voH ogkflR kReveč A. SEEHOFF & Co G. M. a H. BERLIN Erinnerungen eines gewesenen OFFIZIERS Von Oskar Kreveč Verlag A. Seehorf & Co. Berlin Alle Redite, besonders das der Uebersefzung in fremde Spradien, vorbehalten Copyright by Verlag A. Seehoff & Co., Berlin Druck: H. Thomas Nachf., Berlin NW 87, Lessingstr. 11 Erinnerungen eines gewesenen OFFIZIERS Von OSKAR KREVEČ 19 2 7 VERLAG A. SEEHOFF & CO. P BERLIN 103924 E R S T E R T E / L M eine Herren! „Mit dem heutigen Tage schlieBen Sie jene Lebens- epoche ab, in welcher Sie heranreiften und alles das lernten, was Sie zur makellosen Ausiibung Ihres schvve- ren, jedoch herrlichen Berufs benotigen: eiserne Dis- ziplin, Subordination, Gefechtslehre, Reglements, Šport, Auftreten, Benehmen, Moral! Die Schule, welche Sie heute mit stolz- und freudengeschvvellter Brust ver- lassen, gab ihnen das Fundament, auf dem Sie nun weiter bauen miissen, um als Erzieher und Fiihrer leuchten zu konnen. Seien Sie sich jederzeit dessen bewuBt, daB Sie die Stiitzen des Thrones, die Hiiter der Religion, die Verteidiger des heiligen Vaterlandes — und infolgedessen die Ersten der Gesellschaft sind! Tragen Sie das goldene Portepee Seiner Majestat in Ehren und bedenken Sie, daB jedes Auge auf Sie blickt. Als Soldaten seien Sie Lehrer und Fiihrer, Vorgesetzte und Vater, — streng, jedoch unparteilich gerecht! Zeigen Sie Mut und Tapferkeit, ja in gegebenem Mo¬ mente opfern Sie freudig Ihr Leben fiir Gott, Konig und Vaterland, damit die Generationen ein vviirdiges, nacheiferungsvolles Beispiel vor den Augen haben mogen. Gehen Sie mit Stolz in die Welt; zeigen Sie dem Feinde, wie ein Offizier der . . . Schule zu kampfen und zu siegen, zu sterben weiB. — Seine Majestat, unser allerhochster Kriegsherr: Hoch!“ So lautete der Trinkspruch des Generals S. beim Ausmusterungsdiner, anlaBlich der Ausmusterung der Zoglinge aus der . . . Kadettenanstalt im Jahre 1915, am 15. Marž. Begeisterte „Hoch“-Rufe, Glaserklirren und Hande- drucke waren die Antworten; dann wurde das unter- brochene Festessen fortgesetzt. 5 „Ein charmanter Herr, unser Militarkommandant!“ — sagte mein Tischnachbar, aus Begeisterung einen Kelch Champagner leerend. „Wirklich, ein netter Mann! Leutselig und doch gleichzeitig unnahbar. Dabei besitzt er schon den Leopoldsorden!" — antvvortete ich, vvahrend mein Auge am Leopoldsorden haften blieb, den ich mit verlangen- dem und neidvollem Blick betrachtete. „Ach, wann wird meine Brust so etwas ahnliches dekorieren?“ seufzte ich leise. Mein Nachbar mochte Aehnliches gedacht haben, denn er sprach wieder zu mir: „Du, es mufi doch herrlich sein, Auszeichnungen zu besitzen! Denke nur an den Neid der schabigen Zivilisten! An die Bewunderung der Madchen! Man hat gleich einen andern Wert als so’n grauer Burger- vogel, als ein gevvohnlicher Kanzleimensch. Ach, es ist doch herrlich, Offizier sein zu konnen!“ „Du hast vollkommen recht“, erwiderte ich. „Der Offizier ist der erste Mann im Staate. Er hat uberallhin Zutritt. Sein Kleid besitzt derartigen Zauber, daB sich alle Turen vor ihm offnen!“ — Dabei dachte ich unwillkiirlich an jenes Bild mit den Schillerschen Versen aus „Wallensteins Lager“, welches im Korridor der Anstalt so angebracht war, daB wir taglich den Vers lesen muBten: — Hab’ den Kaufmann gesehen und den Ritter, Und den Handwerksmann und den Jesuiter, Und kein Rock hat mir unter allen Wie mein eisernes Wams gefallen! — „Und die Madchen, die Frauen erst“, sagte liistern mein Nachbar. „Denke nur, was wir jetzt Anwert haben werden! Wie den stiBen Geschopfen unser Sabel, unsere Uniform imponieren wird. Wie leichf man ihnen die Kopfchen wird verdrehen konnen. — Wenn ich nach Hause komme, dann ziehe ich Lack- 6 schuhe, eine Salonhose in englischer Fasson, eine graue Kammgarn-Bluse an, nehme eine niedere Kappe und gehe Besuche abstatten. Wie alle gaffen und schauen werden!“ — Und in Extase leerte er schnell ein Glas vom perlenden, „ararischen“, Littke-Champagner. Neben mir sa8 ein invalider Oberleutnant, der die Kostlichkeiten des „glorreichen“ Krieges bereits kennenlernte. Als Andenken trug er ein Stelzbein. Er war auch Lehrer der Anstalt. Beim Zuhoren unseres kindischen Gesprachs verzog er seinen Mund und lachelte ironisch, wobei er sprach: „Kindskopfe! Bedauernswerte und doch gliickliche! Ihr kennt das Leben und den Krieg noch nicht! Ihr lebt noch in negativem Nirnana! Euch kiimmern nur die Madels und die Uniform. Spater vielleicht die Pferde und die Hunde; dann werdet Ihr militarische Sorgen haben, die aber die groBten sein werden! Ich rate Euch, auch die iibrige Menschheit zu achten und zu ehren! Denn vielleicht werdet Ihr solche unter dem schlichten Biirgerrock finden, deren Wissen Euch eine geziemende Hochachtung wird abzwingen miissen. Ka- meraden! Nicht im Sabel und Krakeelen, im Saufen, Reiten und Weiberverfiihren liegt die Kraft, sondern im Gehirn, im Geist! — Und was wissen wir? Doch lassen wir das! Prosit! DaB Ihr meiner Worte ge- denken moget!“ Wir tranken. Mir erschien das Gehorte unklar und unverstandlich. Ich fragte: „Herr Oberleutnant, ich bitte! Sie sagten, nicht im Sabel lage die Kraft! Wer wiirde dann das Vaterland verteidigen, wenn der sabelfiihrende Arm kraftlos vvare? Und weshalb soli ich den Biirgerrock achten, wenn er mich nicht achtet? Wir wissen, daB iiber Sabel- affaren manche Zeitungen Zeter und Mordio schreien! Ist das nicht Verachtung unseres Standes? Die Burger miissen einsehen, daB ich als Offizier, eben weil ich sie verteidige, ein Privilegium haben muB. Das Privile- 7 gium des Waffengebrauchs zur Verteidigung meiner und der Standesehre!“ Der Oberleutnant lachelte nachsichtig zu meiner hitzigen „Beweisfuhrung“. „Schau, liebes Kind! In das Thema lassen wir uns nicht ein. Denn um das zu verstehen, mufi man gelesen, viel gelesen haben, — um die Menschheit von oben, das heiBt vielseitig beurteilen zu konnen. Und wir beurteilen die Menschheit und unser Tun nur vom militarischen Standpunkte aus. Wir konnen auch gar nicht anders urteilen, eben infolge unserer Er- ziehung! Und unsere Erziehung mufi so sein, wie sie jetzt ist, denn sonst vviirden wir den Sabel bald an den Nagel hangen. Nur eine Frage will ich beantvvorten: die Frage des Waffengebrauchs. Man akzeptiert es stillschweigend, daB vvir das Pri- vilegium vor den andern Standen und Klassen haben miissen, denn wir sind in erster Linie berufen, den Thron und das Vaterland zu schirmen. Gut! Aber ver- teidigen nur vvir allein die Heimat? Ich meine, daB im Ernstfalle auch der friedliche Burger mit bevvaffneter Faust seine Pflicht tut. Oder nicht? Stehen in diesem Moment nicht mehr Reserveoffiziere vor dem Feinde als Berufsoffiziere? Und hat der Reserveoffizier das Recht, im Biirgerrocke von einer Waffe Gebrauch zu machen, vvenn er beleidigt vvird? Nein! Ist die Biirgerehre etvvas anderes als die Offiziersehre?“ Ich vvar total verbliifft, sozusagen abgetuscht, — denn diese Anschauung vvidersprach jener, vvelche uns in der Schule eingepaukt vvurde. „Pardon, Herr Oberleutnant, — aber die Offiziers- ethik? Wo ware das Ansehen unseres Standes?“ — fragte ich. „Es gibt nur eine Ethik! Es gibt keine Burger- und Offiziersethik, es gibt nur eine Menschenethik!“ sprach bestimmt der Invalide. „Das Ansehen unseres Standes? Das Privilegium? Der Kaufmann, der Bauer, 8 der Kanzleimensch usw. . . . konnte mit demselben Recht das Privilegium fur seinen Stand fordern, da er an der Front denselben Dienst leistet, wie vvir. Alle kampfen und bluten! Und doch fordern sie es nicht. Und vveiBt du vvarum? Weil jene Klassen infolge mehrseitiger Erziehung sich nicht nur mit unserem Handvverk ab- gegeben und mit reifem Verstand Einblick in dasselbe genommen, sondern weil sie mehr gelesen, gedacht, nachgedacht haben, weil sie mit andern Menschen in Beruhrung kamen und sich jetzt in geistiger Hinsicht bereits so hoch erhoben, daB sie ein solches Privilegium spottisch und nachsichtig belacheln, es auch als Ueber- bleibsel eines barbarischen Zeitalters betrachten. Ja, sogar unseren Stand betrachtet man als Mitteialter! Blicke in die Welt und horche! WeiBt du, vvie man in gesitteten Kreisen denkt und schreibt? Man lehrt: je zuriickgebliebener, unvvissender, inferiorer ein Mensch ist, desto mehr laBt er sich durch die Triebe und In¬ stinkte beherrschen, desto mehr wild, rauflustiger und egoistischer muB er sein! Man bevveist, daB die GroBe der Armee eines Staates in verkehrtem Verhaitnisse zur Kultursture der Menschen des betreffenden Staates steht! Nun? Begreifst du jetzt, daB und vvarum unser Stand kein besonderes Ansehen in den Augen hoch- gesitteter Biirgerklassen hat? Doch, wie gesagt, reden vvir nicht mehr davon! Ich vvill dir keinen bitteren Stachel in dein militarisch unberiihrtes Herz setzen. Vielleicht vvirst du einmal an meine Worte zuriick- denken! Bleiben vvir lieber beim Wein und denken vvir lieber an die Worte des unsterblichen Schillers: .Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst!' Prosit!" Ich vvar ganz vervvirrt. Mit meinem unreifen Ver¬ stand konnte ich das Gehorte gar nicht verstehen und begreifen. Wir sollten als Ueberbleibsel des finstern, barbarischen Mittelalters betrachtet vverden? Je roher, unvvissender ein Volk, um so groBer die Armee? Also ist es dann keine Ehre, fur Gott, Konig und Vaterland 9 zu streiten und zu sterben? Wenn wir verachtet werden, weshalb ist dann mein Stand der erste? Warum haben wir iiberallhin Zutritt? Warum werden wir durch den Kaiser ausgezeichnet, durch die Regierung hochge- schatzt? Weshalb segnet der Klerus unsere Waffen? Wie ist das alles moglich? Blitzschnell bestiirmten mich diese Gedanken, und da ich fiihlte, daB ich dies alles nicht verdauen konnte, fluchtete ich dorthin, wo ich Unterstiitzung erhoffte: Ein unwissender, an keinem Denken disziplinierter Mensch erwartet Hilfe immer von auBen, da ihm sein Gehirn keine bieten kann. Ich dachte, daB das voin Oberleutnant Gesagte nicht stimmen konnte, da meine gewesenen Lehrer als geistig gereifte Manner eben das Gegenteil lehrten. Ich dachte, daB Manner, die auf hochster gesellschaftlicher Stufe stehen, es wahr- scheinlich besser wissen miissen, als ein einfacher Ober¬ leutnant, denn sonst vviirden sie uns doch nicht be- schirmen; wiirden iiberhaupt nicht jenen Posten inne- haben, wenn sie nicht geistig hochstehend waren. Da sie aber als geistig hochstehende Wiirdentrager den Offiziersstand hochachten, an seinem Privilegium kein Riitteln dulden, so muB das eben Gehorte das Un- richtige, die Biirgerklasse die Niederstehende und mein Beruf ein ehrenvoller und glorreicher sein. Nachdem ich so einen Schutz meines Berufes durch Gedankensurrogate gefunden zu haben glaubte, be- dauerte ich gleichzeitig den armen Invaliden; ja, ich spurte eine Ueberlegenheit iiber ihn und beruhigte mich. In diesem Augenblicke wurde das Diner durch den Hochstanwesenden aufgehoben. Wir erhoben uns, hor- ten noch einige Abschiedsphrasen an, tranken unsere Glaser leer und gingen in die Schlafsale, um unser Ge- pack vvegschaffen zu lassen. Nachher noch einige Hande- driicke, einige „Lebewohls“ und „Viel Glucks“, und hinaus ging es ins Leben, vielleicht dem Tode ent- gegen. 10 II. lH) eim Passieren des Hauptportals der Anstalt, wo meiner Person der aufgefiihrte Posten stramm die Ehren- bezeugung leistete, welche erste Begebenheit eine Flut voli vvonnigen Hochgefiihls in mir ervveckte, blickte ich noch einmal, zum letztenmal auf die nun verwaiste, verodete Anstalt zuriick. Wieviel bange, wieviel gliickreiche Tage habe ich hier nicht verbracht?! Was habe ich in jenen Tagen von zukiinftigem Ruhm, von zukiinftiger Auszeichnung und Belohnung nicht zusammengetraumt? Als mein Vater mich zum erstenmal hierherbrachte, als die Auf- nahmepriifungen iiberstanden vvaren, und als er dann vvieder abreiste, mich fremd, scheu, unter den anderen Zoglingen zuriicklassend: vvie zitterte in mir der Tren- nungsschmerz gepaart mit Heimweh! Wie heftig weinte ich unter der iiber meinen Kopf gezogenen schafvvollenen Dečke, als um 9 Uhr der melancholische Zapfenstreich ertonte. Dann kamen Tage voli roher Behandlung, dann kamen die Tage der Rekrutenausbildung, des Drills, des Angebriilltvverdens, des Rapportbefohlenseins, kurz, Tage des disziplinierenden „Niirnberger Trichters“, wo aus ungelenken, tolpelhaften Buben dressierte, gerade gehende Maschinen erzeugt wurden. Langsam setzte auch der theoretische Unterricht ein, vvelcher dann unsere Seelen in militarischem Sinne zu dressieren be- gann, bis sie sich formten und vollsaugten. Hier vvur- den uns die „glorreichen“ Heldentaten der Armee er- liiutert; hier lernten wir die Geniestreiche gevvesener Feldherren kennen; hier lernten vvir das Verfahren, vvie aus einer Niederlage eine „Riickwartskonzentrie- rung“ zu machen sei; vvir lernten in- und fremdliindische Mordvverkzeuge in ihrem verheerenden Raffinement ken¬ nen; hier vvurde uns beigebracht, vvie man durch die geschickte Anvvendung der Gefechtslehre Tausende und n Tausende unschuldige Menschen niedermurksen kann fiir die heilige Dreieinigkeit: Oott, Kaiser, Vaterland! Wir lernten die Anbetung des Gotzen „Tradition“; wir lernten Schliff, Anstand, das Tanzen und Fechten usw., ailes, was ein gevvandter Offizier braucht; ja sogar, vvas sich neben den Mordsachen recht komisch aus- nimmt, Religionslehre hatten wir auch! Wir lernten, vvie in allen Erziehungsanstalten, mit dem Gehirn unserer Lehrer denken. Ein individuelles Denken, eine selbstandige Gedankenentwicklung gab es nicht, durfte es ja nicht geben. Manche seelischen Lichtblicke, manches geistige Aufflackern, mancher Zwei- fel wurde unbarmherzig unterdriickt. An einige solcher Episoden kann ich mich sehr gut erinnern, z. B.: Im Geschichtsunterricht trug der Lehrer die Ge- schehnisse der Jahre 1848—1849 vor. Der damalige Kampf der Magyaren gegen Oesterreich vvurde „die ungarische Revolution“ betitelt und nach militarisch- osterreichischem Geschmacke vorgetragen. Uns vvieder vvurde in den ungarischen Mittelschulen „vom ungari- schen Freiheitskampf“ in magyarisch-chauvinistischer Methode gepredigt. Selbstverstandlich fragten wir jetzt den Lehrer, vvie es moglich sei, daB in einem Lande eine Begebenheit so vielseitig vorgetragen vvird? Das Resultat vvar 20 Tage Schularrest „vvegen Zvveifel an der Richtigkeit des Vortrages!“. So ging es lange, bis wir ailes von militarischem Standpunkte aus richtig kapierten! Doch so manches konnte nicht unterdriickt, nicht uberbriickt vverden. Ein anderes Beispiel: Der Religionsprofessor trug uns die Entstehung des Weltalls und der organischen Wesen im Sinne der Bibel mit Bekraftigung einiger theologischer Flos- keln vor. Am nachsten Tage hatten vvir naturvvissen- schaftlichen Unterricht, in vvelchem uns der Lehrer die Entstehung des Weltalls in Kanfschem und die Entstehung der organischen Wesen in Darwin’schem Sinne vortrug. Der erste erzahite uns ein Marchen, welches ein verniinftiger Geist nicht auffassen konnte, der zvveite trachtete das Vorgetragene mit Hilfe einiger Hypothesen zu unterstiitzen, so, daB es uns begreiflich und auffaBbar wurde. Diesmal waren wir schon ge- witzigter und fragten keinen Lehrer um Auskunft, denn der Schularrest war uns noch gut im Gedachtnis. Dann kam aber das „Was?“ und „Wie?“. Dann kam der seelische Zv/iespalt! In der Pause fragte ich meinen Nachbar: „Du, also jetzt mochte ich doch wissen, wer recht habe?!“ „Wie, wer recht hatte?“ erwiderte, mich verstandnis- los anschauend, Zogling B. „Kannst du dich nicht mehr erinnern? Gestern er¬ zahite uns der Herr Religionsprofessor: Gott sprach, es werde Licht, und es ward Licht! Gott sagte, es soli sein, und es vvurde aus Nichts alles, was heute leibt und lebt! Heute trug uns der Herr Hauptmann die Atomtheorie vor, erklarte das Prinzip des Materie- und Energiebegriffes, erzahite von Anziehungs- und AbstoBungskraft, von Rotation, von der Zentrifugal- kraft. Er erlauterte das ,Entstehen der Arten‘, die Entvvicklungstheorie der organischen Wesen, und wir kapierten. Jetzt sag’ einmal, wer hat recht? Wer liigt? Denn einer muB doch liigen!?“ „Wirklich, du hast vollkommen recht! Wem soli man glauben? Wenn ich dem Religionsprofessor sage, ich glaube ihm nicht, so fliege ich aus der Schule. Sage ich dasselbe dem Herrn Hauptmann, so fliege ich vvieder hinaus! So glaube ich dem Herrn Hauptmann, weil mir der Inhalt seines Vortrags logisch glaubbar erscheint; vvahrend ich dem Religionsprofessor im In- nern nicht glaube, auBerlich aber glauben muB, damit ich eine gute Note bekomme," sagte Zogling B., wo- bei er tief aufseufzend verbliifft seinen Kopf schiittelte. Und das Resultat war Heuchelei! 13 Wir gingen in die Kirche, zvvickten der Beichte aus, um am nachsten Tag mit der groBten Seelenruhe das AbendmahI einzunehmen. Wir kommunizierten, weil wir kontrolliert wurden, ansonsten hatten wir uns auch dort gedriickt. Schon auf diese Art und Weise wurde in uns die Heuchelei groBgezogen, nur deshalb, weil der Staat in seiner beschrankten Kurzsichtigkeit Liigner bezahlt, die die Seelen der aufwachsenden Jugend zu vergewal- tigen trachten, im Falle des Nichtgelingens der Unter- druckung aber Heuchler erziehen! In national-patriotischer Hinsicht wurden wir als treue Anhanger der Dynastie erzogen. Als bestes Trieb- mittel diente die „Tradition“. Aus der Tradition wurden uns aufopfernde Begebenheiten erklart, aus der Tra¬ dition wurde auch die Vaterlandsliebe abgeleitet, die Tradition wurde als leuchtendes, nacheiferungsvolles Beispiel hingestellt, deren ausgetretenen FuBtapfen wir unbedingt folgen miiBten. Interessant war, wie man darnach trachtete, aus dem Gehirne der Jiinglinge die eigene Nationalitat und Muttersprache auszumerzen. Im und auBer Dienst vvar nur die deutsche Sprache gestaftet mit der Begriindung, daB die Dienstsprache die deutsche sei! Wenn wir ertappt wurden, daB wir in einer anderen Sprache konversierten, so war die Folge „wegen Nicht- befolgung der Befehle: . . . Tage verscharfter Arrest!