H 31% Lehrbuch Geschichte des Alterthnms far flia oteen Classea flsr Gpasiai von Andreas Zeehe k. k. Gymnasial - Direetor in Villaeh. Zweite umgearbeitete Auflage. Laibach 1893. Druck urni Verlag voh Ig. v. Kleinmayr & Fed. Bamberg. Vorwort. Die zweite Auflage clieses Lehrbuches unterscheidet sich von der ersten hauptsachlich in folgenden Punkten: Der Umfang wurde vermindert. Es wurde namlich eine Anzahl Satze allgemeinen Inhaltes weggelassen, manclie Theile, wie z. B. die agyptischc Religion, die Lehre Buddhas, die griechische Literatur (theilweise) und Kunst, die Topographie Roms und namentlich der Abschnitt liber den Zustand des romischen Reiches zur Zeit des Principats u. a. wurden gekiirzt, die Citate als Noten gedruckt; aufier- dem wurde die Gliederung des Stoffes an rnehreren Stellen, z. B. bei der griechischen Colonisation, bei der Culturarbeit Alexanders, bei der Eroberung Galliens durcli Caesar u. s. w., vereinfaclit. Dadurch wurde der Raum fiir einige Zusiitze gewonnen. bo ivurden mebrere orientalische Konige und ilire Tbaten ervvahnt, es wurden die Ab- scbnitte liber Erziebung und Unterricbt bei den Griecben und Romern erweitert, die Socratischen Schulen und einzelne Theile der alexandri- niseben Cultur ausfiihrlicher behandelt, der Tod der beiden bcipione erzahlt u. a. Die grofite Veranderung erfubr die Darstellung der romischen Kaiserzeit. Wiibrend diese in der ersten Auflage nach sachliehen Gesichtspunkten behandelt wurde, wurde jetzt wieder in herkomm- licher Weise der biograpbiscbe in den Vordergrund gestellt; docli tand, von der oben erwahnten Einscbrankung abgeseben, der ganze eulturhistoriscbe StofiP der ersten Auflage Aufnahme. Ausfiihrlicher als in der ersten Auflage wurde der Beziehungen zwischen den Romern und den Germanen gedacht. Der Lehrer wird es nicht unterlassen, am Schlusse der romischen Geschichte eine zusammenfassende Wieder- holung des Stoffes nach sachliehen Gesichtspunkten (Kriege, Ent- vvicklung der Verfassung, Literatur, Kunst, materielle Verhaltnisse) vorzunehmen. Hinsichtlich der Anordnung des Stoffes ist die wichtigste Ande- rung, dass der Darstellung des Standekampfes die Ausbreitung der romischen Herrschaft liber Latium vorangestellt ist. IV Der Vergleich mit der ersten Auflage dflrfte auch erkennen lassen, dass der Verfasser abermals mehrere neuere Werke zurathe gezogen hat; doch hielt er es fitr zweckmaI3iger, den Inhalt der Aristotelischen Schrift liber das Staatswesen der Athener, solange die Forseher (Bauer, Busolt, Gtomperz, Niese, Rilhl u. a.) dariiber so verscliiedener Ansicht sind, vorerst ftir die Schule nicht zu verwerten. (Nur eine kurze Bemerkung findet sicb daraus S. 84.) Die erste Auflage des Buches hat namentlich in der padagogi- schen Literatur des deutschen Reiches 1 Beifall gefunden; moge die zweite als eine verbesserte anerkannt werden! S. 47, letzte Zeile, ist zu lesen: Hehn statt Hahn, S. 254 in der vorletzten Zeile vor «leisteten» diese einzuschalten. Villach, Ende Marž 1893. A. Zeehe. 1 Dem Verfasser sind die Besprechungen in folgenden Zeitsehriften des deutschen Reiches bekannt geworden: Berliner Zeitschrift fur das Gymnasialwesen, Deutsche Sehulzeitung (Berlin), Deutsche Zeitschrift fur Geschichtsvvissenschaft, Jahresberichte iiber das hBhere Schulwesen, Literaturblatt der Deutschen Lehrerzeitung (Berlin), Padagogium von Dittes, Neues Braunschweigisches Schulblatt, Literarische Beilage zur Padagogischen Zeitung (Berlin), Beilage zur Bayerischen Lehrerzeitung. - 5 — - In li alt Einleitung Sejte 1 Geschichte der orientalischen Volker. Seite Uie rriittellandische Rassc . .... 4 Rie hamitischen Agypter. 4 I. Zur Geographie Agyptens . . 4 II. Geschichte der Agypter ... 5 A. Quellen. 5 B. Uberblick iiber die agyp- tische Gescliichte (3200 bis 525). 6 C. Cultur. 8 Hie Semiten.13 I. Die Babylonier und Assyrier . 13 A. Zur Geographie BabyIoniens und Assyriens .... 13 B. Gescliichte der Babylonier und Assyrier.14 1. Quellen.14 2. Die altesten Staaten in Babylonien (3000 bis 1900) . . .. 16 3. Geschichte Assyriens (1900-606). 16 4. Das babylonische Reich (606 — 539). 17 C. Cultur.18 II. Die Phonicier.20 A. Zur Geographie Phoniciens 20 B. Geschichte der Phonicier (seit 1400). 21 C. Cultur.23 III. Die Israeliten.24 A . Zur Geographie Syriens und Palastinas.24 B. Gescliichte der Israeliten (2000-586). 25 C. Cultur.28 Die Indogermanen.31 I. Die Inder.31 A. Zur Geographie Indiens . 31 B. Geschichte der Inder (2000 bis 500). 32 C. Literatur.36 D. Kunst.37 II. Die Iranier.38 Zur Geographie Irans .... 38 A. Die Bactrer.38 B. Die Meder.39 C. Die Perser.40 1. bis 5. Geschichte der Perser (558 — 334) . . 40 6. Kunst.45 \Viederholung und Abschluss ... 46 Geschichte der Grieehen. Zur Geographie Griechenlands ... 48 I. Name und horizontale Gliede- rung.48 II. Verticale Gliederung .... 49 III. Hydrographie.50 IV. Klima und Producte .... 51 V. Einfliisse des Landes auf das Volk.52 VI. Zur Topographie.52 Eintheilung der griech. Geschichte . 53 Erster Zeitraum (bis 1000). I. Name und Eintheilung des Volkes.53 II. Anfange dergriech. Geschichte 55 III. Religion.56 IV. Heldensage.62 V. Scldieinanns Ausgrabungen . 66 VI. Eintvirkungen des Orients . 67 VII. Wanderungen.69 Vlil. Cultur.71 Zweiter Zeitraum (1000 — 500). I. Verfassungsfbrmen.73 II. Sparta.74 A. Geographie Laconiens . . 74 VI Seite B. Gesehichte Spartas ... 75 1. Die Lycurgische Ver- fassung (9. Jahrh.) . . 75 2. Die ersten zwei messe- nischen Kriege ... 78 3. Spartas Hegemonie . . 80 III. Athen.81 A. Geograpliie Atticas ... 81 />. Gesehichte A tli en s ... 82 1. Athen vor Solon ... 82 2. Die Solonische Gesetz- gebung (594) .... 84 3. Die Tvrannis (560 bis 510) .'.88 4. C!isthenes(509und508) 89 IV. Die Colonisation der Griechen 91 V. Nationale Einigungsmittel . . 93 VI. Literatur und Kunst .... 96 Dritter Zeitraum (500 — 338). Erster Abschnit.t (500 — 431) I. Die Perserkriege (500 — 449) 101 A. Aufstand der Jonier (500 bis 494) . . . . . .102 IS. Die Griechen in der Ver- theidigung (492 — 479) 102 C. Die Griechen im Angriffe (479 — 449) ..... 106 II. Das Zeitalter des Pericles. . 107 A. Die auCere Politik des Pericles.108 H. Die innere Politik des Pericles.109 C. Literatur und Kunst . .112 D. Hebung der materiellen Cultur.117 Seite Zvveiter Abschnitt (431 — 338). I. Der peloponnesische Krieg (431 — 404) ..... 118 A. Derzehnjahrige Krieg(431 bis 421) . . . . .119 B. Bis zum Ausgange der Unternehinung gegen Sicilien (419 — 413) . 121 C. Der deceleisehe Krieg (413 bis 404). 124 II. Hegemonie Spartas (404 bis 379). 126 A. Allgemeine Lago .... 126 IS. Herrschaft der30Tyrannen in Athen (404 und 403) 126 C. Einfluss der Perser auf die griech. An gelegen bei ten (401 — 387)/. . . . 128 111. EmporkommenThebens; Sturz d. spartanisch. Hegemonie 130 II'. Begriindung d. inacedonischen Hegemonie (362 — 338) . 133 A. Geograpliie Macedoniens . 133 B. Philipp II. (359-336) . 134 V. Literatur und Kunst . . . .138 Vierter Zeitraum (338 — 146). I. Alexander der Grofle (336 bis 323).. 145 A. Seine ersten Regiertmgs- jalire (336—334) . . 145 B. Der Alexanderzug (334 bis 325). 146 II. Das Zeitalter der Diadochen (323 — 301). 150 III. Das Zeitalter der Epigonen (301—146). ...... 151 IV. Cultur.151 Schlussbetraehtung.160 Gesehichte der Romer. Zur Geograpliie Italiens.161 L Name und Lage Italiens . . 161 II. Horizontale Gliederung . . . 161 III. Vertieale Gliederung .... 162 IV. Hydrographie.164 V. Klima und Vegetation . . . 165 VI. Einfliisse des Landes auf das Volk.165 VIL Zur Topograpliie.166 VIII. Geograpliie Latiums .... 167 IX. Rom.168 X, Die ethnographischen Ver- haltnisse im alten Italien . 170 XI. Eintheilung d. rom.Gesehichte 171 Erster Zeitraum. Rom unter Konigen (753 — 509). Quellen und neuere Darstellungen . 172 I. Romisches Religionswesen . 173 VII Seite II. Die traditionelle Gesehichte . 176 A. Die Griindungssage . . . 176 B. Die romischen Konige . . 177 III. Die geschichtl. Entwicklung bis zum Sturze (les KSnig- thums.179 A. Der latinische Stadtebund und die Griindung Roms 179 B. Bestandtheile und Gliede- rung der Bevblkerung 179 C. Die altesten Verfassungs- zustande.180 I). Die reformierteVerfassung 181 E. Fremde Cultureinfliisse . 183 Zvveiter Zeitraum. 11 o m a 1 s Republik (509 — 30). Erster Abschnitt. Bis zu den puni- schen Kriegen (509 — 264). I. Begriindung der neuen Ver- fassung.183 II. Aufiere Gesehichte.187 A. Kampfe mit den Sabine™, Aquern und Volskern; Verhiiltnis zum Iatini- schen Stammesbunde . 187 IS. Kampfe mit den Etruskern 188 C. Kriege mit den Celten . 189 D. Der letzte Latinerkrieg (340 — 338). 190 III. Innere Gesehichte.191 Fortentvricklung d.Verfassung (Stiindekampf) .... 191 A. Geschiehtlicher Theil . . 192 1. Bis zum Ende des De- eemvirats (494 — 449) 192 2. Bis zur Durchfuhrung der vollen Gleiehberech- tigung (449 — 300) . . 193 B. Systematischer Theil . . 196 1. Die Magistraturen . . 196 2. Volksversammlungen . 200 IV. Ausbreitung der romischen Herrschaft ttber die ganze Halbinsel (338 — 264) . . 201 A. Die Samnitenkriege (327 bis 290). 201 B. Der Krieg mit Tarent und Pyrrhus (282 — 272) . 203 C. Die letzten Kampfe um die Herrschaft iiber die Seite ganze Halbinsel (269 bis 265). 205 D. Cultur.206 Zweiter Abschnitt. Bis zum Auftreten des iilteren Gracchen (264 — 133). I. Begriindung d. Weltherrscliaft 210 A. Kriege im Westen. Rom und Carthago (264 bis 201 ). 210 1. Aus der alteren Ge- schichte Carthagos . . 210 2. InnereVerhaltnisse Car¬ thagos .211 3. DererstepunischeKrieg (264—241). 212 4. Ervverbung Sardiniens, Corsicas, Illyriens und des cisalpinisch. Gallien (241 — 218).215 5. Der zweite punisehe Krieg (218—211) . . 215 B. Kriege im Osten mit Mace- donien und Syrien (200 bis 149). 222 1. Zvveit.erKriegmitMace- donien (200 —197) . .223 2. Krieg mit Antiochus III. von Syrien (192 — 189) 223 3. Dritter Krieg mit Mace- donien (171 — 168). . 224 II. EnveiterungderVVeltherrschaft 225 A. Erwerbungen im Osten . 225 1. Vierter Krieg mit Maee- donien; Unterwerfung Grieclienlands (148 bis 146). 225 2. Enverbung der Provinz Asia (129). 226 B. Erwerbungen im Westen. 226 1. Dritter punischer Krieg (149-146). 226 2. Kriege in Spanien ( 149 bis 133). 227 C. Die inneren Verhaltnisse (Cultur).228 Dr itter Abschn i tt. Bis zur Errichtung des Kaiserthums (133 — 30). I. Zeit der beiden Gracchen (133 bis 121).236 VITI A. Ti. Sempr. Gracchus (133 und 132). B. C. Sempr. Gracchus (123 und 122) £. II. Zeit, des Mari us und Sulla (113-78). A. Krieg gegen Jugurtha (111 bis 106) .. B. Krieg mit den Cimbem und Teutonen (113 bis 101). C. Marius auf dem Hohe- punkte seiner Macht (101 und 100) . . . D. l)er marsische oderBundes- genossenkrieg (91—88) K. Ausbruch d. Btlrgerkrieges zwisehen Marius und Sulla (88 und 87) . F. ErsterKrieg gegen Mitlira- dates (87 — 84) . . . G. lievolution in Kom nach dem Abgange Sullas und ihre Niedervrerfung (87 — 82).. H. Sulla als Alleinherrscher (82 — 79). III. Zeit des Pompeius und Caesars (78 — 44) ....... A. DerFechter- und Sclaven- krieg (73 — 71) . . . B. Beseitigung d.Sullanischen Keformen durch Pom¬ peius (70). C. Kriege gegen die Seerauber (78-67). D. LetzterKrieggegenMithra- dates (74 — 64) und die Einrichtungen des Pom¬ peius in Asien (64 — 61) F. Verscliwbrung desCatilina (66-62). F. Das erste Triumvirat (60) G. Eroberung Galliens durch Caesar (58 — 51). . . TI. Zerfall des Triumvirats (53-50). I. Der ztveite Biirgerkrieg (49 — 45). K. Caesar als Alleinherrscher (45 und 44) ...... Seite IV. Zeit des Antonius und Octa- vianus (44 — 31) .... 268 A. Die VVirren nach der Er- mordung Caesars (44 und 43). 268 B. Das zweite Triumvirat (43) 269 C. Die Schlacht b.Actium (31) 270 V. Die romische Prosa-Literatur im letzten Jahrh. der Republik 271 Dritter Zeitraum. Rom unter ICaisern (30 v. bis 476 n. Chr.). Erster Abschnitt. Die Zeit des Prin- cipats (30 v. bis 284 n. Chr.). I. Von Augustus bis auf Ve- spasianus (30 v. b. 69 n. Chr.) 272 1. Caesar Augustus (30 v. bis 14 n. Chr.).272 2. Die Claudier (14—68). . . 279 3. Galba, Otho und Vitellius (68 und 69). 280 4. Verfassung, sociale Zustande und Romanisierung .... 280 II. Von Vespasianus bis auf Sep- timius Severus (69 — 193) . 282 1. Die Flavier (69 — 96) . . . 282 2. Die Adoptivkaiser (96 —180) 284 III. Von Septimius Severus bis auf Diocletianus (193 — 284) . . 288 1. Allgemeine Zustande des Reiches.288 2. Einzelne wichtigere Kaiser dieses Absclinittes . 292 Zweiter Abschnitt. Die Zeit der absoluten Monarchie (284—476) . 293 I. Diocletianus (284 — 305) und d. Thronkampfe nach seiner Abdankung (307 — 324) . 293 II. Constantinus der GroBe (324 bis 337). 296 III. Vont Tode Constantins bis zum Tode des Theodosius (337-395). 298 IV. Untergang des rvestrbmisehen Reiches (476). 300 V. Cultur.300 VI. Ende des Alterthums; Fort- leben der Antike .... 304 Seite 237 238 240 240 241 242 244 245 246 247 249 251 251 251 252 253 255 257 259 261 263 265 ->*■<« / !:>Xk*r ■■ ./,< ■' ■ -.4 ■ { 4 , E) i n 1 e i i 11 n o\ \ X: -v Begriff der Geschichte. Die Geschichte erzahlt die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben des Menschengeschlechtes in ursachlichem Zusammenkange und zeit- Hch geordneter Reihenfolge. Sie hat daher die Aufgabe, «den Gang der groflen Begebenheiten, welcher alle Volker verbindet und be- herrscht*, 1 nachzuweisen. Beschrankung des Stoffes. Das Menschengeschlecht , dessen Entwicklung der Gegenstand der Geschichte ist, zerfallt in phgsischer Beziehung in liassen, liber deren Zahl die Anthropologen nicht einig sind, und in sprachlicher Beziehung in Sprachenstamme und Vollcer. Nur diejenigen Volker werden eingehender behandelt, welche selbst Geschichte gemacht, d. h. auf den Gang der menschlieitlichen Ent- wicklung in hervorragender Weise eingewirkt haben. Diese Volker nennen wir Culturvolker ; die culturlosen Volker (Fischer- und Jager- vdlker, Nomaden) werden nur dann beriicksichtigt, wenn sie — was °ft vorgekommen ist — die Kreise der Culturvolker gestort haben. Da die Volker des ostasiatischen Culturkreises (Chinesen, Japaner) auf die Entwicklung der abendlandiscken Cultur keinen Einfluss geiibt naben, so werden sie in unserer Darstellung der Geschichte, die sich nur mit der Entwicklung der abendlandischen Cultur befasst, uber- gangen. Aber auch aus dem Leben der iibrigen Culturvolker konnen wegen der grofien Anzahl der Ereignisse nur diejenigen beriicksichtigt werden, welche unsere staatlich-gesellschaftlichen Verhaltnisse dauernd oder doch fiir langere Zeit bedeutsam beeinflusst liaben. Begriff des Culturvolkes. Kennzeichen eines Culturvolkes sind: 1.) Geordnete staatliche Verhaltnisse (Monarchie oder Republik); 2.) Betrieb von Viehzucht, Ackerbau, Gewerbe, Handel, geistige Thiitigkeit und daher 3.) Gliederung der Bevolkerung in Stande 1 Banke, Weltgeschichte (neun Bande, abgeschloB.sen 1888). Z e e h e , Geschichte des Altertliums. 1 2 Einleitimg. (Bauern, Gewerbsleute, Beamte u. s. w.); 4.) vorgeschr ittenere religiose Anschauungen; 5.) mehr oder wenige bedeutende Leistungen in Lite¬ ratur und Kunst. Quellen; historische Kritik . 1 Ungleich dem Naturforscher, dem die eigene Beobachtung den Stoff seiner Untersuchungen bietet, ist der Gescbichtschreiber fast dnrcliaus auf fremde Berichte und Uberreste aus vergangenen Zeiten (z. B. Bauten, Geratlie, Miinzen, Urkunden) — beide werden Quellen genannt — angevviesen. Seine Darstellung hangt von dem mehr oder weniger ergiebigen FlieCen dieser Quellen ab. Bevor der Historiker auf Grund der vorhandenen Q,uellen die geschiclitliche Darstellung beginnt, muss er iiber deren Glaubwurdigkeit sich Klarheit verschafft haben. Die Untersuchung der Glaubwtirdigkeit der Quellen heifit historische Kritik. Hiebei kommt z. B. in Betracht, ob der betreffcnde Schriftsteller die erzahlten Ereignisse wissen und berichten konnte, ob er sie wahrheitsgetreu darstellen wollte, ob eine Urkunde oder Miinze echt oder gefalscht ist, welche von mehreren Quellen, die abweichende Berichte geben, mehr Glauben verdient, und dergleichen. Beginn des gescliichtlichen Lebens der Vdlker. Die gescbichtlichen Anfange aller Volker sind dunkel; im besten Falle haben wir dariiber Sagen. Die beglaubigte Geschichte eines Volkes kann erst mit seiner Kenntnis der Schrift beginnen, wenn nicht ein fremder Beobachter, wie z. B. Taeitus bezuglicli der Ger- manen, uns dariiber Mittheilungen hinterlassen hat. Die Zeit vor der Kenntnis der Schrift gehort, von dem er- wahnten Ausnahmsfalle abgesehen, nicht der Geschichte an und wird nur durch die Ethnographie und die vergleichende Sprachforschung beleuchtet. Die erstere bestimmt die groDere oder geringere Ver- wandtschaft der Volker nach Ilautfarbe, Schadelbildung und Kopf- haaren, die letztere nach der Venvandtschaft der Sprachen unter der Voraussetzung, dass 'volker, welehe sich verwandter Sprachen be- dienen, auch unter sich venvandt sind. Die vergleichende Sprach¬ forschung ist eine \Vissenschaft des 19. Jahrbunderts; sie wurde von dem deutschen Gelehrten Bopp begriindet. Durch diese Studien wurde z. B. die einstige Existenz eines indogermanischen Urvolkes festgestellt. 1 Bernheim, Lehrbueh der historisehen Methode. Leipzig 1889. Emleitimg. 3 Eintheilnng der Gesehichte. Man tlieilt die Gesehichte ein: 1. ) Nach Zeitabschnitten in a) das Alterthum, welches von den altesten Zeiten bis zum Untergange des ivestromisclien Reiches (476 n. Chiv) reicht; der Schauplatz sind hauptsiichlich die Kiisten- liinder des Mittelmeeres; — b) das Mittelalter , bis zur Entdeckung Amerikas (1492); der Schauplatz erweitert sich iiber ganz Europa; — c) die Neuzeit, bis zur Gegenwart; alle civilisierten Lander treten 'n den Kreis der geschichtliehen Betrachtung ein. Diese Eintheilung stammt erst aus dem 17. Jahrhunderte; frtiher wurde die Greschichte na,eh Weltmonarchien (die assjrisch-babvlonisehe, medisch-persische , griechisch -macedonische und romische Weltmon- archie) gegliedert. 2. ) Nacli dem Inhalte in a) politisclie Geschiclite, welche die staatlichen Veranderungen darstellt, und b) Culturgeschiclite , welche die Zustande und geistigen Errungenschaften behandelt. 3. ) Nach dem Umfange in a) Universalgeschichte , welche die geschichtliclie Entwicklung aller Volker (in der oben angegebenen Beschrankung), und b) Specialgeschichte, welche die Geschichte eines einzelnen Volkes, Landes u. s. w. darstellt. Geschichte der orientalischen Volker.' Haupttrager der historischen Entwicklung ist die mittellandische Rasse, \velche in drei grofi e Sprachenstiimme, den hamitischen, šemi- tischen und indogermanischen, zerfallt. In der genannten Reihenfolge treten sie in die Geschichte cin. Wahrend der hamitische Sprachen- s tani m, dem heutzutage besonders die Berber 2 angehoren, ein einziges Culturvolk, dic alten Aggpter , aufzuweisen bat, zerfallen dic beiden anderen in mehrere. Das Nil- und das Euphratland sind von China abgeschen — dic beiden Ausgangspunkte der Cultur; an beiden »Stellen hat, so viel wir wissen, die Cultur sicli selbstandig entfaltet. Entscheidend tur dic fruhere Culturent\vicklung an diesen Stcllen war ihre tiberaus grobe Fruchtbarkeit, wodurch fruhzeitig Verdichtung der Bevolkerung, Theilung der Arbeit und Gliederung in Stande veranlasst wurde (das- selbe gilt fur Hwang-ho und Jang-tse-Kiang in China, Hermus und Maander in Kleinasien, das Pandschab und Gangesland in Indien). Die hamitischen Agypter. I. Zur Geographie Agyptens. Begriff und allgemeiner Charakter des Landes. Agvpten — das Wort ist griechischen Ursprungs — hiefl und heif.it das Nilthal mit den begleitenden Bergztigen vom letzten Katarakte bei Assuan (im Alterthume Syene, daher Syenit) an bis zur Mfindung des Stromes. Zwischen zwei Wiistcn, der libvschen und der arabischen, dem Meere und dem letzten Katarakte gelegen, hat es die denkbar abgeschlossenste Lage; aus diesem Grunde liat sicli liier auch eine ganz eigenartige Cultur entwickelt. 1 Wo niclits anderes bemerkt ist, berulit die Darstellung- auf: Eduard Meijer, Geschichte des Alterthums, I. 1884, und Onckens Sammelvverk: Allgemeine Gescliichte in Einzeldarstellungen, 1877 u. fg. Fur die Geographie wurde benlitzt: Kiepert, Lelir- buch der alten Geographie, 1879. 2 Berber ist die arabische Umbildung des Wortes barbari . So nannten die Komer die Libyer, die Bewohner des nicht-agyptischen Afrika. Die Agypter. 5 Physische Beschreibung des Landes. Agypten, das schmalste Land der Erde, liat im allgemeinen ein nur 15 bis 18 km breites Culturgebiet, daa an Flachenraum dem Konigreiche Belgien gleicli- kommt. Da das Land, in der Zone der Passatwinde gelegen, nur selir wenig Niederschlag erhiilt, so beruht seine Frucbtbarkeit einzig und allein auf dem Nil, der infolge der tropischen llegengiisse alljahrlich regelmaCig anschwillt und das Land in der angegebenen Breite iiber- sehwemmt und dadurch befrucbtet. Einst schnitt wahrscheinlich ein spitzer Meerbusen bis Assuan ein, der durch dcn Nil allmahlich aus- gefiillt wurde. Herodot (5. Jahrhundcrt) nennt daher mit Recht Agypten cin Geschenk des Nil. Der Strom spaltet sich unterhalb Cairo in mehrere Arme, welche ein grofies Deltaland umschlieBen; von diesen Armen sind heutzutage infolge Versandung nur zwei: die von Eosette und Damiette, von groOcrer Bedeutung, walirend im Alterthum sieben grollere Mlindungsarme unterschieden wurden. Da die Uberschwe)n- mungen dem Nil viole Sinkstoffc nehmen, so schiebt er sein Delta jahrlicb nur um vier Meter vor. Eintheilung des Landes. Es zerfallt in Ober- und Unteragypten, jedes wieder in eine Anzalil Gauc oder Nornen; das erstere reichte nordlich bis unterhalb des Faijums, des einzigen fruchtbaren Land- striches abseits des Nilthales. Die Hauptstadt Oberiigvptens war Theben, die Unteragjptens Memphis (gegentiber dem jetzigen Cairo), im Deltalandc gewann Sais die hervorragendste geschiclitliche Be¬ deutung. II. Geschichte der Agypter. A. Qnellen. Dass die Geschichte der Agjpter bis ins vierte Jahrtausend vor Christus zurtick verfolgt werden kann, ist durch ihre friihe Kenntnis der Schrift sowie durch die Erhaltung zahlreicher Denkmaler bedingt. Die Nachrichten der Griechen werden erst seit dem 7. Jahrhunderte, seitdem Agypten sich dem Verkehre mit den Griechen eroffnete, wertvoll. 1. Die agyptische Schrift. a) Ihr Charakter. Den Agyptern vei" danken wir die Erfindung- der Buchstabensehrift, einer der gr o 13 ten menschlichen Thaten uberhaupt. Ihre Schrift, welche wir mit grie- ehischem Worte Hieroglgphen nennen, finden wir schon auf den altesten Denkmalern als Buchstabensehrift ausgebildet. Ihrem Ur- sprunge nach ist sie wahrscheinlich eine Bilderschrift (auf diesem 6 Die Agypter. Standpunkte steht noch jetzt die chinesische Schrift), indera man an- fangs den Gegenstand, welchen man meinte, durch das entsprechende Abbild bezeichnete. Eine Erinnerung daran ist wohl der Umstand, dass manehe Hieroglyphen zur Bezeichnung eines ganzen Wortes dienen, sogenannte Ideogramme, manehe zur Bezeichnung v on Silben verwertet werden, sgllabare Zeichen. Buchstabenzeichen gibt es 23, die Gesammtzahl der Hieroglyphen aber betragt mindestens 4000. Wahrend die Agypter auf Denkmalern die als Schriftzeichen gebrauchten Bilder stets genau darstellten, kiirzten sie sie fiir das gewohnli,che Schreiben auf Papgrus, ein Schreibmaterial, \velches sie aus den Fasern der Papyrusstaude herstellten, bedeutend ab. Diese Schriftzeichen werden hieratische genannt. Durch noch weitere Ab- kurzung entstand die demotische Schrift, die erst seit dem 8. Jahr- hunderte nachweisbar ist. b) Ihre Entzifferung. Da das Verstandnis der Hieroglyphen in den ersten Jahrhunderten der romischen Kaiserzeit verloren gieng, musste der Schlussel hiezu erst wieder gefunden werden. Die Ge- schichte dieser Entzifferung kntipft an die Eroberung Agyptens durch Napoleon (1798 und 1799) an, bei welcher Gelegenheit der beriihmte Stein von Rosette gefunden wurde, der ein Decret zu Ehren eines agyptischen Kbnigs in griechischer, Hieroglyphen- und demotischer Schrift enthalt. Den Ausgangspunkt fiir die Entrathselung bildeten die in langlichen Ringen eingeschlossenen Zeichen, in welchen man Konigsnamen erkannte. Der Vater der Agyptologie ist der Franzose Champollion (f 1832), nach ihm leistete auf diesem Gebiete am meiston der Deutsche Lepsius (f 1884). 2. Die Denkmaler. Ihre iiberaus grobe Anzahl besteht haupt- sachlich aus Grabern und Tempeln, die in iiberreicher Weise mit Inschriften, wesent.lich religiosen Inhaltes, versehen sind. Dazu kommt eine groDe Menge von Rapyrusrollen. B. tiberblick iiber die žigyptische Geschichte. Da die Agypter nach den Regierungsjahren ihrer Konige rechnen und keine Ara, d. h. testen Ausgangspunkt, fiir die Zahlung der Jahre besitzen, so fehlt es an einer sicheren Zeitbestimmung. Man kann daher nur sagen, dieses oder jenes Ereignis ist alter, aber die Zeit nicht absolut genau angeben. Das erste ganz sichere Jahr der 863. agyptischen Geschichte ist das Jahr 663, in welchem Psammetich Konig wurde. 7 Die Agypter. Eintheilung der agyptischen Geschichte. Sie zerfallt in vi er Hauptabschnitte: 1.) Das alte Reich von Memphis; dieser Pei - iode gehoren die Erbauer der groben Pyramiden an; 2.) das mittlere (alt- thebanische) Reich; 3.) das neue (thebanische) Reich, das Zeitalter der groben Eroberungen; 4.) die Restaurations-Herrschaft seit Psammetich. Das alte Reich, mindestens seit 3200 v. Chr. Es entstand aus 3200. der Vereinigung zahlreicher kleinerer Staaten, die sich wohl langere Z cit bekampft hatten, bis endlich allmahlich ein einziger Staat von Syene bis zur Miindung des Nil sich bildete. Dieser tritt uns bereits am Anfange der beglaubigten Gleschichte des Landes als ein vollig durchgebildeter Beamtenstaat entgegen, ungefahr in einer so vorge- 'Schrittenen Stufe seiner Entwicklung, wie das romische Reich in den lctzten Jahrhundertcn seines Bestandes. Der gottlich verehrte Konig ist in despotischer Weise Herr iiber Leben und Eigenthum seiner Unterthanen, und das Land ist durchaus centralistisch verwaltet, die ursprungliche Selbstverwaltung der einzelnen Bezirke vollstandig ver schwunden. Nur in einem so venvalteten Lande konnten Konige die riesigen Graber erbauen lassen, die wir mit griechischem Namen als Pgramiden bezeichnen, deren gro(3te, etwa um 2800 von den Konigen Um 2800. Ghufu, Ghafra und Menkera erbaut, bei Gize in einer Gruppe stehen. Das Material der Chufu-Pyramide wird auf ungefahr 2,300.000 Steine v on je 1'2 m s Inhalt geschatzt. Um 2150 trat, wahrscheinlich infolge Um 2150. einer Revolution, ein aus Theben stammendes Haus an die Spitze des Reiches, doch blieb Memphis die Residenz. Das mittlere (altthebanische) Reich, etwa seit 2150. Jetzt Um 2150. erreichte Agypten, begtinstigt durch einen 200jahi’igen inneren Frieden, die hochste Bltite, die ihm je beschieden war. Eine Unterbrechung orfulir diese Entwicklung um 1800 durch den erobernden Einfall der Um 1800. Hyhsos, semitischer Nomaden, welche, den unkriegerischen Charakter der Agypter beniitzend, Unteragypten eroberten und mindestens 250 Jahrc lang beherrscht.en. Die weltgeschichtliclie Bedeutung ihrer Herrschaft besteht darin, dass sie die gegenseitige Eintoirkung det • asiatischen und der dggptischen Gultur anbahnten imd den AnstoC zu den Eroberungsziigen der Agypter, denen sie das Pferd brachten, gaben. Das neue Reich, mit der Hauptstadt Theben, etwa seit 1500 Um 1500 bis 663. Die Befreiung des Landes von der Fremdherrschaft gieng blS von Oberagypten aus; im Anschlusse an dieses Ereignis wurden die 663v ' Chl ' Agypter namentlich unter dem Konige Thutmosis III. (um 1450) zum Um 1450. ersten- und zum letztenmale in ihrer Geschichte zu Eroberern und 8 Die Agypter. machten das von Semiten bewohnte Gebiet bis an den Euphrat und die Nordgrenze Sjriens fiir 300 bis 400 Jahre von sich abhiingig. Diese Eroberungskriege, welche die Grieclien einem Konige Sesostris Um 1300. zuschrieben, enden unter Ramses II. (um 1300); nach ihm erlosch wieder der kriegerische Geist des Pharaonenreiches. Im Laufe des 9. Jahrhunderts loste sicli die Einheit des Reiches auf, die einzelnen Tlieilfilrstenthiimer delen fremden Eroberern, im S. den Athiopiern , 1 im N. den Assgriern, zur Beute, bis Psammetich die Einheit und Selbstandigkeit des Reiches wieder herstellte. 663—525. Die Restaurations-Herrschaft, mit der Hauptstadt Sais, 663 bis 525. In dieser Zeit offnete sich der Staat dem Verkehre mit dem Auslande, wodurch auch dic Grieclien in nahere Beziehungen mit den Agyptern kamen. Sogar an der Durchstechung der Landenge von Suez wurde damals gearbeitet, der Canal selbst erst in spaterer Zeit 525. fertiggestellt. Durch dic Schlacht bei Pelusium wurde Agypton 525 cine persische Provinz und gelangte im ganzen Alterthume nicht mehr zur politischen Selbstandigkeit. C. Cultur der Agypter. 1. Religion. a) Urspriingliche Volksreligion. Bei den Agyptern wurzelt die Religion und der Cultus im Glauben an zahlreiche gute und bose Ddmonen, welche der Meusch sich giinstig zu stimmen sucht. Die machtigsten dieser Geister dachte man sich als Gotter, die in jedem Gaue (Nomos) unter anderen Namen verchrt wurden. So war Ptah urspriinglich nur ein Gott des Gaues von Memphis, Ammon eines von Theben u. s. w. Fiir den Cultus ist auch diese locale Bedeu- tung maUgebend geblieben. Uber ihnen stehen dem Volksglaubon zufolge noch die grofien iveltregierenden Gotter, welche als Licht- und Sonnengottheiten aufgefasst vrarden und als deren hochster Ra galt. b) Fortbildung der Religion. Wie der Konig der einzige Herr auf Erden ist, so wird Ra als das oberste Haupt der Gotter und als Vater des guten Horus und des bosen Set, des Geistes der Finsternis und der Ditrre, der von seinem Bruder bestandig besiegt wird, auf¬ gefasst. Unter dem Einflusse der Priester erhalten allmahlich fast alle Localgotter, so z. B. auch Osir is, die Bedeutung von Lichtgottheiten. Die Lehre von den Lichtgottheiten ftihrte folgerichtig zur Annahme 1 Wir nennen Atliiopier die semitischen Bevrohner von Habesch; die. Grieclien naimten so die hamitisclien Beivohner Nubiens. Die Agypter. 9 der Gleichheit aller Gotter, der Herrsciiaft eines allbeherrschenden Sonnengottes. Diese Anschauung ist aber niclit Gemeingut der Massen geworden, sondern eine Geheimlehre fiir die «Wisse7iden» geblieben. gehort erst dem neuen Reiche an, dessen Hauptstadt Theben war, 'veshalb nun auch Ammon, der Stadtgott Thebens, der oberste Gott wurde. Aus derselben Zeit stammt auch erst die besonders eifrige Verehrung des Osiris und seiner Gemahlin Isis. Allmahlich verbreitetc sich viel Wunder- und Aberglaube. c) Wie die meisten Volker glaubten auch die Agypter an ein Fortleben nach dem Tode, das sie sich als heitere Fortsetzung des •rdischen Lebens dachten. Genauer kennen wir ihre Anschauungen dariibcr nicht; da sie glaubten, dass die fernere Existenz des Men- schen von der Erhaltung seines Korpers abliangig sei, sorgtcn sie hieflir bestens durch Einbalsamierung ihrer Leichen. Unzahlig vielc solcher Mumien sind noch erhalten. d) Verehrung der Thiere. Die Agypter verehrten zahlreiche Thiere, w eil sie glaubten, dass in ihnen Gotter ihren Sitz haben konnten. Diese Anschauung ist ein Rest von Fetischismus, der in der Annahme besteht, dass die Gotter in bostinnnten Gegenstanden sich aufhalten. Deshalb sind aber nicht die Thiere selbst, Gotter, daher die Agypter 8 ie nicht nur mit thierischen, sondern aucli mit Menschenkopfen dar- gestellt haben. Der Thierdienst scheint besonders in der letzten Zeit des Reiches um sich gegriffen zu haben; die hochste Verehrung genoss der Apis, der dem Ptah geweihte schwarze Stier zu Memphis. 2. Politische und gesellschaftliche Verhaltnisse. Der gottlich vcrchrtc Konig, welchcr als Sohn des Sonnengottes galt, nahm despo- hsche Gewalt tiber Leben und Eigenthum seiner Unterthanen, die mm gegenuber rechtlos waren, in Anspruch. Seit dem neuen Reiche tritt der Krieger- und der Priesterstcmd besonders hervor; ersterer und wahrscheinlich auch letzterer bildeten einen geschlossenen erb- lichen Stand. Einen Kastenzwang aber, wie die Inder ihn hatten, kannten die Agypter nicht, wenn auch, dem sonst genau geregelten Leben des Volkes entsprechend, der Sohn mit Vorliebe dem Berufe des Vaters folgte. 3. Literatur. Die Agypter besaCen einc ausgebreitete poetische und prosaische Literatur. Geschichtlich am wichtigsten sind ihre astro- noniischen Kenntnisse. Sie rechneten nach Sonnenjahren von 365 Tagen. L. Julius Časar machte dieses Jahr zur Grundlage der romischen Zeit- rechtmng, indem er es zu ‘6Gb 1 / i Tagen ansetzte und daher jedes 30 Die Agypter. viorte Jahr ein Schaltjahr annahm ( julianischer Kalendcr). Da aber damit das Jabr noch etwas zu grofi angenommen war, wurde auf Veranlassung des Papstes Gregor XIII. im Jahre 1582 dureh eine Commission von Gelehrten bestimmt, dass von vier aufeinander folgenden Sacularjahren nur dasjenige, das durcli 4 theilbar ist, ein Schaltjahr sein solite ( gregorianischer K.). Diesen Kalender haben wir noch jetzt; nur die griechische Kirche halt noch an dem «alten Stile» fest und ist bereits um zwolf Tage hinter unserer Jahresrechnung zuriick, da sie aucli den Ausfall von zehn Tagen im Jahre 1582 nicht annahm. Die astronomischen Beobachtungen der Agjpter wtirden beson- ders dureh den heiteren Himmel des Landes begiinstigt und die mathematischen Kenntnisse, eine Vorbedingung zu jenen, dureh die wicderholten Vermessungen des Landes nach den Uberschwcmmungen und die Anlagc von Canalen zur Vertheilung des Wassers ausgebildet. 4. Die bildenden Kunste. 1 Die hohe Stufe, welche die Kunst bei den Agyptern schon im alten Reiche einnahm, bevreist, dass bereits eine vielhundertjahrige Entwicklung den uns bekannten Anfangen des Reiches vorangegangen ist. Am meisten wurde die Baukunst gepflegt; die beiden iibrigen Kunste stehen vvesentlieh in ihrem Dienste. Baukunst. Das schrage Aufsteigen der Bergztige, welche das Nilthal begrenzen, nachahmend, gaben sie vielen Bauwerken schrage Mauern, sie ahmten in den Saulencapitalem Papyrus und Lotos- blume nach und schufen, dank dem vorziiglichen Baumateriale, das ihnen zur Verfiigung stand und das sie wegen der herrschenden Wald- armut. triih verwenden lernten, kolossale, noch in ihren Ruinen bewundemswerte Gebaude. Die ausgedehnteste Ruinenstatte linden wir an der Stelle des alten Theben, mehrere arabische Dorfer daselbst sind in die alten Tempel hineingebaut. Der Hohepunkt der ftgjpti- schen Baukunst Mit in die Zeit Ramses' II., von dem sich die relativ meisten Denkmaler erhalten haben. a) Tempel. Die Tempel, deren keiner aus dem alten Reiche erhalten ist, sind der GrdJJe und Anlage nach im Gegensatze zum griechische,n Tempel sehr versebieden. Sie bestehen ott aus mebreren Hofraumen mit und ohne Saulenumgang; regelmafiig findet sich bei 1 Hier, wie immer, berulit die Darstellung der »Kunst* auf: Schnaase, Ge- scliichte der bildenden Kunste, 2. AufJage; Springer, Textbuoh zu Seemanns kunst- historiseben Bilderbogen ; Adatrnj , Einfuhrung in die antike Kunstgeschichte , 1884. Die Agypter. 11 den groBeren ein mit vielen Siiulen geschmuckter, fiachgedeckter Raurn (Hypostil). Hiezu kommt als dritter Haupttheil das eigentlicke Heiligthum. Der Art der Herstellung nach sind sie tlieils frei aus Stein erbaut, tlieils in den Felsen gehauen. F tir die ersteren hioge als Beispiel der groBe Saal des Tempels in Karnak, einem Dorfe an der Stelle des alten Theben, dienen, der bei einer Lange von 90 m von 134 riesigen Siiulen getragen wird, die am oberen Ende des Capitiils 6 m Durchmesser haben, die gewaltigsten Saulon, welchc je im Innern eines Gebiiudes venvendet wurden. Das Meistersttick der agvptisehen Felsenbaukunst ist der Tempel von Ipsambul, etwas unter- halb des zweiten Kataraktes in Nubien. Die schonste Ruinenstatte bndcn wir auf der Insel Phila bei Assuan. b) Paldste. Sie unterscbeiden si eh in der Gesammtanlage \venig v on den Tempoln. Der bekannteste war der grobe Palast am Mdris- See (im Faijumbecken), welchen die Grieehen Labvrintli. nannten, 'vahrscheinlieb der Mittelpunkt der Venvaltung und Gotterverehrung des Reiches. Er wurde vom Konige Amenenihat III. (urn 2100) Um 2100. erbaut. c) Piramiden. Ilire Zalil betriigt ungefahr 70, welche allc dem alten Reiehe angehoren. Sie waren kolossale Konigsgraber; die groBte (bei Gize) ist 145 m hoch, 1 das gewaltigste Baudenkmal der Erde. d) Obelisken. Sie waren dem Sonnengotte geiveihte hohe Spitz- saulen, geivohnlich aus einem einzigen Blocke gehauen, mit liiero- glvphen geschmtickt. Das Wort ist gebildet von ofielog = SpieB. Sculptur und Malerei. Kein Volk, selbst die Grieehen nicht ausgenommen, hat so viele plastisehe Werke geschaffen, wie die Agypter. Auch sie sind tiberwiegend kolossal und vernachlassigen daher naturgemaB einen feineren Gesichtsausdruck. Die Kunstler gaben ihren Schopfungen absichtlieh den Ausdruck einer wiirdevollen Hal- tung, weshalb sie uns als steif erscheinen. - Von einzelnen Denkmalern sind zu erwahnen der groBe Sphinx (Liiivenleib mit Menschenkopf) bei Gize, aus dem Felsen gehauen, 20 m hoeh, das groBte Sculptur- werk der Erde, und die zwei sogenannten Memnons- Statuen, aus einem einzigen Felsblocke gehauen, noch jetzt 15 1 / a m hoeh- sie stellen einen Kiinig des neuen Reiches (Amenhotep III., den dritten Nachfolger Thutmosis’ III.) dar. 1 Das hochste Bautlenkrnal in Europa ist der Thurm des Ulmer Domes, 161 m hodi. (Der Stephansthurm in Wien ist 137'7 m hoeh.) 12 Die Agypter. Von eigentlicher Malerei kanu man kaum sprechen; zvvar ist kcine Wand, keine Saule okno farbigen Schmuck, rnindestens tragen sie Hieroglyphen, aber diesen Werken feblt durcbaus die Schattierung und die Perspective. 5. Abhangigkeit der agyptischen Cultur von der geographi- schen Natur des Landes. Die scharfe Abgrenzung des Landes und die regelmaBige Wiederkehr der Uberschwemmungen, des wichtigsten Ereignisses in der Natur, gaben ihrer Cultur den Charakter der Gebundenheit. Diese auBert sich im despotiscben Konigthume, in dem groBen Einflusse der Priester, die das Leben des Konigs ebenso streng regelten, wie das Vorgehen der Arzte boi Krankheiten, und in der langen Abgeschlossenheit des Landes gegeniiber dem Auslande. Der Umstand, dass das Volk jedes Fleckcken ergiebigen Landes bentitzen musste, machto es praktisch und fleiBig. Der Ackerbau war immer die Grundlage des agjptischen Lebens; doeh ragte das Volk auch in der Industrie, z. B. in Glas- und Metallarbeiten, hervor und wurde dadurch ein Lehrmeister anderer Volker. Von ilincn haben Phonicier und Griechen manches entlehnt und weiter verbreitet. Die agyptischo Sprache ist langst erloscben; die heutigen Fellachen (Bauern) und Kopten (Stadtcbewolmer) zeigen nocli deutlich die Ztige der alten Agypter der Denkmaler. Die Semiten. Die Semiten bewohnten in der Frtihzeit ihrer Geschichte West- asien bis zum \vestlichen Randgebirge Irans, mit Ausnahme Klein- asiens und Anneniens. Dic semitiscben Culturvolker des Alterthums sind die Babylonier und Assyrier, Phonicier und Israeliten. I. Die Babylonier und Assyrier. A. Zur Geographie Babyloniens und Assyriens. Begriff der Worte Mesopotamien, Babylonien und Assyrien. Mit dem Namen Mesopotamien bezeichneten die Griechen seit del’ Eroberung des persischen Reiches durcb Alexander den GroBen das Land zwischen Euphrat und Tigris. Babtjlonia oder Chaldaa 1 ist das v om unteren Drittel der beiden Strome (zwischen 33 x / 2 0 und 30° n. B.) durchflossene und begrenzte Alluvialland, das, einst ein Theil des persischen Meerbusens, durch die Ablagerungen der beiden Strome gebildet wurde und noch jetzt um etwa 22 m jahrlich vorschreitet. In der Bibel heifit das Land Sinear. Assyrien liegt nordlich von Babylonien an beiden Ufern des Tigris. Physische Beschreibung des Landes. Das Land, welches von den in Armenien entspringenden Stromen Euphrat und Tigris begrenzt wird, ist im Norden ein ziemlich wasserloses Steppen- und Wusten- gebiet mit sehr geringem N iederschlage. Dagegen war es im Alter- thume von der Annaherung der beiden Strome an zwar trostlos ein- fbrnng, aber iiberaus fruchtbar. Diese Fruchtbarkeit war eine Folge der Uberschwemmung durch den Euphrat, die durch die Schneeschmelze m Armenien veranlasst wird und vom Marž bis zum Juni dauert. Babylonien ist daher cin Geschenk des Euphrat. Vorbedingung fur diese Fruchtbarkeit war die Regelung des Wasser-Zu- und Abflusses durch Anlage von Dammen und Canalen, die seit der Zerstorung der letzten Reste der alten Cultur durch die Mongolen im 13. Jahrhunderte 1 Die Clialdiier sind die semitisclien Bewohner des Landes im Gegensatze zu den nicht-semitischen Sumeriem. 14 Die Babylonier und Assyrier. und durch die Sorglosigkeit der Tiirken, denen das Land jetzt gehort, in vollstandigen Verfall gerathen sind. Das Land ist heutzutage wegen der herrschenden Fieberluft und der vielen Siimpfe gefiirchtet, in manchen Tlieilen fast unzuganglich. Geschichtliche Bedeutung Babyloniens. Als einziges grofieres Tiefland im Westen ist es das physische und, dank seiner Frucht- barkeit und giinstigen Lage, auch das geschichtliche Centrum Vorder- asiens und war daher Mittclpunkt aller groCeren Reiche des Orients (des babylonischen, persischen, macedonischen, parthischen und neu- persischen), deren Hauptstadte an der Stelle der ersten Annaherung der beiden Streme lagen. Hier kreuzen sich auch die Handelswege vom rothen, mittellandischen, schvrarzen, kaspischen nnd persischen Meere her. Stadte. Die Hauptstadt Babyloniens war Babel — Pforte Gottes, griechisch Babylon, an beiden Ufern des Euphrat beim heutigen Hillah in grofier Ausdehnung gelegen; die stark befestigte Stadt besafi zahl- reiche Tempel mit vielen Priestern. Die Hauptstadt Assyriens, eben- falls eine ausgedehnte starke Festung, heifit in den Inschriften Ninua, in der Bibel Ninive, bei dcn Griechen Ninos ; sie lag am Tigris in der Nahe des heutigen Mosul, wo der Fluss erst ftir groBere Schiffe fahrbar wird, und hatte nur politische Bedeutung. B. Geschichte der Babylonier und Assyrier. 1. Quellen. Die wichtigsten Quellen sind die einheimischen Inschriften, welche, in der sogenannten Keilsehrift abgefasst, in grofier Anzahl vorhanden sind. Ftir die assyrische Geschichte wurden die Ergebnisse der Ausgrabungen mafigebend, welche der Franzose Botta und der Englander Layard in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts an der Stelle des alten Ninive vornahmen. In den 50er Jahren wurden die Ruinen Babyloniens untersucht, wozu dann noch Ende der 70er Jahre die Durchforschung der Schutthugel Stidbabyloniens kam, wodurch aucli die alteste Geschichte Babyloniens auf eine gesicherte Grundlage gestellt wurde. Beide Vtilker schrieben in der Regel auf Thontafelchen, mitunter auch auf Prismen und Cylinder von Thon. Die Keilsehrift. Sie hat deshalb diesen Namen, weil sie aus verschiedenartig zusammengestellten keilformigen Zeichen besteht. Sie vvurde nicht von den Semiten, sondern von der altesten nachweisbaren Die Babvlonier und Assyrier. 15 Bevolkerung Babyloniens, den wahrscheinlich turkischen Surneriern und Akkadern, 1 die also das alteste asiatische Cnlturvolk sind, erfunden, aber von den eingewanderten Babyloniern angenommen. (Dieser Vor- gang ist ahnlich der Verwendung der arabischen Ziffern, die bei deri verschiedenen Volkern verschieden benannt werden, aber dieselbe Bedeutung liaben.) Die Keilschrift war urspriinglich eine Bilderschrift. Wir unterscheiden drei Arten der Keilschrift: 1.) Die bdbylonisch-assy- rische mit etwa 400 Zeichen, der die weitaus grofite Zahl der er- haltenen Denkmaler angehort; 2.) die elamitische oder susische mit etwa 100 Zeichen, nach den den Surneriern verwandten Elamiten (Susiern) im siidostlichen Theile der unteren Euphrat-Ebene benannt; 3.) die persische mit ungefahr 40 Zeichen. Die babylonisch-assyrische ist iiberwiegend eine mschrift (zum kleineren Theile entha.lt sie Ideogramme), die persische, wenigstens vorherrschend, eine Buchstaben- schrift. Beide Arten sind jetzt im wesentlichen entziffert, was bei der elamitischen bisher nicht gelungen ist. Seit der alexandrinischen Zeit hatte wohl niemand mehr die Keilschrift lesen konnen. Zur Geschichte der Keilschriftentzifferung. Diese gieng von der einfachsten, der persischen, Keilschrift aus und wurde in ahn- licher Weise, wie die Hieroglyphen durch den Stein von Rosette, durch die meist in allen drei Schriftarten abgefassten Inschriften der persischen Konige ermoglicht. Die erste sichere Entratliselung der persischen Inschriften verdanken wir dem deutschen Gelehrten Grote- fend (am Anfange des 19. Jahrhunderts), der in zwei kleineren In¬ schriften, in welchen eine Gruppe von Zeichen, welche «Konig» bedeuten, wiederholt vorkommt, die Namen Darius, Xerxes und Hystaspis richtig bestimmte. Unabhangig von ihm entrathselte der Englander Rawlinson in den 40 er Jahren den in persischer Keilschrift ubgefassten Theil der grofien dreisprachigen Inschrift vom Berge Bekistun (oder Bisutun), sudwestlich von Hamadan, welche den Sieg des Darius T. iiber seine Feinde preist. Durch die Vergleichung mit den persischen bestimmte Rawlinson auch die babylonisch-assyriscben Zeichen der grofien Inschrift und muss daher als der Begrtinder der Assyriologie bezeichnet werden. Jetzt ist unter andern Schrader in Deutschland auf diesem Gebiete erfolgreich thatig. 1 In den Inschriften heiCt Sumir das siidliche, Akkad das ndrdliche Baby- Bnien. Mit Sumir ist sprachlich identisch Sinear. — Fur diesen Theil wurde auch beniitat: Kaulen, Assyrien und Babylonien. 16 Die Babylonier und Assyrier. Um 3000 2. Die altesten Staaten in Babylonien, um 3000 bis um 1900. bis um 1900. Auch hier ist das Entstehen eines groCeren Staates das Resultat der dureh Kri ege veranlassten Vereinigung iiberaus zahlreicher localer Herrschaften, von deren einstiger Existenz die noch vorhandenen Schuttbugel Zeugnis ablegen, welche die Namen der Stadte und der Konige, die einst hier herrschten, inschriftlich aufbevvahrt haben. Da im Alluviallande das Steinmateriale felilte, wurden diese Bauten aus Lehmziegeln aufgeftihrt, welche allmahlich zusammenstiirzten, wodurch ein schiitzender Mantel um zahlreiehe auf Ziegeln verzeichnete Inschrif- ten gebreitet wurde, die theilweise noch der sumerischen Zeit an- gehoren. Es ist schwer, die Zeit, aus welcher diese Ruinen stammen, genauer anzugeben; jedenfalls reichen die altesten iiber das Jahr 3000 hinauf. Die Geschichte Babyloniens lasst sich in eine relativ friihere Zeit zuriickverfolgen, als die Agyptens, wo keine Uberreste aus der Zeit Um 1900. vor der Einigung des Landes gefunden wurden. Um 1900 erfolgte die Ausbreitung der semitischen Herrschaft iiber ganz Babylonien von der Stadt Babel aus, wodurch allmahlich das Sumerische untergieng. Also erst um 1900 wird Babel die Residenz von ganz Babylonien. Etwa einige Jahrhunderte friiher hatten die Babylonier ihre Cultur auch iiber Assvrien ausgebreitet. Um 1900 3. Die Geschichte Assyriens, etwa 1900 bis um 606. bis um 606. Ninus und Semiramis. Die Inscliriften wissen nichts von den griechiscben Berichten iiber Kriegsziige des Konigs Ninus und der Konigin Semiramis am Beginne der assyrischen Geschichte. Der erstere ist der Heros eponymos der Stadt Ninive (Ninus); eine assyrische Konigin Semiramis lebte um 800 ; dadurcb, dass sie wiihrend der Minderjabrigkeit ihres Sohnes zahlreiehe Kriege fiihren liefž, gab sie die Veranlassung zur Sage von jener alteren Semiramis. Griindung und Bliite des Reiches. Um 1900 sind die altesten Herrsclier Assyriens nachweisbar; sie residierten in Assur, siidlich von Ninive, das erst spiiter die Hauptstadt wurde. Zvvisclien den Konigen Um 1500. Assyriens und Babvloniens brachen etwa seit 1500 wiederholte Kampfe aus, welche mit der Unterwerfung des letzteren, das aber immer ein 8. Jahrli. unsicherer Besitz war, im 8. Jahrhunderte endeten. Seit dem Anfange 9. Jahrh. des 9. Jahrliunderts regierten in Assyrien bis zum Untergange des Die Babylonier und Assyrier. 17 Reiches in fast ununterbrochener Folge kriegerische Konige, 1 welche namentlich durck die Untenverfung der kleinen unkriegerischen s_yri- sehen Staaten das erste asiatische Weltreich, namlich das assyrisehe, kegriindeten. Dieses umfasste zur Zeit seiner groBten Ausdehnung ganz Vorderasien, mit Ausnakme des westliclien Kleinasiens, das west- liche Iran und fur kurze Zeit auek Unteragypten. Uber diese Kriegs- z uge berickten ausfukrlich die Funde von Ninive. Kein Volk kat die untenvorfenen Feinde so grausam behandelt, wie die Assyrier. Die eroberten Stadte wurden schonungslos zerstort, die gefangenen Krieger martervoll getodtct; dabei geben die Inschriften noch an, dass diese Greuelthaten zu.Ehren der keimischen Gotter geschahen. Im allge- meinen standen die unterworfenen Bander in einem lockeren Abhangig- keitsverhitltnisse, daher auek die zaklreicken Emporungen sick leicht erklaren. Zur besseren Sicherung ihrer Herrschaft fiihrten die assy- risehen Konige die Bewohner untervvorfener Landschaften gefangen fort und siedelten an ihrer Statt andere an. Diese liber 200 Jahre midauernden Kriegszuge haben die. politische und nationale Widerstands- kraft der sgrischen Volker fur immer gebrochen, nie mehr gewannen sie ihre Selbstandigkeit und wurden endlicli hellenisiert. Sturz des Reiches. Endlick erlag das Reich, welches so lange die GeiBel der Volker gewesen war, dem vereinigten Angriffe der Meder und Babglonier, nachdem es durck die nomadiscken Scgthen a ngeblich iiber 20 Jahre lang verheert worden war. Der Sturz des Reiches erfolgte wahrscheinlich im Jahre 606 mit der volligen Zer- Um 606. storung Ninives. Eine so vollstiindige Vernichtung einer GroBstadt fur 'immer ist kaum ein ziveitesmal vorgekommen. 4. Das (neue) babylonische Reich, um 606 bis 539. Um 606 Die Sieger tkeilten das gesttirzte Reich in der Weise, dass der bis Tigris die Grenze zwiscken dem babylonischen und dem mediscken Reiche wurde; alles, was westlich dieses Stromes zum assyriscken Reiche gehort hatte, nahm nun der babylonische Konig in Anspruch. Der groBte Herrscker und eigentlicke Begriinder des Reiches, der zweiten ' So AssurnaCirpal, welcher iiber Syrien bis ans Mittelmeer vordrang; Tiglat- pileser III., welcher Babylon unterwarf; Salmanassar IV., welcher mit der Unter- werfung Israels begann, die sem Nachfolger Sargon vollendete; Senacherib, der Agjjden bekriegte, das sein Nachfolger Asarhaddon eroberte. Unter der Regierung seines Sohnes Assurbanipal (Sardanapal bei den Grieehen) stellte Psammetich die Unabhangigkeit Agyptens her (S. 8). , Zeelie, Gesclticlitc des Alterthums. 2 18 Die Babylonier und Assyrier. asiatischen Grofimacht, ist der zweite Konig, Nebulcadnezar II. (604 604—662. bis 662), der auch, da alle in den Ruinen Babels gefundenen Ziegeh inscbriften seinen Namen enthalten, 1 als Neugriinder dieser Stadt be- tracbtet werden muss. Sie war von ihm an bis zum Mongoleneinfalle im 13. Jahrhunderte vielleicht die grafite Handelsstadt der Welt. Dem babylonischen Reiche machte Cgrus, der Begriinder des persischen 539. Reiches, durch die Einnahme Babels im Jahre 539 ein Ende. An Stelle der semitischen Vorherrschaft in Asien trat die indogermanische. G. Cultur der Babylonier und Assyrier. Das Verhaltnis zwischen den Babyloniern und Assyriern, welehe eigentlich ein Volk bilden und nur dialectisch voneinandcr geschieden sind, auf culturellem Gebiete ist, dass die Assyrier die in Baby- lonien aus sumerischen und semitischen Bestandtheilen bestehende Mischcultur in sich aufnahmen. Die Assyrier selbst erscheinen nur bedeutsam durch ihre militarische Tiichtigkeit, der sie ihre politischen Erfolge verdanken. 1. Religion. Die Religion der Sumerier war, wie die der ural- altaischen Bevolkerung iiberhaupt (vergleiche die jetzige einheimische Bevolkerung Sibiriens), ein an sich tief stehender Schamanismus, welcher im Glauben an zahlreiche, dem Menschen iibeiuviegend feindlich gesinnte Damonen besteht, die durch Gebet und Opfer gezwungen und durch Zaubertormeln unschadlich gemaclit werden miissen. Man dachte sich diese Geister als Greife, Drachen und dergleichen phan- tastische Gestalten. Durch die Aufnahme solcher schamanistischer Bestandtheile wurde die reinere Religion der semitischen Babylonier entstellt; auGer zahlreichen untergeordneten Gottheiten bildeten sie ein System von zwolf groCen Gottern aus, ubenviegend Gottheiten der Gestirne, an deren Spitze der groGe Lichtgott der Semiten, in Babylon Bel, = Herr genannt, stand. Dieses System nahmen auch die Assyrier an,, welche noch ihren Landesgott Assur hinzufiigten und an. die Spitze stellten. Einer eifrigen Verehrung erfreute sich auch Belit oder Beltis = Herrin, die Gemahlin Bels. 2. Literatur. Boesie. In der Lgrik hatten sie Hymnen, Gebete und Spriiche; viel bedeutsamer sind die aufgefundenen Bruchstucke 1 Er liefi verfallene Tempel wiederherstellen, neue erbauen, die Befestigung Babels erneuern und verstarken, filr seine aus Medien stammende Gemahlin die be- riihmten «hangenden Garten* errichten u. s.w. Nach Hommel ist Nebukadrezar zU lesen. Die Babylonier und Assyrier. 19 epischer Gedichte, welche Gottermvthen und die Entstehung der Welt behandeln, worunter am bekanntesten das Fragment liber die Stind- flut wurde, das bis auf Einzelheiten mit dem bibliscken Berichte ubereinstimmt. Eine Darstellung in gebundener Sprache hatten sie so wenig wie die Hebraer; nur ein gewisser Parallelismus der Ge- danken ist ihren poetischen Stiicken eigenthiimlich. Das Drama fehlt den Semiten. Prosa. Die Babylonier iibertrafen noeb die Agypter durch ibre tnathematischen und astronomischen Kenntnisse — sie berechneten bereits Sonnen- und Mondesfinsternisse voraus — das ganze Alter- thum lernte bierin von ibnen. Durch den Wahn, dass das Schicksal des Menschen von der Stellung der Planeten beeinflusst werde, wurden sie die Urlieber der Astrologie, deren Traumereien — bis tief ins 17. Jabrhundert herab — auf sie zuriickzufiibren sind. Von ibnen stammen die Zeichen des Thierkreises, die Eintheilung des Monates in Wochen und die Benennung der Tage nach Sonne, Mond und den ftinf Planeten. Trager der Bildung waren die Priester, die Chaldder. 3. Die bildenden Kunste. Ilire Leistungen aut diesem Gebiete erreichen die der Agypter bei weitein nicht. Baukunst. Wegen Mangels an Hausteinen bauten sie mit Ziegeln, die theils an der Luft getrocknet, theils im Feuer gebrannt wurden. Dieses armliehe Material veranlasste sie, ibre Gehaude mit Metallplatten, bunten Steinen oder emaillierten Ziegeln zn verzieren, und so kamen sie auf das System der TVandverkleidung. Namentlich gilt dies von den babylonischen Bauten, wahrend die assyrischen w egen der groCeren Nabe des Gebirges mit Reliefs enthaltenden Kalksteinplatten geschmuckt sind. Ibre wichtigst,en Bauten sind Tempel und Palaste, die sie auf kunstlichen Terrassen errichteten. Bei Ba- bylon ist der Sckutthugel des Birs Nimrod (arabisch, Nimrodthurm) erhalten, der von einem sieben Stockwerke hohen thurmartigen Tempel herrlihrt. Auf der Stfitte Ninives wurde ein Konigspalast vollstandig aufgedeckt, der nur ein Stockwerk hatte, gleicbwohl un- gefahr 16 m hoch war. Die Wande des Palastes waren theilweise mit sculptierten Kalksteintafeln, welche mit Keilinschriften versehen s md, geschmuckt. Plastik und Malerei. Aufier den eben genannten Platten wur den i n Ri n i ve riesige phantastische Sculpturen, welche geflugelte Stiere mit biirtigen Menscbenkopfen darstellen, als Wachter bei den T lior- eingangen gefunden. —- Eine selbstandige Malerei batten sie nicbt. 2 * 20 Die Phonieier. 4. Materielle Cultur. Babylonien war beriihmt wegen seiner hochentwickelten Kunstindustrie (namentlich VVeberei, Stickerei und Metallarbeiten) und seines bliihenden Handels. Es wurde dadurch ■Ausgangspunkt des antiken Maj]- und. Geioichtssgstems, das sich einer- seits naeh Persien, anderseits nach Griechenland und Italien verbreitete. Diesem Svstemc liegt die sexagesimgle Rechnungsweise zugrunde (ahnlich wie dem metrisehen die deeimale), sie bat sich theilweise noch erhalten. Die Rechnung nacb Schock (60 Stiick) ist, durch die Einfuhrung des Metersystems endgiltig beseitigt, dagegen theilen wir noch nach babylonischem Vorgange die Stunde in 60 Minuten, die Minute in 60 Secunden. Die zwolf Mondumlanfe zu je 30 Tagen, die urigefahr das Jahr ausftillen, diirften den AnstoB zu diesem Systeme gegeben haben. 1 Eine Himmelsbeobaclitung der Babylonier liegt auch dem grie chischen Wegma6e zugrunde. Den Weg, welchen ein rustiger FuB- ganger in zwei Minuten (auf solange berechneten sie die Dauer des vollen Sichtbarwerdens der aufgehenden Sonne) zuriicklegt, nannten die Grriechen Stadion (das olympisehe = 192 m), das 30fache davon ist der persische Parasanges. Im Gewichte unterschieden sie das leichte und das schwere Talent, ersteres 30'3, letzteres 60-6 kg schwer; jedes zeriiel in 60 Minen, was die Griechen nachahmten (uva ist ein semitisches Lelin- wort). Bedeutend geringer war das Gold- und das Silbertalent; mit der Einfuhrung gesonderter Gewielite fur die beiden Edelmetalle war die erste Einfuhrung einer Geldtvdhrung geschaften, wozu sich jene wegen der i'elativen Seltenheit ihres Vorkommens besonders eignen. Zu diesem Talente šetzten die Griechen ihr Miinzsjstem in ein be- stimmtes Verhaltnis, ebenso die Rom er seit der Einfuhrung der Silberwahrung im 3. Jalirhunderte v. Chr., so dass das babylonische Syste.m bis zum Ausgange des Romerreiches fiir das antike Miinz- wesen maBgebend geblieben ist. II. Die Phonieier. A. Zur Geographie Phoniciens. Begriff des Namens Phonicien. Man versteht darunter den mittleren Theil des sgrischen Kiistenstriches, im S. ungefahr bis zum Vorgebirge des Karmel reichend, mit dem vrestlichen Abhange des 1 Mit Beniit.zung von llultsfh, Griech. und rOra. Metrologie, 2. Auflage 1882. Die Phonicier. 21 Libanon und seiner nachsten nordlichen Fortsetzung. Wahrscheinlieh ist das griechische Wort abzuleite.n von cpoivog (roth), daher (Doivitg einen Menschen von rothbrauner Farbe bezeichnet. Da die Dattel- palme hier nicht mehi’ reift, kann der Name nicht von rpomf (Palme), liergeleitet werden. Physische Beschreibung des Landes. Das Land, nur ungefahr 200 hm lang, ist das Abfallsland des Libanon mit einer durchschnittlich 4 bis 8 hn breiten Kiistenebene, welche durch stellenweise vor- springende Berge in einzelne Abschnitte getheilt wird. Der Libanon (= weifles Gebirge, wegen seiner Schneemassen so genannt) lieferte vortreffliches Bauholz, namentlicli Cedern und Cypressen, ferner Eisen und Kupfer. Das Land ist dank seiner ausgiebigen Nieder- schlage sehr fruchtbar. Die Kiiste ist keinesivegs reich gegliedert, sondern erscheint sogar im Vergleiche mit den griecbischen und klein- asiatischen Kiisten ode. Audi ist Phonicien nicht reich an vorziiglichen Hafen; der Kiiste sind Klippen vorgelagert, deren Gefahrlichkeit durch einc starke Brandung noch erhoht wird. Trotzdem sind die Phonicier das hervorragendste Seevolk des alten Orients geworden. Einfluss des Landes auf die Seetiichtigkeit des Volkes. Be- stimmend hieftir war: 1.) Der Reichthum des dortigen Meeres an Fischen und die dadurch bedingte fruhzeitige Ausbildung des Fisch- fanges (Sidoniei’ = Fischer); 2.) das im Rlicken aufsteigende Ge¬ birge wies die Bewohner auf die See hin (vergleiche Dalmatien, Nor- wegen); 3.) die durch Bergvorspriinge voneinander getrennten Theile der Kiistenebene konnten besser zur See erreicht werden, und die vor- gelagerten Klippen reizten zum Besuche; 4.) die Nahe der Insel Cypcrn, welche vom Libanon aus sichtbar ist. Dazu kam noch 5.) die natiirliche Anlage des Volkes; 6.) die hohe Entwicklung seiner mate* riellen Cul tur, welche. Absatzgebiete brauchte; 7.) die Lage zvvischen den beiden groCten Culturstaaten der damaligen Zeit, mit denen die Phonicier auch Karawanenhandel unterhielten. B. Geschichte der Phonicier. Da von den einheimischen Quellen sich nur sehr vvenige erhalten haben und die antiken Schriftsteller erst spat und nur gelegentlich auf Phonicien Bezug nehmen, so ist einc zusammenhangende Geschichte dieses Volkes, das sich durch keine kriegerischen GroOthatcn hervor- gethan hat, nicht moglich. Dic reichen phonidischen Handelsstadte 22 Die Plionicier. bildeten kleine selbstžindige Staaten, von denen in der alteren Zeit Sidon, die alteste uns bekannte Seestadt ilberhaupt, in spaterer Tyrus die grofite Bedeutung hatte. Demnach hatte auch in der Zeit von 1400 1 400 bis 1100 Sidon, von da an Tyrus den Vorrang unter den bis 1100. phSnicischen Stadten. Wegen des hohen Alters Sidons nennen sich alle Plionicier Sidonier, Homer kennt den Namen Tyrus nicht. Seitdem Syrien das Eroberungsziel fremder Konige geworden war, verloren die Plionicier ihre nationale Unabhangigkeit zuerst an die Agypter, dann nacheinander an die Assyrier, Babylonier, Perser nnd Alexander den GroOen. Die phonicische Colonisation. Die Plionicier, die Englander des Alterthums, sind das erste Volk, welches auf den Gedanken kam, Colonien auszusenden. Diese waren in der Regel nur Factoreien, wie sie z. B. heutzutage grobe europaische Handelshauser an der West- kiiste Afrikas besitzen; in besonders productenreichen Gegenden, zum Beispiel Nordafrika oder Siidspanien, grtindeten sie auch eigentlicbe Pflanzstadte, d. h. dauernde, feste Niederlassungen. Sclion im 15. Jahrhunderte stand ihre Schiffahrt in lioher Bliite. Vom kupferreichen Cgpern aus besuchten sie Rhodos und dehnten dann allmahlich ihre Fahrten liber alle Inseln und Kiistengegenden des Archipels aus. Von hier aus befuhren sie einerseits das sdmarze Meer, anderseits das westliche Becken des Mittelmeeres und griindeten auf Sicilien, Sardinien, in Nordafrika, Siidspanien Niederlassungen; alle Niederlassungen im Westen wurden auf die Tyrier zuriickgefiihrt. Namentlich wichtig wurde das im 9. Jahrhunderte von Tyrus aus gegriindete Carthago, das selbst wieder eine Reihe von Colonien ins Leben rief. Allmahlich, etwa seit dem 13. Jahrhunderte, \vurden sie von den Griechen aus dem ostlichen, spater von ilinen und den Romern auch aus dem westlichen Becken des Mittelmeeres verdriingt. Aus diesem Grunde erscheinen sie bei Homer nicht mehr als herrscliend, sondern als vereinzelte, iiberaus schlaue Kaufleute. Ihre Fahrten, bei welchen sie sich des Tages nach dem Stande der Sonne, des Nachts nach dem Polarsterne orientierten, dehnten sie bis nach Britannien aus, woher sie das Zinn holten, das fiir die Bereitung der Bronze wichtig war. Neben dem Seehandel betrieben sie auch Seeraub. Im allgemeinen tauschten sie gegen die Producte ihrer hochentwickelten Cultur die Naturproducte der von ilinen besuchten Lander ein. Die Phonicier. 23 O. Cultur der Phonicier. 1. Religion. Wie die verschiedenen semitischen Volker Svriens, verehrten audi die Phonicier eine grofic Zalil von dem Menschen theils freundlichen, tlieils feindlichen Geistern, als deren Wirkungen man sich die in der Natur thatigen Krafte dachte. An der Spitze dieser Geister stelien der Lichtgott Baal (= dem babylonischen Bel), der Herr der Schopfung, welcher sich in der Sonne offenbart, und Baalat (= Belit), die Gottin des Werdens und Vergehens in der Natur. Letztere erscheint unter verschiedenen Namen, meist als Asch- toret, was dieGriechen in Astarte vervrandelten. Neben diesem hochsten Baal und der hochsten Baalat heifien bei den Svriern siimmtliche localen Gotter aucli Baal und ihre Gemahlinnen Baalat. Wiederholt drohte das Eindringen dieses sjrischen Baaldienstes den Jehovah- Cultus bei den Juden zu verdrangen. Baal heifit als versengender Sonnengott Moloch. Die Gotter der Phonicier haben, der Thatigkeit des Volkes ent- sprechend, einen Bezug auf Handel und Colonien bekommen; dalier gilt der Baal von Tyrus, Melkart, als Mitgriinder der Colonien. Aus diesem Grunde stellten ihn die Griechen ihrem Herakles, der eben- falls wegen seiner Arbeiten weite Reisen unternahm, an die Seite. Da die Gottheiten des Naturlebens theils eine heitere, dem Wachsen und Gedeihen in der Natur entsprechende, theils eine traurige, dem Vergehen und Sterben entsprechende Seite besitzen, so ver- ehrten die syrischen Semiten, also auch die Phonicier, ahnlich wie die Babvlonier ihre Gotter theils mit sittlicher Ausgelassenheit, theils mit Menschenopfern. So wurden dem in Stiergestalt dargestellten Moloch Menschen geopfert; er liegt verinuthlich der griechischen Sage vom Minotauros zugrunde. 2. Verfassung. Die einzelnen phonicischen Stadte wurden von Konigen regiert und waren voneinander unabhiingig. Die Konigs- macht war durch den Adel sehr beschriinkt. Zur Ausbildung der orientalischen Despotie fehlte dem kleinen Volke die erobernde Thatigkeit der Konige. 3. Materielle Cultur. Wahrend sie in der Literatur und Kunst nichts Hervorragendes leisteten, war ihre Hauptthatigkeit auf moglichste Steigerung der materiellen Cultur gerichtet. Diese auflert sich in ihrer hochentwickelten Industrie und ihrem lebhaften Handel. Beriihmt waren ihre Metallarbeiten, ihre Gewebe, Glasarbeiten, die Purpur- 24 Die Israeliten. farberei und Sehiffsbaukunst . 1 Ubrigens bildeten sie diese Cultur nicht durchaus selbstandig aus, sondern lernten z. B. die Glas- und Metall- arbeiten von den Agyptern, die Weberei von den Babyloniern; durch ihre Sehiffsbaukunst aber wurden sie die Lehrmeister des ganzen Alterthums. 4. Weltgeschichtliche Bedeutung des Volkes. Die Phonicier brachten die orientalische Mischcultur an die verschiedenen Gestade- lander des Mittelmeeres. So lernten von ihnen auch die Griechen die materiellen Errangenschaften des Orients, babylonisches MaG und Gewicht, die agyptische Bucbstabenschrift u. s. w. kennen und er- hielten manche Anregungen auf dem Gebiete der Religion und der bildenden Kunst. Freilich bleibt es unentschieden, wieviel davon ihnen wirklich durch die Phonicier und wieviel auf dem Landwege von Kleinasien her zugekommen ist. III. Die Israeliten. A. Zur Geographie Syriens und Palastinas. Begriff Syriens und Palastinas. Syrien umfasst das ganze Gebiet von Gaza bis zum Euphrat; den sudwestlichen Theil dieses Landes, zu beiden Seiten des Jordan, nannten die Griechen Palastina oder Philistaa, jedenfalls nach den in den Siidwesten der Landschaft eingedrungenen Philistern. Physišche Beschreibung des Landes. Es ist ein Hochland, das im westlichen Theile aus Kalkgebirgen besteht, welche in der M it te, im Libanon und Antilibanon, die groGte Hohe (bis 3000 m) erreichen; im iibrigen ist es Hochebene. In Palastina speciell er- reichen nur einzelne Berge 1000 m. Die Fliisse verlaufen groGten- theils in kurzen Querthalern; die wenigen grofieren Fliisse bilden Langsthaler zwischen den parallelen Ketten des Gebirgslandes: so fliefit nach N. der Orontes, nach S. der Lita, welche beide vor der Miindung ein kurzes Querthal durchflieGen. Gerade nach S. dieGt der groOte Fluss des Landes, der Jordan, welcher im Antilibanon entspringt und im todten Meere rniindet. Der Jordan theilt Palastina in einen westlichen und oinen bst- lichen Theil, wovon der erstere infolge ergiebigerer Niedcrschlage viel fruchtbarer und daher auch geschichtlich wichtiger ist. Die schmale Ilias XXIII, 743; Eio<5vs<; tzo\uo. ibaloi. Die Israeliten 25 Kiistenebene, welclie im Gegensatze zum Berglande Kanaan, d. h. Nie- derland, heiflt, ist von einer einfOrmigen, hafenlosen Diinenkiiste be- grenzt; den einzigen brauchbaren Hafen hat Joppe. Die kleine Ebene von Jezreel, ostlich vom Karmel, ist wiederholt Schlachtfeld gewesen. Eintheilung Palastinas. Das West-Jordanland zerfiel in der Richtung von S. nach N. in die Landschaften Judda, Samaria und Galilaa mit den Hauptstadten Jerusalem, Sichem (der alteren) und Samaria (der jiingeren Hauptstadt). In Galilaa liegt Nazareth. Geschichtliche Bedeutung Syriens. Diese beruht liauptsachlich darili, dass bier aus agyptischen und babylonischen Bestandtbeilen eine Mischculiur entstand (S. 7), die in ihren Grundziigen im 15. Jahrhunderte ausgebildet ist und auf dem Seewege d ur ek die Phonicier, auf' dem Landwege von Kleinasien her den Griecben be- kannt geworden ist. Als Beispiel gelte die Umwandlung des agypti- schen Sphinx, der liier die phantastisehen Fltigel bekam, welche die Mischgestalten von Ninive zeigen und als weiblicb gedacbt wurde; so lernten sie die Griecben lcennen. B. Geschichte der Israeliten. Namen des Volkes; Quellen. Der Name Israeliten — Streiter Gottes ist der eigentliche Nationalname; den Namen Hebrder, d. b. die Eingewanderten, erbielten sie von der alteren Bevolkerung des Landes; der viel jiingere Name Juden ist vom Namen des Stammes Juda abgeleitet. Es ist das einzige Volk des Alterthums, das sich erhalten hat und dessen Geschichte wir in die Zeit vor der Staatengriindung zuriick verfolgen konnen. Die Hauptquelle bilden die biblischen Schriften des alten Bundes, welche durch die Ergebnisse der Assyriologie vielfach bestatigt werden. 1. Von den Anfangen des Volkes bis zur Eroberung Palastinas; Zeit der Patriarchen (etwa 2000 bis um 1300). Um 2000 zog Abraham an der Spitze eines Stammes, der im Ubergange aus dem Nomaden- zum sesshaften Leben begriffen war, aus Ur in Chaldda (westlich vom Euphrat am 31.°) nach Palastina und behauptete das Land, welches von Staminen der semitischen Kanaanaer bewohnt war, gegen babylonische und elamitische Ftirsten. Ihm folgten als Ftihrer des Stammes Isaak und Jakob. Infblge einer Hungersnoth zog Jakob mit seinen Leuten nach Agypten, wo er im Lande Gosen, das man im ostlichen Deltalande sucht, sich niederliefl. Um 2000 bis um 1300. 26 Die Israeliten. Um 1300 bis um 1000 . Um 1000 bis um 930. Wegen der Frolindienstc, mit welchen die Pharaone sie bedriicktcn, verliefien sie unter der Ftihrung des in den agyptischen Wissen- schaften unterrichteten Moses, der erhabensten Personlichkcit der altesten Geschichte, das Lan d, entgiengen gliicklich den Nachstellungen der Agypter, litten in der sinaitischen Wiiste vielfach Noth, erhielten hier die Gesetzgebung vom Berge Sinai, eroberten noch unter der Ftihrung des Moses das Ost-Jordanland und brachen nach dessen Tode tiber den Jordan in das gelobte, d. k. verheiBene Land ein. 2. Von der Eroberung Kanaans bis z ur Errichtung der Monarcliie; Zeit der Richter (etwa 1300 bis ungefahr 1000). In fortwahrenden muhevollen Kiimpfen bemachtigten sich die Israeliten des West-Jordanland.es, wo sie sich nach Stammen an- siedelten, welche ihren Ursprung von den Sohnen Jakobs ableiteten. Die Ranaanaer versuchten wiederholt, den eingedrungenen Fremden das Land wieder zu entreifien; auCerdem drangten, dem Beispiele der Israeliten folgend, nun auch andere Stamme, wie z. B. die machtigen Moabiter, ins fruchtbare Culturland. Aus der Gefahr, von diesen Feinden erdriickt zu werden, wurde das Volk durch tiichtige Fiihrer, welche Richter (Schofetim) genannt wurden und deren erster Gideon heiBt, gerettet. Es war das Heldenzeitalter des Volkes. Als es aber den wiederholten Angriffen der Philister erlag, verlangte es die Ein- setzung eines Konigs, wie ihn andere Vtilker auch liatten 7 und ver- anlasste Samuel, den letzten Richter, Saul zum Konige zu salben. « Wie ein Volk, das, von allen Seiten angegriffen, seine Verfassung dndert und sich der einheitlichen Getvalt des Kdnigthums unterwirft, ist niemals besser geschildert worden, als in den Btichern Samuel und der Konige» (Ranke). 3. Die Konigsherrschaft bis zur Theilung des Reiches (etwa von 1000 bis um 930). a) Saul. Nach glucklicher Abwehr der Philister und der ost- liclicn Nomadenvolker gerieth er in Streit mit Samuel, der den Hirten- knaben David zum Konige salbte. (Kam-pf der iveltlichen und geist- lichen Gewa.lt, ahnlich dem Kampfe zwischen dem Ivaiserthume und Papstthume des Mittelalters.) Im Kampfe mit den Philistern fand Saul den Tod. b) David, Reprasentant des erobernden Kdnigthums des Orients. Er sicherte die Unabhangigkeit des Volkes von den Philistern fiir Die Israeliten. 27 immer und machte dcn Einfallen der Nomaden im S. und O. ein Ende. Den Staat dehnte er sudlich bis zuni rothen Meere, nordlich bis ziim Libanon und Hermon aus. — Im Innern begriindete er eine cinheitlichere Staatsordnung. Jerusalem erhob er zur Hauptstadt und erbaute sich einen Palast auf Zion. Las Land tlieilte er in zwolf Districte, an deren Spitze er im Gegensatze zur bisherigen patriarcha- lischen Verwaltung konigliche Beamte stellte. Er umgab sicb mit einer Leibwache. c) Salomo. Er stellt das ausgeartete despotische Konigthum des Orients dar. Das Hauptinteresse wendete er kostspieligen Bauten, besonders dem Tempelbau auf Moria, zu und fiihrte eine verschwen- derische Hofhaltung ein, weshalb er die Bevolkerung mit Steuern driickte. Die materielle Bliite des Reiches suchte er zu heben durcb Verbindung mit auswartigen Fiirsten, namentlich mit Hiram, dem Konige von Tgrus, mit welchem gemeinsam er die eintraglicben Fahrten nach dem Goldlande Ophir im ostlichen Arabien unternabm. Dadurch wurde die bislierige Abgeschlossenlieit des Landes beseitigt und fanden auch fremde Gotzendienste Eingang. d) Rehabeam. Da die Klagen des Volkes nicbt beriicksichtigt wurden, schritt es zur Selbsthilfe und tiel zum grotieren Theile vom Hause Davids ab; nur die stidlichen St&mme Juda, Simeon und ein Theil von Benjamin blieben dem Konigshause treu, um 930. 4. Von der Theilung des Staates bis zum Untergange der politischen Freiheit der Israeliten (um 930 bis 586). a) Das Reich Israel (um 930 bis 722). Trotz der grofieren Ausdehnung kam der nbrdliehe Staat zu keiner inneren Ruke und fand friiher seinen Untergang. Bestimmend hiefiir waren die vielen Kampfe mit den benachbarten Staaten, namentlich mit Damaskus und Juda, der Mangel einer Erbmonarchie, was kaufige Thronkampfe hervorrief, das Eindringen fremder (syrischer) Culte und die dadurch veranlasste Bekampfung der zum Heidentlmme neigenden Konige durch die Propheten, namentlich Elias (um 870) und seinen Schiller Elisa (um 850). Durch das Aufstreben der assyrischen Macht seit dem 9. Jahrhunderte wurde das Land zuerst tributpflichtig gemacht und im Jahre 722 nach der Eroberung der Hauptstadt Samaria durch Sargon dem assgrischen Reiche einverleibt; 27.000 Einwohner wurden in die Gefangenschaft geschleppt und an ihrer Statt andere angesiedelt, die mit den Resten der zuriickgebliebenen Bevolkerung Um 930 bis 586. Um 870 Um 850 722 . 28 Die Israeliten. zum Mischvolke der Samariter verschmolzen, welches von den Juden gehasst und verachtet war. b) Das Reich Juda (um 930 bis 586). Obwoh! aucli hier der syrische Baalsdienst wiederholt Eingang fand, so behauptete sich doch auf die Dauer der Jehovah -Cultus mit seinem Mittelpunkte in Jeru- salem. Ebenso blieb die Krone erblich im Hause Davids, obwohl es an Thronkampfen gleichfalls nicht felilte. Auch in Juda entwickelten die Propheten cine hervorragende Tluitigkeit, so namentlieh Jesaja Um 730. (um 730), der gedankenvollste und machtigste aller Propheten, und Um 600. Jeremia (um 600). Nachdem Juda zuerst den Assyriern, dann Nebu- kadnezar tributpfiichtig geworden war, versuchte es mit Hilfe Agyptens, von Babylonien abzufallen. Nebukadnezar eroberte und zerstorte Jeru- sulem und fiihrte einen Theil des Volkes sammt dem- geblendeten 586. Konige Zedekia in die babylonische Gefangenschaft ab (586). Damit endet die politische Selbstandigkeit der Israeliten. Selbst in der Fremde hielt das Volk, getrostet durch die Propheten Ezechiel und Daniel, an seiner nationalen und religiosen Eigenart fest. Cyrus gestattete ihnen 539. nach der Eroberung Babylons (539), in ihre Heimat zuruckzukehren; uriter Darius begaben sich. ebenfalls viele nach Palžistina zurfick und 516. wurde der Tempel vollendet (516, Ende der 70jahrigen Gefangen- schatt). Seitdem wurde die Bezeichnung Juda fiir das von dem Volke neu errichtete Gemeinwesen iiblich. O. Oultur der Israeliten. 