Muzikološki zbornik Musicological Annual XXIII, Ljubljana 1987 UDK 78.01:792.01 Schütz Jirf Vvslouži! MUSIKALISCH-ÄSTHETISCHE DRAMATURGIE Brno DER „SIEBEN WORTE CHRISTI" VON H. SCHÜTZ 1. Grundlagen für die neuzeitliche Auslegung von H. Schütz wurden durch die Arbeiten von Philipp Spitta, André Pirro, Hermann Kretzschmar, letztlich auch durch die von Hans Joachim Moser geschaffen. Einige davon wurden von neuem herausgegeben, wie beispielsweise Spittas „musikhistorischer Aufsatz" Heinrich Schütz, Leben und Werke vom J. 1894 (neu hrsg. im J. 1976) und Mosers Monographie Heinrich Schütz, Sein Leben und Werk vom J. 1936 (neu. hrsg. im J. 1954, engl, im J. 1959). Dies ist mit vollem Recht geschehen, denn die Arbeiten enthalten die Summe der grundlegenden historisch-biographischen und musik-analytischen Erkenntnisse. In der umfangreichen Monographie Mosers finden wir auch eine zutreffende Charakteristik des Passionoratoriums „Sieben Worte Christi", wo der renommierte Schützsche Monographist seine Hochschätzung des Werkes („ein Werk höchsten Ranges") durch eine Reihe von Argumenten belegt, die man etwa in folgenden Schwerpunkten kurz zusammenfassen kann: a) "Einsam, aber nicht ganz allein" ist der aus „sieben Worten des Gekreuzigten" bestehende Stoff, dessen einzelne Teile Schütz aus allen vier Evangelien auswählte und zusammensetzte und — der mittelalterlichen Tradition getreu — in der mystischen Einheit der Siebenzahl behandelte. b) Musikstilistisch stellen die Sieben Worte Christi" eine Synthese von frei aufgefaßter Kontrapunktik der alten Motettenpassionen und der Gabrielischen Instrumentalsinfonie, sowie der italienischen „nuove musiche" (der Monteverdischen begleiteten Monodie), des Generalbasses und der Musikidiomatik des deutschen Protestantenliedes dar. Beide diese Charakteristiken, die auch in Arbeiten anderer Forscher vorkommen, behalten die Gültigkeit von objektiven musik-historischen Aussagen, an denen auch heute nicht viel zu ändern ist. Problematisch scheint nur ein anderes Argument Mosers zu sein: c) "Unter dem Eindruck von den älteren Arbeiten Kretzschmars (Führer durch den Konzertsaal II, 1 — 1895) richtet Moser bei seiner hohen Schätzung der „Sieben Worte Christi" seine Aufmerksamkeit auch auf die gehaltlichen Qualitäten der Musik, die er in einer anschaulichen Schilderung von verschiedenartigen durch den Text veran-laßten Affekte (Schützens Musik ist laut Moser „affektschildernd") zu sehen glaubt. Den Affekt des fünften Wortes des Gekreuzigten „Mich dürstet" deutet Moser zum 71 Beisp. folgendermaßen: „Manche dieser Sätzchen sind erschütternd in ihrer Gespann-heit und Qual, so etwa mit der bedrückten Rückwendung nach e-Moll". Der Affekt des sechsten Wortes „Es ist vollbracht" wird bei Moser folgendermaßen erläutert: „Dann nach der Tränkung Jesu seltsam realistisch und im Rhythmus höchst schützisch, erst rasch herausgepreßt und dann stockend". 