“ Das fortwahrende Einscharfen einer und derselben Sache ist eine „Quasi-Suggestion“, welcher eine un- reife Seele friiher oder spater erliegen muB. So eine „Quasi-Suggestion“ war die Tradition und der Natio- nalismus, durch welche wir anfangs betaubt, dann ein- geschlafert wurden, um als feurige Patrioten zu er- wachen. Und wie wenige erwachen infolge einer „Psychoanalyse“ aus diesem benebelten, ungesunden Zustande? Es ist wahr, daB nur geistig hochstehende Menschen mit Hilfe der Wissenschaften aus diesem bornierten Zustande hervorleben, sich herausarbeiten 14 konnen, um, emporfliegend, nicht nur ihr Nationchen, sondern die Welt, die ganze Menschheit zu iiberblicken. Emporend und abstoBend wirkt nur der krasse Egois- mus der leitenden Stellen, die in ihrem kleinlichen Diinkel und in ihrer Eingebildetheit die Zukunft der Menschheit nicht auffassen wollen und mogen, oder nicht konnen. So absolvierte ich nun die Schule mit Vorzugserfolg, stand als zukiinftige Saule der Armee vor dem Haupt- tore, um, die Schwelle desselben iiberschreitend, den ersten Schritt ins Leben zu tun. Auf dem Wege zur Tram beobachtete ich die Passanten, ob sie ja einen Blick auf mich werfen; aber ich konnte aus den meisten Augen nur Mitleid lesen: so jung und schon Kanonenfutter! Gleichzeitig forschte ich darnach, ob die „Burgerrocke“ mich meiner Uniform vvegen nicht verachten? UnbewuBt fiihlte ich in mir, daB die Rede des invaliden Oberleutnants auf fruchtbaren Boden gefallen war. Der Unteroffizier einer voriibermarschierenden Kompagnie kommandierte die Kopfvvendung, die erste militarische Ehre, die mir galt, und vervvischt vvar der friihere miBtrauische Gedanke. Ich war ja Offizier, ich trug das goldene Portepee Seiner Majestat, ich war Jemand, ich vvar eine kleine Schraube in zermalmendem Miihlvverk, Militarismus genannt. III. TFl )er Abschied von meinen Eltern, bei vvelchen ich meinen zehntagigen Urlaub verbrachte, fiel mir ziemlich schvver. Konnte doch diese Umarmung die letzte sein. Der Selbsterhaltungstrieb laBt sich nicht ubervvaltigen, trotz allen Gefasels, trotz aller Ausschmiickung des Heldentodes mit vielen Epitetons. Die Illusion, dieses Surrogat des „biblischen andern Lebens“ vvar aus meiner Seele bereits vervvischt, es stand also vor meinem Blicke 15 nur das „irdische“ Leben mit ali seinen Reizen, Ge- niissen und Wonnen. Und dieses Leben hinzuopfern, auf Befehl, fiir einen unklaren Zweck ist sehr schwer! Unreif und unklar stand dieses Bild vor meiner Seele, als ich nach einer letzten Umarmung in die tranenden Augen meiner Lieben blickte. Auf der Fahrt nach Z., wo derzeit mein Ersatz- bataillon stationiert war, dachte ich unvvillkiirlich an den Beweggrund des Weltkrieges. In der Schule wurde uns dariiber nicht viel erzahlt. Als beinahe unreife Kinder kiimmerten wir uns um die schamlosen, egoisti- schen Kniffe der Diplomaten gar nicht; konnten uns ja auch darum nicht kiimmern, da ein heranreifendes jiinglingsgemut sich mit allem befaBt, nur mit ernsten Dingen nicht. Was vvuBten vvir davon, daB die meisten Diplomaten halbintelligente Charaktere waren, deren Tun und Handeln vom rohesten Egoismus geleitet vvurde, alles natiirlich in ein national-patriotisches Kleid gehiillt. Und wird nicht selbst die Masse durch Sug- gestion von ihrem Wollen abgeleitet, um ihre Hilfe fiir ganz andere Ziele zu miBbrauchen, als sie er- strebte? Und alles in einen national - patriotischen Kittel gesteckt! Uns vvurde im Rahmen eines Vortrages erlautert, daB die germanische Rasse einen Entscheidungskampf mit der slavvischen Rasse aufnehmen miisse, weil unsere Kultur, unsere Sprache, unsere „alleinseligmachende“ Kirche, unsere Dynastie, kurz alles bedroht sei. Das war beilaufig der Prolog. Die Fortsetzung dieser Er- lauterung war annahernd folgende: „Und nun macht sich plotzlich ein kleines, aus unzivilisierten Menschen bestehendes Land durch seine fortvvahrenden Intriguen und Agitationen bemerkbar, unterstiitzt durch das ,Miitterchen‘ RuBland. Diese Sla- vven vvarfen einen neidvollen Blick auf unsere empor- bliihenden, siidlichen Gefilde, um dort alles zu ver- nichten, vvas ,deutscher FleiB' und ,deutsche‘ Kultur 16 geschaffen hatten. Sie zwangen uns die Waffe in die Hand, um eine endgiiltige Abrechnung zu halten! Und furchtbar vvird die Abrechnung sein! — Und furcht- bar vvird die Abrechnung sein mit unseren inneren, fortvvahrend vviihlenden Feinden, vvelche durch ihre blodsinnige, internationalistische Theorie alles ,Schone‘ und ,Gute‘ vernichten, unsere ,glorreiche‘ Dynastie ver- jagen, unsere Kirche vertilgen vvollen! Wir werden sie vernichten als vvilde Tiere! Deshalb, vveii sie Hand in Hand mit unseren auBeren Feinden vorgehen! Sie, ais zukiinftige Offiziere sind berufen, die Armeen dem Siege entgegenzufiihren. Auf Sie blickt vertrauensvoll das giitige Auge unseres greisen Monarchen, von Ihnen ervvartet Befreiung die dankbare Monarchie! Vernichten Sie alles, was uns untergraben vvill, denn selbst der ,allbarmherzige‘ Gott sagt: Und kitzelt dich ein Auge, so reiB es heraus!“ — Die Triebfedern der Kriege: Konkurrenzneid, Hab- sucht, Landergier, Herrschergier, Befriedigung der Wol- lust, und Kriege, entfacht, um dem eigenen Zusammen- bruch zu entgehen, also der krasse, gevvissenlose Egois- mus; diese Triebfedern vvurden uns vvohlvveislich nicht klargelegt. Und auch das wurde uns nicht erlautert, daB der Nationalismus durch gevvissenlose Elemente in die Seelen eingeimpft vvurde, quasi als Benzin, um durch ihn den Massen eine Triebkraft zu geben, sie aufeinanderzujagen, um egoistische Zvvecke zu erreichen. Der Nationalismus ervveckt HaB gegen andere Na- tionen, vveii im Nationalismus die Triebfedern des Nei- des, des Eigendiinkels, des Hochmutes liegen. Der HaB projiziert alle iiblen Eigenschaften, die man selbst be- sitzt, auf andere Volker und Nationen, um sie dort im Lichte des Nationalismus in um so abschreckenderen Vereinigungen zu zeigen; gerade so, vvie die Religion den Teufel erfunden hat, um unsere bosen Triebe und Eigenschaften auBer uns zu personifizieren. Der HaB im Dienste des Nationalismus erleichtert den Kampf 17 desselben und gerade deshalb ist er feige, weil er eine Unterstiitzung, den HaB, braucht! Die Triebfeder des Hasses und der Feigheit ist der Egoismus; im Natio- nalismus ist der HaB und die Feigheit enthalten; der Egoismus ist in ethischer Beleuchtung unsittlich: ergo ist der Nationalismus unsittlich! — Ich wufite nur, daB man uns vernichten vvolle. Vor einer Vernichtung schutzt die Armee; ich als Offi- zier dieser Armee muB also kampfen, weil es befohlen wurde: das iibrige ging mich nichts an. In Z. angekommen, fragte ich einen Trager in ungarischer Sprache, wo das Kommando meines Ba- taillons einquartiert sei. Der Mann sah mich verbissen an, schiittelte die Schultern und antwortete: „Ne govorim madžarski! Pitajte u hrvatskom jeziku! Jesmo u Hrvatskoj !“* Nachdem ich endlich Auskunft erhalten hatte, ging ich weiter. Doch die Antvvort des Mannes liefi mir keine Ruhe. Wie ist in manchen Failen die Theorie ganz verschieden von der Praxis? Ich lernte in der Schule, daB Kroatieu ein Gebiet der St. Stephanskrone sei, also zu Ungarn gehore. Mit naiver Vorstellung glaubte ich daher, daB man iiberall ungarisch spreche. Diese Vorstellung war die Folge des uns gelehrten Nationalismus. Und hier stieB ich auf einen einfachen Mann, der wieder die kroatische Sprache forderte. Ich fing schon an einzusehen, daB das Leben und der in der Schule gelehrte Nationalismus ganz anders aus- sehen, als wie man diese Dinge von der Schulbank aus betrachtet. Nach zweimonatigem Garnisonsdienst ging ich mit einem Marschbataillon an die Front. Beim Verlassen des Zuges in den Karpathen stieBeu wir auf unser in Rast und Reserve befindliches Regiment. Nachsten Mor- gen formierte sich das Bataillon vor einer improvisierten * „Ich spreche nicht ungarisch! Fragen Sie in kroatischer Sprache! Wir sind in Kroatien!“ — Der Veriasser. 18 Feldkapelle. Der Regimentspater „erflehte vom Himmel den Sieg unserer Waffen“ und segnete dann unsere Mordwerkzeuge im Namen des „dreieinigen“ Oottes. Wir wurden dann in das Regiment einrangiert. In meinem Quartier angekommen, hatte ich MuBe, um Reflexionen iiber das Waffensegnen anzustellen! Es beweist eben die Dummheit der Volker, daB sie nicht begreifen konnen und wollen, welche Mittel beniitzt werden, um sie an der Nase herumzufiihren. Und eines dieser Mittel ist die Religion. Im Namen der Religion wurden Kriege entfacht, vvurden Menschen niedergeschlachtet, wurden tausende Opfer verbrannt, verbannt, ungliicklich gemacht. In der modernen Welt flehen alle Nationen den Himmel um Siege an; bei jeder Nation werden die Waffen gesegnet, um den Mitmenschen ja besser zu treffen und niederzumachen; nach jedem Siege, d. h. nach jedem unerhorten Nieder- schlachten werden „Dank- und Festgottesdienste" ab- gehalten; jede Nation fleht ihren „nationalistischen“ Herrgott um Siege „fiir die gerechte Sache Qottes“ an. — Und die blode Masse sieht den Bluff nicht, v/ill nicht begreifen, daB der liebe Herrgott, um sich aus seiner fatalen, unerquicklichen Lage zu retten, die Re- gentschaft iiber den vernarrten Menschen langst nieder- gelegt haben muB. Dabei soli die christliche Religion auf der Nachsten- liebe und der Barmherzigkeit basieren? Dabei wollen die Menschen nicht begreifen, daB der Egoismus eben- falls die Grundlage der christlichen Weltanschauung ist? Wo eine Religion die verwerfliche These aufstellt, daB ich das prinzipiell Gute nur des Lohnes wegen tun, das Bose nur der Strafe vvegen meiden soli: dort werden eigenniitzige Spekulanten erzogen! In welcher Religion es eine Holle und einen Himmel gibt, dort ist diese Religion vom Egoismus durchtrankt; Eigennutz ist feige und unsittlich: daher ist die christliche Welt- anschauung und Religion unsittlich! 19 Die Religion ist eine treue Dienerin des Nationalis- mus, durch viele Sunden mit ihm derart verkuppelt, daB eine Trennung iiberhaupt nicht moglich scheint. Die eine hort auf zu sein, wenn der andere fallt. Das Ungewisse, das Unbestimmte, das Unaufgeklarte, das Mystische der Religionsanschauung halt die Masse im Bann, iibt eine deprimierend verdummende Suggestion aus, eben weil die Masse den dumpfen, erstickenden Nebel mit ihrem Unverstande nicht durchstoBen kann. Und diese Suggestion, diesen Nebel legt auf die Masse der Nationalismus mit seiner Buhlerin Religion. Der Konig ist „von Gottes Gnaden“ Konig. Der Konig ist das Oberhaupt des Staates, also das Oberhaupt der Nation. Er ist der erste Patriot! Da er also von „Gottes Gnaden“ der erste Nationalist ist, muB er auf die Religion bauen. Religion und Nationalismus helfen sich gegenseitig aus. Man versuchte ofters, beide zu trennen, und nie gelang es bisher, weil sie eben ohne einander nicht lebensfahig sind. Mit steigender In- telligenz flaut die Religion wie der Nationalismus ab. Um mich nicht miBzuverstehen, ich verstehe unter In- telligenz jene psychische Eigenschaft, welche das Ein- saugen einer universellen Bildung gestattet. Einseitig gebildete Menschen sind nicht intelligent, sie sind in gegebenem Falle verderbliche Dummkopfe! An der Front muBte ich dem invaliden Oberleutnant vollkommen recht geben. Beim Regiment waren ca. 20 Berufs- und ca. 60 Reserveoffiziere. Al le taten die Pflicht, als ob sie immer das Offiziershandvverk ge- lernt hatten. Auch die Mannschaft tat den Dienst, trotzdem sie aus beinahe lauter Ersatzreservisten und Landsturmmannern bestand. Jetzt trat mir die krasse Ungerechtigkeit des Waffengebrauches bei Ehrenbelei- digungen vor die Augen. Nach einigen Monaten wurde dieses Thema vvieder erwahnt. 20 Das Bataillon, in welchem ich diente, war in der Reserve. Kommandant des Bataillons war General- stabshauptmann P., ein intelligenter, gerechtdenkender Mann. Er selbst vvar es, der das Gesprach auf das Dueli brachte und es als ungerechte, barbarische Sitte verwarf. So ungefahr fragte ich ihn: „Sagen Sie, Herr Hauptmann! Finden Sie es richtig, daB nur wir allein das Privilegium haben, im Falle einer Ehrenbeleidigung von unserer Seitenwaffe Gebrauch zu machen?“ Nach langerem Nachdenken antwortete Hauptmann P., der mir spater ein vaterlicher Freund wurde, und der mir den ersten Impuls zum Lesen vvissenschaftlicher Werke gab, folgendermaBen: „Die Sache laBt sich kurz so erklaren: im Mittel- alter, wo es noch keine standigen Armeen gab, hatten die Pflicht der Vaterlandsverteidigung Ritter und Edle, also die Vorganger des heutigen Adels, auf sich. Infolge ihres Dienstes genossen sie Privilegien, waren in einem Ausnahmezustand, brauchten keine Steuern zu zahlen usw. Wir sind die Nachfolger der Ritter! Da aber mit einer fortschreitenden Intelligenz diese Ungerechtigkeit eingesehen vvurde, anderte sich die Lage der Mensch- heit um ein gevvaltiges. Alk wurden gleich, anschei- nend vvenigstens, alle muBten Steuer zahlen, alle vvurden gerichtiich belangbar usw. Stehende Heere vvurden auf- gestellt, in vvelchem Institut ein jeder gesunde Mann die vorgeschriebene Zeit abdienen muBte. Um aber solche Menschen gevvinnen zu konnen, die ihr Leben dazu widmen, um andere Menschen im Waffengebrauch usw. auszubilden, und die zu jeder Zeit bereit sind, ihr Leben fiir Anderer Zwecke zu opfern, dazu brauchte man Lockmittel! Denn Wert auf Erden hat nur das, was in irgendeiner Weise den Interessen der Menschen dient, in irgendeiner Weise ihre Bedurfnisse befriedigt. Und die Kraft, welche auf die Befriedigung der Bedurfnisse 21 hinvvirkt, nennt man Trieb. Auf diesen Trieb bauten die schlauen Diplomaten das aktive Offizierskorps. Sie sagten sich, daB eine — sagen wir — verfeinerte Form des Selbsterhaltungstriebes der „Gluckseligkeitstrieb“ sei, d. h. der Trieb nach Befriedigung des Wunsches auf egoistischer Grundlage. Denn merke dir, es ist leider wahr, daB die Menschenseele in erster Linie gar nicht nach Wahrheit, sondern nach den Existenz- bedingungen strebt, die sie braucht, um zu leben. Wir erkennen einen Unterschied zvvischen objek- tiver und subjektiver GevviBheit! Wir erkennen, daB neben der sicht- und greifbaren, realen Welt eine groBe, \veite, ideale Welt der lllusionen 'oesteht In diese zweite Welt projizieren wir alles Gute und Schone, alles Ideale und wahrhaft Gerechte, alle Eigenschaften, die wir hier vermissen. So entstand das ,Himmelreich‘ der Religion. So begreifen wir den Ausspruch Feuer- bachs: Ein Gott ist nichts anderes, als der in der Phantasie befriedigte Gliickseligkeitstrieb der Menschen! Ein Grundpfeiler des Gliickseligkeitsfriebes ist die Eitelkeit. Da man jetzt keine Grundbesitze verschen- ken konnte, so verschenkte man Titel, Orden und Pri- vilegien." „Dadurch versuchte man, zweierlei zu erreichen: erstens, infolge Befriedigung des Gliickseligkeitstriebes die scheinbare Bestechung des Selbsterhaltungstriebes; zvveitens, infolge Auszeichnung einer Standesklasse durch Orden, Privilegien, die auch auBerlich wirken und zeigen muBten, die Neiderregung der anderen Klassen. Um aber zu verhiiten, daB die Instinkte doch das Netz durchstoBen konnten, versuchte man die Denkkraft durch kiinstliche Mittel: durch Nationalismus und Religion total zu umnebeln.“ Der Hauptmann ziindete sich eine Zigarre an. Ich war durch seinen scharfsinnigen Vortrag anfangs frap- piert, dann nach und nach ganz in den Bann seiner logischen Erlauterung geraten. „Ja, aus diesem Ge- 22 sichtspunkte konnte ich die Sache nicht betrachten!" dachte ich mir. „Meine Meinung ist,“ sprach fortfahrend Hauptmann P., „daB es liberhaupt keine sichtbaren Unterschiede, keine Privilegien geben darf. Warum? Weii wir kein Recht dazu haben. Haben unsere Leute im Schutzen- graben auch Ausnahmen? Wir iiben im Frieden einen Beruf aus, wie andere Burgerklassen; nur daB der ihre nutzbringender ist als der unsere, der nur auf Morden und Zerstoren gerichtet ist. Und wo sehen wir den groBten Teil jener friedlichen Menschen? Hier, an der Front, vvo sie ihr Leben gerade so der Oefahr aussetzen, wie wir. Und wenn du einen „Biirgerrock“ zu Hause im Kaffeehause ankrakeelst, so muB er schweigen, denn an deiner Seite biinkt der Sabel! Denke dir das Um- gekehrte: dich soli jemand ankrakeelen; so hast du das Recht, sofort blank zu ziehen und dreinzuhauen! Und betrachten wir die Sache vom ethisch-asthe- tischen Standpunkte? Ist es vielleicht eine so ruhm- volle, glorreiche Tat, Menschen auf s Morden zu dres- sieren? Gibt es einen Unterschied zwischen demHand- werk des Henkers und dem der Offiziere? Nein! Beide morden auf Befehl! Der eine den Verbrecher, der andere den ,verbrecherischen‘ Feind! ich wage sogar zu behaupten, daB unser Beruf unsittlicher ist als der des Henkers, denn der Henker ist meistenteiis ein un- vvissender, roher Bengei, der von Ethik, Moral usw. keine blasse Ahnung hat, der sein Opfer, welches viel¬ leicht ein verkommenes Subjekt ist, auf richterliches Urteil hin erdrosselt; die Offiziere aber haben Schulen, haben doch einen Weltbegriff, haben sogar eine ,Offi- ziersethik', und doch lehren sie berufsmaBig das Morden. Der Henker vertilgt ein Individuum, vvelches derMensch- heit im allgemeinen schadete, welehes gewissenlos mor- dete, um seine tierischen Instinkte zu befriedigen; der Offizier fuhrt Scharen an zum Morden; mordet selbst einen solchen Feind vielleicht, welcher der iibrigen 23 Menschheit einen Dienst leisten, sie vielleicht aus ihrer geistigen und korperlichen Unterjochung befreien wollte, welches Vorgehen die andern Machthaber aber er- schreckte. Sage mir, welches Handwerk ist sittlicher? Und deshalb fordern wir Auszeichnungen und Privi- legien?“ Der Hauptmann schvvieg. Nachdenklich blies er den Rauch seiner Zigarre in die Hohe. „Weshalb aber vvidmeten sich Herr Hauptmann dem Offiziersberufe ?“ wagte ich zu fragen. ,,Deshalb/ 1 erwiderte er, „weil ich aus einer Offi- ziersfamilie stamme; auBerdem lockte mich das AeuBere des Berufs: Sabel, Uniform, Ansehen usw. Elstern und Kinder lieben glitzerndes Zeug. Erst in der Kriegs- schule lernte ich mit andern Augen sehen. Jetzt ist es schon zu spat, das heiBt, ich rede mir so ein, daB es zu spat sei, einen anderen Beruf zu ergreifen. Hier wirkt die Erziehung, die Bequemlichkeit, die Denkfaul- heit und die Resignation mit. Ich finde nicht mehr die Kraft, mich zu erheben. Da mufi ten andere Ur- sachen spielen, daB ich mich vielleicht ermanne. Na, geh’n wir schlafen, es wurde schon ziemlich spat, und morgen ist auch ein Tag! Servus!