1. Religion. Ungleich allen anderen Volkern des Alterthums glaubten die Israeliten an einen einzigen Gott, den sie Jahive oder Jehovah nannten. Infolge der zahlreichen Kampfe mit den um- wohnenderi heidnischen Volkerschaften wurde dieser Glaube mit immer groBerer Begeisterung erfasst, so dass sich die Israeliten von den iibrigen Volkern stolz absonderten, vrodurch sie ihre Eigenart bewahrt haben. Der Mittelpunkt des Gottesdienstes war der Salomonische Tempel, in welchem die' Bundeslade aufbewahrt war. Gott wurde besonders durch Gebet und Opfer verehrt; letztere waren theils hlutige, theils unblutige, der Vorgang beim Opfern genau geregelt. Der Sabbath, der siebente Tag der Woche, war der Gott geweihte Ruhetag, jedes siebente Jahr als Sabbatjahr und jedes siebenmal siebente als J;xbel- jahr besonders gefeiert. AuBerdem hatten sie drei Hauptfestzeiten: Das Frrihlings-, Ernte- und Weinlesefest. Diese Feste beweisen, dass Die Israeliten. 29 das Volk sicli hauptsdchlich mit dem Ackerbaue beschaftigte, ein Handelsvolk wurden'die Juden erst seit dem Exile. Der Stamm Levi, dem Moses angehort hatte, bildete den erb- lichen Priesterstand, das jeweilige Haupt der Familie Aarons bekleidete die Wiirde des Hohenpriesters. Bedeutung des Prophetenthums. Die Propheten waren die Waehter und Ausleger des Gesetzes; sie belehrten das Volk, dass Gott besonders durcb Eeinheit des Herzens verehrt werden wolle, und drohten ibm durcb den Hinvvois auf' das nahende Verderben, das ihm die assyrischen und babvlonischen Konige bereiten wiirden. In richtiger Erkenntnis der Schvvache des Volkes warnten sie es, den Zorn der miichtigen Konige herauszufordern. 2. Verfassung. Wahrend die iibrigcn Vol ker des Orients eine despotische Regierungsform ausbildeten, muss die Verfassung der Israe¬ liten als Theokratie bezeicbnet werden, da als das eigentlicbe Ober- haupt des Staates kraft des mit ihm abgescblossenen Bundes Jehovah galt. Dadurcb wurde aucb den Ausscbreitungen des Konigtbums eine Schranke gezogen. Aucb nach der Einflihrung des Konigtbums blieben die patriarchalischen Zustande theihveise bestehen, indem die her- kommlicbe Gliederung des Volkes m Stamm e, Geschlechter und Familien sicli erbielt und deren Haupter oder Alteste sowobl im Kriege als im Frieden (als Anfiibrer, Richter und Rathgeber) einen bedeutenden Einfluss ausiibten. 3. Literatur. Poesie. Beim Mangel einer Mythologie fehlt das Epos ; urn so bedeutender sind ibre hjrischen und lijrisch-didaktischen Diehtungen. Rein lyrisch sind die Psalmen und das Hohelied, theil- weise aucb die Werke der Propheten; lyrisch-didaktisch das Buch Hiob, die Spriiche sowie der andere Tbeil der prophetischen Werke. Dem Inhalte nach ist die Poesie durchaus religiiis, der Form nach der babylonischen nahe verwandt (S. 19). Prosa. Von grofier Wichtigkeit sind ihre historischen Schriften (Pentateuch, Buch der Richter, der Konige u. s. w.). In allen iibrigen Wissenschaften leisteten sie nichts. 4. Kunst. Zur geringen Begabung der Semiten fiir die Kunst uberhaupt kommt bei den Juden noch das Verbot, Jehovah in bild- licher Gestalt darzustellen. Die Sculptur und Malerei kamen daher bei ihnen zu keiner Entwicklung. Aber selbst fiir den Bau des Tempels auf Moria lieC Salomo Bauleute aus Tyrus kommen, da nach seiner eigenen Angabe die Juden von der Baukunst nichts ver- 30 Die Israeliten. standen. Dieser Tempel bestand aus drei Haupttheilen, namlich aus zwei Vorhofen und dem eigentlichen Heiligthume, welcb letzteres wieder drei Riiume, und zwar die Vorhalle, das Heilige und das Allerheiligste, enthielt. Die,se Anlage deutet auf aggptischen Einfluss. Im Innern waren die Wande mit Cedern - und Cypressenholz ver- tafelt und mit Gold iiberzogen. Wir erkennen darin die orientalische Prachtliebe und die bctbylonisch-assyrische Flčichendecoration. 5. Weltgeschichtliche Bedeutung des Volkes. Wahrend bei anderen Culturvolkern des Alterthums nur wenige Hocbgebildete zu monotheistisehen Anschauungen vordrangen, wurden sie einzig und allein bei den Juden Giemeingut des Volkes. Die Bedeutung der Semiten beruht hauptsachlich auf der Pflege der materiellen Cultur (Industrie und Handel). Ilire nucbtern-praktische Anlage zeigt auch der Umstand, dass sie keine Mytliologie besitzen, weshalb ihnen auch — mit Ausnahme der Babylonier und Assyrier das Epos fehlt. Ilire Leistungen auf dem Gebiete des Staates, der Wissenscbaft und Kunst werden von denen der Indogermanen weit ubertroffen. Die Indogermanen. Eintheilung und Bedeutung der Indogermanen. Indogermanen Asiatische Europaische Inder, Iranier Griechen, Ital iker, Celten, G e rman o n, Slaven Die Inder und die Iranier nannten sich selbst Arier (wahr- scheinlich = Edle). Die Indogermanen, welche ikren Namen nach den beiden SuBer- sten diesem Sprackstamme angehiirenden Culturvolkern fiikren, traten in der oben angegebenen Reihenfolge in die Geschichte ein ; nur die Celten brachten es zu keiner hoheren Culturentwicklung. Die Cultur der Menschheit beruht wesentlich auf der Thatigkeit der Indogermanen, die freilich die iiltere hamitische und semitische Cultur theihveise in sicli aufgenommen haben. Ihrer Naturanlage nach sind sie ausgezeichnet durch besonders lebhafte Phantasie, so dass sie eine reiche Mythologie ausgebildet und grofiartige Epen geschaffen haben. In ihrer Mytho- logie spielt der Kampf der guten Lichtgottheiten gegen die verderb- lichen dunklen Mitchte (Finsternis, Diirre u. s. w.) eine grofle Rolle. Dem Aufenthalte nach unterscheiden sie Gottheiten des Himmels-, Erd- und Luftraumes. Die Venoandtschaft der indogermanischen Sprachen im Wort- schatze (sie sind auch in der Syntax nalie verwandt) m o gen die Worte fiir « Mutter* veranschaulichen; es sind dies: indisch mata, griechisch itnlateinisch mater, lithauisch (dem Slavischen sehr nahestehend) moU, altslavisch mati, althochdeutsch muoter. I. Die Inder . 1 A. Zur Geographie Indiens. Schauplatz der indischen Geschichte. Es ist dies der nordliche, eigentlich noch continentale Theil Vorderindiens, vom Abhange des Himalaja bis zum dicht bevraldeten, 1000 bis 1600 m hohen Vindhja- gebirge, durchflossen von Indus, Ganges und Bralnnaputra. Dekhan 1 Oldenberg, Buddha. Sem Leben, seine Lelire, seine Gemeinde. 1881. 32 Die Inder. Ura 2000 bis um 1300. eroberten wohl die Inder, oline es indes zu ihrer dauerrden Wohn- statte zu machen. Physische Geographie des Landes; Einfluss auf die Ge- schichte des Volkes. Der steil abfallende Ostrand der Ilochebene von Iran, Hindukusch uud Himalaja, die geringe Entwicklung der West- und Ostkiiste Dekhans machen Vorderindien zu einem abgeschlossenen Lande, dessen Bevolkerung sich niemals in nennenswerter Weise an der Schiffahrt betheiligt bat (vergleiche Agypten). Da iiberdies der groBe Reichthum des Landes an allen moglicben Naturproducten den Verkehr mit fremden Volkern entbehrlich erscbeinen liefi, so blieb die Entwicklung der Inder so ziemlich auf sich selbst angewiesen und wurde erst seit Alexandcr dem GroBen, der einen Tlieil des Landes eroberte, einigermaCen von der Cultur der westlichen Volker beriihrt. Die groBe Fruchtbarkeit des Landes beruht auf den reichen Niederschlagen, die im Khassiagebirge das hocbste tiberhaupt be- obachtete Mafl (iiber 10 m jahrlich) erreichen, eine Folge der dureh die ungleiche Erwarmung des Festlandes und des Meeres hervor- gerufenen, regelmafiig abwechselnden Monsune, die im Sommer von SW., im Herbste von SO. her wehen. Nur das Indusgebiet, welches abseits der Monsune liegt, leidet geradezu an Kegenmangel und ist deshalb mit Ausnahme des Pandschab (= Funfstromland), welches von den fiinf ostliehen ZuHiissen des Indus durchflossen wird, im nord- lichen Theile Steppe, im sildliehen geradezu Wiiste. Dagegen ist das Alluvialland des Ganges, der mindestens zwolf den Rhein an Wasser- menge iibertreffende Nebenflusse besitzt, von unersehopflieher Fruclit- barkeit; es ist daher auch hauptsadhlich die Geburtsstatte der indischen Cultur. B. Die Gesehichte der Inder. Die Gesehichte der Inder (wir nennen das Volk so mit grieehi- schem Namen nach dem Indusflusse) hat fast ausschliefllich einen culturhistorischen Charakter; denn es fehlt der alteren indischen Literatur durchaus die Geschichtschreibung und eine irgendwie ge- sicherte Chronologie. Sie zerfallt in zwej Hauptperioden, von denen die zweite sich wieder in drei Abschnitte gliedert. 1. Die Inder im Induslande (um 2000 bis um 1300). Da das Kabulthal allein den Zugang von Iran nach Indien vermittclt, so miissen auch die Arier auf diesem Wege, auf welchem a.lle spat oren Eroberer (Perser, Alexander, Mongolen) eingedrungen Die Inder. 33 sind, nach Indien gekommen sein. Sie liefien siek zunachst im Indus- gebiete nieder und verdrangten die schwarze Urbevolkerung der Dravidas (um 2000). Hier bildeten sie kleine Reiche, an deren Spitze Konige standen, neben denen sich noch die alten patriarchalischen Verhaltnisse mit den Kechten des Hausherrn, Gemeinde- und Gauvorstehers erhalten haben. Dem Charakter des Landes gemaC betrieben sie Viehzucht und in geringem Mafie Ackerbau. Ilire religiosen Anschauungen waren damals noch einfach, die Mytliologie schon entwickelt. Als Hauptgott erscheint hidra, der Herr und Fiirst im Wolkenreiche. Sein Haupt- gegner ist Vritra, der die Wolken, welche als milchgebende Kiihe gedacht werden, in Burgen gefangen halt, bis Indra sie im Kampfe unter Donner und Blitz befreit und den befruchtenden Regen zur Erde senkt. V on einem machtigen Priesterstande lindet sich keine Špur; jeder Familienvater brachte selbst die Opfer dar, aufierdeni verehrte man die Gotter durch feierliche Hymnen. Noch hat das Volk einen kriegerischen Charakter. 2 . Die Inder im Gangeslande (etwa seit 1300). In diesem Zeitraume entvvickelte sich der iihermachtige Einfluss der Religion und der Priester aui’ das ganze staatliche und sociale Leben des Volkes. a) Bis zum Auftreten Buddhas (etwa 1300 bis um 600) Neue Kampfe. In fortgesetzten heiflen Kampfen mit der Ur¬ bevolkerung bemachtigten sich die Arier erst des nordwestlichen und dann auch des siidostlichen Gangeslandes. Es war das Iieldenzeitalter des Volkes (vgl. die Zeit der Richter bei den Israeliten), weshalb diese Kampfe den historischen Hintergrund fur das žiltere Volksepos der Indier, das Mahabharata (==der groCe Kampf), bilden (vgl. Ilias und Nibelungenlied), wahrend die spateren Kampfe um die Erwer- bung Dekhans dem jiingeren Ramajana zugrunde liegen. Anderung des Volkscharakters. Im schwiilen Gangeslande mit seiner iippig wuchernden Vegetation verlor das kriegerische Volk seine frische Jugendkraft fiir immer, erschlaffte und erlag vollig dem Ein- flusse der Priesterschaft, die das ganze Denken des Volkes, dem das Leben im Diesseits im Gedanken ans Jenseits eine schwere Last ivurde, in Fesseln selil ug. In dem Lan de, in welchem alles schnell reift und schnell zugrunde gelit, wurde der Gedanke von der Wert- loeigkeit alles Irdischen die Grundlage ihrer Lebensauffassung. Da Zeeho, Oeschlcbte ilcs AlterthumB. 3 Um 1300 bis um 600. 34 Die In d er. ferner in Indien die Natur iiberreich spendet, schatzten sie auch den Wert der Arbeit gering und vertielen einerseits einer phantastischen, anderseits einer beschaulichen Geistesrichtung. Dieser TJrnsclnvung iiufiert sich besonders in der Religion, im socialen Leben und in der Literatur. 1. ) Religion. Die alte heitere Naturreligion wurde hier zur diisteren Lehre von der Erlosung vom irdischen Leben. Mittelpunbt der Religion wurde der Glaube an das unveranderliehe Eine, das hinter der wechselnden Flucht der Ereignisse beharrt. Dieses Eine ist das Brahma, worunter die Kraft des Gebetes verstanden wurde; es ubertrifft an Macht alle alteren Gotter, die man durch Bufliibungen, Gebet und Opfer geradezu zvringen kann (Schamanismus). Den Inder qualt aber nicht nur die Last des jetzigen Lebens, sondern auch die Furcht vor der 1 Viedergeburt und immer neuen Todesarten. Dagegen bilft nur vollige Abkehr vom Leben; aus diesem Grande sieht der Inder von nun an seine Lebensaufgabe nicht mehr in Arbeit und Thatigkeit, sondern in der Bufie und VVeltentsagung. Im weiteren Verlaufe der Entwicklung gestaltete die Priesterlehre das Brahma zum persbnlichen Gotte Brahma, dem «Ahnherrn aller Welt». 2. ) Sociales Leben. Hieher gehort die Entwicklung des Kasten- sgstems, demzufolge jedem durch die Geburt sein Beruf und seine Lebensstellung unvviderruliich angewiesen war. Die vier Kasten waren nach ihrem Range: Der Priesterstand (Brahmanen), der Kriegerstand, der Nahrstand, der sich mit Ackerbau und Gewerbe beschaftigte und wieder in feste Unterabtheilungen zerfiel, und der dienende Stand, dem die unterworfene Urbevolkerung angehorte. 3. ) Literatur. Seit dieser Zeit ist die ganze Literatur vom Ein- flusse der Religion beherrsclit und erhalten die alteren Werke, wie das Mahabharata, ausgedehnte Zusatze im Sinne der Brahmanen. Reaction. Gegen diese trostlosen Verhaltnisse, mit denen auch despotische Macht der zahlreichen Konige und harter Steuerdruck verbunden waren, erhob sich eine Reaction, an deren Spitze Buddha, der grafite Solin seines Volkes, stand. b) Der Buddhismus. Aus dem Leben Buddhas. Er war der Solin eines reichen adeligen Grundbesitzers, der in dem Gebiete siidlich von Nepal wohnte. Sein Leben ist von zahlreichen Legenden verherrlicht. Nachdem er eine genussreiehe Jugendzeit verlebt hatte, traf er, ungefahr 30 Jahre Die Inder. 35 alt, auf vier Spazierfahrten einen hilflosen Greis, einen kranlcen Mann, einen Todten und einen Monch — diesen als Bild der Erlosung. Hiedurc.li erschiittert, zog er sich in die Einsamkeit zurttck, um iiber die Ursachen und die Beseitigung alles Unheils in der Welt nach- zudenken, bis ihm nach seehsjahrigen strengen BuBiibungen die Erleuchtung kam, daher er von seinen Jungern Buddha (== der Erkennende) genannt wurde. Er starb im Jahre 543 (nach anderer 543 (480). Angabe 480). Buddhas Lehre. Buddha hielt an der brahmanischen Anschauung von der Niclitigkeit alles Irdischen fest und erklarte als einzige Mog- lichkeit, vom irdischen Leid erlost zn werden, Entsagen und ewige Buhe. Das Ubermah des Leidens moglichst zu mildern, ist jeder ver~ pflichtet, der im Gegensatze zum vollkommneren Monchsleben im unvollkommneren weltlichen Leben beliarrt. Deshalb soli jeder recht- schaffen , wohlwollend und ivohlthatig sein; ja mit einem Anklange ans Cliristentkum gebietet. er, den Feind zwar nicht zu lieben, aber auch riiclit zu hassen. Im Gegensatze zum brahmanischen Glauben mit seinen Opfern und BuCubungen war Buddhas Lehre eine Beligion ohne Gebet und Opfer. «Alles Bosen Unterlassung, des Guten Voll- bringung, der eigenen Gedanken Bezahmung* ist nach einer alten EArmel die Suinme seiner Lehre. Als das hochste, dem Menschen erreichbare Ziel bezeichnet Buddha das Nirvana (= Verloschen). Er versteht darunter das Ein- gehen des Geistes zur vollen Buhe, die kein Fiirchten und kein Hoffen, keine Freude und kein Leid, auch keine Wiedergeburt mehr kennt. Uns erscheint es als ein dumpfes Hinbriiten, das die Arbeit und daher auch den Fortschritt ausschliefit. Wer ins Nirvana eingeht, wird selbst ein Buddha. Dieses Ziel konnten nur die Monclie er- reichen, die sich von der Welt ganz zurtickzogen. Jedem war es gestattet, Monch zu werden, und so hob er fttr seine Gemeinde, nicht auch tur das weltliche Leben, die Kasteneinrichtung auf. Auch zur Armut und Keuschheit verpflichteten sich die Monche, die immer wieder ins weltliche Leben zuriiektreten konnten. Folgen der neuen Lehre. Da sie von den Fesseln des Cultus, der Gefahr der Wiedergeburt, den Schranken des Kastenwesens w enigstens unter gewissen Umstanden befreite und demnach als Er- ldsung erscheinen musste, verbreitete sie sich mit grofier Schnelligkeit iiber ganz Vorderindien und veranlasste dadurch die Brahmanen, sich zu Anderungen ihrer Lehre herbeizulassen. s* 36 Die Inder. Um 500. c) Der neuere Brahmaismus (etwa seit 500). Wenn die Brahmanen ilire Stellung behaupten wolltcn, so mussten sie den abstracten Standpunkt aufgeben und conerete Gotter- gestalten schaffen. Deshalb griffen sie die zwei vom Volke besonders verehrten Gotter Vishnu und Siva heraus und stellten sie mit Brahma zu einer Dreieinigkeit (Trimurti) zusammen in der Art, dass Brahma als SchOpfer, Vishnu als Erhalter und Siva als Zerstorer alles Seins galt. Auch schmtiekten sie jetzt nacli dem Vorgange der Buddhisten ihren Gottesdienst auf das reichste mit einem Bilderdienste aus, den die friihere Zeit nicht gekannt liatte. Hiedurch sowie durch die Verfolgung dcs Buddhismus gelang es den Brahmanen, diese Lehre in Vorderindien (mit Ausnahme von Ceylon) auszurotten, dagegen verbreitete sie sich iiber ganz Ostasien — die erste Weltreligion — wobei sie freilieh durch den Schama- nismus der Mongolen so cntstellt wurde, dass sie heutzutage eine in odem Formehvesen erstarrte ldeligion ist (Gebetsmaschinen in Tibet). O. Literatur. Kein Volk Asiens besitzt eine so reiehe Literatur wie die Inder, die auf dem Gebiete der Poesie theihveise von classischem Werte ist. Die Sprache der Inder ist das Sanskrit, das zum Theile die altesten Formen des Indogermanischen erhalten bat. Poesie. Sie ist besonders durch farbenpriichtige Naturmalerei ausgezeichnet. Die Lyrik schuf Bhjmnen zu Ehren der Gotter, wovon uns noch Proben in den V eden (= Wissen), der Bibel der Inder, erhalten sind. Die altesten dieser Hvmnen reichen noch in die Zeit, da die Arier am Indus vrohnten, hinauf, sind also alter als alles, was die ubrigen indogermanischen Volker an literarischen Denkmalern besitzen. Mit Hilfe dieser Hymnen konnen wir daher auch die religiosen An- schauungen der Indogermanen am weitesten zuruck verfolgen. Die Zeit des Siedelns am Indus nennen wir die vedische Zeit. Von den beiden groben Volksepen erzahlt uns das Mahabharata den Untergang eines Heldengesehlechtes durch den Kampf mit einem andern, das jiingere Ramajana die Thaten Ramas, der als Incarnation Vishnus galt. Die Inder bildeten allein unter den asiatischen Volkern das Drama aus, als dessen grofiter Vertreter Kalidasa gilt, dessen Lebens- zeit nicht festgestellt ist; er zeichnete sicli auch in der Lyrik und im Epos aus. Die Inder. 37 Prosa. Diese ist ganz mi d gar von der Theoloyie beherrscht; denn wo tiberall Gotter eingreifen, gibt es kem e Geschichte und keine Naturgeschichte. Ihre weltgeschichtlieli wichtigste That schufen sie auf dem Gebiete der Mathematik; ihnen verdanken wir den Gedanken, den Wert der Zahlen durcli die Stellung der Ziffern auszudrucken, das wichtigste Bildungsmittel nacli der Erfindung der Schrift. Wir nennen die Ziffern arabische, weil sie uns durcli die Vermittlung der Araber zugekommen sind. D. Kunst. Da der altere abstracte Bralimaismus die Kunst nicbt benothigte, so verdanken die vorhandenen Denkmaler erst dem Buddhismus ihre Entstehung; docli ist es bei der Gleichformigkeit des Stiles und dem Mangel jeder Zeitangabe unmoglich, das Alter nalier zu bestimmen. Wie in der Literatur, kommt auch auf diesem Gebiete der phan- tastische Charakter des Volkes zum entschiedenen Ausdrucke. Baukunst. Von allen iibrigen Stilen unterscheidet sich der in- disehe, der einzige noch jetzt im Orient lebendige Baustil, durcli WillJcur und Gesetzlosigkeit. Die Denkmaler sind liauptsachlich Grab- und Tempelbauten ; die ersteren sind Frei-, die letzteren Frei - und Grottenbauten. a) Grabbauten. Die vvichtigsten sind die Stupas (sanskr. = im heutigen Dialecte Tope = tumulus), kuppelformige Rundbauten, welche iiber den Reliquien Buddhas und seiner Anhanger errichtet wurden. h) Tempel. Die Freibauten lieiBen Pagoden. Sie bilden einen n| it Mauern umgebenen heiligen Hain, der heilige Gebaude in ver- schiedener GroBe und Anzahl umschliefit. Die Mauer tragt an den Ecken und iiber den Eingiingen hohe Thurme in der Form von Stufenpyramiden. Die Grottenbauten gehoren zu den groUartigsten Leistungen der handwcrklichen Bewaltigung des lebendigen Felsens. Eas bedeutendste derartige Denkmal ist der Kailasa in EUora, nord- bstlich von Bombay, wo ein ganzer Berg zu ober- und unterirdischen Eelsbauten (Tempel und Einsiedlerwohnungen) umgestaltet ist. Von ^ e n unterirdischen Grottenbauten sind am bekanntesten die Tempel der Insel Elephanta bei Bombay. Plastik und Malerei. Das phantastischc Wesen des Volkes zeigt Sl ch namentlich darin, dass sie ihre Gotter mit mehreren Kopfen und Armen darstellen. Ihre Werke erreichen nicht annahernd den Wert der agyptischcn. Entsprechend dem Volkscliarakter zeigen die dar- Kestellten Gestalten keine Muskeln und keinen Knochenbau und machen daher den Eindruck des Weichlichen und Schlaffen. 38 Die Iranier. II. Die Iranier. («Eranier» ist die altere Wortform.) Zur Geographie Iran s. Begriff Irans. Wir verstehen unter Iran die Hochebene zwisclien dem kaspischen und dem arabischen Meere, dem Tigris und dem Indus; es steigt im Innern zu Stufen von 1500 bis 1800 m an und ist von machtigen Randgebirgen umgeben, welche bis zu 4000 bis 6000 m emporragen. Zur politischen Geographie des alten Iran. Weil die Mitte des Landes von Wiisten eingenommen wird, so war der W. und der O. des Landes gewobnlicb politisch getrennt (vgl. den heutigen Zu- stand). Die geschichtlich wichtigsten Landschaften liegen im NO. und im W.; es sind dies Bactrien, Medien und Persien. Unter Bactrien versteht man die iiberaus fruchtbare Thalebene, welche der Oxus (Amu) nach seinem Austritte aus dem Gebirge durchflieBt. Die Hauptstadt war Bactra (jetzt Balch). Medien liegt im nordwestliclien Iran zwischen dem Elburz und dem westlichen Rand- gebirge, das keinen Gesammtnamen bat, im NW. bis zum Aras reichend, ein Bergland mit ausgedehnten Ebenen. An Grolže, Frucht- barkeit und Yolksdichtigkeit gleicbt es Bactrien. Hauptstadt: Ecbatana (Hamadan). Persien, siidostlich von Medien, besteht im nordlichen Theile aus einer weiten Hochebene, wo in der Nahe des jetzigen Schiraz(1400 bis 1500 m hoch) die alte Hauptstadt Persepolis lag, dann aus zablreichen parallelen Bergketten, die durch Thalstufen von- einander getrennt sind, endlich einem schmalen, ebenen Kiistenstreifen, der reicb an Datteln ist, im Siiden. A. Die alten Bactrer. Zoroaster und das Avesta. Ob es ein altbactrisches Reich gegeben hat, ist nicht zu entscheiden, da uns tiber die politischen und Culturverhaltnisse Irans bis auf die Perserzeit herab zusammen- hangende Naehrichten fehlen. Die Bedeutung des Volkes liegt auf religidsem Gebiete. Denn von hier verbreitete sich die Religion des Zarathustra (arisch = Goldglanz, griechisch = Zoroaster) zu den anderen iranischen Volkern. Ob dieser Name eine historische Person oder einen Gott bezeichnet, ist nicht entscbieden. Die Kenntnis dieser Lehre schopfen wir aus dem theilweise erhaltenen Avesta, der Bibel Die Iranier. 39 der Iranier. Das Buch hat seinen Abschluss erst im 3. Jahrli. n. Chr. erhalten, enthalt uber weit iiltere Bestandtheile. Sein Inhalt besteht in mythologischen Theilen, Opferformeln und Hymnen fiir den ge- wohnlichen Gottesdienst und einer Anzahl von Hymnen zu Ehren der bedentendsten Gbtter. Es ist in einem ostiranischen Dialecte ab- gefasst, den man Zend nennt. Religion der Bactrer. 1.) Ilir allgemeiner Charakter. Zwiscken der alten indogermanischen Naturreligion und der Lehre Zoroasters liegt eine lange Enttvicklung, die wir nicht mehr verfolgen konnen; sie ist, wie bei den Indern, das Werk der Priester gewesen, hat aber eine durchaus praktische, die Arbeit heiligende Ricbtung genommen. Idie Natur Bactriens mit iliren groben klimatischen Gegensiitzen (-j - 50 und —40° C), welche eine angestrengte Thatigkeit desMenschen verlangte, hat darauf Einfluss geiibt. 2.) Zoroasters Lelire. Sie unterscheidet ein Reich der lichten (guten) und der finsteren (bosen) Geister, an dei’en Spitze Ahuramazda (Ormuzd) und Angramanju (Ahriman) 1 * stehen. Zwischen beiden Reichen besteht ein fortwahrender Karnpf, entsprecliend dem indo¬ germanischen Mythus. Der urspriinglich phgsische Gegensatz von lichten und tinsteren Mšichten hat jetzt eine moralische Bedeutung erhalten-, die ersteren kampfen fiir AVahrheit, Recht und Ordnung, die letzteren fiir das Gegentheil. Jeder Mensch kann und soli an diesem Kampfe an der Seite der guten Machte theilnehmen; er kann dies durch eifrige Arbeit, Urbarmachung des Landes, Todtung giftiger Thiere u. s. w. Vor allem wird verlangt, die Wahrheit zu sagen und die Luge zu meiden. Da die Ormuzdlehre mehr abstracter Art war, so blieben dem V olke die alten indogermanischen Gbtter immer die Hauptsache, von diesen tritt in spiiterer Zeit besonders der Lichtgott Mithra hervor. B. Die Meder. 3 Wie uns die assyrischen Inschriften belehren, gab es in Medien eine Anzahl kleinerer Fiirstenthiimer, welche den erobernden Konigen von Ninive erlagen. Allmahlich wurde das Land geeinigt, machte sich um die Mitte des 7. Jahrhunderts von Assyrien unabhangig und 1 Die eingescMoseenen Namen sind neupersisch, die anderen lauten so nach ‘kr babylonisc)ien Keilschrift. 3 Die wielitigsten Quellen sind die assyrisolien KeilsehriftSn und Herodot. 1 . Jahrh. 40 Die Iranier. 550. 558-529. 546 . dehnte seine Herrschaft wohl iiber ganz Iran aus. In Verbindung mit Babylonien stiirzte es das assyrische Reich um 606 und gewann dadurch und durch fernere Karnpfe die Herrschaft iiber alles Land ostlich vom Tigris , iiber Armenien und Kleinasien bis an den Halgs (Kisil Irmak). Die Geschichte des medisehen Reiches ist uns weniger bekannt, als die der iibrigen asiatischen Staaten. Die Unzufriedenheit der Meder mit ihrem letzten Konige Astgages, einem grausamen und wolliistigen Herrscher, beniitzte Cgrus, der Sohn des persischen Unter- kiinigs, jenen vom Throne zu stoflen. Das erreichte er durch den Sieg bei Pasargada im Jahre 550. Die Angaben Herodots 1 2 iiber die Beziebungen des Cyrus zu Astyages sowie iiber die Jugendschicksale des ersteren sind durchaus sagenhaft, wahrscbeinlicb persischen Ursprungs; sie zeigen, wie rascb sich die Sagenbildung an Cyrus ansetzte. Das Werk Xenophons ist ein historischer Roman. C. Die Perser. 3 1. Aus der Vorgeschichte der Perser. Wie die Inder, Meder, Germanen u. s. w., zerfielen auch die Perser in der altesten Zeit in eine Anzahl Stamme, Gescblechter und Familien, welche in patriarchalischer Weise lebten. Die Hegemonie iiber das Land gewann der Stamm der Pasargaden, deren vornebmstes Geschlecht die Achdmeniden waren, dencn auch Cyrus angehorte. Die iilteren Konige achteten die Rechte des Volkes; erst nach Darius gewinnt der Konig despotische Gewalt. 2. Cyrus (558-529). Begriindung des Reiches. Im Jahre 558 folgte Cyrus seinem Vater als medischer Vasallonkonig in Persien. Durch den Sieg bei Pasargada begriindete er das Perserreich, da sich ihm, wie Medien selbst, so auch die zum medisehen Reiche gehorigen Landschaften entweder sofort oder nach kurzen Kiimpfen unterwarfen. Dieses Reicli erweiterte er bedeutend durch die Untenverfung des Igdischen und des babglonischen Reiches. Untervverfung des lydischen Reiches (546.) a) Aus der Vor¬ geschichte Lgdiens. Kleinasien nordlich vom Taurus, der Nordgrenze 1 Er kennt schon vier versciiiedene Fassungen der Cyrus-Sage (I, 95). 2 Besonders vriclitige Quellen sind die Insohrift von Bisutun, Herodot und Xenophon. Die Iranier. 41 des semitisclien Sprachgebietes, war von zahlreichen, nahe venvandten indogennanischen Stammen bewohnt, von denen die Lyder, die sich im Hermosthale, dem fruchtbarsten Alluviallande der Halbinsel, an- siedelten, eine sehr alte Cultur entwickelten und allein zu einer be- deutsamen politischen Stellung gelangten (S. 4). Die Anfange des lydischen Staates kennen wir niclit. In fort- gesetzten Kampfen eroberten die Konige Kleinasien ostlich bis zum Halys, der Grenzfluss gegen Medien und Persien wurde (Kleinasien mit seiner centralen Wuste ist, wie Iran, selten geeinigt gewesen), und machten die bliihenden griechischen Colonien an der Westkuste, mit Ausnahme Milets, tributpflichtig. Die Lyder vermittelten den Griechen manche Errungenschaften der asiatischen Cultur. Ihnen wird auch die Erfindung des Geldes zugeschrieben; dies aber durch Auf- pragung eines Stempels mit der Biirgschaft des Staates versehen zu baben, ist das Verdienst der kleinasiatischen Griechen. Zur Zeit. des Cyrus war Konig von Lydien der durch seinen Reichthum be- riihmto Crdsus, an dessen Hofe bellenische Cultur Eingang gefunden hatte. b) Krieg zivisehen Gyrus und Crdsus. Gegen den Aufschwung der Perser bildeten Agypten, Babylonien und Lydien einen Bund. Cyrus griff rasch Crosus an und belagerte nach einer unentschiedenen Schlacht am Grenzflusse Halys den lydischen Konig in seiner Haupt- stadt Sardes, bevor noch dessen Bundesgenossen eingetroffen waren, eroberte die Stadt und nahm den Konig gefangen, der sich selbst verbreimen wollte. Cyrus behielt ibn als Rathgeber an seiner Seite, w ahrend friiher die besiegten Konige martervoll hingerichtet worden waren. Im Anschlusse an diesen Krieg unterwarf der persische Feld- herr Harpagus die griechischen Colonien in Kleinasien sammt den uachstgelegenen Inseln mit Ausnahme von Samos. Unterwerfung des babylonischen Reiches (539). Babylon, die reichste Stadt und starkste Festung Asiens, wurde durch die Ableitung des Euphrat, an dessen beiden Ufern die Stadt lag, erobert und damit dem babylonischen Reiche ein Ende gemacht (S. 18). Auch Syrien und Phonicien fiigten sich ohne Widerstand der persi- schen Herrschaft. Tod des Cyrus. Uber seine weiteren Thaten sowie liber sein Ende baben wir keine sicheren Nachrichten. Vermuthlich fand er im Kampfe gegen einen turanischen (mongolischen) Stamm den Tod. Er 539. 42 Die Iranier. war ein milder und wohlwollender Herrscher, der die heimischen Einrichtungen der besiegten Volker, audi ihre Religion, schonte (Gegen- satz zu den Assyriern). 529 — 522. 3. Cambyses (529—532). Seine wichtigste That ist die Eroberung Aggptens, der einzigen noch unabhangigen orientalischen GroBmacht. Agypten war damals zufolge des lebhaften Handels mit dem Auslande und der h o ch en t w i ck el te n Bodencultur ein iiberaus bliihen- der Staat, der nach Herodot 20.000 Stadte besafi. Cambyses besiegte die Agvpter bei Pelusium, nahm Memphis ein und den Konig gefangen 525. (525). Seitdem war Agypten bis auf Alexander den Gr o Ben eine persische Provinz, woran aucli die vviederholten Aufstandsversuche des Landes und selbst die voriibergehende Unterstutzung durcli die Athener nichts anderten. — Auch die Libger in den Oasen westlich vom Nil und Cgrene (Barka) untervrarfen sicli. Hierauf zog Cambyses gegen die Athiopen zu Felde und eroberte Nubien, rnusste aber wegen Mangels an Lebensmitteln umkehren. Die Heeresabtheilung, welche er gegen die dureh ihren Ammonsdienst be- rtihmte Oase Siva schickte, wurde von einem Sandsturme verschtittet. Der falsche Smerdis. Schon vor seinem Abmarsche nach Agyp- ten hatte Cambyses seinen Bruder Bardija, welchen Herodot Smerdis nennt, hinrichten lassen. In seiner Abwesenheit bemachtigte sich ein Magier, 1 die Ahnlichkeit mit Bardija benutzend, der Begierung; von den Griechen wird er Pseudo - Smerdis genannt, wahrend er in der Bisutun-Inschrift Gaumata heiBt. Er wurde aber wenige Monate, nachdem er sich der Regierung bemachtigt hatte, entlarvt und durcli 521. die persischen Stammesfursten getodtet (521). Kurz vorher war Cambgses auf dem Ruckwege aus Agypten gestorben. 521—485. 4, Darius I. (521-485). Wiederherstellung des Reiches. Darius, der nach dem kinder- 1'osen Tode des Cambyses den Thron bestieg, stammte aus der jungeren Linie der Achameniden. Zahlreiche Emporungen stellten den Bestand des Reiches in Frage; am gefahrlichsten wurde der medisch-armenische und der babylonische Aufstand (die angebliche That des Zopgrus 517. gehort der Sage an). Im Jahre 517 war die Ruhe im wesentlichen 1 Die Medei' und die Perser nannten ilire Priester Magier; die Bedeutung des Wortes ist unbekannt. Die Iranier. 43 wieder hergestellt. Zum Andenken daran lieb der Konig auf dem Felsen von Bisutun, mehr als 90 m iiber dem Thale, die dreisprachige Keilinsehrift und ein Relief anbringen; letzteres stellt ibn selbst dar, binter dem auf' dem Boden liegenden Gfaumata, auf den er seinen Fub setzt, stehen nocli neun gefesselte Rebellen. Angriffskriege des Konigs. Nacbdem Darius das Reich wieder hergestellt und ihm eine Verfassung gegeben hatte, schritt er zu Eroberungen. a) Er enveiterte durch Kampfe mit den Indern seine Herrschaft his an den Indus und iiber das Pandjab. b) Zug gegen die Scgthen (508?). Die Scgthen, wahrscheinlich 508? indogermanischer Abstammung, wohnten im N. des schwarzen Meeres und des Kaukasus sowie in Turan, iibenviegend als Nomaden. Nachdem Darius bereits die Griechen am thracischen Chersonnes und Byzanz unterworfen hatte, strebtc er nach der Herrschaft iiber die Gebiete im N. des schwarzen Meeres. Er schickte eine Kriegsflotte, 'velche die asiatischen Griechen stellen mussten, an die Miindung der Donau, tiberschritt selbst mit einem gro(3en Heere auf einer Schiffsbriicke den Bosporus, durchzog Thracien und riickte ins Scythenland ein, nachdem er iiber die Donau, nahe dem Beginne ihres Deltas, eine Brucke hatte schlagen lassen, zu deren Bewachung er die griechische Flotte zuriicklieC. Die Scvthen zogen sich vor ihm ins Innere des Landes zuriick (vgl. Napoleon I. in Russland 1812), indem sie das Land verwiisteten, um Darius der Lebensmittel zu berauben. (Tgpische Art der Nomadenvolker in der Vertheidigung.) Er musste daher unverrichteter Dinge umkehren und gelangte nach groben Verlusten iiber die Donaubriicke, deren Erhaltung Histiaus, Tyrann von Milet, gegen den Rath des Atheners Miltiades durch- gesetzt hatte, auf die Balkanhalbinsel und nach Asien zuriick. Das Hauptziel der Unternehmung wurde nicht erreicht; doch gelang es dem von ihm zuriickgelassenen persischen Feldherrn, die abgefallenen griechischen Stadte in den thracischen Gewassern wieder zu unter- w erfen, die thracischen Stamme unterthanig zu maclien und aucli ■Macedonien der persischen Oberhoheit zu unterordnen. c) Im Jahre 492 begann Darius den Krieg mit Griechenland, 492. das aber weder er nocli seine Nachfolger untervverfen konnten. Die. Erziihlung dieser Kriege gehort in die griechische Geschichte. So beherrschte Darius das grobte Reich, das bis dahin errichtet w orden war. Es umfasste in Afrika Agypten und Cyrene, in Europu 44 Die Iranier. Thracien und das Land zwischen Balkan und Donau, ganz Vorder- usien bis zum sch\varzen Meere, dem Kaukasus, dem kaspischen Meere, Turan bis zum Aralsee und Jaxartes (Sir); diesen aufwarts fiihrte die Grenze in siidostlicher Richtung zum Pandjab (dieses ein- geschlossen) und den Indus abwarts zum Meere. Organisation des Reiches. Darius ist der erste asiatische Fiirst, welcher an Stelle einer durcli Eroberung aufgerichteten losen Ver- bindung der Reichstheile ein geregeltes Verivaltungssgstem einfiihrte, das im wesentlichen im Oriente noch heute besteht, er ist daher «eine monumentale Gestalt der Geschichte» (Ranke). Nur eine solche Gliederung des Reiches, die einen ergebenen Beamtenkorper zur Voraussetzung hatte, komite das riesige Reich mit seinen an Sprache, Sitte und Cultur verschiedenen Bestandtheilen zusammenhalten. a) Das Kdnigthum ist nicht despotisch, sondern durch die Stammesftirsten beschriinkt; jeder Perser konnte beim Konige, der sich allerdings mit einem streng geregelten Ceremoniel umgab, Rechts- schutz suohen. Er residierte je naeh der Jahreszeit in Suša und Babylon oder in Persepolis und Ecbatana. h) Zum Zwecke der Venvaltung wurde das Reich in Statthalter- schuften oder Satrapien eingetheilt, dcren Zahl wechselte. An der Spitze der Satrapie stand der Satrap, der entweder nur die biirger- liche Venvaltung, Reclitspflege und Einhebung der Steuern besorgte oder auch das stehende Heer, das in der Provinz lag, befehligte. Die Satrapen wurden durchaus dem herrschenden Volke, den Persern, entnommen; um die Soline der vornehmen Perser fiir ihren kiinftigen Beruf vorzubereiten, wurden sie am Konigshofe erzogen. Die Satrapen wurden durch eigene Beamte, «Augen undOhren des Konigs» genannt, uberwacht. Zur schnellen Besorgung der koniglichen Befehle wurde eine Reichspost eingeftihrt. c) Sorge Jur die materielle Cultur. Er lieO Str a ji en anlegen, den Nilcanal vollenden (S. 8) und fiihrte eine Reichs-Golci - 1 und Silber- miinze auf Grund des babylonischen Gewichtssystems ein. Bchufs Fest- stellung eines geregelten Steuersystems wurde eine Bodenvermessung vorgenommen — die gesammten Einkiinfte des Konigs berechnet Herodot auf 400 Millionen Gulden — Persien war steuerfrei. Im Sinne der zoroastrischen Lehre wurde der Ackerbau gefordert und herrliclie Parke (Paradicse) angelegt. 1 Der Dareikos liat einen Wert von ungefahr 12'/ 2 fl. Die Iranier. 45 Mit Darius schlieBt dic erstc grofie Periode der Geschichte des Orients, an deren Ende demnach die Errichtung eines Universal- reiches stelit, ahnlich wie am Ende der abendlandischen Geschichte des Alterthums das romisehe Reich. Die fernerc Entwicklung des Orients liegt nicht mehr auf politischera, sondern fast ausschlieOlich auf religiosem Gebiete (Islam). 5. Verfall des Reiehes (485-334). 485 — 334. Bald nach dem Tode des Darius tritt der Verfall des Reiehes ein. Dieser wurde veranlasst durch die Parteiungen am koniglichen Hofe, die groCo Verschiedenheit der einzelnen Vijlkerschaften, die unglticklichen Kriege mit den Griechen, die zahlreichen Aufstandc Agyptens und einzelner Satrapen und die Verweichlichung der Perser. Im Jahre 334 begann Alexander der Grofe die Eroberung des Reiehes. 6. Leistungen der Perser in der Kunst. Da die Perser die Lehre Zoroasters annahmen und in der Literatur nichts Nennenswertes leisteteji, bleibt nur noch die Kunst z u besprechen. Sie beginnt mit Cyrus, es fallen daher die erhaltenen Denkmaler ins 6. bis 4. Jahrhundert. Da die Perser nach Art der tibrigen indogermanischen Volker urspriinglich ihre Gotter im Ereien °hne Abbilder verehrten, fehlt es an einer nationalen Kunst und hnden wir bei ihnen babylonische, iigvptische und griechische Ein- fltisse. Baukunst. Erhalten sind Reste von Gred)- und Palastbauten; die ersteren sind entweder Frei- oder Felsbauten. Der bekannteste Ereibau ist das Grab des Cgrus bei Murghab (in der Niihe von Lasargada), ein kleines tempelartiges Gebaude von rechteckigem Grundrisse, das sich auf einer Stufenpyramide erhebt und den Leichnam des Konigs in einem vergoldeten Sarge enthielt. Die be- deutendsten Felsengraber sind die Konigsgraber bei Persepolis im Innern einer 300 m hohen Felswand, welche mit Reliefs geschmuckt ist. — Die bedeutendsten Reste eines Palastbaues sind die viel- bewunderten Ruinen des von Alexander niedergebrannten Konigs- 'palastes von Persepolis. Dieser war nach assyrischem Vorbilde terrassenformig aus schiinen Marmorquadern erbaut, welclie mit Reliefs r eich verziert vvaren. Aus diesem groben Ruinenfelde ragen besonders vier gegen 17 m hohe Stalen empor. 46 Wiederholung' und Abschluss. Plastik und Malerei. Es haben sich nur Reliefs erhalten. Als deren Vorbilder dienten die assyrischen Arbeiten; besonders erwahnenswert sind kolossale Thiergestalten als Wachter bei den Thoren (S. 19). Werke einer selbstandigen Malerei sind wenigstens nicht auf uns gekoramen. Wiederholung und Abschluss. 1. ) Die altesten Anfange der gesellsckaftlichen Ordnung zeigen patriarchalischen Charakter (S. 29, 33, 40). Infolge der kriegeriscben Thatigkeit der Konige wird die Despotie die herrscbende Regierungs- form im Oriente und ist es geblieben * 1 (S. 9, 27, 34, 40). 2. ) Die ganze Lander umfassenden Staaten des Orients sind aus der Vereinigung zahlreicher kleiner Staaten entstanden (S. 7, 16, 39, 40). 3. ) Der Orient kennt nicht das Sy.steni des Gleichgewichts mehrerer unabhangiger Staaten. 4. ) Von Amerika abgesehen, ist die Schrift an drei Stellen, namlich in Agypten, Babylonien und Cbina, erfunden worden; von diesen Landern aus bat sie sich immer weiter verbreitet. Jede Schrift ist ursprtinglich wahrscheinlich eine Bilderschrift gewesen (S. 5, 15). 5. ) Ini textilen und keramischen Gewerbe finden wir die ersten Anfange kunstlerischer Ausschmiickung. Der wiehtigstc Fortschritt in der Geschichte der Kunst ist, dass sie in den Dienst der Religion tritt, indem sie Tempel und Gotterbilder schafft. 6. ) Die Baukunst entwickelt sich friiher als die Plastik, diese friiher als die Malerei (S. 12, 19, 46). Die Formen der Baukunst sind durch die Art des Baumateriales bedingt (S. 10, 19, 37). 7. ) Die Ausgangspunkte unserer Cultur sind Tieflander an groben Fliissen gewesen (S. 4, 13); dagegen ist in Amerika die Cultur ein Kind des Hochlandes (Mexico, Peru). 8. ) Die Schiffahrt entwickelte sich nicht an groben Stromen, sondern bei Volkern, vvelche an der Meeresktiste wohnen (S. 12, 21, 32). 9. ) Im Oriente sind wie die gottlich verehrten Konige so auch die Gotter despotisch, weshalb sie Menschenopfer verlangen (S. 17, 23). 1 Den orientalischen Despotismus kenuzeichnet, Herodot VII, 35, 38, 223. Anspielungen auf den persisohen Despotismus ont.lialten die Stellen bei Xen. Anab. I, 7, 3; II, 5, 38. Wie(lerhollmg• uncl Abschluss. 47 10. ) Der Priesterstand, der aueh Trager der Bildung und des Wissens ist, hat im Oriente einen sehr groben Einfluss (S. 12, 19, 33, 42). 11. ) Minder entvvickelte (nomadische) Volker tiberfallen niclit selten Culturvolker und machen sie auf langere oder kurzere Zeit von sich abliiingig (S. 7, 15, 16, 26). 12. ) Die Geschichte des Orients zeigt uns besonders die Ab- hfingigkeit eines Volkes von dem Lande, das es bevvohnt (S. 10, 12, 13, 21, 33, 34, 39). 13. ) Culturnationen beeinflussen sich gegenseitig (S. 7, 12, 20, 23, 24, 25, 29, 41, 44, 45, 46). 14. ) Bei allen Volkern des Alterthums finden wir die Sclaverei; sie ist in der Regel durcb Untervverfung der besiegten Bevolkerung entstanden. 15. ) Aus Asien stammen die meisten unserer Culturgewachse u nd Haustbiere p so a) AVeizen, Gerste, Reis, Htilsenfrtichte, Flachs, Weinstock , Agrumi (Limone, Orange), Kirsche, Aprikose, Pfirsich, Hlbaum, Feige, Mandel, Dattelpalme; b) Rind, Schaf, Ziege, Pferd, Esel, Kameel, Huhn, Taube, Fasan, Pfau. 16. ) Die eigentliche Vernichtung der orientalischen Cul tur er- folgte erst durcb die Mongolen im 13. Jahrhunderte. 17. ) Die Summe der materiellen Cultur des Orients iibernahmen die Griechen, auch ihre geistige Entvvicklung wurde Vom Oriente ni cht unbedeutend beeinflusst. Sie sind die Trager der ferneren U^chichtlichen Entwieklung. Jfahn, Culturpflanzen und Hausthiere. Die Griechen. Zur Geographie Griechenlands . 1 I. Name umi horizontale Gliederung. Begriff des alten Griechenlands. Als Griechenland (EX).dg) in geographischem Sinne bezeichneten die alten Griechen den siidlichen Theil der Balkanhalbinsel (im allgemeinen siidlich vom 40.° n. B.), in ethnographischem Sinne alle von Griechen bewohnten Landschaften und Inseln. Hellas reichte im N. etwas weiter als das heutige Griechen¬ land und uinschloss bedeutend mehr Inseln. Im Alterthume betrug die Grobe des festlandischen Griechenlands iiber 70.000, mit den Inseln (aufier Creta) iiber 80.000 km 2 ; das heutige Griechenland umfasst ungefahr 65.000 km 2 . Horizontale Gliederung. 1.) Allgemeiner Charakter. Griechen¬ land ist das reichst gegliederte Land der Erde; hiebei ist zu bemerken, dass der Osten reicher gegliedert ist als der Westen und dass die Gliederung von N. nach S. zunimmt. Im Gegensatze zu Agypten, Mesopotamien und Indien ist Griechenland infolge des Eindringens des Meeres das aufgeschlossenste Land der Erde: kein Punkt des Peloponnes ist iiber 52, keiner in Mittelgriechenland iiber 60, keiner in Nordgriechenland iiber 102 km vom Meere entfernt. Den Griechen war daher das Meer ein freundliches, kein geftirehtetes Element. 2.) Naturliche Dreitheilung des Landes. Dadurch, dass zweimal von beiden Seiten her unter gleicher Breite das Meer Einschnitte bildet, zerfallt Griechenland von Natur in drei Theile: Nord-, Mittel- und Sudgriechenland oder Peloponnes (Morea). Die beiden ersteren Theile werden voneinander getrennt durch den ambracischen und malischen Meerbusen (Golfe von Arta und Zeituni), die beiden letzteren durch den corinthischen und saronischen Meerbusen (Golfe von Lepanto und Agina). Der Peloponnes hangt durch die 6 km breite Landenge von Corinth mit dem iibrigen Griechenland zusammen und 1 Hauptsachlich nacli Neumaim-Partsch, Physikalisclie Geographie von Grie- chenland, 1885. Geographie Griechenlands. 49 zerfallt wieder durcli den argolischen, laconischen und messenischen Meerbusen (Golfe von Nauplia, Maratlionisi und Koron) in vier Halb- inseln, was ihm die Gestalt eines Blattes verleiht. II. Verticale Gliederung. Allgemeiner Charakter. Grieclienland ist fast durchaus ein felsiges Gebirgsland, welches aus weii3em, dichtem Kalksteine besteht; nur an der Ostseite finden wir besonders Gliramerschiefer und krystal- linischen Kalk. Da das Bergland, vom 01ymp abgesehen, in den bochsten Theilen nur 2400 bis 2500 m erreicht, so gehort es fast ganz dem Mittelgebirge an. Infolge zahlreicher Gebirgszlige zerfallt das Land in eine Anzahl von Kessellandschaften, wie kein anderes Land Europas in diesem MaGe. Die griechischen Gebirge. Wie in der Balkanbalbinsel iiber- baupt, unterseheiden wir aucli in Grieclienland zwei Richtungen der Gebirge: eine, und zwar weitaus iiberwiegend, zieht von NW. nach SO. und eine, mehr in kurzen Querziigen, von W. nach O. Pie erstere Richtung finden wir so ziemlich in der Mitte von ganz Grieclienland, fast der ganze Westen ist mit ungefabr parallelen Ziigen ausgefilllt; auch an der Ostseite finden wir eine mit dem 01ymp beginnende, nach SO. ziehende Gebirgsbildung, die aber durcli Meer¬ busen ofter unterbrochen wird. Die wichtigsten einzelnen Gebirgszlige sind: 1. ) In Nordgriechenland. Ungefabr am 40. Breitegrade be- gmnt der Pindus, der mit Gipfeln bis 2100 m als Wasserscheide zivischen dem adriatischen und dem agaisclien Meere nach S. zieht. An semeni nordlichen Ende setzt sich das cambunische Gebirge an, das in nordostlicher Richtung streicht und mit dem schluchtenreichen Olgmp (3000 m, hochster Berg Griechenlands) in Verbindung steht, an welchen sich Ossa und Pelion in siidostlicher Richtung anschliefien. Vom Sudende des Pindus zieht der Othnjs in ostlicher Richtung ans M e er. Das Land westlich vom Pindus ist ein rauhes Bergland. 2. ) In Mittelgriechenland. Hier finden wir einzelne, lose mit- einander zusammenhhngende Bergziige, deren wi eliti gste- sind: a) der Ota, parallel mit dem Othrys; er endet nahe dem Meere mit einer steilen Felswand, zwischen welcher und dem malischen Golfe der Kngpass der Thermopglen lag, der infolge von Flussanschwemmungen aicht mehr ekistiert; b) der doppelgipfelige Parnass (hochster Gipfel 2 e eh e, Geschiclite de« Alterthums ■ 4 50 Die Griechen. 2460 m), an welchen sich die ungefahr gleich holien (1500 m) Ziige des c) Helicon, d) Citharon und e) Parnes anschliefien. 3. ) Im Peleponnes. Der Mittelpunkt des Berglandes daselbst ist die Landschaft Arcadien, die im N. von iiber 2300 m hohen Rand- gebirgen, welclie nacli N. and W. terrassenfbrmig abfallen, begrenzt ist. Im S. schliefien sich zwei parallele Kettengebirge, welclie nacli SO. verlaufen, an: der bis 2400 m hohe Taygetus und der niedrigere ost- liche Parnon. 4. ) Die Inseln. Aucb die Inseln, welche schon nach der Richtung ihrer Aneinanderreibung als losgerissene Theile des Festlandes zu betrachten sind, sind durchaus gebirgig. Bei den Inseln des agaischen Meeres ist der vulcanische Charakter des Bodens hervorzuheben, den wir von Agina bis Santorin und von da nacli O. bis zur Insel Kos finden. Das Tiefland. Es ist in sehr geringer Ausdehnung vorhanden. Die groKte Ebene ist die thessalische, ihr folgt an Ausdehnung die bootische, welche theilweise vom Copaissee ausgefiillt ist. Beide Ebenen sind wichtige Schlachtfelder. III. Hydrographie. Griechenland besitzt keine groJJen Flusse. Dies ist veranlasst: 1.) Durch die geringe Ausdehnung des Landes; 2.) durch die zalil- reichen Bergztige, welche die Entwicklung liingerer Flussliiufe hindern; 3.) durch den Karstcharakter der Kalkgebirge, in deren Hohlen haufig Flusse nach kiirzerem oder liingerem Laufe verschwinden. Nach starken Gewittergiissen schwellen die griechischen Fltisse rasch an und uberfluten die Ufer, versiegen dagegen im regenarmen Sommer; sie sind inehr ein Nachtheil als ein Gewinn fiir das Land. Die sechs wichtigsten Flusse sind: der Peneus in Thessalien mit dem wegen seiner iippigen Wiesen und W;ilder beriihmten Durehbruchsthale Tempe zwischen 01ymp und Ossa; der Achelous im westlichen Mittelgriechen- land, der groBte Fluss von Hellas; der Cephisus in Bootien; der Eurotas in Laconien; der Pamisus in Messenien, der groOte Fluss im Peloponnes, und der Alpheus in Elis. Es lasst sich nicht beweisen, dass seit dem Alterthume die Flusse Griechenlands an Wassermenge abgenommen haben; auch damals konnten nur Achelous, Alpheus und Pamisus befahren werden. Geographie Griechenlands. 51 IV. Klima umi Producte. Klima. Das Klima Griechenlands ist durch eine hohere Jahres- temperatur und einen aujierst trockenen Sommer gekennzeichnet. In allen Theilen des Landes talit Schnee, er bleibt aber nicht einmal auf dem 01ymp das ganze Jahr iiber liegen. Del’ bedeutende Hohenunter- schied im Innern bewirkt selbst bei geringer Entfernung sehr merkliche klimatische Verschiedenheiten; so ist zur selben Zeit in der Ent¬ fernung einer Tagreise noch Winter im stidlichen Arcadien, Friihling am Eurotas, Beginn der Ernte in der messenischen Kiistenebene. Die regenreichste Zeit ist der Herbst und ein Theil des Winters, und z\var erhalten die westlichen Landschaften wegen der herrschenden West- winde viel mehr Niederschlag als die ostlichen. Producte. Griechenland erfreut sich Iceiner hervorragenden Fruchtharkeit ; denn da der groBte Theil der Gebirge aus Kalk be- 8 teh.t, der nicht leicht verwittert, so ist der Boden iibervriegend wenig ergiebig. Arn fruchtbarsten sind wegen der Schlammablagerungen diejenigen Gegenden, welche einst von Seen ausgefiillt waren, wie die Tieflandschaften von Thessalien und Bootien, ferner die Miindungs- gegenden der Fliisse, soweit sie nicht versuinpft sind, endlich die Alluvialebenen von Eleusis (fitr Ackerbau), von Athen und Marathon (fhr Wein, 01- und Obstbaume). 1. ) Mineralreich. Im allgemeinen ist der griechische Kalkboden an mineralischen Schdtzen arm; nur im krystallinischen Gesteine des Ostens findet sich reichlich Marmor, auBerdem auch Metalle. 2. ) Pjianzenreich. Das wichtigste Getreide war infolge des mageren Bodens die Gerste, von der sich der gemeine Mann haupt- sachlich nahrte; iibrigens war das Land auf Einfuhr von Getreide angewiesen. Der vorherrschende Culturbaiun war auch im Alterthume der Olbaum, daneben waren noch besonders die Feige und der Wein- stock wic,htig. Die feineren Obstsorten, wie Pfirsich, Aprikose, die Agrumi, wurden den Griechen erst spat oder gar nicht bekannt. Griechenland (sammt den Inseln), jetzt eines der ivaldarmsten Lander, liatte schon im Alterthume Mangel an Wald, vreshalb nament- kch Schiffsbauholz eingefiihrt wurde. Die hftufigsten Waldbaume s ind mehrere Arten immergriiner Eichen und die Buche; grofi ist die Zahl der Štraucher und des Gestriipps (Macchie). 3. ) Thierreich. Infolge des mageren Bodens waren von jelier &chaf- und Ziegenherden besonders wichtig, die Zucht des llindes und Pferdes trat mehr zuruck ; das Meer war sehr ergiebig an Fischen. 52 Die Griechen. V. Einfliisse des Landes auf den Charakter und die Entwicklung des Volkes. 1. ) Die reiche Ktistengliederung und die zahlreichen Inseln lenkten frtih die Blicke des Volkes auf das Meer und begunstigten die groCartige griechische Colonisation. (Von Elis und der Westktiste Messeniens abgesehen, kanil man von jeder Stelle der griechischen Kiiste aus eine Insel sehen.) 2. ) Die Schwierigkeit des Landverkehrs infblge der zahlreichen Kessettandschaften und deren leichte Vertheidigungsfahigkeit rief den Geist des Particularismus (vgl. die Sclrvveiz) und das Entstehen zahl- reicber kleiner Staatswesen hervor, in welchen sehr verschiedene Verhaltnisse entwickelt wurden. 3. ) Die grofie Abwechslung der Bodenformen und die Mannig- faltigkeit der Producte auf engem Raume bei ganzlichem Mangel an Wiisten, Steppen und ausgedelmten Hochebenen steigerten die von Natur groBe Phantasie des Volkes; doch bevvahrten die iiberaus grofie Klarheit der Luft, welche alle Umrisse bestimmt hervortreten lasst, sowie der Mangel an uberwaltigenden Naturerscheinungen (tro- pische Regen, verheerende Sturme etc.) das Volk vor der Verirrung in Phantastik. 4. ) Der wenig ergiebige Boden erzog die Griechen zu einem arbeitsamen Volke, das, wie die Bewohner des Siidens tiberhaupt, geniigsam war (Hauptnahrung waren Gerstenbrot und Oliven). 5. ) Da der Osten Griechenlands von der Natur mekr begiinstigt ist durch das Vorkommen von Marmor und Metallen, die groBere Ktistengliederung, den Reichtlium an guten Hafen 1 und die groBere Anzahl von Inseln, so sind die eigentlicb historischen Landschaften im Osten gelegen. 6. ) Der Einfluss auf die verschiedene Ausgestaltung der Gotter- begriffe in den einzelnen Landschaften wird bei der Religion be- 1 sprochen werden. U— VI. Zur Topographie. Das Festland. N ordgriechenland enthielt zwei durch den Pindus getrennte Landschaften, niimlich das fruchtbare Thessalien und das rauhe, iiberwiegend von Illyriern bewohnte Epirus, welches die Hellenen gar niclit zum eigentlichen Griechenland rechneten. In Mittelgriechenland lagen netinLandscliaften: Acarnunien, Atolien, 1 An der VVestkliste haben nur Patrae und Pylos g-ute Hafen. Name imd Eintheilung des Volkes. 53 ws umtliche Locris, Doris, 1'hocis, das ostliche Locris, Bootien, Attica uncl Megaris. Der Peloponnes zerfiel in die sechs Land- schaften: Achaia, Elis, Messenien, Laconien, Ar goliš und Arcadien. Die Inseln. Sie sind, namentlicli im Osten, in grofier Zahl vorbanden und lassen sich za Reihen und Gruppen zusammenfassen. Im W. liegen die jonischen Inseln, im O. im Ansclilusse an die Ilich tun g von Euboa, Attica und Argolis die Cgdaden, ihnen gegen- dber an der asiatisehen Kiistc die Sporaden und im N. die Inseln des thracischen Meeres. AbgescMossen wird der Archipel durch das langgestreckte Greta (Candia). Eintheilung der griechischen Geschichte. Sie zerfallt in vier groBe Perioden: 1. ) Von den altesten Zeiten bis zum Schlusse der Wanderungen, etwa bis 1000. Das Heroenzeitalter. 2. ) Vom Abschlusse der Wanderungen bis zum Beginne der Perserkriege, um 1000 bis 500. Zeit der Aristokratie und Tyrannis, Hegomonie Spartas, Emporkommen Athens, Colonisation. 3. ) Vom Beginne der Perserkriege bis zur Aufrichtung der macedonischen Hegemonie, 500 bis 338. Blutezeit des Volkes. Sie zerfallt in zwei Unterabtbeilungen: a) Vom Beginne der Perser¬ kriege bis zum Ende des peloponnesischen Krieges, 500 bis 404; Zeit der Demokratie, Hegemonie Athens; b) vom Ende des pelo¬ ponnesischen Krieges bis zur Schlacht bei Charonea, 404 bis 338; Verfall des Volkes, Emporkommen Thebens, innere Kriege. 4. ) Vom Beginne der macedonischen Hegemonie bis zur Unter- 'verfung Griechenlands durch die Romer, 338 bis 146. Ausbreitung der griechischen Bildung liber den Orient durch Alexander den GroBen, fortwahrende innere Kiimpfe. Erster Zei-tra/um .. 1 Von den altesten Zeiten Ms zum Schlusse der Wanderungen, etwa bis 1000, Heroenzeitalter. I. Name und Eintheilung des Volkes. Name und Einvvanderung des Volkes; die Pelasger. Wie ( be Germanen, hatten auch die Griechen in der altesten Zeit, in der in zahlreiche Stamme zerfielen, Jceinen Gesammtnamen. Bei Homer, 1 AuBer E. Curtius, Griechische Geschichte (drei Bande), wurde. — fiir die ■tltere ‘Zeit —> besonders beniitzt: Holm, Griechische Geschichte 1., 1888. 54 Die Griechen. der altesten und wichtigsten Quelle fttr diesen Zeitraum, heiCen die Griechen uberwiegend Achaer, nach dem machtigsten Stamme oder Argiver, nach den Bewohnern des hedeutendsten Reiches (Argos), oder Danaer, nach dem mythischen Stammvater der Argiver. Der Name Hellenen scheint urspriinglich nur auf einen Theil der Be- volkerung Thessaliens beschrankt gewesen zu sein und gieng erst allmahlich — nicht vor dem 9. Jahrhunderte — hauptsachlich infolge der dorischen Wanderung, auf das ganze Volk iiber. Die Romer nannten das Volk Graeci (daher Griechen), wahrscheinlich nach einem einzelnen Zweige der Hellenen, der in Epirus um Dodona wohnte und ihnen deshalb frtih bekannt wurde. Die Griechen betrachteten sich zwar als autochthon, doch ist kein Zweifel, dass sie in vorgeschichtlicher Zeit eingewandert sind. Sie waren damals ein einfaches Naturvolk (gleich den Germanen), kannten bereits den Ackerbau und besafien als indogermanisches Erbe eine Naturreligion, d. h. die Elemente und ihre Thatigkeiten wurden als AuBerungen gottlicher Wesen aufgefasst. Den Iiaupt- bestandtheil dieser Religion bildeten die Lichtgotter und deren Kitmpfe gegen die Machte der Finsternis. Die Griechen erzahlen, dass iiberall vor ihnen Pelasger ge- wohnt haben; iiber ihre ethnographische Stellung und ihr Verhaltnis zu den Griechen sind wir nicht unterrichtet. Sie werden fast nur genannt, um durch die Hellenen vertrieben zu werden. Da sie bei Homer keine hervorragende Rolle spielen, so darf man annehmen, dass sie fiir die iilteste Geschichte des Landes von keiner besonderen Bedeutung sind. Eintheilung der Griechen in vier Stamme; ihre VVohnsitze. Das alteste Zeugnis iiber Ursprung und Wesen eines Volkes ist nebst der Religion die Sprache, die stets in Dialede zerfallt. Die griechische Sprache, hervorragend durch Formenreichthum und Wohlklang, zerfallt in zwei Hauptdialecte, den dorischen und den jonischen; der erstere ist rauher und besonders durch die Erhaltung des A-Lautes gekennzeichnet; der zweite ist weicher und bevorzugt E und U vor A und O. Diejenigen Stamme, welche nicht dorisch und nicht jonisch sprachen, bezeichneten die Griechen als aolisch; als ein Zweig der Aeolier werden die Achaer angesehen. Als das Gefuhl der nationalen Einheit bei den Griechen lebhafter erwachte, entstand, wahrscheinlich erst im 7. Jahrhunderte unter dem Einflussc der dclphischen Priesterschaft, die Deucalionsage, bestimmt, die nahe Anfange ihrer Gesohielite. 55 Verwandtschaft aller hellenischen Stamme zu erweisen und deren Namen zu erkliiren. Diesel' mythische Stammbaum ist: Deucalion und Pyrrha Hellen (Heros eponymos Amphictyon (Heros epon. der des griech. Volkes) Amphictyonien) Aeolus, Dorus, Xutkus Jon, Achaus. Die Aeolier nebst den Achaern (s. oben) bewohnten Thessalien, Mittelgriechenland mit Ausnahme von Doris und Attica, ferner Achaia, K lis, Arcadien und die nordwestliche Kttste Kleinasiens; die Jonier Attica, die meisten Inseln des Archipels und die mittlere Westkiiste Kleinasiens; die Dorier den ganzen Peloponnes, soweit er uicht iiolisch war, die siidlichen Inseln des Archipels nebst Creta und die siidwestliche Kiiste Kleinasiens. Diese Vertheilung der Stžimme war das Ergebnis der dorischen Wanderung (um 1000). Fiir die griechische Geschichte wurden die Dorier und die Jonier maB- gebend. II. Anfange der griechischen Geschiclite. Unsicherheit der altesten Geschichte. Audi die alteste griechische Greschichte ist sehr unsicher (S. 2), umsomehr, da wir die Verbreitung der Schreibkunst bei den Griechen kaum weit iiber das Jahr 800 hinaufriicken diirfen. Am meisten Licht fallt auf diese dunkle Zeit durch die Religion , die Sagen, soweit sie urspriinglich und dem- naeh ein Product des dichtenden Volksgeistes sind, und die Aus- grabungen Schliemanns. Die alteste literarische Quelle der Griechen, Homer , gehort einer schon etwas jiingeren Zeit, nach Herodot 1 der Mitte des 9. Jalirhunderts an. Allgemeiner Charakter dieser Zeit. Die Friihzeit des grie¬ chischen Volkes mitssen wir uns als eine Zeit fortwahrender Fehden u nd Kdmpfe sowohl zu Lande als zu Wasser vorstellen. Aus diesem trrunde lagen auch fast alle alteren Stadte Griechenlands auf oder nn Hiigeln und Bergen. Eine Erinnerung an die allgemeine Unsicher¬ heit zu Lande diirfen wir wohl in der Erwahnung von Riesen und Nnholden (vgl. Theseussage ) crkennen; der Unsicherheit zur See machte 1 II, 53. 56 Die Grieclien. angeblich Minos, Konig von Greta, der aber nocli bei Herodot 1 gott- lichen Ursprungs und daher wohl als mythisch aufzufassen ist, durcb Aufrichtung eines grofien Seereiclies im agaischen Meere ein Ende. Aufier den vier Stammen, die selbst wieder in zahlreiche Volkerschaften zerfallen, nennen Herodot und der etwas jiingere Thucydides verschiedene asiatische Volkerscbaften, darunter besonders die Car er, welche auf die alteste griechische Geschichte Einfluss getibt haben. Daher macht diese Zeit « einen toahrhaft chaotischen Eindruck » (Ranke). III. Die griechische Religion. Zusammenhang mit der indogermanischen Zeit. Mit voller Gewissheit lasst sich nur beziigiich zweier Gotter behaupten, dass ihre Namen aus der Urzeit stammen; es sind dies: Zeus (= sansc. Diaus = Jovis = Ziu) und TJranos (= sansc. Varana). Unsere Haupt- quelle ftir die Kenntnis der griechischen Religion ist Homer, bei dem sie aber in einer ziemlich sptiten Form erscheint; er wird vielfach ergžlnzt durch den zweitaltesten Dichter Hesiod (um 800). Durcb die Bertihrung mit den hoher entwickelten Semiten, namentlich den Phoniciern, fanden auch semitische Gotter (S. 63) Eingang. GroBe Mannigfaltigkeit der religiosen Anschauungen nach Zeit und Ort. Auch die griechische Religion hat eine Entwicklung durchgemacht; es dauerte lange, bis an Stelle der Naturbedeutung der Gottheiten (S. 54) die von moralischen Wesen trat, welche einen machtigen Einfluss auf das Leben der Menschen austiben. Mit der fortschreitenden Entwicklung des Volkes erhielten auch die Gotter einen reineren sittlichen Charakter; anderseits traten Gotter, welche in der alteren Zeit besonders verehrt wordenwaren, zugunsten jiingerer mehr zuriick. In den einzelnen Landschaften wurde der eine oder der andere Gott ganz besonders verehrt. Auf die verschiedene Auf- fassung eines und desselben Gottes iibten die klimatischen und meteoro- logiscken Verhaltnisse der einzelnen Landschaften einen sehr bedeu- tenden Einfluss aus. So erscheint Zeus im Cultus des regenreichen Dodona als ein gewaltiger Gewittergott, im trockenen ostlichen Griechenland aber, z. B. in Athen, als ein verschlingender Gott der Durre, der besonders auf Hohen, mn welche sich die Wolken zu- sammenballen, verehrt wurdc. Kein Volk hat eine so reiche Mjtho- logie entwickelt, wie die Grieclien. 1 III, 121. Ilire Religion. 57 Im Folgenden werden nur einige Hauptziige der griechischen Religion angegeben. A. Entstehung der Welt und der Gotter; Bedeutung des Epos fiir die Religion. Nach Homer entstand dieWeltaus dem Oleeanos, «dem Ursprunge der Gotter und alles Daseins»; 1 nach ffesiod aus dem Chaos, der Einsternis. Bei ihm finden wir zuerst die Mvthe vom goldenen u. s. w. Zeitalter. Vom Okeanos stammen die finsteren Mach te, die Titcmen, ab, unter denen Kronos und Rhea als Eltern des Zeus, Poseidon und liades besonders zu ervrahnen sind. Diese drei Briider haben die Herrschaft im Himmel, im Meere und in der Untenvelt unter sich getheilt. Der lichte Himmelsgott Zeus stoCt die finsteren Titanen ins Reich der Finsternis, den Tnrtarus, hinab (vgl. S. 33); ebenso werden die dunklen Geister des Westens (Sonnenunterganges), die Giganten, ivegen ihrer Frevel vernichtet. In diesen Kampfen ist die Erinnerung an die uralten Kampfe zwischen den lichten und finsteren Gottern erhalten, aber bei dem Mangel von iibenvaltigenden Naturereignissen 111 Griechenland (im Gegensatze zu Iran und Indien) wesentlich gemildert, der Kampi'selbst fiir immer beendct. Von Zeus und seiner Demahlin Hera stammen die wichtigsten tibrigen Gottheiten als Sohne und Tochter ab. Die Feststellung dieses Verwandtschaftssystems enthalt die Theogonie Hesiods. Da der Heldengesang (Homer) die Gotter ins menschliche Treiben hineinzog, mussten die Dichtcr die friiher mehr unbestimmten Gotter, deren urspriingliche Katurbedeutung noch theilweise in den ihnen von Homer beigelegten Attributen (s. unten) zu erkennen ist, zu schari' begrenzten Wesen mit bestimmten korperlichen und geistigen Eigenschaften umgestalten. Das von ihnen entworfene Bild blieb den Gottern im wesentlichen in der ganzen Folgezeit. 2 B. Die Hauptgottheiten. Die Griechen tlieilten ihre Gottheiten nach dem Wohnorte ein ] u solche des Himmels (ni Orouvini, X)Xvf.uuoi, oi avto, ihr Sitz ist der Olymp), des Wassers (oi dolaamoi) und der Erde und der Unterwelt ’ II. 14, 201. 2 Vgl. Her. II, 23: ootoi (Homer und Hesiod) eioi oi jioirjuavTe? t)'£(jyovir|V 58 Die Griechen. (ot /dovioi xal ■m%ayJ}6vtoi). Aus der unbegrenzten Zakl von Gott- heiten hoben sie nach Homer secbs Gotter und sechs Gottinnen als die hocbsten hervor; es sind dies: Zeus und Ker a, Apollo und Artemis, Ares und Aphrodite , Hermes und Athene, Hephastus und Hestia, Poseidon und Demeter. 1. Die Gottheiten des Himmels. Unter ihnen ragen Zeus, Athene und Apollo ganz besonders hervor (bauhge Gebetsformel bei Homer: «Hore mich Vater Zeus und Athene und Apollo!*). a) Zeus. Physische Bedeutung. Er ist der allgemeine Himmels- und Wettergott, der je nach den verschiedenen klimatischen Verhalt- nissen der einzelnen Landschaften verschieden aufgefasst wurde (S. 56). Bei Homer heifit er der Wolkensammler (vecpeleysQEi;a), der Schwarz- umwolkte ( Kelcuvecpijg) ete. Ethische Bedeutung. Er ist der oherste der Gotter ( 9-ečov vnmog xai agiOTog), Vater der Gotter und Menschen (rtmrjQ avdgiuv re dswv ts). Die wichtigsten Einrichtungen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens stehen unter seinem Schutze. Die Konige heifien «von Zeus entstammt* (diorgsepelc)-, er schtitzt die Raths- und Volksversamm- lungen (Zevg fiovlaloc, dyoQCuog), er ist der Hiiter des Ilauses (ff/Aoc), der Schirm der Sehutzflehenden (r/Joiog) und der Fremdlinge (|«Vmc), er entscheidet im Kriege (p opla g rcoMpoio). Verehrung. Eine uralte Cultusstatte des Zeus war Dodona, wo eine alte Eiche, an deren EuBe eine Q,uelle entsprang, der Mittel- punkt seiner Verehrung war. Im Rauschen der Blatter dieses heiligen Baumes glaubte man die Stimme des Gottes zu vernehmen, der damals noch im Freien, ohne Abbild, verehrt wurde. Damit war auch das alteste Orakel, ein Zeichenorakel, 1 verbunden. Hauptfestfeier zu seinen Ehren wareri die ohjmpischen Spiele. Iliru war der Adler, der Konig der Vogel, heilig. Darstellung des Gottes. Nacbdem man sieh lšingere Zeit mit einem Sijmbole des Gottes, z. B. einem Steine oder Pfahle, be- holfen hatte, schritt man zur bildlichen Darstellung, deren beriihm- teste die Goldelfenbein-Statue des Phidias (5. Jahrh.) in Olgmpia war. Wir kennen sie durch elische Miinzen. Der Gott war als Konig dar- gestellt, auf einem Throne sitzend, mit dem Seepter in der Hand, mit dem Aušdrucke gottlicher Erhabenheit und Ruhe. 2 Das 'schonst- 1 Od. 14, 327 u. 328. — 2 II. I, 528 — 530. Ilire Keligion. 59 erhaltene Zeusbild ist die Btiste von Otricoli (der Fundort O. liegt bei Terni), etwa ein Jahrhundert nach Phidias geschaffen, in einer rbmischen Nachbildung auf uns gekommen. Seine Gemahlin ist Hera, die regenspendende HimmelskOnigin und Beschiitzerin der Ehe; das beriihmteste Bild ist der Kolossal- kopf der Hera Ludovisi. b) Pallas Athene. Sie ist urspriinglick die Gottin der Gemtter- w olfce und insbesondere des Blitzes (Tldllag — die den Blitz Schwin- gende). Deshalb kiimpft sie mit den bosen Geistern, denen sie den Regen entreiOt, und tragt die Aegis, das Bild der Gewitterwolke, welches von Schlangen (== Blitzen) umringelt ist. Da das Gevvitter bei den Indogermanen tiberhaupt als Kampf aufgefasst wird (S. 31 ), s o wurde sie leicbt zur Gottin des Kampfes (deshalb ist sie auch die Vorkampferin = noo/ia^pc), die den Feldherrn mit Geistesgegen- wart ausriistet. Entsprechend der Anschauung, dass Wolken und Nebel Gespinste seien, wurde sie zur Gottin des Spinnens und Webens und schoner weiblicher Hcmdarbeiten im allgemeinen {f.qyavrj). Endlicb wurde sie die Gottin der Weisheit (schon bei Homer nolv- fiovlog). Sie wurde besonders verehrt als Schutzgbttin der Stadt Athen (nohdg ), auf deren Burg ihre grofiten Heiligthumer standen. Das allc Vj er Jahre begangenc Fest der grofien Panathenaen , bei welclien in feierlicber Procession der Gbttin ein Peplos dargebracht wurde, war die grof.ite religiose Feier in Athen. Ihr waren der Olbaum und die Eule geweiht. Sie wurde hauptsdchlich als Kriegsgdttin mit Lanze, ‘Vhild und Helm dargestellt. Die beiden beriibmtesten Bilder der Gottin schuf Phidias; das Goldelfenbeinbild im Parthenon kennen wir seinem Charakter nach aus in Athen gefundenen Statuetten; auf der Burg stand im Freien das erzene Kolossalbild der A. nooga/oc. bde bekannteste erhaltene Statue heiBt A. Giustiniani (im Vatican). c) Apollo. Seiner Naturbedeutung nach ist er ein Licht-, speciell Sonnengott, wie sein Beiname (rpoifiog = leuchtend) beweist. Auch er bekampft die Miichte der Finsternis (^Annlhov = Abwehrer), die er durch seine Pfeile, d. h. die Sonnenstrahlen, besiegt. Ein solcher b n st er er Geist war auch der Drache Python, wegen dessen Bezwin- g l mg der Gott den Beinamen der Pythier hat. Ethisch aufgefasst, ist er der Gott der geistigen und sittlichen Klarheit. In ersterer Beziehung blickt er sogar in die Zukunft und "brd daher der Gott der Weissagung; da die Dichter auch als Seher 60 Die Grieehen. gelten, ist er der Gott der Dichtkunst und des Gesanges, der Fiihrer der Musen. In sittlicher Beziehung hasst und verfolgt er das Mora- lisch-Finstere, das lieiCt das Verbrechen, deshalb verlangt er Stihne (vgl. Orestessage) und straft die Schuldigen (vgl. Niobe, die Seuche im Grichenlager am Beginne der Ilias). Die Hauptstatte seiner Verehrung war Delphi, wo auch ein Spruchorakel des Gottes, das beriihmteste der alten Welt, bestand, das den Fragenden sagte, was sie timn sollten. Ihm zu Ehren wurden die delpbischen Spiele gefeiert, ertonten Saitenspiel und Gesang (der Pitan). Sein Cultus wurde besonders durch die Dorier verbreitet. Im Begriffe dieses Gottes erreichte die griechische Beligion den Hohepunkt ihres sittlichen Gehaltes. Ihm war der Lorbeer beilig. Er wird als jugendlich - kržiftiger Gott dargestellt. Das bertihmteste Bild ist der Apollo vom Belvedere, einem dem 3. Jahrhunderte an- geliorigen Originale in der romischen Kaiserzeit nachgebildet. Die iibrigen Hauptgottheiten konnen nur kurz erwabnt werden. d) Hephastus; physische Bedeutung: das Feuer, weshalb er zum kunstreichen Schmiede wird. e) Hestia; physiscbe Bedeutung: das Feuer, daber Mittelpunkt des hauslichen (Herd-) Cultus. f) Artemis, die Mondgottin; sie durchzieht wie die Mondesstrahlen als kiibno Jagerin die Walder. g) Ares, urspriinglich vvahrscheinlieh der finstere Gewitterhimmel, wird der Gott des Kampfgewiihles. h) Aphrodite; eine allgemeine, ihrem Ursprunge nacb asiatische Naturgottin, Gottin der Scbonheit und Liebe. i) Hermes, der Geist des W in des, wird spaterldn als der schnelle Gotterbote aufgefasst. 2. Die Gottheiten des Wassers. Unter ilmen ist der mach- tigste Poseidon. Er erscheint bei Homer nur, aber auch spater vor- zugsweise als Meeresgott (nicbt allgemein Wassergott). Bei ihm bleibt immer die phgsische Bedeutung und infolge desscn die enge Verbin- dung mit dem Meere die Hauptsachc. Da in Griechenland Erdbeben tiberaus hžiufig sind und das Meer iiberall tief eindringt, so wurde er, wenn er sich regte, zum Erderschiitterer (avvoalycuog), weshalb er mit dem Dreizacke abgebildet wird. In Corinth wird er iiber- vviegend als Meeresgott, in Sparta als Erderschiitterer verebrt. Seine Gernahlin heifit Amphitrite. Seine Cultusstatten lagen besonders am Meere. Da die Phan- tasie der Grieehen die Meereswellen mit hiipfenden Pferden verglich, so wurde er, z. B. bei den isthmischen Spieleu, durch ritterliche AVettkampfe gefeiert. Ihm war das Pferd beilig. Ihre Religion. 61 Die Grieehen verehrten bei jedem Flusse und jeder Quelle eine Gottheit; der angesehenste Flussgott war der Achelous, den Homer den machtigsten aller Strome nennt. 3. Die Gottheiten der Erde und der Untervvelt. Da die Erd- gottheiten Wachsen und Gedeihen der Pflanzen bedingen und diese ihre Wurzeln in den SchoB der Erde senken, so .stehen die irdischen u nd unterirdischen Gottheiten in engem Zusammenhange. Besonders wichtig sind: a) Derneier (und ihre Toehter Persephone). Urspriinglich bedeutete sie die fruchtbare Erde, spaterhin wurde sie die Gottin des Acker- baues und der damit verbundenen hoheren Gesittung (ihr Beiname &ea[.io(fi6oog = Gesetzgeberin). Ihre Toehter wurde dureh den Gott der Unterwelt geraubt. b) Dionysos (Bacehus), der Gott des vegetativen Naturlebens iiberhaupt, des Weines im besonderen. c) Hades (Pluton), der Herrscher in der Unterwelt, nach Homer 1 der verhassteste aller Gotter. Das Leben in der Untenvelt erschien den Grieehen als ein Schatten- oder Traumleben, so dass die Ab- geschiedenen Schatten (udiola) genannt wurden. In diesem Schein- leben wird die Lieblingsbeschaftigung auf Erden fortgesetzt. Unter Sgjptisehem Einflusse bildete sich die Vorstellung von drei Richtern 'n der Untenvelt aus: Minos, Aeacus und Rhadamanthys, welche den Sehuldigen an den Ort der Qual, den Tartaros, venveisen, wahrend die Guten ins Elysium, das die Ilias noch nieht, wohl aber die jiingere Odyssee kennt, gelangen. Wiewenig begehrenswert aber den Grieehen das Leben im Elysium im Vergleiche mit dem irdischen Leben erschien, zeigt uns die Odyssee, 2 wonach Aehill lieber ein geringer Knecht auf der Oberwelt als Herrscher iiber sammtliche Schatten 'n der Untenvelt sein mochte. G. Allgemeine Auffassung der Gotter und ihre Verehrung; Stellung des Priesterstandes. Entsprechend ihrem Volkscharakter und der freundlichen Natur des Landes (S. 57) fassten die Grieehen ihre Gotter als heitere Wesen, dir Leben als ein verklartes Abbild des menschlichen Treibens auf. DemgemaC lebt Zeus im 01ymp mit den iibrigen Giittern, wie ein Kdnig auf' Erden; minder wichtige Angelegenheiten entscheidet er 1 il. IX, 159. — - xi, 490 u. fg-. 