Pasquale wischte sich eine Thräne aus dem Auge und ich reichte dem wackeren Priester die Hand, um sie wie die eines guten, seltenen Menschen zu schütteln. Wir traten dann vor den Pfanhof in die kühle Nachtluft hinaus. Die Sterne erglänzten in füd- — 91 — licher Pracht und über die Wipfel des nahen Waldes strich ein leiser Wind als Vorbote des Mondes, der noch hinter den Zweigen verborgen lag. Am frühen Morgen des folgenden Tages zogen wir mit unserer „fürstlichen" Begleitung nnter strömendem Regen, der nicht länger als dreizehn Stnnden währte, die Saumpfade znm Flusse Matija hinab und von dort wieder etwas nordwärts nach dem nralteu Städtchen Lesch (Alexander), das die Italiener Alessio nennen. Lesch besteht aus drei weit auseinander liegenden Häusermassen, welche sich um einen hart am Drinflusse aufsteigenden Felskegel gruppieren. Die mittlere Gruppe bildet das Bazaruiertel, welches hart au das linke Flnssufer angebaut ist; östlich davon erhebt sich der FelKyügel, der etwa 160 Meter hoch sein mag nnd auf dessen plattem Gipfel die Citadelle liegt. Diese besteht aus einer «benso schlecht gebauteu, als verfallenen Nmfassungs-mauer und enthalt nur ein Gebäude, welches der etwa 20 Anmuten zählenden Besatzung zur Kaserne dient. Der Citadellenhügel beherrscht nicht nur die Küsteu-ebene, sondern ist anch der Schlüssel zum Driuthal und scheint gleichsam von der Natur selbst zu einer Art Akro-polis bestimmt zu sein. Die zahlreichen, überall zerstreuten cyklopischen Mauerreste beweisen, dass Dionys von Sicilien, den die Geschichte als Gründer von Lissos bezeichnet, den Wink der Natur verstaudeu habe. Hier lag also ohne Zweifel das alte Atrolissos. Während der zweiteu Belagerung vou Scutari (1478) wurde auch Lesch von den Türken erobert, welche das Grab des Nationalhelden Skanderbeg öffneten, dessen __ 92 __ Körper zerstückten und sich der Stücke als Talisman imb Amulets bedienten. Die Kirche wurde in eine Moschee verwandelt; sie liegt aber jetzt in Ruinen, weil einmal der niederstürzende Kirchthurm drei Derwische erschlug. Die Stelle von Skanderbeg's Grab ist gänzlich vergessen. Aber auch das Andenken Skanderbeg's sell'st wird in Lesch nur zur Noch bewahrt. Im übrigen Albanien weiß man noch weniger davon, ob Skanderbeg mehr als eine mythische Person ist, wann nnd wie er gelebt, und ob die Albanesen Ursache haben, anf ihn stolz zu sein. Nur Einer wusste das wa'hrelid meiner Reisen in Nordalbanien recht genau, und das war mein guter Freund Ismail Aga von Alessio. Ismail Aga war überdies der dickste und lustigste Mann in Alessio. Er konnte türkisch lesen und schreiben, sprach fließend serbisch — und doch hatte er es während der fünfzig Jahre, die ihm Allah beschieden, nicht weiter als bis zum Tschansch bei den berittenen Saptiehs gebracht. Essad Pascha, sein Schulcollege und Gouverneur in Scutari, hatte mir ihn mit zwei Saptiehs als Beschützer mitgegeben nnd ich danke ihm heute noch dafür; denn während meiller Kreuz- und Querzüge durch Nord-Albanien habe ich keinen kurzweiligeren Begleiter gehabt als Ismail Aga. Der Mann war aber auch überall gewesen. Er wusste von Damaskus allerlei zu erzählen; er beschrieb mir das stolze Bagdad, den sagenhaften Sinai, als ob er dort überall nnr zn seinem Bergiigen gereist wäre. Er sprach mir von Arabien, von den endlosen Kämpfen des türkischen Heeres in Aemen, und Ismail Aga muss seinen Mann dort gestellt haben, denn zwei blanke Medaillen ___ s)H ^_ zierten seine Brust. Er war auf der Reise immer gut gelaunt, ob uns auch manchmal der geradehin strömende Regen die Freude am Wandern verderben wollte. Ismail Aga war immer voll Schnurren. Anekdoten, halbwahren Geschichten, und die seltsamste war wohl die: warum er jeden noch kommenden Tag nnd vielleicht anch sein Lebensende nur als Gendarmerie-Wachtmeister — Allah verzeihe mir diese Verdeutschung! — verbringen dürfte. Ich hatte den Mann zu lieb gewonnen und bewahre ihm ein zu freundliches Andenken, als dass ich den Muth hätte, alle feine Wanderjahre uud heldeuhaften Missethaten der Weltgeschichte zur weiteren Aufbewahrung und Verbreitung anzuvertrauen. Soviel glaube ich aber doch, meinen Lesern zu Gefallen, verrathen zu dürfen, dass Ismail Aga aus guter albanesischer Familie stammt, dass er einmal Oberstlieutenant bei der Cavallerie, ein andermal Kaj-makam, das ist Kreisvorsteher, gewesen. Kleine Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung von Padischahs Geld und Out — mau sagt, dass er sie alle ganz allein verbrochen — hatten ihn jedesmal um die Stelle gebracht uud heute noch bereut es Ismail Aga, dass er nie zur rechten Stunde vorsichtig, nicht immer gegen den rechten Mann freigebig gewesen. Es gab auch eiue schwere Zeit, da er der Blutrache verfallm war, deun er hatte einen Christen von dem Stamme der Kastrati in einem genngfügigeu Streite, und wie man behauptet, ohne viel Umstände ums Leben gebracht. Man nahm dem armen Ismail Hab und Gut, — 94 — brannte nach althergebrachter Landessitte auch seinen Tschiflik (Meierhof) nieder und mein Aga floh auf sieben Jahre außer Land, schlug sich überall im weiten Türkenreich als wackerer Aster (Soldat) herum, bis ihm die Perwandten des ermordeten Gianrs die Blutschuld verziehen. Arm wie ein Derwisch kehrte er wieder in die Heimat zurück, Weib und Kind waren ihm auch verstorben — und so ist Ismail Nga gewiss heute noch Tschausch, aber der dickste und lustigste Tschausch unter den Safttiehs seines allmächtigen Padischah in Scutari. Ich schrieb den 9. Mai, den Tag des „Krachs" im Jahre 1873, in mein Tagebuch, als ich mit meiner kleinen Pferdekarawane das Städtchen Lesch, welches die Albaneseu an die Stelle des alten Lyssus erbaut hatten, des Morgens in früher Stunde verlassen musste. Mein Wirt, ein altes, vom Snmpffieber gebrochenes Männlem, hatte mich vor Sonueuaufgang geweckt und an mir war es, Ismail Aga und seiue Untergebenen zu wecken. Sie ließen sich täglich nur von mir wecken; sie gehorchten, wenn es sich nicht um Hammelfleisch und Brantwein handelte, nur mir, denn sie wussten cs, dass „Effendi" sie nur im Nothfalle au ihre Pflichten zu mahnen Pflegte. Es war eben tein delicates Mld, welches das Kä'mmerlein darbot, in dem meine drei Wächter schliefen. Sie lagen, wie jedermann in der dortigen Sumpfgegend, angekleidet unter Mousselin-Zelten, welche von den schwarzen Balten der Zimmerdecke herabhiengen — die Waffeu zu ihren nackten Füßen. Die faltigen Neiterstiefel lagen um die kaum über den Boden erhöhte Tischplatte herum; auf dieser die unverzehrbaren Überreste eines von mir __ 95 __ noch zu bezahlenden Soupers. Sehr vereinzelte Reiskörner sprachen dafür, dass der Pilaf gut gemundet; glatte Hammelknochen, dass der Braten uoch besser gewesen. Ein umgestürzter Brantweinkrug erkürte mir den weithin hörbaren Schlummer, in den meine Anmuten versuuten waren. Ein Fläschchen mit einem Restchen schwereu Roth-weins, in die letzte Zimmerecke gelehnt, schien statt der pflichtvergessenen Krieger zu beichten. Sie hatten gestern abends gewiss gegen den Koran gesüudigt und mehrmals versucht, ob der schwarze Mirditeuweiu wirtlich so gut sei, wie die Oiaurs immer versichern. „He, Ismail!" rief ich in die dumpfige Kaminer hinein. „Ismail Aga, steh doch auf!" rief ich wieder, zu dem wanstigeu Schläfer näher tretend. Er streckte sich, sah mich verwundert an und murmelte schlaftrunken vor sich hiu: ,,8al)k1k!' Iia^'r c»I«uii", als ob er einem Türken guten Morgen wünschen müsste. „Guten Morgen, guten Morgen! Steh nur auf; wir müsseu auf die Reise," erwiderte ich. Er streckte sich wieder und schrie gähnend: „O Mahmud! O Selim!" den Saptiehs zu — und beide sprangen so rasch vom Lager, als ob sie den Abend vorher nur Wasser getrunken hätteu. In einer Viertelstunde war die Gesellschaft reisefertig. Nachdem Ismail Aga dem Handschi (Wirt) deu halben Preis der Zeche abgerungen, ritten wir durch die kühlen Gassen zum Stadtthor Humus — Selim und Mahmud voran, ich und Ismail Aga hintendrein. Auch vor der Stadt schien alles menschenleer; nur von Zeit zu Zeit begegneten wir einem Albanesen, der uns trocken ein „Nirß in(M6)68", d. h. „guteu Morgen" znwarf, aber — 96 — sonst ließ sich iu der empfindlichen Morgenfrische die Reise ziemlich still und kleinlaut au. Erst als zu unserer Rechten die Sonne über die Felsengrate des Malj Lefch heraufgestiegen war und einzelne Fenster des halbverfallenen Castells von Lesch beleuchtete, wurde die Gesellschaft etwas aufgeräumter. Die beiden Saptiehs saugen aus rauhen Kehlen ihr gewohntes Neblingslied: „H.« anmn nios mikk" („Gnade, kleine Freundin"); die Pferdetreiber unterbrachen ihre gleichgiltigen Gespräche durch Ermahnungen, welche sie bald mit gutmüthigen Reden, bald mit sanften Hieben gegen die abgemagerten Tragthierc richteten. Nur Ismail Aga schien heute etwas nachdenklicher als sonst, aber gewiss nur um zu ergrüudeu, auf welche Art ein kurzweiliges Gespräch am besten zu beginnen wäre. Endlich, nachdem er einige Cigarette« dem Winde preisgegeben, meinteer: „Höre, Effendi, wir haben nicht gut gethan, heute abzureisen." — „Warum?" fragte ich nach eiuer Pause. — „Heute ist ja der 9. Mai bei Euch, und Dn weißt doch, dass man in Albanien am 9., 19, und 29. ebensowenig wie am Dienstag etwas beginnen soll. Auch juckt mich mein rechtes Ange, die Pferde scharrten den Boden, als sie bepackt wurdeu, und wie ich mich in den Sattel hob, meßte eine Katze iu der Thüre des Hans (Wirtshaus). Effendi, es gibt Negen." — „Aber nicht heute." — „Kann sein," erwiderte erschlagfertig, „aber es gibt heute ein Unglitck und wenn es kein anderes wäre, als dass ich Dir wieder eine von meinen Geschichten erzählen sollte," fügte er lachend hinzu. „Das Unglück wird sich noch ertragen lassen," meinte ich, „nur darfst Du heute nicht so lügen wie gesteru, )>Iplorin, Fi^u, Vraui, INos'.ini^d.inriin, Zin^N!!! ^Weißliche Erachten aus Ktbauicn. __. ls? ___ als Du mir Deine Heldenthaten von Siliscria erzähltes^ und erst zu Ende der Geschichte, nach Art Eurer Märchen, sagtest: „Es war und es war nicht." „Eine weiße Medschidie für den schwarzen Tag, an dem die Geschichte nnwahr wird, die ich Dir erzählen will," sagte Ismail Aga. „Also höre, Effendi,... Im nächsten Dorfe, in Kalmeti, wo wir zu Mittag und wahrscheinlich, Gäste bei Eurem Despot (Bischof) sein werden, lebt ein wohlhabender Oiaur; der heißt Dschou (Johann) und sein Welb, die heißt Eile (Lucia). Sie find beide eigentlich von Lesch, aber wie sie nach Kalmeti kamen und ein Mann und ein Weib wnrdeu, will ich Dir erzählen." „Dschon ist der Sohn armer Hirten. Als junger Bursche hütete er die Schafe und Ziegen des Abas Bey von Lesch. In der guten Jahreszeit lebte er immer mit der Herde !u den Waldungen und auf den Hutweiden des Malji-Rensit — in jenem Gebirge, wo Du uns, Effendi,, vorgestern herumgehetzt hast und mein Pferd drei Hufeisen verloren hat. Abas Bey hatte einen buckligen Tschibuktschi (Pfeifenstoftfer), und der hatte wieder eine Tochter — schön, Effendi, schön wie eine Lachtaube. Da auf einmal, im Frühjahr — es werden jetzt an die fünfzehn Jahre sein — war das Mädchen aus dem Paterhaufe plötzlich verschwunden. Man suchte sie überall, aber vergebens. Und denkt Euch. wo das Mädchen war. Sie, die Tochter eines Rechtgläubigen, bei Dschon dem Giaur, iu den Wäldern des Malji-Nensit, um Christin zu werden. DutaunstDir denken, Efsendi, dass der Kajmakam (Kreisvorsteher) von Lesch allsogleich alle Saptiehs und Nondaren (Gemeindewächter) anssendete, um das Kind zu suchen. Als diese G. V, Gynrtovics, Albanien. 7 — 98 — ms Gebirge kamen, fanden sie Dschon's Herde allein — den Bnrschen wie das Mädchen entflohen. Alles Suchen in den nächsten Tagen war umsonst, ob man auch alle Christenhänser von nnterst zu oberst kehrte und durchsuchte. Wie man später erfuhr, hatten sich Dschon und Cile in das Kloster St. Andrea geflüchtet, in dasselbe Kloster, von welchem Euch vorgestern der greise Munch Don Andrea an der Drin-Überfuhr begrüßte. Vor diesem schwur Cile den Glauben ihrer Väter ab und wnrde zur Christin getauft." „Allein Don Andrea begann für sich nnd seine Schützlinge zu fürchten, denn der Pascha in Scntari hatte ans den Kopf der Flüchtlinge einen hohen Preis und für jeden Unterstandsgeber schwere Kerkerstrafen alisgesetzt. Dschon und Cile konnten auch dort bald entdeckt werden, weil in nächster Zeit, am Andreastage, alles Christenvolk von weit und breit zu der Feier ins Kloster zn kommen pflegte. An diesem Tage liest immer der Bischof von Kalmeli, ein braver Mann lind als Arzt überall berühmt, die Messe dort. Alle Geistlichen und Mönche ans der Umgebung sind auch dabei und am Nachmittag ist Jahrmarkt und viel lustiges Volk um das weiße Kirchlein herum." „An einem solchen Tage konnten die beiden — das Mädchen war überdies fieberkrank geworden — leicht im Kloster gesehen werden. Don Andrea verkleidete also Dschon und Cile als Mouche nnd schickte sie noch am Vorabende des Festtages zu einem Christen, der das Ehrenamt eines österreichischen Dolmetsch in Lesch bekleidete. Der Mann, er lebt heute noch, hielt die Flüchtigen ewige Zeit bei sich, bis dem Mädchen besser ward. Aber anch — 99 — dem Dolmetsch wurde angst und bange vor dem Pascha und nicht minder vor der Wuth und Aufregung der Rechtgläubigen. Er wendete sich also an den Bischof von Kalmeti und der nahm Dschon und Gle zn sich; dieser schickte sie aber bald in das angrenzende?and der Mirditen, wo sie vor den Nachforschungen der Rechtgläubigen sicher sein konnten. Du weißt, Effendi, die Mirditen sind ein wilder christlicher Stamm, der unserem Padischah keine Stenern zahlt, aber dafür im Kriege vier Fähnlein Reiter nnd Fnßtrnppen stellen muss." „Unter den Mirditen fand sich aber ein Verräthcr, der hieß Frano (Franz); der lockte Dschon nach einiger Zeit anf einen Markt nach Dclbenischti. Dschon