“ IV. J[ch war nun bereits zwanzig Monate an der Front, in der Kampflinie. Wahrend dieser Zeit hatten vvir einige Scharmutzel, Gefechte und auch Schlachten zu bestehen gehabt. Viele Kameraden verlor ich, viele wurden zu Kriippeln geschossen und einige weilten als Kriegsgefangene im Feindesland. Ich war als junger Offizier bereits Fiihrer einer Koinpagnie, auch drei Auszeichnungen dekorierten meirie Brust, darunter so- gar ein Ritterkreuz. Auch in geistiger Hinsicht machte ich Fortschritte. Mein Bataillonskommandant, Haupt- 24 mann P., der mir miftlervveiie ein unvergeBlicher Freund und geistiger Berater wurde, verschaffte mir einige natunvissenschaftliche Werke aus der Frontbiicherei. Vieles war mir unbegreiflich, denn ich besaB kein vorgearbeitetes geistiges Fundament, auf vcelches ich bauen konnte. So las ich an Tagen der Ruhe eben alles durcheinander. Anfangs fiihlte ich einen an Katzen- jammer erinnernden Zustand. Ich fiihlte mich unwohl, besaB keinen Appetit, war unlustig und aufbrausend. Ich war einem hysterischen Zustande verfallen. Erst Freund P. brachte etwas Ordnung in meine Gedanken. „Sage mir, weshalb raufen wir Menschen mitein- ander, wo ja doch alles gleichgiiltig sein muB? So viel verstehe ich schon, daB wir im Braukessel der Natur nicht mehr sind als die letzten organischen Wesen“ fragte ich P. „Nein, mehr sind wir in den Augen der Natur nicht als die Algen oder die Bakterien! \Vir leben unter dem- selben Naturgesetz,“ erwiderte er, „aber wir haben die Moglichkeit einer fortwahrenden Geistesentwicklung! Vor einigen tausend Jahren standen die Menschen auf demselben Niveau wie die Tiere. Sie konnten noch nicht sprechen, sondern gaben unartikulierte Laute von sich; sie lebten wie die Tiere, vom Raube und vom Mord. Der Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb be- herrschte ihr Tun und Handeln, wie bei den Tieren. Sie hatten keine Ethik, Aesthetik, Sitte, Religion, Gesell- schaftsordnung, Staatsform usw., alles nicht, was wir heute haben. Sie waren die fortgeschrittensten Tiere! Vielleicht beniitzte einmal der eine Urmensch im Kampfe gegen Tiere oder gegen andere Urmenschen einen Ast, und fiihlte instinktiv, daB er solchermaBen seinem Arme eine groBere Schlagkraft verleihen konnte. Der Nach- ahmungstrieb verleitete die iibrigen zu ebensolchem Tun. Dann lernte er, aus Stein, Knochen und hartem Holz Gerate verfertigen, mit welchen er andere Tiere und Urmenschen erlegen und bekampfen konnte. Da 25 er aber fiihlte, daB er sich gegen Tiere und vielleicht andere Menschen leichter verteidigen konne, wenn er sich geselle, so verband er sich mit seinem vielleicht nachsten Hohlenbewohner. So entstand die erste Ge- meinschaft. Der ,Herdeninstinkt' trieb dann immer mehr und mehr Urmenschen zusammen. Der Fortpflanzungs- trieb fand ahnliche Befriedigung wie bei den Tieren. Der Kraftigste und Verschlagenste, vor dem die iibrigen Furcht hatten, \vurde Fiihrer. Der ordnete an, die iibrigen folgten: das Gewohnte wurde zum Gesetz! Ge- setz und Sitte sind einem fortwahrenden Wandel unter- worfen. Und die Religion, die Entstehung Gottes? Naturerscheinungen, \vie z. B. Blitz, Donner, konnte sich der Urmensch nicht erklaren, und da er fiihlte und sah, daB diese Naturerscheinungen ihm personlichen Schaden zufiigen konnen, so bekam er Furcht. Und die Furcht mit Unwissenheit gepaart, erzeugt eben Phantome, Nebel- gebilde, Phantasmagorien usw. Der Gott, als ein uii- verstandliches, rachsiichtiges, weh- und schadentuendes Ehvas wurde in der Furcht erzeugt! Den Kultus er- zeugten vvieder jene Gebaren, welche man zur Versoh- nung, zur Bestechung des ,Gottes' anwandte. Mit fortschreitender Geistesentwicklung nahmen die Gesetze, die Sitten andere Formen an; auch die Religion wurde mystischen und metaphysischen Veranderungen unter- worfen, doch im groBert und ganzen steht das Gros der Menschheit noch immer dort, wo unsere Vorfahren standen! Wir haben Gesetze, welche uns andere auf- oktroyieren; wir raufen, weil unsere uns aufoktroy- ierten Fiihrer es befehlen; wir beten noch immer ein unverstandenes Phantom an, wir machen noch immer Bitt-, Versohnungs- und Fluchprozessionen, gerade wie die Urmenschen! Nur ist der Unterschied der, daB unsere Machthaber es verstanden haben, diese Dinge alle in ihrem Dienste und Interesse zu handhaben, und wir glauben halt in unserer geistigen Tragheit, daB es so ,sein muB‘.“ 26 „Und glaubst du, daB eine Aenderung eintreten muB?“ fragte ich. „Merke dir,“ antwortete P., „daB der menschliche Geist einer fortdauernden Evolution unterworfen ist. Ware dies nicht der Fali, so hatten wir z. B. keine Maschinengewehre, Scheinvverfer, Schnellfeuerkanonen usw. Sei der AnstoB der Fortentrvicklung eine geringe anatomisch-physiologische Aenderung einiger Gehirn- zellen, sei der Ausgangspunkt ein psychischer, was kiim- mert es mich? Der Fortschritt ist vorhanden! Der geistige Fortschritt verabscheut alles Rohe, Gemeine, Gewalttatige. Es sollen die modernen Norgler briillen, daB ,die Erfiillung der Triebe und Instinkte das Na- tiirliche sei‘: ergo das Morden, das ,Aus-dem-Weg- schaffen' das Selbstverstandliche sein muB! Sie wiirden gewaltig staunen, wenn sie in einigen hundert Jahren vvieder auf die Welt kamen. Mit ihren kleinlichen Gehirnzellen konnen sie eine andere Gedankenrichtung gar nicht auffassen. Und eben, weil das Gehirn, der Geist einer fort¬ dauernden Evolution nach aufwarts untervvorfen ist, miis- sen unsere spateren Generationen unserTunund Handeln verabscheuen. Die Natur ist jetzt vielleicht noch nicht auffaBbar, unser Geist entwirft trotzdem ein subjektives Bild von ihr, und deshalb kann man behaupten, was heute ,naturlich‘, das kann morgen ,unnatiirlich‘ aus- sehen und so aufgefaBt werden. Man schreibt, daB diese Gedankenentvvicklung der Degeneration entgegensteuere; nun, wenn diese Leute recht hatten, was ich nicht glaube: dann lieber ein im Frieden und in der Ruhe, in Gerechtigkeit lebender, in geistigem Kampfe der Degeneration entgegensteuernder Mensch, als eine blut- saugende, mordende, zerfleischende ,natiirliche‘ Bestie, Mensch genannt." Mein Freund sprach die letzten Satze heftig aus, wobei er nervos den Einbanddeckel von Danvins „Ent- 27 stehung der Arten“ zerknitterte. Unwillkiirlich fiel sein Blick auf das Titelblatt. „Dieser Mann hat grofi e Wahrheiten geschrieben und trotzdem wurde er von inferioren Elementen ver- hohnt. Auch Galilei wurde der Wahrheit wegen durch die Pfaffen gefoltert und beinahe hingerichtet. Ich wixrde Darwins ,Kampf ums Dasein' nicht mehr blofi aus dem Selbsterhaltungstrieb ableiten. Der moderne ,Kampf ums Dasein‘ hat Klassenkampfcharakter ange- nommen, in welchem Kampfe Ausbeuter, Hohlkopfe, Schmarotzer, Unterdriicker, Gotzendiener, robe Egoisten gegen friediiebende, gerechtdenkende, Gleichheit ver- langende Menschenklassen kampfen. Hier handelt es sich auf einer Seite um das zahe Festhalten am Lebens- kiinstlertum und am Egoismus, auf der anderen Seite um das Vertilgen aller Schmarotzer und Heuchler, das Schaffen eines gerechten Menschendaseins, und das ist das Richtige! Gerade so, wie man einen Obstbaum von Schmarotzern und vom Ungeziefer reinigt, damit er edles, unbeschadigtes Obst trage, so mufi te man die Menschheit von ihren Schadlingen befreien, denn der Stamm, das Volk ist gesund! Nur die Fruchte, die Fruchte taugen nichts!“ So und ahnlich waren unsere Gesprache, vvelche mich der geistigen Befreiung entgegenfuhrten. Diese Gesprache wurden nur unter uns gefiihrt, denn im Falle einer Anzeige hatte uns das Kriegsgericht ganz be- stimmt in seine liebevollen Arme aufgenommen. Aus dem Nebel der Menschheit tauchte hie und da eine Kontur hervor, die ich erfassen und in meine diirstende Seele projizieren konnte. Alles war noch rauh, liicken- haft, vieles unverstanden, und das meiste ungelesen, unaufgearbeitet. Mein Geist war erst im Erwachen begriffen. — Eines Morgens brachte eine Feldvvache meiner Kom- pagnie einen ubergelaufenen Russen. Ich beobachtete fol- gende Szene: Als der Russe aus dem zur Feldwach- 28 stellung fiihrenden Laufgraben in die Stellung kam, wo meine Mannschaft eben die Waffen und Aus- rustungsgegenstande reinigte, blieb er erschrocken stehen. Ein Infanterist tat gerade einen herzhaften Schluck aus der Feldflasche. Der Blick des Russen blieb wie gebannt ara Munde des trinkenden Soldaten hangen. „Schau, wie der arme Teufel durstig ist“, sagte ein Soldat in ungarischer Sprache. „Eh, wegen diesen Hunden mussen wir auch manch- mal die Qualen des Hungers und Durstes erleiden! Warum haben sie den Krieg begonnen?" sprach wiitend mein Diener. „Er ist auch ein Mensch wie wir! Dir mochte es auch gut tun, wenn du ,driiben‘ von einem Russen was zu trinken bekamest", antwortete ein alter In¬ fanterist. „Auch ihn hat eine Mutter geboren!" bemerkte ein Gefreiter. „Wenn man dem Feinde Gutes tut, so wird er es mit gleichem vergelten! Vielleicht hat auch er Weib und Kind zu Hause? WeiB er, warum er kampft? Er muB, trotzdem er vielleicht nicht will! Auch Christus sagte: Liebe deinen Nachsten wie dich selbst!“ sprach einer meiner Telephonisten. „Na, und wiBt ihr etwa, weshalb ihr kampft?" fragte bissig ein Soldat, welcher mir als unverlaBlich und ,destruktiv‘ gesinnt iibergeben wurde. Der Genannte war Aufseher in einer Fabrik gewesen. „Ihr kampft ebenfalls, weil ihr miifit, gerade, wie der dumme Russe! Der Herr Leutnant hat euch etwas vorgeschwefelt und ihr mit eurem dummen Verstande glaubt es. Doch . . .“ „Pst! Der Herr Fahnrich kommt!" avisierte ein Mann, als er das Herannahen des diensthabenden Fahn- richs bemerkte. Ich nahm mir vor, den „Sozialisten“ mal anstandig in Arbeit zu nehmen, denn ich konnte nicht zulassen, daB meine Kompagnie „demoralisiert“ werde. 29 Der Fahnrich schwenkte in einen Laufgraben ein. Wahrend dieser Zeit stand der Russe und glotzte herum. Ein Mann ging zu ihm und gab ihm zu trinken. „Trinke, Zabrali!“ sagte der Infanterist, das Zeit- wort „zabraliti“ als Hauptwort benutzend. Wenn unsere Soldaten in Galizien „requirieren“ gingen, so kamen ihnen die Bauern mit den Worten: „Nimamo nic! Mos- kali secko zabrali!“* entgegen: Daher die Benennung der Russen: „Zabrali“. Gierig trank der Russe. Dann nahm er seinen Brot- sack hervor, kramte darinnen herum und zog ein aus Holz verfertigtes, braun und schwarz bemaltes Pferd- chen hervor. „Za tvoga sina!“** sagte er, indem er das wahr- scheinlich fiir sein Sohnchen verfertigte Spielzeug dem Getrank anbietenden Soldaten uberreichen wollte. Ich verliefi meinen Beobachtungsplatz und ging in den Unterstand. „Das ist der Krieg!“ dachte ich. Zuerst zerfetzen sich die Menschen wie wilde Tiere, dann bieten sie sich Geschenke an. Jetzt mochte man die Nationalitaten nur an den Sprach- und Kleidungs- verschiedenheiten merken, das Gebahren aber entspringt doch der Menschenliebe! Hier ein Magyare, dort ein Russe! Beide sind nach diplomatischen Begriffen „Feinde“. Trotzdem bietet einer dem andern Labung und Geschenke an. Wurde der Nationalismus natiir- lich sein, so miifiten sie sich eigentlich anknurren, wie zwei eifersiichtige Hunde. Da das Naturgesetz aber keinen „Nationalismus“ kennt, sondern nur Menschen, so vollbringen sie das, was die Menschenliebe diktiert. Jedes Kind wird als internationaler Weltbiirger ge- boren. Dem Kinde ist jede Sprache gleich. Es erlernt diejenige, welche man ihm beibringt. Erst mit reiferem Verstande wird ihm der Nationalismus eingepaukt. Und auch dann ist er noch nicht iiberzeugend, sondern nach- * „Wir haben nichts! Die Russen haben ailes davongetragen! 11 ** „Ftir deinen Sohn!“ Der Verfasser 30 geahmt! Wenn man einen zehnjahrigen slavvischen Kna- ben nach Ungarn brachte, wo er erst die Sprache er- lernen mufi; wenn man ihn von seiner Heimat voll- kommen abschnitte und ihn in magyarisch-chauvinisti- scher Methode erzoge, so wurde aus ihm der iiber- zeugteste Rasseungar werden. Und trotzdem beugen sich die Volker vor dem Unnatiirlichen, statt dem Na- tiirlichen folgen zu wollen; trotzdem \verden die Men- schen auf jenes nationalistische Prokrustesbett gestreckt, welches die Keime der Volkerstreite, des Hasses, des Hochmuts, des erbarmungslosen Niedermordens in sich tragt. „Man mufi trachten, die Obstbaume von den Schma- rotzern zu reinigen, um edles, unbeschadigtes Obst zu erhalten“, fiel mir der Ausspruch meines Freundes P. ein. V. T0 )ie altersschwache, morsche Monarchie krachte schon in allen Fugen. Zwei Krafte zerrten und rissen an dem baufalligen Gebaude des habsburgischen Kaiser- staates; zwei Stromungen machten sich in der Welt bemerkbar: eine reaktionar-konservative, der Nationalis- mus, und eine emporstrebend fortschrittliche, der So- zialismus. Die erste Stromung hatte den Zweck, die Nationen in ihrem Nationalismus zu vereinigen, die Nationen aus fremdsprachigen Staaten zu befreien. Konservativ ist die Stromung deshalb, weil sie die neugewonnenen Massen in den alten Kittel zwang, den man nur etwas erweiterte, um die „Befreiten“ hineinzwingen zu kon- nen. Reaktionar deshalb, weil diese Befreiungsgeliiste einen ganz anderen Zweck im Hintergrunde hatten, als edlen Menschenzweck! Auch hier spielte die Haupt- 31 rolle der Egoismus. Man wollte reicher, groBer, noch hochmutiger und anmaBender werden, wenn man die „befreiten“ Rassen als Zuschlag anrechnet. Der Na- tionalismus diente als Deckmantel. Das ist die reine Tatsache vor jenen Menschen, die zu analysieren und zu „psychologisieren“ wissen. Das Geschrei nach Auf- rechterhaltung nationalistischer Kultur, Kunst, Religion, Sprache usw. sind nur schmuckende Beitrage, der Egois¬ mus ist die Triebenergie! Die zweite Stromung bezweckte eine EinfluBnahme auf die Entwicklungsgesetze der menschlichen Gesell- schaft und eine Umwalzung in derselben. Sie steht also hoch oben, den Blick auf die Zukunftsziele der Menschheit gerichtet. Um mich nicht miBzuverstehen: ich spreche nicht vom Kommunismus. Man solite den Kommunismus vom Sozialismus stets unterscheiden und beide nicht durcheinander mengen. Der Kommunismus hat die Tendenz zur Gemeinschaft, ist also Endzweck! Der Sozialismus ist die Bestrebung zur Kooperation der Gesellschaft und zur Anerkennung der Menschheit in jedem Gliede derselben. Der Kommunismus sagt: Bis hierher und SchluB! Der Sozialismus weist aber weit vorvvarts! Der Sozialismus bedeutet eine fortentwickelnde Evo- lution; den emporsteigenden Geist beniitzend, will er jedem Individuum die mit menschlichem Geist auffafi- bare Gerechtigkeit und Gleichheit, Zufriedenheit geben! Der Kommunismus wird auch einmal an seinem toten Punkt anlangen und wird einstens als konservativ be- trachtet werden, vvahrend der Sozialismus jene Leiter ist, auf welcher die Menschheit immer emporsteigend jenes Ziel, jene Lage zu erstreben sucht, welche ihr als die schonste, die edelste, die gerechteste zu scheinen diinkt. Der Sozialismus ist also kein Endzvveck, sondern ein fortwahrender Fortschritt! 32 Beide Stromungen, die nationaiistische Befreiung wie der Sozialismus, gepaart mit dem Kommunismus, schritten Schulter an Schulter der Revolution entgegen. Nachdem ich schon iiber 20 Monate ununterbrochen an der Front stand, wurde ich als „iiberfliissige Sabel- charge“ ins Hinteriand zum Ersatzbataillon abkomman- diert. Es war auch die hochste Zeit, denn ich war schon seelisch und korperlich ganz gebrochen. Auch meinen besten Freund, Hauptmann P., verlor ich, denn er \vurde als Major zum Kommandanten eines Feldjager- bataillons ernannt. Ich kam mir ganz venvaist vor. Die Oberflachlichkeit, die Denkungsvreise, das leere Gesctnvatz der ubrigen Offiziere behagten mir nicht mehr. Das fortvvahrende Gesprach iiber Saufen, Weiber, Dienst, Kartenspiel, iiber kleinliche, lacherliche Dinge erregte in mir schon Ekel. Ich schloB mich ganz ab und vergrub meine freie Zeit im Lesen vvissenschaft- licher Biicher. Mittlervveile erhielt ich die vierte und fiinfte Dekoration, doch jetzt freuten sie mich nicht mehr. Ich dachte, dali ein jeder gesittete Mensch mit Abscheu von solcher dekorierten Brust wegblicken muBte. Die „Dekorationen“ sind ja jene sichtbare Zei- chen, welche der Soldat fiir eine „hervorragende“ Lei- stung und Fiihrung einer gesetziich gestatteten Schlach- terei, fiir Heraufbeforderung einer solchen oder im Dienste einer solchen erworben hat. Ein armer Teufel, der, durch Schicksalsschlage verfolgt, zermiirbt, im Hasse und in der Verzweiflung einen Ausbeuter oder einen Schmarotzer umbringt, der erhalt keine Dekoration, trotzdem er durch seine „verwerf!iche“ Tat der Mensch- heit im allgemeinen vielleicht einen Dienst leistete: er wird als „abschreckendes“ Beispiel gehangt! Wenn man jeden Diplomaten als „abschreckendes“ Beispiel hangen vviirde, wenn er Kriege heraufbeschwort, so wiir- den die Kriege bald in Vergessenheit geraten! — Das Leben beim Ersatzbataillon gefiel mir schon gar nicht. Das eigene Leben war mir relativ sicher, 33 aber sonst war es abscheulich. Immer mehr und mehr zeigten sich drohende Zeichen einer Emporung. Das Volk war unzufrieden, hungerte, muBte alles opfern; die „Reichen“ und die „Unentbehrlichen“ waren „enthoben“ und „befreit“. Die Kriegsgewinner und die Hochstehen- den, ein groBer Teil der Offiziere praBten, buhlten und soffen und kummerten sich keinen blauen Teufel um das Elend, das um sie immer groBere Dimensionen an- nahm. Sie bemerkten und fiihlten auch jene haBerfiillten und rachsiichtigen Blicke nicht, welche sie bei nacht- lichen Gelagen streiften. Bei einer solchen Gelegenheit, es war dies auf der Terrasse eines Kaffeehauses in K. (mein Ersatzbataillon \vurde mittierweile aus Z. nach K. transferiert), machte ich die Tischgesellschaft aufmerksam, — da ich namlich ein drohendes Gemurmel der drauBen stehenden Leute horte, — daB es doch angezeigter ware, dem Volke keine Gelegenheit zur Erbitterung zu geben, denn der knurrende Magen macht uniiberlegt. „Der Herr ist auch in der Holle Herr! Das ,Ge- sindel' muB kuschen! Drauf, Zigeuner!“ schrie ein schon halbbetrunkener Oberleutnant. „Dann reserviert euch schon jetzt den Platz beim Satan! Das ,Gesindel‘ wird euch dorthin bald den Weg zeigen!