2. Nach Moser sowie nach anderen Autoren ist also die Ästhetik der „Sieben Worte Christi" eine Ästhetik der Affekte, und zwar nicht im Sinne der zeitgenössischen Affektenlehre des 17. und 18. Jahrhunderts, sondern eher im Sinne der historischen hermeneutischen Distanz, wo das rezipierende Subjekt seine eigenen Affekte und Vorstellungen mit den Eigenschaften der Musik identifiziert. Er nützt sogar das in der Zeit von Schütz noch immer geltende Prinzip nicht aus, nämlich die Tonart, die in den „Sieben Worte Christi" herrscht, eigentlich ein gemischtes e-Moll und E-Dur, das negative, das heißt finstere, traurige, düstere etc. Affekte und Vorstellungen darstellen soll. In seiner hermeneutischen Interpretation des musikalischen Gehaltes berücksicht Moser auch den mehrschichtigen Charakter des Musikwerkes nicht, in dem das ursprünglich paradigmatische Element, die Tonart ein eE, als reines Dispositionsmittel nur im Rahmen einer hoch organisierten musikalischen Struktur künstlerisch zur Geltung kommen kann. Nur in diesem Rahmen läßt sich die „ausdruckschildernde" Funktion der Wendung von E-Dur zu e-Moll im fünften Wort „Mich dürstet" verstehen. Der Herd der Spannung und des Ausdruckes befindet sich aber eher in dem Gesungenen, wo sich doch die unmittelbare Begegnung und gegenseitige Wort-Ton-Durchdringung vollzieht. In der asymmetrischen fünftaktigen Sprechmelodie mit dem Ambitus kleiner Terz (fis1 -a1) sind zwei kleine Sekunden (gis1-a1 und fis1-g1) exponiert. Dieses chromatische Gebilde stellt die Quelle der Spannung zwischen Melodie und Harmonie dar, wo wir eine verminderte Quart (gis1-c2) und eine verminderte Quint (dis-a) entdecken, beide Intervalle auf der schweren Taktzeit. Trotz der Dissonanz und Chromatik weicht das fünfte Wort jedoch von der Tonalität in eE nicht ab. Ähnliches gilt auch für die „ausdruckschildernde" Funktion der Wedung von e-Moll zu E-Dur, also in gegensätzlicher Richtung, im sechsten Wort „Es ist vollbracht". Auch hier ist die Tonart in eE nur ein Teil des Ganzen. Sie bildet die Grundlage für die konsequent diatonisch strukturierte Sprechmeiodie, die aus aufsteigend fortschreitenden Tönen des melodischen Moll in e mit charakteristischen „Dur"-Sekunden in der zweiten Hälfte der Reihe h1-cis2-dis2-e2 besteht. Die Phrase wird insgesamt mit Dur-Akkorden harmonisiert. Im Vergleich mit dem fünften Wort ist die Harmonie rein kon-sonant. Auffälig ist die metrorhythmische Struktur des Wortes. Die Kontinuität der Melodie ist in jedem Takt durch eine Pause durchbrochen, die immer in die schwere Taktzeit gelegt ist. Erst in der Kadenz ist der prägnante männliche Schluß verwendet, dem auch die authentische harmonische Kadenz in die Tonika entspricht (das fünfte Wort kadenziert im Gegenteil mit weiblichen Schluß). 3. Mit unseren kritischen Äußerungen und analytischen Ergänzungen wollten wir keinesfalls die verdienstvollen Leistungen Mosers in Frage stellen. Eher sollte hier auf die Lücken der hermeneutischen Methode, die auch in der heutigen Musikforschung noch nicht übertroffen ist, aufmerksam gemacht werden. 72 Die Nebelhaftigkeit der hermeneutischen Auslegungen und anderen ähnlichen führt bald zu Bemühungen um Applikation exakterer Methoden. So sucht zum Beisp. die Lehre von der sog. Tonsymbolik die Quellen der gehaltlichen Qualitäten von Schützens Musik in den „Urmotiven", die sie als „Wurzeln fast aller Ausdrucksformen" betrachtet (W. S. Huber, Tonsprache-Tonsymbolik, in: Neue Schütz-Ausgabe sämtlicher Werke, 3. Bd. 1956). Das Klassifikationskriterium ihrer Konstruktion ist die Art und das Maß der bildhaften Strukturierung (des Musikallegorischen) der melodischen Linie eines Musikmotivs. Es liegt jedoch nahe, daß die gehaltlichen Quellen der Schützschen Musik auf diese Weise auf ein einziges, dazu noch nicht ausdruckmäßiges (Index), sonder bildhaftes (Ikon) Zeichen reduziert werden. So ist die eigentliche Deutung inadäquaterweise auf ein Parameter gerichtet, während die Bedeutung anderer Quellen der potentiallen musikalischen Expressivität etc. nicht bewertet wird. Außerdem wurden die „Urmotive" zu abstrakt konstruiert, ohne daß die erforderlichen musik-historischen und ästhetischen Grundlagen der Verdinglichung der Ausdrücke im Material des einzelnen konkreten Musikwerkes in Betracht genommen würden. 