62 Die Griechen. selbst, wicktigere werden dem Rathe der versammelten Gotter vor- gelegt; die Gotter essen Ambrosia und trinken Nectar, erfreuen sich an Gesang und Spassen, werden von menschlichen Leidenscliaften bewegt, sind also keine sittlich - reinen Gestalten. Von Alter und Tod bleiben sie unberiihrt, docb ist ilire AVirksamkeit durch das Schicksal (j.io'iQa) beschrankt. Diesem Charakter der Gotter gemaC war auch ihre Verehrung, die hauptsachlich in Gebet, Opfern und Festspielen bestand, heiter. (Vgl. dagegen die Inder S. 34.) Eine Ausnahme hievon machten die eleusinischen Geheimnisse (Mysterien), welche zuEhren der chthonischen Gottheiten Demeter, Persepbone und Dionysos gefeiert wurden. Sie bestanden in symbolischen Gebrauchen von theilweise diisterem Cha¬ rakter und in der Darstellung eines Schauspieles aus dem Mythus der Demeter. Diese Gebrauche stellten das Absterben der Natur im AVinter und ikr AViedererwachen im Friihling dar und kniipften daran die Aussicht auf ein gliickliches Fortleben des Menschen nach dem Tode. Das steht im Gegensatze zur alteren griechischen Anschauung und ist durch dggptischen Einfluss zu erklaren. Im Gegensatze zu den orientalischen Staaten hat boi den Griechen der Priesterstand keinen besonderen Einfluss gehabt, ist auch nicht, Trager der Bildung geworden. Die Priester waren im wesent- lichen Verwalter des Tempelgutes und Hiiter des Gotterbildes; wenn auch einzelne priesterliche Amter erblich vvaren, so sta-nden sie doch alle unter der Aufsicht des Staates. IV. Die griechische Heldensage. Thatigkeit der Heroen. In innigem Zusammenhange mit der griechischen Religion stehen die altesten Bestandtheile der griechischen Heldensage; zahlreiche, im Laufe der Zeit unverstandlieh gewordene Beinamen von Gottern wurden zu selbstiindigen Helden (Heroen) umgestaltet, z. B. Perseus, die Dioskuren u. s. w. Diese Sagen sind iiberaus zahlreich, sie gehoren ihrem Ursprunge nach verschiedenen Landschaften an und wurden erst allmahlich in- folge des gesteigerten Verkehres Gemeingut der Nation. Der Zeit nach sind uralte Bestandtheile und solche aus spiiteren Jahrhundertcn zu unterscheiden; nur die ersteren, soweit sie sicher erkannt werden konnen, gewahren uns einen Einblick in das Geistesleben der altesten Griechen. Die Zwolfzahl der Arbeiten des Heracles z. B. ersckeint Heldensage. 63 erst im 7. Jahrhunderte abgeschlossen, wahrend Homer 1 nur das Abenteuer mit dem Hollenhunde kennt. Am meisten historischen Gehalt diirfte die Theseussage enthalten. Aus allen diesen Sagen gewinnen wir das Bild einer -vvilden Zeit voli Kampfund Raub, kiihnen Gewaltthaten und TJnternehmungen. Am wiclitigsten sind die Sagen von Heracles und dem trojanischen Kriege, an sie liaben sicb die tibrigen angeschlossen. Die bedeutendsten Sagenkreise — nacb Landschaften — sind: 1. Die Sagen Thessaliens. a) An den 01ymp versetzten die G-riechen die Sagen von den beiligen Sangern Orpheus und anderen, die Homer nocb nickt kennt. b) Die Kampfe der Lapithen (in der Ebene) mit den Centauren, die am Ossa wohnten und lialb als Menscli , halb als Pferd gedacht wurden — ein Lieblingsstoff der Plastik. c) Die Argonautensage. Um Jolcus am pagasaischen Meer- busen (jetzt Golf von Volo) saBen die aolisclien Minger, welehe unter der Leitung des Konigssohnes Jason auf dem Scbiffe Argo die gefahr- volle Fabrt um das goldene Vlies im fernen Sonnenlande, an dessen Stelle man spater Colchis setzte, unternahmen. Schon die Odyssee 2 preist die «weltberiikmte Argo*; die Einzelheiten der Sage kennt Homer noch nicht. Der Sage liegt vermuthlich die Erinnerung an ft lte kiihne Seefahrten der Minger zugrunde, das goldene Vlies ist violloicht das Symbol des Gewinnes dieser Handelsfahrten. 2. Die Sagen Atticas. Am wichtigsten ist die Sage von Theseus, dem Soline des Konigs Aegeus. Es wird ihm besonders die Todtung mehrerer Rauber und Unholde, die Erlegung des Minotauros, eines Menschen mit einem Stierkopfe, auf Greta und der Karnpf mit den Amazonen in Attica zugeschrieben. Das erstere kann als Erinnerung fm die Gewaltthatigkeiten jener Zeit gelten, wogegen einzelne Miinner schiitzend auftraten; die Erlegung des menschenfressenden Minotauros lri > cretischen Labyrinthe kann als Verdrangung des phonicischen Baal -Molochdienstes, die Vertreibung der Amazonen aus Attica eben- Ms als Beseitigung eines asiatischen Cultus aufgefasst werden, in- s oferne die Amazonen, welche bei Homer 8 als ein kriegerisches Frauen- v °lk im nordlichen Kleinasien erscheinen, auch als Priesterinnen im Hienste einer asiatischen Gottin betrachtet werden, welche zu Ehren dieser Gottin in Waffenriistung Tanze auffiihrten. ' II. VIII, 3(58. — 2 XII, 69—72. — 3 II. III, 189. 64 Die Griechen. Nach dem Vorbilde des Heracles, des eigentlich dorischen Heros, steigerten die jonischen Athener allmahlich die Thaten des Theseus, von dem Homer noch sehr wenig wei8. Die Sage von der Einwanderung des Cecrops nach Attica ist sehr Jung, da sie nicht einmal den attischen Tragikern des 5. Jahr- hunderts bekannt ist. 3. Die Sagen von Argos. Die, beiden wichtigsten sind die Heracles- und die Pelopssage. a) Heraclessage. Heracles, den die Dorier zum Ahnherrn ihrer Konige machten, stammt aus dem Geschlechte des Danaos; des letzteren Toehter, die Danaiden, stellen die Natur von Argolis dar, dessen durchlassiger Boden das Wasser immer wieder verschwinden lieC. In Heracles stellte der dorische Stamm das ideale Bild eines Idelden dar, der nicht nur untibertroffene Werke des Muthes ausfuhrt, sondern sich auch zur Siihne fur seine Frevelthaten (z. B. Ermordung seiner Kinder) freiwillig in den Dienst seines verachtlichen Vetters Eurgstheus, des Konigs von Mycena, stellte und auf dessen Befehl die zwolf Thaten ausfuhrte, die ihn mit den verschiedenen anderen Sagenkreisen in Beriihrung bracliten. In dieser Sage sind zwei Haupt- bestandtheile zu unterscheiden: eine in Argos localisierte Sage, die wahrscheinlich auf einen alten Sonnengott zuruckgeht, und der Eiu- fluss des phonicischen Sonnengottes Melkart, nach dessen Beispiele die Griechen Heracles bei der Ausfuhrung seiner Thaten weite Raume durchwandern lassen. Einige seiner Thaten gestatten eine Erklarung durch die Natur des griechischen Landes. Beim O rte Lema (Argolis) steht ein Karst- berg, der Wasser einschliirft. An anderer Stelle brechen infolge dessen machtige Quellen hervor, die das Land versumpfen und, wenn sie auch an einer Stelle verstopft werden, doch an einer anderen hervor- sprudeln. Das sind die stets nachwachsenden Haupter der lerndischen Hgdra. — Das Gebiet von Stymphalos (Arcadien) wird ofter iiber- schwemmt, wodurch todliche Fieberluft entsteht (die menschen- fressenden stgmphalischen Vogel, welche Heracles todtet, d. h. er ent- sumpft das Thal); noch jetzt zieht, der dortige fischreiche See zahl- reiche Wasservogel an. — Der Kampf mit dem Flussgotte Ačhelous deutet darauf hin, dass man dem Flusse durch miihsame Kampfe fruchtbares Land abgewann. h) Pelopssage. An Stelle der Heraeliden traten, spater als Herren in Mgcend die Pelopiden, die iliren Ursprung von Pelops, dem Helden sage. 65 angeblich aus Kleinasien eingevvanderten Soline des Tantalos, ab- leiteten. Dieses Geschlecht ist durcli seine Greuclthaten beriichtigt. Aus ihm stammt Agamemnon, der Fuhrer der Griechen, vor Troja, sein Sobn Orestes ist sein Nachfolger in Myeenae, sein Enkel wird v on den eindringenden Doriern gestiirzt. Die Einzelheiten dieser Sage sind erst von den groBen attischen Trlgikern des 5. Jahrhunderts ausgebildet worden; dasselbe gilt von der Odipussage. 4. Sagen von Theben. In Bootien entstanden die beiden altesten Staatswesen in Orchomenos (Sitz der Minyer) und in Theben (angeblich gegriindet von dem Phonicier Cadmus). In letzterer Stadt regierten die Cadmeonen, denen auch Odipus, der Morder seines Vaters und Glemahl seiner Mutter, der das Rathsel der Sphinx liiste, angehorte. Nachdem er sich zur Strafe fiir semen zweifachen Frevel geblendet ^atte, fand er im Haine von Colonos bei Athen Entsiihnung. Gleich- w ohl lastete der Gotterfluch auf seinen Nachkommen; Antigone wurde lebendig begraben, seine beiden Soline todteten sich gegenseitig, mehrere Helden vereinigten sich zu einem zweimaligen Kampfe gegen Theben («der Krieg der Sieben gegen Theben* und «der Zug der Epigonen*) und erstiirmten die Stadt. 5. Die Sage vom trojanischen Kriege. Im nordwestlichen Klein¬ asien entstanden friih zwei kleine Staaten der den Griechen nahe v erwandten Dardaner und Troer. Erstere leiteten ihren Namen vom ktammesheros Dardanos, letztere von Tros ab; der ersteren Haupt- stadt war Dardania, der letzteren Ilios (bei Homer sel ten Troja genannt). Mit diesen geriethen die Griechen wegen der Entfiihrung Helenas, der Gattin des spartanischen Konigs Menelaos , in einen zehnjahrigen Krieg. Die Fuhrung des Heeres lag in den Handen Agamemnone (, avai : dvdgdiv bei Homer), des Bruders des Menelaos; die Stadt wurde endlich zerstiirt. Die Ilias enthalt nur eine Episode a us dem zehnten Kriegsjahre, den Zorn des Achilles und die dadurch bedingten Ereignisse; sie endet mit der Leichenfeier Idectors. 6. Odysseussage. Von den Helden, welche nach der Zerstorung J rojas der Sage zufolge zurtickkehrten, bestand die zahlreichsten Abenteuer dei - kluge Odgsseus , der erst nach 20jahrigen Irrfahrten lri sein Inselkonigreich Ithaca zuruckkam. An seinen Namen kniipften die Griechen alle moglichen Schiffermarchen, wor(iber die Odyssee Zeelje, Cleschiclito des Alterthnms. 5 Die Griechen. fi 6 berichtet, welche aus einer Zeit stannnen muss, in der den Griechen die westlichen Theile des Mittelmeeres noch fast ganz unbekannt waren. Mit Ausnahme der Odysseussage spielen alle diese Sagen, soweit das europaische Festland in Betracht komrnt, ant' der Ostseite Griechen- lands in fruchtbaren Th&lern oder Ebenen, wo wir deranacb die iiltesten griechischen Staatswesen anzunehmen haben. Die Existenz dieser alten Staatmesm ist eines der wichtigsten Rezultate der Sage und wird bestatigt durch die Ausgrabungen Schliemanns. V. Schliemanns Ansgrabungen in Troja, Mycenae, Orchomenos und Tirjuis. 1 Im Jahre 1870 begann Schliemann seine beriihmten Ausgrabungen, vvelche eine auGerordentlich groGe Menge von Gegenstandcn zutage forderten. Ausgrabungen in Troja. Schliemann suchte die versehollene Statte des Homerischen Troja an der Stelle des spateren Neu-Ilion, das Alexander der GroGe zu einer Stadt erhoben hat, und hat beim Htigel Hissarlik, etwa 5 km vom Hellesponte entfernt, nemi Ansiedlungen aufgedeckt, von denen jede folgende auf den Triimmern der alteren (daher eine 16 m liohe Schuttmasse) erbaut war. Der merkwurdigste Fund daselbst war ein Schatz von Gold: Diademe, GefaGe, Arm- bander u. s. w. Ausgrabungen in Mycenae. Hier war Schliemann von beson- derem Gliicke begiinstigt, denn hier wurden sechs Graber mit 19 Leichen aufgefunden. Vor allem wichtig ist der reiche Fund von Gold- gegenstanden, darunter tiber 1000 Plattchen, Diademe und sieben Gesichtsmasken, auGerdem besonders Dolche aus Bronze mit ein- gelegten Goldornamenten. Ausgrabungen in Orchomenos. Von dieser Stadt, die Homer 2 als die reichste der Griechen und die reichste nach dem agyptischen Theben iiberhaupt bezeichnet (vgl. das goldene Vlies in der Sage von den Minyern), ist nur mehr das sogenannte Schatzhaus des Mingas vorhanden, ein Rundbau, ahnlich dem «Schatzhause» des Atreus in der Stadt Mycenae. Beide gelten als Graber. In einem Nebenraume fand Schliemann den Rest der Dečke aus Stein mit einem aus Rosetten und Spiralen gebildeten Relief- Ornainente, das einem etwa 1 Nach Schuchhardt, Schliemanns Ausgrabungen, 1890. - II. IX, 381. Sohiiemanns Auagrabungen. 67 dem 12. Jahrhunderte angehorigen Wandgemalde sehr ahnlich ist, welches man in einem G-rabo des agyptischen Theben 1 gefunden hat. Ausgrabungen in Tiryns. Die Burg dieser Stadt war von einer Mauer umschlossen, -vvelche aus fast roben, bis 3 m langen und 1 m dicken Felsblocken gebildet ist (sogenannte cgclopische Mauer; die cvclopische Burgmauer von Mycenae bestebt aus regelmaCigen vier- eckigen Bldcken). Hier legte Schliemann einen Balast bloO, dessen Grundriss mit den Hauptbestandtheilen des Homeriscben Kiinigs- palastes tibereinstimmt. Als Wandscbmuck entdeckte er grobe sculp- tierte Alabastertafeln (vgl. S. 19) und ein Wandgemdlde, das der Stein- decke vom Schatzhause des Minyas Sehr ahnlich ist. Ergebnisse. 1.) Die drei zuletzt genannten Statten zeigen uns die gleicbe tmgcenische* Culturperiode, Troja ist viel hiter und nahert sicli ihr erst in den jiingeren Gegenstanden. 2.) Die Ausgrabungen beweisen uns in Ubereinstimmung mit der Sage die Existenz alter Reiche an den betreffenden Stellen. 3.) Die gefundenen Gegenstande zeigen, dass Einflilsse der agyptischen und asiatischen Gultur auf die iiltesten Bewohner der beiden Gestade des agaischen Meeres statt- gefunden haben. 4.) Zahlreiche Gegenstande, namentlich Thongefafle, geschnittene Steine und Goldgei’athe, haben einen eigenthiimlichen, von der orientalischen Art abweichenden Charakter. 5.) Da Spuren der mycenischen Cultur an der ganzen Ostseite Griechenlands, auf den Jnseln und auch in Kleinasien gefunden wurden, so muss hier eine Bevolkerung mit gleichm&Biger Cultur verbreitet gewesen sein. 6.) Die gewaltige Burg und die grofien Schatze der Graber in Mycenae be- weisen die lange Dauer der dortigen Herrschaft, filr die man, wie fttr die mycenische Cultur iiberhaupt, etwa die Zeit von 1400 bis 1400 1000 wird ansetzen durfen. 7.) Diese Cultur ist vielfach im Ein- Ws ItOO. klange mit der Homerischen Dichtung, deren Anfange nocli dieser Cultur angehoren. Da diese Gedichte aber nach der dorischen Wan- derung umgearbeitet und fortgesetzt wurden, tritt iibervriegend der Charakter der spateren Zeit hervor. VI. Eimvirkungen des Orients (Agypten, Phonicien) auf die Griechen. Die iiltesten Griechen wurden von der ilberlegenen Cultur des Orients vielfach beeinflusst; die iigyptisclie Cultur wurde ihnen (vor Rsammetich) durch die Phonicier vermittelt, die babylonisch-asiatische Das hundertthorige, 11. IX, 380 u. fg. 68 Die Griechen. entweder ebenfalls durch sie oder durch die Bewohner Kleinasiens (S. 8 und 25). Die Griechen selbst waren sicli dieses Sacliverhaltes bewusst und fassten ilire Meinung iiber die Einwirkung der Phonicier in der Sage vom phonicischen KOnigssohne Cadmus zusammen, den sie iiber Creta, Rliodos, Thera und Melos, also Stationen der Pho¬ nicier, nach Bootien gelangen lieCen. Die wichtigsten orientalisehen Einwirkungen betreffen die Religion, Sage, Buchstabenschrift, Kunst und materielle Cultur. Religion. Aphrodite ist eigentlich eine semitische Naturgottin von allgemeiner Bedeutung, die als Baalat, Aschtoret (griechisch Astarte) u. s. w. verehrt wurde. Die Griechen idealisierten sie und machten sie z ur Gottin der Schonheit und Liebe. Kronos, der Vater des Zcus, verschlingt seine eigencn Kinder; er ist der semitische Baal (Molocli), dem Kinderopfer dargebracht wurden. Da endlich die Inder und Iranier Menschenopfer nicht kennen, miissen die bei den Griechen er- wiihnten fremden (semitischen) Ursprungs sein. Von solchen horen wir in Halos im siidlichen Thessalien zu Ehren des Zeus Laphystios — Moloch. Hieher gehoren auch die Kiimpfe des Theseus mit dem Minotauros und den Amazonen. Heldensage. Am wichtigsten ist der Einfluss des phonicischen Melhart (S. 23) auf die Ausgestaltung der Heraclessage (Kampf mit dem nemeischen Ldiven, dem cretischen Stiere, die weiten Wanderungen). Die Kneehtschaft bei der Konigin Omphale schcint den iiber einen lydischen Sonnengott verbreiteten Mythen zu entstammen. Buchstabenschrift. Herodot 1 leitet die Kenntnis der Schrift von der Einwanderung des Cadmus ab. Dass das griechische Alphabet aus dem phonicischen stammt, bevreisen auch die altesten auf uns gekommenen Inschriften, die dem 7. Jahrhunderte angehoren. Von den Griechen erhielten das Alphabet die Romer, von diesen die Deutschen, die Slaven unmittelbar von Griechenland aus, so dass alle lieutigen Alphabete Europas axif’ dieselbe Quelle zuriickgehen. Kunst. In der Baukunst ist wichtig die Verwendung kolossaler Quadern zum Mauerbau (Mycenae) und die Bekleidung der W;inde mit Metaliplatten, z. B. in Tiryns; 2 auch tinden sicli im Innern der Mauern von Tiryns, ganz ahnlich wie bei den nordafrikanischen Stadten der Phonicier, tiberwolbte Kammern. Auf dem Gebiete der Plastik zeigen den orientalisehen Einfluss zahlreiche Fliigelgestalten, 1 V, 58: ypajj.[j.a-ua < I ) otvr/.7jta. 2 Vgl. Od. IV, 72, und VII, 86. Wanderungen. 69 wie Sphinxe, Greife u. s. w. (vgl. S. 18 und die Dodvvelfsche Vase), und das Lowenthor beim Eingange zur Burg von Mycenae (vgl. S. 19). Im Kunstgeiverbe verdient Erwahnung, dass die Blatter der Palme und die Bliite des Lotos das wichtigste Motiv der griecliischen Flachen- decoration sind und die eingelegten Schwerter von Mycenae cine agvptische Technik nachahmen. (Walirselieinlieh war Achills Schild oei Homer 1 ebenso gebildet.) Materielle Cultur. Die Griechen nahmen das babylonische Grewielitssystem an, das sie auch ihrem Miinzwesen zugrunde legton (S- 20), lernten viele Hausthiere und Culturpflanzen (S. 47), ferner d en Bergbau, Metallarbeiten, Webereien u. s. w. der Orientalen kennen und vertauscbten das altere offene Wollenkleid mit dem genahten linnenen /jnov (semitisches Lehnwort). Aus der tlberlegenen orientalisehen Cultur nahmen die Griechen lur die Dauer n ur dasjenige auf, was ihrer nationalen Eigenart ent- sprach und daher assimiliert werden konnte, das Fremdartige stiefien sie wieder aus. Der erste Schritt dazu geschah durch die griechischen Wanderungen, abgeschlossen ist dieser Process um den Beginn der B erserkriege. VII. Die griecliisclien AVanderungen. Ursacken von Volkerwanderungen. In der Geschichte werden nielit selten Wanderungen von Volksstammen envalmt; tlieils gehen sie ' r on Steppenvblkern aus, z. B. Hunnen, Magyaren, tlieils von Cultur- volkern in der Friihzeit ihrer Entwicklung, wo sie sich nocli leicht v oni Boden losreifien. Hauptgriinde fiir Wanderungen sind der Mangel an Lebensmitteln, die Verdrangung durch Fremde, endlich Eroberungs- und Raublust. Das Ziel solclier Wanderungen sind stets mildere, also sudlieher gelegene Gegenden. Die Zeit der griechischen Wanderungen ist ganz unsicher; es kann n ur ihr Ende mit einiger Wahrscheinlickkeit um das Jahr 1000 Um 1000. nngesetzt werden. Sie setzten das game Volk in Bewegung und er- Gssten das eigentliche Griechenland, die Inseln und Kleinasien. A. Wanderungen in Griechenland selbst. Sie zerfallen in drei, nach der Uberlieferung voneinander ablhingige Abschnitte; es sind dies der Einbruch der Thessaler in Thessalien, die Wanderung der Bboter, der Aufbruch und die Wanderung der Dorier. Der letzte Abschnitt ist der wichtigste. 1 11. XVIII, 483 u. fg. 70 Die Grieclien. Em wildkraftiger Volksstamm, Thessaler genannt, drang aus lllyrien iiber die 1600 bis 1800 m hohen Passe des Pindus ins fruchtbare Peneusbecken ein, das nach ihnen den Namen Thessalien erliielt. Die achaisch-aolischen Booter wurden zuni groCeren Tlieile zu Leibeigenen (itevtOTCti) gemacht, deren Stellung Aristoteles (4. Jahrh.) mit der der spartanischen Heloten vergleicht. Damit wurde das Schicksal des Landes fur immer bestimmt; unter dem harten Drucke des thessa- liscken Adels kam bier ein freier Biirgerstand nicht empor, und das Land wurde der griechischen Bildung fur immer entfremdet. Ein Theil der Booter entzog sich der Fremdherrschaft durch die Auswanderung ins fruchtbare Becken des Copais-Sees, das sie unterwarfen. Von den beiden Staatswesen der heroiscben Zeit verlor Orchomenos seine Bedeutung fiir immer, Theben bebauptete sie und ' suchte in fortgesetzten Kampfen ganz Bootien sich unterzuordnen. Die Dorier, deren Name in der heroischen Zeit gar nicht genannt wird, wurden wabrscheinlicb durch den Einfall der Thessaler aus ihren Wohnsitzen, die man in der Niihe des 01ymp sucht, auf- gesclieucht, lieCen sich vortibergehend in dem kleinen Doris nieder, das fiir ihre Bediirfnisse bald nicht ausreichte, und zogen dann, mit Atolern verstarkt, von Naupactos (Lepanto) aus an der engsten Stelle liber den corinthischen Golf, um sich nach zahlreichen Kampfen des groOten Theiles des Peloponnes zu bemachtigen. Die Sage, welche das rdumlich und zeitlich Entlegene zusammenzudrdngen liebt, fasst, alle diese Kampfe in die einzige Niederlage des Tisamenos, des Sohnes des Orestes, zusammen. So tritt im Peloponnes an Stelle der Herr- schaft der Aclider die der Dorier, an Stelle der Pelopiden die der Heracliden, unter deren Fiihrung die Dorier eimvanderten, nachdem sie zum Danke fiir die Unterstiitzung, welche ihnen Heracles gegen die Lapithen erwiesen liatte, dessen Sohn zu ihrem Konige erhoben hatten. Da nun das Geschlecht, dem Heracles entstammte, vor den Pelopiden in Mycenae regiert hatte, so nennt die Sage die Ein- wanderung der Dorier die Riickhehr der Heracliden. Ergebnis. Nachdem die Atoler sich an der Westseite nieder- gelassen und hier den Staat Elis begriindet hatten, errichteten die siidlich vordringenden Dorier drei Staatswesen in den drei fruchtbaren Thalebenen des Pamisos, Eurotas und Inachos, niimlich Messenien, Laconien und Ar goliš. Die Sage erklart dies damit, dass die Dorier unter der Fiihrung von drei Heraclidischen Briidern eingewandert seien. Die einheimische achaische Bevhlkerung wurde theils unter- Cultur der lieroischen Zeit. 71 'vorfen, tbeils drangte sie sich nach dem N. der Halbinsel in der Landschaft Achaia zusammen, deren friiliere jonische Bevolkerung sich hauptsachlieh nach Attica fliichtete. 1 )ie weitere Dorisierung der Halb- msel im Wege der Colonisierung leitete besonders Argos. Nur Arca- dien blieb in seinen alten Verhaltnissen und war ohne Einfluss auf die Entwicklung der Hellenen. B. Besetzung der ostlichen Inseln und des vvestlichen Klein- asiens. An die Wanderung von N. nach S. schloss sich als Fort- setzung die von W. nach O., welche die Inseln des agaischen Meeres und die ganze Westkiiste Kleinasiens, die im G-egensatze zum asia- tischen Innern der Halbinsel griecliischen Charakter und daher auch •unmer eine eigene Greschichte gehabt hat, in griechisches Land ver- wandelte. Trager dieser Wanderungen waren besonders die Jonier, welche sich in Attica zusammendrangten; neben ihnen betheiligten sich aber auch die beiden anderen Stamme an der Auswanderung. Die kleinasiatischen Colonien lagen den Landschaften des betretlenden Stammes in Europa gegeniiber, daher im N. die aolisch-achaisehen, m der Mitte die jonischen und im S. die dorischen Colonien zu suchcn sind. Die bliihendste unter diesen Stiidten war das jonische Milet, dessen Hafen jetzt durch den Maander vollstfindig ausgefullt ist. Wichtigste Folgen der Wanderungen. 1.) Die Wohnsitze der grieehischen Stamme wurden fiir alleZukunft festgestellt; 2.) die beiden Triiger der geschichtlichen Entwicklung, die Dorier und die Jonier, traten von nun an in den Vordergrund; 3.) durch die von der asia- tischen Cultur unberiihrten Dorier wird im Peloponnes eine verfeinertc Culturperiode gesttirzt und tritt zuniichst ein Riickschritt in der Cultur e m; 4.) die gewaltigen Erschiitterungen machen den Einrichtungen der heroischen Zeit vielfach ein Ende; 5.) diese Zeit bildet den histo- rischen Hintergrund fiir die Ilias unter der Voraussetzung, dass in der Sage vom trojanischen Kriege die Kampfe der Aeolier-Achaer um den Besitz der Troas zusammengedrangt werden. VIII. Culturverhaltnisse der heroischen Zeit . 1 Die Hauptquelle fiir die Kenntnis dieser Zeit ist Homer (S. 56), doch gibt er kein erschopfendes Bild der damaligen Zustiinde, da er Wold das Leben der hoheren Kreise, nicht aber das der breiten Volks- 'uasse eingehcnd behandelt. In dieser Beziehung wird er von Hesiod 1 Helbig, das Homerische Kpos aus den Denkmalern erlautert, 1884. 72 Die G-riechen. (S. 57) erganzt, der in semen epischen Gedichten Qsoyovla und J 'Eqya y. al ggegat («Tagewerk») die Gotter des bauerliehen Lebens (Dem eter, Dionysos) und das Treiben der Volkskreise besonders berticksichtigt. Verfassung. Die zahlreiehen kleinen Staaten der Griechen werden von Konigen regiert, 1 die im Gegensatze zu den orientalischen Er- oberern patriarchcilische Gewalt ausiiben. Sie nehmen eine dreifache Stellung ein, denn sie sind oberste Richter und Verwalter, Feldherren und Priester. Die Gewalt ist erblich und rtihrt von Zeus her. 2 Sie ist beschrankt durch den Ecith der adeligen Gesclilechter (avanreg, yegov~ tsc u. s. w.). Die Gemeinfreien (drjgog) werden wohl versammelt (ayoQcc), aber nur, um die Beschltisse des Konigs und des Rathes zu vernehmen. Die Einkiinfte des Konigs bestehenin demErtrage seinerGiiter, Ehren- gaben aus der Beute und Spenden des Volkes. Doch hat sich schon die Adelsmacht erhoben, und auch das Volk regt sich. Religion. Neben dem alteren Cultus ohne Gotterbild und Tempcl (S. 58) findet sich bereits der jungere mit Bildern und Tempeln, der erstere tiberwiegt noch. Erwahnt werden die Orakel von Dodona und Delphi; Priester deuten die Zukunft aus der Beobachtung von Him- melszeichen, dem Vogelfluge und dem Beschauen der Opferthiere. Religiose Scheu ist allgemein verbreitet; als das schwerste Verbrechen gilt die Verletzung der von den Gottern bestimmten Ordnung (vflgig). Recht. Wohl urtheilt der Konig nach dem Rathe der Vor- nehmcn; aber der Staat ist noch nicht verpflichtet, gegen Verbrechen, z. B. Todtschlag, einzuschreiten, vielmehr haben die Verwandten des Getodteten die Pflicht der Blutrache, worin wir den ersten. Versuch zur Begriindung eines Rechtsschutzes zu achten haben. In der Regel begniigt man sich aber mit einer entsprechenden Bube in Rindern und Schafen (« Wergeld» bei den alten Germanen), die eine Milderung der Blutrache ist. Sitte. Wahrend die Konige in befestigten Burgen wohnen, wohnt das Volk auf dem Lande zerstreut oder in offenen Dorfern. Es beschaftigt sich fast ausschliefilich mit Viehzucht, Acker- und Weinbau, daneben finden wir auch die Anfange des Gewerbes. Geraubte und gekaufte Sclaven werden erwiihnt. Wegen des herrschenden Seeraubes sind weite Reisen zur See gefiirchtet; zu Lande kampfen die Fiihrer besonders auf Streitwagen, die dem Oriente entstaminen. Das Leben 1 II. II, 201: eT? /.otp vo; šcTtu. — 2 II. 11, 196 (S. 58). V erfassungsformen. 73 hat einen lieiteren Charakter; es herrscht Freude an frohlichen Mahl- zeiten, bei denen durch wandernde Sanger die Heldenthaten der Vor- fahren gepriesen werden. Das Epos riihmt an mehreren Stel) en die aus Phdnicien stammenden Kunstwerke; sidonische Metallarbeiten werden denen des Hephdstus gleichgestellt, die schonsten Gewander lr n Schatze des Priamos 1 sind von sidonischen Sclavinnen gewebt. Ergebnis. Wir finden demnach ein unverdorbenes, heiteres Volk m einfachen Verhaltnissen, die mehrfach an die Zustande bei den Ger- roanen vor der Volkerwanderung erinnern, in einer Vbergangszeit, die Sp uren verschiedener Culturrichtungen tragt. (S. 67). Zweiter Zeitraum. Vom Abscklusse der Wanderungen bis znm Beginne der Perserkriege, um 1000 bis 500. Zeit der Aristokratie und der Tyrannis, Hegemonie Um jooo Spartas, Emporkommen Athens, Colonisation. uis 600. I. Die verschiedenen Verfassungsformen der griechisclien Staaten. Aristokratie. Durch die Wanderungen wurden die allgemeinen Verhjiltnisse so erschiittert, dass auch das Konigthum da von beriihrt wurde. Es trat niimlich jetzt die Macht des Adels bedeutsamer hervor. Als dessen wichtigste Kennzeiclien erklart Aristoteles alten Reichthum u nd Ttichtigkeit; auOerdem kommt den Adeligen edle Abkunft und ntterliche Erziehung, naraentlich in der. Kriegskunst, zu. Die Ein- ongung des Konigthuras durch den Adel zeigt sich in der Beseitigung der Erblichkeit, in der Beschriinkung der Amtsdauer auf eine gewisse Zeit und in der Verminderung der Gewalt. So wurde der Konig allmahlich ein Beamter des Adels, d. h. die Aristokratie war begrundet. liiese gieng meist in die Herrschaft der Reichen, Oligarchie, d. h. Veniger bevorrechteter Familien, liber. Die Bliitezeit der Adels- herrsc.haft ist das 8. Jahrhundert. Tyrannis. Da die Oligarchen in der Regcl das Volk bedriickten, so verlangtc dieses zunachst geschriebene Gesetze zum Schutze gegen die Willkiir des Adels; liiiutig gaben die herrschenden Geschlechter nach und gewannen auch die reicheren Mitglieder des Volltes durch Anderung der Verfassung in timokratischem Sinne, d. h. die politischen Rechte waren nicht an die Geburt, sondern an ein gewisses Vermogen 1 11. VI, 289. 74 Die Griechen. gekntipft. Gaben dio Geschlechter nicht nach, so kam es zu einer Erbebung des Volkes unter der Fiihrung eines Tyrannen, d. h. eines Mannes aus dem Volke oder auch den herrschenden Gescblechtern, welcher, auf das Volk und haufig auch eine Leibvvache gestiitzt, die Geschlechterherrsckaft stiirzte und seine eigene Alleinherrschaft be- griindete. Bliitezeit der Tyrannis ist das 7. Jabrhundert; am meisten verbreitet war sie um den Isthmus. Besonders beriihmte Tyrannen waren Periander in Corinth, Pisistratus in Athen und Pohjcrates auf Samos. Meist endete die Tvrannis infolge Missbrauches der Gewalt schon in der zweiten Generation; 1 am langsten, namlich cin volles Jabrhundert, bebauptete sie sicb in Sicgon. Die Tyrannen suchten ihre Stellung durcb gegenseitige Unterstutzung zu befestigen und beforderten die materiellen Interessen und die Kunst; dadurch unter- gruben sie aber ihre eigene Stellung, denn ein Volk, das reich ge- ivorden ist, verlangt auch politische Freiheit. Sieg der Oligarchie und der Demokratie. Nacli dem Sturze der Tyrannis folgte entweder wieder eine, in der Regel geiniifiigtere, Oligarchie oder die Herrschaft des Volkes, die Demokratie. Diese beiden Verfassungsformen wurden fiir die Dauer die wichtigsten; die erstere bnden wir bauptsachlieh bei den Doriern, die letztere bei den Joniern. Der Gegensatz zwiseben diesen zwei Stammen und Verfassungen bildet den Hauptinhalt der politischen Gescbichte der Griechen. Die Demokratie wurde zur Ochlolcratie, wenn sie, wie z. B. im spiiteren Athen, zu einer Herrschaft der Masse ausartete. So žiuBert sich die Vielseitigkeit des griechischen Geisteslebens auch auf politischem Gebiete, wahrend im Oriente das letzte Ziel der Entwicklung gleichmafiig der Despotismus war. Der Fortgang der griechischen Geschichte kniipft sich im vvesentlichen an die Entwicklung Spartas und Athens, die allein an die Spitze einer ganzen Landschaft gelangten; im iibrigen Griechen- land behauptete sich die Kleinstaaterei (S. 72) auch in diesem Zeit- raume. II. Sparta. A. Geographie Laconiens. Das Land, welches griechisch stets Ao.YMvrA.rj, spatiateinisch Laconia heiOt, ist 4700 km 2 grofi. Es ist weit iiberwiegend Gebirgs- land; zwei parallele, aus krvstallinischem Gesteine bestehcnde Kette«- 1 Aristoteles (Pol. 5, 9) nennt sie desweg , en oXtyo^povio?. Spar ta. 75 gebirge durchziehen es: der Tayyetos (bis 2400 m hoch) im W. und der Parnon (bis 1900 m hodi) im O. Beide enden in sehmalen, felsigen Halbinseln, welche den laconischen G-olf umschliefien und deren auBerste Spitzen die Vorgebirge von Tanarum und Malea sind. ihe geschichtliche Bedeutung der Landschaft beruht auf der frucht- baren Ebene des Eurotas, die dureh einen Hohenzug, welcher die beiden Gebirge etwa in der Mitte der Landschaft verbindet, in zwei Theile zerfallt, von welchen der nordliche Lacediimon in engerem dinne ist. Hier lagen Amtjclae, die altere, und Sparta , die jiingcre Hauptstadt, letzteres ein offener Ort mit vielen Garten, erst, im 2- Jahrhunderte ummauert. Die iibrigen Orte im Innern waren un- bedeutend; als Kriegshafen war Gijthium wichtig. B. Gesehiehte Spartas. I. Die Lycurgische Verfassung. 1 Die Zeit, welche dem Einbruche der Dorier in den Peloponnes unmittelbar folgte und in welcher auch die Heldensage uns verlilsst, •st hochst ungenau bekannt und namentlich die Chronologie bis um 500 vollig unsicher, da die Griechen lange keinen allgemein an- erkannten Ausgangspunkt ftir die Zeitrechnung hatten. Es ist sogar zweifelhaft, ob Lycurg, der ins 9. Jahrhundert gesetzt wird, cine historische Personlichkeit oder ein spartanischer Heros ist. Auch liisst sicli nicht angeben, welche Einrichtungen er schon vorfand, welche von ihm selbst herruhren und welehe der nachljcurgischen Zeit angehoren. Man kann daher nur die ausgebildete spartanische Verfassung im Zusammenhange darstellen, vvobei bemerkt werden muss, dass auch sie eine Entwicklung gehabt hat. Die Uberlieferung iasst Lycurg als Friedensstifter zwischen den streitenden Parteien ur ‘d Begriinder der spartanischen Staatsordnung auf; auch wurden die wichtigsten Einrichtungen und Gesetze ihm allein zugeschrieben. Bei der spartanischen Verfassung kommen wesentlich drei Um- stande in Betracht; es sind dies die Bevolkerung, die politischen Einrichtungen und die Zucht. a) Die Bevolkerung. Sie zerfiel in die herrschendcn Dorier und die unterworfenen Achder; die letzteren waren theils Peridken, theils Delo/, en. 'J. Jahr Gilbert, Handbucli der griechisclien Staatsalterthumer, zwei Bande, 1881 u. fg. Die Griechen. 76 Die Dorier. An Zalil den Achaern beiweitem nachstehend, bildeten sie den einzigen politisch berechtigten Theil der laconisclien Bevolkerung. Sie liatten infolge einer Art von Zusammensiedlung (avvoiv.iaf.i6s) iliren Sitz in Sparta und heifien deshalb Spartiaten. Wie die Dorier iiberhaupt die Dreizahl lieben, zerfielen sie in drei Stamme ( cpvlal ) und wahrscHeinlich 30 Oben. Ihre Zalil nahm stetig ab; wahrend fiir die Zeit der Perserkriege 8000 angegeben werden, bestimmt sie Aristoteles fur seine Zeit auf nicht ganz 1000, welche um die Mitte des 3. Jahrhunderts auf 700 berabsanken. Von jeder Arbeit befreit, widmeten sie sicli ausschlieClicb dem politischen und militdrischen Dienste. Die Peridken («Umwohnende»). Sie waren personlich frei, aber politisch rechtlos. Sie bildeten den Nahrstand und beschaftigten sicli mit Ackerbau, Handel und Grewerbe; sie mussten Abgaben zahlen und Kriegsdienste leisten. Mit den Spartiaten zusammen wurden sie dem Auslande gegeniiber als Lacedamonier bezeichnet. Die Heloten (die Etymologie des Wortes ist unsicher) waren Staatssclaven, die gleich den mittelalterlichen Leibeigenen an die Scholle gebunden waren. Sie mussten von dem ihnen zur Bebauung zugewiesenen Ackerlande den Spartiaten bestimmte Abgaben liefern. Ihre Zakl war sehr grob, ihre Behandlung schlecht, die Dorier unter- nahmen mitunter formliche Kricgsziige (■ YQvnreiai ) gegen sie. Frei- lassung durch den Staat kam vor; diesein dienten sie auch als Leicht- beivaffnete, seit dem peloponnesischen Kriege selbst als Hoplitcn. b) Die politischen Einrichtungen. Sie sind eine Fortbildung der Homerischen Zustande; es kommen daher, vvie in jener Zeit, Konigthum, Ratli und Volksversammlung in Betracht. Eine neue Einrichtung ist das Ephorat. a) Konigthum. Eigenthiimlich ist Sparta die Einrichtung des Doppelkonigthums, das am besten als Folge der Einigung zweier Herrschergeschlechter, die frliher zwei oinzelnen Staatswesen im Eurotasthale vorstanden, sich erklaren lasst (vgl. das Doppelkonig- tlmm des Romulus und Titus Tatius in Rom). Die beiden Geschlechter heiCen Agiaden und Eurgpontiden; das erstere war wahrscheinlich achaischen, das zweite bestimmt dorischen Ursprungs; dadurch war auch ihr haufiger Zwiespalt veranlasst. Die Stellung des heroischen Konigs als obersten Richters, Priesters und Heerfuhrers war in Sparta durch den grofien Einfluss des Rathes Lycurg\ 77 und der Ephoren so beschrankt, dass sicli der Konig nur als Feld- herr verhaltnismafžig selbstandig bewegen konnte . 1 i S) Rath der Alten (pegavola). Er bestand auCer den Konigen aus 28, iiber 60 Jahre alten Spartiaten, welche durch den Zuruf des Volkes auf Leben szeit gevvahlt wurden. Sie waren unverantwortlich. Der Rath batte politische und richterliche Befugnisse; erstere bestanden in der Vorberathung der Antrage ftir die Volksversammlung und — im Vereine mit den Konigen und Ephoren — in der obersten Regierungsthatigkeit, letztere in der obersten Strafrechtspflege. y) Volksversammlung (mreHa). Zu ihr hatten alle liber 30 Jahre alten Spartiaten Zutritt; sie trat jedeu Monat einmal, in historischer Zeit unter dem Vorsitze der Ephoren, zusammen. Die Volksversamm¬ lung entscliied iiber Krieg und Frieden, wahlte die Geronten, Ephoren und wahrscheinlich auch andere hohe Beamte und hatte wohl aucli die Gesetzgebung. Die Abstimmung erfolgte durch Zuruf. d) Ephorat. Sein Ursprung ist dunkel, nach der alteren Uber- lieferung ist es von Lycurg eingesetzt. Die flinf auf Jahresfrist von der Volksversammlung gewahlten Ephoren (=Aufseher) erscheinen seit dem 5. Jahrhunderte als die entscheidende Behorde, neben der das Konigthum, die Volksversammlung und selbst der Rath zurtick- treten. Ilire vier wichtigsten Rechte waren: Sie leiteten Volksver¬ sammlung und Rath, deren Beschliisse sie ausfiihrten, hatten cin allgemeines Aufsichtsrecht iiber die Jugenderziehung, konnten die Konige zur Verantwortung ziehen und ins Gefangnis werfen und hatten die Aufsicht liber die Staatsfiiianzen. Das Ephorat Uidete den festen Mittelpunkt der spartanischen Politik nach innen und nach aufien. Allgemeiner Charakter dieser Einrichtungen. Diese Verfassung 'st nach Aristoteles aus monarchischen, oligarchischen und demokra- tischen Bestandtheilen gemischt, letzteres deshalb, weil die Ephoren (< aus dem Volke« gewahlt vvurden. Sie hat das Konigthum, das in den iibrigen Staaten nach der dorischen Wanderung allmahlich ver- sclnvindet, in Sparta dem Namen nach aufrecht erhalten, in Wirk- lichkeit aber in eine oligarchische Verfassung umgestaltet. Daber hetreibt Sparta nach auCen eine oligarchische Politik und bekdmpft die Ty rannis und die Demolcratie. c) Zucht ( &ywyf t ). Ihr Ziel war, die Spartiaten korperlich mog- lichst stark und waffengeiibt zu machen, damit sie durch ihre Uber- 1 Nadi Arist.. (Pol. 3, 14) ist das spartanische Konigthum ai:paTi|yia auTii- ''•patmp /. ai afSio?. Ober die Ehrenvorrechte der Kiinige V gl. Her. VI, 5G u. fg. 78 Die Griechen. legenheit ersetzten, was ihnen den Achaern gegeniiber an Zahl ab- gieng. Deshalb war das ganze Privatleben vora Staate geregelt und strenge iibervvaclit, was durch den Synocismus der Dorier in Sparta moglich war. Dic geistige Bildung trat dagegen zuriiek, nur der Chor- gesang wurde eifrig gepflegt. Sehwachliche Knaben wurden ausgesetzt; vom siebenten Jahre an wurden die Knaben den Familien entrissen und vom Staate er- zogen, der sie zur Uberwachung in Abtheilungen ((lovcu) gliederte. Vom zvvolften Jahre an schliefen sie auf Štren. Alljahrlich wurden sie gegeifielt; wer es am langsten aushielt, galt als Sieger. Vom 18. bis zum 20. Lebensjahre leisteten die Jiinglinge im Innern militarischen Dienst. Vom 20. Jahre an gehorte jeder Spartiate einer Zeltgenossen- schaft (cpeidhiov) von ungefahr 15 Mitgliedern an und musste in seiner ganzen Lebensweise die grofite Einfachheit einhalten. Das Hauptgericht war die bertichtigte «schwarze Suppe», ein in Blut gekochtes und mit Salz und Essig gewiirztes Schvveinefleisch. Der Staat duldete bis zum Ausgange des 4. Jahrhunderts nur Eisengeld, der Besitz von Gold oder Silber war bei Todesstrafe verboten. Dieselbe Strafe war auf die Auswanderung gesetzt, denn sie galt als Desertion, da der Spar¬ tiate vom 20. bis zum 60. Jahre kriegsdienstpflichtig war. Ihre Lieb- lingsbesehaftigung im Frieden war die Jagd (vgl. die alten Germanen). Mogen immerhin in a-lter Zeit alle Spartiaten ziemlich gleichen Besitz gehabt haben, von der ZeitHerodots an ist der Gegensatz von Armen und Reichen in Sparta bezeugt. Beurtheilung. Sparta glich auch im Frieden einem Kriegslager, 1 kein 'VVunder, dass die Spartaner bis zur Schlacht bei Leuctra (371) als unbesiegbar galten. Niemals hat eineVerfassung zugunsten des Staates so riicksichtslos ins Familienleben eingegriffen. Wahrend die Pflege der Wissenschaften und Kunste das Werk der Jonier (Athener) war, hat sich Sparta dadurch wesentliehe Verdienste um Grieehenland ervvorben, dass es durch die militarische Erziehung und stramme Staatsordnung die Widerstandskraft der Griechen bedeutend starkte. Einen solchen Staat driingte es zu Eroberungen, Messenien fiel ihm zum Opfer. 2. Die ersten zwei messenischen Kriege. Die Ursache beider Kriege war die Eroberungslust der Spartaner. IJie Veranlassung zum ersten Kriege gaben verschiedene Stfeitigkeiten 1 Der Dichter Pindar (6. Jahrhundert) sagt: Speer, Muse und Gerechtigkeit, lierrsclien in Sparta. Messenische Kriege. 79 zAvischen den beiden Nachbarlandern; beide. Kriege sind von der Sage verherrlicht, die Chronologie steht nicht fest. Geographie Messeniens. Messenien, die stidwestliche Abdachung des Peloponnes, ist die fruchtbarste und mildeste Landschaft Gfrie- chenlands, in der schon Datteln von geringerer Qualitfit reifen. Das Land ist theils von niedrigen, isolierten Berggruppen , deren keine 1400 m hoch ist, theils von dei' Ebene des Pamisos, der allein unter den Flussen der Halbinsel fttr Boote fahrbar ist, ausgefiillt. Diese Ebene zerfiillt durch einen vortretenden Hohenzug, auf welcheni die Festung Ithome lag, in einen nordlichen und sudlichen Theil (vgl. Eurotasthal); im ersteren stand die alte Hauptstadt Stengclaros. Pglos mit seinem vorziiglichen Hafen galt als Herrschersitz Nestor s; Messene ist erst eine Schopfung des 4. Jahrbunderts. Erster messenischer Krieg (8. Jahrhundert). Nach zwei un- entscbiedenen Schlachten zogen sich die Messenier auf' die Bergfestung Jthome zurttck, deren Belagerung und endliche Eroberung durch die Spartiaten den Ausgang des Krieges entschied. Ein Theil der Messenier wanderte aus, die iibrigen Avurden zu Perioken herabgedriickt; ein grofier Theil des Landes Avurde eingezogen und in moglichst gleiche Ackerlose fiir die Spartiaten getheilt. Daraus soAvie aus spiiteren Los- anvveisungen scheint sich die Sage entAvickelt zu haben, dass Lycurg den Spartanern durchaus gleiche Ackerlose zugewiesen habe. Zweiter messenischer Krieg (7. Jahrhundert). Eine Niederlage der Spartaner im Kampfe gegen Argos ermuthigte die Messenier, die VVaffen fiir il ire Freiheit zu ergreifen. Unter der Fuhrung des Aristomehes, nach dem die Alten den Krieg benennen, behaupteten sich die Messenier langere Zeit, unterstutzt durch Zuziige aus Argos und Arcadien und begiinstigt durch Streitigkeiten in Sparta. Letztere beendete der Dichter Tgrtaus, Avelcher die Spartaner zur Eintracht und zu neuer Kainpfeslust entflammte, Avahrend die Messenier durch den Abfall der Arcadier schAveren Schaden litten. Sie zogen sicli daher auf die Bergfestung Ir a zuriick, mit deren Einnahme infolge von Verrath der Krieg endete. Abermals Avanderten viele Messenier aus, die zurtickbleibenden Avurden zu Heloten gemacht. Ergebnis. Sparta hat zuerst unter den griechischen Landschaften den Weg der Eroberung betreten, es legte dadurcli den Grund zn seiner Machtstellung. Die Bliite Messeniens war dahin, die bedriickten Messenier_sannen wiederholt auf Abfall. S. .Taln i 7 . Jalti-] 80 Die Griechen. 6. Jahrli. 3. Kriege Spartas mit Argos und Arcadien; Hegemonie Spartas im Peloponnes. Wiederholt ftihrte Sparta Krieg mit Argos, deni Herrschersitze der Heracliden in Argolis, wo niemals das dorische Wesen sich dem alteren achaischen gegeniiber zu einer solehen Ubermachtsstellung wie in Sparta emporarbeitete. In diesen Kiimpfen dehnten die Spar- taner ihr Gebiet iiber den Parnon nacb Osten bis ans Meer aus und machten die Aufricbtung einer argivischen Vorherrschaft im Pelo¬ ponnes fiir immer unmoglich. Fortwabrend berrsclite aber zwiseben beiden Staaten Feindschaft. Der Versuch, Arcadien zu unterwerfen, scheiterte an dem kraftigen Widerstande Tegeas, das damals die machtigste Stadt der Landschaft war. Deshalb gab Sparta die kriegerische Balm auf und suchte auf andere Weise seine Machtstellung zu erhohen. Wie zuerst mit Tegea, schloss namlich Sparta auch mit den iibrigen Stadten des Peloponnes Vertrage, denen zufolge sie die militdrische und diplomatische Fiihrung (Hegemonie) Spartas an- erkannten und sich zu bestimmter Geldzahlung und Truppenstellung verpdichteten. Ein Bundesrath, in welchem die einzelnen Mitglieder gleichberechtigt waren, entschied mit Stimmenmehrheit, die Ausfiibrung der Beschliisse ubernahm Sparta. In ihren inneren Angelegenheiten waren die Bundesmitglieder frei , docli unterstutzte Sparta iiberall die Oligarcliie, half daher bei der Vertreibung der peloponnesischen Tyrannen mit. Nacb Sparta war Corintli, die grofite damalige See- stadt Griechenlands, die bedeutendste Stadt des Bundes. Nur Argos und Achaia liielten sich ferne. Zu einer umfassenderen Form der nationalen Einigung als der Hegemonie haben es die Griechen niemals gebracht. Ergebnis. So stand Sparta seit der Mitte des 6. Jahrhunderts an der Spitze des Peloponnes; es galt im iibrigen Griechenland und im Auslande als die einzige griecliische Grofimacht, vreshalb in den Perserkriegen die Griechen auch auOerhalb des Peloponnes, Athen nicht ausgenommen, die spartanisehe Hegemonie anerkannten. 1 1 Crosus sagt bei Her. (I, 69): ufisa? (die Spartaner) yap Tuuv^avopiat 7upoeaTavai urj<; f EXXa8o?. Greogvai>hie Atticas. 81 Ul. Athen. A. Geographie Atticas. Beschreibung der Landschaft. Attica (dvjcrj — Ufer), die siid- ostliche Iialbinsel Mittelgriechenlands, 2 BOO /«w 2 grofi ( 1 / 10 von Steier- mark), enthalt eine Menge einzelner, durch kleine Ebenen gesonderter Gebirgsglieder von sehr verschiedener Richt.ung. Im Norden schliefien es die bewaldeten Z fige des Citharon und Parnes (beide 1400/« hoch) ab, alle iibrigen, baumlosen, aus Marmor bestehenden Berggruppen nehmen nach Sttden hin an Hohe ab; es sind dies der marmorreiclie Brilessos (PenteliJcos), der honigreiche Hgmettos und das silberreiche Lauriumgebirge. Von den Ebenen kommen hauptsachlich die von Athen, die grofite des Landes, und die von Eleusis in Betracht; die erstere ist vom Ilissus und Cephisus bewassert, die im Sommer das Meer nicht erreicben. Athen hat sehr wenig Niederschlag (400 mm, selbst Cairo hat keinen reineren Himmel), da es im Regenschatten des atolischen und arcadischen Berglandes liegt; deshalb betrieb es besonders Wein+, Oliven- und Feigenbau und musste Getreide vom Auslande, namentlich aus den pontischen Gevvassern, beziehen, wahrend Eleusis mit seinem reicher bewasserten Boden ergiebigen Aekerbau betrieb. Damit hangt die besondere Verehrung der Athene in Athen und der Demeter und des Dionjsos in Eleusis zusammen. Attica ist fur die Aufnahme Fremder von der Seeseitc her sehr gfinstig angelegt, denn seine Kfisten sind hafenreich und die frucht- barsten Ebenen gegen das Meer geoffnet. Die Hafen Athens. 1 Der alteste Hafen war der offene von Phaleron, an dessen Stelle durch den Scharfblick des Themistocles die bergige Halbinsel (ursprfinglich eine Insel) des Piraus — man ffluss die Halbinsel und den Hafen Piraus voneinander scheiden — welche die alte Festung Mungchia trug, zum Kriegs- und Handelshafen Athens umgestaltet wurde. Durch ihn wurde auch der Bau der beiden langen oder Schenkelmauern (pa gce/pd id crdlrj) begonnen, von denen die nordliche zum Piraus, die siidliche zum Phaleron fiihrte. Pericles erbaute eine mit der nordlichen parallele ztveite Mauer zum Firstu s (to votlov TSi%og). Zur Topographie Athens. Den altesten Kern der Stadt bildete die Burg Acropolis (150 m hoch) mit ihrer nachsten Umgebung, 1 Nacli Lolling in J. MLillers Handbuch. Zeelie, Geschichte doa Altertliums. 6 82 Die Griechen. namentlich im Sriden; 1 auf ihr standen die altesten Heiligthtimer, z. B. das der Athena Polias, sowie die Wohnung des Kijnigs. Unter Pericles wurden die Prachtbauten des Parthenon, Erechtheum und der Propglaen hier aufgeftihrt. Ursprunglich war nur die Acropolis be- festigt, die erste feste Ummauerung der Stadt riilirt von Themistocles ber. Der Markt ( djogd ), der nur ausnahmsweise fiir Volksversamm- lungen beniitzt wurde, lag im Norden der Burg, nordwestlich dav on der sogenannte Theseustempel; das Theater des Dinngsos befand sich am Siidabhange der Burg, rveiter ostlich daš Odeon des Pericles, siid- ostlich davon der grofie Tempel des ohjmpischen Zeus. Die Volks- versammlung wurde entweder auf die Pnyx, eine Hohe westlich von der Burg, oder, was spiiter das Grewohnliche war, ins Theater berufen. Der Htigel des Arenpag lag zwischen der Pnyx. und der Acropolis. B. Geschichte Athens. Die Geschichte Athens in diesem Zeitraume zerfallt auf Grund der Verfassungsentwicklung in vier Abschnitte: 1.) die Zeit vor Solon; 2.) die Solonische Verfassung; 3.) die Tyrannis des Pisistratus; 4.) die Begrundung der Demokratie durch Clisthenes. 1. Athen vor Solon. a) Herrsehaft der Konige. Einigung des Landes, Gliederung der Bevolkerung. Aufler Sparta war Athen die einzige Stadt, welcher die Einigung einer ganzen Landschaft, und zwar durch Waffengewalt, gelang. Daher bezeichnet der Ausdruck: ni 'A9rpicuoi in staatsrechtlichem Sinne die Bewohner von ganz Attica. Die Erhebung Athens zur Hauptstadt des Landes, dessen Bevolkerung theihveise nach Athen ubersiedeln musste, war nach der Uberlieferung das Werk des Theseus, der aucli den orien- talischen Einfluss in Attica beseitigte. Zum Andenken an die Eini¬ gung der Landschaft feierten die Athener das Fest der Panathenaen. Athen ist daher, ahnlich wie Sparta und Rom, aus einem Synocismus (S. 76) erwachsen. Audi ftir Athen sind die Einrichtungen der Homerischen Zeit: dreifache Stellung des Konigs, Rath der A/ten und Volksversammlung, mafigebend (S. 76). 1 Im 6. Jahrhunderte vvurtle (ter Mittelpnnkt des stiidtischen Lebens mehr nach Norden verlegt, so dass der Siiden allmalilich verodete. Vgl. K. Curtius: Die Stadt- geschichte von Athen, 1891. Aristokratie. 83 Der Uberlieferung nach war die Bevolkerung gegliederl. in vi er Phylen (Stamme), zwolf Phratrien (Sippen), 360 Geschlechter und 1080 Familien (vgl. in Bom tribun, curiae, gentes, familiae ). Jedes Geschlecht umfasste 30 Familien, die sich von einem gemeinsamen Stammvater ableiteten und durch einen gemeinsamen Cultus vereinigt waren. Der Fortschritt in der staatlichen Entwicklung bestand darin, dass diese urspriinglich auf der Venoandtschaft beruhende Gliederung den Zwecken der Staatsvenvaltung dienstbar gemacht wurde. Wahrend Attica von den Stiirmen der dorischen Wanderung verschont blieb, versuchten spater die Dorier nach der Besetzung des Beloponnes sich auch dieses Landes zu bemachtigen. Nach der Uber¬ lieferung wurde dies durch den freiwilligen Opfertod des Konigs Codrus verhiitet. Mit ihm endet die Konigsherrschaft. b) Herrschaft des Adels (der Eupatriden). 1. Begriindung der Aristokratie. Nirgends erfolgte der Uber- gang zur Adelsherrschaft so allmahlich wie in Athen; es regierte nam- lich zuniichst das ganze konigliche Geschlecht, der jeweilige Herrscher, fnr den spater der Name doycov iiblich wurde, vvar an dessen Zustim- mung gebunden, so dass aus dem Konigthume eine verantwortliche Magistratur, aus dem Konige der lebenslangliche Prasident einer aristo- kratischen Republik wurde, den die Eupatriden einsetzten. Die weiteren Stufen der Entwicklung sind: a) Beschrankung derDauer des Archontats auf zehn Jahre, 752; b) Beseitigung des Vorrechtes des koniglichen Hauses, 712; c) jahrliche Einsetzung von neun Archonten aus dem Adelsstande, 683 oder 682. Von diesen standen im Range am hochsten: oj uq%iov smovvuog, so genannt, weil sein Name an der Spitze von verschiedenen Beamten- verzeichnissen stand; er hatte die Entscheidung in Fragen des Familien- 'rechtes; fi) a. (Haoikevg, der in der orna fiaoiletcc amtierte; auf ihn gieng mit dem Namen die priesterliche Stellung des Konigs iiber, er hatte n Srn li eh die Oberaufsicht iiber die Tempel und die religidsen Einrichtungen ; y) a. noXtgaQ/og, der Anfuhrer im Kriege und Ver- walter des Militdrwesens. So waren die wesentlichsten Rechte des Konigs unter die drei ersten Archonten vertheilt. Die sechs tibrigen, Thesmotheten genannt, hiiteten das miindlich fortgepflanzte RecM, das sie auch fortbildeten. Allmahlich sank die Bedeutung des Archontats; in der Zeit des Pericles war es eine leere Ehrenstelle. G* 752 . 712 . 683 ( 682 ). 84 Die Griedien. Da auch der Ratli (/ Sovlrj ) nur aus Eupatriden gebildet wurde, so war der Sturz des Konigthums ausschliefilich dem Adel zugute gekommen. 2. Opposition des Volkes; Gesetzgebung Dracons. Gegen diese unbeschrankte Adelsherrschaft erbob sich eine Opposition seitens der nichtadeligen Bevolkerung, die tlieils politischer, tlieils wirtschaft- licher Art war. Die erstere hatte ihren Grund in der Rechtlosigkeit des Volkes und in der Unsicherbeit des Rechtes, die letztere in der materiellen Noth der Landleute, die unter der Getreideeinfuhr aus den Pontosgegenden litten und nach Aristoteles nur Pachter waren, wahrend der ganze Grund und Boden den Adeligen gehorte. Das Volk zerfiel damals in die Geomoren (Bauern), welclie in Notli gerathen und dureb das strenge Scbuldrecht sowie die Zinsenlast (wenigstens 10 °/ 0 ) bart gedriickt waren, die Diacrier (die armen Vieliziicbter im Berglande) und die Paraler , welche durch Seehandel reich gevrorden waren. Um dem Ausbruche einer Revolution zuvorzukommen , liefien sich die Eupatriden zur Aufzeichnung des bestehenden strengen Rechtes ' Um 621. herbei, womit sie den Archonten Dracon beauftragten (um 621). Da er aber das bestehende Recht nicht milderte und die sociale Frage nicht beriicksichtigte, so befriedigte sein Werk das Volk nicht. 1 Um 612. 3. Kylon (um 612). Auf die Unzufriedenheit des Volkes gestiitzt, bemachtigte sich ,Kylon mit Hilfe seines Schwiegervaters, des Tyrannen von Megara, der Acropolis, wurde aber vom Volke und Adel ver- driingt. Wahrend er sich rettete, wurden seine Anhanger auf Be- treiben des Alcmaoniden Megacles an den Altaren der Gotter ermordet. Wegen dieses Frevels wurde das ganze Geschlecht verbannt. Da die Unzufriedenheit des Volkes mit den politischen und wirtschaftlichen Verhiiltnissen fortbestand, so drohte wieder eine Re- volution auszubrechen • da wurde Solon der Retter des Staates. 2. Die Solonische Gesetzgebung. Der Codride Solon, ein Kaufmann, einer der sieben Weisen und Dichter, hatte durch eine Reise seinen geistigen Horizont erweitert und durch seine bisherige Thatigkeit sich das Vertrauen seiner Mit- biirger ervrorben. Er veranlasste namlich a) die Bestrafung der Alcmaoniden (s. oben); b) die Wiederaufnahme des bisher unglucklich 1 Plut. Sol. 17: oz c oC aujaro;, ou oia (j.£Aavo? zol><; vdfjioo? 6 Apaxwv, £ypa-i/£v. Solonische Gesetzgebung. 85 gefuhrten Krieges mit Megara, wodurch die Atbener den Gegenstand des Kampfes, die Insel Salamis, zuriickgewannen, und c) die Tlieil- nahme Athens am sogenannten ersten heiligen Kriege gegen die Crisaer, die von den nach Delphi pilgernden Wallfahrern Zollgebiiren einhoben und diesen Frevel mit der Zerstorung ihrer Stadt btibten. In kluger Nachgiebigkeit wahlten die Eupatriden Solon zum Archon fiir das Jahr 594 und beauftragten ihn, eine neue Staats- - 594. verfassung zu enttverfen, welche in diesem und den folgenden Jahren zustande kam. Entsprechend den beiden Quellen der Unzufriedenheit, besteht sein Werk aus einem wirtschaftlichen und einem politischen Theile; der erstere als der wicktigere wurde zuerst in Angriff ge- nommen. Dazu kommen noch Bestimmungen liber Recht und Sitte. a) Wirtschaftliche Reformen. Der lebhafte Aufsehwung des Handels hatte in den Handen einzelner Kaufleute grobe Geldsummen aufgehauft, aus denen sie gegen hohe Zinsen den herabgekommenen Bauern Darlehen gaben; konnten diese nicht zahlen, so wurden sie ins Schuldgefangnis geworfen. Das Los der Bauern musste dahcr, selbst auf' Kosten der Kaufleute ; verbessert werden, und diesem Zwecke diente die Seisachtheia (Lastenabschiittelung). Sie bestand in der voll- stfindigen Schuldentilgung (nach anderen Angaben in einem Nachlasse von 27 %)> in der Feststellung des Maximums an Grundbesitz, in der Freigebung der Schuldknechte und der Aufhebung der Schuld- knechtschaft. Durch diese MaCregeln hat Solon fiir lange Zeit die Existenz des Bauernstandes gesicbert. Fiir den hnanziellen Verlust w ur den die nichtadeligen Kaufleute durch politische Zugestandnisse entschadigt. b) Politische Reformen. Eintheilung der Burgerschaft. Wahrend bisher nur die adelige Geburt politische Rechte gab, regelte er das Mafi der politischen Rechte und Pflichten der Biirger nach dem groberen oder geringeren Ertragnisse aus dem Grundbesitze, so dass seine Verfassung einen timokratischen Charakter hat (Ttprgia = census). Darnach theilte er die Bevolkerung in vier Classen: a) nevra- 'Maiogedtgvoi, , iiberwiegend Eupatriden, die Grobgrundbesitzer, welche 500 Medimnen Gerste oder 500 Metreten 1 Wein oder 01 ernteten; b) 'inneic mit 300 bis 500 Medimnen Jahresertragnisses; c) £evyiTcu, welche ein Gespann (Cevyog) zur Bestellung ihrer Felder halten konnten, mit, 150 bis 300 Medimnen, die zahlreichste der drei ersten Classen, 1 Ein Medimnos betrug etwas iiber 50, ein Metretes 39 -Liter. 86 Die Griechen. die eigentliehen Bauern; d) Stjieg. Wahrend die drei ersten Classen als Hopliten und durch Zahlung von Abgaben dem Staate dienten, zahlten die letzteren keine Steuern und leisteten, wenigstens ursprung- lich, keine Kriegsdienste. Dafiir standen sie auch an politisehen Rechten den drei ersten Classen nach; als sie aber in den Perserkriegen als Leichtbewaffnete und als Flottenmannschaft wichtige Dienste leisteten, erhielten sie aueh politische Gleichstellung mit jenen. So herrschte zwischen Rechten und Pflichten ein schones Fbenmafi. Volksversamrnlung, Rath und hochste Beamte. Die drei politisch maBgebenden Factoren der honiglichen Zeit finden wir auch in der Solonischen Verfassung vertreten; docli ist die Entscheidung an die Volksversamrnlung gekommen und der Einfluss der hochsten Beamten, die an Stelle des Konigs getreten sind, sehr eingeschrankt. 1. ) Volksversamrnlung (sxY.lrjoia). Zur Theilnahme daran waren alle liber 20 Jahre alten athenischen Burger berechtigt, wenn sie nicbt als politisch rechtlos (atigot) erklart waren. Die drei Hauptrechte der Volksversamrnlung waren die Gesetzgebung, die Wahl der hochsten Beamten und Entgegennahme ihrer Rechenschaftslegung (ei'dvvrj), die Entscheidung iiber Krieg und Frieden sowie den Abschluss von Biind- nissen. RegelmaCig wurden damals vier Versammlungen abgehalten; die Abstimmung erfolgte gewohnlich durch Aufheben der Ha n de. 2. ) Rath ((lovhfj). Er bestand aus 400 Mitgliedern, 100 aus jeder Pliyle, die nur den drei ersten Classen entnommen werden durften. Er stand als berathende Behorde den Archonten zur Seite und hatte aufierdem das Recht, liber die der Volksversamrnlung vorzulegenden Antrage einen Vorbeschluss zu fassen und als hochste Regierungs- und Verwaltungsbehorde liber alle Beamten und die Finanzen die Aufsicht zu ftihren. Da er jahrlich erneuert wurde, entwickelte sich in seinem Schofie keine standige Politik. Die laufenden Geschafte erledigten die Prgtanen, d. h. die Ver- treter einer Phyle, die sich jedes Vierteljahr ablosten. 3. ) Archontat. Daran iinderte Solon nichts, es blieb ausschliefi- lich der ersten Classe vorbehalten. 4. ) Areopag [fj ev nuyo> (tovlrj), das iilteste athenische Blutgericht (vgl. Orestessage). Solon bestimmte, dass nur Archonten, welche ihr Amt tadellos verwaltet hatten, auf Lebenszeit in den Areopag eintreten durften, und wies ihm folgende drei Redite zu: Er blieb der oberste Gerichtshof liber die scliwersten Verbrechen, wie Mord, Solonisch e Gesetzgebung. 87 Brandstiftung u. <3gl. • er erhielt das Redit, dass sittliche und religiose Leben der Burger zu iiber ivachen; endlicb die Befugnis, Besdiliisse des Ratbes und der Volksversammlung, die ihm mit dem Staatswohle unvertraglicli schienen, fiir ungiltig zu erklaren. 5.)Iieliaa (filiala), Geschwomengericht. An sidi hatten alle iiber 30 Jalire alten Athener Tbeilnahme an diesem Gerichte, an weldies von gewissen Entscheidungen der Archonten appelliert werden konnte; in Wirklichkeit nahmen aber nur diejenigen daran theil, welche nach vorausgegangener Meldung von den Arcbonten zugelassen worden waren. Die Geschwornen richteten von Fali zu Fali entweder in der Gesammtbeit oder nur einem Theile; die Angaben tiber die Zahl der Mitglieder scliwanken zwischen 200 und 2500. Die Gericlitshoheit bat das Volk zum Herrn im Staate gemacbt, und die Heliasten haben, durcli das Geftibl der Unverantwortlichkeit verfiihrt, niclit selten un- gerecht geurtheilt. c) Bestimmungen iiber Recht und Sitte, Erziehung und Unterricht. Audi auf diesem Gebiete beriicksichtigte Solon das Her- kommen. Er beschrankte die Recbte der Gesclilechter und des Haus- vaters und bob dadurch das Anseben des Staates. Dem Vater wurde verboten, seine Kinder zu verkaufen oder zu verpfanden, aucli wurde er verpfliclitet, ftir ihre Erziehung zu sorgen, widrigenfalls er das Recht auf Altersversorgung durcli die Kinder verlor. Die Erziehung war in Athen weit vielseitiger und dem Staate gegeniiber selbstandiger als in Sparta; denn in Athen wurde aucli die geistige Bildung sehr beriicksichtigt, und der Staat beschrankte sich auf die Beistellung der Ringschulen (Gjunnasien) und eine gewisse Ubenvachung des Unter- richtes, der nur in Privatschulen ertheilt wurde. Der Unterricht zerfiel in Gymnastik, Grammatik (yoctuiAataj und Musile; die Grammatik vermittelte die Kenntnis des Lesens und Schreibens, die Musik (Saiten- spiel und Gesang) solite die Leidenschaften mafiigen und edlere Geftihle entwickeln. Dem Elementarunterrichte folgte die Lectiire der Dichter, namentlich Homers, dessen Werke manche Knaben auswendig wussten. Solon hielt es ftir eine Schande, wenn jemand der Armut nicht durch Arbeit zu entgehen wisse; deshalb bestimmte er auch, dass nie- mand seines Gewerbes wegen beschimpft werden diirfe, und soli auf den MiiCiggang die Todesstrafe gesetzt haben. Auch den Sclaven gegeniiber machte er Menschlichkeit zur Pfliclit. Jeder Burger wurde verpflichtet, bei inneren Zwistigkeiten Partei zu ergreifen. 88 Die Griechen. Charakter dieser Verfassung. Die Solonische Gesetzgebung hat einen conservativen Charakter, d. h. sie bricht nieht schroff mit der Uberlieferung, was besonders in der Stellung des Rathes und des Areopages zum Ausdrucke kommt. Ihr timokratischer Charakter liefi eine Fortbildung in demokratischem Sinne zn. Solon selbst sagt in einem Gedichte: /drjfttp gh yaQ edor/.a %oaov zpcfrog, oooov Inaov.u. Vgl. dazu seinen Wahlspruch: Mrjdiv ayav. Die Solonische Verfassung war der feste Rechtsboden, auf den die Athener nach voriibergehenden Erschutterungen immer wieder zuriickkehrten. Solons letzte Lebensjahre. Wie der Anfang, so bezeichnet auch das Ende seiner Thatigkeit eine That der Versohnung: die Alcmaoniden durften zuruckkehren. Die neuen Gesetze wurden auf holzerne Pfeiler aufgeschrieben, welche auf der Burg aufgestellt wurden. Solon Uefi die Biirger schworen, zehn Jahre lang an ihnen nichts zu andern. Sodann begab er sich ins Ausland (Sage iiber sein Zusammentreffen mit Crosus ); 1 die Zeit seines Todes ist unbekannt. Die Zumuthung, die Tyrannis anzunehmen, hatte er unbedingt zuriick- gewiesen. 560—510. 3. Die Tyrannis (560 bis 510). Die gemiiffigten Reformen Solons stellten keine vollige Befrie- digung in Attica her; am unzufriedensten waren die armen Hirten und Kohlenbrenner im Gebirge, die Diacrier. An sie schloss sich Pisistratus, ein Verwandter Solons, an, um sich der Tjrannis zu be- machtigen. Gegen ihn verbanden sich Ltjcurg, der Fiihrer der Pediaer, der reichen Grundbesitzer, und Megacles, das Haupt der Paraler, und 538. vertrieben ihn zweimal. Gleichwohl bemachtigte er sich im Jahre 538 endgiltig der Alleinherrschaft und behauptete sie bis zu seinem Tode. Da alle drei Fithrer Adelige waren, so erkennt man, dass die Solo¬ nische Verfassung auf den Adel in politischer Beziehung zersetzend gewirkt hat. Pisistratus ist der Begriinder der athenischen Seemacht. VVahrend die athenische Politik bisher auf Salamis, Agina und Megara be- schranlct war, trat er in Beziehungen zu Bootien, Euboa, Naxos und Argos und begrundete den Einfluss Athens am Hellesponte. Seine Herrschaft zeigt die tgpischen Ziige der Tgrannis: durch Btindnisse mit anderen Tyrapnen befestigte er seine Stellung, durch Forderung 1 Her. I, 30 u. fg. Pisistratus und Clisthenes. 89 von Handel und Gevrerbe hob er die Einkunfte des Staates, er begiinstigte die Baukunst (er begann den Bau des Zeustempels in Athen) und die Dicbtkunst (der beriihmte Lyriker Anacreon lebte an seinem Hofe). 1 Die Solonische Verfassung lieC er bestehen, eine der Archontenstellen wurde stets seiner Familie vorbehalten. Thucydides riibmte an ihm, dass er seine Gewalt mit Tugend und Verstand gebraucht babe. Der Erbe seiner Machtstellung vvurde sein Sohn Iiippias, der sich Willkiir und Ungerechtigkeiten zusehulden kommen liefl. Gegen ibn und seinen jtingeren Bruder Hipparchos bildete sich eine Ver- schwdrung, an deren Spitze die als Tvrannenmorder vielgefeierten Harmodios und Aristogiton standen, deren Denkmaler spater am Auf- gange zur Burg aufgestellt wurden. Hipparchos wurde am Feste der Panathenaen getodtet; Hippias, der seine Harte steigerte, vier Jahre spater hauptsachlich durch die Alcmaoniden in Verbindung mit Sparta gestttrzt (510). Er fluchtete sich ins persische Reich. Die Ti/rannis 510. war in Athen fiir immer heseitigt. 4. Die demokratischen Reformen des Clisthenes und ihre vergebliche Bekampfung (509 und 508). Die Reformen des Clisthenes, 509. Clisthenes, das Haupt der 509. Alcmiioniden, stellte die Solonische Verfassung wieder her und bildete sie weiter fort, wodurch die Demokratie begriindet wurde. Zwar sind wir iiber seine Refoianen schlecht unterrichtet, doch lassen sich folgende Punkte feststellen : 2 1.) Er theilte Attica in 100 Demen, d. h. Ge- meinden mit eigener Communalverfassung, und vereinigte je zehn derselben zu einer Phyle, wodurch die lil ter e Eintheilung der Be- volkerung in vier (Geschlechter-) Phylen, die bisher Grundlage der * Verwaltung war, beseitigt wurde. Wahrend in einer alten Phyle die verwandten Geschlechter vereinigt waren, wurden jetzt einander fremde Geschlechter zu einer Phyle vereinigt (es trat das territoriale Princip an Stelle des gentilicischen), wodurch das Ubergewicht der adeligen Geschlechter umsomehr gebrochen wurde, als er in die Phylen auch zahlreiche in Athen lebende Fremde (uizoc/.oi), welche sich mit Handel 1 «Der widerspruchsvolIe Mythus» von der Eedaction der Homerischen Gedichte unter Pisistratus ist absichtlicli nnerwiihnt geblieben. Vgl. Ludivich, Aristarchs Homerische Textkritik I, S. 10. 2 Her. V, 66. Wahrseheinlich sind diese Reformen erst nacli und nacli Gesetz gevvorden. 91) Die Griechen. 508. und Gewerbe beschaftigten, aufnahm. 2.) Als Folge liievon wurde der Bath auf 500 Mitglieder (50 aus jeder Phyle) erhoht; die Ver- treter jeder Phyle bekleideten abwecliselnd, also 35 bis 36, in Schalt- jahren 38 bis 39 Tage 1 lang, das Amt der Prytanen; unter jeder Prytanie wurde eine Volksversammlung abgehalten. 3.) Wabrscheinlich fiihrte er das Los 2 3 statt der Bewerbung um die Arcbonten- und Raths- stellen ein, um den Einfluss der Adeligen bei den Wahlen zu be- seitigen. Da jeder, der sich meldete, sich einer Prufung unterziehen und nach Ablauf des Jabres Rechenschaft ablegen musste, waren unfahige Bewerber ferngehalten. Wahrscheinlich wurde auch damals das Archontat geschwacht und ein neues militarisches Amt, das der zehn Strategen (einer aus jeder Phyle) eingefiibrt. Die Stellen der Strategen und der Vorsteher der Finanzverwaltung wurden wegen der erforderlichen Sachkenntnisse durch Wahl besetzt. 4.) Die Ein- fuhrung des Scherbengerichtes {darganLapog). Wenn ein Mann des Strebens nach der Tyrannis verdachtig schien, solite er durch eine Volksversammlung, an welcher mindestens 6000 Burger — diese Zahl galt officiell == rcavreg Id&rjvaloi. — theilnehmen mussten, auf 10 Jahre aus Athen verbannt werden. Spiiter wurde die Einrichtung auch dazu gebraucht, dass das Volk zwischen zwei sich bekampfenden Partei- hauptern entscheide, und da es zu personlichen Zwecken missbraucht wurde, im peloponnesischen Kriege zum letztenmale angewendet. Durch diese Mafiregeln wurde die Demokratie gegen Tgrannis und Aristokratie geschiitzt. Bekampfung dieser Reformen durch die aristokratische Partei in Athen und die Spartaner, 508. Unter der Ftihrung des Isagoras bekampften die Eupatriden, welche ihre fruhere Machtstellung nicht verlieren wollten, die neuen Einrichtungen und riefen zur Unter- stiitzung die Spartaner herbei. Dieser Bund wurde spilter ofters er- neuert und beweist, dass politische Leidenschaften sogar uber die Vater- landsliebe siegen konnen. Obwohl die Spartaner die Selbstverbannung des Clisthenes durchsetzten und sich der athenischen Burg bemach- tigten, konnten sie sich doch auf die Dauer nicht behaupten, selbst nicht, als auch die Thebaner, Corinther, Agineten und die Bewohner 1 Die Atliener liatten Mondjahre von 354 und zur Ausg'leicliung- Sclialtjalire von 384 Tageu. 3 Als demukratische MaCregel aufgetasst bei Iier. III, 80. Colonisation. 91 von Chalcis auf Euboa die Waffen gegen Athen erhoben: denn es fehlte auf Seite der Verbiindeten an der rechten Einigkeit. Die Spartaner zogen ab, Chalcis wurde erobert und musste einen groCen Theil seines Gebietes abtreten, aus welchem den Athenern Ackerlose ('/Jrjgot.) zugewiesen wurden. Agina wiu - de nach einem mehrjahrigen Kampfe besiegt. Ergebnis. Die athenische Selbstandigkeit und die Demokratie waren gerettet, es blieb nur eine Gereiztheit zwischen den Athenern und Spartanern zuriick; des inneren Feindes aber, der oligarchischen Partei, ist Athen niemals Herr geworden. IV. Die Colonisation der Grieclien. Es kommen hiebei vorzuglich Veranlassung, Ort, Zeit, Betheili- gung der einzelnen Stamme und das Verhaltnis zum Mutterlande in Betracht. Die wichtigsten Veranlassungen zur Ausfiihrung von Colo- nien waren Ubervolkerung, innere Kampfe, Lust an Abenteuern und die Rucksicht auf den Handel. Zuerst setzten sich die Griechen im ostlichen Theile des Mittelrneeres fest, aus dem die Phonicier rasch ver- drangt wurden, sodann auch im westlichen, wo ihre Thatigkeit spater von den Romern fortgesetzt wurde. Im Anschlusse an die dorische Wanderung dauerte die Colonisation Jahrhunderte hindurch fort; ihre Bliitezeit waren das 8. und 7. Jahrhundert. Am lebhaftesten betheiligte sich daran der leichtbeweglichejonisclie Staram. Ungleich denromischen Colonien waren die griechischen von der Mutterstadt (uergrmohc) voll- standig unabhangig, nur ein Pietatsverhaltnis, das sich namentlich im Cultus und in Festfeiern auBerte, bestand zwischen Mutter- und Tochterstadt. Wahrend der Perserkriege blieben die Colonien theil- nahmslos. ' 1. Jonische Colonien. a) Europaische Jonier, namentlich die Athener und Euboer. Athen wurde der Ausgangspunkt fiir die wich- tigsten jonischen Colonien, namlich die Cgcladen, Ephesos und Milet. Auf Euboa waren Eretria und Chalcis besonders thatig. Letzteres griindete auf der dreifingerigen Halbinsel zwischen dem thermaischen (Golf von Saloniki) und dem strgmonischen Meerbusen (Golf von Orfani) 32 Stadte, weshalb sie den Namen Chalcidice erhielt. Auch die angeblich alteste Colonie in Unteritalien, Cumae, wurde von Euboa aus gegrundet; ebenso Zankle auf Sicilien, das spater von Messeniern besetzt und deshalb Messana genannt wurde. 92 Die Griechen. b) Asiatische Jonier, namentlich Milet. Milet, die stidlichste jonische Stadt, soli mehr als 80 Colonien in den getreidereichen pontiscken Gewdssern (Hellespont, Propontis, Pontus euxinus) angelegt haben. Von diesen wurde Sinope selbst wieder Ausgangspunkt zahlreicher Pflanz- stadte. Im Norde.n des schwarzen Meeres waren besonders die Fluss- mlindungen giinstige Platze; hier bliihte im Alterthume durch den Getreidehandel Olbia, wie heutzutage das nahe gelegene Odessa. — Phocaa , die nordlichste jonische Stadt, griindete das wichtige Massilia (Marseille). Phocaa und Milet konnen an Bedeutung mit G-enua und Venedig im Mittelalter verglichen werden. 2, Aolisch-achaische Colonien. Im Osten breiteten sie sich iiber den nordwestlichen Theil Kleinasiens aus; es waren dies haupt- sachlich Aclcerbau- Colonien. Von Lesbos und Cyme (bei Phocaa) aus wurden allmiihlich Troas und Mgsien besetzt. Im Westen, in Unter- italien, legten sie bliihende Handels-Colonien an, so namentlich Sybaris, Croton und Locri. 3. Dorische Colonien. Die Dorier besetzten zuerst die stidlichen Inseln des Archipels und das sudwestliche Kleinasien, spater wendeten sie sich nach dem Westen. Am wichtigsten war die colonisierende Thatigkeit Corinths, Megaras, Spartas und Theras (Santorins). Corinth legte Colonien an auf den jonischen Inseln, namentlich auf Kerlcyra (Corfu), dem Knotenpunkte aller Seewege im jonischen Meere. Von hier aus fuhren die Corinther theils nordlich zu den llljriern (Apollonia, Epidamnos), theils westlich nach Italien und Sicilien (Spracus). Megara colonisierte besonders eifrig an den Kiisten der Propontis, vor allen anderen das wichtige Btjzanz. Die bedeutendste Colonie Spartas ist Tarent, eine durch Industrie und Handel bliihende Stadt. Von Thera aus wurde die stidlichste griechische Colonie, Cgrene, auf dem Plateau von Barka gegriindet, das, wie Massilia, Mittelpunkt eines kleinen Griechenland wurde. Bedeutung und Entvvicklung der Colonien. Die Griechen haben eine staunenswerte Zalil von Colonien angelegt, wodurch sie fast- das gunze Mittelmeer zu einem hellenischen Meere, an dessen Gestaden griechische Bildung herrschte, umwandelten — eine ihrer grofiten geschichtlichen Thaten. Ilire Colonien reichen vom stidlichen Russland bis ins nordliche Afrika, von Cypern bis zum westlichen Sicilien; in den meisten entwickclte sich ein bliihendes Industrie- und Handelsleben, das in Kurze groBen Wohlstand und infolge dessen Wohlleben und Luxus hervorrief. Von der Westkiiste Kleinasiens Das delphische Orakel. 93 abgesehen, war der schonste, dichtgedrangte Stadtekranz in Unter- italien, das von den Colonisten selbst im Gegensatze zum armeren Mutterlande *Gro6griechenland» (j? psydlrj ‘Eli«g) genannt wurde. Leider bekampften sicb spater diese Colonien vielfach untereinander, wodurch ihre Bliite verwelkte. Die Colonien entwickelten sicb in mancher Beziehung rascher als das Mutterland, denn der Kampf mit der einlieimiscben Be- volkerung forderte alle Krafte der Colonisten beraus, und durch die Bertihrung mit fremden Volkern (selbst das verschlossene Agypten offnete seine Sch&tze dem joniscben Unternehmungsgeist) erweiterte sich der geistige Horizont der Colonisten. Die rasche Entwicklung der griechischen Colonien beweisen fol- gende vier Thatsacben: Hier finden wir die ersten Tyrannen (in Milet schon vor 700), die ersten schriftlichen Gesetzgebungen (die erste Um 700. rtihrt von Zaleucus um 650 in Locri her), die frtihesten hervor- Um 650. ragenden Leistungen auf dem Gebiete der Literatur, namentlich in der epischen und lyrischen Poesie, in der Philosophie und Geschicht- scbreibung und ebenso in der bildenden Kunst. Daher liegt bis gegen Ausgang des 6. Jahrhunderts der 8cbwerpunkt der griechischen Ent- wicklung in den Colonien. Die Schattenseite hievon ist, dass auch das sittliche Leben der Colonisten rascher verfiel. V. Nationale Einigungsmittel. Je weiter sich die Griechen ausbreiteten, desto grol3er war die Gefahr, dass sie auf fremdem Boden ihre nationale Eigenart einbiifiten. Davor bewahrte sie vor allem ihre allen anderen Volkern uberlegene sittliche und geistige Bildung, deren Vorziige sie gerade in der Fremde besonders schatzen lernten, wesbalb sie auch auf die anderen Volker als Barbaren herabblickten. AuCerdem sind besonders drei Einrich- tungen liervorzuheben: Das delphische Orakel, die Amphictyonien und die grofien Nationalspiele. 