wurde dort von den Ronoaren ergriffen, vor den Pascha gebracht nnd auf 1.8 Jahre in das Gefängnis geworfen, weil man ihm, ich weiß nicht wie, nachgewiesen hatte, dass er Eile gezwungen habe Christin zu werden." „Mehmed Pascha, der Vali (Gouverneur) in Scntari, ruhte aber nicht. Er hatte bei dem Barte dcs Propheten geschworen, auch der Eile habhaft zu werden nnd sie zn dem Glauben ihrer Vater zurückzufahren. Er ließ einige Monate ins Vand gehen nnd die Sache schien so gnt wie vergessen. Mittlerweile aber hatte Mchmed Pascha einen Verwandten jenes Mirditen Frano, welcher Eile geheiratet hatte, mit Geld, Geschenken nnd vielen Versprechungen zum Verräther gedungen. Frano nnd Cile ließen sich bereden, nach Dschedri, einem Dorfe, das wir auf der Reise nach Scntari berühren werden, zu kommen. Aber sie kamen nnr scheinbar allein, denn eine Schar wohlbewaffneter Mirditen war ihnen nach Dschedri gefolgt." — 100 — „Frano und Cile wurden zwar von den Saptiehs überfallen, aber auch die Mirditen mischten sich in den Kampf. Effendi, es gab eine fürchterliche Schlächterei. Frano wurde erschlagen, Cile nach Scutari gebracht, wo sie in dem Hause des Kadi wieder bekehrt werden sollte. Aber die war schon den Irrlehren der Ungläubigen verfallen und nicht mehr zu retten. Sie kroch in einer finsteren, stürmischen Nacht dnrch den Schornstein auf das Hansdach, sprang fünf Ellen tief auf die Straße herab und ich glaube nicht, dass sie ihre Flucht mit heilen Knochen ausgeführt haben wird. Cile floh auch nicht weiter als in das lateinische Nonnenkloster von Scutari." „Jetzt erst bemächtigte sich eine allgemeine Aufregung der Gemüther aller Rechtgläubigen. Die Oiaurs freuten si ch insgeheim, machten Spottlieder auf uns Mohamedaner, und wo sich ein Mirdite sehen ließ, konnte man gewiss sein, Stichelreden und schadenfrohe Späsfe zu vernehmen. Die Erbitterung einerseits und die Bosheiten andererseits mehrten sich von Woche ;n Woche. Es kam bald in allen Dörfern, wu Mohamednner und Christen sonst friedlich beisammen wohnten, zu blutigen Balgereien und tödtlichen Schlägereien." „Wie Du weißt, Effendi, herrscht unter nns die Blutrache uud gar viele Rechtgläubige wie Ungläubige verfielen damals der Blutschuld und gar mancher Arnaute sank ins Grab, ohne dass er wusste, warnm und für wen. Mehmed Pascha wusste sich schon keinen Rath mehr. Er schrieb endlich nach Stambul und bat um die Erlaubnis , einige Bataillone Asker (Soldaten) in das Mirditenland schicken zu dürfen, weil die meisten Morde — 101 — und Greuelthaten durch Mirditen verübt worden wareu und weil der Pascha glaubte, dass Cile wieder ins Mirditen-land geflohen sei. Die Menschen erschlugen sich gegenseitig von neuem, aber die vielgesuchte Cile hatte mau noch immer nicht." „Endlich hörten wir in Scutari — ich war gerade aus dem Kriege in Kreta heimgekehrt — dass Cile durch die Vermittlung Eures Consnls in Scutari aus dem Kloster nach Stambul gebracht worden sei, weil unser allmächtiger Padischah das merkwürdige Weib doch sehen wollte, welches so viele Tausende ums schöne Leben gebracht hatte. Euer Gesandte iu Stambul legte dann bei dem mächtigen Padischah manch gutes Wort für die schöne Cile ein und die ganze Geschichte wurde noch einmal, von allem Anfange an in Stambul und Scutari untersucht. Dschon entließ man aus dem Gefängnisse und der allgütige Padischah schenkte Dschon und Cile viele Grundstücke und Vieh in Kalmeti, wo sie heute noch verheiratet leben. Ihre Ehe ist mit Kindern reich gesegnet und jeder Fremde, der nach Kalmeti kommt, lässt sich die Geschichte des Dschon und der Cile gerne erzählen." „Du siehst, Effendi, es gibt keinen Streit ohne Weib, wie wir Arnauten sagen," so schloss mein lustiger Tschausch Ismail Aga seine romantische Geschichte, deren Wahrheit mir später der freundliche Bischof in Kalmeti und der österreichische Oeneralconsnl in Scutari bestätigten. 5. NuraM und Mittel Albanien. Die Stadt Durazzo steht an der Stelle des ur-alten Epidamuus nnd Dyrrhachium und war immer einer der wichtigsten Orte der adriatischen Ostküste. Cicero lebte — 102 — hier im Exil, Cäsar und Pompchis schlugen hier zwei entscheidende Schlachten. Unter den wechselnden Geschicken, welche Durazzo nach der Theilung des römischen Reiches und nach d.'r Völkerwanderung erlebte, möge erwähnt werden, dass Dura^o kurze Zeit im elften wie im vierzehnten Jahrhundert ein kleines Herzogthum bildete. Von dieser einstigen Größe und Bedeutung hat Durazzo hellte wohl nicht mehr viel auszuweisen. Die jetzige, echt türkische Stadt hat die Form eines von hohen Mauern eingeschlossenen, im nördlichen Theile bergan-steigenden Dreieckes. Die Bazarstraße zieht sich zwischen dem am Hafen gelegenen Seethore nnd dem ^andthore hin; die übrigen Straßen sind eng, winklig nnd schmutzig — nirgends ein freier Raum nm Luft zu schöpfen, sobald mit anbrechender Nacht die Thore geschloffen werden. Die Stadt hat mit der vor dem ^andthore gelegenen Vorstadt nnr 300 Hänser und eine Bevölkerung von 2000 Seelen, darunter 700 Griechen und 200 Katholiken. Nordwärts der Stadt zieht sich eine Hügelkette, welche mit dem Cap Pali ins Meer fällt. Diese Hügelkette springt etwa 8 Kilometer von der eigentlichen Küsto oor. Sie scheint in der Urzeit eine Insel gewesen und erst allmählich durch Anschwemmungen in eine Halbinsel verwandelt worden zu sein, denn die Sand-ebene, welche sie mit dem Festlande verbindet, ist nur sehr wenig höher als der Meeresspiegel, ^n der Nähe des Hügels ist sie sogar so niedrig, dass das Regenwasser und das bei Stürmen eindringende Meerwasser keinen Abfluss findet und im Winter eine ^agunenkette bildet, welche im Sommer nur allmählich austrocknet, und so die — 103 — Stadt wie deren Umgebung mit Fieberdünsten erfüllt. Bei einer solchen V^age darf es daher nicht wundern, wenn in Durazzo das Fieber heimisch ist, nnd besonders im Spätsommer einen bösartigen Charakter annimmt. Man erzählt, dass in früheren Zeiten ein tiefer, für Galeeren schiffbarer Canal die beiden Buchten verbunden habe, welche heute dnrch die Vorgebirge nord-und südwärts gebildet werden. Die fiidliche Bucht wird nach der Stadt Dnra;;o genannt, dehnt sich im weiten Halbkreise bis zu dem 8 Kilometer weit gelegenen Caft ^aghi ans nnd bildet in ihrem nördlichen Ende die Rhcde der Stadt. Obwohl dieselbe gegen Tnden vollkommen frei ist, so halten sie dennoch die Schiffer selbst bei Sndstnrmen nicht fiir gefährlich. Sie behaupten nämlich, dass dann der Wellenschlag dnrch die Form der Bucht gezwungen sei, auf seinem Wege einen Kieis zu beschreiben nnd dass durch die Wncht des nickkehrenden Wellenschlages die Kraft des eindringenden ermäßigt würde. Die Schiffer betlagen sich daher mehr über den unsicheren Antergnmd, welcher beständig dadnrch verdorben wird, dass die Schiffe ihren Ballast meistens an der/ Stelle, wo sie gerade ankerten, ins Meer warfen. Diesem schlechten Ankergrunde schreiben sie es zn, dass bei einem furchtbaren Oststnrm im Jahre 1846 von 20 Schiffen 16 auf den Strand geschleudert wurden. Alle diese Schiffe, von denen manche drei Anker ansgeworfcn hatten, waren so tief in den Sand der seichten Kiiste gedrückt worden, dass nur ;wei nnter unsäglichen Anstrengungen wieder flott gemacht werden tonnten; die Gerippe der übrigen waren znm Theil jahrelang sichtbar. Obgleich in Durazzo — 104 - uicht das Geringste ;ur Erleichterung der Schiffahrt geschieht, ja uicht einmal die uothdiirftigste Hafenpolizei besteht, so muss gleichwohl jedes abgehende Schiff einen Thaler Hafengeld, und zwar nicht einmal an die groß-herrliche Casse, foudern an die Gesellschaft, welche die Zölle gepachtet hat, entrichten. Durazzo ist, wie fchon oben erwähnt, eine echt türkische Seestadt nnd als solche hätte sie äußerlich wenig Auffallendes oder Interessantes auszuweisen. Um so lieber ergreife ich die Gelegenheit, aus meinen Erlebnissen in Durazzo ein Bild herauszugreifen, das einige interessante Typen aus dem amtlichen und gesellschaftlichen Leben Albaniens enthält. Dieses Bild tritt um so lebendiger hervor, als es durch einen Ungar, also gewissermaßen einen ^andsmann, vermittelt wird, den ich in Durazzo als Dolmetsch benutzte. Körmöczy Mattyus (Mathias) war der Mann, den ich hier meine; er trat nach meiner Ankunft in Durazzo bald an mich heran, ohne dass ich ihn gerufen hatte. Das darf durchaus nicht Wunder nehmen, denn auch in Durazzo wirkt jeder Europäer in der ersten halben Stunde seiner Anwesenheit wie ein unbewusster Magnet auf alle Ortsbewohner, welche jemals irgeud einen Zipfel von Europa gesehen haben — und wäre es auch nur der bei Äudua gewesen. In Scutari erzählte mau mir zwar, dass ich in Durazzo einen few gebildeten Kajmakain antreffen werde, der ganz brillant französisch — fluche, aber niemand bereitete mich anf die Anwesenheit eines alten Ungars, des kleinen Körmöczy Matlyns, vor, der meinem Herzen in Durazzo wirkliches Labsal bereitete. Was er eigentlich dort — 105 - trieb, war schwer herauszubringen; er arbeitet nach der Mehrzahl der erhobenen Aussagen fiir den Fortschritt der Menschen nach dem Himmel nnd auf Erden — er war nämlich Arzt nnd Schuster zugleich. Und das kam so. Körmöcsi) Mattyus, das graue untersetzte Männlein von heute, war «.nno 1848 «tn<1io8U8 insäloina« in Pest, daun aber einer der schmucksten Husaren gewesen, welche das gesegnete Csongrader Comitat der Insurrections-armee geopfert hatte. Er wurde nicht müde, mir von den Schlachten bei Küpolna, Isaszeg, Szent^Taums, Schäß-burg und allen andern, die er nicht mitgemacht hatte, zu erzählen. Hei, wie da nach seinen Schilderuugeu die Kaiserlichen und Russen flohen, wenn sie auch nicht dabei und die Insurgeuten die Geschlageueu waren! Aber patriotische Gedächtnisfehler verzeiht mau einem Landsman» gern, wenn er so lauge als Arzt und Schuster in der Emigration lebeu musste, wenn er nur einmal alle fiiuf Jahre, und das nicht zum Zeitvertreib Körmöczy Mcsi's, je einem Europäer begegnete. Mein Reisezweck führte mich aber nach Durazzo, und so bat ich ihn, mir bei dem Kajmakam Dschemil Effendi den Dolmetsch zu macheu. „Ah, das wäre eigentlich gar nicht nöthig, Magni-fice," meinte er unter Hinzufüguug der uormarzlich magyarischen Titulatur, „Dschemil Effendi ist ein sehr gebildeter Mann, der ganz ausgezeichnet französisch spricht, wie die Türken und Walachen behaupten — freilich Leute, welche diese Sprache ebensowenig verstehen, wie ich," fügte er lächelnd hinzu. „Sicher ist sicher," bedeutete ich Herrn von Körmo'czy auf Grund der Erfahrungen, die ich mit angeblich — 106 — franzosisch jprechenden Türken gemacht hatte — und wie ein Glockenschwengel humpelte der gemüthliche Alte neben mir daher, die Hiinde ans dem Rücken, fortwährend an seine Erlebnisse nnd Lebensschicksale anknüpfend, die ihn endlich nach Duva;;o gebracht hatten. „Nach der Revolution floh ich bis Constantinopcl und daun mit Kossuth Lajos nach Kutahia. Bitter genug schmeckte das C'iuigrantenbrot von einem heidnischen Volke, das alle unsere Volkslieder als Räuber und Bedrücker bezeichnen," — versicherte Kör-möczy Mattyus, der damals uou einem russisch-türkischen Kriege freilich noch kcine Ahnung haben konnte. „Eiuige zeillaug schenkte man den Emigranten," erzählte er weiter, „was sie brauchten, aber bald mussten wir doch auch an den eigenen Erwerb denken. Ich kramte alle medicinischen Kenntnisse alts der Studienzeit in meinem Gedächtnisse zusammen, denn ich hatte etwas mehr als ein Universitätsjahr absolviert — nnd wurde Arzt in Kutahia. ^'ie lachen, Magnifice," sagte der redselige Alte, „nnd glauben, dass ich dort mehr Menschen umgebracht habe, als irgend eiu diplomierter Arzt in Pest oder Wien. Aufrichtig gesagt, es war nicht viel Gelegenheit dazu. Der Türke ist im ganzen ein gesunder Kerl und klug genug, sich einen gebildeten nnd anspruchsvollen Arzt zu — ersparen. Er speculiert nämlich so: „Hilft Allah, fo brauche ich keinen Arzt — und hilft Allah nicht, so hilft ein Gianr als Arzt noch weniger." Freilich halten sie sich nicht strenge an diese einfache Regel, besonders wenn die Schmerzen zu arg werden; aber da thut's ein Derwisch oder eine Curpfuscherin auch, und so hat der europäische Arzt in der Türkei immer Unrecht." — 10? — „Da waren Sie also mit Ihrem Medicinerlateiu sehr bald zu Ende," warf ich mitleidsvoll ein. „Bald, bald — und denken Sie, was mir noch dabei passierte. Ich hatte einen Armenier, die durchtriebenste und niederträchtigste Seele ans der Welt, zum Diener. Nach wenigen Monaten hatte er nicht nnr meine gesammten medizinischen Kenntnisse, sondern auch meine Hausapotheke stückweise sich angeeignet nnd icb zählte bald in Kntahia durch ihn einen Collegen nnd Concurrents mehr. Nebstbei verlegte er sich mit Ei folg ans die unbeschränkte Anwendung der türkischen Hausmittel, wogegen ich mit meiner europäischen Arzneikuust bald auf dem Trockenen saß. Doch, Sie wissen ja, dass der Ungar nie zugrunde geht, weil er seineu eigenen Herrgott hat. Unter den ^andslenten, die mit mir und Kossutli öajos nach Kutahia kamen, befand sich auch ein braver, deutscher Schnstermenter aus Temes-var, und weil mein Großvater etwas 'Ähnliches war nnd ich als Leibarzi der gcsnnden ungarischen Handwerkercolonie in Kutahia nichts verdiente, so fetzte ich mich zn dem ^ands-mann hiu und lerute das ehrsame Schusterhandwerk. Ich blieb zwar zeitlebens nebenbei anch Arzt," setzte der Alte abwehrend hinzu, «aber, wenn ich die Wahrheit gestehen soll, nur die Schusterei allein, die ich der Neihc nach in Stambul, Salonich, Valona und hier prakticierte, hat mich vor dem Verhungern gerettet. . . ." Mittlerweile waren wir vor dem Amtsgebäude angelangt, wo der Kajmakam gerade ein Medschlis abhielt. Der Mcdschlis ist eine ganz eigenthümliche Einrichtung und durch die einfache Übersetzung des Wortes mit „Rath" nicht deutlich zu machen. In Durazzo bildeten ihn Dschemil — 108 — . Effendi, der Kajmakam; Hadschi Daud, der Richter; Deli Nedschib, der Zehentpächter; Hussuli Aga und Pa-ftasoglu, als Vertreter der mohamedanischen und kuzo-walachischen Bevölkerung von Durazzo. Sie saßen so der Reihe nach auf dem Divan im Amtssaale des Konak, wie ich sie aufgezählt habe; Dschemil Effendi, der Kajmakam, obenan an der Schmalseite des Saales, Pa-pasoglu, der Zinzare, im letzten Winkel. «Dnjurun!" — „Belieben Sie!" — sagte der Kajmakam, der einen europäischen Salonrock trug, zu mir, als ich ihm das vom Großvezier gefertigte Schreiben überreichte. Indem er grüßend Mund und Stirne nur leicht berührte, fügte er noch ein „Voioi!" hinzu und deutete auf den Platz zu seiner Linken, wo ich mich freundlich niederlassen möge. Körmo'czy Bücsi, von allen Räthen mit verständnisinnigem Lächeln empfangen, aus dem eher liebevoller Humor als allgemeine Verehrung sprach, setzte sich so bescheiden und behutsam als möglich zu meiner Liukeu. Kaum hatte Dschemil die ersten Zeilen des Ve-zieralschreibens gelesen, so reichte er mir freundlich lächelnd seine Dose mit Cigarelten hin und klatschte in die Hände nach dem Diener, der hierauf für die ganze Gesellschaft schwarzen Kaffee zu bringen hatte. Der Secretär, ein buckliges Männlem, wackelte bald über den krachenden Fußboden herein, notierte das Vezieralschreiben auf einem Stück Papier in der flachen Hand und zog sich dann ehrerbietig in seine Kammer zurück. „Vilinsm türkwoky?