“ rief eine erbitterte Stimme. Es folgte eine Sekunde lang Totenstille, dann rann- ten alle Offiziere, die Damen allein lassend, hinaus, wo sie selbstverstandlich niemanden mehr vorfanden. Der osterreichisch - ungarischen Monarchie wurde langsam das Totenhemd vorbereitet. . . . Um meinen Lungenspitzenkatarrh, den ich an der russischen Front erwarb, auszuheilen, reiste ich nach K., einem Bade- und Kurort am Plattensee. Das dort herrschende wiiste Leben zu beschreiben, straubt sich meine Feder. In jener Zeit, wo dem Volke Getreide, Hausgerate usw. requiriert wurden, wo die Manner ver- 34 bluten mufiten, wo das Elend und die Not anfingen zu herrschen, in jener dem Verfalle entgegensteuernden Zeit herrschte in K. der groBte Luxus. Die Mehrzahl der Badegaste bestand aus dem weiblichen Oeschlecht der hoheren und Kiinstlerklasse und der Halbwelt. Manner waren viei weniger vertreten und meistens GroBkapitalisten, Kriegsgewinner, Armeelieferanten und hochgesteilte Beamte. Man kann sagen, es herrschte dort ein fortvvahrender Taumel. Alies wurde dem FraB, der Vollerei und dem SinnengenuB geopfert. Die An- regungen und Verlockungen gingen meistens vom zar- ten Geschlechte aus. Es schien, als wenn diese Schad- linge das drohende Gewitter gefiihlt hatten und nun so schnell als moglich alies aufzusaugen versuchten, was das Leben an Ausschweifungen nur bieten konnte. Ich blieb nur 14 Tage in K., dann riickte ich wieder ein. Nach der Absolvierung des Maschinengevvehrkurses in Oe-tabor, benutzte ich die erste Gelegenheit, an die Front zum Regiment abgehen zu konnen, denn das Hinterland wurde mir total verleidet mit seinem Elend, seiner Korruption und seiner Demoralisierung. Mein Regiment war jetzt am siidwestiichen Kriegs- schauplatz und befand sich im Vormarsche gegen die Piave. Der Mangel an Kleidung und Verpflegung war schon derart groB, dafi im Mai die Mannschaft nur mehr „D6rrgemiise“ und griines Gemiise ohne Ein- brenne und ohne Fett verabreicht bekam; auBerdem war sie so bekleidet, daB sie das Aussehen eines bewaffneten Bettlerhaufens hatte. Auch die Unzufriedenheit und die Ungeduld vvuchsen von Tag zu Tag. Jedes Gefasel der Vorgesetzten, die morsche Monarchie mit einem national-patriotischen Bande zu umgeben, fand nur taube Ohren. Hier war aller Patriotismus schon abgestorben; man sah nur noch Heim, Weib und Kind vor dem Auge. Das iibrige war ein uberwundener Standpunkt! 35 Nach dem Riickzuge, gelegentlich der „verungluck- ten“ Offensive an der Piave, am 22. Juni 1918, be- merkte ich zum erstenmal die Symptome einer Ernporung bei der Mannschaft meines Regiments. Wir passierten eine Ortschaft, wo das Korpskom- mando etabliert war. Die Villa, in welcher das Kom- mando samt Štab untergebracht vvar, lag in einem Gar- ten, dessen vorderer Rand die StraBe saumte. Mein Regiment marschierte, besser gesagt, schlich beim Gebaude voriiber. Ein ausgemergeiter, ausgehun- gerter, von Strapazen und Aufregungen mitgenommener Korper kann nicht mehr marschieren, der kann nur noch schleichen. Wir standen noch unter dem Eindrucke des gevvaltigen, achttagigen Ringens; wir sahen im Geiste das Ertrinken unserer Kameraden in der Piave; wir fiihlten noch die furchtbaren Detonationen feind- licher Geschiitzgeschosse, wir sahen noch die verhee- renden Wirkungen derselben; unsere Uniformen trugen noch die grunen Spuren feindlicher Gasgeschosse, und unsere Magen waren noch immer ieer, unsere Nerven standen noch in vollkommenster Vibration der Ge- schehnisse: da weckte uns plotzlich ein Gejohle, Glaser- klirren und Weiberquietschen aus den versunkenen, dumpfen Gedanken! Der Štab des Korpskommandos unterhielt sich! Die Herren soffen Champagner an einer langen Tafel, welche im Garten gedeckt war. Und in ihrer Gesellschaft Weiber, die sogenannten „vveiblichen Hilfskrafte“, vvelche durch die Armee- leitung angestellt, ihr Unwesen im Etappenraume trieben und auf vvelche die Betitelung „weibliche Hilfskraft" vvahrlich paBte; denn sie „halfen“ die einsamen Stunden der „iiberburdeten“ Offiziere des Etappenraumes und der hoheren Štabe mit ihrer „Weiblichkeit“ versiiBen; sie halfen den Herren im Trinken und Saufen. Und wie riihrend vvar die Fiirsorge des Armeeoberkom- mandos fur jene Holden?! Man errichtete eine Nie- derkunftsanstalt fiir schvvangere, eine Krankenanstalt 36 fiir geschlechtskranke vveibliche Hilfskrafte. Man ver- kiirzte uns Frontoffiziere, indem man sie mit unserem Stoffe bekleidete. Die Herren beim „Fleischkessel“ gaben den zarten Wesen iiber Gebiihr zu essen und zu trinken, auch von unserem Anteile. Und die Herren unterhielten sich jetzt mit jenen Frontdirnen. Und wir schlichen wie eine Horde er- bitterter, ausgehungerter Bettler voriiber. Der Selbst- erhaltungs- und Fortpflanzungstrieb erv/achte mit un- beschreiblicher Gewalt in unseren Seelen: Neid, Hab, Rachsucht, Sinnenlust, Abscheu usw., alle Eigenschaften und Auslaufer der Triebe und des Egoismus waren in hellstem Aufruhr! Geballte Fauste, unterdriickte Fliiche, Verwiinschungen konnte ich bei vielen meiner Leute beobachten; die Stumpfsinnigsten vvarfen gierige Blicke auf den gedeckten Tisch, und die Herren soffen, hielten die geilen Weiber umfabt, grohlten und johlten und kummerten sich um keine verungliickte Offensive, fiihl- ten kein Erbarmen mit den unschuldigen Opfern des groben Massenmordens, sahen keine auf dem Wasser schwimmenden, aufgedunsenen Leichen; sie soffen, um hernach mit den „ararischen“ Dimen zu veb- schwinden . . . „Bestien! Elende, niedertrachtige Bestien!“ zischte ich. „Und ihr geht in den Schulen herum, predigt von der Herrlichkeit unseres Berufes? Ihr predigt vom Patriotismus? Und spuckt ihr euch hinterher nicht an ob eurer Heuchelei? Es ist wahrlich Zeit, dab diese Maskerade ein Ende nimmt, bevor ihr noch tausende Menschen ins Ungliick stiirzt!“ Und mit mitleidvollem Blicke betrachtete ich meine Leute, bedauerte sie in tiefster Seele, hatte konnen die ganze Kompagnie umarmen, ihr die Worte der Suttner zurufen: „Die Waffen nieder!“ und mubte schweigen. Im Monat Oktober wurde ich mit Malaria behaftet ins Spital nach N. in Ungarn abgeschoben. Jeden Tag horte ich dort die Salven krachen, \velche an den Gra- 37 bern der an Malaria gestorbenen Soldaten verpufft vvurden. Das Spital bestand aus Baracken, vvelche mit Kranken uberfiillt waren. Als ich mich etwas wohler fiihlte, muBte ich Nachtdienst leisten. Der Eindruck meiner ersten und letzten Nachtinspizierung laBl sich nicht heschreiben. In einer Baracke standen ca. 100 Betten, in je zwei Betten 3—4 Malariakranke. Ueberall Schmutz, Un- geziefer, beschmutzte und beschmierte Betten ohne Lein- tiicher mit je einer Dečke. Die Luft stinkend, stickig, die Raumlichkeiten ungeliiftet. In der Mitte jeder Ba¬ racke ein offener Nachtstuhl fiir Schwerkranke, mancher schon seit einigen Tagen nicht geleert und gereinigt. Man kann sich die Atmosphare vorstellen! Und die Kranken? Arme, griingelbe, ausgehungerte, vor Fieber- frost mit den Zahnen klappernde, nach Wasser und Chinin stohnende Menschen. »Ordonnanz! Ordonnanz! Wo in drei Teufels Namen steckt der Kerl?“ rief ich verzweifelt, angeekelt. Doch keine Ordonnanz war zu finden. Ich lieB den Sanitatsfahnrich, der im Spital vvohnte und dem die Ordonnanzen, die Sanitatssoldaten, unterstanden, un- barmherzig wecken mit dem Befehl, daB er sich sofort bei mir zu melden habe. Nach ca. 5 Minuten meldete sich bei mir ein Jiing- ling, der Sanitatsfahnrich. „Herr!“ herrschte ich ihn an. „Das heiBt bei Ihnen Dienst tun? Wo sind Ihre Mannschaften? Sauvvirtschaft das! Dafiir bezahlt Sie der Staat, daB Sie schnarchen, anstatt, daB Sie Ihre Leute kontrollieren?" „Herr Oberleutnant! Ich melde gehorsamst, daB ich vor einer halben Stunde kontrolliert habe, und da waren alle noch hier!“ meldete er. „Uebrigens kann ich nicht jede 5 Minuten herumsteigen, da ich auch schriftliche Sachen zu erledigen habe.“ 88 „So? Sie konnen nicht? Sie melden sich morgen beim Spitalskommandorapport, auf meinen BefehI! Ver- standen? Und das nennt man Spital, Pflege? Schaffen Sie sofort einen Mann her, dann Chinin! Den andern Kerl sogleich einsperren, wenn er kommt!“ „Das Spital hat schon seit zwei Wochen kein Chi¬ nin !“* ervviderte der Fahnrich. Nachdem er einen Mann gebracht, befahl ich ihm, mich in jede Baracke zu begleiten. Ueberall Klagen wegen Mangel an Chinin und Ver- pflegung, iiberall die vorher beschriebene Unordnung! In einem Bette lag ein Mann, der nur noch rocheln konnte. Bei jedem AtemstoB flogen wei8e Schautn- flocken aus seinem Munde; der Blick war stier, glasern in die Hohe gerichtet, die Hande krampfhaft verzerrt. Neben ihm und zwischen einem anderen Kranken lag ein schon bereits gestorbener Soldat. „Seit wann ist der Mann tot?“ fragte ich den Kranken. „Er ist noch am Abend gestorben!“ vvar die Antwort. „Warum haben Sie dies nicht der Barackenordon- nanz gesagt?“ fragte ich denselben Mann. „Herr Oberleutnant, ich habe es schon um 7 Uhr der Ordonnanz gesagt!“ erwiderte er. „So? Also um 7 Uhr? Und jetzt haben wir 4 Uhr morgens! Warum haben Sie den Leichnam nicht sofort wegtragen lassen?“ wendete ich mich an die Ordonnanz. Der Mann schwieg. „Du elende Bestie!" schrie ich und gab dem Manne einen heftigen Schlag ins Oesicht. „Herr Fahnrich! Ich werde Ihnen morgen Gelegenheit geben, iiber Sa- mariterdienst nachzudenken! Das ist ja das reinste Asien! Tote, sterbende Menschen mit Kranken in einem Bette! Kein Teufel kummert sich um Wasser, Chinin! 3,9 Unordnung, Schmutz, dreckige Betten iiberall! Keine Decken, keine Bettwasche! Ja, glauben Sie, daB dies alles aus der Luft fliegen wird? Schvveinevvirtschaft, erbarmliche!" „Laufen Sie schnell zum Herrn Inspektionsarzt, er moge herkommen!“ befahl ich der Ordonnanz. Der Mann ging. Ich konnte das Rocheln des Ster- benden nicht mehr ertragen. Der Sanitatsfahnrich neigte sich zu mir: „Herr Oberleutnant! Der Herr Assistenzarzt ist nicht im Spital! Er hat mich gebeten, wahrend dieser Nacht ihn zu vertreten!“ „Eine nette Vertretung!“ murrte ich. „Wohin ist denn der Assistenzarzt? Er hat doch Dienst?“ „Er ist, hm ... er hat . . .“ stotterte verlegen der Fahnrich, „er hat hier die Bekanntschaft der ,Schwester‘ Anna gemacht. Und er hat sie fiir heute Abend in seine Wohnung zum Nachtmahl eingeladen. Ich mochte gehorsamst bitten, davon keine Anzeige zu machen, denn wir kamen alle in eine unangenehme Lage!“ „Was? Im Angesichte des Todes getrauen Sie mir einen solchen Vorschlag zu machen? Ich soli eine Er- barmlichkeit, eine Niedertracht verschvveigen? Ich soli vergessen, daB der arme Teufel infoige der Pflicht- vergessenheit des Arztes sterben wird? Herr Fahnrich! Sie eilen, verstehen Sie mich?, Sie eilen, so schnell wie Sie konnen, in die Wohnung des Arztes, wecken ihn, und wenn es sein muB, so werfen Sie ihn von seiner Geliebten herunter, und bringen ihn her! Sofort, aber sofort! Sollten Sie mit dem Arzte in zehn Minuten nicht hier sein, so betrachten sie sich beide als verhaftet! Abtreten!" Etwas zerriB in mir. Ich fiihlte, so ging es nicht mehr vveiter, konnte nicht mehr weiter gehen! Das ist der Lohn! Die armen Teufel, das Volk, ge- nannt Arbeiter, Bauer, Handvverker, Taglohner, kamp- 40 fen, verbluten, damit andere ihren gierigen Egoismus befriedigen konnen; sie kampfen und verbluten im dummen, dumpfen Gehorsam, ohne Begeisterung, ohne NationalbewuBtsein, wie eine Herde Schafe, welche den drohenden Stock des Hiiters, und die spitzen Zahne der Herdenhunde fiihlen. Sie beugen die starken Nacken vor einer eingebildeten Macht. Ein in geistiger Hinsicht zuriickgebliebenes, durch Alkohol abgeniitztes, durch die unheilvollen Banden der Religion gebanntes Volk ist wie eine Ganseherde. So ein Volk, eben weil es nicht hoher denken und das Netz durchschauen kann, weil ihm die Religion mit der Hoilenstrafe verbietet, an das von „Gottbe- gnadetsein“ zu riihren, weil es aus Mangel von Selbst- bevvuBtsein die Staatsknute fiirchtet, muB der verderb- lichen Massensuggestion erliegen! Ein ungebildeter Mensch horcht in erster Linie auf die Instinkte und Triebe; er untervvirft sich aber unbedingt einem geistig hoher, etvvas hoher stehenden Mitmenschen; ein halb- gebildeter Mensch ist anmaBend, arrogant, er ist der verderblichste Charakter, wenn er Macht ausiiben kann. Der gebildete, intelligente Mensch ist nie arrogant, nie anmaBend, er ist selbstbewuBt! Die meisten Politiker, abgesehen von einigen Ausnahmen, waren einseitig, halbgebildet: sie waren fiir ganze Volker verderblich. Betrachten wir nur die Parlamente, und wir werden sehen, dafi eine sehr groBe Zahl der „Landesvater“ aus halbintelligenten Individuen besteht. Ein Fiihrer muB die Eigenschaften seiner Herde kennen. Diese Eigenschaften ausniitzend, suggeriert er seinen Willen der Herde. Die treuesten Diener dieser Suggestion sind der Nationalismus, die Religion und die Bajonette! Mit ervvachendem BewuBtsein, herbeigefiihrt durch Beruhrung mit anderen Volkern, durch Schulung, durch Aufklarung wird man immer mehr sehen und horen, vvird die Geistesbildung immer scharfer, die Urteilsbildung logischer. Und noch ein psychologischer ProzeB durch- 41 gahrt das Innere: mit Zunahme der Geistesentveicklung entwickelt sich reflexartig das Gerechtigkeitsgefiihl nicht im juridischen, sondern im Menschlichkeitssinne. Und um so mehr erwacht man aus der Suggestion, um so mehr wirft man die Banden des Nationalismus und der Religion ab. Und wenn dann die Bajonette die „stdrrische“, „unfolgsame“ Masse zu kitzeln anfangen, dann geschieht dasselbe, was ein aus dem Schlafe ge- kitzelter Mensch tut: die ersten Augenblicke ist er verbliifft, verstort, dann reibt er die gekitzelte Stelle, um dann vollkommen zu envachen! Beim Kitzeln der Bajonette ervvacht vollkommen die Masse aus der Sug¬ gestion! Das bevveist die Psychologie der Massen- suggestion. Der auf der allerhochsten Stufe des Geistes stehende Mensch, das Genie, verabscheut iiberhaupt diese klein- lichen Dinge, die so unendlich viel Verderben gebaren. Die Genialitat ist mit hochster, allgemeinster Bewu6t- heit identisch. Genial ist dann ein Mensch, wenn er im bewu8ten Zusammenhange mit dem Weltganzen lebt, denn das Geniale ist das eigentliche Gottliche ‘im Menschen. Deshalb ist das Kennzeichen des Genies die Uni- versalitat! Es gibt kein Spezialgenie, hochstens Spezial- talent! Es gibt nur Universalgenies! Und eben, weil ein Genie mit dem Weltganzen, mit allem zusammen- hangt, ist es uber jene kleinlichen, ekelerregenden Dinge erhaben, ist es auch Kosmopolit, international, „ir- religios“! — Trotz des Elends wollten die Machthaber der „freundlichen“ und „feindlichen“ Partei dem Schlachten kein Ende bereiten. Es muBte dem Gotzen des Egoismus das „vollkommenste“ Opfer gebracht werden. Ueberall herrschte Unzufriedenheit! Und alle Machthaber vvuBten, daB der beste Ab- leitungskanal einer ausbrechenden Revolution der sieg- 42 reich beendete Krieg ist. Dann wird das Volk wieder „Etwas“ haben, iiber das es saufen, jubeln und schreien kann; dann kann es vielleicht den Ausgangspunkt der revolutionaren Gedanken vergessen. Also hieB es „aus- harren“! Was kummern sich die Machthaber, daB X. oder Y. im Spital vor Hunger, an Verwahrlosung stirbt? Und eben diese kleinen X-Y-ons sind „die Untergrii- ber“ der egoistischen „Macht“. Wenn man noch die Eitelkeit, die Triebe der X-Y-ons befriedigt; wenn man ihnen geschmeichelt, ihnen gute Betten, gutes Essen und Trinken, anstandige Kleidung gegeben; kurz, ihnen eine relative Zufriedenheit geschenkt hatte: dann ware die Waffe vielleicht noch nicht aus der Faust gevvorfen worden. Wenn man nichts hat, so kann man nichts geben! Dann soli man aber keine fluchvvurdigen Opfer verlangen, besonders wenn es sich um Egoismus han- delt! Die Religion und der Nationalismus, egoistische Phrasen, sattigen keinen Htand, geschvveige denn die Menschen. In meiner furchtbaren Aufregung wiinschte ich, daB alle Machthaber, Diplomaten, Kriegshetzer, Pfaffen, Chauvinisten, alle diejenigen, die an Kriegsentstehungen iiberhaupt Schuld tragen, nur zwei Stunden im feind- lichen Trommelfeuer „leben“, nur 10 Minuten die Gas- masken tragen mochten, nur 3 Tage hungern und dursten, alle iibermenschlichen Strapazen mitmachen sollen, und nur 10 Tage hier im Spital unter den ob- vvaltenden Umstanden zwischen einem Toten und einem rochelnden Sterbenden liegen miiBten: die Kriegsfurie wiirde bald begraben worden sein! Vielleicht war es besser, das „Spiel“ bis zu Ende zu treiben. Jedenfalls tragt es seine Friichte, welche aber ganz anders aussehen und aussehen werden als es die Diplomaten sich vorstellen. Die Narkose verliert immer mehr an Wirkung und die Menschheit kommt dem Erwachen immer naher! 43 Am nachsten Tag war die Revoiution ausgebrochen! Jene Menschen, welche den Befehl bekamen, ihre Mitmenschen mit den Bajonetten zu „kitzeln“, warfen die verabscheuten Waffen nieder, pfiffen auf Nationalis- mus und auf ahnliches Geflunker und gingen der Hei- mat entgegen. Am Horizont der Menschlichkeit zeigte sich das Morgenrot. 44 Z W E / T E R T E I L I. ach meiner Genesung riickte ich zu meinem Re¬ giment nach Gy. ein. Es war gerade jener Zeitpunkt, in welchem das sozialistische Regime mit der „Offi- ziersethik" aufraumte und die Organisation der Armee auf eine andere Basis verlegte. Es wurde das Tragen der Seitemvaffe aufier Dienst verboten; der Waffen- gebrauch im Falle einer Ehrenbeleidigung strengstens untersagt; die Offiziere konnten aufier Dienst und aufier ihrem Beruf auch einen anderen Beruf ausiiben; das Heiraten — ohne Kaution und ohne Beschrankungen — vrarde gestattet; das ehrenratliche Verfahren wurde auf eine verstandliche Basis gelegt; das Disziplinarverfahren eingeschrankt. In administrativer Hinsicht hatten vier durch die Mannschaft der Kompagnie gewahlte Leute das Kontroli- und Vetorecht! Und so weiter. Es herrschte ein unbeschreibliches Chaos! Vieles war mir unverstandlich, da ich mich mit Sozialphilosophie nie befafit habe. Mir war die Sozio- logie, der Sozialismus iiberhaupt eine Wissenschaft mit sieben Siegeln gewesen. Meine Gedanken und meine Antipathie dem Kriege und der Gesellschaftsordnung gegenuber entsprang aus purem Menschenempfinden. Mein Eindruck war, dafi die Verordnungen der sozia- listischen Regierung gut und gerecht waren, jedoch schlecht, oder meistens iiberhaupt nicht verstanden wur- den, — und so verstanden werden wollen. Es herrschte der Kampf des Konservativen, Altgewohnten gegen die Neuerung, gegen den Fortschritt. Die Offiziere — der grofite Teil — standen noch nicht auf jener Bildungsstufe, vvelche einen Weltiiber- blick gestattet! Ihre Erziehung war einseitig, nur mili- 45 tarisch, und auf Schliff basiert. Sie kamen zur Truppe mit dem in der Schule Gelernten. Es fehlte ihnen jegliches Verstandnis den andern Wissenschaften gegeniiber. In ihrem Gesellschaftsleben herrschte nur solches Gesprach, was fiir sie Interesse besaB. Dienstgesprache, Gesprache iiber Rekrutenaus- bildung, iiber Weiber, iiber Pferde und Hunde, iiber Unterhaltungen; man kritisierte die Vorgesetzten und Hoheren, die Kameraden; man zog Vergleiche zwischen den An- und Unannehmlichkeiten der Offiziere anderer und unserer Armeen, man prahlte, man wettete, man „schnitt auf“, man erzahlte Witze! Das vvar beilaufig der Gesprachsstoff. Es gab auch solche Charaktere, die die Eigenschaften einer universellen Bildung in sich gehabt hatten, denen aber zum Lesen entvveder die Zeit fehlte, oder es mangelte jedvveder AnlaB zur geistigen Betatigung. So ist ja jene Verlegenheit erklarlich, welche die Teilnehmer eines ernsten Zirkels gelehrter Leute ergriff, wenn ein Offizier eingefiihrt wurde. Zwei Welten ohne Ueberbriickungsmoglichkeiten! Da den Offizieren alles mangelte, um andere Gei- stesrichtungen auffassen zu konnen, so glaubten sie, dafi ihr Beruf der erste, der schonste sei, die Sitten-, Moral-, Gesellschaftseinrichtungen, Staatsformen und Gesetze der jetzigen Menschheit die vollkommensten seien; da ihnen bisher nur geschmeichelt wurde; da man sie belehrte, daB sie die Halbgotter der Menschheit seien; da sie fiihlten, daB sie die „Stiitzen“ des Thrones, des Staates und der Gesellschaftsordnung vvaren. So wurde ihr Egoismus, ihre Eitelkeit, ihre Arroganz durch die Ordnung der neuen Dinge aufs heftigste beleidigt; sie vvurden erbittert und leisteten einen geheimen, zahen Widerstand. Der andere Grand der Unordnung vvar ein noch groBerer. Die Ideologie des Sozialismus vvurde durch die ungebildete Masse ganz falsch aufgefaBt. 