1. Das delphische Orakel und seine Bedeutung. Delphi lag in einer gro6artig-wilden Gegend am siidwestlichen Abhange des Par- nass,- 700 m hoch. .Die kleine Stadt war in einem engen Felskessel erbaut, der im N. von gewaltigen Kalkwšinden (iberragt wurde. Aus einem Erdspalte stiegen gasartige Dampfe einpor, denen begeisternde Wirkung zugeschrieben wurde. Uber dem Schlunde stand der goldene Dreifufl der Priesterin Pgthia, welche einzelne Worte ausstieB, aus 94 Die Griechen. denen die Priester zusammenhangende Satze, gewohnlioh in Hexa- metern abgefasst, bildeten. Die Orakelspriiche waren meistens un- bestimmt gehalten. Urspriinglich ein Heiligthmn von localer Bedeutung, wurde es durch die Dorier zur national-hellenischen Stdtte der Mantik empor- gehoben, an welche sich die Griechen (auch Nicht-Griechen, z. B. Crosus) in allen wichtigen Angelegenheiten, wie: Ausfiihrung von Colonien, Anderung der Verfassung, Beilegung von Streitigkeiten griechischer Staaten untei’einander u. s. vv., um Rath wendeten. Da- durch wurde es fiir das 8. bis 6. Jahrhundert zum religiosen und auch politischen Mittelpunkte des Volkes. 1 Durch die delphische Priester- schaft wurde besonders der Dienst Apollos ausgebreitet und aus- gebildet, womit auch Veredlung der Sitte, z. B. Sicherung des Land- friedens, Beschrankung der Blutrache (vgl. Orestessage), verbunden war. Als Vorbedingung zur sittlichen Veredlung forderte Apollo vor allem Selbsterkenntnis und warnte vor jedem Frevel ; deshalb waren im delphischen Heiligthume die beiden Satze lvdSt aeavrov und Mrjdsv ayav aufgeschrieben. Je mehr das Epos die Gotter ins weltliche Treiben hineingezogen hatte, desto wichtiger wurde die ernste Auffassung der Gotter seitens der delphischen Priesterscliaft, wodurch die vollige Verweltlichung der Religion hintangehalten wurde. Durch das Urtheil der Priesterscliaft wurden sieben Griechen, die sich durch ihre praktische Tiichtigkeit auszeichneten, als die weisesten der Nation bezeichnet. In politischer Beziehung vertrat das Orakel den Standpunkt der Aristolcratie und erhielt daher enge Beziehungen zu Sparta. Wie sehr das Orakel das Nationalgefiihl der Griechen steigerte, zeigt die Deucalionsage, die seit dem 8. Jahrhunderte in Delphi ausgebildet wurde. Allrnahlich sank das Orakel von seiner Bedeutung herab, da die Priester sich bestechen lieBen, und als sie in den Perserkriegen vom Kampfe gegen den Nationalfeind abriethen, war seine Bedeutung dahin. 2. Die Amphictyonien. Die Griechen verstanden darunter einen Bund der Nachbarn (aggiimloveg) zum gemeinsamen Schutze eines Heiligthumes und zur gemeinsamen Abhaltung eines religiosen Festes. Solcher Vereinigungen sind vier bezeugt; am beruhmtesten wurde die delphische Amphictyonie, die sich um das Heiligthum Apollos bildete und schon im 7. Jahrhunderte fast alle Stftmme des Mutter- 1 Plut. Arist. 20: /.oivrj £a~(a 1 :% f KXXaoo?. Die Nationalspiele. 95 landes umfasste. Sie entstand aus zwei urspriinglich getrennten Fest- feiern: dem Opferfeste der Achaer — schon vor der dorischen Wanderung — zu Ehren der Demeter in Anthela im Herbste und dem Opferfeste der Phocier in Delphi zu Ehren Apollos im Fruhjahre. Durch die Dorier wurde der Kreis der Amphictyonie immer inehr erweitert, so dass er sich liber ganz Griechenland ausdehnte, wobei allerdings die Zalil der Theilnehmer liaufig wechselte. Die Theilnehmer am Bunde beschickten die beiden Jahresversammlungen zu Anthela und Delphi durch Entsendung von je zwei Abgeordneten. Bei diesen Versammlungen wurden auch die Beziehungen der Griechen untereinander regelnde Bestimmungen getroffen; so verpflichteten sich die Theilnehmer eidlich, keine verbiindete Stadt von Grund aus zu zerstoren und keiner im Kriege das Wasser abzuschneiden. Walir- scheinlich breitete sich mit der delphischen Ampliictyonie auch der Name Hellenen, der bei Homer nur am siidlichen Thessalien haftet, immer weiter aus. Die Griechen machten daher auch Hellen und Amphictgon zu Briidern (S. 55). 3. Die Nationalspiele. Kein Volk bat der Ausbildung der korperlichen K rafte so viel Aufmerksamkeit zugewendet, als die Griechen, die deshalb zahlreiche Pcddstren und Ggmnasien 1 besahen. Es erschien den Griechen wie ein Gottesdienst, die von der Natur empfangenen und durch die Kunst weiter ausgebildeten Krftfte zu Ehren der Gotter frohlich zu entfalten. Mit diesen korperlichen Ubungen war aber auch geistiges Ringen verbunden. Der Preis der hochgeehrten Sieger bestand in einem Kranze aus dem dem be- treffenden Gotte geweiliten Baume. Die beriihmtesten Spiele waren die olgmpischen. kSie wurden in Olgmpia abgehalten, worunter nicht eine Stadt, sondern der ummauertS heilige Bezirk Altis mit seinen Tempeln, Spielplatžen und Wohnungen ftir die Festbeamten zu verstehen ist. Ihr Ursprung ist wahrscheinlich in einem Opfer zu Ehren des Zeus und anderer Gotter zu suchen; bald aber wurden die Spiele die Hauptsache. Diese waren zweierlei Art, und zwar: a) Ggmnastische Spiele im Stadium (192 m lang). Sie sind die filteren und bestanden urspriinglich in einem einfachen Durchlaufen der Bahn, das sich allmahlich zu einem siebenmaligen erweiterte. 1 Die Palastren waren Privat-Ringschulen fiir Knaben, die Gymnasien Staats- anstalten fiir Jimglinge, Die Griechen. 96 Um 700. Durch das Hinzukommen anderer Spiele entstand um 700 der Filnf- kampf (jrevraMov)- er umfasste Weitsprung (akfice), Wurf mit dem Speere (cr/omor), Lauf (dgouog), Wurf mit dem diamg und Ring- kampf (st alrf). 1 Spater kam noch das uay/Mchi ov, d. h. Verbindung von Ring- und Faustkampf, liinzu. b) Bitterliche (circensische) Spiele im Hippodrome. Sie kamen im 7. Jahrbunderte hinzu und sind ein Ausdruck der bedeutend gesteigerten Macht der Adelsgeschlecliter (vgl. die mittelalterlichen Turniere). Sie bestanden wesentlich in Wettfahrten mit dem Vier- gespann, wozu spater auch das Wettreiten kam. Sie wurden alle vier Jahre abgehalten, weshalb der Zeitraum von einer Festfeier zur anderen, Olympiade genannt, seit dem 3. Jahr- liunderte von den Griechen allgemein zur Jahreszahlung benutzt wurde. 776. Als Ara galt das Jahr 776, in welchem die Namen der Sieger zum ersten- male aufgeschrieben wurden; daher ist z. B. 01. 5, 3 — 758 v. Chr. Die drei iibrigen Nationalspiele stammen erst aus dem 6. Jahr- hunderte; es sind dies die nemeischen Spiele, welche in Nemea zu Ehren des Zeus, die isthmischen Spiele, welcke auf dem Isthmus von Corinth zu Ehren des Poseidon, und die pythischen (delphischen) Spiele, welche in Delphi zu Ehren Apollos gefeiert wurden. Bei den letzteren waren Wettkampfe im Spiele auf der Kithara und der Flote, den zwei wichtigsten Instrumenten der griechischen Musik, die Haupt- sache. Die drei zuerst genannten Spiele standen unter dorischem, die delphischen unter jonischem (athenischem) Einflusse. VI. Literatur und Kunst. In diesem Zeitraume gelangt das hellenische Wesen an Stelle der frtiheren tibermachtigen orientalischen Einflusse zu selbstandiger Ent- wicklung (S. 69). Die literarische und kunstlerische Thiitigkeit dieser Zeit gehort zum weitaus grobten Theile Kleinasien und den Inseln im Archipel an. Die Kunst steht damals wesentlich noch im Dienste der Religion. A. Literatur. Bei den Griechen gelangte zuerst die Poesie, die Sprache der Phantasie, zur Entwicklung, erst spater auch die Prosa, die Sprache 1 Vgl. II. 23, 262 — 900 (Leichenspiele des Patroklos) und Od. 8, 100 u. fg. (Spiele der Phaaken). Literatur. 97 des Verstandes. Obwohl die Anfange der Philosophie und der Ge- schichtschreibung schon diesem Abschnitte angehoren, werden sie doch des Zusammenhanges wegen erst spiiter besprocben werden. 1. Epos. Uber Homer und Hesiod sieh S. 71. Noch bis zum Schlusse dieses Abscbnittes wird das Epos, freilich mit abnebmender Kraft, gepflegt, und zwar durcb die sogenannten Cycliker (tur ihre gesammte Dichtung wurde der Ausdruck KvZkog gmxog iiblich, daher der Name), welclie bei Homer nur angedeutete Sagenstoffe weiter aus- fiihrten. Von ihren Werken haben sich nur wenige Bruchstiicke er- halten. Die Pfiege des Epos fiillt zusammen mit der Zeit der Aristo- kratie; es ist die poetische Hauptthat der Jonier. Als Fabeldichter zeichnete sich Aesop aus, ein Zeitgenosse Solons, dessen Leben freilich durchaus sagenhaft ist. Die unter seinem Namen erhaltene Sammlung gehort einer viel spateren Zeit an. 2. Lyrik. Die Bliite der Lyrik, die bei den Griechen mit Musik (Saiten- und Flotenspiel) und haufig auch mit Tanz verbunden war, fallt hauptsdchlich mit der Zeit der Tijrannis zusammen. Auch sie nahm ihren Ausgang bei den Joniern, erreiokte aber ihren Hohepunkt bei den Aeoliern und Doriern. Einer der groflten Verluste, der uns getroffen bat, ist, dass von der griechischen Lyrik nur wenige Uber- reste auf uns gekommen sind. Sie zerfallt in Elegie, Jambenpoesie und Melos. a) Die griechische Elegie, welche mit der modernen nur den Namen gemein hat, bildet dem Inhalte und der Form nacli den Uber- gang zur eigentlichen Lyrik. Obwohl ersterer verschiedener Art sein kann, ist er doch urspriinglich, ahnlich dem Epos, iiberwiegend kriegerisch; das «elegische» VersmaC ist das Distichon, d. h. die Ver- bindung von Hexameter und Pentameter. Die altesten Elegiendicliter lebten um 700. Elegien sind uns Um 700. erhalten von Tijrtaus, Solon, dem etwas jiingeren Theognis u. a. Aus der Elegie entstand das kiirzere Epigramm, das ebenfalls in Distichen abgefasst war, urspriinglich eine poetische In- oder Aufschrift; sehr wertvolle Epigramme enthitlt die sogenannte Anthologie. Der groBte Meister auf diesem Gebiete war der Jonier Simonides von Keos, welcher in der Zeit der Perserkriege lebte. b) Der Erfinder der Jambenpoesie war Archilochos (um 700), Um 700. den die Alten dem Homer, Pindar und Sophocles an die Seite setzten. Zeehe, Gencliichte des Alterthums. 7 98 Die Griechen. Spott und Hohn war der Inhalt seiner Gedichte, daher der Name (von iameiv = treffen). Spater wurde der Jambus der Vers des attischen Dramas. c) Im Melos, dem Gipfel der griechischen Lyrik, fanden die verschiedensten Gemuthserregungen Ausdruck. Es erreichte seine Biti te wahrend der Perserkriege und maehte dami dem Drama Platz. Der Rhythmus war selir verschieden. Das Melos zerfiel wieder in die chorische Poesie und in das Melos in engerem Sinne; die erstere war fiir den Vortrag durch einen Chor bestimmt und wurde besonders von den Doriern, namentlieb in Sparta (S. 78), gepflegt, das letztere, fiir den Einzelgesang bestimmt, vom dolischen Starnme auf Lesbos. Der Inhalt der Chorpoesie war iiberwiegend religios. Zur Musik (Kitbara) kam hier nocb die Tanzbewegung. Einzelne Unterarten sind: Paane zn Ehren Apollos, Dithgramben zu Eliren des Dionysos, Epinikien zum Preise der Sieger in den Nationalspielen u. s. w. Als Um 600. Dichter von Chorliedern waren beriibmt: Arion (um 600) und der um 50 Jahre jiingere Ibijcus, am gefeiertsten aber Simonides und sein Zeitgenosse, der Thebaner Pindar, die beiden vielseitigsten Lyriker; von dem letzteren allein sind uns viele Gedichte (hnvUid) erhalten. Der Inhalt des Melos in engerem Sinne war, wie der unserer Ode, sehr verschiedenartig, der Form nacli war es, aueh wie unsere Ode, in Strophen gegliedert. Der Zeit nach ist es um 50 bis 60 Jahre jiinger als die chorische Poesie. Besonders bertihmt waren: Alcdus Urn 600. und Sappho auf Lesbos (beide um 600) und der et.wa 50 Jahre jiingere Jonier Anacreon (S. 89), der erste Dichter nur weltlicher Lieder. Simonides und Pindar zeichneten sich auch auf diesem Gebiete aus. B. Kunst. Auch die Kunst wurde zuerst besonders in Jonien und auf den Inseln geiibt. Wie im tibrigen Leben der Griechen, macht sich auch hier der Gegensatz zwischen Dorismus und Jonismus geltend; die dorische Kunstrichtung ist, dem Charakter der Dorier gemafi, ernster und gebundener, die jonische heiterer und freier. Die Malerei spielt in diesem Zeitraume nocli keine selbstandige Rolle (S. 46). 1. Baukunst. Auch in Griechenland ist der Tenipelbau am wichtigsten; seine Entwicklung konnen wir nicht melir verfolgen, er tritt uns vielmehr, wie das Homerische Epos, fertig entgegen. Der Kunst. 99 iilteste erhaltene Tempel Griechenlands ist das Heraum in 01ympia (8. Jahrhundert). a) Sgstem des Tempelbaue-s. Uer griecliische Tempel, der sicli regelmafiig auf Stufen erhebt, ist im wesentlichen ein Schutzhans fiir das Gotterbild und dalier im Vergleiclie mit der christlichen Kirche klein. Der Grundriss bildet ein Rechteck mit dem Eingange an einer Schmalseite; die zwei Haupttheile sind die Cella (Naos), d. b. der Raum, in welchem das Gotterbild steht und zu dem noch eine Vor- halle (Pronaos) und ein Hinterraum (Posticum) kommen konnen, und die Sdulen, welche das Gebalke und das Giebeldach tragen und liaufig als Halle die Cella umgeben. Nach der Zakl und Anordnung der Sdulen unterscheidet man: Templum in antis (zwei Saulen an der Eingangsseite zwischen den verlangerten Cellarviinden), Prostylos (vier Saulen vor der Eingangsseite), Ampbiprostvlos (dieselbe Zalil Saulen auch an der Hinterseite), Peripteros (eine Halle um alle vier Seiten herum) etc. Das Gebalke bestelit aus drei Haupttheilen, namlich dem Archi- Irav, einer unmittelbar uber den Saulen aufliegenden Steinbalkenlage, dem Fr lese und dem Geison (Kranzgesimse), das zum Schutze des Gebaudes weit vorragt. An den beiden Schmalseiten bildet das Dach mit dem Kranzgesimse ein dreieckiges Giebelfeld, das mit Statuen gescbmiickt ist. b) Der dorische und der jonische Stil. Der Unterschied zwischen beiden beruht in der Verschiedenlieit der eannelierten, d. h. mit bohlen Streifen versehenen Sdulen, und in einigen Abweichungen im Gebalke. .Der dorische Stil ist einfacher und schmuckloser; ubrigens wurden beide Stile von beiden Stammen verwendet. In der dorischen Ordnung bestelit die Situle aus dem Schafte (oline Basis) und dem Capital, letzteres wieder aus zwei Theilen: dem Wulste (C/jvog) und der Platte (abacus). Die dorische Sžiule ist ktirzer und gedrungener als die jonische, entsprechend dem ernsteren dorischen Wesen; sie erreicht eine Hohe von fiinf bis sechs unteren Durchmessern. Beim Gebalke .ist besonders die eigenthumliche Bildung des Frieses zu ervrahnen. Er bestelit niimlich aus Triglgphen und Metopen; erstere, iiber den Saulen und in der Mitte zwischen je zwei Saulen angebracht, sind kleine Pfeiler mit je zwei ganzen und zwei lialben senkrechten Einschnitten, letztere sind Steinplatten, welche mit Reliefs geschmiickt sind. 100 Die Griechen. Bei der jonischen Ordnung besteht die Saule aus drei Theilen: Basis, Schaft und Capital, das letztere vvieder aus zwei Theilen: einem kleineren Echinus und den Voluten (Sckneckemvindungen), mit welchen ein liber dem ersteren liegendes «Polster» beiderseits endet. Sie erreicht an Hohe acbt bis neun untere Durchmesser. Der Fries besteht aus gleichmabig aneinander gereihten Steinbalken, welche mit Reliefs geschmiickt sind. c) Polychromie. Die Freude an der Farbe, welche dem ganzen Oriente und dem christlichen Mittelalter eigenthumlich war, finden wir auch bei den Griechen: sie bemalten ihre Gebaude und Marmor- statuen. Solange sie mit Tuff und Kalkstein bauten, legten sie der Bemalung ein warmes Roth zugrunde, die oberen Tlieile des Gebiilkes verkleideten sie mit gelben und schwarzen Terracotten. Seit sie infolge der Eroffnung Agyptens im 7. Jahrhunderte mit dem reinen Marmor- bau begannen, wurde namentlich Hellblau und Roth verwendet. 2. Plastik. Fiir das Studium des menschlichen Korpers, dessen Darstellung die Hauptaufgabe der Plastik ist, war der eifrige Besneli der Ringschulen und die Gegenwart bei den Nationalspielen, welche die Bliite des Volkes versammelten, besonders giinstig. In diesem Zeitraume machte den Kiinstlern die technische Ausfiihrung nocli grofle Schwierigkeiten. Im 7. Jahrhunderte trat an Stellc des Lothens der Erzplatten die Technik des Erzgusses, und ungefahr gleiehzeitig, wieder infolge des lebhafteren Verkehrs mit Agypten, begann der Aufschwung in der Verwendung des Marmors — beide Techniken wieder zuerst auf den Inseln. Ungleich der christlichen Kunst bevor- zugte der Grieche den Gesichtsausdruck nicht gegeniiber der Dar¬ stellung des iibrigen Korpers. Es wurden dainals Werke der religosen und der profanen Plastik geschaffen. Nachdem die Griechen die Stufe der Sgmbole 1 viberschritten hatten, schufen sie zuerst aus Holz ( goam), spiiter aus Erz und Marmor Gotterbilder, deren alteste unter dem Einflusse der agyptischen Plastik (S. 11) bei einer steifen Haltung einen gebundenen, feierlich-ernsten Charakter an sich tragen. Diesen zeigt besonders eine Reihe von Statuen, die als Darstellungen Apollos gelten, darunter der dem 6. Jahrhunderte angehorige Apollo von Tenea (bei Corinth). Man nennt diesen Stil den archaischen. Dagegen schuf die profane Plastik belebtere und naturwahrere Gestalten, seit es 1 Neben heiligen Bfiumen verelirte man rohe und bearbeitete Steine sowie liolzerne Symbolo (8. 5.8). Die Perserkriege. 101 Sitte wurde, die Statuen der Sieger in den Nationalspielen aufzustellen. Diese Art der Plastik wurde besonders im Peloponnes geiibt. So hatten die Griecken eine reicbe und vielseitige Cultur, die tlieils schon die Bliite erreicht katte, theils ihr nahe war, ausgebildet, als der Angriff der Perser sie zur Anstrengung aller Krafte heraus- forderte. Diese Cultur war es wert, bis aufs auBerste vertheidigt zu werden. IDritter Zeitra/um. Vom Beginne der Perserkriege bis zur Begriindung der macedonischen Hegemonie, 500 bis 338. Bliitezeit des Volkes. Erster Abschnitt: Vom Beginne der Perserkriege bis zum Anfange des peloponnesischen Krieges, 500 bis 431. Zeit der Demokratie, Hegemonie Atliens. I. Die Perserkriege (500 bis 449). 500 — 449. Als das persische Reich unter Darius I. auf dem Plohepunkte seiner Macht stand, eroffnete es auch den Krieg mit den Griecken des Mutterlandes — der erste bedeutsame Kampf zwischen dem Morgen- und dem Abendlande, der seitdem nicht mehr ganz auf- gehort bat. Dic Perser besaOen eine ungeheuere IJberlegenheit an finanzieller und militdrischer Kraft, kšimpften aber olme Begeisterung, nur durch das Maclitgebot ibres Konigs gezwungen. Die Griecken, Burger freier Gemeinwesen, traten in voller Wertschatzung ibrer sittlichen und geistigen Cultur und daher mit gekobenem Muthe in den Kampf ein; aucb waren sie ibren Feinden an Kriegskunst und in der Bevraff- nung iiberlegen. Daneben finden wir infolge der Zersplitterung der Griechen freilich auch Mangel an Ausdauer, Uneinigkeit imd selbst Bestecblichkeit. Die groflten Verdienste erwarb sicb in diesem Kriege Athen; selbst der mehr aristokratisch g-esinnte Pindar riihmt die Stadt als die Sftule von Plellas. 1 Die PIauptquelle ist Herodot, der etwa40 Jahre nacb der Sehlacht bei Marathon schrieb und die Starke der feindlichen Heere nach der ubertreibenden Uberlieferung angab. 1 dlxe Xtmxpal xai aotSigoe 'EXXaSo? epeiap.’ Vipava:. Vgl. Her. VII, 139: vaiou; av -t; A£ywv atouijpas y£veai)'ai "rj; i'X/,aooc ou/. av apapravot TaX&9'A^. 102 Die Grieclien. 500 — 494. 492 — 479. 492. Die Ursache des Krieges war die Eroberungslust des persischen Konigs, die Veranlassung die Unterstiitzung der aufstandischen Jonier durch Griechen des Festlandes. A. Der Aufstand der Jonier (500 bis 494). Die griechischen Stadte Kleinasiens erfreuten sich miter der Herr- schaft derPerscr eigener Venvaltung, doch wurden sie von sogenannten Tgrannen libenvacht, welche den Persern ergeben waren. Ein solcber Tyrarm war auch Histiaus von Milet, der zum Danke fiir die Errettung des Darius und seines Heeres ein Stiick Land in Thracien erbalten hatte, dann aber infolge Verdachtigung an den persischen Hof be- rufen worden war, wo er in einer Art ebrenvoller Gefangenscbaft lebte. Von hier aus forderte er seinen Schwiegeršohn und Nachfolger als Tyrannen in Milet, Aristagoras, auf, die Jonier zum Abfalle von den Persern aufzureizen. Wahrend die Jonier, an welche sicli die aolischen und dorischen Stadte groOtentheils anschlossen, die Tyrannen vertrieben, wendete sich Aristagoras an die Griechen des Mutterlandes um Hilfe; in Sparta wurde er abgewiesen, dagegen stelltc Athen 20 und Eretria, das seit dem Niedergange von Chalcis die erste Stadt auf Euboa war, fiinf Schiffe. Nachdem die Jonier und die Athener Sardes niedergebrannt hatten, zogen sie sich vor den verfolgenden Persern gegen die K (iste zuruck und wurden zu Lande bei Ephesoe geschlagen; zur See wurden die uneinigen Aufstandischen bei der Insel Lade im Golfe von Milet vollstandig besiegt, nachdem die euro- paischen Griechen bereits abgesegelt waren. Nun wurde Milet er- stiirmt, dessen Blitte dadurch fiir immer dahin war, die Stadt sammt den Tempeln niedergebrannt, zahlreiche Gefangene abgefiihrt. Histiaus wurde von den Persern gekreuzigt, Aristagoras fiel im Kampfe gegen die Thracier. Die Aufstandischen wurden bald wieder vollstandig unterworfen, Darius beschloss nun, sich an den europaischen Griechen zu rachen. 1 B. Die Griechen in der Vertheidigung (492 bis 479). Erster Kriegszug der Perser (492). Dieser wurde zu Lande — durch Thracien und Macedonien — unter der Anfiihrung des koniglichen Schwiegersohnes Mardonius unter- nommen. Er erreichte sein Ziel iiberhaupt nicht; das Landheer erlitt Her. V, 105: o^a7co"a tojv 'Aabjvcatov. Die Perserkriege. 103 im Kampfe mit dcii Thraciem grofic Verlustc, dic beglcitendc, Flotte scheiterte am Berge Athos. Der einzige' Gewinn war dic Unterwerfung der Kiisten Thraciens und Macedoniens. Zweiter Kriegszug der Perser (490); Miltiades. Vorerst schickte Bari us an die einzelnen griechischen Staaten Gesandte, welche von ihnen Erde und Wasser als Zeichen der Unter- werfung verlangen sollten. Wiihrend die meisten sich fiigten, wurden in Sparta und Atlien die Boten des Konigs getodtet. Um dem Miss- geschicke des ersten Zuges zu cntgehen, wurde der zweite zur See unternommen unter der Anftihrung des Datis und des Artaphernes: sie liatten den BefehI, die agaischen Inseln zu unterwerfen, Atlien und Eretria zu zilchtigen und Hippias zuruckzufuhren. Nachdem Naxos und Eretria genommen ivaren, schiffte die Flotte iiber den Euripos nacli Attica und landete bei Marathon. Hierwurden die Perser trotz ihrer Ubermacht von 9000 Atbenern und 1000 Pla- taern — die Spartaner hatten die erbetene Hilfe nicht geschickt unter der Fuhrung des Miltiades besiegt und zum Abzuge veranlasst. Da der Versuch, Atlien von der Seeseite her zu uberrumpeln, miss- lang, trat die persische Flotte die Ruclyfahrt an, auf welcher Hippias starb. Miltiades, damals der einflussreichste Mann in Atlien, unternahm mit der Flotte, welche ihm seine Mitbiirger zur Verfiigung stelltcn, einen Zug gegen Paros, wcil es sicli auf Seite der Perser geschlagen hatte; der Zug misslang, Miltiades wurde schwer verwundet und starb im Staatsgefangnisse, weil er den Ersatz der Kriegskosten (50 Talente), wozu ibn das Volk verurtlieilt hatte, nicht leisten konnte. Dritter Kriegszug der Perser (480 und 479). Vorbereitungen zum Kriege in Athen und im Peloponnes; Themistocles und Aristides. Nacli dem Tode des Miltiades waren in Athen die angesehensten Manner Themistocles und Aristides. Wahrend der letztere, cin conservativ gesinnter Staatsmann, an der bisherigen Entwicklung Athens festhielt, betrieb ersterer, ein kiihner, an Rath und Erfindung unerschopflicher Mann, mit allem Eifer die Einrichtung des Piraus an Stelle des offenen Phaleron zum Kriegs- ha/en und die Vermehrung der Kriegsflotte und siegtc iiber seinen Gegner, der durch das Scherbengericht verbannt wurde. I)a die Biirger das ErtrSgnis der laurischen Silbergruben (100 Talente) fiir 190 . 104 Die Griechen. die Flotte bestimmten, so hatten die Atliener beim Wiederbeginne des Krieges relativ die meisten Trieren. Als nun Xerxes, der Sohn und Nachfolger des Darius, einen Aufstand in Agypten unterdriickt hatte, fiihrte er seine ungeheure Landmacht, angeblich 1,700.000 Mann Fufivolk und 80.000 Reiter, iiber den Hellespont durch Tkracien und Macedonien, wahrend sie die gewaltige Flotte, angeblich 1200 Fahrzeuge, in der Nahe der K tiste begleitete. Unter dem Eindrucke der grofien Gefahr vereinigten sich trotz der abrathenden Mahnung des delphischen Orakels die Spartaner mit ihrem Bunde und die Athener zur gemeinsamen Abwehr des Feindes und beschlossen in einer Versammlung auf dem Isthmus, allc Fehden beizulegen, die iibrigen Griechen durch Gesandte zur Theilnahme aufzufordern und sich iiber den Kriegsplan zu verstandigen. Athen, durch Themistocles vertreten, unterstellte sich freiwillig dem spar- tanischen Oberbefehle. Kampfe in den Thermopylen und bei Artemisium; Leo- nidas. Wegen der Unverlasslichkeit der thessalischen und mittel- griechischen Bevolkerung wurde der erste Beschluss, den Tempepass zu vertheidigen, aufgegeben, und erhielt der spartanische Konig Leo- nidas den Befelil, den Thermopt/lenpass, ebenfalls eine vorziigliehe Vertheidigungsstellung, zu halten, bis in seinem Riicken die Griechen ein grofieres Heer aufgestellt hatten. Mit etwa 7000 Hopliten, unter denen 200 Spartaner, 700 Thespier und 400 Thebaner — die letz- teren als Geiseln wegen der Perserfreundlichkeit (urjdiattoc) Thebens — sich befanden, vertheidigte dieser den Engpass gcgen die wieder- holten Angriffe der Perser, bis diese ihm infolge des Verrathes des Ephialtes auf einem Gebirgssteige iiber den Ota in den Eiicken kamen. Um unniitzes BlutvergieBen zu vermeiden, entlieC Leonidas den grofiten Theil seines Heeres, zu dessen Deckung er mit seinen Spartanern, den Thespiern und den Thebanern den Heldentod starb. 1 Infolge des Ver- lustes der Thermopylen verlieB die griechische Flotte ihren Standplatz bei Artemisium, wo sie der feindlichen Flotte zweimal bedeutende Verluste beigebracht hatte, und zog sich in die Bucht von Salamis zuriick. Die persischen Streitkrafte zu Wasser und zu Lande riickten gegen Attica vor. Seeschlacht bei Salamis. Die Athener raumten in groBartiger Entschlossenheit ihre Stadt und brachten die nicht waffenfahige Be¬ volkerung und ihre bewegliche Habe nach dem Isthmus, wahrend die 1 Epigramm in der Anthologie: to ijetv’, ayyetXov Aaxs§ai[j.ovioc<;, oxt /sčfj.sd-a, Tot? xetvtov prj|j.aat 7tedM[jievoc. Die Perserkriege. 105 Waffenfahigen sich auf die Flotte begaben, die der grobe Themistocles als «die holzerne Mauer» des Orakels deutete. Die Perser zersforten Athen, das damals noch nicbt befestigt war, ohne die Heiligthiimer zu schonen. Angesicbts der erdriickenden feindlichen Ubermacht waren die Grieclien nahe daran, aus Kleinmuth sicli in den Peloponnes zuriickzuziehen; da veranlasste Themistocles, der Begriinder der Grofic Athens, welcher sicli jetzt mit Aristides versohnte, durch die Mit- theilung, dass sich die Griechen zerstreuen wollten, den Perserkonig zum Angriffe, den dieser mit der Besetzung der schmalen Ausgange zu beiden Seiten der Insel Salamis begann. In den engen Gewassern waren die kleinen, leichtbeweglichen Schiffe der Grieclien im Vor- theile, dazu kam die tiberlegene Leitung und die Begeisterung der Griechen, die in den Einzelkampfen, in welche sich die Seeschlaclit aufloste, vollstandig siegten. Die Flotte und der grofite Theil des Landheeres trat mit dem Konige den Biickzug an; Mardonius wurde mit 300.000 Mann Kemtruppen zuriickgelassen, um mit Beginn des nachsten Frtihjahres den Kampf zu erneuern. Die Schlachten bei Plataeae und am Vorgebirge Mycale. Nachdem die Athener die persisclie Zumuthung, ihre Sache von der der tibrigen Hellenen zu trennen, entschieden zuriickgewiesen hatten, begann Mardonius den Krieg mit dem zvoeiten Einfalle in Attica, das er ganzlich venviistete, und der abermaligen Besetzung Athens, das von seinen Bewohnern \vieder verlassen worden war und nun vollig zerstort wurde. Nun riickten auch die Spartaner mit dem Bundesheere unter der Anftihriing ihres Konigs Pausanias heran, wahrend sich Mardonius nacli Bootien zuriickzog. Mit 110.000 Mann, dem grofiten Heere, das Griechenland je aufgebracht hat, besiegten die Griechen bei Plataeae das dreifach tiberlegene feindliche Heer, dessen Anftihrer getodtet wurde. Das persische Heer fand zum grohten Theile den Untergang, die Griechen gewannen reiche Beute. Es ist der eigent- liche Rettungstag der griechischen Freiheit. Nach der Sclilacht bei Salamis fuhr die griechische Flotte unter der Anfiihrung des spartanischen Konigs Leotgchides und des Atheners Xanthippos nach Jonien, dessen Bevolkerung abermals zum Abfalle geneigt war. Angeblich an dem Tage der Schlacht bei Plataeae siegten die gelandeten Griechen bei Mgcale, infolge dessen die Perser Jonien raumten, das sornit befreit war. Ergebnis. Durch den bisherigen Verlauf des Krieges waren die Griechen so erstarkt, dass sie nun zum Angriffe iibergehen konnten. 479 . 106 Die Griechen. 479 — 449. C. Die Griechen im Angriife (479 bis 449). Eroberung von Byzanz; Pausanias. Da die Griechen unmoglich daran denken konnten, die Perser zu Lande anzugreifen, so musste die Bedeutung der Kriegsflotte und damit die der Athener steigen. Zunachst handelte es sicli fur die Griechen darum, sich in den thracischen Gewassern und im siidlichen Kleinasien oder auf Cypern festzusetzen, um einem neuen persischen Heere den Weg nach Grie- chenland zu versperren. Nachdem Pausanias den groCten Theil Cgperns gewonnen hatte, 478. eroberte er auch das wichtige Bgzanz. Als er sich aber in hochver- ratherische Unterhandlungen mit dem persischen Hofe einlieB, um mit dessen Hilfe sich von der Ubermacht der Ephoren zu befreien, wurde er von diesen abberufen und fand bald darauf in Sparta ein geivalt- sames Ende. Die Fuhrung der griechischen SeemacM gieng nun auf die Athener iiber, die damals von Aristides und Cimon, dem Soline des Miltiades, geleitet ivurden, wahrend sich die Spartaner, umvillig iiber die steigende Maclit Athens, von der weiteren Theilnahme am Kriege ganzlich zuriickzogen. Durch die Fiiršorge des Tliemistocles wurde Athen befestigt, der Piraus zum Hauptliafen umgestaltet und die Flotte bedeutend vermehrt. Begrundung der athenischen Hegemonie zur See; die Schlachten am Eurymedon und bei Salamis; Cimon. Die jonischen Inseln und Kiistcnstadte schlossen sich an Athen an und fiigten sich 476. dessen Hegemonie (476). Mittelpunkt des neuen Bundes, einer Art Amphictgonie, wurde das Apollo-Hoiligthum auf Delos, wo der ge- meinsame Bundesschatz hinterlegt wurde. Der gerechte und mafivolle Aristides ordnete die Bc.itrage der einzelnen Bundesglieder an Geld, Schiffen und Mannschaft., der tapfere und freigebige Cimon setzte an der Spitze der Bundesflotte den Kampi' gegen die Perser tort, die er aus den letzten von ihnen besetzten Punkten im agaischen Meere vertrieb, dann in den cyprischen. Gewiissern aiifsuchte und am Eury- 465. medon vollstttndig besiegte (465). Nachdem die Athener sodann einen neuerlichen Aufstand der Agypter unterstiitzt hatten, versuchten sie die Verdriingung der Perser aus Cgpern. Bei der Belagerung der Stadt Citium fand Cimon den Tod; gleich darauf siegte die athenische 449. Flotte bei Salamis (449) — der letzte grofie Kainpf im 50jahrigen Ringen. Wohl finden auch jetzt noch cinzelne kleine ZusammcnstoOe zwischen den beiden Volkern statt, doch sind wir dariiber nicht naher unterrichtet; ebensowenig wissen wir etwas von einem Friedenssehlusse. Zeitalter des Pericles' 107 Die vvichtigsten Folgen der Perserkriege. Es sind dies: 1.) Die kleinasiatischen Griechen waren frei; 2.) Athen wurde durch die Auf- richtung der Hegemonie zur See die ziveite Grofimacht Grieckenlands; 3.) Griechenland erreiehte den Hohepunkt seines geistigen und kiinst- lerischen Schaffens und Athen wurde die geistige Hauptstadt der Nation; 4.) die Eifersucht der Spartaner gegen Athen war erwacht und bestimrate den Fortgang der politischen Ereignisse; 5.) in Athen kommt die schrankenlose Demokratie zum Siege. Die Zeit, in wclcher diese Folgen der Perserkriege zutage traten, nennen wir das Zeitalter des Pericles. II. Das Zeitalter des Pericles. Charakter und Stellung des Pericles. In der groBen Zeit der Perserkriege verfugte Athen auch liber groBe Manner, die, wenn sie aueh beziiglich der inneren Politik verschiedene Anscliauungen hatten, doch einig waren in dem Bestreben, Athen grofi zu machen und den Krieg gegen die Perser mit aller Kraft fortzusetzen. Aristides und Themistocles waren in den 60er Jahren gestorben, der erstere im Besitze des Vertrauens seiner Mitbtirger und der athenischen Bundes- genossen, der letztere, nachdem er wegen seines Prahlens aus Athen verbannt, auOerdem von den Spartanern wegen Medismus verdachtigt und verfolgt worden war, als Gast des persischen Konigs. Die con- servative Richtung des Aristides setzten Cimon und Thucydides (nicht der Geschichtschreiber), die demokratische des Themistocles aber Pericles fort. Dieser, der Sohn des Xanthippos, durch seine Mutter mit den Alcmaoniden venrandt, vereinte mit dem Adel der Geburt, auch hohen geistigen Adel, der namentlich in der begeisterten Pflege der Literatur und Kunst zum Ausdrucke kam. Ein ausgezeichneter Staats- mann, bedeutender Feldherr und groBer Redner (wegen der Ruhe und Eindringlicbkeit seiner Reden wurde er von seinen Freunden der Ohjmpier genannt), widmete er seine reieben Geistesgaben dem Wohle seiner Vaterstadt, welche unter seiner vieljahrigen Leitung, die ihm seit der Verbannung des Thucvdides (444) von den Aristokraten nicht mehr bestritten wurde, ihre politische, geistige und materielle Bliite erreiehte. Er war ein entschiedener Anhanc/er der Demokratie; seine Stellung verdankte er dem Vertrauen des Volkes, das ihm \vegen seiner tiberlegenen Bildung und staatsmannischcn Einsiclit willig folgtc. 1 1 Thuc. I, 139: T£ xal nparieiv 3uvaTa>-«TO?, u. II, 65: xai:£t^6 -o slrjfl-c/c e/.Eutt^p(o; zal ouz riy£~o uaA/.ov 6jc’ sut&u v) autoc ■/,■/£. 444 . 108 Die Grriechen. A. Die auDere Politik des Perieles. Auf diesem Gebiete kommen aufler den Perserkriegen die Be- ziehungen zu Sparta und die Ausbreitung der athenischen Hegemonie in Betracht. Die Beziehungen zu Sparta; der dritte messenische Krieg 464 — 455 . (464—455). Wahrend Cimon, dem Perieles die Fortsetzung des Kampfes mit den Persern iiberlieB, trotz der zwischen Athen und Sparta be- stehenden Spannung auf ein Bundnis mit diesem Staate hinarbeitete, war Perieles geneigt, fiir die Forderung der athenischen Interessen auch den Kampf mit Sparta nicht zu scheuen. Diese Politik war nur voriibergeliend von Erfolg gekront, obwohl Perieles in Voraussicht des unvermeidlichen Krieges die Seestellung Athens durch Vermeh- rung der Flotte, Erbauung der dritten Mauer und Ansammlung eines bedeutenden Schatzes, ohne den ein Seekrieg undenkbar war, verstarkte. Die Spannung zwischen den beiden griechischen GroBmachten kam im dritten messenischen Kriege zum Ausbruche. Eben wollten die Spartaner die Insel Thasos, welche vom athe¬ nischen Bunde abgefallen war, durch einen Einfall in Attica unter- stiitzen, als sie durch ein sehr heftiges Erdbeben, das Sparta in einen Schutthaufen venvandelte und die Messenier und Heloten zur Er- hebung reizte, in die gro(3te Noth versetzt wurden. Da wendete sich Sparta an Athen um Bundeshilfe, die ihm auch auf Anrathen Cimons, der in Athen und Sparta das Zweigespann vor Griechenland sah, gewahrt wurde. Cimon sclbst fiihrte ein athenisches Hilfscorps nach Messenien, das aber von den Spartanern aus Misstrauen wieder zu- ruckgeschickt wurde. Dariiber entstand eine grofie Aufregung in Athen, Cimon wurde verbannt (nach fiinf Jahren auf Anregung des Perieles wieder zuruckberufen); die demokratische Partei unter Perieles’ Fiihrung errang entschieden das Ubergetvicht und Athen schloss sich den Sparta feindlichen Staaten an. Als sich die Messenier endlich ergeben mussten, erhielten sie freien Abzug und wurden von den Athenern in Naupactos angesiedelt. Ausbreitung der athenischen Hegemonie zu Lande und zur See. Wiihrend die Athener dic aufstandischen Agypter gegen die Perser untersttitzten (S. 45), versuchten sie nach der Unterwerfung Aginas, untersttitzt von den Sparta feindlichen Staaten im Peloponnes und den Phociern in Mittelgriechenland, vergebens, ihre Hegemonie auch iiber einen Theil des Peloponnes und Mittelgriechenlands aus- 457 . zubreiten. Die Spartaner schlugen sie 457 bei Tanagra, die Thebaner Zeitalter des Pericles. 109 447 bei Coronea, so dass sie nacli einigen anfanglichen Erfolgen diese 447. Versuche wieder aufgeben mussten, da sie zu Lande Sparta nicht gewachsen waren. Deshalb musste Pericles froh sein, dass Sparta einen 30jahrigen Frieden zugestand, wodurch der beiderseitige Besitzstand anerkannt wurde. Er bedeutete eine entschiedene Niederlage Athens. Urn so gliicklicber war es in der Festigung seiner Stellung zur See. Je mehr sicb der Bund erweiterte, desto mehr musste Athen bestrebt sein, seine Machtstellung im Bunde zu steigern, was ihm dadurch erleichtert wurde, dass die Bundesgenossen lieber Greld als Schiffe stellten, weshalb Athen die Sorge ftir die Kriegsttichtigkeit der Flotte iibernahm. Auf Betreiben der demokratischen Partei wurde 1.) der Bundesschatz , damals im Betrage von 1800 Talenten, von dem offenen Delos nach Athen ubertragen (455), wo er im Parthenon hinter- 455. legt wurde und somit Athen zur freien Verfugung stand; 2.) die Jahres- beitrage, welche alle vier Jahre revidiert wurden, allmahlich von 460 auf 600 Talente erhbht ; 3.) die Bundesgenossen theilweise der Gerichts- barkeit der athenischen Heliasten unterstellt. Dadurch sanken die Bundesgenossen ( ovggcr/oi ) fast zu Unterthanen (vnr.v.om) herab und erhielten die Bundesbeitriige fast den Charakter eines Tributes; auch wurde hiedurch Athen stark genug, um einzelne widerstrebende Bundesglieder, wie friiher Thasos, so spater Samos, zu unterwerfen. Der Befestigung der athenischen Sceherrsehaft diente auch die An- legung zahlreieher Kleruchien (S. 91) unter Pericles, vrodurch gleich- zeitig da s athenische Proletariat entlastet wurde, Athen selbst freilich sich sehr verhasst machte. Diese Kleruchen blieben athenische Burger. liber den Begriff der Staatsherrschaft lcamen die Griechen nicht hinaus, zu unserem Begriffe des Beiches mit der Gleichberechtigung seiner Theile brachten sie es nicht. B. Die innere Politik des Pericles. 1. Die Verfassung Athens. Stellung des Pericles. Wahrend die iibrigen Beamten in der herkommlichen Weise gewahlt oder durch das Los bestellt wurden, la g die oberste Leitung des Staates in den Handen des Pericles, der erster Strateg, Schatzmeister und Leiter der offentlichen Bauten war. Pericles wurde eine Reihe von Jahren hindurch zum ersten Strategen gewahlt, neben dem die iibrigen neun Strategen wenig Einfluss hatten. Als erster Strateg leitete er auch die aufiere Politik und hatte das Redit, die Volksversammlung zu berufen. Dieses Amt 110 Die Griechen. war die eigentliche Grundlage seiner Stellung und machte ihn zimi Prasidenten der .Republik. Er bekleidete ferner in der Regel da.s vierjabrige Anit des Schatzmeisters, welclies in der Oberaufsicht liber die Staatscasse und sammtliche Finanzbeamten bestand. Als Leiter der offentlichen Bauten forderte er die Herstellung der Prachtbauten auf der Acropolis und leitete die groDen Biirgerfeste. So nalim Pericles eine fast monarchische Stellung ein. 1 Vollendung der Demokratie. Nachdem bereits Aristides den Theten in Anerkennung der Dienste, welche sie deni Vaterlande als Flottenmannschaft (S. 86) geleistet hatten, Zutritt zu allen Amtern verschafft, dadurch politisclie Gleichberechtigung ( laovogla) herbei- gefiihrt und speciell den nicht grundbesitzenden Biirgern bedeutenden Einfluss verschafft hatte, sprengte Pericles die letzten Fesseln und vollendete den demokratischen Ausbau der Verfassung. Die wiclitigsten hieher geliorigen Maflregeln, welche unter seinem Einflusse die Volks- versammlung beschloss, sind folgende: a) Dem Areopage wurde das politische Vetorecht genommen, seine Thatigkeit auf die Blutgerichtsbarkeit beschrankt. Erst seitdem konnte die Rechenschaftsablegung vollstandig durchgefiihrt werden. b) Einfiihrung des Heliastensoldes. Da infolge der zunehmenden Geschafte die Geschwornen jeden Tag, mit Ausnahme der. Fest- und Volksversarnmlungstage, Gerichtssitzungen hatten, konnten die iirmeren Burger nur dann daran theilnebmen, wenn sie ftir ibren Zeitverlust entschadigt wurden. Dies geschali durch Einfiihrung des Richtersoldes (juoOog drmuzr/.og, 2 Obolen = 13 Kr. Goldvvert), nach- dem schon friiher den armeren Biirgern das Theatergeld (rd Otioqi-Mv, zwei Obolen) und Kornvertheilung auf Staatskosten bewilligt worden war. Spiiter kam noch der Sold ftir die Theilnahme an den Ver- handlungen des Rathes (1 Drachme = 6 Obolen) und der Volks- versammlung (urspriinglich ein, spiiter drei Obolen) hinzu, wodurch dem Staate eine schvvere Last aufgebiirdet wurde. So kam die Ent- scheidung im Rathe, im Gerichte und in der Volksversammlung an den Demos. Mit diesen Abanderungen bestand die Verfassung im groOen Ganzen bis in die alexandrinische Zeit fort. Die Verantvvortlichkeit der Antragsteller (yQcccptj napavogeov) bildete ein Gegengewicht gegen staatsgefahrliche Neuerungen. 1 Thucyd. II, 65: o, ts to [j.ev or^jLO/pavi/, gpyw otuo tou 7:pojvou Zeitalter ye zal aAl.ors s^vidv. 3rjjzozpa-iav on ž8uvar te yao Ttov apaoaTtov TupficvvouvTat. Hegemonie Spartas. 127 (XIV, 2) als die 30 Tyrannen bezeichnet werden, an die Špitze der atkenischen Staatsverwaltung und liefien zu ihrem Schutze eine spar- tanische Besatzung auf der Burg zurtick. Die Oligarchen, unter denen Critias und Theramenes am meisten hervorragten, regierten von Tag zuTag willkiirlicher; mit den Solonischen Gesetzen wurden alle btirger- lichen Freibeiten beseitigt, dem Areopage die Blutgericlitsbarkeit ent- zogen, die Beamtenstellen nur mit Parteigenossen besetzt, alle Burger bis auf 3000 entwaffnct, missliebige oder gefahrliche Personen durch parteiische Rechtsprechung getodtet, das Vermogen der mitunter nur aus Habgier Hingerichteten eingezogen. Die Oligarchen veranlassten auch die Ermordung des Alcibiades, der sich damals in Kleinasien aufhielt, aus Furcht, er konnte ihnen gefahrlich werden. (Tgpus der Schreckensh errschaft). Allmahlich trat unter den Oligarchen selbst eine Spaltung ein; wakrend Critias, der thatsachlich das ffaupt geworden war, auf dem Wege der Einschiichterung und der Gewalt fortschreiten rvollte, trat Theramenes infolge verletzter Eitelkeit ftir eine Milderung des Terro- rismus ein; er musste, da die Schreckensherrschaft noch in der Stei- gerung begriffen war, auf GeheiB seines Gegners den Giftbecher leeren (vgl. die demokratische Schreckensherrschaft in der franzosischen Revolution, Robespierre und Danton). Athen fand nun in ganz Griechen- land Theilnahme, und die athenischen Fliichtlinge wurden trotz des spartanischen Verbotes in Argos und namentlich in Theben auf- genommen. Sturz der 30 Tyrannen, 403. Von Theben aus bemacktigte sich Thrasgbul, den die Dreifiig verbannt hatten, an der Spitze von 70 Ge- nossen der Festung Phgle am Parnes. Bald wuchs seine Schar auf 700 an, so dass er es wagen konnte, die Tyrannen anzugreifen. In Mungcliia kam es zum Kampfe, in welchem Critias fiel, worauf sich die Oligarchen an Sparta wendeten. Die DreiCig, welche sich in Eleusis festgesetzt hatten, erhielten Unterstiitzung durch Lgsander, doch der Konig Pausanias und die Ephoren vermittelten aus Eifersucht gegen jenen einen Frieden zvrischen den Verbannten und der Stadt Athen, worauf bald auch der Rest der DreiDig in Eleusis besiegt wurde. Die wichtigsten Bestimmungen des Ubereinkommens waren: 1.) Wieder- herstellung der Solonischen Verfassung, die nun im wesentlichen bis auf Alexander den Grofien, theilweise bis in die RtSmerzeit hinein blieb; 2.) Ertheilung einer allgemeinen Amnestie, von der nur die Dreifiig ausgenommen wurden — die erste der Geschichte. 403 . 128 Die Griechen. Diese Bestimmungen wurden ehrlich eingehalten wie sehr aber das damalige Athen vom Parteigeiste durchwuhlt war, zeigt das Schicksal des Socrates. C. Waehsender Einfluss der Perser auf die griechischen 401 — 387 . Angelegenheiten, 401 bis 387. 1. Die innere Zerriittung des Perserreiches und der Riickzug der 10.000 Griechen. Wie sebr das persische Reich bereits zerriittet und verfallen war, zeigt besonders der beriihmte Riickzug der 10.000 Griechen, den Xenophon als Freiwilliger begleitet und in seinem besten Werke, der Anabasis, beschrieben hat. Der jungere Ctjrus suchte mit Unterstiitzung seiner Mutter seinen Bruder Artaxerxes II. vom Throne zu stofien und zog zu diesem Zwecke ein grofies Barbarenheer zusammen, das er durch 13.000 griechische Soldner verstiirkte, deren wichtigster Fiihrer der Spartaner Klearchos war. Mit diesem Heere tiberschritt er den Euphrat und stiefi mit seinem 401. Bruder beim Dorfe Cunaxa, nordlich von Babvlon ; 401 zusammen. Obwohl die Griechen auf dem rechten Fliigel siegten, kamen sie doch, da Cvrus im ungestiimen Eifer, selbst seinen Bruder zu todten, das Leben verlor, in die grofite Bedrangnis, zumal sie infolge der Tiicke des Tissaphemes ihrer Anfiihrer beraubt wurden. Auf den Rath des Xenophon , der als Redner, Feldherr und Unterhandler die eigentliche Seele des Rtickzuges war, wahlten die 10.000 Griechen neue Anfiihrer und gelangten nach Uberwindung grofier Schwierigkeiten, welche ihnen die Beschwerden des Marsches, die Ungunst der Witterung und die feindselige Gesinnung der Bevolkerung bereiteten, noch 8000 Mann stark, durch Kurdistan und Armenien ans Meer, das sie bei Trapezunt erreichten, von wo sie sich nach Byzanz retteten. Dieser Zug ist ein schoner Beweis von der Uberlegenheit der Griechen gegentiber den Persern; wenn die letzteren gleichwohl jetzt einen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Griechen ausiibten, so ist dies dem verderblichen Hader der letzteren untereinander und dem Buhlen um die Gunst des GroBkonigs zuzuschreiben. 2. Kampfe der Spartaner mit den Persern in Kleinasien, 400 — 394. 400 bis 394. Nach der Schlacht bei Cunaxa wurde Tissaphemes mit umfassenden Vollmachten nach Kleinasien geschickt, um di ejonischen Stadte wieder zu unterwerfen. Infolge dessen wendeten sich diese an 1 Hell. II, Schluae: zal 6[j.(1o«vie; opzou: [avjv gi) pv»[(jLxaxr[tiEiv Eti x«l vuv op.oS ~e 7roXt~si>ov:ac xa\ ude? opxot? 6 5rju.o?. Der corinthische Krieg. 129 Sparta, daraals die einzige griechische (IroCrnacht, um Hilfe, die ihnen auch gewahrt wurde. Jetzt trat der Best der 10.000 Griechen — 6000 Mann — die bisher in Thracien als Soldner gekampft hatten, in den Dienst der Spartaner, welclie namentlicb seit der Ubernahme des Commandos durch den Konig Agesilaos im Jabre 396 den Persern empfindliche Verluste beibrachten. Desbalb tracbteten diese, die Spar¬ taner aus Asien zu entfernen, was ihnen aucb durch Anknupfung von Verbindungen mit den Sparta feindlich gesinnten Stadten Griechen- lands gelang. 3. Der bootisch-corinthische Krieg, 395 bis 387. Sparta hatte sich durch seine Willkurherrschaft allgemein verhasst gemacht, deshalb hatten auch Theben, Corinth und Athen die Unterstiitzung des Agesilaos verweigert und schlossen nun unter Beiziehung von Argos einen Bund gegen Sparta, den der persische Konig durch Geldzahlungen unter- stiitzte. Als Lysander im Kampfe gegen die Thebaner bei Haliartos, das, in der Enge zwischen Gebirge und See gelegen, die wichtigste Verbindung zwischen Mittel- und Nordgriechenland beherrscht, ge- schlagen und gefallen war (395), riefen die Spartaner zur Sicherung ihrer Machtstellung Agesilaos aus Asien zuruck. Wahrend dieser auf dem Wege des Xerxes nach Griechenland vordrang, wurde die spartanische Flotte von der persischen unter dem Commando Conons bei Cnidus vollstdndig geschlagen (394). Infolge dessen gieng Jonien an die Perser verloren, brach die spartanische Hegemonie im Archipel zusammen und wurden die beiden Verbin- dungsmauern des Piraus mit Athen — die phalerische Mauer wurde nicht mehr hergestellt — durch Conon mit persischem Gelde wieder aufgebaut. Zwar bahnte sicli Agesilaos durch den Sieg bei Coronea (394) den Weg nach dem Peloponnes; die Verbiindeten suchten nun aber durch die Besetzung der Isthmuspasse bei Corinth — daher der Name des Krieges — Sparta auf den Peloponnes zu beschranken und brachten ihm daselbst unter der Anfiihrung des Atheners Iphicrates, dessen Truppen theils Hopliten, theils Peltasten waren, 1 bedeutende Verluste bei. Deshalb sehickten die Spartaner den gewandten Unterhandler Antalcidas, einen zweiten Lysander, zum persischen Konige wegen 1 Bauer, Die Kriegsalterthumer in Miillers Handbuch. Den Ilauptuntersehied der Bewaffnung bildete der kleine Schild der letzteren ( [ixi\vr \). Uber dieVorziige der leicbten Infanterie sieh Hell. II, 4, 12 und IV, 5, 11 ; doch blieben auch spaterhin die ‘Sclnverg-erusteten die wicbt.ig.ste Waf¥engattung. Z cehe, GeBchiclito des Altertlimns. () 396 . 395 — 387. 395. 394. 394. 130 Die Grriechen. Abschlusses des Friedens, dessen Bedingungen der Konig feststellte 387. (387). Der Friede lieifit daher officiell der Konigsfriede (rj flaoiluog dgrjvrj). Die wichtigsten Bestimmungen des Antalcidischen Friedens waren: 1.) Die griechischen Stadte in Kleinasien bleiben beim persischen Reiche; 2.) alle Hegemonien in Griechenland werden aufgelost, so dass alle Stiidte voneinander unabhangig sein sollten, mit Ausnahme von Lemnos, Imbros und Skyros, die den Athenern zugesprochen wurden; 3.) Sparta ubernimmt die Ausfiihrung des Friedens. Durch die letztere Bestimmung war die Entsclieidung im einzelnen Sparta iiberlassen. 1 Ergebnis. 1.) Die sittliche Verwilderung der Griechen bat neue Fortschritte gemacht; 2.) seit Iphicrates breitete sich das Soldnerwesen, ein bedenkliehes Zeichen gesunkener Biirgertugend, auch in Griechen- land mehr aus, 2 so dass die Begriffe «Biirger» und «Soldat» sich nun trenuten; 3.) die Freiheit der J oni er und damit eine Hauptfrucht der Perserkriege war vernichtet; 4.) das persische Reich hatte trotz seiner Schwache auch in Griechenland die Entsclieidung gegeben. Daher war hier das Sprichwort verbreitet: sv [iunU.u %u nov 'Elhrjviov. III. Einporkomineii Thehens; Sturz der spartanischen Hegeinonie, '-362. 387 bis 362. Geographie Bootiens. Bootien ist eine nur theilweise von ver- einzelten Berggruppen erfiillte Landschaft; im SW. liegt der Helicon, weiter ostlich der Citharon, das Grenzgebirge gegen Attica. In der Mitte des Landes liegt die zweitgrdfite Ebene Griechenlands, die grolžten- tlieils vom Copais-See, auf dessen Boden jahrlich zweimal gesaet und geerntet werden kann, eingenommen wird. Wegen der bedeutenden Ausdehnung des ebenen Landes ist Bootien wichtig fiir die Pferde- und Rinderzucht (Bouorla — Rinderland), fiir die Ausbildung der Reiterei und als Schlachtfeld. Die bedeutende Verdunstung in dem durch Gebirge rings umschlossenen Lande ; namentlich in den ver- sumpften westlichen Theilen des Copais-Sees, macht die Luft ungesund, feucht und schwer; im Zusammenhange damit wird den Bootern Sclivver- 1 Plut. Ages. 23: o iM^Sos Xaxwv(^st. Der Wortlaut (les Friedens bei Xen. Hell. V, 1. 2 Die ersten S(5ldner verwendete Sparta im peloponnesischen Kriege; seit dem eorintliisclien Kriege wurden nacli Xenoplion (Hell. IV, 4, 14) die Biirgeraufgebote fiir Besatzungcn, die Siildner fiir den Krieg verwendet. Hegemonie Thebens. 131 falligkeit zugesehrieben (Gegensatz attisches Klima und athenische Elasticitat). Die wichtigsten Stadte waren: Theben, Orchomenos, Plataeae und Tanagra. Kampfe der Thebaner gegen die spartanisehe Ubermacht. Veranlassung. Trotz des Antalcidischen Friedens daehte Sparta niclit daran, auf seine Hegemonie zu verzichten; es setzte vielmehr seine Willkurherrschaft fort und liefž sieli gegen mehrere Stadte Gewaltthatigkeiten zuseliulden kommen. Als nun einige Stadte auf' Chalcidice die Spartaner um Hilfe gegen die Versuche Olgnths , sie in Abhangigkeit zu bringen, baten, schickten sie die erbetene Unter- stiitzung. Auf dem Wege dahin besetzte der spartanisehe Fiihrer Phubidas im Einvernehmen mit den thebanischen Oligarchen die Cadmea (382) und veranlasste die Haupter der Gegenpartei zur Flncht. 382. Durch die Demiithigung 01ynths wurde der Ubermuth Spartas nocli gesteigert, den Thebanern keine Genugtliuung geleistet. Infolge dessen kam es zurischen Sparta und Theben zum Kampfe; letzteres nahm jetzt die Politik Athens gegen Sparta auf, zu deren Fortsetzung Athcn selbst niclit mehr stark genug war. 1. Theben in der Vertheidigung, 379 bis 371. In Theben 379 — 371. standen damals an der Spitze der demokratischen Partei edle, vater- landsliebende Miinner, die, vom Ernste der pgthagoraischen Philosophie erfiillt, ihre Kraft und ihr Leben dem offentlicken Wohle widmeten. Unter ilmen stehen obenan die beiden innigen Freunde Kpaminondas und Pelopidas, von denen namentlicli der erstere durch Vaterlands- liebe, Bildung und sittlichen Ernst hervorragte. Von den Mannern, die diesem Kreise angehorten, gieng die Befreiung Thebens aus. In Athen fanden nach und nach 300 bis 400 tliebaniscke Flilchtlinge, an deren Spitze Pelopidas stand, gastliche Aufnahme. Im Einvernehmen mit Epaminondas und anderen in Theben zuriick- gebliebenen Parteigenossen verlielž er mit einigen anderen Fluchtlingen Athen und begab sich nach Theben, wo die Haupter der oligarchischen Partei, die bier eine Herrschaft fiihrten, žihnlich der des Critias in Athen, von den verkleideten Verschworenen theils bei einem Gelage, theils in ihren Wohnungen uberfallen und getodtet wurden. Das Volk schloss sich an die demokratischen Fiihrer an und zwang die Spar¬ taner zum Abzuge, worauf die Atliener ein Schutz- und Trutzbundnis mit Theben schlossen, nachdem die Spartaner sich durch einen Hand- streich des Piraus hatten bemachtigen wollen. W;ihrend die Atliener 132 Pie (riieclien. einen netim Seebund aufrichteten, der freilich zu keiner dauernden Wirksamkeit gelangte, immerhin aber die Spartaner wiederholt zur See besiegte (er zabite 70 Mitglieder, wahrend der erste Bund 1000 umfasst liatte), dehnten die Thebaner ikre Hegemonie iiber einen grofi en Theil Bootiens nus, nachdem sie die wiederholten Einfalle der Spar¬ taner zuriickgewiesen batten. Dariiber erwachte die Eifersucht der Athener, die sie veraulasste, sich den Spartanern zu nahern. Uesbalb 371. wurde ein Friedenseongress nach Sparta berufen (371), aul' welchem der Antalcidiscbe Friede erneuert wurdc. Da aber Epaminondas, der Vertreter Thebens, den Ansprucb auf die Hegemonie soiner Vater- stadt iiber Booticn nicht aufgab, brach der Krieg zunschen den The- banern und deti Spartanern aus. Als die letzteren in Booticn einfielen, wurden sie von den Thebanern unter der Anfiibrung des Epami¬ nondas, der die schiefe Schlachtordnung cpdXciyS) erfand , 1 die in der Verstarkung eines Fliigels als Angriffsflugels bestand, beim 371. Dorfe Leuctra zum erstenmale vollstandig gescblagen (371). Nun war Theben stark genug, zum Angriffe iiberzugehen, wahrend die Stellung Spartas im Peloponnes erscbtittert war. 371 — 362. 2. Theben im Angriffe, 371 bis 362. Epaminondas und Pelo- pidas strebten nach der Aufrichtung der thebanischen Hegemonie, die n ur im fortgesetzten Kampfe gegen Sparta zustande kommen konnte. Beide theilten sich in die Arbeit: Epaminondas iibernabm die Er- schiitterung der spartanischen Hegemonie im Peloponnes, Polopidas die Aufrichtung der thebanischen Hegemonie in Thessalien. a) Thessalien. Hier war die bedeutendste Stadt Pherae, deren Tyrannen nach der Einigung der ganzen Landschaft strebten. Die Thebaner suchten dies ebenso zu verhindern, wie die Begriindung des macedonischen Einflusses in Thessalien. Daher unternahm Pelo- pidas drči Ziige gegen den Tyrannen von Pherae. Wohl hatte er be- deutende Erfolge in Thessalien und schlichtete aucli Thronstreitigkeiten in Macedonien; da er aber auf dem dritten Zuge fiel, brach das kaum begriindete Ubergewicht Thebens im Norden wieder zusamnien. b) Der Peloponnes. Zum Sturze Spartas unternahm Epaminondas im Einvernehmen mit den Argivern, Arcadern und Eleern vier Ziige in den Peloponnes. Vergebens versuchte er zweimal Sparta, das Agesilaos deckte, durch Uberrumpelung zu crobern, dagegen schwachte er es fiir immer dadurch , dass er die Arc.ader zur Grriindung der i Bell. VI, 4, 8 u. fg. Hegemoni e Macedoniens. 133 grofien Stadt (fj gsyah 7 nahg) vereinte und die Unabkangigkeit Messeniens, das in Messene eine selbstandige Hauptstadt erkielt, wieder berstellte. Weitere Erfolge verhinderte die Eifersucht Athens nnd die Uneinigkeit unter den tliebanischen Bundesgenossen, vor allem ein Streit zwiscken den Arcadern und Eleern, bei dem es sogar im Tempelraume von 01ympia zu einem blutigen Kampfe kam. Auf dem vierten Zuge siegten wokl die Tkebaner bei Mantinea (362), doch fiel Epaminondas in der Schlacht. Seinem Ratke, Frieden zu sckliefien, folgten die Tkebaner. Ergebnis. Die spartanische Hegemonie war fur immer gestiirzt; die Macktstellung Tkebens war das Werk weniger begeisterter Manner, mit deren Tode Theben in die friihere Unbedeutendheit zuriicksank; die Griecken hatten ikre Krafte neuerdings gesckwackt und ermog- lickten dadurck die Einmischung Macedoniens, wodurck die vollige Aufreibung der grieckiscken Krafte in inneren Kampfen verkindert wurde. Mit der Scklackt von Mantinea scklieCt die grieckiscke Gesckickte Xenophons; seine letzten Worte sind, dass seitdem die Unordnung in Grieckenland noch gestiegen ist . 1 IV. Begriindung der macedonischen Hegemonie, 362 bis 338. Geographie Macedoniens. a) Das Land. Maeedonien erstreckte sicli von Epirus und Tkessalien bis an die Westgrenze Thraciens und im S. bis ans Meer. Im VV. und O. kat es Gebirgsziige als natiirlicke Grenzen, im N. feklt eine solcke. Uberwiegend ist es Gebirgsland, das Tiefland im N. des tkermaiscken Busens ist der politisckc Mittelpunkt des Landes. Zwei bedeutendere Fliisse, Axius (Vardar) und Strgmon (Struma), gekoren in ikrem Mittel- und Unter- laufe dem Lande an; zwiscken ikren Miindungen liegt die dreifingerige Halbinsel Ohalcidice, ganz besetzt mit grieckiscken Colonien, welclie liier Maeedonien vom Meere absekuitten. Die Residenz war in alter Zeit Aegae, seit Pkilipp II. Pella, unter den Romern Thermae (Tkes- salonice, Saloniki). b) Die Bevolkerung. Die Macedomer waren urspriinglick den Griecken stammverwandt, wurden iknen aber durck Vermisckung mit nackriickenden ilh/rischen Stammen, die vom N. ker iiber das 1 VII', 5: cbtptcna xa\ vapa^rj ett 7cXefa>v p-STa vrjv u.ayrjv : q TCpocrO-sv ev tt)' 362 . 362- 338. 134 Die Griechen. Amselfeld bequemen Zugang fanden, mehr und mehr entfremdet. Nur das kijnigliche Geschlccht, das seinen Ursprung von Pleracles ableitete, und der kriegerische Adel, der hauptsachlich zu Pferde ins Feld rilckte, nahmen die griechische Bildung in sicb auf, die Masse des Volkes, Jager und Bauem, bielten sich von ibr ferne. In den Zusammenhang der weltgeschichtlichen Entwicklung trat das Land erst mit der Thronbesteignng Philipps II., der einen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Griechen austibte. 359-336. Pliilipp II., 359 bis 336. A. Seine Thaten bis zur Einmischung in die griechisehen 359 — 357. Angelegenheiten (359 bis 357). Charakter und Bestrebungen Philipps. Als Pelopidas die Streitigkeiten im macedonischen Konigshause scbliclitete, nabm er als Geisel fiir die Einbaltung der von ibm festgestellten Ordnung den Prinzen Pbilipp nacli Theben mit, wo dieser die griechische Bildung, aber aucb die griecbiscbe Uneinigkeit an der Quelle kennen lernte. Als er herangewachsen war, gelangte er auf den Konigsthron, den er jedoch gegen mehrere Nebenbuhler und die einfallenden Illyrier erst erkampfen musste. Er besaC grofie staatsmannische Begabung, wusste durch Tauschung und Hinterlist seine Foinde zu trennen, scbeute Gewalt und Bestecliung niebt und war ungemein umsicbtig und thatig. 1 Seine wicbtigsten Bestrebungen waren die Ausbildung der Webr- ki - aft seines Volkes, Erweiterung der Grenzen Macedoniens und Erwerbung der Hegemonie iiber die Griechen und mit ihrer Hilfe Unterwerfung des Perserreicbes. Hiebei hatte Pbilipp den Vortbeil, dass sich die Monarchie in politischer und niilitdrischer Beziehung freier bewegen lconnte als die Demolcratie, die der Beschlussfassung durch die Volksversammlung nicht entbeliren konnte. 1.) Nachdem er die allgemeine Wehrpflicht eingefuhrt hatte, verbesserte er die Heeresaufstellung der Phcdanx, die, mit 6 m langen SpieCen bewaffnet, ein festgeschlossenes Ganze bildete, das nur schwer zersprengt werden konnte. Aucb dic Reiterei, welche aus den Adeligen bestand, bob er; endlich schuf er aucb eine Kriegsflotte. 1 Demosth. 2. oJyntli., 24: {J.7j6eva zatpov oSpav Trapa^siTuaiv; Chers. 13: (J-eira J&eiar7)? aTravO 1 ’ oaa (3ouX£~.t ( 1>. 8totX7ja£Tat. Philip]) II. 135 2. ) Bei dem Bestreben, die Grenzen Macedoniens zu ervreitern, hatte er am meisten die seemachtigen Stadte Athen, Amphipolis und Olynth zu ftircliten. Er wusste sie aber liber seine Absichten zu tau- schen und dadurch auch zu trennen, so dass sie ihm keinen geeinigten Widerstand entgegensetzten. Dann eroberte er das vrestliehe Thracien bis an den Nestus (Mesta), einscbliefilieh der an und nahe der Ivtiste gelegenen Colonien, darunter Amphipolis , Pydna und Potidda, wo- durch Oljnth mit dem von ibm gebildeten Stadtebunde isoliert war. Athen konnte ihm umsoweniger entgegentreten, als infolge aber- rnaliger Bedrlickung der Bundesgenossen sich auch der zweite athe- nische Seebund aufgelbst hatte. 3. ) Hierauf suchte er Gelegenheit zur Einmischung in die grie- chischen Angelegenheiten zu gewinnen, um dadurch seine Hegemonie liber die Griechen zu begrunden; durch ihre fortwahreriden Streitig- keiten erleichterten ihm diese die Erreichung seines Zieles. B. Philipps II. Einmischung in die griechischen Streitigkeiten (355 bis 338). 1. Der phocische oder heilige Krieg (355 bis 346). 355 — 346. Veranlassung. Die Phocier wurden von den Thebanern an- gefeindet, weil sie sich ihrer Hegemonie nicht unterstellen wollten. Auf deren Betreiben wurden sie wegen Benutzung des dem delphischen Gotte geweiliten Gebietes von Cirrha von den Amphictyonen zu einer sehr hohen Geldstrafe verurtheilt, weshalb sie den Krieg begannen. Verlauf des Krieges. Die Phocier, welche bei Athen und Sparta aus Abneigung gegen Theben Unterstiitzung fanden, pliinderten die Tempelschatze von Delphi, um so die Soldner zu bezahlen, mit denen sie einen wahren Verniehtungskrieg gegen Theben und dessen Bundes¬ genossen begannen. Da zu den letzteren auch die Thessalier gehorten, so iielen die phocischen Soldner in Thessalien ein, wahrend eine Partei daselbst Philipp zu Hilfe gerufen hatte. Deshalb kam es zu Kampfen zwisehen Philipp und den Phociern im siidlichen Thessalien, in welchen nach anfanglichen Erfolgen der Phocier Philipp bald das Ubergewieht erlangte, so dass er Thessalien sich unterwarf. Seine Absicht, in Phocis einzuriicken, vereitelten besonders die Athener, welche den Thennopvlenpass besetzten. Er zog sich daher zuruck und dehnte seine Herrschaft iiber die Halbinsel Chalcidice aus, wahrend der Ver- wustungskampf zwischen Phocis und Theben wegen Mangels an Geld mehi' und mehr de’n Charakter der Grenzfehde annahm. Die Ent- 136 Die Griechen. 346. scheidung fiihrte Philipp herbei. Von den Thebanern zu Hilfe ge- rufen, riickte er, durch tbebanisehe und thessalische Streitkrafte ver- starkt, in Phocis ein, zerstorte daselbst sammtliche Stadte und machte dem lOjahrigen Kriege ein Ende. Durch Beschluss der Amphictyonen wurden die Phocier aus dem Bunde ausgeschlossen und ihre beiden Stimmen an Philipp iibertragen, der auch das Vorstimmrecht {n^opavtaia) an Stelle Athens erhielt. Selbst Demosthenes rieth den Athenern zum Frieden und warnte sie, wegen des delphischen Schattens ( [naq\ rrjg tv z lelcpoig oxiag) die Waffen zu ergreifen. 2. Philipp II. und Athen unter der Leitung des Demosthenes. a) Zustande in Athen. Athen hatte sich nach dem pcloponnesi- schen Kriege in finanzieller Beziehung rasch wieder erholt, doch der friihere Biirgersinn und die Begeisterung fiir das Wohl der Stadt, in der viel geredet, aber wenig gehandelt wurde, waren geschwunden. Auch die Athener fiihrten nun ihre Kriege mit Sbldnern, Luxus und Wohlleben, namentlich Befriedigung der Schaulust durch Feste und Theater, waren eingerissen, und die verderbliche Processucht der Athener bestimmte nicht selten gerade die treffliehsten Manner, sich vom Staatsleben zuriickzuziehen und sich der Kunst und Wissen- schaft zu widmen. Da sich Athen, durch die friilieren Erfalirungen nicht gewarnt, Bedriickung der Bundesgenossen erlaubte, so zerfiel auch der zweite Bund nach 20jahrigem Bestande, was Athen ver- gebens zu verhindern suchte. Es blieb daher auf Attica und Euhoa beschrankt. b) Charakter und Bestrebungen des Demosthenes. Er war der Sohn eines Fabrikanten, der seinem unmiindigen Sohne ein bedeu- tendes Vermogen liinterlieO, das dieser durch die Gewissenlosigkeit seiner Vormtoder grohtentheils verlor. Obwohl ihn die Natur nicht zum Redner bestimmt zu haben schien, iiberwand er doch durch eisernen Fleifi und unerschiitterliche Ausdauer alle entgegenstehenden Schwierigkeiten, so dass er der er ute Redner seines Volkes und des Alterthums wurde. Eine feste sittliche Uberzeugung, gltihende Vater- landsliebe, unbeugsamer Muth und hoher idealer Schwung zeichnen ihn aus; keine Schwierigkeit und keine Verdachtigung hielt ihn ab, auf dem als richtig erkannten Wege zu beharren. Zuerst trat er als Sachwalter auf, seit 351 — mit der ersten philippi.schen Rede — auch als politischer Redner. Als solcher suchte er seine Mitbiirger aus dem verderblichon Genussleben herauszureiBen und sie wieder mit Philip]) II. und Demostlienes. 137 idealem Sinne zu erfilllen. Der rothe Faden seiner Thatigkeit ist, den Athenern die Augen liber die wahren Absiehten Philipps zu offnen, diesen als den gro!3ten Feind der Griechen hinzustellen und seine Mitbiirger zu Vorkampfern der griechischen Freiheit zu machen. Zuerst lenkte er deren Aufmerksamkeit auf die Lage Olvnths. c) Eroberung 01ynths durch Philipp (348). Olynth, das Haupt 348. von 32 chalcidischen Stadten, war damals das einzige widerstands- fabige Au6enwerk Athens. Demostlienes veranlasste durch seine drei olynthischen Reden, dass die Stadt ins athenisclie Btindnis auf- genommen und, als sie Philipp angriff, auch unterstiitzt wurde. Da aber die geschickte Hilfe nicht ausgiebig genug war, so erlag die Stadt, worauf sie sammt den 32 anderen Stadten von Philipp zer- stort wurde. d) Der Philocrateische Friede (346). Nadi dem Verluste von 346. 01ynth war aucli Demostlienes fiir den Frieden, der auf Grundlage des gegenwartigen Besitzstandes abgeschlossen werden solite. Nachdem die Athener 'vor einer macedonischen Gesandtschaft den Eid geleistet hatten, wurden Gesandte an Philipp abgeschickt, damit auch er den Frieden beschivore. Diese Truggesandtschaft (jvagajvgeoiSeia), an vvolcher Aschines und Philocrates theilnahmen, zog ihro Aufgabe in verratherischer Weise hin, wahrend Philipp neue Eroberungen in Thracien machte, worauf er die Entscheidung im phocischen Kriege herbeifiihrte. Athen konnte allein — Sparta liielt sich ganz ferne — den Ausgang des Krieges nicht hindern. Seit dieser Zeit war der beriihmte Redner Aschines ein entschiedener Parteiganger des Konigs und daher politischer Gegner des Demosthenes. e) Der siebenjahrige Scheinfriede zvvischen Philipp und 346 - 33‘J. Athen (346 bis 339). Wahrend sich in Athen die Friedens- und die Kriegspartei bekžimpften, setzte Philipp sein Bestreben, Athen zu isolieren, mit Erfolg fort. Als er aber auch Bgzanz, das fiir Athen wegen der Getreidezufuhr besonders vvichtig war, belagerte, brach auf Betreiben des Demosthenes, der kurz vorher seine beriihmte dritte philippische Rede gehalten hatte, der Krieg rvieder aus. Demosthenes, der nun die Leitung der Staatsgeschafte erhielt, verbesserte zunachst die tinanziellen Verhaltnisse und das Flottenwesen, worauf die Athener im Bunde mit den Persern, die jetzt Griechenland nicht mehr gefahrlich 'verden konnten, Pliilipp zwangen, die Belagerung von Bgzanz auf- zuheben (339). 339 . 138 Die Griechen. 339 u. 838. f) Der heilige Krieg gegen Amphissa (339 und 338). Die delphische Amphictyonie beschlossauf einer stiirmischen Versammlung, Amphissa ; das sich ein Stiick des Gebietes von Cirrha angeeignet hatte, zu bekriegen und Philipp zum Bundesfeldherrn zu' bestellen. Pbilipp riickte rasch durch die Thermopylen vor, wendete sich aber nicht gegen Amphissa, sondern besetzte zuniichst Elatea, das den Zugang zu Bootien beherrschte. Unter dem Eindrucke dieser Nacli- richt riss Demosthenes seine Mitburger zum Abschlusse eines Bundes mit Theben hin — es war seine letzte grofie That fur die Freiheit seines Volkes, das ihm in Anerkennung seiner Verdienste einen goldenen Kranz widmete (agetrjg "vena 'ml mXnmyaSiag). Neue Verbiindete schlossen sicli an, Philipp wurde in zwei Gefechten be- siegt. Als dieser aber nacli der Zerstorung Amphissas in Bootien 338. einriickte, erfolgte im Jahre 338 die Entscheidung hei Charonea. Die beiden Heere mogen ungefahr gleich gro6 gewesen sein, auf beiden Seiten standen iiber 30.000 Mann. Hier siegte das stehende Heer iiber die ungeschulten Milizen, der einheitlich verwaltete Staat iiber die lockeren Bundesgenossenschaften, die Monarchie iiber die Repu- bliken. Theben, Chalcis, Corinth und Ambracia erhielten macedonische Besatzungen und Athen, das Philipp nicht reizen wollte, einen billigen Frieden. Hierauf riickte Philipp in den Peloponnes ein und berief eine Versammlung der Griechen nach Corinth, die nur von Sparta nicht beschickt wurde. Hier wurde beschlossen: 1.) Alle griechischen Stadte sollten frei sein und zwischen ihnen Friede herrschen; 2.) ein Bundesrath solite iiber die Einhaltung der neuen Ordnung wachen; 3.) der Nationalkrieg gegen die Perser solite ■ unter der Anfiihrung Philipps unternommen iverden. Ergebnis. Infolge der fortwiihrenden inneren Kampfe waren die Griechen unfiihig geworden, ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten. Sie konnten nur dui’ch eine starke Obergewalt von der Gefahr, sich selbst zu vernichten, befreit werden und wurden nun von Macedonien abhangig: ihre politische Freiheit war zu Ende. Ahnlieh, ude spiiter in Rom, siegte iiber die entartete Demokratie (Ochlokratie) und die entartete Aristokratie (Oligarchie) die Militargeioalt. V. Literatur und Kunst. Im Gegensatze zur Zeit der Perserkriege triigt die Cultur dicses Abschnittes einen entsehieden wettlichen Charakter. Dies zeigt sich auf religiosem Gebiete in der Zunahmc des Un- und Aberglaubens Literatur und Kunst. 139 und findet bestimmten Ausdruck in der Literatur und Kunst. Die geistige Hauptstadt des Yolkes war auch damals noch Athen. 1. Literatur. Poesie. Nachdem dic ilbrigen dicbterischen Gattungen den Hohepunkt erreicht und iiberschritten batten, gelangte auch die Komodie in Athen zur Vollendung. Sie hat iliren Ursprung in den mit Neckereien und Spottgesangen (v.wpoi) verbundenen Maskeraden an den Diongsosfesten , hat also dieselbe Wurzel wie die Tragodie. Sie zerfallt nach ihrem Inhalte in die alte, mittlere und neue Komodie. Die alte Komodie verspottete die ungesunden Verhaltnisse in Staat, Gesellsehaft, Literatur und Kunst, sowie hervorragende und offentlich thatige Manner der Zeit (Cleon, Euripides, Socrates). Ihr groGter Meister war Aristophanes (um 430), ein Gegner der unum- Um 430. schrankten Demokratie, deren Schattenseiten er riicksichtslos angriff. Sie endete mit dem Regierungsantritte der dreiBig Tvrannen. Die mittlere Komodie verspottete infolge des Verbotes, die offentlichen Verhaltnisse satirisch zu behandeln, Stande, die keinen politischen Einfluss hatten, wie die Redner und Philosophen, oder Gotter. Sie bildete nur den Ubergang zur neuen Komodie, welche sicli im wesent- lichen mit unserem Lustspiele deckt. Ihr beriihmtester Vertreter war Menander (um 320), das Vorbild der alexandrinischen und romischen Um 320. Zeit. Ein vollstandiges Stiick ist nicht erhalten, wir kennen sie durch romische Nachdichtungen. Prosa. Wie in der Zeit der Perserkriege die Poesie, so erreichten jetzt die Wissenschaften groGtentheils den Hohepunkt ihrer Entuncklung bei den Griechen. Es kominen hauptsachlich Geschichtschreibung, Philosophie und Beredsamkeit in Betracht. 1.) Geschichtschreibung. ajThucydides, der im Gegensatze zu Herodot die Ereignisse nicht aus derEinflussnahme der Gotter, sondern aus den Charakteren und Absichten der handelnden Personen zu er- klaren sucht (weltlicher Charakter), ist der erste eigentliche und auch der grafite Geschichtschreiber der Griechen und des ganzen Alterthums. Da er zu spat kam, um Amphipolis vor dem Angriffe des Brasidas zu schutzen, gieng er in die Verbannung. Er sehrieb die Geschichte der ersten 21 Jahre des peloponnesischen Krieges, welcher er die Dar- stellung des Ursprungs der athenischen Hegemonie voranstellte. 6^)Xenophon, der Gegner der Demokratie und Freund Spartas, verfasste die Anabasis, eine der wichtigsten Urkunden des Alterthums 140 Die Griechen. fur die Kenntnis des Orients und des griechischen Charakters, ferner eine griechische Geschichte (2vvTcdžig rtov c Elb]nxidv), welche im Anschlusse an Thucjdides die Zeit von 411 bis 362 darstellt, dann als eine seiner letzten Arbeiten die Cyropadie. Wegen der Klarlieit seines Ausdruck.es wurde er als mustergiltiger Schriftsteller geschatzt. 2.) Philosophie. a) Die Sophisten (aocpiacr^ = ao selbstlos, fromm, kam im Kriege — er kampfte bei Potidaa und Amphipolis — und im Frieden seinen Btirgerpflichten gevvissenhaft nach und wagte cs, unbekiimmert um die Volksgunst, der herrschenden Stimmung entgegenzutreten, so beim Processe nacb der Schlacht bei den Arginusen. Er war der schrankenlosen Demo- kratie wegen ihrer Schattenseiten abgeneigt und wurde desbalb von den Uemagogen angefeindet> nicht minder aber aucli von Aristoplianes> der ihn (in den «Wolken») in eine Linie mit den Sophisten stellte. Weil Alcibiades und Critias eine Zeitlang mit ihm niiher verkehrten und er behauptete, dass ihm eine innere Stimme (Saiu/mov) sage, was er zu thun und zu lassen babe, so wurde er von seinen Gegnern angeklagt, dass er neue Gotter einfuhren wolle und die Jugend verderbe (vgl. Xen. Memor. I, 1). Vor ein Heliastengericht von iiber 550 Mitglicdern gestellt, wurde er von einer geringen Mehrheit zum Tode verurtheilt; diese Mehrheit erhohte sich noch um 80 Stimmen, als er erklarte, er habe verdient, im Prvt.aneum auf Staatskosten lebenslanglich gespeist zu werden. Die 30 Tage, welehe bis zur Vollziehung des Todesurtheils vergiengen, verlebte er in anregenden Gesprachen mit seinen Anhangern iiber die Unsterblichkeit der Seele und wies deren Zumuthung, sicb durcb die Flucht zu retten, zuriick, weil man den Gesetzen unbedingt gehorcben mtisse. Nachdem er noch seine Freunde aufgefordert batte, wegen seiner bevorstehenden Genesung einen Habn zu opfern, leerte er den Giftbecber. c) Socrates als Philosoph. Er ist der Schopfer der wissen- schaftlicben Definition, d. h. er drang vor jeder Untersuchung auf die Feststellung der Bedeutung (den Begriff) der AVorte , 1 die eben Gegen- stand der philosophischen Erbrterung waren. Gerade dadurcb trieb er die Sophisten in die Enge. Umen gegeniiber vertrat er den Satz, dass nur der sittlich und geistig gebildete Mensch das Maj] der Dinge sei. Dadurcb wurde er der Schopfer der wissenschaftlichen Ethik, d. h. der Lehre von den Pflichten des Menschen, von dem er daher vor allem Selbsterlcenntnis verlangte. Wahrend die friiheren Pbilo- sopben sicb damit abgemiiht batten, die Entstebung der Welt und den Urstoff der Dinge zu ergriibeln> beschrankte er sicb auf die Ethik, weshalb Cicero sagt, dass er die Philosophie vom Himmel auf die Erde herabgebracbt babe (Zunabme des weltlichen Geistes). Wie er selbst liocbst ansprucbslos war und daber die Einladung des I)en der Sophisten stellte er die entgegcn. 