« (Sprechen Sie türkisch?) — fragte Dschemil Effendi, und als ich „Lir a» 6Ü6N-äim," (Ein wenig mein Herr) antwortete, stolperte — 109 — er rasch mit einem „?ari62-v0ii8 kramMs, Nonsikui-; ^'stg,i8 oinc^ 8Sinain68 ä> I^Äi-is!" heraus. Unter dem Eindrucke der nicht ganz musterhaften Aussprache dieser Anrede antwortete ich zwar in der Sprache Voltaire's, aber ich ersuchte dennoch Ko'rmöczi B^csi, mir den Dolmetsch zn machen und dem Kajmakam außer den Gefühlen meiner tiefsten Ergebenheit auch den wissenschaftlichen Zweck meiner Reise darzulegen. Die Gefühle begleitete er mit anerkennendem Kopfnicken und den Zweck mit einem wissenschaftlich bewnssten Ernst, der selbst einen europäischen Unterrichtsminister wohlgekleidct hätte. „?ai'i8, «'ß8t U.N6 5r68 Iikiik villö, N/68t-06 PK8? ^s'stai» «iiit^ 86N1MN68 ä. ?Äii8! ^s'gis 6ori^ ^)0U,I' IS Nonicdil-!" versetzte Hierauf Dschemil Effendi, nach Überwindung einiger linguistischer Hindernisse nnd Zwischenpausen. Ich hatte also einen vollkommenen Iungtnrken wr mir. Der „Mukbir" war nämlich das Organ der sogenannten „Min6 I'ai'^nis", welches anfänglich in Stam-bul und nach seiner Suspension, dein berühmten Groß-vezier Ali Pascha zum Trotz,, in Paris erschienen war. Dschemil Effendi, der gewiss erst nach einigen Proben bethätigter Neue und Buße sein Amt in Durazzo erhielt, dürfte bis heute schon einigemale ein dein Sultan treuergebener Pascha da und dort geworden sein. Mir gegenüber schien ihm jedoch, wenn er auch für den „Mntbir" gewiss niemals eine Zeile geschrieben hatte, dennoch die Gelegenheit geboten, sich als „Iungtürke", als besonderer Freund und Verehrer des fränkischen Europa darzustellen. Er gehörte auch ohne Zweifel dieser Partei __ ^10 ,__ an, die außerhalb der Türkei nach ihrem Werte und uach ihrer Wirkung seither überschätzt worden ist. Man hat in Europa von den Inngtürken, von ihren Phrasen und Versprechungen allerlei dauernde Reformen erwartet, ohne dass sie auch nur ein einzigesmal Wort gehalten Hütten. Wer in den Orient psychologisch tiefer hineingeblickt hat, wird die Iungtürken als eine Schar leichtfertiger, französisch verbildeter und verdorbener Individuen kennen gelernt haben, während die als reactionär verschriene Partei der „Alttürken" oft aus den achtungswertesten und begabtesten Männern besteht. Der Alttürke ist allerdings conseruatw und nn-wissend, sein Ideal die Herstellung aller alten patriarchalischen Verhältnisse, die Fernhaltung eines jeden auswärtigen Einflusses und die Regeueration der Türkei durch sich selbst, selbst wenn die Ertheilnng von Concessionen au die Rajah uothweudig werdeu sollte. Die Alttürken sind also jedenfalls fortschrittsfeindlich, aber es gibt doch ganze Charaktere unter dieser Partei, während das Cha-rakteristicum der Iuugtürken die persönliche Charakterlosigkeit ist. Der vielgerühmte Großvezier Ali Pascha gehörte zur alttürkischcu Partei und war gnvisö einer der einsichtsvollsten Staatsmänner der Türkei nnd ein Mann, der sein 3aud gründlich kannte . . . Der Medschlis in Durazzo hatte auch seinen Alttürken, nämlich den mohamedanischen Ortsrichter Hussuli Aga, der einen weitaus sympathischeren Eindruck machte, als Dschemil Effendi, der europäisch verbildete Fortschritts-mann. Während Hussuli Aga auf beiden gekreuzten Beinen saß, mit größter OemMhsnche den Rauchwolken aus dem langen Tschibuk filmenden Blickes folgte nnd — Ill — den schwanen Kaffee behäbig schlürfend, so wenig als möglich zu seinem Nachbar, dem Zehenlpächter, sprach — ließ der Kajmatam eines der Beine „liberal" über den Divan herabhängen, rauchle eine Cigarette nach der andern, doch jede m:r zur Hälfte, richtete in neruöser Unruhe, immer höhnisch lächelnd, an jedermann von der Gesellschaft einige Worte, wobei ich von den „cmuj 36in!uii68 i», I^ri^' wiederholt nnd nicht wenig zu leiden hatle. Was Dschemil Effendi in „Europa" gelernt hatte, zeigten sein liebenswürdiges Benehmen, seine etwas schadhaft französischen Wendungen nnd sein kränkliches, hohläugiges Aussehen. Der stille Hussnli Aga hasste ihn gewiss und iu dessen verächtlichen Mienen schien, so oft der Kajmakam ein Wort sprach, ein Fluch, wie „Giaur!" für den Entarteten bereit zu liegen. Hadsän Dand, der Kadi (Nichter) des Bezirkes von Durazzo, war wieder ein Typns für sich. Als Melta-pilger und strenger Kenner des Koran sprach er sein Schuldig nnd Nichtschuldig bald nach den Satzungen, bald nach den Vermögensverhältuissen und eiuflnssreichen Verbindungen des Angeklagten oder beider streitender Parteien — wie es gerade der Fall mit sich brachte. Das weiß jedermann, der einen Nechtshandel in der Türkei auszntragen hat. Ans dem Munde des Kadi mit dem weißen Turban, graumelierten Bart und dunklen Kaftan spricht ja nur der Koran, wer auch von den Streitenden und Angeklagten Necht haben mag. Kein Meusch in Durazzo ist darüber empört, wenn ihm der fanatische Schriftgelehrte mit dem stechenden Blick, Hadschi Daud, Unrecht thut. Er merkt sich das für ein andermal und — 112 — kommt dann dem Fassungsvermögen des weisen Nichters mit einem Schäfchen, einem Getreidesack oder sonst einem erheblichen Wertgegenstande zuHilfe. „In8HMg,k!" sagt der echte Türke — „der Kadi ist eben nicht anders und ich kann ihn nicht anders machen!" Aber alle diese Menschen sind wahre Lämmer gegen Deli Nedschib, den Zehentpächter. Deli Nedschib, was so viel sagen will als der wilde Nedschib, ist der Blutsauger nnd barbarische Türke aus der Familie der Baschi-Bozuks ; er ist der Schrecken aller Christen und nicht minder auch der steuerrückständigen Mohamedaner. Er hat den Zehent von der Negiernng gepachtet, nnd wenn die Ernte vorüber ist, zieht er, von Saptiehs und bewaffneten Dienern begleitet, von Ort zu Ort und treibt die Steuer ein, herzlos nnd rücksichtslos, denn er hat keine Zeit, jedes Dorf auf der Rundreise zweimal zu besuchen. Die Saptiehs, wohlgewonnen durch einen tüchtigen Batschisch, wissen seine Forderungen mit vollem Nachdruck zn nnterstiitzen, selbst wenn er eines verarmten Dorfes wegen ein anderes höher besteuert. Der feiste Deli Nedschib mit dem glänzenden Waffenmagazin im Gürtel, hat ja den Zehent nicht gepachtet, um die Lage der Banern zn erleichtern. Znr Zeit der Stcuereintreibung stießt zwar manche Thräne, mancher Blutstropfen, aber Deli-Nedschib hat so lange Recht, als er seinen Zehentpacht dem Kajmakam bezahlt — und wieviel davon nach Stambul kommt, ist am Ende nicht seine Sache. Der wilde Nedschib ist weit uud breit angesehen und gefürchtet, denn wenn man die Anhöhen östlich von Durazzo besteigt und Umschau hält, erblickt man nur — 113 - Tschifliks lMeierhöfe) und Äcker, die Nedschib als ^ehens-herrn oder Pächter gehören. Der bedauerlichste Mensch im Medschlis von Durazzo ist Papasoglu, der halbenropäisch gekleidete Zinzare mit dem Fes und Leibgürtel aus färbigem Tuche. Er schweigt stets, scheint wenig beherzt, und wenn er den Rosenkranz^ mit dem Kreuz daran, etwas lärmender durch die Finger gleiten lässt, so ist das gewiss der einzige Lärm, den er sich unter dieser vornehmen Gesellschaft, und auch nur aus angeborener Gedankeulosigkeit, gestattet. Er ist ziemlich reich und nur darum sitzt er im Kreisrathe; aber wie reich er ist, darf niemand wissen — wer weiß, was für unruhige Zeiten kommen könnten. Niemand hasst oder verachtet den kuzo-walachischen Kaufmann Papasoglu, nicht einmal der barfüßige Saptieh an der Eingangsthür des Saales würdigt ihn eines Blickes, denn Papasoglu sitzt immer in der letzten Divauecke —ein stummes Jammer-' bild seines eigenen Volkes. . . . Bevor wir Durazzo verlassen, sei noch des Handels gedacht, den das Hafenstädtchen mit der Außenwelt, führt. Die meisten Handels-Verbinduugen hat Durazzo mit Trieft und den dalmatinischen Häfen, denn der Verkehr mit allen südlicher liegenden Seestädten oder mit der östlichen italienischen Küste, ja felbst mit den nördlichen Häfen von Albanien, ist im höchsten Grade unbedeutend. Der Betrag des österreichischen Gesammthandels mit Durazzo schwankt jährlich zwischen 900.000 nnd 1,000.000 ft., wovon jedoch die größere Hälfte auf die Ausfuhr von Durazzo nach Österreich kommt. G. v. Gyurl°vlcs, Albanien. 8 — N4 — In Durazzo selbst, noch mehr aber in den ost- nnd südwärts gelegenen Ortschaften, tritt ein neues, in die große albanesische Rasse eingesprengtes nationales Element auf, das zu den interessantesten ethnographischen Erscheinungen der Baltanhalbinsel gehört. Es sind dies die sogenannten südlichen Walachen, auch „Kuzo-Walachen" oder „Ziuzaren" genannt. Sie sind ein romanischer, den Rumänen nahverwandter Volksstamm, ohne mit diesem in directer Berührung zu stehen. Wie dieser etwa eine halbe Million Seelen zählende Volksstamm nach dem Sudwesten der Balkanhalbinsel geriech; ob nicht der Umstand, dass sie längs der ehemaligen, von Rom nach Constantinopel und nach Athen fuhrenden Heerstraßen in größeren oder kleineren Colonien auftreten, auf ihren Ursprung als Abkömmlinge römischer Handels- und Militärcolonien hinweist — darüber, wie über andere Hypothesen, hat sich die Wissenschaft noch nicht mit Bestimmtheit aussprechen können. Der Name Kuzo-Walachen ist eigentlich ein Spottname, Her soviel als „hinkende Walachen" bedeutet. Den Namen Zinzaren führen sie wegen ihrer Aussprache der Zahl 5 niit „niiix" statt nut dem rumänischen tkcMnt^li. Alle „Zinzaren" zeichnen stch durch hervorragende Rührigkeit und Austelligkeit aus. Es gibt sesshafte Zinzaren und viehzuchttreibende ; letztere führen ein ausgesprochenes Nomadenleben, und ihre Bezeichnung „Tschoban" (Hirte) deutet schon darauf hin. Ihre Herden treiben sie im Sommer auf die kühlen Höhen, im Winter in das Flachland. Ihre Weiler stehen im Sommer fast ganz leer, da nur einige Familien zu ihrer Bewachung zurückbleiben; der Auszug findet immer mit der größten Feierlichkeit statt. Die „Tschobans" betreiben — 115 — die Viehwirtschaft am Pindns vielleicht schon seit einem Jahrtausend und sie sind auch durch den Reichthum ihrer Schafherden in ganz Rumelien stets berühmt gewesen. Neben der Viehzucht wird der Ackerbau von den Walachen nur zur Noth gepflegt. Um so größere Betriebsamkeit entwickelte das Völkchen seit jeher auf industriellem und commerciellem Gebiete. So verfertigen die Pmdus. Walachen in Süd-Albanien prächtige, mit Gold und Silber eingelegte Waffen; sie erzeugen ferner Becher und Gefäße aus Edelmetall, sie sind vorzügliche Schmiede und noch viel tüchtigere Baumeister, als welche sie weit und breit gesucht werden. Vor dem Erscheiuen der Türken gab es in Mittel-Albanien ein förmliches waluchisches Culturcentrum, das steingebaute Wozkop zwischen Berat und Djortscha. Es hatte etwa 10.W0 Häuser, eine blühende Industrie und lebhafte Handelsbeziehungeu; auch hatten die Walachen dort sogar Pressen und gedruckte Bücher. Später, unter türkischen und albanesischen Einflüssen, gieng der Ort so rasch zugrunde, dass er bereits zu Beginn unseres Jahrhunderts seine Rolle ausgespielt hatte. Heute ist Moskoftolis (Wozkop) nichts weiter als ein unbedeutendes Dorf von etwa 1200 Seelen. An seine Stelle als Walacheu-Hauptstadt trat Mezowo mit seinen 1W0 reinlichen und soliden Häusern, auf der Scheitelhöhe des Pindus-Plateaus gelegen. Nicht minder rUhrig zeigen sich die Walachen als Kaufleute, und zwar weisen sie nicht nur unbedeutende Krämer aus, sondern auch Weltfirmen, wie die rühmlichst bekannten Namen Sina, Dumba, Tirka neben zahlreichen minder bekannten, bezeugen. Durch die cmgeborne Wan- 8* — 116 — derlust und sein Accommodationsvermögen hat der Zinzar freilich den Nachtheil, dass mit der Zeit seine nationalen Eigenthümlichkeiten verwischt werden und er das Wesen jenes Volkes annimmt, mit welchem er hauptsächlich verkehrt. Bei dem Griechen tritt noch das begünstigende Moment hinzu, dass dieser mit dem Ziuzaren das Glaubensbekenntnis gemein hat, wodurch auch eine gewisse nationale Zusammengehörigkeit gefördert wird. Im übrigen aber hängen die Pindus-Walachen, wie alle Gebirgsbewohner, zähe an ihrer Heimat. Viele von denen, welche in jungen Jahren in die Fremde zogen, kehren später wieder heim, um in der heimatlichen Erde ein letztes Ruheplätzchen zu finden, wie ihre Heimgegangenen Väter. Die nächstgelegene Zinzaren - Colonie bei Durazzo ist mit 1000 Seelen in dem überaus freundlichen Tirana (20.000 Einw.) zu finden. Dieses Städtchen besticht den Reisenden