46 Wie ich schon ervvahnte, wird der ungebildete Mensch durch seine Triebe geleitet. Diesen Trieben wird durch die Strafverkiindigung der Religion und durch die „ausdrucks-“ und „ausschlagsvolle“ Gebarde des Gesetzes gewissermafien Einhalt geboten. Die Trieb- feder des Tuns und Handelns bei ihm ist der rohe Egoismus. Infolge seiner geistigen Unterjochung kennt er keine Ethik, kann er uberhaupt ein hohes Menschen- empfinden nicht verstehen. Er braucht in seiner In- ferioritat gar keine Wahrheit: er will nur essen, trinken und zeugen! Er will das Verlangen seiner Triebe be- friedigen. Wie kann er uberhaupt daran denken, dah man ihn mit FleiB in diesem „geistigen“ Morast zuriick- hielt, damit er ja keine Lichtblicke bekommt und am Ende das Handwerk der schlauen Menschenspekulanten lahmzulegen versucht? Und dann wurde diese Masse mit Aufreizung ihres Egoismus in den Krieg gefuhrt. Mit zunehmender Not wurden aber gerade die Fiihrer verhaBt, weil sie den Egoismus, die Triebe der Masse nicht befriedigen konn- ten. Und unter Fiihrer dachten sie jenen Menschen, welcher „geschult“ war, sei es ein einfacher Kadett- aspirant oder Ministerprasident. Das Mifitrauen gegen die „Gescheitheit“ der „geschu!ten“ Fiihrer war erwacht. Man befriedige „als Biichermensch“ den Egoismus der Masse, und sie wird lammfromm. Im G^genfalle steinigt sie alles. Sie ist eben ein groBes Tier, jetzt noch! Und hier ist die erbarmliche Feigheit, die Gewissen- losigkeit der Staatsmiinner zu suchen, daB sie eben mit Hilfe jener Massen, jener von ihnen verabscheuten, angespienen, verdummten Massen ihre eigenniitzigen Ziele zu erreichen trachten. Diese Menschen horten etwas von Gleichheit, Gerechtigkeit und Briiderlichkeit! Ihr Unverstand, gepaart mit unbefriedigtem Egoismus und Rachegefiihl, machte sie glauben, daB jetzt eine ver- kehrte Gesellschaftsordnung eintrate: wer bisher iun- 47 gerte, muB arbeiten, und wir werden nun lungern; wer bisher Herr vvar, wird Diener und umgekehrt! Der geheime Widerstand der Offiziere und der Un- verstand der Masse, der Mannschaft, brachte ein un- beschreibliches Durcheinander hervor. So war es nicht nur in der Arniče, sondern im ganzen Lande. Auf der einen Seite die Angst vor ehriichem Ar¬ beiten, das Festhalten am Egoismus, am Konservativen, das Weinen und Jammern um die vergangene „Herr- lichkeit“; auf der andern Seite infolge Nichtverstehens der sozialistischen Grundsatze das Handausstrecken nach oben, dazu gesellte sich das Fehlen der „Staatsgewalt“ und das Verschwinden des religiosen Wauwaus: und das Durcheinander, die Kopflosigkeit vvar fertig! Da ich eben die damaiige Lage beschreibe, so seien mir im Interesse unserer Sache folgende Ausfiihrungen und Bemerkungen gestattet: Der Ausbruch der sozialistischen Revolution in Un- garn traf die Masse und die Burger vollkommen uner- wartet und seelisch unvorbereitet! Die sozialistisch ge- sinnte und gebildete Arbeiterklasse hielt sich mehr oder vveniger abgeschlossen, vermengte sich nicht mit dem Volke. Zu jedem Anbau mufi der Boden vorbereitet vverden! Die Vorbedingungen des Vorbereitens sind die Schule, die verstandlichen Biicher, die Aufklarung. Ueberall muB das Fundament gelegt und ausgearbeitet vverden, um ein starkes Gebaude bauen zu konnen. Man darf nicht plotzlich ein verlockendes Bild in die Menge stellen, ohne daB sie die Darstellung versteht. Jene Fiihrer, die ihre Aufgabe auf diese Art zu erledigen glauben, denen sei es gesagt, daB sie keine Psychologen sind. Um Fiihrer einer Masse sein zu konnen, sei es in fortschrittlicher, sei es in reaktionarer Hinsicht, muB man alle psychischen Regungen der Masse kennen, mit der zu rechnen. Und hier vvurde unsere Sache ver- galoppiert! Ein Gebaude ist viel leichter zu zerstoren, als ein neues aufzubauen. Das Gros der Masse muB zu 48 bevvuBten Menschen erzogen werden! Und bewu8t bin ich dann, wenn ich die geistige Hohe erreicht habe. Man muB die Masse erziehen, langsam, dann immer mehr und mehr lehrend! Man muB sie mit der Natur* vvissenschaft bekanntmachen; man muB sie die Grund- prinzipien der Philosophie, der Soziologie lehren; man muB sie in die Hauptgange der hygienischen, anato- misch-physiologischen Gebaude einfiihren. Erst \venn die Masse sich des Gelernten bewuBt ist, wenn sie be- greifen, sehen, urteilen kann, dann werden die sie um- gebenden verdummenden Bande von selbst fallen; dann verlangt sie von selbst ein gerechtes Ziel. Dann vveist man auf das Ziel, welches mit Hilfe des vvissenschaft- lichen Sozialismus zu erreichen ist; dann erst und in letzter Reihenfolge lehrt man die Sozialphilosophie. Dann, selbstbewuBt geworden, wird sie finden, daB der gerechte Ausweg im Sozialismus liegt. Und dieses Verlangen ist nicht zu hoch gestellt! Es ist das Not- wendigste! Mir erging es gerade so, wo es mir, auf hoherer Bildungsstufe stehendem Menschen hatte leich- ter ergehen sollen. Nein! Ich vvuBte auch nichts, be- kam geistige Anregung, und, um das Ziel zu sehen und zu verstehen, muBte ich mich durch die Wissenschaften durcharbeiten, bis ich dort anlangte, wo ich heute stehe. Auch ich schvvankte hin und her, \var beeinfluBbar, bis ich selbstbewuBt wurde! Man mufi unbedingt in der groBen Masse vorarbeiten, um im Falle einer Ge- sellschaftsumordnung eine selbstbewuBte, von ethischen Grundsatzen durchtrankte Masse hinter sich zu haben; eine Masse, welche nicht aus egoistischen Prinzipien, sondern aus ethisch reinen Prinzipien unsere Lehre an- nimmt und durchfiihrt. Der Kern muB selbstbevvuBt sein, die Schale muB sich dann von selbst anschmiegen, oder sie vvird verfaulen, vvenn sie in keinem orgam- schen Zusammenhange mit dem Kerne sein will. Der beste, jedoch ara meisten vernachlassigte Boden ist aus psychologischen Griinden die Kinderseele, die Genera- 49 tion. Das ist der einzig gerechte Weg! Der andere Weg, den sehr viele Fiihrer einschlagen mochten, erzeugt Blut, erzeugt Leichen. Jemanden hinzumorden besitzt kem Mensch das Recht! Das lehren wir doch auch! Manche bedenken nicht, daB man eine ideale Lehre nie mit Blut besudeln darf, denn sie wirkt abstoBend, ist unduldsam und die Unduldsamkeit \vird kein gei- stiges Verstehen erzeugen. Dann wird eben aus diesem Grande die reaktionare Gegenagitation das Blut als abschreckendes Beispiel vor die Augen der unaufge- kliirten Masse hinhalten und sagen: siehe "Leichen! Wir brauchen nur die Zeitungen durchzuforschen, um daraus zu sehen, vvelche Mittel die Reaktion nicht an- gewendet hatte, uin aus den ungarischen und russischen Hinmordungen ein Kapital zu schlagen. Ich habe eifrige Anhanger und Vorkampfer unserer Lehre gekannt, die sich nur deshalb von uns abwandten, weii, vvie sie meinten, „wir geradeso blutdiirstig waren, wie konser- vativ-reaktionare Staatsmanner"! Man mufi, eben aus psychologischen und ethisch-asthetischen Griinden, rnehr auf geistige Vorarbeit hinvvirken, um im gegebenen Momente eine unblutige Revoiution durchzufiihren. Man muB das Volk geistig erziehen, und es wird sich selbst vom Heutigen lossagen, weil es den gemeinen Egoismus, die Triebkraft des heutigen Tuns und Handelns, er- kennen und verabscheuen wird! In Gy. iibernahm ich eine Kompagnie. In den Ubikationen herrschte eine unbeschreibliche Unordnung. Als ich die Mannschaft dazu bevvegen wollte, daB sie die Raumlichkeiten reinige, schrie man mich an, daB von nun an ich auskehren konne. Ich war gezwungen, einige Weiber aus der Stadt kommen zu lassen, vvelche dann den "Rayon reinigten. Da die Leute seit zvvei Monaten nichts taten als im Bett herumzuliegen, Tabak zu rauchen, spazieren zu gehen, so vvollte ich sie aus der korperlichen Tragheit vvecken. Ich lieB am nachsten Morgen mit Hilfe der 50 vier Vertrauensmanner die Kompagnie zu Freiiibungen antreten. Nur mit groBem Widerwillen versammelten sich die Leute. Kaum vvaren einige Minuten verflossen, so trat schon ein Vertrauensmann hervor und sagte mir, daB es genug sei. Umsonst erklarte ich ihm, daB er nur in administrativer Hinsicht ein Kontrollierungs- und Vetorecht hatte. Er erwiderte: „Wir kontrollieren das, was uns behagt! Uebrigens ist es schon genug mit den Gelenksubungen! Wir lassen uns durch die anderen Kompagnien nicht aus- lachen!“ Und vvirklich waren die Kasernenfenster voli von Leuten der andern Abteilungen, welche hamisch grinsten und Grimassen schnitten. Nachmittag hielt ich meiner Mannschaft Vortrage, das Resultat war ein negatives. Man war eben miB- trauisch. Am nachsten Mittag stellte meine Kompagnie die Wachen. Als ich, da ich gerade Inspektionsdienst hatte, zum Verpflegungsmagazin kam, sah ich, daB Zivil- personen und Weiber gerade Mehlsacke, Zuckerkisten, Konservenbiichsen und Mannlicher-Gevvehre vvegtrugen. Die Wache und die Posten fehlten! Die Mannschaft lieB Gewehre und Ausriistungsgegenstande zuriick und ging in die Stadt! Die Ordonnanzen der Offiziersmesse forderten, daB von nun an wir den Tisch decken sollten! Die Mannschaft der Kompagnie war nie zu finden. Jeder kam und ging, wann er vvollte. Nur am 1., 10. und 20. vvaren die Leute vollzahlig, um den Sold in Empfang zu nehmen und um nachher entvveder nach Hause zu gehen oder in der Stadt zu bleiben. Mir wurde diese Wirtschaft zu dumm. Ich lieB eine Liste anfertigen, wo jene Tage, vvahrend vvelcher der Mann fehlte, eingetragen vvaren. Bei nachster Soldauszahlung bevvaffnete ich mich und meinen Schreiber mit je einem geladenen Karabiner. Wir gingen in ein Mannschafts- 51 zimmer, wo die Leute versammelt waren. Ich sperrte die Tur ab und ging zum Tisch; mein Schreiber eben- falls. Die Leute verfolgten mein Tun mit unruhigen Blicken. „Balogh Janos!“ „Hier!“ „Sie haben nur x Kronen zu bekommen, weil Sie sechs Tage gefehlt haben! Auszahlen!“ „Bktori Jozsef!“ „Hier!“ „Sie bekommen iiberhaupt keinen Sold, weil sie die zehn Tage nicht hier verbracht haben! Verlangen Sie von dort das 'Geld, wo Sie sich aufgehalten haben!“ Es erhob sich ein drohendes Gemurmel. „Ruhe! Wer seinen Mund aufmacht, dem geschieht ein Ungliick!“ schrie ich, den Karabiner in die Hand nehmend, vvobei ich die Leute scharf fixierte. Alle schwiegen! Die Gesichter waren mehr ver- blufft, eingeschuchtert, als zornig. „Uebrigens, Bafori! Mit dem heutigen Tage ent- lasse ich Sie aus dem Dienste! Sie sind aus der Ver- pflegsliste mit ali jenen Kameraden gestrichen, die iiber- haupt nicht hier waren! Wenn Sie heute nach Hause kommen, so sagen Sie Ihrem Vater, daB er sich auf einen Besuch vorbereiten soli! Ich komme morgen be- vvaffnet zu ihm und vverde fiir zehn Tage 1000 Kronen vom Vater erpressen nur deshalb, weil ich bei ihm nichts gearbeitet habe. Marsch, hinau's!“ Der Schreiber offnete die Tur, der Mann ging schweigend hinaus. „Merkt euch das! Wir vverden von allen Vatern jenes Geld eintreiben, deren Sohne es hier fiir Nichts- tun einstreichen. AuBerdem vverden wir von nun an alle Taugenichtse und Faulpelze entlassen, denn das, was ihr treibt, ist offentlicher Diebstahl. Diebe und MuBigganger unterstutzt auch ein sozialistischer Staat nicht! Schreibt euch das hinter eure Ohren! Jeder 62 Mensch, ob Mann oder Frau, muB bis zu einem be- bestimmten Zeitalter arbeiten, sei es geistige, oder sei es korperliche Arbeit, aber produktive Arbeit mufi sein! Als Gegenleistung erhalt jeder Mensch dasjenige, was er zum bequemen Leben benotigt. Der nicht arbeitet, kann daher am Hunger krepieren! Verstanden? Schma- rotzer, MiiBigganger, Hohlkopfe und offentliche Diebe unterstiitzte der fruhere Staat! Das muB jetzt ein Ende nehmen!“ Von nun an ging alles klipp und klar. Nicht aus Ueberzeugung, sondern aus Entlassungsfurcht arbeiteten die Leute. DrauBen war Winter, Arbeit konnte keine gefunden werden. Was beginnen im Falle einer Ent- lassung? Diese Methode vvurde auch von den iibrigen Kom- pagnien befolgt. Von einer selbstbevvuBten Disziplin war deshalb noch keine Rede. Als am besten gearbeitet vvurde, als vvir nun etwas Ordnung schufen, begannen die Agitationen der Kom- munisten. Da sie vor dem disziplinierten Militarismus Furcht hatten, begannen sie in ihrer charakteristischen Weise vvieder Unordnung, vvieder Anarchie zu stiften. Mit Antritt des kommunistischen Regimes ging vvieder alles drunter und druber. Eines Tages erschien Szamuelly Tibor, jener be- riichtigte und yerschrobene Henker, der durch seine elenden MiBgriffe soviel Schaden auch deni Sozialismus antat, und hielt eine Rede an die Mannschaft. Diese Rede endete vvortlich folgendermaBen: „Die an den konservativen Briisten der reaktionaren, inferioren Miit- ter gesaugten Embryone: reithose-, monokeltragende, sabelklirrende, leerkopfige Offizierchen, man muB sie vertilgen vvie giftige Schlangen!“ Noch am selben Tage verlieB ich das Regiment, um nach Hause zu fahren. In derselben Nacht vvurden sieben Offiziere ermordet. Es war dies die Folge der blut- und schaumtriefenden Rede jenes inferioren, rache- 53 durstenden Duramkopfes. Ich wiirde mich schamen, wenn ein Sozialist diese blutige Rolle ubernommen hatte. So waren es „Kommunisten“. Und doch schadeten diese blutdiirstigen Taten auch unserer Lehre! Ich hatte Gelegenheit, dies beobachten zu konnen. Man meint, dafi der Sozialismus mit dem Kommunismus identisch sei. In Ungarn fiel das zu Ehren des „Kommunismus“ geflossene Blut auch auf die Sozialisten zuriick, trotz- dem sie mit diesen verabscheuungsvvurdigen Taten nicnts gemein hatten. II. 11 >^ er Kommunismus in Ungarn schlug ganz andere Bahnen ein, als die kommunistischen Grundprinzipien lehren. Es war dort kein Kommunismus, sondern eine umgekehrte Gesellschaftsordnung. Die letzten Klassen waren die ersten und umgekehrt. Dies muBten die Fiih- rer angefangs gestatten, um die egoistischen und Rache- geliiste der Masse zu befriedigen, um dadurch erstens die Masse hinter sich zu haben, zweitens, um die Ari- stokratie, die Pfaffen und die Bourgeoisie aus Re- torsion fiir ihren bisherigen MiBbrauch der egoistischen Macht zu beugen und zu brechen. Als man jedoch an die Durchfiihrung des Programms schreiten wollte, als man daran dachte, die Gemeinschaft einzufiihren, stieB man auf beinahe allgemeinen Widerstand! Der Bauer wurde stutzig, dann erbittert, als man seine Felder der Gemeinschaft einverleiben wollte. Die Bourgeoisie, die Offiziere, die Pfaffen niitzten diesen Umstand aus, um im geheimen die Bauern nur noch mehr aufzureizen. Dazu gesellte sich noch das erbitterte Niedermorden- lassen auf Befehl einiger Fiihrer, vvelche ihre Macht, psychologisch beurteilt, zur Befriedigung ihrer Rache- geliiste ausniitzten. Umsonst versuchte man das Volk aufzuklaren. Es war zu spat! Umsonst versuchte man 54 mit Terror Ordnung zu schaffen. Das wirkte noch schlimmer! Der beleidigte Egoismus wollte sein Recht, die Lehrc war unverstanden und mit Blut besudelt. In jenem psychologischen ProzeB, welchen ich im vorigen Kapitel zu erlautern versuchte, brach der Kommunismus in Ungarn zusammen. Und dieser ProzeB mufi uns eine Lehre sein! Man widersprach mir, indem man auf RuBland wies, wo doch die Masse sich auch vor dem Terror beugte. Eben jener Versuch einer ungliicklichen Bevveisfiihrung zeigte mir, daB viele unserer Fiihrer die Psychologie aus dem Spiele lassen, ohne die man aber heute nichts erreichen kann. Man vergaB, daB die russischen Massen, die Bauern, auf einem beinahe tierischen Niveau standen. Man dachte nicht daran, daB in RuBland eine gewissen- los ausbeuterische, egoistische, absolutistische Gewalt seit Jahrhunderten herrschte. Man vergaB, daB jener Mensch, der durch Jahrhunderte Leibeigener war, der geknutet und gedriickt wurde, dessen Aufbegehren man entv/eder im Schnaps oder in Sibirien erstickte, der eben infolge Ausrottung jeder psychischen Regung ver- dummen, verbloden, vertieren und infolgedessen sich in die Arme des Aberglaubens, der Heiligenbilder, der Religion vverfen muBte: daB jener „Mensch“ infolge seiner Stupidheit und seines Unverstandes viel Ieichter zu „leiten“, zu beugen, zu terrorisieren war als die magyarische Masse, die doch ofters die Waffen gegen die Unterdriickung ergriff. Der russischen Masse ist es ganz gleich, ob der Terror Absolutismus oder Kommunismus heiBt, denn beide begreift sie rficht. Sie vvurde ja bisher immer terrorisiert. Gefltichtete Russen erzahlten mir, daB die Einfiih- rung der Gemeinschaft die Bauern nicht besonders irritierte. Viele vvendeten sich gegen die Heiligenbilder, verneigten und bekreuzten sich und murmelten, an ihre weggenommenen Felder denkend: „Vaterchen Gott gab 55 es, Vaterchen Gott nahm es: sein Name sei gepriesen in alle E\vigkeit!