4. Wesentliche Wendung in der Objektivation der Deutung der musikalischen Gehalte brachte auch bei Schütz erst die Entdeckung der Figurenlehre, einer Lehre vom 17. und 18. Jahrhundert über die Anwendung musikalischer Figuren als Mittel der Textdeutung, die die Musik als sprachgebundene Disziplin behandelt (erstmal gründlich bei H. H. Eggebrecht, H. Schütz, Musicus poeticus, 1959). Sie leugnet nicht das Vorkommen des Bildhaften in der Musik bei Schütz (die Gruppe von allegorischen Figuren, die sogenannte Hypotyposis, deckt sich teilweise mit den auf- und absteigenden „Urfiguren" der Tonsymboliklehre). Die Figurenlehre beschränkt sich aber nicht auf einen einzigen musikalischen Parameter beziehungsweise ein Kompositionsmittel. Bei der Erforschung betrachtet sie die Komplexität des musikalischen Werkes, der musikalischen Struktur als Ganzen. Im Hinblick auf ihr komplexes analytisches Verfahren, das jedoch auch bei Schütz ohne gründliche Textanalyse nicht denkbar ist, werden der Figurenlehre auch vom Standpunkte der Ästhetik, d.h. der künstlerischen Kreativität und Wirkung, und der Semiotik, d.h. der Deutung des Musikwerkes als Ganzes, größere Chancen gewährt. 5. Für die Analyse der „Sieben Worte Christi" ist diese Anforderung deshalb von besonderer Bedeutung, weil Schütz sich für dieses Werk den Text selbst geschaffen hat, indem er die geeignetsten Verse von allen vier Evangelien ausgesucht und zu einer neuen Textform gestaltet hat. In der bisherigen Musikforschung wurde sein schöpferisches literarisches Verfahren nicht entsprechend bewertet. Es wird im Zusammenhang mit „Sieben Worten Christi" im Gegenteil taktvoll erwähnt (Moser, I.e., F. Stein im Vorwort zur Edition des Werkes, 1934), Schütz habe die Originalversion nicht respektiert, sei vielfach davon abgewichen, weil er sich ja beim Zusammenstellen seines Librettos auf sein Gedächtnis verlassen hätte. Unserer Meinung nach sind die Änderungen und Eingriffe nicht auf die Fehlleistungen seines Gedächtnisses, sondern auf eine sorgfältig durchdachte textliche Arbeit, die die Vorstellung einer besonderen Musikdramaturgie im Sinne hatte und berücksichtigte, zurückzuführen. Wir wollen nun versuchen, unsere Behauptung in folgenden Schwerpunkten zu begründen: 73 a) Schütz wählt, kürzt, kontaminiert und erweitert die Verse der Evangelien, um eine Szene entfalten zu können, die nicht nur durch ihre Dynamik, Kontrastwirkung und Expressivität, sondern vor allem auch durch ihre geradezu bildlich gestaltete Komposition die Vision eines barocken Kreuzigungsgemäldes hervorruft, zu dem die oben erwähnten Anfangs- (Introitus) und Schlußteile (Conclusio) sowie die beiden Sinfonien den Rahmen bieten. Die eigentliche Handlung der Szene vollzieht sich in sieben logisch aufeinenderanknüpfenden Nummern, deren Gedankenkern die sieben „Worte", d.h. Aussprüche, Christi darstellen. Die Ausdrucksformen des Librettos sind einesteils die