nicht nur durch seine Nettigkeit und schöne Lage, sondern auch durch den Menschenschlag, welcher hier wohnt, und für den rührigsten, aber auch für den verschmitztesten des albanesischen Mittellandes gilt. Die Felder, Gärten und Pflanzungen sind fieißig bestellt und die letzteren meist gut umhegt. Die Menschen sind gut und reinlich gekleidet; das Vieh wohlgehalten und in den meisten Dörfern der Umgebung finden sich zweistöckige, steinerne Hänser, in welchen es recht sauber aussieht. Nirgends zeigen sich Spuren von Armuth oder Eleud, namentlich aber wurde ich durch die Stadt selbst überrascht. Ich erwartete ein finsteres, schmutziges Nest und fand einen sich über eine wasserreiche Ebene ausdehnenden, garten- und baumreichen Ort, dessen nähere Betrachtung zu der wohlthuenden Überzeugung führt, dass — 117 — hier niemand darbt noch hungert. Dnrch die Straßen laufen in den Pftasterrinnen zwei kleine Bäche, welche, wider jeden orientalischen Brauch, allen Unrath mit sich fortschwemmen. Die buntbemalten, in freundlichem Stile gebauten, mit Pappeln und Cypressen umgebenen Moscheen, wie der hübsche Rococo-Thurm der Stadtuhr vereinigten sich mit dem regsamen Treiben der Menge zu so originellen Bildern, wie man sonst nirgends in Albanien anzutreffen vermag. Dass die Frauen der Umgegend frei auf dem Bazar verkehren, kaufen und verkaufen, konnte nicht auffallen, deuu dies geschieht überall. Was aber sonst nirgends zu sehen ist, waren ganze Reihen von Frauen in der Kleidung städtischer Türkinnen — und darunter manch junges Gesicht — welche, auf den Stufen der Moscheen oder längs der Mauern sitzend, Weißzeug und alte Kleider verkaufte«. Gauz einen entgegengesetzten, aber ebenso interessanten Eindruck macht das kleine nnd echt orientalische Pekinj — das man ein altes, oder vielmehr ein veraltetes TUrlenstädtchen nennen könnte und das gerade wegen seines charakteristischen Aussehens, das mit dem Zerfalle des türkischen Reiches anderwärts immer seltener wird, eine eingehende Schilderung verdient. Schon das Stück Weges, der von Durazzo nach Petinj führt, gehört der Via Egnatia, der uralten, gepflasterten Römerstraße an und erweckt so die verschiedensten Erinnerungen. Zwischen den glatten Steinen derselben wächst schon seit Jahren Gras, an dem die abeuds von der Weide heimkehrenden Ziegen naschen, worauf sie noch zur Tränke zu dem moosbedeckten Brunnen gehen, den ein — 118 — Scheit während der Kriegsfahrten des großen Bajasid gestiftet haben soll. Auch das erste Häuschen zur Rechten am Eingänge von Pekinj, wie der Brunnen gegenüber, scheinen uralt zu sein. Die fromme Inschrift ober der Hausthüre in blassgelben Zügen, auf blauem Grunde, enthält nur die drei Buchstaben ?. 8. N., deren Bedeutung nach irgend einer Sure nur Allah selbst kennen soll. Der Imam, der Ortsgeistliche von Pekinj, wohnt in diesem Häuschen seit Menschengedenken und ebenso lange ist es her, dass auf dem rothen Dachgiebel der Scheune alljährlich ein Storchenpaar sein dorniges Nest baut. Aber Pekinj ist, wie gesagt, nicht so sehr ein altes, als vielmehr ein veraltetes Städtchen. Es sieht aus, als ob die dortigen Häuser und Menschen nicht alt geworden, fondern immer alt gewesen wären. Dem graubärtigen, diirftigen Manne, der an der nächsten Lehmhütte den eisernen Thürklopfer auf die morsche Pforte fallen ließ, öffnet ein noch alterer Mann und in aller Stille fällt nach einem „Hosok Fßläini»!" — „Gebenedeit sei Eure Ankunft!" — die Hausthüre in die hölzerne Angel; es ist wieder ruhig nnd still, als ob niemand in der Hütte wohnen würde. Ich besehe mir den alten Thürklopfer mit dem byzantinischen Bandmuster; ein heiserer Haushund knurrt an der untersten Thürspalte und ich stolpere über das Pflaster weiter, das einem ausgewaschenen Flussbett gleicht, in die nächste dämmerige Gasse hinein, wo der Bazar beginnt. Während in anderen Städten an solcher Stelle das bunteste Leben sich regt, herrscht in diesem Bazar dieselbe Ruhe, wie in der letzten Seitengasse von Pekinj. Das — 119 — ist allerdings nicht so sehr die Ruhe der Rninen, als die Stille der Zufriedenheit und Bedürfnislosigkeit zugleich. Man spricht nnr ungern ein lautes Wort auf der Gasse, denu durch die Rahmeu der dunklen Fenster würde ein Turbankopf nach dem andern: „^6 ist^r-»inis?" — ,Was wünscht Ihr?" — rufen. Man muss hier, gleich den Türken, den Oleichmulh der Rede und Gesinnung bewahren, ob man den alten Bazar^ die bescheidene Moschee oder den offenen Friedhof betreten hat. Der Bazar in Pekinj sieht nicht viel anders, aber doch viel alterlhnmlicher aus, als ein Bazar in anderen Städtchen von gleichem Range. Ein Perkaufsladen reiht sich nischenartig an den andern, und wenn auch die stützenden und tragenden Sparren keine dauernde Sicherheit zu versprechen scheinen, so liegt wohl nicht viel daran. Sie thun ja ihren Dienst seit Menschengedenken und das ist mehr wert als die Weisheit irgend eines „fränkischen" Architekten. Es herrscht ein heimliches Dunkel in der Gasse,, denn ein dichtes Dach von wilden Weinranken ist von einer Bazarfronte zur anderen gespannt. Von vielen Sonnenstrahlen dringt kanln eiuer zwischen den grünen Blättern durch und macht dann seinen Weg von den glatten Pflastersteinen bis zu den glänzenden Silbersachen m einem odcr dem anderen Dutjan (Laden), wo Kaufleute und Käufer auf gekreuzten Beinen sitzen — ein echterTitrke-neben dem andern. Der nächste Laden gehört einem langbärtigen Os-wanen, der alles zu bieten vermag, was das Herz des — 120 — Rechtgläubigen erfreut. „Sulejmau Aga, gebt mir eine Pfeife," ruft ihm ein geblickter Greis zu, „ich bezahle sie Euch bei Gelegenheit." Sulejman lächelt, greift, ohne aufzustehen, in die staubige Schublade, langt eine roth-thönene Pfeife heraus, wirft sie dem barfüßigen Alten zu, ruft ihm ein gutmüthiges „66t«o1iini8o1i oia!" — „Gut, dass es vorüber ist" — nach, und raucht dann seinen Tschibuk weiter, als ob ihn niemand gestört hätte. Sulejman macht sich keine Gedanken darüber, ob er heute oder morgen etwas verkaufen oder gar gewinnen wird; er ruft keinem Borübergehenden zu, in seinen Laden zu treten, er ist sogar im Stande, eiueu Shawl zu verleugnen, wenn ihm der Käufer missfällt. „Aber die rothen Fransen, die dort oben aus dem Papiersäckchen heraushängen, gehören einem Shawl an, wie ich ihn brauche!" sagt vielleicht der Käufer. — „.Ink" — „Nein" — sagt Sulejman, indem er den Kopf hebt und mit der Zunge fchnalzt, „das ist nicht der Turbanshawl, wie Du ihn brauchst," — und dem Käufer bleibt nichts übrig, als in den nächsten Laden zu gehen. Sulejman aber harrt des Käufers, drr ihm gefallt oder den ihm Allah nach seiner Meinung befchieden hat. Sulejmaus Großvater war schon in demselben Laden Messen, ohne ein reicher Mann geworden zu sein — woran ia übrigens ein echter Osmaue niemals zu denken pflegt. Dieser überlegt weder den Wert der Ware, noch die Aussicht auf Gewinn oder Verlust; er schlägt die Ware desto höher an, je besser sie ihm selbst gefällt, denn der Geschmack des Käufers geht ihn blutwenig an. Sulejman hat zwei Häuschen im Orte und ein paar Stück Feld, aus deren — l21 — Erträgnis er sein Auskommen findet. Er betrachtet seine Anwesenheit im Bazar vom Standpunkt einer noblen Passimi und wenn Allah wochenlang keinen Käufer sendet und er das ganze Warenlager wieder seinem Sohn vererben miisste — was liegt daran? Er als stolzer und wohlhabender Mann kann im Bazar zum Zeitvertreib sitzen, zumal man dort alles erfährt, was in Pekinj und in der ganzen Welt geschieht. Der Saptieh kommt aus dem Konak und erzählt für eine Schale schwarzen Kaffee, was der Mudir verordnet, wie der Kadi geurtheilt, wann ein neuer Pascha nach Scutari oder Monastir kommen wird. Von weit und breit kommende Reisende passieren gerne den Bazar und ein Derwisch oder Kiriadschi (Pferdetreiber) erzählt um eine Handvoll Tabak alles, was von Scutari bis Adrianopel geschehen sein — könnte. Sulejman glaubt ihnen nicht alles; er tennt den Lauf der Welt und die Zunge der Menschen so gut, wie die seinige, die auch unter zwei kleine Wahrheiten vier große Übertreibungen zu mischen pflegt. In den: nächsten Laden, dem des würdigen Sulejman gegenüber, bietet ein anderer seine Schätze der Damenwelt zum Verkaufe. Er nimmt es schon genauer mit Geld und Gewinn, er ist weit gefälliger und geschmeidiger, als sonst irgend einer im Bazar. Und wenn die tief vermummte Türkin, welche gerade in seinen Laden tritt, nur einen blau und weiß gewürfelten Perkail oder einige Ellen von dem Kattun kaufen will, den unsere europäischen Großmütter vor fünfzig Jahren trugen, so versäumt er es nicht, ihr alle seine Schätze des Ladens mit der bekannten, bilderreichen Beredsamkeit des Orientalen anzu- — 122 - preisen. Wie schön sind doch die rothen Tischtücher mit den gelb gestickten Blumen und Koranversen; die blauen oder weißen, mit Gold- oder Silberfäden gestickten stiffen und Pantoffel; die buntgestreiften Schärpen und farbensprühenden Streifen aus dem alten Phönizierlande, die rauhen und mattglänzenden Seidenstoffe aus Brussa und dem romantischen Libanon. Aber sie kauft derlei Sachen ebensowenig, wie d'e schönen und dauerhaften Stoffe aus Europa, die „fränkischen" Nippsachen ans Perlmutter nnd Schildkrot, die Halsschtnire aus Bernstein, die Ringe aus falschem Golde und die Geschmeide aus falschen Edelsteinen, welche der spitzbübische Häudler in Durazzo für echt ausgegeben hatte. Die schwarz vermummte Tiirkiu kauft heute nur zwei Schmmttiegel und eine Schachtel Henna, um ihre Nägel und Fingerspitzen dunkelroth zu färben. Und so geht es dem Modehandler im Bazar von Pekinj fast jedesmal, wenn Frauen in seineu ^aden kommen. Vor jeder kramt er seine veralteten Muster, vergilbten Stoffe und verstaubten Nippsachen heraus, aber sie bleiben immer wieder liegeu, denn unser Pekiuj ist ein veraltetes und ein verarmtes Städtchen, in dem es oft genug an Geld zum täglichen Maisbrot fehlt. Der Modehändlcr könnte von dem Erträgnisse seines Ladens nicht leben, wenn er nicht, wie der Saraf (Geldwechsler), am oberen Ende des Bazars ein geheimes Nebengeschäft hätte. Beide bilden eine Art geheimer Agentur des Mudirs von Pekinj und durch sie erfährt dieser alles Neue und Nichtige, was in seinem Bezirke vorgeht, insoweit die — infolge eines Bakschisch nicht überall gegenwärtige — Localpolizei nicht alles zu erfahren und — 123 — zu belichten vermag. Die Bezeichnung „geheime Agentur" darf man nicht ganz europäisch ernst als geheime Polizei nehmen, denn was sollte unerhört Strafwürdiges in einem so friedlichen und bedürfnislosen Städtchen wie Pekinj geschehen? Und haben die würdigen Türken von Pekinj wirklich einmal etwas an dem Bezirksvorstand auszusetzen, so wissen sie in den Hütten, Kaffeebuden, wie im Bazar, so stille zu reden, dass weder der Modehändler, noch der Geldwechsler etwas erfährt. Das wissen die Mudire und Kadis auch, welche in Pekini ebenso rasch aufeinanderfolgen, wie an anderen Orten des türkischen Reiches und die beiden geheimen Agenten haben darum vornehmlich mit den persönlichen Bedürfnissen der Männer vom Stande zu thnu. Der Geldwechsler, seines Zeichens ein spanischer Jude. ist auch Oeldleiher und der Modehändler sorgt für das Tägliche aller Beamten, das er ihnen leihweise zu vermitteln weiß, wenn monate- oder jahrelang die Gehalte ausbleiben. Ob diese Art Agentur etwas einträgt, weiß ich nicht; nur erinnere ich mich, vom Mülasim (Lieutenant) der Zaptiehs gehört zu haben, dass der Geldwechsler in seinen bisherigen Geschäften noch keinen Para — welcher Betrag einem bescheidenen Zehntel eines Kreuzers gleichkommt — eingebüßt haben soll. Der arme, einäugige Gendarmerie-Lieutenant hat wahrscheinlich aus Erfahrung gesprochen. In der Mitte des Bazars sorgt man für das leibliche Bedürfnis der Bevo'lkeruug. Zur Linkcu hängen in einem ^aden ein paar Hammelskeulen — ich glaube nicht, dafs der dortige Fleischhauer täglich schlachtet — zur Rechten wird in einem geräumigen, mit Strohmatten belegten — 124 — Laden Kaffee gebraut. An dieser Stelle herrscht auch ein weit regeres Leben als anderswo im Bazar; die Menschen scheinen hier etwas gesprächiger und anspruchsvoller zu fein. Wahrend man in den Gassen Mühe hat, einer menschlichen Seele zu begegnen, herrscht an der Fleisch-und Kaffeebude im Bazar beinahe ein bescheidenes Gedränge, das freilich zum großen Theile durch gewisse unvermeidliche Bazarbewohner, durch die grauen und gelbbraunen Stadthunde, verursacht wird. Der Fleischhauer, der lauteste Mensch des Städtchens, weiß zwar jedes Hammelstitck zu verwerten, aber für die Hunde, die jedermann und niemand gehören, fällt doch ein Bissen oder Knochen ab, den auch der ärmste Osmane verschmäht. Der Luxus, sich öffentliche Hunde zu halten, erspart dafür den türkischen Städten die weit kostspieligere Einrichtung der Straßensäuberung durch Meuschenhand. Ab und zu kann man in türkischen Straßen wohl einer Katzenleiche und kleinen Witzen begegnen, aber im allgemeinen sorgen die Hunde ziemlich gründlich und freiwillig für die öffentliche Reinlichkeit. Und am Ende kann weder Christ, noch Mo« hamedaner dafür, dass sich Hunde und Katzen auch nach dein Tode nicht vertragen können. Plötzlich wird es mäuschenstille im Bazar . . . Der Ezzan (Gebetrnf) ertönt von den Zinnen des Minarets; der greise Muezzim rnft von der alten Moschee mit heiserer Stimme: „1^ ^IIa,Ii, II ^II^,,!" und gleich darauf ertönt von der Dschami, am entgegengesetzten Stadtende, derselbe gedehnte Ruf: „Es ist nur ein Gott, ein einziger Gott!" Niemand schreitet mehr durch die Gassen; jedermann richtet seinen Gebetteppich zurecht und — 125 — tiefste Frömmigkeit ist der einzige Pulsschlag des Lebens in einem solchen Nngenblicke. Alles kniet in der Richtung gegen die Kaba nieder, kreuzt die Arme vor der Brust, berührt, sich verneigend und Gebete mnrmelnd, mit