“ Der Magyare, der Bauer wurde schon 1848 aus der Horigkeit befreit; er hatte also schon mehr Zeit den Egoismus des Eigentumsrechts zu pfiegen; er stand auf einer hoheren Kulturstufe. Infolge seiner relativen Frei- heit \vurde er mehr selbstbewuBt, mehr rechthaberisch, mehr egoistisch. Daher gelangte auch der terroristi- sche Kommunismus nicht ans Ziel. Eine unblutige Umwalzung kann daher gelingen, wenn die Masse noch im „negativen“ Nirvvana, d. h. in vollkommenster Dumm- heit und Finsternis lebt, oder wenn sie auf einer auf- geklarten Stufe anlangt. Die Zwischenstufen fordern aus psychologischen Griinden Blut! Ich blieb bis April 1920 bei meinen Angehorigen, dann riickte ich zu meinem Regiment nach Gy. ein. Auch dieser Schritt war die Folge meiner Inkonsequenz und meiner Charakterschvvankung. Ich begriff damals schon vieles und begriff eigentlich noch gar nichts. In mir v/urde von Kindheit an der militarische Beruf groBgezogen. Trotzdem ich bereits einen Widerwiilen gegen diesen Beruf empfand, lieBen mich noch einige unausgerottete Wurzeln nicht locker; dann lernte ich nichts anderes, zum Umsatteln vvar ich zu bequem. Daher wurde mir dieser Schritt zugunsten der Heuchelei nicht recht bevvuBt. In Ungarn herrschte zu jener Zeit die reaktionarste Retorsion! Der „weiBe“ Terror! Es wiiteten noch die Detachement Hejjas und Pr6nay. Im politischen Leben diktierte die „Rassemagyaren-Partei“! Die fortschritt- lichen Parteien wurden nicht geduldet und standen unter Terror. Hinter den Kulissen stand der Mili- tarismus und befahl! Der National-Patriotismus, der Chauvinismus, die Religion feierten Orgien! Auch der Irredentismus, die Erbsiinde aller Nationalismen, erhob seinen Kopf. Man dachte an Revanche, man traumte von GroBungarn, man rasselte den Sabel. Die Folgen 56 des fluchvviirdigen Nationalismus: Neid, Hafi, Lander- gier, der Egoismus erhitzte die Kopfe und wollte das Volk vvieder in ein frisches Volkermorden hineinpeit- schen. Zum Gliick tauchte eine andere Prage auf, welche dann die trunkenen Patrioten gegeneinander zwang: die Konigsfrage! Dies ist auch eine Wiirzel der ungarisch-patrioti- schen Erziehung: der Mystizismus, die „allgewaltige“ Gotteskraft der hi. Stephanskrone, vvelche Krone der Patronin Ungarns, der hi. Jungfrau Maria, geweiht vvurde: in jener Zeit, als Ungarn noeh grofi war. In allen Kirchen predigten die Pfaffen, „dafi die heilige Stephanskrone durch den hi. Stephan der allerheiligsten .Gottesmutter jungfrau Maria', der Schutzheiligen Un¬ garns, geweiht wurde. Diese heilige Reliquie beriihrte nur das Haupt jener Konige, welche durch den Statt- halter Gottes, durch Seine ,unfehlbare' Heiligkeit, den Papst, gesalbt und gekront \vurden. Deshalb ist die Macht der Konige eine ,durch die Gnade Gottes' ge- billigte. Diese Billigung gibt der StelIvertreter Gottes, der Papst! Wer kann nun diese Reliquie aufs profane Haupt setzen? Der in der Verbannung lebende ,ge- salbte' Konig Karl, denn er vvurde durch ,Gottes Gnaden und Willen' Konig! Die Nation beging eine grofie Siinde, als sie den Willen Gottes nicht respektiertc und den Konig fortjagte. Deshalb vvurde die Nation als Strafe Gottes ,durch die verruchten Sozialisten und Kommunisten' heimgesucht. Wer kann die Integritat Ungarns herstellen? Wer kann Grofiungarn vvieder auf- stellen? Nur der durch ,Gottes Gnaden' gesalbte Konig mit der hi. Stephanskrone; der Konig besitzt die ,Gnade', daher die Unterstiitzung Gottes, die heilige Stephanskrone besitzt die Furbitte der Patronin Ungarns, der hi. Jungfrau Maria!" Und so vveiter. Diese Ausfiihrungen horte ich personlich in Gy. Im XX. Jahrhundert!!! Und das Volk in seiner Dumm- heit glaubte an dieses blodsinnige Gefasel inferiorer 57 Pfaffen. Die aufgeklarteren Parteien lachten tiberdieses Geschwatz, wollten aber einen Nationalkonig haben und keinen Habsburger! „Hie Pfaffen, Mystizismus und kurzsichtige Aristokraten; — hie Rassemagyaren und Andersglaubige!" war das Feldgeschrei. Infolge- dessen entstand Nationalhader und Religionsgehassig- keit: Ungarn sank ins Mittelalter zuriick. — Und damit auch alles beisammen sei, was zum Mittelalter gehort, so wurden die Offiziere zu mittel- alterlichen Rittern umgehobelt: Frauendienst und Frauenanbetung, unantastbare Ehre usw. ward gepredigt! Die Duelle waren an der Tagesordnung, nur noch das RoB und die Lanze fehlte, dann ware der Klimbim vollstandig gewesen. Die Redner briillten von der Machtentfaltung der magyarischen Trikolore; die Pfaffen geiferten und schvvatzten von der hi. Stephanskrone und „vom Herr- gott der Magyaren“; die Offiziere beschiitzten die Frauen und rauften manchmal um sie; das Volk nahm sich ein gutes Beispiel, erschlug die Juden, probierte die Katholiken, die wieder die Protestanten anspeien: nur die Fiihrer, die befriedigten vvieder ihren unersatt- lichen Egoismus; die Borsianer fischten im Triiben; und die Sozialisten beniitzten das Gebriill, das Geifern, das Gekose, um ihre etwas gelockerten Banden fester zu schniiren und eine selbstbewuBte Phalanx aufzu- stellen. lil. ¥ versamtnelten uns zu einer Offiziersversamm- lung. Nach der Entgegennahme der Meldung verneigte sich der Kommandant, lieB einige Befehle und An- ordnungen verlesen, dann befahl er Platz zu nehmen. Nachdem Ruhe eintrat, begann er den Vortrag: 58 „Meine Herren! Die vergangenen Revolutionen konnten nur infolge der Unaufgeklartheit und Des- organisation des Volkes, der Biirgerklasse einen Er- folg erzielen. Der StoB traf uns unvorbereitet; eine Abwehr war unmoglich, da wir in die Volksseele keine Gegenmittel einimpfen konnten. Wir sind die Schuld- tragenden, weil vvir unsere Leute nicht anders erzogen. Wenn ich den Feind angreifen will, so muB ich seine Krafte und seine Krafteverteilung kennen; muB seine Stellung, seine Aufstellung der Geschiitze, seine schwache Seite, den Angriffspunkt, den Anschleichungs- weg rekognoszieren. Den Angriff kann ich nur durch zweckentsprechende Verteilung meiner Krafte abwehren usw. Das wissen Sie, meine Herren! Diese MaBnahmen mussen vvir ebenfalls treffen, um einem Sozialismus oder Kommunismus ehern entgegentreten zu konnen. Und ehern konnen vvir dem .schleichenden, vviihlenden' Feind begegnen, vvenn vvir auf unsere Leute bauen kon¬ nen. Unči auf sie bauen vverden vvir nur dann, vvenn vvir die Mannschaft liber jene ,blodsinnige‘ Theorie aufklaren und 'die Undurchfiihrbarkeit derselben be- vveisen; vvenn vvir eine tatkraftige Gegenagitation aus- uben; vvenn vvir die Seelen der Leute durch ein ein- geimpftes Gegengift unempfindlich machen. Das Kriegs- ministerium lieB deshalb Broschiiren verfertigen, in wel- chen die Hauptprinzipien dieser ,vervverflichen‘ Theo- rien und einige Anhaltspunkte enthalten sind. Lesen Sie sie genau durch, damit Sie die schvvachen Seiten herausfinden. Die Vortrage haben heute nachmittag zu beginnen, und zwar in einer einfachen, dem Manne verstandlichen Sprache. Diese Vortrage halten zuerst die Kompagniekommandanten, dann spater der ,Regi- mentsaufklarungsoffizier*!“ Nach dem Mittagessen nahm ich das Heft in die Hand und begann zu lesen. Es vvaren einige Ausziige aus dem marxistischen, vvissenschaftlichen Sozialismus. Diese Ausziige vvaren in drei Gruppen geteilt: a) Wirt- 59 schaftslehre, Gemeinschaft, b) Ehe und „freie Liebe“, c) Religion und Denioralisation. Es war jetzt das erste- mal, daB ich Ausziige eines sozialphilosophischen Wer- kes las. Und ich muBte mir eingestehen, daB einige Betrachtungen, besonders philosophischen Inhalts, mich frappierten. Die okonomische Theorie verstand ich nicht ganz. Vor aen logischen, scharfsichtigen Urteilen muBte ich mich unwillkiirlich beugen. „Sind die Menschen wirklich so blod, daB ihnen die Richtigkeit dieser Theorie nicht einleuchtet; oder sind sie derart groBe Heuchler und Egoisten, daB sie trotz der inneren Ueber- zeugung auBerlich anders handeln miissen? Arme Ka- meraden! Da seht ihr wieder, wie unsere leitenden Stellen von unserer Inferioritat iiberzeugt sind! Sie driicken uns dies Biichelchen in die Hand und konnen gar nicht glauben, daB uns der Wahrheitsinhalt ge- fangen nehmen kann!“ dachte ich. Wie soli ich jetzt ein „Gegengift“ einimpfen, wenn ich selbst anfange, mich von der Richtigkeit dieser Grundsatze zu iiberzeugen? Dann, wie soli ich einen „Angriffspunkt“ herausfinden, wenn ich die Sozialphilosophie auszugsvveise erst jetzt kennenlernte? Dazu gehort doch ein eifriges Studium, Sophysmen schmieden zu konnen? Doch, der Befehl muB vollzogen werden! Unwillkiirlich muBte ich iiber die Beschranktheit meines Regimentskommandanten lacheln, der nur so „mir nichts, dir nichts“ fordert, „Gegengift“ einzuimpfen, ohne daB man den „Stoff der Injektion“ kennt, und ohne daB man die Spritze zu handhaben weiB. Da er selbst von einer Sozialphilosophie keine blasse Ahnung hatte, so glaubte er, daB das Vortraghalten gegen dieselbe so was Aehnliches sei, wie das Vor- schvzefeln bei einer Uebungsbesprechung iiber Anwen- dung verzwickter taktischer Verfahren. Jener Spruch der Bibel: „Selig sind die Armen des Geistes, denn ihnen gehort das Himmelreich!“ fiel mir ein, der \vahrlich auf das Gros des Offizierskorps wie angegossen paBte. 60 Meine Kompagnie war schon versammelt. Ich lieB die Leute sich setzen. Nach einigen Eingangsphrasen ging ich auf das Thema liber, iiberlegend, daB das beste „Gegengift“ ihr Egoismus, ihre Eitelkeit sei, auf welche vvackelnde Saulen ich meine sogenannte „Bevveisfiih- rung“ aufzubauen versuchte: „Marx, der diese Prinzipien schrieb, sagte beilaufig folgendes: ,den Wert eines Dinges verleiht die Kraft und die Zeit, welche zur Erzeugung des Dinges not- vvendig sind!‘ Wenn ich z. B. ein Kilogramm Marmor und ein Kilogramm Gold unter gleicher Kraftamvendung und unter gleichem Zeitverbrauch aus dem Berge heraus- haue und dann beide auf diesen Tisch stelle, dann haben beide den gleichen Wert. Weshalb? Weil er keine ,edle‘, keine ,unedle‘ Materie kennt. Ja sogar, wenn ich aus diesem Marmor eine Biiste verfertigte, so ist der Marmor vvertvoller, vveil ich Stunden daran ge- arfceitet habe, vvahrend das Gold noch brach liegt.“ „Wie soli ich jetzt schnell den ,Gegenbeweis‘ brin- gen?“ dachte ich, „eh, sie werden den Blodsinn doch nicht bemerken!" „Stimmt das? Nein! Denn nehmt einmal ein Kilo¬ gramm Gold und Marmor und geht zum Juwelier. Den Marmor \vird er iiberhaupt nicht kaufen, vvahrend ihr fiir das verkaufte Gold Hiiuser, Pferde, Felder usw. kaufen werdet konnen!“ Ich schamte mich im Innern, den Leuten so einen Blodsinn vorreden zu miissen, aber der Befehl mufi voilzogen vverden! Geradeso erging es mir mit der Wirtschaftslehre und mit dem Gemeinschaftsprinzip. Doch hier konnte ich mit Benutzung des Egoismus mehr Erfolg erzielen, denn als „Gegenbeweis“ fiihrte ich „das Eigentums- recht“, die „Ungerechtigkeit“ der Wegnahme desselben, „Verlust“ von Heim usw. und ahnliche Sentimentali- taten ins Feld. 61 „Stellt euch jene Welt vor, in vvelcher es keine ,gesetzliche‘ Ehe gibt! Die Leute vverden so leben wie die Tiere! Mara will die Kinder wegnehmen, von der Mutter vvegreifien und sie in einem Institut er- ziehen lassen. Dein Weib wird heute zu jenetn, du morgen zu einer andern Frau gehen. Die ,Unsittlichkeit‘ wird alles ,degenerieren‘; es wird zu fortvvahrenden Raufereien und Gehassigkeiten kommen. Die Madchen werden alle verdorben sein. Wenn ich hier zwei Mad¬ chen aufstelle: eine kaufliche Dirne und ein unbe- riihrtes Madchen; vvelches werdet ihr wahlen?“ Also mufi te ich wieder die mannliche Eitelkeit her- vorheben und ein solches „Sittengemalde“ entwerfen. Uefcer die Religion schvvefelte ich mich ebenfalls aus, mochten sie denken, vvas sie wollten. Ich war nur froh, dafi ich meiner „Pflicht geniige“ getan und meine erbarmliche Bevveisfuhrung angebracht hatte. Abends griibelte ich viel nach. Die Theorie des Wertbegriffes konnte ich noch nicht verstehen, da ich noch keine Untersuchungen dariiber gelesen hatte. Der Abhandlung liber Ehe- begriff mulite ich jedoch beistimmen. Die Ehe, aus national-, religios-okonomischen Griin- den geschaffen, fuhrt meistenteils heute der Unsitt- lichkeit entgegen. Ehebriiche, Škandale, der grofite Teil der Prostituierten, Betrug, Heuchelei sind teilvveise der Ehe zu verdanken, vveil die Ehe auf Kapital, auf Egois- mus basiert ist. Die Madchen der Bourgeoisie werden in Klostern, Instituten erzogen, wo sie iiberhaupt nichts, oder Minimales lernen; am wenigsten ernste Sachen! Sie erlernen meistens das, womit sie die Manner an- ziehen. Sie lernen eine, zwei Sprachen, etvvas Musik, einige Zitate einiger Philosophen. Dasjenige aber, vvas mit der Weiblichkeit zusammenhangt in sexualer Hinsicht, wird strengstens verboten und nicht erlautert. Die Folgen 62 lassen sich im offentlichen Leben sehen! Es sind groBtenteils oberflachliche, nicht logisch denken und begreifen konnende Geschopfe, deren Tun und Handeln auf Modesachen, auf unbewuBte und bevvuBte Sexualitat, auf Klatschen und erbarmlich nichtigen Dingen basiert ist! Die Eltern in ihrer kurzsichtigen Beschranktheit unterstiitzen dieses Getue und machen die Erziehung einer Ieerkopfigen Mode- und Zierpuppe vollstandig komplett! Ihre Aufmerksamkeit reicht nur bis dorthin, die korperliche Unberuhrtheit der Tochter zu wahren und zu behiiten, damit sich aus dem Korper der Tochter ein um so vorteilhafteres Kapital schlagen laBt; damit man einen vorteilhaften Handel, Ehe genannt, ab- schlieBen kann! Die meisten Ehen sind durch die Priester sanktionierte offentliche Kuppeleien! Und doch riimpft ein solches Ehedamchen ihr Naschen, vvenn sie an einem „gefallenen“ Geschopf voriiber- geht. Und wer sind die meisten Gefallenen? Es sind dies die Madchen jenes Volkes, welches ihr zur Er- reichung eurer egoistischen Ziele an der Nase herum- fiihrt; es sind dies jene Geschopfe, welche das erstemal ihren Korper demjenigen hingaben, der die sexuelle Be- friedigung nicht bei den Tochtern der Bourgeoisie suchen konnte. Ein Madchen aus dem Volke zu hei- raten, verbietet die „Anstandslehre“, „der Ehrbegriff", „die Offiziersethik", das „Klassendogma“ usw.; an dem kann man nur seine tierischen Geliiste befriedigen, ohne eine Ehe eingehen zu mussen. Von hier, aus diesen Fallen rekrutiert sich das Gros jener Prostiluierten, die dazu beigetragen haben, daB ihr, nasenriimpfenden Diim- chen, eure „Unschuld“ bewahrt habet und in eine „Kuppelei“ eingehen konntet! Auch hier muB meistens eine Klasse leiden, um den Egoismus der anderen zu vvahren! Ich behaupte, daB jene Diimchen, die ihren Korper fur eine „bequeme“ Ehe, fur ein bequemes, sorgenloses Leben ohne einen Funken Liebe verkauften: 63 diese Damchen und deren Eitern, die eine solche ekelhafte Kuppelei zustar.de gebracht haben, die grdBten Dirnen, die unsittlichsten Menschen sind! Sie sind viel schlech- ter und dirnenhafter als so manche Prostituierte, welche sich im Sinnentaumel ohne Entgelt hingab! Jene Man- ner, die die Ehe als „reales“ Geschaft betrachtend, nur deshalb ein ihnen gleichgiiitiges Weib heiraten, um vom fremden Kapital ihre Geliiste, ihren Egoismus zu be- befriedigen, sind unsittliche Betriiger. Und die Liebes- ehen? Betrachten \vir diese Fragen vom sexual-psycho- logischen Standpunkte aus. Ich schlieBe mich ganz Schopenhauers „Metaphysik der Geschlechtsliebe“ an, worin er behauptet, daB der unbevvuBte Endzvveck der Liebe „die Zusammensetzung der nachsten Generation“ sei. Eine Liebe, die ganz frei von Sinnlichkeit ware, gibt es nicht! Umsonst meint Otto Weininger, daB „es nur platonische Liebe“ gebe, die ,,Liebe Dantes zu Beatric“, daB die andere Liebe „in das Reich der Schweine“ gehore. Das Ge- fiihl der Liebe drangt eben beide Elemente zueinander, das iibrige ist Mondscheingefasel! Die Triebkraft ist der Detumeszenztrieb, d. h. die durch das Ansammeln groBerer Menge reifer Keimzellen verursachten „physi- schen“ und „psychischen“ Unlustgefiihle, und der Kon- trektationstrieb, d. h. „das Bediirfnis korperlicher Be- riihrung eines zur sexuellen Erganzung in Anspruch genommenen Individuums“. Beim Manne wirken beide, beim Weibe hauptsachlich der zweite Trieb! Das, was Weininger iiber die Liebe sagt: „— man projiziert ein Ideal ejnes absolut wertvollen Wesens, das man inner- halb seiner selbst nicht zu isolieren vermag, auf ein ar.deres menschliches Wesen, das bedeutet, daB man jenes Wesen ,!iebt‘. Liebe ist ein Projektionsphanomen! Alles, was man selbst sein mochte und nie ganz sein kann, hiiuft man auf ein Individuum, das man liebt. Deshalb wundert sich der Liebende, wenn er sich iiber- zeugt, daB im schonen Weibe auch Unsittlichkeit wohne. 64 Er bedenkt nicht, daB er das Weib nur deshalb schon findet, weil er es noch liebt!“ akzeptierte ich. Ich frage nur, vveshalb der Mann diese „Liebe“ aufs Weib und umgekehrt projiziert? Warum projiziert man dieses Phanomen nicht aufs gleiche Geschlecht? Es ist vollkommen richtig, daB Sexualitat und Erotik, Geschlechtstrieb und „Liebe“ im tiefsten Grunde nur ein und dasselbe seien; der Begriff „Liebe“ nur eine Verbramung, Verfeinerung, Umnebelung des ersten. Dies haben alle Mediziner, alle Psychoanalytiker, ja Geister, wie Kant und Schopenhauer erkannt. Die „Liebe“ lebt in dem Moment ab, wo das Weib sich dem Manne hingegeben! In der Ehe findet der Detumeszenz- und Kontrektationstrieb bald seine Be- friedigung, wenn den Gesetzen der Natur geniige getan wurde; insbesondere in einer Spekulationsehe! Es muBte dann beide Teiie eine psychische Regung, wie Hoch- achtung, Geisteshoheit, Seelentiefe, Sittenreinheit usw. binden, die aber in den meisten Ehen fehlt. In einer Spekulationsehe fehlen iiberhaupt jene Regungen; denn, der eine Frau kauft oder sich erkauft, und die sich erkaufen laBt, haben keine Sittenreinheit, Geisteshoheit, Seelentiefe, die haben keine Hochachtung voreinander: die wissen ganz genau, daB sie unsittliche Egoisten sind. Die Folgen: Ehebruch, Betrug, Heuchelei, De- moralisation! Wenn der Mann in einer Liebesehe aus dem Taumel ervvacht, so wird er ein ganz anderes Wesen vor sich sehen, als vor „den Flitterwochen“! Das, was er an ihr, eben infolge seiner „Triebeiiberregung“ nicht be- merkte, die Gedankenoberflachlichkeit, die Putz-, Gefall- und Klatschsucht, also die Resultate der Frauenerzie- hung, wird er jetzt gewahren; den ganzen krassen Egoismus, die Sexualitat, die Inferioritat der meisten heutigen Frauen, wird er bemerken. Das Ende des sogenannten „Ungliickes“ ist dasselbe, wie oben be- schrieben. 