kommentierenden Monologe des Evangelisten (il Testo), andernteils die lapidaren Dialoge der an der Handlung partizipierenden Gestalten (Jesus, die beiden Schacher), die dem Werk einen dramatischen, nahezu „theatralischen" Charakter verleihen. Der Konflikt zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen klingt in der Schlußkatharsis aus: der Mensch stirbt, doch die Gottheit im Menschen, durch Selbstüberwindung im Tode wiedergeboren, feiert ihre Unsterblichkeit. Dadurch wird natürlich die dramatische Wirkung gestärkt. Man kann feststellen, daß diese Kreuzigungszene schon durch ihre textliche Ausgestaltung das expressivste und theatralisch wirksamste Werk Schützens darstellt. b) Bei der Strukturierung des Textes behält Schütz stets auch die Vertonung im Auge. Bearbeitungen und Kürzungen der Verse, Einschaltungen von neuen Textsegmenten sind größtenteils durch semantisch-syntaktische, d.h. musikdramaturgische Absicht motiviert. Die kurze zweisilbige, dem Matthäus-Evangelium entnommene Evangelisten-Rede „Das ist", die das vierte Wort Eli lama asabthani einleitet, erweitert Schütz zum exegetischen „Das ist verdolmetschet". Durch diese Texterweiterung verschafft er auch Raum für die Gesangphrase des dreitaktigen motettenartigen Segments mit einem wirkungsvollen Plagalschiuß, um die hebräische Lautung des „Wortes" von der deutschen deutlicher zu trennen. Ganz wesentlich ändert Schütz den vom Evangelisten vorgetragenen Auftritt des Kriegsknechtes. Der Text des Matthäus-Evangeliums hat er zum Teil reduziert, zum Teil mit Versfragmenten aus Johannes-Evangelium kontaminiert, zum Teil durch eigene Motive ergänzt. Durch diese Umgestaltung gewann die Schilderung an Dynamik und Suggestivität, die keine der vier Evangelien-Vorlagen aufweisen kann. Zum Vergleich zitieren wir zunächst Matthäus und dann Schützens Variante: Matthäus: „Und alsbald lief einer unter ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und tränkte ihn" (Matth. 27, 48). Und Schütz: „Und einer aus den Kriegsknechten lief bald hin, nahm einen Schwamm und füllet ihn mit Essig und Ysopen und stecket ihn auf ein Rohr und hielt ihn dar und tränket ihn. Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er."1 Auf ähnliche Weise ist auch die Katharse des seibenten Wortes erweitert „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände", wo der Tod Jesu durch die motettenartig komponierte vierzehntaktige Rede des Evangelisten „Und als er das gesagt hatte, neiget er das Haupt und gab seinen Geist auf" kommentiert wird. Schütz ersetzte hier Aufregung, Bewegung, innere Dynamik des Auftritts sind musikalisch durch beweglichere Motive mit punktierten Rhythmen und durch melodische und harmonische Moll-Dur-Oszillation mit einigen charakteristischen Dissonanzen dargestellt. 74 das emotional neutrale „verschied er" aus dem Lukas-Evangelium durch die viel umfangreichere euphemistische Umschreibung „neiget er...".2 Wenigstens einige diese Beispiele aus unserer ausführlich durchgeführten Analyse. Das Libretto des Oratoriums „Seiben Worte Christi" ist das Werk eines Komponisten-Dichters (musicus poeticus), der dank seinem ungewöhnlichen Vorstellungs- und Expressionsvermögen imstande war, eine der tragischen Allegorien der Barockwelt zu sehen und mitzuerleben. Daß Schütz an der textlichen Strukturierung der Szene innerlich beteiligt war, kann — schon aus rein ideologischen Gründen — nicht bezweifelt werden. Sein persönliches Engagement bezeugen auch seine Eingriffe in den liturgischen Bibeltext. 