142 Die Griechen. macedonischen Konigs ablehnte, so erklarte er fiir das Gliick des Menschen als besonders wichtig, dass er moglichst wenige Bediirfnisse babe. Seine Philosophie hat demnach einen praktisehen Charakter, der von da an der griechischen Philosophie verblieben ist. Den Inhalt seiner Lehre kennen wir aus den Schriften seiner bedeutendsten Schiller; es sind dies Xenophon (Memorabilien) und namentlich Plato. Der Hauptsatz seiner Lehre war: Die Tugend ist lehrbar, d. h. Wissen. (Xen. Mem. III, 9, 4.) d) Die socratischen Schulen. 1 Da Menschen sehr ver- schiedener Geistesrichtung sich an Socrates anscldossen, fassten sie auch seine Lehre sehr verschieden auf. Diejenigen von ihnen, welche Stifter pliilosophischer Schulen wurden, gelangten infolge dessen auch zu sehr verschiedenen Resultaten. Alle erkliirten als Haupt.ziel die Sicherung der menschlichen Gluckseligkeit (praktische Richtung); gemeinsam ist ihnen auch die Abneigung gegen die Demokratie und Gleichgiltigkeit gegen die Volksreligion. Diese Schulen sind: a) Die Akademie, gegriindet von dem Athener Plato, der die Lehre des Meisters am reinsten auffasste und weiter ausbildete, einer der groben Lehrer der Menschheit. Er machte Reisen nacli Agypten, Unteritalien und Sicilien, lelirte fast 40 Jahre lang in der Akademie, einem Gymnasium bei Athen, und starb, bis zum Tode geistig thatig, als SOjahriger Greis. Gleich Socrates gelangte er zu monotheistischen Anschauungen, glaubte an die Unsterblichkeit der Seele und behandelte besonders die Ethik. Seine Dialoge gelioren zum Schonsten, was je in Prosa geschrieben wurde. / 3) Die cyrenaische Schule, gegriindet von dem reichen Aristipp aus Cyrene. Er erkannte das Gliick des Menschen in der mafivollen Befriedigung seiner Wunsche und Bedurfnisse, wozu er iibrigens auch geistige Geniisse rechnete. Diese Schule zeigt einen egoisti schen Charakter. y) Die cynische Schule, so benannt nach dem athenischen Gymnasium Cynosarges, gegriindet vom Athener Antisthenes, der glin zli eh e Bedurfnislosigkeit und Abkehr vom staatlichen und geistigen Leben als Tugend und Ziel des menschlichen Strebens hinstellte. Mitten aus der Schonheit der griechischen Cultur heraus predigte diese Schule die Riickkehr zum Naturzustande; ihr gehorte Diogenes von Sinope an. 1 Nacli VVirulelbjind in Miillers Handbueh. Literatur und Kunst. 143 d) Die megarisehe Schule des Euclides, der weniger die Lehre als die Methode des Socrates seiner Thatigkeit zugrunde legte und sich besonders der sophistischen Kunst der Eristik, d. b. der Gewandtheit, fur und gegen alles spreclien zu konnen, widmete. Sie ist die mindest wichtige von den vier Schulen. Beredsamkeit. Auch die Beredsamkeit, die zuletzt in die Literatur eintrat, erreichte die hochste Ausbildung in Athen, dessen demokratische Verfassung vom Staatsmannne die Maclit der Rede verlangte. Darum waren die grofien Staatsmanner der alteren Zeit, wie Themistocles und Pericles, auch beriihmte Redner; ikre Reden waren einfach und ohne Aufwand von sprachlichem Prunk und Gelehrsamkeit. Erst die Sopliisten erhoben die Beredsamkeit zu einer sehulmaBig zu erlernenden Kunst, vvobei es ilmen besonders auf schonen und gewandt,en 1 Ausdruck, rhythmischen Ban der Satze und Einflechtung vielseitiger Kenntnisse ankam. Die groBten griechischen Redner gelioren der Zeit von 421 bis 338 an. Damals lebten und 421—338. lehrten die bertihmten zelin attischen Redner , darunter Isdus, Lehrer des Demosthenes, Isocrates, ein beruhmter Festredner, und Demosthenes, der groBte von allen. Dem Inhalte nacli zerfallt die Beredsamkeit in die politische, richterliclie und Festberedsamkeit. Mit dem Untergange der griechischen Freikeit verkummerte sie. Die Rlietorilc , 2 d. h. die Theorie der Beredsamkeit, drang auch in andere literarische Zweige ein (vgl. Euripides, Thucydides) und galt seit dem Anfange des 2. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Ausgange des Altertbums als das unerlassliche Unterrichtsmittel fiir eine liohere Bildung. Denn als mit dem Verluste der griechischen Freiheit der Inhalt der Rede sank, freuten sich die Griechen noch an der schonen Form. Naturvvissenschaften, Mathematik und Medicin. Wahrend in der Zeit der jonischen Philosophen Mathematik, Astronomie und Pliilosophie noch ungetrennt waren, wurden jetzt alle diese Wissens- zweige von Fachgelehrten bearbeitet; ebenso loste sich die Geographie von der Geschichte, die bei Herodot noch verbunden sind. Der erste wissenschaftliche Vertreter der Medicin ist Hippocrates ausKos(S. 120), der an Scharfe der Beobachtung alle antiken Arzte tibertraf. Bis auf 1 Protagoras erklarte sich bereit, vvjv X6'jov •/.peivra jioieiv. 2 Volkmann, Die Elietorik der Griechen und Eomer, 1885. Der Unterrieht hestand liauptsachlich im Vortrage der Theorie und Musterreden, sowie in der Leitung der praktisclien Ubnngen. 144 Die Griechen. ihn war das žirztliehe Wissen stark von den Agyptern (S. 12 und 114) beeinflusst und hatte sich als eine Geheimlehre gevvisser Priester- geschlechter, z. B. der Asklepiaden, 1 fortgepflanzt. 2. Kunst. Auf diesem Gebiete entstanden nocli immer Werke von hoher kiinstlerischer Vollendung, und fanden die groben athenischen Kiinstler Beschaftigung in ganz Griechenland. Wahrend in der Zeit des Pericles die Kiinstler wesentlic.li im Dienste des Staates arbeiteten, erbielten sie jetzt mit zunekmendem Reichthume und Streben nach Pracht, bei gleichzeitiger Abnahme des Patriotismus, mehr und mebr von reichen Privaten Auftrage. Baukunst. Dieser Zeit ist das Aufkommen der corinthischen Sdulenordnung eigenthumlich. Das Capital der corinthischen Situle bestelit aus zwei Theilen, den Ranken und den Blattern. Je zwei Ranken, im ganzen aclit, schmiicken jede Ecke des Capitals; seinen Kern umgab man mit kleineren Ranken und namentlich mit Blattern, gewohnlich in zwei Reihen iibereinander. Der Blatterschmuck war in der Regel eine stilisierte Nachahmung der Bliitter der im Siiden weit verbreiteten Acanthuspflanze. Dieses Motiv ist bis jetzt der Kunst verblieben. Im iibrigen talit die corinthische Ordnung mit der jonischen zusammen und unterscheidet sich von ihr nur noch durch den reicheren Sclimuck der einzelnen Bautheile. Die corinthische Ordnung wurde besonders in der alexandri- nischen und in der romischen Zeit angewendet. Der Athene-Tempel in Tegea ; nach dem Parthenon der schonste griechische Tempel, zeigt zuerst die Verwendung aller drei Stilarten. Von weltlichen Bauwerken ist besonders das Mausoleum zu erwahnen, ein pritchtiges Grabdenkmal, welches eine verwitwete carische Konigin ihrem Gemahle Mausolus Um 350. um 350 in Halicarnass errichten lieC; ferner das choragische Denkmal des Lgsicrates in Athen. Plastik. Auf diesem Gebiete kommen hauptsachlich folgende Gesichtspunkte in Betracht: 1.) An Stelle der erhabenen Gotter- gestalten (Zeus, Athene) in der Zeit des Phidias treten uberwiegend die anmuthigen (Apollo, Dionysos, Aphrodite); 2.) der ruhige Stil der frtiheren Zeit (Panathenilen-Fries) weicht einem leidenschaftlich 1 So benannt, nacli Asklepios, dem Gotte der Heilkimst. Alexander der G-rofie. 145 erregten; 3.) die Darstellung von Portraits nimmt bedeutend zu(Ver- weltlichung der Kunst). Dem Ausdrucke des Anmuthigen und Zarten fiigt sicli arn besten der Marmor, der jetzt der Lieblingsstoff wird. Die groGten Meister der sogenannten jiingeren attischen Schule sind Scopas aus Paros und Praxiteles aus Athen; der erstere schmiickte besonders den Athene-Tempel in Tegea und das Mausoleum, vom letzteren wurde eine beriihmte Hermesstatue in 01ympia ausgegraben, eines der wenigen erhaltenen griechiscben Originalwerke. Das grofi- artigste Denkmal dieser Schule sind die Statuen der Niobe und ihrer Kinder in Flor en z, die freilich nur in Copien erhalten sind. Malerei. Aueh sie verliefi den hohen, idealen Standpunkt der friiheren Zeit (Polygnot) und streh te nach tduschender Naturnach- ahmung. Am beruhmtesten waren die Jonier Zeuxis und Parrhasios (um 400). Um 400. "\7"ierter Zeitraum. Von der Sehlaclit hei Charonea Ms zur Unterwerfnng der Griechen durch die Romer, 338 Ms 146 (alexandrinisclies oder hellenistisches Zeitalter). Macedonische Hegemonie, Ausbreitung der griecMschen Cultur iiber den Orient, innere Kampfe. I. Alexander der GroGe, 336 Ms 323. 1 336 — 323. A. Die ersten Regierungsjahre des Konigs bis zum Beginne des Perserkrieges, 336 bis 334. 336 — 334. Alexander, der Solin und Nachfolger Philipps II., hatte von seinem Lehrer Aristoteles eine sorgfaltige Erziehung erhalten, wodurch sein idealer Sinu entwickelt und mit Begeisterung fur die griechische Bildung erfullt wurde. Nachdem er bereits als lSjahriger Jiingling die erste Probe seiner militarischen Tiichtigkeit bei Charonea abgelegt hatte, unterdrtickte er jetzt in wenigen Monaten die Aufstandsversuche, welche die Naehricht von der Ermordung seines Vaters in Griechenland hervorgerufen hatte, und lieG sich auf der Versammlung in Corinth zum Feldherrn der Griechen gegen die Perser bestimmen. Hierauf unterwarf er die illyrischen Volkerschaften im Norden des Balkan. Da verbreitete sich in Griechenland das Gerucht, dass Alexander in diesen Kampfen gefallen sei; es brach infolge dessen ein Aufstand aus, an dessen Spitze Tlieben stand. Rasch erschien Alexander und machte dem Aufstande durch die Zerstorung Thebens, wo er nur die 1 Nadi Hertzberg, Geschichte von Hellas in Onckens Sammelwerke. Zeohe, Geschichte des Alterthums. 10 146 l)ie Griechen. Tempel und das Haus Pindars verschonte, ein Ende ; 30.000 Thebaner wurden als Sclaven verkauft, das mit Theben verbiindete Atlien erhielt einen glimpflichen Frieden. 334 — 325 . B. Der Alexanderzug, 334 bis 325. 334 u. 333 . 1. Bis zur Schlacht bei Issus, 334 und 333. Nachdem Alexander den Antipater zum Reichsverweser bestellt hatte, zog er im Friihjahre 334 mit 35.000 Mann liber den Hellespont, um das persische Reich zu erohern, das durch fortwiihrende Aufstande sehr geschwiicht worden war und fast mir melir mit Hilfe von griecliiscben Mietstruppen zu- 334 . sammengehalten werden konnte. Noch im Friihjahre 334 schlug er das feindliche Heer am Grcmicus, ivorauf er die ganze FVestkiiste, an der nur Halicarnass einen liingeren Widerstand leistete, und auch den Stiden der Halbinsel besetzte. Nachdem er den Winter in Gordium zugebracht hatte, zog er iiber die Hochflache im Innern und den Taurus nach Cilicien und nach baldiger Genesung von einer schiveren Krankheit durch den «syrischen» Engpass zwischen dem Amanus- gebirge und der Kiiste nach Syrien, in dessen nordostlichem Theile sich das persische Reichsheer unter dem Konige Darins III. aufgestellt hatte. Nachdem Alexander die Enge bereits durchschritten hatte, kam ihm Darius auf dem « Amanischen » Passe von O. her in den Riicken. Alexander kehrte deshalb um und besiegte in der schmalen Ktisten- ebene bei Issus, in welcher das weit iiberlegene feindliche Heer sich 333 . nicht entwickeln konnte, den persischen Konig vollstandig ( 333 ). Dieser floli mit Hinterlassung seines reichen Lagers und der konig- lichen Frauen, welche Alexander achtungsvoll behandelte. Die Frucht des Sieges war die Erwerhung Sgriens; auch war dadurch der per¬ sischen Flotte jede Mitwirkung entzogen und die Unterstiitzung durch die Griechen unmoglich gemacht. 2. Von der Schlacht bei Issus bis zur Schlacht bei Gauga- 333 — 331 . mela, 333 bis 331. In Syrien leisteten nur Tyrus und Gaza Wider- stand. Das erstere, groBtentheils auf einer Insel gelegen, wurde durch Aufvverfen eines Dammes, der die Insel mit dem Festlande verband, und die Mitwirkung der Flotte nach siebenmonatlicher hartniickiger Vertheidigung erobert, 30.000 Einwohner wurden als Sclaven ver¬ kauft, die Bedeutung der Stadt war ftir immer vernichtet; Gaza vvurde erstiirnit. Nun war der Zugang zu Aggpten offen. Hier wurde Alexander als Befreier vom verhassten persischen Joche mit Jubel aufgenommen, von den Ammonpriestern in der Oase Siva als Sohn A!exander der Grolle. 147 ilires Gottes begriiflt. Nachdem er den Grund zur spateren Weltstadt Alexandria gelegt und die Yerwaltung des zerriitteten Landes geordnet liatte (332), brach er liber den Eupkrat und Tigris zur Verfolgung 332. des Darius auf, der nach der Scblacht bei Issus zur Erlangung des Friedens vergebens die Abtretung Vorderasiens angeboten und nun bei Gaugamela ein riesiges Heer aufgestellt hatte. Nach hartnackigem Kampfe erfocht hier Alexander, hauptsachlich infolge seiner eigenen Tapferkeit, einen vollstandigen Sieg (331), der das Vordringen 331. nach Iran ermoglichte. 3. Die Eroberung Irans, 331 bis 327. Zunachst besetzte der 331 — 327. Sieger die persischen Residenzen Babi/lon, Suša und Persepolis ; in letzterer Stadt wurden ungeheure Schatze (im Werte von 120.000 Ta- lenten) gefunden, die prachtigen Gemacher aus Cedernholz im Palaste aus Rache wegen der Zerstorung der griecbischen Tempel und als Beweis fur den endgiltigen Sturz der Acluimeniden niedergebrannt. Hierauf brach Alexander zur Verfolgung des Darius auf, der weiter nach Osten floh, wahrend der Abfall der Grofien und die Auflosung seinesHeeres um sich griff. Nachdem Darius durch eine Verschworung von persischen Wiirdentragern den Tod gefunden hatte, eroberte Alexander auch den ostlichen Theil Irans und drang sogar trotz des heftigen Widerstandes der turanischen Steppenvolker bis zum Jaxartes vor, an dessen linkem Ufer er das auberste Alexandrien (lAlegavdgsia g i-G%aTrj) anlegte. Bessus , der ehemalige Satrap von Bactrien, welcher den Konigstitel angenommen hatte, wurde hingerichtet und mekrere Aufstande unterdriickt. 4. Der Zug nach Indien, 327 und 326. Im Jahre 327 schritt 327 u. 326. Alexander zur Eroberung Indiens, das damals in zahlreiche kleine Konigreiche zertiel. Nachdem er den 4000 m hohen Pass des Hindu- kusch iiberschritten und durch das Thal des Kabul den Indus erreicht hatte, schlug sich der Konig Taxiles, dessen Reich ostlich vom Indus lag, auf seine Seite. Sodann besiegte Alexander den Konig Porus, dessen Reich noch weiter ostlich lag, in zwei Schlachten, in welcken die Griechen zum erstenmale mit Kriegselephanten, die ihnen grobe Verluste beibrachten, zu kampfen hatten. Nach dem Friedensschlusse mit Porus, der ebenso wieTaxiles ein Vasall Alexanders wurde, zog dieser im Pandschab weiter nach Osten, musste aber am Hgphasis umkehren , weil sich sein Heer weigerte, gegen den Ganges vorzu- dringen. Nun befuhr er unter schweren, durch die Brahmanen her- vorgerufenen Kampfen den Indus bis zu seiner Miindung, wo er einen 10 * 148 Die Griechen. Hafen und Scliiffswerften anlegte; dadurch und durch den sich anschlieBenden Zug des Nearchos wurde der indische Ocean dem griechischen Mandel geoffnet. Der Zug nach Indien war vol* allern eine Entdeckungsfahrt. — 323 . 5. Riickkehr und letzte Regierungsjahre Alexanders, 325 bis 323. Wahrend ein Theil des Heeres unter der Anfuhrung des Nearchos mit Beniitzung des Nordost-Monsuns den RiicTaveg zur See antrat und gliicklich an die Euphrat -Miindung gelangte, scldug Ale- xander mit dem Reste des Heeres den Landweg durch die Wiiste von Beludschistan ein, wobei er durch den Mangel an Lebensmitteln und Wasser aufierordentliche Entbehrungen und groCe Verluste erlitt. Als er endlich nach Suša zurtickgekehrt war, veranstaltete er grofiartige Festlichkeiten und war angestrengt thiitig, in dem riesigen Reiche ein neues Culturleben zu begriinden. Theils infolge von tJberanstrengung, theils infolge eines maClosen Genusslebens, starb er, wahrsclieinlich mit den Vorarbeiten zur Eroberung Arabiens beschaftigt, zu Babylon 323 . ( 323 ). 6. Alexanders Culturarbeit. Die weltgeschichtliche Bedeutung des Alexanderzuges ist, dass dadurch der griechischen Cultur das ganze vordere Asien bis zum Indus und Syr eroffnet wurde. Im Gegensatze zu den vernichtenden Ztigen der Steppenvolker ist das Unternehmen Alexanders eine grofte Culturthat. Behufs Ausbreitung der griechischen Cultur in Asien griindete Alexander zahlreiche Stddte und suchte eine Verschmelzung des morgen- und abendlandischen Wesens herbeizufuhren. In den neugegriindeten Stadten wurden griechische und macedonische Soldaten angesiedelt, welche mit der griechischen Sprache auch die griechische Cultur im Umkreise der Stadte verbreiteten. Seine wichtigste Scliopfung ist das agyptische Alexandria, das, dank seiner giinstigen Lage an der Grenze von zwei Meeren, bald eine Weltstadt geworden und auch geblieben ist. Um die Orientalen fur die griechische Cultur zu gewinnen, musste er ihnen in mancher Beziehung entgegenkommen; hielier gehort: a) die Ausubung unumschrankter Herrschergewalt und die Annahme des per- sischen Hofceremoniels sammt der iiblichen Kniebeugung (7CQogy:vvrjaig) bei feierlichen Anlassen; b) die moglichste Schonung der in den ein- zelnen Theilen des Reiches lierrschenden Eigenthiimlichkeiten; c) die Verleihung von hohen Beamten- und Officiersstellen an vornelime Ein- heimische, die strenge iiberwacht wurden, und die Aufnahme zahl- Alexander der Grofie. 149 rcicher Orientalen in sein Heer, die er in der griechischen Sprache und in der macedonischen Taktik unterriehten liefi; d) er vermahlte sicli selbst mit einer Tochter des Darius und veranlasste seine Freunde und 10.000 Soldaten, einlieimiscke Fiirstentochter, beziehungsweise Perserinnen, zu ehelichen; e) er forderte den Handel durch dieUnter- werfung und theilweise Ausrottung der rauberischen Gebirgsvolker, durch Anlegung von StraGen und Hafen, Unternehmung von Ent- deckungsfahrten etc. Die Begiinstigung der Orientalen ricf theilweise den Unwillen der Griechen und Macedonier hervor. So entstand eine Verschworung gegen das Leben des Konigs, an der angeblicb auch Philotas und dessen Vater Parmenio, einst der Freund Alexanders, tbeilnahmen, weswegen sie hingerichtet wurden, und brach in seinem. Heere nach der Eiiekkebr aus Indion eine Meuterei aus, die Alexander durch die Entlassung der ausgedienten Soldaten in ihre Heimat unterdruckte. 7. Alexanders Charakter und Fortleben in der Sage. Er ist einer der groBten Feldherren — der erste Grieche , der den Sieg durch rasche Verfolgung auszuniitzen verstand — und Staatsmdnner der Geschichte; mehreren Jahrhunderten pritgte er den Stempel seiner Thatigkeit auf. Voli idealen Schwunges und voli von Begeisterung fur das Hellcnenthum, ist er ausgezeichnet durch schone Charakter- ziige: Vertrauen, Wohlwollen, Freundesliebe, Bescheidenheit. Diese edlen Eigenschaften traten aber spaterhin in den Hintergrund, und nicht selten lieB er sich vom Jalizorne, der durch zunehmende Trunk- sucht gesteigert wurde, zu Gewaltthatigkeiten hinrcifien; so todtete er im Jahzorne Clitus, der ihm am Granicus das Leben gerettet hatte. Auch verlangte er innner mehr Lob und Schmeichelei; wer damit zuriickhielt oder gar Tadel wagte, fiel in Ungnade, wie der Philosopli Callisthenes, der Neffe des Aristoteles. Das meteorartige Auftauchen und Verschwinden Alexanders im Oriente, die Ausfuhrung gewaltiger Thaten, die sonst Generationen in Anspruch nehmen, endlich dieEroffnung des Wunder- und Miirchen- landes Indien machten ilin zum Mittelpunkte einer reichen Sagenbildung, die schon im Alterthume, und zwar in Agypten, begann, in zahlreichen Alexanderliedern des Mittelalters Ausdruck fand und sich auch zu den Persern und Indern verbreitete. Die Sage rukmt ihn nur als Krieger und Feldherrn, nicht aber auch als Staatsmann. 1 50 Die Griechen. 323 — 301. II. Das Zeitalter d er Diadochen, 323 bis 301. Da Alexander, in der Bliite seiner Jahre dahingerafft, keinen all- gemein anerkannten Erben seines Reicbes hinterliefi, brachen unter seinen Generalen (Diadochen) erbitterte, mit vielen Griiueln gefuhrte Kampfe aus, deren endliches Ergebnis die Theilung des Weltreiches in drei grofe und mehrere kleine Reiche war, die nach und nacb alle dem romischen Reiche einverleibt wurden. In diese blutigen Kampfe wurden auch die europaischen Griechen hineingezogen, die nach dem Tode Alexanders vergebens versuchten, ihre Freiheit wieder zu gewinnen. 323 u. 322. 1. Der lamische Krieg, 323 und 322. Der Mittelpunkt der Frei- heitsregungen wurde abermals Atlien, das sich vvieder geordneter finanzieller Verhiiltnisse erfreute und den Demosthenes, der damals in der Verbannung lebte, zuruckrief. Die Griechen begannen den Krieg gegen Antipater, der nach einer Niederlage in Lamia belagert wurde (daher der Name des Krieges). Es gelang ihm, aus der Stadt zu entkommen und Verstarkung an sich zu ziehen, worauf sich das griechische Heer aufloste. Athen musste sich dem Machtgebote des Siegers fiigen; es verlor die ihm noch gebliebenen Inseln, musste sich eine oligarchische Anderung der Verfassung und die Aufnahme einer macedonischen Besatzung in Munychia gefallen lassen: seine Wider- standskraft war fiir immer gebrochen. Demosthenes , dessen Auslieferung Um 322. der Sieger verlangte, floh und gab sich selbst den Tod (um 322). 2. Die Kampfe um die macedonisch-persische Monarchie, 323 — 301. 323 bis 301. Diese Kampfe zwischen den Generalen des verstorbenen Konigs wurden anfangs dem Namen nach fiir den Bruder und dann den nachgebornen Sohn Alexanders gefiihrt, die aber im Verlaufe der Kriege, wie die iibrigen n&chsten Yerwandten des Konigs, ermordet wurden. Hierauf kampften die Generale fiir die Errichtung selbstan- 301. diger Kbnigreiche, deren endlich nach der Schlacht bei Ipsus (301), in welcher der letzte Vertreter der Reichseinheit geschlagen wurde, folgende drei grbCere dauernd begriindet wurden: a) das sgrische Reich unter den Seleuciden, bis 64 v. Chr.; b) das dggptische Reich unter den Ptolemaern, bis 30 v. Chr.; c) Macedonien und Griechenland, anfangs unter Konigen aus verschiedenen Hausern, spiiter unter den Antigoniden, bis 168 v. Chr. In Kleinasicn entstanden einige kleinere Reiche, unter welchen wegen der Pflege der Kunst Pergamum am wichtigsten wurde. Die Epigonen. — Cultur. 151 So loste sicli die Universalmonarchie Alexanders auf. Der Kreis- lauf des griechischen Verfassungslebens ist wieder bei der Monarchie angelangt, die aber im Unterscbiede von der alteren patriarchalischen Konigsherrscliaft auf Militargewalt gegriindet ist. III. Das Zeitalter tler Epigonen, 301 bis 146. 301 — 146. Allgemeine Lage der europaischen Griechen. Trotz wieder- holter Anl&ufe vermochte Macedonien nicht, ganz Griecbenland dauernd unter seiner Hegemonie zu erbalten. Sein Bestreben vereitelten beson- ders die lange schivanlcende Thronfolge in Macedonien, die Einfalle der Celten in Macedonien und die Griindung des dtolischen und des achdischen Bundes in Griecbenland. So waren die Griechen vielfach sich selbst iiberlassen und verzehrten ihre letzten Kržtfte in fast un- unterbrochenen Kampfen. 1. ) Es vergiengen nahezu 50 Jahre nacb dem Tode Alexanders, bis das Gescblecht der Antigoniden (nach dem Begriinder der Dynastie benannt) sich dauernd den macedonischen Kiinigsthron gewann. 2. ) Die Einfalle der Celten (280 und 279) ei’scbiitterten Mače- 280 u. 279. donien ; infolge einer vernichtenden Niederlage vor Delphi raumten sie Griechenland und Macedonien und liefien sich im Innern Kleinasiens (Galatien) nieder, wo sie von den Attaliden, den pergamenischen Konigen, siegreich bekiimpft wurden. 3. ) Da die im 3. Jahrhunderte entstandenen aolischen und achai- 3. Jahrh. schen Bunde nach demselben Ziele, der Hegemonie, strebten und sich deshalb gegenseitig befehdeten, da iiberdies der achaische Bund an Sparta einen Gegner hatte, so nahmen dadurch die Kdmpfe in Griechen¬ land nur zu, und erst die Untenoerfung des Landes durch die Boiner (146) machte ihnen ein Ende. Damit horte der letzte Rest politischer 146. Selbstandigkeit der Griechen auf, die Romer stellten einigermaCen geordnete Verhaltnisse bei ihnen her. IV. Cultur. Allgemeiner Charakter. Wahrend das politische Leben der Griechen nach der Ausbildung der verschiedenen Verfassungsformen erschopft war, wurde die griechische Cultur , die bisher auf die Griechen beschrankt war, durch die Eroberungszuge Alexanders zu zahlreichen orientalischen Volkern getragen, welche dadurch einer hoheren Bil- dungsstufe zugeftthrt wurden. Da aber der Orient selbst eine uralte 152 Die Griechen. Cultur ausgebildet hatte, so wirkte diesc auch auf die griechische zuriick, wodurch cine eigenartige Mischcultur entstand, die im Ein- dringen von orientalischen Ansekauungen auf dem Gebiete der Religion, Literatur und Kunst, sowie von orientalischen Worten in die grie- chische Sprache Ausdruck fand. Weitaus uberwiegend blieb aber dabei der griechische Bestandtheil. Das unaufhaltsame Vordringen der grie- chischen Spraclie beweist das Verschwinden der Keilschrift- und das Zuriicktreten der Hieroglyphen-Literatur (um 200 wird die Geschichte im Oriente allgemein in griechischer Sprache geschrieben), sowie beson- ders der Umstand, dass selbst das religios und national so abgeschlos- sene jtidische Volk sich der griecliischen Cultur nicht entziehen konnte; ein Beweis davon ist die Septuaginta, die griechische Ubersetzung dcs Pentateuchs (3. Jahrhundert). Die Cultur dieses Zeitraumes heil3t die alexandrinische (entweder nach Alexander dem GroBen oder dem agyptischen Alexandria) oder auch die kellenistische. Sie wurde in den zahlreichen Stadten gepflegt, deren von Alexander und seinen Nachfolgern melir als in irgend einer anderen Zeit gegriindet wurden. A. Religion. Wahrend der Staat offieiell an der alten Religion und die Kunst an den uberlieferten Gottertypen festhielt, wendeten sich die Gebildeten vom herrschenden Volksglauben ab und suchten einen Ersatz hiefur in der Philosophie. Anderseits drangen orientalische Gottergestalten ein, die freilich hellenisiert wurden; so die agyptischen Gottheiten Serapis und Isis und der persische Lichtgott Mithra. Es entsprach ferner der im Oriente iiblichen religiosen Weihe des Konigthums, dass die Seleuciden und die Ptolemder gottliche Verehrung in Anspruch nahmen; einen Anfang davon sehen wir bei den Griechen schon gegen Aus- gang des 5. Jahrhunderts, indem sie zu Ehren Ly sanders Altfire errichteten und Opfer darbrachten. B. Literatur. 1 Durch den Alexanderzug wux - de den Griechen ein uberreiches Wissensmatei’iale zugeftthrt und so ihr geistiger Horizont bedeutend ertceiterf. Die literarische Thatigkeit dieser Zeit zeigt daher, ahnlich der Gegenwart und im Gegensatze zur Pericleischen, einen entschieden wissenschaftlichen Charakter. Wie sich schon friiher ein cigener Soldaten- 1 Christ, Gesobictite der griecliischen Literatur in J. Miillers Handbuch. Cultur. 153 stand gebildet hatte, so entstand jetzt auch ein eigener Gelehrten- stand. Die wichtigsten Mittelpunkte der literarischen Thatigkeit waren Alexandria und Pergamum; 1 dort fanden die Gelehrten in zvvei gro(3- artigen Bibliotheken den reicbsten Stoff fiir ihre Thatigkeit und in dem Museum einen sorgenlosen Unterhalt; Pergamum h at den Romern die Kenntnis der grammatischen und rhetorischen Studien verinittelt. Poesie. Sie wurde zwar eifrig betrieben, entbehrte aber im groBen Ganzen eines hoheren dichterischen Wertes. l)as Ubemvuchern der Gelehrsamkeit auch auf diesem Gebiete erzeugte eine besondere Vorliebe fiir das Lehrgedicht. AuDer der neueren Komiidie, der Elegie und dem Epigramme, war am wichtigsten die der Epik angehorige bukolische Diclitung oder das Idyll , 1 2 welches im Gegensatze zur herrschenden Ausartung der Civilisation die begliickte Einfachheit des Volks-, namentlich des liindlichen und Hirtenlebens in Erzahlung und Sckilderung darstellt. Der bedeutendste Vertreter dieser Richtung ist der Sicilier Theocrit (um 270), der auch eine Zeitlang in Alexandria Um 270. lebte. Unter seinem Namen ist eine groOere Anzahl von Idyllen erhalten, Vergil hat ihn mitunter wortlich nachgeahmt. Prosa. Die Wissenschaften wurden nach Umfang und Inhalt mit grofiem Erfolge gepflegt. Je mehi' die Theilung in Specialwissen- scliaften zunahm, desto eifriger durchforschte man das Detail mit kritischem Sinne. Am meisten Pflege fanden die Geschichtschreibung, Geographie, Philologie, Philosophie, Mathematik und Physik. 1.) Geschichtschreibung. Wenn auch die Kritik der Quellen nicht so eingehend und sjstematisch wie heutzutage betrieben wurde, so sammelte man doch eifrig Inschriften und andere urkundliche Zeug- nisse und untersuchte auch die Richtigkeit der iibeidieferten Zeit- rechnung. Die Darstellung litt unter dem tibervvuchernden Einflusse der Rhetorik. Besonders zu erwahnen sind: a) Polybios aus Megalopolis (um 150), der Freund und Rath- Um 150. geber des jiingeren Scipio, der grofite Geschichtschreiber des Zeitraumes. Er schrieb die Geschichte des romischen Reiches vom Beginne der punischen Kriege bis zur Eroberung Griechenlands (146). Indem er sich vom streng nationalen Standpunkte losreiBt, sieht er in den Romern die geborenen Herrscher auch liber die Griechen, in denen 1 Auch Antiochia und Pella waren wichtige Pflegestatten der Literatur. Ob das Pergament in Pergamum erfunden worden ist, ist nicht gewiss. 2 Von (3ouxdXo; (liinderhirt), stSiiXAtov war ein kleines, zum Singen bestimmtes Gedicht. 154 Die Griechen. er die Trager der geistigen Bildung erkennt. In der Aufsucliiing des Zusammenhanges der Ereignisse gelit er liber Thucydides hinaus; er beschriinkt sich nicht darauf, die Griinde hiefiir im Geiste und Charakter der handelnden Personen zu suchen, sondern ziebt aucb die geographischen Verhiiltnisse der Lander beran. Der erhaltene zu- sammenhangende Theil seines "VVerkes ist die Hauptquelle fiir die puniscben Kriege bis zur Schlacht bei Cannae; Livius bat fiir die betreffenden Theile seines Werkes hauptsachlich aus ihm geschopft. — b) Dionysios aus Halicarnass, ein Zeitgenosse des Augustus, sehrieb die romisckc Geschicbte von den altesten Anfangen bis zum Beginne der puniscben Kriege; mebr als die Hiilfte des Werltes bat sicli er- balten. Er ist nach Livius die Hauptquelle fiir die altere Gescbichte Roms. — cjPlutarch aus Charonea, im 1. Jabrh. n. Chr. Seine Lebens- beschreibungen (film, '/raodllrflm') bedeutender griecbischer und romi- scber Staatsmanner sind eine der wichtigsten Quellen der alten Geschicbte. — d) Arrian aus Bithynien, im 2. Jahrb. n. Chr., ist die Hauptquelle fiir den Alexanderzug. — e) Sein Zeitgenosse Appian ist die Hauptquelle fiir einen Theil der romischen Geschicbte im 2. und 1. Jahrb. v. Chr. 2.) Geographie. Ibr floss durch den Alexanderzug und verschiedene Entdeckungsreisen iiberreicbes Materiale zu, so dass die verschiedenen Zweige dieser Wisšenschaft (physiscbe, politische, mathematische) einen groben Aufscbwung nalimen. Die beriilimtesten Geograplien waren: 220. a) Eratosthenes (um 220), Bibliotliekar in Alexandrien, der grofite griechische Geograph und nacli Aristoteles der grofite grie- cbische Gelebrte. Er ist der erste Grieche, welcher die Grobe der Erde genau zu bestimmen versucbte. 1 b) Strabo, Zeitgenosse des Augustus, schloss sicli enge an Eratosthenes an, dessen Werk sonst vollig verloren gegangen wiire. Er sc.hrieb eine allgemeine Lander- und Volkerkunde der drei den Alten bekannten Erdtheile, das groOte derartige Werk des Alterthums. 160. c) Hipparehos, um 150 v. Chr., der grofite Astronom des Alter- tliums, bebandelte die mathematische Geographie, fiihrte die Orts- 1 Er fand den Grad zu 126.000 m, wahrend die wahre Lange des Breiten- grades in Agypten 110.802 m betragt, ein Irrthum, der nicht bedeutend genannt werden kann, da ihm hochstens bis zum zweiten Katarakte Ergebnisse der Landes- vermessung, fur das siidlicher gelegene Land aber nur unsichere Angaben von Reisenden zur Verfiigung standen. Vgl. Cantor , Vorlesungen iiber Geschicbte der Mathematik 1, 1880. Cultur. 155 bestimmung nach geographischer Lange und Breite ein, studierte genauer die Bewegung des Mondes und legte einen beriihmten Stern- katalog an. d) Ptolemaus, im 2. Jabrb. n. Chr., der letzte bedeutende 2. Jahrh. G-eograph, scbuf, gestlitzt auf die Forschungen des Eratostbenes und n - fihr - Hipparch, ein astronomisch.es System, das nacb ihm benannt und erst seit Copernicus (im 15. Jahrh.) allmahlich beseitigt wurde. Er lehrte, dass die Erde Kugelgestalt babe (S. 114), dass sie der unbewegliche Mittelpunkt des Alls sei und dass der ganze Sternenhimmel sicb in der Richtung von O. nach W. um sie drehe. Ftir seine Ldngen- und Breitenbestimmungen verwertete er alles, was die phonicischen Handels- fahrten, griechische Wissenschaft und romische Eroberungen fur die Kenntnis der Erdoberflfiche erarbeitet hatten. Die nach ihm ge- arbeiteten Landkarten wurden erst im 18. Jahrhunderte vollstandig beseitigt. — Um 200 n. Chr. drang griechische Astronomie und Astrologie auch in Indien ein. 3. ) Philologie. Man nannte diese Wissenschaft damals Grammatik. Wahrend sie bisher im Dienste der Philosophie gestanden war (S. 140), wurde sie jetzt selbstandig. Wenn wir auch die meisten Arbeiten der Philologen nur aus spateren Ausziigen ihrer Werke kennen, so ist ihre Thiitigkeit doch sehr wertvoll gewesen; denn sie haben durch kritisehe Ausgaben der Werke der alteren Schriftsteller, durch die Abfassung von Einleitungen liber deren Leben und Werke, durch die Aufstellung eines Canons mustergiltiger Schriftsteller u. s. w. der spateren Forschung den Boden bereitet. Am meisten wurde liber Homer gearbeitet; mit Plomer beschaftigte sich auch besonders Aristarch (um 150 v. Chr.), der grofite Kritiker des Alterthums. 4. ) Philosophie. Aristoteles. Die Philosophie wurde besonders deshalb betrieben, um einen PLalt fur das sittliche Leben und dadurch auch Gliickseligkeit zu gewinnen. Der groCte griechische Philosopli nach Plato und zugleich der grof te griechische Gelehrte ist Aristoteles, der beruhmteste Schiller Platos. Er gehort noch dem Anfange der alexandrinischen Zeit an. Als Alexander nach Asien ubersetzte, begab er sich nach Athen, dem Mittelpunkte der philosophischen Studien, und eroffnete eine Schule im Lgceum, ostlich von Athen, welcher er zwolf Jahre lang vorstand. Er starb ungefahr in demselben Jahre wie Demosthenes. Aristoteles bat nicht nur alle Theile der Philosophie behandelt, sondern auch auf fast allen Gebieten der Geistes- (Logik, Psychologie, 156 Die Griechen. Poetik, Rhetorik, Politik) und Natiaa<;. Vgl. Wundt , Ethik. 2. Aufl. 1892. 2 Vgl. gegenuber dieser Abkehr vom Staate die Bestimmung Solons (S. 87). Cultur. 157 den Zweifel seinem Sjsteme zugrunde, das iibrigens schon in der nachsten Generation versdrsvand. Pyrrhon lehrte in seiner Vaterstadt Elis, wahrend die iibrigen Schulen ihren Sitz in Athen hatten. 5.) Mathematik und Phgsik. 1 Die Leistungen des Alterthums in diesen Wissenschaften stehen den en der Neuzeit bei weitem nacb. Als Mathematiker ragen besonders hervor: Euclides in Alexandria (um 300), der Verfasser des ersten streng systematischen Lehrbuckes Um 300. der elementaren Mathematik, und Diophantos von Alexandria (um 300 n. Chr.), der groBte griechische Arithmetiker. Der bertihmteste Physiker war Archimedes in Syracus (3. Jahrh.), der hervorragendste Vertreter der tlieoretischen Mechanik im Alterthume. Auf seine Kenntnis der Wirkungsweise der Hebelverbindungen deutet sein Motto; 1 2 er ist ferner beriihmt durch die Auffindung des nacli ihm benannten hydrostatischen Princips und durch die Herstellung von Brennspiegeln. Iieron (um 100) ist der Erfinder des Heronsballes, des Saughebers und der Dampfturbine. Bis zur Eroberung Agyptens durch die Araber bildete die alexandrinische Schule den Mittelpunkt der mathematischen Studien. C. Kunst. Die damalige Kunstubung zeigt Streben nach Glanz und Pracht, Freude an Werken von kolossaler GroBe, sehr eifriges Schaffen auf allen Gebieten und Virtuositat, d. h. groBe, nicht selten mit Kunstelei verbundene Gewandtheit in der Behandlung des Materiales. Begiinstigt wurde die Pflege der Kunst durch die yroften IieichtJiiimer, welclie sich in den Handen der Herrscher und einzelner Privatpersonen ansammelten. Baukunst. In diesem Abschnitte gelangte der corinthische Stil zu immer allgemeinerer Amvendung, entsprechend der gesteigerten Prachtliebe, die auch in der reichen Bemalung und verschwenderischen Vergoldung der Bautheile Ausdruck fand. Der Grundriss der Tempel wurde mannigfaltiger; auBer den rechtecldgen wurden auch Kreis- und Vieleckbauten beliebt. Da die groBartigen Bauten Alexanders und der Diadochen sich nicht erhalten liaben, so kennen wir die Bau¬ kunst dieser Zeit hauptsachlich aus den Nachforschungen, welche auf Samothrctce von osterreichischen und in Pergamum von preuBischen 1 Gunther, Geschichte der antiken Naturwissenschaft. 2 Ao<; jj .01 ttou aio) xa\ '/.tvrjato ttjv yrjv. Vgl. auch Plut. Marc. 14, 17. 158 Die Grieehen. Gelelirten veranstaltet wurden. JJort wurden auOer einem propylaen- artigen Zugangsthore drei Tempel, darunter ein Rundbau, aufgedeckt, liier wurden besonders Grundriss und Triimmer des groGartigen Prachtbaues eines Zeusaltares, umgeben von einer zierlichen jonischen Saulenhalle, bloflgelegt. Vom vielgepriesenen Artemistempel in Ephesos, dessen Saulen am unteren Ende nach orientalischer Art mit Reliefs geschmlickt waren, kaben sich geringe Uberreste erkalten. Plastik. Wir finden in dieser Kunst im Gegensatze zur Zeit des Pericles Vorliebe ftir Darstellung von Gruppen und leidenscbaftlicli bewegten Scenen, Bevorzugung des Hoclireliefs und Streben nacli groBter Naturtreue. Die beriihmtesten Schulen waren damals die von Pergamum und Ehodos, die bedeutendsten erlialtenon Werke sind die Laokoon- und die Gruppe des farnesischen Stieres, beide weit liber Lebensgidifie und vermutklich Werke der rhodischen Schule, ferner der Gigantenfries (in Berlin) vom Zeusaltare in Pergamum, welcher den gewaltigen Unterbau der jonischen Hallen schmuckte. Etwa 125 m lang und liber 2 m hoch, stellt er den Kampf der Gotter gegen die Giganten dar in einem stellenweise fast zu Eundbildern hervortretenden Relief. Besonders beriihmt daraus sind die Zeus- und die Athenegruppe. Durch die iiberlebensgrofie H(5he, das Heraustreten der Statuen und die leidensohaftliche Bewegtheit der Darstellung bildet dieser Fries einen lehrreichen Gegensatz zum liber 160 m langen Parthenonfriese, dessen Gestalten unter 1 m hooh und in Flachrelief gehalten sind. Der grofite Plastiker der Zeit ist der Peloponnesier Lgsippos, von dem allein nach Plinius sich Alexander plastisch darstellen liefl. Er ist ein Vertreter des vollendeten Realismus und schuf gerne Kolossalgestalten. Auf ihn diirfte das Urbild des farnesischen Hercules — die erhaltene Statue gehort der romiscben Kaiserzeit an — zurtick- zuftihren sein. Der Koloss von Rhodos, eine 33 m hohe Statue des Sonnengottes, stammte vielleicht aus seiner Schule. Ein Beweis von der Zunahme des Realismus in der Plastik ist auch der Umstand, dass das Portrait jetzt zur Vollendung gelangte. Die Sophoclesstatue im Lateran ist wohl das schonste derartige Werk aus dem Alterthume. Die schonste Idealgestalt der Zeit ist der Apollo vom Belvedere im Vatican (romische Nachbildung eines griechischen Originales). Malerei. In der alexandrinischen Zeit erweiterte sich das Stoff- gebiet der Malerei liber das ganze geschichtliche und ivirkliche Lehen, n ur die Landschaftsmalerei gehort erst der romischen Zeit an. Das Cultur. 159 Streben nach Pracht auberte sich besonders in der Vorliebe fiir das Mosaik, d. h. das Malen mit farbigen Steinchen oder gefarbten Glas- stiften, welche in eine weiche Masse gesteckt wurden. Urspriinglicb wurden nur Ornamente, in dieser Zeit aber sogar grobe Gemalde in dieser Technik geschaffen. Das beriihmteste Beispiel hiefiir ist das grobe Bild der Alexanderschlacht (bei Issus), das in Pompeji gefunden wurde und nach einem hellenistisehen Vorbilde gearbeitet ist. Der groDte Maler der Zeit ist Apelles, von dem allein sich Alexander in Farben darstellen lieb. Wegen der Verganglichkeit des Stoffes sind fast alle Gemalde der alexandrinischen Zeit zugrunde gegangen; die Forschung ist fiir ihre Beurtheilung auf die handwerksinaBigen Gebilde der Vasentechni/c (S. 117) und die pompejanischen Wandgemoilde angewiesen. D. Materielle Cultur. In den persischen Residenzen fand Alexander ungeheure Mengen von Gold und Silber, die an seine Generale und Soldaten vertheilt wurden und dadurch in den Verkehr kamen. Infolge dessen ent- wickelte sich ein grobartiger Luxus, der namentlich in einem auber- ordentlichen Betriebe der Kunste und des Kunsthandwerkes, sowie in der massenhaften Verwendung von Edelsteinen, die auch den Stoff fiir die beriihmte Steinschneidekunst lieferten, deren grobter Meister Pgrgoteles war, und kostbaren Gewiindern — Seide wurde aus China bezogen — Ausdruck fand. Die gesteigerten Bediirfnisse riefen auch einen auberst lebhaften Handel hervor, der namentlich manche Ge- wiirze des Orients nach Europa brachte. Die grobte Handelsstadt war Alexcmdria, das diese Stellung im Osten auch im romischen Kaiserreiche behauptete; nur Rhodos und Carthago konnten mit ihm wetteifern. Bedeutung der alexandrinischen Cultur. Wenn auch dieWerke der Literatur und Kunst dieser Zeit nicht den hohen Wert derjenigen der Pericleischen Zeit erreichen, so besitzen sie doch in ihren besseren Erscheinungen eine grobe Bedeutung an sich. Dazu kommt die auber- ordentlich hohe geschiclitliche Bedeutung dieser Cultur; denn: 1.) Sie ist die Grundlage der ganzen romischen Cultur; 2.) wahrend in der classischen Zeit der freie Grieche im Burger aufgegangen war, kam jetzt das Recht des Individuums, sein Leben nach freiem Ermessen zu gestalten und sich auch vom Staatsleben abzuwenden, zum Durch- bruche; 3.) diese Cultur hat die nationale Abgegrenztheit der einzelnen 160 Die Grieclien. Vijlker uberwunden, wodurch auch der Gegensatz zwischen den Griechen und den Barbaren, namentlich in den groben Handels- stiidten mit ihrer bunt gemischten Bevolkerung, abgeschliffen wurde. Daher bezeielinet das Wort «Iiellene» nach Isocrates weniger eine Nationalitat als eine gewisse Bildung; 4.) dadurcb ist auch der Boden fiir die Weltreligion des Christenthums bereitet worden. Schlussbetrachtung. Die Griechen sind das Nonnalvolk der Geschichte, d. h. sie haben nach Aufnahme einiger orientalischer Cultureinflusse am Beginne ihrer Geschichte sich, unbeirrt durch fremde Einfltlsse, ihrer eigenen Geistes- richtung gemaB entwickelt. (Die Roiner haben die griechische Bildung in sich aufgenommen, die heutigen Culturvolker haben durch die Bekehrung zum Christenthume einen Bruch mit ihrer friiheren Ent- wicklung erfahren.) An den Griechen lasst sich daher arn besten die normale Entwicklung der politischen, literarischen und kiinstlerischen Zustande beobachten. Bedeutung der Griechen auf dem Gebiete der Verfassung, Literatur und Kunst. Die Griechen sind das erste Volk, welch.es den Begriff der Freiheit ins politische Leben eingefuhrt hat. Sie haben alle imRahmen der stadtischen Verfassung denkbaren Staatsordnungen ausgebildet; der moderne Gedanke der Repritsentativ-Verfassung ist ihnen fremd geblieben, da sie uber den Begriff der stadtischen Ver¬ fassung nicht hinausgekommen sind. Sie haben alle dichterischen Gattungen ausgebildet und fast alle Wissenschaften , welche noch heute die Gelehrten beschaftigen, gepflegt. Die Werke Homers, Pindars, Sophocles’ gehoren zum Wertvollsten, was die Poesie uberhaupt ge- schaffen hat; Thucydides ist einer der groCten Geschichtschreiber, Demosthenes einer der grdbten Redner, Plato und Aristoteles sind zwei der grdbten Philosophen. Sowie in der Literatur, sind auch in der Kunst alle folgenden Culturvolker Schiller der Griechen geworden. Noch heute schmticken wir unsere Prachtbauten mit den griechischen Saulenordnungen, und Phidias gilt uns als der grobte Plastiker aller Zeiten. So haben die Griechen fiir alle folgenden Vollter gelebt. Die Romer. Zur Geographie Italiens . 1 I. Name and Lage Italiens. Der Name Italien, welcher von den Italern, einem kleinen, wahr- scheinlich illjrischen Stamme im sw. Italien herriilirt und urspriing- lich auf der sw. Halbinsel Unteritaliens liaftete, umfasste seit dem Ende des ersten punischen Krieges die ganze Halbinsel. Im 2. Jahr- hunderte hat das Wort eine zweifaclie Bedeutung: in staatsrechtlichem Sinne versteht man darunter das herrschende Land im Gegensatze zu den Provinzen, in geographischem die ganze Halbinsel sammt der ober- italienischen Ebene. Augustus dehnte die Grenzen Italiens noch weiter aus; seit ihm reichte es im W. vom Var bei Nizza liber den Haupt- kamm der Alpen bis zum Mont blanc, im N. bis zum Hauptkamme der Walliser Alpen, sodann liber den St. Gotthard, das Stil/ser Joch, Meran, den Kamm der carnischen Alpen und den Predil zur Arsa in Istrien. Einst hieng Sardinien mit Corsica, Sicilien mit Italien, Afrika mit Sicilien zusammen; noch jetzt ist das Meer zwischen Sicilien und Afrika seicht und enthalt mehrere Inseln. Von der Balkanhalbinsel ist Italien durch die 60 km breite Stralže voir Otranto getrennt (diese Strecke wurde im Alterthume gunstigenfalls in fiinf Tagen zuriick- gelegt); im SW. nahert es sich durch die Insel Sicilien, von der es durch die an der schmalsten Stelle nur 3 - 2 km breite Strahe von Messina getrennt ist, Afrika bis auf 150km, wodurch das Mittelmeer in ein westliches und ein Sstliches Becken zerfallt. Diese centrale Lage machte Italien zum Sitze eines Mittelmeer- Reiches geeignet. II. Horizontale Gliederung. Umrisse Italiens im allgemeinen. Unter den drei groCen stid- lichen Halbinseln Europas nimmt die apenninische bezuglicli ihrer Gliederung einen mittleren Rang ein; in Ubereinstimmung mit der Balkanhalbinsel nimmt die Gliederung nacli S. zu, im Gegensatze zu 1 Ilauptsachlicli nach Nissen, Italische Landeskunde I, 1883. Z e eh e, Gescliichte dos Alterthume. 11 162 Die !tome>‘. ihr ist die Westseite mehr gegliedert. Von der Steilkiiste am Golf von Genua (sinus Ligusticus) abgesehen, sind die Golfe der Westseite flach bogenformig gestaltet; hervorzuheben sind die Golfe von Neapel (sinus Cumanus) und von Salerno (sinus Paestanus). Im S. bewirkt der tiefeinsclmeidende Golf von Tarent (sinus Tarentinus) die Auflosung in zwei kleinere Halbinseln (vgl. Skandinavien). Im O. entstand dadurcli, dass die Insel des M. Gargano landfest wurde (die kleinen Seen daselbst erinnern noch an das friihere Verhaltnis) der flache Golf von Manfredoma. Die Lagunenlciiste im NO. reicht bis zur Steilkiiste des Golfes von Triest (sinus Tergestinus). Veranderung der Umrisse seit dem Alterthume. Die Thatig- keit der Fliisse hat seit dem Alterthume an zwei Stellen die Kiisten- gestaltung Italiens nicht unbedeutend veriindert. Durch die Anschwemmungen des Arno (Arnuš) und anderer kleinerer Apenninenfltisse sind die im Alterthume bogenformig gestal- teten Strandlinien Toscanas (Etruriens) flacher, zahlreiche Strandseen ausgefiillt und ist so das Land etwas vergroBert worden. Viel grofler ist die Verschiebung der Strandlinie an der no. Lagunenkiiste infolge der groBen Menge von Sinkstoffen, welche Po, Etsch, Piave u. s. w. mit sich fiihren. Man hat berechnet, dass der Po jahrlieh seine Miin- dung um 70 m weiter vorschiebt. Durch die Schuttablagerungen des Po und der iibrigen oberitalienischen Fliisse ist iiberhaupt die Alluvial- ebene Oberitaliens entstanden (vgl. Babylonien); Ravenna , einst ein romischer Kriegshafen, liegt jetzt sieben, die ehemalige Seestadt Adria gar 22 km von der Kiiste entfernt. III. Verticale Gliederung. Das Hochland. Die Apenninenhalbinsel wird ihrer ganzen Er- streckung nach vom 1600 km langen Apennin durchzogen. Er hat mit einer einzigen Ausnahme Mittelgebirgs-Charakter und zerfallt in geognostischer Beziehung in zwei Theile: Den hoheren Hauptapennin, welcher aus Kalk, und den niedrigeren Subapennin, welcher aus vul- canischem Gesteine besteht. 1.) Hauptapennin. Er lost sich im N. des Golfes von Genua von den Alpen los, zieht in so. Richtung nahe der Ostkiiste Italiens, ver- liiuft sodann eine Strecke lang parallel mit der Kiiste und wendet sich zuletzt dem tgrrhenischen Meere (mare Tyrrhenum, Tuscum, inferum) zu, das er am Golf von Policastro erreicht, wo er in geognostischem Sinne endet. Doch wird auch die Fortsetzung, vvelche die Halbinsel Geographie Italiens. 163 Calabrien durchzieht und welche aus Granit besteht, in geographi- schem Sinne zum Apennin gerechnet. Diese Kette setzt sicli nach Sicilien hinein fort, wo sie nahe dem Nordrande der Insel hinzieht. Der Apennin zerfallt in einen nordlichen (ligurischen und etruski- schen), mittleren (romischen) und siidlichen (neapolitaniscben) Theil; der erstere reickt bis zur Arno-, der zweite bis zur Volturno -Quelle. Wahrend der nordliche und der siidliche Theil nur aus einer Kette bestehen, theilt sich der Apennin im mittleren Theile in zwei Ziige, welche das Hochland der Abruzzen einschlie!3en. Im ostlichen der beiden Ziige ragt der Gran Sasso zu nahezu 3000 m empor — die einzige Hochgebirgsstelle des ganzen Systems. Vom nordlichen Theile lost sich der ganz kurze Zweig der apuanischen Alpen (um den Golf von Spezzia) los, der wegen der Marmorbrtiche von Carrara, welche in der Zeit des Augustus eroffnet wurden, wichtig ist. 2.) Subapennin. Der Raum, welcher sich im W. des Haupt- apennins vom unteren Arno bis zum Golf von Policastro ausdehnt, ist, mit Ausnahme der Tieflandstreifen, vom hugeligen Hochlande des Subapennin ausgefiillt. Die Unterlage bildet hier Thon, der zur Zeit, als das Land noch vom Meere tiberflutet war, durch vulcanische Ausbriiche mit Tuff, d. h. einem mechanischen Gemenge von Asche, Sand und Schlacken, tiberdeckt wurde. An Stelle ehemaliger Krater haben sich Seen gebildet. Noch jetzt hat Italien mit den zugehorigen Inseln vier thatige Vulcane; es sind dies aufier zwei Vulcanen auf den liparischen Inseln der Vesuv, beilaufig 1300, und der Atna, tiber 3300 m hoch. AuCerdem ist noch in den phlegraisclien (= verbrannten) Feldern, nw. von Neapel, die Sclnvefeldiimpfe ausstoCende Solfatara thatig. Das Tiefland. 1.) Die lombardisch-venetianische Tiefebene. Das groCe, uberaus fruchtbare Alluvialland zwischen den Alpen und den Apenninen gehort noch zum Stamme des Continents. Es ist das grofite Schlachtfeld Europas, stellenweise, wie z. B. bei den Hiigeln im S. des Gardasees (Custozza, Solferino u. s. w.), ist fast jeder Ort in der Kriegsgeschichte bekannt. Zwischen Verona und Padua erheben sich die bericischen und euganeischen Hiigel (vulcanischen Ursprungs) bis 600 m aus der sonst vollig horizontalen Ebene. 2.) Auf der Halbinsel. Auf der begunstigteren VVestseite liegen drei Tieflandstreifen am Unterlauf von Fliissen; es sind dies: Die toscanische oder etrurische Ebene am Arno, die romische Campagna an der Tiber und die neapolitanische Campagna am Volturno. Wahrend die erstere durch Uberschwemiuungen leidet, die Ebene um Rom li* 164 Die Romei*. durch geschichtliclie Ereignisse verodete, ist die campanische (der «Garten Italiens ») infolge der reichlichen Bewasserung, des heiBen Klimas, der ktihlenden Seewinde and des durch die leichte Ver- witterung des Tuffs bedingten sehr ergiebigen Erdreiches tiberaus fruchtbar und sehr dicht bevolkert. AuBerdem liegen im Westen die Maremmen. Es sind dies schmale Ktistenstreifen, welche sicli vora Miindungsgebiete des Arno mit geringen Unterbrecliungen bis Neapel hinziehen und von Fieber- luft (Malaria) aushauchenden Siimpfen ausgefiillt werden, von denen einzelne ausgetrocknet worden sind. Diese Maremmen, welche siid- ostlich von Rom den Namen pomptinisclie Siimpfe ftthren, entstanden durch die Ablagerungen der Apenninenfliisse. Den siidostlichen Theil Italiens nimmt die htigelige Ebene von Apulien ein. IV. Hydrogra}»hie. AVahreri d antike Schriftsteller die Grofie und Menge der schiff- baren Fliisse Italiens riihmen, besitzt jetzt die Halbinsel keinen ein- zigen schiffbaren Fluss, da selbst der grofite, die Tiber, nur bis Rom fur Boote fahrbar ist. Die Ursache hievon liegt in der Abnahme der Niederschlage, die infolge der Entwaldung des Apennin eintrat. Gegenwartig ist in Italien nur ein Aehtel der Flache mit Wald be- deekt, die Mehrzahl der Italiener kennt den Wald gar nicht. Die fiinf wichtigsten Fliisse Italiens sind: 1. ) Po (Padus). Er entspringt am Monte Viso in den cottischen Alpen und fliei3t langs des 45. Parallels im allgemeinen nach Osten; er bildet ein weit verzweigtes Delta. Wiihrend er aus den Apenninen wegen der Nahe der Wasserscheide nur kleine Zufliisse empfangt, lcommen ihm aus den Alpen mehrere bedeutende Nebenfliisse zn, unter welchen der Ticino (Ticinus) der groBte ist. Da er deshalb ein bedeutendes strategisches Hindernis bildet, kam es bei und an ihm wiederholt zu Schlachten; aus demselben Grunde eignete er sich zur politischen Grenze zwischen Osterreich und Sardinien (bis 1859). Durch die zahlreichen Nebenfliisse wachst der Po bedeutend an, so dass er dem Rheine an Wassermenge gleichkommt, obwohl er nur die halbe Lange seines Laufes besitzt. Von Cremona abwarts wurden liings des Po Danimo zum Schutze des Tieflandes angelegt, deren Briiche wiederholt groBe Uberschwemmungen herbeigefiihrt haben. 2. ) Etsch (Athesis). Sie entspringt auf der Malser Heide, gehort zum grofiten Theile Tirol an, betritt bei Verona die Tiefebene (die Geographie Italiens. 165 letzten H (igel daselbst veranlassten die starke Befestigung der Stadt), fliefit zuletzt parallel mit dem Po und miindet in einem mit diesem gemeinschaftlichen Delta. — Der eigentlichen Halbinsel gehoren an: 3.) Arno (Arnuš), 4.) Tiber (Tiberis) und 5.) Volturno (Vol- turnus). Da der Kamm der Apenninen nahe der Ostkiiste zieht und diese uberdies im Regenschatten liegt, konnten sich hi er keine grofieren Fliisse entwickeln. Die zahlreichen parallelen kurzen Querthaler Yer- laufen yoh Siidwesten nacli Nordosten. V. Klima und Vegetation. Klima. Das Klima Italiens unterscheidet sich von dem mittel- europaischen durch grofiere Wdrrne und regenarme Sommer (S. 51). An der ganzen Westkuste herrscht ein gleichmafiig mildes Winter- klima; Froste sind im siidlicksten Theile und auf Sicilien in der Ebene unbekannt. Der Westen empfangt mehr Niederschlage als der Osten; sie gehoren hauptsachlich dem Herbste und dem Friihlinge, im Silden nur dem Winter an. Von diesen Verhaltnissen ist die jetzige Vegetation der Halbinsel bedingt. Vegetation. Italien, das im ganzen viel mehr Ackerland war als Griechenland, ivechselte im Laufe der Jahrhunderte dreimal sein Pflanzenkleid; es war in der vorgeschichtlichen Zeit ein I Valdland, gleich Mitteleuropa, wurde in der Zeit der Konigsherrschaft und der Republik erst ein Acker-, dann ein Weinland, endlich in der Kaiser- zeit ein Gartenland. Am wichtigsten fiir diesen Wandel der Vege¬ tation wurde die griechische Colonisation; denn die Griechen machten Unteritalien und Sicilien zu einem bliihenden Ackerlande und pflanzten Olbaum, Feige, Myrte, Lorbeer, Pinie, Cypresse u. s. w. an, die sie selbst zuin groflten Theile demOriente verdankten. Die Rdmer brachten spater aus Asien mehrere Obstbaume (Kirsche, Aprikose, Pfirsich, Kastanie), die Araber Reis, Maulbeerbaum, Limone und Orange, Amerika spendete Mais, Tabak, Cactus u. s. w. VI. Einfliisse der geographisclien Verlialtnisse Italiens auf die Geschichte des Landes. 1.) Im Gegensatze zu Griechenland ist hier der Schauplatz der geschichtlichen Entwicklung die Westseite, weil diese eine bessere Gliederung, fruchtbare Tieflander, grofiere FHis.se, reichlichere Nieder- schlage und zahlreichcre und grofic Inseln besitzt. 166 Die Komer. 2. ) Der einheitliche Bau der Halbinsel war eine giinstige Vor- bedingung fur die Aufriclitung eines einzigen Staatswesens; nur in Mittelitalien begiinstigte die Abgeschlossenheit einzelner Landscbaften politiscben Particularismus. 3. ) Durch die Anderung der Achsenrichtung des Gebirges in ■Unteritalien wurde der siidostliche Theil der Halbinsel fur die Auf- nahme fremder — griechiscber — Colonisten geoffnet. 4. ) Der Gegensatz zwischen dem rauhen Innern und den milden, immergriinen Uferlandschaften veranlasste die wiederbolten Einfalle und das auf dauernde Niederlassungen daselbst gerichtete Vordringen der Bewohner des Innern in die Kustengegenden (S. 7, 47). 5. ) Apulien und Campanien sind die ioichtigsten Schlachtfelder in Siiditalien; namentlich waren die beiden vorgestreckten Halbinseln mit den zahlreiclien Buchten und Hiifen zu allen Zeiten fremden Einfallen ausgesetzt. 6. ) Wahrend der Grieche vor allem Seemann ist, ist der Italiker vor allem Bauer. VII. Zur Topographie Italiens im Alterthume. Wahrend Italien in phgsikalischer Beziehung in die oberitalienische Tiefebene und die Halbinsel der Apenninen zerfiillt, gliedert es sich in historischer Beziehung in Ober-, Mittel- und Unteritalien. Von Venedig und Livorno abgesehen, waren die groben Stadte des heutigen Italien alle schon im Alterthume vorhanden und haben im wesentlichen ihre Namen behauptet. Oberitalien reichte von den Alpen bis zu den Fliisschen Macra (miindet bei Luna) und Rubico (miindet nordlich von Ariminum) und zerfiel in vier Landschaften, namlich: Gallia cisalpina, durch den Po in Gallia cis- und transpadana getheilt, Liguria, Venetia, wozu in der Kaiserzeit noch Istria zum groCten Theile kam. Mittelitalien, bis zum Silarus und Frento, zerfiel auf jeder Seite in drei Land¬ schaften. Im Westen lagen: Etruria (Toscana), Latium und Campania; im Osten: Umbria, Picenum und Samnium mit den nordlich dav on gelegenen Cantonen des Abruzzengebietes. In Unteritalien lagen auf jeder Seite zwei Landschaften, im Westen: Lucania und das Gebiet der Bruttier (ager Bruttiorum, griechisch Boeciia) ; im Osten: Apulia und Calabria. Von den Inseln war am wichtigsten Sicilien, dessen Inneres Rom mit Getreide versorgte, wahrend die Kiisten ein bliihender Kranz reicher Handelsstadte schmucktc. AuBerdem kommen fiir die romische Geschichte noch Sardinien und Gorska in Betracht. Geographie Latiums. 167 VIII. Specielle Geographie Latiums. Das alte Latium (L. antiquum) reichte von der Tiber bis Circeji und landeinwarts bis zu den Vorhohen des Apennin; in dieser Aus- delmung war es etwas kleiner als Attica. Spater, unbestimmt wann, wurde es in siidostlicher Riebtung bis uber den Liris (Garigliano) hinaus erweitert. Das Land zu beiden Seiten der Tiber von Rom bis zur Miindung war der ager Romanus. 1. Orographie. Latium ist theils Tief-, theils Hochland. a) Das Tiefland (Campagna di Roma) haben zahlreiche Bache vielfach zer- kltiftet, so dass nur ein Fiinftel Thalboden, vier Ftinftel aber Hiigel sind. Wahrend es im Alterthume biiihendes Culturland war, ist es heutzutage ein odes Weideland, was durch ungiinstige geschichtliche Ereignisse, namentlich vielfacbe Kampfe im Mittelalter, und die Zu- nahme der Malaria herbeigefiihrt wurde; letztere entsteht besonders durcb die Verdunstung des an zablreichen Stellen hervortretenden Quellwassers. b) Das Hochland. Das Land, aus Tbon und Tuff aufgebauti erhebt sicb vom flachen, hafenlosen Strande bis gegen das Gebirge allmahlich zu 200 bis 300 m, mit bober emporragenden Htigeln und Bergen. Unter letzteren ist am bedeutendsten die fast in der Mitte der Landschaft. gelegene ringformige Gruppe der Albaner Berge, die im M. Albanus (M. Cavo) 950 m erreicbt. Im O. der Landschaft ziehen die Sabiner Berge bis zum Anio (Teverone), die Herniker Berge bis zum Liris und die Volsker Berge westlich von den letzteren, alle nicbt vulcaniscben Ursprungs. 2. Hydrographie. Der bedeutendste Fluss ist die Tiber. Sie entspringt in der Niihe der Arno-Quelle und bildet in einem siid- ostlicb gericbteten Langstbal die Grenze zwiscben Etrurien und Unp brien. Kurz oberhalb Roms wendet sie sicb nach S. und nimmt bald darauf den Anio auf. Sie mundet bei Ostia, das schon am Ende der Republik infolge der Ablagerungen des Flusses verfiel. Durch die Uberschwemmung der Campagna richtete sie wiederholt groben Scbaden an und trug zur Versumpfung daselbst bei. 3. Bedeutung der Landschaft fur die Geschichte. Latium bildet die centrale Ebene der Halbinsel, wie eine solcbe Griechenland nicht besa(3; es besitzt nach N. und S. eine bequeme Verbindung mit den beiden anderen Ebenen und durch das Thal der Tiber auch mit dem Gebirgslande. So war Latium zur Einigung der Halbinsel 168 Die Komer. berufen und konnte Gegner, welche sicb im N. und S. erhoben, leicht auseinander halten. Der Boden verlangte eine eifrige Arbeit und kriiftigte dadurch die Bevolkerung. IX. Rom. Uberschwemmungen, Versumpfungen, Fieberluft machen die Stelle, an welcber Rom erbaut wurde, scheinbar fiir die Entwicklung einer groBeren Stadt ungeeignet. Dennocb wurde das Emporbliihen dieser Stadt durch einen seltenen Verein von Umstanden begunstigt; es sind dies: 1.) Die Lage an der VVestseite; 2.) die Lage in der centralen Ebene; 3.) die Lage am grOBten Flusse der Halbinsel, der kurz vorher den Anio aufnimmt und an dessen Mundung der einzige bedeutende Ankerplatz der latinischen Kiiste liegt; 4.) die leichte Ver- theidigungsfaliigkeit, da hier die letzten Hitgel — Tuffablagerungen vom Albaner Gebirge — aus der Ebene emporragen; 5.) die Sicher- heit vor den Seeraubern. 1 In mehrfaeher Beziehung erinnert die Lage Roms an die Athens. 1. Baugeschichte der Stadt. 2 Aus Sicherheitsriicksichten erfolgten die ersten Niederlassungen in Latium auf (40 bis 50 m hohen) Hiigeln (S. 55), das moderne Rom liegt dagegen hauptsachlich in der Ebene. Die alteste Ansicdlung, Roma quadrata genannt, wurde der Uber- lieferung zufolge von Romulus auf dem Palatin erbaut, wo auch die Griindungssage localisiert wurde (Ficus ruminalis, Tempel des Juppiter Stator, časa Rornuli). Rom entwickelte sich, wie andere GroCstadte, in concentrischen Kreisen um diesen Kern; die einzelnen Hugel wurden der Sage zufolge durch die Konige besiedelt. Der 6. Kilnig, Servius Tullius, umschloss den Palatinus, Capitolinus, Quirinalis, Viminalis, Esquilinus, Caelius und Aventinus mit einer aus Quadern erbauten Mauer, von der sich noch Reste erhalten haben. In der Zeit der Republik dehnte sich die Stadt des Handels wegen zunachst an der Tiber aus, es wurden mehrere Briicken iiber den Fluss gebaut und das Janiculurn (77 m, der hochste Punkt bei Rom) befestigt. Zur Zeit Sullas erweiterte sich die Stadt an allen Seiten iiber die Servianische Mauer hinaus, Augustus theilte sie in 14 Regionen und schmiickte sie mit marmornen Prachtbauten. Kaiser 1 Vgl. Liv. V, 54: saluberrimos colles, flumen opportunum, raare vicinum, regionum Italiae medium locum. 2 Nach Richter, Topographie von Kom in Baumeisters Uenkmalern. Topographie Roms. 169 Aurelian (um 270) befestigte die Stadt mit einer neuen, aus Ziegeln erbauten Mauer — im wesentliehen die heutige Stadtmauer — wodurch namentlich das Marsfeld, ein groGer Theil des Tiberufers und das Janiculum in die Befestigung einbezogen wurden. Bald nach Con- stantin begann der Verfall der Stadt. 2. Topographie. Nach dem gallischen Brande (um 390) wurde Rom rasch wieder aufgebaut, die Erinnerung daran — enge, win- kelige Gassen — blieb Rom auch in der Kaiserzeit, nachdem es mit zahlreichen Prachtbauten geschmiickt war. Dadurch erklaren sich auch die haufigen verheerenden Brande, von welchen der unter Kaiser Nero der bekannteste ist. Die wichtigsten Arten von Bauten waren: Teinpel, Theater und Amphitheater (letztere fiir Gladiatoren- und Thierkampfe), Thermen, Basiiiken (drei- oder fiinfschiffige Verkaufs- und Gerichtshallen), Palaste, Grabdenkmaler, Triumphbogen, Cloaken (Canale), Wasserleitungen. Von den Pldtzen und einzelnen Gebauden sind besonders hervorzuheben: a) Das Forum, seit der Kaiserzeit auch Forum Romanum (Magnum) genannt, mit dem nordlich sich anschlieCenden Comitium, wo die Volksversammlung zusammentrat und die Curia fiir die Senatssitzungen stand, seit dem 2. Jahrhun- derte der Mittelpunkt des offentlichen Lebens. Es war groCentheils von Tempeln und Basiiiken umgeben, von welchen sich Reste erhalten haben. b) Die Kaiserfora (F. Caesarum). Sie schlossen sich im N. ans Forum Romanum an und fiihrten zum Marsfelde. c) Der capi- tolinische Hiigel. Auf seiner nordlichen Kuppe stand die Burg, auf der siidlichen der Tempel des capitolinischen Juppiter. Die Ein- senkung zwischen beiden Kuppen hieG Asylum, der tarpejische Fels lag an der siidostlichen Seite des Hiigels. d) Sacra vi a. Hier erbaute Vespasian zwischen Velia und Esquilin das Amphitheatrum Flavium (Colosseum) fiir 87.000 Zuschauer, jetzt die groGte Ruine des Alter- thums. Auf dem Esquilin selbst standen die Thermen des Titus. e) Zwischen Palatin und Aventin lag der Circus maximus. f) Campus Martius. Hier entstanden seit Caesar viele Pracht¬ bauten, so namentlich das Theater des Pompejus, die Thermen des Agrippa, die ersten in Rom, mit dem Pantheon. g) Trans Tiberim mit dem priichtigen Grabdenkmale des Kaisers Hadrian (moles Hadriani, jetzt die Engelsburg). h) Zwischen Aventin und Caelius. Hier stehen die groGartigen Reste der Thermen Caracallas. 170 Die Komer. X. Die etlinographischen Verhaltnisse im alten Italien. Alt-Italien war, wie Alt-Griechenland, von vielen Volkerschaften bevrohnt, die sicli zu sechs Volkern zusammenfassen lassen; es sind dies die Ligurer, Italer, Etrusker, Illyrier, Griechen nnd Gel ten. Die etknographisehe Stellung der Ligurer und Etrusker ist nicht bekannt; die tibrigen gehoren dem indogermanischen Sprachenstamme an. Die Ligurer waren der Rest eines vor der Ausbreitung der Indogermanen im siidwestlichen Europa weit verbreiteten Volkes; sie blieben culturlos. Die Etruslcer oder TusJcer (griechisch Tyrrhener) wurden durch die Gallier im N. und die Romer im S. bedriingt und infolge dessen auf Etrurien beschrankt. Zwischen 600 bis 500 erreichten sie den Hohepunkt ihrer Macht und bekerrschten, nach den Griechen und Phoniciern die grofite Seemacht des Alterthums, das nach ihnen benannte tyrrhenische Meer, wurden aber spater von den Romern unterworfen. Bertihmt waren ihre Metallarbeiten. Dem Eindringen der lateinischen Sprache leisteten sie hartnackigen Widerstand. Zu den Illgriern gehorten die Veneter, Istrer und wahrscheinlich auch die Japyger (in Apulien und Calabrien). Die letzteren sind vermuthlich wahrend der dorischen Wanderung zur See heriibergekommen; sie wurden hellenisiert, die beiden ersteren romanisiert. Die Griechen griindeten namentlich im 8. und 7. Jahrhunderte zahlreiche Colonien in Unteritalien, darunter besonders Tarent (S. 92). Die Celten (Gallier) drangen etwa seit 400 in Italien ein und setzten sich im Polande fest; in wiederholten blutigen Kampfen erlagen sie den Romern. Weitaus der wichtigste Stamm war der der Italer, da er der Trdger der geschichtlichen Entwicklung in Italien ist. Ihm gehoren die zahlreichen Volkerschaften Mittel- und Unteritaliens an, deren Dialecte sich so nahe standen \vie die griechischen; sie wurden infolge der Aus¬ breitung der rdmischen Herrschaft allmahlich latinisiert. Der italische Stamm zerfallt in zwei grofie Ziveige: den latinischen im W. und den umbrisch-sabellischen im O. Der latinische Zweig war ursprunglich aufLatium beschrankt, ihm gehorten auch die Romer an, als deren Blutsvervvandte (consan- guinei, Liv. VIII, 4) die Latiner sich betrachteten. Der umbrisch- sabellische Zweig nahm einen weit grofieren Raum ein, da ihm mehr als 20 Volkerschaften angehorten. Diese lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen: 1.) Die Umbrer; 2.) die sabellisclien Volker¬ schaften, z. B. Herniker, Aquer, Volsker, 1 Sabiner, Marser u. s. \v.; 1 Diese drei Volkerschaften waren vielleicht Latiner. Eintheilung der romischen Geschichte. 171 3.) die Osker, unter welchen die Samniten, denen auch die Lucaner, Campaner und Bruttier angehorten, am wichtigsten waren. Den Grundstock fur diese zahlreichen Volkerschaften bildeten die Subiner in den ertragnisarmen Abruzzen. Bei ihnen bestand die Einrichtung des Ver sacrum, 1 derzufolge sie in Zeiten groBer Noth Menschen und Thiere, welche im nachsten Friihlinge geboren wiirden, dem Mars weihten. Wahrend das Vieb geopfert wurde, mussten die geweihteu Menschen, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht hatten, auswandern; aus ihnen bildeten sich in den abgeschlossenen Gebirgs- landschaften Mittelitaliens eigene Volkerschaften. Diese Einrichtung ist wahrscheinlich an Stelle alter Menschenopfer getretem Die Eintvanderung der Griechen und Celten erfolgte in geschicht- licher Zeit, beziiglich der iibrigen Volker fehlt jede Kunde. Beim Beginne der romischen Geschichte haben sie im wesentlichen ihre spateren Wohnsitze; wir konnen daher die Geschichte der Iiorner nicht einmal in eine so frtihe Entwicklungsphase zuriiekverfolgen, wie die der Griechen (dorische Wanderungj. Bei beiden Volkern kennen wir die Geschichte von der Entwicklung des stžidtischen Lebens an. XL Eintheilung der romischen Geschichte . 2 I. Rom unter Konigen, 753 bis 509 v. Chr. II. Rom als Republik, 509 bis 30 v. Chr., und zwar: 1. ) Von der Griindung der Republik bis zum Beginne der puni- sehen Kriege (509 bis 264). Ausbreitung der romischen Herrschaft liber Italien, Zeit der Aristokratie, Standekampf. 2. ) Vom Beginne der punischen Kriege bis zum Auftreten des alter en Gracchen (264 bis 133). Bliitezeit der Republik, Ausbreitung der romischen Herrschaft uber das Mittelmeer. 3. ) Vom Auftreten des alteren Gracchen bis zur Errichtung des Kaiserthums (133 bis 30). Zeit der Burgerkriege. III. Rom unter Kaisern, 30 v. bis 476 n. Chr. Dieser Abschnitt zerfallt in: 1. ) Die Zeit des Principats (30 v. bis 284 n. Chr.). Zweiherrschaft des Kaisers und des Senates. 2. ) Die Zeit der absoluten Monarchie (284 bis 476 n. Chr.)- Verfall und Untergang des Reiches. 1 Zum letistenmale erw;tlm 1 im Jalire 217; vgl. I.iv, XXII, 10. 2 Die Geschichte hauptsachlicii nach Mommsen, Nitzsch (Geschichte der romischen Republik, 1884/85) und Niese (in J. Miillers Handbuch). 172 Die Romer. Erster Zeitraum. Rom miter Konigen, 753 bis 509 v. Chr. 1 Quellen. 1.) Annales maximi. Sie waren ein trockenes Ver- zeichnis von wichtigeren Ereignissen, die bis in die Zeit der Gracchen hinein vom Pontifex Maximus jahrlich auf einer Tafel aufgeschrieben und offentlieh aufgestellt wurden. Die alteren giengen im galliscben Brande zugrunde und wurden spater aus dem Gedachtnisse wieder hergestellt. Sie sind vollstandig verloren, Livius erwahnt sie nicht. 2. ) Die Annalisten. Aus den Priester-Annalen und vielleicht auch aus Privatchroniken haben seit dem 3. Jahrh. die Annalisten geschopft, welehe die romische Geschicbte von der altesten bis auf' ihre Zeit schrieben. Zu ihnen gehoren unter anderen Ennius und Naevius, die in Versen, Cato Censorius, der in Prosa sckrieb. Ihre Werke sind bis auf diirftige Bruchstiicke verloren gegangen, doch von spateren Geschichtschreibern, z. B. Livius, beniitzt worden, leider nicht in der urspriinglichen Fassung, sondern in einer Bearbeitung aus der Sullanischen Zeit, welche den damals herrschenden An- schauungen Eingang gewahrte und die altere Geschichte moglichst verherrlichte. Es ist daher sehr schwer, die richtige altere Uberlieferung im einzelnen festzustellen. Uber die griechischen Quellen sieh S. 154. 3. ) Die Geschichtschreiber. Unter solchen Umstanden sind wir ftir die altere Zeit wesentlieh auf die Berichte der Geschichtschreiber Livius und Dionysios von Halicarnass, die in der Zeit des Augustus lebten, angewiesen. Livius ist unsere Hauptcpuelle ftir die Kenntnis der Konigszeit, der alteren Zeit der Republik und des zweiten puni- schen Krieges, wenn er auch einer kritischen Quellenforschung ent- behrt. Von Dionysios ist uns ein zusammenhangender Bericht bis zura Jahre 443 erhalten; er ist zwar ein sehr sorgfaltiger Schriftsteller, doch fehlen ihm die richtigen Vorstellungen liber die altere romische Geschichte. Infolge des Standes des Quellenmateriales ist die altere romische Geschichte bis weit ins 4. Jahrhundert herab hochst unsicher und ver- worren, zumal — im Gegensatze zur griechischen — alte Volkssagen fehlen und die einheimische Religion uns sehr ungenau bekannt ist. Neuere Darstellungen. Grundlegend wurde das Werk Niebuhrs, dessen dreibandige romische Geschichte bis zur Einigung Italiens reicht; obwohl der erste Band schon 1811 erschien, besitzt sie doch noch 1 Das Grimdungsjahr Roms wurrle sehr verschieden ang-esetzt; herrschend wurde die Annahine des Jalires 753. Das Grundimgsjalir der Republik sclnvankt zwiscben 510 bis 508. Religion. 173 heute groBen Wert. Jetzt ist der gro 13te Kenner der romischen Gescliichte Theodor Mommsen; die ersten drei Bande seines Werkes schliefien mit der Schlacht von Thapsus (46 v. Chr.), der fiinfte behan- delt die Zustande des romischen Reiches in den ersten drei Jahrhun- derten der Kaiserzeit (der vierte Band ist nicht erschienen). I. Rdmisches Religionswesen . 1 A. Die altromišchen Gottheiten. Die alteste Grundlage der romischen Religion war, wie bei den ilbrigen Indogermanen, eine einfache Naturreligion (S. 54); friih trat die Verehrung der auf den Ackerbau beztiglichen Gottheiten besonders hervor. Die phantasie- armen, praktisch-ntichternen Romer kaben weder eine reiche Mytho- logie noch scharf abgegrenzte Gottercharaktere ausgebildet, weshalb ihre Gottheiten schwer auseinander zu halten sind und spater auf beiden Gebieten die griechischen Errungenschaften heriibergenommen wurden. Diese Gotter wurden ursprtinglich ohne Abbilder verehrt; man besa(3 nur Sgmbole, z. B. das Feuer der Vesta, den Speer des Mars, den Kieselstein des Juppiter u. s. w. (S. 58 und 100.) Es sind besonders zwei Gruppen von gottlichen Wesen zu unter- scheiden: Die personlich gedachten Gotter (dei, dii, divi = Lichte, Himmlische) und die geisterhcift wirkenden Ddmonen (Genien). 1.) Dei. Ursprtinglich stand am hochsten der Sonnengott Januš, der spater zvvar durch Juppiter verdrangt, dessen gleiclnvohl immer bei allen Opfern zuerst gedacht wurde. Er wurde als Doppelkopf 2 ■— Symbol der auf- und untergekenden Sonne — dargestellt. Er wurde auch zum ersten Konige von Latium gemacht, zu dem Saturnus, ursprtinglich ein Gott der Saaten, als Lehrer des Ackerbaues ge- kommen sei. Nach Wort und Begriff' entspricht ihm als weibliche Gottheit Diana. Juppiter ist ein Licht- und Wettergott, der durch Himmelszeichen den Gotterwillen andeutet. In der iilteren Zeit tritt er besonders als Kriegsgott hervor, der neben Mars den Sieg verleiht. Als J. Latiaris ist er der hochste Schirmgott des latinischen Bundes, wie spater als J. Optimus Maximus der des romischen Staates. Der Triumpli galt nicht nur als militarisches, sondern auch als religioses Schauspiel zu seiner Verherrlichung. Mars, ursprtinglich ein Gott des Frtihlings und des Gedeihens — ihm wird daher der Weihe- friihling gelobt — der mit Ares nichts gemein hat, wurde spater der eigentliche Kriegsgott. Er ist der einzige Gott, an den sich 1 Nach Preller, Rom. Mythologie, und Marquardt, Rom. Staatsverwaltung. 2 Das einzig-e den Romem eigenthiimliche Gotterbild. 