65 Der Sozialismus kampft um die Erhebung des vveib- lichen Geschlechtes aus seiner unwiirdigen Lage. Er will, daB die Frauenerziehung auf eine andere Basis verlegt werde; er 'will, daB das Weib seinen Geist ebenfalls bilde, verscharfe, erhebe und auf ein annahern- des Niveau bringe, wie das des Mannes; er will das Weib zum physischen und psychischen selbstandigen Arbeiten erziehen; er vvill nicht dulden, daB das Weib, infolge seiner gewissenlosen Erziehung, der Ausgangs- punkt unmoralischer Schweinereien sei. Und wenn das Weib zum Lernen, zur Arbeit gezwungen sein wird, so muB es sich aus seiner heutigen inferioritat er- heben und anders denken und handeln. Mit der Auf- hebung der Ehe wird nur ein sittlicher Grundsatz be- zweckt! Und wenn Mann und Weib auf einer hoheren Geistesbasis stehen, wird auch ethische Reinheit herr- schen konnen. Die Ehe wird keinen Gewinn bringen, weil ja der materielle Egoismus fehlt! Bei jener Ver- einigung giit kein materieller Egoismus, kein „MuB“ der Eltern, keine „Verdeckung“ der Schande mehr; hier wird kein „Aushalten“ und „Ausgehalfensein“ die Eintracht triiben, denn beide miissen arbeiten. Auch jenes Bild der heutigen Frau wird der Mann missen, da sie bereits ein ebenbiirtiges Element sein wird. Jene Vereinigung zwischen Mann und Weib wird aus An- ziehung, aus personlichem, bewuBtem, freiem Willen geschehen. je fortgeschrittener ein Menschenpaar, desto groBer seine Sittenreinheit! Das ist das sittlich-ethische Grundprinzip der freien Vereinigung. Also ein ideales Prinzip, dem sich das ausgeartete Prinzip der Ehe nicht nahern kann. Nur halbgebildete, moralisch verkommene Dumm- kopfe konnen dariiber spottisch-liistern lacheln. Diesen rufe ich zu: Betrachtet eure inferioren Frauen und Tochter und bemitleidet sie als Zeugungsmaschinen und Haustiere! Egoisten, vveshalb verschachert ihr eure Tochter an Geldsacke, weshalb heiratet ihr die Mitgift, 66 anstatt das Weib? Heuchler, Betriiger, weshalb steigt ihr zu anderen Frauen und Madchen? Ungliickliche, warum leidet ihr, warum seid ihr mit euren inferioren Frauen unzufrieden? Und ihr liisternen Buhler, Heuch¬ ler und Pfaffen, weshalb verfiihrt ihr die Madchen der Handvverker, Arbeiter und Bauern? Weshalb stoBt ihr sie in die Arme des Ungliicks und der Prostitution? An dem allen ist die zuriickgebliebene Lage der Frauen und ihre heutige blodsinnige Erziehung, ist die Ehe mit ihren egoistischen, unsittlichen Grundprinzi- pien schuld! So lange der Egoismus und die Religion, d. h. die Pfaffen die Ehe schlieBen helfen, so lange muB sie heuchlerisch, betrugerisch, unsittlich sein. Die Religion mit ihrer egoistischen Grundlage taugt nicht mehr in das heutige Menschengeschlecht. Sie er- zieht nur Heuchler und egoistische Spekulanten! Die Moralitat mufi aus Vernunftsgriinden, muB aus ethi- schen Griinden entspringen. Man muB das „Gute“, Edle aus sich selbst heraus, aus selbstbewuBter, freier Ueberzeugung leisten. Wenn man aus Furcht das Bose meidet, aus Belohnung das Gute tut, dann ist man ein feiger, selbstsiichtiger Heuchler! Die Religion wirkt verdummend, insbesondere die romisch-katholische, da sie die freien Wissenschaften zu unterdriicken sucht, weil diese sie, als ein morsches Gebaude, wegputzen werden! Die Triebfeder jenes Verbietens, Bannbelegens, Unterdriickens ist der Egoismus! Es ist dies das zahe Anklammern an einer der Zersetzung entgegensteuern- den Macht. Und die Diener dieser Religion? Es sind dies meistens geistesarme, unwissende, zu bedauernde Menschen, die in ihrer Geisteszuriickgebliebenheit mit der Welt keinen Schritt zu halten vermogen. Und jene, die an die modernen Wissenschaften glauben? Das sind ganz gewohnliche Heuchler und Betruger, denn sie lehren eine von ihnen innerlich verworfene Lehre, sie umnachten wissentlich Menschenseelen mit mittelalter- licher Finsternis! 67 Die Religion mit ihrer Morallehre trachtet das Volk, das Proletariat, die Bourgeoisie in der geistigen Finster- nis zuriickzuhalten, damit man ja nicht an Staatsform, Gesellschaftsordnung, Ehe, Kirche usw. riihre, denn das ist eine Siinde. Die Siinde wird bekanntlich mit der Molle bestraft. Die Furcht vor den physischen Schmer- zen der Molle laBt die benebelte Seele nicht aus dem unsittlichen und feigen Morast steigen; sie fiirchtet sich vor einer unbekannten, daher peinlichen Strafe. Wenn man jenen Lehren folgt, wenn man hungert und durstet; wenn man wie ein Vieh lebt; wenn man ge- schlagen, gestoBen, ausgebeutet und unterjocht wird, und schweigt, und duldet ohne Murren, ohne HaB, ohne Fluch, ohne Vergeltung, mit wahrer Lammsfromm- heit; wenn man dabei mit tierischer Ergebenheit Gebete murmelt: dann winkt der Lohn, dann kommt man in den Himmel und dort kann man bis in alle Ewig- keit aus einer Verziickung in die andere geratend, Halle- luja singen! So begreift man nun, weshalb der Sozialismus mit vollem Rechte so unduldsam gegen die Religion ist. Die Gevvissensfreiheit, das ist die Hauptsache! Diese lehrten auch die alten, heidnischen Philosophen. Und diese groBe Wahrheit hat auch das Urchristentum er- faBt. Selbst Apostel Paulus stritt fiir die Gevvissens¬ freiheit und gegen das Ritualgesetz, gegen jeden auBe- ren Autoritatszvvang in religiosen und sittlichen Dingen iiberhaupt, wenn er sagt: „Fiir die Freiheit hat uns Christus befreit, so stehet fest, lasset euch nicht vvieder in das Joch der Knechtschaft beugen! <£ Und was ge- schah? Der Klerus rifi alles an sich, er unterjochte die Menschenseele, er jagte sie in die Knechtschaft! Der „Fiirst der Moraltheologie“, der hi. Alphons von Liguori, sagt unter anderem: „Wer auf dem Wege Gottes fortschreiten vvill, der untervverfe sich seinem ,gelehrten‘ Beichtvater und gehorche diesem, wie Gott. Wer das tut. der braucht Gott von seinen Handlungen 68 keine Rechenschaft ablegen! Dem Beichtvater soli man glauben, denn Gott wird nicht zulassen, daB er irrt!“ Da8 eine solche Lehre die Willensfreiheit auf Nuli reduziert, das braucht man nicht beweisen. Jene Lehre zerstort auch uberdies das jeder Moral innewohnende Wahrhaftigkeitsprinzip, denn diese Lehre vertilgt gerade dasjenige aus der Moral, was zu ihren vvertvollsten Bestandteilen gehort: den Seelenkampf um den Ein- klang des eigenen Wollens und Handelns mit den eigenen sittlichen Idealen. Diese Lehre stellt den blin- den Autoritatsglauben iiber Gewissen und Ueberzeu- gung, macht den Menschen zum Tiere. Die Lehren der Evangelien sind ja menschlich un- vollkommene Dinge, aber doch bestrahlt sie dieSonne der Liebe. Und was wurde aus dieser Menschenliebe in den Handen des Katholizismus? Ich will hier nicht auf lndex, Gewalt, Zv/ang und Inquisition, auf Ketzer- prozesse und Hexenverbrennungen himveisen; auch auf jene Scharen von Menschheitsmartyrern nicht, welche durch Pfaffen verurteilt, verbrannt, verjagt, verbannt, beraubt vvurden. Ich will jene Frage der evangelischen Menschenliebe mit einem einzigen Beispiele beantworten, mit jenem graBlichen Fluche, vvelchen der franzosische Papst, Clemens VII (1346), in seinem politischen Kampfe mit dem deutschen Kaisertum, wider Ludwig von Bayern schleuderte: „Damit der genannte Ludwig . . . erkenne, daB er verfallen sei in diese Strafen und in die Rache Gottes, und in unsere Verwiinschungen gerate, bitten wir fle- hentlich die Macht Gottes, daB sie seine Raserei zu- nichte mache, seinen Stolz erniedrige und auslosche, ihn durch die Kraft ihrer Rechten niederwerfe, ihn in die Hande seiner Feinde und Verfolger liefere und vor ihren FiiBen zusammensturzen lasse. Es moge ihm eine Fallgrube beschieden sein, die er nicht sieht, und er stiirze hinein. Verflucht sei sein Eingang, verflucht 69 sei sein Ausgang! Es schlage ihn Gott mit Wahnsinn t Blindheit und Tolhvut! Der Himmel schleudere seine Blitze auf ihn! Der Zorn Gottes und der hi. Apostel Petrus und Paulus, deren Kirche er zerstoren wollte und will, entbrenne gegen ihn in diesem und im kiinf- tigen Leben. Der Erdkreis kampfe gegen ihn! Die Erde offne sich und verschlinge ihn lebendig! In einer Generation werde sein Name vernichtet und verschwinde sein Gedachtnis von der Erde! Alle Elemente seien wider ihn. Seine Wohnung werde wiist! Aller ent- schlafenen Heiligen Verdienst verwirre ihn und zeige ihm schon in diesem Leben die Rache, die liber ihm ist! Seine Sohne sollen aus lhren Hausern gevvorfen, sie sollen vor seinen Augen in die Hande der Feinde gegeben werden, um sie zu vernichten!“ So hat die „alleinseligmachende“ Kirche jenes Ge- bot erfiillt, welches lautet: „Liebet eure Feinde; tut Gutes denen, die euch hassen!“ Und doch besitzt man die Unverschamtheit, eine „Moral“ zu predigen? Ein von der eigenen Dogmatik fiir unverstandlich erklarter und in den Augen der modernen Welt ein- fach unmoglicher Gottesbegriff! Ein langst veraltetes, allen wissenschaftlichen Forscnungen und Errungen- schaften hohnsprechendes Weltbild! Ein vielfach aber- glaubischer, heidnisch-polytheistischer Kultus! Eine rein formale, aufierliche, in der Hoffnung auf Lohn und in der Furcht vor Strafe basierende, egoistische, unsitt- liche Moral. Das sind die Ergebnisse der christlichen, der romisch-katholischen Weltanschauung. IV. D as mir bisher Unbekannte, die neue Perspektive der Menschheitszukunft brachte mich in neue Verwir- rungen. „Was ist der Mensch doch fiir ein kleines, narrisches Ding! Man stohnt fortwahrend iiber das 70 ,unglikkselige Leben' und trachtet nicht danach, es sich so einzurichten, daB man relativ zufrieden ware! Die Menschen sehen, daB der Sozialismus fiir sie kampft, sie konnen die geistige Tragheit aber nicht abschiitteln und sich dafiir interessieren, was der Sozialismus eigent- lich will! Trotz der Entwicklungsmoglichkeit ist der Mensch doch noch ein Tier, ein unverstandiges, faules Tier, das in seiner Bequemlichkeit lieber dem Alther- gewohnten, der Finsternis nachtappt und gegen das Licht kampft!" seufzte ich. Und ich begriff auch voll- kommen den Skeptizismus und Pessimismus, betreffend die menschliche Zukunft. Der Wissensdrang war in mir ervvacht! Ich begriff, daB es herrlichere Dinge gebe als Reglements und In- štruktionen. Wie soli ich mich aus diesem Durchein- ander der Gedanken herausarbeiten? Wo beginnen? Ich wollte alles Menschenmogliche wissen, selbst beurteilen konnen, meine Vernunft forderte mit unwiderstehlicher Gewalt Licht! Bei meiner Kompagnie diente ein alterer Herr, Re- serveoberleutnant Dr. phil. K. Diesen ernsten, ver- schlossenen Mann lieB ich in meine Wohnung bitten. Bis zu seinem Eintreffen ging ich ungeduldig auf und ab. Ich war in einer groBen Verlegenheit, denn ungern verrat der Mensch die an ihm haftende Un- wissenheit. Es war mir peinlich, daB ich, der Kom- pagniekommandant, der vorziiglich beschriebene, fiir die Kriegsakademie vorgeschlagene Offizier um eine Aus- kunft vom Untergebenen bitten wollte, daB ich ihm meine Dunkelheit liiften solite, daB ich geistige Hilfe von ihm erwartete. Schon wollte ich den Diener zu ihm senden, daB er nicht kommen brauche, da siegte doch der Wissensdrang iiber das falsche Schamgefiihl, meine Unwissenheit iiber den Stolz. Nach seinem Eintreten bat ich ihn, Platz zu nehmen und anzurauchen. 71 „Lieber Kamerad, ich bat dich, mich zu besuchen, denn ich benotige deine Hilfe!“ — Oberleutnant Dr. K. blickte mich iiberrascht an; dann sagte er: „Also handelt es sich am keine dienstliche Ange- legenheit? Denn in dieser brauchst du keine Hilfe. Ist es ein Ehrenhandel? Dann mufi ich bedauern, denn du kennst meine Ansichten iiber Duelle, trotzdem ich heute Offizier, wenn auch nur Reserveoffizier bin 1 “ Ich winkte ab. „Ich glaube, meine diesbeziiglichen Ansichten kennst du! Es handelt sich um etwas ganz anderes! Um mich besser zu verstehen, was ich will, werde ich dir die Angelegenheit kurz und chronologisch skizzieren: Bei meiner Ausmusterung machte mich ein Oberleutnant auf- merksam, daB ich die iibrige Menschheit achten soli, daB die Starke nicht im Sabel, sondern im Geiste liege, daB die Armee ein Zeichen menschlicher Unkultur sei. Damals verstand ich dies nicht! An der Front besaB ich einen hochgebildeten Freund, der mich iiber diese Angelegenheit aufklarte, mir auch andere Dinge klar- legte, der mir natunvissenschaftliche Werke verschaffte; dann verstand ich schou so manches! Ich vverde offen sein! Ich bekam Abscheu vor meinem Beruf! Ich er- kannte die Unsittlichkeit der Religion! Ich erkannte die Triebfedern des Nationalismus, der Kriege! Ich sah aber keinen Ausweg, kein Ziel. Vor einigen Tagen durchlas ich die Ausziige der Sozialphilosophie, und was ich davon verstand, dem muBte ich im Innern beipflichten. Ich verstehe also, daB Sitte, Moral, Gesetz, Staatsform, Gesellschaftsordnung, Religion sich zum Anpassen an die neuen Anschauungen zv/ingen lassen. Ich fiihle, daB alles einer sozialen Evolution unter- worfen ist, die man vielleicht mit Gevvalt einzudam- men versucht, die aber den Damm immer durchbricht. Durchbrechen muB, da der Geist, der fortschreitende Geist, machtiger ist als alle Gewaltmittel sind! Dies 72 ffihle ich alles und leide entsetzlich unter dem heutigen Machtegoismus. Ich finde keinen Ausweg! Hilf mir, iieber Freund, sehe in mir einen sich abqualenden Men- schen!“ Der Oberleutnant schaute mich anfangs vervvundert, uberrascht, dann immer verstandnisinniger an. Dann stand er auf, kam zu mir, ergriff meine H and und sagte: „Ich wuBte, daB du Menschenwert besitzt! Ich sehe, daB es auch unter euch strebende, denkende Menschen gibt. Aber dieses Kleid wirst du nicht lange tragen, kannst es nicht lange tragen. Du wirst ein freier Mensch werden mussen!“ Er lieB meine Hand los und setzte sich wieder. „Ob ich dir helfen will? Von Herzen gern, denn ich vollbringe ein edles Menschenwerk! Ich befreie ein Atom, das vvieder andere Atome befreien wird: das ist der Fortschritt! Ich will dir einen innern Wert verschaffen, um dich dafiir deines ,auBeren Wertes‘ zu berauben. Wert? Jemand sagte: ,Das Gedachtnis macht die Erlebnisse zeitlos, weil es die Zeit zu iibenvinden trachtetb Der Mensch erinnert sich des Vergangenen, weil das Vergangene das Gedachtnis vom Zeitbegriff befreit. In der Wut kann der Mensch nicht iiber die Wut nachdenken, er muB die Wut erst ubervvinden, er muB zeitlich iiber sie hinausgeriickt sein. Gabe es keine Zeitlosigkeit, dann gabe es keine Anschauung der Zeit. Fiir das Individuum hat nur das Interesse, was fur das Individuum Wert besitzt. Und diesen Wert gibt dem Menschen das Zeitlose, denn er wird sich nur an solche Dinge erinnern, die fiir ihn einen unbe- wuBten Wert hatten. Das erste, spezielle Gesetz der Werttheorie ist: ,Nur zeitlose Dinge besitzen einen Wert, weil sie positiv gewertet vverdenb Auch die Ge- schichte beweist uns, daB ,groBe‘ Politiker, Despoten, Gevvaltherrscher ihrem Regime dadurch einen Wert geben, indem sie das mit ihrem Tode aufhorende Regime mit dem Zeitlosen verkniipfen: sie hinterlassen Me- 73 moiren, Biographien, ein Gesetzbuch, Bauten, geistige Unternehmungen usw. Eine Sache wird dann bevvertet, wenn man Besorgnis hat, daB sie sich mit der Zeit ver- andert. Da aber die Besorgnis aus jemaligen egoistisch- subjektiven Griinden entspringt, so ist auch die Wertung der Dinge eine derjenigen der Zeitauffassung angepaBte. Der Wert ist daher immer im Verhaitnis zur Zeit ge- wonnen. Luft und Wasser haben keinen Wert. Wes- haib? Weil nur ,individuell geformte Dinge positiv gewertet werden konnen', wenn man sie umfassen, be- grenzen kann. Die Luft in Grenzen zu fassen ist un- moglich. Wenn man die Luft des ganzen Erdballs in einem begrenzten Raum verdichten konnte, so hatte sie Form gewonnen, man vviirde sie werten konnen. Da diese Wertung heute aus egoistischen Griinden ent- sprange, so ist es klar, daB die Wertung der Dinge aus ,nutzbringendem‘ Gesichtspunkte aus betrachtet vvird. Die Welt deiner Uniform vvird heute nur aus ,nutzr bringenden‘, ,nutzschiitzenden‘, also aus egoistischen Griinden ervvogen und gevvogen. Der geistige Wert ist unsichtbar, unbegrenzt, abstrakt, also besitzt er in den Augen der ,reellen, egoistischen, rohen, ungebildeten' Menschen keinen sicht- und greifbaren Wert. Auf dieser Basis vvirst du auch die marxistische Werttheorie be- greiflich finden. Das Gold ist formbar, erliegt keiner Zersetzung in Luft und Wasser, oxidiert nicht, hat einen schonen, metallischen Glanz, wurde also nach den chemischen Wertbegriffen als Edelmetall gevvertet. Da es infolge Verschvvindens vom Markte immer mehr gesucht vvurde, so vvurde es noch vvertvoller. Den Wert gab der ego- istische Mensch, da er um ein kleines Stiickchen Gold ein groBes Gebiet bekam; da er damit seine egoistischen Geliiste befriedigen konnte. Aus objektivem Standpunkte ist aber das Richtige und Gerechte: die Dinge gehoren gleichmaBig der Gemeinschaft, der Menschheit! Da sie allen zuganglich sind, allen gehoren, unbegrenzt 74 sind, so besitzen sie keinen Wert, weil eine egoistische Bereicherung ja unmoglich ist! Die Dinge erhalten soviel Wert, soviel Arbeit und Zeitvenvendung man in sie hineinlegt, denn fiir diese produktive Arbeit- und Zeitverwendung erhalte ich jene Dinge, die fiir mein bequemes Leben notwendig sind.“ „Jetzt verstehe ich die sozialistische Werttheorie!“ sagte ich. „Um auf das vorige Thema zuriickzukommen,“ er- widerte Dr. K., „mache ich dich darauf aufmerksam, daB dir das geistige Fundament fehlt. Du muBt von vorn beginnen und eine gewisse Reihenfolge einhalten. Du wirst die Philosophen, vom Altertum bis jetzt, durchnehmen, die Richtungen, alle Schulen. Dies ist zu einem selbstandigen Denken und Urteilen unerlaBlich. Dann iibergehst du auf die Naturwissenschaften, stu- dierst die Hauptprinzipien der Anatomie, Physioiogie, Biologie, nachher die Psychologie. Dann wirst du die Triebkrafte so manches Tuns und Handelns verstehen! Dann kommt die Reihenfolge an die objektive und subjektive Soziologie und zum SchluB werfe dich auf die sozialistische Philosophie. Ich werde heute abend ein Verzeichnis liber jene Werke auflegen, welche du durchstudieren solist. Dann stehe ich dir zu jeder Zeit zur Verfiigung!" So geschah es! Neue Welten wurden mir erschlossen, Schritt fiir Schritt drang ich vorwarts, immer leichter und leichter wurde mir die Seelenlast. Und mein Ratgeber stand mir treu zur Seite, verschaffte mir Lexikone und andere Hilfsmittel. Mittlervveile wurde ich aus Gy. nach H. zu einem selbstandigen Bataillon transferiert. In meiner freien Zeit studierte ich fleiBig weiter. Zwar fehlte mir mein treuer Ratgeber, aber die Post stand uns ja zur Ver- fugung! 75 Gegen Ende Oktober reiste ich nach Gy., wo ich meinen sechstagigen Urlaub zu verbringen die Absicht hatte. Gleich beim Aussteigen befremdete mich das kriegerische Bild, das sich meinen Augen darbot. Der Bahnhof voli von Offizieren und Mannschaften, den stahlernen Sturmhelm ara Kopfe, bis an die Zahne be- waffnet. Ich erwischte einen friiheren Regimentskame- raden. „Servus, Toth! Was ist denn los?“ „Servus! Du weiBt es nicht? Konig Karl und seine Gemahlin sind in einem Flugzeug in der Nahe von Sopron gelandet. Gestern! In einer halben Stunde werden sie hier ankommen. Das Regiment wurde so- fort alarmiert! Mittlervveile brachte der Brigadier ein Telegramm, laut vvelchem der Reichsver\veser Horthy kuhdgibt, daB er die Macht dem Konig ubergeben wird; die Truppen fordert er auf, den Eid fiir den Konig zu leisten und uns entbindet er des ihm geleisteten Eides!