der Stirne den Boden. Der Name Allah's schwebt jetzt über allen Gefilden, denn Allah ist einzig und groß. Tiefe Stille herrscht so lange, bis der MuezM den Oebetruf nach den vier Weltgegenden beendet hat. . . Ich schleiche mich ans dem Bazar weg, höre nnr das Duett der Ezzan von den Minarets und dazwischen das Geknapper der Hunde, die sich vor dem Laden des Fleischhauers an einigen Knochen gütlich thun. Der Weg führt mich an der alten Moschee mit dem bedenklich geneigten Minaret vorüber. Schlinggewächse an den zerrissenen Mauern, kniehohes Unkrant und eine schläfrige Katze vor der Thüre der Moschee — so ist das Bild in meinem Tagebuche fixiert. Ich komme dann an dem Friedhofe mit den schiefen Grabsteinen vorüber und blicke durch eine Seitengasse ins offene Feld hinaus. Zigeuner haben ihre Zelte aufgeschlagen, ich höre ihre Hammerschläge — nackte Kinder tanzen um das Feuer herum. Bald komme ich an das südliche Ende von Pekinj. Ein neues Haus wird gebaut und fleißige Zinzaren kriechen auf den Sparren des eben aufgestellten Dachstuhles herum. Nach der Eintheilung der Räumlichkeiten sehe ich, dass es ein Hau (Einkehrhaus) werden soll; ein Kreuz ober der Thüre mit dem Zeichen „(^. N. L." jenem der heiligen drei Könige, zeigt an, dass das Haus am letzten Ende der Stadt einem, vielleicht dem einzigen — 126 — Christen und Katholiken von Pekinj gehört. Einige Schritte weiter und ich befinde mich auf der offenen Heerstraße, die nach Elbassan führt. Ich blicke in die Höhe und sehe auch in Pckinj das Wahrzeichen des 19. Jahrhunderts — eine Telegraphenleitung. Unwillkürlich wende ich mich zurück gegen das andere Stadtende mit dem uralten Häuschen des Imam; ich fehe die glatten Pflastersteine der alten Römerstraße... Es waren die Spuren zweier Jahrtausende, über die ich im veralteten Türkenstädtchen Pekinj während einer halben Stunde hinweggeschritten war. . . Nachdem wir uns ein gut Stück ostwärts von Durazzo entfernt haben, wenden wir uns wieder gegen Norden, wo nicht nur bemerkenswerte Örtlichkeiten, sondern auch Landschaften zu finden sind, in denen sich die interessanteste Epoche der albanesischen Geschichte abgespielt hat. In der mauerartigen, langgestreckten Bergreihe, welche das Thal von Tyranna gegen Osten abschließt, befindet sich ein isolierter Bergrücken, der etwa ^/4 Stundeu lang sein mag und auf seinem Kamme eine kleine, waldreiche Ebene trägt. Die westliche, der Küstenebene zugekehrte Waud dieses Rückens steigt sehr steil in die Höhe. Längs desselben zieht sich eine Kette von Vorbergen, welche mit Eichen- und Buchengestrüpp, selbst mit einigem Hochwalde bedeckt sind und gegen die Felswand ein schmales Thal bilden. In der Mitte dieses Thales, doch etwas mehr gegen die Felswand zu, erhebt sich ein Felsen, der gegen Süden, Osten und Norden sehr steil aufsteigt. Dieser Felsen trägt die Festung von Kroja, welche, von drei — 12? - Seiten sozusagen natnrfest, nur auf der westlichen einer künstlichen Nachhilfe bedürfte, um in den Zeiten des Mittelalters unersteiglich zu fein. 1832 ließen die Türken die Sinnen dieser Festung schleifen und sie ist daher heute nur eine Ruine. Sie schließt 80 Hänser ein, deren mehr oder weniger verfallenes und vernachlässigtes Äußere zur Annahme führt, dass darin sehr wenig Wohlstand herrscht. Über diesen Ruinen ragen zwei Moscheen, von welchen die eine ein Minaret hat, und auf dem westlichen, höchsten Punkte des Felsens ragt der Thurm der Stadtuhr empor. Die Umgebung des letzteren gilt als die Stelle, wo der Palast des albanesischen Nationalhelden Skanderheg gestanden. Im weiteren Umkreise um die Festung liegen 100 Häuser zerstreut, die zumeist aus Baumgruppen hervorlugen. Einen überaus traurigen Anblick bieten die Olivenbäume, die in großer Anzahl im Stadtbezirke wie vereinzelt und verlassen dastehen. Zu der Festung führt eine lange, schmale, von zwei Reihen Buden besetzte, zumeist überdachte Straße; dies ist der Bazar von Kroja. Er macht einen so alterthümlichen Eindruck, als ob sich seit Standerbeg's Zeiten hier wenig oder nichts verändert hätte. Kroja ist der ^agerort der Umgegend, und zwar nicht nur diesseits, sondern auch jenseits der Berge. Der Weg nach der Landschaft Mat führt durch die Stadt, und von dort aus wird ihr sonntäglicher Markt zahlreich besucht. Der Bazar ist wahl^ besetzt und gewährt eiuen guten Überblick über die MN-mercielleu und industriellen Verhältnisse einer albanesischen Landstadt. „Krua" heiht im Albanesischen „Quelle", und dies ist auch die einheimische Namensform dieses Orteö. — 128 — Er verdient seinen Namen, denn er hat mehrere starke Quellen in der Thalsole; an der stärksten führt auch der Landweg vorüber. Wenn von Kroja die Rede ist, denkt jeder Kenner albanestscher Verhältnisse unwillkürlich an den Nationalhelden Skanderbeg, wie er bei den Mohamedanern, oder Georg Kastriota, wie er bei den Christen genannt wird. Wenn übrigens nicht zufällig vor dreihundert Jahren ein österreichischer Mönch Namens Barletius in Scutari gelebt und auf großen Folianten den Lebenslauf des Skanderbeg beschrieben hätte, kein Mensch wusste heute etwas von den Thaten und Schicksalen des Helden, der den Türken durch vierzig Jahre so erfolgreich zu widerstehen wusste. Die Albanesen kennen ihren Skanderbeg, wie oben erwähnt, mehr dem Namen und dem Nuhme nach, denn wenn man selbst an Ort und Stelle, wo er Proben seines Heldenmuthcs abgegeben, wie in Kroja, Dibra und Alessio, nachfragt, erfährt man nicht viel mehr, als sagenhaft übertriebene, zusammenhangslose Überlieferungen, dass hier einmal Skanderbeg gekämpst und gesiegt habe. An Felstrümmern, Brunnen und Festungsmauern kleben zur Noth einige Traditionen über Skanderbeg; das Wahre aus seiner Lebensgeschichte wäre aber verloren, weil die Albanesen kein Alphabet, keine Schrift, keine Bücher und Chroniken haben. Alles, was die europäischen Oeschichts-schMber und Orientalisten seit dreihundert Jahren bis auf den Franzosen Paganel über Skanderbeg geschrieben haben, rührt also von dem frommen und gutmüthigen Österreicher Barletius her, dessen Werk nach und nach __ 129 — in lateinischer, italienischer und deutscher Sprache erschienen war nnd vielfach verarbeitet worden ist. Etwas deutlicher als in Albanien selbst, lebt das Andenken Skanderbegs nnter den in Süditalien ansässigen Alba-nesen fort, wo seine directen Nachkommen leben nnd deren Majoratsherr immer den christlichen Namen Skanderbegs, Georg Kastriota, führen soll, gleichsam um die Continuitä't einer nlbanesischen Dynasten-Familie darznthun nnd anfrecht zu erhalten. Iudesfen lebt unter den mohame-danischen Notablen-Oeschlechteru Mittel-Albaniens ebenfalls eine Familie, welche ihre Abstammung von Georg Kastriota ableitet und deren Majoratsherr wieder den türkischen Namcn Iskender Bey oder den albanesischen Skanderbeg führt. Es ist von dem Georg Kastriota in Italien, wie vom Skanderbeg der albanesischen Liga wiederholt in den letzten I ihren mit bestimmter Absicht die Rede gewesen und es sei mir daher gestattet, all das von den Lebensschicksalen ihres Ahnherrn mit-zntheilen, was, jedes unwesentlichen Sagenschmnckes eutkleidet, nnter den vielen vorhandenen Überlieferungen den meisten Glauben verdient. Ich werde mich neben local erhobenen Daten zumeist an Barletius halten, wobei ich nnr im einzelnen von den Motivierungen abzuweichen brauche, welche der „Mo'nch" verschuldet hat. Auf türkische Chronisten zu bauen wäre darum schwer möglich, weil diese die siegreiche Periode Skanderbegs, in der zwei Sultane uud zwei Dutzend der besten Paschas mit ihren übermächtigen Heereu unterlaMn, mit wahrhaft orientalischer Schweigsamkeit nnd Loyalität behandeln. G, v. Gyurlov ics, Albanien, 9 Der Vater Skanderbegs war Johann Kastriota, der den Titel eines Herrn von Kroja, Swetigrad und Dibra führte und seinen Wohnsitz in der schönen ^and-sch aft Moglena, nördlich der Strahe von Hlionastir nach Salonich, hatte. Die Moglena wird heute von christlichen und mohamedanischen Aulgaren bewohnt, die sich vorzugo-Weise mit Pfefferban veschäfligeu. Johann Kastriota war mit Wojsawa, der Tochter eines vornehmen Serben, verheiratet und aus diefcm wie aus dein Umstaude, dajs die Moglena auch vielleicht vor vierhundert Jahren von Bulgaren bewohnt war, wird Skanderbeg von südslavischen Schriftstellern wiederholt auch als Serbe oder Bulgare reclamiert. Nie dem anch sei, Skanderbeg hat sich immer nnr als Albauese gefithlt und nur immer für Manien und den Katholicismus gegen den Islam bis zu seiunn Tode gekämpft. Kleinliche nationale Ambitionen ld'nnen hier n:n so weniger entscheiden, als anch der Vater Johann Kastriota's über die mittelalbanesischen Landschaften in den Gebirgen zwischen Dnrazzo und Monastir geherrscht hat, was einem Nicht-Albauesen anch in jener Zeit schwer möglich gewesen wäre. Woisawa gebar vier Söhne der Neihe uach, Reposin, Stanischa, Konstantin, Gcorg und eine Tochter Ntamisa Kastriota. Bevor Georg 1404 in der Moglena also nahe bei Wodeua, der Gevnrtsstätte Alexander des Großen —, zur Welt tam, träumte Wojsawa, ähnlich den Müttern Alexander des Großen und des Scipio Africanns, uon eiKm Drachen, welcher ganz Epirus bedeckte, alle Türken verschlaug lwd dessen Schweif bis «ach Venedig reichte. Indessen drangen die Türken trotzdem vor und die — 131 — Vande Johann Kastriow's fielen ihnen anheim-. stine vier Söhne wurden an den Hof Sultan Murad II. als Staffage geschleppt lind im Islam erzogen. Die drei älteren Brüder starben an langsam wirkenden Giften dahin; ans Georg Kastriota wmde ein hoffnungsvoller dem Padischah ergebener Jüngling, der schon mit achtzehn Jahren ein Reitercorps von 5000 Mann in Anatolien mit solchem Erfolg befehligte, dass ihm Sultan Mnrad den Mmcn Iskender (Alexander) Bey verlieh. Nach der Art des fünfzehnten Jahrhunderts waren von Zeit zn Zeit. Helden aus allen Theilen des Orients an den os-manischen Hof gekommen, um ihre Kraft nnd Geschick-lichkeit zn messen, besonders da Georg Kastriota ihr Gegner war. So streckte dieser einen einäugigen Scythen bei Adria-nopel in den Sand und stach ihm das sehende Auge aus; dann tödtete er die persischeu Helden Iaja und Sampsa bei Brussa, obwohl beide wider Verabredung auf den: Kampfplatze zu gleicher Zeit auf Kastriota eingedrungen waren. Im Jahre 142? erhielt Standerbeg ein selbständiges Commando gegen die nmcr Georg Branlouicö stehenden Serben, welche Gelegenheit die Paschas am Hofe in Adrianopel redlich dazn benutzten, Skanoerbeg zu verdächtigen uud des Sultans Argwohn gegen den ganz besonders im Heere beliebt gewordenen Emporkömmling wachzurufen. Nun kommt eine Wendung in Kastriota's Leben, welche sich nicht mit Bestimmtheit nnfklären lässt. Er zwang 1428 den damaligen Reis Cffendi (Secretär) des Sultans, im Namen des letzteren einen Befehl auszufertigen, wonach Sewali Pascha, der Commandant von Kroja, die Stadt an Skanderbeg auszufolgen habe. 9* ^ 132 — Skanderbeg zog über Dibra nach MittcbAlbanicn; sein Neffe Hamsa und der weit und breit berühmte Arnanten-führer Nloseo Goleuta schlössen sich dem heimkehrenden an Skanderbeg zog iu Kroja ein — und in wenigen Wochen lag ganz Mittel-Albanien zu seinen Fiißen. Unser guter Mönch Barletins meint nun, dass die Viebe zum Glauben seiner Väter und die?iebe zu seinen ?andsleuten Skanderbeg ;»m Hochuerrath und Religionswechsel verleitet haben, indessen geht aus anderen Thatsachen als viel wahrscheinlicher hervor, dass die Intriguen am Hofe in Adria-uoftel gegeu deu vielbeneideten Skanderbeg, das Misstranen des Sultans, die Confiscierung der väterlichen Güter nud schlimme Nachrichten aus der Heimat über die grausame Bedrückung der Albanesen durch die Os-manen, verbünden mit dem unersättlichen Ehrgeiz Stander-begs, diesen zum Revolutionär gemacht haben. Georg Kastriota wird von seineu Biographen als eine Niesengestalt, mit breiten Schultern, buschigen Brauen, behe^uoem Adlerblick lind martialischein Schuurbart ge-schildcn. Den rechten Arm trag er ganz besonders im Gefechte nackt; nur die strengste Wintertcilte hinderte ihn an dieser charakteristischen Sitte. Nicht minder merkwürdig war die Eigenthümlichkeit Skanderbegs, dass seine Uuterlippe im Zllstando hochgradiger Aufregung so aufschwoll, dass ihm nur eine Blutausspritzung aus derselbeu, die sich regelmäßig und ungezwungen vollzog, die nöthige Erleichterung verschaffte. Im gewöhnlichen Leben konnte er heiter nnd naiv wie ein Kiud, mittheilsam und fromm wie eiu Priester, duldsam uud stolz wie eiu Fürst sein. Der Mann, der morgens und abends, vor und nach jeder Unternehmung betete, seinein Schöpfer dankte und jedem Ven cither verzieh, war im Iampfe ein wildes Thier, dessen bärenhafte Tapferkeit und Mordlnst keine Grenzen kannten. Er war an der Spitze eines kleinen Fahnleins immer der waghalsigste Kundschafter seines Heeres; im Kampfe immer an der Spitze der Seinen und, wie Varletius behauptet, soll er mit eigene'.' Hand nicht weniger als zweitausend Türken ins bessere Jenseits befördert haben. Er war ganz im Dienste seines Ehrgeizes, seines Glaubens, seines Volkes und seines Landes; anch seine Ehe mit Donika, dcr Tochter des Ariauithes Topia, ans der nnr ein Sühn, Johann, ent-fpross, wurde 1451 nnr aus politischen Gründen abgeschlossen. Seine Kämpfe in Albanien, die dreißig Jahre dauerten, an dieser Stelle des Näheren zu schildern, würde' nicht nnr unmöglich nnd langwierig sein, sondrm auch den Zweck dieser orientierenden Skizze überschreiten. Mit Ausnahme eines Kriegszuges in Süd Italien zu Gunsten des Königs Ferdinand von Neapel und eines Streiszuges gegen die intriguante venezianische Republik, welche in Scutari und an der nächstgelegenen Küste Garnisonen hielt, beschränkten sich Standerbegs Kriegszüge und Schlachten auf die Strecke zwischen Alessio, Kroja nnd dem Drinthol, nördlich und südlich Dibra, der Ebcne von Ochrida und der östlich davon gelegenen Dcfiloen. Der Raum zwischen Drin und Schknmbi war sein eigentliches Reich, das er vier Jahrzehnte lang gegen jede türkische Übermacht vertheidigte, wie weit dieselbe auch vermöge ihrer Zahl vordringen mochte. Eine fchlgeschlagene vier- — 134 — wöchentliche Belagerung von Swetigrad im October 1449 und die Schlacht bei Berat gegen Sultan Mihamed im Jahre 1453 waren die einzigen misslungeuen Unternehmungen seiner kriegerischen Laufbahn, die sich sonst als eine ununterbrochene Kette uon glänzenden und seltenen Siegen Mattete. In den Jahren uou 1445 bis 1446 besiegte er im Drinthale drei türkische Heere unter Ali, Fisur und Mu-stapha Pascha, 1446 die Venezianer unter Daniel Djurics, südöstlich von Scutari; 1448 Mustapha im Mirditenlande, 1449 Sultan Murad II. bei Swetigrad, 1450 Sewali Paschah bei Kroja. Die letzte Niederlage Mustapha Paschas war eine so ausgiebige, dass Sultan Murad für die Entlassung der vornehmsten Gefangenen nicht weniger als 25.MO Ducaten bezahlen musste. Nach dem im Jahre 1451 erfolgten Tod Sultan Mumds II., dem Muhamed folgte, eröffneten die Türken unter Hamfa Pascha 1459 die Angriffe von Skoplje aus, allein vergebens. Durch den Verrath eiues seiner tüchtigsten Generale, des Moses Golenta, der aber nach kurzer Zeit wieder reuig zurückkehrte, verliert Skauderbeg 1453 die Schlacht bei Berat, dafür bringt er 1453 einem zweiten Verräther, seinem mit Isa Pascha herbeigeeilten Neffen Hamsa cine blutige Niederlage bei, nach der Sultan Muhamed für die Auslieferung der Gefangeneu 50.000 Ducateu bezahlen musste. 