174 Die Romer. eine verhaltnismaBig reiche Mjthologie angesetzt hat. Der sabinische Mars' lieilBt Quirinus, der spater als der vergotterte Romulus galt. Ju no ist die vveibliche Macbt des Lichthimmels, die neben Juppiter oder auch allein auf Bergen verehrt wurde. Minerva wurde friih in geistigem Sinne als Gottin des Denkens und Empfindens aufgefasst. V en us ist ursprtinglich eine Gottin der Blumen, Neptun gelangte als Meergott erst durch griechischen Einfluss zu einiger Bedeutung, die Gottheiten des Feuers waren Volcanus und Vesta. Seit der Erbauung des capitolinischen Juppitertempels in derZeit der Tarquinier wurden die hier verehrten Gottheiten Juppiter, Juno und Minerva die angesehensten; sie wurden bei jedem feierlichen Gebete gleich nach Januš genannt, neben ihnen blieb irnmer Mars der wiclitigste Gott. 2.) Ddmonen, d. h. gottliche Wesen, welche erst dadurch eine eigene Personlichkeit gewinnen, dass sie an die Existenz bestimmter Individuen, Ortlichkeiten, Handlungen gebunden sind. So glaubte man z. B , dass jedem mannlichen Wesen ein Genius, jedem \veiblichen eine Juno zugrunde liege. Diese Geister, welche spater als Genii be- zeicknet wurden, spielen im Cultus eine sehr bedeutende Eolle. Unter ihnen sind wieder besonders wichtig: a) die Laven, welche, ursprung¬ lich schiitzende Geister der Flur, spater gewohnlich als verklarte Geister der Verstorbenen betrachtet und am Herde, wo ihre Holzbilder standen, verehrt wurden; b) die Larven oder Lemuren, unter denen man die Geister der bosen Menschen verstand, zu deren Beruhigung gewisse Gebrauche verrichtet wurden; c) die Penaten, deren Verehrung in inniger Beziehung zu dem Vesta-Cultus stand. Sie sorgten nament- lich fur die Vorrathe des Hauses (penus). B. Cultus. Die alten Romer waren ein sekr frommes Vollc, das sich in allen Dingen von den Gottern abhangig fiihlte und die Cultus- vorschriften (caerimonia) mit peinlicher Genauigkeit befolgte, dafiir aber auch die Erfullung ihrer Wtinsche von den Gottern geradezu verlangte. Den Mittelpunkt jeder heiligen Handlung bildete ein Opfer. Am hautigsten wurden Gaben der Eand- und Hausvvirtschaft, wie Friichte, Speisen etc., dargebracht; Thiere wurden in alterer Zeit, wie es scheint, nur bei besonderen Anliissen geopfert. Dem Zwecke nach unterschied man Bitt- und Danlcopfer, bei welchen von den Opferthieren ein Theil verbrannt, ein Theil genossen wurde, und Siihnopfer, die an die Stelle alterer Menschenopfer getreten sind, bei welchen das Opferthier entweder ganz verbrannt oder ganz den Priestern zum Genusse tiberlassen ward. Religion. 175 C. Priesterthiimer. Die Priester unterstanden jederzeit den Staatsbeamten, in deren Auftrage sie handelten, ihr Amt war in der Regel lebenslanglieh und unbesoldet. Die drei wichtigsten Collegien waren die Pontifices, XV viri sacris faeiundis und Augures. 1. ) Pontifices. Ihr Haupt war der Pontifex Mascimus — das war in der Konigszeit der Konig selbst — die ubrigen Mitglieder standen ihm nur beratliend und ausfiihrend zur Seite. Er hatte die einfiuss- reichste Stellung , da er den gesarnmten hauslichen und offentlichen Gottesdienst uberwachte und mehrere priesterliche Ehrenstellen besetzte, auch selbst viole Cultushandlungen verrichtete. Eine wichtige Aufgabe der Pontifices, deren Zabl spater von drei auf filnfzehn erhoht wurde, war auch die Ordnung des Kalenderwesens. In der Konigszeit bestand ein Mondjahr von 355 Tagen, in der republikanischen Zeit trat eine groBe Unordnung in der Zeitrechnung ein, der erst Caesar ein Ende machte (S. 9). 2. ) XV viri sacris faeiundis (urspriinglich waren nur zwei). Ilire Thatigkeit ist mit den sibgllinischen Bilchern verbunden, welche aus Troas stammten und unter dem letzten Konige Eingang fanden. Diese Bticher enthielten hauptsachlich Siihnmittel fur Prodigien, d. h. naturwidrige oder doch unerklarliclie Vorffille, wofiir sie in der Regel eine Supplication anordneten oder die Einfuhrung neuer (grie- cbischei - ) Gotter empfahlen. Besonders bei Pest und Erdbeben wurden sie befragt. 3. ) Augures. Sie stellten die ‘Auspicien an, d. h. die den Romern eigentbumliche Divination, bei der es nicht auf die Enthtillung der Zukunft, sondern auf die Genehmigung der Gotter zu einer bestimmten Handlung ankommt. Ilire Zabl wurde von drei allmahlich auf sechzehn erhoht. Da die wichtigsten politischen Handlungen die Genehmigung der Gotter voraussetzten, so hatten die Auguren einen sehr bedeutenden Einfluss. Ihre urspriingliche Aufgabe war die Beobachtung der Vogel- zeichen (daher ihr Name) und die Errichtung des templums, d. h. eines durch vier Linien abgegrenzten Quadrates, in dem sie ihre Beob- achtungen anstellten. Spatere Auspicien waren die ex caelo (Blitz) und ex tripudiis (Fressen der heiligen Hiihner). Der erste Augur war Romulus. AuBerdem sind die vestalischen Jungfrauen, die Haruspices, die Fetialen, die Salier und die drei Flamines hervorzuheben. Die Vestalinnen (virgines Vestales), urspriinglich vier, spater sechs, hatten besonders fur die Erhaltung des heiligen Feuers auf dem Staatsherde zu sorgen; auch beteten sie taglich fiir das Wohl 176 Die Romer. des Volkes. Die Haruspices, welche stets Etrusker waren, verstanden sich auf die Schau der Eingeweide der Opferthiere, die Procuration (Suhnung) bei Prodigien, Deutung und Suhnung der Blitze. Die Fetiales vollzogen die Ceremonien, welche mit der Ankiindigung des Krieges oder dem Absclilusse eines Btindnisses verbunden waren; nach dem zweiten punischen Kriege werden sie nur mebr selten erwahnt. Die Salier, zwblf an der Zalil, standen im Dienste des Mars, dem zu Ehren sie im Marž einen Umzug mit Tanz (daher der Name) auff ubrten ; auch httteten sie die heiligen Schilde (ancilia). Die Flamines bildeten kein Collegium, sondern waren Einzelpriester , die zu Ehren des Juppiter, Mars und Q,uirinus tiiglich Opfer darbrachten (tiare = Anblasen des Feuers). II. Die traditionelle Geschichte. A. Die Griindungssage. Inhalt, Ursprung und allgemeine Verbreitung der Sage. Die Erzahlungen von den Irrfahrten des Aeneas, seiner Ankunft in Latium zur Zeit des Konigs Latinus (Heros eponymos der Latiner), der Griindung Laviniums durch ilin, Alba Longas durch seinen Sohn Ascanius, der koniglicken Herrschaft der Silvier in Alba Longa, sowie der Abstammung des Romulus (Heros eponymos der Stadt Rom) und des Remus vom dreizehnten Silvier Numitor, endlich die Erzahlung von der G-riindung Roms selbst enthalten gar keinen geschichtlichen Kern. Urspriinglich gab es zwei Formen der Griindungssage, die romische (bei Naevius und Ennius) kniipfte an Alba Longa, die griechische an Aeneas an; in unserer Uberlieferung sind bereits beide miteinander verschmolzen. Die griechische ist ein Auslaufer der Sage vom trojanischen Kriege; wie so viele griechische Stadte, lieB man auch Rom von einem der verschlagenen Helden dieses Krieges gegriindet werden. Diese Form der Sage hat in Rom selbst erst im 3. Jahrhunderte Eingang gefunden. Nach der riimischen Fassung war Aeneas der Vater oder Sclrvviegervater des Romulus; spater, als man die Unvereinbarkeit mit der Chronologie des Eratosthenes erkannte, schob man die albanische Konigsliste ein, deren einzelne Namen sammt den ihnen beigegebenen Jahreszahlen gar erst aus der Zeit des Augustus stammen. Dass die Erzahlung in Rom schliefilich allgemein geglaubt wurde, veranlassten folgende Umstande: 1.) Die Ankniipfung an einen be- riihmten Homerischen Helden schmeichelte denRomern; 2.) die Sage wurde namentlich durch den grofien Einfluss des julischen Geschlechtes, welchem Caesar angehorto und das so seinen Ursprung bis auf Venus, Konigszeit. 177 die Mutter des Aeneas, zuruckfiihren konnte, weiter ausgebildet. Diese Verbindung der Aeneassage mit dem juliscben Geschlechte liegt in der Aeneis Vergils vor. B. Die romisehen Konige. Die traditionelle Geschichte der Konigszeit besteht uberwiegend atis dtiologischen Mgthen und Eeconstructionen. Unter ersteren versteht man Erzšihlungen, welche eine Einrichtung des spiiteren romisehen Staates erklaren oder begriinden sollen. So wurde z. B. der Raub der Sabinerinnen erdichtet, um die romisehen Hochzeitsgebrauche, denen zufolge die Braut scheinbar aus dem Elternhause geraubt wurde, zu erklaren; um den spateren Gebraucb, dass Staatsverbrecher vom tar- pejischen Felsen hinabgestiirzt wurden, zu erklaren, wurde die Erzšili- lung von der treulosen Tarpeja ersonnen; so wurde die Abstamrnung des Konigs Targuinius aus Tarquinii und des Servius Tullius von einer Sclavin zur Erklitrung der beiden Namen erfunden (etymolo- gischer Mythus). Unter Eeconstructionen versteht man Ruekschliisse aus den Einrichtungen der historischen Zeit auf die fruhere; so wurde z. B. die Zahl der Senatoren und ihre Berufung durcli den Konig nach den in der historischen Zeit tiblichen Einrichtungen angenommen, dasseibe gilt ftir die angeblichen Rechte der Volksversammlung seit Servius etc. Ob, von Romulus abgesehen, allc oder einzelne Konigsnamen historisch sind, wissen wir nicht'. Die Gesammtdauer der Konigsherr- schaft wird nach der alteren Angabe auf 240 — nach der jiingeren auf 243 — Jahre berechnet. Diesem Ansatze liegt die romische Berech- nung nach Geschlechtern zugrunde, derzufolge drei Geschlechter auf ein Jahrhundert, sieben also auf rund 240 Jahre entfallen. Die wichtigsten Thaten, welche die Uberlieferung unter die ein- zelnen Konige vertheilt, sind: 1.) Griindung und Befestigung der Stadt; 2.) Unterwerfung der benachbarten Ortschaften; 3.) Gliederung der Biirgerschaft; 4.) Feststellung der politischen und militarischen Ein¬ richtungen; 5.) Ordnung des Cultus und Einsetzung der Priester- schaften; 6.) Erriclitung der šil testen offentlichen Gcbžiudc; 7.) Aus- breitung der romisehen Herrschaft iiber Latium. Diese Thaten werden auf die einzelnen Konige so vertheilt, dass jedem derselben eine bestimmte Beziehung zur Stadt, zum Staate und zur Landschaft zu- geschrieben wird. Die beste Darstellung der Konigszeit enthalt das I. Buch des Livius. Zeelie, Geschichto des Alterthums. 12 So wird den ersten vier Konigen die Begrilndung, den letzten drei die Abanderung der Verfassung zugeschrieben. 178 l)ie Romei*. £• •i u■ p Z c p p c- S cd aq OQ 2 P CD P CD . P < W MJ ps p: P P - p- r ® » 2, ' w P cc O S. S CD CD P <<£ i§. p 5 o- Ul js-o: r cd g-^cs ; » v p? ' P N CD CD & " P g S. § S CD CD CD £ P CD - o g- d 3 sr & o g. CD o ^ S-e- § f H 3 g & § S, B •* =• 3 2. a , Sj CD d K -_crq 3 . v? p: P C h S? C © — -j — < c č' © w p- a q p p 5’ 2 w :t aq‘ H O _ CD H0 P g P 2> 3 o 2 tu c 3 g-ca H M i— 1 S o o P P? 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H P P: L P P S- P 5 * ffi p 2 2a? p aq Grundung Roms; Bevolkerung. 179 III. Die geschichtliche Entwicklung von der Bes e tz mig Latiiuus durch die Latiner bis zimi Sturze des romischen Kdnigthums. A. Der latinische Stadtebund und die Grundung Roms. Die dlteste Ansiedlung der Latiner erfolgte nach Geschlechtern, indem die verwandten Familien sick nebeneinander niederliei3en. Bei Uberfallen hatten die Geschlecktsgenossen, welche einen Gau (pagus) bewobnten, eine gcmeinsame Zujluchtsstalte auf einem Berge oder Hiigel, Capitolium oder Arx genannt. Gewiss wurde zuerst das iso- lierte Albaner Gebirge, «die naturlicke Burg von Latium», besetzt. Hier lag Alba Longa, das als Mutterstadt aller iibrigen latinischen Gemeinden, also aucb Roms, galt. Nabereš dariiber ist nicbt bekannt, ebensowenig wie iiber die Zerstorung des Vorortes. Die einzelnen Gaue waren in altester Zcit vollig nnabbangig voneinander, jeder von einem Fiirsten unter Mitwirkung des Rathes der Alten und der Volksvcrsammlung (vgl. die Homeriseben Zustiinde) regiert. Alle lati- nisehen Gemeinden zusammcn bildeten einen Bund, an dessen Spitze Alba Longa stand. Der Mittelpunkt dieser Vereinigung war ein ge- meinsames Fest (feriae Latinae) im Albaner Gebirge zu Ebren' des latinischen Stammgottes Juppiter Latiaris (vgl. die griechischen Am- pliictyonie,n). Es war eine Ze.it des Kampfes, iihnlich dem deutschen Mittelalter (S. 55). Rom entstand durch die Verbindung (Svnocismus, vgl. S. 76 und 82) der.drei Gaue der Ramnes, Tities und Luceres, von denen die ersteren sicber, die letzteren wabrscbeinlieb Latiner, die Tities dagegen Sabiner waren. Die Ramnes waren auf dem Palatin, die Tities auf dem Quirinal, die Luceres auf dem Caelius angesiedelt. Die gemeinsame Burg lag auf dem capitolinischen Hiigel. B. Bestandtheile und Gliederung der Bevolkerung . 1 2 Sie zerfiel in Burger, Clienten und Sclaven. Die Burger waren die Gesammtheit der freien Gescblechtsgenossen (patres, patricii). Die Clienten oder Plebejer 2 waren Freie, die oder deren Vorfahren durch Dedition (Vertrag mit einer besiegten Gemeinde),. Einwanderung oder Freilassung unter die Schutzhoheit eines Biirgers (patronus) gekommen 1 Hier, wie im Folgenden, die Verfassungseinriclitungen nacli Mommsen, Ridmisches Staatsrecht. 2 Clienten (Horig-e) von cluere — lioren, Plebejer (plebei) von pleo = Menge. 12 * 180 Die Romer. waren und zu ihm in einem erblichen Abhangigkeitsverhaltnisse standen. Die Hauptbeschjiftigung der Bevolkerung war der Ackerbau; besonders zu erwahnen ist die grofie Macht des Vaters (pater faihilias), der unbedingt Herr iiber seme Frau und seine Kinder und nur durch Sitte und Religion beschriinkt war. Die Burgerschaft (populus) bestand aus einer unbestimmten Zabl von Geschlechtern (gentes), deren Mitglieder nicht nothwendig mit- einander verwandt waren. Aus der Vereinigung dieser Geschlecliter zu einem Ganzen entstand die Volksgemeinde, die nacb der Uber- lieferung scliematisch gegliedert erscheint, was, wenn es iiberhaupt jemals der Fali war, nur fur die friiheste Zeit gelten kann. Diese Gliederung war, ahnlich wie in Athen: l.)Drei Tribus ( cfvlal ), niimlich die ehemals getrennten Gemeinden der Ramnes, Tities und Luceres; 2.) 30 Curien (gioarglca)- 3.) 300 Gentes (ytvrf). Nach Tribus und Curien ist die Verwaltung (Heer- und Steuerwesen), die Besetzung der Priesterstellen und die Bildung des Senates geregelt (vgl. die Bedeu- tung der Pbylen in Athen, S. 86, 89 und 90). AuDerdem bildete jede Curie einen sacralen Verband mit eigenem Gottesdienste, den der Vorstand der Curie (curio) besorgte. C. Die altesten Verfassungszustande. Wie bei den Griechen, kommen der Konig, der Rath und die Volksversammlung in Betracht. 1. Konig. Der Konig besitzt, wie bei den Griechen, militarische, richterliche und priesterliche Gewalt. a) Er ist der Fiihrer des Heeres, dessen Aushebung er besorgt. Das alteste Heer besteht nach der Uber- lieferung aus 3000 Mann FuBvolk (legio) und 300 Reitern (celeres). h) Er besitzt die ganze Criminalgewalt in- und auBerhalb der Stadt. Das Symbol dieser Gewalt waren die Fasces, Ruthenbiindel mit je einem Beile, welche die zwolf Lictoren dem Kdnige vorantrugen. c) Er ist der hochste Priester und ernennt alle iibrigen. Der Konig wurde gewdhlt, und zwar von der Volksversammlung, die Wahl vom Rathe bestiitigt, worauf die erstere ihm das Imperium ubertrug (lex curiata). Seine Gewalt ist, wie die des Familienvaters, nur durch das Herkommen, nicht aber rechtlich beschriinkt. 2. Rath der Alten (senatus = ysQnvaia). Er ist wohl urspriing- lich eine Vetretung der Geschlechter, von denen jedes ein Mitglied entsendete; die Uberlieferung kennt aber nur mehr seine Zusammen- Reformierte Verfassung. 181 setzung und Berufung durch den Konig. l)ie Zalil der Senatoren wird auf 300 angegeben. Der Senat konnte nur tiber solche Gegenstiinde verhandeln, welche ihm der Konig vorlegte; regelmaOig wurde er berufen, um dem Konige einen Rath zu ertheilen und Beschliisse der Volksversammlung zu priifen und allenfalls zu verwerfen. 3, Volksversammlung (comitia curiata). Ilire Rechte kennen wir nicht. Auch ihr fehlt, wie in der Zeit der Republik, das Recht der Initiative; zugeschrieben werden ihr folgende Rechte: a) Wahl des Konigs und Ertheilung des Imperinms; b) Anderung der Verfassung; c) Erklarung cines Angriffskrieges. — Die Abstimmung erfolgte nach Curien, einfach mit ja oder nein. Die Clienten (Plebejer) waren wahrend der ganzen Konigszeit nicht stimmberechtigt; wann sie das Stimmrecht in den Curien erhalten haben, ist unbekannt. D. Die reformierte Verfassung. Nachdem bereits Tarquinius Priscus eme Reform der Verfassung angebahnt hatte, fiihrte sie Servius Tullius durch. Der Kernpunkt der Reform dreht sicli um die Frage der Stellung der Clienten, die, sobald sie politisc-he Rechte erhielten, staatsrechtlich als Plebejer bezeichnet wurden. Es geht daher seitdem die patricische in die patricisch- plebeische Biirgerschaft tiber. Die Servianische Reform besteht aus zwei Theilen, der Tribus- und der Centurienordnung. 1. Die Tribusordnung. Unter Tribus («Viertel») verstehen die Romei' einen territorialen Bezirk. Servius theilte die Stadt — nicht auch die zugehorige Feldmark — in vier Tribus. Jedes einem romischen Burger gehorige Grundstiick war, wie jeder Burger selbst, in einer Tribus eingeschrieben. Diese Eintheilung diente der Verwaltung; denn nach Tribus wurde die Steuer ein- und das Ileer ausgchoben. Die einzige allgemeine Steuer ist das Tributum, das nur bei Geldmangel eingehoben und, wenn es die Finanzen erlaubten, wieder zuriick- gezahlt wurde. Die Besteuerung begann bei einem gewissen Mah von Grundbesitz und war nach dessen GroCe abgestuft. Die Wehrpflicht war durch die Centurienverfassung geregelt. 2. Die Centurienordnung. Wie Servius Tullius die romischen Burger (Patricier und Plebejer) geographisch in Tribus, so theilte er sie militarisch in Classen, politisch in Classen und Centurien. 182 Die Komer. tibersicht iiber die Glassen- und. Centurieneintheilung. Die Gesammtzalil dcr Centurien betrug 193. Bemerkungen zur Tabelle. 1. ) Centuria ist militarisch eine Abtheilung von 100 Mann in der Reiterei, 120 im Fufivolk, politisch (bei der Abstimmnng) von wechselnder Starke. 2. ) Das Vermogen wurde durch den census (Sehatzung), der jedes fiinfte Jahr vorgenommen wurde, ermittelt; von einem beštimmten Ritter-Census ist nichts bekannt. 3. ) Die CensusansStze stammcn fruhestens aus der Zeit des ersten punischen Krieges, in welchem der altere, schtvere (Iibrale) As — einem romischen Pfund (ungefahr 1 / 3 kg) Kupfer auf ein Sechstel herab- gesetzt wurde, wesbalb die Ansatze unter Beriicksichtigung der Preissteigerung des Kupfers auf ein Ftinftel, d. b. auf 20.000 u. s. w., herabzusetzen sind. Ubrigens waren die urspriinglichen Ansatze wahr- scheinlicli in AckermaC gegeben. 4. ) In jeder Classe war die eine Hiilfte der Centurien dem Aufgebote (juniores), die andere der Beserve (seniores) zugewiesen; die Grenze bildete das vollendete 46. Jahr. • 5.) Dies sowie die Eintheilung der Centurien in solelie der Reiterei und des FuGvolkes, ferner die Eerucksichtigung der Werk- Frerade Cultureinflusse. — Begriindung der Republik. 183 und Spielleute zeigt, dass der Ausgangspunkt der Reform der mili- tarisclie Gesichtspunkt, d. h. die Heranziehung der Clienten (Plebejer) z um Kriegsdienste war. Fur die Abstimmung in der Volksversammlung (comitia centuriata) trat die Centurienordnung wahrscheinlich erst mit dem Beginne der Republik in Wirksamkeit. Beurtheilung der Centurienverfassung. Sie hat einen timokrati- schen Cbarakter; denn urspriinglich waren nur die grundbesitzenden J Burger aufgenommen, ha.tte die erste Classe in Verbindung mit den Rittern die Majoritiit, obwohl sie die Minderzahl der Burger umfasste, und hatten die Seniores, obwohl an Zalil geringer, gleich viele Cen- turien wie die Juniores. — Es lassen sich mehrere Ahnlichkeiten mit der Solonischen Verfassung erkennen. E. Premde Gultureinflilsse. Schon in der Konigszeit macbten sicb etruskische und namentlich griechische Einfliisse bemerkbar. Von den Etruskern wurden entlehnt: 1.) Die Abzeichen der koniglichen Wurde, namlieh Purpurmantel, elfenbeinernes Scepter und Stuhl (sella curulis); 2.) die Ilaruspicin; 3.) die Verwertung der Wolbung bci den Cloaken und die Anwendung des dem doriscben verwandten toscanischen Stiles beim Ban des capitolinischen Juppitertempels. Griechische Einfliisse fanden namentlich von Cumae (S. 91) hcr Eingang. Griechischcn Ursprungs sind: 1.) Die Buchstabenschrift, die im Zeitalter der Tarquinier in Rom bekannt wurde; 2.) in der Religion die Darstellung der Gotter in menschlicher Gestalt, die Aufnahme griechischer Gottheitcn, wie des Apollo, der Ceres etc., die Einfuhrung der sibyllinischen Biicher; 3.) das Ma(3- und Gewichtssystem; 4.) die Einfuhrung des Census nach dem Bei- spiele Solona; 5.) die Verbreitung von Hausthieren (Esel und Maul- thier) und Gartengewachsen (S. 165). Zweiter Zeitraum. Rom als Republik, 509 bis 30 v. Chr. Er st er Absehuitt. Von der Begriindung der Republik bis zum Anfange der punischen Kriege, 509 bis 264. 509 — 264 Ausbreitung der roniischen Herrschaft iiber Italien, Zeit der Aristokratie, Standekampf. I. Begriindung der neuen Verfassung. Der Stnrz des Kdnigthums (regifugium) war in Rom, wie in Griechenland (S. 73 und 83), das Werk des Adels, der Patricier, dem aueli die Eriicbte der Verfassungsanderung zugute kamen. Dem 184 Die Romer. Konigthume folgte die Aristokratie ; auch in der neuen Verfassung kommen die obersten Magistrate (an Steli e des Konigs), Senat und Volksversammlung in Betracht. A. Die obersten Beamten (magistratus). 1. Consulat. Dio hochsten Beamten waren die zwei Prdtoren (= praeitores = Herzoge), die spater, wahrscbeinlieh seit dem 4. Jalir- hunderte, Consuln = collegae genannt wurden. Uer groCte Unterschied gegeniiber der Stellung des Konigs war, dass dessen iiberdies vermin- derte Gewalt an zwei einander vollig gleiclistehende Personen tiber- tragen wurde. Sie wurden von den Centuriat-Comitien aus den Patriciern gewahlt. Im wesentlichen besaBen sie die militarische und richterliche Gewalt (imperium) des Konigs; auBerdem beriefen sie den Senat und leiteten sie die Centuriat-Comitien. Das priesterliche Amt des Konigs wurde abgetrennt und dem Rex sacrorum (vgl. ao%iov ficKnlsvg) iiber- tragen, der vom Pontifex Maximus auf Lebenszeit aus den Patriciern ernannt wurde; er war diesem untergeordnet, batte gewisse Opfer zu vollziehen, durfte aber kein politisches Amt bekleiden. Fur den Fali der Abwesenheit beider Consuln setzten sie einen S tellvertreter (prae- fectus urbis) ein. Die Macbt der Consuln war beschrdnkt : 1.) Durch das Princip der Collegialitat; 2.) durch die einjahrige Dauer des Amtes und die Verantwortlichkeit; 3.) durch die Einfiihrung der Provocation, d. h. der Berufung des vom Consul zum Tode oder einer Leibesstrafe (spater auch einer hoheren Geldstrafe) verurtheilten Verbrechers ans Volk; 4.) durch die Abtrennung der priesterlichen Befugnisse des Konigs. 2. Dictatur. Sie steht liber dem Consulate und ist durch die Provocation nicht beschrankt. Sie ist ein aufierordentliches Amt, das hochsten s sechs Monate dauert, wahrend welcher Zeit auch die iibrigen Magistrate im Amte bleiben. Der Dictator wird — gewohnlich infolge Senatsbeschlusses — von einem der beiden Consuln, und zwar immer zu einem bestimmten Zwecke ernannt (daher dietatorem dicere, aber consulem creare). Die zwei wichtigsten Fžille sind: in Kriegsnothen und bei Bewegungen im Innern (seditionis sedandae causa). Die Absicht dabei war, die Einheit der obersten Gewalt fiir eine kurze Zeit wieder herzustellen. Sobald der Dictator seine Aufgabe gelost hatte, legte er sein Amt nieder. Unter ihm stand der Befehlshaber der Reiterei (magister celerum), den er ernannte. Am Ende des zweiten punischen Krieges gieng die Dictatur ein. Begriindung der Republik. 185 B. Der Senat. 1. Zusammensetzung. Bei der Begriindung der Republik wurde der Senat durch die Aufnahme von Plebejern auf die Normalzahl von 300 Mitgliedern, die bis auf Sulla beibehalten wurde, erhoht. Der patricische Theil wurde speciell als patres, die Plebejer als patres conscripti bezeichnet, w e sli alb der Senat im ganzen als patres (et) con- scripti angesprochen wurde. Die fernere Erganzung fand durch den Eintritt der gewesenen hoheren Beamten statt, so dass die Volksver- sammlung ein indirectes Wahlrecht hatte. Die lectio senatus (Aufsicht und Erganzung) stand ursprunglich den Consuln zu. Da die Mitglied- schaft lebenslanglich war, entwickelte sich im Senate im Gegensatze zum athenischen Rathe (S. 86) eine standige Politik. 2. Zusammenberufung und Geschaftsordnung. Das Recht, den Senat zu berufen (cogere, spater vocare), besaGen die hbheren Beamten, d. h. ursprunglich die Consuln und der Dictator, spater auch der Praetor und die Volkstribunen. Der Vorsitzende unterrichtete den Senat liber den Zweck der Berufung, worauf die Umfrage zur Herbeifiihrung eines Vorschlages (sententiam dicere) erfolgte. Die einzelnen Senatoren wurden nach dem Range des verwalteten Amtes (viri consulares, praetorii etc.) befragt. Hierauf erfolgte die Abstimmung (discessio) durch Auseinandergehen auf die eine oder die andere Seite des Saales. Der Beschluss hei!3t senatus sententia oder consiiltum. 3. Befugnisse. Der Senat, welcher in der Konigszeit nur eine berathende Korperschaft war, wurde allmahlich die oberste Verwaltungs- und Begierungsbehorde (vgl. S. 77), so dass das Beschlussrecht des Volkes thatsachlich zur Formsache wurde, das Verfiigungsrecht der Beamten in allen entscheidenden Angelegenheiten an die Grenehinigung des Senates gebunden war. Seine Macht erreichte ihren Hohepunlct im zweiten punischen Kriege; er entschied damals liber die gesammte innere und auCerc Politik. AVahrend die Stcllung der Beamten als potestas und imperium, die des Volkes als .majestas bezeichnet wird, kommt dem Senate auctoritas zu. Seine Befugnisse zerfallen in patrum auctoritas und senatus consultum. a) Patrum auctoritas ist die Bestatigung eines Beschlusses der Centuriat-Comitien. 1 Bei Gesetzesvorschlagen und Kriegserklarungen geht dem Volksbeschlusse auch ein Vorheschluss des Senates voraus (vgl. die athenische (tovhrj). 1 Nach Mommsen besafien dieses Redit nur die patricischen, nach Willems (le senat et la republique romaine) alle Senatoren. 186 Die Komer. b) Senatus consultum ist die 1 ieschlussfassung iiber ein magi- stratisches Decret. In Betracht kommen besonders: a) Sacrahvesen, (i) Kriegswesen, y) Finanzen, d) auswartige Angelegenbeiten. a) Die Senatscompetenz erstreckte sich auf die Aufnahme neuer Gottheiten, Vornahme auBerordentlicher gottesdienstlicher Handlungen, Beaufsichtigung der Auspication und des ganzen Cultus. (?) Der Senat verfugte die Aushebung der Wehrpfliclitigen. Friih schon wies er den bciden Consnln ihren Amtsbereich (provincia) zu, und namentlich wiehtig wurde, dass er seit dem Anfange des zvveiten punischen Krieges das Reelit besaB, den Feldherren das Commando zu verlangern (pro- rogare). y) Auf keinem Gebiete ist die Maclit des Senates auf Kosten der Beamten so vollig durchgedrungen, wie auf dem der Finanzen. Ihm liegt die Verwertung des Gemeindelandes (ager publicus) sowie die Entscheidung iiber die Abg;aben der Provinzen ob, und er verftigt iiber die Staatscasse (aerarium), aus vrelcher die Cassebeamteri nur mit seiner Genehmigung Zahlungen vornelimen diirfen. Die Verfiigung iiber die Staatscasse ist die tvesentlichste Grundlage der Senatsherrschaft. d) Er vertrat den Staat dem Auslande gegeniibcr, so dass er Gesandte empfieng, Boten (legati) ins Ausland schickte, Freundschaftsvertrage seliloss ete. C. Die Volksversammlungen. 1. Comitia centuriata. In ihnen kam die Volkssouverdnitat zuin Ausdrucke, weshalb sie fiir jede offentliche Handlung berufen wurden, zu deren Vornahme die Magistrate nicht bcrechtigt waren. Ihre fiinf Befugnisse waren: Das Reelit der Gesctzgebung, die Erklarung eines Angriffskrieges, die Wahl der liochsten Beamten mit Ausnahme des Dietators, das Provocationsrecht 1 und (spater) die Bestatigung der Staatsvertrage. —Nachdem der Gegenstand der Verhandlung offentlich bekanntgegeben war, holte der vorsitzende Magistrat an dem Ver- sammlungstage die Auspicien ein und legte sodann dem Volke den in Frage stehenden Gegenstand zur Beschlussfassung vor (rogatio). Zum Zwecke der Abstimmung trat die Biirgcrschaft nacii Centurion in einen eingebegten Ra urn, der in so viele Unterabtheilungen gesondert war, als Abthoilungen gleichzoitig stimmten. 2 Fiir jede Abtheilung wurde ein rogat or bestollt, der den aus dem Raume. Heraustretenden die Stimme abfragte. Als um 140 v. Chr. die schriftliche Abstimmung 1 Liv. III, 55: unicum praesidium libertatis. 2 Bei den Centuriat-Comitien 81 oder 82, bei der Versammlun}>; nach Curien 30. Verhaltnis zum latinischen Stammesbunde. 187 eingefuhrt wurde, wurden die Stimmtafelchen (tabellae) in eigene Kasten gelegt. War die Majoritat gefunden, so horte die weitere Abstimmung auf, und der Vorsitzende lieC durch den Herold das Ergebnis ver- ktindigen (renuntiatio). Alles gieng militarisch kurz, ohne Debatte, vor sich. Der Versammlungsort der Centurien war in der Regel das Marsfeld. 2. Comitia curiata. Sie entschieden unter dem Vorsitze des Pont.ifex Maximus liber gentilicische Fragen, z. B. den Austritt aus einem Geschlechte oder dem Patriciate. Politische Rechte batten sie nicht mehr, denn die Ertheilung des Imperium sank zu einer leeren Formsache herab und horte im 3. Jahrhunderte ganz auf. Ilir Ver¬ sammlungsort war das Comitium. Die neue Verfassung liat einen streng aristokratisehen Charakter. Die Patricier batten die Entscbeidung im Senate und das Ubergewicbt in den Centurien; sie allein konnten zu politischen, militarischen und priestcrlichen Amtern gelangen und biiteten das ungeschriebene Recht. II. AuGere Geschichte. I)ie Ausbreitung v xai tat; uev sutuyt'ai; ir aX).a; y_ftousvo; aoopjjiat;. 279 . 278. 275. 272. 269 — 265. 206 Die Romer. Ursachen der raschen Ausbreitung der romischen Herr- schaft. Rom verdankt seine groBartigen Erfolge nicht so sehr dem Verdienste einzelner groBer Manner (T. Manlius Torquatus, Camillus, die Decier, M.’ Curius Dentatus u. s. w.), auch nicht einem begeisterten Aufschwunge, wie die Griechen in der Zeit der Perserkriege, sondern hauptsachlich folgenden Umstanden: 1.) Der zielbewussten und ent- schiedenen Politik des Senats, der dem Cineas als eine Versammlung von Konigen erschien; 1 2.) der Kraft und Besonnenheit der romischen Burger im Frieden; 3.) ihrer Tiichtigkeit als Soldaten; 4.) der Anlage zahlreicher Colonien und StraBen. Von diesen ist die alteste die via Appia (nach Capua), welche allmahlich bis Brundisium gefiihrt wurde; hiezu kamen spiiter: via Salaria nach Pičen um, v. Flaminia nach Ariminum, v. Cassia nach Etrurien u. s. w. D. Cultur. 1. Heeresvvesen. 2 Die Grundlage fiir die Entwicklung des Heeres- wesens blieb die Servicmische Reform, durch welche die Dienstpflicht gei'egelt und das FuBvollc zum Kern des Heeres gemaclit wurde. Die Einrichtungen des Servius Tullius hatten aber bereits folgende Ande- rungen erfahren: 1.) Die Aufstellung der Truppen erfolgte nicbt mehr nach dem Census, sondern nach dem Dienstalter; 2.) als Schlachtordnung diente damals die Manipularstellung, welche die iiltere Phalanx verdrangt hatte; 3.) seit den Kriegen mit den Galliern waren Anderungen in der Beivaffnung vorgenommen woi'den. a) Die Legion bestand in der Regel aus 4200 Mann Fufivolk und 300 Reitern. Das FuBvolk war in drei Reihen hintereinander aufgestellt, welche hastati, principes und triarii hiefien; in der dritten Reihe standen die Dienstesaltesten. Da zu den romischen Bilrgern eine etwas groBereZahl von Bundesgenossen kam, so ziihlte ein con- sularisches Heer von zwei Legionen ungefahr 20.000 Mann. žpjede der drei Reihen war in zehn Manipeln getheilt, welchc bei den ersten je 120, bei denTriariern 60 Mann stark waren. Die einzelnen Manipeln waren durch Zwischenraume voneinander getrennt und schaclibrettformig Xcpiincunx) aufgestellt. Die 1200 Leichtbevvaff- neten (velites), welche nicht in Manipeln getheilt waren, wurden den iibrigen Truppen beigegeben. Die Reiterci, in zehn turmae getheilt, 1 Pilit.. Pyrrh. 19. 2 Nach Marquardt, Rom. Staatsverwaltung. Cultur. 207 war auf den Fliigeln aufgestellt,. Wahrend der Hauptvorzug der Pha- lanx die feste Geschlossenheit und die darauf beruhende bedeutende Defensivkraft ist, war die Manipularordnung, deren Einftihrung dem Camillus zugeschrieben wird, durch ihre leichte Manovrierfahigkeit ausgezeichnet und forderte die Tapferkeit des Einzelnen mehr heraus. c) An Stelle der alten Ploplitenlanze (hasta) trat fiir den Fern- kampf das pilum 1 , ein AVurfspiefi, mit dem Schild und Panzer durch- bohrt werden konnten. Fiir den Nahkampf diente das Schwert. Die Erfolge der Rdmer im Felde beruhten hauptsachlich auf der Marschtiichtigkeit und Tapferkeit der Soldaten und der Verbindang von Angriff und verschanztem Lager. Da das Heer aus Bauern bestand, so wurde von den besiegten Volkern regelmafiig Abtretung von Ldn- dereien verlangt, die entweder zum ager publicus gesclilagen oder ver- kauft oder Colonisten zugewiesen wurden. 2. Die Verwaltung Italiens. Die Romer stiitzten die Yerwal- tung ihres Herrschaftsgebietes auf die Stddte (civitates = iroketg), deren Zahl mit der Ausbreitung der romiscben Herrschaft aucb im Innern der Halbinsel zunabm, wodurch die altere bauerliche Verfas- sung der Gane (pagi, S. 179 und 201) allmahlich beseitigt wurde, was tibrigens in der Zeit Caesars nocb nioht vollig der Fali war. Den civitates wurde das umliegende bauerliche Land (regio) zur Verwaltung und Rechtspflege zugetheilt (attribuiert), so dass die Beamten der Stadte zugleieh aueh Reichsbeamte waren. Die Stadte zerfielen nach der verschiedenen Stellung zu Rom in zwei Hauptgruppen: 1.) Stadte mit romischem Biirgerrechte, 2.) Bundesstiidte. a) Je nachdem diese Stadte das volle oder ein beschranktes Biirgerreclit hatten, zerfielen sie in romische Biirgercolonien und in Municipien. a) Romische Colonien. Sie wurden von staatswegen zur Sicherung neu gewonnenen Gebietes, also aus niilitdrischen Riicksichten, angelegt. 2 Die Colonisten blieben romische Burger mit allen Rechten und Pflichten. (Vgl. die Kleruchien , S. 91.) Die Zahl dieser Stadte stieg allmahlich auf 32. (3) Municipien. Ihre Burger hatten commercium und conubium mit Rom, aber sie besafien nicht das jus suffragii und jus honorum, hatten daher hauptsachlich nur die Lasten der romischen Burger. 1 Hor. sat. II, 14: horrentia piliš agmina. Das pilum wurde zunliclist, nur bei den beiden ersten Reihen eingefiihrt. 2 Ubi Romanus vieit, ibi etiam babitavit, sagt Cicero. 208 Die Romer. Die Geschiehtschreiber nennen diese Stadte civitates sine suffragio. Sie unterstanden dem romischen Priitor, der als seine Stellvertreter praefecti jure dicundo dahin entsandte, weshalb diese Gemeinden audi praefecturae genannt wuvden. Sie erhielten nach und nach das volle romische Biirgerrecht. b) Die Stellung der Bundesstadte, deren Zalil iiber 100 betrug, war durcb einen Vertrag (foedus) geregelt, der ihre Selbstandigkeit anerkannte und das Maji ihrer Leistungen bestimmte. Die Anerkennung der Selbstandigkeit scbloss Befreiung vom Legionsdienste gegen Stellung von Hilfstruppen oder Scbiffen, eigene Verwaltung und Gericbtsbarkeit in sich. Nur wenigen Bundesstadten wurde die volle Souveriinitat gewiihrt; in der Regel mussten sie sich die Beschrankung gefallen lassen, in ein Vasallitats-Verbitltnis zu Rom zu treten. 1 Die illtesten Bundesgenossen sind die Latiner und die von diesen ge- 38. griindeten latinischen Colonien. Nacb 338 legten die Romer mit tbeil- weiser Heranziehung von roinischen Bttrgern latinische Colonien an; da jeder Bundesgenosse daran theilnehmen konnte, so trugen diese Colonien wesentlich zur Hebung des Gemeinsinnes im ganzen Staats- wesen bei. Es lassen sich im ganzen 39 latinische Colonien nachweisen. Stellung Roms als Oberhaupt Italiens. Italien bildete keinen einheitlich venvalteten Staat in modernem Sinne, sondern die Stadt Rom stand an der Spitze eines Bundes von hauptsachlicli stadtischen Gemeinden. Dem Haupte war die auBere Politik, der Oberbefehl im Kriege, die Aufrechthaltung des Friedens zwischen den einzelnen Stadten sowie die Schlichtung der inneren Streitigkeiten vorbehalten. Das unmittelbar romische Gebiet umfasste ungefahr ein Viertel des Landes und mag sich, von den Colonien abgesehen, nordlieh bis Caere, ostlich bis an den Apennin, siidlich bis und iiber Formiae erstreckt haben, ohne dass alle Stadte innerhalb dieser Grenzen volles Biirger- reclit hatten. Rom hat die Bundesgenossen durch Forderung von Truppen und Kriegsschiffen rueksichtslos ausgenutzt, niemals aber ihnen einen Tribut auferlegt (Gegensatz zu Athen). Durch die ver- schiedene Stellung der einzelnen Gemeinden zu Rom und die dadurch entstandenen Eiferstichteleien unter ihnen beherrschte die Stadt sie alle leicliter (divide et impera!); durch die Begiinstigung der aristo- kratischen Einrichtungen waren die Beamten iiberall auf Seiten Roms. Wie fruher den Latinern, stieg auch der ervveiterten Bundes- genossenschaft gegeniiber die Macht Roms mchr und melir. So wurde 1 Populi Romani majestatem comiter conservare. Cul tur. 209 den Bundesgenossen das Recht der Silberpragung genommen, seit um den Beginn der punischen Kriege Rom zur Silberwiihrung iibergieng; es schloss sicli dabei der herrschenden attischen Wahrung an und setzte den Denar 1 der Drachme (etwa 45 kr.) gleicli. 3. Finanzvvesen. a) Einnahmen. Solange Rom um den Besitz Italiens kiimpfte, musste es seine finanziellen Krafte bis aufs auGerste anspannen. Die Einnahmen des Staates zerfielen in vectigal (die Haupteinnahme) und tributum. Unter ersterem verstand man sammt- liches Einkommen vom Sčaačseigenthume, das damals nur im Er- triignisse vom Staatsgrundbesitze (ager publicus) bestand. Das letztere, eine auGerordentliche Vermogenssteuer, die namentlich in Kriegszeiten eingehoben wurde, war die Steuer vom Praaieigentliume (S. 181). b) Ausgaben. Diese betrafen damals hauptsachlich die Kosten fiir den Cultus, die im Gegensatze zu den Griechen in Rom der Staat ttbernahm, fiir das Bauwesen (StraGen, Wasserleitungen) und den Sold der Soldaten; die Ehrenamter waren unbesoldet, und den Unterricht iiberlieG der Staat ganz der Privaterziehung. 4. Beschaftigung, Sitten und Charakter der Romer. Die Grundlage der Volkswirtschaft war der Ackerbau, der nebst der Vieh- zucht auch spater allein als des vornehmen Freien wiirdige Arbeit galt; 2 Handwerk und Lohngewerbe war hauptsachlich in Hiinden der Sclaven und Freigelassenen. Die Romer dieser Zeit zeichnet groGe Einfachheit und Recht- schaffe/nheit aus; Beispiele hiefilr sind: L. Quinctius Cincinnatus, der vom Pfluge weg in einem Kriege gegen die Aquer (Mitte des 5. Jahrh.) zur Dictatur berufen wurde; M.’ Curius Dentatus (S. 203), der am Herde safi und Riiben verzehrte, als die Samniten des Friedensschlusses wegen zu ihm kamen; C. Fabricius, den Pyrrhus weder durch Versprechungen noch durch Drohungen fiir sich ge- winnen konnte. Die Einfachheit aufierte sich damals auch im JJnter- richte, der wohl nur dic Kenntnis des Lesens, Schreibens und Rechnens vermittelte; die Gymnastik bildete keinen wesentlichen Theil der Er- ziehung. Fiir das Staatsleben wurde der romische Jiingling durch den Besuch des Forums und der Gerichtsverhandlungen herangebildet, der mit der Annahme der toga virilis im 15. oder 16. Lebensjahre begann. 1 Der Denar ist gleicli 10 reducierten Assen (S. 182) = */ 72 des romisclien Pfundes. 2 Cie. de off. I, 42, 150: opifices omnes in sordida arte versantur nec enim quidquam ingenuum habere potest officina. Zoelio, Ge8clncbte dos Altex*tlium8. 14 264 — 133. 264 — 201. 9. Jahrh. 210 Die Romer. Im Gegensatze zu dem leichtlebigen Griechen ist der Romer ernst (gravis) und etwas schwerfallig, iiberaus iingstlich in religiosen Dingen, in politischer Beziehung conservativ nach Bauernart. Daber steht ihm die Autoritat hoher als die Freiheit, und kennt er den Verrath am Vaterlande, der in der griechischen Geschiehte wiederbolt vorkommt, kaum. Durcb diese Eigensebaften waren die Romer zur Herrschaft berufen. Die Kehrseite dieser guten Eigenschaften ist, dass sie keine Anlage zur Literatur und Kunst besafien — die Schau- spielkunst galt geradezu als unehrenhaft — auf welchen Gebieten sie von den Griechen vollig abhapgig wurden. Z\veiter Abschnitt. Vom Beginne der punischen Kriege bis zimi Auftreten des alteren Gracchen, 264 bis 133. Bliitezeit der Republik, Ausbreitung der romischen Herrschaft uber das Mittelmeer. I. Begriindung der Weltlierrschaft. A. Kriege im Westen. Rom und Carthago, 264 bis 201. 1. Aus der alteren Geschiehte Carthagos. Grundung Carthagos. Nadi der Sage floli im 9. Jahrhunderte die Konigstochter Dido aus Tjrus und griindete in der Nalie des jetzigen Tunis die Stadt Carthago = Neustadt, welche, dank ihrer vortrefflichen Lage (nahe der friiheren Miindung des Bagradas, in der reichsten Getreidelandschaft Nordafriltas, mit dem besten natiir- licben Hafen im Golfe von Tunis, gegeniiber Sicilien), rasch aufbliihte und, nachdein die Phonicier im O. langst von den Griechen zuriick- gedriingt worden waren, die erste Seemacht im ivestlichen Becken des Mittelmeeres wurde. Ausbreitung der Macht Carthagos. a) Zu Lande. DieCarthager dehnten allmahlich ihre Herrschaft uber die game Nordkiiste Afrikas von der Westgrenze Cjrenaicas bis zur Meerenge von Gibraltar aus und gewannen dartiber hinaus die Herrschaft uber die Westkiiste Afrikas bis iiber die canarischen Inseln nach Stiden. Die einheimische Bevolkerung, die hamitischen Libyer (S. 4), wurden zinspfliehtig gemacht und in bestiindigen Kampfen die carthagische Herrschaft auch landeinwarts iiber das heutige Gebiet von Tunis ausgedehnt. Auch die theils von den Phoniciern selbst, theils von den Carthagern an der Nordkiiste Afrikas gegrtindeten Colonien wurden unterworfen; nur Utica bewahrte eine Art Selbstiindigkeit. Kom und Carthago. Žil b) Zur See. Wie die Phonicier des Mutterlandes, legten aucli die Carthager iiberseeische Colonien an und breiteten dann ihre Herr- scbaft iiber Sardinien, Corsica, das westliche Sicilien, einige kleinere Inseln des westlichen Mittelmeeres (z. B. Malta ) und das siidliche Spanien aus. Das Streben, sich ganz Siciliens zu bemachtigen, ver- wickelte sie in Kriege mit den Griechen daselbst, wodurch der Sturz Carthagos vorbereitet wurde. Kampfe mit den Griechen. Auf Sicilien war die machtigste Stadt das dorische Sgracus, der Vorort des Hellenismus im Westen, wie Alexandria iin Osten, das im 4. Jahrliunderte unter zahlreichen Verfassungsanderungen litt, welche bald die Tyrannis, bald die demo- kratische Republik herbeifiihrten. Durch die gliickliclie Abwehr der Athener in seinem Selbstbeivusstsein geboben, strebte es gleich den Carthagern nach der Seeherrschaft. Es iibernahm die Fiihrung der siciliscben Griechen gegen die Carthager, als diese im Jahre 480, 480 zur selben Zeit, als auch die Griechen des Mutterlandes den Angriff des Morgenlandes abzuwehren hatten, den Angriff auf die sicilischen Griechen eroffneten. Diese Kriege, welche mit zwei liingeren Unter- brechungen bis zum Jahre 275 (Eingreifen des Pyrrhus) dauerten, 275 wurden mit tvechselndem Erfolge gefiihrt, doch behauptete Syracus im 4. Jahrhunderte unter der Anftihrung des Tyrannen Dionysius des Alteren, dann des Corinthers Timoleon, der den Tyrannen Dionysius den Jiingeren gestiirzt hatte, das Ubergewicht. Dagegen misslang der Versuch des Agathocles, der sich als Solin eines Topfers mit Hilfe seiner Soldner einige Jahrzehnte vor Pyrrhus zum Tyrannen von Syracus emporgeschwungcn hatte, Carthago zu erobern, und nach dem Abzuge des Pyrrhus kam Sicilien, mit Ausnahine der Gebiete von Messana und Svracus, in die Hande der Carthager. 2. Innere Verhaltnisse Carthagos. Politische Zustande. a) Verfassung. Die Verfassung war oli- garchisch, da die reichen Kaufherren den Staat fast unbeschrankt regierten. Die laufenden Geschafte erledigte der Bat h der Alten, der, almlich der spartanischen Gerusia, einschliedich der beiden jahrlich geiviihlten Konige (Sufetten = Richter, S. 26), 30 Mitglieder zahlte. Die eigentlich entscheidende liehorde war die Korperschaft der Hundert (genauer 104) Mdnner, welche, wie das spartanische Ephorat, zur Beschrankung der koniglichen Gewalt eingesetzt worden war. Das Collegium der Hundert, welelies die Vertretung der adeligen Familien 14 * 212 Die Romei*. bildete und sicli selbst erganzte, konnte sogar die Konige mit dem Tode bestrafen. Das Volk seheint sehr wenig Einfluss gehabt zu haben. Wie jede Oligarchie, war auch die carthagiscbe sehr eifersuchtig auf ihre Machi, sie misstraute daber dem Volke wie den Beamten, nament- licb einem siegreicken Feldherrn, und scheute sicli, im Kriege die iiutSersten Anstrengungen zu wagen. b) Verhaltnis zu den Bundesgenossen und Unterthanen. Carthago behandelte sie hart, liatte sie ihrer Selbstandigkeit ganzlich beraubt und drilckte sie mit Abgaben, so dass sie durch den Stui’z der regie- renden Stadt nur gewinnen konnten. Militarische Einrichtungen. Carthago war im Gegensatze zu Rom eine Seemacht, die grol3te der damaligen Zeit. Die Kriegsflotte bestand zumeist aus Fiinfruderern (Penteren). Die Landmacht bestand aus leichten libyschen Reitern, balearischen Schleuderern und aus- landischen Sbldnern, da die Cartliager und ihre Bundesgenossen dem Kriegsdienste abgeneigt waren. Wahrend die Hauptstadt stark befestigt war, waren alle iibrigen Stadte ihrer Mauern beraubt. Finanzielle Verhaltnisse. Wahrend in politischer und milita- rischer Hinsicht die Romer entschieden tiberlegen waren, ubertraf das Einkommen des carthagischen Staates, welches Herodot dem des per- sischen Konigs vergleicht, das des romischen beiweitem. Freilich musste im Falle eines langeren Krieges die Haupteinnahmsquelle, die Schiffszolle, nahezu versiegen. So waren Rom, das damals noch uberwiegend ein Ackerbau- staat war, und Carthago, in wclchem trotz bedeutender Plantagen der Handel eine wichtige Rolle spielte, einander ebenbiirtige Gegner (vgl. Athen und Sparta im peloponnesischen Kriege). 264 — 241 . 3. Der erste punische Krieg, 264 bis 241. Ursache. Als die Romer nach dem Abzuge des Pyrrhus ihre Herrschaft tiber ganz Italien ausgedehnt hatten, geriethen sie mit Carthago, aul3er Rom dem einzigen selbstandigen und herrschenden Staate im westlichen Mittelmeere, infolge gegenseitiger Eifersucht in Widerstreit. Rom vertrat die abendlandische Culturwelt, Carthago gehorte dem orientalischen Systeme an, das von den Griechen, mit denen die Romer innig verbunden waren, stets bekampft worden war. Veranlassung. Die Veranlassung zum ersten punischcn Kriege (punisch der romische Ausdruck fiir phonicisch) bot die Annahme des Hilfegesuches der Mamertiner (vom oscisclien Mamers = Mars) durch Der erste punische Krieg. 213 die romische Volksversammlung. Diese campanischen Soldner, welche aus dem sjracusischen Dienste entlassen waren, hatten sich Messanas bemachtigt und wurden, da sie von dort aus Beuteziige unternahmen, von dem Kdnige lliero von Syracus bekriegt und in Messana ein- geschlossen. In ihrer Bedrangnis wendeten sie sich an die Romer um Hilfe, welche diese gewahrten, damit die Stadt nicht in die Hande der Carthager fiele; doch besetzten diese noch vor dem Eintreffen der romischen Hilfe Messana. Der Schauplatz des Krieges war hauptsach- lich Sicilien, dessen Besitz schon wegen seiner Lage fiir eine italische wie fiir eine am afrikanischen Glegengestade herrschende Macht von der groOten Wichtigkeit war. Verlauf des Krieges. a) Landkrieg auf Sicilien, 264 bis 260. 264 — 260. Nach den ersten Erfolgen der Romer, welche Messana eroberten, schlug sich Hiero auf ihre Seite; er blieb zeitlebens ein treuer Bundes- genosse derselben. Da die Romer keine groOere Seemacht besaBen, wurde der Krieg zu Lande gefuhrt. Das wichtigste Ereignis war die Einnahme Agrigents, der starksten carthagischen Stadt auf der Insel; doch behaupteten die Carthager ihre Seefestungen, weshalb die Romer sich zur Erbauung einer Kriegsflotte entschlossen. b) Land - und Seekrieg auf Sicilien, 260 bis 256. Obwohl Italien 260 — 256. das Seewesen vernachlassigt hatte (es gab hier noch keine Penteren), erbauten die Romer doch mit bewunderungswiirdiger Thatkraft in 60 Tagen eine starke Flotte, welche sie besonders mit Bundesgenossen, spater mit Sclaven bemannten. Da die Taktik zur See damalš vor allem im Ubersegeln der feindlichen Schiffe bestand, hatten die Kriegs- schiffe viel mehr Ruderer als Soldaten. Der romische Consul C. Duilius erfocht bei Mglae 260 mit Hilfe der Enterbriicken (corvi) den ersten 260. romischen Seesieg. Da aber der Landkrieg auf Sicilien keinen beson- deren Erfolg hatte, beschloss der Senat, Carthago in Afrika anzu- greifen. Mit einer Flotte von 330 Schiffen fuhr der Consul M. Attilius Regulus nach Afrika, von wo jedoch der groflte Theil der Scliiffe und des Heeres im Auftrage des Senates sogleich wieder zuriickkehrte. c) Landkrieg in Afrika, 256 und 255. Nachdem die Versuche 256 u. 255. der Carthager, den Frieden zu erlangen, an den hohen Forderungen der Romer gescheitert waren, riisteten sie sich mit aller Kraft und warben den tiichtigen spartanischen Soldnerfiihrer Xanthippus an. Dieser siegte in der Ebene bei Tunes, dank der Uberlegenheit an Reiterei, iiber Regulus, welcher vermuthlich in carthagischer Kriegs- gefangenschaft starb; die Erzahlung von seinem qualvollen Tode ist 214 Die Romer. erdichtet. N ur 200 Mann retteten sicli an die Kttste und wurden von einer romischen Flotte abgeholt, welche aber auf der Riickfahrt durch einen Sturm groBtentheils zugrunde gieng (255). d) Sicilien tvieder der Schauplatz des Land- und Seekrieges, 254 — 241. 254 bis 241. Die Carthager ergriffen jetzt von Lihjbaeum aus die Offen- sive, die Romer, welche abermals infolge eines Sturmes die Halfte der Flotte eingebiiCt hatten, erfochten vor Panormus (Palermo) zu Lande einen glanzenden Sieg, \vobei sie den grofiten Theil der Ele- phanten, der Hanptstarke ihrer Feinde, gefangen nahmen, wahrend die Versuche der Romer, den Carthagern mittelst einer neu erbauten Flotte ihre letzten Stiitzpunkte Drepana und Lilybaeum zu entreifien, theils durch gluckliche Kampfe der Carthager, theils infolge eines Sturmes scheiterten. Nachdem die Romer vier grofie Flotten verloren hatten, entsagten sie dem Seekriege und beschrankten sich auf die Beobachtung der feindlichen Festungen. Auch die Carthager be¬ schrankten sich nun — zu ihrem Verderben — auf den kleinen Krieg, 247. welchen seit 247 der tiichtige Hamilcar Barcas leitete, der die beiden Berge Eirkte (bei Palermo) und Eryx besetzte, von wo aus er Streif- ziige in die Umgegend unternahm. Beide Staaten waren infolge des langen Krieges erschopft. 1 Da der . Senat unthatig blieb, entschloss sich eine Anzahl patrio¬ ti scher Manner, eine neue Flotte zu bauen und sie dem Staate zur Verftigung zu stellen. Der Consul C. Lutatius Catulus besetzte die Hafen von Drepana und Liljbaeum und schlug die zum Entsatze heran- 241. segelnde carthagische Flotte bei den aegatischen Inseln 241, worauf Hamilcar unbedingte Vollmacht erhielt, Frieden zu scldiefien. Die Friedensbedingungen waren: Die Carthager mussten auf Sicilien und die ihnen gehorigen Inseln zwischen Sicilien und Italien verziehten (Hiero behielt sein Gebiet), die romischen Uberlaufer ohne Losegeld ausliefern und 3200 Talente 2 Kriegskosten zahlen. DieRiimer hatten gegen 700, die Carthager gegen 500 Penteren verloren (groCer Patrio- tismus der Romer). Ergebnis. Die Romer gewannen die erste iiberseeische Besitzung oder Provinz und brachen das Vbergetcicht der Carthager zur See. 1 Vgl. Polyb. I, 58: dl T£ Ttojiatoi xa\ Kapyy)S6vioi 7.ap.vovxe<; — T7jv 8uvaij.tv 7rap£X^Xuv~o. — Pol. I, 63 heifit der Krieg: 7uoXuy_povttoTaTO(; xa\ auv£y icrzazos xat p.£ytcjTO(;. 2 In der romischen Geschiclite sind stets attische Talente gemeint. Erwerbung-en der Romer. — Der zweite punische Krieg. 215 4. Ervverbungen der Romer in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten punischen Kriege, 241 bis 218 (Sardinien, Corsica, lilyrien, cisalpinisches 241 — 218. Gallien). a) Ervverbung Sardiniens und Corsicas. Als in Carthago un- mittelbar nacli dem Ende des ersten punischen Krieges wegen Riick- standcs des Soldes der drei Jahre wahrende Soldnerkrieg ausbrach, welcher mit groOer Grausamkeit gefuhrt und nur mit groBer Mtihe von Hamilcar Barcas unterdriickt wurde (40.000 Siildner lieI3en die Carthager von Elephanten zerstampfcn), bemachtigten sich die Romer, die Verlegenheit der Carthager benutzend, Sardiniens und Corsicas, beschrankten sich aber, wie die Carthager, auf die Besetzung der Kiistengegenden (zweite romische Provinz). b) Besetzung einiger Punkte Illyriens(= Dalmatien, Bosnien, Albanien). Infolge eines zweimaligen siegreichen Kampfes gegen die seerduberischen Illyrier (229 und 219), besetzten die Romer einige 229 u. 219. Stadte und Inseln Illyriens, namlich Apollonia, Epidamnus und Corcyra und legten dadurch den Grund zur spateren Provinz Illyrien. Durch diese Kriege wurde die angestrebte Sicherung der Kiisten Italiens erreicht. c) Ervverbung des cišalpinischen Gallien, 225 bis 222. Die 225 — 222. Gallier, welche da.s Land zvvisehen den Apenninen und den Alpen bewohnten, zerfielen in mehrere Stamme, von denen die Bojer und die Insubrer die machtigsten waren. Den Krieg begannen die Celten, um dem Vordringen der Romer Einhalt zu thun. Die Romer cnt- schieden den blutigen Krieg (in der Schlacht bei Telamon wurden 40.000 Gallier getodtet) durch die Erstilrmung von Mediolanmn und sieherten sich den Besitz der Provinz Gallia cisalpina durch die Anlage der starken Colonien Placentia und Cremona. Es war fur die Rbmer selir vrichtig, dass Oberitalien in ihren Hiinden war, als Hannibal daselbst erschien. 5. Der zweite punische (Hannibalische) Krieg, 218 bis 201. 218 — 201. Veranlassung. Zum Ersatze tur den Verlust Siciliens und Sar¬ diniens begann Hamilcar Barcas im Jahre 236 die Eroberung Spaniens, 236. das reich an Bergwerksscha,tzen war und dessen abgehartete Bevol- kerung tiichtige Soldaten lieferte. Was er gliicklich begonnen, setzte nacli seinem Tode sein Schwiegersolm Iiasdrubal fort, der Carthago nova (Cartagena) griindete und die Eroberungen bis an den Ebro ausdehnte. Um 226 schlossen die Romer mit Saguntum (jetzt Mur- Um 226. viedro) ein Bundnis und verstiindigten hievon Hasdrubal, der bereits 216 Die Komer. versprochen hatte, die Eroberungen nicht iiber den Ebro auszudehnen. 221. Als er durch Meuchelmord gefallen war, tibernahm 221 sein Schwager, der 29jahrige Hannibal, Roms grofiter Feind, das Commando in Spanien. Schon als Knaben hatte ihn sein Vater ewigen Hass gegen die Romer schworen lassen; er war von Jugend auf ans Lagerleben gewohnt, der Liebling der Soldaten, abgehartet, einer der groBten Feldherren der Geschichte, ein bedeutender Staatsmann, 1 2 unerschopf- licli an Kriegslisten aller Art. Nach achtmonatlicher Belagerung eroberte er Sagunt (Roma deliberante Saguntum periit), worauf die Romer, da die Cartbager die Auslieferung Hannibals verweigerten, den Krieg erklarten und beschlossen, die Carthager in Spanien, wohin sie den Consul P. Cornelius Scipio schickten, und von Sicilien aus in Car- thago anzugreifen; die letztere Aufgabe erhielt der Consul Ti. Sem- pronius Longus. Hannibals schnelles und erfolgreiches Vorgehen ver- eitelte diesen Kriegsplan — einer der groBten strategischen Erfolge, die je vorgekommen sind. Der Ausgang des Krieges musste iiber das Schicksal des Westens und Ostens entscheiden; es ist ein welthisto- rischer Krieg er sten RangesS Verlauf des Krieges. — 216. I. Hannibals ununterbroehener Siegeszug, 218 bis 216. 1. Ubergang iiber die Pyrenaen und Alpen. Im Friihjahre 218 bracb Hannibal, nachdem er seinen Bruder Hasdrubal z um Comman- danten in Spanien bestellt hatte, mit einem fast ganz aus carthagischen Unterthancn — nicht mehr Soldnern — gebildeten Heere von Carthago nova auf, uberschritt den Ebro und untervvarf die Volkerschaften bis zu den Pyrenften, welche er nahe ihrem Ostende mit 50.000 Mann FuDvolk und 9000 Reitern uberstieg. Theils durch Unterhandlungen, theils durch Kampfe bahnte er sich den Weg durch das siidliche Grallien, uberschritt, indem er die Gallier tiiuschte und dem Consul P. Cornelius Scipio, der nach seiner Landung in Massilia von Hanni¬ bals Zug Kenntnis erhalten hatte, zuvorkam, bei Avignon die Rhone, uberstieg, vvahrscheinlieh den kleinen St. Bernhard (daneben kann nur noch der Mont Genevre in Betracht kormnen) beniitzend, unter groBen Schwierigkeiten (Feindseligkeiten der Bewohner, Unbilden der 1 Liv. XXI, 4: plurimum audaciae ad pericula capessenda, plurimum consilii inter ipsa pericula erat. 2 Liv. XXI, 1: bellum maxime omnium memorabile, quae unquam gesta sunt. Der zweite punische Krieg. 217 Witterung — es war September — Mangel einer gebahnten StraBe) in fiinfzehn Tagen die Alpen und erschien mit noch 20.000 Mann FuBvolk, 6000 Reitern und einigen Elephanten — fiinf Monate nach seinem Abmarsche von Carthago nova — in Oberitalien, wo sich mebrere celtische Stamme ihm anschlossen. Die Romer mussten nun den Krieg defensiv ftihren. 2. Der Krieg bis 216. P. Cornelius Scipio hatte seinen Bruder Cnaeus mit dem grofieren Tbeile des Heeres nach Spanien geschickt, mit dem Reste kehrte er nach Italien zuriick, um Hannibal entgegen- zutreten. Bevor noch der vom Senate zuriickberufene Ti. Sempronius Longus eingetrofFen war, liefi sich Scipio mit Hannibal am Ticinus in ein Reitertreffen ein (218), worin er besiegt und schwer verwundet 218. wurde. Der Rest seines Heeres vereinigte sich mit den inzwischen eingetrofFenen Truppen des zwe.iten Consuls, der sich durch Hannibal verleiten lielB, die angeschwollene Trebia zu durchschreiten und hier noch 218 vollstandig geschlagen wurde; Placentia nahm die Triimmer 218. des geschlagenen Heeres auf. Die Gallier schlossen sich jetzt allent- halben dem Sieger an, der Vormarsch nach Mittelitalien war ermoglicht. Die beiden Kunststrafien, welche nach Rom fiihrten und von denen die westliche (via Cassia) damals bei Arretium, die ostliche (via Flaminia) bei Ariminum endete, suchten die Consuln des Jahres 217, C. Flaminius 1 und Cn. Servilius, zu decken. Hannibal umgieng die Stellung des Flaminius und zog mit groBen Verlusten nahe der Westkuste Etruriens vier Tage und drei Nachte lang durch das iiber- schwemmte Arnothal in den Riicken des Flaminius. Dieser eilte Hanni¬ bal nach und liefl sich, von ihm in einen Hinterhalt gelockt, noch bevor sein College hatte zu Hilfe kommen konnen, am trasimenischen See (See von Perugia) in eine Schlacht ein (217), in welcher er voli- 217. stiindig geschlagen und getodtet wurde. Etrurien war verloren. Hanni¬ bal zog jetzt nicht nach Rom, wo die Centuriat-Comitien Q. Fabius Maximus zum Dictator wdhlten, sondern nach Apulien , um die romischen Bundesgenossen, besonders die sabellischen Stamme, zum AbFalle zu bewegen, freilich zunachst ohne ErFolg, da keine Stadt ihm die Thore ofFnete. Der Dictator vermied jede Hauptschlacht, wohingegen Hannibal trachtete, durch neue Siege das Feste Geftige der BundesgenossenschaFt zum Wanken zu bringen, begleitete aber Hannibal, wiihrend dieser 1 Liv. XXII, 3: Consul ferox ab consulatu priore et non modo legum aut patrum majestatis sed ne deorum quidem satis metuens. , 218 Die Romer. in der Ebene zog, auf den Hohen, um ihn vramoglich einzuschlieGen; aucb rettete sich Hannibal einmal ani Voiturnus, wohin er, um das machtige Capua zu gewinnen, gezogen war, nur durch eine List, woran er niemals verlegen war. Den Winter musste er im Freien in Apulien zubringen. Die richtige Strategih des Fabius, der als Cunctator verspottet wurde, erregte in Rom, wo trotz der groflen Bedrangnis der Hader zwischen Senat und Volk niclit ruhen wollte, Unzufriedenlieit, und das Volk wiinschte eine entscheidende Selilacbt. Fiir das Jahr 216 wurden L. Aemilius Paullus und C. Terentius Varro zu Consuln gewahlt, von denen der letztere, der Candidat des Volkes, zur Entscbeidung drangte. Hannibal, 50.000 Mann stark, vernichtete, namentlich mit Hilfe seiner uberlegenen Reiterei, das 86.000 Mann starke romische 216. Heer bei Cannae (216) vollstiindig; der weitaus groI3te Thcil des Heefes del, darunter auch Aemilius Paullus. 1 Nun traten die meisten Stiidte der Bruttier und Lucaner, die Samniten und die Stadt Capua zu Hannibal ilber (die Griechen und die Latiner blieben treu), Carthago schickte Hilfe naeh Spanien gegen die beiden Scipionen, Philipp III, von Macedonien und Sgracus, wo Hiero gestorben war, scblugen sich auf Seite des Siegers. In Rom horte der innere Hader auf, dank dem versohnlichen Auftreten des Senates, der das Friedens- angebot Hannibals ablehnte. Freilich verleitete die 'Aufregung und der Aberglaube die Romer damals, Menschen zu opfern (Liv.XXII, 57); ein Gallier und eine Gallierin, cin Grieche und eine Griechin wurden lebendig auf dem Forum boarium begraben. Hannibal beherrschte nun den Suden Italiens bis zum Voiturnus und Mons Garganus; doch reichten seine Streitkrafte — etwa 40.000 Mann — nicht aus, um dieses Gebiet zu decken, sich gegen die romisehen Festungen zu schiitzen und den Offensivkrieg weiter zu fiihren; auch waren die Romer jetzt klug genug geworden, ihre tiichtigsten Feldherren, M. Claudius Marcellus («das Schwej’t Roms») und C. Fabius Maximus («den Schild Roms»), bis zu ihrem Tode an der Spitze der Heere zu lassen. 216 — 211. II. Zeit des schwankenden Kriegsgliickes, 216 bis 211. 1. Der Krieg in Italien. Hannibal zog nach der Schlacht bei Cannae nach Campanien, besetzte Capua, was die Romer nicht zu verhindern vermochten, und uberwinterte daselbst. Es gelang Marcellus, 1 Liv. XXII, 50: pugna Carmensis, Aliensi cladi nobilitate par. Der z\yeite punische Krieg 1 . 219 Hannibal ztveimal bei Nola zu schlagen (216 und 215), worauf dieser 216 u. 215. nach Apulien zog, um die zu ihm abgefallenen Bundesgenossen vor den Romern zu schiitzen. So wurde Hannibal, der vergebens auf IJnterstiitzung von aufien her wartete, in die Defensive gedrdngt, der Krieg in Italien loste sicb in Festungskampfe und Streifziige auf und trat in seiner Bedeutung zuriick hinter den Kriegen auf den Nebenschauplatzen Spanien, Griechenland und Sicilien. Der bedeu- tendste Erfolg Hannibals war die Enverbung Tarents (212), wogegen 212. die Romer 211 Capua, seinen Hauptvvaffenplatz, eroberten, nachdem 211. Hannibal vergebens die Stadt, zuerst durch den Angriff auf das romische Belagerungsheer, dann durch einen Zug gegen Rom (Hannibal ante portas!) zu entsetzen versucht hatte. Capua wurde tiberaus strenge bestraft; der ganze ager Campanus wurde eingezogen und die Stadt als Gemeinde vernicbtet. 1 Da um dieselbe Zeit die beiden Scipionen in Spanien gefallen, dagegen Syracus erobert war, so erscheint das Jahr 211 als ein Wendepunkt des Krieges. Die grofite Gefahr war 211. filr Rom voriiber, Rom und Carthago standen sich jetzt gleich. 2 Dieses Resultat wurde hauptsachlich durch den Verlauf der Dinge auf den Nebenschauplatzen herbeigefuhrt. Der Krieg wurde jetzt ein Weltkrieg. 2. Die Kriege auf den Nebenschauplatzen. a) In Sicilien er- oberte M. Claudius Marcellus das von Archimedes vertheidigte Sgracus (212), die machtigste Festung des griechischen Alterthums, das ge- 212. plundert und seiner Kunstschatze theilweise beraubt wurde. Die Truppen, welche die Carthager nach Sicilien schickten, konnten nicht verliindcrn, dass 210 die ganze Insel im Besitze der Romer war. 210. b) Philipp III. von Macedonien fiihrte den Krieg mit den Romern (215 bis 205) in lassiger Weise. Filr die Romer bekampfte hauptsachlich 215— 205. der iitolische Bund den Konig, der nicht dazu kam, Hannibal zu unterstiitzen. Im Jahre 205 wurde im wesentliehen der frlihere Zu- stand wieder liergestellt. c) Am wichtigsten waren filr den Ausgang des ganzen Krieges die Kiimpfe in Spanien, der carthagischen Rustkammer, die den Charakter eines endlosen Streifscharen- und Festungskrieges hatten. Die beiden Brtider Cn. und P. Cornelius Scipio drangten Iiasdrubal, 1 Liv. XXVI, 16: Confessio expressa bosti, quanta vis in Komanis ad expe- tendas poenas ab infidelibus sociis et quam niliil in Hannibale auxilii ad receptos in fidem tnendos esset. 2 Liv. XXVI, 37: Ita aequante fortuna snspensa orania utrisque erant integra spe, integro metu, velut illo tempore primum bellum ineiperent. 220 Die Romer. der deshalb trotz der Unterstiitzung von Carthago nicht nach Italien ziehen konnte, immer weiter nach dem Silden zuriick und eroberten fast ganz Spanien, fielen aber, nachdem sie ihre Streitkrafte getheilt 211. hatten (2.11), worauf der 27jahrige gleichnamige Sokn des P. Cornelius - Scipio, ein hochbegabter, edler und gebildeter Mann, durch Beschluss des Volkes, das mit einer religiosen Scheu 1 zu ihm aufblickte, das Commando in Spanien erhielt. Dieser vollendete die Eroberung des 206. carthagischen Spanien (206), nachdem es Hasdrubal gelungen war, iiber die Pyrenaen zu entkommen. — 207. IH. Hannibals Niedergang, 211 bis 207. Hannibal, friiher der stiirmische Angrcifer, zeigt jetzt die gleiche Meisterschaft in zahester Defensive gegeniiber M. Claudius Marcellus, der nach Beendigung des Krieges auf Sicilien in Unteritalien com- mandierte, und Q. Fabius Maximus, der Hannibal durch Verrath Tarent entriss, worauf sich dieser in das Gebiet der Bruttier zuriickzog, wohin ihm die Carthager Hilfstruppen geschickt hatten. Wahrend demnach Rom in militarischer Beziehung entschieden das Ubergewicht erlangt hatte, war der Staat finanziell sehr herabgekommen; das ganze Land war verwiistet, und der Sold konnte nicht regelmafžig aus- gezahlt werden. Die meisten latinischen Gemeinden in Etrurien, Latium, im Gebiete der Marsen und im nordlichen Campanien er- 209. klarten dem Senate (209), dass sie keine Truppen melir stellen und keine Steuern mehr zahlen konnten. Da verbreitete sich die Schreckens- nachricht, dass Hasdrubal nach Italien gekommen sei. Die Romer riisteten 23 Legionen aus unter dem Commando der Consuln C. Claudius Nero und M. Livius Salinator, deren Haupt- aufgabe war, die Vereinigung der beiden Briider zu verhindern. Hanni¬ bal, der von der Ankunft seines Bruders Kunde erhalten hatte, riickte ihm nach Apulien entgegen, wo ihn Nero von einem Theile seines Heeres beobachten liefi, wahrend er mit dem ubrigen zur Verstarkung seines Collegen nach Norden zog. Hasdrubal, dessen an Hannibal entsendete Boten von den Rbmern gefangen wurden, verirrte sich 207. in Umbrien, wurde von den beiden Consuln am Metaurus (207) angegriffen und verlor Schlacht und Leben (schone Schilderung der Angst und dann der Freude bei Liv. XXVII, 50), worauf Nero 1 Liv. XXVI, 9: pleraque apnd raultitudinem aut per nocturnas visas species aut velut divinitus mente monita agens. Vgl. dagegen C. Flaminius. Cer zweite punische Krieg. 221 wieder nacli Apulien zog, wo der niclits ahnende Hannibal ruhig stehen geblieben war. Als er den Ausgang der Schlacht erfahren katte, 1 zog er sich ins Gebiet der Bruttier zuriiek. Rom war gerettet. IV. Der letzte Widerstand Hannibals in Unteritalien und die Entgcheidung in Afrika, 207 bis 201. Von nun an war Hannibal ganz auf' die Defensive angewiesen. Es ist ein Beweis seiner groOen Begabung, dass er sich in Bruttien noch vier Jahre hielt. Die Unterstiitzung, welche ihm seine Vater- stadt schickte, kam zu spat und war auch nicht ansgiebig genug. Der Krieg gerieth ins Stocken — nur zwei Schlachten bei Croton werden nocb erwabnt — bis P. Cornelius Scipio nach erfolgreicher Beendigung des Krieges in Spanien im Jahre 206 nacli Italien zuriick- kebrte. Er wurde fiir das nachste Jahr zum Consul gevvahlt und erbielt vom Senate die Erlaubnis, die ihm bewilligten Streitkrafte durch Anwerbung von Freiwilligen zu verstarken und sodann nach Afrika uberzusetzen, um den Krieg zur Entscheidung zu bringen. Nach seiner Landung in Afrika (204) schloss sich der ostnumidische Konig Masinissa, welchen die Carthager seines Gebietes beraubt hatten, an ihn an, wahrend der westnumidische Konig Syphax auf Seite der Carthager stand. Nachdem Scipio die Carthager zweimal besiegt undSyphax gefangen genommen batte, kniipften jene Eriedens- unterhandlungen an, auf welche Scipio eingieng, beriefen aber auch Hannibal zuriiek, der sich in Croton einschiffte und gliicklich in Afrika landete. Hiedurch ermutliigt, bradi die cartbagiscbe Kriegs- partei den mit den Romern abgeschlossenen Waffenstillstand. Ver- gebens suchte Hannibal nun bei einer Zusammenkunft mit Scipio, der sich unter Verwiistungen landeinwitrts gezogen hatte, mildere Friedensbedingungen zu erlangen; es kam zur Schlacht bei Zama (202), wo das Heer Hannibals vernichtet wurde. Die Carthager mussten sich den liarten Bedingungen der Romer fiigen (Liv. XXX, 37). Friedensbedingungen. Die Carthager mussten : 1.) Spanien und die Inseln im Mittelmeere abtreten; 2.) das Reich des Syphax an Masinissa iibergeben; 3.) 10.000 Talente Kriegskosten zahlen; 4.) die Gefangenen, die Flotte und die Elephanten ausliefern; 5.) sie durften von nun an aufierhalb Afrikas gar nicht, in 'Afrika nur mit Bewil- ligung der Romer Krieg fiikren. — Scipio erhielt einen glanzenden Triumph und den Ehrennamen Africanus (major). 1 Das Haupt Hasdrubals wurde den Vorposten Hannibals zngeworfen; Div. XXVII, 51: agnoseere se fortunam Carthaginis fertur dixisse. 207 — 201. 206. 204. 202 . 222 Die Romei*. Ergebnis. Carthago tvar als Grofimacht vernichtet, die latinisehe Kationa litat nahm einen bedeutenden Aufschwung anf Kosten aller tibrigen Volkerschaften Italiens. So waren die Celten geradezu dem Untergange geweiht, die Bruttier wurden rechtlos (dediticii) gemacht, d. h. sie verloren die communale Freiheit und das Waffenrecht, die wilden Ligurer wurden nach wiederbolten Kampfen unterworfen, die Veneter fiigten sich der romischen Herrschaft ohne Widerstand und wurden durch die Grtindung des festen Aguileia gegen die Einfalle der celtischen Alpenstiimme geschiitzt. Von Veneti en aus unterwarfen die Homer auch Istrien. Rom beherrschte nun das westliche Beclcen des Mittelmeeres, das bis zum Einbrucbe der Araber von Italien ab- biingig blieb. Italien war aber weithin vervriistet, der Bauernstand schwer geseliadigt, die Bevolkerung durch das lange Lagerleben entsittlicht. B. Kriege im Osten mit den hellenistischen Staaten Macedonien und 200 — 149 . Syrien. Erriehtung von Clientel-(Vasallen-) Staaten, 200 bis 149. Uberblick iiber die politische Lage im Osten. Aus der Monarchie Alexanders des Grofien waren drči Grofimachte hervor- gegangen: Macedonien (mit Griechenland), Sgrien und Aggpten, die beiden ersteren stark durch ilire Landmacbt, das letztere machtig zur See. Da diese drei Staaten, statt zusammenzuhalten, sich wiederholt bekampften oder doch einander eifersiiehtig beobacl.iteten, erleichterten sie den Romern durch Einmischung in ihre StreitigJceiten die all- mahliche Unterwerfung des Ostens. Fiir Macedonien insbesondere war es ein Verhangnis, dass es Griechenland nieht vollig zu beherrschen imstande war, fiir Griechenland ein Ungliick, dass der atolische und achaische Bund, welche beide nach der Hegemonie iiber das Land strebten, sich haufig bekampften und so in Verbindung mit den fort- wahrenden Biirgerkriegen in den einzelnen Stadten das Land zu keiner Ruhe kommen lieBen. Die kleineren hellenischen Staaten Per- gamum, Bithgnien, Rhodus hielten sich im Interesse ihrer Siclierhcit iiberwiegend zu Rom und reizten dieses wiederholt zur Bekampfung der Grofimachte. Verhalten der Romer gegeniiber diesen Verhaltnissen. Ohne dass die Romer eigentlich eroberungslustig waren, wurden sie zur Sicherung ihrer Herrschaft in Kriege mit dem Osten verwickelt, wobei sie sich der kleineren Staaten gegen die Grofimachte annahmen. Die Schonung des italischen Bauernstandes erheischte die Erhaltung Kampfe mit Macedonien und Syrien. 223 des Friedens, weshalb auch das Volk den Kriegen abgeneigt war. So lange Scipio lebte, begniigte man sieh im wesentlicben damit, diese Staaten zu romischen Clientelstaaten herabzudriicken, d. h. sie der riimischen Politik dienstbar zu machen; spiiter aber wurden sie in Pro- vinzen verwandelt zum Sehaden des italisclien Bauernstandes, weil wenigstens in einigen von ihnen Truppen zu ihrem Schutze unter- halten werden mussten. 1. Zweiter Krieg mit Macedonien, 200 bis 197. Die drei Veranlassungen waren der Hass der Romer gegen Pliilipp III. wegen šeines Anschlusses .an Hannibal, der Versuch Philipps, Agvpten die griechischen Seestadte in Kleinasien und auf den Cycladen zu entreilJen und der Krieg Philipps mit Pergamum, das im ersten Kriege mit Macedonien die Romer untersttitzt lmtte. Da die Romer den Krieg mit geringen Streitkraften unternahmen, waren die ersten Jahre erfolglos. Die Entscheidung fiihrte der Pro- consul (Consul mit verlangertem Imperium) T. Quinctius Flamininus durch den Sieg bei Cgnoscephalae (197) herbei, infolge dessen Pliilipp Frieden sehloss. Die Friedensbedingungen waren: 1.) Pliilipp musste alle ausvrartigen Besitzungen abtreten; 2.) er verpflichtete sicli, okne Genehmigung des rSmischen Senates keinen Krieg zu fiihren; 3.) er musste sein Heer auf 5000 Mann bescbranken und die Kriegsflotte ausliefern und 4.) die Kriegskosten zalilen. In Ausfuhrung des ersten Punktes erkliirte der Griechenfreund Flamininus auf den istlimiscken Spielen die Griechen fiir frei. Die Sage berichtet, dass die voriiberzielienden Vogel, vom Jubelgeschrei der Griechen betaubt, zu Boden gefallen seien. Die Freiheit mackte die Griechen so wehrlos, wie einst der Friede vom Jahre 387, denn nur in Macedonien konnten sie eine Stiitze gegen Rom finden. 2. Der Krieg gegen Antiochus III. von Syrien, 192 bis 189. Veranlassung. Antiochus, einer der tiichtigsten Seleuciden, ver- suchte, ahnlich wie friiher Pliilipp III., Agypten die asiatischen Be¬ sitzungen (in Cilicien und ganz Syrien) zu entreifien und bedrohte auch Pergamum und Rhodus. An seinem Hofe lebte damals Hannibal, der nach dem Ende des zweiten punischen Krieges an die Spitze der Vervvaltung Carthagos getreten war und den Staat in militarischer und finauzieller Beziehung wieder gehoben hatte, weshalb die Romer nicht ruhten, bis er seine Vaterstadt verlieB. Er und die Atoler, 200 — 197 . 197 . 192 — 189 . 224 Die KSmer. welche mit dem Ausgange des Krieges gegen Philipp unzufrieden waren, driingten zum Kriege. Verlauf des Krieges und Friedensbedingungen. Nachdem die Romer das Heer des Antiochus, welcher im Vertrauen auf die Angabe der Atoler, dass ganz Griechenland zum Kampfe gegen die Romer bereit sei, nach Griechenland iibergesetzt war, in den Thermopylen vernichtet hatten, setzten sie unter der Anfiihrung des L. Cornelius Sci-pio, den sein Bruder Africanus dem Namen nacli als Legat be- gleitete, der aber der eigentliche Feldherr war, nach Kleinasien liber (das erste romische Heer in Asien), wo Antiochus trotz seiner zwei- 190. fachen Ubermacht bei Magnesia (westlicli von Sardes) 190 vollstandig besiegt wurde. Die wichtigste Friedensbestimmung war (aufier einer Kriegskostenbezahlung von 15.000 Talenten) die Abtretung Klein- asiens westlich vom Halys und nordlich vom Taurus. Dieses Gebiet theilten die Romer unter ihre Bundesgenossen Rhodus und Pergamum so, dass ersteres den kleineren siidlichen, letzteres den groCeren nord- lichen Theil erhielt. Nie mehr liefi sich Syrien in einen Krieg mit Rom ein. Auch die Atoler mussten sich der romischen Oberhoheit unterordnen. Um 183. Der Tod Hannibals und Scipios (um 183). Hannibal, der nach dem Friedensvertrage hiitte sollen ausgeliefert werden, iloh nach Creta und dann nach Bithynien und vergiftete sich daselbst, als die Romer auf seine Auslieferung drangen. Scipio wurde von M. Porcius Cato der Unterschlagung von Staatsgeldern im syrisclien Kriege angeklagt. Da zerriss er vor dem Volke seine Rechnungsbiicher und forderte es auf, mit ihm den Jahrestag des Sieges von Zama im Juppitertempel zu feiern. Das Volk folgte ihm und gab dadurch seinem Unwillen iiber die Anklage Ausdruck; doch vcrliefi Scipio unmuthig Rom und starb bald darauf in Campanien. 171—168. 