6. Die Poetik und Dramaturgie Schützens Librettos zu „Sieben Worte Christi", wie sie von uns eben kurz analysiert wurde, lenkt unsere Aufmerksamkeit zum Gehalt und zu den kreativen Werten der Musik von Schütz. Ein Versuch, diese Fülle mittels der Ästhetik symbolischer "Urmotive" zu deuten, wäre offensichtlich ebenso erfolglos wie die Bemühung, dies auf dem Wege des hermeneutischen Argumentes des „ausdrucksschildernden" Charakters der Musik zu tun, wie es aus unseren vorherigen kritischen Überlegungen über diese Methoden hervorgeht. Für den Ausgangspunkt zum Abschluß unserer Betrachtung halten wir die viel produktiveren objektiven Argumentationen aus der Sphäre des Stils der musikalischen Ausdrucksmittel. Die starke Orientierung der „Sieben Worte Christi" auf den modernen Stil der dramatischen Monodie des Monteverdischen Typus war nämlich von einer nicht nur formalen Bedeutung. Sie öffnete den Weg zu einem neuen Typ der Strukturierung des Musikgehaites, der mit seinen Abweichungen vom strengen (objektiven) kontrapunktischen Satz eine unmittelbare Reaktion der Musik auf die Prosodie und Bedeutungsmäßigkeit der Worte, ja ganzer Wortphrasen ermöglichte. Der monodische Stil mit seinen freien Formgebilden verwehrte dem Komponisten keineswegs, den Lyrismus der dichterischen Mitteilung mitzuerleben und dieses Erlebnis im Musikmaterial zu vergegenständlichen. In den „Seiben Worten Christi" von Schütz ist dieses expressive „redende Prinzip" reichlich vertreten, ja es wird progressiv gesteigert, und zwar im Einklang mit der dramaturgischen Gradation der Handlung des Passionsoratoriums, Schütz verleiht allerdings diesem expressiven musikalischen Geschehen auch in den „Seiben Worten Christi" eine größere musikalische Anschaulichkeit, die sich bereits aus einer rein strukturellen Betrachtung seiner Musik herauslesen läßt. Vieles kann man in dieser Hinsicht an Hand der kombinierten Musik- und Textanalyse semantisch dechiffrieren. Instiktiv versuchte dies auch Moser zu applizieren, als er die musikalische „Realistik" des sechsten Wortes „Es ist vollbracht" als schnelles Ausstoßen und nachher als haperndes Stocken charakterisierte. In diesem Moment führte er — ohne sich dessen bewußt zu sein — eine der elementarsten semantischen Operationen durch. Im kritischen Kommentar zu dieser Ausführung von Moser haben wir auf andere bedeutende analytische Beweise aus der Sphäre der Tonalität, Metrik (Prosodie) und Harmonie aufmerksam gemacht, auf die man also nicht mehr aufs neue ein- 2 In der musikalischen Gestalt dieser Phrase finden wir zuerst ein „absteigendes Motiv" mit der Folge d2-c2-h1-a1-g1-fis1-e1-dis1 (auf den Worten „neiget er das Haupt"), auf das auf den Worten „gab seinen Geist auf" ein „aufsteigendes Motiv", eine Folge von d1-e1-fis1-g1, anknüpft. 