1454 schlägt Skanderbeg die Feinde Fer-dinands von Neapel bei Ursawa in Apulieu und kehrt im selben Jahre noch nach Albanien zurück. Es folgt eine achtjährige Waffenruhe, aber von 14«^ an wieder ein tür-iches H.'er nach dem andern unter Sinan Pascha, Hussein — 135 — Beg, Insnf Beg, Karamsa Beg und Sultan Muha-meo II. im Jahre 1462, Scheremet Beg im Jahre 1463, vier Versuche von Balaban Badern Pascha, eiuer unter dem Renegaten Iakub Arnaut und der letzte unter Sultan Muhamcd 1464—die alle mit ebensovielen Niederlagen der türkischen Streitkräfte gleichbedeutend sind. Endlich zog der Sultan verdrossen nach Couftautinopel ab, Ali und 5Mja Pascha mit Truppen in Macedonieu zurücklassend, um das türkische Neich vor dem Unbesiegbaren zu schützen, der allerdings niemals im Stande war, durch weitreichende Operationen seine Erfolge auszuuützeu. Georg Kastriota scheint, wie Barletius' phantasieoulle und weitläufige Schilderungen vermuthen lasseu, das Ideal eines Feldherrn der Defensive geweseu zu sein, der zwar im strategischeu Sinne niemals die Offensive ergreift, jedoch auch iu der Nolle des Vertheidigers deu anrückenden, übermächtigen Gegner niemals stehenden Fußes erwartet, sondern ihm jedesmal entgegenrückt, durch Kriegslisten, überraschende Flantenmärsche, vehemente Angriffe aus der Fasfnng bringt und dann wieder au deu heimatlichen Herd nach Krojll zurückkehrt. Das auf einem Wskegel hiugebaute Städtchen Kroja war die eigentliche Residenz Georg Kastriota's, die er nur iu schneereicher Winterszeit oder zur Zeit wichtiger Berathungen mit den Stamm-Häuptlingen verließ, nm nach Alessio an der Mündung des Drin hinabzusteigen. Hier starb er auch im Alter von 63 Jahren an einem hartnäckigen Fieber am 17. April 146? ; fein Leichnam wurde, wie fchon einmal erwähnt, in der dem heiligen Nikolaus geweihten Pfarrkirche in Alessio beigesetzt. Die Negierung — 13N — des Bandes übernahm sein schwächlicher Sohn Johann, der sich zwar gleich dem Vater „Soldat ^esu Christi und Prinz der Epiroten" nannte, aber schon unter dein Schutze der venezianischen Republik stand. Am 15. Juni 1478, also vor genau 403 Jahren, capitnlierte Kroja; Johann floh nach Venedig und der Padischah ward auch in Nord-Albanien umunschränkter Herr des Landes, wie schon zwei Jahrzehnte früher in Bosnien, Süd-Albanien und Macedonien. Krieg stüchtigleit und Heldeumüthigkeit blieben auch nach dem Tode Skanderbegs die hervorragendsten Eigenschaften der Albanesen und diese gehören bis auf den heutigen Tag zn den bewährtesten Soldaten der türkischen Armee. Sie zeichnen sich dnrch eine ihnen gan; eigenthümliche Kampfesweise ans, ob sie an der Seite der Osmanen in der Fremde stehen oder in dcn heimischen Bergen irgend einen Gegner bekämpfen. Bisher fügte sich der Arnaute außerhalb der Heimat immer der .stampfweise und Disciplin der ihn umgebenden Truppe, und wenn er hervorragte, so geschah es entweder durch die bärenhafte Tapferkeit des Einzelnen, oder durch den Übermuth, mit dem jeder von ihnen auf die unterjochte Bevölkerung zu drücken verstand, oder endlich dnrch die bestialische Geschicklich-keit im Plündern und Äentemachen. Kämpfen die Anmuten in ihren heimatlichen Gebirgen gegen einen beuachbmten Stamm, mit dem sie in Blutfehde leben, oder gegen die türkischen Truppen, welche ihre locale Unabhängigkeit bedrohen, oder kämpfen sie endlich, wie seit mehr als ;wei Jahren, auf eigene Rechnung gegen einen äußeren Feind, dann kehren sie am liebsten zu ihrer nationalen Tattik — 137 — zurück, die im nachfolgenden eine kur;e Schilderung finden möge. Die Kampfesweise der Albanesen ist die eines wilden Gebirgsvolkes. Jeder Einzelne muss im Kampfe seinen Mann stellen und besonders im Nahgcfcchte hört jede Disciplin nnd Vefehlsgebuug auf. Sie lieben die nächtliche Überraschung, den Überfall und i'beu jene Kriegskunst, welche dem „Instincte der Wilden" entspringt. Wie alle Hochgebirgsbewohner wissen die Arnauten das Terrain mit großer Geschicklichkeit auszunützen nnd sind besonders stark in der Defensive, wenn sie hinter Schanzen oder deckenden Terrain-Abschnitten den Gegner erwarten. Die Albanesen ziehen in ziemlich ungeordneten Haufen, die je nach dem Zwecke des Kriegszuges ein oder mehrere hundert Mann zählen, in den Kampf. An der Spitze des Kriegshcmfens (Tscheta) stehen die Bajral-tare (Bannerführer), von denen es in jedem Stamme mehrere gibt nnd die zu den Angesehensten und Tapfersten des Volkes gehören. Der Bajraktar ist der wühre und so ziemlich der einzige Führer der Tscheta, auch im heftigsten stampfe fünfzig bis zwauzig Schritte vor derselben marfchiereud. Der Tscheta folgeu in entsprechender Entfernung die Tragthiere mit dem Vorpflegs nnd Munitionsvorrath, begleitet von kampfunfähigen Bm scheu, Greisen und Weibern, die sich nach siegreichem Kampfe mit der Vergnng der eigenen nnd der Plünderung der feindlichen Gefallenen oder mit der Labung der eigenen und der Tödtung der feindlichen Verwundeten beschäftigen, in zweifelhaften Gefechten aber den muiickeudcn /vcind mit Steinwürfen empfangen. — 138 — Wird kein Überfall geplant, so beginnen die Alba-nesen das Gewehrfener schon aus großer Elttfermmg und je näher sie an die feindliche Aufstellung gerathen, desto lauter wird ihr unaufhörliches Kriegsgeheul, das mit seinen langgedehnten „Ah! Ah!" Nufen auf die Wildheit nnd Energie des Angriffes schließen lässt. Sie glauben nicht viel und schnell genug schießen zn tonnen und nur in der stehenden Vertheidigung geben sie wohlgezielte Schüsse ab. In jedem Falle uergenden sje beim Schnellfeuer nugeheure Mengen von Munition, weil es ihnen vor allein auf die Einschüchtening des Feindes ankommt. Hält der Vertheidiger Stand, dann bleibt die Entscheidung dem Handgemenge überlassen, wo jeder Einzelne sich mit wahrer Berserkenvnth auf seinen Gegner stürzt nnd diesen mit Pistolenschüssen uud Iataganhieben niederzustrecken sucht. Im Handgemenge und im letzten Zweitampfe, denen stets ein Angriff von fast unüberwindlicher Vehemen; vuvhergeht, offenbart der Albanese seine bärenhafte Tapferkeit nnd jene bestialische Wildheit, die ihn als Krieger so berühmt uud berüchtigt gemacht hat. Die Albanesen machen keine Gefangenen, sie schleppen leinen verwundeten Feind mit sich nnd jeder Kampfplatz, den sie behaupten, ist ein Leichenfeld im vollsten Sinne des Wortes. Jeder gefallene Gegner zählt mindestens ein halbes Dutzend Schuss- nud Stichwunden nnd selbst den Geto'dteten werden Nasen, Ohren, Köpfe nnd allerlei Miedmaßcn mit barbarischer Grausamkeit vom Leibe gelrennt. Ist der Feind geschlagen und vertrieben, dann gibt sich die ganze Tscheta der Plünderung hin, der bei zer- — 139 — Muter Fechtart wohl auch während des Kampfes gefröhnt wird. Wie in der Heimat der tückische Raub, so ist im Gefechte die Plünderung das eigentliche Ziel des Alba« nesen, das er mit wahrhaft nationaler Zähigkeit verfolgt. Wie der gefräßige Köter den erbeuteten Knochen um keinen Preis fahren lässt, so wird der Aruaute sich eher niederschießen lassen, bevor er deu Teppich, die Waffe, den Kupferkessel oder was ihm sonst bei der Plündernug in die Hände gefallen, am Thatorte zurücklassen würde. Ist die Plünderung vorüber, dann werden die gctödtetcn Feinde entkleidet, ihre Wohnhäuser so gründlich als möglich niedergebrannt und die gemachte Beute von Tragthieren, Greisen, Burschen und Weiberu nach dem Heimatsdorfe zurückbefördert. An eine Verfolgung des geschlagenen Feindes wird aber in den seltensten Fällen gedacht, cs müsste denn fein, dass die Albanesen in einem weiter vorwärts liegenden Dorfe reichlichere Beute oder auf einer entfernteren Weide eine zahlreiche Viehherde vermuthen. Aus der eben gegebeneu Schilderung geht hervor, oass die Kampfweise der Montenegriner jener der Alba-uesen ziemlich nahverwandt ist. Aber in dem Maße, als sich im Verlaufe der letzten Kriege die Kriegführung der Montenegriner der europäischen immer mehr genähert hat, in demselben Maße haben sich auch die Chancen des Sieges in jedem Kampfe zwischen den Montenegrinern und Arnauten immer mehr den letzteren zugeneigt. Co-mel ist gewiss, dass nur jeue Armee den Angriffen der Albanesen zu widerstehen vermag, welche über eine gute Artillerie und eine in kaltblütiger Defensive geübte Truppe — 140 — verfügt, welche die iu der ersten halben Stuude vehement ausgeführten Attaken der Arnauten auszuhalten vermag. So erfolgreich die Albanesen gewöhnlich in gedeckten Stellungen, seltener aber im offenen Angviffe sind, so beispiellos ist auch ihre Deroute, wenn sie uoch vor dem Handgemenge ihre Vajrattare verlieren oder von einem vorbereiteten Gegner kräftig zurückgewiesen werden. Keine Zigeunerbcmde flieht in solcher Eile, Unordnung und Kopflosigkeit wie eine albanesische Tscheta. deren Nugriff miftlungen ist; von einer Nailliernng der Flüchtigen kann erst die Nede seiu. wenn sie sich außerhalb der Schuss-weite des sie verfolgenden Feindes befinden. Sind die albanesischen Krieger in das Heimatsdorf zurückgekehrt, so wird zuerst der Todten gedacht. Die Todtenfeier fiudet bei deu Arnanteu wie bei allen orientalischen Völkern uuter großem Geheule der Weiber und zahlreicher Betheiligung der Verwandten uud Bekannten statt. Sie wird auch für diejenigen abgehalten, die iu der Fremde gefallen oder gestorben sind. Die Weiber jammern, nnd die Tröstenden strömeu herbei, die Todtenkla^e wird angestimmt, der abwesende Todte wird angerufen, der Trauerzug geht zur Kirche oder zur Messe und an der Bahre geht eiu Knabe, der Waffen und Gerätlie des Verstorbeneu und auf eiuer Schüssel geweihtes Brot trägt. Im Gotteshause wird der Trauergottesdieust abge^ halten; nnr die Ceremonien des Begräbnisses fallen weg. Gehörte der gefallene Krieger einer vornehmen Familie an oder hatte sich derselbe dnrch außergewöhnliche Heldeu< thaten vor allen andern ausgezeichnet, dann bewahrt das Volk sein Andenken iu Liedern, von denci: eines als cha- ____ 1^1 ratteristisches Beispiel in wortgetreuer Übersetzung hier eiuen Platz finden möge: „Ich fiel, Gefährten! ich siel — jenseits der Brücke von Tjabese. — Grüßt mir die Mutter; — die zwei Ochsen möge sie verkaufen — Und das Geld meinem Mädchen geben. — Wenn die Mutter nach mir fragt, — Sagt ihr, ich hätte mich verheiratet. — Wenn sie fragt, was für eine Braut ich genommen — Sagt ihr: drei Kugeln in die Brnst, — Sechs in die Füße und Arme. — Wenn sie fragt, wer von den Verwandten zum Hochzeitsmahl gekommen, — Sagt ihr, die Krähen nnd Naben hätten das Mahl gefressen." So bewahren die Albanesen in allem nnd jedem, was zum Kriege gehört, ihre Wildheit nnd alle die ursprünglichen Eigenthümlichkeiten, durch welche sich ihre Nationalität von allen übrigen unterscheidet. 