3. Dritter Krieg mit Macedonien, 171 bis 168. Peraeus, derSohn und Nachfolger Philipps, kniipfte Verbindungen mit den Rom feindliclien Stiidten in Griechenland sowie mit dem Konige Genthius des siidlichen Ilhjrien an und begann zum Kriege zu riisten, was die Romei' als Bruch des Friedens vom Jahre 197 betrachteten. Nachdem die ersten Jahre wegen Unfahigkeit der An- fuhrer und schlechter Disciplin im Heere fiir die Riimer erfolglos gewesen waren, beendete der tiichtige, unbestechliche und feingebildete Consul L. Aemilius Paullus, der Sohn des bei Cannae gefallcnen Krieg mit Macedonien; Unterwerfung Griechenlands. 225 Consuls, (len Krieg raseh durch den entscheidenden Sieg bei Pydna 168 (Ietzte groDe Schlacht der Phalanx). Audi Genthius wurde bald besiegt, beide Konige wurden gefangen genommen. Die Friedens- bedingungen waren: 1.) Macedonien wurde in vier Republiken auf- geliist, die kein Commercium und kein Conubium unter sicb baben durften und jahrlich 1000 Talente, die Halfte der bisherigen Abgaben, nach Rom entrichten sollten; 2.) Illgrien wurde in drei Republiken getheilt, womit tbatsachlich die Provinz Illyrien beginnt, welclie in fortgesetzten Kampfen allmahlich bis zur Arsia ausgedebnt wurde. Damalige Stellung Roms. Von der Schlacht bei Pydna rechnet Polybios die Vollendung der romischen Weltherrschaft. Die ganze civilisierte Welt erkannte jetzt im Senate ihren obersten Richterhof, dessen Commissionen auftauchende Streitigkeiten entschieden. Das Abhangigkeits - (Clientel-)Verhaltnis musste nothwendig zur vollstiin- digen Untervverfung fiihren. II. Erweiterung der romischen Weltherrschaft. Umwandlung der Clientelstaaten in Provinzen, 149 bis 133. 149 — 133. A. Erwerbungen im Osten. 1. Vierter Krieg mit Macedonien, 148 bis 146; Unterwerfung 148 — 146. Griechenlands, 146. 146. Krieg mit Macedonien. Da die Macedonier mit den Bestim- mungen des letzten Friedens unzufrieden waren, fand ein Abenteurer, Namens Andriscus, der si eh fiir einen Sohn des Perseus ausgab, bei ihnen Anhang, so dass es ihm gelang, sich in Macedonien und einem Theile Thessaliens festzusetzen. Die Romer beendeten den Krieg rasch und machten nun Macedonien zu einer romischen Provinz , die auf Kosten Ulyriens bis ans adriatische Meer erweitert wurde (146). 146. Untervverfung Griechenlands. a) Veranlasšung. Die Romer hatten die Griechen fiir ihre Hinneigung zu Perseus im dritten mace- donischen Kriege schwer bestraft. In Epirus hatte L. Aemilius Paullus auf Befehl des Senats 70 Stadte (Reichthum an Stadten gegenliber der Gegenwart) pltindern und 150.000 Einwohner in die Sclaverei verkaufen iasscn ; ungefahr 1000 vornehme Achaer — darunter Poly- bios — waren als angebliche Anhanger des Perseus nach Italien ab- gefiihrt worden, von wo der Rest nach wiederholten Bitten der Achaer endlich nach Hause entlassen wurde. Diese schurten nun den Hass der Achaer gegen die Romer, welche in dem alten Streite zwischen dem Bunde und Sparta wegen der Weigerung des letzteren, dem Bunde beizutreten, Sparta rechtgegeben hatten, und hetzten zum Kriege. b) Verlauf des Krieges. Trotzdem fanatische Parteifuhrer an der Spitze der Achaer standen, gewannen die Romer leicht den Sieg. In Zeehe, Geachichte dea Altertliums. 15 Die RŠmer. 129 . 149 — 146 . 226 der entscheidenden Schlacht auf dem Isthmus vvurden die Achaer vom 1 Consul L. Mummius besiegt, worauf sich alle griechischen Stadte, audi das feste Corinth, ergaben. Dieses theilte das Schicksal Carthagos-, zahlreiche griechiscbe Kunstwerke wurden nach Rom geschleppt, Grie- chenland wurde als ein erobertes Land in Besitz genommen und bildete einen Theil der Provinz Macedonien, bis es unter Augustus eine eigene Provinz wurde. Die Romer losten alle Stadtebiindnisse auf und scbufen in allen Stadten timokratische Einricbtungen. Obwohl sie das Land mit Wohl- wollen behandelten, schwand docli mit dem Verluste der Freiheit aucli die materielle Bliite (in der Zeit Plutarchs hiitte Griechenland nur 3000 Hopliten stellen konnen); dagegen leisteten sie auf dem Gebiete der Kunst und des Kunsthandwerkes aucli unter der romischen Herr- scbaft nocli Hervorragendes. Uber die Literatur sieh S. 154 u. fg. 2. Erwerbung der Provinz Asia, 129. Von der Herrscbaft der Seleuciden war zuerst Pergctmum ab- gefallen, wo die Attaliden die Konigsvvtirde erwarben. Sie zeichneten sich besonders durch Pflege der Wissenschaften und Kunste aus (die Medici des Alterthums). Ein Denkmal ihres Kunstsinnes ist der Gigantenfries (S. 158), der zur Verherrlichung der pergamenischen Siege iiber die Galater bestimmt war. Als die Romei' auf die Geschicke des Ostens Einfluss zu gewinnen begannen, schlugen sich die Konige von Pergamum, welche abwechselnd Eumenes und Attalus hieBen, auf deren Seite. Attalus III. setzte im Jahre 133 durch ein Testament 1 die Romer zu Erben seines Reiches ein. Nachdem diese einen im Lande aus- gebrochenen Aufstand unterdriickt hatten, machten sie es unter dem Namen Asia zu einer Provinz. B. Erwerbungen im Westen. 1. Der dritte punische Krieg, 149 bis 146. Veranlassung. Der numidische Konig Masinissa entriss den Carthagern durch wiederholte Uberfalle einzelne Gebiete, z. B. das fruchtbare Emporia an der kleinen Syrte. Die Romer, an welche sich die Carthager um Abhilfe wendeten, gaben ihnen Unrecht, so dass diese endlich in der Verzweiflung zu den Waffen griffen und 40 der entschiedensten Anhanger des Masinissa vertrieben. Das erklarte der Senat, in vvelchem M. Porcius Cato Censorius die Seele der Kriegs- 1 Die viel angefochtene Echtlieit des Testamentes ist durch eine pergame- nisclie Insciirift sichergestellt. Kri ege in Špani en. 227 partei war (ceterum censeo, Cartbaginem esse delendam), als Bruch des lelzten Friedensschlusses, vveshalb Carthago, das die Romer wegen seines neuen Aufbluhens beneideten, der Krieg erklart wurde. Verlauf des Krieges. Die Romer hatten es auf den Untergang Carthagos abgesehen; daher lieOen sie sich, wahrend sie den Feind mit Friedenslioffnungen tiiuschten, zuerst Geiseln stellen und, nacli- dem ein starkes romisches Heer in Afrika gelandet war, alle Kriegs- schiffe und Waffen ausliefern. Als aber die Romer verlangten, dass die Carthager ihre Stadt, welche zerstort werden solite, raumen und sich landeinwarts niederlassen sollten, begannen sie mit Aufgebot aller Krafte einen Verzweiflungskampf, infolge dessen die stark befestigte Stadt zwei Jahre lang dem romischen Heere widerstand. Erst als im Jahre 147 P. Cornelius Scipio Aemilianus, der Sohn des Siegers von Pydna und Adoptivenkel des Siegers von Zama, das Commando iiber- nahm und die Disciplin im Heere wieder hergestellt batte, gelang es ihm, die Stadt, welche er durcb Anlage des Lagers auf der Westseite zu Lande und durcb Errichtung eines Dammes im S. zur See ein- geschlossen batte, zu erobern, nachdem der grofite Mangel an Lebens- mitteln eingetreten war. Aucb jetzt nocb musste secbs Tage lang Strafie um StralBe und Haus um Haus erkampft werden, bis endlicb mit der Einnahme der Burg der letzte Widerstand schwand, nacbdem auch eine verbeerende Feuersbrunst ausgebrochen und die Bevolke- rung der Stadt, welcbe bei Beginn des Krieges 700.000 Menscben betrug, auf 50.000 herabgesunken war. Im Auftrage des Senats wurde die Stadt ganzlich zerstort und der Pflug dariiber gefiihrt. Scipio feierte einen gliinzenden Triumpb und erhielt den Beinarnen Africanus minor. Ergebnis. Das carthagische Gebiet wurde romische Provinz unter dem Namen Africa. 2 . Kriege in Spanien. . Veranlassung. Durch den zweiten punisclien Krieg batten die Romer den S. und O. Spaniens gewonnen, woraus sie zwei Provinzen, Hispania citerior und ulterior, bildeten, deren Grenze der Nordabfall der Sierra Morena war. Die kriegeriscbe bauerlicbe Bevolkerung des Innern, welche die Griecben Celtiberer nannten, weil sie durch Mischung von Iberern, der altesten Bevolkerung der Halbinsel, deren Nachkommen die Basken sind, und den spater iiber die westlichen Pyrenaen eingedrungenen Celten entstanden war, macbte tviederholte Einfalle ins romische Gebiet, so dass hier der Krieg selten ruhte und die beiden Provinzen fur die Romer mehi' eine Last als ein Gewinn 147. 15 * 228 Die Romer. waren. Neben den Celtiberern traten die Lusitanier, die Bewohner des lieutigen Portugal, am meisten hervor. Die Kriege mit den Celt¬ iberern und den Lusitaniern fuhrten die Romer mit groGer Treulosigkeit und Grausamkeit, weshalb sicli ilireFeinde auch aufs auGerste wehrten. Anderseits waren diese Kriege in Rom so gefiirchtet, dass sich Officiere und Mannscliaft ihnen zu entziehen suchten. 149 — 140. Verlauf der Kriege. a) Gegen die Lusitanier, 149 bis 140. Diese leisteten unter der Anftihrung des tiicbtigen und kiihnen Viriatlius, eines ehemaligen Hirten, den Romern im kleinen Kriege, wozu das gebirgige Land besonders geeignet ist, erfolgreichen Widerstand. Als Viriatbus auf Veranlassung der Romer durch Meuclielmord aus dem Wege geraumt wurde, mussten sicb die Lusitanier ergeben. 143 — 133. b) Gegen Numantia, 143 bis 133. Der Krieg mit den Celt¬ iberern, welcbe sich an Viriatlius angeschlossen hatten, beschrankte sich bald auf den Widerstand der festen Stadt Numantia (Quellgebiet des Duero), das infolge der Unfiihigkeit und Schlechtigkeit der Feld- herren, der Ziigellosigkeit der Truppen und des verzweifelten Wider- standes der Einwohner erst nach zehnjahriger Belagerung von dem jiingeren Scipio durch Hunger bezwungen wurde. Die Stadt fiel den Romern als ein Triimmerhaufen in die Hande, der Rest der Bevolkerung wurde verkauft, Scipio erhielt den Beinamen Numantinus. So war die ganze Halbinsel, mit Ausnahme der Nordkiiste, die erst unter Augustus erobert wurde, romisch. Roms politische und finanzielle Stellung zu den Mittelmeer- staaten. Indem so ein selbstandiger nationaler Staat nach dem andern dem romischen Reiche einverleibt wurde, vollzog sich eines der grafiten weltgeschichtlichen Ereignisse, die je vorgekommen sind. Da ferner die noch nicht unmittelbar unterworfenen Lander Numidien, Aggpten und Sgrien keine selbstiindige iiuGere Politik mehr befolgten, so konnten sich die Romer als Herren des ganzen Mittelmeerbeckens betrachten. Dieses Gebiet beherrschten sie auch tinanziell, seitdem Capua ver- nichtet, Syracus tributpflichtig, Carthago und Corinth zerstort waren. C. Die inneren Verhaltnisse (Cultur). 1. Die Provinzialvervvaltung. 1 Begriff des Wortes provincia. Die Romer verstanden darunter urspriinglich den einem Consul oder Prator besonders zugewiesenen Wirkungskreis, innerhalb dessen Grenzen er das Imperium ausubte. 1 Nach Marquardt, Staatsverwaltung. Cul tur. 229 Seit der Ausdehnung Roms iiber die Grenzen Italiens bezeichnete das Wort die iiberseeische Statthalterschaft. Es gehort zum Begriffe des Provinziallandes, dass es im Gegensatze zum italischen abgaben- pflichtig ist, denn die Provinzen galten nach dem harten antiken Kriegsrechte als Privatgut (praedium) des romischen Volkes. Einrichtung der Provinz. Die Romer iibertrugen die Grund- ziige der italischen Verioaltung auch auf die Provinzen und stiitzten da.her deren Verwaltung auf die Stadte. Somit wurde jedes neu erworbene Land zunachst in eine Anzahl von Verwaltungsbezirken zerlegt, die ihren Mittelpunkt in einer groBeren Stadt hatten (in Sicilien z. B. waren deren 67), von wo aus das flache Land verwaltet wurde. Die Stadte zerfielen in: a ) Abgabenpflichtige (civ.vectigales und stipendiariae) , welche entvreder eine Naturalabgabe (vectigal) oder eine bestimmte Steuer (tributum, stipendium) zu entrichten hatten; sie bildeten die Mehrzahl; b) begiinstigte (civ. liberae), unter denen die verbiindeten (civ. foederatae) am besten gestellt waren; ihre Lage war ahnlieh der der italischen Bundesgenossen - Stadte; sie zahlten keine Steuer, hatten selbstandige Communalverwaltung und waren nur zu denjenigen Leistungen verpflichtet, welche das Biindnis bestimmte, in der Regel zur Stellung von Truppen oder Schiffen; c)-Stadte mit italischer Verfassung. Sie entstanden in denjenigen (also nichtgriechischen und nichtphonicischen) Landern, in welchen das stadtische Leben erst unter romischer Verwaltung zur Entwicklung kam. Sie wurden als Colonien, Muncipien und Stadte mit latinischem Rechte eingerichtet. In ihrer Verfassung waren sie der betreffenden Art italischer Stadte gleich, unterscliieden sich aber von diesen dadurch, dass sie abgabenpflichtig wa'ren, wtihrend Italien vom Tributum seit 167 befreit war, und dass sie, wenigstens in der Kaiserzeit, der Aufsicht des Statthalters untergestellt waren. Der Statthalter und seine Beamten. Bis auf Sulla wurde fiir jede Provinz ein eigener oberster Beamter, Prator, envahlt, dem durch eine lex curiata das Imperium iibertragen und die erforderlichen Unterbeamten beigegeben wurden. Letztere waren ein oder mehrere Legaten, ein Quastor (S. 198) und zahlreiche niedrigere Beamte. Der Statthalter ist der hochste Beamte der Provinz in jeder Beziehung; er bat daher: 1.) Das Commando iiber die dortigen Truppen; 2.) die oberste Gerichtsbarkeit, beschrankt durch das Provocationsrecht der in der Provinz lebenden Burger; 3.) die oberste Verwaltung. 230 Die Komer. Lage der Provinzial- Bevvohner. Da die Provinzen vor der Kaiserzeit zur Stellung von Mannschaft in der Regcl nicht verpflichtct wurden, so beruhte ihre Bedeutung fiir den Staat in iliren Abgaben, von denen Rom wie ein Groflgrundbesitzer vom Ertragnisse seiner Guter lebte. Daher sucliten die Statthalter soviel als moglich die Hohe der Abgaben zu steigern, ohne Riicksicht auf das Wohl der Bevolkerung; auch suchten sie, da sie haufig durch Bekleidung eines Amtes in Rom in Scbulden gerathen waren, wahrend der ein- jahrigen Dauer ihrer Stellung sich finanziell zu erholen, vreshalb sie die Bewohner schonungslos aussaugten. AuOerdem wurden die Pro¬ vinzen nocb ausgebeutet durch die Pachter der Staatseinnahmen (publieani), welche den mehrfachen Betrag der Steuern einhoben, und die romischen Kaufleute (negociatores), welche mit dem Ubor- gewicbte des romischen Capitals den einheimischen Handel und Ver- kehr ganz an sich zu ziehen suchten und die Bevolkerung durch Wuchergeschafte zugrunde richteten. Wohl wurde gegen die Er- pressungen der Statthalter um die Mitte des 2. Jahrhunderts ein Gerichtshof (de repetundis) eingesetzt, doch konnten die Provinzial- Bewohner in den seltensten Fallen Recht bekommen; erst die Kaiser¬ zeit anderte diese Verhaltnisse zu ihren Gunsten. Religion, Sitten und Gebrauche der Untervrorfenen tasteten die Romer im allgemeinen nicht an, nur die entehrenden Menschenopfer unterdriickten sie. 2. Verhaltnisse in Rom und in Italien. a) Politische Zustande. Die Nobilitat und der Senat. Seit der Geburtsadel des Patriciats seine Bedeutung verloren hatte, entstand ein neuer, der Amtsadel (nobilitas, spater, namen tlich in der Kaiserzeit, or d o sena- torius genannt). Dazu gehorten die Angehorigen derjenigen Familien, deren Vorfahren eines der curulischen Amter (curulische Adilitlit, Pratur, Consulat, Censur) bekleidet liatten. Die Nobiles (Optimates) schlossen sich den iibrigen Btirgern, Ignobiles, gegeniiber ab und gewannen dadurch das Kennzeichen des Adels. Nur selten gelang es einem Ignobilis, einem sogenannten homo novus (belcannte Beispiele sind Mummius, Marius, Cicero), in den Kreis der Nobiles einzudringen, da diese fest zusammenhielten, um die hoheren Staatsamter nur Bewerbern aus ihrer Mitte zuganglich zu machen. Die Hauptstiitze hatte die Nobilitat im Senate, der aus den gewesenen hochsten Wurdentragern, also Nobiles, durch den Censor crganzt wurde. Seine Cultur. 231 Herrschaft setzte sicli im Verlaufe des zweiten punischen Krieges fest. Ihm verdankte der Staat einerseits die Stetigkeit in der Fiihrung der auswartigen Geschafte, vor allem die strenge Einhaltung des Grund- satzes, dass nur der Staat svortheil der Leitstern der Politik sein darf; anderseits waren damit schwere Ubelstande verbunden, denit es begann eine formliche Familienherrschaft (Scipionen, Flaminier). So gewann die Verfassung nicht rechtlich, aber thatsachlich den Charakter einer Oligarchie, ahnlich der carthagischen, welche die hoheren Beamten mit Misstrauen beobachtete und die Reehte des Volkes moglichst zu schmalern suchte. Die Magistraturen. Die herrschende Partei driickte ihre In- haber immer mehr zu Gehiljen des Senats herab 1 und suchte die eigene Stellung durch mehrere MaBregeln zu sichern und zu erhohen. Dahin gehoren: a) Die Bestimmung, dass die Censur nur von Con- sularen und nur einmal bekleidet werden solite; b) lex Villia annalis (180), welche eine bestimmtc Reihenfolge und ein bestimmtes Alter fiir die Bewerbung um die boheren Amter vorscbrieb (naher kennen wir ibren Inhalt nicht), nachdem schon friiher die Einhaltung eines mindcstens zehnjahrigen Zwischenraumes zwischen der zweimaligen Bekleidung desselben Amtes festgestellt worden war; c) dass die Zahl der hoheren Amter nur so weit vermehrt wurde, als es un- umganglich noth\vendig war; sie reichten daher bald fiir die Ver- waltung der Provinzen nicht mehr aus, weshalb es iiblich wurde, Consularen und Pratorier mit Verlangerung des Commandos als Pro- consuln und Proprdtoren in die Provinzen zu schieken; d) dass die Dictatur im zweiten punischen Kriege thatsachlich beseitigt wurde. Eine auCerordentliche Steigerung der consularischen Gewalt ertheilte bei besonderen Anlassen der Senat durch die Formel: Videant con- sules, ne quid detrimenti capiat respublica. Das Volk. Im Jahre 241 wurde die Zahl der Tribus mit 35 ge- schlossen (S. 200), so dass alle, welche spater das Burgerrecht erlangten, in eine der bestehenden Tribus aufgenommen wurden. Das Volk, das in der Theorie Trager der Souveranitat war, musste von den Ma- gistraten und dem Senate immer mehr abhdngig werden, da jene Civilbeamte und Officiere zugleich waren und sich der Senat aus ihnen zusammensetzte und der Menge, je mehr der Staat anwuchs, destomehr das Verstiindnis fiir dic politischen Fragen abhanden kam. Cie. jjro P. Sestio 137: quasi ministros gravissimi consilii. 232 Die R<5mer. Gegen das Ubergewiclit des Senats sucliten nun die Tribunen wieder die Ecchte des Volkes zu erhohen, wodurch der Biirgerkrieg ver- anlasst wurde. Da das Alterthum die Reprasentativ-Verfassung nicht kannte, so solite, obwohl romische Burger iiber ganz Italien zerstrent wohnten, immer nur die eben in Rom anwesende und stimmende Menge iiber alle wichtigen Angelegenheiten, und zwar ohne vorher- gehende Debatte, entscheiden! Verhaltnis zu den Bundesgenossen. Es ware billig und im Interesse des Staates gewesen, wenn den Bundesgenossen, welche starker als die romischen Burger zum Kriegsdienste herangezogen wurden und ihre Truppen selbst besolden mussten, das volle Biirger- recht zuerkannt worden ware. Dies strebten die Bundesgenossen auch an, doch wollte weder das Volk noch die Nohilitiit etwas davon wissen. h) Sociale Verhaltnisse.' Aufkommen der Latifundien und Verfall des Bauernstandes. Das unvertheilte, nicht verpachtete Gemeindeland war durch Oceupa- tion in die Hande verhaltnismafiig weniger, hauptsachlich der Nobilitiit angehorigen Burger gelangt, da die betreffende Bestimmung der Licinischen Gesetze (S. 195) bald in Vergessenheit gerathen war. Auf diesen ausgedehnten Giitern (latifundia) betrieben die Reichen beson- ders 01- und Weinbau oder unterhielten grofie Herden, beides mit Hilfe von Sclavenscharen, die immer mehr aus dem Auslande ein- gefiihrt wurden. Mancher kleine Bauer wurde mit Gewalt seines Besitzes beraubt, die meisten giengen aber zugrunde: 1.) Weil die Provinzen ganze Getreideflotten nach Rom schickten, welche den Preis des heimischen Getreides so herabdriickten, dass der Bauer nicht mehr concurrieren konnte (vgl. S. 84 und die lieutige amerikanische Concurrenz), und 2.) weil sie auf den Giitern der Reichen nicht mehr Arbeit fanden, da die Sclaven billiger zu stehen kamen und nicht wehrpflichtig waren. Die verarmten Bauern zogen nach dem Ver- luste ihres Besitzes nach Rom, wo sie die Menge des hauptstadtischen neuerungssiichtigen Proletariates vermehrten; denn sie konnten sich nicht, wie heutzutage, einem Geiverbe zuvrenden, da diese in den Hšinden der Sclaven und Freigelassenen, welche sie fiir ihre Herren betrieben, waren und als entehrend galten. Da der Bauernstand die Starke des romischen Fuflvolkes bildete, nahm dadurch auch die Voigt, Kom, Privatalterthumer (in J. Miillers Handbuch). Cultur. 233 militarische Tuchtigkeit Roms ab, wie wiederholte Falle von Disciplin- losigkeit und das Sinken der waffenfahigen Mannschaft von 328.000 auf 319.000 Mann in den Jahren 159 bis 131 beweisen. 1 Der Ritterstand. Er ist aus der Burgerreiterei hervorgegangen, die gegen Ende des 2. Jahrhunderts eingieng. Die Angehorigen der ritterlichen Familien begannen, wie die Nobilitat, sich als ein eigener Stand (ordo equester) abzuschlieBen. Da sie von den Aintern im all- gemeinen ausgescblossen waren, warfen sie sich auf die Geldgeschafte und pliinderten als Publieani und Negociatores die Provinzen. Die Grundlage fur ihren politischen Einfluss war, dass sie die Staats- abgaben pachteten und die Lieferungen fur den Staat iibernahmen; denn der Natur der Sache nach waren dazu die Reickeren berufen, die Senatoren aber gesetzlich ausgeschlossen. So bildeten die Ritter den Geldadel gegeniiber dem Amtsadel der Nobilitat. Zunahme von Luxus und Wohlleben. Je mehr sich einzelne Familien bereicherten, desto mehr schwand die alte Einfachheit und Ehrlichkeit und desto mehr rissen Geldgier, Genussucht und Prunk- sucht ein, wogegen Luxusgesetze nichts halfen. Fur die mit der Bekleidung der Ehreniimter, namentlich der Adilitat, verbundenen Kosten entschadigten sich die Nobiles in den Provinzen, so dass nichts zur Vergiftung des romischen Nationalcharakters mehr beigetragen bat, als die schrankenlose Stcllung der Provinzialvogte. Bestechlichkeit der Beamten und Stimmenkauf bei Wahlen waren damals bekannte tlbelstande. Die Alten selbst rechnen den sittlicken Verfall vom zweiten punischen Kri ege an (S. 222). Schaulust der Menge. Je politisch rechtloser und je armer die Menge wurde, desto mehr sclnvanden Opferwilligkeit und Liebe zum Vaterlande. Sie wtinschte vor allem billiges Getreide und glan- zende Spiele! Die Spiele, welche ursprunglich einen religiosen Zweck hatten, nahmen an Zahl und Pracht zu und dienten nur der Schau¬ lust. Damals gab es zwei Arten von Staatsspielen: 1.) Circensische Spiele, welche im Circus Maximus oder im C. Flaminius abgehalten wurden; sie bestanden in Pferderennen und besonders in Wagenwett- fahrten, doch wurden auch gymnische und andere Kampfe aufgefuhrt (vgl. 01ympia); die angesehensten darunter waren die Ludi Romani; 2.) scenische Spiele (Theater), die in holzernen Buden aufgefuhrt 1 Vgl. Sall. Jug. 41, 7: populus militia atque inopia urgebatur, und Plin., hist. nat. 18, 6: latifundia perdidere Italiam. 234 Die Romer. wurden, bis Pompejus das erste steinerne Theater erbaute. Die aus Etrurien am Beginne des ersten punischen Krieges eingefiihrten Gladiatorenspiele und die Thierhetzen , welche im Amphitheater auf- gefiihrt wurden, wurden erst im letzten Jahrhunderte der Republik all- gemeiner. Man unterschied sie als munera von den eigentlichen ludi. Hellenisierung der romischen Cultur. Der Einfluss der Griechen auf die Romer wurde so machtig, dass ihre Religion, Literatur und Kunst hellenisiert mirden. Durch besonderen Eifer fiir die griechische Bildung zeichneten sieh die Scipionen, Flamininus, Aemilius Paullus u. a. aus; im Hause des ersteren verkehrte aucli Polybios. Vergebens suchten anfangs conservativ denkende Miinner, wie M, Portius Cato, dem Hellenismus entgegenzutreten. 1 c) Religion. In der Zeit des zweiten punischen Krieges war die Hellenisie¬ rung der romischen Religion (S. 183) vollzogen, so dass damals das ganze System der griechischen Gottheiten eingeburgert und die zwolf Gotter 2 als dii majores anerkannt wareu. Die Vorbedingung fiir die durchgreifende Hellenisierung war, dass die religiosen Vorstellungen der Griechen und Romer, wie die beiden Volker selbst, miteinander nahc verwandt waren. Nach dem zweiten punischen Kriege begann der Verfall der romischen Religion durch das Eindringen der grie¬ chischen Philosophie und die politische Entwicklung des Volkes. Die damalige griechische Philosophie war namlich in religioser Beziehung unglaubig, weshalb auch ein Senatsbeschluss die griechischen Philo- sophen und Rhetoren aus Rom auswies (161). Infolge des Zuriick- tretens des religiosen Interesses hinter das politische wurden der Opferkonig (S. 184) und die Flamines auch zu Staatsamtern zugelassen, missbrauchten die Auguren ihre Stellung zu politisclien Zwecken und wui'den seit dem Ausgange des 2. Jahrhunderts die Pontifices, Auguren und X viri sacris faciundis vom Volke gewiihlt. In allen Schichten der Bevolkerung verbreitete sich Aberglaube. d) Literatur. Poesie. Die Anfange einer originalen romischen Poesie, die tiber- wiegend einen derben Charakter zeigen, wurden durch die machtig ein- dringende Literatur der Griechen, dcren Sprache zur Zeit Hannibals 1 Die Ausdriicke graecari, congraecare iiaben bezeichnendemeise einen mias- billigenden Sinn. 2 Liv. XXII, 10; vgl. S. 58. Cultur. 235 in ltalien bereits sehr verbreitet war, beseitigt, und es trat die Nachahmung der griechisclien Dichter an ihre Stelle. So kommt es, dass bei den Romern, abwcichend von den Griechen, gleichzeitig mit dem Epos auch das Drama und wenig spater als die Poesie sich aueli die Prosa entwickelte. Am meisten wurde das Drama, besonders die Komodie, bearbeitet, die aber bei den Romern einen derberen Charakter annahm. Die Hellenisierung der romischen Literatur beginnt mit der Thatigkeit des Tarentiners T. Livius Andronicus in der Mitte des 3. Jahrhunderts, weleher griechisclie Dramen und die Odjssee iiber- setzte. In der Tragodie hielten sich die Romer an Euripides, in der Komodie an Menander, die damals die griechische Buhne beherrschten. Zeitgenossen des Andronicus waren die Romer Naevius und Ennius, welche griechische Dramen bearbeiteten, sich aber auch im nationalen Drama und im Epos — auch hier nach griechischen Vorbildern — versuchten. Der begabteste Komodiendichter war Plautus, der Zeit- genosse jener, der eigentliche romische Volksdichter. Der dem 2. Jahr- hunderte angehorige, weniger derbe, aber auch weniger begabte Lust- spieldichter Terentius wurde der Liebling der vornehmeren Stande. Wie die Schauspieler, entstammten meist auch die Dichter den unteren Volk sschich ten. Prosa. Den rein theoretischen Wissenschaften haben die Romer niemals viel Geschmack abgevronnen; am meisten pflegten sie die- jenigen, welche fiir den Staatsmann besonders wichtig waren, namlich Geschichtschreibung, Beredsam/ceit und Rechtsioissenschaft. Die Bered- samkeit erreichte ihre Bliite im letzten Jahrhunderte der Republik, die Rechtswissenschaft erst in der Kaiserzeit; liber die damalige Geschichtschreibung sieh S. 172. e) Kunst. Bis zu dieser Zeit kommt in Rom eigentlich nur die Baukunst in Betracht (S. 46, 6). Nach dem eigenen Gestandnisse der Romer war bei ihnen in der Kunst anfangs alles etruskisch, spater alles grie- chisch. Den Etruskern fehlte, wie den Romern, die phantasievolle Anlage der Griechen, daher liatten sie bei ihren Bauten besonders die Nutzlichkeit im Auge. Das von ihnen entlehnte Princip des Gewdlbe- baues entwickclten die Romer als Tonnen-, Kuppel- und Kreuzgewolbe in der groGartigsten Weise weiter. Die wichtigsten Bauwerke dieser Zeit sind die Tempel. 236 Die Komer. a) Der romische Tempelbau unter etruskischem Einflusse. Da kein etruskischer Tempel sich erhalten hat, sind wir auf die Be- schreibung Vitruvs, der um Christi Geburt lebte, angewiesen. Nach ihm besteht der toscaniscbe und demnacb auch der alteste romische Tempel aus zwei Theilen: Der mit Saulen versehenen tiefen Vorhalle, zu der eine Treppc hinauffuhrt, und dem eigentlicben Ileiligthume, welches zuweilen in drei Raume, so auch beim capitolinischen Juppiter- tempel, getheilt war. 8) Der romische Tempelbau unter griechischem Einflusse. Als die Romer mit der griechischen Kunst bekannt wurden, behielten sie theilweise die etruskiscbe Anlage bei, bedienten sich aber filr den Aufbau der griechischen Bauformen, theihveise nahmen sie auch den griechischen Grundriss an; besonders beliebt wurden Peripteros und Prostjdos. Daneben bauten die Romer weit mehr Rundtempel, als die Griechcn in der hellenistisehen Zeit. Mit Vorliebe wendeten sie den corinthischen Stil an, der damals gerade in Griechenland am meisten gepflegt wurde (vgl. das Drama) und ihrer Prunksuelit am besten gentigte. Hinsichtlich der Plastik und Malerei ist fast nur zu erwahnen, dass die Romer damals ihre Stiidte mit dem Raube der griechischen Stadte schmiickten. Schluss. In den .politischen und militarischen Einrichtungen Roms einer- und in der griechischen Cultur anderseits erkannte Poly- bios die beiden Machte, auf welchen dic Entwicklung der Mensch- heit in der Folgezeit beruhte . 1 Dritter Abschnitt. Vom Auftreten (les šilteren Gracclien bis zur 133 — 30. Errichtung des Kaisertlnims, 133 bis 30 v. Chr. Verfall der Republik, Zeitalter der Biirgerkriege. 133 — 121. I. Die Zeit der beiden Gracchen, 133 bis 121. Oppositionelle Bestrebungen. Gegen die ungesunden Verhalt- nisse, welche die Regierung nicht, wie es ihre Pflicht gewesen ware, verbesserte, erhob sich eine zweifache Opposition, eine gemaOigtere — Reformbewegung — und eine scharfere — die Revolution. Das Haupt der ersteren Partei war der alte, ehrenwerte M. Porcius Cato 2 , 1 Vgl. Hor. epist. II, 1, 156 u. 157: Graecia capta ferum vietorem cepit et artis Intulit agresti Latio. Vgl. auch die schonen Verse bei Verg. Aen. VI, 847 — 853. 2 Liv. XXXII, 27: sanctus et innocens. Die beiden Gracchen. 237 ein Anhanger der guten altcn Sitte, welcher, gestiitzt auf die Bauern- schaft, die alten einfachen Z us tari de herbeiftibren wollte — ein ver- geblicbes Beginnen. Dagegen strebte die Revolution, welche sieh besonders auf den Stadtpobel stiitzte, Beschrankung der Senatsgewalt und Steigerung des Einflusses der Comitien an. Da dies aber nur Mittel zum Zwecke und dieser selbst die Besserung der elenden Lage der meisten romischen Burger war, so ist der Ausgangspunkt der Revolution kein politischer, sondern ein socialer. Nach dem Vorgange des am trasimenischen See gefallenen C. Flaminius betraten den Weg der Revolution die Gracchen. A. Ti. Sempronius Graeehus, 133 und 132. Er war der Sohn der edlen, hochgebildeten Cornelia, einer Tochter des iilteren Seipio, welche nach dem Tode ihres Mannes 1 sich ausschliefllich der Erziehnng ihrer Kinder widmete, ein Schwieger- sohn des Appius Claudius und Schvvager des jiingeren Seipio. Er wurde 134 zum Volkstribunen gewžihlt. Erneuerung des Licinischen Ackergesetzes. Gleich nach dem Antritte des Tribunats erneuerte er das in Vergessenheit gerathene Licinische Ackergesetz, das einzige Mittel, den verarmten Burgern aufzuhelfen, welchem zufolge vom occupierten Ager publicus — der verpachtete Theil war ausgenommen — niemand mehr als 500 Jugera besitzen solite, mit dem Zusatze, dass es gestattet sei, ftir zwei Sbhne ebenfalls 500 Jugera zu besitzen; der Rest solite herausgegeben und in Losen von 30 Jugera den verarmten Burgern als unveraufierliches Pachtgut zugewiesen werden. Die Nobilitiit gewann den Tribunen M. Octavius, welcher dagegen Einsprache erhob und auch durch wiederholte Bitten des Antragstellers sich nicht umstimmen liefi. Deshalb wurde er auf Befehl des letzteren unter Zustimmung des Volkes von der Tribunenbank entfernt (erster revolutionarer Schritt des Gracchen), das Ackergesetz angenommen und eine Commission von drei Mannern — er selbst, sein Bruder Gaius nnd Appius Claudius — eingesetzt, welche untersuchen und entscheiden solite, was Privat- und was Staatsland ware, und auch die Auftheilung vorzunehmen hatte. 1 Dieser, Ti. Sempronius Graeehus, hatte sich als Statthalter im diesseitigen Spanien ausgezeichnet, wo er lange bei der Bevhlkerung ein gesegnetes Andenken liinterlieD. 133 u. 132. 238 Die Romer. Weitere Antrage und Ermordung; Tod des jiingeren Scipio. Gracchus stellte weitere volksthlimliche Antrage in Aussicht, so die Vertheilung der Schatze des Attalus III. unter das Volk zur An- schaffung von Ackergerdthen und Vieh (zweiter revolutionarer Schritt, Eingriff in das tinanzielle Recht des Senates), um auch fiir das nachste Jahr zum Tribunen gewahlt zu werden (dritter revolutionarer Schritt, S. 199). Als die Mehrzahl der Tribus ilnn gesichert schien, stiirten die Nobiles gewaltsam die Comitien, Gracchus wurde auf der Flucht vom Capitole getodtet, mit ilnn wurden iiber 300 seiner wehrlosen Anhanger mit Knutteln und Brettern erschlagen. Wenige Jahre darauf (129) starb Scipio Aemilianus, der wegen seiner groben militarischen Verdienste und seiner Uneigennutzigkeit sich des grobten Ansehens erfreute. Er hatte zwar ein Herz fiir das Elend des Volkes, war aber jeder gewaltsamen Verletzung des Gesetzes und der Ordnung feind, so dass ihm die Auberung zugescbrieben wird, sein Scliwager sei mit Recht getodtet worden. 1 Als das den Latinern gehorige Staatsland aufgetheilt werden solite, baten ihn diese um die Vertheidigung ihrer Reehte. In der Nacht, bevor er in der Volksversammlung zugunsten der Latiner sprechen wollte, wurde er todt aufgefunden. Wahrscheinlich wurde er ermordet; der Process wurde niedergeschlagen. Ergebnis. Zum erstenmale war im Kampfe zwischen Biirgern Blut geflossen; die Theilungscommission wurde erganzt und setzte, freilich mit geringem Erfolge, ihr Werk fort. 2 B. G. Sempronius Gracchus, 123 und 122. Der jtingere Gracche, begabter, leidenschaftlicher und riicksichts- loser als sein Bruder, ein feuriger Redner, bisher Qu tis tor in Sar- 123u. 122. dinien, wurde fiir die Jahre 123 und 122 zum Tribunen gewiililt. AuDer dem Hasse gegen die Herrschaft der Nobilitat trieb ihn auch Rachsucht zum Kampfe. Er griff in die verschiedensten Zweige der Senatsgevralt ein, wodurch er im Falle des Sieges den Sturz des Senats herbeigefuhrt hatte. Die wichtigsten seiner Antriige, deren Reihenfolge sich nicht mehr feststellen lasst, waren: 1.) Lex frumentaria. Jeder sich in Rom meldende arme Burger solite monatlicli vom Staate ein gewisses Mafi Getreide ungefahr um 1 Cie. pro Milone 3, 8. 2 Cie. de rep. I, 31: mors Ti. Gracchi et jam ante tota illius ratio tribunatuB divisit populum ununi in duas partes. Vgl, Šali. .lug. 31 u 42, und Appian, 18: xal ouSsv i) Tiivctov ivaa-aat; Die beiden Gracchen. 239 halben Preis bekoninien (S. 110). Dadurcb musste die Zabl der bauptstadtiscben Proletarier noch steigen und wurde der Staat schwer belastet. (Um 50 v. Chr. erreiehte diese Belastung mit ungefahr acht Millionen Gulden jahrlich den Hohepunkt.) 2. ) Lex judiciaria. Die Mitglieder der standigen Gerichtshofe (guaestiones perpetuae ) 1 waren Geschworne, welche bisher dem Sena- torenstande entnommen wurden. Gracchus setzte durch, dass sie in Zukunft aus Angehorigen des Ritterstandes gebildet wurden, vrodurch auch dieser Stand politische Bedeutung gewann. Er bezeicbnete selbst den Antrag als einen Dolch, mit dem sicli die beiden Adelsparteien zerfleischen sollten ; wirklich bat auch der Kampf um die Geschivornen- stellen bis zum Ende der Republik nicht gerulit. 3. ) Auf Grund der lex agraria setzte er die Ausfuhrung von Colonien in Italien fort und debnte sie auch auf aufieritalische Lander, z. B. Carthago, aus, wodurch mit dem bisherigen Grundsatze, dass aufierhalb Italiens keine romischep Burger standig wohnen konnten, gebrocben wurde. Alle diese Antrage sonde einige andere, welche Milderung der Militarpflicht und Steigerung der Volksrechte anstrebten, wurden angenommen. 4. ) Lex de civitate sociis danda. An sicli war der Antrag billig und auch im Interesse des Staates, dem dadurch frisclie Kriifte zu- gefiihrt worden waren, anderseits musste er die Macbt des Tribunen erboben. Der Antrag war aber den Biirgern nicht genehm, weil sie ihre VoiTechte nicht mit neuen Biirgern theilen wollten. Als am Tage der Abstimmung daruber der Tribun M. Livius Drusus sein Veto dagegen einlegte und Gracchus beim Volke nicht die notbige Unter- stiitzung fand, liefi er den Antrag fallen. Dies beniitzte der Senat zum Sturze des verhassten Tribunen. Drusus beantragte namlich im Gegensatze zu Gracchus, der eben zur Einrichtung der neuen Colonie in Afrika weilte, die Anweisung von 36.000 Ackerlosen in Italien selbst. Obvvolil dies unmoglich war, da das verfiigbare Ackerland daselbst bereits aufgetheilt war, lieC sicli die Menge fangen und wahlte Gracchus nicht mehr zum Tri¬ bunen fur das Jalir 121. Als nun der Senat vorschlug, dass die Ausfiihrung der Colonie an der Stelle Carthagos unterbleiben solite, 1 Z. B. de repetundis, de i funf Jahre: Pompeius und Crassus sollten zu Consuln fiir 55 gewahlt werden, nach Ablauf ibres Amtsjahres ersterer die beiden Spanien, letzterer Syrien als Provinz auf funt' Jahre (54 bis 50) erhalten, wogegen Caesar die Verlangerung des Impe- riums in Gallien bis Ende 49 zugestanden wurde. Der Senat war nicht imstande, diesen Bcschliissen entgegenzutreten. G. Eroberung Galliens durch Caesar, 58 bis 51. Verhaltnisse in Gallien vor Caesars Ankunft. Gallien, das Hauptland der Celten, des westlichsten Zweiges des indogermanischen Sprachenstannnes, reichte im O. bis an den Rhein. Es erfreute sich damals einer erheblichen materiellen Blute, die im Stande von Acker- bau, Viehzucht, Bergbau, Industrie und Ilandel ihren Ausdruck fand. In politischer Beziehung stand es mit dem Volke schlimm. Bei der geringen Entwicklung des stadtischen Wesens lebte das Volk in Gau- verbanden; seine friiheren Rechte waren durch das Emporkommen eines fehdelustigen Adels vielfach eingeschrankt worden, der die krie- gerische, politische und sociale Fiihrung, letztere wegen der Ver- schuldung der Freien, in Handen hatte. AuBerdem lastete auf dei - Nation die Ilerrschaft der Druiden, der Priesterschaft, zugleich der Hiiter des Wissens, die auch haufig politische Vorrechte beanspruchten. Die hochste Form politischer Einigung erzielte die Nation in der Hegemonie. So bildeten die Stamme zwischen Rhein und Seine den Bund der Belgen, die Stamme in der Normandie und Bretagne den aremoricanischen Bund, im mittleren Gallien kampften die Aduer und Sequaner um das Ubergewiclit. Den SO. des Landes hatten die Romer ungefahr seit 120 als Gallia Narboneneis in Besitz, den SW. zwischen Pjrenaen und Garonne die iberischen Aguitanier. Die Charaktereigenschaften der Celten schildert Caesar (b. Gali. IV), 1 der Eitelkeit, Leichtglaubigkeit, Abenteuer- und Kriegslust hervor- liebt. Ilire Tapferkeit fand unbedingte Anerkennung, doch vermisste man an ihnen Ausdauer, Zucht und Geme nsinn. 1 Caes. beli. Gali. II, 1 iiber die Helgen: qui nobilitate et levitat.e animi uovis imperiis studebant. Sieli aucli S. 189. 55 . 49. 58 — 51. Um 120. 17 * 260 Die Romer. Als Caesar nach Gallien kam, waren die Germanen am Ober- und Niederrhein im Vordringen gegen Gallien begriffen; einzelne germanische Volkerschaften hatten sich bereits in Gallien nieder- gelassen, und der deutsche Heerfiihrer Ariovist hatte den Sequanern im Kampfe gegen die Aduer die Hegemonie in Mittelgallien verschafft. Unterwerfung Galliens. Gerade als Caesar in Gallien ankam, riickten die celtiscben Ilelvetier, welche von den Germanen bedrangt wurden, in Gallien ein. Entscblossen, ihre Niederlassung in Gallien nicbt zu dulden, riickte er ibnen entgegen und schlug sie (58) im Gebiete der Aduer bei Bibracte (Autun); der Rest der Gesehlagenen musste iibcr den Rhein zuriickkehren. Bald darauf kam die Reihe an Ariovist, der die Aduer wegen Verweigerung des Tributs angriff. Stolz lebnte dieser das Ansinnen Caesars, vor ihm zu ersebeinen, ab und riihmte sich, dass sein Heer 14 Jalire lang nicbt unter Dach gekommen sei. Caesar besiegte ilm in der Niihe von Miilhausen, nur mit wenigen seiner Leute entkam er liber den Rhein. Damit war Mittelgallien unterworfen. Nun stellte der belgische Bund ein iiber- legenes Heer von 300.000 Mann gegen Caesar ins Feld, da sich dieser aber auf die Defensive beschrankte, so gieng das celtische Heer zum gi'o(3en Theile auseinander, wie Caesar richtig vorausgesehen hatte (Mangel an Ausdauer). Infolge dessen gelang es ihm, das nordliche Gallien bis gegen die Kiiste hin zu erobern (57). Im nordwestlichen Gallien leisteten am meisten Widerstand die seettichtigen Veneter. Dec. Brutus, Caesars Unterfeldherr, schlug sie zur See trotz ihrer Uberlegenheit an Schiffen (56), worauf sie sich ergeben mussten; sie wurden alle in die Sclaverei verkauft. Daran schloss sich die Be- siegung der iibrigen Volkerschaften bis zur Seine. Zuletzt untervvarf das siidivestliche Gallien nach mehreren gliicklichen Schlachten Caesars Legat P. Crassus, der Sohn des Triumvirn, womit die Eroberung Galliens im Jahre 56 vollendet war. 55 u. 53. Sicherung Galliens gegen die Germanen und Briten, 55 u. 53. Caesar zog (55 und 53) iiber den Rhein nach Deutschland, um die Germanen von weiteren Einfallen in Gallien abzuschrecken. Da sich diese vor ihm in die Walder zuruckzogen, kehrte er beidemale nach mehrtagigem Verweilen auf germanischem Boden \vieder zurilck. Audi 55 u. 54. die beiden Z lige nach England (55 und 54), auf deren zweitem er die Themse iiberschritt, fiihrten zu keinem weiteren Erfolge, als dass die Briten ihre festlandischen Stammesgenossen nicht unterstiitzten, denn der bedungene Tribut wurde niemals bezahlt. Zerfall des Triumvirats. 261 Unterdriickung der celtischen Aufstande, 53 bis 51. Nachdem zuerst einige vereinzelte Aufstande, welche von den Belgen aus- gegangen waren, unterdriickt worden, begann (52) der letzte Aufstand der Celten, an dessen Spitze der Arverner Vercingetorix trat, der die Adelsherrschaft in seinem Gaue gestiirzt hatte und nun eine konigliche Stellung einnahm. Als Caesar beim Angriffe auf die Stadt Gergovia, die auf einer der zahlreichen vulcanischen Felskuppen des Landes lag, geschlagen wurde, erhoben sich auch die Aduer und Belgen, so dass ganz Gallien von den Pjrenaen bis zum Rhein unter den Waffen stand. Die Entscheidung fiel bei Alesia , wo Vercingetorix von Caesar eingeschlossen und belagert wurde. Zwar zog ein 250.000 Mann starkes Entsatzheer heran, docli wurde dieses von Caesar mit Hilfe germcmischer Reiterei geschlagen, worauf sich auch die Stadt ergeben musste (52). Vercingetorix wurde gefangen und, nachdem er den Triumph Caesars geschmiickt hatte, hingerichtet. (Antikes Kriegsrecht.) Den letzten vereinzelten Aufstanden wurde im Jahre 51 ein Ende gemacht. Caesar behandelte nun die Celten im allgemeinen milde, schonte ihre nationalen Eigenthiimlichkeiten und legte den einzelnen Gemeinden bestimmte Steuern auf in der Hohe von vier Millionen Gulden — die einzige Provinz, liber die wir eine solche Nach- richt haben. Ergebnisse. 1.) Das romische Reich erhielt eine sichere Grenze, den Rhein, der es im groben Ganzen geblieben ist; 2.) die Romer gewannen neues Land fiir Ackeraniceisungen ; 3.) Franlcreich wurde ein romanisches Land, welches die Cultur des Alterthums aus den Sturmen der Volkerwanderung ins Mittelalter hiniiberleitete; 4.) der Eintritt der Volkerwanderung wurde um mehrere Jalirhunderte hinaus- geschoben; 5.) Caesar erwarb sich groben Ruhm, ein tiichtiges lleer und viele Schatze und erstarkte dadurch zum Kampfe mit Pompeius. H. Zerfall des Triumvirats, 53 bis 50. Da sowohl Caesar als Pompeius nach der Alleinherrschaft strebten, mussten sie miteinander in Kampf gerathen. Der Ausbrueh der Feindseligkeiten zwisclien ilinen wurde beschlennigt: 1. Durch die Annaherung des Pompeius an den Senat. Nach Ablauf seines Consulats lieb Pompeius die beiden spanischen Provinzen durch seine Legaten venvalten und blieb selbst in Rom, weil er wieder ein auberordentliches Commando zu ubernehmen wiinschte. Obwold die Senatsmehrheit davon nichts wissen wollte, ergab sich docli eine 53 — 51. 52. 53 - 50. 262 Die Komer. Gelegenheit (lazu, als der Consularcandidat Milo mit seinem Feinde Clodius und dessen bewaffnetem Gefolge zusammenstieB — Fiihrer bewaffneter Banden bekampften sich damals niclit selten in und bei Rom — wobei der letztere den Tod fand. Da es infolge dessen in Rom selbst zu Kampfen kam, ernannte der Senat den Pompeius zum 52. consul sine collega (dem Wesen nacb zum Dictator, 52); in dieser Eigenschaft nahm er alle Truppen in Italien in Eid und stellte die Ruke wieder her. Milo wurde trotz der Vertheidigung durch Cicero verbannt. Noch im Jahre 52 legte Pompeius die Dictatur nieder. 53. 2. Durch den Tod des Crassus, 53. Dieser hatte sich Syrien gewiinscht wegen der Aussicht auf den Erwerb neuer Reichthumer und kriegerischen Rubmes. Schon vor seiner Ankunft in Asien war der Krieg mit den Parthern ausgebrochen. Zu seinem Verderben zog er, statt den Umweg tiber Armenien zu machen, geradenwegs durch die Wiiste. Das romische Heer litt sehr durch Hunger und Durst und Avurde von der parthischen Reiterei sclnver bedrangt. 1 Bei Carrhae im nordlichen Mesopotamien kam es (53) zur ersten Schlacht zAvischen den Romern und Parthern, aus der jene nur Triimmer ihrer Armee retteten. Hier fand auf die Bauer die romische Macht ebenso ihre Grenze, wie die griechische Bildung. Crassus Avurde bei einer Zusammen- kunft mit dem feindlichen Feldherrn ermordet. So loste sich das politische Verhaltnis zwischen Caesar und Pompeius, nachdem sich kurz vorher durch den Tod der Julia bereits das personliche. gclost hatte. Initium tumultus. Caesars damalige Lage erinnert an die dcs 51. Pompeius nach dessen Riickkehr aus Asien. Seit dem Jahre 51 besehaftigte sich der Senat mit der Prage der Abberufmig Caesars aus Gallien. Pompeius drang darauf, dass Caesar vor Schluss des 49. Jahres 49 das Commando niederlege, Avomit sich dieser durch seinen bestoehenen Unterhandler, den Tribunen C. Curio, unter der Voraus- setzung einverstanden erklarte, dass auch Pompeius, der sich seino Statthalterschaft vom Senate neuerdings hatte verlangern lassen, auf seine auflerordentliche Stellung verzichte, Avas aber dieser trotz eines ihn dazu auffordernden Senatsbeschlusses verAveigerte. Als sich nun das falsche Gerlicht verbreitete, dass Caesar im diesseitigen Gallien Truppen zusammenziehe, so begann Pompeius eigenrnachtig mit Kriegs- riistungen, der Senat erklarte das Vaterland in Gefahr und rief die 1 Uber die Karapfesweise der Parther vgl. Verg. Georg. III, 31: Fidentemque fuga Parthum versisque sagittis. Der zweite Burgerkrieg. 263 gesammte Burgerschaft miter die Wciffen (initium tumultus), trotz der Intercession zweier von Caesar gewonnenen Tribunen, so dass dieser als Beschutzer der tribunicischen Gewalt erschien. Er zogerte jetzt ira Interesse seiner eigenen Sicherheit nicbt langer; an der Spitze einer einzigen Legion uberschritt er -den Rubico (49), den nach der 49. Sullanisehen Staatsordnung kein Feldherr ohne Genehmigung des Senats mit seinen Truppen iiberschreiten durfte. «Der Wiirfel war gefallen.» I. Der zweite Biirgerkrieg, 49 bis 45. 49 — 45. 1. Der Krieg bis zum Tode des Pompeius, 49 und 48. 49 u. 48. Verhaltnis der Macht der beiden Gegner. Pompeius begann den Krieg im Besitze aller Hilfsquellen des Reiches; zur See herrschte er unbedingt, die Provinzial-Statthalter und der Konig von Numidien waren auf seiner Seite, in Italien konnte durch Aushebungen rasc.h ein zahlreiches Heer zusammengebracht werden, es felilte ihm nur an Reiterei und Geld, vor allem musste er aber auf den Senat Riick- sicht nehmen, und so entbehrte er der Einheit des Handelns. Caesars Macht beruhte besonders auf der treuen Anhilnglichkcit des dies- seitigen Galliens, auf der unbesehrankten Gewalt, die er innerhalb seiner Partei ausiibte, auf der Tuchtigkeit seines Heeres, der Schnellig- keit und IJberlegenheit seiner militdrischen TJnternehmungen. Haupt- quelle sind die drei Biicher Caesars de bello civili. a) Krieg um den Besitz Italiens, Spaniens und der Inseln, 49. 49. Caesar drang, ohne Widerstand zu linden, mit groGer Schnelligkeit bis Picenum vor und verstarkte sein Heer theils durch Aushebungen im durchzogenen Gebiete, theils durch Heranziehen seiner gallischen Legionen. Auf die Nachricht von diesen Erfolgen hin verlieG Pom¬ peius Rom und schiffte sich in Brundisium zur Uberfahrt nach Hlyrien ein, was Caesar vergebens zu verhindern suchte. Ohne ein ernstliches Gefecht hatte dieser nach zwei Monaten eine Armee von zehn Legionen beisammen und war im Besitze von ganz Italien mit Rom , wo ihm auch die Staatscasse und alle Kriegsvorrathe in die Hande gefallen waren — eine seiner groOten Leistungen. Nachdem er in Rom einen Stadtprafecten eingesetzt hatte, zog er durch Gallien nach Spanien, um die Legaten des Pompeius zu bekšiinpfen. Er schlug sie in der Schlacht bei Ilerda am Segre, worauf sich ihm das jenseitige Spanien, wo er einst Proprator gewesen war, freiwillig anschloss. Sodann lieG er durch seine Unterfeldherren 264 Die Romer. Sardinien und Sicilien besetzen, wcil Pompeius die Getreidezufuhr abschneiden wollte; nur Numidien behauptete sich noch auf Seite der Gegner. So war Caesar am Schlusse des ersten Kriegsjahres entschieden der Sieger. 48. b) Entscheidung in Macedonien, 48. Caesar fuhr nun trotz der Uberlegenheit des Feindes zur See mit grofier Kiihnheit nach Illyrien und suchte Pompeius in Dyrrhachium, das dieser zu seinem Haupt- waffenplatze gemacht hatte, einzuschliefien. Allein Pompeius durch- brach die Einschlieflungstruppen Caesars und schlug diesen nochmals bei Dyrrhachium. Deshalb bescliloss dieser, um der Flotte jede Mit- wirkung zu rauben, nach Thessalien zu ziehen, wohin ihm Pompeius, von den siegessicheren Senatoren gedrangt, zu seinem Verderben folgte. Hier wurde sein mehr als doppelt so starkes Heer (54- gegen 23.000 M.) 48. von Caesar, dem es besonders an Reiterei gebrach, bei Pharsalus (48) vollstandig geschlagen und geradezu vernichtet. Dadurch fielen Macedonien und Griechenland dem Sieger zu. Obwohl ein Theil der Senatoren mit Caesar Frieden schloss, beabsichtigte Pompeius die Fortsetzung des Krieges und floh nach Agypten, da in der romiscken Besatzung, die hier lag, viele seiner alten Soldaten sich befanden und die Hilfsmittel des Landes neue Riistungen erleichterten. Kaum war er daselbst gelandet, so wurde er im Auftrage des jugend- lichen Konigs ermordet. Bald darauf erschien Caesar vor AIexandrien. 48 — 45. 2. Die Kampfe Caesars in Afrika, Asien und Spanien, 48 bis 45. 48 u. 47. a) Krieg in Agypten, 48 und 47. Als Caesar den Thronstreit zwischen Cleopatra und ihrem Bruder-Gemahle zugunsten der ersteren schlichtete, entstand in Alexandrien ein Aufstand, der ihn eine Zeit- lang in grofle Gefahr brachte. Er verschanzte sich in der koniglichen Burg und im benachbarten Theater und steckte die agyptische Flotte in Brand, wobei auch eine Bibliothek (S. 153) in Flammen aufgieng. Aus der Gefahr wurde er erst durcli das Entsatzheer befreit, welches Mithradates von Pergamum, ein angeblicher Sohn des gleichnamigen friiheren Konigs von Pontus, ihm zufuhrte. 47. b) Krieg gegen Pharnaces in Pontus, 47. Nachdem Caesar die Verhiiltnisse in Agypten geordnet hatte, zog er gegen Pharnaces, den Sohn des Mithradates. Dieser hatte von der Halbinsel Krim aus (bos- poranisches Reich), die ihm Pompeius iiberlassen hatte, einige Gebiete in Kleinasien an sich gebracht. Caesar riickte in Pontus ein und Caesar als Alleinherrscher. 265 schlug ihn nach funftagigem Feldzuge bei Žela . 1 Er ordnete rasch die Verhaltnisse in Kleinasien und beauftragte mit der Verfolgung des Pharnaces den Mithradates, dem er das bosporanische Reich gab. c) Krieg in Afrika, 46. Nach der Schlacht bei Pharsalus fliichtetcn 46. sich die meisten Republikaner in die Provinz Afrika, da sie am Konige von Numidien einen Riickhalt hatten, dem sie diese Provinz als Lohn zusicherten. Caesar fand an den beiden Konigen von Mauretanien Bundesgenossen. Bei Thapsus siegte er vollstandig; es ist die letzte grofie Schlacht, in welcher Elephanten verwendet wurden. Cato todtete sich selbst, die beiden Sohne des Pompeius entkamen nach Spanien. Das westliche Numidien wurde zu Mauretanien geschlagen, der groflte und fruchtbarste Theil als «Neu-Afrika* eine eigene Provinz, doch bald mit dem tibrigen «Afrika* vereinigt. d) Letzter Kampf in Spanien, 45. Die Legaten Caesars hatten 45. das Land nicht beruhigen konnen, die Bevolkerung lud daher die Pompeianer ein, nach Spanien zn kommen. So erfolgte die letzte Entscheidung in diesem Lande, und zwar bei Munda , siidlich von Cordova, 2 in einer aufierst blutigen Schlacht, in der Caesar nur mit der groGten Anstrengung den Sieg davontrug. Es sollen 33.000 Pom¬ peianer gefallen sein. Damit endete der Biirgerkrieg, Caesar war Alleinherrscher. K. Caesar als Alleinherrscher, 45 und 44. 45 u. 44. 1. Wiederherstellung der Ordnung. Ungleich Sulla begann Caesar nicht mit einer Schreckensherrschaft, sondern verzieh vielen seiner Gegner, so auch Cicero, und erliefi (44) eine allgemeine Amnestie. So wenig er die Befiirchtungen der gestiirzten Nobilitat rechtfertigte, so wenig erfiillte er die Wiinsche eines groBen Theiles seiner An- hanger, welche Vernichtung der Schuldenbucher (tabulae novae) und Giitereinziehungen in groBem MaBstabe erwarteten. Vielmehr suchte er die hervorragenderen Manner aller Parteien an sich zu ziehen, um mit ihrer Hilfe den Staat auf Grund der ncu errichteten Monarchie zu ordnen und zu vervralten. 2. Caesars Stellung als Alleinherrscher. Seit dem Ausbruche des Btirgerkrieges wurden ihm allmahlich die hochsten Ehrenstellen der Republik iibertragen. Er wurde wiederholt Consul, Censor (prae- 1 Desliaib sclirieb er einem Freunde: veni, vidi, vici. 2 Nach Stoffel, Hist. de J. Cesar. Guerre civile, 2 Bde., 1887. liber den Cha- rakter der Schlacht vgl. den Ausspruch Caesars bei Plut., Caes. 56: Jipo; xoi>s oiloe; £i7tev, il>; 3toX).a/.i5 (j.£v aywvLaat”o rapl vr/.r^, vuv Sk repterov jtspi 'le/rj;. 266 Die Rom er. fectus morum), Dictator — die beiden letzteren VViirden iibernahm er auf Lebenszeit — erhiclt die tribunicisehe Gewalt auf Lebenszeit, wurde Mitglied derjenigen grofien Priestercollegien, denen er noch nicht angehorte, und erhielt durch Senats- und Volksbeschliisse noch aufierordentliche Vorrechte, so: Selbstandige Entscheidung iiber Krieg und Frieden, Verftigung iiber das Heer und die Finanzen, Ernenimng der Statthalter, Leitung der Beamtenwalilen u. s. w., und Ehren, wie: Den Titel «Vater des Vaterlandes*, der sechste Monat wurde nach ihm Julius benannt, prachtige Triumphe und Dankfeste wurden ihm zu Ehren veranstaltet u. dgl. Zum Ausdrucke der Alleinherrschaft nannte er sich bestšindig Imperator und liefi das Bild der Roma auf den Miinzen durch das eigene ersetzen. Seine Macht umfasste im wesentlichcn die des alten Kdnigthums, doch lehnte er die Krone wiederholt ab, da sie beim Volke hochst unbeliebt war. Seine Stellung beruhte auf dem Vertrauen des Volkes, sie erinnert in dieser Beziehung an die des Pericles. 3. Caesars Thaten als Alleinherrscher. Auch als Alleinherrscher suchte er das demokratische Programm des C. Gracchus durchzu- fiihren. Er strebte demr.ach an: a) Sociale Ilebung des romischen Volkes; b) Herabdruckung des Senats zu einer berathenden Behorde; c) Ausgleichung der RecMsverscliiedenheit der verschiedenen Staatsange- horigen. Obwohl er im ganzen nur 15 Monate als Alleinherrscher in Rom thatig war, hat er doch AuCerordentliches geleistet. a) Da er das sociale Hauptubel , die Sclaverei, nicht beseitigeu konnte, suchte er wenigstens die Noth des Volkes miiglichst zu mildern, Dahin gehort: Herabsetzung derSchulden, Einschrankung derZahlder Getreideempfanger (von 320.000 auf 150.000), Auffiihrung von grofien Bauten, Einengung der Speculationen der Ritter und Abschaffung der Verpachtung der directen Steuern in den Provinzen, Verbesserung der Polizei sowie der Gerichtsbarkeit, die er zwischen dem Senate und den Rittern theilte. Besonders wichtig aber wurde die Ansiedlung zahlreicher verarmter Burger in den Provinzen, namentlich in Gallia Narbonensis, Carthago 1 , Corinth; die Gesammtzahl der Colonisten wird auf 80.000 angegeben. Das sittliche Leben der hoheren Stande suchte er durch strenge Strafen gegen Ehebruch, durch Luxusgesetze, besonders gegen die iippigen Gelage, Einschrankung des Wuehers etc. zu heben. Diese Colonie war nach dem Sturze des C. Gracchus wieder eingegangen. Caesar als Alleinherrscher. 267 b) Die letzte Entscheidung nahm er selbst in Anspruch und driickte daher den Senat wieder zu einer berathenden Bekorde herab (S. 180). Er beniitzte ihn als Reicbsrath zur Vorberathung von Ge- setzen und zur Erlassung von wichtigen Verwaltungsmaflregeln. Da er die Halfte der Beamten, deren Stellung zum Eintritte in den Senat berechtigte, selbst ernannte, so iibte er einen entscheidenden Einfluss auf seine Zusammensetzung aus. Die game ausiibende Gewalt behielt er in seiner Hand. Er verwaltete die Finanzen, bestellte die Provinzial-Stattkalter, die er streng beaufsichtigte, entscbied wichtige Rechtsangelegenheiten nicht selten selbstandig, ordnete das verfallene Heereswesen, erriclitete an den Grenzen des Reiclies Stationen mit bestandigen Besatzungen u. dgl. Bei seinem Tode hinterliefi er iiber 100 Millionen Gulden, was den hochsten Cassenstand in der Bliite- zeit der Republik um das Zehnfaclie ubertrifft. c) Mit dem Grundsatze, dass Italien das herrschende Land und die Provinzen TJnterthanengebiete seien, bracli er und strebte Gleicli- stellung der Provinzen mit Italien an, so dass diese ebenso im Reiche aufgehen sollten, wie durcb den Bundesgenossenkrieg Rom in Italien aufgegangen war. Es entspricht dieser Anscbauung, dass er aucli Nieht-Italiker in den Senat aufnahm. Um dieses Ziel zu erreichen, forderte er iiberall die italiscbe und griechische Nation, deren Kraft und Cultur die Grundlagen des ganzen Reiches bilden sollten; des- halb erhielt das diesseitige Gallien das volle Biirgerrecht, und dem- selben Zwccke dienten die auswartigen Biirgercolonien. 1 Wie scbon in der griechisch-rbmischen Religion und Literatur ein Theil der gemeinsamen Cultur gegeben war, so forderte er diese aueh auf anderen Gebieten; so sehuf er eine neue Reichsgoldmiinze (Aureus) und ftibrte nach Ordnung des zerrtitteten Kalenders an Stelle des friiheren Mondcnjahres von 355 Tagen das agyptische Sonnenjahr ein. Ergebnis. Durch diese Mafiregeln strebte Caesar eine Staats- verwaltung an, die den modernen Einrielitungen sich niiberte; die ganze Kaiserzeit hatte zu thun, um auszufiihren, was er beabsichtigt, und zu vollenden, was er angefangen hatte. Er ist thatsachlicli der erste Kaiser (das Wort kommt von Caesar). 4. Caesars Ermordung. Persiinliche und politische Beweggriinde fuhrten zur Ermordung des Dictators. C. Cassius, dem Caesar die 1 Vor Caesar war Narbo Martius fast die einzige Burgereolonie auGerhalb Italiens. 268 Die Komer. 44 . 44-31. 44 u. 43. 44 u. 43. gewiinschte stadtische Pratur ni elit gegeben hatte, wird als Anstifter der Verschworung bezeichnet. Er gewann den edlen und beliebten M. Junius Brutus, einen begeisterten Anhiinger der Republik. All- mahlicli ervveiterte sich der Kreis der Verschivorenen auf ungefahr 60", ihnen erlag Caesar an den Ideen des Marž 44, von 23 Dolchstichen durebbobrt. 1 IV. Die Zeiten des Antonius und Octavianus, 44 bis 31. A. Die Wirren nach der Ermordung Oaesars, 44 nnd 43. 1. Allgemeine Lage in Rom. Caesars Ermordung rief zunachst allgemeinen SchrecJcen und Verwirruny hervor. Wohl glaubte der Senat, dessen Fiihrung jetzt Cicero, der sich in der letzteren Zeit ferne von den Staatsgeschaften den Wissenscliaften gewidmet hatte, iibernahm, dass seine Zeit wieder gekommen sei; aber in Wirklich- keit beherrschten bald der Consul M. Antonius, der ergebenste An- hanger Caesars, und C, Octavianus, des Ermordeten Grofineffe 2 und Universalerbe, die Lage. Der erstere, mehr Feldherr als Staatsmann, war sehr begabt, aber leichtsinnig und genussiichtig, der letztere, erst 19 Jahre alt, benahm sich sehr vorsichtig und gewandt. Auf Antrag des Antonius bestatigte der Senat sammtliche Verfiigungen (aeta) Caesars und ertheilte auch den Mordern Amnestie; es waren dies zwei einander eigentlich ividersprechende Beschliisse. Gegen die letzteren entflammte aber Antonius die Erbitterung des Volkes durch die offentliche Vorlesung des Testament.es Caesars, der die Burger reichlich bedacht hatte, und durch die Leichenrede bei dem feierlichen Leichenbegangnisse des Ermordeten. Die Versclivvorcnen mussten daher fliehen. 2. Mutinischer Krieg, 44 und 43. Als Antonius vom Senate die Verleihung des diesseitigen Gallien verlangte, wurde er abgewiesen und ihm, als er mit Waffengewalt sich in den Besitz dieser Provinz setzen wollte, vom Senate auf Betreiben Ciceros (die beriihmten vier- zehn philippischen Reden) der Krieg erkldrt. Diesen fiihrten im Auftrage des Senats die beiden Consuln und der Proprator Octavian, die Entscheidung zog sich um Mutina zusammen. Antonius wurde geschlagen und begab sich ins jenseitige Gallien, mit dessen Statt- halter M. Aemilius Lepidus er schon seit einiger Zeit in Unterhand- 1 Cie. schreibt an Attious (XIV, 21) iiber die Ermordung: aeta res est aninio virili, consilio puerili. 2 Er war der Enkel einer Schwester Caesars. Das zweite Triumvirat. 269 lungen stand. Da sich Octavian durch mehrere Verfiigungen des Senats, der ilm beiseite zu schieben suchte, verletzt fiihlte und erkannte, dass er nicht gleiclizeitig Antonius bekampfen und den Rachekrieg gegen die Verschworenen beginnen konne, beschloss er, sich mit Antonius, mit dem ilm die Abneigung gegen den Senat und der Hass gegen die Morder verband, zu verstandigen. B. Das zweite Triumvirat, 43. 1. Griindung des zweiten Triumvirats. Nachdem sich Octavian gegen den Willen des Senats das Consulat erzwungen batte, riickte er ins diesseitige Gallien ein und schloss mit Antonius und Lepidus bei Bologna das zweite Triumvirat (reipublicae constituendae), das liber zchn Jahre die Schicksale des Reiches bestirnmte. Die drei Manner verstandigten sicli hiebei iiber folgende Punkte: 1.) Die Begierung des Staates fiihren sie filnf Jahre gemeinsam, bestimmen fiir diese Zeit im voraus die Besetzung der Amter und theilen unter sich die Pro- vinzen des Westens (der Osten war in den H itn d en der Verschworenen); 2.) sie fiihren gemeinsam den Krieg gegen die Verschworenen; 3.) um ihre Gegner zu vernichten und die Mittel zum Kriegfiihren zu er- langen, werden umfassende Proscriptionen veranstaltet; 4.) die Veter anen werden durch Uberlassung von 18 der reichsten italischen Landstiidte zufriedengestellt. Die Zalil der Geachteten wird auf 130 Senatoren und 2000 Ritter angegeben, das bekannteste Opfer war Cicero. Die angemaCte Gewalt liefien sie sich vom Volke bestatigen. 2. Der philippensische Krieg, 42. Brutus und Cassius hatten sich nach dem Osten gefhichtet; ersterer iibernahm mit Genehmigung des Senats die Vervraltung Macedoniens, letzterer die Syriens. Sie zogen ihr Ileer bei Philippi zusammen, wo sie in ungefahr gleicher Starke, aber in gtinstigerer Lage — denn sie hatten die Hohen besetzt — ihren Feinden gegentiberstanden. Hier wurde das republi- kanische Heer in zvvei Schlachten besiegt, beide Ftihrer tiidteten sich selbst. Die Sieger trennten sich; Octavian iibernahm es, den Veteranen die versprochenen Giiter zu verschaffen, was mit der groCten Harte und Grausamkeit geschah, der sich dagegen erhebende Widerstand wurde mit Waffengewalt bezwungen; Antonius hatte die Aufgabe, den Osten zu unterwerfen, was ihm auch gelang. Der unbedeutende Lepidus, der mit Afrika abgefunden wurde, spielte keine Rolle mehr. 270 Die Romer, 3. Auflosung des Triumvirats. Bald traten zwischen Antonius und Octavian Zwistigkeiten ein, so dass es zwischen ihnen zum Kampfe zu kommen sckien. Da drangten beiderseits die Truppen zu einem Ubereinkommen, das zu Brundisium abgeschlossen wurde und dahin lautete, dass Antonius den Osten, Octavian den Westen des Reicbes — eine Linie sildlich von Scodra bildete die Grenze — verwalten solite. Trotzdem damals Octavians Schwester, die edle Octavia, den Antonius heiratete, entstanden bald neue Schwierig- keiten. Antonius beschrankte sich darauf, am Hofe der Cleopatra ein scbwelgeriscbes Leben zu fiihren, vvahrend Octavian den S. Pom- peius, der von Sicilien aus, das ihm die Triumvirn nebst Sardinien, Corsica und dem Peloponnes tiberlassen hatten, das Mittelmeer unsicher machte, in einem zweijiihrigen Kriege besiegte und seiner Gebiete beraubte. Nochmals vermittelte Octavia eine Zusammenkunft und Verstftndigung in Tarent (37), wo das Triumvirat, dessen fiinf- jahrige Dauer bereits abgelaufen war, auf weitere fiinf Jahre ver- langert wurde. Nachdem hierauf Octavian die Truppen des Lepidus gevronnen und dadurch diesen Afrikas beraubt hatte (er wurde zur Entschadigung Pontifex Maximus), sicberte er noch durcli gliickliche Kampfe gegen die Dalmater und Pannonier die Nordgrenze Italiens. Antonius unternahm inzwisclien nur einen misslungenen Krieg gegen die Partber. C. Die Schlacht bei Actium und die endgiltige Errichtung der Monarchie, 31. Veranlassung. Wabrend sicli Octavian durcli seine Thaten den Dank des Senats und des Volkes envarb, schadigte Antonius, der im Osten wie ein orientalisclier Fiirst auft.rat, scbwer den Staat, indem er an Cleopatra und ihre Kinder die asiatischen Provinzen verschenkte. Nachdem er audi noch Octavia verstofien hatte, veranlasste Octavian den Senat, an Cleopatra den Krieg und Antonius aller Ehrenstellen fiir unwiirdig zu erkldren. So kam es zum Kampfe. Schlacht bei Actium. Wie einst bei Pharsalus und Philippi, standen sich aucli bei Actium Osten und Westen gegeniiber. Antonius war an Land- und Seemacht uberlegen; auf Wunsch der Cleopatra entschied er sich fiir eine Seeschlacht — es ist die letzte groBe See- schlacht fiir viele Jahrhunderte. Octavians Flotte befehligte der groBte rbmische Admiral M. Vipsanius Agrippa, der die feindliche Flotte vollstftiidig schlug. Als Cleopatra floh, verlieB Antonius den Kampf- Prosa - Literatur. 271 platz noch vor der Entscheidung, sein Landheei’ ergab sich am siebenten Tage nac.h der Schlacht, da es vergebens auf die Wieder- kehr seines Feldlierrn wartete. Octavian verfolgte die Fliichtigen nach Aggpten, wo sich zuerst Antonius und dann auch Cleopatra selbst todtete. Antonius war an seinem Untergange selbst schuld. Agjpten wurde ein Tfteil des romischen Reiches. Ergebnis. Octavian machte den lOOjahrigen inneren Kampfen ein Ende, gab dem Reiche den Frieden zuriick und errichtete end- giltig die Alleinlierrschaft. V. Die romische Prosa-Literatur im letzten Jahrhunderte der Republik. Damals gelangte bei den Romern dio Prosa (friiher als die Poesie, vgl. dagegen S. 96) zu classiseher Vollendung. Am wich- tigsten waren ihi'e damaligen Leistungen in der Beredsamkeit, Ge- schichtschreibung und Philosophie. Beredsamkeit. In der alteren Zeit war die Beredsamkeit bei den Romern eine naturliche ; als besonders hervorragende Redner werden genannt: Appius Claudius Caecus, Cato Censorius, Scipio Aemilianus und vor allen C. Gracchus. In der Zeit der Biirger- kriege spielte die Beredsamkeit eine grolže Rolle, wie denn Cicero seine politisehe Bedeutung der Macht seines Wortes verdankte. Seit der Mitte des 2. Jahrhunderts lernte man bei griechischen Rhetoren die nothige allgemeine Bildung und lielB sich iiber Satzbau, Vortrag, Haltung, kurz alle rhetorisc.hen Kunstmittel unterrichten (S. 143). Der erste hervorragende Vertreter der schulmafjigen Beredsamkeit in Rom war Hortensius, der iiltere Zeitgenosse Ciceros. Der letztere be- zeichnet den Hohepunkt der romischen Beredsamkeit. Er ist der grofite romische Stilist, durch scine sprachliche Richtigkeit und stilistische Reinheit der Hauptvertreter der classischen Prosa. Ein Redner ersten Ranges war auch Cnesar. Geschichtschreibung. Wahrend die annalistische Darstellungs- vveise sich noch ins 1. Jahrhundert v. Chr. herabzieht, beginnt in dieser Zeit aucli seitens derRomer die JcunstmaJHge Darstellung der romischen Geschichte. Cornelius Nepos schrieb Biographien beriihmter Feldherren und Staatsmanner. Sallust verdanken wir die Monographien iiber die Catilinarisehe Verschworung und den Krieg gegen Jugurtha, Caesar die Berichte iiber seine Tkalen in Gallien und im Burgerkriege , die mit grofler Einfachheit und Klarheit abgefasst sind. 272 Die Romer. 30 v. bis 284 n. Clir. 30 v. bis 14 n. Chr. 27. Philosophie. An Untersuchungen tiber die Entstehung der Welt u. s. w. hatten die Romer ihrem Charakter gemiiD keine Freude ; doch begann die Philosophie in Rom seit dem 2. Jahrhunderte v. Chr. eine immer grofiere Rolle zu spielen (S. 234). Die Romer hielten sich sclavisch an die Leistungen der Griechen und bescliaftigten sich nur mit der Ethik, die nach dem Verfalle der Religion den Gebikleten den Stiitzpunkt fiir ihr moralisches Verhalten bieten solite. Deslialb pfiegten die Romer besonders die epicuraische und die stoische Philo¬ sophie. Das groi3te Verdienst um die Verbreitung der Philosophie ervrarb sich Cicero, der in seinen letztcn Lebensjahren seine Lands- leute mit den Hauptergebnissen der griechischen Philosophie bekannt machte. IDritter Zeitraru-rti. Rom unter Kaisern, 30 v. bis 476 n. Chr. 1 Erster Abschnitt. Die Zeit des Principats (von Augustns bis auf Diocletianus), 30 v. bis 284 n. Chr. Quellen. Die wichtigsten literarischen Quellen sind Tacitus (um 80) und Dio Cassius (3. Jahrhundert). Die Geschichtsehreiber be- schranken sich fast ganz auf die hauptstadtischen Ereignisse und die kriegerischen Vorgange, das Leben in den Provinzen vernachlassigen sie. Ilire Angaben werden erganzt und vielfacli aucli berichtigt durch den Inhalt des Sammelwerkes eorpus inscriptionum Latinarum, lieraus- gegeben von Th. Mommsen, das eine eingehende Darstellung der Culturverhaltnisse in den Provinzen ermoglicht. I. Von Augustus bis auf Vespasianus, 30 v. bis 69 n. Chr. Die Kaiser aus dem julisch-claudischen Hause, Galba, Otho und Vitellius. Begriindung und Fortbildung des Principats, Bliitezeit der romischen Poesie und Kunst. 1. Caesar Augustus, 30 v. bis 14 n. Chr. Begrundung der neuen Verfassung. Im Jahre 27 legte Octavianus die auOerordentliche Macht, welche er noch immer auf Gr und des zweiten Triumvirats inne hatte, nieder und begriindete, unterstiitzt von seinen Freunden Agrippa und Maecenas, die neue Staatsordnung. Diese kann nioht als Monarcbie bezeicbnet vverden, 1 Hauptsacblich beniitzt wurden : Hertzberg, RBmische Kaiserzeit (beiOncken); Schiller, Geschicbte der rSmischen Kaiserzeit (2 Biinde); Mommsen, liomische Ge- schichte (6. Band), und Durug-Hertzberg, Gescliichte des romischen Kaiserreiches bis zum Einbruche der Barbaren (bis zum Jahre 395, 5 Biinde). Augustus 273 da die staatsrechtlich geregelte Nachfolge fehlte und da er die Factoren der republikanischen Verfassung nicht beseitigte. Richtiger kanu man sie als Dyarchie, d. h. als Zvveiherrschaft des Senats und des Herrschers, bezeichnen. Fiir die neue Machtstellung gebrauchte Augustus gerne den Ausdruck Princeps (sc. civium), so dass man die von ihrn begriindete Verfassung, die sich etwa 300 Jahre hielt, auch als Principat bezeicbnet. Einen eigentlichen Amtstitel fiihrt jedoch der neue Herrscher nicht; denn das Wort Imperator wird seit Augustus zum Vornamen der Kaiser an Stelle des bisher gebraucbten Pranomens gemacht, der Ausdruck Augustus bezeicbnet eine religiose Weihe. Die Voraussetzung fiir die neue Staatsordnung bildete das grofie Friedensbediir/nis nach dem lOOjahrigen Burgerkriege. 1 Stellung des Princeps. Die Stiitzen seiner Macht waren die proconsularische und die tribunicische Gewalt. Die erstere war zeitlicli und raumlich nicht beschriinkt und verlieh ihm den Oberbefehl iiber sammtliche Soldaten, das Recht, alle Officiere zu ernennen und alle Soldaten zu entlassen ; sie bildete den eigentlichen Schiverpunkt seiner Macht. In den nicht vollig beruhigten und in den Grenzprovinzen vrarden stehende Truppen unterhalten, deren Gesammtzahl, unter Augustus etwa 250.000 Mann, mit Riicksicht auf die GroBe des Reiches — liber 5 1 / 2 Millionen km 2 — sehr klein war. Dadurch war von vornherein eine Angriffspolitik ausgeschlossen. Auch in Italien gab es stehende Truppen, und zwar: a) Die erst 9000, dann 10.000 Mann starken kaiserlichen Leibwachen (cohortes praetoriae) unter dem Com- mando von zwei praefedi praetorio; b) die stadtische Polizeimann- schaft (4 cohortes urbanae) — seit Tiberius — unter dem Commando des praefectus urhi; c) die militarisch organisierte Feuerwehr (7 cohor¬ tes vigiluin) unter dem praefectus vigilum. Augustus rief auch eine stSndige Kriegsflotte ins Leben, deren Stationsplatze Misenum und Ravenna waren. Die tribunicische Gewalt bedeutete wegen der mit ihr ver- bundenen Unverletzlichkeit^ des groflen Einflusses auf die Gesetz- gebung und des fast schrankenlosen Vetorechtes die liochste burger- liche Macht . 2 1 Tac. Ann. I, 1: (Augustus) cuncta discordiis civilibus fessa nomine prin- cipis sub imperium accepit. 2 Tac. Ann. III, 56: id suinmi fastigii vocabulum Augustus repperit, ne regis aut dictatoris nomen adsumeret. ac tamen appellatione quadam aliqua cetera imperia praemineret. Zeclie, Geacliiehtu de« Altertlnuns. .18 274 Die RSraer. Dazu kamen, ahnlich wie bei Caesar, an dessen Beispiel sich Augustus im wesentlichen hielt, zahlreiche Einzelrechte, so: Beein- flussung der Beamtenvrahlen, Uberwachung des Senats, Oberanfsicht liber die Provinzen, Entscheidung iiber Krieg und Frieden, Mitglied- schaft in allen hoheren Priestercollegien; der Kaiser erlieC aucb rechts- giltige Verfiigungen, ernannte die Geschwornen und galt als oberste Appellationsinstanz ftir alle Burger. Stellung des Senats. Der Senat, in seiner Zusammensetzung vom Kaiser abhangig, wurde von diesem berufen; der Kaiser gab auch gevvohnlich zuerst die Stimme ab und beeinflusste dadurch das Collegium. Die Mitregierung des Senats auDerte sicli besonders auf dem Gebiete der Verwaltung. a) Provinzialverwaltung. Die Provinzen tlieilte Augustus in kaiserliche und senatorische. Die ersteren wurden an Stelle des Kaisers von Legati Augusti pro praetore verwaltet, die der Kaiser ernannte; die Einhebung der Steuern und die Auszahlung des Soldes besorgten die neu eingefiihrten Procuratores. 1 Die Statthalter und die hoheren 11 v. Chr. Officiere mussten dem Senatorenstande angehoren. Seit 11 v. Chr. wurde jedes neu eroberte Gebiet kaiserliche Provinz. Die senatorischen Provinzen wurden durch Proconsuln verwaltet, deren Ernennung dem Senate oblag und die dem Senatorenstande entnommen wurden; doch kam dem Kaiser ein Beaufsichtigungsrecht (imperium majus) auch iiber sie zu. Die Finanzgebarung besorgte der Qudstor. Augustus fiihrte in den meisten Provinzen Landtage (communia) ein, die aus den Abgeordneten der sich selbst verwaltenden Stadte gebildet wurden und das Recht hatten, Wiinsche und Besclnverden zur Kenntnis der Regierung zu bringen (Anfange einer Reprasentativ- Verfassung). TJberhaupt haben die besseren Kaiser der Verwaltung der Provinzen ihre besondere Aufmerlcsamkeit zugewendet, sie vor den Bedriickungen der nun besoldeten Beamten geschiitzt und die weitere Ausgleichung zwischen Italien und den Provinzen durch Verleihung von Btirgerrecht, Griindung von Colonien etc. angebahnt. So wurde das Principat zum Segen ftir die Provinzen, die auch seine Errichtung mit Freude begriiOten. b) Finanzverwaltung. Anfangs schied das Principat scharf zwischen der Privatcasse des Herrschers (fiscus) und der Staatscasse (aerarium). Die Verwaltung der letzteren stand dem Senate zu, erst 1 An die Spitze der Lehensiierrscliaften (Agypten, Rjitien, Noricum) stellte der Kaiser dem Ritterstande entnommene Priitecten oder Proenratoren. Augustus. 