“ „So? Wie ist die Gesinnung, der Geist?“ fragte ich ganz perplex. „Der Geist ist gut! Um die Gesinnung werden wir nicht gefragt! Wir fuhlen nur, daB Ungarn durch diesen Schritt ins Ungliick gestiirzt wird. Haben wir nicht genug Unheil durch die Habsburger erfahren miissen? Warum geht er nicht nach Wien oder nach Prag? Dort sind ja die Lieblinge der Dynastie! jetzt, plotz- lich erinnert er sich an Ungarn und an ,seine Hauptstadt' Budapest, an seine ,tapferen magyarischen Patrioten'. Das ist unsere Gesinnung! Servus!“ Eine Ehrenkompagnie nahm Aafstellung, am rechten Fliigel die Regimentsmusik; Offiziere eilten hin und her. Der Zug rollte an. Zuerst stieg der neuernannte Ministerprasident Rakovszky aus, dann folgte der Konig und die Konigin Žita, zum SchluB der neue Kriegs- minister Baron Lehar und einige Herren vom Gefolge. Abends wurde ein Bataillon des Gy. Regiments alarmiert. Es muBte sofort per Bahn gegen Budapest 76 abgehen, da die „Regierungstruppen“ und die Univer- sitatsschiiler bei Budaors den „Konigstruppen“ Wider- stand leisteten. Der Bruderkampf nahm seinen Anfang! Abends erfuhr ich, daB das vom Brigadier vorgezeigte Telegramm gefalscht war, denn der Reichsverweser er- innerte die Truppen an den ihm geleisteten Eid. Ich ruckte ein zu meinem Bataillon. Schon am nachsten Tage muBten wir nach Budaors abmarschieren. Im groBten Regen und Kot kamen wir an, rasteten etwas; dann kam der BefehI, daB wir sofort am rechten Flugel der Regierungskrafte auf einer Hohe Aufstellung nehmen sollten. Dort angekommen, lieB ich meine Ma- schinengewehre etablieren und unterrichtete die Leute, daB sie nur auf meinen BefehI das Feuer eroffnen diir- fen, denn ich vvollte, wenn es nur anging, ein Nieder- morden verhindern. Die Nacht verging in groBter Ruhe! Am Morgen griffen die Konigstruppen an, vvurden jedoch zuriick- geworfen und nach eingelangter Verstarkung iiber- flugelnd angegriffen und gegen Tatatovaros zu zuriick- gedrangt. In Tatatovaros wurde das Konigspaar ge- fangen genommen, die Truppen entvvaffnet! Das Ende der Komodie war da! Die bornierten Pfaffen und viele unzurechnungs- fahigen Aristokraten haben dieses Brudermorden ange- zettelt. Ihnen war es nicht genug, das Land mit mittei- altcrlichen Ideen vollzustec.ken, sie muBten auch einen Biirgerkrieg heraufbeschworen. Jene Individuen, die meistens Titel und Adel samt Vermogen durch Vater- landsverrat, durch Charakterlosigkeiten, durch After- leckerei und Kriecherei erhielten, vvollten die eigene Nation aus reinstem Egoismus vernichten. Eine leer- und strohkopfige Kaste vvollte sich fiir Adel, Titel, Orden usw. dadurch erkenntlich zeigen, daB sie einen fremdrassigen Konig ins Land bringen vvollte, vvelcher und vvessen Haus dem Gros der Nation unsympathisch war; vvelches Haus das meiste Ungliick in der Welt 77 angestiftet hatte. Die Triebfeder war wieder gemeiner Egoismus, denn ihre Taten muBten doch wieder die Dankbarkeit des Konigs heraufbeschvvoren. Man vvollte sich vvieder auf unanstandige Art und Weise bereichern, man vvollte vvieder aufs hohe RoB, vvollte vvieder herutn- schervvenzeln; und die Pfaffen? Die vvollten vvieder im Triiben fischen! V. IK s vvar gegen Herbst 1922, als ich meine Befreiung aus geistiger Finsternis feiern konnte. Ich fiihlte, daB ich erst jetzt ein Mensch vvurde; ein geistig frei ge- vvordener, gehobener, selbstbevvuBter Mensch! Ich sah vvieder ein Ziel vor mir: Kampf, geistigen Kampf fiir die Menschenzukunft, fiir die Befreiung der Menschheit aus ihrer jetzigen, unvviirdigen Lage. Seit dieser Zeit hatte ich auch immer mehr Schvvie- rigkeiten beim Bataillon. Ich vvar nicht mehr jener Offizier, der sich vor der eisernen Disziplin zu beugen vvufite. Ich fiihlte eine groBe Ueberlegenheit iiber den Bataillonskommandanten, ich sah in ihm nur einen groBen Dummkopf, einen aufgeblahten Hahn und einen kleinen GernegroB! Ich muBte ofters iiber die Wichtig- tuerei dieses inferioren Narren lacheln. Meinen Ka- meraden gegeniiber geschah dasselbe. Bei einer Gelegenheit beklagte sich eine Offiziers- dame, daB die Mehrzahl der heutigen Manner sehr unhoflich sei. „Stellen Sie sich vor,“ sagte sie, „daB ich beim Tee der Frau X., abzahlte, vvie viele Herren der Haus- frau die Hand kiiBten! Es vvaren vvenigstens einDrittel der Herren, die es nicht taten! Das geht doch nicht?! Bitte, bei einer Dame geladen zu sein und ihr nicht ein- mal die Hand zu kiissen! Unglaublich! Wohin wird noch die Menschheit sinken? Wo bleibt der Anstand?“ 78 »Tja, das ist der neue Zeitgeist; der hat aber mit dem Anstand gar nichts zu tun!“ erwiderte ich lachelnd. „Was? Neuer Zeitgeist? Wird die Unhoflichkeit neuer Zeitgeist genannt? Ich danke! Welche Demorali¬ sation!" klagte sie. „Aber, aber, gnadige Frau! Dieser Zeitgeist hat ja gar nichts mit einer Demoralisation zu tun!" sagte ich nun etwas aufgebracht. „Wie meinen Sie?“ fragte sie pikiert. „Sie glauben, daB die Unhoflichkeit keine Demoralisation ist? Die Unhoflichkeit wirkt ansteckend, und wir leiden darunter ungerechterweise! Sehen Sie nun, daB die Unhoflich¬ keit andere demoralisiert“, endigte sie triumphierend. Ich war uber diese SchluBfolgerung verbliifft! „Siehe, das Weib!“ dachte ich mir. Weininger hat es genau iiberlegt, als er sagt: „Das Weib besitzt keine Logik! Der haufigste Fehler, den man an der vveiblichen Rede entdecken wiirde, wollte man sie wirklich auf ihre Logik priifen, ware jene Verschiebung, die eben aus der Unfahigkeit des Festhaltens bestimmter Vorstellungen, aus dem Mangel eines Verhaltnisses zum Satze der Identitat, hervorgeht. Das Weib erkennt nicht von selbst, daB sie sich an diesen Satz halten miisse, es ist nicht das oberste Kriteriuin ihrer Urteile! Der Mann fiihlt sich zur Logik verpflichtet, die Frau nicht! Nitr darauf kommt es an, nur jenes Gefiihl der Schuldigkeit kann eine Biirg- schaft daftir bieten, daB von einem Menschen immer und ewig logisch zu denken gestrebt \verde!" „Ich bestreite das eben Gehorte, gnadige Frau! Der Grund jener sogenannten Unhoflichkeit ist ein tieferer!" sagte ich ruhig. „Der Grund ist ein anderer? Ich vvare darauf sehr neugierig! Vielleicht sind Sie auch ein Anhanger jenes Zeitgeistes?" fragte sie gereizt. „Ja! Mit vollem BewuBtsein bin ich dessen An¬ hanger! Den Grund kann ich Ihnen nicht erklaren, 79 ohne daB Sie im Falle eines MiBverstehens nicht ziirneji wiirden!“ erwiderte ich bestimmt. „Bitte, ich vverde nicht ziirnen! Ich werde trachten, Sie zu verstehen!" sagte sie, ironisch lachelnd. Dieses Lacheln erboste mich! „Der Grund ist der: der HandkuB ist ein Ueber- bleibsel des romantischen Mittelalters; der Zeit der Meistersinger, der Troubadoure, der Ritterherrschaft, der Minnesanger angehorend. Man sagt, daB der Mann groBe, geistige Fortschritte gemacht hatte, wahrend die Frau in geistiger Hinsicht noch immer dort stehe, wo sie im Mittelalter stand. Ich gebe zu, daB daran auch der manniiche Egoismus die Schuld tragt. Zu den Er- rungenschaften der Kunst, der Literatur, aber insbeson- dere der Wissenschaften trug nur der manniiche Geist bei. Was die Frauen beitrugen, das kann nicht ernst genommen werden! In der Wissenschaft versagten sie total! Die Erziehungsmethoden der Madchen sind jam- merlich. Sie nippen von Verschiedenem etwas und konnen gar nichts. Nur der Weiblichkeit ist das Mad¬ chen sich bewuBt! Denn die Sexualitat und Koketterie ist angeboren, diese wird auch noch unterstiitzt, indem das Madchen auf den Mann dressiert wird. Dressiert durch Toiletten, Koketterie, etwas Musik, und durch Enveckung der Sexualitat. Das Madchen muB es tun, denn es ist in den meisten Fallen ihr Interesse. Ein Mann muB sie doch aushalten, da sie ihr Brot nicht selbst verdienen kann, weil sie nichts lernte; oder sie muB es tun, weil, um eine Jungfrau bleiben zu konnen, sie vielem entsagen muB, was vielleicht nach heutigen ,Sittenauffassungen‘ eine moraiische Emporung hervorrufen mochte, wenn sie den Ratschlagen der Natur auBer der Ehe foigen wiirde. Der Ehemann fun- giert also als Ernahrer, als Deckmantel, als Freiheit! Vor etwas GroBem, was ein menschlicher Geist er- sonnen und erschaffen, fiihlt man Andacht! Fiir den Geist selbst fiihlt man Verehrung; er, gnadige Frau, 80 er ist wiirdig, wenn ich ihm als Tribut meiner Ver- ehrung die H and kiisse. Denn ich bin ein Staubkorn- chen neben dem Genie! Weshalb soli ich einem anderen Staubkornchen die Hand kiissen, das noch viel kleiner ist als ich? Fiihlen Sie, was ich darunter meine? Ab- gesehen von der hygienischen Unzulassigkeit?!“ Sie wurde abwechselnd rot und blaB. Endlich stieB sie in ihrer verletzten Eitelkeit die Worte aus: „Ich gratuliere Ihnen zu dieser famosen Auffassung! Dieser Zeitgeist hat wirklich interessante Bahnen ein- geschlagen!" „Meinen ergebensten Dank, Gnadigste! Dieser Zeit¬ geist hat endlich gerechte Bahnen eingeschlagen!“ sagte ich ernst. Dieses Gesprach war ganz natiirlich den nachsten Tag allgemein bekannt geworden. Die Damen sahen mich wie einen tollen Hund an. Die Armen! Was ver- standen sie von der Unwiirdigkeit ihrer Lage in ihrer Inferioritat? Einige Tage darauf wurde ein Offiziersvortrag liber „die Erziehung des Offiziersnachwuchses“ gehalten. Der vortragende Oberstleutnant erklarte, daB die Erziehung des Offiziersnachwuchses und der jungen Offiziere auBer militarischem, auch einen human-wissen- schaftlichen Charakter annehmen solle. Der Offizier miisse eine allgemeine, universelle Bildung haben, um allen Gesprachen, die auBer seinem Interessenkreise liegen, folgen zu konnen. Er miisse einen Weltiiberblick bekommen. Es sei unstatthaft, nur immer Dienst- gesprache usw. in der Gesellschaft zu fiihren. Man inuB beweisen, daB man nicht einseitig erzogen ist. Da eine Kritik gestattet wurde, bat ich ums Wort. „Meine Herren! Ueber dieses Thema habe auch ich viel gegriibelt. Ich kam zu dem Resultat, daB, wenn man den Offiziersnachwuchs in dieser Hinsicht erzoge, sich ganz andere Folgen zeigen vviirden, als die man 81 envartet! Es ist gefahrlich, neben den militarischen Gegenstanden humane und freie Wissenschaften zu lehren, denn diese vverden einen Seelenkampf erzeugen. Die Armee wird dadurch die geistigsten, fahigsten Offi- ziere verlieren! Der intelligent veranlagte Charakter braucht nur einen AnstoB, und der Wissensdurst ist envacht. Dieser Charakter vvird studieren, und es vver¬ den ihm die Augen liber manches aufgehen, vvas er viel- leicht nie verstanden hatte. In jenem Moment ist er nicht mehr der Offizier, vvie es das Dienstreglement verlangt. Dieser Offizier vvird seelisch zerrissen, vvird unfahig sein, einen gevvissenhaften Dienst zu leisten, weil er seinen Beruf als ganz etvvas anderes ansehen vvird, vveil er durch die Wissenschaften ,destruiert* ist! Er vvird den Beruf an den Nagel hangen, vvenn er Charaktermensch ist! Als Schvvachling vvird er blei- ben, vvird heucheln, vvird im militarischen Sinne un- brauchbar sein! Stellen Sie sich vor, daB ein solcher Mensch in eine Fabrikstadt abkommandiert vvird, um streikenden Arbeitern ,Raison‘ beizubringen; vvird er es tun konnen? Stellen Sie sich diesen Menschen im Kriege vor; vvird er ohne Besinnen morden lassen konnen? Nein, denn er vvird in den Arbeitern auch Menschen, Gerechtigkeit fordernde, im Feinde unschul- dige Menschenbriider sehen! Das, meine Herren, vvird das Endresultat sein! Ich sprach nur von intelligent veranlagten Offizieren, also vom besten Material; denn die ubrigen Dutzendoffiziere vviirden die Wissenschaffen gar nicht erfassen: sie vviirden hochstens zum ,Haus- gebrauch' einige Zitate ausvvendig lernen, um damit herumzuschleudern. Meine Meinung ist, dem Nachvvuchs iiberhaupt kei- nen Einblick in die freien Wissenschaften zu gestatten, ja, sogar mit Androhung von Strafverfahren es ganzlich zu verbieten. Die Herren sollen vorziiglich die Reglements kennen, sie sollen vorziigliche Offiziere sein, vvenn sie auch nur von Hunden, Frauen, Trinken usw. sprechen 82 konnen; sie werden aber ihr Handwerk ,ge\vissenhaft ausiiben'!“ Ich war neugierig, welchen Erfolg meine Kritik haben vverde. Sind sie verniinftige Manner, dann miissen sie die Richtigkeit meiner Auslegung begreifen und danach handeln; sind sie inferiore Dummkopfe, dann muB ich eine Riige bekommen! Den nachsten Vormittag bekam ich beim Rapport „einen schriftlichen, strengen Vervveis“! Eine Woche darauf ging ich in ein Spital fiir Nervenkranke, vvo ich bis Friihling 1923 verblieb. Dort iiberlegte ich alles genau, was nun zu tun vvare? Mit fester Hand schrieb ich das Bittgesuch, be- treffend meine Entlassung aus der Armee, nieder. Ich wurde entlassen. Vor mir steht ein anderes Ziel! Das Zukunftsziel der Menschheit in seiner roten Oloriole! Diesem will ich mich vvidmen mit meiner ganzen Kraft und mit meinen Geistesfahigkeiten. Es ist ein langer, miihevoller Weg, vielleicht auch ein undankbarer, aber ein edler, uneigennutziger! Er ist edel, vveil er fiir die geistige und korperliche Freiheit gilt; er ist uneigenniitzig, vveil er zur geistigen Befreiung der Mitmenschen aus der Umnachtung fiihrt, vveil das Vordringen auf ihm der Gleichstellung samtlicher Menschen in briiderlicher Menschlichkeit gilt! So vvill ich helfen, jenen Kern geistiger, freiheitsliebender Menschen zu schaffen, vvelche vvissend, selbstbevvuBt den Weg zu unserem edlen, schonen Zukunftsziele einschlagen vverden. 83 VON BMUNO SCHONLANK Bruno Schonlank gehort zu den fuhrenden prolefarlschen Dichtern unserer Zeit und ist be~ sonders als Sdiopfer des proletarischen Sprecb- chores bekannt geworden Erlosung Ein Weihespiel 11. bis 14. Tausend. — Preis kartonierf Mk. 0,40 Ein goldner Ring — Ein dunkler Ring Gedichte Preis kartonierf Mk. 1,— In diesen Nachten Gedichte Preis kartonierf Mk. 1,—; gebunden Mk. 1,50 Blutjunge Welt Gedichte 5. Aufiage. — Preis kartonierf Mk. 0,70 Gesange der Zeit Gedichte 3. Auflage. — Preis kartonierf Mk. 0,70 Sonniges Land Kindergedichte Illusfriert von George Gros z. — Preis geb. Mk. 1,50. Grofistadt Chorwerk Preis: einfadie Ausg. 0,75, auf holzfreiem Papier Mk. 1,10 E. Laubsdie Verlagsbudihandlung G. m. b. H. Berlin W 30, Gledifschstr. 6 Alexandra Kollontay Die neue Moral und die Arbeiterklasse Preis broschiert Mk. 2,— Die friihere Gesandtin der Sowjefs am norwegischen Hofe umreifit in diesem beruhmten Werke die neue Geschlechtsmoral des antikapifalisfischen Menschen. Sie hat das Lebensethos der heranwachsenden russisdhien Jugend seit dem bolschewistischen Umsturz auf das starkste und nadihaltigste beeinflufif. A. S. S s u w o r i n Das Geheimtagebuch Auforisierfe Ueberfragung von Dr. Otto Buedk und Dr. K. K e r s t e n. Mit 1 Portrat Preis kartoniert Mk. 3,50, Halbleinen Mk. 4,50 Aus der Presse: „. . . Ein Unikum der Memoiren- und Tagebuchliteratur, ein wahres document humain, das in politischer, kulfurgeschichtlicher und rein psydiologischer Beziehung ein aufierordentliches Inferesse bietef. . . .“ Dr. Elias Hunvicz Geschichte der jiingsten russischen Revolution Preis kartoniert Mk. 3,50, Halbleinen Mk. 5,— Das Budi wurde von der Presse aller Richtungen ein- mutig als die beste, objektivste und materialreichsfe Dar- sfellung der modernen russischen Geschichte anerkannf. . . . E. Laubsdie Verlagsbudihandlung G. m. b. H. Berlin W 30, Gleditsdisfr. 6 Die Geschichte meines Zeitgenossen Von W 1 a d i m i r Korolenko Uebersetzf und eingeleitet von Kosa Luxemburg, In 2 Halbleinenbanden Mk. 8,— BaselerNachrichten: . . Die Geschichte seines Zeitgenossen, in der er das bunte Epos seiner eigenen Jugend, aus der Ferne des Alters gesehen, aufrollt, ist Rufllands Geschichte der letzten sieben Jahrzehnte. . . . Rosa Luxemburg versucht es, Korolenko einen Platz im Kreise der grofien russischen Dichter anzuweisen und hat dabei keinen Fehlgriff getan. . . Frau A. G. Dostojewski Tagebuch — Die Krise Dosfojewskis Mit 2 Portrats. — Brosdiiert Mk. 2,50, Leinen Mk. 4,— Dieses aufschluflreiche Werk ist ein Dokument des Lebens von einzigartigem Werte. Der grofite russische Dichter im Spiegel seiner zweiten, angebeteten Frau: der unbeherrschte Spieler, der schwer leidende Epileptiker, der gluhende Liebhaber, der Mensch Dostojewski in seiner dunklen Grofle und Eigenart treten plastisch hervor. Dar- iiber hinaus ist das Buch aber nicht nur ein wertvoller Beitrag zur Dostojewskiliteratur, sondern vor allem zur Frauenliterafur. In dieser Besonderheit ist es einzigartig. Otto Kaus Dostojewski und sein Schicksai Kart. Mk, 3,50, Halbln. Mk. 5,—, Halbpergament Mk. 7,— Aus Pressestimmen: „. . . Kaus entreifit Dostojewski den Mystikern und anderen Interpreten, stellt ihn in die Gegebenheiten seiner Zeit, begrenzt wie sie und zukunfts- schwanger wie sie. Er spannt ihn ein in Kapitalismus und Sozialismus, Vergangenheit und Zukunft und zeigt, wie Dostojewskis Ahnen in die Zukunft hinuberfuhrt, aber sein Empfinden leidend in den Unerbittlichkeiten des Ka¬ pitalismus einhertaumelte. . . . Nicht Dostojewskis Leben ist geschildert, aber seine Seele ist nackt und nuchtern in die Umcvelt gestellt. . . .“ E. Laubsche Verlagsbuchhandlung G. m. b. H. Berlin W 30, Gleditschstr. 6 NEUE MUSSISCHE NOVELLEN Neue Ufer Novellen jiingsfer russischer Literatur Herausgegeben von Dr. Gregor Bienstock. Romanformat. — Preis kartoniert Mk. 2,50, Leinen Mk. 4,— Eine Anzahl der bedeutendsten lebenden Dichter des bolsdiewistischen Rufilands sind in diesem Bande mit charakteristischen Proben ihrer Kunst vereinigt. Das Bild des neuen Menschen, das sie umreifien, ersteht in un- heimlicher Schiirfe und Iti lit den gewalfigen Umsturz aller uberkommenen menschlidien Wertungen im Sowjef-Reiche erkennen. — Kurze Angaben und Autobiographien der Diditer selbst erganzen den faszinierenden Eindruck dieses Satnmelbandes. Die Suhne Roman von Viktor Panin Romanformat. — Preis kartoniert Mk. 2,50, Halbln. Mk. 4,— Das zaristische Rufiland Skizzen und Novellen. von Viktor Panin. Grofioktav. — Preis kartoniert Mk. 2,50, Halbln. Mk. 4,— Viktor Panins Werke uber Rufiland sind sehr schnell einem groflen Publikum bekannt geworden. Ein ausge- zeichnefer Kenner des alfen wie des neuen Rufilands gibt Eindrucke und Beobachtungen wieder, die frappieren und uberhaupf ersf das Wesen und die Moglichkeit der russi- sdien Umwalzung erhellen. Sie zeigen den russisdien Men¬ schen mit seinen Sdiwachen und Vorzugen, die ihn vom Westeuropaer so diarakteristisdi abgrenzen. Rufiland ist eine Welt fur sich — das zeigen audi Panins Bucher. E- Laubsdie Verlagsbudihandlung G. m. b. H. Berlin W 30, Gleditschstr. 6