75 gehen muß. Wichtiger scheint uns hier, was zur semiotischen Interpretation die Figurenlehre hinzufügen kann. Im sechsten Wort gibt es einige dieser Figuren, deren Inbegriff eine musikalisch logische Einheit bildet, so daß der heutige Hörer des Werkes von Schütz sie außer Acht läßt, soweit er allerdings nicht die Fähigkeit besitzt, sie rationell zu zergliedern. Eine solche Zergliederung kann jedoch nur ein historisch gebildeter Se-miotiker durchführen, der dann feststellt, daß im sechsten Wort folgende Typen der musikalischen Figuren als Zeichen funktionieren: a) Allegorische Anabasis (Ascensus) der steigenden Tonleitermelodie als Zeichen eines positiven Affektes läßt sich im Einklang mit dem Textsinn so begreifen, daß der Augenblick gekommen ist, da der Sohn Erlöser, der seine Sendung auf Erden erfüllt hat, sich in Vorahnung seiner Himmelfahrt von seinem sterblichen Fleische loslöst und zum Himmel emporstrebt. b) Pausenfigur Suspiratio, die die Affekte des Seufzens und der Ermüdung vergegenständlicht. c) Emphatische Epizeuxis, die durch ihre Wiederholung und Verschiebung emphatisch wirken soll. d) Man sollte auch die symbolische Affektenbedeutung der Tonart eE in Betracht nehmen, und zwar mit ihrem harmonischen und metrorhythmischen Abschluß an. In aller Kürze führen wir noch ein Beispiel an, an dem man das meisterhafte Umgehen mit Intervall-Figuren dokumentieren kann, die bei Schütz als immens wirksame Ausdrucksmittel auftreten. Wir wenden uns nochmals dem sechsten Wort „Mich dürstet" zu, dessen Strukturanalyse wir schon durchgeführt haben. In der Melodie dieser Sprachmelodie werden zwei chromatische Halbtöne exponiert, nach der musikalischen Figurenlehre also Pathopoiia, als Äußerung negativen Affektes, bzw. aufgeregter Expressivität. Die beiden Dissonanzen, verminderte Quart gis1-c2 und die verminderte Quint dis-a, hat die Figurenlehre als „defiziente" Intervalle bezeichnet. Das Prädikat, vom lateinischen „deficere" (= wegfallen, mangeln an etwas, erlahmen) abgeleitet, äußert ohne weitere Kommentare den Sinn der so ausgewählten Strukturierung des melodisch-harmonischen Satzes. Hätten wir unsere semantische Analyse auch auf die übrigen Teile (nicht nur „Worte", sondern auch rezitativartige Nummern) erweitert, was jedoch hier nicht möglich ist, so hätten wir ganz sicher im ganzen Oeuvre der „Sieben Worte Christi" dieselbe Kompositionsabsicht, nämlich die Verdinglichung der künstlerischen Vorstellungen im Material der Musik, verfolgen können. 7. „Sieben Worte Christi" sind weder eine Oper, noch ein szenisches Oratorium. In unserer ästhetisch und semiotisch gerichteten musikalischen Analyse haben wir versucht zu erörtern, daß das Werk im Text und in der Musik ausgeprägte musiktheatralische Züge besitzt. In diesen Eigenschaften liegt die besondere Stellung des Oeuvres im musikalischen Schaffen des Meisters. 76 POVZETEK Izhajajoè iz vrste dosedanjih obravnav Heinricha Schütza izpod peresa Ph. Spitte, A. Pirrója, H. Kretzschmarja ter zlasti H. J. Moser ja avtor ugotavlja, da jeza vsemi temi razlagami v bistvu estetika afektov. Ne sicer v smislu naukov 17. in 18. stoletja, paè pa v obliki še vedno nepreseženega projiciranja sodobnih hermenevtiènih predstav v preteklost, v èas nastanka posameznih idej. Neglede na pomanjkljivosti takega pristopa in nedoreèenosti novejših metod (W. S. Huber, H. H. Eggebrecht), avtor smatra, da je glasbenodramatska gradnja bistveno izhodišèe za objektivnejše vrednotenje obravnavanega dela. Schützova zavestna predelava besedila ter umetelna uporaba dramatske monodije Monteverdijevega tipa dajeta z estetsko in semiotsko usmerjeno analizo šele prav/kljuè za razumevanje kompozicije, ki ni niti opera niti scenski oratorij, ampak svojevrstno tretiranje teksta in glasbenih sredstev, ki vsebuje izrazite glasbe-nogledališke poteze. 11