6. Sprache nnd Poesie der Allmnesen Das eben citierte Lied führt uns auf das geistige Gebell der Albanesen, auf ihre Sprache, Poesie und Mera-tnr. In dieser Beziehung ist wohl wenig zu berichten, was au ein europäisches Kulturvolk erinnern würde. Die Sprache der Albanesen ist eine durchaus eigenartige, welche dem Wesen nach mit keiner der lebenden Sprachen etwas gemein hat; weder mit dem slavischen oder griechischen, noch mit irgend einem anderen Idiom. Dabei ist die albanesische Sprache, zu deren Durchforschung die beiden Österreicher Oeueralconsul Hahn nnd Professor Miklosich das meiste beigetragen haben, doch im übrigen eine Mischung so vieler fremdartiger Elemente, — 143 — wie eine solche vielleicht nicht einmal bei der englischen oder zigeunerischem Sprache vorkommt. Diese Mannigfaltigkeit der fremden Elemente kommt jedenfalls von den Berührungen mit so vielen fremden Völkern her, derer sich die Albanesen trotz ihrer nationalen Abgeschlossenheit und Zähigkeit nicht erwehren kannten. Bemerkenswert ist, dass sich die albanesische Sprache gegenüber jener der Walachen als besonders anfnahmsfähig erwiesen hat. Die griechische Sprache dringt in neuester Zeit immer mehr in das albanesische Volk ein; dass das osmanische Element, als das staatlich herrschende seinen Gnftnss in dieser Richtung ausgeübt hat, wird wohl niemand Wunder nehmen. Ähnlich wie bei der englischen, werden sich auch bei einer genauen Untersuchung der albanesischen Sprache interessante Wegweiser für die Geschichte dieses Volkes ergeben. Die meisten original-alba-nesischen Wörter finden sich uuter den Zeitwörtern vor. Aus der Beschäftigung nnd verschiedenen Objecten, welche die Albaueseu von den Slaven, Griechen oder Türken übernommen haben, wird sich auch die Übernahme gewisser Ausdrücke erklären lassen. Vor allem ist bemerkenswert, dass die Albauesen kein eigenes Alphabet besitzen. Was bisher in dieser Richtnug von mehreren Forschern entdeckt worden, waren immer wieder nnr Alphabete, die von einzelnen Personen oder Familien beuützt wurden, ohne zu allgemeiner und bleibender Geltung zu gelangen. Wo die Bevölkerung schriftlicher Aufzeichnungen bedarf, wird die türkische, griechische oder italienische Schrift augewendet, so dass — 14:; — die albanesische Sprache eigentlich nur Gegenstand der Tradition von Pater auf den Sohn ist. Wenn aber ein Volk, das mehr als zweitausend Jahre dieselben Wohnsitze einnimmt, es noch immer zu keinem Alphabet gebracht hat, dann mnss es in seiner geistigen Thätigkeit einem Menschen gleichen, der kein Gedächtnis hat. Jede Überlieferung, ob Mythns oder Geschichte, ob Lied oder Erzählung, mnss endlich verloren gehen, wenn das Mittel fehlt, dem Erinnerungsvermögen des Voltes durch eine schriftliche Aufzeichnung nachzukommen. In diesem Znstande befinden sich nngefähr die heutigen Albanesen. Sie kennen keine alten Göttersagen; sie wissen nichts davon zu erzählen, wer sie aus dein Süden an die Gestade der Adria geführt, wer sie dort gegen Römer, Gothen, Vulgären nnd Osmanen im Laufe der letzten zwei Jahrtausende vertheidigt hat; ja selbst das alltägliche Lied mit dem heiteren oder traurigen Sang pflanzt sich nur mit Mühe vom Großvater bis höchstens auf den Eukel fort. Und was von der Thätigkeit der nationalen Phantasie über die Gegenwart hinausgeht, verändert bei der Überlieferung unausgesetzt seine Formen, so dass, was sich zn Alifang dieses Jahrhunderts thatsächlich zugetragen, in diesem Augenblicke bereits legendenhafte Formen angenommen hat. Nach alldem ist es ganz begreiflich, dass es im Gegensatze zu allen anderen Völkern des Continents kein allianesisches Natioualepos gibt, wenngleich es an Anhaltepunkten dazu in der Geschichte dieses kriegerischen Voltes nicht fehlen würde. Die prähistorische nnd hellenische Zeit, — 144 — dann jene Alexander des Großen, Inlins Cäsar's, der Völkerwanderung, die Glanzperiode Tkanderbeg's und die Paschc^eiten der drei letzten Jahrhunderte, das alles hat keine bleibenden Spnren in der poetischen Phantasie der Arnauteu zurückgelassen. Wenn sich nicht ein Franci scaner-uwnch als Biograph Skanderbegs gefunden, wenn nicht die nach Calabrien ausgewanderten Albanesen das An--denken dieses Mannes in einem spater von de Rada gesammelten Gedichte bewahrt hätten, die Welt wusste heute ebenso wenig wie die Anmuten selbst, von diesem dramatisch angelegten Meteor. Sieht man von der bescheidenen Thätigkeit der Phantasie ab, soweit dazu Bibel und Koran Veranlassung geben, so beschränkt sich die Poesie der Albanesen vorerst auf jene Gebiete, die sonst dem Aberglauben gewidmet sind. Die friedlichen Elfen, männlichen nnd weiblichen Geschlechts; die Hausgeister, als lur;e, dicke Schlangen gedacht; Gespenster in menschlicher, thierischer und wesenloser Hülle, die über Gesundheit oder?eben gebieten; Vamftyre, geflügelte und geschwänzte Menschen — das sind diejenigen Objecte, mit denen vor allem anderen der nationale Aberglaube seinen ausgiebigen Spuk treibt. Daraus ergebeu sich daun gar seltsame Sitte:: und Gebräuche, die bei der Gebnrt, der Hochzeit oder dem Tode, die in Berg und Wald, am häuslichen Herd und auf der Reise, im Kummer und in Freuden bei dem Volke in gewissenhafter llbung stehen. Und alle diesen Gebräuche interessieren vor allem durch, man konnte sagen, wilde, finstere, ganz eigenartige Züge, die bei anderen Völkern kaum wiederzufinden nnd darum für die Albauesen umso charakteristischer sind. — 145 — Mythus und Legende treten in Albanien verhältnismäßig ziemlich selten anf und dann immer mit dnrchaus localen, an die Scholle gebundenen Anhaltspnnkten, deren Quelle kaum einige Jahrhunderte weit zurückreicht, sehr oft aber anch jedes historischen Untergrundes entbehrt. Felsformen, Höhlen, Ruinen, Klöster und Burgen werden oft mit irgendwie benannten Persönlichkeiten und mit meist durchaus erfundenen Ereignissen in Verbindung gebracht, was wohl vermuthen lässt, dass auch diese localen Sagen, nicht minder als die Geschichte, der Vergessenheit nnd fortwährender Neubildung unterliegen. Weit bestimmtere und mannigfaltigere Formen nimmt dagegen das albanesische Märchen an, das sich von den Müttern nnd Großmüttern auf Groß und Klein vererbt. Dies mag daher kommen, weil das Märchen als die erste, praktische Form der geschürzten nnd gelösten Erzählung dem primitiven Enltnrznstande des albanesischen Volke entspricht und uicht über den Bereich und das Bedürfnis der still sesshaften Franen- und Kinderwelt hinausgeht. Dass sich das albanesische Märchen mit seiner stereotypen und originalen Embegleitungsformel: „Es war lind es war nicht" nnter c,llen Prodncten der nationalen Phantasie am wenigsten verändert hat, beweist einerseits sein von jeder thatsächlich historischen Zuthat freier Charakter nnd anderseits die Natur der sittlichen Probleme, welche die albanesischcn Märchen mit denen der übrigen indogermanischen Volker gemein haben. So begegnet man den Märchen vom Aschenbrödel nnd Schneewittchen, von Allerleiranh nnd vom Zanber-spiegel, von den Elfen in Berühruug mit Mann, Weib G. v, Gl, u rlüvi cs, Alianim. 10 — 146 — und Kind, vom Hans Däumling und Blaubart auch bei den Albanesen — und wenn selbst die locale Zuthat eine andere ist als beim griechischen oder deutschen Märchen, so ist doch der wesentliche Inhalt mit der stammverwandten Fabel sehr leicht iu Übereinstimmung zu bringen. Nebenbei fehlt es nicht an Thierfabeln, an Märchen, die ans dem Türkischen oder Griechischen sinngetreu übertragen wurden, aber auch nicht an Märchen von ausgesprochen localem uud uationalcm Gepräge mit all den Ausdrücken der Wildheit und Urwüchsigfeit, welche das al-banesische Leben überhaupt charakterisieren. Es mögen hier vo n den letzteren nur einige Märchentitel ihre Anführung finden, ans denen sich auf den Inhalt ungefähr schließen lässt. So gibt es ein Märchen, „das Mädchen, das Nosen lacht uud Perlen weint" ; eines „Häuschen, dem ein Mohr in den Mund speit"; dann eines mit dem Titel: „das Mädchen im Krieg", welches im folgenden wegen seines charakteristischen Details seinen Platz finden möge. Es beginnt wie jedes albanesische Märchen mit den sinnigen Worten: „Es war und es war nicht" und dann heißt cs weiter: „Es war einmal ein König, der drei Tochter hatte und eines Tages aufgeboten wurde in den Krieg zu ziehen. Da er aber schon alt und schwächlich war, so betrübte ihn das sehr, und er saß tagelang, um darüber nachzusinnen, was er thun sollte. Da kam seine älteste Tochter zu ihm nnd fragte: „Was hast Du, Herr, dass Du heute so traurig bist?" — „Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege." — „Mein lieber Vater, ich muss es wissen und gehe nicht eher von der Stelle, als dis Du __ 147 — es mir sagst." — „Was soll ich Dir sagen, mein armes Mädchen? Man hat mich znm Kriege aufgeboten, und ich bin zu alt, um mitzugehen." — „O weh, ich glaubte Du zerbrächst Dir den Kopf, wie Du mich endlich unter die Haube briugeu könntest," lief das Mädchen trotzig und verließ den Vater. Darauf kam die zweite und sprach: „Was ist Dir, Väterchen, dass Du so traurig bist?" — „Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege." — „Nein, nein, Du musst es mir sagen, ich will es wissen." — „Ich sage es Dir nicht, denn sonst antwortest Dn mir so wie die andere." — „Nm,, das thue ich gewiss nicht!" — „Nun, so höre, mein Kind! Man bietet mich znm Kriege und ich bin zu alt dazu und kann nicht mitgehen." — „O Uuheil! Ich glaubte Du zerbrächst Dir deu Kopf, wie Du mich unter die Haube bringen könntest," rief das Mädchen nnd gieng seiner Wege. Daraufkam die jüngste und fragte: „Was ist Dir, Vnter, dass Du so traurig bist?" — „Das geht Dich nichts an, packe Dich Deiner Wege; denn soust antwortest Du mir wie die zwei andern." — „Nein, nein, das thue ich gewiss nicht; sage es mir, ich beschwöre Dich!" — «Also, mein Töchterchen, Du willst wissen, warum ich so traurig bin? Man hat mich zum Kriege aufgeboten und ich bin alt uud kauu nicht mitziehen." — „Und das kiimmert Dich so sehr? Weißt Du was? Lass mir schöne Manueskleider macheu, gib mir ein gutes Pferd und ich will statt Deiner in den Krieg ziehen." — „Ach geh doch, Du bist ein Mädchen und willst in den Krieg ziehen!" — „Das lass Dich nicht kümmern! Ich will nicht bloß hinziehen, sondern 10* — 148 — auch siegen." — „Nun denn, in Gottes Namen!" sagte der König, ließ ihr dann Manneskleider inachen und gab ihr ein gntes Pferd. Das Madchen zog in den Krieg und überwand die Feinde. Oei diesem Feldzuge war auch ein Prinz ans einem anderen Königreiche. Und als sie zusammen nachHanse zogen, kehrten sie in dem Schlosse dieses Prinzen ein, nnd da kam es ihm uor, als ob sein Gast kein Mann wäre. Er gieng also zu seiner Mutter und sprach: „Ich glaube, das ist ein Mädchen, Mutter." Die wnndene sich sehr über diese Rede nnd sagte: „Wie kann ein Mädchen in den Krieg ziehen?" Er aber blieb bei seiner Meinung; doch um ins Klare zu koinmeu, rieth ihm die Mutter: „Führe sie in den Wald und schlafe neben ihr ans dem Grase, uud wenn Du beim Ausstehen siehst, dass der Platz, wo Du gelegen, frischer ist, dann ist es ein Mädchen. Ist es aber nicht der Fall, dann ist cs ein Mann." Da giengen sie znsammen in den Wald und schliefen anf dem Grase, Als aber der Prinz eingeschlafen war, da schlich sich das Mädchen weg und schlief an einer anderen Stelle, und kehrte erst kurz uor Tagesanbruch au semen Platz zurück. Als sie aufgestauden waren, nutersuchte der Prinz die Plätze und sah, dass der, wo die Prinzessin gelegen, grüuer war als der seinige. Nnd bei seiner Rückkehr gestand er dies seiner Mntter und diese erwiderte: „Hab ich Dir's nicht gesagt, dass es ein Mann sei!" Er aber blieb bei seiner Meinnng. Als nun das Mädchen Abschied nahm, nm in-sein Reich zurückzukehren, und aus der Stadt herausgeritten — 149 — war, da nef es: „Ein Mädchen im Kriege! Als Mädchen bin ich in den Krieg gezogen, zur Schande des Esels vom König." Als das der Prinz hörte, sagte er zu seiner Mutter: „Siehst Du, Mutter, dass ich Recht hatte und dass es ein Mädchen war! Aber ich will hinziehen in ihr Reich nnd sie znr Frau nehmen." Der Prinz zog also alte Kleider an, kaufte sich eine Anzahl Spindeln, Kunkeln und Halsbänder, gieng nach der Stadt der Prinzessin und bot seine Waren feil, indem er schrie: „Spindeln, Kunkeln, Halsbänder für den goldenen Zahn!" -^ denn er wusste, dass die Prinzessin einen Zahn verloren und dafitr einen goldeneu eingesetzt hatte. Als das die Mägde der Prinzessin hörten, sprachen sie zu ihr.- „Hörst Dn nicht, Herrin, was dieser Lumpe ruft?" „?asöt ihn schreien!" antwortete diese. — „Wolleu wir denn nichts von ihm kaufcu?" — „Kauft was Ihr wollt!" Als sie nnn den Krämer heraufgerufen, fragte ihn die Prinzessin: „Wie viel Thaler er fitr ein Halsband verlange?" Der aber antwortete: „Ich verlange kein Geld, sondern ein Maß voll Erbsen!" Als das die Mägde hörten, lachten sie laut. Die Prinzessin aber befahl, ihm die Erbsen zu geben. Und wie er sie nnn in den Sack schütten wollte, ließ er sie auf die Erde fallen und setzte sich dann hin, um sie Stiick fiir Stück aufzulesen, bis es Nacht wurde. Da sprachen die Mägde-„Warum hast Dn uns nicht um ein auderes Maß voll Erbsen gebeten, statt hier zu sitzen und die anfznlesen?" — „Nein, das geht nicht," sagte dieser, „denn es ist — 150 — mein erster Handel. Statt dessen aber bitte ich Euch, mir ein Kämmerchen zu zeigen, wo ich die Nacht schlafen kann." Die Mägde giengen znr Prinzessin und erhielten von ihr die Erlaubnis dazu. Da legte sich der Prinz auf die Lauer und entdeckte so den Ort, wo die Schlüssel lagen, mit denen die Prinzessin eingesperrt wnrde. Und in der Nacht nahm er die Schlüssel, öffnete das Schlafgemach, warf ein Schlaffmnt über die Prinzessin, das er deshalb bei sich führte, nahm sie anf die Schultern und trug sie in seine Heimat. Als die Prinzessin erwachte, fand sie sich an einem fremden Orte und sprach drei Jahre lcmg gar nichts. Da verlor die Mutter des Prinzeu endlich die Geduld uud sagte: „Du bist wirklich eiu Narr, dass Dn so einen weiten Weg gemacht nnd so viel ausgestanden hast, um Dir eine stumme Frau zu holen! Werde doch endlich klug: lass sie sitzen und nimm Dir eine andere." Sie stellten also eine große Hochzeit an nnd als es zur Trauung des neuen Brautpaares gieng und alle Gäste Kerzen hielten, gaben sie der Stummen anch eine, und wie die Feier zu Ende war, warf sie die Kerze nicht weg gleich den anderen, sondern behielt sie in der Hand und alle Welt sagte zu ihr: „Du verbrennst Deine Hand, Stumme!" Sie aber that, als hörte sie es nicht. Da kam der Bräutigam selbst nnd sagte zu ihr: „Stumme, Du verbrennst Dir die Hand!" Sie aber that, als horte sie es nicht. Darauf sprach der Bräutigam: „^asst auch die Braut ihr zureden." Und die Braut sprach: „Stumme. Du verbrennst Dir die Hand!" Da rief dicfc plötzlich: „Stnmm sollst Du selbst — 151 — werden, und dahin gehen, wo Du hergekommen bist! Ich habe zum Prinzen ein Wort gesprochen und bin deswegen drei Jahre stumm gewesen und Du, Brant, hast noch die Krone auf und schiltst mich eine Stumme?" Als der Prinz hörte, dass die Stumme wieder sprach, da verstieß er die neue Braut uud nahm die alte und lebte mit ihr glücklich und in Freude« noch viele, viele Jahre lang. ..." Von den weitereu Stufeu poetisch schaffender Phantasie, wie sie bei den Culturvölkern über das Märcheu hinaus vorkommen, ist bei den Albauesen