275 Nero scheint die Verfugung iiber sie beansprucht zu haben. Anfangs leisteten tvahrscheinlich die Kaiser finanziell dem Staate mehr, als sie von ibm empfiengen, denn sie bestritten den Sold der Soldaten, die Kriegsausgaben und sorgten fiir rvichtige Zweige der haupt- st&dtischen Verwaltung. Ihre Haupteinkiinfte bestanden im Ertragnisse ihrer riesig groben Latifundien und im Tributum der kaiserlichen Provinzen. Augustus gestand dem Senate eine Mitwirkung auf dem Gebiete des Munzvoesens zu; die Kupfermunzen wurden darnach vom Senate, die Silber- und Goldmiinzen vom Kaiser ausgepragt. Die Kriege unter Augustus. Diese hatten einen defensiven Cbarakter und bezweckten besonders die Gewinnung der Donau- und die Sicherung der Rheingrenze. Die Kiimpfe mit den vvilden Cantabrern und Asturern im nw. Spanien, welche mit der fast ganzlichen Ausrottung der ersteren im Jahre 20 endeten, sicherten Spanien die innere Ruke. Als Augustus in demselben Jahre in Annenien einen Vasallenkonig einsetzte, leistete der Partherkonig keinen Widerstand, sondern lieferte die erbeuteten romischen Feldzeichen aus (S. 262). Nachdem Augustus selbst in den Jahren 35 bis 33 die Besiegung der illvrischen Pannonier begonnen hatte (S. 270) und im Jahre 29 Bulgarien und Serbien (Provinz Mosieri) unterworfen worden waren, lieI3 er durch seine Stiefsohne Drusus und Tiberius in den Jahren 15 und 14 die den Etruskern verwandten ratischen und die celtisehen Volkerschaften der Alpen- lander unterwerfen, wodurch Italien endlich gegen deren Einfalle ge- schiitzt und Rčitien mit Vindelicien, Noricum und Pannonien dem Reiche hinzugefugt wurden. Zur Sicherung Galliens fiihrten Drusus (12 bis 9) und Tiberius (8 v. bis 6 n. Chr.) gegen die Germanen des nw. Deutsch- lands erfolgreiche Kampfe. Schon schien e§, dass dieses dauernd der romischen Herrschaft einverleibt werden solite, als der Sieg des Cheruskerfursten Armin ttber den unfahigen Statthalter P. Quinctilius Varus im Teutoburger Walde (9 n. Chr.) Augustus bestimmte, die Reichsgrenze an den Rhein zuruckzuverlegen und daselbst eine Art Militargrenze zu errichten. Zu diesem Zwecke wurden von Gallien die beiden Provinzen Germania superior und inferior abgetrennt, welche in der Nahe der Moselmiindung aneinander grenzten; in jeder standen im ersten Jahrhunderte der Kaiserzeit ungefahr 30.000 Sol- daten, deren Hauptquartiere Castra Vetera (bei Xanten) und Mogon- tiacum (Mainz) waren ■ — die beiden Ausfallsthore gegen die Germanen. Die -vveitere Thatigkeit des Augustus betrifft die Religion, Lite¬ ratur, Kunst und materielle Cul tur. ih< 20 . 29. 15 u. 14. 12 — 9. 8 v. bis 6 n. Chr. 9 n. Chr. 276 Die Rom er. Religion. Infolge der Ausbreitung der romischen Herrschaft liber den hellenistischen Osten, die Verwendung der im Oriente aus- gehobenen Truppen aueh im Westen und die Einwanderung von Orientalen nach Eom drangen im letzten Jahrbunderte der Republik orientalische Gottbeiten in den Kreis der griechisch-romischen ein, so dass allmahlich eine formliche Gottermischung eintrat. Namentlich verbreitete sicb die Verehrung der Isis und des Serapis (S. 152), von vvelcben die erst.ere als Schutzgottheit bei Seereisen, der letztere als Ideilgott verebrt wurde, der Astarte (S. 23) und des Mithra (S. 39 und 152). Wahrend Augurat und Haruspicin ihre Bedeutung verloren (den Auguren war die Lehre von den Auspicien schon zu Ciceros Zeit unbekannt), gewann seit dem ersten nachchristlicben Jabrhunderte in den vornehmen Kreisen die Astrologie der Magier immermebr Einfluss. Augustus verbot ilinen bei Todesstrafe zu weissagen. Die alte Religion suchte er durch die Forderung des Cultus der Laren, der Scbutzgottheiten des Hauses und der Kreuzwege, zu lieben ; denn die Laren waren bei den unteren Standen so beliebt, dass sie ihnen eigentlich die ganze Gottervvelt ersetzten. Besonders wichtig wurde seit Augustus der Kaiser cultus , d. h. die Verehrung des kaiserlichen Genius (S. 174), der zum Reichslar 1 erboben wurde und neben den anderen Laren verebrt wurde. Jede Stadt hatte einen eigenen Flamen des Augustus, in allen Provinzen erboben sich Altiire des Augustus und der Roma, so dass dieser Cultus der eigentliche Ausdruck der Reichsreligion wurde. Literatur. 1.) Poesie. Von Augustus und Maecenas vielfach gefordert, erreichte damals die Poesie (wie die Kunst) ihren Hohe- punkt; dankbar stand sie auch auf der Seite des Kaisers. Sie ist dem Inhalte und der Form nach vom Hellenismus abhiingig, so dass sie besonders lyrische und epische Werke schuf und sich nach der metrischen und poetiscben Technik der Griechen richtete. a) Lyrik. Der Lyrik gehoren die bedeutendsten poetischen Lei- stungen der Romer an. Die Elegie erreichte ihre groBte Vollendung in den Werken des Ovidius, Tibullus und Propertius. Der hcrvor- ragendste Odendichter ist Horatius, der sich Alcaus und Sappho (S. 98) zum Vorbilde nahm. Er ist auch der bedeutendste Vertreter der Satire, der einzigen dichterischen Gattung, welche die Romer von den Griechen unabhiingig ausgebildet haben; er geifielt darin ohne 1 Damals vvurden Laren, Penaten und Genien nicht mehr voneinander ge- sehieden. Ov. Past. II, 59 und 60 und V, 128 fg. Augustus. 277 Bitterkeit die Thorheiten seiner Zeit. Verwandt im Inhalte sind die F/pisteln, die aber an bestimmte Personen gerichtet sind. b) Epos. Das National-Epos der Romer war die Aeneis Vergils, welcher in den Irrfahrten des Aeneas die Odyssee und in den Kiimpfen um die Herrschaft iiber Latium die Ilias sicli zum Muster nahm. Auch Ovid gehort durch seine Metamorphosen den Epikern an. c) Drama. Die Biihne der Kaiserzeit beherrschte der Mimus und der Pantomimus. Der erstere war eine mit Flotenspiel und Tanz verbundene Posse, die ihren Inhalt dem verderbten hauptstadtischen Leben entnabm; der letztere bestand in der balletartigen Darstellung eines dramatischen Gegenstandes nur durch Tanz und rhythmische Geberden, von einem einzigen Tanzer ausgefilhrt. Es war das Lieb- lingsstiick der vornehmeren Stande; iibrigens entbehrten beide des Kunstwertes. 2.) Prosa. Damals schrieb Livius die romische Geschichte von der Griindung der Stadt bis zum Tode des Drusus, ausgezeichnet durch hingebende Vaterlandsliebe und warme Begeisterung fur die groGen Thaten seines Volkes. Kunst. Unter Augustus entstanden zahlreiche und hervorragende Baiuverke. Er selbst stellte 82 Tempel wieder her, schuf das erste der prachtigen Kaiserfora und vollendete die von Caesar begonnene Basilica Julia; von Agrippa wurde das Pantheon erbaut, ein groG- artiger cylindrischer Bau von 42 m Durchmesser und innerer Hohe, von einer Kuppel in Form einer Halbkugel bedeckt das schonste romische Baudenkmal. Das Beispiel des Kaisers rief eine bedeutende Kunstthatigkeit hervor, so dass er sich riihmen konnte, Rom, das er als eine backsteinerne Stadt kennen gelernt, als eine Marmorstadt zu hinterlassen. Auch in anderen Stadten wurden damals hervorragende Bauten geschaffen, so z. B. in Pola der Tempel des Augustus und der Roma. Nach des Kaisers eigener Aussage hat ilim Rom etwa 80 silberne Statuen gesetzt; eine der schonsten erhaltenen romischen Portraitgestalten ist die Marmorstatue des Augustus. In den kaiser- lichen Kunstsammlungen in Wien belindet sich die beriihmte Onyx- (jemme, welche die Apotheose des Augustus darstellt. Materielle Verhaltnisse. Die Landwirtschaft und Gartencultur 1 waren damals weit vorgeschritten (S. 165), infolge des Friedens hoben 1 Den Romern verdanken Deutsehland, Eng-land und Frankreich die Anfange ihrer Gartencultur, Europa die Verbreitung des Pflaumen-, Mandel-, Kirschen- und Aprikosenbaumes. Columella (1. Jahrhundert, de re rustica) behandelt besonders liebe- voll die Gartenpflege. 278 Die RSmer. sieli Industrie und Handel, der letztere wurde durch ein groGaftiges StraGennetz und die Einheit von Miinze 1 , MaG und Gewicht gefordert. Die Einhebung der Steuern wurde seit Augustus allmablich den Pachtern entzogen. Er legte ungefakr 60 Colonien an, nahm die Ver- sorgung Roms mit Lebensmitteln 2 (cura annonae) selbst in die Hand und richtete eine Reichspost ein, welche nur Staatsauftrage und Staatsbeamten beforderte. So ubte er wirklich die auGerordentliche Thatigkeit aus, welche die neue Verfassung vom Herrscher verlangte. Charakter und Tod des Augustus. Augustus war ein ruhig denjtender Verstandesmensch ohne hervorragendemilitarischeBegabung. Durch seine vielfach ersprieCliche Thatigkeit und sein kluges, ent- gegenkommendes Verhalten gewohnte er die Romer an seine Herr- schaft. Er unterstiitzte die Kunst und Wissenschaften und zog bedeu- tende Dichter und Schriftsteller in seine Nahe. In seinem- Privatleben war er maBig und einfach; 40 Jahre lang bewohnte er dasselbe Zimmer in einem bescheidenen Hause auf dem Palatin, wie ein ein- facher Burger erschien er in den Tribusversammlungen und als Zeuge vor Gericht. Wabrend er sonst durchaus vom Gliicke begtinstigt war, hatte er in seinem Familienleben viel Ungliick; seine Schwiegersohne Marcellus und Agrippa, seine Enkel L. und C. Caesar, sein Stiefsohn Drusus starben vor ihm: sie alle hatte er lieber zu Nachfolgern gehabt als Tiberius, den er zuletzt adoptierte. Stammtafel des julisch-claudischen Hauses. Cn. Octavius, vermahlt mit Atia, einer Schwester des C. Julius Caesar. Oetavia Antonia, verm. Domitius mit Domitius verm. mit Ahensbarbus Augustus, vermahlt mit a) Clodia, b) Scribonia, c) Livia (erster Gemahl: Ti. Claudius Nero) Julia, vermahlt mit Agrippina a) Marcellus, b) Agrippa, c) Tiberius Tiberius Drusus Drusus Messalina Nero f 68 C. Caesar, L. Caesar, Agrippina (verm. mit Germanicus) Caligula, Agrippina Nero Germanicus Claudius • (Gemahlin: (Gemahlin: Agrippina) Messalina) Oetavia, Britannicus 1 Der Aureus war clie einzige Gold-, Denar und Drachme waren die einzigen Silbermunzen, und auch die Kupfermunzen hatten iiberall Geltung. 2 Tac. Ann. I, 2: mili tem doniš, populum annona, cunctos dulcedine otii pellexit. Das Getreide wurde aus den italischen Inseln, Siidspanien, Afrika und Agjpten eingeftihrt. Die Claudier. 279 2. Die Claudier. Tiberius (14 bis 3 7). Unter Augustus zuriickgesetzt, war er 14 — 37. schon 55 Jahre alt, als er zur Regierung kam, in deren Besitze er stets befiii-chten musste, durch eine Revolution beseitigt zn werden. Deshalb und infolge der Enttauschung, die ihm Seianus bereitete, steigerte sich sein verschlossenes und misstrauisches Wesen zu Menschenhass und Grausarnkeit. Der Gardeprafect Seianus beredete ihn, die Pratorianer, von denen bisher nur der dritte Theil in Rom selbst stand, in einem einzigen Lager im NO. Roms zu vereinigen, \vodurch ihnen und ihren Commandanten in der Folgezeit ihre Macht zum Bewusstsein kam. Nacb dem friihen Tode des Germanicus ver- suchte Seianus, durch Mordthaten sich selbst den Thron zu ver- schaffen; so vergiftete er Drusus, den Sohn des Kaisers, und be¬ reitete der Witwe des Germanicus und ihren Sohnen den Untergang. Wahrend er Tiberius zur Ubersiedlung nach Capri bestimmte, von wo dieser nicht mehr nach Rom zuriickkam, herrschte er daselbst mit der groBten Willkiir; als er aber eine Verschvvorung gegen den Kaiser wagte, wurde er in dessen Auftrage vom Senate zum Tode verurtheilt und hingerichtet. Wahrer.d das Misstrauen des Kaisers in Rom zahlreiche Processe wegen Majestatsverbrechen 1 , deren Begriff auch auf Schmahungen des Kaisers durch Wort und Schrift ausgedehnt wurde, veranlasste und das Unwesen der Delatoren (Spione), die reichlich belohnt wux - den, immermehr um sich gritf, zeichnete er sich durch strenges Pflicht- gefiihl, Sparsamkeit und musterhafte Verwaltung der Provinzen aus, so dass er in dieser Beziehung einer der besten Kaiser gewesen ist. Caligula (37 bis 41) und Claudius (41 bis 54). Nach der 37—41. schmahlichen Regierung des wahnwitzigen und tyrannischen Caligula 41—54. folgte der unselbstandige, von Freigelassenen und seinen sittenlosen Gemahlinnen Messalina und Agrippina beherrschte Claudius, unter welchem Mauretanien, Britannien und Thracien romische Provinzen wurden. Ihm folgte durch Adoption Nero (5 4 bis 68). Die ersten fttnf Jahre, solange er sich vom 54—68. Stoiker Seneca und dem Gardeprafecten Burrus leiten liefl, regierte er wohlthatig. Als ihm aber seine herrschsiichtige Mutter Agrippina drohte, den Sohn des Claudius, seinen Stiefhruder Britannicus, auf den Thron zu erheben, liefi er diesen, spater sogar seine eigene 1 Das «M;\jestatsgesetz» kniipft an die altromischen Bestimmungen gegen Hochverrath und thiitliclie Beieidigung der Beamten an. 280 Die Komer. Mutter und seine Gemahlin Octavia todten; Seneca gab sich in seinem Auftrage selbst den Tod. Er schandete ferner seine Stellung dadurch, dass er in Italien und Griecbenland als Wagenlenker im Circus, als Sanger und Zitherspieler auftrat — der einzige Kaiser, welcher sich selbst fur einen Kunstler hielt. Der Brand, welcher einen groflen 64. Theil Roms einascherte (64), ist wolil nicbt ihm zu Lasten zu legen; aus Riicksicht auf das erregte Volk liefi er einige Christen aufgreifen und hinrichten; mehrere dienten als «lebende Fackeln» bei den Festen, die er dem Volke bot. Der schmahliclie Charakter seiner Regierung fuhrte seinen Sturz herbei, indem gegen ihn die Legionen Galba, den Statthalter in Spanien, auf den Thron erhoben; auf der Flucbt vor ihm endete Nero durch Selbstmord. 68 u. 69. 3. Galba, Otho und Vitellius, 68 und 69. Galba wurde wegen seines Geizes von den Pratorianern ermordet, welche hierauf Otho, einen ehemaligen Genossen Neros, zum Kaiser ausriefen, wahrend die germanischen Legionen ihren Befehlshaber, den Schlemmer Vitellius, auf den Thron erhoben. Von dessen Truppen besiegt, todtete sich Otho selbst, Vitellius aber wurde von den Truppen Vespasians, den diese inzwischen im Oriente zum Kaiser ausgerufen hatten, ermordet. Von da an hat Italien 200 Jahre lang keinen Auf- stand und keinen siegreichen Feind gesehen. Aufier Augustus fanden alle bisherigen Kaiser ein gewaltsames Ende. 4. Verfassung, sociale Zustande und Romanisierung. Verfassung. Fortbildung und Mangel des Principats. Eine Fort- bildung erfolgte durch Tiberius, \velcher die Criminalgerichtsbarkeit, Gesetzgebung und Wahl der Beamten dem Senate iibertrug; damit horte die Bedeutung der Volksversammlung auf, der Vertreter der Volksrechte war der Kaiser. Im Vergleiche mit der schlechten Provinzialverwaltung durch den Senat war das Principat ein groBer Fortschritt, anderseits traten schon damals zwei Schattenseiten zutage, namlich: 1.) Die Mitregierung des Senats. Indem dieser von den stolzen Erinnerungen der Vergangenheit zehrte, kampften die ganze Zeit der Claiidier hindurch die senatorischen Geschlechter mehr oder weniger offen gegen die Kaiser, die dadurch mit Misstrauen und Eifer- suclit gegen den Senat erfitllt wurden. 2.) Der Mangel ein er gesetz- lichen Bestimmung iiber die Nachfolge. Claudius wurde durch die Pratorianer zum Kaiser ausgerufen, sie unterstiitzten auch die Sociale Zustande und Romanisierung. 281 Tlironbesteigung Neros und Othos, wahrend Galba, Vitellius und Vespasianus ihre Erhebung den Legionen verdankten. Sociale Zustande. Es kommen besonders die Gliederung der Freien in Stande, der Luxus und die Spiele in Betracht. Gegeniiber der Masse des Vollces (plebs) bildeten die Senatoren und Ritter, welche durch Reichthum hervorragten und die hoheren Amter bekleideten (S. 274), adelige Stande. Das Volk bestand g r o 131 e n 11 1 e i 1 s aus Proletariern, welche Brot und Spiele (panem et circenses) verlangten. Sie fanden theilweise Beschaftigung beim Acker- bau und Geiverbe, besonders aber drangten sie sieh zum Heeresdienste. Diesem Stande gehorten auch die zahlreichen Freigelassenen an, von denen einige unter Claudius zu groben Reiclithiimern und hochst einflussreichen Stellungen gelangten; da die Freigelassenen den ver- schiedensten Nationen entstammten, zersetzten sie immermehr den nationalen Charakter des Volkes. Die Zeit des grofiten Luxus rechnet Tacitus 1 von der Schlacht bei Actium bis auf Vespasian, die Mittel hiezu boten die Reiclithiimer, welche sich im SclioBe einzelner Familien ansammelten. Das grofite uns bekannte Vermogen der Kaiserzeit wird doppelt so grofi als das des Crassus angegeben, ist also immerhin klein im Verhaltnisse zu den grofiten Vermogen der Gegenwart. Der Luxus aufierte sich besonders als Tafel- und Bauluxus (Kostbarkeit des' Materials und Pracht der inneren Ausstattung), bei Todtenbestattungen (Leichenzug, Scheiterhaufen, Verbrennen verschiedener Gegenstande, Gladiatoren- kampfe) und als Sclavenluxus; die Zalil der Sclaven betrug in vor- nehmen Hausern nicht selten mehrere Tausende. Die Zahl der Tage, an welchen offentliche Spiele abgehalten wurden, stieg von 66 unter Augustus auf 175 um die Mitte des 4. Jahrhunderts! Am beliebtesten waren die Gladiatorenspiele und Thierhetzen, die allmaldich auch im Osten Eingang fanden; wiederliolt wurden mehrere hundert Biiren und Lowen auf einmal gegeneinander gehetzt. Wurde die Arena des Amphitheaters unter Wasser gesetzt, so konnten Seekampfe (Naumachien) aufgefuhrt werden. Romanisierung. Die Verwaltung berulite auch jetzt wesentlich auf den Stadten, in deren Selbstverwaltung durch den Gemeinderath (curia, S. 245) die ersten Kaiser fast gar nicht eingriffen. Die Rechts- pflege besorgten die IV (in den Colonien die II) viri jure dicundo, die Polizei die IV(II) viri aediles, die Casse venvalteten die Quastoren. 1 Arin. III, 55. 282 Die Kamer. Nach dem Vorgange des Augustus forderte das Principal auch rveiterhin durch die Griindung zahlreicher Stadte (vgl. Alexander) im ganzen Westen des Reiches die Romanisierung. Besonders stark romanisiert wurden Špani en (Corduba, Caesaraugusta; jetzt Cordova und Zaragoza), das stadtereiche Gallien (Lugdunum, Augusta Treverorum; j. Lvon und Trier), das romisehe Germanien (Colonia Aggrippina, j. Koln), Britannien (Eboracum, j. York), Noricum mit Celeia (Cilli), Aguontum (Lienz), Virunum (bei Klagenfurt), Juvavum (Salzburg), die Kfiste Dalmatiens (Salona, j. Spalato), das westliche Pannonien (Poetovio, Vindobona, Carnuntum; j. Pettau, Wien und Petronell). — Im Osten begiinstigten die Rdmer die Hellenisierung; Griechisck wurde bis nach Indien binein und bis an den Sir verstanden, die wirkliche Durcbdringung des griechischen Wesens horte aber am Euphrat auf (S. 262). 69 — 193. II. Von Vespasianus bis auf Septimius Severus, 69 bis 193. Die Flavier und die Adoptivkaiser. Umbildung des Principats zur Monarchie. 1. Die Flavier. 69 — 79. Vespasianus (69 bis 7 9). Der Aufstand der Juden(66 bis 70). 66 — 70. Caesar hatte an die Spitze Palastinas ein idumaisches Geschlecht ge- stellt, das als ein nicht rein liebraisches den national gesinnten Juden verhasst war; aus diesem Geschlechte stammte Herodes. Wenige Jabre nach seinem Tode wurde das Land eine romisehe Provinz, die ein Procurator verwaltete. Aus Hass gegen die Fremdherrschaft und den Kaisercultus, den Caligula auch in Jerusalem einfuhren wollte, er- hoben sich die Juden und kiimpften mit begeistertem Muthe, wurden aber von Titus nach der Erstiirmung und Zerstorung Jerusalems, das die in Parteien zerissenen Juden hartniickig vertheidigten, unter- worfen. Zur Verherrlichung des Sieges wurde der Triumphbogen des Titus erbaut; auf ihm erscheint bereits das romisehe oder Com- positacapital, die unschone Verbindung des jonischen und corinthischen Capitals — ein Ausdruck der romischen Prunkliebe. Die Regierung im Innern; Quintilian. Vespasian ist der erste aufierhalb Roms geborene Kaiser. Wie er selbst sparsam lebte, trat er auch den grofi ten Ausschreitungen des Luxus entgegen, ordnete die Finanzen und stellte die zerrtittete Disciplin der Soldaten wieder her. Im Gegensatze zur bisherigen Gepflogenheit (S. 209) sorgte er von staatswegen fur das hohere Unterrichtswesen, indem er die Die Flavier. 283 Lehrer der Rlietorik (S. 143) besoldete; 1 er erreichte dadurch, dass die grundsatzliche Bekampfung des Kaiserthums sich immermehr auf die republikanisch gesinnten Stoiker beschrankte. Die Kunst der Rede galt namlich damals als der Hauptbestandtheil der Bildung, weshalb sich die vornehme Jugend in die Rhetorenschulen drangte, in welchen sie eine encyklopadische Bildung erhielt. Durch die Schule beeinflusste die Rhetorik alle Zweige der Literatur mit Ausnahme der Rechts- wissenschaft bis iiber den Ausgang des Alterthums hinaus in un- giinstiger Weise. Der bertihmteste lateiniscbe Rhetor war damals Quintilianus, der ebenfalls von Vespasian angestellt wurde und zwanzig Jahre lang in Rom lehrte; sein Werk Institutio oratoria, das Meisterwerk der antiken Redekunst, enthalt das Svstem des gesammten rheto- riscben Wissens und Wirkens. Endlicb erbaute Vespasian das Colos- seum (S. 169), dessen Langsachse 188 und dessen Querachse 156 m lang ist; es war in vier Stockwerken aufgebaut, von denen die drei unteren mit Halbsaulen, das oberste mit Pilastern, d. h. flachen Wand- pfeilern, geschmilckt waren. Ihm folgte sein Sohn Titus (7 9 bis 81). Wegen seiner Milde wurde er cimor et 79 — 81 deliciae generis humani genannt. Im Jahre 79 fand der erste bekannte 79. Ausbruch des Vesuv statt, durch welchen die Stadte Pompeji, Hercu- laneum und Stabiae theils durch einen Aschenregen, theils durch Lavastrome zerstort wurden. Aus den Uberresten des zum grofleren Theile ausgegrabenen Pompeji konnen wir auf den damaligen Wohl- stand und die lebhafte Kunstpflege schliefien, da selbst in diesem kleinen Stadtchen die Wohnungen kunstlerisch ausgeschmiickt waren. Bei diesem Ausbruche fand auch der altere Plinius, damals Befehls- haber der Flotte in Misenum, den Tod; er ist der Verfasser einer Encyklopadie (historia naturalis), welche Ausztige aus vielen natur- wissenschaftlichen Werken und auch geschichtliche Notizen enthalt und im Mittelalter ein wichtiges Lehrbueli war. Sein Bruder Domitianus (8 1 bis 96) war misstrauisch, habsvichtig, grausam, 81^-96 einer der grbflten Tyrannen auf dem Kaiserthrone, unter dem die Verfolgungen wegen Majestatsverbrechen und die Delatoren wieder auflebten. Durch die lebenslangliche Ubernahme der Censur entschied er iiber die Zusammensetzung des Senats, so dass dessen Mitherrschaft tliatsachlich beseitigt wurde. Aus der iiuGeren Politik sind die Er- oberung Britanniens und die Errichtung des Grenzivalles gegen die Germanen zu erwiihnen. 1 Er verausgabte hiefiir jahrlich 12.000 fl.; viele Stadte folgten seinem Bei- spiele. Bald wurden auch Arzte besoldet,. 284 Die Romer. Die Eroberung Englands (S. 260) wurde durch Agricola, den Schwiegervater des Tacitus, der auch sein Leben besehrieben bat, ziim Abschlusse gebraclit und Schottland bis zu den Meerbusen des Fortli und Clyde unterworfen. Der Grenzwall (limes), welchen Do- mitian gegen die Germanen zu bauen begann, schiitzte die romischen Besitzungen ostlich vom Rhein und nordlich von der Donau, die von Andernacli bis zur Miindung der Altmiibl reicbten, bis zur Mitte des 3. Jabrhunderts gegen den Ansturm der Germanen. Der Limes, dessen noch erbaltene Tbeile Teufelsmauer, Pfablgraben u. s.w. ge- nannt werden, war ein Wall, der durch Pfahlwerk, Graben und Thiinne verstiirkt war. VVahrend der cbarakterlose Martialis, der grofite romische Epigrammendickter, in seinen Gedichten dem Kaiser schmeicbelte, scbildert sein Zeitgenosse, der Satiriker Juvenalis, die verderbten sittlichen Zustande mit aufrichtigem Hasse gegen das Laster. Ebenso atbmen tiefe sittlicbe Entriistung die Werke des Geschichtschreibers Tacitus, der in seinen Annalen und Historien die rbmische Geschichte vom Tode des Augustus bis zum Tode Domitians darstellte; als An- hanger der Republik wird er den Bestrebungen der Kaiser, so be- sonders des Tiberius, nicht gerecht. In der Germania hinterlietS er uns die Hauptquelle unserer Kenntnisse iiber die politischen und socialen Zustande bei den Germanen. 2. Die Adoptivkaiser. 1 96 — 98. Nerva (96 bis 98), ein hochbejahrter, wohlwollender Senator, wurde nach der Ermordung Domitians eingesetzt. 98 — 117. Traianus (98 bis 117). Er ist der erste nichtitalische — er stammte aus Spanien — und der einzige erobernde Kaiser. Die Kriege mit den Daciern und den Parthern; die Eruierbung Arabiens. Mit den thracischen Daciern, welche die Griechen Geten nannten, kampften die Romer zuerst unter Domitian, der sich zu Geldzahlungen an sie herbeiliefi. Traian unterwarf in zwei Feld- 101 — 107. ztigen 2 (101 bis 107) die Dacier, die zum grbCten Theile ausgerottet wurden; die Romer siedelten sich besonders an der mittleren Maros an und betrieben mit Erfolg Bergbau auf Gold. Die Provinz Dacien 1 Die Kaiser von Traian bis einsclilieClich Maro Aurel erliielten den Thron durch Adoption seitens des Vorgangers, nur bei Hadrian ist sie zweifelhaft. 2 Von den Pfeilern der beriihmten steinej-nen Briicke, welche fiir den zvveit.en Feldzug unterhalb Orsova erbaut vvurde, sind noch Reste erhalten. Die Adoptivkaiser. 285 umfasste Siebenbiirgen, die Walachei, die angrenzenden Tbeile von Ungarn, der Bukowina und Moldau. Den Parthern gegeniiber batte Pompeius vertragsmalžig den Eupbrat als Grenze des Reiches festgestellt. Dabei blieb es auch im groCen Ganzen, wenngleich Armenien ofter zu Kampfen zwiscben den Nachbarn Veranlassung gab. Dieses Land war wegen seiner Abgeschlossenbeit von der griecbischen Cultur unberiibrt geblieben und neigte nacb Sprache, Glaube und Sitte zum Partherreiche, blieb aber in der Regel ein romisches Vasallenland, in welchem eine Nebenlinie des parthischen Konigshauses der Arsaciden regierte. Traian eroberte drei neue Provinzen jenseits des Euphrat: Meso- potamien, Armenien und Assgrien, nachdem schon friiher in seinem Auftrage der syrische Statthalter die Provinz Arabia, d. b. den nord- westlichen Theil der Halbinsel Arabien und die Sinaihalbinsel, dem Reiche hinzugefugt batte. So gewann unter ihm das Reich die grofite Ausdehnung. Seine innere Regierung. Traian regierte mit Umsicht, Kraft und Milde, so dass das Reich damals einen gewissen Hohepunkt erstieg. Mit dem Senate stand er in gutem Einvernehmen, das Volk erfreute er durch Thierhetzen und Gladiatorenspiele (zur Feier der dacischen Siege lie!3 er 11.000 Bestien und 10.000 Fecbter kampfen), die Unterstiitzung der Armen dehnte er (und seine Nachfolger) derart auf Italien aus, dass arme Eltern in den Landstadten aus den Ali- mentarstiftungen behufs Erziehung ihrer Kinder Betrage erbielten. Besonders wichtig ist seine Bauthatigkeit. In Rom legte er das prachtige Forum Traiani an, 1 auf welchem die Traianssaule mit den beruhmten Reliefs zur Verheridichung seiner dacischen Siege aufgestellt wurde, die nebst dem Scbmucke des Titusbogens den Hohepunkt der romi- schen Reliefbildnerei bezeichnen; fiir die Provinzen sorgte er durch Anlegung von StraCen, Erbauung von Briicken (die Briicke von Alcantara) und Wasserleitungen. In dankbarer Erinnerung an ihn rief der Senat seinen Naehfolgern zu: Felicior Augusto, melior Traiano! Hadrianus (117 bis 138). Majbegeln zur Sicherung der 117 — 138. Reichsgrenzen; der Auf stand der Juden. Als Grenzen des Reiches 1 In der Mitte eines quadratisehen, 126 m langen Hofes, der mit Saulenhallen umgeben war, erhob sich das Reiterstandbild des Kaisers; an der Nordwestseite lag die funfschiffige Basilica Ulpia, hinter welcher auf einem kleineren Platze, an dessen Sclimalseiten zwei Bibliotheken erbaut waren, die Traianssaule stand. Der Tempel des vergiitterten Kaisers schloss den Platz ab. 286 Die Rttmer. wurden lih cin, Donau und Euphrat festgehalten; auf die Eroberungen Traians jenseits des Euphrat verzichtete er in kluger Selbstbeschran- kung, Armenien wurde wieder ein romischer Vasallenstaat. Im iibrigen schiltzte er das Reich durch Grenzbefestigungen; so vollendete er den deutschen Limes, legte im ostlichen Dacien Befestigungen an und erbaute in Britannien den Hadrianswall zwischen dem Solway- busen und der Tynemundung, gab also die nordlichsten Eroberungen Agricolas auf; diese wurden aber unter seinem Nachfolger wieder zum Reiche geschlagen und durch das valliim Antonimi zwischen den Meer- busen des Forth und Clyde gegen die wilden Caledonier, die gewohn- lich Picten (Tatowierte) genannt wurden, geschtitzt. Wiihrend uberall 132—134. Friede herrschte, erhoben sich die Juden (132 bis 134) unter der Anflihrung des Simon Bar-Kokheba («Sohn des Sternes*), weil Hadrian an der Stelle des zerstorten Jerusalem eine romisehe Colonie anlegen wollte. Der Aufstand wurde niedergeivorfen; das Land ver- odete von nun an ganzlich, die politische Bedeutung der Juden war ftir immer vernichtet, doch behaupteten sie in der Diaspora durch die Absonderung von der iibrigen Bevolkerung ihre religiose und nationale Eigenart. Seine Thatigkeit im Innern. Hadrian war ein sehr eifriger, friedliebender, in allen Wissenschaften und Kiinsten beivanderter Herrscher, der besonders den Provinzen seine Aufmerksamkeit zu- wendete, tiber deren Zustande er sich durch jahrelange Reisen tiber- zeugte, seit Tiberius der beste Verwalter der Reichsfinanzen. Am wichtigsten ist seine Thatigkeit auf dem Gebiete des Recktswesens, der Staatsverfassung und der Baukunst. Unter ihm traten zum erstenmale die Juristen bedeutsam in die Verwaltung ein, indem ihm juristisches Studium bei derBewerbung um die Amter fiir gleichvvertig mit der Officierslaufbahn galt. Durch Salvius Julianus, den grofiten Juristen der Zeit, lie!3 er auf Grund der Edicte der Pratoren (S. 198) das edictum perpetuum abfassen, das der herrschenden Rechtsunsicherheit ein Ende machte und den spateren Gesetzesbtichern als systematische Grundlage diente. Wenn er auch die Mitregierung des Senat s nicht gesetzlich beseitigte, so drangte er sie doch dadurch bedeutend in den Hinter- grund, dass er die ivicbtigsten Angelegenheiten mit Zuziehung eines engeren, aus Juristen gebildeten Staatsrathes (consilium principis) entschied. Ferner iibertrug er die Rechtsprechung und wahrscheinlich auch die Verwaltung in Italien vier kaiserlichen Commissaren, wodurch Die Adoptivkaiser. 287 der Senat und die bisherigen Beamten auf diesem Gebiete beiseite geschoben wurden; er gieng hierin noch einen Schritt weiter als Traian, der die Yerwaltung der Provinzialgemeinden staatlichen Beamten unterstellt hatte. Seine Bauthatigkeit erstreckte sich besonders auf Rom (und Tibur) und den griechischen Osten. In Rom erbaute er den Doppeltempel der Venus und der Roma, er ri elit c te ein groBartiges Grabdenkmal fiir sich und seine Familie, das prachtigste des Alterthums (S. 169), und schuf in seiner Villa in Tibur durch Nachbildung der beriihm- testen Denkmaler und Landschaften, welche er auf seinen Reisen ltennen gelernt hatte, eine Art Weltmuseum. In Athen liefi er einen neuen Stadttheil (« Neu-Athen») anlegen und den Tempel des Zeus (S. 89) vollenden; sein Beispiel ahmte daselbst der beriihmte und reiche Rhetor Herodes Atticus nach, wie denn itberhaupt im Alter- thume der Localpatriotismus eine grofie Rolle spielte. Sein Liebling Antinoos, der im Nil ertrank, wurde durch zahlreiche Statuen ver- herrlic-ht, in welchen die romische Kunst, die sonst durchaus praktische Zwecke verfolgte (Pracht- und Nutzhauten, Verherrlichung beriihmter Thaten und Manner, daher die sehr grofie Zahl von Portraits), ihre einzige ideale Gestalt ausbildete . 1 Bald nach Hadrian verfiel die romische Literatur und Kunst, wahrend die griechische Literatur auch spater noch bedeutende Schriftsteller aufzuweisen hat. Antoninus Pius (138 bis 161). Er regierte mit Kraft und 138 — 161. Weisheit, war beim Volke und Senat beliebt und hinterlieC einen groOen Scbatz. Marcus Aurelius (161 bis 180). Er ist der letzte bedeu- 161 — 180. tendere Vertreter der stoischen Philosophie — seine «Meditationen>> haben sich erhalten — deren Anhšinger von friiheren Kaisern, z. B. Nero, Vespasian, Domitian, verfolgt worden waren, weil sie republi- kanisch gesinnt waren, wiihrend die Epicuraer, deren Philosophie neben der Stoa in der Kaiserzeit am meisten verbreitet war, sich mit der neuen Staatsordnung abfanden. Der Friede des Reiches, welches unter einer verheerenden Pest 2 und der ersten groBen Christenverfolgung litt, wurde unter ihm durch 1 Doch ist wohl auch diese griechischen Ursprungs, wie auch der Cultus des Antinoos dem Osten angehBrte. 2 Damals lebte der zweitgrofite Arzt des Alterthums, der Grieche Galenos, Leibaržt des Kaisers. 288 Die Romer. die Parther wegen Armeniens und durch die Germanen gestort. Wahrend die ersteren besiegt und zu einer Gebietsabtretung ge- zwungen wurden, erschiitterte der Krieg mit den Germanen an der mittleren und unteren Donau das Reich in seinen Grundfesten. Die Kžimpfe mit den Germanen von den Tagen der Cimbern an bis auf Traian hatten bereits Tacitus (Germ. 37) den Schmerzensruf ansgepresst: tam din Germania vincitur! Die bisherigen Kriege waren aber unbedeutend im Vergleicbe mit dem MarkomannenTcriege 167 — 180. (167 bis 180), dem ersten groben Angriffskriege der Germanen auf das Reich. Die Markomannen (in Boh m en), die Quaden (in Mahren) und andere Volkerschaften von theihveise unbekannter Abstammung uberschritten die Donau von der Grenze Ratiens bis Dacien und belagerten sogar, freilich vergebens, Aquileia. Die Grobe der Gefahr beweist die Angabe, dass iiber 300.000 Romer gefangen wurden •, nur mit Aufgebot aller Krafte gelang es dem Kaiser in zwei Feld- ziigen, die Feinde zuriickzuwerfen. Noch vor dem Ende des Krieges starb der Kaiser in Vindobona; in Anerkennung seiner Verdienste um das Reich errichtete ihm der Senat ein prachtiges Reiterstandbild, das sich erhalten hat. 180 — 193. Commodus (180 bis 193), der erste Kaiser, der seinem Vater folgte. Er war ein furchtsamer und grausamer Herrscher, der sogar als Gladiator und Thierkampfer auftrat. Im Frieden mit den Markomannen verzichtete er auf die Erwerbungen, welche sein Vater jenseits der Donau gemaclit hatte. In diesem Kriege siedelte Marc Aurel zahlreiche Germanen innerhalb der Reichsgrenze an, wodurch die Zersetzung der Grenz- bevolkerung eingeleitet wurde. Die Ansiedler erhielten Grund und Boden, waren frei, aber an die Scholle gebunden und mussten Kriegs- dienste leisten; diese Mabregel beweist das Sinken der militiirischen und wirtschaftlichen Kraft des Reiches. 193 — 284. III. Von Septimius Severus bis auf'Diocletianus, 193 bis 284. tjbergang zur absoluten Monarcliie, Zeit der Soldatenkaiser, Verfall des Reiches. 1. Allgemeine Zustande des Reiches. Kampfe mit den Germanen und Persern, Einsetzung der Soldatenkaiser. In dieser Zeit ruhten die Kriege an den Grenzen selten. Der gefahrlichste Feind waren die Germanen, bei welchen seit dem Anfange des 3. Jahrhunderts an Stelle der zahlreichen Allgemeine Zustande des Reiches. 289 VdlJeerschaften groflere Verbiinde, die Stdmme der Alamannen, Franken, Sachsen und Gothen, getreten waren, welcbe immer unaufhaltsamer liber die Grenzen drangten. In zweiter Linic machten die Perser dem Reiche zu schaffen. Um das Jahr 226 wurden namlich die Arsaciden von Um 226. den Sassaniden, welche bisher als Satrapen die Landsehaft Persien verwaltet hatten, gestiirzt und dadurch das neupersische Reich be- griindet, welches im Gegensatze zum parthischen eine religiose und nationale Reaction gegen das griechisch-romische Wesen begann, welche in der Erneuerung des Ormuzddienstes und in Angriffcn auf das Reich Ausdruck fand. Am scldechtesten ergieng es diesem um die Mitte des dritten Jahrhunderts. Damals waren die Perser in Syrien eingefallen, plunderten die Gothen von Siidrussland aus die Balkanhalbinsel, die Franken vom Niederrhein her Gallien und Spanien, und drangen die Alamannen aus Suddeutschland bis nach Florenz vor. Da so das Reich um seine Existenz kampfte, wurden die Herren die Legionen in den Provinzen, welche ohne Riicksicht auf den Senat ihre Befehlshaber zu Kaisern einsetzten, von welchen seit der Mitte des 3. Jahrhunderts die meisten aus den Donaulandern stammten, weil daselbst die grijCte Truppenzahl stand. Diese Kaiser regierten durchschnittlich vier Jahre, fasst alle wurden ermordet. Um 260 gab es 19 Soldatenkaiser •— man hat diese Zeit spater die der 30 Tyrannen genannt (S. 127) — welche sich theilweise gegen- seitig bekampften. Materielle Zustande; Bliite der Rechtsvvissenschaft. Unter diesen Umstanden sank der Wohlstand tief herab und gieng die Romanisierung zuriick; bald nach dem Ende des Markomannenkrieges wird schon von verodeten Gegenden (agri deserti) gesprochen und die Latifundienbesitzer 1 machten Kleinbauern zu Colonen, d. h. Erb- pachtern, welche an die Scholle gebunden waren (S. 288), um die Bewirtschaftung des Bodens zu sichern. Hiezu kamen eine 12 Jahre lang wiithende Pest, Hungersnoth und wiederholte Verschlechterungen der Miinze durch die Kaiser — die erste hatte schon Nero vor- genommen — welche die Besoldung der Truppen nicht mehr bestreiten konnten, zumal viel Edelmetall nach Ostasien zur Bezahlung der theuer erkauften VVaren (Seide, Wohlgeriiche, Perlen, Edelsteine) abstriimte. Es erscheint fast unerklarlich, wie die Gemeinden die Steuern ent- 1 Der grofite Latifundienbesitzer war der Kaiser. Schon Plinius (S. 288) klagte, dass die Latifundien aucli die Provinzen zug-runde richteten. Zeehe, Geschichte des Alterthums. 19 290 Die Romei*. richten konnten. Literatur und Kunst verfielen, nur die Rechtsurissen- schaft (S. 286) erreichte in der ersten Halfte des 3. Jalirliunderts ihre Bltite. Damals lebten die berithinten Juristen Papinian, Paulus, Ulpian, \velche als Gardeprafecten an der Spitze der gesammten Civil- und Militarverwaltung standen und geradezu als Stellvertreter des Kaisers galten, und Modestin; sie erklftrten die Rechtsquellen, sammelten Rechtsfalle und verfassten systematische Lehrbticher des Rechtes. Auf dem Gebiete des Civilrechtes forderten sie immermehr den Geist der Billigkeit, 1 auf dem des offentlichen Rechtes die kaiserliche Macht- vollkommenheit. Die Rechtswissenschaft ist das echteste Erzeugnis der Romer, deren Sinn flir Ordnung und Zucht darin Ausdruck fand; noch unsere Gesetzgebung ist vielfach von Bestimmungen des romischen Privatrechtes durchzogen. Damals erschlitterte audi den Staat der Kampf mit dem Christenthume. Der Staat und das Christenthum. Ausbreitung des Ghristen- thums. Den Boden tur die Lehre Jesu Christi, welche die allgemeine Nachstenliebe verlangt, sehuf die hellenistische Zeit (S. 160); ihre rasche Verbreitung wurde durch aufiere und innere Griinde gefordert. Zu jenen gelioren die weite Herrschaft der griechischen und latei- nischen Sprache, die guten Verkehrseinrichtungen des Reiches (S. 278), die zahlreichen Judengemeinden, an welche die Christen sich an- lehnen konnten, und die Zerstdrung Jerusalems, welche die Zerstreu- ung der Christen veranlasste. Viel wichtiger sind die inneren Griinde: Das Christenthum wirkte erlosend fiir die Sclaven, machte die Frau dem Manne ebenbiirtig und verhieC allen Bekennern im Diesseits eine giitige Vorsehung, im Jenseits eine gerechte Vergeltung. Der letztere Umstand kam dem damals allgemein verbreiteten Streben nach Versohnung mit der Gottheit entgegen, das im Heidenthume seit dem 3. Jahrhunderte auf dem Gebiete des Cultus und der Literatur Aus¬ druck fand. In ersterer Beziehung ist das Eindringen von diisteren orientalisclren Culten, wie der Taurobolien und Kriobolien, bedeutsam, bei welchen ein Stier oder Widder geopfert wurde, mit dessen Blute sich der Einzuweihende, der in einer Grube stand, wusch oder wovon er trank; in letzterer Beziehung das Auftauchen der neuplatonischen Philosophie, welche unter theilweiser Anlehnung an die Platonische 1 Sie nalnnen sich der Provinzialbevrohner an, bezeiclmeten die Aussetzung der Kinder als Mord, verbesserten die Stellung der Frauen und Sclaven u. s. w. Das Christenthum. 291 Lelire viele orientalisch-phantastische Anschauungen aufnahm und als das hochste Ziel die Vereinigung des Mensclien mit der Gottheit durch die Verztickung oder EJcstase erklarte. Daneben behauptete in den unteren Standen auch jetzt noch das Heidenthum seine Lebens- fahigkeit ; es ware falsch, auf Grand der Spottschriften Lucians, des geistreichsten der griechischen Rbetoren des 2. Jahrhunderts, das Gegentbeil anzunehmen. Die neue Lehre verbreitete sich anfangs hauptsachlich unter der Volksmasse, vor Commodus konnen nur sehr wenige Christen in den hoheren Standen nacbgewiesen werden. Entstehung der Secten und die kirchliche Organisation. Ein gefahrlicher Feind entstand dem Christenthume durch das Auftaucben der Irrlehren, von denen namentlich die gnostischen des 3. Jahr¬ hunderts zu erwahnen sind, welche durch die Verbindung christliclier und heidnisch - philosophischer Anschauungen den Boden der kirch- lichen Lehre verlieBen. Diese Secten blieben im grofien Ganzen auf den Osten des Reiches beschrankt, da der romanische Westen den philosophischen Speculationen abhold war. Der beste Schutz gegen die Secten war die Organisation der Kirche. Ahnlich der Verwaltung des Reiches leiteten die kirchlichen Angelegenhei ten in den Stadten Bischofe, in den Mutterkirchen Erzbischofe, deren Sprengel im ganzen den Proviuzialgebieten gleicli waren, iiber \velche,n, dem Kaiser ahnlich, der Papst als hochste Autoritat stand. Die Christenverfolgungen. Wahrend die Romer im allgemeinen tolerant waren und sogar fremde Gottheiten aufnahmen (S. 276), geriethen sie in erbitterte Kampfe mit dem Christenthume. Daran war niclit der Monotheismus an sich schuld, denn die Romer be- handelten das Judenthum nicht feindselig. Wahrend sich aber dieses den anderen Volkern gegeniiber abschloss (S. 28), trat das Christen¬ thum mit dem Anspruche auf, dass es die Weltreligion zu werden berufen sei. Damit war der Kampf gegen den antiken Staat, mit welchem die Religion so innig verflochten war (S. 234), ausgesprochen. Dazu kamen mancherlei Verlaumdungen 1 , welche iiber die Christen trotz ihres sittlieh-reinen Lebens verbreitet waren und theilweise in deren Abneigung gegen den Heeres- und Venvaltungsdienst ihren Grund hatten. Gleichwohl blieb das Christenthum, das man anfangs als Secte des Judenthums betrachtete, von den auf Rom beschrankten 1 Tac. Ann. XV, 44: exitiabilis superstitio, odium humani generis, Christiani per flag-itia invisi. 19 * 292 Die Romer. Verfolgungen unter Nero und Domitian abgesehen, im ganzen bis auf Traian unbehindert. Dieser veranlasste die erste groBere Ver- folgung, namentlich weil die Christen sicb nach heidnischer Auf- fassung einer Verletzung der romischen Gotter und dadurch einer Beleidigung der herrschenden Kation schuldig machten; 1 auch waren schon in der Zeit der Republik auf Beschluss des Senats (S. 186) wiederholt Verehrer fremder Gotter hingerichtet worden. Bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts waren die Verfolgungen gewohnlich das Werk einzelner Statthalter und daher auf die eine oder andere Provinz beschriinkt. Die erste allgemeine Verfolgung leitete in der Mitte des 3. Jahrhunderts der Kaiser Decius ein, der biezu besonders durch die Riicksicht auf das Heer bestimmt wurde, vrelches dem Ausspruche der Priester glaubte, dass die Notli der Zeit der Duldung der Christen zuzuschreiben sei. Aber das Blut der Martjrer wurde zum Sainen fiir das Evangelium. 2. Einzelne wichtigere Kaiser dieses Abschnittes. 2 193 — 211. S e p t i m i u s S e v e r u s (19 3 b i s 2 11). Er gelangte erst durch Kampfe gegen zwei Nebenbuhler, wodurcli die Kriifte des Reiches empfindlich geschwacht wurden, zur Alleinherrschaft; Senat und Volk errichteten ihm zur Feier der Wiederherstellung des Reiches einen Triumphbogen. Die Pratorianer loste er auf und setzte aus allen Legionen auserlesene Truppen an ihre Stelle; er nalim zuerst die proconsularische Gewalt auch liber Italien, wo er einer Legion Stand- quartier gab, in Anspruch. Den Senat drangte er bei der Besetzung der Ofiiciersstellen zugunsten des Ritterstandes zuriick, die Gemeinde- Autonomie beschrankte er noch mehr. 211 — 217. Sein Sohn Caracalla (211 bis 217) verlieh zur Steigerung der Einnahmen 8 durch die constitutio Antoniniana allen Freien des 212. Reiches das Biirgerrecht (212), vrodurch ein mehrhundertjahriger Entwicklungsgang seinen Abschluss fand. Er erbaute die thermae 1 Mommsen in Sybels Zeitschrift 1890, p. 396 fg. 2 Von Comraodus bis auf Diocletian regierten folgende 20 Kaiser: Pert,max und Didius Julianns (193); Septiinius Severus; Caracalla; Macrinus; Heliogabalus; Alexander Severus; Maximinus (235 bis 238); Gordianus (238 bis 244); Philippus (244 bis 249); Decius; Gallus und Aemilianus (251 bis 253); Valerianus (253 bis 257), der in persischer Gefangenschaft endete ; Gallienus (253 bis 268); Claudius; Aurelianus; Tacit,us (275 und 276); Probus; Carus und seine beiden Soline (282 bis 284). 3 Wiihrend die alten Steuern fortbestanden, mussten die Neubiirger auch die Abgaben der Altbiirger zahlen, namlicli die ErbschaftSŠteuer und die Gebiir bei der Freilassung der Sclaven. Diocletianus. 293 Antoninicmae, eines der schonstangelegten Gebaude aller Zeiten; mehrere Kaiser iiberboten sich formlich in der verschwenderischen Ausstattung der Thermen, welche auch Saulenhallen, Bibliotheken, plastische Werke, Garten etc. enthielten. Heliogabalus (218 218 — 222. bi s 2 2 2), der umviirdigste aller Kaiser, war ein zugelloser und blut- gieriger Verschwender, der vor seiner Erhebung Hauptpriester des syrischen Sonnengottes Elagabal gewesen war. Alexander Severus (222 bis 235), ein wohlwollender Herrsclier, wurde im Kriege gegen 222 — 235. die Germanen von seinen Soldaten erschlagen. Decius (249 249 — 251. bis 251) fiel im Kampfe gegen die Gothen in der Dobrudscha. Cia n din s (268 bis 270) scblug die Gothen in der furchtbaren 268 — 270. Schlacht bei Nisch (269), in welcher liber 50.000 Feinde fielen. 269. Aurelianus (270 bis 275) war einer der tiichtigsten Soldaten- 270—275. kaiser. Er musste zwar Dacien den Gothen uberlassen, besiegte aber die hochgebildete Zenobia von Palmyra, welche, gestiitzt auf die Erfolge ihres verstorbenen Gemahls gegen die Perser, die Errichtung eines selbstandigen Reiches in Vorderasien anstrebte, sowie auch einen Nebenkaiser in Gallien, weshalb er sich den Ehrennamen restitutor Orbis erwarb. Endlich sicherte er Rom durch eine neue Befestigung (S. 169). Probus (276 bis 2 82) kampfte zwar gllick- 276 — 282. lich gegen die Alamannen und Franken, musste aber gleichvvohl viele Germanen im Reiche ansiedeln. Zweiter Abschnitt. Die Zeit der absoluten Monarchie, 284 bis 476. 284 — 476. Nachdem schon Hadrian, Septimius Severus, Aurelian und andere Kaiser sich wenig oder nicht mehr um den Senat gektimmert hatten, wurde die absolute Monarchie durch Diocletian begrimdet und durch Constantin vollstandig ausgebildet , ohne dass die Einrichtungen beider im einzelnen genau geschieden werden konnen. Der Absolu- tismus war eine Nothwendigkeit geworden, da die Dyarchie sich nicht bewahrt und die von Septimius Severus begrtindete Militarherrschaft durch die Erhebung der Provinzialkaiser den Staat an den Rand des Abgrundes gebracht hatte. I. Diocletianus, 284 bis 305, und die Thronkainpfe nacli seiner 284 — 305. Abdankung, 307 bis 324. 307 — 324. Diocletian, der Sohn eines Freigelassenen, war im Kriegsdienste emporgekommen und eben Commandant der Leibgarde, als ihn der Rath der Ofliciere nach der Ermordung seines Vorgiingers zum Kaiser 294 Die Komer. erhob. Die von ihm begriindete Verfassung ist durch die Theilung des Reicbes in vier grofie Verwaltungsgebiete , die Einsetzung zahl- reicher Beamten, \vodurch die personliche Regierung des Kaisers (S. 278) zurucktrat, und die Trennung der Civil- und Militargewa.lt gekennzeichnet. Das Kaiserthum. Augusti und Caesares, Stellung des Kaisers. Ura die Ruke und Sicherheit des Reicbes gegen die Erhebung von Provinzialkaisern und die Einfalle der Barbaren leichter er- halten zu konnen, nahin Diocletian seinen alten Waffengenossen Maximianus mit dem Titel Augustus z urn Mitregenten an; dieser leitete von Mailand ans die Verwaltung des Westens, er selbst von Nicomedia aus die des Ostens. Jeder Augustus hatto in seinem Gebiete volle biirgerliche und militarische Gewalt, ohne dass deshalb eine formliche Theilung des Reicbes beabsichtigt war (daher die Bezeich- nung partes Orientis et Occidentis). Spater setzte er nocli zwei unter- geordnete Gehilfen der beiden Kaiser — Caesaren genannt — ein, Galerius im Osten, Constantius, den Vater Constantins, im We,sten, und wies jedem von ihnen einen eigenen Verwaltungsbezirk zu. Maximian unterdriickte den Aufstand der Bagauden 1 , d. b. der Bauern des no. Gallien, welche sicb wegen ihrer gedriickten Lage erhoben hatten, Constantius vertheidigte die Rheingrcnze gegen die Germanen, Diocletian war in Agypten, Galerius an der Donau mit der Wieder- herstellung des Reicbes besehaftigt, dessen Grenzen wieder fiir langere Zeit gesichert, ja ira Kampfe gegen die Perser durch Erwerbungen jenseits des Tigris erweitert wurden. Um den Senat kiimmcrtc sicb Diocletian so wenig, dass cr die Gesetzgebung allein ausiibte. Er nahm die Bezeicbmmg dominus (ur- spriinglich vom Herrn gegeniiber dem Sclaven gebraucht) und deus (wie sich schon Aurelian auf den Miinzen genannt hatte) daueirad an, fiihrte das orientalisclie Hofceremoniel ein (S. 44), verlangte, dass jeder, der sich ihm nalite, das Knie beuge und trug um die Štirne das Diadem, d. h. eine seidene, mit Perlen gestickte Binde. Seit Con- stantin kam der Begriff der Erblichkeit des Kaiserthums auf, die einstigen Mitburger sind Unterthanen geworden, der Unterschied von Fiscus und Aerarium (S. 274) bat aufgehbrt. Stellung des Senats. Von den fruheren Rechten blieb ihm bloC die Ernennung der Quiistoren und Pratoren, die, nachdem 1 Das celtische Wort ist niclit erkliirt. Diocletianus. 295 Adilitat und Tribunat eingegangen waren, tast nur fur dic Spiele zu sorgen hatten; die Consuln ernannte der Kaiser. Der senatorische Stand, dem seit Constantin allmahlich alle reichen Provinzialbewohner und die meisten ehemaligen Inbaber hoher Staatsamter angehbrten, ward wegen der hohen Besteuerung seiner Mitglieder zu einer driickenden, erblichen Last. Verwaltung des Staates; Finanz- und Militarwesen. l)as Reich wurde in 12 Diocesen und 96 1 Provinzen eingetheilt, jene ver- walteten vicarii, diese praesides oder judices ; letzteren unterstanden auch die Municipalbeamten, und fur Rom und die nachste Umgebung wurde ein praefectus urhi eingesetzt. Von der Entscheidung des nie- deren Beamten konnte man an den hoheren appellieren. Die Beamten sprachen infolge der Beseitigung der Geschwornen selbst das Recht und besorgten die Yerwaltung einschliefilich des Finanzwesens. Die Bezahlung der vielen Beamten und die Besoldung des stark vermehrten Heeres erforderten eine bedeutende Erhohung der Steuern (Grund-, Vermogens-, Gewerbesteuer, Zolle und verschiedene Naturalleistungen); auch Italien, das vvie die itbrigen Lander verwaltet wurde, ward jetzt der Grundsteuer unterworfen (S. 229). Fiir die ricbtige Bezahlung der Steuern hafteten die Decurionen, d. h. die Mitglieder der stadtischen Senate (S. 245), deren Stellung eine erbliche Last geworden war, der sich viele durch die Flucht zu entziehen suchten. Bald nach Diocle- tian giengen die Alimentarstiftungen ein. Das Commando iiber das Heer ftihrte der Kaiser selbst oder die magistri militum (urspriinglich zwei, spater mebr); ihnen unterstanden comites und duces. Diese Berufsofficiere spielten bald, wie die Generale der Diadochenzeit, eine hervorragende politische Rolle. So trat an Stelle der Militarregierung des 3. Jahrhunderts ein an den jetzigen Zustand der europaischen Staaten errinnernder Beamten- staat (S. 7), der die alte Gemeinde-Autonomie bald fast vollig beseitigte. Allmahlich horten auch die Landtage auf. Diocletian und das Christenthum. Da sich viele Christen, deren damalige Zahl man auf ein Zwolftel der Reichsbevolkerung schatzt, vreigerten, als Soldaten und stiidtische Beamte Dienste zu tliun, so beschloss der Kaiser, der bei den Legionen und in den Provinzen die Ordnung liergestellt hatte, mit Gewalt gegen die Christen vor- zugehen. So begann die heftigste und langste aller Christenverfolgungen (303 bis 311), die aber ebenfalls ihr Ziel nicht erreichte. 303 1 Diese Zahl naeli Duruy-Hertzberg IV, 651. Vor ihm gab es 57 Provinzen. 296 Die Knn ut. 312. 324. 324—337. 313. 325. Charakter und Bedeutung Diocletians. Er zeichnete sich durch sorgfaltige Uberlegung, scharfe Menschenkenntnis, riicksichtslose Ent- schlossenheit und groBe Sparsamkeit aus, anderseits wird ihm Ehrgeiz und Verstellungskunst vorgeworfen. Seine Gegner verfolgte er mit unerbittlicher Harte. Er mackte den argsten Ubelstanden ein Ende, weshalb seine Zeit so oft inschriftlich felicissimum saeculum genannt wird, und fiibrte zahlreiche Bauten auf, so z. B. die prachtigen Thermen auf dem Quirinal, die fiir 3200 Badende Raum boten. Nach seiner Thronentsagung, die wahrscheinlick krankheitshalber erfolgte, lebte er in Salona (er stammte aus Dalmatien), wo er sich einen groBartigen Palast 1 erbaute, dessen wesentlichste Theile noch erhalten sind und innerhalb dessen Mauern die Stadt Spalato angelegt wurde. Er ist der letzte Kaiser, welcher triumphierte und consecriert wurde. Thronkampfe. Das System der Auguste und Caesaren bewahrte sich nicht. Bald nach Diocletians Abdankung entstanden blutige Kainpfe um die Herrschaft, wahrend welcher einmal sechs Auguste die hochste Wiirde, in Anspruch nahmen, bis Constantin durch den Sieg bei Saxa rubra (312) 2 im Westen, dann durch einen zweimaligen Krieg mit dem Augustus des Ostens, seinem Schwager Licinius, infolge der Siege bei Adrianopel und Chrysopolis die Alleinherrschaft im ganzen Reiche gewann (324). II. Constantimis der GroBe, 324 bis 337. Constantin und das Christenthum. Schon im Jahre 313 hatte er durch das Mailander Edict die freie Ausiibung des Christenthums gestattet, auch als Alleinherrscher iibte er Toleranz: er erbaute Kirchen und Tempel, blieb Pontifex Maximus und betrachtete die Bischofe als einen neuen Stand von Beamten, die von ihm abhangig seien. Zur Schlichtung des Streites tiber die Natur Christi, dessen Gottheit der alexandrinische Presbyter Arius leugnete, berief er das erste all- gemeine, Concil nach Nicaea (325), welches unter seiner Leitung den Arianismus verwarf. Wahrend er sich selbst erst auf dem Todtenbette taufen lieB, erzog er seine Sohne in der christlichen Lehre. Griindung von Constantinopel; Ausbau der absoluten Mon- archie. Nachdem die Dyarchic gestiirzt war und das Heidenthum 1 Das Mausoleum des Kaisers ist jetzt die Domkirche, ein kleiner Tempel — beide waren im Palaste selbst — das Baptisterium in Spalato. 2 Auf dem Zuge dahin lieC Constantin auf den Scbilden seiner Soldaten die beiden Anfangsbuchstaben des Namens Christi anbringen. Kaffaels Fresco im Vatican. Constantin der GroGe. 297 aufgehort hatte, die Staatsreligion zu sein, hatte Rom auch den Anspruch, die Reichshauptstadt zu sein, eingebliCt. Constantin erbaute sich durcli die Enveiterung des alten Bvzanz eine neue Hauptstadt, Constantinopel, das bezuglich der Wicbtigkeit der Lage sich mit Alexandrien ver- gleichen liisst. Im Jahre 330 wurde die Stadt eingeweiht, der Kaiser unterstellte sie einem praefectus urhi (S. 273), stattete sie mit einem Senat aus und lieC sie mit zahlreichen Statuen, Tempeln und Kirchen ausschmiicken. Sodann schritt er an den Ausbau der Verfassung. Den richtigen Gedanken Diocletians, Theilung des Reiches in vier oberste Venvaltungsgebiete, behielt er bei, beseitigte aber die Auguste und Caesaren und theilte das Reich in vier Prdfec.turen , an deren Spitze je ein praefectus praetorio die oberste Verwaltung und Gerichtsbarkeit besorgte. Diese Priifecturen waren die des Orients (Asien, Agypten, Thracien), Illtjriens (Balkanhalbinsel), Italiens (Italien, Donaulander, Afrika und Numidien) und Galliens (der Westen des Reiches) mit den Regierungssitzen in Constantinopel, Sirmium, Mailand und Trier. Diese Priifecturen bestanden bis z urn Ausgange des Alter- thums. Seit Constantin tibten die sieben hohen Hofbeamten auch einen sehr bedeutenden politischen Einfluss aus; namentlich gilt dies vom Hofmarschall (magister officiorum), welcher auch die aulžere Politik zum Theile leitete. Er bildete eine strenge Rangsordnung der Beamten aus; wegen ihrer Bestechlichkeit und Kauflichkeit waren sie verhasst. Ferner ordnete er das zerriittete Geldwesen durch Wiederherstellung der Goldwahrung derart, dass der Solidus, welcher an Stelle des Aureus trat und 1 / 72 Pfund (S. 182) wog (ungefahr 7 1 / 2 fl.), die Grund- lage bildete. Die Steuern, deren Hohe durch Ausschreibung (indictio) 1 auf 15 Jahre festgestellt wurden, waren druckend, auch war ver- hangnisvoll, dass er wegen Abnahme der VVehrfahigkeit der Unter- thanen die kriegerischen Bewohner der Donaulander und die Ger- rnanen in Menge ins Heer aufnahm, so dass allmahlich, wie bei den Bauern an der Grenze (S. 288), die Nicht-Romanen auch im Heere das Ubergewicht bekamen. Charakter und Tod des Kaisers. Constantin war herrsch- siichtig, prachtliebend, verschwenderisck — die Raume der Hofburg lieD er mit Goldsand bestreuen — den Wissenschaften und Kiinsten, namentlich der Baukunst, eifrig ergeben, ein hervorragender Staats- mann und Feldherr. Ein sittlich lauterer Charakter war er nicht; 1 Seit dem Ende des 5. Jalirhunderts wui-de die Jaliressiiililung naeli Indic- tionen iiblicli, wobei das Jahr 312 als Ara angenommen wurde. 330 . 298 Die Komer. mehrere seiner nachsten Verwandten licB er aus Misstrauen hinrichten. Den Beinamen «der GroGe» verdient er deshalb, weil er dic bciden weltbewegenden Krafte, die bis dahin sich bekampft hatten, das Kaiserthura und das Christenthum, miteinander versohnte -— eines der grofiten Ereignisse der Weltgeschielite. 337 — 395. III. VomTode Constantins bis zum To d e des Theodosius, 337 bis 395. Sieg des Christenthums und Grermanenthums, bleibende Theilung des Reiches. Constantin theilte das Reich wie ein Privatgut unter seine drei Soline Constantin II., Constantius und Constans. 1 Aus den Thron- kampfen, welche zwischen ihnen und mit dem Usurpator Magnentius, einem Franken, ausbrachen, gieng Constantius nach dem gewalt- samen Ende seiner Briider und der Niederlage des Magnentius in der 351. furclitbaren Schlacht bei Mursn (351) als Sieger und Alleinherrscher hervor. 353—361. Constantius (353 bis 361). Er war ein beschriinkter und grausamer Herrscher, ein eifriger Arianer, so dass damals der Aria- nismus im Osten des Reiches seinen Hohepunkt erreichte. Als sein Vetter Julian, den er als «Caesar» nach Gallien geschickt hatte, 357. die Alamannen in der Schlacht bei Strafiburg (357) vollstandig schlug und deshalb in Pariš von den Truppen zum Kaiser ausgerufen vvurdo, verhinderte nur der Tod des Kaisers den Ausbruch eines neuen Thronkrieges. 361 — 363. Juli anus (3 61 bis 3 6 3). Er ist der erste griechische Kaiser (lateinisch sprach er schlecht), ein sparsamer und eifriger Herrscher. Der Besuch der Rhetorenschulen, die damals das wichtigste Bollwerk des Hellenismus und der heidnischen Religion waren, und der An- schluss an die neuplatonische Philosophie, welche die Volksgotter wieder aufgenommen hatte, hatten ihn mit Begeisterung fiir das Heidenthum erfullt, so dass er seine beste Kraft einem grofien Irr- thume opferte, dem Versuche namlich, das Heidenthum wieder zu beleben. Dies wollte er einerseits durch die Nachahmung der gemein- niitzigen Einrichtungen und der Kirchenzucht des Christenthums, anderseits durch das Verbot, dass die Christen die Stellen von Rhe- toren bekleideten, erreiclien; durch dieses Verbot solite das Christen- 1 Zwei Neffen erhielten kleinere Verwalt.nngsg'ebiete, wurden aber gleicli anfang^s nebst den mei.sten iibrigen Seitenvervvandten in einem wabrscheinlich durch die Sohne Constantins angezettelten Aufstande niedergemetzelt. Sieg des Christentliums und Germanenthums. 299 thum auf die ungebildeten Kreise beschrankt bleiben. Aber das Christenthum hatte bereits zu feste Wurzeln gefasst, und selbst bei den heidnischen Priestern fand er nicht die erwartete Opfervvilligkeit. Auf dem Riickzuge aus einem erfolgreichen Kampfe gegen die Perser fand er durch einen feindlichen Pfeil den Tod. Nach der kurzen Regierung des Jovianus wahlten die Ofiiciere den pannonisehen Gardeobersten Valentinianus 1.(364 bis 375), einen strengen und harten 364 — 375. Herrscher, der seinen Bruder Valens (364 bis 3 7 8) zum Mitregenten 364—378. im Osten annahm. In dieser Zeit bracb infolge des Einfalles der Hunnen in Europa (375) die Volkertvanderung aus, welche die Grilu- 375. dung germanischer Staaten auf romischem Boden und endlich den Untergang des Reiches herbeifiihrte. Im Westen sicherte Valentinian durch gliickliche Kriege gegen die Alamannen, sein Feldherr Theodosius gegen die Picten und Scoten in Britannien, sowie gegen die Mauren in Afrika den Bestand des Reiches. Wahrend Valentinian, obwohl eifriger Katholik, sich in religioser Beziehung neutral verhielt, begiinstigte Valens den Arianismus, der jedoch mit dem Falle des Kaisers in der Schlacht bei Adrianopel (378), in welcher die West- 378. gothen einen grofien Sieg erfochten, seinem Ende im romischen Reiche entgegeugieng. Theodosius der GroBe (379 bis 395). Wahrend im Westen 379 — 395. Gratianus und Valentinianus II., die Sohne Valentinians I., folgten, welche im Kampfe gegen Usurpatoren den Untergang fanden, liber - nahm die Regierung im Osten Theodosius, der Sohn des gleichnamigen Feldherrn, welcher zunachst die Gothen zu beiden Seiten des Balkans ansiedelte, wofur (und gegen Zahlung von Geschenken) sie sich zur Stellung von Truppen bereit erklarten; freilich konnten sie j eden Augenblick als Feinde auftreten. Unter ihm tragen bereits fast alle Generale germanische Namen. Besonders wichtig ist seine Kirchen- politik. Er erhob namlich (380) den Katholicismus zur Staatsreligion 1 2 , 380. womit der Kampf gegen den Arianismns und das Heidentlium 3 eroffnet wurde und die religiose Toleranz fiir viele Jahrhunderte aufhorte. Wie grofi damals bereits das Ansehen der Hierarchie war, beweist das Vorgehen des Bischofs Ambrosius von Mailand, der den Kaiser zur Kirchenbu(3e verhielt, weil er wegen eines Aufstandes in 1 Deshalb erhielt er von der Kirche den Beinamen «der Grofie». 2 Den Heiden wurden selbst die Privatopfer verboten, ebenso die Auffiihrung der oljmpisehen Spiele. (Die Zeusstatue versoliwand in Constantinopel). 300 Die Romer. Tliessalonice 7000 Menschen hatte hinrichten lassen. «Die kaiserliche Allgcwalt wurde durch den christlichen Glauben beschrankt.» (Ranke.) Nachdem Eugenius, welcher nach der Ermordung Valenti- nians II. im Westen den Thron bestiegen hatte, gefallen war, ver- einigte Theodosius zum letztenmale das ganze Reich (394), um es bei seinem Tode unter seine Soline Arcadius und Honorius zu theilen; der erstere erhielt den Osten, der letztere den Westen, die Grenze bildete eine Linie vom meridionalen Laufe der Donau bis zur groCen Syrte. Diese Theilung, welche durch die Verschiedenheit der Cultur- sprachen in beiden Reichstheilen vorbereitet war, blieb dauernd. IV. Der Untergang des westromischen Reiches, 476. Der Sieg des Christenthums bedeutete die Auflosung des antiken Staates im Innern, bald folgte auch seine Zertriimmerung durch die Germanen. Dem unfahigen Honorius (395 bis 423), vele h er anfangs in Mailand, spiiter in Ravenna residierte, folgte nach der kurzen Zwischenregierung des Johannes zum letztenmale ein Sprosse des Theodosianischen Hauses, Valentinian III. (425 bis 455), nach dessen Ermordung Maximus den Thron bestieg, der noch im Jahre 455 ein gewaltsames Ende fand. Nachdem in- zwischen Spanien, der grofite Theil Galliens, Afrika und Britannien von Germanen und die Donaulander von den Hunnen besetzt worden waren, war das Reich thatsachlich auf Italien beschrankt, wo die Fiihrer der germanischen Soldner, zuerst 16 Jahre lang der Suebe Ricimer und nach dessen Tode der Romer Orestes, die Kaiser ein- und absetzten. 1 Kaum hatte der letztere seinen Sohn Romulus Augustulus zum Kaiser erhoben, so riefen die Soldtruppen, denen die begehrte Landanweisung in Italien verweigert worden war, den Odovachar (Odoaker) zu ihrem Fiihrer aus, der Romulus absetzte, sich selbst «Konig von Italien» nannte und damit dem letzten Reste des Reiches ein Ende machte. So schlieBt auch die romisehe Geschichte mit dem Zerfalle des Universalreiches (S. 45 und 150). V. Cultur. Religion. Schon seit Valentinian 1. wird das Heidenthum als Paganismus bezeichnet, da es, von Rom abgesehen, fast nur auf dem Lande mehr verbreitet war, bald verstummten die Orakel und vcr- 1 Die letzten Namenkaiser waren: Avitns (455 und 456), Maiorianus (456 bis 461), Severus (461 bis 465), Anthemius (467 bis 472), 01ybrius (472), Glycerius (473), Julius Nepos (f 480), Romulus Augustulus (475 und 476). Cultur. 301 fielen die Tempel; der letzte Apollotempel wurde (529) in ein Kloster vervvandelt und in demselben Jahre wurden die letzten sieben heid- nischen Philosophen aus Athen ausgewiesen. Durch den Sieg des Christenthums wurde, namentlich in den unteren Standen, der sitt- liche Zustand gehoben, die Ehe wieder geheiligt, die Fechterspiele allmahlich beseitigt; dagegen bestand die Sclaverei nocb fort, und eine grundliche sittliche Erneuerung fiihrte erst der Bund des Christen- thums mit den Germanen lierbei. Anderseits wurde die Kirche durch den Anschluss an den Staat z um Theile verweltlicht, was manche eifrige Christen veranlasste, si eh in die iigyptische Wiiste zuriick- zuziehen, wohin sich schon im 3. Jahrhunderte bei Verfolgungen einzelne gefiuchtet hatten. So entstand das Monchstcesen. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts vereinigte Pachomius die Einsiedler (Monachi, Eremiten) zu klosterlich - gemeinsamem Leben auf Grundlage der Geltibde der Armut, Keuscliheit und des Gehorsams gegen den Oberen. Ilire Lebensaufgabe erblickten diese Monche ausschlieGlich in Gebet und Beschauung. Auf diesem Standpunkte ist das Monchs- wesen des Orients geblieben, vriihrend es im Abendlande, wo es besonders die Bischdfe Ambrosius und Martin von Tours forderten, durch den heil. Benedict ein starker Culturhebel geworden ist. Literatur. 1.) Das Heidenthum. Wahrend die Poesie durehaus verfallen ist (bezeichnend ist das Aufkommen der Centones oder Fliekgedickte, welche aus Versen alterer Dichter, besonders Vergils, zusammengestellt wurden), finden wir noch einige beachtenswerte Erscheinungen auf dem Gebiete der Geschichtschreibung und Philo- sophie. Ein kurzes Handbuch der romischen Geschichte bis zum Tode Jovians schrieb Eutropius im Auftrage des Valens; der be- deutendste damalige Geschichtschreiber war sein Zeitgenosse Ammianus Marcellinus, dessen Werk die wichtigste Quelle fur den Beginn der Volkerwanderung ist. In der Philosophie herrschte der Neuplatonismus (S. 290 und 298). 2.) Das Christenthum. Sie zeigt im ganzen ein erfreulicheres Bild; seit Ambrosius dringt immermehr der Beirn , zunachst in der Lyrik, durch, die vorziiglicheren Werke gehoren aucli hier der Prosa an. Hierongmus , der die Bibel ins Lateinische tibersetzte (Vulgata), machte das Lateinische zur Kirchensprache, wiihrend es friiher das Griechische gewesen war. a) Apologetik. Nachdem im 2. Jahrhunderte die Vorkampfer der Christen, zuerst der heil. Justin, die antike Bildung in sich auf- 529 . 302 Die Roraer. genommen hatte, begannen sie auch durcb apologetische Schriften das Christenthum gegen die literarischen Angriffe der Heiden zu ver- theidigen. Noch im 3. Jahrliunderte lebten im Westen Tertullian und Cgprian, im Osten Origines. Die Bliitezeit der Apologetik beginnt mit der zweiten Halfte des 4. Jahrhunderts, ibr gehoren an die groflen Kirchenvater Ambrosius und Hierongmus im VVesten, Atha- nasius und Basilius im . Osten und der groBte aller Kirchenvater 430. Augustin, Bischof von Hippo (f 430), der eigentliche Philosoph des Christenthums. b) G-escbichtschreibung. Am wichtigsten ist Eusebius, der Verfasser einer Kirchengeschichte und einer Biographie Constantins, dessen Zeitgenosse er war, beide in grieckischer Spracbe. Er sckrieb die Geschichte vom Standpunkte des Christenthums, dessen volliger Sieg ihm unzweifelhaft war, und wurde dadurch tonangebend ftir die mittelalterliche Geschichtschreibung. In sprachlicher Beziebung zeigen sammtliche damaligen Sehrift- steller Unreinheit des Ausdruckes und den schlimmen Einfluss der Rhetorik. Kunst. 1.) Das Heidenthum. Es scbuf noch immer bedeutende Werke der Baukunst (S. 296 und 297), dagegen konnten sicli die Plastik und Malerei von dem tiefen Verfalle seit dem Ausgange des 2. Jahrhunderts nicht mehr erholen. Die Vorliebe fur schwer zu bearbeitendes Material, z. B. Porpkyr, und kostbare Stoffe (Mosaik) schiidigten den inneren Wert dieser Kunste; hiezu kam die Erschopfung der antiken Welt aueh auf diesem Gebiete. So selimuckte man den zu Ehren des Siegers von Saxa rubra errichteten Constantinsbogen mit Reliefs vom Trajansbogen (vgl. Centones). 2.) Das Christenthum. Es machte von den heidnischen Errungen- scbaften in der Kunst Gebrauch. Mit Unrecht vvurde den Christen mitunter vorgeworfen, dass sie die Kunst verachtet hatten. a) Baukunst. Dem 4. Jahrhunderte gebort die Entstehung des christlichen Kirchenbaustiles an. Die altesten Kirchen werden Basili/cen genannt; als ihr Vorbild dienten die den offentlichen Basiliken ahnlichen Raume in den Palasten reicher Ro m er, in welchen die Christen anfangs nicht selten zum Gottesdienste zusammenkamen. Der Grundriss der Basiliken, an welchem die Kirche im wesentlichen festgehalten hat, umfasst: 1.) die halbkreisformige Apsis oder Concha mit Sitzen fiir den Bischof und die anderen Geistlichen; 2.) den Raum far die Aufstellung des Altars; 3.) das Ldngsschiff, durch Saulenreihen Cultur. 303 in drei oder fiinf Rauine getheilt, fiir die Laien. Die fiache Dečke wurde aus Holz hergestellt, bisweilen war der offene Dachstuhl sichtbar. Die bekanntesten Basiliken sind St. Paul (nacli dem Bi - ande neu aufgebaut) und St. Clemens in Rom. b) Plastik und Malerei. Die Plastik trat im Christenthume triih zugunsten der Malerei zuriick. Die Anfange der Malerei zeigen uns die KataJcomben (Coemeterien) von Bom, die, urspriinglich auf gesetzlich gescbiitzten Privatgiitern angelegt, besonders in den ersten vier Jahr- hunderten als Begrdbnisstatten, nicht aber als Versammlungsorte fiir die Abhaltung des Gottesdienstes dienten. Sie bestehen aus engen, hijchstens 1 m breiten Giingen, zu deren beiden Seiten die Leichen in Nischen, die man mit einer Platte verschloss, begraben wurden. An einigen dieser Platten lindet man Basreliefs und Fresken ohne kiinstlerischen Wert. Besonders haufig wird Christus als guter Hirte dargestellt, eines der schonsten Katakombenbilder zeigt ihn in der Gestalt des Orplieus. Wenn hier die Sgmbolik, z. B. der Fisch als Zeichen fiir Christus, iibervriegt, so zeigen uns die Basiliken einen bedeutsamen Fortschritt. Sowohl die Seitenwande als namentlich die Concha wurden mit gro!3en Mosaikbildern auf Goldgrund geschmiickt, deren Inhalt der heiligen Geschichte entnommen ist und deren Gestalten eine hoheitsvolle Rulie ausdriicken (vgl. die Gotterbilder des Phidias). Materielle Cultur. Die materiellen Zustande waren infolge der traurigen politischen und socialen Verhiiltnisse im allgeineinen trostlos. Die vielen Kriege und Thronkampfe rafften einen groGen TheiJ der Bevolkerung, die auch an Kraft und Schonheit abgenommen liatte, hinweg; bald nach dem Tode Constantins war der achte Tlieil Campaniens verodet, Apulien entvolkert, in Etrurien griff die Malaria um sich, in Oberitalien gab es nach dem Zeugnisse des lieil. Ambrosius nur mehr «Leichen von Stiidten». Landwirtschaft, Iiandel und Gewerbe sanken immer tiefer herab; dadurch und durch die Abnahme der Bevolkerung wurde wieder die Finanz- und VVehrkraft des Reiches geschivacht. Besonders kennzeichnend ist eine kastenartige Abge- schlossenheit der Stdnde, indem auGer den Decurionen und Bauern (Colonen, S. 289) seit Constantin auch verschiedene Gewerbsleute, die unteren Beamten und Soldaten erblich an ihren Stand gefesselt wurden. Der Hauptgrund hiefur war ein Jinanzieller; die Decurionen hafteten namlich fiir den Eingang der Steuern (S. 295), die Mitglieder der Gewerbsgenossenschaften fiir die diesen auferlegten Geldleistungen, 304 Die Romer. die Einrichtung des Colonats sicherte dem Staate die Gr und - und Kopfsteuer, denn die letztere musste der Grofigrundbesitzer fiir seine Colonen entriehten; dagegen waren die Beamten, Vetei - anen, Schiffs- capitiineu. a. steuerfrei. Jeder lebte auf einen kleinenRaum beschrankt, der geistige Horizont wurde immer enger, 1 die Vaterlandsliebe hijrte auf, und die Germanen mussten als Befreier erscheinen, auch wenn sie sicb einen Theil des Ackerlandes abtreten liefien, da sie den iibrigen nicht besteuerten. So geht auch auf materiellem Gebiete die Lebenskraft des Alterthums zu Ende. VI. Ende des Alterthums; Fortleben der Antike. Der Zusammenbrucb des romischen Reicbes und die damit zusammenhangende Auflosung der antiken Welt ist eines der grafiten Ereignisse der Weltgeschichte. Die wichtigsten Erklarungsgriinde hiefttr sind der Druck der Militar- und Beamtenherrschaft, die militiirische Schwache des Reicbes, die kastenartige Gebundenheit, die Abnahme sowie der korperliche und sittliche Verfall der Bevolkerung. Christenthum und Germanenthum wurden die Triiger der ferneren gescbichtlichen Entwicklung. Was die griechisch-romische Cultur auf staatlichem, literarischem und kiinstlerischem Gebiete geschaffen hatte, gieng nicht verloren, sondern wurde durch die Kirche, die selbst einen Theil der antiken Cultur aufgenommen hatte, den neubekehrten kraftigen Germanen vermittelt und ward dadurch etn Uauptbestandtheil der Cultur des Mittelalters und aller folgenden Zeiten. 1 Noch im 4. Jahrhunderte gab es in Rom 29 bffentlicbe Hibliotheken, seit 450 wolil keine einzige mehr. Probe der Hieroglypben. Uberschrift des sogenannten Todtenbuches nach dem Turiner Exemplare. u cm nuter-cher t’et-tu haru keras -5b A J\' K ak emchet -A 1 p er J 1 /vww\ an usiri Die Ubersetzung lautet: «Anfang von (len Capiteln iiber das Herausgehen am Tage, iiber die Erhebung der Verklarten in der Untervvelt. Sie werden gesproehen am Tage des Begrabnisses (fiir) das Eintreten nach dem Herausgehen des Osiris (d. h. des dem Osiris gleich gewordenen Verstorbenen)*. Determinative, d. h. erklarende Zusatze, welche nicht gelesen werden, sind: 1. Schreitende Beine, auf Bevvegung deutend; 2. Sonnenscheibe, allgemeines Zeit- determinativ; 3. Krahn, mit 1 zur Erklarung des Begriffes «erheben»; 4. Determinativ zu «verklart»; 5. Pluralzeichen; 6. Determinativ fiir «Land»; 7. Sarkophagdeckel und Mumienbinde determinieren «Sarg». Probe der Keilschrift. Anfang der groDen dreisprachigen Behistuninschrift. Die boiden ersten Zeilen goben eine Probe der persischen Keilschrift und Sprache, die dritte Zeile gibt die susische, die vierte die babylonische Ubersetzung. fn Tr d»T v Ti m sr t<- o? m Da a r(a) j (a) v us «tT 5 m KT T K- V M m T*= k s a j (a) th i j (a) v(a) c r(a) k(a) = adam Darajavus ksajatbija« vacraka »ieh Darius der maehtige Konig« T-TTT BIT M < s^TT u Da ri ja ma u ush sunku(?) ir siva ar ra = u Darijavush sunku ?) irsharra »ieh Darius, der maehtige Konig« T m tem -TT