nnr das ^ied anzutreffen; denn aus bereits oben augeführten Gründen fehlt es bei ihnen an allem, was bei den übrigen Völkern die schöne oder gelehrte Literatur ausmacht. Und selbst das Lied tritt nnr in den wenigen Formen als Liebes-, Räuber- und Klagelied auf. Die Liebeölieder (DkLoliui^'e) sind immer auf ciuen bestimmten Vorfall oder auf eine Person gedichtet, haben zumeist die Form von Spott- nnd Neckliedern in monologischer oder dialogischer Form uud erinnern zuweilen sogar an das österreichische „Schnadahüpfl". Im nachfolgenden eine Probe mit wortgetreuer Übersetzung: Moj e holla si l.jastari, Mädchen, schlank wie ein Sproß, E barda si tjebriliari, Und weiß wie Bernstein, Ljesch te tat si telj' jongari, Deine vciarc (sind) wie Zithersaiten, Era trenrteJine mallji. Tein Tuft (wil') Berginelissen. — 152 — Als Probe der Räuberlieder ^ll^dnwrs«) oder Kriegslieder diene Folgendes: S' me ljene, moj nenn«, s'iue ljejie; Sie lassen mich nicht, liebe Mutter, sie lassen nüch nicht i Schkemljea e Gorizes m'a kane sfttie. Ten Fels von Goriza haben sie mir besetzt. Ma kane scue e m'a kane priture; Sie haben mich ergriffen und haben mich erwartet I Kofsche mbe kofsclie jam goditnre, An der Seite bin ich verwundet, rie tscli' jam goditure ndenne stjetule, Denn wie bin ich verwlmdet unter der Schulter, Se tscli' jam goditure sohemtuare! Wie bin ich verwundet und geschlagen! E s'e T)essoig, per te sdipetuare. Und i6) glanbe nicht, daß ich davonkomme. Eine Eigenart bilden auch die Klagelieder (l^WSM), welche in der Regel nach dem Hinscheiden eines Angehörigen der Familie von den Mädchen und Weibern angestimmt werden. Sie bestehen ans Solopartien und Chören und werden nngefa'hr in folgender Weis.' ausgeführt : Die Stimme eines der Klageweiber beginnt und klagt mit lang gezogenem Tone, immer auf derselben Note bleibend, ihren Schmerz in gebundener oder ungebundener Nede, z. B : „O! Du mein einziges Kind, warum hast Du uns verlassen?" Hierauf geht der Ton in die höhere Quart oder Quint über und beginnt ein Distichou in gebundener Nede, in welches auf ein Zeichen mit der Hand der Chor der übrigen Frauen an entsprechender Stelle einfällt, nach dessen Beendigung wieder die Solostimme, in den früheren Ton znriickfalk'ud, fort- — 153 — klagt: „Dein Vater, der in der Fremde ist, wird zurückkehren." Hierauf folgt wieder der Chor des früheren Distichons und dann wieder der Klageruf, etwa: „Er wird nach Dir fragen nnd Dich nicht finden/' n. s. w. Nach mehreren solchen Abwechslungen, wobei oft der Erlebnisse der Verstorbenen gedacht wird, unterbricht eine der Frauen durch ein Handzeichen die Klagende und übernimmt die Solostimme, wobei sie gewöhnlich auch das Distichon des Chorgesanges wechselt, mitunter auch neue Disticha erfindet. Hier eine Probe solchen Klagegesanges zum Andenken einer verstorbenen jungen Frau: E mire o purteke e arte, Schöne, goldene Gerte, Si sonjate e kasabase. Wie die Frauen der Stadt. Alqj' c bukura preij nurit, O! Schöne von Gesicht, Si thelesji maj gurit. Wie das Steinhuhn auf der Spitze des Felsens 0, e tschpejta si schedjctta, O, Nu Schnelle wie ein Weberschiffchen, Paje ljena nde sendntj. Brautschal; zilrückgelassen in der Truhe- Moi e hetjnra si bari, O Du Aufgeschossene wie der Grashalm, E kuluara si ari . . . Und aeläutett wie das Gold n. s. w. n, f. w. Von den im ^ande anf verstorbene Helden gedichteten Klageliedern mögen die folgenden als Probe dienen: Himmelskrachen, Bergesdonner! EZ wankten die Vänser und krachtm die Dächer! — 154 — Es saß drinnen der Aga auf der Gallerie und schmauchte Tabak, Hingestreckt auf die Decke. Oh, oh, oh! Aga, während Du Kaffee trankst, gaben sie eine Salue auf Dich! EZ erhob sich eines Hundes Sohn und erschoss den Aga, Den Murtis Aga, den Edelsten und Vater des Ortes, Oder das Vied auf Hassan Dschaku: Hassan Dschatu, Schwertgestalt, Du fiengst Sclaven und Sclav innen, Ließest die Mutter als Nonne (kinderlos) zurück! . . . Menu Du iil eine Verschanznng sprangst. Kamst Tu immer mit einem Kopf in der Hand zurück. Nnd fragte der Vezier: „Wer nahm ihn?" So hieß es: „Hasfan Dschaku, der strahlende Jüngling, der nicht zu halten ist. AlB Du über deu Markt giengst, Erschoss Dich die ungarische Flinte," Und endlich noch eine Probe mit historischem Hintergrunde. Im Jahre 1831 lockte der berühmte Neschid Mehmed Pascha den größten Theil der meuternden Häuptlinge Süd-Albaniens nach Monastir, lnd sie dort zum Gastmahle, ließ sie dann von Soldaten umzingeln nnd sammt den: Gefolge niederschießen; nnr wenige retteten sich aus dem Mutbade. Auf Abas Thane, einem dcr in Monastir Erschossenen, hat sich folgendes Klagelied erhalten: Tapfere Krieger und Gefolgsmänner, wie blendetet ihr aller Augen! Wie betrog Euch der Sadrasem und hieb Euch in Monastir nieder! Wer nahm Dir die lieben Waffen, Pistolen und Iataaan und — 155 — Wer die silberne Flinte, und wer zog Dir die Schuppenweste Nils? Auch den Kopf hieben sie Dir ab nnd nahmen ihn nach Stambnl. Dein Leib blieb ihn Monasür, Abas Thane, Tu Blume! Oh, oh, oh! Das Bestreben, von der poetischen Echaffungsweise der Albauesen ein Bild zu geben, hat mnvWiirlich zu albanesischen Citaten geführt, die ohne Zweifel bereits im Leser das Interch'e für die Sprache selbst, deren Bau und Klang wachgerufen haben. Die albauesische Sprache, deren berühmteste Durchforscher die beiden Österreicher v. Miklofich und v. Hahn sind, ist eine ebenso antochthone und durchaus originelle, wie die ethnographische Natur, Abstammung und Geschichte dieses seltsamen Volkes. Bei aller unleugbaren Selbst-» stäudigteit eiues gewissen Theiles des albanesischcn Sprachschatzes gibt es vielleicht nur noch zwei Sprachen indogermanischer Abstammung, die mit fremden Elementen so bunt gemischt sind, wie die knatternde Sprache der Arnauteu. Das ist ohne Zweifel eine Folge der Mannigfaltigkeit der Völker, mit dcum die Albanefen politisch oder culturell verkehrt haben, obgleich sich ihr Volkscharakter sonst sehr exclnsiv uud ablehnend gegcn jedes andere Volk verhält. Nach den bisher gepflogeneu uud übereinstimmenden Untersuchungen hervorragender Sprachforscher riihren die meisten Mischwörter, etwa lOOO, von den Romanen her; diesen zunächst kommen griechische, slavische und türkische Einflüsse. Schleich hat 261 albauesische Thiernamen untersucht und uach seiner Zusammenstellung befanden fich darunter: 47 rumänische, ^l italienische und altlateiuische, — 150 — 41 altgriechische^ 38 neugriechische, 23 serbische, l 6 türkische, 16 germanische, 3 macedonische, Z illyrische, 2 mcssapische Wörter. Ausschließlich albanesische Wörter fand Schleich nur 30 — danu einige schallnachahmende, wie sie auch bei anderen Sprachen iu ähnlicher Weise auftreten. Weitere Untersuchnngen haben festgestellt, dass unter den Zeitwörtern die meisten ursprünglich albanesischen Wörter und Wurzeln vorkommen. Was bisher die gelehrte Forschung über die albane-sisch^ Sprache zutage gefördert hat, möge im nachfolge«» deu iu aller Kürze zusammengestellt werden. Der Accent ruht nicht in allen Wörtern anf derselben Silbe. Oft ist es die letzte, oft die viertletzte Silbe, die am stärksten, dann aber anch lange betont wird; im letzteren Falle tritt dann die vorletzte Silbe etwas vor. Durch den Antritt einer oder mehrerer Silben wird der Accent nicht verändert. Die albanesische Sprache kennt nur zwei Geschlechter, ein männliches und ein weibliches. Es gibt wie im Deutsche» bestimmte und unbestimmte Declinationsformeu. Genetiv und Dativ, Nominativ und Vocativ sind stets durch dieselbe Beugungsform vertreten. Auch der bestimmten Form der Hauptwörter wird kein Artikel vorgesetzt; dagegen steht derselbe vor jedem Beiworte. Iu manchen Fällen erscheint der bestimmte Artikel als Tuffixum (Postposition), mie dies bei der bulgarischen und rumäuifcheu Sprache ebeufalls geschieht. Hahn hat drei Dcclinatiousformeu für das Nomen aufgestellt uud findet mit denselben so ziemlich sein Auskommen. Das Beiwort kann entweder vor oder nach dem Hauptworte stehen, doch ist letzteres gebräuchlicher. Haupt- — 157 — wort und Beiwort stimmen mir in Bezug anf die Zahl, nicht aber auch in Bezug auf den Casus und die Form überein. Der komparativ wird durch Versetzung deS Adverbiums „mehr" gebildet, vor welches zur Bildung des Superlativs noch der Artikel tritt. Das persönliche Fürwort wird wie im Griechischen und lateinischen nnr dann dem Zeitworte vorgesetzt, wenn auf die Person, anf welche sich das Zeitwort bezieht, ein besonderer Nachdruck gelegt wird. Die Zeitwörter zerfallen in zwei große Classen: in solche, deren Stamm mit einem Consonanten, und in solche, deren Stamm mit einem Vocal endet. Es gibt nur drei vollständige Modi: Indicativ, Conjunctiv und Imperativ; im Passiv wie im Activ treten selbständige Endungen an den Stamm heran. Das der Sprache fehlende Particip Präsens wird durch das Adverbium tn1< „während" ersetzt. Es würde zu weit führen, wollte ich noch weiter auf die interessanten und seltsamen Eigenthümlichkeiten der albancsischen Sprache eingehen, denn das müsste deu beabsichtigten Rahmen dieses Bnches bei weitem überschreiten. Wer sich in dieser Richtnng näher orientieren will, der lese das Übrige in deu Werken von MillosiT, Hahn und Dozon nach; wer aber das gesammte ältere und neuere wissenschaftliche Material nachschlagen will, um sich über das albanesische Volk in allein nnd jedem ;ü unterrichten, der halte sich an die im folgenden Verzeichnisse enthaltenen Werke, welche die gesammte, znm erstenmale vollständig zusammengestellte Bibliographie über Albanien enthalten. — 158 — 7. Literatur über Albanien. 1. BarletiuZ! — „Geschichte Skanberbegs", lateinisch in mehreren Ausgaben. 2,---------In deutscher Übersetzung, Tübingen 1856, 3, L c^koi- c!n!,:— „IVHldllnie «t I«n Hid-in-ii«," ^«,i-j« 1880. 4, Zenia«^!«.: „^nai^FL üo III, lan^iw ^.1lil>.^:li88," 1'in'ift 1879. 5, Bopp F.: — Gesammte Werte, (über das Albanesische.) 6 Lc»u« ^mi: — ^I>a I'uniuie ä'^uropo." ?arl8 1840. 7. — — „Itsonmi «I'itillürllire«." Vieuns 1854. 8.--------„Geologie der europ. Türkei." Akademie der Wissenschaften-. 1874, 49. Band. 9. Li'o u ^tk ou : — ^I^Hvols." 10. Lun«I1i: — „<üaluniL »träniere ä'Itklia," 1850. 11. t^ li,7» !i r ä n, <^!,! - ^ZH^in «lissrammatoloFin,," I^ivurno 1864. 12.--------Dasselbe mit Appendice. Prato 1866, 13. Oor», <^l.: — „VillFFio uoila dn.38», HU,unia." lurin 1879. 14. viliieiv — „I^s«^N)aii. «nltuli«," Itov.ä. äolixmc>näI. 8uI1a,!inz;un,aId." ^O86NLa186ä. 16. Do2ou: — „Nxoursion «il ^ldanie," liull^tiil 6li 1a 5oo. ^eo^r. ?ll,ri8 1875. 19.--------„Nanu«! ä6 Ia lilii^uk! toliijis." ?ari8 1873. 2,). — — ,,N58ai äs 1a, ^ram. tolüpe." N.6vu6 üv i»1ii1. et «tl,n, 1'li,il8 1878. 21. Faul mann K,- ..Geschichte der Schrift." Wien 1880. 32. Fallmerayer: Gesammte Schriften. (Das alban Element.) 23, Fligier^ —„Zur Anthropolog Albaniens," Ausland 1679. 24 Gisecke V : „Thratisch pelasgische Stämme." Leipzig 1858. 25. Griesebach: „Reisen in der Türlei." 1839, 26. GyurkouicsG, v.: „Bosnien u. s. Nebenländer." Wien 1879. 27. Hahn G. v.: — „Albanesische Studien," Jena 1854, 28.-------„Reise von Belgrad nach Salonich" Wien 186l. 29.-------..Drin- und Wardar-Reise." 30.-------„Griechische u, albanesische Mährchen." Leipzig 1664. 31. Hammer-Purgstall: — „Gesch. des ottom. Reiches." 32. IIee." ^ri«8t 1871. — 159 — 39, X6I!,!I0 ^. n,: — ,,^Idlliiili, n,n<1 tlw Albanian«," In ,,^s^ture" I860. M.' 559. tiavsl." I^onäon 1880. 41. Kopitar: — „Die alb., walach., bulgar. Sprache." Wiener Jahrb. 1829. 42. Kriegt: „Über die thessalische Ebene." Frankfurt 1858. 43. Kristofoiidis: — „Albanesisches Wörterbuch." 44. I^ß tl li,« ^. U.I „1^rl<,v«l8 in nortiißi'u 6i'6eoL." I^olläon 1835. 45. — — „Ii68on,i-«lie3 in <3ieece." 46. I. stelln <3.^ — „VtliuoFi'. cl^ Ili ^,n'«iuw." ttotlia, 1861. 47. Loher F.: — „Albcmesen." Deutsche Neuue, 3. Iahrga. 48. Makulies: „Mttheilg. aus Macedomeu," Elbelfeld ^857. 49. Miklosich F. v: — „Albamsische Forschungen." 50. Müller I-: — „Ulbauien, Rumelien und die nwnt, Grenze," Prag 1844. 51. Nil:o Ik8 (r.: -" „I)« H1dau6N8iilM origins." l^üttiuF«n 1855. 52. ?!i^llULi. — „itistoils oi>n1n.tiou F1'00!1UL." 1877. 68. Tomaschek W.: — «Die vorslavische Topographie der Bosna, Herzegowina, Zrna-Gora und der angrenzenden Gebiete." Wien 1880. 69. Virchow: — „Zur Craniologie Illyr." Monatschr. Verl. Akad. 1877. 70. XylanderI.: „Die Sprache d.Albaneseu," Frankfurt 1635. 71.Massa Effendi: - „Die Albanesen," Berlin 1879. 72. Zotos: — „Über Epirus," (in «riech. Spr.). Athen 1877. 73. ZumpolideZ Dr.: — „Das Land und die Bewohner von EpiruB." Im „Ausland" 1880. Nr. 32. Inhalt. ^/ !. Äur allgemeinen Orienllerung............. 1 Nord- und Süd-Albanien........... 4 Ausländische Colonien . . . .-........ 8 ?. 8cul«ri unä Uln^«l>nnn.............. 14 Die albauesischen Gebirgsstäiume........ 19 Deren Sitten nnd Gebräuche ......... 24 Plawa nud Gnsinje ............. 35 Dulcigno.................. 39 Eine politische Fabel '............ -44 3. .Nnck Pli«ren .................. 48 Ein Reiseabenteuer.............. 50 Eine Militärparade.............. 61 H. Unler äen Mirllitcn................ 68 In der Residenz Oroschi............ 73 Tie herrschende Familie............. 77 Ein Mroitenpfarrer ............. 82 Der Mieg uin ein Weib.....'....... 97 5. DunWl, «nä Mitlel-Nlbanien.......... ,101. Arzt und Schuster.............. 104 Beainteulypen................ 107 Die ituzo-Walachen.............. N4 Ein veraltetes Türkmstäotchen ... -..... 117 Standerbeg, der 3tationalheld.......... 128 Kanlpfesweise der Albanesen.......... 136 6. ^ziracsic unä Duesie äcr Älbanesen.......... 141 Kin Märchen ................ 146 Lieoev.................... 151 Van der Sprache............... 155 /. Ailcrulur >>!)ei Mumien............» « 158 Truck «on Gottlieb Oistel öi Cie., Wien.